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German Pages [497]
Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament • 2. Reihe Herausgegeben von Martin Hengel und Otfried Hofius
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Die christologische Erfüllung der Schrift im Johannesevangelium Eine Untersuchung zur johanneischen Hermeneutik anhand der Schriftzitate
von
Andreas Obermann
J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) Tübingen
Die Deutsche Bibliothek Obermann,
CIP-Einheitsaufnahme
Andreas:
Die christologische Erfüllung der Schrift im Johannesevangelium : eine Untersuchung zur johanneischen Hermeneutik anhand der Schriftzitate / von Andreas Obermann. - Tübingen : Mohr, 1996 (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament: Reihe 2 ; 83) 978-3-16-157125-1 Unveränderte eBook-Ausgabe 2019 ISBN 3-16-146530-X NE: Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament / 02
© 1996 J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Druck Partner Rübelmann in Hemsbach auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier der Papierfabrik Niefern gedruckt und von der Buchbinderei Schaumann in Darmstadt gebunden. ISSN 0340-9570
Für Antje
Vorwort
„Wir haben den gefunden, über den Mose im Gesetz geschrieben hat und die Propheten ..." - eine Untersuchung des christologischen Schriftverständnisses im Johannesevangelium anhand der Schriftzitate" - unter diesem Titel wurde die vorliegende Studie im Wintersemester 1994/95 von der Kirchlichen Hochschule Wuppertal als Dissertation angenommen. Für den Druck wurde sie leicht gekürzt und um neuere Literatur ergänzt. Mein besonderer und herzlicher Dank gilt Herrn Prof. Dr. M. Karrer, der mich zu dieser Arbeit ermutigte und mir während meiner Assistentenzeit an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal die konzentrierte Arbeit sowohl in zeitlicher als auch in theologischer Freiheit ermöglichte. Ihm verdanke ich aus vielen kritisch-konstruktiven und engagierten Gesprächen über johanneische Fragen eine Vielzahl von exegetischen sowie hermeneutischen Hinweisen. Ebenso danke ich Herrn Prof. Dr. K. Haacker für exegetische Ratschläge sowie Herrn Prof. S. Kreuzer für sein Interesse an meinen Forschungen und die konstruktive Begleitung meiner alttestamentlichen Studien im Rahmen der vorliegenden Arbeit. Herrn Prof. Dr. M. Hengel, Herrn Prof. O. Hofius und dem Verlag J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) danke ich für die freundliche Aufnahme der Arbeit in die Zweite Reihe der 'Wissenschaftlichen Untersuchungen zum Neuen Testament'. Eine besondere Freude ist es für mich, daß die Veröffentlichung an diesem Ort erfolgt, da es Anregungen von Herrn Prof. Hofius in seiner Vorlesung über das Johannesevangelium während meiner Studienjahre in Tübingen waren, die mein theologisches und hermeneutisches Interesse am Vierten Evangelium weckten und mein Verständnis des Johannesevangeliums nachhaltig prägten. Weiterhin danke ich meinen Freunden, Vikar Dr. Martin Klein und Jörg Weber, für unsere jährlichen kritisch-ermutigenden Gespräche zum 1. Advent und die Mühen des Korrekturlesens. Letztere haben auch Pfr. Karl-Ulrich Büscher, Pastor Volker Lubinetzki, Pastorin Borgi Winkler-Rohlfing und Pfr.
VI
Vorwort
Karl-Hermann Weßler auf sich genommen - ihnen gilt gleichfalls mein herzlicher Dank. Der Evangelischen Kirche im Rheinland danke ich für die Ermöglichung meiner wissenschaftlichen Studien an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal. Ein ganz besonderer Dank gilt meinen Eltern für die großzügige Förderung meines gesamten Studiums. Die Zeit der Abfassung einer Promotion ist eine oft 'spannende' Zeit - die geduldige und verständnisvolle Begleitung von Familie und Freunden war mir während dieser Zeit eine große Stütze und Hilfe. Mein besonderer Dank gilt in dieser Hinsicht meiner Frau Antje Weßler, der ich diese Arbeit widme.
Wuppertal, im November 1995
Andreas Obermann
Inhaltsverzeichnis Vorwort
V
Inhaltsverzeichnis
VII
Abkürzungen
XI
/. Teil: Die Schrift und deren Zitate im Johannesevangelium eine Einführung 1. Die johanneischen Schriftzitate und ihre Wahrnehmung in der Forschung 1.1. Die Forschungsgeschichte 1.2. Die sich herauskristallisierenden Forschungsschwerpunkte
1 3 3 34
2. Die Schrift als Bezugsgröße im Johannesevangelium - ein Befund .. 2.1. Die Bedeutung des Wortfeldes 'Schrift' / 'Schriften' 2.1.1. f] ypoccpT] 2.1.2. TO ypä|i|xa KTX. (b SISOCCTKOCXXX; KTÄ.) 2.1.3. YfKxcpeiv 2.2. Die Bedeutung des Wortfeldes vö|io; Jtornp; epyd^ecröai und moxetieiv - markiert einen 31
Schnackenburg a.a.O. II 27. Weder betont a.a.O. zu 6,15, daß sich die „Messiaserwartung [...] an diesem Christus verwandeln lassen" muß [373; s. auch a.a.O. 371/372 Anm. 30]. 32 Schnackenburg a.a.O. II 39. 33 Offen in dem Sinn, daß eyd) £l|ll kein Prädikatsnomen hat und ihm damit vor dem Hintergrund des mißzudeutenden Zeichens des Speisungswunders erst im eycb etjat in 6,35a.b seine inhaltliche Füllung eindeutig zukommt. 34 Möglicherweise spiegelt sich in den hilflos auf dem See treibenden Jüngern die johanneische Gemeinde in ihrer Angst wider (vgl. 16,33). 35 Zu Gliederungsmöglichkeiten und -Schwierigkeiten vgl. Schnackenburg a.a.O. II 41 ff. 36 Die Suche des Volkes „gilt nicht dem, was das Geschehen bedeutet, sondern dem, was das Geschehen darstellt (so treffend Weder a.a.O. 373/374 (Kursivierung im Original); vgl. dazu auch a.a.O. 373-376 und Schnackenburg a.a.O. II 47. 37 Hier liegt ein terminologischer Rückbezug auf die Speisung 6,12 (iva |if| Tl äTtöXTycoa) vor. 38 Die Identifizierung Jesu mit dem Menschensohn vgl. erstmals in 1,51; speziell zu den Menschensohnworten in Kp. 6 vgl. den Exkurs bei Schnackenburg a.a.O. I 411-423. 39 Zu diesem Verständnis von acppayi^co vgl. Liddell/Scott a.a.O. 1742 („accredit as an envoy") sowie Schnackenburg a.a.O. II 50. An dieser Stelle scheint die spezifisch johanneische Nähe des Sohnes zum Vater auf. 40 Die futurische Lesart Süxrei ist hier gegenüber der präsentischen (SiSoxnv) wegen ihrer textkritisch guten Bezeugung vorzuziehen (ebenso Schnackenburg a.a.O. II 48). 41 Zum Wechsel von Epya^Ecräoa zu TUcrcEieiv vgl. Weder a.a.O. 375f.
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II. Teil: Die Aneignung der Schrift - eine exegetische Untersuchung
theologisch reflektierten, auf die thesenartige Aussage in V. 29 zielenden und in sich geschlossenen Sinnabschnitt, der als Eröffhungssequenz des Dialogs die Grundlage für die weiteren Gesprächsgänge bildet, in denen die genannten Stichworte entfaltet (Vv. 30-40; 4151) sowie in einer theologisch-christologischen Schlußreflexion aufgenommen (Vv. 52-58) werden.
Die beiden mittleren Gesprächsgänge des Dialogs (Vv. 30-40; 41-51) sind je durch Äußerungen des Unglaubens eingeleitet (Vv. 30f.; 41 f.),42 die anschließend je in zwei Abschnitten (32-35; 36-40 sowie 43-46; 47-51) erörtert werden. Nach der Aufforderung zum Glauben an den von Gott Gesandten (6,29) fordert die Volksmenge ein für sie sichtbares Zeichen, damit sie ihm glauben können (6,30). Eine kurze Frage (6,30) konkretisiert die Forderung und dokumentiert den bleibenden Unglauben der Volksmenge, aus der heraus das Volk konsequenterweise ein Zeichen fordert.43 Nach Schnackenburg besteht bei dieser Zeichenforderung die logische Schwierigkeit, daß die Volksmenge, die in 6,14 schon „ihren Glauben bekundet"44 hat, erneut ein Zeichen fordert. Demgegenüber sei zweierlei vermerkt: Erstens läßt sich aus der Sicht des Volkes die erneute Zeichenforderung damit erklären, daß die geschilderte Abfolge in 6,14f. eine für das Volk unbefriedigende Situation darstellt, da ihr Ruf ohne Antwort bleibt und sie - unzufrieden Jesus erneut aufsuchen (6,22-25). Die Zeichenforderung sollte diese Unzufriedenheit beseitigen. Zweitens - und ausschlaggebend - besteht aus der Sicht des Evangelisten keine logische Schwierigkeit, insofern der Ruf des Volkes (... dXryöiix; Ö 7tpcxpT|Tr|£) die Bedeutung Jesu gerade nicht erfaßt und die Aussage von 6,14 nicht aus Glauben erfolgte (s. u.): 6,14 und 6,30f. binden beide gleichermaßen den äußeren Geschehensablauf zurück an das zugrundeliegende innere Thema, nämlich die Offenbarung Jesu mit dem Ziel der Erkenntnis seiner Person bzw. des Glaubens an ihn.45 Die Zeichenforderung erweist sich damit sowohl von ihrem Kontext - das Volk hat keine Erkenntnis des wahren Seins Jesu - als auch von der Praxis des Zeichenforderns im zeitgenössischen Judentum (s. o.) her als eine verständliche und echte Forderung der Volksmenge, der ihr aufrichtiger Charakter nicht abzusprechen ist.46 Bezüglich der Wendung ovrix; feonv dXri'ööx; 6 npoqniTrv; ö ep%6|i£vcx; eiq ubv KÖqxov wird - gegenteilig zu unseren Ausführungen - erwogen, daß der Evangelist durch das Votum
42
Die Vv. 30f.; 41 f. sind die längsten Redeteile der Gesprächspartner Jesu und weisen auf einen Einschnitt bzw. neuen Abschnitt hin. 43 Die Bedeutung der Zeichenforderung liegt nicht in der kompositorischen Funktion, nach der der Evangelist eine „Überleitung zur Rede vom Brote des Lebens benötigt[e]" (R. Meyer, M ä w a , ThWNT IV (1942), 469), sondern sie ist bewußt vom Evangelisten wegen seiner theologischen wie christologischen Intention eingefügt und gestaltet. 44 Schnackenburg a.a.O. II 24. 45 Gegen Schnackenburg, der a.a.O. II 53 in 6,30 eine „Wende zum Unglauben" annimmt. 46 Anders Schnackenburg, der a.a.O. II 53 entsprechend seiner Deutung von 6,14(f.) die Zeichenforderung in 6,31 als „literarisches Vorgehen des Evangelisten" betrachtet, um die Spannung zu 6,14 aufzulösen. So sehr 6,30f. ein literarisches Vorgehen des Evangelisten' ist, steht die Zeichenforderung jedoch in keinem Widerspruch zu 6,14, sondern bildet mit 6,14 eine konsequente christologische Linie.
1.3. Jesus als Brot des Lebens ist die wahre Gabe Gottes (Joh 6,31)
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der Menschen in 6,14b eine Anspielung auf Mose (Dtn 18,15.18) machen wollte.47 Diese Anspielung auf Dtn 18 bzw. auf Mose ist allerdings nicht eindeutig zu belegen und zu hinterfragen. Denn zum einen fehlen gegenüber Dtn 18,15.18 jegliche wörtlichen Analogien in 6,14, so daß die Anspielungen weniger gesichert sind, als das in der Forschung meist dargestellt wird. Zum anderen entspricht die in der Person des Mose konkretisierte Erwartung keineswegs der theologisch-christologischen Vorstellung des Evangelisten, da Jesus im Joh nirgends als Prophet bezeichnet noch ihm der Titel Prophet' zugewiesen wird!48 Jesus sprengt in seiner theologischen Bedeutung bisherige Vorstellungen, die auf einem konkret personalen Hintergrund beruhen. Der Evangelist ordnet den gekommenen Jesus nicht einer Figur der Geschichte Gottes mit seinem Volk - in unserem Fall dem nach dem Vorbild des Mose erwarteten Propheten - typologisch zu.49 Wenn auch die Aufnahme von Dtn 18 im Blick auf eine Identifikation von Mose und Jesus nicht zu belegen ist, so ist doch festzuhalten, daß mit dem 'in die Welt kommenden Propheten' (6,14) eine Erwartung des Volkes anklingt, die eine motivische Analogie zu Dtn 18 aufweist, sofern dort die Erwartung durch die Verheißung initiiert wird. Daß wir bei 6,14 das Augenmerk ablenken von Mose und hinlenken zu einer im Volk wachen Erwartung eines Kommenden, wird belegt durch 1,41.45, wo eine heilsgeschichtlich geprägte Erwartung des Volkes durch das zweimalige £\>pf)KC41£V ebenfalls deutlich anklingt.50
Nach der Zeichenforderung (V. 30) und deren Bekräftigung durch das Manna (V. 31) wird das rechte Verständnis des Manna (als Zeichen), des 47 Vgl. so z. B. Meeks, Prophet-King [1.2. Anm. 111] 90f.; Schnackenburg a.a.O. II 24; Boismard, Moi'se [1.2. Anm. 83] bes. 7-11; Menken a.a.O. 49 (s. auch ders., Some Remarks on the Course ofthe Dialogue: John 6,25-34, Bijdr. 48 (1987), 139(-142» oder Schuchard a.a.O. 41; dagegen spricht sich jüngst P. Borgen, John 6: Tradition, Interpretation and Composition [...], Sheffield 1993, bes. 269ff. und 277f. aus. 48 In Frage kommen hierbei 7,40 und 7,52: In 7,40(f.) ist es die Stimme des Volkes, das in seiner Unkenntnis der theologischen Bedeutung Jesu in ihm einen Propheten zu sehen meint, was im Folgenden in keiner Weise bestätigt wird. Vielmehr ist hier von 1,35-51 her das Gewicht auf der Frage nach dem Christus-Titel (7,41 f.) zu sehen, wobei im Gegensatz zu 1,41 die Frage, ob Jesus der Messias ist, offenbleibt. In 7,52 sind es die Hohenpriester und Pharisäer, die ohne eine Erkenntnis des Glaubens Jesus als Propheten bezeichnen, was ebenfalls unbestätigt bleibt. Es gibt damit kein Zeugnis über Jesus als Propheten aus dem Mund der vom Evangelisten verwandten Zeugen, wie es beispielsweise das Bekenntnis des Johannes, Jesus sei 6 CX|J.v6qTOTJöeot) (1,29.36), oder das des Petrus, Jesus sei ö ayioq toi) i3eoi> (6,69), darstellt (ebenso gibt es keinen Kommentar des Evangelisten, der Jesus als Propheten bestätigen würde). Die Vermutungen der Menschen (6,14), des Volkes (7,40) und der jüdischen Oberen (7,52) sind keine Aussagen über die wahrhaftige Bedeutung Jesu (gegenteilig zu 6,14 z. B. Schnackenburg a.a.O. II 23-27). 49 In diesem Zusammenhang ist an 1,21.25 zu erinnern, wo gegenüber Johannes festgehalten wird, daß er weder der Christus, noch Elija oder ein Prophet sei, sondern ebenfalls heilsgeschichtlich nicht einzuordnen ist (s. zu 1,23 unter II. 1.1.). Wichtig bleibt festzuhalten, daß aus diesem Negativbefund betreffs des Täufers keineswegs positiv zu schließen ist, Jesus werde hier implizit als Prophet, Elija oder Christus bekannt. 50 Im Blick auf 1,41.45 ist auch folgender Gedanke zu sehen: Wenn dem Evangelisten so sehr daran gelegen wäre, Jesus den Titel 'Prophet' zuzulegen, bleibt völlig uneinsichtig, warum dann gerade dieser Titel in der Aufzählung der Titel Jesu (1,29-51) nicht erscheint. Denn es wäre dem Evangelisten literarisch ein Leichtes gewesen, Jesus den Titel Prophet' - z. B. im Votum des Philippus in 1,45 (vgl. dazu ausführlicher unter III. 1.1.1.) - beizulegen.
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II. Teil: Die Aneignung der Schrift - eine exegetische
Untersuchung
Gebers und der Gabe erörtert (Vv. 32f.). Dieser Gesprächsabschnitt gipfelt in der Selbstaussage Jesu, er sei das Brot des Lebens (V. 35). Daran schließt sich auf Grund des bleibenden Unglaubens (V. 36) eine Erörterung des Heilswillens des Vaters in zwei Gesprächsgängen an (Vv. 37-40 und 41-51).51 Waren die bisherigen Gedankengänge in 6,30-51 52 Entfaltungen von 6,29 53 , so greift 6,5258 primär auf 6,27 zurück, indem nun die bleibende Speise in christologischer Zuspitzung entfaltet wird. 54 Auf die Frage, wie Fleisch und Blut des Menschensohnes die ewiges Leben spendende Speise sein könne (V. 52), wird wiederholt, daß allein die Teilhabe an Fleisch und Blut des Menschensohnes die Teilhabe am ewigen Leben ermöglicht. Anthropologisch wird dies bildlich durch das Essen und Trinken als radikalster Form der Teilhabe ausgedrückt (Vv. 53-56). Diese ist auch als gegenseitige Durchdringung zu denken (6,56: 6 xpcoycov [...] Kai 7ClVG)V [...] ev E|io'l |i£vei Kaya) ev ainrä), bei der ekklesiologisch die Gemeinschaft mit Christus anklingt. Insgesamt konnotiert die metaphorisch-konkrete 55 Rede vom Essen des
51 Nach dem ersten Gesprächsgang (6,37-40) steht es zwar im Willen Gottes, daß jeder, der dem Sohn vom Vater gegeben ist oder der den Sohn sieht, am letzten Tag vom Sohn auferweckt werden wird. Gegenwärtig zielt der Wille Gottes jedoch auf den Glauben der Menschen an den Sohn, den gegenwärtigen Modus der Teilhabe am ewigen Leben. Sichtbar wird hier ein für das Joh signifikantes Zusammenwirken des Vaters und des Sohnes, da durch den Sohn der Wille des Vaters vollzogen wird. Im zweiten Gesprächsgang (6,41-51) wird der Heilswille Gottes thematisiert, der in Jesus, dem ewiges Leben spendenden Brot, verborgen liegt. Allein die Gottesoffenbarung in Jesus ermöglicht die Auferstehung als Vollzug des Willens Gottes, wobei Glaube und ewiges Leben der Erkenntnis Jesu als das Lebensbrot bedürfen (zu diesem vgl. bei 6,45 unter II. 1.4.). 52 Der genaue Einschnitt zwischen der Offenbarungsrede Jesu und der eucharistischen' Rede (also zwischen 6,51b - 6,51c oder 6,51 - 6,52) ist umstritten und kaum eindeutig zu lösen. Die oben dargelegte Unterteilung zwischen 6,51 und 6,52 wurde auf Grund folgender Beobachtungen getroffen. Die Aufregung 'der Juden' (|j.d%0|j.0tt in 6,52) unterbricht den Redegang und kann als Gliederungsmerkmal verstanden werden (vgl. auch 6,30f.; 6,41f.). Das griechische Kai - 8e (51c) verbindet die Aussage in 51c mit dem vorangehenden Kontext (vgl. Schnackenburg a.a.O. II 82). Insgesamt ist hier die Vorliebe des Evangelisten für Überleitungen zu nennen, bei denen kommende Inhalte schon so deutlich anklingen, daß das Ende des einen und der Anfang des anderen Abschnitts ineinander übergehen (vgl. dazu Schnackenburg a.a.O. II 83). 53 Überblicken wir die hier dargestellten Gesprächsgänge bzgl. ihrer Intention, so ist festzustellen, daß in allen latent der in 6,29 geforderte Glauben erörtert wird, sei es explizit (6,35.40.47) oder durch die Rede des gläubigen Sehens (6,40) oder Hörens (6,45b). Auch bei der Rede vom wahren Brot als dem Spender ewigen Lebens geht es um den Glauben, das heißt um das angemessene Verhältnis gegenüber Jesus. 54 Vgl. hierzu die terminologischen Entsprechungen zwischen 6,27 und 6,52-58: ¡¡C8T1pavoi>82 E S C O K E V ocuTÖi jedoch auf die „Gegenwart des griechischen Textes" [ebd.] verweist. 4 Vgl. dazu Schnackenburg a.a.O. II 77.
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II. Teil: Die Aneignung der Schrift - eine exegetische
Untersuchung
Anders urteilt Menken, der SlöaKTCX^ nicht als Indiz für die Verwendung der LXX sieht, da der Evangelist keine andere Möglichkeit habe, als öiSaKToq zu benutzen. 5 Demgegenüber ist festzustellen, daß der Evangelist ebensogut - wenn nicht sogar inhaltlich präziser - von |i.ccÖT|Trj) den Nominativ finden. Da Jes 54,13a im MT wie im Joh ein unabhängiger Satz ist, wurde gefolgert, der Evangelist sei vom MT abhängig.10 Demgegenüber ist jedoch festzustellen, daß auch in in bezug auf MT Jes 54,13 - analog zur LXX - wegen seines einleitenden V. 12 Anfang Cnpoi) ein Akkusativ verstanden werden kann: „Und ich mache Rubinen zu deiner Mauer [...] und alle deine Söhne zu Gelehrten Gottes" (MT
5
Vgl. a.a.O. 169. Vgl. W. Gesenius, Hebräisches und Aramäisches Handwörterbuch über das Alte Testament [...], 17. Auflage, Berlin u. a. 1962, 387. 7 Vgl. hierzu auch Freed a.a.O. 19. 8 Zur Bedeutung von (leveiv im Zusammenhang mit dem Wort Jesu, welches als Kundgabe des Vaters zu hören ist (so 1,18 in Verbindung mit 14,24b), und dem wahren Jüngersein vgl. 8,31. 9 Besonders deutlich wird dies durch die verwandte Aussage in Jer 31,33f. (LXX Jer 38,33f.), wo das Gottgelehrtsein Signum eines endzeitlichen, göttlichen Wirkens ist (s. dazu unter d). 10 So z. B. Borgen a.a.O. 84 Anm. 1 oder Richter a.a.O. 251. 6
1.4. Alle Gottgelehrten werden Jesus erkennen (Joh 6,45)
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Jes 54,12.13a). Der johanneische Nominativ kann also kein Argument für den MT sein.11 Das letzte Argument für die Verwendung der LXX ist die johanneische Auslassung von 'deinen Söhnen', da diese am wahrscheinlichsten durch LXX Jes 54,15a angeregt ist und der universalen Ausrichtung des Evangelisten entspricht.12 Dort ist vom Kommen von Proselyten ('Hinzukommenden') - i8ou Ttpocr^uroi JipoaEAfiixJOVtat aot 8t' e(jm) - die Rede, was gegenüber dem MT - -nr ~li2 ... ,3 - eine so auffällige Änderung ist, daß hier mit höchster Wahrscheinlichkeit eine Entwicklung vom hebräischen 12 zum terminus technicus TipooTlA/UTO^ ansichtig wird und damit eine näherbestimmte Entschränkung der Adressaten - des Gottesvolkes - vorliegt.14 Durch die Wahrnehmung der Entschränkung in der LXX und der dadurch bedingten Auslassung von 'deinen Söhnen' geht der Evangelist theologisch über die LXX hinaus, was unten auszufuhren ist.15 Bezüglich der Quellenfrage bleibt festzuhalten, daß sich der Evangelist auf Grund der auch sonst festzustellenden Wahrnehmung des alttestamentlichen Kontextes seiner Zitate im Joh mit hoher Wahrscheinlichkeit durch die LXX dazu autorisiert sah, „to omit 'your sons' in the quotation."16 Abschließend erklärt sich auf Grund dieser Überlegungen sowie des terminologischen Befundes (s. o.) das Zitat in 6,45 am wahrscheinlichsten durch eine literarische Abhängigkeit des Evangelisten von LXX Jes 54,13": 11 Vgl. dazu Menken a.a.O. 169 (Anm. 28) sowie - diesem folgend - Schuchard a.a.O. 51 (vgl. auch bei Richter den a.a.O. 248 Anm. 308 für die LXX gemachten Vorschlag, der auch für den MT (s. o.) zu machen wäre). 12 Die folgende Erwägung wurde zuerst von Hanson, Technique [1.1. Anm. 107] 160, anschließend auch von Menken a.a.O. 171 und Schuchard a.a.O. 52f. dargelegt. 13 Im MT liegt durch das Moment des Fremden / Feindlichen (vgl. Westermann, Jesaja [II.1.1. Anm. 5] 224 und Gesenius zu TU II a.a.O. 135) keine Entschränkung vor, so daß wir eine Entwicklung vom MT zur LXX wahrnehmen können (bzgl. der Genese der LXX-Form gegenüber dem MT vgl. bes. Menken a.a.O. 171). 14 Vgl. dazu ausführlich K. G. Kuhn, 7ipocrn>a)TO, zu sein. Der gleiche Zusammenhang wäre auf der literarischen Ebene in universaler Ausrichtung (s. o.) für alle (nichterkennenden bzw. nichtglaubenden) Menschen zu sagen: sie werden zu den 8180CKT01 ~Ö€OV gehören. Denn insofern die Negationen jeweils mit dem theonomen Moment verbunden sind und innerhalb des aufgezeigten Zusammenwirkens von göttlichem und menschlichem Tun das ausschlaggebende Moment auf der göttlichen Seite liegt, besteht für alle Menschen (tkxvte£) - in der bedingten Universalität - die Hoffnung, als S I & X K T O I i3eot> zu Jesus gezogen und von diesem am letzten Tag auferweckt zu werden (so nach 6,44 im Licht von 6,45b.46). Damit eröffnet sich für alle die Perspektive, einmal SiSocKTOi •öeo'ü zu sein. An dieser Stelle ist der prädestinatianische Ansatz des Evangelisten zu skizzieren, ohne den obige Überlegungen keine Plausibilität erlangen.73 Das Zu-Jesus-Kommen' als ein 'VonGott-Gezogen-Werden' steht in keiner Weise im Vermögen des Menschen74, so wie es - gegen Bultmann - auch nicht,jedem frei steht, zu den vom Vater Gezogenen zu gehören."75 Denn 72 Vgl. hierzu Bergmeier, der a.a.O. 232 zum „eschatologisch-gegenwärtigen Heil" die „Offenbarungskenntnis" zählt. Weiterhin sei auf Borgens Hinweis (vgl. a.a.O. 150 (Anm. 3); s. auch 84f.) verwiesen, daß die dem Jesajazitat folgende Erläuterung in 6,45b.46 über 1,18 eine Nähe zur Sinaitheophanie - „those who are 'taught' by God have heard from God' without actually seeing Him" [150] - und damit zur Dimension der Offenbarung aufweist. 73 Zur „prädestinatianischen Prämisse in der Theologie des vierten Evangelisten" vgl. insgesamt Bergmeier a.a.O. 213-236. 74 S. auch 6,37.39, wo die bei Jesus Seienden Jesus vom Vater gegeben sind und diese Nähe nicht mehr verlieren werden. Eine solche Präserveranzaussage ist nur im Kontext prädestinatianischen Denkens sinnvoll, da allein von einem auf göttliches Tun zurückzuführenden Glauben theologisch angemessen gesagt werden kann, daß er nicht hinfällig werden wird! 75 Bultmann a.a.O. 172.
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II. Teil: Die Aneignung der Schrift - eine exegetische
Untersuchung
allein der kann zu Jesus kommen, den der Vater zieht: die Bedingung bestimmt die umfassende Aussage. Das „o\)6eiq Suvaxco, (V. 44) zeigt an, wie das folgende 7tdq ö (V. 45b) verstanden sein soll." 76 Dieser exklusiven, weil auf göttlichem Handeln beruhenden Heilsvermittlung, wohnt eine nicht auflösbare Paradoxie inne, da zugleich ein göttliches wie auch menschliches Wirken bei der Heilsaneignung betont wird. Diese Paradoxie kann nicht dadurch aufgelöst werden, daß das Gottgelehrtsein als ein Akzeptieren des durch den Sohn vom Vater Gehörten und Gelernten erklärt und somit aufgehoben wird. 77 Ebensowenig ist das Ziehen' angemessen erklärt, wenn es als Preisgabe der menschlichen Sicherheit verstanden wird, die den Glauben erst ermögliche. 78 Das Ineinander des göttlichen Wirkens des Vaters und des Sohnes und die notwendige Bedeutung des menschlichen Tuns läßt sich nicht in logisch aufeinander folgende oder gar kausal miteinander verbundene Vorgänge differenzieren oder auflösen. Die johanneische Rede von der Glaubenserlangung entzieht sich, trotz der betonten Beteiligung des Menschen, menschlicher Machbarkeit und Vorstellbarkeit (so die allgemeinmenschlichen Vorstellungen des Nikodemus in Joh 3). Der Glaube ist ganz göttliches Werk und bedarf doch menschlichen Mitwirkens zugleich. Sehen wir auf der anderen Seite den prädestinatianischen Ansatz als Teil des 'bedingten Universalismus' (s. o.), ergibt sich eine grandiose Vorstellung universaler Hoffnung. Die Heilsvermittlung in ihrer - auf Grund des für sie konstitutiven Wirkens Gottes - Exklusivität kann im Modus der Hoffnung universal auf 'alle' (roxi;) hin gedacht werden, da Gottes Liebe in der Hingabe seines Sohnes ihren auf das Wohl aller Menschen ausgerichteten Ausdruck findet:'Iva acodfi ö Koo^oq 8i' a v i a v (3,17).
e) Methodische und hermeneutische
Überlegungen
Methodisch ist deutlich geworden, daß der Evangelist als Quelle mit größter Wahrscheinlichkeit wieder die LXX (Jes 54,13) verwendet. Bezüglich des Kontextes des Jesaj awortes ist festzuhalten, daß der Evangelist diesen wahrgenommen hat, sofern die Auslassung von 'deinen Söhnen' gegenüber LXX Jes 54,13 und der dadurch aufscheinende Universalismus durch das Wort aus LXX Jes 54,15 angeregt ist.79 Weiterhin entspricht die eschatologische Ausrichtung des johanneischen Zitats samt Kontext (6,44b) der eschatologischen Ausrichtung von LXX Jes 54. Methodisch ist damit für den Evangelisten signifikant, daß er den ursprünglichen Kontext seiner Zitate wahrnimmt und weiß, was er zitiert.80 Hingegen ist die Anwendung einer zeitgenössischen, methodisch schon fixierten Auslegungsweise nicht auszumachen.81 Inhaltlich bedeutsam ist für das Zitat in 6,45, daß es das erste ist, das nicht als Deutehintergrund dient und eine Szene interpretiert. Die Bedeutung der 76 Bergmeier a.a.O. 216; zum analogen Befund bei der 'Geburt von oben' (3,3) und der Gotteskindschaft' (l,12f.) s. Bergmeier a.a.O. 216-220 sowie Schuchard, der a.a.O. 56(f.) eine entsprechende Lösung kurz andeutet. 77 So Pancaro a.a.O. 283/284. 78 So Bultmann, der a.a.O. 172 von einer Paradoxie an dieser Stelle spricht (kritisch gegenüber Bultmann ist auch Bergmeier a.a.O. 216 mit 249 Anm. 231). 79 Vgl. dazu oben unter a (dort auch Literatur). 80 S. auch Barrett, der a.a.O. 307 von einer ,,genaue[n] Paraphrase" von LXX Jes 54,13 spricht, was die Achtung des Kontextes einschließt. 81 Vgl. ausfuhrlich unter III.3.2.
1.4. Alle Gottgelehrten werden Jesus erkennen (Joh 6,45)
167
Schrift ist aus dem Dialog zwischen Jesus und seinen jüdischen Gesprächspartnern zu ermitteln. Zentral ist dabei die Zusage einer zukünftigen wie sich auch schon gegenwärtig in Jesus realisierenden Gottunmittelbarkeit, welche in der Wendung 8i8aKToi i3eoi) ihren Ausdruck findet. Die hier anklingende christologische Ausrichtung des johanneischen Verständnisses eines Gottgelehrtseins wird aus dem johanneischen Kontext deutlich, wonach dieses Gelehrtsein durch Gott in der Erkenntnis der Person Jesu - und damit letztlich im Glauben an ihn - sein Ziel findet. In dieser Linie ergab sich, daß nach johanneischem Verständnis die jesajanische Verheißung auf Jesus zielt, da in der Person Jesu alles Hörens- und Lernenswerte über den Vater konzentriert ist.82 Die Person Jesu ist der Inhalt der Offenbarung Gottes, in ihm und durch ihn vollzieht sich exklusiv die eschatologische Gottunmittelbarkeit schon in der Gegenwart im Modus des Glaubens. Betrachten wir das Zitat in 6,45 als zweites explizit zitiertes Schriftwort in dem Dialog, ergibt sich folgender Zusammenhang zum Zitat in 6,31: Das von der Volksmenge eingebrachte Schriftwort (6,31) nimmt Jesus inhaltlich auf, indem er sich selbst als das Brot des Lebens bezeichnet (6,35). Das provoziert letztlich das Murren 'der Juden' (6,41) und veranlaßt Jesus wiederum, dieser Kritik in einem Gedankengang über den Glauben das zweite Schriftwort (6,45) entgegenzusetzen.83 Weiterhin ergibt sich ein Zusammenhang, wenn wir die christologische Ausrichtung der prophetischen Verheißung in den Blick nehmen: 84 Dereinst werden alle gottgelehrt sein und - anders als die Menge in der Darstellung - auch die Schrift angemessen in ihrer christologischen Dimension verstehen. Das Gottgelehrtsein fuhrt dann zu der Erkenntnis, daß die Schrift seit jeher von Christus gezeugt hat und zeugt (vgl. 1,45; 5,39.46). Bezogen auf Joh 6 heißt das, daß alle - inklusive der jüdischen Gesprächspartner Jesu - als Gottgelehrte Jesu Interpretation des Manna - und damit die Schriftinterpretation von LXX Ps 78,24 (6,31) und LXX Jes 54,13 (6,45) - verstehen und akzeptieren werden.85
82
Vgl. hierzu die kurze Notiz Richters a.a.O. 258 Anm. 385. Kurz wird dies auch bei Borgen a.a.O. 151 erwähnt (Hübner spricht - Biblische Theologie Band 3 [1.1.1. Anm. 184] - im Blick auf den Gesprächsgang in Joh 6 treffend von einem ,JLehrstück biblischer Hermeneutik" (171; Kursivierung im Original)). 84 Vgl. auch Hübner, der bezüglich unserer Stelle von einer „Hermeneutik einer christologisch intendierten Prophetie" (a.a.O. 169/170; Kursivierung im Original) spricht. 85 Ähnlich auch Borgen ebd. 83
168
II. Teil: Die Aneignung der Schrift - eine exegetische Untersuchung
1.5. Die Gott durch die Anrede seines Wortes würdigt, sind Götter zu nennen (Joh 10,34) a) Die Quelle und der Text des Zitats in Joh 10,34 Die Bestimmung der Quelle des Zitats in 10,34 bereitet keine Schwierigkeiten, da die vom Evangelisten zitierte Wendung eyri) elrar Oeoi eaxe wörtlich LXX Ps 81,6a, einer adäquaten Übersetzung von MT Ps 82,6a, entspricht.1 Von daher ist eine literarische Abhängigkeit des Evangelisten von der LXX sehr viel wahrscheinlicher als eine eigenständige Übersetzung aus dem Hebräischen, die dann unabhängig von der LXX dieser entsprechen würde.2 Bezüglich der Quelle können wir also festhalten, daß der Evangelist LXX Ps 81,6a zitiert:3 Joh 10,34 OUK eoTiv yeypoc|4ievov evTO)V0(icp üncöv cm eycb eirax • Qeoi eaxe;
MT Ps 82,6 an« D'n'bs T n n s n « :D ?'F? F1?^ 'ü?"1
LXX Ps 81,6 eycb eirca ©eoi eaxe Kai moi ü\|naim) raxvreg
b) Das Verständnis von LXX Ps 81,6 in seinem alttestamentlichen
Kontext
Der 82. (LXX 81.) Psalm „is one of the most overtly mythological texts in Scripture"4, in dem Jahwe in einer Götterversammlung Gericht hält (so die Exposition in V. I).5 Es folgt in den Vv. 2-7 eine Rede Jahwes, in der er die 1 So auch Freed a.a.O. 61. Außer in 10,34 kommt Ps 82,6 (LXX 81,6) - wie Ps 82 (LXX 81) insgesamt - im Neuen Testament nicht mehr vor. In nachneutestamentlicher Zeit wird unser Vers noch von Justin in dial. 124,2 zitiert (vgl. McLean a.a.O. 74 und Reim a.a.O. 24), was für das Joh ohne Bedeutung bleibt. Weiter findet sich MT Psalm 82,1.2 noch in 1 lQMelch 10 bzw. 11 in einer Deutung auf Melchisedek (vgl. Fitzmyer, Scrolls [II. 1.1. Anm. 6] 224; zu Melchisedek auch unter d). 2 Für die LXX spricht auch, daß XEyevv in der Form eiltet allein hier im Joh vorkommt. 3 So auch Freed a.a.O. 61, Barrett a.a.O. 383, Schnackenburg a.a.O. II 389, Pancaro, Law [1.2. Anm. 4] 175ff.; W. G. Phillips, An apologetic Study of John 10:34-36, BS 146 (1989), 409 und Schuehard a.a.O. 61 (Anm. 13) (s. auch Menken, Quotation [II. 1.1. Anm. 2] 192). 4 P. D. Miller, Interpreting the Psalms, Philadelphia 1986, 120; zu einer mythologischen Interpretation tendieren auch Weiser, Psalmen II 379 oder Kraus, Psalmen II 735f. (vgl. hierzu auch Pancaro a.a.O. 177/178). 5 In der Forschung wurden auch andere Lösungen für die Frage nach der Identität der Cn'^K (bzw. iJeoi) genannt, nämlich Engel, die Richter Israels oder auch heidnische Herrscher (vgl. dazu Baethgen a.a.O. 256f. und Kraus a.a.O. II 735f.). Nach Kraus (a.a.O. 736) dürften diese Lösungen die religionsgeschichtlich nachweisbare mythologische Vorstellung eines Götterrates zu wenig beachten und sind von daher für die ursprüngliche Intention des Psalms abzulehnen (vgl. mit gleichem Urteil J. Jeremias, Kultprophetie und Gerichtsverkündigung in der späten Königszeit Israels, Neukirchen-Vluyn 1970, 122; zu V. 1 insgesamt vgl. R. B. Salters, Psalm 82,1 and the Septuagint, ZAW 103 (1991)). Zur Vorstellung vom Rat der
1.5. Die Gott durch seine Anrede würdigt, sind Götter zu nennen (Joh 10,34)
169
fremden Götter anklagt (V. 2), ultimativ vermahnt (Vv. 3f.), verurteilt (V. 5) und die Strafe - nämlich sterben zu müssen - verkündet (Vv. 6f.). Der Psalm schließt mit einem Gebetsruf (V. 8), die zuvor genannten Mißstände zu beseitigen.6 Inhaltlich schildert der Psalm die „Depotenzierung fremder Götter" 7 : „The gods are nameless, colorless, silent."8 Die Götter versagen, indem sie falsch richten und sich nicht um das Recht der Schwachen kümmern (Vv. 2-4). Erwähnenswert ist für uns die daraus folgende Charakterisierung der Götter in V. 5. Die Götter verstehen nicht - oute eyvoxjav oi>8e i3f]vai TJ ypcwpTp, während er die christologische Relevanz des Psalmwortes autoritativ festsetzt. Hier werden wir der beträchtlichen Freiheit und Souveränität des Evangelisten in seiner Schriftaneignung ansichtig, in der er Schriftstellen um ihres theologischen und christologischen Potentials willen zitiert. Inhaltlich ist damit die Christologie bestimmend für seine Schriftaneignung, formal die Gültigkeit der Schrift. Diese letztgenannte Aussage über die Schrift ist nun gleichzeitig die mit dem zeitgenössischen Judentum gemeinsame Basis des Evangelisten, auf der er einen Analogieschluß a minore ad maius (~imm bp) durchfuhrt. Damit ist an unserer Stelle erstmals eine Analogie zu einer zeitgenössisch methodisch näher fixierten Auslegungsweise auszumachen. Eine Abhängigkeit von der in der rabbinischen Literatur festgelegten Auslegungsmethodik ist jedoch auf Grund der Quellenlage nicht zu belegen. Insgesamt zeigen die hier aufgeführten Beobachtungen des johanneischen Umgangs mit der Schrift die herausragende Bedeutung der Schrift für die johanneische Theologie sowie Christologie.
1.6. Jesus wird vom Volk als König und Retter 'eingeholt' (Joh 12,13) a) Die Quelle und der Text des Zitats in Joh 12,13 Das Zitat in 12,13, das einzige im Joh ohne eine vorangehende oder nachfolgende Einleitungsformel, hat folgenden Umfang: ü X J a w o r eitXoyriJiETO; ö ep%6|ievoq ev övö|iaxi Kupiou. Der Wortlaut des Zitats entspricht genau MT Ps 118,25f. (LXX Ps 117,25f.), wobei der johanneische Wortlaut bis auf ( b c a w ä präzise mit LXX Ps 117,26a - einer wortgetreuen Übersetzung des MT1 - übereinstimmt. Für etiXßYrpevoq ö epxö|i£vo ep%exai. Bei der Wendung iSot» ö ßaaiÄ£iix; aou ep^exoa fehlt gegenüber Sach 9,9 der Dativbezug bzw. aoi. Mit guten Gründen kann ep^O|aai ohne Näherbestimmung eine Angleichung an 12,13 (... ö ep%Ö|0£V0i>TO wählt der Evangelist einen kausalen Anschluß an das Zitat in 12,38. Der inhaltliche Rückbezug liegt darin, daß eine Erklärung des in 12,37b.38 in seiner Rätselhaftigkeit dargelegten Unglaubens gegeben und der begonnene Gedanke auf die Verstockungsaussagen hin weitergeführt wird. Durch das durative Imperfekt flSwavTO (12,39) wird zum einen auf den schon länger währenden Unglauben hingewiesen (vgl. 12,37b), zum anderen ein erster inhaltlicher Hinweis auf den Grund des Unglaubens gegeben, da auf die in 12,40 explizit erwähnte VerStockung erstmals hingewiesen wird. Mit 7aCTXEijeiV (12,39) liegt ein inhaltlicher Anschluß an 12,37.38 vor. Durch JtdA,iv sowie die erneute namentliche Erwähnung Jesajas erfolgt ein direkter Rückbezug auf die eine Einleitungsformel (12,38a) der beiden Schriftzitate.43 Nicht nur das Aufeinanderfolgen der Zitate, sondern die enge inhaltliche Verknüpfung der beiden Zitate ist es, die hier besonders ins Auge zu fassen ist. Der Name des Propheten Jesaja rahmt die Zitate (12,38a.39.41a) und Jesaja selbst wird als Sprecher derselben genannt (so elrcev in 12,38b.39). Insgesamt ergibt sich damit schon durch die Analyse eine enge Verbundenheit der beiden Zitate als einer inhaltlichen Einheit. e) Das Verständnis von Jes 6,10 in Joh 12,40 Zu Beginn der Erörterung sind die Änderungen der johanneischen Version von Jes 6,10 zu behandeln. Wir beginnen mit den Auslassungen und dabei mit Axxtx; / Di? aus Jes 6,10a. Einerseits lastet der Evangelist „den Unglauben bestimmten Kreisen im jüdischen Volk an, vor allem den Pharisäern (vgl. Kap. 9 und 12,42) und den Hohenpriestern"44 und damit insgesamt der ,jüdische[n] Führerschaft".45 Andererseits weitet sich der Adressatenkreis in der johanneischen Version über das Volk hinaus aus und gewinnt einen universalen Charakter, da das Objekt der Verstockung nicht mehr konkret benannt wird. Die Auslassung von hocöc, / ist neben dessen positiver Konnotation mit der universalen Ausrichtung des Evangeliums zu begründen. Im weiteren läßt der Evangelist jeweils die die Ohren betreffenden Wendungen aus (Jes 6,10b und
43
Vgl. z. B. Schuchard a.a.O. 92. Evans will hier eine „gezera sawa" (a.a.O. 133; Kursivierung im Original) ausmachen. Zur Einleitungsformel s. zu 12,38a (II.2.1.) sowie unter 1.3.3. 44 Schnackenburg, Schriftauslegung 171. 45 Schnackenburg a.a.O. 172. Der Begriff Acax; kommt im Joh allein mit positiver Konnotation vor (vgl. 11,50; 18,14), so daß er hier als Bezeichnung für die Gruppe der Nichtglaubenden für den Evangelisten nicht in Frage kommt (vgl. auch Schnackenburg a.a.O. 171 f.; Menken a.a.O. 202 und Schuchard a.a.O. 104).
243
2.2. Jesu Selbstoffenbarung findet keinen Glauben (Joh 12,40)
6,1 Od46). Diese Auslassung ist damit zu erklären, daß der Evangelist das Augenmerk auf Herz und Augen lenken und diese ausdrücklich betonen möchte (s. u.). Weiterhin fehlen im Joh bei den je zweiten Erwähnungen von ö(pi3ocA|J.o^ und K t x p S u x gegenüber dem M T die Possessivpronomen, was als Folge der Auslassung des Adressatenkreises (s. o.) konsequent ist.47 Weiterhin ändert der Evangelist die Reihenfolge der ersten Aussagen über das Herz und die Augen. Im Joh lesen wir die Reihenfolge Auge - Herz' gegenüber Herz - Auge im Original. Der chiastische Aufbau im Original ( a - b - c - c ' - b ' - a ' ) wird zu einem parallelen Aufbau (Auge - Herz // Auge - Herz),48 wodurch die Substantive 'Herz' und 'Augen' jeweils am Ende einer Sinneinheit (Zeile) stehen. Durch diese Endstellung ergibt sich eine weitere Betonung der inhaltlich wesentlichen Momente, vor allem des Sehens.49 Als letzte Änderung seien die Verbformen in V . 10a genannt. Statt der Passivform eraxjfüViJTI (3. ps. sg.) bietet das Joh das aktive erabpcocrev (ebenfalls 3. ps. sg.) sowie statt der 3. ps. pl. von KajJfnxo die 3. ps. sg. von TixpAoco. Die Bestimmung der Subjekte der letztgenannten Verben birgt die Schwierigkeit, daß die Verben TVxpXöcü und Ttcopöa) in der 3. ps. sg. und das Verb ' l ä q j m in der 1. ps. sg. stehen und von daher ohne logische Brüche kein Subjekt für alle drei Verben in Frage kommt. Bevor wir jedoch zur Bestimmung der Subjekte der Verben kommen, sei zur präziseren Erfassung des Problems ein Blick auf den entsprechenden Sachverhalt im M T und der L X X
geworfen.
Während M T Jes 6,10a den Propheten durch die Imperative zum Handeln auffordert und in der Schilderung der Folgen dieses Handelns das Volk ab Jes 6,10b durchgängig grammatikalisches Subjekt ist, stellt sich das in der L X X wie folgt dar: Das Volk ist in L X X Jes 6,10 durchgängig grammatikalisches Subjekt, da der Zustand und die Folgen der Verstockung des Volkes beschrieben werden. Einzige Ausnahme ist das letzte Verb l ö o c ^ i a i , w o Gott - im Rahmen einer Gottesrede5" - das Subjekt ist.51 Ansonsten ist in L X X Jes 6,10a allein bei dem passivum divinum EJia%wÖT| Gott als logisches Subjekt mitzuhören.52 Trotz des Subjektwechsels in L X X Jes 6,10 entsteht keine logische oder grammatikalische Spannung. Denn innerhalb der Gottesrede beschreibt Gott das Volk (je in 3. ps. sg.) und endet mit einer Selbstaussage in der 1. ps. sg. Diese Aussage in der 1. ps. am Ende schlägt eine Brücke zurück zu kTvayyv&r] am Anfang. Denn bei diesem passivum divinum ist, da Gott selber zum Propheten redet, als Subjekt ein 'ich' zu denken: „Denn verstockt worden (nämlich von mir) ist das Herz dieses
46
In obiger Zusammenstellung b und b'.
47
Das spricht gegen eine enge Anlehnung des Evangelisten an den M T (vgl. dazu auch
Schuchard a.a.O. 97). 48
Vgl. Schuchard a.a.O. 92f. Die Stellung des ai)TO)V jeweils vor dem Bezugssubstantiv
ist im Joh keine Seltenheit, vgl. dazu Menken a.a.O. 201f. 49
Zum theologisch qualifizierten Sehen vgl. die Ausführungen zu 19,37 (H.2.7.).
50
V g l . vor allem die Einleitung der Gottesrede in L X X Jes 6,9aa ( K a i evTtev) und die
Fortsetzung in 6,1 la mit der Frage des Propheten. 51
Ebenso Schuchard a.a.O. 99.
52
V g l . dazu oben unter c zur L X X .
244
II. Teil: Die Aneignung der Schrift - eine exegetische Untersuchung
Volkes." Weder die Fassung des MT noch der LXX bieten in sich Schwierigkeiten bei der Bestimmung der Subjekte der Verben.
Anders verhält es sich im Joh. Dort vermag kein Handlungsträger durchgängig Subjekt zu sein, ohne daß es zu logischen Spannungen zwischen xexixpAiOKev und erabpcoaev einerseits und 'tdao|j.oa andererseits kommt, insofern dann der identische Handlungsträger einmal in der 3. ps. bzw. der 1. ps. vorkommen würde. Als in Frage kommende Subjekte wären allein Gott und Jesus zu nennen.53 Jedoch ist Jesus als Subjekt von xvxpXoiD und raopöco an dieser Stelle54 auszuschließen, da i(*CTO(J.ai auf Jesus zu beziehen ist55 und damit die genannte logische Spannung beim 'Subjekt Jesus' eintreten würde.56 Als ein sich aus dem Zitat selbst sowie seinem Kontext ergebendes Subjekt für xixpXxxo und JKopöco bleibt nun allein Gott, womit die logische Spannung in 12,40 entfallt: Gott verstockt und Jesus heilt.57 Gott als der Verstockende ent53 Wäre Gott durchgängig Subjekt, käme es zu folgender Spannung: Er (Gott) verstockt... und ich (Gott) werde sie heilen.' Wäre Jesus durchgängiges Subjekt, ergebe sich eine analoge Spannung: 'Er (Jesus) verstockt... und ich (Jesus) werde sie heilen' (vgl. auch J. Blank, Krisis. Untersuchung zur johanneischen Christologie und Eschatologie, Würzburg 1964, 304 und Schuchard a.a.O. 99). 54 Bezüglich des Verbs TlxpÄöco - zur Verstockung s. Anm. 56 - ist auf 9,39 einzugehen, wo Jesus nach der Blindenheilung in einem abschließenden Wort sagt, er sei zum Gericht gekommen, „damit die, die nicht sehen, sehend werden und die, die sehen, Blinde werden." Jesus ist hier jedoch nicht der, der 'blind macht', sondern er ist Auslöser des Gerichts mit seinen genannten Folgen, wobei Gott ebenfalls wesentlich mitzuhören ist, da die Heilung samt ihrer Gerichtskonsequenzen ein Ausdruck dafür sind, daß Jesus mit der Heilung und dem Vollzug des Gerichts die Werke des Vaters ausfuhrt (9,3b-5; 5,19-23) und vollendet (s. 4,34; 5,36; 17,4). 55 Vgl. dazu ausführlich unten z. St. in der Einzeluntersuchung. An Literatur zu diesem Urteil seien genannt: Schnackenburg, Johannesevangelium II 518f.; Menken a.a.O. 206; Brandscheidt a.a.O. 69; Schuchard a.a.O. 98 (Anm. 30) und Blank a.a.O. 304. 56 Der bei Freed a.a.O. 87 kurz erwähnte und nicht näher begründete Vorschlag, Jesus als Subjekt der Verben mxpAoö) und mopöü) anzusehen, ist nicht einsichtig, da sich diese Lösung erstens weder vom MT noch von der LXX her ergibt (dort sind der Prophet (MT) oder Gott (LXX) je indirekt Verursacher), zweitens Jesus im Neuen Testament sonst nie als Vollstrecker von VerStockungen genannt wird (vgl. auch Kühschelms Argumentation a.a.O. 190f.). 57 Damit entfällt das zweite der beiden Hauptargumente Schuchards (vgl. a.a.O. 98/99) gegen die soeben vorgetragene Lösung. Seiner Meinung nach scheitere diese an der LXX, da Gott als Subjekt der ersten Verben in LXX Jes 6,10 (!) nicht in Frage kommen kann, da sonst die „existence of an original Old Testament passage containing a grammatical impossibility: 'He (God) blinded ... and I (God) heal them'" [99] impliziert wäre. Dagegen ist einzuwenden, daß in LXX Jes 6,10 Gott bis auf i ä o o | i a i überhaupt nicht als Subjekt - und auch nicht als grammatikalisches von £ 7ia)a) VÖT| - in Frage kommt (!) und damit das Argument einer entstehenden Spannung entfällt (vgl. die obige Darlegung vom Volk als durchgängigem Subjekt in LXX Jes 6,10). Weiterhin ist die Übersetzung Schuchards von dem Original („He (God) blinded") für die LXX unzutreffend, da LXX Jes 6,10 kein Verb in der 3. ps. sg. aktiv kennt! Der Fehler Schuchards liegt darin, daß die von ihm für das Original befürchtete Spannung von Blank a.a.O. 304 - Schuchard beruft sich a.a.O. 99 (Anm. 31) auf Blank - für die johanneische
2.2. Jesu Selbstoffenbarung findet keinen Glauben (Joh 12,40)
245
spricht alttestamentlichen wie neutestamentlichen Vorstellungen.58 Gleichermaßen deckt sich diese Aussage mit der Theologie des Evangelisten, nach der allein in Gott der Unglaube - und positiv gewendet ebenso der Glaube - begründet ist. Der Glaube ist keine anthropologische Möglichkeit, sondern setzt ein theonomes Handeln bzw. ein 'Sein in der Wahrheit' voraus.59 Von daher ist der Unglaube in 12,40 konsequent auf Gott zurückgeführt. Gegenüber der Rückführung des Unglaubens auf Gott ist für das Joh andererseits die Bedeutung Jesu für ein 'Zum-Glauben-Kommen' zu nennen. So ist es das Offenbarungswirken Jesu, das auf Glauben zielt und damit eine Rettung impliziert (so z. B. 5,24; 11,25 u. ö.). Zudem sind die Glaubenden dem Sohn von Gott gegeben (übereignet), auf daß sie nicht verloren gehen werden (vgl. 10,29; 17,2.6.9; 18,9). Gerade die zuletzt angesprochenen Stellen weisen die eschatologische Bedeutung des Sohnes für die Glaubenden auf, da er sie bewahrt (vgl. 10,29; 17,6ff.; 18,9), als Erhöhter für sie bittet (17,9) und ihnen ewiges Leben schenkt (17,2). Dieses eschatologisch ausgerichtete Handeln Jesu findet seine Entsprechung in 12,40 in dem Futur taco|a.ai: Jesus wird heilen, indem die Angesprochenen zum Glauben kommen. Wir erhalten damit eine in der johanneischen Theologie begründete Vorstellung vom verstockenden Gott und dem heilenden Jesus. Wenn wir in diesem Zusammenhang Gott als Subjekt von T£T\xpÄ£0K£V und erabpcoaev annehmen, ergibt sich innerjohanneisch kein logischer Widerspruch zu Jesus als Subjekt von ic*(TO(J,ai.60 Als mögliches Subjekt für die beiden obigen Verben wurde von Schuchard61 das Substantiv f| dcKof| aus 12,38b vorgeschlagen. Als erstes Argument fuhrt er an, daß sich dieses Subjekt aus dem johanneischen Kontext erklären lasse. Die Unfähigkeit des Hörens der Botschaft (12,38) rühre daher, daß sich hier das Gericht ereigne, insofern der zum Gericht gekommene Jesus dieses durch seine „self-revelation"62 provoziere. Folge dieses Gerichtes sei es, daß die Sehenden - nach 9,39 - blind werden.63 Diese Argumentation Schuchards überzeugt nicht. Erstens fehlt in 12,37-41 deutliche Gerichtsterminologie, zweitens bleibt ungeklärt, inwiefern Version des Zitats postuliert wurde. Entsprechend liest Schuchard die johanneische Verbform der 3. ps. sg. in die LXX hinein und postuliert damit eine logische Spannung für die LXX, die in dieser jedoch nicht vorkommt. 58 Vgl. Menken a.a.O. 198 Anm. 34. 59 Zum johanneischen Glauben vgl. die Ausfuhrungen zu 12,38 (II.2.1.) und 6,45 (II. 1.4.). 60 Mit Bultmann a.a.O. 347 Anm. 2; Evans a.a.O. 135; Menken a.a.O. 198; Schnackenburg a.a.O. II 518 und Kühschelm a.a.O. 189ff. (oder Brandscheidt a.a.O. 68); mit anderem Urteil s. J. Painter, The Quotation of Scripture and Unbelief in John 12.36B-43 [...], Sheffield 1994, der den „devil as the agent of blinding and hardening" (a.a.O. 456; vgl. auch zusammenfassend 458) ansieht, jedoch im Aufweis eines Bezuges von 12,40 zum Teufel nicht überzeugen kann. 61 Vgl. a.a.O. 98-104. 62 Schuchard a.a.O. 100. 63 Schuchard paraphrasiert: „'Jesus' report provoked a response from the Jews which led to the loss of their presumed sight'" [101].
246
II. Teil: Die Aneignung der Schrift - eine exegetische Untersuchung
das in 9,39 thematisierte Sehen in obiger Weise mit 12,38 in Verbindung zu bringen ist, wo es explizit um den Glauben geht. Drittens bleibt zu fragen, inwiefern es wahrscheinlich ist, daß der Evangelist in 12,40 ein Subjekt im Auge hat, das in einem anderen Schriftwort in einer für das Joh typischen Dativverbindung mit 7n.CTE'üetv steht.64 Als zweites Argument nennt Schuchard die Übereinstimmung seiner Lösung mit dem alttestamentlichen Original, da bei Jesaja die Botschaft des Propheten die Verstockung bewirken soll.65 Letzteres gilt allerdings nur für MT Jes 6,10! Schuchards Argumentation ist also nur dann schlüssig, wenn dem Evangelisten nur der MT als Vorlage dienen würde. Da sich jedoch der Evangelist bei der Aneignung von Jes 6,10 offensichtlich auch an der LXX orientiert (so bei idoofioa) und zudem stark von eigenen theologischen Gedanken geleitet wird,66 ist der Versuch einer Erklärung des johanneischen Verständnisses speziell vom MT ausgehend wenig überzeugend. Schuchard wäre zu fragen, warum nicht die LXX für den Evangelisten auch an unserer Stelle maßgeblich sei, wie es auch sonst nach Schuchard der Fall ist.67 Insgesamt kann der Lösungsvorschlag aus den genannten Gründen nicht überzeugen und ist abzulehnen.68
Die folgende Begriffsuntersuchung soll das oben schon skizzierte Verständnis der Prophetenstelle im Joh - beginnend mit den Verben TixpXßCO und raopoco - vertiefen. Anstelle des hebräischen JXÜn (I?WÖ) oder der LXX-Form eKCC|4nx7av (3. ps. pl. imp.; koi^jxoco, schließen) bietet der Evangelist die
Aktivform xerixpXxoKev (3. ps. sg. ind. perf.). xvxpAxxo ist hapax legomenon im Joh69 und bedeutet „blind machen"70. Der Handlungsträger und damit das Subjekt des 'Blindmachens' ist im Joh Gott. Die erblindeten Augen71 sind das Ergebnis göttlichen Wirkens.72 Ein weiterer Beleg von ttxpXbco mit obiger Bedeutung im Neuen Testament findet sich in 1 Joh 2,11 (eTvxpXcooev toix; CKpäaAjiow;). In der Gnosis beschreibt TixpXoo) im übertragenen Sinn den Zustand der Unwissenheit (öcyvcüCTloc), was „auch das Moment der Heillosigkeit u[nd] 64
Vgl. zum johanneischen Glaubensverständnis die Ausführungen unter II.2.1 .d. So Schuchard a.a.O. 101. 66 Vgl. neben Schnackenburg a.a.O. II 517-519 (bes. 518) auch Schuchard, der 12,40 „a thoroughly independent creation" nennt (a.a.O. 92; s. auch oben unter a). 67 Vgl. zur Bedeutung der LXX oben unter 1.1.1. und 1.1.2. sowie Schuchard, der erstaunlicherweise ansonsten die alleinige Bedeutung der LXX als maßgebender Quelle für den Evangelisten herausstellt (s. für 12,40 (!) a.a.O. 106, allgemein xvii, 151 oder 153). 68 Wenig ergiebig zu unserem Problem ist Hanson, Gospel [1.1. Anm. 1] 166ff. Die schon früh in der Auslegungsgeschichte der Kirche erwogene Möglichkeit (vgl. Schnackenburg, Schriftauslegung 172 Anm. 18), den Teufel als Verursacher des Unglaubens anzunehmen (so Blank a.a.O. 303f.), ist mit Schnackenburg a.a.O. 172 sowie Schuchard a.a.O. 99f. abzulehnen, da weder der nähere noch der weitere Kontext von 12,40 diese Möglichkeit nahelegt (vgl. auch Menken a.a.O. 198 Anm. 34 und Kühschelm a.a.O. 188f.). 69 nxpAjöq kommt im Sinn körperlicher Versehrtheit 16mal im Joh vor (5,3; 9,1.2.13.17. 18.19.20.24.25.32.39.40.41; 10,21; 11,37), davon dreimal in übertragenem Sinn (9,39.40.41). 70 Vgl. Bauer, Wörterbuch 1656. 71 ötpöocXfiö^ ist hapax legomenon und kommt allein in 12,40 (zweimal) vor. 72 In der Einheit des Wirkens des Vaters mit dem des Sohnes kann hier auch der erhöhte Christus mitgehört werden (vgl. dazu auch das unter II.2.1. zur Anrede ld)pi£ Ausgeführte; s. auch oben Anm. 54). 65
2.2. Jesu Selbstoffenbarung findet keinen Glauben (Joh 12,40)
247
des Verderbens mit einschließt"73. Philo bietet die meisten Belege von nxpXoco in stark übertragenem Sinn als „moralische, philosophische u[nd] religiöse Blindheit."74 In der prophetischen Heilsverkündigung der LXX verbindet sich TVKpXotü in übertragenem Sinn mit einer eschatologischen Hoffnung auf eine Heilung der Blinden. Bei Deutero- (43,8; 42,18f.) sowie Tritojesaja (56,10) findet sich -nxpAxxo in übertragenem Sinn und drückt einen paradoxen Kontrast aus: Das blinde Volk, das doch Augen hat.
Das Verb 7ttöpoco (verstocken) ist wie TtxpAxxD hapax legomenon im Joh.75 Der Evangelist lehnt sich nicht an jQtö des MT76 oder die Passivform £Jiaj£WÖT|77 der LXX an, sondern verwendet erabpoxrev (3. ps. sg. aor.).78 Gegenüber der die Rolle des Propheten abmildernden Form der LXX (vgl. das dortige passivum divinum) tritt im Joh ein Subjektwechsel mit einhergehender Sinnverschiebung auf. Nicht der Zustand des Herzens (als Subjekt) in seiner Verstockung wird dargelegt, sondern das Handeln Gottes (als neuem Subjekt) an dem Herzen des Volkes (als Objekt). Das Verb raüpoü) als Terminus für die Verstockung der Herzen wird an vier Stellen im Neuen Testament erwähnt: Mk 3,5 (rr| 7KüpCD0£l rf), die Singularform
tov
aptov
statt des Plurals xoix; aprmx;, das Verb e7Kxipco6 statt
|0£yaX.'üVö) s o w i e schließlich j i t e p v a mit nachgestelltem ourroi) anstelle des 7Ttepvicr|lo^. D i e einzige wortwörtliche Übereinstimmung z w i s c h e n d e m Joh und der L X X in e7t' e | i £ reicht bei w e i t e m nicht aus, um hier eine literarische Abhängigkeit des Evangelisten v o n der L X X anzunehmen. 7 Bei den Synoptikern findet sich unsere Tradition, nach der Jesus seinen Verräter in Worten des Mahles beschreibt und durch ein Essen identifiziert, ebenfalls (Mt 26,21-25, Mk 14,18-21; Lk 21,21-23).8 Jedoch allein Mk weist einen begrenzten und nicht explizit kenntlich gemachten Bezug auf Ps 41,10b (LXX 40,10b) auf: Mk läßt Jesus im Rahmen seiner Schilderung des 1 Die Lesart n e t ' e(ioi), qualitativ gut bezeugt in P66; R; A; D; W; ©; Y; f " (u. a.), ist trotz ihres Alters als sekundär abzulehnen. Das ebenfalls früh bezeugte (I0t> des Obertextes (B; C; L; 892; pc\ vgms (u. a.)), auf dessen Ursprünglichkeit auch die LXX hinweist, ist vorzuziehen „because |oex' e|j.o\) may be an assimilation to Mk 14.18" (A textual Commentary on the Greek New Testament [...], Stuttgart 1971, 240; vgl. Schnackenburg a.a.O. III 30 Anm. 75 oder die detaillierte, neuere Literatur einbeziehende Erörterung bei Schuchard a.a.O. 108 Anm. 5). 2 Die Lesart ejlfpcev ist (mit K; A; 0 ; W und pc) zu schwach bezeugt, als daß sie als Alternative ernsthaft zu erwägen wäre. 3 Die Auslassung des ZK ist wegen der schwachen Bezeugung (P66; B) nicht zu erwägen. 4 Vgl. die Kommentare, die angeführten Beiträge von Freed, Reim, Hanson, Schnackenburg u. M. J. J. Menken, The Translation ofPsalm 41.10 in John 13.18, JSNT40 (1990). 5 Gesenius, Handwörterbuch 130. 6 eraxvpco kommt in keiner griechischen Übersetzung des Alten Testaments als Übersetzung von ^"O vor (vgl. Menken a.a.O. 67) und zeigt die Eigenständigkeit des Evangelisten an unserer Stelle. 7 Vgl. auch Menken, der a.a.O. 62 (Anm. 10) LXX-Rezensionen als mögliche Quellen des Joh mit negativem Ergebnis untersucht (s. auch J. de Waard, A comparative Study of the Old Testament Text in the Dead Sea Scrolls and in the New Testament, Leiden 1965, 66f.). 8 Vgl. Schnackenburg a.a.O. III 30.
2.3. Der Verrat erweist Jesus als souverän Handelnden (Joh 13,18)
257
Mahles am Abend vor der Kreuzigung bei der Ankündigung des Verrates des Judas sagen: |iiv iira eiq ei; t>|j. überliefert ist, zu folgendem Schluß: Dem Evangelisten wie den LXX-Handschriften läge eine der Qumranversion entsprechende hebräische Quelle vor, die der Evangelist dann übersetzt habe.12 Die Ausführungen de Waards bleiben im Hypothetischen, denn solch eine von ihm vorgestellte Quelle ist uns unbekannt und würde 13,18 auch nicht umfassend erklären.13 1QH 5,24 selbst als mögliche Grundlage ist auszuschließen, da 1QH 5,24 die Gestalt des 'johanneischen' Zitats nicht besser als der MT erklären würde. Im Vergleich mit diesem bliebe auch in 1QH 5,24 die Wahl des Verbs erodpco sowie das nachgestellte onüTOV) in 13,18 unklar. Das Joh weicht von 1QH 5,24 stärker ab als vom MT, da dort die Verben je im Plural stehen.14 Insgesamt ist von daher ein Einfluß von Qumran auf 13,18 auszuschließen.
Die Durchsicht der möglichen Quellentexte konnte keinen Text eindeutig als Quelle des johanneischen Wortlauts von 13,18 benennen. Es läßt sich nur feststellen, daß der Evangelist mehr zum MT als zur LXX tendiert.15 Wir müssen festhalten, daß die uns vorliegende Gestalt des Zitats in 13,18b auf die Über-
9
Vgl. die textkritischen Erläuterungen zu 13,18 (Anm. 2). Vgl. Menken a.a.O. 64f. oder Schuchard a.a.O. 107/108 (dort Anm. 4 weitere Literatur); anders Freed, der a.a.O. 92 das johanneische Zitat als Ergänzung zur synoptischen Tradition erwägt. 11 Ediert ist der Text in J. Baumgarten / M. Mansoor, Studies in the New Hodayot (Thanksgiving Hymns) III, JBL 75 (1956), 109. Vertreten wird dieser Bezug von de Waard a.a.O. 65ff. (und Freed a.a.O. 90; dieser sieht ebenso noch Bezüge zu 1QH 5,33 (HTOK D r t a rfolKI) und 1QH 5,35 p n " ? '[On]1? " p m ) - Texte je bei Baumgarten / Mansoor a.a.O. 112f. -, was jedoch vom Textbefund her auszuschließen ist, da 1QH 5,33.35 vom Wortlaut und Inhalt - bis auf das Stichwort Brot' - weder Bezüge zu Ps 41,10b noch zu 13,18 aufweisen; vgl. auch McLean, der a.a.O. 71 Ps 41,10 (LXX 40,10) als Zitat in 1QH 5,23-24 anfuhrt). 10
12 Vgl. de Waard a.a.O. 67 (vgl. diesen kritisch aufnehmend Menken, der a.a.O. 61 Anm. 7 anmerkt, daß die LXX-Handschriften genausogut - was er auch für 13,18 annimmt - auf den Einfluß von Mk 14,18 zurückgeführt werden könnten). 13 Z. B. würde das für die Voranstellung von |iOt> gelten. Weiterhin bleibt bei de Waard die Schwierigkeit, daß er mit |IET £|10\) übersetzen muß (vgl. dazu kritisch Menken ebd.). 14 Der Plural rührt daher, daß - wie Menken a.a.O. 61 Anm. 7 feststellt - in Qumran kein Zitat, sondern eine Paraphrase vorliegt. 15 So auch z. B. Schnackenburg a.a.O. III 30 und Menken a.a.O. 62f. (Schuchard bietet a.a.O. 109 Anm. 9 eine Auflistung der Autoren mit selbiger Meinung; er selber nimmt trotz guter Argumente fiir den MT (a.a.O. 108f.) eine Abhängigkeit von der LXX an (vgl. unter d)).
258
II. Teil: Die Aneignung der Schrift - eine exegetische Untersuchung
Setzung des Evangelisten - im Sinne einer durch die theologische Intention des Evangelisten bedingten Übertragung von MT Ps 41,10b - zurückzufuhren ist.16 b) Das Verständnis von MT Ps 41,10 (LXXPs 40,10) in seinem alttestamentlichen Kontext17 Psalm 41, der insgesamt am treffendsten als „Gebetslied"18 eines Einzelnen zu charakterisieren ist, thematisiert einen Beter, der angesichts seiner Errettung seinen Dank gegenüber der Gemeinde bezeugt. 19 Präziser ist von daher der Psalm als „Danklied eines Einzelnen" zu bezeichnen.20 Entsprechend den drei im Psalm vorkommenden Elementen der Belehrung, der Bitte und des Dankes21 gliedert sich der Psalm in drei Blöcke (2-4; 5-11; 12-14). Die mit Glückwünschen einsetzende Einleitung fHÖK in V. 2) trägt, durch ihren „paränetisch-belehrende[n] Akzent" bedingt, ein „gewisses lehrhaftes Gepräge"22. Bereitet die Belehrung über den Geringen und Armen (V. 2) inhaltlich die in den Vv. 5-11 folgende Klage vor, so zielt die Thematisierung der angedeuteten Errettung (V. 3c) auf die Erhörung in den Vv. 12-14. Die Vv. 5-11 bilden eine Klage, in der „im Rückblick das Gebet aus der Not, der Bittruf mit den entsprechenden Notschilderungen rekapituliert"23 wird. Der Beter war als Armer und Hilfloser von Gott und Menschen geschieden und litt unter Verleumdungen, Unheilswünschen und Vertrauensbrüchen. Das die schwere Vergangenheit aufnehmende Gebet ist gerahmt von Bitten zu Jahwe um Gnade (Vv. 5.11). Nach diesen Bitten schließt der Beter sein Gebet mit einem Dank gegenüber Gott vor der Gemeinde (Vv. 12-14). Der Feind jauchzt nicht mehr über den Beter (V. 12b), der sich nun der Liebe (V. 12a) und Unterstützung (V. 13) Gottes gewiß ist.
Der uns interessierende V. 10 spricht das letzte Element24 der Notschilderung aus, den Vertrauensbruch durch den 'Mann meines Friedens' ('pibtü ¡Ö'K ), mit dem der Beter vormals in einem umfassenden Friedensverhältnis lebte Die gemeinsame Mahlzeit - die Wendung 'prf? bDiK drückt eine Gewährung der Gemeinschaft vom Beter an den Freund aus25 - weist auf die „un-
16 So Schlatter a.a.O. 285; Freed a.a.O. 89f.92; Reim a.a.O. 40; Rothfuchs a.a.O. 157 oder zuletzt eindrücklich Menken a.a.O. 62/63. Dahingehend vgl. auch die Urteile von Barrett a.a.O. 436; Schnackenburg a.a.O. III 31 und Schuchard a.a.O. 108f. 17 Grundlage der folgenden Erörterungen ist auf Grund der ungeklärten Quellenfrage (s. o.) der MT des Psalms. Eine nicht auszuschließende Bezugnahme des Evangelisten auf die LXX würde zudem die folgende Erörterung nicht beeinflussen, da die Übersetzung der LXX die Gestalt, Form und den Sinnduktus des MT weitgehend überträgt und so keine für uns relevanten Sinnverschiebungen auszumachen sind. 18 Kraus, Psalmen I 466. 19 Vgl. Kraus a.a.O. I 466 und Weiser a.a.O. I 231. 20 So Kraus ebd. und Weiser ebd. 21 So Kraus ebd. 22 Beide Zitate bei Weiser a.a.O. 1231 (Kraus erwägt a.a.O. I 465 eine Nähe der Einleitung zu Lehrgedichten, die bevorzugt Wünsche nach Glück aussprechen). 23 Kraus a.a.O. I 466. Dem Moment der Klage im Rückblick ist hier zuzustimmen, vgl. ebenso Weiser a.a.O. I 231; anders Baethgen, der a.a.O. 117 die Krankheit bildlich versteht. 24 In V. 11 folgt die rahmende Bitte um Gnade. 25 Vgl. dazu Baethgen a.a.O. 119.
2.3. Der Verrat erweist Jesus als souverän Handelnden (Joh 13,18)
259
verletzliche[...] Vertrauensbildung"26 hin, in der die beiden standen. Dieser Vertraute tritt zur Zeit der Not in den Kreis der Feinde ein und macht sich gegenüber dem Beter unsachgemäß groß (vgl. auch Ps 55,13ff. (LXX 54,13ff.)). Die vom Beter gewährte und auf Gleichberechtigung angelegte Gemeinschaft hat sich umgekehrt, insofern sich der Freund nun über den Beter stellt und damit ein Moment des Feindlichen zwischen die beiden Personen tritt. Alle verbindenden „Bande haben die Freunde zerrissen, sie haben die gemeinsame Ebene des Lebens verlassen, sich großgemacht und den Leidenden erniedrigt."27 3J5i) 'bi?
- in dieser Konstellation nur hier im MT - birgt folgende Schwierigkeiten:
hi ergibt in Verbindung mit 2pS keinen sinnvollen Zusammenhang, 28 weshalb zum Beispiel Kraus, Weiser wie auch schon Baethgen Dpi! nicht mehr zu V. 10 zählen, sondern zum Schluß von V. II. 2 9 Gegen diese Umstellung spricht neben der LXX, die V. 10 mit Dpi? liest (7tXEpvia|loq, „supplanting", Verdrängung von 7CTEpvi^(ü, „one who strikes with the heel"),30 auch 1QH 5,24 (s. o.).31 Diese nicht mit letztlicher Eindeutigkeit zu entschlüsselnde Wendung drückt jedenfalls eine Handlung aus, in der sich jemand gegenüber einem anderen ungebührlich großmacht32 und diesen - mit Hilfe der Ferse (evtl. tretend) - demütigt.
Für den Duktus des gesamten Psalms und die in seinem Gedankenfortschritt liegende Dynamik ist das Moment der rückblickenden Notschilderung wesentlich. Diese eröffnet dem Beter die Möglichkeit, die Gemeinde in diese Dynamik mit hineinzunehmen. Beginnend mit der einleitenden Belehrung und der folgenden Notschilderung wird der Blick gelenkt auf die die Gegenwart des Beters bestimmende Erhörung durch Gott. Die Gemeinde soll nicht der Not-, sondern der Heilssituation zustimmen. Der Weg von der Not zum Heil ist die Perspektive, die den Beter erfüllt und die der Psalm den Hörern - wie auch seinen Betern (!) - erschließen möchte.33
26
Kraus a.a.O. I 468. Anders akzentuiert Baethgen, der a.a.O. 119 eher an ein durch einen Vertrag geschlossenes Vertrauensverhältnis denkt. Das entspricht seiner Gesamtauffassung, daß der Psalm vor dem Hintergrund der Konflikte des Gottesvolkes mit seinen Nachbarvölkern in nachexilischer Zeit zu verstehen ist (vgl. a.a.O. 117 sowie in der gesamten Auslegung). 27 Kraus a.a.O. 1468. 28 Vgl. dazu ausfuhrlicher Baethgen a.a.O. 119. 29 Vgl. Kraus a.a.O. I 465; Weiser a.a.O. I 231 sowie Baethgen a.a.O. 119 (s. auch die entsprechenden textkritischen Anmerkungen im Apparat der BHS z. St.). 30 So jeweils Liddell/Scott a.a.O. 1546. 31 Vgl. Menken a.a.O. 66. 32 In anderer Verbindung drückt hi dieses Moment der Erhebung gegen jemanden in Ez 35,13 und Ob 12 aus (vgl. Menken a.a.O. 66). 33 Vgl. hierzu auch unter II.2.5. zu 19,24 (LXX Ps 22,19).
260
II. Teil: Die Aneignung der Schrift - eine exegetische Untersuchung
c) Der Kontext des Psalmzitats innerhalb des
Johannesevangeliums
2um besseren Verständnis von 13,18 ist kurz die Disposition von Kapitel 1334 zu skizzieren.35 13,1 leitet mit einer doppelten Zeitansage und der Benennung der Adressaten den neuen Evangelienteil ein. Vor dem Passa (jtpo 8e iT|q eoprr|q toü rcda%a)36 - zur Stunde des Weggangs aus der Welt - ist Jesus allein mit den Seinen (o'i iStot) 37 , die in der Welt bleiben müssen. Im Zusammenhang mit den zurückbleibenden Seinen wird schon in 13,2 der Verrat und namentlich Judas erwähnt und damit ein bevorstehendes Thema angezeigt. Mit dem nahegekommenen Weggang Jesu und dem sorgenden Eingehen auf die Seinen (samt dem Verräter) ist die Perspektive für die kommenden Kapitel vorgegeben. Nach der äußeren Handlung gliedert sich Kapitel 13 wie folgt: Der Exposition (13,1-3) folgt die Fußwaschung (13,4f.) mit einer theologisch-soteriologischen Deutung in Form eines Gesprächs zwischen Jesus und Petrus (13,6-11) sowie einer Deutung mit paränetischem Charakter (13,12-17). Diese beiden unterschiedlich akzentuierten Deutungen ergänzen sich und nehmen die doppeldeutig zu verstehende Fußwaschung als inneres (13,6-11) wie äußeres (13,12-17) Geschehen auf. Beide erwähnen an ihrem Ende den Verrat, ohne den Verräter namentlich zu nennen (13,11; 13,18ff.), wobei 13,18-20 zum zweiten großen Thema in Kapitel 13, der Identifizierung des Verräters, überleitet. Die nun schon bezüglich der Zeit wie auch der Art der Entlarvung bekannte Verratsszene wird anschließend dargestellt (13,21-30). Das Kapitel endet mit Redeund Dialogteilen über Jesu Weggang und die zurückbleibenden Seinen (13,31-38), wodurch sich der Kreis zum Beginn des Kapitels schließt, wo auch von Jesu Weggang und dem Bleiben der Seinen (13,1) die Rede ist.38
Der uns interessierende Abschnitt 13,18-20 leitet über zum Verrat und der Identifizierung des Verräters. Während der ganzen vorherigen Szenerie war dieses Thema latent präsent und drängte zur Erörterung, da es schon anfangs (13,2) anklang und danach erneut in Erinnerung gerufen wurde (13,10b). Dramaturgisch vorbereitet schließt der Verrat in 13,18aa an 13,17 an, wobei ein 34
Mit Kapitel 13 beginnt - nach Prolog (1,1-18) und folgender Wirksamkeit Jesu ev raxppr|cri.a (1,19-12,50) - der zweite große Teil des Joh (13,1-20,31 sowie Nachtragskapitel 21). Nach längeren Reden Jesu an seine Jünger (Kp. 13-16), die durch ein Gebet Jesu (Kp. 17) abgeschlossen werden, schließen sich die Verhaftung Jesu und sein Prozeß, die Kreuzigung mit Grablegung (Kpp. 18.19) sowie das Auferstehungskapitel (20) an. 35 Zu den wegen verschiedener Brüche und weiterer literarkritischer Beobachtungen (vgl. eine Auflistung bei Schnackenburg a.a.O. III 7f.) angestellten literarkritischen Überlegungen und Operationen vgl. die forschungsgeschichtliche Skizze bei Schnackenburg a.a.O. III 8ff. (sowie F. J. Moloney, The Structure and Message of John 13,1-38, ABR 34 (1986) und H. Thyen, Johannes 13 und die 'Kirchliche Redaktion' des vierten Evangeliums [...], Göttingen 1971, 343-356)). Zur literarkritischen Position dieser Arbeit vgl. die Vorbemerkung unter 1.2. 36 Bei den Zeitangaben fallen (so Schnackenburg a.a.O. III 2) die Annäherungen an das Passa auf. Zunächst wird es als 'nahes' (eyyix;) Passa in den Blick genommen (11,55), es folgt die Angabe von sechs Tagen (npo e% fpepcov TOt) Ttaaya in 12,1) bzw. eine unbestimmte, noch nähere Zeit vor dem Passa (13,1), während die Kreuzigung am Rüsttag erfolgt (19,14). 37 Vgl. dazu 1,11 und für unsere Stelle den Gebrauch von dl tStot in 10,3.4.12: Es sind diejenigen, die zu ihm gehören, die Jesus vom Vater übergeben sind (vgl. z. B. 18,9; 17,12). 38 Vgl. auch das neue Gebot in 13,34, das auf die zweite Deutung der Fußwaschung (bes. 13,15) hinweist (zu diesem vgl. ausführlich J. Augenstein, Das Liebesgebot im Johannesevangelium und in den Johannesbriefen, Stuttgart u. a. 1993, 22-40).
2.3. Der Verrat erweist Jesus als souverän Handelnden (Joh 13,18)
261
Kontrast entsteht, w e n n in 13,17 w i e in 13,18 'die Seinen' als eine Vielzahl - in allerdings unterschiedlicher W e i s e - angesprochen werden. Während in 13,17 ein zwar bedingter, aber doch alle die Seinen inkludierender W u n s c h ausgesprochen wird, wird die M e n g e der Seinen in 13,18a - w i e in 13,10b Ende - eingeschränkt. Im Zusammenhang mit dieser Einschränkung wird nun in 13,18aß das W i s s e n Jesu betont: eycb o ! 8 a xtvcm; e^£^ei;öc|ir|V. elliptisches &XX 13,18ba.
40
Iva
39
Es folgt die durch ein
eingeführte Zitateinleitung mit Erfüllungsformel
in
Daran anschließend wird in 18,19b Jesu Motivation dargelegt, w e s -
halb er den Seinen den Verräter entlarven will. D a s Zitat ist in christologischer Perspektive zu verstehen und zielt - nach 20,31 das Grundanliegen des Evangeliums aufnehmend - auf Glauben. Es folgt in 13,20 ein „'synoptisches' L o g i on" 41 , das eine paränetische Mahnung - erinnernd an die paränetische Deutung der Fußwaschung in 13,12-17 - mit abschließendem Charakter 42 formuliert. Die christologische Konzentration und Ausrichtung in Joh 13 drückt auch das in 13,18f. thematisierte Wissen Jesu in Verbindung mit 13,2 aus. Es geht dem Evangelisten weniger um den Verrat als eigenständige Erzählung als um das souveräne Handeln Jesu angesichts seiner bevorstehenden Auslieferung und seines Todes.43 Anders wäre nicht zu verstehen, warum der Evangelist, sonst bedacht auf einen dramaturgischen Aufbau, schon in 13,2 offen das Thema des Verrates ankündet und Judas namentlich erwähnt.44 Der Kontext v o n 13,18b gibt z w e i M o m e n t e vor, die bei der Untersuchung des Zitats zu berücksichtigen sind: die anklingende Souveränität Jesu (13,18a) und die streng christologische Ausrichtung des Zitats (13,19).
39 „Der Evangelist strebt in Kap. 13 offenbar eine allmähliche, immer deutlichere Kennzeichnung und schließlich eine namentliche Identifizierung des Verräters an: V 10b ( nicht alle") - V 18 ("der mein Brot ißt') - V 21 ('einer von euch") - V 26a ('dem ich den Bissen geben werde') - V 26b ( Judas, der [Sohn] des Simon Iskariot')" (Schnackenburg a.a.O. III 26). 40 Zum elliptischen ÖLXX Iva ('... sondern (aber) dies ist geschehen, damit ...') an dieser Stelle vgl. Bl.-Debr. a.a.O. § 448.7. Zur Übersetzung vgl. weiter unten unter d. 41 Schnackenburg a.a.O. III 8. Der betonte Übergang von 13,19 zu 20 (a(lT|v d|ir|V Xkyfi ö Xoyoq [...] ö t i
MTPs
69,5
•««'T ni-iifisa a n e(iicrnodv |ie Scopedv.
D3n 'K® n p ö a f « T r p ^ n -ms •.yti* m 'pfrrrK' 1 ? itö«
Joh 15,25 a k X 'Iva TC^rpoyöfi ö Xa^oq [...] 0X1 E|J.iC5T|CT(XV |i£ &opeäv.
LXXPs 34,19 (j.r| e m % a p £ i r | a ä v not oi e^-öpaivovteq jxot d&KCOQ oi (iictouvxei; |ie Scopeäv K a i SiaveuoviB; öqröaXjxoi^ LXXPs
68,5
eTrXrfövvörioav ÜTcep t a q TpiXca; xf|p£VOV ...). 96 Daß Menschen Macht über Jesus gegeben ist, wird deutlich im Gespräch zwischen Jesus und Pilatus in 19,10.11. Pilatus hätte keine Macht über Jesus, wenn sie ihm nicht ävcoöev (d. h. von Gott) gegeben wäre. Für die Kreuzigung (in 19,10 Ende ist ausdrücklich von einer Kreuzigung die Rede !) bedeutet das, daß sich das Ausgeliefertsein Jesu als ein von Gott hervorgerufenes Ausgeliefertsein darstellt - in ihm vollzieht sich die Gottesferne. 97 Gese a.a.O. 196 (zur Bedeutung der Psalmen für das urchristliche Passionsverständnis vgl. D. Juel, Messianic Exegesis [...], Philadelphia 1988, 89-117).
298
II. Teil: Die Aneignung der Schrift - eine exegetische Untersuchung
2.6. Jesus erweist sich in seinem Tod als das Passalamm Gottes (Joh 19,36) a) Die Quelle und der Text des Zitats in Joh 19,36 „On a purely textual basis, it is impossible to tell definitely the source of the quotation or the text used in Jn 19:36."' Die Quellenbestimmung ist schwierig, da vier mögliche Quellentexte (Ex 12,10.46; Num 9,12 und Ps 34,21 (LXX 33,21)) vorliegen, die alle auch in der Forschung erwogen wuden.2 Joh 19,36
MF Ex 12, KP
eyevETO y a p xai»xa 'iva f | ypoMpfi 7tA,ipa>öf|, c k t t o w o\> owcpißfiaexai auxoü
LXX Ex 12,10
Bsp n ' r t n " « ' ^ !
13I2D -in'am ¡ÖtO
Joh 19,36
MT Ex 12,46
eye VETO y a p xoruxa I v a fi ypacpri 7tA,rpoidf|,
i n « tva? i r a n - p K'tfrrK' 1 ? r m n -ffiarrip
ö a r o ö v ab cruvxpißf|aExai a w i o ü
Joh 19,36
n x r - ß i ö n « b mu>i
ai)K a7roA£H(/exe a n ai)xoi) eax; jtpcoi K a i öcrroüv ov cruvtpi\(/exe a n ' auxoüxöc 6e KaxaleiTröpeva dot' auTOÜ ecoq 7tptoi ev TTupi m x a K a i x r e x e .
LXX Ex 12,46
ev o i i d a |i.iä ßpcoöriaexai, K a i o"ük e^oiaexe e k Tri«; oiKiaq TOV Kpecöv E^CO' K a i ö c r o w oi) awxpnj/EXE a n ' awxm
MT Num 9,12
LXX Num 9,12
eye VETO y a p x a ü x a I v a TI> "QBÜ n ^ n f ?
fl ypotqyn nX,rpö)i3f), ÖGTOW 0V
ft-ni^
cruvxpißfiaeTai avxov. irr«
1
«'b dsjji
nosn n j p r r ^ ?
... K a i ö a r o ü v ot) cruvxpi\|/o\xn arc' aüxov)K a x ä TOV VÖ(IOV TOÖ jcao%a TTOifiCTOixjiv aw».
Freed a.a.O. 113. Vgl. Schuchard a.a.O. 134 sowie Hanson, der a.a.O. 218-222 drei Gruppen von Forschungsmeinungen auszumachen meint (vgl. dazu weiter unten) oder Freed a.a.O. 110-113. Eine umfassende Auflistung der in der Forschung getroffenen Entscheidungen bietet Schuchard a.a.O. 138 Anm. 7 bis 13. In Qumran finden sich keine Parallelüberlieferungen, die für die Quellenfrage an unserer Stelle von Bedeutung wären (vgl. McLean a.a.O. 32f. und 70). 3 In MT Ex 12,10 findet sich das Verbot des Knochenbrechens nicht, so daß sein Vorkommen in LXX Ex 12,10 als Eintrag zu werten ist, der durch Ex 12,46 bedingt ist. 2
2.6. Jesus erweist sich in seinem Tod als Passalamm Gottes (Joh 19,36)
Joh 19,36 eyevexo yccp xorüxoc I v a fl ypacpri 7iA.rparöfi, öcxow aü cruvTpißfiaexai a u x o u
MT Ps 34, 21 Tntasjr 1 ??
ip^
¡rnaitf? «b mnn nn«
299
LXXPs 33,21 icüpioq qruXxxCTOEi rcavxa
xä Ö C T O awxöv, ev e^ auxtöv au (TUVtpißflGEXai.
Eine wörtliche Übereinstimmung mit der johanneischen Wendung ÖCX01)V oi) (Tuvipißiiaexai ocöxoi) bietet keiner der Texte. Die größte sprachliche Übereinstimmung bieten in jeweils griechischer Übersetzung die drei Texte aus dem Pentateuch. Sie weisen, bis auf ein im Joh ausgelassenes öwt ' 4 , den gesamten auch im Joh vorkommenden Wortbestand auf, bis auf die Verbform5 sogar mit identisch grammatikalischen Formen. Eine Übersetzung aus dem Hebräischen kann die wörtlichen Übereinstimmungen mit der LXX nicht plausibel erklären, denn eine identische Übersetzung des Evangelisten zur LXX wäre bei der Fülle der Übersetzungsvarianten mehr als Zufall. Von daher ist mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, daß dem Evangelisten eine Quelle in griechischer Sprache vorlag, wobei primär an die Pentateuchstellen zu denken ist. Da die Verbform cruvxpißf|CTexai neben einigen Zeugen in den LXX-Pentateuchstellen6 nur in LXX Ps 33,21 belegt ist, kommt auch der Psalm als Quelle nur in seiner griechischen Übersetzung in Frage.7 Als Zwischenergebnis ist festzuhalten, daß der Evangelist mit hoher Wahrscheinlichkeit die LXX ver4
Zu (X7C s. auch unten Anm. 6. Gegenüber cri)VTpißr)jxeiq marcu [a]r|Te (19,35).
320
II. Teil: Die Aneignung der Schrift - eine exegetische Untersuchung
Gläubigen insgesamt steht.55 Auch diese erkennen den Durchbohrten als Lamm Gottes bzw. Sohn des Menschen (3,14f.; 12,23.32.34; 13,31f.). In einer Zwischenüberlegung wenden wir uns dem Wortfeld 'Sehen' 56 - ausgedrückt durch ßÄ£7Kö, öpctto sowie -öecüpECü57 - und seiner theologischen Bedeutung zu. Schon der Prolog betont, daß im inkarnierten Aöyo^ dessen Herrlichkeit - und damit indirekt die Herrlichkeit Gottes - für den Glauben sichtbar wurde (1,14). Das Sichtbarwerden des Xayoq in der Inkarnation - ein Grundanliegen des Joh58 - ermöglicht das theologisch qualifizierte Sehen. Denn der Vater, den kein Mensch gesehen hat (1,18: ... öeov (yu&iq ecüpcxKEV JtcbJTOTE), wird allein im fleischgewordenen Xöyoc, ansichtig (so 12,44f. und 14,9 mit 1,1.14). 'Sehen' bedeutet damit im johanneischen Sinn die Wahrnehmung Gottes, womit dem Sehen' eine spezifische Nähe zur Offenbarung Gottes zukommt. 59 Analog zum Moment des Hörens ist beim Sehen zwischen einer rein visuellen Wahrnehmung und einem gläubigen Sehen zu unterscheiden, was in 9,1-41 deutlich wird. Nicht die sind Blinde, die wegen einer körperlichen Fehlfunktion nicht sehen können, sondern diejenigen, die Jesus nicht erkennen (vgl. 9,29) und die von ihm vollbrachten Zeichen nicht als Wirken Gottes begreifen.60 Demgegenüber ist in Joh 9 mit dem Blinden ein in doppelter Weise Sehender programmatisch vorgestellt: Er erkennt Jesus nach der Heilung rein visuell sowie auch theologisch qualifiziert, indem er glaubt (9,38a).61 Hier zeigt sich die Bedeutung des Sehvorgangs für die johanneische Theologie als Offenbarungsgeschehen, das sich der Möglichkeit des Menschen entzieht.62
Das Hinaufblicken der unter dem Kreuz Weilenden auf den Durchbohrten steht für den Evangelisten in einem soteriologischen Kontext. Da das Blicken auf einen am Kreuz Hängenden nur als ein Hinaufblicken vorstellbar ist, entsteht hier eine unmittelbare Nähe des Sehens zum Motiv der Erhöhung. Jesus wird bei seiner Erhöhung als Sohn des Menschen zu erkennen sein (8,28)63 55
Vom Text her belegt der Nachsatz in 19,35 (s. o.), daß Gläubige angesprochen sind (vgl. auch Schnackenburg a.a.O. III 344). 56 An Literatur s. neben den Kommentaren F. Hahn, Sehen [II.2.1. Anm. 48]; F. Mussner, Sehweise [II. 1.2. Anm. 43] und H. Wenz, Sehen und Glauben bei Johannes, ThZ 17 (1961). 57 Vgl. je die Konkordanz s. v. Eine unterschiedliche Bedeutungsnuance der verschiedenen Begriffe für sehen' ist - mit Hahn a.a.O. 126 Anm. 3 - nicht auszumachen. 58 Vgl. Bultmann a.a.O. 43f. 59 Vgl. dazu die oftmalige Rede, daß sich in den Zeichen die Herrlichkeit Jesu (mit der Folge des Glaubens) zeigt (z. B. 2,11). 60 Vgl. Schräge, TVXpÄö^ [II.2.2. Anm. 73] 291f. 61 Die „unlösbare Einheit von 'Glauben' und 'Sehen'" (Hahn a.a.O. 129) ist wesentlich, so daß das gläubige Sehen die Erkenntnis Jesu als Christus nach sich zieht und es nicht bei einem körperlich-sinnlichen Sehen bleibt. Dieser Zusammenhang wird in 6,40 deutlich: Den Sohn sehen und an ihn glauben sind zwei Momente, in deren nicht voneinander trennbaren Vollzügen jeder des ewigen Lebens teilhaftig werden kann. 62 Gläubiges Sehen ist - analog zum Akt des Hörens - initiiert durch die Selbsterschließung Gottes. Ein schon währendes Sein im Glauben oder das (gleichzeitige) Ereignis des zum Glauben Kommens sind Bedingung gläubigen Sehens. In bezug auf den Evangelisten formuliert Mussner a.a.O. 20: „Vielmehr lassen sich der Sehakt und der Glaubensakt nicht voneinander trennen. Indem der Apostel sieht, glaubt er, und weil er glaubt, sieht' er, nämlich die Herrlichkeit des Logos und Sohnes Gottes am fleischgewordenen Jesus von Nazareth." 63 Vgl. hier das auf Erkennen zielende absolute eycb ei(ii in 8,24.28.
2.7. Der Blick zum Gekreuzigten und das ewige Leben (Joh 19,37)
321
auch für 'die Juden', die hier nicht ausgenommen sind. In 12,32 läßt der Evangelist Jesus sagen, daß er in und bei seiner Erhöhung alle zu sich ziehen, das heißt retten, werde: „Was hier von Jesu Wirkung bei seiner 'Erhöhung' gesagt wird, erhält im Zitat von 19,37 das bestätigende Gegenstück von Seiten der Menschen, die zu dem am Kreuz Hängenden aufschauen werden."64 In seiner soteriologischen Implikation spricht das Hinaufblicken eine andere Tradition der Schrift an, nämlich die der erhöhten Schlange des Mose in der Wüste (Num 21,4-9).65 So wie der Blick auf die an einer Stange hängende Schlange Leben bedeutete, so gewährt auch der Blick hinauf zum Durchbohrten Leben. „Wie die Juden einst Jahwe 'durchbohrten' und gerade dadurch die Wende zu Umkehr und Gnade herbeigeführt wurde, so wird Gottes Gesandter, der am Kreuz wirklich 'durchbohrt' wird, zum Heilszeichen für die Welt."66 Das Blicken hinauf zum Durchbohrten ist „ein hoffnungsvolles" 67 . Damit ergibt sich folgende Gesamtperspektive der Rettung anhand des Sacharjazitats: Unter dem Kreuz verwirklicht sich zur Stunde der Erhöhung im Blick auf den gekreuzigten und durchbohrten Jesus, was der Evangelist im Anschluß an das Gespräch mit Nikodemus in christologisch-soteriologischer Zuspitzung ansagte (3,14f.): Der Blick zum Erhöhten vermittelt ewiges Leben. „Der Vergleichspunkt zwischen der Erhöhung Christi durchs Kreuz zum Vater und der Aufrichtung der Schlange an einem Pfahl in der Wüste (Num 21,8f) liegt darin, daß beidemal ein den Blicken aller erreichbares und daher auch allen helfendes Heilszeichen aufgerichtet wird."68 Am Ende der johanneischen Kreuzigungsszene kommen die um das Kreuz Stehenden mit dem Ziel in den Blick, daß sie durch das Sehen des Gekreuzigten zum Glauben an Jesus kommen und ihnen im Glauben ewiges Leben zuteil wird (so 19,35 mit 64
Schnackenburg, Schriftzitat 245 (vgl. dort auch zum letzten Gedankengang). Die typologische Aufnahme der Wüstenerzählung von der Schlange, die unabhängig vom Joh eine breite Wirkungsgeschichte hatte (vgl. hierzu Bill. II 425f. die für die Zeit nach 70 n. Chr. aussagekräftigen Quellen, deren vorlaufende mündliche Tradition eine Verbreitung auch fiir die Zeit vor 70 n. Chr. nahelegt), konnte von den Lesern/Hörern wahrgenommen werden, da sie in 3,14 an exponierter Stelle ausdrücklich erwähnt wird. Daß der Evangelist die Kreuzigung Jesu von der Erhöhung der Schlange bei Mose her typologisch versteht, betont auch Schnackenburg a.a.O. 245 (stärker betont dies Schnackenburg in Johannesevangelium III 344; vgl. auch Goppelt, Typos [II. 1.3. Anm. 100] 220f., zur Typologie im Joh insgesamt a.a.O. 215-235). 66 Schnackenburg, Schriftzitat 245. Vgl. neben Menken a.a.O. 508 auch Dauer, der Passionsgeschichte [11.2.5. Anm. 52] 277 das Sehen betont: ,,[D]er am Kreuz Erhöhte und Durchbohrte wird von Gott zum Zeichen gesetzt, zu dem alle von nun an aufschauen werden und müssen, zum rettenden Zeichen, das Heil und Leben bringt, für alle Glaubenden" (Kursivierung im Original). 67 Schnackenburg a.a.O. 245. 68 Goppelt a.a.O. 220. 65
322
II Teil: Die Aneignung der Schrift - eine exegetische Untersuchung
3,14f.).69 Durch das Zitat wird der Blick auf den Erhöhten gelenkt, um Glauben an ihn zu wecken. Damit weitet sich letztendlich der Kreis der Schauenden: Neben den Soldaten, 'den Juden' und den Gläubigen (s. o.) werden nun alle (nachfolgenden) Leser und Hörer der Botschaft mit eingeschlossen - denn Jesus wurde erhöht, 'Iva wäc, ö jmrceiixov ev a v i e%T| ^cof|v aitöviov (3,15). Diese Hoffnung der Rettung aller beschließt die Kreuzigungsszene.70 Weiterhin ist in diesem soteriologischen Zusammenhang an das aus dem Leichnam des Durchbohrten austretende Wasser und Blut (19,34b) hinzuweisen. Zu den austretenden Flüssigkeiten aus dem Leichnam Jesu besteht ein Zusammenhang zu 7 , 3 8 : 7 1 Aus Jesu Leib ( K O l X i a ) sollen „jroxajioi [...] v8avx, ^rövroq" fließen, aus ihm soll Heil 'austreten' bzw. von ihm Rettung ausgehen. In 7,39 deutet der Evangelist das selber mit dem Geist ö e|i£XXov Xqoßdveiv oi maxeixiavxet; eit; o u t o v . Was in 7,37ff. thematisiert und angesagt wird, erfüllt sich am Kreuz als dem Ort, an dem sich Gottes Heilshandeln vollendet hat (19,28ff.) und welches mit dem Kommen des Geistes seinen irdischen Fortgang erfahren wird.72 Wenn wir mit obiger Meinung die Intention des Evangelisten treffen, dann allein, wenn wir die austretenden Flüssigkeiten Blut und Wasser nicht als Symbole weiter abliegender Inhalte (z. B. die Sakramente der Kirche),73 sondern als Symbol für den Geist verstehen.74 So bleibt die Mög-
69 Das Moment der Erlangung ewigen Lebens im Glauben - der Glaube als der Art und Weise neuen Lebens - wird vom Evangelisten als Ziel seines gesamten Werkes verstanden (so am deutlichsten in 20,31!). Menken macht a.a.O. 508ff. darauf aufmerksam, daß in Joh 20 oftmals vom Sehen Jesu gesprochen wird (20,18.20.25.27ff. u. ö.) und versteht dies im Sinne einer „realized eschatology" [509] als Erfüllung des soteriologischen Anspruchs von 19,37. Dieser Sicht ist darin zuzustimmen, daß in 19,37 wie in Joh 20 betont vom gläubigen Sehen die Rede ist und sich die Heilsteilhabe im Modus des Glaubens realisiert. Zu differenzieren ist allerdings bzgl. des Objektes des Sehens: in 19,37 ist es Jesus als Gekreuzigter, in Joh 20 als Auferstandener. Weil in 19,37 mit der Analogie zur Erhöhung der Schlange in der Wüste (s. auch die Aufnahme von Num 21,8f. in 3,14) eine fest geprägte Vorstellung im Hintergrund steht, ist hier präzise der am Kreuz Hängende als Erhöhter das Objekt des Sehens. Wenn 19,37 - wie dargelegt - von MT Sach 12,10 sowie 3,14f., aber nicht von Offb 1,7 - dort wird Sach 12,10 im Kontext der Rede von der Parusie verwandt - her zu interpretieren ist, ist das Sehen in Joh 20 nur mittelbar eine Erfüllung von 19,37. Abschließend ist das Sehen - mit Schnackenburg a.a.O. 245 - treffend als ein hoffnungsvolles für die Gegenwart des Evangelisten zu begreifen, das nicht - wie Freed a.a.O. 115f. oder Menken a.a.O. 502 (u. ö.) annehmen - die Parusie Jesu im Blick hat (so Bultmann a.a.O. 525 Anm. 1 und Schnackenburg a.a.O. 244). 70 Zu dieser universalen Perspektive des gläubigen Sehens vgl. auch Venetz a.a.O. 110, Menken a.a.O. 507ff; Moo a.a.O. 213 („people in general") und Schuchard a.a.O. 146. Zu erwägen ist weiterhin, daß der Evangelist, der das umfassende Heil (vgl. Gottes Liebe zum Kosmos in 3,16) im Blick hat, alle Menschen in den drei oben genannten Personenkreisen repräsentiert sieht, da das Joh insgesamt auf den Glauben aller zielt (vgl. vor allem an 20,31). 71 Vgl. zu dieser Verbindung zustimmend z. B. Brown a.a.O. II 949ff.; eine differenzierte Sicht bietet Schnackenburg, Johannesevangelium III 344f. 72 Vgl. hier das Kommen des Parakleten (14,25f.; 16,13f.). 73 Abzulehnen sind symbolische und allegorische Deutungen von Blut und Wasser in Hinblick auf die Sakramente der Kirche. Zu den symbolischen Auslegungsversuchen des austretenden Blutes und Wassers vgl. - diese ablehnend - Schnackenburg a.a.O. III 345 und Barrett a.a.O. 534f. (mit einer anderen Deutung vgl. Bultmann a.a.O. 525).
2.7. Der Blick zum Gekreuzigten
und das ewige Leben (Joh 19,37)
323
lichkeit festzuhalten, daß der Evangelist intendiert, daß ein gläubiges Sehen das Austreten von Blut und Wasser mit der Gabe des Geistes (bzw. des Lebens 75 ) in Verbindung bringt und als Gabe des Geistes deutet. Auf der Handlungsebene jedoch zeigt das Austreten von Blut und Wasser nur den Eintritt des Todes an.
In dieser soteriologischen Darlegung des gläubigen Sehens auf den Gekreuzigten liegt die Motivation des Evangelisten, das Schriftwort aus Sach 12,10aß anzuführen.76 Es sind vor allem zwei zuvor durch Schriftzitate eingeführte Motivfelder,77 die in johanneischer Sicht im Kreuzesgeschehen miteinander verschmelzen, dieses deuten und dabei ihre Erfüllung erfahren: die Tradition des Passalamms sowie die der erhöhten Schlange durch Mose.78 In Analogie zur Schlange des Mose wird Jesus, das Lamm Gottes (1,29.34), von Gott als das wahre Passalamm (so das Zitat in 19,36) - öffentlich (ev raxppt| aus Jesu M u n d ihren Ausgangspunkt. Initiiert durch den Durst Jesu wird ihm ein S c h w a m m mit Essig (OTtöyyoc; o v v |i£axov toi» ö£,ovg) mit Hilfe eines Y s o p ( busches) gereicht. Bezüglich des Motivs des Durstes ist kurz das Themenfeld 'Durst' zu skizzieren. 8u|KXC0 kommt fünfmal im Joh vor (4,13.14.15; 6,35; 7,37). Während es in 4,13 noch in seiner eigentlichen Bedeutung im Sinn von körperlichem Durst verstanden wird, ist in 4,14 eine übertragene Bedeutung intendiert. Der, der von dem von Jesus gespendeten Wasser trinkt, wird nie mehr dürsten.43 Der hier angesprochene Durst meint die tiefe menschliche Sehnsucht nach Gottes Nähe und seiner Gerechtigkeit.44 Insofern dieses Motiv in seiner übertragenen Bedeutung auch in den Psalmen anklingt, ist es als ein zeitgenössisch bekanntes Motiv anzusehen.45 Die Rede vom Trinken des von Jesus gespendeten Wassers ist eine Variante der Rede vom Glauben (so nach 6,35). Der soteriologische und auf Christus konzentrierte Aspekt des Durstes wird in 7,37 deutlich: Jesus gibt lebenspendendes Wasser, so daß jeder, der an diesem Wasser (im Glauben) teilhat, selber zu einer Quelle lebendigen Wassers werden kann (7,38). Besonders die letztgenannten Aspekte werden für die johanneische Szenerie um 19,28 zu beachten sein.
40 Zu erinnern ist an den Stamm TeX.-. Vgl. hierzu auch das Wortspiel mit xexeXeotoci und TEteuööfi in 19,28. 41 Zu denken ist hier an das den Hebräerbrief prägende ecpcxrax^ (7,27; 9,12; 10,10). 42 Vgl. zu teteXeowii oben unter 1.3.3.2.3. 43 In 4,15 wird von der Samaritanerin wieder die eigentliche Bedeutungsebene des Durstes angesprochen, obwohl für den Hörer dieses Mißverständnis offenbar ist. 44 „Nicht (mehr) dürsten heißt gestillte Heilssehnsucht, vollendete Seligkeit als Gabe Christi" C1! Behm, 8iyd® KTÄ., ThWNT II (1935), 230 (Kursivierung im Original)). 45 S. z. B. MT Ps 42,3 oder MT Ps 63,2 (zur Bekanntheit der Psalmen s. den Exkurs).
3.3. Die Erhöhung am Kreuz als Ziel Erfüllung der Schrift (Joh 19,28)
357
Kontrovers fallt die Bestimmung der genauen Bedeutung wie auch der Funktion von bZpc, aus. Ist mit hier das „minderwertige Volksgetränk"46 gemeint oder der qualvoll zu trinkende Essig? Dies impliziert die weitere Frage nach der - vom Evangelisten intendierten - Wirkung des o^cx; für einen Gekreuzigten. Die Erwähnung eines Eimers voller Essig ( o K e i x x ; EKEITO Ö^OUQ |i£OTX)V), der wie selbstverständlich in der Nähe des Kreuzes und damit der römischen Soldaten (siehe 19,23) steht, läßt auf ein Volksgetränk und/oder „die posca, die auf der Grundlage von Essig gemischte Limonade der römischen Soldaten"47, schließen.48 Bei diesem Getränk wird die Wirkung als eine den Leidenden stärkende49 oder eine den Schmerz lindernde (betäubende)50 bestimmt. Von der johanneischen Szenerie ausgehend ist unter demnach ein nicht außergewöhnliches Volksgetränk zu verstehen. Dieses Zwischenergebnis gilt es nun zu vertiefen, indem wir die Bedeutung von in LXX Ps 68,22 für das Joh heranziehen.51 In Analogie zum Psalm wird in 19,29 unter o^oc, eine saure Flüssigkeit - „ungenießbar wie Gift"52 - zu hören und als hintergründige Bedeutung des 'Volksgetränks' zu verstehen sein. Entsprechend ist auch die unangenehme und eine Schmach steigernde Wirkung des als Form einer impliziten Demütigung53 im Joh mitzuhören. In soteriologischer Perspektive ergibt sich damit folgende Dialektik: Dem, der selbst das Lebenswasser ist (7,37f.) und spendet (6,35 nach 7,37), wird ein ungenießbares Getränk gegen seinen Durst gereicht, durch das er letztlich seinen Weg - zur Rettung der anderen - vollendet. Für o^cx; ergibt sich an unserer Stelle eine doppelte Bedeutung.54 Der Essig stellt einerseits nach dem johanneischen Kontext ein 46
Heidland a.a.O. 288. Kellermann a.a.O. 1066. 48 Für dieses Volksgetränk entscheiden sich z. B. Heidland a.a.O. 288; Blinzler a.a.O. 369f. (Anm. 50) und Barrett a.a.O. 531 ; für nicht eindeutig beantwortbar hält die Frage Kellermann a.a.O. 1065. 49 So z. B. Blinzler, der a.a.O. 370 Anm. 50 meint, das Getränk solle „den Deliquenten möglichst lange bei Bewußtsein [...] halten." 50 So z. B. Bill. II 1037 (dort auch weitere Belege für diese Wirkung aus rabbinischer - und damit bzgl. der Datierung der Quellen für uns problematischen - Zeit) oder Gnilka, der a.a.O. 145 von einem friedlichen Sterben Jesu redet. 51 So auch Schnackenburg a.a.O. III 331. 52 Kellermann a.a.O. 1065. 53 Gegenüber der synoptischen Tradition (Mk 15,36; Mt 27,48f.; Lk 23,36) ist eine Verhöhnung durch Essig im Joh aus dem Kontext nicht abzuleiten und deshalb für unsere Stelle nicht plausibel darlegbar (vgl. auch Bultmann a.a.O. 522 Anm. 4; vgl. dagegen Schnackenburg, der a.a.O. III 331 für eine „Demütigung oder Verhöhnung" plädiert). 54 Die Bestimmung einer konkreten und plausibel herleitbaren Wirkung des ôÇoç bleibt uns versagt (das spiegelt auch die Vielfalt der Forschungsmeinungen wider, vgl. z. B. Blinzler a.a.O. 370 Anm. 50 oder die vagen Äußerungen Bultmanns a.a.O. 522 Anm. 4). Im Zusammenhang 47
358
II. Teil: Die Aneignung der Schrift - eine exegetische
Untersuchung
Volksgetränk dar, andererseits vom unbedingt mit zu berücksichtigenden Psalmkontext eine ungenießbare Flüssigkeit, so daß bei Ö^cx^ das Leid umfassenden Alleinseins bzw. umfassender Einsamkeit (siehe auch 19,23f.) anklingt.55 Gereicht wird - so lesen wir in 19,29 - dem Gekreuzigten das Essiggetränk mit Hilfe von Ysop. Um den Schwamm mit Essig an Jesu Mund fuhren zu können, ist jedoch der Ysop als nicht stabile und kleine Pflanze ungeeignet. 56 Mk (15,36) und Mt (27,47) berichten denn auch besser vorstellbar -, daß ein Stock (ö m X a j i o q ) verwendet wurde. Die Pflanze mit dem Namen kommt in den Schriften des Alten Testaments zehnmal vor: Ex 12,22; Lev 14,4.6.49. 51.52; Num 19,6.18; 1 Kö 4,33; Ps 51,9. Eine eindeutige Identifizierung einer Pflanze mit dem Namen ist nicht möglich, da die Übersetzung von mit Ysop (ö v a a a m o q ) fraglich ist. 57 Der Grund liegt darin, daß der „europäische Ysop (Hyssopus) weder in Israel noch auf dem Sinai wächst, während der syrische Ysop (Origanum syriacum) hier [sc. dem Sinai] inmitten niedrigen Strauchwerks zumeist auf steinigem Boden reichlich vorkommt." 5 8 Dieser syrische Ysop, ein Lippenblütler, ist ein im Mittelmeerraum beheimateter „gedrungender, vielstengeliger, mit grauen Haaren bedeckter Busch, der etwa 70 cm hoch wird." 59 Von daher ist zu vermuten, daß es sich bei / ixscxoJKx; um den syrischen Ysop handelt 60 . Die Mehrzahl der oben angeführten Stellen qualifizieren zum einen die Ysop-Pflanze als eine Zutat zu den Flüssigkeiten bei Reinigungshandlungen (Lev 14,4.6.49.51.52; Num 19,6), zum anderen den Ysop(-busch) als Hilfsmittel zur Besprengung von unreinen Personen oder Gegenständen beim Reinigungsopfer (Num 19,18(-20)) sowie beim Bestreichen der Türpfosten während der Flucht aus Ägypten (Ex 12,22). Einmal wird dem Ysop eine ihm innewohnende reinigende (entsühnende) Wirkung zugeschrieben (Ps 51,9 (LXX Ps 50,9)) 61 , ein anderes Mal wird die Pflanze
mit der nicht befriedigend feststellbaren Wirkung des ist auch auf die umstrittene und nicht mehr erklärbare Todesursache Jesu zu verweisen (zu den diesbezüglichen Hypothesen vgl. den ausführlichen Exkurs 'Der Kreuzestod in medizinischer Sicht' von Blinzler a.a.O. 381-384). 55 Vgl. dazu die Ausfuhrungen zu LXX PS 68,22. Als theologisch unzutreffend ist die Auffassung Haenchens abzulehnen, nach der die johanneische Sicht des Todes Jesu keine „Züge der Qual und Kränkung" kenne (Johannesevangelium [II. 1.6. Anm. 2] 553). 56 Vgl. z. B. Barrett a.a.O. 531 oder Schnackenburg a.a.O. III 331. Nicht so eindeutig Bill., der II 581 von einer ,,holzartige[n] Beschaffenheit" des Ysop spricht und von daher eine Verwendung als Stock in 19,29 für möglich hält. Neben der Singularität der Bezeugung holzartigen Ysops ist es vor allem wegen der Frage nach dem Alter der Quelle (TPara 11,8) geboten, Billerbecks Erklärungsmöglichkeit abzulehnen. Die textkritische Variante, statt des üoacorax; des Obertextes mit der lateinischen Minuskel 476 (und der Konjektur des Camerarius) ixjarö (Wurfspieß) zu lesen, ist auf Grund der schlechten Bezeugung als Lösungsmöglichkeit auszuschließen. 57 Vgl. M. Zohary, Pflanzen der Bibel [...], Stuttgart 1983, 96f. Zur Schwierigkeit einer präzisen Bestimmung s. auch die ältere Besprechung von G. M. Crowfoot / L. Baldensperger, Hyssop, PEFQSt 36 (1931). 58 Zohary a.a.O. 96 (auch Crowfoot/Baldensperger, die das biblische Ysop als eine Sorte von 'Origanum', nämlich des „Origanum Maru" (a.a.O. 89, vgl. auch 92ff.) bestimmen, kommen insgesamt über eine Vermutung nicht hinaus, vgl. a.a.O. 98). 59 Zohary a.a.O. 97. 60 So Zohary ebd. (vgl. auch Bill. II 581, wo auf eine Vielfalt unterschiedlicher YsopPflanzen hingewiesen wird). 61 Vgl. Kraus a.a.O. II 545.
3.3. Die Erhöhung am Kreuz als Ziel Erfüllung der Schrift (Joh 19,28)
359
an sich beschrieben (1 Kö 8,44). Die Verwendung in der zeitgenössisch-jüdischen Literatur62 deckt sich mit diesem Befund: Ysop als in den Reinigungsvorschriften vorgesehene Zutat zu den reinigenden Flüssigkeiten ist bei Josephus (ant. 4,80) und Philo (spec.leg. I 268) angesprochen, der Ysop(-busch) als Hilfsmittel findet sich beim jüdisch-hellenistischen Tragiker Ezechiel (ca. 2. Jh. v. Chr.)63 sowie wiederum bei Josephus (ant. 2,312 und 4,81) 64 und Philo (spec.leg. 1262) 65 . Der Ysop ist - von diesem Befund ausgehend - theologisch qualifiziert durch die Reinigungsvorschriften - neben den allgemeinen (vgl. Lev 14) im besonderen durch die des Sündopfers der roten Kuh und deren Asche als Bestandteil des Reinigungswassers (Num 19) - und das Exodusgeschehen. Besonders durch den zuletzt genannten Exodus und seiner Bedeutung als einer heilsgeschichtlichen Urerfahrung des Gottesvolkes, die jährlich im Passafest eine je aktuelle Vergegenwärtigung erfuhr 66 und damit Ysop unmittelbar mit diesem Israel konstituierenden Ereignis verband 67 , wird Ysop im Bewußtsein der Zeitgenossen vornehmlich mit dem Auszug assoziiert worden sein.68 Inhaltlich symbolisiert der Ysop dabei vom Exodus her die Nähe und gnädige Für-Sorge Gottes inmitten einer Situation der Not (und des Gerichtes) gegenüber den Seinen. Denn Gott bewahrt die, die sich mittels der Hilfe des Ysop als zu Gott gehörig ausgewiesen haben. Der Ysop kann in diesem Sinn als Symbol für Gottes Rettungshandeln gelten.69
62
Bei Philo findet sich der Begriff fünfmal (spec.leg. I 262, 268; vit.cont. 37, 73, 81), genauso bei Josephus (bell. 6,201; ant. 2,312; 4,80.81; 8,44) sowie einmal in den Pseudepigraphen bei Ezechiel dem Tragiker 185. In Qumran kommt 3itK nicht vor. 63 „... ötcxv iXxrr|i£ 8e, 5eqxr|v Aaßövreq %epoiv ucacomru ko|j.t£ eiq o a | i a ß a y a i ..." (Ezechiel d. Trag. 185). 64 Neben dieser Hauptlinie bezeichnet Ysop bei Josephus die Pflanze allgemein (ant. 8,44) sowie ein gewisses 'Haus des Ysop' (bell. 6,201; vgl. dazu E. Nestle, Zum Ysop bei Johannes, Josephus und Philo, ZNW 14 (1913)). 65 An den anderen drei Stellen bei Philo (vit.cont. 37, 73, 81) meint Ysop ein Gewürz. 66 Zum Passafest und seiner Entstehungstradition, seiner Historisierung in der Exodustradition sowie der Überlieferung dieses Erzählkranzes in den verschiedenen literarischen Schichten des Pentateuch vgl. neben den Kommentaren wegweisend für die Forschung L. Rost, Weidewechsel und alttestamentlicher Festkalender, ZDPV 66 (1943) und darauf bezugnehmend M. Noth, Überlieferungsgeschichte des Pentateuch, Darmstadt 2 1948 (bes. 70-77). 67 Die starke Bindung des Ysop an die Tradition des Exodus bzw. des Passafestes zeigt sich in dem - von Crowfoot/Baldensperger a.a.O. 90f. erwähnten - noch heute lebendigen Passaritual der Samaritaner auf dem Garizim (vgl. auch Zohary a.a.O. 97). Rückschlüsse von diesem (heutigen) Ritual auf dieselben in nachneutestamentlicher Zeit oder auf eine Bestimmung des biblischen Ysop - s. die Tendenz dazu bei Crowfoot/Baldensperger a.a.O. 98 - sind allerdings abzulehnen. 68 Vgl. Hebr 9,19 (neben Joh 19,29 die einzige Beleg von tioacorax; im Neuen Testament), wo Ysop „als Sprengwedel" (O. Michel, Der Brief an die Hebräer, Göttingen 141984, 319) gedacht ist. Vgl. dazu auch Kraus, der a.a.O. I 545 zu MT Ps 51,9 insgesamt vermutet, daß man aus dem Ysop einen Sprengwedel herstellte, „mit dem Wasser oder Opferblut zum Zeichen der Entsündigung auf den Büßer geträufelt wurde." 69 Wie in der Nacht des Auszugs mit Hilfe des Ysop ein Ort der Verschonung für die Bewohner vor dem Würgeengel markiert wurde, so weist der Ysop nun auf das Kreuz als den Ort hin, an dem sich umfassend die Rettung Gottes ereignet (vgl. dazu auch unter II.2.7. (Anm. 80) sowie die knappen Ausführungen Schuchards, der a.a.O. 137 den Bezug von Ysop zum Passa betont).
360
II. Teil: Die Aneignung der Schrift - eine exegetische
Untersuchung
Die sich hier herauskristallisierende und breit belegte Verwendung von Ysop als Hilfsmittel zur Besprengung von Menschen und Gegenständen mit einer Flüssigkeit macht es unwahrscheinlich, daß der Evangelist die Beschaffenheit des - nämlich buschartigen - Ysops nicht kannte und irrtümlich annahm, der Ysopstrauch habe die Stabilität, um einen Essigschwamm an den Mund eines am Kreuz Hängenden zu fuhren. Vielmehr ist davon auszugehen, daß hier bewußt ein Vorgang geschildert wird, der wegen natürlicher Bedingungen als unmöglich erscheinen muß, um so betont auf die Exodustradition als der heilsgeschichtlichen Urerfahrung Israels anzuspielen. 70 Im Folgenden sind die beiden soeben erörterten Begriffe und txtcjcojkx; im johanneischen Kontext inhaltlich miteinander in Beziehung zu setzen. Durch 8tV)/ä) initiiert, inszeniert der Evangelist diese der Schrift entlehnte Wendung und nennt dabei - auf der Handlungsebene gleichwertig nebeneinanderstehend Ö^OQ und ixracomx;, die jedoch bezüglich ihrer hintergründigen Konnotationen in Spannung zueinander stehen: die in otpc, mitklingende Einsamkeitserfahrung des Psalmverses gegenüber der in ixjacomx; anklingenden Heilserfahrung des Exodus. Die Verknüpfung dieser beiden Aspekte durch den Evangelisten im Durst Jesu ist theologisch wie folgt aufzulösen: Die Inszenierung des Durstes Jesu drückt einerseits durch das Psalmwort einen Augenblick höchster Einsamkeit aus und wird andererseits zu einem Hinweis auf Gottes rettendes Handeln. Nehmen wir die Kreuzigung in diesem Zusammenhang wahr, ergibt sich folgende Perspektive: Am Tiefpunkt des anstehenden Todes am Kreuz klingt eine sich hier vollziehende, die Todesdynamik durchbrechende Rettungserfahrung an. Das Kreuz als Ort menschlichen Leidens und menschlicher Einsamkeit ist zugleich der Ort der Vollendung des Rettungshandelns Gottes. 71
70
Zur Aufnahme der Exodustradition im Evangelium s. den Spruch des Johannes in 1,23 oder die Brotrede in 6,30-35, zur Passatradition die Anklänge in der Rede vom „Lamm Gottes" in 1,29.36. Vgl. auch Jeremias, Abendmahlsworte [II. 1.2. Anm. 21] 76 Anm. 7, wo er betont, daß der Evangelist Ysop auf Grund der „Erinnerung an den Passasühneritus Ex. 12,22" aufnimmt. Für das ganze Evangelium vgl. H. Sahlin, Zur Typologie des Johannesevangeliums, Uppsala 1950 (speziell für die johanneischen Passionsgeschichte s. a.a.O. 54-59, zu 19,28 a.a.O. 58). Entgegen obiger Darlegung begründet Sahlin die Exodustradition an dieser Stelle durch die Verbindung von 8u|«b mit dem Hallel-Psalm 116,13 (LXX Ps 115,4), wofür der Text allerdings keinerlei Anhalt bietet (vgl. weiter die obigen Ausführungen zu 19,36.37 sowie H. Rusche, Der neue Exodus. Hinweise zur Interpretation des Johannesevangeliums, BiKi 14 (1959) und ausführlicher R. H. Smith, Exodus Typology in the Fourth Gospel, JBL 81 (1962)). 71 Die hier aufscheinende Paradoxie - der Tiefpunkt des Todes und der Gottverlassenheit ist zugleich Hinweis des rettenden Handelns Gottes - findet sich auch in der oben genannten Dialektik wieder: dem, der selbst Lebenswasser ist, wird ein giftiges Getränk gereicht und durch das Trinken desselben - entgegen der Wirkung des Getränks - die Rettung letztgültig vollzogen.
3.3. Die Erhöhung am Kreuz als Ziel Erfüllung der Schrift (Joh 19,28)
361
An dieser Stelle ist an den Kontext des Psalms und seinen Duktus zu erinnern. Denn sofern es sich bei MT Ps 69 (LXX Ps 68) um ein Klagelied eines Einzelnen (2-30) handelt, das in ein Dankgelübde übergeht (31-37), liegen in dem Psalm - analog zu 19,28ff. - durchlittenes Leid und eine Perspektive der Rettung eng beieinander. Beim Psalm ist dies in dessen Dynamik begründet, nach der der Beter aus seiner Not heraus- und in ein neues Vertrauen zu Gott hineingeführt wird. 72
Diese hier im Blick auf die szenische Gestaltung des Evangelisten hin formulierte Aussage hieße christologisch ausgedrückt: Der Evangelist stellt Christus in die Klage des unschuldig Angeklagten hinein und verbindet diese Klage - und damit das Kreuz - mit der im Ysop anklingenden Exodustradition. Am Kreuz ereignet bzw. vollendet sich im Todesleiden Jesu ein neues Rettungshandeln Gottes. Der Ysop(-busch) markiert - in Analogie zum Exodusgeschehen73 - die Gnade Gottes in Form seiner Fürsorge, die sich inmitten der dringlichsten Leidenssituation gegenüber dem Seinen zeigt. In der Not verhält sich Gott zum notleidenden Jesus. Eine durchgehaltene Beziehungslosigkeit würde eine völlige Hoffnungslosigkeit bedeuten. Für den Evangelisten ist es das fleischgewordene Wort, an dessen Person der Ysop diese Gnade Gottes in Form seiner Nähe markiert. Von daher kann er das Kreuz als Erhöhung (vgl. 12,32) und als Verherrlichung des Vaters verstehen (vgl. 17,1-5). Das Kreuz ist als ein Paradox zu verstehen. Einerseits ist es vom äußeren Handlungsverlauf her das Zeichen des Todes und der Gottverlassenheit, was eindrücklich durch die Kleiderverteilung (19,23f.) und das Essiggetränk (19,28ff.) ausgedrückt wird. Andererseits ist das Kreuz vom inneren Geschehen her die Markierung der gnädigen Nähe Gottes in der Person Jesu Christi, was durch die Erwähnung des Ysop anklingt. Deutlich wird diese Paradoxie auch da, wo sich die Teilhabe der Welt an dieser Gnade im Schauen auf den am Kreuz Hängenden - und damit im Glauben an Christus - vollzieht (vgl. 3,14f.; 19,37). Für den Kosmos vollendet sich am Tiefpunkt des Todes Jesu das göttliche Handeln in Jesus, welches auf die Rettung eben dieses Kosmos zielt (siehe z. B. 12,47). Vom Motiv des Durstes her ist diese Paradoxie eben-falls erkennbar und das Kreuz nur dialektisch zu begreifen: der selbst Lebenswasser spendet, erwirkt durch das Trinken eines minderwertigen, seine Einsamkeit verstärkenden Gallegetränks die Rettung der Welt.
72 Vgl. dazu oben unter b sowie zu LXX Ps 21,19 in 19,24 (II.2.5.), wo dieser Psalm in seiner Dynamik ebenfalls vom Evangelisten herangezogen wurde. Diese Beachtung des alttestamentlichen Kontextes verstärkt obige Annahme (a), daß MT Ps 69 (LXX Ps 68) als Quelle des 8u|rö> zu gelten hat. 73 In 19,28 wird nicht explizit an Jesus als das (Passa-)Lamm Gottes erinnert, sondern an das sich im Exodusgeschehen vollziehende Heilshandeln Gottes. Daß der Evangelist auf den Vorgang des Passarituals und nicht auf das Passalamm selbst Bezug nimmt, ist begründet in der Verwendung des Ysop selbst. Ysop steht für eine (markante) Sequenz innerhalb des Passarituals und erinnert von daher an dessen Vollzug (vgl. oben Anm. 69). Gegen Hanson, der a.a.O. 213 in der Erwähnung des Ysop eine Anspielung auf Jesus als das Passalamm ausmacht. Hätte der Evangelist auf Jesus als das Passalamm explizit aufmerksam machen wollen, hätte er sich sicher nicht gescheut, Jesus ausdrücklich als solches zu bezeichnen, zumal dies schon durch 1,29.36 vorbereitet wäre und in 19,36.37 seine angemessene Vertiefung fände.
362
II. Teil: Die Aneignung der Schrift - eine exegetische
Untersuchung
e) Methodische74 und hermeneutische Überlegungen zum Schriftbezug und seine Besonderheit innerhalb des Johannesevangeliums Der kurze, betonte Schriftbezug 8i\|/ü) deutet die von ihm initiierte Szene. Indem der Durst Jesu in der Schrift angesagt und durch diese bedingt ist, werden das Wort Jesu und der folgende Vorgang des Durstlöschens in einen heilsgeschichtlichen Kontext gestellt und erhalten eine ihnen eo ipso nicht eigene theologische Bedeutung. Inhaltliche Aspekte werden der Szene durch die Beachtung des Kontextes von LXX Ps 68,22 zugespielt. Der Durst stellt Jesus als einen einsam Notleidenden - das Moment der Gottesferne ist mitzuhören - dar, der durch die Aneignung des Wortes des Psalmbeters die Sprachlosigkeit seiner Not überwindet und dem sich dadurch - dem Duktus des Psalms entsprechend eine Perspektive der Hoffnung eröffnet. Andererseits erfahrt das Psalmwort durch die Szene am Kreuz eine Deutung, sofern es sich in der szenischen Schilderung von 19,29(f.) in letztgültiger und nicht mehr zu überbietender Weise konkretisiert. Dieser - als wechselseitige Interpretation und Konkretion beschriebene - Zusammenhang von Schrift und Szene, in dem sich das Schriftwort realisiert, macht das Moment der Erfüllung in seiner Einmaligkeit an unserer Stelle - und im Joh insgesamt - aus: Indem sich die Schrift mit dem Dürsten Jesu erfüllt und in diesem Sinn geschieht, kommt sie mit Jesu Tod am Kreuz an ihr Ziel.75 Soteriologisch ist diese Erfüllung von unserer Szene her wie folgt vorzustellen: Der, der zuvor lebendiges Wasser gegen den Durst spendete, dürstet nun selbst. Und indem man ihm ein minderwertiges Getränk zu trinken gibt, vollendet sich sein Werk, die Rettung der Welt.76 Im Blick auf das ganze Joh und den mit 1,29 beginnenden Weg Jesu bis ans Kreuz ergibt sich für die Schriftanspielung in 19,28 eine bedeutende theologische Deutung. Mit dem Tod am Kreuz als der Erhöhung des fleischgewordenen Xöyoq kommt das Werk Jesu zu seiner Vollendung77, denn hier zeigt
74 Die Verwendung einer zeitgenössisch zum Joh gebräuchlichen und methodisch schon fixierten jüdischen Auslegungsweise war im Joh nicht zu erkennen (vgl. ausführlich unter III.3.2.). 75 An dieser Stelle können wir entsprechend den anderen Erfüllungszitaten die Schrift als wirkmächtiges Wort feststellen, da das Geschehen am Kreuz in der Schrift vorgegeben ist und die Schrift das Geschehen gewissermaßen aus sich heraussetzt und sich in dem Geschehen selbst ereignet (vgl. hierzu auch P. Stuhlmacher, Wie treibt man [1.2.1. Anm. 16] 58). 76 In diesem soteriologischen Kontext ist der Kontrast von Essig und lebendigem Wasser entscheidend und nicht die Frage, ob Jesus auch von dem Essig getrunken hat, was aus dem Text nicht zu eruieren ist. 77 Vgl. dazu die vorherigen Ankündigungen Jesu, das ihm aufgetragene Werk zu vollenden und das dabei verwandte Verb TEAEUXÖ (4,34; 5,36; 17,4).
3.3. Die Erhöhung
am Kreuz als Ziel Erfüllung der Schrift (Joh 19,28)
363
sich die vollkommene Liebe des Sohnes (vgl. auch 13,1c)78 als auch die des Vaters (vgl. 3,16), wodurch die Schrift als Ganze ihr Ziel erreicht. Diese christologische Konzentration bezüglich der Erfüllung des Werkes und des Willens des Vaters in seiner universalen Bedeutung wird deutlich durch die Inanspruchnahme des Schriftwortes. Jesus macht das Wort der Schrift - und damit ihm fremde - zu seinem eigenen und bezieht es vollmächtig und an Eindeutigkeit nicht zu überbietender Weise durch 8tt|fl» (1. ps. sg.) auf sich.79 In dieser Inanspruchnahme des Schriftwortes in der 1. ps. sg. wird deutlich, daß der Evangelist die Schrift als Christuszeugnis seit jeher im Blick hat und sich christologisch aneignet. Weiterhin sind in dem 'Ich' Jesu am Kreuz - 5u|/co - die eycb ei|ii - Worte in der Weise mitzuhören, daß die in den eycb ei|j,i-Worten anklingenden Ansprüche Jesu sich am Kreuz personal konkretisieren.80 Vom Kreuz als dem Ort der Erhöhung zeigt sich, in welcher Weise Jesus beispielsweise Brot des Lebens oder Licht der Welt ist. Die Selbstaussagen Jesu in den ey© e'i^ii-Worten sind in dem 8i\j/cö am Kreuz als erfüllte anzusehen und in ihrer theologischen Bedeutungstiefe angemessen von dem am Kreuz Hängenden her christologisch zu deuten. Durch diese Fokussierung des ganzen Evangeliums auf das Kreuz81 und die sich dort ereignende Vollendung des Lebenswerkes Jesu erklärt sich die Verwendung von TEA£UXÜ anstatt von 7tXipoco: Die letztgültige Erfüllung der Schrift - iva TeX£Uüi3f| f| ypcapTl (19,28) - im Zusammenhang mit der Vollendung des Werkes Jesu - TETEAEOTOCI (19,28.30) - soll als Höhepunkt des Evangeliums das Rettungshandeln Gottes in seiner Einmaligkeit eindeutig anzeigen.82
78
Dort findet sich wie in 19,28 eiSox;; vgl. außerdem H. Hübner, TEÄ£(0, E W N T III (1983),
832. 79 Der Evangelist formt die Wendung xriv 8i\|/av (ioi) aus LXX Ps 68,22 um in das die aktive Inanspruchnahme verstärkende 8u|/cö in 19,28 (vgl. dazu auch unter a). Insofern der Evangelist das Schriftwort in dieser Weise in den Mund legt, können wir von einer streng christologischen Schriftaneignung durch den Evangelisten reden. 80 Vgl. hierzu auch W. Wilkens, Zeichen und Werke, Zürich 1969, der für die Zitate insgesamt den Bezug zu den eycb e'l(J.l-Worten wie folgt formuliert: „Der Rückgriff auf die Schrift geschieht im Dienst des Ego eimi Jesu" (123; Kurisvierung im Original). Auch Hübner betont die Ausrichtung auf Jesus im Form der 1. ps., da das TETeXECCoa (19,28.30) als „ Ich habe es vollbracht!'" zu verstehen ist (Biblische Theologie Band 3 [1.1.1. Anm. 184] 199; Kursivierung im Original). 81 Kompositorisch gesehen laufen die eycb e'l)Il-Worte - und Jesu Weg ab 1,29 insgesamt auf das Kreuz zu: Allein im Licht der Vollendung sind die vorherigen Aussagen über Jesus angemessen christologisch zu deuten. 82 Wilkens betont a.a.O. 122, „daß in dem Sterben Jesu die Schrift als ganze zu ihrem Ziel gebracht wird." S. ebenso S. E. Porter, Exegesis [II.2.6. Anm. 41], der betont, daß „the Old Testament fiilfilment motif and the Passover theme converge in ch. 19" und Jesus als „the
364
II. Teil: Die Aneignung der Schrift - eine exegetische Untersuchung
Methodisch ist der Aspekt der Vollendung dadurch geprägt, daß der Evangelist bewußt eine den sonstigen Zitateinleitungen verwandte Formel benutzt, wodurch der Schriftbezug zwar deutlich, jedoch zugleich in seiner besonderen Art markiert wird: Denn auf Grund (1.) der Singularität der Formel, (2.) der Schwebe der syntaktischen Bezüge der Formel, sowie (3.) der Kürze des (4.) nicht wortwörtlich der Quelle entnommenen Schriftwortes ist 8u|KD nicht als Zitat, sondern als betont herausgestellte Anspielung anzusehen. Durch diese Offenheit tritt die Erfüllung des von Jesus ausgesprochenen Schriftwortes in den Hintergrund, während die Erfüllung der Schrift insgesamt betont wird. Denn sofern das Schriftwort und die Handlung zu einem (kaum noch voneinander zu unterscheidenden) Geschehen zusammenschmelzen, ist neben der Erfüllung des konkreten Schriftwortes aus LXX Ps 68,22 auf der Handlungsebene hintergründig die Schrift im umfassenden Sinn als erfüllt zu verstehen. Die Vollendung des Willens Gottes und die Vollendung der Schrift fallen zusammen in dem einen Geschehen am Kreuz, da dort beide in letztgültiger Konkretion Gestalt gewonnen haben. Faßbar wird an dieser Stelle erneut das johanneische Wortverständnis, nach dem Gottes Wort wesentlich ein Geschehen ist.83 In dieser Linie erweist sich der Schriftbezug in 19,28 als markant vom Evangelisten gesetztes literarisches Mittel, um den theologischen Höhepunkt des Evangeliums anzuzeigen.
fulfilment of the Old Testament" (je a.a.O. 427) anzusehen sei. Ebenso sieht Hubner a.a.O. 199 in dem Abschnitt Joh 19,28-30 die „theologische Mitte der ganzen Evangelienschrift". 83 Zu erinnern (vgl. ausfuhrlicher unter 1.3.3.2.3. (Anm. 146)) ist hier an den Gedanken Philos, daß Gottes Wort zutiefst Tat ist (vit.Mos. 1,283: (pöey^eTca TO rcapamxv oi)5ev, b (IT) TEXeuaöfioETOi ßeßaicoq, e r e i ö layoq epryov ecmv airao ).
III Teil Die Bedeutung und die Funktion der Schrift im Johannesevangelium zum Schriftverständnis des Evangelisten
1. „Wir haben den gefunden, über den Mose im Gesetz geschrieben hat und die Propheten: Jesus, Josephs Sohn, aus Nazaret" zur Hermeneutik des Evangelisten 1.1. Die hermeneutische Relevanz der Schrift(en) als Christuszeugnis 1.1.1. Hermeneutische Überlegungen zu Joh 1,45 Der zu untersuchende Vers 1,45 steht im Rahmen einer Schilderung von drei Tagen (1,29-51) am dritten, durch TT) enatipiov eingeleiteten (1,43) Tag und beschreibt - nach dem ersten Auftreten Jesu (1,29-34) sowie der Berufung der ersten Jünger (1,35-42) -, wie durch eine Zeugenkette die Schar der Jünger anwächst. Im Unterschied zum vorigen Tag, an dem zwei Johannesjünger von sich aus Jesus folgten und Andreas darauf (1,41) seinen Bruder Petrus fand und ihm bekannte, daß sie den Messias gefunden hätten (ei>pflKa(!£V), beginnt in 1,43 die Zeugenkette des dritten Tages durch eine Initiative Jesu1: Jesus findet ( e i p i O K e i ) Philippus und fordert ihn zur Nachfolge auf ( ä K o A o ü ' ö e i |J,oi). Diese Anrede wird wirksam, da Philippus in 1,45 - nach einer näheren Beschreibung in 1,44 und in Analogie zu Andreas (1,41) - als Handelnder auftritt, Natanael findet (£"bpipf|K(4i£v - nicht gefährdet, da die Gnade zwar konkret durch die Fleischwerdung des Xöyoq offenbar - findbar - wurde, jedoch nicht an die irdisch-begrenzte Zeit des Fleischgewordenen gebunden ist. Das (Be-)Halten des Wortes und der Gebote Jesu (so besonders deutlich in 14,23 und 15,10) ermöglicht die bleibende Verbindung zu Gott und Jesus in Form von Liebe und Nähe, was von göttlicher Seite durch das Kommen des Parakleten gewährleistet wird (vgl. 14,16.25f.; 15,26; 16,7.13f.; zur Verbindung vom Halten der Gebote und dem Kommen des Parakleten bes. 14,15f.).
Wenn wir uns das johanneische Finden in 1,41.45 unter der Perspektive des soeben beschriebenen Suchens vor Augen fuhren, ergibt sich eine Linie zur Schrift. Nach dieser ist es gerade Gott, der sich von Menschen zu ihrem Guten finden läßt, so daß das Finden Gottes in den Bereich seiner liebevollen Zuwendung gehört. Folgende Stellen der Schrift reden explizit vom 'Finden Gottes': Dtn 4,29; 1 Chr 28,9; 2 Chr 15,2.4.15; LXX Prov 16,8; Weish l,lf.; Jes 55,6 und Jer 29,12-14 (LXX 36,12-14)12. Dieser Befund zeigt, daß das Motiv des Findens (und vorhergehenden Suchens) Gottes ein in der Schrift vielfaltig belegtes und durch seine Aufnahme in den Psalmen bekanntes Motiv
9
Bultmann a.a.O. 71 Anm. 1. Entsprechend versteht das Finden auch Pancaro, Law [1.2. Anm. 4] 289; zu 1,45 s. a.a.O. 289f. 11 Zu denken ist hier auch an das für ein Forschen in der Schrift gebräuchliche epauvccco (5,39), insofern es auf ein Finden ausgerichtet ist (s. ausfuhrlich unter III. 1.1.2.). 12 Zum Motiv des Findens - und Suchens - Gottes, jedoch ohne (Zusage des) Erfolg(s), vgl. auch Prov 1,28; Weish 13,6; Hos 5,6; neutestamentlich s. Apg 17,27; bzgl. der zu findenden Weisheit s. Weish 6,12(ff.); zum Motiv des Findens der Gnade Gottes s. Ex 33,13.16; 34,9; Num 11,11.15 (ebenso ist das alleinige Suchen Gottes zu nennen, welches vielfältig belegt ist: z. B. Esr 8,22; Ps 9,11; 34,5.11; 40,17; 63,2; 69,33; 77,3; 119,2.10). 10
370
III Teil: Bedeutung und Funktion der Schrift im
Johannesevangelium
ist.13 Von daher ist hinter ei>prpKoqi£V keine bestimmte Schriftstelle zu verstehen, sondern das allgemeine Motiv des Findens Gottes.14 Johanneisch vollzieht sich dieses Finden - wie in 1,35-51 geschildert - in der Begegnung mit Jesus. In dieser Weise sind alle johanneischen Schriftzitate hermeneutisch angemessen nur christologisch zu verstehen, denn in ihnen ist von Christus die Rede, damit durch ihr Zeugnis Gott in Christus gefunden werde.15 Abschließend ist nun zu fragen, weshalb Philippus im Plural für sich und andere - zu denken ist ab 1,43 (xf| E7KXii)piov ...) nicht nur an seinen Bruder Simon (1,41) - spricht. Eine naheliegende Antwort auf diese bisher in der Forschung kaum gestellte Frage ist die, daß es nach Meinung des Evangelisten unter 'den Juden' einzelne oder auch eine an unserer Stelle nicht näher genannte Gruppe gibt, die die Schrift christologisch angemessen versteht und als schriftverständige gelten kann. Denn die Meinung des Philippus, daß die Schrift von Christus schreibt, bestätigt der Evangelist im Mund Jesu in 5,39.46 sowie durch alle impliziten wie expliziten Erfüllungszitate. Damit konstatiert der Evangelist vor jeder Polemik gegen 'die Juden' und vor jeder Disputation über das rechte Schriftverständnis dem Philippus und den Jüngern der ersten Zeugenkette (so auf Grund des Plurals ei>pflKCXf!£v)16 das seiner Meinung nach hermeneutisch allein angemessene Schriftverständnis: In den Schrift(en) ist vom Messias (so 1,45 nach 1,41) die Rede. Mit der Möglichkeit eines christologischen Verständnisses der Schrift während Jesu raxppt^aia-Wirken signalisiert der Evangelist direkt zu Anfang des Evangeliums, daß es für ihn keine generelle Unmöglichkeit vorösterlicher Schrifterkenntnis gibt, sondern sich diese unter der Voraussetzung göttlichen 13
Vgl. den Exkurs zur kultischen Verwendung der Psalmen. Der gerade dargestellte Bezug zur Schrift in seiner offenen Weise belegt weiterhin, daß der - in dieser Arbeit wiederholt bestrittene (s. z. B. in bezug auf 6,14 II. 1.3.) - Bezug des Kommens Jesu zu dem in Dtn 18,15.18 von Gott gegenüber Mose verheißenen wiederkommenden Propheten nicht johanneisch ist, da Jesus nie mit dem Titel Prophet - was sich bei den vielen Jesus zugesprochenen Titeln in Kap. 1 nahelegen würde (und durch eine Anspielung durch Philippus in 1,45 glänzend hätte aufgenommen werden können) - bezeichnet wird, sondern als Xoyoq alle bisherigen Typoi heilsgeschichtlicher Personen übersteigt. 15 Damit ist johanneisch zu postulieren, daß sich Gott - neben dem auf der Handlungsebene beschriebenen Finden - auch in der Begegnung mit den Schrift(en) finden läßt. Denn indem die Schrift seit jeher von Christus zeugt, impliziert die nur im Modus des Glaubens mögliche Wahrnehmung Jesu als der fleischgewordene Aoycx; auch das Finden Gottes. 16 Im Anschluß an die Überlegungen können wir auch die oben genannte Gruppe (s. o.) durch die Jünger näher bestimmen. Denn daß die Jünger als Gruppe die Schrift christologisch verstehen, wird in der Erinnerung in 2,17 ausgedrückt: zeitgleich zur Handlung Jesu bringen sie diese mit einem Psalmwort in Verbindung, welches im Handeln Jesu seine christologische Konkretion - auf die es seit jeher zielt - erfährt (s. auch die Auslegung zu 2,17 unter II. 1.2.). 14
1. Zur Hermeneutik des Evangelisten
371
Mitwirkens immer wieder ereignet.17 Dies gilt es am Beispiel des Philippus zu verdeutlichen. Wie kommt Philippus zu seiner Erkenntnis?18 Auf der Handlungsebene ist das christologische Schriftverständnis des Philippus dadurch zu erklären, daß Jesus zunächst Philippus findet (1,43), woraufhin dieser in Jesus den Messias entdeckt (so 1,45b nach 1,41) und von dieser Erkenntnis aus die christologische Intention und Ausrichtung der Schrift(en) begreift und Natanael bekennt (1,45). Theologisch ist hinter diesen Ereignissen ein theonomes Wirken zu sehen, sofern in nicht ausgeführter Weise Philippus durch die Anrede Jesu diesen erkennt und an ihn glaubt.19 Nehmen wir Philippus gesamtjohanneisch sowie den griechischen Namen 'Philippus' als bewußte theologische Konnotation wahr, erweitert sich unser Bild: Philippus steht für die hellenistische Linie des Judentums und ist nach 12,20ff. auch Ansprechpartner der Hellenisten, die zur Proskynese zum Fest nach Jerusalem kommen. Außerdem wird durch die Hellenisten die Ansprechbarkeit eines Kreises außerhalb des Gottesvolkes (im strengen Sinn) signalisiert und damit eine Öffnung des Adressatenkreises angezeigt.
1.1.2. Hermeneutische
Überlegungen zu Joh 5,19-47
Ein Schlüsseltext für das Verständnis der johanneischen Hermeneutik ist die christologische Rede in 5,19-47, die die Zeugnisfunktion der Schriften sowie die Offenbarungsmächtigkeit der Worte Jesu herausstellt. Die Rede folgt der Erzählung von der Wunderheilung am Teich Betesda (5,l-9a) und deren Nachgeschichte (5,9b-16). Die Vv. 17.18 bilden den Übergang zur christologischen Rede, die wir in zwei Schritten - a) 5,19-30 und b) 5,31-47 - bedenken wollen.
17
Im Rahmen eines christlich-jüdischen Gesprächs verwehrt die hier angezeigte Linie eine einlinige Beurteilung der johanneischen Sicht 'der Juden'. Vielmehr fordert die johanneische Sicht in ihrer spannungsvollen Anlage - es gibt Verstehen und Nichtverstehen zugleich - eine differenzierte Wahrnehmung der jeweiligen Bezugsgruppen (die spannungsvolle Anlage zeigt sich auch zwischen 4,22 und 8,44). 18 Die Erkenntnis des Philippus als unbewußte und damit zufällige verstehen zu wollen, würde bedeuten, allen in Kapitel 1 aufgeführten Würdetiteln Jesu (s. o.) ihre Rechtmäßigkeit abzusprechen. Dies ist insofern äußerst unwahrscheinlich, da die Titel im Laufe des Evangeliums als wahre Titel Jesu verifiziert werden. Es ist von daher davon auszugehen, daß beim Bekenntnis des Philippus (und der anderen) ein im johanneischen Sinn wahres Bekenntnis vorliegt (andernfalls würde bzgl. der Komposition des Joh der programmatische Charakter des ersten Kapitels hinfallig, falls die christologischen Aussagen zufällig wären). 19 Hinter diesem hier skizzierten Vorgang und seiner theologischen Deutung ist die im Joh stark ausgebildete Vorstellung eines theonomen Wirkens beim Zum-Glauben-Kommen' des Menschen zu sehen (vgl. dazu auch unter II. 1.3. und II. 1.4. (dort auch Literatur)). Das Wirken Gottes in Jesus wird zudem deutlich, wenn der Einwand des Natanael gegenüber dem Bekenntnis des Philippus (1,46) erst durch Jesu Antwort (1,47) und dem sich anschließenden Dialog (l,48f.) überwunden wird und nicht durch Philippus' Aufforderung epxov Kai '15e (1,46). Es ist das qualifizierte Sehen Jesu (l,47b.48b) - das heißt ein in göttlichem Willen liegendes Erkennen durch das Natanael überwunden wird. Was von Natanael ausführlich geschildert wird, ist auch für die vorherigen Tage und die dort gefundenen Jünger vorauszusetzen: Jesu Wort und Tat sind als wirksame zu verstehen.
372
III. Teil: Bedeutung und Funktion der Schrift im
Johannesevangelium
a) Jesus ist der in der Einheit mit dem Vater stehende Sohn, der allein Leben in sich hat und als solcher Spender des Lebens sowie auch Richter über das Leben ist (5,19-30): Dieser eschatologisch geprägte Abschnitt ist bestimmt von den Themen 'Leben' (^cooTroieco; £CÜT| auovux;) und 'Gericht' (Kpiaic;).20 Er beginnt in den Vv. 19.20 mit einer These, deren Wortlaut in 5,30a wieder aufgenommen wird und die somit als eine Inklusion Beginn und Ende des ersten Abschnitts markiert. In seinem Tun steht der Sohn in ungebrochener Kontinuität zum Tun des Vaters und somit in direkter Abhängigkeit von ihm. Es folgen zwei parallel strukturierte Schritte zum Thema Totenerweckung (21-25; 26-29), bei denen jeweils die Kontinuität und Analogie im lebensfördernden Wirken des Vaters und des Sohnes betont werden (21-23; 26.27).21 Daran schließt sich je eine präsentische (24.25) sowie futurische (28.29) Explikation an. Der Abschnitt schließt durch die Aufnahme der Anfangsthese (V. 30) mit dem inhaltlichen Schwerpunkt des gerechten Gerichts des Sohnes. Damit wird der Sohn als die alles entscheidende Instanz bezüglich der Frage nach Leben und Tod dargestellt. Alles Leben hängt ausschließlich am Sohn, der allein von Gott gegebenes Leben verkörpert und in sich trägt (26bß). b) Jesus allein vermag - als das von Gott bezeugte Leben - Leben zu geben, weshalb ihm Ehre gebührt (.5,31-47'):22 Das Thema Zeugen/Zeugnis (5,31-37)23 beginnt damit, daß der Vater selbst (5,37a) sowie die Jesus aufgetragenen Werke (5,36) Zeugnis für Jesus ablegen. Seine Glaubwürdigkeit ist damit aufs höchste verbürgt, womit seiner Botschaft höchste Wahrhaftigkeit sowie Autorität zukommt. Denn im Blick auf 1,18 ist 5,37 dahingehend zu verstehen, daß gerade Jesus von Gott Zeugnis ablegen kann, da für ihn 5,37b - ot)T£ (pa>vr|v oa)Toi> 7KÖ7KTCE uö V. 26], 22 Der Aufbau dieses Abschnitts und seine gedankliche Abfolge sei vorab skizziert: Den Erörterungen über die Glaubwürdigkeit bzw. die Bezeugung Jesu (5,31-37) folgt eine Passage über die Schrift, in der die Zeugnisfunktion in christologischer Zuspitzung Ausdruck findet (5,38-40). Die auf das Christuszeugnis der Schrift erwartete Ehrerbietung Jesu wird im letzten Abschnitt (5,41-47) thematisiert, mit dessen Ende durch die Erwähnung des Mose als Christuszeugen der Höhepunkt der Rede erreicht wird. 23 So ist der Leitbegriff des Abschnitts |iapTUpia (sein Vorkommen allein in den Vv. 3139 erlaubt es, die Passage 5,31-40 als eigenständige anzuführen). 24 Hinter 5,37b ist auf einer zweiten Bedeutungsebene auch die Theophanie am Sinai gegenüber Mose zu hören (so z. B. Pancaro a.a.O. 219-225). Primär wird jedoch die Unsichtbarkeit Gottes in der Spannung von 1,18 gemeint sein, nach der allein der Sohn Kunde von Gott geben kann. Denn sofern die Juden' Gott nicht kennen, erkennen sie auch nicht sein Zeugnis über Jesus.
1. Zur Hermeneutik des
Evangelisten
373
Die Vv. 38-41 beschreiben im Anschluß an die zuvor dargelegte Möglichkeit gewissermaßen den Ist-Zustand, das heißt die erlebte Realität. Statt das Zeugnis der Schriften von Christus wahrzunehmen, trachten 'die Juden' in der Schrift - unabhängig von Christus - das Leben zu finden. Da dieses Leben jedoch allein in dem fleischgewordenen Wort zu finden ist, 'die Juden' aber die auf das Leben weisende Schrift (5,39) unangemessen verstehen, kommen sie auch nicht zu Jesus, um in ihm Leben zu finden (5,40; vgl. auch 5,26).25 Auf Grund des Schriftverständnisses 'der Juden' kommt es auch nicht zum Bleiben im Wort des Vaters. Denn die Stellung gegenüber dem Wort des Vaters26 entscheidet sich an der Stellung zum 'in die Welt gesandten Sohn' (5,38). Mit diesen Ausfuhrungen erreicht die christologische Rede einen ersten theologischen Höhepunkt. Der Evangelist gibt seiner Überzeugung Ausdruck, daß Christus als das inkarnierte Wort Gottes die Summe der Offenbarung Gottes bildet. Wenn allein in der Offenbarung durch Christus und im Glauben an ihn Leben geschenkt wird, so stellt dies keineswegs einen Bruch mit dem Vergangenen oder eine Einfuhrung einer gänzlich neuen Offenbarungsgröße dar. Der Evangelist betont vielmehr die Einheit des Werkes des Vaters mit dem des Sohnes und stellt das Werk des Sohnes als genuine Fortführung des Werkes des Vaters dar (analog zu Vv. 17b. 19c, wo das jeweilige Tun des Vaters und des Sohnes als identisches dargestellt ist). Indem Jesus das Werk des Vaters vollendet (bzw. erfüllt), kommt Gottes Werk zu seinem, ihm seit Urbeginn zugedachten Ziel (V. 36). Johanneisch vollzieht sich die Offenbarung in Christus in der von Gott seit jeher angelegten Kontinuität in seinem Wort und Werk. Seit jeher hat der Sohn Leben in sich und gibt Anteil an diesem Leben, wie es die Schriften bezeugen. Diese haben weder selbst die Möglichkeit noch die Macht in sich, Leben zu geben. Genau diese Mächtigkeit jedoch den Schriften beizumessen27, ist die fehlgeleitete Erwartung 'der Juden'. Die Schriften sind vielmehr Zeugnis von Christus und vermitteln Leben nur, indem sie zu Jesus 25
Die Wendung cm öeX£XE eX-öelv rcpoq |ie drückt keine Möglichkeit 'der Juden' aus, da die Rede vom 'Zu-Jesus-Kommen' ein Ausdruck des 'Zum-Glauben-Kommens' ist, dem im Joh konstitutiv ein theonomes Moment zukommt und das generell keine Möglichkeit des menschlichen Wollens ist (so 5,37f.; vgl. ausfuhrlich unter II. 1.4.). Denn allein wenn 'die Juden' Gottes Stimme gehört (nach V. 37b), dem Gesandten Gottes geglaubt (nach V. 38b) oder die Schrift in christologischer Perspektive verstanden (nach V. 39) hätten, läge es in ihrem Vermögen, zu Jesus kommen zu wollen. Da jedoch alle drei genannten Bedingungen ein theonomes Wirken implizieren, ist iSeAxo hier nicht als menschliche Möglichkeit zu verstehen. 26 Der Ausdruck 'kßJGC, ocinov erinnert an den Israels Würde ausmachenden TJayoc, TO\) •öeoii in 10,35, welcher gegenüber Israel wurde' (eyeveTO) und in der Anrede gegenwärtig 'wird' (vgl. dazu unter II.1.5. und III.1.2.2.). 27 Vgl. Bl.-Debr. a.a.O. § 30.4.
374
III Teil: Bedeutung
und Funktion der Schrift im
Johannesevangelium
fuhren.28 In dieser Zeugenrolle kommt den Schriften die für sie höchste Würde zu. Bezüglich der johanneischen Hermeneutik ist festzuhalten, daß die Schriften auf Christus hin zu lesen und zu befragen sind. Erst durch diese Perspektive kommen die Schriften zu ihrer wahren Entfaltung, da die ihnen zugedachte und die in ihnen liegende Fülle im Zeugnis von Christus29 ansichtig wird.30 Das Verb epcxDvdco - hier wird ein Lautwandel vom klassischen epEDvaco zum hellenistischen e p a w a c o sichtbar 31 - meint in seiner Grundbedeutung „nachspüren" im Sinne von „durchsuchen" oder einem „Sachverhalt nachspüren." 3 2 Im religiösen Bereich ist für uns Philo, eher. 14, interessant, wo es von e p a w a c o in bezug auf die Schrift (Num 5,18) heißt: „ t i 8e ßoi>Ä£Toa 8 i äTOUTOUTtapuTiocvEiv, epewqaco|iEV." 33 Die Untersuchung ist bei Philo konkret auf eine unklare Stelle bezogen. In dieser Bedeutung findet sich epewctco weder in der LXXU noch bei Josephus. In Qumran zeigt sich eine breite Verwendung des analogen Begriffs D~n ('suchen', 'forschen') für die Beschäftigung mit der Tora. In CD und 1QS gehören „Offen-
28
So auch Pancaro a.a.O. 228. Vgl. hierzu auch Pancaro a.a.O. 227f.; zur ,juristisch[e] prozeßhafte[n] Seite" (Blank a.a.O. 211) des Zeugnisses sind mit Blank ebd. zwei Aspekte zu nennen: „1. das Zeugnis ist christologisch orientiertes Offenbarungszeugnis, 2. das Zeugnis ist ein öffentlich rechtliches, daher verbindliches Zeugnis, das zum Glauben verpflichtet und dessen Mißachtung die Verurteilung durch Gott nach sich zieht." 30 Die hier anklingende christologische Perspektive drückt, wenn sie gesamtjohanneisch verstanden wird, keinen Gegensatz zwischen Jesus und den Schriften aus. Vielmehr sind die Schriften wesentlich Zeugnis und finden in Christus ihre Erfüllung und kommen darin zu ihrem Ziel, werden jedoch als Zeugnis nicht hinfällig und in keiner Weise abgewertet (vgl. dazu die Ausführungen zu 1,17 in 1.2.3. sowie Pancaro a.a.O. 228). 31 Die Fehleinschätzung der Juden' wird durch SOKEITE (V. 39) angezeigt (Pancaro nennt es a.a.O. 227 eine „mere illusion" und Blank a.a.O. 208 eine „Sphäre des Wahns", in den Schriften Leben finden zu wollen). Die in V. 39 angesprochene falsche Erwartung läßt schon in V. 39 eine weiterführende Erklärung, die in V. 40 konkret benannt wird, anklingen. Weniger treffend urteilt B. Klappert, 'Mose hat von mir geschrieben' [...], Neukirchen-Vluyn 1990, 627, wenn er wie folgt 5,39 übersetzt: „'Ihr sucht in der Schrift in der (richtigen!) Meinung, in ihr das ewige Leben zu haben ." Dagegen ist einzuwenden, daß nach 5,21.26 allein der Vater und der Sohn Leben und Macht haben, Leben zu geben. Die lebenspendende Macht der Schrift(en) ist johanneisch seit jeher als in Christus - und durch Christus - vermittelte zu verstehen, zumal nie davon die Rede ist, daß die Schriften erst seit der Fleischwerdung von Jesus zeugen. 29
32
So G. Delling, epewaco, ThWNT II (1935), 653. „Was aber sie [sc. die Schrift] durch dieses [sc. das Wort in Num 5,18] darlegen will, werden wir untersuchen." e p e w a c o wird hier in einem konkreten Bezug als Forschen in der Schrift verwandt, wobei ein gezieltes Untersuchen der Aussage einer Schriftstelle als konkrete Bedeutung von e p e w a c o auszumachen ist. Auf Grund dieses Bezuges ist e p e w a c o hier nicht als geprägter terminus technicus zu verstehen, der stärker ein allgemeines Forschen implizieren würde. Vor allem spricht gegen einen terminus technicus das Fehlen entsprechender Belege. 33
34
Für die LXX s. 2 Esr 7,10, wo der MT eine Form von D U bezeugt, was die LXX mit
¡¡T|TEC0 übersetzt (s. die Konkordanz s. v.; zur religiösen Verwendung vgl. Delling a.a.O. 653f.).
1. Zur Hermeneutik des Evangelisten
375
barung und Schriftforschung eng zusammen"35 und es geht - allgemein für Qumran - „nicht um das Daß, sondern um das Wie des Toragehorsams, nicht um die Tora, sondern um die Auslegung der Tora."36 In späterer rabbinischer Tradition wurde E m zum generellen „Fachausdruck"37 für das Tora- bzw. Schriftstudium (vgl. auch OTTO - Schriftdeutung).38 Ist nun im Joh, wo epewctto nur in bezug auf ein Suchen in der Schrift in 5,39 und 7,52 vorkommt, als analoger terminus technicus zu o n zu verstehen? Entgegen der breit bezeugten Bedeutung von E l l in diesem Sinne ist dies analog für epewtxto nicht zu belegen (s. oben zur LXX und Josephus). Zudem wird ein Forschen in der Schrift erst in (späterer) rabbinischer Tradition Allgemeingut gesellschaftlich-religiösen Lebens geworden sein, so daß im ausgehenden 1. Jh. n. Chr. für epewctto noch nicht mit einem geprägten terminus technicus zu rechnen ist.39 Von daher werden wir epewctto im Joh zwar als vertrauten Begriff für die Beschäftigung mit der Schrift verstehen können, ohne jedoch bei dieser Beschäftigung ein vorgegebenes Ziel oder einen Selbstzweck implizieren zu müssen. Im Joh ist die Tätigkeit des Forschens jeweils konkret auf ein Ziel ausgerichtet, nämlich eine Weisung zum Leben (so 5,39) oder einen bestimmten Beleg (so 7,52) zu finden. Für 5,39 ist an Dtn. 32,45ff. zu denken, wo die Weisungen des Mose als Israels Leben bezeichnet werden (V. 47), wenn Israel die Weisungen beachtet und befolgt, was eine - forschende - Beschäftigung mit ihnen voraussetzt.40
In Analogie zur alttestamentlichen Tradition, nach der das Schriftstudium zum Erweis der Ehre Gottes fuhrt (vgl. Ps 119,169-175, bes. 171),41 wird in 5,41 der letzte Abschnitt der christologischen Rede (5, 41-47) mit dem Leitwort 8oi;(X42 eröffnet. Es wird zunächst dargelegt, daß 'die Juden' in Folge ihres Schriftverständnisses dem Ehre gebührenden inkarnierten Wort Gottes diese Ehre nicht zukommen lassen (5,41-44). Davon ausgehend benennt der Evangelist dann Folgen dieses Verhaltens für 'die Juden' (5,45-47). 'Die Juden' werden angesichts ihres Privilegs, Adressaten der Offenbarung und des Wortes Gottes zu sein, mit der aus dieser Offenbarung erwachsenen Verantwortung konfrontiert und mit deren Konsequenzen behaftet. Sofern 'die Juden' Jesu Worten nicht vertrauen, zeigen sie, daß sie Mose43 ebenfalls nicht glauben und 35
Betz, Offenbarung [II.1.1. Anm. 125] 35 (vgl. zum Forschen in der Tora a.a.O. 15-35). Zum Forschen in der Schrift in Qumran vgl. ausführlich auch M. Hengel, 'Schriftauslegung' und Schriftwerdung' [1.2. Anm. 70] 53ff. 36 Betz a.a.O. 59. 37 Bill. II 467. 38 S. Schnackenburg a.a.O. II 175 sowie Pancaro a.a.O. 227 (Anm. 118). 39 S. auch die o. dargelegte Bedeutung von epewctto bzgl. der Schrift bei Philo (eher. 14). 40 Zur Vorstellung von der Schrift und einer Lebensverheißung s. unter III. 1.2.1. 41 Vgl. zu Ps 119 insgesamt Kraus, Psalmen II [...] 997-1007: „Der Tenor aller Aussagen ist eine einzige Preisung der gnädigen WillensofFenbarung Jahwes" [1005]. 42 Wie (lapTupia im vorherigen Abschnitt, ist hier Sö^a der Leitbegriff, der durch sein gehäuftes Vorkommen die Passage prägt und als eigenständige Einheit ausweist. 43 Mose ist hier als Person und Autor der Schrift zu sehen und nicht mit der Schrift (5,39) unmittelbar gleichzusetzen, wenn auch in 5,47 wieder die Schrift(en) im Vordergrund stehen. Der Glaube an Mose hat eine andere Qualität als der Glaube an Jesus (so auch Meeks, ProphetKing [1.2. Anm. 111] 295). Der Glaube an Mose ist primär ein Vertrauen in die Glaubwürdig-
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III. Teil: Bedeutung und Funktion der Schrift im
Johannesevangelium
auch nicht den Schriften des Mose.44 Die fehlgeleitete Inanspruchnahme der Schriften und damit einhergehend das Mißverstehen des Mose hat die Anklage durch Mose zur Folge.45 Mit diesem Gedanken erreicht der Evangelist im Rahmen einer Erörterung seiner Hermeneutik den schärfsten Dissens zu seinen jüdischen Gesprächspartnern. Mose wird dadurch in johanneischer Sicht einsichtig und folgerichtig Hauptzeuge Jesu und Ankläger 'der Juden' zugleich (5,46),46 da er als der Kronzeuge Christi von eben dieser Rolle her gar nicht anders kann, als die mißverstehenden Interpreten zurechtzuweisen und ihr Fehlurteil anzuklagen.47 Vor diesem Hintergrund klingt nun in 5,47 eine weitere Folge des Schriftverständnisses 'der Juden' an. Weil sie der Schrift - und damit den Hinweisen auf Christus - keinen Glauben schenken, werden sie ebenso den pip,(XT(X Jesu keinen Glauben entgegenbringen. Der Terminus p f p a ist im Joh grundsätzlich auf Selbstaussagen Jesu bezogen48 und drückt Jesu gesprochenes Wort im keit der von ihm vermittelten Botschaft von Gott (vgl. dazu Pancaro a.a.O. 259ff.) und ist damit konstitutiv verbunden mit dem Vertrauen in Mose - und der Hoffnung auf ihn (5,45) - als Verteidiger Israels vor Gott (so auch der Schluß von 5,45: ... eiq ov i>|!Ei eyevexo (10,35a).70 Der Ääyoq tot) -öeoi) erging durch Worte der Schrift. Da jedoch LXX Ps 81,6a durch Jesu Anrede gegenüber 'den Juden' gegenwärtig ergeht, können wir für die johanneische Hermeneutik formulieren: Der Äöyoq ioi> i3£Q\) ergeht auch gegenwärtig durch Worte
68
Darin ist auch das hermeneutische Interesse des Evangelisten zu sehen, wenn er die Schrift für den Adressaten des Evangeliums gegenwärtig zu Gehör bringt (vgl. ausfuhrlicher unter III.2.2.). 69 Vgl. die ausfuhrlichen Ausfuhrungen zu 5,46f. unter III. 1.2.1. 70 Daß mit eyevETO nicht nur die einst am Sinai gewesenen Juden, sondern auch die Juden' als gegenwärtige Gesprächspartner Jesu gemeint sind, s. ausfuhrlich die Exegese von 10,34f. unter II. 1.5.
1. Zur Hermeneutik des
Evangelisten
381
der Schrift,71 die somit als Aoyoi ioi> i3eoi) zu vernehmen sind. Wesentlich für diesen Zusammenhang ist die Vorstellung des Evangelisten, daß die Schrift als Gottes Wort lebendig ist und ihre Relevanz im je gegenwärtigen Akt des Sprechens und Hörens hat. Ausgedrückt wird das gegenwärtige Reden der Schrift neben dem skizzierten Argumentationsgang in 10,34ff. explizit in 19,37 (ypOMpf) Xfyei) sowie durch die Zitateinleitungen in 12,38a und 15,25a.72 Verstehen wir die letztgenannten Stellen samt dem dort erwähnten Motiv der Erfüllung von der Argumentation in 10,34ff. her, ist unter dem in 12,38a und 15,25a nicht näher qualifizierten Aoyo^ je der gegenwärtig lautwerdende Xöyo£ tot) i3eoi> in dem folgenden Schriftzitat zu hören. Der Zusammenhang von den Worten der Schrift und dem Xbyoc, tot) •öeot) als Anrede Gottes ist damit als ein konstitutiver für das Joh festzuhalten. Die enge Verbindung der Schrift zum Aoyo ßeoiö ist weiterhin dadurch erkennbar, daß beide Größen in den Schriften mit dem Attribut der Wahrheit näher qualifiziert werden und sich diese Linie im Joh wiederfindet. Vor allem in den Psalmen - und damit zeitgenössisch für den Evangelisten als allgemein bekannt vorauszusetzen - wird der Schrift sowie den Worten Gottes das Attribut der Wahrheit zugeschrieben. Gottes Gesetz (MT 119,142), alle seine Gebote (MT 119,86), seine Urteile (MT Ps 19,10ba) und der Ursprung des Wortes Gottes (so na« ^nrmöR""! in MT Ps 119,160 bzw. a p x n TtüV Äoycov cot» c&,fyÖ£ia in LXX Ps 118,160) sind mit dem Attribut der Wahrheit qualifiziert.73 In dieser Linie liegt auch das johanneische Verständnis, nach dem das durch Jesus vermittelte Wort Gottes in analoger Weise als Wahrheit bestimmt ist: ö Aöyo t9eot) zu verstehenden Aussagen Jesu mit dem fleischgewordenen Aoyoq als Gottes Wort schlechthin in Beziehung setzen.101 Während in 1,1 f. die ewige Zugehörigkeit des TJdyoc, zu Gott und in 1,3 die Schöpfungsfunktion des Tjyyoc, ausgesagt ist, wird der Xöyoc, in l,4f. als das „'Lebensprinzip' der Schöpfung" und der „'Inbegriff des Lebens" dargestellt.102 Beide genannten Aspekte finden jeweils ihre Konkretion im Korpus des Evangeliums in bezug auf Aussagen über Jesus.103 Jesus und der Vater sind eins (10,30; 17,21 )104 und Jesus ist der, der Leben in sich hat (5,21.26) und der demjenigen, der seinen Worten glaubt, ewiges Leben schenkt (5,24).105 Diese an inhaltlich wesentlichen Aspekten aufgezeigte Verknüpfung des hymnischen Bekenntnistextes mit der Darlegung des Wirkens Jesu führt uns zu dem Schluß, daß der in 1,1.14 absolut verwandte Xbyoc, mit seinen Charakterisierungen in 1,1-5 und dessen explizit genannter Fleischwerdung in 1,14 theologisch sachgemäß mit Jesus zu identifizieren ist, der in 1,19-28 als Kommender eingeführt wird.106 Vom Fortgang des Evangeliums her ist Jesus als der inkarnierte Xöyoq wahrzunehmen, der schon vor aller Zeit (ev cxp%f|) bei Gott war (so nach 8,37-58; 17,5.24).107 Dieser fleischgewordene Xbyoc, konkretisiert und realisiert sich als göttliches Offenbarungswort schlechthin im literarischen Werk 'Johannesevangelium' neben der Personifikation in Jesus auch in den Aoyoi Jesu.108 Die Worte Jesu und seine Botschaft sind konstitutiv als Anrede des göttlichen Äöyoc; zu hören, „weil er [sc. Jesus] der Logos, d. h. der göttliche Offenbarer
101
Vgl. dazu Theobald a.a.O. 300-303 und weniger präzise Hofrichter a.a.O. 85f. Zitate je O. Hoflus, Struktur und Gedankengang des Logos-Hymnus in Joh 1,1-18, ZNW 78 (1987), 18 (s. insgesamt zur Interpretation des Prologs a.a.O. 15-25). 103 Die schöpfungstheologische Aussage des Prologs wird im christologisch ausgerichteten Evangelium nicht aufgenommen. 104 Vgl. auch 19,7. 105 Auch hier zeigt sich wiederum die Linie zur Charakterisierung der Schrift(en) als Worte des Lebens (s. o. III. 1.1.2.). 106 „Schon der erste Abschnitt des Bekenntnisses, Vers 1-5, wird konsequent auf den irdischen Jesus gedeutet" (Hofrichter a.a.O. 105; vgl. insgesamt die diesbezüglichen Darlegungen für den gesamten Prolog a.a.O. bes. 83-105). S. auch Theobald, der a.a.O. 300 ebenfalls eine Beziehung des Prologs zur Darstellung des Wirkens Jesu im Korpus des Joh sieht, jedoch in umgekehrter Richtung, sofern der Prolog das letzte Stadium der Redaktion darstellt. 107 Vgl. hierzu auch Hanson, Gospel [1.1. Anm. 1] 32. 108 Wenn Hofrichter a.a.O. 86 abschließend formuliert, daß „in dem Wort, das Jesus gesprochen hat, dasselbe göttliche Wort zu sehen [sei], das schon im Anfang bei Gott war" (Kursivierung im Original), trifft er die christologische Spitzenaussage - Jesus ist dieses Wort nicht prägnant. 102
/ . Zur Hermeneutik
des
Evangelisten
387
und Heilbringer ist."109 Der Prolog erlaubt, Jesus gelbst das Wort, die Exegese Gottes, zu nennen."110 • In einem letzten Schritt werden wir nun den inhaltlichen Zusammenhang zwischen dem absoluten Aöyoq (1,1.14) und der Erfüllung der Schrift in ihrer johanneischen Ausprägung in den Blick nehmen. Der in der Schrift lautwerdende und primär an 'die Juden' gerichtete Xbyoc, tot) 'öeo'o findet seine letztgültige Konkretion in Jesus als dem Aoyoc; schlechthin, da die Schrift in Jesus zu ihrer nicht mehr zu überbietenden Erfüllung kommt. In Jesu Wirken und in seinen Worten als AoyOl xoi) i3£oi> wird die Schrift in letztgültiger Weise laut und damit zu Gehör gebracht. Die Offenbarung Gottes durch Worte der Schrift ist in diesem Sinn aufgehoben in dem absoluten XhyoCj, der schon vor aller Zeit bei Gott war (1,1) und auf die umfassende Offenbarung Gottes hinzielt(e). Der Evangelist versteht somit durch die Inkarnation des absoluten Aoyo $£Ot> erkennen.14 Dieses Anliegen verfolgt der Evangelist methodisch auf der Ebene der Reflexion, indem er den Rezipienten seines Evangeliums zusätzliche Informationen bietet. Doch ergibt sich wiederum ein Vermittlungsproblem in doppelter Hinsicht. Zum einen gibt es für diese beim Lesen oder Hören des Joh im literarischen Duktus des Evangeliums eine 'vorösterliche Zeit', in der auch die Zusatzinformationen nicht eo ipso verständlich sind. Zum anderen ist ihnen als Nicht-Augenzeugen des Wirkens Jesu eine eigenständige Erinnerung an dieses Wirken in seiner Offenbarungsqualität nicht möglich, so daß sie einer hermeneutischen Hilfe bedürfen.15
11 Zu erinnern ist ebenfalls an 2,17 und der oben (II. 1.2.) ausgemachten Konnotation einer nachösterlichen Erinnerung auch in 2,17. 12 Umfassend deshalb, weil mit Philippus (1,45) bzw. dem Philippus-Kreis sowie den Jüngern in 2,17 je eine Gruppe genannt wird, die vor Jesu Verherrlichung die Schrift in ihrer christologischen Dimension verstehen konnte (s. ausfuhrlicher unten). 13 Zur nachösterlichen Vergegenwärtigung s. ausführlich unter III.2.3. 14 Vgl. auch die kurze Notiz bei Wengst, Gemeinde [1.2. Anm. 1] 209 Anm. 78. 15 Im Evangelium als literarischem Werk wird dieses aus der genannten Spannung resultierende Problem der Vermittlung deutlich durch den häufigen Wechsel der Ebenen von Erzählung und Reflexion, durch die der Evangelist die Rezipienten des Joh in die Lage zu versetzen sucht, schon parallel zur Handlung das Geschehen - und entsprechend die Schrift christologisch zu verstehen. So kommentiert z. B. der Evangelist in ll,50ff. das Wort des Kajaphas oder deutet auf der Ebene der Reflexion durch die Zitate das Geschehen (zu den verschiedenen Ebenen im Joh vgl. bes. Schenke a.a.O. 100-105).
2. Zum Gegenwartsbezug der johanneischen Schriftaneignung
395
2.2.2. Die Verherrlichung Jesu als theologisch qualifizierte Verstehenskategorie für das christologische Verstehen der Schrift Nach der Vorstellung des Evangelisten ist ein umfassendes christologisches Verstehen der Schrift erst nach Ostern möglich.16 Drei Stellen im Joh reden von der Verherrlichung bzw. Auferstehung Jesu als dem entscheidenden Zeitpunkt für das rechte Verstehen der Schrift(en): 2,22; 12,16 und 20,9. Während in 2,22 und 20,9 als entscheidender Zeitpunkt die Auferstehung genannt ist,17 ist es in 12,16 Jesu Verherrlichung. An dieser Stelle ist in Erinnerung zu rufen, daß die Zeit nach der Auferstehung Jesu mit der seiner Verherrlichung zusammenfällt, da die Verherrlichung Jesu konstitutiv verbunden ist mit der Stunde Jesu, die schon 'vorösterlich' beginnt und mit dem Tod Jesu und seiner Auferstehung (vgl. 12,23 in Verbindung mit 12,28.32) ihren prägnantesten Ausdruck findet.18 Die Verherrlichung hat - nach 12,28 und 13,3lf. - zugleich präsentische wie futurische Züge. Die präsentischen sind ausgedrückt durch die nun gekommene Stunde der Verherrlichung des Menschensohnes (so 12,23). Der Menschensohn ist - sowie Gott in ihm - nun verherrlicht (13,31b: vi)v e8oi;daöT| ö uioi; tou dvöpcbTKn); vgl. auch 12,28). Die futurischen Züge werden evident, sofern die jetzige Verherrlichung Gottes in Jesus wiederum eine Verherrlichung des Menschensohnes mit sich bringt (13,32; 12,28). Diese verschränkte Verherrlichung des Menschensohnes mit der des Vaters zeigt die Verherrlichung als ein nicht in einem zeitlichen Rahmen zu bestimmendes Geschehen. Die durch die zeitliche Verschränkung der Verherrlichung bedingte Spannung innerhalb des Evangeliums wird aufgelöst mit der Auferstehung,19 weil sich mit dieser die Verherrlichung des Menschensohnes durch Gott - der durch den Menschensohn verherrlicht ist - ereignet und ihre entscheidende Basis findet. Entsprechend bittet Jesus in 17,5 den Vater, daß nach der Verherrlichung des Vaters auf der Erde durch die Vollendung des Jesus aufgetragenen Werkes - was mit dem letzten Wort Jesu am Kreuz eintritt (19,30 nach 19,28)20 - nun seinerseits der Vater Jesus verherrlichen möge mit der Herrlichkeit f| etyov 7tpö toi) TOV KÖOJIOV elvat icapa ooi (17,5b). Denn darin liegt die Verherrlichung,
16
Vgl. z. B. Franke a.a.O. 300f.; Bultmann a.a.O. 90 Anm. 7; Barrett a.a.O. 223; Schnackenburg a.a.O. II 473; Bampfylde, Testament [1.1. Anm. 75] 450; Wengst a.a.O. 209 (Anm. 77) oder Hengel, Schriftauslegung des 4. Evangeliums [1.1. Anm. 130] 274 (vgl. für das frühe Christentum auch Holtz, Testament [II.3.1. Anm. 9] 63f.). 17 Zu 20,9 s. ausfuhrlicher unter 1.2.1.1. und II. 1.2.d. 18 Vgl. dazu Schnackenburg a.a.O. II 473 (s. auch F. Porsch, Pneuma und Wort [...], Frankfurt/M. 1974, 263/264 und zur Stunde Jesu' a.a.O. 72-81). 19 Daß die Verherrlichung in ihrer zeitlich nicht aufzulösenden Verschränkung auf das Geschehen von Kreuzigung und Auferstehung zielt, zeigt 13,32f. Nach der Ansage der zukünftigen Verherrlichung des Menschensohnes sagt Jesus, er sei nur noch eine kurze Zeit bei seinen Kindern, so daß der Zeitraum bis zu einer möglichen Verherrlichung, soll diese für die Jünger evident sein, durch die Begegnungen mit dem Auferstandenen (20,11-29) als letztem Zeitpunkt begrenzt ist. Für diesen somit vorgegebenen Zeitraum ist primär das Ereignis von Kreuz und Auferstehung als Ereignis für den Vollzug der Verherrlichung in den Blick zu nehmen. 20 Vgl. die in 17,4 und 19,28 je in bezug auf Jesu Werk vorkommenden Verben mit der einen Zielpunkt konnotierenden Silbe XEX-: TEÄ£iöco in 17,4 und TEXECO in 19,28 (s. dort auch TEXEIOCÜ bzgl. der Schrift; vgl. ausfuhrlicher unter 1.3.3.2.3., zu 19,28 unter H.3.3.).
396
III. Teil: Bedeutung und Funktion der Schrift im Johannesevangelium
daß Gott Jesus nicht in der Gottesferne und Gottesverlassenheit21 beläßt, sondern diese in der Verherrlichung bei der Auferstehung überwindet22 und die seit jeher bestehende Gemeinschaft neu in Kraft setzt.23 Daß Jesu Verherrlichung auch über den Zeitraum seines irdischen Wirkens hinaus gegenwärtig vermittelt wird, ist das Wirken des Geistes der Wahrheit. Dieser wird Jesus verherrlichen (so 16,14 nach 16,13), womit die Verherrlichung in nachösterlicher Zeit zu einem je gegenwärtigen Ereignis für die vom Geist Angesprochenen wird. Die Verherrlichung Jesu ist kein zeitlich beschränktes, sondern ein in die Zukunft offenes Geschehen. Die im Ereignis von Kreuz und Auferstehung ihre entscheidende Basis findende Verherrlichung vollzieht sich im Rückgriff auf dieses Ereignis gegenwärtig im Wirken des Geistes, womit die Verherrlichung Jesu ihr präsentisches (mit der Auferstehung ist Jesus verherrlicht) wie auch futurisches (Jesus wird durch den Geist verwirklicht) Moment behält.
Die Jünger erinnern sich, folgen wir 2,2224 und 12,16, nach Jesu Auferstehung bzw. Verherrlichung an Begebenheiten aus dem Leben Jesu und können sie im Nachhinein von der Schrift her deuten. Das heißt umgekehrt, daß sie in ihrer und durch ihre Erinnerung erkennen, daß die Schrifit(en) das Handeln (2,22) bzw. das Ergehen (12,16) Jesu als Rettungsgeschehen Gottes interpretieren bzw. deuten.25 Aus der Retrospektive der Handlungsebene eröffnet sich den Jüngern die Schrift als Christuszeugnis! Theologisch ergibt sich, daß die Jünger von dem Zeitpunkt an, an dem sie die Verherrlichung Jesu wahrnehmen, die Schrift in ihrer christologischen Dimension erkennen und als Christuszeugnis verstehen, wie es in 20,9 allgemein ausgesagt wird.26 Mit dem Blick auf das vollendete, Jesus vom Vater übergebene Werk, läßt die Schrift ihren wesentlichen Gehalt (vgl. 1,45) erkennen: das fleischgewordene Wort in seiner Herrlichkeit (nach 1,14). Nehmen wir das Evangelium als literarisches Werk in den Blick und den Evangelisten als seinen Autor, so ergibt sich auch für den Evangelisten, daß seine Erkenntnis - entsprechend seinen Aussagen über die Jünger - eine nachösterliche ist. Der Evangelist „denkt und formuliert
21
Zur Gottesferne und -Verlassenheit am Kreuz vgl. die Auslegung von 19,24 (H.2.5.). Vgl. hierzu treffend Blank, der a.a.O. 267 vermerkt, „daß die Verherrlichung Jesu seine Auferstehung mitumfaßt (Kursivierung im Original). 23 Zu präzisieren ist an dieser Stelle, daß der theologische Tiefpunkt des Leidensweges Jesu mit 19,24 erreicht ist, während durch das doppelte TEtetecrcai in 19,28.30 und die besonders herausgestellte Erfüllung der Schrift in 19,28 durch 'Iva "cetauoöfi Tl Ypcwpr] zum Zeitpunkt des Todes Jesu theologisch das Moment der Vollendung dominiert und schon das Moment der Verherrlichung anklingt (vgl. ausführlicher unter II.2.8.). Auch hier zeigt sich, daß die Verherrlichung nicht statisch mit dem Zeitpunkt der Auferstehung verbunden werden kann, sondern schon wesentlich vorösterliche Züge aufweist (s. o.). 24 Bzgl. des Erinnerns in 2,17 hatten wir bei der Auslegung der Stelle festgestellt, daß auch bei diesem Erinnern ein nachösterliches mitzuhören ist (vgl. unter II.1.2.d). 25 Vgl. auch R. Leivestad, (Il|lvf|CTK 'öeot) durch die Zeiten möglich ist. Schon Abraham sah den Tag Jesu (8,56-58) und Jesaja die Sö^a Christi (12,41a). Freilich nicht nur vor der Inkarnation, sondern auch nach dem Weggang Jesu ist es der Akt des Sehens, der konstitutiv für die Glaubenden sein wird (so 14,19). Die Zeit des Sehens reicht von Abraham über Jesaja und den Augenzeugen Jesu zur johanneischen Gemeinde (vgl. die 1. ps. pl e-öeccoauE'öa in 1,14 oder 1 Joh 1,1-3) bis in die Zeit der zukünftigen Gemeinden (14,19). So schlägt das Sehen eine Brücke durch die Zeiten hindurch und verbindet im Sehen alle Gläubigen miteinander, indem sie alle auf Christus hin fokussiert werden (zur Bedeutung des Sehens in seiner über die Zeit des Evangeliums hinausgehenden und insofern bleibenden Relevanz für die Offenbarung in der Gemeinde vgl. die Ausführungen von Hahn, Sehen [II.2.1. Anm. 48] bes. 130-136). 34 Vgl. dazu besonders unter III.2.3.2., wo eine Leistung des Parakleten darin besteht, in das Ttapprioia-Wirken Jesu seine göttliche 5ö^a hineinzulesen. 35 „Die ganze Anlage und Art des Joh-Ev ist ein Zeugnis dafür, daß die joh. Schule eine Transformation der irdischen Worte und Taten Jesu im Licht des Osterglaubens, unter der Führung des Geistes, für notwendig hielt" ('Schnackenburg a.a.O. III 182). 36 Vgl. Schnackenburg a.a.O. III 138ff.
2. Zum Gegenwartsbezug der johanneischen Schriftaneignung
399
Jesus die Jünger in 16,23ff. auf einen in der Zukunft liegenden Tag (16,23), an dem er offen redet und die Jünger fraglos (16,23) verstehen werden (16,25b).37
2.3. Die Erinnerung als Modus nachzeitigen Verstehens der Schrift(en) Wir wenden uns im Folgenden dem Phänomen der 'Erinnerung' als einem wesentlichen Aspekt johanneischer Hermeneutik zu.38 Die 'Erinnerung', das aktive 'sich erinnern' oder auch das (teilweise) passive 'erinnert werden' sind konstitutiv auf die Vergangenheit bezogen. Bezüglich der zu erinnernden Objekte kann es sich entweder um eigene oder rezipierte Erlebnisse, Begebenheiten (o. ä.) sowie um Gegenstände handeln. Entscheidend für das Moment des Erinnerns ist, daß der erinnerte Sachverhalt/Gegenstand dem sich erinnernden Subjekt zuvor nicht bewußt (bzw. präsent) war. Die Erinnerung spielt dem sich erinnernden Subjekt etwas egal in welcher Form - zuvor in der Vergangenheit Rezipiertes und mittlerweile 'Vergessenes' in einer für die Gegenwart (möglicherweise) neuen Relevanz wieder zu. Erinnerung ereignet sich nicht allein aus sich selbst heraus oder ist alleinige Tätigkeit des sich erinnernden Subjekts, sondern sie wird hervorgerufen durch äußere oder innere Impulse.39 Durch diese dem Menschen zukommenden Impulse als einem nicht von ihm initiierten - und damit fremden Moment vollzieht sich Erinnerung. Deshalb ist die Erinnerung sowohl Aktivität des sich erinnernden Subjekts wie auch Passivität desselben, sofern ein Impuls diese Erinnerung hervorruft. Folge der Erinnerung ist, daß der zunächst verborgene Sachverhalt/Gegenstand in das Bewußtsein des Menschen tritt. Hierbei ist nun - auch hermeneutisch - entscheidend, daß die Erinnerung für das sich erinnernde Subjekt einen (Zu-)Gewinn an Erkenntnis bedeutet, wenn der noch verborgene - und damit auch noch fremde - Gegenstand des Erinnerns aus der Vergangenheit in die Gegenwart tritt und dem Bewußtsein des Menschen 'neu zugespielt' wird.40
2.3.1. Die Erinnerung der Jünger als Paradigma nachösterlicher Vergegenwärtigung der Schrift(en) Wir kommen zur inhaltlichen Bestimmung der nachösterlichen Erinnerung der Jünger. Insgesamt werden zwei Objekte der Erinnerung genannt: erstens die Worte Jesu (2,22) 41 und zweitens die Schrift als Ganze (2,22) 42 oder als ein 37
Vgl. dazu auch Schnackenburg a.a.O. III 182. Weiterhin wäre der Kommentar des Evangelisten in 7,39 - der Empfang des Geistes erfolgt nach der Verherrlichung Jesu - als ein in nachösterliche Zeit weisendes Wort zu nennen. 38 Zur exegetischen Erörterung der Themenfeldes 'Erinnerung' mit der Untersuchung der Verben |l^ivf|cncop.cxi (2,17; 2,22; 12,16), w7ro(Xi)j.vficrKCü (14,26) und p.vip.ove\xü (15,20; 16,4; 16,21) s. oben zu 2,17 unter II.1.2. Zum Phänomen der 'Erinnerung' s. auch H. Weder, Evangelische Erinnerung [...], 1992, 183fr. 39 Ein 'innerer' Impuls wäre z. B. eine sinnliche Wahrnehmung, durch die eine Erinnerung hervorgerufen wird, während ein 'äußerer' Impuls z. B. ein verbaler Hinweis eines anderen Menschen sein könnte. 40 Nicht berücksichtigt werden soll in der folgenden Überlegung der ebenfalls mit der Erinnerung verbundene Prozeß der Entwicklung bzw. des Wachstums der Jesus-Tradition in der johanneischen Schule (vgl. dazu Franck a.a.O. 47(f.)). 1 Die Erinnerung an die Worte Jesu in unmittelbarem Zusammenhang mit der Schrift (2,22) zeugt von der Bedeutung, die die Worte Jesu für die johanneische Gemeinde als verbindliche Äußerungen der göttlichen Zuwendung (in Jesus) besaßen. Sofern die in dieser Weise
400
III. Teil: Bedeutung und Funktion der Schrift im Johannesevangelium
konkretes Schriftwort (2,17; 12,16). Bei beiden Objekten erinnern sich die Jünger im Nachhinein - nach Jesu Verherrlichung - an eine Szene des Wirkens Jesu und bringen mit dieser eine Stelle der Schrift in Verbindung. Sie entdecken in Jesu Wirken eine Entsprechung zur Schrift, die das Handeln Jesu theologisch deutet43 und als Handeln Gottes qualifiziert. Jetzt erkennen sie von der Schrift her die Bedeutungstiefe dessen, was sie einst selbst miterlebt haben. Indem sich ihre Erinnerung an Jesu Wirken aus der Perspektive einer christologisch verstandenen Schrift vollzieht, erschließt sich das in der Vergangenheit Erlebte in einer neuen Relevanz für ihre Gegenwart.44 Die Erinnerung resultiert damit einerseits aus dem aktiven Erinnern der Jünger, andererseits aus der nicht von den Jüngern initiierten45 sowie von der Schrift geprägten nachösterlichen Einsicht in die Bedeutung der Person Jesu und den daraus folgenden - fremden - Impulsen für das Verstehen der eigenen Vergangenheit.46 Die Erinnerung trägt damit sowohl aktive wie passive Momente in sich!47 Was O. Michel bezüglich der Lebendigkeit der Worte Jesu treffend festhält, gilt gleichermaßen für die Worte der Schrift: „Das Wort Jesu erweist seine Kraft darin, daß es durch die Erinnerung im Jünger lebendig wird."48
hochgeschätzten Worte Jesu im Joh verschriftlicht sind und für die johanneische Gemeinde selbst als 'Schrift' fungieren, werfen sie ein Licht auf das Selbstverständnis des Joh sowie auf das des Evangelisten als Autor des Evangeliums und als Exegeten der Schrift (vgl. Franck a.a.O. 47 sowie ausfuhrlicher oben unter III.3.3.). 42 Die Schrift in 2,22, hier primär Objekt des Glaubens, steht vom johanneischen Kontext her in einem unmittelbaren Bezug zur Erinnerung, da sich die Schrift, an die die Jünger glauben, allein auf das Schriftwort in 2,17 beziehen kann, an welches sich die Jünger erinnerten. 43 Vgl. zur nachösterlichen Erinnerung ausführlicher unter II. 1.2. 44 Porsch schreibt a.a.O. 263 zu 12,16 treffend, „daß sich das nachträgliche Begreifen der Jünger im Erinnern einmal auf den christologischen Sinn der Schrift und zum andern auf das historische Geschehen um Jesus bei seinem Einzug bezieht" (wobei historisch' nur für die Jünger als Augenzeugen zutrifft). 45 Nicht von den Jüngern initiiert ist diese Einsicht, sofern die Jünger von der Auferweckung - und damit Verherrlichung - Jesu hören und diese in ihre Erfahrung integrieren müssen (s. 20,11-18.19-23 und bes. 24-29). 46 Zu der durch das Moment des Fremden angezeigten Offenbarungsqualität des Erinnerns s. u. 47 An dieser Stelle ist im Hinblick auf die - vom Evangelisten erwartete - nachösterliche Erinnerung der Adressaten des Joh (s. o. III.2.3.2.) daran zu erinnern, daß die Erinnerung der Jünger ohne Mitwirken des Geistes erfolgt (gegen Schnackenburg a.a.O. II 473 und Barrett a.a.O. 223). 48 Michel, (H|ivf|OKO(Xai [II. 1.2. Anm. 46] 681; eine Erinnerung an Jesu Rede nach seiner Kreuzigung wird auch in Lk 24,6.8 erwähnt (vgl. auch Michel ebd.; die ebenfalls von Michel erwähnte Erinnerung des Petrus bei seiner Verleugnung - Mk 14,72 par. - stellt einen anderen Fall der Erinnerung dar, weil sich hier die Erinnerung innerhalb des irdischen Wirkens Jesu ereignet).
2. Zum Gegenwartsbezug
der johanneischen Schriftaneignung
401
Das Moment der Lebendigkeit bzw. des Sprechens der Schrift, das heißt die Lebendigkeit des Schriftzeugnisses, wird deutlich durch den - |il^vf]OKO|j.ca jeweils folgenden - öxi-Satz, da er nicht ein abstraktes Objekt als Gegenstand der Erinnerung nennt, sondern ein Geschehen, das die Jünger im nachösterlichen Glauben an die Schrift (und die Worte Jesu) verstehen.49 Diese lebendige Erinnerung ist nun für die in Frage kommenden Stellen zu konkretisieren. Bezüglich der Tempelreinigung verstehen die Jünger nach 2,17, daß Jesu Wirken für Gott seinen ganzen Einsatz fordert und ihn zugleich um Gottes Willen isoliert. In 2,22 zeigt sich, daß sich in Jesu Person die Geschichte Gottes mit seinem Volk konzentriert, sofern er die Bedeutung des Tempels personal zuspitzt.50 Nach 12,16 erschließt sich den Jüngern, daß Jesus als der endzeitlich (für Zion) erwartete messianische König als Heilsbringer im Namen Gottes (12,13) nach Jerusalem einzieht.5'
Die Erinnerung der Jünger gilt es nun in zweifacher Hinsicht theologisch zu bestimmen. Erstens handelt es sich bei ihr, da den Jüngern ein Erkenntniszugewinn zukommt, um eine wirksame Erinnerung.52 Sie erkennen Jesus in seiner Bedeutung (vgl. 8,28) als den von Gott gesandten Sohn, der zur Rettung der Welt in die Welt gekommen ist. Es handelt sich damit um ein theologisch qualifiziertes Erinnern, sofern im Aspekt des Erkenntniszugewinns wesentlich das Moment der Offenbarung impliziert ist. In der Erinnerung an Jesu Wirken (2,22) und seinen Weg (12,16) erschließt sich ihnen die Schrift als Christuszeugnis und Jesus als der gesuchte und gefundene Messias (nach 1,41.45). Wir entdecken hier am prägnantesten die hermeneutische Funktion des Erinnerns, sofern die Erinnerung sowohl ein Handeln des sich erinnernden Subjekts wie auch ein Wirken an ihm ist: Denn der Erkenntniszugewinn fördert die Urteilskraft der Jünger, womit sich die Erinnerung als wirkmächtige zeigt. Zweitens ist die Erinnerung der Jünger ein Paradigma für die nachzeitige Vergegenwärtigung der Schrift. Denn was die Jünger in ihrer Erinnerung erleben, stellt ein gelungenes Reden der Schrift dar, weil ein Schriftwort als christologisches Interpretament des Wirkens Jesu erkannt wird. Diese Wahrnehmung des Zusammenhangs von Schrift und Wirken Jesu intendiert der Evangelist in analoger Weise für die Adressaten seines Evangeliums. Den Rezipienten soll durch die Rezeption des Joh in Erinnerung gerufen werden - das heißt, sie sollen erkennen -, daß Jesus der Messias ist und sie im Glauben das Leben haben (s. o.). In dieser Hinsicht ist die Erinnerung der Jünger ein im Evangelium verschriftlichtes Beispiel, was Erinnerung sachlich und theologisch meint: sachlich die bewußte Verbindung von Jesu Wirken mit dem Christuszeugnis 49 Wenn auch dieser Glaube allein in 2,22 explizit genannt wird, ist er doch in 12,16 auf jeden Fall zu ergänzen. 50 Vgl. zu 2,17 und 2,22 und den obigen Andeutungen ausführlich unter II. 1.2. 51 Vgl. dazu ausfuhrlicher unter II. 1.6. und II. 1.7. 52 Bampfylde merkt a.a.O. 450 an, daß die Erinnerung und das damit verbundene Verstehen „an example" sei „that the effectiveness of Christ's work depends upon His ascension."
402
III. Teil: Bedeutung und Funktion der Schrift im Johannesevangelium
der Schrift und theologisch - daraus erwachsend - die Erkenntnis der Person Jesu und den Glauben als Art und Weise gegenwärtiger Heilsteilhabe. Bemerkenswert ist, daß die Aussage in 20,9 ebenfalls rückwärtig orientiert ist und die Erinnerung wesentlich impliziert. Das Verstehen der Schrift in ihrer christologischen Dimension stellt sich ein, wenn sich zum Forschen in den Schriften (nach 5,39) eine Erinnerung an Jesu Wirken aus der Perspektive seiner Verherrlichung einstellt und das entsprechende Schriftwort in seiner christologischen Dimension verstanden wird. Erst das Zusammenspiel von der Wahrnehmung der Schrift und der qualifizierten nachösterlichen Erinnerung an Jesu Wirken erschließt die Schrift als Wort, das das Wirken Jesu in den Kontext des umfassenden Handelns Gottes mit dem Kosmos - das heißt näherhin in das Rettungshandeln Gottes - stellt. Erst durch dieses Zusammenwirken wird den Jüngern die Bedeutung der Schrift als Christuszeugnis seit jeher 'zugespielt'.
2.3.2. Offenbarung durch Erinnerung - zur durch den Parakleten
Vergegenwärtigung
Im Folgenden gilt es das Phänomen der Erinnerung als Modus der Vergegenwärtigung der Schrift im Hinblick auf die Rezipienten des Joh zu erörtern. Dazu bedarf es zunächst - in einer strengen Beschränkung auf die für unser Thema wesentlichen Beobachtungen - einer Beschäftigung mit dem verheißenen Parakleten, sofern die Erinnerung der Rezipienten des Joh entscheidend geprägt ist durch den Parakleten und seine besonders in 14,26 ausgedrückte Funktion des Lehrens und Erinnerns. Anschließend ist die Erinnerung der Rezipienten des Joh mit der der Jünger zu vergleichen, da die Erinnerung der Jünger in der Forschung häufig als Erinnerung mit Hilfe des Parakleten qualifiziert wird,53 was jedoch dem johanneischen Befund nicht entspricht und zu undifferenziert ist.
Der 7tapäK9aycoc; ist der verheißene Geist der Wahrheit (14,16; 15,26; 16,13) bzw. der heilige Geist (14,26), den Jesus seinen Jüngern nach seinem Ttappriaia- Wirken und vor seiner Erhöhung am Kreuz bzw. der Verherrlichung verheißt.54 Inhaltlich-thematisch haben die Parakletsprüche (14,16; 14,26;
53
Vgl. z. B. Barrett a.a.O. 223 (zu 2,22); Schnackenburg a.a.O. II 472f. (zu 12,16); Blank a.a.O. 267f.; U. B. Müller, Die Parakletvorstellung im Johannesevangelium, ZThK 71 (1974), 47; Porsch, Pneuma [III.2. Anm. 18] 262ff.; Longenecker, Exegesis [1.1. Anm. 99] 79; Hengel a.a.O. 271 f. oder zur Bedeutung des Geistes bei der zeitgenössischen Schriftauslegung insgesamt Franck a.a.O. 116ff.; D. I. Brewer, Techniques and Assumptions in jewish Exegesis before 70 CE, Tübingen 1992, 217ff. u. ö. sowie Frey, Mose [II.2.7. Anm. 84] 204. 54 An Literatur zum Parakleten vgl. neben Schnackenburgs Auslegungen zu den Parakletsprüchen a.a.O. III bes. 156-173 sowie folgende Titel (in Auswahl; chronologisch sortiert): G. Bornkamm, Der Paraklet im Johannesevangelium [...], Stuttgart u. a. 1949; O. Betz, Der Paraklet [...], Leiden u. a. 1963; R. E., Brown, The Paraclete in the Fourth Gospel, NTS 13 (1967); G. Johnston, The Spirit-Paraclete in the Gospel of John, Cambridge 1970; A. R. C. Leaney, The johannine Paraclete and the Qumran Scrolls [...], London 1972; E. Bammel, Jesus und der Paraklet in Johannes 16 [...], Cambridge 1973; Müller, Parakletvorstellung [...], 1974; Porsch, Pneuma [...], 1974; D. A. Carson, The Function of the Paraclete in John 16,7-11, JBL 98 (1979); C. Dietzfelbinger, Paraklet und theologischer Anspruch im Johannesevangelium, ZThK 82 (1985) und Franck, Revelation [III. 1. Anm. 58], 1985.
2. Zum Gegenwartsbezug der johanneischen Schriftaneignung
403
15,26; 16,7f.; 16,13), die in ihrer Aussage und Relevanz über die Erzählebene hinaus auf die Zeit nach Jesu Auferstehung zielen, auf der geschilderten Handlungsebene innerhalb des Evangeliums ihren Ort in den Abschiedsreden Jesu. Dort thematisiert Jesus seinen bevorstehenden Weggang sowie Abschied von seinen Jüngern und bereitet zugleich seine Jünger auf diese Zeit vor.55 Für diese Zeit wird den Jüngern als den - auf der Ebene der Erzählung - alleinigen Adressaten der Geist als Beistand56 in seinen unterschiedlichen Funktionen verheißen, die sich je in verbaler Struktur ereignen werden.57 Der Paraklet, der erst nach Jesu Weggang kommen kann (16,7b) und eine für die Jünger gute Zeit mit sich bringen wird (16,7a), wird die Jünger alles lehren und an alles erinnern, was Jesus gesagt hat (14,26). Er wird von Jesus Zeugnis ablegen (15,26), die Welt überfuhren (16,7f.) und die Jünger in die ganze Wahrheit leiten und dabei nicht aus sich selbst reden (16,13): „Der Paraklet ist also die immerwährende Gegenwart dessen, was im Namen Christus einmal verkörpert wurde."58 Bei unseren folgenden Überlegungen über die Rolle des Parakleten im Rahmen der johanneischen Schriftaneignung werden wir uns auf die dafür wesentliche Funktion des Lehrens und Erinnerns (14,26)59 beschränken, da das Motiv der Erinnerung als Modus der Vermittlung der Schrift vom Evangelisten ausdrücklich genannt wird (2,17; 2,22; 12,16). Das Lehren ist hier - wie auch sonst im Joh - als Begriff göttlicher Offenbarungstätigkeit zu verstehen, da der Paraklet Jesus während seiner Abwesenheit vertritt und seine Lehre vergegenwärtigt. Vom Gebrauch von StöccCTKCO im Joh60 her ist eine Analogie zum Lehren Jesu zu ziehen,61 sofern Jesus als der Lehrer schlechthin gilt (13,13(f.);
55 Den Aspekt des Abschieds thematisieren ausfuhrlich Haacker, Stiftung [1.2. Anm. 84] 135-162 und Müller a.a.O. 52-65 (s. bes. 62). 56 Die Bezeichnung des Geist-Parakleten (jiapaKÄ,T|TO E
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