Die Drittwirkung der Grundfreiheiten: Die EG-Grundfreiheiten als Grenze der Handlungs- und Vertragsfreiheit im Verhältnis zwischen Privaten [1 ed.] 9783428500857, 9783428100859

Die EG-Grundfreiheiten sind mächtige Instrumente gegen Beschränkungen der grenzüberschreitenden Wirtschaftsfreiheit durc

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Die Drittwirkung der Grundfreiheiten: Die EG-Grundfreiheiten als Grenze der Handlungs- und Vertragsfreiheit im Verhältnis zwischen Privaten [1 ed.]
 9783428500857, 9783428100859

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TED OLIVER GANTEN

Die Drittwirkung der Grundfreiheiten

Untersuchungen zum Europäischen Privatrecht

Band 3

Die Drittwirkung der Grundfreiheiten Die EG-Grundfreiheiten als Grenze der Handlungs- und Vertragsfreiheit im Verhältnis zwischen Privaten

Von Ted Oliver Ganten

Duncker & Humblot . Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Ganten, Ted Oliver: Die Drittwirkung der Grundfreiheiten : die EG-Grundfreiheiten als Grenze der Handlungs- und Vertragsfreiheit im Verhältnis zwischen Privaten I von Ted Oliver Ganten. - Berlin : Duncker und Humblot, 2000 (Untersuchungen zum europäischen Privatrecht; Bd. 3) Zug!.: Augsburg, Univ., Diss., 1999 ISBN 3-428-10085-9

Alle Rechte vorbehalten Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübemahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany

© 2000 Duncker &

ISSN 1438-6739 ISBN 3-428-10085-9 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 97069

Vorwort Europa hat mich zutiefst in seinen Bann gezogen. Bei aller durchaus berechtigten Kritik in Literatur und Öffentlichkeit gerät leicht in Vergessenheit, daß es die ursprüngliche Idee der europäischen Gemeinschaften ist, den Frieden zu sichern. Ein Ideal, für dessen Verwirklichung sich einzusetzen lohnt - für das man eventuell sogar Unbequemlichkeiten in Kauf nehmen muß. Um den Frieden auch über eine wertungsgebundene Verstärkung der Handelsbeziehungen zu fordern, bedarf es fein abgestimmter rechtlicher Instrumente. Einerseits müssen sie bei der Öffnung der Grenzen helfen und andererseits dafür sorgen, daß die nunmehr europaweit agierenden Privatleute von ihrer Freiheit in fairer, friedensstiftender Weise Gebrauch machen. Die nachfolgenden Ausführungen sollen einen Beitrag zur Feinabstimmung der wichtigsten dieser Instrumente liefern: Den Grundfreiheiten. Ich danke herzlich meinem Doktorvater Professor Dr. Thomas M. J. Möllers und Professor Dr. Volker Behr, meinem Zweitgutachter. Besonderer Dank gilt meinen Eltern Ursula und Detlev Ganten, die mich auch bei der Promotion großzügig und vorbehaltlos unterstützt haben. Aus juristischen Gefilden verdienen besonders Franz Clemens Leisch, Bernd Sandmann und mein Freund Ralph E. Walker für Wortgefechte und Meinungsaustausch Erwähnung. Klaus Schlobach hat sich darüber hinaus die Last des Korrekturlesens aufgebürdet. Auch meine Freunde Gerda Rasberger und Susanne Koch haben mit den 369.083 Zeichen dieser Untersuchung gekämpft. Bei meiner Verlobten Katrin Thieme verb laßt das Leid des Korrigierens von über tausend Fußnoten neben der Tatsache, daß sie mich erträgt. Augsburg, im Januar 2000

Ted Oliver Ganten

Inhaltsverzeichnis § 1 Einleitung ........................................................................

15

I. Problemstellung .............................................................

15

11. Begriffsklärung ..............................................................

21

1. EG-Grundfreiheiten ......................................................

21

2. Vertikale / horizontale unmittelbare Anwendbarkeit .......................

22

3. Drittwirkung .............................................................

23

4. Unmittelbare/mittelbare Drittwirkung ....................................

26

5. Private ...................................................................

28

111. Rechtsfragen ................................................................

29

IV. Gang der Untersuchung........ . .............................................

32

§ 2 Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur unmittelbaren Drittwirkung der Grundfreiheiten ........................................................

33

I. Die Warenverkehrsfreiheit ............................................. . .....

34

1. Das Dansk Supermarked-Urteil (1981) ....................................

34

2. Das Van de Haar-Urteil (1984) ................. . ..........................

36

3. Das Haug-Urteil (1984) ...................................................

37

4. Das Vlaamse Reisebureaus-Urteil (1987) .................................

39

5. Das Süllhöfer-Urteil (1988) ...............................................

39

6. Das Urteil gegen die Royal Pharmaceutical Society (1989) ................

40

7. Die Rechtsprechung zum Schutze des gewerblichen und kommerziellen Eigentums ................................................................

40

8. Zusammenfassung .......... . .............................................

45

8

Inhaltsverzeichnis

11. Die Arbeitnehmerfreizügigkeit und die Dienstleistungsfreiheit

45

1. Das Walrave-Urteil (1974) ............ . ...................................

46

2. Das Dona-Urteil (1976) ....................... . ...........................

47

3. Das Haug-Urteil (984) ...................................................

47

4. Die Urteile Allue I (1989) und Allue 11 (1993) ............................

48

5. Das Bosman-Urteil (1995) ................................................

48

6. Zusammenfassung ........................................................

49

III. Die Niederlassungsfreiheit und das Van Ameyde-Urteil, 1977 ................

49

IV. Weitere Urteile mit Bezug zur Drittwirkung .... . .............................

51

1. Das Nordsee-Urteil (1982) ................................................

51

2. Das Dubois-Urteil (1995) .................................................

52

V. Zusammenfassung ...........................................................

53

§ 3 Private als Adressaten der GrundCreiheiten .....................................

56

I. Auslegung des Wortlauts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

56

11. Historische Auslegung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

58

III. Systematische Bedenken gegen eine unmittelbare Drittwirkung ..............

59

1. Die mittelbare Drittwirkung der Grundfreiheiten ..........................

59

a) Der Bindungsbefehl hinsichtlich vertraglicher Vereinbarungen als Maßnahme des Mitgliedstaates ........................................

60

b) Der Richterspruch und dessen Vollstreckung als mitgliedstaatliche Maßnahme ............................................................

61

c) Die Grundfreiheiten als Schutzrechte ..................................

64

d) Die Bestätigung des Grundsatzes der fehlenden mittelbaren Drittwirkung durch die ausdrückliche Ausnahme des Art. 86 Abs. I EGV (Art. 90 Abs. I EGVa. F.) .............................................

66

e) Die Verpflichtung der Mitgliedstaaten aus Gemeinschaftstreue für die Beachtung der Grundfreiheiten unter Privaten zu sorgen ...............

68

(I) Art. 10 Abs. I S. I EGV (Art. 5 Abs. I S. lEGVa. F.) ....•........

69

(2) Art. 10 Abs. I S. 2 EGV (Art. 5 Abs. I S. 2 EGV a. F.) . . . . . . . . . . . . .

70

(3) Das Erdbeerkrieg-Urteil, 1997 .....................................

70

f) Zusammenfassung.....................................................

71

Inhaltsverzeichnis

9

2. Die Aussagekraft der Wettbewerbsregeln hinsichtlich der unmittelbaren Drittwirkung der Grundfreiheiten .........................................

72

a) Rückschlüsse aus der ausdrücklichen Nennung Privater als Adressaten der Wettbewerbsregeln ................................................

72

b) Die Redundanz der Wettbewerbsregeln neben drittwirkenden Grundfreiheiten ......................................... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

73

(I) Tatbestand ....................................... .. ...............

74

(2) Rechtfertigung ..... . ..............................................

76

(3) Rechtsfolgen ......................................................

77

(4) Ziele..............................................................

77

c) Der begrenzte Schutz des Wettbewerbs als Argument gegen einen unbegrenzten Schutz des Binnenmarktes .................................

79

d) Rückschlüsse aus Art. 86 Abs. 2 EGV (Art. 90 Abs. 2 EGV a. F.) flir die Drittwirkung der Grundfreiheiten ..................................

81

e) Zusammenfassung.....................................................

83

3. Die Systematik der Kapitel ...............................................

83

4. Die Adressaten der Ausnahmeregelungen .................................

84

5. Der Schluß von den Sanktions- und Ausgestaltungsmöglichkeiten der Gemeinschaftsorgane auf den Adressatenkreis der Norm. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

85

6. Die Gefährdung der Kohärenz nationaler Rechtsordnungen ...............

86

7. Übertragbarkeit der Argumente wider eine Drittwirkung von Richtlinien..

87

8. Beschränkung der Drittwirkung auf quasi-staatliche Private. . . . . . . . . . . . . . .

90

9. Zusammenfassung ........................................................

93

IV. Systematische Gründe flir eine unmittelbare Drittwirkung .. . . . . . . . . . . . . . . .. . .

94

1. Übertragbarkeit der Argumente für die Drittwirkung von Art. 141 EGV (Art. 119 EGVa. F.) ......................................................

94

a) Die Grundlagenqualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

96

b) Die volle Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts .......................

97

c) Einheitliche Anwendung des Vertrages ................................

97

d) Zusammenfassung.....................................................

97

2. Das allgemeine Diskriminierungsverbot und seine Aussagekraft hinsichtlich einer unmittelbaren Drittwirkung der Grundfreiheiten ................

98

a) Der Geist des Vertrages. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

98

b) Das Binnenmarktziel ..................................................

99

c) Der ethische Gehalt ................................................... 100

10

Inhaltsverzeichnis d) Die weite Fassung..................................................... 101 e) Die Stellung. .. . . . . . . . ..... . . . .. . . . .. . . . . . . . .. .. . . . . . . . . .. . . . . .. . .. .. .. 101 t) Zusammenfassung . . . .. .. .. . . . . . . . . . . . . . . . . . .. .. . . . . . .. . .. . .. . . . . . . .. .. 102

3. Die Grundsätze des EuGH bei der Auslegung der Grundfreiheiten ........ 102 4. Die Vergleichbarkeit der Grundfreiheiten ................................. 103 5. Die Dynamik des Gemeinschaftsrechts ................................... 104 6. Zusammenfassung .............................................. . . . .. . .. .. 105 V. Die teleologische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 106

l. Auslegung anhand der Präambel .......................................... 106 a) Wahrung von Frieden und Freiheit durch Zusarnmenschluß der Wirtschaftskräfte .......................................................... 107 b) Beseitigung der Europa trennenden Schranken......................... 109 2. Auslegung anhand der Artt. 2 und 3 EGV ................................. 110 a) Art. 2 EGV, die ausgewogene und harmonische Entwicklung des Wirtschaftslebens .......................................................... 11 0 b) Art. 3 Iit. c) EGV, die Beseitigung der Hindernisse für einen Binnenmarkt ................................................................. 1I2 3. Auslegung anhand von Art. 5 Abs. 2 EGV (Art. 3b Abs. 2 EGVa. F.) ..... 1I5 4. Auslegung anhand eines allgemeinen Subsidiaritätsgedankens ............ 117 VI. Zusammenfassung .................... '. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . 119

§ 4 Beschränkungen der Grundfreibeiten durch autonomes Handeln Privater . . . .. 120

I. Das Ausmaß des allgemeinen Beschränkungsverbotes ....................... 121

l. Warenverkehr ............................................................ 121 2. Dienstleistungsfreiheit .......................................... . . . . . . . . .. 122 3. Arbeitnehmerfreizügigkeit ................................................ 122 4. Niederlassungsfreiheit .................................................... 123 5. Schlußfolgerung.......................................................... 123 11. Einschränkung durch die Keck-Rechtsprechung.............................. 124 I. Übertragbarkeit der Keck-Rechtsprechung auf andere Grundfreiheiten .... 125 2. Literatunneinungen zu Verkaufsmodalitäten und privatautonomen Verhaltensweisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 129

Inhaltsverzeichnis

11

3. Ratio der Keck-Rechtsprechung .......................................... 131 4. Umsetzung der Ratio bei der Warenverkehrsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 133 5. Parallelen zu den Vertriebsmodalitäten bei den anderen Grundfreiheiten .. 134 6. Verhaltensweisen Privater, die unter die Keck-Rechtsprechung fallen ..... 136 a) Rechtliche Beschränkungen ........................................... 136 b) Tatsächliches Verhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 138 c) Beschränkungen durch Unterlassen.................................... 139 III. Analoge Anwendung des SpÜfbarkeitserfordernisses ......................... 141 IV. Einschränkung durch Art. 86 Abs. 2 EGV (Art. 90 Abs. 2 EGVa. F.) ......... 145 V. Grenzen der unmittelbaren Anwendbarkeit .................. :................ 146 VI. Konkurrenz zu den Wettbewerbsregeln ...................................... 147 1. Vorrangigkeit ............................................................. 148 2. Gleichrangigkeit .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 151 3. Rechtsprechung .......................................................... 154 VII. Teleologische Reduktion der Beschränkungstatbestände ...................... 156 1. Gruppenfreistellungen .................................................... 160 2. ,.Rule of Reason"-Rechtsprechung ........................................ 161 3. Zusammenfassende Fallgruppenbildung .................................. 162 VIII. Zusammenfassung........................................................... 163 § 5 Rechtfertigung von Beschränkungen der Grundfreiheiten durch Private ...... 164

I. Schranken anderer drittwirkender Normen des Primärrechts .................. 164 1. Art. 12 EGV (Art. 6 EGVa. F.) ......................... . ................. 164 2. Art. 141 EGV (Art. 119 EGVa. F.) .... . . . ...... .. . ... .... .. . . . .. . . . .. . . . .. 166 11. Die anerkannten Rechtfertigungsgründe der Grundfreiheiten ................. 166 1. Diskriminierung.......................................................... 167 a) Rechtfertigungsgründe des freien Warenverkehrs .......... . ........... 167 b) Rechtfertigungsgründe der Arbeitnehmerfreizügigkeit ................. 168 c) Rechtfertigungsgründe der Dienst- und Niederlassungsfreiheit ......... 169

12

Inhaltsverzeichnis 2. Nicht-diskriminierende Beschränkungen ........................ . . . . . . . . .. 170 3. Legitimation Privater im Allgemeininteresse zu handeln.................. 171 4. Zusammenfassung ............... .. . . . .. . . .. . . . .. . .. . . . . . .. .. . .. . . . .. . . . . . 172 III. Das Willkürverbot des Art. 30 S. 2 EGV (Art. 36 S. 2 EGVa. F.) als Schranke 173 IV. Immanente Schranken der Grundfreiheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 174 1. Entwicklung und Inhalt der Grundrechte .................................. 174 2. Beachtung der Grundrechte bei der Auslegung der Grundfreiheiten ....... 175 3. Prinzip des Abwägungsvorgangs . . . . .. . . . ... ... . . . . . . .. . . . . ... . . ... . . . .. .. 176 a) Interessen der Gemeinschaft.. . . . .. . . . .. . .. .. .. . .. .. . . . . .. . . . .. . .. .. .. . 177 b) Interessen des Beschränkenden. . .. . . . ... . . . .. . . . . ... . . . ... . . ... .. ..... 178 c) Interessen des in seinen Grundfreiheiten Beschränkten. . ... . . . . . .. . . . .. 178 d) Gewichtung der Interessen bei diskriminierenden Beschränkungen der Grundfreiheiten ....................................................... 179 e) Gewichtung der Interessen bei nicht-diskriminierenden Beschränkungen der Grundfreiheiten ............................................... 180 4. Abwägung mit einzelnen relevanten Grundrechten........................ 180 a) Beschränkungen durch Verträge und die Vertragsfreiheit des Beschränkenden ................................................................ 181 b) Beschränkungen durch tatsächliches Verhalten und die allgemeine Handlungsfreiheit des Beschränkenden................................ 184 c) Beschränkungen durch Satzungen und Beschlüsse und die Vereinigungsfreiheit des oder der Beschränkenden............................ 184 d) Beschränkungen durch Streiks und die Koalitionsfreiheit der Beschränkenden ................................................................ 186 e) Beschränkungen durch Proteste und Demonstrationen und die Versammlungsfreiheit der Beschränkenden .. .. . . . . . .. . . . . . . .. . . . .. . . . . .. .. 187 f) Beschränkungen durch Buy-national-Kampagnen sowie Boykottaufru-

fe und die Meinungsfreiheit der Beschränkenden ...................... 188 g) Berufsfreiheit ......................................................... 191 5. Dogmatische Einordnung der immanenten Schranken .......... . .......... 192 V. Zusammenfassung ........................................................... 194

Inhaltsverzeichnis

13

§ 6 Rechtsfolgen und gerichtliche Durchsetzbarkeit der drittwirkenden Grund-

freiheiten ......................................................................... 195 I. Anerkannte Zivilrechtsfolgen bei Verstoß gegen europäisches Primärrecht ... 196 1. Zivilrechtliche Folgen bei Verstoß gegen Wettbewerbsrecht ... . . . . . . . . . . .. 196 2. Zivilrechtliche Folgen bei Verstoß gegen Art. 12 EGV (Art. 6 EGV a. F.) .. 198 3. ZivilrechtIiche Folgen bei Verstoß gegen Art. 141 EGV (Art. 119 EGV a. F.) ...................................................................... 198 4. Zivilrechtliche Folgen bei Verstoß gegen Art. 7 Abs. 4 va Nr. 1612/68/ EWG ..................................................................... 199

11. Rechtsfolgen bei Verstoß gegen die Grundfreiheiten .................. . . . .... 199 1. Nichtigkeit ............................................................... 200 a) Nichtigkeitsnorm ................ . . . . . . . . ... . . . ... . .. . .. . . . .. ... . . . .. .. 201 b) Umfang............................................................... 202 2. Schadensersatz ........................................................... 203 a) Anspruchsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 203 b) Tatbestand ............................................................ 204 c) Umfang............................................................... 206 3. Unterlassens- und Beseitigungsansprüche ................................. 209 4. Kontrahierungszwang ............................................ .. ...... 2\0 III. Gerichtliche Durchsetzung der Rechtsfolgen ................................. 2\0 1. Beweiserleichterungen für den Kläger .................................... 211 2. Schiedsvereinbarungen ................................................... 212 3. Vergleiche vor Gericht.................................................... 213 4. Richterliche Aufklärungs- und Hinweispflicht ............................ 214 5. Vorlagepflicht ............................................................ 216 IV. Zusammenfassung ........................................................... 218 § 7 Schlußbetrachtung ............................................................... 219

I. Ergebnisse dieser Untersuchung ... .. .......... .. .................. .. ........ 219 1. Zur Einleitung ............................................................ 219 2. Zur Rechtsprechung des Gerichtshofs ................ .. . . .. . . . . . .. . . . . .. .. 219

14

Inhaltsverzeichnis 3. Zu Privaten als Adressaten der Grundfreiheiten

220

4. Zu Beschränkungen durch autonomes Handeln Privater................... 221 5. Zur Rechtfertigung von Beschränkungen durch Private ................... 221 6. Zu Rechtsfolgen und gerichtlicher Durchsetzbarkeit ...................... 222 11. Das Drittwirkungskonzept im System europäischen Privatrechts ............. 222 III. Anhang: Prüfungsschema ............................................. . . . . . .. 224 Literaturverzeichnis .... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 225 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 242

§ 1 Einleitung I. Problemstellung ,.Längst bevor der Staat sich erhob vom Lager, noch im Morgengrauen der Geschichte, hatte der Handel schon ein gut Teil seines Tagewerks vollbracht; während die Staaten sich bekämpften, suchte und bahnte er die Wege, die von einem Volk zum anderen führen und stellte zwischen ihnen ein Verhältnis des Austausches der Waren und Ideen her - ein Pfadfinder in der Wildnis, ein Herold des Friedens, ein Fackelträger der Kulturi ... (von Jhering, 1904)

Am 19. April 1994 besetzen französische Bauern die MautsteIle St. Jean de Vedas an der spanischen Grenze. Zweieinhalb Stunden lang kontrollieren sie die Ladung der nach Frankreich einreisenden Lastkraftwagen. Hat einer der Wagen spanische Erdbeeren geladen, entern sie ihn und werfen das Frachtgut auf die Straße. Am Ende der Aktion bedecken 450 Tonnen (1) reifer Erdbeeren die Fahrbahn. Doch damit nicht genug. Noch am gleichen Tag stürmen rund dreihundert Landwirte ein Vertriebszentrum in Frankreich und vernichten 360 Tonnen importierter Erdbeeren. Darüber hinaus erhalten in diesem Jahr alle französischen Supermarktketten Drohungen, daß sie mit Sachbeschädigungen zu rechnen hätten, wenn sie in ihren Läden spanische Erdbeeren anböten2 . Diese Vorfälle lösen verständlicherweise eine sehr lebhafte Reaktion der spanischen Landwirtschaftsorganisationen aus. Sie drohen damit, ähnliche Verhaltensweisen gegenüber französischen Produkten an den Tag zu legen und darüber hinaus öffentlich zum Boykott sämtlicher französischer Produkte aufzurufen 3 • Die Verhaltensweisen der französischen Landwirte behindern den innergemeinschaftlichen Handel. Die Beseitigung der Hindernisse für die Grundfreiheiten der Marktteilnehmer und damit das Funktionieren eines Binnenmarktes - ist aber vorrangiges Ziel - ja sogar Existenzgrund der Europäischen Gemeinschaft4 . Welche von Jhering, Zweck im Recht, S. 180 f. Eine detaillierte Übersicht über alle Aktionen gibt GA Lenz, in Schlußantrag zu: EuGH v.9. 12. 1997, Rs. C-265 195, Sig. 1997, S. 6959, Nr. 2 ff., Kommission vs. Frankreich (Erdbeerkrieg). 3 GA Lenz. in Schlußantrag zu: EuGH v. 9. 12. 1997, Rs. C-265/95. Slg. 1997, S. 6959, Nr. 2 (11), Kommission vs. Frankreich (Erdbeerkrieg). 4 Art. 3 Iit. c) EGV lautet: Die 1ätigkeit der Gemeinschaft im Sinne des Artikels 2 um/aßt nach Maßgabe dieses Vertrages und der darin vorgesehenen Zeit/olge ... c) einen Binnenmarkt der durch die Beseitigung der Hindernisse für den freien Waren-, Personen-. Dienstleistungs- und Kapitalverkehr zwischen den Mitgliedstaaten gekennzeichnet ist; ... I

2

16

§ 1 Einleitung

Mittel hält also der Gemeinschaftsvertrag bereit, um solchen Verhaltensweisen entgegenzuwirken? Mit der herrschenden Meinung und nach dem gegenwärtigen Stand der Rechtsprechung keine! Das Eingreifen des allgemeinen Diskriminierungsverbots setzt voraus, daß aufgrund von Staatsangehörigkeit diskriminiert wird 5 . Den französischen Landwirten kam es aber nur auf die Herkunft der Erdbeeren und nicht auf die Staatsangehörigkeit der Fahrer oder Eigentümer an. Die europäischen Wettbewerbsregeln greifen nur, wenn Unternehmen handeln 6 . Die Landwirte im Beispielsfall handeln aber nicht als wirtschaftlich tätige Einheiten, sondern allenfalls als Straftäter. Zur Beseitigung von Hindernissen des grenzüberschreitenden Handels dienen im Primärrecht der Europäischen Gemeinschaft die Grundfreiheiten. Die Warenverkehrs- 7, Dienstleistungs- 8 und Niederlassungsfreiheit9 sowie die Arbeitnehmerfreizügigkeit lO verbieten jedenfalls den Mitgliedstaaten, den innergemeinschaftlichen Handel zu behindern. Tun die Mitgliedstaaten es dennoch, hat der einzelne Bürger ein vor Gericht durchsetzbares Recht auf Beseitigung der Beschränkung ll - unter bestimmten Umständen sogar auf Schadensersatz l2 . Wegen dieser sogenannten "unmittelbaren Wirkung" der Grundfreiheiten werden Handelsbeschränkungen direkt von den betroffenen Marktteilnehmern aufgespürt, angegriffen und beseitigt. Auf diese Weise haben sich die Grundfreiheiten als effektives Mittel zur Schaffung eines Binnenmarktes erwiesen. In ihrer Wirkung gegenüber den Mitgliedstaaten sind sie inzwischen soweit verfeinert, daß man sich mit ihrer Hilfe beispielsweise erfolgreich gegen nationale Vorschriften wehren kann, die eine bestimmte Gestaltung von Schokoladenpapier verbieten 13. Ob man sich mit Hilfe der Grundfreiheiten auch gegen Beschränkungen des innnergemeinschaftlichen Handels von privater Seite wehren kann, ist allerdings in höchstem Maße ungewiß l4 . Es soll also geklärt werden, ob die Handlungs- und s Art. 12 Abs. 1 EGV (Art. 6 Abs. 1 EGV a. F.) lautet: Unbeschadet besonderer Bestimmungen dieses Vertrages ist in seinem Anwendungsbereich jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verboten. 6 Artt. 81 f. EGV (Artt. 85 f. EGVa. F.). 7 Art. 28 EGV (Art. 30 EGV a. F.). 8 Art. 49 EGV (Art. 59 EGV a. F.). 9 Art. 43 EGV (Art. 52 EGV a. F.). 10 Art. 39 EGV (Art. 48 EGVa. F.). 11 Seit EuGH v. 5. 2. 1963, Rs. 26/62, Slg. 1963, S. 1, Leitsatz 3, van Gend & Loos vs. Niederländische Finanzverwaltung. 12 Seit EuGH v. 5. 3.1996, Rs. C-46 und 48/93, Slg. 1996, S. 1029, Leitsatz I. Brasserie de Pecheur vs. BRD. 13 EuGH v. 6. 7. 95, Rs. C-470/93, Slg.1995, S. 1923. Verein gegen Unwesen in Handel und Gewerbe Köln e.Y. vs. Mars GmbH. 14 So wörtlich: Jarass. EuR 1995. 202, 210; Steindorff, EG-Vertrag und Privatrecht. S. 277 m. w. N.; Roth, FS für Everling 1995, S. 1231, 1232. Die wichtigsten Analysen anderer Autoren zu diesem Thema sind: Schaejer, Die unmittelbare Wirkung des Verbotes der nichttarifä-

I. Problemstellung

17

Vertragsfreiheit Privater dadurch begrenzt ist, daß sie den grenzüberschreitenden Handel durch ihre Verhaltensweise nicht behindern dürfen. Eine solche Grenze der Handlungsfreiheit Privater wäre gegeben, wenn den Grundfreiheiten unmittelbare Drittwirkung zukäme. Die ganz herrschende Meinung l5 verneint dies aber vollständig bei der Warenverkehrsfreiheit. Die Dienstleistungs- und die Niederlassungsfreiheit sollen nur bei kollektiven Regelungen Privater greifen. Allein die Arbeitnehmerfreizügigkeit soll als einzige Grundfreiheit uneingeschränkte unmittelbare Drittwirkung entfalten. Sie ist im obigen Beispielsfall aber nicht einschlägig. Mit der herrschenden Meinung bietet das Gemeinschaftsrecht also keine Handhabe gegen die anfangs beschriebenen Hindernisse für den innnergemeinschaftlichen Handel. Vergleicht man die Wirkung der Grundfreiheiten gegenüber den Mitgliedstaaten mit ihrer Wirkung zwischen Privaten, gelangt man zu einem auf den ersten Blick befremdlichen Ergebnis: Die Grundfreiheiten verbieten mitgliedstaatliche Gestaltungsvorschriften von Schokoladenpapier, aber keinen .. Krieg" zwischen Privatpersonen! Das Ergebnis erstaunt um so mehr, als die Grundfreiheiten gleichzeitig den Grund für diesen .. Krieg" geschaffen haben. Schließlich ist es unter anderem diesen Normen zu verdanken, daß die Grenzen innerhalb der Gemeinschaft durchlässig geworden sind. Zwar haben Private dadurch die Freiheit gewonnen, sich in allen Mitgliedstaaten wirtschaftlich zu betätigen, auf der anderen Seite bringt die Öffnung der Grenzen aber auch Konkurrenten auf die heimischen Märkte. Für manche ist diese Konkurrenz - trotz gesamtwirtschaftlicher Wohlfahrtsgewinne l6 - eine Bedrohung bis hin zur Existenzgefährdung. Deshalb versuchen Private aus eigener Kraft wieder Hindernisse für den grenzüberschreitenden Handel zu errichten. Wie man im Fall der französischen Landwirte sehen kann, sind privatautonome Beschränkungen dabei nicht unbedingt weniger drastisch oder "effektiv" als solche, die von den Mitgliedstaaten ausgehen 17. Die Grundfreiheiten haben also staatliche Hindernisse an den innergemeinschaftlichen Grenzen erfolgreich aus dem Weg geräumt und damit den Grund dafür gesetzt, daß Private wegen des Drucks der neuen Konkurrenz versuchen, wieder Handelsbeschränkungen zu errichten. Wäre es da nicht schlüssig, wenn die Grundfreiheiten die von ihnen erren Handelshemmnisse (Art. 30 EWGV) in den Rechtsbeziehungen zwischen Privaten, 1987; Steindorff, Drittwirkung der Grundfreiheiten im europäischen Recht, in: FS für Peter Lerche, 1993; fast inhaltsgleich ders., EG-Vertrag und Privatrecht, 1996, S. 273 ff.; Roth, Drittwirkung der Grundfreiheiten?, in: FS für Everling, 1995, S. 1231 ff.; Jaensch, Die unmittelbare Drittwirkung der Grundfreiheiten, 1997. 15 Nachweise im Laufe der Untersuchung. 16 Zum Gesamtwohlfahrtsgewinn des Binnenmarktes siehe Cecchini, Europa '92, Der Vorteil des Binnenmarktes, 1988. 17 GA Lenz, in Schlußantrag zu: EuGH v. 9. 12. 1997, Rs. 265/95, Sig. 1997, S. 6959, Nr. 14, Kommission vs. Frankreich (Erdbeerkrieg), hält die Plünderung und Zerstörung von Waren aus anderen Mitgliedsländern zu Recht für .. eine der schwerwiegendsten Formen von Einfuhrbeschränkungen, die sich denken läßt. .. 2 Ganten

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§ 1 Einleitung

reichte Öffnung der Märkte auch gegen Eingriffe Privater absichern? Schließlich würden hierdurch auch diejenigen geschützt, die von ihren neuen Freiheiten Gebrauch machen! Die Forderung nach einer unmittelbaren Drittwirkung wird auch durch den Gedanken gestützt, daß die Grundfreiheiten nicht nur irgendwie oder aus reinem Selbstzweck die Marktöffnung anstreben. Vielmehr soll der Binnenmarkt zu einer Vereinigung der Wirtschaftskräfte in Frieden und Freiheit führen l8 . Das der Arbeit vorangestellte Zitat Jherings veranschaulicht diesen Glauben an den Handel als Quelle der Völkerverständigung, der auch die Väter der europäischen Integration beseelte 19. In der Gegenwart hat der grenzüberschreitende Handel allerdings ein Ausmaß erreicht, welches auch ein bedrohliches Konfliktpotential in sich trägt. Das anfangs geschilderte Beispiel legt hierfür ein beredtes Zeugnis ab. Jeder Europäer ist zumindest über die Nachfrage von Konsumgütern am innergemeinschaftlichen WIrtschaftsverkehr beteiligt. Die modeme Kommunikationslandschaft ermöglicht koordinierte Aktionen nicht nur von Unternehmen, sondern auch einzelner Privater. Ein Beispiel hierfür ist die Möglichkeit des Verbraucherboykotts. Darüber hinaus wächst mit den Massenmedien die Gefahr, schon mit einzelnen Zwischenfällen integrationsfeindliche Stimmungen herbeizuführen. Wie soll also heutzutage der friedensstiftende Aspekt des Handels im Dienste der europäischen Integration wirken, wenn das Gemeinschaftsrecht zwar den Konfliktherd des Binnenmarktes zwischen Privaten entzündet, aber keine Möglichkeit bereit hält, die Flamme zu regulieren? Die Vernichtung von Waren, Freiheitsberaubung und Erpressung im Beispielsfall beschränken nicht nur den Handel, sondern schüren auch ein Klima von Angst und Mißtrauen unter den Marktteilnehmern2o • Das Gemeinschaftsrecht kann ohne eine unmittelbare Drittwirkung der Grundfreiheiten solche Verhaltensweisen, die das friedliche Zusammenwachsen der Wirtschaftskräfte stören, nicht sanktionieren. In ihrer gegenwärtigen Auslegung haben die Grundfreiheiten also einen Krieg zwischen Privaten entfesselt, ohne für Fehlverhalten Folgen anzudrohen, und sie versagen bei der Beseitigung der heutzutage stärksten Hindernisse - nämlich solchen von privater Seite. Dabei wurde eingangs ein sehr krasses Beispiel gewählt, um die dahinter stehenden Wertungen zu verdeutlichen. Prinzipiell gilt jedoch in den folgenden - etwas subtileren - Fällen privatautonomer Grundfreiheitsbeschränkungen nichts anderes. Bei Boykotten, die entweder Personen bestimmter Nationalität betreffen oder sich gegen ausländische Unternehmen richten, wird der innergemeinschaftliche Handel massiv behindert. Erinnert sei hier an den ,,Mururoa"- und den "Brent Spar"-Boykott21 • In ersterem wurde dazu aufgerufen, keine französischen Waren 18

1. und 8. Erwägungsgrund des EGY.

19

Monnet, Erinnerungen eines Europäers, IV. Umschlagsseite.

20 Ähnlich EuGH v. 9. 12. 1997, Rs. 265/95, 51g. 1997,5.6959, Rz. 53, Kommission vs. Frankreich (Erdbeerkrieg).

I. Problemstellung

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mehr zu kaufen, um die Regierung in Paris zur Aufgabe von Atomtests zu bewegen. Die erheblichen Umsatzeinbußen französischer Exporteure zeigen, daß durch diesen von Privaten ins Leben gerufenen Boykott der innergemeinschaftliche Warenverkehr beschränkt wurde. Im Fall Brent Spar hatten vor allem Umweltschutzorganisationen zum Boykott eines britischen Mineralölkonzerns aufgerufen, weil dieser plante eine ausgemusterte Bohrinsel im Meer zu versenken. Da dieser Konzern in allen europäischen Ländern Benzin vertreibt, wurde auch hier der innergemeinschaftliche Waren verkehr empfindlich gestört. Privatpersonen behindern bei den genannten Boykotten in zweierlei Hinsicht den grenzüberschreitenden Warenverkehr: Zum einen durch eine aktive Handlung, indem sie zu dem Boykott aufrufen, und zum anderen durch ein Unterlassen, indem sie dem Aufruf folgen und keine Waren aus dem grenzüberschreitenden Ausland erwerben. Im Fall "Buy lrish" entschied der Gerichtshof, daß eine Werbekampagne eines Mitgliedstaates, die darauf abzielt, die Bürger zum Kauf nationaler Produkte anzuhalten, gegen die Warenverkehrsfreiheit verstößt22 • ,,Buy National"-Kampagnen Privater erschweren ausländischen Anbietern in gleicher Weise den Marktzugang und behindern so den grenzüberschreitenden Handel. Sie können sogar leicht mit einem größeren finanziellen Aufwand betrieben werden als staatliche Aktionen. Wenn zum Beispiel die deutschen Gewerkschaften beschlössen gemeinsam zur Sicherung inländischer Arbeitsplätze dafür zu werben, nur in Deutschland hergestellte Waren zu kaufen und nur deutsche Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen, hätte dies sicherlich negative Folgen für den innergemeinschaftlichen Handel. Andere Fälle, in denen Behinderungen des innnergemeinschaftlichen Handels von einer Mehrzahl Privater ausgehen, sind beispielsweise Demonstrationen. Die berüchtigten Grenzblockaden der französischen Fernfahrer legen den Handelsverkehr an den betroffenen Stellen gleich ganz lahm 23 • Aber auch Streiks in grenzüberschreitend tätigen Betrieben führen zwangsläufig zu einer Beschränkung der Grundfreiheiten 24 • Wenn nur einzelne Personen durch tatsächliche Handlungen oder Verträge die Grundfreiheiten anderer beschränken, ist dies weniger spektakulär. Da solche Beschränkungen aber wesentlich häufiger vorkommen, behindern sie den grenzüberschreitenden Verkehr insgesamt stärker als alle bisher geschilderten Fälle. Auch der EuGH mußte sich schon vielfach mit solchen Sachverhalten auseinandersetzen.

21

Ausführlich und mit weiteren Nachweisen zu diesen heiden Sachverhalten: Möllers,

NJW 1996, 1374 ff.

22 EuGH v. 24. 11. 1982, Rs. 249/81, Slg. 1982, S. 4005, Kommission vs. Irland (Buy Irish). 23 Sehae/er. S. 179 f. m. w. N. 24 Sehae/er. S. 175 ff. m. w. N.

20

§ I Einleitung

Im Fall Dansk Supennarked hatte eine dänische Supennarktkette bei einem britischen Hersteller Kaffeeservice mit einem ganz bestimmten Muster bestellt 25 . Nachdem nicht alle Service den hohen Qualitätsanforderungen des Bestellers entsprachen, vereinbarten die Vertragspartner, daß der britische Hersteller die nicht abgenommenen Produkte selbst verkaufen dürfe. Allerdings müsse er dafür Sorge tragen, daß die Service zweiter Wahl weder direkt noch auf Umwegen nach Dänemark gelangen. Ein solches vertragliches Verbot des Reimports begrenzt die Möglichkeit des britischen Unternehmens grenzüberschreitenden Handel zu betreiben. Heinz Süllhöfer schloß mit der Bayer AG und der Hennecke GmbH einen gerichtlichen Vergleich 26 . In diesem wurde vereinbart, daß die bei den Gesellschaften die von Herrn Süllhöfer zum Patent angemeldete Technik weiter benutzen und auch Unterlizenzen ausgeben dürften, wenn sie sein Patent nicht angriffen. Dabei hätten sie es vernichten können, weil sie das patentierte Herstellungsverfahren schon lange vor seiner Anmeldung durch Herrn Süllhofer nutzten. Die Absprache ermöglicht den Beteiligten weiterhin auf das Ausschließlichkeitsrecht zurückzugreifen, um den nationalen Markt vor mit diesem Verfahren im europäischen Ausland hergestellten Produkten zu schützen. Mithin diente diese privatautonome Absprache der Beschränkung des innergemeinschaftlichen Warenverkehrs. Weitere denkbare individualvertragliche Beschränkungen der Grundfreiheiten sind grenzüberschreitende Konkurrenzverbote, Alleinbezugs- und Alleinvertriebsvereinbarungen und Vereinbarungen jeder Art, die Personen aus dem europäischen Ausland bei der Ausübung wirtschaftlicher Tätigkeit in nicht-diskriminierender Weise einschränken. Die Liste von Beispielen ließe sich beliebig fortsetzen. Im Laufe der Untersuchung werden weitere Möglichkeiten der Handelsbeschränkung durch Private aufgezeigt und die Vorstehenden ausführlich gelöst. Geht man von einer unmittelbaren Drittwirkung der Grundfreiheiten aus, unterliegen alle genannten Verhaltensweisen einer gemeinschaftsrechtlichen Kontrolle. Ob sie den Beschränkungstatbestand der Grundfreiheiten erfüllen, beziehungsweise ob sie zu rechtfertigen sind, bedarf einer näheren Prüfung im Einzelfall. Sicherlich greift nicht in allen Beispielen die Verbotswirkung der Grundfreiheiten ein. Nach dem gegenwärtigen Stand der Rechtsprechung und der ganz überwiegenden Literaturmeinung wird allerdings keine der genannten Verhaltensweisen von den Grundfreiheiten - geschweige denn anderen Gemeinschaftsrechtsnormen 27 - erfaßt. Dieses Ergebnis ist weder im Sinne Europas noch seiner Bürger. 25 Angelehnt an: EuGH v. 22. 1. 1981, Rs. 58/80, Slg. 1981, S. 181, Dansk Supennarked AIS vs. AIS Imerco. 26 EuGH v. 27. 9. 1988, Rs. 65/86, Slg. 1988, S. 5249, Bayer AG und Maschinenfabrik Hennecke GmbH vs. Heinz Süllhöfer. 27 Vom Wettbewerbsrecht nicht, weil keine Unternehmen handeln oder die Maßnahmen nicht spürbar sind; vom allgemeinen Diskriminierungsverbot nicht, weil es nur Diskriminierungen aufgrund von Staatsangehörigkeit erfaßt.

11. Begriffsklärung

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11. BegritTsklärung

Bevor die rechtlichen Schwierigkeiten einer Wirkung der Grundfreiheiten zwischen Privaten kurz angerissen werden und der weitere Verlauf der Untersuchung skizziert wird, sind einige Begriffsklärungen vorzunehmen. Geht es nämlich um Probleme der Drittwirkung, herrscht schon im deutschen Recht wenig sprachliche Klarheit 28 . Im Europarecht mit seinen II Amtssprachen und seiner dynamischen Entwicklung droht sie Sachdiskussionen unmöglich zu machen 29• Im folgenden werden deshalb vorab die zentralen Begriffe dieser Arbeit definiert. Besonderes Augenmerk gilt dabei dem Begriff der "Drittwirkung", dessen Verständnis auch inhaltliche Gesichtspunkte dieser Untersuchung betrifft.

1. EG-Grundfreiheiten Die Arbeit bezieht sich auf die Grundfreiheiten des EG-Vertrages. Um groben Mißverständnissen vorzubeugen, sei darauf hingewiesen, daß die namensgleichen Grundfreiheiten der Europäischen Menschenrechtskonvention30 nicht Thema dieser Arbeit sind3 ). Wenn im folgenden von Grundfreiheiten die Rede ist, sind ausschließlich jene des Vertrages über die Europäische Gemeinschaft gemeint 32 • Die Grundfreiheiten des EGV dürfen auch nicht mit den Gemeinschaftsgrundrechten verwechselt werden 33 • Trotz der lebhaften Diskussion, ob die Grundfreiheiten inhaltlich Grundrechte oder zumindest grundrechtsähnlich sind34 , wird in dieser Arbeit terminologisch differenziert. 28 So auch Medicus, AcP 192 (1992), 35, 40; Dreier, in: Dreier, Kommentar zum 00, Vorb. Rz. 61 m. w. N. 29 Theoretisch zu diesem Problem: Weir, ZEuP 1995, 368 ff.; Luttermann, EuZW 1998, 151 ff.; als Beispiel siehe Tfwde, in: Münchner Kommentar, § 305 Rz. 3 h ff: "Das unmittelbar geltende Primiirrecht ist bisher auf wenige Vorschriften beschränkt. " - Gemeint war unmittelbar anwendbares Recht, das gesamte europäische Primärrecht gilt unmittelbar; etwas später benutzt er den Begriff" unmittelbar geltende Richtlinien ". - Gemeint war die unmittelbare Anwendbarkeit von Richtlinien, da sie per definitionem (Art. 249 Abs. 3 EGV (Art. 189 eines Transformationsaktes bedürfen, können sie nicht unmittelbar gelten. Abs. 3 EGVa. 30 Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950, BGB\. 195211 S. 686, 953; in Kraft seit 20.12.1971, BGB\. 1972 11, S. 105. 31 Der EuGH hat in einem Gutachten festgestellt, daß ein Beitritt der EU zur EMRK nach geltendem Recht nicht möglich ist: Gutachten des EuGH, EuGRZ 1996, 197 ff., Gutachten 2/94 vom 28. März 1996, Beitritt der Gemeinschaft zur Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten. Ebenso: Emmert, Europarecht, S. 298, Rz. 22; Ehlermann/ Nöel, in: Gedächtnisschrift für Christoph Sasse, Bd. 11, S. 685 ff. 32 Ausführlich zum Begriff der Grundfreiheiten: Pfeil, Historische Vorbilder und Entwicklung des Rechtsbegriffs der "Vier Grundfreiheiten" im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 1998. 33 Zur Abgrenzung, siehe: § 3 III. 1. c), oder Emmert, Europarecht, S. 295, Rz. 11 ff.; Jarass, EuR 1995, 202, 204.

F.»

22

§ I Einleitung

Die Arbeit untersucht die Warenverkehrsfreiheit, Art. 28 EGV (Art. 30 EGV a. E); die Arbeitnehmerfreiheit, Art. 39 EGV (Art. 48 EGVa. E); die Niederlassungsfreiheit, Art. 52 EGV (Art. 52 EGVa. E); und die Dienstleistungsfreiheit, Art. 49 EGV (Art. 59 EGVa. E). Ausgegrenzt ist wegen verschiedener Eigenarten die Kapitalverkehrsfreiheit, Art. 56 EGV (Art. 73 bEGVa. E)35. Entsprechend der Überschrift von Titel III des dritten Teils des EGV kann man die Arbeitnehmerfreizügigkeit, die Niederlassungsfreiheit unter dem Begriff der Freizügigkeit oder Personenverkehrsfreiheit zusammenfassen 36 . Ob Art. 12 EGV (Art. 6 EGVa. E) den Grundfreiheiten zugerechnet werden kann, kann offen bleiben 37 . Jedenfalls ist die Drittwirkung des allgemeinen Diskriminierungsverbotes nicht primärer Diskussionsgegenstand dieser Arbeit. Die Grundfreiheiten werden auch Marktfreiheiten genanne s.

2. Vertikale / horizontale unmittelbare Anwendbarkeit Die unmittelbare Wirkung39 des Gemeinschaftsrechts kann in zwei verschiedene Richtungen zielen4o . Bei der vertikalen Wirkung kann der Bürger sich gegenüber einem Mitgliedsstaat auf Gemeinschaftsrecht berufen. Wegen des "Über - Unterordnungsverhältnisses" zwischen Hoheitsträger und Bürger richtet sich der Anspruch bildlich gesprochen nach oben, gegen die "Obrigkeit", ist also vertikal. Von horizontaler unmittelbarer Wirkung spricht man dagegen, wenn das Gemein34 Beutler, in: EI§a-Tagung vom 6. bis 8. Oktober 1989, S. 65 ff.; Bleckmann, in: Das Europa der zweiten Generation, Gedächtnisschrift für Christoph Sasse, Bd. 11, S. 665 ff.; Schilling, EuR 1994,50; Wolf, JZ 1994,1151; ausführlich hierzu, siehe: § 31II. 1. c). 3S Classen, EWS 1995,97; Kimms, Die Kapitalverkehrsfreiheit im Recht der europäischen Union, S. 13 ff., 210 f.; zu Abgrenzungs- und Konkurrenzfragen siehe Honrath, Umfang und Grenzen der Freiheit des Kapitalverkehrs, S. 108 ff.; Geiger, Kommentar zum EGV, 1. Aufl., Art. 67 Rz. 2, bestreitet schon die unmittelbare Anwendbarkeit der Kapitalverkehrsfreiheit. 36 Die Überschrift lautet: "Die Freizügigkeit, der freie Dienstleistungs- und Kapitalverkehr. .. Nicht vertretbar ist dagegen, auch die DienstIeistungsfreiheit als Personenverkehrsfreiheit zu interpretieren. So aber: Streinz. Europarecht, S. 235 ff., insb. Rz. 698; Stadler spricht sogar von sechs Grundfreiheiten, in dem er die Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit unterscheidet, Die Berufsfreiheit der Europäischen Gemeinschaft, S. 43. 37 Jarass, EuR 1995, 202, 204; Ihnen bezeichnet neben dem allgemeinen Diskriminierungsverbot des Art. 12 EGV (Art. 6 EGVa. F.) noch die Unionsbürgerschaft des Art. 17 EGV (Art. 8 EGVa. F.) als Grundfreiheit, ders., Grundzüge des Europarechts, S. 43. 38 Kilian, Europäisches Wirtschaftsrecht, 1996, S. 95, Rz. 227. 39 Dies ist von der unmittelbaren Geltung des Gemeinschaftsrechts zu unterscheiden. Das gesamte Gemeinschaftsrecht gilt unmittelbar: Ständige Rechtsprechung seit: EuGH v. 5.2. 1963, Rs. 26/62, Slg. 1963, S. I, van Gend & 1..oos vs. Niederländische Finanzverwaltung; Bleckmann, Europarecht, S. 371, Rz. 1070. Nur wenige primärrechtliche Normen entfalten aber unmittelbare Wirkung: EuGH v. 5. 2. 1963, Rs. 26/62, Slg. 1963, S. 1, van Gend & 1..oos vs. Niederländische Finanzverwaltung; Schae/er, S. 20 f.; Emmert, Europarecht, S. 153 f.; Bleckmann, Europarecht, S. 415, Rz. 1178 m. w. N. aus der Rechtsprechung. 40 Emmert, Europarecht, S. 154; Fischer/ Köck, Europarecht, S. 414.

23

II. Begriffsklärung

schaftsrecht einem Privaten Rechte gibt oder Pflichten auferlegt, die er im Verhältnis zu anderen Bürgern zu beachten hat. Die vertikale unmittelbare Wirkung ist einigen Normen des EGV zu eigen41 • Demgegenüber sind im Primärrecht nur wenige Vorschriften horizontal unmittelbar anwendbar. Als Beispiel hierfür seien die Artt. 12, 81, 82, 141 EGV (Artt. 6, 85,86, 119 EGVa. E) genannt42 • Die horizontale unmittelbare Anwendbarkeit der Grundfreiheiten ist Schwerpunkt der vorliegenden Ausftihrungen. Man spricht auch von unmittelbarer Drittwirkung43 •

IMitgliedstaat I

IBürger I

Vertikale unmittelbare Anwendbarkeit

Horizontale unmittelbare Anwendbarkeit

I

~ Bürger

+4- - - -....

I

Unmittelbare Drittwirkung Anmerkung: Die Pfeile zeigen an. wer sich wem gegenüber auf Europareeht berufen kann.

Abbildung 1

3. Drittwirkung

Aus der Tatsache, daß der EG-Vertrag zwischen den Mitgliedstaaten geschlossen wurde, folgern einige, daß jede Wirkung, die nicht nur die Vertragsparteien trifft, eine .. Dritt"-wirkung sei. Hierunter fallen auch die Rechte Privater gegenüber den Mitgliedstaaten. Es ist dann von vertikaler Drittwirkung die Rede44• 41 Eine Auflistung der Vorschriften findet sich bei: Sehae/er; S. 23; seit Maastricht ist nach herrschender Meinung auch Art. 73b EGV (Art. 56 n. F.) unmittelbar anwendbar: Jarass. EuR 1995,202,208; Weber; in: Lenz, Kommentar zum EWGV. 1994. Art. 73b Rz. 18a; a.A. Geiger; Kommentar zum EGV. 1. Aufl., Art. 67 Rz. 2. 42 Beutler/Bieber/Pipkom/Streil. Die Europäische Union, S. 211; Sehae/er; S. 27 ff.; Steindorff, EG-Vertrag und Privatrecht, S. 277. 43 Schroeder; Sport und europäische Integration, S. 121 plädiert dafür. den Begriff der Dtittwirkung auf europäischer Ebene wegen Verwechslungsgefahr mit der Bedeutung in der Diskussion um die Drittwirkung der deutschen Grundrechte nicht zu benutzen. 44 Kilian. Europäisches Wirtschaftsrecht, S. 332, Rz. 837 f.; Emmert. Europarecht, S. 154, Rz. 4, S. 159, Rz. 21.

24

§ I Einleitung

Wenn man den Begriff jedoch in Anlehnung an die deutsche Grundrechtsterminologie versteht, liegt nur dann eine Drittwirkung vor, wenn das Gemeinschaftsrecht zwischen autonom handelnden Privaten wirkt45 . Dieses Verständnis des Begriffes ist vorzugswürdig46 . Erstens entspricht es seiner ursprünglichen Bedeutung, so daß die deutsche Rechtswissenschaft nicht durch eine unnötige Doppeldeutigkeit des Begriffs belastet wird. Und zweitens beschreibt der Begriff so einen präziseren Sachverhalt, läßt sich also mit größerem Verständnis gewinn einsetzen. Drittwirkung in diesem Sinne setzt damit den Begriff der Autonomie, insbesondere der Privatautonomie voraus. Privatautonomie ist die Freiheit Privater, ein Rechtsverhältnis ihrem Willen entsprechend abzuschließen oder zu gestalten47 • Ob Abschlußfreiheit rechtlich gegeben ist, läßt sich relativ leicht feststellen. Sie entflillt nur in den seltenen Fällen des Kontrahierungszwangs. Schwieriger ist die Frage zu beantworten, wann Private den Inhalt eines Rechtsverhältnisses frei bestimmen. Ganz sicher tun sie dies, wenn sie Vereinbarungen eigener Art aushandeln. Jedenfalls nicht autonom handeln Private, wenn ihr Rechtsverhältnis durch zwingende Normen definiert ist48 . Dabei kann man aus europarechtlicher Sicht fragen, ob nationales Recht erst dann als zwingend anzusehen ist, wenn es durch eine zulässige Rechtswahl nicht umgangen werden kann49 • Schließlich ist man ansonsten kollisionsrechtlich nicht gezwungen, diese Normen gegen sich gelten zu lassen5o . Eine solche Ansicht ist aus mehreren Gründen abzulehnen 51 . Einfachstes Gegenbeispiel wäre eine zwingende den Waren verkehr beschränkende Regelung, die in allen Mitgliedstaaten gleich ist. Praktisch würde der Grundfreiheitsinhaber, gleichgültig welche Rechtswahl er trifft, in seiner Freiheit aus Art. 28 EGV (Art. 30 EGVa. E) beschränkt. Trotz dieses Zwangs durch die Mitgliedstaaten würde diese Norm aber aus europarechtlicher Sicht als dispositiv gelten und damit dem privatautonomen Handeln zweier Privater zugerechnet. Außerdem ist es denkbar, daß verschiedene nationale Rechtsordnungen unterschiedliche Beschränkungen der Grundfreiheiten enthalten oder kollisionsrechtlich demjenigen die Möglichkeit der 4S Hager, JZ 1994, 373; Medicus, AcP 192 (1992), 35, 44; Alexy, Theorie der Grundrechte, S.477. 46 So definieren auch: Roth, in: FS für Everling, 1995, S. 1232; Jaensch. S. 28; Dreier, in: Dreier, GG-Kommentar, Vorb. Rz. 60; Steindorff, EG-Vertrag und Privatrecht, S. 279. 47 Heinrichs, in: Palandt, Vor § 145 Rz. 7 ff.; Thode, in: Münchner Kommentar, § 305 Rz. I; Kramer, in: Münchner Kommentar, Vor § 145 Rz. 8 ff. m. w. N. 48 Medicus, AcP 192 (1992),35,46. 49 Dies deutet der Gerichtshof an in: EuGH v. 24. 1. 1991, Rs. C-339/89, Sig. 1991, S. 107, Rz. 15, Alsthom Atlantique SA vs. Compagnie de construction mechanique Sulzer SA; Remien, JZ 1994, 350 ff.; Basedow, RabelZ 59 (1995), I ff. so Dies ist im EVÜ einheitlich geregelt, vgl. Art. 3, 5 EVÜ: Loren7 Zum weiten Staatsbegriff bei den Grundfreiheiten siehe: EuGH v. 30. 4. 1974, Rs. 155/73, Slg. 1974, S. 409, 428, Rz. 7 f., Giuseppe Sacchi; EuGH v. 13. 12. 1983, Rs. 2221 82, Slg. 1983, S. 4083,4118, Rz. 19, Apple and Pear Development Council vs. K. J. Lewis Ltd. u. a.; EuGH v. 12. 12. 1990, Rs. 302188, Slg. 1990, S. 4625, Rz. 16, Hennen Oli BV vs. ICOVA; Jarass, FS für Everling, S. 593, 594; Roth, in: Dauses, Handbuch des EG-Wirtschaftsrechts, EI Rz. 16; Jaensch, S. 223 m. w. N. U>8 Meier, ZHR 1970,61,94.

68

§ 3 Private als Adressaten der Grundfreiheiten

Grundfreiheiten Verletzte müßte so das Risiko tragen, eventuell den Falschen zu verklagen, obwohl er in die innerbetrieblichen Strukturen des Unternehmens keinen Einblick hat. Wegen Art. 86 Abs. 1 EGV (Art. 90 Abs. 1 EGVa. E) kann er in jedem Fall den Mitgliedstaat verklagen. Und zwar entweder wegen eines eigenen Verstoßes oder wegen Verstoßes gegen die Pflicht das Unternehmen von Verstößen abzuhalten. Drittens ist schon mehrfach erwähnt worden, daß die Grundfreiheiten in ihrer Wirkung zwischen Privaten Besonderheiten aufweisen. Dies schon deshalb, weil Private sich im Gegensatz zu den Mitgliedstaaten auf Grundrechte berufen können. Bei Unternehmen, die sich hoheitlich besondere Rechte gewähren lassen, muß man jedoch auch erwarten können, daß sie im besonderen Maße die Grundfreiheiten respektieren. Es gibt also überzeugende Argumente dafür, bei den Unternehmen des Art. 86 Abs. 1 EGV (Art. 90 Abs. 1 EGVa. E) neben einer unmittelbaren Drittwirkung auch eine mittelbare Drittwirkung der Grundfreiheiten anzunehmen. Art. 86 Abs. 1 EGV (Art. 90 Abs. 1 EGVa. E) stellt damit kein Argument gegen eine unmittelbare Drittwirkung der Grundfreiheiten dar. Allerdings kann aus der Anordnung der mittelbaren Drittwirkung in diesem besonders bedrohlichen Sachverhalt rückgeschlossen werden, daß im Regelfall keine mittelbare Drittwirkung der Grundfreiheiten besteht. Damit ist Art. 86 EGV (Art. 90 EGVa. E) ein systematischer Hinweis auf das Fehlen einer mittelbaren Drittwirkung der Grundfreiheiten.

e) Die Verpflichtung der Mitgliedstaaten aus Gemeinschaftstreue für die Beachtung der Grundfreiheiten unter Privaten zu sorgen Aus den Grundfreiheiten selbst läßt sich nach dem bisher Gesagten keine Pflicht für die Mitgliedstaaten begründen, für die Beachtung der Grundfreiheiten unter Privaten zu sorgen. Eine solche Pflicht läßt sich aber eventuell aus Art. 10 Abs. I EGV (Art. 5 Abs. 1 EGVa. E) ableiten 269 • Dessen Satz I und Satz 2 werden im folgenden getrennt geprüft 270 • Allerdings handelt es sich hierbei nicht mehr im eigentlichen Sinne um eine mittelbare Drittwirkung der Grundfreiheiten, denn schließlich wäre die besagte Verpflichtung eine Wirkung von Art. 10 EGV (Art. 5 EGVa. E), wenn auch in Verbindung mit den Grundfreiheiten.

So Jarass, EuR 1995,202,211; Schaefer, S. 261 ff. Der Streit um die eigenständige Bedeutung eines allgemeinen Grundsatzes der Gemeinschaftstreue gewinnt in diesem Kembereich des Vertrages keine Relevanz. Für die Gemeinschaftstreue mit eigenständiger Bedeutung: Bleckmann. Europarecht. S. 251 ff., Rz. 799 ff. Gegen diese These: Ipsen. Gemeinschaftsrecht, § 9, Rz. 22. 269

270

III. Systematische Bedenken gegen eine unmittelbare Drittwirkung

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(1) Art. 10 Abs. J S. J EGV (Art. 5 Abs. J S. J EGVa. F.)

Nach Art. 10 Abs. 1 S. 1 EGV (Art. 5 Abs. 1 S. 1 EGVa. E) haben die Mitgliedstaaten "alle geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zur Erfüllung der Verpflichtungen, die sich aus diesen Vertrag oder aus Handlungen der Organe ergeben ", zu treffen. Legt man die Grundfreiheiten dahingehend aus, daß sie nur an die Mitgliedstaaten adressiert sind, so ist nicht ersichtlich in Erfüllung welcher Pflicht die Mitgliedstaaten handeln sollten, wenn sie Private vor Privaten schützen271 • Schließlich verpflichtet beispielsweise Art. 28 EGV (Art. 30 EGV a. E) die Mitgliedstaaten nicht ganz allgemein, den freien Warenverkehr herzustel-. len, sondern verbietet nur, ihn zu beschränken 272 • Ergibt sich aus dem Vertrag keine Pflicht Privater, die Warenverkehrsfreiheit anderer Privater zu respektieren, muß der Mitgliedstaat auch keine geeigneten Maßnahmen diesbezüglich treffen. Etwas anderes gölte, wenn auch Privatpersonen Adressaten der Grundfreiheiten wären. Dann bestünde nach dem Vertrag unter Privaten die Verpflichtung die Grundfreiheiten anderer zu beachten. Die Mitgliedstaaten wären folglich nach Art. 10 Abs. 1 S. 1 EGV (Art. 5 Abs. 1 S. I EGVa. E) angewiesen, alles Erforderliche zu tun, damit diese Verpflichtung unter Privaten erfüllt wird. Nur unter diesem Blickwinkel paßt auch der von GA Lenz im Erdbeerkrieg-Urteil herangezogene Vergleich mit der Verpflichtung der Mitgliedstaaten aus Artt. 10, 3 lit. g), 81 f. EGV (Artt. 5, 3 lit. g) 85 f. EGVa. E)273, die Weubewerbsregeln zu beachten. Auch hier besteht zunächst eine Verpflichtung unter Privaten, den Wettbewerb nicht zu beschränken. Erst hieraus resultiert die mitgliedstaatliche Pflicht, wettbewerbswidriges Verhalten privater Unternehmen nicht zu erleichtern oder zu fördern. Das gleiche gilt bei den Grundfreiheiten.

271 Eine Handlungspflicht aus Art. 10 Abs. I S. I EGV (Art. 5 Abs. I S. I EGVa. E) in Verbindung mit den Grundfreiheiten ist es, die mit den Grundfreiheiten unvereinbaren nationalen Vorschriften aufzuheben: Mülbert, ZHR 1995, 2, 8, 11; für Art. 141 EGV (Art. 119 EGVa. E): EuGH v. 13. 12. 1989, Rs. 102/88, Sig. 1989, S. 4311, 4332, Rz. 19, M. L. Ruzius-Wilbrink VS. Bestuur van de Bedrijfsvereniging voor Overheidsdiensten; EuGH v. 24.3.1988, Rs. 104/86, Sig. 1988, S. 1799,1817, Rz. 12, Kommission vs. Italien. 272 Dies verkennt GA Lenz, in Schlußantrag zu: EuGH v. 9. 12. 1997, Rs. C-265 1 95, Sig. 1997, S. 6959, Nr. 12, Kommission vs. Frankreich (Erdbeerkrieg). 273 In seinem Schlußantrag zieht er den verfehlten Vergleich, die Wettbewerbsregeln seien an Private gerichtet, begründeten aber über Art. 10 EGV (Art. 5 EGV a. E) Pflichten der Mitgliedstaaten, also müßte der an die Mitgliedstaaten gerichtet Art. 28 EGV (Art. 30 EGV a. E) über Art. 10 EGV (Art. 5 EGVa. E) für die Mitgliedstaaten die Pflicht begründen, für die Beachtung der Grundfreiheiten durch Private zu sorgen. Logisch wäre unter Aufrechterhaltung des ersten Teils nur der Schluß, daß dann Private über Art. 10 EGV (Art. 5 EGVa. E) zur Einhaltung der Grundfreiheiten verpflichtet seien. Unter AufrechterhaItung des Schlusses, müßte die These lauten, daß Artt. 10, 81, 82 EGV (Artt. 5, 85, 86 EGVa. E) Private verpflichtet für die Einhaltung der Wettbewerbsregeln durch die Mitgliedstaaten zu sorgen. Die Aussage des Vergleiches ist also falsch, weil Art. 10 EGV (Art. 5 EGVa. E) sich niemals an Privatpersonen wendet! EuGH v. 9. l2. 1997, Rs. C-265 195, Sig. 1997, S. 6959, Nr. 42 ff., Kommission vs. Frankreich (Erdbeerkrieg).

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§ 3 Private als Adressaten der Grundfreiheiten

Zusammenfassend läßt sich feststellen: Eine unmittelbare Drittwirkung der Grundfreiheiten wird nicht überflüssig, sondern ist Voraussetzung für eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten aus Art. 10 Abs. 1 S. 1 EGV (Art. 5 Abs. 1 S. 1 EGVa. E) für die Einhaltung der Grundfreiheiten zwischen Privaten Sorge zu tragen. (2) Art. 10 Abs. 1 S. 2 EGV (Art. 5 Abs. 1 S. 2 EGVa. F.) Etwas anderes könnte sich aus Art. 10 Abs. 1 S. 2 EGV (Art. 5 Abs. 1 S. 2 EGV a. E) ergeben. Danach erleichtern die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft die Erfüllung ihrer Aufgaben. Zu den Aufgaben der Gemeinschaft gehört nach Artt. 2 in Verbindung mit 3 lit. c) EGV die Schaffung eines Binnenmarktes, der durch die Beseitigung der Hindernisse für den freien Waren-, Personen-, Dienstleistungsund Kapitalverkehr gekennzeichnet ist. Nun gilt es nur noch festzustellen, daß Hindernisse in diesem Sinne auch von Privaten ausgehen können, um aus der Aufgabe der Gemeinschaft, Hindernisse privaten Ursprungs zu beseitigen, die Verpflichtung der Mitgliedstaaten nach Art. 10 Abs. 1 S. 2 EGV (Art. 5 Abs. 1 S. 2 EGVa. E) herzuleiten, ihr bei Erfüllung dieser Aufgabe zu helfen. Geht man aber davon aus, daß die Schaffung eines Binnenmarktes auch die Beseitigung der privaten Hindernisse für die Grundfreiheiten verlangt, und hält man sich vor Augen, daß nicht nur die Zielbestimmungen zur Auslegung der Grundfreiheiten herangezogen werden müssen, sondern auch die Grundfreiheiten zur Konkretisierung der Zielbestimmung dienen, kommt man um die Schlußfolgerung nicht herum, daß die Auslegung der Zielbestimmung in obigen Sinne Hand in Hand geht mit der Annahme einer unmittelbaren Drittwirkung der Grundfreiheiten. Das heißt die Frage, ob es Aufgabe der Gemeinschaft ist, auch die nicht-spürbaren oder nicht von Unternehmen verursachten Beschränkungen privaten Ursprungs zu beseitigen, hängt vom Verständnis der Grundfreiheiten ab. Es läßt sich also wieder feststellen: Eine unmittelbare Drittwirkung der Grundfreiheiten wird nicht überflüssig, sondern ist Voraussetzung für eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten aus Art. 10 Abs. 1 S. 2 EGV (Art. 5 Abs. 1 S. 2 EGVa. E), für die Einhaltung der Grundfreiheiten zwischen Privaten Sorge zu tragen274 . (3) Das Erdbeerkrieg-Urteil. 1997 Am 9. Dezember 1997 hat der Gerichtshof ein erstaunliches Urteil gefällt27S . Der Tenor der Entscheidung lautet: ,,Die französische Republik hat dadurch gegen die Verpflichtungen aus Artikel 30 in Verbindung mit Artikel 5 00-Vertrag (a. F.. d. Verf.) ... verstoßen. daß sie nicht aUe erforderSo auch Schroeder; Sport und Integration, S. 219 f. m EuGH v. 9. 12. 1997, Rs. C-265195. Sig. 1997, S. 6959, Kommission vs. Frankreich (Erdbeerkrieg). 274

111. Systematische Bedenken gegen eine unmittelbare Drinwirkung

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lichen und angemessenen Maßnahmen ergriffen hat, damit der freie Warenverkehr mit Obst und Gemüse nicht durch Handlungen von Privatpersonen beeinträchtigt wird."

Die bisherigen Ausführungen haben gezeigt, daß der Gerichtshof von einer unmittelbaren Drittwirkung der Warenverkehrsfreiheit ausgehen muß, um zu diesem Ergebnis zu gelangen 276 . Er hat hier zum ersten Mal bezüglich der Warenverkehrsfreiheit für Recht erkannt, daß der EG-Vertrag auch außerhalb der Wettbewerbsregeln eine Beseitigung von Handelshindemissen privaten Ursprungs fordert. Damit hat er sich für eine unmittelbare Drittwirkung der Warenverkehrsfreiheit entschieden. Eine Verpflichtung aus Art. 10 Abs. 1 EGV (Art. 5 Abs. 1 EGVa. F.) dafür zu sorgen, daß Private nicht den Handelsverkehr beschränken, ist Folge der unmittelbare Drittwirkung und macht sie nicht überflüssig277 • Das Erdbeerkrieg-Urteil des EuGH spricht deswegen dafür, daß er neuerdings auch eine unmittelbare Drittwirkung der Warenverkehrsfreiheit annimmt. Die Pflicht aus Art. 10 EGV (Art. 5 EGVa. F.) für die Beachtung der Grundfreiheiten durch Private Sorge zu tragen, ist demnach zu bejahen.

oZusammenfassung Eine mittelbare Drittwirkung der Grundfreiheiten, die eine unmittelbare Bindung Privater überflüssig machen würde, läßt sich systemlogisch nicht aus dem Europarecht ableiten. Weder läßt sich der Bindungsbefehl hinsichtlich vertraglicher Vereinbarungen, noch jeder Richterspruch oder dessen Vollstreckung als mitgliedstaatliche Maßnahme begreifen. Auch eine Schutzpflicht der Mitgliedstaaten läßt sich den Grundfreiheiten nicht entnehmen. Bestätigt wird das Fehlen mittelbarer Drittwirkung der Marktfreiheiten durch Art. 86 Abs. 1 EGV (Art. 90 Abs. 1 EGVa. F.). Die Pflicht der Mitgliedstaaten aus Art. 10 Abs. 1 EGV (Art. 5 Abs. 1 EGVa. F.), darauf zu achten, daß Private untereinander die Grundfreiheiten respektieren, be276 Einerseits ist der Tenor wörtlich dem Satz I entnommen, andererseits heißt es in den Urteilsgründen, bevor eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten aus Art. 10 EGV (Art. 5 EGV a. F.) bejaht wird: .. Nach Art. 3 BuchsUlbe c EGV umfajJt die Tätigkeit der Gemeinschaft im Sinne von Art. 2 einen Binnenmar/a. der durch die Beseitigung der Hindernisse u. a. für den freien Warenverkehr zwischen den MitgliedsUlaten gekennzeichnet ist. .. EuGH v. 9. 12. 1997, Rs. C-265/95, Slg. 1997, S. 6959, Rz. 25, Kommission vs. Frankreich. Das Zitat deutet darauf hin, daß der Gerichtshof auf die Aufgaben der Gemeinschaft im Sinne von Art. 10 Abs. I S. 2 EGV (Art. 5 Abs. I S. 2 EGV a. F.) abstellt. 277 Wegen des Ermessensspielraumes der Mitgliedstaaten bei der Erfüllung dieser Pflicht, bestünde kein einklagbarer Anspruch des in seinen Grundfreiheiten Beschränkten. Darüber hinaus ist es vom Verwaltungsaufwand her unmöglich, alle Beschränkungen privaten Ursprungs staatlich zu kontrollieren. Solche Beschränkungen können, wie gezeigt, in jedem einzelnen Vertrag enthalten sein.

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§ 3 Private als Adressaten der Grundfreiheiten

steht. Sie setzt aber eine unmittelbare Drittwirkung der Grundfreiheiten voraus und ergänzt diese anstatt sie überflüssig zu machen. Eine Entscheidung gegen eine unmittelbare Drittwirkung bedeutet damit gleichzeitig, daß man die Grundfreiheiten überhaupt nicht vor Beschränkungen durch Private schützen will. Die Vertreter von Theorien mittelbarer Drittwirkung der Grundfreiheiten sehen aber das Bedürfnis, auch solche Hindernisse zu beseitigen. Sie müßten nach dem bisher Gesagten nun eine unmittelbare Drittwirkung fordern.

2. Die Aussagekraft der Wettbewerbsregeln hinsichtlich der unmittelbaren Drittwirkung der Grundfreiheiten

Den Wettbewerbsregeln wird in der Diskussion um die unmittelbare Drittwirkung der Grundfreiheiten zu Recht ein hoher Stellenwert eingeräumt. Gegner der unmittelbaren Drittwirkung ziehen vor allem aus ihnen systematische Argumente gegen eine unmittelbare Drittwirkung der Grundfreiheiten. Mit ihren Überlegungen beschäftigen sich die nächsten Ausführungen.

a) Rückschlüsse aus der ausdrücklichen Nennung Privater als Adressaten der Wettbewerbsregeln Die Gesamtsystematik des EGV legt nahe, daß die Artt. 81, 82 EGV (Artt. 85, 86 EGVa. E) die einzigen drittwirkenden Normen des Primärrechts sind. Ihrem Wortlaut nach sind dies nämlich die einzigen Artikel, die sich direkt und unzweideutig auch auf Vereinbarungen und Verhaltensweisen zwischen Privaten beziehen. Daraus wird e contrario der Schluß gewgen, daß sich alle anderen unmittelbar anwendbaren Normen auf die vertikale Beziehung zwischen Staat und Bürger beschränken 278 • Aus der Tatsache, daß Private bei den Grundfreiheiten im Gegensatz zu den Wettbewerbsregeln nicht ausdrücklich angesprochen werden, wird darauf geschlossen, daß sie auch nicht einbezogen sein sollen. Das argurnenturn e contrario gilt allgemein schon als eines der Schwächsten 279 • Die ganz herrschende Meinung wendet denn auch zum Beispiel die Artt. 12, 39, 141 EGV (Artt. 6, 48,119 EGVa. E) zwischen Privaten an, ohne sich von diesem Argument beeindrucken zu lassen. Im übrigen ist das Argument inhaltlich unzutreffend. Die Wettbewerbsregeln richten sich gar nicht an "Private", sondern an Unternehmen und Unternehmensvereinigungen. Ein Unternehmen ist jede "winschaftliche Tätigkeit ausübende 278 So beispielsweise: Meier, ZHR 1970,61,93; Jaensch, S. 254 für Art. 12 EGV (Art. 6 EGVa. E). 279 Larenz! Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 209; Pawlowski, Methodenlehre für Juristen, Rz. 488 f.; Steindorff, EG-Vertrag und Privatrecht, S. 291.

III. Systematische Bedenken gegen eine unmittelbare Drittwirkung

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Einheit, unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art ihrer Finanzierunl 8o". Unerheblich ist also auch, ob es sich um private oder öffentliche Unternehmen handelt 281 • Die Abgrenzung erfolgt funktional, das heißt auf den Sinn und Zweck der Weubewerbsregeln bezogen, und gerade nicht anhand des Merkmales "öffentlich" oder "privat,,282. Die Artt. 81 ff. EGV (Artt. 85 ff. EGVa. E) sind also nicht an Private adressiert. Zulässigerweise könnte man also nur den Rückschluß ziehen, daß die Grundfreiheiten sich nicht an Unternehmen wenden. Dieses Ergebnis ist aber abwegig, weil gerade von Unternehmen eine gesteigerte Bedrohung für die Grundfreiheiten ausgeht. Allein aus der Tatsache, daß die Artt. 81 ff. EGV (Artt. 85 ff. EGVa. E) dem Wortlaut nach auch private Unternehmen verpflichten, kann also nicht geschlossen werden, daß Private nur dann verpflichtet sein können, wenn der EGV sie ausdrücklich nennt.

b) Die Redundanz der Weubewerbsregeln neben drittwirkenden Grundfreiheiten Die Grundfreiheiten schützen vor Beschränkungen jeglichen Handels283 • Die Warenverkehrsfreiheit geht nach der Dassonville-Formel von einer Beschränkung aus, wenn eine "unmittelbare oder mittelbare, tatsächliche oder potentielle Beeinträchtigung des Handels" vorliegt284 • Unter Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit werden "Anforderungen, die . .. nicht für im Staatsgebiet ansässige Personen gelten oder in anderer Weise geeignet sind, die 1ätigkeit des Leistenden zu unterbinden oder zu behindern" verstanden 285 • Als Beschränkung der Personenverkehrsfreiheiten werden alle Maßnahmen angesehen, die geeignet sein können, die Ausübung der Personenverkehrsfreiheiten "zu behindern oder weniger attraktiv zu machen286 ." Bei allen Marktfreiheiten reichen also dem Grundsatz nach mittelbare oder potentielle Beschränkungen des Handels. 280 EuGH v. 23. 4. 1991, Rs. 41/90, Sig. 1991, S. 1979,2015 f., 2016, Rz. 21, Klaus Höfner und Fritz Eiser VS. Macrotron GmbH (Höfner). 281 EuGH V. 30.4.1974, Rs. 155173, Sig. 1974, S. 409, 430, Rz. 14 f., Giuseppe Sacchi; EuGH v. 23. 4.1991, Rs. 41/90, Sig. 1991, S. 1979,2016, Rz. 21 ff., Klaus Höfner und Fritz Elser VS. Macrotron GmbH; Geiger, Kommentar zum EGV, 1. Aufl., Art. 85 Rz. 6; Emmerich, in: Dauses, Handbuch des EG-Wirtschaftsrechts, H 11 6 Rz. 1 ff.; Jaensch, S. 141 m.w.N. 282 Insoweit sind nur die Einschränkungen des Art. 85 EGV (Art. 90 EGVa. E) zu beachten. 283 Jaensch, S. 144 m. w. N. 284 EuGH v. 11. 07. 1974, Rs. 8174, Slg. 1974, S. 837, 852, Staatsanwaltschaft VS. Benoit und Dassonville (Dassonville). 28S EuGH V. 3. 12. 1974, Rs. 33/74, Sig. 1974, S. 1299, 1309, Rz. 12, Johannes Henricus Maria van Binsbergen vs. Bestuur van de Bedrijsvereniging voor de Metaalnijverheid (van Binsbergen).

§ 3 Private als Adressaten der Grundfreiheiten

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Auch Artt. 81 und 82 EGV (Artt. 85, 86 EGVa. E) setzen zu ihrer Anwendbarkeit eine .. unmittelbare oder mittelbare, tatsächliche oder potentielle Beeinträchtigung des Handels" voraus. Inhaltlich ist nach herrschender Meinung der Handel mit Waren, Kapital und Dienstleistungen geschützt281 • Insoweit scheint der Anwendungsbereich der Wettbewerbsregeln vergleichbar, wenn nicht deckungsgleich, mit dem der Grundfreiheiten aus Artt. 28,49 und 56 EGV (Artt. 30, 59, 73b EGV a. E). Art. 81 und 82 EGV (Artt. 85, 86 EGVa. E) verbieten eine solche Beschränkung jedoch nur unter den weiteren Voraussetzungen, daß ein .. Unternehmen" handelt und die Wettbewerbs beschränkung und Handelsbeeinträchtigung .. spürbar" ise88 • Art. 81 EGV (Art. 85 EGVa. E) setzt darüber hinaus eine wettbewerbswidrige Verhaltensweise und das Bewirken oder Bezwecken einer Wettbewerbsverhinderung, -verfalschung oder -einschränkung voraus. Bei Art. 82 EGV (Art. 86 EGVa. E) muß eine beherrschende Stellung und die mißbräuchliche Ausnutzung dieser Stellung gegeben sein. Nach diesen Ausführungen könnte man annehmen, daß immer wenn eine Beschränkung der Wettbewerbsregeln gegeben ist, auf jeden Fall auch eine Beschränkung der Grundfreiheiten vorliegt. Die Wettbewerbsregeln könnten dann bei einer Wirkung der Grundfreiheiten zwischen Privaten, also auch Unternehmen, überflüssig werden 289• Bei ihrem Eingreifen wäre die Handlungsweise längst durch eine der Grundfreiheiten verboten.

(1) Tatbestand Bei dieser Argumentation wird übersehen 290, daß auch Fälle denkbar sind, in denen zwar die Wettbewerbsregeln tatbestandlich greifen, jedoch die Grundfreiheiten unanwendbar sind. Dies liegt an den unterschiedlichen sachlichen Anwendungsbereichen. Für die Grundfreiheiten muß im konkreten Sachverhalt ein zwischenstaatliches Element, im Sinne einer Beanspruchung der Grundfreiheiten durch eine der streitenden Parteien, vorliegen. Bei den Wettbewerbsregeln genügt dagegen die theoretische Möglichkeit, daß die Handlungsweise oder Vereinbarung einen der Beteiligten oder einen Dritten im zwischenstaatlichen Handel beeinträchtigen könnte291 • Im Fall Höfner klagte ein deutsches Personalberatungsuntemehmen ge286 EuGH v. 31. 3. 1993, Rs. C-19/92, Slg. 1993, S. 1663, 1697, Rz. 32, Dieter Kraus vs. Land Baden-Württemberg (Kraus). 287

Jaensch, S. 174.

288

Das Spürbarkeitserfordernis wurde von der Rechtsprechung entwickelt: EuGH v.

9.7. 1969, Rs. 5/69, Slg. 1969, S. 295, 302, Volk vs. Verwaecke; EuGH v. 6. 5. 1971, Rs. 11 71, Sig. 1971, S. 351, 356, Cadillon vs. Höss; EuGH v. 25. 11. 1971, Rs. 22/71, Sig. 1971, S. 949, 960, Beguellin vs. G. L. Import Export. Für eine restriktive Anwendung: Sack, in: FS für Fikentscher, S. 740, 750. 289 Quinn/MacGowan, ELR 1987, 163, 168. 290 Schae/er; S. 199 f.; Jaensch, S. 145. 291 Steindorff, EG-Vertrag und Privatrecht, S. 61.

III. Systematische Bedenken gegen eine unmittelbare Drittwirkung

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gen einen deutschen Kunden, dem eine deutsche Führungskraft vennittelt worden war. Der Kunde weigerte sich zu zahlen, weil der Vermittlungsvertrag gemäß § 134 BGB in Verbindung mit § 13 AFG wegen des Vennittlungsmonopols der Bundesanstalt für Arbeit nichtig sei. Der Gerichtshof befand, daß Art. 49 EGV (Art. 59 EGVa. F.) keine Anwendung finde, weil der zugrunde liegende Sachverhalt kein europäisches Element im Sinne einer grenzüberschreitenden Dienstleistung aufweist292 • Ein Verstoß des Mitgliedstaates gegen Artt. 10,82 EGV (Artt. 5, 86 EGV a. F.), nahm er aber an, weil eine Beeinträchtigung des grenzüberschreitenden Handels im Sinne der Wettbewerbsregeln nicht erst dann erfüllt sei, "wenn das betreffende mißbräuchliche Verhalten den Handel tatsächlich beeinträchtigt hat. Es genügt der Nachweis, daß dieses Verhalten geeignet ist, eine derartige Wirkung zu ent/alten 293 ." Für die Erfüllung des grenzüberschreitenden Elementes bei den Wettbewerbsregeln reicht es möglicherweise schon, wenn zwei Unternehmen desselben Landes eine Vereinbarung treffen, die nur dieses Land betrifft, wenn dadurch der Markt nach außen abgeschottet wird294 • So kann es sein, daß in manchen Sachverhalten die Artt. 81 ff. EGV (Artt. 85 ff. EGVa. F.) anwendbar sind, wenn die Grundfreiheiten mangels grenzüberschreitender Tatigkeit keine Wirkung entfalten 295 • Noch deutlicher ist dies bei der sogenannten extraterritorialen Wirkung der Artt. 81 f. EGV (Artt. 85 f. EGVa. F.l 96 • So hat der EuGH eine Entscheidung der Kommission bestätigt, nach der kanadischen, amerikanischen und finnischen Unternehmen eine Preisabstimmung verboten wurde 297 • Hier haben ausländische Unternehmen im Ausland eine Vereinbarung getroffen. Art. 81 Abs. 1 EGV (Art. 85 Abs. 1 EGVa. F.) fand dennoch Anwendung. Die Verhaltensweise hätte jedoch in keinem Fall die Grundfreiheiten berührt, da es hierfür bei der Vereinbarung an einem innergemeinschaftlichen zwischenstaatlichen Element in ihrem Sinne gefehlt hätte. Die Vereinbarung der Unternehmen beschränkt keinen der Beteiligten in seinen Grundfreiheiten, denn amerikanische Finnen in Amerika können sich schon gar 292 EuGH v. 23. 4. 1991, Rs. 41/90, Sig. 1991, S. 1979,2015 f., 2020, Rz. 39, Klaus Höfner und Fritz Elser VS. Macrotron GmbH, (Höfner). 293 EuGH v. 23.4. 1991, Rs. 41190, Sig. 1991, S. 1979,2015 f., 2018, Rz. 32, Klaus Höfner und Fritz Elser VS. Macrotron GmbH, (Höfner); EuGH v. 09. 11. 1983, Rs. 322/81, Sig. 1983, S. 3461, N.V.Nederiandsche Banden-Industrie-Michelin VS. Kommission (Michelin). 294 EuGH v. 12. 12. 1967, Rs. 23/67, Sig. 1967, S. 525 ff., Brasserie de Haecht VS. Wilkin-Janssen (Haecht I); EuGH v. 11. 7. 1989, Rs. 246/86, Sig. 1989, S. 2117, Rz. 32 ff., Belasco VS. Kommission; Müller-Graf!, in: Hailbronnerl Klein 1Magieral Mül\er-Graff, Art. 85 Rz. 111; Sack, in: FS für Fikentscher, S. 740, 747. 295 Slot, ELR 1987, 179, 181. Zu weiteren Beispielen siehe: § 4 VI. 1. 296 Ausführliche Darstel\ung des Streitstandes und der Rechtsprechung bei Rehbinder; in: Immenga/Mestmäcker, EG-Wettbewerbsrecht, Einleitung, E.III., Rz. 50 ff.; Roth. RabelZ 55 (1991),623,628 m. w. N.; Emmerich, in: Dauses, Handbuch des EG-Wirtschaftsrechts, H. I Rz. 19 ff. m. w. N.; Torremans, ELR 1996,280,283. 297 EuGH v. 27. 9. 1988, Rs. 89, 104, 114, 116, 117, 125 bis 129/85, Sig. 1988, S. 5193, Rz. 14, Zellstoff VS. Kommission.

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§ 3 Private als Adressaten der Grundfreiheiten

nicht darauf berufen, und es ging auch nicht um die Lieferung von einem Mitgliedstaat in einen anderen. Da die Wettbewerbsregeln also nicht nur dann greifen, wenn die Grundfreiheiten den Sachverhalt ohnehin schon verbieten, sondern auch konkurrenzlos greifen können, geht die Behauptung ihrer Überflüssigkeit bei drittwirkenden Grundfreiheiten schon tatbestandiich ins Leere.

(2) Rechtfertigung Selbst wenn die Verbote der Grundfreiheiten und Wettbewerbsregeln tatbestandIich zumindest weitgehend die gleichen Sachverhalte erfassen, laufen die Wirkungen der Normgruppen nicht parallel, weil unterschiedliche Möglichkeiten bestehen, die Beeinträchtigungen zu legitimieren. Art. 81 Abs. 3 EGV (Art. 85 Abs. 3 EGVa. E) sieht die Möglichkeit vor, das Verbot des Art. 81 Abs. 1 EGV (Art. 85 Abs. 1 EGVa. E) gruppenbezogen 298 oder im Einzelfall 299 für nicht anwendbar zu erklären 3OO • Voraussetzung ist allerdings, daß die beeinträchtigende Verhaltensweise unter angemessener Beteiligung der Verbraucher an dem entstehenden Gewinn zur Verbesserung der Warenerzeugung oder -verteilung oder zur Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts beiträgt. Des weiteren wurde von der Rechtsprechung über ein qualitatives Merkmal des Spürbarkeitserfordernisses ein Einfallstor geschaffen, um im Einzelfall aufgrund einer Folgenbewertung der Verhaltensweise schon den Tatbestand der Wettbewerbsregeln nicht zu eröffnen 301 • Es wird dann schon die Spürbarkeit der Beeinträchtigung wegen auch vorhandener günstiger Auswirkungen verneint. Es wird also gefordert, daß bestimmte wirtschaftliche Allgemeininteressen die Beeinträchtigung des Wettbewerbs legitimieren. Die Grundfreiheiten haben dagegen jeweils einen eigenen Katalog von Rechtfertigungsgründen und lassen Beschränkungen nur insoweit zu, als sie zwingende Allgemeininteressen nichtwirtschaftlicher Art durchsetzen 302 • 298 Zu dem umfassenden Sekundärrecht vgl. Emmerich, in: Dauses, Handbuch des EGWirtschaftsrechts, H I Rz. 43 ff. 299 Überblick bei Emmerich, in: Dauses, Handbuch des EG-Wirtschaftsrechts, H I Rz. 166. 300 Siehe hierzu: § 4 VII. 301 EuGH V. 13.7. 1966, Rs. 56 und 58/64, Sig. 1966, S. 321, 387 f., Grundig und Consten vs. Kommission (echte Handelsvertreter); EuGH v. 11. 7. 1985, Rs. 42/84, Sig. 1985, S. 2545, Rz. 19 ff., Remia vs. Kommission (Unternehmensveräußerungsverträge); EuGH v. 28. 2. 1991, Rs. 234/89, Slg. 1991, S. 935, Rz. 11 ff., Delimitis vs. Henninger Bräu (Bierlieferungsverträge); EuGH v. 6. 10. 1982, Rs. 262/81, Sig. 1982, S. 3381, Rz. 15 ff., Coditel vs. Cine-Vog Films (Coditel 11, ausschließliche Lizenzvergabe); EuGH v. 28. 1. 1986, Rs. 161/84, Sig. 1986, S. 353, Rz. 14 ff., Pronuptia vs. Schillgalis (Franchising); EuGH v. 25. 10. 1977, Rs. 26/76, Sig. 1977, S. 1875 Rz. 21, Metro vs. Kommission (selektive Vertriebssysteme). 302 Jaensch, S. 127, 129 m. w. N.

III. Systematische Bedenken gegen eine unmittelbare Drittwirkung

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Obwohl also tatbestandlieh oft die gleichen Sachverhalte erfaßt werden, sind die Voraussetzungen für das Eingreifen der Verbotswirkung bei den beiden Normgruppen unterschiedlich. Diese Tatsache erschüttert die These von einer Überflüssigkeit der Wettbewerbsregeln neben drittwirkenden Grundfreiheiten. Wenn allerdings der gleiche Sachverhalt von den Grundfreiheiten verboten aber von den Wettbewerbsregeln erlaubt wird, oder umgekehrt, muß das Verhältnis der beiden Rechtsinstitute zueinander geklärt werden 303 . An dieser Stelle reicht es jedoch festzustellen, daß die Verbotswirkungen nicht in jedem Fall deckungsgleich sind und die unterschiedlichen Wertungen der Normgruppen bei der Rechtfertigung eine Überflüssigkeit der Wettbewerbsregeln nicht erkennen lassen.

(3) Rechtsfolgen Die Nichteinhaltung der Wettbewerbsregeln kann von der Kommission sanktioniert werden, Art. 83 Abs. 2 lit. a) EGV (Art. 87 Abs. 2 lit. a) EGVa. E) in Verbindung mit VO Nr. 17304 . Dies hat in jüngster Zeit der Fall VW eindrucksvoll gezeigt 305 . Dabei wurde der Konzern von der Kommission zur Zahlung von 102 000 000 ECU (ca. 200.0000,- DM) Bußgeld verpflichtet, weil er entgegen Artt. 81, 82 EGV (Artt. 85, 86 EGVa. E) die italienischen Vertragshändler dazu angehalten hatte, Reimporteuren keine Wagen zu verkaufen 306• Weiterhin hat die Kommission gemäß Art. 85 Abs. 1 EGV (Art. 89 Abs. 1 EGVa. E) auf die Einhaltung der Vorschriften zu achten. Verstoßen Private gegen die Grundfreiheiten, bestehen keine Sanktionsmöglichkeiten nach dem EGV 307 . Hier kann sich nur der Betroffene wehren. Diese völlig andere Ausgestaltung der Rechtsfolgen läßt augenscheinlich werden, daß selbst bei paralleler Anwendbarkeit der Artt. 81 ff. EGV (Artt. 85 ff. EGVa. E) und der Grundfreiheiten die Wettbewerbsregeln nicht überflüssig würden. Die Pflicht der Kommission, die Einhaltung der Wettbewerbsregeln von Amts wegen zu prüfen und die Möglichkeit Verstöße zu sanktionieren, wären an sich schon eine ausreichende Begründung für ihre Existenz. Dabei stehen die strengeren Rechtsfolgen in Einklang mit den grundsätzlich strengeren Anwendungsvoraussetzungen.

(4) Ziele Wenn die Grundfreiheiten zumindest den gleichen Zweck wie die Wettbewerbsregeln hätten, könnte man eventuell von einer abschließenden Sonderregelung der Siehe: § 4 III. EG ABI. 1962, Nr. L 62/204. 305 Zur rechtlichen Bedeutung und Zweifelsfragen siehe Creutzig, EuZW 1998,293 ff. 306 Entscheidung 98/273/ EG der Kommission v. 28. 1. 1998 in einem Verfahren nach Artikel 85 EG-Vertrag, ABI. 1998, Nr. L 124/60. 307 Verstoßen Mitgliedstaaten gegen Grundfreiheiten, besteht die Möglichkeit eines Vertragsverletzungsverfahrens, Artt. 226, 227 EGV (Artt. 169, 170 EGV a. F.). 303 304

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§ 3 Private als Adressaten der Grundfreiheiten

Drittwirkung durch die Artt. 81 ff. EGV (Artt. 85 ff. EGVa. E) hinsichtlich dieses Zieles ausgehen. Unstreitig dienen beide Rechtsinstitute der Verwirklichung des Binnenmarktes. Nun könnte man argumentieren, daß die Grundfreiheiten ein Mittel darstellen, um Eingriffe der Mitgliedstaaten abzuwehren während das europäische Kartellrecht dazu dient, Eingriffe durch Unternehmen abzuwehren. Die beiden Regelungskomplexe dienten also dem Ziel des Binnenmarktes, in dem sie ihn gegenüber den Mitgliedstaaten und Privaten absichern 308 • Dann wären die Artt. 81 ff. EGV (Artt. 85 ff. EGVa. E) die Entsprechung zu den Grundfreiheiten gegenüber Privaten. Es wurde nun schon mehrfach darauf hingewiesen, daß die Wettbewerbsregeln sich nicht an Private sondern an Unternehmen - und zwar nicht einmal nur an private Unternehmen - wenden. Obige These bleibt die Antwort schuldig, warum die Absicherung des Binnenmarktes durch die Wettbewerbsregeln auch öffentliche Unternehmen, die zusätzlich an die Grundfreiheiten gebunden sind, erfaßt, und warum der Staat, wenn er erwerbswirtschaftlich tätig wird, neben den Grundfreiheiten an die Wettbewerbsregeln gebunden ise 09. Im übrigen ist es richtig, daß beide Normengruppen, wie fast alle Normen des EGV31O, der Verwirklichung des Binnenmarktes dienen. Allerdings unterschieden sich die Zielsetzungen der Grundfreiheiten und Wettbewerbsregeln im Detail deutlich 3I1 . Die Artt. 81 ff. EGV (Artt. 85 ff. EGVa. E) wollen Verfälschungen des Wettbewerbs durch Unternehmen vorbeugen, Art. 3 lit. g) EGV. Der Wettbewerb hat zum einen den Sinn, die gesamtwirtschaftliche Entwicklung voranzutreiben und soll zum anderen durch Preisechtheit auf dem Markt auch den Verbraucher vor überteuerten Preisen schützen. Der Gerichtshof faßt den Zweck der Wettbewerbsregeln so zusammen, daß" ... diese Regeln Wettbewerbsverfälschungen zum Schaden des öffentlichen Interesses, der einzelnen Unternehmen und der Verbraucher vermeiden helfen sollen312 ." Nach Art. 3 lit. g) EGV setzt ein System des Wettbewerbs einen Binnenmarkt voraus, das System des Wettbewerbschutzes soll " innerhalb des Binnenmarkts" greifen und ist nicht Mittel zur Schaffung des Binnenmarktes. Zum Beispiel Jaensch, S. 144. EuGH v. 30. 4. 1974, Rs. 155/73, Sig. 1974, S. 409, 430, Rz. 14 f., Giuseppe Sacchi; EuGH v. 23. 4.1991, Rs. 41/90, Sig. 1991, S. 1979,2016, Rz. 21 ff., Klaus Höfner und Fritz Eiser vs. Macrotron GmbH; Geiger, Kommentar zum EGV, 1. Aufl., Art. 85 Rz. 6; Emmerich, in: Dauses, Handbuch des EG-Wirtschaftsrechts. H. 11. 6. Rz. I ff.; Jaensch, S. 141 m.w.N. 310 Vgl. Art. 2 EGV. 311 Hendry, ELR 1985,281,283; Schae/er, S. 67; hierauf beruft sich auch Jaensch in anderem Zusammenhang, Jaensch, S. 177. 312 EuGH v. 16. 11. 1977, Rs. 13/77, Sig. 1977, S. 2115, 2145, GB-Inno-BM VS. Vereniging van de Keinhandelaars in Tabak; EuGH v. 26. 6. 1980, Rs. 136/79, Sig. 1980, S. 2033, 2057, Rz. 20, National Panasonie vs. Kommission. 308

309

III. Systematische Bedenken gegen eine unmittelbare Drittwirkung

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Bei den Grundfreiheiten ist nicht der Wettbewerb, sondern die grenzüberschreitende Handlungsmöglichkeit des einzelnen vorrangiges Schutzgut, Art. 3 lit. c) EGV. Eine Grundfreiheitsbeschränkung kann auf Preise die unterschiedlichsten Einflüsse oder auch gar keine haben. Ob eine Wettbewerbsverzerrung vorliegt, spielt bei der Beurteilung, ob eine Maßnahme grundfreiheitswidrig ist, keine Rolle. Dem einzelnen soll hier die Freiheit garantiert werden, sich in Europa so zu bewegen, als gäbe es keine Grenzen. Auf diese Weise soll ein Binnenmarkt hergestellt werden. Erst innerhalb des Binnenmarktes, der mit den Grundfreiheiten hergestellt und gesichert werden soll, ist dann ein Wettbewerbsschutz geboten 313 . Sehr deutlich werden die unterschiedlichen Zielsetzungen, wenn man die obige These, die Wettbewerbsregeln seien die Kehrseite der Grundfreiheiten gegenüber Privaten, genauer untersucht. Titel V, Kapitel 1 über die Wettbewerbsregeln enthält nämlich neben den an die Unternehmen gerichteten Artt. 81 ff. EGV (Artt. 85 ff. EGVa. F.) auch einen Schutz der Wettbewerbsordnung gegen staatliche Interventionen, Artt. 87 ff. EGV (Artt. 92 ff. EGVa. F.)314. Insofern sind die unternehmensgerichteten Wettbewerbsvorschriften die Kehrseite der gegen die staatliche Eingriffe gerichteten Wettbewerbsregeln und nicht das Korrelat der Grundfreiheiten. Den Grundfreiheiten muß vielmehr eine grundsätzlich andere Funktion zukommen, denn ansonsten müßte man davon ausgehen, daß die Grundfreiheiten staatengerichtete Wettbewerbsregeln überflüssig machen. Drittwirkende Grundfreiheiten würden die Wettbewerbsregeln weder tatbestandlieh, noch von der Verbotswirkung, noch von den Rechtsfolgen her überflüssig machen. Insofern kann der Behauptung, die Wettbewerbsregeln würden durch eine unmittelbare Drittwirkung der Grundfreiheiten überflüssig gemacht, nicht gefolgt werden. c) Der begrenzte Schutz des Wettbewerbs als Argument gegen einen unbegrenzten Schutz des Binnenmarktes Der unverfälschte Wettbewerb ist gemäß Art. 3 lit. g) EGVebenso wie die Beseitigung der Binnenmarkthindernisse durch die Grundfreiheiten nach Art. 3 lit. c) EGV ausdrückliches Vertragsziel. Der Wettbewerb wird gemäß Artt. 81 ff. EGV (Artt. 85 ff. EGVa. F.) nur vor Verfälschungen durch Unternehmen geschützt. Auf Einrichtungen, die nicht als Unternehmen im Sinne dieser Vorschriften aufzufassen sind, hat der EuGH die Anwendung der kartellrechtlichen Normen unabhängig von der Möglichkeit einer tatsächlich vorliegenden Wettbewerbsverfälschung ausdrücklich abgelehne 1s • Hieraus wird der Schluß gezogen, die nicht vorgenommene So auch Müller-Graf!, in: Hailbronner 1 Klein 1 Magieral Müller-Graff, Art. 85 Rz. 2. Emmerich, in: Dauses, Handbuch des EG-Wirtschaftsrechts, H I Rz. 9 m. w. N. 315 EuGH v. 19. l. 94, Rs. C-364/92, Slg. 1994, S. 43, SAT vs. Eurocontrol (Flugsicherheitskontrolle); EuGH v. 17.2. 19, Rs. 159 und 160/91, Slg. 1993, S. 637, Rz. 17, Poucet und Pistre vs. AGF (gesetzliche Krankenkasse). 313 314

§ 3 Private als Adressaten der Grundfreiheiten

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Ausdehnung der Artt. 81 ff. EGV (Artt. 85 ff. EGVa. E) auf jede erdenkliche Wettbewerbsverfälschung lege nahe, daß den Vertragszielen nicht der absolute Schutz zukomme, wie die Vertreter einer unmittelbaren Drittwirkung der Grundfreiheiten Glauben machen wollen 316 • Dieses Argument ist aber unhaltbar. Es wird von der Auslegung einer Vorschrift auf die Auslegung einer anderen geschlossen. Das setzt zumindest eine Vergleichbarkeit dieser Vorschriften voraus. Der Vergleich scheitert aber schon am Wortlaut der Normkomplexe. Die Wettbewerbsregeln wenden sich ausdrücklich an "Unternehmen". Es ist dementsprechend "schwer", sie dahingehend auszulegen, daß sie direkt auch auf andere Adressaten anwendbar sind. Die Grundfreiheiten knüpfen dagegen an den Begriff der "Maßnahme" oder "Beschränkung" an, ohne den Ursprung derselben eindeutig zu definieren. Hier stellt sich bei der Auslegung also berechtigterweise die Frage des Adressaten. Insofern ist die Situation bei der Auslegung der beiden Nonnengruppen nicht vergleichbar. Folgende Gedanken verkehren das oben vorgebrachte Argument sogar in sein Gegenteil. Der Unternehmensbegriff wird vom EuGH so weit ausgelegt, wie dies der Wortlaut zuläße 17 • Unternehmen ist jede Einheit, die eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt, unabhängig von ihrer Rechtsfonn oder der Art ihrer Finanzierung 318 . Der EuGH hat in seiner Auslegung des Adressatenkreises der Wettbewerbsregeln die Möglichkeiten des Wortlautes voll ausgeschöpft. Es erscheint dann nur konsequent, wenn er dies bei den Grundfreiheiten auch tut. Dann müßte er aber auch Private als Adressaten der Grundfreiheiten annehmen. Der EuGH ist bei dieser weiten Auslegung der Wettbewerbsregeln aber nicht stehen geblieben. In ständiger Rechtsprechung sind Maßnahmen der Mitgliedstaaten mit Artt. 10, 3 lit. g); 81 ff. EGV (Artt. 5, 3 lit. g), 85 ff. EGVa. E) unvereinbar, die bezwecken oder bewirken, die Auswirkungen der gegen Art. 81 EGV (Art. 85 EGV a. E) verstoßenden Kartellabsprachen zu verstärken oder sie zu ennöglichen319 • Das heißt, den ausdrücklich nur an Unternehmen gerichteten Wettbe316

Jaensch, S. 143.

Mit vielen Nachweisen aus der Rechtsprechung: von Wilmowsky, ZHR 1991,545,548 m. w. N.; Müller-Graf!, in: in: Hailbronner/Klein/Magiera/Müller-Graff, Art. 85 Rz. 34 m.w.N. 318 EuGH v. 23. 4. 1991, Rs. 41/90, Sig. 1991, S. 1979,2015,2016, Rz. 21, Klaus Höfner und Fritz Eiser vs. Macrotron GmbH, (Höfner). 319 Zum Beispiel: EuGH v. 13.2. 1969, Rs. 14/68, Sig. 1969, S. I, Walt Wilhelm u. a. vs. Bundeskartellamt; EuGH v. 16. 11. 1977, Rs. 13177, Sig. 1977, S. 2115, GB-Inno-BM vs. Vereniging van de Keinhandelaars in Tabak; EuGH v. 29. 1. 1985, Rs. 231183, Sig. 1983, S. 315, Henri Cullet vs. Centre Lecierc; EuGH v. 30. 4. 1986, Rs. 209 bis 213/84, Sig. 1986, S. 1425, Ministere public vs. Asjes u. a.; EuGH v. 1. 10. 1987, Rs. 311/85, Sig. 1987, S. 3801, 3831, lit. 1) und S. 3826, Rz. 10, VZW Vereniging Vlaamse Reisebureaus vs VZW Sociale Dienst van de Plaatselijke en Geweselijke Overheidsdiensten; EuGH v. 17. 11. 1993, Rs. C-185/91, Sig. 1993, S. 5801, Rz. 24, Bundesanstalt für den Güterfernverkehr vs. Gebrüder Reiff GmbH & Co KG; EuGH v. 17. 11. 93, Rs. C-2/91, Sig. 1993, S. 5751, Rz. 14, Meng. 317

111. Systematische Bedenken gegen eine unmittelbare Drittwirkung

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werbsregeln wird wegen der Gefahr der Umgehung über Art. 10 EGV (Art. 5 EGV a. E) Wirkung gegen die Mitgliedstaaten zugesprochen. Die Staaten könnten sonst legitimieren, was den Unternehmen verboten ist. Die umgekehrte Gefahr besteht aber bei den Grundfreiheiten, wenn sie nur an die Mitgliedstaaten gerichtet wären. Private könnten Handelsbeschränkungen aufbauen, die den Mitgliedstaaten verboten sind. Eine umfassende mittelbare Drittwirkung der Grundfreiheiten ist aus oben genannten Gründen jedoch nicht möglich. Deswegen müßte der EuGH konsequenterweise zur Sicherung der Ziele der Grundfreiheiten Private unmittelbar als Adressaten ansehen.

d) Rückschlüsse aus Art. 86 Abs. 2 EGV (Art. 90 Abs. 2 EGVa. E) für die Drittwirkung der Grundfreiheiten Art. 86 Abs. 2 EGV (Art. 90 Abs. 2 EGVa. E) ist direkt an Unternehmen adressiert, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut sind oder den Charakter eines Finanzmonopols haben. Nach Art. 86 Abs. 2 S. 1 HS. 1 EGV (Art. 90 Abs. 2 S. 1 HS. 1 EGVa. E) gelten für diese Unternehmen die Vorschriften des EGV, insbesondere die Wettbewerbsregeln. In S. 1 HS. 2 wird die Bindung an die Vorschriften des EGV dahingehend relativiert, daß dadurch nicht die Erfüllung, der ihnen übertragenen besonderen Aufgabe rechtlich oder tatsächlich verhindert werden darf. Satz 2 der Vorschrift schreibt schließlich fest, daß die Entwicklung des Handelsverkehrs nicht in einem Ausmaße beeinträchtigt werden darf, welches dem Interesse der Gemeinschaft zuwiderläuft. Die Auslegung von Art. 86 Abs. 2 EGV (Art. 90 Abs. 2 EGV a. E) ist in der Literatur in höchstem Maße umstritten 320. Auch der EuGH hat noch keine einheitliche Linie entwickelt321 . Die überwiegende Meinung geht davon aus, daß sich die Bedeutung von Art. 86 Abs. 2 EGV (Art. 90 Abs. 2 EGVa. E) in einer Ausnahme zu Art. 86 Abs. 1 EGV (Art. 90 Abs. 1 EGVa. E) erschöpft322 . 320 Zur Übersicht siehe Jaensch, S. 227-252; Ehricke, EuZW 1993,211 ff.; Mestmiicker, in: Immenga/Mestmäcker, EG-Wettbewerbsrecht, Art. 90 Abs. 2 Rz. I ff., isb. 14 ff. Es ist sogar schon gefordert worden die Vorschrift für absolet zu erklären: von WilmowsJcy, ZHR 1991,545,571; Emmerich, in: Dauses, Handbuch des EG-Wirtschaftsrechts, H. 11. Rz. 41; dagegen: Mestmiicker, in: Immenga/Mestmäcker, EG-Wettbewerbsrecht, Art. 90 Abs. 2 Rz. 17f. 321 Siehe nur: EuGH v. 19.3.1991, Rs. 202188, Sig. 1991, S. 1223, Rz. 55, Frankreich vs. Kommission; EuGH v. 14. 7. 19, Rs. 10171, Sig. 1971, S. 723, Staatsanwaltschaft Luxemburg vs. Muller (..Hafen von Mertert"); EuGH v. 06. 07.1982, Rs. 188-190/80, Sig. 1982, S. 2545, 2588, Französische Republik, Italienische Republik und Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland vs. Kommission (..Transparenzrichtlinie"); EuGH v. 10.7. 1984, Rs. 72/83, Sig. 1984, S. 2727, Rz. 18, Campus Oil vs. Minister für Industrie und Energie. 322 Ehricke, EuZW 1993,211,214; Bardura, ZGR 1997,291,299 f.; nachdem der EuGH noch nie eine Ausnahme aufgrund des Art. 86 Abs. 2 EGV (Art. 90 Abs. 2 EGV a. E) zugelassen hat, sprechen viele der Norm jegliche Bedeutung ab: Emmerich, in: Dauses, Handbuch

6 Ganten

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§ 3 Private als Adressaten der Grundfreiheiten

Selbst wenn man aber annimmt, daß Art. 86 Abs. 2 EGV (Art. 90 Abs. 2 EGV a. F.) mit der Bindung der Unternehmen an die Vorschriften des Vertrages auch die Grundfreiheiten meine 23 , ist die Aussagekraft der Vorschrift hinsichtlich der Drittwirkung der Grundfreiheiten sehr bescheiden324 • Zwar könnte man annehmen, daß aus der Anordnung der Geltung der Grundfreiheiten für die in Art. 86 Abs. 2 EGV (Art. 90 Abs. 2 EGV a. F.) genannten Unternehmen folge, daß sie bei anderen Privaten nicht gelten sollen. Dieser Rückschluß basiert aber auf der Annahme, daß Art. 86 Abs. 2 S. 1 HS. 1 EGV (Art. 90 Abs. 2 S. 1 HS. 1 EGV a. F.) konstitutiv und nicht deklaratorisch ist. Zur Begründung dieser Annahme wird vorgetragen, daß Vorschriften des Vertrages, wenn möglich nicht deklaratorisch zu verstehen seien 32s • Dieser Begründungsversuch soll methodisch wohl auf den Satz zurückzugehen, daß Vorschriften durch ihre Auslegung nicht sinnentleert werden dürfen326 • Art. 86 Abs. 2 EGV (Art. 90 Abs. 2 EGVa. F.) wird aber nicht überflüssig, wenn er zunächst deklaratorisch wiederholt, wovon er eine Ausnahme machen will. Betrachtet man den gesamten Satz 1, spricht die Ausgestaltung des Art. 86 Abs. 2 EGV (Art. 90 Abs. 2 EGVa. F.) sogar rur eine Drittwirkung von Grundfreiheiten. Der Normverweis betont insbesondere die Geltung der Wettbewerbsregeln. Deren Geltung ist aber schon aufgrund der Unternehmensqualität, die in Art. 86 Abs. 2 EGV (Art. 90 Abs. 2 EGVa. F.) vorausgesetzt wird, selbstverständlich. Es des EG-Wirtschaftsrechts, H 11 Rz. 41; von Wilmowski, ZHR 1991,545,571; dagegen Ehrike, EuZW 1993,211,214. 323 Burgi, EuR 1997,261,282 f.; Jaensch, S. 242. Die Annahme Art. 86 Abs. 2 S. I HS. I EGV (Art. 90 Abs. 2 S. I HS. I EGVa. F.) verweise auch auf die Grundfreiheiten, erscheint unter systematischen Gesichtspunkten bedenklich. Die Ausnahme des Art. 86 Abs. 2 S. I HS. 2 EGV (Art. 90 Abs. 2 S. I HS. 2 EGVa. F.) würde dann auch für die Grundfreiheiten gelten. Diese haben aber ihre eigenen Ausnahmevorschriften, die in den jeweiligen Kapiteln abschließend und restriktiv festgelegt sind, ohne auf weitere Einschränkungen im Wettbewerbsrecht hinzuweisen. In diesem Sinne auch: EuGH v. 10.7. 1984, Rs. 72/83, Sig. 1984, S. 2727, Rz. 18, Campus Oil vs. Minister für Industrie und Energie; EuGH v. 20. 3. 1985, Rs. 41/83, Sig. 1985, S. 873, Rz. 30, Italien vs. Kommission (,,British Telecom"); EuGH v. 23.4. 1991, Rs. 41/90, Sig. 1991, S. 1979,2016, Rz. 26, Klaus Höfner und Fritz Elser vs. Macrotron GmbH; EuGH v. 18.6. 1991, Rs. 260/89, Sig. 1991, S. 2925, Rz. 36 ff., ERT vs. DEP; EuGHv. 03.10. 1985,Rs. 311/84, Sig. 1985, S. 3261,CBEM vs. CLTund IPB; EuGH v. 10. 12. 1991, Rs. 179/90, Sig. 1991, S. 5889, Rz. 24 ff., Porto di Genua vs. Gabrielli; Ehriclce, EuZW 1993,211,215 nimmt dagegen an, daß die Ausnahmevorschrift des Art. 86 Abs. 2 EGV (Art. 90 Abs. 2 EGV a. F.) deckungsgleich mit denen der Grundfreiheiten ist. Offen gelassen in: EuGH, Urteil vorn 13. 12.91, Rs. C-18/88, Sig. 1991, S. 5941, Rz. 22, Regie des telegraphes et des telephones vs. GB-Inno-BM SA; EuGH v. 19.5. 1993, Rs. 320/ 91, Sig. 1993, S. 422, Corbeau. Dafiir Art. 86 Abs. 2 EGV (Art. 90 Abs. 2 EGVa. F.) als Schranke der Grundfreiheiten zu verstehen: Jarass, in: FS für Lerche, S. 443, 450 f. 32-4 Dies gibt Jaensch selbst zu, S. 252, nachdem er sich 25 Seiten (!) lang mit seiner Auslegung beschäftigt hat. 325 Jaensch, S. 252. 326 Schmalz. Methodenlehre, 3. Aufl. 1992, Rz. 242; Sack. in: FS für Fikentscher, S. 740, 749; Bleclcmann. Europarecht, S. 202, Rz. 539.

III. Systematische Bedenken gegen eine unmittelbare Drittwirkung

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wird also besonders eine deklaratorische Normverweisung betont. Das läßt es unwahrscheinlich erscheinen, daß in den beiläufig erwähnten Vorschriften des EGV die eigentliche Aussage der Norm liegt.

e) Zusammenfassung Aus der Tatsache, daß Artt. 81 ff. EGV (Artt. 85 ff. EGVa. F.) ausdrücklich Unternehmen verpflichten, kann nicht geschlossen werden, daß Private nur dann verpflichtet sein können, wenn das Primärrecht sie ausdrücklich als Adressaten benennt. Tatbestandliche Unterschiede und die völlig unterschiedliche Ausgestaltung der Rechtfertigungsmöglichkeiten und Rechtsfolgen lassen die Wenbewerbsregeln neben drittwirkenden Grundfreiheiten nicht überflüssig werden. Dies ergibt sich auch aus der unterschiedlichen Zielsetzung der Normgruppen. Art. 86 Abs. 2 EGV (Art. 90 Abs. 2 EGVa. F.) spricht sogar für eine unmittelbare Drittwirkung. Es läßt sich also aus den Wettbewerbsregeln kein überzeugendes Argument gegen eine Einbeziehung Privater in den Adressatenkreis der Grundfreiheiten herleiten. Kommt es zu einer Anwendung der Grundfreiheiten und der Artt. 81 f. EGY (Artt. 85 f. EGVa. F.) auf einen Sachverhalt und widersprechen sich die Ergebnisse, muß entweder durch Auslegung oder auf Konkurrenzebene eine sachdienliche Lösung gefunden werden 327 • Die weite Auslegung der Wettbewerbsregeln und die durch Art. 10 EGV (Art. 5 EGVa. F.) vermittelte Wirkung derselben gegenüber den Mitgliedstaaten sprechen dafür, auch den Adressatenkreis der Grundfreiheiten möglichst weit auszulegen. Dann müßten sie sich auch an Private richten.

3. Die Systematik der Kapitel

Noch in der Maastrichter Version des Gemeinschaftsvertrages wandten sich einzelne Begleitvorschriften der Grundfreiheiten direkt an die Mitgliedstaaten 328 . Hieraus wurde gefolgert, daß die Kapitel sich insgesamt nur an die Mitgliedstaaten wenden 329 • Die Grundfreiheiten selbst waren und sind aber, wie oben dargelegt, sehr allgemein gefaßt und lassen gerade nicht eindeutig den Verpflichteten erkennen 330• Der EuGH urteilte deshalb, daß die Bezugnahme auf die Mitgliedstaaten in Siehe: § 4 III. Im Kapitel der Warenverkehrsfreiheit: Artt. 31, 32, 33, 3411, 35, 37 EGVa. F. Im Kapitel der Arbeitnehmerfreizügigkeit: Artt. 49 Ziff. c, 50 EGV a. F. Im Kapitel der Niederlassungsfreiheit: Artt. 53, 54 III Ziff. c, e, g, h EGVa. F. Im Kapitel der Dienstleistungsfreiheit: Artt. 60 III, 62, 64, 65 EGVa. F. 329 Erklärung der Kommission in Hinsicht auf Art. 49 EGV (Art. 59 EGV a. F.) zur Rechtssache Walrave, EuGH v. 12. 12. 1974, Rs. 36/14, Sig. 1974, S. 1405, 1411 f., Walrave und Koch vs. UCI; ROIh, in: FS für Everling, S. 1241; Jaensch, S. 89 ff. 330 EuGH v. 12. 12. 1974, Rs. 36/74, Sig. 1974, S. 1405, 1420, Rz. 20/24, Walrave und Koch vs. UCI; GA Warner. in Schlußantrag zu: ebenda, S. 1425. 327

328

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§ 3 Private als Adressaten der Grundfreiheiten

den nachfolgenden Artikeln es nicht gestatte, sich über die allgemeine Fassung der Grundfreiheiten selbst hinwegzusetzen 33 !. Es läßt sich auch mit der gleichen Berechtigung der umgekehrte Schluß ziehen: Gerade weil sich die Begleitartikel ausdrücklich an die Mitgliedstaaten wenden, die Grundnormen dies aber nicht tun, müssen sie an alle adressiert sein. Schließlich hätte es ansonsten nahegelegen, auch die Grundfreiheiten ausdrücklich an die Mitgliedstaaten zu richten. Gegen eine solche Interpretation kann auch nicht angeführt werden, daß es einen Systembruch bedeute, wenn der EGV für Private keine Standstill- und Übergangsregelungen formuliere 332 • Privaten gegenüber werden die Vorschriften dann eben erst mit ihrer unmittelbaren Anwendbarkeit am Ende der Übergangsfristen wirksam. Wegen der größeren Flexibilität Privater und ihrer relativ überschaubaren vertraglichen Bindungen wären Übergangsregelungen bei Privaten unnötig. Im übrigen erscheint es nicht sachgerecht auf im Jahre 1957 entstandene Normen, die seit 1970 nicht mehr anwendbar sind, zu verweisen, um eine unmittelbare Drittwirkung abzulehnen. Diese Ansicht wird noch durch den Amsterdamer Vertrag gestützt, in dem die bedeutungslos gewordenen Begleitvorschriften ersatzlos wegfallen.

1. Die Adressaten der Ausnahmeregelungen Die Schranken der Artt. 30, 39 Abs. 3, 45, 46 Abs. 1, 55 EGV (Artt. 36, 48 Abs. 3,55,56 Abs. I, 66 EGVa. E) passen dem Wortlaut nach tatsächlich nicht optimal auf privatautonomes Verhalten 333 • Ein Privater wird sich zum Beispiel nur selten auf die öffentliche Sicherheit, den Schutz nationalen Kulturguts oder der öffentlichen Gesundheit zur Legitimation seines Handeins berufen. Auch die Rechtfertigung unterschiedslos anwendbarer Beschränkungen durch Erfordernisse des zwingenden Allgemeininteresses 334 scheint nicht auf Private ausgelegt zu sein 335 • Hieraus wird teilweise abgeleitet, daß die Grundfreiheiten sich dann wohl auch nur an staatliche Stellen wenden 336• Mit der gleichen Berechtigung könnte man allerdings annehmen, daß eine Beschränkung von seiten Privater nur unter genann331 EuGH v. 12. 12. 1974, Rs. 36174, Slg. 1974, S. 1405, 1420, Rz. 21, Walrave und Koch vs. UCI; Schaefer. S. 129 m. w. N.; QuinnlMacGowan. ELR 1987, 163. 332 Jaensch. S. 91. 333 Bleckmann. Europarecht, S. 274, Rz. 772. 334 EuGH V. 20. 2. 1979, Rs.120178, Slg. 1979,649,662, Rz. 8, Rewe-Zentral-AG vs. Bundesmonopolverwaltung für Branntwein (Cassis de Dijon); EuGH v. 3. 12. 1974, Rs. 33/ 74, Slg. 1974, S. 1299, 1309, Rz. 12, Johannes Henricus Maria van Binsbergen vs. Bestuur van de Bedrijsvereniging voor de Metaa1nijverheid. m Roth, in: FS für Everling. S. 1231. 1242. 336 QuinnlMacGowan. ELR 1987, 163, 175 f.; Roth. in: FS für Everling, S. 1231, 1241.

UI. Systematische Bedenken gegen eine unmittelbare Drinwirkung

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ten Gründen gerechtfertigt sein kann - also fast immer verboten ist; oder aber man kann davon ausgehen, daß für Private andere, eventuell ungeschriebene Schranken gelten. Festzuhalten bleibt, daß der Schluß von den Adressaten der bestehenden Rechtfertigungsgründe auf die Adressaten der Grundfreiheiten nicht zwingend

ise 37 . 2. Der Schluß von den Sanktions- und Ausgestaltungsmäglichkeiten der Gemeinschaftsorgane auf den Adressatenkreis der Norm

Die drittwirkenden Wettbewerbsregeln geben den Gemeinschaftsorganen die Möglichkeit, Verstöße privater Unternehmen gegen Artt. 81 f. EGV (Artt. 85 f. EGVa. E) zU sanktionieren 338 • Ebenso kann nach Art. 12 Abs. 2 (Art. 6 Abs. 2 EGVa. E) der Rat nähere Regelungen für das Verbot von Diskriminierungen treffen. Nach einer Ansicht ist diese Möglichkeit, Sanktionen und spezielle Regelungen für Verstöße Privater zu schaffen, Voraussetzung für eine Drittwirkung von Gemeinschaftsnormen 339. Bis auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit, die in Art. 40 EGV (Art. 49 EGVa. E) ähnliche Möglichkeiten bietet, fehlen in den Kapiteln der anderen Grundfreiheiten tatsächlich Kompetenznormen, die den Gemeinschaftsorganen die Möglichkeit geben, die Verhältnisse zwischen Privaten näher zu regeln 340. Vom Fehlen solcher Regelungsmöglichkeiten auf das Nichtvorhandensein einer Drittwirkung zu schließen setzt aber voraus, daß solche Kompetenzen bei drittwirkenden Normen des Gemeinschaftsrechts notwendig sind. Zunächst kann als Indiz gelten, daß der drittwirkende Art. 141 EGV (Art. 119 EGVa. E) auch keine Sanktionsmöglichkeiten der Gemeinschaftsorgane bei Verstößen durch Private vorsieht. Private müssen hier ihr Recht selber durchsetzen, ohne Hilfe von den Gemeinschaftsorganen erwarten zu können. Bei Art. 12 EGV (Art. 6 EGVa. E) hat der Rat von der Möglichkeit nach Art. 12 Abs. 2 EGV (Art. 6 Abs. 2 EGVa. E) Regelungen zu treffen noch keinen Gebrauch gemacht34l . Notwendig kann die Ausgestaltungsbefugnis für eine Drittwirkung danach wohl nicht sein.

337 Der Suche nach den Schranken drittwirkender Grundfreiheiten ist § 5 dieser Untersuchung gewidmet. 338 Artl. 81 Abs. 3, 83 Abs. 1 EGV (Artt. 85 Abs. 3, 87 Abs. 1 EGVa. F.). 339 Quinn/MacGowan, ELR 1987, 163, 169; Jaensch, S. 119 f., 157,255 f. 340 Jaensch, S. 113 -120, der bei Art. 40 EGV (Art. 49 EGV a. F.) zwar eine fonnelle Eignung zur Regelung der Rechtsverhältnisse zwischen Privaten annimmt, aber aus dem Inhalt der dort genannten Regelbeispiele rückschließt, daß die Ennächtigung materiell nicht auf die Regelung von Privatrechtsverhältnissen abzielt. 341 von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, Stand Mai 1998, Art. 6 Rz. 61.

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§ 3 Private als Adressaten der Grundfreiheiten

Hinzu kommt, daß die Kommission schon bei den Wettbewerbsregeln zwar Sanktionsmöglichkeiten hat, diese im Hinblick auf ihre Effektivität aber vielfach kritisiert werden 342 • Der Kommission fehlen die personellen und sachlichen Mittel, um spürbare Handelsbeschränkungen aufzudecken. Eine Überprüfung einzelner Verträge, wie es zur Durchsetzung der drittwirkenden Grundfreiheiten nötig wäre, könnte die Kommission nicht leisten. Eine Sanktionsmöglichkeit der Kommission bei Verstößen Privater gegen die Grundfreiheiten wäre also faktisch sinnlos. Die Argumente verdeutlichen, daß weder die Ausgestaltungsbefugnis noch die Sanktionsmöglichkeiten der Gemeinschaftsorgane Voraussetzung oder auch nur ein systematisches Indiz für eine Drittwirkung von Gemeinschaftsnormen ist.

3. Die Gefährdung der Kohärenz nationaler Rechtsordnungen

Die Kohärenz nationaler Privatrechtsordnungen ist zu wahren 343 • Dies schon deshalb, weil ein funktionierender europäischer Binnenmarkt auf intakte nationale Zivilrechtsordnungen angewiesen ist344 . Hieraus wird teilweise abgeleitet, daß der Einfluß der Grundfreiheiten auf die Privatrechtsordnungen zu minimieren sei 34s • Die Unanwendbarkeit grundfreiheitswidriger Privatrechtsnormen, die eine wichtige Rolle bei der komplexen Gesamtverteilung der Risiken in Privatrechtsverhältnissen spielten, führe nämlich zu Ungleichgewichten und Ungerechtigkeiten 346 • Bei der unmittelbaren Drittwirkung wird aber nicht die Verteilung von Vorteilen und Lasten durch eine Zivilrechtsordnung gestört. Vielmehr wird nur die Möglichkeit von Privatpersonen begrenzt, autonom einander bestimmte Pflichten zuzuweisen. Eine unmittelbare Drittwirkung setzt schließlich per definitionem voraus, daß die Grundfreiheitsbeschränkung nicht auf Privatrechtsnormen, sondern auf dem Willensentschluß der Vertragsparteien beruht347 • Damit wird die materielle Verteilungsgerechtigkeit der Privatrechtsordnungen durch eine unmittelbare Drittwirkung der Grundfreiheiten nicht beeinträchtigt. Des weiteren wird im Bereich der legislativen Rechtsangleichung immer wieder darauf hingewiesen, daß der nur punktuelle Einfluß des Gemeinschaftsrechts auf 342 Zuleeg, Das Recht der EG, S. 196; Sehae/er, S. 254 f.; Ehlemwnn, in: FS für Everling, S. 283, 285 f.; Wessling, ELR 1997, 35 m. w. N.; Zur Idee einer unabhängigen Kartellbehörde: Ehlemwnn, CMLRev. 1995,471 ff., 478; Riley, ECLR 1997, 3,11 f. 343 Kötl., in: FS Zweigert, S. 481, 486 f.; Ulmer. JZ 1992, 1,5; Taupitl., Europäische Privatrechtsvereinheitlichung heute und morgen, S. 4, 42; Blauroek, JZ 1994, 270, 276; Armbrüster, RabelZ 60 (1996), 72, 88. 344 Wemieke, Privates Bankvertragsrecht im EG-Binnenmarkt, S. 93; Basedow, CMLRev. 1996,1169,1172. 34~ Steindorff, EG-Vertrag und Privatrecht, S. 50 ff. 346 Zitseher, RabelZ 60 (1996), 648, 657 ff.; ders., RabelZ 1996, I, 8 f.; Taupitl., ZEuP 1997,986,993. 347 Siehe: § 1 11. 3.

III. Systematische Bedenken gegen eine unmittelbare Drittwirkung

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die sehr unterschiedlichen nationalen Privatrechtsordnungen zu Systembcüchen führe 348 • Die Klarheit der Rechtsfindung und die dogmatische Schlüssigkeit der einzelnen Rechtsordnungen sei geflihrdet, wenn wegen europäischer Vorgaben fremde Rechtsinstitute inkorporiert werden müßten oder an die Stelle tradierter lösungen träten. Auch diese Argument läuft bei der unmittelbaren Drittwirkung der Grundfreiheiten leer. Jede Privatrechtsordnung setzt nämlich der Privatautonomie Grenzen. Technisch ist diese Grenzsetzung aber wegen der unüberschaubaren Vielzahl denkbarer Vereinbarungen nur durch GeneralklauseIn möglich, die Teil aller Privatrechtsordnungen sind 349 • In Deutschland sind die §§ 134 und 138 BGB ein Beleg hierfür. Insofern ist bei einer unmittelbaren Drittwirkung der Grundfreiheiten kein Systembruch zu befürchten, weil die für die Verbotswirkung notwendigen Rechtsinstitute in allen mitgliedstaatlichen Privatrechtsordnungen existieren und nur ihre schon von der Anlage her flexiblen Grenzen etwas verschoben werden 3so . Eine unmittelbare Drittwirkung wahrt also die Kohärenz der nationalen Privatrechtsordnungen. Insofern läßt sich hieraus kein Grund für eine Ablehnung der Verpflichtung Privater durch die Grundfreiheiten ableiten.

4. Übertragbarkeit der Argumente wider eine Drittwirkung von Richtlinien In den letzten Jahren ist heftiger Streit über die Frage der horizontalen Wrrkung von Richtlinien entbrannt. Die Rechtswissenschaft diskutiert diese Frage immer noch kontrovers 3S1 • Der Gerichtshof hat Richtlinien in ständiger Rechtsprechung3S2 unter bestimmten Voraussetzungen vertikale Wirkung zuerkannt, sich je348 Blaurock, JZ 1994, 270, 272; Wemicke, Privates Bankvertragsrecht im EG-Binnenmarkt, S. 93 f.; Basedow, CMLRev. 1996, 1169, 1171 m. w. N.; tiers., ZEuP 1996, 193, 196 f. m. w. N.; Kilian, Europäisches Wirtschaftsrecht, S. 318, Rz. 798; zur Bedeutungslosigkeit des Arguments die Rechtskulturen der Mitgliedstaaten wurden gefahrdet: Jayme, Ein Internationales Privatrecht flir Europa, S. 7 ff.; Drobnig, in: FS für Steindorff, S. 1141, 1147 f.; Basedow, ZEuP 1996, 379 ff.; Remien, RabelZ 60 (1996), 1,8 ff. 349 Eilmannsberger, Rechtsfolgen und subjektives Recht im Gemeinschaftsrecht, S. 22; Kötz, in: Kötz 1Flessner, Europäisches Vertragsrecht, Bd. I, S. 16. 350 Eilmannsberger, Rechtsfolgen und subjektives Recht im Gemeinschaftsrecht, S. 22. 351 Für eine Drittwirkung der Richtlinien beispielsweise: Easson, ELR 1979, 67, 79; Bleckmann, Europarecht, S. 168 ff., Rz. 434 ff.; Emmert, Europarecht, S. 162, Rz. 29; Craig, ELR 1997, 519 ff.; Klauer, Europäisierung des Privatrechts, S. 57 ff. Gegen eine Drittwirkung von Richtlinien beispielsweise: Brinkhorst, CMLRev. 1971,386,390; BeyerlMöllers, JZ 1991, 24, 26; van Gerven, CMLRev. 1995,679,681; Oppermann, Europarecht, Rz. 466; SchweitzerlHummer, Europarecht, S. 107, Rz. 368. Mit umfassenden Nachweisen von Befi1rwortem und Gegnern: Jaensch, S. 184. 352 Seit: EuGH v. 6. 10. 1970, Rs. 9/70, Slg. 1970, S. 825, Rz. 5, Grad vs. Finanzamt Traunstein (für Entscheidungen); EuGH v. 4. 12. 1974, Rs. 41/74, Sig. 1974, S. 1337, van Duyn vs. Home Office; EuGH v. 1. 2.1977, Rs. 51/76, Sig. 1977, S. 113, Rz. 20/29, Nederlandse Ondememingen vs. Inspecteur der Invoerrechten en Accijnzen; EuGH v. 5.4. 1979,

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§ 3 Private als Adressaten der Grundfreiheiten

doch nach einigen mißverständlichen Urteilen 353 deutlich gegen eine horizontale Anwendbarkeit ausgesprochen 354 . Im folgenden wird untersucht, ob die Argumente gegen eine unmittelbare Drittwirkung von Richtlinien auch gegen eine unmittelbare Drittwirkung der Grundfreiheiten sprechen. Hauptargument gegen eine unmittelbare Drittwirkung ist der Wortlaut des Art. 249 Abs. 3 EGV (Art. 189 Abs. 3 EGVa. E). Danach ist eine Richtlinie nur für den Mitgliedstaat verbindlich. Es wird angeführt, der Wortlaut sei insoweit eindeutig und lasse keinen Auslegungsspielraum ZU 355 • Dieses Argument gegen eine unmittelbare Drittwirkung läßt sich gerade nicht auf die Grundfreiheiten übertragen, die ihrem Wortlaut nach die Frage offen lassen, wer Verpflichteter ise 56 . Genau dies hat der EuGH selbst schon mehrfach festgestellt 357 . Die vertikale Wirkung der Richtlinien wird damit begründet, daß ein Mitgliedstaat, der gemeinschaftsrechtswidrig eine Richtlinie nicht oder falsch umgesetzt hat, sich nicht dem Bürger gegenüber auf die Vernachlässigung seiner Verpflichtungen berufen kann, um Verpflichtungen aus der Richtlinie zu entgehen 358 • Das Fehlen dieses gegen Treu und Glauben verstoßenden Sachverhaltes im Verhältnis zwischen Privaten wird dementsprechend als Argument gegen die Drittwirkung Rs. 148178, Sig. 1979, S. 1629, Rz. 21, Ratti; EuGH v. 19. l. 1982, Rs. 8/81, Sig. 1982, S. 53, Rz. 21 f., Becker vs. Finanzamt Münster-Innenstadt; Bleekmann, Europarecht, S. 167, Rz. 432 m. w. N. 353 Insbesondere: EuGH v. 10.4. 1984, Rs. 14/83, Sig. 1984, S. 1891, Rz. 27, von Coison und Kamann vs. NRW; EuGH v. 10.4. 19, Rs. 79/83, Slg. 1984, S. 1921, Rz. 27, Harz vs. Deutsche Tradax; EuGH v. 8.11. 19, Rs. C-177/88, Sig. 1990, S. 3941, Dekker vs. VJWCentrum. 354 EuGH v. 26. 2.1986, Rs. 152/84, Sig. 1986, S. 723, Rz. 48, MarshalI vs. Southhampton and South-West Hamsphire Area Health Authority; EuGH v. 12.5. 1987, Rs. 372-3741 85, Sig. 1987, S. 2141, 2142, 2159, Rz. 24, Traen u. a.; EuGH v. 10.8. 19, Rs. 80/86, Sig. 1987, S. 3969, Rz. 9, Kolpinghuis Nijmegen BV; EuGH v. 7. 12. 1990, Rs. C-188/89, Sig. 1990, S. 3313, Rz. 18, Foster vs. British Gas; EuGH v. 25. 7. 1991, Rs. 208/90, Sig. 1991, S. 4269, 4298, Theresa Emmot vs. Minister for Social Welfare und Attorney General; EuGH v. 14.7.1994, Rs. 91/92, Sig. 1994, S. 3325, Rz. 20, Dori vs. Recreb; EuGH v. 7. 3.1996, Rs. C-192/94, Sig. 1996, S. 1281, EI Corte Ingles vs. Blazquez Rivero; EuGH v. 1l. 7. 1996, Rs. 71-73/94, Sig. 1996, S. 3603, Rz. 26, Eurim-Pharm VS. Beiersdorf. 355 EuGH v. 26. 2.1986, Rs. 152184, Slg. 1986, S. 723, Rz. 48, MarshalI vs. Southhampton and South-West Hamsphire Area Health Authority; Bleekmann, Europarecht, S. 169, Rz. 437; hiergegen kann man einwenden, daß es, wie die Drittwirkung des Art. 141 EGV (Art. 119 EGVa. E) zeigt, nicht auf den formelIen Normadressaten ankommt: Easson, ELR 1979,67,71; Sehoekweiler, in: FS für Everling, S. 1315, 1322; eraig, ELR 1997,519 ff. 356 Siehe weiter oben in diesem Kapitel: I. 357 Z. B. EuGH v. 12. 12. 1974, Rs. 36/74, Sig. 1974, S. 1405, 1425 f., Rz. 20, Walrave und Koch vs. UCI. 358 EuGH v. 19. l. 1982, Rs. 8/81, Sig. 1982, S. 53, 71, Becker vs. Finanzamt. Die Bedeutung dieses Argumentes ist strittig. Für falsch hält es: Sehoekweiler, in: FS für Everling, S. 1315, 1322. Nach Nieolaysen handelt es sich nur um ein ..darüber-hinaus"-Argument, EuR 1984, 388 f. Für ausschlaggebend halten es: Easson, ELR 1979,67, 71; Sehae/er, S. 194; Beutler/Bieber/Piplwrn/Streil, Die Europäische Union, S. 212.

III. Systematische Bedenken gegen eine unmittelbare Drittwirkung

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von Richtlinien angeführt werden 359 • Auch dieses Argument läuft aber bei den Grundfreiheiten ins Leere, da seine vertikale unmittelbare Wirkung auch ohne den Grundsatz von Treu und Glauben zu bemühen allgemein anerkannt ist 360. Verschiedentlich ist darüber nachgedacht worden, ob überhaupt ein praktisches Bedürfnis für eine unmittelbare Drittwirkung von Richtlinien bestehe, weil ein durch die Nichtumsetzung Geschädigter Schadensersatz von dem säumigen Mitgliedsstaat verlangen kann 361 • Schließlich hätte so am Ende der wirklich Schuldige, nämlich der säumige Mitgliedstaat, den Schaden zu tragen. Neuerdings hat nun der EuGH auch bei Verletzung von Primärrecht, insbesondere den Grundfreiheiten, dem geschädigten Bürger einen Schadensersatz gegen den Mitgliedstaat zuges prochen362 • Ist also eine unmittelbare Drittwirkung der Marktfreiheiten überflüssig, weil der von einem Privaten in seinen Freiheiten Beschränkte einen Schadensersatzanspruch gegen den Mitgliedstaat hat? Die Argumentation ist schon hinsichtlich der Richtlinienproblematik schwach 363 • Richtlinien müssen nämlich als Ziel die Verleihung von Rechten an den Einzelnen beinhalten, der Inhalt dieses Rechts muß hinreichend bestimmbar sein, und es muß ein Kausalzusammenhang zwischen der Nicht- oder Falschumsetzung und dem Schaden des Betroffenen bestehen, um einen Schadensersatzanspruch auszulösen364 • Ein Schadensersatzanspruch kann eine Drittwirkung von Richtlinien nicht vollwertig ersetzen. Bei den Grundfreiheiten versagt dieser Gedanke aber vollständig. Ein Schadensersatzanspruch aus Primärrecht setzt nämlich voraus, daß die Grundfreiheiten dem einzelnen ein unmittelbares Recht gegenüber dem Mitgliedstaat gewähren und dieses verletzt wurde. Gegen den Mitgliedstaat hat der einzelne aber, wie oben schon geklärt wurde, keinen unmittelbaren Anspruch, vor privatautonomen Beschränkungen durch andere Private geschützt zu werden 365 • Eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten für die Einhaltung der Grundfreiheiten unter Privaten zu sorgen, ergibt sich allenfalls aus Art. 10 EGV (Art. 5 EGVa. F.) in Verbindung mit der verletzten Grundfreiheit. Hieraus resultiert jedoch kein vom Bürger einklagbarer Anspruch366•

Reich, EuZw 1991.203.209. Ebenso Schroeder, Sport und europäische Intagration. S. 141. 361 Schockweiler, in: FS für Everling. S. 1315 ff. 362 Grundlegend hierzu: EuGH v. 5. 3. 1996. Rs. 46 und 48/93. Sig. 1996. S. 1029. Brasserie du P&heur vs. Deutschland u. a. 363 Schockweiler, in: FS für Everling. S. 1315. 1320. 364 EuGH v. 19. 11. 1991. Rs. 6 und 9/90. Sig. 1991. S. 5357, Francovich; Emmert, Europarecht. S. 278. § 20. Rz. 64. 365 Zu trennen ist diese Frage von der Verpflichtung der Mitgliedstaaten. für die Beachtung der Grundfreiheiten unter Privaten Sorge zu tragen. Diese Pflicht folgt aus Art. 10 EGV (Art. 5 EGVa. E) bei Annahme einer unmittelbaren Drittwirkung und begründet keinen unmittelbaren Anspruch Privater. 366 Art. 10 EGV (Art. 5 EGVa. E) ist nicht unmittelbar anwendbar. 359 360

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§ 3 Private als Adressaten der Grundfreiheiten

Zweifellos sind die Gerichte der Mitgliedstaaten verpflichtet, das nationale Recht richtlinienkonfonn auszulegen. Die Grenzen dieser Auslegung 367 oder gar Rechtsfortbildung 368 nationalen Rechts sind heftig umstritten. Setzt man diese Grenzen sehr weit, könnte man zu dem Schluß kommen, daß eine horizontale Anwendbarkeit der Richtlinie nicht erforderlich sei, weil man ihren Inhalt immer in das nationale Recht hineininterpretieren kann 369 • Dies mag ein Grund für die Überflüssigkeit unmittelbar drittwirkender Richtlinien sein. Bei den Grundfreiheiten wurde eine solche eigenständige mittelbare Drittwirkung oben ausführlich diskutiert und abgelehnt 37o• Eine Verpflichtung der Gerichte das nationale Recht so auszulegen, daß auch Privaten verboten ist, die Grundfreiheiten anderer Privater zu beschränken, setzt das Auslegungsergebnis voraus, daß Private zur Beachtung der Grundfreiheiten anderer verpflichtet sind. Auch bei Richtlinien trifft die Gerichte nur die Pflicht sicherzustellen, daß den gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften im innerstaatlichen Bereich diejenige Wirkung zukommt, die vom Gemeinschaftsgesetzgeber gewollt war371 • Bei den Grundfreiheiten müßte also gewollt sein, daß sie zwischen Privaten wirken. Damit müßte vorausgesetzt werden, was widerlegt bzw. überflüssig werden sollte - nämlich die unmittelbare Drittwirkung. Die Argumente gegen eine Drittwirkung von Richtlinien präjudizieren mangels Übertragbarkeit nicht die Frage der unmittelbaren Drittwirkung bei den Grundfreiheiten 372 •

5. Beschränkung der Drittwirkung auf quasi-staatliche Private

Einige Autoren wollen nur einen Teil der Privaten zur Beachtung der Grundfreiheiten verpflichten. Die zur Bestimmung dieser Gruppe herangezogenen Kriterien variieren. Vorgeschlagen wird, auf die soziale Mächtigkeit, die private Nonnsetzungskompetenz, die mit der Handlung verfolgten Ziele oder die Unentrinnbarkeit der privaten Regelungen abzustellen 373 • Nachdem eine solche Unterscheidung im 367 Jarass, EuR 1991, 211 ff.; Iglesias/ Riechenberg, in: FS für Everling, Band 11, S. 1213 ff.; Ehricke, RabelZ 59 (1995), 598; Schmidt, RabelZ 59 (1995), 579 ff.; Grundmann, ZEuP 1996, 399. 368 Überblick bei: Ukrow, Richterliche Rechtsfortbildung durch den EuGH, S. 152 ff.; Anweiler. Die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs, S. 28 ff.; Möllers, in: Das BUrgerliche Gesetzbuch von 1896 bis 1996, S. 153 ff. m. w. N. 369 eraig, ELR 1997,519,528 ff.; Beutler/Bieber/Pipkom/Streil, Die Europäische Union, S. 212; Grundmann, in: FS fUr Fikentscher, S. 671, 683; für sehr enge Grenzen allerdings Jarass, EuR 1991,211,217 ff., 222; für sehr weite Grenzen Schmidt, RabelZ 59 (1995),569, 591. 370 Siehe weiter oben in diesem Kapitel: § 3 III. 1. b). 371 Iglesias/Riechenberg, in: FS fUr Everling, Band 11, S. 1213, 1315. 372 Dies versuchen aber Jarass, in: FS für Everling, S. 593, 594; Jaensch, S. 182 ff. 373 Fabis hält das Machtgefälle für ausschlaggebend. Fabis, Auswirkungen der Freizügigkeit gemäß Art. 48 EG-Vertrag auf Beschäftigungsverhältnisse im nationalen Recht, S. 124 ff.;

UI. Systematische Bedenken gegen eine unmittelbare Drittwirkung

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Wortlaut der Grundfreiheiten nicht einmal angedeutet ist, müssen schwerwiegende Gründe für diese Differenzierung sprechen. Der Ansatzpunkt der Vertreter dieser Ansicht ist es, die Grundfreiheiten dahingehend auszulegen, daß sie nicht .. Maßnahmen der Mitgliedstaaten ", sondern .. mitgliedstaatliche Maßnahmen" verbieten 374 • Aus diesem Verständnis heraus ist es konsequent, Maßnahmen Privater, die staatsähnliche Merkmale aufweisen, auch der Verbotswirkung der Grundfreiheiten zu unterstellen. Verpflichtet wäre dann ein Gruppe von Rechtssubjekten, die man .. quasi-staatliche Private" nennen könnte 37s • Zunächst ist dazu festzustellen, daß eine solche Auslegung der Grundfreiheiten nicht mit derjenigen des Gerichtshofes übereinstimmt. Sie ist auch keine Weiterentwicklung, sondern dem bisherigen Verständnis der Grundfreiheiten diametral entgegengesetzt. Der EuGH hat bisher den Adressatenkreis der Grundfreiheiten unterschiedlich weit ausgelegt, dann aber alle von diesen Adressaten getroffenen Maßnahmen einer Kontrolle unterzogen. Würde man nur bestimmte Verhaltensweisen einer Grundfreiheitskontrolle unterziehen, könnte der Mitgliedstaat das Verbot, den Handel zu beschränken, durch die Wahl seiner Mittel umgehen. Eine Auslegung der Grundfreiheiten, die dies zuließe, widerspräche dem Grundsatz des effet utile. Deswegen sind beispielsweise im Rahmen des Art. 28 EGV (Art. 30 EGVa. F.) auch unverbindliche Empfehlungen376, tatsächliche Handlungen und erwerbswirtschaftliche Tätigkeit auf privatrechtlicher Basis als .. Maßnahmen" anzusehen, solange sie vom Mitgliedstaat ausgehen. Auf eine mitgliedstaatliche Eigenart der Handlungsweise, auf die hin man Handlungen Privater untersuchen könnte, kommt es gerade nicht an. Es wäre angesichts der bisherigen Rechtsprechung also eine einschneidende Neuerung nicht mehr auf den Handelnden, sondern auf die Art der Handlung abzustellen. Darüber hinaus ist es ein Gebot des effet utile nicht nur bestimmte Verhaltensweisen, sondern alle Beschränkungsmöglichkeiten des Adressatenkreises zu verbieten. Dem könnte man entgegenhalten, daß der EuGH mehrfach betont hat, daß solche Maßnahmen Privater verboten seien, die .. eine kollektive Regelung im Arbeitsund Dienstleistungsbereich enthalten 377 ." Hieraus folge, daß nach der RechtspreJaensch, S. 268 ff., 285 f. m. w. N. Seiner Meinung nach sind Private an die Grundfreiheiten gebunden, wenn sie im Allgemeininteresse private Rechtsnormen schöpfen, denen der einzelne unentrinnbar ausgeliefert ist. Für das ähnliche Problem in der deutschen Grundrechtslehre siehe: Camillscheg, AcP 164 (1964),386,406 ff. m. w. N. 374 Hailbronner; in: Hailbronner 1Klein 1Magieral Müller-Graff, Art. 52 Rz. 15; Jaensch, S.264. m Jaensch, S. 266. 376 EuGH V. 24. 11. 1982, Rs. 249/81, Sig. 1982, S. 4005, Rz. 28, Kommission vs. Irland (Buy Irish). 377 EuGH v. 12. 12. 1974, Rs. 36/74, SIg. 1974, S. 1405, Rz. 16/19, Walrave und Koch vs. UCI; EuGH v. 14.7. 1976, Rs. 13/76, SIg. 1333, 1341, Rz. 18, Gaetano Dona vs. Mario Mantero; ähnlich EuGH v. 15. 12. 1995; Rs. C-415193; Sig. 1995, S. 4921, 5066, Rz. 82,

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§ 3 Private als Adressaten der Grundfreiheiten

chung nur private Normsetzungsbefugnis einer Grundfreiheitskontrolle zu unterziehen sei. Diesen Rückschluß zu ziehen, erscheint dagegen schon deshalb nicht angebracht, weil der Gerichtshof in diesen Fällen eben nichts anderes zu beurteilen hatte 378 • Daß kollektive Regelungen verboten sein können, heißt noch lange nicht, daß alle anderen Beschränkungen der Grundfreiheiten erlaubt sind. Im Fall HaugAdrion hat der Gerichtshof selbst eine zweiseitige Vereinbarung der Grundfreiheitskontrolle unterzogen 379 • Aber auch inhaltlich könnte ein solcher Ansatz nicht überzeugen. Schließlich richten sich die Grundfreiheiten nicht nur gegen Regelungen genereller Art. Hätte der Gerichtshof die Wirkung der Grundfreiheiten gegenüber Privaten hierauf beschränken wollen, hätte er dies wenigstens begründen müssen. Die Auffassung, die Grundfreiheiten würden nur solche Privaten binden, die in irgendeiner Weise staatsähnlich handeln, ist dann scheinbar naheliegend, wenn man eine Parallele zwischen den Grundfreiheiten und den Wettbewerbsregeln sieht. Schließlich macht die funktionale Betrachtungsweise bei den Wettbewerbsregeln alle zu Unternehmen, die sich erwerbswirtschaftlich betätigen. Sogar ein Mitgliedstaat muß, wenn er unternehmerisch tätig ist, neben den Grundfreiheiten die Wettbewerbsregeln beachten 38o . Manche gehen nun davon aus, daß sich die Wettbewerbsregeln gegen Beschränkungen des Marktes von privater Seite wenden, während die Grundfreiheiten gegen staatliche Hindernisse gerichtet sind381 . Eine solche parallele Funktion der Normgruppen legt eine parallele, also auch an der Art der Handlung orientierte Auslegung der Grundfreiheiten nahe. Der Unternehmensbegriff bezieht sich auf die Art der Tatigkeit. Bei den Grundfreiheiten geht es dagegen um den Urheber einer Beschränkung. Ist dieser Adressat, ist ihm jedes handelsbeschränkendes Verhalten verboten. So darf ein Mitgliedstaat den Warenverkehr auch nicht privatrechtlich oder durch tatsächliches Verhalten beschränken 382 • Dieser Unterschied im Wortlaut zwischen Wettbewerbsregeln und Grundfreiheiten wird leicht übersehen, wenn man eine Parallelität der Normgruppen annimmt. Im übrigen wurde schon oben nachgewiesen, daß die Zielsetzungen in Wirklichkeit sehr unterschiedlich sind383 . Wahrend die Grundfreiheiten auf das Ziel der Schaffung und Sicherung eines Binnenmarktes ausgerichtet sind, sollen die Wettbewerbsregeln innerhalb eines so geschaffenen Binnenmarktes den Wettbewerb siLeitsatz 10, 15, Union royale beige des societes de football association ASBL u. a. vs. JeanMarc Bosman u. a. 378 Siehe hierzu: § 2 V. 379 EuGH, v. 13. 12. 1984, Rs. 251/83, Sig. 1984, S. 4277, Eberhard Haug-Arion vs. Frankfurter Versicherungs AG. 380 Jaensch, S. 265. 381 Leitendes Motiv bei der Auslegung der Grundfreiheiten durch Jaensch, S. 144,263. 382 Hailbronner, in: Hailbronner/Klein/Magiera/Müller-Graff, Art. 30 Rz. 3 m. w. N. 383 Siehe: § 3 III. 2. b) (4).

111. Systematische Bedenken gegen eine unmittelbare Drittwirkung

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chern. Eine Entsprechung der unternehmensgerichteten Wettbewerbsregeln kann nur in den staatengerichteten Wettbewerbsvorschriften der Artt. 87 ff. EGV (Artt. 92 ff. EGV a. F.) gesehen werden. Ohne die angebliche Parallelität entnmt die scheinbar aus der Systematik des Vertrages rührende Verführung, quasi-staatliche Private in den Anwendungsbereich der Grundfreiheiten mit einzubeziehen. Es gibt nur einen tatsächlichen Grund, bestimmte Private an die Grundfreiheiten zu binden. Dies ist die Erkenntnis, daß Private den Binnenmarkt behindern können, also eine rein vertikale Wirkung der Grundfreiheiten zu unbefriedigenden Ergebnissen führt 384 • Dem ist zuzustimmen. Allerdings ist nicht ersichtlich, warum dann nur bestimmte Private hieran gebunden sein sollten. Schließlich kann es nicht darauf ankommen in welchem Maßstab der Binnenmarkt beeinträchtigt wird, denn ein Spürbarkeitserfordernis, wie es aus dem Wettbewerbsrecht bekannt ist, existiert bei den Grundfreiheiten gerade nicht 385 • Der Fokus liegt bei den Grundfreiheiten schließlich auf der Freiheit des Einzelnen, dessen Beschränkung unabhängig davon ist, wieviele andere auch betroffen sind. Die Frage, zu welchen Korrekturen marktwirtschaftlicher Mechanismen ein Machtgefälle zwischen Wirtschaftsteilnehmern führen kann oder sollte, ist dagegen ein klassisches Problem der Wettbewerbsregeln 386 . Es gibt also nur ein Argument, auch quasi-staatliche Private an die Grundfreiheiten zu binden, und das heißt: Alle Privaten können die Grundfreiheiten beschränken und müssen deshalb verpflichtet sein, die Verbote der Grundfreiheiten zu beachten! Eine Beschränkung der unmittelbaren Drittwirkung nur auf quasistaatliche Private widerspricht der Systematik des Vertrages.

6. Zusammenfassung

Die systematischen Bedenken gegen eine unmittelbare Drittwirkung lassen sich in Kurzform folgendermaßen zusammenfassen: Eine mittelbare Drittwirkung der Grundfreiheiten, die deren unmittelbare Drittwirkung überflüssig machen würde, widerspräche den Grundsätzen des EG-Vertrages. Eine Pflicht der Mitgliedstaaten für die Beachtung der Grundfreiheiten unter Privaten zu sorgen, kann nur aus Art. 10 Abs. 1 EGV (Art. 5 Abs. 1 EGVa. F.) als Folge einer unmittelbaren Drittwirkung erwachsen. Die Wettbewerbsregeln machen weder die Drittwirkung der Grundfreiheiten überflüssig, noch werden sie neben drittwirkenden Grundfreiheiten überflüssig. Die Sicherung der Wertungen der beiden Normgruppen ist eine Frage der Konkurrenz und kein Argument gegen eine unmittelbare Drittwirkung der Freiheiten. Die Reichweite des Schutzes der Wettbewerbsregeln spricht sogar dafür, auch Private zur Beachtung der Grundfreiheiten Jaensch, S. 263 f. Zur Übertragung des Spürbarkeitserfordernisses von Artt. 81 f. EGV (Artt. 85 f. EGV a. F.) auf drittwirkende Grundfreiheiten siehe ausführlich: § 4 III. 386 Canaris, AcP 184 (1984),201,207 m. w. N. 384 385

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§ 3 Private als Adressaten der Grundfreiheiten

zu verpflichten. Auch die Adressierung der Begleitvorschriften der Grundfreiheiten an die Mitgliedstaaten kann systematisch als Argument für eine unmittelbare Drittwirkung verstanden werden. Der Einwand, daß die ausdrücklichen und bisher darüber hinaus entwickelten Schranken der Grundfreiheiten nicht auf Private zugeschnitten seien, kann nicht überzeugen. Von den Ausgestaltungsmöglichkeiten der Gemeinschaftsorgane auf den Adressatenkreis einer Norm zu schließen, entbehrt sogar jeder Grundlage. Auch kann nicht eingewandt werden, die unmittelbare Drittwirkung der Grundfreiheiten geflihrde die Kohärenz der mitgliedstaatlichen Privatrechtsordnungen. Und schließlich lassen sich die Gründe, die zu einer Ablehnung der Drittwirkung von Richtlinien führen, nicht auf die Grundfreiheiten übertragen. Die systematischen Bedenken, die gegen eine unmittelbare Drittwirkung angeführt werden, können also nicht überzeugen. Im folgenden werden nun erst systematische, dann teleologische Argumente aufgezeigt, die eine unmittelbare Drittwirkung der Grundfreiheiten erforderlich erscheinen lassen.

Iv. Systematische Gründe für eine unmittelbare Drittwirkung Nachdem versucht wurde, die Gründe gegen eine unmittelbare horizontale Wirkung von Richtlinien auf die Grundfreiheiten zu übertragen, ist nun zu prüfen, ob die Motive, die zu einer Drittwirkung von Art. 141 EGV (Art. 119 EGVa. E) und dem allgemeinen Diskriminierungsverbot führen, dies auch bei den Grundfreiheiten rechtfertigen können. Dann zeigt eine Betrachtung der Entwicklung der Grundfreiheiten bisher, daß es folgerichtig scheint, ihnen nun auch unmittelbare Drittwirkung zuzusprechen. Auch die vom Gerichtshof eigens für die Marktfreiheiten aufgestellten Auslegungsgrundsätze fordern dies. Unabhängig hiervon erscheint die gegenwärtige Auslegung, nur bei einzelnen Grundfreiheiten eine unmittelbare Drittwirkung anzunehmen, nicht vertretbar.

1. Übertragbarkeit der Argumente für die Drittwirkung von Art. 141 EGV (Art. 119 EGVa. F.) Art. 141 EGV (Art. 119 EGVa. E) wirkt nach allgemeiner Meinung 387 und ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs 388 auch zwischen Privaten. Er beschränkt damit die Autonomie Privater. Zu prüfen ist, ob die Argumente, die zu einer unmit-

387 Langenfeld/Jansen. in: Grabitz/Hilf, Art. 119, Rz. 22 m. w. N.; Hailbronner; in: Hailbronnerl Klein I Magiera I Müller-Graff, Art. 119, Rz. 2 m. w. N. 388 Seit: EuGH v. 8. 4. 1976, Rs. 43175, Slg. 1976, S. 455, Defrenne vs. Sabena (Defrenne 11), zum Nachweis der Folgerechtsprechung siehe Moore. ELR 1995. 159 ff.; Jaensch. S. 68, Fn.21O.

IV. Systematische GrUnde für eine unmittelbare Drittwirkung

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telbaren Drittwirkung des Art. 141 EGV (Art. 119 EGVa. E) führen, auf die Grundfreiheiten übertragen werden können 389• Nach Jaensch kann Art. 141 EGV (Art. 119 EGVa. E) keine Anhaltspunkte für die Bestimmung des Adressatenkreises der Grundfreiheiten bieten390• Art. 141 EGV (Art. 119 EGVa. E) enthalte nämlich im Gegensatz zu den Grundfreiheiten ausdrücklich einen Umsetzungsauftrag. Die Mitgliedstaaten seien aufgefordert gewesen, den Gleichheitssatz in ihr nationales Recht zu inkorporieren und ihm so Geltung zwischen Privaten zu verschaffen. Die Norm habe also eine völlig andere Struktur als die Grundfreiheiten. Darüber hinaus sei die Entscheidung des EuGH, Art. 141 EGV (Art. 119 EGV a. F.) Drittwirkung einzuräumen, als ein rechtsschöpferischer Akt zu verstehen, mit dem die Folgen von Umsetzungsversäumnissen der Mitgliedstaaten behoben werden sollten391 • Dieser Gedanke ließe sich nicht auf die Grundfreiheiten übertragen, da es keine Verpflichtung der Mitgliedstaaten gebe, sie in nationales Recht umzusetzen. Die Umsetzungsmängel waren aber nicht der Grund für die Anordnung einer unmittelbaren Drittwirkung. Zwar hat der EuGH in seinem Defrenne lI-Urteil mehrfach auf Langsamkeiten und Widerstände bei der Umsetzung hingewiesen, allerdings in einem Zusammenhang, der gerade darauf hindeutet, wie unwesentlich dies für die Entscheidung ist. WdrtIich führt er aus: ,,Daher kann bei der Auslegung dieser Bestimmung (des Art. 141 EGV (Art. 119 EGV a. F.), d. Verf.) nichts aus den Langsamkeiten und Widerständen hergeleitet werden, weiche die tatsächliche Anwendung dieses wesentlichen Grundsatzes in einigen Mitgliedstaaten verzögert haben 392."

An anderer Stelle betont er, daß wenn man die Tatsache, daß einige Staaten ihrer Verpflichtung nicht nachgekommen sind, berücksichtige man Gefahr laufen würde ..... die Rechtsverletzung zur Auslegungsregel zu erheben, was der Gerichtshof nicht tun könnte, ohne sich zu der ihm von Artikel 164 (a. F., d. Verf.) des Vertrages zugewiesenen Aufgabe in Widerspruch zu setzen 393 ."

Eine solche Auslegungsregelläge aber nicht nur dann vor, wenn der Gerichtshof eine Norm wegen Umsetzungsmängeln weniger streng auslegt, sondern auch, wenn er ihr gerade deswegen eine besonders starke Wirkung zuspräche. Dementsprechend haben die Umsetzungsschwierigkeiten bei der Auslegung keine Rolle gespielt. Offen gelassen von Jarass, in: FS für Lerche, S. 443, 458. Jaensch, S. 64 ff., 259. 391 Jaensch, S. 67 f. 392 EuGH v. 8.4. 1976, Rs. 43/75, Sig. 1976, S. 455, 473, Rz. 14/15, Defrenne vs. Sabena (Defrenne 11). 393 EuGH v. 8.4. 1976, Rs. 43/75, Slg. 1976, S. 455, 475, Rz. 30/34, Defrenne vs. Sabena (Defrenne 11). 389

390

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§ 3 Private als Adressaten der Grundfreiheiten

Es bleibt nach dem eben Gesagten der strukturelle Unterschied zwischen den Grundfreiheiten und der Lohngleichheit bestehen, daß Art. 141 EGV (Art. 119 EGVa. F.) den Mitgliedstaaten eine Ergebnispflicht auferlegt, für die Einhaltung der Lohngleichheit unter Privaten Sorge zu tragen. Dieses jedoch als entscheidenden Unterschied zu betrachten, führt zu einer petitio principi. Eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten, unter Privaten für die Einhaltung der Grundfreiheiten zu sorgen, läßt sich, wie oben ausführlich dargelegt, aus dem Grundsatz der Gemeinschaftstreue ableiten, wenn man den Grundfreiheiten unmittelbare Drittwirkung zuspricht394 • Nur wenn man eine Drittwirkung der Grundfreiheiten ablehnt, ist der Unterschied eklatant. Eine Ergebnispflicht ist, weil sie bei den Grundfreiheiten nicht ausdrücklich geregelt ist, Folge einer Drittwirkung und kann deshalb nicht per se als Argument dafür oder dagegen eingesetzt werden. Ansonsten ist trotz Abweichungen im Detail eine Vergleichbarkeit gegeben395 • Damit stellt sich die Frage nach einer Übertragbarkeit der einzelnen Argumente für eine unmittelbare Drittwirkung von Art. 141 EGV (Art. 119 EGVa. F.) auf die Grundfreiheiten. a) Die Grundlagenqualität Ebenso wie bei den Grundfreiheiten 396 stellte der Gerichtshof fest, daß es sich bei Art. 141 EGV (Art. 119 EGVa. F.) um eine Grundlage des Gemeinschaftsrechts hande1e 97 • Dies ist nach Schaefer sogar eine Voraussetzung für die Anerkennung horizontaler unmittelbarer Anwendbarkeit 398 . Sie ist bei den Grundfreiheiten schon wegen der ausdrücklichen Erwähnung in Art. 3 lit. c) EGV gegeben. Es ist sogar zurecht verschiedentlich darauf hingewiesen worden, daß die Grundfreiheiten für die Errichtung des Binnenmarktes, dem Kemziel des EGV, eine ungleich stärkere Bedeutung haben 399. Siehe: § 3 III. 1. e). Die Verpflichtung, für die Einhaltung der Grundfreiheiten unter Privaten zu sorgen, führt nicht dazu, daß die Mitgliedstaaten entsprechendes Privatrecht erlassen müssen. Nach wohl herrschender Meinung dürfen sie es nicht einmal: GA Trabucchi, in Schlußantrag zu: EuGH, v. 14. 7. 1976, Rs. 13/76, Slg. 1333, 1346, Gaetano Dona vs. Mario Mantero. Auf diesem Unterschied kann es aber nicht ankommen, wenn die Grundfreiheiten, - genau wie gegnwärtig Art. 141 EGV (Art. 119 EGVa. F.) -, zwischen Privaten unmittelbar anwendbar sind. Es bedarf dann keiner Umsetzung in nationales Recht mehr. 396 Siehe z. B. EuGH v. 15. 12. 1995, Rs. C-415/93, Slg. 1995, S. 4921, 5068, Rz. 93, Union royale beIge des societes de football association ASBL u. a. vs. lean-Marc Bosman u. a. ; EuGH v. 12. 12. 1974, Rs. 36174, Slg. 1974, S. 1405, 1419, Rz. 18, Walrave und Koch vs. UCI; EuGH v. 6. 10. 1981, Rs. 246/80, Slg. 1981, S. 2311, 2328, Rz. 20, C. Broekmeulen vs Huisarts Registratie Commissie. 397 EuGH V. 8.4. 1976, Rs. 43175, Slg. 1976, S. 455, 473, Defrenne vs. SABENA (Defrenne 11). 398 Sehae/er, S. 143. 399 Easson, ELR 1979,67,69 f. 394

39S

IV. Systematische Gründe für eine unmittelbare Drittwirkung

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b) Die volle Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts Eine Beschränkung des Grundsatzes der Lohngleichheit auf den öffentlichen Dienst ist im Hinblick auf die Durchsetzung im gesamten Bereich des Arbeitslebens unvollkommen, fast sinnlos4OO • Dies vor allem deswegen, weil die ganz überwiegende Anzahl der Arbeitnehmer im privaten Sektor beschäftigt ist. Der Grundsatz der vollen Wirksamkeit des EG-Rechts erfordert deswegen eine unmittelbare Drittwirkung von Art. 141 EGV (Art. 119 EGVa. E). Zur Übertragung der Begründung reicht es festzustellen, daß der wirtschaftlich bedeutendste Teil des innereuropäischen grenzüberschreitenden Rechtsverkehrs auf Vereinbarungen Privater beruht401 • Sollen die Grundfreiheiten nicht sinnlos sein, müssen sie sich auch auf das Verhalten Privater beziehen. Detaillierter wird dieses Problem im Rahmen der Bedeutung der Zielbestimmungen des EGV für die Drittwirkung von Grundfreiheiten aufgegriffen.

c) Einheitliche Anwendung des Vertrages Die Mitgliedstaaten sind zu einem unterschiedlichen Teil privatisiert. Daraus ergibt sich bei nur vertikaler Wirkung des Art. 141 EGV (Art. 119 EGVa. E) das Problem einer unterschiedlich starken Bindung der Staaten an den Gleichheitsgrundsatz. Je stärker ein Staat privat organisiert ist, um so geringer ist die Anzahl der Verhältnisse, in denen der Gleichheitssatz zum Tragen kommt. Dasselbe gilt grundsätzlich für die Grundfreiheiten 402 . In dem Mitgliedstaat mit der stärksten Privatisierung würden die Grundfreiheiten am wenigsten Wirksamkeit entfalten. Dieses Argument besitzt aber nur wenig Überzeugungskraft. Schließlich ist dem Einwand der unterschiedlichen Bindung der Mitgliedstaaten genüge getan, wenn man den europarechtlichen Staatsbegriff unabhängig von der Rechtsform der verpflichteten Rechtssubjekte einheitlich auslegt. Die Schlußfolgerung, daß neben den Mitgliedstaaten auch alle Privaten verpflichtet sein müssen, ist demnach nicht zwingend.

d) Zusammenfassung Die Argumente, die für eine Drittwirkung von Art. 141 EGV (Art. 119 EGV a. E) ins Feld geführt werden, können auf die Grundfreiheiten übertragen werden. Das Hauptargument gegen eine unmittelbare Drittwirkung von Art. 141 EGV Nicolaysen, EuR 1984,387. von Wilmowsky, JZ 1996,590,591. 402 EuGH v. 12. 12. 1974, Rs. 36/74, Sig. 1974, S. 1405, 1420, Rz. 20, Walrave und Koch vs. UCI. 400

401

7 Ganten

§ 3 Private als Adressaten der Grundfreiheiten

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(Art. 119 EGVa. F.), nämlich sein Wortlaut, kann dagegen nicht auf die Freiheiten übertragen werden403 . Hinzu kommt, daß die Grundfreiheiten im System des EGV eine noch grundlegendere Bedeutung haben. Dies führt zu dem Ergebnis, daß den Grundfreiheiten im Verhältnis zur Lohngleichheit erst recht eine unmittelbare Drittwirkung zukommen muß.

2. Das allgemeine Diskriminierungsverbot und seine Aussagekraft hinsichtlich einer unmittelbaren Drittwirkung der Grundfreiheiten

Art. 12 Abs. 1 EGV (Art. 6 Abs. 1 EGVa. F.) entfaltet unmittelbare Drittwirkung404 • Er lautet: "Unbeschadet besonderer Bestimmungen dieses Vertrages ist in seinem Anwendungsbereich jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verboten."

Noch umstritten ist allerdings in welchem Ausmaße ihm Drittwirkung zukommt: Einige wollen nur solche Private verpflichtet wissen, die kollektive Regelungen von einigem Gewicht entwerfen405 oder eine überragende Machtstellung inne haben406 • Nach ganz herrschender Ansicht haben sich aber alle Privaten an Art. 12 EGV (Art. 6 EGVa. F.) messen zu lassen407 • Im folgenden wird der Frage nachgegangen, ob die Argumente für eine Drittwirkung von Art. 12 EGV (Art. 6 EGV a. F.) auf die Grundfreiheiten übertragen werden können.

a) Der Geist des Vertrages Eine Drittwirkung des Art. 12 EGV (Art. 6 EGVa. F.) ergibt sich nach einer Aufassung schon aus dem Geist des Vertrages 408 • Danach soll sich innerhalb der EU kein Marktteilnehmer mehr wegen seiner Staatsangehörigkeit zurückgesetzt fühlen. Eine solche Form der Diskriminierung zu dulden, hieße nämlich den sozia403

Siehe: § 3 I.

Sehae/er. S. 69 m. w. N.; von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, Art. 6 Rz. 31; Jaenseh, S. 255 f. m. w. N.; Ihnen, Grundzüge des Europarechts, S. 45 m. w. N.; Bleekmann, Europarecht, S. 646, Rz. 1769 m. w. N.; Geiger. Kommentar zum EGV, 2. Aufl., Art. 6 Rz. 4; Bezzenberger. AcP 196 (1996), 395, 413 m. w. N.; dagegen noch Meier. ZHR 1970,61,89 ff. m. w. N., der aber eine mittelbare Drittwirkung des Diskriminierungsverbots annimmt, S. 96 f. 405 Geiger. Kommentar zum EGV, I. Aufl., Art. 6 Rz. 4; Zuleeg, in: von der Groeben, 5. Aufl., Art. 6 Rz. 18. 406 Bode, Diskriminierungen im EWG-Vertrag, S. 299. 4111 Sehae/er. S. 69 m. w. N.; von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, Art. 6 Rz. 31; Jaenseh, S. 255 f. m. w. N.; Ihnen, Grundzüge des Europarechts, S. 45 m. w. N.; Bleekmann, Europarecht, S. 646, Rz. 1769 m. w. N.; Geiger. Kommentar zum EGV, 2. Aufl., Art. 6 Rz. 4; Bezzenberger. AcP 196 (1996), 395, 413 m. w. N. 408 Sehae/er. S. 72. 404

IV. Systematische Gründe für eine unmittelbare Drittwirkung

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len Zusammenhalt und die Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten und damit auch ihrer Bürger zu gefahrden. Die Förderung dieser Gesichtspunkte sei aber gerade Aufgabe der Gemeinschaft und damit auch des Gemeinschaftsrechts, Art. 2 EGVa.E. 409 • Dieser Gedanke läßt sich insoweit unproblematisch auf die Diskriminierungsverbote der Grundfreiheiten übertragen, als sie an die Staatsangehörigkeit als Diskriminierungsmerkmal anknüpfen. Insofern sie an andere Diskriminierungsmerkmale anknüpfen oder nicht-diskriminierende Beschränkungen verbieten, ist die Übertragung problematisch. Allerdings kann es in einem "Raum ohne Binnengrenzen410" keinen Unterschied machen, ob man nun wegen des Ortes seiner Produktionsstätte, seines Gesellschaftssitzes oder seines Wohnortes schlechter gestellt ist. In jedem Falle gefahrdet ein solches auf die Staatsgrenzen bezogenes Verhalten die Solidarität und den sozialen Zusammenhalt. Ob die Waren eines griechischen Händlers nicht gekauft werden, weil er Grieche ist, weil er in Griechenland produziert oder dort wohnt, wird ihm letztlich egal sein. Er wird auf diejenigen, die eine Entscheidung aufgrund der Staatsgrenzen treffen, nicht gut zu sprechen sein. Als Beschränkungsverbote setzen die Grundfreiheiten keine diskriminierende Maßnahme im Sinne des EGV voraus. Sie greifen aber nur dann ein, wenn tatsächlich der grenzüberschreitende Handel in einen Mitgliedstaat von der Maßnahme beeinträchtigt ist. Eine SchlechtersteIlung von Personen ergibt sich dadurch, daß im Inland produzierende, verkaufende oder wohnende Grundfreiheitsinhaber einem Hindernis beim Überschreiten der Grenzen in ihr Land schon gar nicht ausgesetzt sind411 • Anders ausgedrückt, setzen auch die Beschränkungsverbote eine Ungleichbehandlung oder eine Gleichbehandlung mit unterschiedlichen Folgen für bestimmte Gruppen voraus412 • Die allgemeinen Beschränkungsverbote sind also letztlich besondere Ausprägungen eines weit verstandenen Diskriminierungsverbotes. Damit lassen sich die oben angeführten Argumente für eine unmittelbare Drittwirkung der Grundfreiheiten in ihrem gesamten Ausmaß ins Feld führen.

b) Das Binnenmarktziel Es wird angeführt, ein Binnenmarkt sei ohne ein Diskriminierungsverbot zwischen Privaten nicht zu erreichen 413 • Zu denken sei beispielsweise an Beschlüsse von Aktiengesellschaften, nur Inländer als Gesellschafter zu akzeptieren. 409 Dort heißt es: Aufgabe der Gemeinschaft ist es, ... sozialen Zusammenhalt und die Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten zujördern. 410 Art. 14 Abs. 2 EGV (Art. 7a Abs. 2 EGVa. F.) lautet: Der Binnenmarkt umfaßt einen Raum ohne Binnengrenzen, ... 411 Jarass, in: FS für Everling, S. 593, 598 f. 412 Jarass, EuR 1995,202,213 f. m. w. N. 413 Jaensch, S. 254 f.

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§ 3 Private als Adressaten der Grundfreiheiten

Das vom EGV vorgesehene Instrument für die Schaffung des Binnenmarktes sind die Grundfreiheiten, Art. 3 lit. c) EGY. Wenn schon Art. 12 EGV (Art. 6 EGV a. E), der in Art. 3 lit. c) EGV nicht als Mittel zur Schaffung des Binnenmarktes genannt ist, Drittwirkung mit dem Argument zuerkannt wird, daß nur so ein Binnenmarkt zu verwirklichen wäre, müssen doch erst recht die ausdrücklich genannten Mittel zur Erreichung des gemeinsamen Marktes mit Drittwirkung ausgestattet sein. Ansonsten würde man die Funktion, den Binnenmarkt auch gegenüber Eingriffen Privater abzusichern, ohne Zwang auf eine Norm verlagern, die primär einen ethischen Ansatz hat und nicht als Mittel zur Schaffung des Marktes vom Vertrag vorgesehen ist. c) Der ethische Gehalt Art. 12 EGV (Art. 6 EGV a. E) verbietet Diskriminierungen aufgrund von Staatsangehörigkeit, ohne deren wirtschaftliche Auswirkungen in Betracht zu ziehen. Das Verbot ist insoweit ethischer und nicht wirtschaftlicher Natur. Primäres Ziel ist der soziale Zusammenhalt und Solidarität der EU-Bürger. Die Marktfreiheiten setzen dagegen voraus, daß die wirtschaftliche Betätigungsmöglichkeit des einzelnen beschränkt wird. Man kann die Frage aufwerfen, ob nicht eine ethische Zielsetzung des Art. 12 EGV (Art. 6 EGVa. E) eine Drittwirkung verdient, ja braucht, weil sich eine Volkerverständigung auf der Ebene persönlicher Kontakte abspielt, während wirtschaftlichen Belangen genüge getan ist, wenn der Staat keine Beschränkungen vornimmt. Bei einer solchen Argumentation würde übersehen, daß den Grundfreiheiten das ethische Element nicht fehlt. Schließlich knüpfen sie, wie gezeigt, an eine Ungleichbehandlung oder eine Gleichbehandlung mit unterschiedlichen Folgen aufgrund von Staatsgrenzen an414 • Solche staatsgrenzenbezogene Anknüpfungsmerkmale führen meist im Ergebnis auch zu einer tendenziellen SchlechtersteIlung bestimmter Staatsangehöriger. Wenn keine Waren aus Portugal mehr importiert werden, sind davon in der Mehrzahl auch portugiesische Hersteller betroffen. Wenn das deutsche Branntweinmonopolgesetz einen Mindestalkoholgehalt bei Fruchtsaftlikören von 25 % fordert, sind zunächst einmal alle im Ausland herstellenden Likörproduzenten schlechter gestellt, als in Deutschland produzierende Hersteller415 • Denn in Deutschland werden schon wegen dieser gesetzlichen Vorschrift keine niederprozentigen Liköre produziert. Deutsche Produzenten können also im Gegensatz zu ausländische Herstellern ihr gesamtes Sortiment verkaufen. Ausländer sind also hinsichtlich ihrer Absatzchancen schlechter gestellt. Insofern wird der ethische Gehalt des Art. 12 EGV (Art. 6 EGVa. E) bei den Grundfreiheiten nur noch um eine weitere unerwünschte Folge, nämlich die Störung des grenzüberSiehe: § 3 IV. 2. a). Sachverhalt entspricht: EuGH v. 20. 2. 1979, Rs. 120/78, Sig. 1979, S. 649, ReweZentral-AG vs. Bundesmonopolverwaltung rur Branntwein. 414 415

IV. Systematische Gründe für eine unmittelbare Drittwirkung

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schreitenden Handels, ergänzt. So betrachtet wäre für die Grundfreiheiten erst recht eine unmittelbare Drittwirkung zu fordern.

d) Die weite Fassung Des weiteren wird darauf hingewiesen, daß der Wortlaut des Art. 12 EGV (Art. 6 EGVa. F.) den Adressatenkreis nicht einschränke416 • Dies ist, wie oben schon festgestellt, auch bei den Grundfreiheiten der Fall. Der Gerichtshof hat in verschiedenen Urteilen, in denen er eine Drittwirkung der Grundfreiheiten bejaht hat, auf diese Tatsache hingewiesen417 •

e) Die Stellung Es wird geltend gemacht, daß die Stellung des Art. 12 EGV (Art. 6 EGVa. F.) als allgemeiner Grundsatz, also im ersten Teil des EGV, für seine Drittwirkung spreche418 . Ein allgemeiner Grundsatz hätte schlüssigerweise auch einen allgemeinen Adressatenkreis. Die Vorschriften der Marktfreiheiten sind dagegen im dritten Teil des EGV über die Politiken der Gemeinschaft verortet. Allerdings wird dennoch der Grundsatzcharakter der Freiheiten nicht nur vom EuGH immer wieder betont419 • Auch über den Grundsatzcharakter des zwischen Privaten anwendbaren Art. 141 EGV (Art. 119 EGVa. F.), der ebenfalls im dritten Teil des EGV über die Politiken steht, herrscht Einigkeit420 • Darüber hinaus sind die Grundfreiheiten Konkretisierungen des Diskriminierungsverbotes421 und tragen somit dessen Charakter in sich. Insofern greift der Verweis auf die unterschiedliche Stellung im EGV zu kurz, da den Grundfreiheiten inhaltlich Grundsatzcharakter zukommt. Im Gegenteil läßt sich der Grundsatzcharakter der Grundfreiheiten als weiteres Argument für eine Drittwirkung übertragen.

Meier, ZHR 1970,61,90 m. w. N.; Jaenseh, S. 254. EuGH v. 12. 12. 1974, Rs. 36174, Slg. 1974, S. 1405, 1420, Rz. 21, Walrave vs. UCI; Sehae/er, S. 129 m. w. N. 418 Jaenseh, S. 254. 416

417

419 EuGH v. 15. 12. 1995, Rs. C-415/93, Slg. 1995, S. 4921,5068, Rz. 93, Union royale beIge des societes de footbal1 association ASBL u. a. VS. Jean-Marc Bosman u. a. ; EuGH v. 12. 12. 1974, Rs. 36174, Slg. 1974, S. 1405, 1419, Rz. 18, Walrave vs. UCI; EuGH, v. 6. 10. 1981, Rs. 246/80, Slg. 1981, S. 2311, 2328, Rz. 20, C. Broekmeulen vs Huisarts Registratie Commissie; für Art. 28 EGV (Art. 30 EGVa. F.): Sehae/er, S. 157 ff. m. w. N. 420 EuGH V. 8. 4. 1976, Rs. 43/75, Slg. 1976, S. 455, 473, Defrenne vs. SABENA (Defrenne 11). 421 Sehae/er, S. 68; Bleekmann, Europarecht, S. 638, Rz. 1743.

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§ 3 Private als Adressaten der Grundfreiheiten

f) Zusammenfassung

Die Argumente für eine unmittelbare Drittwirkung des allgemeinen Diskriminierungsverbotes lassen sich auf die Grundfreiheiten als seine Konkretisierungen vollständig übertragen. Aber auch insofern als die Grundfreiheiten über Art. 12 EGV (Art. 6 EGVa. E) hinausgehen, behalten die Gedanken ihre Zugkraft. Denn durch die von den Grundfreiheiten zusätzlich geforderte Binnenmarktsbeeinträchtigung rechtfertigt sich die größere Vielzahl von Anknüpfungsmerkmalen und die Ausdehnung des Verbotes auf allgemeine Beschränkungen. Die Grundfreiheiten verbieten also unter der zusätzlichen Voraussetzung, daß der Binnenmarkt beeinträchtigt wird, weitergehende Ungleichbehandlungen. Nicht ersichtlich ist, warum mit der zusätzlichen Funktion der Marktfreiheiten eine Einschränkung der Wirkung erfolgen sollte. Es ist deswegen konsequent, aus der unmittelbaren Drittwirkung des allgemeinen Diskriminierungsverbotes auf eine solche der Grundfreiheiten zu schließen.

3. Die Grundsätze des EuGH bei der Auslegung der Grundfreiheiten Der EuGH pflegt zu betonen, daß die Grundfreiheiten weit und ihre Ausnahmen eng auszulegen seien422 . Da jedenfalls die Möglichkeit der Interpretation hinsichtlich einer unmittelbaren Drittwirkung dieser Vertragsbestimmungen gegeben ist, müßte er getreu den eigenen Grundsätzen diese auch annehmen423 . Dabei zeigt die "Cassis de Dijon"- und die Keck-Rechtsprechung deutlich, daß der sachliche Anwendungsbereich der Grundfreiheiten voll ausgeschöpft ist424 . Nun gilt es den persönlichen Anwendungsbereich zu erweitern. Der Gerichtshof hat dies insofern getan, als er nicht nur die Leistenden als Berechtigte der Grundfreiheiten ansah, sondern befunden hat, daß es durch die Grundfreiheiten auch verboten sei, die Nachfrager zu behindern425 . Zuletzt bestätigte er diese Ausweitung des persönlichen Anwendungsbereichs in einem Fall, in 422 EuGH v. 14. 12. 1972, Rs. 29/72, Slg. 1972, S. 1309, Rz. 4, Marimex vs. Italienische Finanzverwaltung. 423 Kritisch hinsichtlich dieser formalen Auslegungsregel: Zuleeg, in: von der Groeben, 5. Aufl., Art. 1 Rz. 39 rn. w. N. 424 In der "Cassis de Dijon"-Entscheidung hat der Gerichtshof bei nicht-diskriminierenden Beschränkungen den Tatbestand der Grundfrieheiten durch zwingende Allgemeininteressen wieder begrenzt: EuGH v. 20. 2. 1979, Rs. 120/18, Slg. 1979, S. 649, Rz. 8 und 14, Rewe-Zentral-AG vs. Bundesmonopolverwaltung für Branntwein (Cassis de Dijon); in der Keck-Rechtsprechung hat er das allgemeine Beschränkungsverbot der Warenverkehrsfreiheit nur noch auf produktbezogene Maßnahmen angewandt: EuGH v. 24. 11. 1993, Rs. C-267 und 268/91, Slg. 1993, S. 6097, Rz. 16, Keck und Mithouard. m EuGH v. 31. 1. 1984, Rs. 286/82 und 26183, Sig. 1984, S. 377, Rz. 16, Luisi und Carbone vs. Ministero deI Tesoro; EuGH v. 2. 2. 1989, Rs. 186/87, Sig. 1989, S. 195, Rz. 15, Cowan vs. Tresor Public.

IV. Systematische Gründe für eine unmittelbare Drittwirkung

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dem Urlauber in Spanien im Gegensatz zu in Spanien ansässigen Personen Eintritt für staatliche Museen zahlen mußten426 • Hierin läge eine Beschränkung des Dienstleistungsempfängers bei der Nachfrage im Binnenmarkt. Die Literatur ist sich weitgehend einig, daß dieser Gedankengang auf die anderen Grundfreiheiten übertragen werden muß427 • Um die Möglichkeiten der Grundfreiheiten voll auszuschöpfen, bleibt nun nur noch, auch Privaten Beschränkungen des innergemeinschaftlichen Handels zu verbieten.

4. Die Vergleichbarkeit der Grundfreiheiten Die unmittelbare Drittwirkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit kann als allgemein anerkannt gelten428 • Die Dienstleistungsfreiheit ist aber nach EuGH der Natur der Sache nach mit Art. 39 EGV (Art. 48 EGVa. F.) vergleichbar429 • Der einzige Unterschied sei, daß die Leistungen bei Art. 49 EGV (Art. 59 EGVa. F.) außerhalb eines Arbeitsvertrages erbracht würden. Dies rechtfertige es aber nicht, den Freiheitsraum der Grundfreiheit enger zu fassen. Also habe auch Art. 49 EGV (Art. 59 EGVa. F.) Drittwirkung. Der Natur der Sache nach ist aber wiederum die Warenverkehrsfreiheit mit der Dienstleistungsfreiheit vergleichbar43o • In beiden Fällen geht es um das grenzüberschreitende Erbringen von Leistungen. Der Unterschied, daß es sich bei der Warenverkehrsfreiheit um körperliche und bei der Dienstleistungsfreiheit um unkörperliche Leistungen handelt, vermag wohl auch nicht einen engeren Freiheitsraum der Warenverkehrsfreiheit zu rechtfertigen. Zu Art. 39 EGV (Art. 48 EGVa. F.) besteht dieselbe Verwandtschaft, wenn ein Arbeitnehmer im Ausland angestellt ist, aber in einem anderen Mitgliedstaat tätig ist. Wenn er zum Beispiel übers Internet von zu Hause aus seine Arbeit im Ausland verrichtet, überschreitet auch nur seine Arbeitsleistung die Grenze. Auch hier ist nicht einsichtig, warum die Freiheiten dann andere Inhalte haben sollten. Also hat auch Art. 28 EGV (Art. 30 EGVa. F.) Drittwirkung.

EuGH v. 15.3. 1994, Rs. 45193, Sig. 1994, S. 911, Rz. 5, Kommission vs. Spanien. Behrens. EuR 1992. 145. 159 f.; Basedow. RabelZ 59 (1995), I, 18 m.w.N; Heiss. ZEuP 1996.625 ff.; ders .• JZ 1997.83, 84; Steindorff, EG-Vertrag und Privatrecht. S. 65 f.. 70; Taupitz. ZEuP 1997.986. 1007. m. w. N. 428 Steindorff, EG-Vertrag und Privatrecht. S. 286; Roth. in: FS für Everling. S. 1231. 1237; Bleclanann, Europarecht, S. 574, Rz. 1563. Siehe auch das Kapitel zur Rechtsprechung. 429 EuGH v. 12. 12. 1974. Rs. 36/74. Sig. 1974. S. 1405, 1420, Rz. 23 f., Walrave und Koch vs. UCI. 430 Sehae/er, S. 155; Biagoseh. Europäische Dienstleistungsfreiheit. S. 67 f.; Jarass. EuR 1995. 202, 206 f.; Basedow. RabelZ 1995. I, 12; Classen. EWS 1995.97, 101; Armbrüster, RabelZ 60 (1996), 72, 77; Steindorff, EG-Vertrag und Privatrecht, S. 63; Jaensch. S. 104. 426

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§ 3 Private als Adressaten der Grundfreiheiten

Schließlich scheint die Niederlassungsfreiheit das Pendant zur Arbeitnehmerfreizügigkeit für Selbständige zu sein. Diesen Vergleich hat auch der EuGH im Bosman-Urteil gezogen431 . Inhaltlich geht es bei beiden Grundfreiheiten um das Recht, eine Erwerbsmöglichkeit als Existenzgrundlage im europäischen Binnenraum zu eröffnen. Warum aber sollten Selbständige einen geringeren Schutz gegen Einschränkungen von privater Seite genießen als Unselbständige? Also hat auch Art. 43 EGV (Art. 52 EGVa. E) Drittwirkung Und schließlich drängt sich eine weitere Parallele auf. Wenn bei der Dienstleistungsfreiheit nicht die Leistung, sondern der Dienstleister die Grenze überschreitet432 , besteht der einzige Unterschied zur Niederlassungsfreiheit und Arbeitnehmerfreizügigkeit darin, daß der Dienstleister sich kürzer in dem anderen Mitgliedstaat aufhält433 • Dieser Unterschied vermag eine unterschiedliche Auslegung der drei Freiheiten aber nicht zu rechtfertigen 434 • Im Ergebnis läßt sich feststellen, daß wegen der Vergleichbarkeit der Grundfreiheiten die unmittelbare Drittwirkung der einen eine unmittelbare Drittwirkung aller Freiheiten nach sich ziehen muß435 . Alles andere läßt sich unter Wertungsgesichtspunkten nicht rechtfertigen.

5. Die Dynamik des Gemeinschaftsrechts

Der EGV enthält einen umfassenden Plan zur Errichtung einer Wirtschaftsgemeinschaft436 . Er ist damit auf eine ständig fortschreitende Integration angelegt437 . Bei der Auslegung des Gemeinschaftsrechts ist dementsprechend auch der Stand der Integration zu berücksichtigen. Aus diesem Grunde wird der EuGH, der gemäß Art. 220 EGV (Art. 164 EGVa. E) die Auslegungshoheit hat, vielfach als "Motor der Integration" bezeichnet438 • Zwar gibt es keinen Grundsatz, nach dem die Auslegung zugunsten der EG ständig verschärft werden müsse439 ; inwieweit sich 431 EuGH v. 15. 12. 1995, Rs. C-415193, Slg. 1995, S. 4921, 5069, Rz. 96 a.E., Union royale beige des societes de football association ASBL u. a. vs. lean-Marc Bosman u. a. 432 Zum Anwendungsbereich der Dienstleistungsfreiheit, KOTt, JZ 1996,132,133 m. w. N. 433 Diese drei Freiheiten hat der Gerichtshof denn auch mehrfach über einen Kamm geschert: EuGH v. 8. 4. 1976, Rs. 48175, Slg. 1976, S. 497, Rz. 12115, Royer; EuGH v. 20.5. 1992, Rs. C-I06/91, Slg. 1992, S. 3351, Rz. 16 f., Rarnrath vs. Minister of Justice; Bleckmann, in: Gedächtnisschrift für Sasse, 665, 672. 434 RandelzOO/er; in: Grabitzl Hilf, Stand Mai 1998, Art. 52, Rz. 48; Bleckmann, Europarecht, S. 569, Rz. 1553. 435 Steindorff, EG-Vertrag und Privatrecht, S. 287. 436 Bleckmann, Europarecht, S. 207, Rz. 555; Behrens, EuR 1992, 145. 437 Siehe auch Absatz 1 der Präambel EGV. 438 Zuletzt Sander; Der Europäische Gerichtshof als Förderer und Hüter der Integration, S. 15 m. w. N.; Klauer; Europäisierung des Privatrechts, Vorwort. 439 Bleckmann, Europarecht, S. 207, Rz. 555.

IV. Systematische Gründe für eine unmittelbare Drittwirkung

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Pflichten der betroffenen Rechtssubjekte und Kompetenzen der EU verstärken, ist grundsätzlich den Normen zu entnehmen, die diese Dynamik ausdrücklich regeln. Wenn diese Verschärfung der Auslegung also auch keine Eigenberechtigung hat, so ergibt sie sich aber als Reflex aus dem durch die Integrationsnormen entstandenen Prozeß. Der EuGH hat darauf zu achten, daß bei der Annäherung der Mitgliedstaaten sich alle Bereiche homogen weiterentwickeln und die Auslegung sich den neuen Problemen annimmt440• Der Gerichtshof selbst formulierte in der C.I.L.EI.T.- Entscheidung: "Schließlich ist jede Vorschrift des Gemeinschaftsrechts ... im Lichte des gesamten Gemeinschaftsrechts seiner Ziele und seines Entwicklungsstands zur Zeit der Anwendung der entsprechenden Vorschrift auszulegen 441 ."

Die Weiterentwicklung der Freiheiten ist wesentlicher Teil dieses Integrationsprozesses442 • Die Integration schreitet dabei nicht linear voran, sondern vollzieht sich in Wellenbewegungen443 • Sie reagiert damit auf historische Ereignisse und das politische Klima in Europa. Dennoch ist festzustellen, daß der Weg der Drittwirkung von Grundfreiheiten, mit dem Urteil Walrave444 und der Verordnung über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer44s in den 60er Jahren begann. Seither hat der EuGH keine klare Linie in dieser Sache gefunden446 • Ein viertel Jahrhundert nach dieser ersten Entscheidung ist es Zeit, den Weg zu einem sinnvollen Ende zu gehen. Wenn die Drittwirkung vor dreißig Jahren für möglich gehalten wurde, ist es nach der formellen Vollendung des Binnenmarktes447 , in der Zeit der Wahrungsunion, also nach dem gegenwärtigen Stand der Integration, nicht sachgerecht sie zu verneinen448 • 6. Zusammenfassung

Die Systematik des EGV deutet eindeutig auf eine unmittelbare Drittwirkung aller Grundfreiheiten hin. Zunächst müssen alle Gründe, die zu einer unmittelbaren Drittwirkung von Art. 141 EGV (Art. 119 EGVa. E) führen, erst Recht zu der AnBleckmann, Europarecht, S. 273, Rz. 769. EuGH v. 6. 10. 1982, Rs. 283/81, Sig. 1982, S. 3415, Rz. 20, C.I.L.F.I.T. vs. Ministerio della Sanita. 442 Behrens, EuR 1992, 145 ff., Steindorff, EG-Vertrag und Privatrecht, S. 69. 443 Möllers, in: Das Bürgerliche Gesetzbuch von 1896 bis 1996, S. 153, 164; von Pendelbewegungen spricht Steindorff, ZHR 1994, 149. 444 EuGH v. 12. 12. 1974, Rs. 36174, Sig. 1974, S. 1405, Walrave und Koch vs. UCI. 44S Art. 7 Abs. 4 Verordnung Nr. 1612/68 des Rates vom 15. 10. 1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft, EG-Abl. 1968 Nr. L 257/2, 4. 446 Siehe das Kapitel zur Rechtsprechung. 447 Formell wurde der Binnenmarkt nach Art. 14 Abs. I EGV (Art. 7a Abs. 1 EGVa. F.) am 31. Dezember 1992 verwirklicht. 448 Auch Behrens betont, daß die schrittweise Entfaltung der wirtschaftlichen Freiheiten wesentlicher Teil des Integrationsprozesses ist. Behrens, EuR 1992, 145. 440 441

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§ 3 Private als Adressaten der Grundfreiheiten

nahme führen, daß die Grundfreiheiten direkt zwischen Privaten wirken. Auch die Argumente für eine unmittelbare horizontale Wirkung des allgemeinen Diskriminierungsverbotes lassen sich übertragen. Zwar gehen die Grundfreiheiten beim Verbot von Ungleichbehandlungen weiter, auf der anderen Seite beschränken sie ihre Wirkung auf den besonders sensiblen Bereich des innergemeinschaftlichen Handels. Nähme der Gerichtshof die von ihm selbst entwickelten formalen Auslegungsgrundsätze hinsichtlich der Grundfreiheiten ernst, müßten sie längst zwischen Privaten wirken. Im übrigen läßt es sich wertungsmäßig nicht Vertreten, nur Art. 39 EGV (Art. 48 EGVa. E) uneingeschränkte unmittelbare Drittwirkung zuzubilligen. Wegen der vergleichbaren Interessenslage müssen dann konsequenterweise alle Marktfreiheiten an Private gerichtet sein. Für dieses Ergebnis spricht auch die Dynamik des Gemeinschaftsrechts.

V. Die teleologische Auslegung Aus den Zielbestimmungen des Gemeinschaftsvertrages selbst, so wird immer wieder betont, lassen sich keine konkreten Pflichten und Rechte ableiten449 . Dem ist grundsätzlich wegen des Entscheidungsspielraumes der Gemeinschaftsorgane bei der Umsetzung der Ziele zuzustimmen. Etwas anderes gilt jedoch für die Auslegung spezieller Normen im Lichte der Zielbestimmungen. Hier können sich durchaus konkrete Schlußfolgerungen ergeben4so. Ist eine gemeinschaftsrechtliche Norm teleologisch auszulegen, muß versucht werden, die Zielbestimmungen des EGV im entscheidungsrelevanten Lichte zu konkretisieren. Hierbei sind aber die speziellen Regelungen des EGV wiederum zur Konkretisierung der Zielbestimmungen heranzuziehen4S1 • Insofern erfolgt eine wechselseitige Konkretisierung.

1. Auslegung anhand der Präambel

Die allgemeinste Zielbestimmung des EGV ist die Präambel. Die horizontale unmittelbare Anwendbarkeit der EG-Grundfreiheiten ist hierin natürlich nicht erwähnt. Daraus den Rückschluß zu ziehen, sie könnte für dieses Problem außer acht 449 Beispielsweise: EuGH v. 24. 1. 1991, Rs. C-339/89, Slg. 1991, S. 107, 123, Rz. 9, Alsthorn Atlantique SA vs. Compagnie de construction mechanique Sulzer SA; EuGH v. 21. 2. 1973, Rs. 6/72, Slg. 1973, S. 215, Europemballage und Continental Can vs. Kommission; EuGH v. 5. 5.1982, Rs. 15/81, Slg. 1982, S. 1409, Schul vs. Inspecteur der Invoerrechten; EuGH v. 25. 2. 1988, Rs. 299/86, Slg. 1988, S. 1213, Drexl; EuGH v. 18.6. 1991, Rs. C-260/89, Slg. 1991, S. 2925, Rz. 39, ERTu. a. vs. DEPu. a. (Femsehmonopol). 4SO EuGH v. 21. 2. 1973, Rs. 6/72, Slg. 1973, S. 215, Rz. 25, Continental Can Inc. vs. Kommission; EuGH v. 7. 2. 1985, Rs. 240/83, Slg. 1985, S. 531, Rz. 9, ADBHU (Altöle); Ullrich, GRUR Int. 1984,89,93; Basedow, in: FS für Everling, 1995, S. 49; Steindorff, EGVertrag und Privatrecht, S. 44. 451 Bleckmann, Europarecht, S. 204, Rz. 544.

V. Die teleologische Auslegung

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gelassen werden, ist jedoch zu kurz gegriffen4S2 • Schließlich zieht auch der EuGH die Präambel in ständiger Rechtsprechung zur Auslegung gemeinschaftsrechtlicher Normen heran4s3 • So formuliert er beispielsweise in bezug auf die Wettbewerbsregeln: ,,Die gesamten Bestimmungen des Artikels 85 (a. F., d. Verf.) müssen daher in Zusammenhang mit den in der Präambel zum Vertrag niedergelegten Grundsätzen gesehen und von ihnen her ausgelegt werden4S4 ."

Nichts anderes kann für die Grundfreiheiten gelten.

a) Wahrung von Frieden und Freiheit durch Zusammenschluß der Wirtschaftskräfte In der Literatur findet sich oft die Formulierung, daß wirtschaftliche Zielsetzungen im Vordergrund der Präambel und damit des EGV stünden45s • Diese Ziele sind nach Absatz 8 der Präambel jedoch ausdrücklich nur ein Mittel der Mitgliedstaaten um " ... durch diesen Zusammenschluß ihrer Wirtschaftskräfte Frieden und Freiheit zu wahren und zu festigen, ... ". Nicht umsonst steht an erster Stelle der Präambel der Wille " ... die Grundlagen für einen immer engeren Zusammenschluß der europäischen Völker zu schaffen. " Das heißt, nicht der Wohlfahrtsgewinn4s6 ist vorrangiges Ziel des EGV, sondern Friedenssicherung4s7 •

Aus diesem Verständnis heraus wird eine zusätzliche Dimension des zwischenstaatlichen Handels als "Fackelträger der Kultur" und "Herold des Friedens" deutlich4s8 • Wirtschaftlicher Austausch ist seit jeher der dominierende Weg zur 452 Zuleeg, in: von der Groeben, 5. Aufl., Präambel, Rz. 3; so aber dennoch: Sehae/er, S. 116 ff.; Jaenseh, S. 120 f. 453 Beispielsweise: EuGH v. 5. 2. 1963, Rs. 26/62, Slg. 1963, S. 1,24, van Gend & Loos vs. Niederländische Finanzverwaltung; EuGH v. 13.07. 1966, Rs. 56 und 58/64, Sig. 1966, S. 321, 388, Consten GmbH und Grundig-Verkaufs-GmbH vs. Kommission; EuGH v. 13.7. 1966, Rs. 32/65, Slg. 1966, S. 463, 483, 486, Italien vs. Rat und Kommission; EuGH v. 8. 4. 1976, Rs. 43175, Sig. 1976, S. 455, Rz. 8/11, Defrenne vs. Sabena (Defrenne 11); EuGH v. 26. 6. 1980, Rs. 136179, Sig. 1980, S. 2033, Rz. 20, National Panasonie vs. Kommission; ein vollständige Übersicht der offenen und verdeckten Wirkung der Präambel in der Rechtsprechung des Gerichtshofs findet sich bei Kulow, Inhalte und Funktionen der Präambel des EG-Vertrages, S. 28 ff. 4S4 EuGH v. 13.7. 1966, Rs. 32/65, Sig. 1966, S. 463, 483, Italien vs. Rat und Kommission m SeMe/er, S. 117; Müller-Graf!, in: Dauses, Handbuch des EG-Wirtschaftsrechts, A I Rz. 90, 92; Jaenseh, S. 120; Grundmann, in: FS für Fikentscher, S. 671, 694. 456 Zum erwarteten Wohlfahrtsgewinn siehe: Ceeehini, Europa 92', Der Vorteil des Binnenmarktes, 1988. 457 Bardenhewerl Pipkorn, in: von der Groeben, 5. Aufl., Art. 7a, Rz. 6, 7; Emmert, Europarecht, S. 14, Rz. 11. 458 von Jhering, Zweck im Recht, Bd. I, S. 181.

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§ 3 Private als Adressaten der Grundfreiheiten

Herstellung grenzüberschreitender Verbindungen und sozialer Kontakte 459 • Das hiennit einhergehende Verständnis füreinander und die aus den sozialen oder wirtschaftlichen Verbindungen resultierende Vernetzung der europäischen Völker460 stellt den eigentlichen angestrebten Integrationsprozeß dar. Die Wirtschaft ist dabei nur ein Mittel um den Kontakt zu fördern. Dieser Gedanke entspricht der von Monnet461 entwickelten Grundidee, nicht Staaten, sondern Völker zu vereinigen und findet in fast allen europäischen Präambeln seinen Ausdruck462 . Kurz fonnuliert, könnte man sagen: Friedenssicherung durch Völkerverständigung und Völkerverständigung durch grenzüberschreitenden Hande1463 • Je mehr grenzüberschreitende Kontakte es gibt, um so enger wird der Zusammen schluß der europäischen Völker. Auch Art. 2 EGV greift diesen Gedanken auf, in dem er es als eine Aufgabe der Gemeinschaft beschreibt, "den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt und die Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten zufördem." Unter diesem Gesichtspunkt wächst die Bedeutung der Möglichkeit grenzüberschreitend, privatautonom Initiative entfalten zu können, die durch die Grundfreiheiten gesichert wird. Der grenzüberschreitende Kontakt zwischen Privatpersonen dient dem übergeordneten Ziel der Völkerverständigung durch Vernetzung der persönlichen und wirtschaftlichen Schicksale und erschöpft sich gerade nicht in ökonomischen Überlegungen464 . Das Gewicht dieses Gedankens läßt es unabdingbar erscheinen, daß die Freiheit grenzüberschreitend tätig zu werden so stark wie möglich, also auch vor Eingriffen von privater Seite, geschützt wird. Europa hat ein vitales Interesse daran, die Freiheit eines jeden, nach eigener Entscheidung grenzüberschreitende Kontakte herzustellen, zu schützen, weil die schiere Anzahl der Kontakte die Vernetzung der Völker und das Verständnis füreinander vorantreibt. Darüber hinaus zeigt der Gedanke, daß es nicht im Interesse der Gemeinschaft liegt, die Grenzen von staatlichen Beschränkungen zu befreien, damit Private sich' direkt bekriegen können, wie es im Fall der Erbeerkrieg-Entscheidung war. Die neu erworbene Handelsfreiheit soll schließlich friedens fördernd genutzt werden. In einer unmittelbaren Drittwirkung der Grundfreiheiten käme dies dadurch zum Ausdruck, daß die Freiheit nur unter der Bedingung gewährt wird, daß die Freiheit anderer zu respektieren ist. 459 460

Müller-Graf!, in: Dauses, Handbuch des EG-Wirtschaftsrechts, A I Rz. 104. Zur Vemetzung siehe auch Rittner, IZ 1990,838,839; Müller-Graf!, in: Dauses, Hand-

buch des EG-Wirtschaftsrechts, A I Rz. 104. 461 Monnet, Erinnerungen eines Europäers, 1988, IV. Umschlagseite. 462 Absatz 1 und 8 der Präambel des EGV; Absatz I, 3 und 5 der Präambel des EGKS; Absatz 1,4,7 und 11 der Präambel des EUV; da alle Gemeinschaftsverträge unter dem Dach des EUV zusammengefaßt sind, können die einzelnen Präambeln kumulativ zur Auslegung aller gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften herangezogen werden; Zu leeg, in: von der Groeben, 5. Aufl., Präambel, Rz. 3. 463 Kant, Zum ewigen Frieden, Begründung zum dritten Definitivartikel, S. 41 f.; Rittner, IZ 1990, 838, 843. 464 Zuleeg, in: von der Groeben, 5. Aufl., Präambel, Rz. 4, m. w. N.

V. Die teleologische Auslegung

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Die so verstandene Bedeutung der Grundfreiheiten läßt auch Wertungsunregelmäßigkeiten im EGV deutlich werden, wenn man ihnen keine unmittelbare Drittwirkung zumäße. Man könnte sich zum Beispiel fragen, warum dem zugegebenermaßen ethisch hochstehenden Grundsatz der Lohngleichheit von Mann und Frau ein stärkerer Schutz in Form der Drittwirkung zukommt, als der Grundidee Europas, den Frieden durch grenzüberschreitenden Handel zu sichern.

b) Beseitigung der Europa trennenden Schranken In Absatz zwei der Präambel wird der Entschluß formuliert, die Europa trennenden Schranken zu beseitigen 46s • Eine Differenzierung danach, wer der Urheber dieser Schranken ist, wird nicht vorgenommen. Es wird sogar in Absatz sechs der Präambel noch einmal die Handelspolitik als Mittel zur Beseitigung von Beschränkungen erwähnt. Politik ist Sache der Mitgliedstaaten. Demnach ist Absatz zwei, soll er nicht überflüssig werden, weiter gefaßt und schließt wohl auch durch Private errichtete Schranken ein. Der Gerichtshof hat dementsprechend mehrfach festgestellt: ,,Der EWG-Vertrag, der nach seiner Präambel und seinem Inhalt darauf gerichtet ist, die Schranken zwischen den Mitgliedstaaten zu beseitigen, und der Wiedererichtung dieser Schranken mit einer Reihe strenger Bestimmungen entgegentritt, kann nicht zulassen, daß die Unternehmen neue Hindernisse dieser Art schaffen466."

Diese im Wettbewerbsrecht entwickelte Auslegung der Präambel gilt für den ganzen Vertrag. Das Argument, Private dürften die geschaffene Freiheit grenzüberschreitend tätig zu werden, nicht dazu gebrauchen, neue Schranken zu errichten, taucht dementsprechend auch in der Rechtsprechung des Gerichtshofes zur Drittwirkung von Grundfreiheiten aut67 • Von der Präambel abgeleitet, ist es ein zugkräftiges Auslegungsargument für eine Drittwirkung aller Grundfreiheiten. Ohne eine Drittwirkung der Grundfreiheiten wäre die volle Wirksamkeit des so verstandenen Gemeinschaftsrechts nicht gewährleistet. Schließlich wird der Außenhandel annähernd vollständig von Privatpersonen betrieben, die ohne eine Drittwirkung Schranken aufbauen könnten. Als Beispiel sei an § 239 BGB erinnert, der als staatliche Maßnahme grundfreiheitswidrig ist, weil er nur Bürgen mit allgemeinem Gerichtsstand in Deutschland für tauglich hält468 • Die Vorschrift ist 465 Dort heißt es: Entschlossen, durch gemeinsames Handeln den wirtschaflichen und sozialen Fortschritt ihrer Länder zu sichern, in dem sie die Europa trennenden Schranken beseitigen. 466 EuGH v. 13.07. 1966, Rs. 56 und 58/64, Sig. 1966, S. 321, 388, Consten GmbH und Grundig-Verkaufs-GmbH vs. Kommission; fast wortgleich: EuGH v. 13.7. 1966, Rs. 32/65, Sig. 1966, S. 463, 486, Italien VS. Rat und Kommission. 467 So schon EuGH v. 12. 12. 1974, Rs. 36174, Sig. 1974, S. 1405, Rz. 16/19, Walrave und Koch vs. UCI. 468 Ehricke, EWS 1994, 259 ff.

llO

§ 3 Private als Adressaten der Grundfreiheiten

entsprechend dem Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts auf europäische Sachverhalte nicht anwendbar. Was nun, wenn Kreditinstitute und Banken, die trotz EuGVÜ noch erhebliche Vollstreckungsprobleme im EG-Ausland haben, den Kreditnehmer vertraglich zur Beschaffung eines Bürgen mit Gerichtsstand im Inland verpflichten oder andere tatsächlich nicht akzeptieren? Wegen des beschriebenen Interesses jeder einzelnen Bank an einer solchen Regelung muß es sich hierbei nicht um abgestimmte Verhaltensweisen der Unternehmen handeln, so daß die Wettbewerbsregeln nicht greifen. Die Grundfreiheiten verbieten eine staatliche Regelung entsprechenden Inhaltes, können aber gegen die Wiedererrichtung der Schranken durch Private nichts ausrichten, wenn man ihnen keine Drittwirkung zumißt. Absatz zwei der Präambel legt deswegen zur Beseitigung der Europa trennenden Schranken eine Drittwirkung der Grundfreiheiten nahe.

2. Auslegung anhand der Artt. 2 und 3 EGV

Zu untersuchen ist, ob sich aus den Vertragszielbestimmungen der Artt. 2, 3 EGV Anhaltspunkte für eine Auslegung ergeben, die für oder wider eine Drittwirkung der Grundfreiheiten sprechen. Die in Art. 2 EGV definierten Aufgaben sollen unter anderem mit den in Artt. 3 und 4 EGV (Artt. 3, 3a EGVa. E) genannten Mitteln erreicht werden. Zu diesen Mitteln zählen gemäß Art. 3 lit. c) EGVauch die Grundfreiheiten. Zu prüfen ist also, ob durch eine Drittwirkung der Grundfreiheiten eine Aufgabe der Gemeinschaft gefördert wird. Danach ist zu klären, ob dieses Ziel auch durch andere Maßnahmen erreicht werden kann. Nur wenn letzteres nicht der Fall ist, kann eine Drittwirkung aus den Zielbestimmungen abgeleitet werden. Dabei ist Art. 2 EGV kausal-teleologisch auszulegen. Es ist eine Kausalkette zu entwickeln, über welche die beschriebene Aufgabe tatsächlich erfüllt werden kann469 • Art. 3 EGV zielt im Gegensatz dazu nicht auf einen bestimmten faktischen Zustand ab, sondern enthält sehr weit gefaßte Rechtsnormen47o• Auch sie sind nach allgemeiner Meinung bei der Auslegung heranzuziehen471 und stellen Instrumente zur Erreichung des in Art. 2 EGV gesteckten Ziels dar. a) Art. 2 EGV, die ausgewogene und harmonische Entwicklung des Wirtschaftslebens Gemäß Art. 2 EGV ist es Aufgabe der Europäischen Gemeinschaft, mit den in Art. 3 und Art. 4 EGV (Artt. 3, 3a EGV a. F.) genannten Politiken unter anderem Bleckmann. in: Dauses, Handbuch des EG-Wirtschaftsrechts. B I 3. Rz. 21 f. Basedow, in: FS für Everling, 1995, S. 49; Bleckmann. in: Dauses. Handbuch des EGWirtschaftsrechts, B I 3. Rz. 23. 471 A.A. GA Roemer, in Schlußantrag zu: EuGH v. 20. 6. 1973. Rs. 80/72. Slg. 1973. S. 252,259. NV Koninldijke Lassiefabriken vs. Hoofdporduktschap voor Akkerbouwprodukten. 469 470

V. Die teleologische Auslegung

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eine "harmonische und ausgewogene Entwicklung des Wirtschaftslebens" zu fördern. Diese beiden Aspekte der Harmonie und Ausgewogenheit der Entwicklung werden auch in Absatz 4 und 5 der Präambel des Gemeinschaftsvertrages genannt. Danach ist eine harmonische Entwicklung dann gegeben, wenn der Abstand zwischen einzelnen Gebieten und der Rückstand weniger begünstigter Gebiete verringert wird. In Art. 158 EGV (Art. 130a EGVa. F.) wird die Stärkung des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts als Voraussetzung für eine harmonische Entwicklung angesehen. Fraglich ist nun, ob zur Verwirklichung dieser Aufgabe eine Drittwirkung der Grundfreiheiten dienlich oder sogar notwendig ist. Das ist dann der Fall, wenn Private den Abbau der Unterschiede hemmen können oder es tatsächlich tun. Wie und in welchem Ausmaß Private die Harmonie des Marktes stören können, wird eindrücklich durch einen jüngst vor den Gerichtshof gelangten Fall bewiesen. Dem Sachverhalt nach haben sich französische Bauern zu einer Organisation namens "Coordination rurale" zusammengeschlossen, die das Ziel verfolgt, den französischen Markt insbesondere von spanischen Erdbeeren und belgischen Tomaten frei zu halten472 • Im Rahmen dieser Zielsetzung haben Mitglieder der Vereinigung zum Beispiel einen Grenzübergang nach Spanien besetzt und 450 Tonnen Erdbeeren, die für den französischen Markt bestimmt waren, auf der Straße verteilt. Noch am gleichen Tag besetzten rund dreihundert Landwirte ein Vertriebszentrum in Frankreich und vernichteten 360 Tonnen spanischer Erdbeeren. Darüber hinaus erhielten alle französischen Supermarktketten Briefe, in denen sie darauf hingewiesen wurden, daß sie mit Sachbeschädigungen zurechnen hätten, wenn sie in ihrem Sortiment spanische Erdbeeren anböten. Solche und ähnliche Aktionen473 tragen bestimmt nicht zu einer harmonischen und ausgewogenen Entwicklung des Wirtschaftslebens bei. Da es sich bei der Coordination rurale aber nicht um ein Unternehmen im Sinne der Artt. 81 ff. EGV (Artt. 85 ff. EGVa. F.) handelt und eine Diskriminierung nicht nach Staatsangehörigkeit gemäß Art. 12 EGV (Art. 6 EGVa. F.), sondern nach der Herkunft der Ware stattfindet, verbietet das Gemeinschaftsrecht Privatpersonen einen solchen "Krieg" nicht, wenn man den Grundfreiheiten keine Drittwirkung beimißt. Das Gemeinschaftsrecht muß aber so ausgelegt werden, daß mit seiner Hilfe eine harmonische und ausgewogene Entwicklung des Wirtschaftslebens gefördert wird. Dazu gehört auch, daß Verstöße hiergegen geahndet werden können474 . Die 472 Siehe hierzu auch die Einleitung. Eine detaillierte Übersicht über die Aktionen gibt der Schlußantrag von GA Lenz. in: EuGH v. 9. 12. 1997, Rs. C-265/95, Slg. 1997, S. 6959, Nr. 2 ff., Kommission vs. Frankreich (Erdbeerkrieg). 473 1997 versenkten bei der sog. ,,Beef-Blockade" walisische Bauern 40 Tonnen aus Irland eingeschiffte "beefburger" im Meer, Russel/Jenkins, Tbe Times, No. 66,069 v. 10. 12. 1997. In Erinnerung ist auch noch der "Weinkrieg" zwischen italienischen und französischen Bauern, EuGH v. 22. 3. 1983, Rs. 42182, Slg. 1983, S. 1013, Rz. 7 und 15, Kommission vs. Frankreich (Weinkrieg). 474 Zuleeg. in: von der Groeben, 5. Aufl., Art. 2, Rz. 8.

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§ 3 Private als Adressaten der Grundfreiheiten

einzige Alternative, solche unerwünschten Verhaltensweisen rechtlich zu verbieten und damit auch zu sanktionieren, ist eine unmittelbare Drittwirkung der Grundfreiheiten. Schließlich ennöglichen die Grundfreiheiten den grenzüberschreitenden Handel nicht um Wirtschaftskriege unter Privaten zu provozieren, sondern um die europäischen Völker näher zusammen zu bringen. Es ist deswegen nur schlüssig, wenn die Grundfreiheiten so interpretiert werden, daß ihnen auch ein Verbot inne wohnt, mit Hilfe dessen solche Zusammenstöße rechtlich geahndet werden können.

b) Art. 3lit. c) EGV, die Beseitigung der Hindernisse für einen Binnenmarkt Nach Art. 3 lit. c) EGV ist auf einen Binnenmarkt hinzuwirken, der durch die Beseitigung der Hindernisse für den freien Waren-, Personen-, Dienstleistungsund Kapitalverkehr gekennzeichnet ist. In Art. 14 Abs. 2 EGV (Art. 7a Abs. 2 EGVa. E) ist der Binnenmarkt als ein Raum ohne Binnengrenzen definiert475 • Fraglich ist nun, ob privatautonomes Verhalten rechtlicher oder tatsächlicher Art ein Hindernis für den Binnenmarkt darstellen kann, und ob der angestrebte Binnenmarkt die Beseitigung dieser Hindernisse fordert 476 . Daß privatautonomes Verhalten Hindernisse für den Binnenmarkt bewirken kann, ist vielfach durch tatsächliche und erdachte Beispiele belegt477 . Dabei sind viele Fallgestaltungen denkbar, in denen die Verbote des Art. 12 EGV (Art. 6 EGV a. E) und der Artt. 81 f. EGV (Artt. 85 f. EGVa. E) leerlaufen, also das Gemeinschaftsrecht ohne eine Drittwirkung der Grundfreiheiten zahnlos bliebe. Verdeutlicht sei dies noch einmal an einem Sachverhalt: Von einem Mitgliedstaat initiierte "Buy national"- Kampagnen verstoßen gegen Art. 28 EGV (Art. 30 EGVa. E)478. Wie aber steht es mit inhaltsgleichen Kampagnen Privater479 ? Diese können leicht mit einem größeren pekuniären Aufwand und 475 Das Verhältnis des Binnenmarktbegriffes zum Begriff des gemeinsamen Marktes ist umstritten. Übersicht bei: Badenhewerl Piplwrn, in: von der Groeben, 5. Aufl., Art. 7a, Rz. 6,10. 476 Eine unterschiedliche Tragweite der Begriffe bezüglich Schuldrecht läßt sich kaum ausmachen. Armbüster, RabelZ 60 (1996), 72, 81. 477 Beispiele für Art. 28 EGV (Art. 30 EGV a. F.) bei: Sehae/er, S. 176 f.; Beispiele für Artt. 39,43,49 EGV (Artt. 48, 52, 59, EGVa. F.) bei: SteindoTff; EG-Vertrag und Privatrecht, S. 294, 296 ff.; Beispiele für aIle Grundfreiheiten bei: Jaenseh, S. 108 ff. 478 EuGH v. 24. I!. 1982, Rs. 249/81, Slg. 1982, S. 4005, Kommission vs. Irland; EuGH v. 13. 12. 1983, Rs. 222/83, Slg. 1983, S. 4083, 4119, Apple and Pear Development Council vs. Lewis. 479 Siehe Anfragen des Abgeordneten Lomas: ABI. 1982, Nr. C 333/11, Nr. 1081/82 (Think British Kampagne der Unternehmen Marks & Spencer, British Airways und Debenharn Stores); ABI. 1983 Nr. C 219/14, Nr. 294/83 (Buy Irish Kampagne des" Daily Express").

V. Die teleologische Auslegung

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damit auch mit einer größeren potentiellen Gefahr für den grenzüberschreitenden Handelsverkehr durchgeführt werden. Konkret könnte man sich vorstellen, daß deutsche Gewerkschaften beschließen, ihre Mitglieder darauf hinzuweisen, daß es ihren Arbeitsplatz sichere deutsche Leistungen nachzufragen. Denkbar wäre sogar auch, daß die Mitgliedschaft in der Gewerkschaft so ausgestaltet wird, daß sie rechtlich dazu verpflichtet, nur noch deutsche Produkte zu erwerben. Gewerkschaften werden als unabhängige Interessenverbände nicht dem Mitgliedstaat zugerechnet48o . Mangels Erwerbstätigkeit handelt es sich auch nicht um Unternehmen, so daß Artt. 81 f. EGV (Artt. 85 f. EGVa. E) nicht angewendet werden können. Art. 12 EGV (Art. 6 EGVa. E) greift nicht, weil hier nur an die Herkunft der Leistung, nicht die Staatsangehörigkeit des Herstellenden angeknüpft wird. Trotzdem wird man schwerlich behaupten können, eine solche Aktion beeinträchtige nicht tatsächlich den grenzüberschreitenden Handel. Es steht also fest, daß privatautonome Verhaltensweisen den grenzüberschreitenden Handel erheblich behindern können481 • Allerdings muß der Binnenmarktbegriff nicht zwangsläufig dahingehend ausgelegt werden, daß er die Beseitigung aller Hindernisse voraussetzt. So toleriert der EGV die Unterschiedlichkeit der Zivilrechtsordnungen der Mitgliedstaaten, obwohl die Unkenntnis der Rechtslage durchaus ein Hindernis im grenzüberschreitenden Handel darstellt482 • Auch die Keck-Rechtsprechung des EuGH483 , die verkaufsbezogene Regelungen im Rahmen der Warenverkehrsfreiheit nur dem Diskriminierungs-, nicht aber dem allgemeinen Beschränkungsverbot unterwirft, deutet in die Richtung, daß ein Binnenmarkt nur die Beseitigung bestimmter Hindernisse erfordert484 • Fraglich ist, ob durch Private aufgestellte Hindernisse ähnlich wie die verkaufsbezogenen Beschränkungen des Warenverkehrs einem Binnenmarkt im Sinne des EGV nicht entgegenstehen. Die Rechtsprechung des Gerichtshofes weist in eine andere Richtung. Schon in dem für die Drittwirkung der Grundfreiheiten grundlegenden Walrave-Urteil wird als zentrales Argument485 darauf hingewiesen, daß " ... die Beseitigung der Hindernisse für den freien Personen- und Dienstleistungsverkehr - eines der in Art. 3 480 Auch eine unmittelbare Grundrechtsbindung der Tarifparteien wird in Deutschland nur im Bereich der Tarifautonomie angenommen. Im Beispielsfall kommt sie also nicht in Frage. Zum Streistand: Dörrwächter, Tendenzschutz im Tarifrecht, S. 195 ff. m. w. N. Neuerdings gegen eine Grundrechtsbindung in diesem Bereich, Dieterich, in: FS für Schaub, S. 117 ff. 481 So auch Blec/cmann, Europarecht, S. 270, Rz. 757. 482 RiUner, JZ 1990, 838, 842 f.; Steindorff, JZ 1994,95,97; ders., EG-Vertrag und Privatrecht, S. 48; Mülbert, ZHR 1995,2,22,31. 483 EuGH v. 24.11. 1993, Rs. C-267/9I, Rs. C-268/91, Slg. 1993, S. 6097, Rz. 16, Keck und Mithouard. 484 Steindorff, ZHR 1994, 149, 160; Grabitz, in: FS für Steindorff, S. 1229, 1236; Zuleeg, in: von der Groeben, 5. Aufl., Art. 3, Rz. 4 m. w. N. Kritisch hinsichtlich einer solchen Deutung des Keck-Urteils: Müller-Graff, ZHR 1995,34,72 f. 485 van Gerven, CDE 1977, 139.

8 Ganten

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Buchstabe c des Vertrages aufgeführten wesentlichen Ziele der Gemeinschaft - gefährdet wäre, wenn die Beseitigung der staatlichen Schranken dadurch in ihrer Wirkung aufgehoben würde, daß privatrechtliche Vereinigungen oder Einrichtungen Kraft ihrer rechtlichen Autonomie derartige Hindernisse aufrichteten486 ." Die Hindernisse im Sinne des Art. 3 Iit. c) EGV können damit auch privater Natur sein. Noch deutlicher wird der Gerichtshof in dem schon mehrfach erwähnten Erdbeerkrieg-UrteiI 487 . Danach ergibt sich aus Art. 31it. c) und Art. 28 EGV (Art. 30 EGV a. F.) in Verbindung mit Art. 10 Abs. 2 EGV (Art. 5 Abs. 2 EGVa. F.) eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten Maßnahmen zu ergreifen, .. um gegen Beeinträchtigungen des freien Warenverkehrs einzuschreiten, deren Ursachen nicht auf den Staat zurückzuführen siJ88 ." Hier wird privatautonomes Verhalten tatsächlicher Art als Hindernis des Binnenmarktes angesehen. GA Lenz weist im seinem Schlußantrag zu Recht darauf hin, daß die Plünderung und Zerstörung von Waren aus anderen Mitgliedstaaten eine der schwerwiegendsten Fonnen von Einfuhrbeschränkungen ist, die sich denken läßt489. Diese Hindernisse sollen nach Art. 3 lit. c) EGV durch die Grundfreiheiten und nicht nur über den Umweg der Gemeinschaftstreue aus Art. 10 EGV (Art. 5 EGVa. F.) beseitigt werden. Hierfür muß ihnen eine unmittelbare Drittwirkung zukommen.

Zwar trifft die Erdbeerkrieg-Entscheidung des Gerichtshofes keine endgültigen Aussagen zur Drittwirkung von Art. 28 EGV (Art. 30 EGVa. F.), weil es sich um ein von der Kommission angestrengtes Vertragsverletzungsverfahren handelt, bei dem es nur auf die Pflicht des Mitgliedstaates für die Einhaltung der Grundfreiheiten unter Privaten zu sorgen ankam. Aber eine Interpretation der Präambel, nach der die Gemeinschaft auch darauf ausgerichtet ist, Hindernisse privaten Ursprungs zu beseitigen, muß unweigerlich zu einer Auslegung aller Grundfreiheiten im Lichte dieses Ziels führen. Eine solche Auslegung führt zur unmittelbaren Drittwirkung der Grundfreiheiten, denn nur eine mittelbare Drittwirkung anzunehmen, wäre systemwidrig490 • Bei den Grundfreiheiten ist eine mittelbare Drittwirkung erst eine Folge der unmittelbaren. Der grenzüberschreitende Handel wird fast ausschließlich durch Privatpersonen betrieben. Einen tatsächlichen Binnenmarkt kann man deswegen nur erreichen, wenn man diesen Leuten verbietet, neue Hindernisse für den zwischenstaatlichen Handel aufzustellen. Die grenzüberschreitende Handlungsfreiheit ist damit auch gegen Beschränkungen von privater Seite gesichert. Der Pflicht des einzelnen, die 486

vs.

EuGH v. 12. 12. 1974, Rs. 36174, Sig. 1974, S. 1405, Rz. 16/19, Walrave und Koch

uel.

487 EuGH v. 9. 12. 1997, Rs. 265/95, Sig. 1997, S. 6959, Rz. 24 Cf., Kommission vs. Frankreich (Erdbeerkrieg). 488 EuGH v. 9.12.1997, Rs. 265/95, Slg. 1997, S. 6959, Rz. 30, Kommission vs. Frankreich (Erdbeerkrieg). 489 GA Lenz. in Schlußantrag zu: EuGH v. 9. 12. 1997, Rs. 265/95, Slg. 1997, S. 6959, Nr. 14, Kommission vs. Frankreich (Erdbeerkrieg). 490 Siehe: § 3 III. 1.

V. Die teleologische Auslegung

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Verbote der Grundfreiheiten zu beachten, steht eine den einzelnen begünstigende Stärkung seiner Grundfreiheiten gegenüber.

3. Auslegung anhand von Art. 5 Abs. 2 EGV (Art. 3b Abs. 2 EGVa. F.) Man könnte versuchen aus dem Subsidiaritätsprinzip des Art. 5 Abs. 2 EGV (Art. 3b Abs. 2 EGVa. F.)491 den Gedanken abzuleiten, daß der EuGH das Primärrecht im Zweifel zugunsten der mitgliedstaatlichen Souveränität auszulegen hat492 • Dies wäre zumindest ein Indiz dafür, daß den Grundfreiheiten keine Drittwirkung eingeräumt werden dürfte, weil hierdurch die von den Mitgliedstaaten gewährte Privatautonomie eingeschränkt wird493 • Es ist aber schon zweifelhaft, ob eine Auslegung durch den Gerichtshof überhaupt ein "tätig werden der Gemeinschaft" im Sinne des Art. 5 Abs. 2 EGV (Art. 3b Abs. 2 EGV a. F.) darstellt494 • Als Vorschrift der Zuständigkeitsausübunl9S wäre es sinnlos, sie auf die Gerichtsbarkeit anzuwenden, die - einmal angerufen - zur Entscheidung über die Auslegung von Vorschriften verpflichtet ist. Die Unzulässigkeit der Rechtsverweigerung ergibt sich zum einen aus Art. 220 EGV (Art. 164 EGVa. F.) und zum anderen aus dem auch im Gemeinschaftsrecht geltenden Grundsatz des Rechtsstaatsgedankens496 • Wenn man trotz dieses schlagenden Arguments in der Auslegung des Rechts durch den Gerichtshof ein "tätig werden" der Gemeinschaft sieht, muß man aber auf jeden Fall eine ausschließliche Zuständigkeit des Gerichtshofes zur Auslegung 491 Art. 5 Abs. 2 EGV (Art. 3b Abs. 2 EGVa. F.) lautet: In den Bereichen. die nicht in ihre ausschließliche Zuständigkeit fallen, wird die Gemeinschaft nach dem Subsidiaritätsprinzip nur tätig, sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend erreicht werden können und daher wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkungen besser auf Gemeinschaftsebene erreicht werden können. 492 Schaclc, JZ 1994,142,146; Gonztilez. ELR 1995,355,369; Rohe, RabelZ 61 (1997), I, 13 ff., insb. S. 14 m. w. N., 29. 493 GA Lenz, in Schlußantrag zu: EuGH v. 15. 12. 1995, Rs. C-415/93, Sig. 1995, S. 4921, 5063, Nr. 72. Union royale beige des societes de football association ASBL u. a. vs. JeanMarc Bosman u. a.; der Gerichtshof entgegnet hierauf. daß das Subsidiaritätsprinzip nicht dazu führen dürfte. daß "die Ausübung der dem einzelnen durch den Vertrag (EGV) verliehenen Rechte" eingeschränkt würden. a. a. 0 ..• S. 5065. Rz. 81. 494 Reich, CMLRev. 1994.459.478 m. w. N.; Müller-Graf/. ZHR 1995.34.74. 495 von Borries, EuR 1994.263,296 m. w. N.; Reich, ZEuP 1994.381.403; Müller-Graf/. ZHR 1995, 34.47 m.v.w.N.; Bernard, CMLRev. 1996,633,651; Koenig/Haratsch. Europarecht. S. 60. Rz. 53; Rohe, RabelZ 61 (1997), 1,30 m. w. N. a.A. Merten, in: Die Subsidiarität Europas. 1993. S. 81, spricht von einer "Kompetenzübenragungsschranke". 496 Dänzer-Vanotti, in: FS für Everling, S. 205, 211 m. w. N.; Steindarff, in: Verfassungen für ein ziviles Europa, S. 131. 143 m. w. N.; der Begriff der Rechtsstaatlichkeit ist bei der EG bzw. EU irreführend, weil es sich nicht um einen Staat im eigentlichen Sinne handelt: Scholz. in: FS für Steindorff. S. 1413. 1415 f.



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des Gemeinschaftsrechts annehmen497 • Dies ergibt sich aus Art. 220 EGV (Art. 164 EGVa. E), der im Interesse einer einheitlichen Deutung des EGV das letztverbindliche Auslegungsmonpol dem Gerichtshof zuspricht. Das Subsidiaritätsprinzip greift aber nur im Bereich der konkurrierenden Zuständigkeit, so daß es auch bei dieser Sichtweise nicht anwendbar wäre. Gegen dieses Argument läßt sich einwenden, daß es nicht darum gehe, "ob" der Gerichtshof auslege, sondern" wie" er dieser Verpflichtung nachkomme. Der Einwand vermag aber nicht zu überzeugen. Die Frage" wie" ausgelegt wird, ist nämlich im Gegensatz zum "ob" der Auslegung schon keine Zuständigkeitsfrage, so daß der Grundsatz der Subsidiarität nach Art. 5 Abs. 2 EGV (Art. 3b Abs. 2 EGV a. E) nicht anwendbar ist498 . Darüber hinaus muß sogar hinterfragt werden, ob nicht die Schaffung des Binnenmarktes, zu der die Grundfreiheiten nach Art. 3 lit. c) EGV wesentlich beitragen, in die ausschließliche Zuständigkeit der Gemeinschaft faIlt499 . Ware es nicht ausschließlich Sache der Gemeinschaftsorgane festzustellen, welche marktintegrativen Schritte im Rahmen der Zielsetzungen des EGV notwendig sind, würden die politischen Organe der EG redundantSoo. Außerdem sind bei der Auslegung Grundfreiheiten schon vom Wortlaut her das Interesse der Gemeinschaft an einem Binnenmarkt und die Erfordernisse des einzelstaatlichen Schutzes anderer Rechtsgüter wertend miteinander abzuwägensol. Im Rahmen dieses Zielkonfliktes erscheint die Frage deplaziert, ob die Ziele besser auf der Ebene der Mitgliedstaaten oder auf Gemeinschaftsebene zu lösen sindso2 . Vielmehr geht es darum, die Ziele materiell miteinander abzuwägen. Die Grenzziehung zwischen den Interessen ergibt sich demnach auch aus dem materiellen Gemeinschaftsrecht, nicht aus der Zuständigkeitsausübungsregel des Art. 5 Abs. 2 EGV (Art. 3b Abs. 2 EGVa. E)503.

Müller-Graff, ZHR 1995, 34, 66 f. Dementsrechend kann man auch die Keck-Rechtsprechung nicht als Auswirkung des Subsidiaritätsprinzips bezeichnen. Ebenso: von Wilmowsky, EuR 1996,362,369 m. w. N. 499 FUr eine ausschließliche Zuständigkeit der Gemeinschaft: EuGH v. 15. 12. 1995, Rs. C-415193, Slg. 1995, S. 4921, 4975, Nr. 130, Union royale beige des societes de football association ASBL u. a. vs. Jean-Marc Bosman u. a.; Memorandum der Kommission zum Subsidiaritätsprinzip, Kom. Dok. SEC(92)1990 v. 27. 10. 1992, abgedruckt im Bulletin der EG 10-1992, S. 122 ff.; Müller-Graff, ZHR 1995,34,69; Reich, CMLRev. 1994,459,477 f.; Reich, ZEuP 1994, 381,403; von Wilmowsky, EuR 1996,362,369; gegen eine ausschließliche Zuständigkeit: von Borries, EuR 1994,263,275,297 m. w. N.; Rohe, RabelZ 61 (1997), 1,31 f. ~ Remien, JZ 1994,349,353; Basedow, CMLRev. 1996, 1169, 1191. Everling, RabelZ 50 (1986), 193,220 m. w. N. "'2 Müller-Graf!, ZHR 1995, 34, 74 f. "'3 Konsequenzen für die legislative Rechtsangleichung durch Sekundärrecht sind hier nicht zu diskutieren. Siehe dazu Annbüster, RabelZ 60 (1996), 72, 79 ff. m. w. N. 497

498

"'I

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4. Auslegung anhand eines allgemeinen Subsidiaritätsgedankens Nun kann das Subsidiaritätsprinzip auch unabhängig von Art. 5 EGV (Art. 3b EGVa. E) als allgemeiner Grundsatz verstanden werden. Hierfür spricht seine Erwähnung im zwölften (elften, a. E) Absatz der Präambel und Art. 1 Abs. 2 (Art. A Abs. 2, a. E) des Vertrages über die Europäische Union504 . Bei einem von staatlichen Kompetenzabgrenzungen befreiten Verständnis ließe sich der Grundsatz ableiten, daß der jeweils kleinsten Einheit im Staatengefüge möglichst viel Verantwortung zu gewähren ist505 • Die kleinste relevante Einheit der EU ist nun aber die Privatperson. Man könnte nun der Auffassung sein, der Gedanke spreche prinzipiell dagegen, Private als Adressaten der Grundfreiheiten zu verstehen. Schließlich engen die Verbote den privatautonomen Handlungsspielraum ein. Dabei wird aber übersehen, daß das an einen Privaten gerichtete Verbot den grenzüberschreitenden Handel zu behindern, gleichzeitig die Autonomie anderer Privater sichert. Dem Verlust der Autonomie des Beschränkenden steht ein Gewinn an Handlungsmöglichkeiten des ansonsten Beschränkten gegenüber. Insofern kann im Ergebnis nicht von einem Freiheitsgewinn für Private gesprochen werden. Darüber hinaus geht es beim Subsidiaritätsgedanken nicht nur um Freiheit der kleinst möglichen Einheit, sondern auch darum, Verantwortung möglichst bürgernah zu verteilen. In der unmittelbaren Drittwirkung der Grundfreiheiten kommt die Verantwortung des einzelnen Bürgers für den Binnenmarkt deutlich zum Ausdruck. Es wird denn auch die Meinung vertreten, gerade das allgemeine Subsidiaritätsprinzip verlange eine weite Auslegung des primären Gemeinschaftsrechts 506 • Hierdurch verringere sich der Bedarf an Rechtsvereinheitlichung drastisch und es werde dezentral ein Deregulierungsimpuls ausgelöst507 • Dieser Auffassung ist zuzustimmen. Schließlich bedarf es dort keiner legislativen Rechtsangleichung mehr, wo die Grundfreiheiten aufgrund einer weiten Interpretation des Gerichtshofs direkt wirken 508 • Wenn aber die gerichtliche Rechtsangleichung über die Grundfreiheiten nicht greift, wird der Bedarf an legislativem Handeln wieder größe~09. Umgekehrt kann man es so formulieren: Eine Zurückhaltung bei der legislativen Zuleeg, in: von der Groeben, 5. Aufl., Präambel EUV, Rz. 15. sos von Borries, EuR 1994,263,297 m. w. N.; Bernard, CMLRev. 1996,633,635; Nieolaysen, in: Gedächtnisschrift für Grabitz, S. 469, 471 nennt dies den liberalen Aspekt des Subsidiaritätsprinzips. S06 Rittner, EuZW 1991,203,210; liekeli, JZ 1995,57,62. S07 liekeli, JZ 1995,57,62. S08 Vgl. nur die Entwicklung in: EuGH v. 13. 11. 1990, Rs. C-308/89, Sig. 1990, S. 4185, Di Leo vs. Land Berlin (Unterstützung für Sprachtraining im Ausland); EuGH v. 26. 2. 1992, Rs. C-357/89, Sig. 1992, S. 1027, Raulin vs. Minister von Onderwijs en Wetenschappen (Ausbildungsf