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German Pages 400 Year 1991
DORIS FUHRMANN-MITTLMEIER
Die deutschen Länder im Prozeß der Europäischen Einigung
Beiträge zur Politischen Wissenschaft Band 62
Die deutschen Länder im Prozeß der Europäischen Einigung Eine Analyse der Europapolitik unter integrationspolitischen Gesichtspunkten
Von Dr. Doris Fuhrmann-Mittimeier
Duncker & Humblot · Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Fuhrmann-Mittlmeier, Doris:
Die deutschen Länder im Prozess der europäischen Einigung : eine Analyse der Europapolitik unter integrationspolitischen Gesichtspunkten I von Doris Fuhrmann-Mittlmeier.- Berlin : Duncker und Humblot, 1991 (Beiträge zur Politischen Wissenschaft ; Bd. 62) Zugl.: München, Univ., Diss., 1990 ISBN 3-428-07279-0 NE: GT
Alle Rechte vorbehaften © 1991 Duncker & Huinblot GmbH, Berlin 41 Druck: Wemer Hildebrand, Berlin 65 Printed in Germany ISSN 0582-0421 ISBN 3-428-07279-0
Für Thomas
Vorwort Die vorliegende Untersuchung ist die überarbeitete Fassung einer Dissertation, die im Sommersemester 1990 vom Fachbereich Politische Wissenschaft der Ludwig-Maximilians-Universität München angenommen wurde. Für die bereitwillige Hilfestellung bei der Sichtung des Materials im Bayerischen Hauptstaatsarchiv bin ich Herrn Professor Dr. Busley zu Dank verpflichtet. Dank auszusprechen ist an dieser Stelle auch den Mitarbeitern des Bundesratsarchivs, vor allem Frau Hamann, des Bundesarchivs, des Parlamentsarchivs, des Hauptstaatsarchivs in Stuttgart sowie des Archivs des Bayerischen Landtags. Des weiteren möchte ich mich bei den Damen und Herren aus den Kreisen der Landesregierungen, die durch das großzügige Bereitstellen von Informationsmaterial den Fortgang der Arbeit unterstützten, sehr herzlich bedanken.
München, im Juli 1991
Doris Fuhrmann-Mittimeier
Inhalt A. Einleitung: Als Bundesstaat in der Gemeinschaft ................................................................... 23
1. Das Problem.......................................................................................................•............. 23 2. Bisherige Behandlung in der Forschung..........................................•.......••..•............... 27 3. Auswahlgesichtspunkte ..................................................................................................• 30 4. Quellen .....................................................................................................•....................•... 31
5. Zum Aufbau der Arbeit ................................................................................................. 31 B. Die Diskussion um die politische Gestalt Deutschlands und Europas nach 1945: Föderalismus als Ordnungsmodell..................................•.......................................................... 33 I.
Die Bedeutung bundesstaatlicher und regionalistischer Elemente für die Integration Europas: Theorie und Methoden der Integration.................................•................... 33 1. Föderale Einheiten als Untersuchungsgegenstände einer Europäischen Union.............................••......................................•..................................•.....................•.. 33 1.1
Zum Begriff der Integration.............................................................•.......•.........35
1.2
Zum Begriff der Europäischen Verfassung ..................................................•.. 37
2. Integrationstheorien....................................................................................•.....•............. 38 2.1
Der föderalistische Ansatz......................••........................................•......•..........39
2.2
Integration als Lern- und Kommunikationsprozeß......................•..............•...39
2.3
Der funktionalistische Ansatz ...............••.......................................................•...40
2.4
Der neo-funktionalistische Ansatz ....................................................................40
3. Föderalismustheorien .............................................................................................•....... 41 3.1
Föderalismus als dynamisches Prinzip ..............................................................42
3.2
Der Ansatz des ÖSterreichischen Instituts für Föderalismusforschung ....... 44
3.3
Regionalisierung des europäischen Raums als Schrittmacher des Föderalismus in Buropa ...................................•........................................•.......•..........45
3.4
Begriff und Wesen des Regionalismus .............................................................46
35
Regionalismus und Föderalismus ...........................................................•...•......48
II. Das Wirken der Länder für einen Bundesstaat Deutschland und ihr Einsatz für die europäische Integration........................•............••..••..................................••.•...•.....••......•49 1.
Die Entscheidung für den Föderalismus als staatsrechtliche Organisationsform eines zukünftigen Deutschlands ........................................•.................•... 50 1.1
Die Besatzungspolitik der Alliierten ..................................................•..............52
1.2
Das Wiederaufleben des Regionalismus in den Besatzungszonen...............57
Inhalt
10
2. Echtes Anliegen oder vorgeschobene Idee? Die Grundgedanken der Landesregierungen zur Rolle der Länder in einem föderalistischen Europa..................... 58 2.1
Bayern und Europa•.............................................................................................58
2.2
Südwestdeutschland nach dem Krieg ................................................................62 2.2.1 Wobleb und die europäische Frage .................................................... 63 2.2.2 Die Situation in Nord-Baden............................................................... 65 2.2.3 Die Situation in Württemberg-Hohenzollem ................................... 67
2.3
Rheinland-Pfalz ....................................................................................................68
2.4
Die Situation in den anderen Ländem ....•........................................................69
3. Die Formation der Europäischen Einigungsbewegung und die Rolle deutscher Landespolitiker...................................................................................................... 70 3.1
Die Entstehung der Europäischen Bewegung .................................................71 3.1.1 Der Haager Kongreß ............................................................................ 73 3.1.2 Der Deutsche Rat der Europäischen Bewegung.............................. 74
3.2
Das Engagement der Landespolitiker in den europäischen Vereinigungen ....................................................................................................................75
3.3
Die deutsche Öffentlichkeit und ihre Einstellung zu Europa .......................77
III. Auf dem Weg zur Bundesrepublik: Der Einsatz der Länder für eine föderalistische Staatsordnung................................................................................................... 80 1. Länderrat und Wirtschaftsrat als Institutionen der föderalistischen Zusammenarbeit auf dem Weg zur Staatsgründung.........................................•............. SO 1.1
Der Länderrat....................................................................................................... SO
1.2
Der Wirtschaftsrat ...................•........................................................................... 82
1.3
Zur Funktion der Parteien....•.............................................................................83
2. Die Verfassungsberatungen ........................................................................................... 83 2.1
Die süddeutsche Zusammenarbeit im Friedensbüro......................................84
2.2
Die Verfassungsberatungen im Kreis der Parteien ........................................84
2.3
Die Londoner Beschlüsse zur Frage des Weststaats ......................................86 2.3.1 Die Konferenzen von Koblenz und Rüdesheim ............................... 87
2.4
Die Verhandlungen von Herrenchiemsee und im Parlamentarischen Rat ..........................................................................................................................91 2.4.1 Bundesrats- oder Senatslösung: die Koalition der Süddeutschen.......................................................................................... 92 2.42 Die Diskussion um die Artikel 24 GG und 32 GG im Parlamentarischen Rat.......................................................................... 95 2.4.2.1 Artikel24 00 ....................................................................... 95 2.4.2.2 Artikel32 00 ....................................................................... 97
25
Die Einflußnahme nach Konstituierung der Bundesrepublik.......................98
2.6
Zur Anwendbarkeit der integrationstheoretischen Modelle für die föderalistischen Initiativen der Bundesländer nach 1945............................... 99
Inhalt
11
C. Die Eingliederung der Bundesrepublik Deutschland in die westnche Welt 1949-1958. Die einzelnen integrationspoUtischen Schritte: Fortschritt oder Rückschritt im Föderalismusverständnis der Länder? ...........................................................................•................. 101 Die Handlun~ielräume bundesrepublikanischer Integrationspolitik ...................... 101 1. Die Rolle Adenauers .................................................................................................... 102 2.
Das Verhältnis zwischen Bund und Ländern nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland.................................................................................................... 105 2.1
Zur Rolle des Bundesrats bei der Regelung auswärtiger Angelegenheiten .......................•..•.......................•..............••.......................................•.............. 106
li. Die einzelnen integrationspolitischen Schritte................................................................. 110 1. Die Länder und die Gründung der OEEC ............................................................... 110 1.1
Zur Organisation der OEEC .......................................................•...................110
1.2
Die Maßnahmen der Länder bei der Durchführung des ERP ................... 112
2. Der Beitritt der Bundesrepublik in den Europarat .............................•.................•. 116 2.1
Die Gründung des Europarates...............•....................................................... 117
2.2
Die Aufnahme der Bundesrepublik in den Europarat...............................•. 119
2.3
Die innenpolitische Diskussion um die Aufnahme der Bundesrepublik in den Europarat ................................................................................................ 120 2.3.1
Die Frage der Entsendung in die Beratende Versammlung......... 121
2.3.2
Die Bemühungen der Länder um Mitwirkungsmöglichkeiten .....•.•............................................................................................. 122
3. Die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl............................................... 124 3.1
4.
DerSchuman-Pian ............................................................................................. 124
3.2
Die innenpolitische Diskussion um die EGKS ..........................•................... l26
3.3
Die Beratungen zwischen der Bundesregierung und den Ländern ............ 128 3.3.1
Die Problembereiche ........................................................•..•.............. 128 3.3.1.1 Die Montan-Union und das Besatzungsregime ............ 132 Die Diskussion um die Reichweite von Artikel 3.3.1.2 24 GG .................................................................................. 134
3.3.2
Die Forderung nach Mitwirkurt&smöglichkeiten ............................ 136
3.4
Die Auseinandersetzungen zwischen dem Auswärtigen Amt und dem Bundeswirtschaftsministerium ......................................................................... 138
35
Die Eigenkontakte der Länder ........................................................................ 140
Die Europäische Verteidigungsmeinschaft (EVG).................................................. l41 4.1
Die Diskussion um den deutschen Verteidigungsbeitrag ............................ 142
4.2
Die Verhandlungen über die Bildung einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft ............................................................................... 144
4.3
Die öffentliche Meinung zur Frage der Remilitarisierung der Bundesrepublik ................................................................................................................ 146
4.4
Die Vorbehalte der Landesregierungen gegenüber dem Integrationsprojekt ..................................................................................................................147
12
Inhalt
4.5
Die RatifiZierunpverhandlungen zum EVG-Projekt................................... 148 4.5.1 Die Verhandlungen im Rechtsausschuß: Zur Erfordernis eines verfassungsändernden Gesetzes ........................................................ 149
4.6
Die Stellungnahme der Länder zum Antrag der Bundestagsabgeordneten Luise Albertz...............................................................................................• 150 Der Antrag der SPD-Abgeordneten Luise Albertz und anderer 4.6.1 Mitglieder des Deutschen Bundestags ............................................. 151 4.6.1.1 Die Stellungnahme der hessischen Landesregierung ...................................................................................... 151 Die Stellungnahme der Bundesregierung ...................... 152 4.6.1.2 4.6.1.3 Weitere Stellungnahmen der Länder..............•......•........ 153 4.6.2 4.6.3
Der Bundesrat und die Vertragsgesetze: der zweite Durchgang ........................................................................................................ 154 Die abschließenden Beratungen........................................................ 157
5. Die Länder und das Projekt einer Europäischen Politischen Gemeinschaft
(EPG) .............................................................................................................................. 158
5.1
Die Initiativen zur Schaffung der EPG........................................................... 159
52
Zur Organisation der EPG ............................................................................... 159
5.3
Die Erwartungen der Länder an die EPG ..................................................... 160
6. Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft ............................................................... 161 6.1
Die Haltung des Bundeswirtschaftsministers zur Wirtschaftsunion ..........161
6.2
Die Römischen Verträge .................................................................................. 162
6.3
Zur Organisation der EWG ............................................................................. 164
6.4
Zur Beteiligung von Ländetvertretem bei den Brüsseler Verhandlungen......................................................................................................................... 164
6.5
Das RatifiZierunpverfahren zu den Römischen Verträgen ........................ 166 6.5.1 Die Regelungen bezüglich der Beihilfen und des Verkehrs ......... 167
6.5.2 6.5.3
6.5.4
6.5.5
Die Stellungnahmen der Länder zur politischen Dimension des Einigungswerks .................................................................................... 169 Die Diskussion um die Reichweite von Art. 24 GG ...................... 170 Die Diskussion um erweiterte Mitwirkungsmöglichkeiten für die Länder............................................................................................. 171 Zur Beschickung der Europäischen Versam6.5.4.1 mlung ................................................................................... 171 6.5.4.2 Die Reaktion der Bundesregierung ................................ 174 Zwischen Kritik und Unterstützung: Die Haltung der Länder zu den Integrationsprojekten ............................................................ 175
UI. Der Ausbau der Mitwirkungsmöglichkeiten der Länder: Zur Tätigkeit des Länderbeobachters ....................................................................................................................................... 176
D. Die Gestaltungsmöglichkeiten der Länder im Prozen der europilseben Elniguug von
1958 bis heute: Kompetenzen und Motive ............................................................................... 181
I.
Der Bundesrat und die Europäische Gemeinschaft........................................................ 1St 1. Die Funktion des Bundesrats in der Beurteilung seiner Präsidenten................... 181
Inhalt
13
2. Das Thema Europa in den Antrittsreden der Bundesratspräsidenten ................. 183 3. Der Ausbau der Mitwirkungsmöglichkeiten des Bundesrats ..............•.................. 186 3.1
:~~i~:~~~g~~~!~~~h~=~~~~~~~~~~-~~~~~~!.~~~-~-~-~-~~~~~~......187 3.1.1 3.1.2
Das Länderbeteiligungsverfahren von 1979 .................................... 188 Das Bundesratsverfahren von 1986 ........................................•......... 188
3.2
~~~~~~~~~e~e:r~~~~~~~~~-~-~~~~~-~~~~~~-~~~~-~-~-~~-~~....190
3.3
Die Direktkontakte des Bundesrats mit den Organen der Europäischen Gemeinschaft .................................•••...................................••••................191
3.4
Zur Arbeit des EG-Ausschusses......................................................................193 3.4.1 Die EG-Kammer ................................................................................. 194
35
Zu den Tätigkeiten des Bundesrats................................................................. 195
II. Tendenzen europapolitischer Aktivitäten der deutschen Länder in den 60er und 70er Jahren ............................................................................................................................. 199 1. Die Integrationspolitik in den 60er und 70er Jahren: Wechselwirkung zwischen politischer und wirtschaftlicher Einigung ...................................•................... 199 2. Die Europäische Gemeinschaft und die Länder in den 60er und 70er Jahren: Integrationspolitische Vorstellun~n und der Einsatz der Länder: Eckpfeiler einer eigenständigen Europapolittk............................................................................ 201 2.1
Die Vorstellungen über die Zukunft der Wirtschaftsgemeinschaft ........•.. 202
2.2
Die Reisediplomatie der Länder ..................................................................... 203
III. Die Länder und das Konzept der Politischen Union: Die Fouchet-Piäne und der Deutsch-Französische Freundschaftsvertrag.................................................................... 204 1. Die Fouchet-Piäne................................................•........................................................ 204 2. Der Bundesrat und seine Stellungnahme zur Erweiterung der Gemeinschaft ...................................................................••......................................•................... 206 3. Der Deutsch-Französische Freundschaftsvertrag..................................•......•........... 206 3.1
Die Vorbehalte der Länder gegenüber dem Deutsch-Französischen Freundschaftsvertrag ..................................................................................•...... 207
3.2
Die Wünsche nach Einbeziehung der Länder in die Organisation zur Ausführung des Freundschaftsvertrages.........................................................209
3.3
Die Ratiftzierung im Bundesrat .....................................................••.........•...... 209
IV. Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit und ihre Funktion für die Völkerversöhnung nach dem Zweiten Weltkrieg .......................................................................•...... 211 1. Zur Funktion der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit ...........................•...... 213 2. Zur Bedeutung kommunaler Partnerschaften ......................................................... 214 3. Die Anfange der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit..................•.............•... 218 3.1
Die Kontakte zu Frankreich ................................................•..........•.................219
3.2
Die Kontakte zu Belgien ...............................................................................•..• 220
14
Inhalt 3.3
Die Kontakte zu den Niederlanden................................................................. 221
3.4
Die Kontakte zu Dänemark..............................................................................223
4. Der Ausbau der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit: Eine Bestandsaufnahme ............................................................................................................. 224 4.1
Baden-Württemberg ..........................................................................................225
4.2
Bayem ..................................................................................................................226
4.3
Bremen.................................................................................................................226
4.4
Hessen ..................................................................................................................226
4.5
Niedersachsen .....................................................................................................226
4.6
Nordrhein-Westfalen .........................................................................................227
4.7
Rheinland-Pfalz ..................................................................................................228
4.8
Saarland ...............................................................................................................229
4.9
Schleswig-Holstein ............................................................................................. 230
V. Der Einsatz der Länder für die Förderung des Europagedankens............................... 231 1. Die Bedeutung europapolitischer Kompetenz für die Schaffung eines Europäischen Bewußtseins ................................................................................................... 231 2. Die Aktivitäten der Länder zur Förderung der Europa-Kompetenz .................... 233 2.1
Baden-Württemberg ..........................................................................................233
2.2
Bayern ..................................................................................................................234
23
Berlin.................................................................................................................... 235
2.4
Bremen.................................................................................................................236
2.5
Hamburg..............................................................................................................237
2.6
Hessen ..................................................................................................................238
2.7
Niedersachsen ..................................................................................................... 240
2.8
Nordrhein-Westfalen .........................................................................................241
2.9
Rheinland-Pfalz ..................................................................................................242
2.10 Saarland ...............................................................................................................244 2.11 Schleswig-Holstein .............................................................................................245 3. Zur Bewertung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit und der Förderung der Europa-Kompetenz....................................................................................... 245 VI. Zur Beteiligung der Landtage an den Beratungen von Bundesratssachen ................. 247 1. Das Verhältnis von Landesexekutive und -legislative bezüglich der Informationsweitergabe in historischer Perspektive................................................ 248 2. Die Landtage und die Frage des Kompetenzverlusts durch die Europäische Gemeinschaft ................................................................................................................. 249 2.1
Zur Frage der Kompensation über den Bundesrat.......................................251
2.2
Die Initiativen zu einer Reform ....................................................................... 252
3. Das Verhalten der einzelnen Landtage: Eine Bestandsaufnahme ....................... 254
Inhalt
15
3.1
Baden-Württemberg ..........................................................................................255
3.2
Bayern ..................................................................................................................256
33
Berlin.................................................................................................................... 259
3.4
Bremen.................................................................................................................259
3.5
Hamburg..............................................................................................................259
3.6
Hessen..................................................................................................................260
3.7
Niedersacbsen .....................................................................................•...........•...260
3.8
Nordrhein-Westfalen ......................................................................................... 262
3.9
Rheinland-Pfalz .................................................................................................. 264
3.10 Saarland ...............................................................................................................266 3.11 Schleswig-Holstein .............................................................................................267 4. Zur Bewertung der Chancen eines Beteiligungsföderalismus ............................... 268
E. Der Einsatz der Länder fiir eine Politische Union: Zur Rolle der Länder als "Föderator" einer Europäischen Union ................................................................................... 273 I.
Die Auseinandersetzung der Länder mit den Modellen für eine Politische Union in den 80er Jahren ................................................................................................................ 273 1. Der Vertragsentwurf des Europäischen Parlaments ............................................... 274 1.1
Die Stellungnahme des Bundesrats zur Entschließung des Parlaments ....................................................................................................................276
2. Die Vorstellungen der Regierungschefs über die Schaffung einer Europäischen Union im Verlauf der 80er Jahre............................................................ 271 2.1
Der Mailänder Gipfel ........................................................................................ 271
2.2
Das Treffen von Luxemburg ............................................................................278
3. Die innenpolitische Diskussion um die Einheitliche Europäische Akte...•.........•. 280 3.1
Das Ratif1Zierungsverfahren ......................................................................•...... 280
4. Die Auswirkungen des RatifiZierungsverfahrens ..................................................... 284 4.1
Die Bund-Länder-Vereinbarung ..................................................................... 285
4.2
:e~~~~~!~~{Pe';!fn::c;:~.~~~.~~~~-~~~~-~~-~~~~~~.~.:.~~~........286
II. Die Informations- und Einwirkungsmöglichkeiten der Länder in der Folge des Ratifikationsgesetzes zur Einheitlichen Europäischen Akte ...............•..•...•..•.......•....... ?.1fT 1. Die Entscheidungsfindung innerhalb der Landesadministrationen ...................... 288 1.1
Die Koordinierung der Buropapolitik durch die Landesregierungen: Eine Bestandsaufnahme .................................................................................... 289 1.1.1 Baden-Württemberg ........................................................................... 289 1.1.2 Bayern ................................................................................................... 290 1.1.3 Berlin ..................................................................................................... 291 1.1.4 Bremen.................................................................................................. 292 1.1.5 Hamburg ............................................................................................... 292
16
Inhalt 1.1.6 1.1.7
1.2 2.
3.
Hessen ................................................................................................... 293 Niedersachsen ...................................................................................... 293
1.1.8
Nordrhein-Westfalen .......................................................................... 294
1.1.9
Rheinland-Pfalz.................................................................................... 294
1.1.10
Saarland................................................................................................. 295
1.1.11
Schleswig-Holstein............................................................................... 296
ZurVerwaltungsorganisation in den l.ändem: EineAnalyse ..................... 296
Instrumente zur Wahrung landespezifischer Interessen in EG-Angelegenheiten: Darstellung weiterer Informationsmöglichkeiten .......................... 297 2.1
Die Kontakte zur Bundesregierung................................................................. 297
2.2
Die Kontakte zur Kommission ......................................................................... 299
2.3
Die Kontakte zur Ständigen Vertretung in Brüssel...................................... 299
2.4
Die Beziehungen zum Europarat .................................................................... 300
Zur Beteiligung der l.änder bei Verhandlungen in Beratungsgremien der Europäischen Gemeinschaften (Art. 2 Abs. 5 EFAG)................................................. 300
4. Der Beobachter der l.änder bei der EG.................................................................... 303 5. Die Informationsbüros der l.änder in Brüssel.......................................................... 305 6.
7.
Die Organisation und Tätigkeit der einzelnen Informationsbüros: Eine Bestandsaufnahme ............................................................................................................. 307 6.1
Baden-Württemberg ............................................................•.............................307
6.2
Bayern ........................................................•.........................................................308
6.3
Berlin.................................................................................................................... 309
6.4
Bremen.......................................................................................................•.........310
65
Hamburg, Schleswig-Holstein und Niedersachsen........................................ 310
6.6
Hessen ..................................................................................................................312
6.7
Nordrhein-Westfalen ......................................................................................... 313
6.8
Rheinland- Pfalz .................................................................................................313
6.9
Saarland ...............................................................................................................314
Zur Problematik der Entscheidungs- und Mitwirkungsmöglichkeiten ................. 314
lli. Die Aktivitäten der l.änder in den Bereichen Wirtschaft und Recht........................... 316 1. Die Rolle der Regionalpolitik für den Dezentralisierungsprozeß in der Europäischen Gemeinschaft ................................................................................................. 317 1.1
1.2
h3
Die Reform der Regionalpolitik im Zuge der Einheitlichen Europäischen Akte ..........................................................................................................318 Die Steuerungsinstrumente der Gemeinschaft im Bereich der Struktur-
politik ...................................................................................................................319 1.2.1
Die Ziele der Strukturfonds............................................................... 319
1.2.2
Die Schwerpunkte der Reform.......................................................... 320
Die Chancen auf Beseitigung der Disparitäten in der Gemeinschaft durch die gemeinschaftlichen Förderkonzepte ............................................. 322
Inhalt 1.3.1 1.3.2 1.3.3
17
Die Auswirkungen der politischen Veränderungen in Osteuropa auf die Regionalpolitik der Gemeinschaft.............................. 322 Die Chancen für den Einsatz von Gemeinschaftsmitteln für die Bundesrepublik ......................................................................•............. 323 Die lntegrierung der neuen deutschen Länder in die Förderpolitik der Gemeinschaft .................................................................... 324
1.4
Die Handlungsmöglichkeiten der Länder bei der Zuweisung von Fördermitteln ............................................................................................................326 1.4.1 Die neue Arbeitsweise bei der Zuweisung der Strukturfonds ................................................................•..................................... 327 1.4.2 Zur Problematik der Mittelbewilligung .......................••...•.............. 328 1.4.2.1 Die Reduzierung der Fördergebietskulisse ................... 328 1.4.2.2 Die Beihilfekontrollen der Gemeinschaft und die Reaktionen der Länder .................................................... 329
1.5
Die Mittelzuweisungen der Gemeinschaft an die Länder............................331 1.5.1 Die Mittelausstattung 1975 - 1987..................................................... 331 1.5.2 Die Mittelzuweisung nach der Neuabgrenzung von 1988.............. 332 1.5.3 Gemeinschaftliche Förderkonzepte 1989 -1991/93 ....................... 333
1.6
Bilanz der aktuellen Regionalpolitik in einzelnen Bundesländem.............335 1.6.1 Baden-Württemberg ........................................................................•.. 335 1.6.2 Hamburg ............................................................................................... 335 1.6.3 Rheinland-Pfalz.................................................................................... 336 1.6.4 Saarland................................................................................................. 336 1.6.5 Schleswig-Holstein............................................................................... 337 1.6.6 Die Chancen der Länder _im ZußC der Neuorientierung der Strukturfonds: Versuch emer Bilanz ..•............................................. 337
2. Die Europäische Gemeinschaft als Rechtssetzungsgemeinschaft..........................338 2.1
Die Auswirkungen des europäischen Gemeinschaftsrechts .......................339
2.2
Die Einwirkungsmöglichkeiten der Länder auf die Ausgestaltung des Gemeinschaftsrechts ..........................................................................................342 2.2.1 Die Klage vor dem Europäischen Gerichtshof............................... 343 2.2.2 Die Klage vor dem Bundesverfassungsgericht ................................ 344 2.2.2.1 Der Streitfall: EG- Rundfunkrichtlinie .......................... 347 2.2.2.2 Das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht ...................................................................................... 348
2.3
Der Gesetzesantrag zur Änderung von Artikel 24 Abs. 1 GG..............••....350
IV. Die Föderalismus- und Regionalismusdiskussion in bezug auf die Zukunft der Europäischen Gemeinschaft ............................................................................................... 353 1. Das Europäische Bewußtsein und die Forderung nach einer Europäischen Verfassung...................................................................................................................... 353 1.1.
Die Zuordnung von Integrationstheorien ......................................................355 1.1.1 Föderalismus als Zukunftsmodell ................................••................... 355 1.1.2 Zur Anwendbarkeit der integrationstheoretischen Ansätze......... 358
2. Die Länder und ein Europa der Regionen................................................................ 360
2 Fuhnnann-Minlmeier
18
Inhalt 2.1
Die Initiativen der Länder in Hinblick auf eine Wirtschafts- und Währungsunion .•........................•...........•......................•................•..•........•.•...•...•......363
2.2
~:O~j!~~n&~::.~.~~.~~~.~~~.~.~~~~.~~~.~~~~.~.~~........................363
Zusammenfassung ....................................................................................................................•..••..... 367 Quellen.......................................................................................................................•........••......•..•...•.. 371
I.
Unveröffentlichte Quellen- Archivbestände ................................................................... 371
II. Mündliche oder schriftliche Auskünfte ............................................................................. 372 1. Briefwechsel ................................................................................................................... 372
2. Mündliche Auskünfte.................................................................................................... 374 111. Gedruckte Quellen ............................................................................................................... 374 IV. Entscheidungssammlung...................................................................................................... 376
V. Zeitungen, Zeitschriften, Informationsdienste ................................................................ 376 Literatur................................................................................................................................................ 377
Abkürzungsverzeichnis AA
Auswärtiges Amt
Abi.
Amtsblatt
ABI.
Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften
ABlEG
Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften
ACDP
Archiv für christlich-demokratische Politik
APuZ
Aus Politik und Zeitgeschichte
BArch.
Bundesarchiv
BayHStA
BayerischesHauptstaatsarchiv
BayVBI.
BayerischeVerwaltungsblätter
BGBI.
Bundesgesetzblatt
BLD
Bayerischer Landtagsdienst
BLPB
Bayerische Landeszentrale für Politische Bildung
BR-Drs.
Drucksachen des Deutschen Bundesrats
BR-PIPr.
Bundesratsplenumsprotokolle
BT-Drs.
Drucksachen des Deutschen Bundestags
BuiiEG
Bulletin der Europäischen Gemeinschaften
Burat
Bundesrat
BVerfG
Bundesverfassungsgericht
BVerfGE
Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts
BZPB
Bundeszentrale für Politische Bildung
c
Communication: Abteilung im ABI. der EG
DA
Deutschlandarchiv
DIIIT
Deutscher Industrie und Handelstag
DÖV
Die öffentliche Verwaltung
DP
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A. Einleitung: Als Bundesstaat in der Gemeinschaft 1. Das Problem
Die Ausführungen des Österreichischen Staatsrechtiers Hans Kelsen zur möglichen staatsrechtlichen Durchführung des Anschlusses Österreichs an das Reich beziehen sich ·auf die Situation von 1927; sie sind jedoch in ihrer Feststellung, die Bildung eines "dreistöckigen Bundesstaates" verursache eine "heillose Komplikation" und habe das Verschwinden oder zumindest die wesentliche Modifikation des bundesstaatliehen Charakters Österreichs zur Folge, auch heute noch in Hinblick auf die Situation der Bundesrepublik Deutschland in Europa anregend.1 Gerade dieses Bild schien Theodor Eschenburg vor Augen zu haben, als er sich während der Ratifizierungsphase der Einheitlichen Europäischen Akte mit mehreren Beiträgen in die Diskussion um die Aushöhlung des föderativen Systems einschaltete, auftretende Verfassungskonflikte untersuchte und bewertete.2 Die innenpolitischen Auseinandersetzungen um die Einheitliche Europäische Akte waren der Beginn einer intensiv geführten Diskussion um die Funktion des Bundesstaats und die Rolle der deutschen Länder im Integrationsprozeß. Dabei wurden die politischen Konsequenzen für die verfassungsmäßig garantierte Eigenständigkeit der Länder thematisiert und Initiativen gefordert gegen Brüsseler "Kompetenzmaßnahmen und Kompetenzzentralisierungen".3 Offensichtlich erkannten die Länder nun ihre Chance, angesichts eines sich verstärkenden nationalen und supranationalen Integrationsdrucks ihre Positionen und Erwartungen zu
1 Kelsen, Hans: Staatsrechtli\=.he Durchführung des Anschlusses Österreichs an das Deutsche Reich, in: Zeitschrift für Offentliches Recht 6 (1927), S. 329- 352 (331). 2 Eschenburg erteilt einem dreistufigen Bundesstaat eine deutliche Absage, vgl. Eschenburg, Theodor: Europäische Akte. Bundesstaat im Staatenbund. Bahnt sich ein Verfassungskonflikt an, in: Die Zeit v. 24.10.1986; Ders.: Der dreistufige Bundesstaat, in: Politik, Philosophie, Praxis. Festschrift für Wilhelm Hennis zum 65. Geburtstag; hrsg. von Hans Maier, Ulrich Matz u.a. Stuttgart 1988, S. 349- 359. 3 Stoiber, Edmund: Bayerns Stellung in Europa. Von den politischen Konsequenzen, in: Bayernkurier v. 17.1.1987; Text der EEA, in: ABI. 1987 Nr. Ll69; BGBI. 1986 ß, S. 11021115; BuiiEG Beil. 2/86; zum Grundsatz der Bundesstaatlichkeit, vld. BVerfGE 1, 10, 14 (34); 36, 32, 342 (360 f); vgl. auch Vitzthum, Wolfgan~ Graf: Bericht. Oie Bedeutun~ gliedstaatliehen Verfassungsrechts, in: Ders., Bernd-Christtan Funk, Gerhard Schmid: Dte Bedeutung Jdiedstaatlichen Verfassungsrechts in der Gegenwart. Berlin, New York 1986, S. 7- 56 (12,
28).
24
A. Einleitung: Als Bundesstaat in der Gemeinschaft
verdeutlichen.4 Der Bundesrat machte daher seine Zustimmung zum Vertragswerk von der rechtlichen Verankerung über Einrichtungen und Verfahren zur Mitgestaltung der Europapolitik durch die Länder abhängig.5 Die Tatsache, daß sich die Bundesländer in weiten Teilen mit ihren Vorstellungen durch die Einfügung eines Artikels 2 im Zustimmungsgesetz durchzusetzen vermochten,6 wird durch den Grundsatz der Kompensation 7 in seiner Bedeutung sicher nicht abgedeckt, weil die Frage bleibt, welche Rückwirkungen die Vertragsänderungen auf den Gebieten Währungs-, Sozial-, Wirtschafts-, Forschungs- und Umweltpolitik auf den Charakter der Gliedstaatlichkeit haben werden.8 Das EG-Recht hält überdies keine Mechanismen bereit, um integrationsbedingte Kompetenzverluste der Länder aufzufangen,9 da es die Länder und Regionen als föderale Teileinheiten mit eigener Zuständigkeit innerhalb der Gemeinschaft nicht gibt.10 4 Den Bundesländern wurde vorgeworfen, sie hätten sich bis zur RatifiZierungsphase der EEA zu passiv verhalten; so auch Jacques Delors beim Treffen mit den deutschen Ministerpräsidenten am 19. Mai 1988 in Bonn, vgl. dazu EG-Nachrichten. Berichte und Informationen (hrsg. vom Presse- und Informationsbüro der Kommission der EG, Bonn) Nr. S v. 245.1988. 5 Zu den Stellungnahmen der Länder, BR-Drs. 150/1/86; 150/2/86; 150/3/86; 150/86 (~hluß); 600~1/86; 600/86 (Beschluß); vgl. auch BR 564. Sitzung v. 165.1986, S. 2990 308B, BR 572. Sitzung v. 19.12.1986, S. 693D - 6980. 6 Zustimmungsgesetz vom 19.12.1986, BOB!. 1986 II, S. 1102 f; aufgrundvon Art. 2 Abs. 6 EEAG kam es zur "Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Regierungen der Länder über die Unterrichtung und Beteiligung des Bundesrats und der Länder bei Vorhaben der Europäischen Gemeinschaften in Ausführung von Art. 2 des Gesetzes vom 19.12.1986 zur EEA vom 28.2.1986", abgedr. in: Bundesländer und Europäische Gemeinschaft; hrsg. von Siegfried Magiera, Detlef Merten. Berlin 1988, Anhang S. 263 - 267. 7 Zum Grundsatz der Kompensation, Ress, Georg: Die Europäischen Gemeinschaften und der deutsche Föderalismus, in: EuGRZ 13 (1986), S. 549 - 558 (SSS); Blanke stellt die Frage nach dem Maßstab für die Reichweite gebotener oder noch möglicher Kompensation, Blanke, Hermann-Josef: Die Bundesländer im Spannungsverhältnis zwischen Eigenstaatlichkeil und Europäischer Integration, in: Gegenwartsfragen des öffentlichen Rechts; hrsg. von Dirk Heckmann, Klaus Messerschmidt. Berlin 1988, S. 53 - 81 (73 f); zur Vorsicht mahnt Vitzthum, S. 45; ähnlich Delors, in: EA 43 (1988), D 443; auch nach Ansicht von Kruis sind Kompensationen im Bund-Länder-Verhältnis eine Frage möldicher Surrogation, Kruis, Konrad: Variationen zum Thema Kompetenzkompensation, in: Verantwortlichkeit und Freiheit. Die Verfassung als wertbestimmte Ordnung. Festschrift für Willi Geiger; hrsg. von Hans Joachim Faller u.a. Tübingen 1989, S. 155-178 (173). 8 Zu den Politikfeldern und Zielen sowie die institutionellen Veränderungen durch die EEA, vJd. Blanke, S. 57 f; zu den Eingriffen der EG in Zuständigkeitsbereiche der Länder, yJd. Hrbek, 'Rudolf: Die deutschen Länder in der EG-Politik, in: Außenpolitik 38 (1987), S. 120132; vgl. auch Schmidhuber, Peter: "Es wird leider immer deutlicher, daß bei den übrigen MitJdiedsstaaten der Europäischen Gemeinschaft, aber auch bei der Kommission das notwendige Verständnis für die Gegebenheiten in der Bundesrepublik Deutschland fehlt", in: BR 564. Sitzung v. 165.1986, S. 305D. 9 Vitzthum, S. 48 sowie daselbst Anm. 140. 10 Vgl. Nass, Klaus Otto: Staaten oder Regionen? Die Bundesländer in der Europäischen Gemeinschaft - Anmerkung zu einer nicht endenden Diskussion, in: Eine Ordnt•ngspolitik für Europa. Festschrift für Hans von der Groeben; hrsg. von Ernst Joachim Mestmäcker u.a. Baden-Baden 1987, S. 285 - 302 (285). Die Bundesrepublik Deutschland bekommt durch Belgien
A Einleitung: Als Bundesstaat in der Gemeinschaft
2S
Das Problem läßt sich keineswegs mit dem Hinweis, der Bundesgesetzgeber habe durch extensiven Gebrauch seiner Gesetzgebung den Spielraum der Landesgesetzgebung ohnehin stark beschnitten,11 so daß sich die Zuständigkeiten in der Regel nur noch auf Rand- und Restmaterien beschränkten,12 aus der Welt schaffen. In der Leistungs-, Planungs- und Förderungsverwaltung war es den Ländern vielmehr möglich, ihr Hausgut auf den Gebieten des Polizei-, des Sicherheits- und Ordnungsrechts, im Umweltschutz, im Kultur- und Ausbildungswesen, im Bereich der regionalen Wirtschaftsstruktur sowie im Rahmen der Verwaltung zum Teil zu erbalten oder sogar auszubauen.13 Mit Art. 24 GG hat die Bundesregierung ein Instrument zu weitreichender Integrationsverpflichtung in der Hand.14 Nach herrschender Lehre ist die Übertragungskompetenz nicht statisch auf den Zeitpunkt des Abschlusses des völkerrechtlichen Vertrages bezogen, sondern erfaßt auch den spezifischen Typus der in einer anderen Rechtsordnung angelegten Entwicklungsmöglichkeiten.15 Angesichts der verfassungsmäßig garantierten Bundesstaatlichkeit kann die Zustimmung jedoch offensichtlich davon aus-
"Konkurrenz" im föderalistischen Autbau, Vld. dazu Vanhulle, Patrick: Belgien auf dem Weg zum föderalen Staat, in: FA 44 (1989), S. 451- 464. 11 Maunz, Theodor, Reinhard Zippelius: Deutsches Staatsrecht. Ein Studienbuch. 26. Aufl. München 1985, S. 110 f. 12 Hesse, Konrad: Grundzüge des Verfassunglirechts der Bundesrepublik Deutschland. 16. Aufl. Heidelberg 1988, Rdnr. 244, 252; lngo von Münch: Art. 70, in: Grundgesetz-Kommentar, 3 Bände; hrsg von Ingo von Münch, Band 3. 2. Aufl. München 1983, S. 1 - 15; über die Auswirkungen der Aufgabenverflechtung zwischen und Ländern, VJd. auch Laufer, Heinz: Das föderative System der Bundesrepublik Deutschland. 5. Aufl. München 1985, S. 79 f.
13 Reuter, Konrad: Föderalismus. Grundlagen und Wirkungen in der Bundesrepublik Deutschland. 2. Aufl. Heidelberg 1985, S. 36; zum Hausgut, vgl. BVerfGE 34, 2, 9 (19fT; über Föderalismus und Verfassungligerichtsbarkeit, vgl. Laufer, lfeinz: Föderalismus und Verfassungligerichtsbarkeit, in: Von der freien Gemeinde zum föderalistischen Europa. Festschrift für Adolf Gasser zum 80. Geburtstag; hrsg. von Fried Esterbauer. Berlin 1983, S. 419 - 432
(423).
14 Zur Diskussion um die Änderung von Art. 24 GO, Weber, Albrecht: Die Bundesländer und die R,.eform der Gemeinschaftsverträge, in: DVBL 101 (1986), S. 800 - 806 (806), der sich für eine Anderung ausspricht; Vogel, Hans-Jochen: Zu einigen aktuellen verfassunglipOiitischen Problemen im Bund-Länder-Verhältnis, in: Festschrift für Wolfgang Zeidler, 2 Bände; hrsg. von Walter Fürst u.a. Berlin 1987, S. 1059 - 1075 (1074 f); vgl. auch BR-Drs. 150/86 (Beschluß). 15 Vgl. Ress, Georg: Verfassungsrechtliche Auswirkungen der Fortentwicklung völkerrechtlicher Verträge. Festschrift für Wolfgang Zeidler, Bd. 2, S. 1775 - 1797 (1776). Das Schrifttum zu Art. 24 GO ist umfangreich, vgl. Tomuschat, Christian: Art. 24, in: Kommentar zum Bonner Grundgesetz. Loseblattsammlung. Hamburg Stand 1981, Rdnr. 102; zur Diskussion, ob das Übertra~ngligesetz ein verfassungsänderndes Gesetz im materiellen Sinn ist oder ob, wie teilweiSe bereits festgelegt, in Art. 24 _Abs. 1 GO "bereits eine vom Verfassungligeber gewollte antizipierende, sich erst im Ubertragungliakt konkretisierende Ermächtigung zur Verfassungsänderung gesehen• wird, Blanke, S. 55 f.
26
A. Einleitung: Als Bundesstaat in der Gemeinschaft
gehen, daß auch nach vollendeter Integration der Bundesstaat Bundesrepublik erhalten bleibt. Das Spannungsfeld, das zwischen Bundes-, Landesverfassungs- und Gemeinschaftsrecht besteht, läßt sich daher auch im Lichte des Souveränitätsverständnisses nachvollziehen.16 Wieder kann man auf Kelsen zurückgreifen, der von dem Primat der Völkerrechtsordnung ausgeht, von der aus jeder Staat nur als ein relativ höchster, nur der Völkerrechtsordnung unterstellter Verband angesehen werden kann. Gleichzeitig läßt er die Möglichkeit bestehen, daß sich zwischen die "... historisch als Staaten angesehenen Verbände und die Völkerrechtsgemeinschaft Zwischenstaaten einschieben, die, wie der Bundesstaat, zwischen Gliedstaat und Völkerrechtsgemeinschaft stehen und auch den Charakter von Staaten hätten."17 Kelsen, der die Alternative, daß eine Eingliederung entweder länderweise erfolge oder die Mitgliedstaaten weitgehend in gouvernementale Einheitsstaaten umgewandelt werden als nicht gangbar bewertete, erkannte, daß nur durch entsprechende Dezentralisierung die "heillose Komplikation" zu verhindern sei.18 Die Analyse der europabezogenen Politik der deutschen Länder soll dazu beitragen, Dezentralisierungsstrategien für den zukünftigen europäischen Einigungsprozeß zu ermitteln. Ihr Verhalten könnte unter Umständen Aufschluß darüber geben, in welcher Weise Prinzipien der Bundesstaatlichkeil innovativ für eine Europäischen Union sind und wie sie sich im Modell eines Europas der Regionen 19 wiederfinden.Z0
16 Ress, Georg: Souveränitätsverständnis in den europäischen Gemeinschaften als Rechtsproblem, in: Souveränitätsverständnis in den Europäischen Gemeinschaften. Europäische Direktwahlen und staatliches Souveränitätsverständnis. Baden-Baden 1980, S. 11 - 18. 17 Kelsen, Hans: Staat und Völkerrecht, in: Zeitschrift für Öffentliches Recht 4 (1924), S. 207 - 222 (215). 18 Vgl. Kelsen, Staatsrechtliche Durchführung, S. 337 f. 19 Vgl. dazu Esterbauer, Fried: "Europa der Regionalstaaten und Regionen• als föderativer Spannungsausgleich, Selbstbestimmung, Demokratievermehrung, in: Föderalismus als Mittel permanenter Konfliktregelung; hrsg. von Fried Esterbauer u.a. Wien 1m, S. 223 - 249. 20 Vgl. auch Ress, Die Europäischen Gemeinschaften und der deutsche Föderalismus, S. 549; vgl. auch Ottokar Hahn (Saarland): "Wir glauben an den föderativen Aufbau Europas, für den die bundesstaatliche Ordnung der Bundesrepublik Deutschland ein Modell sein soll. Nur so kann dem von vielen Bü~em als bedrohlich empfundenen europäischen Zentralismus Einhal\g~boten und d.en lebendigen Kräften in den Regionen Raum zur Entfaltung ~ewä~rt werden, m: BR572. S1tzungv. 19.12.1986, S. 695D; "21. auch ebd., S. 6948 MP Vogel( Rhemland-Pfalz): "Wer diese "re~onalen• Handlun~iefräume für Buropa erhält und nutzbar macht, schadet der europäiSChen Einigung mcht, sondern er nützt ihr. Wer zudem die "regionalen• Entscheidungsträger stärker in die gesamteuropäischen Entscheidungen einbezieht, schafft mit der größeren Bürgemähe auch größere Sachbezogenheit. Damit kann der
A Einleitung: Als Bundesstaat in der Gemeinschaft
27
2. Bisherige Behandlung in der Forschung Unter der Annahme, daß dezentrale Einheiten bedeutsam für die Weiterentwicklung der Europäischen Gemeinschaft sein könnten, ist zu untersuchen, ob und auf welche Weise die Länder in völkerversöhnender und wirtschaftlicher Perspektive europapolitisch aktiv wurden und dabei als Bremser oder Förderer bundesrepublikanischer Buropapolitik wirkten. Das Problem, das sich der Untersuchung stellt, ließe sich wie folgt formulieren: Wie ist es möglich, die Stellung der deutschen Länder im EGEntscheidungs- und Entwicklungsprozeß in einer sachgemäßen, den Quellen angemessenen Weise darzustellen - dies angesichts der Schwierigkeit, daß der Untersuchungsgegenstand neben der politik- und sozialwissenschaftlichen, der wirtschafts- und organisationswissenschaftlichen, der finanz- und verwaltungswissenschaftlichen Dimension auch historische, staatstheoretische und verfassungsrechtliche Aspekte hat und die einzelnen Analyseeinheiten einem integrationstheoretischen Bezugspunkt verpflichtet sein sollen? Man wird zunächst von der vorhandenen Literatur ausgehen.21 In dem folgenden kurzen Überblick wird nicht näher auf zeitgeschichtliche Darstellungen eingegangen. Statt dessen soll überblicksmäßig auf Erscheinungen der letzten Jahre zum Thema Bundesländer und Europäische Gemeinschaft hingewiesen werden. Einen Schwerpunkt der Debatte um die Einheitliche Europäische Akte bildet das Thema doppelte Politikverflechtung.22 In diesem Zusammenhang ist auf die Autoren Horchmann 1987, Grabitz 1987, Hrbek 1987, Hrbek/Thaysen 1986, Magiera/Merten 1988, Oschatz/Risse 1988, Ress 1987, Schmidt-Meinecke 1988, Sehröder 1986 und zur Hausen 1987 zu verweisen.23 vielfach beklagten Tendenz zur Bürokratisierung der Entscheidungen der Europäischen Gemeinschaft entgegengewirkt werden.• 21 Für den Literaturüberblick gut geeignet ist das von Wemer Weidenfeld, Wolfgang Wessels herausgegebene Jahrbuch der Europäischen Integration, Vltl. insbes. Jahrbuch der Europäischen Integration 1988/89; hrsg. von Wemer Weidenfeld, Wolfgang Wessels. Bonn 1989, s. 2S - 34. 22 Scharpf, Fritz W.: Die Politikverflechtun~falle. Europäische Integration und deutscher Föderalismus, in: PVS 26 (1985), S. 323 - 357. 23 Borchmann, Michael: Bundesstaat und europäische Integration, in: AöR 112 (1987), S. 586 - 622; Grabitz, Eberhard: Die deutschen Länder in der Gemeinschaft, in: EuR 22 (1987), S. 310 ff; Hrbek, Rudolf: Die Beteiligung der deutschen Länder an den innerstaatlichen Beratungen und Entscheidungen in EG-Angelegenheiten (insbesondere im Licht von Art. 2 EEAGesetz und der Bund-Länder-Vereinbarung). Saarbrücken 1987; Die Deutschen Länder und
28
A Einleitung: Als Bundesstaat in der Gemeinschaft
Die im Zusammenhang mit der Einheitlichen Europäischen Akte aufgestellte Forderung nach Kompensation von Kompetenzverlusten ist ein weiterer Gegenstand wissenschaftlicher Bearbeitung, wobei man auch auf älteres Schrifttum über die Praxis der Ländermitwirkung in EG-Angelegenheiten Bezug nehmen kann. Zu erwähnen sind die Arbeiten von Birke 1973, Blumenwitz 1981, Morawitz 1981, Oberthür 1978, Oetting 1973, Rudolf 1981, Sasse 1974 und Schwan 1982.24 Schon 1969 beschrieb Schmitz-Wenzel sehr detailliert die deutschen Länder und ihre Stellung im europäischen Einigungsprozeß.25 Es ist erstaunlich, in welchem Maße das Thema Deutsche Länder und Europäische Gemeinschaft in der angelsächsischen Literatur rezipiert wird. Zu erwähnen sind Malanczuk 1985, Bulmer 1986 und Bulmer/Paterson 1987.26
die Europäischen Gemeinschaften; hrsg. von Rudolf Hrbek, Uwe Thaysen. Baden-Baden 1986; Bundesländer und Europäische Gemeinschaft. Vorträge und Diskussionsbeiträge; hrsg. v. Siegfried Magiera, Detlev Merten. Berlin 1988; Oschatz, Georg-Berndt, Horst Risse: Europäische Integration und deutscher Föderalismus, in: FA 43 (1988), S. 9 - 16; Ress, Georg: Das deutsche Zustimmungsgesetz zur Einheitlichen Europäischen Akte - Ein Schritt zur "Föderalisierung" der Europapolitik, in: EuGRZ 14 (1987), S. 361 - 367; Schmidt-Meinecke, Stefan: Bundesländer und Europäische Gemeinschaft Entwicklung und Stand der Länderbeteiligung im Europäischen Einigungsprozeß. 2Aufl. Speyer 1987, 1988; Schröder, Meinhard: Bundesstaatliche Erosionen im Prozeß der Europäischen Integration, in: Jahrbuch des Offentlichen Rechts (1986) NF, Bd. 35, S. 83 - 102; zur Hausen, Götz-Eike: Die deutschen Länder als Souffleure auf der Brüsseler Bühne? Das RatifiZierungsgesetz zur EFA aus Brüsseler Sicht, in: EuR 22 (1987), S. 322 - 332. 24 Birke, Hans Eberhard: Die deutschen Bundesländer in den Europäischen Gemeinschaften. Berlin 1973; Blumenwitz, Dieter: Europäische Gemeinschaft und Rechte der Länder, in: Das Buropa der zweiten Generation. Gedächtnisschrift für Sasse. Redaktion Roland Bieber, Dietmar Nickel, 2 Bde. Baden-Baden 1981. Bd. 2, S. 215 - 227; Morawitz, Rudolf: Die Zusammenarbeit von Bund und Ländern bei Vorhaben der Europäischen Gemeinschaft. Bonn 1981; Oberthür, Karlheinz: Die Bundesländer im Entscheidungs_prozeß der EG, in: Integration 1 (1978), S. 58 - 65; Oetting, Ulf: Bundestag und Bundesrat tm Willensbildungsprozeß der Europäischen Gemeinschaften. Die Unterrichtung der gesetzgebenden Körperschaften nach Art. 2 des Zustimmungsgesetzes zu den Römischen Verträgen. Berlin 1973; Rudolf, Walter: Bundesländer und Europäisches Gemeinschaftsrecht, in: Staatsrecht - Völkerrecht Europarecht. Festschrift für Hans-Jürgen Schlochauer. Berlin u.a. 1981, S. 117 - 136; Sasse, Christoph: Bundesrat und Europäische Gemeinschaft, in: Der Bundesrat als Verfassungsorgan und politische Kraft; hrsg. vom Bundesrat. Darmstadt 1974, S. 333 - 363 und Schwan, Hartmut Heinrich: Die deutschen Bundesländer im Entscheidungssystem der Europäischen Gemeinschaften. Beschlußfassung und Durchführung. Berlin 1982
25 Schmitz-Wenzel, Hermann: Die deutschen Länder und ihre Stellung im Europäischen Einigungsprozeß. Ein Beitrag zur Wahrnehmung der internationalen Beziehungen im Bundesstaat. Bonn 1%9. 26 Malanczuk, Peter: European Affairs and the "Länder" (States) of the Federal Republic of Germany, in: Common Market Law Review 22 (1985), S. 237 - 272; Bulmer, Simon, William Paterson: The Federal Republic of Germany and the European Community, London 1987; Bulmer, Simon: The Domestic Structure of the European Community. Policy Making in West Germany, New York 1986; vgl. von amerikanischer Seite, Feldt, Werner J.: West Germany and the European Community. New York 1981.
A Einleitung: Als Bundesstaat in der Gemeinschaft
29
Anregend für die Fragestellung sind die Arbeiten von BulmerfWessels 1987, Prowein 1989 und Wessels 1988.27 Scharpf erläutert Problemlösungsdefizite der EG im Vergleich zum deutschen Föderalismus und unternimmt es, Ansätze zur effektiveren Entscheidungstindung darzustellen.28 Weitere Impulse werden sicherlich von Untersuchungen auf den Gebieten der Politikvermittlung und Kommunikationsstrategie ausgehen.29 Die Forschungen zur Europäischen Verfassung und zu den Anforderungen an eine Europäische Union sowie zum Thema Regionalismus und Europäische Einigung verweisen auf neue Aspekte.30
27 Bulmer, Simon, Wolfgang Wessels: The European Council. Decision-Making in European Politics. Houndsmill 1987; Frowein, Jochen Abr.: Bundesrat, Länder und Europäische Einigung, in: 40 Jahre Bundesrat; hrsg. vom Bundesrat. Baden-Baden 1989, S. 285 - 302; Wessets, Wolfgang: The Federal Republic of Germany and the European Community. The Presidency and beyond. Bonn 1988. 28 Scharpf, Fritz W.: Decision rules - Decision styles and policy choices, in: Journal of Theoretical Politics 1 (1989), S. 149- 176; Ders.: Verhandlungssysteme, Verteilungskonflikte und Pathologien der deutschen Steuerung, in: Staatstätigkeit International und historisch vergleichende Analysen; hrsg. von Manfred Schmidt, S. 61 - 87 ( = PVS Sonderheft 19 (1988)); Ders.: Der Bundesrat und die Kooperation auf der "dritten Ebene•, in: 40 Jahre Bundesrat, S. 121-162. 29 Hrbek, Rudolf, Wolfgang Wessels: Das EG-System als Problemlösungsebene und Handlungsrahmen - Optionen bundesrepublikanischer Europa-Politik, in: EG-Mitgliedschaft - ein vitales Interesse der Bundesrepublik; hrsg. von Rudolf Hrbek u.a. Bonn 1984, S. 509 532; Klatch, Rebecca E.: Of Meanings and Masters. Political Symbolism and Symbolic Action, in: Polity 21 (1988), S. 137- 154. 30 Forschungen zu den Anforderungen an eine Europäische Verfassung im Rahmen des Projekts: Strategien und Optionen für die Zukunft Europas. Projekt der Forschungsgruppe Europa am Institut für Politikwissenschaft der Johannes Gutenberg-Universität Mainz in Zusammenarbeit mit der Bettelsmann Stiftung unter der Leitung von Werner Weidenfeld; vgl. Janning, Josef: Forschungsbericht. Strategien und Optionen für die Zukunft Europas, in: Integration 12 (1989), S. 174- 179; vgl. auch: Rupp, Hans Heinrich: Verfassungsprobleme auf dem Weg zu einer Europäischen Union, in: ZRP 23 (1990), S. 1 - 4; Williams, Shirley: Sovereignty and accontability in the european community, in: The Political Quarterly 61 (1990), S. 299- 317; siehe auch Hrbek, Rudolf: Bundesländer und Regionalismus in der EG, in: Bundesländer und Europäische Gemeinschaft, S. 127- 149; vgl. auch Voß, Dirk-Hermann: Regionen und Regionalismus im Recht der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft. Strukturelemente einer Europäischen Verfassung. Frankfurt a.M. 1989; Scharpf, Fritz W.: Re~ona Iisierung des europäischen Raums. Die Zukunft der Bundesländer im Spannungsfeld ZWISChen EG, Bund und Kommunen. Unveröff. Manuskript. Max-Pianck-lnstitut für Gesellschaftsforschung. Köln 1988, 47 S; Böttcher, Winfried: Buropafähigkeit durch Regionalisierung, in: ZRP 23 (1990), S. 329 - 332; Leonardy, Uwe: Ge~nwart und Zukunft der Arbeitsstrukturen des Föderalismus: Status qua, "Europa der Regtonen• und staatliche Einheit Deutsc.!tlands, in: ZParl 21 (1990), S. 180 - 200; Schultze, Rainer-Oiaf: Föderalismus als Alternative. Uberlegungen zur territorialen Reorganisation von Herrschaft, in: ZParl 21 (1990), S. 475 - 490; Engel, Christian: Regionen in der Europäischen Gemeinschaft. Eine integrationspolitische Rollensuche, in: Inte~tion 14 (1991), S. 9- 20; Renzsch, Wolfgang: Deutsche Länder und europäische Integration, m APuZ B28-29/90, S. 28- 39.
30
A. Einleitung: Als Bundesstaat in der Gemeinschaft
Weitere Akzente liegen auf den Themen Bundesrat und Europäische Integration,31 Machtverluste der Legislative32 sowie Außenpolitik der Länder.33 3. Auswahlgesichtspunkte Die Buropapolitik der Länder wird in Zusammenhang mit dem europabezogenen Handeln der Bundesregierung untersucht. Dabei ist zu klären, wie weit einerseits der Ausbau föderaler Strukturen und andererseits der sich allmählich vollziehende Kompetenzverlust im kooperativen Föderalismus die Vorstellungen der Bundesländer von einem vereinten Europa beeinflußten. Im einzelnen ergeben sich folgende Auswahlgesichtspunkte: Zeitlich erstreckt sich die Untersuchung vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis zu den Auswirkungen der Einheitlichen Europäischen Akte. Bezüglich der behandelten Sachgebiete sind Einschränkungen vorzunehmen, da die Materialfülle eine angemessene Darstellung der Bereiche Kommunikation, Struktur- und Wirtschaftspolitik sowie innere Organisation erschwert. Inhaltlich wird versucht, auf alle Länder Bezug zu nehmen und ihre jeweilige Rolle herauszustellen, doch lassen sich Schwerpunkte setzen. Für die Darstellung der Nachkriegszeit erscheint es angebracht, im besonderen auf Süd- und Südwestdeutschland einzugehen, weil sich hier in starkem Maße föderalistische Strukturprinzipien durchsetzen konnten.
31 Jaspert, Günter: Der Bundesrat in internationalen parlamentarischen Gremien, in: Mitererlebt und Mitgestaltet Der Bundesrat im Rückblick; hrsg. von Rudolf Hrbek. Stuttgart 1989, s. 405 -429. 32 Schneider, Winfried: Einflußmöglichkeiten der Landesparlamente auf die Vertretung des Landes im Bundesrat. Mannheim 1986; Die Landesparlamente im Spannungsfeld zwischen europäischer Integration und europäischem Regionalismus; hrsg. von Harry Andreas Kremer. München 1988; vstl. auch V~!g!, Rüdiger: Einfluß und Wirkungsmöglichkeiten der Landesparlamente, in: BayW1108 (1977), S. 97- 104. 33 Heintzen, Markus: Private Außenpolitik. Eine Typologie der grenzüberschreitenden Aktivitäten gesellschaftlicher Kräfte und ihres Verhältnisses zur staatlichen Außenpolitik. Baden-Baden 1989; vgl. auch Fastenrath, Ulrich: Kompetenzverteilung im Bereich der auswärtif;en Gewalt. München 1986. Beyerlin, Ulrich: Rechtsprobleme der lokalen grenzüberschreitenden Zusammenarbeit. Heidelberg u.a. 1988.
A. Einleitung: Als Bundesstaat in der Gemeinschaft
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4. Quellen Die 30-Jahres-Frist für die Aktenbenutzung und die Pflicht, Anonymität zu wahren, begrenzt die Quellenanalyse. Es wurden die für die Thematik einschlägigen Bestände des Hauptstaatsarchivs München und der Bayerischen Staatsbibliothek sowie des Hauptstaatsarchivs Stuttgart neben den Beständen des Bundesarchivs Koblenz, des Zwischenarchivs Hangelar, des Auswärtigen Amtes, der Stiftung Bundeskanzler-Adenauer-Haus, der Konrad-Adenauer-Stiftung sowie des Bundestags- und Bundesratsarchivs ausgewertet.34 Die Einsicht in Materialien der Landesparlamente erfolgte im Archiv des Bayerischen Landtags.
5. Zum Aufbau der Arbeit Auf der Grundlage eines Überblicks über die Theorien und Methoden der Integration werden föderale Konzepte für Deutschland und Buropa in der Nachkriegszeit beschrieben. Die Darstellung aktueller regionalistischer und föderalistischer Konzepte bildet den integrationstheoretischen Kontext. Auf dem so gewonnenen Fundament wird die Rolle der Länder im Interessenkaikill der Besatzungsmächte analysiert. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Schilderung ihres Einsatzes für den bundesstaatliehen Aufbau und die europäische Einigungsbewegung. Im zweiten Teil steht ihre Haltung zu den einzelnen Integrationsvorhaben im Mittelpunkt. Im dritten Teil wird dargestellt, welche Mitwirkungs- und Gestaltungsmöglichkeiten sie hatten und haben, in welcher Weise sie sie tatsächlich wahrnahmen und wahrnehmen. Im vierten Teil werden die Auswirkungen der Einheitlichen Europäischen Akte untersucht und mit Vorstellungen über den föderativen Aufbau Europas in einem Europa der Regionen konfrontiert.
34 Ein Verzeichnis der benutzten Archive ist der Arbeit angefügt.
B. Die Diskussion um die politische Gestalt Deutschlands und Europas nach 1945: Föderalismus als Ordnungsmodell Bald nach der Konstituierung der bundesstaatliehen Ordnung begann eine umfassende Diskussion über die zukünftige Rolle Deutschlands beim Aufbau der Vereinigten Staaten von Europa. Im folgenden werden integrationstheoretische Ansätze vorgestellt, um vor diesem theoretischen Hintergrund die Föderalismuskonzepte der Alliierten für die künftige Organisationsstruktur Deutschlands und Europas einordnen zu können. I. Die Bedeutung bundesstaatlicher und regionalistischer Elemente fiir die Integration Europas: Theorie und Methoden der Integration Wenn es darum geht, Kriterien für die Bestandteile einer Europäischen Union zu entwickeln, so hat man sich zunächst mit den Untersuchungseinheiten Länder und Regionen sowie deren Bedeutung für den Integrationsvorgang zu beschäftigen.
I. Föderale Einheiten als Untersuchungsgegenstände
einer Europäischen Union
Die notwendigen Bestandteile des Modells Vereinigte Staaten von Europa lassen sich isolieren, wenngleich der Erfolg der europäischen Integration nicht an den erfüllten Kriterien eines theoretischen Modells zu messen ist.1
Vergemeinschaftung als Voraussetzung des Transfers politischer Autorität in eine demokratische und wirtschaftlich effiziente Gemeinschaft mit hohem institutionellem und organisatorischem Standard ist Ziel des Integrationsprozesses. Der inhaltlichen Präzisierung dient der Begriff Europäische Union, die als neues Leitbild das erste Mal auf der Gipfelkonferenz von Paris 1972 eingeführt und in der Einheitlichen Europäischen Akte zum offiziellen Vertragsziel erklärt wurde. Mit der Europäischen Union ist seitdem eine Zielsetzung des Integrationsprozesses gege1 Zur grundsätzlichen Nutzbarmachung eines Modells und theoretischer Annahmen, Hrbek, Rudolf: Die "Europäische Union" als unerfüllbare integrationspolitische Daueraufgabe, in: Eine Ordnungspolitik für Europa, S. 167 - 200; besonders auch Frei, Daniel: Integrationsprozesse - Theoretische Erkenntnisse und politische Folgerungen, in: Die Identität Europas, S. 113 - 131 (127 f). 3 Fuhrmann·Mlnlmeier
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B. Föderalismus als Ordnungsmodell
ben. Über die verfassungsmäßige und vertragliche Struktur der zukünftigen Gemeinschaft herrscht nach wie vor Unklarheit.2 Europäische Union soll keine Utopie sein,J sondern Ausdruck innovativen Denkens und politischer Planung. Sehr häufig wird die Europäische Union mit einem föderalen Aufbau Europas in Verbindung gebracht.4 Die Anwendung des Begriffs Bundesstaat unter Anlehnung an das bundesdeutsche Strukturprinzip wird in der Literatur jedoch unterschiedlich bewertet.5 Beabsichtigt man, Entscheidungsprozesse in der Europäischen Gemeinschaft unter nationalstaatlicher und integrationstheoretischer Sicht nachzuvollziehen, so wird es zweckmäßig sein, das Augenmerk auf regionale und föderale Einheiten zu richten.6 Wie im Bundesstaat Politik von unten7 2 Zur Unbestimmtheit des Begriffs, Schneider, Heinrich, Rudolf Hrbek: Die Europäische Union im Werden, in: Möglichkeiten und Grenzen einer Europäischen Union, Bd. 1, Teil D, S. 209 - 476 (213, 218 t); vgl. auch Nicolaysen, Gert: Ansichten zur Gemeinschaftsverfassung. H. P. Ipsen zum 80. Geburtstag, in: EuR 22 (1987), S. 299- 309 (299); von Leerformel spricht Möller, Hans: Untersuchungswege, Methodenfragen, Ergebnisse, in: Möglichkeiten und Grenzen einer Europäischen Union, Bd. 1, S. 143- 208 (151); Ders. äußert sich auch über das weitere Schicksal, wonach die Gesamtheit der Beziehungen der Mitgliedsstaaten in eine Europäische Union mit Verfahrensvorschriften einmünden soll; er hebt gleichzeitig hervor, daß etwas qualitativ Neues damit verbunden sei. Damit werde die bisher im Vordergrund stehende wirtschaftliche Interpretation den politischen Materien gleichberechtigt zur Seite gestellt. 3 Zur Unbrauchbarkeit des Utopiebegriffs, vgl. Zulegg, Manfred: Die Europäische Gemeinschaft als Integrationsverband, in: Einigkeit und Recht und Freiheit, Bd. 1, S. 289 - 303, der betont, daß die Vorstellung eil).es vereinten Europas keine Chimäre sei; vgl. auch Kaiser, JoseP.h H.: Modi der Integration. Okonomische Elemente und juristische Relevanz, in: Festschnft für W. Hallstein. Frankfurt a.M. 1966, S. 266 - 274 (267 f); vgl. auch Pfetsch, Frank R.: Politische Utopie, oder: Die Aktualität des Möglichkeitsdenkens, in: APuZ 852-53/90, S. 3 13 (8 f). 4 Dazu Laufer, Heinz: Föderalismus in der Kritik, in: Föderalismus. Bauprinzip einer freiheitlichen Grundordnung in Europa; hrsg. von Kar! Assmann, Thomas Goppel. München u.a. 1978, S. 23 - 37 (29).
5 Bothe, Michael: Völkerrecht und Bundesstaat. Gedanken zu einem ju~tischen GegenverkeJ.u, in: Festschrift für H. Mosler, S. 111 - 143 (141); zum Problem der Ubertragbarkeit und Ubemahme des Bundesstaatsbegriffs, vgl. Ress, Die Europäischen Gemeinschaften, S. 549; skeptisch ist Stober, Ralf: Zur wirtschaftlichen Bedeutung des Bundesstaatsprinzips, in: BayVBI120 (1989), S. 97- 106 (97), der betont, daß Föderalismus und Bundesstaat nicht identisch seien; vgl. Laufer, Heinz: Bundesstaat oder Staatenbund Buropa - lllusion oder nahe Zukunft. Vortrag anläßtich der 30-Jahr-Feier des Geschwister-Scholf-Instituts für Politische Wissenschaften, November 1988; vgl. auch Kelsen, Die staatsrechtliche Durchführung, S. 337: •... so daß Staatenbund, Bundesstaat, Einheitsstaat nur verschiedene Abstufungen von Dezentralisierungen sind ...• 6 Dazu Mayntz, Renate: Föderalismus und die Gesellschaft der Gegenwart. Max-PianckInstitut für Gesellschaftsforschung. Köln 1989, 27 S. (7). 7 Politikverflechtung im föderativen Staat; hrsg. von Joachim Jens Hesse. Baden-Baden 1978; Ders.: Zur Situation der kommunalen Selbstverwaltung. Stadtpolitik und Kommunale Selbstverwaltung im Umbruch. Baden-Baden 1987; Schütz, Hans: Der Föderalismus als Strukturprinzip der Bundesrepublik Deutschland, in: Politische Studien 41 (1990), S. 569- 578.
I. Theorie und Methoden der Integration
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Ausdruck und Belebung des föderalistischen Prinzips ist, so kann gleichermaßen für den Föderalismus in europäischer Dimension die Kategorie des Nacht/rocks im Kantschen Sinn8 neu belebt werden. Dieser Gesichtspunkt trüge unter Umständen zu einer Stärkung des Europäischen Bewußtseins, zu einem Europa der Bürger9 bei, wodurch sich eine Neuorientierung des Einigungsprozesses ergäbe. Um regionale und föderale Einheiten als vorbildhart für die Weiterentwicklung der Integration herauszustellen, bedarf es zunächst einer Klärung der Begriffe Integration und Europäische Verfassung. 1.1 Zum Begriff der Integration Es gibt keinen vorgegebenen Rechtsbegriff und kein eindeutiges Verfassungsmodell der Integration. Die ermittelten Rechts- und Organisationsmittel sind vielfältig, so daß sich auch die Maßstäbe je nach Anschauung, Erfahrung und Perspektive ändern.10 Integration als universale Integration, Integration im regionalen Rahmen und Integration auf der Ebene der Staaten sind drei nähere Bestimmungen dieses Begriffs.11
8 "... daß die Gesetze mit dem vergrößerten Umgang der Regierung immer mehr an Nachdruck einbüßten". Kant: Vom Ewigen Frieden 2. Abschnitt. Erster Zusatz. 9 Zum Buropa der Bürger, BR-Drs 475/85; Brünneck, Alexander von: Die öffentliche Meinung in der EG als Verfassungsproblem, in: EuR 23 (1988), S. 249-261 (261); Krockow, Christian Graf v.: Fragen zur Zeit: Deutscher Föderalismus und europäisches Bewußtsein, in: Politische Studien 41 (1990), S. 550-568. 10 Zum Begriff der Integration, Guggenheim: Die Problematik des europäischen Zusammenschlusses. 50 Jahre Institut für Internationales Recht der Universität Kiel1965, S. 83 - 95; vgl. auch Meyer-Cording, Ulrich: Fortschritte der Buropapolitik nur mit wirklich integrierenden Maßnahmen möglich! in: Eine Ordnungspolitik für Europa, S. 221 - 229 (221), der vom "Phänomen des Soziallebens" spricht; Haas, Ernst B.: The Study of Regional Integration, in: Regional Integration. Theory and Research; ed. by Leon N. Lindberg und Stuart A. Scheingold. CambridgejMass. 1971, S. 3 - 42 (6); Hrbek, Rudolf: Die EG ein Konkordanz-System? Anmerkungen zu einem Deutungsversuch der politikwissenschaftlichen Europaforschung, in: Das Buropa der zweiten Generation, Bd. 1, S. 87 - 103 (90), stellt fest, daß es nicht gelungen sei, den Begriff Integration überzeugend zu füllen; zu den verschiedenen Definitionen von Integration, und wie sie sich zu den verschiedenen theoretischen Ansätzen verhalten, Pentland, Charles: International Theory and European Integration. London 1973, S. 13 -25. 11 Zu den drei Anwendungen, Theorien der internationalen Beziehungen; hrsg. von Danie! Frei. München 1973, S. 191; über die Schwierigkeiten in der Forschung zum Begriff regional integration, Haas, S. 3 f.; vgl. Frowein, Jochen Abr.: Die Heranbildung eu. ropäischer Verfassungsprinzipien, in: Rechtsstaat und Menschenwürde. Festschrift für Werner Maihöfer zum 70. Geburtstag; hrsg. von Artbur Kaufmann u.a. Frankfurt 1988 S. 149 - 158 (158); Frei, lntegrationsprozesse, S. 113 - 119.
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B. Föderalismus als Ordnungsmodell
Mit Integration kann sowohl das Erreichen eines vollentwickelten Systems wie auch der Prozeß in Richtung auf einen integrierten Zustand beschrieben werdenP Die Dynamik der Europäischen Gemeinschaft läßt offen, ob sich die Europäische Union als Prozeß gestaltet, als Endstadium oder als vorübergehende Konstruktion.13 Mit den Römischen Verträgen war die Europäische Gemeinschaft auf die Errichtung des Gemeinsamen Marktes orientiert, im heutigen Verständnis handelte es sich dabei um eine Teilintegration.14 Mit der Einheitlichen Europäischen Akte wurde die Politische Union zur Zielsetzung des Integrationsprozesses. Ihr sollen wirtschaftspolitische Schritte, die Wirtschafts- und Währungsunion und die Schaffung des Europäischen Zentralbanksystems, vorangehen.15 Die Direktwahl des Europäischen Parlaments ist nicht nur Garant für eine demokratische Verankerung europäischer Gemeinschaftsentscheidungen, sie ist die wichtigste Voraussetzung für die Bildung eines Eu12 Etzioni, Amitai spricht von Zustand; Ders.: Political Unification. A comparative Study of Leaders and Forces. New York 1965, Kap. 1 + 2; vgl. Jacob, Philip E., Henry Teune sprechen sowohl von Zustand wie von Prozeß, in: Jacob, Philip E., James V. Toscano: The Integration of Political Communities. Philadelphia 1964, Kap. 1; Deutsch, Kar! W. spricht von Prozeß zur Ausbildung von Sicherheitssystemen, Ders., in: Die Analyse internationaler Beziehungen. FrankfurtfMain 1971, S. 224 - 289; Haas neigt eher zur Ansicht, Integration als Prozeß und Zustand zu betrachten, vgl. Ders., The Study of Regional Integration, S. 7; vgl. auch Hrbek, Die "Europäische Union• als unerfüllbare integrationspolitische Dauerauf~be, S. 267; vgl. auch Hallstein, Walter: "Die Gemeinschaft ist ein Werden, nicht ein Sein. zit. nach: Wirtschaftliche Integration als Faktor politischer Einigung. Festgabe für Alfred MüllerArmack. Berlin 1961, S. 277. 13 Dazu Möller, S. 152, 157; Probleme mit dem Begriff hat auch Späth, Lothar: 1992. Ein Traum von Europa. Stuttgart 1989, S. 69 f. 14 Zur Integrationsidee der EWG, Hellwig Fritz: Die Integrationsidee der EWG - Wirtschaftspolitische Aspekte, in: Integrationskonzepte auf dem Prüfstand. Jahreskolloquium 1982; hrsg. vorn Vorstand des Arbeitskreises Europäische Integration e.V. Baden-Baden 1983, S. 31 - 47, der feststellt, daß die wirtschaftliche Integra!ion nicht von den politischen Triebkräften abgekoppelt werden könne; vgl. auch folgende Außerung Adenauers: "Den Beschluß von Messina beurteilte ich mit geteilten Gefühlen, weil ich fürchtete, daß die wirtschaftlichen Aufgaben uns ablenken würden von der Hauptaufgabe, nämlich der Schaffung der politischen Union. Außerdem fürchtete ich, daß man sich zuviel auf einmal vorgenommen hatte. • zit. nach Adenauer, Konrad: Erinnerungen 1955 - 1959, Stuttgart 1967, S. 30; vgl. auch Küsters, Hanns Jürgen: Die Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Baden-Baden 1982; vgl. auch Carstens, Kar!: Das politische Element in der Europäischen Gemeinschaft, in: Festschrift für W. Hallstein, S. 96, worin Carstens EV,IG, Euratom und EGKS schon als politische Gemeinschaften bezeichnet und sich dabei auf Außerungen Hallsteins beruft; vgl. auch Hallstein, Walter: Europe in the Making. Der unvollendete Bundesstaat. New York 1973; auf die Bemerkungen von Carstens geht dann Zuleeg ein, Ders.: Die Europäische Gerneinschaft als lntegrationsverband, in: Einigkeit und Recht und Freiheit, S. 289. 15 Vgl. dazu Konzept des Weißbuches zum Binnenmarkt; Seidel, Bernhard: EG-Binnenmarkt. Zum Stand der wissenschaftlichen Debatte, in: Integration 11 (1988), S. 167 - 182; Kreile, Michael: Politische Dimensionen des europäischen Binnenmarktes, in: APuZ B2425/89, s. 25- 35.
I. Theorie und Methoden der Integration
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ropäischen Bewußtseins.16 Daher sind Überlegungen anzustellen, auf welche Weise kollektive Identifizierung mit dem Europagedanken in den Mitgliedsländem hergestellt werden kann. Die Verabschiedung einer Europäischen Verfassung wäre ein wichtiger Schritt. 1.2 Zum Begriff der Europäischen Verfassung Aufgrund desFehlenseiner Verfassung gilt immer noch der Grundsatz nationaler Verantwortlichkeit.17 Wenn man heute trotzdem den Verfassungsbegriff für die europäische Gemeinschaft verwendet, dann abgesetzt von der Singularität der Verfassung eines Staates und unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die weitgehend erfolgte Verwirklichung des europäischen Grundrechtsschutzes durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs.18 Damit wurde die Gemeinschaft auf Grundsätze verpflichtet, die dem nationalen Recht gleichgeachtet werden. Nationale Entscheidungsprozesse werden zunehmend der Regelung durch die supranationalen Gremien überlassen. Dieser Prozeß der Vergemeinschaftung wird sich nicht aufhalten lassen. Es geht aber darum, die negativen Konsequenzen für die Bewußtwerdung eines vereinten Euro16 Angesichts des allgemeinen Wertewandels ist die Kongruenz dieser Werte offensichtlich; stärker als juristische Organisationsmittel können ~meinsame Werte und Interessen einen europapolitischen Konsens schaffen, vgl. Laufer, He1nz: Der Grundkonsens in der freiheitlichen Demokratie. Köln 1988. 17 In der Literatur wird dann auch den einzelnen integrationspolitischen Schritten quasi verfassungsmäßiger Charakter zugestanden, vgl. Ophüls, C.F.: Zur ideengeschichtlichen Herkunft der Gemeinschaftsverfassung, in: Festschrift für Walter Hallstein, S. 387-413 (405), der von der Wandlung von einer Verwaltungsgemeinschaft zu einer Verfassungsgemeinschaft spricht; Zuleeg, Die Europäische Gemeinschaft als Integrationsverband, S.299 stellt seine anfänglichen Bedenken zurück und erkennt die Gründungsverträge als Verfassung eines Integrationsverbandes an; ~· Frowein, Die Herausbildung europäischer Verfassungsprinzipien, S. 149, der memt, obwohl es keine europäische Verfassung gebe, könne man trotzdem von Verfassungsprinzipien ~rechen; so auch Ipsen, Hans-Peter: Zur Tragfähigkeit der Verfassungsprinzipien der EuropäiSChen Gemeinschaft, in: Integrationskonzepte auf dem Prüfstand, S. 9 - 29 (12). 18 Zum Grundrechtsschutz, Konvention zum Schutze der ,;Menschenrechte und Grundfreiheiten des Europarals v. 4.11.1952 BGBI. 1952 II S. 686 mit Anderungen, abgedr. in: Europarecht 9. Auß. München 1989, S. 359- 381; vgl. zur Gültigkeit von EG-Recht in der Bundesrepublik Deutschland Solange-Beschlüsse, hier Solange II BVerfGE 73, 10, 339, (378); Stein, Torsten: Umgekehrt! Bemerkun_gen zum "Solange 11"-Beschluß des BVG, in: Festschrift für J. W. Zeidler, S. 1711 - 1728 (1717); die deutschen Gerichte müssen solche Rechtsvorschriften anwenden, die zwar einer eigenständigen außerstaatlichen Hoheitsgewalt zuzurechnen sind und entgegenstehende nationale Rechtsüberlagerungen verdrängen; Stein, S. 1723, daß der EuGH anerkanntermaßen Grundrechte in dem von Art. 24 Abs. 1 GG verlangten Ausmaß schütze; zur neuesten Kontroverse, Everling, Ulrich: Brauchen wir "Solange III?" in: EuR 25 (1990), S. 195 - 227; und Tomuschat, Christian: Aller guten Dinge sind III? Zur Diskussion um die Solange-Rechtsprechung des BVerfG, in: EuR 25 (1990), S. 340 - 393; vgl. auch Stauffenbefi, Franz-Ludwig Graf: Defizite der Politischen Gemeinschaft, in: Politische Studien 40 (1989), S. 200-208 (206).
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B. Föderalismus als Ordnungsmodell
pas zu verhindern. Noch wirkt die Brüsseler Bürokratie weitgehend unabhängig mit allen negativen Folgen für die Wirklichkeitsnähe, wie es zentrale Institutionen mit sich bringen. Verstärkten sich jedoch die Ansätze, unter Annahme des Subsidiaritätsprinzips auf regionale Organisationen Kompetenzen zu übertragen, so würde auch die Brüsseler Bürokratie stärker in die regionalen Entscheidungsprozesse involviert und hätte eine entsprechende Rückkoppelung. Eine wirklichkeitsnahe Gestaltung unter Einfluß regionaler Integrationssysteme könnte den Sozialisationsgrad für die europäische Sache erhöhen, ohne daß darunter ein nationales Zugehörigkeitsgefühl zu leiden hätte.19
2. Integrationstheorien Es gibt eine Reihe von integrationstheoretischen Organisationsmodellen: vom föderalistischen Konzept mit der Zielsetzung Europäischer Bundesstaat, über supranationale Kooperationsformen wie die EGKS und die EWG zu Gebilden des kooperativen Unionismus, zum Beispiel die Europäische Freihandelszoneoder den Europarat.20 Methodische Erkenntnisse über die Stagnation und das Fortschreiten der Europäischen Union21 sollen den Rahmen für weitere wissenschaftlic!te Beschreibungen liefern.22 Das gänzlich Neue, das mit der europäischen Föderation entsteht, macht es allerdings schwierig, die Prozesse mit systematischen, allgemein akzeptierten Theorien zu beschreiben.23 19 Von einem Spezialfall schreibt Pechstein, Matthias: Die Mitgliedsstaaten der EG als "Sachverwalter des gemeinsamen Interesses". Baden-Baden 1987, wenn die Mitgliedsstaaten sich auf Art. 5 EWGV berufen können, sollten sie eigenständig tätig werden. 20 In Anlehnung an Lipgens; 45 Jahre Ringen um die Europäische Verfassung. Dokumente 1939 -1984; von den Schriften der Widerstandsbewegung bis zum Vertragsentwurf des europäischen Parlaments; hrsg. von Walter Lipgens. Bonn 1986; zu den Theorien der Internationalen Beziehungen, Kap. 1, S. 191 - 224; vgi. auch Kaiser, Modi der Integration, S. 271, wobei wechselseitig Modi und Methoden verwendet werden; zu den Integrationstheorien auch Bellers, Jürgen: Integrationstheorie, in: Internationale Beziehungen. Theorie - Organisationen -Konflikte; hrsg. von Andreas Boeckh. München, Zürich 1984, S. 214- 217. 21 Siehe Haas, The Study of Regional Integration, S. 2; Nicolaysen, Ansichten zur Gemeinschaftsverfassung, S. 301. 22 Schwarz, Hans-Peter: Buropa föderieren - aber wie? Eine Methodenkritik der europäischen Integration, in: Demokratisches System und politische Praxis der Bundesrepublik. Festschrift für Theodor Eschenburg; hrsg. von Gerhard Lehmbruch u.a. München 1971, S. 3TI -
443 (379 ff).
23 Ein Ungenügen der Integrationstheorien stellt auch Frei, Daniel: Integrationsprozesse - Theoretische Erkenntnisse und praktische Folgerungen, in: Die Identität, S. 127 fest; Defizite beklagt Hroek, Die EG ein Konkordanz-System, S.90; vgl. auch Pinder, John: European Community and Nation-State; a case for a neo-federalism, in: International Affairs 62 (1985/86), S. 50 f; vgl. auch Wessels, Wolfgang: Buropapolitik in der wissenschaftlichen De-
I. Theorie und Methoden der Integration
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Es wird sich zeigen, in welchem Maße für den Untersuchungsgegenstand auf die traditionellen Ansätze zurückgegriffen werden kann. 2.1 Der föderalistische Ansatz Mit dem föderalistischen Ansat?t wird eine Vereinigung vormals selbständiger politischer Einheiten, die auch nach ihrem Zusammenschluß eine gewisse Eigenständigkeit bewahren, gekennzeichnet. Ziel ist die Bildung einer am Nationalstaat orientierten föderativen Ordnung.25 In dieser Sicht ist Integration ein eindeutiger politischer Vorgang, wobei die wirtschaftliche Einheit sich aus der Schaffung eines föderalen politischen Systems ergibt. Die Durchsetzung ist indes mit Schwierigkeiten verbunden, weil die Staaten nicht bereit waren und sind, Aufgaben an föderal übergeordnete Organe abzugeben. 2.2 Integration als Lern- und Kommunikationsprozeß Ein weiterer Ansatz umschreibt Integration als gesellschaftlichen Lernund Kommunikationsprozeß.26 Begründer und Hauptvertreter ist Karl W. Deutsch. Die Voraussetzung erfolgreicher Integration ist seines Erachtens dann gegeben, wenn es zu einer Identität von dem "hauptsächlichen Interesse" der Elite und eines Teils der Bevölkerung über die Aussichten des Integrationsprozesses kommt. Grundlage ist ein funktionierender Kommunikationsprozeß, wobei die Haltung der Integrationsakteure durch positive oder negative Lernprozesse verstärkt wird. Wenn die Erfahrung über die Ergebnisse des Gemeinschaftsprozesses als vorteilig empfunden würde, stellte sich die positive Wirkung zwangsläufig ein.
batte. Schwerpunkte, Tendenzen, DefiZite, in: Jahrbuch der europäischen Integration 1985; hrsg. von Wemer Weidenfeld, Wolfgang Wessels. Bonn 1986, S. 29- 48. 24 Schneider, Heinrich: Methoden der Europapolitik, Bd. 1, Köln 1977; vgl. auch Frei; Hrbek, Die EG ein Konkordanz-System. 25 Schon zu Beginn des Einigun~prozesses verfolgten die europäischen Bewegungen den föderalistischen Ansatz. Als Vertreter sind zu nennen: Altiero Spinelli, Henri Brugmans, Guy Heraud; siehe auch Kinsky, Ferdinand Graf: Föderalismus als Ordnun~modeU für Europa, in: Föderalismus und Regionalismus in europäischer Perspektive; hrsg. von Stefan Huber, Peter Pemthaler. Wien 1988, S. 2S - 31. 26 Dieser Ansatz kommt aus der Richtung des Behaviorismus, beschrieben bei Hrbek, Die EG ein Konkordanz-System, S. 91; vgl. Kar! W. Deutsch: Analyse internationaler Beziehungen. Frankfurt 1971, bes. Kap. 18, S. 272- 289.
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B. Föderalismus als Ordnungsmodell
2.3 Der funktionalistische Ansatz Eine wichtige Integrationstheorie internationaler Systeme lieferte David Mitrany mit seiner funktionalistischen Theorie, die er als Beitrag zur Friedenserhaltung verstanden wissen wollteP Eine funktionale Gesamtordnung ergäbe sich nur dann, wenn sich die funktionale Integration in Arbeitsbereichen sozialer und wirtschaftlicher Art - sie werden zunächst als vorpolitische Bereiche bezeichnet - abspielte, um dann in einer weiteren Stufe in die politischen ·Bereiche vorzustoßen. Der Erfolg der Tätigkeit einer Organisation in einem Sektor wäre somit Modell für die Entwicklung in anderen Bereichen. Die Vorstellung, daß die funktionale Integration einer überwölbenden politischen Autorität bedarf, führte schließlich zur Idee partieller Souveränitätsübertragung auf internationale Behörden. Das Konzept wurde in den 50er Jahren durch die Montan-Union aktuell, jedoch mit einer ihr wesensfremden regionalistischen Zielsetzung verbunden.28 2.4 Der neo-funktionalistische Ansatz Gegenstand des neo-funktionalistischen Ansatzes, wie er unter anderem von Ernest B. Haas, Joseph S. Nye und Stein Rokkan formuliert wurde, ist die Annahme mehrerer Einflußfaktoren, die in zwei Variablenbündeln-als Hintergrund- und Prozeßvariablen - zusammengefaßt werden.29 Von der föderalistischen Theorie unterscheidet sich dieser Ansatz darin, daß er die politischen Auswirkungen ökonomischer Ursachen untersucht. Gegenüber dem Funktionalismus versucht er die Trennung zwischen Ökonomie und Politik zu verringern. Der Neofunktionalismus sieht den Übergang politischer Autorität vom Staat auf eine internationale Ebene voraus. Die Form 27 Vgl. auch Schwan, Europa fOderieren - aber wie, S. 417 - 422; Mitrany, David: The Functional Theory of Politics. London 1975; Ders.: A Working Peace System. An Argument for the Functional Development of the International Organization. London 1943; Ders.: The Functional A,Pproach to World Organization, in: International Affairs 24 (1949), S. 350 - 360; vgl. auch Fre1, S. 122 ff. 28 Dazu Kritik von SchW8IZ, Buropa föderieren - aber wie, S. 421; Frei, Integrationsprozesse - Theoretische Erkenntnisse und praktische Folgerungen, S. 122 ff bemerkt, daß der Ansatz von vomherein politisiert war. 29 Nye, Joseph S.: Mechanismen und Voraussetzungen regionaler Wirtschaftsintegration, in: Theorien der Internationalen Politik, S. 195 - 209; Rokkan, Stein: Die vergleichende Analyse der Staaten- oder Nationenbildung, in: Theorien des sozialen Wandels; hrsg. von Wolfgang Zapf. Köln 1969, S. 471 - 483; Haas, Ernest B.: The Study of Regional Integration. Reflexions on the Joy and Anguish of Pretheorizing, in: Lindberg/Scheingold, S. 607 - 646; vgl. exemplarisch dazu Haas, Ernest B.: The Uniting of Europe. StaDCord 1958.
I. Theorie und Methoden der Integration
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der entstehenden politischen Organisation wird jedoch nicht näher definiert. Für die Vertreter beinhaltet Integration daher den Prozeß, nicht den Endzustand. Die Neo-Funktionalisten gehen von einem Automatismus in der Entwicklung von der wirtschaftlichen zur politischen Einheit aus, der im Effekt des spil/-over ausgedrückt wird. Die Sachlogik der wirtschaftlichen Interdependenz würde ein neues Gleichgewicht erzwingen und dazu führen, daß es nach dem Beginn der Integration in einem zu ähnlichen Entwicklungen in anderen Sektoren käme. Der Politisierungsgrad nähme in dem Maße zu, wie die Entstehung zentraler Institutionen Rückwirkungen auf Erwartungen und Einstellungen der Akteure hätte. Voraussetzung der Wirksamkeit des spi/1-over-Effekts wäre die Erkenntnis der politischen Elite und großer Teile der Bevölkerung, daß nur in einer kontinuierlichen Stärkung der supranationalen Organisation die Voraussetzung für ein Fortschreiten des Integrationsprozesses gegeben sei. Die Verbindung zu Deutsch zeigt sich, daß auch hier von einer langwierigen Überzeugungsarbeit ausgegangen wird.30 Die Intensivierung von Problemen kann nach Ansicht von Nye auch einen spill-back-Effekt auslösen.31 Er spricht daher von der Notwendigkeit eines cultivated spill-over, die Lösung gemeinsamer Probleme sollte nicht auf die technische Zusammenarbeit beschränkt bleiben, sondern unter politischen oder ideologischen Vorstellungen erfolgen.
3. Föderalismustheorien Föderalismus als Strukturprinzip eines vereinten Europas, dessen Verwirklichung sich nicht nur auf eine Anpassung der Institutionen beschränken soll, wird häufig umschrieben als Prozeß spezifischer Koalitionsformen und Problemverarbeitungsstrategien.32 Landespolitiker sind aktiv, wenn es darum geht, Föderalismus als Heilmittel für die europa- und deutschlandpolitischen Probleme herauszustel-
30 In gewisser Weise wurde es von Deutsch verwirklicht in seinem soziokausalen Integrationsmodell. Deutsch versucht, die Vielfalt und theoretischen Ansätze zur Erklärung des Integrationsgeschehens zusammenzufassen; vgl. Frei, S. 125 f, Anm. 11. 31 Dies wäre der Fall, wenn statt der europäischen die nationale Ebene aktiviert würde, Nye, S. 196. 32 Siehe Benz, Arthur: Föderalismus als dynamisches Prinzip. Zentralisierung und Dezentralisierung im föderativen Staat. Opladen 1985.
B. Föderalismus als Ordnunglimodeli
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len.33•34 Häufig wird auf die Parallelität mit der Situation von 1949 hingewiesen.35 Wie damals, so argumentieren sie auch heute, daß nur ein freiheitliches und föderales Europa den Erhalt kultureller Eigenarten garantiere, gesellschaftliche Vielfalt ermögliche sowie Ausdruck der richtigen Kombination von notwendiger Vereinheitlichung und möglicher Dezentralisierung sei. 3.1 Föderalismus als dynamisches Prinzip Entwürfe der 80er Jahre zur Umgestaltung der Gemeinschaft in ein präföderales Gebilde konnten keine entsprechende Wirksamkeit erlangen.36 Zunehmend in den Mittelpunkt rückte dagegen eine neue Sicht des Föderalismus- als Ausdruck der Wechselseitigkeit von Deregulierung und Zentralisierung politischen Handelns.37 Unter der Annahme von Föderalismus als wandlungs- und anpassungsfähiger Struktur wurden eine Vielzahl von Dezentralisierungs- und Regionalisierungstendenzen m Hinblick auf unmittelbare Politik33 Vgl. Regierungserklärung Ministerpräsident Streibl zur Europapolitik, in: Maximilianeum Jg. 1, Nr. 5, Juni 1989, S. 1 f: "Mit der Waffe des Föderalismus gegen den Rasenmäher der EG-Bürokratie". Darin fordert Streibl eine Ergänzung der Römischen Verträge oder eine Europäische Verfassung, um den föderativen Aufbau der Europäischen Union zu sichern, in der d1e Zuständigkeiten nach dem Subsidiaritätsprinzip verteilt werden müssen; vgl. auch Regierungserklärung Ministerpräsident Lotbar Späth am 9.6.1988 vor dem Landtag von BadenWürttemberg, hrsg. vom Staatsministerium Baden-Württemberg Stuttgart 1988, S. 7- 66 (27-
33).
34 Vgl. BR 609. Sitzung v. 16.2.1990; vgl. auch FAZ v. 10.2.1990 "Die EG bereitet sich auf die deutsche Einheit vor"; FAZ v. 17.2.1990; die Einigung Deutschlands über Art. 23 GG, durch den Beitritt der Länder, wird auch von Stoiber thematisiert, BLD 48 v. 9.2.1990 und BLD 51 v. 16.2.1990; zur Verbindung Res.ionalpolitik und deutsche Einheit, Stremme!, Jörg, Wolfgang Wedderkopf: EG-Regionalpolit1k und Deutsche Einheit, in: ZRP 23 (1990), S. 369373.
35 Vgl. auch SZ v. 12.2.1990 "Ministerpräsidenten werden beteiligt", daß hinter dem Vorstoß der Länder der Wille stehe, "ähnlich wie 1949 und in der Präambel des GG hervorgehoben, die künftige staatliebe Ordnung Deutschlands mitbestimmen zu können"; vgl. auch zur Leistung des föderativen Prinzips: "Die föderalistischen und demokratischen Grundlagen eines Vereinten Europas", Vortrag von J. Linthorst Homan, Koblenz 22.4.1965, in: BayHStA Bevoll. Bayerns beim Bund 1058: "Die Hervorhebung kleinerer Dimensionen des Föderalismus findet seinen Wert in der Wechselwirkung zwischen dem Kleineren und dem Größeren, denn der Föderalismus zieht die Linie von unten nach oben, koordinierend und harmonisierend gegen den Prozeß des Zentralismus, wo dieser rein subordinierend wirkt. • 36 Drei Entschließungen des Europäischen Parlaments und der Vertragsentwurf zur Europäischen Union, ABI. C234, 48 v. 14.9.1981; C238, 25 v. 14.9.1982 und Cl.77, 93 v. 17.10.1983. ABI. cn, 32 v. 19.3.1984; vgl. auch die in die Arbeit des Institutionellen Ausschusses eingegangenen EntschließungliSDträge, Dok. 1 - 347/79 (van Aerssen), Dok. 1 - 940/81 rev. ll (Jonker), Dok. 1 - 302/82 (Nord) und Dok. 1 - 653/83 sowie dazugehöriges Addendum (Luster/Pfennig); vgl. auch Ipsen, Hans Peter: Utopisches im Parlaments-Entwurf einer Europäischen Union, in: Einigkeit und Recht und Freiheit, Bd. 1, S. 155 - 167. 37 Siehe Benz, Föderalismus als dynamisches System.
I. Theorie und Methoden der Integration
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formulierung und Politikgestaltung untersucht: bürgernahe Verwaltung, kommunalisierte Problemlösungsformen und Regionalisierung.38 Wenn daher allenthalben ein föderativer Aufbau Europas gefordert wird, so ist zu überlegen, inwieweit die vorhandenen Entscheidungsstrukturen Innovationsprozesse fördern oder behindern und in welcher Weise das System selbst sich anzupassen in der Lage ist. Für die Beschreibung eines so verstandenen Föderalismus kann der Hinweis auf die rechtswissenschaftliche und ökonomische Theorie sowie die gebräuchliche Verwendung im sozialwissenschaftliehen Bereich nicht genügen~39 Deshalb wird in neueren Untersuchungen auf den in den USA bereits sehr lange gebräuchlichen Ausdruck new federa/ism 40 im Rahmen einer Theorie der intergovemmenta/ re/ations zurückgegriffen.41 Die Erweiterung des Begriffs ist die Folge von Entwicklungen im politischen Systems der USA, dem es nicht gelang, die Vielfalt der politischen, sozialen und wirtschaftlichen Strukturen als politische Faktoren auszuschalten. Als Folge ergaben sich Probleme bei der Steuerung. Der new federa/ism beschäftigt sich vor allem mit Strukturverschiebungen und Entwicklungsprozessen innerhalb der bundesstaatliehen Ordnung, die eine Verflechtung der verschiedenen Ebenen der Staatsgewalt verursachen. Möglichkeiten zu größerer EffiZienz sieht man in der weitreichenden Aufgabenerledigung durch die untere Ebene.42 Zentralisierungs- und Dezentralisierungsprozesse zwängen das föderative System wechselseitig zur An-
Ebd., s. 1, 4. 39 Auf diese DefiZite weist Joachim Jens Hesse im VoJWOrt zum Werk von Benz hin, vgl. Hesse, Joachim Jens, VoJWOrt zu Benz, Föderalismus. 38
40 Vgl. dazu Reagen, Michael, John G. Sanzone: The New Federalism. 2. Aufl. New York, Oxford 1981; vgl. auch den Sammelband Administering the New Federalism; ed. by Lewis G. Bender, James A. Stever. Boulder, London 1986; Wetz, Wolfgang: Präsidentielles Regierungssystem und bundesstaatlishe Ordnung. Zur Reorganisation und Politisierung des föderativen Systems in der Reagan Ara. In: APuZ 844/88, S. 3- 14 (14). Präsident Richard M. Nixon (1%9 - 1974) versuchte mit dem Konzept des new federalism die Redezentralisierung von Auf~ben und Zuständigkeiten durchzusetzen; unter Carter (1977 - 1980) kam es nicht zu einer Anderung des föderativen Systems, während die Präsidentschaft Reagans allgemein in Zusammenhang mit diesem Konzept gebracht wird, vgl. dazu Hesse, Joachim Jens, Artbur Benz: "New Federalism" unter Präsident Reagan. Speyer 1987. 41 Vgl. Benz, Föderalismus, S. 22 ff zur Übertragbarkeit des Begriffs. 42 Vgl. die Forschungen von Hesse, Joachim Jens: The Federal Republic of Germarry. From Co-operative Federalism to Joint Policy-Making, in: West European Politics 10 (1987), S. 70 - 87. Erneuerung der Politk "von unten". Stadtpolitik und kommunale Selbstverwaltung im Umbruch; hrsg. von JJ. Hesse. Opladen 1986.
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B. Föderalismus als Ordnunpmodell
passung43 und leisteten somit einen entscheidenden Beitrag zur Problemlösungsfähigkeit des Systems. Es stellt sich die Frage, ob diese Phänomene auch auf der europäischen Bühne zu beobachten sind, ob sich trotz intensiver Bemühungen um Zentralisierung und Harmonisierung die Forderungen nach Erhalt politischer Individualität und Vielfältigkeit der Einzelstaaten in diesem Konzept bündeln lassen. 3.2 Der Ansatz des Österreichischen Instituts für Föderalismusforschung
Nach dem Konzept von Peter Pernthaler gibt es angesichts der Fülle der Erscheinungsformen von Föderalismus keinen überzeugenden, allgemein anwendbaren Begriff.44 Föderalismus wird von ihm als staatsrechtlicher Oberbegriff zum Gegensatzpaar Regionalismus und Bundesstaat verwendet,45 wobei Bundesstaat als die wichtigste und höchstentwickelte staatsrechtliche Konkretisierung des politischen Begriffs Föderalismus verstanden wird, Regionalismus hingegen als der engere Begriff, der auf den Ausbau von Regionalautonomie hinzielt. Die Differenz zwischen Bundesstaat und Regionalismus ergebe sich danach aus der konstitutionellen Selbstbestimmung des Bundesstaats,46 während beim Regionalismus am Prinzip der einheitlichen nationalen Souveränität festgehalten werde. In der Praxis könne sich die Zuständigkeit der Regionen jedoch an die der Gliedstaaten annähern. Als Zukunftsperspektive wird eine Kombination aus Bundesstaat und Regionalismus angegeben. Voraussetzung hierfür wäre nach Ansicht Pernthalers die Entwicklung neuer Verfahrenstechniken und institutioneller Einrichtungen.
43 So Benz, Föderalismus, S. 255. 44 Pemthaler, Peter: Föderalismus als moderner Weg interregionaler Aufgabenteilung, in: Von der freien Gemeinde zum föderativen Europa, S. 505- 518; Föderalismus als Mittel permanenter Konfliktregelung; hrsg. v. Fried Esterbauer, Guy Heraud, Peter Pemthaler. Wien 1977; vgl: z~r ~istorischen Entwicklung der Begriffsbildung, Rüdiger Gömer "Eine Quelle des Fortschntts , m: Dt. Allg. Sonntapblatt v. 13.10.1989.
45 So Pemthaler, Peter: Föderalismus und Regionalismus. Ein Ansatz zur Überwindung ihrer Gegensätze, in: Föderalismus und Regionalismus in europäischer Perspektive, S. 13 - 22 (14 ff); er betont, daß Bundesstaat "sicher die höchst entwickelte, aber dann nur eine Form ist"; zur Verbindung Föderalismus und Bundesstaat, Frenkel, Max: Föderalismus und Bundesstaat 2 Bde. Bem, FrankfurtjM., New York 1988, Bd. 1, S. 42. 46 Dazu Laufer, Heinz: Föderalismus. In: Handlexikon zur Politikwissenschaft; hrsg. von Wolfgang W. Mickel in Verbindung mit Dietrich Zitzlaff. Bonn 1986, S. 145- 150, bes. S. 146; vgl. auch Vitzthum, S. 54; ergänzend Pemthaler, Peter: Allgemeine Staatslehre und Verfassunplehre. Wien 1986.
I. Theorie und Methoden der Integration
45
3.3 Regionalisierung des europäischen Raums als Schrittmacher des Föderalismus in Europa Die regionalistischen Entwicklungen in weiten Teilen Europas und der Sowjetunion wirken sich auf die Beschäftigung mit dem Regionalismus aus.47 Nicht immer beinhalten sie die politische Forderung nach Autonomie, gemeinsam kämpfen sie jedoch für ein gewisses Maß an Dezentralisierung.48 Die Frage, warum bislang keine weitere regionale Zersplitterung in Westeuropa stattgefunden hat, wird häufig unter Rückgriff auf integrationstheoretische Feststellungen beantwortet. Als systemstabilisierende Faktoren werden unter anderem das demokratische repräsentative Regierungssystem und seine Auswirkungen auf die Stellung des Individuums genannt, daneben der Maßstab des Mehrheitsentscheids sowie ökonomische Gesichtspunkte unter Bezugnahme auf die Stabilität des Systemganzen.49 Angesichts dieses Befunds wirkt jede Bezugnahme auf das Kleine und Überschaubare, das sich auszeichnet durch eine größtmögliche Übereinstimmung an Sprache sowie ethischen und kulturellen Bindungen, als systembelastend. Und dennoch lassen sich die Erscheinungen, wie sieangesichtsder kulturellen Vielfalt Europas parallel zur Vergemeinschaftung auftraten, nicht vernachlässigen, so daß die Annahme naheliegt, die aktuellen regionalistischen Bewegungen als Antwort auf die Herausforderungen zivilisatorischer Modernisierungsprozesse gegen einen kulturellen Identitätsverlust zu verstehen.50
Regionalismus als eine Bewegung, die sich gegen die Vereinheitlichungstendenzen in kultureller und ethnischer Sicht durch ein vereintes Europa sperrt, bedarf daher, wenn der Forderung nach Dezentralisierung entsprochen werden soll, praktischer Formen der Zusammenarbeit zwischen den kleinen regionalen Einheiten. Dafür sind keine neuen
47 Sharpe, LJ.: Fragmentalion and Territoriality in the European State System, in: International Political Science Review 10 (1989) S. 223 - 238 (232) stellt fest, daß schon lange regionalistische Tendenzen die allerdings durch Gewalt niedergehalten wurden, vorhanden seien.
48 Vgl. Föderalismus und Supranationalität, in: Der Staatsbürger Nr. 1, Jan. 1986, S. 1- 6
(3 f).
49
So Sharpe, S. 233. 50 So v.a. Lübbe, Hermann: Die große und die kleine Welt. Regionalismus als europäische Bewegung, in: Die Identität, S. 191 - 205 (197).
B. Föderalismus als Ordnungsmodell
46
Konzepte nötig, man kann sich vielmehr auf bewährte Formen berufen.51 Damit würde auch der Forderung nach mehr Nähe, nach einer effektiveren Entscheidungstindung und der grundsätzlichen Überzeugung über das Entwicklungspotential kleinerer Ebenen entsprochen. Noch stößt die Idee des Regionalismus auf Grenzen innerhalb der Nationalstaaten,52 doch ihre Befürworter nehmen, vor allem aufgrund wirtschaftlicher Überlegungen, zu.53 Das Problem, das sich für unsere Fragestellung ergibt, besteht in der Unsicherheit darüber, ob die deutschen Länder unter die Kategorie der Regionen gezählt werden können, zumal sie bis auf Bayern und die Hansestädte künstliche Schöpfungen sind. Es ist daneben zu überlegen, ob nicht unter dem Gesichtspunkt der sozialen Mobilität länderspezifische Identität überhaupt zu vernachlässigen sei.54 3.4 Begriff und Wesen des Regionalismus Von Politikern und Eurokraten wird immer wieder die Bedeutung der Regionen betont und in Zusammenhang mit dem Subsidiaritätsprinzip gebracht. Doch für die Europäische Gemeinschaft sind die Regionen nach wie vor staatsrechtliches Niemandsland. Obschon sich diese dagegen durch Vereinigung zu wehren suchen, geht der Trend im Augenblick in die Gegenrichtung. In immer mehr Politikbereichen reglementiert die Europäische Gemeinschaft. Je nach Kontext des in Bezug gesetzten Gesamtsystems werden Region und Regionalismus einerseits innerstaatlich als Begriffe einer politischen, institutionellen oder administrativen Gliederung des staatlichen Ganzen verwendet, andererseits tauchen sie unter der Bezeichnung Interregionaler Regionalismus als territoriale Gliederungskategorie für die globale Staatengemeinschaft auf. Dabei stehen beide für politische Prozesse und daraus entstehende Gebilde, an denen mehrere, durch gleich oder ähnlich gelagerte
51
Sharpe, S. 236. 52 Föderalismus und Supranationalität, S. 3. 53 Voigt, Rüdiger: Europäischer Regionalismus und föderalistische Staatsstruktur, in: APuZ B3f89, S. 19- 29 (24 f, 27ft). 54 Vgl. dazu Mayntz, Föderalismus, bes. S. 26 f; siehe auch Engel, S. 10 zu den Versuchen einer Kategorisierung.
I. Theorie und Methoden der Integration
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Interessen miteinander verbundene Staaten eines bestimmten geographischen Großraumes in ihrer nationalen Gesamtheit teilnehmen.55
Region steht entsprechend seiner etymologischen Wurzel im lateinischen regio für Gegend oder Gebiet und wird als räumliche Teileinheit eines globalen Systems, eines Kontinents, eines Staates oder auch einer kleineren Einheit verstanden.
Regionalismus kann als "politische Bewegung zur Erringung oder den
Ausbau von Regionalautonomie ... eine hochentwickelte Form der territorialen Selbstregierung und Selbstverwaltung in Zentralstaaten" definiert werden.56 Der Begriff bezeichnet damit eine besondere gebietsbezogene und gebietsgebundene Art der Strukturierung eines räumlichen Ganzen, die entweder aufgrund historischer, ethnischer, kultureller oder geographischer Bedingungen vorgegeben ist oder aber anband statistisch ausgewählter Merkmale als Bezugsrahmen sachspezifischer Analyse für bestimmte Problemstellungen vorgenommen wird. Als Ursachen des politischen Regionalismus werden folgende Merkmale genannt:57
Der ökonomische Erklärungsansatz: Dieser läßt sich für Regionen wie Nordirland, den Westen und Südwesten Frankreichs, die Iberische Halbinsel, Schottland und Wales verwenden. Der kulturelle Vertrautheitsschwund: Regionalismus wird dabei als eine Art Gegenbewegung zur nachindustriellen Zivilisation mit der Folge der Herauslösung und Aktivierung der Person aus traditionellen Bindungen gekennzeichnet. Der Wunsch nach Partizipation: Darin artikuliert sich eine Form von Gesellschaftskritik, welche die Anonymität und Unüberschaubarkeit politischer Entscheidungsprozesse im bürokratisierten Staat thematisiert und nach alternativen Ordnungsformen sucht.
55 Lang, W.: Regionalismus in Europa. München 1979, S. 253; vgl. auch Thalmann, Jörg: Regionen: Staatsrechtliches Niemandsland für die EG, in: EGmagazin Nr. 5 (1990), S. 20 f. 56 Pemthaler, Föderalismus und Regionalismus, in: Föderalismus und Regionalismus, S. 13. 57 Vgl. Voß, Dirk-Hermann: Regionen und Regionalismus im Recht der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft. Frankfurt a. Main 1989, S. 32 ff.
48
B. Föderalismus als Ordnungsmodell
Die veränderten Rahmenbedingungen des nationalstaatliehen Systems: Dabei wird der Verlust der Rolle des Nationalstaats als Identitätsträger im Zuge supranationaler Integration beklagt. 3.5 Regionalismus und Föderalismus "Föderalismus bedeutet die Institutionalisierung von Spannungen in einer Synthese..., die - im Gegensatz zur Maneschen Dialektik - die Gegensätze nicht aufhebt, sondern sie im ständigen Dialog einer offenen Dialektik einordnet."58 Diese offene Dialektik wird häufig als Integraler Föderalismus bezeichnet, der danach strebe, den Menschen als Einzelwesen und als Gruppenwesen, als Individuum und als konstitutives Teilelement der Gesellschaft zum Ausgangspunkt für interföderales Denken und Handeln zu nehmen.59 Von dieser elementaren Ebene ausgehend, so wird vermutet, könne sich eine föderalistische politische Ordnung gestalten. Als wichtigste Forderung taucht die nach autonomer Selbstverwaltung auf. "Europa und Regionalismus erscheinen in dieser Perspektive nicht als Alternative, sondern als komplementäre Zielsetzungen."60 Die Regionalisten fordern mehr politische Autonomie, die auf einer gewissen fmanziellen und wirtschaftlichen Selbständigkeit beruht, und die Föderalisten suchen im Prinzip des Föderalismus nach einer Lösung der wachsenden Spannung zwischen Zentralstaat und den sich selbstbewußt gebenden Regionen. Regionalismus wird somit zum Prinzip der Umgestaltung des verfassungsrechtlichen Rahmens mit dem Ziel der Aufhebung unitarischer Tendenzen zugunsten von Föderalisierung. Als Funktionen des Regionalismus werden genannt: Verkleinerung und Vervielfältigung. Adäquanz und Akzeptanz politischer Entscheidungen. Transparenz, Partizipation und Verantwortlichkeit.
58 Weber, Kar!: Föderalismus als Instrument demokratischer Konfliktregelung, in: Föderalismus als Mittel permanenter Konßiktregelung, S. 65. 59 Lutz, Roemheld: Integraler Föderalismus. München 1978, S. 61. 60 Kinsky, Ferdinand: Föderalismus als Ordnungsmodell für Europa, in: Föderalismus und Regionalismus, S. 29.
D. Die Länder und die europäische Integration
49
Vertikale Gewaltenteilung. Konfliktlösung durch Abgrenzung. Entlastung, Effizienzsteigerung und Ausgleich von Disparitäten. Homogenisierung und Integration des politischen Gesamtsystems. Die Forderung der Regionen, als Strukturelemente einer europäischen Verfassungsordnung zu Gehör zu kommen, kann nicht die Probleme, die damit verbunden wären, verleugnen. In einem derartigen Fall wäre die Unterschiedlichkeit der betroffenen Gebiete in die Überlegungen ebenso miteinzubeziehen wie das Fehlen einer dritten obligatorischen Zustimmungsinstanz. Auf diesen Problemkreis wird an anderer Stelle noch eingegangen.61 Im folgenden Kapitel wird nachvollzogen, wie weit sich die Auflagen der Siegermächte mit bereits vorhandenen regionalistischen und föderalistischen Tendenzen trafen. Weiterhin ist zu untersuchen, ob diese Nachkriegskonzeption für Deutschland als vorbildhart für den Aufbau Europas betrachtet wurde. Dabei soll der integrationstheoretische Hintergrund im Auge behalten werden, um die Integrationskonzepte einordnen zu können. II. Das W"U"ken der Länder ftir einen Bundesstaat Deutschland und ihr Einsatz ftir die europäische Integration Nach dem Sieg über Deutschland wurde die Frage virulent, wie die Organisationsstruktur des zukünftigen Staates aussehen sollte. Die Besatzungsmächte, die durchaus unterschiedliche Vorstellungen über eine föderative Ordnung vertraten, sahen sich bald mit Konzeptionen über die politische Grundstruktur in der deutschen Öffentlichkeit konfrontiert. Sie erkannten, daß allein durch politische Befehle an die Deutschen ein rascher Wiederaufbau nicht zu bewerkstelligen sei und wandten sich daher in zunehmendem Maße der Kooperation mit den deutschen Stellen zu.
61 Siebe dazu E.,IV. 4 Fuhnnann-MittJmeier
50
B. Föderalismus als Ordnungsmodell
1. Die Entscheidungfür den Föderalismus als staatsrechtliche Organisationsform eines zukünftigen Deutschlands
Der Sieg über Deutschland und damit das Ende des Zweiten Weltkriegs legte zunächst eine Zusammenarbeit der Alliierten zur Neugestaltung Europas nahe. Doch machten die verschiedenartigen Vorstellungen über die zukünftige Gestalt der europäischen Staatenvielfalt die Unterschiede deutlich. Der Versuch ko-imperialer He"schaft mißlang und der Konflikt zwischen den Weltmächten war die Folge.62 Die sich neu konstituierenden Parteien in den ehemals besetzten Teilen Europas hatten bereits in ihren ersten Programmen ausdrücklich das Ziel einer europäischen Föderation proklamiert.63 Ebenso stark war die Initiative von Privatpersonen, die sich im Widerstand oder Exil Gedanken über eine künftige Organisation Europas gemacht hatten.64 Zunächst ist darzulegen, welche Zielsetzungen die Alliierten mit ihrer Europa- und Deutschlandpolitk verfolgten, um dann der Frage nachzugehen, ob bereits während der Besatzungszeit die europäische Dimension das Handeln der politischen Repräsentanten beeinflußte. Einige grundsätzliche Überlegungen, betreffend der Situation der deutschen Länder, sind der Untersuchung voranzustellen: Zwar überdauerten die alten Länder ihren ursprünglichen Zustand, aber schon 1945, vor Annahme der ersten Landesverfassungen, wurden neue Länder gebildet.65 Die Länder hatten in den drei bis vier Jahren ohne institutionalisierte Gesamtregierung Gelegenheit, ihre Eigenständigkeil auszubauen und nach einer Perspektive für ihre zukünftige Rolle nach Konstituierung einer Regierungsgewalt zu suchen.
62 Lipgens, 45 Jahre, S. 29. 63 Darüber näher Stillemunkes, Christoph: The Discussion on European Union in the German Occupation Zones, in: Documents on the History of European Integration; ed. by Walter Lipgens, Wilfried Loth, vol. 3. Berlin, New York 1988, S. 441-565 (S 444; bes. Anm. 12 -15). 64 Dazu 45 Jahre, S. 25 - 28 und Forschungsbericht. Geschichte in Dokumenten, in: Integration 9 (1987), S. 128- 134 (129, 134). 65 Vgl. dazu Stolleis, Michael: Besatzungsherrschaft und Wiederaufbau 1945 - 1949, in: Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland; hrsg. von Josef lsensee und Paul Kirchhof, Bd. 1. Heidelberg 1987, § 5, S. 196- 211.
II. Die Länder und die europäische Integration
51
Der Einsatz der Regierungschefs der Länder für den raschen demokratischen Wiederaufbau Deutschlands ist hervorzuheben. Ihr verantwartungsvolles Handeln war Basis für das Vertrauen der Alliierten in das zukünftige Deutschland. Es liegt daher nahe, anzunehmen, daß auch eine Reihe von landesspezifiSchen Verfahrensregelungen in die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland eingingen. Mit der Entscheidung von Rüdesheim im Juli 1948 hatten die Ministerpräsidenten zwar in den Augen der Parteiführer und der Alliierten den Höhepunkt ihres Einflusses erreicht,66 doch war zu erwarten, daß sie auch nach Inkrafttreten des Grundgesetzes weiter um den Ausbau ihrer Positionen kämpfen würden - als Hebel bot sich der Ausbau der föderativen Grundstruktur an. Es ist zu überlegen, ob die Entscheidungsträger in dem europäischen Gedanken die Möglichkeit für einen erweiterten Gestaltungsspielraum erkannten, weil sie die Abkehr von der Vergangenheit nicht in einem nationalen Rahmen erschöpft sahen. Fand dabei die Vorstellung, dem künftigen deutschen Staat eine wichtige Rolle beim Aufbau des vereinten Europas zuzuweisen, lediglich als Reaktion auf entsprechende Einwirkungen durch die Alliierten Verbreitung? Als Untersuchungsgesichtspunkte bieten sich an: Die Erwartungen der Alliierten bezüglich einer Neuordnung Deutschlands und der Rolle Deutschlands in einem vereinten Europa. Die Tradition regionalistischer und separatistischer Bewegungen m einzelnen Teilen des ehemaligen Deutschen Reichs. Die Durchsetzung des Föderalismus als Strukturprinzip eines zukünftigen Deutschlands und Europas. Die Koalition der süd- und südwestdeutschen Ministerpräsidenten bei Fragen des Aufbaus Deutschlands und Europas. Das Engagement für den Europagedanken.
66 Vgl. Vogelsang, Thilo: Koblenz, Berlin und Rüdesheim. Die Option für den westdeutschen Staat im Juli 1948, in. Festschrift f. Hermann Heimpel z. 70. Geburtstag, Bd. 1. Göttingen 1971, S. 161-179.
52
B. Föderalismus als Ordnungsmodell
1.1 Die Besatzungspolitik der Alliierten Infolge der Kapitulation und der vollständigen Besetzung Deutschlands haben die Alliierten in der Viermächte-Erklärung vom 5.6.194SJ7 die oberste Regierungsgewalt in Deutschland übernommen. An die Stelle der nicht mehr vorhandenen deutschen Staatsgewalt trat der Alliierte Kontrollrat.68 Nach dem Willen der Alliierten sollte Deutschland zunächst keine aktive politische Rolle spielen; in ihren Überlegungen war jedoch der wirtschaftliche Beitrag eines stabilen und produktiven Deutschlands Garantie für den raschen wirtschaftlichen Aufschwung Europas. Damit wurde Pläne aufgegriffen, die bereits im Widerstand vorhanden waren und den Vorstellungen deutscher Politiker und ihres Bewußtseins des eigenen Traditionszusammenhangs entsprachen.69 Ein rascher ökonomischer Aufschwung war demnach oberstes Ziel. Der amerikaDisehe General Clay, seit 1945 Stellvertreter des Oberbefehlshabers 67 "Erklärung in Anbetracht der Niederlage Deutschlands und der Übernahme der obersten RegierunJl.Sgewalt", Text der Erklärung und der begleitenden Feststellungen, in: Deuerlein, Ernst: Dte Einheit Deutschlands. Berlin 1961; die Diskussion, ob Deutschland auch als Staat unterging, ist vielfältig, BVerfGE 6, ·23, 367 ff stellte den Fortbestand fest; vgl. auch Feuchte, Paul: Verfassungsgeschichte von Baden-Württemberg. Stuttgart 1983, S. 17 über ein Rechtsgutachten des Obersten Finanzgerichtshofs München 27.2.1946, daß das Reich de jure noch bestehe; über die Problematik auch Diestelkamp, Bernhard: Die Verfassungsentwicklung in der Westzone, in: NJW 42 (1989), 1312 - 1318 (1312); vgl. auch Schmoller, Gustav von, Hedwig Maier, Achim Tobler: Handbuch des Besatzungsrechts, Tübingen 1957, Bd. 1, § 3- 7; vgl. auch Waitz von &eben, Friedrich Frhr.: Die Rechtslage Deutschlands in der heutigen Sicht des Bundesverfassungsgerichts, in: BayVBI. 120 (1989), S. 327 - 330. 68 Proklamation Nr. 1 v. 30.8.1945, abgedr. in: Sammlung der vom Alliierten Kontrollrat und der amerikanischen Militärregierung erlassenen Proklamationen, Gesetze, Verordnun~n, Befehle, Direktiven; hrsg. von Hemken, R Stuttgart 1946ff; Qay war skeptisch bezügbch der Schaffung gemeinsamer Verwaltung.sorgane, From Clay to War Department 24. 9. 1945: "However, if such central administrative machinery is not established promptly we will have to establish overall German administrative machinery for the United States.• zit. nach The Papers of General Lucius D. Qay. Germany 1945 - 1949; ed. by J.E. Smith, 2 vol. Bloomington, London 1974, vol. 1, S. 84f; über den Alliierten Kontrollrat, Kraus, Elisabeth: Ministerien für das ganze Deutschland? München 1990. 69 Auf die kompetente Zusammenstellung der Exilschriften bei Walter Upgens ist zu verweisen, Documents on the History of European Integration; ed. by Walter Up~ens, vol. 1. Berlin, New Y ork 1984; zu den Ideen des Kreisauer Kreises über die ökonomtsehe Rolle Deutschlands in der Nachkriegsentwicklung besonders, Helmuth James Graf von Moltke: Initial Situations, Arms and Tasks v. 24.4.1941, in: Documents on the History, Nr. 118, S. 381 388, besonders 384 f; vgl. auch Moltke, Helmuth James Graf von: Briefe an Freya 1939-1945; hrsg. von Beate Ruhm v. Oppen. München 1988; vgl. auch Einleitung v. Beate Ruhm v. Oppen, in: Moltke, Briefe an Freya, S. 7 - 55; Gimbel, Jobn: Amerikanische Besatzungspolitik und deutsche Tradition, in: Westdeutschland 1945 - 1955; hrsg. von Ludolf Herbst. München 1986, S. 147- 150, betont ebenfalls die Bedeutung der deutschen Tradition, um damit die Bedeutung der amerikanischen Besatzungspolitik unter Hinweis auf bereits vorhandene Vorstellungen, z.B. über die Stärkung der Länderkompetenzen, zu relativieren; seiner Annahme unterliegt die These einer deutschen Kultumation; zur Tradition der Kulturnation auch Ehard Hans: Die europäische Lage und der deutsche Föderalismus. München 1948 und De Bruyn, in: FAZ v. 3.2.1990 "So viele Länder und Ströme und Sitten•.
ll. Die Länder und die europäische Integration
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der amerikanischen Streitkräfte und seit März 1947 selbst Oberbefehlshaber, drückte es folgendermaßen aus: "Of course, we have a long range problern in preventing the restoration of Germany's war potential. However, this is not the short range problern as several years will be required to develop even sustaining economy to provide a bare minimum standard of living."70 Für eine funktionsfähige Wirtschaft hatten nach Ansicht der USA deutsche Regierungsstellen Sorge zu tragen, deren Aufbau dem Grundsatz der Dezentralisierung und damit dem erhofften Grad an Demokratisierung gerecht werden sollten: "It is going to take all we can do to re-establish government services and a semblance of national economy for many months. This must be done if only to make it possible to govem Germany with comparatively small occupational forces."71 Auch die Briten fühlten Verantwortung für den wirtschaftlichen Wiederaufschwung Deutschlands, der jedoch eingebunden sein sollte in eine europäische Lösung.72 Einige Vertreter des französischen Wirtschaftsministeriums vertraten ebenfalls diese Ansicht und beurteilten die deutschen Ressourcen als vorteilhaft für den Wiederaufbau Europas.73 Frankreich gestattete sich aller-
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7 Clay to James F. Bymes, April 20, 1945, in: The Papers of General Lucius D. Qay, Germany 1945 - 1949, S. 5 f; zu der grundsätzlichen Entscheidung für den raschen Wirtschaftsaufschwung in Deutschland, aay, Lucius D.: Entscheidung in Deutschland. Frankfurt/Main 1950, S. 283, S. 483. 71 Clay an Mc Ooy 26.4.1945, Nr. 4, in: The papers, S. 7- 9 (8). 72 Koza, Ingeborg: Völkerversöhnung und europäisches Einigungsbemühen. Köln, Wien 1987, S. 52 - 85. Koza führt dies auf die Hilfsbereitschaft der britischen Kreise zurück; vgl. zu den Briten und der wirtschaftlichen Rolle der Deutschen auch Lipgens, Waller: Die Anfänge der europäischen Einigungspolitik 1945 - 1950, l.Teil 1945 - 1947. Stuttgart 19'n, S. 158; vgl. auch Milward, Alan S.: The reconstruction of Western Buropa 1945 - 1951. Berkeley, Los Angeles 1984, S. 126 mit dem Hinweis auf den britischen Wirtschaftswissenschaftler John M. Keynes, der die Prospc:rität Deutschlands als Maßstab für Gesamteuropa darstellt; zur britischen Besatzungspolitik, Lipgens, Walter: Buropa - Föderalismuspläne der Widerstandsbewcgun~ 1940 - 1945. München 1968, S. 409; Krieger, Wolfgang: General Lucius D. Qay und die amenkanische Deutschlandpolitik 1945 - 1949. Stuttgart 1987, S. 253; Abelshauser, Werner: Wiederaufbau vor dem Marshallplan. Westeuropas Wachstumschancen und die Wirtschaftsordnungspolitik in der zweiten Hälfte der vierziger Jahre, in: VZG 29 (1981), S. 545 - 578 (549); Kettenacker, Lothar: Die alliierte Kontrolle Deutschlands als Exempel britischer Herrschaftsausübung, in: Westl!eutschland 1945 - 1955, S. 51 - 63 (58 ff) 73 Auerbach, Hellmuth: Wandlung der französischen Deutschlandpolitik 1947/48, in: Die Ein2)iederung der Bundesrepublik in die westliche Welt vom Ende der vierziger Jahre bis zum Ende der fünfziger Jahre. Tagung im Institut für Zeitgeschichte, München 3.-55.1988, S. 4. Diese Richtung wurde v.a. von Jean Monnet vertreten, während Bidault und General König 1947 noch gegen eine Einbeziehung der französischen Zone in das ERP-Programm waren; allg. zur französischen Deutschlandpolitik, K.oza, S. 22- 38; Krieger, S. 179, 327 f, 351 ff, 367, 369, 372; Milward, S. 71 ff; Poidevin, Raymond, Jacques Bari~ty: Frankreich und Deutschland. Die Geschichte ihrer Beziehungen 1815 - 1975. München 1982, S. 423 ff.
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B. Föderalismus als Ordnungsmodell
dings recht lange eine recht unabhängige Haltung von der amerikanischen Politik.74 General Clay schätzte die Lage in Frankreich und die Politik der Sowjetunion anders als die US-Regierung ein?5 Das State Department blockierte jedwede Vorstöße gegen Frankreich, während Clay Frankreich permanent Obstruktionspolitik vorwarf. So versuchte er einerseits, seine Regierung zur Standfestigkeit gegenüber der französischen Deutschlandpolitik zu bewegen, hielt andererseits an der Erfüllung der Potsdamer Beschlüsse fest und sprach sich für die Schaffung einer provisorischen Regierung aus, vertrat jedoch gleichzeitig eine Politik der Stärkung föderalistischer Strukturen, um damit gesicherte Rückzugspositionen und Einflußmöglichkeiten beim Wagnis einer gesamtdeutschen Politik zu haben. In der Frage des politischen Aufbaus wurden gegensätzliche Auffassungen vertreten. Frankreich vertrat einen extremen, die USA befürworteten eher einen gemäßigten Föderalismus. Von amerikaDiseher Seite wurde Föderalismus damit begründet, daß "... eine Machtkonzentrierung sowohl das Bestehen einer Demokratie in Deutschland als auch die Sicherheit der Nachbarn Deutschlands und die der übrigen Welt bedrohen könnte."76 Die Sowjetunion, die 1944 ihre Dezentralisierungsvorstellungen durchzusetzen vermochte, wonach der Kontrollrat kein souveränes Gremium,77 son-
74 Seit dem Jahr 1948 konnte sich Frankreich der Annäherung an die USA nicht mehr verschließen, da seit dem Frühjahr 1946 Differenzen mit der Sowjetunion über die Kreditfrage aufgetreten waren; einschneidend waren dann die Vorgänge in der Tschechoslowakei und auf der Außenministerkonferenz in Moskau; Koza, S. 38; vgl. auch die neuen Forschungen von Fritsch-Boumazel, Renate: Mourir pour Berlin, in: VZG 35 (1987), S. 171 - 192; vgl. auch Auerbach, S. 4 ff. 75 Krieger, bes. S. 179 ff - 252; vgl. auch Mai, Gunther: Der Alliierte Kontrollrat in Deutschland 1945-1948, in: APuZ B23/88, S. 3 -14 (8); Schoenbaum, David: Deutschland als Gegenstand der amerikanischen Nachkriegsplanung, in: Westdeutschland, S. 27 - 36 (28) stellt fest, daß die Eigentümlichkeiten des amerikanischen Regierungssystems mit dazu beigetragen haben, ein ausgewogenes Verständnis des Inhalts sowie des Entstehungsprozesses der amerikanischen Deutschlandpolitik zu erschweren. 76 BayHStA StK 110 911 "Richtlinien der amerikanischen Regierung", S. 18; vgl. auch Koclc, Peter Jakob: Bayerns Weg in die Bundesrepublik. Stuttgart 1983, S. 170; Krieger, S. 216,
269.
77 FRUS, Potsdam/11 S. 1481 Anm. 13; Kettenacker, S. 62; Lipgens, Die Anfange der europäischen Einigungspolitik, S. 195; über die besonderen Beziehungen zwischen Frankreich und Großbritannien, wonach Frankreichs Anspruch auf eine Besatzungszone allein auf die Fürsprache Großbritanniens zurückzuführen wäre, Krieger, S. 253; Koza, S. 185 hält fest, daß die Briten noch ziemlich lange an der Idee eines geeinten Europas festhielten.
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dem eine Summe der souveränen Zonenkommandeure darstellte, schritt selbst rasch mit dem Ausbau zonaler Verwaltungen in der SBZ voran.78 Die Auffassungen der Sowjetunion über zonale Autonomie und Einheitlichkeit in den Zonen ließ auch die Briten von ihrer bislang vertretenen zentralistischen Position abrücken und sich den Westalliierten nähern. Die Unfähigkeit der Alliierten, die vorhandenen Gegensätze über die Koordinierung besatzungspolitischer Interessenlagen hinaus im Kontrollrat einander anzugleichen, deutet darauf hin, in welchem Maße die Regelung eines zukünftigen Deutschlands von der Ost-West-Spannung berührt zu werden drohte. Das Scheitern des Allierten Kontrollrats macht zweierlei deutlich:79 Der Dualismus zwischen Kontrollrat und Zonenbefehlshaber entschied sich zugunsten letzterer und die Tendenzen zur Regionalisierung und Autonomie der einzelnen Zonen wurden gefördert. Mit der zunehmenden Erholung der westdeutschen Wirtschaft stand für die USA die Frage der Einbindung in ein vereintes Europa fest. Es schienen sich Möglichkeiten zu bieten, die divergierenden Tendenzen zur amerikanischen Deutschlandpolitik und die gesamteuropäischen Erfordernisse zu harmonisieren. Damit vollzog die US-Regierung einen Wandel zur Zwischenkriegszeit, in der sie sich gegen jede Integration ausgesprochen hatte. Außenminister Byrnes wurde unterstellt, er habe mit seiner Rede vom September 194680 das Ende der politischen Einheit beschleunigt. Es läßt
78 Noch während der Potsdamer Konferenz schuf die SMAD oberhalb der Landesebene elf deutsche Zentralverwaltungen für die sowjetische Zone, die als Keimzelle künftiger deutscher zentraler Regierungsbehörden fungieren sollten. Im weiteren Verlaufverlaserle sich das Schwergewicht der Kontrollbefugnisse von der Landesebene immer mehr auf d1e Zentralbehörden; vgl. auch Klessmann, Christoph: Die doppelte Staatsgründung. Deutsche Geschichte 1945 - 1955. 4. Auf!. Bonn 1986. 79 Mai, S. 3 - 14. Mai versucht i~ seiner Schilderung des Allierten Kontrollrats die Meinung zu entkräften, die Geschichte des Kontrollrats könne nur als Abfolge von Obstruktion und Niederlage begriffen werden; zu den einzelnen Phasen der Tätigkeit des Kontrollrats und den Ursachen für das Scheitern der Zentralverwaltungen, zusammenfassend Kraus, S. 344 351. 80 Stuttgart speach by J.F. Bymes, United States Secretary of State. Restatement of Policy on Germany 6.9.f946, in: Documents on Germany under Occupation 1945 - 1955, selected and edited by Beate Ruhm von Oppen. London, New York, Toronto 1955, S. 152 - 160; Interpretation durch Gimbel, John: Bymes' Stuttgarter Rede und die amerikanische Nachkriegspolitik in Deutschland, in: VZG 20 (1972), S. 39 - 62; vgl. auch die Bewertung durch Krieger, S. 163 178, daß Bymes Rede fast völlig aus der Feder Clays stamme; für Mai, S. 10 bedeutete die Stuttgarter Rede das Ende der politischen Einheit.
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sich aber auch feststellen, daß durch den Beginn einer neuen europäischen Zusammenarbeit die Stagnation in der Deutschlandpolitik überwunden wurde. Offenbar war es die französische Obstruktion gegen deutsche Zentralverwaltungen, die, so Gimbel, Frankreich als eigentlichen Adressaten der Stuttgarter Rede erscheinen läßt.81 Bei der Verkündung des Marshallplans durch US-Außenminister Marshall wurde Frankreich dann jedoch eine Schlüsselfunktion für den Wiederaufbau Europas zugeschrieben.82 Die Entscheidung der Westmächte, Deutschland zum Empfänger der amerikanischen Hilfe zu machen, war vor allem auf britisches Drängen zustandegekommen und trug den Überlegungen Rechnung, daß der Wiederaufbau Europas ohne eine Ausschöpfung des Industriepotentials Deutschlands nicht möglich sei. Daneben wurde auch den Hoffnungen Frankreichs und Großbritanniens Genüge getan, daß durch eine Integration Westdeutschlands in den Prozeß der europäischen Einigung die Gefahr vor einem Wiedererstarken der deutschen Nation gebannt werde. Der zukünftigen Rolle Deutschlands in Europa sollte nach Ansicht Frankreichs eine Führungsrolle der französischen Regierung zugrundeliegen, um die Gefahren einer deutschen Hegemonie zu verhindern. Schwierigkeiten ergaben sich, als die USA definitiv auf die Gründung eines Weststaats drängten, während Frankreich sich zur Festschreibung dieses Zustands nicht bereitfand und den Provisoriumscharakter aufrechterhalten wollte. Die Lösung der deutschen Frage blieb zwar dann hinter der französischen Vorstellung zurück, weil es einen weitgehenden Verzicht auf dessen Großmachtambition erforderte, im Bemühen, europäische Gemeinschaftsstrukturen zu schaffen, sollten jedoch Frankreichs Vorstellungen über die Bedeutung föderativer Strukturen verwirklicht werden.83
81 vgl. Gimbel, Bymes Stuttgarter Rede. 82 Zum Marshallplan und europäischer Initiative, Lipgens, Walter: Die Anfänge der euro~ischen Einigungspolitik 1945 - 1950. Erster Teil 1945 - 1947 mit zwei Beiträgen von Wdfried Loth. Stuttgart 1m, S. 479 f, der herausarbeitet, daß der Kongreß - im Gegensatz zur Zurückhaltung der Regierung - zu einer stärkeren Betonung der Notwendigkeiten einer europäischen Integration drängte. 83 Auerbach, S. 7; Bidault sprach am 13.2.1948 erstmals von einer Lösung des Problems innerhalb der europäischen Gemeinschaft.
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1.2 Das Wiederaufleben des Regionalismus in den Besatzungszonen Nach Ansicht von Niethammer84 lassen die partikularistischen Vorstellungen, die sich vor allem in den Mittel- und Oberschichten der Bevölkerung ausprägten, die Dezentralisierungspläne der Amerikaner in einem eher ambivalenten Licht erscheinen. Die Motive waren vielfältiger Natur: unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten sollte die Abtrennung der süd- und westdeutschen Länder eine größere Unabhängigkeit garantieren; zugunsten einer föderalen Union mit Württemberg und Bayern war man sogar bereit, "Ostdeutschland" zu opfem;85 eine weitere Dimension war politisch motiviert - die deutliche Abkehr vom preußisch-deutschen Nationalismus.86 Im publizistischen Organ der deutschen Föderalisten "Rheinischer Merkur",87 in dem sich viele Ansichten süd- und südwestdeutscher Politiker wiederfanden, hieß es, daß die föderalistische Neuordnung Deutschlands und Europas parallele Vorgänge seien.88 Danach entfaltete sich der Aufbau Europas am ehesten durch die maximale Verlagerung der Kompetenzen auf die unterste Ebene, nämlich die der Gemeinde. Wünschenswert wäre eine allgemeine Föderation der europäischen Staaten, die sich, vom Nationaistaatsgedanken losgelöst, am Vorbild des im 19. Jahrhundert ausgebildeten deutschen Föderalismus zu orientieren hätte. Das Europabild der deutschen Föderalisten war indes nicht geographisch orientiert. Europa wurde vielmehr verstanden als Synonym für die Einheit 84 Niethammer, Lutz: Dieamerikanische Besatzungsmacht zwischen Verwaltun~tradition und politischen Parteien in Bayern 1945, in: VZG 15 (1967), S. 121 - 210 (139); Niethammer beschränkt sich v.a. auf die Beschreibung der Tendenzen in Süd- und Südwestdeutschland und unterläßt es dabei, auf partikularisierte und regionalistische Tendenzen hinzuweisen, wie sie u.a. auch in Schleswig~Holstein von seiten der dänischen Minderheit auftraten. Schwarz, Hans-Peter: Vom Reich zur Bundesrepublik. Deutschland im Widerstreit der außenpolitischen Konzeptionen in den Jahren der Besatzungsherrschaft. Neuwied 1966, S. 413, spricht von tiefsitzenden Gefühlen, die das politische Verhalten weiter Schichten der süd- und südwestdeutschen Bevölkerung bestimmte. 85 V~. Schwarz, Vom Reich, S. 393- 405; publizistische Vertreter der Westintegration wie Erich Fnedländer und Erik Reger bekannten sich eindeutig zu einer westdeutschen Föderation; dies hatte Rückwirkungen auf das föderative Konzept der bayerischen Föderalisten um Wilhelm Hoegner sowie den Kurs der rheinischen Föderalisten. 86 Dazu Schwarz, Vom Reich, S. 413- 422.
87 Herausgeber war FA. Kramer; wichtige staatsrechtliche Beiträge stammten von Alfred Süsterhenn, vgl. Schwarz, Vom Reich, S. 417. 88 Schwarz, Vom Reich, S. 406 konzentriert seine Ausführungen auf die "rheinische Spielart" des westdeutschen Föderalismus. Dabei wurde häufig die Schweiz als vorbildhaft ~erausgestell~; zu dem Vergleich mit heute, Thalmann, Jörg: Schweizer Rezepte für die EG, m: EGmagazm Nr. 12 (1990), S. 9 - 12.
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des christlichen Vaterlandes und der Tradition kulturellen Gedankenguts des Westens und sollte der Garant eines sogenannten besseren Deutschlands sein.
2. Echtes Anliegen oder vorgeschobene Idee? Die Grundgedanken der Landesregierungen zur Rolle der Länder in einem föderalistischen Europa Im folgenden Abschnitt wird zu klären sein, ob die Vorstellungen von einem vereinten Europa als föderativ organisiertes Gebilde verfolgt wurden, um länderbezogene Eigenständigkeil zu erhalten, ob demnach bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt unter den süddeutschen Politikern Einigkeit darüber bestand, daß die Zukunft eines föderativ aufgebauten Deutschlands einzig in der Verfolgung der europäischenldee liege. 2.1 Bayern und Europa Die Landesneubildung im Fall Bayerns war relativ unproblematisch, da es territorial abgerundet war und sich auf eine eigene staatliche Tradition berufen konnte.89 Die bayerischen Regierungschefs betonten diese Staatlichkeit, wenn sie die Forderung nach einem föderal aufgebauten Deutschland vorbrachten. Zum ersten Ministerpräsidenten wurde Fritz Schäffer ernannt.90 Sein Nachfolger war der Sozialdemokrat Wilhelm Hoegner, der ab 3. Oktober 1945 amtierte;91 danach bekleidete Ehard das Amt des Regierungschefs.92
89 Auf die tausendjährige Geschichte Bayerns weist Laufer hin, Laufer, Heinz: Bayern und die Bundesrepublik. Der Freistaat Bayern im föderativen System der Bundesrepublik Deutschland, in: Das Regierungssystem, S. 109. 90 Allgemein zur Landesneubildung siehe Stolleis, S. 174- 215 (196); Altendorfer, Otto: Fritz Schäffer - Politik in schwierigen Zeiten, in: Politische Studien 39 (1988), S. 305 - 322; allgemein zur Entwicklung Bayerns, Kock, S. 110 ff, 135, 140, 165 -168; Krieger, S. 217. 91 Die SPD veröffentlichte am 17.11.1946 einen Verfassungsentwurf, in dem der Föderalismus als Recht des Feudalismus abgelehnt wurde; der Vorstand der SPD veröffentlichte jedoch am 13./14.3.1947 Richtlinien für den Aufbau der Deutschen Republik mit dem Ziel der Zugehörigkeit Deutschlands zu einem europäischen Staatenbund; Hoegner, der dem föderalgouvernementalen Flügel innerhalb der bayerischen SPD an_gehörte, unterstützte diesen Vorschlag, Benz, Wolfgang: Föderalistische Politik in der CDUjCSU, in: VZG 25 (1977), S. 776820 (780). 92 Zur Wahl Ehards, Morsey, Rudolf: Zwischen Bayern und der Bundesrepublik. Die politische Rolle des bayerischen Ministerpräsidenten Hans Ehard 1946 - 1949, in: Juristenzeitung 36 (1981), S. 361- 370 (362). Morsey hebt Ehards Bekenntnis zum Föderalismus hervor und die Stellung, die der Ministerpräsident Bayern beim Aufbau des zukünftigen Deutschlands zudachte; dazu auch: Benz, Föderalistische Politik, S. 786 - 806.
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Die Stärkung des Föderalismus durch die Besatzungsmacht93 bedeutete nicht, daß diese separatistische oder partikularistische Bewegungen akzeptierte.94 Häufig wurde von seiten der Amerikaner eine Erscheinung als separatistisch beurteilt, die nach Einschätzung der Landespolitiker noch unter den Begriff des Föderalismus fiel.95 Unruhe mußte deshalb eine Meldung mit der Überschrift "Ministerpräsident Dr. Ehard in Verbindung mit Monarchisten" auslösen, in der Ehard, Hoegner und Hundhammer mit der Forderung einer Donau-Föderation in Verbindung gebracht wurden. Diese Politiker verwehrten sich natürlich aufs heftigste dagegen.96 In diesem Zusammenhang sind die Aktivitäten separatistisch orientierter Politiker, wie sie sich vor allem im Kreis "Bund deutscher Föderalisten" zusammenfanden, zu erwähnen, die die Europa-Idee vorschoben, um dahinter ihre Autonomieansprüche zu verbergen.97 Als bezeichnend für die separatistischen Gedanken der Vereinigung mögen folgende Ausführungen gelten: "Der Bund deutscher Föderalisten fordert alle Gleichgesinnten ... auf, sich ihm anzuschließen, um das bündisch erneuerte Deutschland ... einer dauernden Gesundung und Wohlfahrt im Rahmen der europäischen Völker zuzuführen ... Es würde den Zusammenschluß Europas auch erheblich fördern, wenn das zu kleine Österreich durch einen föderalistischen und wahrhaft demokratischen deutschen Donaustaat ersetzt würde ..."98 Daher war es verständlich, wenn die "gemäßigteren" Politiker versuchten, die Bindungen an den "Bund" nicht zu eng werden zu lassen. Ministerpräsident Ehard hatte es zum Beispiel 1949 abgelehnt, als Vorsitzender zur Verfügung zu stehen.99 93 Danach sollte alles verhindert werden, was auch nur in die Nähe der 'Tyrannei einer übermächtigen Zentralgewalt gelangen könnte", BayHStA StK 110 911.
94 Zu den Begriffen Föderalismus und Separatismus, Kock, S. 136 f; Hundhammer und Pfeiffer wurden immer wieder in Verbindung mit Sezessionsplänen gebracht. 95 Dazu näher Kock, S. 177; als Parteipro!P"3mm tauchte der Begriff lediglich in einigen Vorläufergruppierungen der Bayernpartei auf; msgesamt ist dies nach Einschätzung von Kock nicht überzubewerten, es habe sich zumeist um eine Drohgebärde gehandelt; zur Bayernpartei, Wolf, Konstanze: CSU und Bayernpartei. Ein besonderes Konkurrenzverhältnis 1948 1960. Köln 1982. 96 BayHStA StK 110 911; vgl. auch die Außerung in der Isar-Post v. 24.1.1947: "Ernsthafte Leute, die;. mit Plänen für eine Donau-Föderation aber einen politischen Zusammenschluß zwischen Osterreich und Bayern bei uns herumlaufen, gibt es nach unserem Wissen in Bayern nicht." 97 Ba.xHStA StK 110 911 Bayerische Staatskanzlei - > Staatsminister Baumgartner (24.9.1947). Diese Politik spielte sich v.a. in den Salons und Parteizirkeln ab. 98 BayHStA StK 110 911 Aufrufv. 12.8.1947. 99 Vgl. BayHStA StK 110 912 Ehard -> Dr. Bode.
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Es gab jedoch auch Mitglieder des Bundes, wie zum Beispiel Richard Jäger,100 die Föderalismus deutlich von Separatismus absetzten und die Zukunft eines vereinten Europas mit dem Schicksal eines föderalistisch aufgebauten Deutschland verbunden sahen. Für Jäger, den Vizepräsidenten des "Bundes Deutscher Föderalisten", garantierte Föderalismus als Strukturprinzip für Deutschland und Europa die Eigenständigkeit der Glieder, käme der Sehnsucht der Völker nach Gerechtigkeit und Frieden entgegen und würde zudem die andere1;1 Völker Europas von der Furcht einer deutschen Hegemonie in Europa befreien. Eine europäische Regelung wäre allein aufgrundder deutschen Frage unabdingbar, denn diese" ... kann vielmehr nur zugleich mit der mitteleuropäischen gelöst werden."101 Schon 1947 hatte Ehard die Verbindung des föderalistischen Prinzips mit der Frage der europäischen Einigung genau erläutert: "Die föderative Eingliederung eines wahrhaft bündisch aufgebauten Deutschlands in die europäische Weltgemeinschaft der Völker muß Forderung und Ziel jeder universal gerichteten föderalistischen Politik sein." Noch deutlicher wurde er in nachfolgender Bemerkung: "Auch der diesem fortschrittlichen Staats- und Sozialprinzip dienende bayerische Föderalismus erblickt die Krönung seiner Idee und Bestrebungen in Föderationen universalen Ausmasses ..."102 Föderalismus im Bundesstaat und eine föderalistische Struktur Europas bedingten sich also in den Vorstellungen Ehards. Europa wurde für ihn zu einem Begriff der Abkehr gegen eine Welt, die durch übersteigerten Nationalismus an den Grundlagen des europäischen Denkens und Fühlens gerüttelt hatte. Ehards Europagedanke war so eher moralisch und geistig inspiriert: ein brüderlicher Geist sollte herrschen und das Bewußtsein der christlichen Gemeinschaft wiederbeleben. Die Europa-Idee galt somit als Chance, die Isolation und das Chaos, in das das Deutsche Reich geraten war, zu überwinden. Die vom bayerischen Ministerpräsidenten geäußerten Gedanken und ihre Bezugnahme auf die christliche Wertegemeinschaft waren nichts Neues, sondern reihten sich ein in ein Gedankengut, wie es bereits in den entsprechenden Schriften der Widerstandsbewegung geäußert wurde. Auch die Verbindung zwischen europäischem und deutschem Föderalismus blieb 100zur PeiSOn Richard Jägers, Lehrjahre der CSU: eine Nachkriegspartei im Spiegel vertraulicher Berichte an die amerikanische Militärregierung; hrsg. von Klaus-Dietmar Henike und Hans Woller. Stuttgart 1984, S. 151. 101 Ebd., s. 155. 102BayHStA StK 110 912 v. 19.11.1947 Ehard -> Heydecker
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ebenso wenig wie die Beschränkung des Europa-Begriffs auf den Westen eine singuläre Interpretation von bayerischer Seite. Offensichtlich war Ehard schon sehr früh klar, daß, sollte die Weststaatsbildung unausweichlich sein, sie nur im europäischen Kontext vorstellbar war: "Heißt die mögliche Lösung für Europa europäische Teilföderation, so heißt sie für Deutschland deutsche Teilföderation.•103 Ehard war sich durchaus im klaren, daß eine Überprüfung des überkommenen Begriffs Souveränität nötig se~ wollte man das zukünftige Deutschland rasch am europäischen Einigungsbestreben teilhaben lassen: "Unter der Voraussetzung der Gleichberechtigung wird auch ein föderatives Deutschland ... nicht zögern, sich soweit zu einer Begrenzung seiner Hoheitsrechte zu verstehen, als dies zum Schutz des Weltfriedens durch eine übernationale Gemeinschaft nötig erscheint.• Er ging davon aus, daß in einer künftigen deutschen Bundesverfassung entsprechende Regelungen nötig wären, die den "... gute(n) Willen des deutschen Volkes für die Schaffung einer gesicherten friedlichen Ordnung"104 beweisen. Mit einem derartigen Anliegen hatte sich bereits der Präsident der Weltstaat-Liga an Ehard gewandt. Er bat ihn, einen Artikel aufzunehmen, "... der besagt, daß Deutschland bereit ist, zum gegebenen Zeitpunkt Teile seiner Souveränität zugunsten einer übernationalen Instanz aufzugeben."105 Wenn der bayerische Ministerpräsident dann im Parlamentarischen Rat auf das föderalistische Prinzip pochte und den Gedanken der Integration unterstützte, so konnte er sicher sein, nicht nur in Anlehnung an die Wünsche der amerikanischen Besatzungsmacht zu handeln, sondern auch einem im Volk verbreiteten Wunsch zu entsprechen.106 Am Beispiel der südwestdeutschen Länder Württemberg-Baden, Baden, Württemberg-Hohenzollern sowie Rheinland-Pfalz soll im folgenden em Vergleich zur Haltung Bayerns angestellt werden.
103vortrag v. 3.4.1948 von Hans Ehard in Regensburg, in: Ehard, Hans: Die europäische Lage und der deutsche Föderalismus. München 1948, S. 20.
104
BayHStA StK 110 912 v. 19.11.1947 Ehard -> Heydecker. 105BayHStA StK 110 912 v. 27.10.1947 Heydecker -> Ehard. Die von Prof. Dr. Glum gegebene Rückantwort fallt positiv aus durch die Versicherung, daß die Bayerische Staatsregierung eine Einordnung der deutschen Staaten in eine Europa-Union mit allen Kräften anstrebe, vgl. BayHStA StK 110 912 Glum -> Heydecker. 106 Die Begeisterung der Bevölkerung für den Europagedanken fand nach dem Zweiten Weltkrieg bereits ein Ventil in den aus den Boden sprießenden Europa- und Weltstaatsbewegungen, dazu Kock, S. 25.
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2.2 Südwestdeutschland nach dem Krieg
Das spätere Land Baden-Württemberg wurde nach dem Kri~ unter der amerikanischen und französischen Besatzungsmacht aufgeteilt.1 Die Folge war, daß die Grenzziehung quer zu den natürlichen Linien des Landes verlief. Reinhold Maier (DVP) wurde ab 14. September 1945 der erste Ministerpräsident in Stuttgart; zu seinem Stellvertreter wurde Heinrich Köhler (CDU) ernannt, der gleichzeitig der Chef des nahezu selbständigen Landesbezirks Nordbaden warYl8 Württemberg-Hohenzollern stand unter französischem Protektorat. Dort gab es keine Landesregierung, sondern nur ein Staatssekretariat.109 In Südbaden setzte der dortige Staatspräsident Leo Wobleb sich am heftigsten bis kurz vor lnkraftreten des Grundgesetzes für die Wiederherstellung des Landes Baden ein. Er war es auch, der die besten Kontakte zur Besatzungsmacht hielt und schon früh im deutsch-französischen Verständnis den Kern des europäischen Einigungswerks erkannte.110 Ansätze zur Zusammenfassung der südwestdeutschen Länder gingen von der Regierung Württemberg-Badens aus.111 In der Gründung eines Südweststaats sah Ministerpräsident Reinhold Maier die Möglichkeit, ein Land zu schaffen, das als Gliedstaat mit eigenem Staatsgefühl in einem deutschen Bundesstaat besonderes Gewicht erhalte. Die politische Konstellation, verschiedene Landesteile, verschiedene Parteien sowie verschiedene Politikerpersönlichkeiten erschwerten allerdings die politische Handlungsfähigkeit Erst 1952 fiel die Entscheidung für den Südweststaat Maier konnte zwar auf die Stimmen der SPD und DVP zählen, nicht aber auf die der CDU, denn
107 Clay, S. 465 erwähnt, daß, als man die Franzosen an der Besatzung Deutschlands beteiligte, die Briten und Amerikaner Abstriche von ihren Gebietsansprüchen vornehmen mußten. & seien Differenzen aufgetreten, weil die Franzosen Nordbaden und die Amerikaner weiterhin Südwürttemberg kontrollieren wollten. 108 Stolleis, S. 197 bemerkt, daß ab dem 28.11.1946 die Landesbezirke Baden und Württemberg einander gleichgestellt wurden. 109 Carlo Schmid schreibt in seinen Erinnerungen, daß es ihm unpassend erschienen wäre, die Spitze der Verwaltung Regierung zu nennen und ihren Chef Ministerpräsidenten, Schmid, Carlo: Erinnerungen. Bem, München, Wien 1979, S. '1:37 f.
110 Zur Gründung des Südweststaats, vgl. ausführlich Feuchte, S. 118- 167. 111 Dazu Konstanzer, Eberhard: Die Entstehung des Landes Baden-Württemberg. Stutt-
gart u.a. 1969, S. 88.
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anders als in Bayern, wo die CSU sich rasch eine gesicherte Position schuf, waren die Parteiverhältnisse im Südweststaat nicht so eindeutig.112 Es soll nun untersucht werden, in welcher Weise sich die Politik in den Landesteilen unterschiedlich entwickelte, ob Differenzen auftraten und der Föderalismus als verbindender Faktor wirkte, in dem Sinne, wie es dem badischen Staatspräsidenten Wobleb vorschwebte: "... und die Liebe zur badischen, bayerischen oder württembergischen Heimat bilden den besten Nährboden für eine Liebe zu dem Gesamtdeutschen Vaterland und zu dem unverbrüchlichen Eintreten für die Einheit Deutschlands. Wir Föderalisten wollen nur diese Einheit auf einem, wie ich glaube, feineren Weg verwirklichen, anknüpfend an die deutsche Geschichte und Tradition."113 2.2.1 Wobleb und die europäische Frage Wie der bayerische Ministerpräsident erkannte auch Wobleb im Europagedanken eine Möglichkeit, seiner eigenständigen Politik eine übernationale Orientierung zu geben. Er verband sich mit Ehard und Adolf Süsterhenn, dem Justizminister von Rheinland-Pfalz, in der Befürwortung eines Föderalismus, der den Gliedstaaten ausreichende Rechte gewährleisten sollte. Weiterhin vertrat er die Ansicht der Franzosen, daß die Auflösung der alten Länder Württemberg und Hohenzollern einen Verstoß gegen den Föderalismus bedeutete.114 Die Aufteilung Badens in einen amerikanisch besetzten Teil und einen südlichen, französisch besetzten Bereich, richtete seine Politik von Anfang an in zwei Richtungen aus: gegenüber Paris bemühte er sich um eine eigenständige Landespolitik, die vertrauensbildend wirken sollte, und gegenüber Stuttgart wandte er sich sehr deutlich gegen jede Form von Zentralisierungsbestrebungen. Weil es Wobleb in erster Linie um die Wiederherstellung des Landes Baden ging,115 unterstützte er alle Maßnahmen, die er dafür geeignet hielt. In der Stärkung des föderalistischen
112 Die Besatzungsmacht ließ nur mit Vorsicht Parteien zu, Feuchte, S. 40. Die unterschiedlichen Parteikoalitionen wurden vor allem in der verfassungsgebenden Landesversammlung wichtig. 113 Zit. nach Feuchte, S. 115. 114 Gebhard Müller blickt zurück, S. 29. 115 Neumayer, Kar! H.: Der Kampf um Badens Selbständigkeit, in: Gelb-rot-gelbe Regierungsjahre. Badische Politik nach 1945. Gedenkschrift zum 100. Geburtstag Leo Wohlebs (1888 - 1955); hrsg. Paul-Ludwig Weinacht in Verbindung mit Kar! S. Bender. Sigmariogendorf 1988, S. 263 - 291 (269 ff).
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Prinzips sah er seine Erwartungen am ehesten erfüllt.116 Der künftige europäische Einigungsprozeß schien nach seiner Auffassung jedoch nur über die Partnerschaft und die Versöhnung mit Frankreich gewährleistet. Seine Erfahrungen als Regierungschef eines Grenzlandes verstärkten diese Haltung, vielleicht erkannte er aber auch schon früher als andere den W andlungsprozeß, der sich in der französischen Diplomatie gegenüber den Nachbarn durchsetzte: "... eine europäische Föderation ... wird nur möglich sein auf der Grundlage des echte~ föderalistischen Prinzips, bei dem die einzelnen Gliedstaaten gleichberechtigt sind und nicht durch einen Zentralismus ihre staatliche Eigenpersönlichkeit verlieren." Dabei konnte er sich durchaus vorstellen, daß "(e)in deutscher Bundesstaat ... in gewisser Beziehung ein Vorbild für die zukünftige Europäische Union werden" könnteY7 Nach der Vorstellung Wohlebs sollte Buropa aus kleinen Ländern zusammengesetzt sein, sozusagen als Bund der Europäischen Union.U8 Typisch dafür ist folgende Äußerung: "Es wird keinem Menschen einfallen zu glauben, daß die europäische Föderation geschaffen werden könnte dadurch, daß man Luxemburg oder die Schweiz oder Belgien oder was weiß ich für ein europäisches Land von der Landkarte verschwinden läßt. Genau dasselbe gilt nach unserer Meinung für unser Badener Land ... auch wir meinen, daß die Bundesrepublik so bestehen sollte, wie sie gegründet ist, nämlich zusammengesetzt aus den Ländern, und es ist für uns nicht ersichtlich, warum das Land Baden von der deutschen Landkarte verschwinden soll."119 Wegen seinen Außenbeziehungen zu Paris120 wurde er von seinen Gegnern gescholten, die seine von tiefer Überzeugung zur Vertrauensbildung und Versöhnung unternommenen Annäherungsversuche nicht nachzuvollziehen vermochten und ihn als willfährig und unentschlossen bezeich-
116 Darüber näher Gollasch, Gottfried: Wohlebs badische Außenpolitik. Sein Beitrag zur deutsch-französische Annäherung, in: Gelb-rot-gelbe Regierunpjahre, S. 199 - 213 (210). Der Landtag lehnte später das GG ab. Wobleb fand bald Unterstützung bei den Liberalen, die ein eindeutiges Bekenntnis zur föderativen Struktur abgaben, und denen sehr am Erhalt der kulturellen Eigenheit der Länder lag; Differenzen gab es bezüglich der Vereinigung von Baden und Württemberg, die von den Liberalen u.U. unter Einbeziehung der Pfalz bejaht wurde: dazu Feuchte, S. 192; vgl. auch Humanist und Politiker. Leo Wohleb. Der letzte Staatspräsident des Landes Baden. Gedenkschrift zu seinem 80. Geburtstag am 2. September 1968; hrsg. von Hans Maier, Paui-Ludwig Weinacht. Heidelberg 1969, S. 186. 117 Ebd.,S.190. 118 So auch der POP-Abgeordnete Vortisch vor dem badischen Landtag, Verhandlungen des Badischen Landtap 1. Wahlperiode, 3. Sitzunpperiode, 18. Sitzung v. 6.9.1950, S. 18. 119 Wobleb vor dem Badischen Landtag, ebd., S. 18. 120 Dazu Gollasch, S. 205 - 210.
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neten.121 Offensichtlich wollte er sich damit von seinen süddeutschen Nachbarn absetzen, die sich sehr stark an den USA und damit an der atlantischen Linie orientierten.122 Bei seinen Bemühungen um die deutsch-französische Verständigung und eine Vorbildrolle Badens für den Prozeß der europäischen Versöhnung konnte er sich der Unterstützung des Landtags versichern. Einige Abgeordnete erwähnten in mehreren Debatten die mögliche Parallelität der Entwicklung in Baden und dem Saarland. Beide sollen als Brückenkopf zwischen Deutschland und Frankreich "... als Land des Übergangs, der Verklammerung, als Verbindungsstück mit den anderen Teilen Süddeutschlands"123 dienen. Die Feststellung des Abgeordneten Hoffmann, daß"... das badische Volk in seiner überwiegenden Mehrheit, gleich welcher parteipolitischen Richtung, davon überzeugt ist, daß nur in einer überstaatIichen europäischen Organisation das wirtschaftliche, kulturelle und eigenstaatliche Heil der einzelnen Völker liegt",124 fand seine Bestätigung in einer 1950 in Breisach stattfmdenden Abstimmung, in der die Zustimmungsquote für die Vereinigten Staaten von Europa 95,7 Prozent betrug.125 2.2.2 Die Situation in Nord-Baden
Der Regierungschef von Nord-Baden, Heinrich Köhler, stimmte mit Wohleb überein, wenn dieser die zukünftige Bedeutung des Europagedankens beschwor, er wollte ihn allerdings nicht mit Hilfe der Franzosen verwirklichen. Köhler meinte, der Politik Wohlebs nicht trauen zu können, denn falls Süd-Württemberg mit Nord-Württemberg vereinigt würde, "... würde Südbaden unter Wohlebeine französische Kolonie."126 Im Gegensatz zu Wohleb sprach sich der stellvertretende Ministerpräsident von Württem-
121 Ebd., s. 208. 122 Vgl. Gollasch, S. 206. 123 So der Abgeordnete Vortisch (FDP) vor dem Badischen Landtag, in: Verhandlungen des badischen Landtags, ebd., S. 17.
124 Abgeordneter Dr. Hoffmann vor dem Badischen Landtag, ebd., S. 12; 125 Ebd., S.ll.
126 Aufzeichnung Köhlers aus dem Gedächtnis über eine am 27.7.1948 in Heidelberg stattgefundene Besprechung zur Frage der Ländergrenzen in Südwestdeutschland, in: Köhler, Heinrich: Lebenserinnerungen des Politikers und Staatsmannes 1878 - 1949. Unter Mitwirkung von Pranz Zilken; hrsg. von Josef Becker. Stuttgart 1964, Dok. Nr. 15, S. 386 - 388 (388).
S Fuhrmann-Minimeier
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B. Föderalismus als Ordnungsmodell
berg-Baden127 nicht kategorisch gegen einen Zusammenschluß von Württemberg und Baden aus, wenngleich auch er mit den Bestrebungen von Ministerpräsident Maier, rasch zu einer Vereinigung der Landesteile zu kommen, nicht übereinstimmte. 128 Dennoch mußte er eingestehen, daß die allgemeine Notlage eine derartige Lösung nahelegte.129 Mit dem Eintritt Köhlers in das Kabinett Maier beanspruchte er absolute Gleichberechtigung zwischen Baden und Württemberg.130 Über den zukünftigen Aufbau Deutschlands ging er weitgehend mit Ministerpräsident Maier konform, der von der Notwendigkeit einer Dezentralisierung der Macht und einer Stärkung der einzelnen Länder sprach, jedoch unter dem Vorbehalt, dabei immer Deutschland als Ganzes im Blickfeld zu behalten.131 In Köhlers Einschätzung wäre ein Gesamtstaat, bestehend aus Württemberg, Hohenzollern, Baden und der Pfalz, dazu berufen gewesen, "... in der Politik Westdeutschlands und später Gesamtdeutschlands eine führende Rolle zu spielen."132 Ein demokratisches und friedfertiges Deutschland konnte in der Bewertung Köhlers nur mittels einer föderalistischen Konstruktion entstehen, und er setzte Föderalismus dabei sehr deutlich von Unitarismus und Partikularismus ab, um auf jede nur mögliche Weise"... irgendein Wiederaufleben des Berliner Zentralismus unseligen Angedenkens"133 zu verhindern.
127 Über die Wahl Köhlers, Maier, Reinhold: Ein Grundstein wird gelegt. Die Jahre 1945 - 1947. Tübingen 1964, S. 325. 128 Darüber zeigte sich Köhler deutlich verärgert. Aktennotiz Heinrich Köhlers v. 31.10.1945 über Vorgänge beim Zusammenschluß von Nordbaden und Nordwürttemberg, in: Köhler, Dok. Nr. 2, S. 351 f (352). Köhler spricht sich gegen die Unterstellung Maiers aus, daß
Zentrumsleute in ihrer Mehrheit für die Vereinigung von Nordbaden und Württemberg seien; zu Köhler auch Feuchte, S. 21.
129 "Es handelt sich also um eine Entscheidung, die Herz und Gefühl und Stammeszugehörigkeit weniger sprechen lassen konnte als den kühlen, nüchternen Verstand." Rede Heinrich Köhlers im Mannheimer UFA-Haus am 3.11.1945 vor den Oberbürgermeistern, Landräten und Bürgermeistem des amerikanisch besetzten Landesteils Baden, in: Köhler, Dok. Nr.
3, s. 352 - 356 (355). 130 ~~-· S. 356. Die Skepsis ~.lieb jedoch, vgl. Brief Heinrich Köhlers an Redakteur Dr. Eduard Sutterle v. 28.6.1948, m: Kohler, Dok. Nr. 14, S. 385. 131 So Maier, Reinhold: Ende und Wende. Das schwäbische Schicksal 1944 - 1946. Briefe und Tagebuchaufzeichnungen. Stuttgart, Tübingen 1948, S. 36. 132 Die Erwähnung Westdeutschlands und nachgeordnet Gesamtdeutschlands läßt ver-
muten, daß die Weststaatsgründung unter den Ministerpräsidenten bereits zu diesem Zeitpunkt im Juni 1948 feststand; es findet sich an derselben Stelle auch ein direkter Bezug zu den Londoner Empfehlungen.
133 Rede Heinrich Köhlers bei der Eröffnungssitzung der vorläufigen Volksvertretung Württemberg-Badens in Stuttgart am 16.1.1946, in: Köhler, S. 346- 364 (363).
Il. Die Länder und die europäische Integration
67
2.2.3 Die Situation in Württemberg-Hohenzollern Anders als der südbadische Staatspräsident hatte Gebhard Müller Schwierigkeiten mit den Franzosen. Er empfand die Schikanen der Besatzung mit den sich daraus ergebenden Einschränkungen als entwürdigend.134 Müller erkannte, daß von den Franzosen keine Unterstützung für eine Vereinigung der Länder zu einem Südweststaat zu erwarten war,135 da für Francois-Poncet die Auflösung der alten Länder Württemberg und Hohenzollern einen Verstoß gegen den Föderalismus bedeutete, wie er gegenüber Müller bei dessen Paris-Aufenthalt äußerte.136 In stärkerem Maße als Müller spielte allerdings sein Staatsrat Carlo Schmid, der nach neuen Perspektiven suchte, die Greuel der Vergangenheit zu überwinden, die europäische Karte. Wie der Begriff Europa schon bei Ehard sich nicht auf den geographischen beschränken ließ, so verstand auch Schmid darunter eine bestimmte Art der Gesinnung. Seine Äußerungen auf dem Juristentag in Konstanz 1947 mögen dafür bezeichnend sein: "Wehe einer Welt, deren Juristen vergessen, daß das Recht nicht eine Technik für die Organisation des Zusammenlebens der Menschen, sondern das Fundament des Staates ist", und er fuhr in diesem Sinne fort, wenn er den demokratischen Staat als" ... einen Markstein auf dem Weg zu, auch im Recht, einem unteilbaren Europa ..." bezeichnete.137 Bei der Lösung der deutschen Frage, die er mit der europäischen koppelte, sollte eine besondere Bedeutung dem deutsch-französischen Verhältnis zukommen.138 Er wußte um die 134 Zum Konfrontationskurs gegenüber Frankreich, Gebhard Müller blickt zurück, S. 30. "Nach der positiven Seite hin wünschen wir, daß es so rasch wie möglich zu einer eigenen Verantwortung der Regierung kommt. Wir verfolgen eine Dezentralisierung der Macht und eine Stärkung der einzelnen Länder ... Obwohl wir die Macht der einzelnen Länder wünschen, betrachten wir Deutschland als Ganzes;" so Maier in einem Brief an seine Frau über ein Gespräch mit Qay, zit. nach Maier, Ende und Wende, S. 368. 135 Dazu Gebhard Müller blickt zurück, S. 25 f. Aufschlußreich auch folgende Bemerkung Gebhards Müllers: "Weil ich gesehen habe, daß bei dieser Haltung von NordwürttembergNordbaden, also von Württemberg-Baden, nur eine Erlösung aus der Besatzungsnot und aus den auf die Dauer untragbaren Verhältnissen des kleinen Landes durch den Zusammenschluß zum Südweststaat möglich war, habe ich mich in der Folge konsequent für die Bildung des Südweststaates eingesetzt", ebd., S. 261.
136 Wiedergabe durch Müller, in: Gebhard Müller blickt zurück, S. 29. Nach Einschätzung von Francois-Ponc;et würde durch die Bildung des Südweststaats Frankreich kein Land mehr an der Ostgrenze haben, dem es vertrauen könne. So die Erinnerung von Gebhard Müller an seinen Besuch bei Außenminister Schuman in Paris im Februar 1949, Müller, Gebhard: Ernstes und Heiteres. Am Rande der Politik. Festvortrag v. 2.10.1984. Stuttgart 1984, S. 389. 137 Zit. nach Feuchte, S. 31. 138 Carlo Schmid: German-French Relationsand the Third Partner NovfDez. 1947, in: Documents on the History of European Integration; ed. by Walter Lipgens and Wilfried Loth, vol. 3, Nr. 152, S. 501- 508; über C. Schmid auch Schwarz, Vom Reich, S. 574-588.
B. Föderalismus als Ordnungsmodell
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Besorgnisse der Franzosen vor einer erneuten deutschen Hegemonie, warnte aber gleichzeitig davor, diese Angelegenheit nur auf die beiden Länder zu beschränken, denn sie stelle sich als ein Teil der Auseinandersetzungen zwischen den USA und der Sowjetunion dar.139 Europa als dritte Kraft mit einer föderativen Grundstruktur140 war sein Zukunftsmodell, und er war bereit, zur Verwirklichung dieser Idee einen entsprechenden Einsatz zu leisten. 2.3 Rheinland-Pfalz Bis zum Sommer 1946 war unklar, wie sich das politische und verwaltungsmäßige Leben in der französischen Besatzungszone gestalten würde.141 Zunächst hatte die Besatzungsmacht einen extremen Partikularismus verfolgt und separatistische Bemühungen unterstützt. Anders als in Baden scheint es in Rheinland-Pfalz, ähnlich wie auch in Württemberg-Hohenzollern, Nischen gegeben zu haben für eine relativ freie Gestaltung der Politik gegenüber der französischen Besatzungsmacht, und Peter Altmeier, der erste Ministerpräsident des Landes,142 nutzte diese Chance entsprechend. Für die Zusammenfügung der einzelnen Teile des Landes setzte er sich verstärkt ein, gegen separatistische Bestrebungen hatte er sich bereits während der Besatzungszeit vehement gewehrt,143 und auch die Aussöhnung mit Frankreich war ihm ein Anliegen. Die Annäherung zwischen Deutschland und Frankreich sollte jedoch nicht um den Preis der Separation von Teilen des Rhein- oder Saarlandes, das erst 1948 die Qualität eines Landes mit Regierung, Landtag und Verfassung erhielt, vonstatten gehen. Als bedeutsam für die europäische Versöhnung empfand der Ministerpräsident das Bemühen der französischen Besatzungsmacht um einen Ausgleich zwischen den beiden Völkern. Er selbst förderte Initiativen, die zur 139
s.
Ebd., 503. 140 Carlo Schmid: Europe only possible as a Federation, in: Documents on the History of European Integration, S. 505; allgemein zum Konzept Föderalismus als Grundstruktur, ebd. Nr. 154, S. 513 - 516 (514). 141 Über die Bildung von Rheinland-Pfalz und diesbezügliche Überlegungen in Paris, Rheinland-Pfalz entsteht. Beiträge zu den Anfängen des Landes Rheinland-Pfalz in Koblenz 1945 - 1951; hrsg. von Franz-Josef Heyen, S. 31 - 47. 142 Zu Peter Altmeier, Heyen, Franz-Josef: Peter Altmeier (1899 - 19TI) Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, in: Rheinland-Pfalz entsteht, S. 199 - 208. 143 Hindemann, Rainer: Zur Politik der französischen Besatzungsmacht, in: RheinlandPfalz entsteht, S. 31 -58 (46) stellt fest, daß der pfälzische Separatismus von untergeordneten Chargen der Militärregierung eine gewisse Förderung erfuhr.
II. Die Länder und die europäische Integration
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Verbreitung des Europagedankens in der Jugend beitragen sollten.144 Bald konnten Partnerschaften zwischen dem Rheinland und Burgund vermittelt werden.145 2.4 Die Situation in den anderen Ländern Die Konzentration auf süd- und südwestdeutsche Politiker in diesem Abschnitt soll nicht heißen, daß nur diese aktiv an der Verbreitung des Europagedankens beteiligt waren. Das würde bedeuten, die Stellungnahmen von Politikern wie Ernst Reuter, Karl Arnold, Wilhelm Kaisen und Max Brauer zu schmälern, um nur einige weitere Landespolitiker zu nennen, deren Stellungnahmen zu Europa Wirkung entfalteten. Allerdings läßt sich als Unterscheidungskriterium zwischen nord- und süddeutschen Politikern festlegen, daß bei letzteren stärker politische Zielsetzungen vorherrschend waren, während sich jene vor allem an der wirtschaftlichen Seite des europäischen Einigungswerks interessiert zeigten. So erkannte Ernst Reuter den europäischen Weg als den einzig möglichen, um eine Sozialisierung der Wirtschaft zu erreichen.146 Wirtschaftspolitische Gründe ließen den nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Arnold schon früh an eine europäische Lösung der Ruhrfrage denken. Er brachte die Idee einer Fusion der Bereiche Kohle und Stahl bereits 1949 vor und verband sie mit der Forderung, daß statt des Wiederauflebens des Nationalismus ein "gesunder ehrenvoller europäischer Patriotismus" vonnöten sei. Würde nur an der Vision einer gemeinsamen europäischen Politik festgehalten,147 so könnte nationales Denken - und hier kam er Ehard recht nahe - für immer beseitigt werden. Für den Hamburger Bürgermeister Brauer spachen ganz eindeutig ökonomische Gründe für einen raschen Zusammenschluß der europäischen Staaten.148 Schon während seiner Emigrationszeit in den USA war er Verfechter einer europäischen Födera144 Darüber Heyen, S. 206. 145 N""h . D ., IV. a eres daru""ber m
146 Reuter, Ernst: Wege und Formen der Sozialisierung, in: Ernst Reuter. Schriften, Reden; hrsg. von Hans E. Hirschfeld und Hans J. Reichhardt. Bd. 3; hrsg. von Hans J. Reichhardt. Berlin oJ., S. 297 - 318, bes. 307 - 310. 147 Amold, Kar!: Radioansprache vom 1.1.1948, in: Documents on the history of European Integration, Nr. 156, S. 519 - 521; zu Amolds Europapolitik, Hüwel, Detlev: Kar! Amold. Eine Biographie. Wuppertal 1980. 148 Brauer, Max: Die Ergebnisse der Brüsseler Europatagung, in: Max Brauer: Nüchternen Sinnes und heißen Herzens. Reden und Ansprachen. Harnburg oJ., S. 121 - 133, abgedr. in englisch, in: Documents on the History of European Integration, Nr. 157, S. 521 - 524.
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B. Föderalismus als Ordnungsmodell
tion gewesen, was zu einem Teil wohl auch auf seine Freundschaft mit Coudenhove-Kalergi zurückgeführt werden kann. Für ihn schien nun ein Traum wahr zu werden, so daß er sich sehr stark in der Buropabewegung engagierte.149 Aus den Tagen seines amerikanischen Exils rührte wohl auch das Konzept, die Konkurrenz zu den USA mache den europäischen Einigungsprozeß nötig, da die Schwächen der Wirtschaft offenkundig seien und ökonomische Ressourcen nur über ein staatenübergreifendes Zusammengehen erhalten werden könnten. Brauer, aber auch sein Amtskollege Kaisen,150 setzen sich damit von der offiziell von Schumacher verkündeten Parteilinie ab.151 In den Stellungnahmen dieser Politiker sind weniger deutlich Tendenzen erkennbar, ein föderalistisch aufgebautes Europa als Schablone für die Eigenständigkleit zu erkennen. Trotzdem sei die Vermutung erlaubt, daß es anscheinend die Länder waren, die, weil sie entweder auf eine staatliche Tradition zurückschauen konnten oder wie Nordrhein-Westfalen reich an entsprechenden Ressourcen waren, meinten, eine Rolle im zukünftigen Europa spielen zu können. Es stellte sich die Frage, auf welche Art und Weise sie diesen Weg zu gehen gedachten; sollten sich die Landespolitiker in den sich konstituierenden europäischen Bewegungen engagieren oder zunächst die weitere staatliche Entwicklung in Deutschland abwarten? Die Frage zielt somit auf ihre Prioritätensetzung, worüber der nächste Abschnitt erste Hinweise geben soll.
3. Die Fonnation der Europäischen Einigungsbewegung und die Rolle deutscher Landespolitiker Wenn die Europa-Union auf ihrer ersten Großkundgebung die Durchsetzung des föderalistischen Prinzips sowohl für ihre Organisation als auch für den innerstaalichen Bereich forderte und daraus ableitete, daß 149 Vgl. dazu seine Rede auf dem Treffen des Deutschen Rates der Europäischen Bewegung in der Paulskirche in Frankfurt, in: ebd., Nr. 165, S. 551 - 555; Brauer verstand ähnlich wie Schmid und Ehard den Europagedanken als zivilisatorischen Begriff.
150 Während der Debatte auf dem SPD-Parteitag vom 21.- 255.1950 in Harnburg um den Beitritt der Bundesrepublik zum Europarat waren es neben Brauer nur noch Paul Löbe, Heinz-Joachim Heydom sowie mit Einschränkungen Willy Brandt, die für den Beitritt stimmten. Als Folge seiner Kritik an der offiziellen Parteilinie wurde Kaisen, der sich zum Zeitpunkt des Parteitags in den USA befand, aus dem Vorstand gewählt, darüber Walter Lipgens im Vorwort zu Nr. 164. Protokoll der Verhandlung des Parteitags der SPD 21-25. Mai 1950, in: Documents on the History of European Integration, S. 543 - 551. 151 Zur SPD und ihrer Haltung bezüglich der Integration Deutschlands in Europa, Hrbek, Rudolf: DieSPD-Deutschland und Europa. Die Haltung der Sozialdemokratie zum Verhältnis von Deutschland-Politik und West-Integration (1945 - 1957). Bonn 1972.
II. Die Länder und die europäische Integration
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Deutschland eine demokratisch-föderalistische Staatsform brauche als Vorbild für den erstrebten föderalistischen Aufbau Europas,152 so zeigen sich Parallelen zu entsprechenden Äußerungen der Landespoütiker. Um so mehr muß es erstaunen, daß in den ersten Nachkriegsjahren deren Engagement in den Europa-Vereinigungen offensichtlich eher gering war.153 Hoegner bildete eine Ausnahme, als er sich bereit erklärte, dem zentralen Gründungsausschuß der Europa-Union beizutreten.154 Diese Beobachtungen lassen ein Zweifaches vermuten: das Konzept der Bewegungen schien den politisch Verantwortlichen allzu diffus, oder die Hoffnungen auf eine internationale politische Ordnung konzentrierten sich auf die staatlichen Institutionen, so daß die europäischen Vereinigungen allenfalls als Foren für Privatpersonen aufgefaßt wurden. Erst nachdem mit der Ministerpräsidentenkonferenz von 1947 in München und den ernüchternden Ergebnissen der Außerministerkonferenzen der Jahre 1947 und 1948 der Bruch zwischen der Sowjetunion und den westlichen Verbündeten Zweifel an einer weltumspannenden Lösung aufgekommen waren, wurde den europäischen Einigungsbewegungen und ihren Aktionen gesteigerte Aufmerksamkeit durch die Politiker zuteil. 3.1 Die Entstehung der Europäischen Bewegung Bereits kurz nach Kriegsende waren spontane, voneinander unabhängige Gruppen entstanden, die für die Überwindung der Vergangenheit und für den Zusammenschluß der europäischen Völker eintraten.155 Im November und Dezember 1946 wurden in vielen deutschen Städten Buropavereinigungen gegründet, die zunächst mit materiellen Schwierigkeiten zu kämpfen hatten. Die ersten Kontakte über die Landesgrenzen hinaus kamen nur schleppend in Gang, da jeweils auf die örtliche Dienststelle der Besatzungsmacht Rücksicht zu nehmen war. Das Bestreben dieser lokalen Gruppierungen war der Zusammenschluß der europäischen Länder unter einer europäischen Verfassung und die Gründung der Vereinigten Staaten von Europa als Träger wesentlich
152 Documents, S. 431. 153Dies steUt Stillemunkes, S. 448 fest. 154Lipgens, Die Anfange der Europäischen Einigungspolitik, S. 424. 155 Ebd., s. 389.
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B. Föderalismus als Ordnungsmodell
vergemeinschafteter Souveränitätsrechte.156 Die Zielsetzungen dieser Gruppen wurden im Hertensteiner Programm vom 21. September 1946 niedergelegt, das "... eine auf föderativer Grundlage errichtete europäische Gemeinschaft ..."als notwendigen Bestandteil einer wirklichen Union (Art. 1) propagiert, die sich föderalistischen Grundsätzen verpflichtet fühlt (Art. 2).157 Bemerkenswert ist, daß in diesem frühen Dokument bereits die Begriffe auftauchen, die später die Diskussion um die Weiterentwicklung der europäischen Integration bestimmen sollten: Föderalismus und Europäische Union. Im Föderalismus wurde ein dynamisches Element erkannt, das Möglichkeit zu einem größeren Zusammenschluß biete. Politische und wirtschaftliche Gesichtspunkte - der Hinweis auf die Saar und die Ruhr macht es deutlich- stehen ergänzend nebeneinander.158 Geringere Wirkung entfalteten Vereinigungen, wie zum Beispiel die "Europäische Volksbewegung", bei denen nationalistische Parolen europäische übertönten.159 In rascher Folge konstituierten sich daneben Nachfolgeorganisationen von Verbänden, die bereits in der Zwischenkriegszeit eine Rolle gespielt hatten, nach 1945 aber zu einer programmatischen Erneuerung bereit waren. Zu erwähnen sind die "Paneuropa-Union" Harnburg und Freiburg160 mit den Nachfolgegründungen in Berlin und im Rheingau, in Bad Romburg und Oberbayem.161 Der Wunsch nach Zusammenfassung der einzelnen Organisationen blieb nicht aus. Am 1. August 1947 wurde der "Europa-Bund" gegründet; darin verschmolzen die "Deutsche Liga für eine föderalistische Union Europas", die "Europäische Aktion", die "Paneuropa-Union", die "USE-Liga" und die "Union-Europa-Liga".162
156 Ebd., s. 437. 157Abgedr. in: 45 Jahre Ringen um die Europäische Verfassung, Dok. 48, 21.9.1946, s. 217 f. 158Dieser Aspekt wurde auch in den Entschließungen des I. Kongresses der UEF in Montreux am 30.8.1947 unterstützt, abgedr. in: 45 Jahre, Dok. 49, S. 219- 223. 159So Stillemunkes, S. 448. 160oarüber Lipgens, Die Anfänge der europäischen Einigungspolitik, S. 389. 161 ruchard Coudenhove-Kalergi zeigte sich zunächst distanziert, vgl. Ders.: Ein Leben für Europa. Köln, Berlin 1966. 162Grundsätze des Europa-Bundes v. 22.- 23.8.1947, abgedr. in: Documents on the History of European Integration, Dok. Nr. 149, S. 495. In Punkt 7 wird festgehalten, daß der EuropaBund sich von der regionalen Ebene aus organisieren werde, um den Kontakt zur Bevölkerung zu gewährleisten.
II. Die Länder und die europäische Integration
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Der Zusammenschluß der Europa-Union, die sehr rasch ein großes Netz von Landesorganisationen aufweisen konnte, mit anderen Bewegungen zur Europa-Liga am 12. April1947 war nicht von langer Dauer. Es hatte Unstimmigkeiten wegen der Parteigebundenheit einiger Mitglieder sowie der Unterstützung durch die liberale Partei gegeben.163 3.1.1 Der Raager Kongreß Auf dem Raager Kongreß vom 7. bis 10. Mai 1948 fanden sich viele der genannten Gruppen zusammen, um Vorstellungen über den künftigen Aufbau Europas zu entwickeln. Zur Vorbereitung des Kongresses bildete sich ein Internationales Koordinationsbüro aus Repräsentanten der "UEF', der Vertreter der "Nouvelles Equipes Internationales" der christdemokratischen Parteien164 und Mitgliedern der "EPU". Dazu kamen noch das "United Europe Movement" von Churchill, die Gruppierung "Conseil Fran~ pour l'Europe unie" und die "Legion Europeenne de Cooperation Economique". Churchill hatte die Präsidentschaft des Raager Kongresses übernommen, an dem 750 Delegierte teilnahmen und der "... zu einer kraftvollen Demonstration des europäischen Einigungsgedankens wurde".165 Unter anderem wurde dort die Idee eines europäischen Parlaments vorgestellt, ein Gedanke, den die Außenminister von Belgien und Frankreich aufnahmen und durch den Vorschlag zur Bildung eines Europäischen Rates der Ministerpräsidenten und eines Ständigen Büros dieses Rates ergänzten. Von Oktober 1948 bis Februar 1949 schlossen sich die Verbände zur "Europäischen Bewegung" zusammen. Duncan Sandys, Churchills Schwiegersohn, übernahm die Führungsrolle; zögernd verhielt sich nur noch die "Parlamentarische Union" des Grafen Coudenhove-Kalergi. Die Organe der Europäischen Bewegung waren das Internationale Exekutiv-Komitee und der Internationale Rat, der aus den Delegierten der
163zu den Kontakten der Europa-Union mit der FDP, Lipgens, Die Anfänge der europäischen Einigungspolitik, S. 418; Hinweise zur "Europaeinstellul}g" der FDP fmden sich auch in Glatzeder, Sebastian: Die Deutschlandpolitik der FDP in der Ara Adenauer: Konzeptionen in Entstehung und Praxis. Baden-Baden 1980. 164vg1. dazu IV. Kongreß der NEI der christdemokratischen Parteien: Resolution für Politische Autorität, 14.4.1950, abgedr. in: 45 Jahre Ringen, Dok. 66, S. 291 f. 165Dazu Raager Kongreß: Resolution des Politischen Ausschusses, 10.5.1948, abgedr. in: 45 Jahre, Dok. 54, S. 240 - 242; zur Bewertung des Raager Kongresses, Brugmans, Hendrik: Der Raager Kongreß nach vierzig Jahren - Reflexion eines Zeitzeugen, in: Integration 11 (1988), s. 47 - 55.
74
8. Föderalismus als Ordnungsmodell
Verbände, den Nationalen Räten der Europäischen Bewegung und deren Exekutiv-Komitees gebildet wurde. 3.1.2 Der Deutsche Rat der Europäischen Bewegung Bei der Gründung des Deutschen Rates der Europäischen Bewegung hatte Sandys in dem Journalisten Eugen Kogon einen tatkräftigen Unterstützer seiner Idee. Kogon lud im Januar 1949 circa neunzig Personen des öffentlichen Lebens zu einer Besprechung mit Sandys nach Kronberg bei Frankfurt ein,166 wo sich das provisorische Exekutivkomitee konstituierte. Die Liste der Eingeladenen war lang, darunter Ministerpräsident Arnold aus Nordrhein-Westfalen, Dr. Baumgartner aus München, Dr. Hermann Brill aus Hessen, der bayerische Ministerpräsident Ehard, der Direktor der bayerischen Staatskanzlei, Frhr. von Gumpenberg, Dr. Hausleitner vom Bayerischen Landtag, Staatssekretär Pfeiffer, Carlo Schmid und Walter Strauss. Bei der Zusammenkunft ergab sich ein Zwischenspiel, das nicht ganz zufällig schien. Als Baumgartner entdeckte, daß sein Name von der Vorschlagsliste für die Wahl des Exekutivkomitees gestrichen worden war, erwiderte Hausleitner, Baumgartner habe sich im Bayerischen Landtag zusammen mit seiner Partei sehr deutlich gegen das Werk des Parlamentarischen Rates ausgesprochen, während doch der deutsche Staat, der in Bonn gegründet werde, nur ein Vorläufer der Europäischen Union sei. Als Baumgartner auf die europäische Bedeutung der bayerischen Selbständigkeit hinwies, soll er nur Gelächter provoziert haben.167 Aufgabe der nationalen Räte war es, alle maßgebenden Kräfte der öffentlichen Meinung in Hinblick auf die Fragen, die mit Europa zusammenhingen, zu vereinen und die Ergebnisse der Tagungen des Internationalen Rates und seines Exekutivkomitees für die Einflußnahme auf die Regierungen zur Verfügung zu stellen. Die Europäische Bewegung konnte sich allerdings in der Folgezeit nicht zu einer Massenbewegung entwickeln, obschon die Begeisterung zunächst recht groß war; als nachteilig erwies sich, daß gezielte Aktivitäten, mit deren
66vg1.
1 Loth, Wilfried: Die Europa-Bewegung in den Anfangsjahren der Bundesrepublik: Vorstellungen und Initiativen, in: Die Eingliederung der Bundesrepublik in die westliche Welt; vgl. auch BayHStA StK 112 990 Europa-Union Europäische Einigungsbewegung. Dt. Generalsekretariat Stuttgart 28.1.1949, Rundschreiben Nr. 19. 167Comides, Wilhelm: Die Anfänge des europäischen föderalistischen Gedankens in Deutschland 1945 -1949, in: Politisches Archiv 6 (1951), S. 4243-4258 (4256).
II. Die Länder und die europäische Integration
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Hilfe die gewünschten Veränderungen hätten vorbereitet werden können, vernachlässigt wurden.168 3.2 Das Engagement der Landespolitiker in den europäischen Vereinigungen Die Landespolitiker waren zunächst einmal finanziell angesprochen. Zum anderen war ihre Mithilfe bei der Verbreitung des Gedankenguts erwünscht. Sie wurden dann auch laufend mit Rundschreiben der europäischen Vereinigungen konfrontiert, wenn diese zu Einladungen aufforderten oder um finanzielle Zuschüsse baten.169 Die Europa-Union war in dieser Hinsicht die aktivste Vereinigung_l7° Die Politiker verhielten sich gegenüber diesen direkten Einwirkungsversuchen eher zurückhaltend. Man sammelte fleißig Berichte der Vertreter beim Internationalen oder Nationalen Rat, das persönliche Engagement blieb allerdings gering. Die häufigen Absagen auf entsprechende Einladungen bestätigen dies zumindest für die bayerische Seite.171 Zur fmanziellen Unterstützung erklärte man sich in entsprechendem Rahmen bereit. Es gab einen Beschluß,172 wonach die Finanzierung der Europäischen Bewegung zur Hälfte vom künftigen deutschen Bund und von den Ländern geleistet werden sollte. Direkt erging daher die Bitte an den Ministerpräsidenten, auf das Budget für die internationalen Organe der Europäischen Bewegung, vorschußweise einen angemessenen Beitrag - entsprechend der Größe und der Bedeutung der Länder - zu leisten. Wörtlich hieß es dazu: "... da es sich für jedes einzelne Land und für die Gesamtheit um eine Sache von großer Tragweite handelt, die eine Ausgabe aus öf-
168
So Brugmans, S. 55.
169Die Einladungen an die Bayerische Staatsregierung waren sehr zahlreich, BayHStA StK 112 989; Berringer von der Europa-Union sprach am 22.11.1948 vor; BayHStA StK 112 989 Begrüßungswort Ehards bei einer Großkundgebung der Europa-Union am 12.7.1950. 170Das Programm der Europa-Union koppelte die Themen Deutschland und Europa, vgl. BayHStA StK 110 989. So erhielt Pfeiffer von Generalsekretär Roßmann eine Einladung zum ersten ordentlichen Kongreß der Europa-Union v. 19.- 225.1949 in Hamburg, vgl. BayHStA StK 112 989 Berringer -> Pfeiffer 55.1948; zu den Erwartungen an diesen Kongreß, BayHStA StK 112 989 Roßmann -> Pfeiffer Mai 1949. 171So sagte Pfeiffer ab, bei dem 1. Kongreß der Europa-Union zu sprechen; er gab als Grund die Beratungen des Grundgesetzes im Landtag an, BayHStA StK 112 989. 172von den Entschließungen des Haager Kongresses hörte Ehard durch Brill, Spiecker und Mitgliedern des Exekutivkomitees des Deutschen Rates der Europäischen Bewegung, vgl. BayHStA StK 112 990.
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B. Föderalismus als Ordnungsmodell
fentlichen Mitteln nicht zuletzt zur Verhütung einseitiger Einflüsse tatsächlich rechtfertigt."173 Einige Ländervertreter fühlten sich verpflichtet, ihre Unterstützung durch eine Anwesenheit bei den internationalen Tagungen zu dokumentieren - sie wollten es sich nicht leisten, im internationalen Rahmen auf eine Stellungnahme zu einem föderalistisch strukturierten Europa zu verzichten. Über die Einschätzung der Wirksamkeit solcher Engagements gab es durchaus Unterschiede zwischen den Ländern. Es ist daher verständlich, daß Nordrhein-Westfalen häufig bei solchen Konferenzen anwesend war, bildeten doch Maßnahmen zur gemeinsamen europäischen Rohstoffverwaltung immer wieder Themenschwerpunkte.174 In der deutschen Delegation beim ersten Kongreß des Internationalen Rates der Europäischen Bewegung in Brüssel175 waren als Ländervertreter Ministerpräsident Arnold, der Regierungspräsident von Hannover, Staatsminister Spiecker sowie die Kultusministerin Christine Teusch aus Nordrhein-Westfalen vertreten. Die übrige Zusammensetzung mit Otto Suhr als Vertreter Berlins, Eugen Kogon, dem Rektor der Universität Heidelberg, Geiler, Löwenstein, dem Präsidenten des Deutschen Katholikentags und Ludwig als Vertreter des Gewerkschaftsbundes spiegelte maßgebende Kräfte der öffentlichen Meinung wider. Auch Ehard und Brauer nahmen die Wahl für die Delegation nach Brüssel an. Es gibt Anzeichen, daß den Politikern die Beschlüsse, die vom Internationalen Rat der Europäischen Bewegung in Brüssel gefaßt wurden, doch recht wirklichkeitsfremd erschienen. Sehr bald wurde klar, daß an die Mobilisierung einer autonomen europäischen Volksbewegung in Deutschland zum damaligen Zeitpunkt nicht zu denken war. Auch die Parteien zeigten kein großes Interesse, entzog sich die Bewegung doch ihrer Kontrolle. Die Europäische Bewegung glaubte aufgrund ihrer internationalen Zusammensetzung mit ihrer parteiübergreifenden Struktur Garant für die Fortentwicklung der europäischen Einigung zu sein. So ging sie nach wie vor von einer baldigen Einbeziehung Gesamtdeutschlands in die Union aus," ... daß vorerst Westdeutschland und möglichst bald ganz Deutschland einen 173BayHStA StK 110 990 Europ. Bewegung Dt. Rat-> MinPräs Ehard 11.4.1949. 174Ebd. 175Brüsseler ~ongreß der Europäischen Bewegung: Grundsätze und Empfehlungen. 28.2.1949, abgedr. m: 45 Jahre, Dok. 59, S. 266-270.
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Wesensbestandteil des Europäischen Bundes bilden soll ..."176 Daher sei es schon jetzt nötig, Plätze für die osteuropäischen Völker freizuhalten. Engen Kogans Hinweis, die Politik der Europäischen Bewegung gegenüber der offiziellen Regierungspolitk zeichne sich dadurch aus, "... daß sie dieser jeweils um einen Schritt, gelegentlich um mehrere Schritte gleichzeitig, sehr realistisch, nicht utopisch vorausgeht",177 mochte für die tatsächlich in der Politik Tätigen zwar zutreffend sein, war aber sicher nicht anregend für ein verstärktes Engagement. Ein Grund, weshalb die Aktivitäten der Landespolitiker für die Europäische Bewegung nicht sehr ausgeprägt waren, kann darin gesehen werden, daß schon bald wirtschaftliche Gesichtspunkte - unter anderem die Abhängigkeit von der Marshallplan-Hilfe - politische Motive überlagerten. Gleichwohl waren Rücksichten zu nehmen auf Stimmungen in der Bevölkerung, die mit Europa eben nicht nur wirtschaftspolitische Zielsetzungen verbanden. 3.3 Die deutsche Öffentlichkeit und ihre Einstellung zu Europa In einer Umfrage178 sollte ermittelt werden, inwiefern die Öffentlichkeit in den Westzonen national oder europäisch dachte und urteilte. Neben der Antwort als Deutscher oder als Europäer konnte man auch als Angehöriger eines Landes - "als Westfale", "als Bayer" - antworten. Bezüglich der wirtschaftlich und finanziellen Perspektive überwog die Antwort "als Deutscher" mit 59,79 Prozent, mit "als Europäer" antworteten 26,04 Prozent. Im Rahmen ihres Landesgebiets dachten nur 2,68 Prozent, eine erstaunlich geringe Zahl für die rein föderale Landesperspektive. Innerhalb der Zonen ergaben sich bezüglich "europäisch" kaum Unterschiede; in der amerikanischen Zone war die Prozentzahl für "als Deutscher" mit 51,66 Prozent am niedrigsten; in der britischen betrug sie dagegen 63,61 Prozent, in der französischen 61,89 Prozent. Die zweite Frage lautete: "Was fänden Sie eine glückliche Zukunftslösung: Wiederherstellung Deutschlands als völlig unabhängiger Nationalstaat mit eigenen Zollgrenzen oder Deutschland als gleichberechtigtes Mitglied einer europäischen Vereinigung?" 43,99 Prozent plädierten für ein Deutschland als Nationalstaat, 35,86 Prozent waren für ein Deutschland als 176BayHStA StK 112 990 Bericht Kogons über den Brüsseler Kongreß. 177Ebd. 178 BayHstA StK 112 990 EMNID-Umfrage "Sind wir Demokraten" 1949; darüber auch Comides, S. 4256.
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gleichberechtigtes Mitglied in einer europäischen Vereinigung, 20,15 Prozent hatten keine Meinung. Je nach Besatzungszone lassen sich geringe Unterschiede ermitteln. So war das Ergebnis in der ehemals amerikanischen Besatzungszone mit 31,33 Prozent am niedrigsten. Das Stimmenverhältnis für ein Deutschland als Teil eines europäischen Ganzen betrug dagegen in der britischen 37,73 Prozent und in der französischen 37,66 Prozent. Der unterschiedliche Prozentsatz ist jedoch nicht ausreichend, um eventuelle Rückschlüsse auf die Förderung der "Europabegeisterung" durch die Besatzungsmächte zu ziehen. Der Prozentsatz der Personen ohne Meinung war in der amerikanischen Zone mit 25,93 Prozent am höchsten; hier sprachen sich 42,74 Prozent für einen unabhängigen Nationalstaat aus; in der britischen Zone waren es 44,25 Prozent, in der französischen 45,19 Prozent (hier war die Zahl der "Meinungslosen" mit 17,15 Prozent am geringsten). Die mangelnde Unterstützung des Europäischen Bundespakts läßt den Rückschluß zu, daß es - trotz einer positiven Einstellung in der Bevölkerung für den Europagedanken - im Kreis der Landespolitiker Vorbehalte gab, ein föderalistisches Integrationsmodell zu fördern. Der Europäische Bundespakt war Resultat der zweiten Sitzungsperiode der Beratenden Versammlung des Europarats. Durch einen Pakt föderalen Charakters hoffte man dem Ziel eines politisch und wirtschaftlich geeinten, föderativ strukturierten Europas näherzukommen, damit ein europäisches Regierungsorgan geschaffen werden könnte. Der Konflikt zwischen Funktionalisten und Föderalisten, der bereits den Haager Kongreß beinahe hatte platzen lassen, erschwerte die Durchsetzung. Ursprünglich war beabsichtigt, daß jedes Landesparlament, jeder Kreistag und jeder Stadtrat sich zu der Initiative entschließen würde. Die bayerische Staatsregierung wollte den Europäischen Bundespakt erst dann unterstützen, wenn der Deutsche Bundestag die Resolution angenommen hätte.179 Jede Besprechung mit den Fraktionsvorsitzenden und den Landtagspräsidenten konnte daher nur vorläufig sein. Ein eigenständiges Vorabhandeln war nicht beabsichtigt. Es ist zu vermuten, daß das Verschanzen hinter dem primären Entscheidungsrecht des Bundestags nicht auf rein staatsrechtliche Verfahrensweisen zurückzuführen, sondern Zeichen dafür ist, daß sich die föderalistische Linie keine Mehrheit verschaffen 179Deutscher Bundestag, Resolution für einen Eu~ischen Bundesstaat, 26.7.1950; siehe Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 1. Wahlpenode 1949, Drs. 1193.
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konnte.180 Lediglich das Berliner Stadtparlament und der Landtag von Baden gingen auf die Aufforderung des Deutschen Rates zur Entschließung über einen europäischen Bundespakt ein. Das Aktionskomitee für den Europäischen Bundespakt war mit den Städten Frankfurt, Hildesheim und München wegen einer Abstimmung in Verbindung.181 Lediglich in den kleinen Städten Breisach und Castrop-Rauxel kam es zu einer solchen.182 Obwohl die Bundespakt-Kampagne nicht zur Zufriedenheit der EuropaUnion verlaufen war, versuchte sie doch, weitere Fortschritte durch ein direktes Werben in der Öffentlichkeit zu erzielen. Der Einsatz wurde zu Beginn der 50er Jahre insofern belohnt, als Meinungsumfragen eine recht positive Bilanz über die Einstellung zu Europa durch die Bundesbürger vermittelten183. 41 Prozent der Bundesbürger glaubten im Februar 1953, daß der Zusammenschluß der westeuropäischen Staaten zu den Vereinigten Staaten von Europa noch zu ihren Lebzeiten stattfinden würde. 37 Prozent meinten bei Entscheidungen weiterhin in wichtigen Fragen einem europäischen Parlament das letzte Wort zubilligen zu können. 14 Prozent wollten die letzten Beschlüsse bei den nationalen Parlamenten verankert wissen. Darüber hinaus suchte man, die Kontakte mit der Regierungsebene aufrechtzuerhalten. So intensivierte die Europa-Union Mitte der 50er Jahre die Bemühungen, daß die Länder dem Förderkreis des jeweiligen Landesverbandes als kooperatives Mitglied beitreten sollten.184 Den unionsregierten Landesregierungen fiel dies leichter, da die Europa-Union ihre Initiative in den 50er Jahren immer mehr in Übereinstimmung mit dem Europa-Kurs der Regierung Adenauer koordinierte. Die enge Anlehnung an die Regierungspartei erschwerte das Verhältnis zur SPD. Die Perspektive eines vereinten Europas mit föderalistischen Strukturen verbanden eine Reihe von Landespolitikern mit der Zielsetzung eines föderalistisch aufgebauten Deutschlands. In diesem Zusammenhang wurde der Wunsch nach Eigenständigkeit kleiner regionaler Einheiten hervorgehoben. Die Unterstützung der Idee eines föderativen Aufbaus der Vereinigten 180Ausdrücklich war jedoch festgelegt, daß zunächst durch den Deutschen Bundesrat und die Landesparlamente eine Resolution verabschiedet werden sollte, die erst dann dem Bundestag zugehen sollte, BayHStA StK 112 991 Vormerkung 2.6.1950. 181 BayHStA StK 112 992 Europ. Bewegung Rundschreiben Nr. 6 v. 16.10.1950. 182vg1. Loth, Die Europa-Bewegung in den Anfangsjahren der Bundesrepublik, S. 7; bis zum Mai 1953 gab es über 1,6 Mio "Europa-Bekenntnisse". 183HStAS FA 4/Bu 101. 184HStAS FA 4/Bu 101 Europa-Union.
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B. Föderalismus als Ordnungsmodell
Staaten von Europa durch die Landespolitiker hatte jedoch nicht zwangsläufig eine enge Anhindung an europäische Vereinigungen zur Folge. Die Distanz ist im Gegenteil auffällig. Anscheinend erschienen ihnen die Inhalte wenig konkret, vor allem in Hinblick auf die Idee eines Gesamteuropas, so daß sie über eine finanzielle Unterstützung hinaus wenig Bereitschaft zum Engagement zeigten. Das Schicksal des Europäischen Bundespakts, für dessen Verwirklichung die Europa-Union mit großem Einsatz warb, ist ein Beispiel für eine Haltung der Landespolitiker, die sich schon frühzeitig auf die Beeinflussung der "offiziellen" Einflußkanäle orientierten. Als sich im Rahmen des Länderrats, des Wirtschaftsrats sowie bei den Verfassungsverhandlungen zeigte, daß sich ein Grundstock an föderalistischem Gedankengut in den Wiederaufbau Deutschlands einbringen ließ, konzentrierte man sich zunächst darauf, Einfluß in den sich konstituierenden staatlichen Einrichtungen zu gewinnen. Die Aktivitäten der Länder in bezug auf den wirtschaftlichen und staatlichen Wiederaufbau werden daher Gegenstand des nächsten Kapitels sein. III. Auf dem Weg zur Bundesrepublik: Der Einsatz der Länder für eine föderalistische Staatsordnung Die Auseinandersetzung um die föderative Ordnung setzte bereits vor den Verhandlungen im Parlamentarischen Rat ein. Neben den Konzepten der Alliierten wurde sie bestimmt von den Vorstellungen, die in den Kreisen des deutschen Widerstands vertreten worden waren. 1. Lände"at und Wirtschaftsrat als Institutionen der föderalistischen Zusammenarbeit auf dem Weg zur Staatsgründung
Es wurde zunehmend deutlicher, daß die Errichtung überregionaler Koordinierungsgremien nötig war, um die erforderliche gesetzgeberische Arbeit zu leisten. Die Unterschiede in den konzeptionellen Vorstellungen der Landespolitiker über deren Funktionsfähigkeit waren jedoch größer als zunächst angenommen.
1.1 Der Länderrat Am 17. Oktober 1945 errichtete die amerikaDisehe Militärregierung den Länderrat in Stuttgart. Es waren vorwiegend wirtschaftliche Überlegungen, die die Besatzungsmacht bewogen hatten, dieses Gremium als Ausgleich für die fehlende deutsche Zentralgewalt zu schaffen. Die Amerikaner sahen in
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ihm ein Organ für die Entfaltung föderalistischer Konzepte und übertrugen ihm in wachsendem Maß Eigenverantwortung im Rahmen entsprechender Richtlinien.185•186 Nach Ansicht Bayerns kam die Errichtung des Länderrats zu früh, erkannte man doch in seiner Konzeption "gefährliche" zentralistische Tendenzen.187 Nach dem Zusammenschluß der amerikanischen und britischen Zone zeigte sich der bayerische Länderratsbevollmächtigte Seelos allerdings zuversichtlich, die Ministerpräsidenten der britischen Zone für eine Gestaltung Deutschlands im föderalistischen Sinn zu gewinnen.188 Immer wieder gab es Koordinierungsschwierigkeiten mit Groß-Hessen und Württemberg-Baden, die durch eine straffe Organisation auf mehr Effizienz hofften.189 Die Ministerpräsidenten waren sich nicht einig, wie stark sie ihren Einfluß geltend machen sollten. Während Ehard sich für eine starke Stellung aussprach, bezeichnete es der Württemberger Maier als großen Fehler, wenn die Ministerpräsidenten auch nach der Bildung der Landtage weiterhin so starke Funktionen einnähmen wie bislang.190 Hintergrund war offensichtlich die Befürchtung der anderen Länder, von Bayern majorisiert zu werden. Dies betraf vor allem das vorgesehene Stimmenver185vg1. Kock, S. 239, Anm. 220; vgl. auch Schröder, Hans-Jürgen: Die amerikanische und das Problem der westdeutschen Integration 1947/48 - 1950, In: hi-
Deutschland~litik
stoire des debuts de Ia construction europeenne; ed. by Raymond Poidevin. Baden-Baden 1986, S. 71 - 92 (87, 92). Aufgabe des Länderrats war es, •... im Rahmen der politischen Richtlinien des Besatzungsmacht die über das Gebiet eines Landes hinausgehenden Fragen gemeinschaftlich zu lösen, Schwierigkeiten im Verkehr der Länder zu beseitigen und die wünschenswerte Angleichung der Entwicklung auf den Gebieten des politischen, sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Lebens sicherzustellen". Beschluß des Länderrats v. 6.11.1945 (Nr. 2 des Statuts); vgl. auch aay, in: From Clay Personnet for Echols, 15. 10. 1946, in: The papers of General Lucius D. Qay, Bd. 1, S. 270 - 272 (271): "It must be remernbered that the Laenderrat is an agency of military government ... In the absence of a constitutional delegation of powers to the Laenderrat it could become politically impossible for the Minister Presidents to serve on that body. lt is our view that it is much more desirable for this to be incorporated in the constitutions than to place it on our reservation.•
186stBKAH 0859; vgl. auch BayHStA StK 110 911 Staatsrechtliche Entwicklung in Deutschland; danach steuerte die amerikanische Politik einen Mittelkurs zwischen dem britischen Zentralismus und dem französischen Aufteilungsföderalismus.
187vg1. MinPräs Hoegner: "Bayern führt einen jahrhundertelangen Kampf gegen die Zentralgewalt des Reiches. Ich muß als Bayer gegen die Schaffung einer neuen Zentralgewalt scharf Stellun~ nehmen. • zit. nach Kock, S. 239 Anm. 223; Bayern gelang es darüber hinaus auch nicht, semen Kandidaten für das Generalkonsulat, Konsul a.D. Gebhard Seelos, durchzusetzen. Statt dessen wurde der SPD-Kandidat Roßmann gewählt. 188Kock, S. 243.
189Die Länderchefs, die ihre Verantwortung für ein reibungsloses Funktionieren des Länderrats nicht als vorrangig ansahen, mußten öfters angemahnt werden, BayHStA StK 112 117 Generalsekretariat des Länderrats -> Ehard 18.2.1947. 190BayHStA StK 112 117 über die Länderratssitzungen v. 22.1.1947 und 4.2.1947.
6 Fuhnnann-MittJmeier
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hältnis im beratenden Parlamentarischen Rat des Länderrats.191 So erklärte der Ministerpräsident von Hessen, Stock, daß in einem Bundesstaat, den man doch wolle, keine Überstimmung der einzelnen Länder stattfinden dürfte, auch nicht von seiten Bayerns.192
1.2 Der Wirtschaftsrat Am 29. Mai 1947 unterzeichneten die Militärgouverneure ein Abkommen, mit dem am 10. Juni 1947 das "Vereinigte Wirtschaftsgebiet" mit Sitz in Frankfurt entstand. Das wichtigste Organ war der Wirtschaftsrat, der am 25. Juni 1947 zum ersten Mal zusammentrat.193 Die 52 Mitglieder, die aus den Landesparlamenten kamen, bildeten Fraktionen. Dies hatte zur Folge, daß zunächst die Länderinteressen gegenüber den Parteiinteressen zurücktraten.194 Seelos meinte bei den norddeutschen Mitglieder der CDUFraktion eine antibayerische Stimmung zu erkennen, wohingegen in den Reihen der SPD deutliche Sympathien für das föderative Modell in der Vorstellung Bayerns bestünden.195 Der CDU-Politiker Adenauer hielt in wichtigen Fragen eine Angleichung der Meinung der CDU- und CSU-Vertreter im Exekutiv- und Wirtschaftsrat für unbedingt erforderlich.196 Gegenüber Ehard entsetzte er 191 zur Funktion des Parlamentarischen Rates, BayHSIA StK 112 117 Vormerkung. 192Ebd.; zur Begründung Ehards, warum der Vorrang den Süddeutschen zukomme, Ehard, Die europäische Lage, S. 25 ff. 193zur Organisation, StBKAH 0859 Adenauer ->Vorstand CSU. Der Wirtschaftsrat be-
saß das Recht der Gesetzgebung, daneben hatte er ein Aufsichts- und Weisungsrecht gegenüber den Verwaltungen. Diese wurde unter fünf Direktoren organisiert. Der Exekutivausschuß, ein Konzept zwischen föderalen und unitarischem Konzept, sollte die Koordinierung besorgen; er erwies sich jedoch als nicht sehr wirksam, vgl. BayHSIA StK 110 298 Erklärung Ehards 29.1.1948.
194BayHSIA StK 110 298 Seelos an Bay. Staatskanzlei, BayHSIA StK 110 298 MinPräs-Besprechung, StBKAH 0859 Protokoll der 3. Tagung der Arbeitsgemeinschaft der CDU/CSU.
195 BayHSIA StK 110 298; vgl. BayHSIA StK 110 298 Stellungnahme der Minis!erpräsidenten zum Entwurf einer Proklamation der Militärregierung; dabei ergab sich eine Ubereinstimmung Nordrhein-Westfalens mit den süddeutschen Ländern; so auch BayHSIA StK 110 298 Ehard -> Adenauer; StBKAH 0859 Adenauer -> Pfeiffer 25.1.47; das Engagement steigerte sich quasi zum bayerischen Alleinvertretungsanspruch, BayHSIA StK 110 298 Ehard -> Seelos; BayHSIA StK 110 298 Erklärung Ehards 25.1.1948; BayHSIA StK 110 298 Ehard -> Adenauer; zur Kritik an Ehard, StBKAH 09.01 Bay. Staatskanzlei -> Adenauer; Kock, S. 140.
196BayHSIA StK 110 298 Adenauer -> Ehard 22.8.1947; seine Kritik bezo~ sich vor allem auf Köhler, der der sozialdemokratischen Partei, dem niedersächsischen Mimster Kubel den Posten eines Direktors des Amts für Wirtschaft zuschanzen wollte (Briefe II, Nr. 598); Adenauer sorgte sich, daß durch die Auseinandersetzungen zwischen CDU und CSU das Ansehen der Parteien leiden würde, StBKAH 08.59 Adenauer -> Pfeiffer 25.1.1947; allgemein zur CDU, Adenauer, Konrad: "Es mußte alles neu gemacht werden": die Protokolle des CDVBundesvorstandes 1950 - 1953; bearb. von Günter Buchstab, Stuttgart 1986; über den Versuch, den parteipolitischen Föderalismus der Union zu überwinden, ebd., S. XIV, XXL,
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sich, daß bei der Nominierung des Direktors des Wirtschaftsrats der bayerische Vertreter ausschließlich die Interessen seines Landes im Auge gehabt hätte. Er forderte den Ministerpräsidenten deshalb auf, in Zukunft Sorge zu tragen,"... Herrn Dr. Seelos doch daraufhin zu instruieren, daß er im allgemeinen mit der Mehrheit der CDU-Fraktion im Wirtschaftsrat zusammengehen muß, und daß er nur in ganz besonderen Fällen mit Ihrer Zustimmung davon abgehen darf."197 1.3 Zur Funktion der Parteien Was sich mit dem Wirtschaftsrat angedeutet hatte, setzte sich fort - die langsame Abnahme des Einflusses der Länderchefs auf der einen Seite und der Kompetenzzuwachs der Parteien auf der anderen Seite. Die Arbeitsgemeinschaft der CDU und der CSU hob bei ihrer Tagung am 2./3. Juni 1947 in Würzburg die wichtige Funktion der Parteien hervor als "Träger des politischen Gesamtwerks des deutschen Volkes."198 Bei ihnen liege es, die fortschreitende Verselbständigung der einzelnen Zonen aufzuhalten, einen neuen Nationalismus zu verhindem und alles zu vermeiden, was zum Auseinanderfallen Deutschlands führte. Auch die Initiative im europäischen Einigungsprozeß sollte in den Händen der überregionalen Parteien zentralisiert werden.
2. Die Verfassungsberatungen Als sich zeigte, daß auf internationaler Ebene eine einvernehmliche Lösung der Siegermächte immer unwahrscheinlicher wurde, engagierten sich die Länder in Fragen der Verfassung für das zukünftige Deutschland. Mit der Errichtung des "Deutschen Büros für Friedensfragen" sollte die süddeutsche Zusammenarbeit gefestigt werden.199
XXIV; vgl. XV zur Statutenänderung v. 22.4.1953, wodurch es eine paritätische Repräsentation der Landesverbände in der CDU-Spitze gab. 197BayHStA StK 110 298 Adenauer -> Ehard 22.8.1947; Ehard war dazu nicht bereit, BayHStA StK 110 298 Ehard -> Adenauer 14.11.1947. 198stBKAH 08.59 Protokoll der 3. Tagung der Arbeitsgemeinschaft der CDU/CSU, 13.15.3.1947. 199zur süddeutschen Zusammenarbeit im Friedensbüro, Kock, S. 256 - 263.
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B. Föderalismus als Ordnunpmodell
2.1 Die süddeutsche Zusammenarbeit im Friedensbüro Am 14. März 1947 fand eine Zusammenkunft des hessischen Staatssekretärs Brill mit den Bevollmächtigen des württembergischen und bayerischen Ministerpräsidenten in der Bayerischen Staatskanzlei statt.200 Die dabei auftretenden Meinungsverschiedenheiten machten bald deutlich, daß eine derartige Zusammenarbeit von vornherein belastet war.
Brill schlug eine Volksvertretung (Bundesrat) vor, die aus zwei Häusern, einer Volkskammer und einem Staatenhaus, bestehen sollte. Staatssekretär Pfeiffer meinte, daß dadurch die erwünschte Stärkung des bundesstaatliehen Charakters nicht gewährleistet sei. Es sollte daher ein Organ geschaffen werden, das sich aus den Regierungen der Länder zusammensetze. Der Vertreter Hessens wollte zwar auch die Rechte der Länder gesichert sehen, formulierte jedoch viel vorsichtiger. Seine Hinweise auf Übergangsregelungen hatten Kompromißcharakter. Für den endgültigen verfassungsmäßigen Zustand Gesamtdeutschlands hielt er eine dauernde Beteiligung der Länder für durchaus erwägenswert; für den Augenblick jedoch komplizierten die Forderungen Bayerns die Lage. Für Württemberg erklärte Staatssekretär Fritz Eberhard, daß man sich mit diesen Dingen nicht in der vorgetragenen Ausführlichkeit beschäftigt habe. Ohne sich endgültig festlegen zu wollen, neigte er aber den Vorstellungen Brills zu. Unter den süddeutschen Länder waren die Auffassungen über eine föderalistische Ausgestaltung und die Funktion der Länder in einem Bundesstaat Deutschland demnach kontrovers. Durchgängig vertrat die Staatsregierung Bayerns die ausgeprägteste "föderalistische Haltung", während die anderen süddeutschen Länder, vor allem Württemberg und Hessen, sich um Lösungen bemühten, die dem Bund weitgehende Kompetenzen beließen. Auf dieser Basis ließen sich keine gemeinsamen Strategien entwickeln. Die Initiative ging daher bald auf die Parteien über. 2.2 Die Verfassungsberatungen im Kreis der Parteien Überlegungen zu einer künftigen Bundesverfassung fanden in den Parteien schon im Laufe des Jahres 1947 statt. So empfahlen die Sozialdemokraten auf ihrem Nürnberger Parteitag vom Juli desselben Jahres einen
200oazu näher StBKAH 08.67 Bericht von einer Besprechung über Verfassunpfragen o.D.
ill. Einsatz der Länder
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stark dezentralisierten Staat mit einem "Reichsrat", der sich aus Mitgliedern der Landtage zusammensetzten sollte.201 Süddeutsche Politker der Unionsparteien gründeten auf Initiative des bayerischen Staatsministers Anton Pfeiffer, des stellvertretenden hessischen Ministerpräsidenten Wemer Hilpert sowie Hermann Gögler, dem Staatssekretär von Württemberg-Baden, den Ellwanger Freundeskreis.202 Anlaß war die Befürchtung, im Falle eines föderalistischen Staatsaufbaus von CDU und SPD "überfahren" zu werden; statt dessen sollte für den Zusammenschluß der föderativen Kräfte Süddeutschlands rechtzeitig Sorge"getragen werden. Nach den ausgearbeiteten Grundsätzen für eine deutsche Bundesverfassung, die auf Entwürfe von Walter Strauss, Glum, von Brentano und Strickrodt zurückgingen und ihren letzten redaktionellen Schliff am 22. und 23. März 1948 in der Bayerischen Staatskanzlei erhielten,203 war Deutschland als Bundesstaat zu organisieren "... mit den sich daraus ergebenden Konsequenzen für die Beschränkung der Souveränität sowohl der Länder wie des Bundes." Angesichts der zu erwartenden europäischen Integration wäre es im Rahmen der Bundesverfassung nötig, Grundlagen für einen Beitritt der Bundesrepublik in eine europäische Staatenföderation und die Vereinten Nationen zu schaffen. Ausdrücklich wurde in diesem Zusammenhang betont, Föderalismus nicht auf Deutschland zu beschränken.204 Die Bereiche Verwaltung und Rechtsprechung wurden grundsätzlich - mit Ausnahme der Regelung auswärtiger Angelegenheiten - als Sache der Länder festgelegt. Das Echo auf die Ellwanger Grundsätze fiel vor allem in der Presse negativ aus.2°5 Die Gerüchte von separatistischen Bestrebungen machten die Runde.206
201 •ruchtlinien für den Aufbau der Deutschen Republik", darüber Kock, S. 263. 202Dazu Vogel, Rudolf: Erinnerungen und Bemerkungen zum "Ellwanger Kreis", in: Ellwanger Jahrbuch 28 (1981), S. 171- 173; Kock, S. 265 ff bes. auch Anm. 61,69; Beurteilung durch Ehard, StBKAH 08.67 Grundsätze für eine deutsche Bundesverfassung. 203siehe StBKAH 08.67 Grundsätze für eine deutsche Bundesverfassung; AC DP 1-029 "Grundsätze für eine Deutsche Bundesverfassung". 204 •... Die Verfasser, die sich alle als Föderalisten bezeichnen, wollen den Föderalismus nicht auf Deutschland beschränkt sehen•, StBKAH 08.67 Grundsätze für eine deutsche Bundesverfassung, Begründung zu 1.2; zit. auch in StBKAH 08.67 Besprechung über Verfassungsfragen, Anm. 85. 205 Das lag u.a. auch daran, daß die föderalen Rechte sehr extensiv Ieseben wurden, dazu insbes. AC-DP 1-029 "Grundsätze für eine Deutsche Bundesverfassung , dort Begründung zu Punkt 1.2. 206Darüber Benz, Föderalistische Politik, S. 783 ff.
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B. Föderalismus als Ordnungsmodell
Die Stellungnahme Adenauers gab überdies nicht zur Hoffnung Anlaß, die Arbeitsgemeinschaft der CDU/CSU würde die Verfassungsgrundsätze billigen. Seine starken Vorbehalte machten deutlich, daß sich die Vorstellungen über die Befugnisse der Zweiten Kammer sowie deren Zusammensetzung aus Regierungsvertretern der Länder nur schwer durchführen ließen.207 Bayerns Konzept, den Bundesrat zum Doyen der Eigenständigkeit der Länder zu machen, schien offensichtlich nicht aufzugehen. Aufgrund der Ansicht, daß der Bundesrat keine, wie Staatssekretär Strauss bemerkte, Frage des Föderalismus sei, ergaben sich die Schwierigkeiten der bayerischen Vertreter mit anderenföderalistisch eingestellten Politikern.208 2.3 Die Londoner Beschlüsse zur Frage des Weststaats Die Frankfurter Dokumente, die die Militärgouverneure den Ministerpräsidenten am 1. Juli 1948 im IG-Farbenhaus in Frankfurt überreichten und die man später als die Geburtsurkunde der Bundesrepublik bezeichnete, entsprachen in ihrem Inhalt nicht dem genauen Wortlaut der Londoner Empfehlungen vom März 1948.209 Bei der Übergabe stand keineswegs fest, in welcher Weise die Ministerpräsidenten überhaupt gewillt waren, sich als Geburtshelfer eines deutschen Weststaats zu betätigen.210 Die Frage war, ob sie ähnlich wie Adenauer reagierten, der sich tief enttäuscht zeigte. Er vermißte das Gefühl für die Notwendigkeit europäischer Zusammenarbeit und meinte, daß das vorliegende Dokument keinesfalls die innere Zustimmung des deutschen
207Auch innerhalb der Union regte sich Mißtrauen; Adenauer zeigte sich besorgt um die Position des Bundeskanzlers; zu den Schwieri2keiten mit anderen föderalistisch eingestellten Politikern, AC-DP 1-029 "Grundsätze für eine Deutsche Bundesverfassung", S. 1 f. 208Dazu Kock, S. 271; AC-DP 1-029 "Grundsätze für eine Deutsche Bundesverfassung" Bej7iindung 2. In einem Rundschreiben nahm Pfeüfer Abschied von den ursprünglichen Ambittonen und meinte: "& wird nun wieder der Geist herrschen, der uns von Anfang an erfüllte", zit. nach Kock, S. 272. 209Die Sechs-Mächte-Konferenz tagte zum zweiten Mal v. 20.4.-1.6.1948 und veröffentlichte am 7.6.1948 das Londoner Deutschland-Kommunique der Westmächte. Schlußkommunique der Londoner Sechs-Mächte-Konferenz über Deutschland und Berlin, 7.6.1948, eng!. Text abgedr. in: Der Parlamentarische Rat 1948- 1949. Akten und Protokolle, Bd. 1, Vorgeschichte bearbeitet von Job. V. Wagner. Boppard 1975, S. 1 - 10. 210Der Spiegel Nr. 28 v. 10.7.1948 kommentierte die Frankfurter Aktion v. 1.7. despektierlich als "Weststaat-Entscheidungsschjacht". Dok. 1 beinhaltete den Auftrag zur Ausarbeitung einer Verfassung, Dok. 2 betraf die Uberprüfung der Ländergrenzen und in Dok. 3 wurde ein Besatzungsstatut angekündigt; zu Dok. 2, Reuter, Christiane: Graue Eminenz der bayerischen Politik. Eine politische Biographie Anton PfeifCers (1888 - 1957). München 1987, S. 168; zu Dok. 3, Schwarz, Hans-Peter: Adenauer. Der Aufstieg 1876- 1952. Stuttgart 1986, S. 574.
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Volkes erhalten werde.211 Für Deutschland ergebe sich aus diesen Empfehlungen, daß es "... niemals ein gleichberechtigtes Mitglied in einem europäischen, wirtschaftlichen oder politischen föderativen Verband sein könne."212 Das Thema Weststaat berührte er nur am Rande, insofern er es begrüßte, "... daß die deutsche Einheit als Ziel anerkannt wird." Offensichtlich konnte Adenauer sich als Parteivorsitzender-diese waren von den Verhandlungen ausgeschlossen - "freier" als die Teilnehmer der Konferenzen verhalten. Zudem geben einige seiner Äußerungen Anlaß zur Vermutung, daß der CDU-Politiker bereits im April1948 von der Teilung Deutschlands als Realität ausging.213 Aus der Sicht der Ministerpräsidenten schien es durchaus von Vorteil, daß sie den genauen Inhalt der Londoner Dokumente nicht kannten, befanden sie sich dadurch doch in einer Position, die es ihnen ermöglichte, ihre Hoffnungen und Erwartungen relativ hoch anzusetzen. Sie, die bisher, zwar in Kooperation mit den Besatzungsmächten, jedoch durchaus auch eigenständig, die Geschicke der Nachkriegszeit mitbestimmt hatten, konnten noch einmal in den Vordergrund treten. 2.3.1 Die Konferenzen von Koblenz und Rüdesheim Die Konferenzen von Koblenz und Rüdesheim214 werden häufig unter dem Aspekt beurteilt, daß zwischen den beiden Zusammenkünften ein Meinungsumschwung stattgefunden hätte, stark beeinflußt von der Rede Ernst Reuters, der unter dem Eindruck der Berlin-Blockade ein klares Bekenntnis zum Weststaat forderte. 215 Andererseits ließe sich diskutieren, ob 2111n dieser kritischen Haltung wurde er von der JU Harnburg unterstützt, die ihm für seine klaren Worte zu den Londoner Beschlüssen dankte. Nach Ansicht der JU kam der Gedanke des Wiederaufbaus Europas zu kurz: "Unser Wille jedoch, hierfür zu arbeiten und Opfer zu bringen, hat nur dann Wert, wenn unser Beitrag einer der ersten Schritte zu einer allgemeinen europäischen Zusammenarbeit ist.• zit. nach StBKAH 0852 JU Harnburg 25.6.1948. 212 Laut der Empfehlungen sollte die zu erarbeitende Verfassung"... so gestaltet sein, daß sie es den Deutschen ermöglicht, ihren Teil dazu beizutragen, die gegenwärtige Teilung Deutschlands wieder aufzuheben, jedoch nicht durch die Wiedererrichtung eines zentralistischen Reiches, sondern mittels einer föderativen Regierungsform ...• zit. nach Der Parlamentarische Rat, Dok. 1, S. 12. 213so Schwarz, Adenauer, Der Aufstieg, S. 575. 214Berichte über die Abläufe, in: Der Parlamentarische Rat 1948/49. Akten und Protokolle, Bd. II; bearb. von J.V. Wagner. München, Wien 1979, S. XXXIII -XLIV, DokumenteS. 60 -142 (Koblenz), S. 172-269 (Rüdesheim). 215vg1. auch Strauß, Franz Josef: Die Rittersturz-Konferenz - ein Meilenstein auf dem Weg zur Bundesrepublik Deutschland- Erinnerung und Auftrag, in: Stationen auf dem Weg zum Grundgesetz; hrsg. vom Bundesrat. Bonn 1988, S. 16 - 39; Literatur zu den Konferenzen: Brandt, Willy, Richard Löwenthal: Ein Leben für die Freiheit. Eine politische Biographie.
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die Einsicht in die Notwendigkeit eines Weststaats bereits vor dem Treffen der Ministerpräsidenten gegeben war. Waren die Ministerpräsidenten nur noch nicht bereit, dafür die Verantwortung zu übernehmen, weil immer noch die Option auf Bildung eines Gesamtstaats bestand? Schon im April 1948 war die Zustimmung zur Errichtung eines deutsehen Teilstaats bei Ehard erkennbar: ''Warum nicht einen deutschen Bundesstaat vorläufig aufrichten. Hier eine Wirtschaft aufbauen und eine Verbindung mit den anderen europäischen Ländern zu errichten ..., wenn wir auch gezwungen sind, einen Teil Deutschland aufzurichten, so sollte dies in der Form eines vernünftigen föderativen Aufbaus geschehen ... dazu kommt, daß ein Weststaat in diese zentralisierten Form mit dem Mißtrauen der umliegenden Länder rechnen müßte" und "Bei diesen Dingen spielt die Frage Weststaat, Teildeutschland, Donauföderation keine Rolle."216 Als weiterer Hinweis ist anzuführen, daß in beiden Konferenzen die Bezeichnungen Verfassung oder verfassungsgebende Versammlung entweder vermieden oder zumindest relativiert wurden und damit in beiden Konferenzen an der Vorstellung der Bildung eines Provisoriums Weststaat festgehalten wurde. Anscheinend gingen die Länderchefs noch bei ihrem Treffen vom 8. bis 10. Juli 1948 davon aus, daß sie aufgrund deutschlandpolitischer Kontroversen der Alliierten genügend Spielraum hätten, sich also nicht vorzeitig durch die Zustimmung zur Errichtung eines Separatstaates gegenüber einer gesamtdeutschen Verantwortung kompromittieren müßten.217 Im Vorfeld hatten die CDU/CSU-Landesvorsitzenden und die CDU/CSU-angehörigen Ministerpräsidenten die Frankfurter Dokumente München 1957; Gimbel, John: Die Konferenzen der deutschen Ministerpräsidenten 1945 1949, in: APuZ B31/11, S. 3 - 28; Morsey, Rudolf: Entscheidung für den Westen. Die Rolle der Ministerpräsidenten in den drei Westzonen im Vorfeld der Bundesrepublik Deutschland 1947- 1949, tn: Westfälische Forschungen, Bd. 26 (1976), S. 1 - 24; Schneider, Franz: Die Teilung Deutschlands und die Gründung der Bundesrepublik, in: Der Weg der Bundesrepublik von 1945 bis zur Gegenwart; hrsg. von Franz Schneider. München 1985, S. 11 -56, bes. S. 21 26; Vogelsang, S. 161- 179; Rothstein, Siegmar: Gab es eine Alternative? Zur Vorgeschichte der Gründung der Bundesrepublik, in: APuZ B'liJ/69, S. 3- 62. 216Zit. nach BayHStA StK 113 086 Pressekonferenz 1948; auch Staatsbibliothek München NL Schwend Ana 408 Kasten 7 "Wiedervereinigung". 217me Militär&ouverneure hatten jedoch in Einzelgesprächen deutlich gemacht, daß die Weststaatspläne mcht auf einen Kolonialstatus Deutschlands abzielten, sondern auf eine Autonomie im Rahmen der westlichen Gemeinschaft, Reuter, Graue Eminenz der bayerischen Politik, S. 170 zur Kritik der bayerischen Staatsregierung am amerikanischen Verhandlungsstil. So ging man davon aus, daß das Ergebnis ein Abkommen zwischen der deutschen Regierung und den Besatzungsmächten sein sollte, so daß eine Regierung vor einer Verfassung eingesetzt werden könnte.
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unter dem Aspekt geprüft, wie sie "... trotz der Einschränkung der deutschen Souveränität die Möglichkeit eigenständiger Ordnung in Deutschland enthalten" könnten; danach sah man positive Ansatzpunkte für die "Begründung der politischen und wirtschaftlichen Einheit der drei Westzonen und für die Ausgestaltung der Freiheit und dem Selbstbestimmungsrecht des deutschen Volkes im Verhältnis zu den Besatzungsmächten."218 Bezüglich des Dokuments 1 war als Marschroute vorgegeben, daß die Ministerpräsidenten so bald wie möglich die Bestellung eines von den Landesparlamenten zu wählenden Parlamentarischen Rates für das Besatzungsgebiet der Westmächte veranlassen sollten. Dieser sollte als vorläufige organisatorische Grundlage für die Zusammenfassung der drei westliehen Zonen dienen. Mit diesem eindeutigen Bekenntnis wollte man wohl Bedenken zerstreuen, die in der Times vom 5. Juli 1948 geäußert worden waren, wonach die Ministerpräsidenten den Prozeß der Vedassungsgebung verzögern wollten.219 Auch Ehard wurde in diesem Zusammenhang kritisiert mit seiner angeblichen Äußerung, daß die Zeit für eine verfassungsgebende Versammlung nicht reif sei, weil sie an Dokument 3 und damit das Besatzungsstatut gekoppelt sei. Der direkte Kontakt mit der Verfassungsfrage eröffnete den föderalistisch eingestellten Ländern zudem die Chance, Fehlentwicklungen, wie sie zum Beispiel die Bizonenverwaltung mit den zentralistischen Einrichtungen betrafen, auszugleichen.220 Unter diesen Voraussetzungen ist es wenig verständlich, warum die Weigerung einer eindeutigen Stellungnahme zum Weststaat, die von den Alliierten gefordert wurde, lediglich auf ein Mißverständnis zurückzuführen sein sollte. Offensichtlich wollten die Regierungschefs die Londoner Beschlüsse nicht gefährden, sie gingen jedoch äußerst vorsichtig an die Formulierung eines Teilstaates, weil sie innenpolitisch nicht "in die Ecke" gedrängt werden wollten. Wenn es zu einem direkten Ausgleich zwischen den zwei deutschen Staaten nicht käme, so sollte der europäische Gedanke "als ideologische Verstärkung" der Westorientierung dienen.221 Ehard koppelte daher in 218Bayerische Staatsbibliothek NL Schwend Ana 408 Kasten 7 CDU/CSU zu den Vorschlägen der Gouverneure. 219NL Schwend Ana 408 Kasten 7, The Times v. 5.7.1948
220vgt. darüber Morsey, Zwischen Bayern und der Bundesrepublik, S. 365. 221Stillemunkes, S.453.
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Koblenz die drei Hauptanliegen - Föderalismus, Buropa und deutsche Einheit: "In Dokument I steht, daß die Ratifizierung dieses - nennen wir es Organisationsstatut - durch die Länder erfolgt, und diesen entscheidenden Gesichtspunkt können Sie nicht zum Fenster hinauswerfen. In dieser Sache gibt es hier keine Konzessionen, wenn sie wirklich ernsthaft an den föderativen Aufbau gehen wollen, schon in Rücksicht auf die Lage im Osten. Bedenken Sie, daß Sie sich in den europäischen Raum eingliedern wollen."222 Man war auch bereit, dafür Zugeständnisse zu machen: "Daß man dabei etwas zugeben oder abgeben muß, ist selbstverständlich - aber hier können die Wünsche geltend gemacht werden und die Grundsätze ausgefochten werden, soweit es notwendig ist, auf der politischen Ebene im Parlament oder bei der Schaffung des Grundgesetzes."223 Stärker als die Abneigung gegen einen Weststaat war anscheinend der Wille zum Aufbau einer funktionsfähigen Wirtschaft und Verwaltung.224 Es waren vor allem die Regierungschefs von Bayern und Harnburg die, auf entsprechendem Druck der Militärgouverneure hin, die noch zögernden Ministerpräsidenten zu überzeugen suchten, rasch ihre Zustimmung zum Aufbau einer einheitlichen Verwaltung in den drei Westzonen zu geben.
222Akten zur Vorgeschichte der Bundesrepublik Deutschland 1945 - 1949, Bd. 2, Koblenz, S. 103; vgl. ergänzend dazu in einem Schriftstück der bayerischen Staatskanzlei: "Die deutsche Politik muß also Wiedervereingung und europäische Emigung zugleich in gleicher Stärke anstreben, die europäische Einigung unter den gegebenen Umständen aber als ersten Schritt betrachten." Die Ministerpräsidenten sahen sich überhaupt als Förderer der Wiederherstellung der Einheit, Der Parlamentarische Rat, Bd. 2, S. 125. 223BayHStA StK 113 086 Pressekonferenz mit Ehard 9.4.1948.
224 Bayerische Staatsbibliothek NL Schwend Ana 408 Kasten 7 CDU/CSU zu den Vorschlägen der Gouverneure; die folgenden Seitenzahlen beziehen sich auf: Akten zur Vorgeschichte der Bundesrepublik 1945 - 1949, Bd. 2; vs;. auch Senatspräsident Kaisen: "Wir erklären, daß Westdeutschland zu einer einheitlichen Verwaltun~Jtze kommt, vor allen Dingen zu einer Heranbringung der französischen Zone an die BJZone: diese beiden großen politischen Gesichtspunkte sind es, die uns veranlaßten, positiv zu den Dokumenten Stellung zu nehmen." Kaisen, S. 68: "Wenn wir aber vorwärts kommen wollen, brauchen wir irgendeine Organisation, die über den Ländern so etwas ähnliches wie eine Regierungsgewalt schafft. Daß dies nur in den westlichen Zonen sein kann, ist bei Gott nicht unsere Schuld. Das ist halt eine Tatsache.• Ehard, S. 77: "Wir sind uns auch darüber klar, daß es kein Land gibt ohne Regierung und daß wir deshalb auf eine Regierung hinarbeiten müssen, unbeschadet selbstverständlich des Namens. Wir alle lehnen hochtrabende Namen ab, sind aber für eine sofortige Inangriffnahme in schlichter, aber wirksamer Weise zum Aufbau Westdeutschlands." Maier, S. 78: "Der Wert des Ganzen liegt darin, daß ein Staatsgebilde geschaffen wird, das geeignet ist, die wirtschaftliche Lage der Bevölkerung zu verbessern." Ehard, S. 76: "Aber wir wollen wenigstens dahin kommen, daß wir unsere Verwaltung und unsere Wirtschaft wieder ingangsetzen können, wenn auch unter Aufsicht, wenn auch unter Druck, daß wir selbst wieder Sprecher sind gegenüber den Besatzungsmächten und ltegenüber dem Ausland. Wenn wir das erreichen wollen, dann müssen wir von dieser Ermächtigung Gebrauch machen."
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Carlo Schmid brauchte dann nur noch auf einen Punkt zu bringen, was eigentlich schon alle wußten, aber durch sprachliche Tricks vorläufig noch zu relativieren versucht hatten. Er sprach vom Grundgesetz statt von Veifassung und vom Parlamentarischen Rat statt von Veifassungsgebender Ver-
sammlung.
Brauer konnte sich also mit seinem Vorschlag vom Grundgesetz durchsetzen, denn eine Verfassung sollte es erst geben, wenn die deutsche Souveränität wiederhergestellt wäre.Z25 Der Skepsis, die zu Beginn der Konferenz von Koblenz Wobleb vertreten hatte, schlossen sich am Ende Kaisen und Schmid an. Schmid wiederholte seine Warnung, daß eine gleiche oder ähnliche Terminologie über die verschiedenen Intentionen nicht hinwegtäuschen dürfe.226 Die anderen Ländervertreter beharrten darauf, daß die Linie zwischen Koblenz und Rüdesheim eine kontinuierliche sei. Diese Ansicht könnte auch durch die Vermutung gestützt werden, daß in beiden Fällen die Einsicht in die Notwendigkeit der Schaffung einer "kraftvollen Organisation" im Vordergrund stand, die politische Begründung dafür in Rüdesheim nachgereicht wurde, als man erkannte, daß die Miltärgouverneure auf eine Entscheidung drängten. Danach wäre in Koblenz vorrangig gewesen, auszuloten, wie weit man länderspezifische Wünsche durchsetzen könnte, in Rüdesheim dagegen die Option, durch entsprechende terminologische Konzessionen die volle Verantwortung zu verlagern. Voraussetzung wäre dabei in beiden Fällen die Erkenntnis gewesen, daß aus ökonomischen und ideologischen Gründen bereits sehr früh der Weststaatsgedanke präsent war. 2.4 Die Verhandlungen von Herrenchiemsee und im Parlamentarischen Rat Der Herrenchiemseer-Entwurf sah für die föderative Zweite Kammer als Alternative einen Bundesrat oder Senat vor.227
225 Der Parlamentarische Rat, Bd. 2, S. 123 f. 226 Ebd., s. 220. 227Die Äußerungen Ehard§ von 1952 können gleichsam als Motto der Verhandlungen gelten: "Wir lassen uns von der Ubeneujllng nicht abbringen, daß das zentralistische Einheitsstaatssystem für Deutschland nicht paßt und ins Unglück hineinführt ... es ist nicht wahr, daß der föderative Organismus der Bundesrepublik uns von den allüerten Westmächten aufgezwungen worden sei. Der Föderalismus der EG ist keine Importware, sondern primitivste Rücksicht auf deutsche Gegebenheiten, Notwendigkeiten und auf deutsches Staatsdenken•, Bayerische Staatsbibliothek NL Schwend Ana 408 Kasten 7 Aus der Rede vor der Landesversammlung der CSU 1952.
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Zugunsten der Durchsetzung des Bundesratsprinzips wurde eine angemessene Beteiligung der Länder an der Willensbildung des Bundes angeführt, während für den Senat das Zurückdrängen der Dominanz der Bürokratie spreche. Den Grundzügen der im Herrenchiemseer Entwurf vorgeschlagenen Bundesratsvariante schlossen sich die Vertretern der CDU/CSU an. Die Sozialdemokraten gewannen insgesamt der Senatslösung mehr ab. Theodor Heuss schlug als dritte Möglichkeit ein gemischtes Prinzip vor - eine aus Vertretern sowohl der Landtage als auch der Landesregierungen zusammengesetzte Zweite Kammer.228 Es wird zu untersuchen sein, ob sich in den Verhandlungen im Parlamentarischen Rat Koalitionen zwischen den Ländern herausbildeten oder ob parteigebundene Gesichtspunkte dominierten.229 2.4.1 Bundesrats- oder Senatslösung: die Koalition der Süddeutschen
Adenauer begründete die Notwendigkeit, rasch zu einem Ergebnis zu kommen, mit der Rolle Deutschlands im Kalkül der Siegermächte. Deutschland müßte endlich eine Vertretung haben, weil sich sonst die Aufnahme in ein vereintes Europa als gleichberechtigtes Mitglied erschwerte.230 Der Abgeordnete Kaufmann aus Württemberg-Baden unterstützte diese Vorgabe.Z31 Bei einem Treffen in Frankfurt/MaiD hatten die Ministerpräsidenten den Vorschlag Adenauers negativ bewertet, der auf eine gemischte Lösung aus228In Anlehnunf; an das in der Frankfurter Nationalversammlung vorgeschlagene Staatenhaus, siehe Neunre1ther, Karlheinz: Der Bundesrat zwischen Politik und Verwaltung. Heidelberg 1959. 229cDU/CSU und SPD stellten je 27 Abgeordnete, die FDP 5, Zentrum, DP und KPD je 2, vgl. Die CDU/CSU im Parlamentarischen Rat: Sitzungsprotokolle der Unionsfraktion; eingel. und bearb. von Rainer Salzmann. Stuttgart 1981, S. XI; vgl. auch Der Parlamentarische Rat, S. 286 ff. In der Beurteilung der Zusammensetzung des Gremiums wird die Schlüsselposition der. FDP kritisiert, ebd., S. XII ff; daneben taucht der Vorwurf auf, die süd- und südwestdeutschen Länder hätten nur die parteipolitische "zweite Garnitur" geschickt im Gegensatz zu den norddeutschen; dazu auch: Ley, Richard: Föderalismusdiskussion. Mainz 1978, s. 74. 230siehe Die CDU/CSU im Parlamentarischen Rat, S. 433. Im Januar 1949 betonte Adenauer nochmals, warum er eine rasche Etablierung einer westdeutschen Rejl;ierung wolle, denn nur so werde die Anhindung an den Prozeß der europäischen Einigung IR Gang kommen, Adenauer, in: Ders.: Briefe 1947 - 1949. Berlin 1984, bearb v. Hans Peter Mensing; hrsg. v. Rudolf Morsey und Hans-Peter Schwarz, Nr. 1070, S. 392 v. 31.1.1949. 231 Dazu Die CDU/CSU im Parlamentarischen Rat, S. 438: •... hätten die Franzosen großes Interesse, mit einer westdeutschen Regierung zu Rande zu kommen trotz aller Widerstände und mit dem westdeutschen Staat eine europäische Gemeinschaft zu bilden.•
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gerichtet war und begründeten dies mit den zu erwartenden Schwierigkeiten bei der Durchführung. Die Einrichtung eines entsprechenden Sprachrohrs für die Länder auf Bundesebene war für Adenauer nicht die entscheidende Frage.232 Er erkannte aber die Notwendigkeit, sich mit ihnen zu arrangieren und hoffte obendrein mit der bayerischen Staatsregierung als der Wortführerin der Länderwünsche zu einem entsprechenden Einvernehmen zu gelangen.233 Er wollte sogar zugestehen, daß der Bundesrat "... gutachterlieh zu allen Gesetzesentwürfen der Bundesregierung und Initiativgesetzen im Bundestag und Senat gehört werden kann."234 Entschiedenes Handeln war schon deshalb notwendig, weil Ehard bereits Kontakte mit anderen Unionspolitikern aufgenommen hatte.235 Der bayerische Ministerpräsident wußte geschickt den Nord-Süd-Gegensatz für sein Anliegen in die Diskussion einzubringen, wenn er ausführte, daß "... wir im Süden bisher immer der Meinung (waren), daß gerade am Rhein der föderalistische deutsche Staatsgedanke dann Blüten treiben müßte, wenn er durch den Zwang des preußischen Staatsdenkens nicht mehr in Fesseln gehalten" werde.236 Der Zwang zum Kompromiß machte aber den Ausgleich regionaler Gegensätze nötig. Unter dem Einfluß Bayerns rückten auch die anderen süddeutschen Vertreter von ihrer vormaligen Haltung ab. Binder aus Württemberg-Hohenzollern und Fecht für Baden traten nun für das reine Bundesratsprinzip ein.237 Das Zusammenspiel zwischen Bayern und Württemberg-Hohenzollern zeigte sich unter anderem darin, daß Ehard beauftragt wurde, für Gebhard Müller zu sprechen.238 Auch der hessische Vertreter Strauss unterstützte die bayerische Haltung. Die Front der Süd232Die CDU/CSU im Parlamentarischen Rat, S.199. 233So forderte er die Aufgabe einiger Positionen, dazu Briefe II, Nr. 1076 v. 7.2.1949, S. 395; vgl. auch StBKAH 09.02 Erklärung des CSU-Abgeordneten Sigmund Mayr, Vorsitzender des Bezirksverbandes Mittelfranken 85.1949; Adenauer hielt sich mehr an den fränkischen Flügel der CSU; dies wurde bes. deutlich bei der Frage der Annahme oder Ablehnung des Grundgesetzes durch Bayern, vgl. auch StBKAH 09.02 Mayr -> Adenauer 195.1949. 234Adenauer, Briefe II, Nr. 1003 v. 10.11.1948, S. 341. 235 Mit Müller, Wohleb, Altmeier, vgl. StBKAH 09.01 Amold -> Adenauer. 236stBKAH 09.01 Ehard -> Adenauer 20.11.1948. 237Die CDU/CSU im Parlamentarischen Rat, BinderS. 206, Fecht, S. 206 f als Vertretung für Wohleb; dazu Adenauers Reaktion: "Der Gedanke der CDU in der britischen Zone und in Rheinpfalz hat bisher wirkliche Früchte getragen, aber in den übrigen Teilen der drei Zonen hat der Erfolg noch zu wünschen übrig gelassen. Das gilt sowohl für Baden, Württemberg und ... auch für Bayern", ebd., S. 208. 238Darüber ebd., S. 209.
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deutschen durchbrach allein der Abgeordnete Kaufmann aus WürttembergBaden, der sich für die Senatslösung aussprach. Bayerns Schicksal solle nicht allein zum Maßstab gemacht werden, lautete seine Devise. Mit der Festlegung des Bundesratsprinzips im Parlamentarischen Ra~39 hatten sich also weniger Parteiinteressen durchgesetzt, eher schon, wie Carlo Schmid es formulierte, "eine territorial kompakte Gruppe des deutschen Volkes".240 Wie man die Zweite Kammer von der speziellen Erfordernis der Wahrung der Länderinteressen lösen könnte, ohne die Stellung der Länder zu gefährden, wurde während der Beratungen nicht thematisiert. Das bedeutet für unsere Fragestellung. In welchem Maße waren die Länder von echter Mitwirkung ausgeschlossen und daher gezwungen, nach Alternativen für weitere Einflußnahmen zu suchen? Die Forderung nach einem verfassungsändernden Gesetz konnte dies ebenso sein wie der Aufbau direkter Mitwirkungskanäle auf Regierungsebene. Ohne weitere Problematisierung wurde in den Beratungen die Teilung der Funktionen in eine Bundeslegislative und eine ausführende Länderverwaltung festgelegt. Mögliche Folgen, die sich aus dieser Teilung ergaben, wurden nicht problematisiert. So war es unausweichlich, daß sich die "Regelungsdichte" bezüglich der Praxis auswärtiger Angelegenheiten in irgendeiner Weise auf diese Aufgabenteilung innerhalb des bundesstaatliehen Systems auswirkte. Die Forderung, Länderinteressen müßten im Kompetenzgefüge des Bundesstaats stärker artikuliert und besser repräsentiert werden, die seit den 60er Jahren verstärkt auftreten, sind nur Ausdruck dieser Problemlage. Konfliktstoff für die Zukunft bedeutete einmal die Einordnung von Gesetzesbeschlüssen in die Kategorie eines Zustimmungsgesetzes oder eines einspruchsfähigen Gesetzes sowie die Fristsetzung. Bald wurde kritisiert, daß den Kabinetten nicht genügend Zeit zur Verfügung stand, das Ergebnis der Auschußberatungen zu erörtern und die Stimmführer im Bundesrat mit
239Als Wendepunkt wird gemeinhin die Vereinbarung zwischen Ehard (CSU) und Menzel (SPD) gesehen, dazu Die CDU/CSU im Parlamentarischen Rat, S. XXIV, S. 91 und Reaktion Adenauers, S. 92 f. 240Parlamentarischer Rat. Stenographische Berichte über die Plenarsitzungen. Bonn 1948/49 (Reproduktion 1969), Bericht HA v. 30.11.1948, S. 126; vgl. auch StBKAH 08.69 Entscheidender Faktor gegen Totalitarismus. SPD bekämpft föderalistische "Politik der elf Vaterländer".
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entsprechenden Weisungen zu versehen.241 Vorschläge zur Verkürzung wurden von seiten der Bundesregierung unter Adenauer nicht aufgenommen.242 2.4.2 Die Diskussion um die Artikel 24 GG und 32 GG im Parlamentarischen Rat Die Verknüpfung der Bundesratsfrage mit der Regelung auswärtiger Angelegenheiten wird bedeutsam im Zusammenhang mit der Frage, in welchem Maße die zu schaffende Bundesrepublik im Verfassungswerk von völkerrechtlicher Handlungsfreiheit ausgehen konnte. Nach Ansicht des hessischen Vertreters Strauss könnte im Grundgesetz nicht auf völkerrechtliche Handlungsfähigkeit eingegangen werden, da der Bund noch keine solche besaß, während zum Beispiel Adenauer anderer Ansicht war. Er ging davon aus, daß dies eine Nachbesserung der Verfassung bedeutete.243 Während der Debatte um die späteren Artikel 24 GG und 32 GG tauchte diese Kontroverse wieder auf. 2.4.2.1 Artikel24 GG Die Weststaatsfrage wie auch die Zielsetzung eines europäischen Friedensschlusses waren an das Problem der Wiedervereinigung gekoppelt. Der KPD-Angehörige Renner meinte, daß nur Gesamtdeutschland einer übernationalen Gemeinschaft eingegliedert werden könnte.244 Die anderen Vertreter folgten ihm darin nicht, wiewohl sie um die Problematik wußten.245 Der Einwand Renners, von einer Übertragbarkeit von Rechten, er 241Siehe HStAS EA 9/101 Bu 51 Dt. Bundesrat, Sekretariat 5.1.1950; einzelne Vorschläge beziehen sich auf Art. 76 Abs. 2 GG; vgl. allgemein zu den Fristen, Neunreither, S. 55 f; ebd.
s. 317.
242vg1. HStAS EA 9/101 Bu 51 Vertretung Niedersachsens beim Bund 13.11.1950 über den Briefwechsel des Bundeskanzlers mit dem Bundesratspräsidenten v. 6.11.1950; Adenauer meinte, der Bundesrat solle sich darauf beschränken, eine Stellungnahme zu den Grundlinien einer vorgeschlagenen rechtlichen Regelung abzugeben, weil es nicht seine Aufgabe sei, beim ersten Durchlauf in eine "eingehende gesetzestechnische Kleinarbeit" einzutreten; ergänzend zum Grundsatz der Bundestreue, HStAS EA 9/101 Bu 4. 243Die CDU/CSU im Parlamentarischen Rat, S. 23 f.
244 Äußerung des Abgeordneten Renner bezüglich Art. 29 a, Sten. Pari. 29. Sitzung, S. 345 346: "Ich weise abschließend auf die Tatsache hin, daß die deutschen Parteien, die in der Verfassung die Möglichkeit der Eingliederung unseres westdeutschen Separatstaates in den zu schaffenden und in Vorbereitung befindlichen Westblock bzw. den Atlantikblock gehen, damit einen ausführlichen Befehl der Militärregierung ausführen. • f, hier
245 Hrbek, Die SPD, S. 74 f. meint, die SPD hätte sich in der Sache diesem Antrag Renners durchaus angeschlossen, sei aber gegen die verfassungsrechtliche Festlegung gewesen und habe sich daher mit der politischen begnügt.
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meinte hier den späteren Artikel 24 GG, könne bis zur Souveränität Deutschlands nicht ausgegangen werden,246 wurde von den übrigen Vertretern nicht weiter thematisiert. Ebenso wenig wurde die Bindung an eine antizipierte Souveränität in einer übernationalen Gemeinschaft weiter problematisiert. Mit Art. 29 a, dem späteren Art. 24 GG, wollte man vielmehr die generelle Bereitschaft zur Integration zeigen. Aufgrund der Tatsache, daß mit Art. 24 Abs. 1 GG auch genuine Hoheitsrechte der Länder betroffen sind, muß die mangelnde Reaktion der Vertreter der Länder im Parlamentarischen Rat erstaunen. Eindeutige Vorbehalte wurden nicht geäußert. Statt dessen wurde betont, daß man die Tore für eine überstaatliche Regelung weit aufmachen wolle. Es war schließlich der FDP-Vertreter Seebohm, der Einwände erhob gegen die mögliche Übertragbarkeit von Hoheitsrechten.247 Er vertrat die Ansicht, daß ein einfaches Gesetz nicht genüge, um Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen zu delegieren. Die Vertreter der SPD, Carlo Schmid und Katz aus Schleswig-Holstein, folgten ihm darin nicht. Eberhard, ebenfalls SPD-Mitglied, versuchte Seebohms Bedenken mit dem Hinweis auf die positive Auswirkung, die eine Übertragung von Hoheitsrechten im Bezugsfeld einer europäischen Ordnung spielen könnte, zu zerstreuen.248 Auffällig ist, daß weder CDU- noch CSU-Vertreter sich der Forderung Seebohms anschlossen, an Art. 29 a "Der Bund kann durch Gesetz Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen übertragen" den Passus hinzuzufügen: "Dieses Gesetz bedarf der Zustimmung von 2/3 der Mitglieder des Bundesrats."249 Der CSU-Vertreter Schwalber pochte lediglich auf die
246 Sten. Pari. 6. Sitzung S. 70; vgl. auch 29. Sitzung, S. 346. 247 Zu Art. 24 im Parlamentarischen Rat (PR), BayHStA StK 113 028; Seebohm war schon in einem Bericht v. 6.10.1948, in: Die CDU/CSU im Parlamentarischen Rat, S. 623 für die Rechte der Länder eingetreten. Deshalb unterstützte er auch die Bundesratslösung, ebd., S. 624. Art. 30 in der Fassung des Grundsatzausschusses PR 11.48-269: "Der Bund kann durch Gesetz Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen übertragen." 248 Vgl. Vorla~ PR 12.48-340 Art 29 a: "1. Der Bund kann durch Gesetz Hoheitsrechte auf zwischenstaathebe Einrichtungen übertragen. 2. Der Bund kann im Interesse der Aufrechterhaltung des Friedens sein Gebiet in ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einordnen, er wird hierbei, in die Beschränkungen seiner Hoheitsrechte einwilligen, die eine friedliche und dauerhafte Ordnung der europäischen Verhältnisse und der Völkergemeinschaft der Welt herbeiführen und sicherstellen. 3. Zur Regelung zwischenstaatlicher Streitigkeiten wird der Bund einer allgemeinen, umfassenden, obligatorischen internationalen Schiedsgerichtsbarkeil beitreten. Die in dieser Schiedsgerichtsbarkeil geflillten Entscheidungen binden unmittelbar." 249 Ebd., s. 346.
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Garantie des Gegenseitigkeitsprinzips bezüglich der Beschränkung der Hoheitsrechte.250 2.4.2.2 Artikel32 GG Verfolgt man die Diskussion um Art. 41, den späteren Art. 32 GG, im Hauptausschuß, so verwundert die geringe Beachtung, die dem vormaligen Absatz 3 geschenkt wurde: "Vor Abschluß eines Vertrages, der die besonderen Verhältnisse eines Landes berührt, hat der Bund das Land rechtzeitig zu hören."251 Schon eher interessiert die Formulierung von Abs. 1: "Die Zuständigkeit, Verträge mit auswärtigen Staaten zu schließen, richtet sich nach der Zuständigkeit für Gesetzgeber."252 Von Mangold sah die Befugnisse des Bundes nicht gesichert und forderte Klärung. Die Zuständigkeit der Länder wurde auf eine Kann-Bestimmung beschränkt.253 Anscheinend war man sich darin einig, auch ein Rumpfdeutschland - als ersten Schritt zur Wiederanerkennung - in eine europäische Staatengemeinschaft zu integrieren. Bedenken, die eine Einschränkung und Veränderung des bundesstaatliehen Aufbaus gerade durch eine derartige Eingliederung thematisierten, wurden nicht weiter erörtert. Zwei Fragen lassen sich formulieren: War man zu diesem frühen Zeitpunkt bereit, das Drängen auf den Ausbau der föderativen Organisationsstruktur zurückzustellen, damit die nationalen Interessen nicht zu stark berührt würden? Stellte man sich deshalb hinter die Integrationsidee in der Hoffnung, daß sich im Laufe der Entwicklung doch noch weitere Verfahrensmechanismen herausbildeten? Als die Entwicklung dann mit der OEEC und der Diskussion um den Beitritt zum Europarat relativ rasch vonanschritt, blieb es nicht aus, daß die Länder das DefiZit einer entsprechenden Einflußnahme in der Regelung 250 Sten.Parl. 6. Sitzung, S. 71. 251 Sten.Parl. 8. Sitzung, S. 100; letztlich ergab sich nur ein Wechsel der Reihenfolge der Absätze 2 und 3: Art. 32 GG, vormals Art. 41: "1. Die Zuständigkeit, Verträge mit auswärtigen Staaten zu schließen, richtet sich nach der Zuständigkeit zur Gesetzgebung. 2. Für die Einleitung von Vertragsverhandlungen und den Abschluß eines Vertrages mit einem auswärtigen Staat bedürfen die Länder der Zustimmung des Bundes. 3. Vor dem Abschluß eines Vertrages, der die besonderen Verhältnisse eines Landes berührt, hat der Bund das Land rechtzeitig zu hören.• 252 Ebd., s. 100. 253 Von Mangold, in: 48. Sitzung, S. 427 f: "Soweit die Länder für die Gesetzgebung zuständig sind, können sie mit auswärtigen Staaten Verträge abschließen", ebd., S. 628. In der 57. Sitzung, S. 751, wurde der Art. endgültig beschlossen. 7 Fuhnnann-Minlmeier
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außenpolitischer Angelegenheiten erkannten. Obwohl von Ehard die ausschließliche Zuständigkeit des Bundes in auswärtigen Angelegenheiten klargestellt wurde, sollte dies nicht bedeuten, "daß... alle Angelegenheiten des Bundes, die sich auf der internationalen Ebene bewegen, so dem Interessenbereich der Länder entrückt sind, daß sie hier nur schweigen durften."254 Die rechtzeitige Unterrichtung, so fuhr er fort, sei Voraussetzung eines gut funktionierenden Bund-Länder-Verhältnisses und zwangsläufig, da die äußeren Angelegenheiten immer auch auf die innenpolitischen Verhältnisse zurückwirkten. 2.5 Die Einflußnahme nach Konstituierung der Bundesrepublik Den Ländern lag sehr daran, ihr Gewicht weiterhin zur Geltung zu bringen. Einmal war es die Koalitionsfrage, zum anderen die Besetzung der Ministerposten.255 Adenauer mußte Rücksichten auf die Ministerpräsidenten nehmen, weil das Wahlergebnis von 1949 die Regierungsbildung nicht von vornherein festlegte. Er favorisierte eine Koalition mit der FDP und DP,256 wußte aber, wie wichtig dafür eine Absprache mit dem bayerischen Ministerpräsidenten war.257 Das Ergebnis des Gesprächs von Rhöndorf war die Entscheidung gegen eine große Koalition. Nicht nur die Bayern waren in einer entsprechenden Beteiligung an der ersten Regierung interessiert - letztlich besetzte die CSU drei der insgesamt dreizehn Ressorts-, auch Wohleb, neben anderen,258 bemühte sich um eine entsprechende Berücksichtigung seines Landes. Derartige Reaktionen zeigen auf, wie die Regierungschefs der Länder auch nach 1949 bemüht waren, weiterhin die Politik der Bundesrepublik mitbestimmen zu können. Und in der Tat schienen derartige Ansprüche gerechtfertigt, hatten sie doch in den Nachkriegsjahren ihre Fähigkeit unter
2S4 BayHStA StK 113 075 Ehard - > Bundesrat 24.3.1950.
255 Ehard meinte, daß die Einflußnahme gelungen sei, BayHStA StK 113 076 Ehard f. Revue fran~ise; dazu auch StBKAH 09.01 Adenauer -> Ehard 13.8.1949; StBKAH 09.01 Adenauer -> Blank 9.9.1949. 256 So Auftakt zur Ära Adenauer. Koalitionsverhandlungen und Regierungsbildung 1949; bearb. v. Udo Wengst. Düsseldorf 1985, S. 1; Morsey, Rudolf: Die Bildung der ersten Regierungskoalition 1949. Adenauers Entscheidungen von Frankfurt und Rhöndorf am 20. und 21. August 1949, in: HJB 97/98 (1978), S. 418-438. 257
..
Zu Rhöndorf, ebd., S. 424; Auftakt zur Ara Adenauer, Nr. 18; ebd. auch S. 430 ff.
258 StBKAH 09.20 Wobleb -> Adenauer 12.9.1949.
lll. Einsatz der Länder
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Beweis gestellt, auch diffizile Angelegenheiten, wie zum Beispiel die Entscheidung für den Weststaat, lösen zu können. 2.6 Zur Anwendbarkeit der integrationstheoretischen Modelle für die föderalistischen Initiativen der Bundesländer nach 1945 Die Darstellung der wichtigsten Integrationstheorien, der theoretischen Probleme des Föderalismus, der Dezentralisation und der Integration konnte nur in Ansätzen erfolgen. Das hat zur Folge, daß die Aussagen über die Anwendung und Relevanz einzelner Ansätze über den Mechanismus der europäischen Integration nur vorläufig sein können. Eine weitere Schwierigkeit der Übernahme besteht darin, daß die vorgestellten Theorien sich in den meisten Fällen nicht auf den Prozeß der europäischen Integration beziehen, sondern das Phänomen der regionalen Integration im Allgemeinen thematisieren. Ziel der knappen Beschreibung war es daher, die folgende Analyse konkreter Buropapolitik in einen systemtheoretischen Rahmen zu setzen, um dann am Ende ihre Übertragbarkeit auf die Zielsetzung der Europäischen Union zu überprüfen. Obwohl sich an dieser Stelle nicht sagen läßt, welcher Ansatz dem beschriebenen Phänomen am ehesten gerecht wird, ist anzunehmen, daß sich die Frage nicht eindimensional beantworten läßt, sondern unter Hinweis auf verschiedene Theorien. Die Untersuchungsperspektive wird durch die Bedeutung, die der föderalistischen Sichtweise zugewiesen wird, strukturiert. Es ließ sich feststellen, daß der föderale Aspekt konstituierend sowohl für die Besatzungspolitik der Allierten als auch für den Aufbau Deutschlands war. Dies ist maßgeblich auf den Einsatz der Landespolitiker zurückzuführen, die immer wieder auf die Bedeutung des föderalen Prinzips für die Modelle Deutschland und Europa pochten. Daß sie darin schließlich erfolgreich waren, liegt in der Eigenständigkeil ihrer Politik begründet, die sich bis zur Konstituierung der Bundesrepublik relativ ungehindert entfalten konnte. Es blieb nun abzuwarten, ob sie gewillt waren, dieses Potential auch nach 1949 einzusetzen. Die Analyse hat gezeigt, daß sie in ihrem Buropaengagement zunächst die offiziellen Einflußkanäle benützten. Parteipolitische Prioritäten spielten dabei keine Rolle. Es wird zu untersuchen sein, ob sich diese Feststellungen auch für die weiteren Analyseeinheiten bestätigen lassen oder sich im Laufe der Jahre die Zielsetzungen änd~rten.
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B. Föderalismus als Ordnungsmoden
Aufgrund der Entscheidung im Parlamentarischen Rat für Art. 24 GG war der Integrationswille festgelegt. Es ist zu überlegen, ob den Mitgliedern die Konsequenzen bewußt waren, die sich aus dem Spannugsfeld zwischen europäischer Integration contra Erhalt der Länderkompetenzen ergaben. Wenn diese Frage positiv beantwortet wird, so ist sie durch eine weitere zu ergänzen. Hofften die Länder, durch entsprechende Freiräume die Buropapolitik der Bundesregierung mitbestimmen zu können oder verstärkten sie ihre Aktivitäten in außerparlamentarischen Institutionen, zum Beispiel in den Europavereinigungen? An ihrem Verhalten gegenüber den Integrationsprojekten der 50er Jahre
wird dieser Fragestellung nachgegangen. Ziel ist es, die innenpolitische Reaktion im Interessenfeld zwischen der internationalen Lage und der Zielsetzung der Bundesregierung, die auf eine rasche Wiedereingliederung in die westliche Welt gerichtet war, zu beleuchten. Daraus sollen sich erste Ergebnisse für die Fragestellung ergeben, ob die Länder als Förderer oder Bremser der Europapolitk auftraten.
C. Die Eingliederung der Bundesrepublik Deutschland in die westliche Welt 1949-1958. Die einzelnen integrationspolitischen Schritte: Fortschritt oder Rückschritt im Föderalismusverständnis der Länder? Mit der Konstituierung der Bundesregierung im September 1949 waren zwar die formalen Grundlagen der Regierungstätigkeit geschaffen.worden; die Eingriffsmöglichkeiten der Alliierten schränkten aber weiterhin den innen- und außenpolitischen Gestaltungsspielraum erheblich ein. Es war daher selbstverständlich, wenn die Aktivitäten der Bundesregierung sich zunächst auf eine schrittweise Verbesserung der besatzungspolitischen Situation richteten.1 I. Die Handlungsspielräume bundesrepublikanischer Integrationspolitik Da die Bundesrepublik bis Mai 1955 völkerrechtlich zur Disposition der Siegermächte stand, ließ sich bis Mitte der 50er Jahre kaum eine eigenständige Außenpolitik etablieren.2 Jede diesbezügliche Aktivität konnte zunächst nur in Abstimmung mit den Alliierten erfolgen. Davon war zum einen die Frage der Wiedervereinigung betroffen, zum anderen die der dauerhaften Einbindung Deutschlands in die Wertegemeinschaft der westlichen Demokratien. Das Junktim, das zwischen dem Besatzungsstatut und den Integrationsbestrebungen bestand, hatte Auswirkungen auf das innenpolitische Meinungsbild, das sich umschreiben ließe als ein Spannungsfeld zwischen pragmatischer West- und Europaorientierung und dem Wunsch nach Einheit der Nation.
1 Siehe Herbst, Ludolf: Stil und Handlungsspielräume bundesrepublikanischer Integrationspolitik, in: Die Eingliederung der Bundesrepublik in die westliche Welt, S. 259. 2 Besson, Waldemar: Die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland. München 1970; Bracher, Kar! Dietrich: Orientierun~robleme freiheitlicher Demokratie in Deutschland, in: APyZ Bl-2/89, S. 3 - 14; Doenng-Manteuffel, Anselm: Die Bundesrepublik J;?eutschland in der Ara Adenauer. Darmstadt 1983, S. 27; vgl. auch Schwarz, J!ans-Peter: Die Ara Adenauer. Epochenwechsel 1957 - 1%3. Stuttgart 1983; Ders.: Die Ara Adenauer. Gründerjahre der Republik 1949 - 1957. Stuttgart 1981; zum Begriff Handlungsspielraum, Schwarz, Hans-Peter: Die gezähmten Deutschen. Stuttgart 1985, S. 15 ff; Ders., Adenauer, S. 827; allg. zur europäischen Integration jetzt, Loth, Wilfried: Der Weg nach Buropa Geschichte der europäischen Integration. 1939 - 1957. Göttingen 1990.
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C. Die Eingliederung der Bundesrepublik
1. Die Rolle Adenauers Eine entscheidende Rolle bei der Ausbalancierung dieser Interessen kam dem ersten Bundeskanzler zu? Begünstigt durch das hohe Maß an persönlicher Autorität,4 stand Konrad Adenauer in den Aufbaujahren der Republik für jene Konzepte, die dem Gebot der Stunde zu entsprechen schienen. Da Anfang der 50er Jahre an die rasche Wiedererlangung der Souveränität nicht zu denken war, mußte sich die Bundesregierung international als vertrauenswürdig erweisen, sollte das Land ein wichtiger Faktor im OstWest-Konflikt werden. Die Ausgangsbedingung, daß die Teilung Deutschlands gleichsam als stabilisierend für das Staatensystem Europas betrachtet wurde, verstärkte die Abkehr von Neutralisierungsplänen5 und die konsequente Ausrichtung auf die Politik der westeuropäischen Integration. Folgende grundsätzliche Ansichten Adenauers zu Europa lassen sich ermitteln:6 Kein europäischer Staat könne, auf sich allein gestellt, ausreichend für die materielle Existenz und Sicherheit der Bevölkerung sorgen; der europäische Einigungsprozeß sei daher Voraussetzung für eine gesicherte Zukunft. Durch eine Vereinigung der Völker des westlichen Europas als Damm gegen den Materialismus in Gestalt des Kommunismus könne die christlich abendländische Kultur erhalten werden? 3 Konrad Adenauer: Seine Deutschland- und seine Außenpolitik 1945 - 1963; hrsg. von Klaus Gotto u.a. München 1975. 4 So auch Heidenheimer, Arnold J.: Der starke Regierungschef und das Parteien-System: Der Kanzler-Effekt in der Bundesrepublik, in: PVS 2 (1961), S. 241- 262; Schwarz, Hans-Peter: Adenauers Kanzlerdemokratie und Regierungstechnik, in: APuZ B1-2/89, S. 15 - 27 (19). 5 Über die Vorstellungen, Deutschland zu neutralisieren, Hillgruber, Andreas: Alliierte Pläne für eine Neutralisierung Deutschlands 1945 - 1955. Opladen 1987; Doering-Manteuffel, · bes. S. 35. 6 Die Literatur zum Thema Adenauer und Buropa ist vielfältig, Schwarz, Hans-Peter: Adenauer und Europa, in: VZG 27 (1979), S. 471 - 523; Weidenfeld, Wemer: Konrad Adenauer und Europa. Die geistigen Grundlagen der westeuropäischen Integrationspolitik des ersten Bonner Bundeskanzlers. Bonn 1976; Schwarz, Hans-Peter: Adenauer und Europa. Meile 1985; Konrad Adenauer, hrsg. von Klaus Gotto; die Grundzüge von Adenauers Außenpolitik werden in Schwarz, Vom Reich, S. 423 - 479 analysiert; Ders.: Das außenpolitische Konzept Konrad Adenauers, in: Konrad Adenauer. Seine Deutschland- und Außenpolitik, S. 97 - 155; Baring, Arnulf: Außenpolitik in Adenauers Kanzlerdemokratie. München 1971, S. 94 - 117; grundlegend für das Weltbild Adenauers, Poppinga, Anneliese: Konrad Adenauer. Geschichtsverständnis, Weltanschauung und polittsche Praxis. Stuttgart 1975; Schwarz, Adenauer; sowie Adenauer selbst in seinen Erinnerungen, Adenauer, Konrad: Erinnerungen. 4 Bde. Stuttgart 1965 - 1968. 7 So Weidenfeld, Konrad Adenauerund Europa, S. 78, 92.
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Ein europäischer Zusammenschluß bedeute eine "physische Schranke" gegenüber eines weiteren Machtzuwaches der Sowjetunion.8 Eine europäische Familie bereite der deutsch-französisches Rivalität eine Ende; sie sei zudem ein wichtiger Aspekt, nationalistische Strömungen zu verhindem.9 Ein Wiederaufbau Deutschlands sei nur durch eine Einbindung in den Kreis der ehemaligen Kriegsgegner möglich; nur aus einem konstruktiven Miteinander ergebe sich Gleichberechtigung. Deutsche Interessen würden als europäische erkannt,10 denn langfristig ließe sich Friede nur durch das Miteinander der Staaten in einem föderativ aufgebauten Europa garantieren. Die Buropapolitik war somit Strategie, um die deutsche Sicherheit zu gewährleisten, Gleichberechtigung zu erlangen und die Wiedervereinigung möglich zu machen. Sie wurde so gleichsam zum Wendepunkt des Loslösungsprozesses aus der Besatzungszeit Ausgehend von der Teilhabe in der OEEC, der assoziierten Mitgliedschaft im Europarat, über die Partnerschaft mit Frankreich und anderen Staaten in der EGKS gelangte die Bundesrepublik zu einer eigenständigen Rolle im Vorfeld der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Den Vorwurf, Adenauers Handlungsspielraum in außenpolitischer und innenpolitischer Sicht sei gering zu veranschlagen, reduziert Ludolf Herbst auf ein grundsätzliches Perzeptionsproblem: "Indem Adenauer mit den Siegern im Grundsätzlichen konform ging, suggerierte er den Zeitgenossen, er habe vergleichsweise große Handlungsspielräume besessen. Die um nationale Identität ringenden Westdeutschen nahmen das darin steckende Ange8 Adenauers deutschlandpolitische Zielvorstellungen und die Lösung der deutschen Frage bleiben im Kontext seiner Europa-Vorstellungen strittig, Schwarz, Adenauerund Europa, S. 21 weist als unzutreffend zurück, daß Adenauer mit Ostdeutschland nichts im Sinn gehabt habe; Weidenfeld, Konrad Adenauerund Europa, S. 66 spricht von der Akzeptanz der Magnettheorie durch Adenauer; innerparteiliche Schwierigkeiten gab es wegen der "ostdeutschen Frage" mit Jakob Kaiser. 9 Da Adenauer den Buropabegriff kulturell und weltanschaulich unterlegte, konnte er mühelos den Nationalstaatsgedanken darunter subsumieren, vgl. Doering-Manteuffel, S. 32: "Unter den Prinzipien des Föderalismus und der christlichen Demokratie, was sich innenpolitisch gegen den preußischen Zentralismus und die Sozialdemokraten richtet, schien ihm der traditionelle europäische Nationalismus aufhebbar zu sein. In einem westeuropäischen Bundeststaat konnten sich seiner Meinung nach die nationalen Gegensätze und insbesondere die Spannungen zwischen Frankreich und Deutschland reduzieren lassen." 10 Vgl. Adenauer: Briefe 1949- 1951, bearb. v. Hans Peter Mensing; hrsg. v. Rudolf Morsey und Hans-Peter Schwarz. Berlin 1985, Briefv. 27.8.1949 und Schwarz, Adenauer, S. 671.
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bot, mehr zu scheinen als zu sein, gerne an und auch die Westaillierten sahen keine Veranlassung, dieses 'Wir sind wieder Wer-Gefühl' der Deutschen zu stören."11 Die Politik Adenauers war zwar durch Vorgaben der Allüerten determiniert, er verstand es jedoch, innenpolitisch den Anschein zu erwecken, als habe Spielraum bestanden. So stellt sich die Frage, ob nicht gerade im innenpolitischen Wirken, in der Profilierung gegenüber seiner Partei, der Opposition, der Mehrheitsfraktionen und den Landesregierungen Adenauer ein raffiniertes Spiel vorführte, indem er die Nuancierungen, die er sich in der außenpolitischen Haltung gegenüber den Allüerten erlaubte, im innenpolitischen Meinungsbildungsprozeß als nachteilig hinstellte. Dieses Kalkül konnte freilich nur so lange aufgehen, wie Adenauer durch seine starke Position gegenüber dem Kabinett, durch die Mehrheitsfraktionen und die Mehrheit der unionsregierten Länder gestützt wurde. Anfänglich reduzierte sich die innenpolitische Auseinandersetzung auf den kleineren Koalitionspartner; durch Vergabe von Ministerposten gelang es Adenauer aber immer wieder, "aufständische" Parteipersönlichkeiten in die Kabinettsdisziplin einzubinden. Schwieriger war es für ihn, seine Vorstellungen gegenüber den Ländern und ihren Regierungschefs durchzusetzen. Da Adenauer zwischen 1949 und 1%1 jene Entscheidungsprozesse dominierte, die er für wichtig hielt - und dazu gehörte in erster Linie die Europapolitk -, bedeutete dies, daß er auch im Kontakt mit den Ministerpräsidenten jene Mittel einsetzte, die ihm zum Erreichen seiner Ziele geeignet schienen. Im Bezugsfeld der Westverträge wurde dies dann besonders deutlich. Wie weit sich dies lediglich im institutionellen Dreieck Bundesregierung, Koalitionsfraktion und Bundesrat abspielte oder in welch starkem Maße daneben andere Kanäle traten, ist abzuklären. Schwarz spricht für einen späteren Zeitpunkt von einer "... Ohnmacht des Kanzlers",
11 Herbst, Stil und Handlungsspielräume; vgl. auch Lademacher, Horst: Aufbruch oder Restauration, in: Deutschland in der Weltpolitik des 19. und 20 Jahrhunderts; hrsg. von lmanuel Geiss und Bemd Wendt. Düsseldorf 1973; bei Durchsicht der Kabinettsprotokolle wird ebenfalls deutlich, in welchem Maße Adenauer sich zu Konzessionen bereit erklären mußte, Die Kabinettsprotokolle der Bundesregierung; hrsg. für das Bundearchiv von Hans Booms Bd. 1 - 6, Boppard 1982 - 1989; vgl. zu den Schwierigkeiten bei der Integrationspolitik, Küsters, Hanns Jürgen: Kompetenzkonflikte und konzeptionelle Auseinandersetzungen in der Integrationspolitik der Bundesrepublik, in: Die Eingliederung, S. 61.
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dessen Machtwille sich an den Strukturen des Bundesstaates und einer föderalistisch organisierten Kanzlerpartei wund rieb."12 Es ist demnach zu untersuchen, inwiefern es Interessenkollisionen zwischen den Ländern und der von Adenauer vertretenen Politik im Bezugsfeld Europa gab, wie sie gegebenenfalls ausgeräumt oder umgangen wurden.
2. Das Verhältnis zwischen Bund und Ländern nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland Ihr Interesse für die Regelung auswärtiger Angelegenheiten zeigten die Länder schon zu einem frühen Zeitpunkt, als sie auf die Einrichtung einer "Dienststelle für zwischenstaatliche Angelegenheiten" drängten, wenn auch unter dem Vorbehalt"... selbstredend müssen wir uns vor dem Anschein hüten, als wollten wir bereits Außenpolitik treiben, was uns noch nicht ansteht."13 Handlungsbedarf sahen die Ministerpräsidenten zunächst in Hinblick auf die europäische Völkergemeinschaft. Die Koalitionsverhandlungen hatten gezeigt, wie unterschiedlich Adenauer den Einfluß der Länder gewichtete. Durch die Vorabbesprechung mit Ehard hatte der CDU-Parteivorsitzende Bayern eine Sonderstellung eingeräumt, die zwar mit dem Selbstverständnis des Freistaates konform ging, jedoch unweigerlich den Unmut der anderen Länder hervorrufen mußte.14 Nach Ansicht von Ministerpräsident Ehard kam dem Bundesrat die Funktion zu, "... in dem gekennzeichneten Spannungsfeld zum Wohl des Ganzen ersprießlich·zu wirken",15 da der bundesstaatliche Aufbau zwangsläufig das Spannungsfeld zwischen zentralstaatlichen und föderativen Kräften bestimmte. Eine Betrachtung der Art und des Ausmaßes der Mitwirkung der Länder am gesamtstaatlichen Planen und Handeln hat somit das Verfassungsorgan
12 Schwarz, Adenauers Kanzlerdemokratie und Regierungstechnik, S. 24; zur Richtlinienkompetenz bezügl!ch der europäischen Integration, Weidenfeld, Konrad Adenauer und Europa, S. 217; Doenng-Manteuffel, S. 27. 13 StBKAH 09.20 Die Vorsitzende das Verwaltungsrates des Vereinigten Wirtschaftsgerichtes 6.9.1949. 14 Siehe BayHStA StK 110 299 BevoU. Bayerns-> Staatskanzlei. 15 HStAS FA 101 Bu 4 Der Bundesrat ist keine "Länderkammer• Ministerpräsident Ehard 1%1.
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Bundesrat näher zu beleuchten, weil sich aus seiner Verfaßtheil Rückschlüsse auf den Gehalt der bundesstaatliehen Ordnung ziehen lassen.16 2.1 Zur Rolle des Bundesrats bei der Regelung auswärtiger Angelegenheiten Die verfassungsrechtliche Aufgabe des Bundesrats und sogleich seine verfassungspolitische Bedeutung legt Art. 50 GG fest: "Durch den Bundesrat wirken die Länder bei der Gesetzgebung und Verwaltung des Bundes mit." Bei der Wahrnehmung der Aufgaben des Bundesrats handelt es sich demnach um Aufgaben des BundesP Geht man davon aus, daß die vornehmste Aufgabe des Bundes darin besteht, "... für die Wahrung des föderativen Staatsaufbaus einzutreten und sich gegen zentralistische Tendenzen zur Wehr zu setzen",18 ist zu untersuchen, wie sich ein derartiger Verfassungsauftrag hinsichtlich europabezogener Angelegenheiten verwirklichen läßt, zumal das Grundgesetz selbst "Einbruchstellen" und Ansatzpunkte für zentralistische Entwicklungen bietet.19 Art. 51 Abs. 1 GG bestimmt die Zusammensetzung aus Mitgliedern der Regierung; dies sollte nach Ansicht der ersten Vertreter im Bundesrat keinesfalls dazu führen, daß parteipolitische Gesichtspunkte über die an der Sache selbst ausgerichteten Erwägungen die Oberhand gewännen.Z0 Das vorliegende verfassungsmäßige Defizit, daß keine Regelung für den Fall, daß politische Verträge in starkem Maße Landesbelange betreffen, vorhanden ist, wurde in den Ländern nicht eigens thematisiert.21 Als wichtig 16 Zur Tradition des bundesstaatliehen Gedankens im deutschen Verfassungsleben HStAS BA 101 Bu 4 Ehard Aufgabe und Bewährung des Bundesrats, S. 19 - 24; zu Ehards eigener Beurteilung, ebd., S. 24 ff. 17 Maunz, Theodor: Deutsches Staatsre~ht, Bd. 3. Stuttgart 1954, S. 237: "Der Bundesrat repräsentiert in seinem Aufgabenbereich das Ganze, nicht die Teile"; zu den Einflußmöglichkeiten des Bundesrats, Laufer, Föderalismus und Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 430 ff. 18 Zit. nach Schäfer, in: "Der Bundesrat" 1955, S. 29 nach HSIAS BA 101 Bu 4 Ehard, Aufgabe und Bewährung des Bundesrats. 19 Vgl. Ehard am 15. September 1949 vor dem Bayerischen Landtag, daß das GG die Möglichkeit einer zentralistischen Handhabung eröffne. 20 BayHStA StK 110 805 Regierungserklärung Hellwege. 21 Nach Fastenrath, S. 247 ist davon auszugehen, daß es sich bei Vertragsgesetzen zu politischen Verträgen um Einspruchsgesetze handelt, da dies auch in der Tradition der Weimarer Reichsverfassung Art. 45 Ili WRV stehe. Er fährt fort, daß in der Praxis von Bundesrat nie die Zustimmungsbedürftildteit der Vertragsgesetze zu politischen Verträgen reklamiert wurde (248). Danach bedürfen Verwaltungsabkommen der Zustimmung des Bundesrats in Form ei-
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wurde von ihnen eine frühzeitige Koordinierung durch Fachministerkonferenzen im Bereich der ausschließlichen und der konkurrierenden Gesetzgebung beurteilt.22 Der Kultusminister von Rheinland-Pfalzbetonte in diesem Zusammenhang, daß der Bundesrat, der ja ein Bundesorgan sei "... und nicht ein Organ der Länder" lediglich auf den Gebieten der Gesetzgebung und Verwaltung des Bundes mitzuwirken habe, die nach dem Grundgesetz zur Zuständigkeit des Bundes gehörten, während eine Fachministerkonferenz für die KoordinierunJ im Rahmen der ausschließlichen Länderzuständigkeiten zuständig sei. Allerdings hielt der Bundesminister für Angelegenheiten des Bundesrats die Praxis für bedenklich, wenn die Ministerpräsidenten und die Landesminister regelmäßig vor den Bundesratssitzungen zusammenkämen, um ihre Haltung in Angelegenheiten der Bundeszuständigkeit vorab zu beraten. Ebenso lehnte der Minister ab, "... daß Ministerpräsidenten oder Minister, die wegen ihrer politischen Provenienz dem föderalistischen Gedanken eher ablehnend gegenüberstehen, dazu gebracht werden, zu einer Intensivierung der Länderverantwortlichkeiten beizutragen ..."24 Gleichwohl bewertete er eine gesunde Stärkung der Länderposition als das beste Mittel, um Entwicklungen zu vermeiden, die durch veränderte Mehrheitsverhältnisse im Bundestag "... eine unerwünschte politische Entwicklung herbeiführen könnten."25 Problematisch wäre es allerdings, wenn ein Land aufgrund eines wie auch immer beschaffeneo Gefühls der Überlegenheit sich berechtigt fühlte, zu dominieren.26 nes einfachen Beschlusses, wenn zu ihrer Durchführung eine Verordnung erforderlich ist, die gemäß Art. 80 GG Abs. 2 GG der Zustimmung des Bundesrates bedarf. Begründet wird dies mit der Vollzugssicherung und der Organtreue. Die Zustimmung des Bundesrats ist auch nötig, wenn das Verwaltungsabkommen aUgemeine Verwaltungsvorschriften für die landeseigene bzw. Bundesauftragsverwaltung auch der Länder enthält. 22 Der Bevollmächtigte Bayerns beim Bund hielt eine derartige Konferenz auch in Fragen der konkurrierenden Gesetzgebung für durchaus denkbar: "... ohne daß damit zugleich die Bedürfnisfrage des Art. 72 Abs. 2 GG nach einer einheitlichen Regelung der zu besprechenden Materie auf Bundesbasis bejaht werden müßte", BayHStA StK 110 810 Bevoll. b. Bund> Bay Staatskanzlei 29.11.1949.; weitere Informationen zur Institutionalisierung der Kooperation im Regierungsbereich, Laufer, Föderalismus, S. 159 - 161; ebd. S. 159 Zitat von MinPräs Ehard: "Der leitende Gedanke ist hierbei, in der Praxis nachzuweisen, daß die föderalistische Ordnung der Bundesrepublik keineswegs ein Hindernis ist, von den Ländern her bestimmte Materien einheitlich zu ordnen, deren einheitliche Regelung von allen Ländern als ein Mangel empfunden wird." 23 Die Äußerung ist wiedergegeben in einer Stellungnahme des Bundesministers für Angelegenheiten des Bundesrats zur Frage der Länderministerkonferenz, BayHStA StK 110 810 V. 14.11.1949. 24 Ebd. 2S Ebd.
26 Zur grundsätzlichen Regelung über die den einzelnen Ländern im Bundesrat zustehenden Stimmen, Art. 51 Abs. 2 GG; zur Gleichwertigkeit, d.h. nicht "Zweitrangigkeit", HStAS EA 1/922 Bu 802 Bund und Länder Rede von Bundesminister Niederalt vor den Mitgliedern des Bayerischen Landtags, S. 8.
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Unter Umständen konnte ein Vorhaben eines Bundeslandes, wie im Fall Nordrhein-Westfalens im Ratifizierungsverfahren des EGKS-Vertrags, gemeinsames Anliegen aller werden, wenngleich oft der umgekehrte Fall eintrat, so daß die angestrebte oder vermutete Vorrangstellung den Unmut der anderen hervorrief. Sehr häufig galt dieser der Politik des Freistaats Bayern.27 Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Arnold kritisierte daher die Gegenregierung, die sich durch Bayerns Verhalten im Bundesrat herausbilde, da das Land immer eine Mitwirkung der Landesregierungen zu erreichen suche und sehr häufig in Oppositionsrolle gegen die Regierung verfalle.28 Dieses Problem verschärfte sich, als auch andere Länder, vor allem aufgrund ihrer wirtschaftlichen Stärke, eine Sonderstellung reklamierten. Sie bewerteten ein derartiges Verhalten nicht als Störung, sondern als Recht, das durch das Grundgesetz bestätigt würde.29 Damit die Zusammenarbeit zwischen den Landesregierungen und der Bundesregierung reibunsglos verlief, durfte es nicht an der Bereitschaft zur Kooperation fehlen. Eine wichtige Rolle spielten dabei die Fristsetzungen für Kabinettsvorlagen. In diesem Zusammenhang gab es die Forderung, die von der Bundesregierung gebilligten Gesetzesentwürfe unverzüglich nach der betreffenden Kabinettsitzung an die Landesregierungen weiterzuleiten. Sonst galt die Regelung, daß die offizielle Zuleitung der Gesetzesentwürfe, mit Ausnahme der besonders eilbedürftigen nach Art. 76 Abs. 2 GG, an den Bundesrat durch das Bundeskanzleramt acht Tage später erfolgen sollte.30 Als unbedingt notwendig wurde es weiterhin erachtet, daß das Votum eines Bundesratsausschusses zu einer Vorlage rechtzeitig abgegeben wurde, damit
27 Bayern schätzte demnach auch seinen Einfluß in den Verhandlungen über Bundesgesetze und Bundesverordnungen in den Ausschüssen und der Vollversammlung positiv ein, BayHStA StK 110 811 über MinDir Dr. Schwend dem MinPräs vorgele$l 28.8.1951; betr. Wahrung der Rechte Bayerns durch die Staatsregierung; z.T. führte es dte Staatsregierung auch auf ihre guten Kontakte zum Bundesratsminister Hellwege zurück, so BayHStA StK 110 810 Vormerkung 26.11.1949. 28 Vgl. BayHStA StK 110 810 Bevollmächtigter Rattenhuber -> Bay. Staatskanzlei 4.2.1950.
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~ BVerfGE 37, 379 f; 48, 178, 55, 319. 30 Diesen Beschluß des Kabinetts vom 24.1.1950 gab der Bundesminister für Angelegenheiten des Bundesrats den Ländern sogleich bekannt, BayHStA StK 110 810; zur Arbeitsweise des Bundesrats, Laufer, Föderalismus, S. 97 f. Auf eine Verbesserung der rechtzeitigen Information lief auch der Vorschlag des Senats der Hansestadt Harnburg hinaus, den Schriftverkehr von allen Bundesbehörden mit den Ländern möglichst bei den Landesvertretungen zusammenzufassen. Der Bevollmächtigte Bayerns beim Bund wollte diesem Vorschlag nur im allgemeinen beitreten, BayHStA StK 110 810 Abschrift Senat der Hansestadt Hamburg, Vertretung bei der Bundesregierung Bonn 8.3.1950.
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die Länderkabinette sich noch vor der Plenarsitzung des Bundesrates damit befassen könnten.31 Im Laufe des Jahres 1950 war die Einhaltung der 3-Wochen-Frist Gegenstand einer Sitzung des Rechtsausschusses.J2 Da der Wunsch nach Verlängerung zunächst vom Bundeskanzler negativ beschieden wurde,33 war die bayerische Staatsregierung in dieser Angelegenheit nochmals am 26. November 1956 aktiv und fand Unterstützung bei den anderen Ländern.34 Um in Bonn Interessenpolitik betreiben zu können, bedurfte es nicht nur einer "schlagkräftigen Bundesratsmannschaft",35 auch in der Einrichtung der Landesvertretungen wurde eine Chance für eine frühzeitige und intensive Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern gesehen.36 Aufbau und Ausstattung oblag den einzelnen Regierungen. Eine wirkungsvolle Aufgabenerledigung in den Landesvertretungen galt als entscheidend für die EffiZienz des Bundesrates; indem er praktisch permanent tagte,37 bekäme er gegenüber dem Bundestag und der Bundesregierung ein viel stärkeres Gewicht. Es wird Gegenstand des folgenden Kapitels sein zu untersuchen, in welcher Weise sich die Vorbehalte gegen eine bundespolitische Dominanz bei der Beratung der einzelnen Buropaverträge bemerkbar machten. Bildeten sich Länderkoalitionen? Waren die Länder damals bereits in der Lage, die Wirkung auf den Verwaltungsvollzug durch die Vielzahl der europabe-
31 Darüber BayHStA StK 110 810 Bevoll. b. Bund-> MinPräs 4.1.1950. 32 BR Rechtsausschuß v. 27.11.1950. 33 Vgl. das Schreiben des Bundesministers für Angelegenheiten des Bundesrats an den Direktor des Bundesrats: "Die Bundesregierung hat jedoch bei der Beschlußfassung über die Erfüllung obigen Wunsches die Auffassung vertreten, daß sich bei besonders eiligen Gesetzesentwürfen die Zuleitung auch während des genannten Zeitraums nicht werde vermeiden lassen." HStAS FA 101 Bu 51 Bundesmin. f. Angelegenheiten des Bundesrats-> Dir. d Bundesrats. 34 Dazu HStAS FA 1/201 Bu 56 26.11.1956. 35 Darüber ausführlich Seelos ebd., S. 9 f. 36 Die Bestimmung des Art. 50 GG, daß die Länder bei der Gesetzgebung und Verwaltung des Bundes durch den Bundesrat mitwirken, wurde als Aufforderung zur Einrichtung von ständigen Landesvertretungen gesehen; zu den Landesvertretungen, Laufer, Heinz, Jutta Wirth: Die Landesvertretungen in der Bundesrepublik Deutschland. München 1974. 37 BayHStA StK vor Nr. 114 294 Entwurf: Leitsätze für die Ausrichtung von Gesetzgebung und Verwaltung auf die Ziele des Marshallplans; so die Vorschläge Bayerns BayHStA StK vor Nr. 113 074 Der Bevollmächtigte Bayerns für das Vereinigte Wirtschaftsgebiet 175.1949.
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C. Die Eingliederung der Bundesrepublik
zogenen Regelungen abzuschätzen? 38 Setzten sie innenpolitisch auf blockierende Mechanismen, um Zentralisierungstendenzen zu begegnen? II. Die einzelnen integrationspolitischen Schritte Die zeitliche Spanne zwischen dem Eintritt in die OEEC und der Ratifizierung der Römischen Verträge war bestimmt von einer regen innenpolitischen Diskussion, in welchem Ausmaß das Engagement Westdeutschlands für ein vereintes Europa das Wiedervereinigungsstreben blockieren könnte. Zudem zwangen die politische Konstellation - der Wunsch der Alliierten nach einem stabilen Partner in der Mitte Europas - sowie wirtschaftliche Gründe die Bundesrepublik zu einem raschen Handeln. Im folgenden Kapitel wird nachzuvollziehen sein, ob die zwischen 1945 und 1949 erstarkten Länder ein eigenständiges Profil zeigten. 1. Die Länder und die Gründung der OEEC
In einer vom Bundesrat 1953 herausgegebenen Denkschrift mit dem Titel Die europäischen und atlantischen Institutionen. Ihr Ursprung und ihr Zusammenwirken werden als Wurzel der europäischen Einigung "das Bestreben, die wirtschaftlichen Zerstörungen und Hemmungen gemeinsam zu beseitigen", "die gemeinsame Furcht vor dem Osten" und "die zunehmende Erkenntnis des gemeinsamen Erbes" aufgeführt.39 Es lag nahe, daß die junge Bundesrepublik ein besonderes Interesse zeigte, möglichst bald in eine Organisation internationalen oder europäischen Zuschnitts aufgenommen zu werden. 1.1 Zur Organisation der OEEC Die Reaktion Ehards, diese erste Integrationsmaßnahme sei in ihrer Wirkung nach außen der Wirkung des Grundgesetzes nach innen gleichzusetzen, läßt sich angesichts der Ausgangslage nach dem Krieg nachvollziehen.40 Bereits während der Außenministerkonferenz der drei Westmächte vom 5. bis 8. April 1946 in Washington wurde der Beschluß gefaßt, eine mög38 Zum Bereich das Verwaltungsvollzugs, Pastenrath, S. 248 mit Belegstellen. 39 BayHStA StK 113 038 Denkschrift v. B. Wegmann: Die europäischen und atlantischen Institutionen, ihr Ursprung und ihr Zusammenwirken.
40 BayHStA StK 114 514 Baer -> Bay. Staatsministerium für Wirtschaft 15.10.1949.
Il. Integrationspolitische Schritte
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liehst enge Beziehung des deutschen Volkes unter einem demokratischen Bundesstaat in die europäische Gemeinschaft auf einer für beide Seiten vorteilhaften Grundlage zu fördern und zu erleichtern. Dahinter stand die Überzeugung, daß eine prosperierende Wirtschaft zur Aufrechterhaltung der Grundsätze individueller Freiheit und echter Unabhängigkeit der europäischen Länder in einem Staatenverbund Voraussetzung sei. Nach Abbruch der Londoner Außenministerkonferenz vom 17. Dezember 1947 vereinbarten die USA und Großbritannien, daß die USA allein die alten Dollarverpflichtungen der beiden Besatzungsmächte für die Doppelzone tragen sollten. Ein wichtiges Treffen war die Londoner Konferenz, die vom 23. Februar bis 6. März 1948 unter Beteiligung der USA, Großbritanniens, Frankreichs und der Bendux-Staaten stattfand. Aus dem Kommunique der Konferenz vom 6. März 1948 läßt sich ersehen, daß der Wille zum Wiederaufbau Deutschlands in politischer und wirtschaftlicher Hinsicht vorhanden war. Die Bizone und die französische Zone sollten am europäischen Wiederaufbauprogramm beteiligt werden.41 Grundlage der weiteren Entwicklung war der Marshall-Plan. Der amerikaDisehe Kongreß verabschiedete am 3. April 1948 das Auslandshilfegesetz. Am 16. April 1948 unterzeichneten 16 Länder und die Oberkommandierenden der drei westdeutschen Besatzungszonen die Konvention für europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit (ERP). Dieser Plan unterschied sich von den bisherigen amerikanischen Hilfeleistungen dadurch, daß er sich nicht an die einzelnen Empfängerländer richtete, sondern an die europäischen Länder als einer Gruppe, die zur gegenseitigen Hilfeleistung als Bedingung für den Empfang der amerikanischen Hilfe verpflichtet wurde. Die beteiligten Staaten wurden in der Organisation für europäische wirtschaftliehe Zusammenarbeit (OEEC) zusammengeschlossen. Sie verpflichteten sich, bestehende Handels- und Zahlungsbeschränkungen aufzulockern und ein multilaterales Zahlungssystem zu schaffen. Als Maßnahmen wurden
41 Vgl. FA 3 (1948), S. 1145 f; der Entschließung der Wirtschaftskonferenz der europäischen Bewegung in London wurde in Kreisen des Länderrats allgemein großer Einfluß zugemessen in Hinblick auf das Ziel einer europäischen Union. Freilich sah man ein, daß sich das Ziel einer Wirtschafts- und Zollunion nur etappenweise würde verwirklichen lassen, BayHStA StK 114 514 Länderrat 10.6.1949; zur Bewertung der Auslandshilfe, Buchheim, Christoph: Die Wiedereingliederung Westdeutschlands in die Weltwirtschaft 1945-1958. München 1990.
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die Herabsetzung von Zöllen und die Bildung von Zollunion und Freihandelsgebieten genannt. Die OEEC war ein zweckbestimmter Staatenbund, dessen Dauer unbegrenzt war. Jedes Mitglied konnte unter bestimmten Modalitäten und Fristen wieder austreten. Die Teilnehmerstaaten sollten ihre Produktion steigern, ihre Währung und ihr Staatsbudget stabilisieren, gemeinsam allgemeine, aufeinander abgestimmte Wirtschaftsprogramme entwickeln, ihren Handel untereinander ausbauen, die Handelshemmnissse beseitigen und ein multilaterales Zahlungssystem einrichten. Der Rat bestand aus Ministern der Teilnehmerstaaten, daneben existierte ein System von Aussschüssen und ein Sekretariat. 1.2 Die Maßnahmen der Länder bei der Durchführung des ERP
Das Gesetz war zu einem Zeitpunkt in Kraft getreten, als die westlichen Siegermächte in ihrer Eigenschaft als Besatzungsmächte in Deutschland die grundlegende Stellung und Funktion einer Regierung besaßen, das besiegte Land aber keine Möglichkeit hatte, als Partner aufzutreten.42 Die Länder wollten von Anfang an bei den ERP-Planungen beteiligt werden.43 Das Engagement läßt sich mit der Befürchtung der unionsregierten Länder in Zusammenhang bringen, über die ERP-Planung könnten sich zentralstaatliche und planwirtschaftliche Ideen durchsetzen, wodurch ihr Einfluß geschmälert würde.44 Die notwendige Koordination fand in der Direktorialkanzlei bei dem Vorsitzenden des Verwaltungsrats statt, soweit sie den amtlichen Verkehr mit der Militärregierung, die Beziehungen zum Ausland und die nicht rein wirtschaftlichen Fragen betraf. Wurde der sachliche Inhalt der Programme berührt, war die Verwaltung für Wirtschaft federführend. Die Mitwirkung an den ERP-Planungen erfolgte durch die Beteiligung an fachlichen Aufgaben; diese vollzog sich durch die Einschaltung der Länderausschüsse bei den Fachabteilungen. Daneben wurden in den Wirt-
42 Daran wurde auch heftige Kritik geäußert, so besonders wenn wirtschaftliche Fragen vorab festgelegt wurden, BayHStA StK 114 514 Staatsmin. Seidel-> Bay. Staatsmin. f. Wirtschaft 43
BayHStA StK 114 514 BevoU. Bayerns beim Bund-> MinPräs Ehard 10.3.1949. 44 So BayHStA StK 114 294 Der Bevollmächtigte Bayerns für das Vereinigte Wirtschaftsgebiet-> MinPräs Ehard 10.3.1949.
II. Integrationspolitische Schritte
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Schaftsministerien ERP-Verbindungsreferenten bestellt, die ihr besonderes Augenmerk auf ERP-Angelegenheiten zu richten hatten. Dem Hauptreferenten für ERP-Angelegenheiten im Sekretariat des Länderrats oblag es, den Länderrat und seine Ausschüsse sowie die Landesregierungen über die wichtigsten Angelegenheiten der ERP laufend zu informieren und als Bindeglied zu den bizonalen Verwaltungen zu fungieren. Rechtzeitige Informationen sollte er durch seine Anwesenheit im ERPAusschuß des Verwaltungsrats,45 sowie im ERP-Arbeitsausschuß und einzelnen Arbeitskreisen erhalten. Die süddeutschen Länder drängten auf die Ernennung eines süddeutsehen Referenten.46 Dr. Wegmann war für diese Tätigkeit vorgesehen. Der andere Kandidat, Ministerialrat Könning, brächte - nach Ansicht der Bayern - als gebürtiger Berliner, der erst seit kurzem in württembergischen Diensten stünde, nicht die entsprechende föderalistische Einstellung mit.47 Wegmann erschien wohl vor allem deshalb geeignet, weil er sich schon häufig wegen der reduzierten Einflußnahme des Länderrats auf Gesetzgebung und Verwaltung beschwert hatte.48 Der vorläufige Leiter der deutschen ERP-Delegation in Washington, Schneider, zeigte sich schon bald als ein eifriger Helfer süddeutscher Interessenpolitik. Aus seinem Schriftwechsel mit führenden bayerischen Regierungsvertretern geht hervor, wie er sich dabei der Zustimmung der Bayerischen Staatsregierung versichern wollte.49 Seine Aktivitäten begründete er damit, daß" ... aus Norddeutschland stammende Herren ..." in der ERP-Abteilung bei der Bundesregierung überwiegten.50 Als Organ für die Abstimmung der drei politisch verantwortlichen Hauptorgane der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebiets, des Wirtschaftsrats, des Länderrats und des Verwaltungsrats bestand der sogenannte Interfraktionelle Ausschuß für die ERP, der am 24. August 1948 er45 Aufgrund eines Beschlusses des Länderrats v. 13./14.6.1949. 46 BayHStA StK 114 294 Der Bevollmächtigte Bayerns für das Vereinigte Wirtschaftsgebiet -> Bay. Staatskanzlei 10.3.1949; Bayern wollte eigene Kanidaten durchbringen, war sich aber des Widerstands der anderen Länder, vor allem Württembergs bewußt. 47 BayHStA StK 114 514 Bay Staatsmin. f. Wirtschaft 14.3.1949. 48 BayHStA StK 113 015 Wegmann -> Pfeiffer 25.6.1948. 49 BayHStA StK 114 514 Schneider-> Elmenau 12.9.1949.
SO BayHStA StK 114 514 Vermerk, Frankfurt 1949; Hintergrund war Schneiders Befürchtung, durch Neuemennun~en seinen einflußreichen Posten zu verlieren, BayHStA StK 114 514 Bevoll. Bayerns f. Ver. Wirtschaftsgebiet 55.1949. 8 Fuhmtann-Mittlmeier
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C. Die Eingliederung der Bundesrepublik
richtet wurde; er setzte sich aus Abteilungsleitern und Referenten der Verwaltungen zusammen. Der Ausschuß koordinierte die Verwaltungen in Zusammenhang mit den im Rahmen des Marshall-Plans anfallenden Arbeiten, unterrichtete die einzelnen bizonalen Verwaltungen über alle Vorgänge im Rahmen des Marshall-Plans und hatte über die Annahme der aufgestellten Programme zu beschließen.51 Um Fragen grundsätzlicher wirtschaftlicher Bedeutung in bezug auf ERP-Angelegenheiten zu klären oder Entscheidungen für den Verwaltungsrat herbeizuführen beziehungsweise vorzubereiten, wurde ein Ausschuß des Verwaltungsrates eingerichtet. Nach einem Beschluß des Länderrats vom 1. März 1949 wurden vier Vertreter der Landesregierungen Minister Dr. Seidel (Bayern) und Dr. Veith (Württemberg-Baden), Dr. Hilpert (Hessen) sowie der Bevollmächtigte von Harnburg (Dr. Hansen) und deren Stellvertreter als stimmberechtigte Mitglieder hinzugezogen. Aufgrund einer Bestimmung des Länderrats vom 13./14. Juni 1949 erhielt auch der Hauptreferent für ERP-Angelegenheiten Zutritt zu den Sitzungen.52 Wie sich die vier Landesminister im ERP-Ausschuß des Verwaltungsrats, die mit Ausnahme des Hamburger Vertreters aus dem Süden kamen, verhalten würden, blieb abzuwarten. Sie waren als Vertreter der Gesamtheit der Landesregierungen ausgewählt worden, ihre Wünsche waren allerdings weitreichend. Sie wollten an den politischen Entscheidungen beteiligt werden, die sich der Verwaltungsrat vorbehalten hatte. Dies bedeutete, daß dieser sich einer Zusicherung der Länderratsmitglieder versichern mußte.53 Für die stärkere Einschaltung der Länder in die Marshall-PlanAngelegenheiten war von besonderer Bedeutung, daß die Abteilung Planung für die Dauer von zwei bis drei Monaten personelle Abhilfe von den Wirtschaftsministerien der Länder erbat, um die ERP-Hilfe den landesspezifischen Bedürfnissen anzupassen. In diesem Zusammenhang tauchte auch immer wieder die Forderung nach einem Ministerium für zwischenstaatliche Angelegenheiten auf, weil die Koordinierung der Vorstellungen der Wirtschaftsministerien in den einzelnen Ländern sich als schwierig erwiesen hatte. Das lag unter anderem daran, daß bei den von der OEEC zu behandelnden Fragen innen- und au51 BayHStA StK 114 294 Organisation des Europäischen Wiederaufbau-Programms. 52 BayHStA StK 114 294 Europäisches Wiederaufbau-Programm 28.3.1949. 53 Darüber BayHStA StK 114 294 Wirtschaftsrat Drs. 1113, Mitteilung des Verwaltungsrats 31.3.1949.
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Benwirtschaftliche Gesichtspunkte betroffen waren.54 Als Lösung wurde vorgeschlagen, zunächst Überlegungen im binnenwirtschaftlichen Bereich anzustellen, um sie dann mit zusätzlichen außerwirtschaftlichen Gesichtspunkten abstimmen zu können. Überdies boten die Gespräche der Ministerpräsidenten mit den Militärgouverneuren Gelegenheit, einschlägige Fragen zu erörtern. Einen Vorschlag des Bundesministers für Marshall-Plan-Fragen Anfang 1950, den aus den Staatssekretären bestehenden Interministeriellen ERP-Ausschuß bei wichtigen Angelegenheiten durch die Hinzunahme von vier Landesministern zu erweitern und als großen ERP-Ausschuß tagen zu lassen, stieß bei den Ländern auf Zustimmung. Allerdings wurde von bayerischer Seite gefordert, daß neben dem zuständigen Referenten im Bundesrat, Dr. Wegmann, ein weiterer Mitarbeiter zu den Sitzungen informationshalber zugezogen würde.55 Die Regierungschefs anerkannten die Zuständigkeit des Bundestags nach Art. 73 GG, forderten jedoch eine Einschaltung des Bundesrats wegen der Art der Durchführung.56 Unter anderem wurde negativ vermerkt, daß die Exporterlöse aus der gesamten künftigen Produktion für die Bezahlung der Hilfeleistungen zur Verfügung stünden und die Bundesregierung sich einer Revisionsstelle bediente, ohne daß irgendwelche Hoheitsrechte übertragen worden seien. Der Minister der Justiz widersprach in einer grundsätzlichen Darlegung der Ansicht des Bundesrats, wonach die Zustimmung des Bundesorgans zur Rechtsverordnung der Bundesregierung über die Verbleibskontrolle (Art. 3 des Zustimmungsgesetzes zum Wirtschaftsabkommen mit den Vereinigten Staaten) notwendig sei.57 Für den Justizminister fiel die zu erlassende Rechtsverordnung nicht unter die in Art. 80 Abs. 2 GG aufgezählten Kategorien; die Einholung der Zustimmung trotzdem anzuordnen, bedeute eine Beeinträchtigung der vom Grundgesetz gewollten Stellung der Exekutive zugunsten der Legislative. 54 BayHStA StK 114 514 Dr. v. Mangoldt -> Dr. Pünder 11.8.1949; BayHStA StK 114 514 Vermerk Frankfurt 1949. 55 BayHStA StK 114 294 Freistaat Bayern Der Bevollmächtigte beim Bund TgB Nr. 229 27.1.1950 - > Bay Staatsministerium für Wirtschaft. 56 1951 bedrohte z.B. eine negative Devisenlage die Zahlungsverpflichtung der Bundesrepublik in der OEEC und McCloy zeigte sich darüber sehr beunruhigt, ZwArch B136/130S McCloy -> Bundeskanzler Adenauer 6.351. 57 BayHStA StK vor Nr. 113 057 Der Bundesmin. d. Justiz-> Bundeskanzler Adenauer 19.1.1950.
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Das Beispiel des Beitritts in die OEEC sowie in die am 1. Juli 1950 gegründete Europäische Zahlungsunion zeigt,58 daß die Länder Integrationsmaßnahmen unter dem Vorbehalt unterstützten, daß sie möglichst frühzeitig ihre Positionen und Wünsche darlegen könnten. Die Mitgliedschaft in der OEEC wurde in ihren Kreisen als der erste große zwischenstaatliche Vertrag gelobt, der es der deutschen Regierung nun ermögliche, gleichwertig mit den anderen Staaten aufzutreten.59 Als nachteilig wurde freilich das weiterhin gültige Besatzungsstatut kritisiert, weil es die Ansprüche der Alllierten nach Aufrechterhaltung von Verpflichtungen bedinge und damit den Zwischenzustand, in dem sich Deutschland befinde, "zementiere". Es wird sich zeigen, ob sich ähnliche Tendenzen länderspezifischen Verhaltens auch für die Frage des Beitritts der Bundesrepublik in den Europarat ermitteln lassen.
2. Der Beitritt der Bundesrepublik in den Europarat "Ich sehe in einer dauernden Befriedigung des Verhältnisses der Wiederherstellung guter nachbarschaftlieber Beziehungen zwischen Frankreich und Deutschland eine der wesentlichen Voraussetzungen für die Herstellung geordneter Verhältnisse in Buropa überhaupt."60 So prägnant formulierte Adenauer den Stellenwert der deutsch-französischen Aussöhnung für den europäischen Integrationsprozeß,61 denn dann "... würde auch wohl nach ihrer Ansicht kein Mensch in Westdeutschland jemals daran denken, mit den Russen zusammenzugehen...62 Die Frage war, in welchem Maße Frankreichs Politiker zur Kooperation bereit waren, 58 BR-Drs. 942/50 v. 18.11.1950. Der Präsident des Bundesrates teilte dem Bundeskanzler mit, daß der Bundesrat am 17.11.1950 gegen das Gesetz über die Gründung keine Einwendungen zu erheben gedenkt; vgl. auch. BR-Drs. 79/51 v. 26.11.1951; BR-Drs 132/51 v. 10.2.1951, BR-Drs. 942/50 v. 18.11.1950, BR 40. Sitzung v. 17.11.1950 760B-D, BR 49. Sitzung V. 9.2.1951, 96A. 59 Zur OEEC: Willis, F. Roy: France, Germany and the New Europe 1945 - 1967. Stanford 1968 und Hahn, Hugo J., Albrecht Weber: Die OECD. Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Baden-Baden 1976; Grosser, Dieter, zusammen mit Wichard Woyke: OECD, in: Handwörterbuch der Internationalen Politik. Opladen 1977, S. 248-250. 60 Adenauer -> Vertreter des Reuter Büros London 16.8.1948, in: Briefe II, Nr. 926, S. 292. 61 Vgl. auch: Adenauer -> Dr. Josef Escher, 15.5.1948, in: Briefe II, Nr. 842, S. 230- 232; Erläuterung zur Berliner Rede v. 23.11.1948, in: Briefe II, Nr. 1062a, S. 387f. 62 Briefe II, Nr. 1062, S. 387.
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denn die Angst vor der Übermacht des Nachbarn saß tief. Andererseits drängten die Briten und Amerikaner, da sie verhindem wollten, daß Deutschland in eine Stellung zwischen dem Westen und Osten geriet.63 Die Saarfrage schien allerdings zunächst die Fronten eher zu verhärten; besonders akut wurde das Problem, als es um den Beitritt Deutschlands zum Europarat ging.64 2.1 Die Gründung des Europarates Altiero Spinelli hatte schon bei Kriegsende geäußert, daß ein föderales Europa nur auf der Grundlage von Teilintegration auf bestimmten Gebieten entstehen könnte.65 Proeuropäische Gruppen in den Parlamenten unterstützten diesen Gedanken. In einer Rede vor dem britischen Unterhaus sprach sich der britische Außenminister Bevin für eine Einheit Westeuropas aus, seine diesbezüglichen Vorschläge waren jedoch recht allgemein; er sprach von der Mobilisierung einer moralischen und materiellen Kraft; eine geistige Einheit Europas mache zwar Vereinbarungen und Verträge nötig, zu einer Abgabe von Souveränität wollte man sich jedoch auf britischer Seite nicht bereit erklären. Seine Feststellungen"... so muß die Union doch in erster Linie eine Fusion sein ... sie muß auf völliger Gleichberechtigung beruhen und alle Elemente der Freiheit enthalten ... sie kann nicht in einer starren Theorie oder Direktive niedergelegt werden", ließen eher auf die Form des kooperativen Unionismus schließen.66 Großbritannien schlug deshalb eine institutionalisierte Konferenz von Regierungsvertretern mit der Bezeichnung Europarat vor und dazu eine Beratende Versammlung, die lediglich Empfehlungen aussprechen sollte. Unter diesen Prämissen wurde den Buropaverbänden bald klar, daß das Konzept keine Initiative zu einer echten Föderation darstellte.67
63 Blankenhom, Herbert: Verständnis und Verständigung. Frankfurt, Berlin, Wien 1980, S. 98. Die Beziehungen zu den USA verkomplizierten sich dadurch, daß dort die Stimmungsschwankungen zwischen den verschiedenen Teilen der Regierung sehr stark waren; vgl. auch Besson, S. 100; daneben auch Schwarz, Aufstieg, S. 671; zur Position Englands, Blankenhom, S.lOO.
64 Siehe Buchheim, Hans: Deutschlandpolitik 1949 - 72: der politisch-diplomatische Prozeß. Stuttgart 1984, S. 24. 65 Der Kampf für die Union. Altiero Spinelli 1979 - 1986; hrsg. v. Europäischen Parlament. Luxemburg 1988, S. 56 - 66. 66 Bevin, Emest: Rede vor dem Unterhaus 22.1.1948, abgedr. in: 45 Jahre, Nr. 51, S. 227 f. 67 Vgl. auch Schmid, Carlo: Deutschland und der Europäische Rat, 13.6.1949, abgedr. in: 45 Jahre, Nr. 60, S. 271 - 273.
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Im Januar 1949 kamen die Außenminister der fünf im Brüsseler Pakt zusammengeschlossenen Staaten in London zu einer Konferenz zusammen, die am 27. Januar mit dem Beschluß zu Ende ging, den Europarat zu schaffen. Nach weiteren Beratungen der auf zehn Staaten angewachsenen Vereinigung folgte am 28. März 1949 die grundlegende Einigung. Am 5. Mai 1949 wurde das Abkommen über das Statut des Europarals in London unterzeichnet. Von vornherein war durch die Schaffung des Status' einer assoziierten Mitgliedschaft an den späteren Einbau der sich konstituierenden Bundesrepublik sowie des Saargebiets gedacht.68 Das Statut trat am 3. August 1949 nach der Ratifizierung durch sieben Staaten in Kraft. Am 6. und am 10. August kamen die beiden Organe des Rats, der Ministerausschuß und die Beratende Versammlung, zu ihren ersten Sitzungen zusammen. Auch das Generalsekretariat nahm seine Arbeit auf. Die Statuten nennen als Ziele den Zusammenschluß aller gleichgesinnten Völker Europas zum Schutz und zur weiteren Verwirklichung der Ideale rechtsstaatliehen und demokratischen Denkens sowie zur Förderung wirtschaftlichen und sozialen Fortschritts. Die Versammlung, der eine Reihe von Vorschlägen zuging, wie eine europäische Föderation zu gestalten sei, bemühte sich von Anfang an, gegen die durch das Statut gesetzten Grenzen anzukämpfen, um ihre Rechte zu erweitern und eine Umbildung in eine echte gesetzgebende Körperschaft zu erreichen.69 Man wird dem Europarat sicher nicht gerecht, wenn man ihn lediglich als eine Art Politische Akademie und sein Sekretariat als gemeinsame Studienabteilung der Außenministerien der beteiligten Staaten bezeichnet. In seiner Wirkungsweise ging er über die bisherige lockere Regierungskooperation hinaus, da sich erstmals die öffentliche Meinung Europas in einem Organ lokalisieren ließ?0
68 Vgl. auch den Vorschlag des Publizisten Wilhelm Wenger, das Saarland unter der Obhut des Buroparats zum ersten europäischen Territorium zu ernennen, in: Das Parlament v. 9./16.6.1989, Originalzitat Rheinischer Merkur v. 8.1.1951. 69 Zum Verhältnis Ministerrat und Versammlung, BayHStA StK 112 990; Ergebnisse der ersten Session, BayHStA StK 112 992 Der Europäische Rat. 70 Gemeinsame Probleme wurden erörtert und Konventionen verabschiedet, BayHStA StK 112 993 Europäische Korrespondenz; hrsg. von Dr. Graf v. Trauttmansdorff, 255.1950, Nr. 13: "Europarat als der erste politische Versuch, über die bloße Blockbildung hinauszugelangen und abseits von den im Statut ausdrücklich verpönten strategischen Gesichtspunkten dem wirtschaftlichen Aufbau, dem sozialen und kulturellen Fortsehnt~ sowie der Wahrung der Menschenrechte als Fundament alles Europäischen zu dienen. •
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2.2 Die Aufnahme der Bundesrepublik in den Europarat Der Aufnahme der Bundesrepublik zusammen mit dem Saarland als assoziiertes Mitglied am 30. März 1950 - erst im Mai 1951 erhielt die Bundesrepublik den Status eines Vollmitglieds - gingen heftige innenpolitische Debatten voran. Die Wogen ließen sich erst recht nicht glätten, als der Inhalt der Saarkonvention bekannt wurde, die am 3. März 1950 in Paris unterzeichnet worden war. Selbst das gute Verhältnis zwischen Adenauer und Schuman und Schumans übergeordnetes Ziel der deutsch-französischen Verständigung erleichterten die Situation nicht.71 Adenauer glaubte richtig zu handeln, wenn er die ihm als berechtigt erscheinende Kritik an der französischen Saarpolitik nicht mit der Frage des Beitritts der Bundesrepublik zum Europarat verband. Gegenüber dem Ministerrat suchte er weiterhin, die Aufrichtigkeit des Beitrittswillens Deutschlands sichtbar zu machen. Die Einladung sollte jedoch nach bundesdeutschen Vorstellungen vom Europarat aus erfolgen und nicht, wie es britischen Vorstellungen entsprach, über ein Beitrittsgesuch Deutschlands. Adenauer konnte sich in diesem Punkt durchsetzen, nicht jedoch mit dem Wunsch, bis zu einer Vollmitgliedschaft der Bundesrepublik durch einen Beobachter im Ministerausschuß vertreten zu sein.72 Die SPD unter Führung Sehnmachers begründete ihre Ablehnung mit dem Gesichtspunkt der deutschen Einheit. Für Carlo Schmid ließ sich durch den Europarat das Ziel, die Vereinigten Staaten von Europa zu schaffen, nicht verwirklichen?3 Denn erst wenn es auf politisch wesentlichen Gebieten des staatlichen Lebens zu einer echten Übertragung von Souveränitätsrechten käme, wenn man sich von dem Dogma der Unteilbarkeit der Souveränität löste, wäre man auf dem richtigen Weg. Deshalb wäre es nötig, auch den Bereich der Verteidigung, einzelne Teile der Wirtschafts-, Währungsund Finanzgesetzgebung und des Verkehrs für integrationswürdig zu erklären. Europa sollte nicht lediglich eine Konföderation souverän bleibender
71 Vgl. auch Blankenhom, S. 90 ff; Zenner, Maria: DieSaarfrage und der Aufbau Europas 1948 bis 1950, in: Historie des debuts, S. 327- 342. 72 Vgl. Briefe III, Nr. 21 v. 18.4.1951; Nr. 161 v. 31.1.1952; daneben Blankenhom, S. 102. 73 Schmid, Deutschland und der europäische Rat, in: 45 Jahre, Dok. 60, S. 271 - 273.
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Staaten bleiben, sondern "Europa muß man schon als Bundesstaat wollen, wenn man ein wirksames Europa will."74 Bei der Schlußabstimmung am 15. Juni nahm der Bundestag das Beitrittsgesetz mit 220 zu 152 Stimmen an bei neun Enthaltungen. Die SPD fand sich dann rasch mit der Entscheidung ab. Sie beteiligte sich an der Aufstellung der deutschen Delegation und saß ab August 1951 mit sieben Vertretern in der 18-köpfigen Delegation der Bundesrepublik. Vor allem die Frage nach der Entsendung deutscher Teilnehmer war Inhalt der Diskussion mit den Ländern. Sie sollte neben der Informationspflicht in Zukunft eine Dominante des Bund-Länder-Verhältnisses werden. 2.3 Die innenpolitische Diskussion um die Aufnahme der Bundesrepublik in den Europarat Anläßtich des Beitritts in die OEEC wurde immer wieder vermerkt, wie wichtig dieser Schritt se~ um Deutschland wieder zur Gleichberechtigung zu verhelfen?5 Es ließ sich Einigung darüber erzielen, daß die europäische Gemeinschaft in erster Linie zur Bewältigung wirtschaftlicher Probleme diene?6 So erstaunt es nicht, wenn während der Diskussion im Bundesrat vor allem politische Zielsetzungen, nämlich politische Gleichberechtigung, mit dem Europarat verbunden wurden.77 Ehard, Spiecker aus Nordrhein-Westfalen und Klein aus Berlin hielten eine eindeutige Stellungnahme des Bundesrats für nötig, um den Willen Deutschlands, trotz minderen Status' in der Gemeinschaft, zu bekunden, dem Kreis der Völker Europas beizutreten; andere wie Nevermann aus Harnburg und Strickrodt aus Niedersachsen wollten diese politische Entscheidung nicht treffen, da der Bundesrat, so Strickrodt, Zurückhaltung in Fragen üben soll,"... die rein im Politischen liegen .. ."78
74 Ebd., S. 273; vgl. auch Schmid, Erinnerungen, S. 184 75 So Nevermann, Hamburg, BR 22. Sitzung v. 25.5.1950, 359C; Ehard sprach die Hoffnung aus, daß Deutschland bald ein gleichberechtigtes Mitglied werde, ebd., 361A, während Stock aus Hessen, kritisierte, daß Deutschland nicht als gleichberechtigt betrachtet werde, ebd., 362A; Spiecker, NRW, verweist hingegen darauf, daß die Bundesrepublik in der Beratenden Veiliammlung gleichberechtigt sei, ebd., 363A 76 BRAusschuß für Auswärtige Angelegenheiten v. 20.7.1950. 77 So Ehard in BR 22. Sitzung ebd., 360B. 78 Strickrodt in ebd., 365A
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"Der Gedanke des europäischen Zusammenschlusses auf einer föderativen Basis ist immer wieder in der europäischen Geschichte aufgeblitzt ... Jetzt sind wir an einen Punkt angelangt, wo sie nicht mehr scheitern darf, wenn sie nicht zerbrechen und Gestaltungen Platz machen soll, in denen für abendländisches Denken und Wollen kein Raum mehr ist."79 Mit dieser Äußerung gab Ministerpräsident Ehard die Argumentationslinie vor, die schließlich dazu führte, daß einige skeptische Stimmen offensichtlich überzeugt werden konnten. Am Ende blieben nur die Vertreter der SPD-Regierungen von Schleswig-Holstein und Harnburg bei ihrem Nein. Der Entwurf passierte den Bundesrat, nachdem schon vorher auf die Anrufung des Vermittlungsauschusses verzichtet worden war.80 2.3.1 Die Frage der Entsendung in die Beratende Versammlung Politischer Zündstoff entfachte sich an der Entsendung von Vertretern in die Beratende Versammlung. Mit der Abordnung von Bundesratsmitgliedern hätten die Länder ihr Ziel verwirklichen können, unmittelbar ihre Interessen auf europäischer Bühne zu vertreten. Der Bundestag allerdings hatte eine Entschließung verabschiedet, nach der die Vertreter durch den Bundestag gewählt werden sollten.81 Mit diesem Bundestagsbeschluß waren sowohl der Hamburger Bürgermeister als auch der Bayerische Ministerpräsident nicht einverstanden, so daß sie so weit gehen wollten, den Rundestagsbeschluß aufzuheben.82 Ein Antrag der Bayernparte~ daß ausschließlich die Landesregierungen im Europarat vertreten wären, war nicht mehrheitsfähig.83 Der Bundesrat stand nun vor der Frage, ob er auf die Entschließung reagieren sollte, obwohl es rein formal nicht nötig war.84 Daß er es dann doch tat, hing mit der Botsendungspraxis der anderen Mitgliedsstaaten zusammen.85 In der Folge brachte er eine Entschließung mit folgendem Inhalt ein: "Wählbar ist jeder deutsche Staatsangehörige, der die Wählbarkeit zum 79 Ehard in ebd., 361A 80 BR-Drs. 384/50 v. 265.1950, daß ~egen das Gesetz keine Einwendungen erhoben werden; BR-Drs. 477/50 v. 24.6.1950, daß kem Antrag nach Art. 77 Abs. 2 GG gesteßt wird.
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BR-Drs. 435/50 v. 16.6.1950. BayHStA StK 112 991 Europa-Rat 23.6.1950.
BRAusschuß für Auswärtige Angelegenheiten v. 16.6.1950. 84 BR 25. Sitzung v. 23.6.1950, 427B - 429A.
85 Nach einem Gesetz v. 23.7.1949 wurden in die französische Delegation 12 Delegierte aus der Nationalversammlung und 6 Delegierte aus dem Rat der Republik gewählt.
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Deutschen Bundestag besitzt, ohne Vorabbedingung der Zugehörigkeit zu einer der gesetzgebenden Körperschaften. Der Bundestag wählt 12 Delegierte und 12 Stellvertreter, der Deutsche Bundesrat wählt 6 Delegierte und 6 Stellvertreter."86 Vorangegangen waren entsprechende Diskussionen im Auswärtigen Ausschuß des Bundesrats, wo eine eindeutige Haltung nur mühsam zustandekam. Der Vertreter Schleswig-Holsteins, Katz, trat dafür ein, daß der Bundestag allein die Delegation wählen sollte, Schiller aus Hamburg, favorisierte das gemischte Modell, wonach Bundestag und Bundesrat sich gemeinsam beteiligen sollten, während Ehard auf einer Beteiligung des Bundesrats bestand.87 Unterredungen von Ministerpräsident Ehard und Bremens Senatspräsident Kaisen mit dem Bundeskanzler und den Fraktionsvorsitzenden machten deutlich, daß das Parlament an der Wahl durch den Bundestag festhielt, so daß, da die Beratungen in allen Fraktionen abgeschlossen waren, dem Bundesrat nur übrig blieb, sein Bedauern über die "Nichtberücksichtigung" seiner Entschließung zum Ausdruck zu bringen.88 Anscheinend hatte sich zunächst die Richtung durchgesetzt, daß" ... die Außenpolitik hauptsächlich bei der Bundesregierung und dem Bundestag ..." liege.89 Vorerst sahen die Länder also keinen weiteren Handlungsbedarf; erst im Zusammenhang mit der Ratift.Zierung der Römischen Verträge wurde die Frage wieder aktuell. 2.3.2 Die Bemühungen der Länder um Mitwirkungsmöglichkeiten Man bemühte sich in der Folge daher um inoffizielle Einflußmöglichkeiten. So fanden gegenseitige Besuche statt und der Bundesrat erhielt ausgewählte Denk- und Druckschriften, damit er sich über den Aufbau und die Arbeitsweise des Sekretariats informieren konnte.90 Es war für ihn von größter Bedeutung, frühzeitig über den Verhandlungsgegenstand der Be86 BR-Drs. 477/50 v. 24.6.1950. Beschluß mit allen Stimmen außer denjenigen Berlins bei Stimmenthaltung Niedersachsens, BArch B144/98 22.6.1950; zum Akt betr. Europarat und Abwesenheit der Vertreter Schleswig-Holsteins, BArch B144/98 24.6.1950. 87 BRAusschuß für Auswärtige Angelegenheiten v. 24.6.1950. 88 BRAusschuß für Auswärtige Angelegenheiten v. 24.6.1950; vgl. auch Die Welt v. 26.6.1950; SZ V. 11.8.1950. 89 Kaisen ebd.
90 BayHStA StK 113 039 Bericht Wegmann 30.10.1954.
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ratenden Versammlung und ihrer Ausschüsse unterrichtet zu werden, weil in der Mehrzahl der Fälle damit zu rechnen war, daß ihre Entschließungen und Empfehlungen über den Ministerrat und die Nationalregierungen zur praktischen Wirksamkeit gelangten. Weitere Nachrichten kamen über den Deutschen Rat der Europäischen Bewegung.91 Auch der Bundestag war in den Augen des Bundesrats gefordert, weil die Mitglieder die Möglichkeit hatten, unmittelbar die im Europarat gefaßten Resolutionen zur Sprache zu bringen. Bei der Konstituierung des Ausschusses für zwischenstaatliche Angelegenheiten92 hatte der Vertreter von Nordrhein-Westfalen gefordert, vom Bundeskanzler Informationen über die laufenden Geschäfte zu erhalten. Der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen unterstützte den Wunsch seines Ministers nach mehr Transparenz, nach ihm sollte "... zu ganz wichtigen konkreten außenpolitischen Fragen auch im Plenum des Bundesrats eine Aussprc..:che stattfmden."93 Ehard hieß ebenfalls diesen Antrag für den Fall gut, daß sich aufgrund außenpolitischer Regelungen Rechtsverbindlichkeiten nach innen ergäben. Selbst mit einem garantierten Recht auf Information schien eine Mitwirkung der Länder in keiner Weise garantiert; wenn ihnen auch Dokumente in größerem Umfang zur Verfügung standen, waren sie schon häufig zum Zeitpunkt ihrer Übersendung überholt oder unvollständig. Es war daher schwierig, zu aktuellen Fragen Stellung zu nehmen oder Wünsche gegenüber der Bundesregierung ~er den deutschen Verhandlungsführern zu formulieren.94 Es wird im folgenden Kapitel zu untersuchen sein, in welchem Maße bei dem anstehenden Ratifizierungsverfahren zum EGKS-Vertrag weiterhin zwischen politischen und wirtschaftlichen Motiven abgewogen wurde. Beide Bereiche waren entscheidend für das neue Integrationsobjekt - wirtschaftlieh war die Frage der Ruhrkontrolle betroffen, politisch war mit der EGKS ein integratonstheoretisches Konzept vorhanden, das über die Methode des 91 BayHStA StK 112 992 Europ. Bewegung Dt. Rat wegen Aktion Föderalpakt 16.10.1950. 92 BRAusschuß für zwischenstaatliche Angelegenheiten v. 23.11.1949. 93
Ebd.,S. 6.
94 Besonders aktuell wurde dies im Vorfeld der EWG, BArch B 144/1007 Bonn 1.7.1958;
so brachte das Bundesministerium für Angelegenheiten des Bundesrats häufig ge~en von Brentano die Klagen der Länder vor, daß die vom Auswärtigen Amt geübte Untemchtung, besonders bei den Verhandlungen zur Bildung einer Freihandelszone, mangelhaft sei, BArch B 144/1007 25.2.1958.
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kooperativen Unionismus hinaus ein supranationales Gebilde entstehen ließ.
3. Die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl Die Bundesregierung suchte bereits Ende der 40er Jahre nach einer Lösung des Ruhrproblems. Der Bundeskanzler bewertete die deutsch-französische Verständigung als notwendige Voraussetzung, die aber wegen des Verhaltens der französischen Regierung in der Saarfrage gefährdet schien. Erich Ollenhauer hatte bereits am 11. Juli 1948 in einer Stellungnahme in der Zeitung Die Welt Verständnis für das französische Verlangen nach Sicherheit gezeigt und festgestellt, daß sich eine Dauerlösung der Ruhrkontrolle nur im Rahmen einer übernationalen Regelung in Europa ergäbe.95 Auf die Frage der Ruhrkontrolle ging Arnold in einer Rundfunkansprache vom 1. Januar 1949 ein, in der er die Zwiespältigkeit der alliierten Politik kritisierte, die zwar die wirtschaftliche Zusammenarbeit verlangte, andererseits jedoch Zwangsmaßnahmen wie die einseitige Internationalisierung der Ruhr erließ, wodurch eine befriedigende Lösung verhindert würde. Er stellte die Frage, ob "... der von den beteiligten Westmächten erstrebte Zweck nicht auf einem anderen Weg zu erreichen ..." sei, auf einem Weg, der "... eine ehrliche und freiwillige Mitarbeit der gesamten Ruhrwirtschaft einschließlich der Arbeiterschaft auf der Basis der Gleichberechtigung sicherstellt."96 Ein völkerrechtlicher Zweckverband schien ihm dafür am besten geeignet. Adenauer wollte die innenpolitischen Auseinandersetzungen gering halten und die Vorbehalte der SPD und Nordrhein-Westfalens ausräumen, um mit der Mehrheit des Bundestags und des Bundesrats rasch zu einer Lösung zukommen. 3.1 Der Schuman-Plan Am 9. Mai 1950 schlug Außenminister Schuman namens der französischen Regierung vor, die Gesamtheit der französisch-deutschen Kohle- und
95 Später kritisierte Adenauer die "geradezu empörende Agitation" der SPD gegen die Bundesregierung wegen des Schuman-Plans, Briefe lli, Nr. 26, S. 43. 96 Hüwel, S. 177.
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Stahlproduktion unter eine gemeinsame Hohe Behörde zu stellen.cn Für den eigentlichen Architekten des Schuman-Plans, Jean Mannet, bestand erhöhter Handlungsbedarf, wollte man verhindern, daß "... die deutsche Lage in der nächsten Zukunft zu einem Krebsgeschwür ..." würde.98 Nach den Vorstellungen Monnets sollte eine neue Gemeinschaft geschaffen werden, in der sich erstmals mehrere Länder, deren Beziehung allmählich einen binnenstaatlichen Charakter annähmen, unter einer gemeinsamen Oberhoheit zusammenfänden. Adenauer erfuhr erst einen Tag vor der Bekanntgabe von dem französischen Vorschlag.99 Im Juni 1950 kamen die Delegationen aus Frankreich, der Bundesrepublik, Italien und den Benelux-Staaten100 zur Ausarbeitung eines Vertrages zusammen, der am 18. Januar 1951 unterzeichnet wurde.101 Damit wurde die Übertragung aller bisher einzelstaatlich geregelten Maßnahmen der Investitionshilfe, der Beeinflussung von Markt- und Preisentwicklung, der Schaffung eines gemeinsamen Marktes unter Beseitigung aller Zoll-, Handels- und Verkehrshemmnisse für den gesamten Montan-Bereich der alleinigen Entscheidungsgewalt einer aus neun Mitgliedern bestehenden Hohen Behörde unterstellt.102 Der auf fünfzig Jahre begrenzte Vertrag, der unter bestimmten Bedingungen revidiert werden kann, fusioniert einen Teil der Staatsgewalt. Die Hohe Behörde hat exekutive und rechtsetzende Entscheidungsgewalt, die dadurch den beiden anderen Organen, der Versammlung, die keine gesetz-
cn Poidivin, Rayrnond: Le röle personel de Robert Schuman dans les negations C.E.CA Guin 1950- avril 1951), in: Die Anfänge des Schuman-Plans 1950/51. Baden-Baden 1988, S. 105-115. 98 Monnet, Jean: Erinnerungen eines Europäers. München, Wien 1978, S. 370 f. 99 Nach Blankenhom, S. 102 f sagte Adenauer: •Am Morgen wußte ich noch nicht, daß der Tag die Neuigkeit von einer entscheidenden Wende in der Entwicklung Europas bringen würde." 100 Griffiths, Richard T.: Die Benelux-Staaten und die EGKS, in: Die Eingliederung, S. 1. Der Schuman-Plan hatte in den Benelux-Staaten rasch ein positives Echo gefunden. Nach Ansicht von Griffiths, S. 2, war es den Beneluxstaaten zu verdanken, daß es zu wichtigen Veränderungen in Monnets Konzept kam und Deutschland nicht in ein "unausgewogenes Vertragswerk bugsiert" wurde. 101 Zu den abschließenden Schuman-Plan-Verhandlungen, siehe Kabinettsprotokolle 1951, 139. Kabinetts-Sitzung v. 3.4.1951, S. 286, Anm. 35 und 143; Kabinetts-Sitzung v. 24.4.1951, S. 330, Anm. 44. 102 Die Analyse des Vertrags bei Hans-Peter Ipsen: Europäisches Gemeinschaftsrecht Tübingen 1972.
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geberische Befugnis hat, und dem Ministerrat in ihrer Bedeutung vorsteht.103 Mit der Schaffung der Montan-Union hatte sich die funktionelle Integrationsmethode durchgesetzt. Besiegelt wurde diese Entwicklung in der Washingtoner Deklaration vom 14. September 1951, in der sich die drei Außenminister der USA, Großbritanniens und Frankreichs auf eine ausgedehntere Anwendung des Prinzips der Teilverträge einigten. Die grundlegende Entscheidung über einen deutschen Verteidigungsbeitrag spielte dabei eine wichtige Rolle. Die Montan-Union und eine konzipierte Verteidigungsgemeinschaft wurden als Teil einer sich weiter entwickelnden atlantischen Gemeinschaft aufgefaßt. England erklärte sich bereit, eine sehr enge Verbindung mit der europäischen Gemeinschaft auf allen Stufen ihrer Entwicklung einzugehen. Als am 10.9.1952 die Außenminister der sechs Partnerländer, die als Rat der Montan-Union zusammentraten, das Parlament aufforderten, im Vorgriff auf das Inkrafttreten des EVG-Vertrags den Art. 38 zu erfüllen, wurde das Konzept der funktioneUen Integrationsmethode erheblich ausgeweitet.104 3.2 Die innenpolitische Diskussion um die EGKS Adenauer erkannte sogleich das politische Potential - die Gleichberechtigung der Bundesrepublik -,das in dem Vorschlag steckte und versuchte dies in den innenpolitischen Auseinandersetzungen herauszusteUen.105 Gegenüber den Parteien und der Industrie hatte der Bundeskanzler jedoch Schwierigkeiten, die Vorteile des Plans entsprechend darzusteUen. Die Ruhrindustrie fürchtete eine Benachteiligung gegenüber den Industrien der am Sehnman-Plan beteiligten Länder,106 weil man nicht annehmen konnte, daß die Hohe Behörde bei der Zuteilung von Investitionsgeldem zugunsten Deutschlands entscheiden würde. 103 Küsters, Hanns Jürgen: Die Verhandlungen über das institutionelle System zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, in: Die Anfänge des SchumanPians, S. 73 - 102. . 104 Vertrag über die Gründung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft Artikel 38, m: 45 Jahre, Nr. 75, S. 314 f.
105 Bührer, Werner: Ruhrstahl und Europa. München 1986, S. 167; BRAusschuß für Auswärtige Angelegenheiten v. 15.3.1951, S. 52.
106 Schwäbische Landeszeitung v. 305.1951. Die Argumente der Industrie glichen in vielen denen Schurnachcrs und der SPD; zur Haltung der SPD, Frankfurter Rundschau v. 2.4.1951 "SPD Sieben Punkte für Montan-Union"; FAZ v. 215.1951; Der Tag v. 225.1951.
II. Integrationspolitische Schritte
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Für Arnold verstärkte sich im Juli 1951 der Eindruck, an einem entscheidenden Punkt der außen- und innenpolitischen Entwicklung Deutschlands angekommen zu sein.107 Er behielt sich sogar vor, einem zukünftigen Bundesstaat Buropa skeptisch entgegenzutreten, falls die Länder auf weitere Funktionen verzichten müßten. Der Entwicklung des europäischen Teilbundesstaates in Richtung auf einen echten Bundesstaat sah er schon deshalb mit gemischten Gefühlen entgegen, weil bei der politischen Willensbildung im Rahmen dieses Gebildes für die Länder kein Platz mehr vorgesehen sei. Er sprach von der Gefahr der Provinzialisierung, von der hinterwäldlerischen Abgeschlossenheit, "von biedermeierlichem Länderprovinzialismus", erkannte jedoch deutlich, daß die Entwicklung nicht aufzuhalten sei und nur die Mitgestaltung im Ratifizierungsverfahren den Ländern eine Möglichkeit zu eigenständigem Handeln eröffnete. Die Bemühungen Nordrhein-Westfalens hatten schon Ende 1950 eingesetzt, zu einem Zeitpunkt, als die Hohen Kommissare bei Adenauer den ersten Schritt auf eine Neuordnung der Montan-Industrie unternahmen. Arnold unterbreitete dem Bundeskanzler schriftliche Vorschläge über Form und Inhalt der neu zu bildenden Gesellschaften und über die Zukunft des deutschen Kohleverkaufs. Obgleich der Ministerpräsident die Zusage des Bundeskanzlers bekam, daß nordrhein-westfälische Vertreter aus Wirtschaft und Gewerkschaften in den von der Bundesregierung einberufenen Sachverständigenausschuß gelangen könnten, löste dieser sein Versprechen, "... den Ministerpräsident bei geeigneter Gelegenheit auch persönlich über den Stand der Verhandlungen zu unterrichten ...", nicht in jedem Fall ein.108 Arnold suchte deshalb im bayerischen Ministerpräsidenten einen Verbündeten.109 Ehard meinte, daß die Bundesregierung den Fehler begangen habe, zu wenig über das Gesetz zu informieren.U0 Erwartungen der Länder, die schon während der Europarat-Oehatte geäußert wurden, hätten sich nicht erfüllt, und so läge es nahe, daß sie sich vorrangig um eine verbesserte Informationsweitergabe bemühten. Es erstaunt, daß einerseits der Bundestag wie die Exekutive keine Gelegenheit vorbeigehen ließen, zu betonen, daß Außenpolitik nicht Sache der 107 BayHStA StK 113 034 Amold - > Ehard 18.6.1951. 108 Hüwel, S. 268. 109 Ebd. über die Zusammenarbeit der Länder; vgl. auch BayHStA StK 113 034; Ehard äußert sich dort positiv über den Plan. 110 BR Ausschuß für Auswärtige Angelegenheiten v. 18.1.1951, S. 5 und Sitzung v. 15.3.1951.
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Länder sei, andererseits jedoch die Stellungnahme des Bundesrats in grundlegenden außenpolitischen Fragen als Vorentscheidung "honorierten". Der Europarat war ein Beispiel dafür. In der Abwägung wurde zugunsten der Erfordernisse des verfassungsändernden Gesetzes, Art. 24 GG war damit gemeint, festgelegt, daß grundsätzlich eine neues Völkerrechtssubjekt geschaffen werde, eine Einrichtung, die "... nunmehr neben oder an die Stelle der innerstaatlichen Organe unmittelbar gegenüber dem einzelnen Hoheitsbefugnisse ausüben soll." Ein solcher über eine normale Verfassungsänderung hinausgehender Vorgang könnte nicht den verfassungsmäßigen Organen überlassen werden. Hessen sprach sich für eine Volksabstimmung ein, setzte sich damit aber nicht durch. 3.3 Die Beratungen zwischen der Bundesregierung und den Ländern Bezüglich der Frage einer internen Länderbeteiligung hatte Adenauer in einer Sitzung des Auswärtigen Ausschusses des Bundesrats sein grundsätzliches Einverständnis erklärt,111 einem Korrespondenten gegenüber schilderte er jedoch die Stimmung im Bundesrat als gezwungen.112 Am Beispiel der hauptsächlichen Diskussionspunkte zwischen der Bundesregierung und den Ländern läßt sich diese Beobachtung nachvollziehen. 3.3.1 Die Problembereiche Bundesratspräsident Ehard setzte auf eine schnelle Ratifizierung, um dadurch den Prozeß der raschen Wiederanerkennung zu beschleunigen. Er erkannte jedoch, daß die Ablösung des Besatzungsregimes und die Wiedergewinnung der Handlungsfähigkeit Deutschlands unter den internatonalen Bedingungen nur perspektivisch angegangen werden könnten. Die Klärung der Reichweite von Art. 24 GG stand im Mittelpunkt der innenpolitischen Diskussion, daneben ging es um die Grundsatzentscheidung, welche Kompetenzen im Rahmen des Bundesstaates den Ländern auf europapolitischem Gebiet künftig zugestanden werden sollten. Anlaß für ein Gutachten des Justizministers war die Frage im Auswärtigen Ausschuß des Bundesrats vom 7. Juni 1951, ob das Gesetz der Zu111 BayHStA StK 113 034; BRAusschuß für Auswärtige Angelegenheiten v. 18.1.1951. 112 N:ZZ v. 30.6.1951; zu den Beratungen im Bundesrat über die Montan-Union: "... niemand hatte Lust, grundsätzlich gegen die große Idee des französischen Außenmini.sters, deren Verwirklichung von der überwiegenden Mehrheit der Deutschen als ein Schritt zur Schaffung eines einigen Buropa betrachtet wurde, aufzutreten. •
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stimmung des Bundesrats bedürfe oder ob es wegen der vorgesehenen Übertragung von Hoheitsbefugnissen ein verfassungsänderndes Gesetz sei. Für den Bundesminister war die Rechtslage nicht eindeutig.113 Ein weiterer Diskussionspunkt war das Fortbestehen des Besatzungsstatuts. Ein Antrag Hamburgs vom 26. Juni 1951 hatte die Zustimmung von der verbindlichen Zusage "... aller in Frage kommenden ausländischen Mächte" über den "Fortfall besatzungsrechtlicher Institutionen und Beschränkungen ..." abhängig gemacht.114 Der Bundeskanzler sprach darüber mit dem Berichterstatter im Bundesrat, Arnold, der der Ansicht war, daß Anträge auf zusätzliche Abkommen abgelehnt würden. Der Ministerpräsident meinte, daß der Bundesrat den Schuman-Plan bejahen würde,"... wenn auch die anderen Staaten eine Erklärung über den Fortfall der Beschränkungen in der Stahlerzeugung, über den Wegfall der Ruhrbehörde und so weiter abgeben ..."115 Er wiederholte in diesem Zusammenhang, daß durch den Schuman-Plan und etwaige weitere Vereinbarungen den Ländern bestimmte Hoheitsrechte genommen würden und auf dem Weg über den Bund auf übergeordnete europäische Organisationen übergingen. Daher müßten Möglichkeiten zur Einflußnahme ausgelotet werden. Unter Umständen wäre die Ernennung deutscher Vertreter für internationale Organisationen eine geeignete Lösung. Weitgehende Unterstützung erhielten die Länder in dieser Frage vom Bundesminister für Marshallplan-Fragen. Dieser beurteilte das Gesetz als Eingriff in die föderative Struktur, "... weil die Hohe Behörde Entscheidungen treffen könne, die von den Ländern ausgeführt werden müssen." Daher sei eine Zustimmung des Bundesrats erforderlich.U6 Finanzminister Schäffer erklärte demgegenüber, daß für das Ratifizierungsgesetz diesem Begehren nicht Rechnung getragen werden könnte.117 Der Vertreter des Außenministeriums, Hallstein, zeigte sich überzeugt von der Notwendigkeit eines Länderausschusses, wollte hingegen die Einflußnahme der
113 Kabinettsprotokolle 1951, Kabinetts-Sitzung v. 12.6.1951, S. 431. 114 Zur Vorgeschichte, BayHStA StK 113 034 "Opposition gegen Montanunion•; zum Antrag Hamburgs, vgl. Kabinettsprotokolle 1951, 155. Räbinetts-Sitzung vom 26.6.1951 TOP E, S. 478; BR-Drs. 470/2/51. 115 Ebd., s. 478. 116 Ebd., s. 431.
117 Ebd., S. 479; vgl. auch Kabinettsprotokolle 1951, Kabinetts- Sitzungv. 9.10.1951, S. 694, in der Hallstein auf diese Frage zurückkam. 9 Fuhnnann·Mittlmeier
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Regierung auf die Zusammensetzung und das Verfahren sichern.118 Einige Kabinettsmitglieder befürchteten eine "gefährliche Präjudizierung" für andere Gebiete.119 Der Wunsch der Bundesregierung nach einer reibungslosen Verabschiedung des Schuman-Plans verstärkte jedoch die Bereitschaft, dem Bundesrat entgegenzukommen. Zur Gewährleistung einer einheitlichen deutschen Haltung bei allen mit der EGKS zusammenhängenden Fragen wurde ein Interministerieller Ausschuß mit Vertretern des Bundeskanzleramts, des Bundesministeriums für Wirtschaft, des Bundesministeriums für den Marshallplan, des Auswärtigen Amts, des Bundesministeriums der Justiz, des Bundesministeriums für Forschung, des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales und des Bundesministeriums für Verkehr eingerichtet. An den Sitzungen konnten Vertreter anderer Ministerien und Sachverständige teilnehmen, allerdings nicht Vertreter der Länder.120 Von Bedeutung für die Länder wäre die Zusammenkunft des Interministeriellen Ausschusses vor der Abgabe wichtiger Stellungnahmen der Bundesregierung gegenüber der Hohen Behörde sowie vor den Sitzungen des Ministerrats gewesen, also immer dann, wenn die Möglichkeit bestand, an Entscheidungen, die sich auf die europäischen Organe bezogen, mitzuwirken. Die Einrichtung des technisch-wirtschaftlichen Sachverständigenausschusses eröffnete ihnen indes eine Chance zur Teilhabe. Württemberg-Baden fühlte sich betreffend der Zusammensetzung dieses Ausschusses im Vergleich zu Bayern benachteiligt. Es mochte nicht einsehen, daß neben Vertretern aus dem Rhein-Ruhr-Gebiet auch fünf Bayern vertreten waren, aber keine Württemberger.121 Für Württembergs Vertreter in Bann, Gögler, war das Argument, Württemberg-Baden habe kein Aufkommen an Kohle und Stahl, nicht einsichtig, da das Land neben einer umfangreichen Eisenerz-Förderung eine sehr bedeutende und exportwichtige Stahlverarbeitungsindustrie besaß. Für Hallstein spielte immer wieder die Frage eine Rolle, wie weit die Länder von Vereinbarungen, die auf Art. 32 Abs. 2 GG beruhten, berührt würden. Der Staatssekretär wertete die Auffassung als übertrieben, die 118 Über einen Zusatzartikel für den Vertragsentwurf, Kabinettsprotokolle 1951, KabinettsSitzung v. 26.10.1951, S. 724 f. 119 Ebd., s. 725. 120 Arnold forderte jedoch eine Beteiligung, vgl. Poi.Arch. AA 200 Nr. 92 MinPräs Arnold
-> Hallstein 25.7.1951.
121 HStAS FA 9 101/Bu 24, 16.11.1950.
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Montan-Union stelle einen partiellen europäischen Bundesstaat dar, erkannte jedoch das Problem, daß es für die partielle Fusion von Funktionen kein Modell gab. Ehard war davon überzeugt, daß im Schuman-Plan eine automatische Entwicklung zur Aufgabe von Souveränitätsrechten angelegt sei, so daß die wirtschaftliche Fusion automatisch in eine staatsrechtliche übergehe. Für die Vertreter von Nordrhein-Westfalen entsprach das Modell des Schuman-Plans dem funktionalistischen Ansatz, sie hofften jedoch, daß daraus ein föderalistisches Gebilde entstehe.122 Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident war der Ansicht, daß es nur im Interesse der Bundesregierung liege, sich der Unterstützung der Landesregierungen und des Bundesrats zu versichern. Das Problem - überstaatliche Organisation und Föderalismus - thematisierte nicht nur er in der Öffentlichkeit, er vertrat das Anliegen aber besonders nachdrücklich. Seine Kritik, daß den Ländern durch die Gemeinschaft Rechte im Verwaltungsund Gesetzgebungsbereich verloren gingen, wurde von den anderen geteilt und mündete in der Forderung nach Einflußnahme auf den Ministerrat. Die Bewertung würde zu kurz greifen, wollte man den Ländern, die sich etwas Zeit mit der Ratifizierung ließen, vorwerfen, ihre Perspektive sei zu kleinräumig gewesen, denn auch für sie war die Stellung Deutschlands in einem zukünftigen Bundesstaat wichtig. Die Zurückhaltung der sozialdemokratisch regierten Länder kann nicht dahingehend gedeutet werden, sie wären, ebenso wie ihr Parteichef, dem Einigungswerk grundsätzlich negativ gegenübergestanden. Durch ihre Taktik der Verzögerung glaubten sie jedoch, einen zusätzlichen Spielraum zu erhalten, um die Interessen der Bundesrepublik gegenüber den Alliierten besser artikulieren zu können. Die unionsregierten Länder gingen wegen ihres Informationsvorsprungs mit weniger Vorbehalten in die Diskussion. Nur mit Mühe konnte ein Kompromiß gefunden werden. Da man sich aber weder zu einem klaren Ja noch zu einem Nein durchringen wollte, gab es die Alternative, Ja unter bestimmten Bedingungen zu sagen oder vorläufig keine endgültige Stellung zu beziehen. Es hing nun davon ab, ob man wirtschaftlichen oder politischen Gesichtspunkten Priorität einräumen wollte.123
122 BRAusschuß für Auswärtige Angelegenheiten v. 15.3.1951. 123 Die Diskussion spielte sich in der 18. Sitzung des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten des Bundesratsam 26.6.1951 ab.
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Das Auswärtige Amt befürchtete, eine Nicht-Stellungnahme des Bundesrats würde bei den Alliierten als Ablehnung ausgelegt werden und appellierte deshalb an den Bundesrat, dem Plan wenigstens im Prinzip zuzustimmen. Zumindest bei den Regierungschefs, die den Koalitionsparteien angehörten, scheint diese Aufforderung eine Umkehr eingeleitet zu haben, zu einer endgültigen Stellungnahme wollte man sich beim ersten Durchgang aber nicht bereit erklären. Nach dem Abschluß des Ratifizierungsverfahrens erklärte Ministerpräsident Kopf, der Bundesrat habe dem Schuman-Plan nicht zugestimmt, obwohl seine Stellungnahme in der Presse als Ja ausgelegt wurde, sondern er habe lediglich nicht von seinem Recht nach Art. 77 GG Gebrauch gemacht.124 Nach Ansicht von Kopf könnte der Bundesrat als Erfolg nämlich verbuchen, daß er die Bundesregierung zu einem bestimmten Verhalten veranlaßt hätte.125 3.3.1.1 Die Montan-Union und das Besatzungsregime Ausgedehnte Diskussionen im Wirtschafts- und im Auswärtigen Ausschuß gingen dem Beschluß der Annahme des Entwurfs eines Gesetzes betreffend den Vertrag über die Gründung der EGKS am 11. Januar 1952 voraus. Zudem wurde der Entscheidungsprozeß durch die wieder auftauchende Saarfrage erschwert. Ehard hatte schon früher die Koinzidenz von Saarfrage und Ratifizierung des Schuman-Plans als gefährlich angesehen.126 Württemberg-Baden beabsichtigte, das Gesetz von der tagespolitischen Aktualität zu lösen, hoffte aber, daß die Ratifikation des Schuman-Plans wesentlich dazu beitrage, den Prozeß der Europäisierung der Saar voranzutreiben.127 Wobleb und Kaisen hofften, daß dadurch die europäische Einigung rasch vorankomme. Der hessische Ministerpräsident Zinn blieb bei seiner skeptischen Haltung.128 Hallstein hatte schon 1950 grundsätzlich deutlich gemacht, daß das Projekt aufgrund seiner politischen Bedeutung sorgfältig auf die wirtschaftliche Tauglichkeit hin zu prüfen sei. Als wirtschaftliches Prinzip des Schuman124 Kopf im Nordwestdeutschen Rundfunk5.2.1952, BayHStA MWi 11733. 125 Ebd. 126 BayHStA StK 113 075 Ehard -> Bundesrat 24.3.1950 127 HStAS FA 101/294/5 Brief Gögler -> Maier, Anlage. 128 Vgl. Diskussion im Auswärtigen Ausschuß des Bundesrats, 17. Sitzung vom 7.6.1951.
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Plans betrachtete der Staatssekretär die Verpflichtung, "... dabei unter Verzicht auf nationalen Egoismus und künstliche Mittel höchste Wirtschaftlichkeit und ein Minimum an Eingriffen zu bewirken."129 Ansatzpunkt war der friedliche Wettbewerb zwischen den freien Völkern und nicht die Bildung eines internationalen Kartells mit einer Benachteiligung Deutschlands,130 eine Befürchtung, die Nordrhein-Westfalen und Harnburg hatten. Des weiteren war die Vorstellung präsent, daß jeder wirtschaftliche Fehlschlag auch die politische Konzeption gefährde. In seiner ersten Stellungnahme forderte der Bundesrat eine verbindliche Zusage aller in Frage kommenden ausländischen Mächte bezüglich folgender besatzungsrechtlicher Bestimmungen: Ruhrbehörde und alliierte Kohle- und Stahlkontrollgruppe. Eingriffsrechte der alliierten Sicherheitsbehörde in die Kohle- und Stahlwirtschaft Beschränkung der Stahlkapazität und -produktion.131 Die Haltung im Kabinett war nicht einheitlich.132 Der Bundesminister für Wirtschaft wollte die alliierte Zuständigkeit aufrechterhalten; seines Erachtens bedeutete die zum Teil schon durchgeführte Entflechtung einen Eingriff, der in Form und Inhalt dem deutschen Rechtsdenken widerspreche. Der Bundesminister der Justiz dagegen empfand die Beibehaltung der alliierten Zuständigkeit als Beeinträchtigung der deutschen Souveränität. Staatssekretär Hallstein schlug einen Kompromiß vor: die Durchführung der Entflechtung weiterhin den Allüerten zu überlassen, die Aufsicht über die Geschäftsführung der entflochtenen Gesellschaft jedoch in deutsche Zuständigkeit zu übergeben. In seiner Regierungsrede am 9. Januar 1952 vor dem Bundestag äußerte sich der Bundeskanzler noch einmal zu den Einwendungen des Bundesrats über die Zukunft der alliierten Kontrollrechte. Darin konnte er auf ein Ab-
129 BayHStA StK 113 029 Ansprache Hallstein 19.3.1951 über Nordwestdeutschen Rundfunk. 130 Ebd. 131 BR-Drs. 470/1/51 v. 21.6.1951; vgl. auch Antrag Hamburgs, BR-Drs. 470/2/51 v. 26.6.1951; Ergänzungsantrag Nordrhein-Westfalens, BR-Drs. 470/4/51 v. 27.6.1951. 132 Vgl. Kabinettsprotokolle 1951, Kabinetts- Sitzung v. 18.12.1951, S. 825.
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kommen verweisen, daß die Ruhrbehörde spätestens mit der Errichtung des Gemeinsamen Marktes aufgelöst werde.133 Die Banner Vertretung Württemberg-Badens beabsichtigte, nach Verabschiedung des Gesetzentwurfs über den Schuman-Plan bei der Bundesregierung auf Verhandlungen mit den Alliierten und der Hohen Kommission wegen der Festsetzung des Termins für die Beendigung der Laufzeit des Gesetzes Nr. 27 hinzuwirken und Verhandlungen über die Beseitigung der diskriminierenden Behandlung der Bundesrepublik anzuregen, da für die westdeutsche Wirtschaft sonst die Gefahr bestünde, mit einem Embargo belastet zu werden.134 Die drei westlichen Besatzungsmächte erklärten sich, wohl auch veranlaßt durch die Demonstration bundesdeutschen Einigungswillens, zu weitgehenderen Zugeständnissen bereit, als zunächst die Ausgangslage vermuten ließ. Sie bestimmten in einer gemeinsamen Weisung an ihre Hohen Kommissare in Deutschland, daß mit dem Inkraftreten des Vertrags über die Montan-Union die Alliierte Hohe Kommission die Ausübung aller Funktionen auf dem Gebiet von Kohle und Stahl einstellen solle, für die die Hohe Behörde gemäß den Bestimmungen des Vertrags zuständig sei. Auch die Frage des Kartellwesens und der Unternehmenskonzentration unterstanden von da ab den für alle Mitgliedsstaaten gleichen Regelungen des Schuman-Plans. Die Entflechtungen blieben Sache der einzelnen Mitgliedsstaaten. Die anfangs vorhandenen Befürchtungen der Länder schienen unter außenpolitischen Gesichtspunkten obsolet, unter innenpolitischen Perspektive waren sie hingegen wichtig, um Handlungsspielraum gegenüber der Bundesregierung zu gewinnen. 3.3.1.2 Die Diskussion um die Reichweite von Artikel 24 GG Die Kohle und Stahl erzeugenden Bundesländer wollten wissen, in welcher Weise sich die Montan-Union auf die Beschränkung ihrer Hoheitsrechte auswirke, ob außerdem eine eventuelle Kompetenzbeschneidung durch Art. 24 GG abgedeckt sei.135 Es läßt sich deutlich das Spannungsfeld zwischen politischen, wirtschaftlichen und rechtlichen Fragestellungen ausmachen. Abhängig vom jeweiligen Blickwinkel wurde der eine oder andere 133
Ygl. auch BR-Drs. 14/52. 134 HStAS FA 101/Bu 51 Staatsministerium Stuttgart - > Staatsminister für Bundesangelegenheiten Gögler. 135BR Rechtsausschusses v. 14.651.
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Aspekt bei den Landesregierungen anders als bei der Bundesregierung bewertet. Nach Einschätzung der Bundesregierung war nur unter Anwendung von Art. 84 Abs. 1 GG die Zustimmung des Bundesrats erforderlich, während im Fall des Schuman-Plans die Ausführung in erster Linie Sache der Gemeinschaftsorgane blieb. Im Rechtsausschuß wurde die Alternative zwischen einem einfachen und einem verfassungsändernden Gesetz heftig diskutiert.136 Im Mittelpunktt der Debatte stand die Frage, ob Art. 24 GG gegenüber Art. 79 GG eine Iex specialis sei.137 Für den Berichterstatter aus Nordrhein-Westfalen war die Vorstellung undenkbar, daß der Bund in Zukunft im Wege der einfachen Gesetzgebung unter Umständen einer überstaatlichen Schul- oder Polizeiunion beitreten könnte, den Länder aber nur ein überstimmbares Veto zur Verfügung stünde. Der Mitberichterstatter aus Bayern hielt ein verfassungsänderndes Gesetz für nicht erforderlich.138 Dieser Ansicht schlossen sich die Vertreter von Hamburg, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz an. Die Ausschußmitglieder aus Würtemberg-Baden, Bremen,139 Schiewig-Holstein und Württemberg-Hohenzollern stimmten mit von Merkatz, dem Vertreter von Bundesminister Hellwege, überein. Er betrachtete die Übertragung durch einfaches Gesetz als verfassungskonform.140 Hessen und Nordrhein-Westfalen favorisierten hingegen ein verfassungsänderndes Gesetz. Bei der Abstimmung blieb, bei Stimmenthaltung von Harnburg und Nordrhein-Westfalen, Hessen dann jedoch das einzige Land, das sich für das Erfordernis eines verfassungsänderndes Gesetzes aussprach. 141
136 Vgl. BArch B144/9911, S. 4: "Ganz abgesehen von der internationalen Rechtregelung würde der Bund die rechtliche Möglichkeit haben, die Länder auf den Gebieten der Gesetzgebung und der Verwaltung auszuschließen." Der Verfasser kommt zu dem Schluß, daß die Tätigkeit der Länder auf den vom Schuman-Pian erfaßten Gebiet bundesverfassungsrechtlich nicht garantiert sei; für ihn ist daher weder die Notwendigkeit der Zustimmungsbedürftigkeit gegeben noch die einer Anwendung von Art. 84 Abs. 1 GG. 137 BArch B144/9911. 138 Vgl. dazu auch BayHStA MWi 11733 über das Gutachten des Hessischen Ministers der Justiz v. 12.6.1951. 139 Von Bremen wurde als Anlage 4 ein Gutachten des Senators für Justiz und Verfassung beigegeben, BArch B144/9911 Abschrift: Der Senator für Justiz und Verfassung 11.6.1951. 140 BArch B144/9911 Schreiben Dr. Dürr. 141 BR Rechtsausschuß v. 14.6.1951.
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3.3.2 Die Forderung nach Mitwirkungsmöglichkeiten Im Plenum und in den Ausschüssen des Bundesrats war der Versuch der Länder, auf die Durchführung des Schumanplans einzuwirken, mehrfach Thema gewesen.142 Nordrhein-Westfalen hatte einen Initiativantrag eingebracht, der eine Einbindung des Bundesrats bei derErteilungvon Weisungen an die Vertreter der Bundesrepublik Deutschland im Ministerrat der EGKS zum Ziel hatte.143 In einem Zusatzentwurf sollte festgelegt werden, daß die Bundesregierung, von Eilfällen abgesehen, ihre Weisungen an die nach Art. 27 der Verträge zu entsendenden Vertreter im Rat der Gemeinschaft nach Beratung mit einem Ausschuß von Landesvertretern erteilen sollte.144 Nach Ansicht des Bremer Senatspräsidenten könnte nicht jedes einzelne Land verlangen, eingeschaltet zu werden, während der Antragsteller als das am meisten betroffene Land ein Recht darauf hätte. An weiteren Einflußmöglichkeiten schien Kaisen wenig interessiert: "Was sollen wir für die Länder positiv in dieser Richtung verlangen, sollen die Länder ein Mitspracherecht bei außenpolitischen Entscheidungen bekommen, wenn doch die Wahrnehmung außenpolitischer und europäischer Fragen beim Bund liegt?"145 Der Bundesratsbeschluß hatte ganz allgemein davon gesprochen, bei der Willensbildung der deutschen Stellen die Mitwirkung des Bundesrats vor der Ratifizierung sicherzustellen. Um kundig im Bundesrat Entscheidungen zu treffen, wurde eine ausreichende Informationen durch die Bundesregierung gefordert.146 Diese war durchaus geneigt, den Ländern eine Kompensation anzubieten. Grundsätzlich konnten sich die Länder auf die Aus142 BArch B144/99III betr. 182. Kabinetts-Sitzung der Bundesregierung v. 26.10.1951. 143 Vgl. BR 61. Sitzung v. 27.2.1951, Punkt 5: "Außerdem wird verlangt, daß bei der Willesbildung der deutschen Stellen im Rahmen des Schuman-Plans die Mitwirkung des Bundesratsvor der RatifiZierung im Gesetz sichergestellt wird"; BR-Drs. 631/51 v. 29.8.1951, Antrag des Landes Nordrhein-Westfalen; am 6.9.1951 war der Antrag Gegenstand der 19. Sitzung des Ausschusses fUr Auswärtige Angelegenheiten. 144 BArch B144/99III Entwurf eines Zusatzartikels zum Entwurf eines Gesetzes betreffend den Vertrag über die Gründung der EGKS; Nordrhein-Westfalen hat im Bundesrat die Initiative zu einem Gesetzentwurf beantragt, begründet auf Beschluß des Bundesrats v. 27.6.1951; vgl. dazu: BArch B144/99III Vermerk: Mitwirkung des Bundesrats bei der Durchführung des Schuman-Pians, 29.1.1951, Anlage 4 der BT-Drs. 2401; vgl. BArch B144/99III von Merkatz Aufzeichnung betreffend Schuman-Pian. 145 BRAusschuß für Auswärtige Angelegenheiten v. 26.6.1951, HStAS FA 101/Bu 2 Fernschreiben Staatsministerium Nr. 2 v. 2.10.1951. 146 So die Zusage des Bundeskanzlers in der ersten nichtöffentlichen Sitzung des Bundesrats am 195.1950, BArch B144/90 26.2.1951 Einflußnahme der Landesminister auf die Außenpolitik; vgl. auch Art. 53 GG.
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sage von Bundeskanzler Adenauer, in der er die Mitbestimmung der Länder bei der internen deutschen Willensbildung im Rahmen des Schuman-Plans anerkannt hatte, berufen.147 Nach Ansicht des Bundesratsministeriums würde die Einsetzung eines Länderausschusses den Erwartungen der Länder entsprechen.148 Die Einrichtung sollte jedoch keine Verschiebung der im Grundgesetz vorgenommenen Kompetenzverteilung bedeuten, sondern Ausdruck der berechtigten Teilhabe von Landespolitikern an der Bundespolitik sein.149 Art. 32 Abs. 2 GG dürfte aber keineswegs als Aufforderung an die Landesparlamente- oder regierungen verstanden werden, auf dem Gebiet der Innenpolitik gewichtige Entscheidungen zu treffen.150 Diese Zusage wurde gleichzeitig als Ergänzung für die Informationspflicht aus Art 53 GG betrachtet. Die Kritik aus rechtlichen Erwägungen blieb nicht aus.151 In Hinblick auf den großen politischen Vorteil stellte man jedoch derartige Bedenken hintan. Die Bund~sregierung wollte sich das Initiativrecht erhalten. Im Oktober 1951 erörterte sie den Entwurf eines Zusatzartikels zum Ratifikationsgesetz, dem das Kabinett zustimmte.152 Am 20. Dezember 1951 zog die Bundesregierung ihren Entwurf zurück,153 weil die CDU /CSU-Fraktion am 18. Dezember 1951 einen entsprechenden Initiativantrag eingebracht hatte.154
147 Adenauer war selbst bereit, über den Stand der Verhandlungen zu unterrichten, PolArch. AA 200 Nr. 90 Adenauer -> Amold 10.11.1950. Hallstein hielt sich auf Anforderung von Adenauer zu entsprechender Informationsweitergabe bereit, PoiArch. AA 200 Nr. 92 Hallstein - > MinPräs Amold 29.3.1951; vgl. Reaktion Amolds, daß er der ganzen Sache positiv gegenüberstehe, PoiArch. AA 200 Nr. 92 Arnold -> Adenauer 4.7.1951. 148 BAn:h B144/99111 Aufzeichnung von Münch 30.8.1951 Mitwirkung der Länder bei der Durchführung des Schuman-Plans, S. 3 ff. 149 BAn:h B144/90 26.2.1951 Einflußnahme der Landesminister auf die Außenpolitik. 150 Vgl. BAn:h B144/9911 Schreiben Dr. Dürr; dieser Vorwurf war besonders auf Rheinland-Pfalz gemünzt, Ruhrkohle und Stahl sollen nicht als Besonderheit eines Landes, sondern als wichtig für das deutsche Volk insgesamt angesehen werden. 151 Zur Rolle des Auswärtigen Amts, BAn:h B144/99III 16.1.1952; vgl. auch BArch B144/99III Aufzeichnung von Münch 30.8.1951 Mitwirkung der Länder bei der Durchführung des Schuman-Plans; über rechtliche Bedenken von Münch, Weisungen seien auch nicht bei der Beurteilung der Gültigkeit der Ratsbeschlüsse zu beachten; in der Bunderepublik komme hinzu, daß sich das deutsche Ratsmitglied auf Art. 65 Satz 2 GG berufen könne; verfassungsrechtlich sei eine gesetzliche Verankerung nicht möglich; so aber BArcb 8144/99111 von Merkatz Aufzeichnung betreffend Scbuman-Plan und BAn:b 8144/99111, Bonn 16.1.1952, S. 2. 152 Kabinettsprotokolle 1951, Kabinetts- Sitzun~ v. 26.10.1951, S. 724; die FDP hatte Vorbebalte geltend gemacht, wobei sie mit der Präjudizleroarkeit argumentierte. 153
BR-Drs. 775/2/51. 154 BT-Drs. 2951; vgl. BRAusschuß für Auswärtige Angelegenheiten v. 14.12.1921, S. 2. Der Bundeskanzler hatte bereits dem wirtschaftspolitischen Ausschuß mitgeteilt, daß er die Sache unterstütze.
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Trotz des Einsatzes des Bundeskanzlers wurde der Antrag am 10. Januar 1952 vom Bundestag abgelehnt. Auf diese Abstimmung im Bundestag kam der Kanzler bei der ersten Sitzung des Auswärtigen Ausschusses im neuen Jahr zu sprechen. Er führte die Niederlage vor allem auf die schwache Repräsentanz der Länder auf der Bundestagstribüne zurück; nur der hessische Ministerpräsident und der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen waren anwesend gewesen. Als Ausgleich erhoffte man vom Bundeskanzler die Zusicherung für bessere Informationen in Angelegenheiten, die die Länder betrafen. Der Bundesrat gab der Erwartung Ausdruck, daß bis zu einer gesetzlichen Regelung seinem Verlangen auf Mitwirkung in der von dem Bundeskanzler gesicherten Form der Unterrichtung und Anhörung in ausreichendem Maße entsprochen werde. Adenauer erklärte seine Bereitschaft, sich in bestimmten Fällen mit dem betroffenen Land in Verbindung zu setzen. Es gab jedoch auch Stimmen, die sich äußerst skeptisch über die Wirksamkeit eines derartigen Verfahrens äußerten. Der Bundesregierung schien der Weg über ein Mehr an Information der unverfänglichere, hatte sie doch die Weitergabe in der Hand. Schwierigkeiten ergaben sich, wenn einzelne Länder ihre speziftsche Interessenlage jeweils gesondert behandelt wissen wollten.155 3.4 Die Auseinandersetzungen zwischen dem Auswärtigen Amt und dem Bundeswirtschaftsministerium Bei der Organisation der Zuständigkeiten des Schuman-Plans kam es zu Kompetenzstreitigkeiten zwischen dem Auswärtigem Amt und dem Bundeswirtschaftsministerium. Ursprünglich sollte das Auswärtige Amt für Fragen des Interimsausschusses, des Sitzes der Organe, der Mitglieder der Hohen Behörde, des Gerichtshofs, der Organisation der Hohen Behörde und der Gemeinsamen Versammlung zuständig sein; das Wirtschaftsminsterium dagegen für den Ministerrat, den Beratenden Ausschuß, das Personal der Hohen Behörde, die etatmäßige Übernahme der Vorschüsse für Verwaltungsausgaben und die Vorbereitung und Bearbeitung aller wirt-
155 Der Vorschlag Nordrhein-Westfalens, daß die nord- und süddeutschen Länder getrennt im Bundeswirtschaftsministerium zu Beratungen geladen werden sollen, fand keine Zustimmung, HStAS FA 101/294/2 1.10.1953, HStAS FA 101/00/294/2 15.10.1953. Trotzdem sahen es die Länder als notwendig an, sich je nach Interessenlage gemeinsam zu organisieren.
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schaftliehen Fragen.156 In einer Stellungnahme des Auswärtigen Ausschusses des Bundesrats wurde die Hohe Behörde als Ausführungs- und Verwaltungsorgan bezeichnet.157 Bei dem enormen Personalaufwand für die Hohe Behörde war, da nur ein geringer Prozentsatz aus den vorhandenen Kräften der Ministerien abgestellt werden konnte, an eine Hinzuziehung aus Kreisen der Wirtschaftsorganisationen, der Gewerkschaften und der Landesregierungen gedacht. Die Federführung, auch in bezug auf die Auswahl, wurde dem Bundesministerium für Wirtschaft übertragen.158 Dieses Verfahren wollten die Vertreter des Auswärtigen Amts nicht unwidersprochen gelten lassen. Ein Kompromiß brachte eine Einigung. Fragen der Hohen Behörde sowie organisatorische sollten gemeinsam bearbeitet werden.159 Im Bundeskanzleramt favorisierte man eine Federführung des Auswärtigen Amts, weil der Bundesminister der Wirtschaft zu eigenständigem Handeln neigte.160 Dies konnte aber nicht im Interesse der Länder liegen, da sich der Wirtschaftsminister den Wünschen der Länder gegenüber immer aufgeschlossen gezeigt hatte. Eine interministerielle Einigung war schon deshalb vordringlich, weil Vertrag und Abkommen eine ständige Verbindung und Zusammenarbeit der Gemeinschaft mit den Regierungen vorsahen. Der Vorwurf von Bundespolitikern, zwischen Bund und Ländern ein drittes Organ in Form einer Ländergemeinschaft einführen zu wollen, wurde von den Ländern zurückgewiesen; 161 was sie vielmehr bezweckten, war ein gemeinsames Finanzierungsprojekt für die Erfüllung solcher Aufgaben, die über den Bereich eines Landes hinausgingen. 156 HStAS EA 101/294/2 9.6.1952; HStAS EA 101/294/21.10.1953; HStAS EA 101/294/2 3.11.1953. 157 Nach PolArch. AA 200 Nr. 90 Dt. Bundesrat -> Büro für Auswärtige Angel. bezeichnete man sie als ein "konföderatives" europäisches Ministerium für Kohle und Stahlwirtschaft; Stellungnahme Ehards, daß die Organe zu dirigistisch seien, PoiArch. AA 200 Nr. 92. 158 PoiArch. AA 200 Nr. 90 18.8.1952 Aufzeichnung über die Verbindung zwischen der Gerneinschaft und der Regierung der Mitgliedsstaaten, worin eine Beteiligung des Auswärtigen Amts kategorisch abgelehnt wurde. 159 BArch B 144/9911. 160 Vgl. HStAS EA 101/294/2 3.11.1953. 161 HStAS EA 201/Bu 774 Kritik arn Föderalismus. Ministerpräsident Goppel und Ministerpräsident Dr. Meyer stellten ausdrücklich fest: "Der Bund ist die Gerneinschaft der Länder"; vgl. auch HStAS EA 201/Bu 774, S. 55, Finanzminister von Schleswig-Holstein: •... die Gerneinschaft der Länder als "dritte Ebene" neben dem Oberverband mit eigenen Rechten und Pflichten, eine Art Staatenbund im Bundesstaat, widerspricht dem Wesen des Bundesstaats.•
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3.5 Die Eigenkontakte der Länder 1952 besuchte Wegmann, der Sekretär des Auswärtigen Ausschusses des Bundesrats, Luxemburg, um sich vor Ort einen Überblick zu verschaffen.162 Dort sprach er mit Spierenburg über die weitere Entwicklung der europäischen Integration und schlug vor, daß die Mitglieder der Hohen Behörde über ihre Heimatstaaten hinaus persönliche Beziehungen pflegen sollten. Wegmann war mit der Arbeitsweise der Hohen Behörde nicht zufrieden. Er führte dies unter anderem auf die mangelnde Erfahrung der Franzosen mit der föderalistischen Grundordnung zurück und stellte den Bundesrat als Anschauungsmodell heraus. Arnolds Nachfolger im Amt, Ministerpräsident Steinhoff, führte die Politik der direkten Fühlungnahme mit der Hohen Behörde fort. 163 Das Auswärtige Amt beobachtete sehr genau den Besuch des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten; zwar wollte man keine Einwände dagegen erheben, jedoch sollte der Botschafter bei der MontanUnion die Vertreter der Landesregierung bei ihren Besuchen begleiten und darüber nach Bonn berichten.164 Die Landesvertreter am Sitz der Hohen Behörde sollten an die Staatsbeziehungsweise Senatskanzleien und Staatsministerien regelmäßige Berichte über die weitere Entwicklung des Vertrags über die Montan-Union schicken.165 Dabei kamen unter anderem die Tagesordnung des Interimsausschusses sowie Termine des Ministerausschusses zur Sprache. Die Länder erhielten weiterhin Informationen über Absichten der Bundesregierung durch ihre Zusammenkünfte beim Bundesminister für Wirtschaft. Dort wurde ihnen von den Sitzungen des Ministerrats der MontanUnion, den Sitzungen des Koordinierungsausschusses und den Sitzungen des· Beratenden Ausschusses berichtet. Die Treffen scheinen mit einiger Regelmäßigkeit stattgefunden zu haben. Sie waren neben Stätten des Informationsaustausches auch solche heftiger Kritik an der Europapolitik der Bundesregierung. Häufig waren Stimmen zu vernehmen, die die Bundesregierung zum Überdenken der Europeteinstellung aufforderten.166 162 BayHStA StK 113 036 Wegmann -> Ehard 30.12.1952. 163 PolArch. AA 200 Nr. 92; Die Welt v. 25.9.1956; Arnold war im September 1953 bei der Hohen Behörde in Luxemburg; Monnet machte einen Gegenbesuch in Düsseldorf im Frühjahr 1954. 164 PolArch. AA 200 Nr. 90; das Ergebnis wurde als recht mager beurteilt. 165 PolArch. AA 200 Nr. 90 21.2.1952. 166 So nach PoiArch. AA 200 Nr. 92.
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Am Beispiel der Auseinandersetzungen zwischen Auswärtigem Amt und Bundeswirtschaftsministerium wurde deutlich, daß die Länder, wollten sie die Außenpolitik mitgestalten, der Rückendeckung durch Regierungsorgane bedurften. Da der Bundeskanzler mit seinem außenpolitischen Konzept zum Teil auf Widerstand auch in den Reihen seiner eigenen Fraktion stieß, mußte er das Auswärtige Amt zum Spiegelbild seiner Politik machen. Die Emanzipationsversuche des Bundeswirtschaftsministers und sein Entgegenkommen gegenüber den Ländern beobachtete er daher mit Mißtrauen. Die Länderchefs sahen sich hingegen wegen ihres Rückhalts beim Wirtschaftsminister, der für sich die zentrale Koordinierung in Fragen des Schuman-Plans und später der EWG forderte, in einer gestärkten Position gegenüber der Regierung, die es ihnen ermöglichte, den eigenen Gestaltungsspielraum auszuloten. Der Bundeskanzler, dem ansonsten an einem guten Verhältnis zu den Ländern lag, mußte, um seine Position nicht zu schwächen, diese Situation dahingehend verändern, daß er nun selbst den Ländern die Bereitschaft zu weitreichenden Zugeständnissen signalisierte. Daß diese Zusicherungen, wie das Verfahren der Entsendung von Ländervertretern in die Versammlung des Europarats oder die Zusicherung nach mehr Information zeigt, häufig rein rhetorisch waren, steht auf einem anderen Blatt. Das Gefühl der Ministerpräsidenten "in Bonn mitreden" zu können, war schon auch deshalb wichtig, weil sie mit Forderungen ihrer Landtage nach Präsenz in Bonn zu rechnen hatten. Am Beispiel der EVG wird nun zu untersuchen sein, ob die Länder tatsächlich bereit waren, nun auch Integrationsvorhaben auf dem militärischen Sektor zu unterstützen, wieweit sie dabei Länderinteressen tangiert sahen. Sie standen vor der Entscheidung, ob sie politisch zu einer Sache Stellung nehmen und eine Mittlerfunktion zwischen Bundesregierung und Opposition beziehen sollten. Obwohl der innenpolitische Streit um die Wehrverfassung von der SPD ausging, und es zunächst die SPD-Ministerpräsidenten von Niedersachs.en und Hessen waren, die in dem Streit Stellung bezogen, soll die Analyse zunächst parteipolitische Gesichtspunkte außer acht lassen.
4. Die Europäische Verteidigungsmeinschaft (EVG) Nach dem erfolgreichen Abschluß der Montan-Union-Verhandlungen sollten weitere Bereiche supranationalen Behörden unterstellt werden. Der
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Verlauf des Koreakrieges, der die Schwäche der westeuropäischen Verteidigungsmöglichkeiten beleuchtet hatte, war Anlaß, Konzepte über eine Integration im Militärbereich zu formulieren. Die zum Teil heftige Debatte gegen eine deutsche Wiederbewaffnung darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß es schon Ende der 40er Jahre Stimmen für eine Wiederbewaffnung gab.167 So wurde bereits im Dezember 1948 auf dem Römischen Kongreß der UEF die Frage einer Einbeziehung Westdeutschlands in ein Militärbündnis gegen den Osten erörtert.168 4.1 Die Diskussion um den deutschen Verteidigungsbeitrag Die Idee einer deutschen Wiederaufrüstung tauchte zunächst im Kreis der Alliierten auf, die Diskussion in Deutschland setzte erst verspätet ein.169 Schon 1949 hatte sich General Clay für eine westeuropäische Streitmacht mit deutscher Beteiligung, die nicht den USA unterstellt sein sollte, ausgesprochen.170 Diese und ähnliche Aussagen wurden zunächst dementiert oder als Privataussage deklariert, weil die öffentliche Meinung noch nicht bereit war, ein Wiedererstarken deutscher militärischer Kräfte zu akzeptieren. McCloy bemerkte allerdings im Juli 1950, daß es sehr schwierig wäre, den Deutschen das Recht und die Mittel zur Verteidigung ihres Grund und Bodens zu versagen, sollte das Land angegriffen werden.171 Adenauer hielt sich zu Beginn mit Äußerungen zurück, sprach allerdings schon 1949 von der möglichen Bereitstellung eines deutschen Kontingents in einer europäischen Streitmacht.172 167 Vgl. dazu die Stellungnahme von FA. Kramer im Rheinischen Merkur v. 6.11.1948 "Aufstellung einiger Abwehrverbände für Wiedergewinnung der Staatlichkeil der drei westlichen Zonen"; vgl. auch die Stellungnahmen von Rudolf Vogel am 11.11.1948 in der Schwäbischen Post sowie im Rheinischen Merkur v. 13.11.1948 und 18.12.1948. 168 BayHStA StK 112 589 Roßmann -> Pfeiffer Mai 1949, S. 28. 169 Le Monde v. 2.11.1948; The Times v. 4.11.1948; Daily Mail v. 5.11.1948. 170 BR Ausschuß für Auswärtige Angelegenheiten v. 21.4.1953, Zusammenstellung von deutschen, amerikanischen und französischen Erklärungen zur Bildung einer EVG und Fragen des deutschen Verteidigungsbeitrags, aus L'Epoque v. 21.11.1949. 171 BRAusschuß für Auswärtige Angelegenheiten v. 21.4.1953, Zusammenstellung von deutschen, amerikanischen und französischen Erklärungen zur Bildung einer EVG und Fragen des deutschen Verteidigungsbeitrags, McCloy 19.1.1950; 9.2.1950; 22.7.1950; vgl. auch Noack, Paul: EVG und Bonner Europapolitik; in: Die Europäische Verteidigungsgemeinschart Stand und Probleme der Forschung; hrsg. von Hans-Erich Volkmann, Walter Schwengler. Boppard, S. 239- 253 (242 f). 172 BRAusschuß für Auswärtige Angelegenheiten v. 21.4.1953, Zusammenstellung von deutschen, amerikanischen und französischen Erklärungen zur Bildung einer EVG und Fragen des deutschen Verteidigungsbeitrags v. 4.12.1949.
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Mit der Rede Winston Churchills im britischen Unterhaus am 16. März 1950 erhielt die Forderung nach einer deutschen Wiederbewaffnung neuen Auftrieb. Innenpolitisch begründete Churchill eine Aufrüstung Deutschlands unter anderem damit, daß die Beteiligung der deutschen Wirtschaft für Rüstungszwecke nur der Stärkung ihrer Exportkraft auf allen Märkten der Welt zugute käme.173 Nach Ausbruch des Koreakonflikts wurde einem deutschen Verteidigungsbeitrag in der internationalen Öffentlichkeit verstärkte Aufmerksamkeit zuteil. Während der Tagung der Beratenden Versammlung des Europaratsvom 7. bis 16. August 1950 war die Frage der kollektiven Verteidigung Europas und des deutschen Beitrags Gegenstand der Debatte. Carlo Schmid erklärte, die deutschen Delegierten würden nur dann eine aktive Beteiligung an einer europäischen Verteidigung befürworten, wenn es eine übernationale europäische Regierung gäbe, der eine europäische Armee unterstellt wä.."e. Die Versammlung nahm einen Antrag über die Bildung einer europäischen Armee mit 89 gegen fünf Stimmen bei 27 Enthaltungen an. Die deutschen sozialdemokratischen Mitglieder waren unter den letzteren. Der Plan des französischen Ministerpräsidenten Pleven vom 24.10.1950 überraschte die Öffentlichkeit,174 da die französischen Bedenken gegen die deutsche Beteiligung sehr stark schienen. Er vertrat die Ansicht, daß Deutschland - obwohl kein Mitglied der NATO - von diesem Verteidigungssystem profitierte und deshalb auch einen aktiven Verteidigungsbeitrag leisten müßte. Aufbauend auf den Institutionen des Europaratsund der Schuman-Plan-Organisation sollte eine europäische Armee unter Einbeziehung deutscher Truppen gebildet werden. Mit Nachdruck sprach sich Pleven gegen die Wiedereinrichtung einer deutschen Nationalarmee aus und stimmte darin mit Adenauer überein, der eine nationale Armee als Rückschritt in eine Vergangenheit überspitzten Nationalismus' bezeichneteP5 173 Weekly Standard Nr. 147 und 148 v. März 1950; die Äußerungen Churchills wurden von Premierminister Attlee als unbesonnen und unverantwortlich bezeichnet. 174 Vgl. die Stellungnahme von Außenminister Schuman vor der französischen Nationalversammlung an 12.12.1950, BayHStA StK 113 040 Zusammenstellung aus Keesings "Archiv der Gegenwart" Jg. 49, 50, 51, ausgefertigt von Hans-Georg Model; zur Haltung der Alliierten, BayHStA StK 113 041 ; zusammenfassend zur französischen Position, BayHStA StK 113 040 Haut-Commissariat de Ia Republique Fran~ise en Allemagne 23.2.1953. 175 BayHStA StK113 040 Rede des Bundeskanzlers auf einer Kundgebung der CDU am 28.3.1952, Mensa der Universität von Bonn; Schumacher lehnte ebenfalls eine Nationalarmee ab. In einer Versammlung in Hannover sagte er: "Andererseits wollen wir nur dann eine internationale Annee, wenn die anderen Nationen ihre Nationalarmeen aufgaben.• in: BayHStA
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Das Junktim zwischen der EVG und dem Deutschland-Vertrag wurde auf der Sitzung des NATO-Rats Mitte Dezember 1950 in Brüssel beschlossen. Im Anschluß daran wurde die Alliierte Hohe Kommission ermächtigt, mit der Bundesregierung über die Beteiligung an der gemeinsamen Verteidigung auf der Basis der NATO-Vorschläge und über die Veränderung des Besatzungsstatuts zu verhandeln,176 denn sowohl Briten wie Amerikanern und Franzosen war klar, daß sich der Status der Bundesrepublik ändern müßte. 4.2 Die Verhandlungen über die Bildung einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft Bereits im Februar 1951 begannen auf Einladung Frankreichs in Paris erste Verhandlungen über die Bildung einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft. Bei den Beratungen gab es Unstimmigkeitenaufgrund des französischen Sicherheitsbedürfnisses und des Strebens Deutschlands nach völliger Gleichberechtigung innerhalb der Gemeinschaft. Bundeskanzler Adenauer betonte in einer Stellungnahme, daß die Bundesregierung nur dann bereit sei, ein deutsches Kontingent für eine gemeinsame Armee zu stellen, wenn dieses mit allen anderen Kontingenten vollständig gleichberechtigt sei.177 StK 113 040 Zusammenstellung aus Keesings "Archiv der Gegenwart" Jg. 49, 50, 51, ausgefertigt von Hans-Georg Model, S. 8. 176 Die Grundlage bundesrepublikanischer Erwartungen auf eine vorgezogene Revision des Besatzungsstatuts war die Revisionsklausel, abgedr. in: Dokumente des geteilten Deutschland; hrsg. von Ingo v. Münch. Stuttgart 1968, S. 73; nach Herbst, Stil und Handlungsspielräume, S. 10 bedeutete das Petersburger Abkommen keine Revision im Sinn des Art. 9 des Besatzungsstatuts; statt dessen bezeichnet er den Beitritt zur Ruhrkontrolle als ersten Schritt zur Wiederanerkennung der Bundesrepublik; über den "Doppelbeschluß• von EVG und Deutschland-Vertrag und die Verhandlungen in Paris, FRUS 1950, ßl, 585 ff; IV, S. 65 ff; 1951, III S. 1501; zu den Verhandlungen über den Deutschlandvertrag auch, Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland; hrsg. v. H.-P. Schwarz, Bd. 2. Adenauer und die Hohen Kommissare 1952; hrsg. v. H.-P. Schwarz. München 1990. 177 So Adenauer am 10.2.1951 in der Bonner Universität, BayHStA StK 113 040 Zusammenstellung aus Keesings "Archiv der Gegenwart" Jg. 49, 50, 51, ausgefertigt von Hans-Georg Model, S. 9. Adenauer koppelte seine EVG-Politik am Erfolg oder Mißerfols von Eisenhowers Außenpolitik; aufschlußreich ist auch seine Stellungnahme gegenüber Kingsburg Smith am 12.6.1951: "Aber in bezugauf Waffen müssen wir vöUige Gleichberechtigung mit den anderen haben ... um den Eindruck zu vermeiden, daß unser Soldaten nur als Kanonenfutter verwendet werden sollen ...•, BayHStA StK 113 040 Bundespresseamt -> Landesregierung Bayern, S. 8. Der französische Außenminister Robert Schuman äußerte sich folgendermaßen: "Es ist gerecht und logisch, daß Deutschland an der gemeinsamen Verteidigung teilnimmt•, BayHStA StK 113 040 Zusammenstellung aus Keesings "Archiv der Gegenwart• Jg. 49, 50, 51, ausgefertigt von Hans-Georg Model, S. 8. Aus der Aktenla~ stellt Herbst, Stil, S. 14 f fest, daß Adenauer den Allierten mit seiner Forderung nach Gleichberechtigung "ziemlich auf die Nerven ging;• vgl. auch Adenauer: •... ich bejahe den Plan der Europa-Armee ... in einer solchen Armee erblicke ich ein sehr wesentliches Mittel zur Vereinheitlichung, zur Intesration Europas;• zur Wiedergewinnung deutscher Handlungsfreiheit durch eine Integration 1D eine
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Als am 27. Mai 1952 in Paris von den Außenministern das fertige Vertragswerk unterzeichnet wurde, konnte die Bundesregierung, die die gleiche Anzahl von Truppen wie Frankreich und Italien stellen sollte, mit dem Ergebnis zufrieden sein.
Durch den Vertrag übernahmen die Mitgliedsstaaten für einen Zeitraum von fünfzig Jahren die Verpflichtung, einen Angriff auf eines der Mitglieder der Gemeinschaft als Angriff gegen sich selbst zu betrachten und dem angegriffenen Staat mit allen ihnen zur Verfügung stehenden militärischen und sonstigen Mitteln zu Hilfe zu kommen. Die Gemeinschaft sollte aus vier Organen bestehen, wobei die Gemeinsame Versammlung als weitgehend und der Gerichtshof als völlig identisch mit den Parallelorganen der Montan-Union konzipiert waren. Daneben gab es noch das Kommissariat, bestehend aus neun Kommissaren, und den Rat als das föderative Organ der Gemeinschaft. Um sicherzustellen, daß die Organe sofort nach lokrafttreten des Vertrages ihre Tätigkeit aufnehmen könnten, wurde der sogenannte Interimsausschuß eingesetzt. Er hatte alle Unterlagen zu erarbeiten und zusammenstellen, welche später von den Organen zur ·Durchführung ihrer Aufgaben benötigt wurden, sowie auf der Grundlage des Vertrags Entwürfe für ergänzende Bestimmungen und Richtlinien vorzubereiten. Die Ratifizierung des Vertragswerks in der Bundesrepublik ging keineswegs problemlos vor sich. Adenauer war an einer raschen Verabschiedung gelegen. Damit stieß er jedoch auf Widerstand, auch aus den Reihen der Regierungsparteien, weil der Entwurf zum Teil unter Ausschluß des Parlaments vorbereitet worden war und einige strittige Punkte noch nicht geklärt waren.178 Obwohl auch Adenauer mit der Reihenfolge der Einigungsmaßnahmen nicht einverstanden war, erachtete er das Engagement Deutschlands für eine europäische Verteidigungsgemeinschaft als eine staatspolitische Notwendigkeit,"... da Deutschland entweder in Europa aufgeht oder ohne Europa untergehen muß."179 Er setzte eine Ablehnung der militärisches Bündnis äußert sich Adenauer auch in seinen Erinnerungen, Ders., Erinnerungen 1945 - 1953, bes. S. 548. 178 Nach Pranz Josef Strauß fühle sich die CSU nicht in ihrer Entscheidung gebunden, MM v. 29.4.1952; FDP und DP lehnten die Ratifizierung ab; zur Position der Oppositionspartei SPD 1948, Neue Zeitung v. 24.12.1948. Danach wäre eine Sicherung Westdeutschland vor östlichem Totalitarismus durch demokratische und soziale Politik wünschenswert, jedoch sollte die Möglichkeit einer deutschen Wehrverfassung in einer europäischen Gemeinschaft unter dem Gesichtspunkt der kollektiven Sicherheit offengelasen werden. 179 So in einem anderen Interview mit Friedländer, BayHStA StK 110 348/1 Stellungnahme zu den Rechtsgutachten v. 17.1. und 2.12.1952 von Erich Kaufmann am 15.8.1953. 10 Fuhnnann-Mittlmeier
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Verträge im Ratifizierungsverfahren gleich mit der Wiedererrichtung des Besatzungsstatuts, wodurch sich auch die Gefahr einer Abkehr der USA von Europa verstärkte.180 4.3 Die öffentliche Meinung zur Frage der Remilitarisierung der Bundesrepublik Die Vorwürfe, die gegen das Projekt laut wurden, betrafen die Fortführung des Besatzungsregimes sowie die offene Frage der Reparationen und der deutschen Einheit. Dazu kam in unlösbarer Verbindung die deutsche Verpflichtung zu einem Wehrbeitrag, wie es das Junktim zwischen Generalvertrag und EVG-Vertrag festlegte. 181 Die Kritik in der Presse, die Anerkennung alliierter Postulate, die eine deutsche Souveränität illusorisch machte, die "verzuckerte Integrierung Westdeutschlands in ein System der Versteuerung"182 erschienen Kogon als abwegig, da alle Bemühungen die Eingliederung der Bundesrepublik in einen westlich europäischen Bundesstaat zur Folge hätten.183 Diese Ansicht des Publizisten fand keine breite Zustimmung. Bereits vor der Ratifizierungsphase war in Kreisen der Bevölkerung die Abneigung groß. So betonten der Bayerische Jugendring und das Stuttgarter Jugendparlament ihr Recht auf Kriegsdienstverweigerung. Schon die im Zusammenhang mit den alliierten Militärbesprechungen, die seit Dezember 1950 auf dem Petersberg geführt wurden, beschlossene Aufstellung von zwölf deutschen Divisionen in einer Stärke von 250.000 Mann, die deutschen Generalinspekteuren unterstehen sollten, war auf heftigen Widerstand gestoßen, da die Länder für die Bildung einer Bereitschaftspolizei neben der Landespolizei und dem Bundesgrenzschutz verantwortlich waren. Kritisiert wurde insbesondere, daß es durch die Aufstellung der Bereitschaftspolizei, vorwiegend entlang der Zonengrenze, zur Beschlagnahmung riesiger Landflächen wegen des Baus neuer Luftstütz180 Zum Verhältnis EVG-Projekt und Rolle der USA in der Beurteilung Adenauers, BR Ausschuß für Auswärtige Angelegenheiten v. 8.11.1952. 181 Zur Planung des deutschen Verteidigungsbeitrags, Meier-Dömberg, Wilhelm: Politische und militärische Faktoren bei der Planung des deutseben Verteidigungsbeitrags im Rahmen der EVG, in: Die Europäische Verteidigungsgemeinschaft, S. 271-290. 182 Hannoversche Presse v. 275.1952. 183 Eugen Kogon in: Frankfurter Hefte Män: 1951, Deutscher Bundestag Presse Abteilung Inland Nr. 1/51, Bonn 6.3.1951; Kogon war schon 1949 gegen Remilitarisierung, Frankfurter Hefte v. Jan. 1949.
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punkte und Truppenübungsplätze käme. Auf besonderen Unmut in der Bevölkerung stieß weiterhin das Verlangen der Besatzungsmacht nach Bauplätzen für Militäreinrichtungen.184 Auch in den Städten regte sich Widerstand. So weigerten sich Würzburg, Schweinfurt, Bayreuth und Bamberg entschieden, Brückenpläne herzugeben und den Einbau von Sprengkammern zuzulassen, und dies, obwohl die Bayerische Staatsregierung zum Nachgeben riet.185 Als Bamberg schließlich doch die Baupläne der Brücken herausgab, geschah dies nur, um Repressalien der Besatzungsmächte zu verhindern.186 Nach der Schilderung der innen- und außenpolitischen Interessenlage wird nun die Haltung der Länder zu dem EVG-Komplex unter der Perspektive ihrer bundespolitischen Verantwortung wie ihres länderspezifischen Interessenkalküls nachzuvollziehen sein. Als Untersuchungsgesichtspunkte ergeben sich: die Frage der Zustimmungsbedürftigkeit, die Frage eines verfassungsändernden Gesetzes, der Begriff der kollektiven Sicherheit und die Funktion des Bundesverfassungsgerichts. 4.4 Die Vorbehalte der Landesregierungen gegenüber dem Integrationsprojekt Die Landesregierungen fühlten sich ungenügend über die Beratungen zum Generalvertrag und seinen Annex-Verträgen informiert. Lediglich der amtierende Bundesratspräsident Kopf aus Niedersachsen und Ehard erhielten einen Teil der Vertragsentwürfe. Daraufhin erklärten sich die anderen Ministerpräsidenten außerstande, ohne entsprechende Information eine Stellungnahme abzugeben. Brauer brachte eine Resolution ein,187 die in ihrer Schärfe jedoch nicht von allen Amtskollegen geteilt wurde. 184 MM v. 12.4.1951 "Protest von 500 Frauen in München"; Hamburger Abendblatt v. 25.5.1951, Vf.O über den Protest der niedersächsischen Landbevölkerung, daß bei britischen Manövern Acker und Weiden zerstört wurden, berichtet wurde. 185 Siehe JZ v. 10.4.1951 und Hamburger Freie Presse v. 24.5.1951. 186 Heilbronner Stimme v. 25.4.1951; nach FAZ v. 20.4.1951 hatte Adenauer die Aushändigung der Brückenpläne gefordert. 187 Bürgermeister Brauer brachte eine Resolution ein, in der Kritik am Bundeskanzler geübt wurde, weil er seiner Informationspflicht nur ungenügend nachgekommen sei. Seine Darstellung hätte sich lediglich auf äußere VorP.nge beschränkt, BR Ausschuß für Auswärtige Angelegenheiten v. 17.5.1952; Brauer erhtelt dabei die Unterstützung von Kopf und Zinn. Der Bundesrat wurde aber auch mit dem Vorwurf konfrontiert, der Auswärtige Ausschuß habe zu wenig getan, vgl. Bundesrat, Vorbesprechung des Auswärtigen Ausschusses 11.6.1952 Anlage 1. Adenauer erschien vor dem Bundesrat; darüber BR Ausschuß für Auswärtige Angelegenheiten v. 8.11.1952, BR Ausschuß für Auswärtige Angelegenheiten v. 30.3.1953. Kritik an Adenauer übte auch der Bundestagsausschuß für Auswärtige Angelegen-
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Die Wichtigkeit frühzeitiger Informationen führten die Vertreter der Länder im ersten Durchgang des Vertragswerks im Bundesrat immer wieder ins Feld, als sie mit der Abgabe einer Stellungnahme zögerten. Diese Taktik verdeutlicht ihre Unsicherheit über die Rolle des Bundesrats bezüglich der vier Ratifikationsgesetze zur EVG und zum Deutschlandvertrag. Der Bundeskanzler wies demgegenüber auf den erhöhten Zeitdruck hin und erwähnte eine Demarche der britischen Regierung, worin diese ihr Erstaunen darüber zeigte, daß die Deutschen über schwelende Verhandlungen unterrichtet würden. Offensichtlich fürchtete er, die außenpolitischen Verhandlungen würden gestört. 4.5 Die Ratifizierungsverhandlungen zum EVG-Projekt Die Ministerpräsidenten wollten sich auf keinen Fall vorwerfen lassen, im Bundesrat der Einseitigkeit der Interessenvertretung beschuldigt zu werden. Ministerpräsident Kopf sprach stellvertretend für die anderen, wenn er ausdrücklich den Bundesrat als Organ des Bundes umschrieb, dessen Mitglieder verpflichtet seien, die Interessen des Bundes ebenso zu berücksichtigen wie die der Länder.188 Im Februar 1952 hatte Ministerpräsident Ehard in einem Interview gegenüber der Süddeutschen Zeitung bekräftigt, daß verfassungsrechtliche Fragen sekundär seien, die Bundesrepublik vielmehr einen Beitrag für und zu ihrer Sicherheit leisten müsse.189 Allerdings sei es von Vorteil, wenn sich die Ländereigenheiten auch bei den Streitkräften wiederfänden. Etwas kurios mutet freilich sein Vorschlag zur Gewährleistung des landsmannschaftliehen Charakters an, wonach das Rekrutierungswesen von bayerischen Landsleuten gehandhabt und die in Bayern stehenden und aus Bayern bestehenden Truppeneinheiten auch von bayerischen Offizieren befehligt werden sollten.190
heiten, der eigens von Adenauer eingerichtet worden war. Adenauers Informationspolitik wird von Herbst näher untersucht, Herbst, Stil, S. 16 f. Er bemerkt, daß Adenauer sehr geschickt angebliche parlamentarische Schwierigkeiten gegenüber den Alliierten ins Spiel zu bringen wußte. 188 BayHStA StK 110 811 Wortlaut der Rede des niedersächsischen Ministerpräsidenten Kopf v. 9.5.1952. Kopf wehrt sich an gleicher Stelle gegen den Eindruck, der Bundesrat würde den Länderinteressen den Vorrang einräumen. 189 BayHStA StK 113 CY76 Interview des bayerischen Ministerpräsidenten Ehard mit der
SZ V. 7.2.1952. 190 Vgl. BayHStA StK 113 076 Bulletin Nr. 35, S. 285 f v. 20.2.1954; Ehard wies das Gerücht, Bayern verlange einen eigenen Wehrminister, zurück.
II. Integrationspolitische Schritte
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Für die innenpolitische Diskussion traten die sicherheitspolitischen Probleme zurück, und der Akzent lag auf der europapolitischen Komponente. Das Wort von der deutschen Isolierung wußte der Bundeskanzler dabei geschickt einzusetzen. Es ist daher zu untersuchen, ob der Bundesrat ein Integrationsobjekt von Bedeutung, wie es die EVG darstellte, als Exerzierfeld der Wünsche nach Ländermitwirkung benützte. 4.5.1 Die Verhandlungen im Rechtsausschuß: Zur Erfordernis eines verfassungsändernden Gesetzes Für den Unterausschuß des Rechtsausschusses hing die Beantwortung der Frage nach der Vereinbarkeit der Gesetzentwürfe mit dem Grundgesetz entscheidend davon ab, ob man für eine gesetzliche Regelung, welche die Beteiligung Deutscher an einer bewaffneten Streitmacht vorsieht oder Deutsehe zu einem Wehrdienst verpflichtet, eine Verfassungsänderung gemäß Art. 79 GG für erforderlich erachte oder nicht.191 Aufgrund der ungeklärten Rechtslage wollte man dem Ausschuß jedoch empfehlen, von einer Stellungnahme vorerst abzusehen. Daneben stand zur Diskussion, ob sich eine Zustimmungsbedürftigkeit nach Art. 84 Abs. 1 GG daraus ergebe, daß sich die zwischenstaatliche Einrichtung zur Ausübung der ihr übertragenen Hoheitsrechte der Behörden des Mitgliedsstaates bedienen könnte. In der Sitzung des Rechtsausschusses gingen Vertreter der Bundesregierung davon aus, daß Art. 131 des EVG-Abkommens nicht nur auf Art. 87 GG, sondern auch auf Art. 24 Abs. 2 GG verweise und Art. 24 Abs. 2 GG insofern als Iex specialis gegenüber Art. 87 Abs. 3 Satz 2 GG anzusehen sei, ein einfaches Gesetz demnach genüge.192 Die Vertreter von NordrheinWestfalen und Baden-Württemberg widersprachen heftig, denn ihres Erachtens könne Art. 24 GG nicht von den Vorschriften des Grundgesetzes befreien. Mehrheitlich, die Gegenstimmen kamen von Schleswig-Holstein und Rheinland-Pfalz, bildete sich im Ausschuß dann die Überzeugung heraus, daß sich die Tätigkeit deutscher Behörden im Auftrag der EVG in Einklang befinden müsse mit den Vorschriften des Grundgesetzes. 191 Vgl. BR Unterausschuss des des Rechtsausschusses v. 13.6.1952; auch BR Rechtsausschuß v. 12./13.6.1?.52. Die Gutachter Kraus und Smend hielten für die Zulässigkeit eines Wehrbeitrags eine Anderung oder Ergänzung des GG fUr nötig. 192 So der Vertreter des Justizministeriums in BR Rechtsausschuß v. 19.6.1952.
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C. Die Eingliederung der Bundesrepublik
Berlin, Bremen und Harnburg hatten sich der Stimme enthalten. Die anderen Ausschußmitglieder waren der Ansicht, daß aufgrund Art. 13 des Militärprotokolls, das die Einrichtung von Behörden vorsah, auf jeden Fall Zustimmungsbedürftigkeit gemäß Art. 84 Abs. 1 GG erforderlich sei. Wie im Fall des Schuman-Plans sollte auch dieses Integrationsvorhaben nicht über ein einfaches Gesetz erfolgen. Der Bundesrat pochte auf sein Mitwirkungsrecht, während die Bundesregierung sich auf den Standpunkt stellte, daß eine konkrete Regelung des Verwaltungsverfahrens noch ausstehe. Die Tätigkeit des Rechtsausschusses wurde insgesamt von den Ländern recht positiv beurteilt193, da er sich wachsam gegenüber drohender Kornpelenzverlagerung von den Ländern auf den Bund verhielt. In den Augen mancher Justizminister war es seine Aufgabe zu verhindern, deutsche Innenpolitik mit Verfassungskämpfen zu belasten. Ein Unterausschuß des Innenausschusses untersuchte, wie eine angemessene Mitwirkung der Länder, auch in Hinblick auf die Interessen der untersten Ebene der Gemeinden, die von der Aufstellung der Sachleistungen bei der Aufstellung von Streitkräften besonders berührt wurden, zu gewährleisten sei.194 In der Debatte wurden vor allem Bedenken gegen eine zu starke Zentralisierung bei der Einrichtung von Behörden erhoben und gefordert, die Entgegennahme und vorbereitende Bearbeitung von Anträgen und Eingaben den Ländern zu übertragen. 4.6 Die Stellungnahme der Länder zum Antrag der Bundestagsabgeordneten Luise Albertz Die Stellungnahmen der Ausschüsse waren nach Meinung der Länder nicht als Ausdruck der Konfrontation, sondern der Bundesfreundlichkeit zu bewerten. Am Beispiel des Verhaltens des Bundesrats zur Verfassungsklage von Bundestagsabgeordneten wird sich dies beurteilen lassen.
193 Zur Bedeutung des Rechtsausschusses des Bundesrats, BayHStA StK 113 085 Ansprache des Herrn Justizministers Dr. Wolfgang Haußmann bei der 22. Sitzung der Justizministerkonferenz am 10.6.1954. 194 BR Ausschuß für Innere Angelegenheiten Niederschrift über die Sitzung des Unterausschusses "Bonner und Pariser Verträge" v. 21}22.8.1952; zu Beginn der Sitzung stellte der Vorsitzende fest, daß der Ausschuß sich nur mit den verwaltungsrechtlichen Problemen beschäftigen wolle.
II. Integrationspolitische Schritte
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4.6.1 Der Antrag der SPD-AbgeordnetGn Luise Albertz und anderer Mitglieder des Deutschen Bundestags Über die im Zusammenhang mit der EVG auftauchenden Rechtsfragen gab es zwischen dem Bundestag, Bundesrat und den Landesregierungen Meinungsverschiedenheiten.195 Unter Namensführung der SPD-Politikerin Luise Albertz beantragten 146 weitere Mitglieder des Deutschen Bundestages festzustellen, daß das Gesetz betreffend den Vertrag vom 26. Mai 1952 über die Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland und der drei Mächte mit Zusatzverträgen sowie das Gesetz betreffend den Vertrag vom 27.5.1952 über die Gründung der EVG und betreffend den Vertrag vom 27.5.1952 zwischen dem Vereinigten Königreich und den Mitgliedsstaaten der EVG mit dem Grundgesetz nicht vereinbar seien.1% Nach Ansicht der Antragsteller bedürfte es einer genauen Prüfung, wie der Rechtsbegriff eines Systems der kollektiven SiCherheit in Art. 24 Abs. 2 GG zu bestimmen sei. Für sie stellte die Europäische Verteidigungsgemeinschaft ein solches nicht dar, weshalb von Art. 59 Abs. 2 GG auszugehen sei.197 4.6.1.1 Die Stellungnahme der hessischen Landesregierung Die hessische Landesregierung hatte sich noch im Mai 1952 gegenüber dem Bundesverfassungsgericht zum Verfahren geäußert.198 Die hessische Stellungnahme kritisierte, daß das Grundgesetz keine Bestimmung über die Wehrfrage enthalte. Im Vergleich mit den anderen Ländern bedeute dies eine Ausnahme. Klarheit über Umfang und Inhalt einer Wehrverfassung lasse sich nicht aus Art. 24 GG herleiten. Auch die Festlegungen im Petersberger Abkommen, worin die Bundesregierung alsbald nach ihrer Bildung am 22.1.1949 ihre feste Entschlossenheit erklärt habe, die Entmilitarisierung des Bundesgebietes aufrechtzuerhalten, wäre nach Ansicht des Gutachtens unverständlich, wenn die Bundesregierung damals die Auffassung 195 Eine Vielzahl von Gutachten belegt dies: im Auftrag der Landesregierung Niedersachsens von Professor Smend und Kraus; im Auftrag des Senats der Freien und Hansestadt Harnburg von Professor Menzel; im Auftrag des Landes Hessen von Professor Schätze!; im Auftrag der Bundesregierung von den Professoren Kaufmann, von Mangoldt, Scheuner, Süsterhenn, Thoma, Weber, Wehberg und Wolf; zur innenpolitischen Diskussion und die Rolle des BVerfG, Laufer, Verfassungsgerichtsbarkeit und politischer Prozeß, S. 404-419. 196 Zur sozialdemokratischen Grundposition, Hrbek, Die SPD, S. 158- 165. 197 Abschließend zur Arltumentation bezüglich der kollektiven Sicherheit, BayHStA StK 110 348/3 Amdt -> BVerfÖ 13.1.1954, S. 17 ff, Schriftsatz 14.653; über den Antrag auch BayHStA StK 110 348/2 Amdt -> BVerfG 235.1953. 198 Gemäߧ 77 BVerfGG wurde den Ländern eine Möglichkeit zur Stellungnahme gegeben.
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vertreten hätte, daß das Grundgesetz positiv zu einer Wehrverfassung Stellung bezöge. Außerdem sei es vergeblich, für die Wehrverfassung eine "ungeschriebene Bundeszuständigkeit" zu konstruieren".199 Die hessische Regierung hielt somit eine derartige Kompetenzerweiterung des Bundes ohne verfassungsänderndes Gesetz für nicht verfassungskonform, so daß dem Antrag der Bundestagsabgeordneten sachlich recht gegeben werden müsse. In einem weiteren Gutachten des Landes Hessen wurde die Argumentation fortgeführt.200
4.6.1.2 Die Stellungnahme der Bundesregierung Die Gutachten der Bundesregierung suchten die Bedenken zu zerstreuen. Nach Ansicht der Bundesregierung begründe nämlich jede Vereinigung von Staaten zur Verteidigung ihrer gemeinsame Sicherheit bereits ein System der kollektiven Sicherheit. Für sie waren daher die Verträge mit dem Grundgesetz vereinbar.201 Nach Ansicht des Sachverständigen Kaufmann war, wollte man nicht Art. 24 GG zum Ausgangspunkt verfassungsrechtlicher Erörterungen machen, von Art. 32 GG auszugehen. Kaufmann zufolge war alles, was in Art. 24 GG steht, im Grunde genommen durch die Art. 32 GG, Art. 59 GG und Art. 73 Ziffer 1 GG gedeckt. Außerdem werde zunehmend klar, daß sich, je stärker die Integration der Staaten Europas voranschreite, der Radius der auswärtigen Angelegenheiten automatisch vergrößere. In einer einstimmig beschlossenen ersten Stellungnahme zu den Entwürfen der vier Ratifikationsgesetze am 20. Juni 1952 hatte der Bundesrat von einer Äußerung zu der Frage abgesehen, ob für die Behandlung dieser Entwürfe durch die gesetzgebenden Körperschaften (Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG) eine sogenannte einfache Mehrheit ausreiche oder eine Zweidrittelmehrheit erforderlich sei. Er hatte in seiner Stellungnahme festgelegt, daß 199 BayHStA StK 110 346/2. & erfolgt der Hinweis auf die Ungültigkeit entsprechend der in der amerikanischen Verfassung festgelegten "Resulting powers". 200 Rechtsgutachten von Professor Schätze), BHSI'A StK 110346/3 Zweites Rechtsgutachten betr. Rechtsfragen einer Wiederaufriistung Deutschlands 1.7.1952. Darin stellt der Gutachter die Anwendbarkeit von Art. 24 GG in Frage, da der Beitritt zu einem Bundesstaat, wie er durch die Initiativen Deutschlands und Frankreichs geschaffen werden sollte, einer Verfassungsänderung gleichkomme. 201 Zu den einzelnen Gutachten, v.a. den von der Bundesregierung eingeforderten, BayHSI'A StK 110 346/3 Zweites Rechtsgutachten betr. Rechtsfragen einer Wiederaufriistung Deutschlands, bes. S. 3 ff.
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für ihn derzeit kein Anlaß bestehe, sich zu den umstrittenen verfassungsrechtlichen Fragen zu äußem.202 Aufgrund der nicht eindeutigen rechtlichen Lage hoffte man nach einer Klärung durch das Bundesverfassungsgericht zu einem Ergebnis zu kommen. Als dieses jedoch zunächst Zurückhaltung übte, verlagerte sich die Entscheidung von der richterlichen Ebene wieder auf die politische. 4.6.1.3 Weitere Stellungnahmen der Länder Nach der Stellungnahme des Bundesverfassungsgerichts vom 30. Juli 1952 würde der Antrag erst dann zulässig, wenn das gesetzgebensehe Verfahren vor dem Bundestag und dem Bundesrat abgeschlossen wäre.203 Der Bundespräsident forderte daraufhin ein Rechtsgutachten über die Vereinbarkeit der Verträge über die Gründung der EVG an. Obwohl von seiten des Gerichts die Länder aufgefordert wurden, ihre Äußerungen abzugeben, sah man dafür in München keinen Anlaß.204 Lediglich die Länder Niedersachsen und Hessen gaben Stellungnahmen ab. Niedersachsen sah dies als nötig an, weil die Unterrichtung durch die Bundesregierung aufgeund von Art. 53 Satz 3 GG nicht zustandegekommen war. Das Land wollte wissen, welche Vorschriften des Grundgesetzes die Zuständigkeit der Bundesrepublik zum Abschluß des Vertrages vom 27.5.1952 ermöglichten und unter welchen Erwägungen eine Vereinbarkeit dieses Vertrages mit dem Grundgesetz gerechtfertigt sei.205 Ein wichtiger Gesichtspunkt für Niedersachsen war, und das markiert den Stellenwert der Deutschlandfrage, daß das Vertragswerk nicht verhindere, den verfassungsrechtlichen Zusammenhang zwischen dem Geltungsbereich des Grundgesetzes und einem Staat Deutschland (in den Grenzen von 1937) zu verändern. 202 & wies u.a. auf folgendes hin: "& scheint angezeigt, das Ergebnis der Prüfung durch das BVerfG abzuwarten. Auch aus diesem Grund muß sich der Bundesrat seinen Entschluß bis zum zweiten Durchgang vorbehalten.• BR87. Sitzungv. 20.6.1952, S. 271C. 203 Danach hatte das BVerfG die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für die Zuverlässigkeit eines Antrages aus Art. 93 Abs. 1 Ziff. 1 GG negativ umschrieben, daß die Normenkontrolle nicht einsetzen dürfe, bevor der für das Zustandekommen des Gesetzes entscheidende Vorgang, nämlich die Bekundung des Gesamtwillens der beiden gesetzgebenden Körperschaften, eingetreten sei: •& muß also der Bundestag das Gesetz verabschiedet haben und die verfassungsmäßigen Rechte des Bundesrats müssen gewahrt werden, das Gesetzgebungsverfahren (einschließlich eines etwaigen Verfahrens nach Art. 77 Ahs. 2 bis 4 GG) in dem Sinn abgeschlossen sein, daß das Gesetz nur noch der Ausfertigung durch den Bundespräsidenten bedarf.• 204 BayHStA StK 110 346/1 Bay. Staatskanzlei betr. Antrag d. Buadespräsidenten betr. Ausfertigung und Verküadung des Gesetzes betr. d. Vertrages über Gründung 11.8.1952. 205 BayHStA StK 110 346/1 v. 21.8.1952 Niedersachsens MP -> BVerfG.
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Für die hessische Landesregierung stand der Vertrag in Widerspruch zum Grundgesetz, soweit durch ihn aufgrund von Art. 24 GG die zwischenstaatliche Einrichtung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft berechtigt wäre, europäische Wehrpolitik unter Zugrundelegung der Wehrpflicht der Staatsbürger der Mitgliedsstaaten auszuüben.206 Hessen schloß sich damit vorbehaltlos der Ansicht von Professor Maunz an, daß beide Gesetze den Erfordernissen des Art. 79 Abs. 1 und 2 GG unterlägen.207 Ausdrücklich wandte sich die Landesregierung gegen die vom Auswärtigen Amt und dem Justizministerium Rheinland-Pfalz' gemachten Äußerungen über die Vereinbarkeil des Generalvertrags mit dem Grundgesetz.208 Das Plenum des Bundesverfassungsgerichts entschied am 8. Dezember 1952 mit zwanzig gegen zwei Stimmen, daß das Gutachterverfahren fortgesetzt würde und Gutachten des Plenums über bestimmte verfassungsrechtliche Fragen den Senat im Urteilsverfahren bänden.209
4.6.2 Der Bundesrat und die Vertragsgesetze: der zweite Durchgang Beim zweiten Durchgang wurde die Frage der Zustimmungsbedürftigkeit nicht näher diskutiert und nicht weiter beschlossen, obwohl eine abschließende Behandlung erwartet wurde. Der Antrag, über Zustimmung oder Ablehnung der Verträge selbst zu beschließen, war schon vorher von Niedersachsen abgelehnt worden. Die Mehrheit des Bundesrates schob in den Beschlüssen vom 24. April 1953 die Frage der Zustimmungsbedürftigkeit ausdrücklich von sich - ausschlaggebend war wohl die Ansicht, daß die Frage, ob und in welchem Umfang Gesetze der Zustimmung des Bundesrats bedürfen, rechtsverbindlich nur vom Bundesverfassungsgericht geklärt wer206 BayHStA StK 110 346/2 Stellungnahme der Hess. Landesregierung - > BVerfG 20.8.1952; vgl. dazu BayHStA StK 110346/2 Hess. MP 2. Antrag d. MdB Luise Albertz 245.1952; die Hessische Landesregierung äußert sich gern.§ 77 BVerfGG weiterhin wie folgt: Der Antrag wird für sachlich begründet gehalten ...•
207 BayHStA StK 110 346/4 Der hess. MP -> Bundesregierung 30.10.1952. 208 BayHStA StK 110 346/5 Der hess. MP -> BVerfG 22.11.1952; Gegengutachten, BayHStA StK 110 346/6 BT-Fraktion der SPD -> BVerfG 12.11.1952; Gutachten v. Rheinland-Pfalz 31.10.1952 BayHStA Bevoll. Bayerns beim Bund 1053; darin wird auf die Koppe-
lung des EVG-Vertrap mit den Generalvertrag hingewiesen (vgl. Art. 4 Abs. 4 des Generalvertrags). Rheinland-Pfalzlegte fest, daß ein Friedensvertrag nicht am GG gemessen werden könne. Dem stehe das Urteil des BVerG zum Petersberger Abkommen ge~enüber. Der Beitritt zur EVG bedürfe eines Zustimmungsgesetzes mit qualifiZierter Mehrheit.
209 Der Antrag der Bundestagsmehrheit gegen die Bundestagsminderheit v. 6.12.1952 wurde durch das Urteil des BVerG v. 7.3.1953 als unzulässig abgewiesen; vgl. auch Laufer, Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 405 ff.
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den könnte.210 Adenauer hingegen lag viel an einer engen Zusammenarbeit zwischen Bundesregierung und Bundesrat. Mit seiner Äußerung gegenüber dem Bundesrat: "Sie entscheiden mit der Genehmigung oder Ablehnung dieser Vorlage auch über die Schaffung der Vereinigten Staaten von Europa",211 brachte er das Gremium gewissermaßen in Zugzwang. Der Bundesrat wollte sich jedoch keineswegs unter Druck setzen lassen, obwohl die Notwendigkeit einer politischen Stellungnahme offenkundig war. Das Verschanzen hinter der Kompetenz des Bundesverfassungsgerichts bestätigt die Vermutung, der Bundesrat habe, womöglich beeinflußt von der parteipolitischen Konstellation, verfassungsrechtliche Fragen vorgeschoben, um eine eindeutige politische Aussage zu vermeiden. Diesen Überlegungen folgend, läßt sich die Einschätzung über eine konstruktive Mitarbeit unter eigenständigen Prämissen im Integrationsprozeß nicht mehr aufrechterhalten. Die Vorabmaximierung der Wünsche erscheint somit als ein förmliches Arrangement, das nur entsprechend gegenüber der Bevölkerung und den Landtagen zu rechtfertigen war. Die Skepsis gegenüber der Dominanz der Bundesregierung blieb bestehen; eigenständiges Verhalten konnte sich allerdings nur in engen Grenzen ausprägen. Man könnte sogar so weit gehen, eine derartige Haltung seit den Treffen in Koblenz und Rüdesheim als typisch anzusehen. Der Beschluß des Bundesrats vom 24. April 1953 wurde von der Bundesregierung als mit dem Grundgesetzes nicht vereinbar kritisiert; ein Ausweichen des Bundesrats lasse nicht unbedingt einen positiven Schluß in bezug auf seine Funktion als oberstes Bundesorgan zu.212 Somit waren Bundesregierung und Bundestag nicht bereit, dem Appell des Ministerpräsidenten von Hessen vom 24. April zu folgen und in der Sache gemeinsam mit dem Bundesrat ein Gutachten des Bundesverfassungsgerichts anzufordern. Für die Bundesregierung entstand eine schwierige Lage. Sie hatte von jeher den Standpunkt vertreten, daß die beiden Hauptgesetze nicht der Zustimmung des Bundesrats bedürften, der Bundesminster der Justiz versteifte sich sogar zu der Ansicht, "... daß das ganze Vertragswerk 210 Über den Antrag von 147 Ab~eordneten der Opposition beim BVerfG am 26.3.1953,
vgl. Laufer, VerfassungsgerichtsbarkeJt, S. 411 ff.
211 BayHStA StK 113 040 Adenauer vor dem Auswärtigem Ausschuß des Bundesrats am 23./24.4.1953, s. 20. 212 Bull. BPA v. 28.4.1953 Nr. 79, S. 669,671 "Bundesratsbeschluß läuft auf eine Unterlassung hinaus. •
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zustimmungspflichtig se~ müsse als allzu voreilige Stellungnahme des Bayerischen Ministerpräsidenten angesehen werden~"213 Blieb der Bundesrat bei seiner Auffassung, daß es sich bei den beiden Ratifikationsgesetzen selbst um sogenannte Zustimmungsgesetze handle, bedeutete dies, daß die Gesetze nicht zustandekämen, solange nicht der Bundesrat seine Zustimmung gab. Es war nun unklar, ob der Bundespräsident unter diesen Voraussetzungen seine Unterschrift geben würde. Wenn ja, könnte immer noch die Gültigkeit der Gesetze vom Bundesverfassungsgericht geprüft werden. Es erstaunt, daß Reinhold Maier als Bundesratspräsident den Beschluß vom 24. April mittrug, von dem er angesichts seiner sonstigen Verlautbarungen zum verfassungsändernden Charakter der Gesetze abwich.214 Der Ministerpräsident, der einer Koalitionsregierung vorstand, war von seinen in der Mehrheit befmdlichen SPD-Ministem mit einem Nein zu den Verträgen nach Bonn auf den Weg geschickt worden. Er machte davon zwar keinen Gebrauch, wollte die vier entscheidenden Stimmen Baden-Württembergs jedoch nicht in ein Ja umwandeln. Er hat dann den von ihm mitgetragenen Beschluß des Bundesrats dahingehend ausgelegt,"... damit der Bundesrat in der Sache selbst sich auf den Standpunkt gestellt hat, daß nicht alle Gesetze der Zustimmung des Bundesrats bedürfen."215
Was Maier aufgrund seiner Koalitionsverpflichtung als rechtliches Problem lösen wollte, war für seine Stuttgarter Koalitionspartner eher ein politisches.216 Die SPD stellte sich die Frage, ob sie dem Ministerpräsidenten die Gefolgschaft aufkündigen oder gegen ihn formal Verfassungsklage erheben sollte, weil er ohne Unterstützung seiner Kabinettskollegen im Bundesrat gehandelt hatte.217 Unter Bezugnahme auf die ermittelten 213 Vgl. MM v. 11.5.1953; daneben Rede des Bundesministers der Justiz v. 10.5.1953 in Heidenheim, Stuttgarter Nachrichten v. 11.5.1953. 214 Vgl. seine Äußerungen in der Stuttgarter Zeitung v. 17.4.1953 "Es dreht sich um etwas durchaus Einfaches". 215 Ein Antrag Bremens wurde als abgelehnt angesehen, der die Zustimmungsbedürftigkeit auch der beiden Hauptgesetze hatte feststellen lassen wollen; vgl. auch FAZ V. 16.5.1933. 216 Der SPD-Einfluß im Stuttgarter Kabinett wird als maßgeblich für das ausweichende Votum des Bundesrats herausgestellt, Stuttgarter Zeitung v. 16.5.1953, BayHStA StK 113 040 Bundesrat Sekretariat, Presseveröffentlichung über den Bundesrat 19.5.1953; zur Reaktion der SPD vgl. auch BayHStA StK 113 040 Pressekonferenz Maier 24.4.1953. Maierbekam die Zusicherung, daß er Ministerpräsident bleiben könne, Telegrafv. 16.5.1953. 217 Vgl. BayHStA StK 113 040 Pressekonferenz Maier 24.4.1953; Maier betonte, S. 2, daß er echte landespolitische Aufgaben zu erfüllen habe und verwehrte sich, daß persönlicher Ehrgeiz eine Rolle gespielt habe.
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Faktoren und Konstanten im Verhalten des Bundesrats ist die Position Maiers verständlich. Ber Bundesrat sollte keinesfalls parteipolitische Interessen widerspiegeln, sondern sich zu einer Position bekennen, die es ihm ermöglichte, Länderinteressen in den Vordergrund zu stellen. Was BadenWürttembergs Ministerpräsident allerdings nicht einkalkulierte war die veränderte Rolle des Bundesrats als Oppositions- beziehungsweise Befiirwortungsorgan im Verhältnis zur Regierung. 4.6.3 Die abschließenden Beratungen In der Sitzung des Bundesrates vom 15. Mai 1953218 nahm der Bundesrat mit 23 zu 15 Stimmen den Antrag des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten an, keinen Antrag nach Art. 77 Abs. 2 zu stellen, so daß die Gesetze den Bundesrat passieren konnten. Mit diesem Beschluß war zwar das Gesetzgebungsverfahren abgeschlossen. Gleichwohl die politische Entscheidung klar war, traf dies für die rechtliche nicht zu: ob nämlich mit der Beschlußfassung eine formelle Zustimmung des Bundesrats unter der Voraussetzung, daß alle Verträge zustimmungsbedürftig sind, erfolgt war.219 Durch die Formel der Beschlußfassung vom 15. Mai 1953 sollte eben nicht zum Ausdruck gebracht werden, daß der Bundesrat eindeutig zu erkennen gab, daß er das gesetzgeberische Verhalten der Sache nach für gut hielt und mit dieser Billigung die Verantwortung übernehmen wollte. Im Verständnis der öffentlichen Meinung wurde diese Gratwanderung allerdings nicht deutlich220, und es blieb nicht aus, daß es zwischen den Legislativorganen zu unterschiedlicher Beurteilung des Ergebnisses kam. Die Bundesregierung ging von einer übereinstimmenden Haltung der Bundesratsmehrheit und der Bundesregierung aus, weil der Bundesrat mit klarer Mehrheit die sogenannte kleinere Lösung akzeptierte, den beiden Nebenverträgen zustimmte und die Hauptverträge ohne Einwendungen pas-
218 Mit 23 gegen 14 Stimmen fällte der Bundesrat die Entscheidung, die Verträge einfach passieren zu lassen, vgl. 107. Sitzung des Bundesrats. 219 V.a. Bayern beharrte darauf, daß alle vier Gesetzentwürfe zustimmungsbedürftig seien, BayHStA StK 110 348/1 Entwurf der Bay. Staatsreg. -> BVerfG. 220 Es war u.a. die Rede vom "Kuhhandel ohne Würde", vgl. SZ v. 16./17.5.1953; MM v. 16./17.5.1953; Die Welt v. 16.5.1953; Rheinzeitung v. 16./17.5.1953; Die Rheinpfalz v. 16.5.1953. Die Stuttgarter Zeitung v. 16.5.1953 urteilte positiver.
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sieren ließ.221 Die Ansicht der Bundesregierung, der Bundesrat habe mit seinem Beschluß vom 15. Mai 1953 den beiden Hauptverträgen seine Zustimmung erteilt, wies Arndt im Namen der Antragsteller zurück.222 Der Bundesrat habe vielmehr in seiner 77. Sitzung vom 1. Februar 1953 eine Entschließung zu dem Gesetz, nicht dagegen "... Beschluß über oder für das Gesetz gefaßt".223 Dies könne dahingehend gedeutet werden, daß es der Bundesrat gerade vermieden habe, selbst aktiv zu werden, um einen eigenen politischen Willen zum Ausdruck zu bringen. Bei den EVG-Verhandlungen war lange zu befürchten gewesen, daß eine Übereinstimmung zwischen den Bundesratsmitgliedern sich nicht erzielen ließ. Insgesamt neigte das Plenum dazu, von einer frühen Stellungnahme abzusehen. Ob sich dies alles auf die Sorge um fehlende Mehrheiten zurückführen läßt, wäre zu diskutieren. Anscheinend bestand doch insoweit Einigkeit, als der Bundesrat durch das Vermeiden einer klaren Stellungnahme glaubte, seine verfassungsmäßige Neutralität bei parteipolitischen Anträgen zu sichern. Obwohl im Frühjahr 1953 der Bundesrat doch eine richterliche Klärung für notwendig erachtete, weisen die Stellungnahmen der Mitglieder darauf hin, daß man keineswegs der politischen Aufgabe ausweichen wollte. 5. Die Länder und das Projekt einer Europäischen Politischen Gemeinschaft (EPG)
Das Verhalten Frankreichs, sein Wunsch nach Zusatzprotokollen, ließ die Stimmung in der Öffentlichkeit schwanken zwischen Zustimmung zum Erreichten und Skepsis ob des Zukünftigen. Wenn nun kurz auf das Scheitern des EPG-Projekts eingegangen wird, dann unter der Perspektive, welche Erwartungen sich bezüglich wirtschaftlicher und politischer Einigungsprojekte nach dem Scheitern der EVG herausbildeten.
221 Vgl. Bulletin der Bundesregierung v. 3.6.1953, S. 868, Erklärung des Bundesministers für Angelegenheiten des Bundesrats; BayHStA StK 110 348/3 Amdt -> BVerfG 13.1.1954 nochmals ausführlich zu Art. 24 GO, S. 15 ff. 222 BayHStA StK 110 348/4 Amdt in dem Verfahren auf Antrag v. 115.1953. 223 Amdt vetweist ausdrücklich auf die Parallelen zum Schuman-Pian, weil es auch damals rechtlich und politisch falsch war, von einer Zustimmung des Bundesrats zu sprechen, ebd.
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5.1 Die Initiativen zur Schaffung der EPG Die europäischen Organisationen hatten seit 1946 Pläne für föderative Verfassungen ausgearbeitet.224 In seiner ersten Sitzung im September 1949 billigte der Europarat eine Empfehlung seines politischen Ausschusses, eine Zentralbehörde für die europäische politische Koordination Westeuropas zu schaffen. Bei der zweiten Tagung der Beratenden Versammlung im August 1950 trat im Zusammenhang mit der damals aufgeworfenen Frage nach einer kollektiven Verteidigung Europas auch die der Errichtung einer politischen Behörde stärker in den Vordergrund. Im weiteren Verlauf der Tagung wurde eine Resolution angenommen, die die Bildung einer europäischen politischen Behörde für politische Angelegenheiten forderte. Nach einer Initiative der französischen Regierung wurde nach der ersten Sitzung des Ministerrats der MontanUnion beschl0ssen, die Mitglieder der Versammlung zu ersuchen, sich der in Art. 38 des EVG-Vertrages vorgesehenen Aufgabe anzunehmen. Die Adhoc-Versammlung konstituierte alsbald einen speziellen Verfassungsausschuß unter Leitung von Brentanos.225 Von besonderer Bedeutung war, daß nach dem Vorschlag des Verfassungsausschusses der Vertrag über eine EPG nicht auf eine bestimmte Zeit abgeschlossen werden, sondern unauflösbar sein sollte. Adenauer wollte, daß sich Deutschland bezüglich der EPG ganz betont im Hintergrund hielt und die Initiative den anderen Europäern überließ. Als mit der Ablehnung des EVG-Vertrags durch die französische Nationalversammlung die EVG scheiterte, war die Enttäuschung aber besonders bei Adenauer groß. 5.2 Zur Organisation der EPG Der Satzungsentwurf der Europäischen Politischen Gemeinschaft,Z26 der auf der dritten Tagung der Ad-hoc-Versammlung in Straßburg vom 6. bis 10. März 1953 angenommen wurde, sah ein aus zwei Kammern bestehendes Parlament vor, daneben einen Exekutivrat, einen Rat der nationalen Mini224 Vgl. Wegmann, Die europäischen und atlantischen Institutionen, BayHStA StK 113 038, s. 74 ff. 225 Art. 38, abgedr. in: Lipgens, Vertrag über die Gründung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft Art. 38, 275.1952 in: 45 Jahre, S. 314 f; Rat der Montan-Union: Beschluß zur sofortigen Einsetzung der Ad-hoc-Versarnmlung 10.9.1952, in: 45 Jahre, Nr. 76, S. 316 f. 226 Dazu ZwArch B136/1315 Erläuterungen zum Wirtschafts- und Sozialrat der EPG 19.12.1953; Fischer, Peter: Das Projekt der Europäischen Politischen Gemeinschaft, in: Die Eingliederung.
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ster, einen Gerichtshof und einen Wirtschafts- und Sozialrat Nach dem Willen des Verfassungsausschusses sollte kein übernationales Gebilde aufgrund von Souveränitätsverzichten der Mitgliedsstaaten entstehen. Hätte der Verfassungsentwurf sich verwirklichen lassen, wäre damit eine neue Dimension des europäischen Miteinanders eingeleitet worden.227 5.3 Die Erwartungen der Länder an die EPG Die Länder sahen eine Gelegenheit zur Beteiligung in Hinblick auf das Zweikammersystem, die Abstimmungen mit den nationalen Organisationen und Verbänden sowie die Konsultationen mit den Fachministerien. Ehard sprach sich aus innenpolitischen Gründen gegen die Präjudizierung aus, die sich mit der Errichtung eines Wirtschafts- und Sozialrats verband.228 Erfolgte nämlich eine deutsche Zustimmung zu einem derartigen Gremium, könnte die Frage der Einrichtung eines Bundeswirtschaftsrats, an dem auch die Länder, vor allem Nordrhein-Westfalen, Interesse zeigten, national nicht anders beurteilt werden. Des weiteren führte er gegen die Einrichtung an, daß die Gefahr einer Beeinflußung von Entscheidungen des Exekutivrats und des Parlaments durch Interessenverbände bestehe und eine Mehrgleisigkeit des Verfahrens der wirtschaftlichen Gesetzgebung zu erwarten sei. Es wird im folgenden zu untersuchen sein, inwieweit die Länder das bisher Erreichte an Informationszusicherung und Mitwirkung direkt im politischen Prozeß anzuwenden vermochten, der sich immer deutlicher zu einer festeren Verklammerung der europäischen Staaten mittels einer Wirtschaftsunion entwickelte. Indem nämlich die Tendenz zur Gemeinschaftsbildung stärker wurde und die auf sie abgestellten Initiativen den innenpolitischen Prozeß prägten, konnten die Länder - so eine erste Vermutung - das gewonnene Repertoire an Mitwirkungsmöglichkeiten auf europäischer wie innerstaatlicher Bühne ausspielen, um den Prozeß aktiv mitzugestalten. Ihr vorsichtiges Taktieren gegenüber Tendenzen, die Gemeinschaft durch supranationale Organe von der wirtschaftlichen zur politischen Union umzustrukturieren, könnte als Hinweis auf ihre Prioritätensetzung gelten.
227 Monnet beim Empfang durch den Bundespräsidenten am 9.12.1953 in Bonn, ZwArch B136/1315 Erläuterungen zum Wirtschafts- und Sozialrat der EPG 19.12.1953. 228 Dazu ZwArch B136/1315 Erhard ->Auswärtiges Amt 26.6.1954.
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6. Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Durch die Wiedererlangung der Souveränität war die Bundesrepublik nun gleichberechtigter Partner. In der Folge hätten die Länder ihre private Außenkontrolle im europäischen Rahmen reduzieren und sich hinter die Autorität der Bundesregierung stellen können. Andererseits mußten sie, wollten sie europapolitsch aktiv bleiben, ihre Mitwirkungsrechte, die sie sich in Auseinandersetzungen mit der Bundesregierung gesichert hatten, nun erst recht ausbauen, um nicht den Anschluß an die sich rasch entwickelnde Gemeinschaft zu verlieren. 6.1 Die Haltung des Bundeswirtschaftsministers zur Wirtschaftsunion Für Ludwig Erhard brachte die institutionelle Integration, wie sie mit der Montan-Union eingeleitet worden war, den europäischen Einigungsprozeß nicht weiter.229 Er stellte fest, daß die beabsichtigte Gewaltenteilung nicht funktionierte, den nationalen Wirtschaften wichtige Regelungsbereiche entzogen und separate Behörden durch ihre Organisationen in ihrer Funktionsfähigkeit behindert würden. Während beim Modell der institutionellen Integration durch den einmaligen Akt der Übertragung weitere Mitwirkungsmöglichkeiten ausgeschlossen würden, verstärkten sich durch das Verfahren der funktionalen Integration die Chancen dauernder Kontrolle. So könnte verhindert werden, daß eine "Totalorganisation" - für Erhard stand dahinter das Gespenst dirigistischer Planwirtschaft - zu Fehlentscheidungen führte. Funktionale Integration sollte zu einer gemeinverbindlichen Anerkennung von Ordnungselementen führen. Nicht der Zwang zu vollständiger übernationaler Übereinstimmung, sondern das Prinzip der freiwilligen Anerkennung von Grundsätzen wäre dafür entscheidend.
Die Frage blieb, wie sich das Prinzip einer politischen Einigung ohne jeden Zwang verwirklichen ließ, zudem auch Erhard einräumen mußte, daß der Erfolg der funktionalen Integration nur unter Zuhilfenahme institutioneller Zuständigkeiten erreicht werden könnte.230 Um bei den Staaten die Bereitschaft zur Integration unter Aufgabe allumfassender Selbstregulierung zu wecken, sollte das Fundament am be229 ZwArch 8136/1310 Ludwig Erhard, Gedanken zu dem Problem der Kooperation oder der Integration. 230 Diesen Gesichtspunkt betonte auch das Auswärtige Amt, ZwArch 8136/1310 Der Staatssekretär des Auswärtigen Amts Erwiderung auf die Gedanken des Bundesministers für Wirtschaft 30.3.1955. 1t Fuhrmann-Minimeier
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sten im politischen Bereich gelegt werden. Das Scheitern der EPGVerhandlungen hatte indes die Grenzen eines derartigen Projekts deutlich gemacht. Als Voraussetzung der Verwirklichung dieser Zielvorstelliungen erwähnte Erhard das Vorhandensein eines europäischen Bewußtseins als Ausdruck der Abkehr vom reinen Nationeninteresse. Wenn Erhard der Jugendarbeit in diesem Zusammenhang einen hohen Stellenwert beimaß, so lassen sich die Aktionen der deutschen Länder, die verstärkt ab Mitte der 50er Jahre die grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zum Kern ihrer Europapolitik machten, unter einem neuen Blickwinkel einordnen.231 In der Einschätzung des Auswärtigen Amts war eine politische Gemeinschaft Voraussetzung für die weitere Integration. Nachdem jedoch durch das Scheitern der EPG eine europäische Verfassung nicht ZUStandegekommern war, schienen die Möglichkeiten zunächst begrenzt. Die Erfahrung mit der OEEC hatte wiederum gezeigt, daß auch von einer derartigen Organisation keine wesentliche politische Initiative ausgehen konnte. Diesen Überlegungen folgend, kam das Auswärtige Amt zu dem Schluß, daß der eingeschlagene Weg weiter zu verfolgen sei.232 6.2 Die Römischen Verträge Die Verträge über den Gemeinsamen Markt und Euratom, die am 25. März 1957 in Rom unterzeichnet wurden, waren das Ergebnis einer langen beharrlichen Arbeit der sechs Partnerstaaten der Europäischen Kohle- und Stahlgemeinschaft.233 Die Bundesrepublik stimmte im Frühjahr 1955 dem Vorschlag Belgiens, der Niederlande und Luxemburgs zur Schaffung einer Europäischen 231 Vgl. die Aktionen der AEF, ZwArch B136/1310 Memorandum der AEF an die Regierungen der 6 Länder der Montan-Union; zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit siehe Teil D.,IV. 232 Bei einer ~rechung, ZwArch B136/1310 Niederschrift über die Besprechung v. 10.3.1955 zwischen VIZekanzler Blücher betr. Weisung an die deutschen Vertreter für die Vorbereitung der Brüsseler Vorkonferenz beharrten Erhard und Hallstein auf ihren Standpunkten. Hallstein meinte, daß zwar bei der Schaffung Europal? auf partiellem Weg mit Schwierigkeiten zu rechnen sei, man dies aber aufgrund polittscher Vorabentscheidung in Kauf nehmen müsse. 233 Sehr detailliert informiert Hanns Jürgen Küsters: Die Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft Baden-Baden 1982; Ders.: Von der EVG zur EWG. Der europäische Wiederaufschwung 1955 - 1957, in: APuZ B12/83, S. 3 - 15; Ders.: Adenauers Europapolitik in der Gründungsphase der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, in: VZG 31 (1983), S. 646 - 673; von der Groeben, Hans: Politische und wirtschaftliche Motive im Gleichkang. Die Vertragsverhandlungen aus der Sicht eines Beteiligten, in: Integration 6 (1983), S. 116 - 120; zur Euratom, Weilemann, Peter: Die Anfänge der Europäischen Atomgemeinschaft. Zur Gründungsgeschichte von Euratom 1955 - 1957. Baden-Baden 1983.
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Wirtschaftsgemeinschaft zu. Auf der Konferenz von Messina Anfang Juni 1955 wurde die Einsetzung einer Sachverständigenkonferenz mit zahlreichen Ausschüssen und Unterausschüssen beschlossen, die den Außenministern einen Gesamtbericht vorlegen solte. Zum Vorsitzenden wurde Paul-Henri Spaak gewählt. Er konnte am Rande der NATORatstagung in Paris am 6. Mai 1956 den sogenannten Spaak-Bericht234 übergeben. Die Schlußfolgerungen des Berichts, die sich die sechs Regierungen, darunter auch das Bundeskabinett, zu eigen machten, sahen folgendes vor: Eine Zollunion, die in Etappen zustandekommen sollte. Vereinbarungen über Wettbewerbsregelungen. Die Berichtigung der Wettbewerbsverzerrungen. Eine Zusage der Teilnehmerstaaten zum Ausgleich ihrer Zahlungsbilanzen. Verpflichtungen für eine gemeinsame Wirtschafts-, Währungs-, Handels- und Konjunkturpolitik. Einen Investitionsfonds und einen Anpassungsfonds. Eine europäische Atomgemeinschaft. Das Ziel, in einer wirtschaftlichen Einigung den Keim einer politischen Union entstehen zu lassen, verfolgte auch die Gemeinsame Versammlung. Sie wünschte daher, von der Hohen Behörde über deren Kontakte mit internationalen Organisationen informiert zu werden, um nicht nur ihre Kontrollbefugnisse ausüben, sondern auch echte Beratung leisten zu können. Trotz Entgegenkommens der Hohen Behörde sah sie ihre Erwartungen jedoch als nicht erfüllt an.235 234 Zur Beurteilung des Spaak-Berichts, BRAusschuß für Auswärtige Angelegenheiten v. 26.11.1956; dort auch der Hinweis, daß die Regierun~xperten, obwohl nicht an Weisungen gebunden, doch die Politik ihrer Regierung als Hauptmotiv ihrer Stellungnahmen verfolgten; zum Begriff "Spaak-Bericht", ebd., S. 3; Text des Spaak-Berichts, in: Der Autbau Europas. Pläne und Dokumente 1945 - 1980; hrsg. von Jürgen Schwarz. Bonn 1980, S. 277 ff. 235 PoiArch. AA 200 Aktenvermerk v. 17.9.1956; bereits in der Sitzung des Auswärtigen Ausschusses des Bundesrats war von den Bestrebungen der Versammlung nach echter parlamentarischer Kontrolle die Rede, und zwar im Zusammenhang mit dem Wunsch, die Montangemeinschaft auszudehnen in Richtung auf eine dauerhafte überstaatliche Organisation, BRAusschuß für Auswärtige Angelegenheiten v. 20.1.1956. In Zusammenhang mit dem Ge-
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6.3 Zur Organisation der EWG Mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft entstand ein europäisches Gebilde mit besonderen verfassungsrechtlichen Elementen.236 Das Wesen der Gemeinschaft war gekennzeichnet durch einen gemeinsamen Markt und gemeinsame Organe. Als Kernstück des Gemeinsamen Markts war die Zollunion projektiert, die in drei Etappen alle unter den sechs Mitgliedern vorhandenen Binnenzölle abbauen und dann nach circa 15 Jahren einen von allen Zollhindernissen freien durchgehenden Wirtschaftsraum schaffen sollte. 6.4 Zur Beteiligung von Ländervertretern bei den Brüsseler Verhandlungen Die Beteiligung von Ländervertretern in Brüssel bereitete den Boden für die Ratifizierung der Verträge im Bundesrat. Bayern und Baden-Württemberg konnten zu den Brüsseler Verhandlungen je einen Beobachter entsenden, die im Namen der übrigen Bundesländer sprachen.237 Der Hinweis aus dem Auswärtigen Amt, die Stellungnahmen der Länder hätten in Brüssel die Verhandlungen maßgeblich beeinflußt,238 ist Ausdruck der Skepsis des Ministeriums. Der Bundesminister des Auswärtigen, der an sich die Beteiligung als zweckentsprechend und fruchtbar bewertete,Z39 wollte dieses Zugeständnis an die Länder keineswegs als Präjudizierung des Rechtsstandpunktes der Bundesregierung aufgefaßt wissen und sich vorbehalten, davon
meinsamen Markt wurde betont, daß es keine Verantwortlichkeit des Ministerrats gegenüber der Parlamentarischen Versammlung gebe, nur gegenüber den nationalen Parlamenten, vgl. BRAusschuß für Auswärtige Angelegenheiten v. 28.1.1957, S. 10 und die diesbezügliche Kritik von Hoegner ebd., S. 14. 236 Dazu Kaiser, Modi der Integration, S. 270. 237 Vgl. PoiArch. AA 200 Bd. 15 Präsident des Bundesrats - > Bundesminister des Auswärtigen v. Brentano 145.1957. Der Präsident des Bundesrats meinte, daß die Stellungnahme der Länder nicht ganz ohne Auswirkung auf die Haltung der deutschen Vertreter in Brüssel, z.B. in bezug auf den Verkehr, blieb. Als Ländervertreter der deutschen Dele~tion wurden Ministerialrat May, Baden-Württemberg, und Dr. Rutschke aus dem Bayenschen Staatsministeriumfür Wirtschaft und Verkehr ernannt. Der Bundesfinanzminister verhielt sich bezüglich der Teilnahme eher skeptisch, vgl. PoiArch. AA 200 Bd. 15, 1.8.1957 BM für wirtschaftliche Zusammenarbeit - > Auswärtiges Amt. Begründet wurde diese Haltung damit, daß die Freihandelszone in den Aufgabenbereich der OEEC falle und sich die Länder bislang nicht im Europäischen Wirtschaftsrat beteiligt hätten. 238 PoiArch. AA 200 Bd. 15 Stellungnahme Carstens 26.7.1957. 239 PoiArch. AA 200 Bd. 15 Bundesminister des Auswärtigen - > Ministerialdirektor Dr. Carstens 28.9.1957.
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wieder Abstand zu nehmen.240 Bezüglich der mit der Freihandelszone zusammenhängenden Fragen wollte man sich überhaupt nicht festlegen.241 Eine Verschlechterung bezüglich des Status' der Ländervertreter trat bereits in der zweiten Hälfte des Jahres 1957 ein,242 als die weitere Teilnahme an den Ressortbesprechungen verwehrt wurde und somit entsprechende Informationen nicht an die Länder gelangten. Das Auswärtige Amt weigerte sich, bevor es zu einer Einigung über einen gemeinsamen Länderbeobachter kam, Ministerialrat May aus Baden-Württemberg als allgemeinen Länderbeobachter anzuerkennen.243 Den Vorschlag von Bundesratspräsident Sieweking, für drei oder vier Ländervertreter in Brüssel ein Büro einzurichten, von denen jeweils nur einer an den Sitzungen der deutschen Delegation teilnehmen sollte, wollte das Auswärtige Amt zwar prüfen, äußerte aber von vornherein Bedenken wegen des Aufwandes und des tatsächlichen Nutzens.244 Die Taktik des Auswärtigen Amts bestand darin, die offiZielle Informationsweitergabe recht großzügig zu behandeln, um nicht dem informellen Charakter allzuviel Raum zu lassen. Mit dem Zugeständnis, Informationen 240 Von vomherein ergab sich eine Einschränkung dadurch, daß nur jeweils "ein Herr für alle interessierten Länder Mitglied der deutschen Delegation sein soll.• Poi.Arch. AA 200 Bd. 15 Bundesminister des Auswärtigen-> Präsident des Bundesrats 14.6.1957. 241 Das Auswärtige Amt schien grundsätzlich keine Bedenken zu haben gegen eine entsprechende Teilnahme; diese solle jedoch nicht nach außen hervortreten, Pol.Arch. AA 200 Bd. 15 Auswärtiges Amt -> Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit 26.7.1957. Entsprechende Gespräche hatte es auch zwischen von Brentano und dem Bevollmächtigten des Landes Baden-Württemberg gegeben, Poi.Arch. AA 200 Bd. 15 Auswärtiges Amt Carstens -> Minister Oskar Famy 30.7.1957. 242 Eine Vereinbarung zwischen MP Hoegner und dem BM des Auswärtigen le&te fest, daß ein Ländervertreter an den internen Besprechungen teilnehmen sollte, ohne daß steh daraus ein Rechtsanspruch der Länder herleiten ließ, Poi.Arch. AA 200 Bd. 15 Ministerialdirigent Carstens -> Präsident des Bundesrats 28.9.1957. 243 So PoiArch. AA 200 Bd. 15 Abschrift Brentano -> Ministerpräsidnet Hoegner 15.8.1957 betr. Beteiligung von Landesvertretern Bonn 24.9.1957. Schließlich wurde eine neue Fassung des Antrags formuliert, der die Erteilung von Weisungen gegenüber dem Bundesrat im Falle von erheblicher Bedeutung nach Beratung mit dem AusschuB für Auswärtige Angelegenheiten festlegte; für Eilverfahren wurde eine nachträglich Inforotationspflicht festgelegt. Baden-Württemberg, Bayern, Hamburg, Hessen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen stimmten dafür; dagegen waren Berlin, Bremen und Schleswig-Holstein, wobei Berlin und Bremen entgegengesetzte Meinungen in der Diskussion vertreten hatten, der Stimme enthielten sich das Saarland und Rheinland-Pfalz. Dies wurde damit gerechtfertigt, daß entgegen der Vereinbarung Vertreter an den internationalen Verhandlungen teilgenommen hätten, daraus jedoch kein Präjudiz geschaffen werden sollte. 244 Poi.Arch. AA 200 Bd. 15 Aufzeichnung Carstens betr. Unterrichtung der Länder über die Briisseler Verhandlungen 20.9.1957; vgl. auch Poi.Arch. AA 200 Bd. 15 Ministerialdirigent Carstens -> Präsident 28.9.1957. Das Bundesministerium der F'manzen meldete auch hier wieder Bedenken an, Poi.Arch. AA 200 Bd. 15 Abschrift Brentano -> Ministerpräsident Hoegner 15.8.1957 Aufz. betr. Beteiligung v. Ländervertretern 24.9.1957.
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aus Brüssel an die Länder weiterzugeben, konnte der Zeitpunkt bestimmt und dadurch frühzeitiges und eigenständiges Handeln verhindert werden.245 Häufig wird festgestellt, der Bundesrat habe sich im Ratifizierungsverfahren mit seinen weitergehenden Vorstellungen nicht durchgesetzt.246 Für die endgültige Fassung des Art. 2 des Zustimmungsgesetzes stimmt dies sicher, doch hat man sich zu vergegenwärtigen, daß aufgrund eines effektiven Zusammenspiels zwischen Bund und Ländern, vor allem auf dem Gebiet der Beihilfe- und Wettbewerbsbestimmungen sowie auf dem Verkehrssektor, Lösungen gefunden wurden, die weitgehend den Erwartungen der Länder entsprachen. Es ist zu prüfen, ob mit dem Passieren des Ratifikationsgesetzes zur Gründung der EWG und Euratom in der 181. Sitzung des Bundesrats am 19. Juli 1957247 einer Kompromißlösung zwischen Bund und Ländern zugestimmt wurde oder das Ergebnis als Beginn einer neuen Stufe der Ländermitwirkung bei europaspezifischen Angelegenheiten zu bewerten ist. 6.5 Das Ratifizierungsverfahren zu den Römischen Verträgen Um die Länder über die sie besonders interessierenden Fragen bei den Verhandlungen über den wirtschaftlichen Zusammenschluß Europas zu informieren und damit früheren Vereinbarungen nach ausreichender Information zu entsprechen, fanden ab Januar 1956 Treffen zwischen Regierungs- und Ländervertretern im Auswärtigen Ausschuß des Bundesrats statt. Der Vertreter des Auswärtigen Amts bestätigte immer wieder, daß die Bundesregierung sehr froh um die Zusammenarbeit mit den Landesregierungen sei. Deren Befürchtungen, daß möglicherweise das Erreichte nicht zu erhalten se~ wären zwar verständlich, jedoch unbegründet. Die Bundesregierung verwies auf das Informationsrecht, so daß unerwünschte Entscheidungen der deutschen Delegation, die womöglich Landesinteressen widersprächen, frühzeitig verhindert werden könnten.248 Dagegen wollte sie sich nicht damit einverstanden erklären, wenn im Rahmen des Bundesrats Beschlüsse gefaßt würden, die den Spielraum der 245
Vgl. Carstens -> v. Stempel28.9., Pol.Arch. AA 200 Bd. 15. 246 Der Bundesrat konnte sich nicht durchsetzen mit seiner Forderung, daß den zu entsendenden Vertretern der Bundesrepublik durch die Bundesregierung Weisungen erst nach Beratung mit dem Bundesrat erteilt würden. Der Wortlaut des eingefügten Art. 2 ist dann in der Folge jedoch extensiv ausgelegt worden. 247 BR 181. Sitzung v. 19.7.1957 S. 742C- 746B; vgl. auch BR-Drs. 343/57. 248 So auch BRAusschuß für Auswärtige Angelegenheiten v. 24.1.1957, S. 2.
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Verhandlungsführung beeinträchtigten, da dann aufgrund der entstehenden Verzögerungen die Bundesrepublik auf der internationalen Verhandlungsbühne nicht mehr als verläßlicher Partner geachtet würde. Die Bundesregierung ging nicht davon aus, daß sich die Herstellung eines Gemeinsamen Marktes auf die innerwirtschaftliche Struktur der Bundesrepublik derartig auswirkte, daß die Wiedervereinigung erschwert würde. Der Interzonenhandel sollte weiterhin bestehen bleiben, und zwar ausschließlich unter deutscher Zuständigkeit.249 Die Berlin-Klausel wurde nicht in das Gesetz eingefügt. Der Bundesminister für Angelegenheiten des Bundesrats begründete dies damit, daß die internationalen Verträge über die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl, WEU und Europarat auf Berlin keine völkerrechtliche Anwendung fänden. Hallstein als Vertreter des Auswärtigen Amts ging vor allem auf zwei Themenkomplexe ein, die, wie er meinte, von besonderem Interesse für die Länder wären: die Frage der Beihilfen und die des Verkehrs. Es bestünden Sorgen, daß das deutsche Gebiet zu kurz käme, wenn man ein striktes Beihilfeverbot durchführte. Die Aktivitäten der Bundesrepublik müßten dort einsetzen, wo zu vermuten war, daß gewisse Beihilfen nicht mit dem Grundsatz des Gemeinsamen Markts zu vereinbaren waren. 6.5.1 Die Regelungen bezüglich der Beihilfen und des Verkehrs Bei der Gesamtkoordination der Wirtschaftspolitik im europäischen Rahmen war für die Bundesrepublik der Spielraum gering, da Bereiche wie Preispolitik, soziale Harmonisierung, Finanz- und Währungspolitik auf die europäische Ebene verlagert wurden. Trotzdem nahm die Bundesregierung für sich in Anspruch, den Ländern in den Fragen der Beihilfe entgegengekommen zu sein: einmal, indem sie sich für einen Vertrag mit sehr "weich gehaltenen" Regeln einsetzte, der Ausnahmebestimmungen von der Beihilferegelung erleichterte, zum anderen, weil die Beihilfen für die Heimatvertriebenen, Kriegssachgeschädigten, die Zonenrandgebiete und Berlin nicht in den Bereich der wettbewerbsver-
249 BRAusschuß für Auswärtige An~elegenheiten v. 22.2.1957, S. 10; zu den Wirtschaftsbeziehungen zwischen der Bundesrepublik und der DDR im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft, Schmitt von Sydow, Helmut: Der stille Partner, in: EGmagazin (1990), S. 6 - 10; vgl. auch: Biskup, Reinhold: Deutschlands offene Handelswenze - Die DDR als Nutznießer des EWG-Protokolls über den innerdeutschen Handel. Berbn, Frankfurt a.M. 1976.
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fälschenden Beihilfen fielen.250 Die Klause~ daß die durch die politische Teilung Deutschlands besonders betroffenen Gebiete in den Fragen der Beihilfebeschränkungen ausgenommen sind, kam, neben den Zonenrandgebieten, der Saar, den Saarrandgebieten und Rheinland-Pfalz zugute. Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Hasset forderte, daß auch sein Land aufgenommen würde,251 und er konnte es nach weiteren Verhandlungen als Erfolg verbuchen, daß in einer Formel auf die Aufzählung einzelner Gebiete des Zonenrandes verzichtet wurde.252 So bot das System der Beihilfen keinen Anlaß mehr für die Länder, sich um die Autonomie ihrer Wirtschaftspolitik zu sorgen. Der Verkehrsbereich war dadurch belastet, daß sich keine einstimmige Haltung erzielen ließ. Bayern und Württemberg waren am wenigsten zu Zugeständnissen bereit. Der baden-württembergische Vertreter hielt daher auch die Zustimmung seiner Landesregierung für nicht gesichert, so daß die Bundesregierung mit nachträglichen Verbesserungen rechnete.253 Ihr Vertreter konnte den Ländern versichern, daß es Bemühungen gab, die Verkehrspolitik auszuklammern. Die Befürchtungen der Länder ließen sich nicht völlig beseitigen, zumal gewisse Risiken in Anbetracht des Zieles bestanden.254 Besonders in bezog auf die Institutionenfrage war der Aufklärungsbedarf bei den Landesregierungen groß. Man befürchtete Einbußen für die Selbständigkeit, die von Beschlüssen mit unmittelbarer Bindung ausgingen.255 Die Zusicherung der Bundesregierung, die in den vorgesehenen Gremien erforderlichen Experten könnten von den Ländern bestellt werden, zielte auf die Kooperationsbereitschaft der Landesregierungen.
250 Dies veiWCist auf die spätere Regelung von Art. 92 Abs. 2c, Abs. 2b EWGV, vgl. BR Ausschuß für Auswärtige Angelegenheiten v. 28.1.1957, S. 15; darunter fallen Beihilfen an Vertriebene und kriegsgeschädigte Betriebe, Beihilfen für Hochwasserschäden und sonstige Naturkatastrophen. 251 BRAusschuß für Auswärtige Angelegenheiten v. 8.2.1957, S. 7 und Antwort vom Auswärtigen Amt, daß es nicht erforderlich sei, alle Gebiete aufzunehmen, ebd., S. 9. 252 Vgl. BRAusschuß für Auswärtige Angelegenheiten v. 22.2.1957. 253 BRAusschuß für Auswärtige Angelegenheiten v. 28.1.1957; Hoegner brachte die Bedenken des Verkehrsministers Seebohm vor, ebd., S.14Anhang. 254 BRAusschuß für Auswärtige Angelegenheiten v. 28.1.1957, S. 1 Aussprache Sieveking. 255 BR Ausschuß für Auswärtige Angelegenheiten v. 28.1.1957, S. 21 f zu den Folgen der Rechtsanwendung.
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6.5.2 Die Stellungnahmen der Länder zur politischen Dimension des Einigungswerks Bei den Besprechungen der Ministerpräsidenten mit den Regierungsvertretern standen in erster Linie wirtschaftliche Fragen im Vordergrund; daneben berührte man die politische Dimension, die Erweiterung der WirtSchaftsgemeinschaft zu einer politischen Union.256 Die Auffassungen zwischen Vertretern der Länder und der Bundesregierung über die organisatorischen Bestimmungen des Vertrages divergierten. Der Effektivität des Parlaments wurden für die politische Koordination nur geringe Chancen eingeräumt.257 Dieses Gremium könnte für die Länder allenfalls im Zusammenhang mit der Entsendung von Mitgliedern des Bundesrats interessant werden. Der Hamburger Vertreter schlug deshalb vor, die Abgeordneten in einem bestimmten Verhältnis aus den Reihen des Bundestags und Bundesrats zu wählen.258 Es gab Zusicherungen von seiten des Justizministers, die Frage rechtlich prüfen zu lassen, aus der Reaktion war jedoch ersichtlich, daß dies allenfalls vertröstend gedacht war. Einige Ländervertreter kritisierten die unbegrenzte Laufzeit der Verträge. Sie argumentierten, bei einem derartigen Vertrag werde Neuland betreten und man müsse mit "Irrealem und unvorhergesehenen Möglichkeiten" rechnen. Relevant wurden diese Äußerungen in Hinblick auf ein zukünftiges Gesamtdeutschland. Der Berliner Vertreter hatte drei darauf abzielende Gesichtspunkte genannt: einmal, daß die Bundesregierung im Falle der Wiedervereinigung aus der Europäischen Gemeinschaft ausscheide; zweitens, daß die Bundesregierung mit ihren Territorien in der Gemeinschaft bleibe und die übrigen Teile des wiedervereinigten Deutschlands dieser Gemeinschaft nicht beitreten; drittens, daß das gesamte wiedervereinigte Deutschland der Gemeinschaft beitrete. Eine vierte Variante war nach Auffassung der Bundesregierung vorstellbar, daß sich ein wiedervereinigtes Deutschland für das Verbleiben in der Gemeinschaft entscheide, jedoch dann eine Änderung der Verträge in wichtigen Punkten beantrage. Der Berliner Vertreter konnte sich mit dem Vorschlag einer
256 Wenn der Vertreter des Auswärtigen Amts die politische Dimension ansprach, meinte er vor allem die Koordinierung der Außenpolitik, BRAusschuß flir Auswärtige Angelegenheiten v. 22.2.1957, S. 27. 257 Zinn tat sich besonders hervor, BR Ausschuß für Auswärtige Angelegenheiten v. 22.2.1957, s. 28. 258 BRAusschuß für Auswärtige Angelegenheiten v. 13.4.1957, S. 29.
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deutschen Klausel nicht durchsetzen,259 weil nicht feststand, ob nicht auch einmal ein Partner den Wunsch hätte, aus der Gemeinschaft auszuscheren. Die Bundesregierung vertrat obendrein den Standpunkt, daß eine zeitliche Befristung des Vertrages bewußt nicht vorgesehen war, um dem Ziel- eine Gemeinschaft von Dauer - Ausdruck zu verleihen. Sie hielt die Möglichkeit eines vorzeitigen Ausscheidens vom wirtschaftlichen Standpunkt aus für unvernünftig, weil es keinen Sinn habe, einen Gemeinsamen Markt zu beginnen, um ihn dann nach fünf oder sechs Jahren nicht mehr zu nutzen. 6.5.3 Die Diskussion um die Reichweite von Art. 24 GG Als Gründe für die Zustimmungsbedürftigkeit des Gesetzes wurden Art. 84 GG und Art. 105 GG genannt.260 Es wurde unter anderem damit argumentiert, daß ein Kernbereich, die Treue des Bundes zu den Ländern, durch die Übertragung von Hoheitsrechten auf internationale Gemeinschaften nicht angetastet werden dürfte. Insoweit dieser Bereich berührt würde, könnte der Bund auch kein Landeshoheitsrecht auf internationale Gremien übertragen.261
Die Bundesregierung wiederholte ihre bekannten Positionen. Danach stellte Art. 24 GG keine Ausnahmebestimmung dar. Mit der Entscheidung des Verfassungsgebers für diesen Artikel sei vielmehr die politische Zustimmung einer Überwindung des Nationalstaats als Grundprinzip des Verfassungswerks gefallen. In der Frage der Übertragbarkeit schälten sich zwischen den Ländern drei Auffassungen heraus. Die Berliner Richtung stellte die weitgehenden Verfügungsrechte des Bundes heraus, weil sich sonst bei den internationalen Verhandlungen keine Fortschritte erzielen ließen. Die Süddeutschen betonten traditionsgemäß stark die Eigenständigkeil der Länder, auf eine endgültige Klärung der Frage wollte man sich nicht festlegen. Die Norddeutschen forderten entsprechende Kompensationen, an erster Stelle sollte der Bundesrat mehr Einflußmöglichkeiten erhalten.
259 Vgl. BR Sonderausschuß Gemeinsamer Markt und Euratom v. 24.1,.1957, S. 30; es gab lediglich die Zusicherung der Bundesregierung, daß möglicherweise eine Uberprüfung stattfände, wenn die Wiedervereinigung anstünde. 260 Vgl. BR Sonderausschuß Gemeinsamer Markt und Euratom v. 24.1.1957, S. 13; bezüglich Art. 84 GG stimmte auch die Bundesregierung zu, weil Verwaltungsverfahren berührt wurden. 261 Ebd.,S. 9.
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Der Berliner Standpunkt ist als der konzilianteste zu bewerten, da dem Bund ziemlich weitreichende Verfügungsrechte zugestanden wurden. Die Norddeutschen nahmen eine Mittelposition ein. Eine Übertragung von Hoheitsrechten sollte nicht schrankenlos sein, als wichtig wurde vielmehr die Sicherung der Einflußmöglichkeiten der Länder angesehen. 6.5.4 Die Diskussion um erweiterte Mitwirkungsmöglichkeiten für die Länder Immer heftiger stilisierten die Länder die Frage der Mitwirkung zu einem Symbol des Überlebens von Landesidentitäten, andernfalls würden sie mediatisiert und provinzialisiert werden. Sie gingen sogar so weit und drohten mit Verweigerung. Ihr Verhalten wollten sie allerdings nicht als Prestigebedürfnis oder mißverstandenen Föderalismus betrachtet wissen, sondern als echtes europäisches Interesse.262 Senator Weber faßte als Berichterstatter des Auswärtigen Ausschusses die Problematik nochmals zusammen.263 Neben der Exekutive würden auch die Parlamente berührt, so daß sich die jeweilige Landesregierung leichter rechtfertigen könnte, wenn sie auf ein tatkräftiges Engagement in europäischen Angelegenheiten verwies. 6.5.4.1 Zur Beschickung der Europäischen Versammlung Der Bundesrat wollte erreichen, daß durch Bundesgesetz die Beschickung der Versammlung festgelegt wurde, obwohl man davon ausging, daß eine Teilnahme nur eine gewissermaßen optische Bedeutung hätte. Nordrhein-Westfalen, Bremen, Berlin und Bayern unterstützten den Antrag, daß von den 36 Mitgliedern, die die Bundesrepublik in die Gemeinsame Versammlung entsandte, 11 vom Bundesrat und 25 vom Bundestag kommen sollten. Berlin erinnerte an die Praxis der anderen Mitgliedsländer und der bayerische Vertreter war der Ansicht, daß es nur im Interesse der Gemeinschaft läge, wenn die Länder auf höchster Ebene aktiv eingeschaltet würden. Die Ländervertreter argumentierten bezüglich Art. 138 EWGV mit dem Begriff der gesetzgebenden Körperschaften, während die Bundesregierung die Unabhängigkeit von den Regierungen herausstellte und die Entscheidungsfreiheit nach freiem Gewissen betonte. Der Hinweis der Bundesregierung, 262 BR Ausschuß für Auswärtige Angelegenheiten v. 11.7.1957, S. 11 (Bürgermeister Sieveking). 263 BR 181. Sitzungv. 19.7.1957.
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auftretenden rechtlichen Schwierigkeiten durch die Formulierung zu begegnen, die Versammlung bestehe "aus Vertretern der Völker der in der Gemeinschaft zusammengeschlossenen Staaten", wurde unter Hinweis auf die gleiche Konstellation bei anderen Zweikammersystemen als nicht nötig erachtet. Gegenüber der Forderung nach Bildung eines eigenen Ausschusses verhielten sich die Bundesregierung und der Bundestag reserviert. Auch ein Teil der Ländervertreter meinte, daß sich aus der Konstituierung eines derartigen Ausschusses vedassungsrechtliche Probleme ergäben. Von seiten der Bundesregierung wurde auf die Unpraktikabilität eines derartigen Verfahrens hingewiesen; die Lage bei den verschiedenen internationalen Organisationen erfordere schnelle Entschlüsse und die kämen aufgrundder umständlichen Einberufung nicht zustande. Auch die Personalfrage wäre ein Hinderungsgrund. Nach Ansicht der Bundesregierung wäre die Mitwirkung durch die Abstimmung der zuständigen Bundesressorts mit den jeweiligen Länderressorts gewährleistet, so daß die Bildung eines eigenen Ausschusses durchaus vermeidbar wäre. 264 Den Ländern lag nicht daran, das Bemühen der Bundesregierung zu schmälern- besonders der Ministerpräsident von Rheinland-Pfalzwarb um Verständnis für die Haltung der Regierung-, was sie allerdings vermißten, waren grundlegenden Sicherheiten, daß ihre Vorstellungen auch tatsächlich Beachtung fänden. Über die Frage, ob der Vermittlungsausschuß angerufen werden sollte, bestand keine Einheitlichkeit.265 Bei einem Teil der Ländervertreter überwog die Sorge, man könnte den Forderungskatalog nicht noch weiter ausdehnen. Die Befürworter meinten, daß sich die Entscheidung nach dem Grundgesetz zu richten habe.266 Andere glaubten, es genüge, wenn die Bundesregierung in dem vorgesehenen Gesetzesentwurf eine angemessene Vertretung des Bundesrats vorsehe.
264 BRAusschuß für Auswärtige Angelegenheiten v. 13.4.1957, S. 29; Ausschuß für Fragen der Europäischen Gemeinschaften zunächst Einsetzung als "Sonderausschuß Gemeinsamer Markt und Freihandelszone•, 186. Sitzung am 20.12.1957, 1 - 46. Sitzung; 47. Sitzung ff Umbenennung in "Ausschuß für Fragen der Europäischen Gemeinschaften", 289. Sitzung am 26.11.1965. 265 Bedenken brachten Lembke, Schleswig-Holstein und Altmeier vor, BR Ausschuß für Auswärtige Angelegenheiten v. 11.4.1957. 266 Baden-Württembergs Ministerpräsident hatte darauf hingewiesen, ebd.
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Der Bundesrat mußte sich entscheiden, ob er willens war, seine verfassungsrechtliche Stellung zur Geltung zu bringen und dadurch die außenpolitische Entscheidung in der Schwebe zu halten, oder ob er föderalistischen Gesichtspunkten Priorität einräumen wollte. Dies lief auch auf die Alternative heraus - Verweigerungshaltung aufgrund der ausgespielten Position gegenüber dem Bundestag und fehlendes Vertrauen auf Leistungen der Bundesregierung oder die Bereitschaft zum Kompromiß mit der Hoffnung auf das Entgegenkommen des Bundestags und Zusicherungen der Regierung. Letzteres müßte garantiert werden von einer stabilen Regierungssituation und dem Signal der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft als Schrittmacher eines europäischen Einigungsprozesses. Die Positionen der Landesregierungen waren nicht einheitlich - jede ging mit einem abgesteckten Interessenfeld in die Verhandlungen. Die Unterschiede zeigten sich im Grad der Kooperationsbereitschaft. Diese lassen sich markieren zwischen der Haltung Schleswig-Holsteins, unterstützt von Niedersachsen, die große Erwartungen in die Bundesregierung setzten über die vermittelnde Stellungnahme von Rheinland-Pfalz, das zwar auch den Vermittlungsausschuß wollte, jedoch weniger aus föderalistischem Staatsbewußtsein, als um den Anspruch nach Mitbestimmung des Bundesrates zu formulieren zu anderen, wie zum Beispiel dem bayerischen Ministerpräsidenten Hoegner, der die endgültige Klärung mittels des Vermittlungsausschusses suchte. Die Befürworter dieser Richtung glaubten, ihre wirtschaftliehen Interessen in der Gemeinsamen Versammlung dadurch angemessen vertreten zu können.267 Daneben gab es Stimmen wie die des Bremers Kaisen, der es ganz deutlich ablehnte, "... unser föderatives System in diesen außenpolitischen Dingen widerspiegeln zu lassen."268 Er reihte sich damit unter jene ein, die bald erkannten, daß es nur gegenteilige Wirkung hätte, würde die Sache zu einer Prestigefrage zwischen Bundesrat und Bundestag stilisiert. Ihres Erachtens dienten derartige "Gefechte" nicht der sachlichen Erörterung der Folgen des Vertragswerks für die Länderzuständigkeiten. Diesen Überlegungen folgend, erkannte die Mehrzahl der Länder, daß es am vorteilhaftesten wäre, sich der Bundesregierung als Befürworter zu versichern. Es schälte sich daher die Tendenz heraus, am Erreichten festzuhalten, bevor unabsehbare Komplikationen entstünden. Dies fiel ihnen um so leichter, als der Bundesratsminister des weiteren zusagte, amendments, 267 Vgl. auch die Haltung des Vertreters von Nordrhein-Westfalen, ebd. 268 BRAusschuß für Auswärtige Angelegenheiten v. 18.7.1957, S. 12.
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C. Die Eingliederung der Bundesrepublik
die im Laufe der Diskussion vorgebracht wurden, in eine Erklärung vor dem Bundeskabinett einzubringen. Dadurch konnte er nochmals die Lage entschärfen.269 Bei der Abstimmung, ob von der Anrufung des Vermittlungsausschusses abzusehen und dem Gesetz zuzustimmen sei, falls die Bundesregierung der Erklärung des Bundesratsministers zustimme, gab es sechs Ja- und fünf Nein-Stimmen. Mit Ja stimmten Baden-Württemberg, Bremen, Hamburg, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und das Saarland. Ein Antrag von Nordrhein-Westfalen über eine weitere Informations- und Konsultationspflicht der Bundesregierung fand keine Mehrheit.270 6.5.4.2 Die Reaktion der Bundesregierung Aus der Befürchtung heraus, ein Veto des Bundesrats könnte die Ratifizierung der Verträge gefährden, hatte sich die Bundesregierung zu dem Zugeständnis bereit erklärt, in einem eigenen Gesetz über die Wahl der deutschen Vertreter zur Versammlung auch eine angemessene Beteiligung des Bundesrats vorzusehen. Die Mehrheit des Auswärtigen Ausschusses erkannte, daß einer solchen Erklärung der Bundesregierung über die rein rechtliche Seite hinaus starke Bedeutung zukäme, weil sich damit auch eine Bindung für zukünftige Bundesregierungen verband. Daher fügte der Bundestag, indem er auf den vom Bundesrat vorgeschlagenen Art. 2b zurückgriff, folgenden Art. 2 in das Ratifikationsgesetz ein: "Die Bundesregierung hat Bundestag und Bundesrat über die Entwicklungen im Rat der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und im Rat der Europäischen Atomgemeinschaft laufend zu unterrichten. Soweit durch den Beschluß eines Rats innerdeutsche Gesetze erforderlich werden oder in der Bundesrepublik unmittelbar geltendes Recht geschaffen wird, soll die Unterrichtung vor der Beschlußfassung des Rats erfolgen."271 Die Einfügung des neuen Artikels in das Ratifikationsgesetz brachte für die Bundesregierung die gesetzliche Pflicht, den Bundesrat über die Entwicklung in den Europäischen Gemeinschaften zu informieren.
269 Vgl. BRAusschuß für Auswärtige Angelegenheiten v. 18.7.1957, S. 21 f. 270 BR 181. Sitzung v. 19. Juli 1957, S. 745. 271 BR-Drs. 343/57 v. 5.7.1957.
II. Integrationspolitische Schritte
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6.5.5 Zwischen Kritik und Unterstützung: Die Haltung der Länder zu den Integrationsprojekten Die Analyse machte deutlich, daß die Länder den Integrationsprojekten von der Zielsetzung her positiv gegenüberstanden, sich jedoch schon frühzeitig um Kompensation des spürbaren Kompetenzverlusts durch entsprechende Mitwirkungsgarantien bemühten. Am Beispiel der EVG wurde deutlich, daß sie zum Teil eine gewisse Scheu zeigten, politische Verantwortung zu übernehmen und es daher häufig bei Scheingefechten beließen. Dies änderte jedoch substantiell nichts daran, daß die Bundesregierung bald erkennen mußte, daß sich Europapolitik, sollte sie auf einem breiten Konsens in der Bevölkerung basieren, an den Ländern vorbei nicht erfolgreich gestalten ließ. Zur Beurteilung des innenpolitischen Verhaltens ist zu bemerken, daß die Ministerpräsidenten nach Verbündeten gegenüber dem von Adenauer dominierten Auswärtigen Amt suchten. Sie fanden sie im Kreis des Wirtschaftsministeriums sowie für einzelne Anliegen auch beim Minister für Marshallplan-Fragen. Der Bundessratsminister zeigte sich hingegen nicht immer als verständiger Partner. Die Vermutung, ihr Wille zur Kompensation habe sich bereits in den 50er Jahren stärker ausgebildet als der zu konstruktiver Mitarbeit mittels des Bundesorgans Bundesrat, würde den Sachverhalt nicht genau treffen. Die Tendenz zur eigenständigen Ausgestaltung der Politik war jedoch schon frühzeitig vorhanden und ergänzte durch Freunschaftspolitik und standortnahe Wirtschaftspolitik die Europapolitik der Bundesregierung, die Deutschland als entscheidenden Partner im West-Ost-Verhältnis etablieren wollte. Diese Überlegungen belegen die Tatsache, daß eine Europapolitik, die Dezentralisierungsstrategien in ihr Konzept aufnahm und sie als wirkungsvolle Bereicherung empfand, auch zur Stärkung des föderalistischen Prinzips beitrug. Allerdings verringerte die aufgrund regionaler, wirtschaftlicher und sozialer Faktoren unterschiedliche Gestaltungskraft der Länder deren Chancen, ihre Wünsche auch tatsächlich durchsetzen zu können. Es läßt sich nämlich feststellen, daß bereits zu diesem frühen Zeitpunkt der Kampf um die knappen Mitte~ auch wenn es sich nur um den Aufbau direkter Kontakte zu Brüsseler Organen handelte, einsetzte. Als Zwischenbilanz läßt sich feststellen: Die Sorgen, die heute die Länder in bezugauf den sich beschleunigenden Prozeß der Vergemeinschaftung
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C. Die Eingliederung der Bundesrepublik
artikulieren, sind jenjenigen von 1957 ähnlich: die Forderung nach Information, Mitwirkung auf Gemeinschafts- und Bundesebene, der Funktionsverlust der Landesparlamente und die Suche nach Mitteln zur Beeinflussung der Regierung. Letztere zeigte 1957 eine offenkundige Bereitschaft, auf die Wünsche der Länder einzugehen, freilich spielte dabei taktisches Kalkül eine wichtige Rolle. Nordrhein-Westfalen ist es wohl zuzuschreiben, die Bedeutung der Mitwirkung der Länder in EG-Angelegenheiten nach den Verhandlungen von 1952 immer wieder neu belebt zu haben. 1957 war es jedoch nicht das einzige Bundesland gewesen, das sich ausdrücklich und vehement als Stellvertreter von Landesinteressen präsentieren konnte. Auch die anderen Länder, vor allem die süddeutschen, erkannten in den EWG-Verhandlungen die letzte Chance, da die Verträge ohne zeitliche Begrenzung laufen sollten, frühzeitig ihre Mitwirkungsmöglichkeiten zu sichern. Deutlich zeigt sich, daß eine Einheitlichkeit nur schwer zu erreichen war- es schälten sich verschiedene Richtungen unter jeweils anderer Akzentuierung heraus. So legte der Berliner Standpunkt eine Klärung der Wiedervereinigungsfrage nahe, ein Aspekt, der bei den anderen mit der Revisionsfrage gekoppelt wurde. Der Länderbeobachter konnte in den Verhandlungen in Erscheinung treten und die Ländervertreter mit Informationen versorgen. Gleichzeitig war allen klar, daß der zeitliche und organisatorische Faktor einer wirkungsvollen Mitwirkung enge Grenzen setzte. In Zukunft sollten außenpolitische Kontakte, direkter und informeller Art, ausgeweitet werden. Schon damals war die Rede von einem Büro in Brüssel, das in seiner Organisation ganz deutlich auf die Zusammenarbeit mit den Bundesressorts angelegt sein sollte.
111. Der Ausbau der Mitwirkungsmöglichkeiten der Länder: Zur Tätigkeit des Länderbeobachters Aufgrund einer Übereinkunft vom 3. Juli 1958 wurde es Ministerialrat May gestattet, an den Ressortbesprechungen in Bonn über die Bildung einer Freihandelszone teilzunehmen. May wurde außerdem bei der OEECVertretung der Bundesrepublik als Mitglied der Delegation geführt und bekam somit die Berichte und Protokolle des OEEC-Sekretariats aus Paris. Die Vielzahl der Dokumente überstieg jedoch bei weitem die Verarbeitungskapazität. Der Länderbeobachter klagte bald über die Arbeitsbe-
m. Mitwirkungsmöglichkeiten der Länder
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lastung und schlug vor, ein Büro in Brüssel einzurichten, das die Länder laufend informieren sollte.272 Staatssekretär Müller-Armack aus dem Wutschaftsministerium zeigte sich den Wünschen Mays gegenüber sehr aufgeschlossen und ermöglichte ihm den Zugang zu internen Besprechungen bei EWG-Ministerratssitzungen.273 Damit wurde bewußt gegen das Auswärtige Amt Stellung bezogen. Der Bundeswirtschaftsminister hatte bereits eine Beschwerde über die Anwesenheit des Ländervertreters zurückgewiesen mit dem Hinweis, daß eine Unterrichtung der Länder im Bundesinteresse liege.274 Die Kommission und ihr Präsident Hallstein zeigten Interesse an einem direkten Kontakt mit den Ländern. Diese nahmen das bereitwillig auf, weil sie sich gegenüber dem DIHT, dem BDI und anderen großen Wirtschaftsverbänden, die in Brüssel eigene Kontaktbüros unterhielten, in ihren Einflußmöglichkeiten benachteiligt fühlten. Hallstein sagte sogar zu, einen Vertrauensmann der Länder bei den Abteilungsleitern der Kommission einzuführen, und zwar unabhängig von der Beobachtertätigkeit Eine ergänzende Tätigkeit bei der Kommission hätte nach Ansicht von May auch den Vorteil einer früheren und effektiven Einflußnahme, weil der Länderbeobachter erst bei den Ressortbesprechungen aktiv werden könnte, wenn der Meinungsbildungsprozeß bereits in den Gremien der Sachverständigen und der Kommission abgeschlossen war. Der späteste Zeitpunkt für eine Einflußnahme sei die Beratung im Stellvertretergremium des Rates. Als noch günstiger wurde indessen der Zeitpunkt beurteilt, an dem die Regierungssachverständigen der Mitgliedsstaaten in den von der Kommission anberaumten Sitzungen die Angelegenheiten im Entwurfsstadium berieten. Die zur Diskussion stehenden Maßnahmen sollten nicht über den Bundesrat laufen, sondern bei der Ministerpräsidentenbesprechung beraten werden.275 272 Über das Büro, Interne Sitzung des Sonderausschusses Gemeinsamer Markt und Freihandelszone Fortsetzung der Niederschrift über die 5. Sitzung am 5.2.1959.
273 Vgl. Interne Sitzung des Sonderausschusses Gemeinsamer Markt und Freihandelszone Fortsetzung der Niederschrift über die 5. Sitzung am 5.2.1959; Ubereinkunft zwischen Minister Dr. Famy, Baden-Württemberg, Senator Dr. Klein, Berlin, Bundesminister von Merkatz, .Qr. Dittmann, Auswärtiges Amt, und Meyer-Cording, Bundesministerium für Wirtschaft. Uber die Verhandlungen zur Bildung einer Freihandelszone, Herbst, Option für den Westen, s. 187 ff. 274 BR, Vorbesprechung des Sonderausschusses Gemeinsamer Markt und Freihandelszone, Fortsetzung der Niederschrift über die 6. Sitzung am 25.6.1959; die mißtrauische Haltung des Auswärtigen Amts wird wiederholt festgestellt, vgl. Interne Sitzung des Sonderausschusses Gemeinsamer Markt und Freihandelszone Fortsetzung der Niederschrift über die 5. Sitzung am 5.2.1959. 275 Der Länderbeobachter betrachtete sich dann auch als Beobachter für die Länder, nicht als Beobachter für den Bundesrat, BR, Vorbesprechung des Sonderausschusses Ge12 Fuhrmann-Mittimeier
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C. Die Eingliederung der Bundesrepublik
Aufgrund der Flut der Dokumente erachtete man es am zweckmäßigsten, wenn ein.Lelne Länder sich mit bestimmten Sachgebieten beschäftigten. Um zu gewährleisten, daß Vorgänge auf einem Spezialgebiet und Verstöße gegen Länderinteressen verfolgt würden, sollten Referate für die Sachgebiete der acht Generaldirektionen mit jeweils einem Landesvertreter gebildet werden. Insgesamt war an die Zahl von elf Referenten und Korreferenten gedacht. Allerdings bereitete es den Ländern Schwierigkeiten, sich auf die Aufteilung der Referate und Korreferate zu einigen.276 Die EWG-Referenten sollten alle Vorgänge auf dem Spezialgebiet beobachten, um die entsprechenden Maßnahmen einzuleiten. Des weiteren waren die vom Beobachter der Länder versandten Dokumente zu überprüfen. Regelmäßige Treffen aller Ländersachreferenten dienten der weiteren Besprechung. Aufgrund der erstrebten Vertraulichkeit konnten nicht alle Dokumente in vervielfältigter Form an die Länder weitergeleitet werden. Gleiches betraf die Unterlagen, die der Beobachter durch die Bundesministerien erhielt. Den Informationsgang erschwerte zudem, daß nur die Ratsdokumente offiZiell verwendet werden konnten, während alle anderen Dokumente vertraulich zu behandeln waren. Die Informationsweitergabe lief auf verschiedenen Ebenen ab und ähnelte der heutigen Praxis. Steuerstelle waren die Landesvertretungen, die für die Weiterleitung zu sorgen hatten. An sie gingen die Berichte des Beobachters. Um die Arbeit des Sonderausschusses sowohl für den Bundesrat als auch für die Länder fruchtbar zu machen, war beabsichtigt, einen Ländervertreter mit der Koordinierung zwischen den Referaten der Länder zu beauftragen.2n Anscheinend ließ sich das Problem einer rechtzeitigen Informierung nicht immer befriedigend lösen. Immer wieder monierten die Länder, daß sie von wichtigen Verordnungen des Ministerrats zu spät erführen, und es ihnen daher nicht möglich wäre, rechtzeitig Einfluß zu nehmen. Zu dem Zeitpunkt, als der Länderbeobachter das ihm zur Verfügung stehende Material weitergab, waren die Protokolle zum Teil schon vier bis fünf Monate alt.
meinsamer Markt und Freihandelszone, Fortsetzung der Niederschrift über die 6. Sitzung am 25.6.1959. 276 Vgl. BR Vorbesprechung des Sonderausschusses Gemeinsamer Markt ~pd Freihandelszone, Fortsetzung der Niederschrift über die 6. Sitzung am 25.6.1959; vgl. Ubersicht vom 18.3.1959. 2n BR Interne Beratung des Sonderausschusses Gemeinsamer Markt und Freihandelszone, Fortsetzung der Niederschrift über die 8. Sitzung am 16.12.1960.
m. Mitwirkungsmöglichkeiten der Länder
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Größere Länder wie Bayern, Nordrhein-Westfalen oder Niedersachsen278 mochten nicht einsehen, daß sie gegenüber anderen, wie Luxemburg oder Belgien, die rechtzeitig ihre Wünsche im Ministerrat anmelden konnten, ins Hintertreffen gerieten. Auf die zeitliche Dimension bezog sich auch der wiederholt von Nordrhein-Westfalen gestellte Antrag, auf Unterrichtungspflicht der Bundesregierung vor der Erteilung der Weisungen und nicht erst vor der eigentlichen Beschlußfassung.279 Daher rückte die Pflege informeller Kontakte immer mehr in den Mittelpunkt. So berichtete der baden-württembergische Ministerpräsident Kiesinger vor dem Sonderausschuß Gemeinsamer Markt und Freihandelszone von seinem Besuch in Brüsse~280 wo er Gelegenheit hatte, vor führenden Persönlichkeiten der EWG-Kommission und Euratom die bundesstaatliche Struktur der Bundesrepublik zu erläutern. Nach seiner Einschätzung fand er dort auch Verständnis für die besondere Rolle der deutschen Länder. Es wird nun Gegenstand der folgenden Kapitel sein, die eigenständige Europapolitik der Länder auf verschiedenen Politikfeldern zu vergleichen.
278 Ebd. 279Ebd. 280Ebd.
D. Die Gestaltungsmöglichkeiten der Länder im Prozeß der europäischen Einigung von 1958 bis beute: Kompetenzen und Motive Das Pochen auf Eigenständigkeit und der Wille, das entsprechende Potential in den innerstaatlichen Meinungsbildungsprozeß einzubringen, lassen sich als Leitlinien länderspezifiSchen Verhaltens bestimmen. Die Untersuchung wird sich fortsetzen mit der Fragestellung, wie diese Prinzipien im fortschreitenden Integrationsprozeß gefestigt und ausgebaut wurden. Dabei werden die die bundesstaatliche Ebene betreffenden Gesichtspunkte ebenso in Betracht kommen wie das "private" Engagement der einzelnen Länder auf den verschiedenen Feldern der Europapolitik. I. Der Bundesrat und die Europäische Gemeinschaft
Wie bereits dargelegt, schälten sich während der Verfassungsberatungen unterschiedliche Auffassungen über das Bundesrats- beziehungsweise Senatsprinzip heraus. Unter dem maßgeblichen Einfluß der Süddeutschen konnte sich das Bundesratsmodell durchsetzen. Es ist davon auszugehen, daß der Gesichtspunkt der direkten Beteiligung der Gliedstaaten am Regelungsprozeß des Bundes eine maßgebliche Rolle spielte. Jedenfalls bot diese Lösung den Ländern ausreichend Gelegenheit, an der Gesetzgebung und Verwaltung mitzuwirken und ein Gegengewicht zum Bundestag zu schaffen. 1. Die Funktion des Bundesrats in der Beurteilung seiner Präsidenten
In ihren Antrittsreden betonten die Bundesratspräsidenten immer wieder den wichtigen Beitrag der Länder im politischen Prozeß. Häufig war die Rede von Politikverantwortung, die darin bestehe, parteipolitische Überlegungen hintan zu stellen, auch wenn in Zeiten unterschiedlicher Mehrheitsverhältnisse in Bund und Ländern ein parteipolitisch gebundenes Abstimmungsverhalten naheläge.1 Trotzdem gab und gibt es den Vorwurf, 1 Ohne speziell auf EG-Vorlagen einzugeben, beklagte sich z.B. der bayerische Ministerpräsident Ehard, daß der Bundesrat so wenig vom Recht der Gesetzesinitiative Gebrauch mache, vgl. Ders., in: Herles, Helmut: Das Parlament der Regierenden. 40 Jahre Bundesrat. Eine Chronik seiner Präsidenten. Stuttgart 1989, S. 167; Herles, S. 469; vgl. H. Kühn 1974 als Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen: •... dennoch werde ich ... auch ein parteipolitisches Bekenntnis haben"; vgl. Strauß, in: Herles, S. 535, daß der Bundesrat keine Länderkammer oder eine Art Oberhaus sei, sondern ein Verfassungsorgan des Bundes.
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D. Die Gestaltungsmöglichkeiten der Länder
der Bundesrat sei zu einer Abstimmungsmaschinerie erniedrigt und werde für singuläre Länder- oder Parteiinteressen mißbraucht.2 Schon Arnold, der erste Bundesratspräsident, warnte, die Frage der auswärtigen Beziehungen zum Gegenstand eines innenpolitischen Streits zu machen.3 Offensichtlich gab es die Befürchtung, der Bundesrat entspräche seiner Aufgabe als Integrationsorgan nicht und träte in Konfrontation zur Regierung. Den Ministerpräsidenten ging es in erster Linie darum, die Funktionsfähigkeit des Organs bei der Lösung von Problemen herauszustellen. Ministerpräsident Ehard hob immer wieder die Verpflichtung hervor, für die Wahrung der föderativen Struktur der Bundesrepublik einzutreten.4 Er hatte bereits 1950 dem Bundesrat aufgetragen, alles daran zu setzen, "... den der Gesamtheit zugute kommenden Nutzen einer föderalistischen Regierung allgemein zum Bewußtsein zu bringen.'.s Willy Brandt bestätigte dies bei seinem Auftreten im Bundesrat als neugewählter Kanzler, als er feststellte, daß der Föderalismus nicht "von oben, vom Staat her als ein abstraktes Konstruktionsmodell" betrachtet werden könne, sondern seine Funktion durch die Bezogenheit auf die Menschen erhalte.6 Für Reinhold Maier stellte der Bundesrat einen "Hort sachlicher Mitwirkung bei der Gesetzgebung und Verwaltung" dar, an dem es keinen Platz für Entscheidungen ausschließlich parteipolitischen Gehalts gebe? Die Warnung des niedersächsischen Ministerpräsidenten Kubel, die Oppositionsrolle im Bundesrat auszuspielen, wurde von der Regierung und Opposition unterschiedlich bewertet.8 Die vielfältigen Äußerungen über den Bundesrat als politisches Organ zeigen auf, wie schwierig es war, zwischen den Ansprüchen, die an ein reines 2 Zur Rolle des Bundesrats, Laufer, Föderalismus und Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 430 ff und Ders., Das föderative System, S. 120 - 123; vgl. auch Scharpf, Fritz W.: Der Bundesrat und die Kooperation auf der "dritten Ebene", in: Vienig Jahre Bundesrat, S. 121 - 161 (127 t); über die vorhandene parteipolitische Dominanz, ebd., S. 141; zur Kritik an einer Beeinflussung durch die Parteien, Leonardy, Uwe: Gegenwart und Zukunft der Arl>eitsstrukturen des Föderalismus, in: ZParl. 21 (1990), S. 180 - 200 (188). 3 In: Herles, S. 341: "Die auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland gehören in allem Wesentlichen zur Zuständigkeit des Bundes und ich bin glücklich darüber, daß dem so ist." 4 Ehard, in: Herles, S. 165 anläßlich seiner Antrittsrede vom 29.11.1961.
5 In: ~~rl~, S. 61; vgl: auch ebd., S. 163; Altmeier fühlte sich dieser Ansicht verbunden, ebd., S. 93; ahnheb auch K.aisen, ebd., S. 132. 6 Brandt, in: Herles, S. 306. 7 Maier, in: Herles, S. 72 - 75. 8 Kubel, in: Herles, S. 364: "Ich habe das Gefühl, wir werden direkt noch ein Parlament.•
I. Der Bundesrat und die Gemeinschaft
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Länderorgan gestellt werden konnten und den Erwartungen, die das Bundesorgan erfüllen mußte, auszugleichen. Wurde die Warnung der Bundesratspräsidenten ernst genommen, das föderative System nicht durch das parteistaatliche Prinzip außer Kraft zu setzen, war föderale Solidarität nötig. Agierten nämlich die Länder im Bundesrat als Gehilfen ihrer Parteizentralen, so ging die Legitimationsbasis der bundesstaatliehen Ordnungspraxis verloren. Die Länderchefs wußten, wie schwierig es war, die Balance zu halten zwischen der Wahrung der Ländereigenständigkeiten und der Tendenz, eigensüchtigen Länderinteressen zum Durchbruch zu verhelfen. Dies war nur gegeben, wenn die freie Entfaltung von Initiative und Energien die Verpflichtung zur Verantwortung gegenüber dem Ganzen beinhaltete. Diese Synthese immer wieder gefunden zu haben, hielten sie sich allerdings zugute.9
2. Das Thema Europa in den Antrittsreden der Bundesratspräsidenten In nahezu allen Antrittsreden der Bundesratspräsidenten wird europäische Politik in Zusammenhang mit der Bewahrung des Föderalismus thematisiert. Die Äußerungen von Ministerpräsident Ehard, daß ein föderalistisch aufgebautes Deutschland Vorbildcharakter für ein vereintes Europa hätte, tauchte auch bei seinen Kollegen auf.10 Wenn Ministerpräsident Maier für die zukünftige europäische Struktur das Vorbild des bundesstaatliehen Modells bemühte, glaubte er damit die besten Voraussetzungen für die Eigenstaatlichkeit der Länder auch unter einem künftigen Zentralstaat aufgezeigt zu haben. Von den Chancen eines föderativen Modells für einen europäischen Großstaat sprach wiederholt der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Lemke, nicht ohne zu betonen, daß "... der Zug zum Großstaat die Existenzberechtigung der Bundesländer mit ihren bestimmten eigenen staatlichen Zuständigkeiten im Bereich der Kultur und Administration in der Rechtsetzung keineswegs zu berühren braucht."11 Der Re9 .. Wie schwierig es war, die Balance zu halten, zeigt die Klage über das Mißverständnis in der Offentlichkeit, wonach es im Bundesrat nur um eine Wahrung der Interessen der Länder gehe und er sich als Länderkammer darstelle, so Meyers, in: Herles, S.151 f; vgl. Ehard, in: Herles, S. 169. 10 Sieveking, in: Herles, S. 111 und Meyers, ebd., S. 157: "Ich glaube auch, daß ein föderativ regiertes und elastisch verwaltetes Deutschland sich als Mitglied eines künftig europäischen Systems und als Nachbar besser empfiehlt als ein zentralistisch regierter Staat." 11 Lemke, in: Herles, S. 239; vgl. auch Filbinger, in: Herles, S. 381 und Strauß, in: Herles,
s. 360.
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D. Die Gestaltungsmöglichkeiten der Länder
gierende Bürgermeister Brandt hob besonders Euratom und die EWG als Beispiele für eine konstruktive Rolle des Bundesrats bei den einzelnen Integrationsschritten hervor. Brandt forderte überdies die Bundesregierung und den Bundestag auf, die Mitarbeit der Länder auf dem Feld der Europapolitik zu suchenP Zinn wies die Länder wiederholt darauf hin, bei der von ihnen als Verfahren eingeschätzten Diskussion um die europapolitische Einigung ihren Beitrag zur Verwirklichung des Gemeinsamen Marktes zu leisten. Dazu sollte auch der Ausbau der Initiativen und Empfehlungen durch den Bundesrat zählen, um den Willen zur Mitwirkung unter Beweis zu stellen.13 Im Amtsjahr 1958/59 mußte der Bremer Bürgermeister Kaisen feststellen, daß das Gefühl der Befriedigung über die fortschreitende wirtschaftliehe Integration Europas für den Bundesrat dadurch beeinträchtigt werde, daß immer noch nicht die Teilhabe am Europaparlament geklärt sei.14 Zinn und sein Nachfolger als Bundesratspräsident, Altmeier, beklagen noch in den 60er Jahren, daßtrotzder seinerzeitigen Zusage der Bundesregierung, dem Beispiel anderer Länder zu folgen und auch Mitglieder des Bundesrats ins Europaparlament und den Europarat zu bestellen,15 entsprechende Schritte nicht unternommen wurden. Seit Mitte der 60er Jahre wurde das Defizit der direkten demokratischen Legitimierung von Entscheidungen auf der politischen Bühne in Brüssel beklagt. Daraus wurde die Verpflichtung der gesetzgebenden Körperschaften abgeleitet, sich ihrer Verantwortung für die Zukunft europäischen Geschehens bewußt zu werden und nach entsprechenden Mitwirkungsmöglichkeiten Ausschau zu halten. Solange noch kein echtes Europäisches Parlament mit allen parlamentarischen Befugnissen und mit der entsprechenden verfassungsmäßigen Verantwortung dem europäischen Volk gegenüberstand, sah sich der Bundesrat neben dem Bundestag im besonderen Maße aufgerufen, nach Kompensationen für dieses demokratische Defizit zu suchen. Zwar wurde der Bundesrat über die Entwicklungen in den Ministerräten laufend, in einigen Fällen sogar vor der Beschlußfassung in den Gremien, unterrichtet, auch bekam er die Vorlagen, die von der Kommission dem Ministerrat zugesandt wurden, zu Gesicht; für eine umfassendere Information wur12 13 14
Brandt, in: Herles, S. 118. Zinn, in: Herles, S. 216. Kaisen, in: Herles, S.
129.
15 Zinn, in: Herles, S. 215; vgl. Lemke, in: Herles, S. 258; Altmeier, in: Herles, S. 228 f.
I. Der Bundesrat und die Gemeinschaft
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den jedoch die Vorschriften des Art. 2 des Gesetzes zu den Römischen Verträgen und Art. 53 GG als nicht ausreichend empfunden.16 Im Zusammenhang mit der ersten Direktwahl nahmen die Stimmen zu, die von den Auswirkungen einer fortschreitenden europäischen Integration auf das Innenleben der Bundesrepublik warntenP Vereinheitlichung konnte nach Ansicht des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Späth regionale Unterschiede nicht aufheben. Wie schon der erste Ministerpräsident seines Landes forderte auch er, die Entwürfe für eine Europäische Union mit föderalistischen Merkmalen einzubringen.18 Der niedersächsische Ministerpräsident Albrecht hob die föderative Ordnung als Garanten der Freiheit hervor. Auch beim Fortschreiten der Integration sei es absolut notwendig, die eigene Staatlichkeil zu erhalten. Während der Ratifizierungsphase der Einheitlichen Europäischen Akte thematisierten die Regierungschefs die Perspektiven, die sich für die Bundesländer aus der zu verwirklichenden Integration ergäben. Zunehmend wurde die Bedeutung regionaler Einheiten für den Erhalt der Vielfalt der politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Lebensweisen herausgesteil in einer Zeit, in der die Unüberschaubarkeit des sozialen und kulturellen Lebens ein wirksames Management erschwerte. Europäische Einigung sollte sich nicht erschöpfen im Aufbau europäischer Technokratie, in der Zunahme der Anonymität, in der Sichtbarmachung des reinen Krisenmanagements, im Verlagern der Probleme, sondern sie sollte sich als wirkliche Zusammenführung der europäischen Völker gestalten. Im Kontext dieser Situation meinten die Länder, ihren berechtigten Anspruch zur Bereitstellung politischen Handlungsraums anmelden zu dürfen. Die Anforderungen der deutschen Einheit machten nach Ansicht des Bundesratspräsidenten von 1990/91, des Hamburger Bürgermeisters Voscherau, einen Solldarbeitrag der alten Bundesländer erforderlich, bestätigten aber auch die Wichtigkeit einer solidarischen Zusammenarbeit der Regionen Europas auf der Grundlage echter Partnerschaft.19 Folgende Gesichtspunkte lassen sich in der Schwerpunktsetzung der Länder, betreffend einer aktiven Bundesratspolitik, ermitteln: eine politische
16 Besondere Kritik übte Lemke, in: Herles, S. 248. 17 Rau, in: Herles, S. 525; Strauß, in: Herles, S. 548; auch Bömer, in: Herles, S. 582. 18 Späth, in: Herles, S. 556. 19 Siehe Das Parlament v. 30.11.1990.
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Gemeinschaft, nicht nur eine wirtschaftliche sollte entstehen;20 das Modell für ein zukünftiges Europa war, allein schon unter demokratietheoretischen Gesichtspunkten, als föderalistisches gedacht; mit einer Vertretung der Länder in der Europäischen Versammlung, im Europäischen Parlament und im Europarat war beabsichtigt, die Praxis anderer Länder mit Zweikammersystemen nachzuahmen. Es ist zu zeigen, in welcher Weise sich diese Ansprüche realisieren ließen.
3. Der Ausbau der Mitwirkungsmöglichkeiten des Bundesrats Das Integrationstempo21 beschleunigt die Verlagerung der Gesetzgebungskompetenzen von den Gliedstaaten auf den Bund. Unter dieser Perspektive sind Überlegungen folgerichtig, wie den politischen Subsystemen der Mitgliedsstaaten erweiterte Rechte zugestanden werden können, die zur Verhinderung blockierenden Verhaltens beitragen. Kompetenz zurückgewinnen können die Länder nur dann, wenn sich der Grundsatz der Subsidiarität durchsetzt und die Mitgliedsstaaten aus Gründen einer höheren Effizienz in Bereichen ausschließlicher EG-Zuständigkeiten als Sachverwalter tätig werden. Voraussetzung hierfür wäre ein Delegationsakt der Kommission. Es läßt sich vorab nicht klären, ob die Forderung kleiner Einheiten nach verbesserten Handlungsmöglichkeiten aus innerstaatlicher Sicht unter dem Begriff der Kompensation fällt oder aus integrationspolitischer Sicht möglicherweise unter den der Blockade.22 Da der Bund bei der Wahrnehmung seiner EG- bezogenen Aufgaben auf die Länder angewiesen ist - für bestimmte Bereiche, wie zum Beispiel kul20 Diesen Punkt machte der Hamburger Vertreter Weichmann 1967/68 deutlich, in: Herles, S. 279 f: "Europa soll in ein attraktives, freiheitliches, ökonomische und politisches Transaktionszentrum umgeformt werden. • 21 Besonders über Art. 235 EWGV gehen Rechtsetzungsbefugnisse an Organe über, die nach innerstaatlicher Kompetenzverteilung den Ländern zustehen; allgemein zu Bundesrat und Europäischer Gemeinschaft, Jaspert, Günter: Der Bundesrat und die europäische Inte~ tion. Mitwirkung bei der nationalen und gemeinschaftlichen Willensbildung, in: APuZ B12f82, S. 17 - 32, Anm. 1 mit weiteren Literaturangaben; über das Recht zur europapolitischen Mitwirkung des Bundesrats besteht kein Zweifel bei Ziller, Gebhard: Die EG - Politische Mitwirkune; des Bundesrats, in: Die Deutschen Länder, S. 89 - 103 (102 f); Lerche in Kruis, Konrad: Vanationen zum Thema Kompetenzkompensation. Eine verfassungsrechtliche Bewertung der Bundesratsmitsprache nach Art. 2 des Gesetzes zur Einheitlichen Europäischen Akte vom 28.2.1986, in: Verantwortlichkeit und Freiheit, S. 155- 178 (156); Jaspert: Die Beteiligung des Bundesrats an der europäischen Integration, in: Bundesländer und Europäische Gemeinschaft, s. 87 - 100 (87). 22 Hier ist auf Scharpf hinzuweisen, Scharpf, Die Kooperation auf der "dritten Ebene•, S. 121-162; Kruis, Variationen zum Thema Kompetenz-Kompensation, S. 161 erwähnt als Möglichkeit für den Verlust, daß der Bundaufgrund weitreichenden Kompetenzverlusts in die politischen Räume der Länder eingreift.
I. Der Bundesrat und die Gemeinschaft
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turelle Angelegenheiten, Rundfunkpolitik, Kommunalwesen und Sicherheit, fehlen ihm entsprechende Sachkompetenzen -,ist die Forderung nach Mitwirkung der Länder, schon allein durch die Notwendigkeit des Verwaltungsvollzugs, einsichtig. 3.1 Bundesrat und Europäische Gemeinschaften: Darstellung der Informations- und Einflußmöglichkeiten Mit dem Ratifikationsgesetz zu den Römischen Verträgen wurde die Art der Unterrichtung von Bundesrat und Bundestag festgelegt, die bis auf ergänzende Detailregelungen für einen längeren Zeitraum das Verfahren bestimmte.23 Am 21. Januar 1963 einigten sich die Vertreter aller beteiligten Ressorts in einer Besprechung unter Vorsitz des Bundeskanzleramts auf eine Neuregelung des Verfahrens der Unterrichtung gemäß Art. 2 Satz 2 des Gesetzes zu den Gründungsverträgen.24 Das federführende Bundesministerium25 sollte sämtliche Entwürfe zu Verordnungen und Richtlinien des Rats an das Bundeskanzleramt schicken, das die Dokumente an Bundestag und Bundesrat weiterzuleiten hatte.26 Dem federführenden Ressort oblag es auch, die Ausschüsse, deren Vorsitzende und Sekretäre über Änderungen der Vorlagen zu informieren. Auf diesem Weg hoffte der Bundesrat nachvollziehen zu können, welche länderspezifischen Vorschläge tatsächlich in den endgültigen Ratsbeschluß eingingen.
23 Verfahren zur Unterrichtung von Bundestag und Bundesrat ~em. Art. 2 des Gesetzes zu den Verträgen zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Europäischen Atomgemeinschaft vom 27. Juli 1957 (BGBI II S. 753); zur Rolle des Bundestags, Leonardy, Uwe: Bundestag und Europäische Gemeinschaft, in: ZParl. 20 (1989), S. 51:7 - 544. 24 Vgl. Schreiben des Staatssekretärs des Bundeskanzleramts an die Bundesminister betr. Verfahren zur Unterrichtung von Bundestag und Bundesrat gem. Art. 2 des Gesetzes zu den Verträgen vom 25. März 1957 zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Europäischen Atomgemeinschaft
25 Für alle Entwürfe der EWG war das Bundesministerium für Wirtschaft Abt. E federführend, für Entwürfe der Europäischen Atomgemeinschaft das Bundesministerium für wissenschaftliche Forschung. 26 Daneben wurde grundsätzlich ein Zuleitungsschreiben des Bundeskanzlers an die Präsidenten von Bundestag und Bundesrat beigegeben mit folgendem Inhalt: den im En!WUrf vorgeschlagenen Titel der Verordnung, Richtlinie oder Entscheidung; das Datum der Ubersendung des Vorschlags an den Präsidenten des Rats; einen Hinweis, ob der Entwurfvor seiner Verabschiedung im Rat dem Europäischen Parlament und dem Wirtschafts- und Sozialausschuß vorgelegt wird; den voraussichtlichen Zeitpunkt der Verabschiedung im Rat, siehe Anla~e zum Schreiben des Herrn Staatssekretärs des Bundeskanzleramts an die Herren Bundesmmister vom 6. September 1963, in: Bundesrat und Europäische Gemeinschaften, S. 181.
188
D. Die Gestaltungsmöglichkeiten der Länder
3.1.1 Das Länderbeteiligungsverfahren von 1979 Am 4. September 1975 wurde eine Arbeitsgruppe eingesetzt, um die Zusammenarbeit mit der Bundesregierung bei Fragen, die Länderkompetenzen berührten, durch eine Vereinbarung abzusichem.27
Seit dem Herbst 1977 gab es Verhandlungen über ein formalisiertes Verfahren der Beteiligung der Länder an Vorhaben der Europäischen Gemeinschaften. Diese wollten von Beginn an Informationen über den Stand der Beratungen erhalten, auch wenn es sich um Angelegenheiten der Bundeskompetenz handelte. In einem Schreiben des Bundeskanzlers an den Vorsitzenden der Ministerpräsidentenkonferenz von 1979,28 erklärte sich die Bundesregierung bereit, die Informationsweitergabe zu verbessern. Die Bestimung "aus zwingenden integrationspolitischen Gründen" minderte nicht ihre Bereitschaft, Rücksicht auf die Belange der Länder zu nehmen. Die Vereinbarung stellte allerdings keine rechtliche Lösung der Mitwirkungsmöglichkeiten im staatlichen Willensbildungsprozeß dar. 3.1.2 Das Bundesratsverfahren von 1986 Einen vorläufigen Abschluß stellt die institutionalisierte Bunderatsmitsprache nach Art. 2 EEAG vom 28.2.1986 dar. Danach erklärte sich nach entsprechenden Vorschlägen der Bundesratsmitgliede~9 die Regierung bereit, den Bundesrat stärker an EG-Vorhaben zu beteiligen. Bei Angelegenheiten, die von ausschließlicher Gesetzgebungskompetenz der Länder handelten oder deren wesentliche Interessen berührten, waren Informationen weiterzugeben. Die Verpflichtung gegenüber dem Bundesrat wurde ergänzt durch direkte Zugeständnisse an die spezifischen Länderinteressen. Weiterhin wurden Inhalte früherer Vereinbarungen verbindlicher gemacht. Insbesondere sind in diesem Zusammenhang Art. 2 Abs. 2, Abs. 3 und 4 EEAG zu erwähnen. Ein entscheidender Unterschied zwischen dem Länderbeteiligungs- und dem Bundesratsverfahren ist durch die unterschiedliche Stimmengewichtung im Bundesrat gegeben. Während im Rahmen des Länderverfahrens jedes Land eine Stimme hat, ist dies beim Bundesratsverfahren nicht der Fall. Mit 27 Vgl. dazu näher Morawitz: Die Zusammenazbeit von Bund und Ländern bei Vorhaben der Europäischen Gemeinschaft. Bonn 1981, S. 7 ff. 28 Abgedr. in: Bundesrat und EG, Dok. Nr. 28 v. 19.9.1979 und Dok. Nr. 28 b v. 26.9.1979.
29
Vgl. BW LT-Drs. 9/4678 v. 25.6.1987.
I. Der Bundesrat und die Gemeinschaft
189
der Neuregelung nach Art. 2 EEAG30 wurde allerdings die Gefahr einer Zersplitterung der Länder bei EG-Vorhaben nicht beseitigt. Ebenso wenig ließ sich das Problem der Überschneidung der Verfahren beheben. Bevor durch das Zustimmungsgesetz zur Einheitlichen Europäischen Akte die Mitwirkung der Länder in EG-Angelegenheiten durch die Bundesratslösung zentriert wurde, war die Zusammenarbeit umständlich.31 Noch läßt sich nicht genau abschätzen, inwieweit durch die Neuregelung die informelle Absprache in den Ministerkonferenzen wie auch in den sonstigen Koordinierungsgremien ersetzt wurde. Die Flut des Informationsmaterials, die nun auf die Länder zukommt, bedarf einer schnellen Erledigung, wobei die EG-Kammer eine wichtige Rolle spielt. Auf jeden Fall ist eine stärkere Befassung des Bundesrats mit EG-Angelegenheiten vorprogrammiert. Es wird sich herausstellen, welche Auswirkungen dies auf die föderalistische Struktur hat.32 Unter Umständen werden die Entscheidungen des Bundesrats eine stärkere Verbindlichkeit beanspruchen, so daß er sich wieder zum zentralen Bezugspunkt für den Beteiligungsföderalismus33 entwickeln kann. Es kann, allein aus Gründen optimaler Aufgabenerfüllung, nur im Interesse des Bundes sein, sich mit den Ländern auf eine einheitliche Linie zu verständigen, denn Kompetenzstreitigkeiten und Egoismus schaden der Außendarstellung der Bundesrepublik Deutschland. Bezogen auf das Prinzip der Bundestreue bedeutet die Bundesratsmitsprache nach Art. 2 EEAG eine Regelung von divergierenden Interessen zwischen Bund und Ländern in kompensatorischer Wirkung.34 Die Bundesregierung wird dadurch in die Lage versetzt, auf der Brüsseler Bühne als verläßlicher Partner zu erschei30 Das "wichtigste" und grundlegendste Projekt zur Änderung und Ergänzung der bestehenden Gemeinschaftsverfassung seit Abschluß der Römischen Verträge, vgl. BR-Drs. 150/86, S.19. 31 Zu den aktuellen und früheren Verfahren der Länderbeteiligung, Hrbek, Rudolf: Die deutschen Länder in der EG-Politik, in: APuZ B38/87, S. 120 - 132 (120). 32 Hierzu Zusammenarbeit der Gliedstaaten im Bundesstaat. Landesberichte und Generalbericht der Tagung für Rechtsvergleichung 1987 in lnnsbruck; hrsg. v. Christian Starck. Baden-Baden 1988; darin Pietzcker, Jost: Landesbericht Bundesrepublik Deutschland, S. 17- 76 (63 f). 33 Dazu Böckenförde: Sozialer Bundesstaat und parlamentarische Demokratie, in: Politik als ~lebte Verfassung. Festschrift für F. Schäfer. Opladen 1980, S. 182 ff; Klein, Hans H.: Die Leg~timation des Bundesrats und sein Verhältnis zu Landesparlamenten und Landesregierungen, in: Vierzig Jahre Bundesrat, S. 95 - 119, Anm. 15.
34 Hier folgt man der Auffassung von Kruis, Variationen zum Thema Kompetenz-Kompensation, S. 164, der nochmals begründet, warum Pflicht zur Bundestreue bestehe, S. 174, die Bundesratsmitsprache als "Konkretisierung der Rücksichtnahme auf die Landesstaatsbelange" deutet und von "Eigenrüstung des Bundes", S. 168 sowie von "weicher Bundesratsmitwirkung" spricht, S. 166.
190
D. Die Gestaltungsmöglichkeiten der Länder
nen. Sie kann ihre Stimme im Rat weiterhin auch gegen ein Votum des Bundesrats abgeben. Die Mitsprache des Bundesrats kann trotzdem im Vergleich zu den vorherigen Regelungen größere Relevanz beanspruchen, weil die Bundesregierung verpflichtet ist, die Wünsche der Länder zu berücksichtigen und zwischen Länderbelangen und Bundesinteresse abzuwägen. Ein derartig konfliktminderndes Verfahren mag auch Garantie dafür sein, daß Politik von vornherein lebensnäher durch Abstraktion von der Zentralebene betrieben wird. Die Bundesregierung darf nicht mehr ohne weiteres an echten Länderbelangen vorbei agieren; sie muß diese auf der Basis der verschiedenen Interessenbelange abwägen und zu einer Meinungsbildung kommen, die konsensfähig ist. 3.2 Die Beschickung der europäischen parlamentarischen Gremien durch Bundesratsmitglieder Die Vertreter der Bundesrepublik in den Parlamenten des Europarats, der Montan-Union und der EWG wurden aus der Mitte des Bundestags gewählt, eine Regelung, die vom Bunderat immer wieder heftig kritisiert wurde.35 Änderungsvorschläge für dieses Verfahren konnten sich aber nicht durchsetzen.36 Es verwundert zunächst, warum der Bundesrat sich nicht aktiver um die Durchsetzung seiner Interessen bemühte, sich statt dessen auf die Zusicherungen der Bundesregierung verließ und es bei Beschlüssen beließ. Als Antwort mag gelten, daß sich die Landesregierungen der relativen Machtlosigkeit der parlamentarischen Gremien bewußt waren und es ihnen daher nur um das Abstecken von Positionen ging. Die sich aus dem wachsenden Umfang der EG-Zuständigkeiten auf dem Gebiet der Rechtsetzung ergebenden Konsequenzen empfanden die Länder 35 Vgl. Entschließun$. des Bundesrats, 189. Sitzung v. 28.2.1958 Ziff. 3: "Das Vertragswerk sieht vor, daß jeder betetligte europäische Staat die Bestellung seiner Vertreter in einem besonderen Verfahren regelt. Es gibt keine Möglichkeit, ohne ein solches Verfahrensgesetz Vertreter zu bestellen, sofern unter den ~tzgebenden Körperschaften keine Eisaigung erzielt wird. Das Vertragswerk kennt auch keme vorläufige Regelung auf Grund einer Ubung, zumal die Versammlung der Europäischen Gemeinschaften in ihrer Zuständigkeit und in ihren Aufgaben von den bisherigen Vertretungen grundlegend abweicht. Die Bestellung der 36 deutschen Vertreter durch den Bundestag bat deshalb weder im deutschen Verfassungsrecht noch in den Vertragswerken eine ausreichende Grundlage." 36 Jaspert, Günter: Der Bundesrat in internationalen parlamentarischen Gremien, in: Miterlebt und Mitgestaltet, S. 405 - 429 (406 ß) vollzieht die Bemühungen des Bundesrats nochmals nach, erkennt allerdings auch Versäumnisse; er erwähnt, daß der Bundesrat es ablehnte, bezüglich eines von der Bundesregierung 1951 eingebrachten Gesetzentwurfs gern Art. 76 Abs. 2 GG Stellung zu nehmen.
I. Der Bundesrat und die Gemeinschaft
191
verstärkt ab Mitte der 60er Jahre als Störung des Gleichgewichts und hofften, durch eine Beteiligung und damit Mit-Verantwortung eine Schranke zu errichten.37 Der Zeitpunkt des Gesetzesentwurfs, den Bayerns Ministerpräsident Goppel 1965 im Bundesrat über die Wahl der Vertreter in den europäischen Versammlungen einbrachte,38 war günstig, da der Bundestag die Neuwahl der deutschen Vertreter vornehmen sollte. Wie bereits 1957, zeigte die Bundesregierung auch acht Jahre später durchaus Verständnis für das Anliegen der Länder, im Ergebnis änderte dies allerdings nichts?9 Ein Gesetzesentwurf der Bundesregierung war im Bundestag unter die Diskontinuität gefallen. Erst mit der Perspektive einer Direktwahl der Mitglieder des Europäischen Parlaments schaltete sich der Bundesrat wieder in die Diskusston em. 3.3 Die Direktkontakte des Bundesrats mit den Organen der Europäischen Gemeinschaft Aufgrund der direkten Entsendung von Abgeordneten des Deutschen Bundestags mußte der Bundesrat nach Alternativen suchen. Schon seit Anfang 1975 hatten die Präsidenten des Bundesrats gleichberechtigt und aktiv an allen Konferenzen der Präsidenten des Europäischen Parlaments teilgenommen. Der Besuch der französischen Parlamentspräsidentin Sirnone Veil im Bundesrat wurde als herausragendes Ergebnis beurteilt, sprach sie sich doch für die Becieutung des Bundesrats zum Erhalt regionaler und kultureller Eigenständigkeit der Länder aus.40 Schon Emilio Colombo, der frühere Parlamentspräsident, hatte Bereitschaft für eine Zusammenarbeit mit den Regionen und Bundesländern gezeigt.
37 Vgl. Rede von Ministerpräsident Goppel, Bay LT 286 SiBr, S. 1910- 199C v. 16.7.1965. 38 BR-Drs. 453/65 v. 8.7.1965, Entwurf eines Gesetzes über die Wahl der Vertreter der Bundesrepublik zu den Europäischen Versammlungen, abgedr. in: Bundesrat und Europäische Gemeinschaften, S. 183 - 189; Beratun~ des Bundesrats zum Entwurf eines Gesetzes über die Wahl der Vertreter der Bundesrepubltk zu den Europäischen Versammlungen, BR 286. Sitzung v. 16.7.1965, S. 1910- 199C; darin hatte Ministerpräsident Goppel mitgeteilt, daß es bereits längere Diskussionen in den Ministerpräsidentenkonferenzen darüber gab. 39 Mahnungen des Bundesrats brachten nichts, vgl. BR 301. Sitzung v. 11.11.1966, S. 225 252; 303. Sitzung v. 22.12.1966, S. 269 - 289; 308. Sitzung v. 28.4.1%7, S. 49 - 15; 315. Sitzung v. 27.10.1967, s. 223- 250.
40 Vgl. Herles, S. 482; Simone Veil in der 184. Sitzung des Bundesratsam 21.3.1980: "Der Bundesrat ist entscheidend beteiligt an der Aufrechterhaltung der regionalen und kulturellen Eigenständigkeil der Länder. Die Demokratie in Ihrem Land wird dadurch bereichert, erhält sich doch einen zusätzlichen Faktor der Stabilität und der Ausstrahlung ... Das Europäische Parlament ... bemüht sich zu zeigen, daß wir und Sie komplementär und nicht Rivalen sind." Jaspert, Der Bundesrat in internationalen parlamentarischen Gremien, S. 419 ff.
192
D. Die Gestaltungsmöglichkeiten der Länder
Diese Begegnungen auf höchster Ebene bildeten nur einen Ausschnitt jener Initiativen, die sich um Verbindungen zwischen dem Bundesrat und dem Europäischen Parlament bemühten. Die damit zusammenhängenden Fragen wurde im Rahmen der Konferenz der Präsidenten der Parlamentarischen Versammlung Westeuropas behandelt, und zwar schon lange vor der ersten Direktwahl.41 Konkrete Vorschläge behandelten die Verbesserung von Kontakten auf Fraktions- und Ausschußebene.42 Der am 20. Dezember 1957 eingesetzte Sonderausschuß "Gemeinsamer Markt und Freihandelszone",43 der am 26. November 1965 in "Ausschuß für Fragen der Europäischen Gemeinschaften" umbenannt wurde,44 diente als Forum für politische Kontakte. Obwohl eine Mitarbeit der deutschen Abgeordneten im Ausschuß an sich nicht vorgesehen ist, die Geschäftsordnung dem jedoch nicht entgegensteht, nahmen am 5. Februar 1982 erstmals Mitglieder des Europäischen Parlaments an einer Sitzung teil. Zur Arbeitserleichterung wurde im Sekretariat des Bundesrats beim Büro des Ausschusses für Fragen der Europäischen Gemeinschaften eine Verbindungsstelle zum Europäischen Parlament eingerichtet.45 Sie hat unter anderem die Aufgabe, nach Sichtung des Materials den deutschen Abgeordneten in den betreffenden Ausschüssen die vom Bundesrat beschlossene Stellungnahme sobald wie möglich zuzuleiten. Durch die Verbindungsstelle ist ein direkter Draht zu Straßburg und Brüssel vorhanden, so daß die Mitglieder des Bundesrats regelmäßig über die Tätigkeit des Europäischen Parlaments und der Kommission informiert werden. Eine zusätzliche Berichterstattung über die Plenarsitzungen erfolgt durch das Büro des EG-Ausschusses der Bundesregierung sowie durch die Weitergabe wichtiger Parlamentsentschließungen als Bundesrats-Drucksachen. Die Generaldirektion Information und Öffentlichkeitsarbeit des Europäischen Parlaments in Luxemburg sendet den Ländern außerdem direkt Veröffentlichungen über die Plenartagungen zu. Durch den Kontakt mit den Buropaparlamentariern erhofft man sich wichtige Hintergrundinformationen über die Haltung der politischen Par41 Vgl. darüber auch Jaspert, Der Bundesrat und die europäische Integration, S. 25 f, S. 29 -32. 42 Bonner- Konferenz 1976 und Madrider- Konferenz 1980. 43 Eingesetzt am 20.12.1957, vgl. BR 186.Sitzung v. 20.12.1957, S. &SSB. 44 Damit wurde der Sonderausschuß zum ständigen Ausschuß des Bundesrats im Sinn des § 15 Abs. 1 GOBR, VJtl. Für Angelegenheiten der Europäischen Gemeinschaft zuständige Organe der Nationalen Parlamente; hrsg. vom Europäischen Parlament, Generaldirektion Wissenschaft Luxemburg April 1989, S. 13 ff. 45 Darüber Jaspert, Der Bundesrat und die europäische Integration, S. 32.
I. Der Bundesrat und die Gemeinschaft
193
teien in den EG-Mitgliedsstaaten, der Fraktionen und Ausschüsse des Europäischen Parlaments. Dem Bundesrat bietet sich somit die Gelegenheit, für seine Stellungnahme, die die Bundesregierung im Rat vertreten soll, rechtzeitig im Europäischen Parlament "Verbündete" zu suchen. 46 Obwohl es zwischen dem Ausschuß für Fragen der Europäischen Gemeinschaft und der Kommission keine institutionalisierten Beziehungen gibt, forderte bereits in der ersten Sitzung Kommissionspräsident Hallstein zum direkten Kontakt mit Brüssel auf.47 3.4 Zur Arbeit des EG-Ausschusses Durch die Einsetzung des Sonderschusses "Gemeinsamer Markt und Freihandelszone" sollten die Länder in die Lage versetzt werden, effektiv und rasch ihre Erwartungen gegenüber der Bundesregierung und den Gremien des Gemeinsamen Marktes zu formulieren.48 Der Ausschuß berät federführend alle EG-Vorlagen, die von der Bundesregierung dem Bundesrat gemäß dem Ratifikationsgesetz zu den Römischen Verträgen und der EEA zugeleitet werden. Er prüft die Vorlagen und Beschlüsse der beteiligten Ausschüsse unter integrationspolitischen Gesichtspunkten. Des weiteren erteilt er dem Bundesrat Empfehlungen für die Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung. Um jeweils aktuell über die Entwicklungen im EG-Bereich informiert zu werden, ist eine enge Zusammenarbeit mit den Bundesministerien, der Ministerialbürokratie sowie dem Beobachter der Länder nötig. Zunehmend wurden in den letzten Jahren Schwachstellen im Informationssystem festgestellt, die eine Neuorientierung der EG-Arbeit als notwendig erscheinen ließ. Obgleich die Arbeit des Bundesrats trotz umfangreichen Arbeitsaufwandes mit EG-Vorlagen49 positiv beurteilt wurde,50 waren die Länder schon lange Zeit mit dem Verfahren nicht mehr zufrieden. Die seit dem Berichtszeitraum Oktober 1973 bis März 1974 halbjährlich er46
Ebd.,S. 33.
47 Sie fanden dann auch statt, vgl. Jaspert, Die Beteiligung des Bundesrats an der europäischen Integration, S. 98; siehe Jaspert, Der Bundesrat und die europäische Integration, S. 29. 48 So der Vorsitzender Ministerpräsident Seidel in der 1. Sitzung am 23.1.1958. 49 Vgl. Jaspert, Die Beteiligung des Bundesrats an der europäischen Integration, S. 93; zu den Zahlen, Herles, S. 419. 50 Die Arbeit wird in Schrifttum überwiegend positiv beurteilt, Jaspert, Der Bundesrat und die europäische Integration. 13
Fuhrmann~Minlmeier
194
D. Die Gestaltungsmöglichkeiten der Länder
scheinenden Integrationsberichte der Bundesregierung wurden als nicht ausreichend für eine rechtzeitige Informierung bewertet. Das Problem verstärkte sich durch die seltenen Zusammenkünfte des Ausschusses, der die Vorlagen nicht mehr rechtzeitig und sorgfältig vor der Verabschiedung der Beschlüsse durch den Rat bearbeiten konnte. Als deutlich wurde, daß sich die Vielzahl der übermittelten Dokumente nicht mehr im Rahmen der Ausschußarbeit bewältigen ließen und eine weitere Zunahme im Zuge der Veränderung durch Art. 2. Abs. 1 EEAG zu erwarten war, wurde durch eine Änderung der Geschäftsordnung des Bundesrats am 10. Juni 1988 die Kammer für Vorlagen der Europäischen Gemeinschaften eingerichtet,51 die zum ersten Mal am 14. September 1988 zusammentrat. 3.4.1 Die EG-Kammer Durch dieses Gremium soll, so der erste Vorsitzende Martin, der Minister für Bundesangelegenheiten von Rheinland-Pfalz, den Ländern verstärkt die Möglichkeit gegeben werden, ihre Sachkompetenz und Erfahrung rechtzeitig in die Beratungen einzubringen. Sie wollen erreichen, daß eine größtmögliche Verwaltungseffizienz erreicht wird und Sachleistungen auf einem hohen Niveau durchgeführt werden. In die EG-Kammer entsendet jedes Bundesland ein Mitglied, daneben kann eine beliebige Zahl von stellvertretenden Mitgliedern aus dem Kreis des Bundesrats benannt werden. Die Anzahl der Stimmen richtet sich nach Art. 51 Abs. 2 GG. Die Beschlüsse der Kammer sind denen des Bundesrats gleichwertig.52 Die Kammer kann in eiligen Fällen oder bei vertraulichen Vorlagen an die Stelle des Bundesratsplenums treten.53 Damit wird eine rasche Beschlußfassung möglich, zumal die Einberufungsfrist eine Woche oder kürzer beträgt. Zu ihren Aufgaben gehört auch die Bestellung von Vertretern zu Verhandlungen in Gremien der Europäischen Gemeinschaft, 51 Vor der Einsetzung fand ein Gespräch Ministerpräsident Vogels mit der Presse statt (265.1989); vgl. auch Hinweis von Staatsminister von Stavenhagen im Bundesrat am 19.12.1986, wonach der Bundesrat prüfen soll,"... in welchen internen Verfahren es möglichst schnell seine Entscheidungen in europäischen Angelegenheiten bilden kann." Vgl. Für Angelegenheiten der Europäischen Gemeinschaft zuständige Organe der Nationalen Parlamente, S. 16; vgl. IVa § 45b GOBR 52 § 45b (2) GOBR 53 Ministerpräsident Vogel wies in der 590. Sitzung des Bundesratsam 10.6.1988 darauf hin, daß der Arbeitsrhythmus in Brüssel keine Rücksicht nehmen könne auf das Beratungsverfahren, das sich für nationale Entscheidungen herausgebildet habe.
I. Der Bundesrat und die Gemeinschaft
195
wenn von der Vorlage ausschließliche Gesetzgebungsmaterien oder wesentliehe Interessen der Länder betroffen sind. Das neue Verfahren soll die Bereitschaft des Bundesrats ausdrücken, für die Wahrung seiner verfassungsmäßig vorgegebenen Kompetenzen den Prozeß der europäischen Einigung zu fördern.54 Zweifelsohne werden damit hohe Anforderungen an die Landes und Bundesverwaltung gesteUt. 3.5 Zu den Tätigkeiten des Bundesrats Die folgenden tabellarischen Aufstellungen sollen erste Hinweise auf die Frage geben, in welchem Maße sich der Bundesrat als zentrales Organ der Ländermitwirkung in europapolitischen Angelegenheiten etablieren konnte. Die EG-Vorlagen im Bundesrat (Wahlperioden 1-11) 12
3 4 56 7 8 91011 24 478 826 7591017 660 405 634 678
Summe 5481
Aus: Handbuch des Bundesrats 1989/90. München 1990, S. 245.
Die Zahl der EG-Vorlagen ist sehr hoch; bis Februar 1991 waren es 6078.55 Seit 1969 war der Ausschuß für Fragen der Europäischen Gemeinschaften 4.538mal federführend. In weiterer Folge waren der Agrarausschuß mit 1.735 Nennungen, gefolgt vom Wirtschaftsausschuß und vom Finanzausschuß beteiligt. Häufige Beteiligungsraten weisen der Innen- und der Rechtsausschuß auf. Im Vergleich dazu waren der Ausschuß für Jugend und Familie, der Ausschuß für Arbeit und Sozialpolitik, der Ausschuß für Verkehr und Post, der Kulturausschuß, der Umweltausschuß (ab 27.6.1986) und der Ausschuß für Städtebau und Wohnung (für die Zeit bis zum 17.10.1986) weniger oft tangiert.56 Keine Neuerungen weisen der Auswärtige Ausschuß sowie der Verteidigungsausschuß auf. Als Tendenz ist erkennbar, daß die Nennungen beim Agrarausschuß zurückgehen und eine häufige Beteiligung des Rechts- und Wirtschaftsausschlusses zu vermerken ist. Eben54 Martin in der 1. Sitzung der EG-Kammer 1a bis 1b. 55 Die folgenden Zahlen wurden einer Zusammenstellung der Abteilung Dokumentation und Datenverarbeitung des Bundesrats entnommen, Stand 18.2.1991. 56 Seit August 1989 ergeben sich folgende Beteiligungsraten: Rechtsausschuß 3mal; EGAusschuß 13mal; Innenausschuß 6mal; Wirtschaftsausschuß 6mal; Finanzausschuß 4mal; Umweltausschuß 3mal; Ausschuß für Verkehr und Post 2mal; Ausschuß für Arbeit und Soziales 3mal; Kulturausschuß 2mal; Gesundheitsausschuß 2mal; Agrarausschuß 1mal, Zahlen nach Bundesrat Dokumentation und Datenverarbeitung, Stand Februar 1991.
D. Die Gestaltungsmöglichkeiten der Länder
1%
falls zu konstatieren ist eine deutliche Zunahme der Beteiligung des EGAusschusses. Die EG-Kammer trat bis Dezember 1990 fünfmal zusammen.
EG-Vorlagen 1957 Stand 4.8.89
1989
0.9
ic
~
.
H -8~
~
N
0.8 0.7 0.6
0.5 0.4 O.J 0.2 0.1
57-61
61-65
65-69
69-72
72-76
76-80
80-BJ
83-87
88-89
Zeltperloden
Zusammenstellung nach: Bundesrat, Dokumentation und Datenverarbeitung, Stand 18. Februar 1991.
Offensichtlich wirkte sich das Länderbeteiligungsverfahren von 1979 nicht weiter auf die Übermittlung der Dokumente aus. Die fallende Tendenz und die mühsame Erholung seit Mitte der 80er Jahre lassen vermuten, daß die EG-Dokumente sogleich an die Länder weitergereicht wurden. Der starke Anstieg, der ab 1972 zu verzeichnen ist, hängt mit der Reorganisation des Gemeinsamen Marktes und der Agrarpolitik zusammen. Die Auswirkungen des Gesetzes zur Einheitlichen Europäischen Akte und das institutionalisierte Verfahren über den Bundesrat haben einen starken Anstieg zur Folge. Erste Hinweise lassen sich aus der Graphik entnehmen. Bei der Statistik der Länderanträge ist gegenüber dem Vergleichsmaßstab August 1989 eine deutliche Steigerung zu erkennen. Nordrhein-Westfalen weist die höchste Quote bei der Initiierung von Gesetzesanträgen auf. Insgesamt betrug die Zunahme 16, bei Baden-Württemberg waren es 12, bei Bayern 15, Berlin 5, Bremen 6, Hessen 7, Harnburg 10, Niedersachsen 1, Rheinland-Pfalz 6, Saarland 10 und Schleswig-Holstein 4.
I. Der Bundesrat und die Gemeinschaft
197
Statistik der Länderanträge ab 1949 (nach Initiatoren) Gesetzesanträge
EG-Sache
eingebracht
GA
Entschließungen
EG-Sache
eingebracht
Entschließung
allein
mit anderen
AfEG
allein mit anderen
AfEG (ber/fdf)
62
75
1
48
22
10
Bayern
100
59
2
24
14
8
Berlin
27
30
5
6
2
Bremen
14
45
13
11
1
Hessen
59
48
25
11
Hamburg
51
49
23
11
Nieder-
41
45
22
8
64
60
2
16
11
5
30
50
1
22
13
3
1
8
11
3
5
13
1
BadenWürttemberg
1
2
sachsen NordrheinWestfalen RheinlandPfalz. Saarland
12
41
Schleswig-
34
52
Holstein
Zusammenstellung nach: Bundesrat, Dokumentation und Datenverarbeitung, Stand 18. Februar 1991.
Bei den Entschließungen ergeben sich folgende Zahlen: Baden-Württemberg brachte in dieser Zeit 14 ein, Bayern 9, Berlin 8, Bremen 6, Hessen 5, Harnburg 7, Niedersachsen 8, Nordrhein-Westfalen 7, Rheinland-Pfalz 11, Saarland 6, Schleswig-Holstein 5. Insgesamt haben sich bis Februar 1991 988 Gesetzesanträge und 342 Entschließungen qualifiZiert. Nimmt man als Vergleichsmaßstab den Zeitraum bis August 1989, so ist die Zunahme beachtlich: bis dahin gab es 605 Gesetzesanträge - die Steigerung liegt demnach bei 65 Prozent - und 202 Entschließungen.
198
D. Die Gestaltungsmöglichkeiten der Länder
Die Entschließungen nahmen ab der 11. Wahlperiode mit 10 Nennungen am stärksten zu, in der 10. Wahlperiode betrug die Zahl 7, davor gab es jeweils eine Entschließung in der 7. und 8 Wahlperiode. Es ist zu untersuchen, ob diese Zahlen Rückschlüsse auf die Funktion des Bundesrats für das Europaengagement der Länder zulassen. Die Bilanz bis zur Mitte der 11. Wahlperiode legt die Annahme nahe, daß der Bundesrat den Ländern nicht in erster Linie als Schauplatz ihrer europapolitischen Aktivitäten galt. Dies könnte damit zusammenhängen, daß das Hauptaugenmerk der Länder schon immer auf ihre Eigeninitiative gerichtet war. Mit dem Ratifizierungsverfahren zur Einheitlichen Europäischen Akte veränderte sich jedoch die Situation. Die deutliche Steigerung der EG-Vorlagen und die intensive Beschäftigung des EG-Ausschusses zeugen von der Wirksamkeit des neuen Beteiligungsverfahrens. Die Zunahme der Gesetzesanträge und Entschließungen der Länder ist ebenfalls beachtenswert. Freilich ergeben sich deutliche Unterschiede zwischen den Ländern. Bayern und Nordrhein-Westfalen waren die eifrigsten Initiatoren; dies liegt maßgeblich in der unterschiedlichen Verarbeitungskapazität der Verwaltungen begründet. Insgesamt nutzten jedoch alle Länder die Gelegenheit, sich über das Organ Bundesrat Gehör zu verschaffen. Dabei spielte oppositionelles Verhalten kaum eine Rolle, da häufig unionregierte Länder zusammen mit SPO-regierten Anträge oder Entschließungen einbrachten. Die Einrichtung des EG-Ausschusses hat sich positiv auf die Schnellgleit und Efektivität der Beratungen ausgewirkt. Trotz dieser Erfolge gibt es Überlegungen im Kreis der Landesregierungen, die Gesetzgebungsarbeit der Bundesländer stärker auf die inhaltlichen Schwerpunkte der jeweiligen EG-Präsidentschaft auszurichten und Gesetzesvorhaben auf EG-Ebene möglichst frühzeitig zum Gegenstand von Bundesratsberatungen zu machen. In welchem Maße behindert oder fördert die Gegeninitiative der Länder politische Handlungs- und Reformfähigkeit des Gemeinwesens und der Gemeinschaft? Können unter Umständen dadurch Impulse für eine Neuorientierung ausgehen? Sind Tendenzen erkennbar, die als erster Schritt zur Aufhebung der Selbstblockade zu erkennen sind?57 Diese Fragen werden die Untersuchung im folgenden strukturieren. Die Hinwendung zur Öffentlichkeit, die Inanspruchnahme des Steuerungsinstruments Kommunikation spielen bei dieser Entwicklung eine wichtige Rolle.
57
So Scharpf, Der Bundesrat, S. 125.
ßAktivitäten der deutschen Länder
199
II. Tendenzen europapolitischer Aktivitäten der deutschen Länder in den 60er und 70er Jahren Wenn die Ministerpräsidenten heute ihre Vorstellungen zur Wirtschaftsund Währungsunion formulieren, so ähneln diese Stellungnahmen denjenigen der 60er und 70er Jahren, als sich die deutschen Länder lebhaft an der Debatte um die Ausweitung der Wirtschaftsunion durch ein europäisches Währungssystem beteiligten. Die Ratifizierung der Römischen Verträge und der Einheitlichen Europäischen Akte waren zwar Eckpfeiler des Engagements, ihre Widerspiegelung in der öffentlichen Meinung, Publizistik und Wissenschaft läßt aber Überlegungen zu kurz geraten, die von einer kontinuierlichen Europaaktivität der deutschen Länder ausgehen. Im folgenden wird daher versucht, die Tendenzen dieser Aktivitäten herauszustellen. 1. Die Integrationspolitik in den 60er und 70er Jahren: Wechselwirkung zwischen politischer und wirtschaftlicher Einigung
Man würde den Ländern nicht gerecht werden, machte man ihnen zum Vorwurf, sie hätten sich bis zur Ratifizierung der Einheitlichen Europäischen Akte in ihren europapolitischen Aktivitäten zurückgehalten, das Feld weitgehend der Bundesregierung überlassen und sich auch nicht um den Ausbau ihrer Mitwirkungsrolle auf europäischer Bühne bemüht. Es läßt sich vielmehr feststellen, daß sie beim weiteren Ausbau der WirtSchaftsgemeinschaft ihre Interessen repräsentiert sehen wollten und daher frühzeitig versuchten, sich ein Standbein in den Brüsseler Gremien zu verschaffen. In direkter Aussprache mit der Kommission formulierten sie ihre Wünsche entsprechend der Devise, daß Politikgestaltung im Bundesland, in Bonn und in Brüssel zu erfolgen habe. In einen weiteren Ausbau der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und den Zusammenschluß der Europäischen Gemeinschaften zu einer Politischen Union setzten sie große Erwartungen. Sie unterstützen nachhaltig die Bemühungen um eine Währungsunion, weil sie sich davon eine Stoßkraft für ein föderativ aufgebautes Europa erhofften. Nach dem lokrafttreten des EWG-Vertrages begann man schrittweise die gemeinsame Agrarpolitik einzuführen. In den folgenden zwei Jahrzehnten wurde sie integrationspolitisch als einzige vollintegrierte Politik neben der Handelspolitik zum Schrittmacher für andere Bereiche. Die in den Mitgliedsstaaten bereits vorhandenen agrarpolitischen Instrumente wurden teilweise auf der europäischen Ebene übernommen. Die Produktivität stieg be-
200
D. Die Gestaltungsmöglichkeiten der Länder
achtlich, so daß es schließlich in vielen Bereichen zu Überproduktionen kam. Eine Schwierigkeit ganz anderer Art bereitete der gemeinsamen Agrarpolitik Probleme. Mit der Gründung von EWG und Euratom hatte man auf die Schaffung einer gemeinsamen Währung oder eines eigenen Währungsverbundes verzichtet und sich mit einer Reihe von Grundsätzen zur Koordinierung der einzelstaatlichen Währungspolitiken begnügt. Sie enthielten vor allem Regeln zur Gewährleistung des freien Zahlungs- und Kapitalverkehrs sowie Verfahrensfragen bei Zahlungsbilanzschwierigkeiten.58 Als Verrechnungseinheit übernahm man die bereits in der 1950 gegründeten Europäischen Zahlungsunion geschaffene Rechnungseinheit (RE).59 Die währungspolitische Entwicklung seit 1%9 führte im August 1971 zum Bruch des bis dahin stabilen Weltwährungssystems und des festen Dollarkurses. Die unterschiedlichen Inflationsraten machten die Einführung von Währungsausgleichsbeträgen nötig, um die Auswirkungen der Wechselkursschwankungen der nationalen Währungen auf die gemeinsamen Preise in den einzelnen Mitgliedsstaaten auszugleichen. Mit dem Scheitern der bisherigen festen Verrechnungswährung wurden die Versuche intensiviert, die EWG nunmehr zu einer vollständigen Wirtschafts- und Währungsunion weiterzuentwickeln. Auf der Gipfelkonferenz der Staats- und Regierungschefs der sechs Mitgliedsstaaten am 1. bis 2. Dezember 1%9 in Den Haag beschlossen diese die Einführung der vollständigen Wirtschafts- und Währungsunion bis 1980 in drei Stufen. Um eine gemeinsame Position zu erreichen, setzte der Ministerrat am 6. März 1970 einen Sachverständigenausschuß unter Vorsitz des Iuxemburgischen Ministerpräsidenten Pierre Wemer ein, der seinen Bericht am 8. Oktober 1970 veröffentlichte.60 Auf den folgenden Gipfeltreffen wurden die Meinungsverschiedenheiten über die Verwirklichung der Wirtschafts- und Währungsunion deutlich. Hinzu kam die sich seit 1975 verstärkende Wirtschaftskrise.61 Die Folge war, daß auch die Wirtschaftskraft der 58
Vgl. Art. 104, 105, 106, 107, 108, 236 EWGV v. 25.3.1957.
59 Barre, Raymond: Die währungspolisehe Zusammenarbeit innerhalb der europäischen
Wirtschaftsgemeinschaft, in: FA 24 (1969), S. 563 - 612; zur Problematik Wirtschaft und Politik, Grosser, Dieter, Beate Neuss: Buropa zwischen Politik und Wirtschaft. Hildesheim, New York 1981. 60 Zum Wemer-Bericht, Steinel, Helmut: Das Europäische Währungssystem. Funktionsweise- Erfahrungen -Perspektiven, in: APuZ 820-21/89, S. 3- 13 (3). 61 In der Gemeinschaft stieg die Aibeitslosigkeit bei der erwerbstätigen Bevölkerung auf 4,4 Prozent, vgl. Das Europäische Währungssystem EWS und der ECU, hrsg. v. der Hess. Landeszentrale für politische Bildung. Wiesbaden 1987.
llAktivitäten der deutschen Länder
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Mitgliedsstaaten immer weiter auseinanderklaffte. Eines der Hauptziele des EWG-Vertrages, die harmonische Entwicklung der Volkswirtschaften der Mitgliedsländer, geriet zunehmend in Gefahr, weil nicht mehr alle an dem vereinbarten Gruppenfloaten der Währungen teilnahmen. Als keine Einigung zwischen den Mitgliedsländern über die Einführung der vollständigen Wirtschafts- und Währungsunion herbeizuführen war, beschlossen die Staats- und Regierungschefs auf Vorschlag von Bundeskanzler Helmut Schmidt und Staatspräsident Giscard d'Estaing auf ihrer Gipfelkonferenz vom 7. bis 8. April 1978, einen Schritt weiter zu einem höheren Maß an Währungsstabilität zu gehen; sie einigten sich am 4. und 5. Dezember 1978 auf die Gründung des Europäischen Währungssystems, das am 13. März 1979 durch ein Abkommen der Zentralbanken der EG-Mitgliedsstaaten in Kraft trat.62 Das Herzstück sollte die gemeinsame Währungseinheit, der ECU, werden. Als edolgreich erwies sich das EWS für die Stabilität der Wechselkurse.63 Die Inflationsraten konnten im gesamten EWS-Raum verringert werden. Das EWS war zudem ein wichtiges Forum, um kollektive Entscheidungen mit gegenseitigen Abstimmungsmechanismen zu entwickeln.
2. Die Europäische Gemeinschaft und die Länder in den 60er und 70er Jahren: Integrationspolitische Vorstellungen und der Einsatz der Länder: Eckpfeiler einer eigenständigen Europapolitik Analyseeinheiten sind hierfür die Überlegungen zur Funktion des Föderalismus in der Bundesrepublik und in der EWG, die Vorstellungen über weitere Integrationsmaßnahmen, der Ausbau innerstaatlicher Mitwirkungsmöglichkeiten und die direkte Kontaktpflege mit den europäischen Organen. 1970 betonte Pranz Heubl, nur der Föderalismus könne die Klammer für ein vereintes Europa sein, •... denn eine bloße Zusammenarbeit zwischen den europäischen Staaten wäre zu wenig, ein zentralistisches Europa weder wünschenswert noch erreichbar."64 Nur Föderalismus ermögliche eine Mitwirkung der "Außenräume" der europäischen Flächenstaaten an der Steue62 Steine!, Das Europäische Währungssystem; Scharrer, Hans-Eckart: Das Europäische Währungssystem - Abgestufte Integration in der Praxis, in: Abgestufte Integration - Eine Alternative zum herkömmlichen Integrationskonzept. Kehl, Straßburg 1984, S. 225 ff. 63 Bei den bilateralen Leitkursen war die Schwankungsbreite +/- 2,5 Prozent. 64 BayHStA, Bevoll. Bay. beim Bund 1095 Heubl, Franz, Föderalismus als Strukturelement eines künftigen Europas. 1970.
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D. Die Gestaltungsmöglichkeiten der Länder
rung durch die politischen Spitzenorgane; er sei "... das Instrument für die Verfeinerung und regionale Anpassung der supranationalen Politik." Wie schon früher Ministerpräsident Ehard, betonte auch Heub~ daß ein "mustergültiger" deutscher Föderalismus die Anziehungskraft des politischen Zusammenschlusses auf europäischer Ebene fördere, weshalb es naheliege, auch für die Entscheidungsstruktur in Brüssel eine Art Zweiter Kammer zu fordem.65 Nach Ansicht der Länder verwies diese, durch eine Vielzahl poli~ tischer Handlungsebenen differenzierte, Erscheinung von Föderalismus auf eine neue Stufe von Gewaltenteilung. 2.1 Die Vorstellungen über die Zukunft der Wirtschaftsgemeinschaft Die Länder verhielten sich gegenüber einem Ausbau der Wirtschaftsund Währungsgemeinschaft grundsätzlich positiv. So wurde zum Beispiel der Bericht der Wemer-Gruppe von der Bayerischen Staatsregierung als geschlossenes Konzept gewürdigt, das geeignet schien, die EWG dem Ziel einer Politischen Union näherzubringen. Gleichzeitig wurde dem EG-Ausschuß angeraten, die Entwicklung weiter zu verfolgen und die ablehnende Haltung der Kommission genau zu beobachten.66 Es bestand somit Übereinstimmung, daß eine wirtschaftspolitische Kooperation nicht ausreiche, um die Währungsunion zu verwirklichen. Die Forderung nach einer Beteiligung an der deutschen Delegation in den supranationalen Organen67 verband sich mit der nach Teilhabe der Landesregierungen und ihrer Ministerialbürokratie am Gesetzgebungsverfahren des Bundes. Schon 1963 hatte der bayerische Ministerpräsident beim Bundeskanzler darauf hingewirkt, die Landesregierungen frühzeitig und laufend über die Verhandlungen mit den Europäischen Gemeinschaften zu unterrichten, ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, eine Verbindungsstelle zu den Ländern einzurichten und Landesbeamte im Rahmen der europäischen Verwaltung zu beschäftigen.68 Der bayerische Wirtschaftsminister Jaumann konnte es als seinen persönlichen Erfolg ver65 Diese Forderung wiederholte Heubl 1976: "Wer heute für eine föderale Bundesstaatlichkeil in Buropa eintritt, verlangt von einem Franzosen ebensowenig, daß er Europäer wird, wie man von einem Bayern verlangen kann, daß er mit dem Herzen ein guter Deutscher wird, Heubl, Föderalismus als Strukturelement eines künftigen Europas, ebd. 66 BAayHStA, Der Bevollmächtigte Bayerns beim Bund 1100 Erklärung v. Heubl bei der Sitzung des Bundesrats am 4.12.1970. 67 BayHStA, Bevoll. Bay. beim Bund 1000 Bay. Staatsmin. für Bundesangelegenheiten -> Bay. Staatsmin. für Finanzen 6.11.1977. 68 HStAS FA 1/201 Bun4 Länderspiegel 1%3.
IIAktivitäten der deutschen Länder
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buchen, daß die beiden stellvertretenden Ausschußmitglieder im EG-Ausschuß für Regionalpolitik auch aus dem Kreis der für die Regionalpolitik zuständigen Experten in den Bundesländern kamen.69 Die Bemühungen, den Landesvertretern Sitz und Stimme zu verschaffen, waren jedoch nicht erfolgreich. Die Anwesenheit in Brüsse~ im Ministerrat und im Europäischen Parlament wurde von bayerischer Seite nicht als "übriggebliebener Ehrgeiz nach einer bayerischen Außenpolitik" bezeichnet, sondern als Bekenntnis zum Zusammenschluß Europas, als Chance für die Weiterentwicklung des Landes?0 2.2 Die Reisediplomatie der Länder Die Realisierung landespolitischer Anliegen in Brüssel sollte durch eine rege Reisediplomatie zu den Organen der EWG unterstützt werden. Bereits im Zusammenhang mit der Montan-Union war die Rede gewesen von den Besuchen der nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Amold und Steinhoff in Brüssel. Anscheinend ließen sich auch die anderen Regierungschefs nicht davon abhalten, trotz der Vorbehalte des Auswärtigen Amts, an den entscheidenden Stellen persönlich ihre Anliegen vorzubrin~en. Gegenbesuche in den Landeshauptstädten rundeten das Programm ab. 1 Ein Blick in das Jahr 1963 macht deutlich, wie sich die Kontakte zwischen den Ländern und der Kommission gestalteten.72 Die Harnburg besonders interessierenden Fragen der EWG waren das Thema eines Besuchs Hallsteins bei Bürgermeister Nevermann. Ministerpräsident Lemke reiste 1963 nach Brüssel, wo er um Unterstützung für Schleswig-Holstein durch den Ausrichtungs- und Garantiefonds und Kredite der Europäischen Investitionsbank nachsuchte. Hallstein besuchte im Oktober 1%3 Bremen und lud bei dieser Gelegenheit Kaisen nach Brüssel ein. Andere Ministerpräsidenten, zum Beispiel Hessens Regierungschef Zinn, übten mehrmals in persönlichen Gesprächen mit Kommissionsmitgliedern Kritik am Geist des 69
Bay LT-Drs. 8/2503 v. 17.3.1976. 70 BayHStA, Bevoll. Bay. beim Bund 1101 Heubl, Buropa einen Schritt weiter.
71 BayHStA, Bevoll. Bay. beim Bund 1099 Informationsbesuch Heubl bei der BQ-Kommission 21./22.10.1970; vgl. auch ebd. Entwurf für eine Erklärung des Staatsministers Dr. Heubl vor der Presse 27.10.1970 "Politik für Bayern wird in Bonn, München und Brüssel gemacht", vgl. auch Laufer, Heinz: Bayern und die Bundesrepublik. Der Freistaat Bayern im föderativen System der Bundesrepublik Deutschland, in: Das Regierungssystem des Freistaats Bayern; hrsg. von Reinhold L. Bocldet, Bd. 2. München 1979, S. 109 - 165 (161 f); vgl. über frühere Besuche, HStAS EA 201 Bu m 2.-4.7.1963 und 15.10.1963 Heubl und Hundhammer in Brüssel, wo Fragen der Regionalpolik im Mittelpunkt standen. 72 Zum folgenden HStAS EA/201 Bu773 Länderspiegel 1963.
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D. Die Gestaltungsmöglichkeiten der Länder
Zentralismus, der in der EWG herrsche und der dazu führe, daß die Wutschaftsgemeinschaft einen Tages zu einer Perfektion der Bürokratie werde?3 Sie alle wußten um die wirtschaftlichen Vorteile, die sich aus dem Gemeinsamen Markt ergaben und waren eifrig um die Bereitstellung von EGMitteln bemüht. Die Vorstellung, daß nur eine föderalistische Struktur vorbildhaft für den Aufbau des politisch geeinten Europas wäre und die Länder ihre Eigenständigkeit, ihre kulturelle Vielfalt und ihre Tradition nur in einem Europa, das unter dem Primat der Subsidiarität aufgebaut se~ erhalten könnten, war zielsetzend für ihre europapolitischen Aktivitäten. 111. Die Länder und das Konzept der Politischen Union: Die Fouchet-Pläne und der Deutsch-Französische Freundschaftsvertrag Am Ende der Kanzlerschaft Adenauers wurden die Stimmen vernehmlicher, die konkrete Fortschritte auf dem Weg zur Politischen Union forderten?4 Schwierigkeiten bereitete Frankreich,75 da die Vorstellungen de Gaulies über eine Politische Union Europas von einer Führungsrolle Frankreichs ausgingen.
Das Scheitern der französischen Pläne bezüglich einer europäischen politischen Gemeinschaft und die Auswirkungen des deutsch-französischen Freundschaftsvertrages mögen aufzeigen, welches Potential bei den Ländern vorhanden war, um Defizite der nationalstaatliehen Politik auszugleichen. 1. Die Fouchet-Pläne
Nach der Konferenz der Staats- und Regierungschefs der sechs EWGStaaten in Bad Godesberg am 18.7.1961 wurde eine Sachverständigenkommission eingesetzt. Der Vorsitzende Christian Fouchet legte dem Aus73 Ebd. 74 Vgl. SZ v. 10.11.1961; vgl. auch von Brentano auf der NATO-Tagung: •... und das ist in der Tat unser Ziel und unsere Vorstellung, etwas weiter zu gehen, um zu erreichen, daß am Schluß die Zusammenarbeit wenn nicht der europäische Bundesstaat, dann doch ein europäischer Staatenbund steht", Hessischer Rundfunk v. 95.1961; von Brentano ließ schon 1961 den Entwurf einer Verfassun~ ausarbeiten. Die Bundesrepublik befürwortete deshalb auch Mehrheitsbeschlüsse in eimgen Bereichen, um den Weg von der Allianz zur Konföderation zu beschreiten, vgl. MM v. 24.8.1961. 75 Die Literatur zu den deutsch-französischen Beziehungen ist reichhaltig. Auswahlsweise seien die Werke von Willis, F. Roy: France, Germany, and the New Europe 1945 - 1967. Stanford 1968; Adenauer und Frankreich. Die deutsch-französischen Beziehungen 1958 - 1969; hrsg. von Hans-Peter Schwarz. Bonn 1985; Der Beitrag der Bundesrepublik Deutschland und Frankreichs zur Entwicklun~ der Europäischen Union. Referate - Berichte - Dokumente; hrsg. Deutsch-Französisches Institut Ludwigsburg, Forschungsinstitut der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Bonn 1985 genannt.
III. Die Länder und die Politische Union
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schuß am 2.11.1%1 einen ersten Entwurf vor (Fouchet-Plan 1).16 Die anderen fünf Delegationen brachten Änderungsvorschläge ein. Obwohl der Ministerrat der EWG am 14.1.1%2 eine Reihe von Beschlüssen zur Wettbewerbs- und gemeinsamen Agrarpolitik gefaßt hatte, die für Frankreich sehr günstig ausfielen, zog Frankreich im Ausschuß den Fouchet-Plan I zurück und ersetze ihn durch einen Fouchet-Plan II. Dieser wurde jedoch von den anderen fünf als nicht verhandlungsfähig zurückgewiesen.77 Das Scheitern der Brüsseler Verhandlungen im Januar 1963 veranlaßte das Kabinett zu einer Erklärung, worin Frankreich die Alleinschuld gegeben wurde.78 Die junge Bundesrepublik mußte sich allerdings davor hüten, durch die Übernahme einer Gestalte"olle negative Reaktionen bei den Partnern hervorzurufen. Man hoffte einerseits, Frankreich weiterhin für eine Politische Union zu gewinnen, andererseits Großbritannien zu einem Beitritt zu bewegen. Zudem mußten die Befürchtungen der Benelux-Staaten wegen der Dominanz der wirtschaftlich starken Nationen zerstreut werden. Die Vorgaben der Deutschen lauteten: das gelungene Werk der wirtschaftlichen Integration dürfe nicht gefährdet, die Autorität der europäischen Institutionen in Brüssel nicht gemindert und die Zusammenarbeit innerhalb der atlantischen Gemeinschaft nicht beeinträchtigt werden. Es hing also von Frankreich ab, wie weit es bereit war, von einer Überbetonung der nationalen Souveränität im Rahmen einer politischen Union wieder Abstand zu nehmen. Damit kein neuer Konflikt entstünde, wiederholte Adenauer im Laufe des Jahres 1%2 nicht wieder die Forderung eines sofortigen EWG-Beitritts Großbritanniens. Diese Haltung kritisierten Außenminister Sehröder und andere Mitglieder des Kabinetts.79 Auch die SPD befürwortete einen baldigen Beitritt Großbritanniens.
76 Bloes, Robert: Le "Plan Fouchet" et Ia problerne de l'Europa politique. Bruges 1970. 77 Fouchet-Ausschuß: Französische Delegation, Dele$1ition der Bundesrepublik, Belgiens, Italiens, ~uxemburgs un~ ~er Niederlande: Entwürfe emes Vertrages zur Gründung einer Staatenunton (15.3.1963), tn. 45 Jahre, Nr. 94, S. 436- 446. 78 Die drei im Bundestag vertretenen Fraktionen bezeichneten den Abbruch als deprimieren~Jstes Ereignis der letzten Jahre und äußerten Befürchtungen in bezug auf die Einheit und Geschlossenheit des Westens; die Stabilität der Bundesrepublik sei nur im größeren Zusammenhang zu gewährleisten, Industriekurier v. 31.1.1963. 79 Vgl. Main-Post v. 5.10.1962; MM v. 17.10.1963.
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D. Die Gestaltungsmöglichkeiten der Länder
2. Der Bundesrat und seine Stellungnahme zur Erweiterung der Gemeinschaft Der baden-württembergische Ministerpräsident Kiesinger, der damalige Präsident des Bundesrats, hoffte, daß die Krise nach dem Scheitern der Brüsseler Verhandlungen heilsam für die Idee der europäischen Einigung sei. Man sei sich bisher nicht darüber im klaren gewesen, was es heiße, Ja zu Europa zu sagen, und so in eine Situation geraten, aus der heraus nur eine wirklich europäische Konzeption eine Lösung biete. Die Völker seien nun aufgerufen, sich zu Europa zu bekennen.80 In einer Entschließung des Bundesrats wurde die Bundesregierung ersucht, in Zusammenarbeit mit den Regierungen der übrigen Mitgliedsstaaten und den Organen der Europäischen Gemeinschaft, alles zu tun, damit die Verhandlungen mit Großbritannien alsbald wieder aufgenommen würden; andererseits bestünde die Gefahr einer Spaltung des freien Europas in zwei Wirtschaftsblöcke, die auch die politischen Beziehungen der europäischen Staaten untereinander beeinträchtigte.81 Die Bundesregierung bekundete ihre Übereinstimmung mit der Entschließung und entwickelte Vorstellungen für eine Zwischenlösung. Sie mußte jedoch auf die USA Rücksicht nehmen.82 Die amerikaDisehe Regierung erwartete von der Bundesregierung offensichtlich eine klare Absage an die französische Vorstellung eines Kleineuropas und äußerte sich skeptisch zu einen deutsch-französischen Freundschaftsvertrag.83 Die Bundesregierung wiederum hatte Schwierigkeiten, die amerikaDisehe Seite davon zu überzeugen, daß ein derartiges Abkommen weder eine Änderung bundesrepublikanischer Politik gegenüber den USA noch ein Einlenken auf französische Vorstellungen bedeutete.
3. Der Deutsch-Französische Freundschaftsvertrag De Gaulle brachte seinen Vorschlag zu einer engeren deutsch-französischen Zusammenarbeit in Europa zu einem Zeitpunkt vor, als die Frage eines baldigen EWG-Beitritts Großbritanniens unmittelbar zur Diskussion 80 Schwarzwälder Bote v. 31.1.1963 und Basler Nachrichten v. 7.2.1963. 81 FAZ v. 9.2.1963 "Der Bundesrat warnt vor der Spaltung des freien Europas". 82 Vgl. ebd.; der amerikanische Außenminister Rush dankte in einem Brief an Außenminister Sehröder für die Bemühungen in Brüssel. 83 Andererseits setzte die ameJ"!kanische Regierung die Bundesrepublik unter Druck, Tagesspiegel v. 12.2.1963; vgl. die Außerung Adenauers, daß eine enge Freundschaft mit Frankreich nicht gegen die USA gerichtet sei, FAZ v. 12.5.1962.
III. Die Länder und die Politische Union
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stand und die Empfindlichkeilen der europäischen Partner und der USA hinsichtlich eines Sonderbundes stark waren.84 Je länger sich jedoch die Entscheidung um einen Eintritt Großbritanniens hinauszögerte, desto mehr hatte de Gaulle Anlaß, am deutsch-französischen Projekt zu "komponieren". Die Bundesregierung ließ sich Zeit mit einer Antwort,85 obwohl sie erkannte, daß im Angebot der deutsch-französichen Aussöhnung der Ausgangspunkt für eine echte Partnerschaft Westdeutschlands im Bündnis liege. Daneben waren Stimmen zu vernehmen, die von einem Bund im Bund warnten und die Gefahr des Hegemoniestrebens Frankreichs in Zusammenhang mit dessen NATO-Ambitionen erkannten. Doch schon bald gab es konkrete Verhandlungen über regelmäßige Zusammenkünfte der Regierungschefs, der Außenminister und der Verteidigungsminister.86 Nach Ansicht der Franzosen ersetzte das Verfahren der Zusammenarbeit keineswegs die Prozedur einer politische Einigung Europas nach dem alten Fouchet-Plan. Es gelte jedoch als nicht ausgeschlossen, daß die beiden Staaten das alte Projekt zur Bildung der politischen Union Europas unter anderen Umständen wieder aufgriffen. 3.1 Die Vorbehalte der Länder gegenüber dem Deutsch-Französischen Freundschaftsvertrag Das Argument der Bundesregierung für eine schnelle Ratifizierung, die im Vertrag vorgesehenen Konsultationen könnten unter Umständen die Fortführung der Gespräche mit England ermöglichen, verfehlte im Parlament seine Wirkung. Die Abgeordneten äußerten Sorge um die Geschlossenheit des westlichen Bündnisses. Wie wichtig für Adenauer das Votum der Länder war, zeigte sich darin, daß er zu einem Gespräch mit den Ministerpräsidenten bereit war und persönlich vor dem Bundesrat sprechen wollte.87 Bei ihnen mußte der Kanzler schon deshalb um Verständnis werben, weil sich ohne ihre Zustimmung der kulturpolitische Teil des Vertrags mit entsprechenden Maßnahmen auf den
84 Vgl. Herbst, Option für den Westen, S. 193-206 (201 ff). 85 Das französische Memorandum wurde im September übergeben; deutsche Antwort am 8.11.1962; der Vertrag wurde am 22.1.1963 im Elysee unteneicbnet; zur Bedeutung, FAZ v. 24.1.1963 "Bindung enger als die Entente cordiale". 86 Vgl. Weser Kurier v. 19.12.1962; die Regierungschefs sollen sieb halbjährlich treffen, die Außenminister alle drei Monate; vgl. auch Stuttgarter Zeitung v. 23.1.1963. 87 Als etwas Besonderes registriert dies Die Welt v. 28.2.1%3.
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D. Die Gestaltungsmöglichkeiten der Länder
Gebieten des Sprachunterrichts, der Gleichwertigkeit der Diplome und der wissenschaftlichen Forschung nicht verwirklichen ließ. Grundsätzlich bewerteten die Länderchefs den Ausbau der deutschfranzösischen Beziehungen als wichtigen Baustein für die Versöhnung zwischen den beiden Nationen,88 äußerten jedoch die Befürchtung, daß das föderalistische Prinzip Schaden nähme. Außenminister Sehröder konnte ihnen hingegen versichern, daß durch den Freundschaftsvertrag ihre Kulturhoheit nicht beschnitten würde.89 Bayerns Ministerpräsident Goppel begrüßte es, daß in dem Vertrag die Zuständigkeit der Länder in Erziehungsfragen ausdrücklich hervorgehoben wurde. Er betonte weiterhin, daß es nicht ein Akt der Bundestreue sei, wenn Bayern dieses Bemühen der Bundesregierung unterstütze, sondern eine Selbstverständlichkeit, da es schon lange einen freundschaftliche Zusammenhalt zwischen französischen und bayerischen Stellen gebe.90 Er wollte dem Bundesrat deshalb die Annahme der Resolution zum deutsch-französischen Vertrag empfehlen und fand dafür die Zustimmung von SchleswigHolstein. Das bayerische Kabinett vertrat überdies die Auffassung, daß die Zustimmung der Bundesländer zum deutsch-französischen Vertrag nicht durch die Stellungnahme des Bundesrats als einem Organ des Bundes präjudiziert werden sollte.91 Da die Einbeziehung Berlins in die deutsch-französischen Konsultationen auf Bedenken stieß,92 sah der Regierende Bürgermeister Brandt es als notwendig an, im Bundesrat auf die Frage der Berlin-
88 Die Kritik der französischen Regierung, daß die Bundesrepublik den Französischunterricht nicht obligatorisch machte, war von der Bundesregierung unter Hinweis auf die Länderzuständigkeit ab~wiesen worden, vgl. MM v. 15.11.1962; vgl. auch FAZ v. 13.2.1963 "Der Kanzler spricht s1ch gegen die Ministerpräsidenten aus". 89 Vgl. BP Abt. Nachrichten v. 23.1.1963; im einzelnen betraf die kulturelle Zusammenarbeit den verstärkten Sprachunterricht, gemeinsame wissenschaftliche Forschung, verstärkten Austausch von Schülern, Studenten, jungen Handwerkern und Auszubildenden. Die Bundesregierung wollte zusammen mit den Landesregierungen die Möglichkeit für eine Regelung prüfen, um die Zahl der deutschen Schüler, die die französische Sprache lernen, zu erhöhen. An allen Hochschulen Deutschlands und Frankreichs wurde ein französisch-deutscher Unterricht geplant. Die Schulzeiten, Prüfungen. Hochschultitel, Diplome sollten gleichwertig sein. Daneben waren gemeinsame Forschungsprogramme von Forschungsstellen und wissenschaftlichen Instituten geplant. 90 FAZ V. 24.1.1963.
91 Die Welt v. 27.2.1963; als Beispiel brachte man die Vereinbarung auf dem Gebiet des Erziehungswesens an, wofür die Landeskultusminister zuständi~ seien und nicht etwa eine Bonner Dienststelle in der Rolle eines "Ersatz-Bundes-Kultusmmisteriums"; vgl. auch SZ v. 27.2.1963. 92 Stuttgarter Zeitung v. 27.2.1963.
m. Die Länder und die Politische Union
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Klausel Bezug zu nehmen. Bei einem Besuch in Paris wurde ihm versichert, daß die kulturellen Bestimmungen voll auf Berlin angewendet würden.93 Die Sozialdemokraten wollten über die von ihnen beeinßußten Landesvertretungen im Bundesrat einen vorbehaltlichen Zusatz zum Ratifikationsgesetz für den deutsch-französischen Vertrag erreichen. Die Vertretung des Landes Hessen entwickelte Vorschläge für die Ausschußberatungen mit der Aufforderung an die Bundesregierung, ähnliche Verträge mit den anderen EWG-Partnem zu schließen. Außerdem sollte die Regierung auf neue Verhandlungen über einen Beitritt Großbritanniens zur EWG und über die von den USA angebotene atlantische Handelspartnerschaft drängen.94 3.2 Die Wünsche nach Einbeziehung der Länder in die Organisation zur Ausführung des Freundschaftsvertrages Nach den Vorstellungen Bayerns sollte jeweils ein Landeskultusminister die Bundesrepublik bei den vorgesehen Zusammenkünften mit dem französischen Erziehungsminister vertreten.95 Diesbezügliche Gespräche zwischen Staatsminister Heubl und Vertretern des Auswärtigen Amtes führten zu einem positiven Ergebnis. Eine angemessene Repräsentanz forderten die Länder auch in dem Kuratorium zur Koordinierung des Jugendaustauschs. In einem Verwaltungsabkommen sollte vereinbart werden, daß ein Beauftragter der Länder für die Beratungen auf den Gebieten des Kulturaustauschs und der Angleichung der Schulpolitik zuständig sei. Befürchtungen der Länder der seit Jahren gut eingespielte Jugendaustausch mit England und Skandinavien könnte behindert werden, ließen sich nicht ganz beseitigen. 3.3 Die Ratifizierung im Bundesrat Dem Plenum des Bundesrats lagen am 1. März 1963 drei Anträge vor. Im Namen der Länder Bayern, Baden-Württemberg, Rheinland-Pralz, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und des Saarlands beantragte Ministerpräsident Meyer aus Nordrhein-Westfalen eine Entschließung zum Ratifikationsgesetz. Hessen sprach sich dafür aus, unmittelbar im Ratifizierungstext eine Vorbehaltsklausel zum Vertrag aufzunehmen. Harnburg wollte, 93 Rhein-Neckar-Zeitung v. 3.5.1963. 94
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FAZ v. 21.2.1963; vgl. auch Dte Welt v. 21.2.1963.
95 Die Welt v. 23.3.1963. 14 Fuhnnann-Minlmeier
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D. Die Gestaltungsmöglichkeiten der Länder
daß dem Text eine Präambel vorangestellt werde.96 Durch die Formel Präambel sollten die Bedenken gegen Zusätze und Veränderungen zerstreut werden, eine Auffassung, die allerdings vom Auswärtigen Amt nicht geteilt wurde. Auf jeden Fall lag es im Interesse der Hansestadt sicherstellen, daß der deutsch-französische Vertrag nicht für andere Zwecke instrumentalisiert würde. Der Vorschlag, den Nordrhein-Westfalen vorgebracht hatte, war am aussichtsreichsten, da eine Entschließung nicht als Bestandteil der Ratifikationsvorlage gelten konnte. Nach Beratungen des Auswärtigen Ausschusses wurde der Gedanke einer den Vertrag einschränkenden Ergänzung des Ratifikationsgesetzes fallengelassen. Der Bundesrat billigte schließlich den Pariser Vertrag bei Stimmenthaltung Hessens, Hamburgs und Niedersachsens ohne Änderungsvorschlag. Die gleichzeitig verabschiedete Resolution wurde von seiten der SPD als völkerrechtlich ohne Bedeutung kritisiert, während die ausländische Presse großes Interesse am Abstimmungsergebnis zeigte.97 Für Ministerpräsident Meyer war das Votum einstimmig, mochte auch der Eindruck ein anderer sein. Seines Erachtens wurden die Erwartungen des Bundesrats erfüllt, da Zustimmung bestand über den erreichten Grad der deutsch-französischen Aussöhnung und die EWG auch weiterhin für Großbritannien offen stand. Der Bundeskanzler und der Außenminister wünschten eine Entschließung des Bundestags, die eindeutig feststellen sollte, daß der deutschfranzösische Vertrag die bestehenden Verträge nicht berühre. Sehröder gab einer Entschließung deshalb den Vorzug, weil er sie für gewichtiger und klarer hielt als eine kurze Präambel zum Ratiflkationsgesetz. In ihr sollte neben der Bekräftigung der deutsch-französischen Freundschaft ein Bekenntnis zur Wiedervereinigung, zu den europäischen Gemeinschaften sowie zur Weiterführung des europäischen Gemeinschaftswerks enthalten sein.98 Die deutsch-französische Regierungskonferenz zeigte sich ebenfalls mit einem
96 Vgl. auch das entsprechende Communique nach dem ersten Besuch von Ministerpräsident Lemke beim Bürgermeister Nevermann, FAZ v. 28.2.1963, wonach die Präambel die grundsätzliche Bereitschaft zum Beitritt Großbritanniens ausdrücken soJI; der Vorstoß Hamburgs fand Beachtung in der französischen Presse, Le Monde v. 28.2.1%3. 97 Frankfurter Rundschau v. 2.3.1963 und FAZ v. 6.3.1963; vgl. auch Le Monde v. 21.3.1963; Herald Tribune v. 2.3.1963; NZZ v. 3.3.1963; Le Monde v. 3.3.1963; Basler Nachrichten v. 3.3.1%3, Die Tat v. 4.3.1%3. 98 FAZ V. 5.4.1963.
IV. Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit
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entsprechenden, auch von den Amerikanern befürworteten, Zusatz einverstanden.99 Der Bundesrat hatte sich als Bundesorgan in dieser Abstimmung zum einen als Befürworter der Politik der Bundesregierung gezeigt, zum anderen durch die Verhandlungen und die Interventionen im Vorfeld sowie die Vorgaben der Entschließung Profil gezeigt. Die Regierung des Saarlands versah die Zustimmungserklärung noch mit einigen Zusätzen, wodurch eine reibungslose und erfolgreiche Mitarbeit der Länder an der sich anbahnenden deutsch-französischen Zusammenarbeit gewährleistet werden sollte. Dieser Zusatz war jedoch nicht außergewöhnlich, sondern entsprach den Vorschlägen der ständigen Vertragskommission der Länder.100 Obwohl der Vertrag einen eindeutigen bilateralen Charakter hatte, und über den kulturellen Bereich hinaus sich die enge Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Frankreich bald intensivierte, darf nicht übersehen werden, in welchen Maße schon früher die Bundesländer Kontakt zu ihren Nachbarländern suchten. Die Äußerung des bayerischen Ministerpräsidenten Goppel, die Zusammenarbeit habe schon seit längerem funktioniert, weist darauf hin, daß schon sehr früh die Bundesländer durch grenzüberschreitende Zusammenarbeit ihren Beitrag zum Zusammenwachsen Europas geleistet haben. Wie sich diese grenzüberschreitende Zusammenarbeit nach dem Krieg anbahnte und sich immer mehr zu einem Instrument der Völkerversöhnung entwickelte, wird im folgenden Kapitel nachzuvollziehen sem. IV. Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit und ihre Funktion f"lir die Völkerversöhnung nach dem Zweiten Weltkrieg
Entsprechend seines umfassenden Handlungsauftrags hat der Europarat gemäß Art. 1 seiner Satzung vom 5. Mai 1949 die Aufgabe,"... eine engere Verbindung zwischen seinen Mitgliedern zum Schutze und zur Förderung der Ideale und Grundsätze, die ihr gemeinsames Erbe bilden, herzustellen und ihren wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt zu fördern." 101 Die grenzüberschreitende Tätigkeit der Bundesländer läßt sich darunter leichter einordnen als in die recht pauschale Aussage des EWG-Vertrags, wonach die Mitgliedsstaaten ihren "festen Willen" bekunden sollen, "... die Grundlagen 99 Kölnische Rundschau v. 6.4.1963. 100Saarbrücker Zeitung v. 4.7.1963. 101Sartorius, Bd. 2 (Internationale Verträge- Europarecht), Nr. 110, S. 2.
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D. Die Gestaltungsmöglichkeiten der Länder
für einen immer engeren Zusammenschluß der europäischen Völker zu schaffen."102 Die Präambel des EWG-Vertrags "... ihre Volkswirtschaften zu einigen und deren harmonische Entwicklung zu fördern, indem sie den Abstand zwischen einzelnen Gebieten und den Rückstand weniger begünstigter Gebiete verringern" war der Ansatzpunkt für die Entwicklung der europäischen Regionalpolitik, die sich vor allem mit den Grenzzonen als weniger begünstigte Gebiete beschäftigte. Doch erst 1975 wurde eine entsprechende Gemeinschaftspolitik mit der Errichtung des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung eingeleitet. Auf der Basis entsprechender Rechtsakte konnten in der Folge grenzüberschreitende Aktionsprogramme für die Ems-DollartRegion, EUREGIO Maas-Rhein und EUREGIO aufgestellt werden.103 Die Initiativen des Europarals wurden ergänzt durch solche des Europäischen Parlaments. Ein Antrag von drei Abgeordneten "zur Regionalpolitik der Gemeinschaft bezüglich der Regionen beiderseits der Binnengrenzen der Gemeinschaft" vom März 1974104 hatte zur Folge, daß der Ausschuß für Regionalpolitik, Raumordnung und Verkehr sich mit diesem Fragenkreis beschäftigte. In einem Zwischenbericht wurde als mögliche Kooperationsform die Schaffung sogenannter Europäischer Regionalverbände vorgeschlagen, worauf das Europäische Parlament in seiner Entschließung vom 13. März 1975 jedoch nicht ausdrücklich einging.105 In einem weiteren Bericht wurde die Bildung grenzüberschreitender Buropaverbände als wirkungsvoll bezeichnet.106 Die Kommission zeigte allerdings wenig Bereitschaft, sich für den Ausbau grenzüberschreitender Zusammenarbeit einzusetzen. Die deutschen Länder sehen als Ziele der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit die Förderung wirtschaftlicher Kontakte und den Ausbau der gesellschaftlichen und kulturellen Verbindungen. Länder wie Schleswig-Holstein mit Dänemark, Nordrhein-Westfalen mit der Niederlande und Rheinland-Pfalz mit Frankreich konnten dabei einen wichtigen Beitrag zur Völkerverständigung leisten.
102Präambel EWGV Abs. 1. 103zu den einzelnen Aktionsprogrammen siehe unter Regionalpolitik. 104EP Sitzungsdokumente, Dok 5/74 v. 13.3.1974. 105vg1. Beyerlin, Ulrich: Rechtsprobleme der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit. Berlin, Heidelberg, New York 1988, S. 139 f. 106EP Sitzungsdokumente, Dok. 355/76v. 25.10.1976, S. 10 ff.
IV. Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit
213
1. Zur Funktion der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit
Es ist zu klären, ob von dezentralisierten Außenbeziehungen Integrationskräfte ausgehen, ob enges räumliches Miteinander Impulse für eine völkerversöhnende Interessengemeinschaft darstellt, ob diese Politik im Gegensatz zur Außenpolitik des Bundes tritt und ob die Träger grenzüberschreitender Zusammenarbeit freier als ihre Regierungszentralen agieren können. Die Notwendigkeit grenzüberschreitender Zusammenarbeit ergibt sich durch eine häufig willkürliche Trennung sozio-ökonomischer, geographischer, kulturhistorisch oder ethnologisch zusammengehörender Lebensräume.107 Sie wird häufig in Zusammenhang mit der großen Bewegung zur Stärkung der Regionen genannt. Die Annahme, daß ein Zusammenwirken der Grenzregionen gleichzeitig die Autonomie im Staatsverband stärke und somit wichtige Impulse für die Belebung des Europagedankens von unten bereitstelle, ist nachvollziehbar _l Vertretung des Landes BW beim Bund 10.9.1959. 2631. Wahlperiode Ausschuß für Fragen des Länderrats und für Fragen bizonaler und mehrzonaler Art; 2. bis 7. Wahlperiode Ausschuß zur Information über Bundesangelegenbeiten; danach Ausschuß zur Information über Bundesangelegenheiten und Europafragen, siebe Koclc, Peter Jakob: Der Bayerische Landtag 1946 bis 1986. Bamberg 1988, S. 322.
VI. Die Beteiligung der Landtage
249
sprechenden Beschlüssen in Kenntnis, wobei er jedoch nicht verpflichtet war, die Motive darzulegen. Die Regierung des Saarlands war der Ansicht, eine weitergehende Beteiligung widerspreche dem in der Landesverfassung ausgesprochenen Grundsatz, wonach der Ministerpräsident die Richtlinien der Politik bestimme.264
2. Die Landtage und die Frage des Kompetenzverlusts durch die Europäische Gemeinschaft Der Vorschlag einer Beteiligung der Landesparlamente bei Entscheidungen des Bundesrats ist in der wissenschaftlichen Diskussion nicht neu.265 Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Funktion des Landesparlamentarismus im Prozeß der europäischen Integration entwickelte sich allerdings erst allmählich.266 Unterschiedliche Auffassungen über den Einfluß der Landtage auf das Verhalten der Landesregierungen im Bundesrat zeigen, daß das Problem keineswegs rasch zu lösen ist.267 Auf dem Gebiet der Legislativfunktionen wird sich wegen der Zunahme der EG-Gesetzgebung, bis auf die Ausführungsgesetze, wenig verändern. Der Raum für mehr Eigenständigkeit ist daher gering. Zu einem neuen Selbstverständnis können die Landtage nur dann gelangen, wenn sie als Standorte der Orientierung, der Thematisierung bislang vernachlässigter Themen sowie als Zubringer unerledigter und zukunftsorientierter Aufgaben dienen. Die Suche nach Möglichkeiten externer Beteiligung verstärkt unter Umständen die Tendenz zu eigenständigen, nicht koordinierten Entscheidungen. Bei Etablierung weiterer innerstaatlicher Kooperationsgremien würden sich die Länder noch mehr gegenüber der bundesstaatliehen Ebene verselbstän264vg1. so auch HStAS EA 9/101 Bu 51 Bundesminister f. Angelegenheiten des Bundesrats-> Direktor des Bundesrats o.D.; Art 24 Abs. 1 und Art. 25 Abs. 1 VSH; Art. 49 Abs. 2, Art. 50 VBW; Art. 47 Abs. 1 und 3 VBay.; Art. 43 Abs. 2 VB; Art. 102 VH; Art. 28 VN; Art. 55 Abs. 1 und 2 VNRW; Art. 104 VRh-Pf.; Art. 91 Abs. 1 VSaar 265 Friedrich, Manfred: Bundesrat und Landesparlamente, in: ZParl 6 (1976), S. 48 - 76, allerdings ohne Hinweise auf die EG. 266vg1. Heubl, in: Die Landesparlamente im Spannungsfeld, S. 9. 267Scholz nimmt eine weitgehend gestaltende Freiheit der LandesregieNngen an; anders Klein, Die Legitimation des Bundesrats und sein Verhältnis zu Landesparlamenten und LandesregieNngen, in Vierzig Jahre, S. 95 -119 (108), der von der Gefahr eines kontrollfreien Raumes spricht; vgl. auch BVerfGE 8, 14, 104 (120f) v. 30.7.1958. Dieser Entscheidung wurde jedoch Widersprüchlichkeit vorgeworfen. Die Befürworter beziehen sich auf Art. SO GG; Haas, Evelyn: Die Mitwirkung der f:.änder bei EG-Vorhaben. Neuere Entwicklungen im Gefolge der Luxemburger Akte, in: DOV 41 (1988), S. 613 - 623 lehnt eine Bindung kategorisch als nicht verfassungskonform ab.
250
D. Die Gestaltungsmöglichkeiten der Länder
digen. Dadurch wäre angesichts des Autonomiegewinns eine erhebliche Zeitverzögerung in Kauf zu nehmen und eine Labilität des Gleichgewichts zu befürchten. Daß damit gleichzeitig die Fortschrittlichkeit des Ganzen in Frage gestellt würde, ist nicht anzunehmen.268 Es ergäbe sich vielmehr Raum für Innovationen, zur systemimmanenten Veränderung des Föderalismus in Hinblick auf seine geänderte Funktion in einem Europa der Regio-
nen.
Die Landtage mußten reagieren, um einer weiteren Erosion vorzubeugen. Analog zu den Ansprüchen der Landesregierungen im Ratifizierungsverfahren zur Einheitlichen Europäischen Akte gab es Vorschläge zur Verankerung eines Parlamentsinformationsrechts.269 Die Überlegungen zielten darauf ab, daß nur durch entsprechende Veränderungen institutioneller Art der Landtag weiterhin seiner Funktion als oberstes Organ der politischen Willensbildung entsprechen könnte. Die Enquete-Kommission des Landtags von Schleswig-Holstein faßte die Wünsche zusammen, wenn sie forderte, daß im Rahmen der "Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Regierungen der Länder über die Unterrichtung und Beteiligung des Bundesrats und der Ländervorhaben im Rahmen der EG in Ausführung von Art. 2 des Gesetzes vom 19.12.1986 zur Einheitlichen Europäischen Akte" auch die Landesparlamente in den Informationsprozeß eingeschaltet werden sollten.270 Die Zeitknappheit, unter der die Regelung von EG-Vorlagen steht, läßt ein derartiges Engagement als kaum praktikabel und wenig geeignet für Kompensationsversuche erscheinen.271 Trotzdem fehlt es nicht an Zusagen der Landesregierungen, bei Staatsverträgen sowie Abkommen von politischer Bedeutung die Landtage jeweils rechtzeitig zu informieren.272 Den Stellenwert derartiger Zusagen zu beurteilen, wird Gegenstand der folgenden Abschnitte sein. 268Hier könnte der Hinweis auf die Theorie des kritischen Rationalismus bei Popper hilfreich sein; besonders sein Verständnis der "Offenen Gesellschaft", Popper, Kar! R: Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, Bd. 2. 6. Aufl. Tübingen 1980, bes. Kap. 14; BöttcherS. 331; Leonardy, S. 181. 2691n Schleswig-Holstein war die Rede von einer Änderung des Art. 23 der Landesverfassung, vgl. SH LT-Drs. 12/186 v. 7.2.1989, 1.2.3., Schlußbericht der Enquete-Kommission Verfassungs- und Parlamentsreform, Beschluß des Landtags. 270sH LT-Drs. 12/186 v. 7.2.1989, 1.2.45, Schlußbericht der Enquete-Kommission Verfassungs- und Parlamentsreform. 271 Skepsis äußert auch Eicher, S. 91. 272zu den einzelnen Regelungen nach Bundesländern, ebd., S. 113-115.
VI. Die Beteiligung der Landtage
251
2.1 Zur Frage der Kompensation über den Bundesrat Das Bundesverfassungsgerichtsurteil über die Bremer und Hamburger Volksbefragungsgesetze verneinte, daß die Landesparlamente in die EntScheidungen des Bundesrats hineinwirken könnten.273 Das Mandat der Landesregierung im Bundesrat wird als ein vom Landesverfassungsrecht abgehobenes betrachtet, so daß es kein Weisungsrecht anderer Instanzen gibt. Das Parlament muß sich daher auf Information und nachträgliche Kontrolle beschränken.274 Mißbilligung kann sich im extremsten Fall durch Abwahl der Regierung äußern. Die Argumentation gegen eine verstärkte Beteiligung der Landesparlamente ergibt sich nach allgemeiner Ansicht durch die Funktion des Bundesrats als föderatives Exekutivorgan.275 Die Bundesländer nähmen legislative und exekutive Aufgaben wahr, im Instrument des Bundesrats haben die Landesregierungen auf Bundesebene konstruktive Gesetzgebungsbefugnisse. Der positive Eindruck relativiere sich jedoch durch die Vereinheitlichungstendenzen im Bundesstaat, der den landeseigenen politischen Gestaltungsspielraum beschränke. Indem die Landesregierungen über den Bundesrat auf die Bundesgesetzgebung einwirken, können sie auch die Einflußnahme des Bundes auf die Landesverwaltung kontrollieren. Dadurch erlangen sie ein Übergewicht über die parlamentarischen Instanzen.276 Die These von Rudolf, daß der Verlust für die Landtage hingenommen werden muß,277 deckt wohl nicht alle Nuancen ab. Seine Einschränkung, daß eine Kompensation durch eine Aufwertung des Europäischen Parlaments möglich wäre, kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt als nicht erfolgversprechend angesehen werden, da die Kontakte der Landesparlamentarier zu Europa-Parlamentariern nicht sehr ausgeprägt sind.
273BVerfGE 8, 104 ff. 274Friedrich, S. 56 ff. zur Frage der Steuerung des Verhaltens der Landesregierungen im Bundesrat mit Beispielen aus der deutschen Verfassungsgeschichte. Er betont, daß Steuerungsversuche bisher durchaus eine Ausnahme bildeten. 275 Zusammenfassend jetzt Schenke, S. 699 ff. 276 Scholz, S. 843 le~ dar, daß es einen Einbruch in das System der horizontalen Gewaltenteilung zwischen LegiSlative und Exekutive bedeutete, wenn den Landesparlamenten mehr Einfluß zustünde. 277 Rudolf, Mitwirkung der Landtage, S. 772.
252
D. Die Gestaltungsmöglichkeiten der Länder
Wenn sich in einem internationalen Rahmen neue Formen föderaler Ordnung herausbildeten, die den Regionen und mithin auch den Bundesländern Funktionen zuwiesen, würde sich unter Umständen, allein schon unter demokratietheoretischem Aspekt, die Notwendigkeit neuer gesetzgebender Funktionen ergeben. Dadurch würden auch die Landesparlamente beziehungsweise Regionalparlamente gefordert sein. Wenn der Schwerpunkt des politischen Handeins sich weiter in Politikbereichen vom Bund auf supranationale Organe verlagerte, wäre es für die Länder aufgrund der Erosion bislang geltender Zuständigkeit erforderlich, nach Kompensation zu suchen. Die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen sind dafür noch nicht vorhanden.278 Ungeachtet dessen besteht die Möglichkeit, daß Landesparlamente Empfehlungen oder Instruktionen hinsichtlich des Verhaltens ihrer Regierung im Bundesrat beschließen. Das Instrument des Parlamentsbeschlusses wird in den Fällen abgelehnt, wo sie einen Gegenstand der ausschließlichen Bundesgesetzgebungskompetenz im Sinn des Art. 73 GG betreffen, weil die Gefahr besteht, daß die sorgfältig ausdifferenzierte Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern relativiert würde.279 2.2 Die Initiativen zu einer Reform
Eine Lösung kann auf der Ebene von weitreichenden Kommunikationsund Aushandlungsmechanismen liegen. Unter Umständen könnte dadurch das Pochen auf bindende Beschlüsse verhindert werden,280 ohne daß die Parlamente den Anspruch des Mitregierens verlören. Die Relevanz dieser Sichtweise wird deutlichangesichtsder Tatsache, daß ein verbindliches Weisungs- und Instruktionsrecht der Landesparlamente gegenüber der Landesregierung verfassungsrechtlich keineswegs unumstritten ist.281
278 Nach Ansicht von Jooss, Gerhard, Klaus-Dieter Scheurle: Die bundesstaatliche Ordnung im Integrationsprozeß unter besonderer Berücksichtigung der EuGH-Rechtsprechung und der Rechtsschutzmöglichkeiten der Länder, in: EuR 24 (1989), S. 226 - 236 (228 ff) ist eine derartige Entwicklung doch eher unwahrscheinlich, vgl. besonders S. 235 ff. 279 Scholz, S. 845 äußert sich sehr kritisch dazu. 280So der Vorschlag von Goll, Ulrich: Mitwirkung der Landtage bei EG-Vorhaben: Preisgabe von Beteiligungsrechten, in: ZfG 3 (1989), 258 - 269 (266) im Fall einer ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz. Ergänzung Ziff. 2a: "Die Landesregierung ist bei ihrer Entscheidung im Bundesrat an die Stellungnahme des Landtags, in Eilfällen des zuständigen Ausschusses gebunden.• Es ergeht die Forderung nach "Doppelzuständigkeit" von Landtag und Regierung. 281 Ebd., s. 262.
VI. Die Beteiligung der Landtage
253
Die ersten Initiativen zu einer Reform kamen aus den Reihen des Bundestags.282 Sie wurden zum Teil von der Konferenz der Landtagspräsidenten am 20. April1978 aufgegriffen.283 Einigen Landtagen dienten sie als Grundlage für weitere Anträge. Mit der Entschließung der Landtagspräsidenten von 1983284 wurden bereits bestehende Regelungen, wie sie für Rheinland-Pfalz oder eingeschränkt für Niedersachsen285 bestanden, aufgenommen und zukunftsweisende Konzepte form.uliert. 286 Am 9.1.1985 wurde eine Entschließung zu den "Kompetenzen der Landtage" von einer von den Fraktionsvorsitzeoden-Konferenzen von CDU /CSU, SPD und FDP berufenen interfraktionellen Arbeitsgruppe (Martin-Kommission) verabschiedet.287 Eine Entschließung des baden-württembergischen Landtags vom 27.3.1985 zu den Bemühungen um eine innerstaatliche Bundesstaatsreform ging inhaltlich teilweise über obiges Papier hinaus. Die Landesregierung hatte sich im Vorfeld bemüht, auf der Ebene der Ministerpräsidentenkonferenz die vom Landtag geforderte Diskussion in Gang zu bringen. Bei der Konferenz der Chefs der Senats- und Staatskanzleien am 15.2.1985 wurde eine Arbeitsgruppe mit dem Auftrag eingesetzt, eine Stellungnahme zu der Entschließung der Mactin-Kommission zu verabschieden. Die Federführung lag bei Rheinland-Pfalz. Während der Beratung drängten vor allem Bayern, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz darauf, die Diskussion mit größerem Nachdruck fortzusetzen. Dagegen hatte sich eine Mehrheit der anderen Bundesländer ausgesprochen. Für den Vor-
282über die Arbeiten der Enquete-Kommission Verfassungsreform 1973 - 1976, Laufer, Heinz: Verfassungsreform in der Bundesrepublik. München 1979; darin Ders., Bund und Länder, S. 109- 143 (135 - 139). 283stellungnahme der Konferenz der Landtagspräsidenten, Rh-Pf LT Vor!. 8/516.
284Bei der Sitzung der LandtagsPräs vom 25.4.1974 wurde bereits die Befürchtung geäußert, •... daß jedenfalls bei Gesetzesvorhaben des Bundes, die zur Beeinträchtigung der Kompetenzen der Landesparlamente führen könnten, diese rechtzeitig und angemessen beteiligt werden sollen" LandtagsPräs 14.1.83: Standortbestimmung "Perspektiven der Landesparlamente", in: ZParl 13 (1983), S. 357 ff; Rh-Pf LT-Drs. 10/1150; Nds LT-Drs. 10/3810; vgl. auch Absprache einer von CDU/CSU, SPD und FDP 1983 eingerichteten interfraktionellen Arbeitsgruppe "Kompetenzen der Landtage". Die Einfügung des Art. 2 in Art. 79 GO wurde in der Entschließung vom 30.11.1984 veröffentlicht; zu den ~eäußerten Bedenken, Eicher, S. 123; in der Entschließung von 1983 haben die Landtagspräsidenten vorgeschlagen, die Landtage auch über Angelegenheiten der Europ. Gemeinschaften zu unterrichten, soweit ihre Kompetenzen berührt werden. Dieser Wunsch wurde wieder aufgenommen in der Entschließung der deutschen Landesparlamente am 4.11.1986, siehe auch, HrbekfThaysen, Die deutschen Länder, Dok. 21. 285 zu Rheinland-Pfalzund Niedersachsen, Goll, S. 260 und Eicher, S. 121. 286 Vgl. BW LT-Drs. 10/10062 v. 16.3.1989; Goll, S. 260. 287 Martin, Albrecht: Möglichkeiten, dem Bedeutungsverlust der Landesparlamente entgegenzuwirken, in: ZParl. 14 (1984), S. 278- 290.
2S4
D. Die Gestaltungsmöglichkeiten der Länder
schlag Bayerns, dem Bundeskanzler die Einsetzung einer entsprechenden Arbeitsgruppe zu empfehlen, fand sich keine Mehrheit,288 was die Erwartungen an eine erfolgreiche Bundesratsinitiative schwinden ließ. Auf der 65. Konferenz des Präsidentinnen und Präsidenten der deutschen Landesparlamente vom 27. bis 30. Mai 1990 in München wurde unter dem Eindruck des Staatsvertrags zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR die Verantwortlichkeit der deutschen Landesparlamente für die Gestalt des Föderalismus festgestellt. Ein eigens eingerichtetes Gremium sollte länderbezogene Vorschläge in den Willensbildungsprozeß der Verfassungsorgane des Bundes und der Länder einbringen.289 Auf dem 67. Treffen der Präsidentinnen und Präsidenten der deutschen Landesparlamente Ende 1990 befaßten sich die Teilnehmer intensiv mit der Weiterentwicklung der EG zur Politischen Union. Dabei wurde die Einführung und Festigung regionaler Strukturen mit entsprechender demokratischer Legitimation durch eine Regionalkammer diskutiert.290
3. Das Verhalten der einzelnen Landtage: Eine Bestandsaufnahme Die Landesregierung, die freiwillig eine entsprechende Bindung eingeht, kann dies auf das Prinzip politischer Kooperationsbereitschaft zurückführen oder auf die Verpflichtung zum parlamentsfreundlichen Verhalten. Gezwungen werden kann sie nicht.291 Deutliche Vorbehalte bestehen gegen die sogenannten oktroyierten Informationspflichten. Aus der Praxis läßt sich jedoch das Bemühen der Landesregierungen um eine rasche Informationsweitergabe feststellen. Dies nachzuvollziehen, wird Gegenstand der folgenden Analyse sein.
288 Siehe Besprechung der Staats- und Senatskanzleien der Länder am 11./12.9.1986, BW LT-DIS. 9/4678 v. 25.6.1987, Mitteilung der Landesregierung. 289 BürgeiSChaft HH- DIS. 13/fi.Y37 v. 285.1990. 290 Siehe Das Parlament v. 30.11.1990. 291 Aufgrund des Briefwechsels zwischen dem Ministerpräsidenten und dem Landtagspräsidenten vom 1. Juli 1977 wird in Rheinland-Pfalz der zuständige Ausschuß des Landtags über entsprechende Vertragsverhandlungen, von denen die Landesregierungen über die ständige Vertragskommission der Länder Kenntnis erlangt hat, informiert, Rh-Pf LT-DIS. 8/2266; vgl. auch Antwort des MinisteiS der Justiz 22.10.1980 auf die große Anfrage der CDU-Fraktion über Europapolitik, daß der Landtag über wichtige EG-Vorhaben informiert wird, und zwar während der Kommissionsphase und nach Beginn der Ratsphase, Rh-PfLT-DIS. 9/1122 S. 6 f. Die Unterrichtung erfolgt nicht nur, wo besondere Intentionen des Landes berührt sind, sondern auch, wenn es um die EG-Vorhaben geht, Rh-Pf LT-DIS. 8/2307.
VI. Die Beteiligung der Landtage
2SS
3.1 Baden-Württemberg
Die Äußerungen des Landtags zu Europa sind in den meisten Fällen zustimmend, da Konsens über die Notwendigkeit vielfältiger politischer, wirtschaftlicher und kultureller Kontakte für das Bundesland als Grenzland besteht.292 Direkte Initiativen zu einer stärkeren Beteiligung der Volksvertretung gab es allerdings zunächst nicht, weil sich die Landesregierung als eigenständig europapolitisch handelnd verhielt und wenig Spielraum für selbständiges Handeln der Volksvertretung ließ. Anläßtich der ersten Direktwahl wollte der Landtag an einem breiten parlamentarischen und demokratischen Fundament durch entsprechende Bewußtseinsbildung in der Bevölkerung mitwirken.293 Die Aktivitäten zugunsten einer hohen Wahlbeteiligung wurden vor allem durch die Ergebnisse einer Meinungsumfrage über die Wahlbereitschaft hervorgerufen. Sie stellte fest, daß nur etwa die Hälfte der Bevölkerung zur Wahl gehen werde.294 Die Arbeit des Landesbeauftragten für die Buropawahl und der Buropakommission fand bei den Fraktionen weitestgehende Zustimmung.295 Seine Tätigkeit wurde durch die Gründung eines Direktwahlkomitees unterstützt. Nach einem Antrag der FDP/DVP-Fraktion, der von der CDU unterstützt wurde, sollte die Landesregierung über den Bundesrat unter anderem auf eine ausgewogene Beteiligung aller Bundesländer im Buropaparlament auf der Grundlage eines Wahlsystems eintreten, welches die Grundsätze der
292 Ab der 7. Wahlperiode verstärkte sich im Vorfeld der Wahl zum EP die Anzahl der Stellungnahmen, BW LT 7.WP 1. Sitzung v. 2.6.1976; vgl. auch BW LT 7.WP 71. Sitzung v. 1.3.1979, S. 4685; früher gab es vereinzelt Fragen zur Raumstruktur-, Bildungs- und Arbeitnehmerpolitik. 293 Vgt. BW LT 6. WP 54. Sitzung v. 95.1974, Protokoll, S.3429, Aufruf des Präsidenten; BW LT 1.WP 67.Sitzung v. 13.12.1978, S. 4409, Bekenntnis zur Europawahl; die FDP zeigte sich eher skeptisch bezüldich des Erfol~ in der Bevölkerung, vgl. BW LT-Drs. 7/1659 vom 265.1977 Antrag der SPD und Drs. 7/1660 vom 275.1977 Antrag der Fraktion der PoPfDVP; für die CDU, vgl. BW LT-Drs. 7/1659 vom 275.1977, siehe auch BW LT-Drs. 7/5411 v. 15.3.1979, mit dem Hinweis, daß die Buropawochen stattfmden sollen und die diesbezüldiche Antwort, BW LT-Drs. 7/5631 v. 11.4.1979; zum Engagement der FDP-Fraktion, BW L'f:.Drs. 7/1908 vom 8.7.1977: "Eine ungenügende Wahlbeteiligung wäre ein bedauerlicher Rückschlag auf dem Weg zu einer europäischen Einigunf für die sich die liberalen Fraktionen in allen europäischen Staaten ständig eingesetzt haben. 294 Blätter vor BW LT-Drs. 7/2736 v. 6.12.1977. 295 Zu den Aktionen der Landesregierung, BW LT-Drs. 7/'}J)14 v. 11.8.1977. Dem Landesbeauftragten für die Direktwahl standen für die Jahre 1977 und 1978 je 300.000 DM zur Verfügung; vgl. auch Staatshaushalt Mittel für Sonderbeauftragte der Landesregierung für Vorbereitung der Direktwahl, BW LT-Drs. 7/892 v. '}J).1.1977.
256
D. Die Gestaltungsmöglichkeiten der Länder
Verhältniswahl mit Bundeslisten verband.296 Diese sogenannten verbundenen Landeslisten sollten gewährleisten, daß sich im Bereich der Arbeitsförderung und in kulturpolitischen Fragen, aber auch in der Landwirtschaftsund Strukturpolitik eine angemessene Vertretung Baden-Württembergs erzielen ließ. Die Landesregierung willigte unter Hinweis auf verfassungsrechtliche Bedenken nicht ein, daß der Landtag das Informationsbüro als Informationsund Kontaktschiene benutzen konnte.297 Als sie sich aber doch einverstanden erklärte, im Rahmen der Unterrichtung über europapolitische Angelegenheiten dem Landtag bei der Beschaffung von zusätzlichen Informationen behilflich zu sein, bedeutete dies den Abschluß langwieriger Aushandlungsprozesse. Die Landesregierung war grundsätzlich einverstanden, sobald der Abschluß einer entsprechenden Bund-Länder-Vereinbarung absehbar war, Gespräche mit dem Landtag über dessen Beteiligung an EG-Vorhaben aufzunehmen.298 Die analog zur Vorgabe des Art. 2 Abs. 2 EEAG getroffene Vereinbarung "... unterrichtet die Landesregierung den Landtag auch über den zeitlichen Rahmen des Beratungsablaufs und über wesentliche Änderungen des Verhaltens, um ihm oder dem zuständigen Ausschuß eine Stellungnahme zu ermöglichen ...",299 stellt eine Art Bindung der Regierung dar, und ist Ausdruck der Bemühungen, den Landtag an Entscheidungsprozessen teilhaben zu lassen. Eine jüngste Initiative der FDP/DVP betrifft die Forderung nach Einrichtung eines Landtagausschusses für Europaangelegenheiten.300 3.2Bayem Der Abgeordnete Haußleiter, der häufig mit Stellungnahmen zu Europafragen hervortrat, äußerte schon in den 50er Jahren die Ansicht, daß 296Ebd. 297 BW LT-Drs. 9/4621 v. 25.6.1987. 298 BW LT-Drs. 9/5194 v. 8.12.1987, Antwort der Landesregierung; vgl. allgemeine Entschließung des Landtags zur Mitwirkung, BW LT-Drs. 9/3833. Eindringlich wurde hingewiesen auf eine Bundesstaatsreform und das Ziel einer Neuverteilung der Gesetzesaufgaben zwischen Bund und Ländern sowie eine stärkere Beachtung der bundesstaatliehen Strukturen durch EG-Organe bei der Rcchtsetzung. 299
300
BW LT-Drs. 10/10062. BW LT- Drs. 10/3444 v. 7.6.1990, S. 1.
VI. Die Beteiligung der Landtage
257
der Ministerpräsident durch den Landtag gebunden sei.301 Daraus leitete er die Verpflichtung der Landesregierung nach einer regelmäßigen und ausreichenden Informationsweitergabe ab.302 Diese Vorstellungen fanden unter den anderen Abgeordneten ein geteiltes Echo. Einige plädierten für ein frühzeitiges Engagement, wobei die Perspektive einer Union der europäischen Völker eine Rolle spielte, andere waren der Ansicht, der Landtag solle sich nicht mit außenpolitischen Fragen beschäftigen.303 Ein Engagement hätte wohl auch wenig Aussicht auf Erfolg gehabt, weil die Landesregierung einem derartigen Ersuchen einen Riegel vorschob.304 Der Landtag beharrte auf seinem Anliegen und forderte immer dann eine ausführliche Information durch die Regierung, wenn er um die Substanz der Landeskompetenz fürchtete.305 Einen Wendepunkt bildete die Diskussion um die Einheitliche Europäische Akte während der 10. Wahlperiode. Die Sorge, regionale Besonderheiten würden um der Integration willen geopfert werden, spiegelte sich vor allem in Stellungnahmen von CSU-Abgeordneten wider. Daher unterstützen sie die frühzeitige Initiative der Staatsregierung, die Position der Länder bei der Übertragung von Hoheitsrechten auf zwischenstaatliche Einrichtungen zu verbessern und eine wirksame Beteiligung der Länder an der innerstaatlichen Willensbildung der Bundesrepublik bei der Vorbereitung von Entscheidungen der EG sicherzustellen.306 Um auch dem Landtag eine Be301 Vgl. Bay LT-StBB Nr. 148 v. 3.6.1953, S. 1557; er kritisierte, daß anscheinend die Meinung des Landtags für die Landesregierung nicht von Bedeutung sei; vgl. auch Bay LT-StBB Nr. 136 v. 14.4.1953, S. 1071 f. 302 Auf die Anfrage an MinPräs Ehard, warum anläßlich des Beitritts zum Europarat der bayerische Landtag nicht gehört wurde, antwortete Ehard, daß er die Zustimmung als selbstverständlich erachtet habe. Einen ähnlichen Antrag brachte HauSleiter bezüglich des Generalvertrags vor und forderte einen Ausschuß für Bundesratsangelegenheiten, vgl. Bay LT-StBB Nr. 134 v. 17.3.1953, S. 957 f. 303 Bay LT-StBB Nr.169v. 25.11.1953, S. 273; Bay LT-StBB Nr. 189v. 30.3.1954, S. 1052. 304 BayHStA StK 113 161 betr. Unterrichtung des Landtags über außenpolitische Angelegenheiten v. 30.3.1954. 305 Bay LT-StBB Nr. 189, S. 1054, Ehard sprach von direkter Einwirkung auf die Landesregierung, um gegen den Bund aktiv zu werden; vgl. auch Stellungnahme v. Knoeringen, Bay LT-StBB Nr. 180 v. 4.2.1954, S. 707; HauSleiter äußerte sich zu einer Politik der Stärke gegenüber Bonn, vgl. Bay LT-StBB Nr. 191 v. 1.4.1954, S. 1104, weil der Bundesrat in außenpolitischen Fragen nicht mitbestimmen dürfe. Er wies auf das DefiZit hin, daß bei Schaffung des Grundgesetzes die Bindung und die Beziehung des Ministerpräsidenten zu den Landesparlamenten nicht berücksichtigt wurde, Bay LT-StBB Nr. 189 v. 30.3.1954, S. 1048, 1049, 1051; zur Information in der 4. Wahlperiode, Antrag Heinrich Pezold, FDP, Bay LT-Drs. 4/2856 v. 19.2.1962: •... daß die Staatsregierung über die mutmaßlichen Auswirkungen der EWG-Beschlüsse vom 14.1.1962 für die bayerische Wirtschaft berichten soll." 306 Vgl. schon vorher Bay LT-Drs. 10/9361 v. 19.2.1986; vgl. auch einstimmige BeschlußEmpfehlung des Ausschusses für Bundesangelegenheiten, Bay LT-Drs. 10/9503 v. 27.2.1986; vgl. auch Bay LT-Drs. 10/9726 v. 19.3.1986 und neuerlicher Dringlichkeitsantrag Bay LT-Drs. 17 FuhnnaM-Mittlmeier
258
D. Die Gestaltungsmöglichkeiten der Länder
teiligung bei den den bundesstaatliehen Aufbau berührenden Gesetzen zu ermöglichen, wurde eine Verlängerung der Frist für die Stellungnahme des Bundesrats im ersten Durchgang auf drei Monate gefordert. Weiterhin sollte Art. 2 des Gesetzes zu den Verträgen vom 25. März 1957 zur Gründung der EWG und der Euratom dahingehend ergänzt werden, daß eine frühzeitige Beteiligung des Bundesrats sichergestellt wäre. Ein weiteres Anliegen betraf die Bindung der Bundesregierung an Entscheidungen des Bundesrats in Angelegenheiten, die nach den Bestimmungen des Grundgesetzes von den Länder zu regeln wären oder deren Interesse berührten. Auch mit einer dritten Forderung kam der Bayerische Landtag der später beschlossenen Vereinbarung zwischen zwischen dem Bund und den Ländern recht nahe. Vertreter der Länder wären zu Beratungen der Kommission, des Rats und deren Gremien hinzuzuziehen. In diesem Rahmen fallen auch die Bemühungen um eine Novellierung des Art. 24 Abs. 1 GG. Die SPD sprach sich für eine Änderung der Initiative der Landesregierung zu Art. 24 GG aus in dem Sinn, daß die Zustimmung der Landesparlamente und nicht nur die des Bundesrats erforderlich sei.307 Genau wie dieser wurde auch eine Forderung der SPD nach einem erforderlichen positiven Votum der Landesparlamente bei Übertragung von Länderkompetenzen auf zwischenstaatliche Einrichtungen abgelehnt.308 Der bayerische Landtag setzt ähnliche Akzente in bezug auf die Europapolitik wie die anderen Parlamente. Einerseits verfolgte er mit Interesse Fortschritte im vereinten Europa, andererseits fühlte er sich schon früh aufgerufen, eventuelle Nebenwirkungen für die Eigenständigkeil und Staatlichkeil des Freistaats rechtzeitig zu thematisieren. Engagiert verteidigte er seine Ansprüche, in den europapolitischen Meinungsbildungsprozeß der Staatsregierung einbezogen zu werden. Mit Unterstützung auch der Opposition konnte die CSU-Staatsregierung für ihren Kurs rechnen, in möglichst vielen Bereichen die Eigenständigkeil des Landes zu bewahren und gegen jegliche Versuche der Kompetenzbeschneidung rechtzeitig vorzugehen.309
10/10065 v. 23.4.1986 und Beschluß 10/10087 v. 24.4.1986; vgl. auch Bay LT-Drs. 11/15123 v. 15.12.1990. 307 Vgl. Bay LT-Drs. 11/2625 v. 9.7.1987; dies wurde vom Ausschuß für Verfassungs,Rechts- und Kommunalfragen abgelehnt, Bay LT-Drs. 11/2755 v. 21.7.1987. 308
Vgl. Bay LT-Drs. 11/4501 v. 8.12.1987. 309 Zu den Forderungen des Landtags an die Regierungskonferenz des Europäischen Rats zur Politischen Union, Bay LT-Drs. 11/17263 v. 4.7.1990.
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3.3 Berlin Das Abgeordnetenhaus von Berlin fiel bislang nicht durch eine besondere europapolitische Aktivität auf. Die Situation nach der Vereinigung Ost- und Westdeutschlands wird daran sicher etwas ändern. Durch die regelmäßigen Berichte des Buropabeauftragten sehen sich die Abgeordneten ausreichend informiert. Die Anfragen richteten sich zumeist auf wirtschaftspolitische Themen; nur vereinzelt war das Thema Berlin in einem vereinten Europa Gegenstand der Debatten. 3.4Bremen Die Bürgerschaft forderte zunächst regelmäßig Europaberichte, in denen die konkreten Fortschritte auf dem Weg zu einem politisch und wirtschaftlich geeinten Europa dargelegt werden sollten. Trotzdem betrachtete sie diese Regelung bald für nicht mehr ausreichend und forderte mehr Mitbestimmung. Vorrangiges Ziel sollte es jedoch nicht sein, den Senat auf ein bestimmtes Verhalten im Bundesrat festzulegen?10 Der Senat sah sich andererseits nicht als "zweites Europaparlarnent", sondern als Diskussionsforum für die im Zusammenhang mit dem Binnenmarkt auftauchenden Probleme, Chancen und Risiken. Ein eigener EG-Ausschuß wurde nicht eingesetzt?11 Es sollte genügen, daß der Senat in den Deputationen regelmäßig auch über EG-Vorhaben berichtete und Vorlagen beraten ließ. 3.5 Harnburg Der Senat der Freien und Hansestadt Harnburg zeigte sich an einer raschen Verbesserung des Mitwirkungsverfahrens der Länder in EG-Angelegenheiten sehr interessiert und begrüßte daher das Ergebnis des Ratiftzierungsverfahrens zur Einheitlichen Europäischen Akte. Seine skeptische Haltung gegenüber einer raschen Einigung behielt er bei. Die CDUFraktion forderte eine Stellungnahme über den Zugewinn von Handlungsspielraum auf seilen des Bundes, fand dafür jedoch nicht die Unterstützung
310 So mit Drucksache 10/357 v. 21.11.1988 und Beschlußprotokoll der 34. Sitzung v. 2.2.1989, Nr. 12/384 bis 12/317; vgl. auch ergänzend, Bremen Bürgerschaft-Drs. 12/992 v. 9.10.1990, Antrag der FDP: "Die Bürgerschaft (Landtag) hält es daher für falsch, wenn einzelne Bundesländer den Versuch unternehmen, eine Nebenaußenpolitik zu betreiben." 311 Vgl. Schreiben R Uhde v. 11.9.1989.
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der SPD-Abgeordneten.312 Ihres Erachtens sollte sich die Bürgerschaft auf ihre originäre Aufgabe konzentrieren. Auf einen Vergleich mit anderen Landtagen, die in EG-Angelegenheiten sehr viel an Mitwirkung erreicht hatten, mochte man sich gleichfalls nicht einlassen, weil sich ein ähnliches Engagement von vornherein aus organisatorischen und zeitlichen Gegebenheiten ausschließe. In Harnburg gibt es wie in Schleswig-Holstein keinen EG-Ausschuß.313 3.6 Hessen Im hessischen Landtag mahnten Opposition wie Regierungsfraktion wiederholt ihre Kontroll- und Informationsrechte an. Den Mitwirkungschancen waren jedoch Grenzen gesetzt, weil der Landtag an den Beratungen der Landespläne nicht beteiligt wurde?14 Im Landtag gibt es keinen EG-Ausschuß.315 Die Kontakte zu EuropaParlamentariern gehen über die Parteien. Besuchsprogramme für Brüssel und Straßburg sind nicht geplant. 3.7 Niedersachsen Bereits während der ersten Wahlperiode wollte die Fraktion der DP wissen, warum die Landesregierung im Bundesrat einem Gesetzesentwurf der Bundesregierung über den Beitritt zum Europarat die Zustimmung versagt habe.316 Ab der vierten Wahlperiode wurden aus dem Landtag weitere Anträge zu europapolitischen Fragestellungen eingebracht.317 Die erste Direktwahl gab Anlaß, sich noch intensiver mit dem Thema Europa zu befassen. DieSPD-Fraktion verlangte Auskunft über den Stand der Informationspolitik der Landesregierung und verband damit Fragen nach 312 Begründet wurde diese mit der Bedeutung der Angelegenheit und der Gesetz~ebungs kompetenz der Bürgerschaft, vgl. HH Bürgerschaft-Drs. 13/438 v. 29.9.1987. Es gab m dieser Angelegenheit eine Pattsituation zwischen SPD und FDP auf der einen Seite, Grüne/AL und CDU auf der anderen Seite (7: 7). 313 Bürgerschaft HH Pari. Dok. 23.5.1989 für Hamburg; Mitteilung Landtag von Schleswig-Holstein v. 19.5.1989. 314 Die Grünen formulierten v.a. diese Kritik, Hess LT-Drs. 12/4447 v. 3.5.1989. 315 Mitteilung Schmidt v. Juni 1989. 316 Mitteilung Nds LT-Drs.l/2090 v. 1.6.1950. 317 DP-Fraktion wegen des Ausbaus einer Europastraße, Nds LT-Drs. 4/526 o.D.; Antrag der CDU-Fraktion für ein EWG-Arbeitsprogramm, Nds LT-Drs. 5/863 v. 22.10.1963; vgl. auch Nds LT-Drs. 11/4897v. 23.1.1990.
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vorhandenen Unterrichtsmaterialien und Möglichkeiten zur Lehrerfortbildung.318 Die Auskünfte darüber, welche Aktivitäten von seiten der Landesregierung ergriffen wurden, um Europa zum Schwerpunkt im Lehrund Ausbildungswesen zu machen, welche Bedeutung zum Beispiel auch der grenzüberschreitenden Medienpolitik zugewiesen wurde, nahmen ab der zehnten Wahlperiode zu. In diesen Zusammenhang fallen auch die Bemühungen der Landesregierung, vertreten durch die Minister für Bundesangelegenheiten, den Landtag über die Auswirkungen der europäischen Inte· gration zu informieren.319 Erst in Zusammenhang mit der EEA und der Entschließung der Präsidenten der deutschen Landesparlamente vom 4. November 1986 konkretisierte der Landtag seine Vorstellungen zur europapolitischen Zusammenarbeit mit der Landesregierung.320 Die Landesregierung hätte demnach auf eine strenge Wahrung des Subsidiaritätsprinzips zu achten, Auswirkungen der Europäischen Gemeinschaft auf das Land rechtzeitig zu erkennen und in ihre Arbeit einfließen zu lassen. Der Landtag forderte eine bessere und schnellere Unterrichtung durch die Landesregierung auch über Entscheidungen im Bundesrat, damit er Gelegenheit habe, rechtzeitig seine Stellungnahmen abzugeben und seiner Kontrollfunktion gerecht zu werden. Dies sollte nicht als Zeichen der Konkurrenz gewertet werden, sondern als Bereitschaft zur Zusammenarbeit. Die Parlamentarier waren der Ansicht, daß die Problematik, einerseits die Meinungs- und Entscheidungstindung der EG nicht grundsätzlich zu erschweren, andererseits jedoch die Landesparlamente in ihren eigenen Zuständigkeiten angemessen zu berücksichtigen, nur durch erhöhte Aufmerksamkeit für Buropafragen behoben werden könnte?21 Die Zukunft Europas liegt für die Fraktionen in einem föderativ aufgebauten Gebilde, wobei den Ländern eine wichtige Funktion zukomme.322 Dabei werden Überlegungen mit folgender Zielrichtung angestellt?23
318 Nds LT-Drs. Nr. 8/2138 v. 14.12.1976, die Schulen sollten miteinbezogen werden, dazu auch Nds LT-Drs. 10/506v. 1.12.1982, S. 24. 319 Nds LT-Drs. 10/506 v. 1.12.1982. 320
Nds LT-Drs. 11/1811 v. 11.11.1987. 321 Nds LT 11. WP 1. Sitzung v. 9.7.1986, S. 13. 322 Nds LT-Drs. 11/2581 v. 18.5.1988. der Landtag war bereit, verstärkt aufDdie europäi-
sche Politik Einfluß zu nehmen.
323 Nds LT 11. WP 1. Sitzung v. 9.7.1986, S. 13.
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Echte Mitwirkungen der Europäischen Parlaments an der Rechtsetzung der EG. Umbildung des Ministerrats zu einer Zweiten Kammer, in der neben den zentralen Staatsorganen auch die Bundesländer und Regionen mitwirken. 3.8 Nordrhein-Westfalen Der Landtag von Nordrhein-Westfalen äußerte Skepsis gegenüber dem Schuman-Plan,324 die KPD-Fraktion lehnte ihn sogar vollständig ab?25 Die SPD, die hinter dem Plan "kein Europa" zu entdecken vermochte, konnte die Argumentation des Ministerpräsidenten, auf die wirtschaftliche Einigung werde zwangsläufig die politische folgen, nicht nachvollziehen?26 Ein CDUFraktionsangehöriger bedauerte, daß die Länder keine gesetzliche Möglichkeit hätten, sich in Bonn mit ihren speziellen Interessen zu Wort zu melden.327 Nach der ausführlichen Debatte über die Montan-Union beschäftigte sich der Landtag für längere Zeit nicht mehr mit europapolitischen Fragen. In der siebten Wahlperiode forderte die CDU Initiativen für weitreichendere Mitspracherechte bei bundespolitischen Entscheidungen. Diese sollten eingebettet sein in eine allgemeine Reform des Föderalismus.328 Mit der Formel Europäische Einheit statt kleinstaatlicher Föderalismus warnte die FDP, die europäische Einigung am Länderegoismus scheitern zu lassen. Es waren gerade die Liberalen, die immer wieder betonten, eine Zusammenarbeit der Regionen wäre ein erster Schritt, um dem Föderalismus als Strukturprinzip eines vereinten Europas zum Durchbruch zu ver-
324 Vgl. NRW LT 42. Sitzung v. 20.2.1952, S. 1550- 1568; vgl. dazu auch Erklärung des Abgeordneten Häusler, SPD: "Es steht wohl außer jedem Zweifel, daß der Schuman-Pian einer der bedeutendsten Vorlagen war, die je nach 1945 in einem deutschen Parlament beraten wurde ... ebenfalls steht aber außer Zweifel, daß das Land Nordrhein-Westfalen das Land ist, das am meisten davon betroffen wird." 325 NRW LT-Drs. 2/555 v. 8.12.1951, NRW LT 42. Sitzung v. 20.2.1952, S. 1555 - 1558. 326 Vgl. NRW LT 42. Sitzung v. 20.2.1952, S. 1567, Nölting, SPD: "Sie sagen: Erster Schritt auf Europa, wir sagen: Leider eine Sackgasse.• 327 Vgl. NRW LT 3. Sitzung v. 27.7.1954, S. 13, daß NRW nicht gewillt sei, eine entscheidende Rolle im Bundesrat zu spielen. 328 NRW LT 3.Sitzung v. 31.7.1970, S. 33; vgl. auch 12. Sitzung v. 9.2.1971: "Die CDU wird nicht hinnehmen, daß dieser Landtag zu einer Abstimmungsmaschine degradiert und zur Transformationsstelle für Verwaltungspläne gemacht wird."
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helfen.329 Nur auf diese Weise gelänge es, das Subsidiaritätsprinzip durchzusetzen in den Fällen, die von den Ländern sachgerecht und bürgernah gelöst werden könnten.330 Unter dem Aspekt der Ausschöpfung politischer Gestaltungsmöglichkeiten sollte dabei die Rolle des Landtags neu überdacht werden. Diese Ansicht vertritt auch die SPD, wenn sie sich immer wieder zu dem Ziel eines Vereinten Europas der Bürgerinnen und Bürger bekennt und betont, daß Nordrhein-Westfalen als europäischer Region darin ein angemessener Platz zukomme.331 Die CDU, die die Bundesländer aufgrund ihrer Staatlichkeit als Teileinheit der EG hervorhebt,332 stilisiert das Demokratiedefizit, das sich durch die fortschreitende Integration verstärke, zu einer elementaren Fragestellung für das Selbstverständnis einer Volksvertretung.333 Im September 1990 brachten die im Landtag vertretenen Fraktionen einen gemeinsamen Antrag über die Einrichtung eines Unterausschusses des Hauptausschusses Europapolitik und Entwicklungsarbeit ein, der die Entwicklungen auf europäischer Ebene und die Beteiligung der Länder am europäischen Einigungsprozeß erörtern und den Kontakt zu den Europaabgeordneten und europäischen Institutionen halten soll.334
329 NRW LT-Drs. 10/3739 v. 2.11.1988.
330 Als Beitrag zur Erhaltung und Fortentwicklung der bundesstaatliehen Ordnung der Bundesrepbulik - auch in einem vereinten Buropa - setzte der Landtag eine Gutachterkommission em. Dieser sollen 6 Wissenschaftler und weiter 3 Mitglieder der ~litischen Praxis angehören, siehe NRW LT-Drs. 10/3243 v. 255.1988, S. 2; zur regionalen VIelfalt, NRW LT-Drs. 10/3216 v. 115.1988; vgl. auch Rede des Präsidenten des Landtags v. 195.1987; vgl. auch in diesem Zusammenhang, Antrag der POP, NRW LT-Drs. 11/155 v. 14.8.1990 zur Parlamentsreform: "Jede Fraktion kann einen Bericht der Landesreg~erung über deren Verhalten im Bundesrat mit anschließender Aussprache einfordern.•
331 Daher auch die Forderung nach Bewahrung bundesstaatlicher Ordnung, NRW LT 3. Sitzung v. 27.7.1954, S. 13 und NRW LT-Drs. 10/3243 v. 255.1988. 332 NRW LT-Drs. Nr. 10/2556 v. 9.11.1987, Forderungen besonders unter Il., S. 3.
333 Besonders vor der 3. Direktwahl wurde wieder diskutiert, daß das EP Kompetenzen bezüglich Haushalt und Kontrollbefugnis bekommen solle, NRW LT-Drs. 10/4431 v. 15.1989; 10/4476 V. 9.6.1989; 10/4432 V. 35.1989. 334 NRW LT-Drs. 11/328 v. 11.9.1990; zur Einrichtung des Ausschusses, Boldt, Hans,
Wemer Reh: Instrumente der Landespolitik in der Europäischen Gemeinschaft, in: Die Kraft der Regionen, S. 59 - 71 (6.5) unter Hinweis auf die Stellungnahme des Ministerpräsidenten, vgl. NRW LT-Drs. 10/11o9 v. 4.7.1987.
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D. Die Gestaltungsmöglichkeiten der Länder 3.9 Rheinland-Pfalz
Die Entwicklung des Landtags von Rheinland-Pfalz zu einem Befürworter europapolitschen Engagements deutete sich schon früher als bei den anderen Landesparlamenten durch ein aufmerksames Kommentieren des Prozesses der europäischen Verständigung an. Als einer der ersten forderte er seine Einschaltung zur Wahrung der Landesinteressen.335 Als das Parlament sich zum Beitritt der Bundesrepublik in den Europarat äußerte, erkannte es eine Übereinstimmung mit dem Saarland als einem ebenfalls besonders von der europäischen Einigung betroffenen Land. Das Interesse für die Saar blieb bestehen. Die Fraktion der SPD ersuchte nämlich die Landesregierung, im Bundesrat gegen die Ratifizierung des Saarabkommens Einspruch zu erheben.336 Zusicherungen der Regierung, verstärkt für ein Mitwirken der Bundesländer im Entscheidungsprozeß in Brüssel einzutreten, wurden vom Landtag positiv aufgenommen und mit der Fragestellung verknüpft, in welcher Weise auch das Parlament in den Prozeß eingeschaltet werden könnte. Als Erfolg ist zu werten, daß das Parlament in der achten Wahlperiode die Garantie über die Unterrichtung in Bundesangelegenheiten erhielt.337 Ab der neunten Wahlperiode bekam der Landtag Mitteilung über Beschlüsse der Fachministerkonferenzen - allerdings mit der Einschränkung - "soweit sie der verfassungsrechtlichen Entscheidungskompetenz des Landtags unterliegen".338 Die Landesregierung war der Ansicht, damit einen Beitrag geleistet zu haben für die effektivere Inanspruchnahme der verfassungsmäßigen Rechte der Abgeordneten. Das Parlament sollte über EG-Vorhaben noch während der Kommissionsphase informiert werden, soweit ein ausdrücklicher Beschluß einer Fachministerkonferenz zu EG-Vorhaben gefaßt würde, und nach dem Beginn der Ratsphase, sobald ein entsprechender Entwurf im Bundesrat anstünde.339 Damit wurde dem Landtag bei EG-Vorhaben eine über die Re335 Vgl. Rh-Pf LT-Drs. 13/Abt. U v. 24.11.1955 und Antrag der SPD im Zusammenhang mit dem Bundesgesetz zur Aufstellung der deutschen Streitkräfte; nach Ansicht der SPD war dies jederzeit übertragbar auf europapolitische Aspekte. 336 Rh-Pf LT-Drs. 2/Abt. II v. 1.3.1955 und Rh-Pf LT-Drs. 2/Abt. II v. 15.3.1955. 337 Rh-Pf LT-Drs. 8/2307 v. 1JJ.7.1977, Unterrichtung über Bundesratsangelegenheiten, Schreiben des Ministerpräsidenten an den Präsidenten des Landtags. 338 Rh-Pf LT-Drs. 9/165 v. 5.9.1979, Wiederanfrage der CDU-Fraktion über Kompetenzen der Bundesländer im europäischen Eingungsprozeß und Möglichkeiten des Landtags, Rh-Pf LT-Drs. 9/968 v. 17.10.198