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German Pages 229 Year 2013
Strafrechtliche Abhandlungen Neue Folge · Band 243
Die Einwilligung in ein Risiko Von
Marc Menrath
Duncker & Humblot · Berlin
MARC MENRATH
Die Einwilligung in ein Risiko
Strafrechtliche Abhandlungen · Neue Folge Begründet von Dr. Eberhard Schmidhäuser (†) em. ord. Prof. der Rechte an der Universität Hamburg
Herausgegeben von Dr. Dres. h. c. Friedrich-Christian Schroeder em. ord. Prof. der Rechte an der Universität Regensburg
und Dr. Andreas Hoyer ord. Prof. der Rechte an der Universität Kiel
in Zusammenarbeit mit den Strafrechtslehrern der deutschen Universitäten
Band 243
Die Einwilligung in ein Risiko Von
Marc Menrath
Duncker & Humblot · Berlin
Zur Aufnahme in die Reihe empfohlen von Professor Dr. Helmut Frister, Düsseldorf Die Juristische Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf hat diese Arbeit im Jahre 2012 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
D 61 Alle Rechte vorbehalten © 2013 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7271 ISBN 978-3-428-14068-8 (Print) ISBN 978-3-428-54068-6 (E-Book) ISBN 978-3-428-84068-7 (Print & E-Book)
Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Meiner Familie
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde von der Juristischen Fakultät der HeinrichHeine-Universität Düsseldorf im Sommersemester 2012 als Dissertation angenommen. Rechtsprechung und Literatur konnten noch bis März 2013 größtenteils in Fußnoten berücksichtigt werden. Mein Dank gilt zuallererst meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Helmut Frister, der die Arbeit in ihrem Entstehungsprozess in zahlreichen Diskussionen maßgeblich durch zustimmende wie konstruktiv kritische Anmerkungen gefördert hat. Bedanken möchte ich mich auch bei Herrn Prof. Dr. Karsten Altenhain für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens und darüber hinaus für die großartigen Jahre, die ich als Mitarbeiter an seinem Lehrstuhl verbringen durfte. Den Professoren Dr. Dres. h.c. Friedrich-Christian Schroeder und Dr. Andreas Hoyer wird für die Aufnahme dieses Werkes in die Schriftenreihe „Strafrechtliche Abhandlungen. Neue Folge“ gedankt. Für seine Förderung danke ich dem Freundeskreis der Düsseldorfer Juristischen Fakultät e.V. Allen aktuellen und ehemaligen Weggefährten am Lehrstuhl Altenhain und am Zentrum für Informationsrecht bin ich zu Dank für ihr stetiges Interesse an meinem Projekt, viele Tage der Ablenkung und Zerstreuung und für den einen oder anderen Tritt in den Hintern verpflichtet. Durch Namensnennung aus der Anonymität emporgehoben seien hier Maria Bobrovskaya, Mitra Ghulam, Peter Noack und Dr. Jörg L. Schmitz. Meinen Eltern und Großeltern danke ich für ihre keineswegs selbstverständliche Unterstützung während meiner Promotionszeit. Ihnen ist diese Dissertation gewidmet. Düsseldorf, im März 2013
Marc Menrath
Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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A. Einführung in die Thematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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B. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Kapitel 1 Leitlinien eines Systems des Opferverhaltens
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A. Die grundlegende Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
20
B. Selbstschädigung und die Beteiligung daran . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die fehlende Unrechtsqualität der Selbstschädigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. „Beteiligung“ an fremder Selbstschädigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die „Beteiligung am Suizid“ in der Rechtsprechung – zum Nutzen und Schaden des Teilnahmearguments . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Anwendung des limitierten Akzessorietätsgrundsatzes außerhalb seines Regelungsbereichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Schwierigkeiten bei der Erstreckung des Teilnahmearguments auf die „fahrlässige Teilnahme“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Kollision des Teilnahmearguments mit der Figur mittelbarer Täterschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
21 21 25
C. Charakteristika der einverständlichen Fremdschädigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Bedeutung eigenhändigen Handelns für die Reichweite verfassungsmäßig garantierter Autonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Bedeutung des Opferwillens für die deliktssystematische Einordnung der einverständlichen Fremdschädigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Autonomie als wesentlicher Teil des Rechtsguts? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kritik und Konsequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
26 28 33 36 37 38 40 45 46 49
Kapitel 2 Die Einwilligung in ein Risiko als Lösungsinstrument der Rechtsprechung 53 A. Das Reichsgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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B. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs von BGHSt 4, 88 bis zu BGHSt 32, 262 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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C. Von BGHSt 32, 262 bis heute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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10
Inhaltsverzeichnis Kapitel 3 Der potentielle Anwendungsbereich der Einwilligung in ein Risiko
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A. Unterscheidung von Gefährdungs- und Schädigungssituation . . . . . . . . . . . . . . . .
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B. Die Fallgruppe der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Dogmatische Grundlagen der straflosen Beteiligung an eigenverantwortlicher Selbstgefährdung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Bemühungen einer vollständigen Vereinheitlichung der Gefährdungssachverhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ältere Lösungsmodelle auf Tatbestandsebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ablehnung der einverständlichen Fremdgefährdung als eigene Fallgruppe a) Kritik an der Vorgehensweise der h. M. und Gegenkritik . . . . . . . . . . . b) Kritik ausgehend von strukturellen Unterschieden zwischen Schädigung und Gefährdung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Puppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Otto . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Zaczyk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Gegenkritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
63 63 67 68 71 73 75 75 76 78 79 84
C. Die Abgrenzung von eigenverantwortlicher Selbst- und einverständlicher Fremdgefährdung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 I. Die Diskussion im Bereich vorsätzlicher Schädigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 1. Tatherrschaftslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 2. Prinzip der Eigenverantwortlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 3. Rechtlich missbilligte Gefahrschaffung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 II. Die Übertragung der Kriterien auf die Gefährdung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 III. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 1. Zur Untauglichkeit der Tatherrschaftstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 2. Alternative Fundierung: Rechtliche Missbilligung des zum Erfolg führenden Kausalverlaufs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 3. Die Anwendung des Kriteriums im Einzelfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 a) Nicht mehr als eigenverantwortliche Selbstgefährdung zu qualifizierende Rechtsgutsgefährdungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 b) Grenzfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106
Kapitel 4 Die Einwilligung in ein Risiko und ihre strafrechtsdogmatische Erfassung 107 A. Zur Notwendigkeit der Berücksichtigung der Opferentscheidung . . . . . . . . . . . . . 107
Inhaltsverzeichnis B. Die Konsentierung der Fremdgefährdungshandlung: Ein Problem der objektiven Zurechnung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Theorie einer bedingten Gleichstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Weitere Zurechnungstheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zirkulärer Verweis auf die „Reichweite des Tatbestandes“ . . . . . . . . . . . . . 2. Zweifelhafte Gleichstellungskriterien bei der bedingten Gleichstellungstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Eigenverantwortlichkeit als Blankettbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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108 109 110 111 113 115 117
C. Zur Konstruktion einer Einwilligung in ein Risiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Einwilligung in ein Risiko – eine „Fiktion“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. „Fiktion“ aufgrund einer „Rechtsgutspreisgabe“ als konstituierendem Einwilligungsmerkmal? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. „Fiktion“ bei Einbringung von normativen Zurechnungselementen? . . . . 3. „Fiktion“ wegen sachwidriger Ausblendung des unrechtsmitkonstituierenden Erfolgsunwerts? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Behauptung einer Präponderanz des Handlungsunwerts . . . . . . . . . . . . b) Behauptung eines Fehlen des Erfolgsunwerts bei Aufhebung des Handlungsunwerts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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D. Voraussetzungen der Risiko-Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Gegenüber der Verletzungseinwilligung unveränderte Voraussetzungen . . . . II. Der Umfang der erforderlichen Risikokenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kenntnis und Erkennbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zum Grad der noch tolerablen Unkenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Irrtum über Risikotatsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Irrtum über das Ausmaß des möglichen Schadens . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Irrtum über die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts . . . . . . . . . . . 3. „Risikoexzesse“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das Problem der Offenheit des Handlungsverlaufs . . . . . . . . . . . . . . . . b) Denkbare Exzessformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Mangelhafte Ausführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Risikoerweiterung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Maßstab der Exzessbeachtlichkeit und Herleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Der Wille des Opfers (in Relation zum Täter) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Voluntative Mindestanforderungen an die Risiko-Einwilligung . . . . . . . . . 2. „Willensgefälle“ zwischen Täter und Opfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Sonstige für relevant befundene Faktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Initiatives Vorverhalten der Beteiligten in Bezug auf die Gefährdung . . . 2. Vertrauen des Opfers in rechtlich fester Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
137 137 139 139 140 142 143 143 144 144 146 147 147 148 151 151 154 157 157 160
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Inhaltsverzeichnis Kapitel 5 Gesetzliche Schranken der Einwilligung in ein Risiko
A. Das Verbot der Tötung auf Verlangen und dessen Fernwirkung auf Lebensgefährdungsfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. § 216 als absolute Sperre bei fahrlässiger Tötung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. § 216 als Sperre gegenüber lebensgefährlichen Fremdgefährdungen . . . . . . . 1. Keine Fernwirkung wegen Verstoßes gegen Art. 103 Abs. 2 GG . . . . . . . 2. Keine Fernwirkung wegen Unübertragbarkeit der Ratio des § 216 . . . . . . a) Fernwirkung des § 216 aufgrund schützenswerter Interessen des Staates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Fernwirkung des § 216 aufgrund Bewahrung der Achtung des menschlichen Lebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Die Sittenwidrigkeit der einverständlichen Fremdgefährdung nach § 228 StGB I. Zur Legitimierbarkeit und Ausfüllung der „guten Sitten“ als Einwilligungsschranke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Auf Schwere und Zweck der Körperverletzung abstellende Ansätze . . . . a) Sittenwidrigkeit als Verstoß gegen nachweislich bestehende Wertvorstellungen der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Sittenwidrigkeit als nach rechtlichen Wertungen unverhältnismäßige Eingriffsschwere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Sittenwidrigkeit als Spezialfall eines Autonomiedefizits . . . . . . . . . . . 2. In den angewandten Kriterien abweichende Theorien . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Sittenwidrigkeit als missbilligte Zweckverfolgung . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Sittenwidrigkeit als Menschenwürdeverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Anwendbarkeit des § 228 auf Fahrlässigkeitstaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Fahrlässige Körperverletzung (§ 229) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Fahrlässige Tötung (§ 222) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Konkretisierung des Sittenwidrigkeitsmaßstabs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Risikodimension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Risikozweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Zusammenfassende Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223
Abkürzungsverzeichnis a. A. Abs. a. E. a. F. AG Alt. Anh. AöR Art. AT Aufl. BA BAK BayObLG Bd. BeckOK Begr. BGB BGH BGHSt BGHZ BRD BT BtMG BVerfG BVerfGE BVerwGE bzw. DAR ders. d.h. dies. DÖV DTM
anderer Ansicht Absatz am Ende alte Fassung Amtsgericht Alternative Anhang Archiv des öffentlichen Rechts Artikel Allgemeiner Teil Auflage Blutalkohol (Zeitschrift) Blutalkoholkonzentration Bayerisches Oberstes Landesgericht Band Beck’scher Online-Kommentar Begründer Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Strafsachen (amtliche Sammlung) Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen (amtliche Sammlung) Bundesrepublik Deutschland Besonderer Teil Betäubungsmittelgesetz Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (amtliche Sammlung) Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts (amtliche Sammlung) beziehungsweise Deutsches Autorecht derselbe das heißt dieselbe Die Öffentliche Verwaltung (Zeitschrift) Deutsche Tourenwagen-Masters
14 f., ff. FG Fn. FS GA GewO GG GS HIV HK-GS h. L. h. M. HRRS Hrsg. hrsg. JA JR Jura JuS JW JZ KG KJ km/h LG LK LPK MDR MK m.w. N. NJW NK NStZ NStZ-RR NVwZ NZV OLG RG RGSt Rn. S.
Abkürzungsverzeichnis die folgende, die folgenden Festgabe Fußnote Festschrift Goltdammer’s Archiv für Strafrecht Gewerbeordnung Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland Der Gerichtssaal (Zeitschrift)/Gedächtnisschrift Human Immunodeficiency Virus (Humanes Immundefizienz-Virus) Handkommentar Gesamtes Strafrecht herrschende Lehre herrschende Meinung Höchstrichterliche Rechtsprechung im Strafrecht (Online-Zeitschrift) Herausgeber herausgegeben Juristische Arbeitsblätter Juristische Rundschau Juristische Ausbildung Juristische Schulung Juristische Wochenschrift Juristenzeitung Kammergericht Kritische Justiz Kilometer pro Stunde Landgericht Leipziger Kommentar Lehr- und Praxiskommentar Monatsschrift für Deutsches Recht Münchener Kommentar mit weiteren Nachweisen Neue Juristische Wochenschrift Nomos Kommentar Neue Zeitschrift für Strafrecht NStZ-Rechtsprechungs-Report Strafrecht Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht Oberlandesgericht Reichsgericht Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen (amtliche Sammlung) Randnummer Satz/Seite
Abkürzungsverzeichnis s. SK SSW StGB StPO StV StVO u. u. a. v. VG vgl. VRS z. B. ZIS zit. ZJS ZRP ZStW
siehe Systematischer Kommentar Satzger/Schmitt/Widmaier Strafgesetzbuch Strafprozessordnung Strafverteidiger (Zeitschrift) Straßenverkehrsordnung und und andere/unter anderem vom/von Verwaltungsgericht vergleiche Verkehrsrechtssammlung zum Beispiel Zeitschrift für Internationale Strafrechtdogmatik zitiert Zeitschrift für das Juristische Studium Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft
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Einleitung A. Einführung in die Thematik Nahezu alle Menschen gehen im Laufe ihres Lebens bewusst Risiken ein, da sie sich hiervon Vorteile versprechen, deren Wert zum Teil allgemein nachvollziehbar, zum Teil aber nur für den Risikobereiten ersichtlich und verständlich scheint. Dabei kann dieser das Risiko selbst schaffen und es – so weit, wie es möglich ist – versuchen, unter Kontrolle zu halten. Er kann aber hierfür auch auf eine andere Person vertrauen und eine passive, geradezu „konsumierende“ Rolle bei der Gestaltung einer gefährlichen Unternehmung einnehmen, die sich darin erschöpft, den Risiken der Handlung ausgesetzt zu sein, ohne dabei das gefährliche Verhalten zu steuern. Bei rechtsgutsverletzender Verwirklichung des Risikos gelangen derartige Verhaltensweisen in das Blickfeld des Strafrechts. Die gegenwärtige Strafrechtsdogmatik sieht sich mehrheitlich dazu veranlasst, zwischen den Gestaltungsmodalitäten der vom Opfer beherrschten und der vom Täter beherrschten Gefahr eine Trennlinie zu ziehen. Während erstere Figur der sogenannten eigenverantwortlichen Selbstgefährdung hinreichend geklärt scheint, ist letztere, als einverständliche Fremdgefährdung bezeichnete, noch verhältnismäßig jung und wird seit Jahren als eine Thematik gesehen, die weiterer dogmatischer Durchdringung harrt1 und „immer noch nicht zur Ruhe gekommen“ 2 ist. Die durch verschiedene aktuellere Judikate herausgeforderte, verstärkte Auseinandersetzung mit diesem Thema hat nicht zu Einigkeit in wesentlichen Punkten geführt, sondern zu einer Zersplitterung der Dogmatik in zahllose Einzelteile. 3 Bereits die Grenze zwischen Gefahrenbeherrschung durch das Opfer und durch den Täter wird zunehmend als irrelevant abgelehnt und in der Konsequenz die Unterscheidung entweder vollständig aufgegeben oder in anderer Weise vorgenommen. Darüber hinaus beurteilt man nicht einheitlich, auf welche Weise der Wille des Geschädigten, das Risiko einzugehen, sowie sein Wissen um die Ge1 Roxin, FS Gallas, S. 250, bezeichnete sie anfangs als zu den „ungeklärtesten Problemen der Fahrlässigkeitsdogmatik“ gehörend. Vgl. auch ders., AT I, § 11 Rn. 136. 2 Murmann, FS Puppe, S. 767. 3 Cancio Meliá, ZStW 111 (1999), 357 (361): „Das herausragendste gemeinsame Merkmal aller vorhandenen Lösungen liegt in der Fragmentierung der Diskussion. Die Behandlung der Problematik erfolgt zum großen Teil unter verschiedenen dogmatischen Etiketten, oft ohne Berücksichtigung identischer materieller Argumente und Probleme, wenn diese aus einer anderen systematischen Perspektive eingebracht werden.“
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Einleitung
fährlichkeit der Situation Einfluss auf die deliktssystematische Behandlung der Fremdgefährdungsfälle zu nehmen vermag. Schließlich stellt sich die Frage nach der Geltung und Reichweite von Normen, mit welchen der Gesetzgeber Schädigungen bestimmter Rechtsgüter durch Dritte pauschal verboten oder trotz Zustimmung des Opfers nur in gewissem Rahmen zugelassen hat. All dies zusammen ergibt eine „sonst kaum noch zu findende Unübersichtlichkeit“ 4. Aufgabe dieser Arbeit wird es sein, die Diskussion um die einverständliche Fremdgefährdung möglichst feingliedrig zu systematisieren, die Ansichten sowie die für sie vorgebrachten Argumente einer kritischen Würdigung zu unterziehen und so zu versuchen, zu größerer Klarheit in der Debatte beizutragen.
B. Gang der Untersuchung Das erste Kapitel ist von der zuvor skizzierten Kernthematik noch etwas entfernt, gleichzeitig aber elementar für den Fortgang der Untersuchung. Das System der Opfermitverantwortung im Strafrecht hat sich stark aus dem Rückgriff auf seit Jahrzehnten geführte Streitigkeiten (wie z. B. die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme oder das Verhältnis von Vorsatz und Fahrlässigkeit) heraus entwickelt, welche aus einem Fallbereich stammen, in dem das Opfer keineswegs mit einer Schädigung oder Gefährdung seiner Rechtsgüter einverstanden ist. Ebenfalls wurden bewährte Rechtsinstitute (etwa besagte Einwilligung) umfassend eingesetzt. Zu klären, welche Rechtsinstitute und Streitigkeiten nunmehr zu Recht auf den Sektor der Opfermitverantwortung übertragen worden sind und welche nicht, erfordert ein Mindestmaß an Auseinandersetzung mit diesen bereits in ihrem originären Anwendungsbereich. Kapitel 1 leistet dies etwa durch grundlegende Untersuchungen zu den Unterschieden zwischen Selbst- und Fremdschädigung, dem von der Rechtsprechung befürworteten und später weiterentwickelten „Teilnahmeargument“ sowie zu der Lozierung der herkömmlichen Einwilligung im Deliktsaufbau. Im Anschluss daran soll zum Einstieg in die eigentliche Problematik ein knapper chronologischer Überblick über den Umgang der Gerichte mit Fällen gefährlichen Opferverhaltens seit den Tagen des Reichsgerichts gegeben werden. Hieran lässt sich auch der aktuelle Erkenntnisstand in der Praxis inklusive noch offener Fragen nachvollziehen. Wie der Titel der Arbeit verraten mag, liegt deren Schwerpunkt auf Sachverhalten, in denen die Strafbarkeit des Täters alleine aufgrund des eine Gefährdung befürwortenden Opferwillens ausscheidet, das Opfer ansonsten passiv bleibt. Der Verlauf dieses Bereichs ist daher – bevor die bloße Zustimmung zur Risikoschaf4 Murmann, FS Puppe, S. 767. Vgl. außerdem Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 15 Rn. 36: „. . . verworrenen, kaum noch überschaubaren Diskussion . . .“; Cancio Meliá, ZStW 111 (1999), 357 (361): „ungeordnet und konfus“.
B. Gang der Untersuchung
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fung in ihrer strafrechtsdogmatischen Relevanz näher beleuchtet werden kann – einschließlich seiner Grenzen möglichst genau zu umreißen. Nach wie vor gibt es Stimmen, welche den Willen des Gefährdeten als Anlass dazu sehen, sämtliche Fälle rechtsgutsgefährdender Opfermitwirkung als Zurechnungsproblem zu bewältigen. Soweit diese vereinheitlichende Zurechnungslösung ihre Existenz nicht Vorbehalten gegenüber einer Kategorisierung der Zustimmung als besonderem Typus der Einwilligung verdankt (sondern z. B. der Ablehnung von Figuren aus der Täter-/Teilnehmerlehre), ist hierzu in Kapitel 3 vorrangig Stellung zu nehmen. Letztendlich geht es dort um das „Aussieben“ all jener Formen riskanten Verhaltens, bei denen die Straflosigkeit des Täters sich schon aus anderen Umständen als dem Einverstandensein mit der risikoträchtigen Handlung ergibt. Die restlichen Konstellationen lassen sich sodann unter dem Etikett der einverständlichen Fremdgefährdung systematisieren, wobei detailliert zu zeigen sein wird, inwiefern die darunter zusammengeführten Sachverhalte eine Kongruenz mit jenen aufweisen, die von der bislang h. M. diesem Begriff zugeordnet werden. Die Bezeichnung markiert zugleich den hypothetischen Anwendungsbereich einer strafrechtlichen Figur, welche sich an der Einwilligung orientiert. „Hypothetisch“ ist deren Anwendungsbereich zum Anfang des vierten Kapitels noch, da jene einwilligungsäquivalente Figur bis dato noch nicht auf ihre Tauglichkeit geprüft wurde. Das geschieht nun in diesem Kapitel in zwei Schritten, welche letztlich notwendig zusammenhängen: Zuerst ist nachzuweisen, dass die Zustimmung zu der Risikoschaffung kein Fall der Erfolgszurechnung ist, sodann ist der besonders von den Befürwortern dieser Ansicht vorgebrachten Kritik an der dogmatischen Konstruktion der Risiko-Einwilligung entgegenzutreten. Der Schlussteil des Kapitels 4 geht auf die näheren Voraussetzungen einer Einwilligung in ein Risiko und auf mögliche Unterschiede zur Verletzungseinwilligung ein. Die hier aufkommenden und thematisierten Fragestellungen sind jedoch zum großen Teil von einer Einordnung der Zustimmung als Einwilligung oder Zurechnungsausschluss losgelöst. Kapitel 5 hat die Autonomieschranken der §§ 216, 228 bei einverständlicher Fremdgefährdung zum Gegenstand. Obwohl es sich hierbei um Einwilligungsschranken handelt, die üblicherweise unter dem Stichwort der Rechtsgutsdisponibilität zu den am Ende des vorigen Kapitels angeführten Einwilligungsvoraussetzungen gezählt werden, werden sie in einem separaten Abschnitt behandelt. Das hängt einerseits mit dem großen Umfang dieser Thematik zusammen, andererseits damit, dass jedenfalls nach h. M. auch die Frage nach den Grenzen individueller Autonomie nicht von der dogmatischen Einkleidung des Problems abhängig ist. Untersucht werden die Reichweite der genannten Normen für die hier interessierenden Fallkonstellationen sowie der Grund für die durch sie angeordneten Einschränkungen der Dispositionsfreiheit.
Kapitel 1
Leitlinien eines Systems des Opferverhaltens A. Die grundlegende Systematik Das Opfer der Straftat hat – nachdem es lange weitgehend unbeachtet blieb – spätestens mit der wegweisenden Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur Selbstgefährdung eines Heroinsüchtigen1 im Jahr 1984 einen bedeutenden Platz in der strafrechtswissenschaftlichen Diskussion eingenommen. Der Grundannahme, dass es als selbstbestimmt handelnde Person bereits bei der materiellen Prüfung der Strafbarkeit mit einzubeziehen ist, würde heute niemand mehr widersprechen.2 Eine Systematisierung des Opferverhaltens lässt sich in zwei Richtungen vornehmen: Einerseits ist es möglich, sich an der inneren Einstellung des Opfers zum Erfolg zu orientieren, andererseits, auf der Basis des äußeren Geschehensablaufs das Gewicht seiner Tatbeteiligung zu untersuchen und dieses in Relation zu der des Täters zu setzen. Beide Methoden sind praktiziert worden – zum Teil sind sie bereits vom Gesetz vorgezeichnet – und bilden das Rückgrat der aktuellen Debatte. Betrachtet man die heute herrschend gewordene Systematik bei strafbaren Rechtsgutsverletzungen durch den Täter unter Mitwirkung des Opfers, ließe sie sich schematisch anhand eines kartesischen Koordinatensystems darstellen: Die vertikale Achse (y-Achse) bildet den Indikator für dessen subjektive Einstellung zum Erfolg, das Spektrum reicht von „hat den Erfolgseintritt weder kommen sehen noch gewollt“ bis hin zu „hat den Erfolg ausdrücklich als zu erreichendes Ziel angesehen“ Die horizontale Achse (x-Achse) enthält dagegen in ihrem Negativbereich die Fälle, in denen das Opfer nicht oder nur in sehr geringem Maße über seine bloße Anwesenheit hinaus an der Tat beteiligt ist. In Richtung des Positivbereichs wird die Beteiligung zunehmend prägender, bis hin zu Fällen, in denen sich der Beitrag des Täters auf eine Hilfestellung im Vorfeld der Tat reduziert. Die beiden Achsen bilden gleichzeitig auch jene Grenzen ab, die von der herrschenden Ansicht für die Fallgruppenbildung herangezogen werden. Die x-Achse trennt die „Gefährdung“ von der „Schädigung“, die y-Achse dagegen das „Fremd“-Handeln durch den Täter vom „Selbst“-Handeln des Opfers. Auf 1
BGHSt 32, 262. Zu den Bemühungen in der Anfangszeit der Diskussion Schüler-Springorum, FS Honig, S. 201 ff. 2
B. Selbstschädigung und die Beteiligung daran
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diese Weise lassen sich vier Quadranten bilden, die nach der weitaus herrschenden Terminologie als „Selbstgefährdung“, „Selbstschädigung“, „Fremdgefährdung“ und „Fremdschädigung“ benannt werden. Das System des Opferverhaltens nimmt deutliche Anleihen bei der allgemeinen, täterorientierten Dogmatik. Das zeigt sich bei der Grenzziehung zwischen den einzelnen Sektoren. Die Trennung von Schädigungs- und Gefährdungssachverhalten bleibt stark der Abgrenzung von Vorsatz und Fahrlässigkeit verhaftet3, so dass Unklarheiten zum Verhältnis dieser beiden Unrechtsformen auch darauf abfärben. Geht es hingegen um die Phänomenologie der Verhaltensmuster von Opfer und Täter, bedient man sich – teilweise bis in die letzten Winkel des Begründungsganges – der Dogmatik zur Beteiligung mehrerer Personen an einem Delikt, was nicht nur zu vergleichbar schwierigen Abgrenzungen wie im Bereich der Lehre von Täterschaft und Teilnahme führt, sondern, wie zu zeigen sein wird, dogmatisch nur mit großen Schwierigkeiten und Verwerfungen funktioniert. Das Festhalten an Altbekanntem basiert auf Gründen der Systemökonomie und der Prämisse, dass das Opfer ebenso Person ist wie der Täter und keine „Sonderrolle“ einnimmt, sich demnach an den erlangten Ergebnissen nichts dadurch gravierend ändert, dass ein Mensch einmal andere und einmal sich selbst schädigt – was mittlerweile jedenfalls in Teilbereichen bezweifelt wird.4 Inwieweit das Fundament der einverständlichen Fremdgefährdung trägt und welche Korrekturen notwendig sind, ist Gegenstand dieses Kapitels, in dem die Gemeinsamkeit der erörterten Fälle darin liegt, dass es dem Geschädigten auf den Eintritt der Rechtsgutsbeeinträchtigung gerade ankommt.
B. Selbstschädigung und die Beteiligung daran I. Die fehlende Unrechtsqualität der Selbstschädigung Das Gesetz stellt die Tötung oder Verletzung „anderer“ und den Diebstahl oder die Beschädigung „fremder“ Sachen unter Strafe. Es erfasst damit nicht den Fall der freiwilligen Schädigung eigener Rechtsgüter, welche unmittelbar durch ein eigenes Handeln vollführt wird. Diese Selbstschädigung oder Selbstverletzung stellt die unmittelbarste Ausdrucksform menschlicher Autonomie dar. Nach allgemeiner Ansicht unterfällt sie grundsätzlich nicht nur keinem Straftatbestand, sondern wird schon nicht als materielles Unrecht begriffen.5 Stattdessen wird betont, die eigenhändig durchgeführte Aufgabe eines Gutes durch den voll Dispositionsbefugten trage ersichtlich Züge einer Dereliktion6 und dieser Bereich sei 3
Vgl. noch unten Kapitel 3, A. Cancio Meliá, ZStW 111 (1999), 357 (368); Sternberg-Lieben, Objektive Schranken, S. 215. 5 Hier nur Kühl, Jura 2010, 81 (83). 6 Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff, S. 66 Fn. 59. 4
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Kap. 1: Leitlinien eines Systems des Opferverhaltens
dem strafrechtlichen Gesetzgeber grundsätzlich verschlossen.7 Diese Behauptung erhält Konturen, wenn man sich Teile der Funktion unseres Staates vor Augen führt. Den Staat trifft zunächst die Pflicht, seine Bürger vor externen Gefahren zu schützen, natürlich auch vor solchen, welche von anderen Menschen verursacht werden.8 Eine solche Schutzpflicht setzt also voraus, dass eine Dreieckskonstellation Staat-Störer-Opfer vorliegt.9 Um zu erkennen, dass es bei einer Selbstschädigung an einem solchen fehlt, bedarf es nur einer oberflächlichen, rein geometrischen Betrachtung dieses Störerdreiecks. Selbst wenn man als Störer eine beliebige Person begreifen möchte, so ist die Beteiligung dieser für die Durchführung einer Selbstschädigung eben nicht erforderlich, schon rein faktisch ist das Erreichen eines zwischenmenschlichen Bereichs kein Charakteristikum einer Selbstverletzung. Auf diesen wichtigen Gesichtspunkt, das Fehlen von Interpersonalität als „nicht weiter auflösbare Basis allen Rechts“ 10, der auf die Lehren Kants und Hegels zurückgeführt werden kann, wird zur Begründung strafrechtlicher Irrelevanz einer Selbstverletzung daher in nahezu allen neueren Untersuchungen11 ausdrücklich hingewiesen. Diese Einigkeit bestand nicht immer und sie ergibt sich auch nicht von selbst. Zu einem anderen Ergebnis könnte man nämlich kommen, ließe man für eine staatliche Schutzpflicht (und damit für die Legitimation des Gesetzgebers, ein dem Schutzauftrag zuwiderlaufendes Verhalten strafrechtlich zu sanktionieren) eine rein bipolare Staat-Opfer-Beziehung genügen. Damit wäre die Feststellung verbunden, dass der Einzelne durch den Staat nicht nur vor drittvermittelten Gefahren, sondern ebenso vor sich selbst zu schützen sei.12 Im Verfassungsrecht wird dies – häufiger unter der Rubrizierung des „Grundrechtsverzichts“ – besprochen.13 Letztlich überzeugt die verfassungsrechtliche Idee des aufgedrängten staatlichen Schutzes gegenüber einem freiverantwortlich sich selbst Schädigenden jedoch nicht.14 Sie hat zur Folge, dass die Ausübung persönlicher Freiheit einer staatlichen Kontrolle unterworfen und unter einen „Vorbehalt der Ungefähr7
Sternberg-Lieben, Objektive Schranken, S. 283. Murmann, Selbstverantwortung, S. 242. 9 Vgl. Isensee, in: Handbuch des Staatsrechts V, § 111 Rn. 113. 10 Zaczyk, Selbstverantwortung, S. 26 ff. 11 Etwa in den umfangreichen Monographien von Sternberg-Lieben, Objektive Schranken, S. 229 f.; Murmann, Selbstverantwortung, S. 316; Ingelfinger, Tötungsverbot, S. 220; Rönnau, Willensmängel, S. 40 f.; Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff, S. 64 und Zaczyk, Selbstverantwortung, S. 26 ff.; ebenso von Roxin, FS Dreher, S. 337; Jakobs, Tötung auf Verlangen, S. 11 ff.; Grünewald, GA 2012, 364. 12 Eine Gleichstellung von drittvermittelten mit selbstverursachten Gefahren findet sich bei Sachs, in: Stern, Staatsrecht, Bd. III/1, S. 736. 13 Vgl. Robbers, Sicherheit, S. 221; v. Münch, FS H. P. Ipsen, S. 128. 14 v. Münch, FS H. P. Ipsen, S. 127; Robbers, Sicherheit, S. 222; Dietlein, Schutzpflichten, S. 230; Hermes, Schutz von Leben und Gesundheit, S. 228 ff.; Wilms/Y. Jäger, ZRP 1988, 41 (43). 8
B. Selbstschädigung und die Beteiligung daran
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lichkeit“ 15 gestellt wird und setzt sich so in Widerspruch zu dem freiheitlichen Menschenbild des Grundgesetzes, wonach nicht die Effizienz eines homogenen Kollektivs, sondern die Freiheit des Einzelnen ein staatstragendes Prinzip ist.16 Wo Grundrechte zu „Grundpflichten“ werden17, öffnet sich bei der Selbstverletzung das Tor zu der Möglichkeit, selbst einem vollkommen von der Gesellschaft isolierten Menschen unter Androhung von Strafe vorzuschreiben, wie er sein eigenes Leben zu führen hat. Dieser Befund muss für das Strafrecht bedeuten, dass durch ein Verhalten, welches die eigene Sphäre nicht verlässt und welches somit niemanden sonst in seinen Entfaltungsmöglichkeiten beeinträchtigt18, kein materielles Unrecht gegenüber dem geschädigten Gut verwirklicht werden kann.19 Möglich ist eine strafrechtliche Intervention des Staates gegen Selbstschädigung allerdings, wenn zugleich andere Rechtsgüter tangiert werden. Zu beachten ist dann – das ist Resultat aus der nicht zwingend erforderlichen Beteiligung Dritter – dass in Fällen dieser äußerlich betrachtet reinen Selbstschädigung eine umfassend wirksame strafrechtliche Intervention nur durch Bestrafung des Selbstschädigers erreichbar ist20, wobei das gegen diesen gerichtete Verbot nur als Mittel zur Vermeidung einer damit in Wirklichkeit verbundenen Fremdschädigung dient.21 Drittinteressen, welche eine Selbstschädigung beschränken können, existieren nur in Ausnahmefällen22, sie lassen sich z. B. noch nicht aus Sittlichkeits-
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Dietlein, Schutzpflichten, S. 223. Art. 1 Abs. 1 des Verfassungsentwurfs von Herrenchiemsee: „Der Staat ist um des Menschen willen da, nicht der Mensch um des Staates willen“; vgl. auch Murmann, Selbstverantwortung, S. 216 ff.; Isensee, in: Handbuch des Staatsrechts V, § 111 Rn. 113; Dölling, GA 1984, 71 (85); BVerfGE 45, 187 (227). 17 Hermes, Schutz von Leben und Gesundheit, S. 229. 18 Vgl. Frister, AT, 3/18 f. 19 Die fehlende Unrechtsqualität der Selbsttötung sah bereits (jedenfalls zunächst) P. J. A. Feuerbach, Kritik des natürlichen Rechts, S. 290 f.; weiterhin z. B. Sax, JZ 1975, 137 (146); Zaczyk, Selbstverantwortung, S. 26; Ingelfinger, Tötungsverbot, S. 220, der die Selbstschädigung lediglich als eine „Art Obliegenheitsverletzung“ einstuft; Kühl, FS Jakobs, S. 298; Jakobs, AT, 21/58. Ob es dagegen auch ein ausdrückliches Recht auf den eigenen Tod gibt, ist umstritten und wird mehrheitlich verneint. Ausdrücklich nur als „unverboten“ in scharfer Abgrenzung zu „erlaubt“ wollten schon Binding, Handbuch des Strafrechts, S. 697 f. und Gallas, Beiträge zur Verbrechenslehre, S. 180 f. den Suizid verstanden wissen, letzterer lehnte ein subjektives Recht des Suizidenten aus Art. 2 Abs. 1 GG ausdrücklich ab (S. 180 Fn. 43). Ebenso die h. M. im Verfassungsrecht, etwa Kunig, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 2 Rn. 50; Lorenz, in: Handbuch des Staatsrechts VI, § 128 Rn. 62; Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Rn. 47; vgl. zur Debatte Lackner/Kühl, Vor § 211 Rn. 9; Neumann, in: NK-StGB, Vor § 211 Rn. 41 ff. m.w. N. 20 Beispiele hierfür bei Sternberg-Lieben, Objektive Schranken, S. 284 f. 21 Mitsch, Rechtfertigung, S. 45 f. spricht von „Fremdschutz durch Selbstschutz“; vgl. außerdem Jakobs, Tötung auf Verlangen, S. 11 Fn. 34. 22 Z. B. bei der Selbstschädigung von Soldaten, § 109 StGB. Das schützenswerte Rechtsgut ist die personelle Verteidigungskraft und damit mittelbar das Menschenpotential der Landesverteidigung, Eser, in: Schönke/Schröder, § 109 Rn. 1. 16
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Kap. 1: Leitlinien eines Systems des Opferverhaltens
erwägungen herleiten23. Wegen der zuvor angesprochenen, überragenden Wertigkeit der Freiheit des Einzelnen kann der Drittbezug ebenso wenig dadurch hergestellt werden, dass man schlicht das (gesunde) Weiterleben einer jeden Person als Kollektivinteresse begreift. Binding vertrat den Standpunkt, der Schutz des Individuums durch das Strafrecht rechtfertige keineswegs eine Einteilung von Rechtsgütern in individuell und kollektiv24, sondern präsentiere sich lediglich als ein Ausfluss des universalen Schutzes aller Rechtsgüter. Größere Bekanntheit erlangt hat die hierauf wurzelnde Argumentation von Schmidhäuser, mit der er in den siebziger Jahren versuchte, die Unverfügbarkeit des Rechtsguts Leben und damit verbunden die Rechtswidrigkeit des Suizids zu begründen25, sie erntete aber besonders aufgrund ihrer plakativ kollektivistischen Züge, wonach der einzelne Mensch Glied eines insgesamt erhaltenswerten Gemeinwesensapparates sei26, Ablehnung und schärfste Kritik.27 Es kann also festgehalten werden: Rechtspflichten gegen sich selbst existieren nicht28, sie lassen sich auf der Grundlage unserer Staatsordnung nicht legitimieren. Wer ein ihm zugewiesenes Rechtsgut selbst frei von Willensmängeln wieder aufgibt, verwirklicht damit nicht nur keinen Straftatbestand, sondern bereits keinerlei Unrecht, wenn seine Handlung nicht auch ausnahmsweise Drittinteressen berührt.
23 Bottke, Suizid und Strafrecht, S. 53 vertritt die These, der Suizid könne, obwohl durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützt, im Einzelfall durch das dort erwähnte Sittengesetz beschränkt werden, wenn er „einen ,Werthereffekt‘ entfalten und andere kraft seiner suggestiven Macht verleiten könnte, die ,Reise ohne Wiederkehr‘ anzutreten“; kritisch zum „Schutz vor sich selbst“ durch das Sittengesetz Dietlein, Schutzpflichten, S. 228; Wilms/Y. Jäger, ZRP 1988, 41 (43). 24 Binding, Normen I, § 51 III, „Das Rechtsgut ist stets Rechtsgut der Gesamtheit, mag es scheinbar noch so individuell sein“; für das Rechtsgut Leben später BGHSt 6, 147 (153). 25 Schmidhäuser, FS Welzel, S. 801 ff. stützt konsequent auch die bestehende Straflosigkeit des Selbsttötung nicht auf die mangelnde Eröffnung des Regelungsbereiches aufgrund fehlender Pönalisierbarkeit von Selbstverhalten ohne interpersonalen Bezug, sondern auf „die gesetzliche Anerkennung eines speziellen, die Rechtsschuld ausschließenden Entschuldigungsgrundes“ (S. 815). 26 Schmidhäuser, FS Welzel, S. 817; ähnlich Klinkenberg, JR 1978, 441 (443 f.). 27 Gallas, Beiträge zur Verbrechenslehre, S. 179: „Gedankengänge, die fatale Reminiszenzen an die ,totale Inpflichtnahme‘ des einzelnen für die Gemeinschaft wachrufen“; auch Fiedler, Fremdgefährdung, S. 164 erinnert die Argumentation „an Ideologien autoritärer Staatsformen und ihre Parolen“; ausführliche (kritische) Auseinandersetzungen mit Schmidhäuser finden sich u. a. bei Murmann, Selbstverantwortung, S. 323 ff.; Roxin, FS Dreher, S. 331 ff.; Herzberg, JA 1985, 132 f.; Bringewat, ZStW 87 (1975), 623 (640 ff.); Derksen, Handeln auf eigene Gefahr, S. 42 ff. 28 Explizit Binding, Handbuch des Strafrechts, S. 699; Mitsch, Rechtfertigung, S. 44; Ingelfinger, Tötungsverbot, S. 220.
B. Selbstschädigung und die Beteiligung daran
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II. „Beteiligung“29 an fremder Selbstschädigung Ist die Aufgabe eines Rechtsguts durch seinen Inhaber ein strafrechtlich nicht relevanter Vorgang, so handelt es sich bei der Selbstschädigung „in chemischer Reinform“, d.h. ohne irgendeinen Interpersonalbezug, dennoch eher um ein Theoriespiel. Menschen sind soziale Wesen und es lässt sich für die meisten Verhaltensweisen einer Person eine damit in Verbindung stehende Handlung Dritter finden. Hiermit verlässt das Geschehen die rein persönliche Zone30, weshalb es möglich wird, auf die Preisgabe des Gutes anders als durch Bestrafung des sich selbst Schädigenden zu reagieren. Konstruktiv ist die mittelbare Beschränkung von dessen Handlungsfreiheit dergestalt denkbar, den auf den Plan tretenden Dritten – dessen Handlung den nötigen Bezug zu einer fremden Rechtssphäre aufweist – trotz autonomer Opferentscheidung zum Adressaten des strafrechtlichen Verbotes zu machen, wodurch dieser von der Handlung im Zweifel Abstand nimmt.31 Der Grund dafür erschließt sich nicht direkt, denn mit dem Eingreifen eines anderen ist bei nach wie vor bestehendem Selbstschädigungswillen keine Änderung der Interessenlage des Opfers verbunden. Betrachtet man etwa das oben angeführte Störerdreieck in einem normativeren Kontext, zeigt sich: Es mag jetzt neben dem Staat und dem Dispositionsbefugten faktisch noch einen potentiellen Störer geben, doch schon sprachlich implizieren die Begriffe „Störer“ und „Opfer“ eine Kollision von Interessen. Eine dem Opfer (auch diese Bezeichnung wirkt terminologisch deplatziert) willkommene Situation lässt sich nicht ohne weiteren Begründungsaufwand darunter fassen, weshalb sich sagen ließe, dass aus dessen Sicht diese Konstellation im Normalfall ebenfalls bipolar ist, eben eine „mittelbare Selbstverletzung“ 32. Bekanntlich hat der Gesetzgeber eine solche in § 216 und teilweise durch § 228 für strafbar erklärt. Interessant ist, dass diese Normen nach heute einhelliger Ansicht33 nicht jedes auf die fremde Rechtssphäre bezogene, erfolgskausale 29 Die Begriffe der strafrechtlichen Teilnahmelehre („Beteiligung“, „Mittäterschaft“, „Anstiftung“ etc.) sind bestenfalls missverständlich, wenn sie sich auf ein tatbestandsloses Verhalten beziehen. Daher wird die Mitwirkung an der Selbstschädigung im Folgenden zum Teil mit untechnischen Begriffen umschrieben, sofern technische Begriffe des StGB verwendet werden, sind sie in einem untechnischen Sinne zu verstehen. 30 Zaczyk, Selbstverantwortung, S. 28; Ingelfinger, Tötungsverbot, S. 221; Jakobs, AT, 14/4 spricht von „mittelbarer“ Sozialbeziehung. 31 Zur Unterscheidung von unmittelbaren und mittelbaren Beschränkungen der Handlungsfreiheit M.-K. Meyer, Autonomie, S. 150; Dietlein, Schutzpflichten, S. 220. 32 Dieser Begriff wird dort, wo es dem Autor gerade einmal auf ein sprachliches Plausibilisieren der engen Verwandtschaft zwischen Selbst- und Fremdschädigung ankommt, gerne verwendet, unter anderem bei Klee, GA 48 (1901), 177 (179); SternbergLieben, Objektive Schranken, S. 41; Schmitt, FS Maurach, S. 115; Mosbacher, Selbstschädigung, S. 121. 33 Anders für § 216 in den sechziger Jahren noch Kion, Beteiligung am Selbstmord, S. 103 et passim; Lüderssen, Strafgrund der Teilnahme, S. 168.
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Kap. 1: Leitlinien eines Systems des Opferverhaltens
Verhalten für eine strafbare Täterschaft ausreichen lassen. Die Straflosigkeit des Dritten, welcher nur unterstützend an einer sogenannten Selbstverletzung mitwirkt, ist „in einem Maße selbstverständlich, das bereits näherer Erörterung in Judikatur und Literatur entgegensteht“ 34. Für die meisten Rechtsgüter leuchtet dies auf der Stelle ein: Niemand zweifelt an, dass derjenige, der seinem Nachbarn eine Motorsäge ausborgt, damit dieser seinen eigenen Apfelbaum damit fällen kann, schon unter dem Gesichtspunkt primärrechtlicher Wertungen35 kein materielles Unrecht begangen hat. Für den besonders brisanten Bereich der Sterbehilfe sahen sich Rechtsprechung und Literatur indes früh dazu gezwungen, diese Erkenntnis in eine dogmatische Form zu gießen und die Straffreiheit desjenigen, dessen Verhalten als unterhalb einer „Tötung“ im Sinne des § 216 liegend betrachtet wurde, zu erklären. 1. Die „Beteiligung am Suizid“ in der Rechtsprechung – zum Nutzen und Schaden des Teilnahmearguments Das Reichsgericht beschäftigte sich in RGSt 70, 313 erstmals explizit mit der Frage, ob eine „Beihilfe zur Selbsttötung“ als Straftat einzuordnen ist. Im Sachverhalt ging es um ein uneheliches Paar, welches den Plan fasste, gemeinsam aus dem Leben zu scheiden, wobei der Angeklagte den Strick zur Verfügung stellte und noch festknotete. Das Opfer W warf sich daraufhin in den Strick und starb, der Angeklagte bekam Panik, als er den Strick am Hals spürte, schnitt sich los und überlebte. Die Argumentation des Reichsgerichtes vollzog sich in zwei Schritten: Sie ging zunächst dahin, den Grad der Beteiligung des Angeklagten zu bestimmen und auf ein „wissentliches Hilfeleisten“ als Beihilfehandlung zu beschränken, denn wie bereits das Schwurgericht herausgestellt hatte, war „die unmittelbare Tötungshandlung [. . .] nach Frau W.s Weisung selbst erfolgt“ 36. Im nächsten Schritt konstatierte das Reichsgericht: „Die Beihilfe zu einer Selbsttötung ist aber nach dem geltenden Recht nicht strafbar. [. . .] Frau W.s Tat – ihre Selbsttötung – ist nach dem geltenden Rechte keine strafbare Handlung; mithin ist die Beihilfe dazu auch nicht nach dem § 49 StGB strafbar“ 37. Diese Begründung, insbesondere von ihren Kritikern als das Teilnahmeargument bezeichnet, bildet das Fundament für die bis heute herrschende Behandlung aller Fälle der Suizidbeteiligung. Sie wurde mehrfach bestätigt38 und diente als 34
Murmann, Selbstverantwortung, S. 320 Fn. 33. Für den Fall, dass der Ausleihende nicht wüsste, dass sein Nachbar die Kettensäge für diese Schädigung seines Eigentums verwenden will, gäbe das Gesetz unter dem Gesichtspunkt „fahrlässiger Sachbeschädigung“ natürlich bereits keine Bestrafungsmöglichkeit her. 36 RGSt 70, 313 (314 f.). 37 RGSt 70, 313 (315). 38 BGHSt 2, 150; 6, 147 (154); OLG Nürnberg, NJW 2003, 454. 35
B. Selbstschädigung und die Beteiligung daran
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Basispunkt für Erweiterungen auf andere Bereiche der Opfermitwirkung. So leitete man aus ihr die Unterlassungstäterschaft desjenigen, der einem Suizid beiwohnt, ohne dem Suizidenten nach Eintritt der Bewusstlosigkeit zu helfen, ab.39 1972 schließlich wurde im sogenannten Polizeipistolen-Fall, in dem ein Polizist seine geladene Dienstwaffe auf dem Armaturenbrett liegenließ, mit der seine (unter Alkoholeinfluss zur Depression neigende) Frau sich sodann erschoss40, klargestellt, die Straflosigkeit des vorsätzlich handelnden Selbstmordgehilfen verbiete es auch „denjenigen zu bestrafen, der nur fahrlässig eine Ursache für den Tod eines Selbstmörders setzt“ 41. Die Ergebnisse der Entscheidungen RGSt 70, 313 und BGHSt 24, 342 – Straflosigkeit für den beim Suizid Mitwirkenden – entsprechen dem Rechtsgefühl und fanden daher zu großen Teilen den Beifall der Lehre. Der zu dem Ergebnis führende Begründungsgang prägt bis heute die Diskussion und wird als einflussreich angesehen, wenn es um die Frage geht, wie sich verschiedene mitverantwortliche Opferverhaltensweisen mit dem System des StGB vereinbaren lassen.42 Dennoch hat die im Wege einer „wertenden Verlängerung“ 43 erfolgte Ausweitung des Teilnahmearguments auf den Fahrlässigkeitsbereich in BGHSt 24, 342 und die darauf folgende verstärkte Aufmerksamkeit, die ihm zu Teil wurde, dazu geführt, bereits die Richtigkeit seiner Grundkonstruktion in Frage zu stellen.44 Zwar kam ein Großteil der Kritik erst mit dem Polizeipistolen-Fall auf und bezog sich auf die Unübertragbarkeit der Teilnahmeargumentation auf fahrlässiges Handeln – was als ein Indiz dafür gesehen werden könnte, dass das Teilnahmeargument für den Bereich vorsätzlicher Unterstützung einer Selbstschädigung durchaus noch Geltung beanspruchen kann. Sicher ist das aber keineswegs. Bevor also die bis heute weiteste Entfernung vom Ursprung des Teilnahmearguments, die gleichzeitig noch auf selbiges zurückgeführt werden kann – die Entscheidung BGHSt 32, 262 zur eigenverantwortlichen Selbstgefährdung – näher betrachtet wird, soll zunächst überprüft werden, inwieweit das Argument überhaupt für die Teilnahme an der Selbstschädigung tragfähig erscheint. Unzweifelhaft stellt das Teilnahmeargument einen rein auf dem positiven Recht fußenden Erklärungsversuch für die Straflosigkeit der Suizidteilnahme dar. Die Begründung verlagert sich, wie Murmann ausführt, „von der Primär- auf die 39
BGHSt 2, 150. BGHSt 24, 342. 41 BGHSt 24, 342 (344); die Begründung des BGH übernahm das OLG Nürnberg, NJW 2003, 454, um hiervon den Fall der fahrlässigen Tötungstäterschaft gegenüber einem Suizidwilligen abzugrenzen. 42 Zuletzt Kühl, Jura 2010, 81. 43 So Murmann, Selbstverantwortung, S. 326. 44 Das taten insbesondere Neumann, JuS 1985, 677 ff., ders., JA 1987, 244 ff.; Zaczyk, Selbstverantwortung, S. 6 ff.; Degener, Schutzzweck der Norm, S. 291 ff.; Ingelfinger, Tötungsverbot, S. 222 ff.; Murmann, Selbstverantwortung, S. 314 ff. 40
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Kap. 1: Leitlinien eines Systems des Opferverhaltens
Sanktionenordnung“ 45. Von der Warte der Rechtsprechung aus betrachtet ist das nur konsequent, denn der Suizid wird von ihr nach wie vor als überpositiv verwerfliches Handeln, das lediglich im positiven Recht straffrei gelassen wurde, angesehen.46 Dem Teilnahmeargument wurde im Laufe der Jahre viel Zustimmung oder wenigstens Akzeptanz entgegengebracht47, jedoch beginnt sich das Schrifttum allmählich von ihm abzuwenden.48 Es lassen sich mehrere zentrale Kritikpunkte am Teilnahmeargument anbringen. a) Anwendung des limitierten Akzessorietätsgrundsatzes außerhalb seines Regelungsbereichs Teile der Literatur wenden sich bereits dagegen, die Vorschriften über Täterschaft und Teilnahme auf die Beteiligung am Suizid anzuwenden.49 Die Feststellung der Anwendbarkeit der Teilnahmeregeln ist ein wesentlicher Schritt, denn geht man ihn und gelangt so erst einmal in die vertrauten Gewässer der Teilnahmelehre, ergeben sich sämtliche weiteren Schritte unmittelbar und unwiderleglich aus dem Gesetz.50 Kritik am Teilnahmeargument hat demnach schon an diesem 45 Murmann, Selbstverantwortung, S. 318; ebenso Frisch, in: Leipold (Hrsg.), Selbstbestimmung, S. 111. 46 Eine Diskrepanz zwischen positivem und überpositivem Recht stellt der BGH etwa in BGHSt 6, 147 (153) fest, wenn er ausführt, dass „. . . das Sittengesetz jeden Selbstmord [. . .] streng missbilligt . . .“ und in versteckterer Form auch in BGHSt 13, 147 (154), wo das Gericht knapp darauf verweist, die Selbstmordteilnahme sei „in unserem Recht nicht mit Strafe bedroht“, aber anschließend besonders betont, dass „derjenige, der fremden Selbstmord fördert, anders als der Selbstmörder nicht in eigenes, sondern in fremdes Leben greift und selbst in der Regel nicht in den zerreißenden Spannungen steht, die den Selbstmörder meist zu seiner Tat drängen“. Der BGH bestätigte seine Ansicht zuletzt in JZ 2002, 150 (152) „von äußersten Ausnahmefällen abgesehen“; Neumann, in: NK-StGB, Vor § 211 Rn. 41 und Sternberg-Lieben, JZ 2002, 153 (154 f.) betrachten sie als unvereinbar mit einem säkularen Staat; Kühl, FS Jakobs, S. 298 moniert eine Missachtung der Trennung von Recht und Moral. 47 Dölling, GA 1984, 71 (73 ff.); ders., FS Maiwald, S. 119; Bottke, Suizid und Strafrecht, S. 57, S. 270; Bringewat, ZStW 87 (1975), 623 (639 f.); Roxin, FS Gallas, S. 244; Schünemann, in: Schünemann (Hrsg.), Strafrecht und Betrug, S. 75; Krack, KJ 1995, 60 (62); Kühl, Jura 2010, 81; Beulke, FS Otto, S. 211; Rengier, AT, § 13 Rn. 77 ff.; Krey/Esser, AT, Rn. 360; Leupold, Erfolgsdelikte, S. 112; Burgstaller, Fahrlässigkeitsdelikt, S. 121 Fn. 128; Trüg, JA 2004, 597 (598). 48 Vgl. Neumann, GA 1996, 36. Anschaulich dokumentiert ist diese Entwicklung bei Roxin, welcher in FS Gallas, S. 244 das Teilnahmeargument noch als „nahezu zwingend“ bezeichnete, später in AT I, § 11 Rn. 107 Fn. 230 nicht versäumte, dahinterstehende materielle Erwägungen offenzulegen und zuletzt, JZ 2009, 399 (401) den Eindruck erweckte, das Argument nur noch als unverbindliche „Prüfsumme“ für das richtige Ergebnis heranzuziehen. Ähnlich zwiegespalten auch Walter, in: LK-StGB, Vor § 13 Rn. 112: „logisch unzutreffend, aber doch einsichtig“. 49 Vgl. die in Kapitel 1 Fn. 44 genannten Autoren. 50 Von „logischer Unerbittlichkeit“ spricht Geilen, JZ 1974, 145; zur Abgrenzung von täterschaftlicher Fremdschädigung und Teilnahme an der Selbstschädigung noch Kapitel 3, C. I.
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Punkt angesetzt. Die in den letzten 25 Jahren erfolgreichste Argumentation gegen das Teilnahmeargument im Allgemeinen geht auf Neumann zurück.51 Er differenzierte im Rahmen der Diskussion um die Suizidbeihilfe – soweit ersichtlich als erster – zwischen dem Anwendungsbereich und dem Regelungsbereich der §§ 25 ff. Ob ersterer eröffnet sei oder nicht, entscheide darüber, ob die Handlung des Tatbeteiligten als Täterschaft oder Teilnahme qualifizierbar sei, im letzteren Fall mit der Folge, dass der Täter straflos bliebe, wenn es an einer vorsätzlichen und rechtwidrigen Haupttat fehlt. Sei allerdings bereits der Regelungsbereich der §§ 25 ff. nicht betroffen, müsse eine Diskussion über Anwendung oder Nichtanwendung der Teilnahmeregeln von vornherein ins Leere laufen. Neumann unterscheidet also zwischen der Teilnahme an einer im konkreten Fall nicht vorliegenden Haupttat, die aber gesetzlich vertypt ist und damit potentiell begangen werden könnte, und an einer bereits nicht als Tat verständlichen, da keinen Straftatbestand erfüllenden Handlung. In die zweite Kategorie ordnet er die Selbsttötung ein.52 Die Kritik Neumanns ist zu Recht positiv aufgenommen worden.53 Das Prinzip der limitierten Akzessorietät bewirkt, dass die Strafbarkeit des Teilnehmers vom Vorhandensein einer tatbestandsmäßigen und rechtswidrigen Haupttat abhängt. Oberflächlich betrachtet ist deshalb der Ausgangspunkt des Teilnahmearguments, die Aussage, die Selbsttötung sei im StGB nicht unter Strafe gestellt, so dass keine teilnahmefähige Haupttat existiere, natürlich zutreffend. Sie verdunkelt jedoch mehr, als sie erhellt, wenn man wie die Rechtsprechung nicht zwischen den Gründen differenziert, die zu einer Straflosigkeit des Teilnehmers führen. Es lassen sich in dieser Hinsicht mehrere Konstellationen voneinander trennen: Die erste Gruppe bilden jene Fälle, in denen das Verhalten des Haupttäters auf eine vertypte Handlung nach dem Strafgesetzbuch bezogen ist, der Tatbestand des geplanten Deliktes aber entweder nicht einmal versucht wird oder das Handeln gerechtfertigt ist. So wäre es beispielsweise, wenn der geplante Diebstahl, zu dem A Hilfe leistet, bereits im Vorbereitungsstadium stecken bleibt. Eine Tat, an der teilgenommen werden könnte, existiert nach dem Gesetz, nicht jedoch in der Realität. Dies ist der ursprüngliche Anwendungsbereich der limitierten Akzessorietät, in dem sie zur Straflosigkeit des Teilnehmers führt.
51 Neumann, JuS 1985, 677; ders., JA 1987, 244; seine Argumentation findet sich u. a. bei Cancio Meliá, ZStW 111 (1999) 357 (369); Chatzikostas, Disponibilität des Rechtsgutes Leben, S. 33; Hohmann/König, NStZ 1989, 304 (307); Mayer, Produktverantwortung, S. 376 f.; Schneider, in: MK1-StGB, Vor §§ 211 Rn. 34; Hähle, Sportverletzungen, S. 129 und in ähnlicher Weise bei Murmann, Selbstverantwortung, S. 332; darauf verweisend Hellmann, in: FS Roxin I, S. 280. 52 Neumann, JuS 1985, 677 (678); ders., JA 1987, 244 (246). 53 A. A. Krack, KJ 1995, 60 (62).
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Zweitens denkbar ist, dass der Haupttäter eine nach dem StGB aus unterschiedlichen Gründen straflos gelassene Handlung gegen Rechtsgüter Dritter durchführt. Die Situation stellt sich hier spiegelverkehrt zu Fallgruppe 1 dar: Die „Tat“ (im untechnischen Sinne) hat stattgefunden, sie ist allerdings nicht gesetzlich vertypt. Die in §§ 26, 27 verlangte rechtswidrige Tat ist nach § 11 Abs. 1 Nr. 5 „nur eine solche, die den Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklicht“. Fehlt es also an der Festschreibung des Verhaltens im Gesetz, kann es sich bei ihm nicht um eine Tat und bei einem Beitrag hierzu auch nicht um eine Teilnahme handeln. Beide Begriffe sind sinnentleert und letztlich nutzlos, wenn man sie ihres normativen Kerns beraubt, wonach „Tat“ eigentlich für eine gesetzlich verbotene Handlung wider die Rechtsgüter Dritter und „Teilnahme“ für ein diese Handlung flankierendes, erfolgsferneres Verhalten steht. Der Grad der Beteiligung an einer Tat wird, wendet man hier unbeeindruckt das Akzessorietätsprinzip an, letztlich zu dem Grad der Mitwirkung an einem beliebigen Geschehensablauf.54 Man mag diesen Einwand mit dem Hinweis darauf zu entkräften suchen, dass die §§ 25 ff. nur die Kodifizierung eines bereits im vorrechtlichen Bereich existierenden „natürlichen“ Tatbegriffs darstellten, wonach die Bewertung der Strafwürdigkeit nun einmal wesentlich vom Umfang der phänomenologischen Beteiligung am Geschehen abhänge.55 Dies ist kaum zu bestreiten56, aber das ist gar nicht nötig. Es mag zwar eine vorrechtliche, am äußerlich erkennbaren Gewicht des Tatbeitrages orientierte Unterscheidung zwischen einem primär verantwortlichen Täter und dem sekundär verantwortlichen Teilnehmer als nahe liegend für die Abstufung strafrechtlicher Verantwortlichkeit erscheinen57, doch ist die limitierte Akzessorietät der Teilnahme zur Haupttat, derer sich das Teilnahmeargument bedient, ein Produkt des geltenden Rechts und funktioniert nur in diesem Rahmen. Um auf das Akzessorietätsprinzip unmittelbar auch bei natürlichen Taten zurückgreifen zu können, müsste die Teilnahme eine von der Haupttat unabhängige Unrechtsqualität aufweisen58, so dass es auf die Typisierung der Haupttat nicht mehr ankäme. Unabhängig davon, ob man dem folgen mag59, ist dem Teilnahmeargument als einem für die Begründung der anerkann54
Murmann, Selbstverantwortung, S. 331. BGHSt 19, 135 (138); Gallas, Beiträge zur Verbrechenslehre, S. 189 Fn. 72; Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, S. 572; vgl. auch Walther, Eigenverantwortlichkeit, S. 120 f.; Herzberg, Täterschaft und Teilnahme, S. 74; deutlich reservierter heute ders., NStZ 2004, 1 (3), der gegen eine Orientierung an rein fiktiven Delikten begrifflich nichts einzuwenden hat, sich aber von einer daraus folgenden Tatherrschaftsbetrachtung mittlerweile distanziert; vgl. noch unten, Kapitel 3, C. I. 3. 56 Das tut beispielsweise auch Neumann, JA 1987, 244 (246) keineswegs. 57 Sie ist schließlich auch zahlreichen ausländischen Rechtsordnungen bekannt. Zu den ähnlichen Systemen in England, Frankreich und Spanien Stein, Täterschaft und Teilnahme im europäischen Strafrecht, S. 68 ff., 143 ff., 267 ff. 58 So Schmidhäuser, AT, 10/9; Lüderssen, Strafgrund der Teilnahme, S. 25 et passim. 59 Überzeugende Kritik von Heine, in: Schönke/Schröder, Vor §§ 25 Rn. 20 m.w. N.; Derksen, Handeln auf eigene Gefahr, S. 50 f. 55
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ten Straflosigkeit des an der Selbstschädigung Mitwirkenden konstruierten Begründungsmechanismus dieser Weg natürlich versperrt.60 Am Ende zeigt sich: Nicht das Abstellen auf das soziale Phänomen des Grades der Beteiligung, was sich hinter den Kategorien der (Mit-)Täterschaft oder Teilnahme verbirgt, und seine Ausweitung auf den Bereich nichttypisierten Handeln sind zwingend fehlerhaft. Hingegen ist es die Methode, dieses Handeln gewaltsam unter bereits existierende Normen des Strafgesetzbuches zu fassen, die in Wirklichkeit die Unterscheidung anhand des Grades der Mitwirkung nur für einen bestimmten Teilbereich vorsehen. Indem man dann das Prinzip der limitierten Akzessorietät dort, wo es schon gar nicht einschlägig ist, aus Erklärungsnot61 mittels einer Rekursion auf vorrechtliche Bereiche zu retten versucht, verlässt man den Boden des Teilnahmearguments und sorgt dafür, dass es sich selbst entlarvt.62 Trotzdem droht man sich in dieser Auseinandersetzung im Kreis zu drehen, denn bis hierhin ließe sich der Argumentation zum Vorwurf machen, sie sei ebenso schematisch angelegt und positivistisch durchtränkt wie diejenige, die sie zu widerlegen versucht, wenn sie die Nichteröffnung des Regelungsbereichs der §§ 25 ff. – genauso wie die vom Teilnahmeargument gefolgerte Straflosigkeit des „Teilnehmers“ aus Akzessorietätsgründen – auf die Kodifizierung einer Tat im Gesetz stützt, in diesem Fall das Fehlen einer solchen.63 Hinzu kommt, dass ein derartiger, eher zufällig erscheinender Unterschied64 die Frage einer analogen Anwendbarkeit der Teilnahmevorschriften aufwirft.65 Das Augenmerk ist deshalb auf einen weiteren Punkt zu richten: Obgleich die Verhaltensweisen innerhalb der
60 Konsequent nimmt dagegen Lüderssen, Strafgrund der Teilnahme, S. 168 die Strafbarkeit des Suizidteilnehmers an. 61 Deutlich wird diese z. B. bei Gallas, Beiträge zur Verbrechenslehre, S. 189 Fn. 72: „Denn wie wollte man hier die unstreitig straflose Förderung eines Selbstmords von der strafbaren Tötung eines anderen unterscheiden, wenn man nicht in der vom Lebensmüden beherrschten Selbsttötung dessen „Tat“ und daher in der Förderung durch den Dritten eine Teilnahme hieran [. . .] zu sehen hätte?“ [Hervorhebungen im Original]. Gerade das gilt es ja herauszufinden! 62 Vgl. Neumann, JA 1987, 244 (247). 63 Genau das tut dann auch Duttge, FS Otto, S. 243 f., der – trotz Ablehnung des Teilnahmearguments (S. 244) – eine auf Neumann basierende Aussage Murmanns, in den Fällen der Teilnahme an der Selbstschädigung sei „der herkömmliche Bereich der Teilnahmelehre [. . .] nicht eröffnet“ als „gesetzespositivistischen Zugriff“ wertet. 64 Darauf weist Walther, Eigenverantwortlichkeit, S. 125 f. hin, wenn sie (in anderem Zusammenhang) erwähnt, dass allein der Verweis auf die fehlende Tatbestandsmäßigkeit des Suizides keine Begründung für die Straflosigkeit des Beteiligten liefere: „Zum einen wäre diese Begründung auf die geltende Gesetzeslage beschränkt. Zum anderen sind sowohl humanitäre als auch pragmatische Gründe denkbar, die die strafrechtliche Erfassung des Selbstschädigungsgeschehens (insbesondere der Selbsttötung) – bei bestehender materieller Rechtswidrigkeit – als lediglich unangemessen oder unpraktikabel erscheinen lassen könnten“; ganz ähnlich Puppe, GA 2009, 486 (489). 65 So auch Neumann, JA 1987, 244 (247); ähnlich Kindhäuser, LPK-StGB, Vor § 211 Rn. 22.
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Kap. 1: Leitlinien eines Systems des Opferverhaltens
zweiten Fallgruppe straflos gelassen wurden, handelt es sich hierbei bisher dennoch um Handlungen, die gegen Rechtsgüter Dritter geführt werden, die im Widerspruch zur Gesamtrechtsordnung stehen und somit rechtswidrig sind. Stiftet der A etwa den B an, sich das Buch des C ungefragt auszuleihen und später wieder zurückzubringen und tut B genau das, so ist der Besitzentzug nach Wertungen des Bürgerlichen Rechts rechtswidrig und führt zu zivilrechtlichen Ansprüchen des C gegen B (z. B. §§ 861, 1007 I, 985 BGB). Strafrechtlich ist das Verhalten nicht sanktionierbar und ein Streit über Täterschaft und Teilnahme findet mangels eröffneten Regelungsbereichs der entsprechenden Vorschriften im leeren Raum statt. Das änderte sich allerdings augenblicklich, würde sich der Gesetzgeber entschließen, das in Frage kommende Verhalten strafrechtlich zu sanktionieren.66 Anders verhält es sich auf der dritten Stufe, in den Fällen der Mitwirkung an einer Selbstschädigung. Das Verhalten des Haupttäters ist auch hier auf eine nach dem StGB nicht strafbare Handlung gerichtet, die aber deshalb nicht strafbar ist, weil sie nicht auf einer zwischenmenschlichen Ebene wirkt und schon materiell kein Unrecht darstellt und eine Sanktionierung derartigen Verhaltens verfassungsrechtlich nicht legitimiert werden kann.67 Steht bereits in den Fällen der zweiten Gruppe kein Delikt des StGB mehr als Bezugspunkt des Handelns zur Verfügung, so dass die Begriffe des Täters und des Teilnehmers auf ihre Bedeutung des phänomenologischen Anteils am Tatgeschehen reduziert sind, so behalten sie dort insoweit ihre Kontur, wie sie zwar nicht mehr eine (Beteiligung an einer) Straftat nach dem StGB, wohl immerhin noch eine (Beteiligung an einer) Handlung gegen eine andere Person umschreiben. Diese nur vom Tätigwerden des Gesetzgebers abhängigen Unterschiede ließen es zumindest nicht unvertretbar erscheinen, letztere Handlungen als „Taten im natürlichen Sinne“ zu titulieren und – jedenfalls bis zum Eingreifen der Legislative – zur Begründung der Straffreiheit eines Teilnehmers auf eine Analogie zurückzugreifen. Ist jedoch nicht einmal mehr dieser vorrechtliche Prototyp einer Tat gegeben, weil die „Haupttat“ nicht nur gegen keine Rechtsnorm verstößt, sondern überhaupt keinen Rechtssphären Dritter berührenden Charakter aufweist, fehlt es – anders als noch in der zweiten Gruppe – an einer axiologischen Gleichwertigkeit und lässt sich eine entsprechende Anwendung der §§ 25 ff. keinesfalls begründen.68 Wendet man dennoch die Teilnahmevorschriften an, operiert man nicht nur mit Worthülsen69, sondern verliert – wie der BGH, wenn er den Suizid als sittlich missbilligt 66
Herzberg, Täterschaft und Teilnahme, S. 74. s. Kapitel 1, B. I. 68 Mit ähnlicher Fundierung Derksen, Handeln auf eigene Gefahr, S. 54 f.; a. A. Neumann, in: NK-StGB, Vor § 211 Rn. 48. 69 Vgl. Herzberg, Täterschaft und Teilnahme, S. 74 f., der es für eine sprachliche Inkonsequenz hält, wenn man den Beteiligten am Suizid als „Quasi-Mittäter“ benennt, da ja „noch niemand zu sagen für nötig befunden“ habe, der Suizident sei ein „Quasi-Tä67
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ansieht – vor allem die Zwecke des Strafrechts aus den Augen. Der Suizid ist kein bloß straflos gelassenes Delikt, dem ein diffuser Makel sittlicher Missbilligung anhaftet70, sondern in unserer derzeitigen Staatsordnung, in der die Rechtsgüter keine „Pflichtgüter“ sind, ein gar nicht erst denkbares. Von diesem Punkt aus muss auch die „Teilnahme“ an einem derartigen Verhalten betrachtet und bewertet werden71, weshalb sie keine normativ bedeutsame Teilnahme ist und nichts zu der eigentlichen Frage nach der Täterschaft beitragen kann.72 b) Schwierigkeiten bei der Erstreckung des Teilnahmearguments auf die „fahrlässige Teilnahme“ Es erwies sich als problematisch, dass das Teilnahmeargument zunächst weitgehend als plausibel betrachtet wurde und sich in der Form verselbstständigte, dass es nach RGSt 70, 313 für vergleichbare, aber auf dem Gebiet fahrlässiger Täterschaft gelagerte Sachverhalte herangezogen wurde. Mit BGHSt 24, 342 (Polizeipistolen-Fall), in dem es um die fahrlässige Suizidteilnahme ging, traten allerdings verstärkt Zweifel am modus operandi der Befürworter des Teilnahmearguments auf. Das Ergebnis – Straflosigkeit für den Hilfeleistenden – war auch hier freilich vorgezeichnet: Die Fahrlässigkeit ist gegenüber dem Vorsatz die schwächere und weniger streng sanktionierungswürdige Form deliktischen Verhaltens73, die Beteiligung an vorsätzlicher Selbstschädigung anerkannt straflos. Die „fahrlässige Teilnahme“ weitgehender zu pönalisieren als die vorsätzliche, wäre im Mindesten ein Umgehen einer im Gesetz zum Ausdruck kommenden Wertung74, selbst dann, wenn man bestimmte Selbstschädigungen und die Beteiligung an ihnen als den guten Sitten zuwider erachtet. Dementsprechend wenig Erklärungsbedarf sah die Rechtsprechung, die sich darauf beschränkte, das urter“. Bei einer Preisgabe eigener Rechtsgüter liegt der Begriff des Täters bereits sprachlich fern. 70 Dazu ausführlich Bottke, Suizid und Strafrecht, S. 36 ff. 71 Ebenso Puppe, in: NK-StGB, Vor § 13 Rn. 183 und in GA 2009, 486 (489); Walther, Eigenverantwortlichkeit, S. 125. 72 Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 3; Müssig, Mord und Totschlag, S. 362 f. Fn. 430; Herzberg, FS Puppe, S. 500 f. 73 Spendel, JuS 1974, 749 (751); Roxin, FS Gallas, S. 244; zweifelnd Neumann, JA 1987, 244 (248), der diesen Satz in seiner Pauschalität ablehnt und bestimmten Fällen fahrlässiger Begehung einen höheren Unrechtsgehalt beimessen will; ähnlich Walther, Eigenverantwortlichkeit, S. 76 f. Allerdings stellt Neumann nicht die Unrechtsformen anhand des gleichen Sachverhalts gegenüber, sondern vergleicht gar die vorsätzliche Beteiligung an einer Selbstschädigung mit einem Fall der (groben) Fahrlässigkeit gegen unbeteiligte Dritte, weshalb seine Argumentation nicht ausreicht, die grundlegende Wertung zu erschüttern. 74 Roxin, AT I, § 11 Rn. 130. Vgl. auch Degener, Schutzzweck der Norm, S. 334; Lackner/Kühl, Vor § 211 Rn. 11. Dazu, dass man zu diesem Schluss auch dort kommt, wo die Teilnahme am Suizid nach dem Gesetz unter Strafe steht (in Spanien) Luzón Peña, GA 2011, 295 (303).
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sprüngliche Teilnahmeargument unangetastet zu lassen und durch Erläuterungen zum Stufenverhältnis von Vorsatz und Fahrlässigkeit zu komplementieren, um schließlich über einen Erst-Recht-Schluss – abgerundet durch den Rückgriff auf „Gründe der Gerechtigkeit“ 75 – zum gewünschten Ergebnis zu kommen: „Es geht nicht an, das mit einer solchen inneren Einstellung [Fahrlässigkeit] verübte Unrecht strafrechtlich strenger zu bewerten als die Tat desjenigen, der mit Gehilfenvorsatz [Hervorhebung von mir] dasselbe Unrecht bewirkt, nämlich den Tod eines Selbstmörders mitverursacht“ 76. Roxin betrachtete diesen Gedankengang als „nahezu zwingend“, jedoch nicht, ohne gleich im nachfolgenden Satz die berechtigte Frage zu stellen, wie er in die Dogmatik insbesondere der Fahrlässigkeitsdelikte einzugliedern sei.77 Eine solche Frage stellte der BGH nicht – er konnte sie auf der Basis des Teilnahmearguments in seiner bisher existenten Form auch kaum beantworten – sondern bemühte sich stattdessen, die Argumentation möglichst frei von Erwägungen zu halten, die einen unübersehbaren Widerspruch zum Einheitstäterbegriff dargestellt hätten. So ließ er den für den Begründungsgang wesentlichen Schritt der Heraufstufung eines Hilfeleistens beim Suizid zu einer genuinen Teilnahme nach §§ 26, 27 wieder nahezu unbemerkt in den Hintergrund treten.78 Die Lücke in der Begründungskette war dennoch zu auffällig, es ließ sich nicht beiseiteschieben, dass die Fälle der „fahrlässigen Teilnahme“ in Wirklichkeit nur solche der fahrlässigen Täterschaft sein könnten.79 Das Schrifttum fand – da weniger das Ergebnis als vielmehr die „lakonische Begründung“ 80 missfiel – eigene Wege, eben jene Lücke zu füllen.81 Man versuchte, die Friktionen, die sich zwischen den Täterbegriffen beim Vorsatz und bei der Fahrlässigkeit im Gefolge von BGHSt 24, 342 und später BGHSt 32, 262 unweigerlich ergeben mussten, mit 75
BGHSt 24, 342 (344). BGHSt 24, 342 (344); mit Recht kritisch hierzu Sax, JZ 1975, 137 (145): „. . . die Berufung auf das letzte Rechtsregulativ der Gerechtigkeit als zugleich Anfang und Ende jeder Begründung ist nichts als das resignierende Beschwören einer Leerformel, da sie alle inhaltlichen Denkzwischenglieder, die eine Entscheidung überhaupt erst als im Ergebnis gerecht auszuweisen vermöchten, einfach überspringt“. 77 Roxin, FS Gallas, S. 244. 78 Vgl. Walther, Eigenverantwortlichkeit, S. 12. 79 Sax, JZ 1975, 137 (145); Walther, Eigenverantwortlichkeit, S. 12; van Els, NJW 1972, 1476 (1477, 1. Spalte unten); Klinkenberg, JR 1978, 441 (442); Otto, GS Schlüchter, S. 79 f.; Kellner, Einwilligung, S. 52; Eisele, JuS 2012, 577 (579); vgl. die parallele Kritik an BGHSt 32, 262 u. a. von Puppe, AT, § 6 Rn. 6; Fünfsinn, StV 1985, 57; Duttge, FS Otto, S. 240; Radtke, FS Puppe, S. 837; Hardtung, NStZ 2001, 206 f.; Dach, NStZ 1985, 24 (25). 80 Kohlhaas, JR 1973, 53; auch Geilen, JZ 1974, 145 (146): „. . . so ist vor allem der lapidare Begründungsstil, mit dem das Entscheidungsergebnis wie der Stein des Weisen angeboten wird, geradezu verblüffend“. 81 Degener, Schutzzweck der Norm, S. 294 sieht dann auch einen wesentlichen Verdienst des Teilnahmearguments darin, die Diskussion um die Restriktion des Einheitstäterbegriffs bei der Fahrlässigkeit angeschoben zu haben. 76
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der vermissten materiellen Begründung zu unterfüttern.82 Ohne in diesem Punkt allzu sehr ins Detail gehen zu können und zu wollen, gilt das bereits Gesagte: Jeder Versuch, dem Teilnahmeargument Tiefe zu verleihen, indem man die Ebene des positiven Rechts verlässt, legt die Fehlerhaftigkeit seines Begründungsganges, die auf den „Geburtsfehler“ zurückzuführen ist, selbstschädigende Handlungen wie im StGB normierte Delikte zu behandeln, deutlicher offen. Der BGH hat dies wie erwähnt vermieden, seine Argumentation beantwortete jedoch keinerlei Fragen, sondern warf sie auf. Auch an anderer Stelle wurden Probleme sichtbar und provozierten Widerspruch. Die Fahrlässigkeit war zuvor von der Rechtsprechung mehrfach als „aliud“ gegenüber dem Vorsatz beschrieben worden83, was einen Schluss vom Größeren auf das Geringere eigentlich ausschließen müsste.84 Der im Anschluss an Spendels ausführliche Beweisführung85 häufig auffindbare Einwand, der ErstRecht-Schluss vom Vorsatz auf die Fahrlässigkeit sei daher aufgrund des Verhältnisses der beiden Unrechtsformen methodisch falsch86, kann – sofern man wie die Rechtsprechung Vorsatz und Fahrlässigkeit in einem Aliud-Verhältnis stehend ansieht87 – als stichhaltige Aufdeckung eines Widerspruchs betrachtet werden.88 Die reinen Logikerwägungen zur Schlüssigkeit eines a-maiore-ad-minus-Argumentes haben zwar, zumal Spendel lediglich die Methode kritisiert und nicht die dahinterstehende Wertung89, nur einen die wesentliche Kritik begleitenden Charakter. Dass das Teilnahmeargument der eigens vertretenen – in der Lehre zu Recht größtenteils abgelehnten90 – Ansicht zum Verhältnis von Vorsatz und Fahr82 Welp, JR 1972, 427 (428 f.) und Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 4 Fn. 18 stützen sich zur Untermauerung des Ergebnisses auf die „Teilnahmeähnlichkeit“ (Welp) der Handlung, die es verbiete, ein Verhalten, was bei Vorsatz des Täters (ihrer Ansicht nach) Teilnahme an einer straflosen Tat wäre, bei Fahrlässigkeit als täterschaftliches Verhalten zu behandeln; ebenso Herzberg, JA 1985, 131 (135). Walther, Eigenverantwortlichkeit, S. 115 ff. und Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff, S. 300 et passim, vermeiden Unstimmigkeiten durch eine Ablehnung des Einheitstäterbegriffes bei der Fahrlässigkeit. 83 BGHSt 4, 340 (341, 344); BGHSt 17, 210 (211), dies geschah jeweils, um eine Wahlfeststellung zu ermöglichen. 84 Bindokat, JZ 1986, 421 (422); Walther, Eigenverantwortlichkeit, S. 74; Duttge, FS Otto, S. 240 f.; Herzberg, JA 1985, 265 (270). 85 Spendel, JuS 1974, 749, (750 f.). 86 Vgl. die in Kapitel 1 Fn. 79 genannten Autoren. 87 Für die Lehre Duttge, in: MK-StGB § 15 Rn. 101 ff.; Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, § 15 Rn. 3; Jescheck/Weigend, AT, S. 563. 88 Anders offenbar Degener, Schutzzweck der Norm, S. 342. 89 Spendel, JuS 1974, 749 (751); Herzberg, JA 1985, 265 (270), der zu demselben Schluss kommt wie Spendel und deshalb „Günstigstenfalls [. . .] eine Rechtsanalogie“ [Hervorhebung im Original] durchgehen lassen will, ist der Ansicht, dass die rein methodische Kritik „etwas kleinlich wirken mag“. 90 Puppe, in: NK-StGB, Vor § 13 Rn. 154; Frister, in: NK-StGB, Nach § 2 Rn. 33; Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 33 ff.; Roxin, AT I, § 11 Rn. 49; Lenckner/
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lässigkeit widerspricht, hätte allerdings zu Zweifeln an der gesamten Konstruktion Anlass geben müssen. c) Kollision des Teilnahmearguments mit der Figur mittelbarer Täterschaft Schließlich hat Wolfgang Frisch überzeugend dargetan, dass die Oberflächlichkeit des Teilnahmemechanismus dazu führt, dass man bereits zu seinem nur scheinbaren Funktionieren problematische Voraussetzungen stillschweigend als gegeben in Rechnung stellen muss.91 Die Frage, ob jemand als Täter zu qualifizieren ist, ist nicht von dem Aspekt der eigenhändigen Ausführung der Tathandlung abhängig, das StGB kennt mit der mittelbaren Täterschaft in § 25 Abs. 1 2. Alt. einen hiervon abweichenden Begehungstypus. Die Rechtsprechung geht auf die Möglichkeit mittelbarer Täterschaft aber erkennbar nicht ein, wenn sie die Fälle äußerlich untergeordneter Tatbeiträge auf Anhieb mit Teilnahme gleichsetzt.92 Dieses Vorgehen wäre sicherlich dann unschädlich, wenn in den von den Gerichten entschiedenen Sachverhalten Äußerungen zur mittelbaren Täterschaft ohnehin fernliegend gewesen wären. Doch gerade die Fälle, in denen die Selbstverantwortung des Opfers besonders betont wird – nämlich Suizid und Drogenmissbrauch – sind paradoxerweise die, in denen man je nach Lage des Einzelfalles daran zweifeln kann, dass der rechtsgutsbezogene Wille tatsächlich derart freiverantwortlich gebildet worden ist wie behauptet.93 Zu welchem Ergebnis man hier gelangen mag, ist unerheblich.94 Letzten Endes entscheidend ist, dass sich Antworten darauf nur anhand einer materiellen Einzelfallprüfung erhalten lassen95, einem Schritt, der für das Teilnahmeargument stets als Vorarbeit zu leisten wäre und dem die Rechtsprechung auch in Konstellationen, in denen Ausführungen zur Sache nahe gelegen hätten, eher ausweicht.96 Ein weiterer vermeintEisele, in: Schönke/Schröder, Vor § 13 Rn. 93; Rudolphi, in: SK-StGB, Vor § 1 Rn. 57; s. dazu noch Kapitel 3, B. II. 2. 91 Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 4 f.; ebenso Zaczyk, Selbstverantwortung, S. 6 f.; Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff, S. 63. 92 Instruktiv in RGSt 313 (315). 93 Vgl. Duttge, FS Otto, S. 239. 94 Positiv gegenüber einem weiten Verständnis von Eigenverantwortlichkeit bei der Drogendelinquenz z. B. Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 5 Fn. 22; dagegen im Ergebnis Zaczyk, Selbstverantwortung, S. 60. 95 Zu diesem materiellen Teil des Teilnahmearguments Krack, KJ 1995, 60 (68). 96 BGH, JZ 1987, 474 lag ein Fall zu Grunde, in dem eine Frau sich ihres Ehemannes dadurch entledigte, dass sie ihn unter falscher Vorspiegelung der Tatsache, beide würden gemeinsam aus dem Leben scheiden, dazu brachte, von einem Gift zu trinken. Der BGH ließ offen, ob eine mittelbare Täterschaft vorlag und stützte eine Fremdtötung der Frau stattdessen allein auf ihre planerische Herrschaft über den Tatablauf in seiner Gesamtheit, der in die unfreiwillige Selbsttötungshandlung des Mannes einmündete. Gegensätzlich liegen im Übrigen die Fälle, in denen eine Beherrschung des Täters durch das suizidwillige Opfer (z. B. durch Hervorrufen eines Irrtums) nahe liegt, etwa
B. Selbstschädigung und die Beteiligung daran
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licher Vorteil des Teilnahmearguments, die schlagende Simplizität seiner Wirkungsweise, deren Plausibilität unabhängig von schwer fassbaren inhaltlichen Wertungen sein soll, wird auf diese Weise widerlegt.97 2. Zwischenergebnis Zusammenfassend ist festzustellen, dass das Teilnahmeargument – mag es auch zu richtigen Ergebnissen führen – nicht dazu verwendet werden kann, die fehlende strafrechtliche Haftung des Mitwirkenden an der Selbstschädigung zu fundieren. Nicht nur ist es „durch und durch positivistisch“ 98, es ist zudem bereits in seiner Grundkonstruktion unrichtig und konflingiert so, je weiter es sich von seinem Ursprung entfernt, mit – zum Teil von der Rechtsprechung selbst angestellten – Überlegungen zum Allgemeinen Teil des StGB. Dies ließ sich nur dadurch einigermaßen verstecken, dass man die Begründung dort lieferte, wo sie am ehesten (und dennoch nicht vollends, s. o.) funktionierte und sich im Fortgang damit begnügte, nach unten hin die einzelnen Stufen durch mehrere a-fortioriGefälle zu verbinden. Der Wert des Teilnahmearguments erschöpft sich darin, eine auf Anhieb gut aussehende Verpackung für die Wertung zu präsentieren, dass derjenige, der bei der freiverantwortlichen Selbstschädigung eines Rechtsguts durch seinen Inhaber nur eine Nebenrolle einnimmt, dem Zugriff des Strafrechts stets entzogen sein muss. Zudem verdeutlicht die Plausibilität der Überlegung, wonach das für den Vorsatzbereich erzielte Ergebnis der Straflosigkeit des „Teilnehmers“ keine weiter reichende Haftung von eben jenem bei lediglich fahrlässigem Verhalten seinerseits trägt, dass diese Wertung nicht am Grenzzaun zur Fahrlässigkeit Halt macht. Der Grund für die Straflosigkeit des an einer Selbstschädigung Mitwirkenden lässt sich in der verfassungsmäßig geschützten Sonderstellung finden, welche eine Person bezogen auf den Umgang mit eigenen Gütern innehat. Genauer lässt er sich aber nur extrahieren, wenn man die Nebenrolle des „Teilnehmers“ präzisiert und ihr vergleichend die Fälle der täterschaftlichen Hauptrolle gegenüberstellt.
BGH, NStZ 2003, 537 und OLG Nürnberg, NJW 2003, 454. Auch hier kritisiert Roxin, AT I, § 11 Rn. 127, 129, dass sich die Rechtsprechung nicht mit der „mittelbaren Täterschaft des Opfers“ beschäftige. Das kann aber jedenfalls nicht dem im positiven Recht verharrenden Teilnahmeargument entgegengehalten werden, denn diese umgekehrte Variante der mittelbaren Täterschaft findet sich nicht im Gesetz. 97 Zaczyk, Selbstverantwortung, S. 7, kommt zu dem Schluss, dass „das sog. Teilnahmeargument das Ergebnis eines Begründungsgangs darstellt und gerade nicht Teil der Begründung ist“ [Hervorhebung im Original]. 98 Geilen, JZ 1974, 145.
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C. Charakteristika der einverständlichen Fremdschädigung Die soeben festgestellte Untauglichkeit jedenfalls der dogmatischen Herleitung für die Straflosigkeit des am Freitod eines anderen nur Mitwirkenden über das Teilnahmeargument ändert nichts an der Tatsache, dass Dritthandlungen gegenüber einem damit Einverstandenen, welche ein bestimmtes Gewicht erreichen, nicht durchgehend als Mitwirkung an einem strafrechtlich indifferenten Geschehen betrachtet und bewertet werden. Gängig spricht man dann von der einverständlichen Fremdschädigung, welche im Gegensatz zur Mitwirkung an einer eigenverantwortlichen Selbstschädigung ein Verhalten von täterschaftlicher Qualität darstellt. Dass die einverständliche Fremdschädigung für bestimmte Rechtsgüter durch §§ 216, 228 unter Strafe gestellt wurde, während die Selbstschädigung und auch ihre Ermöglichung regelmäßig straflos bleiben, begründet unter dem Blickwinkel liberaler und autonomiefreundlicher Konzepte ein Spannungsverhältnis. Dieses führte letztlich zu einer verworrenen Abgrenzungsdiskussion, in deren Verlauf sich gezeigt hat, dass die Begriffe Fremdverletzung und Selbstverletzung unterschiedlich modellierbar und für perspektivische Verschiebungen anfällig sind.99 Katalysator für diese Entwicklung ist zusätzlich der soziale und kulturelle Extrembereich, in welchem die Auseinandersetzung ihren alles überragenden praktischen Schwerpunkt findet und der regelrecht dazu einlädt, allgemeingültige Abgrenzungsmaßstäbe unter rechtlichen, moralischen und medizinischen100 Erwägungen fast unauffindbar zu verschütten.101 Viele Erklärungsansätze, mit denen eine Spezialform der Fremdschädigung von einer der Selbstschädigung abgegrenzt werden soll, sind lediglich im Kontext einer normativen oder psychologisierenden102 Interpretation der Begriffe Selbsttötung und Fremdtötung nützlich103, auf andere Rechtsgutsverletzungen sind sie nicht übertragbar.104 99 s. noch unten, Kapitel 3, C. I. Von Abgrenzungsvorschlägen, welche „auf Bildern [basieren], die sich unter unterschiedlichen Blickwinkeln je verschieden betrachten lassen“ spricht Otto, FS Tröndle, S. 161. 100 Diejenigen Stimmen, die die Teilnahme am Suizid für strafwürdig(er) halten, gehen dann auch im Anschluss an Erwin Ringels empirische Untersuchungen zum präsuizidalen Syndrom meistens von der Prämisse aus, dass der Suizid selten ein „Freitod“ sei, sondern der Suizident in vielen Fällen an einem krankhaften psychischen Defekt leide, der ein Unterstützen seiner Selbsttötungsabsichten verwerflich erscheinen ließe, etwa Geilen, JZ 1974, 145 (153); Bringewat, ZStW 87 (1975), 623 (625 ff.); zur Kritik an einer solchen „Fiktion“ fehlender Freiverantwortlichkeit Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 157 f. 101 Vgl. Murmann, Selbstverantwortung, S. 337: „Der Verlauf der Strafbarkeitsgrenze an der Verwirklichung des Tötungstatbestandes hat dazu geführt, die Diskussion [. . .] mit Argumenten zur Strafbarkeit zu belasten“. 102 Beispiele hierfür sind die Interpretationen des Tatherrschaftsbegriffes bei Horn, in: SK-StGB, § 216 Rn. 10 und Arzt, FS Geppert, S. 9 ff., welche mit dem Begriff der
C. Charakteristika der einverständlichen Fremdschädigung
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Selbstredend ließe sich einwenden, dies sei keineswegs schädlich. Es liegt nicht fern zu behaupten, die intensive Auseinandersetzung mit zahlreichen Argumentationsansätzen unter Rückgriff auf nichtjuristische Erkenntnisse bringe hochkomplexe Probleme ihrer gerechten Lösung näher, zudem habe eine Unterscheidung von Selbst- und Fremdverletzungen außerhalb des Bereiches von § 216 allenfalls dogmatischen Liebhaberwert und tendiere in ihrer praktischen Relevanz – § 228 mit einbegriffen – gegen Null, weswegen sie auch nicht im Vordergrund des Streits stehen dürfe. Mithin wird angenommen, die Grenze lasse sich schon gar nicht als allgemeingültige begreifen.105 Die gängige Vorgehensweise im Schrifttum, für die Erklärung der Trennung den Verweis auf die gesetzgeberische Wertung des §§ 216, 228 genügen zu lassen106, scheint dies zu bestätigen. Für die h. M. ist das allerdings besonders heikel. Sie leitet aus diesem gesetzgeberischen Faktum und der komplizierten Abgrenzung von Suizidteilnahme und Fremdtötung Folgerungen im Hinblick auf verwandte Probleme ab, wie sich beispielsweise in der Übertragung jener Abgrenzung zwischen finaler Fremdund finaler Selbsttötung auf Fälle fahrlässiger Körperverletzung zeigt.107 Will man diesen Schritt rechtfertigen, ist zunächst erforderlich, grundlegendere Verschiedenheiten zwischen Selbst- und einverständlicher Fremdschädigung zu finden, die den Gesetzgeber zu seiner Entscheidung erst bewogen haben. Dabei soll die Grenze zwischen den beiden Termini aus Gründen besserer Vergleichbarkeit nur lose durch den Aspekt des durch eigenes und alleiniges Handeln vermittelten Beherrschens der Situation gezogen sein.
Fremdschädigung semantisch nur noch wenig zu tun haben. Horn sieht das wesentliche Täterschaftsmerkmal darin, dass dem anderen die letzte entscheidende Ursache für den Tod überlassen wurde, obwohl das Opfer jedenfalls physisch auch in der Lage war, diesen Schritt selbst zu gehen. Nach Arzt liegt eine Fremdtötung (nur) vor, wenn der Selbstschädiger ein Hemmnis verspürt, sich selbst zu töten und es durch Übertragung der Ausführungshandlung auf einen anderen umgeht. 103 Für die parallele Problematik bei Fällen der sittenwidrigen Körperverletzung am Beispiel des Selbst- und Fremddopings im Leistungssport Kargl, JZ 2002, 389 (393); Schild, Sportstrafrecht, S. 145 ff.; Rain, Doping, S. 35 ff. 104 Das monieren Degener, Schutzzweck der Norm, S. 333 und dort besonders Fn. 818 sowie Murmann, Selbstverantwortung, S. 356. 105 Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 171 Fn. 66: „Die [. . .] gesetzlich verordnete verschiedene Behandlung der einverständlichen Fremdverletzung und der Ermöglichung der Selbstverletzung bezieht ihre Lebenskraft ebenfalls nicht aus ganz allgemeinen Schutzbedürftigkeitserwägungen [. . .]. Sie gründet vielmehr auf einer Tabuisierung eines bestimmten Rechtsguts gegenüber bestimmten Angriffen – weshalb auch allein von hierher eine sinnvolle Konturierung der erfaßten Fälle möglich ist“. 106 In diesem Sinne Otto, FS Tröndle, S. 157; Kindhäuser, LPK-StGB, Vor § 13 Rn. 220; Stree, JuS 1985, 179 (183); Herzberg, JA 1985, 265 (272); Noll, Einwilligung, S. 66 f. 107 Kritisch dem gegenüber besonders Puppe, in: NK-StGB, Vor § 13 Rn. 184; Cancio Meliá, ZStW 111 (1999), 357 (369).
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I. Die Bedeutung eigenhändigen Handelns für die Reichweite verfassungsmäßig garantierter Autonomie Als der trivialste Unterschied zwischen eigengesteuertem und drittgesteuertem Verhalten fällt die im Geschehensablauf verschiedene Situation auf. Damit ist nicht nur ein rein optischer Aspekt gemeint, insoweit, dass eine jeweils unterschiedliche Person nach außen erkennbar die für die Tatbestandsverwirklichung wesentliche Handlung ausführt. In den Blick zu nehmen sind noch die faktischen Konsequenzen, die sich daraus ergeben, dass nicht in beiden Fällen Identität zwischen Ausführendem und Rechtsgutsträger besteht. So ist der Einfluss des letzteren auf den Ablauf des Geschehens naturgemäß dort am größten, wo er ihn bis zum Erfolgseintritt buchstäblich in der eigenen Hand hat. Wo er diese unmittelbarste Form der Kontrolle abgibt, beschränkt sich sein Einfluss auf einen Widerruf seiner Zustimmung, der aber nur in rechtlicher, nicht in tatsächlicher Hinsicht unmittelbare Wirkungen entfaltet und den Einwilligenden – wie Roxin ausführt – bezüglich des (nun nicht mehr gewünschten) Erfolges abhängig vom Gehorsam seines Schädigungspartners macht.108 Dass dieses völlige Unterwerfen unter fremde Ausführungsmacht das Gerechtigkeitsgefühl gerade bei hochrangigen Rechtsgütern eher in Richtung Strafbarkeit tendieren lässt als eine eigenhändige Ausführung, mag auch auf biologische Reflexe beim Menschen zurückzuführen sein109 und lässt Roxins Argument nicht als aus der Luft gegriffen erscheinen. Doch zeigt sich die Schwäche einer Sichtweise, die hierin den wesentlichen Unterschied erblicken mag, allzu schnell, wenn man ihr die fundamentale Gemeinsamkeit von einverständlicher Fremdschädigung und eigenverantwortlicher Selbstschädigung gegenüberstellt: Als solche fällt gerade die Übereinstimmung des Täterhandelns mit dem Willen des Geschädigten ins Auge. Die Straflosigkeit des Täters entspringt bei der einverständlichen Fremdschädigung aus verfassungsrechtlicher Sicht dem gleichen Rechtsgedanken wie die Straflosigkeit des Opfers bei einer Selbstschädigung110, unter Autonomiegesichtspunkten lassen die Fallgruppen sich nicht voneinander trennen. Gegenüber dieser immer vorliegenden Gemeinsamkeit bleibt die ein erhöhtes Schutzbedürfnis begründende Ge108 Vgl. Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, S. 689; Eschweiler, Selbstgefährdung, S. 49 f. 109 Dafür spricht etwa die Behauptung von Rönnau, Willensmängel, S. 393, §§ 216, 228 entsprängen „allgemeinen Wertüberzeugungen der Gesellschaft“; ausführlich für § 216 auch Arzt, FS Geppert, S. 10 f. 110 M.-K. Meyer, Autonomie, S. 150 f.; Fiedler, Fremdgefährdung, S. 158 f.; Göbel, Einwilligung, S. 22; Sternberg-Lieben, Objektive Schranken, S. 41 f.; Eschweiler, Selbstgefährdung, S. 49; Murmann, Selbstverantwortung, S. 316. In der verfassungsrechtlichen Diskussion wird die strafrechtliche Fallgruppenbildung meist nicht beachtet und mit dem Begriff der Selbstschädigung auch die konsentierte Fremdschädigung miterfasst, vgl. etwa Hermes, Schutz von Leben und Gesundheit, S. 230 f., der die in der strafrechtlichen Terminologie bezeichneten Fälle der Selbstschädigung immerhin als „ausschließliche Selbstschädigung“ benennt.
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fahr, dass sich der Kontrollverlust des Opfers bei der Fremdschädigung für dieses tatsächlich einmal nachteilig auswirken könnte, in beträchtlichem Maße spekulativ und abstrakt. Hierfür bedürfte es eines Rechtsgutsinhabers, welcher seinen bereits getroffenen Preisgabeentschluss gerade im Zeitpunkt der Durchführung der Handlung aufgibt und seine Einwilligung widerruft und eines Dritten, welcher sich zwar zunächst bereiterklärt hat, dem Betroffenen zu Willen zu sein, dann aber dessen neue Anweisung missachtet. Sich auf diesen rein empirischen Unterschied zu stützen und damit die besondere Bedeutung eigenhändiger Geschehensherrschaft hervorzuheben bedeutet mit anderen Worten, eher fernliegende Befürchtungen heranzuziehen, welche keine universale Gültigkeit und damit auch wenig normative Distinktionskraft besitzen.111 Es ist unübersehbar, dass der besonders gegen dieses Argument gerichtete, ubiquitäre und reichlich mit Beispielen geschmückte Verweis auf phänomenologische Zufälligkeiten112 in einem so von plausibler Grenzziehung abhängigen Gebiet gerade die Beweiskraft dieses rein naturalistischen Arguments über die Jahre verschlissen und es dadurch für alle Bereiche, in denen es noch ins Feld geführt wird, geschwächt hat. Da allerdings die fehlende faktische Steuerung und die Auslieferung gegenüber dem Täter immerhin eine potentielle Gefahrenquelle für das Opfer darstellt113 – und dies nur, wo es nicht selbst handelt – wird es als Unterscheidungsmerkmal zum Teil wenigstens unterstützend herangezogen.114 Wer nicht einmal das gelten lassen will und den äußerlichen Unterschied damit endgültig auf den Status einer Zufallsvariablen reduziert, tritt häufig für eine weitreichende Gleichstellung von eigenverantwortlicher Selbst- und einverständlicher Fremdschädigung ein, bei der den nicht zu leugnenden Äußerlichkeiten des Geschehensablaufs keine normative Bedeutung beigemessen wird.115 Diese Gleichsetzung, welche auf eine rechtliche Bewertung des Geschehens allein unter dem Gesichtspunkt der Opferautonomie und der Verletzung von Freiheit zurückzuführen ist, wird ebenfalls auf Kant zurückgeführt116 und fand sich bereits zu Zeiten des deutschen Kaiserreichs.117 Ging es bei den damaligen Bemühun111 Vgl. Murmann, Selbstverantwortung, S. 476; Göbel, Einwilligung, S. 101; Krack, KJ 1995, 60 (66); Rönnau, Willensmängel, S. 393. 112 Exemplarisch Otto, FS Tröndle, S. 159 ff.; Dach, NStZ 1985, 24 (25); Fiedler, Fremdgefährdung, S. 162 f. 113 Das zeigt sich leicht in Fällen, in denen die vom Täter gewählte Schädigungshandlung einen Widerruf des Opfers der Natur der Sache nach erschwert, vgl. für den Fall der einverständlichen Fremdtötung durch Erwürgen die Argumentation von Murmann, Selbstverantwortung, S. 363. 114 Sternberg-Lieben, Objektive Schranken, S. 235 Fn. 166 („ergänzend“); Zaczyk, Selbstverantwortung, S. 38. 115 Schmitt, FS Maurach, S. 115; Krack, KJ 1995, 60 ff.; M.-K. Meyer, Autonomie, S. 148 ff. 116 Mosbacher, Selbstschädigung, S. 103. 117 Keßler, Einwilligung, S. 65 ff.; Klee, GA 48 (1901), 177 ff.; Ortmann, GA 25 (1877), 104 (115).
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gen erstrangig darum, für eine vermeintlich gebotene Gleichbehandlung der Topoi in der Rechtsfolge einzutreten118, erlangt die heutige Debatte im Wesentlichen in Bereichen Bedeutung, wo der Gleichstellung keine gesetzlichen Vorschriften entgegenstehen.119 Die bestehenden Regelungen der §§ 216, 228 werden demgegenüber als Fremdkörper im Strafgesetzbuch betrachtet, für deren Entfernung ausdrücklich plädiert120 oder deren Charakter als kriminalpolitisch motivierte und nur für einen Ausnahmebereich geltende Sondernormen betont wird.121 Bestritten wird folgerichtig, dass aus ihnen ein allgemeines Prinzip abzuleiten sei, welches eine generelle Trennung von (im phänomenologischen Sinne verstandener) Selbst- und Fremdschädigung gebieten würde.122 Auf diese Weise werden tiefer liegende und einzelfallunabhängige Unterschiede verdeckt, die sich finden lassen, nimmt man den Begründungsfaden wieder auf, welcher für die fehlende Unrechtsqualität der Selbstschädigung primär geliefert wird: Von der konsentierten Fremdverletzung unterscheidet sich die reine Selbstverletzung durch den fehlenden zwischenmenschlichen Bezug. Der durch eigenes aktives123 Handeln vollzogene Rechtsgutsaufgabewille fällt grundsätzlich nicht unter den Regelungsbereich des Strafgesetzgebers und damit auch nicht unter den Schutzbereich des StGB. Das Opfer ist für sämtliche Folgen der eigens gewollten und ausgeführten Handlung selbst verantwortlich.124 Selbst wenn eine andere Person Hilfe dazu leistet und damit Interpersonalität besteht, ist dieser Befund noch beachtlich, er „strahlt aus“.125 Solange das Opfer die Entscheidung über das „ob“ des Erfolges der eigenen Ausführungsmacht unterwor118 Vgl. M.-K. Meyer, Autonomie, S. 139; Eschweiler, Selbstgefährdung, S. 40; ein neueres Plädoyer hierfür findet sich bei Krack, KJ 1995, 60 ff. 119 Insbesondere bei den Diskussionen um die Harmonisierung der Haftungsmaßstäbe, in diesem Zusammenhang etwa bei M.-K. Meyer, S. 139 ff.; Rönnau, Willensmängel, S. 392 ff.; Zaczyk, Selbstverantwortung, S. 37 ff.; Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff, S. 95 ff. und Göbel, Einwilligung, S. 99 ff.; Ensthaler, Einwilligung, S. 21 f. 120 Keßler, Einwilligung, S. 82; Schmitt, FS Maurach, S. 118; Marx, Rechtsgutsbegriff, S. 66; Eschweiler, Selbstgefährdung, S. 67; Arthur Kaufmann, zitiert von Meyer, ZStW 83 (1971), 243 (251); Krack, KJ 1995, 60 (75). 121 Bereits Ortmann, GA 25 (1877), 104 (106); heute Göbel, Einwilligung, S. 101; M.-K. Meyer, Autonomie, S. 141 f.; wohl auch Rönnau, Willensmängel, S. 393. 122 M.-K. Meyer, Autonomie, S. 141; Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 171 Fn. 66; Fiedler, Fremdgefährdung, S. 158 f.; Göbel, Einwilligung, S. 101; Ensthaler, Einwilligung, S. 21; für die Tötung auch zweifelnd Weigend, ZStW 98 (1986), 44 (67 f.). 123 Diesen Punkt betont Zaczyk, Selbstverantwortung, S. 43. 124 Nur in Ausnahmefällen wie dem § 109 ist diese Verantwortlichkeit auch eine eigene strafrechtliche, ansonsten ist mit dem Befund, das Opfer sei „selbst verantwortlich“, lediglich die Aussage getroffen, der andere sei es strafrechtlich nicht. 125 Jakobs, Tötung auf Verlangen, S. 12 spricht für die Selbsttötung anschaulich davon, deren Entkriminalisierung und die der Beihilfe daran müssten „Hand in Hand“ gehen. Insofern trifft das rechtlich fehlerhafte Teilnahmeargument durch den Regress auf den Akzessorietätsmechanismus, der genau diese Folgen knüpft, das richtige Ergebnis.
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fen hat, ist jedes darauf bezogene Verhalten schon kein Eingriff in seinen Freiheitsbereich, sondern eine Erweiterung dessen, eine Ermöglichung von Handlungsoptionen126, jede strafrechtliche Unterbindung dessen wäre dann per se eine Bevormundung.127 Die Handlung verbleibt bis zu ihrem Einmünden in den Erfolg in einem Bereich, der einer rechtlichen Regelung grundsätzlich entzogen ist, denn ein sozialer Bezug wird dort nur in absoluten Ausnahmefällen (§ 109) überhaupt hergestellt.128 Hiermit relativiert sich gleichzeitig auch die Identität beider Topoi unter dem Gesichtspunkt des Opferwillens. Das subjektive Element beim Verletzten in Fällen vorsätzlicher freiwilliger Verletzung lässt sich vorsatzähnlich in ein kognitives und ein voluntatives Element aufteilen. Die Tatsachenkenntnis muss gegeben sein, damit die Rede von einer zu respektierenden Persönlichkeitsentfaltung des Geschädigten überhaupt eine tragfähige Basis hat, sie ist die gemeinsame Wurzel von Fremd- und Selbstverletzung und Voraussetzung für den Strafbarkeitsausschluss des Dritten.129 Der Preisgabewille allerdings erlangt für eben diesen Ausschluss bei der Fallgruppe der eigenverantwortlichen Selbstschädigung nirgends Bedeutung, auf ihn kommt es nicht an. Zwar mag die Benennung eines Sachverhalts als „Teilnahme an einer Selbstschädigung“ davon abhängen, dass das Opfer die geleistete Hilfe tatsächlich als Ansatzpunkt für eine Selbstschädigung nutzt. Rechtlich ist es aber völlig unbedeutend, ob ihm die Hilfe willkommen oder erwünscht ist, solange es nur ihren Bedeutungsgehalt erkennt. Aus rein äußerlichen Gründen und unabhängig von dessen subjektiver Einstellung hierzu kann ein solches Handeln deshalb nicht unter den Wortlaut einer Strafnorm fallen.130 Bei der unmittelbar durch fremde Hand erfolgenden Schädigung ist es umgekehrt: Hier kommt dem, was das Opfer will, entscheidendes Gewicht zu. Denn solange nur ein Dritter handelt, hängt die Einstufung als erlaubt oder verboten
126 Murmann, Selbstverantwortung, S. 330; Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff, S. 65, 95; Zaczyk, Selbstverantwortung, S. 40; vgl. für die unter diesem Gesichtspunkt gleiche Situation in Gefährdungskonstellationen Frister, AT, 10/15; Freund, in: MKStGB, Vor § 13 Rn. 419 sowie Frisch, NStZ 1992, 1 (5). 127 Ausführlich hierzu Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 156 ff. 128 Deshalb ist der Einwand, den Mosbacher, Selbstschädigung, S. 120 und Ensthaler, Einwilligung, S. 21 Fn. 2 für eine (axiologische) Gleichstellung von Selbst- und Fremdschädigung geltend machen – auch die Selbstschädigung sei nicht generell rechtlicher Regelung entzogen – zwar nicht zu bestreiten, aber zu pauschal. 129 Zu den Einzelheiten noch unten Kapitel 4, D. II. 130 Vgl. das Beispiel von Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff, S. 65 f.: „Stellt A dem B [. . .] seine Säge zur Verfügung, damit B sein Mobiliar selbst zersägen kann, liegt darin kein Sachangriff. Daran ändert sich auch nichts dadurch, dass B von A keine Säge haben will. Überschüttet A den B geradezu mit Sägen, so mag das eine Belästigung sein; einen Verstoß gegen die Verhaltensnorm „Du sollst keine fremden Sachen beschädigen“ enthält das Verleihen von Sägen nicht“ [Hervorhebung im Original]; ders., HRRS 2009, 347 (348); ähnlich Murmann, Selbstverantwortung, S. 335; ders., FS Puppe, S. 774; verkannt wird der Unterschied von Schild, Sportstrafrecht, S. 84.
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gerade am Band des nicht sichtbaren Opferwillens, dieser stellt die Weiche in eine der beiden Richtungen.131 Mit dem Schädiger existiert jemand, bei dem der Staat nicht Gefahr liefe, letztlich eine Verletzung von nichtbestehenden Pflichten gegen sich selbst zu ahnden – was notwendige, nicht hinreichende Bedingung ist132 – und dessen Tun dem entsprechen kann, was typischerweise als Einschränkung fremder Freiheit verstanden133 und im Gesetz sanktioniert wird. Bei hochrangigen Rechtsgütern kann für den Staat neben der Möglichkeit auch die Pflicht erwachsen, trotz der verfassungsmäßig garantierten Autonomie des Betroffenen den eingetretenen Erfolg als Ansatzpunkt für strafrechtliche Sanktionen zu nutzen, weil diese allein, wo es an der Einheit von subjektivem Wissen und objektiver Eigenausführung fehlt134, nicht ausreicht, um einen anderen vollständig von Strafe freizustellen. Es ist dabei nicht einfach Zufall, dass bei Limitierung der Opferautonomie noch ein als Straftat angesehenes Verhalten des Dritten übrigbleibt, sondern die Limitierung der Autonomie wird durch den erhöhten Sozialbezug infolge des prinzipiell freiheitswidrigen Verhaltens erst nötig.135 Der Grund für die fehlende Entlastung kann dabei auch auf (bei der Selbstschädigung nicht tangierte) Drittinteressen zurückzuführen sein.136 Dies ist gleichwohl keine zwingende Voraussetzung für die gesehenen Unterschiede. Sofern man jedoch aus diesem Unterschied den Umkehrschluss zieht, dass der Tatbestand stets dort erfüllt sein müsse, wo die Ausführungshandlung dem Dritten übertragen wird, so wird man schnell in den Verdacht geraten, es sich zu einfach zu machen und Zufallsergebnisse zu produzieren. Selbst diejenigen, deren gewählter Ansatzpunkt konsequent zu dieser Schlussfolgerung führen müsste, vermögen sie nicht zu ziehen. Dort, wo die fehlende Eigenhändigkeit der Tatausführung von Seiten des Opfers nicht nur eine unverbindliche dogmatische Etikettierung als „einverständliche Fremdschädigung“, sondern wie bei § 216 schlechthin den Unterschied zwischen Freiheitsstrafe und Straflosigkeit ausmachen soll, traut 131 Murmann, Selbstverantwortung, S. 336 ff. spricht davon, dass die Einwilligung das Rechtsverhältnis zwischen Täter und Opfer modifiziert. 132 Ebenso Sternberg-Lieben, Objektive Schranken, S. 232; Zaczyk, Selbstverantwortung, S. 35: „nur die Möglichkeit fremder Täterschaft gegeben (. . .), noch nicht aber ihr Bestehen gesichert“ [Hervorhebung von mir]; vgl. auch M.-K. Meyer, Autonomie, 150 f. 133 Vgl. die auf Kant gestützte, rechtsphilosophisch geprägte Differenzierung zwischen Suizid und Sterbehilfe (die allerdings derart begründet nur für die Tötung Geltung beanspruchen kann) bei Wilms/Y. Jäger, ZRP 1988, 41 (45); Zaczyk, Selbstverantwortung, S. 17. 134 Vgl. Zaczyk, Selbstverantwortung, S. 44: „Zusammenhang von Wille, Handlung und Erfolg“. 135 Aus ihm ergeben sich ja auch erst die vielgeäußerten Bedenken, dass sich das Opfer dem Täter „ausliefere“ und möglicherweise einer unübersehbaren Entwicklung preisgebe, hierzu später noch Kapitel 3, C. III. 1. 136 So unterschiedlich begründet für § 216 Murmann, Selbstverantwortung, S. 518 ff.; Sternberg-Lieben, Objektive Schranken, S. 114 ff.; Frister, AT, 13/4.
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man ihr alleine diese Distinktionsleistung nicht mehr zu.137 Daraus aber zu folgern, der Faktor der Eigenexekution des gebildeten Willens sei ein offenbar unwichtiges Datum und nur durch die Gesetzeslage erzwungen, ginge zu weit. Es stellt keinen Widerspruch dar, auf den strukturell grundlegenden138 Unterschied in den Verhaltensmustern hinzuweisen und ihn unabhängig von positivrechtlichen Regelungen als Grundgerüst für in vielen Bereichen nach wie vor im Fluss befindliche139 Diskussionen zu betonen140, seine Einbindung in den Kontext der Abgrenzung jedoch gerade in kriminalpolitischen Extrembereichen wie der einverständlichen Fremd- und eigenverantwortlichen Selbsttötung für noch offen zu erachten.141
II. Die Bedeutung des Opferwillens für die deliktssystematische Einordnung der einverständlichen Fremdschädigung Der gezeigten Unterschiedlichkeit eigenhändigen und konsentiert fremdhändigen Handelns steht die Gemeinsamkeit beider Handlungsformen – der autonome Rechtsgutspreisgabewille des Opfers – gegenüber. Wie sich bei der Einwilligung in eine Fremdschädigung, welche als Strafunrecht zunächst überhaupt in Betracht kommt, in aller Deutlichkeit zeigt, wird sein Einfluss auf die Deliktssystematik nicht einheitlich bewertet. Er soll deshalb getrennt vom äußeren Geschehensablauf untersucht werden, weil auf diese Weise die Unterschiede zwischen der freiverantwortlichen Selbstverletzung und der konsentierten Fremdverletzung deutlicher hervortreten. Zudem spielen hier angelegte Unstimmigkeiten auch noch eine Rolle, wenn es um die Konstruktion einer Einwilligung (allein) in eine riskante Handlung geht. Die Einwilligung ist in ihrer Wirkungsweise hoch umstritten. Nahezu als Gemeinplatz zu werten ist die Aussage, Grundlage der Straffreiheit des Täters bei einer Einwilligung sei das Selbstbestimmungsrecht des Einwilligenden aus Art. 2 137
Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 116 Fn. 73 sähe dies auch als „voreilig“
an. 138 So auch Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff, S. 65; Sternberg-Lieben, Objektive Schranken, S. 236; Zaczyk, Selbstverantwortung, S. 38; Geppert, ZStW 83 (1971), 947 (962); Rain, Doping, S. 39; Jakobs, AT, 21/58; ablehnend Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 173 Fn. 66. 139 Sei es bei der Sterbehilfeproblematik, dem Streit um die unterschiedlichen Maßstäbe der Freiverantwortlichkeit oder der Übertragung der für die Verletzung geltenden Grenze auf die Gefährdungssachverhalte. 140 Ähnlich Sowada, Notwendige Teilnahme, S. 36 f. 141 Nicht festlegen mag sich – trotz Kritik an den Korrekturen im Bereich der Tötung – auch Degener, Schutzzweck der Norm, S. 334: „Die ganze Diskussion um § 216 und das einverständliche Zusammenwirken in der Rechtsgutskrise trägt die Züge einer delege-ferenda-Debatte“.
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Kap. 1: Leitlinien eines Systems des Opferverhaltens
Abs. 1 GG.142 Geht es darum, wie der dahinter stehende Mechanismus fassbar zu machen ist, herrscht Uneinigkeit. Es ist unklar, ob der Einwilligende mit seiner Erklärung willentlich über ein Rechtsgut disponiert oder nur über den Schutz des Rechtsguts durch die Rechtsordnung143, konstruktiv bewerkstelligt beispielsweise durch das Zurücktreten der verletzten Schutznorm.144 1. Autonomie als wesentlicher Teil des Rechtsguts? Von Interesse sein soll die Wirkung dieser grundgesetzlich fixierten Autonomie zunächst insoweit, wie ihr ein entscheidender Einfluss auf das Rechtsgut selbst nachgesagt wird.145 Das geschieht durch die Behauptung, das konstitutive Merkmal der Einwilligung – der auf die Erlaubnis eines Eingriffes in das Tatobjekt gerichtete, autonom gebildete Wille – sei mit dem Rechtsgut selbst möglicherweise identisch146, jedenfalls aber derart untrennbar an ein dahinter stehendes materielles Objekt gebunden, dass ein Handeln mit dem Willen des Rechtsgutsinhabers bereits eine Rechtsgutsverletzung ausschließt.147 Erste Arbeiten, welche die Dispositionsfreiheit über das Rechtsgut in das Rechtsgut selbst zu integrieren148 beabsichtigten, finden sich schon im 19. Jahrhundert. So unterschied Ortmann streng zwischen dem „Gut“ und dem „Rechtsgut“, wobei letzteres nach seiner Ansicht erst durch die Kombination von Gut (im Sinne eines grundsätzlich schützenswürdigen Wertes) und darauf bezogenem Erhaltungswil-
142 Statt vieler nur Göbel, Einwilligung, S. 21 ff.; anders Sternberg-Lieben, Objektive Schranken, S. 19, der die verfassungsmäßige Verankerung der Einwilligung in dem Grundrecht sieht, das den Schutz des preisgegebenen Gutes zum Inhalt hat. Zum Ganzen ausführlich Murmann, Selbstverantwortung, S. 226 ff. 143 Deutlich Stratenwerth, ZStW 68 (1956), 41 (42). 144 Amelung/Eymann, JuS 2001, 937 (938). 145 Die allgemeine Rechtsgutsdiskussion führt weit über das Thema dieser Arbeit hinaus, einen Überblick darüber geben Rönnau, Willensmängel, S. 29 ff.; Roxin, AT I, § 2 Rn. 2 ff. 146 So kann jedenfalls die Aussage Schmidhäusers, FS Engisch, S. 444 verstanden werden, wonach Rechtsgüter „als wertvoll erlebte Sachverhalte“ seien; ähnlich Rudolphi, ZStW 86 (1974), 82 (87) („Verfügungsgegenstand und Verfügungsbefugnis bilden nicht nur eine Einheit, sondern sind [. . .] selbst das im Tatbestand geschützte Rechtsgut“); Klee, GA 48 (1901), 177 (179 f.); explizit gegen Schmidhäuser ausführlich Geppert, ZStW 83 (1971), 947 (965 ff.). 147 Die Grenze zu denen, die Autonomie und Rechtsgut völlig gleichsetzen (s. vorige Fußnote) ist fließend und hängt teilweise auch von Zufälligkeiten und der (Über-)Interpretation einzelner Passagen ab. Autonomie eher als „Kern des Rechtsgutes“ begreifen Zipf, Einwilligung, S. 29; Arzt, Willensmängel, S. 43; Roxin, AT I, § 13 Rn. 14; Stratenwerth, ZStW 68 (1956), 41 (43); Eschweiler, Selbstgefährdung, S. 62 ff.; Kientzy, Einwilligung, S. 66 ff.; Marx, Rechtsgutsbegriff, S. 64; Fateh-Moghadam, Einwilligung, S. 90. 148 Daher bezeichnet Rönnau, Willensmängel, S. 17 diese Ansätze als „Integrationsmodell“.
C. Charakteristika der einverständlichen Fremdschädigung
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len entstehen sollte.149 Klee glaubte ebenfalls, in eben diesem Willen „das wahre Objekt des Verbrechens“ zu erkennen, welches nur bei einer Kollision zweier gegensätzlicher „Willenssphären“ in strafrechtlich relevanter Weise tangiert werde.150 Keßler fundierte seinen individualistischen Ansatz mit einer am Gesetzeszweck orientierten Betrachtung, wonach dieser einzig und allein im Schutz menschlicher Interessen bestehe und ein Rechtsgut contra rationem legem zu einer Last würde, wenn es – obwohl sein Inhaber an seinem Bestand kein Interesse mehr hat – als strafrechtlich geschützt bestehen bliebe.151 Die moderneren Konzeptionen haben diese Idee aufgegriffen und in Nuancen verschieden begründet, der Grundgedanke ist jedoch gleich geblieben und läuft ebenfalls auf ein Vermengen von Erhaltungswillen und Erhaltungsgegenstand zu einem erst dann von den Tatbeständen des Gesetzes geschützten Objekt hinaus. Zipf meint, der Wille des Rechtsgutsträgers, das Rechtsgut aufzugeben, entferne es aus dem Schutzkreis der Strafnorm, es bestehe daher kein Ansatzpunkt mehr für eine Tatbestandsverwirklichung.152 Mehrheitlich leiten die heutigen Vertreter aus einer liberalen, personalen Rechtsgutskonzeption, wonach die Rechtsgüter dem Menschen zu seiner freien Selbstverwirklichung zu dienen bestimmt sind153 ab, dass alles, was mit dem Willen des Rechtsgutsträgers geschieht, nicht das Individualrechtsgut verletzt, sondern im Gegenteil Ausdruck des autonomen Umganges mit diesem ist, den ihm unsere Rechtsordnung erlaubt hat.154 Ein derartiges Rechtsgutsverständnis zeitigt für die Einwilligungsdogmatik gleich an mehreren Stellen Folgen, wenn auch aufgrund der in ihrer Begründungsvielfalt und Phantasie unbegrenzt scheinenden Konzeptionen nicht in zwingender, so doch in begünstigender Weise: Eine nahezu unvermeidlich scheinende Konsequenz eines oben aufgezeigten Einbaus des Opferwillens in das Rechtsgut ist die Einstufung der Einwilligung als Tatbestandsausschließungsgrund. Die Tatbestände des StGB sind Typisierungen von rechtsgutsverletzendem Verhalten einer Person. Konturierte der autonome Umgang des Inhabers mit dem Rechtsgut das Rechtsgut tatsächlich selbst, dürfte er für dessen Verletzung negativ formuliert nicht vorhanden sein, ansonsten fehlte es an einem Erfolgsunwert und damit an der Tatbestandsverwirkli-
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Ortmann, GA 25 (1877), 104 (108). Klee, GA 48 (1901), 177 (180). 151 Keßler, Einwilligung, S. 51. 152 Zipf, Einwilligung, S. 29. 153 Roxin, AT I, § 2 Rn. 7 ff.; Marx, Rechtsgutsbegriff, S. 62 et passim; Hassemer, FS Arthur Kaufmann II, S. 90 ff.; ähnlich auch Frister, AT, 3/20. 154 Stratenwerth, ZStW 68 (1956), 41 ff.; Roxin, AT I, § 13 Rn. 12; Weigend, ZStW 98 (1986), 44 (61); Kientzy, Einwilligung, S. 68 f.; Schlehofer. in: MK-StGB, Vor §§ 32 ff. Rn. 127; Horn/Wolters, in: SK-StGB, § 228 Rn. 2; Krack, KJ 1995, 60 (61); Niedermair, Körperverletzung, S. 102; Eschweiler, Selbstgefährdung, S. 62. 150
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Kap. 1: Leitlinien eines Systems des Opferverhaltens
chung.155 Einzig Stratenwerth will als Vertreter dieser Meinungsgruppe der Einwilligung lediglich rechtfertigende Wirkung einräumen.156 Weite Teile der Lehre sind sich hingegen darüber einig, dass ein Eingriff mit Einwilligung des Berechtigten schon nicht als tatbestandsmäßig in Rede steht.157 Damit wird zugleich eine Diskrepanz zu den Rechtfertigungsgründen zum Ausdruck gebracht158, diese beruhten auf dem Prinzip der Anerkennung des überwiegenden Interesses im Falle einer Interessenkollision.159 Auch die bereits angesprochene normative Gleichsetzung von Selbstschädigung und Fremdschädigung mit Einwilligung des Betroffenen korreliert häufig mit einer Betrachtungsweise, die dem Willen des Betroffenen eine besonders rechtsgestaltende Wirkung bereits für die Ebene der Tatbestandsmäßigkeit zuweist.160 Es fehlt für die Verfechter einer Freiheitsverletzung als konstitutivem Kern der Rechtsgutsverletzung sowohl bei der unmittelbaren Selbstschädigung als auch bei der mit Zustimmung des Opfers durch fremde Hand verwirklichten schon an einem Eingriff in die Rechtssphäre einer anderen Person161 oder jener ist – da es sich in beiden Fällen um „völlig rechtsneutrales, sozialadäquates Verhalten“ 162 ohne Handlungsunwert handelt – wenig bedeutsam.163 Dort wo man die Rechtsgutsverletzung als „rein geistiges Phänomen“ 164 begreift, stellt man implizit die Frage nach dem Sinn der dogmatischen Trennung von Selbst- und 155 Skeptisch gegenüber dieser Konsequenz aber Sternberg-Lieben, Objektive Schranken, S. 60 Fn. 18, der meint, das sich durch die schon fehlende Rechtsgutsverletzung ergebende Entfallen des Erfolgsunwerts ließe sich möglicherweise auch in der Rechtswidrigkeit berücksichtigen, wenn der Tatbestand keine eigene Wertungsstufe sei. 156 Stratenwerth, ZStW 68 (1956), 41 (42); einen Sonderweg geht auch Jakobs, AT, 7/111 ff., der bei einem grundsätzlich personal orientierten Rechtsgutsverständnis (AT, 2/14) zwischen tatbestandsausschließender und rechtfertigender Einwilligung differenziert und diese noch vom Einverständnis trennt. 157 Roxin, AT I, § 13 Rn. 12 ff.; Schlehofer, in: MK-StGB, Vor §§ 32 ff. Rn. 127; Eschweiler, Selbstgefährdung, S. 22; Kientzy, Einwilligung, S. 81; Horn/Wolters, in: SK-StGB, § 228 Rn. 2; Weigend, ZStW 98 (1986), 44 (61); Kindhäuser, LPK-StGB, Vor § 13 Rn. 162; Niedermair, Körperverletzung, S. 30, 102; wohl auch Ensthaler, Einwilligung, S. 95 ff.; M.-K. Meyer, Autonomie, S. 148. 158 M.-K. Meyer, Autonomie, S. 146; Roxin, AT I, § 13 Rn. 22; Kientzy, Einwilligung, S. 80. 159 Hierzu nur Weigend, ZStW 98 (1986), 44 (61). 160 Eine Gleichsetzung von Selbst- und Fremdschädigung bei Integration der Opferautonomie in das Rechtsgut findet sich u. a. bei Mosbacher, Selbstschädigung, S. 105 ff., 121; Ensthaler, Einwilligung, S. 21, 95; M.-K. Meyer, Autonomie, S. 148 ff.; Göbel, Einwilligung, S. 72, 99 ff.; vgl. auch Kargl, JZ 2002, 389 (390) sowie die Begründung Kracks für eine axiologische Gleichsetzung, KJ 1995, 60 (65 Fn. 25). 161 Roxin, AT I, § 13 Rn. 21; anders offenbar Rönnau, Willensmängel, S. 66, für den aber auch „der Bereich des Konflikthaften nicht betreten wird“ (S. 143). 162 Roxin, AT I, § 13 Rn. 19. 163 Kientzy, Einwilligung, S. 81 erkennt einen „Eingriff des ,Täters‘ in den Schutzbereich eines Rechtsguts“ an, aber grenzt diesen von der Rechtsgutsverletzung ab. 164 Schmidhäuser, FS Engisch, S. 444.
C. Charakteristika der einverständlichen Fremdschädigung
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Fremdschädigung mit, welcher sich – will man an der auf Äußerlichkeiten basierenden Distinktion festhalten – dann primär den Oberflächlichkeiten der jeweiligen Situationen165 oder der Existenz von §§ 216, 228166 entnehmen lassen muss. 2. Kritik und Konsequenzen Obwohl der Streit über das Verhältnis von Autonomie und Rechtsgut in seiner Bedeutung nicht überschätzt werden sollte167 und hier bestenfalls skizziert werden kann, ist zu den Begründungen Stellung zu nehmen. Sie betreffen auch Grundpfeiler der Konzeption und des Anwendungsbereiches einer Einwilligung in eine riskante Handlung. Ein Rechtsgutsverständnis, welches nicht auf der Annahme eines im Dienste des Menschen stehenden Staates gründet, ist, wie bereits in der Arbeit angeklungen, auf dem Boden des im Grundgesetz verankerten Menschenbildes nur schwer denkbar.168 Doch stellt dies keine bedeutende Weichenstellung dafür dar, ob man die Autonomie das Rechtsgut selbst konturieren lässt.169 Auch ein personaler Rechtsgutsbegriff, der die Verwirklichung von Handlungsfreiheit der Person durch Einsatz von Rechtsgütern in den Mittelpunkt stellt, muss nicht zwingend zu diesem Ergebnis kommen.170 Als gemeinsamer Nenner einer personalen Rechtsgutslehre lässt sich der Einbruch in den Freiheitsbereich eines anderen Menschen als Hauptbestandteil des Unrechts begreifen.171 Darin findet sich der schon sprichwörtlich gewordene Gedanke wieder, dass die Freiheit des Einzelnen dort endet, wo die eines Anderen beginnt. Bei der Ausgestaltung der Konfliktzone, d.h. der Abgrenzung von Freiheitssphären verschiedener Personen, besteht gleichwohl ein Spielraum.172 Sie kann durchaus in einer objektivierten Weise erfolgen, dergestalt, dass die Opferautonomie bei der Betrachtung der ersten Stufe 165
Roxin, FS Gallas, S. 250; ders., AT I, § 11 Rn. 123. Eschweiler, Selbstgefährdung, S. 46. 167 Paeffgen, in: NK-StGB, § 228 Rn. 7. 168 Rönnau, Willensmängel, S. 39; Chatzikostas, Disponibilität des Rechtsgutes Leben, S. 139; Sternberg-Lieben, Objektive Schranken, S. 377; ausführlich zu den Grundlagen Marx, Rechtsgutsbegriff, S. 24 ff. 169 Aufgrund jener Begründungsvielfalt erscheint die Beobachtung von Rönnau, Jura 2002, 595 (597), wonach ein Ansatz, der die Einwilligung nicht auf Tatbestandsebene berücksichtigt, zu einem anti-individualistischen Menschenbild tendiere, sehr grob, zumal Rönnau selbst (wenn auch aus praktischen Gründen) nicht so weit gehen mag, den Willen in die Rechtsgutsdefinition zu integrieren. 170 Vgl. Rönnau, Willensmängel, S. 51, und dessen „Basismodell“, S. 85 ff.; ebenso Ingelfinger, Tötungsverbot, S. 211; Chatzikostas, Disponibilität des Rechtsgutes Leben, S. 145 f.; wohl auch Marx, Rechtsgutsbegriff, S. 82. 171 Grundlegend Stratenwerth, ZStW 68 (1956), 41 (44 f.). 172 Dazu, dass eine an Art. 2 GG orientierte Rechtsgutskonzeption nichts über die Verortung des Willens im Deliktsaufbau aussagt Murmann, Selbstverantwortung, S. 370. 166
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Kap. 1: Leitlinien eines Systems des Opferverhaltens
des Unrechts, des Tatbestandes, außen vor gelassen wird. Es ist zuzugeben, dass dies auf den ersten Blick nicht gänzlich plausibel erscheint. Wenn Unrecht stets den Bruch fremden Willens in sich trägt und ein Straftatbestand sich als Typisierung von Unrecht darstellt, müsste ein Einverstandensein mit der Einwirkung auf eigene Güter auch bereits typischerweise keine Rechtsgutsverletzung und damit kein Unrecht zur Folge haben. Vorzugswürdig erscheint die Einordnung des zustimmenden Willens des Betroffenen auf Tatbestandsebene jedoch nur dann, wenn man die Tatbestandsmäßigkeit gegenüber der Rechtwidrigkeit als eine selbstständige, wesentliche Wertungsstufe des Unrechts heraushebt.173 Macht man das nicht, sondern misst – wie es in der modernen Strafrechtslehre mehrheitlich praktiziert wird174 – der Erfüllung des Tatbestandes noch keine eigenständige Bedeutung für das schlussendliche Unrechtsurteil bei, bestehen gute Gründe, die ausfilternde Funktion des Tatbestandes nach einem Regel-/Ausnahme-Prinzip möglichst umfassend zu betonen175, statt sie dort, wo das Opfer mit der Einwirkung auf seine Güter einverstanden ist, sektoral zu vernachlässigen.176 Denn daraus ergeben sich Schwierigkeiten: Wenn es an einer Rechtsgutsverletzung bei einem auf Rechtsgutspreisgabe gerichteten Willen fehlt, muss umgekehrt, um sich nicht dem Vorwurf der Inkonsequenz auszusetzen, bei Fehlen einer Einwilligung ein auf Rechtsgutserhaltung gerichteter Opferwille feststellbar sein.177 Das läuft schon im Regelfall eher auf eine Fiktion hinaus178 und führt erst Recht zu Problemen, wo der Rechtsgutsträger zu einer irgendwie beachtlichen Willensbildung nicht im Stande ist.179, 180 Eine Rechtsgutskonzeption, 173 Das macht Welzel, Das Deutsche Strafrecht, S. 80; ihm folgend Hirsch, in: LK11StGB, Vor § 32 Rn. 8. 174 Sternberg-Lieben, Objektive Schranken, S. 67 ff.; Rönnau, in: LK-StGB, Vor § 32 Rn. 15 ff.; Murmann, Selbstverantwortung, S. 375 greift zwar das Welzel’sche „Mückenbeispiel“ auf, spricht aber bei der Entscheidung über die Tatbestandsmäßigkeit nur von einem „normativ erst einmal festzuhaltenden Unterschied [zwischen der Tötung einer Fliege und eines einwilligenden Menschen]“. 175 Vgl. Sternberg-Lieben, Objektive Schranken, S. 62 ff.; Kindhäuser, GA 2010, 490 (500); Kubink, JA 2003, 257 (262). 176 Diese Kritik trifft selbstverständlich nicht diejenigen, die die Stufe der Tatbestandsmäßigkeit als Teil der Gesamtrechtswidrigkeit eines Verhaltens betrachten, davon ausgehend z. B. Schlehofer, in: MK-StGB, Vor §§ 32 Rn. 1 ff. 177 A. A. Klee, GA 48 (1901), 177 (180) mit dem Argument, man brauche sich „des Besitzes nicht bewusst zu werden [. . .], um zu besitzen“. 178 Ausführlich Rönnau, Willensmängel, S. 63 ff. 179 Amelung/Eymann, JuS 2001, 937 (938) mit Kritik an Roxins „Umweg“ über eine Autonomieverletzung des Sorgeberechtigten beim Handeln gegen den Willen von Kindern. 180 Dieses Problem wird auch durch das von Rönnau, Willensmängel, S. 85 ff. als Kompromiss erdachte „Basismodell“ nicht gelöst. Danach dienen Rechtsgüter dem Individuum als Basis zur persönlichen Entfaltung, weshalb der Wille, den strafrechtlich geschützten Gegenstand zu nutzen, nicht selbst das Rechtsgut ist, sondern er nur das eigentliche Rechtsgut, das im Gegenstand ruhende Handlungspotential, steuert. Sobald der Täter zu einer Nutzung des in dem Rechtsgut enthaltenen Handlungspotentials fak-
C. Charakteristika der einverständlichen Fremdschädigung
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welche aus einer Vielzahl von denkbaren Beziehungen des Einwilligenden zu einem ihm zugeordneten Gut den zumindest nicht alltäglichsten Fall – die freiwillige Preisgabe – herausgreift und deren Fehlen als konstitutiv für die Stufe des Tatbestandes in den Mittelpunkt stellt, ist, obwohl auf dem Boden einer personalen Rechtsgutskonzeption sicherlich erklärbar, umständlich. Es liegt außerdem möglicherweise nahe zu behaupten, die Überbewertung des Willens für das Rechtsgut führe dazu, dass letztlich alle Tatbestände des StGB einen Spezialfall der Nötigung normierten.181 Dieser Einwand wäre zu pauschal und nicht durchschlagend. Er lässt sich zu simpel dadurch entkräften, dass man nur eine bestimmte Willensbeziehung zu einem im Tatbestand geschützten, positiven Wert als Schutzobjekt ansieht182, auf dieses Bezugsobjekt lässt sich alles notwendige Objektive und Gegenständliche abladen, was man anderenfalls dem Rechtsgutsbegriff zuschreiben müsste und darin nicht haben will. Dennoch enthielte eine solche Kritik einen wahren Kern. So mag das bei der Betrachtung des Unrechts aus dem Blick verdrängte, zugleich aber vermeintlich dennoch untrennbar mit dem Willen verbundene „Tatobjekt“ 183 unabhängig vom Opferwillen bestimmbar sein, der eigentlich interessante, da strafrechtlich schützenswerte Status, das Rechtsgut, bleibt hingegen schwieriger greifbar.184 So konstatiert Murmann, dass unter einem solchen Rechtsgutsbegriff eine generelle Bestimmung von dem, was etwa „körperliche Unversehrtheit“ ist, nicht mehr präzise möglich ist.185 Weshalb das unbefriedigend ist, ergibt sich aus einer anderen Überlegung: Die als Tat- oder Rechtsgutsobjekt bezeichneten Werte wie z. B. das Eigentum sind nicht nur Bezugsgegenstände einer individuellen Freiheit, sondern ihre Anerkennung umgekehrt der Freiheitsentfaltung notwendig vorgeschaltet. Ohne sie wäre ein freier Wille bezugslos im leeren Raum befindlich, er ließe sich nirgendwo „speichern“ – dies gilt auch für einen das Rechtsgut negierenden Willen.186 Zu behaupten, ein Wert, der die Qualität erreicht, Schutzobjekt des Straftisch nicht in der Lage ist, dürfte er für das Recht nach diesem Modell eigentlich nicht schützenwert sein – was der Gesetzeslage widerspricht. Rönnau sieht das (S. 97, 107), nimmt diesen Bruch in seinem Konzept aber hin. Kritisch zu Rönnaus „Basismodell“ Fateh-Moghadam, Einwilligung, S. 94 f. 181 Hierzu Rönnau, Willensmängel, S. 48, welcher später (S. 59) immerhin von „Teilkongruenz der Schutzbereiche“ des § 240 und anderen Individualrechtsgüter schützenden Delikten spricht. 182 So (mit harscher Kritik an der Gegenansicht) Rönnau, Willensmängel, S. 44, 48; ähnlich Weigend, ZStW 98 (1986), 48 (60). 183 Vgl. die Terminologie von Roxin, AT I, § 13 Rn. 13; andere Begriffe wie „Gut“, „Gutsobjekt“ oder „Tatgegenstand“ werden ebenfalls verwendet. 184 Kargl, JZ 2002, 389 (395). 185 Murmann, Selbstverantwortung, S. 373. 186 Vgl. Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, Vor § 32 Rn. 33a: „. . . schützt das Strafrecht jedoch nicht die Selbstbestimmung im Bezug auf Körperintegrität, Ehre, Eigentum usw., sondern diese selbst als Voraussetzung und Bezugsobjekt möglicher Selbstbestimmung“ [Hervorhebungen von mir]; ähnlich auch Hansen, Einwilli-
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Kap. 1: Leitlinien eines Systems des Opferverhaltens
rechts zu sein, entstehe durch die Hinzufügung eines Erhaltungswillens überhaupt erst, misst dem Selbstbestimmungsrecht eine Bedeutung bei, die es nicht verdient. Aufgrund der damit sonst verbundenen Probleme erscheint es insgesamt, folgt man wie hier einem dreistufigen Deliktsaufbau, weder unbedingt erforderlich noch sinnvoll187, Handlungen, deren Ausführender nach der Regelungstechnik des Gesetzgebers die erforderliche Täterqualität besitzen kann, in gleicher Weise die Tatbestandsmäßigkeit abzusprechen wie solchen, bei denen das Opfer für die unmittelbare Exekution des frei gebildeten Willens nicht auf das Vorhandensein mehrerer Rechtssubjekte als notwendige Bedingung staatlichen Strafens angewiesen ist.188 Dies lässt sich vermeiden, wenn man den Rechtskreis des Betroffenen von dessen Willen unabhängig anhand eines Nichtschädigungsprinzips („neminem laede“) bestimmt, mit der Folge, dass die Einwilligung keine Preisgabe von Rechtsgütern ist, welche bereits den Tatbestand entfallen ließe.189 Ein abschließendes Unrechtsurteil wird mit dem Befund der Tatbestandsmäßigkeit des Verhaltens nicht gefällt, denn das Überschreiten der Freiheitsgrenze des Anderen geschieht durch das Tor einer Einwilligung und erlaubt dem Ausführenden sämtliche Handlungen, die vom Willen des Einwilligenden gedeckt sind, soweit die Einwilligung rechtliche Anerkennung erfährt.
gung, S. 27. Zuzugeben ist gleichwohl, dass diese Kritik beim Eigentum, was wenig gegenständlich nur als Bündel von Rechten zu begreifen ist, deutlich angreifbarer erscheint als bei untrennbar mit dem menschlichen Körper verbundenen Werten, vgl. die Kritik von Roxin, AT I, § 13 Rn. 15 an Lenckner; ähnlich Murmann, Selbstverantwortung, S. 377 f.; Paeffgen, in: NK-StGB, § 228 Rn. 7. 187 Kritisch insbesondere Geppert, ZStW 83 (1971), 947 (963 ff.), welcher vor einer schlussendlichen Auflösung der Ebene der Tatbestandsmäßigkeit warnt. 188 Letzterer Aspekt wird betont bei Zaczyk, Selbstverantwortung, S. 38. 189 So auch Sternberg-Lieben, Objektive Schranken, S. 64; Murmann, Selbstverantwortung, S. 379; Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff, S. 66 Fn. 58; Dölling, FS Geppert, S. 58; Burgstaller, Fahrlässigkeitsdelikt, S. 159.
Kapitel 2
Die Einwilligung in ein Risiko als Lösungsinstrument der Rechtsprechung In den bisher erläuterten Fällen ist der Einwilligende damit einverstanden, dass ein Dritter in seine Rechtssphäre eindringt und dort auf seine Rechtsgüter zugreift, mehr noch: Es geht ihm genau darum. Die den Schwerpunkt dieser Arbeit bildenden Konstellationen, in denen der Geschädigte lediglich ein Verhalten konsentiert, was die Gefahr eines Erfolgseintritts in sich trägt, wurden in der Vergangenheit von der Rechtsprechung auf unterschiedliche Weise gelöst, wobei die Rechtsfigur der rechtfertigenden Einwilligung eine dominante Rolle bei der Lösung spielt. Bis heute ist diese allgemein entweder als „Einwilligung in ein Risiko“ oder (vom in diesen Fällen meistens in Rede stehenden Verhaltenstypus aus) „Einwilligung beim Fahrlässigkeitsdelikt“ bezeichnete1 Konstruktion in der Literatur jedoch äußerst umstritten. Um einen Überblick über die Problematik zu geben, soll in diesem Kapitel anhand wichtiger Entscheidungen der Umgang der Gerichte mit diesen Fällen verdeutlicht und ein kurzer Überblick insbesondere über die Entwicklung dieser Form der Einwilligung gegeben werden.
A. Das Reichsgericht Einen berühmten Fall, welchen man nach heute herrschender Terminologie der einverständlichen Fremdgefährdung beiordnen würde2, hatte das Reichsgericht im Jahr 1923 zu entscheiden. Zu urteilen war über die strafrechtliche Verantwortlichkeit eines Bootsführers auf der Memel, der sich trotz schlechten Wetters und gefährlich hohen Wasserstandes von zwei Fahrgästen dazu überreden ließ, sie überzusetzen, wobei das Boot kenterte und die Fahrgäste ertranken.3 Der Freispruch des Fährmannes wurde in dogmatischer Hinsicht nicht auf eine Einwilligung der Passagiere in die Gefahr des Ertrinkens gestützt, sondern auf das Fehlen einer Sorgfaltspflichtverletzung und somit – nach der damals gängigen Einordnung der Fahrlässigkeit – auf fehlendes Verschulden. Den wesentlichen Grund 1 Verbreitet sind auch Begriffe wie „Einwilligung in die Gefährdung“, „Einwilligung in die Gefahr“ oder „Risiko-Einwilligung“. 2 Fiedler, Fremdgefährdung, S. 9; Berkl, Sportunfall, S. 100; anders F.-C. Schroeder, in: LK11-StGB, § 16 Rn. 181. 3 RGSt 57, 172.
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Kap. 2: Einwilligung in ein Risiko als Lösungsinstrument der Rechtsprechung
für das Fehlen schuldhaften Verhaltens sah das Gericht in der nichtdefizitären Risikokenntnis der Opfer, denn beide „waren erwachsene und verständige Männer, die das Gefährliche der beabsichtigten Fahrt vollständig und in genau demselben Maße wie der Angeklagte übersahen“ 4. Zusätzlich spielte klar erkennbar eine Rolle, dass es eben nicht der Bootsführer war, der auf eine Überfahrt gedrängt hatte, sondern im Gegenteil die Passagiere, die sogar dessen „persönlichen Mut in Zweifel zogen“ 5, so lange, bis dieser schließlich nachgab und „aus Gutmütigkeit [. . .] sein eigenes Leben mit aufs Spiel“ 6 setzte. Den Aspekt der Risikokenntnis betonte das RG auch 2 Jahre später in einem Fall, in dem sich das spätere Opfer vom Täter auf dem Sozius eines defekten Motorrades mitnehmen ließ.7 Der Mitfahrer war über den Bremsdefekt am Motorrad nicht in Kenntnis gesetzt worden, immerhin war ihm jedoch bewusst, dass der Fahrzeugführer keinen Motorradführerschein hatte.8 Die Verurteilung von letzterem wegen fahrlässiger Tötung machte deutlich, dass sich aus dem MemelFall für die nächsten Jahrzehnte keine verallgemeinerungsfähigen Schlüsse ziehen lassen würden9, sich stattdessen die Strafwürdigkeit des Schädigers stets aus einer Gesamtschau verschiedener Faktoren ergeben sollte, die je nach Lage des Falles in den Vordergrund gestellt werden konnten. Als einer davon wurde hier vom Reichsgericht erstmals eine Einwilligung10 des Geschädigten in die Risikoschaffung hervorgehoben, allerdings in ihrer strafbefreienden Wirkung an zwei Bedingungen geknüpft: An das Nichtvorliegen eines Verstoßes gegen ein so genanntes „Rechtsverbot“ (z. B. eine Verbotsnorm der StVO) sowie eine Durchführung der Gefährdungshandlung mit „schuldiger Sorgfalt“.11 Beides sah das Reichsgericht im Fall als nicht gegeben an.12
B. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs von BGHSt 4, 88 bis zu BGHSt 32, 262 Der Bundesgerichtshof gab der Problematik selbstgefährdenden Verhaltens beginnend mit dem Jahr 1953 schlankere Konturen und lozierte sie endgültig zu wesentlichen Teilen auf der Ebene der Rechtfertigung und dort bei der Einwilli-
4
RGSt 57, 172 (173 f.). RGSt 57, 172 (174). 6 RGSt 57, 172 (174). 7 RG JW 1925, 2250. 8 RG JW 1925, 2250 (2251). 9 Vgl. Hansen, Einwilligung, S. 125. 10 Bzw. das Einverständnis. Nach der damaligen Dogmatik wurden die Begriffe synonym verwendet. 11 RG JW 1925, 2250 (2252). 12 RG JW 1925, 2250 (2252). 5
B. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs
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gung. Zu Grunde lag dem folgender Sachverhalt: Das spätere Opfer hatte den Täter, mit dem es des Öfteren stritt, im angetrunkenen Zustand zu einem Faustkampf herausgefordert. Dieser lehnte zunächst unter Hinweis auf die Angetrunkenheit seines Gegners ab, ließ sich dann aber durch Beleidigungen provozieren und verpasste dem noch nicht Kampfbereiten auf der Stelle einen Schlag gegen die Schläfe, an dessen Folgen er später verstarb. Der BGH führte aus, dass in der Herausforderung des Verstorbenen zum Kampf eine Einwilligung zu sehen sein könne13, welche voraussetze, dass der Einwilligende „eine zutreffende Vorstellung vom voraussichtlichen Verlauf und den möglichen Folgen des zu erwartenden tätlichen Angriffs hatte“ 14. Das Urteil stellte den Beginn einer ständigen Rechtsprechung15 dar, welche über Jahrzehnte fortbestand. Feststellbar ist, dass es versäumt wurde, der Einwilligung in das Risiko auch unter Berücksichtigung der damals weniger fortgeschrittenen Dogmatik schärfere Umrisse zu verleihen, und zwar gleich in mehrerer Hinsicht: Eine Differenzierung zwischen dem auf Opferseite vorliegenden psychischen Moment bei der Einwilligung in die bloße Gefährdung gegenüber dem bei der Einwilligung in den Erfolg, wie sie in der zivilrechtlichen und strafrechtlichen Lehre herausgearbeitet wurde16, oder doch wenigstens eine Begründung, wieso dieser Unterschied normativ nicht von Bedeutung sein könne, fand sich kaum.17 Im Urteil BGHSt 7, 112, dem der Sachverhalt eines riskanten Straßenrennens zu Grunde lag, in dem ein Teilnehmer mit seinem eigenen Motorrad stürzte und zu Tode kam, hieß es: „K. hat zwar seine Gefährdung in Kauf genommen, aber die darin etwa liegende Einwilligung ist für die Tötungshandlung ohne Rechtswirkung“.18 Damit wurde einerseits zum Ausdruck gebracht, dass eine Einwilligung in eine lebensgefährliche Situation jedenfalls rechtlich wie eine direkte Einwilligung in eine Tötungshandlung zu werten ist, andererseits (als Resultat daraus), dass sie ihre Grenzen in § 216 findet. Eine vollständige Gleichbehandlung der Einwilligung in Bezug auf die fahrlässige und vorsätzliche Herbeiführung des Erfolges hielt die Rechtsprechung dennoch nicht durch, sondern ließ sich die Hintertür offen, dass selbst ohne eine wirksame Einwilligung 13
BGHSt 4, 88 (92). BGHSt 4, 88 (90). 15 Exemplarisch BGHSt 7, 112; BGH, VRS 17, 277; KG, JR 1954, 428; OLG Oldenburg, DAR 1959, 128; OLG Celle, NJW 1964, 736; OLG Köln, NJW 1966, 895; OLG Hamm, VRS 40, 25; OLG Hamm, DAR 1973, 219. 16 So bereits für das Zivilrecht Stoll, Handeln auf eigene Gefahr, S. 312: „In Wahrheit sind aber die Rechtfertigung eines Risikos kraft Einwilligung und die Rechtfertigung einer Verletzung kraft Einwilligung zwei verschiedene Sachprobleme, die selbständiger Betrachtung bedürfen“. 17 Eine Ausnahme stellt ein Urteil des KG, JR 1954, 428 dar, in dem sich das Gericht sehr ausführlich zur Einwilligung in ein Risiko und der daran geübten Kritik von Schmidt, JZ 1954, 369 äußert. 18 BGHSt 7, 112 (114). 14
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Kap. 2: Einwilligung in ein Risiko als Lösungsinstrument der Rechtsprechung
„unter besonderen Voraussetzungen“ die Risikokenntnis des Opfers bei nicht sorgfaltspflichtwidrigem Handeln des Täters die Pflichtwidrigkeit des Verhaltens entfallen lassen konnte.19 In diesem aus Gerechtigkeitserwägungen gesponnenen Kokon überlebte auch der in der RG-Entscheidung vom 11. Juni 192520 angeklungene Gedanke, die Risikokenntnis sei nicht der einzige Faktor, der in Fällen dieser Art über die Strafbarkeit des Täters entscheide.21 Obwohl der BGH sich für die Grenzen der Einwilligung in die fahrlässige Tat ausdrücklich auf § 216 berief und dort die Abgrenzung von täterschaftlicher Tötung auf Verlangen und Teilnahme am straflosen Suizid bereits seit längerer Zeit wortreich diskutiert wurde, blieb er bei den Gefährdungssachverhalten der Einwilligung als alleinigem Lösungsweg lange treu. Er nutzte sie als kriminalpolitisches Instrument, um dort, wo die Gefahrschaffung lebensbedrohend war oder anderweitig ein schlimmes Ende nahm22, dem Leichtsinn des hieran Beteiligten mit Strafe zu begegnen. Während an die Gefahrenkenntnis daher hohe Anforderungen gestellt wurden23, ließ man für die Tatbestandsmäßigkeit des Drittverhaltens bereits einen ursächlichen Beitrag genügen. Die Einwilligung blieb unter dieser ständigen Rechtsprechung damit in bemerkenswerter Weise konturenlos. Sie wurde nicht nur für Schlägereien24 in Erwägung gezogen, sondern ebenfalls für Besuche auf einer Krankenstation25 (im Sinne einer konkludenten Einwilligung in die Ansteckungsgefahr) oder Verkehrsunfälle, in denen der „Einwilligende“ das Fahrzeug selbst steuerte und außer ihm niemand an Bord war.26 Derartige Fälle würden heute nach den Herrschaftskriterien der h. M. im Regelfall nicht mehr27 der Einwilligung zugewiesen, zum Teil wurde dies schon damals
19 BGHSt 4, 88 (93); BGHSt 7, 112 (115); präziser OLG Karlsruhe, NJW 1967, 2321 (2322); von dieser Theorie Gebrauch gemacht wurde in der Rechtsprechung nach 1945 soweit ersichtlich nie. Kritisch ihr gegenüber Fiedler, Fremdgefährdung, S. 43. 20 RG JW 1925, 2250. 21 Allerdings anders als in jenem Urteil des Reichsgerichts nicht in einer die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Täters erweiternden, sondern diesen Bereich potentiell eingrenzenden Funktion. 22 BGHSt 4, 88 (32); BGHSt 7, 112 (114); BayObLG, NJW 1957, 1245 (1246); BGH DAR 1961, 138 ff.; keine sittenwidrige Verletzung sah das OLG Hamm, VRS 40, 25 in mehreren Frakturen und dem Verlust von 5 Schneidezähnen. 23 Vgl. BGHSt 4, 88 (90); OLG Celle 1964, 736; OLG Köln NJW 1966, 895 (896) („bedarf [. . .] besonders eingehender Prüfung“). 24 BGHSt 4, 88. 25 BGHSt 17, 359, letztlich abgelehnt, aber nur mit der Begründung, dass sich die Einwilligung lediglich auf ein zukünftiges, nicht auf ein abgeschlossenes Verhalten beziehen könne. 26 BGHSt 7, 112; BayObLG, NJW 1968, 665. 27 Bei Sportunfällen ist es je nach Sportart diskutabel, ob sie dem Topos der Fremdgefährdung (und damit dem zunächst denkbaren Anwendungsbereich der Einwilligung) unterfallen oder zur Selbstgefährdung zu zählen sind. Ausführlich dazu Hähle, Sportverletzungen, S. 72 ff.
C. Von BGHSt 32, 262 bis heute
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bemängelt.28 Erst unter dem Einfluss der Literatur, wo Roxins Unterscheidung von Selbstgefährdung und Fremdgefährdung29 allmählich an Zulauf gewann, änderte sich dies und neigte nun auch der BGH dazu, dem Faktor der eigenhändigen Tatausführung mehr Bedeutung beizumessen. Für die nächste Welle riskanten Opferverhaltens, die Drogenkriminalität, ging er zunehmend zur Einwilligung auf Distanz. Bereits 6 Jahre vor BGHSt 32, 262, ließ er die Frage, ob die eigenverantwortliche Selbstgefährdung die Zurechnung des Erfolges zu dem die Selbstgefährdung Ermöglichenden ausschließt, ausdrücklich offen.30
C. Von BGHSt 32, 262 bis heute Erst 1984 leitete der Bundesgerichtshof mit der Entscheidung BGHSt 32, 262 eine Trendwende ein und steckte die Eckpunkte ab, innerhalb derer sich die heutige Diskussion hauptsächlich bewegt. Dogmatisch knüpfte der BGH mit dieser Entscheidung an die lange bekannte Trennung von Fremdschädigung und Selbstschädigung an, mit der er das ausschließliche Fördern von opfereigenem Verhalten bereits auf Tatbestandsebene aus dem Kreis der strafbaren Handlungen aussonderte. Er baute lediglich den im Polizeipistolen-Fall erstmals angewandten Erst-Recht-Schluss vom Vorsatz auf die Fahrlässigkeit31 weiter aus, indem er nicht mehr allein die Unterschiede in der subjektiven Einstellung des Täters in den Blick nahm. So errichtete der BGH eine weitere Wertungsstufe zwischen der (Selbst-)Verletzung und der (Selbst-)Gefährdung als deren minus. Gegenüber der zuvor im Polizeipistolen-Fall eingeführten Stufe bestand dennoch ein Unterschied: Sie konnte nicht mehr ausschließlich auf der Grundlage der Gesetzesbegriffe Vorsatz und Fahrlässigkeit errichtet werden, sondern der BGH musste sich auf die rein sprachliche Plausibilität von Begriffen stützen, die in der Lehre zur Einordnung verschiedener tatsächlicher Phänomene erdacht wurden.32 Was genau unter „Gefährdung“ im Verhältnis zur „Verletzung“ bzw. „Schädigung“ zu verstehen ist, wann welche Fallebene vorliegt und aus wessen Perspektive sich dies bestimmt, wurde nicht festgelegt, es war schon in Roxins grundlegendem Beitrag33 eher durch Beispiele veranschaulicht als tatsächlich herausgearbeitet worden.
28 Für den „Pockenarztfall“ (Fn. 25 dieses Kapitels) tat dies Rudolphi, JuS 1969, 549 (556 Fn. 57) („es handelt sich hier nicht um ein Problem der rechtfertigenden Einwilligung“). Dem pflichtete Schünemann, JA 1975, 715 (720) später bei und ergänzte mit der aufkommenden Lehre: „. . . sondern um die freiwillige Selbstgefährdung“; ebenso Fiedler, Fremdgefährdung. S. 186; Roxin, AT I, § 11 Rn. 109. 29 Roxin, FS Gallas, S. 241 ff. 30 BGH, JR 1979, 429. 31 BGHSt 24, 342; s. Kapitel 1, B. II. 1. 32 Besonders kritisch dazu Horn, JR 1984, 513. 33 Roxin, FS Gallas, S. 241 ff.
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Kap. 2: Einwilligung in ein Risiko als Lösungsinstrument der Rechtsprechung
Obwohl die Risiko-Einwilligung mit keinem Wort Erwähnung fand, bedeutete die Entscheidung BGHSt 32, 262 eine wesentliche Einschränkung ihres Anwendungsbereichs. Die Übertragung naturalistischer Kriterien auf die Gefährdungsebene setzte sich schnell durch und auch diejenigen, die dem bis heute nicht gefolgt sind, erdachten alternative Konzepte auf der Basis des Ausschlusses der Erfolgszurechnung, statt an einer einheitlichen Anwendung der Einwilligung auf sämtliche Fälle riskanten Verhaltens festzuhalten. Für Selbstgefährdungskonstellationen, in denen das Opfer den Kausalverlauf selbst determiniert, lässt sich festhalten, dass die Figur der Einwilligung in ein Risiko im Jahr 1984 über Nacht auch in der Lehre nahezu ausstarb.34 Die hierzu konträre Fallgruppe wurde in BGHSt 32, 262 nicht erwähnt, war jedoch bei konsequentem Zuendedenken des vorfindlichen Gedankenganges in die Entscheidung bereits integriert. Sah es für kurze Zeit sogar so aus, als habe die Figur der Selbstgefährdung die der Risiko-Einwilligung vollumfänglich ersetzt35, fand 15 Jahre nach ihrer Benennung durch Roxin die einverständliche Fremdgefährdung den Weg in die Praxis. Im berühmten HIV-Fall des LG Kempten (Allgäu)36 legte die Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des LG (erfolglos) Revision zum BayObLG mit der Begründung ein, der einverständliche Geschlechtsverkehr mit einem bekanntermaßen HIV-Infizierten stelle aufgrund der gemeinsamen Tatherrschaft eine Fremdgefährdung dar, die mangels wirksamer Einwilligung in die Lebensgefährdung strafbar sei.37 Der praktische Anwendungsbereich der Risiko-Einwilligung in der Rechtsprechung der vergangenen 20 Jahre umfasste hauptsächlich Sachverhalte im Straßenverkehr, etwa das Mitfahren im Laderaum eines LKW ohne Anschnallmöglichkeit38, „Auto-Surfen“ 39, die Beifahrereigenschaft im Auto eines volltrunkenen Fahrers40 oder bei einem gefährlichen Beschleunigungstestrennen41. Die Praxis der älteren Rechtsprechung, einer Einwilligung bei Eintritt des Todeserfolgs regelmäßig die Wirksamkeit zu versagen, wurde von der neueren Recht34 Lackner/Kühl, § 228 Rn. 2b; anders (Einwilligung als Lösungsweg auch für die Selbstgefährdung) nach 1984 noch Dach, NStZ 1985, 24 (25 ff.); Weber, FS Baumann, S. 43 ff.; Stratenwerth, FS Puppe, S. 1022 ff. 35 BayObLG, NZV 1989, 80 hatte einen Fall zu entscheiden, in dem sich ein Skateboarder von einem Auto – sich am Gepäckträger festhaltend – mitziehen ließ und wertete dies ohne zusätzliche Erörterungen als eigenverantwortliche Selbstgefährdung des tödlich Verletzten. Auch BGHSt 36, 1 (17) spricht nur von den Grundsätzen der Selbstgefährdung, deren Anwendung auf einen vergleichbar gelagerten Fall der HIV-Übertragung letztlich offen gelassen wird. 36 NJW 1989, 2068; nachgehend BayObLG, JZ 1989, 1073. 37 BayObLG, JZ 1989, 1073. 38 OLG Zweibrücken, JR 1994, 518. 39 OLG Düsseldorf, NStZ-RR 1997, 325. 40 OLG Koblenz, BA 2002, 483. 41 BGHSt 53, 55.
C. Von BGHSt 32, 262 bis heute
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sprechung etwas gelockert. Die Einwilligung wird allerdings dort als unwirksam angesehen, wo der Einwilligende in konkrete Todesgefahr gebracht wird.42 In neuerer Zeit wurde versucht, den Begriff der Tatherrschaft in ihrer speziellen Form als Herrschaft über die gefährliche Situation zu verfeinern und dabei unter anderem festgehalten, dass alleine die Möglichkeit des Opfers, durch mündliche Anweisungen Einfluss auf das Täterverhalten zu nehmen, der Annahme einer Fremdgefährdung nicht entgegensteht43 – ein strafrechtsdogmatisches Fundament für diese Behauptung fehlt völlig. Offen gelassen wurde jüngst die Zuordnung der als „Quasi-Mittäterschaft“ bekannten Fälle im Gefährdungsbereich44, nachdem der BGH hierfür wenige Jahre zuvor noch – in einem obiter dictum – deren Tatbestandsmäßigkeit bejaht hatte.45 Die jüngere Rechtsprechung hat mehrfach alternative Lösungskonzepte für die einverständliche Fremdgefährdung miteinander kombiniert, was aufgrund der unterschiedlichen deliktssystematischen Lozierung der Lösungen zwar an sich möglich ist, aber wegen der großen Ähnlichkeit der für maßgeblich erachteten Kriterien kaum Sinn ergibt. Das OLG Zweibrücken etwa las die Bedingungen, die Roxin für eine Gleichbehandlung der Fremd- mit der Selbstgefährdung aufgestellt hatte46, in die Frage der Wirksamkeit einer Einwilligung hinein, um auf diese Weise deren Grenzen auszuloten.47 Und erst 2008, im BeschleunigungstestFall, prüfte der BGH bei der objektiven Zurechnung, ob möglicherweise eine der Selbstgefährdung „ausnahmsweise gleichzustellende Fremdgefährdung“ vorläge, verneinte dies (ohne Begründung) und widmete sich im Anschluss (noch) ausführlich einer Einwilligung in das Risiko.48
42
BGHSt 53, 55 (62). BGHSt 49, 166 (169). 44 BGHSt 53, 55 (62). 45 BGHSt 49, 34 (39). 46 Grundlegend Roxin, FS Gallas, S. 252. 47 OLG Zweibrücken, JR 1994, 518 (519 f.); dazu auch die Anmerkung von Dölling, JR 1994, 520 (520 f.). 48 BGHSt 53, 55 (60). 43
Kapitel 3
Der potentielle Anwendungsbereich der Einwilligung in ein Risiko Will man das Problem, ob und wie eine Einwilligung in riskantes Verhalten konstruktiv möglich ist, sorgfältiger untersuchen als die ältere Rechtsprechung, so vollzieht sich der Untersuchungsgang in zwei Schritten und betrifft zwei verschiedene Areale der Strafrechtsdogmatik. Einerseits wird natürlich die Frage aufzuwerfen sein, ob sich eine Einwilligung, die sich lediglich auf riskantes Handeln eines anderen erstreckt, in die Einwilligungslehre einpassen lässt. Vorher zu beantworten – und von Streitigkeiten, die den erforderlichen Gegenstand einer Einwilligung betreffen, zu trennen – ist allerdings die seit BGHSt 32, 262 deutlicher in den Fokus gerückte Vorfrage, ob aus der Vielzahl an denkbaren gefährlichen Handlungen überhaupt solche herausgefiltert werden können, die immerhin eine hinreichende dogmatische Verwandtschaft mit der Einwilligung in ihrer oben befürworteten Form als Rechtfertigungsgrund1 aufweisen. Es geht mithin in diesem Kapitel darum, jene Verhaltensmuster auszusondern, durch die der Handelnde auch ohne die Zustimmung des Opfers mit der Handlung niemals den Tatbestand eines Deliktes verwirklicht. Erst wenn diese Aufgabe, die für die herrschende Ansicht mit Mitteln der Teilnahmelehre anzugehen ist, gelingt, stellen sich für die übrig gebliebenen Verhaltensformen im Anschluss Fragen zur Einwilligungsdogmatik.
A. Unterscheidung von Gefährdungsund Schädigungssituation Zunächst ist allerdings der maßgebliche Gegenstand der folgenden Untersuchungen näher zu umreißen. Eine Begrifflichkeit, welche sich sowohl in der Rechtsprechung als auch in der Lehre mittlerweile durchgesetzt hat, ist die der Gefährdung, verstanden als ein terminus technicus der Selbstverantwortungsdiskussion, der von der Schädigung bzw. Verletzung abgegrenzt wird und dieser gegenüber pauschal zunächst ein qualitativ geringwertigeres Unrecht signalisiert.2 Versuche, Schädigung und Gefährdung schärfer zu bestimmen, sind nach wie vor
1 2
s. Kapitel 1, C. II. 2. Vgl. Frister, AT, 15/13.
A. Unterscheidung von Gefährdungs- und Schädigungssituation
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nicht besonders häufig unternommen worden.3 Freilich ist auch nicht gesagt, dass mit einer möglichst genauen Umschreibung irgendein Gewinn verbunden ist, geht es schließlich nur um die Kategorisierung verschiedener Verhaltenssituationen und nicht um gesetzlich zwingend Vorgegebenes.4 Je weniger man aber gewillt ist, Parallelen zwischen den Fallgruppen anzuerkennen und je stärker man darauf drängt, die Gefährdungskonstellationen unter Hervorhebung situativer Verschiedenheiten einer eigenständigen Lösung zuzuführen, desto weiter entfernt sich die Problematik von einer lediglich terminologischen Spitzfindigkeit, weshalb es nicht nutzlos erscheint, dem Etikett der Gefährdung deutlichere Umrisse zu verleihen. Weniger problematisch ist die sprachliche Unklarheit schon des Wortes selbst, welches auf Anhieb nicht erkennen lässt, dass es auch bei der Gefährdung keineswegs bei einer bloßen Gefahr geblieben ist.5 Unklar ist allerdings weiterhin, aus wessen Perspektive das Vorliegen einer Gefährdungs- oder Verletzungssituation zu ermitteln ist.6 Täter und Opfer können unterschiedliche Vorstellungen und Absichten haben. Das Individualrechtsgut, welches letztlich Schaden nimmt, ist aber eines des Opfers, so dass in terminologischer Hinsicht die Umschreibung eines Sachverhaltes als Gefährdung wenig zielführend scheint, wenn man die Benennung allein von der Sicht des Täters7 abhängig macht. Sinnvoller scheint es daher, den Begriff an die Sicht des Opfers zu koppeln und daran, wie die Situation von diesem „gewidmet“ wurde.8 Von einer Schädigung lässt sich dort sprechen, wo die vereinbarte Handlung aus Sicht des Geschädigten von Beginn an allein den sozialen Sinn hat, eine Kausalkette in Gang zu setzen, deren (Zwischen-)ziel die Verletzung des opfereigenen Rechtsguts ist.9 Wo es daran fehlt, der Erfolg gleichwohl dennoch eingetreten ist, sollte von einer Gefährdung gesprochen werden. Hier sind verschiedene Konstellationen denkbar. So können unter den Gefährdungsbegriff zunächst zwanglos unbewusste Gefährdungen subsumiert werden, bei denen der später Verletzte nicht nur den Erfolg keineswegs anstrebte, sondern auch das mit sei3 Vgl. Otto, FS Tröndle, S. 169; Murmann, Selbstverantwortung, S. 379; Berkl, Sportunfall, S. 80. 4 Inwieweit die Unterscheidung „gesetzlich vorgegeben“ ist, wie Otto, FS Tröndle, S. 169 meint, hängt davon ab, wie man die leerformelhaft benutzten Bezeichnungen mit Leben füllt. 5 Murmann, Selbstverantwortung, S. 379; Eisele, JuS 2012, 577 (578); Grünewald, GA 2012, 364; vgl. Bindokat, JZ 1986, 421 (422), der die Begriffe in einem ex-postSinn verwendet; unschlüssig auch BGHSt 32, 262 (265): „. . . lediglich eine bewusste Selbstgefährdung (und Selbstverletzung) des Stoffbesitzers . . . “. 6 s. auch Murmann, Selbstverantwortung, S. 380 f.; Berkl, Sportunfall, S. 80. 7 Otto, FS Tröndle, S. 169. 8 Luzón Peña, GA 2011, 295 (296); Degener, Schutzzweck der Norm, S. 341, 379; Berkl, Sportunfall, S. 80; Puppe, GA 2009, 486 (490); Eisele, JuS 2012, 577 (578). 9 Zaczyk, Selbstverantwortung, S. 44, 49 f.; Murmann, Selbstverantwortung, S. 380.
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Kap. 3: Der potentielle Anwendungsbereich der Einwilligung in ein Risiko
nem Verhalten verbundene Risiko nicht sah. Die als einverständliche oder eigenverantwortliche Gefährdung bezeichneten Fälle der Praxis sind dennoch andere: Typisch hierfür ist, dass das Risiko vom Rechtsgutsinhaber nicht gänzlich verkannt, sondern sein Eingehen gerade als erstrebenswert erachtet wurde, weil nur auf diesem Wege die Chance auf ein von ihm als wertvoll eingestuftes Erlebnis bestand, beispielsweise die Restauration zuvor beeinträchtigter Positionen (Gesundheit, Eigentum, Vermögen10) oder schlicht Unterhaltung bzw. Nervenkitzel.11 Diese Hoffnung wurde indes enttäuscht, stattdessen trat als Kehrseite und Nebenprodukt des riskanten Verhaltens der unerwünschte deliktische Erfolg ein, von dem die Möglichkeit eines positiven Ausgangs niemals ganz zu abstrahieren war („nur wer wagt, gewinnt“).12 Damit ist deutlich, dass eine (quasi-)fahrlässige Einstellung des Opfers zum Erfolgseintritt ebenso zu einer Einordnung des Sachverhaltes als Gefährdung führt wie sein zielgerichteter, erfolgsfixierter Wille es allein rechtfertigt, derartige Fälle unter dem Banner der Schädigung zu problematisieren. Die kaum begründete, scheinbar stillschweigend akzeptierte Vorgehensweise der herrschenden Meinung, sich zur Abgrenzung an den gesetzlich vorgegebenen Begehungsformen von Vorsatz und Fahrlässigkeit zu orientieren13, scheint damit nicht zu beanstanden. Es sei lediglich darauf hingewiesen, dass die obige Gefährdungsdefinition auch noch mit einer dem Eventualvorsatz entsprechenden Willensbeziehung zum Erfolg auf Seiten des Opfers kompatibel wäre. Von vornherein aus dem Bereich der Untersuchung auszuklammern sind dagegen Sachverhalte, in denen der Geschädigte den Kontakt einseitig als Schädigung definiert und (den anderen darüber im Unklaren lassend) entsprechende Vorkehrungen getroffen hat.14 Diese Konstellationen, welche teilweise ebenfalls unter dem Stichwort einverständliche Fremdgefährdung mitbesprochen werden15, sind nicht mehr solche der Gefährdung im hier verstandenen Sinne, was auch deshalb zweckmäßig erscheint, weil sich die Problematik einer Risiko-Einwilligung dort überhaupt nicht stellt.
10
Beispiele bei Frister, AT, 15/11 (Autoschlüsselreparatur), 15/27 (Operation). Hierhin gehört etwa die Betreibung zahlreicher Sportarten und von Aktivitäten wie „Auto-Surfen“ oder „Russisches Roulette“. Eine Unterteilung in Fallgruppen anhand des Risikozwecks nimmt Weber, FS Baumann, S. 43 f. vor. 12 Jakobs, AT, 7/126; Fiedler, Fremdgefährdung, S. 6; Müssig, Mord und Totschlag, S. 359. 13 U.a. Degener, Schutzzweck der Norm, S. 339 Fn. 839; Roxin, FS Gallas, S. 241 ff.; Eschweiler, Selbstgefährdung, S. 45; Kühl, AT, § 17 Rn. 82; Stratenwerth/ Kuhlen, AT, § 15 Rn. 36. 14 BGH, NStZ 2003, 537; OLG Nürnberg, NJW 2003, 454. 15 Beulke, FS Otto, S. 209 ff. fasst beide in der vorigen Fußnote zitierten Fälle unter die Fremdgefährdung; Roxin, AT I, § 11 Rn. 127, stellt für den Zivi-Fall BGH, NStZ 2003, 537 immerhin klar, dass es sich „um eine einverständliche Fremdgefährdung nur aus der Sicht des Angeklagten handelte“. 11
B. Die Fallgruppe der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung
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B. Die Fallgruppe der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung Der Streit über die Fallgruppe der einverständlichen Fremdgefährdung als Standort der Einwilligung in ein Risiko bezieht seine Überkomplexität nur in Teilen aus Uneinigkeiten über das Ergebnis, in viel stärkerem Maße aber aus Uneinigkeiten über den dogmatisch zutreffenden Weg dorthin. Aus diesem Grund erscheint die Methode, sämtliche Lösungsvorschläge nacheinander vollständig aufzuführen und miteinander zu vergleichen, wenig zielführend. Hierzu sind sie sich in den angewandten Kriterien zu ähnlich, in der Konstruktion hingegen zu verschieden. Zunächst auf dem Prüfstand steht daher allein die Berechtigung des von Rönnau als Vermutung formulierten Wunsches, einer Behandlung der einverständlichen Fremdgefährdung innerhalb der objektiven Zurechnung möge „strafrechtsdogmatisch die Zukunft gehören“ 16. Die Gründe, weshalb Fälle der einverständlichen Fremdgefährdung in der Lehre von der objektiven Zurechnung überhaupt Fuß fassen konnten, hängen mit der benachbarten und besser erforschten Fallgruppe der Ermöglichung eigenverantwortlicher Selbstgefährdung zusammen, welche heute unstreitig als Tatbestandsproblem eingeordnet wird. Von diesem stabileren Fundament aus nähert man sich über das Suchen von Gemeinsamkeiten der Eingliederung der hier interessierenden Sachverhalte in die Zurechnungslehre an. Um die diskutierten Gemeinsamkeiten und Unterschiede nachvollziehen zu können, ist deshalb zunächst der Grund für die Straflosigkeit der Beteiligung an eigenverantwortlicher Selbstgefährdung herauszustellen.
I. Dogmatische Grundlagen der straflosen Beteiligung an eigenverantwortlicher Selbstgefährdung Der Bundesgerichtshof hat 1984 erkannt, dass jemand, der sich Drogen beschafft und sie selbst konsumiert, nicht in irgendetwas „einwilligt“. Die Einwilligung passt als rein passives Einverstandensein ihrer arteigenen Struktur nach nicht17, da sie sich nur auf die Beeinträchtigung eigener Güter durch fremde Hand bezieht.18 Eine Konstruktion, bei der jemand einen anderen von Strafe befreit, indem er sich selbst eine eigene Handlung „erlaubt“, ist umständlich und lebensfern. Zudem fehlt es bei nachzeitigem Opferverhalten, wenn das Opfer sich erst nach dem Täterbeitrag zur Selbstgefährdung durch eigenes Handeln entschließt, an der zeitlichen Koinzidenz von Selbstgefährdungsentschluss und Täterhandeln.19 In der Tatbestandslosigkeit des Verhaltens eines an der eigenverant16
Rönnau, in: LK-StGB, Vor § 32 Rn. 169. Vgl. Eschweiler, Selbstgefährdung, S. 35; Amelung/Eymann, JuS 2001, 937 (938); Rudolphi, JuS 1969, 549 (556 Fn. 57), allerdings ohne wirkliche Begründung. 18 Derksen, Handeln auf eigene Gefahr, S. 87. 19 Derksen, Handeln auf eigene Gefahr, S. 87. 17
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Kap. 3: Der potentielle Anwendungsbereich der Einwilligung in ein Risiko
wortlichen Selbstgefährdung Mitwirkenden hat sich letztendlich eine verfassungsrechtlich begründbare Wertung durchgesetzt, die bereits für die Selbstschädigung angeführt wird und näher erläutert wurde20: Eigene Rechtsgüter selbst in Gefahr zu bringen ist ebenso erlaubt, wie diese zu schädigen. Die psychische Beziehung des Opfers zum Erfolg ist bei beiden Verhaltensweisen nicht von Relevanz.21 Daraus ergibt sich zunächst die Wertung, dass auch das die freiverantwortliche Handlung fördernde Tun nicht strafbar sein kann.22 Deren strafrechtsdogmatische Absicherung gestaltet sich anspruchsvoller als beim Mitwirkenden an einer Selbstschädigung, was seine Gründe vor allem im umstrittenen Aufbau des Fahrlässigkeitsdelikts hat. Der BGH zieht wie erläutert erneut das vordergründige Teilnahmeargument heran und wendet es „erst Recht“ auf Gefährdungssituationen an.23 Da es bei der Beteiligung an der Selbstgefährdung in vielen Fällen um fahrlässiges Verhalten gehen wird, erscheint eine Orientierung an den Beteiligungsformen beim vorsätzlichen Delikt endgültig nur noch dann friktionslos möglich, wenn man sich vom dort weitgehend anerkannten Einheitstäterbegriff distanziert24, ein Vorgehen, was den Grundmangel des Teilnahmearguments, dass es überhaupt nicht um Teilnahme geht25, aber ebenso wenig beseitigen kann. Geht man diesen Schritt nicht, bleiben zahlreiche Möglichkeiten26, parallel zur fehlenden Tatbestandsmäßigkeit des Opferverhaltens die Tatbestandsmäßigkeit des Beteiligtenhandelns zu negieren. Es lassen sich grob zwei Hauptpfade trennen, die seit ca. 25 Jahren unter dem abstrakten Oberbegriff „Prinzip der Eigenverantwortlichkeit“ 27 diskutiert werden. Wirklich klare Konturen hat dieses Prinzip bis heute nicht erhalten28, obwohl der dahinter verborgene Grundgedanke als allgemein anerkannt angesehen werden kann.29 Es taucht vielmehr als eine „unselbstständige Komponente“ 30 in anerkannten Rechtsinstituten – vor allem der Lehre von der objektiven Zurechnung – auf. 20
s. Kapitel 1, B. I. Vgl. Kapitel 1, C. I. 22 Vgl. Walther, Eigenverantwortlichkeit, S. 125: „Ist die unmittelbare Selbstschädigung materiell nicht strafwürdig, ist es die Beteiligung hieran auch nicht“ [Hervorhebung im Original]. Zu der abweichenden Position von Zaczyk, Selbstverantwortung, S. 49 ff.; s. noch unten, Kapitel 3, B. II. 2. b) cc). 23 BGHSt 32, 262 (264). 24 So Walther, Eigenverantwortlichkeit, S. 117 ff.; Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff, S. 151, 300 et passim. 25 Dazu Kapitel 1, B. II. 1. a). 26 Für einen ausführlichen Überblick sei auf Walther, Eigenverantwortlichkeit, S. 14 ff. verwiesen. 27 Auch als Verantwortung, Selbstverantwortung, Selbstverantwortlichkeit, Eigenverantwortung oder Autonomie bezeichnet. 28 Vgl. Rönnau, in: LK-StGB, Vor § 32 Rn. 169. 29 Kühl, AT, § 4 Rn. 83; Mayer, Produktverantwortung, S. 375 f.; Schmoller, FS Triffterer, S. 249 (auch in Österreich). 30 Fiedler, Fremdgefährdung, S. 118; Hähle, Sportverletzungen, S. 121. 21
B. Die Fallgruppe der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung
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Mehrheitlich wird die Eigenverantwortlichkeit als Problem der Erfolgszurechnung und der Abgrenzung von Verantwortungsbereichen begriffen.31 Aus der Perspektive der Fahrlässigkeitsdogmatik betrachtet stellen sich die Erklärungsansätze als Versuche einer Restriktion des Einheitstäterbegriffs dar.32 Zunehmend in der Kritik33, doch nach wie vor vermehrt aufzufinden ist der Weg, Selbstgefährdungsfälle über den (fehlenden) Schutzzweck der Tatbestandsnorm34 einer Lösung zuzuführen.35 Otto sieht hingegen den Gedanken einer Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs durch ein vom Opfer gesteuertes Verhalten als maßgeblich an, wobei er mit dem Kriterium der Steuerbarkeit – anders, als der Wortsinn es verheißen mag – kein naturalistisches Datum meint, sondern eine normative Rückführbarkeit des Geschehens auf eine Person als deren Werk.36 Ebenfalls vertreten wird ein regressverbotsverwandtes „Verantwortungsprinzip“ bei der Erfolgszurechnung, wonach eine Haftung für Handlungen, die nur mittelbar über einen anderen zum Erfolg führen, an der Verantwortung des Opfers für sein eigenes Verhalten scheitere.37 Als zweite Möglichkeit wäre denkbar, demjenigen, der die Selbstgefährdung eines anderen lediglich ermöglicht, kraft dessen Eigenverantwortlichkeit keine Schaffung einer rechtlich missbilligten Gefahr vorzuwerfen und den Streit damit wieder auf die Ebene der fehlenden Entstehung von Handlungsunrecht38 zu ver31
Zusammenfassend Christmann, Jura 2002, 679 (681 f.). Vgl. Schumann, Prinzip der Selbstverantwortung, S. 108 ff.; Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff, S. 199 ff. 33 Ausführlich jeweils Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 82 ff.; Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff, S. 193 f.; Degener, Schutzzweck der Norm, S. 48 ff., 73 ff., 341 ff.; Murmann, Selbstverantwortung, S. 392. Dazu noch unten, Kapitel 4, B. III. 1. 34 Dieser ist nicht zu verwechseln mit dem Schutzzweck der übertretenen Sorgfaltsnorm, was – wie Roxin, AT I, § 11 Rn. 87 bemängelt – in der Diskussion kaum einmal beachtet wird. Bei der Frage, ob der Schutzzweck der Tatbestandsnorm Selbstgefährdungen (oder Fremdgefährdungen) umfasst, geht es gemäß dieser Ansicht letztlich um die Reichweite des Tatbestandes. Ausführlich zu den einzelnen Strömungen der Schutzzwecklehre Degener, Schutzzweck der Norm, S. 14 ff. 35 Grundlegend Roxin, FS Gallas, S. 241 ff.; ders., AT I, § 11 Rn. 107 ff.; weiterhin Schünemann, NStZ 1982, 60 ff.; Stree, JuS 1985, 179 (181); Wessels/Beulke, AT, Rn. 186; Beulke/Schröder, NStZ 1991, 393; Fünfsinn, StV 1985, 57; Schmoller, FS Triffterer, S. 250; Eschweiler, Selbstgefährdung, S. 11; Amelung/Eymann, JuS 2001, 937 (938); Geppert, Jura 2001, 490 (491); Hammer, JuS 1998, 785 (787); Berkl, Sportunfall, S. 98; Hähle, Sportverletzungen, S. 138; Walther, Eigenverantwortlichkeit, S. 142; Burgstaller, Fahrlässigkeitsdelikt, S. 121 (dort als Fehlen des „Risikozusammenhanges“ bezeichnet); Kudlich, in: SSW-StGB, Vor § 13 Rn. 59; Hinderer/Brutscher, JA 2011, 907 (909). 36 Otto, AT, § 6 Rn. 44 ff., 61; ders., Jura 1984, 536 (539); zur Kritik Murmann, Selbstverantwortung, S. 394 ff.; dem weitgehend zustimmend Duttge, FS Otto, S. 243. 37 Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder, Vor § 13 Rn. 101; Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, § 15 Rn. 165; Schumann, Prinzip der Selbstverantwortung, S. 108 ff.; Renzikowski, in: Matt/Renzikowski, Vor § 13 Rn. 119. 38 Verstanden als sorgfaltswidriges Verhalten beim Fahrlässigkeitsdelikt, vgl. Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, § 15 Rn. 121 ff. 32
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Kap. 3: Der potentielle Anwendungsbereich der Einwilligung in ein Risiko
lagern. Jene Einsicht scheint sich vor allem in der neueren Diskussion und der Betonung der Selbstschädigung und -gefährdung als fehlendes Strafunrecht stärker durchzusetzen.39 Einen Mittelweg gehen all diejenigen, die die Selbstgefährdungsfälle ausdrücklich aufspalten in solche, bei denen die Selbstgefährdung bereits die Sorgfaltspflichtwidrigkeit des Täterhandelns entfallen lässt und solche, bei denen sie nur deren Realisierung im Erfolg verhindert.40 Der Ansicht, welche die Ermöglichung einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung als Problem des rechtlich nicht missbilligten Risikos ansieht, ist der Vorzug zu geben. Nach den Ausführungen zur fehlenden Unrechtsqualität der Selbstverletzung aufgrund der umfassenden Anerkennung der Autonomie des Rechtsgutsinhabers und dem Fehlen von Interpersonalität erscheint allein konsequent, den Gedanken fehlenden Handlungsunrechts auch auf Unterstützungshandlungen zu erstrecken. Wer einer anderen Person Drogen verkauft oder sie dazu ermuntert, bei einem gefährlichen Autorennen mitzufahren, schafft kein rechtlich missbilligtes Risiko eines Körperverletzungs- oder Todeserfolgs gegenüber dieser konkreten Person, weil ihr nicht verboten werden kann, sich durch eigenes Handeln in Gefahren zu begeben und ihr vom Dritten lediglich die Option dazu eröffnet wird.41 Der dagegen geltend gemachte Einwand, die rechtliche Missbilligung des Risikos könne nicht von einem Verhalten des Opfers abhängen42, trifft den Punkt nicht, weil entscheidend für die Bewertung des Täterverhaltens nicht ist, was der Gefährdete tut, sondern das, was er in dem Zeitpunkt, in dem der Täter seinen Beitrag erbracht hat, noch nicht getan hat und noch tun müsste. Eine gewisse Nähe zu der hier gegebenen Erklärung für die Straflosigkeit des Dritten weisen die Erklärungsansätze auf, die entweder das Fehlen der rechtlichen Missbilligung des Risikos43 oder seine Nichtrealisierung im Erfolg44 der 39 Frisch, JuS 2011, 116 (119); ders., in: Leipold (Hrsg.), Selbstbestimmung, S. 123 (dort mit einer – entgegen seiner sonstigen Ansicht – klassischen Sinngebung des Selbstgefährdungsbegriffes, wonach „das Opfer die unmittelbare Handlung selbst vornimmt“ [Hervorhebung im Original]); Puppe, in: NK-StGB, Vor § 13 Rn. 185; Murmann, Selbstverantwortung, S. 397 ff.; Freund, JuS 1997, 235 (237); ders., in: MKStGB, Vor § 13 Rn. 383; Eschweiler, Selbstgefährdung, S. 18 f.; Hardtung, NStZ 2001, 206 (207); Mayer, Produktverantwortung, S. 379; Degener, Schutzzweck der Norm, S. 259, 346 ff.; früher bereits Rudolphi, JuS 1969, 549 (556); Kellner, Einwilligung, S. 52a. 40 Mit im Einzelnen unterschiedlicher Ausgestaltung Cancio Meliá, ZStW 111 (1999), 357 (372 ff.); Puppe, ZIS 2007, 247 (250 ff.); M. Heinrich, in: HK-GS, Vor § 13 Rn. 133 f. 41 Vgl. schon die Ausführungen in Kapitel 1, C. I. 42 Roxin, AT, § 11 Rn. 107; ders., JZ 2009, 399 (400); Hellmann, FS Roxin I, S. 274; Zaczyk, Selbstverantwortung, S. 50. 43 Degener, Schutzzweck der Norm, S. 344; Kindhäuser, LPK-StGB, Vor § 13 Rn. 118 f. 44 Kühl, AT, § 4 Rn. 84; Schumann, Prinzip der Selbstverantwortung, S. 110; Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder, Vor § 13 Rn. 101; Walther, Eigenverantwortlichkeit,
B. Die Fallgruppe der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung
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Eigenhändigkeit der Gefahrschaffung durch das Opfer zuschreiben. Im Gegensatz dazu – das ist von dem genauen Prüfungsort des Selbstverantwortungsgedankens innerhalb der Lehre von der objektiven Zurechnung ebenfalls nicht abhängig – stützen sich andere besonders auf die Freiverantwortlichkeit der Opferentscheidung45 als Grund für den Zurechnungsausschluss.46 Dass letztere für die Strafbarkeit des Beteiligten von entscheidender Wichtigkeit ist, zeigt sich daran, dass die Diskussion um die Täterschaft des Mitwirkenden dort beginnt, wo die Entscheidung für das Risiko im Verdacht steht, defizitär zu sein.47 Wie weit allerdings die von Frisch herausgehobene „Dominanz des Autonomiegedankens“ 48 in Gefährdungsfällen reicht und ob sie so erdrückend ist, dass die freiverantwortliche Opferentscheidung nicht nur als notwendige Bedingung für den Ausschluss von strafrechtlicher Verantwortlichkeit, sondern sogar als hinreichende Bedingung für einen Zurechnungsausschluss gesehen wird, ist nach dem bisher Gesagten fraglich.49 Dieser bereits in der (fehlenden) Begründung der Straflosigkeit der Selbstgefährdungsbeteiligung angelegte Streit entfaltet sich in vollem Umfang bei der benachbarten Fallgruppe, der einverständlichen Fremdgefährdung.
II. Bemühungen einer vollständigen Vereinheitlichung der Gefährdungssachverhalte Die weitaus überwiegende Ansicht scheidet vom Problemkomplex der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung jene Fälle, in denen sich der Rechtsgutsinhaber willentlich und in Kenntnis der Gefahr in den Bereich eines von einem anderen aktiv gesteuerten riskanten Kausalverlaufs begibt und bezeichnet diese als einverständliche Fremdgefährdung.50 Dass die Bezeichnung auch anderweitig
S. 80 et passim; Herzberg, JA 1985, 265 (271); Walter, in: LK-StGB, Vor § 13 Rn. 112; Amelung/Eymann, JuS 2001, 937 (938). 45 Bereits die Sorgfaltspflichtwidrigkeit schließt deswegen Puppe, AT, § 6 Rn. 4, 8; dies., ZIS 2007, 247 (251) aus; die Erfolgszurechnung dagegen Otto, AT, § 6 Rn. 62; ders., FS Tröndle, S. 171 f.; Schünemann, JA 1975, 715 (723); Geppert, Jura 2001, 490 (493). 46 Anschaulich zu dem oft versteckten Unterschied in der Begründung Duttge, FS Otto, S. 241 f., der Ottos Konzept in Richtung eines stärker an der tätlichen Ausübung von Autonomie ausgerichteten „ummodelliert“. 47 s. z. B. BGH, NStZ 2001, 205. Welche Risikokenntnis für eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung benötigt wird, ist nach wie vor umstritten, vgl. Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, § 15 Rn. 167 f. m.w. N.; ausführlich Walther, Eigenverantwortlichkeit, S. 158 ff. 48 Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 116. 49 Als offen betrachtet dies auch Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 116 Fn. 75. 50 Vgl. nur BGHSt 53, 55; Roxin, AT I, § 11 Rn. 121 ff.
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Kap. 3: Der potentielle Anwendungsbereich der Einwilligung in ein Risiko
mit Leben gefüllt werden kann und mittlerweile wird51, verkompliziert den Streit schon in seiner Darstellung zusätzlich, jedenfalls aber liegt allen Ansichten zu Grunde, dass die einverständliche Fremdgefährdung Konstellationen erfasst, in denen nicht das Opfer allein und in Kenntnis aller Risiken die gefährliche Handlung ausführt, der Dritte mithin das Geschehen in stärkerem Maße „besetzt hält“. Wenn zu untersuchen ist, ob eine Haftungsbegrenzung hier ein Tatbestandsproblem ist, so seien die bereits angedeuteten Grenzen dieser Fragestellung ein zweites Mal verdeutlicht. Mit der Entscheidung für eine bestimmte Stelle im Verbrechensaufbau lässt sich keine Entscheidung über die Behandlung im Ergebnis und im Verhältnis zur eigenverantwortlichen Selbstgefährdung verbinden. So sind Betonungen der grundlegenden Verschiedenheit beider Verhaltensmuster verbunden mit dem Drängen auf eine deliktssystematische Vereinheitlichung 52 ebenso aufzufinden wie Plädoyers für eine umfassende ergebnisbezogene Gleichstellung von Fremd- und Selbstgefährdung bei größtmöglicher Abweichung im strafrechtsdogmatischen Lösungsweg.53 Die Suche nach dem richtigen Prüfungsort der einverständlichen Fremdgefährdung gestaltet sich wie bereits angedeutet meist als Suche nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden zu angrenzenden, besser dogmatisch durchdrungenen Haftungsbegrenzungstopoi. Voraussetzung für das Funktionieren dieser Übertragung wäre allerdings, dass sie auf zutreffenden Prämissen beruht oder sich die Dinge durch die Unterschiedlichkeit der Lebenssachverhalte nicht geändert haben. Dies zu belegen, stellt das Hindernis dar, welches sich der vermeintlich einfachen Lösung in den Weg stellt. 1. Ältere Lösungsmodelle auf Tatbestandsebene Nicht oder nur in Ansätzen erfolgt ist die Diskussion um Unterschiede und Parallelen zur Selbst- und Fremdschädigung im älteren Schrifttum. Denn wie die Rechtsprechung trennte auch die Lehre noch nicht zwischen Selbst- und Fremdgefährdung. Die von Roxin erstmals getroffene Unterscheidung setzte sich erst im Anschluss an BGHSt 32, 262 wirklich durch, so dass zuvor entwickelte Tatbestandslösungen für sämtliche Formen selbstgefährdenden Opferverhaltens Geltung beanspruchen sollten, wie es zu dieser Zeit ebenso die Einwilligung in ein Risiko tat. Die in den sechziger und siebziger Jahren entwickelten Alternativlösungen wurden vor allem in kritischer Auseinandersetzung mit diesem Rechts-
51 Vgl. Frisch, NStZ 1992, 1 ff., 62 ff.; Murmann, Selbstverantwortung, S. 315 ff.; Schünemann, JR 1989, 90. 52 Roxin, FS Gallas, S. 250 ff.; Duttge, FS Otto, S. 243 ff.; Hellmann, FS Roxin I, S. 282. 53 Besonders Beulke, in: FS Otto, S. 207 ff., der dies dadurch erreicht, dass er §§ 216, 228 keinerlei Bedeutung für Gefährdungskonstellationen einräumt.
B. Die Fallgruppe der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung
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institut gewonnen. Argumentative Munition erhielten die Kritiker durch ein Urteil des 6. Zivilsenats des BGH aus dem Jahr 1961, in welchem dieser vergleichbare Haftungsfälle einer Lösung über §§ 254, 242 BGB zugeordnet und die Einwilligung als Lösungsmodell ausdrücklich verworfen hatte.54 Man nahm sich diese Entscheidung und deren Begründungsgang zum Vorbild, obwohl man über ein dem § 254 BGB entsprechendes Instrumentarium im StGB nicht verfügt und vielmehr zivilistische Ideen auf ihre Kompatibilität mit dem Strafrecht zu prüfen hat. Nicht immer wurde darauf geachtet. Diese Kritik trifft vorrangig die dogmatische Ausgestaltung der Konzeption von Fiedler, der im Anschluss an zivilrechtliche Vorarbeiten55 die einverständliche Fremdgefährdung über eine umfassende Interessenabwägung auf Tatbestandsebene lösen will.56 Flankiert von Kritik an der Einwilligung in ein Risiko57 und Ausführungen über die Schwierigkeit einer phänomenologischen Trennung von Selbst- und Fremdgefährdung58, dienen als Einfallstor für die Einbringung dieser Abwägungsidee in das Strafrecht umfangreiche viktimologische Erwägungen zur Strafwürdigkeit des Täters.59 Letztere sei schlussendlich anhand einer Einzelfallgewichtung zwischen dem vom Täter geschaffenen Risiko und dem Maß an „Eigenverantwortlichkeit“ des Opfers60 zu ermitteln. Zu beachten ist aber, dass viktimologisches Gedankengut nichts über dessen dogmatische Verankerung auszusagen in der Lage ist61 und deshalb die Berufung auf die Viktimologie nicht davon entbindet, diese Frage positiv zu klären. Fiedlers „Kriteriencocktail“ 62 steht daher als Fremdkörper ohne wirklichen Bezugspunkt innerhalb des Tatbestandes da. Derartige Unklarheiten sind selten. Zumeist griffen ältere Ansätze die schon vom Reichsgericht vorgenommene und vom BGH lange nicht völlig fallengelas54
BGHZ 34, 355. Insbesondere Münzberg, Verhalten und Erfolg, S. 259 ff., 305 ff. et passim; vgl. auch Fiedler, Fremdgefährdung, S. 178. 56 Fiedler, Fremdgefährdung, S. 178 ff., der seine Konstruktion offenbar als Zurechnungsausschluss versteht (S. 181), aber nicht darauf eingeht, welche Kategorie der objektiven Zurechnung betroffen ist. 57 Fiedler, Fremdgefährdung, S. 59 ff. 58 Fiedler, Fremdgefährdung, S. 157 ff. Trotzdem will Fiedler der Fremdgefährdung nicht die Bedeutung als eigene Fallgruppe absprechen, sie sei „nur graduell aber nicht prinzipiell“ von der Selbstgefährdung zu unterscheiden und folge anderen Zurechnungsregeln (S. 169). 59 Fiedler, Fremdgefährdung, S. 121 ff. 60 Diese ergibt sich für Fiedler aus verschiedenen Faktoren, etwa der Zuständigkeit für Selbstschutz (Fremdgefährdung, S. 180) oder der Tatsache, dass das Opfer den Täter für seine Zwecke „einspannt“ (S. 184). 61 Mitsch, Rechtfertigung, S. 61: „. . . nicht die „Strafwürdigkeit“ oder die [. . .] „Strafbedürftigkeit“ entscheiden über die Strafbarkeit, sondern Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit und Schuld“. Kritisch zur Viktimologie im Zusammenhang mit der Selbstverantwortung Cancio Meliá, ZStW 111 (1999), 357 (370 ff.): „. . . ein zu seinem dogmatischen Umfeld verbindungsloser Findling“. 62 Hähle, Sportverletzungen, S. 152. 55
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Kap. 3: Der potentielle Anwendungsbereich der Einwilligung in ein Risiko
sene Einordnung der Fälle bei der Sorgfaltspflichtwidrigkeit des fahrlässigen Täterverhaltens63 wieder auf. Die frühen Ansätze hielten sich für die Implementierung des Opferverhaltens an Begrifflichkeiten aus dem Zivilrecht – wie dem Handeln auf eigene Gefahr64 oder der Verletzung einer Obliegenheit65 – oder an strafrechtliche, welche auch im Zivilrecht Fuß gefasst hatten, beispielsweise der Lehre von der Sozialadäquanz66 oder vom erlaubten Risiko67, welcher Welzel zu größerer Bekanntheit verhalf. Was die beiden letzteren Figuren angeht, so besteht seit Längerem große Übereinstimmung im Schrifttum darüber, dass sie weitgehend untauglich sind, Probleme der Opfermitverantwortung im Gefährdungssektor zu lösen.68 Dieser über die Jahrzehnte stetig wiederholten Kritik ist in aller Kürze beizupflichten. Geht es nicht um die allgemeine Standardisierung von Verhaltensmaßstäben, sondern um konkret-individuelle Opferentscheidungen für das Eingehen von Risiken aus unterschiedlichsten Lebensbereichen, sind diese Begriffe zu leerformelhaft und grobschlächtig, um den dahinter verborgenen Schwierigkeiten eine angemessene strafrechtsdogmatische Heimstatt zu bieten. Sie können nur diskutabel sein, wo erforderlich ist, die Missbilligungsfrage als die einer speziellen Gefahrensituation selbst und damit eine der individuellen Opferentscheidung vorgelagerte zu erfassen und zu klären.69 Dies betrifft bestimmte, abgrenzbare Bereiche sozialen Zusammenlebens, welche der Natur der Sache nach stets mit Gefahren verbunden, aber gesellschaftlich allgemein akzeptiert sind und deshalb über eigene Regularien verfügen. Allein dort – zu nennen wäre in diesem Zusammenhang die Teilnahme am Straßenverkehr oder am Sport – lässt sich ein Anwendungsfeld für Sozialadäquanz oder erlaubtes Risiko konstruieren.70
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Vgl. Kapitel 2, B. Preuß, Erlaubtes Risiko, S. 144 ff., der das Handeln auf eigene Gefahr als Fallgruppe des erlaubten Risikos begreift; vgl. zu den zivilistischen Ursprüngen BGHZ 34, 355 ff.; Stoll, Handeln auf eigene Gefahr, passim; Hansen, Einwilligung, S. 129 ff. 65 P. Frisch, Fahrlässigkeitsdelikt, S. 119 f. 66 Zipf, Einwilligung, S. 77 ff.; Hirsch, ZStW 74 (1962), 78 (95 f.), in Gestalt der Lehre vom sozialinadäquaten Risiko, die der Opferentscheidung schon mehr Bedeutung beimisst; Geppert, ZStW 83 (1971), 947 (992). 67 Heute noch Krey/Esser, AT, Rn. 675; Duttge, in: MK-StGB, § 15 Rn. 135 mit abweichender Fundierung. 68 Dach, Einwilligung, S. 15, 24; Fiedler, Fremdgefährdung, S. 83 f.; Kellner, Einwilligung, S. 41 ff.; Walther, Eigenverantwortlichkeit, S. 24 f.; Zaczyk, Selbstverantwortung, S. 50; Derksen, Handeln auf eigene Gefahr, S. 105 ff.; Quillmann, Einwilligung, S. 70 ff.; Ensthaler, Einwilligung, S. 38 ff.; P. Frisch, Fahrlässigkeitsdelikt, S. 162; Lasson, ZJS 2009, 359 (366); skeptisch auch Beulke, FS Otto, S. 213. 69 Puppe, ZIS 2007, 247 (250); Walther, Eigenverantwortlichkeit, S. 24 f.; Ensthaler, Einwilligung, S. 37; Rönnau, in: LK-StGB, Vor § 32 Rn. 169. 70 Vgl. dazu noch unten, Kapitel 3, C. III. 3. a). 64
B. Die Fallgruppe der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung
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2. Ablehnung der einverständlichen Fremdgefährdung als eigene Fallgruppe Wenn angesichts dessen Roxin als Kritiker einer Pflichtwidrigkeitslösung für Gefährdungssachverhalte in einem neueren Beitrag bereits einen Abgesang auf diese Lösung (explizit für die einverständliche Fremdgefährdung) verfasst71, könnte jener gleichwohl verfrüht sein. Angesichts der wachsenden Bereitschaft, jedenfalls die Beteiligung an fremder Selbstgefährdung nicht mehr über die rein sekundärrechtlichen Teilnahmeerwägungen straflos zu stellen, sondern sich Gedanken über die materielle Unrechtsqualität derartiger Unterstützungshandlungen zu machen72, kann ein Sorgfaltspflichtwidrigkeitsmodell bei der eng verwandten Fremdgefährdung insgesamt noch nicht auf den Stapel rechtshistorischer Theorien gelegt werden. Denn bei der Sorgfaltspflichtverletzung als dem Handlungsunwert des Fahrlässigkeitsdeliktes handelt es sich richtigerweise lediglich um eine Umschreibung für die gleichermaßen bei Vorsatzdelikten notwendige rechtlich missbilligte Risikoschaffung73 als Teil der objektiven Zurechnung74, an jener fehlt es bei der Ermöglichung eigenverantwortlicher Selbstschädigung und -gefährdung. Es ergeben sich freilich Bedenken, dass eine mit Rechtsunsicherheit verbundene Überfrachtung des Sorgfaltspflichtwidrigkeitskriteriums zu befürchten steht, wenn ihm allein die Bewältigung von sämtlichen, in ihren Einzelheiten höchst unterschiedlichen Fällen des „Opfermitverschuldens“ in Gefahrensituationen aufgebürdet wird.75 Vor allem jedoch erschließt sich der Weg über den Ausschluss der Sorgfaltspflichtverletzung gerade für die hier interessierenden Fälle, die nach klassischem Verständnis unter die einverständliche Fremdgefährdung gefasst werden, auf Anhieb nicht. Diese sind durch einen geringen Handlungsbeitrag des Opfers gekennzeichnet, während gleichzeitig oder dem passiven Opferverhalten noch nachfolgend ein dominanter Täterbeitrag gegeben ist, der unmittelbar in den Erfolg mündet. Es wurde jedoch bereits gezeigt, dass an der rechtlichen Missbilligung des Täterverhaltens in solchen Fällen sogar dann kein Zweifel besteht, wenn der Rechtsgutsträger sein Rechtsgut ausdrücklich verletzt sehen will. Seine Entscheidung ist für sich nicht dazu geeignet, die rechtliche Missbilligung des Täterverhaltens zu dessen Gunsten zu beeinflus-
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Roxin, JZ 2009, 399 (400). Vgl. Fn. 39 dieses Kapitels. 73 So (als Bestandteil der Lehre von der objektiven Zurechnung verstanden) Frister, AT, 12/2; Roxin, AT I, § 24 Rn. 12; Gropp, AT, § 12 Rn. 70 ff. sowie (als Bestandteil der Lehre vom tatbestandsmäßigen Verhalten) Frisch, FS Roxin I, S. 221, 232; Murmann, Selbstverantwortung, S. 390; Schlehofer, in: MK-StGB, Vor § 32 Rn. 131; a. A. Duttge, in: MK-StGB, § 15 Rn. 103. 74 Vgl. nur Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 33 f. 75 Roxin, JZ 2009, 399 (400); Beulke, FS Otto, S. 213; Dölling, FS Geppert, S. 55. 72
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Kap. 3: Der potentielle Anwendungsbereich der Einwilligung in ein Risiko
sen76, sie erlangt, wenn sie auf Preisgabe des Rechtsguts gerichtet ist, nur als (rechtfertigende) Einwilligung Bedeutung. Es spricht daher zunächst einiges dafür, die Verortung der einverständlichen Fremdgefährdung sowohl bei der Sorgfaltspflichtwidrigkeit als auch schlechthin im Tatbestand für verfehlt zu halten, jedenfalls dann, wenn sich die für die Schädigung geltend gemachte Notwendigkeit einer Scheidung von Selbst- und Fremdschädigung auf der Gefährdungsebene aufrechterhalten lässt. Wie gezeigt hat vor allem die Rechtsprechung die Fallgruppe der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung mittels einer Erst-RechtErweiterung des Teilnahmearguments deduziert, wodurch auch die davon abzugrenzende einverständliche Fremdgefährdung mit übernommen wurde. Im Schrifttum hat man dem weitgehend zugestimmt.77 Ein derartiges Stufenverhältnis von Gefährdung (minus) und Schädigung (plus) entspringt einer Perspektive, welche die Autonomie des Opfers bezogen auf die objektive Rechtsgutsbeeinträchtigung als maßgeblich in den Blick nimmt. Dennoch ist Vorsicht geboten: Das Teilnahmeargument ist wie gezeigt falsch und aus dem Plus-Minus-Verhältnis von Vorsatz und Fahrlässigkeit und der Tatsache, dass mit „Schädigung“ häufig vorsätzliche und mit „Gefährdung“ fahrlässige Tatbegehung einhergehen, lässt sich nicht ableiten, dass auch die für die Schädigung gültigen Unterscheidungsgrundsätze im Wege eines Erst-RechtSchlusses auf die Gefährdung erstreckt werden können, die unterschiedlichen Täterbegriffe sprechen sogar eher dagegen.78 Im neueren Schrifttum sind daher Forderungen nach einer „Gleichbehandlung“ der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung mit der einverständlichen Fremdgefährdung zahlreich.79 Bei genauer Betrachtung zeigt sich freilich, dass hiermit jedenfalls strafrechtsdogmatisch nicht stets dasselbe gemeint ist, vielmehr die Gleichbehandlung mit unterschiedlicher Vehemenz gefordert wird und an unterschiedlichen Punkten damit Ernst gemacht werden soll. Am konsequentesten setzen das Gleichbehandlungsideal diejenigen um, die zu einer wörtlich genommenen Gleichbehandlung erst gar keinen Anlass geben, da sie die Berechtigung, die einverständliche Fremdgefährdung als eigenständige Fallgruppe anzuerkennen, von vornherein leug76 Vgl. auch Frister, AT, 10/2, 15/14, der den Kausalverlauf, nicht aber die „außerhalb des Kausalverlaufs liegende Zustimmung des Opfers“ als Maßstab für die generelle Missbilligung des Risikos nimmt; darüber hinausgehend gar nicht vom Opfer abhängig sehen die rechtlich missbilligte Gefahrschaffung Roxin, JZ 2009, 399 (400); Hellmann, FS Roxin I, S. 274; Zaczyk, Selbstverantwortung, S. 50; hiergegen bereits oben, Kapitel 3, B. I.; abweichend Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 117; anders später aber ders., NStZ 1992, 1 (7). 77 Dölling, GA 1984, 71 (77); Roxin, FS Gallas, S. 246; Horn, JR 1984, 513; Hellmann, FS Roxin I, S. 283; Stree, JuS 1985, 179 (181); Sternberg-Lieben, in: Schönke/ Schröder, § 15 Rn. 165; Rudolphi, in: SK-StGB, Vor § 1 Rn. 79. 78 s. bereits oben, Kapitel 1, B. II. 1. b). 79 Einen kurzen Überblick über die verschiedenen Ansätze bietet Rönnau, in: LKStGB, Vor § 32 Rn. 165 ff.
B. Die Fallgruppe der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung
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nen.80 Man könnte diese Strömung deshalb als Einheitstheorie bezeichnen. Timpe bringt ihren Inhalt auf den Punkt, wenn er ausführt, die einverständliche Fremdgefährdung sei „nur die arbeitsteilig realisierte Variante einer eigenverantwortlich gewollten Selbstgefährdung [. . .] und damit ein Sonderfall der eigenverantwortlich gewollten Selbstgefährdung“ 81. Nicht immer geht es darum, im Einklang mit dem Reichsgericht im Memel-Fall in der einverständlichen Fremdgefährdung primär ein Problem der fehlenden Sorgfaltspflichtverletzung zu sehen.82 Man ist sich innerhalb dieser Meinungsgruppe allerdings zumindest darin einig, sie auf Tatbestandsebene einzuordnen.83 Kritik am herrschenden „Trennungsdogma“ setzt an verschiedenen Stellen an. a) Kritik an der Vorgehensweise der h. M. und Gegenkritik Nicht zur Begründung ausreichend ist der gelegentlich auffindbare Hinweis, es handele sich bei den Schranken der Autonomie des Rechtsgutsinhabers, wie sie in den §§ 216, 228 zur Geltung kommen, um strafrechtliche Ausnahmevorschriften, mangels Übertragbarkeit auf den Gefährdungsbereich scheide eine Trennung der Fremd- und der Selbstgefährdung aus.84 Nicht ausreichend deshalb, weil mit diesem Einwand – ebenso allerdings mit dem noch deutlich gängigeren Argument für die Notwendigkeit einer Trennung, diese ergebe sich (zumindest auch) aus der Existenz von §§ 216, 22885 – die Diskussion auf einer rein positivrechtlichen Ebene stecken bleibt. Selbst wenn man anerkennt, dass sich hinter der straf-
80 Genannt seien hier Cancio Meliá, ZStW 111 (1999), 357 (368 ff.); Hähle, Sportverletzungen, S. 146 ff.; Otto, FS Tröndle, S. 175; Vogel, in: LK-StGB, § 15 Rn. 241; Zaczyk, Selbstverantwortung, S. 49 ff.; Ensthaler, Einwilligung, S. 108; Timpe, ZJS 2009, 166 (173 ff.); Puppe, in: NK-StGB, Vor § 13 Rn. 196; Paeffgen, in: NK-StGB, § 228 Rn. 112a; in der Tendenz auch Rönnau, in: LK-StGB, Vor § 32 Rn. 167; Berkl, Sportunfall, S. 109; I. Sternberg-Lieben, JuS 1998, 428 (430); Radtke, FS Puppe, S. 840 ff. 81 ZJS 2009, 166 (175); ebenso Fiedler, Fremdgefährdung, S. 160. 82 So aber besonders Puppe, in: NK-StGB, Vor § 13 Rn. 182 ff.; Vogel, in: LK-StGB, § 15 Rn. 234 ff., 240 f.; Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 117. 83 Deshalb nicht hierzu gehört jene Mindermeinung, deren Befürworter nicht trennen, weil sie auch die Beteiligung an eigenverantwortlicher Selbstgefährdung der Risiko-Einwilligung unterwerfen wollen, namentlich Dach, NStZ 1985, 24 ff.; Weber, FS Baumann, S. 43 ff.; zuletzt Stratenwerth, FS Puppe, S. 1022 ff. Gegen diese „umfassende Einwilligungslösung“ oben, Kapitel 3, B. I. 84 Fiedler, Fremdgefährdung, S. 158 f.; Cancio Meliá, ZStW 111 (1999), 357 (369); Hähle, Sportverletzungen, S. 139 ff.; Stratenwerth, FS Puppe, S. 1020; neben weiteren Argumenten zudem Otto, Jura 1984, 536 (540). Zu dem bereits zur axiologischen Gleichstellung von Selbst- und Fremdverletzung verwendeten Argument schon Kapitel 1 Fn. 120 u. 121. 85 Roxin, FS Gallas, S. 250; Herzberg, JA 1985, 265 (272); Eschweiler, Selbstgefährdung, S. 55; Kindhäuser, LPK-StGB, Vor § 13 Rn. 220; Sowada, Notwendige Teilnahme, S. 36; Kreß/Mülfarth, JA 2011, 268 (272); Hammer, JuS 1998, 785 (787 f.).
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Kap. 3: Der potentielle Anwendungsbereich der Einwilligung in ein Risiko
rechtlichen Verantwortlichkeit eines Menschen, der einen anderen mit dessen Willen schädigt, eine atypische Durchbrechung des Autonomiegedankens verbirgt, die auf die hohe gesellschaftliche Bedeutung der zu schützenden Rechtsgüter zurückzuführen ist: Die Gründe, weswegen es überhaupt notwendig ist, opfereigenes und fremdes Verhalten im Strafrecht nicht pauschal gleichzusetzen, beruhen auf grundsätzlichen Erwägungen zur strafrechtlichen Unrechtslehre.86 Dass das Gesetz diese anerkennt, zeigt sich zwar in den §§ 216, 228, die Unterscheidung ist dennoch nicht davon abhängig, dass sie durch divergierende Rechtsfolgen praxisrelevant wird. Ein Großteil der Kritik an einer Abgrenzung von Fremd- und Selbstgefährdung richtet sich direkt gegen die „Achillesferse“ im Begründungsgang der Mehrheitsmeinung – das Teilnahmeargument. Bei der Fahrlässigkeit gebe es aufgrund des Einheitstäterbegriffs keine Unterscheidung zwischen Täter und Teilnehmer, weshalb die Abgrenzung zwischen Selbst- und Fremdgefährdung als eine von Täterschaft und Teilnahme beim Fahrlässigkeitsdelikt keinen Sinn ergebe.87 Diese Einwände weisen auf unleugbare Widersprüche im derzeitigen System hin, welche allerdings kein Fahrlässigkeitsproblem sind und daher nicht als entscheidender Unterschied zwischen Schädigungs- und Gefährdungskonstellationen herangezogen werden können. Vielmehr zeigt sich die Untauglichkeit der Teilnahmeargumentation erst in aller Deutlichkeit im Fahrlässigkeitsbereich, während das Argument bei absichtlicher Schädigung einen weitaus höheren Evidenzgrad aufweist und richtige Kritik wie die von Neumann88 möglicherweise als übertriebene Spitzfindigkeit, jedenfalls aber als Gedankengang angesehen wird, dessen Nachvollziehbarkeit „in dogmatischer Hinsicht eine hohe Abstraktionsfähigkeit erfordert“ 89. Nicht einsehbar ist gleichwohl, dass mit dem Untauglichkeitsnachweis bereits der Beweis erbracht sein soll, dass das äußere Geschehen für die strafrechtsdogmatische Behandlung von eigene Rechtsgüter gefährdendem Verhalten in jeder Hinsicht irrelevant ist.90 Kritik am Teilnahmeargument ist nämlich zunächst nur Kritik an dem als maßgeblich betrachteten Unterscheidungskriterium der Tatherrschaft.91
86
Dazu Kapitel 1, B. I. sowie C. I. Dach, NStZ 1985, 24 (25); Hähle, Sportverletzungen, S. 146; Vogel, in: LK-StGB, § 15 Rn. 240; Hardtung, NStZ 2001, 206 f.; Kubink, FS Kohlmann, S. 59; Fünfsinn, StV 1985, 57; Duttge, FS Otto, S. 240; neben weiteren Argumenten auch Puppe, GA 2009, 486 (490). 88 s. Kapitel 1, B. II. 1. a). 89 Hähle, Sportverletzungen, S. 129. 90 Am deutlichsten nimmt das Cancio Meliá, ZStW 111 (1999), 357 (369 f.) an. 91 s. noch Kapitel 3, C. I. 1. 87
B. Die Fallgruppe der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung
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b) Kritik ausgehend von strukturellen Unterschieden zwischen Schädigung und Gefährdung Der für eine überzeugende Begründung der Einheitstheorie zu leistende Schritt läge darin, rechtlich bedeutsame Eigenheiten der Gefährdungssituationen als solche herauszustellen, die eine gravierende Änderung der im Schädigungsbereich gezogenen Leitlinien erforderlich machen würden, so dass weder der herkömmliche Erst-Recht-Schluss von der Schädigung auf die Gefährdung, noch die Feststellung, dass sich beim Wechsel von der einen auf die andere Ebene schlichtweg gar nichts ändert92, Gültigkeit beanspruchen könnten. Die Bereitschaft, mit der Substantiierung einer Vereinheitlichung von eigenverantwortlicher Selbst- und einverständlicher Fremdgefährdung hier anzusetzen, findet sich im neueren Schrifttum vor allem bei drei Autoren. aa) Puppe Puppe lehnt die Unterscheidung von eigenverantwortlicher Selbstgefährdung und einverständlicher Fremdgefährdung – von ihr rubriziert als Problem der Unterscheidung zwischen Täter und Teilnehmer beim Fahrlässigkeitsdelikt – ab. Hierzu greift sie die Konstruktion, welche die h. M. für die Straflosigkeit des an fremder Selbstgefährdung Teilnehmenden errichtet hat und aus der sich im nächsten Schritt die Abgrenzung zur Fremdgefährdung ergeben soll, in mehrerlei Hinsicht an. Es sei auf der Basis eines extensiven Täterbegriffs zunächst nicht plausibel, dass allein das Faktum des eigenverantwortlichen Handelns des Opfers die Zurechnung des Erfolges zum Täter unterbrechen könne, sei doch auch bei Naturereignissen unstreitig, dass diese die Zurechnung zum Täter nicht stets hindern könnten.93 Ein Ausschluss der Zurechnung zum Hintermann bei tätlichem Dazwischentreten eines anderen – im Spezialfall der Opfermitverantwortung: des Opfers – führe zu der zufälligen Konsequenz, dass „nur den letzten die Hunde beißen“ 94. Den Schluss von der Straflosigkeit der Schädigungsteilnahme auf die der Gefährdungsteilnahme sieht Puppe als verfehlt an. Dies jedoch nicht, weil sie schon die Schädigungsteilnahme als keine Teilnahme im eigentlichen Sinne ansieht, sondern weil die Tatbestandslosigkeit des Helferverhaltens im Bereich des § 216 einer Entscheidung des Gesetzgebers entspringe, die sich nicht verallgemeinern ließe95, vor allem aber, da der Erst-Recht-Schluss der h. M. in methodischer Hin92 Murmann, Selbstverantwortung, S. 382, 391 f. auf der Grundlage seiner von der h. M. abweichenden Abgrenzung; vgl. auch Degener, Schutzzweck der Norm, S. 342. 93 Puppe, ZIS 2007, 247 (249); dies., in: NK-StGB, Vor § 13 Rn. 178. 94 Puppe, GA 2009, 486 (493). 95 Puppe, in: NK-StGB, Vor § 13 Rn. 184; ebenso Cancio Meliá, ZStW 111 (1999), 357 (369) sowie Radtke, FS Puppe, S. 840 f., der meint, die Unmöglichkeit, die Schran-
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Kap. 3: Der potentielle Anwendungsbereich der Einwilligung in ein Risiko
sicht fehlerhaft sei. Die Beteiligung an einer Selbstschädigung stelle deshalb kein Unrecht dar, weil der Selbstschädiger vollständig über das Gut disponiere.96 Wo es jedoch nicht Ziel der Handlung sei, das Rechtsgut zu schädigen, gebe der mit der Gefährdung einverstandene Rechtsgutsinhaber keine Rechtsgüter her, sondern verlange vom Täter gerade eine Einhaltung von Sorgfaltspflichten, damit sich das Risiko nicht verwirklicht.97 Dieses Argument ist nicht neu, es wird seit Längerem im Schrifttum an unterschiedlichen Stellen und mit abweichenden Schlussfolgerungen herangezogen.98 Puppe nutzt es, um damit den Erst-Recht-Schluss der herrschenden Meinung umzudrehen: Die Gefährdung sei gegenüber der Schädigung kein minus, sondern ein maius.99 Dahinter steht eine Perspektive, die das Interesse des Opfers an sorgfältiger Durchführung der Handlung in den Blick nimmt. Sodann zieht Puppe die Konsequenz, dass die Sorgfaltspflichtverletzung des in eine Selbst- oder Fremdgefährdung involvierten Dritten, dessen Strafbarkeit sie in einer Vielzahl von Fällen gerade in Abrede stellen will, aus anderen Erwägungen heraus ausgeschlossen sein müsse. So bringt sie sich in die Position, seine Straflosigkeit neu fundieren zu können und bestimmt sie aus einem einheitlichen Prinzip der Selbstverantwortung heraus, was die Schutzunwürdigkeit des letztendlich Geschädigten aufgrund seines frei gefällten Entschlusses, sich zu gefährden als maßgeblichen Grund für den Zurechnungsausschluss in den Vordergrund stellt.100 bb) Otto Als jemand, der schon früh die Freiverantwortlichkeit des Opfers als den allein maßgeblichen Zurechnungsausschlussgrund in Gefährdungsfällen erkannt zu haben glaubt, ist Harro Otto zu nennen. Seine Begründung, weshalb die äußerliche Unterscheidung von eigenem und fremdem Verhalten – welche er bei der Selbstschädigung wie selbstverständlich nach der Herrschaft über den letzten Akt inken der Einwilligung bei Fremdschädigung in erklärbarer Weise auf die Fremdgefährdung zu übertragen, stelle „die Notwendigkeit der Abgrenzung zwischen Selbst- und Fremdgefährdung selbst in Frage“ (S. 841). 96 Puppe, in: NK-StGB, Vor § 13 Rn. 183. 97 Instruktiv Puppe, Kleine Schule, S. 124 ff.; dies., AT, § 6 Rn. 7; dies., in: NKStGB, Vor § 13 Rn. 183; dies., GA 2009, 486 (490). 98 Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff, S. 195; Degener, Schutzzweck der Norm, S. 342; Derksen, Handeln auf eigene Gefahr, S. 39 f.; Zaczyk, Selbstverantwortung, S. 51; Weber, FS Spendel, S. 377; Bindokat, JZ 1986, 421 (422); Ensthaler, Einwilligung, S. 30; Zipf, Einwilligung, S. 76; Boll, Strafrechtliche Probleme, S. 54. 99 Puppe, GA 2009, 486 (490); dies., in: NK-StGB, Vor § 13 Rn. 183; bezüglich der a-fortiori-Argumentation auch Jäger, Zurechnung, S. 11: „allenfalls im umgekehrten Verhältnis“; Herzberg, FS Puppe, S. 500. 100 Puppe, ZIS 2007, 247 (251); dies., GA 2009, 486 (494); mit ganz ähnlicher Begründung Cancio Meliá, ZStW 111 (1999), 357 (372 ff.).
B. Die Fallgruppe der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung
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klusive der im Schrifttum üblichen Modifikationen vornimmt101 – in Gefährdungssituationen nicht verfängt, ist folgende: Die Differenzierung sei anders als bei den Schädigungssachverhalten eine rein zufällige, da „dem zeitlich letzten Akt vor der Realisierung der Gefahr aus der Sicht der Handelnden keinerlei Signalwirkung, kein Verfügungscharakter über das sodann betroffene Rechtsgut zukommt“ 102. „Herrschaft“ über das Geschehen erlange das Opfer daher bereits mit dem bewussten und freiwilligen Begeben in die Gefahrensituation.103 Otto geht also davon aus, dass es nur dort, wo gezielt auf einen Erfolg hingearbeitet wird – denn nichts anderes als den Preisgabevorsatz meint seine Rede vom Verfügungscharakter eigentlich104 – eine Unterscheidung danach, wer den Kausalverlauf durch sein Handeln determiniert, überhaupt Sinn macht, während die Unterscheidung ansonsten eine rein zufällige sei.105 Vergleichbare Kritik findet sich in der allgemeinen Fahrlässigkeitsdogmatik schon außerhalb der Fälle einverständlicher Täter-Opfer-Interaktion, sie richtet sich gegen die Bestrebungen, den Einheitstäterbegriff insgesamt durch ein System von Täterschaft und Teilnahme zu ersetzen.106 Während diese in ihrer Gänze bis heute eher als wenig erfolgreich zu bezeichnen sind, haben sie im Bereich gefährlichen/schädigenden Opferverhaltens durch die dortige Etablierung des Tatherrschaftskriteriums mit Hilfe der Rechtsprechung längst Früchte getragen. Hierhin wurde auch der gegen die Tatherrschaft bei der Fahrlässigkeit gerichtete Einwand, dass niemand eine Tat im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 5 „beherrschen“ könne, der den Erfolg nicht in den Handlungszusammenhang integriert habe, mit übertragen107, er ist aber (bezeichnenderweise108) deutlich seltener anzutreffen und nähert sich je nach Formulierung einer rein semantischen Kritik am Begriff des „Beherrschens“ an.109 Otto argumentiert inhaltlich parallel, jedoch stärker von der Systematik des Fahrlässigkeitsdeliktes gelöst.
101
Otto, FS Tröndle, S. 175. Dazu noch unten, Kapitel 3, C. I. 1. Otto, FS Tröndle, S. 170; ders., Jura 1984, 536 (540); zustimmend Christmann, Jura 2002, 479 (480). 103 Otto, Jura 1984, 536 (540). 104 Das vermutet offenbar auch Duttge, FS Otto, S. 242. 105 Otto, AT, § 6 Rn. 61. 106 Lackner/Kühl, Vor § 25 Rn. 2; Schlehofer, in: FS Herzberg, S. 355 ff.; Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 15 Rn. 74; Jescheck/Weigend, AT, S. 654. 107 Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 15 Rn. 36; Puppe, AT, § 6 Rn. 6; Dach, NStZ 1985, 24 (25); Fiedler, Fremdgefährdung, S. 163; Kubink, FS Kohlmann, S. 59; dagegen Walther, Eigenverantwortlichkeit, S. 118 ff. Kritisch gegenüber der Tatherrschaft bei Fahrlässigkeitsdelikten auch Schünemann, JA 1975, 715 (723). 108 Als „auffällig“ bezeichnet dies (seinerseits von einem streng restriktiven Täterbegriff bei der Fahrlässigkeit ausgehend) Renzikowski, HRRS 2009, 347 (350). 109 Vor allem bei Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 15 Rn. 36; Welp, JR 1972, 427 (428); kritisch Renzikowski, HRRS 2009, 347 (350). 102
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Kap. 3: Der potentielle Anwendungsbereich der Einwilligung in ein Risiko
Obwohl Otto die Fallgruppe der einverständlichen Fremdgefährdung ablehnt, verwendet er dennoch den Terminus der Fremdgefährdung.110 Mit ihm bezeichnet er allerdings nur die Fälle, in denen es an dem freiverantwortlichen Eingehen des Risikos beim Sich-Gefährdenden fehlt, also jene, in denen der Bereich strafbaren Verhaltens unabhängig von den Äußerlichkeiten der Situation erreicht ist. cc) Zaczyk Die von Zaczyk befürwortete Lösung und Abgrenzungsmethodik hat insgesamt mit den in der Diskussion gängig vertretenen Konzeptionen nur wenig gemein, darauf wird noch eingegangen werden.111 Beachtung verdient hier zunächst die Argumentation, mit der sich Zaczyk der Äußerlichkeit des Geschehensablaufs als Trennungskriterium zwischen Selbst- und Fremdgefährdung entledigt und damit eine Trennung überhaupt überflüssig macht. Zaczyk arbeitet ausgehend von einem Kern des Unrechts als tätiger Unterdrückung fremder Freiheit112 die materiellen Unterschiede zwischen Fremd- und Selbstverletzung jenseits der Teilnahmeargumentation113 besonders deutlich heraus. Er findet grundlegende Differenzen in der Besonderheit der Selbstverletzung als Handlung ohne materielles Unrecht, hier könne „kein Fall der Normgeltung berührt sein, da ihr gleichsam die Basis entzogen ist“ 114. Als konstitutiv für die Selbstschädigung wird die „besondere Einheit von Handlung, Wille und Erfolg“ 115 gesehen, welche das Opfer selbst herstellt. Diese Einheit verhindere eine inhaltliche Überprüfbarkeit seines Verhaltens116 und aus ihr wird letztlich der Abgrenzungsmaßstab gewonnen. Denn um den Zusammenhang herzustellen, muss das Opfer „den gegen sich selbst gerichteten Handlungskreis auch selbst schließen“ 117, was dort, wo beide Beteiligten in voller Situationskenntnis handeln, nichts anderes bedeutet als das Innehaben von Handlungsherrschaft im entscheidenden Moment.118 Darauf aufbauend kommt Zaczyk jedoch in seiner Untersuchung für die Gefährdung zu abweichenden Ergebnissen. Der das Unrecht der Selbstverletzung (und damit auch der Ermöglichung einer solchen) ausschließende Faktor, die Einheit von Wille, Handlung und Erfolg119, liege bei gleich110 Otto, AT, § 6 Rn. 61 f.; kritisch (allein) gegenüber der Terminologie Hähle, Sportverletzungen, S. 154. 111 Unten, Kapitel 4, D. IV. 2. 112 Zaczyk, Selbstverantwortung, S. 31 f. 113 Zaczyk, Selbstverantwortung, S. 6 f. 114 Zaczyk, Selbstverantwortung, S. 29, ausführlich S. 30 ff. 115 Zaczyk, Selbstverantwortung, S. 33. 116 Zaczyk, Selbstverantwortung, S. 34. 117 Zaczyk, Selbstverantwortung, S. 42. 118 Zaczyk, Selbstverantwortung, S. 43. 119 Zaczyk, Selbstverantwortung, S. 33.
B. Die Fallgruppe der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung
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bleibender Selbstbezüglichkeit des Opferverhaltens im Falle einer bloßen Selbstgefährdung offenkundig nicht vor. Für das Fahrlässigkeitsunrecht sei vielmehr kennzeichnend, dass der Täter den anderen bei seinem Handeln „vergesse“ und dessen Rechtsgüter so zwar nicht final schädige, aber dem Zufall überlasse.120 Entscheidend für die Frage, wo für den Dritten, der gemeinsam mit dem freiverantwortlich handelnden Opfer an einer gefährlichen Tätigkeit teilnimmt, der Strafbarkeitsbereich im Falle der Erfolgsverwirklichung beginnt, könne deshalb nicht die Handlungsherrschaft einer bestimmten Person sein.121 Die Parallelen zu den Ausführungen von Otto sowie zu denen der Kritiker der Tatherrschaftslehre beim Fahrlässigkeitsdelikt sind unübersehbar. Wie Otto zieht zudem ebenfalls Zaczyk die Linie zwischen Selbst- und Fremdgefährdung begrifflich so, wie sie sich auch für Selbst- und Fremdschädigung im Falle des § 216 letztendlich darstellt: als eine zwischen Strafbarkeit und Straflosigkeit des Dritten. „Fremdgefährdung“ meint in Zaczyks Terminologie nichts anderes als strafbare fahrlässige Fremdverletzung.122 dd) Gegenkritik Die teilweise gewichtigen Einwände der genannten Autoren bieten gerade den zahlreichen bezüglich der Beliebigkeit und Schwierigkeit einer Abgrenzung im Einzelfall artikulierten Bedenken123 eine Heimat. So unanfechtbar manche der gemachten Beobachtungen in ihrem Ausgangspunkt erscheinen mögen, sind die daraus gezogenen Schlüsse jedoch nicht überzeugend. Was die von Puppe aufgeworfene Frage danach angeht, weswegen das eigenhändige selbstgefährdende Handeln des Opfers in Kenntnis des Risikos die Zurechnung zum Täter zu hindern vermag, während dies bei anderen Unterbrechungen des Kausalverlaufs in weitaus größerem Maße bestritten wird, sei auf die sich aus Art. 2 I GG ergebende Stellung124 des Opfers verwiesen, an der bereits das Teilnahmeargument scheitert. Denn ebenso wenig, wie man das Opferverhalten im Umgang mit eigenen Gütern danach den Regeln unterwerfen kann, die für Delikte des StGB gelten, lässt es sich mit einem Naturereignis oder auch dem Eingreifen einer anderen Person, welche nicht Rechtsgutsinhaber ist125, gleichsetzen.126 Das Strafrecht muss im Vorsatz- wie im Fahrlässigkeitsbereich gleicher120
Zaczyk, Selbstverantwortung, S. 32, 56. Zaczyk, Selbstverantwortung, S. 53. 122 Vgl. Zaczyk, Selbstverantwortung, S. 59. 123 Fiedler, Fremdgefährdung, S. 162 f.; Wessels/Beulke, AT, Rn. 191; Berkl, Sportunfall, S. 102; Dach, NStZ 1985, 24 (25); Hellmann, FS Roxin I, S. 272 f.; Hähle, Sportverletzungen, S. 146; Timpe, ZJS 2009, 170 (174); Cancio Meliá, ZStW 111 (1999), 357 (368 f.), der allerdings bei dieser Begründung ausdrücklich nicht stehenbleibt. 124 Cancio Meliá, ZStW 111 (1999), 357 (369). 125 A. A. Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff, S. 300 ff. 126 Weiter gehend Renzikowski, HRRS 2009, 347 (350). 121
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Kap. 3: Der potentielle Anwendungsbereich der Einwilligung in ein Risiko
maßen der allgemeinen Handlungsfreiheit einer Person im Umgang mit eigenen Rechtsgütern Rechnung tragen. Deshalb ist der Verstoß gegen das Einheitstäterprinzip, den Puppe moniert127, nur auf die Fehlerhaftigkeit des Teilnahmearguments zurückzuführen. Löst man sich davon, ist zu erkennen, dass es nicht um die einheitstäterwidrige Unterscheidung von Täter- und Teilnehmerbeiträgen geht, sondern um die anderen Regeln folgende Unterscheidung von Täter und Rechtsgutsinhaber. Deshalb wird auch ein „Überschwappen“ 128 einer Beschränkung der Fahrlässigkeitshaftung bei opfervermittelter Gestaltung des Kausalverlaufs auf sämtliche Fälle drittvermittelter Eingriffe allein durch Anerkennung dieser Sonderstellung des Opfers nicht wahrscheinlicher. Puppe ist zuzustimmen, wenn sie für die Straflosigkeit der Ermöglichung fremder Selbstschädigung nicht deren Tatbestandslosigkeit, sondern tiefer ansetzend ihre fehlende Qualität als Unrecht als entscheidenden Gesichtspunkt heranzieht. Abzulehnen ist aber, dass sie das Fehlen materiellen Unrechts beim Selbstschädiger mit der Preisgabe des Rechtsguts begründet, insofern, dass die strafrechtliche Schutzwürdigkeit des Rechtsgutes mit der freiwilligen Entscheidung gegen den Bestand des Rechtsgutsobjekts ende.129 Auf dieser Basis lassen sich die gesetzlich festgeschriebenen Grenzen der §§ 216, 228 nicht erklären, eine ernsthafte Preisgabe des Rechtsguts findet man unzweifelhaft ebenso bei der einverständlichen Tötung oder sittenwidrigen einverständlichen Körperverletzung.130 Puppe muss den § 216 deshalb auch als „widersprüchlich“ 131 und „inkonsequent“ 132 bezeichnen. Ohne beantworten zu müssen, welche Fallgruppe gegenüber der anderen nun tatsächlich ein „minus“ ist, kann man daher feststellen: Für die Fundierung einer vollständigen Gleichstellung von einverständlicher Fremdgefährdung und eigenverantwortlicher Selbstgefährdung überzeugt der Hinweis auf den Unterschied zwischen Preisgabe des Rechtsguts und Eingehen eines Risikos, der an sich unter rechtlichen wie faktischen133 Gesichtspunkten durchaus von Gewicht134 und ein Grund dafür ist, weshalb die Einwilligungs127
Puppe, ZIS 2007, 247 (249). So die Befürchtung von Puppe, GA 2009, 486 (492 f.). 129 Puppe, GA 2009, 486 (490); dies., in: NK-StGB, Vor § 13 Rn. 183; dies., ZIS 2007, 247 (249); dies., AT, § 6 Rn. 7. 130 Das gilt ebenso für die Konzeption Cancio Meliás, ZStW 111 (1999), 357 (369 ff.), die von ihm herausgehobene „besondere Stellung des Opfers“ welche er – soweit ersichtlich – auch im Vorsatzbereich als entscheidend ansieht, wird von der Rechtsordnung, geht es um die Bestrafung des Täters, nicht in dieser Konsequenz geteilt; vgl. auch Herzberg, FS Puppe, S. 512. 131 Puppe, GA 2009, 486 (489). 132 Puppe, in: NK-StGB, Vor § 13 Rn. 184. Mit Begründung dies., AT1 Bd. 2, § 50 Rn. 33. 133 Näher Sternberg-Lieben, Objektive Schranken, S. 220 mit Fn. 107 und 113. 134 Deutliche Unterschiede sehen Sternberg-Lieben, Objektive Schranken, S. 213 ff. und Ensthaler, Einwilligung, S. 31 ff.; bei letzterem sei darauf hingewiesen, dass in sei128
B. Die Fallgruppe der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung
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lösung bei der einverständlichen Fremdgefährdung anders als bei der einverständlichen Fremdschädigung Zweifeln unterliegt, letztlich nicht. Puppes Einwand lässt sich zwar älteren Sorgfaltspflichtwidrigkeitslösungen entgegenhalten, welche die Sorgfaltspflichtanforderungen gegenüber dem Täter mit der unzutreffenden Begründung absenken wollen, es käme mit der Zustimmung des Opfers in die Gefährdung dessen Verzicht auf strafrechtlichen Schutz zum Ausdruck.135 Seine subjektive Einstellung zum Bestand eigener Rechtsgüter aber vermag die Einstufung eines Verhaltens als fehlendes Strafunrecht dort nicht zu verändern, wo sie sich schon daraus ergibt, dass ein Verbot, das die Gefahr vollständig erkennende Opfer bei gegen sich selbst gerichteten Handlungen zu unterstützen, nicht legitimiert werden kann. Ein zur Vermeidung der Strafbarkeit des Dritten sozusagen als Korrektiv eingebrachtes einheitliches Prinzip der Selbstverantwortung, welches ein durch die Unterstützung bei der Selbstgefährdung zunächst verwirklichtes Handlungsunrecht wieder aufzuheben hat136, ist nicht erforderlich. Zaczyk hat die Frage, weshalb es bei einer Selbstschädigung für sich genommen am Unrecht fehlt, wesentlich anders als Puppe beantwortet. Das von ihm gezeichnete Bild der gestifteten Einheit von Handlung, Wille und Erfolg, welche dem Dritten „als eine gewissermaßen feste Form gegenübertritt“ 137, ist zweifellos plastisch, ohne weiteres erkennbar ist auch, dass diese Einheit beim Fahrlässigkeitsdelikt nicht mehr besteht.138 Nicht einsichtig erscheint jedoch die Prämisse, dass eben jene Einbeziehung des Erfolges in den Handlungszusammenhang (Wille und Handlung sind bei risikoreichem Opferverhalten in Kenntnis der Gefahr vorhanden und bilden – wenn man so will – auch besagte Einheit!) für den Unrechtsausschluss tatsächlich notwendig sein muss. Während Puppe den Aspekt der Rechtsgutspreisgabe für die Bestimmung von Unrecht überbetont und dabei den der fehlenden Interpersonalität vernachlässigt, ist es bei Zaczyk genau umgekehrt: Er hebt diese ausdrücklich als Fundament seines Begründungsweges hervor, überstrapaziert allerdings dann die verfassungsrechtlich garantierte Handlungsfreiheit im Umgang mit personenbezogenen Rechtsgütern, indem er ihr mit dem finalen Selbstschädigungswillen eine Komponente hinzufügt, welche sie nicht enthält. Auf diese Weise stellt er – vorbehaltlich des von ihm herausgearbeiteten Lösungsmodells139 – zunächst die Fälle „fahrlässig“ riskanten Verhaltens des Opfers mit all jenen Fällen einer defizitären Selbstschädigung auf eine ner Terminologie die „Preisgabe“ (im Gegensatz zur „Einwilligung“) die Fälle des Gefährdens eigener Rechtsgüter umschreibt (S. 23 ff.). 135 Das wird vertreten von Dach, Einwilligung, S. 53 ff.; Eschweiler, Selbstgefährdung, S. 71 und Kientzy, Einwilligung, S. 99; kritisch zu Recht Boll, Strafrechtliche Probleme, S. 50 ff., S. 54. 136 Puppe, GA 2009, 486 (493). 137 Zaczyk, Selbstverantwortung, S. 34. 138 Zustimmend Jäger, Zurechnung, S. 10 Fn. 22. 139 Dazu noch unten, Kapitel 4, D. IV. 2.
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Kap. 3: Der potentielle Anwendungsbereich der Einwilligung in ein Risiko
Stufe140 – auch hier ist nämlich der Zusammenhang von Wille, Handlung und Erfolg aufgelöst – und lässt die Handlungsfreiheit des sich selbst Gefährdenden im Fahrlässigkeitsbereich in den Hintergrund treten.141 Dies geschieht mit Bedacht. Während üblicherweise sämtliche Gleichstellungsbestrebungen von Selbstgefährdung und einverständlicher Fremdgefährdung in einer liberalen Haltung wurzeln, deren Vertreter der Rechtsprechung vorwerfen, sich mit der Möglichkeit der Bestrafung des Täters bei einverständlicher Fremdgefährdung den Weg offenzuhalten, „(wenn schon nicht den lebensgefährlich-unvernünftig sich selbst Gefährdenden, so doch wenigstens) den Außenstehenden wegen dieser ,Eselei‘ bestrafen zu können“ 142, will Zaczyk auch die Beteiligung an fremder Selbstgefährdung etwa bei Drogendelikten im Hinblick auf den eingetretenen Todeserfolg pönalisieren.143 Dieser Paternalismus, von dem sich die Rechtsprechung erst auf massive Kritik hin lossagte, kann im Ergebnis ebenso wenig überzeugen wie der Versuch, ihn bereits auf Kosten der Unterscheidung von opfereigenem und Drittverhalten durchzusetzen, in strafrechtsdogmatischer Hinsicht überzeugt. Otto, bei dem bereits der Ausgangspunkt, die eigenverantwortliche Selbstgefährdung zerschneide den Zurechnungszusammenhang, nicht mit dem hier vertretenen übereinstimmt, kann jedenfalls mit dem Kriterium der Steuerbarkeit nicht begründen, weshalb kein irgendwo festzuhaltender Unterschied zwischen der Ermöglichung einer Gefährdung durch eigenes Verhalten und der unmittelbaren Gefährdung durch fremdes Verhalten bestehen soll. Zwar ist erkennbar, dass er die Steuerbarkeit nicht in einem faktischen Wortsinne begreift, weshalb die Kritik Herzbergs144 ins Leere gehen muss.145 Eine nicht phänomenologisch verstandene und so begrifflich in der Luft schwebende „Steuerbarkeit“ ist allerdings nur eine Tarnbezeichnung für die Freiverantwortlichkeit des Rechtsgutsinhabers, welche auch dort der kleinste gemeinsame Nenner ist, wo es dem Opfer auf den Verletzungserfolg ankommt und welche trotzdem die dogmatische Trennung von nicht rechtlich missbilligtem und missbilligtem, aber konsentierten Drittverhalten nicht ins Wanken bringt – was die Existenz der Einwilligung beweist. 140 Ansätze einer solchen Würdigung zeigen sich ebenfalls bei Herzberg, JA 1985, 265 (270). 141 Kritisch auch Murmann, Selbstverantwortung, S. 401 f. 142 Geppert, Jura 2001, 490 (493 f.), bezogen auf die Entscheidung des OLG Düsseldorf zum „Auto-Surfen“, NStZ-RR 1997, 325. Den gleichen Vorwurf erhebt Arzt, FS Geppert, S. 15. 143 Zaczyk, Selbstverantwortung, S. 60; ihm zustimmend Puppe, AT, § 6 Rn. 16. 144 JA 1985, 265 (272), wo behauptet wird, man könne „nicht ernstlich bestreiten“, dass z. B. ein Messerwerfer im Zirkus, der auf seine lediglich stillstehende Assistentin mehrere Messer schleudere, derjenige sei, der das Geschehen steuere. Dies hätte nur Gewicht, wenn beide Autoren unter „steuern“ tatsächlich dasselbe verstünden oder jedenfalls zwingend verstehen müssten. 145 Das gilt allerdings ebenso für die Gegenkritik von Fiedler, Fremdgefährdung, S. 161 f. an Herzberg, der wieder ein vergleichbares Verständnis von Steuerbarkeit zu Grunde liegt wie bei Otto.
B. Die Fallgruppe der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung
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Otto hat dagegen eingewandt, dass es in Gefährdungskonstellationen an einer Verfügung über das Rechtsgut fehle und der zum Erfolgseintritt führende Kausalverlauf mangels „Signalwirkung“ irgendeiner Handlung bedeutungslos sei.146 Das erscheint nicht plausibel. Sofern Otto ähnlich wie Puppe so verstanden werden will, dass er bei der bloßen Gefährdung im Unterschied zur Preisgabe eines Rechtsguts nicht ohne zusätzliche Erwägungen das Nichtbestehen von Handlungsunrecht anerkennen mag, gelten die gegen Puppe angeführten Einwände. Sofern er allerdings – was näher liegt – eher in einem empirischen Sinne argumentiert, wenn er nach Unterschieden zwischen Selbst- und Fremdgefährdung fragt, wo doch beide „Herren über das Geschehen“ 147 seien, erstaunt seine Aussage. Wo niemand über ein Rechtsgut „verfügen“ will, sondern dieses einer riskanten Entwicklung ausliefern möchte, bei der am Ende der Erfolgseintritt möglichst ausbleiben soll, kommt der Person des Handelnden sogar noch eine wichtigere Stellung zu als dort, wo am Ende in jedem Fall der Erfolgseintritt stehen soll und wo die Abgrenzung nach dem letzten Tatbeitrag von Otto keineswegs als zufällig moniert wird.148 Einen Schädigungserfolg herbeizuführen ist meistens einfacher, als ihn dort, wo er in der Handlung bereits angelegt ist, durch geschicktes Verhalten nicht eintreten zu lassen. Von den individuellen Fähigkeiten des unmittelbar Handelnden hängt es also häufig ab, ob der Erfolg tatsächlich vermieden und der mit dem Eingehen des Risikos verfolgte Zweck erreicht wird. Zudem stellt sich die Unterscheidung keinesfalls als so zufallsabhängig heraus wie behauptet, schließlich wird derjenige, der sich dem Risiko aussetzt, in vielen Fällen überlegt haben, ob sein Gefährdungspartner wirklich zur sicheren Beherrschung des Risikos in der Lage ist. Diese faktische Argumentation unterstreicht lediglich den in rechtlicher Hinsicht entscheidenden Aspekt, dass sich der Staat aufgrund der Handlungsfreiheit des Einzelnen nicht bevormundend um das rechtsgutsgefährdende, leichtsinnige Handeln des Rechtsgutsinhabers kümmert (solange dabei nur er Schaden erleidet) und in konsequenter Fortführung der Anerkennung von dessen Autonomie auch nicht um Handlungen, die diesen Leichtsinn nur möglich gemacht haben.149 Jedoch ist ihm die Möglichkeit einer Kontrolle des Verhaltens desjenigen, der durch riskantes Verhalten in fremde Freiheitsbereiche eingreift, nicht per se entzogen.150 Beide Verhaltensweisen wie Otto vollständig gleich zu behandeln be146
Otto, FS Tröndle, S. 170. Otto, FS Tröndle, S. 170. 148 Otto, FS Tröndle, S. 175. 149 Deutlich Freund, in: MK-StGB, Vor § 13 Rn. 419; Frister, AT, 10/15; Kellner, Einwilligung, S. 52 f.; Grünewald, GA 2012, 364 (367). Diesen Punkt im Kern ebenfalls erkennend, aber stärker aus der Perspektive des Täterbegriffs bei Fahrlässigkeitsdelikten Duttge, FS Otto, S. 243; Renzikowski, HRRS 2009, 347 (348) sowie Degener, Schutzzweck der Norm, S. 342 ff. 150 Wie sehr sie ihm entzogen sein sollte, ist eine Frage der Erstreckung der §§ 216, 228 auf Gefährdungsfälle. Hierzu noch Kapitel 5. 147
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Kap. 3: Der potentielle Anwendungsbereich der Einwilligung in ein Risiko
deutet, diesen relevanten Strukturunterschied, der vom finalen Schädigungswillen des Opfers nicht abhängt, zu verkennen. Diese Kritik trifft im Übrigen auch den Lösungsansatz von Cancio Meliá, welcher für sein Zurechnungskonzept zutreffend von der Sonderstellung einer Person bei der Selbstverwaltung eigener Güter ausgeht und deshalb das Teilnahmeargument ablehnt151, dann aber gleich jede Form von weiterer Strukturdifferenzierung in einem Zuständigkeitsprinzip aufgrund Selbstverantwortung des Opfers für in gemeinsamer Organisation mit dem Täter vollzogene, eigenverantwortliche Gefährdungen auflösen will.152 3. Zwischenergebnis Nach dem bisher Gesagten ist festzuhalten, dass der allgemein als einverständliche Fremdgefährdung titulierte Verhaltenstopos nicht mit dem der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung zu vereinheitlichen ist. Es ist mit dem Aufrechterhalten des Trennungsdogmas gleichzeitig klargestellt, dass die einverständliche Fremdgefährdung kein Problem der Sorgfaltspflichtwidrigkeit des Täterverhaltens ist.153 An der Schaffung eines rechtlich missbilligten Risikos fehlt es lediglich bei der Ermöglichung eigenverantwortlicher Selbstgefährdung. Dieser Bereich umfasst jedenfalls die Fälle, in denen das Opfer zeitlich dem Täterbeitrag nachfolgend die zum Erfolg führende Handlung selbst in Kenntnis der Risikotatsachen vornimmt.
C. Die Abgrenzung von eigenverantwortlicher Selbstund einverständlicher Fremdgefährdung Große Schwierigkeiten bestehen, wenn es darum geht, die Ermöglichung autonomer Selbstgefährdung von der einverständlichen Fremdgefährdung auf zufriedenstellende Weise abzugrenzen. Infolge der Verlängerung des Teilnahmearguments a maiore ad minus stellen sich hier Fragen, die vor allem dort bereits seit Längerem intensiv diskutiert werden, wo versucht wird, bestimmte Verhaltensweisen als „Teilnahme“ an straflosem Verhalten aus dem Anwendungsbereich des § 216 auszuschließen. 151
Cancio Meliá, ZStW 111 (1999), 357 (368 f.). Cancio Meliá, ZStW 111 (1999), 357 (372 ff.); sehr ähnlich Timpe, ZJS 2009, 170 (174), der hierfür Parallelen zur wechselseitigen Zurechnung bei der Mittäterschaft zieht, aus der infolge der besonderen Stellung des Opfers dann im nächsten Schritt eine Zurechnung allein zu dessen Verantwortungsbereich wird. 153 Soweit ersichtlich als einzige differenzieren aber Krey/Esser, AT zwischen eigenverantwortlicher Selbstgefährdung und einverständlicher Fremdgefährdung und ordnen erstere der dem Fehlen eines Zurechnungszusammenhanges (Rn. 360) und letztere – widersprüchlicherweise – schon der fehlenden Pflichtwidrigkeit des Täterverhaltens zu (Rn. 675). Gegen die dort vertretene Pflichtwidrigkeitslösung sprechen die Einwände, die bereits gegen eine Lösung über erlaubtes Risiko und Sozialadäquanz hervorgebracht wurden, oben Kapitel 3, B. II. 1. 152
C. Abgrenzung eigenverantwortlicher Selbstgefährdung
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I. Die Diskussion im Bereich vorsätzlicher Schädigung Es kann aus diesem Grund nicht darauf verzichtet werden, die Abgrenzungsdiskussion zunächst von ihrem Ausgangspunkt, dem als Schädigung betitelten Verhaltenssektor, zu betrachten. Verzichtet werden kann auf die Anführung von Modellen, welche speziell auf Fälle finaler Lebensbeendigung zugeschnitten sind und deshalb bei bloßer Gefährdung eines beliebigen Individualrechtsguts nicht einmal mehr ihrem Grundgedanken nach Geltung beanspruchen können.154 Ebenso wird in der folgenden Darstellung stets von einer nichtdefizitären Opferentscheidung ausgegangen, also von Sachverhalten, in denen die einverständliche Fremdschädigung gleichzeitig eine freiverantwortliche ist. Die Fremdschädigung in der Form mittelbarer Täterschaft stellt einen separaten Komplex dar, welcher meist gesondert von der Abgrenzungsdiskussion bei freiverantwortlich handelndem Opfer thematisiert wird155 und hier zu behandelnde Probleme nicht berührt. 1. Tatherrschaftslehre Wer das zuvor erörterte und abgelehnte Teilnahmeargument156 für schlüssig oder zumindest akzeptabel erachtet, dem bleibt kaum etwas anderes, als dessen Begründungsgang weiterzuführen und die Kriterien für die Bestimmung täterschaftlichen fremdschädigenden Verhaltens an dessen Betrachtungsperspektive auszurichten. Täter eines Delikts wie der Tötung auf Verlangen ist somit, wer nicht nur an dem Geschehen teilnimmt. Was der Fall ist, hängt dann von jenem bunten Kriterienstrauß ab, der seit Jahrzehnten die Unterscheidung zwischen Täterschaft und Teilnahme bei der Beteiligung mehrerer an der Verletzung eines für beide Beteiligten fremden Rechtsguts prägt. Gleichwohl hat die Rechtsprechung als Begründerin des Teilnahmearguments nicht die ihr sonst eigene, subjektiv verankerte Täterlehre auf das neue Anwendungsfeld mitgebracht, sondern für die dortige Problemlösung schon früh als untauglich verworfen.157 In Anbetracht der für die hier interessanten Fälle bestehenden Tatsache, dass die Fremdschädigung konsentiert ist und der Einwilligungsempfänger sich entweder dem Willen des Opfers unterordnet oder ihm im Wissen und Wollen sogar unterlegen ist, vermag das fast niemanden zu überraschen158, es ließe sich allenfalls als weitere Inkonsistenz der Rechtsprechung bei der Ermittlung täterschaftlichen Verhaltens ins
154
s. Kapitel 1, C. Fn. 102. Vgl. Mayer, Produktverantwortung, S. 315 f. 156 s. Kapitel 1, B. II. 1. 157 BGHSt 19, 135 (138); OLG München, NJW 1987, 2940 (2941). 158 Otto, FS Tröndle, S. 160; Eser, in: Schönke/Schröder, § 216 Rn. 11; Christmann, Jura 2002, 679; Neumann, in: NK-StGB, Vor § 211 Rn. 50; anders aber Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 29 Rn. 70; Arzt, FS Geppert, S. 6 f. 155
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Kap. 3: Der potentielle Anwendungsbereich der Einwilligung in ein Risiko
Feld führen.159 In der Folge verengt sich der Fokus für die Rechtsprechung und große Teile des Schrifttums auf den Aspekt der Tatherrschaft, d.h. das finale Steuern eines Kausalverlaufs als Zentralgestalt des Geschehens.160 Das Tatherrschaftskriterium unterliegt im Anwendungsfeld von Suizid und Selbsttötungsteilnahme Modifikationsbestrebungen, welche es von seinen Ursprüngen weiter entfernen. Ob eine Förderung der Selbsttötung oder eine Fremdtötung vorliegt, bemisst sich nach herrschender Meinung nicht anhand einer Bewertung des gesamten zum Erfolg führenden Geschehens161, entscheidend sein soll lediglich die Herrschaft über den unmittelbar lebensbeendenden Akt, den sogenannten „point of no return“.162 Probleme tauchen regelmäßig dort auf, wo dem Täterbeitrag nicht mehr in zeitlichem Abstand ein isolierter und unmittelbar erfolgskausaler Opferbeitrag nachfolgt, sondern das Opfer freiverantwortlich handelt und das Geschehen äußerlich betrachtet von der Mitwirkung beider Beteiligen – möglicherweise noch bis zum „point of no return“ – geprägt ist. In diesem Bereich spricht man üblicherweise von „Quasi-Mittäterschaft“.163 Nach heute deutlich herrschender Ansicht164 sind die Rechtsfolgen einer „Quasi-Mittäterschaft“ diametral entgegengesetzt zur Mittäterschaft nach § 25 II: Es macht sich keiner der arbeitsteilig Zusammenwirkenden strafbar. Solange der Rechtsgutsträger die Herrschaft über den als entscheidend angesehenen Akt innehat, liegt für den Dritten nur straflose Beteiligung an der Selbstschädigung vor165, wobei manchmal betont wird, dass lediglich eine „Mitherrschaft“ nicht ausrei159
In diese Richtung Renzikowski, HRRS 2009, 347 (349); Kühl, NJW 2009, 1158; von der anderen Seite her argumentierend Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, S. 566 ff. 160 Roxin, AT II, § 25 Rn. 27. 161 So jedoch (nicht nur für § 216) Jähnke, in: LK11-StGB, § 216 Rn. 13, der eine wertende Trennung nach dem Schwergewicht der Beiträge fordert – auch deshalb, weil ein praktikableres Kriterium „nicht in Sicht“ sei; Kutzer, NStZ 1994, 110 (112) stellt offenbar auf eine Organisationsherrschaft ab. 162 Bottke, Suizid und Strafrecht, S. 239 Fn. 1186a; Roxin, NStZ 1987, 345 (347 f.); Kühl, Jura 2010, 81; Eisele, JuS 2012, 577 (579); Rengier, BT II, § 8 Rn. 8; Otto, FS Tröndle, S. 162; Dölling, FS Maiwald, S. 120; Eser, in: Schönke/Schröder, § 216 Rn. 11; Schneider, in: MK1-StGB, § 216 Rn. 48; BGHSt 19, 135 (139) verweist zwar allgemein auf das „zum Tode führende Geschehen“, will eine Herrschaft darüber aber nur dem zusprechen, der dieses „bis zuletzt“ beherrscht; ähnlich OLG Nürnberg, NJW 2003, 454 f. 163 Vgl. nur Kühl, Jura 2010, 81 (83). 164 Anders (Täterschaft des Dritten trotz ebenfalls vorliegender Tatherrschaft des Opfers) früher noch Herzberg, Täterschaft und Teilnahme, S. 74 ff.; ders., JA 1985, 131 (137); ausdrücklich aufgegeben in JuS 1988, 771 (775); außerdem Kutzer, NStZ 1994, 110 (112). 165 Otto, FS Tröndle, S. 162; Walther, Eigenverantwortlichkeit, S. 136; Bottke, Suizid und Strafrecht, S. 238; Lackner/Kühl, § 216 Rn. 3; Neumann, in: NK-StGB, Vor § 211 Rn. 59. Kritisch gegenüber dieser Konsequenz auf der Grundlage der Tatherrschaftslehre, nicht (mehr) jedoch gegenüber dem Ergebnis mittlerweile Herzberg, NStZ 2004, 1 (3).
C. Abgrenzung eigenverantwortlicher Selbstgefährdung
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che.166 Infolge der Verengung der Tatherrschaftslehre auf den letzten Handlungsteil und ihrer Offenheit für normative Wertungen167 wird es aber als möglich erachtet, nur einer beteiligten Person letztlich die Herrschaft zuzuweisen.168 Jene Herrschaft kann mit der eigenhändigen Ausführung einer unmittelbaren Täterschaft übereinstimmen, jedoch nach überwiegender Ansicht auch, wenn eine Erweiterung des Straffreiheitsbereichs erwünscht ist, darüber hinausgehen und nur eine potentiell faktische Herrschaft oder Entscheidungsherrschaft 169 erfassen.170 Hiernach sieht man als einer Täterschaft entgegenstehend bereits die zumutbare Möglichkeit des Rechtsgutsinhabers an, sich dem Geschehen durch eigenes Handeln zu entziehen (welche er nicht wahrnahm).171 2. Prinzip der Eigenverantwortlichkeit Das Prinzip der Eigenverantwortlichkeit172, dessen Essenz sich in dem Satz finden lässt, dass jeder grundsätzlich nur für sein eigenes Verhalten verantwortlich ist173, ist bei den Fahrlässigkeitsdelikten als ein eigenständiger Zurechnungsfaktor in der Diskussion.174 Seine Nutzbarmachung als ein Abgrenzungsmaßstab Schneider, in: MK1-StGB, § 216 Rn. 46. Roxin, AT II, § 25 Rn. 12; Kühl, AT, § 20 Rn. 29. Die Schwierigkeit einer nur Äußerlichkeiten in den Blick nehmenden Betrachtung verdeutlicht Herzberg, JA 1985, 131 (137) mit einem Fall, in dem das Opfer zur Tarnung des Suizids als Versicherungsfall vor den rollenden LKW des eingeweihten Helfers „stolpert“. 168 Sehr kritisch allerdings Merkel, in: Hegselmann/Merkel (Hrsg.), Debatte über Euthanasie, S. 79. 169 Ausdrücklich benannt in Jakobs’ Tatherrschaftskonzeption, AT, 21/35, 21/58a. 170 Die Beobachtung von Mayer, Produktverantwortung, S. 316, die Tatherrschaftslehre orientiere sich bei der Abgrenzung von Täter-Opfer-Interaktionen nur an ihrer faktischen Komponente, trifft deshalb jedenfalls für die Schädigung (Mayer setzt Schädigung und Gefährdung an dieser Stelle gleich) nicht völlig zu. Zwar bleibt die mittelbare Täterschaft begründende Wissens- oder Willensherrschaft außen vor, nicht aber die wertende Zuweisung der Herrschaft anhand bloßer Herrschaftspotentialitäten. Rein faktisch gesehen geht die todbringende Handlung auch hier vom Dritten aus. 171 Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, S. 570; Otto, FS Tröndle, S. 163; Eser, in: Schönke/Schröder, § 216 Rn. 11; Rengier, BT II, § 8 Rn. 10; Kühl, Jura 2010, 81 (83); Bottke, Suizid und Strafrecht, S. 239 Fn. 1186a; ablehnend BGHSt 19, 135 (140); F.-C. Schroeder, ZStW 106 (1994), 565 (578); Schneider, in: MK1-StGB, § 216 Rn. 42 ff.; Walter, in: LK-StGB, Vor § 13 Rn. 132; unentschlossen Chatzikostas, Disponibilität des Rechtsgutes Leben, S. 273 f. und Fn. 220. 172 Die Eigenverantwortlichkeit wird vor allem von den Befürwortern des Prinzips streng von der Freiverantwortlichkeit (als empirische Fähigkeit zu selbstbestimmtem Handeln) unterschieden, etwa bei Chatzikostas, Disponibilität des Rechtsgutes Leben, S. 171 f.; Mayer, Produktverantwortung, S. 345; vgl. auch Neumann, JA 1987, 244 (249). 173 Otto, AT, § 6 Rn. 49; Wessels/Beulke, AT, Rn. 186; Ingelfinger, Tötungsverbot, S. 223. 174 Hierzu nur Kühl, AT, § 4 Rn. 83. Zur Eigenverantwortlichkeit noch Kapitel 4, B. III. 3. 166 167
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Kap. 3: Der potentielle Anwendungsbereich der Einwilligung in ein Risiko
für die vorsätzliche Schädigung (vorrangig die Selbsttötung) ist besonders Neumann175 zu verdanken. Es handelt sich beim Eigenverantwortlichkeitsprinzip um ein normatives Zuständigkeitsprinzip, welches zur Unterscheidung von täterschaftlichem und straflosem Verhalten bei jeweils freiverantwortlich handelndem Opfer auf den äußerlichen Geschehensablauf in Form des Vollzuges der todbringenden Handlung zurückgreift.176 Gleichwohl lässt das Prinzip eine Erweiterung des Straffreiheitsbereichs für den Suizidteilnehmer vor allem in jenen kritischen Fällen zu, in denen Rückgriffe auf die §§ 25 ff. nicht mehr ohne dogmatische Stauchungen zum gewünschten Ergebnis führen, mit ihm wird der Begriff der Selbstverletzung177 ebenso wie der der Tatherrschaft178 stärker normativiert. Entscheidend ermöglicht wird dies durch eine Kritik des Teilnahmearguments, welches eine allzu weite Entfernung von einer klassisch-formalen Tatherrschaftslehre nicht widerspruchsfrei zuließe. Durch das Prinzip der Eigenverantwortlichkeit wird selbst in den unproblematischen Fällen, in denen der Geschädigte im Anschluss an die Unterstützungshandlung die Schädigungshandlung selbst vollzieht, die Straflosigkeit des Teilnehmers nicht der fehlenden Regelung im positiven Recht entnommen, sondern der „liberalen, nicht paternalistischen Rechtsordnung“ 179, in der „den Inhaber eines Rechtsguts eine primäre Zuständigkeit für dessen Bewahrung“ 180 treffe. Ein als eigenverantwortlich qualifiziertes, aufgrund der Zuständigkeit des Opfers nicht als materielles Unrecht bewertbares Opferverhalten sperrt die objektive Zurechnung des Erfolges zum daran Mitwirkenden181, losgelöst davon, ob dieser fahrlässig oder vorsätzlich handelte.182 Umgekehrt stellt die Delegation des Vollzugsaktes auf den Dritten sich aus dem Blickwinkel des Eigenverantwortlichkeitsprinzips als Verantwortungsübernahme durch diesen dar.183 Es lässt sich in der Selbsttötungsdiskussion im Schrifttum beobachten, dass die Tatherrschaftslehre und das Prinzip der Eigenverantwortlichkeit trotz verschiede-
175 JuS 1985; 677 ff.; ders., JZ 1987, 244 ff.; ders., in: NK-StGB, Vor § 211 Rn. 48 ff. 176 Neumann, in: NK-StGB, Vor § 211 Rn. 51; Ingelfinger, Tötungsverbot, S. 226, 230. 177 Vgl. die Kritik Herzbergs, NStZ 2004, 1 (2) am (maßgeblich vom Eigenverantwortlichkeitsprinzip geprägten) status quo in der Suiziddiskussion: „Einzuräumen ist zunächst, dass sich jeder die ,Selbsttötungstäterschaft‘ so zurechtdefinieren kann, wie es ihm beliebt“. 178 Hohmann/König, NStZ 1989, 304 (305). 179 Neumann, JA 1987, 244 (248). 180 Neumann, JA 1987, 244 (248) [Hervorhebungen im Original]. 181 Ingelfinger, Tötungsverbot, S. 223 f.; Engländer, Jura 2004, 234 (235 f.); Hecker/ Witteck, JuS 2005, 397 (400). 182 Neumann, JA 1987, 244 (248); Hecker/Witteck, JuS 2005, 397 (401). 183 Ingelfinger, Tötungsverbot, S. 225.
C. Abgrenzung eigenverantwortlicher Selbstgefährdung
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ner Fundierungen zwei mehr und mehr ineinanderfließende Kriterien sind184, bei denen die Tatherrschaft mit ihrer naturalistisch geprägten Abgrenzungsmethodik eine Grundlage bildet, die durch das flexiblere Prinzip der Eigenverantwortlichkeit in Grenzfällen (zugunsten des Täters) komplementiert und auch dogmatisch gestützt wird.185 Letzteres vermeidet infolge der abweichenden Herleitung nämlich trotz weitgehend gleicher Ergebnisse die terminologischen Brüche, die man vor allem der am stärksten in den Bahnen des Teilnahmeargumentes verharrenden Rechtsprechung bis heute vorwirft.186 3. Rechtlich missbilligte Gefahrschaffung Ein von den gängigen Theorien der Tatherrschaftslehre und dem Prinzip der Eigenverantwortlichkeit stärker abweichender Ansatz hat sich in der neueren Diskussion herauskristallisiert. Er findet sich (begrenzt auf Fälle der Tötung) im Ansatz bei Herzberg187 und Schlehofer188, umfassender herausgearbeitet wurde er von Murmann. Anknüpfend an Vorarbeiten von Frisch189, welcher schon im Rahmen der durch BGHSt 32, 262 entfachten Diskussion um die Reichweite und Behandlung der Figur der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung klagte, die gebräuchliche Sichtweise hierzu stelle „die Dinge nachgerade auf den Kopf“ 190 will Murmann folgerichtig „die Bedeutung der Eigenverantwortlichkeit des Opfers in der dogmatischen Behandlung auf die Füße stellen“ 191. Dabei kommt es ihm darauf an, die Grenzlinie zwischen Selbst- und Fremdschädigung auf eine allgemeinere und primärrechtlich begründete Art zu ziehen. Die Modifikationen, welchen die naturalistisch orientierten Ansichten in den Grenzfällen von Teilnahme an der Selbst- und Fremdtötung unterworfen sind, kritisiert er ausdrücklich.192 Er zieht aus ihnen aber nicht den Schluss, die Änderungen seien notwen-
184 Roxin als Verfechter der Teilnahmelehre wandte sich in NStZ 1987, 345 ff. dem Prinzip der Eigenverantwortlichkeit zu und räumte ein, es sei „nicht unbedingt nötig“, die Abgrenzung anhand der Tatherrschaft zu thematisieren (347); Neumann, in: NKStGB, Vor § 211 Rn. 51 als Begründer jenes Prinzips der Eigenverantwortlichkeit stellt jetzt ausdrücklich auf die „Tatherrschaft“ über den letzten unmittelbaren Akt ab. 185 So bei Hohmann/König, NStZ 1989, 304 (305). 186 Zur allmählichen Erosion des Teilnahmearguments und dessen Ersetzung durch das an seine Stelle tretende Prinzip der Eigenverantwortlichkeit Neumann, GA 1996, 36. 187 NStZ 2004, 1 ff. 188 FS Herzberg, S. 358. 189 Primär dessen Werk „Tatbestandsmäßiges Verhalten und Zurechnung des Erfolgs“. 190 Frisch, NStZ 1992, 1 (5); vgl. auch ders., Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 3 ff. 191 Murmann, Selbstverantwortung, S. 333. 192 Murmann, Selbstverantwortung, S. 356.
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dig § 216 geschuldet193, sondern er nimmt sie zum Anlass, den Begriffen Selbstschädigung und Fremdschädigung einen neuen Sinn zu geben. Die Beteiligung an einer Selbstschädigung zeichnet sich demnach für ihn dadurch aus, dass sie kein rechtlich missbilligtes und damit kein tatbestandsmäßiges Verhalten verkörpert194, während die Fremdschädigung zunächst verbotenes Verhalten meint, das durch Einwilligung – so weit wie vom Gesetzgeber zugelassen – ins Erlaubte umgestaltet wird.195 Der Autor macht die rechtliche Missbilligung der Handlung damit zum maßgeblichen Abgrenzungskriterium.196 Soll die Verbotenheit des Täterhandelns nicht wie sonst aus verschiedenen Faktoren geschlossen werden, sondern umgekehrt selbst der entscheidende Faktor sein, kann sie das nur, wenn sich hinter der plakativen Fassade des Begriffes Kriterien von hinreichender Distinktionsqualität verbergen. Hierzu bedarf es noch der Klärung der Frage, auf welche Weise die auf vielfältigste Art vorstellbare Dynamik der Täter-Opfer-Interaktion über die Qualifikation des Täterverhaltens als „missbilligt“ oder „erlaubt“ entscheidet. Murmann vertraut hierfür auf die Lehre vom tatbestandsmäßigen Verhalten, deren Kern die Schaffung des rechtlich missbilligten Risikos ist.197 Eine solche Risikoschaffung scheide aus, wenn das Verhalten des Dritten dem Opfer nur die Möglichkeit biete, sich selbst zu schädigen.198 Seine konkrete Entscheidung für das Eingehen des als solches erkannten Risikos muss bei der Ermittlung rechtlich missbilligten Verhaltens hingegen außen vor bleiben199, sie ist beiden Fallgruppen eigen und hat den Gesetzgeber keineswegs daran gehindert, teilweise unterschiedliche Rechtsfolgen festzulegen. So kann Murmann auf den äußerlichen Herrschaftsaspekt dann doch nicht verzichten, Bedeutung erlangt er „aber eben nur eingeordnet in einem nor-
193 In diese Richtung Degener, Schutzzweck der Norm, S. 333 f.; Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 116 f. Fn. 73, der eine Grenzziehung, die von § 216 ausgehend auch allgemein gilt, aber für „denkbar“ hält. 194 Murmann, Selbstverantwortung, S. 333 ff.; Herzberg NStZ 2004, 1 (3); für die Selbstgefährdung schon Frisch, NStZ 1992, 1 (5). 195 Murmann, Selbstverantwortung, S. 336 ff. 196 Unschärfer Herzberg, NStZ 2004, 1 (6), der von einem „Kriterium der objektiven Zurechnung“ spricht. Im Ansatz neuerdings auch Grünewald, GA 2012, 364 (368), die aber keine gegenüber der Tatherrschaftslehre abweichenden Aspekte heranzieht, sondern primär die dogmatische Einkleidung der h. M. bemängelt. 197 Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 33 ff., 70 ff. et passim. 198 Murmann, Selbstverantwortung, S. 335. 199 Die Abgrenzungsfrage lautet simplifiziert: „Wäre bei Außerachtlassung des Opferwillens die Täterhandlung als rechtlich missbilligte Gefahrschaffung zu bewerten?“, Murmann, Selbstverantwortung, S. 360; ders., FS Puppe, S. 775. Ungenauer, aber zu ähnlichen Ergebnissen führend Herzberg, FS Puppe, S. 510, dessen Kontrollfrage lautet, ob der Fall selbst dann als Schädigung (z. B. Totschlag) einzustufen wäre, wenn der Täter vorsätzlich gehandelt hätte. Auch dahinter steckt im Ergebnis die Einsicht, dass die Zuordnung des Täterhandelns zu einem der Falltopoi nicht von subjektiven Befindlichkeiten der Beteiligten abhängt.
C. Abgrenzung eigenverantwortlicher Selbstgefährdung
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mativen Zusammenhang“ 200. Er lebt in dem vom Autor als für die rechtliche Missbilligung zentral erachteten Gesichtspunkt der Kontrolle über das Risiko weiter.201 Die Leistungsfähigkeit seines Modells erprobt Murmann anhand von bekannten Tötungsfällen, auch bei ihm zeigt sich, dass nicht jede Handlung des Dritten per se Täterschaft begründen muss, nur weil nicht zeitgleich oder danach das Opfer selbst Handlungsherrschaft erlangt. Nach ihm müsste der Täter im GiselaFall 202 straffrei ausgehen, da es „keine rechtlich missbilligte Gefahrschaffung [sei], eine Person, die diese Situation voll überblickt und beurteilen kann, einem Gas auszusetzen, dem sich diese Person durch Verlassen des Raumes ohne weiteres entziehen kann“ 203. Missbilligte Fremdschädigungen seien dagegen Handlungen von besonderer Gefährlichkeit, die mit höherer zeitlicher Unmittelbarkeit zum Erfolg führen (wie etwa das Würgen)204 oder die – diesen Punkt betont auch Herzberg205 – gegenüber einem Opfer erbracht werden, welches aufgrund hilfloser Lage schon keine wirkliche Rettungschance durch eigenes Handeln besitzt.206
II. Die Übertragung der Kriterien auf die Gefährdung Die kaum restlos auflösbaren Unstimmigkeiten der Abgrenzung von eigenverantwortlicher Selbstschädigung und konsentierter Fremdschädigung207 resultieren unter anderem daraus, dass mit der Einordnung in die eine oder andere Fallgruppe in den meisten praxisrelevanten Fällen gleichzeitig eine Entscheidung über Strafbarkeit und Straffreiheit einhergeht. Die an Äußerlichkeiten der Tatsituation festgemachte Unterscheidung bei der Gefährdung hat diese Last nicht in gleicher Weise zu tragen. Eine Vorschrift, die für den Fremdgefährdenden zwingend Strafbarkeit anordnet, existiert nicht, dies kann für § 216 unter Verweis 200
Murmann, Selbstverantwortung, S. 354. Der Aspekt, von dem Murmann, Selbstverantwortung, S. 354 zuvor sagte, es könne auf ihn „z. B. durchaus“ ankommen, spielt in allen Lösungen seiner Fallbeispiele (S. 361 ff.) eine Rolle; deutlicher („Entscheidungsmacht“) jetzt ders., FS Puppe, S. 774. 202 BGHSt 19, 135. 203 Murmann, Selbstverantwortung, S. 361, der für den Fall, dass es sich doch um eine rechtlich missbilligte Gefahr handelt, die Zurechnung zum Erfolg verneinen will (S. 362). 204 Murmann, Selbstverantwortung, S. 363. 205 NStZ 2004, 1 (6): „Die Entscheidung ist klar [. . .] wenn der Beitrag dem Opfer keine Chance lässt“; neuerdings nennt Herzberg, FS Puppe, S. 513 sein Abgrenzungskriterium das der „Unausweichlichkeit“. 206 Vgl. bei Murmann, Selbstverantwortung die Lösung des Scophedal-Falles“ (S. 363 f.), des Zivi-Falles (S. 364) sowie des modifizierten LKW-Überfahr-Falles von Herzberg (S. 365 f.). 207 Pessimistisch etwa Merkel, in: Hegselmann/Merkel (Hrsg.), Debatte über Euthanasie, S. 76, der davon ausgeht, dass die Verwirrung in der Diskussion um Selbst- und Fremdtötung „allein mit den Argumentationsmitteln der Dogmatik nicht zu klären ist“. 201
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Kap. 3: Der potentielle Anwendungsbereich der Einwilligung in ein Risiko
auf den eindeutigen Wortlaut bereits hier vorweggenommen werden. Diese geringere Relevanz der Trennung infolge der geänderten Funktion als „phänomenologische Vorprüfung“ 208 tastet aber die materiellen Grundlagen nicht an, deshalb sind die Unterscheidungskriterien im Wesentlichen gleich geblieben. Geblieben ist auch die Schwierigkeit der am Phänomen ausgerichteten Abgrenzung. So wurde Herzbergs fast ins Absurde zugespitztes LKW-Suizid-Beispiel209 als vergleichbarer Gefährdungssachverhalt in einer Spielshow Realität, in der ein Kandidat sich nicht zum Zwecke der Selbsttötung vor ein fremdgesteuertes Fahrzeug stürzen, sondern stattdessen zum Beweis seines artistischen Könnens über eben dieses springen wollte und sich hierbei schwere Verletzungen zuzog. Eben derartige Fälle einverständlichen Zusammenwirkens von Täter und Opfer bei risikobehaftetem Verhalten sind nach wie vor der wesentliche Streitpunkt. Mehrheitlich wird in Rechtsprechung und Schrifttum auf die Gefährdungsherrschaft, d.h. das in-den-Händen-Halten des unmittelbar zum Erfolg führenden riskanten Geschehens abgestellt210 und dies häufiger mit dem Teilnahmeargument erklärt.211 Manche Autoren haben sich mit dessen Ableitung auf Gefährdungsfälle freilich nicht begnügt, es aber im Grundsatz bestätigt und auf Kosten des extensiven Täterbegriffs an die Fahrlässigkeitsdogmatik angepasst.212 Die hierdurch erlangte Erkenntnis, die eigenhändig-unmittelbare Gefahrschaffung des Opfers begründe entsprechend § 25 Abs. 1 Alt. 1 eine Vermutung für dessen Folgenverantwortung (die durch § 25 I 2. Alt. widerlegt werden könne)213, stellt materiell keine Abweichung gegenüber der h. M. dar.214 Beherrscht das Opfer ge208 Mayer, Produktverantwortung, S. 318; so auch Walther, Eigenverantwortlichkeit, S. 111: „Funktion einer vorläufigen Zuordnung der Verantwortlichkeit“ [Hervorhebung im Original]. 209 Herzberg, JA 1985, 131 (137). 210 BGHSt 53, 55 (61); BGHSt 49, 34; BayObLG, JZ 1989, 1073; OLG Zweibrücken, JR 1994, 518 (519); OLG Koblenz, BA 2002, 483 (484); Fischer, Vor § 13 Rn. 37; Roxin, JZ 2009, 399 (400); Kühl, AT, § 4 Rn. 89; Lackner/Kühl, § 228 Rn. 12; Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, Vor § 32 Rn. 107; Walter, in: LKStGB, Vor § 13 Rn. 132; Hellmann, FS Roxin I, S. 272; Rönnau, in: LK-StGB, Vor § 32 Rn. 167; Mayer, Produktverantwortung, S. 315; Eschweiler, Selbstgefährdung, S. 30; Christmann, Jura 2002, 679 (680); Dölling, FS Geppert, S. 55; Kindhäuser, LPK-StGB, Vor § 13 Rn. 220; Prittwitz, JA 1988, 427 (431 f.); Saal, NZV 1998, 49 (53); Hammer, JuS 1998, 785 (788); Trüg, JA 2002, 214 (220); M. Heinrich, in: HK-GS, Vor § 13 Rn. 140; Eisele, JuS 2012, 577 (580). 211 BGHSt 53, 55 (61); BGHSt 49, 34; BayObLG, JZ 1989, 1073; Fischer, Vor § 13 Rn. 37; Dölling, FS Geppert, S. 55; Roxin, FS Gallas, S. 250; Kindhäuser, LPK-StGB, Vor § 13 Rn. 221; Trüg, JA 2002, 214 (219). 212 Degener, Schutzzweck der Norm, S. 292 ff.; Walther, Eigenverantwortlichkeit, S. 117 ff.; Renzikowski, HRRS 2009, 347 (349 ff.). 213 Degener, Schutzzweck der Norm, S. 335; Walther, Eigenverantwortlichkeit, S. 111. 214 Gleiches gilt für die abweichende Herleitung über das Prinzip der Eigenverantwortlichkeit, hierzu für den Zivi-Fall Hecker/Witteck, JuS 2005, 397 (401); vgl. bereits
C. Abgrenzung eigenverantwortlicher Selbstgefährdung
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meinsam mit dem Täter den Kausalverlauf („Quasi-Mittäterschaft“), wird wie in den Schädigungsfällen mehrheitlich von einer Selbstgefährdung ausgegangen.215 In der HIV-Diskussion zum Ende der achtziger Jahre wurde der Versuch unternommen, als tatherrschaftsbegründend nicht die Herrschaft über die gefährliche Handlung, sondern die Inhaberschaft der Gefahr selbst – also des Virus – anzusehen.216 Die bereits vorgestellte Einteilung von Murmann wird von diesem (wie bereits zuvor von Frisch217) unverändert auch bei Rechtsgutsgefährdungen vorgenommen. Demzufolge soll das hier befürwortete Fehlen der rechtlichen Missbilligung bei der Teilnahme an fremder Selbstgefährdung die Grenze zwischen den Fallgruppen markieren, „einverständliche Fremdgefährdung“ also tatbestandlich missbilligte, aber durch Einwilligung rechtfertigbare Gefährdungshandlungen meinen. Die phänomenologischen Grenzfälle „quasi-mittäterschaftlichen“ Tuns sind in Murmanns Terminologie dann meistens durch Einwilligung zu rechtfertigende einverständliche Fremdgefährdungen218, da ein risikobehaftetes Täterverhalten, dem kein autonomes Opferverhalten mehr nachfolgt, in vielen Fällen als rechtlich missbilligt anzusehen sein wird.
oben, Kapitel 3, C. I. 2. Auch die Lösung von Schünemann, JR 1989, 89 (90); ders., in: Szwarc (Hrsg.), AIDS und Strafrecht, S. 13 f. unterscheidet sich nur in terminologischer Hinsicht und führt keine neue Abgrenzungsmethodik ein: Für ihn sind als zurechnungsausschließende „eigenverantwortliche Selbstgefährdung“ lediglich die (im Ergebnis eindeutigen) Fälle zu bezeichnen, in denen das Opferverhalten dem Täterverhalten zeitlich nachfolgt. Zur Ermittlung täterschaftlichen Verhaltens bei arbeitsteiligem Zusammenwirken der Protagonisten (für Schünemann: „einverständlicher Fremdgefährdung“) stellt er jedoch ebenfalls auf die Tatherrschaft ab, so in JR 1989, 89 (90) und in Szwarc (Hrsg.), AIDS und Strafrecht, S. 14. 215 Kühl, AT, § 4 Rn. 89; Rudolphi, in: SK-StGB, Vor § 1 Rn. 81a; Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, Vor § 32 Rn. 107; Walter, in: LK-StGB, Vor § 13 Rn. 132; Hirsch, in: LK11-StGB, Vor § 32 Rn. 94 Fn. 154; Meier, GA 1989, 207 (219); Mayer, Produktverantwortung, S. 315; Duttge, NStZ 2009, 690 (692); Eschweiler, Selbstgefährdung, S. 34; Hugger, JuS 1990, 972 (975 ff.); Prittwitz, NJW 1988, 2942 (2943); Dölling, GA 1984, 71 (78); Amelung/Eymann, JuS 2001, 937 (938); Eisele, JuS 2012, 577 (580); Luzón Peña, GA 2011, 295 (308); Walther, Eigenverantwortlichkeit, S. 134 ff., 144 ff.; Trüg, JA 2002, 214 (219). Für eine einverständliche Fremdgefährdung in solchen Fällen BGHSt 49, 34 (39); Helgerth, NStZ 1988, 261 (262); H.-W. Mayer, JuS 1990, 784 (787); tendenziell Degener, Schutzzweck der Norm, S. 376 Fn. 970; lediglich begrifflich Schünemann, JR 1989, 89 (90); ders., in: Szwarc (Hrsg.), AIDS und Strafrecht, S. 13 f.; ders., in: Schünemann (Hrsg.), Strafrecht und Betrug, S. 75. 216 Roxin, AT I, § 11 Rn. 133; Hellmann, FS Roxin I, S. 273; Helgerth, NStZ 1988, 261 (262); ähnlich H.-W. Mayer, JuS 1990, 784 (787); ablehnend BayObLG, NStZ 1990, 81 (82); LG Kempten, NJW 1989, 2068 (2069 f.); Prittwitz, JA 1988, 427 (432); Meier, GA 1989, 207 (219); Hugger, JuS 1990, 972 (974); Walter, in: LK-StGB, Vor § 13 Rn. 133; mit teils abweichender Begründung Dölling, JR 1990, 474 (475). 217 NStZ 1992, 1 ff., 62 ff. 218 Murmann, Selbstverantwortung, S. 427 Fn. 452. Vgl. auch ders., FS Puppe, S. 774 f.
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Kap. 3: Der potentielle Anwendungsbereich der Einwilligung in ein Risiko
III. Stellungnahme 1. Zur Untauglichkeit der Tatherrschaftstheorie Bereits bei der Auseinandersetzung mit dem Teilnahmeargument wurde deutlich, dass eine Grenzziehung zwischen fremd- und selbstschädigendem Verhalten nach Kriterien der Lehre von Täterschaft und Teilnahme nicht wie sonst in der Weise funktioniert, dass man mit ihr eine Einordnung in ein System von primärer und sekundärer deliktischer Verantwortlichkeit vornimmt219, es findet nicht mehr eine graduelle Beurteilung des „wie“, sondern eine prinzipielle des „ob“ eines Verstoßes gegen eine strafrechtliche Verhaltensnorm statt.220 Freilich ist die Verwendung des Tatherrschaftskriteriums lediglich ein terminologisches Gewand, sich aus der pseudo-logischen Begründung des Teilnahmearguments ergebend, mit dem die vorherrschende Erkenntnis, dass bei gleichrangigem Wissen und Wollen der Beteiligten die Steuerung des Geschehens der entscheidende Faktor für die Annahme einer tatbestandlichen Fremdgefährdung oder -schädigung ist221, systematisch eingekleidet wird. Es passt nur, wenn man es weitet, indem man den Tatbegriff auf Taten im natürlichen Sinne erstreckt.222 Eine derart „entkernte“ Herrschaft überwindet mit größerer Leichtigkeit deliktssystematische Reibungen223, die sich bei allzu enger Bindung an das System der §§ 25 ff. beim Wechsel von Vorsatz zu Fahrlässigkeit unweigerlich ergeben müssten. Eine solche Bindung hatte Schilling224 vorgeschlagen, als er (im Ansatz konsequent) die Tatherrschaft auch bei der Abgrenzung von Selbsttötung und Beihilfe zum Suizid als Tatbestandsverwirklichungsherrschaft verstehen wollte.225 Er war mit seinen Ergebnissen durchgehend auf Kritik von mehreren Seiten gestoßen226, was die Vermutung nährt, dass man das Teilnahmeargument „gar nicht wirklich ernst“ 227 nehmen darf, um einen mehrheitlich für praktikabel und gerecht befundenen Ab-
219 Kritisch Neumann, JA 1987, 244 (247 f.); Murmann, Selbstverantwortung, S. 331; Cancio Meliá, ZStW 111 (1999), 357 (369 f.). 220 Neumann, JA 1987, 244 (247 f.); Degener, Schutzzweck der Norm, S. 294; Puppe, GA 2009, 486 (493); zusammenfassend Murmann, Selbstverantwortung, S. 353; vgl. auch Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 4. 221 Hohmann/König, NStZ 1989, 304 (306). 222 Vgl. Kapitel 1, B. II. 1. a). 223 Vgl. etwa für die „Gefährdungsherrschaft“ Renzikowski, HRRS 2009, 347 (350). 224 JZ 1979, 159 ff. 225 Systematisch unrichtig war dann allerdings Schillings Hinzuziehen der rechtfertigenden Einwilligung, mit der er einer zu weitgehenden Bestrafung des Selbstschädigungsteilnehmers entgegenwirken wollte, JZ 1979, 159 (167). Eine solche Bestrafung fordert Kion, Beteiligung am Selbstmord, S. 89 ff. 226 Bottke, Suizid und Strafrecht, S. 237 ff.; Degener, Schutzzweck der Norm, S. 296 ff.; Murmann, Selbstverantwortung, S. 327 ff.; Hohmann/König, NStZ 1989, 304 (307); Herzberg, JA 1985, 131 (134). 227 Hellmann, FS Roxin I, S. 282.
C. Abgrenzung eigenverantwortlicher Selbstgefährdung
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grenzungsvorschlag zu erhalten. Treffender ist für diesen dann die Bezeichnung Geschehensherrschaft 228, jene hat mit der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme beim Handeln von mehreren Beteiligten gegenüber den Rechtsgütern eines Dritten aber nicht mehr viel zu tun und lässt das Gesamtgebilde als dogmatisch entwurzelt dastehen.229 Mit dem Scheitern des Teilnahmearguments kann sich eine an Äußerlichkeiten orientierte Betrachtung nicht mehr ohne logischen Bruch auf das Vorbild der gesetzlichen Regelungen zu Täterschaft und Teilnahme berufen, eine derart fundierte Trennung hat ihre Daseinsberechtigung verloren. Denkbar wäre allenfalls, zur „Rettung“ einer Herrschaftslösung hilfsweise ein Argument von Roxin zu Rate zu ziehen, der die Notwendigkeit einer Abgrenzung anhand der Geschehensherrschaft damit greifbar machen will, dass sich nur der durch einen anderen Gefährdete, nicht jedoch der sich selbst Gefährdende einer unübersehbaren Entwicklung ausliefere, in die er nicht mehr durch eigenes Tun steuernd eingreifen und bestimmen könne, wie weit er gehen will.230 Tatsächlich wird – während man zum Teil im gleichen Atemzug die Untauglichkeit der Teilnahmeargumentation konzediert231 – zunehmend auf eben diesen Erklärungsansatz zurückgegriffen.232 Woher er aber seine Strahlkraft nimmt, ist kaum begreifbar, da er in strafrechtsdogmatischer Hinsicht dunkel bleibt und oft nur mit apodiktischen Plausibilitätsappellen233 gestützt wird. Dabei bestünde hier durchaus Erklärungsbedarf, denn soweit man wie Duttge das Argument als Fingerzeig auf immer bestehende strukturelle Unterschiede in der Risikodimension deutet, die bei der einverständlichen Fremdgefährdung aufgrund der nur mittelbaren Einflussmöglichkeiten pauschal größer sein soll234, erscheint eine so begründete Grenze nicht in Stein gemeißelt. Es wird für jemanden beispielsweise viel gefährlicher sein, als Führerscheinneuling mit dem von einem professionellen Rennfahrer zur Verfügung ge-
228 Zu finden bei Walther, Eigenverantwortlichkeit, S. 137; Puppe, GA 2009, 486 (491) („Herrschaft über das zum Tode führende Geschehen“). 229 Murmann, Selbstverantwortung, S. 331: „. . . verfehlt die Rede von der Beteiligung von vornherein ihren normativen Sinn“. 230 Roxin, FS Gallas, S. 250; ders., JZ 2009, 399; Burgstaller, Fahrlässigkeitsdelikt, S. 167 Fn. 91. Vgl. dazu schon Kapitel 1, C. I. 231 So Hellmann, FS Roxin I, S. 272, 282; Duttge, FS Otto, S. 230, 244. 232 Duttge, FS Otto, S. 230; Hellmann, FS Roxin I, S. 272; Dölling, FS Geppert, S. 55; Prittwitz, NJW 1988, 2942; Herzberg, JA 1985, 265 (272); Lasson, ZJS 2009, 359 (366); Leupold, Erfolgsdelikte, S. 122 f.; Saal, NZV 1998, 49 (53); Eschweiler, Selbstgefährdung, S. 50; Luzón Peña, GA 2011, 295 (305); Trüg, JA 2004, 597 (598). 233 Roxin, JZ 2009, 399: „leicht zu sehen“; Duttge, FS Otto, S. 230: „einleuchtend“; Prittwitz, NJW 1988, 2942: „leuchtet ein, daß es nicht dasselbe ist“; Lasson, ZJS 2009, 359 (366): „es besteht ein Unterschied“; Heinrich, AT, Rn. 1049: „es macht einen Unterschied“; vorsichtiger Hellmann, FS Roxin I, S. 272: „nicht zwingend, [. . .] aber grundsätzlich durchaus plausibel“. 234 Duttge, FS Otto, S. 230.
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Kap. 3: Der potentielle Anwendungsbereich der Einwilligung in ein Risiko
stellten Fahrzeug bei einem waghalsigen Autorennen mitzufahren, als sich von eben jenem Rennfahrer dazu überreden zu lassen, bei dem Rennen ohne jede (auch verbale) Einflussmöglichkeit als dessen Beifahrer teilzunehmen. Ebenso wurde bereits darauf hingewiesen, dass die fehlende Möglichkeit, den Kausalverlauf jederzeit abbrechen zu können, schwer zu belegen ist.235 Möglicherweise könnte das fremdgefährdete Opfer durch verbale Einflussnahme auf den Täter den fremdgesteuerten Kausalverlauf zuverlässig beenden. Die Unsicherheiten in diesem Bereich236 sprechen dagegen, dass die ersatzweise anstelle des Teilnahmearguments angeführte Begründung für die Handlungsherrschaft als Unterscheidungsmaßstab zwischen einverständlicher Fremdgefährdung und eigenverantwortlicher Selbstgefährdung tragfähig ist und den „tieferen Sinn“ der Differenzierung widerspiegelt.237 Das von Luzón Peña in die Diskussion eingebrachte, auf dem römischen Recht beruhende „Alteritätsprinzip“ 238 bleibt als Stütze der Tatherrschaftslehre konturenlos und grob, denn auch bei Ermöglichung einer Selbstschädigung oder -gefährdung sind mehrere Rechtssubjekte beteiligt.239 Es fehlt an der verbindenden Erklärung, weshalb gerade die äußerliche Beherrschung des Geschehens darüber entscheidet, ob – in Luzón Peñas Terminologie – Alteritäts- oder Identitätsmaßstäbe anwendbar sind. Wie leistungsfähig ein Abgrenzungskriterium ist, zeigt sich in den Grenzfällen – hier: der gemeinschaftlichen Gefährdung. Dort schneidet das Tatherrschaftskriterium schlecht ab. Die Herrschaft über das gefährliche Geschehen haben im kritischsten Fall beide Protagonisten.240 Es ließe sich dann ebenso eine zur Selbstgefährdung führende Tatherrschaft des Opfers wie eine zur Fremdgefährdung führende Tatherrschaft des Täters begründen, beide Sichtweisen erscheinen problemlos möglich.241 Normativiert man die Herrschaft zur schärferen Grenzziehung stärker, trägt das Argument des Ausgeliefertseins gegenüber dem Dritten nicht mehr, dieses ist ersichtlich auf eine so weit wie möglich faktisch verstandene Herrschaft zugeschnitten. Die bei Berücksichtigung der eigentlichen Herkunft des Tatherrschaftskriteriums näher liegende242 Anwendung des Rechtsgedankens des § 25 II auf solche Fälle wird mittlerweile – im Ergebnis zu Recht – durchgehend abgelehnt.243 Stattdessen entdeckt die h. M. plötzlich die Vorzüge 235
s. Kapitel 1, C. I. Hierzu noch unten, Kapitel 3, C. III. 3. b). 237 So Roxin, FS Gallas, S. 250; ihm folgend Prittwitz, NJW 1988, 2942 (2943). 238 Luzón Peña, GA 2011, 295 (303 ff.). 239 s. Kapitel 1, B. I. 240 Zu diesem Punkt Murmann, Selbstverantwortung, S. 417; vgl. ebenso die Unsicherheiten bei Hellmann, FS Roxin I, S. 284 und Kühl, NJW 2009, 1158. 241 So auch Schild, Sportstrafrecht, S. 83. 242 Als „erstaunlich“ bezeichnete kürzlich Herzberg, FS Puppe, S. 503 das favorisierte gegenteilige Ergebnis der Straflosigkeit eines solchen „Mittäters“. 243 Vgl. schon Fn. 164 u. 165 dieses Kapitels. 236
C. Abgrenzung eigenverantwortlicher Selbstgefährdung
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einer Unanwendbarkeit bestimmter Zurechnungsnormen infolge der fehlenden Unrechtsqualität der Opferhandlung und der „Eigenverantwortlichkeit“ des Opfers.244 Mit Recht beklagt Murmann deshalb den dezisionistischen Charakter derartiger Entscheidungen, wem die Verantwortung für das Geschehen bei dessen gemeinschaftlicher Gestaltung zuzuschreiben ist245 und weist darauf hin, dass die rein naturalistische Herrschaftsbetrachtungsweise hier an ihre Grenzen gerate und auch durch immer feinere Aufspaltung der Tatbeiträge nicht an Schärfe gewinne.246 Vielmehr ist sie gerade hierdurch ein leichtes Ziel für die immer wiederkehrende Kritik, sie führe zu Zufallsergebnissen. Nicht ohne weiteres mit der Tatherrschaftslehre verträglich ist schlussendlich das gängig vertretene247 Zuspitzen der Herrschaftsbetrachtung auf die letzte unmittelbare Handlung. Eine Begründung hierfür liest man (wenn überhaupt) für die Fälle vorsätzlicher Schädigung, hier entnimmt man die Relevanz des letzten unmittelbaren Aktes dem § 216.248 Unabhängig davon, ob man derartige Sonderregeln kritisch sieht249, würde das bedeuten, dass es außerhalb von § 216 tatsächlich auf eine Art funktionelle Tatherrschaft in Form einer „(Mit-)herrschaft im Ausführungsstadium“ 250 oder – konsequent einer extensiveren Tatherrschaftslehre folgend251 – gar einer gewichtigen Beteiligung im Vorbereitungsstadium ankommen müsste, beispielsweise bei der Frage, ob der Eigentümer selbst oder ein Dritter eine Sache zerstört hat. Doch wird die Herrschaft über den letzten Akt auch außerhalb finaler Tötungsfälle überwiegend als entscheidend angesehen252, was vermuten lässt, dass die Regel der Relevanz des letzten unmittelbaren Aktes keine dem § 216 entnehmbare, sondern eine dem Rechtsgefühl entnommene ist.
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Vgl. Fn. 165 u. 181 dieses Kapitels. Murmann, FS Puppe, S. 775. 246 Murmann, Selbstverantwortung, S. 415 f.; dem widerspricht Duttge, FS Otto, S. 244, der eine Ablehnung des Tatherrschaftskriteriums als „grundstürzende Konsequenz“ betrachtet und meint, eine solche würde auch die Abkehr von der Tatherrschaft im Bereich der Beteiligungslehre nahe legen. Letzteres erscheint unbegründet, da nur dort die Vorschriften zu Täterschaft und Teilnahme überhaupt Anwendung finden dürfen und kraft Gesetzes Anwendung finden. 247 Bereits Fn. 162 dieses Kapitels. 248 Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, S. 569. 249 Degener, Schutzzweck der Norm, S. 333; Ingelfinger, Tötungsverbot, S. 222; Schneider, in: MK1-StGB, § 216 Rn. 45; ihm folgend Herzberg, NStZ 2004, 1 (3). 250 Ausdrücklich Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, S. 571. 251 Vgl. Fischer, § 25 Rn. 11 m.w. N. 252 Otto, FS Tröndle, S. 167, der darauf auch für die Abgrenzung von Selbst- und Fremdkörperverletzung abstellen will. Ebenso Rain, Doping, S. 31. Für Selbst- und Fremdgefährdung explizit BGHSt 53, 55 (61); Dölling, FS Geppert, S. 56; ders., GA 1984, 71 (78); Rönnau, in: LK-StGB, Vor § 32 Rn. 167; Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, Vor § 32 Rn. 107; Schild, Sportstrafrecht, S. 84. 245
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2. Alternative Fundierung: Rechtliche Missbilligung des zum Erfolg führenden Kausalverlaufs Es fehlt folglich an einer überzeugenden dogmatischen Verankerung für den auch hier als richtig empfundenen Standpunkt, dass die Ausführung der zum Erfolg führenden Verletzungshandlung entweder durch den Täter oder durch das Opfer im Mindesten in systematischer Hinsicht von Bedeutung ist. Die Teilnahmelehre, mag sie oft zu nachvollziehbaren Ergebnissen führen253, entbehrt einer solchen, andererseits kann nicht jedes Kausalwerden – wie Schilling254 meint – zur Bejahung des Tatbestandes führen, wenn das Opfer mit der Gefährdung einverstanden ist. Eine nicht nur naturkausale Betrachtung, sondern Bewertung des zum deliktischen Erfolg führenden Geschehens unter normativen Aspekten findet üblicherweise erstmals auf der Stufe der objektiven Zurechnung statt. Richtigerweise sieht daher Ingelfinger als Vertreter des zunehmend vertretenen normativen Prinzips der Eigenverantwortlichkeit255 die Abgrenzungsfrage als „im Kern ein Zurechnungsproblem“ 256 an, doch ist dieses Prinzip insoweit farblos, als es die fehlende Verantwortlichkeit des Helfers für den eingetretenen Erfolg nur pauschal mit der fehlenden Unrechtsqualität selbstschädigenden Verhaltens erklärt.257 Stellt man sich die Frage, weswegen auch die ermöglichende Handlung nicht tatbestandsmäßig ist, stößt man auf das Erfordernis der Schaffung eines rechtlich missbilligten bzw. relevanten Risikos, welche heute mehrheitlich als erste Stufe der objektiven Zurechnung betrachtet wird.258 Dort geht es, wie Frister anmerkt, um eine isolierte Betrachtung allein des zum Erfolg führenden Kausalverlaufs, bei der neben möglichen Rechtfertigungsgründen das innere Einverstandensein des Opfers mit der gefahrschaffenden Aktivität außer Betracht bleiben muss.259 Hier gilt bereits Ausgeführtes: Rechtlich missbilligen darf der Staat auf der Grundlage unserer Verfassung keine allein gegen eigene Rechtsgüter gerichteten Verhaltensweisen.260 Dementsprechend kommt dem unvermeidlich äußerlichen
253 Dazu Herzberg, NStZ 2004, 1 (6), für den die „breite Anerkennung [des Tatherrschaftskriteriums] ein Zeichen dafür ist, dass es auf der falschen Ebene sehr wohl möglich bleibt, zwischen Delikt und Straffreiheit richtig zu unterscheiden“. 254 JZ 1979, 159 (166). 255 Vgl. Kapitel 3, C. I. 2. 256 Ingelfinger, Tötungsverbot, S. 223; Neumann, JZ 1987, 244 (249). 257 Ingelfinger, Tötungsverbot, S. 224, führt vage aus, dem Teilnehmer an einer Selbsttötung einen Vorwurf zu machen, sei wegen eben dieses fehlenden Unrechts „nicht gut möglich“. Ähnliche Kritik am Eigenverantwortlichkeitsprinzip bei Chatzikostas, Disponibilität des Rechtsgutes Leben, S. 34 f. 258 Dazu nur Roxin, AT I, § 11 Rn. 53; zur Gegenposition Frisch, FS Roxin I, S. 221, 232. 259 Frister, AT, 10/2; 15/14. 260 Vgl. Kapitel 1, B. I.
C. Abgrenzung eigenverantwortlicher Selbstgefährdung
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Umstand, dass eine Person, der ihr Verhalten nach der geltenden Rechtsordnung nicht verboten werden kann, für den Eintritt des Erfolges noch von ihrer Handlungsfreiheit Gebrauch machen muss, besondere Bedeutung für die rechtliche Bewertung des durch den Dritten gesetzten Risikos zu, jener schließt ein Missbilligungsurteil aus. Fehlt es andererseits an dieser Voraussetzung und ist die Handlung nach den allgemeinen Regeln rechtlich missbilligt, sollte in Bestätigung von Murmanns Terminologie261 von einer einverständlichen Fremdgefährdung gesprochen werden. Es soll anhand dieses Unterscheidungskriteriums nun versucht werden, die einverständliche Fremdgefährdung als Fallgruppe zu präzisieren. 3. Die Anwendung des Kriteriums im Einzelfall a) Nicht mehr als eigenverantwortliche Selbstgefährdung zu qualifizierende Rechtsgutsgefährdungen Im Ergebnis außer Zweifel steht die rechtliche Missbilligung des Risikos dort, wo das Opfer die Gefahr, in der es schwebt, schon gar nicht erkennt, sich also unbewusst selbst gefährdet, nicht zu vernünftiger Entscheidung in der Lage ist oder zur Gefährdung gezwungen wird.262 Entscheidend ist, dass in einem Verhalten unter derartigen Umständen keine von der Rechtsordnung zu beachtende Persönlichkeitsentfaltung des Gefährdeten gesehen werden kann. Ab wann eine eigentlich erlaubte Handlung allein aufgrund von in der Person des Gefährdeten liegenden Gründen in eine rechtlich missbilligte umschlägt und nach welchen Regeln sich dies bestimmt, soll nicht weiter verfolgt werden. Ähnlich deutlich als rechtlich missbilligte Gefahrschaffungen zu qualifizieren sind Fälle, in denen das Verhalten des Täters ein unmittelbares Eindringen in eine fremde Rechtssphäre darstellt, beispielsweise das Schießen oder Einschlagen263 auf eine Person, die Injektion eines lebensgefährlichen Medikaments oder die Einwirkung auf eine Sache durch körperliche Gewalt. Derartige Verhaltensweisen sind – wenn sie im Einverständnis mit dem Geschädigten stattfinden – einverständliche Fremdgefährdungen.264 Über Ausnahmen hiervon ließe sich allenfalls im Sonderbereich des Sports nachdenken, in dem es typischerweise sehr häufig zu solch risikoträchtigen Handlungen kommt, diese (und bis einem gewissen Grad die daraus resultierenden Folgen) aber von allen Beteiligten als Teil des Spiels akzeptiert werden und wo ein Regelwerk des jeweiligen Sportverbandes 261 Deutlich formaler, aber dennoch die Abgrenzung auf Unterschiede bei der objektiven Zurechnung stützend Herzberg, NStZ 2004, 1 (4 ff.); ders., FS Puppe, S. 510. 262 Dazu nur Frisch, JuS 2011, 116 (120). 263 Zu einem solchen Fall einer Gefährdung BayObLG, NStZ 1999, 458 (Aufnahmeritual einer Jugendbande). 264 Mit unterschiedlicher Begründung, aber im Ergebnis einig Herzberg, NStZ 2004, 1 (7); Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 118.
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Kap. 3: Der potentielle Anwendungsbereich der Einwilligung in ein Risiko
die Grenzen absteckt und Sanktionen für Zuwiderhandeln vorsieht. Diese Fälle, deren Einordnung der Tatherrschaftslehre aufgrund der Gemeinschaftlichkeit der Gesamtaktivität und der Reziprozität der Gefährdungen allergrößte Schwierigkeiten bereitet265, wären nach hier vertretener Auffassung eigentlich als einverständliche Fremdgefährdungen anzusehen.266 Sie einem sportspezifischen Verhaltensstandard zu unterwerfen267, damit grundsätzlich als nicht rechtlich missbilligt anzuerkennen und so der üblichen Einteilung in Selbst- und Fremdgefährdung zu entziehen268, erscheint möglich, eine nähere Überprüfung dessen geht über den Rahmen dieser Arbeit jedoch hinaus und ist – da bereits mehrfach monographisch erfolgt269 – auch nicht erforderlich. Wenn sich die rechtliche Missbilligung bei Freiverantwortlichkeit des Sich-Gefährdenden nur anhand des isoliert zu überprüfenden, vom Dritten in Lauf gesetzten Kausalverlaufs bemisst, ist gleichzeitig klar, dass die gemeinsame Herrschaft der Beteiligten über diesen für sich genommen keine Funktion erfüllt. Aus diesem Grund lassen sich viele Zweifelsfälle der Tatherrschaftsdiskussion deutlicher lösen. Eine unterschiedlich interpretierbare „Mitherrschaft“, welche dazu genutzt werden kann, die Bewertung des Geschehens in Richtung der gewünschten „Quasi-Mittäterschaft“ (= Straflosigkeit) zu verschieben, taugt nach der hier befürworteten Grenzziehung nicht als Ansatzpunkt für größere Zweifel bezüglich der Einordnung. Das erspart das fruchtlose Sinnieren etwa darüber, dass der Geschlechtsverkehr typischerweise vom gleichrangigen Zusammenwirken der Beteiligten geprägt ist270, der Beifahrer des Straßenrennens wie bei einer Rallye mög-
265 Vgl. Hähle, Sportverletzungen, S. 73 („einverständliche Gegenseitigkeitsgefährdung“); Schild, Sportstrafrecht, S. 90. Die an der Tatherrschaft ausgerichtete Unterscheidung zwischen Selbst- und Fremdgefährdung wird gerade in der sportstrafrechtlichen Literatur als untauglich kritisiert, z. B. bei Berkl, Sportunfall, S. 109; Hähle, Sportverletzungen, S. 146 ff.; Schild, Sportstrafrecht, S. 86 f.; das Gleiche gilt für die Einwilligung als Lösungsinstitut für Gefährdungen im Sportbereich, vgl. Dölling, ZStW 96 (1984), 36 (41 ff.); Berkl, Sportunfall, S. 117 ff.; Zipf, Einwilligung, S. 92; Hähle, Sportverletzungen, S. 75 ff.; Rössner, FS Hirsch, S. 315 ff.; teilweise auch Eser, JZ 1978, 368 (370). 266 Ebenso Hähle, Sportverletzungen, S. 72 ff. auf Grundlage einer Tatherrschaftsbetrachtung, wonach sich die Einordnung erst „in der letzten Zehntelsekunde“ (S. 74) ergebe. 267 Dafür Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, § 15 Rn. 220; Eser, JZ 1978, 368 (371 ff.); Rössner, FS Hirsch, S. 319 ff.; Zipf, Einwilligung, S. 77 ff.; Schild, Sportstrafrecht, S. 116 ff.; Dölling, ZStW 96 (1984), 36 (49 ff.); Ensthaler, Einwilligung, S. 58; Kubink, JA 2003, 257 (259). 268 Was wiederum das Abgrenzungsproblem mit sich bringt, festzulegen, was noch als „Sport“ gesehen werden kann. Anschaulich Spoenle, NStZ 2011, 552 (555) für abgesprochene Schlägereien („Matches“) unter Fußballhooligans. 269 Hähle, Sportverletzungen, S. 25 ff. et passim; Berkl, Sportunfall, S. 79 ff. et passim; Schild, Sportstrafrecht, S. 90 ff.; für das Zivilrecht Götz, Sportverletzungen, S. 119 ff. et passim. 270 Vgl. die Angaben Fn. 215 u. 216 dieses Kapitels.
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licherweise Kommandos an den Fahrer gibt271 oder der auf dem Dach liegende „Auto-Surfer“ mit seinen athletischen Fähigkeiten, sich bei hoher Geschwindigkeit dort oben zu halten über den Ausgang des Unternehmens mitentscheidet.272 b) Grenzfälle Die erhöhte Trennschärfe des Kriteriums der rechtlichen Missbilligung engt den unsicheren Bereich somit gegenüber der Tatherrschaftslehre ein, ganz zu beseitigen ist er freilich nicht. Das zeigen schon die unterschiedlichen Ergebnisse, zu denen Befürworter dieses Abgrenzungsmaßstabs in klassischen Grenzfällen auf dem Gebiet von Fremdtötung und Beteiligung an fremder Selbsttötung kommen.273 Um eine Grenze möglichst genau zu ziehen ist erforderlich, sich der Problematik von der Seite der Selbstgefährdung aus zu nähern und sich über den Aspekt der tätlich ausgeübten Handlungsfreiheit, der bei der Prüfung der rechtlichen Missbilligung des Risikos neben die üblichen Gesichtspunkte274 tritt und so für das Verneinen des rechtlich missbilligten Risikos verantwortlich ist, klar zu werden. Davon ausgehend ist dann jeweils zu prüfen, für welche Fälle oder Falltypen er noch in welchem Maße Gültigkeit beanspruchen kann. Einfach ist die Zuordnung zur Fallgruppe der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung bei zeitlichem Nacheinander von Täter- und Opferbeitrag, was dennoch nichts daran ändert, dass die zeitliche Abfolge für sich genommen nicht der entscheidende Faktor ist.275 Es wurde bereits erwähnt, dass das eigenhändige Tun des Opfers nicht bereits zwingend die Abgrenzungslinie vorgeben muss276, weshalb auch äußerlich anders gelagerte Falltypen als eigenverantwortliche Selbstgefährdungen qualifiziert werden können. Konkret ist damit die Frage angesprochen, wie Konstellationen zu bewerten sind, in denen zwischen dem Täterbeitrag und dem Erfolg zwar kein relevantes freiverantwortliches Tun des Rechtsgutsträgers mehr liegt, wohl aber man sein Verhalten als ein „relevantes Unterlassen“ einstufen könnte. Es geht um die bekannten Fälle, in denen es dem Gefährdeten möglich scheint, sich der Gefahr zu entziehen, er dies trotzdem nicht tut und so schließlich der Erfolg eintritt. Charakteristisch für diesen Falltypus ist, dass es zum Eintritt des Erfolges keines se271 Kühl, NJW 2009, 1158; ders., AT, § 4 Rn. 92; Müssig, Mord und Totschlag, S. 365. 272 Hellmann, FS Roxin I, S. 284. 273 Vgl. die unterschiedlichen Ergebnisse von Murmann, Selbstverantwortung, S. 367 und Herzberg, NStZ 2004, 1 (7) für den Giftspritzen-Fall, hierzu noch in diesem Abschnitt. 274 Dazu Frister, AT, 10/5 ff. 275 So auch Murmann, Selbstverantwortung, S. 427 Fn. 452; Christmann, Jura 2002, 679 (680); Berkl, Sportunfall, S. 96. 276 s. Kapitel 1, C. I. a. E.
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paraten Beitrags des Opfers mehr bedarf, zwischen dem Verhalten des Täters und dem Erfolgseintritt jedoch ein größerer Zeitabstand besteht. Hier ist manches zweifelhaft. Es ist nicht zu vernachlässigen, dass dann, wenn nach allgemeinen Regeln eine rechtlich missbilligte Gefahr geschaffen wurde, ein passives Verhalten bzw. eine nur hypothetisch bestehende, aber nicht für den Erfolgseintritt notwendig wahrzunehmende und auch nicht wahrgenommene Verhaltensoption des mit der Gefahrschaffung Einverstandenen in den meisten Fällen nichts an der Bewertung des Kausalverlaufs zu ändern vermag. Das ist schon deshalb ausgeschlossen, weil dem Opfer meist irgendeine Möglichkeit bleiben wird, noch auf das Geschehen Einfluss zu nehmen und jene gleichzeitig – da der Täter im Einklang mit dem Opferwillen handeln wird – nicht stets aussichtslos erscheint. Es bestünde bei Überbewertung solcher Potentialitäten die Gefahr einer Auflösung der Begriffe Selbstgefährdung und Fremdgefährdung ihrem Wortsinn nach ebenso wie des Abgrenzungsmaßstabes selbst. Deshalb ist zu differenzieren. In Fällen, in denen der Täter ein nach allgemeinen Grundsätzen rechtlich missbilligtes Risiko schafft, was sich von Anfang an jederzeit im Erfolg realisieren konnte (auch wenn es schlussendlich doch eine gewisse Zeit gedauert hat, bis der Erfolg wirklich eintrat), ist unbeachtlich, mit welcher Sicherheit sich das Opfer der Gefahr zu entziehen vermochte.277 Es ist nämlich von wesentlicher Bedeutung für die fehlende rechtliche Missbilligung des Risikos und die Einordnung von Sachverhalten als Selbstgefährdung, dass der Erfolg noch von einer freiwilligen Handlung des Gefährdeten abhängt und sich nicht einfach ohne sie zufälligerweise realisieren kann. Dementsprechend sind der Geschlechtsverkehr eines HIV-Infizierten mit einem Nichtinfizierten278, das Würgen mit einem Metallrohr279 sowie das verkehrswidrige Autofahren mit einem Beifahrer280, mit mehreren auf dem Dach liegenden „Auto-Surfern“ 281 oder einem sich anhängenden Skateboard-282 bzw. Fahrradfahrer283 allesamt rechtlich missbilligte Verhaltensweisen. Es kommt nicht darauf an, ob beispielsweise der „Auto-Surfer“ durch das Geben von vereinbarten Klopfsignalen (mit der Bedeutung „halt an!“) die Fahrt mit ungewisser Wahrscheinlichkeit zum Ab-
277 Vgl. ebenfalls Murmann, Selbstverantwortung, S. 363 für einen Fall lebensgefährlichen Würgens: „Vor allem aber ist das Würgen des Opfers eine von Anfang an lebensgefährliche Handlung“. 278 BayObLG, JZ 1989, 1073; Murmann, Selbstverantwortung, S. 411; Frisch, JuS 1990, 362 (369). 279 BGHSt 49, 166. 280 BGHSt 53, 55; Murmann, FS Puppe, S. 775; Renzikowski, HRRS 2009, 347 (351). 281 OLG Düsseldorf, NStZ-RR 1997, 325; Saal, NZV 1998, 49 (53). 282 BayObLG, NZV 1989, 80. 283 BayObLG, JR 1978, 296.
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bruch bringen284 oder der hinter dem KFZ hergezogene Skateboarder eventuell jederzeit loslassen, ausrollen und die Gefahr damit beenden könnte.285 Nicht richtig sein dürfte daher die Einschätzung Murmanns, dass es sich in Fällen des Anhängens von Fahrradfahrern oder Skateboardern an einen PKW um solche der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung handelt, da die Fahrt als solche erlaubt sei und dem Opfer nur die Option gebe, sich durch das Anhängen selbst zu gefährden.286 Die Autofahrt lässt sich in ihrem Sinngehalt nicht aufspalten, sondern nur als Fahrt mit einem an das Fahrzeug gehängten Passagier begreifen; als solche war sie in den jeweils den Urteilen zu Grunde liegenden Sachverhalten auch von vornherein geplant. Es wäre ohne die Zustimmung des Gefährdeten nicht erlaubt, ihn auf diese Weise „mitzunehmen“ und diese ist bei der Bewertung des Kausalverlaufs außen vor zu lassen.287 Am schwierigsten ist die Beurteilung dort, wo das Verhalten des Täters erst nach einiger Zeit das Rechtsgut gefährdet und dem Gefährdeten die Möglichkeit bleibt, den Erfolg über längere Zeit noch durch aktives Tun abzuwenden. Beispiele dafür finden sich besonders in der Debatte um Suizidteilnahme und Fremdtötung. Dazu zählen der berühmte Gisela-Fall, in dem das eingeleitete Kohlenmonoxid im Fahrzeug erst nach mehreren Minuten eine tödliche Konzentration erreicht288, die Injektion eines todbringenden Medikaments, welches den Patienten aber noch eine Weile am Leben lässt289 oder das langsame Zufahren mit einem LKW auf einen Suizidwilligen290. Hier liegt es oftmals nahe, den Täterbeitrag nicht als Fremdverletzung/-gefährdung aufzufassen, es erscheint jedoch schwieriger begründbar, weil man hierfür ein Nichtstun des Opfers angemessen berücksichtigen und seinen Einfluss auf das Urteil der rechtlichen Missbilligung gewichten muss. Wenn der Drogensüchtige sich das gekaufte Heroin nicht verabreicht, wird ihm nichts geschehen. Wenn der Sterbewillige sich nicht vom Fleck bewegt, wird er, obwohl der Lastwagen nur langsam auf ihn zurollt und noch ein gutes Stück entfernt ist, irgendwann überfahren werden. Derartige Beispielfälle ließen sich auch außerhalb von § 216 bilden. Man denke an einen Fußballspieler, welcher seinen Gegenspieler herangrätschen sieht und der Grätsche noch mühelos ausweichen könnte, sich treffen lässt, um einen Elfmeter zu284 Hammer, JuS 1998, 785 (788) begründet so dessen „Mitherrschaft“; dagegen Trüg, JA 2002, 214 (219). 285 Rengier, BT II, § 20 Rn. 6 entnimmt daraus, dass es sich um eine Selbstgefährdung handelt. 286 Murmann, Selbstverantwortung, S. 389 Fn. 280; ebenso im Ergebnis Kienapfel, JR 1978, 297 (298). 287 Zum gleichen Ergebnis (Fremdgefährdung) kommt Luzón Peña, GA 2011, 295 (310). 288 BGHSt 19, 135. 289 Beispiel nach Merkel, in: Hegselmann/Merkel (Hrsg.), Debatte über Euthanasie, S. 80. 290 Beispiel nach Herzberg, JA 1985, 131 (137).
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Kap. 3: Der potentielle Anwendungsbereich der Einwilligung in ein Risiko
gesprochen zu bekommen und sich durch das Foul das Bein bricht.291 Oder die Mutprobe einer Gruppe Jugendlicher, welche folgendermaßen aussieht: Jeweils eine Person lenkt einen PKW auf einem schmalen Wirtschaftsweg. Der Rest der Gruppe bleibt auf dem Weg stehen und lässt das Auto auf sich zukommen, bevor jeder versucht, sich im möglichst letzten Moment rechts oder links in Sicherheit in ein angrenzendes Maisfeld zu flüchten. Der „Mutigste“ springt zu spät zur Seite und wird vom Auto erfasst und verletzt. Voraussetzung dafür, die Gefahrschaffung durch den Dritten als rechtlich nicht missbilligt und das Verhalten des Opfers somit als eigenverantwortliche Selbstgefährdung zu begreifen muss sein, dass sich davon sprechen lässt, das Opfer habe durch sein konsequentes Nichthandeln eine vom Täter nur offerierte Möglichkeit, sich selbst in Gefahr zu bringen, überhaupt erst ins Gefährliche gekehrt. Dazu muss dessen Ausweichmöglichkeit so gesichert erscheinen, dass eindeutig ist, dass allein durch sein eigenes Tun irgendwann ab dem Beginn der Täterhandlung der Erfolg niemals eingetreten wäre. Daran fehlt es in den oben geschilderten Fällen, in denen sich der Erfolg jederzeit realisieren kann und nicht sicher ist, welche Einflussmöglichkeiten der Rechtsgutsträger überhaupt noch hat. Daran fehlt es zugleich auch dort, wo die Möglichkeit, den Kausalverlauf abzubrechen zwar hinreichend sicher erscheint, jedoch nicht vom eigenen Handeln abhängt. So liegt es in dem Fall des Arztes, der dem Patienten ein tödliches Medikament verabreicht, sich dann aber noch bis zu dessen Wirkungseintritt in einigen Minuten glaubhaft für erfolgsversprechende Rettungsmaßnahmen bereithält. Murmann will die rechtliche Missbilligung des Setzens der Spritze verneinen, da es eine „hinreichende Garantie“ dafür gebe, dass der Arzt einem Veto des Sterbewilligen nachkäme.292 Herzberg hat dem widersprochen, mit dem auffällig zirkulären Argument, es handele sich bei dem Verhalten des Arztes unstreitig um eine „Tötung“ im Sinne des § 216.293 Man sollte nicht vergessen, dass die Abgrenzung in dem Rahmen, in dem sich dieses Fallbeispiel bewegt, noch von größerer Wichtigkeit und Brisanz ist und in vergleichbaren Gefährdungsfällen die Diskussion nicht mit der gleichen Schärfe und womöglich nicht mit den gleichen Resultaten geführt werden würde.294 Gegen Murmanns Begründung, derartige Fälle der 291 Ausgeklammert sein soll hier die Frage der Sportadäquanz des Verhaltens, dazu oben, Kapitel 3, C. III. 3. a). 292 Murmann, Selbstverantwortung, S. 367. Ähnlich – unter Rückgriff auf das unklar fundierte und ausgestaltete Abgrenzungskriterium der Risikokontrolle – Luzón Peña, GA 2011, 295 (309), der bei einem Autofahrer, der sich dazu „verpflichtet hat“, auf Anweisungen des Beifahrers unverzüglich zu reagieren, von einer Teilnahme an der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung des Beifahrers ausgeht. 293 Herzberg, NStZ 2004, 1 (7); im Ergebnis auch Walter, in: LK-StGB, Vor § 13 Rn. 132. 294 Vgl. Murmann, Selbstverantwortung, S. 361: „[. . .] Unstimmigkeiten sind aber keine Argumente gegen den hier vertretenen Ansatz, sondern sie sind letztlich Streitfragen hinsichtlich der Konturierung der Verhaltensordnung und der Interpretation der jeweiligen Tatbestände.“
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eigenverantwortlichen Selbstschädigung/-gefährdung zuzuordnen, spricht aber zweierlei: Einerseits ist die von ihm als wesentlich erachtete „normative Erwartbarkeit“, der Arzt werde den Anweisungen schon Folge leisten295, kaum greifbar. Man mag bei einem Arzt, der dem Wohle des Patienten verpflichtet ist, tatsächlich nur wenig daran zweifeln, dass er dem Patienten den Wunsch verwehren würde. Doch wie sähe es mit der Vertrauenswürdigkeit eines Stuntman aus, der einem Laien die Möglichkeit gibt, an einem Stunt teilzunehmen und ihm per Handschlag zusichert, diesen auf Kommando sofort abzubrechen? Hier lässt sich nur schwer eine Grenze ziehen. Vor allem jedoch ist entscheidend, dass die fallgruppenübergreifende zustimmende Willensentscheidung des Opfers bei der Betrachtung und Bewertung des Kausalverlaufs außen vor zu bleiben hat. Bei dem möglichen Veto des Geschädigten handelte es sich aber lediglich um den nach außen deutlich gemachten Widerruf eben dieser Zustimmung. Warum nun allein dieser spiegelbildliche Widerruf – selbst wenn er die Macht besäße, die Gefährdung zu verhindern – nun die Beurteilung des Kausalverlaufs als missbilligt oder nicht missbilligt beeinflussen soll, wenn die Zustimmung selbst es nicht vermag, lässt sich nicht nachvollziehen.296 Es bleiben demnach für die eigenverantwortliche Selbstgefährdung neben den bekannten Fällen des zeitlichen Nacheinander von Täter- und Opferverhalten die Fälle übrig, in denen sich der später Verletzte mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit und allein durch eigenes Handeln der Situation entziehen könnte, bevor diese einen Punkt erreicht, wo der Erfolg jederzeit eintreten kann.297 Erforderlich wird dafür in der Regel ein größerer Zeitraum zwischen dem Beginn der gefährlichen Handlung und der Rechtsgutsverletzung sein, welcher die erforderliche Sicherheit der Rettungschance plausibel macht. Beispielhaft für den Mutproben-Fall von oben: Wenn das Auto so langsam fährt, dass ein Ausweichen auch dann noch gefahrlos möglich ist, wenn es nur noch wenige Meter entfernt ist, lässt sich das Zufahren mit dem Auto auf die Gefährdeten als Beteiligung an einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung dieser begreifen. Ist die Geschwindigkeit des Fahrzeuges jedoch so hoch, dass der erfolgreiche Sprung zur Seite nur in einem eng begrenzten zeitlichen Rahmen möglich ist und sein Gelingen vom Zufall abhängt, ist von einer einverständlichen Fremdgefährdung auszugehen. Es bedarf keiner besonderen Vorstellungskraft, sich zu überlegen, dass derartig schwierige Grenzfälle in der Praxis äußerst selten vorkommen
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Murmann, Selbstverantwortung, S. 367. Im Ergebnis – allerdings ohne Begründung und auf der Grundlage der Tatherrschaftslehre – auch BGHSt 49, 166 (169). 297 In diesem Punkt liegt der wesentliche Unterschied zu Murmann, Selbstverantwortung, S. 367 Fn. 199, der für maßgeblich nicht die sichere Erfolgsabwendungsmöglichkeit durch eigenes Handeln sondern durch eigene Entscheidung hält; vgl. auch ders., FS Puppe, S. 774. 296
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Kap. 3: Der potentielle Anwendungsbereich der Einwilligung in ein Risiko
dürften, während Fälle der „Quasi-Mittäterschaft“, in denen die Beteiligten rein äußerlich zusammenwirken, Legion sind. 4. Zwischenergebnis Die Herrschaft über den Kausalverlauf ist bei der Differenzierung zwischen einverständlicher Fremdgefährdung und Ermöglichung eigenverantwortlicher Selbstgefährdung nicht bedeutungslos, jedoch scheitert der Versuch, den Rückgriff auf sie dogmatisch mit dem Teilnahmeargument zu erklären ebenso wie der, sie aus an das Rechtsgefühl appellierenden Erwägungen zum „Ausgeliefertsein“ des Opfers bei der einverständlichen Fremdgefährdung herzuleiten. Von Bedeutung ist daher, ob der vom Täter in Lauf gesetzte Kausalverlauf für sich genommen rechtlich missbilligt ist, wobei für das Urteil rechtlicher Missbilligung entscheidend ist, ob der Rechtsgutsträger durch ein eigenverantwortliches Handeln an eine vom Täter offerierte Verhaltensoption anknüpft. „Durch Unterlassen“ kann dies nur erfolgen, wenn die sichere Möglichkeit bestanden hätte, sich dem Erfolgseintritt durch ein eigenes Handeln noch zu entziehen, in diesen Fällen liegt ebenso wie in den allgemein anerkannten Fällen nur die straflose Beteiligung an einer Selbstgefährdung vor. Die Figur der „Quasi-Mittäterschaft“ besitzt keine Funktion, Konstellationen dieser Art dürften nach Lage der Dinge größtenteils der einverständlichen Fremdgefährdung zuzuschreiben sein.
Kapitel 4
Die Einwilligung in ein Risiko und ihre strafrechtsdogmatische Erfassung A. Zur Notwendigkeit der Berücksichtigung der Opferentscheidung Wurde festgestellt, dass durch den Kausalverlauf für sich genommen ein rechtlich missbilligtes Risiko geschaffen wurde, lässt sich das Urteil, dass es sich bei dem Verhalten des Schädigers um strafbares Unrecht handelt, nur noch durch die Inbezugnahme des bisher mit Bedacht außen vor Gelassenen, der freiverantwortlich gefällten Opferentscheidung, revidieren. Wesentliche Einigkeit besteht mittlerweile immerhin darüber, dass überhaupt deren Würdigung auf der materiell-rechtlichen Ebene zu erfolgen hat. Ältere Ansätze, für die eine Strafbarkeitskorrektur bei der Strafzumessung1 oder der Strafantragsbefugnis2 in vielen Fällen ein legitimes Mittel erschien, konnten sich zu keiner Zeit durchsetzen. Schon damals sah man diesen Weg als Notlösung, er ließ sich nur negativ begründen, nämlich mit dem Scheitern des Versuchs, den Konsens zwischen Täter und Opfer im materiellen Recht zu berücksichtigen.3 Mit einer derartigen Verlagerung des Problems ins Prozessuale wird die Bedeutung des Selbstbestimmungsrechts in unserer Rechtsordnung zudem auf unzulässige Weise verkürzt, während die heutigen Bestrebungen beispielsweise bei der Auslegung der Sittenwidrigkeitsklausel des § 228 zunehmend in die entgegengesetzte Richtung führen. Ebenso wenig überzeugt es, die Differenzierung zwischen eigenverantwortlicher Selbstgefährdung und einverständlicher Fremdgefährdung überzuinterpretieren und die Autonomie des Geschädigten bei der Selbstgefährdung voll, bei der Fremdgefährdung allerdings kaum noch einzukalkulieren und auf diese Weise der Herrschaft über den Kausalverlauf eine strafbarkeitsentscheidende Bedeutung beizumessen, obwohl sie nicht einmal ohne Weiteres zur Abgrenzung der Falltopoi tauglich ist. Das tut Duttge, welcher damit zugleich den Straffreiheitsbe1 Sehr weit in diese Richtung gehend früher Geppert, ZStW 83 (1971), 947 (981, 999); Burgstaller, Fahrlässigkeitsdelikt, S. 164; vgl. auch Schüler-Springorum, FS Honig, S. 210. 2 Kohlhaas, DAR 1960, 348 (350). 3 Dach, Einwilligung, S. 26.
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Kap. 4: Einwilligung in ein Risiko und strafrechtsdogmatische Erfassung
reich des Fremdgefährdenden deutlich einschränkt und dessen Einteilung von Selbst- und Fremdgefährdung auch ansonsten nur eine geringe Schnittmenge mit der vorliegend vertretenen aufweist. Duttge begreift zwar die „Quasi-Mittäterschaft“ (anders als hier) als einen Fall der straflosen Teilnahme an fremder Selbstgefährdung, sieht aber die alleinige Handlungsherrschaft des Täters als strafbarkeitsbegründendes Datum an, welches weder auf Tatbestands- noch auf Rechtswidrigkeitsebene wieder durch die Opferentscheidung neutralisiert werden könnte.4 Er hebt gegenüber dem Willen, ein Risiko einzugehen, in besonderer Weise als strafbarkeitsbegrenzenden Aspekt hervor, diesen auch in die Tat umzusetzen.5 Auf diese Weise wird aus den Augen verloren, dass die Wurzel von eigenverantwortlicher Selbstgefährdung und einverständlicher Fremdgefährdung gleichermaßen das Selbstbestimmungsrecht des Opfers ist und sich dieses auf unterschiedlichem Wege Bahn bricht.6 Dass sich das Selbstbestimmungsrecht einmal durch tätliches Handeln und einmal durch „andere für sich handeln lassen“ verwirklicht, ist normativ wie gezeigt von Gewicht, jedoch gehört beides zusammen und kein Datum ist dem anderen so überlegen, dass man eine durch naturalistische Herrschaft jedenfalls mitbestimmte Trennlinie per se als solche zwischen Strafbarkeit und Straflosigkeit begreifbar machen könnte.
B. Die Konsentierung der Fremdgefährdungshandlung: Ein Problem der objektiven Zurechnung? Gerade dadurch, dass der weit überwiegende Teil der Lehre und Rechtsprechung es übereinstimmend mit der hier vertretenen Auffassung befürwortet, nicht sämtliche Unterschiede zwischen eigenverantwortlicher Selbstgefährdung und einverständlicher Fremdgefährdung einzuebnen, sondern dem in den Erfolg einmündenden Kausalverlauf genauere Beachtung schenken will, gibt er zu verstehen, dass er wesentliche strukturelle Gemeinsamkeiten zwischen Schädigung und Gefährdung anerkennt. Deshalb mag auf Anhieb überraschen, dass beachtliche Teile des Schrifttums bereits die objektive Zurechnung des Erfolges als den richtigen Ort dafür sehen, die Einverständlichkeit der Fremdgefährdung zu würdigen, während man diesen Weg bei der einverständlichen Fremdschädigung nicht ernsthaft in Erwägung zieht.7 4 Duttge, FS Otto, S. 246 f., insoweit in der Tradition von Ottos Verständnis der Fremdgefährdung als strafbarem Handeln, vgl. Kapitel 3, B. II. 2. b) bb). 5 Duttge, FS Otto, S. 242. 6 Explizit Frisch, in: Leipold (Hrsg.), Selbstbestimmung, S. 123: „Aus der Sicht des Selbstbestimmungsrechts verdient die Annahme weitgehender Straflosigkeit [. . .] Zustimmung. Freilich ist die Straflosigkeit nicht erst das Ergebnis spezifisch strafrechtlicher Erwägungen, und auch die im Strafrecht mit hohem Stellenwert erörterte Frage nach der richtigen Konstruktion [. . .] dürfte ein eher sekundäres Problem betreffen“. 7 Es werden erste Versuche sichtbar, auch bei der (bedingt-)vorsätzlichen einverständlichen Schädigung bereits die objektive Zurechnung auszuschließen, z. B. Roxin,
B. Die Konsentierung der Fremdgefährdungshandlung
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Die Theoriengruppe, welche einer Zurechnungslösung folgt, kann man als dogmatischen Kompromiss zwischen den Extremen einer völligen Auflösung der einverständlichen Fremdgefährdung im Selbstgefährdungskomplex und einer Behandlung als (Unterfall der) Einwilligung verstehen. Sie sei hier als Gleichstellungstheorie bezeichnet und wird wiederum in unterschiedlichen Variationen vertreten.
I. Theorie einer bedingten Gleichstellung Als einer der einflussreichsten in der aktuellen Diskussion lässt sich ein Ansatz bezeichnen, der durch Roxin als dessen bekanntestem Vertreter Bekanntheit erlangte und seitdem einige Anhänger8 gefunden hat. Er basiert auf folgender Überlegung: Die Autonomie des Gefährdeten ist der dominierende Faktor und trägt zu weitreichende Unterschiede zwischen Selbstgefährdung und einverständlicher Fremdgefährdung bereits in dogmatischer Hinsicht letzten Endes nicht.9 Deshalb werden beide Konstellationen einer Lösung über die objektive Zurechnung zugeführt, wobei es den Vertretern dieser Ansicht in aller Regel um einen Ausschluss der Erfolgszurechnung mit der Behauptung, der Schutzbereich der Tatbestandsnormen umfasse eine autonome Selbstgefährdung ebenso wenig wie die einverständliche Fremdgefährdung, geht.10 Gleichzeitig liegt der Lösung die Notwendigkeit der vorherigen diffizilen Fallgruppentrennung nach der Tatherrschaftslehre zu Grunde, wodurch man sicherstellt, dass die Abgrenzung von Selbst- und Fremdgefährdung nicht zu einem funktionslosen „l’art pour l’art“ wird.11 Diese Notwendigkeit ergibt sich daraus, dass die einverständliche Fremdgefährdung bildlich gesprochen gegenüber der stets straflosen Beteiligung an fremder Selbstgefährdung auf prinzipiell „strafbarkeitsnäherer“ Stufe stehend angesehen wird.12 AT I, § 11 Rn. 136; Hellmann, FS Roxin I, S. 280; Luzón Peña, GA 2011, 295 (304). Eine Umgehung der Einwilligungsschranken ist so jedoch nicht möglich, da diese auch bei der Auslegung der Tatbestände zu beachten sind, Frister, AT, 15/14 Fn. 19. 8 Hellmann, FS Roxin I, S. 282; Hammer, JuS 1998, 785 (788); Niedermair, Körperverletzung, S. 135; Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, Vor § 32 Rn. 106; Geppert, Jura 2001, 490 (493); Kretschmer, NStZ 2012, 177 (180); Lasson, ZJS 2009, 359 (366); M. Heinrich, in: HK-GS, Vor § 13 Rn. 141; Luzón Peña, GA 2011, 295 (302 ff.) Jäger, AT, Rn. 51; grundsätzlich positiv auch Weigend, ZStW 98 (1986), 44 (71 Fn. 97); Saal, NZV 1998, 49 (53 f.); M.-K. Meyer, Autonomie, S. 142. 9 Vgl. Roxin, NStZ 1984, 411 (412); Rönnau, in: LK-StGB, Vor § 32 Rn. 167; Kretschmer, NStZ 2012, 177 (180). 10 Roxin, AT I, § 11 Rn. 123; ders., FS Gallas, S. 251; Niedermair, Körperverletzung, S. 121; Lasson, ZJS 2009, 359 (366); M. Heinrich, in: HK-GS, Vor § 13 Rn. 88, 141; Geppert, Jura 2001, 490 (491, 494); Hammer, JuS 1998, 785 (788); Jäger, AT, Rn. 51. 11 Kritisch jedoch Cancio Meliá, ZStW 111 (1999), 357 (370); zweifelnd auch Rönnau, in: LK-StGB, Vor § 32 Rn. 169. 12 Fiedler, Fremdgefährdung, S. 154, 169 bezeichnet die Trennung nach den Vorgaben der bedingten Gleichstellungstheorie daher als graduelle gegenüber einer prinzipiellen Trennung.
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Kap. 4: Einwilligung in ein Risiko und strafrechtsdogmatische Erfassung
Sie weist ein kompensationsbedürftiges Defizit in Form der geringeren Tatbeherrschung auf und kann den Status der Mitwirkung an einer Selbstgefährdung (scil.: die Straffreiheit des Dritten kraft Ausschlusses der objektiven Zurechnung) nur unter zusätzlichen Bedingungen erreichen, welche sie mit der Ermöglichung eigenverantwortlicher Selbstgefährdung „unter allen relevanten Aspekten“ 13 gleichstehen lassen. Das soll der Fall sein, wenn das Risiko in vollem Umfang vom Einverständnis des Geschädigten gedeckt und der Erfolg nicht das Resultat weiterer vermeidbarer Fehler des Schädigers ist, zudem der Geschädigte für den Erfolg dieselbe Verantwortung trägt.14 Hellmann hat den Versuch unternommen, die Gleichstellungsanforderungen zu präzisieren und dabei die Eigenverantwortlichkeit des Opfers als den maßgeblichen Gleichstellungsaspekt angesehen.15 Roxin hat sich dem (jedenfalls) in terminologischer Hinsicht angeschlossen.16 Als weitere Gleichstellungsvoraussetzung hat Saal gefordert, dass sich die Gefährdungshandlung nicht als „unverantwortliches Spiel mit fremdem Leben“ darstellt.17 Auch die Rechtsprechung hat sich an der bedingten Gleichstellungstheorie (anders als an der Einheitstheorie) zumindest interessiert gezeigt18, offenbar deshalb, weil dieses Modell die von der Rechtsprechung als fundamental erachtete Trennung von Selbstgefährdung und Fremdgefährdung nach Tatherrschaftskriterien noch mitmacht und die Gerichte bereits im Memel-Fall und später mit der Theorie des Wegfalls der Pflichtwidrigkeit19 die Bereitschaft erkennen ließen, einwilligungsfremde Faktoren für die Beurteilung der Strafbarkeit mit heranzuziehen.
II. Weitere Zurechnungstheorien Darüber hinaus finden sich vereinzelt Stimmen in der Wissenschaft, welche zwar einerseits an einer Abgrenzung (zumeist anhand der Tatherrschaft) festhalten wollen, andererseits aber beide Fallgruppen gleichermaßen als Ausschluss der objektiven Zurechnung ansehen und dazu keine zusätzlichen Bedingungen für ein 13
Roxin, AT I, § 11 Rn. 123. Roxin, FS Gallas, S. 250; ders., JZ 2009, 399 (401); Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, Vor § 32 Rn. 106; Geppert, Jura 2001, 490 (493); Lasson, ZJS 2009, 359 (366); Saal, NZV 1998, 49 (53); Niedermair, Körperverletzung, S. 121; Jäger, AT, Rn. 51. 15 Hellmann, FS Roxin I, S. 282 ff. 16 Vgl. Roxin, JZ 2009, 399 (401), wo er auf die „gleichrangige Eigenverantwortlichkeit“ abstellt, dahinter verbergen sich aber immer noch die von ihm selbst entwickelten Maßstäbe. 17 Saal, NZV 1998, 49 (54); ablehnend Roxin, AT I, § 11 Rn. 134. 18 Zuletzt OLG Celle, NZV 2012, 345 (347); BGHSt 53, 55 (60); zuvor OLG Koblenz, BA 2002, 483 (484); OLG Zweibrücken, JR 1994, 518 (520). 19 s. Kapitel 2, B. 14
B. Die Konsentierung der Fremdgefährdungshandlung
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Gleichstehen formulieren.20 Eine Berechtigung als eigener Falltypus kann die einverständliche Fremdgefährdung dann nur noch haben, wenn man sie im Gegensatz zur eigenverantwortlichen Selbstgefährdung den Schranken des §§ 216, 228 unterwirft, wie Walther21 und Mayer22 als Vertreter dieser (heterogenen) Theoriengruppe es befürworten. Möchte man dagegen die Zurechnung zum Gefährdenden im Ergebnis in allen Fällen verneinen, in denen das Opfer freiverantwortlich gehandelt hat23, ist die Unterscheidung rein terminologisch.
III. Kritik Die Gleichstellungstheorien, vor allem die bedingte, stehen stellvertretend für die Fragmentierung, Inkonsequenz und Unsicherheit der gesamten Debatte. Trotz aller Gemeinsamkeiten, die allein unter Autonomiegesichtspunkten zwischen den beiden Fallgruppen bestehen und der in einer liberalen Rechtsordnung gebotenen weitreichenden Anerkennung der Handlungsfreiheit einer Person will man nicht vorschnell die Türe zu einer Strafbarkeit des Gefährdenden zuschlagen und sich so dem Vorwurf aussetzen, Ergebnisse zu produzieren, die „aus kriminalpolitischer Sicht beklagenswert falsch“ 24 sind. Gerade die Gleichstellungstheorie setzt sich jedoch besonders deutlich dem Einwand von Frister25 aus, der mit Recht auf die systematische Ungereimtheit hinweist, dem Einverstandensein mit der durch einen Dritten ausgeführten Gefährdungshandlung tatbestandsausschließende Wirkung beizumessen, wenn eine Einwilligung in die absichtliche Schädigung des Rechtsguts nach überwiegender und hier vertretener Ansicht26 lediglich zur Rechtfertigung des tatbestandlichen Unrechts führen kann.27 Während die Einheitstheorie jegliche Parallelen zu den 20 Walther, Eigenverantwortlichkeit, S. 140 f.; Mayer, Produktverantwortung, S. 315 ff., 384 f.; Schünemann, JA 1975, 715 (723). 21 Eigenverantwortlichkeit, S. 227 ff. 22 Produktverantwortung, S. 361 Fn. 108, der diese Schranken auch für die Teilnahme an fremder Selbstgefährdung gelten lässt (S. 360 f.), allerdings nicht in gleicher Weise. 23 Schünemann, JA 1975, 715 (723); ders., JR 1989, 89 (90 f.). 24 Krey/Esser, AT, Rn. 672 sähen so die Gleichbehandlung von Beihilfe zum „Russischen Roulette“ eines anderen und „einverständlichem Russischen Roulette“ mit einem anderen an. Auf die unmittelbare Wucht eben dieses Beispiels setzt neuerdings auch Herzberg, FS Puppe, S. 511, um Puppe von der Notwendigkeit einer Differenzierung zu überzeugen. Vgl. zudem Rengier, StV 2013, 30 (33). 25 AT, 15/14. 26 Dazu oben, Kapitel 1, C. II. 2. 27 Diese Ungereimtheit wird durch Jäger, Zurechnung, S. 9 ff. nicht beseitigt, er erklärt lediglich, weshalb die Behandlung einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung als (unbestrittener) Fall der objektiven Zurechnung nicht im Widerspruch zur (ebenfalls unumstrittenen) Lösung der einverständlichen Fremdschädigung mit Hilfe der rechtfertigenden Einwilligung steht.
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Kap. 4: Einwilligung in ein Risiko und strafrechtsdogmatische Erfassung
Fällen bewusster Schädigung von sich weist28, hält die Gleichstellungstheorie zunächst daran fest und kann dann eine „Gleichheit trotz Verschiedenheit“ nur schwer begründen. Fristers Argument entgeht vordergründig, wer der Einwilligung schon tatbestandsausschließende Wirkung beimisst, doch bleibt auch er noch den Beweis schuldig, dass es sich bei der einverständlichen Fremdgefährdung tatsächlich um ein Problem der objektiven Zurechnung handelt.29 Es ist sicherlich zu konzedieren, dass die Diskussion sich diesbezüglich noch im Fluss befindet und die Lehre von der objektiven Zurechnung keineswegs ausdiskutiert ist30, doch erwecken die speziell für den Falltypus der einverständlichen Fremdgefährdung entwickelten Zurechnungsmodelle auf Tatbestandsebene zuweilen den Eindruck, aus der Not heraus geboren zu sein, der Not, entweder einer allzu komplizierten Abgrenzung31 oder zumindest dem „dornenreicheren Weg“ 32 über die Einwilligungsschranken aus dem Weg zu gehen.33 Am Rande bemerkt ist letzteres durch eine „Flucht“ in die Tatbestandsmäßigkeit gar nicht zu bewerkstelligen. Ohne bereits an dieser Stelle die Übertragbarkeit der Einwilligungsschranken auf die Risiko-Einwilligung besprechen zu müssen, kann festgehalten werden, dass eine eventuelle Autonomiebeschränkung ebenfalls tatbestandlich lozierte Lösungen zu erfassen hätte34, da eine mögliche Tabuwirkung der §§ 216, 228 insgesamt über das Unrecht der Tat entscheiden müsste und Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit erst gemeinsam die Unrechtsqualität des Täterverhaltens festsetzen.35 Auch inhaltlich überzeugt die 28 Was wie gezeigt nicht richtig ist, aber sich – da man ohnehin schon nicht von einer Übertragbarkeit der für die Schädigung gezogenen Leitlinien ausgeht – nicht den Vorwurf der Inkonsequenz einhandeln kann. 29 Dem entgeht, wer auch die Einwilligung letztendlich als eine Art objektiver Zurechnung begreift, vgl. Kindhäuser, LPK-StGB, Vor § 13 Rn. 162; Schlehofer, in: MKStGB, Vor § 32 Rn. 61. Hierzu noch unten, Kapitel 4, C. I. 2. 30 Vgl. etwa Radtke, FS Puppe, S. 831 ff. 31 Dazu, dass die Schwierigkeit der Abgrenzung kein Argument für ihr Unterbleiben ist bereits Roxin, FS Gallas, S. 250 Fn. 28. 32 Weber, FS Baumann, S. 49. 33 Vor allem bei Geppert, Jura 2001, 490 (493); ders., Jura 2001, 559 (565); Kretschmer, NStZ 2012, 177 (180); Hähle, Sportverletzungen, S. 162; Roxin, AT I, § 11 Rn. 121; Otto, FS Tröndle, S. 173; demgegenüber kritisch Hillenkamp, JuS 1977, 166 (171); Hirsch, in: LK11-StGB, Vor § 32 Rn. 94; Odenwald, Einwilligungsfähigkeit, S. 74. 34 Zutreffend Frisch, NStZ 1992, 62 (67); Hellmann, FS Roxin I, S. 278; Murmann, Selbstverantwortung, S. 420 Fn. 421; Sternberg-Lieben, Objektive Schranken, S. 225; Walter, in: LK-StGB, Vor § 13 Rn. 128; Eschweiler, Selbstgefährdung, S. 8; Kellner, Einwilligung, S. 33; Göbel, Einwilligung, S. 38. 35 Besonders gut erkennbar ist die Trennung von Ergebnis und dogmatischer Verortung bei Beulke, FS Otto, S. 217, der eine Einwilligung in ein Risiko befürwortet und dennoch weder § 216 noch § 228 irgendeine Relevanz für die besprochenen Fallkonstellationen einräumt; ebenso umgekehrt bei Saal, NZV 1998, 49 (54); Krey/Esser, AT, Rn. 675, die der Wertung der §§ 216, 228 bereits in der objektiven Zurechnung Rechnung tragen.
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Theoriengruppe, die für eine Gleichstellung der Verhaltensformen auf Zurechnungsebene eintritt, an mehreren Stellen nicht. 1. Zirkulärer Verweis auf die „Reichweite des Tatbestandes“ Die fehlende Tatbestandsmäßigkeit einverständlicher Fremdgefährdungen wird von der Gleichstellungstheorie nahezu durchgehend damit begründet, dass jene nicht unter die Tatbestandsnorm fielen, welche den Schutz des Gefährdeten bezweckt.36 Schon im Ausgangspunkt, bei der Behandlung der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung, stimmt diese Position, sämtliche unter diesem Stichwort diskutierten Fälle auf der zweiten (oder dritten37) Stufe der objektiven Zurechnung zu lösen, also nicht mit der hier vertretenen überein.38 Selbst unter denjenigen, welche die Reichweite des Tatbestandes als Kategorie der objektiven Zurechnung anerkennen, finden sich Stimmen, die den Weg über die Reichweite des Tatbestandes bei der Selbstgefährdung in manchen Fällen für einen unnötigen Umweg halten.39 Erst recht nicht nur als umständlich, sondern als unzutreffend kommt der Rückgriff auf den Schutzzweck der Tatbestandsnorm bei der einverständlichen Fremdgefährdung daher. Hierfür lassen sich zwei Gründe finden: Eine generelle Kritik auch nur dieser Spielart strafrechtlichen Schutzzweckdenkens ist im Rahmen dieser Arbeit unmöglich. Dennoch sind die zahlreichen kritischen Stellungnahmen40 hinsichtlich der Leerformelhaftigkeit der Aussage, wonach ein das zustimmende Opfer mittelbar oder unmittelbar gefährdendes Drittverhalten nicht unter die zu dessen Schutz bestimmte Tatbestandsnorm falle, leicht nachzuvollziehen. Diese Behauptung lässt sich anhand des Wortlautes der einzelnen Tatbestände nämlich nicht belegen, es bedürfte hierfür eines zusätzlichen Begründungsschrittes.41 Die auf den Schutzzweck abstellende Lehre findet diesen in der These, die zum Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit
36 Neben den in Fn. 10 dieses Kapitels Genannten auch Schünemann, JA 1975, 715 (720, 723); Berkl, Sportunfall, S. 102. 37 Roxin, AT I, § 11 Rn. 106 ff. sieht die Reichweite des Tatbestandes als eigenständige Zurechnungsstufe neben der Schaffung und Realisierung der rechtlich missbilligten Gefahr; zustimmend M. Heinrich, in: HK-GS, Vor § 13 Rn. 88; kritisch Lenckner/ Eisele, in: Schönke/Schröder, Vor § 13 Rn. 92a. 38 Zur Schutzzwecklösung bei der Selbstgefährdung die in Kapitel 3 Fn. 35 genannten Autoren. 39 M. Heinrich, in: HK-GS, Vor § 13 Rn. 87. 40 Frisch, NStZ 1992, 1 (5); ders., Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 80 ff.; Otto, GS Schlüchter, S. 84; Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff, S. 193 f.; Murmann, Selbstverantwortung, S. 392 f.; Mayer, Produktverantwortung, S. 378; Walther, Eigenverantwortlichkeit, S. 145; Derksen, NJW 1995, 240 (241); ders., Handeln auf eigene Gefahr, S. 37 ff.; Sax, JZ 1975, 137 (146); zweifelnd Duttge, FS Otto, S. 235. 41 Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff, S. 194; Otto, GS Schlüchter, S. 84.
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Kap. 4: Einwilligung in ein Risiko und strafrechtsdogmatische Erfassung
geltenden Bestimmungen des StGB erfassten keine Selbstschädigungen, entnommen wird dies einmal mehr dem hier abgelehnten Teilnahmeargument.42 Will man ungeachtet dessen die Tatsache, dass reine Selbstschädigungen in unserer Rechtsordnung nicht strafbewehrt sind, als hinreichenden Beleg dafür anerkennen, dass die zum Schutz von Individualrechtsgütern geschaffenen Vorschriften die Ermöglichung solcher Verhaltensweisen nicht erfassen43, erklärt sich die Einordnung der einverständlichen Fremdgefährdung mit eben dieser Argumentation noch keineswegs. Denn hier liegen fremdschädigende – dem Diktat dieser formalen Unterscheidung hat sich die Gleichstellungstheorie mit der Anerkennung des Trennungserfordernisses nach Tatherrschaftsgesichtspunkten zuvor freiwillig gebeugt – Verhaltensweisen vor, die von der Norm ihrem Zuschnitt nach selbst bei Zugrundelegung eines restriktiven Täterbegriffs beim Fahrlässigkeitsdelikt typischerweise umfasst werden. Dass eine mit Zustimmung des Opfers erfolgte Fremdgefährdung trotz dessen ebenso wenig von der Reichweite des Tatbestandes gedeckt sein soll, hinterlässt eine noch größere Begründungslücke. Es bleibt nur, die einverständliche Fremdgefährdung auf normativem Wege weitgehend in eine Beteiligung an einer freiverantwortlichen Selbstgefährdung umzuformen, deren Stellung außerhalb der Tatbestandsnorm man mit dem Teilnahmeargument vermeintlich abgesichert hat.44 Kindhäuser hat dieses Vorgehen aus gutem Grund bereits im Ansatz als „Quadratur des Kreises“ 45 bezeichnet. Festzuhalten ist: Sofern man nicht, wie bereits abgelehnt, die rechtliche Missbilligung des Täterverhaltens vom Opferwillen abhängig machen will anstatt vom realisierten Kausalverlauf, lässt sich mit deren positiver Feststellung nicht im Anschluss daran die Erfolgszurechnung mit Hilfe der Theorie vom Schutzzweck der Tatbestandsnorm verneinen.46
42 Stree, JuS 1985, 179 (181); Schünemann, JA 1975, 715 (720); ders., in: Schünemann (Hrsg.), Strafrecht und Betrug, S. 75; Roxin, AT I, § 11 Rn. 107, der allerdings auch (Rn. 107 Fn. 230) eine allgemein gehaltene materielle Begründung liefert. Kritisch zur Methode Mayer, Produktverantwortung, S. 378; Derksen, Handeln auf eigene Gefahr, S. 32. 43 Ablehnend Otto, GS Schlüchter, S. 84; Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff, S. 193 ff. 44 Exemplifiziert von M. Heinrich, in: HK-GS, Vor § 13 Rn. 141: „Denn auch in diesen Fällen [der einverständlichen Fremdgefährdung] kann davon ausgegangen werden, dass der Gefährdete und spätere Verletzte ,das Risiko‘ übernommen hat und dieses sich damit nunmehr in dessen eigenem Verantwortungsbereich befindet, so dass bei seiner Verwirklichung nichts geschieht, was noch innerhalb der Reichweite eines zur Verhinderung von Fremdschädigungen aufgestellten Tatbestandes liegt“ [Hervorhebung im Original]; ähnlich Niedermair, Körperverletzung, S. 121. 45 Kindhäuser, LPK-StGB, Vor § 13 Rn. 224; ähnlich kritisch Hirsch, in: LK11-StGB, Vor § 32 Rn. 94. 46 Vgl. Frisch, JuS 2011, 116 (119 Fn. 28): „Sähe man das entspr. Risiko [. . .] als missbilligtes an, so müsste auch zugerechnet werden – denn das Risiko hat sich ja realisiert“.
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2. Zweifelhafte Gleichstellungskriterien bei der bedingten Gleichstellungstheorie Es liegt in der Natur der Sache, dass die Befürwortung der Möglichkeit einer normativen Gleichstellung von Selbst- und Fremdgefährdung auf einer sehr unscharfen Nachzeichnung der zunächst festzuhaltenden Unterschiede zwischen den Fallgruppen beruhen muss.47 Sie erfolgt durch das bereits kritisierte48 Auslieferungsargument Roxins.49 Noch fragwürdiger als die Fundierung der Grenze selbst erscheinen dazu die für eine rechtliche Gleichsetzung aufgestellten Kriterien.50 Roxin stützt neuerdings die Gleichstellung von einverständlicher Fremd- und eigenverantwortlicher Selbstgefährdung auf eine zu erzielende Gleichrangigkeit unter dem Aspekt der Eigenverantwortlichkeit.51 Scheinbar wird also dort, wo der Schwerpunkt auf dem Handeln eines anderen liegt, von einem geringeren Grad an Eigenverantwortlichkeit des Opfers ausgegangen, der ausgeglichen werden muss. Bei zweien der herkömmlicherweise geforderten Ausgleichskriterien ist aber bereits nicht klar, worin das gegenüber den Erfordernissen des Zurechnungsausschlusses bei der Selbstgefährdungsteilnahme zusätzliche Erfordernis liegt, dessen Erfüllung die einverständliche Fremdgefährdung erst auf die Stufe der Mitwirkung an eigenverantwortlicher Selbstgefährdung heben soll.52 Wo das Opfer das Risiko nicht in gleichem Maße wie der Täter überblickt, beginnt auch bei der Mitwirkung an fremder Selbstgefährdung die (mittelbare) Täterschaft des Außenstehenden.53 Schließlich führt die Voraussetzung, der Erfolgseintritt dürfe nicht das Resultat hinzukommender vermeidbarer Fehler des Gefährdenden sein, in die Irre, und zwar unabhängig davon, welche Anforderungen an die Risikokenntnis des Tatopfers in kognitiver Hinsicht gestellt werden: Lässt man es genügen, dass dem Opfer die Risikotatsachen bekannt sind54, so wird man gleichzeitig nicht verlangen können, dass seine Kenntnis die (möglicherweise fehlerhafte) Art und Weise der Durchführung der gefährlichen Handlung umfasst. Verlangt man konkretere Vorstellungen von dem eingegangenen Risiko, wie Roxin es tut, dann ist die Risi47 Vgl. Hellmann, FS Roxin I, S. 281 f., welcher nun erkannt haben will, dass das Teilnahmeargument eine strikte Gegensätzlichkeit der Fallgruppen andeuten würde, die dem Gleichstellungsideal widerspräche und das Teilnahmeargument daher ablehnt, während er das Beherrschungsargument als plausibel anerkennt (S. 272). Anders früher noch Roxin, FS Gallas, S. 250, der beide Argumente nebeneinander verwendete. 48 Vgl. Kapitel 3, C. III. 1. 49 Roxin, JZ 2009, 399; ders., AT I, § 11 Rn. 123; ders., FS Gallas, S. 250. 50 Vgl. Kapitel 4, B. I. 51 Roxin, JZ 2009, 399 (402). 52 Ähnliche Kritik bei Hellmann, FS Roxin I, S. 281; Murmann, Selbstverantwortung, S. 424; Luzón Peña, GA 2011, 295 (307). 53 Vgl. nur Roxin selbst, AT I, § 11 Rn. 113. 54 Frister, AT, 15/12.
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koentscheidung, sobald der Erfolg nicht mehr Resultat des zuvor erkannten Risikos ist, defizitär, die Fremdgefährdung also schon nicht einverständlich.55 Wenn es bereits an der Einverständlichkeit fehlt, besteht für eine Gleichstellung mit der Selbstgefährdung überhaupt kein Bedürfnis mehr.56 Als zusätzliche Anforderung begreifen lässt sich lediglich die dritte Gleichstellungsvoraussetzung, wonach beide Beteiligten für das Geschehen dieselbe Verantwortung tragen müssen. Jüngst hat Roxin noch einmal klargestellt, dass sich dies wesentlich danach bestimmt, auf wessen Initiative hin die Gefährdungshandlung erfolgt ist.57 Ohne an dieser Stelle bereits darauf einzugehen, ob der Aspekt der „treibenden Kraft“ – wie Roxin meint und anhand der älteren Rechtsprechung zu belegen sucht58 – von besonderer Wichtigkeit für die Strafbarkeit des Fremdgefährdenden ist, überzeugt die Art und Weise, wie die Theorie der bedingten Gleichstellung ihn einbindet, nicht. Bei der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung bleibt die Frage, auf wessen Initiative die Gefährdungshandlung rückführbar ist, für die Strafbarkeit des Beteiligten bedeutungslos. Derjenige, der einem die Risiken der Bergtour jederzeit vollständig übersehenden Alpentouristen von der Existenz eines anspruchsvollen Bergpfades berichtet (bei dessen Begehung der Tourist später in den Tod stürzt), ist unabhängig davon straflos, ob er den begeisterten, ihn bedrängenden Kletterer unter schweren Bedenken auf die Kletterroute hinweist oder ob er von sich aus an ihn herantritt und ihm ausführlich und blumig die Schönheit des Ausblicks vom Gipfel schildert. Das ist im Ergebnis richtig, weshalb es gleichwohl bei der einverständlichen Fremdgefährdung anders sein soll, lässt sich jedenfalls mit graduellen Abweichungen im Risikobeherrschungspotential während der Durchführung der Risikohandlung nicht erklären.59 Wieso durch ein „plus“ an Initiative vor der Tatausführung ein „minus“ an Risikobeherrschung bei der Tatausführung so kompensiert werden kann, dass am Ende unter Verortungs- wie Ergebnisgesichtspunkten die Gleichung „sich selbst gefährden = gefährdet werden“ steht, bleibt rätselhaft und setzt die gesamte Konstruktion nicht nur dem Vorwurf der Umständlichkeit60, sondern auch dem 55 Das erkennt Roxin, AT I, § 11 Rn. 124 selbst. Zu Risikoexzessen durch Ausführungsfehler noch unten, Kapitel 4, D. II. 3. b) aa). 56 Das übersieht auch I. Sternberg-Lieben, JuS 1998, 428 (430). 57 Roxin, JZ 2009, 399 (401, 403); undeutlicher, aber letztlich genauso ders., FS Gallas, S. 252 f. Unrecht hat daher Murmann, Selbstverantwortung, S. 425, wenn er Roxins gleichrangige Verantwortlichkeit als gleichrangige Risikokenntnis interpretiert und deshalb davon ausgeht, Roxin stelle überhaupt keine zusätzlichen Anforderungen an die einverständliche Fremdgefährdung, weshalb die Tatherrschaft funktionslos sei. 58 Roxin, JZ 2009, 399 (403); hierzu noch Kapitel 4, D. IV. 1. 59 Anders erklärt wird es in den (in der Konstruktion simpleren und wenig beachteten) Ansätzen von Fiedler, Fremdgefährdung, S. 183 ff. und Ensthaler, Einwilligung, S. 109 ff., die darauf abstellen, ob das Opfer den Täter für eigene Ziele „nutzbar gemacht“ hat. 60 So (aus Sicht der Einheitstheorie) Otto, JZ 1997, 522 (523): „umständliche Gleichsetzung zweier zunächst als Gegensätze ausgegebener Gefahrensituationen“.
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der Beliebigkeit aus. Die Theorie der bedingten Gleichstellung ersetzt in der von Roxin befürworteten Variante die für die Schädigung geltenden Begrenzungen der Opferautonomie – deren Anwendbarkeit auf Gefährdungen zweifellos unsicher ist61, die aber erklärbar an Differenzen anknüpfen, die auf eine jeweils unterschiedlichen Personen zukommende Handlungsherrschaft rückführbar sind62 – durch eine Limitierung des Straffreiheitsbereichs mittels eines Urheberschaftskriteriums63, das mit der äußerlichen Gefährdungsherrschaft in keinem Zusammenhang steht.64 Die vorige, halbherzige Trennung von Selbstgefährdung und Fremdgefährdung nach Herrschaftskriterien erscheint dadurch lediglich als ein Vehikel dafür, diese spezielle „Verantwortung“ des Opfers für das risikobehaftete Verhalten nicht auch bei der Ermöglichung autonomer Selbstgefährdung berücksichtigen zu müssen. 3. Eigenverantwortlichkeit als Blankettbegriff Ein Argument für eine Zuordnung der einverständlichen Fremdgefährdung zur Lehre von der objektiven Zurechnung ergibt sich keineswegs aus der Berufung auf die Eigenverantwortlichkeit, mit der in neuerer Zeit zunehmend versucht wird, den Problemen der Selbstverantwortung des Opfers auf Tatbestandsebene Herr zu werden.65 Dabei trägt die inflationär verwendete Vokabel solange nichts zur Problemlösung bei, wie ihr Bedeutungsgehalt verschieden festgelegt werden kann.66 Jener oszilliert zwischen den Polen einer normativen Alleinverantwortungszuweisung für das Geschehene67 und einer – teilweise als Freiverantwortlichkeit bezeichneten – faktischen Mangelfreiheit der Opferentscheidung.68 Häufig wird nicht klargemacht, welche Bedeutung gemeint ist, einer freigiebigen Nutzung des Begriffs steht dies jedoch offenbar nicht im Wege.69 Wie gezeigt geht Roxin davon aus, dass sich Eigenverantwortlichkeit sowohl in Form von Herrschaft über den Geschehensablauf als auch in Form von Initiative 61 Hierzu noch unten, Kapitel 5. Die Übertragbarkeit wird von Befürwortern der bedingten Gleichstellungstheorie weitgehend in ihrer Gänze abgelehnt, vgl. Roxin, AT I, § 11 Rn. 134; Niedermair, Körperverletzung, S. 123 ff. 62 s. Kapitel 1, C. I. 63 Zum Urhebergedanken allgemein vgl. Bindokat, JZ 1986, 421 (422). 64 Den Zusammenhang als „ungeklärt“ bezeichnet ebenfalls Stratenwerth, FS Puppe, S. 1021; vgl. auch Murmann, FS Puppe, S. 786 Fn. 89. 65 Vgl. Roxin, JZ 2009, 399 (401). Als Leitprinzip im Mittelpunkt steht – mit abweichender Ausfüllung – die Eigenverantwortlichkeit in den aktuellen Monographien von Hähle, Sportverletzungen, S. 122 ff. und Mayer, Produktverantwortung, S. 366 ff. 66 Hierzu Walther, Eigenverantwortlichkeit, S. 96; Derksen, Handeln auf eigene Gefahr, S. 60. 67 Z. B. bei Neumann, JA 1987, 244 ff.; Hohmann/König, NStZ 1989, 304 (306); Mayer, Produktverantwortung, S. 343 f. s. bereits Kapitel 3, C. I. 2. 68 Degener, Schutzzweck der Norm, S. 285. 69 Das beklagte schon Frisch, NStZ 1992, 1 (3) in den Anfangszeiten der Diskussion.
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bei der Anbahnung des riskanten Verhaltens manifestieren kann, obwohl es sich hierbei um Parameter handelt, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten. Dementsprechend wenig überraschend lässt sich unter Rückgriff auf die Eigenverantwortlichkeit zum entgegengesetzten Ergebnis kommen: Leupold wendet Roxins Hauptargument für die Trennung gegen diesen und will so die einverständliche Fremdgefährdung nicht als der objektiven Zurechnung zugehörig begreifen: Daraus, dass sich jemand passiv in eine für ihn nicht beherrschbare Situation begebe, resultiere ein „geringeres Maß an Eigenverantwortung“ 70, weshalb er schlussfolgert, dass die Erfolgszurechnung zum Täter stets zu bejahen sei. Für Hähle ist die Eigenverantwortlichkeit als normatives Prinzip dagegen schon ein Grund, bei der objektiven Zurechnung erst gar nicht zwischen Selbstund Fremdgefährdung zu differenzieren, wobei sich der Eindruck aufdrängt, dass Hähle zeitweise ähnlich wie Otto eigentlich die Freiverantwortlichkeit – sprich: die erforderliche Risikokenntnis – meint.71 Die Formbarkeit des Eigenverantwortlichkeitsbegriffes wird am eindrucksvollsten bei Hellmann offenbar, wo sie – in Ergänzung von Roxins Ansicht – ebenfalls als das maßgebliche Zurechnungskriterium in den Vordergrund gestellt wird.72 Während Hellmann zunächst den Anschein erweckt, Eigenverantwortlichkeit allein als Risikokenntnis zu begreifen73, fasst er kurz darauf auch die Herrschaft über den Geschehensablauf als eigenverantwortlichkeitsbegründend auf.74 Das Kriterium der Eigenverantwortlichkeit wird hierdurch so elastisch, dass man mit ihm das gesamte Sachproblem inklusive sämtlicher denkbarer strafbarkeitsentscheidender Faktoren (Risikokenntnis, Risikoherrschaft, Risikourheberschaft) der objektiven Zurechnung einverleiben kann. Eine nachvollziehbare Begründung für einen für Selbst- wie Fremdgefährdung geltenden Ausschluss der Erfolgszurechnung erhält man nur75 unter Rückgriff auf dieses Schlagwort jedoch nicht.76 Terminologische Doppeldeutigkeiten setzen sich beim Herrschaftsbegriff fort, der sich bei Hellmann im Laufe des Beitrags von einer stark naturalistischen prima-vista-Geschehensherrschaft, die von ihm mit der h. M. zur vorläufigen Unterscheidung von Selbst- und Fremdgefährdung genutzt wird77, zu 70
Leupold, Erfolgsdelikte, S. 123. Hähle, Sportverletzungen, S. 146 ff. 72 Hellmann, FS Roxin I, S. 282 ff. 73 Hellmann, FS Roxin I, S. 283 bezweifelt die Eigenverantwortlichkeit einer Person mit Hinweis darauf, dass sie „das Risiko nicht mehr richtig übersah“. Ebenso spricht er (S. 283) von „Frei- oder Eigenverantwortlichkeit“. 74 Hellmann, FS Roxin I, S. 283. 75 Hellmann, FS Roxin I, S. 282, lehnt das Teilnahmeargument ab und stützt sich ausschließlich auf die Eigenverantwortlichkeit. 76 Kritik an Hellmanns Terminologie übt auch Duttge, FS Otto, S. 230: „reichlich unklar“. Murmann, Selbstverantwortung, S. 426 spricht mehrfach davon, dass die Auslegung des Eigenverantwortlichkeitsmerkmals bei Hellmann „undurchsichtig“ sei. 77 Hellmann, FS Roxin I, S. 272. 71
B. Die Konsentierung der Fremdgefährdungshandlung
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einer normativierten Herrschaft aus einer ex-post-Perspektive78 wandelt. Auf diese Weise ist die Herrschaft über den riskanten Kausalverlauf auf widersinnige Weise zunächst das Datum, was Selbst- und Fremdgefährdung entscheidend voneinander trennt, bevor es bei der Frage nach der rechtlichen Gleichstellung unter Eigenverantwortlichkeitsgesichtspunkten wieder über die Zusammenführung des zuvor durch sie Geschiedenen mitentscheiden darf.79 Hinter dem abstrakten Begriff der Eigenverantwortlichkeit verbergen sich somit keine Argumente für oder gegen die Berücksichtigung der Opferentscheidung bei der objektiven Zurechnung. Dass allein die Freiverantwortlichkeit des Rechtsgutsinhabers der über die Strafbarkeit des Beteiligten entscheidende Zurechnungsfaktor in allen Gefährdungsfällen ist, wurde in Auseinandersetzung mit der Einheitstheorie bereits abgelehnt.80 Soweit hingegen mit der Aussage, das Opfer habe eigenverantwortlich gehandelt, ein Urteil über dessen Alleinzuständigkeit gefällt wird, müssen hierfür Gründe offengelegt werden, welche zugleich eine Lokalisierung des Haftungsausschlusses auf Tatbestandsebene tragen. Wie diese beim Übergang von der einen in die andere Fallgruppe versteckt wechseln können, zeigt sich bei Mayer. Mayer trennt Eigen- und Freiverantwortlichkeit81, tritt allerdings für eine Lösung der einverständlichen Fremdgefährdung innerhalb der objektiven Zurechnung mit Hilfe des Prinzips der Eigenverantwortlichkeit ein. Hiervon ausgehend wird nachvollziehbar für die auch nach Mayer bereits fehlende rechtliche Missbilligung der Mitwirkung an der Selbstgefährdung die „Primärverantwortung des Opfers für sein Tun“ 82 bemüht, hingegen die Tatbestandslosigkeit einverständlicher Fremdgefährdung damit begründet, es sei die „Autonomie des Rechtsgutsinhabers, welche ihm die Primärverantwortung [. . .] zuweist“ 83. Da eine Erklärung fehlt, welche Zurechnungsstufe bei der einverständlichen Fremdgefährdung zu verneinen sein soll und nur allgemein auf das verfassungsrechtlich fundierte Selbstbestimmungsrecht des sich Gefährdenden und die Verwandtschaft der Fallgruppen hingewiesen wird84, mutet auch diese Lösung als nicht hinreichend begründet an.
78 Hellmann, FS Roxin I, S. 284 begründet die gleichrangige Eigenverantwortlichkeit der Opfer im Memel-Fall (für Hellmann aufgrund der Tatherrschaft des Fährmanns eine Fremdgefährdung) mit dem rückblickenden Fehlen von so verstandener Herrschaft beim Fährmann: „Kann er trotz sorgfaltsgemäßen Verhaltens im Zeitpunkt des Erfolgseintritts das schädigende Ereignis nicht abwenden, so zeigt dies, dass er das Geschehen nicht beherrschte“. 79 Murmann, Selbstverantwortung, S. 426 meint daher zutreffend, hierfür müsse „das Kriterium der Herrschaft [. . .] inhaltlich mutieren“. 80 Kapitel 3, B. II. 2. b) dd). 81 Mayer, Produktverantwortung, S. 345. 82 Mayer, Produktverantwortung, S. 382 [Hervorhebung von mir]. 83 Mayer, Produktverantwortung, S. 385 [Hervorhebung von mir]. 84 Mayer, Produktverantwortung, S. 385.
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Kap. 4: Einwilligung in ein Risiko und strafrechtsdogmatische Erfassung
Stichhaltiger erscheint der Ansatz von Susanne Walther, welche die hier interessierenden Sachprobleme ebenfalls unter dem Dach der Eigenverantwortlichkeit des Opfers erörtert. Sie trennt zwischen einverständlicher Fremd- und eigenverantwortlicher Selbstgefährdung und zeigt sich – im Gegensatz zu den sonstigen Zurechnungslösungen – zurückhaltend gegenüber einer zu freigiebigen Übertragung der für die Ermöglichung fremder Selbstgefährdung angestellten Erwägungen auf die benachbarte einverständliche Fremdgefährdung.85 Als normativ bedeutsame Differenz hebt sie hervor, dass es sich bei der Teilnahme an der Selbstgefährdung um ein Problem der Begründung von Handlungsunrecht handele, während es bei der einverständlichen Fremdgefährdung um dessen Neutralisierung ginge.86 Die eigenhändige Ausführung der unmittelbaren Gefährdungshandlung wertet sie daher ihrer Konzeption gemäß grundsätzlich als Verhalten von Täterqualität, bei dem erst eine eigenverantwortliche Opferentscheidung die Vermutung der Täterschaft zu widerlegen im Stande sei.87 Walther stellt klar, dass eine Berücksichtigung der so verstandenen Eigenverantwortlichkeit im Deliktsaufbau gleichermaßen auf Rechtfertigungsebene erfolgen könne88, eine Einwilligung ihrer Ansicht nach aber „nicht recht ,paßt‘“ 89. Inwiefern diese Einschätzung zutrifft, ist Gegenstand des folgenden Abschnitts.
C. Zur Konstruktion einer Einwilligung in ein Risiko „Die Anwendung der klassischen Einwilligung scheitert außerhalb der reinen Schädigungsfälle, im Bereich der Gefährdung, zwischen der Scylla einer praktischen Unanwendbarkeit der Institution und der Charybdis einer Denaturierung der Einwilligung.“ – Dieses von Cancio Meliá stammende90, vernichtende Urteil über die Realisierbarkeit einer rechtfertigenden Einwilligung zur Behandlung der einverständlichen Fremdgefährdung ist die pointierte Kurzfassung der spätestens seit der Abkehr des Zivilrechts von einer Einwilligungslösung in BGHZ 34, 355 vielgeäußerten91 Kritik in der Strafrechtswissenschaft. Will man dennoch den 85
Walther, Eigenverantwortlichkeit, S. 92 mit Fn. 90. Walther, Eigenverantwortlichkeit, S. 92. 87 Walther, Eigenverantwortlichkeit, S. 141. 88 Walther, Eigenverantwortlichkeit, S. 141. 89 Walther, Eigenverantwortlichkeit, S. 34. 90 Cancio Meliá, ZStW 111 (1999), 357 (365). 91 Die Liste der Kritiker einer Risiko-Einwilligung ist lang. Genannt seien Roxin, JZ 2009, 399 (400); Sternberg-Lieben, Objektive Schranken, S. 214; Rönnau, in: LKStGB, Vor § 32 Rn. 168; Zaczyk, Selbstverantwortung, S. 51; Cancio Meliá, ZStW 111 (1999), 357 (365 f.); Duttge, FS Otto, S. 232 f.; Schünemann, JA 1975, 715 (724); Hellmann, FS Roxin I, S. 274 ff.; Walther, Eigenverantwortlichkeit, S. 37 f.; Geppert, ZStW 83 (1971), 947 (974); Otto, FS Geerds, S. 621; Neumann, GA 1996, 36 (38); Göbel, Einwilligung, S. 25; Hähle, Sportverletzungen, S. 77 ff.; Rössner, FS Hirsch, S. 318; I. Sternberg-Lieben, JuS 1998, 428 (429); Berkl, Sportunfall, S. 117 ff.; Fiedler, Fremdgefährdung, S. 59 ff.; Ensthaler, Einwilligung, S. 63; Müssig, Mord und Totschlag, 86
C. Zur Konstruktion einer Einwilligung in ein Risiko
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Weg über die rechtfertigende Einwilligung beschreiten – was nahe liegt, wenn man die Lehre von der objektiven Zurechnung nicht als den zutreffenden Prüfungspunkt für das Einverstandensein mit der Risikoschaffung ansieht92 – sind infolgedessen zwei voneinander zu trennende Fragen zu beantworten: 1. Ist eine Einwilligung, die sich nur auf die Schaffung einer rechtlich missbilligten Risikohandlung bezieht, überhaupt konstruktiv möglich? 2. Welche Anforderungen sind – wenn es sie geben kann – an eine derartige Einwilligung zu stellen? Unterscheidet sie sich von der „klassischen“ Einwilligung, bei der auch der Erfolgseintritt in den Willenszusammenhang integriert ist, mehr als nur begrifflich? Die Beantwortung der ersten Frage hängt maßgeblich davon ab, ob man einer Einwilligung (nur) in ein Risiko überhaupt zugesteht, in ihrer dogmatischen Grundstruktur tatsächlich Einwilligung zu sein oder ob man sie – mit dem zuletzt im Text genannten Autor – als zu denaturiert dafür ansieht. Die Auseinandersetzung darüber, ob sich von einer Einwilligung nur bei Einbeziehung des Erfolges in den Willen sprechen lässt, ist nach wie vor aktuell und kann mittlerweile schon als „Klassiker“ bezeichnet werden.93 Die sich gegenüberstehenden Lager sind in etwa gleich groß und ihre Argumentationen haben sich im Laufe der Zeit etwas verändert, bei Betrachtung selbst ausführlicher neuerer Untersuchungen94 drängt sich jedoch der Eindruck auf, dass die Diskussion inhaltlich stagniert. An Schärfe hat sie deshalb etwas verloren, weil die Möglichkeit einer Straffreistellung des Täters einer einverständlichen Fremdgefährdung heute nicht mehr generell zur Debatte steht95, das Ablehnen einer Einwilligung in ein Risiko korreliert sehr stark mit dem Befürworten einer Zurechnungslösung.96 Praktische S. 359; Hauck, GA 2012, 202 (214 f.); Mittermaier, JW 1925, 2250 (2251); Schmidt, JZ 1954, 369 (372); P. Frisch, Fahrlässigkeitsdelikt, S. 21 ff.; Preuß, Erlaubtes Risiko, S. 137 ff.; Kohlhaas, DAR 1960, 348 (349); Niedermair, Körperverletzung, S. 121 f.; Mayer, Produktverantwortung, S. 321 ff.; Zipf, Einwilligung, S. 75 f.; Hammer, JuS 1998, 785; Schild, Sportstrafrecht, S. 93; Krey/Esser, AT, Rn. 670; Burgstaller, Fahrlässigkeitsdelikt, S. 162 ff.; Schürer-Mohr, Erlaubte Risiken, S. 122 ff.; Honig, Einwilligung, S. 173 ff.; Noll, Einwilligung, S. 121 ff.; Kienapfel, JR 1978, 297 (298); Lasson, ZJS 2009, 359 (366); Luzón Peña, GA 2011, 295 (306); Weigend, ZStW 98 (1986), 44 (70 Fn. 91). 92 Gegen einen Weg über die teilweise auch als Rechtfertigungsgründe verstandenen Sozialadäquanz und erlaubtes Risiko, etwa bei Gallas, ZStW 67 (1955), 1 (22); Hirsch, ZStW 74 (1962), 78 (99), sprechen bereits die in Kapitel 3, B. II. 1. angeführten Gründe. 93 Zur Diskussion im älteren Schrifttum die ausführlichen Nachweise bei Honig, Einwilligung, S. 172 ff.; Geppert, ZStW 83 (1971), 947 (969 ff.). 94 Etwa Sternberg-Lieben, Objektive Schranken, S. 213 ff.; Murmann, Selbstverantwortung, S. 418 ff.; Hähle, Sportverletzungen, S. 75 ff.; Duttge, FS Otto, S. 232 ff.; Hellmann, FS Roxin I, S. 274 ff.; Rönnau, in: LK-StGB, Vor § 32 Rn. 164 ff. 95 Vgl. Frister, AT, 15/13. 96 Börgers, Studien zum Gefahrurteil, S. 191.
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Kap. 4: Einwilligung in ein Risiko und strafrechtsdogmatische Erfassung
Bedürfnisse97 lassen sich folglich nicht mehr für die Risiko-Einwilligung ins Feld führen, waren aber ohnehin nie ein Argument für die Existenz derselben.98
I. Die Einwilligung in ein Risiko – eine „Fiktion“? Der lebensweltliche Unterschied zwischen Einwilligung und Risiko-Einwilligung ist so banal, dass es darüber nicht zu streiten lohnt: Selbstverständlich ist dem Opfer der Eintritt des Erfolges nicht erwünscht, und anders als bei den unumstritten zur Einwilligung gehörenden Falltypen, wo es in dem, was es sich von der Rechtsgutspreisgabe versprochen hat, ebenfalls in Nachhinein enttäuscht werden kann, war er ihm das zu keiner Zeit.99 Infolge der Klarheit darüber, dass in den meisten Fällen die Beziehung des Opfers zum Erfolg nicht einmal einem bedingten Vorsatz beim Täter entspräche, sind frühe Äußerungen, die zumindest den Eindruck erweckten, mit dem Wollen des Risikos sei de facto ein Wollen des deliktischen Erfolges verbunden100, in tatsächlicher Hinsicht falsch. Dass sich überhaupt Formulierungen fanden, die darauf hindeuteten, man könne die Risiko-Einwilligung im psychischen Befund zwanglos der klassischen Einwilligung gleichsetzen, ließ auf eine grobe Verkennung von Realitäten oder eine kaum verhohlene Zustimmungsfiktion schließen und forderte auf diesem nichtjuristischen Feld zum vehementen Widerspruch und zu wortreichen Schilderungen der gravierenden subjektiven Verschiedenheiten regelrecht heraus. So sprach Eberhard Schmidt von dem häufigen Fehler, vom Wollen des Risikos auf das Wollen des Erfolges zu schließen und davon, wie sehr es der menschlichen Natur zuwiderliefe, bei jedem eingegangenen Risiko gleichzeitig den nur in Rechnung gestellten Erfolg zu wollen.101 Vergleichbar ausführliche Stellungnahmen zur Beschaffenheit des Opferwillens bei der Risiko-Einwilligung finden sich unter anderem bei Kohlhaas102, Zipf 103 und Peter Frisch104.
97 So früher Mezger, GS 89 (1924), 207 (279); in diese Richtung zuletzt noch Stratenwerth, FS Puppe, S. 1022. Keine Begründung außer „in den eingetretenen Verletzungserfolg wird kaum jemand einwilligen wollen“ geben Jescheck/Weigend, AT, S. 591 [Hervorhebung im Original]. 98 Mit Recht Geppert, ZStW 83 (1971), 947 (971); Ensthaler, Einwilligung, S. 49. 99 Vgl. nur Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, BT, § 6 Rn. 35 Fn. 37: „Seit BGHZ 34, 355 einhellig anerkannt“. 100 Klee, GA 49 (1902), 248; Hartung, NJW 1954, 1225 (1226); jedenfalls missverständlich auch BGHSt 7, 112 (114); BGH MDR 1959, 856; F.-C. Schroeder, in: LK11StGB, § 16 Rn. 179. 101 Schmidt, JZ 1954, 369 (372 mit Fn. 27). 102 DAR 1960, 348 (349). 103 Einwilligung, S. 75. 104 Fahrlässigkeitsdelikt, S. 22 f.
C. Zur Konstruktion einer Einwilligung in ein Risiko
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Die Beweiskraft dieser Ausführungen dürfte sich in Grenzen halten. Von Gewicht sein können sie nur dann, wenn es nachzuweisen gelingt, dass sich die faktischen Unterschiede auch rechtlich niederzuschlagen haben. Dieser Nachweis lässt sich nicht durch die unbewiesene Behauptung führen, derart große lebensweltliche Unterschiede (zur herkömmlichen Einwilligung) müsse das Recht zwingend widerspiegeln.105 Dass man die ubiquitär angebrachte, zum „regelrechten Gemeinplatz“ 106 gewordene Kritik, die Einwilligung in ein Risiko sei eine „methodenunehrliche Fiktion“ 107, mittlerweile in der Debatte nicht mehr für sich sprechen lässt, deutet darauf hin, dass man sich dessen bewusst ist.108 Dennoch erweckt diese Aussage bei ihrer Erwähnung fast durchgehend den Eindruck, nicht erst abschließendes Urteil einer vorigen dogmatischen Analyse zu sein, sondern bereits selbst Argument sein zu wollen und Anspruch darauf zu erheben, den Begründungsgang jedenfalls unter Plausibilitätsgesichtspunkten entscheidend zu beeinflussen. Das ist ein fragwürdiges Vorgehen, denn dass die Einwilligung in ein Risiko tatsächlich etwas fingieren muss, ließe sich nur einer Analyse der Einwilligungsstruktur als abschließendes Urteil anfügen, sofern man hier zu dem Ergebnis käme, dass gegenüber der Einwilligung in die Verletzung eines Gutes ein für die Einwilligung notwendiger Bestandteil fehlt.109 1. „Fiktion“ aufgrund einer „Rechtsgutspreisgabe“ als konstituierendem Einwilligungsmerkmal? Zum Teil wird versucht, Argumente gegen die Risiko-Einwilligung aus Überlegungen zum materiellen Wirkgrund der Einwilligung zu erhalten. Das mag zu105
So aber (neben anderen Argumenten) Fiedler, Fremdgefährdung, S. 70. Cancio Meliá, ZStW 111 (1999), 357 (365 Fn. 27). 107 So ausdrücklich Stoll, Handeln auf eigene Gefahr, S. 94; ebenfalls BGHZ 34, 355 ff.; für das Strafrecht Schünemann, JA 1975, 715 (724); Duttge, FS Otto, S. 232; Lasson, ZJS 2009, 359 (366); Fiedler, Fremdgefährdung, S. 72; Müssig, Mord und Totschlag, S. 359; Rössner, FS Hirsch, S. 316; Ensthaler, Einwilligung, S. 30; SternbergLieben, Objektive Schranken, S. 218; Hähle, Sportverletzungen, S. 77; Berkl, Sportunfall, S. 119; I. Sternberg-Lieben, JuS 1998, 428 (430); Zipf, Einwilligung, S. 75 f.; Krey/ Esser, AT, Rn. 674; Hammer, JuS 1998, 785; Zaczyk, Selbstverantwortung, S. 51; Schürer-Mohr, Erlaubte Risiken, S. 124; Kienapfel, JR 1978, 297 (298); Walther, Eigenverantwortlichkeit, S. 38; Geppert, ZStW 83 (1971), 947 (975); Rönnau, in: LK-StGB, Vor § 32 Rn. 168; Göbel, Einwilligung, S. 26; Schild, Jura 1982, 520 (523); Vogel, in: LKStGB, § 15 Rn. 239. 108 Zaczyk, Selbstverantwortung, S. 51, kündigt das Argument vorsichtshalber als „nur scheinbar äußerlichen Aspekt“ an. 109 Richtig herum bei Derksen, Handeln auf eigene Gefahr, S. 86: „Ob ein solcher Lösungsweg [Einwilligung] mit einer Einwilligungsfiktion erkauft werden muß, hängt maßgebend davon ab, ob die Einwilligung den Verletzungserfolg oder – wie für das Fahrlässigkeitsdelikt häufig vertreten wird – nur das Gefährdungsverhalten des anderen umfassen muß“ [Hervorhebungen im Original]. 106
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Kap. 4: Einwilligung in ein Risiko und strafrechtsdogmatische Erfassung
nächst erstaunen110, denn der Zusammenhang zwischen der Rechtsnatur der Einwilligung und dem, worauf sie sich zu beziehen hat, erweist sich bei näherer Betrachtung keineswegs als besonders auffällig.111 Allerdings finden sich Stimmen, welche das Wesen der Einwilligung in einer gewillkürten Rechtsgutsaufopferung sehen.112 Als eine solche ließe sich die Risiko-Einwilligung sicherlich nicht begreifen, doch wurde die Ansicht, die Einwilligung sei ihrer Natur nach Preisgabe des Rechtsguts, bereits zurückgewiesen113, auch sonst ist die Beweisführung für eine Verengung der Einwilligung auf eine bewusste Interessenpreisgabe in mehreren Punkten angreifbar: Die Befürworter einer erfolgsbezogenen Einwilligung behandeln Einwilligung und Vorsatz parallel, die Einwilligung soll demnach bei einer mit den herrschenden voluntativen Vorsatztheorien vergleichbaren Inkaufnahme der Rechtsgutsverletzung beginnen.114 Mit dem Verständnis einer Einwilligung als gewillkürter Rechtsgutspreisgabe konflingiert diese Grenzziehung auf nicht ganz unproblematische Weise. Wie schon beim Vorsatz weisen die Fälle, in denen der mögliche Erfolgseintritt widerwillig in Kauf genommen wird, im Psychischen eine größere Nähe zu denjenigen auf, in denen der Beteiligte den Erfolg ablehnt, als zu denen, wo es ihm darauf gezielt ankommt. Während es bei der gesetzlich vorgegebenen
110 Kritisch schon Münzberg, Verhalten und Erfolg, S. 317: „Überhaupt sind sämtliche Versuche unfruchtbar, aus dem ,Wesen der Einwilligung‘ folgern zu wollen, ob sie sich auf das Verhalten, auf den Erfolg oder auf beides bezieht oder beziehen müsse“. 111 Es lassen sich zumindest im Groben für jedes gängige, zum Wirkgrund der Einwilligung erdachte Modell Befürworter und Kritiker einer Einwilligung in ein Risiko finden. So betrachten Rudolphi, in: SK-StGB, Vor § 1 Rn. 81a, ders., ZStW 86 (1974), 82 (86 f.) und Eschweiler, Selbstgefährdung, S. 52, 66 die Risiko-Einwilligung – bei ähnlichen Überlegungen zur Rechtsgüterpreisgabe wie Rönnau, Willensmängel, S. 192 ff. – als möglich. Sieht man die Einwilligung als Rechtsschutzverzicht, so sieht Kienapfel, JA 1978, 297 (298) ebenso wie Preuß, Erlaubtes Risiko, S. 143 und Duttge, FS Otto, S. 232 das Ergebnis der Unmöglichkeit einer Risiko-Einwilligung hierdurch vorgezeichnet, die Rechtsprechung (ausführlich KG, JR 1954, 428 ff.) und Quillmann, Einwilligung, S. 20 würden dem auf gleicher Basis widersprechen. Den Interessenabwägungsmodellen von Noll, Einwilligung, S. 59 ff., 121 ff. und Geppert, ZStW 83 (1971), 947 (952 ff.) die eine erfolgsbezogene Einwilligung verlangen, stehen die Abwägungsmodelle von Hansen, Einwilligung, S. 27 ff., 109; Schlehofer, in: MK-StGB, Vor § 32 Rn. 151 und Dölling, FS Geppert, S. 58 ff. gegenüber, welche darauf verzichten. Bezeichnend das Fazit der Untersuchung von Geppert, ZStW 83 (1971), 947 (974): „Zum gleichen Ergebnis [für Geppert: Einwilligung auf den Erfolg bezogen] müßte im übrigen auch gelangen, wer die Einwilligung weniger als Wertkollision denn als Rechtsschutzverzicht oder Interessenpreisgabe versteht“. 112 Rönnau, Willensmängel, S. 194; ders., in: LK-StGB, Vor § 32 Rn. 168; Göbel, Einwilligung, S. 25 ff.; Ensthaler, Einwilligung, S. 62; Niedermair, Körperverletzung, S. 130; Zipf, Einwilligung, S. 76 f.; ganz ähnlich Ingelfinger, Tötungsverbot, S. 203; Mayer, Produktverantwortung, S. 320 ff. 113 s. Kapitel 1, C. II. 2. 114 Sternberg-Lieben, Objektive Schranken, S. 215; Rönnau, in: LK-StGB, Vor § 32 Rn. 164; Ensthaler, Einwilligung, S. 78; Göbel, Einwilligung, S. 25.
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Abgrenzung von Vorsatz und Fahrlässigkeit aber nahe liegt, aus einer durch sein Tun ausgedrückten Gleichgültigkeit gegenüber Rechtsgütern fremder Menschen auf die Verwirklichung größeren Unrechts zu schließen, ist die Übernahme dieser Trennlinie für die Einwilligung eine unbegründete, primär aus systemökonomischem Kalkül heraus gezogene115 Konsequenz. Ein schwaches Billigen gegenüber dem, was mit den eigenen Rechtsgütern passiert, ohne dass diese Folge beabsichtigt wird, ist ein Ausnahmefall; die einem solchen psychischen Befund auf Opferseite zugrundeliegenden Lebenssachverhalte sind solche, die problemlos unter die obige Gefährdungsdefinition116 subsumierbar sind und einen Spezialfall der Einwilligung in riskantes Verhalten bilden: Sie können dort auftreten, wo die potentielle Verletzung vom Einwilligenden als wenig gravierend eingeschätzt wird, weswegen es noch sinnvoll scheinen mag, sie um des erlangten Vorteils willen in Kauf zu nehmen, z. B. bei der Sportausübung mit der Gefahr leichter Blessuren oder der geringen Schädigung von Sachwerten117, derartige „doluseventualis-Einwilligungen“ fristen ansonsten ein Schattendasein in Praxis und Lehre. Mit dem Bild des Einwilligenden als jemandem, der seine Freiheit durch bewussten Verzicht auf das Rechtsgut gestaltet, sind sie nicht ohne weiteres kompatibel. Will man Einwilligung und Risiko-Einwilligung auf plausible Weise schärfer unterscheiden, läge hierfür eine Beschränkung der Verletzungseinwilligung auf eine dem direkten Vorsatz entsprechende psychische Konstitution beim Opfer nahe.118 Selbst bei Vornahme dieser Korrektur ist eine strikte Trennung von Einwilligung und Risiko-Einwilligung unter Berufung auf den Wirkgrund der Einwilligung jedoch fragwürdig. Rönnau begründet sie damit, dass derjenige, der den Erfolg nicht wünscht, das in Gefahr gebrachte Rechtsgut „gerade nicht zu eigenen Zwecken“ verwende.119 Im Kern stützt er das auf die (nicht weiter exemplifizierte) These, die „Entscheidung, das im Gut gespeicherte Handlungspotenzial in Aktivität zu verwandeln“, habe „in aller Regel den (partiellen) Verbrauch des Gutes zur Folge“.120 Diese Betrachtung spiegelt sich in der Lebenswirklichkeit nicht wider, so läge z. B. auch in der Entscheidung, einem Freund das eigene Auto gefälligerweise für eine Rundfahrt auszuleihen, eine Nutzung des dem Eigentum innewohnenden Potentials. Die Realisierung von Handlungschancen, welche beispielsweise das Rechtsgut Eigentum seinem Träger offeriert, ist kei115 Vgl. Paeffgen, in: NK-StGB, § 228 Rn. 19; Sternberg-Lieben, Objektive Schranken, S. 215. 116 s. Kapitel 3, A. 117 Vgl. die Beispiele von Frister, AT, 15/11 und Schlehofer, in: MK-StGB, Vor § 32 Rn. 151. 118 Dies erwägt Sternberg-Lieben, Objektive Schranken, S. 215 Fn. 80, geht dem aber nicht weiter nach. 119 Rönnau, Willensmängel, S. 192. 120 Rönnau, Willensmängel, S. 192.
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Kap. 4: Einwilligung in ein Risiko und strafrechtsdogmatische Erfassung
neswegs (auch wenn sie in der Form der Zustimmung zu einem Drittverhalten erfolgt) besonders eng an die Zerstörung oder Beschädigung der Sache als charakteristische Handlungsoptionen geknüpft. Im Gegenteil verliert diese Betrachtung aus den Augen, dass Einwilligung und Risiko-Einwilligung unter dem Aspekt des Einsatzes von Rechtsgütern erhebliche Gemeinsamkeiten aufweisen, welche die Trennlinie zwischen „preisgeben“ und „aufs Spiel setzen“ nicht als so scharf wie von Rönnau gezeichnet erscheinen lassen.121 Denn eine Rechtsgutspreisgabe erfolgt – was ihr Name etwas überdeckt – nicht grundlos, sondern ist Ausdruck einer auf Opferseite zuvor erfolgenden, selbstbestimmten Abwägung von Schaden und Nutzen.122 Ein derartiges Setzen von Prioritäten findet sich im vergleichbaren Maße in Risikokonstellationen, ein Faktum, dem beispielsweise Schlehofer Rechnung trägt, wenn er ausführt, dass hier zwar das Interesse des Opfers an der Unversehrtheit seines Gutes noch bestehe, dieses mit der Entscheidung für das Risiko aber gezeigt habe, dass dieses Interesse geringer sei als das, sich zu gefährden.123 Lässt man die Unterschiedlichkeit der Modelle von Rönnau und Schlehofer einmal außer Acht, wird deutlich, dass Einwilligung in eine Verletzung und Einwilligung in das Risiko einer Verletzung zwei Formen autonomen Umgangs mit Rechtsgütern als „gespeicherte Freiheit“ 124 sind, womit der Versuch, dem Selbstbestimmungsrecht des Art. 2 Abs. 1 GG Hinweise auf die Möglichkeit einer Risiko-Einwilligung abzulauschen, auf unsicheren Füßen steht. Dies gilt zugegebenermaßen in beide Richtungen: So überzeugt zwar Göbels Argumentation, wonach das Charakteristikum der Einwilligung die Billigung des Erfolges sei, weil der Einwilligende von seinem Selbstbestimmungsrecht Gebrauch mache125, nicht – „nur hier?“ ist man geneigt zu fragen. Ebenso beschreibt allerdings Döllings Einwand, dass man ein Rechtsgut, in dessen Zerstörung man einwilligen könne, erst recht in Gefahr bringen dürfen müsse126 nur, dass ein solches Verhalten von der verfassungsmäßig garantierten Autonomie des Opfers erfasst wird, der Täter somit im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben straffrei ausgeht – eine anerkannte Wertung ohne Aussagewert für deren dogmatische Erfassung.127
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Kritisch auch Grünewald, GA 2012, 364 (372). Diese ist nicht zu verwechseln mit einer von außen an den Rechtsgutsinhaber herangetragenen Abwägung von Autonomie und Drittinteressen, welche der Einwilligung als Erklärungsmodell von manchen zu Grunde gelegt wird, etwa von Noll, ZStW 77 (1965), 1 (15 ff.); Geppert, ZStW 83 (1971), 947 (952 ff.). Zum Unterschied zwischen dieser „inneren“ und der „äußeren“ Abwägung Lenckner, GA 1985, 295 (303); Sternberg-Lieben, Objektive Schranken, S. 71 Fn. 88. 123 Schlehofer, in: MK-StGB, Vor § 32 Rn. 151. 124 Frister, AT, 15/18. 125 Göbel, Einwilligung, S. 25. 126 Dölling, GA 1984, 71 (84). 127 Hierzu bereits Kapitel 4, A. 122
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2. „Fiktion“ bei Einbringung von normativen Zurechnungselementen? Diese Wertung wird, wie dargestellt, von zahlreichen Autoren bereits in der objektiven Zurechnung berücksichtigt. Einen Mittelweg zwischen Einwilligung und objektiver Zurechnung gehen all jene, die für die Begründung der RisikoEinwilligung auf Gesichtspunkte zurückgreifen, welche sich von dem für die Einwilligung typischen Merkmal der Erlaubnis aufgrund faktischen Wollens entfernen und die Argumentation in Richtung der für die objektive Zurechnung maßgeblichen Verantwortungszuweisung kraft normativer Zuständigkeit für einen Erfolg verschieben. Es käme danach überhaupt nicht darauf an, ob der Einwilligende sein Rechtsgut faktisch preisgegeben oder vollumfänglich auf Rechtsschutz verzichtet hat, sondern nur darauf, ob ihm der Erfolg aufgrund eines normativen Maßstabs als freiverantwortliche Preisgabe zuzurechnen ist.128 Schild meint dementsprechend, es müsse deutlich werden, dass es sich bei der RisikoEinwilligung „um ein normatives Konstrukt, um Zurechnung, handelt“ 129, er verwendet den Begriff der Einwilligung letztendlich in einem globaleren, auch die verwandte eigenverantwortliche Selbstgefährdung umfassenden Sinn.130 Jakobs wiederum unterscheidet finale und unfinale Einwilligung. Im Gegensatz zur klassischen – in Jakobs’ Terminologie finalen – Einwilligung gehe es bei der unfinalen, d.h. Risiko-Einwilligung um die Kostentragung für die Folgen eines gewollten sozialen Kontaktes131, nicht alleine um „Zuständigkeit durch Wollen“ 132. Diese Ansätze entfernen sich – im Mindesten für die Einwilligung in ein Risiko – erkennbar von einer Einwilligungsdogmatik, die sich auf eine tatsächliche psychische Übereinstimmung zwischen dem Opferwillen und dem Täterhandeln 128 Deutlich Schlehofer, in: MK-StGB, Vor § 32 Rn. 61: „Ob eine solche Preisgabe vorliegt, lässt sich aber nicht rein faktisch, sondern nur normativ bestimmen“; Müssig, Mord und Totschlag, S. 359; ähnlich Kindhäuser, LPK-StGB, Vor § 13 Rn. 162 („Sonderfall des Ausschlusses der objektiven Tatbestandszurechnung“); ders., BT I, § 8 Rn. 14. Diese auf einer Einordnung der Einwilligung als Unterfall der Selbstschädigung beruhende Position wurde von Kindhäuser in GA 2010, 490 (501) neuerdings aufgegeben. Er sieht die Einwilligung nun als Unrechtsausschluss eigener Art. 129 Schild, Sportstrafrecht, S. 94; ders., Jura 1982, 520 (523), allerdings sind seine Ausführungen zur Einwilligung untrennbar mit dem Sport als speziellem Risikobereich verbunden. 130 Schild, Sportstrafrecht, S. 88: „Liegt eine Übernahme dieses Risikos (oder eine Einwilligung in dieses Risiko, eine Selbst- oder einverständliche Fremdgefährdung) vor, entfällt die Zurechnung zum Täterverhalten“. 131 Jakobs, AT, § 7 Rn. 126. Diese Aussage hat bei Gegnern der Risiko-Einwilligung als Form der Einwilligung eine ähnliche Beliebtheit erlangt wie das Fiktionsargument. Sie findet sich beispielsweise bei Sternberg-Lieben, Objektive Schranken, S. 214; Göbel, Einwilligung, S. 25; Fiedler, Fremdgefährdung, S. 98; Müssig, Mord und Totschlag, S. 357; Hähle, Sportverletzungen, S. 67; Rönnau, Willensmängel, S. 194; Schürer-Mohr, Erlaubte Risiken, S. 121 Fn. 254. 132 Jakobs, AT, § 7 Rn. 129.
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Kap. 4: Einwilligung in ein Risiko und strafrechtsdogmatische Erfassung
gründet.133 Eine derart offensive Herangehensweise an das Fiktionsargument kann durchaus dazu führen, die Grenzen zwischen Einwilligung und objektiver Zurechnung einzureißen und eine Form der Einwilligung zu schaffen, die mit der klassischen Einwilligungsdogmatik nur noch die Terminologie teilt. Subtilere Verschiebungen finden sich bei Modellen, deren Befürworter die strafbarkeitsausschließende Wirkung der Risiko-Einwilligung bei ansonsten stärkerem Verharren in den Bahnen traditioneller Einwilligungslehre mit Überlegungen begründen, die dort einen Fremdkörper darstellen. Schon die ältere Rechtsprechung ging diesen Weg, als sie mehrfach behauptete, wer das Risiko wolle, müsse ebenfalls den sich daraus ergebenden Erfolg als dessen Resultat hinnehmen.134 Dies geschah jedoch meist ohne nähere Begründung und war anfällig für Widerspruch durch das Fiktionsargument.135 Im neueren Schrifttum wird die Risiko-Einwilligung deshalb teilweise auf den Gedanken des venire contra factum proprium gestützt: Derjenige, der in die gefährliche Handlung einwillige, könne sich später nicht nach dem Motto „Wasch mich, aber mach mich nicht nass“ darauf berufen, den Erfolg nicht gewollt zu haben136, dies mute als „gekünstelt und lebensfremd“ 137 an. Auch diese Erklärung birgt die Schwäche in sich, nur eine weitgehend unstreitige Wertung zu artikulieren, ohne zwingende Argumente für die Lozierung des Problems in der Einwilligungslehre zu liefern.138 Im Gegenteil schürt sie sogar Zweifel an deren Richtigkeit. Mit dem vorsichtigen Eingeständnis, die RisikoEinwilligung sei anders als die Verletzungseinwilligung eine Einwilligung mit einer normativen Erfolgszurechnungskomponente, stellt sich – genauso wie mit einer generellen Einstufung der Einwilligung als normativem Zurechnungsinstitut – die Frage, weshalb man in Gefährdungsfällen zuvor die objektive Zurechnung, insbesondere die Realisierung des rechtlich missbilligten Risikos im Erfolg, be133 Vgl. Rössner, FS Hirsch, S. 318 sowie Schild, Sportstrafrecht, S. 101, der seine und Jakobs’ „Einwilligungslösung“ in die Nähe von erlaubtem Risiko und Sozialadäquanz rückt. Eine Kritik von Jakobs’ Einwilligungskonzeption und ihren Grundlagen findet sich bei Rönnau, Willensmängel, S. 367 ff. 134 BayObLG, JR 1961, 72 (74); OLG Oldenburg, DAR 1959, 128; OLG Hamm, VRS 7, 202 (203); ähnlich anklingend bei Frister, AT, 15/11: „. . . muss sich deshalb diesen unerwünschten Erfolg als Ergebnis selbst gesetzter Prioritäten zurechnen lassen“. 135 Vgl. Dach, Einwilligung, S. 16; P. Frisch, Fahrlässigkeitsdelikt, S. 23. 136 Kühl, ZStW 115 (2003), 385 (391); Beulke, FS Otto, S. 215; Brüning, ZJS 2009, 194 (197); im Ansatz (früher) Dölling, GA 1984, 71 (84) („. . . fällt das in seinen Verantwortungsbereich“); für etwas anders gelagerte Fälle Börgers, Studien zum Gefahrurteil, S. 192. 137 Beulke, FS Otto, S. 215; vgl. auch Renzikowski, HRRS 2009, 347 (353): „ungereimt“. 138 Der Gedanke eines widersprüchlichen Verhaltens des Rechtsgutsträgers als Grund für die Straflosigkeit des Dritten findet sich in der zivilrechtlichen Lösung über §§ 254, 242 BGB (seit BGHZ 34, 355) ebenso wie beispielsweise in dem von einer Einwilligungslösung dogmatisch sehr weit entfernten Vorschlag von Fiedler, Fremdgefährdung, S. 143.
C. Zur Konstruktion einer Einwilligung in ein Risiko
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jaht hat.139 Sie ließe sich nur anhand einer Analyse des Verhältnisses von objektiver Zurechnung zu der jeweiligen Konzeption einer als normative Zurechnung konstruierten Risiko-Einwilligung beantworten. Da sich die bisherigen Lösungen in der objektiven Zurechnung wie ausgeführt als wenig ergiebig erwiesen haben140, bliebe für eine spezielle, in ihrer Struktur von der Einwilligung abweichende Risiko-Einwilligung durchaus noch Raum. Jedoch bietet es sich an, den Unterschied zwischen der allein auf die tatsächliche Zustimmung des Verletzten fußenden Unrechtsbeseitigung und der hiervon losgelösten, schon durch das objektive Geschehen erfolgenden nicht ohne Not zu verwischen. Eines Rückgriffs auf Zurechnungserwägungen für die Begründung der Risiko-Einwilligung bedarf es daher nur ersatzweise, wenn sich im folgenden Abschnitt herausstellt, dass eine am faktischen Moment orientierte Einwilligungslösung sich nicht unabhängig von der Einbeziehung des Erfolges in den Willen begründen lässt. 3. „Fiktion“ wegen sachwidriger Ausblendung des unrechtsmitkonstituierenden Erfolgsunwerts? Der Streit darum, ob eine nicht erfolgsbezogene Einwilligung strafrechtsdogmatisch denkbar ist, wird traditionell mit Argumenten zum strafrechtlichen Unrecht, insbesondere dem der Fahrlässigkeitstat, ausgefochten. Geht man mit der gegenwärtig herrschenden dualistischen Konzeption der personalen Unrechtslehre141 davon aus, dass sich strafrechtliches Unrecht aus einem Handlungs- und einem Erfolgsunwert zusammensetzt142, ist für die Straflosigkeit des Täters infolge rechtfertigender Einwilligung die hierdurch erfolgende Neutralisierung beider Unrechtskomponenten notwendig. Im älteren Schrifttum wurde vereinzelt angenommen, diese setze voraus, die Einwilligung nur auf den Erfolg, nicht hingegen auf die Täterhandlung zu beziehen.143 Über die Bewertung der Handlung könne niemals der Einwilligende entscheiden, jener könne nur sein Rechtsgut durch die Einwilligung aus dem Kreis möglicher Tatobjekte herausnehmen.144 Diese Ansicht kann heute als widerlegt gelten, einer vollständigen Ausklammerung der Handlung aus dem Einwilligungsgegenstand steht entgegen, dass sich 139 Darauf abzielend dann auch die Kritik von Hellmann, FS Roxin I, S. 276; Hähle, Sportverletzungen, S. 84 (jeweils zu der in Fn. 136 dieses Kapitels zitierten Aussage von Dölling); Rönnau, in: LK-StGB, Vor § 32 Rn. 168; Rössner, FS Hirsch, S. 318 f. 140 Bereits Kapitel 3, B. II. 2. b) dd); Kapitel 4, B. III. 141 Hierzu nur Gallas, FS Bockelmann, S. 155 ff.; zur früheren objektiven Unrechtslehre Jakobs, AT, 6/70 f. 142 Während der Handlungsunwert beim Fahrlässigkeitsdelikt nach ganz h. M. im sorgfaltswidrigen Verhalten des Täters liegt (s. nur Sternberg-Lieben, in: Schönke/ Schröder, § 15 Rn. 121 ff.), ist beim Vorsatzdelikt der Inhalt des Handlungsunrechts undeutlicher, hierzu noch unten, Kapitel 4, C. I. 3. b). 143 Zipf, Einwilligung, S. 22 f.; Burgstaller, Fahrlässigkeitsdelikt, S. 162; Preuß, Erlaubtes Risiko, S. 143. 144 Zipf, Einwilligung, S. 22; Burgstaller, Fahrlässigkeitsdelikt, S. 162.
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Kap. 4: Einwilligung in ein Risiko und strafrechtsdogmatische Erfassung
der Erfolg ohne ein in Bezug genommenes tatbestandsmäßiges Verhalten erst gar nicht in den Kategorien von „gerechtfertigt“ oder „rechtswidrig“ erfassen lässt145 und eine Einwilligung selbst als so verstandene Disposition über das Rechtsgut unstreitig nicht gegenüber jedem potentiell Handlungsfähigen und von konkreten Ausführungsmodalitäten unabhängig erteilt werden soll, was bei vollständiger „Handlungsblindheit“ aber konsequenterweise der Fall sein müsste.146 Nach wie vor häufig vertreten – erst recht bei der Verletzungseinwilligung147 – wird hingegen, dass der Rechtsgutsinhaber sowohl die Handlung als auch den Erfolg gewollt haben müsse, um den Täter kraft Einwilligung zu entlasten. Der verwirklichte Handlungsunwert sowie der in der Rechtsgutsverletzung liegende Erfolgsunwert müssten beide nacheinander sozusagen spiegelbildlich wieder dadurch aufgehoben worden sein, dass das Opfer sich mit Handlung und Erfolg einverstanden erklärt hat, was bei einer Einwilligung nur in ein riskantes Verhalten nicht der Fall sei.148 Gegen diese Beweisführung sind unterschiedliche Wege beschritten worden. a) Behauptung einer Präponderanz des Handlungsunwerts Eine Möglichkeit, sie von vornherein zu umgehen besteht darin, die überragende Bedeutung des Handlungsunwerts gegenüber dem Erfolgsunwert für die Konstituierung des Unrechts herauszustellen, die personale Unrechtslehre also nicht als dualistisch, sondern als monistisch zu begreifen. Nach wie vor finden sich im Schrifttum Stimmen, welche als das Unrecht einer Tat lediglich oder wesentlich das personale Handlungsunrecht anerkennen.149 Hirsch, in: LK11-StGB, Vor § 32 Rn. 106; Dölling, FS Geppert, S. 58. Noll, Einwilligung, S. 122; Paeffgen, in: NK-StGB, § 228 Rn. 12 mit Beispielen. Der entgegengesetzte Einwand von Zipf, Einwilligung, S. 21 und Fiedler, Fremdgefährdung, S. 71, bei einer handlungsbezogenen Einwilligung müsste dafür mit dem Erlaubnis der Handlung diese auch gegenüber opferfremden Rechtsgütern erlaubt sein, ist irrig: Insoweit fehlt schon die Verfügungsbefugnis. 147 Vgl. Murmann, Selbstverantwortung, S. 413 Fn. 384; Duttge, FS Otto, S. 232; Rönnau, in: LK-StGB, Vor § 32 Rn. 164. 148 Roxin, JZ 2009, 399 (400); Sternberg-Lieben, Objektive Schranken, S. 218; Fiedler, Fremdgefährdung, S. 66; Duttge, FS Otto, S. 232 f.; Hellmann, FS Roxin I, S. 276; Schürer-Mohr, Erlaubte Risiken, S. 125; Hähle, Sportverletzungen, S. 78 f.; Lasson, ZJS 2009, 359 (366); Schild, Sportstrafrecht, S. 93; Mayer, Produktverantwortung, S. 322; Niedermair, Körperverletzung, S. 122; I. Sternberg-Lieben, JuS 1998, 428 (429); Hammer, JuS 1998, 785 (786); Geppert, ZStW 83 (1971), 947 (974); Honig, Einwilligung, S. 173; Krey/Esser, AT, Rn. 674; Berkl, Sportunfall, S. 102; Mittermaier, JW 1925, 2250 (2251); Jäger, AT, Rn. 51; Hauck, GA 2012, 202 (212). 149 Zielinski, Unrechtsbegriff, S. 128 ff.; Armin Kaufmann, FS Welzel, S. 411; Dornseifer, GS Armin Kaufmann, S. 433 ff.; Lüderssen, FS Bockelmann, S. 181 ff.; Horn, Konkrete Gefährdungsdelikte, S. 78 ff.; Freund, in: MK-StGB, Vor § 13 Rn. 327 ff., der den Streit aber nur als „terminologisch“ ansieht, was daran liegt, dass eine Ausklamme145 146
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Meistens geht dies einher mit einem Verständnis strafrechtlicher Normen primär als Bestimmungsnormen, welche dem Einzelnen ein bestimmtes Tun oder Unterlassen befehlen, ohne objektiv einen hierdurch herbeigeführten Zustand negativ zu bewerten.150 Begründet wird diese Position unter anderem damit, ein Erfolg lasse sich nicht verbieten, vielmehr sei es stark vom Zufall abhängig, ob nach Durchführung der verbotenen Handlung noch ein solcher eintritt oder nicht. Hiervon könne aber der Unrechtsgehalt der Tat nicht abhängig sein (was zur Konsequenz hätte, dass beendeter Versuch und vollendete Tat – obwohl sie nach geltendem Recht nicht gleich bestraft werden – den gleichen Unrechtsgehalt aufwiesen).151 Wer diese extremsubjektive Unrechtslehre, die sich selbst als konsequente Fortführung der finalen Handlungslehre versteht152, für die hier interessierende Einwilligungsproblematik heranzieht153, kann den Verzicht auf die Einbeziehung des Erfolges in den Willen des Opfers für die kraft Einwilligung erfolgende Widerlegung der tatbestandlichen Unrechtsvermutung widerspruchsfrei begründen: Auf den Erfolg kommt es nicht an, denn er ist gegenüber der Handlung nicht gleichrangig154, möglicherweise gar „unrechtsirrelevant“ 155 und lediglich „objektive Bedingung für die Strafbarkeit“ 156, welche über das Strafbedürfnis entscheidet.157 Diese Theorie hat sich bisher nicht durchsetzen können. Sie kann nicht gut erklären, weshalb jemandem auch ein Rechtfertigungsgrund gegenüber einer Person zustehen kann, bei der es am verwirklichten Handlungsunrecht fehlt.158 Zudem sind deliktische Erfolge für sich genommen zwar nicht verbietbar, allerdings untersagt das Strafgesetzbuch nicht beliebige Handlungen, sondern nur solche,
rung des Erfolges aus dem Unrechtsbegriff nichts daran ändert, dass das Gesetz die Tatbestandsverwirklichung von seinem Eintritt abhängig macht. Zur Erklärung dieses Faktums auf der Grundlage einer radikal subjektiven Unrechtslehre Horn, Konkrete Gefährdungsdelikte, S. 80. 150 Zielinski, Unrechtsbegriff, S. 121 ff.; Quillmann, Einwilligung, S. 6 ff.; Eschweiler, Selbstgefährdung, S. 25. 151 Zielinski, Unrechtsbegriff, S. 127 ff.; Armin Kaufmann, FS Welzel, S. 403; Dornseifer, GS Armin Kaufmann, S. 434; Hansen, Einwilligung, S. 113. Struensee, ZStW 102 (1990), 21 (49); Sancinetti, Subjektive Unrechtsbegründung, S. 18. 152 Vgl. Lüderssen, FS Bockelmann, S. 183; Gallas, FS Bockelmann, S. 155; Zielinski, Unrechtsbegriff, S. 5 spricht vom „finalen Unrechtsbegriff“; Duttge, in: MKStGB, § 15 Rn. 94 bezeichnet ein heutiges Vertreten dieser Position abwertend als „neofinalistisch“. 153 Beispielhaft Quillmann, Einwilligung, S. 3 ff.; Horn/Wolters, in: SK-StGB, § 228 Rn. 5. 154 Freund, in: MK-StGB, Vor § 13 Rn. 329; Hansen, Einwilligung, S. 115. 155 Zielinski, Unrechtsbegriff, S. 129; Horn, Konkrete Gefährdungsdelikte, S. 82. 156 Dornseifer, GS Armin Kaufmann, S. 435; ebenso Armin Kaufmann, FS Welzel, S. 411. 157 Freund, in: MK-StGB, Vor § 13 Rn. 327; Zielinski, Unrechtsbegriff, S. 205 ff. 158 Schlehofer, in: MK-StGB, Vor § 32 Rn. 13; Gallas, FS Bockelmann, S. 167.
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Kap. 4: Einwilligung in ein Risiko und strafrechtsdogmatische Erfassung
die gegen seinen Zweck, Rechtsgüter zu schützen, gerichtet sind159, der zu verhindernde Sozialschaden hängt also mit der ihn verursachenden Handlung zusammen, was dafür spricht, beide als Teile des Unrechts zu begreifen.160 Es liegt möglicherweise nahe, diesen Zusammenhang zwischen Handlung und Erfolg dort stärker in Zweifel zu ziehen, wo der Täter von vornherein nicht final auf den Erfolg hinarbeitet, so dass jener sich hier auch leichter als von der „Gunst des Zufalles“ 161 abhängig titulieren ließe. Dem gerecht werdend haben manche die monistische Unrechtslehre auf das Fahrlässigkeitsdelikt beschränkt.162 Dagegen lässt sich aber einwenden, dass der Erfolg selbst beim Fahrlässigkeitsdelikt der Handlung keinesfalls zusammenhanglos gegenübersteht, sondern sich als Resultat des pflichtwidrigen Verhaltens darstellt.163 Das Zufallsargument zerbricht außerdem daran, dass man mit ihm – um konsequent zu sein – sämtliche äußerlichen Verwirklichungen von Unrecht aus dem Unrechtsbegriff herausnehmen müsste, denn diese sind zwar keine Erfolge im strafrechtlichen Sinne, doch kaum weniger zufallsgesteuert als die Rechtsgutsverletzung selbst.164 Eine solche, für das Handlungsunrecht allein auf den Intentionsunwert abstellende Ansicht wird gelegentlich vertreten.165 Die Kombination einer Verbannung der objektiven Tatseite aus dem Handlungsunrecht und im gleichen Zuge einer Beschränkung des Unrechts auf eben dieses käme einem Gesinnungsstrafrecht zumindest in der dogmatischen Konstruktion allerdings gefährlich nahe.166 Aus diesen Gründen kann eine Risiko-Einwilligung nicht über eine Entfernung des Erfolges aus dem Unrechtsbegriff – generell oder ausschließlich bei Fahrlässigkeitsdelikten – konstruiert werden.
159 Duttge, in: MK-StGB, § 15 Rn. 94, der davon spricht, dass die Strafgesetze keine „sich selbst genügenden Dogmen“ seien; Schlehofer, in: MK-StGB, Vor § 32 Rn. 13. 160 Hiervon zu trennen ist die Frage, ob beide als Teile des Handlungsunrechts zu begreifen sind, dazu noch unten, Abschnitt b). 161 So Exner, Wesen der Fahrlässigkeit, S. 83. 162 Welzel, Das Deutsche Strafrecht, S. 136; Schaffstein, FS Welzel, S. 563; wohl auch Eschweiler, Selbstgefährdung, S. 25. 163 Hirsch, ZStW 94 (1982), 239 (254). 164 Roxin, AT I, § 10 Rn. 99; Puppe, in: NK-StGB, Vor § 13 Rn. 20; Jakobs, AT, 6/73 mit Fn. 152 und der Kritik an Dornseifer, FS Bockelmann, S. 438, der diese Konsequenz nicht zieht, sondern jedenfalls den Handlungsvollzug noch dem Handlungsunrecht zuschlägt. 165 Rudolphi, FS Maurach, S. 65, welcher hierdurch die Unterscheidung zwischen Handlungs- und Erfolgsunwert zu einer zwischen subjektiver und objektiver Unrechtsseite macht. 166 Roxin, AT I, § 10 Rn. 99.
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b) Behauptung eines Fehlens des Erfolgsunwerts bei Aufhebung des Handlungsunwerts Es fällt auf, dass die zahlreichen Angriffe auf die Rechtsfigur der Risiko-Einwilligung in erster Linie Angriffe auf die zuvor dargestellte subjektiv-monistische Unrechtstheorie sind. Sie wird – obwohl ihr bislang nicht die Zustimmung der Mehrheit des Schrifttums zu Teil wurde – als vermeintlich leicht zu widerlegender Antagonist einer Zurechnungslösung auch in neueren Themenbeiträgen ausführlich besprochen167 und so der Eindruck erweckt, eine Einwilligungslösung setze denknotwendig ein derartiges Unrechtsverständnis voraus.168 Ein Erklärungsmodell der Risiko-Einwilligung, was mit der heute herrschenden Unrechtslehre ohne weiteres in Einklang zu bringen wäre, erhält demgegenüber weniger Aufmerksamkeit von Seiten der Einwilligungskritiker. Es macht sich den gegen die monistische Unrechtslehre vorgebrachten Zusammenhang von Handlung und Erfolg zu Nutze. Handlungs- und Erfolgsunwert hängen nicht beliebig zusammen, sie bauen aufeinander auf. Fehlt es bildlich gesprochen am „oberen“ Unrechtsteil, dem Erfolgsunwert, bleibt der Handlungsunwert davon unberührt (Versuchsunrecht). Entfernt man jedoch den „unteren“ Teil, stürzt das Gebilde in sich zusammen, ein Erfolgsunwert besteht trotz des Erfolgseintritts erst gar nicht, weil der Erfolg nicht auf einer missbilligten Handlung beruht. Ein derartiger Konnex von Handlungs- und Erfolgsunrecht wird innerhalb der personalen Handlungslehre selbst von Gegnern einer Einwilligungslösung nicht bestritten.169 Mit seiner Anerkennung ist gleichzeitig bereits widerlegt, dass eine Einwilligung beide für das tatbestandliche Unrecht als konstitutiv erachteten Komponenten einzeln wieder zu Fall bringen müsste.170 Es reicht, dass die Einwilligung den Handlungsunwert entfallen lässt. Mittlerweile durchaus zahlreich wird daraus im nächsten Schritt – teilweise in knapper Formulierung – der Schluss gezogen, dass eine Einwilligung allein in die riskante Handlung rechtfertigende Wirkung entfalte.171 Dies ist aber keineswegs 167 Fiedler, Fremdgefährdung, S. 59 ff.; Hähle, Sportverletzungen, S. 79; Duttge, FS Otto, S. 232 ff.; I. Sternberg-Lieben, JuS 1998, 428 (429 f.); Sternberg-Lieben, Objektive Schranken, S. 217; Hellmann, FS Roxin I, S. 276. 168 Explizit sogar Roxin, AT I, § 11 Rn. 121; Duttge, NStZ 2009, 690 (691). 169 Etwa Roxin, AT I, § 10 Rn. 96; Fiedler, Fremdgefährdung, S. 65; Ensthaler, Einwilligung, S. 62; Rönnau, in: LK-StGB, Vor § 32 Rn. 165; Niedermair, Körperverletzung, S. 124. 170 Wie es offenbar der Vorstellung mancher zu Grunde liegt, wenn sie ausführen, die Einwilligung in die riskante Handlung könne maximal das Handlungsunrecht beseitigen, z. B. bei Schaffstein, FS Welzel, S. 567; Mayer, Produktverantwortung, S. 322; Hoyer, in: SK-StGB, Anh. zu § 16 Rn. 96; Hellmann, FS Roxin I, S. 277, der allerdings auch ein Entfallen des Handlungsunrechts ablehnt; unklar Dölling, FS Geppert, S. 59: „Mit der Gestattung der Tathandlung hängt der Erfolg gewissermaßen in der Luft“. 171 Amelung/Eymann, JuS 2001, 737 (744); Frisch, NStZ 1992, 62 (66); Grünewald, GA 2012, 364 (373); Renzikowski, HRRS 2009, 347 (353); Dach, Einwilligung, S. 59;
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so simpel, wie es auf den ersten Blick scheint. Es besteht die Gefahr, zu leicht auf die Beweiskraft des gerade beschriebenen Mechanismus zu vertrauen und hiermit eine Frage zu überspringen, auf die sich der scheinbar gelöste Streit nun entscheidend zuspitzt: Kann eine Einwilligung, die sich nur auf die Handlung bezieht, überhaupt den Handlungsunwert entfallen lassen?172 Das ist wiederum von zwei Faktoren abhängig, nämlich einerseits vom Inhalt des Handlungsunrechts und andererseits von der Wirkung, die man der Zustimmung des Opfers mit der Risikoschaffung zuschreiben mag. Es ist heute weithin anerkannt, dass zum Handlungsunrecht als dessen Kern die subjektive Unrechtsseite gehört, insbesondere der Vorsatz.173 In welchem Umfang die objektive Unrechtsseite dem Handlungsunrecht zuzuschlagen ist, ist hingegen ungeklärt174 und kann für die Problematik der Risiko-Einwilligung bedeutsam sein. Dann nämlich, wenn man sogar den Erfolg als Teil des Handlungsunrechts begreift, wäre erst einmal erklärungsbedürftig, weshalb das Handlungsunrecht mit der Konsentierung der gefährlichen Handlung ohne Einbeziehung des Erfolges in Fortfall geriete. Hirsch als ein Vertreter dieser Ansicht bemüht für den Weg hin zur Befürwortung einer Einwilligungslösung dann auch Besonderheiten des Fahrlässigkeitsdelikts: Während der Erfolg bei der vorsätzlichen Tat zum Handlungsunrecht dazugehöre175, sei dies im Fahrlässigkeitsbereich aufgrund des geringeren Zusammenhanges zwischen Handlung und Erfolg abzulehnen.176 Übertragen auf die Problematik heißt das: Beim fahrlässigen Delikt (und nur dort!) genügte für das Entfallen des Handlungsunrechts bereits die Zustimmung zu der gefahrbringenden Handlung.177 Hirsch liegt mit dieser Erklärung auf der Linie eines Großteils der (vor allem älteren) Lehre und Rechtsprechung, welche die Risiko-Einwilligung als ein Spezialproblem der Übertragung von Rechtfertigungsgründen auf die Fahrlässigkeitsdogmatik angesehen und von dieser Seite aus untersucht haben.178 Eine derartige Rubrizierung ist gleichzeitig nur dann denkbar, wenn man gravierende Verschiedenheiten im Unrechtsaufbau von
Eschweiler, Selbstgefährdung, S. 25; Murmann, FS Puppe, S. 777; Dölling, FS Geppert, S. 59; Brüning, ZJS 2009, 194 (197). 172 Richtig erkannt von Fiedler, Fremdgefährdung, S. 65 f.; Ensthaler, Einwilligung, S. 62. 173 Jescheck/Weigend, AT, S. 242 mit Fn. 36; Kühl, AT, § 5 Rn. 4. 174 Vgl. nur Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder, Vor § 13 Rn. 56; zu sich daraus ergebenden Unklarheiten Gallas, FS Bockelmann, S. 155 ff.; Frister, AT, 8/14. 175 Hirsch, ZStW 94 (1982), 239 (248). 176 Hirsch, ZStW 94 (1982), 239; ders., FG BGH Bd. IV, S. 218; ähnlich Schild, Jura 1982, 520 (525 f.); Kaspar, JuS 2012, 112 (115). 177 Hirsch, in: LK11-StGB, Vor § 32 Rn. 107; Ostendorf, JuS 1982, 426 (432); Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 15 Rn. 36; Schild, Jura 1982, 520 (526). 178 Vgl. nur die Monographien von Hansen, Einwilligung, Quillmann, Einwilligung und Dach, Einwilligung; außerdem Amelung/Eymann, JuS 2001, 937 (944); Kühl, AT, § 17 Rn. 82; für die Rechtsprechung KG, JR 1954, 428.
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fahrlässiger und vorsätzlicher Tat erkennen mag. Wie ausgeführt ist im Vorsatzunrecht jedoch das Fahrlässigkeitsunrecht enthalten, woraus folgt, dass die Frage der Reichweite der Objektivierung des Handlungsunrechts Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikte gleichermaßen betreffen muss. Das meint auch Roxin, der den deliktischen Erfolg durchweg als Teil des Handlungsunrechts ansieht.179 Hiervon ausgehend erscheint der oft zu lesende Einwand, eine Einwilligung nur in die Handlung könne den Unwert des Erfolges als wesentlichen Teils des Unrechts (hier dann: des Handlungsunrechts!) nicht aufheben, nachvollziehbar. Der Prämisse, der Erfolg selbst sei Teil des Handlungsunrechts, ist gleichwohl entgegenzutreten. Wenn die Einteilung in Handlungs- und Erfolgsunrecht überhaupt einen Sinn haben soll180, muss zwischen beiden eine klare Grenze gezogen werden und darf kein Deliktsmerkmal beiden Unrechtskomponenten eigen sein. Demnach ist der eingetretene Erfolg – z. B. in Form der Rechtsgutsverletzung – von dem Bereich abzugrenzen, der den nach außen manifestierten Ungehorsam gegen die Verbotsnorm markiert.181 Vom Verbot erfassen lässt sich allein ein bestimmtes Täterverhalten, der Erfolg mag mit ihm zwar im Zusammenhang stehen, gehört zum Verhalten selbst aber nicht dazu. Es kann nun allerdings immer noch unterschiedlich erklärt werden, weshalb das Handlungsunrecht bei Zustimmung mit der Schaffung des rechtlich missbilligten Risikos entfällt. Geht man davon aus, dass die Risiko-Einwilligung die zu erfüllende Sorgfaltspflicht herabsetzt und dem Einwilligenden so die Möglichkeit gibt, Handlungsanforderungen zu modifizieren182, so stößt man damit auf Widerspruch. Lebensweltlich betrachtet wolle das Opfer gerade nicht auf Rechtsschutz oder die Einhaltung von Sorgfaltsstandards verzichten, es fordere umgekehrt aufgrund der ihm bekannten Gefährlichkeit des Täterhandelns eine besonders gewissenhafte Ausführung des Unternehmens.183 In strafrechtsdogmatischer Hinsicht könne eine Einzelperson zudem nicht aus sorgfaltspflichtwidrigen Handlungen sorgfaltsgemäße machen, betrunken Auto zu fahren bleibe z. B. selbst dann noch eine missbilligte Risikoschaffung, wenn alle Mitfahrer sich damit abfänden.184 Ein derartiges Vorverständnis der Funktionsweise einer Risiko-Einwilligung ist aber keineswegs das einzig denkbare, sondern irrig und der nach wie vor zu sche-
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Roxin, AT I, § 10 Rn. 101; ähnlich Fiedler, Fremdgefährdung, S. 66. Kritisch gegenüber dem Begriffspaar Walter, in: LK-StGB, Vor § 13 Rn. 19. 181 Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder, Vor § 13 Rn. 56; Gallas, FS Bockelmann, S. 166. 182 Dach, Einwilligung, S. 53 ff.; mit anderer Verortung P. Frisch, Fahrlässigkeitsdelikt, S. 118 ff. 183 Zipf, Einwilligung, S. 76; Boll, Strafrechtliche Probleme, S. 54; Ensthaler, Einwilligung, S. 63. 184 Hellmann, FS Roxin I, S. 276; Roxin, JZ 2009, 399 (400); Sternberg-Lieben, Objektive Schranken, S. 218 Fn. 96. 180
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Kap. 4: Einwilligung in ein Risiko und strafrechtsdogmatische Erfassung
matischen Herangehensweise an das Problem geschuldet. Eine Handlungsverbote reaktiv aufhebende Wirkung, wie sie von den Kritikern einer Risiko-Einwilligung für diese anscheinend verlangt (und ihr dann letztendlich nicht zugestanden) wird185, fordert man auch für die Verletzungseinwilligung nicht. Warum man dieser trotzdem strafbefreiende Wirkung zuerkennt, lässt sich dann nicht durch den wenig aussagekräftigen Hinweis, die Einwilligung schaffe ausnahmsweise (und nur) eine Verletzungsbefugnis186, erklären. Unabhängig von der Reichweite der Zustimmung besteht keine Veranlassung zu glauben, der Rechtfertigungsgrund der Einwilligung beeinflusse die Qualität der Täterhandlung als einer zunächst tatbestandlich missbilligten.187 Das muss er nämlich nicht tun, sofern man Tatbestand und Rechtswidrigkeit nur gemeinsam das Unrecht der Tat konstituieren lässt und den Willen zur Beeinträchtigung eigener Rechtsgüter aus der Konturierung des Tatbestandes heraushält.188 Die Handlung mag objektiv rechtlich missbilligt sein, sie ist trotzdem insgesamt kein Unrecht gegen die Person, soweit das Opfer individuell von seinem Selbstbestimmungsrecht Gebrauch macht und sich mit ihr einverstanden erklärt. Soweit es um Kollektivrechtsgüter geht (z. B. um die Sicherheit des Straßenverkehrs), sind diese ohnehin nicht von einer Einwilligung erfasst und kann deren Verletzung auch dann noch bestraft werden, wenn sich das Opfer mit der Gefährdung des Individualrechtsguts einverstanden erklärt.189
II. Zwischenergebnis Für die rechtfertigende Wirkung der Einwilligung ist nicht erforderlich, dass der Rechtsgutsinhaber den Erfolgseintritt in seinen Willen aufgenommen und sich mit ihm zumindest im Sinne eines dolus eventualis abgefunden hat. Dies gilt ohne Rücksicht darauf, ob der Täter vorsätzlich oder fahrlässig handelt.190 Von 185
So ausdrücklich Hellmann, FS Roxin I, S. 276. Sternberg-Lieben, Objektive Schranken, S. 218 Fn. 96, Bezug nehmend auf Zipf, Einwilligung, S. 21 f., welcher allein den Erfolg als Einwilligungsgegenstand ansieht – eine Ansicht, die Sternberg-Lieben selbst nicht teilt. 187 Ähnlich – allerdings fernab von der Einwilligungsdogmatik – trennt Puppe, ZIS 2007, 247 (250 f.) für ihre Lösung zwischen der sich nach allgemeinen Regeln bestimmenden Sorgfaltspflichtwidrigkeit und der durch das verfassungsmäßig garantierte Selbstbestimmungsrecht (ihrer Ansicht nach) beeinflussten Sorgfaltspflichtwidrigkeit. Es ist letztlich dieser Unterschied, der von den in Fn. 184 dieses Kapitels zitierten Autoren verkannt wird, allerdings lässt er sich durch die rechtfertigende Einwilligung besser nachzeichnen als durch die bereits kritisierte, dem Selbstverantwortungsgrundsatz entnommene Einheitstheorie von Puppe. 188 Murmann, Selbstverantwortung, S. 432. 189 Vgl. Grünewald, GA 2012, 364 (373). 190 Die Tatsache, dass dies für das Vorsatzdelikt größtenteils anders gesehen wird, taugt – entgegen offenbar Duttge, FS Otto, S. 232 – nicht als Argument, zumal die Auseinandersetzung dort weitgehend fruchtlos ist: Wo das Opfer ohnehin mit dem deliktischen Gesamtgeschehen einverstanden ist, muss über den Einwilligungsgegenstand eigentlich nicht gestritten werden. 186
D. Voraussetzungen der Risiko-Einwilligung
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einer „Fiktion“ kann demnach bei der Risiko-Einwilligung nicht die Rede sein, vielmehr ist es konstruktiv möglich, die Konstellationen der einverständlichen Fremdgefährdung über die rechtfertigende Einwilligung zu lösen.
D. Voraussetzungen der Risiko-Einwilligung An diesem Punkt ist lediglich die Frage negativ beantwortet, ob die Aufhebung des vom Täter verwirklichten Handlungsunrechts durch die Einwilligung zwingend den Erfolg als notwendigen Einwilligungsgegenstand voraussetzt. Dagegen wurde noch nicht positiv beantwortet, welche Anforderungen an ihre Rechtfertigungswirkung insgesamt zu stellen sind. Einmal in den Bahnen der bewährten Einwilligungsdogmatik angelangt, unterbleibt eine solche Untersuchung in der Regel. Man geht davon aus, dass die Einwilligung in ein Risiko sich von der Verletzungseinwilligung allein durch den verkürzten Einwilligungsgegenstand unterscheidet191 und überlässt das Feld der weiteren möglichen strafbarkeitsentscheidenden Faktoren den flexibleren Zurechnungslösungen entweder bei der Fremd- oder der Selbstgefährdung. Dabei sollte aber nicht vergessen werden, dass zwar die Struktur der Einwilligung wie gezeigt nicht ihrer Verwendung als Lösungsinstitut der einverständlichen Fremdgefährdung entgegensteht, die Einwilligung in eine Verletzung und die in die Gefahr einer Verletzung dennoch rein lebensweltlich stark voneinander abweichen. Das zeigt sich spätestens bei der umstrittenen Anwendung der Einwilligungsschranken auf Gefährdungsfälle und führt auch sonst dazu, dass sich hier Schwierigkeiten ergeben können, die der klassischen Einwilligungsdogmatik fremd sind. Der Schwerpunkt der folgenden Ausführungen soll auf Voraussetzungen liegen, welche sich gegenüber der erfolgsbezogenen Einwilligung ändern könnten und Problemen, die sich speziell bei der Risiko-Einwilligung stellen.
I. Gegenüber der Verletzungseinwilligung unveränderte Voraussetzungen Für den Fortgang der Arbeit von untergeordneter Bedeutung sind dagegen die Einwilligungsmerkmale, welche von den Unterschieden zwischen den beiden Einwilligungstypen nicht berührt werden. Auch bei der Einwilligung in ein Risiko muss der Einwilligende natürlich alleiniger Träger des Rechtsguts sein192, außerdem die erforderliche Einwilligungsfähigkeit besitzen, indem er konstitutionell in der Lage ist, das Gefahrpotential der konsentierten Handlung zu erkennen 191 Schaffstein, FS Welzel, S. 564; Lenckner, in: Schönke/Schröder27, Vor § 32 Rn. 105; Helgerth, NStZ 1988, 261 (263). 192 Statt aller Fischer, Vor § 32 Rn. 3c.
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Kap. 4: Einwilligung in ein Risiko und strafrechtsdogmatische Erfassung
und die Vor- und Nachteile rational gegeneinander abzuwägen.193 Ebenso gelten für die Ausübung von Zwang gegenüber dem Einwilligenden keine anderen Regeln.194 Nach wie vor umstritten ist, ob die Einwilligung bis zum Zeitpunkt der Tathandlung eine ausdrückliche Kundgabe des Rechtsgutspreisgabewillens voraussetzt (Willenserklärungstheorie)195 oder die innere Willensrichtung genügt (Willensrichtungstheorie) 196. Bei der einverständlichen Fremdgefährdung kann dies besonders aufgrund der Offenheit des Handlungsverlaufs problematisch sein, an dessen Ende immer eine nicht gewollte Konsequenz des vorigen Täterhandelns steht. Somit könnte man besonders hier auf den Gedanken kommen, es müsse klar nach außen in Erscheinung getreten sein, mit welchen Gefahren der Geschädigte noch einverstanden war und mit welchen nicht. Die Wirksamkeit der Einwilligung als Ausdruck des selbstbestimmten Umganges mit Rechtsgütern hängt jedoch von dem psychischen Faktum des Einverstandenseins ab, dessen Vorliegen gestaltet die Rechtslage und erlaubt dem Täter den Zugriff auf das Gut. Für sein rechtliches Dürfen im Verhältnis zum Opfer ist die materielle Bedeutung der ausdrücklichen Einwilligungserklärung nicht ersichtlich197, das zeigt sich schon daran, dass die Willenserklärungstheorie auf jedes Zugangserfordernis gegenüber dem Einwilligungsempfänger verzichtet.198 Die Feststellung der Manifestation des Willens kann damit nur Beweiszwecken dienen, ähnlich wie bei der Vorsatzfeststellung geht es dann allerdings um nachrangige prozessuale Fragen.199 Wenn Roxin meint, ein nicht nach außen getragener Wille sei rechtlich irrelevant200, ist das eine petitio principii.
193 BGHSt 4, 88 (90). Odenwald, Einwilligungsfähigkeit, S. 73 f. meint, bei der Risiko-Einwilligung setze dies aufgrund der Offenheit des Gefährdungsverlaufs rein faktisch (häufiger) eine höhere Kompetenz hypothetischen Denkens im Hinblick auf Risikowahrscheinlichkeiten gegenüber der Verletzungseinwilligung voraus. Das mag stimmen, ändert aber nichts daran, dass die Anforderungen in rechtlicher Hinsicht die gleichen sind. 194 Vgl. Frister, AT 15/21 ff. 195 BGH, NJW 1956, 1106; Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, Vor § 32 Rn. 43; Amelung/Eymann, JuS 2001, 937 (941); Roxin, AT I, § 13 Rn. 71 ff.; Ensthaler, Einwilligung, S. 91. 196 Dach, Einwilligung, S. 97; Frister, AT, 15/7; Schlehofer, in: MK-StGB, Vor § 32 Rn. 146; Göbel, Einwilligung, S. 135 f.; Rönnau, in: LK-StGB, Vor § 32 Rn. 162; Jakobs, AT, 7/115. 197 Göbel, Einwilligung, S. 136; Mitsch, Rechtfertigung, S. 623 Fn. 34; dabei ist unerheblich – entgegen Dach, Einwilligung, S. 97 – welchen Wirkgrund man hinter der Einwilligung verborgen sieht. 198 Vgl. Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, Vor § 32 Rn. 43; Roxin, AT I, § 13 Rn. 75. 199 Frister, AT, 15/6; Börgers, Studien zum Gefahrurteil, S. 186. 200 Roxin, AT I, § 13 Rn. 74.
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II. Der Umfang der erforderlichen Risikokenntnis 1. Kenntnis und Erkennbarkeit Bezüglich des kognitiven Elements der Zustimmung zu der gefahrschaffenden Handlung finden sich meist knappe Stellungnahmen, deren Quintessenz sich mit dem Satz zusammenfassen lässt, dass das Opfer in Kenntnis des Risikos gehandelt haben muss.201 Hiermit ist eine Mindestanforderung benannt, welche die Einwilligung als ein dem psychischen Befund beim Einwilligenden verpflichtetes Institut nicht ohne weiteres preisgeben darf: Die bloße Erkennbarkeit der gefahrbegründenden Tatsachen für den Geschädigten ist in ihrer strafbarkeitslimitierenden Wirkung noch umstritten202, doch lässt sich ein derartiges Verhalten jedenfalls nicht mehr als Einwilligung bewerten203 und muss deshalb nicht weiter thematisiert werden. Wer in das Auto eines Betrunkenen einsteigt, dabei aber dessen Volltrunkenheit nicht bemerkt, obwohl er es anhand der deutlichen alkoholbedingten Ausfallerscheinungen des Fahrers eigentlich müsste, willigt nicht in die riskante Fahrt ein. Der Gefährdete muss also, um wirksam in das Risiko einzuwilligen, die Tatsachen, aus denen sich die verbotene Rechtsgutsgefährdung ergibt, kennen. Dazu wird man verlangen müssen, dass er über das nötige Wissen verfügt, erkannte Tatsachen korrekt als gefährlich einzustufen.204 Jakobs hat den Fall gebildet, dass sich jemand unter der Vorspiegelung, Offizier zu sein, einem Flug in einem Jagdflugzeug erschleicht.205 Sobald er hinter dem Piloten im Flugzeug Platz nimmt, wird er zwar wissen, in was für einer Situation er sich befindet, möglich ist jedoch, dass er als Laie aus den bekannten Tatsachen nicht die richtigen Schlüsse ziehen und nicht erkennen kann, dass derartige Flüge für Ungeübte mit körperlichen Begleiterscheinungen verbunden sind. Es fehlt ihm also am nötigen Erfahrungswissen. In diesem Fall lässt sich ebenso nicht behaupten, der Rechtsgutsinhaber habe in das Risiko eingewilligt.206 201 BGHSt 4, 88 (90); OLG Hamm, DAR 1972, 77; Beulke, FS Otto, S. 216; Roxin, AT I, § 11 Rn. 124; Lenckner, in: Schönke/Schröder27, Vor § 32 Rn. 105; Ensthaler, Einwilligung, S. 76; Dach, Einwilligung, S. 85; Otto, FS Tröndle, S. 175; Weber, FS Baumann, S. 43. 202 Weitgehend für eine Straflosigkeit des Täters in solchen Fällen P. Frisch, Fahrlässigkeitsdelikt, S. 118 ff.; Jakobs, AT, 7/129; Herzog/Nestler-Tremel, StV 1987, 360 (368 f.); dagegen Dölling, GA 1984, 71 (82); Schünemann, JA 1975, 715 (723); Puppe, in: NK-StGB, Vor § 13 Rn. 197; Hillenkamp, JuS 1977, 166 (172); Eschweiler, Selbstgefährdung, S. 79 ff.; Hähle, Sportverletzungen, S. 156. 203 Paeffgen, in: NK-StGB, § 228 Rn. 21; Horn/Wolters, in: SK-StGB, § 228 Rn. 6; vgl. auch Zaczyk, Selbstverantwortung, S. 62. 204 Vgl. Ensthaler, Einwilligung, S. 76; Berkl, Sportunfall, S. 162. 205 Jakobs, AT, 7/129. 206 Jakobs, AT, 7/129 behandelt die Fälle unter dem Stichwort „Handeln auf eigene Gefahr“.
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Kap. 4: Einwilligung in ein Risiko und strafrechtsdogmatische Erfassung
An der Grenze zwischen Erkennbarkeit und Kenntnis liegt die Konstellation, dass das Opfer die Risikotatsachen kennt und diesmal über das Erfahrungswissen verfügt, um die Situation zutreffend als gefährlich einzuschätzen, dieses Wissen aber nicht auf den konkreten Fall anwendet, sondern das Risiko schlichtweg „verdrängt“.207 Frister meint, dass auch das Verdrängen von Risiken Teil der Autonomie des Betroffenen sei und ordnet diese Fälle der Einwilligung zu.208 Für das gängige Einwilligungsverständnis, welches auf der Einwilligung als Ausdruck tatsächlich feststellbarer Freiheit einer Person im Umgang mit eigenen Rechtsgütern basiert und den Täter aus diesem Grund straffrei stellt, dürften solche gegenüber dem „für möglich Halten“ der Erfolgsverwirklichung beim Vorsatz reduzierten Anforderungen im Kognitiven problematisch sein.209 Davon, dass jemand kraft Einwilligung in das Risiko bewusst von seiner Freiheit Gebrauch macht, eigene Rechtsgüter zu gefährden, lässt sich bei einem nur „latenten“ Bewusstsein, wie es vorliegt, wenn das Wissen um das Gefährliche der konsentierten Handlung zwar abrufbereit gespeichert ist, aber nicht tatsächlich abgerufen wird, noch nicht sprechen. Denn aus dem Fehlen des letzten Schrittes der Subsumtion des abstrakt erkannten Risikos unter die aktuelle Situation resultiert, dass das Opfer eine zutreffende Abwägung von Risiken und Chancen seines Tuns nicht vorgenommen haben kann.210 2. Zum Grad der noch tolerablen Unkenntnis Nicht zu verkennen ist gleichzeitig, dass das Eingehen eines Risikos auch dann ein Element der Unsicherheit in sich birgt, wenn der Gefährdete über die Gefahren bestens informiert ist und sie sich umfassend vergegenwärtigt hat. Dementsprechend ist der vielgeschriebene Satz, er müsse sich in voller Kenntnis des Risikos befunden haben, an mehreren Stellen unklar. Verlangt man volle Kenntnis des Risikos, strebt man ein nicht erreichbares Ideal an, verlangt Gewissheit über einen von vornherein als ungewiss angelegten Geschehensablauf.211 Das ist besonders deshalb problematisch, weil es zweitens das Risiko, über dessen Art und Umfang Kenntnis bestehen soll, nicht immer pauschal gibt, sondern eine konsentierte, rechtlich missbilligte Handlung mehrere Risiken beinhalten kann.212 Das Opfer kann nicht immer sämtliche in der riskanten Handlung angelegten Gefah207
Frister, AT, 15/12; Jakobs, AT, 7/129. Frister, AT, 15/12. 209 Ähnlich Börgers, Studien zum Gefahrurteil, S. 189. 210 Vgl. Paeffgen, in: NK-StGB, § 228 Rn. 112, der voraussetzt, dass das Opfer „die Ausweichmöglichkeiten erwogen hat“. 211 Vgl. Amelung/Eymann, JuS 2001, 937 (945). Das Element des Irrtums liegt in der Offenheit des Risikos als Prognosebegriff, nicht aber, wie Herzberg, JA 1985, 265 (270) meint, darin, dass der Einwilligende, hätte er vorher um den negativen Ausgang gewusst, von dem Risiko Abstand genommen hätte. 212 Hierzu für die Selbstgefährdung Lange/Wagner, NStZ 2011, 67 (68). 208
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ren wirklich erkennen und zutreffend beurteilen, zumal deren Realisierung im Erfolg bei der einverständlichen Fremdgefährdung meist vom teils unvorhersehbaren Verhalten einer anderen Person abhängt.213 Beispielhaft: Ein nächtliches Straßenrennen beinhaltet pauschal das Grundrisiko, einen lebensgefährlichen Unfall bei hoher Geschwindigkeit zu erleiden, näher betrachtet kann sich dieser Erfolg aber durch verschiedene Risiken realisieren, ein derartiges Rennen ist aus zahlreichen Gründen gefährlich: Es besteht z. B. das Risiko, dass der Fahrzeugführer durch die hohe Geschwindigkeit oder schlechte Sichtverhältnisse die Kontrolle über den PKW verliert, dass er sich in ganz besonders hohem Maße gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern verkehrswidrig verhält und erst so einen Unfall verursacht214, dass ein anderer Rennteilnehmer das Fahrzeug rammt oder von der Straße abdrängt oder dass man aufgrund eines (womöglich dem Fahrer bekannten oder erkennbaren) Materialfehlers verunfallt. Wer einwilligt, an diesem Straßenrennen auf der Autobahn als Beifahrer teilzunehmen, kann ein erfahrener, todesverachtender Rennfahrer sein, der die Risiken eines solchen Unternehmens weitestgehend kennt und einkalkuliert. Die bei ihm vorhandene, unweigerliche Restungewissheit bezieht sich dann darauf, ob er das Rennen ohne einen Unfall übersteht und wenn nicht, welches Risiko es letztlich sein wird, was sich im Erfolg verwirklicht. Ebenso wird man jedoch auf denjenigen treffen, der sich in Verkennung oder Unterschätzung diverser Risiken in das Auto setzt und der – würde man ihn später fragen (können) – eingestehen müsste, einem quantitativen oder qualitativen Irrtum hinsichtlich der Gefährlichkeit des gesamten Tuns erlegen zu sein.215 Will man im ersten Fahrer den Phänotypen eines willensmängelfrei in das Risiko Einwilligenden erkennen, beim zweiten Fahrer dagegen die Fremdgefährdung regelmäßig nicht mehr als einverständlich ansehen, ist die Rigorosität dieser Trennung begründungsbedürftig. Die Beachtlichkeit von Irrtümern auf Seiten des Opfers orientiert sich nicht nur bei der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung216, sondern auch bei der einverständlichen Fremdgefährdung zum Teil an dem, was der die rechtlich missbilligte Gefahr Schaffende selbst weiß, mit diesem Wissen wird das des Einwilligenden in Relation gesetzt und anhand dessen über die Willensmängelfreiheit der Zustimmung entschieden. Das Handlungsunrecht soll demnach nur entfallen, wenn der Einwilligende dem Einwilligungsempfänger in Sachen Risikokenntnis ebenbürtig ist.217 Diese Vorgehensweise entspringt der Erkenntnis, dass sich die 213
Hierzu noch Kapitel 4, D. II. 3. Zu einem solchen Fall BGHSt 53, 55. 215 Vgl. Walther, Eigenverantwortlichkeit, S. 186. 216 Vgl. die ständige Rechtsprechung seit BGHSt 32, 262. 217 Explizit für die Risiko-Einwilligung Amelung/Eymann, JuS 2001, 937 (945); Hoyer, in: SK-StGB, Anh. zu § 16 Rn. 97; auf der Grundlage von Zurechnungslösungen auch Otto, FS Tröndle, S. 175; Roxin, JZ 2009, 399 (401); Lasson, ZJS 2009, 359 (367); Hähle, Sportverletzungen, S. 161 f.; a. A. Puppe, in: NK-StGB, Vor § 13 Rn. 197. 214
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Kap. 4: Einwilligung in ein Risiko und strafrechtsdogmatische Erfassung
Dynamik der Täter-Opfer-Beziehung bei den Gefährdungssachverhalten facettenreicher darstellen kann als bei der rechtfertigenden Einwilligung in eine Verletzung, wo über das „ob“ des Erfolges von Anfang an positive Einigkeit zwischen den Beteiligten besteht. Bezogen auf die situative Gefährlichkeit wird ein vollkommen gleicher Wissensstand zwischen den Beteiligten eher die Ausnahme als die Regel sein. Man wird allerdings aufgrund der latenten Unsicherheit über den Ausgang der Gefährdung nicht jede Ungleichheit im Wissen für beachtlich erklären können. Vielmehr ist zu differenzieren: a) Irrtum über Risikotatsachen Nach der hier vertretenen Konzeption handelt es sich bei der einverständlichen Fremdgefährdung um rechtlich missbilligte Gefahrschaffungen, welche kraft Einwilligung erlaubt werden. Unkenntnis des Opfers führt daher immer dann zur Unwirksamkeit der Einwilligung, wenn sie sich auf Tatsachen bezieht, die ein unerlaubtes Risiko begründen.218 Weiß der Beifahrer nicht, dass das Fahrzeug unzulässigerweise nicht verkehrssicher und der Fahrer nicht im Besitz einer Fahrerlaubnis ist – oder kennt er nur eine der beiden Tatsachen219 – hat er nicht in alle einwilligungsbedürftigen Risiken der Fahrt eingewilligt, das Handlungsunrecht bleibt bestehen. Dies gilt losgelöst davon, was der Täter weiß. Kennt er ebenso z. B. den Defekt am Fahrzeug nicht, befreit ihn das dennoch nicht von Strafe, wenn der Unfall aus diesem Grund geschieht.220 Dem Einwilligenden kann bei Kenntnis des unerlaubten Risikos im Verhältnis zum Einwilligungsempfänger das Wissen um Umstände fehlen, welche die Gefahr zwar vergrößern können, ihre rechtliche Missbilligung aber nicht betreffen. So liegt es, wenn sich der Beifahrer in einem Straßenrennen über die Risiken eines solchen Rennens im Klaren ist und er darin einwilligt, im Gegensatz zum Fahrer allerdings nicht weiß, dass das Verkehrsaufkommen am Renntag infolge einer Fahrspurenverengung auf einer Straße außerhalb des „Streckenabschnitts“ höher als sonst sein wird. Puppe sieht derartige Wissensdefizite als unbeachtlich an.221 Daran könnte unter dem Aspekt zu zweifeln sein, dass das vorherige Wissen um diese Zusatztatsachen die Gesamtrisikoabwägung des Gefährdeten möglicherweise zu einem anderen Ergebnis geleitet hätte, so dass er auch von der Einwilligung in die rechtlich missbilligte Handlung Abstand genommen hätte, man 218
Vgl. Puppe, in: NK-StGB, Vor § 13 Rn. 197. Zu einem solchen Fall RG JW 1925, 2250. 220 A. A. P. Frisch, Fahrlässigkeitsdelikt, S. 123, dessen Auffassung auf einer verfehlten Gleichsetzung von Schädiger und Geschädigtem beruht, hierzu bereits kritisch Dölling, GA 1984, 71 (82); Ensthaler, Einwilligung, S. 106. 221 Puppe, in: NK-StGB, Vor § 13 Rn. 197. 219
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deshalb die Entscheidung für das gesamte Unternehmen nicht in die für missbilligte und erlaubte Risiken aufspalten kann. Dagegen ließe sich jedoch einwenden, dass das Strafrecht Schutz nur von rechtlich missbilligten Gefahren gewährt und der Einwilligung die Rolle zukommt, diese Gefährdungen gegenüber dem Einwilligenden zu erlauben, sie sich aber nicht etwa auf Risiken des Straßenverkehrs bezieht, deren Eingehung bereits nach allgemeinen Regeln erlaubt ist. Eine Einwilligung in die verbotenen Risiken reicht mithin aus. b) Irrtum über das Ausmaß des möglichen Schadens In der Natur des rechtlich missbilligten Risikos liegt die Möglichkeit, dass es sich in einem Schaden niederschlägt. Diesen Schadenseintritt muss das Opfer jedenfalls in wesentlichen Zügen vorhergesehen und für möglich erachtet haben, wobei man nicht verlangen kann, dass er sich über sämtliche denkbaren Schadensfolgen der bewilligten Handlung bewusst gewesen sein muss. Gerade bei Gefährdungen der körperlichen Unversehrtheit wie dem „Auto-Surfen“ sind von Schürfwunden bis hin zu Knochenbrüchen oder tödlichen Kopfverletzungen kaum eingrenzbare und vorher präzise erahnbare Verletzungsfolgen denkbar. Es genügt hier, wenn das Opfer den ungefähren Grad der möglichen Verletzungen (z. B. leichte, mittlere, lebensgefährliche) erkannt hat. Ein überlegenes Wissen des Täters in der Form, dass dieser sich (z. B. aufgrund besserer anatomischer Kenntnisse) eine konkrete Verletzungsmodalität als besonders nahe liegend vorgestellt hat, die der andere als weniger akut ansah, steht der Wirksamkeit der Einwilligung nicht entgegen, solange die vorgestellten Schäden sich in ihrem Schweregrad nur unwesentlich unterscheiden. Keine wirksame Einwilligung liegt dagegen vor, wenn der Rechtsgutsträger die Möglichkeit einer leichten oder mittelschweren Verletzung in Rechnung stellt, während in Wirklichkeit die riskante Handlung das Risiko schwerer oder lebensgefährlicher Verletzungen birgt.222 c) Irrtum über die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts Aus dem Wissen um die relevanten Risikotatsachen und den Grad ihrer Gefährlichkeit wird der Gefährdete seine eigene Gefährlichkeitsprognose aufstellen. Dabei kann es häufig dazu kommen, dass er Risiken insoweit unterschätzt, dass er die Möglichkeit ihrer Verwirklichung im Erfolg zwar erkennt, sie aber für gering erachtet und der riskanten Handlung daher zustimmt. Würde man rückblickend zu einem anderen Ergebnis kommen, nämlich, dass das Risiko von Anfang an sehr hoch war, trägt das Opfer hierfür die Verantwortung, ein beachtlicher
222 Frister, AT, 15/15 (Bestrahlungstherapie); Dach, Einwilligung, S. 85 f. (Karatekampf).
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Kap. 4: Einwilligung in ein Risiko und strafrechtsdogmatische Erfassung
Willensmangel ist das nicht.223 Die niemals zu beseitigende Ungewissheit darüber, ob der Erfolg eintritt, ist gerade das Spezifikum der Gefährdungssachverhalte, weshalb quantitative Prognosefehler auf diesem Gebiet für sich genommen – vorausgesetzt, dass volle Kenntnis der Gefahrentatsachen und eine zutreffende Einschätzung des Schadenspotentials gegeben sind – nicht als Ausgangspunkt für Willensmängel dienen können. Das ist selbst dann der Fall, wenn der Täter zu einer besseren, höheren Einschätzung der Schadenswahrscheinlichkeit kommt und gleichzeitig bemerkt, dass der sich Gefährdende die Gefahr offenbar zu leicht nimmt. Wenn Täter und Opfer mit einem sechsschüssigen Revolver eine Partie „Russisches Roulette“ wagen und letzteres aufgrund mangelhafter Kenntnisse in Wahrscheinlichkeitsrechnung das Risiko eines tödlichen Schusses mit ca. 5 Prozent beziffert, liegt allein darin, dass der Schütze zutreffend von einer 1/6-Wahrscheinlichkeit ausging, kein die Einwilligung ausschließendes Willensdefizit.224 Ebenso ist unschädlich, ob der Gefährdende das gleichermaßen erkannte Risiko verharmlost, etwa durch Beschwichtigungen gegenüber dem anderen, es werde schon nichts passieren, solange er die Grenze zum rechtswidrigen Zwang nicht überschreitet.225 3. „Risikoexzesse“ a) Das Problem der Offenheit des Handlungsverlaufs Die von Roxin für die einverständliche Fremdgefährdung vorgenommene Situationsbeschreibung, dass sich das Opfer „einer unübersehbaren Entwicklung ausliefert, in die steuernd einzugreifen oder die abzubrechen oft auch dort keine Möglichkeit mehr besteht, wo der sich selbst Gefährdende dies noch könnte“ 226, mag rechtlich ohne Bedeutung sein. Faktisch ist sie aber für viele Fälle zutreffend und verdeutlicht eine von den sonstigen Willensmängeln zu trennende, zuletzt noch als „weitgehend ungeklärt“ 227 bezeichnete Problematik, die sich mit dem Beschleunigungstest-Fall228 herauskristallisiert hat und die besonders das Interesse derjenigen, die eine Anwendung der §§ 216, 228 StGB ablehnen229,
223 Hier stimmt folglich die Bemerkung von Frister, AT, 15/12, wonach es die „eigene Angelegenheit“ des Opfers sei, wie es mit seinem Wissen umgeht. Unklar Berkl, Sportunfall, S. 162. 224 Anders bewertet diesen Fall wohl Eschweiler, Selbstgefährdung, S. 89, der meint, der Täter müsse als „Hüter der [. . .] Gefahrenquelle seine Sonderkenntnis offenbaren“. 225 Im Ergebnis auch Walther, Eigenverantwortlichkeit, S. 187 f. für ein ähnlich gelagertes Beispiel. 226 Roxin, FS Gallas, S. 250. 227 Rengier, Iurratio 2/2008, 8 (9). 228 BGHSt 53, 55. 229 Insbesondere Puppe, in: NK-StGB, Vor § 13 Rn. 199; Roxin, AT I, § 11 Rn. 134.
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geweckt hat230, bietet sie doch eine Möglichkeit, den Täter auch ohne den schwierigen Weg über die Sittenwidrigkeit der Tätigkeit nicht straffrei ausgehen zu lassen. Der Rechtsgutsinhaber erklärt sich üblicherweise mit einer gefahrbringenden Gesamtaktivität (z. B. Fußballspiel, Mitfahrt in einem PKW für eine bestimmte Strecke etc.) einverstanden. Anders als bei der Verletzungseinwilligung können weder er noch der Täter immer im Detail voraussagen, welche Entwicklung die Situation nehmen wird und anders als bei der Selbstgefährdung ist das Opfer davon abhängig, dass sein Gefährdungspartner die gefährliche Handlung gewissenhaft und so wie vorher abgesprochen ausführt. Für die Einwilligungslösung, die für sich in Anspruch nimmt, an der faktischen Willensbeschaffenheit des Rechtsgutsinhabers ausgerichtet zu sein, kommt es im Falle des Erfolgseintritts darauf an, ob der Gefährdete gerade in das Risiko einwilligte, was sich letztendlich realisierte, ob er beispielsweise noch in das todbringende Überholmanöver einwilligte231 oder das Befahren der schlussendlich zu gefährlichen Haarnadelkurve beim „Auto-Surfen“. Es hat sich als schwierig herausgestellt, im Nachhinein zu ermitteln, um welche Risiken das Opfer in welchem Maße wusste, wie die (je nach Konzeption strafbarkeitsentscheidenden!) Spekulationen darüber, ob der verstorbene Mitfahrer im Beschleunigungstest-Fall gerade dem riskanten Überholmanöver zugestimmt hat, zeigen.232 Es erscheint deswegen von vornherein als der methodenehrlichere und lebensnähere Weg, die Reichweite der Einwilligung schon auf materieller Ebene einzugrenzen und zu eruieren, bei welchen Gefahren davon auszugehen ist, dass sich die „generelle“ 233 Risiko-Einwilligung von vornherein darauf erstreckte.234 An dieser Stelle schlagen sich demnach die situationsbedingten Unterschiede zwischen der Verletzungs- und der Risiko-Einwilligung auch rechtlich nieder, den Konturen der Einwilligung als Rechtsfigur widerspricht ein solches Vorgehen aber nicht.235 Denn anders als teilweise angenommen ist keine unumstößliche Voraus230 So sehen Puppe, GA 2009, 486 (496) und Roxin, JZ 2009, 399 (402) den Täter im Beschleunigungstest-Fall als strafbar an, weil sie eine wirksame Zustimmung in gerade dieses Risiko verneinen. Anhänger der Einwilligungslösung wie Renzikowski, HRRS 2009, 347 (352); Murmann, FS Puppe, S. 773 Fn. 28 oder Dölling, FS Geppert, S. 57 f. haben sich mit der Willensmängelfreiheit der Einwilligung nur sehr knapp beschäftigt, noch knapper der BGH in BGHSt 53, 55. 231 Vgl. Renzikowski, HRRS 2009, 347 (352). 232 Für eine Zustimmung Murmann, FS Puppe, S. 773 Fn. 28, der ebenso wie Renzikowski, HRRS 2009, 347 (352) den Grundsatz „in dubio pro reo“ anwendet; anders Puppe, GA 2009, 486 (496); Roxin, JZ 2009, 399 (402); Rengier, Iurratio 02/2008, 8 (9); Radtke, FS Puppe, S. 847. 233 So benannt von Puppe, GA 2009, 486 (496); Renzikowski, HRRS 2009, 347 (352). 234 Rengier, Iurratio 2/2008, 8 (9) bezeichnet dieses Erfordernis als „Risikozusammenhang“. 235 Es besteht auch kein Widerspruch zu der in Kapitel 4, C. I. 2. erörterten, reservierten Haltung gegenüber Lösungen, die eine Risiko-Einwilligung generell als ein Zu-
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setzung der rechtfertigenden Einwilligung, dass der Einwilligende bei ihrer Erteilung über „Zeitpunkt, Ort, Person und Art der Verletzung“ 236 informiert ist.237 b) Denkbare Exzessformen Weitgehend anerkannt ist, dass die Einwilligung in ein Risiko nicht jedes im zeitlichen Zusammenhang mit der gefährlichen Handlung erfolgende riskante Verhalten des Täters abdecken kann, ansonsten bestünde die Gefahr, dass der Einwilligungsempfänger „den sozialen Kontakt missbrauchen“ 238 könnte. Dem Satz des BayObLG, wonach derjenige, der mit der gefahrträchtigen Handlung einverstanden sei, auch deren sämtliche Folgen auf sich nehmen müsse239, ist daher zu widersprechen. Der Täter kann Risiken schaffen, die von der Einwilligung in das „Grundrisiko“ nicht mehr gedeckt sind, in solchen Fällen lässt sich von einem strafbaren Exzess sprechen. Bemühungen um einen konkreten Exzessmaßstab lassen sich im Sportstrafrecht finden240, wo ein strafbarer Exzess nach im Kern gesicherter Ansicht nicht schon bei einfacher Fahrlässigkeit241, sondern erst bei schwerwiegenden Regelverstößen242 beginnen soll. Die Fälle, welche die strafrechtliche Rechtsprechung beschäftigen, sind seltener im Bereich des Sports angesiedelt, welcher als gesellschaftlich tolerierter Risikobereich mit häufigen, allerdings zumeist glimpflichen Verletzungsfolgen eine Sonderrolle einnimmt. Ebenso ist ein Exzessmaßstab dort einfacher zu erhalten, rechnungskonstrukt sehen wollen. Es geht nun nicht mehr um die Frage, ob die Einwilligung in die Handlung ausreicht, sondern um die Reichweite dieser Handlungseinwilligung in Bezug auf sämtliche damit verbundenen Risiken. 236 Rössner, FS Hirsch, S. 316; ähnlich Eser, JZ 1978, 368 (373): „individuell-konkrete Einwilligung in eine bestimmte Verletzung“. 237 Wer der benachbarten Familie sagt, einer von ihnen könne, „sobald er Zeit findet“, den Baum auf seinem Grundstück absägen, der willigt auch dann in die Zerstörung ein, wenn er noch nicht weiß, ob der Vater oder der Sohn dieser Familie den Baum am kommenden Dienstag oder am Donnerstag fällen wird. Natürlich ist es dem Einwilligenden möglich, die Einwilligung nur gegenüber einer bestimmten Person und für einen bestimmten Termin zu erteilen (hierzu Paeffgen, in: NK-StGB, Vor § 228 Rn. 12), zwingend ist das aber sicherlich nicht. 238 Jakobs, AT, 7/126. 239 BayObLG, JR 1961, 72 (74). 240 Etwa Hähle, Sportverletzungen, S. 175 ff.; Berkl, Sportunfall, S. 170 ff.; Niedermair, Körperverletzung, S. 132 ff.; Eser, JZ 1978, 368 (372 ff.). 241 So jedoch Noll, Einwilligung, S. 99. 242 BayObLG, JR 1961, 72 (74); Paeffgen, in: NK-StGB, § 228 Rn. 109; Niedermair, Körperverletzung, S. 132 f.; Hirsch, in: LK11-StGB, § 228 Rn. 12; Hähle, Sportverletzungen, S. 184; Zipf, Einwilligung, S. 77; Horn/Wolters, in: SK-StGB, § 228 Rn. 22 (disqualifikationswürdiges Verhalten); Stree/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, § 228 Rn. 16 (Nichtbeachtung allgemeiner Sicherheitsvorkehrungen); weit gehend Berkl, Sportunfall, S. 181 (Verhalten außerhalb des Sinnzusammenhanges der Sportausübung).
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da man sich an den umfangreichen Regelwerken zu den einzelnen Sportarten orientieren kann. Weniger großzügig verfährt man mit denjenigen, deren Verhalten als außerhalb des Sozialadäquaten liegender, lebensgefährlicher Leichtsinn klassifizierbar ist, der zu massivem Schaden führte. Es sind zwei einander ähnliche Exzesstypen denkbar: aa) Mangelhafte Ausführung Da die Durchführung der Handlung (zumindest auch) einer anderen Person obliegt, besteht die Möglichkeit, dass diese die Handlung schlecht ausführt und so den Gefährdungsgrad erhöht. Welche Bedeutung eine fehlerhafte Durchführung des risikoträchtigen Unternehmens besitzt, ist unsicher. Roxin zum Beispiel trennt – eingebettet in seine Gleichstellungstheorie – zwischen dem eingegangenen Risiko und hinzukommenden weiteren Fehlern des Fremdgefährdenden bei der Durchführung der riskanten Handlung, letztere sollen das Handlungsunrecht bestehen lassen, weil sich das Einverständnis des Opfers auf derartige Fehler erst gar nicht bezieht.243 Darüber ließe sich beispielsweise nachdenken, wenn man den Memel-Fall einmal so umwandelt, dass das Boot nicht allein infolge des stürmischen Wetters, sondern auch aufgrund eines vermeidbaren Steuerungsfehlers des Fährmannes, der eine Welle unterschätzt und ihr die volle Breitseite des Kahns anbietet, kentert. bb) Risikoerweiterung Die klassischere Variante des Exzesses sieht man in Handlungen, mit denen der Täter eigenmächtig das Grundrisiko erweitert. Erneut kann dann zweifelhaft sein, ob die neu geschaffenen, besonderen Risiken zur gefährlichen Handlung noch dazugehören und erneut ist zu klären, ob sich die Einwilligung hierauf noch bezogen hat. Ein eigenmächtiges Ausweiten des Grundrisikos liegt etwa vor, wenn der Fahrer bei einem illegalen Straßenrennen plötzlich halsbrecherische Manöver durchführt, weil er merkt, dass die Polizei ihn verfolgt.244 Der Unterschied zu den zuvor erläuterten Fällen der fehlerhaften Ausführung ist gering, das besonders riskante Überholmanöver im Beschleunigungstest-Fall, währenddessen sich drei Autos eine zweispurige Autobahn teilten, wird man als Ausweitung des Grundrisikos ebenso interpretieren können wie als mangelhaftes Fahrverhalten.245 Wie sich zeigen wird, kommt es auf eine genaue Grenzziehung aber nicht an, weil die Behandlung der Exzessgruppen gleichen Regeln folgt.
243
Roxin, AT I, § 11 Rn. 124. Beispiel nach Rengier, Iurratio 2/2008, 8 (9). 245 Roxin, JZ 2009, 399 (402) erweckt aber dort den Anschein, zwischen Fehler und zusätzlichem Risiko zu trennen. 244
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c) Maßstab der Exzessbeachtlichkeit und Herleitung Ein Exzess ist dort leicht feststellbar, wo Täter und Opfer das Maß der noch tolerierten Gefährdung im Vorhinein abgesprochen haben und sich der Gefährdende nicht daran hält. Wenn die Teilnehmer beim „Auto-Surfen“ vereinbart haben, dass der Fahrzeugführer eine Geschwindigkeit von 30 km/h nicht überschreiten soll, wurde in eine eigenmächtige Beschleunigung des Fahrzeuges auf 50 km/h, die zum Herabfallen vom Dach und zu Verletzungen führt, nicht eingewilligt.246 Derart klare Vorgaben werden nicht der Regelfall sein, weswegen zunächst versucht werden muss, aus allen bekannten Umständen des Einzelfalles das Maß des einwilligten Risikos bestmöglich zu ermitteln. Sodann ist die Abweichung zwischen dem realisierten und dem eingewilligten Risiko auf ihre Beachtlichkeit zu überprüfen. Anfällig für Unklarheiten ist hier vor allem der erste mögliche Exzesstypus, die fehlerhafte Ausführung. Wo der „eigentliche Fehler“, überhaupt die gefahrschaffende Handlung durchzuführen, endet und der darüber hinausreichende Ausführungsfehler beginnt, lässt sich allenfalls erahnen. Roxin verlangt, dass der hinzukommende Fehler ein vermeidbarer ist und würde einen solchen im Beschleunigungstest-Fall darin sehen, dass der Fahrzeugführer eine vermeidbar zu starke Lenkbewegung während des gefährlichen Überholvorganges vornahm.247 Das erscheint angreifbar unter dem Gesichtspunkt, dass eine kurze fehlerhafte Lenkbewegung bei einem Wettrennen mit hoher Geschwindigkeit eine geradezu charakteristische Möglichkeit der Realisierung des Grundrisikos „Unfall“ ist. Ein Rückgriff auf adäquanzähnliche Kriterien248, wie er sich beispielsweise beim Exzess des Mittäters findet249, würde derart im Rahmen des Vorhersehbaren liegende – auch vermeidbare – Fehler bei der Ausführung, die für das bewilligte Grundrisiko typisch sind, als von der Einwilligung noch erfasst ansehen.250 Dies erscheint grundsätzlich vorzugswürdig. Wenn man mit Roxin die Fehlerhaftigkeit der Ausführung als Exzesskriterium anerkennen will, muss es um eine qualifizierte „Fahrlässigkeit in der Fahrlässigkeit“ gehen, die so weit reicht, dass sie von der generellen Risiko-Einwilligung nicht mehr erfasst ist. Die Richtigkeit jenes Maßstabs ist gleichwohl keine Gefühlsfrage, sondern erklärungsbedürftig, eine materielle Begründung dafür sucht man bisher verge-
246
Vgl. OLG Düsseldorf, NStZ-RR 1997, 325 (327). Roxin, JZ 2009, 399 (402), er verfolgt dieses Problem aber nicht weiter, weil sich das Einverständnis für ihn ohnehin nicht auf dieses gefährliche Überholmanöver bezogen hat; Roxin folgend Hinderer/Brutscher, JA 2011, 907 (909). 248 Rengier, Iurratio 2/2008, 8 (9); Paeffgen, in: NK-StGB, § 228 Rn. 112; für den Sportbereich Rössner, FS Hirsch, S. 324; Berkl, Sportunfall, S. 169 f. 249 Vgl. Joecks, in: Schönke/Schröder, § 25 Rn. 205. 250 So Paeffgen, in: NK-StGB, § 228 Rn. 112. 247
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bens.251 Jene lässt sich aus der Überlegung gewinnen, dass man einem Menschen, indem man seiner Einwilligung Rechtswirkung beimisst, die Möglichkeit gibt, sich selbst zu verwirklichen und Risiken einzugehen, um die Chance auf ein als positiv eingeschätztes Resultat der Handlung zu erhalten. Tritt dieses erhoffte Resultat dann ein, wenn sich das Risiko nicht verwirklicht, darf das Opfer im umgekehrten Fall nicht die nun negativen Folgen auf den Täter abwälzen. Ein derartiges Vorgehen käme einem „Rosinenpicken“ gleich und wäre in zivilrechtlicher Terminologie als venire contra factum proprium zu werten. Ob diese „Einwendung“ ebenfalls besteht, wenn die Verwirklichung des Risikos auf einem Fehlverhalten des Ausführenden beruht, hängt davon ab, inwiefern die Einwilligung in die gefährliche Handlung ein damit untrennbar verbundenes Ausführungsrisiko mit umfasst. Dafür, dass dies jedenfalls grundsätzlich angenommen werden kann, spricht: Die besondere Gefährlichkeit, die einer risikoreichen Tätigkeit innewohnt, ergibt sich oftmals (z. B. bei Risikotätigkeiten im Straßenverkehr) gerade aus der Schwierigkeit und Fehlergeneigtheit ihrer Durchführung und daraus, dass jeder kleinere Fehler schwerwiegende Folgen haben kann. Ein Exzessmaßstab, der sich an einem fehlerlos agierenden Homunkulus ausrichtet, ist lebensfern und führt aufgrund der Tatsache, dass in vielen denkbaren Fällen der Erfolgseintritt durch größere und kleinere Fehleinschätzungen oder handwerkliche Fehler des Täters zumindest begünstigt wird252, zu Rechtsunsicherheit. Wer seinen Nachbarn darum bittet, durch gezielte Hammerschläge seinen Autoschlüssel wieder zurechtzubiegen und die Gefahr des Abbrechens erkennt253, der willigt deshalb nicht nur wirksam in das Risiko ein, dass es sich als ein für jeden unmögliches, von Anfang an ein zum Scheitern verurteiltes Unterfangen herausstellt, diesen mit roher Gewalt wieder zu begradigen, sondern ebenfalls in das Risiko, dass der Nachbar sich ungeschickt anstellt und etwas zu fest und unkoordiniert zuschlägt. Ein Exzess beginnt erst bei Fehlern, die so grob und atypisch sind, dass das Opfer sie nicht als möglich erachtete und nach Lage der Risikosituation ex ante auch nicht mehr zur Erlangung der Vorteile der Gefährdung in Rechnung stellen musste. Es durfte anhand des für ihn erkennbaren Vorverhaltens des Täters stattdessen darauf vertrauen, dass sie ihm nicht unterlaufen würden.254 Hier kann 251 Parallelen zum Mittäterexzess verbieten sich, da die Tatherrschaft wie zuvor dargestellt keine Funktion besitzt; a. A. Renzikowski, HRRS 2009, 347 (352), der § 25 II direkt anwendet. 252 Es gibt sicherlich Fälle, in denen der Erfolgseintritt nicht vom sorgfältigen Verhalten des Einwilligungsempfängers, sondern vom Zufall abhängt, man denke an „Russisches Roulette“ oder ungeschützten Verkehr mit einem HIV-Infizierten. Hier stellt sich die Frage nach relevanten Ausführungsmängeln aber erst gar nicht. 253 Beispiel nach Frister, AT, 15/11. 254 Vgl. dazu auch Zaczyk, Selbstverantwortung, S. 56 ff., für den das begründete Vertrauen des Opfers in die Beherrschung der Situation durch den Täter jedoch das schlechthin über Strafbarkeit und Straffreiheit entscheidende Datum ist – was schon
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nicht aus dem Eingehen des Grundrisikos auf eine Einwilligung in das durch mangelhafte Durchführung verwirklichte geschlossen werden. Von einem Exzess wäre beispielsweise auszugehen, wenn der Angetrunkene, von dem sich der Einwilligende im Wissen um die Trunkenheit (aber ohne Kenntnisse über dessen übliches Fahrverhalten unter Alkoholeinfluss) nach Hause fahren lässt, immer wieder auf die Gegenfahrbahn fährt und mehrfach rote Ampeln nicht beachtet. Diese Überlegungen lassen sich in vergleichbarer Weise auf die Fälle der Erweiterung des Risikos übertragen. Die Tendenz geht bei Zweifeln über den Umfang der Einwilligung hier ebenfalls dahin, die Einwilligung dort als erteilt anzusehen, wo der riskanten Aktivität (in ihrer von den Teilnehmern gegebenen Prägung) das konkrete Risiko immanent gewesen ist.255 Es ist also davon ausgehen, dass der Einwilligende sich mit der Entscheidung für das Ausgangsrisiko auch Verwirklichungsmodalitäten zurechnen lassen muss, die in diesem derart angelegt sind, dass die erstrebte gefährliche Aktivität redlicherweise nicht ohne die Möglichkeit der Schaffung und Realisierung des erweiterten Risikos zu haben war. Konnte das Opfer aber anhand der Umstände des Einzelfalles darauf vertrauen, dass der Täter die riskante Grundaktivität (z. B. Autorennen) nicht als Anknüpfungspunkt für eine Risikoerweiterung (z. B. riskantes Überholmanöver mit geringem Seitenabstand) nutzen würde, dann hat es nicht eingewilligt. Je geringer der Zusammenhang zwischen dem Ausgangsrisiko und dem neu geschaffenen Risiko ist, desto größer wird das Vertrauen zu veranschlagen sein. Ein Exzess ist also anzunehmen, wenn der Täter bei einem Straßenrennen – ohne dass dieses Szenario zuvor durchgespielt wurde oder konkrete Anhaltspunkte für ein wahrscheinliches Eingreifen bestanden – vor der plötzlich auftauchenden Polizei flüchtet.256 Erst recht willigt jemand, der in die Trunkenheitsfahrt einwilligt, nicht darin ein, dass der Fahrer aufgrund einer ihn plötzlich überkommenden, alkoholbedingten Lebensmüdigkeit den PKW samt Insassen von einer Brücke steuert. Der Beschleunigungstest-Fall BGHSt 53, 55 stellt sich als schwieriger Grenzfall heraus, da die Informationen zur Tatsituation ein unscharfes Bild ergeben. Im Grundsatz wird man davon ausgehen müssen, dass sich der Teilnehmer an einem Straßenrennen im öffentlichen Verkehrsraum nicht darauf verlassen kann, dass es ohne riskante, sogar grob verkehrswidrige Überholmanöver von statten geht, da der Anspruch, der Schnellste zu sein, sich mit dem Zweck der Regeln des Straßenverkehrs, ein sicheres und geordnetes Fortkommen aller Verkehrsteilnehmer zu ermöglichen, nicht verträgt. Auch war der Beifahrer kein Neuling, sondern bildete mit dem Fahrer ein eingespieltes Team, welches schon viele Rennen beaufgrund der kaum zu vermeidenden Vagheit der Grenze (vgl. dazu auch Puppe, GA 2009, 486 [496]) Zweifeln unterliegt. 255 So Murmann, FS Puppe, S. 773 Fn. 28. 256 So auch Rengier, Iurratio 2/2008, 8 (9).
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stritten hatte.257 Insofern ist die Grenze zum Exzess keineswegs so „eindeutig überschritten“ wie Puppe meint.258 Auf der anderen Seite handelte es sich bei dem geplanten Rennen nicht um die illegale Variante eines Positionsrennens259, bei dem Überholen an der Tagesordnung wäre, sondern um ein nur wenige Sekunden dauerndes Beschleunigungsrennen. Dass ein Überholen anderer Verkehrsteilnehmer – genau wie bei dem legalen Vorbild im Motorsport, dem sogenannten „Drag Racing“ – nicht zum Plan gehörte, wird dadurch deutlich, dass die Fahrer vor dem Rennen (wie üblich) einen künstlichen Stau erzeugten, um die kurze Fahrstrecke möglichst frei von anderen Autos zu halten.260 Aufgrund dieser Vorkehrungen liegt es näher, in dem Überholmanöver einen Exzess des Fahrzeugführers zu erblicken und die Risiko-Einwilligung nicht auf dieses Risiko zu beziehen.
III. Der Wille des Opfers (in Relation zum Täter) 1. Voluntative Mindestanforderungen an die Risiko-Einwilligung Der Hauptstreitpunkt betreffend die voluntative Komponente der Risiko-Einwilligung wurde bereits behandelt.261 Dabei wurde als Bezugspunkt der Einwilligung die gefährliche Handlung benannt und gleichzeitig die Ansicht verworfen, wonach sich die Einwilligung auf den Taterfolg zu beziehen hat. Zu klären ist noch, ob es – davon ausgehend, dass die kognitiven Mindestanforderungen der Risikokenntnis vorliegen – bezüglich der Gefährdung eines zusätzlichen voluntativen Elements bedarf. Hier bedient man sich weitgehend bei der Dogmatik zur Abgrenzung von Vorsatz und Fahrlässigkeit262, wobei die Diskussion weniger fortgeschritten ist. Insbesondere existieren bisher kaum Versuche, die in der Vorsatzdiskussion vertretenen, zahlreichen Gegenkonzeptionen zu den vorherrschenden voluntativen Theorien auch auf die Einwilligung zu übertragen.263 Es ist allerdings zweifelhaft, ob dies überhaupt lohnenswert wäre.264 Nimmt man zum Beispiel das „Billigen“ der Gefahr, deskriptiv verstanden als eine zustimmende psychische Beziehung zu ihr, gleichermaßen als Mindestvoraussetzung für die Annahme des Vorsatzes wie der Einwilligung, täuscht das nicht darüber hinweg, dass Vorsatz und Einwilligung, abgesehen davon, dass für beide herrschend auf die bestimmte tatsächliche Wil257 258 259 260 261 262 263 264
Kühl, NJW 2009, 1158. Puppe, GA 2009, 486 (496). Wie z. B. die Rennen in der Formel 1 oder der DTM Rennen dieser Art sind. Vgl. Rengier, Iurratio 2/2008, 8 (9). s. oben Kapitel 4, C. I. Exemplarisch Geppert, ZStW 83 (1971), 947 (978). Vgl. Dach, Einwilligung, S. 88 Fn. 58. Vgl. schon oben, Kapitel 4, C. I. 1.
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Kap. 4: Einwilligung in ein Risiko und strafrechtsdogmatische Erfassung
lensbeschaffenheit einer Person abgestellt wird, funktionell wenig gemeinsam haben.265 Soll eine Einwilligung in Anlehnung an die objektiven Vorsatzlehren als erteilt gelten, wenn der Einwilligende sich einer unmittelbaren266 oder zur Erfolgsherbeiführung tauglichen267 rechtlich missbilligten Gefahr bei konkreter Vorstellung von dieser aussetzte268, fehlte noch die (hier nicht mehr zu leistende) Überprüfung, wie gut das Fundament, was diesen Theorien bei der Vorsatzabgrenzung jeweils im Einzelnen zu Grunde liegt, auf Einwilligungsterrain trägt. Die Theorie, die für den Vorsatz eine unmittelbare Gefahr verlangt, nimmt zum Beispiel für sich in Anspruch, dem Gesetz entnehmbar zu sein, da der Versuch, für den § 22 das unmittelbare Ansetzen als notwendig festschreibt, in jedem vorsätzlichen vollendeten Delikt enthalten sei.269 Für die Frage nach dem nötigen Mindestmaß an Zustimmung weist jedenfalls diese Herleitung keine Gültigkeit mehr auf. Die Mehrheit der Vertreter einer Risiko-Einwilligung teilt nach derzeitigem Stand die Zweifel an einer vollständigen Übertragung der Abgrenzungsdiskussion, indem sie als Einwilligungsvoraussetzung ein voluntatives Element bezogen auf die gefährliche Handlung verlangt und die Kenntnis der Gefahr nicht genügen lässt.270 Zusätzlich entsteht der Eindruck, dass mit der voluntativen Komponente ernster gemacht wird als bei der Unterscheidung zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit und sie möglichst kein normativ durchzogenes Lippenbekenntnis, sondern die Wiedergabe eines tatsächlichen psychischen Sachverhaltes sein soll. So findet sich gehäuft der Satz, die Einwilligung sei mehr als ein bloßes Dulden oder Geschehenlassen der riskanten Handlung271, sogar mehr als deren Inkaufnahme272. Diese Vorsicht rührt daher, dass man den Einwilligenden für schutzwürdiger gegenüber psychischen Fiktionen hält als den potentiellen Vorsatztäter.273 Wenn letzterer zwar die Rechtsgutsverletzung nicht gutheißt, aber trotzdem weiterhandelt, bringt er damit zum Ausdruck, dass ihm sein Handlungsziel wichtiger ist als die Schonung des Rechtsguts. Ein denkbares Vertrauen darauf, dass sich der Erfolg nicht realisieren werde, lässt sich leicht als irrational und 265 Ausführlich Ensthaler, Einwilligung, S. 86 ff.; Paeffgen, in: NK-StGB, § 228 Rn. 20. 266 Schlehofer, Vorsatz und Tatabweichung, S. 32 ff.; Herzberg, FS Schwind, S. 322. 267 Puppe, in: NK-StGB, § 15 Rn. 69. 268 Angedacht von Paeffgen, in: NK-StGB, § 228 Rn. 19 mit Fn. 81. 269 Herzberg, FS Schwind, S. 327. 270 Hansen, Einwilligung, S. 42 ff.; Dach, Einwilligung, S. 88; Dölling, ZStW 96 (1984), 36 (43). 271 BayObLG, NJW 1957, 1245 (1246); OLG Oldenburg, NJW 1966, 2132 (2133); Lackner/Kühl, § 228 Rn. 3; Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, Vor § 32 Rn. 45; Dölling, ZStW 96 (1984), 36 (43); Hirsch, in: LK11-StGB, Vor § 32 Rn. 111; Geppert, ZStW 83 (1971), 947 (977); Hansen, Einwilligung, S. 42. 272 Hansen, Einwilligung, S. 45. 273 Dazu auch Paeffgen, in: NK-StGB, § 228 Rn. 20 Fn. 81.
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schließlich irrelevant bewerten.274 Hingegen wird die Einwilligung als freiheitserweiterndes Institut begriffen, mit der der Einwilligende ausnahmsweise Handlungen erlaubt, denen gegenüber das Recht eine grundsätzliche Ablehnung des Menschen vermutet. Geht man hier zu weit und rechnet kontrafaktisch Rechtsgutseinbußen als konsentiert zu, geht das zu Lasten des Rechtsgüterschutzes. Einem „Dulden“ der Gefährdung fremder Rechtsgüter liegt eine andere KostenNutzen-Rechnung zu Grunde als dem „Dulden“ der Gefährdung eigener Rechtsgüter, da die möglichen Nachteile für den gefährdeten Güterbestand im letzteren Fall greifbarer und enger mit der Entscheidung verknüpft sind als bei dem, der nur andere in Gefahr bringt. Gleichzeitig ist der Einfluss auf die Erfolgsverwirklichung geringer.275 Das Opfer kann kraft seines Selbstbestimmungsrechts unterschiedliche Prioritäten setzen. Wer sich weigert, in das Auto des Betrunkenen zu steigen und lieber mit dem Taxi fährt, macht damit deutlich, dass er seine Gesundheit jederzeit dem günstigsten und schnellsten Weg nach Hause vorzieht. Wer dagegen Beifahrer bei einem Straßenrennen sein möchte, schätzt den Nervenkitzel wertvoller ein als seine Sicherheit im Straßenverkehr. Entscheidend muss folglich sein, ab welcher subjektiven Mindesthaltung die Risiko-Einwilligung als ein bewusstes Setzen von Prioritäten zugunsten des Risikos und gegen die Bestandssicherheit des Rechtsguts zu verstehen ist.276 In Übereinstimmung mit der h. M. kann davon jedenfalls dann ausgegangen werden, wenn der Geschädigte im psychisch-naturalistischen Sinne die Risikoschaffung gutheißt, mag es ihm darauf auch nicht final ankommen. Für die Bewertung des unmittelbar darunterliegenden Bereichs, der weder durch eine wirkliche Zustimmung zum Risiko noch durch dessen eindeutige Ablehnung gekennzeichnet ist und in dem die Einstellung des Opfers zur Gefährdung am treffendsten mit dem Wort Gleichgültigkeit umschrieben ist, verbietet sich eine pauschale Lösung. Keine Prioritätssetzung liegt jedoch vor, wenn das Opferverhalten lediglich auf sorglosen und leichtfertigen Umgang mit eigenen Rechtsgütern schließen lässt, wofür auch die Einstellung des Einwilligenden zum Taterfolg Bedeutung erlangen kann: Während ein gezieltes Wollen des Risikos verbunden mit einem Nichtwollen des Erfolges als widersprüchliche Willensäußerung die Wertung hervorbringt, der das Risiko Eingehende habe sich den Erfolg selbst zuzuschreiben277, besteht dieser Widerspruch nicht mehr in gleichem Maße, wenn mit einer gleichgültigen Einstellung gegenüber dem erkannten Risiko eine strikte Ablehnung des Erfolges Hand in Hand geht. In diesen Fällen liegt der Schluss nahe, dass die 274
Vgl. Frister, AT, 11/21 ff.; Puppe, in: NK-StGB, § 15 Rn. 37 ff. Zu letzterem Paeffgen, in: NK-StGB, § 228 Rn. 20. 276 Selbst dann, wenn die Einwilligung das Verhalten des Täters gegenüber dem Opfer letztendlich „erlaubt“, so ist es doch nur ein Spiel mit der Bedeutung dieses Wortes, wenn Dölling, ZStW 96 (1984), 36 (44) billigen und erlauben synonym verwendet und daher meint, dass der Täter das Verhalten nur erlaubt, wenn er es billigt. 277 Vgl. Beulke, FS Otto, S. 215. 275
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Kap. 4: Einwilligung in ein Risiko und strafrechtsdogmatische Erfassung
Person die Gefährdung nur mangels anderer Handlungsoptionen über sich ergehen lässt.278 Es fehlt daher an einer wirksamen Einwilligung, wenn sich die Ehefrau nach einer Feier im Auto ihres angetrunkenen Ehemannes widerwillig mitnehmen lässt, weil sie es für zwecklos hält, mit ihm jetzt noch über seine Fahrtüchtigkeit zu diskutieren und gleichzeitig keine andere Rückfahrmöglichkeit besitzt. Das gleiche gilt für denjenigen, der sein Auto in einer Spielstraße abstellt, auf der er Jugendliche mit einem Lederfußball spielen sieht. Wenn er sich – froh darüber, endlich einen Parkplatz gefunden zu haben – von seinem Auto entfernt und dabei darauf hofft, der Ball möge sein Fahrzeug nicht beschädigen, willigt er in eine Sachbeschädigung nicht ein. Eine Ausnahme davon, dass bloße Gleichgültigkeit bezogen auf das Täterhandeln nicht als Risiko-Einwilligung zu werten ist, kann aber dort gemacht werden, wo sich die Gleichgültigkeit noch gegenüber dem Erfolg fortsetzt. Eine solche Situation, in welcher der Rechtsgutsträger weder die Handlung noch die Rechtsgutsverletzung explizit gutheißt279, zugleich jedoch nicht – indem er einem der beiden ablehnend gegenübersteht – gegen das Risiko und für den Fortbestand des Rechtsguts innerlich Stellung nimmt, lässt sich nur so verstehen, dass er an dessen Schutz nicht interessiert ist. Solche (seltenen) Konstellationen werden sich beispielsweise dort finden, wo es um kleinere Schäden an für geringwertig befundenen Gegenständen geht. Ist dem Autofahrer, der seinen PKW in der Nähe der fußballspielenden Teenager parkt, deren Treiben gleichgültig und interessiert ihn auch nicht, ob sein Fahrzeug Dellen davonträgt – z. B. weil es ohnehin schon mehrere schwere Lackschäden hat – hat er in das Risiko leichterer, fußballspezifischer Schäden am PKW eingewilligt.280 2. „Willensgefälle“ zwischen Täter und Opfer Wie bereits Herzberg festgestellt hat, ist es in Gefährdungsfällen dem Täter möglich, das Opfer in subjektiver Hinsicht zu „übertreffen“.281 Damit kann nicht nur die bereits angesprochene größere Risikokenntnis gemeint sein, sondern ebenso eine stärkere Willensbeziehung gegenüber dem Erfolg bei gleicher Risikoeinsicht. Eventuell ist dann die strafbefreiende Wirkung der Zustimmung derart zu begrenzen, dass trotz hinreichender und gleichrangiger Gefahrenkenntnis 278
Vgl. Hansen, Einwilligung, S. 42. Liegt ein Billigen der Handlung vor, handelt es sich nach hier vertretener Ansicht um eine Risiko-Einwilligung (s. vorige Seite), wird der Erfolg gebilligt, geht man nahezu einstimmig von einer Einwilligung aus. Anders nur, sofern man hierfür dolus directus verlangt, vgl. die Nachweise bei Geppert, ZStW 83 (1971), 947 (977 f.) sowie bereits Kapitel 4, C. I. 1. 280 Im Ergebnis für einen ähnlich gelagerten Fall (Fahrrad dem Sperrmüll überlassen) Schlehofer, in: MK-StGB, Vor § 32 Rn. 151. 281 Herzberg, JA 1985, 265 (270). 279
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das Handlungsunrecht bestehen bleibt, wenn der Einwilligungsempfänger im Gegensatz zum Einwilligenden den Erfolg beabsichtigt oder jedenfalls gebilligt hat. Diese Ansicht wird von Teilen des Schrifttums vertreten.282 Für sie ist die Risiko-Einwilligung in ihrem Anwendungsbereich auf gleichrangig fahrlässiges Verhalten von Schädiger und Geschädigtem beschränkt. Zur Begründung wird darauf hingewiesen, dass der Vorsatztäter anders handle als vom Opfer hingenommen283 und sein Verhalten bewusst so steuere, dass es in den Erfolg einmünde, auf diese Steuerungsbemühungen beziehe sich ein bloßer Gefährdungswille nicht.284 Außerdem sei von demjenigen, der auf das Ausbleiben des Erfolges nicht vertraue, zu erwarten, die gefährliche Handlung gänzlich zu unterlassen.285 Der erste Einwand ist kaum von der Hand zu weisen, doch geht er am Problem vorbei. Wer den Erfolg gutheißt, wird sein Handlungsprogramm in der Tat oftmals so einrichten, dass es den Erfolg möglichst sicherstellt oder zumindest geringere Vermeidungsbemühungen in die Wege leiten, während der sorglos die Gefährdung Riskierende ein derartiges Verhalten nicht in Rechnung stellen wird. Dann muss allerdings die Strafbarkeit des Schädigers nicht erst aus seiner „überschießenden“ Willensbeschaffenheit abgeleitet werden, sondern wird man die Unwirksamkeit der Einwilligung in das Risiko bereits nach Irrtums- oder Exzessmaßstäben begründen können. Wer zwar weiß, dass er unangeschnallt auf der Ladefläche eines LKW mitfährt, aber nicht ahnt, dass der Fahrer absichtlich die Kurven mit überhöhter Geschwindigkeit fährt, in der Hoffnung, sein Passagier möge vom Fahrzeug oder gegen eine Kante geschleudert werden und sich verletzen, der hat das Ausmaß des eingegangenen Risikos erst gar nicht erkannt. Ein eigener Anwendungsbereich für die Willensdifferenz als Einwilligungsausschluss kann sich lediglich ergeben, wo der Täter von vornherein keinen vollständigen Einfluss auf die Realisierung des Risikos besitzt (z. B. Ansteckung mit einer Krankheit) oder sich an den vereinbarten Handlungsmodus hält. So etwa, wenn der Gefährdende beim „Russischen Roulette“ mit Einwilligung des Gefährdeten auf diesen anlegt und abdrückt, wobei er inständig hofft, der Schuss möge tödlich sein, doch ebenso wenig wie der andere weiß, wo genau in der Trommel sich die Kugel gerade befindet. Dann stellt sich die Frage nach der Relevanz des bösen Willens auf Täterseite. Dieser kann jedenfalls nicht wie bei der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung mit der Begründung für unbeachtlich erklärt werden, er sei auf ein tatbestandsloses Verhalten gerichtet, da es an der Schaffung einer rechtlich missbillig282 Schild, Sportstrafrecht, S. 92 f.; Hähle, Sportverletzungen, S. 204 ff.; Niedermair, Körperverletzung, S. 124. 283 Schild, Sportstrafrecht, S. 92. 284 Niedermair, Körperverletzung, S. 124. 285 Hähle, Sportverletzungen, S. 205.
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Kap. 4: Einwilligung in ein Risiko und strafrechtsdogmatische Erfassung
ten oder tatbestandlich nicht erfassten Gefahr fehle.286 Die einverständliche Fremdgefährdung zeichnet sich nach hier vertretener Deutung gerade durch die unerlaubte Gefahrschaffung aus. Jedoch spricht gegen eine Berücksichtigung des bösen Willens zweierlei: Vorsatz ist gegenüber der Fahrlässigkeit ein „plus“, beide Unrechtsformen sind im objektiven Tatbestand strukturgleich und setzen eine rechtlich missbilligte Gefahr voraus. Dazu stellen eigenverantwortliche Selbstgefährdung und einverständliche Fremdgefährdung zwei lediglich dogmatisch abweichende Möglichkeiten dar, wie sich das Selbstbestimmungsrecht des Rechtsgutsinhabers äußern kann. In beiden Fällen hindert dieses die Beurteilung des Täterverhaltens als Unrecht. Wenn daher nach aktuellem Stand der Lehre von der objektiven Zurechnung der böse Wille ein erlaubtes Risiko (Ermöglichung der Selbstgefährdung) nicht zu einem unerlaubten machen kann287, dann kann dieser auch nicht der Wirksamkeit einer Einwilligung entgegenstehen, mit der das Opfer das unerlaubte Risiko in ein erlaubtes „umwandelt“, solange die missbilligte objektive Gefahrschaffung im Rahmen des von allen Teilnehmern erkannten und gebilligten Risikos bleibt.288 Für ein unterhalb der Absicht anzusiedelndes Billigen des Erfolges gilt das erst recht.289 Hähles Hinweis darauf, dass die Erwartung an den Vorsatztäter, die riskante Handlung zu unterlassen, größer sei als an den Fahrlässigkeitstäter und deshalb die Enttäuschung dieser Erwartung eine höhere Vorwerfbarkeit begründe290, geht fehl. Derartig allgemeine Überlegungen zum graduellen Unterschied von bewusster Fahrlässigkeit und bedingtem Vorsatz lassen sich nicht dafür fruchtbar machen, den bösen Willen bei gleicher Risikokenntnis zu berücksichtigen. Aus dem, was der Täter will, lassen sich für das Recht dann, wenn er darauf keinen größeren Einfluss hat als im Falle des Nichtwollens, keine gesteigerten Erwartungen ableiten.
286
Eschweiler, Selbstgefährdung, S. 101 ff.; Roxin, AT I, § 11 Rn. 108. Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder, Vor § 13 Rn. 93; Prittwitz, JA 1988, 432 (439); Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 122; anders früher Zipf, Einwilligung, S. 91. 288 Für die objektiven Vorsatzlehren wäre das hier vorgestellte Problem keines von Vorsatz beim Täter gegenüber „Fahrlässigkeit“ beim Opfer, da der Vorsatz sich für diese durch eine objektiv qualifizierte Gefahr von der Fahrlässigkeit abhebt. Das Herbeiwünschen oder Billigen des Erfolges bei Einhaltung einer fahrlässigkeitsspezifischen Gefahr ist danach ohnehin bedeutungslos, dazu Herzberg, FS Schwind, S. 323 ff. mit Beispielen. 289 Ebenso Roxin, AT I, § 11 Rn. 136; Hellmann, FS Roxin I, S. 280, der letzte freilich mit der (nachvollziehbaren, aber nicht zwingend erscheinenden) Begründung, der mit bedingtem Vorsatz Handelnde stelle dadurch, dass er nicht leichtsinnigerweise auf das Ausbleiben des Erfolges vertraue, eine geringere Gefahr für die Rechtsgüter des Gefährdeten dar als der „draufgängerische“ Fahrlässigkeitstäter. Geht es um Absicht des Gefährdenden, trägt diese Argumentation nicht mehr, wobei zuzugeben sein wird, dass Fälle der Absicht, in denen sich der Täter auf ein Wünschen des Erfolges ohne tatkräftiges darauf-Hinarbeiten beschränkt, eher konstruiert sind. 290 Hähle, Sportverletzungen, S. 205. 287
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IV. Sonstige für relevant befundene Faktoren Rechtsprechung und Literatur sind sich darüber, welche Gesichtspunkte für die Strafbarkeit des Täters bedeutsam sein können, weitgehend einig. Die Streitigkeiten betreffen abgesehen von der Frage der Anwendung der Einwilligungsschranken auf die einverständliche Fremdgefährdung291 im Besonderen die zutreffende dogmatische Einordnung der Fallgruppe. Vereinzelt sind jedoch in der Diskussion Aspekte als strafbarkeitsentscheidend benannt worden, die eher abseits der bekannten Pfade anzusiedeln sind, namentlich die Verantwortung des Opfers für das gemeinsame Tun292 und sein Vertrauen z. B. in die Beherrschung des Verletzungsgeschehens293. Die Risiko-Einwilligung als das „traditionellere“ Lösungsinstrumentarium kann beide Faktoren zweifellos schlechter integrieren als ein Lösungsvorschlag auf Zurechnungsebene, für die Einwilligungslehre stellen sie einen Fremdkörper dar. Jedoch wurde bereits darauf hingewiesen, dass – obgleich die Risiko-Einwilligung einen Fall der Einwilligung darstellt – zwischen Verletzungs- und Risiko-Einwilligung graduell Unterschiede bestehen294, die bei Bedarf auch eine Einbeziehung von der Verletzungseinwilligung unbekannten Voraussetzungen rechtfertigen könnten. Zu ermitteln ist, ob dieser Bedarf besteht. 1. Initiatives Vorverhalten der Beteiligten in Bezug auf die Gefährdung Von Roxin in die Diskussion eingebracht und in jüngerer Zeit betont wurde der Gedanke einer besonderen „Verantwortlichkeit“ des Opfers dort, wo der Täter die risikoträchtige Handlung erst auf dessen Drängen hin ausführt. Eine solche Konstellation soll bei ansonsten gleichrangiger Risikokenntnis der Beteiligten den Täter im Wege des Zurechnungsausschlusses von seiner strafrechtlichen Verantwortlichkeit für den Erfolg befreien.295 Modell für diese Wertung stand der Memel-Fall, in dem das Reichsgericht ersichtlich zugunsten des Fährmannes berücksichtigte, dass dieser erst auf massives Bedrängen durch die Passagiere hin das gefährliche Unternehmen in Angriff nahm.296 Auch in anderen Sachverhalten297 äußerte der Täter zunächst Bedenken, ließ sich schlussendlich aber dennoch zur Tat überreden. Die Gerichte kamen hier jeweils zum Freispruch der Ge-
291
Hierzu noch Kapitel 5. Roxin, FS Gallas, S. 252. 293 Zaczyk, Selbstverantwortung, S. 56 ff. 294 s. Kapitel 4, D. II. 3. a). 295 Roxin, JZ 2009, 399 (403). 296 RGSt 57, 172 (174). 297 OLG Zweibrücken, JR 1994, 518 (Lastwagen-Fall); BayObLG, JZ 1989, 1073 (HIV-Fall). 292
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Kap. 4: Einwilligung in ein Risiko und strafrechtsdogmatische Erfassung
fährdenden und jedenfalls das OLG Zweibrücken maß im Lastwagen-Fall dem Verantwortungskriterium ausdrücklich Bedeutung bei.298 Die Verfechtung einer Risikoeinwilligungslösung hat die Rechtsprechung keineswegs immer daran gehindert, den Aspekt der treibenden Kraft mit in die Bewertung einzubeziehen.299 Roxin hält es für unmöglich, sein Kriterium systemgerecht mit einer Risiko-Einwilligung zu vereinbaren300, dass dies allerdings friktionsfrei allein eine Zurechnungslösung leisten könnte, welche hinsichtlich der für strafbarkeitsentscheidend erachteten Aspekte sicherlich einen größeren Spielraum besitzt, muss angezweifelt werden: Der Theorie der bedingten Gleichstellung von Selbst- und Fremdgefährdung ist es wie gezeigt301 bisher ebenso wenig gelungen, die besondere Verantwortlichkeit des Opfers durch initiatives Verhalten systematisch überzeugend einzubinden. Man könnte versuchen, § 216 als Beleg dafür heranzuziehen, dass speziell das Verlangen des Opfers als gesteigerte Einwilligungsform eine eigenständige Bedeutung gegenüber einer herkömmlichen Einwilligung besitzt. Abgesehen davon, dass diese Norm einen Ausnahmecharakter aufweist, der eine Verallgemeinerung ihres Rechtsgedankens bedenklich erscheinen ließe, genügt aber nach Roxins Konzeption offenbar auch eine unterhalb des Verlangens liegende Zustimmung, um wenigstens eine ausreichende „gleichrangige Verantwortlichkeit“ 302 von Opfer und Täter für das Entstehen der Risikosituation annehmen zu können.303 Drängt einer der beiden ausdrücklich zu der Tat, läge für diesen mithin keine gleichrangige, sondern gar eine überlegene Verantwortlichkeit vor. Fehlende gleichrangige Verantwortlichkeit, die zur Strafbarkeit des Fremdgefährdenden führt, lässt sich damit nur dann annehmen, wenn das Unternehmen auf den Täter als treibende Kraft zurückzuführen ist, weswegen übertragen auf den hiesigen Ansatz denkbar erscheint, für die Wirksamkeit der Risiko-Einwilligung zu verlangen, dass dies nicht der Fall sein darf. Dann ist gleichwohl greifbar zu machen, weshalb dieses Vorverhalten des Täters seine Straffreistellung bei ansonsten vorliegenden Einwilligungsvoraussetzungen hindern kann. Die Theorie der bedingten Gleichstellung von Selbst- und Fremdgefährdung, welche im Ergebnis 298
OLG Zweibrücken, JR 1994, 518 (520). Das OLG Zweibrücken tat dies, einer Einwilligungslösung folgend, bereits im Lastwagen-Fall JR 1994, 518 (520), indem es diesen Gesichtspunkt in den § 226a a. F. hineinlas. 300 Roxin, JZ 2009, 399 (403). 301 s. Kapitel 4, B. III. 302 Roxin, JZ 2009, 399 (403). 303 Vollends deutlich wird das bei Roxin, JZ 2009, 399 (401, 403) deshalb nicht, weil in den von ihm gebildeten Beispielen zur gleichrangigen Verantwortlichkeit stets eine beteiligte Person initiativ für die Gefährdung wird. Jedoch hat er in AT I, § 11 Rn. 134 im „Auto-Surfer“-Fall des OLG Düsseldorf eine gleichrangige Verantwortlichkeit aller Beteiligten angenommen, obwohl sich aus dem Sachverhalt nicht ergibt, auf wen die Idee zur Durchführung des riskanten Unternehmens zurückging. 299
D. Voraussetzungen der Risiko-Einwilligung
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gleich, in der Konstruktion aber entgegengesetzt nicht die Initiative des Täters als der Einwilligung entgegenstehend, sondern die des Opfers als die Zurechnung des Erfolges zum Täter ausschließend ansieht, ist über Roxins Argumentation, in dem Bestehen des Opfers auf die Durchführung der riskanten Handlung zeige sich dessen besondere Eigenverantwortlichkeit304, noch nicht hinausgekommen.305 Dass dies voraussichtlich auch in Zukunft nicht gelingt, liegt vorrangig daran, dass dieser Gesichtspunkt nicht nur einwilligungsfremd, sondern regelrecht „tatbestandsfern“ 306 ist. Das Rechtsgefühl mag dazu verleiten, dem Opfer an seiner misslichen Lage insbesondere dann die Schuld zu geben, wenn es auf Schaffung des Risikos selbst beharrt hat und weniger, wenn es in die Situation „hineingeredet“ wurde. Bei einem vehementen Auffordern zur Gefährdung handelt es sich jedoch um ein vor der tatbestandsmäßigen, rechtlich missbilligten Handlung liegendes Tun, weswegen es sich eigentlich von überhaupt keinem Institut der Opfermitwirkung sachgerecht erfassen lässt.307 Zwar ist es nicht ungewöhnlich, an das Vorverhalten einer Person Nachteile in strafrechtlicher Hinsicht zu knüpfen, man denke etwa an die Notwehrprovokation. Doch bleibt anders als bei dieser, wo sich der Provozierende vorhalten lassen muss, rechtsmissbräuchlich oder wenigstens sozialethisch missbilligt gehandelt zu haben, der Vorwurf, den man gegenüber dem das Opfer bedrängenden Täter über die (konsentierte) Gefahrschaffung hinaus erheben kann, diffus. Sofern das Überreden durch den Täter die Züge rechtswidrigen Zwanges annimmt, ergibt sich die Unwirksamkeit der Einwilligung schon aus allgemeinen Regeln. Ein unterhalb dieses Zwanges liegendes, initiatives Auffordern könnte man allenfalls mit dem in § 26 geforderten Bestimmen zur Tat vergleichen, zugleich wäre diese Parallele allzu oberflächlich. Wer das Opfer dazu „bestimmt“, endlich in die Gefährdung einzuwilligen oder umgekehrt den Täter dazu, ihn endlich zu gefährden, mag Initiator einer leichtsinnigen Unternehmung sein. Wenn aber jene darüber hinaus im Gegensatz zu der in § 26 geforderten, vorsätzlichen und rechtswidrigen Haupttat kein strafbares Unrecht ist – und wesentlich dafür ist neben der Dispositionsbefugnis die Autonomie des Zustimmenden bei der Tat selbst – kann die Urheberschaft im Vorfeld sie nicht zu diesem machen. Außen vor gelassen wurde bisher noch, dass es das Initiativkriterium an Schärfe vermissen lässt308, da sich die Dynamik der Täter-Opfer-Beziehung selten so plakativ eindeutig darstellen wird wie im Memel-Fall und in der Realität meist komplexer ist als die eindeutigen Lehrbuchfälle, wie sie vor allem Roxin zur Verdeutlichung seines Standpunktes bildet.309 304
Zu diesem Begriff bereits oben, Kapitel 4, B. III. 3. Roxin, JZ 2009, 399 (401). 306 So Murmann, FS Puppe, S. 786 Fn. 89. 307 Als nur für die Strafzumessung relevant betrachtet dieses Kriterium folglich Dölling, FS Geppert, S. 57. 308 Ebenso Murmann, FS Puppe, S. 786 Fn. 89; Stratenwerth, FS Puppe, S. 1021. 309 Roxin, AT I, § 11 Rn. 121 (Fall 1–3). 305
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Kap. 4: Einwilligung in ein Risiko und strafrechtsdogmatische Erfassung
2. Vertrauen des Opfers in rechtlich fester Form Rainer Zaczyk hat in seiner Monographie „Strafrechtliches Unrecht und die Selbstverantwortung des Verletzten“ eine neue Abgrenzung von Selbst- und Fremdgefährdung vorgeschlagen, deren dogmatische Grundlagen bereits in dieser Arbeit teilweise thematisiert worden sind.310 Von Interesse ist nunmehr das von ihm als zusätzlich zu der ausreichenden Risikokenntnis des Opfers311 geforderte Kriterium des Opfervertrauens. Nach Zaczyk ist der Täter unabhängig von den Äußerlichkeiten der Situation strafbar, wenn das Opfer entweder in rechtlich fester Form darauf vertrauen konnte, dass der Täter den unmittelbar zur Verletzung führenden Gefahrenverlauf durch pflichtgemäßes Verhalten beherrscht oder – was besonders Fälle der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung betreffen dürfte – wenn es darauf vertrauen durfte, dass ihm der andere den Schritt in die Selbstgefährdung gar nicht erst ermöglicht.312 Das soll dazu führen, dass der Fährmann im Memel-Fall straffrei ausgeht, weil angesichts des Wellenganges die Passagiere erkennbar nicht auf ein Beherrschen der Situation vertrauen konnten313, jedoch soll der Autofahrer, der im angetrunkenen Zustand jemanden mitfahren lässt und mit diesem verunglückt, für den Unfall zur Verantwortung gezogen werden können. Der Beifahrer könne im Regelfall darauf vertrauen, dass der Fahrzeugführer seine Fahrweise entsprechend seiner Trunkenheit anpasst oder erst gar nicht fährt.314 Es fällt möglicherweise schon an diesem Punkt auf, dass die Anwendung der Grundsätze nicht immer durchsichtig, sondern eher ergebnisorientiert erscheint. Das betrifft zunächst das rechtlich feste Vertrauenkönnen auf die Beherrschung des Geschehensablaufs, die erste Prüfungsstufe in Zaczyks Konzeption. Es ist einsichtig, dass diesem Vertrauen im Memel-Fall und gleichermaßen beim Geschlechtsverkehr mit einem HIV-Infizierten315 der Boden entzogen ist. Nicht erklärt wird, wieso dieses Vertrauen auf die Beherrschung des Geschehens im Gegensatz dazu beim betrunkenen Autofahrer fundiert sein soll, solange er noch nicht „erkennbar völlig unfähig“ 316 ist, den PKW sicher zu führen. Noch größere Zweifel ergeben sich bei der zweiten Prüfungsstufe, dem Vertrauenkönnen auf das Ausbleiben der Möglichkeit zur Gefährdung insgesamt. Hier kann es nur darum gehen, ob der Staat in paternalistischer Manier jemandem die Pflicht auferlegt, andere Menschen vor dem von diesen als solchen erkannten Leichtsinn zu bewahren. Für den Fährmann verneint Zaczyk dies aus310 311 312 313 314 315 316
s. Kapitel 3, B. II. 2. b) cc). Zaczyk, Selbstverantwortung, S. Zaczyk, Selbstverantwortung, S. Zaczyk, Selbstverantwortung, S. Zaczyk, Selbstverantwortung, S. Zaczyk, Selbstverantwortung, S. Zaczyk, Selbstverantwortung, S.
56. 56. 58. 59. 59. 59.
D. Voraussetzungen der Risiko-Einwilligung
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drücklich.317 Dem Autofahrer bürdet er eine solche Pflicht hingegen auf 318, wofür kein Grund besteht: Betrunken Personen zu befördern ist ebenso die Schaffung einer rechtlich missbilligten Gefahr für deren Leben wie das Übersetzen von Menschen in einem kleinen Boot über einen sturmumtosten Fluss. Weiterhin soll der Dealer strafbar sein, welcher dem das Risiko erkennenden Junkie Drogen zur Selbstverabreichung verkauft319, obwohl es an einer rechtlich missbilligten Gefahr dort wie erläutert schon gänzlich fehlt. Dem Kriterium Zaczyks liegt die Zeichnung des Gefährdeten als schwaches und unselbstständiges320 und so in besonderem Maße durch den Staat schutzbedürftiges Subjekt zu Grunde. Da der Autor sein Kriterium bei der (wie hier verstandenen) Schädigung nicht anwendet, sondern sich dort an konventionelleren Ansätzen orientiert321, kann diese erhöhte Schutzbedürftigkeit nur dem Umstand zuzuschreiben sein, dass der Geschädigte in Gefährdungsfällen den Erfolg nicht gewollt hat. Das innere Ablehnen des Erfolges bei gleichzeitigem Eingehen des Risikos wird so zur Spezialform eines strukturellen Defizits322, was es erlaubt, die Sorgfaltswidrigkeit des Täters, überhaupt die gefährliche Handlung auszuführen, gegen diesen zu wenden (erste Prüfungsstufe des Vertrauenskriteriums), sowie noch weitgehender und entgegen der hier vertretenen Ansicht in der Unterstützungshandlung gegenüber einem sich selbst Gefährdenden eine Sorgfaltswidrigkeit zu erblicken (zweite Prüfungsstufe), ohne die Selbstverantwortung des Einwilligenden bereits als unrechtsausschließend zu berücksichtigen. Der Annahme eines strafbarkeitsbegründenden Opferdefizits steht lediglich das – nicht faktisch zu verstehende323 – Vertrauendürfen des Opfers in das sichere Beherrschen/Ausbleiben der Gefährdungshandlung entgegen. Das muss unabhängig von der fehlenden Plausibilität des Kriteriums bei seiner Anwendung Widerspruch erfahren. Denn einerseits ist schon nicht einsehbar, wieso die Reichweite der Autonomie des Betroffenen überhaupt von seiner Einstellung zum Erfolg abhängen soll324 und dabei seine freie Entscheidung gar dort eher Berücksichtigung erfährt, wo er den Schaden ausdrücklich will. Zusätzlich entnimmt Zaczyk den Aspekt des Vertrauenkönnens der Natur des Fahrlässigkeitsdeliktes, weil der Geschädigte dort „bezüglich eines seiner Rechtsgüter mit einem fremden Verhalten 317
Zaczyk, Selbstverantwortung, S. 58. Zaczyk, Selbstverantwortung, S. 59, wo davon ausgegangen wird, ein Vertrauen des Gefährdeten, der Autofahrer würde von der Fahrt sogar ganz absehen, sei begründet, die Handlung damit (strafbare) Fremdgefährdung. 319 Zaczyk, Selbstverantwortung, S. 60 f. 320 Diese Worte verwendet Zaczyk, Selbstverantwortung, S. 56 selbst, wenn er einen Fahrlässigkeitsvorwurf z. B. daran knüpft, „daß eine Schwäche oder Unselbständigkeit des Opfers im Hinblick auf die Selbstgefährdung im Täterverhalten unbedacht bleibt“. 321 Vgl. Kapitel 3, B. II. 2. b) cc). 322 Bereits oben, Kapitel 3, B. II. 2. b) dd). 323 Zaczyk, Selbstverantwortung, S. 57. 324 Murmann, Selbstverantwortung, S. 402. 318
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Kap. 4: Einwilligung in ein Risiko und strafrechtsdogmatische Erfassung
konfrontiert wird, auf dessen Unterbleiben es in rechtlicher Hinsicht vertrauen kann“ 325. Wo das Opfer aber mit dem sorgfaltspflichtwidrigem Verhalten einverstanden ist (es eventuell ausdrücklich verlangt hat), bleibt für ein schutzwürdiges Vertrauen auf richtiges Verhalten des Täters nur noch wenig Raum. Schutzwürdig ist das rechtlich feste Vertrauen nur insoweit, dass der Täter eine überschaubare Gefahr nicht durch grob fahrlässiges Tun ausweitet, hier ergibt sich die Strafbarkeit des Gefährdenden aus seinem Exzessverhalten, auf das sich die Einwilligung nicht mehr bezieht.326 Darunter liegende Pflichtwidrigkeiten sind dadurch konsentiert, dass in das nicht sorgfaltsgemäße Verhalten an sich eingewilligt wurde.327 Ein noch weiter gehendes Vertrauen des sich selbst Gefährdenden, der zur Gefährdung Hilfe Leistende werde ihm nicht die Möglichkeit geben, sich zu gefährden, ist ohnehin nicht anzuerkennen, solange das Opfer in klarer Erkenntnis des Risikos handelt. Hier wird man an die Verantwortung der Person für ihr eigenes Handeln appellieren müssen, solange kein diese ausschließendes Verantwortlichkeitsdefizit gegeben ist.328
325
Zaczyk, Selbstverantwortung, S. 56. s. bereits Kapitel 4, D. II. 3. 327 Vgl. auch schon Kapitel 4, D. II. 3. c). 328 Kritisch zu Zaczyks Behandlung der Rauschgiftfälle auch Neumann, GA 1996, 36 (38 f.). 326
Kapitel 5
Gesetzliche Schranken der Einwilligung in ein Risiko Das StGB setzt der verfassungsmäßig garantierten Freiheit des Einzelnen Schranken. Geht es um die Rechtsgüter Leben oder körperliche Unversehrtheit, wird eine Verfügung über diese im Wege der Einwilligung nicht oder nicht vollumfänglich anerkannt, mit der Folge, dass das Handlungsunrecht bestehen bleibt. Sowohl die Schranke des § 216 als auch die des § 228 sind kriminalpolitisch höchst umstritten, was im Rahmen dieser Untersuchung nicht außen vor gelassen werden kann. Der Schwerpunkt der folgenden Ausführungen soll jedoch auf der viel diskutierten, aber nach wie vor als „nicht restlos geklärt“ 1 geltenden Frage liegen, inwieweit sich die Normen auf die Einwilligung in ein Risiko bzw. die einverständliche Fremdgefährdung übertragen lassen. Zu trennen ist dabei, was nicht immer hinreichend geschieht2, zwischen der Schranke des Tötungsverbotes in § 216 und der Schranke der Sittenwidrigkeit der Körperverletzung in § 228.
A. Das Verbot der Tötung auf Verlangen und dessen Fernwirkung auf Lebensgefährdungsfälle Begibt das Opfer sich in eine Situation, welche nicht nur die Gefahr überschaubarer Körperverletzungen, sondern ein hohes Todesrisiko in sich birgt, gerät die Schranke des Verbotes der einverständlichen Fremdtötung ins Blickfeld. Dabei ist von vornherein unstreitig, dass § 216 nicht direkt auf die einverständliche Lebensgefährdung anwendbar sein kann, da es an einem direkten Tötungsverlangen fehlt.3 Diskutiert wird hingegen, ob von § 216 eine Fernwirkung ausgeht, die dazu führt, dass man einer Einwilligung in eine lebensgefährliche Handlung per se die Beachtlichkeit abspricht. Wurde dies vor allem im älteren Schrifttum4 und der ebenfalls älteren Rechtsprechung5 bejaht, so hat diese An1
Kühl, AT, § 17 Rn. 88. Insbesondere die Rechtsprechung misst der Frage, welche der beiden Vorschriften der Risiko-Einwilligung nun letztlich Grenzen setzt, erkennbar wenig Wert zu, vgl. BGHSt 7, 112 (114); BGHSt 53, 55 (62); ebenso Kudlich, JA 2009, 389 (391); Kreß/ Mülfarth, JA 2011, 268 (273). 3 Statt aller Beulke, FS Otto, S. 215. 4 Honig, Einwilligung, S. 174 mit Fn. 146; Zipf, Einwilligung, S. 73; Bickelhaupt, NJW 1967, 713; Preuß, Erlaubtes Risiko, S. 140 f.; früher auch Geppert, ZStW 83 (1971), 947 (953 f.). 2
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Kap. 5: Gesetzliche Schranken der Einwilligung in ein Risiko
sicht auch im neueren Schrifttum nach wie vor Befürworter6 und der BGH berief sich im Beschleunigungstest-Fall im Jahr 2008 noch in unklarer Weise auf eine „aus der Vorschrift des § 216 StGB abzuleitende gesetzgeberische Wertung“ 7.
I. § 216 als absolute Sperre bei fahrlässiger Tötung Zum Teil wird der § 216 als eine Schranke eingeordnet, die ausschließlich der Einwilligung in die fahrlässige Tötung entgegensteht, d.h. ihre Wirksamkeit pauschal immer dort verhindert, wo das Risiko einen tödlichen Ausgang gefunden hat.8 Dagegen lässt sich bereits einwenden, dass eine absolute Sperrwirkung des § 216 bei § 222 schon ob der Zufälligkeit ihrer Anwendung zweifelhaft wäre9 und zu als wenig gerecht empfundenen Ergebnissen führen kann. Wo man zwar mit seinem Leben spielt, aber den Tod nicht beabsichtigt, können mäßig gefährliche Unternehmungen tödlich enden und hochriskante glimpflich ausgehen.10 Zudem beruht die Sichtweise, § 216 begründe eine Sperrwirkung gegenüber sämtlichen tödlich verlaufenden einverständlichen Fremdgefährdungen auf einer Überbewertung des Erfolges im Unrechtsbegriff und der Vernachlässigung der Handlung.11 Eine rein auf das Erfolgsunrecht fixierte Betrachtung des § 216 bei Gefährdungen und Schädigungen führte zu dem Ergebnis, dass die subjektive Einstellung der Beteiligten zum Erfolg bei Eintritt desselben für die Anwendbarkeit des § 216 nicht von entscheidender Bedeutung, mithin allgemein die Tötung
5
RG JW 1925, 2250; BGHSt 4, 88 (93); BGHSt 7, 112 (114). Insbesondere Dölling, FS Geppert, S. 59; ders., GA 1984, 71 (85 ff.) und in FS Gössel, S. 214; weiterhin Göbel, Einwilligung, S. 45; Mayer, Produktverantwortung, S. 359; Lasson, ZJS 2009, 359 (366); Jescheck/Weigend, AT, S. 590; Hardtung, in: MK1-StGB, § 222 Rn. 59; Eser, in: Schönke/Schröder, § 222 Rn. 3; Saal, NZV 1998, 49 (54); Hammer, JuS 1998, 785 (788); Roxin, AT I, § 11 Rn. 121; Eschelbach, in: BeckOK-StGB, § 228 Rn. 2. Restriktiv auch Hauck, GA 2012, 202 (212 ff.), der gleichwohl nicht auf § 216 abstellt. 7 BGHSt 53, 55 (63). 8 Jescheck/Weigend, AT, S. 590; Bickelhaupt, NJW 1967, 713; Hardtung, in: MK1StGB, § 222 Rn. 59; Eser, in: Schönke/Schröder, § 222 Rn. 3; Lasson, ZJS 2009, 359 (366); Preuß, Erlaubtes Risiko, S. 141; Hinderer/Brutscher, JA 2011, 907 (911). 9 Rengier, Iurratio 2/2008, 8 (9); Saal, NZV 1998, 49 (54); Glocker, Doping, S. 212; Berz, GA 1969, 145 (148); Rain, Doping, S. 58. 10 Preuß, Erlaubtes Risiko, S. 141 sieht diese Ungewissheit gerade als Argument dafür, § 216 als absolute Einwilligungssperre bei der fahrlässigen Tötung zu begreifen. 11 Es lässt sich, wie beispielsweise Weigend, ZStW 98 (1986), 44 (69 f.) bemerkt, ebenfalls ein Zusammenhang zwischen dieser Interpretation des § 216 und der Ablehnung der Risiko-Einwilligung herstellen. Wenn man dem § 216 die Wertung entnimmt, dass allgemein eine Einwilligung in eine tödlich verlaufende Aktivität unwirksam sei, dann kann es keine Handlungseinwilligung geben. Deren „Erfolgsblindheit“ würde nämlich einer so verstandenen gesetzlichen Regelung des § 216 scheinbar widersprechen, vgl. Zipf, Einwilligung, S. 20 ff.; Fiedler, Fremdgefährdung, S. 73; gegen diese Argumentation Hähle, Sportverletzungen, S. 80. 6
A. Das Verbot der Tötung auf Verlangen
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nicht einwilligungsfähig ist.12 Letztlich ist feststellbar, dass bei einer Gefährdungssituation Sachverhalte betroffen sind, in denen das Rechtsgut Leben nicht final bedroht und geschädigt wird.13 Darin, diese Differenz nicht abzubilden, liegt der Fehler einer generellen Anwendung des § 216 auf § 222. Sie wäre nur möglich, wenn man der heute nicht mehr vertretenen objektiven Unrechtstheorie folgt, die das Unrecht einer Tat allein in der Rechtsgutsverletzung erblickt.14
II. § 216 als Sperre gegenüber lebensgefährlichen Fremdgefährdungen Damit hat sich die Streitigkeit um die Reichweite des § 216 gleichwohl nicht erledigt. Da man ohnehin den § 216 wenn überhaupt nur als „Wertentscheidung“ 15 berücksichtigen und nicht unmittelbar anwenden mag, steht vielleicht die Türe dazu offen, § 216 eine Schrankenwirkung gegenüber lebensgefährlichen Unternehmungen unabhängig von ihrem Ausgang zuzuschreiben und ihn so auch der Einwilligung in fahrlässige Körperverletzungen nach § 229 entgegenzuhalten.16 Es ist zwar kaum zu leugnen, dass man es dann bei der Lebensgefährdung – anders als beim Tod – mit einem sehr ungenauen Bezugsobjekt zu tun bekommt17 und zu befürchten ist, dass aus dem Eintritt des für die handlungsbezogene Risiko-Einwilligung unbedeutenden Todeserfolges rückblickend immer auf eine Lebensgefahr geschlossen wird, während hingegen ex ante wesentlich risikoreicher erscheinende Verhaltensweisen, die nicht zum Tode führten, nicht als lebensgefährlich interpretiert werden. Nur ist allein diese Gefahr noch kein durchschlagendes Argument gegen eine so verstandene Sperrwirkung des § 216.
12 Preuß, Erlaubtes Risiko, S. 141; Zipf, Einwilligung, S. 72 f.; das gilt auch für Noll, Einwilligung, S. 31, der das Leben gegen sämtliche Handlungen als absolut geschützt ansieht; gegen Noll überzeugend Kellner, Einwilligung, S. 99 f. 13 OLG Zweibrücken, JR 1994, 518 (519); Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Schönke/ Schröder, Vor § 32 Rn. 104; Beulke, FS Otto, S. 216; Kühl, NJW 2009, 1158; Walther, Eigenverantwortlichkeit, S. 230; Hähle, Sportverletzungen, S. 81; Renzikowski, HRRS 2009, 347 (354); Kellner, Einwilligung, S. 99; Duttge, FS Otto, S. 231; Glocker, Doping, S. 212; Rain, Doping, S. 57; Schaffstein, FS Welzel, S. 571; Berz, GA 1969, 145 (148); Quillmann, Einwilligung, S. 33; P. Frisch, Fahrlässigkeitsdelikt, S. 132; Niedermair, Körperverletzung, S. 123. 14 Dazu nur Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder, Vor § 13 Rn. 52 f. Dem nahe kommt Hauck, GA 2012, 202 (212 f.), der eine Einwilligung in die Lebensgefährdung unabhängig von der Angriffsform stets als unwirksam ansieht, da aufgrund der Erfolgsmöglichkeit der riskanten Handlung der Einwilligende ebenfalls über das Fremdtötungsverbot disponieren müsste. Er geht allerdings davon aus, dass § 216 seinem Wortlaut nach nicht zur Schrankensetzung geeignet ist. 15 Duttge, GS Schlüchter, S. 799. 16 Das tut Saal, NZV 1998, 49 (54). 17 Hierzu Kellner, Einwilligung, S. 113 ff.
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Kap. 5: Gesetzliche Schranken der Einwilligung in ein Risiko
Jedoch machen die zahlreichen Bedenken, die sich insbesondere aus der kaum zu übersehenden lebenswirklichen Unterschiedlichkeit der Fallsituationen speisen, vor dieser Form der Ausstrahlungswirkung nicht Halt. Artikuliert wurden sie früh und eindringlich von Schaffstein, der monierte, die Befürworter einer Fernwirkung von § 216 dehnten „diesen Tatbestand, ohne durch den Gesetzeswortlaut gedeckt zu sein und daher in unzulässiger Weise, auf völlig anders geartete Lebenssachverhalte aus“ 18. Bei Betrachtung dieser und anderer19 Forderungen nach einer restriktiven Anwendung des § 216 lassen sich zwei Argumentationslinien freilegen: 1. Keine Fernwirkung wegen Verstoßes gegen Art. 103 Abs. 2 GG Es steht, was unter anderem Schaffstein andeutete20 und Beulke ausdrücklich formulierte21, einerseits ein Verstoß gegen den Grundsatz nullum crimen, nulla poena sine lege in der Form einer Missachtung des strafrechtlichen Analogieverbots im Raum. Es ergibt sich im Rahmen der hierzu geführten, nur wenig beachteten Debatte der Eindruck, dass die sich entgegenstehenden Lager aneinander vorbei diskutieren, was das Ziehen eines klaren Fazits erheblich erschwert22: Es ist nicht zu leugnen, dass den Kritikern darin Recht zu geben ist, dass mit einer Heranziehung des § 216 bei Lebensgefährdungen auf Verlangen eine strafbarkeitsbegründende Norm über ihren Wortlaut hinaus ausgedehnt würde.23 Soweit es also darum ginge, den Fremdgefährdenden aus § 216 analog zu bestrafen, forderte man unzweifelhaft ein verfassungswidriges Vorgehen. Die Befürworter der Anwendung des § 216 tun dies aber in aller Regel nicht.24 Die Rede ist stattdessen unverbindlicher von der Berücksichtigung einer gesetzgeberischen Wertung25. Die Fruchtbarmachung des § 216 soll auf eine „mittel18
Schaffstein, FS Welzel, S. 571. Neben den in Fn. 13 dieses Kapitels Aufgeführten u. a. Frisch, NStZ 1992, 62 (67); Vogel, in: LK-StGB, § 15 Rn. 241; Puppe, in: NK-StGB, Vor § 13 Rn. 199; Frister, AT, 15/26; Kindhäuser, LPK-StGB, Vor § 13 Rn. 223; Stratenwerth, FS Puppe, S. 1022; Dach, Einwilligung, S. 76; F.-C. Schroeder, in: LK11-StGB, § 16 Rn. 179; Hoyer, in: SKStGB, Anh. zu § 16 Rn. 95; Weber, FS Baumann, S. 48. 20 Vgl. Fn. 18 dieses Kapitels. Ebenso Renzikowski, HRRS 2009, 347 (354); Kindhäuser, BT 1, § 8 Rn. 15; Quillmann, Einwilligung, S. 34; Glocker, Doping, S. 212; Kreß/Mülfarth, JA 2011, 268 (273). 21 Beulke, FS Otto, S. 216; außerdem Duttge, NStZ 2009, 690 (691). 22 Davon zeugen auch die unsicheren und zweifelnden Formulierungen etwa bei Kudlich, JA 2009, 389 (391) („Nähe einer verbotenen Analogie“); Kreß/Mülfarth, JA 2011, 268 (273) sowie Beulke, FS Otto, S. 216 („erscheint . . . problematisch“). 23 Beulke, FS Otto, S. 216; Duttge, NStZ 2009, 690 (691). 24 Unklar aber Herzberg, FS Puppe, S. 511, der eine analoge Anwendung der Vorschrift offenbar in Betracht zieht. 25 BGHSt 53, 55 (63); Dölling, FS Gössel, S. 214; Geppert, ZStW 83 (1971), 947 (987); Göbel, Einwilligung, S. 45; Eschelbach, in: BeckOK-StGB, § 228 Rn. 2. 19
A. Das Verbot der Tötung auf Verlangen
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bare“ Weise geschehen, dergestalt, dass die Norm die Reichweite einer strafbarkeitsbefreienden Einwilligung zu begrenzen hat. Hier setzt die Gegenargumentation an, die sich darauf stützt, dass die Einwilligung lediglich gewohnheitsrechtlich anerkannt, nicht aber gesetzlich umfassend kodifiziert sei, weshalb keine täterbegünstigende Norm existiere, die man über ihren Wortlaut hinaus beschneiden könne.26 Das ist zu kurz gedacht: Wäre die Einwilligung tatsächlich umfassend positivrechtlich geregelt27, änderte sich nichts an der existierenden Problemlage. Zwar ließe sich dann vertreten, dass das Analogieverbot bei kodifizierten Erlaubnissätzen beachtet werden muss (was freilich nach wie vor ungeklärt ist28). Doch ist die hier als verfassungswidrig bemängelte Strafbarkeitserweiterung keine, die wie üblich durch Überschreitung des Wortlautes der Rechtfertigungsnorm selbst zu Stande kommt, sondern sie ergibt sich aus der Wortlautübertretung bei einer Norm des Besonderen Teils, für die unstreitig das Analogieverbot gilt. Mithin kann bei analoger Heranziehung des Rechtsgedankens von § 216 für die Einwilligung in ein Risiko tatsächlich von einer verbotenen Analogie zu Lasten des Täters ausgegangen werden. Allerdings ließe sich die in § 216 zum Ausdruck kommende Wertentscheidung, dass eine Verfügung über das Leben unwirksam ist, eventuell immer noch in die sehr umstrittene Auslegung des Sittenwidrigkeitsmerkmals in § 228 hineinlesen und wertmäßig dafür heranziehen, einen lebensbedrohenden Gefährdungsgrad per se als sittenwidrig zu bezeichnen.29 Deshalb erscheint es durchaus noch legitim, zu überprüfen, ob die Gründe, die zur Schaffung des § 216 geführt haben, eine Übertragung des Normgedankens auf die äußerlich völlig anders gelagerten Gefährdungsfälle überhaupt zulassen. 2. Keine Fernwirkung wegen Unübertragbarkeit der Ratio des § 216 Dies führt geradewegs in eine seit Jahrzehnten mit großem Aufwand geführte Diskussion um den Strafgrund der Tötung auf Verlangen hinein, denn der Grund für die Existenz dieser Vorschrift entscheidet maßgeblich über die Legitimität der Ausstrahlungswirkung, die ihr teilweise beigemessen wird. Über der Gesamtdebatte thront die zahlreich zu lesende Aussage, in § 216 komme eine umfassende Tabuisierung des Lebens zum Ausdruck30, die aber zunächst kein vollwertiges 26
Kudlich, JA 2009, 389 (391); Dölling, FS Geppert, S. 59. Davon geht Paeffgen, in: NK-StGB, § 228 Rn. 8 aus. 28 Für eine Geltung des Gebotes der lex stricta bei Rechtfertigungsgründen Schmitz, in: MK-StGB, § 1 Rn. 64; Lackner/Kühl, § 1 Rn. 5; dagegen Roxin, AT I, § 5 Rn. 42; Rössner, in: HK-GS, § 1 Rn. 8; Eser/Hecker, in: Schönke/Schröder, § 1 Rn. 31. 29 So Roxin, AT I, § 13 Rn. 41 f.; Berz, GA 1969, 145 (148); dagegen schon im Ansatz Popp, Sittenwidrigkeit, S. 70 ff. 30 Dölling, FS Geppert, S. 59; Roxin, AT I, § 13 Rn. 44; Walter, in: LK-StGB, Vor § 13 Rn. 124; Kühl, AT, § 17 Rn. 87; Mayer, Produktverantwortung, S. 358; Walther, Ei27
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Kap. 5: Gesetzliche Schranken der Einwilligung in ein Risiko
Argument, sondern ein seinerseits begründungsbedürftiges Verdikt ist, hinter dem sich unterschiedliche Menschenbilder und Staatsverständnisse verbergen. Der weitverzweigte und unübersichtliche31 Streit lässt sich aufteilen in die Frage nach dem Grund für die Beschränkung der Dispositionsbefugnis des Einwilligenden – womit wiederum eng die Suche nach dem durch § 216 geschützten Rechtsgut verwoben ist – sowie flankierende und allgemeine kriminalpolitische Argumente für das Fortbestehen der Norm, welche unabhängig davon, worin man den Sinn und Zweck des § 216 sieht, angebracht werden können.32 Eine vollständige Rekapitulation des Streitstandes soll hier nicht erfolgen, eine Auseinandersetzung findet nur insoweit statt, wie Befürworter einer Sperrwirkung der Tötung auf Verlangen für lebensgefährliche Fremdgefährdungen sich zwecks Fundierung ihrer Ansicht auf eine dahinterstehende Ratio dieser Vorschrift berufen. Im Kern geht es den Befürwortern einer Fernwirkung des § 216 darum, überindividuelle Interessen nachzuweisen, zu deren Schutz die Norm zu dienen bestimmt ist. Denn diese bringen den Vorteil mit sich, unabhängig von der Willensrichtung des Täters und des Opfers betroffen sein zu können. a) Fernwirkung des § 216 aufgrund schützenswerter Interessen des Staates § 216 lag ursprünglich eine Vorstellung des Lebens als nach dem Sittengesetz „unveräußerliches Gut“ zu Grunde.33 Diese Unveräußerlichkeit auf das Leben als „Gottesgeschenk“ zurückzuführen, ließe sich nicht zur Grundlage einer Strafe im säkularen Staat machen.34 Sie könnte jedoch auf einem erhöhten Gemeinbezug des Rechtsguts Leben beruhen. Derartige Ansätze gibt es in unterschiedlicher Form und sie gehen unterschiedlich weit. Am deutlichsten in eine staatsutilitaristische, kollektivistische Richtung geht das Modell Schmidhäusers, der die Entscheidung über Leben und Sterben allgemein nicht als eine Entscheidung der Einzelperson, sondern des Kollektivs begreift35, woraus sich zugleich der Grund für die Unverfügbarkeit des Lebens für den Einzelnen ergibt. Ganz ähnlich weist Weigend auf Interessen der Gemeingenverantwortlichkeit, S. 230; Frisch, NStZ 1992, 62 (67); Puppe, GA 2009, 486 (489); Schünemann, JA 1975, 785 (793); Dach, Einwilligung, S. 72; Fiedler, Fremdgefährdung, S. 156. 31 Ingelfinger, Tötungsverbot, S. 166: „Noch heute ist das tragende Fundament der Vorschrift geradezu mysteriös“. 32 Vgl. Ingelfinger, Tötungsverbot, S. 169. 33 Das neue Strafgesetzbuch für den Norddeutschen Bund, 2. Aufl., S. 154, zitiert bei Ingelfinger, Tötungsverbot, S. 168 Fn. 16. 34 Schmitt, FS Maurach, S. 119; Dölling, GA 1984, 71 (85); ausführlich Hoerster, NJW 1986, 1786 (1787). 35 Schmidhäuser, FS Welzel, S. 817; ebenso Klinkenberg, JR 1978, 441 (443): „Gemeinschaft aller Rechtsgenossen“.
A. Das Verbot der Tötung auf Verlangen
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schaft am Fortbestand des Lebens jeder Einzelperson hin, die für ihn den § 216 legitimieren.36 Damit ließe sich die Geltung des § 216 für Fahrlässigkeitstaten zwanglos erklären: Wenn die Gemeinschaft nicht ins Belieben einer Einzelperson stellen kann, ob diese lebt oder stirbt, weil erstere für ihren Fortbestand auf die körperliche Existenz ihrer Mitglieder angewiesen ist, dann kann es der Gemeinschaft auch nicht gleichgültig sein, wenn eine Person auf leichtsinnige Art und Weise mit ihrem Leben spielt. Hier besteht die hohe Gefahr eines gesellschaftlich nachteiligen Todes oder die Möglichkeit, dass derjenige, der sich gefährden lässt, bleibende Schäden davonträgt und fortdauernd auf staatliche Hilfe angewiesen ist.37 Es wurde zugleich bereits darauf hingewiesen, dass das dahinter stehende Bild eines Menschen, der für den Staat bzw. die Gemeinschaft existiert, nicht vorzugswürdig ist.38 Ebenso wenig lässt sich dann eine Verpflichtung zum Unterlassen lebensgefährlicher Unternehmungen aus dem Risiko ableiten, der Gesellschaft als Pflegebedürftiger zur Last zu fallen. Göbel, der das Leben als ein „Individualrechtsgut par excellence“ 39 hervorhebt, betrachtet als vom Tötungsverbot des § 216 geschütztes öffentliches Interesse den sozialen Frieden.40 Das ist im Kontext dieser Untersuchung deshalb interessant, weil er davon ausgeht, dass dieser gleichfalls bei bloßen Lebensgefährdungen berührt ist. Unabhängig von der Stichhaltigkeit des erkannten Schutzgutes harrt diese These eines Belegs, den zu liefern Göbel nicht versucht. Stattdessen führt er nur an, es ändere sich an den § 216 tragenden Interessen nichts durch den Willen des Opfers.41 Gerade das erscheint im Lichte seiner Konzeption fraglich. Dadurch, dass das Leben z. B. bei einer Mitfahrt im Auto eines Betrunkenen nicht zielgerichtet angetastet wird, lässt sich jener Verstoß gegen die „tief verwurzelten Wertvorstellungen der Gesellschaft“, der nach Göbels Ansicht den sozialen Frieden gefährdet42, kaum erkennen. Das ohnehin undeutliche Schutzgut43 wird mit zunehmender Entfernung von finalen Fremdtötungshandlungen noch weniger greifbar, man nähert sich – um in Göbels Terminologie zu bleiben – gefährlich jener bloßen Moralwidrigkeit an44, die Göbel nicht als be36
Weigend, ZStW 98 (1986), 44 (66); Otto, FS Tröndle, S. 158. Vgl. Roxin, AT I, § 13 Rn. 44; Mayer, Produktverantwortung, S. 357. Deutlich gemacht hat das bei einverständlicher Fremdgefährdung nicht zuletzt der „Auto-Surfer“Fall, OLG Düsseldorf, NStZ-RR 1997, 325, in dem der vom Fahrzeug Gefallene sein Leben lang pflegebedürftig bleiben wird. 38 s. Kapitel 1, B. I. 39 Göbel, Einwilligung, S. 29. 40 Göbel, Einwilligung, S. 39 ff. 41 Göbel, Einwilligung, S. 45. 42 Göbel, Einwilligung, S. 41. 43 Hierzu kritisch Mosbacher, Selbstschädigung, S. 179. 44 Das vertritt insbesondere Vogel, in: LK-StGB, § 15 Rn. 241: „So mag ,Auto-Surfen‘ [. . .] unvernünftig und sogar unmoralisch sein [. . .]; aber sofern der auf dem Dach 37
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Kap. 5: Gesetzliche Schranken der Einwilligung in ein Risiko
strafungswürdig erkennt und von der er die Beeinträchtigung des sozialen Friedens eigentlich scharf trennen will.45 b) Fernwirkung des § 216 aufgrund Bewahrung der Achtung des menschlichen Lebens Ein großer Teil der Lehre geht davon aus, § 216 diene der Sicherung der Achtung des menschlichen Lebens an sich. Es ginge darum, fremdes Leben für unantastbar zu erklären und auf diese Weise das Ansehen des Lebens zum Vorteil aller Menschen dauerhaft hochzuhalten.46 Dieser Ansatz wird von vielen als das eigentliche Tabuargument gesehen47, wobei man das Tabu zum Teil (aber längst nicht immer) nicht nur als vom Gesetzgeber geschaffenes hinnimmt, sondern seinen Ursprung zu ergründen sucht, insoweit, dass man eine natürliche Tötungshemmung des Menschen behauptet.48 Mit dem Rückgriff auf das Leben aller Menschen wird auch hier de facto ein Drittbezug hergestellt, jedoch hüten sich diese Argumentationsansätze stärker davor, das Leben zu „vergemeinschaften“. Die Verteidiger des so verstandenen Tabuarguments argumentieren vor allem kriminalpolitisch motiviert mit der Befürchtung langfristiger negativer Entwicklungen für die Gesellschaft bei Abschaffung oder Entwertung des § 216. Beispielsweise könne ein schleichender Bedeutungsverlust des Rechtsguts Leben den Gesetzgeber dazu bewegen, schrittweise bestehende Schranken des Lebensschutzes abzubauen und so vielleicht irgendwann Euthanasie ohne ein ausdrückliches Verlangen zuzulassen (sog. „Dammbruch-“ oder „Schiefe-Bahn-Argument“).49 Zudem könnten ohne den § 216 ältere Menschen dazu gedrängt werden, in die Vernichtung ihres von ande-
,Surfende‘ die Gefährlichkeit seines Handelns voll überblickt, lässt sich in einem freiheitlichen Rechtsstaat nicht überzeugend begründen, warum der Fahrer für die Verwirklichung der Gefahr strafrechtlich verantwortlich gemacht werden soll“; ähnlich Paeffgen, in: NK-StGB, § 228 Rn. 9. 45 Göbel, Einwilligung, S. 41 f. 46 Dölling, FS Geppert, S. 59; ders., GA 1984, 71 (85 f.); Amelung/Eymann, JuS 2001, 937 (940); Walter, in: LK-StGB, Vor § 13 Rn. 124; Herzberg, NJW 1996, 3043 (3047); Sternberg-Lieben, Objektive Schranken, S. 118; Otto, Jura 1984, 536 (540); Ingelfinger, Tötungsverbot, S. 195; Schünemann, JA 1975, 715 (723); Hirsch, FS Lackner, S. 612, 614; Mayer, Produktverantwortung, S. 358; Duttge, FS Otto, S. 231 f.; Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, Vor § 32 Rn. 104; Stratenwerth, FS Puppe, S. 1020; Brüning, ZJS 2009, 194; Dach, Einwilligung, S. 72 ff.; Quillmann, Einwilligung, S. 33; Helgerth, NStZ 1988, 261 (263); Hähle, Sportverletzungen, S. 81; Boll, Strafrechtliche Probleme, S. 84; Kaspar, JuS 2012, 112 (115). 47 Beispielhaft Murmann, Selbstverantwortung, S. 517. 48 Herzberg, NJW 1996, 3043 (3047). 49 Dach, Einwilligung, S. 72; Tröndle, ZStW 99 (1987), 25 (39); Hirsch, FS Lackner, S. 613; grundsätzlich positiv gegenüber dem Dammbruchargument auch Chatzikostas, Disponibilität des Rechtsgutes Leben, S. 247.
A. Das Verbot der Tötung auf Verlangen
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ren als ohnehin noch wenig lebenswert betrachteten Lebens einzuwilligen50 oder Morde mit der Behauptung als straflose Handlungen getarnt werden, das Opfer habe die Tötung verlangt (sog. „Beweisargument“).51 Es sei am Rande darauf hingewiesen, dass sich diese Gedankengänge gleichermaßen bei Autoren finden, die § 216 eine andere Ratio zuschreiben52, sie tauchen jedoch im Gefolge der Tabuargumentation gehäuft auf. Schlägt man nun den Bogen zu einer möglichen wertungsmäßigen Anwendung des § 216 auf lebensgefährliche Fremdgefährdungen, so tritt eine bemerkenswerte Uneinigkeit darüber zu Tage, was hierfür aus dem Tabuisierungsansatz folgt. Der Bundesgerichtshof, welcher nach wie vor „ein soziales bzw. Allgemeininteresse“ am Erhalt des Lebens erkennen mag (was ihn nicht zwingend als Anhänger des Tabugedankens ausweist53, mit dem Tabuargument aber immerhin kompatibel erscheint54), leitet daraus in aller Knappheit die Ausstrahlungswirkung des § 216 ab.55 Von Vertretern der Praxis lassen sich ähnlich kurze Stellungnahmen finden, die einen direkten Zusammenhang zwischen dem Zweck des § 216 als Instrument zur Bewahrung der Achtung menschlichen Lebens und seiner Fernwirkung herstellen.56 Den Versuch einer Begründung unternimmt lediglich Dölling. Er führt an, dass mit dem Dogma einer Unantastbarkeit des Lebens nicht zu vereinbaren wäre, das Leben zu einem „disponiblen Faktor“ zu erklären, den man „zu vielfältigen Zwecken aufs Spiel setzen kann“.57 Die Mehrheit derer, die § 216 als Tabu zum Schutz der Achtung des Lebens verstehen, kommt, was die Fernwirkung betrifft, zu dem genau entgegengesetzten Ergebnis.58 Auch hier geht man jedoch scheinbar leider davon aus, dass der Zusammenhang zwischen der materiellen Berechtigung des § 216 und seiner 50
Tröndle, ZStW 99 (1987), 25 (38); Hirsch, FS Lackner, S. 614. Otto, FS Tröndle, S. 159; Tröndle, ZStW 99 (1987), 25 (39); Hirsch, FS Lackner, S. 613. 52 Otto, FS Tröndle, S. 158 scheint (auch) einen Begründungsansatz zu verfolgen, der dem unter Kapitel 5, A. II. 2. a) nachgezeichneten entspricht. 53 Entgegen Hardtung, Jura 2005, 401 (408); s. auch unten, Fn. 216 dieses Kapitels. 54 Zur Einordnung des aktuellen BGH-Standpunktes in die Schrifttumsdiskussion vgl. Murmann, FS Puppe, S. 782 f. 55 BGHSt, 53, 55 (63); ähnlich BGHSt 4, 88 (93). 56 Saal, NZV 1998, 49 (54); Hammer, JuS 1998, 785 (788); Helgerth, NStZ 1988, 261 (263). 57 Dölling, GA 1984, 71 (85); ebenso Mayer, Produktverantwortung, S. 359, der zusätzlich einen Menschenwürdebezug herstellt, sowie Berkl, Sportunfall, S. 121. 58 Dach, Einwilligung, S. 72 ff.; Walter, in: LK-StGB, Vor § 13 Rn. 125; Lenckner/ Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, Vor § 32 Rn. 104; Brüning, ZJS 2009, 194; Duttge, FS Otto, S. 231; Kaspar, JuS 2012, 112 (115); Puppe, GA 2009, 486 (489); Stratenwerth, FS Puppe, S. 1020; Quillmann, Einwilligung, S. 33; Hähle, Sportverletzungen, S. 81; Amelung/Eymann, JuS 2001, 938 (945); Fiedler, Fremdgefährdung, S. 168; Ostendorf, JuS 1982, 426 (432); Schünemann, JA 1975, 715 (723); Popp, Sittenwidrigkeit, S. 73; Walther, Eigenverantwortlichkeit, S. 230. 51
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Kap. 5: Gesetzliche Schranken der Einwilligung in ein Risiko
Nichtübertragbarkeit auf Lebensgefährdungen selbsterklärend ist.59 Fragen wirft dieses Vorgehen besonders in Kombination mit der Aussage auf, dass bei Lebensgefährdungen das Tabu nicht gleichermaßen betroffen sei.60 Denn dem trägt, so ließe sich argumentieren, ebenso die Gegenansicht zum Teil Rechnung, indem sie nur von einer Ausstrahlung der Normwertung ausgeht und nicht gleichermaßen (wie bei der vorsätzlichen Tötung) jede Lebensgefährdung per se gegen § 216 verstoßen lässt.61 Die divergierenden Deutungen zeigen die Schwierigkeiten des Tabuarguments auf, die Existenz eines Tabus auf ein belastbares empirisches Fundament zu stellen.62 Soll das Tabu aber nicht nur eine Leerformel sein, welche sich inhaltlich in der Wiedergabe der Gesetzesbegründung, wonach das Leben nun einmal unverfügbar ist, erschöpft63, bleibt nur der (freilich immer noch anfechtbare64) Standpunkt übrig, es existiere eine natürliche, biologisch verankerte Hemmung des Menschen gegenüber Tötungen, die das Recht widerspiegeln müsse und die es nicht durch Erlaubnis von lebensvernichtenden Handlungen nach und nach abbauen dürfe. Ein auf diese Weise verstandenes Tabuargument ließe sich jedoch in der Tat nur für finale Tötungen und nicht für Fälle bloßer Lebensgefährdungen überhaupt zu Felde führen. Eine natürliche „Gefährdungshemmung“ ist ausgeschlossen, weil man den tödlichen Ausgang bereits gar nicht in Betracht zieht oder zumindest nicht gezielt darauf hinarbeitet.65 Demnach ist im Kern der Gedanke zutreffend, der Grund für die Nichtübertragbarkeit des § 216 auf Gefährdungskonstellationen sei das Fehlen einer bewussten Negation fremden Lebens.66 59 Z. B. Amelung/Eymann, JuS 2001, 938 (945); Brüning, ZJS 2009, 194; Stratenwerth, FS Puppe, S. 1020. 60 Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, Vor § 32 Rn. 104; Brüning, ZJS 2009, 194; Puppe, GA 2009, 486 (489); Stratenwerth, FS Puppe, S. 1020; Otto, FS Tröndle, S. 170 („in ganz anderer Weise“); Murmann, FS Puppe, S. 783 Fn. 78, der eine Übertragung „allenfalls in modifizierter Form“ für möglich hält. 61 Vgl. BGHSt 53, 55 (63); Dölling, FS Geppert, S. 60, die eine Beschränkung der Einwilligung durch § 216 an den Tatzweck koppeln. 62 Dazu Murmann, Selbstverantwortung, S. 518; F.-C. Schroeder, ZStW 106 (1994), 565 (567). 63 Vgl. Kaspar, JuS 2012, 112 (115), der als ein Befürworter des Tabuarguments die Tabuformel als eine „ihrerseits wenig bestimmte und in ihrer Schutzrichtung nicht zweifelsfreie“ bezeichnet. 64 Das gibt Herzberg, NJW 1996, 3043 (3047) selbst zu, kritisch ihm gegenüber insbesondere F.-C. Schroeder, ZStW 106 (1994), 565 (567). Dazu, dass das Tötungstabu nicht absolut gilt, sondern z. B. in Fällen der Notwehr oder des Krieges bereits tangiert wird Chatzikostas, Disponibilität des Rechtsgutes Leben, S. 241 ff.; Murmann, Selbstverantwortung, S. 519; Walter, in: LK-StGB, Vor § 13 Rn. 124. 65 Dach, Einwilligung, S. 75; Fiedler, Fremdgefährdung, S. 168; Radtke, FS Puppe, S. 840. Unter diesem Aspekt betrachtet stimmt folglich die Bemerkung Ottos, FS Tröndle, S. 170, dass der Gefährdungshandlung keine „Signalwirkung“ zukommt, eine „Barriere“, welche am Weiterhandeln hindern würde, existiert nicht. 66 Dach, Einwilligung, S. 75; Duttge, FS Otto, S. 231; Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, Vor § 32 Rn. 104.
A. Das Verbot der Tötung auf Verlangen
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Nur ein Tötungstabu, welches eine umfassende Unantastbarkeit des Lebens festschriebe, könnte ebenfalls das ubiquitäre Einsetzen von Leib und Leben für riskante Zwecke – wie Dölling es tut67 – als Tabubruch deuten. Eine so weit reichende Tabuisierung ist gleichwohl noch weniger biologisch, gesellschaftlich oder religiös begründbar als das Tabu der gezielten Tötung insbesondere unschuldiger Menschen. Es müsste zusätzlich konsequent vom Willen der Beteiligten unabhängig sein und – da der § 216 eine absolute Schranke darstellt – bei jeder Lebensgefährdung der Einwilligung entgegenstehen.68 So weit mag Dölling aus nachvollziehbaren Gründen (etwa der allgemeinen gesellschaftlichen Akzeptanz selbst komplizierter Operationen69) nicht gehen, mit dieser Inkonsequenz70 schlagen dann aber seine Nachweise für die Ausstrahlung des Tötungstabus nicht mehr durch. Die kriminalpolitischen Argumente, die er ohne Begründung ausnahmslos für Gefährdungssachverhalte Geltung beanspruchen lässt71, tun das ohnehin nicht.72 Wenn Dölling überdies etwa annimmt, dass auch die Funktion des § 216 als Übereilungsschutz73 es rechtfertigt, ihn seinem Rechtsgedanken nach für Gefährdungskonstellationen heranzuziehen74, ist dagegen zu sagen, dass die Deutung des § 216 als Norm zum Schutz des Menschen vor der eigenen vorschnellen Entscheidung bereits bei der Tötung auf Verlangen aufgrund des paternalistischen Einschlages starken Zweifeln ausgesetzt ist.75 Eine Entscheidung für das Gefährden eigener Rechtsgüter – wo die Gefahr des Todes meistens erst gar nicht bedacht wird – weist dazu nicht einmal im Ansatz das gleiche Gewicht und die gleiche Atypizität auf wie die für das sichere Beenden der eigenen Existenz, was das Vorliegen einer Kurzschlussentscheidung auf Seiten des Gefährdeten rein 67
Dölling, FS Geppert, S. 59. Vgl. bereits oben, Kapitel 5, A. I., dazu außerdem Göbel, Einwilligung, S. 38, den die Verneinung einer Fernwirkung von vielen Anhängern der Tabutheorie „überrascht“. Er meint, wenn man das Tötungstabu wirklich als solches ernst nähme, müsste es ebenso bei dessen fahrlässiger Verletzung Geltung beanspruchen. In diese Richtung wagt sich Hauck, GA 2012, 202 (212 ff.). 69 Weber, FS Baumann, S. 48; Walter, in: LK-StGB, Vor § 13 Rn. 125. 70 Eine solche ist es vor allem, weil Dölling in GA 1984, 71 (86) den Eindruck erweckt, keine Ausnahmen vom Tötungstabu zulassen zu wollen, indem er fremdes Leben als „schlechthin unantastbar“ betitelt und sich außerdem mit dem Vorwurf, ein solch weitreichendes Tabu sei irrational, kritisch auseinandersetzt. 71 Dölling, FS Geppert, S. 60, wonach das Beweisargument und die Befürchtung, jemand könnte zur Einwilligung gedrängt werden, auch bei Lebensgefährdungen zuträfen. 72 Zur Unbeachtlichkeit des „Bedrängens“ bereits Kapitel 4, D. IV. 1. Dazu, dass es Aufgabe der Strafverfolgungsorgane ist, Schutzbehauptungen zu enttarnen Beulke, FS Otto, S. 217. 73 Vertreten u. a. von Dölling, GA 1984, 71 (86); Hoerster, NJW 1986, 1786 (1789); Engländer, Nothilfe, S. 126 ff. 74 Dölling, FS Geppert, S. 60. 75 Sternberg-Lieben, Objektive Schranken, S. 112; Mosbacher, Selbstschädigung, S. 153 ff. 68
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Kap. 5: Gesetzliche Schranken der Einwilligung in ein Risiko
tatsächlich nicht als häufigen Fall erscheinen lässt. Es sind Fälle der spontanen, irrationalen Todessehnsucht z. B. aus Liebeskummer oder bei schweren Schicksalsschlägen bekannt, was der Übereilungsargumentation auf Anhieb eine gewisse Plausibilität verleihen mag.76 Das gilt allerdings keineswegs für die Entscheidung zur Teilnahme an Trunkenheitsfahrten, Straßenrennen, „Auto-Surfen“ oder Aufnahmeritualen einer Jugendbande.
III. Zwischenergebnis Das Verbot der Tötung auf Verlangen ist ohne Bedeutung für die einverständliche Fremdgefährdung, unabhängig davon, ob sie tödlich verläuft oder nicht. Einem Berücksichtigen der Normwertung im Rahmen dieser Fallgruppe steht bereits das Analogieverbot entgegen, doch auch sonst lässt sich dem § 216 nicht mit Hilfe des Strafgrundes der Norm eine Fernwirkung entnehmen. Ob man jenen Strafgrund tatsächlich im Schutz der Achtung des Lebens aller oder dem Schutz von Staatsinteressen erblicken kann, ist nicht von Belang, da jedenfalls Beeinträchtigungen dieser Schutzgüter bei nur fahrlässiger Lebensgefährdung ausgeschlossen sind. Von vornherein abzulehnen ist die Übertragbarkeit bei anderen Deutungen des § 216, insbesondere denen eines Übereilungsschutzes, einer Bestrafung allein aufgrund des unerträglich großen Handlungsunwertes einer vorsätzlichen Tötung77, einer Bestrafung infolge der Tötung eines (möglicherweise) nicht freiverantwortlich handelnden Menschen78 sowie einer Strafe aufgrund der Nichterbringung eines nur kraft Eigenvollzuges erbringbaren Nachweises der Ernstlichkeit des Todeswunsches.79 Letztere Ansicht könnte lediglich in der von Jakobs vertretenen Variante eine Fernwirkung entfalten, wonach der Grund dafür, dass der Gesetzgeber überhaupt einen Eigenvollzug der Tötung für die Straffreiheit verlangt, in dem abstrakten Freiheitsbedrohungspotential zu sehen ist, was von einer Entscheidung für die finale Tötung ausgeht.80 Ein solches Potential könnte auch bei der Entscheidung für eine gefährliche Handlung erkennbar sein, jedoch allenfalls in geringerem Maße. Dieses durch die fehlende Finalität begründete, geringere Maß kann § 216 zugleich nirgends abbilden und ist auch deshalb als ungeeignet anzusehen, die Schranken einer einverständlichen Fremdgefährdung zu bestimmen.81 Eine in dieser Hinsicht „flexiblere“ Vorschrift stellt hingegen die Schranke des § 228 dar, die im Folgenden zu untersuchen sein wird. 76
Vgl. Sternberg-Lieben, Objektive Schranken, S. 112. F.-C. Schroeder, FS Deutsch, S. 510. 78 Hierzu Murmann, FS Puppe, S. 785 f. 79 Ebenso Duttge, FS Otto, S. 231 f.; Frister, AT, 13/4. 80 Jakobs, Tötung auf Verlangen, S. 22 f.; ders., Zurechnung, S. 44. Kritisch F.-C. Schroeder, FS Deutsch, S. 507 ff. Zu Jakobs’ Ansicht bei § 228 noch unten, S. 170 f. 81 Anders sieht das nur Dölling, GA 1984, 71, der seine Abwägungslehre („qualifizierte Einwilligung“) in den § 216 hineinliest; Walther, Eigenverantwortlichkeit, S. 231 Fn. 16 entlarvt das zu Recht als „Vermeidestrategie“. 77
B. Die Sittenwidrigkeit der einverständlichen Fremdgefährdung
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B. Die Sittenwidrigkeit der einverständlichen Fremdgefährdung nach § 228 StGB Noch deutlich lebhafter als die Frage nach der Sperrwirkung des § 216 wird nach wie vor die Beschränkung der Risiko-Einwilligung durch § 228 diskutiert. Diese wird als die maßgebliche Vorschrift angesehen, an der selbst eine vollkommen willensmängelfreie Risiko-Einwilligung noch scheitern kann. Unübersehbar problematisch ist, dass diese letzte Entscheidung der Gerichte über Strafe und Straflosigkeit bei der einverständlichen Fremdgefährdung damit anhand der Auslegung einer Norm getroffen wird, die zu den kriminalpolitisch umstrittensten des StGB zählt. § 228 ist in den letzten 15 Jahren durch mehrere spektakuläre Entscheidungen etwa zu sadomasochistischen Sexualpraktiken82, „Auto-Surfen“ 83, Heroinverabreichung84 oder Jugendbanden-Aufnahmeritualen85 wieder stärker in den Fokus gerückt.86 Dabei ist klar geworden, dass die „große Debatte“, welche Kühl im Anschluss an den Beschleunigungstest-Fall herannahen sieht87 bezogen auf § 228 weniger die für die Sittenwidrigkeit maßgeblichen Kriterien betrifft – in dieser Hinsicht scheinen der Phantasie Grenzen gesetzt – sondern die Frage, welchen Platz die Sittenwidrigkeitsklausel in einer modernen Gesellschaft noch einnehmen darf.88 Zum Teil wird der Rechtsprechung offen unterstellt, „moralisierende Überlegungen mit pädagogischem Impetus einfach in das scheinbar ,passende‘ Gewand der ,guten Sitten‘ zu stecken“ 89. Dem gegenüber steht das nüchtern-pessimistische Fazit Jakobs’, wonach die Einwilligungsbegrenzung nötig sei, weil die derzeitige Gesellschaft bisher keinen Fortschrittsgrad erreicht habe, in dem sich das System „durch Extreme“ – wie sie bei größtmöglicher Liberalität zwangsläufig auftreten – „nicht selbst desavouiert“.90 Umfangreiche Untersuchungen sind in neuerer Zeit zum Ergebnis der Verfassungswidrigkeit von § 228 gekommen91 und haben zwar nicht die Zustimmung 82
BGHSt 49, 166. OLG Düsseldorf, NStZ-RR 1997, 325. 84 BGHSt 49, 34. 85 BayObLG, NStZ 1999, 458. 86 Vgl. Kühl, FS F.-C. Schroeder, S. 522. 87 Kühl, NJW 2009, 1158. 88 Kühl selbst hat bereits vorher, in FS Jakobs, S. 294, betont, dass „es in der durch die Rechtsprechung angestoßenen, neuen Diskussion in der Strafrechtswissenschaft um den Abschied des Strafrechts von den guten Sitten geht“. 89 Duttge, GS Schlüchter, S. 800; ganz ähnlich Geppert, Jura 2001, 490 (493). 90 Jakobs, FS F.-C. Schroeder, S. 519. 91 Sternberg-Lieben, Objektive Schranken, S. 136 ff.; Rönnau, Willensmängel, S. 172 ff.; außerdem Paeffgen, in: NK-StGB, § 228 Rn. 55. Zustimmend Hauck, GA 2012, 202 (217 Fn. 102). 83
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Kap. 5: Gesetzliche Schranken der Einwilligung in ein Risiko
der Gerichte92 und des Gesetzgebers93 gefunden, aber zumindest die Sympathie selbst von solchen Vertretern des Schrifttums, die die Ansicht in letzter Konsequenz nicht teilen mögen.94 Diejenigen, die an § 228 festhalten, fordern fast durchgehend eine möglichst restriktive Auslegung des Paragraphen.95 Freilich ist die Befassung mit den Grundlagen der Sittenwidrigkeitsklausel96 in dieser Arbeit nur insoweit angeraten, wie sich aus deren Interpretation Folgen für ihre Anwendung auf die einverständliche Fremdgefährdung ergeben. Nicht in Zusammenhang damit steht der grundsätzliche Vorwurf mangelnder Bestimmtheit der Norm, der sich darauf gründet, dass nicht deutlich werde, welche Funktion einer Generalklausel § 228 wahrnehme97 oder darauf, dass es sich bei dem Verweis auf die „guten Sitten“ um eine dynamische Verweisung handele.98 Für diese Fragestellungen muss auf die entsprechenden Untersuchungen verwiesen werden.99
I. Zur Legitimierbarkeit und Ausfüllung der „guten Sitten“ als Einwilligungsschranke Obwohl § 216 und § 228 bei der Einwilligung in ein Risiko meist in einem Atemzug als Einschränkungen der Dispositionsbefugnis genannt werden, beruhen die Schwierigkeiten einer Normanwendung gerade auf die einverständliche Fremdgefährdung auf verschiedenen Ursachen: § 216 stellt einen eigenen Straftatbestand dar, dem man maximal wertungshalber Berücksichtigung zusprechen kann, sofern man ihm anders als hier erfolgt einen Zweck beimisst, der auch bei Fahrlässigkeitstaten zum Tragen kommen kann und einen Verstoß gegen das Analogieverbot verneint. Weitaus weniger umstritten sind allerdings die kriminal92
BGHSt 49, 34 (41) (ohne Begründung). Der frühere § 226a wurde mit dem 6. Strafrechtsreformgesetz 1998 nicht gestrichen, sondern nahezu wortlautgleich zum neuen § 228. 94 Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 17 Rn. 112; Fateh-Moghadam, Einwilligung, S. 110; Amelung, NStZ 1999, 458 (460); Horn/Wolters, in: SK-StGB, § 228 Rn. 8; Renzikowski, HRRS 2009, 347 (354); Kühl, AT, § 17 Rn. 88; Rengier, BT II, § 20 Rn. 2a; Geppert, Jura 2001, 490 (493); Hähle, Sportverletzungen, S. 140; Rönnau, Willensmängel, S. 173; Krey/Esser, AT, Rn. 664. 95 BGHSt 49, 34 (41); für die Lehre statt vieler Duttge, GS Schlüchter, S. 779. 96 Für Murmann, FS Puppe, S. 767 erscheint es „nicht übertrieben zu sagen, dass [bei dem Streit um die einverständliche Fremdgefährdung] das Verständnis von Recht und Staat überhaupt in der Diskussion steht“, was sicherlich gerade für die Anwendung der Einwilligungsschranken zutrifft. 97 Sternberg-Lieben, Objektive Schranken, S. 143 ff., 162. Dieser Einwand knüpft also nicht daran an, dass sich § 228 nicht auf eine bestimmte Weise deuten ließe, sondern daran, dass nicht deutlich wird, welche Deutungsmöglichkeit vorzugswürdig ist. Vgl. hierzu auch Niedermair, Körperverletzung, S. 47 ff. 98 Paeffgen, in: NK-StGB, § 228 Rn. 47. 99 Etwa von Niedermair, Körperverletzung, passim; Sternberg-Lieben, Objektive Schranken, S. 136 ff.; Rönnau, Willensmängel, S. 169 ff. 93
B. Die Sittenwidrigkeit der einverständlichen Fremdgefährdung
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politische Berechtigung des § 216 selbst und seine Verfassungskonformität.100 Außerdem ist seine Rechtsfolge klar, eine einverständliche Lebensschädigung ist ebenso stets unzulässig wie – bei angenommener Ausstrahlungswirkung – eine einverständliche Lebensgefährdung. Bei § 228, der bereits ausdrücklich als Einwilligungsschranke ausgestaltet worden ist, wird zwar eine die Einwilligung in Fahrlässigkeitstaten einschränkende Wirkung ebenfalls bestritten, liegt jedoch zumindest auf den ersten Blick näher.101 Dafür ist das Fundament der Vorschrift merklich fragiler, was untrennbar mit den Unklarheiten nicht nur hinsichtlich des Strafgrundes selbst, sondern auch des Umfanges der angeordneten Einwilligungsbegrenzung zusammenhängt102 – eine Last, die der vielfältig interpretierbare Terminus der „guten Sitten“ alleine zu schultern hat. Von den angesprochenen, nicht weiter verfolgten rechtsmethodischen Einwänden zu trennen ist also, ob § 228 sich überhaupt befriedigend erklären lässt103 und welche Maßstäbe bei seiner Anwendung anzulegen sind. Diese Grundfragen sind zunächst zu beantworten, bevor über die Anwendbarkeit des § 228 auf Fahrlässigkeitstaten sowie eine mögliche Modifizierung gegenüber den für den Vorsatzbereich erhaltenen inhaltlichen Maßstäben nachgedacht werden kann. 1. Auf Schwere und Zweck der Körperverletzung abstellende Ansätze In Rechtsprechung und Strafrechtswissenschaft besteht immerhin über die Kriterien, von denen das Urteil der Sittenwidrigkeit abhängt, eine verhältnismäßig hohe Einigkeit: Entscheidend hierfür ist einerseits die Schwere der Körperverletzung, wodurch insbesondere lebensgefährlichen Verletzungen leicht der Verdacht der Sittenwidrigkeit anhaftet, andererseits der mit der Körperverletzungstat104 verfolgte Zweck. Uneinigkeit besteht aber über ihre genaue Gewichtung ebenso wie darüber, welche Deutung der Vorschrift ein Abstellen auf Schwere und Anlass der Tat überhaupt hinreichend stützen kann. Es lassen sich verschiedene Herangehensweisen beobachten. 100
Vgl. Stratenwerth, FS Amelung, S. 357; Engisch, FS H. Mayer, S. 411. Walther, Eigenverantwortlichkeit, S. 231; Hähle, Sportverletzungen, S. 140. 102 Vgl. Rönnau, Willensmängel, S. 165. 103 Mit Recht Murmann, FS Puppe, S. 781; eine Streichung aus Gründen der Nichtlegitimierbarkeit befürwortet Kargl, JZ 2002, 389 (399). 104 Dass es um die Sittenwidrigkeit der Körperverletzung selbst, nicht der darauf bezogenen Einwilligung geht, ergibt sich aus dem Wortlaut und wird heute nicht mehr ernsthaft bestritten. Dazu BGHSt 4, 88 (91); BGHSt 49, 34 (41); BGHSt 49, 166 (171); Hammer, JuS 1998, 785 (787); Göbel, Einwilligung, S. 47; Niedermair, Körperverletzung, S. 91; Geppert, ZStW 83 (1971), 947 (956); Hardtung, in: MK1-StGB, § 228 Rn. 15; Kühl, FS Jakobs, S. 300. Mit Nachweisen zu früheren Auffassungen, die (auch) die Einwilligung selbst als Bezugspunkt der Sittenwidrigkeit begriffen Sternberg-Lieben, Objektive Schranken, S. 127 Fn. 283; Geppert, ZStW 83 (1971), 947 (956 Fn. 43). 101
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Kap. 5: Gesetzliche Schranken der Einwilligung in ein Risiko
a) Sittenwidrigkeit als Verstoß gegen nachweislich bestehende Wertvorstellungen der Gesellschaft Der Ausdruck der „guten Sitten“ im Strafrecht deckt sich nach überwiegender Ansicht mit dem im bürgerlichen Recht, demnach sind entsprechend seiner zivilrechtlichen Verwendung in § 138 BGB solche Körperverletzungen „einwilligungsresistent“ zu stellen, welche dem „Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden“ zuwiderlaufen.105 Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat im Jahr 2003 in einem Versuch der möglichst wortlautgetreuen Ausfüllung der „guten Sitten“ den Rückgriff auf allgemeingültige und konsensfähige Ethikprinzipien der Gesellschaft gewagt. Er wies in einem Fall, in dem es um die einverständliche Fremdinjektion von Heroin ging, darauf hin, die Feststellung der Sittenwidrigkeit sei „weniger ein Akt normativ-wertender Gesetzesauslegung als vielmehr ein solcher empirischer Feststellung bestehender Moralüberzeugungen“ 106. Die Problematik dieses Ansatzes erkennend, will der Senat die Sittenwidrigkeit der Körperverletzung lediglich annehmen, „wenn sie nach allgemein gültigen moralischen Maßstäben, die vernünftigerweise nicht in Frage gestellt werden können, mit dem eindeutigen Makel der Sittenwidrigkeit behaftet ist“ 107. Einen unzweifelhaft feststellbaren Verstoß gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden hat der Senat bei konkreter Todesgefahr der Unternehmung (im Fall: Drogenkonsum) angenommen108. Der Einfluss eines verwerflichen Zwecks des Täterhandelns – insbesondere zur alleinigen Begründung der Sittenwidrigkeit bei nur leichten Verletzungen – wurde offen gelassen.109 Am ehesten hat noch Kühl diesem der Grundidee nach streng empirischen Deutungsversuch des Strafsenats Zustimmung entgegengebracht110, wobei er gleichwohl die Beurteilung des noch nicht lebensgefährlichen Heroinkonsums als nicht sittenwidrig111 für verfehlt hält.112
RGZ 48, 124; für das Strafrecht vgl. nur Hirsch, in: LK11-StGB, § 228 Rn. 6. BGHSt 49, 34 (41); dem folgend LG Traunstein, Beschluss v. 11.12.2008, 1 Qs 140/08. 107 BGHSt 49, 34 (41). 108 BGHSt 49, 34 (44). 109 BGHSt 49, 34 (42). 110 Kühl, FS F.-C. Schroeder, S. 532, der sich (S. 534) auch gegenüber einer alleinigen Zweckbetrachtung nicht gänzlich abgeneigt zeigt; ders., FS Jakobs, S. 303. Positiv bewertet die Ausführungen des 3. Senats weiterhin Mosbacher, JR 2004, 390 (391), der aber wohl eher die herangezogenen Gesichtspunkte als den Ansatz selbst meint. 111 BGHSt 49, 34 (43). 112 Kühl, FS F.-C. Schroeder, S. 533. 105 106
B. Die Sittenwidrigkeit der einverständlichen Fremdgefährdung
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b) Sittenwidrigkeit als nach rechtlichen Wertungen unverhältnismäßige Eingriffsschwere Die Hauptströmung in der Lehre distanziert sich von dem Versuch, dem § 228 brauchbare Kriterien unter Rückgriff auf eine tatsächlich vorhandene Sozialmoral zu entnehmen, ohne dabei jedoch zu wesentlich anderen Ergebnissen als der 3. Strafsenat zu gelangen. § 228 soll auf einen „rechtlichen Kern“ 113 beschränkt werden, welcher darin gesehen wird, dass die Sittenwidrigkeit der Körperverletzung maßgeblich von ihrer Schwere abhängt.114 Diese Ansicht vertritt ebenfalls der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs.115 Es sei vorsorglich darauf hingewiesen, dass die Ansichten bei näherer Betrachtung zum Teil voneinander abweichen, aufgrund der großen Parallelen sowohl im Ausgangspunkt als auch den erhaltenen Ergebnissen soll über unterschiedliche dogmatische Konstruktionen im Rahmen dieser Darstellung jedoch hinweggesehen werden.116 Den Ansatzpunkt für die normative Transformation von „sittenwidrig“ zu (zunächst) „schwerwiegend“ entnimmt man der Schutzrichtung des Strafrechts. Ein rechtsgüterschutzorientiertes Strafrecht toleriere am wenigsten gravierende Verletzungen von Rechtsgütern, bei den Körperverletzungsdelikten eben solche der körperlichen Unversehrtheit.117 Jedoch handelt es sich bei der konsentierten Rechtsgutsverletzung um einen Sonderfall dergestalt, dass hier das Unrecht der Tat eigentlich ausgeschlossen sein müsste. Es muss mithin erklärt werden, weshalb gerade eine besonders schwere Körperverletzung Voraussetzung dafür ist, die Handlung trotz Einwilligung noch als Unrecht zu sanktionieren. Diese Begründungslücke besteht in ähnlichem Umfang wie bei § 216, dazu sind Leib und Leben zwei miteinander verflochtene Rechtsgüter, weshalb Parallelen in der Argumentation unvermeidlich sind. Wie dort wird innerhalb der hier erörterten „Rechtsgutslösung“ oder „Schweretheorie“ die Herstellung eines Gemeinschaftsbezuges versucht, welcher der Disposition über die eigene körperliche Unversehrtheit Schranken setzt. Die staatsutilitaristische Sichtweise, wonach die Ge-
113
BGHSt 49, 166 (169). OLG Zweibrücken, JR 1994, 518 (519); Hirsch, FS Amelung, S. 181 ff.; ders., in: LK -StGB, § 228 Rn. 9; Hardtung, Jura 2005, 401 (403); ders., in: MK-StGB, § 228 Rn. 19; Ingelfinger, Tötungsverbot, S. 208; Otto, FS Geerds, S. 619; Rengier, BT II, § 20 Rn. 2b; Frister, AT, 15/28; Rain, Doping, S. 180; Walther, Eigenverantwortlichkeit, S. 248; Geppert, ZStW 83 (1971), 947 (956); Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 9 Rn. 20; Kindhäuser, LPK-StGB, Vor § 13 Rn. 225; Wessels/Beulke, AT, Rn. 377. 115 BGHSt 49, 166 (169). 116 Eine eingehendere Untersuchung, welche die einzelnen Stränge innerhalb der herrschenden Lehre („gemischte Theorie“ [S. 146], „Rechtsgutslösung und Schweretheorie“ [S. 153], „Abwägungslösung“ [S. 172]) getrennt darstellt und untersucht und Unterschiede deutlich macht, findet sich bei Järkel, Sittenwidrigkeit, S. 118 ff. 117 BGHSt 49, 166 (170 f.); Walther, Eigenverantwortlichkeit, S. 233; Ingelfinger, Tötungsverbot, S. 207. 114 11
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Kap. 5: Gesetzliche Schranken der Einwilligung in ein Risiko
sundheit einen sozialen Bezug hat118 findet sich dabei ebenso wieder wie das bereits ausgeführte Tabuargument119. Darüber hinaus existieren weitere (teilweise ebenfalls schon aus der Auseinandersetzung mit § 216 bekannte) Konzepte.120 In ihrem Grundansatz hat sich die Rechtsgutlösung zur Aufgabe gemacht, das besonders vom Reichsgericht befürwortete121 Zweckkriterium, wonach sich die Sittenwidrigkeit jedenfalls auch aus dem mit der Körperverletzung verfolgten Zweck ergeben kann, abzulösen. Ganz durchführbar erscheint der Verzicht auf die Einbeziehung des Handlungsziels in die Betrachtung der Tat allerdings nicht. Es sind zahlreiche Gründe anerkannt, weshalb jemand mit einer gravierenden Verletzung der körperlichen Integrität einverstanden sein kann, der alltäglichste ist die ärztliche Operation, welche schon dann ein beachtliches Grundrisiko dauerhafter Schäden oder des Todes mit sich bringt, wenn sie unter Vollnarkose durchgeführt wird. Folglich kann – was ihr teilweise als Inkonsequenz ausgelegt wird122 – die Rechtsgutslösung den Tatzweck nicht vollständig bei Seite schieben. Er spielt allerdings insoweit eine untergeordnete Rolle, als er nach überwiegender Ansicht lediglich die Strafbarkeit begrenzen kann und isoliert betrachtet nicht dazu im Stande ist, aus einer nicht sittenwidrigen Körperverletzung eine sittenwidrige zu machen.123 Stattdessen werden Zweck und Rechtsgutseingriff zueinander ins Verhältnis gesetzt und kann ein als positiv erachteter Zweck eine ihrem Grad nach schwere Körperverletzung vom Ruch der Sittenwidrigkeit befreien.124 Hierdurch läuft die Rechtsgutslösung mit Zweckkorrektiv trotz ihres „zweckfernen“ Ausgangspunktes – was nur manchmal eindeutig kommuni-
118 Otto, FS Geerds, S. 619; Weigend, ZStW 98 (1986), 44 (64); Stree, NStZ 2005, 40 (41); Kellner, Einwilligung, S. 112; Roxin, AT I, § 13 Rn. 44; Eschelbach, in: BeckOK-StGB, § 228 Rn. 24; früher Geppert, ZStW 83 (1971), 947 (956). 119 Engisch, FS H. Mayer, S. 415; Ingelfinger, Tötungsverbot, S. 208; Hardtung, in: MK1-StGB, § 228 Rn. 23; Hirsch, FS Amelung, S. 189; Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 9 Rn. 18; Mayer, Produktverantwortung, S. 358; Ostendorf, JuS 1982, 426 (432); Schünemann, JA 1975, 715 (723). 120 BGHSt 55, 53 (63) verweist für § 228 undeutlich auf ein „Allgemeininteresse“ am Rechtsgütererhalt; Göbel, Einwilligung, S. 54 hält die Gefährdung des „sozialen Friedens“ auch durch schwere Körperverletzungen für entscheidend; Jakobs, FS F.-C. Schroeder, S. 518 f. die „abstrakte Gefahr“ einer unüberlegten Einwilligung zu Lasten der Allgemeinheit. Zu Göbel und Jakobs noch unten, Kapitel 5, B. I. 3 (a. E.). 121 RG JW 1928, 2229 (2232); RGSt 74, 91 (94); RG JW 1938, 30. 122 Duttge, NJW 2005, 260 (262); Fateh-Moghadam, Einwilligung, S. 117; Niedermair, Körperverletzung, S. 94; Roxin, AT I, § 13 Rn. 40. 123 OLG Zweibrücken, JR 1994, 518 (519); Hardtung, Jura 2005, 401(404); Frister, AT, 15/28; Rengier, BT II, § 20 Rn. 2b; für eine Berücksichtigung von negativen Zwecken Järkel, Sittenwidrigkeit, S. 168; Popp, Sittenwidrigkeit, S. 65; Stree, NStZ 2005, 40 (41) („nicht völlig bedeutungslos [. . .] aber weniger geeignet, einer Tat [. . .] die Sittenwidrigkeit zu nehmen“). 124 Hardtung, Jura 2005, 401 (405); Hirsch, FS Amelung, S. 196; Kellner, Einwilligung, S. 112.
B. Die Sittenwidrigkeit der einverständlichen Fremdgefährdung
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ziert125 und vereinzelt bestritten126 wird – auf eine Abwägung hinaus, in welche neben Verletzungsgrad und (positivem) Verletzungszweck auch (zugunsten des Täters) der Umstand mit einfließen soll, dass das Opfer mit der Körperverletzung einverstanden gewesen ist.127 Manches ist im Rahmen dieser Abwägung noch unsicher. Es wird nicht einheitlich beurteilt, ab welchem Schweregrad ein positiver Zweck hinzukommen muss128, zumal teils von der Notwendigkeit einer ex-ante-, teils von der einer expost-Betrachtung ausgegangen wird.129 Ebenso ist der Abwägungsmaßstab nicht geklärt.130 Der Zweck der Körperverletzung als Abwägungsposten ist besonderen Schwierigkeiten ausgesetzt, denn es stellt sich bei der Zweckbetrachtung stets die Frage, welche Zwecke man als hochwertig anerkennen mag und welchen man diesen Status verwehrt. Das bringt die Gefahr einer besonders moralisierenden Betrachtung von einzelnen Handlungen mit sich131, ist abhängig von der Wandlung gesellschaftlicher Wertvorstellungen und in Randbereichen keineswegs besonders scharf abgrenzbar.132 Etwa bei Hardtung, in: MK1-StGB, § 228 Rn. 16 ff.; Ingelfinger, Tötungsverbot, S. 208; Jakobs, FS F.-C. Schroeder, S. 515; Mosbacher, JR 2004, 390 (391); Otto, FS Geerds, S. 619; Rain, Doping, S. 178; Geppert, ZStW 83 (1971), 947 (957); Popp, Sittenwidrigkeit, S. 62; Haft, AT, S. 76; für das schweizerische Recht Noll, Einwilligung, S. 85. 126 Dagegen, seine Schweretheorie als Abwägung zu sehen, wehrt sich tendenziell Hirsch, FS Amelung, S. 197. 127 So Hardtung, in: MK1-StGB, § 228 Rn. 26; Otto, FS Geerds, S. 620. Da diese Einwilligung Voraussetzung für die Anwendung des § 228 und mithin ein immer vorhandener Abwägungsposten ist, stellt sich allerdings die Frage, was damit für die Abwägung (außer eines autonomiefreundlichen Maßstabs) schlussendlich gewonnen wird. Zweifelnd auch Börgers, Studien zum Gefahrurteil, S. 210 Fn. 981. 128 Für Verletzungen nach § 226 BGHSt 49, 166 (171); Otto, FS Geerds, S. 620; Göbel, Einwilligung, S. 56 (§ 224 a. F.); Wessels/Beulke, AT, Rn. 377; für die gesetzesbekannte schwere Gesundheitsschädigung Hardtung, in: MK1-StGB, § 228 Rn. 24; Hirsch, FS Amelung, S. 198; für konkrete Lebensgefährlichkeit Roxin, AT I, § 13 Rn. 41, der den Rechtsgedanken des § 216 heranzieht; Fateh-Moghadam, Einwilligung, S. 133. 129 Für ex-ante (Grad der Gefahr eines gewichtigen Schadens) Hardtung, in: MK1StGB, § 228 Rn. 27; Stree, NStZ 2005, 40 (41); Mayer, Produktverantwortung, S. 365; dagegen OLG Hamm, DAR 1972, 77. 130 Göbel, Einwilligung, S. 55 und Mosbacher, JR 2004, 390 (391) stellen auf § 34 ab, Hardtung, Jura 2005, 401 (405); Jakobs, AT, 14/9 auf den zivilrechtlichen Defensivnotstand. 131 Exemplarisch das nach heutigen Moralvorstellungen geradezu absurd erscheinende Beispiel von Helgerth, NStZ 1988, 261 (263), wonach der eheliche Geschlechtsverkehr eine hohe Wertverwirklichung darstellt, der außereheliche hingegen nicht. 132 Jakobs, FS F.-C. Schroeder, S. 516 sieht das Fehlen des positiven Zwecks bei Körperverletzungsanlässen gegeben, die ubiquitär sind. Hirsch, FS Amelung, S. 197 verlangt, dass Ziel der Handlung ein „rechtlich anerkannter besonderer Zweck“ [Hervorhebungen im Original] ist und positioniert sich insoweit entgegen Hardtung, Jura 2005, 401 (405), für den z. B. auch ein (nach Regeln ausgetragener) Boxkampf als anerkannter Zweck genügt. 125
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Kap. 5: Gesetzliche Schranken der Einwilligung in ein Risiko
c) Sittenwidrigkeit als Spezialfall eines Autonomiedefizits Eine Meinungsgruppe, die zu vergleichbaren Ergebnissen gelangt wie die bisher dargestellten Ansichten, die von diesen jedoch in der Interpretation des § 228 fundamental abweicht, ist in neuerer Zeit stärker in den Vordergrund getreten. Ihr zufolge handelt es sich bei § 228 um eine Norm, die – obwohl die Verwendung des Terminus der „guten Sitten“ in diese Richtung deutet – keinen Gemeinschaftsbezug aufweisen soll. Vielmehr sei die Sittenwidrigkeit der Tat ein Reflex, der sich aus der Unwirksamkeit der Einwilligung aufgrund eines speziellen, nicht der allgemeinen Einwilligungsdogmatik unterfallenden Entscheidungsdefizits ergebe.133 Dieses Autonomiedefizit sei eines, was von der Einwilligungsfähigkeit oder den Irrtumsregeln nicht hinreichend erfasst werden könne, etwa die spontane Euphorie oder Niedergeschlagenheit, welche den Wankelmütigen zu folgenschweren Entscheidungen verleiten mag.134 Während zunächst versucht wurde, das Einwilligungsdefizit aus der Abweichung der Opferentscheidung gegenüber allgemeinen, objektivierten Vernunftsmaßstäben herzuleiten135, erblickt eine modifizierte Form dieses Ansatzes nicht in einem stets real existierenden Entscheidungsdefizit, sondern in der naheliegenden Möglichkeit eines solchen den Grund für die Nichtanerkennung der Rechtfertigungswirkung einer Einwilligung in bestimmte Körperverletzungen.136 Von einem Defizit bzw. der naheliegenden Möglichkeit seines Vorliegens soll auszugehen sein, wenn die Verletzung außerordentlich gravierend ist und nicht mit einem rational nachvollziehbaren Zweck einhergeht.137 Ob die Rationalität des Tatzweckes objektiv138 oder eher subjektiviert139 zu bestimmen ist, wird innerhalb dieser Meinungsgruppe noch zu diskutieren sein.
133 Frisch, FS Hirsch, S. 491 ff.; Murmann, Selbstverantwortung, S. 501, 505; ders., FS Puppe, S. 784 ff.; Fateh-Moghadam, Einwilligung, S. 134; Schroth, FS Volk, S. 728. Ebenfalls keine Gemeinschaftsinteressen tangiert sehen Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, BT, § 6 Rn. 29, deren Modell eines § 228 als Schutznorm vor übereilten, den Einwilligenden später reuenden Entscheidungen durchaus Schnittpunkte mit dem hier vorgestellten aufweist. Jedoch findet keine ausdrückliche Deklarierung der Einwilligung als defizitär statt. 134 Frisch, FS Hirsch, S. 493 f.; ähnlich Engländer, in: Matt/Renzikowski, § 228 Rn. 4, der besonders auf den Schutz vor Übereilung abstellt. 135 Frisch, FS Hirsch, S. 494; als neben dem Tabuargument „durchaus plausibel“ bewertet diese Erklärung Hardtung, in: MK1-StGB, § 228 Rn. 22. 136 Murmann, Selbstverantwortung, S. 503; Schroth, FS Volk, S. 728; Fateh-Moghadam, Einwilligung, S. 134 f. 137 Murmann, FS Puppe, S. 787; Frisch, FS Hirsch, S. 499; Schroth, FS Volk, S. 728; Engländer, in: Matt/Renzikowski, § 228 Rn. 4. 138 Murmann, Selbstverantwortung, S. 503; Frisch, FS Hirsch, S. 502. 139 Fateh-Moghadam, Einwilligung, S. 129.
B. Die Sittenwidrigkeit der einverständlichen Fremdgefährdung
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2. In den angewandten Kriterien abweichende Theorien Die bisher vorgestellten Ansichten haben miteinander gemeinsam, dass sie letzten Endes mit unterschiedlicher Begründung auf eine Inverhältnissetzung von Tatschwere und Tatzweck hinauslaufen. Modelle, die nicht nur für sich in Anspruch nehmen, diesem Ergebnis lediglich ein weiteres Fundament unterzulegen140, sondern die auf jedenfalls teilweise abweichende Kriterien bzw. nur eines der oben genannten zurückgreifen, sind seltener, aber ebenfalls zu finden. a) Sittenwidrigkeit als missbilligte Zweckverfolgung So wie die Rechtsprechung einst dafür votierte, dem mit der Körperverletzung verfolgten Zweck schon unabhängig von der Schwere der Verletzung Bedeutung beizumessen141 – wovon sie sich bis heute nicht vollständig distanziert hat142 – finden sich seit Längerem Stimmen im Schrifttum, die die Sittenwidrigkeit der Tat alleine anhand der Verwerflichkeit des Tatzwecks bestimmen wollen. Der Zweck einer Handlung sei schon deshalb das entscheidende Kriterium, weil Handlungen erst durch den ihnen innewohnenden Sinngehalt überhaupt einer rechtlichen Bewertung zugänglich seien – Erfolge an sich seien erst gar nicht bewertbar.143 Den Vertretern dieser Ansicht geht es im Kern darum, die Sittenwidrigkeit der Tat in Annäherung an den Wortlaut stärker als Verstoß gegen bestimmte Moralvorstellungen zu begreifen. Um sich hierbei jedoch nicht dem Vorwurf auszusetzen, an kaum bestimmbare Moralmaßstäbe der pluralistischen Gesellschaft anzuknüpfen144, wird als objektivierter Anhaltspunkt des Sittenwidrigkeitsurteils der Verstoß der Körperverletzungshandlung gegen Wertungen unserer Rechtsordnung angesehen. Sittenwidrig sei, was eindeutig nach dem Gesetz rechtlich missbilligt werde.145 Als restriktivste Variante dieser Auslegung lässt sich die heute noch vertretene Ansicht begreifen, nach der § 228 einer Körperverletzung entgegensteht, wenn diese zu dem Zweck der Vorbereitung, Vornahme, Verdeckung oder Vortäuschung einer (anderen) Straftat unternommen
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Ausdrücklich räumt das Murmann, Selbstverantwortung, S. 505 für seinen Ansatz
ein. 141
RGSt 74, 91 (94); RG JW 1938, 30. BGHSt 49, 34 (42). 143 Paeffgen, in: NK-StGB, § 228 Rn. 43; Berz, GA 1969, 145 (146); Hauck, GA 2012, 202 (217 f.); vgl. ebenfalls Duttge, NJW 2005, 260 (262). 144 Vgl. dazu Roxin, JuS 1964, 373 (379 f.). 145 Berz, GA 1969, 145 (146); Berkl, Sportunfall, S. 127; Weber, FS Baumann, S. 51 ff.; Niedermair, Körperverletzung, S. 116, der letztlich aber zur Annahme der weitgehenden Funktionslosigkeit der Norm kommt; früher noch Roxin, JuS 1964, 373 (379). Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 1, § 8 Rn. 14 schenken auch der Schwere der Körperverletzung Beachtung. 142
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Kap. 5: Gesetzliche Schranken der Einwilligung in ein Risiko
wird.146 Andere lassen genügen, dass z. B. ein Verstoß gegen die StVO oder das BtMG vorliegt.147 b) Sittenwidrigkeit als Menschenwürdeverletzung Ein weiterer Versuch, § 228 Konturen zu verleihen, wird derzeit (nahezu ausschließlich148) von Duttge verfolgt. Ihm zufolge dient die Vorschrift dem Schutz der indisponiblen Menschenwürde des Opfers auch entgegen seiner Willensrichtung149, sie stelle eine gesetzliche Konkretisierung des staatlichen Schutzauftrages gemäß Art. 1 Abs. 2 GG dar.150 „Sittenwidrigkeit“ ist gemäß dieser Lesart demnach ein Synonym für „Menschenwürdeverletzung“, wodurch die Sittenwidrigkeitsklausel den Schutz eines überragend wichtigen Gemeinschaftsinteresses bezweckt.151 Duttge weist – im Einklang mit nahezu der gesamten heutigen Rechtsprechung und Lehre – darauf hin, dass Sittenwidrigkeit nur angenommen werden dürfe, wenn sie nach strengen Maßstäben zweifelsfrei feststellbar sei.152 Als eine Menschenwürdeverletzung indizierende Kriterien nennt er – beispielhaft anhand des Aufnahmeritual-Falles153 – neben der vielzitierten Gefährlichkeit der Körperverletzung und dem Zweck der Gefährdung als „negativer Typenkorrektur“ 154 das Fehlen von Schutzvorkehrungen zur Verhinderung schwerer Verletzungen, die zur Körperverletzung verwendeten Mittel (z. B. besonders rücksichtslos ausge146 Horn/Wolters, in: SK-StGB, § 228 Rn. 9; Rönnau, Willensmängel, S. 304; Eschweiler, Selbstgefährdung, S. 37; hilfsweise Paeffgen, in: NK-StGB, § 228 Rn. 55, der § 228 eigentlich für verfassungswidrig hält. 147 Niedermair, Körperverletzung, S. 118; Weber, FS Baumann, S. 52; Burgstaller, Fahrlässigkeitsdelikt, S. 174; dagegen AG Rosenheim, NStZ 2009, 216. 148 Früher Schmidhäuser, AT, 5/120; außerdem noch Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 1, § 8 Rn. 14, die sich allerdings nicht festzulegen scheinen und z. B. auch den deliktischen Zweck als Kriterium heranziehen. Erwähnt wird die Menschenwürde im Zusammenhang mit § 228 zudem bei Gropp, AT, § 6 Rn. 51, der sich dieses Kriterium aber nicht zu Eigen macht und schlussendlich präferiert, die Norm möglichst leerlaufen zu lassen. 149 Duttge, NJW 2005, 260 ff.; ders., GS Schlüchter, S. 783 ff.; vgl. zudem BayObLG, NStZ 1999, 458, wo das Gericht zwar vordergründig auf den Verstoß gegen „sozialethische Wertvorstellungen“ abstellt, jedoch anschließend davon spricht, das Opfer (einer „Aufnahmemutprobe“, die darin bestand, sich minutenlang von mehreren Jugendlichen verprügeln zu lassen) sei „zum Objekt herabgewürdigt“ worden. Nach der Objektformel des BVerfG (BVerfGE 27, 1 [6]) ist gerade das ein wesentliches Indiz für eine Menschenwürdeverletzung. 150 Duttge, GS Schlüchter, S. 784. 151 Duttge, GS Schlüchter, S. 801. 152 Duttge, GS Schlüchter, S. 788 ff.; ders., NJW 2005, 260 (261), welcher seine Auslegung als besonders restriktiven Ansatz begreift; für den Fall des Organhandels widerspricht Fateh-Moghadam, Einwilligung, S. 114. 153 BayObLG, NStZ 1999, 458. 154 Duttge, GS Schlüchter, S. 798.
B. Die Sittenwidrigkeit der einverständlichen Fremdgefährdung
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übte Gewalt) sowie die Chancenlosigkeit des Einwilligenden, sich effektiv zu verteidigen.155 3. Stellungnahme Die Ermittlung des Strafgrundes von § 228 droht an dem Konflikt zwischen der ursprünglichen Intention des historischen Gesetzgebers156 und dessen Vereinbarkeit mit einer liberalen Gesellschaft, die das Individuum gegenüber der Gemeinschaft besonders stark betont, zu scheitern.157 Er führt dazu, dass jedes der vorgestellten Modelle unter gravierenden Schwächen leidet und sich gewichtigen Argumenten gegenübersieht, so dass die Suche nach der Normratio – will man der These der Verfassungswidrigkeit nicht zustimmen – leicht zu einer Suche nach dem „kleinsten Übel“ gerät. Nimmt man § 228 beim Wort, wird zunächst deutlich, dass die Vorschrift klar in Richtung eines überindividuellen Bezuges weist, nicht jedoch dahin, den Einwilligenden vor sich selbst zu schützen. Von der Mehrheit in Rechtsprechung und Lehre ist dies akzeptiert worden, dem stehen gleichzeitig die autonomieorientierten Deutungen insbesondere von Wolfgang Frisch und Uwe Murmann diametral entgegen.158 Frischs Modell ist eine Einzelmeinung geblieben, es wird dagegen der Einwand erhoben, einen allzu offensichtlichen Vernunftspaternalismus auf der Grundlage der Kunstfigur des „objektiv Vernünftigen“ zu praktizieren159, welcher das bevormundende Element der Norm nicht beseitigt, sondern lediglich in den Autonomiebegriff hineinliest160. Ein nachvollziehbarer Vorwurf, der durch Formulierungen Frischs, wonach das objektiv vernünftige Verhalten dem entspreche, was das Opfer in Wirklichkeit gewollt habe161, noch befeuert wird. Wohl auch, weil er genau diesen Kritikreflex nicht gleichermaßen162 provoziert, hat der Vorschlag von Murmann zuletzt etwas mehr Zustimmung erhal155
Duttge, GS Schlüchter, S. 798; ders., NJW 2005, 260 (263). Zusammenfassend Järkel, Sittenwidrigkeit, S. 21 ff. 157 Von einer Zeit, „in der die guten Sitten vom Recht auf Privatheit geradezu aufgelöst worden sind“ spricht Jakobs, FS F.-C. Schroeder, S. 510. 158 s. Kapitel 5, B. I. 1. c). 159 Duttge, GS Schlüchter, S. 777; Rönnau, Willensmängel, S. 168; Hirsch, FS Amelung, S. 191; Fateh-Moghadam, Einwilligung, S. 125; Kargl, JZ 2002, 389 (397); Schroth, FS Volk, S. 727; Sternberg-Lieben, FS Amelung, S. 337; Roxin, AT I, § 13 Rn. 52; Kubink, JA 2003, 257 (264); Mosbacher, Selbstschädigung, S. 180 mit Fn. 174; ansatzweise Murmann, Selbstverantwortung, S. 503. 160 Fateh-Moghadam, Einwilligung, S. 125; Jakobs, FS F.-C. Schroeder, S. 518 mit Fn. 45. 161 Frisch, FS Hirsch, S. 496: „Einzig konsistent ist vielmehr die Annahme, daß der als vernünftig Anerkannte das, was als Ausdruck der Vernunft nicht mehr begreifbar ist, als Vernünftiger nicht will“. 162 Letztlich geht der Vorschlag aber von ähnlichen Prämissen wie der von Frisch aus und unterliegt ähnlichen Bedenken wie von den unten in Fn. 170 dieses Kapitels 156
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Kap. 5: Gesetzliche Schranken der Einwilligung in ein Risiko
ten.163 Man mag ihm entgegenhalten, dass er unweigerlich zur Folge hat, die Körperverletzungsdelikte in abstrakte Gefährdungsdelikte umzuinterpretieren.164 Im Gegenzug kann Murmann für sich in Anspruch nehmen, die körperliche Unversehrtheit (im Gegensatz zu sämtlichen anderen Ansichten) konsequent als Individualrechtsgut behandeln zu können und sich daraus ergebende Unstimmigkeiten zu beseitigen.165 Dennoch weisen sämtliche Lösungsversuche, welche in § 228 eine Regelung zur Sicherstellung von Autonomie oder gegen Übereilung im Opferinteresse erkennen wollen, die gleichen Schwierigkeiten auf. Es ist zwar nicht zu leugnen, dass jede heutige Deutungsvariante große Mühe damit hat, § 228 einigermaßen „gesetzgebertreu“ zu interpretieren, ohne in Konflikt mit dem Grundgesetz zu geraten – was letztlich für Frischs Beurteilung der Vorschrift als „schlecht gefaßt“ 166 spricht und die zweifellos deutliche Entfernung autonomieorientierter Interpretationen von den Ursprüngen der Norm167 rechtfertigen könnte.168 Die autonomieorientierten Deutungen schießen jedoch in ihrem vermeintlichen Antipaternalismus über das Ziel hinaus und geraten in einen Bereich, in dem modernisierende Auslegung oder „Rettung“ der Gute-Sitten-Klausel zu bewusstem Unterlaufen gesetzgeberischer Motive und einer Überdehnung der „guten Sitten“ über ihren Wortsinn hinaus zu werden droht.169 Denn man wird Duttge darin Recht geben müssen, dass § 228 in seiner jetzigen, 1998 fast unverändert gelassenen Form nur auf eine Weise verstanden werden kann: Als ein Verweis auf gesellschaftliche Belange.170
erwähnten Autoren eingeworfen. So ist es nur ein scheinbarer Vorteil, das Abstellen auf den Zweck der Handlung plausibler erklären zu können als insbesondere die rechtsgutsorientierten Lösungen, wie Murmann, FS Puppe, S. 787 anführt. Wo jemand „zum Spaß“ sein Leben aufs Spiel setzt, liegt zwar eine sprunghafte, unvernünftige Entscheidung durchaus nahe. Doch ist nach wie vor zu beweisen, dass die Annahme richtig ist, wonach § 228 gerade den Einwilligenden selbst vor derartigen Risiken temporärer Unvernunft schützen soll. 163 Schroth, FS Volk, S. 728; Fateh-Moghadam, Einwilligung, S. 134 f. 164 Murmann, FS Puppe, S. 789; ausführliche Kritik bei Fateh-Moghadam, Einwilligung, S. 127. 165 Murmann, FS Puppe, S. 783. 166 s. Fn. 168 dieses Kapitels. 167 Zum „Auslegungsgleichklang“ mit § 138 BGB etwa der Entwurf von 1927, RTDrucks. III/3390, S. 134 (Begr. zu § 264). 168 Frisch, FS Hirsch, S. 504 weist auf Kompatibilitäten zwischen gesetzgeberischer Absicht und dem von ihm vertretenen Normverständnis hin, erkennt die Problematik seiner Auslegung aber durchaus (S. 498): „Tut man dieser Vorschrift nicht Gewalt an, wenn man sie als schlecht gefaßte, weit verfehlt moralisierende Regelung eines an sich schon aus autonomiebezogenen Erwägungen folgenden, relativ eng begrenzten Unwirksamkeitsgrundes versteht?“; vgl. auch Murmann, FS Puppe, S. 788. 169 Dazu Niedermair, Körperverletzung, S. 110.
B. Die Sittenwidrigkeit der einverständlichen Fremdgefährdung
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Das Ausblenden von Drittinteressen hat besonders dogmatisch nachteilige Konsequenzen: So nimmt § 228 in einer allein die Entscheidungsfreiheit absichernden Konzeption die Rolle einer Ergänzung zur Lehre von den Willensmängeln bei der Einwilligung sowie der Einwilligungsfähigkeit wahr. Flankiert von Zweifeln daran, ob neben diesen anerkannten Punkten der Einwilligungsdogmatik für die zusätzliche „Vernünftigkeitskontrolle“ 171 überhaupt Raum bleibt172 und der Befürchtung, die Gerichte könnten Unklarheiten bei der Einwilligungsfähigkeit oder der Willensmängelfreiheit auf die Sittenwidrigkeit der Tat abwälzen173, ist einzuwenden, dass es sich bei dem Erfordernis der „vernünftigen“ Entscheidung in systematischer Hinsicht um eines der Einwilligung selbst handelt. Die von § 228 angeordnete Sittenwidrigkeit der Tat entsteht nach der autonomieorientierten Konzeption mangels Drittbezuges lediglich „durch Zufall“ daraus, dass jene gegenüber einer unvernünftig bzw. möglicherweise unvernünftig handelnden Person durchgeführt wird.174 Dies ist das wohl deutlichste Indiz dafür, dass die Regelung nicht im Sinne dieser Ansicht auslegbar ist.175 Dadurch, dass die Einschränkung des § 228 nicht wegen des Charakters der Tat, sondern der Opferentscheidung erfolgen soll, stellt sich darüber hinaus die Frage, weshalb eine derartige gesetzgeberische Absicherung der Vernunftsentscheidung nicht auch die Straflosigkeit der Teilnahme an einer Selbstschädigung einschränkt. Murmann meint, das Opfer sei bei der Selbstverletzung weniger schutzwürdig vor den Konsequenzen eigener Entscheidungen, weil es diese umfassender überprüfen könne.176 Diese sich auf Vordergründigkeiten der Situation stützende Argumentation kann den für diese Auffassung entstehenden Widerspruch einer gesetzlich angeordneten Ungleichbehandlung bestenfalls mildern. Der Menschenwürdeansatz Duttges kommt als ein Versuch daher, den etwas antiquierten Begriff der „guten Sitten“ sowohl bezüglich der Weite seiner Anwendung als auch seiner dogmatischen Grundlage an die Moderne unserer der170 Duttge, GS Schlüchter, S. 777; ebenso Järkel, Sittenwidrigkeit, S. 198; Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 9 Rn. 17; Paeffgen, in: NK-StGB, § 228 Rn. 42a; Lackner/Kühl, § 228 Rn. 10. 171 Rönnau, Willensmängel, S. 168. 172 Roxin, AT I, § 13 Rn. 52; Kargl, JZ 2002, 389 (397); Sternberg-Lieben, FS Amelung, S. 337; dagegen Murmann, FS Puppe, S. 784; Frisch, FS Hirsch, S. 492. 173 Dass dies bereits momentan geschieht, nimmt Amelung, NStZ 1999, 458 (460) an. 174 Frisch, FS Hirsch, S. 506; Murmann, Selbstverantwortung, S. 505 räumen dies selbst ein; vgl. auch Duttge, GS Schlüchter, S. 777 mit Fn. 24. 175 Hirsch, FG BGH Bd. IV, S. 220; ders., FS Amelung, S. 192; Sternberg-Lieben, FS Amelung, S. 337. 176 Murmann, FS Puppe, S. 786, mit der auf der Basis der auch hier vertretenen Unterscheidung von Selbst- und Fremdgefährdung rein tatsächlich zutreffenden Bemerkung, dass bei der Selbstschädigung das Opferverhalten dem Täterverhalten nachfolge.
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Kap. 5: Gesetzliche Schranken der Einwilligung in ein Risiko
zeitigen Verfassungsordnung anzupassen, ohne ihn dabei wie Frisch seines Gemeinschaftsbezuges zu berauben. Aus genannten Gründen ist noch kein entscheidendes Gegenargument177, dass der historische Gesetzgeber im Jahr 1933 eine Bedeutung von „sittenwidrig“ als „menschenunwürdig“ unmöglich im Sinn gehabt haben konnte.178 Neben dem Vorteil des Zurückgreifens auf einen prägenden Begriff des Grundgesetzes, dessen gerichtliche Bestimmung von der Eingriffsseite her zweifellos eine Schnittmenge mit der inhaltlichen Ausgestaltung des Sittenwidrigkeitsurteils durch die strafrechtliche Rechtsprechung aufweist179, scheint die Lösung zudem die atypische Beschränkung des Selbstbestimmungsrechts plausibel erklären zu können: Niemand kann sich seiner Menschenwürde entäußern, da diese zugleich ein elementares Rechtsstaatsprinzip ist.180 Hinter der Fassade dieser nicht bezweifelten Grundannahme verbirgt sich jedoch ein bis heute ungelöster Streit des Verfassungsrechts181, besagt sie doch noch nichts darüber, ob eine einverständliche Verletzung die Menschenwürde überhaupt berührt – was Voraussetzung dafür wäre, dass sich die (dann natürlich negativ zu beantwortende) Frage nach der Möglichkeit des Würdeverzichts stellt.182 Von der Entscheidung in dieser Frage hängt es ab, ob es bei konsentiertem Verhalten an einem Eingriff in den Schutzbereich fehlt183 und man daher einer Beschränkung der Einwilligung mit Hilfe des Art. 1 Abs. 1 GG mit Recht entgegenhalten kann, die Würde des Menschen gegen seine eigene Selbstbestimmung auszuspielen.184 Der Klärung dieser Auseinandersetzung bedarf es hier nicht, wenn sich die Untauglichkeit des Ansatzes schon aus anderen Überlegungen ergibt. Entscheidend gegen Duttge spricht die fehlende Schärfe des befürworteten Kriteriums.185 Er mag diese hinzunehmen gewillt sein und hat Recht darin, dass ein unklarer 177 In diese Richtung argumentiert gleichwohl Kühl, FS Jakobs, S. 307, der sich sehr eng am Wortlaut der Norm zu orientieren versucht. 178 Dies nicht nur wegen der menschenverachtenden nationalsozialistischen Ideologie. Bereits zu Zeiten der ersten Entwürfe einer Gute-Sitten-Generalklausel – in der Weimarer Republik – war ein „menschenwürdiges Dasein“ als Ziel des Wirtschaftslebens in Art. 151 Abs. 1 S. 1 der Weimarer Reichsverfassung aufgenommen worden. Zur zentralen Maxime des modernen Verfassungsstaates BRD wurde die Menschenwürdegarantie jedoch erst 16 Jahre nach Einführung des heutigen § 228. 179 Zum Rückgriff auf Art. 1 Abs. 1 GG bei der Auslegung der „guten Sitten“ in § 33a II Nr. 2 GewO VG Neustadt, NVwZ 1993, 98 (99) („Zwergenwerfen“); BVerwGE 64, 274 (278) (Peepshow). 180 Unstreitig, hierzu nur Duttge, GS Schlüchter, S. 786 m.w. N. 181 Weiterführend dazu Suchomel, Partielle Disponibilität, S. 20 ff. et passim; Mosbacher, Selbstschädigung, S. 142 ff. 182 Vgl. Dietlein, Schutzpflichten, S. 225. 183 So Sternberg-Lieben, Objektive Schranken, S. 47; Fateh-Moghadam, Einwilligung, S. 115; Mosbacher, Selbstschädigung, S. 143; Kargl, JZ 2002, 389 (398); Roxin, AT I, § 13 Rn. 55. 184 Diesen Vorwurf erheben Murmann, FS Puppe, S. 779; Kargl, JZ 2002, 389 (398); Kühl, FS Jakobs, S. 306; Järkel, Sittenwidrigkeit, S. 186 ff. 185 Neben anderen Argumenten auch Hirsch, FS Amelung, S. 195.
B. Die Sittenwidrigkeit der einverständlichen Fremdgefährdung
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Maßstab durch weitere Präzisierungsarbeit hinreichende Konturen annehmen kann.186 Doch bringt er mit der Würde des Menschen einen Begriff in die Diskussion ein, der selbst nach über 60 Jahren der Diskussion weithin für kaum rechtlich fassbar und (zumindest positiv) schlechthin undefinierbar gehalten wird.187 Die Anwendung bei § 228 gerät dann auch undurchsichtig: Weshalb etwa Sadomasochismus nach der beliebten Kant’schen Objektformel kein klassischer Fall der schutzpflichtauslösenden Menschenwürdeverletzung sein soll188, ließe sich nur mit dem Einverständlichen des Geschehensablaufs erklären189 – einem Faktor, dem Duttge keine Bedeutung beimessen darf, sofern er das Bild der Menschenwürde als der „letzten vom gesellschaftlichen Pluralismus noch nicht (vollständig) geschliffenen Bastion des ,Absoluten‘“ 190 hochhalten will. Duttge orientiert sich in der Konkretisierung seiner Theorie zudem bisher ausschließlich an der Entscheidung des BayObLG zum Aufnahmeritual einer Jugendbande191, wo das Gericht die Objektformel bei der Sittenwidrigkeitsprüfung mit heranzog.192 Die gefundenen Kriterien (z. B. Perspektivlosigkeit der Verteidigung) lassen sich kaum gewinnbringend auf andere bekannte Fallkonstellationen übertragen und deuten darauf hin, dass die Frage einer Menschenwürdeverletzung für jeden Fall anhand von anderen Tatumständen zu entscheiden wäre. Gravierende Bedenken hinsichtlich der Rechtsunsicherheit eines solchen Vorgehens werden durch dem vorausschauenden Hinweis des Autors auf die „Mittlerfunktion von Präjudizien“ 193, wonach jedes Urteil dem Kriterium mehr Kontur gebe, nicht entkräftet. Für eine Ausrichtung der Sittenwidrigkeit am mit der Tathandlung verfolgten Zweck spricht zunächst die Tatsache, dass trotz aller Kritik an einer damit einhergehenden Moralisierung, Bevormundung und Rechtsunsicherheit194 bisher kein gangbarer Weg gefunden wurde, auf den Anlass und Grund der Körperverletzung gänzlich zu verzichten. § 228 schreibt wie ausgeführt eine Beurteilung
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Duttge, GS Schlüchter, S. 784. Zur Undefinierbarkeit Isensee, AöR 131 (2006), 173 (214): „Menschenwürde [. . .] läßt sich nicht definitorisch erfassen“; Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 1 Abs. 1 Rn. 33: „Ein operabler Begriff der Menschenwürde harrt immer noch der Entwicklung“; einen kritisch beleuchteten Überblick zur zunehmend extensiven Anwendung der Menschenwürdegarantie in der neueren Rechtsprechung des BVerfG gibt Tiedemann, DÖV 2009, 606 ff. m.w. N. 188 Duttge, NJW 2005, 260 gibt BGHSt 49, 166 im Ergebnis Recht; vgl. dagegen Gropp, AT, § 6 Rn. 51, für den nach h. M. Sadismus ein Fall der Menschenwürdeverletzung ist. 189 Ebenso Fateh-Moghadam, Einwilligung, S. 114. 190 Duttge, NJW 2005, 260 (261). 191 BayObLG, NStZ 1999, 458. 192 Duttge, GS Schlüchter, S. 788; ders., NJW 2005, 260 (262). 193 Duttge, GS Schlüchter, S. 795, unter Berufung auf Schlüchter. 194 Beispielhaft Walther, Eigenverantwortlichkeit, S. 234 f. 187
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Kap. 5: Gesetzliche Schranken der Einwilligung in ein Risiko
der Tathandlung am Maßstab gesellschaftlicher Überzeugungen vor und es ist unmöglich, überhaupt in die Nähe eines nach dieser Richtschnur angemessenen Urteils zu kommen, wenn man den durch die Intentionen der Beteiligten geschaffenen Sinngehalt der Handlung vollständig ausblendet.195 Geht es hingegen darum, primär oder alleine auf den Zweck der Handlung abzustellen, wird man der fast einmütigen Kritik zustimmen müssen, wonach eine solche Zweckbetrachtung die Schwächen des Zweckkriteriums potenziert und zu einer untragbaren Lösung führt: Um überhaupt hinreichend bestimmt zu sein und nicht der Gefahr übertriebenen Moralisierens zu erliegen, muss es bei dem verfolgten Zweck um eine andere Straftat oder wenigstens Ordnungswidrigkeit gehen.196 Das führt dazu, dass die Körperverletzung als Einfallstor für eine Bestrafung des Einwilligungsempfängers aus unterschiedlichsten Gründen dient, die Tat – verstanden als Angriff auf die körperliche Unversehrtheit – die den Bezugspunkt des Sittenwidrigkeitsurteils bildet, also lediglich notwendige Bedingung für die Bestrafung eines häufig gegen andere Rechtsgüter gerichteten Vorsatzes ist.197 Neben der damit verbundenen Rechtsgutsvertauschung ließe sich weiterhin nicht begreifbar machen, weshalb eine solche Einwilligungsbegrenzung nur bei der Körperverletzung198 vorgesehen ist. Als mögliche Auslegung der Gute-Sitten-Klausel verbleibt nur eine Inverhältnissetzung von positivem Zweck und Eingriffsschwere der Körperverletzung, deren Legitimation sich außerdem aus dem Schutz öffentlicher Interessen zu ergeben hat. Das Finden dieses Interesses im Zusammenhang mit dem geschützten Rechtsgut stellt eine nicht zu unterschätzende Problematik dar. Ein Kollektivinteresse der Gesellschaft am gesunden und leistungsfähigen Einzelmitglied, welches wohl die einfachste und auch rechtsgutsnächste Begründung hierfür wäre, trägt wie ausgeführt nämlich nicht.199 195 Zu Recht Kühl, FS F.-C. Schroeder, S. 525; Jakobs, FS F.-C. Schroeder, S. 515; Sternberg-Lieben, Objektive Schranken, S. 130; Stree, in: Schönke/Schröder27, § 228 Rn. 7. 196 Deutlich bei Horn/Wolters, in: SK-StGB, § 228 Rn. 9. 197 BGHSt 49, 34 (42); BayObLG, JR 1978, 296; Hirsch, in: LK11-StGB, § 228 Rn. 9; Niedermair, Körperverletzung, S. 174 ff.; Ingelfinger, Tötungsverbot, S. 207; Stree/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, § 228 Rn. 2; Frisch, FS Hirsch, S. 500 f.; Sternberg-Lieben, Objektive Schranken, S. 521 ff.; Mosbacher, Selbstschädigung, S. 186; Göbel, Einwilligung, S. 51; Hardtung, in: MK1-StGB, § 228 Rn. 25; Frister, AT, 15/28 Fn. 52; Fischer, § 228 Rn. 9; Duttge, GS Schlüchter, S. 781; Kubink, JA 2003; 257 (264); Roxin, AT I, § 13 Rn. 39; Fateh-Moghadam, Einwilligung, S. 111; Mayer, Produktverantwortung, S. 363; Paeffgen, in: NK-StGB, § 228 Rn. 42; Rain, Doping, S. 175; gegen eine derartige Zweckbetrachtung (mit abweichender Argumentation) weiterhin Jakobs, FS F.-C. Schroeder, S. 510. 198 Die Regelung ist nicht als Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgedankens übertragbar, Frister, AT, 15/29; Jescheck/Weigend, AT, S. 378; Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 9 Rn. 21; a. A. Schlehofer, in: MK-StGB, Vor § 32 Rn. 138; Göbel, Einwilligung, S. 62 ff. 199 s. oben, Kapitel 5, A. II. 2. a).
B. Die Sittenwidrigkeit der einverständlichen Fremdgefährdung
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Folglich bleiben verschiedene Gemeininteressen übrig, welche allesamt schwer greifbar erscheinen. Das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden, welches durch schwere Verletzungen ohne verständlichen Grund tangiert sein könnte, ist durch den 3. Strafsenat des BGH in der Form der gesellschaftlich anerkannten, tatsächlich existierenden und ermittelbaren Wertvorstellungen wieder ins Gespräch geraten.200 In der Wissenschaft tut man sich aber zu Recht sehr schwer damit, diese als taugliches Schutzgut zu akzeptieren.201 Neben das Bestimmtheitsgebot betreffenden Bedenken dahingehend, dass über moralische Überzeugungen in unserer Gesellschaft empirisch kein Konsens herzustellen sei202 und man bereits die Gruppe der „billig und gerecht“ Denkenden unmöglich ermitteln könne203, wird die bei dieser Auslegung unvermeidliche Vermengung von Recht und Moral kritisiert.204 Vor allem fehlt es zudem an dem verbindenden Element zwischen dem intendierten Schutz von Wertvorstellungen und seiner Verwirklichung gerade durch die Strafbarstellung schwerer und zweckloser Verletzungen. Die Entscheidung des 3. Strafsenats enthält in dieser Hinsicht einen Bruch und geht im Anschluss an die Feststellung, es gäbe Wertmaßstäbe, die „allgemeinkundig“ (und nicht weiter zu erläutern) seien, nahtlos dazu über, das Gewicht des „tatbestandlichen Rechtsgutsangriffs“ die Einwilligung einschränken zu lassen.205 Nicht von der Hand zu weisen ist, wie Hardtung erkennt, dass dem BGH damit „klar rechtliche Maßstäbe aus der Feder fließen“ 206. Entgegen Kühl, der jenen unterbliebenen Brückenschlag zwischen Recht und Moral ebenfalls bemängelt, ihn aber konstruktiv nicht für ausgeschlossen hält207, dürfte das tatsächliche Anstandsgefühl der Allgemeinheit nicht hinreichend bestimmt und auch in Zukunft nicht bestimmbar sein, um ihm brauchbare Auslegungskriterien der Sittenwidrigkeit zu entnehmen.
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BGHSt 49, 34 (41). Kühl, FS F.-C. Schroeder, S. 532 („unsicheres Terrain“); Otto, FS Geerds, S. 618 f.; Paeffgen, in: NK-StGB, § 228 Rn. 37 m.w. N. 202 Bereits Schmidt, JZ 1954, 369 (374); in heutiger Zeit z. B. Paeffgen, in: NKStGB, § 228 Rn. 47; Fischer, § 228 Rn. 11; Duttge, NJW 2005, 260; Schlehofer, in: MK-StGB, Vor § 32 Rn. 137; Stree/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, § 228 Rn. 2; Roxin, AT I, § 13 Rn. 38; Mayer, Produktverantwortung, S. 362; pointiert Haft, AT, S. 76: „Niemand weiß, was unter dem ,Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden‘ zu verstehen ist. Niemand wird es je wissen.“ 203 Kühl, FS F.-C. Schroeder, S. 533; Hähle, Sportverletzungen, S. 140; Engländer, in: Matt/Renzikowski, § 228 Rn. 2, 4 („diffus-weltanschauliche Gesichtspunkte“). 204 Duttge, NJW 2005, 260; Kargl, JZ 2002, 389 (399); Sternberg-Lieben, JuS 2004, 954 (955) („Sozialmoral als ,Ersatzgesetzgeber‘ “); zurückhaltender dagegen Kühl, FS Jakobs, S. 295 ff. 205 BGHSt, 49, 34 (41 f.). 206 Hardtung, Jura 2005, 401 (407). 207 Kühl, FS F.-C. Schroeder, S. 533. 201
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Kap. 5: Gesetzliche Schranken der Einwilligung in ein Risiko
Die Annahme, durch Aufnahme in den Gesetzestext würden moralische Maßstäbe zu rechtlichen208, trifft also zu. Mit der Flucht vor der Moral und der Hinwendung zum Rechtsgut und einem darauf bezogenen Deutungsinhalt findet gleichzeitig eine Entfremdung gegenüber dem Wortlaut des Paragraphen statt.209 Sie zeigt sich in deutlichster Form bei Hardtung, wenn er lapidar ausführt, der Sittenbegriff diene lediglich „als Platzhalter für den Gedanken, dass in bestimmten Fällen die Tat trotz der Einwilligung rechtswidrig sein soll“ 210. Infolgedessen wird es nicht nur schwer, das Zweckkorrektiv als rechtsgutsfernen Wertungsteil nachvollziehbar zu integrieren211, sondern gleichermaßen, die Allgemeininteressen konkret zu bezeichnen, welche der Einwilligung in das Individualrechtsgut Körper Schranken setzen. Wie schon bei der Tötung auf Verlangen wird die Strafbarkeit trotz Einwilligung in die Körperverletzung häufig als Folge eines Tabubruchs gesehen.212 Dabei geht es endgültig nicht mehr um tatsächlich existierende Hemmschwellen in Bezug auf die Verletzung fremder Menschen213 – dies würde auch nicht einleuchten214 – sondern um das generalpräventive Einflößen von „Respekt“ vor hohen Rechtsgütern zum Wohle aller.215 Auf die Leerformelhaftigkeit eines solchen Tabuarguments wurde bereits hingewiesen.216 Die „allgemeine Anschauung, dass die Rechtsgüter anderer von uns respektiert werden müssen“ 217 spiegelt sich in nahezu jeder Deliktsnorm des
208
Hardtung, Jura 2005, 401 (407); Duttge, NJW 2005, 260. Vgl. Järkel, Sittenwidrigkeit, S. 180 zur Abwägungsregel: „. . . wirkt daher ohne Bezug zum Ausgangspunkt“. Kritisch auch Engländer, in: Matt/Renzikowski, § 228 Rn. 4. 210 Hardtung, in: MK1-StGB, § 228 Rn. 17. 211 Fateh-Moghadam, Einwilligung, S. 117; Murmann, FS Puppe, S. 787; Järkel, Sittenwidrigkeit, S. 166 f. 212 Vgl. die in Fn. 119 dieses Kapitels genannten Autoren. 213 Dazu oben, Kapitel 5, A. II. 2. b) a. E. 214 Sternberg-Lieben, Objektive Schranken, S. 123 f.; Mosbacher, Selbstschädigung, S. 184, mit Verweis auf den medizinischen Alltag. Da ein solches Tabu gar nicht behauptet wird, taugt dieser Einwand alleine nicht, das „präventive“ Tabuargument zu entkräften. Er weist das einzig mögliche Tabuargument allerdings als ein rechtliches Konstrukt aus. 215 Hardtung, in: MK1-StGB, § 228 Rn. 23; Hirsch, FS Amelung, S. 189; Ingelfinger, Tötungsverbot, S. 208 („Achtungsschaden“); Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 9 Rn. 18, die in Fn. 22 erneut auf die „Dammbruchgefahr“ hinweisen. 216 Sie zeigt sich auch darin, dass Hardtung, Jura 2005, 401 (408) den Bundesgerichtshof auf der Seite der Tabubefürworter wähnt, obwohl dessen pauschale Aussage, es bestehe ein „Allgemeininteresse“ an körperlicher Unversehrtheit, mindestens ebenso gut zum Ansatz von z. B. Weigend (Fn. 118 dieses Kapitels) passt – ja diese Deutung in Anbetracht der Einstufung des Suizids als sittlich missbilligt, aber straflos (BGH JZ 2002, 150 [152]) sogar näher liegt. 217 Hardtung, Jura 2005, 401 (405). 209
B. Die Sittenwidrigkeit der einverständlichen Fremdgefährdung
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StGB wider. Man mag nun unter Berücksichtigung des hohen Ranges und sozialen Nutzens des in Rede stehenden Rechtsguts diesen erzieherischen Aspekt ausnahmsweise so verfestigt sehen, dass man seiner Bewahrung ab einem gewissen Grad den Vorrang vor dem Selbstbestimmungsrecht einräumt – aus dem Tabugedanken ergibt sich hingegen gerade nicht, warum sich diese Schwelle an einem bestimmten Punkt befindet218 und wieso es dennoch oberhalb der Schwelle Rückausnahmen gibt. Ein Tabu ist jedoch kein überzeugendes mehr, wenn es die Anleitung für den eigenen Bruch gleich mitbringt.219 Die Suche nach dem durch die sittenwidrige konsentierte Tat verursachten Unrecht kann gleichermaßen nicht mit einer damit einhergehenden Beeinträchtigung des sozialen Friedens220 für beendet erklärt werden. Zwar geht es damit nun um mehr als um Moral- oder Tabuschutz, doch erscheint die Behauptung einer sozialen Friedensgefährdung durch konsentierte Körperverletzungen allzu hoch gegriffen. Zieht man Parallelen zu dem von Straftatbeständen wie § 130 oder § 166 geschützten öffentlichen Frieden221, scheint demgegenüber bei § 228 gerade das Konsensuale des Handelns einer Friedensgefährdung entgegenzustehen und überzeugt die Lösung bei einverständlichen Körperverletzungen noch weniger als bei der Tötung auf Verlangen.222 Nach dem Abwägungsmodell von Günther Jakobs ist das von § 228 geschützte Drittinteresse in der allgemeinen Dispositionsfreiheit über Individualrechtsgüter selbst zu sehen. Diese könne dadurch, dass das Recht einverständliche schwere Verletzungen, für die es keinen objektiv nachvollziehbaren Grund gibt, nicht ahndet, abstrakt in Gefahr geraten. Denn derartige Verletzungshandlungen erscheinen einerseits atypisch und „extrem“, andererseits erwecken die Einwilligungen in sie den Anschein, nicht hinreichend durchdacht und im Stadium der Vollzugsreife erteilt worden zu sein, wie es bei der Selbstschädigung durch den Eigenvollzug belegt werde.223 Als Resultat derartiger Extreme könnte der Nutzen der Freiheit, über seine Rechtsgüter in Form der Einwilligung umfassend verfügen zu können, schließlich in Frage gestellt werden.224
218 Hardtung, Jura 2005, 401 (405) weist lediglich auf Aspekte der „Verhältnismäßigkeit“ hin. 219 Zu ähnlichen Inkonsequenzen bei Dölling bereits oben, Kapitel 5, A. II. 2. b) a. E. 220 Göbel, Einwilligung, S. 54. 221 Dazu Fischer, § 130 Rn. 2a; § 166 Rn. 2. 222 Durchsichtig ist dann auch der Versuch von Göbel, Einwilligung, S. 54, die Kluft zwischen Tötung und Verletzung sprachlich dadurch zu verkleinern, dass er von Körperverletzungen unter Berufung auf Hirsch als von „partiellen Tötungen“ spricht. 223 Jakobs, FS F.-C. Schroeder, S. 519; ebenso zum Strafgrund des § 216 auch Jakobs, Tötung auf Verlangen, S. 23; ders., Zurechnung, S. 44; vgl. weiterhin Fischer, § 228 Rn. 9a: „Allgemeininteresse daran [. . .] den einzelnen ,gegen seine Kurzsichtigkeit zu schützen‘“. 224 Jakobs, FS F.-C. Schroeder, S. 518; ders., Zurechnung, S. 44.
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Kap. 5: Gesetzliche Schranken der Einwilligung in ein Risiko
Diese Einordnung des § 228 kommt auf den ersten Blick wie ein verwegener Versuch daher, in die autonomieorientierten Ansätze225 den von diesen gerade streng vermiedenen Allgemeinbezug hinein zu konstruieren. Die abstrakte Gefährdung der Freiheit, wie von Jakobs beschrieben, entbehrt nicht einer gewissen Plausibilität, leidet jedoch wie die meisten Allgemeinbezug herstellenden Ansätze etwas unter mangelnder „Griffigkeit“, hinzu kommt, dass sich auch Jakobs’ Lösung von den Ursprüngen der Vorschrift ein gutes Stück entfernt.226 Geradezu plakativ ist die Demonstration der doppelten Angriffsrichtung der Körperverletzungsdelikte als Delikte gegen den Leib und „gegen die Norm“ 227, die ihm den Vorwurf eingebracht hat, die Grenzen zulässiger Auslegung zu überschreiten.228 Gleichwohl ist gerade diese bis heute nicht gelöste Verwerfung die logische Konsequenz, wenn man Murmann oder Frisch wie hier nicht zu folgen bereit ist.229 Hardtung erinnert zu Recht daran, dass am Ende immer noch eine Strafe wegen Körperverletzung stehen bleibt230, doch bleibt als Anknüpfungspunkt für eine Sanktion trotz (wirksamer!) Einwilligung auch bei ihm letztlich nicht mehr als der Verstoß gegen ein Allgemeininteresse in Form eines Fremdschädigungstabus übrig.231 Es geht bei dem nach der Einwilligung verbleibenden Unrecht damit präziser gesprochen um ein solches, was nur durch einen Angriff auf den Körper verwirklicht werden kann232 und dafür liefert Jakobs bisher noch das akzeptabelste Erklärungsmodell, was insbesondere den Anlass der Tat nachvollziehbar zu integrieren vermag. 225
Vgl. Kapitel 5, B. I. 1. c). Nach Jakobs, FS F.-C. Schroeder, S. 510 geht es generell bei der Auslegung der Vorschrift nicht mehr um die Frage „sittlich oder sittenwidrig“, sondern um „privat (als solche sieht auch Jakobs sittlich verwerfliche, aber leichte Körperverletzungen an) oder objektiv unverhältnismäßig“. Es erscheint aber nicht als Jakobs’ Intention, der GuteSitten-Klausel so einen neuen Inhalt zu geben, sondern vielmehr, eine längst stattfindende Umdeutung im aktuellen Schrifttum mit eigenen Worten zu beschreiben. 227 Jakobs, FS F.-C. Schroeder, S. 517. 228 Kühl, FS Jakobs, S. 307, der generell skeptisch gegenüber einer modernisierenden Auslegung des § 228 ist; Hirsch, FS Amelung, S. 190. 229 Von „dogmatisch unlösbare[n] Friktionen“ bei der h. M. spricht Murmann, FS Puppe, S. 783 nicht zu Unrecht. Vgl. auch die Stellungnahme eines (mehrheitlich die Streichung des § 228 fordernden) Arbeitskreises von Strafrechtslehrern zum 6. Strafrechtsreformgesetz bei Freund, ZStW 109 (1997), 455 (473): „Liegt dagegen eine wirksame Einwilligung [. . .] vor, kann eine Bestrafung speziell unter dem Blickwinkel einer Verletzung des Rechtsgutes der körperlichen Integrität nicht mehr Platz greifen“ [Hervorhebungen von mir]; außerdem Stree/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, § 228 Rn. 3. 230 Hardtung, Jura 2005, 401 (404). 231 Ebenso bei Hirsch, FS Amelung, S. 190, der Jakobs eine unzulässige Fokussierung auf die Freiheit des Einwilligenden entgegenhält, jedoch trägt seine Begründung für die Freiheitsbegrenzung des Einwilligungsempfängers – das Tabuargument – aus genannten Gründen nicht. 232 Vgl. Ingelfinger, Tötungsverbot, S. 208, für den „Sittenwidrigkeit“ im Übrigen „Wertwidrigkeit“ meint. 226
B. Die Sittenwidrigkeit der einverständlichen Fremdgefährdung
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II. Anwendbarkeit des § 228 auf Fahrlässigkeitstaten Fraglich ist nun, ob § 228 dort Anwendung findet, wo die Körperverletzung lediglich fahrlässig geschieht, oder ob einverständliche Gefährdungen der körperlichen Integrität nicht mehr innerhalb des Normbereichs liegen. Die Rechtsprechung geht seit Längerem von einer Anwendbarkeit der Gute-Sitten-Klausel auf die fahrlässige Körperverletzung und auch Tötung aus233, sieht sich jedoch dafür durchaus Widerspruch aus der Wissenschaft ausgesetzt.234 Stellt sich die Position der Rechtsprechung und wohl h. L. als richtig heraus, wird im zweiten Schritt die grundsätzliche Orientierung an Schwere und Zweck der Tathandlung noch zu präzisieren sein. 1. Fahrlässige Körperverletzung (§ 229) Der Großteil der Kritiker der h. M. wendet sich mit verschiedenen Argumentationen bereits gegen eine Anwendung des § 228 auf die fahrlässige Körperverletzung nach § 229. Nicht recht einleuchten will es, wenn Roxin § 228 mit der Begründung für unanwendbar erklärt, es handele sich bei der die Anwendbarkeit bejahenden Ansicht um eine „überholte Ansicht, die aus einer Zeit stammt, in der die Rechtsfigur der einverständlichen Fremdgefährdung noch nicht bekannt war“ 235. Unabhängig von der Richtigkeit dieser These erweckt Roxin auf diese Weise den Eindruck, dogmatischen Streitigkeiten (Zustimmung als tatsächliche Einwilligung nach § 228 oder zurechnungsausschließendes „Einverständnis“ im Rahmen des Eigenverantwortlichkeitsprinzips) zu Unrecht die Fähigkeit einzuräumen, über die Beachtung gesetzlicher Wertungen zu entscheiden.236 In der Sache ähnlich wie Roxin äußert sich Duttge, er versucht allerdings, seiner Ablehnung der Risiko-Einwilligung als Einwilligungsform im gleichen Zug Argumente für eine Nichtanwendbarkeit des § 228 auf fahrlässige Körperverletzungen zu entnehmen und verweist auf den „normativ wie lebensweltlich ,tief233 BGHSt 53, 55 (63); BayObLG, JR 1978, 296 (297); OLG Zweibrücken, JR 1994, 518 (519); OLG Düsseldorf, NStZ-RR 1997, 325 (327). 234 Gegen eine Anwendung des § 228 auf fahrlässiges Verhalten Roxin, AT I, § 13 Rn. 69; Hardtung, in: MK1-StGB, § 228 Rn. 8; Dölling, GA 1984, 71 (89); Geppert, Jura 2001, 490 (494); Stratenwerth, FS Puppe, S. 1023; Vogel, in: LK-StGB, § 15 Rn. 241; Puppe, in: NK-StGB, Vor § 13 Rn. 199; Duttge, NStZ 2009, 690 (691); Beulke, FS Otto, S. 216; Horn/Wolters, in: SK-StGB, § 228 Rn. 9; Schaffstein, FS Welzel, S. 570; Schünemann, JA 1975, 715 (723); Krey/Esser, AT, Rn. 664; Stree/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, § 228 Rn. 7; Niedermair, Körperverletzung, S. 121 ff.; Eschweiler, Selbstgefährdung, S. 37; Hähle, Sportverletzungen, S. 142 ff.; Glocker, Doping, S. 214 f.; zweifelnd Kühl, NJW 2009, 1158 (1159); Renzikowski, HRRS 2009, 347 (354). 235 Roxin, AT I, § 13 Rn. 69; ebenso Niedermair, Körperverletzung, S. 122. 236 Dagegen bereits oben, Kapitel 4, B. III. mit Fn. 34.
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Kap. 5: Gesetzliche Schranken der Einwilligung in ein Risiko
greifende[n] Unterschied‘“ 237 zwischen Gefährdung und Schädigung der körperlichen Unversehrtheit. Rein tatsächliche Unterschiede können jedoch allenfalls der Plausibilität der Argumentation dienlich sein, auf sie alleine kann seine Kritik keinesfalls gestützt werden. Die rechtlichen Differenzen zwischen Einwilligung und Risiko-Einwilligung, die Duttges Urteil möglicherweise tragen könnten, werden hier wie ausgeführt nicht im gleichen Umfang erkannt. So wie sich die Einwilligung nicht auf den Körperverletzungserfolg zu beziehen hat, ist dann auch die Sittenwidrigkeit maßgeblich ein Urteil über eine Körperverletzungshandlung, da ein Erfolg an sich niemals gegen die „guten Sitten“ verstoßen kann.238 Die fehlende Einbeziehung des Erfolges in den Täterwillen steht dem Sittenwidrigkeitsurteil genauso wenig entgegen, wie sie der Annahme einer Einwilligung entgegensteht, sie führt letztlich dazu, dass die Schwere des Erfolges für sich genommen keine Relevanz besitzt.239 Roxins zweiter Einwand zielt auf die systematische Stellung des § 229 hinter § 228 ab, wodurch man annehmen könnte, die Begrenzung der Einwilligung durch die „guten Sitten“ beziehe sich eindeutig nur auf §§ 223–227.240 Diese Argumentation hat in der Lehre durchaus Anklang gefunden.241 Gegen sie hat jedoch insbesondere Hirsch überzeugend eingewandt, dass es der Regelungstechnik des Gesetzes entspricht, die fahrlässige Begehungsweise als Strafbarkeitsergänzung und Ausnahme von der Regel, dass nur vorsätzliches Handeln strafbar ist (§ 15), erst im Anschluss an sämtliche materiell-rechtlichen Fragen der vorsätzlichen Begehung zu behandeln.242 Erkennbar ist dieses Vorgehen gleichermaßen im 16. Abschnitt des StGB (Straftaten gegen das Leben), dessen letztes Delikt die fahrlässige Tötung ist. Folglich lässt sich aus der Stellung des § 228 nichts für die Geltung der Vorschrift für fahrlässige Körperverletzungen herleiten. Weiterhin setzt sich der schon zu § 216 erhobene Vorwurf einer unzulässigen Analogie zu Lasten des Täters bei der Anwendung des § 228 auf die fahrlässige Körperverletzung fort. So meint etwa Beulke als Befürworter eines Verstoßes gegen Art. 103 Abs. 2 GG, für die Ausweitung des § 228 auf Fahrlässigkeitstaten Duttge, NStZ 2009, 690 (691); vgl. auch Puppe, AT1 Bd. 2 § 6 Rn. 13. Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, BT, § 6 Rn. 37; Weber, FS Baumann, S. 47; Murmann, FS Puppe, S. 780; vgl. zudem Hardtung, in: MK1-StGB, § 228 Rn. 9; anders dagegen Schlehofer, in: MK-StGB, Vor § 32 Rn. 127. 239 Konsequent ist daher umgekehrt, dass Duttge, FS Otto, S. 232 f. und Roxin, AT I, § 11 Rn. 121 eine erfolgsbezogene Einwilligung verlangen. 240 Roxin, AT I, § 13 Rn. 69. 241 Stree/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, § 228 Rn. 7; Hardtung, in: MK1StGB, § 228 Rn. 4; Niedermair, Körperverletzung, S. 121; Murmann, FS Puppe, S. 780; Walter, in: LK-StGB, Vor § 13 Rn. 128 (der schlussendlich aber a. A. ist). 242 Hirsch, in: LK11-StGB, § 228 Rn. 1; außerdem Eschelbach, in: BeckOK-StGB, § 228 Rn. 2. 237 238
B. Die Sittenwidrigkeit der einverständlichen Fremdgefährdung
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gelte „nicht anderes“ als für die des § 216243 und erntet damit vereinzelt Zustimmung.244 Doch obwohl derartige Bedenken hinsichtlich der Fernwirkung des § 216 wie gezeigt berechtigt sind245, lassen sie sich nicht im gleichen Maße für die Einwilligungsschranke des Sittenverstoßes fruchtbar machen. Strukturell unterscheiden sich die Normen bereits dadurch, dass § 228 kein eigener Tatbestand ist, sondern eine im Besonderen Teil befindliche Einschränkung eines ansonsten ungeregelten Rechtfertigungsgrundes. Demnach wäre zunächst vorauszusetzen, dass Art. 103 Abs. 2 GG auf diese Vorschrift überhaupt anwendbar ist246, doch kann dies offen bleiben: Weshalb bei Geltung des § 228 für fahrlässige Körperverletzungen auf eine Analogie zurückgegriffen werden müsste247, scheint kaum nachvollziehbar. Denn während § 216 eindeutig von der Tötung „auf Verlangen“ spricht und somit fahrlässiges Tun explizit ausklammert, äußert sich § 228 neutraler („Körperverletzung“), so dass eine Anwendbarkeit auf § 229 sich von vornherein in den Grenzen des Wortlauts bewegt.248 Der Verstoß gegen das Verbot der Analogie zu Lasten des Täters wird deshalb bei näherer Betrachtung erst gar nicht ernsthaft geprüft, sondern anderen Erwägungen, weshalb § 228 nicht auf fahrlässige Verletzungen des Körpers „passt“, als Ergebnis hintenangestellt.249 Ein anderer Ansatz, der im Kern ebenfalls an die Unterschiedlichkeit der Sachverhalte anknüpft, wird von denjenigen vertreten, die für die Begründung des § 216 und des § 228 der Tabuargumentation folgen. So wie bereits die Fernwirkung des § 216 (im Ergebnis zu Recht) mit der Überlegung verneint wird, das Schädigungstabu sei bei einer Gefährdung nicht in gleicher Weise betroffen250, wird hiervon teilweise auch bei § 228 im Zusammenhang mit Gefährdungssachverhalten ausgegangen.251 Abgesehen davon, dass eine klare Aussage darüber, ob § 228 bei Fahrlässigkeit gilt, sich unmöglich anhand der Tabuformel treffen lässt252, liegt der Grund für die Rechtswidrigkeit der Körperverletzungstat trotz 243
Beulke, FS Otto, S. 216. Duttge, NStZ 2009, 690 (691); Hardtung, in: MK1-StGB, § 228 Rn. 8. 245 Oben, Kapitel 5, A. II. 1. 246 Allgemein dazu Niedermair, Körperverletzung, S. 28 ff.; Rain, Doping, S. 115 ff.; Kudlich, JA 2009, 389 (391). 247 Das nehmen Hardtung, in: MK1-StGB, § 228 Rn. 8; Vogel, in: LK-StGB, § 15 Rn. 241; Puppe, AT1 Bd. 2 § 6 Rn. 13 ohne weiteres an. 248 A. A. Duttge, FS Otto, S. 230 („ausweislich ihres klaren Wortsinns“). 249 So sieht Hardtung, in: MK1-StGB, § 228 Rn. 9 sich durch das wie gezeigt angreifbare Systematikargument zu seiner Folgerung gezwungen, die er eigentlich für „unangebracht“ hält; Duttge, NStZ 2009, 690 (691) durch das ebenfalls zuvor widerlegte Argument des Unterschiedes zwischen Gefährdung und Schädigung. 250 s. die in Fn. 58 dieses Kapitels genannten Autoren. 251 Schünemann, JA 1975, 715 (723); Stratenwerth, FS Puppe, S. 1020; Stree/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, Vor § 32 Rn. 104; Kaspar, JuS 2012, 112 (115). 252 Zum gleichen Problem schon oben, Kapitel 5, A. II. 2. b). Diejenigen, die § 216 wegen des Tabugedankens eine Fernwirkung zusprechen wollten und diesen Gedanken 244
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Kap. 5: Gesetzliche Schranken der Einwilligung in ein Risiko
Einwilligung wie gezeigt253 nicht in einem vom Gesetzgeber aufgestellten Fremdschädigungstabu begründet. 2. Fahrlässige Tötung (§ 222) Ist § 228 somit auf die fahrlässige Körperverletzung anwendbar, so ist leicht zu erkennen, dass gefährliche Aktivitäten genauso gut ein tödliches Ende nehmen können. Der BGH hat im Beschleunigungstest-Fall selbst eine tödlich endende einverständliche Fremdgefährdung der Grenze des § 228 unterstellt und den Täter gemäß § 222 bestraft, dies aber kaum begründet.254 Nimmt man wie hier eine Geltung des § 228 für fahrlässig begangene Körperverletzungen an, lehnt eine Fernwirkung des § 216 jedoch ab255, scheint diese Konsequenz unausweichlich, da bei anderer Sichtweise im Falle von gefährlichen Handlungen vom Zufall abhinge, ob aufgrund von § 228 bestraft werden kann (Opfer überlebt schwer verletzt) oder nicht (Opfer stirbt) und gleichzeitig nur der Eintritt des weniger gravierenden Erfolges Strafe zur Folge haben könnte.256 Es stellt sich zugleich die Frage nach der gesetzeskonformen Durchführbarkeit dieses Vorhabens. In der Tat ist der Einwand einer verbotenen täterbelastenden Analogie hier ernster zu nehmen als im vorigen Abschnitt. Weil es sich bei § 222 um eine Straftat gegen das Leben handelt, während § 228 ausdrücklich eine vollendete Körperverletzung in den Blick nimmt, scheint diese an sich sachgerechte Erweiterung nicht mehr vom Wortlaut gedeckt, erst Recht nicht von der Gesetzessystematik.257 Gleichwohl ist die Kritik zu formal, den in medizinischer Hinsicht fließenden Übergang von der Körperverletzung hin zum Tod bildet das Recht nämlich dadurch ab, dass es nach der heute nicht mehr ernsthaft bestrittenen Einheitstheorie beim Vorsatz die Körperverletzung als notwendiges Durchgangsstadium des Todes (jener sozusagen „schwersten Form der Körperverletzung“) anerkennt.258 Somit enthält jede fahrlässige Tötung eine fahrlässige Körauch bei § 228 für schlagend halten, wenden nun konsequenterweise neben § 216 auch § 228 auf die Gefährdung an; etwa Hammer, JuS 1998, 785 (788). 253 Dazu Kapitel 5, A. II. 2. b); B. I. 3. 254 BGHSt 53, 55 (62); zweifelnd zuvor OLG Zweibrücken, JR 1994, 518 (519), welches eine ausführlichere Prüfung der Übertragbarkeit der Einwilligungsschranken auf die Risiko-Einwilligung vornahm. 255 Anders BGHSt 53, 55 (62). 256 Vgl. Glocker, Doping, S. 213; Dach, Einwilligung, S. 83 f. 257 Neben den in Fn. 243 u. 244 dieses Kapitels genannten Autoren noch Rain, Doping, S. 61; Hauck, GA 2012, 202 (217). Kühl, NJW 2009, 1158 (1159) weist darauf hin, § 222 stehe § 216 „sachlich und räumlich“ näher als § 228; auch Kreß/Mülfarth, JA 2011, 268 (273) gehen davon aus, § 228 sei nur im Wege der Analogie auf § 222 anwendbar, lassen einen Verstoß gegen das Analogieverbot aber trotz Zweifeln offen; Murmann, FS Puppe, S. 780 spricht von der „Berücksichtigung des Rechtsgedankens“ des § 228. 258 Statt vieler nur Rengier, BT II, § 13 Rn. 14.
B. Die Sittenwidrigkeit der einverständlichen Fremdgefährdung
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perverletzung, deren Verletzungshandlung wiederum einer Wertung nach § 228 zugänglich sein kann. Schlussendlich wird angeführt, die Gute-Sitten-Klausel passe schon deshalb nicht auf die fahrlässige Tötung, weil sie von der Möglichkeit der Einwilligung bei Individualrechtsgütern als Regelfall ausgeht, während § 216 diametral entgegengesetzt die Unverfügbarkeit des Rechtsgutes Leben festschreibt.259 Hiermit wird allerdings ein wesentlicher Punkt im Verborgenen gelassen: Da § 216 ausweislich seines klaren Wortlautes nur der finalen konsentierten Fremdtötung eine absolute Schranke setzt und keinesfalls auf die hier interessierenden Fälle angewandt werden kann – ja nicht einmal eine Fernwirkung hierfür von ihm ausgeht – kann diese Tatbestandsnorm nicht dazu herangezogen werden, einen Widerspruch künstlich zu konstruieren.
III. Konkretisierung des Sittenwidrigkeitsmaßstabs Letzten Endes liegen folglich keine durchschlagenden Argumente gegen die Vorgehensweise der h. M., den § 228 auf die fahrlässige Körperverletzung oder Tötung anzuwenden, vor. Die angestellten Überlegungen260 zur Existenz der Norm lassen sich ohne Bruch auf fahrlässige Körperverletzungen übertragen, auch hier kann die Freiheit durch besonders leichtsinnige und gefährliche Unternehmungen, die ohne verständlichen Grund durchgeführt werden, letztlich in Misskredit geraten und ein Unterbinden derartiger Verhaltensweisen daher geboten sein. Daher wird sich der vielbeschworene Autonomiegedanke der gesetzgeberischen Entscheidung für dessen Begrenzung zu fügen haben und kann nicht für sich genommen bereits dazu dienen, die Norm, solange sie Teil des StGB ist, aus freiheitsbezogenen Erwägungen unangewendet zu lassen.261 Zutreffend erscheint allerdings, dass bei Gefährdungssachverhalten größere Vorsicht bei der Annahme von Sittenwidrigkeit geboten ist.262 1. Risikodimension Das Sittenwidrigkeitsurteil bezieht sich bei der Gefährdung wie ausgeführt nur auf die Handlung des Täters. Da der Erfolg von vornherein nicht beabsichtigt ist, 259 Beulke, FS Otto, S. 216; Dölling, GA 1984, 71 (89); Helgerth, NStZ 1988, 261 (263); Popp, Sittenwidrigkeit, S. 72; Boll, Strafrechtliche Probleme, S. 87. 260 Kapitel 5, B. I. 3. 261 In diese Richtung Vogel, in: LK-StGB, § 15 Rn. 241; Puppe, in: NK-StGB, Vor § 13 Rn. 199; Glocker, Doping, S. 214; Geppert, Jura 2001, 490 (494); Hähle, Sportverletzungen, S. 143; Rain, Doping, S. 61; Berkl, Sportunfall, S. 106. 262 So etwa Eschelbach, in: BeckOK-StGB, § 228 Rn. 24; Stree, in: Schönke/Schröder27, § 228 Rn. 11; Mayer, Produktverantwortung, S. 360; Rengier, BT II, § 20 Rn. 8; stark einschränkend Ostendorf, JuS 1982, 426 (432) („nur ganz ausnahmsweise“); Heinrich, AT, Rn. 473 verlangt, dass sich „die Lebensgefährlichkeit des Verhaltens geradezu aufdrängt“.
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Kap. 5: Gesetzliche Schranken der Einwilligung in ein Risiko
kann die Bewertung der Tat als gegen die „guten Sitten“ verstoßend nur davon abhängen, ob der Täter eine besonders hohe Gefahr für die körperliche Unversehrtheit des Einwilligenden geschaffen hat. Die aus dem Bezugspunkt der Gefahr zwingend resultierende ex-Ante-Betrachtung führt jedoch Schwierigkeiten mit sich: Nur selten (etwa beim erwähnten „Russischen Roulette“) lässt sich die Wahrscheinlichkeit des Erfolgseintritts präzise errechnen und einer – freilich selbst bei feststehenden Prozentwerten noch streitbaren263 – wertenden Einschätzung als „zu hoch“ oder „noch im Rahmen des Erlaubten“ zuführen. Geht es, was der Begriff des Risikos oftmals umschreibt, um die unbestimmte und -bestimmbare Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts, wird es noch heikler: So ist bekannt, dass eine Blinddarmoperation unter Vollnarkose Gesundheitsrisiken birgt, man wird diese mehrheitlich aber nicht als übermäßig hoch einstufen wollen. Die Gefahren, die sich aus der Mitfahrt mit dem eine BAK von exakt 1,0 Promille aufweisenden Autofahrer ergeben, sind zu situationsabhängig, um hinreichend bezifferbar zu sein, sie können von Fall zu Fall oberhalb oder unterhalb des anhand von Statistiken ermittelten Durchschnittsgesundheitsrisikos einer Allgemeinanästhesie angesehen werden. Bei der späteren Rekonstruktion des Sachverhaltes wird sich oft nur undeutlich klären lassen, wie hoch das bestehende Risiko im Tatzeitpunkt tatsächlich gewesen ist. Man sollte daher im Blick behalten, dass die der Sittenwidrigkeit immanenten und vielbemängelten Unsicherheiten in Fahrlässigkeitskonstellationen nicht erst bei der Bewertung, sondern schon auf der Ebene der Ermittlung des Schweregrades beginnen und hierbei auf Überlegungen zurückgegriffen wird, die mal empirie-, mal logik- und mal gefühlsbasiert sind. Um nicht in zu hohem Maße der Versuchung zu erliegen, den eingetretenen Erfolg als „rettenden“ Indikator für den ausreichenden Risikograd verkappt zu berücksichtigen, wird man deshalb ein für die Sittenwidrigkeit der Gefährdung ausreichend gravierendes Risiko nur zurückhaltend in eindeutigen Fällen annehmen dürfen. Dass sich hieraus eine völlige Untauglichkeit der hohen Gefahrengrades als Bewertungsmaßstab ergibt264, erscheint nichtsdestotrotz überzogen. Denn es ist durchaus möglich, dem Kriterium mehr Konturen zu verleihen, als es bisher geschehen ist. Für den Begriff der Gefahr selbst gilt Bekanntes. Von einer hinreichend konkreten Gefahr lässt sich dann sprechen, wenn es nach Lage der Dinge allein vom Zufall abhängig ist, ob der Erfolg eintritt oder nicht265, nicht bei der nur sehr fernliegenden Möglichkeit dessen oder dann, wenn jener Punkt in zeitlicher Hinsicht noch nicht erreicht wurde. Der Begriff der Gefahr selbst meint also nur die Wahrscheinlichkeit der Erfolgsrealisierung der Tätigkeit. Näher in den Blick zu nehmen ist der Bezugspunkt der Gefahr, der die Folgen für die ge263
Dazu Popp, Sittenwidrigkeit, S. 73. Das behaupten Niedermair, Körperverletzung, S. 125 ff.; Popp, Sittenwidrigkeit, S. 73; Hähle, Sportverletzungen, S. 143. 265 Vgl. nur Rengier, StV 2013, 30 (33). 264
B. Die Sittenwidrigkeit der einverständlichen Fremdgefährdung
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fährdeten Rechtsgüter bei Realisierung des Risikos betrifft (im Folgenden als Risikogewicht bezeichnet). Hier lassen sich potentieller Schadensumfang und Schadensnähe als zwei voneinander trennbare Faktoren herausgreifen. Für den Schadensumfang ist zunächst das Ausmaß der denkbaren Verletzungen, die im Erfolgsfall eintreten können, grob einzuschätzen. Ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Gefahr im Erfolg realisiert, sehr hoch, sind jedoch die zu erwartenden Verletzungen wenig gravierend, wird man die erforderliche Gefahrenhöhe bereits verneinen müssen. Als hinreichend gravierend und in Verbindung mit einem unverständlichen Zweck abstrakt freiheitsbedrohend ist in jedem Fall die Lebensgefährlichkeit einzustufen, die in vielen Konstellationen riskanter Tätigkeiten insbesondere im Straßenverkehr zu bejahen sein wird, da sie sich von der Gefahr der schweren Verletzung schlichtweg nicht trennen lässt. Jedoch muss, schon weil aus § 216 für § 228 nichts folgt266, das Urteil eines hohen Schadensumfangs nicht auf die Lebensgefahr beschränkt sein: Geht es um den seltenen Fall des Risikos einer schweren, aber körperlich eingrenzbaren und erwartbar nicht lebensgefährlichen Verletzung (z. B. „Russisches Roulette“ mit auf das Knie gerichteter Schusswaffe), ist auch in Anbetracht der § 228 hier zu Grunde gelegten Deutung kein Grund ersichtlich, weshalb § 228 zurückzustehen hätte. Als Orientierungspunkt eignet sich der Begriff der schweren Gesundheitsschädigung267, eine solche muss qualitativ zu befürchten sein, sofern sich das Risiko im Erfolg verwirklicht. Die zweite Komponente des Risikogewichts, die Schadensnähe, wird benötigt, da der Eintritt einer schweren Gesundheitsschädigung bei Gefahrenrealisierung nicht in sämtlichen Konstellationen gleich gesichert scheint. Auf dieser Ebene ist deswegen zu ermitteln, wie zwangsläufig der Eintritt einer schweren Gesundheitsschädigung aus dem allein vom Zufall abhängigen „Schiefgehen“ der riskanten Handlung folgt. So mag man die 1/6-Chance einer Schussabgabe beim „Russischen Roulette“ als statistisch noch akzeptables Risiko ansehen wollen, die Tatsache, dass im Falle der Risikorealisierung der Erfolg in einer Schussverletzung aus allernächster Nähe bestünde und diese zudem mit zwangsläufiger Sicherheit einträte, lässt das Risikogewicht und dadurch letztlich das Verhalten in seiner Risikodimension jedoch als inakzeptabel hoch erscheinen. Mittelbar eine Rolle kann für das Risikogewicht damit durchaus spielen, welche Schutzvorkehrungen in concreto getroffen worden sind, um das Ausmaß der 266 A. A. Roxin, AT I, § 13 Rn. 39; dagegen bereits oben, Kapitel 5, A. II 2. Zugleich berücksichtigt auch Roxin irreversible schwere Verletzungen (AT I, § 13 Rn. 43), greift dazu allerdings auf einen abweichenden Erklärungsansatz zurück: Derartige Verletzungen dienten nicht der Lebensentfaltung des Einwilligenden – was die Einwilligung eigentlich bezwecke – sondern der Lebensbeeinträchtigung, seien also Akt der Selbstnegation. Zu dieser Theorie mit Recht kritisch Fateh-Moghadam, Einwilligung, S. 117. 267 Bei der vorsätzlichen Körperverletzung auch Hardtung, in: MK1-StGB, § 228 Rn. 24; Hirsch, FS Amelung, S. 198.
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Verletzung im Falle der Gefahrenverwirklichung einzudämmen. Diese können entweder dafür sorgen, dass der potentielle Schadensumfang sich von vornherein nur auf leichtere Verletzungen erstrecken kann, oder dass schwere Verletzungen zwar möglich sind, aber üblicherweise nicht sicher oder mit großer Wahrscheinlichkeit aus der Verwirklichung des Risikos folgen, es mithin an einer ausreichenden Schadensnähe fehlt. Während etwa mäßig riskante Operationen eines Ärzteteams, Sportausübung oder auch professionelle „Showgefährdungen“ (Stuntmen, Zirkusartisten, Zauberkünstler etc.) hiernach dem Verdikt einer hohen Risikodimension oft entgehen können, ist jenes im Beschleunigungstest-Fall unausweichlich: Bei Geschwindigkeiten von über 200 km/h während eines riskanten Überholmanövers ist die Gefahr sehr konkret, die möglichen Verletzungsfolgen sind gravierend und die Wahrscheinlichkeit, dass diese bei einem Unfall eintreten werden, kaum von der Hand zu weisen (wie die Realität im Straßenverkehr schon bei niedrigerem Tempo alltäglich beweist). Die Möglichkeit des effektiven Schutzes von Leib und Leben existiert bei derartigen Geschwindigkeiten nicht. 2. Risikozweck Geht es um das Zweckkorrektiv, ist folgendes zu beachten: Die Verwerflichkeit des Handlungszieles bemisst sich stets anhand einer werthaften Betrachtung. Bei einer einverständlichen Fremdschädigung ist Handlungsziel von vornherein eine Verletzung des Körpers, der Vorsatz der Beteiligten ist also auf ein Tun gerichtet, dessen rechtliche Missbilligung bereits durch das gesetzliche Verbot zum Ausdruck kommt und bei welchem eine Einwilligung einen Ausnahmefall darstellt. Dort kommt dem positiven, nachvollziehbaren Zweck mithin die Aufgabe zu, eine aufgrund der Gesetzeslage bestehende Vermutung der Unverständlichkeit einer bewussten Entscheidung für eine schwere Verletzung zu widerlegen. Daraus erklärt sich zugleich, weshalb an das mit der Körperverletzung verfolgte Interesse zum Teil hohe Anforderungen gestellt werden268, während man alltägliche Anlässe als „normativ schwach“ 269 nicht genügen lassen will. Bei der einverständlichen Fremdgefährdung wird zum Teil behauptet, eine Zweckbetrachtung sei deshalb sinnlos, weil fahrlässiges Verhalten kein finales Verhalten sei.270 Das trifft allerdings den Punkt nicht, denn auch bei einverständlichen vorsätzlichen Verletzungen geht es um den Zweck der Körperverletzung, dieser ist niemals die Körperverletzung selbst (Zweck einer Operation am Knie ist z. B. nicht die Verletzung des Knies, sondern die Wiederherstellung von dessen Beweglichkeit). Einer solchen Zweckbetrachtung sind Gefährdungen sicherlich auf ähnliche Weise zugänglich, beim „Auto-Surfen“ geht es dem Opfer um 268 269 270
Hirsch, FS Amelung, S. 197. Jakobs, FS F.-C. Schroeder, S. 516. Walther, Eigenverantwortlichkeit, S. 236.
B. Die Sittenwidrigkeit der einverständlichen Fremdgefährdung
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den „Adrenalinrausch“, bei Geschlechtsverkehr mit einem HIV-Infizierten um Befriedigung des Sexualtriebes und bei der Fahrt mit einem Betrunkenen um Zeitersparnis. Der Unterschied besteht darin, dass an der Basis der Zweckbetrachtung nicht die Erfüllung eines Straftatbestandes, sondern die Schaffung einer rechtlich missbilligten Gefahr steht. Ein darauf gerichtetes Tun ist nicht als „konkrete Körpergefährdung“ separat unter Strafe gestellt und stellt sich als alltäglicher und sozial üblicher dar als ein auf Schädigung ausgerichtetes271; es sollte in einem freiheitlichen Staat mit Mitteln des Strafrechts daher lediglich in seinen extremen Auswüchsen unterbunden werden. Hier kann nicht mehr gefragt werden, ob der angestrebte Handlungszweck einen derartigen, nachteiligen Schaden „Wert ist“, sondern ob er die Entscheidung für die ungewisse Wahrscheinlichkeit eines solchen verständlich werden lässt. Für die Betrachtung des Zwecks ergibt sich daraus, dass keine vergleichbar hohen Anforderungen an dessen Wertigkeit gestellt werden dürfen wie bei der Fremdschädigung, will man nicht infolge des ohnehin problematischen Kriteriums des Gefahrengrades einer zu weit gehenden Bevormundung des Bürgers auf der Grundlage moralischer Erwägungen das Wort reden. Sieht man das mit der Handlung verfolgte Ziel als für die Anwendung des § 228 bedeutsam an, werden sich schwierige externe Bewertungen dieser Art nicht vollständig vermeiden, jedoch immerhin einengen lassen. Dass eine extensiv zweckorientierte Betrachtungsweise im Bereich der Gefährdung Bedenken hervorruft, wurde durch die vielgeäußerte Kritik272 an Döllings „qualifizierter Einwilligung“, die einen positiven, hochrangigen Handlungszweck zur Kompensation des missbilligten Risikos verlangt273, offenbar. Ihm zufolge würde es für eine Strafbarkeitsbegrenzung274 etwa im Memel-Fall darauf ankommen, ob der Fahrgast die an sich zweifellos nach den oben herausgearbeiteten Gesichtspunkten hochriskante Tätigkeit auf sich nahm, um in der Stadt vor Ladenschluss schnell noch etwas einzukaufen, oder ob er seinen todkranken Vater
271 Treffend Niedermair, Körperverletzung, S. 127: „Denn das Eingehen von Risiken für Leib und Leben ist in unserer hochtechnisierten Gesellschaft ein nahezu ubiquitäres Verhalten, welches der einzelne zur Erreichung seiner Ziele im Wirtschafts- und Sozialleben mehr oder minder bewußt ausübt – man denke nur an den alltäglichen Straßenverkehr“. Freilich relativiert sich diese Betrachtung (mit der Niedermair die Anwendung des § 228 gänzlich ablehnt) dadurch, dass insbesondere der von Niedermair exemplarisch genannte Straßenverkehr – und auch zahlreiche andere Risiken, mit denen man im Alltag konfrontiert wird – schon nicht als rechtlich missbilligt angesehen werden können und demnach keine einverständlichen Fremdgefährdungen sind, die dem § 228 unterfallen. 272 Derksen, Handeln auf eigene Gefahr, S. 94; Roxin, AT I, § 11 Rn. 135; Walther, Eigenverantwortlichkeit, S. 236; Rönnau, in: LK-StGB, Vor § 32 Rn. 166; Eschweiler, Selbstgefährdung, S. 63 f. 273 Dölling, GA 1984, 71 (90 f.); ders., FS Gössel, S. 214; ihm folgend Helgerth, NStZ 1988, 261 (263); Boll, Strafrechtliche Probleme, S. 91. 274 Die bei Dölling nicht über § 228, sondern über den Rechtsgedanken des § 216 erfolgt (s. o. Kapitel 5, A. II. 2. b)), was aber in der Sache keinen Unterschied macht.
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noch ein letztes Mal sehen wollte.275 Zu verlangen ist, dass für das Eingehen eines derart hohen Risikos überhaupt ein nachvollziehbarer276, jedoch nicht zwingend moralisch besonders hochwertiger Grund erkennbar ist, wodurch insbesondere Imponiergehabe, Gruppenzwang, Langeweile oder Nervenkitzel als Gründe ausscheiden werden, die oben beschriebenen besonders hohen Gefahrschaffungen nicht sittenwidrig erscheinen zu lassen. Das erscheint auch unter Berücksichtigung der hier favorisierten Erklärung für die Existenz des § 228 opportun. Eine nicht verständliche Entscheidung, bei der die Verletzungsgefahr in keinem Verhältnis mehr zu ihrem Zweck steht, weshalb die Körperverletzung abstrakt freiheitsbedrohend daherkommt, wird bei fahrlässigem Verhalten seltener sein, gerade bei den genannten niedrigwertigen Gründen jedoch lässt sich aus der Unverständlichkeit auch plausibel auf fehlende Vollzugsreife der Entscheidung für das Risiko schließen. Das Fehlen eines nachvollziehbaren Grundes und die nach den Umständen konkrete Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung sind bei der Risiko-Einwilligung kumulative Voraussetzungen für das Eingreifen des § 228, sie lassen sich nicht pauschal derart zueinander ins Verhältnis setzen, dass der Handlungsanlass umso hochwertiger sein muss, je konkreter die Gefahr ist.277 Neben Bedenken dahingehend, dass auf diese Weise der Versuch einer möglichst scharfen Begrenzung auf eindeutig gefährliche und eindeutig unverständliche Handlungen wieder unterlaufen wäre, spricht dagegen, dass dies auch den Weg dahin ebnen würde, leichte Körperverletzungen bei besonders zu missbilligendem Handlungsanlass unter Strafe zu stellen, oder – sofern man dies ablehnt – jene Ausnahme vom Grundprinzip dann schwerlich erklärt werden könnte.
275 So Dölling, GA 1984, 71 (93); für den HIV-Fall Helgerth, NStZ 1988, 261 (263), der hier zwischen ehelichem (= wertvollem) und unehelichem (= nicht wertvollem) Geschlechtsverkehr differenziert. 276 Vgl. Frister, AT, 15/28 („wenn es [. . .] einen allgemein verständlichen Grund gibt“), allerdings bezogen auf die vorsätzliche Körperverletzung; Quillmann, Einwilligung, S. 62. 277 So allerdings Lenckner, in: Schönke/Schröder27, Vor § 32 Rn. 104; wohl auch Jakobs, AT 14/12.
Zusammenfassende Thesen 1. Bei der Selbstschädigung handelt es sich nicht um straflos gelassene, primärrechtlich jedoch missbilligte Verhaltensweisen, sondern um Handlungen, denen die Qualität fehlt, Unrecht zu sein. Die Straflosigkeit von die freiverantwortliche Selbstschädigung begünstigendem Verhalten ergibt sich nicht aus dem „Teilnahmeargument“, sondern daraus, dass durch das Ermöglichen selbstschädigenden Verhaltens keine rechtlich missbilligte Gefahr für das geschädigte Rechtsgut geschaffen wird. Dieser Gedanke gilt gleichermaßen für die Mitwirkung an eigenverantwortlicher Selbstgefährdung. 2. Die Einwilligung ist kein Tatbestandsausschluss-, sondern ein Rechtfertigungsgrund. 3. Die als „Gefährdung“ bezeichneten Sachverhalte, in denen das Opfer den tatbestandlichen Erfolg nicht einmal als Zwischenziel in den geplanten Handlungszusammenhang integriert, sind nicht zu vereinheitlichen, da die für die Straflosigkeit der „Beteiligung“ an fremder Selbstgefährdung vorgebrachten Gründe nicht auf jede Fallkonstellation im Gefährdungskomplex anwendbar sind, sich die Straflosigkeit des Dritten somit teilweise aus anderen Erwägungen ergeben muss. Die Autonomie des Opfers ist beiden Fallgruppen zwar gemein, genügt jedoch nicht für eine völlige strafrechtsdogmatische Gleichmachung. 4. Die eigenverantwortliche Selbstgefährdung und die einverständliche Fremdgefährdung als zwei verschiedene Fallgruppen der Opfermitwirkung im Gefährdungsbereich werden anhand des Kriteriums der rechtlichen Missbilligung des vom Täter gesetzten Risikos voneinander abgegrenzt. Schafft der Täter keine rechtlich missbilligte Gefahr, weil er dem Opfer lediglich die Option eröffnet, sich in Gefahr zu bringen, liegt eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung vor. Trägt dieser Gedanke im konkreten Fall nicht, handelt es sich um eine einverständliche Fremdgefährdung. 5. Bei der einverständlichen Fremdgefährdung ist die konkrete Opferentscheidung für das Risiko nicht bereits im Rahmen der objektiven Zurechnung zu berücksichtigen. Weder der Verweis auf die „Eigenverantwortlichkeit“ als Leitprinzip bei der Gleichstellung noch der auf die „Reichweite des Tatbestandes“, die sich auf Selbst- wie Fremdgefährdung gleichermaßen nicht erstrecke, sind hier zielführend. Eine Gleichstellung kann zudem nicht anhand der von Roxin vorgeschlagenen Kriterien erfolgen. 6. Die Einwilligung in ein Risiko stellt keine „Fiktion“ dar. Eine Einwilligung ist als Lösungsinstitut der einverständlichen Fremdgefährdung folglich ein gang-
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Zusammenfassende Thesen
barer Weg, es bedarf keiner wesentlichen Veränderung der bisherigen Einwilligungsdogmatik, um die Risiko-Einwilligung konstruktiv zu ermöglichen. Eine Einwilligung in den Erfolg – wenigstens im Sinne eines „Billigens“ – ist nicht erforderlich, die Einwilligung in die gefährliche Handlung reicht aus. Damit entfällt der Handlungsunwert, wodurch es letztlich ebenso an einem Erfolgsunwert fehlt. 7. In kognitiver Hinsicht muss der Einwilligende die für die rechtliche Missbilligung des Täterverhaltens relevanten Risikotatsachen erkennen sowie eine ungefähre Vorstellung vom Ausmaß des denkbaren Schadens besitzen. Ein Exzess des Fremdgefährdenden ist dann beachtlich und einwilligungsausschließend, wenn der Einwilligende nach Lage der Dinge schutzwürdig darauf vertrauen durfte, die Vorteile der Einwilligung ohne ein derartiges Risiko wie das verwirklichte erlangen zu können, es sich bei dem Exzessrisiko also nicht um ein untrennbar mit dem eingewilligten Grundrisiko verbundenes Risiko handelte. 8. Voluntative Voraussetzung der Einwilligung in das Risiko ist, dass sich die Entscheidung als ein Setzen von Prioritäten für das Risiko deuten lässt. Demnach sind bei faktischem Gutheißen der Gefährdungshandlung die voluntativen Mindestanforderungen erfüllt. Geht es um schlichte Gleichgültigkeit im Hinblick auf den Bestand des eigenen Rechtsgutes, darf sich diese nicht alleine auf die Handlung beziehen, sondern muss sich als innere Einstellung auch gegenüber dem Erfolg der Tat fortsetzen, um als Einwilligung zu gelten. 9. § 216 ist nicht seinem Rechtsgedanken nach auf die einverständliche Fremdgefährdung anwendbar. Selbst dann, wenn man die Lebensgefährlichkeit als Ansatzpunkt für das Eingreifen der Norm nimmt und sich nicht auf den fahrlässig verursachten Tötungserfolg konzentriert, verstieße eine auf § 216 gestützte Einwilligungsgrenze gegen das Analogieverbot. Hinzu kommt, dass eine Ratio, welche eine solche Fernwirkung ermöglichen würde oder gar zwingend erscheinen ließe, dem § 216 nicht unterlegt werden kann. 10. Ein Verstoß gegen die guten Sitten kann auch einer einverständlichen Fremdgefährdung gemäß § 228 Schranken setzen und zur Unbeachtlichkeit der Einwilligung führen. Eine Anwendung des § 228 auf die fahrlässige Körperverletzung oder Tötung ist möglich. Für die Sittenwidrigkeit der Tat kommt es dann auf den Anlass und das Gewicht der Körperverletzung an, da es bei § 228 um eine abstrakte Gefährdung der Freiheit durch in ihrer Schwere und gleichzeitigen Zwecklosigkeit unverständige konsentierte Körperverletzungen geht. Die Handlung ist sittenwidrig, wenn sie bei Betrachtung aller Umstände eine hohe Risikodimension aufweist und nicht aus einem noch objektiv verständlichen Grund vorgenommen worden ist.
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Sachwortverzeichnis Adäquanz 148 – soziale siehe Sozialadäquanz AIDS siehe HIV Akzessorietät, limitierte siehe Teilnahmeargument, limitierte Akzessorietät Alteritätsprinzip 96 Analogieverbot 166–167, 174, 197–198 Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden 178, 191 Aufnahmeritual-Fall 174–175, 184, 189 Ausführungsrisiko 149 Ausgeliefertheit gegenüber fremder Steuerungsmacht siehe Entwicklung, unübersehbare Auto-Surfen 58, 101–102, 143, 145, 148, 174, 202 Autonomie – als Bestandteil des Rechtsguts 46–52 – als Gemeinsamkeit von Selbst- und Fremdgefährdung 40–41, 43, 45, 82 – Berücksichtigung auf der Rechtsfolgenseite 107 – Schranken siehe Sittenwidrigkeit sowie Tötungsverbot Autorennen 66, 96, 142, 150–151 Beherrschbarkeit des Risikos siehe Risikokontrolle Beschleunigungstest-Fall 58, 144, 147, 150, 202 Bestimmungsnormen 131 Beteiligung an fremder Selbstgefährdung siehe Selbstgefährdung, eigenverantwortliche sowie Teilnahmeargument Beweisargument 171 Billigen – des Erfolges 62, 125, 156 – des Risikos 151–154
Chancenlosigkeit – als Indiz für rechtliche Missbilligung 91 – als Indiz für Sittenwidrigkeit 185 Dammbruchargument 170 Deliktsaufbau, dreistufiger 52 Drogenkriminalität 57, 63, 82, 161, 178 Eigenhändigkeit 40–44, 67 Eigenverantwortlichkeit siehe Freiverantwortlichkeit sowie Prinzip der Eigenverantwortlichkeit Einheit von Handlung, Wille und Erfolg 78–79, 81 Einheitstäterbegriff 34, 64–65, 74, 80 Einheitstheorie 67–84, 111, 119 Einwilligung – als Rechtsgutspreisgabe siehe Autonomie als Bestandteil des Rechtsguts – deliktssystematische Verortung 45–52 – Erfolgsbezogenheit siehe voluntatives Element der Risiko-Einwilligung sowie Fiktionsargument – finale und unfinale 127 – in ein Risiko siehe Risiko-Einwilligung – Schranken siehe Sittenwidrigkeit sowie Tötungsverbot – Wirkungsweise 45–52, 123 Entwicklung, unübersehbare 40–41, 95, 144 Erfolg – als Teil des Handlungsunrechts 134– 135 – Unrechtsirrelevanz 131–132 Erfolgsunrecht 133, 135, 164 Erkennbarkeit des Risikos 139–140
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Sachwortverzeichnis
Fahrlässigkeitsdelikt – Anwendung der §§ 216, 228 siehe Sittenwidrigkeit bei fahrlässiger Tatbegehung sowie Tötungsverbot, Fernwirkung – Täterschaft und Teilnahme siehe Teilnahmeargument, Übertragung auf Fahrlässigkeitsdelikt – Unrechtsstruktur 71, 79, 129, 132, 134 – Verhältnis zum Vorsatzdelikt 35, 71– 72, 135 Faustkampf-Fall 55 Fehler – bei der Ausführung der riskanten Handlung siehe Risikoexzesse – vermeidbare Fehler als Zurechnungsaspekt 110, 115, 147–148 Fernwirkung des § 216 siehe Tötungsverbot, Fernwirkung Fiktionsargument 122–136 Finalität – der Schädigung allgemein 79, 81, 84, 132, 202 – der Tötung 39, 85, 97, 165, 172, 174, 199 Freiheitsgefährdung, abstrakte 174, 194, 201, 204 Freiverantwortlichkeit 67, 76, 82, 117– 119 Fremdgefährdung, einverständliche – Abgrenzung zur eigenverantwortlichen Selbstgefährdung 91–106 – als Problem der objektiven Zurechnung 63, 67–84, 108–120 – als Unterfall der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung siehe Einheitstheorie – Einwilligungslösung siehe Risiko-Einwillligung – Gleichstellung mit eigenverantwortlicher Selbstgefährdung siehe Gleichstellungstheorie Fremdschädigung, einverständliche – Abgrenzung zur eigenverantwortlichen Selbstschädigung 85–91 – als mittelbare Selbstschädigung 25
– axiologische Gleichstellung mit eigenverantwortlicher Selbstschädigung 41 – Strukturunterschiede zur eigenverantwortlichen Selbstschädigung 42–45 Frieden, sozialer 169, 193 Gefährdung – als maius zur Schädigung 76 – als minus zur Schädigung 57, 72, 80 – Definition 61 Gefährdungsdelikt, abstraktes 186, 194 Gefährdungsherrschaft siehe Tatherrschaft 92 Gefahr siehe Risiko Gemeininteressen siehe Kollektivinteressen Gesundheitsschädigung, schwere 201 Gleichgültigkeit – gegenüber eigenen Rechtsgütern 153– 154 – gegenüber fremden Rechtsgütern 125 Gleichstellungstheorie – bedingte 109–119 – unbedingte 111, 120 Grad der Gefahr siehe Risikodimension Grundrisiko 141, 145–150 gute Sitten siehe Sittenwidrigkeit Handeln auf eigene Gefahr 70 Handlungslehre, finale 131 Handlungsunrecht – bei der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung 65–66, 81, 120, 141 – Entfallen durch Einwilligung 133 – Präponderanz bei der Einwilligung siehe Unrechtslehre, subjektiv-monistische HIV 58, 93, 102, 160, 203 Initiative bezüglich der Risikoschaffung 116–117, 157–159 Intentionsunwert 132 Interessenabwägung 48, 69, 126, 181, 190
Sachwortverzeichnis Interpersonalität 22–23, 25, 42, 66, 81 Irrtum – über die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts 143 – über potentielles Schadensausmaß 143 – über Risikotatsachen 142–143 Kausalverlauf – Beherrschung 58, 67, 107 – Einflussmöglichkeiten des Opfers 95– 96, 102, 104 – Irrelevanz der Beherrschung 77, 83 – isolierte Betrachtung 98, 100 – rechtliche Missbilligung siehe rechtliche Missbilligung des Risikos Kollektivinteressen 24, 136, 168, 171, 186, 190 Kontrolle siehe Risikokontrolle sowie Entwicklung, unübersehbare Koordinatensystem der Opfermitverantwortung 20 körperliche Unversehrtheit – Gemeinbezug 181, 191–194 – kein Gemeinbezug 182, 185–187 Lastwagen-Fall 58, 103, 155, 158 Leben – als „Gottesgeschenk‘‘ 168 – Gebot der Achtung siehe Tabuargument – Gemeinbezug 168–174 Memel-Fall 53–54, 73, 110, 147, 157, 160, 203 Menschenwürde 184, 187–189 Missbilligung, rechtliche siehe rechtliche Missbilligung des Risikos Moral – Konsensfähigkeit 178, 183, 191, 204 – moralisierende Betrachtung 175, 181, 189, 203 – und Recht 191 Mutprobe 104–105
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Naturereignis 75, 79 neminem laede 52 Nervenkitzel 62, 153, 204 Neutralisierung von Handlungsunrecht durch Einwilligung 120, 129 Nichtstun des Gefährdeten siehe Unterlassen als Opferbeitrag zur Risikorealisierung Opferwille siehe voluntatives Element der Risiko-Einwilligung Paternalismus 82, 160, 185–186 point of no return 86, 97 Polizeipistolen-Fall 27, 33, 57 Positivismus 28, 31, 37 Prinzip der Eigenverantwortlichkeit – als Abgrenzungsmaßstab 87–89 – als haftungsbegrenzendes Prinzip 64, 117–119 – Kritik 98, 115, 117–119 Quasi-Mittäterschaft 59, 86–87, 93, 96, 100, 106, 108 rechtliche Missbilligung des Risikos – als Abgrenzungsmaßstab 89–91, 98– 106 – bei der Selbstgefährdung 65, 71 – Einfluss von Opferverhalten 66, 103– 105 – Faktoren 90 Rechtsgut – der Allgemeinheit siehe Kollektivinteressen – Erhaltungswille 46, 50, 52 – hochrangiges 40, 44 – Preisgabe 24, 80, 122–123 – Vergeistigung siehe Autonomie als Bestandteil des Rechtsguts Rechtsgutsbegriff, personaler 47, 49, 51 Rechtsgutsvertauschung 190 Reichweite des Tatbestandes siehe Schutzzweck der Tatbestandsnorm
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Sachwortverzeichnis
Risiko – erlaubtes 70, 156 – Grundrisiko siehe dort – rechtliche Missbilligung siehe rechtliche Missbilligung des Risikos – Ungewissheit 140, 144 Risiko-Einwilligung – als Fiktion siehe Fiktionsargument – Einwilligungsfähigkeit 137 – generelle 145, 148 – Kundgabe 138 – rechtliche Unterschiede zur Einwilligung 145, 157 – Schranken siehe Sittenwidrigkeit sowie Tötungsverbot – Willensmängel siehe Irrtum Risikodimension 95, 143, 147, 167, 181, 199–202 Risikoexzess – Begriff 144–146 – durch mangelhafte Ausführung 147 – durch Risikoerweiterung 147 – Maßstab 148–151 Risikokenntnis – Abgrenzung zur Erkennbarkeit 139– 140 – als Grund für die Straffreiheit 54, 56, 75–78, 118 – des Opfers in Relation zum Täter 141, 143 – Umfang 55, 115, 139–151 Risikokontrolle 17, 40, 91 Risikozweck 62, 177, 180–183, 190, 204 Russisches Roulette 144, 201 Sadomasochismus 175, 189 Schranken der Einwilligung siehe Sittenwidrigkeit sowie Tötungsverbot Schutzpflichten 22 Schutzzweck der Tatbestandsnorm 65, 113–114 Schweretheorie 179–181
Selbstgefährdung, eigenverantwortliche – Abgrenzung zur einverständlichen Fremdgefährdung 91–106 – Gleichstellung mit Fremdgefährdung siehe Einheitstheorie sowie Gleichstellungstheorie – Strafbarkeit 78, 82 – Ursprung 20, 27, 57, 75 – Verortung 57, 64–67 Selbstschädigung, eigenverantwortliche – Abgrenzung zur einverständlichen Fremdschädigung 42–45, 85–91 – Beteiligung siehe Teilnahmeargument 25 – Unrechtsqualität 21–24, 42, 66 Sittenwidrigkeit – als abstrakte Freiheitsgefährdung 175, 193–194 – als Gefährdung des sozialen Friedens 193 – als Menschenwürdeverletzung 184, 187–189 – als missbilligte Zweckverfolgung 183, 189–190 – als spezielles Autonomiedefizit 182, 185–187 – als unverhältnismäßige Eingriffsschwere 181, 194 – als Verstoß gegen gesellschaftliche Wertvorstellungen 178, 191 – Antiquiertheit 42, 175 – bei fahrlässiger Tatbegehung 195–199 – Suizid 32 – Verfassungswidrigkeit des § 228 175 Skateboarder-Fall 103 Sorgfaltspflichten – Herabsetzung durch Risiko-Einwilligung 81, 135 – Theorie des Wegfalls der Pflichtwidrigkeit 110 Sozialadäquanz 48, 70, 147 Sport 70, 99, 125, 146, 202 Sterbehilfe 26
Sachwortverzeichnis Steuerbarkeit – als normatives Datum 65, 82 – des Geschehensablaufs siehe Kausalverlauf, Beherrschung sowie Tatherrschaft Störerdreieck 22 Straßenverkehr 58, 70, 149 Stuntman 202 Suizid siehe Selbstschädigung, eigenverantwortliche Tabuargument 170–174, 180, 192, 197 Tat im natürlichen Sinne 30, 32, 94 Täterbegriff – extensiver 75, 92 – restriktiver 65, 92, 114 – subjektiver 85 Tatherrschaft – als Tatbestandsverwirklichungsherrschaft 94, 98 – bei Selbst- und Fremdschädigung/-gefährdung 58, 85–87, 91–93, 109–110 – beim Fahrlässigkeitsdelikt siehe Teilnahmeargument, Übertragung auf Fahrlässigkeitsdelikt – gemeinsame siehe Quasi-Mittäterschaft – Kritik an der Abgrenzung 74, 79, 94– 97 – phänomenologische Zufälligkeit 77, 83, 97 – potentielle 87 Teilnahmeargument – Kritik 28–37, 64, 72, 74, 80, 88, 94 – limitierte Akzessorietät 28–31 – Übertragung auf Fahrlässigkeitsdelikt 33–35, 57, 72, 74–75, 92 – und mittelbare Täterschaft 36 – Ursprung 26 Tötungsverbot – Abschaffung 42, 170 – absolute Geltung bei fahrlässiger Tötung 164 – Fernwirkung 165–173 – Ratio 167–174
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Übereilungsschutz 173 Unrechtslehre – personale 130 – subjektiv-monistische 130–132 Unterlassen als Opferbeitrag zur Risikorealisierung 103–105 Urheberschaft des Risikos siehe Initiative bezüglich der Risikoschaffung venire contra factum proprium 128, 149 Verantwortung, gleichrangige siehe Initiative bezüglich der Risikoschaffung verbale Einwirkungsmöglichkeit des Opfers auf den Kausalverlauf 59, 105 Verhaltensoption, hypothetische 87, 102 Verlangen der Gefährdung 158 Vertrauen – in sorgfältige Durchführung der Risikohandlung 149–151 – rechtlich feste Form 160–162 Viktimologie 69 voluntatives Element der Risiko-Einwilligung – bezüglich Rechtsgutsgefährdung 151– 154 – bezüglich Rechtsgutsschädigung 122 – in Relation zum Täterwillen 154–156 Vorsatzlehren, objektive 152 Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts 200 Wertentscheidung, gesetzgeberische 165–167 Wille des Opfers siehe voluntatives Element der Risiko-Einwilligung Willensmangel siehe Irrtum Wortlautüberschreitung siehe Analogieverbot zeitliche Reihenfolge von Opfer- und Täterhandeln 63, 101, 105 Zufall 77, 79, 83, 105, 131–132, 200
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Sachwortverzeichnis
Zurechnung, objektive – als Baustein der Risiko-Einwilligung 127–129 – und Eigenverantwortlichkeit siehe Prinzip der Eigenverantwortlichkeit – und einverständliche Fremdgefährdung siehe Fremdgefährdung, einverständ-
liche als Problem der objektiven Zurechnung – und Naturkausalität 98 Zweck der gefährlichen Handlung siehe Risikozweck