Traumzeit : Über die Grenze zwischen Wildnis und Zivilisation 3518035711


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German Pages [656] Year 1985

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Traumzeit : Über die Grenze zwischen Wildnis und Zivilisation
 3518035711

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HANS PETER DUERR

TRAUM ZEIT

ÜBER DIE GRENZ ZWISC EN WILDNIS UND ZIVILISATION

SUHRKAMP

Hans Peter Duerr Traumzeit Über die Grenze zwischen Wildnis und Zivilisation

Suhrkamp

Umschlagmotiv: Paul Delvaux, Der Mann der Straße, 1940. Musée des Beaux-Arts et de l’Art Wallon, Lüttich.

© Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1985 Alle Rechte vorbehalten Satz: LibroSatz, Kriftel Druck: Röck, Weinsberg Printed in Germany

Für Manar es-Saná von den Inseln Wàk

»Aucunes genz dient qu’en songes n’a se fables non et mençonges, mes l’en puet tex songes songier qui ne sont mie mençongier.« Roman de la Rose

Inhalt

Vorwort zur Neuausgabe Vorwort

9

11

Warnung an den Leser

15

§ i

Hexensalben: Mittel für den Flug zum Sabbat oder für dämonisches Blendwerk? 17

§2

Von der Löwin der Weiber zu den Nacht­ fahrenden 3 3

§3

Die Vagina der Erde und der Venusberg

§4

Wilde Weiber und Werwölfe

§ 5

Die Verteufelung der Sinne, vornehmlich der weiblichen 73

§6

Der Wolf, der Tod und die Insel des Ethnologen

§7

Die verkehrte Welt oder >Pot in Every Chickem 118

§8

A midsummernight’s dream?

§9

Angst vorm Fliegen

39

61

101

126

145

§ 10 Die Halbwahrheiten des Coyote oder Castañeda und die Altered States of America 169 § 11 Traumzeit und Traumfahrt §12 Road Bilong Science

Anmerkungen

184

201

217

Literaturverzeichnis

5 51

Verzeichnis der Abbildungen und Nachweise

Register

646

644

Vorwort zur Neuausgabe

Dieses Buch erschien zum erstenmal 1978 und hat inzwi­ schen zahlreiche Auflagen erlebt. Ich habe am Original­ text nichts geändert - auch offenkundige Fehler nicht oder solche Stellen, die mir inzwischen aus den verschiedensten Gründen ein wenig peinlich sind —, und zwar weil ich denke, daß ein Text Ausdruck einer bestimmten histori­ schen Situation ist, in der er geschrieben wurde, und daß man diesen Ausdruck korrumpiert, wenn man bei jeder neuen Ausgabe an ihm herumbastelt. Aus diesem Grunde habe ich auch jene Kritiken nicht berücksichtigt, deren Argumente mir einleuchten. Ansätze zu einer Auseinan­ dersetzung mit solchen und anderen Kritiken kann man in meinem Büchlein Satyricon, Berlin 1982 (erweiterte Neu­ ausgabe Frankfurt/M. 1985 edition suhrkamp 1546) fin­ den. Eine Reihe der im vorliegenden Buch anklingenden Themen habe ich mittlerweile weiter ausgeführt. So habe ich die Grundgedanken des § 3 (»Die Vagina der Erde und der Venusberg«) in meinem Buch Sedna oder Die Liebe yttn Leben, Frankfurt/M. 1984, weiterentwickelt, und die des § 5 (»Die Verteufelung der Sinne, vornehmlich der weib­ lichen«) auf einer wesentlich breiteren Grundlage in einer Kulturgeschichte und Ethnographie der Nacktheit und der Scham, die demnächst erscheinen wird. Nachdem ich die englische Ausgabe des Buches einem seiner schärfsten Kritiker, dem soeben verstorbenen George Devereux, gewidmet habe, möchte ich die deut­ sche Neuausgabe einem Gelehrten widmen, der es mit größerem Vergnügen gelesen hat, nämlich René König.

Heidelberg, im Frühling 1985

Hans Peter Duerr

9



Vorwort »Ich achte die Büche- wie auch das, was sie nicht wissen.« Taliesin ( walisischer Barde)

Dieses Buch geht auf ein Erlebnis im Sommer 1963 in der Greyhound-Station von Albuquerque zurück. Nachdem ich den ganzen Tag in den Felsenhöhlen von Puyé herum­ geklettert war, lernte ich zufällig einen Yerbatero der Tewa-Indianer kennen, der sich eben von der Theke einen Kaffee geholt hatte. Wir unterhielten uns einige Zeit über Belanglosigkeiten, bis ich ihn schließlich fragte, ob er mir helfen könne, eine Familie in einem der Pueblos nördlich von Santa Fé zu finden, die mich für ein paar Monate aufnehmen würde, denn ich wollte einiges über die nächt­ lichen Tänze in den unterirdischen Kivas erfahren. Ich sagte dies weniger deshalb, weil es der Wahrheit entspro­ chen hätte, sondern weil ich im Augenblick, als ich den Indianer kennenlernte, an den Klapperschlangentanz der Hopi gedacht hatte, vermutlich weil am Mittag eine Klap­ perschlange etwa eine Handbreit von mir entfernt in eine der Höhlen gekrochen war. (Als sie mich sah, fing sie nicht einmal an zu klappern - wohl ein Omen, aber damals gab es ja die Bücher Castañedas noch nicht.) Der Indianer sah mich eine Weile an, dann lächelte er und sagte, der geeignetste Ort in einem Pueblo, an dem ich etwas über die Kiva-Tänze erfahren könne, sei für mich sicherlich die University of Southern California im Dorf Unserer Herrin, der Königin der Engel (El pueblo de Nuestra Señora la Reina de Los Angeles). Seine Antwort stieß mich unmittelbar vor den Kopf und verletzte auf erhebliche Weise meine Eitelkeit. Ich hatte 11

mich ihm, davon war ich überzeugt, in keiner Weise her­ ablassend genähert, hatte ihm nicht den Kopf mit irgend­ welchen Klügeleien vollgeredet, und ich hatte ihm auch gesagt, daß ich, obwohl ich Ethnologie studiere, ein gro­ ßes Interesse an der Lebensform fremder Völker habe. Ich bin mir nicht sicher, ob es aus gekränktem Stolz war, jedenfalls nahm ich noch in derselben Nacht einen Grey­ hound, der in Richtung Arizona fuhr, und so kam es, daß dieses Buch weniger auf Erfahrungen zurückgeht, die ich in den Kivas, am >Nabel der Welt< gemacht hätte, als auf das, was mir in den Bibliotheken von Los Angeles und anderen unglücklichen Orten widerfahren ist. Es mag sein, daß es mir erging wie jenem Zen-Maler, der einen Tiger malen wollte. Aber es wurde nur eine Katze daraus. Edward E. Evans-Pritchard hat mich zum Schreiben die­ ses Buches zunächst sehr ermutigt und an seinem Entste­ hen regen Anteil genommen. Wenige Jahre vor seinem Tode kühlte diese Anteilnahme mehr und mehr ab, vor allem, weil er mit ansehen mußte, wie sich meine Seele allmählich einem Zustand regulierter Anarchie näherte. Dessen ungeachtet sind meine Gedanken an ihn mit Wärme erfüllt, und ich bin fast sicher, daß Sir Edward die Probleme heute von einer höheren Warte aus sieht. Ein Teil des Buches ist aus einem Vortrag entstanden, den ich im Herbst 1975 vor den Mitgliedern des Philosophi­ schen Seminars der Universität Konstanz und etwas später vor einem Verein Mannheimer Hausfrauen hielt. An letz­ tere erinnere ich mich mit großer Freude. Institutionen sind bisweilen großzügig, selten sind sie liebenswürdig. Die Heinrich Heine Stiftung ist dies mir gegenüber in hohem Maße gewesen. Ohne das zweijäh­ rige Stipendium, das sie mir gewährte, wäre dieses Buch viel kürzer und hoffentlich nicht besser geworden. Getting by with a little help from my friends, insbesondere Margherita von Brentano, Armin Morat, Axel Rütters, 12

Reinhard Kaiser und Jacob Taubes, getting high with a little help from my friends, insbesondere Magdalena Mel­ nikow und ihrem ebenso eigenwilligen Baby, Bernd Kra­ mer, Annette Primm, Paul Feyerabend, Helmut Krauch, Danielle Bazzi und Klaus Stichweh, habe ich diese Schrift verfaßt. Dies verdanke ich weniger ihrer Kritik, als ihrer Freundschaft, ihrer Liebe und ihrer Ironie.

Heidelberg, im Frühling 1978

Hans Peter Duerr

Warnung an den Leser

Ich wurde in den letzten Jahren häufig von Leuten ange­ schrieben, die ein Interesse an der Zusammensetzung und Dosierung von Hexen- und Werwolfsalben bekundeten. Außerdem habe ich insbesondere in der amerikanischen Freak-Literatur völlig unverantwortliche >Rezepte< gefun­ den, die im iCalifornian style< als »Tickets« angepriesen wurden. Ich habe darüber mit einigen befreundeten Nachtschattengeistern gesprochen, und sie bitten mich, dem Leser dieses Buches folgendes mitzuteilen: 1. Sie wollen nicht aus Jux und Tollerei gerufen werden. Wenn sie Lust verspüren, eine Bekanntschaft zu machen, dann werden sie es den Betreffenden schon wissen lassen. 2. Die Fahrkarten, die sie austeilen, sind bisweilen einfach-, es fehlt die Rückfahrkarte. H. P. D.

§ i Hexensalben: Mittel für den Flug zum Sabbat oder für dämonisches Blendwerk? »Jetzt bin ich leicht, jetzt fliege ich, jetzt sehe ich mich unter mir, jetzt tanzt ein Gott durch mich.« Nietzsche

Im Jahre 1661 gab Ursula Kollarin, die später zusammen mit einigen anderen Leuten im steirischen Gutenhag als Hexe erdrosselt und verbrannt wurde, zu Protokoll, die »alte Wollwerkthin« habe »sie allesamt mit einer schwar­ zen Salbe unter den Jaxen angeschmiert, auf welches allen der Leib fedrig geworden und alsbald am Rohitschberg gleichsam wie Storchen geflogen«. Als sie auf dem dorti­ gen Gelage zudem noch von dem Wein genossen habe, sei »ihr Kopf gleichsam ohne Vernunft gewesen«. Auch der siebzigjährige Michael Zotter berichtete, er »Wehre maistentheils rauschig gewesen«, zumal so sehr, daß er beim Fliegen nicht so recht »nachher komben mögen«, und eine weitere als Hexe angeklagte Frau verlautete, der Teufel selber habe ihr die Salbe unter die Achseln gerieben und »hab ihro den Sinn benumben«. Den meisten von ihnen war der Böse zum erstenmal begegnet, als sie im Wald nach Schwammerln suchten oder auf dem Feld arbeite­ ten.1 Vor ein paar Jahren sagten drei als Hexen verdächtigte Shona-Frauen vor einem rhodesischen Gericht aus, sie hätten sich splitternackt draußen im Busch, und zwar in der Nähe dreier gewisser Bäume getroffen, hätten sich mit einer weißen Salbe {musbongd} die Hände und das Gesicht 7

eingeschmiert, »um nachts zu fahren«, vornehmlich auf dem Rücken von Hyänen oder Ameisenbären.2 »I feit things going very dark«3, berichtete eine der Frauen na­ mens Netsayi (in der Übersetzung des etwas fassungslosen Ethnographen), »and feit as if I wanted to vomit.« Und die Hexe erläuterte: »On each occasion we travelled about naked and we appeared to travel through the air. I remember three kraals we visited . . .«4 Ähnliche, indessen etwas anmutigere Nachrichten kom­ men aus der Südsee. Bevor die Hexe auf dem NormanbyArchipel in die Unterwelt numu fliegt, badet sie sich und ölt ihren Leib mit »leaves and magic« ein, was immer das heißen mag. Jetzt glitzert sie in der Pracht eines farbigen Paradiesvogels, und »Paradiesvogel« ist nun auch ihr Name. Auf solche Weise vorbereitet, begibt sie sich zu dem Nadelbaum kayaru, klettert dessen Stamm hoch und flattert in die Ferne, um aus der Unterwelt Samen und vor allem huyowana zu holen. Huyowana heißt >Glückhalluzinogenen< Salben kaum die Rede ist? Wie können die Bestandteile derartiger Ole und Salben den bohrenden Fragen der Richter und Inquisitoren entgangen sein? Eines dürfte zunächst wohl unwidersprochen bleiben: Die meisten der unglücklichen Menschen, die zu Beginn der Neuzeit das Opfer jener Verfolgungen wurden£die an Grausamkeit kaum dem nachstehen, was heute aus den Verließen Chiles oder Kambodschas in die Tagespresse dringtjj hatten sich weder jemals mit einer >Hexensalbe< eingerieben, noch auch nur daran gedacht, wie die Schnee­ gänse auf den »dantz« zu fliegen.13 Meist waren sie ganz gewöhnliche Bauern oder Bürger, die in die Maschinerie eines Terrorapparates gerieten, der täglich neue Opfer forderte, um seine Existenz zu rechtfertigen. Aber es muß noch im Zeitalter der Renaissance und ver­ einzelt auch später insbesondere Frauen gegeben haben, die mit der Hilfe gewisser Salben in eine Erstarrung fielen, wie es eine ganze Reihe zeitgenössischer Beobachter schil­ dert14, und die danach Wunderliches von mitunter recht anstrengenden Flügen15 und orgiastischen Tänzen zu be­ richten wußten16. Warum jedoch schweigen die Prozeßakten über derartige Augenzeugen und über die Ingredienzien der Öle und Salben? 20

Schaut man sich beispielsweise jene »Fragstuckh auf alle Articul / in welchen die Hexen vnd vnholden auf das allerbequemst möge examiniert werden« etwas genauer an, dann fällt einem auf, daß die Gewissenhaftigkeit der richterlichen Fragen sich zwar darauf bezieht, »obs sie« auf dem Besen »vorn oder hinden gesessen«, oder »wie sie sich in der Luft erkhennen mögen, wo sie seye«17, daß jedoch nach der Zusammensetzung der Salbe, wenn überhaupt, dann nicht mit vergleichbarer Intensität nachgeforscht wurde.18 Wenn derartige Fragen gestellt wurden, dann waren es zumeist Suggestivfragen, welche die >Hexe< ihrer Sprache beraubten und in denen die gewünschte Antwort fast vollständig enthalten war.19 Dies geht etwa aus jenem Interrogarium hervor, welches das Landrecht von Ba­ den-Baden aus dem Jahre 1588 vorschrieb und in dem die Ungeduld, zu den vorherbestimmten Antworten zu gelan­ gen, in die Augen springt. Zusehends verlieren die Fragen ihre Frageform und werden in Behauptungen umgebo­ gen: »Wormit sie gefahren? Item wie solches zugericht und was Färb sie habe? Item ob sie auch eine zu machen getraute?20 Dann als offt habe sie Menschenschmalz haben müssen und folglich so viel Mord begangen, weil sie auch gemeinlich das Schmalz aussieden oder im Braten schmälzen, sollen sie gefragt werden: was sie mit dem gekochten und gebratenen Menschenfleich gethan? Item: brauchen alle­ zeit zu solchen Salben Menschenschmalz, es sei gleich von todten oder lebendigen Menschen21, deßgleichen dessel­ ben Bluts, Farrensamen22 etc., des Schmalzes aber ist alle­ zeit dabei.«23 Da in den allermeisten Fällen24 die Realität des Hexenfluges von den Richtern vorausgesetzt wurde25, war auch be­ reits in der Frage impliziert, daß die Hexe nicht sich selber, sondern ihr Flugobjekt, also den Besen, den Geißbock oder die Gerstel, mit welcher man das Brot in den Ofen 21

schob26, gesalbt hatte. So lautet beispielsweise die entspre­ chende Frage im Interrogarium der elsässischen Malefiz­ gerichte: »Wie sie die Salb macht, damit sie die Gabel schmiert?«27, und die Salbe selber wurde bisweilen nach­ gerade »Besenschmalz« genannt. Die Rolle, die bewußtseinsverändernde Pflanzen bei eini­ gen dieser Hexenflüge gespielt haben werden, wurde ver­ mutlich deshalb nicht nur heruntergespielt, sondern ganz verschwiegen, weil ansonsten — wie es bei den zitierten Ärzten, Philosophen und Magiern,(etwa Porta, Weier oder Cardanus, auch der Fall war28 — eine natürliche Erklärung für derartige Phänomene nahegelegen hätte, die dem Teu­ fel — wenn überhaupt — nur eine sehr bescheidene Bedeu­ tung belassen hätte.29 Die ideologische Funktion, die ihm zugedacht war, nämlich ein mächtiger Feind und Verfüh­ rer der Christenmenschen zu sein, hätte er kaum erfüllen können, wenn ihm nichts als die Rolle eines Gauklers geblieben wäre, der in den Köpfen der Hexen ein bloßes Blendwerk aufflammen ließ.30 In einigen der Prozesse läßt sich überdies ganz gut verfol­ gen, wie der böse Feind in den Berichten der Hexen und Zauberer zunächst gar nicht vorkommt31 und wie er im Laufe der Prozesse den Angeklagten als ein völlig fremdes Element aufgezwungen wird. Es läßt sich also erkennen, wie in manchen Fällen die offensichtliche Schilderung wirklicher Erfahrungen von aufgenötigten Fiktionen, die der Vorstellungswelt der Richter entstammen, abgelöst wird. Der Zauberer, Kräuterkundige, Krystallseher und Nacht­ fahrende Diel Breull aus Calbach berichtet im Jahre 1630 beispielsweise zunächst, »daß er das Jahr über viermal nemblich alle fronfasten in berg führe« und »er wüste selbst nicht, wie er darein kerne (an einem andern orte: wan die Zeit kerne, müste er fort und lege da gleichsam als ob er tot were)« und »bekante nechst deme, er were ein 22

nachtfahr; fraw Holt (zu der er führe) were von forn her wie ein fein weibsmensch, aber hinden her wie ein holer bäum von rauhen rinden32, im Venusberg hette er das gekreut zum theil lernen kennen.« Nach dieser Schilderung, die den Richtern allem Anschein nach herzlich wenig behagte, wurde er in die Tortour genommen, und plötzlich gelang es ihm, das Gericht zur Genüge zufriedenzustellen.33 Nun heißt es, er habe dem Herrn entsagt mit den Worten »hier stehe ich uff der mist und verleugne den herrn Jesum Christ«34, dann sei der Teufel aufgetaucht und dergleichen mehr.35 Auch im Falle Hans Buochmanns aus Römerswil, der am 15. November 1572 unweit von Sempach »jn Lüfften hinweg jn ein frömd Land getragen, da er sych selbst nitt erkennen ouch nitt by jme selbst gwesen«, kann man recht deutlich die Beschreibung der Erfahrung, die er machte, als er »by nacht durch ein holz gangen, unn zu einer stapfen36 kommen«, nämlich daß er »ein ruschen gehört als wen ein grosser ymmb dahar fluge, glych daruff trummen unn pfyfen, auch allerleyn seytenspil«, von der Interpretation trennen, die diesem Erlebnis von den Verhörspersonen gegeben wurde: »in dess hatt in der bös fyend erwüscht, unn in die lüfft hinweg geweyt, das er nütt gwüsst vier tag und vier nächt, wo er gewäsen.«37 Schließlich wird auch in einem schottischen Hexenprozeß eine Fee kurzerhand dämonologisch uminterpretiert. So heißt es von einem gewissen Andro Man aus Aberdeen im Jahre 1597, er habe über Jahre hinweg »carnall deall« mit einem »devilische spreit« gepflegt, nämlich einer Elfenkö­ nigin, von der die Akten behaupten, sie sei niemand ande­ res als der Teufel gewesen: »Thriescoir yeries sensyne or thairby, the Devill, thy maister, com to thy motheris hous, in the likness and scheap of a woman, quhom thow callis the Quene of Elphen«; und weiterhin: »Vpon the Ruidday in harvest, in this present yeir, quhilk feil on ane Wedins25

day, thow confessis and affermis, thow saw Christsonday cum out of the snaw in likness of a staig38, and that the Quene of Elphen was their, and vtheris with hir, rydand vpon quhyt haiknayes . . ,«.39 Immer wieder tauchen in solchen Berichten Frauengestal­ ten wie die »fraw Holt« oder die »Quene of Elphen« auf, und es ist mehr als wahrscheinlich, daß die Angeklagten diese geisterhaften Frauen der Wildnis unter dem Druck ihrer Inquisitoren mit dem Bösen identifizierten. Schließ­ lich wurde nicht selten das Femininum unholda als Bezeich­ nung für den Teufel verwendet, wie dieser auch in einem alpenländischen Hexenprozeß »die alte Perchtl« genannt wurde.40 Die Gestalt des Teufels wurde also wohl in vielen Fällen oktroyiert, und diese Verkörperung aller Schlechtigkeit durfte nicht mit irgendeinem dahergelaufenen Waldgeist oder einer moralisch ambivalenten Elfe verwechselt wer­ den, mit denen das Landvolk seit unvordenklichen Zeiten sein Auskommen hatte. Vermutlich wußten auch viele Angeklagte von Anfang an, welche Sprache von ihnen erwartet wurdet und es mag manchen unter ihnen ergan­ gen sein wie jenen Männern vom Stamme der Kurnai, die — wie einer von den Oldtimern der Australienforschung, Howitt, erzählt — von einem Ethnologen gefragt wurden, wen eine der Gestalten darstelle, die auf eine Felswand gemalt waren. »After consulting together for a few min­ utes, one of them said: >We think that he is Jesus Christ.< When this answer proved unsatisfactory, they laid their heads together again, and after mature deliberation declar­ ed that he must be the devil.«41 ZZum zweiten hätte es eine ungehörige Machtminderung des Bösen bedeutet, wenn ersichtlich geworden wäre, daß dieser lediglich mit der Hilfe betörender Kräuter die Sinne der Hexen und Zauberer verwirrt hätte. Ein Teufel, der nur auf die Seele und nicht auf die Welt der materiellen 24

Dinge zu wirken vermag, ist kein Wesen, mit dem sich viel Staat machen läßt. Denn wenn man erst einmal zu der >Drogenerklärung< gegriffen hätte, hätte dann nicht auch die Konsequenz nahegelegen, den Teufel überhaupt weg­ zukürzen/ nach dem scholastischen >Rasiermessersatz< des >entia non sunt multiplicanda praeter necessitatem