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Spätmittelalter und Reformation Neue Reihe herausgegeben von Heiko A. Oberman in Verbindung mit Kaspar Elm, Bernd Hamm, Jürgen Miethke und Heinz Schilling
9
Ulrich Hinz
Die Brüder vom Gemeinsamen Leben im Jahrhundert der Reformation Das Münstersche Kolloquium
Mohr Siebeck
Die Deutsche Bibliothek -
CIP-Einheitsaufnahme:
Hinz, Ulrich: Die Brüder vom Gemeinsamen Leben im Jahrhundert der Reformation: das Münstersche Kolloquium / Ulrich Hinz. - Tübingen: Mohr Siebeck, 1997 (Spätmittelalter und Reformation; N.R., 9) ISBN 3-16-146777-9
978-3-16-158571-5 Unveränderte eBook-Ausgabe 2019
© 1997 J. C. B. M o h r (Paul Siebeck) Tübingen. D a s Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen G r e n z e n des Urheberrechtsgesetzes ist o h n e Z u s t i m m u n g des Verlags unzulässig und strafbar. D a s gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. D a s Buch wurde von G u i d e - D r u c k in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier der Papierfabrik Niefern gedruckt und von der G r o ß b u c h b i n d e r e i H. Koch in Tübingen gebunden. ISSN 0937-5740
Vorwort Vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 1995/96 am FriedrichMeinecke-Institut, Fachbereich Geschichtswissenschaften, der Freien Universität Berlin als Dissertation angenommen. Sie wurde für die Drucklegung geringfügig erweitert. Die seither erschienene Literatur konnte nur noch teilweise berücksichtigt werden. Mein Dank gilt Herrn Prof. Dr. Kaspar Elm für die Anregung zur Beschäftigung mit der Devotio moderna und die Betreuung der daraus erwachsenen Arbeit. Herr Prof. Dr. Dietrich Kurze übernahm bereitwillig die Mühen des Korreferates. Während der Jahre 1991 und 1992 wurde das Promotionsvorhaben durch ein Stipendium des Landes Berlin gefördert. Seit 1993 fand ich als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universitätsund Landesbibliothek Münster optimale Voraussetzungen hinsichtlich der Verfügbarkeit der Literatur vor. Der Vorsitzende des Vereins für Geschichte und Altertumskunde Westfalens, Abteilung Münster, Herr Prof. Dr. Hans-Joachim Behr, erteilte die freundliche Erlaubnis zur Verfilmung der Handschrift von Johannes Holtmann. Herrn Prof. Dr. Heiko A. Oberman, Herrn Prof. Elm und dem Kreis der Herausgeber danke ich für die Aufnahme in die Neue Reihe Spätmittelalter und Reformation, den Mitarbeitern des Verlages J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) für ihre sachkundige Unterstützung. Doch wäre alle fachliche Hilfe vergebens, böten nicht die Familie und Freunde Rückhalt während der Krisen einer lange währenden Arbeit: Meinen Eltern gilt mein besonderer Dank für die Ermöglichung des oftmals brotlos anmutenden Studiums; Kirsten für ihre Unterstützung, ohne die dieses Buch nicht hätte erscheinen können; Dieter Niemann für sein Einspringen zu Notzeiten; Almut für ihre Hilfe und Geduld. Die Arbeit sei dem Andenken meines Vaters gewidmet, der ihr Erscheinen nicht mehr erleben konnte.
Münster, im Juni 1997
Ulrich Hinz
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
V
Abkürzungen
XI
I
Einleitung
1
II.
Die Erschütterung des gemeinsamen Lebens in der frühen Reformation
25
1. Zwischen Kolloquium und Union: Die Fraterherren frühen 16. Jahrhundert
25
im
2. Die Begegnung mit der Reformation Hildesheim 47; Münster 51; Rostock 60; Herford 63;
3. Der Untergang der sächsischen Magdeburg
III.
70;
Merseburg
72;
Wesel
40 55;
Köln
57;
und hessischen Häuser .. Marburg
74;
Kassel
70
77;
Das Verhältnis der Brüder vom Gemeinsamen Leben zur Reformation
81
1. Die Wertung des gemeinsamen
83
Lebens bei Luther
1.1. Die Verurteilung des Mönchtums in „De votis monasticis iudicium" 1.2. Möglichkeiten und Sinn des Mönchtums bei Luther bis 1519 1.3. Luthers Entwicklung in den Entscheidungsjahren von 1519 bis 1521
2. Johannes Holtmanns „ Van waren geistliken leuene eyn körte underwijsinge " 2.1.Grundzüge der theologischen Anschauungen Holtmanns 2.2. Das gemeinsame Leben bei Holtmann 2.3. Holtmanns Konzept des gemeinsamen Lebens im Vergleich mit Luther
83 87 89
93 96 107 115
Inhaltsverzeichnis
VIII
3. Die Fraterherren in der spätmittelalterlichen Kirche und der Reformation: Der „ Gründl des Fraterleuendes " von Gerhard Wilskamp
IV.
124
Die Existenz unter den Bedingungen der Glaubensspaltung
145
1. Die Maßnahmen der neugläubigen Magistrate gegen die Fraterhäuser
146
Hildesheim 149: Rostock 155; Wesel Münster 165; Herford 169;
V.
122
3.1. Das gemeinsame Leben nach dem Vorbild der Apostelgeschichte 3.2. Die Freiheit des Brüderlebens bei Wilskamp in der Tradition devoter Apologien 3.3. Freiheit und Gelübde bei Holtmann und bei Wilskamp
129 140
159:
2. Der Personalbestand
177
2.1. Die personelle Zusammensetzung der Fraterhäuser 2.1.1. Die Größe der Gemeinschaften 2.1.2. Die regionale und soziale Herkunft 2.2. Die Verluste seit der Reformation Münster 189: Köln 190; Herford 192; Rostock Hildesheim 194: Wesel 196;
177 177 182 188 193;
3. Der Besitzstand
202
3.1. Die Einkünfte und Wirtschaftsweise der Fraterhäuser 3.1.1. Einkünfte aus Rent- und Grundbesitz 3.1.2. Stiftungen und Schenkungen 3.2. Die Desintegration des Besitzstandes seit der Reformation 3.2.1. Die Verluste in Rentgeschäften und aus dem Grundbesitz ... Wesel 220; Hildesheim 223: Münster 225; Köln 227: Herford 229; 3.2.2. Das Nachlassen der Stiftungen und Schenkungen Münster 231; Köln 234; Hildesheim. Wesel 235:
202 203 211 220 220
23 1
4. Bemühungen um die Reorganisation der Fraterbewegung durch das münsterische Brüderhaus Zum Springborn
237
4.1. Personelle Hilfeleistungen 4.2. Rechtliche Schutzinstrumente gegen äußere Bedrohung 4.3. Konfessionelle Korrektur
238 243 249
5. Die Stellung in der beginnenden Konfessionali sierung
257
katholischen
5.1. Die Bulle Lubricum vitae genus von Papst Pius V 5.2. Versuche zur Umwandlung der Fraterhäuser für die Zwecke der Katholischen Reform und Gegenreformation
261
Zusammenfassung
282
270
Inhaltsverzeichnis
IX
Anhang: 1. Johannes Holtmann von Ahaus, Van waren geistliken leuene eyn körte underwij singe 2. Gerhard Wilskamp, Grundt des Fraterleuendes tho Heruorde 3. Diagramme
Literaturverzeichnis
289 296 302
305
Register: ¡.Personenregister 2. Ortsregister 3. Sachregister
341 347 353
Abkürzungen
AH VN
Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein
ARG
Archiv für Reformationsgeschichte
ARSJ
Archivum Romanum Societatis Jesu
BA Hildesheim
Bistumsarchiv Hildesheim
BA Münster
Bistumsarchiv Münster
GQBM
Geschichtsquellen des Bisthums Münster Historisches Archiv der Stadt Köln
HASt Köln (HUA)
(Haupturkundenarchiv) Historisches Jahrbuch
HJb
Hauptstaatsarchiv Düsseldorf
HSTA Düsseldorf
Historische Zeitschrift
HZ
Jahrbuch des Kölnischen Geschichtsvereins
JbKGV
Jahrbuch für westfälische Kirchengeschichte
JbwestfKG
Katholisches Leben und Kirchenreform im
KLK
Zeitalter der Glaubensspaltung
Kerssenbroch
Hermanni a Kerssenbroch anabaptistici furoris Monasterium inclitam Westphaliae metropolim evertentis histórica narratio. 2 Bde. Hrsg. v. H. Detmer (GQBM 5/6). Münster 1899, 1900.
LThK
Lexikon für Theologie und Kirche. 2.Aufl., Freiburg
MEKGR
Monatshefte für evangelische Kirchengeschichte des
1957 ff., und 3.Aufl., Freiburg u.a. 1993 ff. Rheinlandes MFVC
Monasticon Fratrum Vitae Communis. Hrsg. v. Wolfgang Leesch, Ernest Persoons und Anton G. Weiler. Teil 1: Belgien und Nordfrankreich. Teil 2: Deutschland (Archives et Bibliothèques de Belgique, Numéro Spécial 18/19), Brüssel 1977, 1979.
Niesing-Chronik
Chronik des Schwesternhauses Marienthal, genannt Niesing, in Münster. In: Berichte der Augenzeugen über das Münsterische Wiedertäuferreich. Hrsg. v.
XII
Abkürzungen C A. Cornelius (GQBM 2; VeröflHistKommWestf 3). Münster 1853, S. 419-441.
OGE
Ons Geestelijk Erf
PfA St.Martini Wesel
Pfarrarchiv St.Martini Wesel (im BA Münster)
PfA St.Nicolai Kalkar
Pfarrarchiv St.Nicolai Kalkar (im BA Münster)
RST
Reformationsgeschichtliche Studien und Texte
STA
Staatsarchiv
StA
Stadtarchiv
TRE
Theologische Realenzyklopädie. Berlin, 1977 ff.
UB Hildesheim
Urkundenbuch der Stadt Hildesheim. Hrsg.v. Richard Doebner. Bde. 7 und 8: 1451-1480 und 1481-1597. Hildesheim 1899. 1901, ND Aalen 1980.
VeröflHistKomm Hessen und Waldeck VeröffHistKommWestf
Veröffentlichungen der Historischen Kommision für Hessen und Waldeck Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen
VeröfilnstEurGesch Mainz
Veröffentlichungen des Instituts für Europäische
WA
Martin Luther: Werke, Kritische Gesamtausgabe.
Geschichte. Mainz Reihe 1: Schriften. Weimar 1899 ff. WLM
Westfälisches Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte, Münster
WZ
Westfälische Zeitschrift
ZHF
Zeitschrift für historische Forschung
ZKG
Zeitschrift für Kirchengeschichte
ZRG KA
Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Kanonistische Abteilung
ZThK
Zeitschrift für Theologie und Kirche
I. Einleitung Die Auseinandersetzung um den Stellenwert der Devotio moderna für die Entstehung und Verbreitung der Reformation und des nordwesteuropäischen Humanismus blickt in der Geschichtswissenschaft auf eine lange Tradition zurück.1 Das Erkenntnisinteresse der Historiker, die sich dieser Frage widmeten, war oftmals konfessionell motiviert. Die Interpretation der von dem deventrischen Schöffensohn Geert Grote2 entfachten Frömmigkeitsbewegung schwankte zwischen der Charakterisierung als Präludium der Reformation einerseits und als Bestandteil der Reformbewegung der spätmittelalterlichen Kirche andererseits. Einen Höhepunkt, allerdings unter den veränderten Vorzeichen einer konfessionellen Entspannung, erreichte die Diskussion 1987 anläßlich der Feier des 600-jährigen Jubiläums der Gründung des Stiftes Windesheim, dessen Festvorträge unter dem bezeichnenden Titel De doorwerking van de Moderne Devotie veröffentlicht wurden.3 Zwar erreichte die Forschung mit diesem Band keine abschlie-
1 WYBE J. ALBERTS: Zur Historiographie der Devotio moderna und ihrer Erforschung. In: Westfälische Forschungen 11 (1958), S. 51-67. REGNERUS R. POST: The Modern Devotion. Confrontation with Reformation and Humanism (Studies in Medieval and Reformation Thought 3). Leiden 1968, S. 1-49. J. ROELINK: Moderne Devotie en Reformatie. In: Serta Historica 2 (1970), S. 5-43. REINHOLD MOKROSCH: Devotio moderna II. Verhältnis zu Humanismus und Reformation. In: TRE 8, S. 607-619. ANTON G. WEILER: Recent Historiography on the Modern Devotion. Some Debated Questions. In: Archief voor de Geschiedenis van de Katholieke Kerk in Nederland 26 (1984), H.2, S. 161-179. AUKE J. JELSMA: Doorwerking van de Moderne Devotie. In: De doorwerking van de Moderne Devotie, s. Anm. 3, S. 9-28. KASPAR ELM: Die Bruderschaft vom gemeinsamen Leben. Eine geistliche Lebensform zwischen Kloster und Welt, Mittelalter und Neuzeit. In: OGE 59 (1985). S. 470-496. ANTON G. WEILER: De betekenis van de Moderne Devotie voor de Europese cultuur. In: Trajecta 1 (1992), S. 33-48. 2 Zu Geert Grote P. VAN ZIJL: Gerard Groote. Ascetic and Reformer (1340-1384) (Studies in Medieval History N.S. 18). Diss. Washington 1963. GEORGETTE EPINEYBURGARD: Gérard Grote (1340-1384) et les débuts de la Devotion Moderne (Veröfflnst EurGesch Mainz, Abteilung für Abendländische Religionsgeschichte 54). Wiesbaden
1970. 3
D E DOORWERKING VAN DE MODERNE DEVOTIE. W i n d e s h e i m
1387-1987.
Voor-
drachten gehouden tijdens het Windesheim Symposium Zwolle/Windesheim 15.17. Okt. 1987. Hrsg. v. P.Bange u.a. Hilversum 1988. S. auch THOMAS VON KEMPEN. B e i t r ä g e z u m 5 0 0 . T o d e s j a h r 1 4 7 1 - 1 9 7 1 . K e m p e n 1 9 7 1 . CEBUS C . DE BRUIN, ERNEST
2
I.
Einleitung
ß e n d e Synthese, zu deren Erlangung nach w i e vor U n t e r s u c h u n g e n der g e i s t e s - s o w i e wirtschafts- und sozialgeschichtlichen Eigenheiten der B e w e g u n g n o t w e n d i g sind, d o c h ist der veränderte Charakter der D e b a t t e d o kumentiert. A n die Stelle k o n f e s s i o n e l l e r P o l e m i k v o r allem d e s 19., aber a u c h weiter Teile d e s 20. Jahrhunderts tritt in der G e g e n w a r t z u n e h m e n d die B e t o n u n g ü b e r k o n f e s s i o n e l l e r G e m e i n s a m k e i t e n und wird damit auch d e m G e g e n s t a n d der U n t e r s u c h u n g selbst gerechter. 4 D i e V o r a u s s e t z u n g e n hierfür schaffen die erstarkenden Kräfte der Ö k u m e n e , 5 s o daß eine vermittelnde B e w e r t u n g „ . . . g e l e g e n t l i c h zu kühner starrer
Apologien...
Konstruktionen
und oft zu
" 6 der B e d e u t u n g der D e v o t i o m o d e r n a für die Ent-
w i c k l u n g zur R e f o r m a t i o n in dieser kirchenpolitischen E n t w i c k l u n g ihren aktuellen B e z u g findet. Im R a h m e n einer k o n f e s s i o n e l l e n V e r e i n n a h m u n g der D e v o t i o m o d e r n a erklärten protestantische Historiker d e s 19. Jahrhunderts d i e s e in evangelischer Traditionsbildung
zu
einer vorreformatorischen
Bewegung.7
Die
PERSOONS und ANTON G. WEILER: Geert Grote en de Moderne Devotie. Deventer Zutphen 1984. MODERNE DEVOTIE. Figuren en facetten. Ausstellung der Katholieke Universiteit Nijmegen Sep.-Nov. 1984. Nimwegen 1984. GEERT GROTE & MODERNE DEVOTIE. Voordrachten gehouden tijdens het Geert Grote Congres Nimwegen 27 29. Sep. 1984. Hrsg. v. J.Andriessen u.a. (Middeleeuwse studies 1 = OGE 59 (1985)). Nimwegen 1984. AUKE J. JELSMA: Terughoudende afwijzing. De windesheimse congregatie en het protestantisme. In: Windesheim 1395-1995. Kloosters, teksten, invloeden. Voordrachten gehouden tijdens het internationale congres „600 jaar Kapittel van Windesheim", 27. Mai 1995 in Zwolle. Hrsg. v. A.J. Hendrikman u.a. (Middeleeuwse Studies 12). Nimwegen 1996. S. 154-167. 4 Heiko A. Oberman: Préfacé. In: JOHN VAN ENGEN (Bearb): Devotio moderna. Basic Writings. Translated and Introduced by John van Engen (Classics of Western Spirituality). Mahwah, N.J. 1988, S. 1, postuliert entsprechend eine beginnende dritte Phase in der Erforschung der Devotio moderna, die von den erfolgten Korrekturen überholter Interpretationsmuster profitieren kann. 5 Zur Ökumene-Diskussion s. T. BÖCKER: Katholizismus und Konfessionalität. Der Frühkatholizismus und die Einheit der Kirche (Abhandlungen zur Philosophie, Psychologie, Soziologie der Religion und Ökonomik 44). Paderborn 1989, S. 11-26. Die Forderung nach einer ökumenisch orientierten Geschichtsschreibung erhebt auch JELSMA: Doorwerking van de Moderne Devotie, S. 27. 6 ELM: Die Bruderschaft vom gemeinsamen Leben, S. 472. 7 Am wichtigsten die Arbeiten von CARL ULLMANN: Reformatoren vor der Reformation, vornehmlich in Deutschland und den Niederlanden. Bd. 2: Die positiven Grundlagen der Reformation auf dem populären und wissenschaftlichen Gebiete. Gotha 1866^. GASTON BONET-MAURY: Gérard de Groote. Un précurseur de la réforme au XlVe siècle, d'après des documents inédits. Paris 1878. Vgl. den Überblick bei ALBERTS: Zur Historiographie der Devotio moderna, S. 55 f. Ein Äquivalent zur Charakterisierung der Fraterherren als „Vorreformatoren" bildete die ihnen zugewiesene Rolle als Humanisten „avant la lettre", vgl. PAUL MESTWERDT: Die Anfange
1.
Einleitung
3
Schriftbezogenheit besonders der Brüder vom Gemeinsamen Leben, ihr Christozentrismus, ihre verinnerlichte Frömmigkeit und das damit korrespondierende Bemühen um eine religiöse Persönlichkeitsbildung schienen neue Elemente zu beinhalten, die als vorweggenommene Eigenschaften des Protestantismus aufgefaßt wurden. Albert Hyma erklärte die Devotio moderna gar zum Vorläufer und Förderer aller bedeutenden Reformen des 15. und 16. Jahrhunderts, also des nordwesteuropäischen Humanismus, der lutherischen und der calvinistischen Reformation sowie der Gegenreformation. Hyma stützte dies hauptsächlich auf die Interpretation der Schriften von Geert Grote, Gerhard Zerbolt von Zutphen und Wessel Gansfort 8 und zog die Rekonstruktion persönlicher Beziehungen zwischen den Devoten und den prägenden Akteuren der geschichtlichen Entwicklung als zusätzlichen Beweis heran. 9 In der Tat ist die Liste derjenigen, für die in ihrer Jugend zeitweise der Einfluß devoter Unterweisung und Erziehung angenommen wurde, eindrucksvoll. Rudolf Agricola, Nikolaus von Cues, Konrad Mutian, Jakob Wimpfeling, Johannes Murmellius, Erasmus von Rotterdam, Nikolaus Kopernikus, Hermann von dem Bussche, Hadrian VI., Martin Luther, Huldrych Zwingli, Martin Bucer, Jean Calvin, Heinrich Bullinger, Albert Rizaeus Hardenberg, Johannes Ökolampad, Jakob Sturm, Ignatius von Loyola und Petrus Canisius scheinen auf eine Fortwirkung der Devotio moderna hinzuweisen, die näher zu beschreiben einen fundamentalen Faktor der europäischen Geschichte am Übergang vom Mittelalter in die Neuzeit offenzulegen versprach. Insbesondere Luthers Besuch einer vermeintlichen Brüderschule in Magdeburg wurde als Fingerzeig auf eine direkte Verbindung zwischen der Devotio moderna und dem reformatori-
des Erasmus. Humanismus und „Devotio Moderna" (Studien zur Kultur und Geschichte der Reformation 2). Leipzig 1917. 8 ALBERT HYMA: The Christian Renaissance. A History of the „Devotio Moderna". Hamden, Conn. 1 9 6 5 2 , S. 3 0 9 ff., S. 3 1 6 f f , S. 6 0 0 f., und öfter. Die zweite Auflage von 1965 bietet gegenüber der ursprünglichen Fassung von 1924 fünf neue Kapitel, die sich mit der Kritik an Hyma auseinandersetzen. Im Kern beharrt der Verfasser auf einer Beeinflussung der Reformatoren durch die Devotio moderna, wenn er auch die Formulierungen vorsichtiger abwägt, so zum Beispiel ebd., S. 5 1 7 : „To speak of'decisive inßuence' is of course piain nonsense. " S. auch JUSTUS HASHAGEN: Die devotio moderna in ihrer Einwirkung auf Humanismus, Reformation, Gegenreformation und spätere Richtungen. In: Z K G 55 ( 1 9 3 1 ) , S. 5 2 3 - 5 3 1 . 9 HYMA: The Christian Renaissance, S. 40, und nach dem Register zu den Einzelpersonen. ERNST LEITSMANN: Überblick über die Geschichte und Darstellung der pädagogischen Wirksamkeit der Brüder des gemeinsamen Lebens. Leipzig 1866. GASTON BONET-MAURY: De opera scholastica fratrum vitae communis in Nederlandia. Paris 1889.
4
I.
Einleitung
s e h e n W e r d e g a n g d e s späteren Wittenberger A u g u s t i n e r - E r e m i t e n g e d e u t e t . 1 0 A r g u m e n t a t i o n e n über i d e e n g e s c h i c h t l i c h e Kontinuitäten allein auf der B a s i s personeller Verbindungen leiden j e d o c h stets darunter, daß im Werk d e s späteren Traditionsträgers die v o r h a n d e n e n E i n f l ü s s e verschiedener R i c h t u n g e n selten eindeutig z u trennen sind und die Quantität der K o n t a k t e z u d e m nichts über deren Qualität aussagt, s o l a n g e keine auch inhaltlich e i n d e u t i g e n N a c h w e i s e v o r l i e g e n . 1 1 Ü b e r d i e s e der A r g u m e n t a t i o n s w e i s e i m m a n e n t e Einschränkung hinaus bestritt R e g n e r u s R . P o s t 1 9 6 8 j e d e s p e z i f i s c h e Verbindung z w i s c h e n der D e v o t i o m o d e r n a und H u m a n i s m u s b e z i e h u n g s w e i s e R e f o r m a t i o n . 1 2 Folgt man d e m P r o f e s s o r der K a t h o l i s c h e n Universität N i m w e g e n , s o vertraten die Brüder w e d e r ein p ä d a g o g i s c h e s P r o g r a m m n o c h unterhielten sie in der R e g e l e i g e n e Schulen, sondern lediglich B u r s e n und K o n v i k t e , in denen sie die Scholaren der Stifts- oder Stadtschulen ausschließlich
seelsorgerisch
betreuten. E i n e Förderung der W i s s e n s c h a f t im humanistischen Sinn war damit für P o s t nicht erkennbar. 1 3 Für die E f f i z i e n z d e s E n g a g e m e n t s der
10 ERNST BARNIKOL: Luther in Magdeburg und die dortige Brüderschule. In: Theologische Arbeiten aus dem Rheinischen Wissenschaftlichen Prediger-Verein N F. 17 (1917), S. 1-62. DERS.: Das Magdeburger Brüderhaus. In: Theologische Arbeiten aus dem Rheinischen Wissenschaftlichen Prediger-Verein N.F. 19 (1922), S. 8-58. Barnikol wurde überzeugend widersprochen von OTTO SCHEEL: Martin Luther. Vom Katholizismus zur Reformation. Bd 1: Auf der Schule und Universität. Tübingen 1917^, S. 67-78. Vgl. auch GUSTAV KAMERAU: Welche Schule in Magdeburg hat Luther besucht? In: Geschichts-Blätter für Stadt und Land Magdeburg 16 (1881), S. 309-314. 11 S. hierzu das drastische Beispiel von G.H.M.POSTHUMUS MEIJES: De doorwerking van de Moderne Devotie met namc bij de Rcmonstrantcn. In: De doorwerking van de Moderne Devotie, S. 83. Aus der Tatsache, daß Hitler den Faust auf seinem Nachttisch gehabt habe, könne man nicht folgern, Hitler sei „Goethe-Schüler" gewesen. Dasselbe gelte für viele der vermuteten Einflüsse der Devotio moderna. Der Wittenberger Reformator selbst wies auf die Lektüre von Gerard Zerbolt von Zutphen und Wessel Gansfort hin, ROELINK: Moderne devotie en Reformatie, S. 13 f. HYMA: The Christian Renaissance, S. 591-604 und S. 310 f., bemühte sich um das Aufzeigen der Gemeinsamkeiten zwischen Luther und Grote, Zerbolt und Gansfort. Vgl. auch Melanchthons Bewertung von Wessel Gansfort, ebd., S. 323. Eine vorsichtigere Interpretation bei RUDOLF KEKOW: Luther und die Devotio moderna. Hamburg 1937. POST: The Modern Devotion. S. 12, konstatiert eine Lektüre von Wessel Gansfort erst nach der Vollendung von Luthers theologischer Entwicklung. Dafür bleibt eine Beeinflussung durch Gabriel Biel festzuhalten. 12 POST: The Modern Devotion. Vgl. ANTON G.WEILER: Het werk van professor Post. Een historische plaatsbepaling van het laat middeleeuwse Nederlandse katholicisme tussen protestantisme en humanisme. In: Trajecta 4 (1995), S. 226-240. 13 POST: The Modern Devotion, S. 6 f f , S. 12 ff., S. 16 f f . und öfter. Auf der Ebene eines konkreten historischen Fortwirkens, die die Devotio moderna durch Jakob Sturm in Straßburg gefunden hat, konstatierte man, daß die Unterrichtsprinzipien des Straß-
I. Einleitung
5
Brüder im Schulwesen und die hiermit verbundene „Beeinflussung" der Scholaren spricht in jedem Fall die Tatsache, daß sich ein großer Teil des Nachwuchses der Fraterhäuser und auch anderer Orden, besonders aber der Windesheimer Kongregation, aus der von den Brüdern betreuten Klientel rekrutierte. 14 Auch Posts Interpretation blieb jedoch nicht unwidersprochen. Gegen seine schroffe Absage beharrten vor allem Heiko A. Oberman und Willem Lourdaux weiterhin auf einer Verbindung zwischen Devotio moderna und Humanismus. 15 So betonte Oberman vermittelnd die
burger Gymnasiums, die Sturm aus Deventer übernommen habe, auch von den Jesuiten umgesetzt wurden, also keine spezifische Verbindung allein zur Reformation hatten. JULIA S. HENKEL: School Organizational Patterns of the Brethren of the Common Life. In: The Dawn of Modern Civilisation. Studies in Renaissance, Reformation and Other Topics Presented to Honor Albert Hyma. Hrsg. v. Kenneth A.Strand. Ann Arbor 1964^, S. 323-338, hier S. 332 ff. Vgl. auch W. VAN'T SPIJKER: Invloed van de Moderne Devotie in de reformatie te Straatsburg. In: De doorwerking van de Moderne Devotie, S. 135-149, bes. S. 148 f. Die Brüder standen zudem zwar eng mit der Schule in Deventer in Verbindung, unterhielten diese aber nicht selbst, s. ERNST-W. KOHLS: Zur Frage der Schulträgerschaft der Brüder vom gemeinsamen Leben und zum Rektoratsbeginn des Alexander Hegius in Deventer. In: JbwestfKG 61 (1968), S. 33-43. Zur Schultätigkeit der Brüder auch POST: The Modern Devotion, S. 246-258, und unter der Geschichte der einzelnen Häuser, S. 551-631. 14 „Ex eis quoque multorum conventuum futuri redores de die in diem requiruntur, eliguntur, preficiuntur, ... ", FRIEDRICH W. OEDIGER (Hrsg.): Schriften des Arnold Heymerick (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde 49). Bonn 1939. S. 37. Der Hildesheimer Rektor Peter Dieburg beklagte dagegen den „Fang" der Brüder durch die Orden, RICHARD DOEBNER (Hrsg): Annalen und Akten der Brüder des gemeinsamen Lebens im Lüchtenhofe zu Hildesheim (Quellen und Darstellungen zur Geschichte Niedersachsens 9). Hannover, Leipzig 1903, S. XLI, S. 154-159. Vgl. auch MAGNUS DITSCHE: Die devotio moderna und ihr Einfluß auf die religiöse Erneuerung im 15. und 16. Jahrhundert in der Erzdiözese Köln. In: Almanach für das Erzbistum Köln 1 (1974/75), S. 109-122. WILLEM LOURDAUX: De Broeders van het gemene leven.
In: Bijdragen. Tijdschrift voor filosofie en theologie 33 (1972), S. 372-416, hier S. 378. ROBERT HAAS: Spätmittelalterliche Reformbestrebungen im niederländisch-niederrheinischen Raum und der Kreuzherrenorden. In: AH VN 144/145 (1946/47), S. 57-62.
PETER OCHSENBEIN: Spuren der devotio moderna im spätmittelalterlichen Kloster St.Gallen. In: Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktiner-Ordens und seiner Zweige 101 (1990), S. 475-496. KASPAR ELM: Monastische Reformen zwischen Humanismus und Reformation. In: 900 Jahre Kloster Bursfelde. Reden und Vorträge zum Jubiläum 1993. Hrsg. v. Lothar Perlitt. Göttingen 1994, S. 72, nennt die Verknüpfung von benediktinischem Erbe mit der Innerlichkeit der Devotio moderna als eine Ursache für den Erfolg der Kastler Reform. ANDREAS BERIGER: Rutger Scyamber von Venray. Rede zum Lob der Brüder vom gemeinsamen Leben (1501). In: OGE 68 ( 1 9 9 4 ) , S. 132 f. 15
HEIKO A. OBERMAN: Werden und Wertung der Reformation. Vom Wegestreit zum Glaubenskampf (Spätscholastik und Reformation 2). Tübingen 1977, S. 56-71. WILLEM LOURDAUX: Les Dévots modernes, rénovateurs de la vie intellectuelle. In:
6
1. Einleitung
b e s o n d e r e Fähigkeit der D e v o t e n zur Koalition mit den
humanistischen
Ideen und beharrte a u f einem p ä d a g o g i s c h e n Interesse, w e l c h e s d i e s e vertreten hätten. Allerdings stünde hierbei nicht, im U n t e r s c h i e d z u m H u m a nismus, ein k l a s s i s c h e s Bildungsideal, sondern eine A u s ü b u n g der
scientiae
zur Heranbildung wahrer Frömmigkeit im Vordergrund. 1 6 L o u r d a u x verw i e s am Beispiel der p h i l o l o g i s c h e n Textkritik und der B i b l i o t h e k s b e s t ä n d e v o r allem südniederländischer und nordfranzösischer H ä u s e r auf die intellektuellen L e i s t u n g e n der Brüder, v o n denen sich durchaus einige
als
christliche H u m a n i s t e n b e z e i c h n e n ließen, für die ihr e i g e n e s L e b e n die beste Verwirklichung der damit verbundenen Ideale g e w e s e n sei. 1 7 A u c h N i k o l a u s Staubach sieht G e m e i n s a m k e i t e n z w i s c h e n der D e v o t i o m o d e r n a und d e m H u m a n i s m u s , die mehr als nur zufallige Ü b e r e i n s t i m m u n g e n darstellten. 1 8 S o sei für beide das e i g e n v e r a n t w o r t l i c h e Streben nach einer tug e n d h a f t e n E x i s t e n z nach d e m Vorbild der A n t i k e und d e s Urchristentums essentiell g e w e s e n . D e r V e r w e i s auf Erasmus, der in dieser Frage nicht als Vertreter eines Northern
Humanism
zu w e r t e n sei und das B l i c k f e l d ver-
Bijdragen en Medelingen betreffende de Geschiedenis der Nederlanden 95 (1980), S. 279-297. Vgl. auch HELMAR JUNGHANS: Der Einfluß des Humanismus auf Luthers Entwicklung bis 1518. In: Luther-Jahrbuch 37 (1970), S. 37-101, hier S. 57-61. PETER BAUMGART: Humanistische Bildungsreformen an deutschen Universitäten des 16. Jahrhunderts. In: Humanismus im Bildungswesen des 15. und 16. Jahrhunderts. Hrsg. v. Wolfgang Reinhard (Mitteilungen der Kommission für Humanismusforschung 12). Weinheim 1984, S. 171-197, besonders S. 177 f. 16 OBERMAN: Werden und Wertung der Reformation, S. 58-63. WILLEM LOURDAUX: Dévotion moderne et humanisme chrétien. In: The Late Middle Ages and the Dawn of Humanism Outside Italy. Proceedings of the International Conference Louvain May 1113, 1970 (Mediaevalia Lovaniensia I, 1). Löwen 1972, S. 57-77, bes. S. 65 f. Vgl. hierzu das Ideal von Erasmus. CORNELIS AUGUSTIJN: Erasmus von Rotterdam. LebenWerk-Wirkung. München 1986, S. 95, und der Bursfelder Kongregation, KLAUS SCHREINER: Benediktinische Klosterreform als zeitgebundene Auslegung der Regel. Geistige, religiöse und soziale Erneuerung in spätmittelalterlichen Klöstern Südwestdeutschlands im Zeichen der Kastler, Melker und Bursfelder Reform. In: Blätter für württembergische Kirchengeschichte 86 (1986), S. 126 und S. 158 ff. Auch HANS G. VOM BERG: Die „Brüder vom Gemeinsamen Leben" und die Stiftsschule von St.Martin zu Emmerich. Zur Frage des Einflusses der Devotio moderna auf den jungen Bullinger. In: Heinrich Bullinger 1504-1575. Gesammelte Aufsätze zum 400.Todestag. Bd. 1. Hrsg. v. U.Gabler und E.Herkenrath (Zürcher Beiträge zur Reformationsgeschichte 7). Zürich 1975, S. 1-12. 17 LOURDAUX: Les Dévots modernes, S. 296 f. 18 NIKOLAUS STAUBACH: Christianam sectam arripe. Devotio moderna und Humanismus zwischen Zirkelbildung und gesellschaftlicher Integration. In: Europäische Sozietätsbewegung und demokratische Tradition. Die europäischen Akademien der Frühen Neuzeit zwischen Frührenaissance und Spätaufklärung. Bd. 1. Hrsg. v. K.Garber und H.Wismann unter Mitwirkung von W.Siebers. Tübingen 1996, S. 116 f.
I. Einleitung
1
enge, setzt hier nach Staubach die Brüder in ein unangebrachtes B e z i e hungsfeld. 1 9 In ähnlicher Form galt es, auch die Frage nach dem Verhältnis v o n D e v o t i o moderna und Reformation z u konkretisieren. Post präzisierte diesbezüglich den Begriff „ D e v o t i o moderna", indem er hierunter lediglich die aus dieser B e w e g u n g hervorgegangenen Institutionen verstanden w i s s e n wollte. 2 0 Zusätzlich erhob er den Anspruch, auch die verschiedenen Entwicklungsstadien der B e w e g u n g in den über 100 Jahren ihrer Existenz vor dem Auftreten der Reformation in R e c h n u n g zu stellen, und nicht ohne weiteres die Schriften der frühen D e v o t e n auf die Gemeinschaften der Brüder v o m Gemeinsamen Leben zu B e g i n n des 16. Jahrhunderts zu übertragen. 2 1 Jede Einbeziehung geistig nahestehender Gruppen w i e der Kartäu-
19
STAUBACH: Christianam sectam arripe, S. 134-137. POST: The Modern Devotion, S. 6, S. 9, S. 13, S. 16 f. und öfter. Vgl. HANSMARTIN KLINKENBERG: Die Devotio moderna unter dem Thema „Antiqui-Moderni" betrachtet. In: Antiqui und Moderni. Traditionsbewußtsein und Fortschrittsbewußtsein im späten Mittelalter. Hrsg. v. A.Zimmermann (Miscellanea Mediaevalia 9). Berlin, New York 1974, S. 394 f. Schon HANS BARON: Zur Frage des Ursprungs des deutschen Humanismus und seiner religiösen Reformbestrebungen. Ein kritischer Bericht über die neuere Literatur. In: HZ 132 (1925), S. 413-446, hier S. 422 ff., kritisierte Hyma wegen dessen Verwendung des Begriffes „Devotio moderna" im weitesten Sinne. Heiko A. Oberman: Préfacé, in ENGEN: Devotio moderna, S. 1, betont die präzisierte Auffassung der Bewegung als Grundlage der weiteren Forschung. Vgl. hierzu MONASTICON FRATRUM VITAE COMMUNIS. Hrsg. v. Wolfgang Leesch, Ernest Persoons und Anton G.Weiler. Teil II: Deutschland. Bearb. v. Wybe Jappe Alberts u.a. (Archives et Bibliothèques de Belgique, Numero spécial 19). Brüssel 1979, S. 9, das zusätzlich zu den Windesheimern, den Brüdern und Schwestern vom Gemeinsamen Leben und den oberdeutschen Kanonikern vom Gemeinsamen Leben im Gefolge Gabriel Biels noch lose Devotenzirkel, die keinen rechtlichen Zusammenschluß vollzogen, unterscheidet (W.Leesch). Zur Frage der Unterscheidung einer „engeren" von einer „breiteren" Devotio moderna s. R.TH.M. VAN DIJK: Die Frage einer nördlichen Variante der Devotio Moderna. Zur Interferenz zwischen den spätmittelalterlichen Reformbewegungen. In: 20
WESSEL GANSFORT ( 1 4 1 9 - 1 4 8 9 ) AND NORTHERN HUMANISM. H r s g . v . F. A k k e r m a n u . a .
(Brill's Studies in Intellectual History 40). Leiden 1993, S. 157-169, bes. S. 163-169. 21 POST: The Modern Devotion, S. IX ff, S. 6 ff., S. 28. Dazu die Charakterisierung der Schriften der frühen Devoten, ebd., S. 314-342. KLINKENBERG: Die Devotio moderna, S. 396 f. IRENE CRUSIUS: Gabriel Biel und die oberdeutschen Stifte der devotio moderna. In: Studien zum weltlichen Kollegiatstift in Deutschland. Hrsg. v. Irene Crusius (Veröffentlichungen des Max-Planck-Institutes für Geschichte 114; Studien zur Germania Sacra 18). Göttingen 1995, S. 298-322, hier S. 298 f., zuvor in kürzer Fassung in: La dévotion moderne dans les pays bourguignons et rhénans des origines à la fin du XVIe siècle. Rencontres de Colmar-Strasbourg 29. Sep.-2. Okt. 1988 (Publication du Centre Européen d'Études Bourguignonnes (XlVe-XVIe s.) 29). Neuchatel 1989, S. 77-87. Zur Begrifflichkeit MAGNUS DITSCHE: Zur Herkunft und Bedeutung des Begrif-
I.
8
Einleitung
ser, der K r e u z h e r r e n o d e r anderer, in ihrem F r ö m m i g k e i t s p r o f i l ähnlicher B e w e g u n g e n 2 2 b e d a r f seither einer g e s o n d e r t e n , am s p e z i f i s c h e n Einzelfall e n t w i c k e l t e n L e g i t i m a t i o n . P o s t erklärte darüber hinaus w e i t e r e Schriften, die d e n N e x u s v o n D e v o t i o m o d e r n a und R e f o r m a t i o n illustrieren sollten, für nicht repräsentativ für die G e s a m t b e w e g u n g . 2 3 D e r Verbleib der überw i e g e n d e n M e h r z a h l der Fraterhäuser in der r ö m i s c h e n Kirche galt ihm als z u s ä t z l i c h e r B e w e i s dafür, daß d i e s e n k e i n e V o r l ä u f e r r o l l e für die R e f o r m a t i o n z u g e s c h r i e b e n w e r d e n k ö n n e . 2 4 D i e s e s l e t z t e A r g u m e n t ist d a h i n g e hend z u hinterfragen, i n w i e w e i t P o s t s V o r g e h e n nicht s c h o n selbst k o n f e s s i o n e l l e D e n k m u s t e r impliziert, d a e s e i n e spätere g e s c h i c h t l i c h e S p a l t u n g der Kirche a u f ein n o c h u n g e k l ä r t e s F r ü h s t a d i u m überträgt und v o r a u s setzt, d a ß der D e v o t i o m o d e r n a und der R e f o r m a t i o n e v e n t u e l l
gemein-
s a m e E l e m e n t e a u c h z w a n g s l ä u f i g d e n Übertritt in e i n e n e u e Kirche hätten nach sich z i e h e n m ü s s e n . Ohnehin bleibt f e s t z u h a l t e n , d a ß der bei w e i t e m ü b e r r a g e n d e Teil v o n N a c h r i c h t e n , die v o n Übertritten einzelner B r ü d e r oder
Brüdergruppen
in d e n
Fraterhäusern
zur
neuen
Lehre
berichten
fes Devotio Moderna. In: HJb 79 (1960), S. 124-145, der die programmatische wie historische Dimension des Begriffspaares betont. 22 LÂSZLÔ MEZEY: Die Devotio Moderna der Donauländer Böhmen, Österreich, Ungarn. In: Mediaevalia Bohemica 3 (1970), S. 177-192. G. SARBAK: Die ungarischen P a u l i n e r u n d d i e D e v o t i o M o d e r n a . I n : WESSEL GANSFORT ( 1 4 1 9 - 1 4 8 9 ) AND NORTHERN HUMANISM, S. 1 7 0 - 1 7 9 . MANFRED GERWING: D i e b ö h m i s c h e R e f o r m b e w e g u n g u n d d i e
niederländische Devotio moderna. Ein Vergleich. In: Ostmitteleuropa - Westmitteleuropa. Vergleiche und Beziehungen. Festschrift für Ferdinand Seibt zum 65.Geburtstag (Veröffentlichungen des Collegium Carolinum 70). München 1992, S. 125-142. GERALD CIIAIX: Réforme et Contre-Rcforme Catholiques. Récherches sur la Chartreuse de Cologne au XVIe siècle (Analecta Cartusiana 80). Diss. Tours Salzburg 1981, der in den Kartäusern in Köln die Hauptvertreter der rheinisch-flämischen Mystik sieht. Während mit der „Evangelischen Perle" hier eines der Hauptwerke der (weiteren) Devotio moderna des 16. Jahrhunderts unter ihrer Obhut entstand, sind nähere Beziehungen zu den Kölner Brüdern vom Gemeinsamen Leben oder den Windesheimern nicht bekannt. HAAS: Spätmittelalterliche Reformbestrebungen im niederländisch-niederrheinischen R a u m . S. 5 7 - 6 2 . PIETER VAN DEN BOSCH: D i e K r e u z h e r r e n r e f o r m d e s 15. J a h r h u n d e r t s .
Urheber, Zielsetzung und Verlauf. In: KASPAR ELM (Hrsg.): Reformbemühungen und Observanzbestrebungen im spätmittelalterlichen Ordenswesen (Berliner Historische Studien 14, Ordensstudien 6). Berlin 1989, S. 80-82. 23 POST: The Modern Devotion, S. 6 ff., S. 28, und S. 470-486, S. 490-492, zu Johann Pupper van Goch, Wessel Gansfort und Friedrich von Heilo. Vgl. zu Pupper DAVID C. STEINMETZ: „Libertas Christiana". Studies in the Theology of John Pupper of Goch. In: Harvard Theological Review 65 (1972), S. 191-230. C A. VAN KALVEEN: Johan Pupper van Goch en de Broeders des gemenen levens. In: Archief voor de Geschiedenis van de Katholieke Kerk in Nederland 20 (1978), S. 103-113. Zu Wessel G a n s f o r t v g l . z u l e t z t WESSEL GANSFORT ( 1 4 1 9 - 1 4 8 9 ) AND NORTHERN HUMANISM. 24
POST: The Modern Devotion, S. 551-631.
I.
Einleitung
9
könnten, aus der N a t u r der S a c h e heraus nicht überliefert sein dürfte, da im Falle innerer Z e r w ü r f n i s s e und einer n i e d e r g e h e n d e n Disziplin stets auch die schriftliche D o k u m e n t a t i o n der H a u s g e s c h i c h t e s c h w a n d . 2 5 D i e Tatsache, daß anhand der Chronik des Fraterhauses D o e s b u r g - a b g e s e h e n v o n d e m Sonderfall der Brüder in Herford - nur in einem e i n z i g e n Fall die B e g e g n u n g einer D e v o t e n g e m e i n s c h a f t mit Luther detailliert n a c h z u v o l l ziehen ist, verbietet generalisierende mechanischen
Kausalitätsverhältnisses,
S c h l ü s s e . 2 6 D i e Applikation das
wie
Post
die
Identität
eines von
„Vorreformatoren" durch ihr Verhalten in der R e f o r m a t i o n verifizieren will, erweist sich damit allein als nicht a u s s a g e k r ä f t i g g e n u g . 2 7 In den Fragen der Lehre z e i c h n e t e sich frühzeitig der U n t e r s c h i e d z w i schen den Brüdern v o m G e m e i n s a m e n L e b e n und den
Windesheimern
einerseits und Luther o d e r Calvin andererseits ab. 2 8 D i e B e d e u t u n g dieser D i f f e r e n z w u r d e j e d o c h unterschiedlich e i n g e s c h ä t z t . 2 9 In der F r a g e der Rechtfertigung entsprach die alltägliche, m e t h o d i s c h v o l l z o g e n e
25
Lebens-
Gerade die Jahre des Auftretens der Reformation sind daher oftmals arm an Überlieferung. Auf dieses Phänomen weist auch hin JOACHIM K U R T : Die Reformation und ihre Auswirkung auf die Erfurter Kartause in der Zeit von 1517-1555. In: Die Kartäuser und die Reformation. Bd. 1, Internationaler Kongreß vom 24.-27. Aug. 1983 (Analecta Cartusiana 108). Salzburg 1984, S. 105. Alle negativen Entwicklungen im Kloster wurden vor der Außenwelt geheim gehalten, ebd., S. 117. Vgl. zur Bedeutung der Schriftlichkeit KLAUS SCHREINER: Verschriftlichung als Faktor monastischer Reform. Funktionen von Schriftlichkeit im Ordenswesen des hohen und späten Mittelalters. In: Pragmatische Schriftlichkeit im Mittelalter. Erscheinungsformen und Entwicklungsstufen. Hrsg. v. H.Keller und K.Grubmüller (Münstersche MittelalterSchriften 65). München 1992, S. 37-75. 26 A N T O N G . WEILER (Hrsg.): Necrologie. Kroniek en Cartularium C A . van het Fraterhuis te Doesburg (1432-1559) (Kerkhistorische Bijdragen 4). Leiden 1974, S. 95 ff. 27 ROELINK: Moderne Devotie en Reformatie. S. 42. 28 JOHANNES DE JONG: Het karakter en de invloed van de „Moderne Devotie". In: Historisch Tijdschrift 4 (1925), S. 47-59. ROELINK: Moderne Devotie en Reformatie, S. 18-31. Vgl. allgemein E. JANE DEMPSEY D O U G L A S S : Justification in Late Medieval Preaching. A Study of John Geiler of Keisersberg (Studies in Medieval and Reformation Thought 1). Leiden 1966. ALISTER E. M C G R A T H : Forerunners of the Reformation? A Critical Examination of the Evidence for Precursors of the Reformation Doctrines of Justification. In: Harvard Theological Review 75 (1982), S. 219-242. B E R N D T H A M M : Was ist reformatorische Rechtfertigungslehre? In: ZThK 83 (1986), S. 1-38. C H R I STOPH B U R G E R : Gottesliebe, Erstes Gebot und menschliche Autonomie bei spätmittelalterlichen Theologen und bei Martin Luther. In: ZThK 89 (1992), S. 280-301. 29 HYMA: The Christian Renaissance, S. 590 ff., publizierte einen Teil seines Briefwechsels mit seinem katholischen Widerpart, Kardinal de Jong, und gestand Differenzen zwischen Grote und Luther in der Frage der Erbsünde und des freien Willens ein. betonte aber weiterhin auch die Gemeinsamkeiten, ebd., S. 600 ff.
I.
10
Einleitung
praxis der D e v o t e n mit d e m Ziel einer W e s e n s a n g l e i c h u n g an G o t t nicht L u t h e r s V e r t r a u e n a u f d e n G l a u b e n allein o d e r C a l v i n s B e t o n u n g der Präd e s t i n a t i o n . 3 0 Z w a r w a r die Spiritualität der Fraterherren, die durch ihr s k e p t i s c h e s , s ü n d e n b e w u ß t e s S t r e b e n n a c h g e i s t l i c h e m Fortschritt m i t t e l s der m e d i t a t i v e n V e r g e g e n w ä r t i g u n g schrift- u n d c h r i s t u s b e z o g e n e r Inhalte e r s c h a f f e n w u r d e , 3 1 derjenigen ähnlich, a u s der sich L u t h e r s S u c h e nach Rechtfertigung
entwickeln
konnte.32
Im
Gegensatz
zum
Wittenberger
R e f o r m a t o r hielten sie aber daran f e s t , d a ß der M e n s c h n e b e n der s t e t s w i r k e n d e n G n a d e G o t t e s an s e i n e m H e i l m i t w i r k e n k ö n n e . 3 3 Im R a h m e n der spätmittelalterlichen t h e o l o g i s c h e n E n t w i c k l u n g e n gilt e s bei der Interpretation d e v o t e r S c h r i f t e n z u b e a c h t e n , i n w i e w e i t d i e B e t o n u n g der G n a d e G o t t e s im P r o z e ß der R e c h t f e r t i g u n g d e n K o n t e x t e i n e s freien W i l l e n s und menschlicher Verdienstmöglichkeit bedingt, ohne daß diese immer gleichrangig h e r v o r g e h o b e n w e r d e n . 3 4 E b e n s o w a r die S c h r i f t b e z o g e n h e i t
der
30
WEILER: Recent Historiography, S. 177. LEONARDUS A.M. GOOSSENS: De meditatie in de eerste tijd van de moderne devotie. Haarlem Antwerpen 1953. G.H. GERRITS: Inter Timorem et Spem. A Study of the Theological Thought of Gerard Zerbolt of Zutphen (1367-1398) (Studies in Medieval and Reformation Thought 37). Leiden 1986. ANTON G. WEILER: Over de geestelijke praktijk van de Moderne Devotie. In: De doorwerking van de Moderne Devotie, S. 2945. DERS.: La construction du soi dans les milieux de la Devotio moderna. In: La dévotion moderne dans les pays bourguignons et rhénans des origines a la fin du XVIe siècle. Rencontres de Colmar-Strasbourg 29. Sep.-2. Okt. 1988 (Publications du Centre Européen d'Études Bourguignonnes XlVe-XVle Siècle 29). Neuchatel 1989, S. 9-16. Vgl. KLÂRA ERDEI: Auf dem Wege zu sich selbst. Die Meditation im 16. Jahrhundert. Eine funktionsanalytische Gattungsbeschreibung (Wolfenbütteler Abhandlungen zur Renaissanceforschung 8). Wiesbaden 1990. 32 MARTIN NICOL: Meditation bei Luther (Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte 34). Göttingen 1984, S. 176 ff., hält das Turmerlebnis des Reformators ebenfalls für ein Ergebnis von gleichartigen Meditationsübungen. 33 Zu Gabriel Biel vgl. WILLIAM M. LANDEEN: Gabriel Biel and the Devotio moderna in Germany. In: Research Studies of the State College of Washington 27 31
( 1 9 5 9 ) , S. 1 3 5 - 2 1 3 , u n d 2 8 ( 1 9 6 0 ) , S. 2 1 - 4 5 u n d S. 6 1 - 9 5 , h i e r 2 8 , S. 7 2 - 7 6 . HEIKO A .
OBERMAN: Der Herbst der mittelalterlichen Theologie (Spätscholastik und Reformation 1). Zürich 1965, besonders S. 125-175. MARTIJN SCHRAMA: Gabriel Biel et son entourage. Via moderna et devotio moderna. In: Nederlands Archief voor Kerkgeschiedenis N . S . 6 1 ( 1 9 8 1 ) , S. 1 5 4 - 1 8 4 . BERNHARD NEIDIGER: D a s D o m i n i k a n e r k l o s t e r
Stuttgart,
die Kanoniker vom gemeinsamen Leben in Urach und die Gründung der Universität Tübingen. Konkurrierende Reformansätze in der württembergischen Kirchenpolitik am Ausgang des Mittelalters (Veröffentlichungen des Archivs der Stadt Stuttgart 58). Stuttgart 1993, S. 51 ff. 34 BERNDT HAMM: Von der spätmittelalterlichen reformatio zur Reformation. Der Prozeß normativer Zentrierung von Religion und Gesellschaft in Deutschland. In: ARG 84 (1993), S. 37. In seelsorgerischer Intention gebrauchte und auf Vereinfachung aus-
I.
Einleitung
11
Brüder kein solch exklusives Prinzip wie das reformatorische sola scriptura.35 John van Engen urteilte zuletzt entsprechend, daß von einer Vorläuferrolle zur Reformation „...in any strict sen.se... " nicht die Rede sein könne. 36 Das Festhalten an einer geistesgeschichtlichen Kontinuität zwischen Devotio moderna und Reformation sowie späteren Richtungen beruhte auf dem Herausgreifen einzelner Elemente des Devotenlebens und dem Hinweis auf deren Fortwirkung in späteren religiösen Konzeptionen. 37 Dieses Fortleben sowohl im Protestantismus als auch in der katholischen Kirche weist darauf hin, daß die Devotio moderna in prägnanter Weise Wesensmerkmale verkörperte, die in unterschiedlicher Einbettung in allen Konfessionen Platz finden konnten und den Praxisbezug christlicher Frömmigkeit betonten. 38 So erfuhr die Imitatio Christi des Thomas von Kempen schon im 16. Jahrhundert Neuauflagen bei Protestanten und Katholiken, wie etwa durch Sebastian Castellio und die Löwener Windesheimer. 39 Bezüglich katholischer Lehrelemente empfahlen pietistische Vordenker, über diese Relikte hinwegzusehen und stattdessen die Anleitung des Kempeners zu einem geestelijken verstant zu verfolgen. 40 Die Perpetuierung von Selbstdisziplinierung und Persönlichkeitsumbildung durch die geistlichen Übungen und die methodische Meditation stand damit in überkonfessioneller Weise im Rahmen eines intensivierten religiösen Lebens des späten Mittel-
gerichtete sola-Formulierungen scheinen hier auf den ersten Blick oft mit denen Luthers identisch. 35 ROELINK: Moderne Devotic en Rcformatie. S. 11, S. 20 f. 36 ENGEN: Devotio moderna. S. 60. 37 POSTHUMUS-MEIJES: De doorwerking van de Moderne Devotie met name bij de Remonstranten. In: De doorwerking van de Moderne Devotie, S. 85 f. S. ebd. GRAAFLAND: De invloed van de Moderne Devotie in de Nadere Reformatie 1650-1750, S. 57 ff. JELSMA: Doorwerking van de Moderne Devotie, S. 16 f. NISSEN: De Moderne Devotie en het Nederlands-Westfalse Doperdom, S. 106. KENNETH R. DAVIS: The Origins of Anabapticism. Ascetic and Charismatic Elements Exemplifying Continuity and Discontinuity. In: The Origins and Characteristics of Anabaptism. Proceedings of the Colloquium Organized by the Faculty of Protestant Theology of Strassbourg. 20.22. Feb. 1975. Hrsg. v. Marc Lienhard. Den Haag 1977, S. 27-41, besonders S. 34 ff. Vgl. auch KARL-HEINZ MENKE: Devotio moderna und Devotio postmoderna. In: Internationale katholische Zeitschrift Communio 24 (1995), S. 61-72. 38 ALBERTS: Zur Historiographie der Devotio moderna, S. 67. 39 JELSMA: Doorwerking van de Moderne Devotie, S. 10 f. 40 GRAAFLAND: De invloed van de Moderne Devotie in de Nadere Reformatie 16501750. In: De doorwerking van de Moderne Devotie, S. 47-69. Auch Wilhelm Teellinck, der Vater der Methodisten, übernahm große Teile der Imitatio Christi, s. ebd. W.J. OP'T HOF: Eenen tweden Thomas Ä Kempis (doch ghereformeerden), S. 151-165.
I. Einleitung
12
alters w i e der b e g i n n e n d e n N e u z e i t 4 1 und entsprach den g e s t e i g e r t e n frommen B e d ü r f n i s s e n weiterer B e v ö l k e r u n g s t e i l e als ausschließlich derjenigen innerhalb der Klostermauern. 4 2 Mehr als der Inhalt wirkte j e d o c h die Form der d e v o t e n Exerzitien auf die N a c h w e l t . 4 3 Damit wird deutlich, daß z w i schen der D e v o t i o moderna und der Reformation, die ja ohnehin nicht einen monolithischen B l o c k darstellte, sondern eine Vielzahl unterschiedlicher doktrinärer, sozialer und politischer E n t w i c k l u n g e n u m f a ß t e ,
keine
bilaterale B e z i e h u n g vorlag. E n t s c h e i d e n d für die in Teilbereichen vorlieg e n d e N ä h e v o n D e v o t i o moderna und R e f o r m a t i o n war der g e m e i n s a m e Rückgriff
auf
die
ursprünglicher und
Urkirche.
Reform
im
damit v o l l k o m m e n e r
Sinne Zeiten
einer des
Wiederbelebung
Christentums
war
j e d o c h ein K e n n z e i c h e n der g e s a m t e n Observanz- und R e f o r m b e w e g u n g d e s Spätmittelalters. 4 4 D i e Frage nach der G e n e s e der R e f o r m a t i o n lautet daher nicht, w i e sie aus der D e v o t i o m o d e r n a entstanden sei, sondern w e l c h e Verbindungen sie zu der R e f o r m b e w e g u n g d e s Spätmittelalters hatte, v o n der w i e d e r u m die D e v o t i o m o d e r n a ein Teil war. 4 5
41 WEILER: Over de geestelijke praktijk van de Moderne Devotie. In: De doorwerking van de Moderne Devotie, S. 37. EMMERICH RAITZ VON FRENTZ: Das Konzil von Trient und seine Ausstrahlung auf die Frömmigkeit. In: GEORG SCHREIBER (Hrsg.): Das Weltkonzil von Trient 1. Sein Werden und Wirken. Freiburg 1951, S. 337, interpretiert den gesamten Fortgang der Frömmigkeitsgeschichte als eine Entwicklung von der objektiven zur subjektiven Frömmigkeit. Zur Situation des späten Mittelalters vgl.
BERND MOELLER: F r ö m m i g k e i t i n D e u t s c h l a n d u m 1 5 0 0 . I n : A R G 5 6 ( 1 9 6 5 ) , S. 5 - 3 1 . 42 S. auch die Argumentation Gabriel Biels, der den exklusiven Gebrauch des Begriffs religio für das Mönchtum als eine historische Fehlentwicklung darstellt. OBERMAN: Werden und Wertung der Reformation. S. 68. Zur Allianz von monastischer Kontemplation und Laienfrömmigkeit in den Reformen des späten Mittelalters vgl. DENNIS D. MARTIN: The 'Via Moderna'. Humanism and the Hermeneutics of Late Medieval Monastic Life. In: Journal of the History of Ideas 51 (1990), S. 186. JOHN VAN ENGEN: Late Medieval Anticlericalism. The Case of the New Devout. In: Anticlericalism in Late Medieval and Early Modern Europe. Hrsg. v. Peter A.Dykema und Heiko A.Oberman (Studies in Medieval and Reformation Thought 51). Leiden u.a.
1 9 9 3 , S. 1 9 - 5 2 . 43
MOKROSCH: Devotio moderna II, S. 613. KASPAR ELM: Verfall und Erneuerung des Ordenswesens im Spätmittelalter. Forschungen und Forschungsaufgaben. In: Untersuchungen zu Kloster und Stift (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 68, Studien zur Germania Sacra 14). Göttingen 1980, S. 188-238. EIKE WOLGAST: Reform, Reformation. In: Geschichtliche Grundbegriffe 5. Stuttgart 1984, S. 313-360, hier S. 316 f., S. 321 f. KONRAD REPGEN: „Reform" als Leitgedanke kirchlicher Vergangenheit und Gegenwart. In: Römische Quartalsschrift 84 (1989). S. 5-30. 45 ROELINK: Moderne Devotie en Reformatie. S. 42 f. Vgl. allgemein GORDON LEFF: The Apostolic Ideal in Later Medieval Ecclesiology. In: Journal of Theological Studies N.S. 18 (1962), S. 58-82. Zur Prägung Luthers durch die Reformbewegung des späten 44
I. Einleitung
13
Für die deutschen Fraterhäuser wurde die historiographische Tradition einer konfessionellen Interpretation der Brüder v o m Gemeinsamen Leben vor allem auf das Beispiel des Hildesheimer Rektors Peter Dieburg angewandt. 4 6 Ernst Barnikol lenkte das Augenmerk auf die Spaltung der norddeutschen
Brüderbewegung
des ausgehenden
15. Jahrhunderts in
zwei
Lager, 4 7 von denen das eine unter münsterischer Führung mittels der Errichtung einer Union einen engeren Zusammenschluß der Gemeinschaften propagierte, wodurch die Hildesheimer Brüder unter Peter Dieburg die Unabhängigkeit ihres H a u s e s und die Freiheit des Brüderlebens schlechthin gefährdet sahen. Barnikol stilisierte dabei den Hauptgegner der Union, Peter Dieburg, zum Vertreter des wahren freiheitlichen Ideals der D e v o t i o moderna, 4 8 w e l c h e s g e g e n die römische Kirche Ausdruck des deutschen religiösen Volkscharakters g e w e s e n sei, 4 9 und interpretierte damit Dieburgs Eintreten fur eine unveränderte Lebensform der Fraterhäuser als einen Ausdruck
vorreformatorischer
Frömmigkeit.
Wilhelm
Brüggeboes
sah
hierin j e d o c h lediglich den Versuch, die besondere Stellung der Fraterhäuser zwischen Kloster und Welt zu bewahren, ohne damit im G e g e n s a t z zur römischen Kirche zu stehen. 5 0
Mittelalters M A R T I N E L Z E : Züge spätmittelalterlicher Frömmigkeit in Luthers Theologie. In: ZThK 62 (1965). S. 381-402. H. Rix: Luther's Debt to the Imitatio Christi. In: Augustiniana 28 (1978). S. 91-107. ULRICH K Ö P F : Martin Luther als Mönch. In: Luther. Zeitschrift der Luther-Gesellschaft 55 (1984). S. 66-84. REINHARD SCHWARZ: Luthers unveräußerte Erbschaft an der monastischen Theologie. In: Kloster Amelungsborn 1135-1985. Hrsg. v. Gerd Ruhbach und Kurt Schmidt-Clausen. Hannover 1985. S. 209-231. LOTHAR G R A F ZU D O H N A : Von der Ordensreform zur Reformation. Johann von Staupitz. In: Elm: Reformbemühungen und Observanzbestrebungen. S. 571-584. 46 Das Bekenntnis der Herforder Fraterherren zu Luther und seine Bedeutung für eine Interpretation der Fraterherren als „Vorreformatoren" wird unten, S. 122-144. eingehend erörtert und bleibt hier daher zunächst unberücksichtigt. 47 E R N S T BARNIKOL: Studien zur Geschichte der Brüder vom gemeinsamen Leben. Die erste Periode der deutschen Brüderbewegung: Die Zeit Heinrichs von Ahaus. Ein Beitrag zur Entwicklung und Organisation des religiösen Lebens auf deutschem Boden im ausgehenden Mittelalter (ZThK Ergänzungsheft 5). Tübingen 1917. Hier S. 108-111 und S. 130-134. 48 BARNIKOL: Studien zur Geschichte. S. 132: „Das Hildesheimer Haus, obschon eins der jüngeren der Brüderbewegung, vereitelt vor allem als Hüterin der alten devoten Traditionen die neue endgültige Stabilisierung des Münsterschen Kolloquiums wie die Bildung einer Generalunion. " 49 ERNST BARNIKOL: Bruder Dieburgs deutsches Christentum und Luthers Stellung zu den Brüdern vom gemeinsamen Leben. In: Eisleber Lutherbuch 1933. Hrsg. von Hermann Etzrodt und Dr. Kurt Kronenberg. Eisleben 1933, S. 89. DERS.: Studien zur Geschichte. S. 110. 50 W I L H E L M BRÜGGEBOES: Die Fraterherren (Brüder des gemeinsamen Lebens) im Lüchtenhofe zu Hildesheim. Diss. Hildesheim 1939. S. 20. S. 69.
14
I.
Einleitung
In derselben Weise fanden auch Versuche, die von Peter Dieburg in die Annalen eingefügten Exkurse 5 1 in einem vorreformatorischen Kontext zu interpretieren, kaum Nachfolger. Während Barnikol auf eine eingehende Untersuchung verzichtete, 5 2 betonte Gustav Boerner die nach seiner Auffassung reformatorischen Elemente in Dieburgs Ausfuhrungen. 5 3 So rührte für Boerner Dieburgs Berufung auf Christus als hinreichendem Mittler zwischen Gott und Mensch trotz dessen ausdrücklichem Gehorsamsbekenntnis gegenüber der Kirche an die Grundlagen des mittelalterlichen Kirchenwesens. 54 Boerner charakterisierte zwar zutreffend die Basis aller Betrachtungen des Hildesheimer Rektors, der stets zwischen einem inneren, Gott direkt zugewandten Glaubensleben und der kirchlichen Heilsvermittlung unterschied und nur im Fall einer durch äußere Umstände verhinderten Teilhabe an der priesterlichen Sakramentspraxis auch die erste Weise des Glaubens für hinreichend zur Rechtfertigung erklärte, 55 hielt die Brüder mit dieser Haltung aber für einen fruchtbaren Nährboden für die Reformation. 5 6 Brüggeboes hat dagegen in seiner Untersuchung der Exkurse Dieburgs Auffassung von der Buße und dessen Lehre vom allgemeinen Priestertum als katholisch gekennzeichnet. 5 7 Die Fortschritte der Forschung zum Charakter der spätmittelalterlichen Reformbewegung machen heute deutlich, daß Dieburg im Kontext der Frömmigkeitstheologie des ausgehenden 15. Jahrhunderts anzusiedeln ist, deren prägendes Kennzeichen das Bemü-
51
DOEBNER: Annalen und Akten. S. 144-159, besonders S. 144-150 (1. Exkurs). BARNIKOL: Studien zur Geschichte, S. 110, Anm. 6. Diese verknüpfen sich bei ihm dennoch mit einem Widerspruch zur römischen Kirche, vgl. DERS.: Bruder Dieburgs deutsches Christentum. 53 GUSTAV BOERNER: Die Annalen und Akten der Brüder des gemeinsamen Lebens im Lüchtenhofe zu Hildesheim. Eine Grundlage der Geschichte der deutschen Brüderhäuser und ein Beitrag zur Vorgeschichte der Reformation. Vollständige Ausgabe, Fürstenwalde 1905. S. 45-52. 54 BOERNER: Annalen und Akten. S. 49. Vgl. in pointierterer Form DERS.: Die Brüder des gemeinsamen Lebens in Deutschland. In: Deutsche Geschichtsblätter 6 (1905), S. 241-246, hier S. 245 f. 55 So gilt der geistliche Empfang der Eucharistie für Dieburg höher als der real vollzogene, wenn dieser ohne innere Anteilnahme geschieht, jener aber nur durch äußere Hindernisse wie das 1443 in Hildesheim verhängte Interdikt verhindert wird, BOERNER: Annalen und Akten, S. 46 f. Vgl. zu geistlicher und sakramentaler Kommunion CHARLES M.A. CASPERS: Magister consensus. Wessel Gansfort en de geestelijke communie. In: Trajecta 5 (1996), S. 97-110. 56 BOERNER: Annalen und Akten. S. 51 f. 57 BRÜGGEBOES: Die Fraterherren im Lüchtenhofe zu Hildesheim, S. 83-98, besonders S. 87-91. In der Wertung Dieburgs steht Brüggeboes damit in Übereinstimmung mit SCHEEL: Martin Luther 1. S. 85-89. 52
I.
Einleitung
15
hen um Vereinfachung und die Zentralisierung des Heilsnotwendigen war. 58 Diese Eigenschaften waren dabei der spätmittelalterlichen Reform wie den Ursprüngen der Reformation gemein und haben zu der schnellen Verbreitung Luthers beigetragen, 59 wobei das reformatorische Verständnis der iustitia extra nos gegenüber den früheren Bestrebungen aber systemsprengend wirkte. 60 Die zu neuer Intensität gekommene Frömmigkeit der Reformbewegung des 15. Jahrhunderts, welche sich mit einem stärker auf die praktische Lebensgestaltung zielenden Verhältnis des Gläubigen zur Theologie und einer skeptischen Reserve gegenüber einem prunkvollen Kultus verbinden konnte, war dabei kein exklusives Kennzeichen der Devotio moderna, sondern auch in anderen Reformgruppen verbreitet. 61 Innerhalb des so vorgegebenen Interpretationsrahmens ist eine vermittelnde Wertung des Verhältnisses der Devotio moderna - verstanden als Bestandteil der spätmittelalterlichen Reformbewegung - zur Reformation nach wie vor ein Desiderat der Forschung. Der Versuch, ein genuines Verhältnis der Brüder vom Gemeinsamen Leben zur Reformation zu bestimmen, wird sich nicht an den dogmatischen Fragen, sondern an der ratio vivendi der Fraterherren orientieren müssen, 62 die Luther gegenüber dem Herforder Fraterhaus ausdrücklich guthieß. 63 So wird es vermieden, die
58
BERNDT HAMM: Das Gewicht von Religion, Glaube, Frömmigkeit und Theologie innerhalb der Verdichtungsvorgänge des ausgehenden Mittelalters und der frühen Neuzeit. In: Krisenbewußtsein und Krisenbewältigung in der Frühen Neuzeit - Crisis in Early Modern Europe. Festschrift Hans-Christoph Rublack. Hrsg. v. M.Hagemeier und S.Holtz. Frankfurt a.M. u.a. 1992, S. 163-198, hier S. 168 f. Auch DERS.: HieronymusBegeisterung und Augustinismus vor der Reformation. Beobachtungen zur Beziehung zwischen Humanismus und Frömmigkeitstheologie (am Beispiel Nürnbergs). In: Augustine, the Harvest and Theology (1300-1650). Essays Dedicated to Heiko Augustinus Oberman in Honor of His Sixtieth Birthday. Hrsg. v. Kenneth Hagen. Leiden u.a. 1990, S. 127-235. 59 FRANZ MACHILEK: Die Frömmigkeit und die Krise des 14. und 15. Jahrhunderts. I n : M e d i a e v a l i a B o h e m i c a 3 ( 1 9 7 0 ) , S. 2 1 4 . BERND MOELLER: D i e R e z e p t i o n L u t h e r s i n
der frühen Reformation. In: Luther-Jahrbuch 57 (1990), S. 57-71. 60 HAMM: Was ist reformatorische Rechtfertigungslehre, S. 5, S. 23 f. DERS.: Von der spätmittelalterlichen reformatio zur Reformation, S. 7 ff. 61 ELM: Verfall und Erneuerung, S. 233 f. Vgl. auch DOHNA: Johann von Staupitz, S. 577 ff., zur Hinwendung zu einer christozentrischen Gnadentheologie aus Enttäuschung über die gescheiterten Reformen der Observanzen. 62 WEILER: Recent Historiography, S. 177. ROELINK: Moderne Devotie en Reformatie, S. 32 f. ELM: Die Bruderschaft vom gemeinsamen Leben, S. 491. 63 DAS FRATERHAUS ZU HERFORD 2. Statuten, Bekenntnisse, Briefwechsel. Hrsg. v. Robert Stupperich (VeröffHistKommWestf 35, Quellen zur Geschichte der Devotio moderna in Westfalen 1). Münster 1984, S. 222. ROBERT STUPPERICH: Die Herforder Fraterherren als Vertreter spätmittelalterlicher Frömmigkeit in Westfalen. In: Dona
16
I.
Einleitung
Fraterherren wie in den Deutungsversuchen vor allem des 19. Jahrhunderts nach von außen herangetragenen Maßstäben übergeordneter geschichtlicher Prozesse zu beurteilen. Stattdessen soll stärker der Eigencharakter der Bewegung in seiner Bedeutung für die Begegnung mit der Reformation in Rechnung gestellt werden. 64 Als Kernpunkt, nach dem das Verhältnis der Brüder vom Gemeinsamen Leben zur Reformation zu bestimmen ist, muß die von Peter Dieburg betonte Freiheit des Brüderlebens gelten. Das Ideal der Fraterherren, „...non sumus religiosi, sei in seculo religiöse vivere nitimur et volumus... ",65 wie es der Hildesheimer Rektor programmatisch formulierte, definierte ihre Lebensform als einen status medius zwischen Kloster und Welt, der die vollkommene Hinwendung des Einzelnen zu Gott nicht mit dem Eintritt in den besonderen Stand des Mönchtums verbinden wollte, sondern die evangelischen Räte der Religiösen zum allgemeinen Leitfaden christlicher Lebensgestaltung machte. Ein monopolisierter Anspruch des Religiosentums auf die vita perfecta wurde hier wie in humanistischen Zirkeln nicht anerkannt.66 Die Brüder legitimierten ihre via media gegen alle Angriffe, die in der Frühzeit der Bruderschaft vor allem von Seiten der Mendikanten vorgetragen wurden, 67 direkt nach der ApostelgeWestfalica. Georg Schreiber zum 80.Geburtstag (Schriften der Historischen Kommission Westfalens 4). Münster 1963. S. 339-353. DF.RS.: Das Herforder Fraterhaus und die Reformation. In: JbwestfKg 64 (1971). S. 7-27. DF.RS : Das Herforder Fraterhaus und die Devotio moderna. Studien zur Frömmigkeitsgeschichte an der Wende zur Neuzeit. Münster 1975. 64 NIKOLAUS STAUBACH: Pragmatische Schriftlichkeit im Bereich der Devotio moderna. In: Frühmittelalterliche Studien 25 (1991), S. 422. fordert entsprechend, die Devotio moderna nicht nur als Nachklang oder Antizipation zu betrachten. 65 DOEBNER: Annalen und Akten. S. 113 66 BARON: Zur Frage des Ursprungs des deutschen Humanismus, S. 431. CHARLES TRINKAUS: Humanists on the Status of the Professional Religious. In: DERS.: In Our Image and Likeness. Humanity und Divinity in Italian Humanist Thought 2. Chicago 1970. S. 651-682. K.A.E. ENENKEI.: Der andere Petrarca: Francesco Petrarcas De vita solitaria und die devotio moderna. In: Quaerendo 17 (1987). S. 137-147. THOMAS RENNA: Wyclifs Attacks on the Monks. In: From Ockham to Wyclif. Hrsg. v. Anne Hudson und Michael Wolks (Studies in Church History, Subsidia 5). New York 1987, S. 267-280. KASPAR ELM: Augustinus Canonicus - Augustinus Eremita. A Quattrocento Cause Celebre. In: Christianity and the Renaissance. Image and Religious Imagination in the Quattrocento. Hrsg. v. T.Verdon und J.Henderson. Syracuse, N Y. 1990, S. 83107. DENNIS D. MARTIN: Fifteenth-Century Carthusian Reform. The World of Nicholas Kempf (Studies in the History of Christian Thought 49). Leiden 1992, S. 149. K.A.E. ENENKEL: Alciatos bürgerhumanistische Religionskritik und die Wiederentdeckung der Essener („Contra vitam monasticam"). In: Nederlands Archief voor Kerkgeschiedenis 7 4 ( 1 9 9 4 ) , S. 1 - 2 0 . STAUBACH: C h r i s t i a n a m s e c t a m a r r i p e , S. 1 3 7 - 1 4 9 . 67 LEONHARD KORTH: Die ältesten Gutachten über die Brüderschaft des gemeinsamen Lebens. In: Mittheilungen aus dem Stadtarchiv von Köln, Heft 13 (1887), S. 1-27.
/.
Einleitung
17
schichte. Sie zählten damit zu den verbreiteten G e m e i n s c h a f t e n d e s S e m i religiosentums, in denen z u m E n d e d e s Mittelalters auch die Laien intensiv e r e Partizipationsformen im kirchlichen L e b e n fanden. 6 8 In ihren auf d e m privatrechtlichen Akt einer donatio
inier
vivos
begründeten G e m e i n s c h a f -
ten 6 9 verzichteten die Brüder auf die A b l e g u n g v o n G e l ü b d e n und behielten sich die M ö g l i c h k e i t eines Austritts aus den Fraterhäusern vor. Aufgrund dieser freiheitlichen Organisation ihres L e b e n s in einer societas gregatio
oder
con-
traf Luthers H a u p t v o r w u r f g e g e n das M ö n c h t u m , die M i ß a c h t u n g
der e v a n g e l i s c h e n Freiheit, auf die Fraterherren nicht z u . 7 0 Anhand der v o r l i e g e n d e n Quellen, v o r allem d e s Gründl
des Fraterleuendes
v o n Ger-
hard Wilskamp 7 1 und der U n t e r w e i s u n g zu einem geistlichen L e b e n v o n Johannes H o l t m a n n , 7 2 wird nach d e m Selb st Verständnis der Brüder in der R e f o r m a t i o n s z e i t und d e m Verhältnis ihres Freiheitsbegriffes zu der
liber-
HERMANN KEUSSEN: Der Dominikaner Matthäus Grabow und die Brüder vom gemeinsamen Leben. In: ebd., S. 29-47. STEPHAN WÄCHTER: Matthäus Grabow, ein Gegner der Brüder vom gemeinsamen Leben. In: Festschrift zum 50-jährigen Bestandsjubiläum des Missionshauses St.Gabriel Wien-Mödling (Sankt Gabrieler Studien 8). Wien-Mödling 1939, S. 289-376. C.V.D. WANSEM: Het ontstaan en de geschiedenis der broederschap van het gemene leven tot 1400 (Universiteit te Leuven, Publicaties op het gebied der geschiedenis en der philologie 4e reeks, 12). Löwen 1958, besonders S. 148-158. 68 ELM: Die Bruderschaft vom gemeinsamen Leben. Allgemein GILLES G. MEERSSEMAN: Ordo fraternitatis. Confraternité e pietà dei laici nel medioevo. In colloborazione con Gian P. Pacini (Italia Sacra, Studi e Documenti di Storia Ecclesiastica 24-26). Rom 1977. ANDRÉ VAUCHEZ: Les laïcs au Moyen Age. Practiques et expériences religieuses. Paris 1987, besonders S. 95-122. FRANCIS RAPP: L' Église et la vie religieuse en occident a la fin du moyen âge (Nouvelle Clio 25). Paris 1971. S. 128FF.MIRI RUBIN: Fraternities and Lay Picty in thc Later Middle Ages. In: Einungen und Bruderschaften in der spätmittelalterlichen Stadt. Hrsg. v. P.Johanek (Städteforschung. Veröffentlichungen des Instituts für vergleichende Städteforschung in Münster. R. A, 32). Köln u.a. 1993, S. 185-198. Vgl. auch MARIT MONTEIRO: Den Middelen Staet. Waarom vrouwen in de vroegmoderne tijd kozen voor een semi-religieus bestaan. In: De dynamiek van religie en cultuur. Geschiedenis van het Nederlands katholicisme. Onder redactie van Marit Monteiro u.a. Kampen 1993. S. 138-161. 69 WILLEM LOURDAUX: Frères de la vie commune. In: Dictionnaire d' Histoire et de Géographie Ecclésiastiques 18 (1977), Sp. 1442 f. 70 BERNHARD LOHSE: Mönchtum und Reformation. Luthers Auseinandersetzung mit dem Mönchsideal des Mittelalters (Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte 12). Göttingen 1963. HEINZ-MEINOLF STAMM: Luthers Stellung zum Ordensleben (VeröfflnstEurGesch Mainz, Abteilung für Abendländische Religionsgeschichte 101). Wiesbaden 1980. Zur Auseinandersetzung der Betroffenen mit Luthers Kritik am Mönchtum vgl. zuletzt WOLFGANG SEEGRÜN: Um den Weg der Mitte. Osnabrücker Klöster und Stifte vor der reformatorischen Theologie. In: Osnabriicker Mitteilungen 9 8 ( 1 9 9 3 ) , S. 1 1 - 3 7 . 71
FRATERHAUS HERFORD 2: S. 1 4 2 - 1 6 1 .
11
WLM, Ms. 517.
I.
18
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tas evangelica des Wittenberger Reformators zu fragen sein. Hier soll es zunächst als völlig offen gelten, inwiefern die Brüder in Analogie zu der Verbindung, die Oberman zwischen der Devotio moderna und dem Humanismus konstatiert hat, in besonderer Weise koalitionsfähig mit den Positionen Luthers gewesen sind, zu welchen Anteilen sie sich von dem Wittenberger Reformator distanzierten, in welchem Maße sie ihr eigenes Lebensideal durch das der Reformation überholt sahen oder diese gar, wie es in Herford den Anschein hat, als eine Ergänzung hierzu verstehen konnten. Die vorliegende Arbeit will versuchen, zur Beantwortung solcher Fragen auf der Grundlage der Untersuchung der im Münsterschen Kolloquium zusammengeschlossenen Fraterhäuser beizutragen. Die Auswahl des Münsterschen Kolloquiums bietet sich an, da die norddeutschen Brüdergemeinschaften im frühen 16. Jahrhundert im Vergleich zu den mittelrheinischen und württembergischen Fraterhäusern relativ nahe bei der ursprünglichen Konzeption des gemeinsamen Lebens der Brüder verblieben waren, also innerhalb eines Denkmodells, das die Fraterherren als Vorreformatoren zu charakterisieren suchte, einen besonders geeigneten Probanden darstellen müßte.73 Die mittelrheinischen und württembergischen Gemeinschaften,74 die den Typus des devoten Kollegiatstiftes ausbildeten75 und sich im oberdeutschen Generalkapitel zusammenschlössen,76 können nach einem Vor73
ELM: Die Bruderschaft vom gemeinsamen Leben, S. 492. Diese Tatsache bietet jedoch keinen Anlaß, die oberdeutschen Häuser nur als Abweichungen von den eigentlichen Brüderidealen zu bewerten, wie es CRUSIUS: Gabriel Biel, S. 299 und 321 f. als Tendenz der Forschung beklagt. 74 Für die württembergischen Häuser vgl. OTTO MEYER: Die Brüder des gemeinsam e n Lebens in Württemberg
1477-1517.
Stuttgart o.J. ( 1 9 1 3 ) .
WILFRIED SCHÖNTAG:
Die Anfänge der Brüder vom gemeinsamen Leben in Württemberg. Ein Beitrag zur vorreformatorischen Kirchen- und Bildungsgeschichte. In: Archiv für Diplomatik 23 ( 1 9 7 7 ) , S. 4 5 9 - 4 8 5 . MARTIN BRECHT: „ M o d e r n e F r ö m m i g k e i t " u n d „ g e m e i n s a m e s
Le-
ben". Das Uracher Brüderhaus und seine Geschichte. In: Blätter für württembergische K i r c h e n g e s c h i c h t e 7 8 ( 1 9 7 8 ) , S. 5 - 2 3 . WILFRIED SCHÖNTAG: D i e K a n o n i k e r u n d B r ü d e r
vom gemeinsamen Leben in Württemberg. In: Rottenburger Jahrbuch für Kirchenges c h i c h t e 11 ( 1 9 9 2 ) , S. 1 9 7 - 2 0 7 . NEIDIGER: D a s D o m i n i k a n e r k l o s t e r S t u t t g a r t , S . 4 1 - 6 8 . 75 Eine zusammenfassende Typisierung der oberdeutschen Fraterhäuser unter Betonung ihres eigenständigen Charakters gegenüber den Häusern des Münsterschen Kolloquiums bei CRUSIUS: Gabriel Biel, S. 310-322. Vgl. SCHÖNTAG: Die Kanoniker und Brüder vom gemeinsamen Leben, S. 198, und NEIDIGER: Das Dominikanerkloster Stuttgart, S. 42-45, der auch die stärkere Ausrichtung der Kanoniker auf Studium und Seelsorge herausstellt. 76 Zum oberdeutschen Generalkapitel s. demnächst die Dissertation von GERHARD FAIX: Gabriel Biel und die Brüder vom gemeinsamen Leben. Quellen und Untersuchungen zu Verfassung und Selbstverständnis des oberdeutschen Generalkapitels.
I.
Einleitung
19
schlag von Wolfgang Leesch 77 treffender als Kanoniker statt als Brüder des Gemeinsamen Lebens bezeichnet werden. Unter den Häusern des Münsterschen Kolloquiums blieb die freiheitliche Komponente trotz der teilweisen Annahme von stiftischen Rechten kennzeichnendes Merkmal des Brüderlebens und schlug sich auch in den Fragen der rechtlichen Organisation der Lebensform nieder, wie es die gescheiterten Versuche zur Errichtung einer Union im frühen 16. Jahrhundert illustrieren.78 Eine Annäherung an monastische Organisationsformen durch eine hierarchische Verbandsbildung nach dem Vorbild der Windesheimer Kongregation, wie sie Peter Dieburg kritisiert hatte, wurde bis zum Auftreten Luthers nicht vollständig vollzogen. 79 Das lebendige Selbstbewußtsein der norddeutschen Brüderbewegung manifestierte sich entsprechend in dem das ganze 16. Jahrhundert fortdauernden Kampf der Mehrheit der Eratergemeinschaften für eine legitime Fortexistenz in den Städten ihrer Niederlassungen. Die württembergischen Stifte wurden dagegen mit Ausnahme von St.Peter im Einsiedel, das als Grablege Eberhards des Älteren diente, im Jahr 1517 durch Herzog Ulrich aufgehoben, der die materielle Ausstattung der Stifte für die Sicherung seiner Hofkapelle verwandte. 80 Manuskript Stuttgart 1996 (Spätmittelalter und Reformation N R., im Druck). Die von Faix erstmals vorgestellten Statuten des oberdeutschen Generalkapitels ermöglichen es ihm, die Unterschiede zwischen der nord- und süddeutschen Brüderbewegung präzise zu benennen. Vgl. auch IRENE CRUSIUS: Die Brüder vom gemeinsamen Leben in Deutschland. Zur rechtlichen Entwicklung religiösen Genossenschaftswesens im späten Mittelalter. Diss. Göttingen 1961, S. 89-104 und 139-160. 77 MFVC 2: S. 9 (W.Leesch). 78 Vgl. FAIX: Gabriel Biel und die Brüder vom gemeinsamen Leben, Kapitel IV, 3.3.7, S. 136 ff.: In den Häusern des oberdeutschen Generalkapitels war der Eintritt in das Brüderkanonikat zwar nicht de iure, aber doch faktisch eine professio, wie die Einführung eines votum stabilitatis und des Strafmittels der Kerkerhaft zeigen. 79 Zur Geschichte der Union vgl. unten, S. 25-39. 80 W I L F R I E D SCHÖNTAG: Die Aufhebung der Stifte und Häuser der Brüder vom gemeinsamen Leben in Württemberg. Ein Vorbote der Reformation? In: Zeitschrift für württembergische Landesgeschichte 38 (1979), S. 82-96, besonders S. 90 ff. DERS.: Die Kanoniker und Brüder vom gemeinsamen Leben, S. 202 f. Vgl. MEYER: Die Brüder des gemeinsamen Lebens in Württemberg, S. 50-61. In Königstein übertrugen Rektor Johannes von Bingen und Prokurator Nikolaus Post dem Grafen Ludwig von Stolberg im Jahr 1540 die Verwaltung des Kugelhauses, Johannes von Bingen wurde erster lutherischer Pfarrer von Königstein, MFVC 2: S. 124 f. (H.Langkabel). In Butzbach endete die Geschichte des Hauses mit dem Tod des letzten Bewohners, Johannes Altgelt aus Siegen, der hier schon seit 1539 allein lebte, MFVC 2: S. 47 ff. (I.Crusius). Den Häusern in Marienthal, Wolf und Trier gelang es jedoch, ihre Existenz bis über die Jahrhundertmitte hinaus zu behaupten. Während Marienthal um 1568 mit Augustinerchorherren aus dem Stift Pfallenschwabenheim besetzt wurde, MFVC 2: S. 178 (WH. Struck), übergab der Rektor in Trier als letzter Bewohner um 1570 Kirche und
I.
20
Einleitung
Enger als mit dem oberdeutschen Generalkapitel waren die norddeutschen Häuser mit den niederländischen Brüdergemeinschaften des Zwoller Kolloquiums verbunden, deren Schicksal nach dem Auftreten der Reformation von Post dargestellt worden ist. 81 Im späten 15. und frühen 16. Jahrhundert waren gegenseitige Besuche der Kolloquien in Münster und Zwolle üblich. 82 Für spätere feste Beziehungen zwischen dem Münsterschen und dem Zwoller Kolloquium fehlen jedoch die Belege. Die Existenz der niederländischen und belgisch-nordfranzösischen Häuser kam zumeist in dem seit den späten sechziger Jahren einsetzenden Prozeß der Konfessionalisierung zu einem Ende. Die nordniederländischen Häuser in Deventer, Zwolle, Hulsbergen und Harderwijk wurden in den neugläubigen Städten seit den frühen achtziger Jahren des 16. Jahrhunderts aufgehoben, ihre Güter konfisziert. 83 Demgegenüber wurden die südniederländischen Gemeinschaften in Utrecht, Doesburg und 's-Hertogenbosch sowie die belgisch-nordfranzösischen Häuser in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts mit der katholischen Konfessionalisierung konfrontiert, 84 die seit 1559 mit der Neuordnung der niederländischen Bistümer durch Papst Paulus IV. einsetzte. 85 Gegenüber diesem verhältnismäßig einheitlich verlaufenden
Stiftsgebäude an die Minoriten, MFVC 2: S. 225 (W.Leesch). Das Haus in Wolf wurde 1560 aufgehoben, nachdem die Grafschaft Sponheim evangelisch geworden war, MFVC 2: S. 256 (W.Leesch). 81
82
POST: T h e M o d e r n D e v o t i o n , S. 5 5 1 - 6 1 9 .
DOEBNER: Annalen und Akten, S. 427 (Ortsregister, Lemma „Zwolle"). POST: The Modern Devotion, S. 579 f., 582 f., 583, 604 f. Vgl. auch ANTON C.F. KOCH: The Reformation in Deventer in 1579-1580. Size and Social Structure of the Catholic Section of the Population during the Religious Peace. In: DERS.: Tussen Viaanderen en Saksen. Uit de verspreide geschiedkundige geschriften van A.C.F.Koch (1923-1990) (Middeleeuwse Studies en Bronnen 29). Hilversum 1992, S. 207-244. In Harderwijk wurden die verbliebenen Einwohner des Hauses von der Stadt abgefunden, s. K.H.M. MARS: De latijnse school en het fraterhuis van Harderwijk. In: Archief voor de geschiedenis van de Katholieke Kerk in Nederland 16 (1974), S. 201-206. Vgl. auch A. KLEIN KRANENBURG: Geschiedenis van het fraterhuis St. Hieronymus te Hulsbergen. Heerde 1986. In Amersfoort hatte sich das Haus schon Ende der zwanziger Jahre des 16. Jahrhunderts geleert, s. POST: The Modern Devotion, S. 605 f. In Nimwegen war 1595 der Pater der letzte Bewohner des Fraterhauses, s. J A. SCHIMMEL: Het katholicisme te Nijmegen na de reductie 1592-1672. In: Numaga 16 (1969), S. 76 f. 84 POST: The Modern Devotion, S. 571, 589-592, 594 f. 85 Vgl. F. POSTMA: Nieuwe licht op een oude zaak: de oprichting van de nieuwe bisdommen in 1559. In: Tijdschrift voor geschiedenis 103 (1990), S. 10-27. Eine Karte bietet der ATLAS ZUR KIRCHENGESCHICHTE. Die christlichen Kirchen in Geschichte und Gegenwart. Hrsg. v. H.Jedin u.a. Bearb. v. J.Martin. Freiburg 1987, S. 80. Zur Bedeutung der Neuschaffung der Bistümer für die Stifte der Windesheimer Kongregation vgl. JELSMA: Terughoudende afwijzing, S. 162-164. 83
I.
Einleitung
21
Muster zeichnet sich die Situation im Münsterschen Kolloquium durch eine Vielzahl von unterschiedlichen Verlaufsformen und religionspolitischen Rahmenbedingungen aus. Ein Teil der Fraterhäuser ging unmittelbar mit dem Auftreten der Reformation unter, andere überlebten mittel- oder auch langfristig in neugläubigen Städten. In Köln und Münster - hier bis auf das Intermezzo der Täuferherrschaft - blieb man von einer konfessionellen Konfrontation mit der Majorität in der Stadt unbehelligt. In Städten mit katholischen Landesherren wurden die Fraterhäuser zudem in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts ebenso wie in den südlichen Niederlanden zum Objekt der Umstrukturierungsprozesse der katholischen Konfessionalisierung. 86 Die exemplarische Auswahl des Münsterschen Kolloquiums als Untersuchungsgegenstand bietet angesichts dieses weiten Spektrums die Möglichkeit, die direkten und indirekten Auswirkungen der Reformation für das Leben der Brüder und ihr Verhalten gegenüber dieser Herausforderung zu untersuchen. Die Berücksichtigung der religionspolitischen und frömmigkeitsgeschichtlichen Rahmenbedingungen bei der Analyse des allgemein zu konstatierenden Niedergangs der Brüdergemeinschaften soll zusätzlich dazu beitragen, ein Korrektiv für die bisher geäußerten, aber nicht hinreichend hinterfragten Thesen über die Ursachen des Verfalls zu erarbeiten. 87 Die bei der Beurteilung dieses Prozesses bisher verwandten Kriterien differieren untereinander erheblich und spiegeln die Schwierigkeiten, die sich der Geschichtswissenschaft bei der Beschreibung von Niedergang oder Verfall charismatisch-utopischen Gemeinschaftslebens stellen.88 Wurden die Brüder mit der Elle des Wertesystems der Reformation
86
S. hierzu unten. S. 257-281, und ULRICH HINZ: Die nordwestdeutschen Brüder vom Gemeinsamen Leben in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Zur Konfrontation mit der beginnenden katholischen Konfessionalisierung. In: OGE 6 9 (1995), S. 157-174. Zuletzt übergreifend DIE KATHOLISCHE KONFESSIONALISIERUNG. Wissenschaftliches Symposion der Gesellschaft zur Herausgabe des Corpus Catholicorum und des Vereins für Reformationsgeschichte 1993. Hrsg. v. Wolfgang Reinhard und Heinz Schilling (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte 198). Gütersloh 1995. 87 Vgl. WALTER ZIEGLER: Reformation und Klosterauflösung. Ein ordensgeschichtlicher Vergleich. In: Elm, Reformbemühungen und Observanzbestrebungen, S. 585614. WOLFGANG SEIBRICH: Gegenreformation als Restauration. Die restaurativen Bemühungen der alten Orden im Deutschen Reich von 1580 bis 1648 (Beiträge zur Geschichte des alten Mönchtums und des Benediktinertums 38). Münster 1991, S. 1735. 88 ELM: Verfall und Erneuerung, S. 196-210. KLAUS SCHREINER: Dauer, Niedergang und Erneuerung klösterlicher Observanz im hoch- und spätmittelalterlichen Mönchtum. Krisen, Reform- und Institutionalisierungsprozesse in der Sicht und Deutung betroffener Zeitgenossen. In: Institutionen und Geschichte. Theoretische Aspekte und mittelalterliche Befunde. Hrsg. v. Gert Melville. Köln u.a. 1992, S. 304-333.
22
I.
Einleitung
gemessen, erschienen sie als „Halbheit",*9 die von dem neuen Glauben überwunden worden sei, der der Devotio moderna die „ Originalität "90 und damit die Lebensfähigkeit genommen habe. Auf der Grundlage der Beobachtung sozialer und rechtlicher Veränderungen im Charakter der Bruderschaft noch während des 15. Jahrhunderts wurde von anderer Seite darauf hingewiesen, daß die reformerische Vitalität der Fraterherren ohnehin schon im Niedergang begriffen war. 91 Das unter den erschwerten Existenzbedingungen der Glaubensspaltung nur noch in Rudimenten vorhandene gemeinsame Leben in den Fraterhäusern kann in der Fortfuhrung dieser Position auch als eine Folge nachlassender Widerstandsfähigkeit gegen äußere Bedrängung angesehen werden. Unausgesprochen liegen einer solchen Interpretation generelle Erklärungsmuster über den zyklischen Wechsel von Verfall und Erneuerung zugrunde, die bezogen auf die mittelalterlichen Orden und Semireligiosen als gesetzmäßiger Abschwung der Frömmigkeit, ja als fast vorausberechenbare Devianz vom ursprünglichen Ideal der Gründerfiguren erwartet werden. 92 Einer Anwendung dieses Modells auf die norddeutschen Fraterhäuser des frühen 16. Jahrhunderts steht jedoch entgegen, daß sich die Brüderbewegung in personeller Hinsicht und räumlicher Ausbreitung noch in einer aktiven Phase befand, 93 von Krise oder
89 90 91
BARNIKOL: Bruder Dieburgs deutsches Christentum, S. 99. MOKROSCH: Devotio moderna II, S. 615. ROELINK: M o d e r n e D e v o t i e e n R e f o r m a t i o . S. 3 9 . GOEGEBUER, LOUIS M . : W a t i s
Moderne Devotie? In: Historia et Spiritualitas Cartusiensis. Colloquii Quarti Internationalis Acta Gandavi-Antverpiae-Brugis 16.-19. Sept. 1982. Destelbergen 1983, S. 178 f. AUGUSTIJN: Erasmus von Rotterdam. S. 18. 92 ELM: Verfall und Erneuerung, S. 200 f. Dabei gilt es jedoch zu fragen, ob nicht auch Veränderungen im Charakter der Bruderschaft ihre Reformkraft unter Beweis stellen, vgl. SCHREINER: Dauer, Niedergang und Erneuerung, S. 325: „Innovationsbereitschaft bewährte sich als Faktor der Dauer. Wille zu zeitgemäßer Erneuerung trug dazu bei, Reformen langfristig zu sichern. " RAYMOND HOSTIE: Vie et mort des ordres religieux. Approches psychosociologiques (Bibliothèque d'Études Psycho-Religieuses). Paris 1972, besonders S. 306-315, läßt solche Überlegungen außer Acht und erstellt stattdessen ein auf einer breit angelegten Statistik basierendes Drei-Stufen-Modell, nach der die Entstehung und erste Blüte einer religiösen Gemeinschaft wie die darauf folgende institutionelle Festigung je 100 Jahre in Anspruch nehmen, auf die eine Phase des Niedergangs mit Dauer von etwa 50-100 Jahren folgt. Hostie konstatiert mit der Stabilisierung der Gemeinschaften generell einen Verlust von Spiritualität und weist darauf hin, daß nur jede vierte Ordensgründung das Stadium des Niedergangs übersteht. 93 ERNEST PERSOONS: De verspreiding van de Moderne Devotie. In: Geert Grote en de Moderne Devotie, S. 57-100. In Kempen wurde zu Beginn des 16. Jahrhunderts eine Gründung von Nimwegen aus unternommen, GERHARD REHM: Die gescheiterte Gründung eines Fraterherrenhauses in Kempen zu Beginn des 16. Jahrhunderts. In: Heimat-
1. Einleitung
23
Verfall also keine Rede sein kann. Der weitgehende Nieder- und Untergang der Fraterhäuser in den katholischen und protestantischen Territorien und Städten des 16. Jahrhunderts muß vielmehr verstärkt unter Beachtung der politischen, sozialen, ökonomischen und frömmigkeitsgeschichtlichen Umwälzungen untersucht werden, die durch die Reformation ausgelöst wurden. Diese sich über den Verlauf des gesamten 16. Jahrhunderts erstreckende Entwicklung macht es auch notwendig, den Blick über das Reformationsgeschehen hinaus auf die Ausbildung der neuen Kirchentümer und die beginnende Konfessionalisierung zu richten. 94 In den protestantischen Städten und Territorien sahen sich die Fraterherren gezwungen, die Legitimität ihrer Lebensform und die Unantastbarkeit ihrer rechtlichen Stellung gegen die Religionspolitik der Obrigkeiten zu behaupten. 95 Die
buch des Kreises Viersen (1992), S. 43-47. Die Fratergemeinschafit ist nach einer Pestkatastrophe schnell wieder erloschen. FRIEDRICH WILHELM OEDIGER: Die niederrheinischen Schulen vor dem Aufkommen der Gymnasien. In: Ders.: Vom Leben am Niederrhein. Aufsätze aus dem Bereich des alten Erzbistums Köln. Düsseldorf 1973, S. 378, Anmerkung 134, weist auf eine Bemerkung von Janssen hin, 1485 habe auch in Xanten ein Brüderhaus bestanden. Janssens Quelle ist nach Oediger verloren, die Xantener Überlieferung gibt keinen Hinweis. Im sächsischen Walbeck lehnten die Brüder die Übernahme eines verlassenen Stiftes, die der Erzbischof von Magdeburg ihnen 1518 antrug, ab, s. Dombibliothek Hildesheim, Hs.Ps.23, hinten eingehefteter Brief. Zu früheren, nicht über die Planungsphase hinausgekommenen Fraterhäusern in Lübeck, Soest und in Wiesbaden vgl. MFVC 2: S. 7 f. (W.Leesch). Die späteste Gründung des Münsterschen Kolloquiums, die bis in die Reformationszeit fortexistierte, war das Fraterhaus in Merseburg (1503), s. MFVC 2: S. 180-187 (I.Crusius). 94 WOLFGANG REINHARD: Zwang zur Konfessionalisierung? Prolegomena zu einer Theorie des konfessionellen Zeitalters. In: ZHF 10 (1983), S. 257-277. DERS.: Reformation, Counter-Reformation and the Early Modern State. A Reassessment. In: Catholic Historical Review 75 (1989), S. 383-404. HEINZ SCHILLING: Die Konfessionalisierung im Reich. Religiöser und gesellschaftlicher Wandel in Deutschland zwischen 1555 und 1620. In: HZ 246 (1988), S. 1-45. BERNHARD RÜTH: Reformation und Konfessionsbildung im städtischen Bereich. Perspektiven der Forschung. In: ZRG KA 77 (1991), S. 197-282. HEINRICH R. SCHMIDT: Die Konfessionalisierung im 16. Jahrhundert (Enzyklopädie Deutscher Geschichte 12). München 1992. 95 S. unten, S. 1 4 6 - 1 7 6 . Vgl. WALTER ZIEGLER: Die Bursfelder Kongregation in der Reformationszeit. Dargestellt anhand der Generalkapitelsrezesse der Bursfelder Kongregation (Beiträge zur Geschichte des alten Mönchtums und des Benediktinerordens 2 9 ) . Münster 1 9 6 8 . ECKHART G. FRANZ: Die hessischen Klöster und ihre Konvente in der Reformation. In: Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte 19 ( 1 9 6 9 ) , S. 1 4 7 - 2 3 3 . MEINRAD SCHAAB: Pfälzische Klöster vor und nach der Reformation. In: Blätter für deutsche Landesgeschichte 1 0 9 ( 1 9 7 3 ) , S. 2 5 3 - 2 5 8 . FRANZ SCHRÄDER: Ringen, Untergang und Überleben der katholischen Klöster in den Hochstifiten Magdeburg und Halberstadt von der Reformation bis zum Westfälischen Frieden (KLK 37). Münster 1977, S. 26 f. DERS.: Die Auseinandersetzung der Reformation mit den katholischen Klöstern in den Hochstifiten Magdeburg und Halberstadt. In: Cistercienser Chronik 8 4 ( 1 9 7 7 ) ,
I.
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Einleitung
D a u e r und F o r m ihrer F o r t e x i s t e n z war dabei abhängig v o n d e m j e w e i l s nach lokalen Kräftekonstellationen unterschiedlichen A u s m a ß d e s politischen, s o z i a l e n und wirtschaftlichen D r u c k s , der a u f die G e m e i n s c h a f t e n ausgeübt w u r d e , und d e m h i e r g e g e n aufgebrachten konservativen Beharr u n g s v e r m ö g e n der Brüder.
S. 14-29. BERND JASPERT: R e f o r m a t i o n u n d M ö n c h t u m in Hessen. In: ebd.. S. 3 0 - 5 0 . DIE KARTÄUSER UND DIE REFORMATION, S. oben. A n m . 25. KLAUS GUTH: C a r i t a s P i r c k -
heimer. Kloster und Klosterleben in der Herausforderung der Zeit. In: Caritas Pirckheimer 1467-1532. Eine Ausstellung der Katholischen Stadtkirche Nürnberg 26.6.-8.8. 1982. Katalog bearb. v. L.Kurras u.a. München 1982, S. 13-29. WERNER U. DEETJEN: „So klagen wir das Gott im Himmel!". Der Kampf um die Klosterreformation 1534/1547. In: Blätter für württembergische Kirchengeschichte 88 (1988) (Festschrift für Gerhard Schäfer), S. 22-52. ISNARD W. FRANK: Das Mainzer Dominikanerkloster während der reformatorischen Verunsicherung. In: ECCLESIA MILITANS. Studien zur Konzilien- und Reformationsgeschichte. Festschrift Remigius Bäumer. Bd. 2: Zur Reformationsgeschichte.
Paderborn
u.a.
1988,
S.
435-473.
THOMAS
VOGTHERR:
Äbtissin Margarethe von Boldensen und die Einführung der Reformation im Kloster Isenhagen. In: Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte 60 (1988), S. 161186. PAULA S.D. BARKER: Caritas Pirckheimer. A Female Humanist Confronts the Reformation. In: The Sixteenth Century Journal 26 (1995), S. 259-272.
II. Die Erschütterung des gemeinsamen Lebens in der frühen Reformation 1. Zwischen Kolloquium und Union: Die Fraterherren im frühen 16. Jahrhundert Die deutschen Brüder vom Gemeinsamen Leben schlössen sich auf Betreiben Heinrichs von Ahaus seit 1431 im Münsterschen Kolloquium zusammen. 1 Der Promotor der frühen deutschen Fraterbewegung hatte auf Empfehlung seiner Tante Jutta, Äbtissin des Kanonissenstiftes in Vreden, das Florenshuis in Deventer kennengelernt und nahm im Jahr 1401 als dessen Gesandter an der Konstituierung des Hauses in Münster teil. Heinrich von Ahaus sah die regelmäßigen Zusammenkünfte und den gegenseitigen Austausch unter den Fraterhäusern als geeignetes Instrument, um die noch junge, vielerorts als illegitim bestrittene Lebensform der Brüder abzusichern und ihre weitere Ausbreitung zu fördern. 2 Auf den Treffen im Fraterhaus Zum Springborn sollten die notwendigen Maßnahmen ergriffen werden, um das tägliche Leben möglichst effizient auf den geistlichen Fortschritt des Einzelnen auszurichten, das Wissen hierum an die Nachfolger zu übermitteln und so dem Verfall vorzubeugen. 3 Die von den Brüdern gewählte Form der überregionalen Organisation in einer fraternitas caritativa stellte einen lockeren Verbund dar, innerhalb dessen die einzelnen Häuser
1
Die Kolloquiumsprotokolle s. bei DOEBNER: Annalen und Akten, S. 246-282, und REHM: Quellen zur Geschichte, 25-38. 2 Vgl. KLEMENS LÖFFLER: Heinrich von Ahaus und die Brüder vom gemeinsamen Leben in Deutschland.
In: H J b 3 0 ( 1 9 0 9 ) ,
S. 7 6 2 - 7 9 8 . BARNIKOL: S t u d i e n z u r
Ge-
s c h i c h t e , S. 1 6 - 4 6 , S. 7 2 - 7 6 . KASPAR ELM: H e i n r i c h v o n A h a u s . In: W e s t f ä l i s c h e L e -
bensbilder 15. Hrsg. v. Robert Stupperich (VeröffHistKommWestf 17 A). Münster 1990, S. 1-29, besonders S. 5 f., S. 22 ff. Zu den Anfeindungen gegenüber den Brüdern STEPHAN WÄCHTER: Matthäus Grabow, ein Gegner der Brüder vom gemeinsamen Leben. In: Festschrift zum 50-jährigen Bestandsjubiläum des Missionshauses St.Gabriel Wien-Mödling (Sankt Gabrieler Studien 8). Wien-Mödling 1939, S. 289-376. 3 Vgl. den Prolog des Gründungsstatutes des Kolloquiums, DOEBNER: Annalen und Akten, S. 246.
26
II. Die Erschütterung des gemeinsamen Lebens
ihre selbständige Stellung wahrten.4 Zum Ende des 15. Jahrhunderts gehörten dem Kolloquium die Fraterhäuser in Münster, Köln, Herford, Wesel, Hildesheim, Kassel, Rostock, Marburg, Magdeburg und die von diesen betreuten Schwesternhäuser an.5 Die Häuser in Butzbach, Marienthal und Königstein vollzogen 1469 mit der Errichtung des Oberdeutschen Generalkapitels eine gesonderte Gruppenbildung, der sich die württembergischen Brüderstifte anschlössen.6 Auch unter den norddeutschen Häusern waren seit dem letzten Drittel des 15. Jahrhunderts vor allem Fragen der rechtlichen Gestaltung des Zusammenschlusses der einzelnen Häuser virulent. Im Spannungsfeld zwischen lokaler Autonomie und überregionaler Zentralgewalt plädierten die münsterischen Brüder seit 1470 für eine straffere Einbindung der Gemeinschaften in eine neu einzurichtende Union, deren Generalkapitel mit weitreichenden Befugnissen ausgestattet werden sollte, um einheitliche Statuten aufzustellen und das Leben in den verschiedenen Häusern stärker, als es bisher der Fall gewesen war, zu uniformieren. Der Hildesheimer Rektor Peter Dieburg beharrte demgegenüber auf der Eigenständigkeit der Gemeinschaft auf dem Lüchtenhof. Dieburg lehnte die münsterischen Bestrebungen als einen der brüderlichen Lebensform unangemessenen Versuch ab, durch den die Fraterherren der Freiheit ihres Lebens, die er als singulare decus Christiane religionis pries, verlustig gingen.7 Seine Opposition gegen die münsterischen Unionspläne ist als Stellungnahme in der Auseinandersetzung darüber anzusehen, auf welche Weise die norddeutsche Fraterbewegung ihre Ziele am besten realisieren und ihre Existenz absichern könnte: auf der Seite des Hildesheimer Rektors durch die Bewahrung der ungebundenen Stellung der einzelnen Häuser und die Beto-
4 DOEBNER: Annalen und Akten, S. 248. Vgl. BARNIKOL: Studien zur Geschichte, S. 118 ff. 5 Einen ersten Überblick über die Geschichte der Fraterhäuser verschaffen die Artikel des MFVC 2. Für die Schwestern REHM: Die Schwestern vom gemeinsamen Leben. 6 CRUSIUS: Die Brüder vom gemeinsamen Leben, S. 89-104, 139-160. Zur Datierung FAIX: Gabriel Biel und die Brüder vom gemeinsamen Leben, Kap. IV., 1, S. 98 f.: Im Jahr 1469 schloß sich Butzbach an die Kongregation von Königstein und Marienthal an. 7 DOEBNER: Annalen und Akten, S. 113. BARNIKOL: Studien zur Geschichte, S. 109. CRUSIUS: Die Brüder vom gemeinsamen Leben, S. 104-108. WINDECK: Die Anfänge der Brüder vom gemeinsamen Leben, S. 118-129. ELM: Die Bruderschaft vom gemeinsamen Leben, S. 490. Zu Dieburg s. auch WERNER SCHÜLTKE: Die Brüder vom gemeinsamen Leben und Peter Dieburg (1440-1494) als der kritische Repräsentant der Hildesheimer Eigenart. Diss. Rostock 1969. HEINZ EMSLANDER: Peter von Dieburg. Fraterherr in Hildesheim (Dieburger Kleine Schriften 5). Dieburg 1989.
1. Zwischen Kolloquium und Union
27
nung ihrer Freiheit, oder in Allianz mit den münsterischen Brüdern durch eine Verbandsbildung, die mit stärkerer Uniformität und Zentralisierung den ersten Reformschwung dauerhaft institutionalisieren wollte. 8 Diese Kontroverse beinhaltete damit eine Debatte über das Wesen der Bruderschaft selbst. Nach Dieburgs Tod im Jahr 1494 kam es unter seinen Nachfolgern 1499 tatsächlich zu der Errichtung einer Union, deren Gestalt allerdings aufgrund nicht überlieferter Versammlungsprotokolle kaum präzise zu fassen ist und für deren Aktivität mit Ausnahme der Unionsstatuten nur wenige Belege vorliegen. 9 Der Plan, alle deutschen Fraterhäuser unter einem Generalkapitel zusammenzufassen, in dem das Münstersche Kolloquium und das Oberdeutsche Kapitel als untergeordnete Organisationen lediglich vorbereitende Funktionen für die beschlußfähige Unionsversammlung gehabt hätten, wurde nicht realisiert. Die oberdeutschen Häuser blieben der unio fern, die sich damit räumlich auf das Gebiet des Münsterschen Kolloquiums beschränkt sah und dessen Versammlung mit neuem Namen weiterführte. 10 Dieburg hatte sich gegenüber den Unionsbestrebungen seit 1477 stets darauf berufen, daß das Hildesheimer Haus keine Tochtergründung Münsters, Kölns oder Wesels sei, deren Union 1439 durch das Privileg von Eugen IV. festgeschrieben worden war, 11 und suchte in dieser Argumentation rechtlichen Rückhalt gegen Versuche, das Hildesheimer Haus in die Union zu zwingen. 12 Er behielt sich damit das Recht vor, alle Beschlüsse des Münsterschen Kolloquiums beziehungsweise des Generalkapitels innerhalb der Hildesheimer Gemeinschaft neu zu beraten und sie erst danach, im Falle ihrer Gutheißung, zu übernehmen. Die Einforderung eines strikten Gehor8 Vgl. ELM: Verfall und Erneuerung, besonders S . 200 ff. KLAUS SCHREINER: Dauert Niedergang und Erneuerung klösterlicher Observanz im hoch- und im spätmittelalterlichen Mönchtum. Krisen, Reform- und Institutionalisierungsprobleme in der Sicht und Deutung betroffener Zeitgenossen. In: Institutionen und Geschichte. Theoretische Aspekte und mittelalterliche Befunde. Hrsg. v. Gert Melville. Köln u.a. 1992, S. 295341, besonders S. 304-333. 9 Zu Datierung und Wesen der frühen Union CRUSIUS: Die Brüder vom gemeinsamen Leben, S. 105 f. Die Statuten s. bei DOEBNER: Annalen und Akten, S. 206-245. Vgl. hierzu BOERNER: Annalen und Akten, S. 69, S. 75-81. 10 CRUSIUS: Die Brüder vom gemeinsamen Leben, S. 1 0 4 - 1 0 7 . Zwar nennt das Kolloquiumsprotokoll von 1473 die Häuser in Butzbach, Marienthal und Königstein als Mitglieder der zu gründenden, am Hildesheimer Widerstand scheiternden Union, DOEBNER: Annalen und Akten, S. 266, doch fehlt jeder Hinweis auf eine Teilnahme. 11 Abgedruckt bei ALBERT MIRAEUS: Regulae et constitutiones clericorum in congregatione viventium. In: DERS. : Codex regularum et constitutionum clericalium. Antwerpen 1638, S. 11-13. 12 DOEBNER: Annalen und Akten, S. 267.
IL Die Erschütterung des gemeinsamen Lebens
28
sams im Sinne einer obligatio coactiva sive necessaria durch das Generalkapitel widersprach für ihn den rechtlichen Verhältnissen wie dem Geist der Bruderschaft. 13 Dieburg insistierte darauf, daß nicht eine solche obligatio necessaria, sondern eine oboedientia caritatis die Grundlage der gegenseitigen Beziehungen unter den Brüdern sein sollte, die sich auf diese Weise pointiert vom Religiosentum abgrenzten und Freiheit und Liebe als zentrale Werte ihrer Vereinigung zu realisieren suchten. Die Gründung einer Union hätte daher nach Dieburgs Auffassung eine den Absichten des Brüderlebens entgegenwirkende Annäherung an das Mönchtum und die Verwandlung der Häuser in subiecti und servi zur Konsequenz, die einer auctoritas unterstünden und damit ihrer Freiheit verlustig gingen.14 Die Stellung der einzelnen Hausgemeinschaften zu der Union war abhängig von ihrer jeweiligen Bindung an die Protagonisten in Münster und Hildesheim. Den Kern der Union bildeten die von Eugen IV. 1439 unierten Häuser in Münster, Köln und Wesel, die vom Papst mit dem kirchenrechtlichen Status eines collegium ausgestattet worden waren.15 Den Brüdern war damit gestattet, eine Kirche mit Glockenturm zu errichten, anstatt wie in ihren Anfangen ein halböffentliches Oratorium zu unterhalten, allgemein verbindliche Statuten aufzustellen, anstatt interne Hausgewohnheiten zu befolgen, und als Vorsteher einen praepositus, nicht wie bisher einen paterfamilias als primus inter pares, aus der Zahl der Kanoniker zu wählen Dazu setzte das päpstliche Privileg die Exemtion aus der Parochie und die Unterstellung unter das Ortsordinariat fest. Während das Kolloquium von 1440 noch beschlossen hatte, auf den Gebrauch des Titels ecclesia collegiata und der sich daraus ergebenden Rechte zu verzichten, beriefen sich die Brüder seit 1470 stärker auf das päpstliche Privileg,16 das zur Grundlage der münsterischen Unionspläne wurde. Aus dem von Eugen IV. gebrauchten Terminus des capitulum generale entwickelten die münsterischen Brüder den Anspruch, unter Ausweitung der den Häusern in Münster, Köln und Wesel verliehenen Rechte eine Union aller Fraterhäuser zu bilden.17 Den Unionsstatuten wurde entsprechend ein Abschnitt Statuta et ordinaciones ex bulla Eugeniana vorangestellt, der in über weite Teile wörtlicher Übernahme die nun wahrgenommenen Rechte der Brüder wie-
13
DOEBNER: Annalen und Akten, S. 276 f. DOEBNER: Annalen und Akten, S. 274. 15 MIRAEUS: Regulae, S. 11 f. CRUSIUS, Die Brüder vom gemeinsamen Leben, S. 78. 16 CRUSIUS: Die Brüder vom gemeinsamen Leben, S. 42 ff. 14
17
BOERNER: Annalen und Akten, S. 77-79. CRUSIUS: D i e Brüder v o m g e m e i n s a m e n
Leben, S. 78.
1. Zwischen Kolloquium und Union
29
d e r h o l t e . 1 8 D a s d e m V e r b a n d v o r s t e h e n d e G e n e r a l k a p i t e l s o l l t e dabei a u s d e m münsterischen R e k t o r und vier weiteren Kanonikern des H a u s e s Z u m S p r i n g b o r n s o w i e d e n R e k t o r e n der a n g e s c h l o s s e n e n H ä u s e r mit j e e i n e m Beigeordneten
zusammengesetzt
sein.19
An
die
rheinisch-westfälischen
H ä u s e r in M ü n s t e r , K ö l n u n d W e s e l s c h l o ß s i c h d i e F r a t e r g e m e i n s c h a f t in M a r b u r g an, d i e a u f W u n s c h d e s S t i f t e r s n a c h d e r e n V o r b i l d errichtet u n d 1 4 7 7 v o n S i x t u s IV. mit d i e s e n uniert w o r d e n w a r . 2 0 D e r M a r b u r g e r R e k t o r Bernhard R o t h e r t , der z u s a m m e n mit F r i e d r i c h M o r m a n n a u s d e m Frat e r h a u s M ü n s t e r z u r G r ü n d u n g der G e m e i n s c h a f t n a c h M a r b u r g g e g a n g e n w a r , visitierte u m d i e W e n d e z u m 16. Jahrhundert v i e l f a c h im A u f t r a g d e s Generalkapitels.21 A u c h der Rektor des R o s t o c k e r Hauses, das v o n M ü n ster a u s g e g r ü n d e t 2 2 u n d 1 4 7 6 v o n B i s c h o f B a l t h a s a r v o n S c h w e r i n n a c h d e m V o r b i l d der G e m e i n s c h a f t e n in M ü n s t e r u n d K ö l n b e s t ä t i g t
worden
w a r , 2 3 erklärte 1 4 9 9 für s i c h u n d die v o n ihm g e l e i t e t e H a u s g e m e i n s c h a f t , sich d e m G e n e r a l k a p i t e l u n t e r z u o r d n e n . 2 4
18
D a s H a u s in M e r s e b u r g ,
erst
DOEBNER: Annalen und Akten, S. 210-212. FAIX: Gabriel Biel und die Brüder vom gemeinsamen Leben, Kap. IV., S. 97-216, weist zahlreiche wörtliche Übereinstimmungen zwischen den oberdeutschen Statuten und denen der Union von 1499 nach, so daß eine Orientierung der münsterischen Brüder an dem oberdeutschen Generalkapitel anzunehmen ist. Auch die Brüder im Gefolge Gabriel Biels hatten sich für ihre enge Verbandsbildung in erster Linie des Privilegs von Eugen IV. bedient. 19 DOEBNER: Annalen und Akten, S. 212 f. 20 ALBRECHTECKHARDT (Hrsg.): Die oberhessischen Klöster. Regesten und Urkunden 2 (VeröffHistKomm Hessen und Waldeck 9. Klosterarchive, Regesten und Urkunden 4). Marburg 1967, S. 374-376. DOEBNER: Annalen und Akten, S. 176-178. MFVC 2: S. 162 (K.Heinemeyer). Der münsterische Rektor erhielt auf Beschluß des Kolloquiums seit 1482 besondere Vollmachten bei der Bestellung des Marburger Rektors und der Durchführung der Visitationen, REHM: Quellen zur Geschichte, S. 37 f. 21 DOEBNER: Annalen und Akten, S. 279 (1497), S. 282 (1501 und 1502). Dombibliothek Hildesheim, Hs.Ps.10, fol. 338 r " v (Kassel 1499), und fol. 153 r -154 r (Hildesheim 1510). HASt Köln, Weidenbach, A 1 (1510). 22 Ein in Rostock schon bestehender Devotenkreis konstituierte sich 1462 mit der Ankunft münsterischer Brüder zum Fraterhaus viridis orti, das 1466 in den Protokollen des Kolloquiums als immediata filia domus Fontissalientis genannt wird. DOEBNER: Annalen und Akten, S. 263. CRUSIUS, Die Brüder vom gemeinsamen Leben, S. 69. Ais erste Rektoren fungierten die Münsteraner Heinrich Xantis und Johannes Veghe. Zu dem frühen, bis heute kaum beachteten Devotenkreis in Rostock vgl. FRATERHAUS HERFORD 1: S. 189-191, besonders 190 f. (Stiftung von Bartolt Bolen). 23 G.C.F. LISCH: Geschichte der Buchdruckerkunst in Mecklenburg bis zum Jahre 1540. Mit einem Anhang über die Bearbeitung des Reineke Voß (=Jahrbücher des Vereins für mecklenburgische Geschichte und Alterthumskunde 4). Schwerin 1839, S. 233238, besonders S. 235. 24 DOEBNER: Annalen und Akten. S. 281. Vermutlich handelte es sich um Wilhelm Pothe, der bis 1499 als Rektor belegt ist, vgl. MFVC 2: S. 216 (H.Thierfelder).
30
II. Die Erschütterung des gemeinsamen
Lebens
1503 gegründet, hat vermutlich ebenfalls enge Bindungen an den Kreis dieser Gemeinschaften unterhalten. Seine Approbation durch Bischof Thilo von Merseburg definierte die Neugründung als Kollegium nach dem Vorbild des Hauses in Marburg und gestand ihr volle geistliche Freiheit zu. Der erste Rektor des Hauses, Jacobus Molle aus Attendorn, war wie in Marburg und Rostock aus dem Fraterhaus in Münster entsandt worden. 25 Anders als diese Gemeinschaften waren diejenigen in Kassel und in Magdeburg nicht mit dem münsterischen Haus, sondern mit dem Hildesheimer Lüchtenhof verbunden. Das Magdeburger Haus war mit Unterstützung des Stiftsherren von St. Gangolf und erzbischöflichen Leibarztes Thomas Hertzhorn durch die Entsendung zweier Hausmitglieder des Lüchtenhofs im Jahr 1482 initiiert worden und übernahm in der confoederatio von 1486 dessen Statuten. Dazu galt für alle Brüder in beiden Hausgemeinschaften eine gegenseitige Mitgliedschaft. 26 Die Gründung des Fraterhauses in Kassel im Jahr 1454 durch Landgraf Ludwig II. hatte die Übernahme der Hildesheimer Statuten und die Besetzung der Kasseler Gemeinschaft durch Hildesheimer Brüder impliziert. 27 Die Haltung der Häuser in Magdeburg und Kassel gegenüber der Union läßt sich jedoch aus den vorliegenden Quellen kaum erkennen. Der 1499 in Magdeburg gewählte Rektor Nikolaus Dorsten besuchte in den folgenden Jahren, ebenso wie der Vorsteher der Kasseler Gemeinschaft, die münsterische Versammlung. 28 Da dies jedoch auch für den Hildesheimer Rektor belegt ist, kann die bloße Tatsache des Besuchs auf dem Kolloquium nicht als hinreichendes Indiz für einen Anschluß an die Union angesehen werden. 29 Es liegt zudem kein Hinweis darauf vor, daß sich diese Häuser rechtlich an die Union der westfälisch-rheinischen Häuser angeschlossen und ihre Privilegien und Statuten aufgegeben hätten. 30
25
MFVC 2: S. 184 (I.Crusius). Dombibliothek Hildesheim, Hs.Ps.10, fol. 339 r -340 v . MFVC 2: S. 143 (I.Crusius). Die Bindung zwischen den Häusern entsprach damit derjenigen der Häuser in Münster und Köln aus dem Jahr 1425. 27 DOEBNER, Annalen und Akten, S. 166-169. 28 DOEBNER, Annalen und Akten, S. 281 f. 29 Die Unionsstatuten sahen ausdrücklich auch die Zulassung nicht unierter Häuser auf der Versammlung vor, vgl. DOEBNER, Annalen und Akten, S. 213, wohl um alle Möglichkeiten für weitere Beitritte offenzuhalten. 30 Da die Hildesheimer Überlieferung der Kolloquiumsprotokolle gewissenhaft die Anwesenheit des Kasseler Rektors in Münster verzeichnet und vom Tod des Magdeburger Rektors im Jahr 1505 berichtet, scheint nach wie vor eine enge Bindung zwischen dem Lüchtenhof und seinen „Gründungen" vorgelegen zu haben, vgl. DOEBNER: Annalen und Akten, S. 279 ff. 26
1. Zwischen Kolloquium und Union
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Inwieweit es nun innerhalb des reduzierten Ausbreitungsgebietes der auf dem Gebiet des Münsterschen Kolloquiums gegründeten Union gelang, den seit 1470 von Münster aus erhobenen Anspruch auf eine stärker zentral gelenkte Brüderbewegung im frühen 16. Jahrhundert einzulösen, hing maßgeblich von zwei Fragen ab, deren Handhabung nach den Vorgaben der Unionspläne für Dieburg eindeutige Verletzungen der brüderlichen Freiheit dargestellt hätten, nämlich der Kontrolle und Mitbestimmung bei der Wahl von neuen Rektoren und der Durchführung der Visitationen durch den Vorsteher des Hauses Zum Springborn. In den Protokollen des Kolloquiums wird erstmals 1471 erwähnt, daß der münsterische Rektor mit zwei von ihm hinzugezogenen Mitgliedern der Versammlung beanspruchte, die Visitatoren für die Fraterhäuser zu ernennen. 31 In Dieburgs ablehnender Zusammenfassung der Unionspläne aus dem Jahr 1482 wird dieser Punkt erneut zurückgewiesen. Ebenso war für Dieburg eine verpflichtende Teilnahme des münsterischen Rektors oder seines Abgesandten bei der Wahl eines neuen Rektors unstatthaft. 32 In den später eingesetzten Unionsstatuten waren diese Ansprüche, wie sie nach Dieburg vom Vorsteher des münsterischen Hauses gestellt wurden, in abgeschwächter Form vertreten. Hier sollte nicht mehr der Rektor allein, sondern das Generalkapitel insgesamt die Visitatoren bestimmen, in dem allerdings das Haus Zum Springborn mit dem dux verbi und vier weiteren Kanonikern mehr Stimmen als die anderen Gemeinschaften stellte. Die Visitationen innerhalb der Union sollten zudem auctoritate generali capituli stattfinden, also von diesem selbständig initiiert und durchgeführt werden. 33 Dem jeweiligen Rektor wurde dabei auferlegt, zu Beginn der Visitation die Ablösung vom Amt zu erbitten. Für den 31 DOEBNER: Annalen und Akten, S. 266. Dieburg widerspricht dem durch den Zusatz: „Domus Hildesemensis habet et habuit visitatores suos determinatos auctoritate ordinaria. " Das Gründungsstatut von 1431 hatte die Bestimmung der Visitatoren dem Kolloquium insgesamt vorbehalten, nicht allein dem münsterischen Rektor, DOEBNER: Annalen und Akten, S. 250 f. 32 DOEBNER: Annalen und Akten, S. 277. 1431 hatten die Fratergemeinschaften bei der Wahl eines neuen Rektors den Rat (consilio) der Visitatoren einholen und ohne deren Zustimmung keinen Vorsteher ablösen sollen, DOEBNER: Annalen und Akten, S. 251. In den bei REHM: Quellen zur Geschichte, S. 36-38, gedruckten Kolloquiumsprotokollen aus der Berliner Handschrift, die vermutlich aus dem Fraterhaus Münster stammt, fehlt das Protokoll des Jahres 1471. Zu 1482 findet das bei Dieburg betonte Zentralisierungsbestreben des münsterischen Hauses gar keine Erwähnung. Dies beleuchtet „...aber überdeutlich die Differenzen und die Spaltung der deutschen Brüderbewegung, welche aus münsterischer Sicht bei weitem nicht so ausgeprägt dargestellt worden wäre... ", REHM: Quellen zur Geschichte, S. 20. 33 Zu den weitreichenden Befugnissen des oberdeutschen Kapitels vgl. FAIX: Gabriel Biel und die Brüder vom gemeinsamen Leben, Kap. IV, 3.2.2., S. 120 f.
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II. Die Erschütterung des gemeinsamen Lebens
Fall, daß die Visitatoren die Ablösung des Vorstehers für notwendig hielten, war allerdings die vorherige Zustimmung der Hausgemeinschaft vorgesehen. 34 Auch die Teilhabe der Visitatoren an der Wahl eines neuen Rektors wurde in den Unionsstatuten festgeschrieben. Diese sollten zusammen mit den Kanonikern des jeweiligen Hauses ein Mitglied des Hauskapitels zum neuen Rektor küren. 35 Damit war der Führungsanspruch des Generalkapitels auf der Grundlage einer Dominanz des Hauses Zum Springborn in der Rektorenwahl deutlich verankert. Das Generalkapitel verstand seine Maßnahmen in Visitation und zentraler Leitung der Brüdergemeinschaften als solche einer übergeordneten Institution. Eine Betrachtung des Ablaufs der Visitationen und der Gestaltung der Rektorenwahlen im ausgehenden 15. und frühen 16. Jahrhundert soll im folgenden zu klären versuchen, inwieweit das münsterische Haus seine Position durchsetzen konnte beziehungsweise wie sich das Zusammenspiel zwischen den einzelnen Fratergemeinschaften und dem Generalkapitel gestaltete. In Hildesheim führte die über zwanzig Jahre währende Opposition Dieburgs zu einer dauerhaften Beibehaltung der Eigenständigkeit des Lüchtenhofes. So beinhalten die Unionsstatuten in der Hildesheimer Überlieferung nach dem Kapitel über den Modus der Rektorenwahl ein zusätzliches Kapitel zum Modus eligendi rectori huius domus y' Den Visitatoren wurde hier keine Teilnahme an der Wahl eingeräumt. Die Mitglieder des Hauses vollzogen stattdessen die Wahl vor einem Notar und Zeugen und wahrten damit auch den privatrechtlichen Charakter der Gemeinschaft Nach Dieburgs Tod 1494 war es zwar zu einer Annäherung zwischen den Häusern in Hildesheim und Münster gekommen, doch hielt ersteres an seiner rechtlichen Unabhängigkeit fest. Als Dieburgs Nachfolger Johannes Hinsberch 1497 in Münster um die Visitation des Lüchtenhofes bat, forderte der dortige Rektor eine schriftliche Zusicherung, daß die Brüder auf dem Lüchtenhof im Falle einer solchen Untersuchung die Autorität der Visitatoren anerkennen würden. 37 Die Annalen vermerken jedoch zu der 1498 schließ-
34 DOEBNER: Annalen und Akten, S. 214 f. Dem entsprach auch die Praxis im 15. Jahrhundert, vgl. die Visitation in Rostock im Jahr 1475 nach LISCH: Geschichte der Buchdruckerkunst, S. 228-233. 35 DOEBNER: Annalen und Akten, S. 216. Dies entspricht in abgeschwächter Form den oberdeutschen Statuten, vgl. FAIX: Gabriel Biel und die Brüder vom gemeinsamen Leben, Kap. IV, 3.6, S. 217 f. 36 DOEBNER: Annalen und Akten, S. 216 f. BOERNER: Annalen und Akten, S. 88 f. 37 DOEBNER: Annalen und Akten, S. 279. BARNIKOL: Studien zur Geschichte, S. 133, qualifiziert die Amtsinhaber nach Dieburg in der seiner Argumentation imma-
1. Zwischen Kolloquium und Union
33
lieh durchgeführten Visitation, daß diese „...auetoritate ordinaria et resignacionem rectoris tunc pro tempore existentis consensu fratrum et multis respectibus eos ad hoc moventibus aeeeptaverunt et alium electum a fratribuspredicta auetoritate confirmaverunt... ", 38 Die vom Hildesheimer Bischof bestätigten Statuten und Privilegien des Hauses blieben also inklusive der selbständigen Rektorenwahl gewahrt, die Annahme der von den Visitatoren bestimmten Korrekturen blieb auf den Einzelfall beschränkt. Derselbe Sachverhalt wurde 1499 für die Stellung des Hildesheimer Hauses innerhalb der Union wiederholt. 39 Der Rektor des Lüchtenhofes sollte alle zwei Jahre die Unionsversammlungen in Münster besuchen, war jedoch keiner rechtlichen Verpflichtung unterworfen. Der Status des Hauses als eine Art assoziiertes Mitglied der Union drückte sich einerseits darin aus, daß der Lüchtenhof alle Privilegien, Statuten und Gewohnheiten uneingeschränkt weiterführen durfte. Andererseits wurde jedoch vorgesehen, zu Visitationen des Lüchtenhofes Abgeordnete des Unionskapitels hinzuzuziehen, wenn auch nur zusätzlich zu den vom Bischof bestimmten Visitatoren40 und ohne Einschränkung der Verbindungen der Hildesheimer Brüder zu den niederländischen Häusern. 41 An der Wende zum 16. Jahrhundert waren somit die münsterischen Pläne zu stärkerer Zentralisierung weiterhin darauf angewiesen, um ihre Anerkennung in den östlich gelegenen Häusern zu werben. Noch 1506 scheint hier keine endgültige Entscheidung gefallen zu sein, da in Münster erneut über eine Union aller Fraterhäuser beraten wurde. 42 Zwar erlaubte der Besuch der Unionsversammlungen durch die Rektoren aus Hildesheim, Kassel und Magdeburg in der Praxis ein gemeinsames Handeln der norddeutschen Häuser in Fragen der gegenseitigen Korrektur des gemeinschaftlichen Lebens, doch lag eine Unterordnung im Sinne einer obligatio necessaria nicht vor.
nenten Logik als „schwächliche Nachfolger", da sie anders als ihr Vorgänger die Unabhängigkeit des Hauses aufgegeben hätten. 38 DOEBNER: Annalen und Akten. S. 280. 39 DOEBNER: Annalen und Akten, S. 280 f. 40 Noch 1495 war der Lüchtenhof allein durch die bischöflichen Visitatoren Henning Kalberg, Abt von St. Godehard, und den Prior der Dominikaner, Caspar, besucht worden, s. Dombibliothek Hildesheim, Hs.Ps.10, fol. 154 v . 41 DOEBNER: Annalen und Akten, S. 281. Die Hildesheimer Brüder besuchten regelmäßig auch die Versammlungen des Zwoller Kolloquiums, vgl. bei Doebner im Register das Lemma „Zwolle, Colloquium zu". 42 DOEBNER: Annalen und Akten. S. 282. BOERNER: Annalen und Akten, S. 69, sieht die Union 1499 schon vollzogen, BARNIKOL: Studien zur Geschichte, S. 134. dagegen 1506 als noch nicht endgültig an. Vgl. BRÜGGEBOES: Die Fraterherren im Lüchtenhofe. S. 23 f.
II. Die Erschütterung des gemeinsamen
34
Lebens
Auch im Jahr 1510 bot eine Visitation des Lüchtenhofs durch die Rektoren Heinrich Themme aus Münster und Bernhard Rothert aus Marburg sowie die Äbte Henning Kalberg von St.Godehard und Johannes Löff von St.Michael in Hildesheim ein unverändertes Bild. Zwar erließen die Visitatoren weit in das innere Leben des Hauses eingreifende Maßregeln, um den gestörten Hausfrieden wiederherzustellen, 43 doch wird mehrfach die nach wie vor vorhandene Sonderstellung der Hildesheimer Fratergemeinschaft deutlich. Die Brüder wurden aufgefordert, die statuta generalis Capituli patrum vestrorum anzunehmen, und sie den eigenen statuta vestra zuzufügen. Den Beschlüssen des Generalkapitels entgegenstehende Abschnitte der eigenen Hausordnung sollten entfernt werden, die häufige Verlesung der neu zusammengestellten Statuten die allgemeine Kenntnis im Haus gewährleisten. 44 Obwohl also die münsterischen Bemühungen um eine Vereinheitlichung der norddeutschen Fraterbewegung fortdauerten, ist es bis 1510 in Hildesheim nicht zu einer vollständigen Übernahme der Unionsstatuten gekommen. Auch für die Herforder Gemeinschaft, die in den Jahren 1502, 1504, 1509, 1513 und 1519 wiederholt visitiert wurde, ergibt sich der Eindruck, daß die Bestimmungen der Unionsstatuten nur allmählich bekannt wurden und ein verpflichtender Gehorsam gegenüber dem Generalkapitel als fördernder Faktor ihrer Annahme nicht vorhanden war. Noch 1499 hatte das 43
Dombibliothek Hildesheim, Hs.Ps. 10, fol. 153 r : Die Brüder Hermann und Konrad von Paderborn wurden aus der Gemeinschaft ausgeschlossen und durften ohne Erlaubnis der Visitatoren nicht wieder aufgenommen werden. Ebenso durfte der Bruder Johannes nicht aufgenommen werden, die Brüder Arnold Goer und der Prokurator Hermann sollten in Abwesenheit des Rektors die Geschäfte führen. Auch in Köln wurden bei einer Visitation im Jahr 1510 gravierende Störungen des Hausfriedens festgestellt. HASt Köln, Weidenbach, A 1. Die Visitatoren waren wiederum Heinrich Themme und Bernhard Rothert, dazu der Weseler Rektor Jacobus Attendorn, der Kölner Kanoniker Johannes Ratingen sowie der Professor theol. und Dr. decret. Thomas de Scotia. Der Vizerektor Conradus Kempis hatte nach dem Verhörprotokoll mittels Intrigen versucht, den Rektor Johannes Scholl de Essendia abzulösen. Scholl ging auf Anraten von Conradus Kempis für längere Zeit nach Zülpich, offenbar auch, um ein Vorgehen des Kölner Rates zu vermeiden, der die Brüder anklagte, zu viele Mitglieder aufgenommen und unerlaubt städtische Mühlen in Anspruch genommen zu haben, s. HASt Köln, HUA 15543 (1510, Feb. 18). Die Aufmerksamkeit des Kölner Rates war nach dem Protokoll von Conradus Kempis absichtlich auf das Fraterhaus gelenkt worden. HASt Köln, Weidenbach, A 1, fol. l r . Von einem Parteigänger des Conradus Kempis, des Confessors der Schwestern in St.Reynold Wilhelmus Bunna, nahmen die Visitatoren sogar an, er habe den Kölner Magistrat gebeten, sich an den münsterischen Rat zu wenden, um Informationen über die Möglichkeit des Ausschlusses des Rektors zu erhalten. HASt Köln, Weidenbach, A 1, fol. 5V. 44 Dombibliothek Hildesheim, Hs.Ps. 10, fol. 154 r .
I. Zwischen Kolloquium und Union
35
Kolloquiumsprotokoll das wiederholte Fehlen des Herforder Rektors moniert. 4 5 Ein Bericht über die Visitation des Jahres 1504 erlaubt einen genauen Einblick in den Ablauf der Absetzung des alten Rektors Wessel Scharnow und der Wahl seines Nachfolgers Andreas Walschart. 4 6 Aufgrund der Befragung der einzelnen Brüder kam die Kommission zu dem Ergebnis, daß nur die Ablösung von Wessel Scharnow ein erfolgsversprechendes Rezept zur Reformation des Hauses böte. Der Prior des Windesheimer Chorherrenstiftes in Möllenbeck, Anthonius Bedeker, setzte daraufhin unter Berufung auf die ihm von Äbtissin Bonizeth von Limburg verliehenen Vollmachten den abwesenden Rektor ab. 47 Diese Vollmacht umschloß neben der Absetzung des alten auch die Einsetzung des neuen Rektors. 4 8 Anstatt einer Inanspruchnahme dieses Rechtes erfolgte die Wahl von Andreas Walschart jedoch nach dem Modus, der in den Unionsstatuten vorgesehen war, also durch ein gemeinsames Gremium der Visitatoren und der Hausgemeinschaft. 4 9 Diese Teilnahme der Visitatoren war zuvor in der häuslichen Praxis offenbar nicht üblich gewesen, da der Wahlbericht hierzu zusätzlich vermerkt: „...quod et concessum est."50 Zudem wurde diese Teilnahme von sehen der Visitatoren nicht mit den Unionsstatuten, sondern mit der Visitationsvollmacht der Herforder Äbtissin begründet. 5 1 Damit bot
45
DOEBNER: Annalen und Akten. S. 281. Das Herforder Haus war seit 1436 mit dem in Münster verbrüdert, FRATERHAUS HERFORD 1: S. 51-53. Zu den Visitationen s. FRATERHAUS HERFORD 1: S. 175-178. Der Rektor des münsterischen Hauses war bei den Untersuchungen stets vertreten, während die ihn begleitenden Rektoren anderer Fraterhäuser und Vertreter des Religiosentums wechselten. Seit dem Jahr 1513 bildeten die Rektoren aus Münster und Hildesheim gemeinsam, zusammen mit den Prioren aus Möllenbeck und Falkenhagen, die Visitationskommission, FRATERHAUS HERFORD 1: S. 114-116. 46
FRATERHAUS HERFORD 1: S . 1 7 5 f.
47
FRATERHAUS HERFORD 1: S. 175. Zuvor hatten die Visitatoren für die Absetzung, ebenfalls in Übereinstimmung mit den Unionsstatuten, vgl. DOEBNER: Annalen und Akten, S. 215, die Brüder einzeln nach ihrem Einverständnis zu diesem Schritt befragt. 48
FRATERHAUS HERFORD 1: S . 1 0 4 .
49
FRATERHAUS HERFORD 1: S. 1 7 5 .
50
FRATERHAUS HERFORD 1: S . 1 7 6 .
51
FRATERHAUS HERFORD 1: S. 176. Eine gemeinsame Wahl kann man vermutlich auch bei dem Votum für den Nachfolger von Walschart, Bartholomäus Vechel, im Jahr 1509 annehmen, über die nur in kurzer Form berichtet wird, FRATERHAUS HERFORD 1: S. 177: „Rursum redeuntes visitatores praefati anno 1509 elegerunt Bartholomeum Buderen de Vechel...". Unter dem Vorzeichen des Bekenntnisses zu Luther wählte die Fratergemeinschaft im Jahr 1528 ohne Hinzuziehung der Visitatoren den Rektor Gerhard Wilskamp, dies unter Vorsitz führender Vertreter der lutherischen Partei in Herford, dem Dekan des Stifts St. Johann und Dionys, Johann Grest, dem Augustiner-Eremiten Johann Dreier und Jakob Montanus. dem Confessor im Herforder Schwestern-
36
IL Die Erschütterung des gemeinsamen
Lebens
nicht die auctoritas generalis capituli die Grundlage zur Durchfuhrung der Visitation, sondern die Unterstellung des Herforder Fraterhauses unter die Ordinariatsgewalt der Herforder Reichsäbtissin, wenn auch die Visitatoren eine Rektorenwahl nach den Unionsstatuten aufgrund von deren Vollmacht zu etablieren suchten. In Magdeburg traf Erzbischof Ernst im Jahr 1509 ebenfalls Bestimmungen zur Visitation des Fraterhauses. 52 Hier wurde den Rektoren der Häuser in Deventer, Zwolle, Münster, Herford, Hildesheim oder Kassel das Recht zur Untersuchung der Brüder in Magdeburg eingeräumt. Der Rektor sollte jeweils die Ablösung vom Amt erbitten, die von den Visitatoren mit dem Willen der Hausgemeinschaft angenommen werden konnte. Der neue Vorsteher war anscheinend von der Hausgemeinschaft selbständig zu wählen, da den Visitatoren nur ein Recht zur Bestätigung desselben zugewiesen wurde. Zusammengefaßt ergeben die vorliegenden Berichte des frühen 16. Jahrhunderts das Bild einer regelmäßigen Visitationspraxis, die von einem intakten Gemeinschaftsbewußtsein unter den norddeutschen Fraterhäusern zeugt, welches den scharfen Dissens zwischen Peter Dieburg und dem Haus in Münster um die Gründung einer Union überwunden hatte. Diese ist im Sinne einer strikten Hierarchisierung und Zentralisierung der norddeutschen Fraterbewegung unter einer münsterischen Vorherrschaft, wie sie nach Dieburg seit 1470 propagiert worden war, nicht zustande gekommen. Die Häuser in Münster, Köln und Wesel setzten zusammen mit dem später hinzukommenden Haus in Marburg die päpstlichen Privilegien von Eugen IV. und Sixtus IV. mit der Errichtung des mit besonderen Vollmachten in Visitation und Statutengebung versehenen Capitulum generale in die Tat um. Das Haus in Rostock schloß sich aufgrund eines freien Beschlusses des Rektors und der Hausgemeinschaft an. Trotz des Besuchs der Unionsversammlungen und der gemeinsamen Durchfuhrung von Visitationen auch unter Mitwirkung des münsterischen Rektors behielten die Häuser in Hildesheim und Herford wie vermutlich auch in Kassel und Magdeburg zum Teil von den Unionsstatuten abweichende Gewohnheiten bei. Bei der Durchfuhrung der Visitationen, die sowohl in Hilhaus. Die Brüder bemühten sich jedoch um eine nachträgliche Anerkennung der selbständigen Wahl durch die Visitatoren, die sie mit Hinweis auf die Wirren der Reformationszeit und die in Herford grassierende Pestgefahr legitimierten, FRATERHAUS HERFORD 1: S. 177. 52
URKUNDENBUCH DER STADT MAGDEBURG. B d . 3: 1 4 6 5 - 1 5 1 3 . B e a r b . v.
Gustav
Hertel (Geschichtsquellen der Provinz Sachsen und angrenzender Gebiete 28). Halle 1 8 9 6 , S. 8 0 9 f., Nr. 1 4 4 7 ( 1 5 0 9 , A u g . 3 ) .
1. Zwischen Kolloquium und Union
37
desheim als auch in Herford als Mittel der Durchsetzung der Unionsstatuten genutzt wurden, kam der Ordinariatsgewalt eine bedeutende Rolle zu. Alle vorliegenden Visitationsberichte, sowohl die verschiedenen Untersuchungen in Herford als auch die in Hildesheim und Köln im Jahr 1510, berufen sich auf die auctoritas ordinaria, um die Maßnahmen der Visitatoren zu rechtfertigen. Neben den Repräsentanten des Generalkapitels, als die vor allem der münsterische Rektor selbst in Verbindung mit dem Marburger Rektor Bernhard Rothert auftraten, waren stets auch Vertreter des lokalen Reformmönchtums Mitglieder der Untersuchungskommissionen, so in Herford regelmäßig die Prioren von Möllenbeck und Falkenhagen, in Hildesheim der Abt von St. Godehard. 5 3 Der Anspruch des Generalkapitels, die Visitationen in eigener Verantwortung durchzuführen, wurde hier mit der Unterstellung der Fraterhäuser unter die Ordinariate konfrontiert. Von diesen mußten in der Regel die Visitatoren ernannt werden, wobei die entsprechenden Vollmachten stets auf die konkrete Person, nicht etwa die Institution des Generalkapitels, ausgestellt wurde und zeitlich beschränkt blieb. 54 Im Falle von Mißständen in den einzelnen Hausgemeinschaften bot sich hier jedoch auch die Möglichkeit einer Koalition des bischöflichen Reforminteresses mit dem Wunsch des Generalkapitels, seinen Einfluß vor Ort zu intensivieren Im Falle der Herforder Visitationen enthalten die von Äbtissin Bonizeth von Limburg 1504 und 1513 ausgestellten Visitationsvollmachten entsprechend besonders hervorgehobene Punkte, die auf die konkrete Situation und die Zielsetzung der Visitation abgestimmt zu sein scheinen. So war den Visitatoren 1504 das Recht zur Ab- und Einsetzung eines neuen Rektors eigens eingeräumt worden, und zwar in einer Form, die nicht mit den Unionsstatuten übereinstimmte und von den Visitatoren in modifizierter Art und Weise in Anspruch genommen wurde, während 1513 der Erlaß von neuen beziehungsweise die Streichung alter Statuten betont wurde. 55 Wenn man in Betracht zieht, daß auch in Hildesheim im Jahr 1510 die Visitatoren verstärkt auf die Annahme der Unionsstatuten durch den Lüchtenhof drängten, 56 erhält diese kurz darauf in Herford ausgestellte Vollmacht besondere Bedeutung. Vermutlich forcierte das Generalkapitel in der zweiten Dekade des 16. Jahrhunderts seine Bemühungen, die Statu5J In Herford leitete 1502 der Provinzial der Augustiner-Eremiten Hermann Schildesche die Visitation, an der auch der Offizial der Äbtissin teilnahm. FRATERHAUS
HERFORD 2 : S. 1 7 5 . 54
Dies gilt auch für das unierte Haus in Köln. HASt Köln, Weidenbach A 1, fol. 8 r .
V g l . FRATERHAUS HERFORD 1: S. 9 8 , S. 1 0 4 , S. 1 1 4 - 1 1 6 . S . 1 7 7 f . 55
FRATERHAUS HERFORD 1: S
56
Dombiliothek Hildesheim. Hs.Ps.10. fol. 154 r .
115.
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II. Die Erschütterung des gemeinsamen Lebens
ten in den einzelnen Fratergemeinschaften zu vereinheitlichen. Sollte 1513 in Herford tatsächlich ein der Visitationsvollmacht entsprechender Versuch gemacht worden sein, in Herford neue Statuten - also wohl diejenigen der Union - einzuführen, setzt dies das Einverständnis des Hildesheimer Rektors Heinrich Hoff aus Utrecht voraus, der seit diesem Jahr gemeinsam mit dem münsterischen Vorsteher in Herford visitierte. Allerdings zeugt die Kombination von Unionsstatuten und den Hausgewohnheiten des Lüchtenhofs in der Hildesheimer Überlieferung von der Beibehaltung des Status von 1499: der Lüchtenhof wahrte seine Eigenständigkeit und blieb lediglich assoziiertes Mitglied der Union. Möglicherweise wurde eine Zusammenfassung der als unaufgebbar betrachteten Rechte der einzelnen Hausgemeinschaft mit den Unionsstatuten, wie sie in Hildesheim vorliegt und vielleicht gerade nach der Visitation von 1510 vorgenommen worden ist, 57 im Jahr 1513 auch in Herford ins Auge gefaßt. Allerdings bietet die Quellenlage in Herford keinen Hinweis auf einen engeren Anschluß an die Union. Eine Herforder Abschrift der Unionsstatuten, ob mit oder ohne weitere Zusätze, liegt nicht vor. Die Überarbeitung des ersten Teils der Hausordnung, die in der Reformationszeit nach dem Bekenntnis der Brüder zu Luther erfolgt ist, nimmt vielmehr die alten Statuten des Varenkampinghofs aus dem 15. Jahrhundert als Grundlage. 58 Auch sah sich der Rektor Gerhard Wilskamp noch 1532 nicht dem Generalkapitel, sondern den von der Äbtissin eingesetzten Visitatoren aus Münster und Hildesheim als unse oversten verpflichtet. 59 Zugespitzt formuliert gibt es keinen Hinweis darauf, daß in dem Selbstverständnis der Häuser in Herford und in Hildesheim die Einbindung in die Union eine andere rechtliche Bedeutung als die in das Münstersche Kolloquium gehabt hätte. In der Praxis bildete sich damit ein Mittelweg zwischen den Positionen von Dieburgs Betonung der Freiheit und einem auf vollständige Umsetzung der Zentralisierungsbemühungen insistierenden Unionsplan heraus. Eine gemeinschaftliche Regelung der disziplinären Probleme des Brüderlebens und ein regelmäßiger Austausch wurden aufrechterhalten, ohne daß die Gründung der Union unterblieben wäre.
57 BOERNER: Annalen und Akten. S. 93 f., vermutet eine spätere Redaktion der Unionsstatuten für das Hildesheimer Haus, nämlich erst unter Rektor Paulus Nagelsmedt. der von 1520-1559 Rektor auf dem Lüchtenhof war. 58 FRATERHAUS HERFORD 2: S. 175-181. Diese Neubearbeitung liegt der Handschrift der niederdeutschen Statuten im Stadtarchiv Herford. Depositum Wolfgang Schindler, Fraterhaus (ohne Signatur) bei. Die überarbeiteten Teile sind dabei in der alten Fassung des 15. Jahrhunderts gestrichen, so daß der Bezug auf die alte Hausordnung unbezweifelbar ist. 59
FRATERHAUS HERFORD 2: S. 2 5 2 f.
l. Zwischen Kolloquium und Union
39
Die von Dieburg angeprangerte Übernahme monastischer Elemente in die äußere Organisation des Brüderlebens, wie sie sich schon im Terminus capitulum generale mitteilt, ist damit in den rheinisch-westfälischen Häusern vollzogen worden, ebenso wie der Ausbau der Führungsposition des münsterischen Rektors. Der Hildesheimer Lüchtenhof und die Gemeinschaft auf dem Herforder Varenkampinghof, vermutlich auch die Häuser in Kassel und Magdeburg wahrten aber ihre Eigenständigkeit und die von Dieburg verteidigten devoten Grundwerte, die trotz der Tendenz zu monastischen Organisationsformen auch in den unter münsterischer Ägide erstellten Unionsstatuten noch Ausdruck finden.60 Ungeachtet der fortgesetzten Bemühungen in den Visitationen mißlang jedoch eine engere rechtliche Zusammenfassung derjenigen Brüderhäuser, die nicht durch päpstliche Privilegien uniert worden waren. War dies auf der einen Seite ein Ausdruck des lebendigen Wissens dieser Gemeinschaften um ihre Ursprünge, so war damit seit dem Auftreten der Reformation auch eine erhöhte Gefahr der Vereinzelung der Brüderhäuser gegenüber dem Zugriff der neugläubigen Obrigkeiten gegeben.
60 Gegen eine zu stark vereinfachende Annahme, die rheinisch-westfälischen Häuser hätten mit dem Vollzug der Union sich auch im inneren Leben der Hausgemeinschaften von den Idealen der Freiheit und Liebe abgewandt, s. unten, S. 112, S. 131 f., S. 135, S. 139.
2. Die Begegnung mit der
Reformation
Mit dem Auftreten Luthers veränderte sich in der europäischen Christenheit das traditionelle Verständnis eines gläubigen Lebens. Luthers Verurteilung des Mönchtums, welches der Reformator von einem status perfectus zu einer in sich verfehlten, dem Evangelium entgegen stehenden Lebensform herabstufte, 1 und sein Postulat vom allgemeinen Priestertum der Gläubigen, das die römische Kirche an der Wurzel ihres hierarchischen Aufbaus traf und die Vermittlerfunktion des Priesters gegenüber Gott verwarf, 2 stellten die bis dahin weitgehend unangezweifelten Formen der Heilserlangung auf der Basis von menschlichem Bemühen und Sakramentenempfang grundsätzlich in Frage. Auch in den Klöstern und Konventen aller geistlichen Gemeinschaften bewirkte die Theologie Luthers tiefgreifende Veränderungen, die sich am deutlichsten in zahlreichen Klosterfluchten und einem eklatanten Nachwuchsmangel fiir das religiöse Leben manifestierten. 3 Die Verbreitung des Wittenberger Reformators in der geistigen Welt Nordeuropas wurde dabei durch den großen literarischen Erfolg beschleunigt, den dieser mit seinen seelsorgerischen, auf die Reform des geistlichen Lebens gerichteten Werken in seiner Frühzeit erzielte. 4 In der noch offenen Situation, bevor Luther vom Papst exkommuniziert und vom Kaiser mit Acht und Bann belegt wurde, entsprachen dabei die Rückbesinnung auf die Schrift und das Leben der Urkirche sowie das Bemühen um eine verinnerlichte Frömmigkeit essentiellen Bestandteilen der Reform-
1
LOHSE: Mönchtum und Reformation. STAMM: Luthers Stellung zum Mönchtum. Zu Wirkung und Verbreitung von Luthers Hauptschrift gegen das Mönchtum s. H A N S CHRISTOPH RUBLACK: Zur Rezeption von Luthers De votis monasticis iudicium. In: Reformation und Revolution. Beiträge zum politischen Wandel und den sozialen Kräften am Beginn der Neuzeit. Festschrift fiir Rainer Wohlfeil zum 60.Geburtstag. Hrsg. v. R.Postel und F.Kopitzsch. Stuttgart 1989, S. 224-237. 2 HANS-JÜRGEN GOERTZ: Pfaffenhaß und groß Geschrei. Die reformatorischen Bewegungen in Deutschland 1517-1529. München 1987, S. 66 f. Zur Rolle und Bewertung des Antiklerikalismus für das Entstehen der Reformation vgl. KASPAR VON GREYERZ: Stadt und Reformation. Stand und Aufgaben der Forschung. In: ARG 76 (1985), S. 22 ff. MOELLER: Die Rezeption Luthers in der frühen Reformation, S. 67 f. KASPAR ELM: Antiklerikalismus im deutschen Mittelalter. In: Anticlericalism in the Late Medieval and Early Modern Europe. Hrsg. v. Peter A. Dykema und Heiko A. Oberman (Studies in Medieval and Reformation Thought 51). Leiden 1993, S. 3-18. 3 Eine exemplarische Untersuchung über die Folgen der Veränderungen im Umfeld der geistlichen Gemeinschaften bei FRANK: Das Mainzer Dominikanerkloster während der reformatorischen Verunsicherung, S. 435-473. 4 MOELLER: Die Rezeption Luthers, S. 60 ff.
2. Die Begegnung mit der Reformation
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bewegung des 14. und 15. Jahrhunderts. 5 Für den Zeitgenossen war dabei im frühen Stadium die weitere Entwicklung nicht abzusehen. 6 Erst mit der sich abzeichnenden Kirchenspaltung begann ein Klärungsprozess, der die kompromißbereiten Reformkräfte innerhalb der ecclesia romcma von der neuen lutherischen Kirche endgültig trennte 7 und sich in der Gestalt der beginnenden Konfessionalisierung des späten 16. Jahrhunderts als prägender Faktor der europäischen Geschichte der Frühen Neuzeit etablierte. Innerhalb der Untersuchung des Verhältnisses der Brüder vom Gemeinsamen Leben zur Reformation soll im folgenden Kapitel zunächst die erste Begegnung der Fraterherren mit Luther nachgezeichnet werden, also derjenige Zeitabschnitt, der der reformatorischen Neugestaltung der städtischen Kirchentümer vorausging. Schon in dem Vorlauf der sich noch konstituierenden evangelischen Bewegungen und den ersten religionspolitischen Maßnahmen der altgläubigen Obrigkeiten wird die tiefgreifende Verunsicherung deutlich, die das Auftreten Luthers auch im inneren Leben der Fraterhäuser verursachte. Die in der Forschung bis in die jüngste Vergangenheit noch wiederholt anzutreffende Behauptung, die Brüder hätten das Entstehen der Reformation gefördert, 8 erfordert zudem eine Untersuchung 5 MACHILEK: Die Frömmigkeit und die Krise des 14. und 15. Jahrhunderts, S. 213 f. ROELINK: Moderne Devotie en Reformatie. S. 18 ff., S. 32 ff. HAMM: Das Gewicht von Religion, S. 168 ff. Vgl. auch den Katalog der Eigenschaften von „Devotio moderna" bei JELSMA: De doorwerking van de Moderne Devotie. S. 15 ff. 6 Zu den Bemühungen gegen eine Spaltung der Kirche, die erst ab 1530 immer wahrscheinlicher wurde, und der Ircnik im 16. Jahrhundert vgl. HERBERT IMMENKÖTTER: Um die Einheit im Glauben. Die Unionsverhandlungen des Augsburger Reichstages im August und September 1530 (KLK 33). Münster 1973, bes. S. 102 f. WINFRIED TRUSEN: Um die Reform und Einheit der Kirche. Zum Leben und Werk Georg Witzeis (KLK 14). Münster 1957. PIERRE FRAENKEL: Einigungsbestrebungen in der Reformationszeit. Zwei Wege - zwei Motive (Institut für Europäische Geschichte, Vorträge 41). Wiesbaden 1965. ALBRECHT P. LUTTENBERGER: Glaubenseinheit und Reichsfriede. Konzeptionen und Wege konfessionsneutraler Reichspolitik 1530-1552 (Kurpfalz, Jülich, Brandenburg) (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 20). Göttingen 1982. GUSTAV A. BENRATH: Konfessionelle Irenik und Konkordienversuche im 16. und 17. Jahrhundert. Eine Skizze. In: Helmut Baier (Hrsg.): Konfessionalisierung vom 16.-19. Jahrhundert. Kirche und Traditionspflege. Referate des 5. Internationalen Kirchenarchivtages Budapest 1987 (Veröffentlichungen der Arbeitsgemeinschaft der Archive und Bibliotheken in der evangelischen Kirche 15). Neustadt a.d.Aisch 1989, S. 155-166. ECKEHART STÖVE: Via media: Humanistischer Traum oder kirchenpolitische Chance? Zur Religionspolitik der vereinten Herzogtümer Jülich-Kleve-Berg im 16. Jahrhundert. In: MEKGR 39 (1990).
S. 1 1 5 - 1 3 3 . 7
GOTTFRIED MARON: Das Schicksal der katholischen Reform im 16. Jahrhundert.
I n : Z K G 8 8 ( 1 9 7 7 ) . S. 2 1 8 - 2 2 9 . 8
Vgl. unten, S. 56, Anm. 88 und 89, und S. 78, Anm. 60-62.
II. Die Erschütterung des gemeinsamen Lebens
42
des Verhältnisses der Brüdergemeinschaften zu den evangelischen Bewegungen in den Städten ihrer Niederlassungen. Die Verunsicherung aufgrund der Unruhen, die mit der Verbreitung Luthers einherging, war von gravierendem Nachteil für die Lebensgestaltung der norddeutschen Brüder vom Gemeinsamen Leben. Die Begegnung mit der entstehenden Reformation hinterließ in jedem Bereich ihrer Existenz einen deutlichen Einschnitt und schlug sich sowohl in essentiellen Bestandteilen des inneren Lebens als auch in den Außenkontakten der Fraterhäuser nieder. In dem unberechenbaren Zeitgeschehen, in dem stets politisch-militärische Verwicklungen drohten und darüber hinaus dem Einzelnen die Gewißheit in den individuellen Heilsfragen entzogen wurde, blieben den geistlichen Kommunitäten in den Städten bedeutende Teile ihrer Existenzbedingungen versagt. Dies galt umso mehr, je schwächer der betreffende Konvent rechtlich und sozioökonomisch abgesichert war. 9 Neben die äußere Gefährdung der Fraterhäuser trat eine geistige Verunsicherung, die sich in den wenigen vorhandenen erzählenden Quellen, der Chronik des Fraterhauses in Doesburg und den Resten der Briefwechsel unter den Brüdergemeinschaften, dokumentiert. Wie tiefgreifend die Erschütterung der Zeit in die Klöster, Konvente und Kommunitäten hineinreichte, zeigt vor allem die Doesburger Chronik. 10 Die vorliegende Darstellung des Reformationsgeschehens trägt dabei typische Kennzeichen der altgläubigen Chronistik des 16. Jahrhunderts, die die gesamtgesellschaftlichen Umwälzungen infolge der Reformation als vollständigen Verlust jeder Ordnung und ungehinderte Herrschaft der Willkür wahrnahm. 11 Die gesamte Epoche ist in der Chronik auf der Grundlage einer apokalyptisch 9
ZIF,GLER: Reformation und Klosterauflösung, S. 609. WEILER: Necrologie, Kroniek en Cartularium S. auch POST: The Modern Devotion, S. 583-589, und den mit einigen Anmerkungen versehenen alten Abdruck der entsprechenden Chronikstellen von W. MOLL: Aantekeningen van een tijdgenoot betreffende de opkomende kerkhervorming en hare verbreiding, inzonderheid in het fraterhuis te Doesburg. In: Kerkhistorisch Archief 3 (1862), S. 108-115. 11 GÜNTER SCHOLZ: Die Aufzeichnungen des Hildesheimer Domdechanten Johan Oldecop (1493-1574). Reformation und katholische Kirche im Spiegel von Chroniken des 16. Jahrhunderts (RST 103). Münster 1972, und HEINRICH ROTHING: „Mit vrochten und sorgen". Gegenwartserfahrung und Geschichtsbild des Laienbruders Göbel zu Böddeken im 16. Jahrhundert. In: WZ 138 (1988), S. 222 ff. Über das Krisenbewußtsein, welches auf der Erkenntnis von der Instabilität und Gefährlichkeit der Zeit beruhte und eine typische Zeiterscheinung war, s. AUGUSTIJN: Erasmus von Rotterdam, S. 153. RAINER POSTEL: Geschwinde Zeiten. Zum Krisenproblem im 16. Jahrhundert. In: 10
KRISENBEWUßTSEIN UND KRISENBEWÄLTIGUNG IN DER FRÜHEN NEUZEIT - C r i s i s i n E a r l y
Modern Europe. Festschrift Hans-Christoph Rublack. Hrsg. v. Monika Hagenmeier und Sabine Holtz. Frankfurt a.M. u.a. 1992, S. 13-21.
2. Die Begegnung mit der Reformation
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geprägten Rezeption der religiös erschütterten Umwelt beschrieben. Zwischen 1520 und der Mitte der dreißiger Jahre finden sich zahlreiche Berichte über stets wiederkehrende Überschwemmungen (1521, 1526, 1529, 1534),12 über die Kriege Karls von Geldern gegen die Städte, mit denen die Furcht über die Verwüstung der eigenen Güter verbunden war (1528, 1530, 1533, 1534, 1536),13 über die Schätzungen des Herzogs (1529-1533), 14 über einen Sturm, wie er nach Aussage des Chronisten bisher noch nie in dieser Region erlebt worden war (1526) und der die Kirchtürme in Kalkar, Wees und Wamell beschädigte sowie über die 1529 auftretende Epidemie des sudor angelicus mit vielen Todesopfern. 15 Die Ursache dieser Ereignisse waren für den Chronisten die diversae hereses, die überall Aufruhr und Zerstörung verursachten. 16 Vor diesem Hintergrund war es für die Fraterherren mit großen Schwierigkeiten verbunden, ihre Existenz zu bewahren. Der Doesburger Chronist berichtet in den Jahren 1521-1529 regelmäßig von den Ereignissen im Umfeld der sich ausbreitenden reformatorischen Bewegungen. Anfangs waren seine Informationen noch auf einzelne Aspekte beschränkt. 1521 wußte er nur zu berichten, daß Luther das Papsttum angriff. 17 Im Jahr 1524 faßte der Schreiber seine Wahrnehmungen zu der neuen Lehre zusammen. 18 Mit Luther hätten sich zahlreiche Gelehrte erhoben und eine Vielzahl neuer Gebräuche in der Kirche gefordert, die sie aus der Schrift zu begründen suchten. 19 Die primäre Folge des Auftretens Luthers war für den Chronisten die Spaltung der Christenheit. An zweiter Stelle folgt die Klage über die Bedrängungen, die die altgläubigen Geistlichen zu erdulden hätten. Die Sache sei so weit gediehen, daß an vielen Orten die Priesterwürde allgemein verachtet werde. 20 Viele Klöster gingen unter, zum Teil aufgrund mangelnden Unterhalts, zum Teil als
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Necrologie, Kroniek en Cartularium, S . 9 5 , S . 1 0 9 , S . 1 1 7 , S . 1 2 5 . Necrologie, Kroniek en Cartularium, S. 114 f., S. 120 f., S. 124, S. 125,
S. 126. Necrologie, Kroniek en Cartularium, S. 124. Necrologie, Kroniek en Cartularium, S. 109, S. 117. 16 WEILER: Necrologie, Kroniek en Cartularium, S. 125. 17 WEILER: Necrologie, Kroniek en Cartularium, S. 95. 18 WEILER: Necrologie, Kroniek en Cartularium, S . 1 0 4 f. 19 Der Chronist erkennt die intellektuelle Autorität der gelehrten Parteigänger Luthers an, ja diese stellen für ihn sogar oftmals die doctiores dar, W E I L E R : Necrologie, Kroniek en Cartularium, S. 105. 20 Ebd. Zur Verspottung und Verfolgung altgläubiger Geistlicher vgl. auch RÜTHING: „Mit vrochten und sorgen", S . 214, und ZIEGLER: Die Bursfelder Kongregation, S. 27 f. 14
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II. Die Erschütterung des gemeinsamen
Lebens
Folge von Gewaltanwendung. Mönche verließen ihr Kloster, Weltpriester kämen ihren geistlichen Pflichten nicht nach. Die Welt bot damit ein Bild von Skandalen und Rebellion, die auch „...nonnullos devotos ac religiosos viros... " 21 ergriffen hatte. Auch das gemeinschaftliche Leben im Doesburger Fraterhaus wurde ab 1525 direkt von den Auswirkungen der nova doctrina erfaßt. Seit dieser Zeit bis zum Anfang der 1530er Jahre liegen wiederholt Nachrichten über Parteibildungen und Auseinandersetzungen im Fraterhaus vor Im Jahr 1525 scheinen schon verschiedene Gruppen im Haus existiert zu haben, da sich zu einer Besprechung über die eigene Lebensform lediglich die „...satis pacifice fratres... "22 versammelten und beschlossen, die Handarbeit als einen festen Bestandteil ihres Lebens beizubehalten. 23 Das Haus mußte sich zu dieser Zeit auch vor dem Herzog wegen des Besitzes reformatorischer Schriften verantworten. Im Falle eines Priesters der Hausgemeinschaft wurde Anklage erhoben. 24 Im folgenden Jahr kam es zu ernsthaften Schwierigkeiten, da sich die soeben aufgenommenen Kleriker weigerten, sich nach der Haussitte das Haupthaar scheren zu lassen. Zusätzlich lehnten sie das in der Gemeinschaft übliche Streben nach dem Priestertum ab. Hier wird erstmals der Einfluß Luthers bis in das innere Leben des Fraterhauses explizit benannt. 25 Gegenüber der Anklage vor dem herzoglichen Gericht, die sich zunächst nur auf das verbotene Lesen der Schriften des Reformators bezog, wird hier ein qualitativer Sprung offenbar. Die neue Lehre wurde nun innerhalb des Hauses von einer Gruppe der jüngeren Brüder gegen die altgläubigen Priester vertreten. 1527 verließen die beiden Häupter der rebellierenden Gruppe das Fraterhaus, welches daraufhin wieder zur Ruhe kam. 26 Schon
Necrologie, Kroniek en Cartularium, S. 106. Necrologie, Kroniek en Cartularium, S. 108. 23 Vermutlich war man im ungewissen, ob man sich von der lutherischen Position, die die Handarbeit auch für die Priester mit zum Ideal erhob, eindeutiger abgrenzen sollte, vgl. W E I L E R : Necrologie, Kroniek en Cartularium, S. 104. 2 4 W E I L E R : Necrologie, Kroniek en Cartularium, S. 108. Zu dieser ganzen Angelegenheit gibt der Chronist nur sehr knappe Informationen. 25 W E I L E R : Necrologie, Kroniek en Cartularium, S . 1 1 2 . „Nam fratres iuniores nove doctrine, sei licet Luterane, scriptis (ut prefertur) inherentes ac credentes... ". P O S T : The Modern Devotion, S. 589, beurteilt die Auseinandersetzung primär als Generationskonflikt, in dem die lutherische Lehre als Katalysator fungiert. 26 W E I L E R , Necrolgie, Kroniek en Cartularium, S. 111 f. 1526 waren die Folgen der Verbreitung Luthers für alle deutlich zu sehen. Wie der Chronist selbst mitteilt, verließen in diesem Jahr mindestens neun ehemals in Doesburg zur Schule gegangene Mönche ihre Klöster, W E I L E R : Necrologie, Kroniek en Cartularium, S. 110. 21
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2. Die Begegnung mit der
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im folgenden Jahr wiederholte sich jedoch der Vorgang. Der Kleriker Mathias Kempis, nova doctrina infectus, wurde nach wenigen Tagen wieder aus dem Haus gewiesen. 27 In der Folgezeit sind auch Symptome dafür zu erkennen, daß sich das Eindringen der lutherischen Lehre nicht nur auf den Kreis der jungen Kleriker beschränkte. Im Jahr 1529 verließ der Prokurator Johannes Huesden, nachdem er sein Amt 21 Jahre lang versehen hatte, das Haus. 28 Dieser war wegen seines lutherischen Bekenntnisses schon mehrfach ermahnt worden und befand sich nach der Darstellung des Chronisten in „...confusione tocius status nostri... ".29 Die Darstellung der Ereignisse kennzeichnet die Haltung des Schreibers gegenüber Luther. Nicht die Lehre selbst ist bei ihm Gegenstand einer theologischen Diskussion, sondern allein ihre Folgen wurden zur Beurteilung herangezogen. Dabei schienen die Schriften Luthers im ersten Augenschein viele aus der Schrift entnommene Anliegen zu vertreten, die auch den Zielen der spätmittelalterlichen Reform im Sinne der Devotio moderna entsprachen. 30 Auch aus Häusern des Münsterschen Kolloquiums ist das anfänglich große Interesse und die Verehrung für die frühen Schriften des Reformators bekannt. Die Brüder auf dem Lüchtenhof in Hildesheim sind die ersten, bei denen Schriften Luthers nachweisbar sind. In Briefen baten der Marburger Rektor Bernhard Rothert und sein Herforder Amtskollege Bartholomäus Vechel 1519 nach dem Erhalt von lutherischen Drucken bei den Hildesheimer Brüdern um den Ankauf weiterer Bücher. 31 Vechel gab seiner Bewunderung für die Schriften Luthers vollen Ausdruck. Zu diesem frühen Zeitpunkt kann diese Anhängerschaft durchaus noch als diejenige reforminteressierter Geistlicher ausgelegt werden. 32
27
WEILER: Necrologie, Kroniek en Cartularium, S. 114. WEILER: Necrologie, Kroniek en Cartularium, S. 117, „ ...incidit apostasiam... ". POST: The Modern Devotion. S. 585, weist schon daraufhin, daß bereits im Jahr 1511 ein Austritt aus der Hausgemeinschaft als „ ...contra votum... " bezeichnet wurde. 29 WEILER, Necrolgie, Kroniek en Cartularium, S. 117. 1532 verließ nochmals ein Priester das Fraterhaus, ohne daß dies eindeutig mit Luther in Verbindung gebracht wird, ebd., S. 121. 30 WEILER: Necrologie, Kroniek en Cartularium, S. 99, „ Videtur enim vera pretendere et sacre pagine adherere, sed fructus eius aliud indicant. Ex fructibus enim arbor cognoscitur. " 31 Die Briefe sind eingeheftet in Dombibliothek Hildesheim, Hs.Ps.23, hinterer Um28
s c h l a g . BRÜGGEBOES: D i e F r a t e r h e r r e n i m L ü c h t e n h o f e , S. 2 4 f . , u n d HERMANN ADOLF
LÜNTZEL: Die Annahme des evangelischen Glaubens-Bekenntnisses von Seiten der Stadt Hildesheim. Mit einem bisher ungedruckten Brief Luthers. Hildesheim 1842, S. 9 f. 32 BRÜGGEBOES: Die Fraterherren im Lüchtenhofe, S. 25.
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II. Die Erschütterung des gemeinsamen
Lebens
Die Folgen der Verbreitung der lutherischen Lehren, also die Defekte des geistlichen Lebens und die allumfassende Desintegration der bestehenden Ordnung, führte bei dem Doesburger Chronisten jedoch zu einem Wandel in der Beurteilung, der die Einheit der Kirche als höchster, unveräußerbarer Wert zugrundelag. Das größte anzunehmende Übel war eine „...alienatio...in ecclesia... ", 33 Im Sinne einer bibelhumanistischen, an Erasmus orientierten Mittelposition waren damit der concordia alle anderen Fragen untergeordnet. 34 Die Beurteilung von Luthers Lehre anhand ihrer Früchte hatte zuvor mehrere Jahre der Beobachtung bedurft. Je gravierender die Folgen dieser Früchte für das kommunitäre Leben waren, desto erbitterter wurde das Urteil des Chronisten, der nun in Luther und seiner Lehre die „...seva bestia, Luterana scilicet secta... " sah. 35 Das Bild, welches die Doesburger Chronik von der Begegnung mit der Reformation zeichnet, wird durch die bruchstückhafte Überlieferung des Briefverkehrs, den das Fraterhaus Herford während des 16. Jahrhunderts mit den anderen Brüdergemeinschaften pflegte, bestätigt. Die Reste der Korrespondenz geben weiteren Aufschluß über die Rezeption der Schriften Luthers in den norddeutschen Fraterhäusern des Münsterschen Kolloquiums. Diese Briefexzerpte bilden die Reste eines kontinuierlichen Informationsaustauschs innerhalb der Fraterbewegung, durch den sich die Brüder über die Schicksale der anderen Hausgemeinschaften auf dem laufenden hielten.36 So unterrichtete der Vorsteher des Hauses Zum Springborn, Johann Rotger, den Rektor des Herforder Fraterhauses, Bartholomäus Vechel, über Details bezüglich der Fraterhäuser in Amersfoort und Deventer. 37 Ein wegen des Verdachtes auf Häresie veijagter Bruder aus Amersfoort bat um zwischenzeitliche Aufnahme in Münster. Rotger lehnte dessen Gesuch jedoch ab, da ohnehin das gesamte Leben der Brüder in der
Necrologie, Kroniek en Cartularium, S. 106. Auch in methodischer Hinsicht teilte der Chronist die Beschränkung Luthers auf die Heilige Schrift als alleingültigem Maßstab nicht, sondern beharrte auf der Relevanz der Kirchenväter, der Konzilien und der bischöflichen Erlasse für die Kirche, W E I L E R : Necrologie, Kroniek en Cartularium, S. 105. Zu Erasmus' Haltung zur Reformation K A R L - H E I N Z O E L R I C H : Der späte Erasmus und die Reformation (RST 86). Münster 1961, der das Bedürfnis nach maßvoller Reform in Ablehnung der tumultuarischen Unruhen und Rechtsbrüche hervorhebt, besonders S. 51 ff. A U G U S T I J N : Erasmus von Rotterdam, S. 159 f. 35 W E I L E R : Necrologie, Kroniek en Cartularium, S. 110. 36 STA Münster, Msc. VII, 3307, fol. 1-10. Briefe von 1507 bis 1560, s. die Übersicht von Leesch, F R A T E R H A U S H E R F O R D 1, S. 178. 37 STA Münster, Msc. VII, 3307, fol. 6-8. 33
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2. Die Begegnung mit der Reformation
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unruhigen Zeit erschwert sei.38 In Deventer kam es anläßlich einer bischöflichen Visitation des städtischen Klerus, bei der die lutherischen Schriften konfisziert werden sollten, zu einem Aufruhr unter den Scholaren. Als die studiosi scholastici von der geplanten Beschlagnahmung erfuhren, verhinderten sie diese gewaltsam. Die bischöflichen Kommissare suchten Hilfe beim Rat der Stadt, der daraufhin den Rektor der Fraterherren aufforderte, den Bischof über das Vorgefallene zu unterrichten, damit nicht die gesamte Stadt geschädigt werde.39 Offenbar machte man den Rektor für das Verhalten der Schüler verantwortlich. Dieser entzog sich dem Gebot des Rates durch seine Flucht.40 Die Herforder standen neben Münster auch mit den anderen Fraterhäusern in Verbindung. Nach einem Bericht des Merseburger Fraters Gisbert lebte dort der Pater mit zwei Priestern und einem Laienbruder ebenso wie die Magdeburger Gemeinschaft in großer Angst und Bedrängnis.41 Der Schreiber befürchtete die baldige Aufgabe beider Häuser, da die neue Lehre überall voranschritt. Hildesheim Der Briefverkehr zwischen den Häusern in Hildesheim und Herford beleuchtet auch die Situation auf dem Lüchtenhof und in den enger mit diesem verbundenen Gemeinschaften in Kassel, Magdeburg und Merseburg.42 Die Entwicklung der regionalen Reformationsgeschichte und die
38
STA Münster, Msc. VII, 3307, fol. 6. Das Berichtete muß 1524 oder kurz zuvor stattgefunden haben, da Rotger nur bis 1524 Rektor in Münster war, s. MFVC 2: S. 198 (K.H. Kirchhoff). Das Fraterhaus in Amersfoort wurde 1529 den Augustiner-Chorherren in Vredendal übergeben. Die Informationen über die Rolle, die die Reformation für diese Entwicklung spielte, sind nicht eindeutig, vgl. POST: The Modern Devotion, S. 605 f. 39 STA Münster, Msc. VII, 3307, fol. 7 f. 40 Wenige Tage später besetzten Knechte der Visitatoren das Schülerhaus. In einem Trinkgelage kam es zum Streit, als einer der Scholaren nicht mit einem der Dienstleute, den er als „...persecutor lutheri... " beschimpfte, feiern wollte. Zwei der Knechte starben, die anderen wurden verwundet. Die Chronik aus Doesburg berichtet 1522 zu Deventer von „...multa incommoda intestina...", s. WEILER, Necrologie, Kroniek en Cartularium, S. 99. 41 STA Münster, Msc. VII, fol. 6 (vor 1528). 42 DOEBNER, Annalen und Akten, S. 200 f. Doebner weist den Teil von „Intellego ex litteris... " bis „...sigillo munierunt" irrtümlich dem Jahr 1540 zu. Dies gilt jedoch erst für den folgenden Abschnitt. Die nach Doebner irrige Notiz „ ad Rochelium " lautet „ad Vechelium" und ist damit in Vechels Amtszeit vor 1528 zu datieren, s. StAM, Msc. VII 3307, fol. 2. Dieser Abschnitt bezieht sich auf 1525, da er von der Inventarisierung von St.Michael in Hildesheim in diesem Jahr berichtet, vgl. hierzu BARBARA
48
II. Die Erschütterung des gemeinsamen
Lebens
Nachrichten aus den anderen Fraterhäusern waren Anlaß genug, Besorgnis und Unsicherheit bei den Hildesheimer Brüdern hervorzurufen. Der Rektor Paul Nagelsmedt aus Ahlen teilte daher die Befürchtung seines Herforder Amtskollegen Bartholomäus Vechel, daß der Untergang des Mönchtums und des gesamten Menschengeschlechtes kurz bevorstünde. Die durch die neue Lehre ausgelöste Unruhe wirkte sich überall aus: In Kassel fürchteten die Brüder ihre Ausweisung und waren gezwungen, Kriegsgerät und Jagdhunde des Landgrafen aufzunehmen. 43 Der Magdeburger Pater hatte das Haus verlassen, der Münsteraner war von seinem Amt zurückgetreten. In Merseburg bestünde die Gemeinschaft nach einem Gerücht nicht mehr. Schemenhaft wird hier auch die geistige Herausforderung deutlich, die die Reformation für die Fratergemeinschaft in Hildesheim bedeutete Der Rektor zögerte mit einem Besuch in Merseburg, da er die ihm unterstellten Brüder auf dem Lüchtenhof nicht ohne Aufsicht lassen und damit das Eindringen von Unsicherheit und Zwietracht riskieren wollte. 44 Auch erforderten die Nöte der anderen Gemeinschaften Mittel, die nach Nagelsmedts Einsicht die Hilfsmöglichkeiten des Hildesheimer Hauses überstiegen. Durch die eigene Bedrängnis wurde es den Brüderhäusern unmöglich gemacht, sich gegenseitig Beistand zu leisten. Jede einzelne Gemeinschaft hatte allein gegen die Unbillen der Zeit anzukämpfen, während die überregionale Fraterorganisation der Union von 1499 beziehungsweise des Münsterschen Kolloquiums in der Zeit der reformatorischen Unsicherheit kaum Rückhalt bieten konnte, obwohl der gegenseitige Informationsfluß unter den Fraterhäusern das lebendige Gemeinschaftsbewußtsein bezeugt. Die Folgen der Reformationswirren führten auf diese Weise wie bei dem Chronisten in Doesburg zu einer endzeitlichen Umweltrezeption des Hildesheimer Fraterrektors. 45 Der unmittelbare Ausdruck des allgemeinen Ordnungsverlustes waren für Nagelsmedt die Auseinandersetzungen mit der Stadt Hildesheim und deren finanziellen Forderungen von den Hildesheimer Stiften und Klöstern, zu denen 1526 auch die Fraterherren herangezogen wurden. Die Brüder zahlten 1526 einmalig 250 fl., nachdem sie
MEYER-WILKENS: Hildesheimer Quellen zur Einführung der Reformation in Hildesheim. In: Die Diözese Hildesheim in Vergangenheit und Gegenwart 40 (1972), S. 59. 43 DOEBNER: Annalen und Akten. S. 200 f. 44 DOEBNER: Annalen und Akten, S. 200, „...in mundo est dissentio de religiosis... ". 45 Ein ähnliches Wahrnehmungsmuster zeigt sich in Hildesheim bei Johan Oldecop, der den Ordnungsverfall in der Welt als Folge der reformatorischen Neuerungen erklärt, s. SCHOLZ: Die Aufzeichnungen des Hildesheimer Domdechanten Johan Oldecop, S. 59 f.
2. Die Begegnung mit der Reformation
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z u v o r z w e i M o n a t e unter Hausarrest g e s t a n d e n hatten 4 6 und der Rat den E i n w o h n e r n der Stadt j e d e n Verkehr mit ihnen untersagt hatte. 4 7 A u c h die W i n d e s h e i m e r a u f der Sülte f u g t e n sich d e m Magistrat. E b e n s o w i e die Fraterherren w u r d e n sie nach einer E i n i g u n g über die g e f o r d e r t e n A b g a b e n in den S c h u t z der Stadt a u f g e n o m m e n . 4 8 D i e V e r s u c h e N a g e l s m e d t s , v o r d e m Hildesheimer Rat unter H i n w e i s a u f die Armut d e s Fraterhauses eine A u s s e t z u n g der Zahlungen zu erwirken, 4 9 blieben o h n e Erfolg. D i e V e r m u t u n g Barnikols, die m e i s t e n Fraterherren in H i l d e s h e i m hätten sich w i e in Herford, M a g d e b u r g und a n d e r s w o frühzeitig der R e f o r m a t i o n a n g e s c h l o s s e n , 5 0 ist a n g e s i c h t s der Klagen N a g e l s m e d t s a u f der Grundlage der angeführten Briefe v o n V e c h e l und Rothert aus d e m Jahr 1519 5 1 allein nicht aufrecht zu erhalten. Darüber hinaus liegt kein Z e u g n i s vor, w e l c h e s die Brüder in einen Z u s a m m e n h a n g mit der e v a n g e l i s c h e n B e w e g u n g in H i l d e s h e i m brächte. D a s erste ö f f e n t l i c h e A u f t r e t e n neugläubiger Kräfte in
46
DOEBNER: Annalen und Akten, S. 140 und S. 200. UB HILDESHEIM 8: S. 597 f. (Nr.746; 1526, Apr. 20). Das Verhalten des Rates war allerdings nicht reformatorisch begründet, sondern verfolgte unter dem altgläubigen Bürgermeister Hans Wildefuer die spätmittelalterliche Magistratspolitik der Zurückdrängung von Privilegien der Geistlichkeit, vgl. JÜRGEN LINDENBERG: Stadt und Kirche im spätmittelalterlichen Hildesheim (Quellen und Darstellungen zur Geschichte Niedersachsens 61). Hildesheim 1963, S. 131. Vgl. hierzu B E R N D M O E L L E R : Kleriker als Bürger. In: Festschrift für Hermann Heimpel 2 (Veröffentlichungen des MaxPlanck-Institutes für Geschichte 36,2). Göttingen 1972, S, 195-224, ND in DERS.: Die Reformation und das Mittelalter. Kirchenhistorische Aufsätze. Göttingen 1991, S. 3552. D I E T E R D E M A N D T : Konflikte um die geistlichen Standesprivilegien im spätmittelalterlichen Colmar. In: I. Bätori (Hrsg.): Städtische Gesellschaft und Reformation (Spätmittelalter und Frühe Neuzeit 12). Stuttgart 1980, S. 136-155. 48 UB HILDESHEIM 8, S. 600, Nr.751 (1526, Jun. 16) und Nr.753 (1526. Jun. 18Jul. 6). Auch die Klöster St.Michael und St.Godehard waren vom Rat um jährliche Abgaben angegangen worden, s. DOEBNER: Annalen und Akten, S. 200. Diese prozessierten am Reichskammergericht gegen die Stadt, s. MEYER-WILKENS: Hildesheimer Quellen. S. 59. 49 DOEBNER: Annalen und Akten. S. 200. „...vixpossumus nos sustenare... ". 50 BARNIKOL: Bruder Dieburgs deutsches Christentum, S. 97 f. SCHÜLTKE: Die Brüder vom gemeinsamen Leben und Peter Dieburg, S. 37, spricht davon, daß die Brüder trotz fehlendem „offenen Bekenntnis" Luther lasen und verbreiteten. 51 Dombibliothek Hildesheim, Hs.Ps.23, hinten eingeheftet. Vgl. hierzu oben, S. 45, Anm. 31. Eine Betrachtung der prolutherischen Äußerungen aus Marburg und Herford im Gesamtzusammenhang der Briefe relativiert die Bedeutung, die diesen isolierten Bemerkungen zugeschrieben wurde. Sowohl Rothert als auch Vechel räumen in ihren Schreiben deijenigen Frage weitaus mehr Platz ein, ob die Brüder die ihnen vom Erzbischof von Magdeburg angetragene Kirche in Walbeck übernehmen sollten oder nicht. Zwar ist die Bewunderung für Luther völlig unzweideutig, aber nur untergeordneter Gegenstand der Briefe. 47
II. Die Erschütterung des gemeinsamen
50
Lebens
der sächsischen Bischofsstadt folgte erst 1522, als „etliche Bürger" die Einsetzung von zwei Prädikanten forderten. 52 In der rückschauenden Betrachtung des altgläubigen Chronisten Johan Oldecop wird das Jahr 1524 als Bruch zwischen Luthertum und dem alten Glauben hervorgehoben. 53 Dies stimmt überein mit den ersten Maßnahmen des Magistrats gegen die neue Lehre. Der Rat verbot den Besitz lutherischer Schriften, wies zwei Geistliche aus und bekannte sich feierlich zum alten Glauben. 54 Die Fraterherren hatten jedoch keinen nachvollziehbaren Anteil an der Ausbreitung lutherischen Gedankenguts. Auch die Annahme von Brüggeboes, die Fraterherren hätten sich den restriktiven Maßnahmen des Rates gegen die neue Lehre gebeugt, 55 impliziert noch, diese seien Anhänger Luthers gewesen. Ebenso denkbar ist aber die freiwillige Abkehr vom Wittenberger Reformator, nachdem mit dem fortschreitenden Reformationsgeschehen deutlich wurde, daß die Gefahr einer Spaltung der Kirche drohte. Noch um 1530, als die evangelische Bewegung in Hildesheim vor allem in den Ämtern der Schuhmacher und Kürschner stark an Zulauf gewonnen hatte, 56 jedoch 1532 mit der Durchsetzung der Reformation an der beharrenden Haltung des Rates unter Bürgermeister Hans Wildefuer scheiterte, 57 hören wir aus dem Fraterhaus weiterhin ausschließlich Klagen über die starke Heranziehung der Brüder zu städtischen Befestigungsbauten und einer Wasserleitung in der Nachbarschaft. 58 Die kirchliche Praxis der Fraterherren hielt zudem nach wie vor an den traditionellen Gewohnheiten fest. 1539 verlieh Bischof Valentin von Teteleben der Brüderkirche einen Ablaß von 40 Tagen für Gebete vor einem von ihm geweihten Kruzifix. 59
52
LÜNTZEL: Die Annahme, S. 11.
KARL EULING (Hrsg.): Chronik des Johan Oldecop (Bibliothek des Literarischen Vereins in Stuttgart 190). Tübingen 1891, S. 117. 54 ADOLF BERTRAM: Geschichte des Bistums Hildesheim 2. Hildesheim, Leipzig 1916, S. 99 f., und KARLKAYSER: Die Einführung der Reformation in der Stadt Hildesheim und die Feier derselben am Lutherfeste 10.November 1883. Nebst angehängten Actenstücken aus der Reformationszeit. Hildesheim o.J. (1883), S. 8 ff. Städtische Akten berichten vereinzelt von weiteren Ausweisungen in den zwanziger Jahren, s. MEYER -WILKENS: Hildesheimer Quellen. S. 45. 55 BRÜGGEBOES: Die Fraterherren im Lüchtenhofe. S. 25. S. besonders den Ratser53
laß v o n 1524, Jun.8., U B HILDESHEIM 8, S. 572 f., Nr. 710. M . BUHLERS (Hrsg.): Joachim Brandis' des Jüngeren Diarium. Hildesheim 1 9 0 2 . S. 11 f., S. 15, S. 24 f. Zusammenstellung der Belege bei MEYER-WILKENS: Hildesheimer Quellen, S. 20, Anm. 92. 57 BERTRAM: Geschichte des Bistums Hildesheim 2. S. 106-109. 58 DOEBNER: Annalen und Akten, S. 140 und 201. 59 DOEBNER: Annalen und Akten. S. 197 f. (1539, Aug. 14). Drei Jahre zuvor war von Domdekan Ludolf von Veltheim die Zugehörigkeit der Brüder zur Hildesheimer 56
2. Die Begegnung mit der Reformation
51
Münster Aus dem Fraterhaus in Münster liegen nur wenige Nachrichten zum Aufkommen der neuen Lehre und ihrer Auswirkung auf das gemeinschaftliche Leben der Brüder vor. Der einzige Hinweis auf innere Schwierigkeiten ist der Bericht des Hildesheimer Rektors über den Rücktritt des münsterischen Vorstehers. 60 Da Nagelsmedt sich auf das Jahr 1525 bezieht, muß hiermit Johannes Rotger gemeint sein, der bis 1524 als Rektor des Hauses Zum Springborn genannt wird, 1526 aber Confessor der Schwestern in Niesing wurde. 61 Die Niesing-Chronik berichtet in kurzer Form von der Verbreitung lutherischer Lehren in der Stadt. Luther habe die deutsche Messe gefordert und gelehrt, das Abendmahl in beiderlei Gestalt zu empfangen. 62 Letzteres wird dabei nicht als solches verurteilt, sondern nur aufgrund der Tatsache, daß dies noch nicht von der Kirche zugelassen sei. Diese Haltung zur Abendmahlsfrage stimmt mit der Stellungnahme von Johannes Holtmann überein, der 1539/40 Confessor in Niesing war, 63 und entspricht dem verbreiteten Wunsch nach der Wiedereinsetzung der als ursprünglich angesehenen Form sub utraque, wobei jedoch der Gehorsam gegenüber der Kirche gewahrt bleiben sollte. 64 Die Entstehung einer evangelischen Bewegung in Münster wurde wie auch später in Wesel durch das Wirken von Adolf Ciarenbach verursacht. Zu Beginn der zwanziger Jahre vertrat er offen reformatorische Lehren und wurde damit zum Anlaß von Ausschreitungen seiner Anhänger. Nach seiner Ausweisung übernahm Lubbert Cansen, Kaplan an St.Martini, eine führende Position. 65 Eine starke lutherische Gemeinde konstituierte sich jedoch erst im Februar 1532, nachdem der Reformator Münsters, Bernhard
Klerus-Union und die Verwaltung des Antonius-Altars im Domkreuzgang durch die Fraterherren erneuert worden. DOEBNER: Annalen und Akten, S. 196 f. (1536, Aug. 19). 60 DOEBNER: Annalen und Akten, S. 200. 61
NIESING-CHRONIK: S . 4 2 8 .
62
NIESING-CHRONIK: S . 4 2 9 .
NIESING-CHRONIK: S . 439 f. HERMANN GRUTKAMP: Johannes Holtmann und sein Buch „Van waren geistliken levene eyn körte underwijsinge". Borna, Leipzig 1912, S. 38. Vgl. zu Holtmann unten, S. 93 f. und S. 106. 64 Vgl. AUGUST FRANZEN: Die Kelchbewegung am Niederrhein im 1 6 . Jahrhundert. Ein Beitrag zum Problem der Konfessionsbildung im Reformationszeitalter (KLK 13). Münster 1955. OELRICH: Der späte Erasmus und die Reformation, S. 137 ff. AUGUSTIJN: Erasmus von Rotterdam, S. 48, S. 134 ff. 65 ALOIS SCHRÖER: Die Reformation in Westfalen 2 . Der Glaubenskampf einer Landschaft. Münster 1983, S. 321 f. 63
52
II. Die Erschütterung des gemeinsamen
Lebens
Rothmann, 66 von seiner alten Wirkungsstätte, der Kirche St. Mauritz vor den Mauern, in die Stadt geflüchtet war. Sein Glaubensbekenntnis 67 vertrat einen Kontroll- und Mitbestimmungsanspruch der Gemeinde in kirchlichen Fragen. Dies setzten die Vertreter der Gilden mit ihrer Eingabe an den Rat um, in der sie eine Kirche für Rothmann forderten. Innerhalb der städtischen Ordnung war dies der institutionell vorgeschriebene Weg. 68 Jenseits solcher Bahnen stürmten Anhänger Rothmanns aber auch die Lambertikirche und geleiteten den Reformator auf die Kanzel. Bischof Erich von Braunschweig-Grubenhagen, der am 27. März als Nachfolger des zurückgetretenen Friedrich von Wied gewählt worden war, drohte der Stadt sein entschiedenes Eingreifen an. Mit seinem plötzlichen Tod am 14. Mai 1532 war zunächst die ernsthafteste Gefahr für die junge evangelische Bewegung in Münster beseitigt. Für eine Teilhabe der Brüder vom Gemeinsamen Leben an der reformatorischen Bewegung in Münster liegen keine Anzeichen vor. Ihr Standort in den kirchlichen Fragen ist jedoch anhand ihres Auftretens in den Religionsgesprächen von 1532 und 1533 zu bestimmen. 69 Sowohl Hamelmann in seiner Reformationsgeschichte Münsters als auch das Protokoll von 1533 plazierten die teilnehmenden Fraterherren Johannes Holtmann und Dietrich Bredevorth auf der Seite der Altgläubigen. Die Tatsache, daß die Disputation des Jahres 1532 im Fraterhaus stattfand, ist ein erneuter Hinweis auf deren um Ausgleich und Mäßigung bemühte Haltung, die sich gegenüber
66 Zur Person Rothmanns und weiterer Literatur s. SCHRÖER: Reformation in Westhumanistisch falen 2, S. 324 ff. Der Stereotyp „...von den Fraterherren in Deventer erzogen..." wird hier nicht, wie ansonsten bei Schröer, dazu verwandt, auf eine Vorläuferrolle der Devotio moderna zur Reformation hinzudeuten. Vergleiche dagegen OTTHEIN RAMMSTEDT: Sekte und soziale Bewegung. Soziologische Analyse der Täufer in Münster (1534/35) (Dortmunder Schriften zur Sozialforschung 34). Köln, Opladen 1966, S. 40. 67 ROBERT STUPPERICH (Hrsg.): Die Schriften Bernhard Rothmanns (VeröffHist KommWestf 32, Die Schriften der Münsterischen Täufer und ihrer Gegner 1). Münster 1970, S. 63-77. 68 S. hierzu HEINZ SCHILLING: Aufstandsbewegungen in der Stadtbürgerlichen Gesellschaft des Alten Reiches. Die Vorgeschichte des Münsteraner Täuferreiches 15251534. In: Der Deutsche Bauernkrieg 1524-26. Hrsg. v. H.U. Wehler (Geschichte und Gesellschaft, Sonderheft 1). Göttingen 1975, S. 213 ff., der hieran die Affinität des theologisch fundierten Ordnungsdenkens Luthers mit den genossenschaftlichen Verfassungsprinzipien der Stadt illustriert. 69 HERMANN HAMELMANNS GESCHICHTLICHE WERKE: Bd. 2: Reformationsgeschichte Westfalens. Krit. Neuausgabe hrsg. von Klemens Löffler (VeröffHistKommWestf 9). Münster 1 9 1 3 , S . 2 0 - 2 3 . STUPPERICH: Schriften Rothmanns, S. 9 4 - 1 1 9 .
2. Die Begegnung mit der
53
Reformation
den Neuerern offen und kompromißbereit erwies. 70 Der Bericht Hamelmanns von der panikartigen Flucht der Altgläubigen auf der Disputation von 1532, ohne etwas auf die Ausfuhrungen Rothmanns entgegnet zu haben, ist aufgrund der vorliegenden Aufzeichnungen Boeckmanns und Rothmanns nachweislich falsch. 71 Boeckmann trug seine Antwort vor und überließ Rothmann sein Manuskript. Erkennbare Aktivitäten der beiden Fraterherren gab es nicht. 72 Einen zwischenzeitlichen Höhepunkt hatte die Gefährdung des münsterischen Fraterhauses in den Stadtunruhen von 1525 erreicht. 73 Diese Unruhen waren ein Produkt des sozialen und politischen Differenzierungsprozesses, der in der städtischen Verfassungswirklichkeit des späten 15. Jahrhunderts zur Frontstellung zwischen einer sich abschließenden Honoratiorenschicht und der Mehrheit der Stadtbevölkerung führte und in Krisensituationen zum Ausbruch kam. 74 Die Ereignisse von 1525 waren damit primär sozialer Natur, 75 in denen reformatorische Elemente zwar vorhanden waren, aber keine entscheidende Wirkung entfalteten. 76 Aus der Sicht der Fraterherren wie der anderen betroffenen geistlichen Gemeinschaften mußten die Stadtunruhen dennoch in Entsprechung zu dem durch die Reformation und die drohende Kirchenspaltung ausgelösten Krisenbewußtsein als ein weiterer Ausdruck des allgemeinen Ordnungsverlustes erscheinen.
70 Vgl. KURT MAEDER: Die Via Media in der Schweizerischen Reformation. Studien zum Problem der Kontinuität im Zeitalter der Glaubensspaltung (Zürcher Beiträge zur Reformationsgeschichte 2). Zürich 1970. S. 157 ff. 71 HAMELMANN: Reformationsgeschichte Westfalens. S. 22. SCHRÖER: Die Reformation in Westfalen 2. S. 347. 72 Hamelmanns Bemerkung, daß sie als einzige der katholischen Seite an Ort und Stelle blieben, aber ohne ihre Gefährten nichts unternehmen wollten, ist wohl einfach dahingehend zu deuten, daß die Disputation ja in ihrem Haus stattfand. 73 S. hierzu GUNTHER FRANZ: Der deutsche Bauernkrieg. 10. verb. Aufl.. Darmstadt
1 9 7 5 . S. 2 2 7 - 2 3 8 . OTTHEIN RAMMSTEDT: S t a d t u n r u h e n 1 5 2 5 . In: D e r d e u t s c h e B a u e r n k r i e g 1 5 2 4 - 2 6 . S. 2 3 9 - 2 7 6 . 74
Siehe hierzu und zum Problem der Einordnung der Stadtunruhen in den Bauernkrieg die einleitenden Bemerkungen von ULF DIRLMEYER: Stadt und Bürgertum. Zur Steuerpolitik und zum Stadt-Land-Verhältnis. In: Der deutsche Bauernkrieg. Hrsg. v. H.Buszello u.a. Paderborn u.a. 1991 2 , S. 255 ff. 75
SCHILLING:
Aufstandsbewegungen.
S.
200.
RAMMSTEDT:
Stadtunruhen
1525,
S. 2 4 3 . 76 HEINRICH DETMER: Bilder aus den religiösen und sozialen Unruhen in Münster. Bd.2: Kirchliche und soziale Wirren in Münster 1525-1535. Der täuferische Kommunismus. Münster 1904, S. 13 f. KLEMENS LÖFFLER: Reformationsgeschichte der Stadt Münster. Münster 1918. S. 6 f.
54
II. Die Erschütterung des gemeinsamen Lebens
Die Forderungen der seditio richteten sich in der Hauptsache gegen die Fraterherren und Süstern als denjenigen Gemeinschaften, 77 die zugleich relativ spät in die Stadt gekommen und rechtlich am schwächsten abgesichert waren sowie stark an der gewerblichen Produktion partizipierten. Beide waren typisch städtische Institutionen, die als Nichtagrarier auf die Erwirtschaftung von Kapital angewiesen waren. 78 Die offenkundige enge Zusammengehörigkeit von Fraterherren und Süstern dürften diese Empfindungen noch gesteigert haben. Diese äußerte sich nicht nur darin, daß die Fraterherren zumeist den Beichtvater für die Schwestern stellten, sondern auch geschäftlich dem weiblichen Devotenhaus zur Seite standen. So erwarben die Brüder 1522 vor dem münsterischen Offizial das Gut Hobeling, um es 1523 den Süstern zu übergeben. 79 Zusammen stellten die beiden Devotenhäuser eine bedeutende wirtschaftliche Potenz dar, die allein durch die Vielzahl der produktiven Mitglieder deutlich wird. 80 Die gegen Frater- und Süsternhaus erhobenen Forderungen liefen auf eine vollkommene Unterstellung unter das bürgerliche Gemeinwesen und die Auflösung der Brüdergemeinschaft hinaus. Je zwei Ratsherren, Gildemeister und Vertreter der Gemeinheit sollten die Rentbriefe der Konvente an sich nehmen und den Brüdern und Schwestern in der Zukunft das Notwendige zuweisen. Das Handwerkszeug sollte entfernt oder zerstört werden. Für das Fraterhaus war ein völliger Aufnahmestop vorgesehen. Austrittswillige bekamen in Aussicht gestellt, für ihr in die Gemeinschaft eingebrachtes Gut entschädigt zu werden. Die Kämpe und Acker sollten für den Einkaufspreis an die Bürger der Stadt zurückverkauft, überschüssige Ein-
77 JOSEPH NIESERT (HRSG.): Beiträge zu einem Münsterischen Urkundenbuche 1. Aus vaterländischen Archiven gesammelt. Münster 1823, S. 116-121. Diese sind den Frankfurter Artikeln nachgebildet, die nach FRANZ: Der deutsche Bauernkrieg, S. 230, für die städtische Bewegung dieselbe Funktion hatten wie die 12 Artikel der Oberschwaben im Bauernkrieg. 78 HUBERT HÖING: Kloster und Stadt. Vergleichende Beiträge zum Verhältnis Kirche und Stadt im Spätmittelalter. Dargestellt besonders am Beispiel der Fraterherren in Münster (Westfalia Sacra 7). Münster 1981, S. 81. Das Ziel der Artikel war die Reservierung des städtischen Marktes für die Subsistenzsicherung der Bürger. Dies war keine revolutionäre Veränderung, sondern eine Restitution der genossenschaftlichen Ordnung, s. SCHILLING: Aufstandsbewegungen, S. 203 f. 79 STA Münster, Kloster Marienthal gen. Niesing, Urk. 217 (1522, Okt. 16) und 218 (1523, Feb. 14). 80 Im Süsternhaus lebten in der Zeit Johannes Veghes um 1500 99 Schwestern, s. WILHELM KOHL: Die Schwesternhäuser nach der Augustinerregel (Germania Sacra N.F.3. Die Bistümer der Kirchenprovinz Köln, Das Bistum Münster 1). Berlin 1968, S. 166.
2. Die Begegnung mit der Reformation
55
künfte an arme huyssittende lüde verteilt werden. 81 Dem Rat der Stadt gelang es, die Sozialrevolutionäre Schärfe der Unruhen dadurch zu lindern, daß er die Ausschüsse als Instrument der Integration einsetzte und die Aufständischen wieder in eine gemeinsame, vom Rat geführte städtische Politik einband. 82 Die Rentbriefe der Devotenhäuser wurden nicht enteignet, sondern in den Gewahrsam des Rates übernommen. Die damit ohne fortdauernde Schwächung erreichte Bewältigung dieser Situation verdankten die Fraterherren einer Bewahrung der rechtlichen und sozialen Strukturen der sie umgebenden städtischen Gesellschaft. Dennoch zeigten die Unruhen von 1525 eine besondere Gefahrdung der Brüdergemeinschaften, die im Bewußtsein der Stadtbewohner noch nicht denselben Status besaßen wie ältere, auch von der sozialen Zusammensetzung her höhergestellte Stifte. Auf den Schutz des Bischofes und der Stadt angewiesen, geriet ihr Haus in Gefahr, sobald eine dieser Stützen sich abwandte. Dies geschah 1525 von Seiten der städtischen Bevölkerung, wurde jedoch vom Rat nicht unterstützt, so daß keine institutionelle Basis für die Durchsetzung radikalerer Forderungen bestand. Wesel Die Durchsetzung des Luthertums in der Stadt Wesel nahm von dem Enstehen einer evangelischen Bewegung bis hin zur ersten öffentlichen Abendmahlsfeier in beiderlei Gestalt fast zwanzig Jahre in Anspruch. Die ersten Vorkämpfer waren ab 1521 der Dominikaner Lukas und der Augustiner-Eremit Matthäus Girdenich sowie zwei Kaplane an der Mathena-Kirche, unter ihnen der spätere Wiedertäufer Johann Klopris. 83 Eine feste Gemeinde bildete sich erst seit 1525 unter Adolf Ciarenbach heraus. 84 Erst
81 NIESERT: Beiträge zu einem Münsterischen Urkundenbuche 1, S. 1 1 7 f. KERSSENBROCH: S. 135. Unter diesen sind Bürger der Stadt zu verstehen, die in den ökonomischen Krisen der Zeit verarmt waren beziehungsweise ohnehin am unteren Ende der Einkommensskala standen, s. KARL-HEINZ KIRCHHOFF: Die Täufer in Münster 1 5 3 4 / 3 5 . Untersuchungen zum Umfang und zur Sozialstruktur der Bewegung (VeröffHistKomm Westf 22, Geschichtliche Arbeiten zur westfälischen Landesforschung 12). Münster 1 9 7 3 , S. 8 2 .
82
83
SCHILLING: Aufstandsbewegungen, S. 201 ff.
JOH. HILLMANN: Die Evangelische Gemeinde Wesel und ihre Willibrordskirche. Beiträge zur Geschichte derselben. Düsseldorf 1896, S. 33. Zu Girdenich s. KLAUS BAMBAUER (Hrsg.): Forschungen zur Geschichte des Augustinerklosters und des Klosters Oberndorf zu Wesel. Aus dem Nachlaß von Dr. Wilhelm Classen (Arbeitshefte der Historischen Vereinigung Wesel 5). Wesel 1983, S. 26. 84 DOROTHEA COENEN: Die katholische Kirche am Niederrhein von der Reformation bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts. Untersuchungen zur Geschichte der Konfessions-
56
II. Die Erschütterung des gemeinsamen
Lebens
in den späten dreißiger Jahren setzte sich die lutherische Bewegung endgültig durch. Als der Pfarrer Anton Fürstenberg, Doktor beider Rechte und apostolischer Protonotar, 85 1540 die Stadt verließ, entfiel das Haupthindernis für die Einfuhrung der Reformation. 86 Zu Ostern fand in St.Willibrord bei Teilnahme des Rats erstmals die communio sub utraque specie statt. 87 Die Stadt Wesel war damit de facto lutherisch, auch wenn man dies noch für längere Zeit aus Rücksicht auf Kaiser und Herzog nicht offen bekannte. Ein Anteil der Fraterherren an dieser Entwicklung hin zur protestantischen Stadt Wesel ist nicht zu erkennen. Die in der Tradition einer behaupteten Vorreformationsrolle der Brüder vom Gemeinsamen Leben stehende Vermutung, daß durch die Predigt und Schultätigkeit der Brüder vom Gemeinsamen Leben am Niederrhein eine spezifische verinnerlichte Frömmigkeit geherrscht hätte, die in ein besonders waches Interesse gegenüber der Reformation gemündet wäre, ist eine Überschätzung des Wirkungsbereichs der Fraterherren.88 Auch die Vermutung, Adolf Clarenbach aufgrund seiner Lehrtätigkeit und der Betonung seines Laienstandes der „...Laienbewegung der >Brüder vom gemeinsamen Leben< zuzurechnen, die häufig in der Lehre tätig waren... ",89 ist ungerechtfertigt. Die ersten Anhänger reformatorischen Gedankenguts in der Stadt waren Mendikanten, wobei später der Augustiner-Eremit Gysbert von Neukirchen eine
bildung im Bereich des Archidiakonats Xanten unter der klevischen und brandenburgischen Herrschaft (RST 93). Münster 1967. S. 30. WALTER STEMPEL: Die Reformation in der Stadt Wesel. In: „...unnder beider Gestalt...". Die Reformation in der Stadt Wesel. Hrsg.v. W.Arand (Weseler Museumsschriften 26). Köln, Bonn 1990, S. 10. 85 COENEN: Die katholische Kirche am Niederrhein, S. 30. Fürstenberg war zudem der Vorsteher des Prämonstratenserklosters Börglum mit Sitz im dänischen Reichsrat, s. STEMPEL: Die Reformation in der Stadt Wesel. S. 9. 86 STEMPEL: Die Reformation in der Stadt Wesel. S. 21. 87 COENEN: Die katholische Kirche am Niederrhein. S. 33 f. Herzog Wilhelm hatte dies der Stadt genehmigt, dabei allerdings ausbedungen, die Altgläubigen nicht auf diese Form des Abendmahlempfangs zu verpflichten. Das Problem wurde am Hof unter erasmischem Einfluß in erster Linie nicht als dogmatische Frage angesehen, sondern nach politisch-ethischen Gesichtspunkten beurteilt. Essentiell war nach Erasmus lediglich die bei Lutheranern wie Altgläubigen unstrittige Gegenwart Christi im Sakrament, nicht die Form seiner Darbietung, s. LUTTENBERGER: Glaubenseinheit und Reichsfriede, S. 104. JOHN P. DOLAN: The Influence of Erasmus, Witzel and Cassander in the Church Ordinances and Reform Proposais of the United Duchees of Cleve during the Middle Decades of the 16th Century (RST 83). Münster 1957. 88 COENEN: Die katholische Kirche am Niederrhein, S. 27, die allerdings auch selbst schon relativiert. In Wesel ist keine Schule der Fraterherren belegt. Auch in den Aufstellungen der Ausgaben des Hauses findet sich keine Erwähnung eines Schülerhauses. 89 STEMPEL: Die Reformation in der Stadt Wesel, S. 10.
2. Die Begegnung mit der
57
Reformation
besondere Rolle in der Weseler Reformation einnahm.90 Eine aktive Teilhabe an der Etablierung der neuen Lehre in der Stadt ist wohl auszuschließen. Über innere Schwierigkeiten im Weseler Fraterhaus in den frühen zwanziger Jahren des 16. Jahrhunderts liegen im Gegensatz zum nahegelegenen Doesburg ebenfalls keine Nachrichten vor. Ein negativer Befund zeigt jedoch die tiefgreifende Erschütterung des gemeinsamen Lebens der Weseler Brüder. Der weitgehende Abbruch der normalen Geschäftstätigkeit und das Ausbleiben von Stiftungen signalisieren hier den Bruch ebenso wie die in den zwanziger Jahren nachlassende und um 1530 vollständig abbrechende Nachwuchsrekrutierung. 91 Köln Die Begegnung des Fraterhauses in Köln mit der Reformation vollzog sich unter vollständig anderen Rahmenbedingungen als in den bisher geschilderten Städten, da in Köln zu keinem Zeitpunkt eine evangelische Bewegung existierte, die in der Lage gewesen wäre, das Geschehen in der Stadt entscheidend mitzubestimmen oder gar in Richtung einer lutherischen Reformation zu lenken.92 Köln blieb die Romanae ecclesiae fidelis filia93 Niederdeutschlands. Schon früh wandten sich Universität und Klerus energisch gegen die neue Lehre. Nachdem 1518 der ehemalige Dominikanerprior und Inquisitor Jakob Hochstraten gegen Luther aufgetreten war, verurteilte die Theologische Fakultät im folgenden Jahr dessen Schrift Resolutiones disputationum de virtute indulgentiarum als häretisch. 94 Auch der
90
Die Augustiner-Eremiten waren eine der Hauptstützen der Reformation in Wesel. Fürstenberg klagte über die falschen Lehren des Klosters und erwirkte in Köln einen Bann, AI.BRECHT WOLTERS: Reformationsgeschichte der Stadt Wesel bis zur Befestigung ihres reformierten Bekenntnisses durch die Weseler Synode. Bonn 1868, S. 51. 91 S. unten. S. 196 f. 92 ROBERT W. SCRIBNER: Why was there no Reformation in Cologne? In: Bulletin of the Institute of Historical Research 4 9 ( 1 9 7 6 ) ,
S. 2 1 7 - 2 4 6 .
WILFRIED ENDERLE:
Die
katholischen Reichsstädte im Zeitalter der Reformation und der Konfessionsbildung. In: ZRG K A 75 (1989), S. 230, erklärt Köln daher zum Typus einer altgläubigen Reichsstadt, in der nie die Möglichkeit einer Reformation bestand. 93 ADOLF KLEIN: Die Kölner Kirche im Zeitalter der Glaubensspaltung und der katholischen Erneuerung. In: Almanach für das Erzbistum Köln 2 (1982), S. 392, nach dem Stadtsiegel. 94 LEONHARD ENNEN: Geschichte der Stadt Köln 4. Köln. Neuss 1875, S. 167 f. FRANZ BOSBACH: Köln, Erzstift und Freie Reichsstadt. In: Anton Schindling und Walter Ziegler (Hrsgg): Die Territorien des Reiches im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Land und Konfession 1500-1650. Bd. 3: Der Nordwesten. Münster 1991. S. 64. Schon im November 1520 wurden Luthers Schriften dem Feuer über-
II. Die Erschütterung des gemeinsamen Lebens
58
Rat stellte sich auf die Seite von Universität und Klerus. Die außenpolitische Orientierung an Habsburg, die sich aus den wirtschaftlich lebensnotwendigen Handelskontakten über Antwerpen ergab, war fiir die gesamte Zeit der Auseinandersetzung mit der neuen Lehre Leitfaden der Magistratspolitik. 95 Wenn auch diese Linie der städtischen Religionspolitik nicht in Frage stand, so hatte die Verbreitung lutherischen Gedankenguts dennoch unübersehbare Folgen für das geistliche Leben in der Stadt. Chaix vermutet in den Kölner Klöstern zu Anfang der dreißiger Jahre einen weit verbreiteten Zustand der Verwirrung. 96 Zumindest fiir die Konvente der AugustinerEremiten und die Windesheimer Kanoniker von Herrenleichnam sind lutherische Infiltrationen über längere Zeiträume feststellbar. Letztere wurden 1525 beim Rat der „Lutherei "91 bezichtigt. 1530 ergriff der Magistrat die Initiative. In einem Schreiben an das Generalkapitel der Windesheimer bat er um die Versetzung von Brüdern des Konvents. 98 Für das Haus Weidenbach der Brüder vom Gemeinsamen Leben liegen entsprechende Nachrichten jedoch nicht vor. Allerdings war man sich des Zeitgeschehens und der Gefahr, die die lutherische Lehre für das gemeinschaftliche Leben darstellte, wohl bewußt, da man sich auch aus weiter entfernten Häusern um Informationen bemühte und diese nach Herford weitergab. So berichtete der Kölner Rektor Friedrich Wichterich 1527: „Fratres in Koninckstein alienati sunt habitu, de volúntate et mandato Comitis ibidem."" Die geben, s. WOLFGANG SCHMITZ: Buchdruck und Reformation in Köln. In: JbKGV 55 (1984). S. 120 f. 95 SCRIBNER: Why was there no Reformation in Cologne?, S. 219 ff. 96 CHAIX: Réforme et Contre-Réforme Catholiques, S. 151. Der Rat ordnete bei den Kartäusern 1531 eine Inventarisierung an, da diese im Verdacht standen, die Kleinodien ihrer Kirche zu verkaufen. Nach den Kartäusern sollten auch die anderen Klöster b e s u c h t w e r d e n , s. BESCHLÜSSE DES RATES DER STADT K Ö L N 4 . B e a r b . v o n
M.Groten
(Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde 65). Düsseldorf 1988. S. 18. Nr. 154 (1531, Mär. 3) und S. 20, Nr.168 (1531, Mär. 8). 97 Der Magistrat ordnete daraufhin eine Untersuchung der Verhältnisse im Kloster an,
s.
BESCHLÜSSE DES RATES DER S T A D T KÖLN 3:
S.
283
(1525,
D e z . 25).
L.TH.
SCHULTZE: Brüder des gemeinsamen Lebens. In: Realencyklopädie für protestantische Theologie und Kirche 3. Leipzig 1897, S. 488 f., rechnet diese Nachrichten infolge einer Verwechslung den Fraterherren in Weidenbach zu. Die Augustiner-Eremiten waren vom Beginn der zwanziger Jahre bis 1533/34 von der neuen Lehre beeinflußt, s.W. ROTSCHEIDT-MÖRS: Die kölner Augustiner und die wittenberger Reformation. In: Monatshefte für Rheinische Kirchengeschichte 11 (1917), S. 33-58, besonders S. 55. V g l . a u c h BESCHLÜSSE DES RATES DER S T A D T K Ö L N 3: S. 2 0 9 , N r . 2 5 7 ( 1 5 2 5 , A p r . 3 ) . 98
ENNEN: Geschichte der Stadt Köln 4, S. 317. STA Münster, Msc. VII, 3307, fol. 4. S. dagegen zum Ende des Hauses in Königstein MFVC 2: S. 124 (H.Langkabel), und H. SCHALK: Beiträge zur Geschichte des 99
2. Die Begegnung mit der Reformation
59
handwerkliche Tätigkeit der Kölner Brüder weist darauf hin, daß sie auf der Seite der Altgläubigen verharrten, da sie in den Jahren nach 1520 eine Vielzahl von Aufträgen zur Herstellung liturgischer Handschriften für die Kölner Stifte ausführten. 100 Neben dem Dom, der der häufigste Auftraggeber der Brüder war, sind Fraterherrenhandschriften dieser Zeit auch in St.Gereon, St.Peter, St.Severin und St.Maria ad Gradus belegt. Daneben verfügte St.Kastor in Koblenz über vier Handschriften, die allesamt von dem Scholaster der Kirche, Otto von Laufenfelden, in Auftrag gegeben wurden. 101 Mit der Durchführung ihrer Auftragsarbeiten trugen die Brüder damit den geregelten Ablauf der altgläubigen Meßfeier mit. Oft standen fromme Stiftungen Kölner Kanoniker am Anfang dieses Prozesses. Der Scholaster Wilhelm von Löwenich, der am 19. Juni 1530 starb, stiftete so für St. Severin ein Missale und ein Stundenbuch, die die Fraterherren 1531 fertigstellten. 102 Für die Kirche St.Maria in Zülpich lieferten die Fraterherren im Jahr 1531 eine Altartafel. 103 Auch mit einer Empfehlung der Stiftsschule in Emmerich, die die Fraterherren 1531 gegenüber dem Vater von Hermann Weinsberg aussprachen, wählten sie die traditionelle, altgläubige Option. 104 1 531 war der humanistisch gebildete Matthias Bredenbach bedeutendster Lehrer an der Schule, 105 deren Rektor er 1533 wurde. Bredenbach trat dezidiert gegen
Kugelherrenhauses zu Königstein. In: Nassauische Annalen 7, 2 (1842), S. 224 ff. Möglicherweise betraf die Nachricht das Haus in Butzbach, wo Philipp von Hessen als einer der Stadtherren zumindest seit 1528 gegen das Fraterhaus auftrat, vgl. MFVC 2: S. 47 (I.Crusius). 100 JULIANE KIRSCHBAUM: Liturgische Handschriften aus dem Kölner Fraterhaus St.Michael am Weidenbach und ihre Stellung in der Kölner Buchmalerei des 16. Jahrhunderts. Diss. Bonn 1972, S. 328 f., nennt 15 Antiphonare und Graduale. 101 KIRSCHBAUM: Liturgische Handschriften, S. 332. 102 WILHELM SCHMIDT-BLEIBTREU: Das Stift St.Severin in Köln (Studien zur Kölner Kirchengeschichte 16). Siegburg 1982, S. 56. Die Biografie Löwenichs ebd., S. 276. 103 DIETER KASTNER (BEARB.): Inventar der Urkunden des Pfarrarchivs St.Peter zu Zülpich (Landschaftsverband Rheinland, Inventare nichtstaatlicher Archive 32). Köln 1989, S. 174, Nr.270 (1531, Mai 8). In diesem Fall waren die Auftraggeber der Zülpicher Kirchmeister Johann Pyll und seine Frau Greytgen, mit denen die Brüder schon seit längerer Zeit gute Beziehungen unterhielten. Von ihnen hatten die Brüder 1520 schon fünf Morgen Ackerland erworben, ebd., S. 172, Nr. 265 (1520, Jul. 4). Vgl. hierzu HASt Köln, HUA 16114 (1521, Mär. 18), und KASTNER: Inventar, S. 174, Nr. 270 (1531, Mai 8). 104 KONSTANTIN HÖHLBAUM (Bearb.): Das Buch Weinsberg 1. Kölner Denkwürdigkeiten aus dem 16. Jahrhundert (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde 3). Leipzig 1886, S. 72. DITSCHE: Die devotio moderna, S. 120 f. 105 JOSEF KUCKHOFF: Der Sieg des Humanismus in den katholischen Gelehrtenschulen des Niederrheins 1525-1557 (KLK 3). Münster 1929, S. 12-25, besonders S. 12 f.
60
II. Die Erschütterung des gemeinsamen Lebens
die Lutheraner auf, deren Bekämpfung er einer Einigung mit ihnen vorzog. Hermann Weinsberg erhielt in Emmerich Kost und Logis im Scholarenhaus der dortigen Brüdergemeinschaft. Er gibt die Zahl seiner Mitbewohner mit 80 Scholaren an, von denen allein zehn aus Köln selbst stammten. Durch diesen Bericht Weinsbergs wird exemplarisch ein Wirkungsbereich erhellt, der sonst kaum faßbar wird. Durch ihre Bildung und gute Lebensführung kamen die Kölner Brüder in einen Ruf, der bewirkte, daß sie in Erziehungsund Ausbildungsfragen mit hinzugezogen wurden. Der humanistisch interessierte Vater Weinsbergs beschritt diesen Weg. 106 Gleichzeitig war dies ein Reformwerk in der typischen, indirekt wirkenden Art der Brüder. Durch die Ausbildung an einer geeigneten Schule sollte die allgemeine Hebung des sittlichen und geistigen Niveaus und die Erziehung einer geeigneten Priesterschaft bewirkt werden. Rostock In Rostock war seit 1523 die Petrikirche des Predigers Joachim Slüter die Keimzelle der Reformation, deren Einführung seit 1526 von dem Stadtsyndikus Johann Oldendorp vorangetrieben wurde. 107 Diesen Protagonisten der evangelischen Bewegung standen die Universität und Teile des Klerus entgegen. 108 Letztere hatten seit 1525 auch unter gewaltsamen Angriffen durch Einwohner der Stadt zu leiden, die allerdings von dem auf die Erhaltung von Ruhe und Ordnung bedachten Magistrat verfolgt und geahndet wurden. 109 1529 klagte das Domkapitel vor Herzog Albrecht über die Kon-
und S. 20 f. Vergleiche auch die stark konfessionell geprägte Darstellung von R. HEINRICHS: Der niederrheinische Humanist und Schulmann Matthias Bredenbach und sein Urteil über die Reformation. In: Frankfurter zeitgemäße Broschüren N.F. 11 (1890), S. 433-467. MERTENS: Matthias Bredenbach 1499-1559. Lehrer und Rektor des Gymnasiums in Emmerich. In: H.Disselbeck (Hrsg.): Festschrift des staatlichen Gymnasiums zu Emmerich. Zur Jahrhundertfeier der Wiederaufrichtung verbunden mit der 1200-Jahrfeier des Bestehens. 2. Abteilung, Emmerich 1932, S. 31-66. 106 DITSCHE: Die Devotio moderna, S. 120 f. 107 BERNHARD LESKER: Die Rostocker Fraterherren im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert. In: Frankfurter zeitgemäße Broschüren 8 , H . 5 ( 1 8 8 7 ) , S. 1 5 3 ff. JOHANNES SCHILDHAUER: Soziale, politische und religiöse Auseinandersetzungen in den Hansestädten Stralsund, Rostock und Wismar im ersten Drittel des 16. Jahrhunderts (Abhandlungen zur Handels- und Sozialgeschichte 2 ) . Weimar 1 9 5 9 . SABINE PETTKE: Zur Rolle Johann Oldendorps bei der offiziellen Durchführung der Reformation in Rostock, in: ZRG KA 7 0 ( 1 9 8 4 ) , S. 3 3 9 - 3 4 8 . 108 AXEL VORBERG: Die Einführung des Reformation in Rostock (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte 58). Halle 1897, S. 33 ff. 109 SABINE PETTKE: Rostocks Reformation im Spiegel zeitgenössischer Urfehden. In: Jahrbuch der Gesellschaft für Niedersächsische Kirchengeschichte 86 (1988), S. 147 ff.
2. Die Begegnung mit der
61
Reformation
kurrenz der evangelischen Prediger in der Stadt, die die altgläubigen Kirchen leerte. 110 Am 29. März 1531 wurde der altgläubigen Geistlichkeit auf dem Rathaus ein „Ratschlag" zur Kirchenreform nach der Schrift ausgehändigt. 111 Der Rat lehnte im Falle einer Nichtbefolgung jede Verantwortung ab. Im April wurde nach Unruhen in der Stadtbevölkerung auf Weisung des Rates das Abendmahl in beiderlei Gestalt eingeführt. 112 Seit dem Herbst 1531 schwang sich der Rat zur Kirchenhoheit auf, wobei formal zunächst die Rechte des Bischofs und des Landesherren gewahrt blieben, der Magistrat jedoch selbständig die Kirchenfragen gestaltete. 113 Die Haltung der Rostocker Fraterherren gegenüber der Reformation wird anhand ihrer Buchproduktion bestimmbar. Die Brüder in Rostock hatten als einzige unter den norddeutschen Fratergemeinschaften um 1475 eine Druckerei eingerichtet, die sie bis in die Reformationszeit betrieben. 114 So druckten sie 1521 eine Agende für das Bistum Schwerin, an die die Bulle In Coena Domini von Leo X. angehängt war. 115 Von besonderer Bedeutung sind die Ausgaben von Ecks Enchiridion Locorum communium adversus Lutheranos (1526) und Cochlaeus Streitschrift für das Abendmahl in einer Gestalt (1529). 116 Gegen diese Ausgaben steht im ersten Augenschein der 1526 erfolgte dänische Druck von Luthers Sermon von der Betrachtung des heiligen Leidens Christi aus dem Jahr 1519 und eine dänische Übersetzung von Urbanus Rhegius (1528). 117 Doch war zumindest Luthers Betbüchlein von den Brüdern derart überarbeitet, daß die Kritik an 110 G.C.F. LISCH: Beiträge zur Geschichte der Reformation in Rostock und des Dom-Capitels daselbst. In: Jahrbücher des Vereins für mecklenburgische Geschichte und Alterthumskunde 16(1851), S. 31-35. 111
LISCH: B e i t r ä g e
zur Geschichte
der R e f o r m a t i o n ,
S.
42
ff. EMIL SEHLING
(HRSG.): Die evangelischen Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts 5. Leipzig 1913, S. 272. 112
Vgl. LISCH: Beiträge zur Geschichte der Reformation, S. 45 ff. SABINE PETTKE: Stadtobrigkeit und Landesherren im Streit um das lutherische Kirchenregiment. Dargestellt an der Reformation Rostocks im vierten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts. In: Herbergen der Christenheit 1985/86, S. 78 f.. S. 82 ff. 114 C.F.G. LISCH: Geschichte der Buchdruckerkunst in Mecklenburg, S. 37. LESKER: Die Rostocker Fraterherren. S. 145. Eine Übersicht bei CARL MELTZ: Die Drucke der Michaelisbrüder zu Rostock 1476 bis 1530. In: Tradition und neue Wirklichkeit der Universität. Festschrift für Erich Schlesinger zu seinem 75. Geburtstage (Wissenschaftliche Zeitschrift der Universität Rostock. Gesellschafts- und sprachwissenschaftliche Reihe 5 (1955/56), Sonderheft). S. 236-249. 113
115
LISCH: G e s c h i c h t e der B u c h d r u c k e r k u n s t i n M e c k l e n b u r g . S. 5 4 - 5 8 . MELTZ: D i e
Drucke der Michaelisbrüder, S. 243. 116 LESKER: Die Rostocker Fraterherren. S. 154. MELTZ: Die Drucke der Michaelisbrüder. S. 244. 117 MELTZ: Die Drucke der Michaelisbrüder. S. 244. S. 247.
62
II. Die Erschütterung des gemeinsamen
Lebens
alten Glaubenspraktiken abgeschwächt wurde. 118 Die Rostocker Fraterherren zogen damit für ihre Druckausgaben zwar die Werke der Reformatoren heran, nahmen an diesen jedoch Veränderungen vor, um unüberbrückbare Widersprüche zu nivellieren. Kennzeichnend für diese Haltung der Brüder ist ein 1532 ausgeliefertes Neues Testament, welches in erster Linie auf Emsers deutscher Fassung von 1529 beruhte. Zusätzlich zogen sie aber auch Luthers Ausgabe von 1526 hinzu und bevorzugten zum Teil dessen Textversionen. 119 Ungeachtet der religionspolitischen Entwicklungen zogen die Brüder hier aus philologischen Erwägungen beide Übersetzungen für eine eigene Version heran. Entscheidend für eine konfessionelle Bewertung des Druckes ist die Tatsache, daß sie die Glossen Emsers beibehielten, so daß ihr Werk nicht als reformatorische Korrektur Emsers, der ja selbst Luthers Fassung nach der Vulgata überarbeitet hatte, 120 sondern als ein Bemühen um eine verbesserte Textfassung innerhalb der römischen Kirche anzusehen ist. 121 Sie wirkten damit im traditionellen Sinn der Devotio moderna, indem sie zur Verbreitung der Schrift auch in den Volkssprachen beitrugen und hierfür kritische Textarbeit leisteten. 122 Wie in Münster oder Doesburg war der Gehorsam gegenüber der einen Kirche letztendlich das verbindliche Kriterium der Bewertung. So findet sich auch das Hauptargument des Doesburger Chronisten gegen Luther in der von den Rostocker Brüdern beibehaltenen Glosse Emsers zu Matth. 7,20: Als Häretiker werden hier jene Bäume gekennzeichnet, die keine Früchte tragen. 123
118 SABINE PETTKE: Vom Einfluß des Urbanus Rhegius in Dänemark - eine Forschungslücke? In: Jahrbuch der Gesellschaft für Niedersächsische Kirchengeschichte 87 (1989), S. 209 f. Für die Schrift von Rhegius liegt eine entsprechende Untersuchung noch nicht vor. 119 KENNETH A. STRAND: A Reformation Paradox. The Condemned New Testament of the Rostock Brethren of the Common Life. With a Foreword by Albert Hyma. Ann Arbor 1960, S. 37 ff. DERS.: The Lutheran New Testament used by the Rostock Brethren of the Common Life for their Catholic Bible Translation. In: ARG 52 (1961), S. 9 9 f. 120 S. hierzu Luther bei FRIEDRICH JENSSEN: Emsers Neues Testament in niederdeutscher Übertragung. Geschichte des Druckes, seine Sprache und seine Stellung innerhalb der niederdeutschen Bibelübersetzung. Schwerin 1933, S. 4 f. 121 STRAND: A Reformation Paradox, S. 45, S. 48. 122 Vgl. CEBUS C. DE BRUIN: De Moderne Devotie en de verspreiding van de volkstaalbijbel. In: OGE 59 (1985), S. 344-356. WILLEM LOURDAUX: Moderne Devotie en christelijke humanisme. De geschiedenis van Sint-Marten te Leuwen van 1433 tot het einde van de XVIe eeuw (Universiteit te Leuwen, Werken op het Gebied van de Geschiedenis en de Filologie, 5.Reihe, 1). Löwen 1967. 123 STRAND: A Reformation Paradox, S. 45.
2. Die Begegnung mit der Reformation
63
Luther schritt schon 1529 gegen das begonnene Vorhaben eines Neuen Testamentes der Brüder ein, indem er Herzog Heinrich von Mecklenburg zu einem Verbot dieses Drucks aufforderte. 124 Auf Veranlassung des Syndikus Johann Oldendorp schritt die Stadt ein. Erst 1532 konnten die Brüder mit Unterstützung des altgläubigen Herzogs Albrecht ihr Werk beenden. 125 Der Magistrat konfiszierte jedoch die für ihn erreichbaren Werke und verbrannte sie. Neben Emsers Testament hatten die Brüder auch ein Plakat der ehemaligen altgläubigen Bürgermeister Lübecks, Brömse und Plönnies, gedruckt, mit dem diese ebenfalls vom Hofe Herzog Albrechts aus gegen die neugläubige Partei und Jürgen Wullenwever in Lübeck kämpften. 126 Den Brüdern wurde daraufhin die Betreibung ihrer Offizin durch den Magistrat untersagt. 127 Die Rostocker Fraterherren gehörten damit wie die Universität oder die Dominikaner zu den Verteidigern des alten Glaubens in der Stadt. 128 Herford Die Stadt Herford wurde früh von der neuen Lehre erfaßt. 129 In den zwanziger Jahren des 16. Jahrhunderts entstand eine evangelische Bewegung, die 1530 und 1531 in die Besetzung der Johannis- und der Münsterkirche mündete. Ab 1523 erfolgten öffentliche evangelische Predigten, die seit 1525 auch zur Ablegung der geistlichen Gewänder im Herforder Klerus führten. 130 Der Augustiner-Eremit Johann Dreier verfaßte die 1532 ver-
124
LISCH: Geschichte der Buchdruckerkunst in Mecklenburg, S. 23 f. LESKER: Die Rostocker Fraterherren, S. 156. 125 LESKER: Die Rostocker Fraterherren, S. 156 f. 126 SABINE PETTKE: Eine vergessene Urkunde der Brüder vom gemeinsamen Leben in Rostock. In: Jahrbuch für Regionalgeschichte 15/2 (1988), S. 85 ff. 1542 erbaten die Brüder die ihnen hieraus zustehenden 200 fl. aus dem Gewahrsam des Rostocker Rates zurück. 127 p>gTTK£: £ l n c vergessene Urkunde der Brüder vom gemeinsamen Leben in Rostock, S. 80. 128 Vgl. ELISABETH SCHNITZLER: Das geistige und religiöse Leben Rostocks am Ausgang des Mittelalters (Historische Studien 360). Berlin 1940, S. 15. 129 Die Ereignisse schildern SCHRÖER: Die Reformation in Westfalen 1, S. 315-343. LUDWIG HÖLSCHER: Reformationsgeschichte der Stadt Herford. Im Anhang die Herforder Kirchenordnung von 1532. Gütersloh 1888. Einen kurzen Überblick über weitere Untersuchungen und Quellen bei FRANZ PETRI: Die Darstellung der Herforder Reformationsgeschichte und ihre Quellen. In: JbwestfKG 61 (1968), S. 217-221. Vgl. auch MARTIN BRECHT: Kirche und Bürger in Herford im Mittelalter, in: JbwestfKG 84 (1990), S. 31-46. 130 HEINZ-JOACHIMBUB: Religion eint und entzweit. Die Reformation. Innerhalb des Sammelbeitrages „Religion prägt das Leben". In: 1200 JAHRE HERFORD. Hrsg v. Th.
II. Die Erschütterung des gemeinsamen
64
Lebens
k ü n d e t e und 1 5 3 4 g e d r u c k t e Kirchenordnung und stand bis zur förmlichen A n n a h m e der n e u e n Lehre an der S p i t z e der B e w e g u n g . 1 3 1 In der Münsterkirche m u ß t e der Widerstand der Äbtissin und d e s altgläubigen Pfarrers Hermann E n g e l k i n g
überwunden
werden.
D e r Rat
ließ
schließlich
zu
Ostern 1531 die Kirche g e w a l t s a m ö f f n e n , und s e t z t e Dreier als Hauptprediger ein. 1 3 2 Ein Anteil d e s Fraterhauses an der D u r c h s e t z u n g der Reformation im Sinne einer Teilhabe am ö f f e n t l i c h e n G e s c h e h e n ist auch in Herford nicht zu erkennen. T r o t z d e s B e k e n n t n i s s e s d e s Herforder Brüder zu Luther standen sie einer sich g e w a l t s a m den W e g bereitenden B e w e g u n g , die den Grundwerten der pax
und quietas
widersprach, ablehnend gegenüber, ja
hielten dies für das G e g e n t e i l d e s eigentlichen Ziels der Einführung des e v a n g e l i s c h e n G l a u b e n s . 1 3 3 N a c h Luthers Z e u g n i s w a r e n die Brüder j e d o c h die ersten g e w e s e n , 1 3 4 die sich in Herford der neuen Lehre zuwandten. 1 3 5
Helmert-Corvey und Th. Schuler (Herforder Forschungen 2). Herford 1989, S. 294. Zusammenfassend SCHRÖER: Die Reformation in Westfalen 1. S. 318 ff. 131 Die soziale Zusammensetzung der Neuerer und die Implikation sozial-revolutionärer Faktoren im Herforder Reformationsgeschehen sind weitgehend ungeklärt. Schon im frühen 16. Jahrhundert war es zu einem Aufruhr gegen das Süsternhaus gekommen, da die gewerbliche Tätigkeit und die Güterkumulation der Schwestern Widerspruch auslöste. Ein undatiertes Konzept der Äbtissin, welches über die gewaltsamen Rechtsbrüche des Jahres 1532 klagte, nennt nur „De van Haruorde... " als Träger der Unruhen, ALFRED COHAUB: Anmerkungen zum Herforder Bildersturm im Jahr 1532. In: Paderbornensis Ecclesia. Beiträge zur Geschichte des Erzbistums Paderborn. Festschrift Lorenz Kardinal Jäger zum 80. Geburtstag. München u.a. 1972, S. 217. 132 HÖLSCHER: Reformationsgeschichte der Stadt Herford, S. 27. 133 KLEMENS LÖFFLER: Zwanzig Briefe des Herforder Fraterherren Jakob Montanus an Willibald Pirckheimer. In: WZ 72 (1914), S. 27, „...qui evangelici volunt videri et ob id incondite tumultuantur, cum nihil minus sint quam evangelii promotores. " Zu Pirckheimer vgl. MANFRED SCHAROUN: „Nec Lutheranus neque Eckianus, sed christianus sum." Erwägungen zu Willibald Pirckheimers Stellung in der reformatorischen Bewegung. In: Humanismus und Theologie in der frühen Neuzeit. Akten des interdisziplinären Symposions vom 15.-17. Mai 1992 im Melanchthonhaus in Bretten. Hrsg. v. Hanns Kerner (Pirckheimer-Jahrbuch 8). Darmstadt 1993, S. 107-147. 134 Das nach Gesichtspunkten der Quellenkritik problematische Verzeichnis der Rektoren nennt ein genaues Datum für den Übertritt der Gemeinschaft zum neuen Glauben, s. FRATERHAUS HERFORD 2: S. 31. Noch vor dem 15. Juni 1523 hätten die „Fratres ... Evangelio ... locum in corde dederunt ab eoque tempore Papatui valedixerunt. " Auch der Eintrag zum Jahr 1525 „Publice doctrinam Lutheri Fratres professi sunt.", wirft Interpretationsprobleme auf. Das Verzeichnis stammt von dem Rektor Pagendarm aus dem frühen 18. Jahrhundert. Da nicht bekannt ist, ob für diese Liste eine Vorlage existierte, bleibt unklar, welche Nachrichten nur Interpretationen Pagendarms sind, s. FRATERHAUS HERFORD 2: S. 27 (Stupperich). 135
FRATERHAUS HERFORD 2 : S. 2 2 1 ( 1 5 3 2 , J a n . 3 1 ) .
2. Die Begegnung mit der Reformation
65
Noch vor 1523 standen der Wittenberger Reformator und Jakob Montanus in festem Briefwechsel. 136 Zu dieser Zeit bestand schon ein Konsens zu der Beichtpraxis. Montanus war Confessor der Herforder Süstern und dürfte die treibende Kraft gewesen sein, die den anderen Fraterherren Luther nahebrachte.137 Sowohl im Abendmahlsstreit und in der Kontroverse über den freien Willen mit Erasmus bekannte er sich als Parteigänger Luthers.138 Spätestens 1528 wurde der Bruch mit der alten Kirche in allen Konsequenzen vollzogen. Bartholomäus Vechel legte ein Bekenntnis zur Rechtfertigung im Sinne Luthers ab und bezog die gesamte Fratergemeinschaft mit ein. 139 Auf eine Mahnung des Confessors der Süstern in Detmold, Lambert Swart, nicht dem neuen Glauben anzuhängen, beharrte er darauf, daß die Werke zu Gottes Gnade und Gerechtigkeit nichts beitrügen. In der Intention, dem Detmolder Confessor die Legitimität dieser Auffassung vor Augen zu fuhren, berief sich Vechel auch auf Bernhard von Clairvaux, der diese Einsicht kurz vor seinem Tod ebenfalls gehabt habe.140 Die Hören, Messen und Ablässe seien Menschensatzungen, Christus allein nehme die Sünde der Welt auf sich. Dies allein galt Vechel als „...vera et sola fides... ",141
FRATERHAUS H E R F O R D 2: S. 189 f. (1523. Jul.26). Der vorangegangene Briefwechsel ist verloren, da Montanus seine Luther-Korrespondenz an Willibald Pirckheimer übersandt hatte. LÖFFLER: Zwanzig Briefe des Herforder Fraterherren Jakob Montanus. S. 35 f. Stupperich, FRATERHAUS H E R F O R D 2: S. 184, vermutet, im Zuge dieses Austausches sei sie verloren gegangen. Zu den ersten Anzeichen des Bekanntwerdens der Fraterherren mit Luther STUPPERICH: Das Herforder Fraterhaus und die Reformation. S. 12 f. 137 HAMELMANN: Reformationsgeschichte Westfalens, S. 309. 138 LÖFFLER: Zwanzig Briefe des Herforder Fraterherren Jakob Montanus. S. 27. 136
139
FRATERHAUS H E R F O R D 2 : S. 1 9 2 f.
140
Diese Deutung Bernhards folgt der Interpretation Luthers, s. STAMM: Luthers Stellung zum Ordensieben, S. 122. THEO BELL: Divus Bernhardus. Bernhard von Clairvaux in Martin Luthers Schriften (VeröfflnstEurGesch Mainz, Abteilung für Abendländische Religionsgeschichte 1 4 8 ) . Mainz 1 9 9 3 . S. 2 0 9 ff. Vgl. M.B. PRANGER: „Perdite vixi" Bernard de Clairvaux et Luther devant l'échec existentiel. In: Bijdragen. Tijdschrift voor Filosofie en Theologie 5 3 ( 1 9 9 2 ) , S. 4 6 - 6 1 . Vgl. auch ULRICH K Ö P F : Die Rezeptions- und Wirkungsgeschichte Bernhards von Clairvaux. Forschungsstand und Forschungsaufgaben. In: KASPAR E L M (Hrsg.): Bernhard von Clairvaux. Rezeption und Wirkung im Mittelalter und in der Neuzeit (Wolfenbütteler Mittelalter-Studien 6). Wiesbaden 1 9 9 4 . S. 5 - 6 5 . F R A N Z POSSET: Bernhard von Clairvauxs Sermone zur Weihnachts-, Fasten- und Osterzeit als Quellen Martin Luthers. In: Luther-Jahrbuch 61 ( 1 9 9 4 ) . S. 9 3 - 1 1 6 . T H E O B E L L : Bernhard von Clairvaux als Quelle Martin Luthers. In: Bijdragen. Tijdschrift voor Filosofie en Theologie 5 6 ( 1 9 9 5 ) , S. 2 - 1 8 . 141
FRATERHAUS H E R F O R D 2 : S. 1 9 3 .
66
II. Die Erschütterung des gemeinsamen
Lebens
Im selben Jahr wurde nach dem Tod Vechels Gerhard Wilskamp aus Xanten zum neuen Rektor der Gemeinschaft gewählt. Der Wahl standen nicht wie ansonsten üblich die Visitatoren des Münsterschen Kolloquiums vor, sondern die Protagonisten des neuen Glaubens in Herford. Unter der Führung von Montanus, Dreier und dem lutherischen Dechanten des Stiftes St. Johann und Dionys, Johannes Grest, wurde mit Wilskamp der fuhrende neugläubige Kopf der Herforder Gemeinschaft zum Rektor bestimmt. Nachträglich erlangte man jedoch auch die Zustimmung der Visitatoren. 142 Unter Wilskamps Leitung beschlossen die Fraterherren 1528 und 1529, keine Vigilien und Votivmessen mehr zu lesen, da diese nicht in der Heiligen Schrift begründet seien. 143 Auch die Reichung des Abendmahles sub utraque wird spätestens unter Wilskamps Leitung eingeführt worden sein. 144 Ein öffentliches Auftreten innerhalb des städtischen Reformationsgeschehens ist jedoch nicht zu erkennen. 145 Der einzige Hinweis hierauf besteht in einer Angabe Hamelmanns, nach der 1532 der Fraterherr Anton Meier Gehilfe Dreiers in der Münsterkirche wurde. 146 Das Herforder Fraterhaus hatte schon 1525 unter umgekehrten Vorzeichen als die anderen Häuser des Münsterschen Kolloquiums mit den Unruhen zu kämpfen gehabt, die im Zuge der Ausbreitung der Reformation entstanden. Aufgrund des Bekenntnisses der Fraterherren auf dem Varenkampinghof zu Luther wurden sie von Bischof Erich von Paderborn unter Berufung auf das Wormser Edikt im Jahr 1525 vor sein Gericht zitiert, um sich wegen „...Lutheranscher nhavolginge unde gebruk... " 14? zu verant-
142
FRATERHAUS HERFORD 1: S. 1 7 7 .
FRATERHAUS HERFORD 1: S . 204. S . auch einen entsprechenden Vermerk zu einem Rentbrief von 1511. Dez. 20, ebd., S. 113. 144 Kommunalarchiv Herford, Stadtarchiv, Fraterhaus, o.Sig. (Gründl des Fraterleuendes), fol. 24 r , enthält eine Zusammenstellung der Schilderungen des Abendmahles Christi in den Evangelien von Matthäus, Marcus und Lucas mit der Austeilung von Brot und Wein, und fügt hinzu: „ Van dem hoichwerdigen sacrament vyndes du up andern Steden genoich. So voel alst to dusser saken belanget, als of wy na godlicken rechten mögen dat auentmale christi in unsen huße holden, antworden wy ia. " Die Plazierung des Textes nach einem Konzept für den Gründl des Fraterleuendes von Gerhard Wilskamp und die einem Rechenschaftsbericht gleichende Zufügung deutet auf eine Abfassung in der frühen Zeit der Bedrängung durch die städtischen Prädikanten in den Jahren 1531/32 hin. 145 Auch ROBERT STUPPERICH: Die Eigenart der Herforder Reformation. In: JbwestfKG 7 5 ( 1 9 8 2 ) , S. 1 2 9 f., urteilt dahin, daß die Brüder außerhalb des Hauses keine Wirkung gehabt hätten. 146 HAMELMANN: Reformationsgeschichte Westfalens, S. 310, genannt. Im Fraterarchiv selbst ist Meier nicht belegt. 143
147
FRATERHAUS HERFORD 2: S. 2 0 0 .
2. Die Begegnung mit der Reformation
67
worten. Im Vorfeld des Verfahrens verfaßten der Confessor des Süsternhauses, Jakob Montanus, und der Frater Heinrich Telgte eine Appellation an den Bischof, die zu den Vorwürfen Stellung nahm. 148 Ihre Argumentation stützte sich auf die unbedingte Verpflichtung gegenüber dem Wort Gottes, das menschlichen Satzungen übergeordnet sei. Die Fraterherren beriefen sich gegen die Anwendung des Wormser Ediktes auf die Nürnberger Reichstage, 149 die dessen Durchfuhrung relativierten und schließlich 1524 der Entscheidung der einzelnen Stände überlassen hatten. 150 Die Rektorenliste des Fraterhauses hebt hervor, daß 1523 die Konzilsforderung in Herford als kaiserliches Edikt publiziert wurde und damit geltendes Recht war. 151 Die Herforder Brüder vom Gemeinsamen Leben griffen damit zu ihrer Verteidigung auf ein Instrumentarium zurück, welches zwar 1523/24 günstige Bedingungen für die protestantischen Prediger gegen die Verfolgung durch altgläubige Obrigkeiten geschaffen hatte, dessen Wirkpotential aber mit der Rückkehr des Kaisers und dem Verbot der geplanten Speyerschen Nationalversammlung erschöpft war. Auch das Sendschreiben Hadrians VI., auf das die Brüder in der Appellation verwiesen, hatte mit dem Tod des Papstes ein ähnliches Schicksal erlitten Die Herforder Brüder insistierten jedoch auf der Verknüpfung von Reform, kurialer Verantwortung und der Hinzuziehung Luthers, um das bestmögliche Ergebnis zu erreichen. Sie beriefen sich darauf, „...alleyn der goitliken warheit, de dorch Christum Jesum erschennen ys... ", 152 nachfolgen zu wollen. Anstatt Luther gemäß Bann und Acht vollständig abzulehnen, behielten die Fraterherren sich „...umme verklarynge der warheit... " 153 die Prüfung der einzelnen Schriften vor. Heinrich Telgte und Gerhard Wilskamp predigten später im Jahr 1525 in Paderborn gegen das „...oeltlofßike herkomen und gebrück der Hilligen christeliken kercken... " 154 und wurden vom Bischof in der Feste Dringen-
148
FRATERHAUS HERFORD 2 : S . 2 0 0 - 2 0 3 ( 1 5 2 5 , M a i
19).
v. RANKE: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation 2. Leipzig 1867, S. 37-45. HUBERT JEDIN: Geschichte des Konzils von Trient 1. Der Kampf um das Konzil. Freiburg 1977 3 , S. 168-175. 150 DEUTSCHE REICHSTAGSAKTEN: Jüngere Reihe, Bd. 3. Bearb. v. Adolf Wrede. Gotha 1901, S. 447-452 (1523, Mär. 6). Ebd., Bd. 4. Gotha 1905, 499-503 (1524, Apr. 4/5). 151 FRATERHAUS HERFORD 2: S. 31. Hierbei handelt es sich um den Beschluß des Reichstages 1523, der in dieser Form publiziert wurde. Stupperich, ebd., Anm.14, weist fälschlich auf die Ereignisse von 1526 hin. 149
LEOPOLD
152
FRATERHAUS HERFORD 2: S . 2 0 2 .
153
FRATERHAUS HERFORD 2 : S. 2 0 2 .
154
F R A T E R H A U S HERFORD 2 : S. 2 0 4 .
68
II. Die Erschütterung des gemeinsamen
Lebens
berg inhaftiert. 155 Das Fraterhaus mußte dem Bischof die Urfehde leisten und 300 fl. fiir die Freilassung der Gefangenen zahlen. 156 Unter Anerkennung des Wormser Ediktes und des päpstlichen Banns schworen die Brüder Luther ab. Die von Montanus und Telgte vorgebrachte Appellation wurde widerrufen, da sie den Reformator nicht von vornherein aus der Kirche ausgrenzte. Auch das Vergehen von Wilskamp und Telgte gegen den alten Gebrauch wurde zugegeben. 157 Ein Brief des Rektors Bartholomäus Vechel aus Münster verdeutlicht dagegen, wie wenig diese Urfehde der inneren Überzeugung im Fraterhaus entsprach und Bedrängung durch den Bischof von Paderborn als willkürliche Unterdrückung aufgefaßt wurde. 158 Vechel charakterisierte die Bereitschaft im Leiden als die wahre christliche Lebensform, so daß die Beschwernisse geduldig ertragen werden müßten. Mit deutlichem Bezug auf den Bischof klagte er über „...ytziger iegenwerdiger vaerliken tyt, In welker men Christum und syn wort ane faer purliken nicht verkundigen mach, men werde dar over ketterisch geschol159 den... ", Auch die Predigten von Wilskamp und Telgte in Paderborn wertete Vechel im Kreis der Hausgenossen vollständig anders, als in der Urfehde beschworen. Nicht um einer Missetat, sondern um der christlichen Wahrheit willen seien beide gefangen gewesen. 160 1527/28 zeugt die Wiederaufnahme des Briefwechsels mit Wittenberg 161 von der weiterhin vorherrschenden Verbundenheit der Brüder mit Luther, die gegenüber neuen Klagen von Seiten des Bischofs auf der Argumentation der Appellation von 1523 beharrten. 162 Erst mit dem Tod des Bischofs Erich von Grubenhagen scheint die Auseinandersetzung versiegt zu sein. 163
155
FRATERHAUS HERFORD 2 : S. 2 0 6 f. ( 1 5 2 5 , S e p .
156
FRATERHAUS HERFORD 2 : S. 4 9 .
17).
157
Allerdings habe dieser nicht mit dem Willen der Gemeinschaft stattgefunden. Nicht Luther, sondern der Kirche und ihrer Satzungen gelobten die Brüder zu folgen. Widerspenstige sollten des Hauses verwiesen werden. 158
FRATERHAUS HERFORD 2 : S. 2 0 8 - 2 1 1 ( 1 5 2 5 , S e p .
159
FRATERHAUS HERFORD 2 : S. 2 0 9 .
160
FRATERHAUS HERFORD 2 : S. 2 1 0 .
161
FRATERHAUS HERFORD 2 : S. 1 9 0 f f .
17).
162
LIPPISCHE REGESTEN 4: Aus gedruckten und ungedruckten Quellen. Bearb. v. O. Preuß und A. Falkmann. Detmold 1868. ND 1975, S. 351 ff. (Nr.3133; 1525, Sep. 17). 163 Um Übergriffen der Paderborner Bischöfe zu entgehen, bemühten sich die Fraterherren noch weit nach dem Bekenntnis Herfords zur neuen Lehre um die Anerkennung ihrer Exemtion, die sie als Teil der Herforder Kirche gegen den Bischof genossen, FRATERHAUS HERFORD 2: S. 2 1 2 f. ( 1 5 3 7 , Jun. 2 0 , u n d Jul. 13). A l s E r z b i s c h o f H e r -
mann von Wied Administrator des Bistums war. baten die Brüder um die Bestätigung ihrer Privilegien, die sie übersandten. Nicht nur gegen den Bischof, sondern auch ge-
2. Die Begegnung mit der
Reformation
69
Zusammenfassend weist die erste Begegnung der Fraterhäuser mit der aufkommenden Reformation generelle Gemeinsamkeiten auf. So sind die Auswirkungen von Luthers Lehre in der Mehrzahl der Fraterhäuser deutlich anhand von Schwierigkeiten im inneren Leben zu erkennen. Diese Tatsache wird um so gewichtiger, wenn man sich vor Augen hält, daß die Quellenlage hierfür der Natur der Sache gemäß schlecht ist. Allein die Chronik des Doesburger Fraterhauses erlaubt einen tieferen Einblick in die Entwicklung der geistigen Auseinandersetzung einer altgläubigen Gemeinschaft mit der Reformation. Das entscheidende Merkmal der Beurteilung ist dabei die Abwendung von dem Reformator in dem Augenblick, in dem die verheerenden Entwicklungen für das gemeinschaftliche Leben in den von der neuen Lehre beeinflußten Regionen und Fraterhäusern offenbar wurde, obwohl in ihr bei ihrem ersten Auftreten noch viel von dem selbst verfochtenen Reformideal vertreten schien. Der Herforder Rektor Vechel gab entsprechend 1519 seiner Bewunderung für die frühen Schriften des Reformators Ausdruck. Neben den mit dem Fortgang der evangelischen Bewegungen verbundenen Unruhen mündete die veränderte Bewertung der Reformation in die Wahrnehmung eines generellen Ordnungsverlustes der Umwelt, die von den Glaubenswirren ausgelöst schien. Das Bewußtsein einer heilsgeschichtlichen Krise ließ die Apokalypse in greifbarer Nähe erscheinen. Hierin stimmten die Chronik von Doesburg, der Hildesheimer Rektor Nagelsmedt und der Herforder Vorsteher Vechel überein. Im Herforder Beispiel galt die Rezeption der in Willkür und Unrecht befindlichen Umwelt auch gegenüber der Bedrängung durch Bischof Erich von Paderborn. 164 Für die Altgläubigen dagegen wurde Luther zum personifizierten Übel, dessen Erfolg durch die Sünden der Menschheit verursacht war. 1 6 5 Zu allen Gemeinschaften, den altgläubigen wie der lutherischen in Herford, ist zusätzlich festzustellen, daß eine aktive Teilnahme an der Einführung der neuen Lehre nicht zu erkennen ist. Auch die sich früh zu Luther bekennenden Herforder Fraterherren verschlossen sich gegenüber dem oft tumultuarisch verlaufenden Prozess der Einführung der Reformation.
gen die das Fraterhaus bedrängende Stadt Herford verschafften sich die Brüder zudem auch Bestätigungen von Karl V. und dem Herzog von Kleve. FRATERHAUS HERFORD 2: S. 214-217 (1538. Jan. 7). Offenbar haben sie diese auch erhalten, s. FRATERHAUS H E R F O R D 1: S .
174.
164
FRATERHAUS HERFORD 2: S.
165
Vgl. RÜTHING: Mit vrochten und sorgen. S. 229 f.
209.
3. Der Untergang der sächsischen und hessischen
Häuser
Das Aufkommen der Reformation verursachte den frühen Untergang der sächsischen und hessischen Häuser der Brüder vom Gemeinsamen Leben. Die näher am Zentrum der kirchengeschichtlichen Umwälzung gelegenen Gemeinschaften wurden Opfer der religionspolitischen Entwicklungen in den Territorien und Städten, in denen nur sehr wenige Klöster aufgrund ihrer unanfechtbaren rechtlichen Privilegierung eine Fortexistenz durchzusetzen vermochten. Während die Gemeinschaften in Magdeburg und Merseburg innerhalb eines guten Jahrzehnts zu kleinen Restkommunitäten schrumpften, deren schließliches Ende sich mit dem Tod oder Austritt der letzten Mitglieder vollzog, wurden die hessischen Häuser im Zuge der landesherrlichen Säkularisierung aufgelöst. Magdeburg In Magdeburg bleibt die Entwicklung von dem ersten Auftreten einer evangelischen Bewegung bis zum Untergang des Fraterhauses nur in Umrissen nachvollziehbar. Mit dem Verfall der Gemeinschaft ging auch ein Verlust an Schriftlichkeit einher, so daß nur Quellen des städtischen Reformationsgeschehens von außen über das letzte Stadium der Fraterniederlassung berichten. Evangelische Predigten wurden in der Stadt ab 1521 durch einzelne Franziskaner und Augustiner-Eremiten gehalten.1 Während der Unruhen im Sommer 1524 kam es auch zu Übergriffen gegen die ansässigen Klöster, besonders die Konvente der Zisterzienserinnen sowie der Franziskaner und Dominikaner. Auch Luther predigte während seines Aufenthaltes in der Stadt seit Ende Juni gegen das Klosterleben. 2 Die in der Folge festgelegten Zehn Artikel sahen vor, daß keine Neuaufnahmen in die Konvente mehr geduldet, die Bewohner zum Austritt aufgefordert und Zurückbleibende im Kloster unterhalten werden sollten.3 Die Franziskaner wurden aufgefordert, ihre Existenz aus der Schrift zu legitimieren oder die Stadt zu verlassen. Allein die Rücksicht auf das Domkapitel zwang den Rat, auf eine Ausweisung zu verzichten. 4 Im Verlauf der Jahre 1524 und 1525 kam es zu einer fast vollständigen Durchsetzung der Reformation in 1 DWAJNE C. BRANDT: The City of Magdeburg Before and After the Reformation. A Study in the Process of Historical Change. Ann Arbor 1975, S. 145. 2 BRANDT: The City of Magdeburg, S. 152 f. SCHRÄDER, FRANZ: Ringen, Untergang und Überleben der katholischen Klöster in den Hochstiften Magdeburg und Halberstadt von der Reformation bis zum Westfälischen Frieden (KLK 37). Münster 1977, S. 26 f. 3 SCHRÄDER: Ringen, Untergang und Überleben, S. 28. 4 SCHRÄDER: Ringen, Untergang und Überleben, S. 29 f.
3. Der Untergang der sächsischen und hessischen
Häuser
71
der Stadt.5 Unter dem Schutz des Erzbischofs konnte sich der altgläubige Klerus jedoch am Neumarkt weiterhin halten, 6 in dessen Nähe auch die Niederlassung der Brüder angesiedelt war. Nachrichten über eine Partizipation der Fraterherren in der ersten Phase der Magdeburger Reformation liegen nicht vor. 7 Schon vor 1528 wurde die baldige Auflösung des Hauses befürchtet. 8 Anders als in den westfälischen und rheinischen Häusern stand damit für die Brüdergemeinschaft, die um die Jahrhundertwende noch ungefähr zwanzig Mitglieder gezählt hatte, 9 schon im ersten Ansturm der Reformation das Ende unmittelbar bevor. 10 Der vollständige Untergang des Hauses vollzog sich in den Jahren zwischen 1532 und 1541. Während die Brüder in den Jahren 1532 und 1533 noch Abgaben an den Erzbischof entrichteten, hatten sie 1534 und 1535 das Bürgerrecht angenommen und waren in den Schutz der Stadt eingetreten. 11 Der Rat übernahm die Brüder damit in seine Herrschaft und untersagte eine weitere Fortsetzung von Abgaben an die erzbischöfliche Kurie. 12 Das Domkapitel beschwerte sich 1535 bei dem Magistrat wegen der unrechtmäßigen Inbesitznahme des Fraterhofes durch die Stadt. 13 Ist bei der Beurteilung des Ausbleibens weiterer Leistungen an den Erzbischof die Möglichkeit nicht auszuschließen, daß sich die Brüder hier lediglich städ-
B R A N D T : The City of Magdeburg, S. 1 5 6 ff., S. 1 8 4 - 1 9 0 . SCHRÄDER. F R A N Z : Die Auseinandersetzung der Reformation mit den katholischen Klöstern in den Hochstiften Magdeburg und Halberstadt. In: Cistercienser Chronik 8 4 ( 1 9 7 7 ) , S. 2 6 . BRANDT: The City of Magdeburg. S. 158. 7 Die Behauptung, daß sich alle Brüder mit Ausnahme des Rektors unmittelbar 1521 geschlossen dem neuen Glauben zugewandt hätten, ist nicht zu belegen, vgl. FRIEDRICH HÜLBE: Die Einführung der Reformation in der Stadt Magdeburg. In: Geschichts-Blätter für Stadt und Land Magdeburg 18 (1883), S. 213 f. 8 STA Münster, Msc. VII. fol. 6. 9 1496 hatte der Erzbischof den Brüdern das Privileg erteilt, bis zu 20 Mitglieder in das Haus aufzunehmen, BARNIKOL: Das Magdeburger Brüderhaus. S. 38. 10 Unter die Verbliebenen ist der Bruder Johannes Zeiheini zu rechnen, der 14961498 Rektor in Magdeburg gewesen war und noch 1547 aus dem Hildesheimer Lüchtenhof mit den Herforder Brüdern korrespondierte, s. STA Münster. Msc. VII. fol. 9. 11 BARNIKOL: Das Magdeburger Brüderhaus, S. 30. Die ebd., S. 53. vertretene These, die Brüder hätten 1533/34 in Kooperation mit dem Rat den Rektor Konrad von Paderborn vertrieben, die sich auf einen Eintrag „... a suis expulsis ..." zu 1536 im Hildesheimer Nekrolog stützt, DOEBNER: Annalen und Akten, S. 288, wird von Crusius, MFVC 2, S. 144, verworfen, da sich Konrads Nachfolger Ludolf Munder schon 1512 Pater nannte. 12 BARNIKOL.: Das Magdeburger Brüderhaus, S. 53 f. 13 FRIEDRICH W. H O F F M A N N : Geschichte der Stadt Magdeburg 1. Neu bearb. von G.Hertel und F.Hülße. Magdeburg 1885, S. 435. BARNIKOL: Das Magdeburger Brüderhaus, S. 57. 5
72
II. Die Erschütterung des gemeinsamen
Lebens
tischem Druck gebeugt haben, so zeigt eine Vernachlässigung ihrer Pflichten aus Memorienstiftungen, 14 daß der alte Glaube in der Gemeinschaft kaum noch praktiziert wurde. Kurz nach diesem Bericht des Vogtes ist der Fraterhof auf nicht mehr nachzuvollziehende Weise in den Besitz des Erzbischofs gekommen. 15 Dieser verlieh den Besitz im Jahr 1541 an den Domherren Johann von Wallwitz, da in der Kongregation nur noch ein Bruder lebe und dieser sich beweibet habe. 16 Merseburg Der Untergang des Hauses in Merseburg ist stärker noch als der der Magdeburger Gemeinschaft nur fragmentarisch erkennbar. Die junge Gemeinschaft, die erst 1503 auf der Grundlage einer Stiftung des Magdeburger Dompredigers und Merseburger Domherren Johannes Knolleysen gegründet worden war, 1 7 stand besonders im Blickpunkt stadtbürgerlicher Kritik an der Überhandnähme geistlich privilegierter Institutionen. So war die Niederlassung der Brüder vom Gemeinsamen Leben in Merseburg wie in Münster ein Hauptangriffsobjekt der Sozialrevolutionären Unruhen im Umfeld des Bauernkrieges. Die Bürger forderten in den Artikeln, in denen sie ihre Ziele formulierten, die Aufhebung der Privilegien des „Gotthardsklosters" und dessen Unterstellung unter das Gemeinwesen. 18 Das gemeinsame Leben der Brüder scheint durch diese Ereignisse stark erschüttert worden zu sein. Der Hildesheimer Rektor Nagelsmedt befürchtete 1526 nach einem Gerücht die bereits erfolgte Auflösung des Hauses. 19 Der Pater lebte jedoch weiterhin mit zwei Priestern und einem Laienbruder in Armut und Bedrängnis noch auf dem Fraterhof. 20 Die baldige Aufgabe des Hauses stand nach Ansicht des Merseburger Bruders Gisbert allerdings kurz bevor, da die neue Lehre überall voranschritt. Dennoch wollten die Brüder in Merseburg trotz der schlechten Lebensbedingungen in ihrem
14
BARNIKOL: Das Magdeburger Brüderhaus. S. 54. BARNIKOL. Das Magdeburger Brüderhaus, S. 55. f.. vermutet, der Hof sei dem Bischof vorbehaltlich der Nutzungsrechte noch lebender Fratres übergeben worden. 16 BARNIKOL: Das Magdeburger Brüderhaus. S. 56. 17 M F V C 2: S. 184 (I.Crusius). 18 ALBERT FRAUSTADT: Die Einführung der Reformation im Hochstifte Merseburg. Größtentheils nach handschriftlichen Quellen dargestellt. Leipzig 1843. S. 57. 19 DOEBNER: Annalen und Akten, S. 200 f. 20 STA Münster. Msc. VII. fol. 6 (vor 1528). MFVC 2: S. 185 (I.Crusius). Wieviel Mitglieder die Gemeinschaft zuvor gehabt hatte, ist nicht bekannt. Da jedoch in der kurzen Zeit des Bestehens insgesamt 13 Brüder die Priesterweihe erhalten hatten, ebd.. wird man auf eine in personeller Hinsicht normal ausgebildete Fratergemeinschaft schließen können. 15
3. Der Untergang der sächsischen und hessischen Häuser
73
Stand verbleiben. 21 Ein späterer Zusatz zu dem Brief Nagelsmedts berichtet für das Jahr 1528 von der Treue des Rektors in Merseburg zum alten Glauben. 22 Auch der Frater Adam Westerburg, der vermutlich einer der 1528 belegten zwei Priester des Hauses und seit Anfang der dreißiger Jahre Pfarrer in Göhlitzsch und Russen war, beharrte in der Visitation des Hochstifts Merseburg von 1544/45 auf dem alten Glauben. Seine Entlassung scheint er eigenmächtig übergangen zu haben, um weiter in Russen als Seelsorger zu dienen. 23 Der Niedergang der Merseburger Gemeinschaft hat sich damit weitgehend in derselben Form wie in Magdeburg vollzogen. Mit dem Auftreten der Reformation haben in beiden Häusern ein Großteil der Fraterherren ihre Kommunitäten verlassen, während eine kleine altgläubige Restgemeinschaft bis zu ihrem Aussterben verharrte oder aufgrund der hoffnungslosen Situation und einer desolaten Hauswirtschaft abwanderte. Die freiheitliche Lebensform der Brüder erforderte hierfür nicht den Bruch eines Gelübdes wie beim Mönchtum, sondern war nach individueller Entscheidung eine legitime Möglichkeit. Ein sicherer Hinweis auf den bevorstehenden endgültigen Untergang der Merseburger Gemeinschaft schon zu dieser Zeit ist der Transfer eines bedeutenden Teiles des Hausbesitzes auf die Hildesheimer Brüder im Jahr 1530, denen sie einen Rentbrief bei dem Rat von Eilsleben über 1400 fl. überschrieben. 24 In Zeiten äußerster Not waren solche Übertragungen zwischen den rechtlich voneinander selbständig auftretenden Fraterhäusern ein wiederholt genutztes Mittel, um den Besitz der jeweiligen Gemeinschaft innerhalb der Brüderbewegung zu sichern oder für die spätere Wiederaufrichtung des betreffenden Hauses zu bewahren. 25 Das Ende des Merseburger Hauses erfolgte schließlich mit dem Tod des Rektors und letzten Bewohners Johannes Coci im Jahr 1537. 26 Dieser war von Bischof Sigismund in Haft genommen worden und kurz nach seiner Freilassung gestorben. 27 Nach der Einführung der Reformation in Merseburg 21 STA Münster. Msc. VII, fol. 6, „Nihil apud nos innovatum, nihil antiquatum, omnia in pristino statu perseverans. " 22 DOEBNER: Annalen und Akten. S. 200, Anm. b. 23 PAUL FLEMMING: Die erste Visitation im Hochstift Merseburg. In: Zeitschrift des Vereins für Kirchengeschichte in der Provinz Sachsen 3 (1906), S. 184. MFVC 2: S. 185 f. (I.Crusius). 24 Dombibliothek Hildesheim, Hs.Ps.12, fol. 74 v ff. 25 S. unten, S. 243-248. 26 FLEMMING: Die erste Visitation im Hochstift Merseburg, S. 173. 27 Die Begründung der Inhaftierung, der Rektor habe die Fratergüter verschwendet, steht im Widerspruch zum Transfer des Rentbriefes in Eilsleben nach Hildesheim. Möglicherweise wollte Johannes Coci das Kapital nur vor dem Zugriff Dritter sichern.
II. Die Erschütterung des gemeinsamen
74
Lebens
w u r d e das verlassene Fraterhaus 1545 durch H e r z o g A u g u s t d e m Rat der Stadt als P f a r r w o h n u n g ü b e r g e b e n . 2 8
Marburg D i e Fraterhäuser in Marburg und Kassel w u r d e n im Z u g e der Kirchenneuordnung d e s h e s s i s c h e n Landgrafen Philipp a u f g e h o b e n . 2 9 A n d e r s als die übrigen B r ü d e r g e m e i n s c h a f t e n N o r d d e u t s c h l a n d s , die allesamt in ein städtisches
Reformationsgeschehen
eingebunden
waren,
unterlagen
die
Fraterherren der l a n d e s w e i t e n R e f o r m a t i o n durch einen Territorialherren, der die Kirchenhoheit in Kontinuität zu seinem spätmittelalterlichen Kirchenpatronat als unmittelbare Herrschaftsausübung v o l l z o g . 3 0 D e r Kasseler W e i ß e n h o f und das Marburger Fraterhaus Z u m L ö w e n b a c h hatten der Familie d e s Landgrafen seit ihrer Gründung nahegestanden. D i e G e m e i n s c h a f t in Kassel w u r d e 1 4 5 4 durch den Landgrafen L u d w i g II. selbst im Z u g e seines landesherrlichen E n g a g e m e n t s in der Kirchenreform gestiftet und blieb d e m G e s c h l e c h t der Territorialherren für die D a u e r seiner E x i s t e n z e n g verbunden. 3 1 D i e Gründungsurkunde d e s H a u s e s Z u m L ö w e n b a c h nennt die N i e d e r l a s s u n g auf d e m Kasseler W e i ß e n h o f explizit als Vorbild. 3 2 D i e s e
so daß das bisher übliche Deutungsmuster, ihm den Untergang des Hauses anzulasten, hinfällig wird, vgl. ALFRED SCHMEKEL: Historisch-topographische Beschreibung des Hochstiftes Merseburg. Ein Beitrag zur Deutschen Vaterlandskunde. Halle 1858, S. 181. FLEMMING: Die erste Visitation im Hochstift Merseburg. S. 173. Zur Stellung des Bischofs vgl. GÜNTHER WARTENBERG: Landesherrschaft und Reformation. Moritz von Sachsen und die albertinische Kirchenpolitik bis 1546 (Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte 55). Gütersloh 1988. 28 M F V C 2: S. 186 (I.Crusius). 29 Zur Säkularisierung Philipps vgl. FRANZ: Die hessischen Klöster, S. 147-233. 30 WALTER HEINEMEYER: Territorium und Kirche in Hessen vor der Reformation. In: Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte 6 (1956), S. 138-163, bes. 151 f. FRANZ: Die hessischen Klöster, S. 148 f. Zur Bewertung des Prozesses zuletzt HEINZ-DIETER HEIMANN: Vorreformation und Reformation in landesgeschichtlichen Handbuchdarstellungen. Zur Aktualisierung der Wechselseitigkeit von landes- und reformationsgeschichtlicher Forschung und ihrer Vermittlung. In: Blätter für deutsche Landesgeschichte 127 (1991), S. 81 ff. Vgl. DEETJEN: „So klagen wir Gott im Himmel", S. 2252. 31 DOEBNER: Annalen und Akten, S. 166-169. Im ersten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts wohnten zwei natürliche Söhne von Wilhelm II. dem Mittleren und Wilhelm III. dem Jüngeren zu Kost und Unterrichtung im Fraterhaus, s. C. KNETSCH: Beiträge zur Genealogie des hessischen Fürstenhauses bis auf Philipp den Großmütigen. In: Zeitschrift für Hessische Geschichte und Landeskunde 40, N.F. 30 (1907), S. 305 ff. 32 KARL HEINEMEYER: Die Marburger Kugelherren als Wegbereiter der Universität. In: Academia Marburgensis. Beiträge zur Geschichte der Philipps-Universität Marburg. Hrsg. v. W.Heinemeyer u.a. (Academia Marburgensis 1). Marburg 1977, S. 24.
3. Der Untergang der sächsischen und hessischen Häuser
75
1476/77 von dem Marburger Ratmann und Schöffen Heinrich Imhof, der zuvor eine akademische Karriere bis hin zum Rektor der Universität in Leipzig abgebrochen hatte, 3 3 gestiftete Fraterniederlassung wurde bei seiner Gründung von Landgraf Heinrich III. bestätigt. Beide Häuser wurden in die landgräfliche Schutzvogtei aufgenommen. 3 4 Auf der Grundlage dieses Instituts legitimierte der Landesherr obrigkeitliche Befugnisse, die bis in das innere Leben der Gemeinschaften hineinreichten. So bestellte er mit dem Abt von Bursfelde und dem Prior der Kartause Johannisberg die Visitatoren der Häuser und traf Bestimmungen über eine etwaige andere Besetzung der Gemeinschaften im Falle niedergehender Disziplin. 35 In der Umsetzung dieses landesherrlichen Kirchenpatronats veranlaßte Philipp der Großmütige schon anläßlich der Unruhen im Umfeld der Bauernkriege eine Inventarisierung der Klostergüter, die auch eine Reaktion auf die zunehmende Abwanderung der Konventualen war. 3 6 Das Marburger Fraterhaus wurde hierbei im Februar 1526 besucht. 3 7 Allerdings intendierte dies wohl noch nicht die Aufhebung des Fraterhauses im Zuge einer reformatorischen Umgestaltung der Kirche, da sich Landgraf Philipp noch 1526 gegen eine gewaltsame Auflösung der Konvente aussprach. 3 8 Die Konsequenzen der Begegnung mit den Anfangen einer evangelischen Bewegung bleiben für beide hessischen Häuser im Dunklen. 1526 befürchteten die Kasseler Brüder ihre Ausweisung aus dem Fraterhaus, das dazu genötigt war, Kriegsgerät und Jagdhunde des Landgrafen zu beherbergen. 3 9 Mit der Einführung der Reformation in Hessen auf der Grundlage der Beschlüsse der Homberger Synode von 1526 wurde eine Zusammenkunft der Marburger Konvente einberufen, um diese der Reformation zuzufuh-
33
HEINEMEYER: Die Marburger Kugelherren, S. 5 ff., Biographie Imhofs. ECKHARDT: Die oberhessischen Klöster. S. 373 f. HEINEMEYER: Die Marburger Kugelherren. S. 13 f. 35 ECKHARDT: Die oberhessischcn Klöster, S. 374, und DOEBNER: Annalen und Akten, S. 168 f. Das Visitationsrecht scheint in der vom Landgrafen bestimmten Weise nicht ausgeübt worden zu sein, da nur Visitationen durch die Rektoren anderer Fraterhäuser bekannt sind, s. MFVC 2: S. 162 (K.Heinemeyer). 36 FRANZ: Die hessischen Klöster, S. 150. W.HEINEMEYER: Territorium und Kirche in Hessen, S. 162. 37 WILHELM BÜCKING: Beiträge zur Geschichte der Stadt Marburg. In: Zeitschrift des Vereins für Hessische Geschichte und Landeskunde N.F. 8 (1880), S. 23. 38 FRANZ: Die hessischen Klöster, S. 153. 39 DOEBNER: Annalen und Akten, S. 200. OTTO GERLAND: Beiträge zur Geschichte der Brüder des gemeinsamen Lebens (Kugelherren) in Hessen. In: Hessenland 18 34
( 1 9 0 4 ) , S. 2 6 6 .
II. Die Erschütterung des gemeinsamen
76
Lebens
ren. 40 Die Grundsätze der kirchlichen Umgestaltung glichen Luthers Leisniger Kastenordnung und seinen Empfehlungen für die kursächsische Visitation: Niemand sollte mit Gewalt aus dem Kloster vertrieben, Austrittswillige abgefunden und die Klostergüter zum Nutzen der Armen sowie zur Einrichtung von Schulen und Universitäten verwendet werden. 4 1 Die Marburger Dominikaner verließen 1527 ihr Kloster, die Franziskaner folgten diesem Beispiel unter Protest Ende Mai 1528. 42 Das Fraterhaus trat bis in den Mai 1528 ebenfalls noch als rechtsfähige Anstalt in Erscheinung. 4 3 Im Zuge der Abfindungsverhandlungen fiir die Klosterinsassen, die am 3. September 1527 begonnen hatten, wurde über das weitere Schicksal der Mitglieder verhandelt. Vier Brüder, davon zwei schon zuvor Ausgetretene, wurden entschädigt, acht auf ihren Wunsch im Haus belassen. 44 Nur jeder fünfte der noch verbliebenen Brüder entschied sich damit aus der im Vergleich mit Magdeburg und Merseburg noch relativ großen Marburger Gemeinschaft gegen den Verbleib in ihrem gewohnten gemeinschaftlichen Leben. Dies entspricht dem relativ geringen Erfolg, den die landesherrlichen Abfindungsangebote bis in den Frühherbst hinein zeitigten. 45 Dennoch wird man auch in Marburg von einer nicht zu bestimmenden Dunkelziffer von Brüdern ausgehen können, die seit dem Auftreten der reformatorischen Lehre in den frühen zwanziger Jahren schon das Haus verlassen hatten. Die Brüder haben 1528 und danach zwar weiterhin auf ihrem Hof Zum Löwenbach gelebt, doch traten sie als selbständige rechtliche Institution nicht mehr in Erscheinung. Der Landgraf verfügte eigenständig über den Besitz des Fraterhauses, so daß dessen Existenz formell als beendet angesehen werden kann. 46 Die Auflösungserscheinungen häuften sich im Sommer des Jahres 1528. Im Juli wurde der Bruder Heinrich Keck, der zuvor
40
GERHARD MÜLLER: Franz Lambert von Avignon und die Reformation in Hessen (VeröfTHistKomm Hessen und Waldeck 24,4). Marburg 1958. S. 33-43. S. 50. 41 FRANZ: Die hessischen Klöster. S. 154. 42 M F V C 2: S. 162 f. (K.Heinemeyer). 43 HEINEMEYER: Die Marburger Kugelherren. S. 41 f. Im Januar 1528 urkundeten die Brüder als Pater, Senior und Priester des Fraterhauses. im Mai führten sie ihren letzten Prozeß in Schulangelegenheiten. Die Brüder in Marburg unterhielten eine florierende Schule und prozessierten wiederholt um die Eintreibung der von ihnen erhobenen Gebühren, s. E. WINTZER: Die Schule der Kugelherren in Marburg um 1520. In: Mitteilungen der Gesellschaft für deutsche Erziehungs- und Schulgeschichte 13 (1903). S. 161-163. 44 HEINEMEYER: Die Marburger Kugelherren. S. 40 f. 45 FRANZ: Die hessischen Klöster. S. 155 f. 46 HEINEMEYER: Die Marburger Kugelherren. S. 44.
S. Der Untergang der sächsischen und hessischen Häuser
11
noch im Hause hatte verbleiben wollen, aus den Fratergütern abgefunden. 47 Der Prokurator Johann Thenner verkaufte eine gute Woche später eine Pacht des Fraterhauses, deren Erlös ebenfalls der Abfindung der Brüder dienen sollte. 48 1530 erhielt Thenner selbst, noch immer als Prokurator zum Löwenbach tituliert, als Abfindung Unterkunft und Besitzrechte am Kugelhaus. 49 Im Jahr 1532 waren schon Pläne im Umlauf, die Kirche der Fraterherren abzureißen. 50 1 5 3 3 wurden die Kugelhausgüter der Universität übergeben, blieben aber bis 1540 in der Verfügung des Landgrafen." 1549 schließlich erhielten die Stipendiaten der Universität das Kugelhaus als Wohnung zugewiesen. 52 Kassel In Kassel begannen die Verhandlung über die Abfindung der Brüder am 17. Oktober 1527. 53 Anders als in Marburg wurden in der fürstlichen Residenzstadt alle 14 Brüder entlassen und aus Gütern des Fraterhauses entschädigt. Dazu wurde ein Inventar der Kirche aufgestellt und mit einem Umbau des Weißenhofs begonnen. 54 Das weitere Schicksal der zum Ende des Hauses in Kassel lebenden Gemeinschaft ist nur zum Teil aus den Quellen zu eruieren. Der letzte Pater, Johann Bender, war von etwa 1528 bis vor 1536 evangelischer Pfarrer in Niederzwehren und heiratete 1530. 55 Sein Vorgänger als Vorsteher in Kassel, Johannes von Soest, war kurz vor 47
ECKHARDT: Die oberhessischen Klöster 2. S. 240. HEINEMEYER: Die Marburger Kugelherren. S. 41. 48 ECKHARDT: Die oberhessischen Klöster 2, S. 240 f. DERS.: Besitz und Einkünfte der Kugelhcrren in Marburg. Mit einer genealogisch-besitzgeschichtlichen Herkunftsbestimmung der Vorurkundengruppen und einem Beitrag zur Fundation der Universität Marburg. In: Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte 17 (1967). S. 131. 49 ECKHARDT: Die oberhessischen Klöster 2. S. 241. Schon im Januar hatten ihm die Fratres ein gutes Zeugnis über seine Arbeit und sein sittliches wie religiöses Leben ausgestellt, ebd.. S. 240. 50 HEINEMEYER: Die Marburger Kugelherren. S. 44. Das Kugelhaus sollte dann jedoch der Universität angeschlossen und in der Kirche die Bibliothek eingerichtet werden, so daß man von dem Vorhaben absah. 5! ECKHARDT: Besitz und Einkünfte. S. 131. 52 HEINEMEYER: Die Marburger Kugelherren, S. 2. 53 FRANZ: Die hessischen Klöster. S. 156. 54 JOHANNES SCHULTZE (Bearb ): Klöster, Stifter und Hospitäler der Stadt Kassel und Kloster Weißenstein. Regesten und Urkunden (VeröffHistKomm Hessen und Waldeck 9.2). Marburg 1913. S. 470 f.. Nr. 1285 und Nr. 1286. GERLAND: Beiträge zur Geschichte. S. 267. 55 OSKAR HÜTTEROTH: Die althessischen Pfarrer der Reformationszeit. Mit Nachträgen und Verzeichnissen von Hilmar Milbradt (VeröffHistKomm Hessen und Waldeck 22). Marburg 1966. S. 19.
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II. Die Erschütterung des gemeinsamen
Lebens
der Auflösung des Hauses zurückgetreten und hatte sich nach Hildesheim gewandt. 56 Der 1527 mit 10 fl. abgefundene Priester Johann Haupt aus Laer wirkte von 1528 bis 1558 wie Bender als neugläubiger Seeelsorger. 57 Der Frater Gabriel Syburgk handelte dagegen als Abfindung neben einem Betrag von 60 fl. den Erhalt eines Graduales und eines Antiphonars aus,58 was auf eine geplante Fortführung seines Priesteramtes innerhalb der alten Kirche schließen läßt. Das äußere Schicksal der hessischen Fraterhäuser bietet darüber hinaus kaum Hinweise auf die Stellungnahme der Brüder zur Reformation. Für den Marburger Fall liegen mit Ausnahme des Prokurators Johann Thenner, der aufgrund seiner Übernahme in den landgräflichen Dienst - er wurde herzoglicher Obervogt der eingezogenen Klostergüter und 1540 auch erster Ökonom der Marburger Universität - als Lutheraner anzusehen ist,59 keine eindeutigen Hinweise auf das Bekenntnis anderer Brüder vor. Die vor allem in der älteren Forschung vertretene These, die Brüder hätten sich bereitwillig abfinden lassen und seien Anhänger der Reformation geworden, 60 überschätzt die Aussagekraft der überlieferten Entschädigungsprotokolle. Selbst für das Beispiel der Kasseler Brüder ist trotz der ausnahmslosen Abfindung der Brüder eine solche Schlußfolgerung 61 nicht zu halten, da angesichts der unvermeidlichen Entwicklung oftmals auch die altgläubigen Teile der Konvente in eine Entschädigung einwilligten.62 Am krassesten zeigt das Beispiel des Kasseler Rektors Johann Bender, daß 56 DOEBNER: Annalen und Akten, S. 286. 1546 war er einer der Abgesandten vor dem Hildesheimer Rat, ebd., S. 137. Für die Behauptung von BRÜGGEBOES: Die Fraterherren im Lüchtenhofe, S. 37, auch einige der 1527 abgefundenen Brüder seien auf den Lüchtenhof abgewandert, liegen keine Belege vor. 57 FRANZ: Die hessischen Klöster, S. 206. MFVC 2: S. 104 (K.Heinemeyer). 58 SCHULTZE: Klöster, Stifter und Hospitäler, S. 471, Anm. 8. 59 Er heiratete die ehemalige Mater des Marburger Franziskaner-Tertiarinnenhauses, HEINEMEYER: Die Marburger Fraterherren, S. 43. 60 WILHELM KOLBE: Die Einführung der Reformation in Marburg. Ein geschichtliches Bild aus Hessens Vergangenheit. Marburg 1871, S. 42 f. C.W.H. HOCHHUTH: Statistik der evangelischen Kirche im Regierungsbezirk Cassel. Kassel 1872, S. 526. BÜCKING: Beiträge zur Geschichte der Stadt Marburg, S. 24. 61 Vgl. W. WOLFF: Die Säkularisierung und Verwendung der Stifts- und Klostergüter in Hessen-Kassel unter Philipp dem Großmütigen und Wilhelm IV. Ein Beitrag zur deutschen Reformationsgeschichte. Gotha 1913, S. 103 f. 62 FRANZ: Die hessischen Klöster, S. 1 5 6 f. Vgl. WINFRIED BECKER: Reformation und Revolution (KLK 34). Münster 1974, S. 63, der generell annimmt, daß eine ausnahmslose Entschädigung von einem gering ausgeprägten geistlichen Ideal zeugt und primär Versorgungsinteressen im Vordergrund standen. Dies erscheint im Fall der Kasseler Brüder aufgrund ihrer Abhängigkeit vom Haus der Landgrafen jedoch nicht automatisch gerechtfertigt.
3. Der Untergang der sächsischen und hessischen Häuser
79
selbst ein vermeintlich eindeutiger Lebensweg als evangelischer und verheirateter Pfarrer diesen nicht daran hinderte, die Wiedereinführung der Messe im Interim zu begrüßen. 63 Das in der Tradition konfessionell geprägter Historiographie stehende Schema von zwei sich starr gegenüberstehenden Fronten wird den Handlungsmöglichkeiten und der Bewertung durch den Zeitgenossen oftmals nicht gerecht, da hier auch viele Mittelpositionen denkbar waren. Auch die These, daß die Marburger Brüder aufgrund einer Hinwendung zum Evangelium noch nach 1528 innerhalb ihrer Gemeinschaft belassen worden seien, 64 ist nicht zu belegen. Die Ursachen für die kurze Fortexistenz einer Gemeinschaft auf dem Hof Zum Löwenbach sind eher in praktischen Gründen zu suchen. Zum einen waren die Fraterherren mit der Ausnahme von Johann Thenner in weit fortgeschrittenem Alter, so daß die Bitte um einen Verbleib in ihrem Stand für den Rest ihres Lebensabends nicht abgeschlagen wurde. 65 Zum anderen war das Kugelhaus von der herzoglichen Politik ohnehin dazu auserkoren, als Sammelbecken altgläubiger Geistlicher zu dienen. Ein Landtagsabschied vom 15. Oktober 1527 hatte vorgesehen, daß die nicht austrittswilligen Mönche in Hessen zum Studium in der Marburger Fratergemeinschaft zusammengefaßt werden sollten. 66 Den Wunsch nach einem Studium hatte auch der Frater Laurentius von Münster in den Abfindungsverhandlungen geäußert, so daß er vermutlich vorerst im Fraterhaus verblieb. 67 Persönliche Fürsprache des langjährigen
GÜNTHER FRANZ und ECKHARDT G . FRANZ: Urkundliche Quellen zur hessischen Reformationsgeschichte 3 (VeröiTHistKomm Hessen und Waldeck 11,3). Marburg 1955, S. 82 f., Nr. 658 D. 64 WILHELM KOLBE: Die Sehenswürdigkeiten Marburgs und seiner Umgebungen in geschichtlicher, kunst- und kulturhistorischer Beziehung. Marburg 1884, S. 58. Vgl. auch HEINEMEYER: Die Marburger Kugelherren, S. 48. Eine innere Verwandtschaft in der Konzeption des Unterrichts der Fraterherren mit der Gestalt der hessischen Schulen der Nachreformationszeit ist ebenfalls nicht geeignet, die behauptete Nähe der Brüder zur Reformation zu untermauern, ebd., S. 39 f., und M A N F R E D RUDERSDORF: Hessen. In: Anton Schindling und Walter Ziegler (Hrsgg.), Die Territorien des Reichs im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Land und Konfession 1500-1650. Bd. 4: Mittleres Deutschland. Münster 1992. S. 261. 65 Krankheit und Alter als Ursache einer nicht durchzuführenden Abfindung der Konventualen war ein zuvor in der Reformationsordnung nicht vorhergesehenes Problem, s. FRANZ: Die hessischen Klöster, S. 157. 66 GÜNTHER FRANZ (Hrsg.): Urkundliche Quellen zur hessischen Reformationsgeschichte 2, 1525-1547. Bearb. v. W.Köhler u.a. (VeröffHistKomm Hessen und Waldeck 11,2). Marburg 1954, S. 45, Nr. 69. 67 SCHULTZE: Klöster, Stifte und Hospitäler, S. 471, Anm. 7. Ihm wurde vorgeschrieben, er solle in Marburg studieren. 63
II. Die Erschütterung des gemeinsamen
80
Lebens
Prokurators Johann Thenner ist eine letzte mögliche Komponente der Begründung, warum das Fraterhaus übergangsweise geduldet, jedoch nicht etwa grundsätzlich anerkannt wurde. Die verschiedenen Lebenswege noch faßbarer Fraterherren illustrieren deutlich, daß eine uniforme Stellung der Fraterherren zur Reformation, die sich in einem einheitlichen äußeren Verhalten niedergeschlagen hätte, nicht vorhanden war. In allen norddeutschen Häusern trat mit dem Aufkommen der Reformation eine erhebliche Unruhe im inneren Leben auf, die auch in personelle Verluste mündete. Die sächsischen und hessischen Häuser gingen schnell unter. Die Brüder teilten damit das Schicksal aller Orden, die ohne Ausnahme durch die evangelische Bewegung und nachfolgende Reformation in ihrem Inneren wie in der äußeren Einbettung in die Gesellschaft zutiefst erschüttert wurden. 6 8 Damit sind generalisierende Beurteilungen des Verhältnisses der Brüder vom Gemeinsamen Leben zur Reformation allein aufgrund der äußeren Geschichte der Fraterhäuser nicht aufrecht zu erhalten. Die Tatsache, daß Luther in seiner theologischen Entwicklung aus der Reformbewegung des Spätmittelalters hervorgegangen ist, erfordert eine weitergehende Untersuchung der eventuellen Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den Brüdern und dem Wittenberger Reformator. Im folgenden Kapitel soll daher versucht werden, die Kritik Luthers am Mönchtum und die Stellungnahmen der Brüder zur Reformation, die maßgeblich auf ihrem spezifischen Selbstverständnis basieren, vergleichend zu betrachten und so die genuine Auseinandersetzung der Brüder vom Gemeinsamen Leben mit dem Reformator darzustellen.
68
RICH:
Vgl. die Überblicke bei Z I E G L E R : Reformation und Klosterauflösung, und Gegenreformation als Restauration. S . 1 7 - 3 5 .
SEIB-
III. Das Verhältnis der Brüder vom Gemeinsamen Leben zur Reformation Die Diskussion um die geistesgeschichtliche Bedeutung der Devotio moderna hat einen weitgehenden Konsens erreicht, daß man dem Charakter der Bewegung am besten gerecht wird, wenn man sie als einen Bestandteil der spätmittelalterlichen Reform versteht. 1 Dabei übertrug sie wie eine Vielzahl von anderen Gruppierungen die Kategorien des monastischen Lebens auf die Gesamtgesellschaft. 2 Gemäß des Verständnisses der Reform als Rückkehr zu dem Zustand der Urgemeinde nach dem Evangelium und der Apostelgeschichte zogen es dabei die Brüder vom Gemeinsamen Leben vor, auf die Trennung zwischen einem stellvertretenden status perfectionis des Mönchtums und dem Laientum zu verzichten. Aufgrund einer historischen Betrachtung der Kirchengeschichte wurde damit dem Mönchtum, welches sich mit der Ausbreitung des Christentums als Abspaltung zu besonderer Perfektion Strebender begründet hatte, ein Grundpfeiler ihres Selbstverständnisses bestritten. Die Befolgung der evangelischen Räte, die die Religiösen in ihren Gelübden zum obersten Leitfaden ihres Lebens machten, sollte nicht länger ausschließlich diesen, sondern auch für den Säkularklerus und die Laien erlaubt und verpflichtend sein. Für diesen Anspruch stehen idealtypisch die Brüder vom Gemeinsamen Leben, die in gemischten Kommunitäten von Priestern, Klerikern und Laien dem Beispiel der Apostelgeschichte nachfolgen wollten. Entgegen der Versuche aus den Reihen der Mendikanten, den Vollzug dieses Ideals allein für die approbierten Orden zu monopolisieren, erhielten die Brüder auf dem Konzil von Konstanz durch die Fürsprache von Johannes Gerson und Pierre d'Ailly eine indirekte Zulassung ihrer Lebensform. 3
1
ENGEN: Devotio moderna. S. 10. Vgl. hierzu ROELINK: Moderne Devotie en Reformatie. GOEGEBUER: Wat is Moderne Devotie? ELM: Die Bruderschaft vom gemeinsamen Leben. 2
STEVEN E . OZMENT: T h e A g e o f R e f o r m 1 2 5 0 - 1 5 5 0 . A n I n t e l l e c t u a l a n d R e l i g i o u s
History of Late Medieval and Reformation Europe. New Haven 1980, S. 220 f. 3 GERSON: Contra Matthei Graben. Oeuvres 10. S. 70-72. WÄCHTER: Matthäus Grabow. CHRISTOPH BURGER: Aedificatio. Fructus. Utilitas. Johannes Gerson als Professor der Theologie und Kanzler der Universität Paris (Beiträge zur Historischen Theologie
82
III. Das Verhältnis zur Reformation
Auf der Grundlage dieser Einordnung der Brüder vom Gemeinsamen Leben in die spätmittelalterliche Reformbewegung bietet sich der Rahmen, innerhalb dessen die Gemeinsamkeiten von Devotio moderna und der Reformation untersucht werden können. Die Kritik an den Mißständen in der veräußerlichten Kirche bildet hier das gemeinsame Fundament von Reform und Reformation. 4 Im folgenden Abschnitt sollen die Schriften der norddeutschen Fraterherren des 16. Jahrhunderts auf Gemeinsamkeiten und Differenzen mit Luther untersucht werden. Hierzu sind im besonderen die Verteidigungsschrift des Herforder Fraterrektors Gerhard Wilskamp gegenüber den lutherischen Prädikanten der Stadt 5 und die Unterweisung zu einem wahren geistlichen Leben des münsterischen Seniors Johannes Holtmann heranzuziehen. 6 Damit soll ein Teilabschnitt der Untersuchung des Verhältnisses der Devotio moderna zur Reformation geleistet werden, der nicht nur das äußere Verhalten, sondern auch die geistige Auseinandersetzung mit Luther einbezieht. Die Ursachen der Entscheidung der meisten Fraterhäuser, innerhalb der römischen Kirche zu verbleiben, können so genauer erfaßt werden. Ein Vergleich zwischen dem Werk des münsterischen Seniors und Confessors in Niesing, Johannes Holtmann, und der Verteidigungsschrift der lutherischen Herforder Brüder kann die Gemeinsamkeiten unter den Häusern des Münsterschen Kolloquiums zeigen, zumal sich das eine Haus zu Luther bekannte, während die münsterischen Fraterherren in der alten Kirche verblieben. Andererseits wird es hier unter der Hinzuziehung Luthers auch möglich sein zu zeigen, wo die Übereinstimmung zwischen
70). Tübingen 1986, S. 159 f. MERTENS. Reformkonzilien und Ordensreform im 15. Jahrhundert. In: Elm, Reformbemühungen und Observanzbestrebungen, S. 439 f. 4 WEILER: Recent Historiography on the Modern Devotion, S. 1 7 7 . MOKROSCH: Devotio moderna II, S. 613. 5
6
FRATERHAUS HERFORD 2: S.
142-161.
WLM, Ms. 517. S. zu dieser Handschrift GRUTKAMP: Johannes Holtmann. Die fehlgehenden Schlüsse, die Grutkamp aus der Bezeichnung Senior für die Funktion Holtmanns im Fraterhaus gezogen hat, haben den Rezensenten KLEMENS LÖFFLER: Literarischer Handweiser 1912, Sp. 551-554 zu scharfer Kritik veranlaßt, der dann von Grutkamps Doktorvater widersprochen wurde, s. FRANZ JOSTES: Johannes Holtmann von Ahaus. Ein münsterscher Theologe der Wiedertäuferzeit. In: WZ 70 (1912), S. 272-291. KLEMENS LÖFFLER: Nochmals Johannes Holtmann. Zur Abwehr gegen Jostes. In: ebd.. S. 291-299. FRANZ JOSTES: Zum andern Male. In: ebd., S. 299-303. LUDWIG SCHMITZ-KALLENBERG: Rezension zu Grutkamp. In: Westfalen 4 (1912), S. 91 f. Das Werk Holtmanns wurde von der späteren Devotio-modema-Forschung nicht mehr herangezogen. Einen kurzen Hinweis gibt W Y B E J. ALBERTS: Moderne Devotie (Fibulareeks 48). Bussum 1969, S. 80.
1. Die Wertung des gemeinsamen Lebens bei Luther
83
den Fraterherren und dem Wittenberger Reformator lagen beziehungsweise wo sich die Wege von Reform und Reformation trennten. Der Versuch, die genuine Stellung der Brüder vom Gemeinsamen Leben zur Reformation Martin Luthers zu untersuchen, muß sich dabei darum bemühen, die besonderen Eigenheiten der brüderlichen Lebensform zu berücksichtigen. Der im Rückgriff auf die Urkirche von den Fraterherren gewählte Status als Semireligiosen kennzeichnete und prägte die Spiritualität der Devoten. 7 Unter dieser Prämisse stellt sich somit die Frage: Welche Möglichkeiten, welche Bedingungen und welches Ziel verbanden die norddeutschen Fraterherren des frühen 16. Jahrhunderts mit ihrem gemeinsamen Leben und wie steht dieses Selbstverständnis zu Luthers Auffassung von den Möglichkeiten und Bedingungen einer vita communis? Welches Verständnis von „Freiheit" lag bei den Devoten, welches bei Luther vor? Entsprang die Wahl des Standes der Fraterherren, die eine eigenständige, nichtmönchische Lebensform behaupteten, ähnlichen oder gar den gleichen Motiven, aus denen Luther seine Ablehnung des monastischen Standes entwickelte? Da Luther seine Haltung zum Mönchtum aus der Wurzel seiner Theologie, der Gnade Gottes und dem sola fide begründete, wird sich an der Stellungnahme der Devoten auch ihr Verhältnis zum Wittenberger Reformator illustrieren lassen.
1. Die Wertung des gemeinsamen Lebens bei Luther Das Auftreten Luthers bewirkte einen grundlegenden Wandel in der Bewertung des Mönchtums als des höchsten christlichen Standes innerhalb der gesamtgesellschaftlichen Heilsordnung. Der status perfectionis des monastischen Christentums geriet auf dem Boden der Reformation zu einer verwerflichen Selbstheiligung von Glaubensschwachen, die sich durch Verdienste ihrer Seligkeit versichern wollten, anstatt im Glauben auf Gottes Barmherzigkeit und Gnade zu vertrauen.
1. l.Die Verurteilung des Mönchtums in „De votis monasticis iudicium " Die Verurteilung des Mönchtums durch Luther basierte auf seinem Verständnis der monastischen Gelübde, die die Religiösen mit der Profeß zu leisten hatten. In seiner Schrift De votis monasticis iudicium verwarf er
7
ELM: Die Bruderschaft vom gemeinsamen Leben.
III. Das Verhältnis zur
84
Reformation
1521 die Gelübde mit fünffacher Begründung. Nach Luthers Urteil widersprachen diese a) dem Wort Gottes, b) dem Glauben, c) der christlichen Freiheit, d) den Geboten Gottes, e) der menschlichen Vernunft. 8 Luther entwertete mit der Verurteilung der Gelübde den Mönchsstand seiner Zeit aus sich selbst heraus. Er griff damit in seiner Argumentation tiefer als Karlstadt und Melanchthon, die sich ebenfalls 1520/21 schriftlich gegen das Mönchtum wandten, nach der Wurzel von dessen Legitimation. Für Luther hatten seine Wittenberger Mitreformatoren keine hinreichend in der Schrift fundierte Argumentation entwickelt, so daß er sich auf der Wartburg aufgerufen sah, seine Stellung zum Mönchtum zusammenfassend darzulegen. 9 Nach De votis monasticis iudicium widerspricht das Mönchtum dem Wort Gottes, weil die Mönchsgelübde nicht in der Schrift begründet sind. 10 Diese sind menschliche Erfindung über Gott hinaus, so daß jeder, der ein Gelübde geleistet hat, dieses wieder brechen muß. 1 1 Mit demselben Argument lehnt Luther auch die Trennung von Geboten und Räten ab, da Gottes Gebote sich in der Taufe ohne Abschwächung an alle Christen wenden und eine Scheidung in stärker und schwächer Verpflichtete nicht zulässig ist. Weiterhin verstößt für Luther das Gelübde gegen den Glauben. 12 Das Verständnis der Mönchsprofeß als zweiter Taufe, wie es im Mittelalter ausgehend von Hieronymus über Anselm und Bernhard von Luthers Ordensbruder Johann von Paltz zu einem Höhepunkt geführt wurde, 1 3 und die Erlangung besonderer Verdienste aus der Ablegung der Gelübde verurteilte Luther im Grunde als pelagianisch. Wer durch Gelübde und Werke selig zu werden trachtet, sündigt gegen Gott, da er nicht glaubt. So auch der Mönch, der aus diesem Grund in ein Kloster eintritt. Dieser leugnet das Opfer Christi und sucht sich die Seligkeit zu verdienen, anstatt allein auf Gottes Gnade zu vertrauen. Aus den beiden ersten Punkten folgend verstoßen somit die Gelübde des Mönchtums auch gegen die christliche Freiheit unter dem Evangelium. 8
WA 8: S. 564-669. EDMUND KURTEN: Franz Lambert von Avignon und Nikolaus Herborn in ihrer Stellung zum Ordensgedanken und zum Franziskanertum im Besonderen (RST 72). Münster 1950, S. 11-34. RENÉ H. ESNAULT: Luther et le monachisme aujourd'hui. Lecture actuelle du De votis monasticis judicium (Nouvelle série théologique 17). Genf 1964. LOHSE: Mönchtum und Reformation. S. 363-370. STAMM: Luthers Stellung. S. 50-56. 9 KURTEN: Franz Lambert von Avignon. S. 1-5. HEINRICH BACHT: Luthers Urteil über die Mönchsgelübde in ökumenischer Betrachtung, in: Catholica 21 (1967). S. 229. 10 WA 8: S. 578-591. 11 WA 8: S. 579. 12 WA 8: S. 591-604. 13 LOHSE: Mönchtum und Reformation. S. 167-170. zu Paltz.
1. Die Wertung des gemeinsamen
Lebens bei Luther
85
Durch die Unterwerfung unter die selb stauferlegten Räte begibt sich der Mönch zurück in die Herrschaft des Gesetzes. 1 4 Der in evangelischer Freiheit gläubige Mensch weiß jedoch, daß äußere Werke nicht zur Rechtfertigung vor Gott beitragen, 15 sondern daß allein der Glaube die Verheißung der Gnade, die sich in der Taufe manifestiert, ergreift. Der Mensch ist ausschließlich verpflichtet, in evangelischer Freiheit das Taufgelübde zu erfüllen: dies bedeutet in Glauben und Liebe den Geboten Gottes zu folgen. Die Gelübde sind demgegenüber für Luther ihrem Wesen nach Werke des Gesetzes und müssen abgeworfen werden. 1 6 Danach besteht die Möglichkeit, in die Welt zu gehen oder die Gelübde im rechten Geist zu erneuern. Die letztere Option meint hierbei, daß der Mönch die selbstauferlegte Verpflichtung als reine Übung des Körpers ohne Heilsrelevanz verstehen und von ihnen zurücktreten können muß. Da jedoch aus Luthers Sicht so gut wie niemand seinen Stand in dieser Weise zu leben versteht, kommt es zu einer generellen Ablehnung des Mönchtums. Aufgrund der praktischen Unmöglichkeit, die monastischen Gelübde und Regeln in evangelischer Freiheit zu befolgen, werden die Gelübde automatisch zum Gesetz. Die reformatorische Konsequenz hieraus ist: Wer frei ist, braucht nicht im Kloster zu leben, wer unfrei ist, wird durch das Mönchtum an der Freiheit gehindert. 17 Dem status perfectionis des ausgehenden Mittelalters wird damit die Existenzgrundlage entzogen. Eine theoretische Möglichkeit für ein kommunitäres Leben bleibt zwar bestehen, doch sah Luther bei seinen Zeitgenossen kaum eine Möglichkeit, diese in die Tat umzusetzen. 1 8
14
WA 8: S. 605-617. STAMM: Luthers Stellung, S. 102. „Est itaque libertas Christiana seu Euangelica libertas conscientiae, qua solvitur conscientia ab operibus, non ut nulla fiant, sed ut in nulla confidat. " WA 8. S. 606. zitiert nach Stamm. 16 WA 8. S. 613 f. 17 Dies entwickelt Luther erstmals schon in De captivitate, s. LOHSE: Mönchtum und Reformation. S. 353 f. 18 Die Existenz dieser Möglichkeit betonen ökumenisch ausgerichtete Gruppen, die innerhalb der protestantischen Kirche ein kommunitäres Leben zu legitimieren beziehungsweise das heutige katholische Mönchtum Luthers Kritik zu entziehen suchen, vgl. BACHT: Luthers Urteil. JOHANNES HALKENHÄUSER: Kirche und Kommunität. Ein Beitrag zur Geschichte und zum Auftrag der kommunitären Bewegung in den Kirchen der Reformation (Konfessionskundliche und Kontroverstheologische Studien 52). Paderborn 1985^. DERS.: Luther und die evangelischen Kommunitäten. In: Kloster 15
Amelungsborn
1 1 3 5 - 1 9 8 5 . S. 2 3 3 - 2 4 3 . GEORG HOFFMANN: S i n n u n d A u f g a b e n
g e l i s c h e r K l ö s t e r . In: K l o s t e r A m e l u n g s b o r n
evan-
1 1 3 5 - 1 9 8 5 , S . 1 0 7 - 1 2 1 . OTTO H . PESCH:
Luthers Kritik am Mönchtum in katholischer Sicht. In: Strukturen christlicher Existenz. Beiträge zur Erneuerung des geistlichen Lebens. Hrsg. v. H. Schlier u.a. Würzburg
1968.
S.
81-96.
BERNHARD
LOHSE,
K.S.FRANK,
J.HALKENHÄUSER.
F.WULF:
86
III. Das Verhältnis zur Reformation
Nach dieser grundsätzlichen Infragestellung des Mönchtums fuhrt Luther zu den vorhandenen Mißständen einen vierten Punkt an. Da die Religiösen sich durch die Profeß vollständig aus der Welt entfernen, mißachten sie ihre Pflichten gegenüber ihren Nächsten und verstoßen damit gegen Gottes Gebot. 19 Zu diesem Punkt zählt Luther auch das bedingungslose Zurücklassen der Eltern und Verwandten, mit der er in seiner eigenen persönlichen Entwicklung selbst konfrontiert gewesen war, da er gegen den Widerstand seines Vaters in den Orden der Augustiner-Eremiten eintrat. 20 Als letztes angefugt ist das Argument, daß die Gelübde auch gegen den menschlichen Verstand verstoßen, wenn sie in den Punkten von Armut und Gehorsam von den kirchlichen Oberen aufhebbar seien, nicht aber in der Forderung der Keuschheit. 21 Das Kriterium des menschlichen Verstandes wurde daher von Luther als relevant angeführt, da dieser in der Lage ist, alles Gottwidrige zu erkennen, wenn er auch nicht die Aufgabe des Glaubens zu leisten vermag. 22 Mit De votis monasticis iudicium hatte Luther im November 1521 den Endpunkt seiner persönlichen Auseinandersetzung mit dem Mönchtum erreicht, die schon in der ersten Psalmenvorlesung anklang und für sein Leben im Wittenberger Augustiner-Eremitenkonvent existentielle Bedeutung hatte. Auf dem Weg bis zu der letzten radikalen Konsequenz stand jedoch zuvor lange Zeit auch das Bemühen um eine tiefgreifende Erneuerung von Mönch- und Christentum im Mittelpunkt seiner Bemühungen. 23 So ist es für unsere Untersuchung unverzichtbar, die vorausgehenden Schriften Luthers mit einzubeziehen. Zur Darstellung von Luthers früherer Bewertung des Mönchtums und eines rechten Christenlebens vor 1520/21 sind vor allem die Römerbriefvorlesung (1515/16) und der Sermon von der Taufe
Mönchtum. In: Confessio Augustana. Bekenntnis des einen Glaubens. Gemeinsame Untersuchung lutherischer und katholischer Theologen. Hrsg. v. H.Mever u.a. Paderborn, Frankfurt a.M. 1980, S. 281-318. STAMM: Luthers Stellung. Vgl. auch WINFRIED ZELLER: Die kirchengeschichtliche Sicht des Mönchtums im Protestantismus, insbesondere bei Gerhard Tersteegen. In: Erbe und Auftrag 49 (1973), S. 17-30. 19 WA 8: S. 617-629. 20 De votis monasticis iudicium war dieser Erkenntnis entsprechend Luthers Vater gewidmet, WA 8: S. 573-576. WILFRIED WERBECK: Martin Luthers Widmungsvorrede zu „De votis monasticis". In: Luther. Zeitschrift der Luthergesellschaft 62 (1991), S. 78-89. 21 WA 8: S. 629-641. 22 STAMM: Luthers Stellung, S. 55. 23 PESCH: Luthers Kritik, S. 93, hält erst den letzten Schritt Luthers für einen Katholiken für nicht mehr mitgehbar.
1. Die Wertung des gemeinsamen
Lebens bei Luther
87
(1519) von Bedeutung. Besonders der Sermon von der Taufe enthält hier die positivste Deutung des Mönchtums durch den Reformator. 24 In diesen frühen Jahren ist aus Hildesheim, Herford und Marburg das Interesse, ja die Anhängerschaft der Fraterherren an Luthers Schriften durch den Briefverkehr unter den Devotenhäusern belegt. Bartholomäus Vechel wie Bernhard Rothen, Rektoren in Herford und Marburg, baten ihren Amtskollegen auf dem Lüchtenhof eindringlich um die Beschaffung weiterer Werke Luthers, wobei Vechel frühe Schriften des Reformators auflistete, die er erwartete. 25 Auch die Chronik des Doesburger Fraterhauses berichtet, daß die Lehre Luthers ursprünglich viel Wahrheit zu beinhalten schien, bevor sich nach der Auffassung des Chronisten das Gegenteil herausstellte. 26 Aus diesen Äußerungen und dem Verbleib fast aller Fraterhäuser bei der alten Kirche wird deutlich, daß es nach anfänglicher Zustimmung einen Scheidepunkt gegeben hat, an dem sich der Reformator und die Devoten trennten. Luthers Reformkonzept, welches er vor dem Bruch der Jahre 1520/21 für das Mönchtum verfolgte, soll daher hier kurz geschildert werden, um es im Anschluß mit dem Lebenskonzept der Fraterherren der Reformationszeit zu vergleichen.
1.2. Möglichkeiten und Sinn des Mönchtums bei Luther bis 1519 In seinen Schriften bis 1519 kritisierte Luther zwar das zeitgenössische Mönchtum, doch bestritt er diesem noch nicht die grundsätzliche Existenzberechtigung. Die angegriffenen Mönche waren in Luthers Polemik Musterbeispiele für die Mißachtung des Glaubens, da sie allein auf den Verdienst ihrer Werke und ihres Gelübdes vertrauten sowie statt der Schrift die jeweilige Ordensregel in den Vordergrund stellten. Dennoch erarbeitete der Reformator in den Jahren von 1513 bis 1519 ein erneuertes Verständnis vom Mönchtum, indem er es in eine vertiefte Verbindung zur Taufe stellte und damit allen Vorwürfen eines Pelagianismus den Boden entzog. 27 In der Taufe wird für Luther dem Menschen die Gnade Gottes verheißen, die er im Glauben ergreifen muß. Luther prokla-
24
HALKENHÄUSER: Kirche und Kommunität, S. 48 f. Dombibliothek Hildesheim, Hs.Ps.23, hinten eingeheftet. BRÜGGEBOES: Die Fraterherren im Lüchtenhof zu Hildesheim, S. 24 f. 26 WEILER: Necrologie, Kroniek en Cartularium, S. 99. 27 LOHSE: Mönchtum und Reformation, S. 309 f. HALKENHÄUSER: Kirche und Kommunität, S. 49. STAMM: Luthers Stellung, S. 33 f. SCHRÄDER: Ringen, Untergang und Überleben, S. 10. 25
88
III. Das Verhältnis zur Reformation
miert die unbedingte Verpflichtung der Taufgelübde für alle Christen, denen die Mönchsgelübde unterzuordnen sind: „ Yn der Tauff geloben wir all gleich eyn dingk, die sundt zu tödten und heylig zu werden, durch gottes wircken undgnad...und ist da keyner besser dan der ander. "2B Luthers Betonung der Gleichheit aller Christen vor Gott stellt das Mönchtum in einen neuen Bedeutungsrahmen. Statt einer stellvertretend von den Religiösen exerzierten vita perfecta ist nun jeder unmittelbar verpflichtet, das Taufgelübde nach allen zur Verfugung stehenden Kräften zu erfüllen. Der Mensch kann nichts höheres geloben. Die Art und Weise, in welchem Stand dies verwirklicht werden soll, überläßt Luther der Prüfung des Einzelnen. Jeder soll nach seinen Möglichkeiten in seinem Stand die Sünde töten und Gottes Gebote befolgen. Prinzipiell besteht in der Wertigkeit von vornherein kein Unterschied zwischen einem Laien und einem Geistlichen. 29 Luthers Berufsgedanke führt hier zu einer fundamentalen Neuansetzung gegenüber der traditionellen Werteskala des Mittelalters. Ausschließlich die Verpflichtung der Taufe, die Sünde zu bekämpfen, darf das gesamte Handeln des Christen gegenüber Gott begründen, wobei er sich mit Gott verbindet und durch dessen Gnade von der Sünde befreit wird. Das Mönchtum hat damit in der Konzeption des Sermons von der Taufe eine veränderte Funktion. Luther empfiehlt ein recht verstandenes Mönchtum als eine angemessene Lebensform, wenn dieses Leben aus Berufung und in evangelischer Freiheit gefuhrt wird. 30 Mönchtum kann sich, so gelebt, die Erfüllung der Taufe zum Ziel setzen und im Glauben die Gebote Gottes befolgen, ja es führt in Leiden und Unterdrückung sogar schneller zum Ziel.31 Wenn die Gelübde im Bewußtsein abgelegt werden, daß die äußeren Werke nichts zur Rechtfertigung beitragen, bedeuten sie eine freie Unterwerfung unter das Gesetz und sind damit legitim.32 Für Luther haben die Heiligen in dieser Form ihre Gelübde in Freiheit gelebt, 33 28
WA 2: S. 735 (Sermon von der Taufe). LOHSF,: Mönchtum und Reformation.
S. 3 3 3 .
Mönchtum und Reformation. S. 3 3 4 f. Mönchtum und Reformation. S. 3 2 6 . 31 LOHSE: Mönchtum und Reformation. S. 3 0 7 f. 32 Dieses in den Themata de votis in den Thesen 71-82 aufgegriffene Verständnis von der freiheitlichen Unterwerfung unter das Gesetz ist nach KURTEN: Franz Lambert von Avignon. S. 6 f.. „...die richtige katholische Anschauung... ". die Luther als seine neue Auffassung ausgibt. 33 HAI.KENHÄUSER: Kirche und Kommunität. S. 57. BELL: Divus Bernhardus. S. 181 ff. Die äußere Nachahmung der Werke der Väter allein ist dagegen verderblich. In den Operationes in Psalmos führt Luther später aus. daß die Freiheit Motiv und Ziel des Mönchslebens sein muß. s. LOHSE: Mönchtum und Reformation. S. 331. 29
LOHSE:
30
LOHSE:
1. Die Wertung des gemeinsamen Lebens bei Luther
89
also erst nach der Rechtfertigung ihre Werke ohne Verdienstgedanken aus dem Glauben heraus ausgeführt. In der Erfüllung der Taufgelübde kann der Mönch nach dem Sermon von der Taufe also frei unter einem Gelübde die Sünde abtöten und damit seiner besonderen Berufung nachkommen. Ist das Gelübde in dieser rechten Gesinnung der evangelischen Freiheit abgelegt, ist es für den einzelnen auch verpflichtend. 3 4 Dabei ist die Freiheit das Maß und die Grenze aller Gelübde, 3 5 denn auch die Abtötung muß maßvoll geschehen, damit sie zwar ihren Zweck erfüllt, aber durch ihre übertriebene Ausführung nicht den Blick auf die Größe des Werkes richtet. Mit der Reduzierung des Mönchtums auf einen Stand unter anderen, der ebenso wie jene recht in evangelischer Freiheit oder falsch unter dem Gesetz gelebt werden kann, scheinen alle Vorwürfe gegen die Religiösen hinfällig, wenn sie ihr Leben in der von Luther entworfenen Form gestalten. 36 In dem Bezug allein auf die Taufe ohne jede Form eines pelagianischen Verdienstbewußtseins ist 1519 für Luther eine mönchische Existenz vorstellbar und zu rechtfertigen. Für den Berufenen stellt es sogar einen leidensvollen und daher besonders kurzen Weg zur Erfüllung seines Taufgelübdes dar. Zwar war die Realität der zeitgenössischen Klöster aus Luthers Sicht mit diesem Konzept nicht in Übereinstimmung zu bringen, aber noch basierte seine Kritik am Mönchtum auf einem Reformgedanken, der durch die Rückführung zur Taufe das Mönchtum neu begründen wollte.
1.3. Luthers Entwicklung in den Entscheidungsjahren von 1519 bis 1521 Die Entwicklung vom Sermon von der Taufe bis zu De votis monasticis iudicium bringt aber eine Verschiebung der Akzente hin zur generellen Ablehnung des Mönchtums. Nicht mehr die Lehre von der zweiten Taufe und pelagianisches Verdienstdenken stehen nun im Brennpunkt der Kritik, sondern der Widerspruch von Gelübden und evangelischer Freiheit. In der verstärkt betriebenen Konzentration auf die Natur der Gelübde und ihre Auswirkungen auf den Lebensvollzug rückt die theoretische Möglichkeit eines freien Lebens unter dem selbstgewählten Gesetz in den Hintergrund. In An den christlichen Adel schreibt Luther erstmals ausdrücklich, daß die monastischen Gelübde nicht von Gott erlassen sind und erst später als menschliche Einsetzung den freien Dienst in ein ewiges Gefängnis umwan-
34 35 36
STAMM: Luthers Stellung, S. 21 f. (Römerbrief)HALKENHÄUSER: Kirche und Kommunität. S. 56. LOHSE: Mönchtum und Reformation. S. 376 f.
90
III. Das Verhältnis zur Reformation
delten. 37 Die Dominanz der Taufe über alle anderen Gelübde fuhrt Luther noch im selben Jahr zu dem Schluß, letztere nur noch in freier Entscheidung und in privater Form zuzulassen. 38 Die Frage, ob schon geleistete Gelübde aufgrund ihres Gesetzescharakters ungültig sind, ist aber noch nicht endgültig entschieden. Die Position des Sermon von der Taufe, daß das Mönchtum den Vollzug der Taufe unterstützen könne, tritt endgültig 1521 hinter die Einschätzung zurück, daß aufgrund des Werkcharakters der Gelübde die Religiösen sich notwendigerweise unter das Gesetz begeben. Wie Lohse zeigt, 39 bedeutet dies zwar keinen Bruch, aber doch eine entscheidende Weiterfuhrung der Position von 1519. Gestand dort Luther zu, daß das Mönchtum für die Berufenen im effizienten Vollzug der Taufe eine Berechtigung fände, hält er nun die faktische Möglichkeit dieses Vollzugs nicht mehr für gegeben und kann allenfalls im konkreten Einzelfall zustimmen. Wenn Luther auch bis 1520 aus seinen Bedenken gegen die Mönchsgelübde noch keine prinzipielle Ablehnung folgerte, so waren doch die hauptsächlichen der später ausschlaggebenden Argumente schon vorhanden. 40 In De captivitate verwarf der Reformator die Gelübde, da sie zur Konzentration auf die Werke und zum Vergessen der Taufe verleiteten, so daß in der Konsequenz gerade bei den Ordensleuten der Glaube am wenigsten anzutreffen sei.41 Auch in den Themata de votis erklärte er Gelübde zum Gesetz, die dem Glauben widersprächen. In dem dieser Schrift vorangehenden Brief an Melanchthon betont Luther, daß es darauf ankäme zu beweisen, daß die Gelübde schon zum Zeitpunkt ihrer Ablegung hinfällig gewesen seien. 42 Mit dieser Zielsetzung sollte es möglich werden, auch das unumstößliche Vovete et reddite des Psalms 76,12 zu integrieren. Wenn der Mensch der biblischen Aufforderung zu geloben nachkommt, so muß doch zuvor für Luther die Art des Gelübdes mit dem Neuen Testament im Einklang stehen. Aufgrund des immanenten Widerspruchs der monastischen Gelübde zur evangelischen Freiheit erkennt nach Luther Gott diese jedoch nicht an. 43 Aber noch immer betont Luther, daß der Mönch im
37 38 39 40 41 42
LOHSE: Mönchtum und Reformation, S. 349. LOHSE: Mönchtum und Reformation, S. 351. LOHSE: Mönchtum und Reformation, S. 352 ff. BACHT: Luthers Urteil, S. 229. STAMM: Luthers Stellung, S. 36. STAMM: Luthers Stellung, S. 44. SCHRÄDER: Ringen, Untergang und Überleben,
S. 11. 43
LOHSE: Reformation und Mönchtum, S. 359.
ì. Die Wertung des gemeinsamen Lebens bei Luther
91
rechten Verständnis die Taufgelübde erfüllen könne.44 Die Mönchsgelübde waren für ihn noch nicht zwingend zu brechen. Im Gegenteil erklärt er in der zweiten Thesenreihe die Gelübde für beliebig, die für ewig oder eine Zeit lang gehalten werden können,45 ohne daß hier aus seiner Sicht ein Widerspruch entstünde. Die positive Bedeutung des Mönchtums als eines besonders zur Erfüllung des Taufgelübdes geeigneten Standes ist nun jedoch aufgegeben. Stattdessen ist es nur noch ein Beruf wie jeder andere und aller Besonderheit beraubt. Zusätzlich wird es zudem dadurch eingeschränkt, daß Gelübde in Freiheit zwar theoretisch möglich sind, jedoch jederzeit aus eigener Autorität aufgebbar sein müssen, da sonst ein Rückfall in das Gesetz vollzogen würde. 46 Im hieran unmittelbar anschließenden letzten Schritt fragt Luther dann in De votis monasticis iudicium nach der Natur von Gelübden, ohne diesen stets die theoretische Möglichkeit eines freien mönchischen Lebens als gleichgewichtig-relativierendes Element an die Seite zu stellen. Aufgrund ihres Werkcharakters sind ihm nun alle Gelübde, gleich ob im falschen oder rechten Geist abgelegt, zu brechen. Da er unter seinen Zeitgenossen ein einhellig falsches Verständnis der Gelübde antrifft, spricht er alle Ordensleute von ihnen frei. 47 Der Rücktritt von den schon geleisteten Gelübden wird hier erstmals unabdingbar zur Notwendigkeit. In apokalyptischer Sicht betrachtet Luther nun die Gelübde als Werk des Teufels, die den Menschen vom rechten Weg abbringen.48 Die Sündhaftigkeit der Gelübde gründet sich dabei nicht auf eine radikalere Auslegung der schon vor De votis monasticis iudicium verwandten Schriftstellen, sondern ist eine aus der Erfahrung gewonnene Erweiterung der Argumentation durch die ratio.49 Die Mißstände, die aus dem Institut der Gelübde entstehen, weisen in Luthers Verständnis über die Wahrnehmung des menschlichen Verstandes auf deren gottwidrige Natur hin. Erst nach dem Vollzug des Bruches ist für Luther ein Leben unter einem Gelübde theoretisch noch zu legitimieren. Er läßt dem einzelnen die Möglichkeit offen, seine Gelübde in evange-
44
LOHSE: Mönchtum und Reformation, S. 359 f. LOHSE: Mönchtum und Reformation, S. 361. 46 LOHSE: Mönchtum und Reformation. S. 362. 47 LOHSE: Mönchtum und Reformation, S. 366. STAMM: Luthers Stellung, S. 50 ff., betont die Tatsache, daß Luther sich auf seine Zeitgenossen bezieht. 48 BELL: Divus Bernhardus, S. 205 ff., S. 215 ff. 49 HEIKO A. OBERMAN: Werden und Wertung der Reformation. Thesen und Tatsachen. In: Reformatio Ecclesiae. Beiträge zu kirchlichen Reformbemühungen von der Alten Kirche bis zur Neuzeit. Festgabe für Erwin Iserloh. Paderborn München u.a. 1980, S. 499. 45
III. Das Verhältnis zur
92
Reformation
lischer Freiheit zu erneuern oder das Kloster zu verlassen. Die Erneuerung muß geprägt sein von dem zuvor dargestellten Verständnis: die Religiösen sollen als ein Stand unter anderen ohne besonderen Verdienst und ohne höhere Wertigkeit der Erfüllung der Taufgelübde nachstreben und im Falle des Verlustes ihrer Freiheit die Gelübde ohne Strafe brechen können. 5 0 Eine konkrete Erwägung der möglichen Realisierung eines solchen Lebenskonzeptes begegnet bei Luther jedoch erstmals in dem Entwurf einer Ecclesiola in ecclesia, die 1526 in der Deutschen Messe diskutiert wird. Auch hier blieb Luther jedoch skeptisch, da er den Idealfall einer gesonderten, ernsteren Christenversammlung in seiner Zeit für nicht verwirklichbar hielt. 51 Mit den Fraterherren in Herford erhob 1532 eine kommunitäre Gemeinschaft, zudem eine des gelübdefreien Semireligiosentums, gegen die Aufhebungsbestrebungen der städtischen Reformation eben einen solchen Anspruch auf eine vita communis in evangelischer Freiheit. 52 Mit der Untersuchung des Selbstverständnisses der Herforder Brüder, wie es sich im Grundt des Fraterleuendes spiegelt, soll im folgenden die Stellung der Herforder Fratres zu Luthers Konzept des gemeinsamen Lebens näher analysiert werden. In einem zuvor notwendigen Schritt gilt es jedoch, die Beurteilung der Gelübde und des gemeinsamen Lebens durch den münsterischen Senior Johannes Holtmann zu untersuchen, um damit für das Herforder Beispiel einen zweiten Bezugspunkt zu erarbeiten. Dies wird es dann wiederum möglich machen, das Selbstverständnis der Herforder Brüder nicht nur in seinem Bezug auf die Zukunft, die Reformation, zu untersuchen, sondern auch seine Wurzeln in dem genuinen Leben der Brüder vom Gemeinsamen Leben kenntlich zu machen.
50
Diese Position vertrat Luther auch später 1523 in der Antwort auf die Angriffe des Franziskaners Kaspar Schatzgeyer, als er ein Mönchtum nur exakt unter diesen Voraussetzungen zulassen wollte. STAMM: Luthers Stellung, S. 61. 51 HALKENHÄUSER: Kirche und Kommunität, S. 61-64. Luther sah hierfür keine geeigneten Personen und stellte von vornherein die Bedingung, daß eine solche Gemeinschaft im Dienst der Gemeinde stünde, damit keine Rotterei entstünde. 52 Auf einen Fall unter umgekehrten konfessionellen Vorzeichen weist WOLFGANG ZIMMERMANN: Rekatholisierung, Konfessionalisierung und Ratsregiment. Der Prozeß des politischen und religiösen Wandels in der österreichischen Stadt Konstanz 15481637 (Konstanzer Geschichts- und Rechtsquellen 34). Sigmaringen 1994. S. 55 f.. hin. Die Konstanzer Dominikanerinnen vertraten hier ein gemeinsames Leben in evangelischer Freiheit gegen die österreichischen Rekatholisierungsversuche im Jahr 1549.
2. Johannes Holtmanns „ Van waren geistliken leuene eyn körte underwijsinge " Der münsterische Fraterherr Johannes Holtmann verfaßte in der Reformationszeit für die Niesing-Schwestern eine Handschrift mit dem Titel Van waren geistliken leuene eyn körte underwijsinge 1 Holtmann bekleidete von 1526-1539 das Amt des Seniors im Haus Zum Springborn. 2 Kerssenbroch weist ihm zusätzlich die Aufgabe des scriptuarius der Gemeinschaft zu. 3 Die Verwandtschaft mit dem kurz zuvor im münsterischen Fraterhaus lebenden Hermann Holtmann, der wie Johannes aus Ahaus stammte, ist möglich, aber nicht eindeutig nachweisbar. 4 Zum Ende seines Lebens wurde er 1539 zum Confessor der Schwestern in Niesing berufen, wo er 1540 starb. 5 In einem Testament hinterließ er seinen Besitz dem Süsternund Fraterhaus, 6 dessen Gedächtnisbuch ihn mit dem Eintrag Vir graece et latine doctissimus1 führt. Auch in der städtischen Kirche war Holtmann als gelehrte Autorität anerkannt. So nahmen er und sein Mitbruder Theodericus Bredevort gegen den zunächst lutherischen, dann täuferischen Bernhard Rothmann an den Disputationen von 1532 und 1533 teil.8 Anläßlich der Einführung der lutherischen Kirchenordnung des Jahres 1532 war Holtmann Mitglied der altgläubigen Gutachtergruppe, die von den Lutheranern gegen die drohende Täufergefahr hinzugezogen wurde. 9
1
WLM, Ms. 517. S. hierzu GRUTKAMP: Johannes Holtmann. BA Münster. Fraterherren. A 1. fol. 76 ff. (1526, Sept. 29). GRUTKAMP: Johannes Holtmann, S. 5. 2
3
KERSSENBROCH: S. 4 2 4 . WILHELM KOHL ( B e a r b ): D a s ( F r e i w e l t l i c h e ) D a m e n s t i f t
Freckenhorst (Germania Sacra N F. 10: Die Bistümer der Kirchenprovinz Köln, Das Bistum Münster 3). Berlin, New York 1975, S. 41, rechnet das Graduale der Freckenhorster Stiftsdame Oitberga von Langen Johannes Holtmann zu. Die Grundlage bietet der Eintrag in einem Initial-Spruchband auf fol. 94 V : „Domine laetetur tecum in ecclesiae dedicatione domus tuae venerabilis virgo Oitberga de Langen, F.J.Hol. 1530. " 4 GRUTKAMP: Johannes Holtmann, S. 4. Dasselbe gilt für den Weseler Fraterherren Theodor Holtmann, ebd. Auch RICHARD STAPPER: Eine mittelalterliche Agende aus Ottenstein. In: Münsterisches Pastoral-Blatt 52 (1914), S. 35, weist auf weitere Träger dieses Namens aus Ahaus hin und schließt auf eine Verwandtschaft. So zählt er hierzu den Mainzer Professor der Theologie, Nikolaus Holtmann, den Pfarrer von Ottenstein im frühen 16. Jahrhundert sowie die Neffen von Nikolaus, Gerhard und Wilhelm. 5
NIESING-CHRONIK: S. 4 3 9 f.
6
STA Münster. Marienthal gen. Niesing. U 37 (1539, Nov. 11).
7
ERHARD: G e d ä c h t n i s s - B u c h , S. 97.
8
HAMELMANN: R e f o r m a t i o n s g e s c h i c h t e W e s t f a l e n s . S. 2 0 - 2 3 . STUPPERICH: S c h r i f -
ten Rothmanns. S. 94-119. 9
KERSSENBROCH: S . 4 5 7 f.
III. Das Verhältnis zur
94
Reformation
Man kann Johannes Holtmann angesichts dieser Nachrichten eine fuhrende Rolle innerhalb der Gemeinschaft Zum Springborn zurechnen. Als Senior hatte er ohnehin stellvertretende und beratende Funktionen für den Rektor der Gemeinschaft inne. Dies illustriert auch der weitere Werdegang von Theodericus Bredevort, der an Holtmanns Seite als zweiter Fraterherr an den Disputationen teilnahm und in den Unruhen der Reformationszeit zur Hilfestellung in die Häuser nach Herford und Wesel entsandt wurde. 10 Holtmann kam für ähnliche Aufgaben wohl aufgrund seines hohen Alters nicht mehr in Frage und übernahm stattdessen die Betreuung der Süstern im Kloster Marienthal. Holtmanns Werk Van waren geistliken leuene eyn körte underwijsinge war für die Schwestern in Niesing bestimmt und der Mater Elisabeth von Drolshagen persönlich gewidmet. 11 Eine Datierung in Holtmanns Amtsjahre 1539/40 ist daher wahrscheinlich. 12 Die Sorge um das geistliche Wohl der Süstern in den Auseinandersetzungen der Reformationszeit dürfte den Anlaß für die Niederschrift gegeben haben. 13 Dies dokumentiert sich in den persönlichen Anreden einzelner und mehrerer weiblicher Personen, unter denen eben die Niesing-Schwestern zu verstehen sind. 14 Hierfür spricht auch die Chronik des Schwesternhauses, die das stete seelsorgerische Bemühen des Fraterherren betont und auf Schriften hinweist, die er den Süstern hinterlassen habe. 15 Zum Ende der Vorrede von Holtmanns Unterweisung wird zudem deutlich, daß das Werk eine Zusammenfassung der Lehren des Fraterherren bieten soll, die dieser der Adressatin schon mehr-
10
S. unten, S. 238. GRUTKAMP: Johannes Holtmann, S. 24. Das Gedächtnisbuch des Fraterhauses nennt Richtmodis und Amt Drolshagen als Wohltäter, s. ERHARD: Gedächtniss-Buch. S. 122 f. 12 Dies schlägt auch GRUTKAMP: Johannes Holtmann. S. 22 f., vor. Die von LÖFFLER in der Rezension: Literarischer Handweiser 1912, Sp. 553, vorgezogene Alternative 1529/30. die auf der Überlegung basiert, daß die nur vereinzelten Anmerkungen zu den Täufern auf die süddeutschen Ereignisse dieser Zeit, nicht aber auf das münsterische Reich zu beziehen sind, halte ich nicht für ausreichend. Auch Luther wird in der Unterweisung nicht erwähnt, ist jedoch unverkennbar Gegenstand und Anreger einiger der Erklärungen Holtmanns. JOSTES: Johannes Holtmann, S. 289 f., votiert für 1539/40. Entscheidend für den hier anzustellenden Vergleich mit Luthers Bewertung des gemeinsamen Lebens ist jedoch in erster Linie die Tatsache, daß die Unterweisung nach Luthers entscheidenden Schriften von 1517-21 datiert. 13 Zur Herausforderung, die die Reformation für ein klösterliches Leben bedeutete, s. GUTH: Caritas Pirckheimer, S. 19 ff. 14 GRUTKAMP: Johannes Holtmann. S. 24 f. 11
15
NIESING-CHRONIK: S . 4 3 9 f.
2. Johannes Holtmanns Unterweisung zum geistlichen Leben
95
fach in Auszügen schriftlich dargestellt hatte. 16 Das Verhältnis zwischen Holtmann und der Empfängerin der Unterweisung muß daher von vornherein in einer geistlichen Leitung bestanden haben, wie sie die Fraterherren in den Schwesternhäusern ausübten. Holtmanns Schrift beinhaltet die typischen Bestandteile eines spätmittelalterlichen Katechismus.17 Neben dem Glaubensbekenntnis und dem Vaterunser sind der Dekalog, die Sakramente und das Ave Maria aufgenommen.18 Der Wunsch der Mater Elisabeth von Drolshagen, über die beste Möglichkeit des geistlichen Lebens unterrichtet zu werden, bestimmt die Darstellung der von Holtmann geschilderten Fragen. Die Ausrichtung und Zusammenstellung der Erklärungen Holtmanns ist daher in einer für die Devotio moderna typischen Weise stets pragmatisch orientiert. 19 Dem Glaubensbekenntnis widmet er das ausgedehnte Kapitel „ Van den geloven to gode", der Dekalog wird in „ Van den geboden", das Vaterunser in „ Van den gebede " behandelt. Unter den Sakramenten werden anschließend die Taufe, die Beichte und das Abendmahl hervorgehoben. 20 Den besonderen Charakter der Unterweisung machen die ausgiebigen Erklärungen der Inhalte aus, die um das Verständnis des Lehrstoffes bemüht und auf die praktische Umsetzung in einer geistlichen Lebensform ausgerichtet sind. Der münsterische Fraterherr hat das rechte Verständnis von diesen Hauptstücken der Lehre zu praktischen Handlungsanweisungen gebündelt. Die Tatsache, daß das Werk noch eine zeitgenössische Abschrift erfuhr, 21 deu-
16 WLM. Ms. 517, S. 9 f., „Hijrumme dan mijn alre leveste in Christo, als ick dij vaken geschreven hebe myt godz holpe, wo du dyne oifnynge soldest schicken to inwendiger andacht, unde hope, dat id nicht vergeves gescheen sij, so wil ick nu wederumme dat solve evns deils kortlike hijr beschrijven, so vele myner cleynheit god verlevnt heft. " GRUTKAMP: Johannes Holtmann, S. 24. 17 JOSTES: Johannes Holtmann, S. 281. 18 S. als münsterische Quelle auch das Handbüchlein von Dietrich Coelde, deren Aufbau über weite Strecken der Holtmanns gleicht, bei CHRISTOPH MOUFANG (Hrsg.): Katholische Katechismen des sechzehnten Jahrhunderts in deutscher Sprache. Mainz 1881, S. I-L. 19 Vgl. THOM MERTENS: Texte der modernen Devoten als Mittler zwischen kirchlicher und persönlicher Reform. In: Niederdeutsches Wort 34 (1994), S. 63-74. NIKOLAUS STAUBACH: Von der persönlichen Erfahrung zur Gemeinschaftsliteratur. Entstehungs- und Rezeptionsbedingungen geistlicher Reformtexte im Spätmittelalter. In: OGE 68 (1994), S. 200-228. DERS.: Das Wunder der Devotio moderna. In: Windesheim 1395-1995, S. 170-185. besonders S. 180 ff. 20 GRUTKAMP: Johannes Holtmann. S. 2 5 - 4 0 , stellt die Inhalte dieser Stücke knapp vor. 21 WLM. Ms. 5 1 7 ist eine Abschrift des verschollenen Originals, s. GRUTKAMP: Johannes Holtmann, S. 19.
96
III. Das Verhältnis zur Reformation
tet auf die Nutzung der Holtmannschen Unterweisung im Schwesternhaus nach dessen Tod hin.
2.1. Grundzüge der theologischen Anschauungen
Holtmanns
Das Motiv, das den münsterischen Fraterherren laut der Vorrede der Unterweisung zur Verfassung seines Werkes bestimmte, war die allgemeine Unkenntnis von geistlichen Männern und Frauen inner- und außerhalb der Klöster über die rechte geistliche Lebensführung. 22 Das Wesen eines waren geistliken leuene, wie es Holtmann im Verlauf der Vorrede entwickelt, besteht aus Liebe, Demut und Einfachheit. Holtmann stellt hier seine grundsätzlichen Auffassungen vom geistlichen Leben der eigentlichen Unterweisung voran und berichtet in seelsorgerischer Intention aus seiner unmittelbaren Lebenserfahrung, die unter anderem auch die Gewissensnöte und Heilsängste der Mater Elisabeth von Drolshagen umfaßten. Die Befindlichkeit derjenigen, die nach einem geistlichen Leben streben, ist ihm dabei stets der Spiegel ihres Gnadenstandes. Die Verbundenheit mit Gott drückt sich so aus in freudiger Harmonie, der auf der anderen Seite Unruhe und Traurigkeit entgegenstehen. 23 Holtmann widmet sich in seiner Unterweisung sowohl den praktischen Fragen eines geistlichen Lebens als auch der Möglichkeit von dessen Anteil in der Rechtfertigung. Der Irrtum vieler Zeitgenossen, die ein „falsches" geistliches Leben führten, lag nach seiner Auffassung in der Beschränkung auf die Verrichtung von Zeremonien und äußerlichen Übungen, anstatt das Gewicht auf eine liebevolle Hingabe an Gott zu legen. Die „...uthwendige werken... " 24 allein ermangeln jedoch des rechten Fundamentes, so daß die Liebe zu Gott nicht anwächst und geistlicher Fortschritt ausbleibt.25 Holtmann fugt sogleich ein, daß das Singen, Knien, Beten oder Fasten in sich
22
WLM. Ms. 517. S. 1: „Vele lüde svn van beide naturen manne unde vrouwen in geistliken habite unde schijne, in unde buten cloisteren, und heiten geistlich, de nummer komen to der rechter art geistlikes leuens, noch wetten de maneir recht christlike to leuen. " 23 Der Einfluß der Stoa wird hier manifest: stets bedeutet Übereinstimmung mit der göttlichen Ordnung Harmonie und Ruhe. S. hierzu W I L L I A M J. B O U W S M A : The Two Faces of Humanism. Stoicism and Augustinianism in Renaissance Thought. In: Itinerarium Italicum. The Profile of the Italian Renaissance in the Mirror of its European Transformations. Festschrift Paul O. Kristeller zum 70.Geburtstag (Studies in Medieval and Reformation Thought 14). Leiden 1975. S. 3-60. besonders S. 27 f. 24 WLM. Ms. 517. S. 1. 25 WLM. Ms. 517. S. 1 f.
2. Johannes Holtmanns Unterweisung zum geistlichen
Leben
97
gut und notwendig ist. Dies darf durchaus einem im geistlichen Leben Stehenden abverlangt werden, muß allerdings „...in warheit des geistes unde der rechten mynne godz... " 26 vollzogen werden. Das fehlende Fundament, welches die geistige Not verursacht, ist eben die Liebe zu Gott. Wie bei Gerson, den Holtmann als einzigen unter den jüngeren Theologen als Autorität anfuhrt, 27 ist der fruchtbare Aufbau der religiösen Persönlichkeit das bestimmende Grundprinzip aller Ausfuhrungen Holtmanns. Im Angesicht der Heilsungewißheit des Einzelnen versucht er, die Möglichkeiten des menschlichen Bemühens für die Rechtfertigung aufzuzeigen, ohne dabei jedoch den ersten Gnadenempfang von Gott zu vernachlässigen. 28 Alle Anleitungen und Erklärungen zielen darauf, die Liebe zu Gott zu erlangen. Holtmanns Blick gilt dem Zustand der Menschen in Folge des Mangels an verinnerlichter Frömmigkeit: die Betroffenen werden kleinmütig, ruhelos, traurig, und haben falsche Gotteserfahrungen, die jedoch nicht Gott, sondern nur ihrem brennenden Verlangen entspringen. Die wahre innere Hingabe an Gott wird aber nicht aufgrund des eigenen Bemühens erreicht, sondern ist ein Gnadenbeweis von dessen unaussprechlicher Güte. 29 Diese Gnade soll man dankbar annehmen und gebrauchen, solange Gott sie gewährt. Zur Verdeutlichung des qualitativen Unterschiedes zwischen der göttlichen und der menschlichen Handlungsebene fuhrt Holtmann einen Vergleich an. Das Verhältnis zwischen dem menschlichen Bemühen und dem Geschenk Gottes ist demnach dasselbe wie das der Vernunft zur inneren geistlichen Weisheit. Die Differenz wird an ihren Wirkungen erkennbar. Während die geistliche Weisheit zur wahren Einfachheit und Demut fuhrt, lenkt die Vernunft hiervon nur hochfahrend ab. 30 Die geistliche Weisheit ist aber göttlichen Ursprungs, so daß alles Verbleiben in freudiger Ruhe nur Gott zu danken ist. Der Mensch soll daher auf Gott vertrauen, der sich 26 WLM. Ms. 517. S. 2. In der falschen Verrichtung dieser Werke triumphiert allerdings der böse Geist. 27 Gerson stand als Verteidiger der Brüder vom Gemeinsamen Leben in Konstanz bei den Fraterherren in hohen Ehren. Mit dem Ehrentitel des fünften Doktors der westlichen Kirche versehen wird er in den Kirchen der Brüder in Urach und Weilheim in Skulpturen dargestellt. MARK S. BURROWS: Jean Gerson and De Consolatione Theologiae (1418). The Consolation of a Biblical and Reforming Theology for a Disordered Age (Beiträge zur Historischen Theologie 78). Tübingen 1991. S. 272. Anm. 5. 28 Zu Gerson Louis B. PASCOE: Jean Gerson. Principles of Church Reform (Studies in Medieval and Reformation Thought 7). Leiden 1973. BURGER: Aedificatio. besonders S. 61 f. 29 WLM. Ms 517. S. 4. 30 WLM. Ms. 517. S. 6 f.
98
III. Das Verhältnis zur Reformation
geduldig mit den menschlichen Möglichkeiten zufrieden gibt.31 Auf diese Weise gelangt er zu dem anzustrebenden Zustand der „...wair inwendige raste des herten... " und „...allernegest der sympelen eynuoldigen natuer godes. "32 Dieses in der devoten Tradition der Idealtugend einer puritas cordis stehende Motiv der größtmöglichen Gottesnähe ist das letzte Ziel geistlichen Lebens,33 die durch eigenes Vermögen allein anzustreben vergebens ist, allerdings als Gnadengeschenk angenommen und eingeübt werden kann. Der menschliche Anteil am Heil wird von Holtmann kaum ausgeführt, die theoretische Möglichkeit einer Ablehnung der geschenkten Gnade aus freiem Willen jedoch mitgedacht. Der gesamte erste Teil der Unterweisung34 widmet sich in der Folge auch der rechten Art des Glaubens. Die eigene Disposition ist damit Voraussetzung zum fortwährenden Gnadenempfang.35 In vollkommener Abkehr von der Welt, ohne sich jedoch hierum zu mühen, erlangt man so den Reichtum des Himmels: der Höchste zu sein, der der Niedrigste von Herzen ist, und der Reichste zu sein, der der Ärmste im Geist ist.36 Zur Vorbereitung dieses Idealfalles soll die Mater Elisabeth von Drolshagen - „...mijn alre leveste in christo... "37 ihre Übungen auf innere Andacht statt äußere Werke konzentrieren und auf die Erfüllung von Gottes Gnade hoffen. Der Anleitung zu diesem Zweck, der bestimmt ist durch die auf Erbauung und Verinnerlichung ausgerichtete praktische Grundstruktur der devoten Frömmigkeit, dient die Holtmannsche Schrift. Die in der Unterweisung behandelten Stücke der christlichen Lehre werden dementsprechend in ihrer Bedeutung für den Vollzug eines derartigen geistlichen Lebens behandelt. Die Erklärungen Holtmanns zielen auf die innere Harmonie und Ruhe der Unterwiesenen und münden in Anweisun-
31
WLM, Ms. 517, S. 8. WLM, Ms. 517, S. 8. 33 Die Reinheit des Herzens war das Ziel der methodischen Meditation der Devoten s. GOOSSENS: De meditatie in de eerste tijd van de moderne devotie. GERRITS: Inter Timorem et Spem. WEILER: Over de geestelijke praktijk van de Moderne Devotie. DERS.: La construction du soi dans les milieux de la Devotio moderna. Vgl. auch GUIDO DE BAERE: Het „Ghemeine Leven" bij Ruusbroec en Geert Grote. In: OGE 5 9 32
( 1 9 8 5 ) , S. 1 7 2 - 1 8 3 . 34
Der Abschnitt über den Glauben, WLM, Ms. 517, S. 18-93. Vergleiche dazu bei Staupitz D A V I D C. STEINMETZ: Misericordia Dei. The Theology of Johannes von Staupitz in its Late Medieval Setting (Studies in Medieval and Reformation Thought 4). Leiden 1968, S. 108 f. 36 WLM., Ms 517, S. 9. 37 WLM, Ms. 517, S. 9. 35
2. Johannes Holtmanns Unterweisung zum geistlichen Leben
99
gen zum praktischen Handeln. Dieser Praxisbezug, der als Ausdruck des rational gesteuerten Willens das tägliche religiöse Leben regulieren soll, stellt die devote Komponente der Schrift dar, indem sie das wahre geistliche Leben nach den eigenen Möglichkeiten in kontinuierlicher Übung gestalten will.38 Der erste Teil der Unterweisung über das Wesen und die Funktionen des Glaubens bettet das Bemühen des Einzelnen in eine stark gnadenbetonende, augustinisch geprägte Rechtfertigungslehre ein.39 Die Erstursächlichkeit von Gottes Gnadeneingebung im Heilsgeschehen, die dem Menschen so sehr zu eigen werden soll, daß sie als Quelle seiner spontanen, freien Handlungen fungiert, 40 beherrscht die ganze Handschrift. Holtmann beginnt entsprechend mit einer grundlegenden Anfuhrung von Augustinus, die die Basis aller weiteren Ausfuhrungen bildet: „Begyn unde ursprunc alles gudes unde aller salicheit...is de gratie: off dat wairt godes is de hillige schrift, de darumme hei eyn wairt, want in er is de enige wairheit, unde se leydet alle to eynen ende: dat is to der leifte. " 4I Diese Liebe erreicht man nur durch den Glauben. 42 Ohne Gottes Gnade hingegen ist alles Streben und jede Tugendübung des Menschen, worunter Holtmann später auch das gemeinsame Leben versteht, hinfällig. Die Gnade wird durch den Glauben ergriffen, welcher wiederum durch stete Übung vergrößert werden kann. 43 Der anschließende Teil widmet sich daher den Inhalten und der Form des Glaubens, um diesen in fruchtbarer Art üben zu können. Unter Berufung auf Augustinus skizziert Holtmann ein Stufenmodell geistlichen Fortschritts in der Kontemplation. 44 Die Abkehr von der Welt ist der erste Schritt, da er eine leidenschaftlichere Hingabe an Gott ermöglicht. Der Gläubige soll sich das Leben und Sterben Christi vergegenwärtigen und nach seinem Beispiel sterben, damit die Seele durch die im Glauben gegründete Andacht letztlich über sich hinaussteigt und zur Gottesschau gelangt. Die Voraussetzung einer solchen Erkenntnis Gottes ist die Annä-
38
S. 4 2 3 39
Vgl. STAUBACH: Pragmatische Schriftlichkeit im Bereich der Devotio moderna, f., S. 4 5 3 f. S. z u
Augustinus
d i e Z u s a m m e n f a s s u n g v o n OTTO H . PESCH u n d
ALBRECHT
PETERS: Einführung in die Lehre von Gnade und Rechtfertigung. Darmstadt 1981, S. 17-25. 40 HAMM: Was ist reformatorische Rechtfertigungslehre?, S. 9, definiert so die augustinische Rechtfertigungslehre. 41 WLM, Ms. 517, S. 10 f. 42 WLM, Ms. 517, S. 16. 43 WLM, Ms. 517, S. 18 f. 44 WLM, Ms. 517, S. 22-25.
100
III. Das Verhältnis zur
Reformation
herung an dessen Wesen, 45 die nur durch den Glauben erreicht werden kann, da aus ihm Liebe, Frieden und alle Tugenden entspringen. 46 In herausgegriffenen Zitaten finden sich in Holtmanns Argumentation dieselben Schriftstellen, die bei Luther entscheidende Positionen markieren. 47 Dennoch stehen sie in anderem Kontext und sind anders als bei Luther zu bewerten. Deutlich wird dies am Beispiel der guten Werke. So darf bei Holtmann der Einzelne seinen guten Werken keine Bedeutung für das eigene Heil zumessen, da sie nur Gottes Gnadengeschenk entspringen. Gerechtfertigt wird der Mensch allein durch den Glauben und den Tod Christi, der alle Sünden auf sich genommen hat. Dennoch haben die guten Werke des Menschen für den münsterischen Fraterherren durchaus ihre Funktion, wenn der Gläubige sich des Gnadengeschenks bewußt bleibt: „...mercke, dat unse gude werke uns nicht orsprunklike salich maken, mer als wij dorch den doit Christi syn salich gemaket. So maken se uns in der salicheit hoger unde hoger. "4S Der Ursprung aller Rechtfertigung liegt allein bei Gottes Gnade, doch auch die Taten des Menschen sind eben aufgrund der Gnade und entsprungen aus der Liebe nicht wertlos. Holtmann trennt von Luther damit die Auffassung, daß die Werke, im rechten Geist erbracht, die Rechtfertigung vermehren. 49 Für den Reformator sind die guten Werke zwar ebenfalls der Gnade Gottes entsprungen, können aber nur in der Welt rechtfertigen und haben keinerlei Heilsrelevanz. Gottes Gerechtigkeit hat bei Holtmann nicht die im reformatorischen Verständnis
45
WLM. Ms. 517. S. 26. WLM. Ms. 517. S. 33. 47 So zum Beispiel Römer, 14.23. ., Wante Paulus schrift: Al dat gene dat nicht wert gedaen uth den gelouen dat is sunde. ". WLM. Ms. 517. S. 35 f. Bei Luther ist diese Paulus-Stelle ein zentrales Argument zur Ablehnung des Mönchtums in den Themata de votis und De votis monasticis iudicium. JOSTES: Johannes Holtmann. S. 288. sieht bei Holtmann die lutherische Rechtfertigungslehre vertreten und ist der Meinung, daß Luther Holtmann freudig in seinem Lager begrüßt hätte. Ebenso LÖFFLER: Rezension Grutkamp, S. 554. Beide sehen Holtmann wegen dessen Festhalten an dem traditionellen Kirchenbegriff jedoch nicht als „Lutheraner". 48 WLM. Ms. 517. S. 34 f. GRUTKAMP: Johannes Holtmann. S. 29. zitiert dies sinnentstellend. da er die Folgerung „So maken se uns ... " fortläßt und damit den Sinn des orsprunklike nicht erfaßt. 49 HAMM: Was ist reformatorische Rechtfertigungslehre?. S. 30, weist darauf hin. daß in Trient gerade dieser Zusatz die Rechtgläubigkeit ausmacht. Auch Staupitz behauptete gegen Agrícola im augustinischen Sinn die Bedeutung der guten Werke, STEINMETZ: Misericordia Dei. S. 116. Zu Staupitz als Vertreter einer „biblischen Theologie" mit zahlreichen Gemeinsamkeiten zur Devotio moderna und Augustinus vgl. BERNHARD LOHSE: Luther und Bernhard von Clairvaux. In: Kaspar Elm. Bernhard von Clairvaux. S. 274. 46
2. Johannes Holtmanns Unterweisung zum geistlichen
Leben
101
vertretene Position des radikalen extra nos50 inne. Der Mensch soll sich nach dem münsterischen Fraterherren als Akt des Glaubens ganz in Gottes Hände geben, der allein Rechtfertigung verleiht und seine eigene Gabe mit der Seligkeit krönt. 51 Der Anteil des Menschen besteht darin, aus freiem Willen zwischen gut und böse zu wählen, wobei er wiederum von der Gnade geleitet wird. 52 Erst später in der Unterweisung konkretisiert Holtmann die Bedeutung der Werke: „Men mochte vragen: warumnte do wij dan gude werke, na den, dat god uns umme nicht vergeuet unse sunde unde heft uns kynder godes gemaket. Darumme do wij dat: dat wij uns dancber bewijsen. "53 Der Gläubige soll alle Werke aus Dankbarkeit und zu Gottes Lob verrichten, ohne auf den eigenen Verdienst zu achten. Die Barmherzigkeit Gottes wiederum nimmt dies an und rechnet das menschliche Bemühen nicht als Schulderfüllung, sondern als Verdienst an. 54 Die dem Menschen nach der Rechtfertigung durch Christus angerechneten Verdienste machen ihn „...groter unde hoger in der claerheit unde glorie des hemels. " 55 Alle sollen sich dies vergegenwärtigen und Gott nach allen Kräften durch das Bemühen um ein Leben nach seinen Geboten dankbar für die ewige Annahme als seine Kinder sein. Die Ursache für die Unwissenheit seiner Zeitgenossen einem wahren geistlichen Leben gegenüber liegt für Holtmann in der unvollkommenen Art des Glaubens begründet. Er greift hierzu das augustinische, das gesamte Mittelalter grundlegende Verständnis desselben in zwei Weisen a u f 5 6 In der ersten Weise glaubt man an die Wahrhaftigkeit des Lebens und des Todes Christi. 57 Allerdings ist dies allein ungenügend, da der Mensch zweitens glauben muß, daß dies um seiner Rettung willen geschehen sei und sich gemäß dieser Überzeugung ganz in Gottes Hände begibt. Der
50 Zu Luther s. hier KARL-HEINZ ZUR MÜHLEN: NOS extra nos. Luthers Theologie zwischen Mystik und Scholastik (Beiträge zur Historischen Theologie 46). Tübingen 1972. S. 207 f. 51 WLM. Ms. 517. S. 36. 52 Vgl. hierzu Nikolaus Kempff, dessen sola fide Theologie ebenfalls im Kontext von cooperatio zwischen Gott und Mensch steht, MARTIN: Fifteenth-Century Carthusian Reform, S. 134 ff. OBERMAN: Der Herbst der mittelalterlichen Theologie, S. 153, verfolgt diese Thematik bei Biel, der dem Willen eine bedeutende Rolle einräumt. 53 WLM. Ms. 517. S. 334. 54 WLM. Ms. 517, S. 335 f. 55 WLM. Ms. 517. S. 337. 56 WLM. Ms. 517. S. 47 ff. S. hierzu OBERMAN: Der Herbst der mittelalterlichen Theologie. S. 73. STEINMETZ: Misericordia Dei. S. 116 f. 57 WLM. Ms. 517. S. 48 f.
102
III. Das Verhältnis zur Reformation
Nutzen dieses Aktes offenbart sich wiederum in den positiven Folgen, die sich für den inneren Zustand des Menschen einstellen: Nur in dieser Weise entspringen die affectie und mynne durch den Glauben und aus dem Heiligen Geist. 5 8 Anläßlich dieser Unterscheidung übt Holtmann Kritik an den Mißständen in der Kirche. Die erste Weise ist allein kein wahrer Glaube, sondern nur ein Bekenntnis, wie man es Rom oder anderen Dingen und Menschen gegenüber haben könne. Ihren Ausdruck finden solche Bekenntnisse in äußeren Werken, die allerdings - und so kommt Holtmann auf sein Hauptanliegen, welches er schon im Prolog der Schrift insgesamt dargestellt hatte, zurück - weder geistigen Fortschritt bringen noch zur Rechtfertigung beitragen. Diese Art des Glaubens verursacht für Holtmann die Mißstände in den Klöstern, obwohl gerade hier der größte Fortschritt sein sollte und die Mönche meinten, ihr Vorhaben sei das Vornehmste. Die Religiösen vertrauen aber aus Holtmanns Sicht vielfach nicht auf die Wahrheit der Schrift, so daß Gott ihre Werke verschmäht. 5 9 Holtmann führt hier wiederum Paulus, Römer 14,23 an. 60 Sein Verständnis dieser Stelle gründet sich, wie der Kontext seiner Argumentation zeigt, auf der augustinischen Unterscheidung in die zwei Weisen des Glaubens. Glaubt der Mensch in beiden Weisen, daß Christus wahrhaftig und für den einzelnen gestorben ist, 61 so besitzt er den ersten und wichtigsten Bestandteil des wahren geistlichen Lebens. Die im Prolog als Anlaß für die Verfassung der Unterweisung angegebene Unwissenheit vieler Zeitgenossen über ein solches Leben stellt sich nach dem ersten Kapitel als Verbleiben nur in der ersten, allein ungenügenden Weise des Glaubens heraus, die ohne persönlichen Anteil, ohne Andacht und Liebe vollzogen wird. Der Glaube ist damit seinem Wesen nach ein zunächst geschenktes, dann auch einübbares Erkenntnisvermögen Gottes. Seinem Ausdruck nach verkörpert er sich in der aus ihm wirkenden Liebe, die der alles bestimmende Faktor im Leben des Menschen werden soll. 62 Gemäß der seelsorgerischen Intention von Holtmanns Unterweisung richten sich seine Ausführungen auf die Übung des Glaubens und die Erreichung dieses idealen inneren
58
WLM, Ms. 517, S. 49 ff. WLM, Ms. 517, S. 53. 60 WLM, Ms. 517, S. 54, „ Et is surtde al dat nicht en geschuet uth den gelouen ". 61 OBERMAN: Der Herbst der mittelalterlichen Theologie, S. 72, zeigt, daß auch bei Biel das pro nobis stets betont wird. 62 Vgl. dazu bei Staupitz MARKUS WRIEDT: Gnade und Erwählung. Eine Untersuchung zu Johann von Staupitz und Martin Luther (VeröfTInstEurGesch Mainz, Abteilung für Abendländische Religionsgeschichte 141). Mainz 1991, S. 173. 59
2. Johannes Holtmanns Unterweisung zum geistlichen Leben
103
Zustandes. 63 Luther lehnt dagegen diesen Schritt „...vom formulierten Glaubensinhalt zum existentiellen Glaubensvollzug... "64 ab. Glaube ist bei ihm nicht Erkenntnisakt, sondern Vertrauen und Zuversicht. 65 Für Holtmann sind dagegen in erster Linie nur die Folgen der Glaubensübung für den seelischen Zustand des Menschen von Belang: die Entstehung von Liebe und innerer Ruhe. Als Aktivität der durch die Gnade geschenkten und die Glaubensübung erworbenen Liebe ist zudem ein „Verdienst" des Menschen möglich. Gnadenzuwendung ist damit Befähigung zur Kooperation. 66 Der Mensch kann nach dem Erhalt des Gnadengeschenks durch ein Nachfolgen des Beispiels Christi sein Wesen dem Gottes annähern und an der Rechtfertigung mitwirken. Sola fide bedeutet daher bei Holtmann: allein der Glaube rechtfertigt, aber er vollbringt auch die Werke, die verdienstlich und notwendig sind. 67 Glaube und Werke sind dabei kein Widerspruch, sondern letztere müssen im Geist des ersteren vollbracht und dann in der Anschauung Gottes zum Verdienst werden. Der menschliche Anteil an der Rechtfertigung ist dabei subjektiv notwendig, aber im objektiven Heilsgeschehen von geringer Bedeutung. Gott wirkt unabhängig vom Menschen unter der Bedingung, daß dieser sich ihm zuwendet, und krönt sein eigenes Werk. 68 Die Notwendigkeit des menschlichen Bemühens schließt jedoch einen heilsgeschichtlichen Determinismus aus. 69 Charakteristisch für die Stellungnahme
63
Holtmann diskutiert nicht die Trennung von fides infusa und fides aqcuisita. Die erste Gnade ist bei ihm stärker betont als bei Biel, der diese vermutlich aber auch voraussetzt, vgl. OBERMAN: Der Herbst der mittelalterlichen Theologie, S. 72. 64 R E I N H A R D SLENCZKA: Glaube VI. In: T R E 13, S. 321. Vgl. zum Verhältnis von Glauben und Vernunft BENGT HÄGGLUND: Theologie und Philosophie bei Luther und in der occamistischen Tradition. Luthers Stellung zur Theorie von der doppelten Wahrheit (Lunds Universiteits Ärsskrift N.F. Avd. 1, Bd. 51, Nr. 4). Lund 1955, S. 82-86. 65 BURGER: Gottesliebe, Erstes Gebot und menschliche Autonomie, S. 301. 66 Vgl. PESCH/PETERS: Einführung in die Lehre von Gnade und Rechtfertigung, S. 23 f. (zu Augustinus). WRIEDT: Gnade und Erwählung, S. 80. 67 STEINMETZ: Micericordia Dei, S. 118 (zu Staupitz). Daher ist Holtmann nicht mit Jostes und Löffler als Vertreter der lutherischen Rechtfertigungslehre heranzuziehen, vgl. oben, S. 100, Anm. 46, sondern als ein typisches Beispiel der um Vereinfachung bemühten Frömmigkeitstheologen des frühen 16. Jahrhunderts, die .so/a-Formulierungen gebrauchen, s. HAMM: Das Gewicht von Religion, Glaube, Frömmigkeit und Theologie, S. 168, und HAMM: Hieronymus-Begeisterung und Augustinismus, S. 139-142. 68 Vgl. WRIEDT: Gnade und Erwählung, S. 134 f. MARTIN: Fifteenth-Century Carthusian Reform, S. 142 f. 69 Vgl. zu Biel OBERMAN: Der Herbst der mittelalterlichen Theologie, S. 125 f., S. 133 f. Bei Biel beschließt Gott aus freiem Willen, dem sich bemühenden Menschen die Gnade zu schenken; für diesen gilt nach Biel die Verpflichtung des facere quod in se est.
104
III. Das Verhältnis zur
Reformation
Holtmanns ist hierbei die beständige Vermeidung, dem menschlichen Bemühen trotz seiner Notwendigkeit eine Verdienstlichkeit zuzuerkennen. In dieser Ausrichtung gleicht Holtmann der theologischen via media des späten Gerson, der ebenfalls den Primat der Gnadenzuwendung stark, die (notwendige) menschliche Teilhabe sehr gering betont. 70 Bei Holtmann wie Gerson steht nicht der Begriff des facere quod in se est im Mittelpunkt, sondern die Suche des Menschen nach Gott. Wie der Kanzler der Pariser Universität verbindet auch der Fraterherr die Extreme der möglichen Positionen zu einem gemeinsamen Ganzen. Die Ausübung der dem Menschen natürlich gegebenen Fähigkeiten reicht ohne die Gnade nicht aus zu Rechtfertigung und Seligkeit; eine vollständige Prädestination, die das menschliche Bemühen obsolet werden ließe, ist jedoch ebenso nicht anzutreffen. Das Suchen Gottes als „Werk" des Glaubens bleibt eine unverzichtbare Verpflichtung. Bei Luther kommt der Mensch dagegen allein durch den Glauben zu Rechtfertigung und Seligkeit, ohne daß seinen Werken hieran irgendein Anteil zuzumessen wäre. Zwar sind diese ebenso wie bei Holtmann Auswirkung der Gnade Gottes, doch bleiben sie ein nur auf die Welt beschränktes Zeichen derselben. Rechtfertigung und Seligkeit werden dem Menschen zugleich durch den Glauben zuteil, ohne daß der Mensch heilsnotwendig dazu verpflichtet ist, in der Fortsetzung des göttlich initiierten Wirkens von der geschenkten Rechtfertigung zur mitverdienten Seligkeit voranzuschreiten. 71 Die Rechtfertigungslehre Holtmanns bleibt in der Unterweisung im Rahmen der spätmittelalterlichen Augustinusrezeption. In einem Bezugsfeld, das die menschliche Anteilsverpflichtung zur Erlangung des Heils zugrundelegt, dominiert die Bedeutung des wahren Glaubens als Gottesliebe das gesamte Werk Holtmanns und vermittelt zwischen den Extremen. Luthers Weiterentwicklung zu einer exklusiven sola fide Lehre in Verbindung mit dem Postulat des unfreien Willens des Menschen wird von Holtmann nicht vertreten. Der Glauben in seiner doppelten Definition ist damit bei Holtmann der wichtigste Baustein zum praktischen Vollzug des geistlichen Lebens. Alle katechetischen Stoffe, die in der Unterweisung behandelt werden, dienen der inhaltlichen Definition, der Verinnerlichung und der Vivifikation des Glaubens. Die entscheidende Frage im Leben des Gläubigen ist, wie er vom
70 71
BURROWS: Jean Gerson and De Consolatione Theologiae, S. 173 ff. HAMM: Was ist reformatorische Rechtfertigungslehre?. S. 15.
2. Johannes Holtmanns Unterweisung zum geistlichen Leben
105
bloßen Wissen zur Liebe Gottes voranschreitet. Eben hierin, in der Übung des geistlichen Fortschrittes, besteht das wahre geistliche Leben. Dies spiegelt sich auch in Holtmanns Sakramentenlehre. So hebt er besonders die Taufe, Beichte und das Abendmahl hervor und begründet dies mit deren Nutzen für den Lebensvollzug des einzelnen. 72 Priesterweihe, Ehe, letzte Ölung und Firmung werden nur kurz genannt. Dabei soll zwischen Priestertum und Ehe jeder nach seinen Möglichkeiten entscheiden. Priester soll nur werden, wer von Gott berufen und dazu eingesetzt ist. Dagegen ist es im Zweifelsfall besser, im Ehestand als in Unkeuschheit des Fleisches oder Geistes zu leben. 73 Demgegenüber erfahren Taufe, Beichte und Abendmahl eine ausfuhrliche Behandlung, die den gesamten zweiten Teil der Handschrift ausmacht. 7 4 Holtmanns Hauptaugenmerk ist dabei stets auf die Wirkung der Sakramente im religiösen Leben gerichtet, wobei die äußere Form des Empfangs im Zweifelsfall zugunsten der gnädigen Hilfe des barmherzigen Gottes vernachlässigt wird. Anstatt eines mechanisch-kausalen Verständnisses der Sakramente bemüht sich Holtmann um eine vertiefte Beziehung zwischen Gott und Mensch. Unausgesprochen wird damit wieder gegen das Verharren in der ersten, ungenügenden Weise des Glaubens angegangen. So verweist er darauf, daß nicht die mühselige, vollständige Aufzählung in der Beichte die Sünden tilgt, wenn keine demütige Hingabe vorhanden ist, sondern nur der Glaube an das Opfer Christi. 75 Die Beichte selbst wird als ein dreiteiliger Akt verstanden: der Reue vor Gott, vor dem Nächsten und vor dem Priester. 7 6 Ist man in einer Notsituation am Empfang der Sterbesakramente durch Gewalt oder Krankheit gehindert, empfängt man im Glauben und Bitten an Gott doch die volle Wirkung der Sakramente. 7 7 Das Abendmahl ist im Verständnis Holtmanns von besonderer Bedeutung, 7 8 da sein Nutzen für den Menschen größer als der der anderen Sakra72
WLM, Ms. 517, S. 243-247. Er verweist darauf, daß diese Sakramente in der Schrift stärker hervorgehoben und bei den Vätern vielfach erklärt werden. 73 WLM. Ms. 517. S. 245 f. 74 GRUTKAMP: Johannes Holtmann. S. 3 4 - 4 0 . 75 WLM. Ms. 517. S. 363. JOSTES: Johannes Holtmann, S. 285. 76 WLM. Ms. 517, S. 344 ff. GRUTKAMP: Johannes Holtmann, S. 36. Dies entspricht der contritio cordis. confessio oris und satisfactio operis. 11 JOSTES: Johannes Holtmann, S. 286. Vgl. die identische Haltung Peter Dieburgs, oben. S. 14 f. 78 WLM. Ms. 517. S. 393 ff. Inklusive der Andachten zum Leben Jesu, die der Vorbereitung auf den Empfang dienen, umfaßt dieser Teil die Seiten 393-705, also fast ein Drittel des Gesamtwerkes.
106
III. Das Verhältnis zur Reformation
mente ist. Sein Empfang trägt zur Abtötung der Sünde und der Annäherung an das göttliche Wesen bei. In der Frage der Darbietung optiert Holtmann für die Form sub utraque, da er hierin die ursprüngliche Einsetzung durch Christus sieht. 79 Allerdings unterwirft er sich der historischen Einsetzung sub una durch die Kirche, wenn auch mit dem Wunsch auf eine Rückkehr zum ursprünglichen Zustand durch die Anordnung eines Konzils.80 Frucht und Nutzen des Sakramentes für den Gläubigen, so Holtmann auch in diesem Zusammenhang, werden von der Form der Darbietung nicht beeinträchtigt. 81 Holtmann empfiehlt eine häufige Kommunion, um den Nutzen des Sakramentes auszuschöpfen. Dabei pflichtet er der Empfehlung Gersons bei, notfalls auch in Sünde Leib und Blut des Herren zu empfangen und sich der Gnade Gottes anheimzustellen. 82 Aus der Präferenz der inneren Wirkmächtigkeit der Sakramente gegenüber der Vermittlerfunktion der Kirche auf eine Geringschätzung der letzteren schließen zu wollen, verfehlt die Absicht Holtmanns, der lediglich in seelsorgerischer Manier auf die Heilsängste der ihm Anvertrauten reagiert und seine Beichtkinder zu Liebe und Glauben anleiten will. Holtmann hält dabei am katholischen Kirchenbegriff fest und beruft sich auf Anselm und auf Augustinus. Die Kirche besteht aus der Gemeinschaft der Gläubigen, außerhalb derer es keine Vergebung der Sünden und damit keine Seligkeit geben kann. 83 Grundlegend für die Einheit der Kirche ist der Glaube und der Gebrauch der Sakramente. 84 Die Basis bietet für Holtmann das Nicäanum. Er scheint dabei in der Frage des Kirchenbegriffs zu stark ausschließende Definitionen vermeiden zu wollen. So betont er, daß es zwar nur eine Heilige Kirche gebe, deren Gliedmaßen aber durchaus verschieden sein könnten, solange Einigkeit im Glauben und in der mynne bestünde. Holtmann scheint hier auch die Frage der Sakramente mit einzuschließen, solange es sich nur um die Form ihrer Darbietung handelt. 85 Ob dies der Aus-
79
WLM, Ms. 517, S. 410 f. WLM, Ms. 517, S. 413. LÖFFLER: Nochmals Johannes Holtmann, S. 297, weist daraufhin, daß Holtmann dieselbe Position wie Erasmus vertritt: Wunsch nach beiderlei Gestalt, aber Unterwerfung unter die Anordnung der Kirche. JOSTES: Johannes Holtmann, S. 287. Holtmann zählt damit zu den Kreisen, die eine Wiedereinführung des Laienkelches unterstützten. 81 WLM, Ms. 517, S. 412. JOSTES: Johannes Holtmann, S. 287. 82 WLM, Ms. 517, S. 363. JOSTF.S: Johannes Holtmann, S. 284 f. 83 WLM, Ms. 517, S. 79, S. 84. 84 WLM, Ms. 517, S. 78. JOSTES: Johannes Holtmann, S. 287 f. 85 WLM, Ms. 517, S. 78 f., „Et is to mercken dal men gelouet ene hillige kercke to wesen unde nicht mer, welcker al is se in eren litmaten suntyds verscheiden, also dat 80
2. Johannes Holtmanns Unterweisung zum geistlichen
Leben
107
druck eines Vermittlungsbemühens in der beginnenden Glaubensspaltung ist, läßt sich anhand dieser Stelle allein schwer entscheiden. 86 Unabhängig von dieser Frage spiegelt jedoch auch Holtmanns Kirchenbegriff den unbedingten Primat eines liebevollen Glaubens, der als bestimmendes Merkmal des menschlichen Seins aus sich selbst heraus wirkt. 2.2. Das gemeinsame Leben bei Holtmann Anläßlich der Behandlung der Taufe greift Holtmann die Frage nach dem Verhältnis der monastischen Gelübde zur Taufe auf und rechtfertigt in der Zeit der Reformation das gemeinsame Leben als geeignete Form der Hinwendung zu Gott. 87 In der Taufe geht Gott einen Verbund mit dem Menschen ein und verheißt ihm die Rechtfertigung. Der Mensch nimmt die Verheißung an und verspricht die Tötung der Sünden. 88 Dabei tragen die Werke im engeren Sinn nicht zur Rechtfertigung bei, doch hat Gott ein Gefallen am Bemühen des Menschen. 89 Alle Sünde wird im Angesicht Gottes durch den Glauben an Christus vergeben, dessen Opfer den Einzelnen errettet. 90 Die Abtötung der Sünden kann durch stetes Bemühen betrieben werden. Eine Möglichkeit hierzu bietet das gemeinsame Leben, welches die unmittelbare Nachahmung des Lebens der Apostel darstellt. Angesichts der grundlegenden Verpflichtung, die der Mensch mit dem Taufgelübde gegenüber Gott eingegangen ist, vertritt Holtmann den Vorrang der Taufe vor den Gelübden und erläutert deren abgestufte Verbindlichkeit für den Menschen. Dabei liegen Holtmanns Ausfuhrungen typische Kennzeichen des Selbstverständnisses der Brüder und Schwestern vom Gemeinsamen Leben zugrunde. Der Fraterherr spricht den Gelübden jegliche Bedeutung für das Heil des Einzelnen ab und versteht sie als bloßes Hilfsmittel, um mit Gottes Hilfe und Gnade das Versprechen der Taufe
de ene desse wijse holt unde de ander de genne, dat schadet nicht, so veer als enicheit des gelouen (secht Anseimus) unde der mynne geholden wert. " 86 GRUTKAMP: Johannes Holtmann. S. 42, und JOSTES: Johannes Holtmann, S. 281, schließen aus der Nichtbehandlung der strittigen Unterscheidungslehren auf einen solchen versuchten Ausgleich. Allerdings ist ihre Behandlung angesichts des Charakters der Schrift auch nicht unbedingt notwendig. 87 WLM, Ms. 517, S. 320-338. GRUTKAMP: Johannes Holtmann, S. 36, beschränkt sich zu diesem Abschnitt auf die Feststellung, daß Holtmann das Mönchtum verteidigt. Eine Transkription dieses Textabschnittes ist in Anhang 1 beigefügt, s. unten, S. 289295. 88 89 90
WLM, Ms. 517, S. 285 ff. WLM, Ms. 517, S. 302. WLM, Ms. 517, S. 311 f.
108
III. Das Verhältnis zur Reformation
besser erfüllen zu können. 91 Ein besonderer Verdienst ist in ihnen nicht begründet, sondern sie bekräftigen nur den Vorsatz eines Lebens nach den evangelischen Räten. 92 Der Sinn von Keuschheit, Armut und Gehorsam liegt jedoch nicht in der Erhöhung des Gelobenden, sondern allein in der Befolgung von Gottes Geboten zur Erfüllung des Taufversprechens. Die Tugenden von Armut und Gehorsam werden nach Holtmann im Evangelium zudem von allen Gläubigen verlangt und beschränken sich nicht auf die Gelübde der Mönche. Der Gehorsam dient hier der Vervollkommnung der Demut, der Verzicht auf eigenen Besitz der ungehinderten Hingabe an Gott. Dies darf jedoch nicht als ein Akt der Pflichterfüllung, sondern muß mit affectien und begerte geschehen, da derjenige, dessen Seele mit der Abkehr von der Welt beschwert ist, Gott nicht recht lieben und demzufolge nicht selig werden kann. 93 Anders als Armut und Gehorsam ist die Keuschheit ein besonderes Kennzeichen des geistlichen Standes. Am Rand der Handschrift mit „Mercke" versehen, wird die Bedeutung eines Keuschheitsgelübdes gesondert erklärt. Keuschheit ist demnach eine besondere Gabe Gottes. Wer sie gelobt, soll damit sein Hoffen auf Gottes Gnade ausdrücken, um mit deren Hilfe die Enthaltsamkeit auch bewahren zu können. 94 Ist das Gelübde einmal abgelegt, bleibt es für den Einzelnen als selbstauferlegte Bindung verpflichtend, kann jedoch von den Oberen aufgehoben oder verändert werden, wenn es notwendig oder nützlich erscheint. 95 Gottes Gebote und das Taufgelübde bleiben dagegen stets unlösbar. 96 Angesichts dieser ausschließlichen Verpflichtung ist es primär nicht von Bedeutung, in welchem Stand der Einzelne Gott nachfolgt. 97 Vielmehr
91
WLM. Ms. 517. S. 320 f.. ,.Sunder twijvel is de dope grotter, unde al de anderen lofte unde upsate svnt anders nycht, dan eyn behulp to vullenbregen de löffle de up der dope hoichliken geschevn is. Unde ock darumme sollen alle gude gelofte geschevn, se svn wii se svn, up dal wy mit gods hulpe unde gracie uprechtliker unde vullenkomeliker mögen vervullen, dat wij in de dope gelouet heben, unde dal god geboden heft. " 92 Holtmann fügt hinzu, daß die Gelübde allein für ein perfektes christliches Leben nicht entscheidend sein können, da sonst der gesamte weltliche Stand verloren wäre. WLM, Ms. 517, S. 321. Vergleiche hierzu L U I S E A B R A M O W S K I : Johannes Gerson. De consiliis evangelicis et statu perfectionis. In: Studien zur Geschichte und Theologie der Reformation. Festschrift für Ernst Bizer. Neukirchen 1969. S. 65 f. B U R G E R : Aedificatio. S. 176 f. 93 WLM. Ms. 517. S. 322 f. 94 WLM. Ms. 517. S. 323 f. 95 WLM, Ms. 517. S. 325. 96 Zu dieser auch bei Gerson gebrauchten Gegenüberstellung s. B U R G E R : Aedificatio. S. 180 f. 97 WLM. Ms. 517. S. 326 f.: ..Et is en like vele in wat wijse wij leven: ist dat wij gode van herten leven, mynnen unde vruchten. ". hervorgehoben mit „Nota".
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soll er in allen Dingen aus Gottesliebe handeln und sich so über alle Statuten, Regeln und Gewohnheiten stellen. 98 Diese bleiben, setzt man sie in Relation zu den göttlichen Geboten, stets nur von relativem Wert. Es empfiehlt sich daher, die monastischen Gelübde im Inneren vor Gott mit dem Zusatz abzulegen, diese nur soweit befolgen zu wollen, wie es dem einzelnen möglich und den Oberen nützlich erscheint, um einen durch Krankheit oder Alter verursachten Konflikt mit der eigenen Verpflichtung zu vermeiden." Der den göttlichen Geboten und der Taufe untergeordnete Charakter der Gelübde entsprach für Holtmann auch der ursprünglichen Intention der Väter. So gelobt man nach dem Fraterherren in der Benediktsregel die Stabilität des Ortes, die Verwandlung der Sitten und den Gehorsam vor Gott. Zwar sind hier Armut und Keuschheit nicht erwähnt, doch erfordert das Befolgen der Regel in der Praxis auch diese. Mit noch größerer Autorität, weil lange vor Benedikt, hat Augustinus eine Regel für die Priester an seiner Kirche verfaßt, um das gemeinsame Leben der Urgemeinde nachzuahmen und hierzu auch Vorschriften zu Gehorsam und Keuschheit erlassen. Wie Holtmann betont, waren dabei keine besunders professie of geloffte..."WÜ vorgesehen. Sowohl Benedikt als auch Augustinus hätten mit ihren Regeln nur die Voraussetzungen für ein gemeinsames Leben in „...mynnentliker eyndracht unde sedelike vrede 1o gods denste... " 101 schaf98
WLM. Ms. 517, S. 327. WLM. Ms. 517, S. 326. 100 WLM. Ms. 517. S. 328. Vgl. hierzu auch Billerbeck, Bibliothek des Benediktinerklosters Gerleve. Hs. 6. In einer bisher unbekannten Abschrift des Grundt des Fraterleuendes von Gerhard Wilskamp aus der Zeit um 1538/39, die auch den Briefwechsel zwischen dem Herforder Fraterhaus und den Wittenberger Reformatoren enthält, sind die Argumentation des Grundt unterstützende zeitgenössische Marginalien zugefügt. die den Schriften von Luther und Melanchthon sowie der Nürnbergischen Kirchenordnung von 1533 entnommen sind. Der Schreiber glossiert die Rechtfertigung des gemeinsamen Lebens (FRATERHAUS HERFORD 2: S. 145. Z. 13) mit einem Hinweis auf Melanchthons Charakterisierung der altkirchlichen Klöster als Schulen, in denen es keine Gelübde gegeben habe, und bemerkt dazu: „Dar na alse de seden der menschen (wo gewonlick) umsloegen unde ouel gereeden, heft men angefange, de daer sick in de closter begeuen, erstlyck myt gesetten, und dar na myt geloften to verstricken. Der haluen plech men hyr to disputern, van der holdynge unde nalatynge der suluen geloften, van welker saken doctor martvn luther yn der ¡enge geschreuen hefft. " Zu dieser Handschrift und dem Text der Marginalien s. unten. S. 296-301. Vgl. zu den hier angeführten Loci Communes MELANCHTHONS WERKE IN AUSWAHL. Bd. II. Teil 1: Loci von 1521 und 1559. Bearb. v. Hans Engelhard, fortgeführt von Robert Stupperich. Gütersloh 1978. S. 69. 101 WLM. Ms. 517. S. 328 f. Holtmann hebt hier ausdrücklich hervor, daß Augustinus diese Regel als Bischof von Hippo für die Säkularkleriker verfaßt habe, und erst 99
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III. Das Verhältnis zur Reformation
fen wollen, ohne daß ihre Einsetzungen in gleicher Weise wie die göttlichen Gebote verpflichtend seien. Ein Verstoß gegen ihre Vorschriften beinhaltet daher keine Sündenschuld, da sie lediglich menschliche Einsetzungen darstellen. Und Holtmann fügt mit Bezug auf die münsterischen Devotengemeinschaften hinzu: „...so ist ock myt uns. " 102 Verstoßen die Brüder und Schwestern vom Gemeinsamen Leben gegen die Statuten ihrer Häuser, gelten sie das Vergehen mit einer disziplinarischen Strafe nach der Vorgabe ihrer Gewohnheiten ab, die die Abtötung der Sünde und die Brechung des eigenen Willens unterstützen soll. In der Weiterfuhrung der Verpflichtung auf das Taufgelübde knüpft Holtmann in der Folge wieder an die zuvor schon ausgeführte untergeordnete Bedeutung der äußeren Lebensform an. Entscheidend für die Wahl des Standes ist allein, daß der einzelne prüfen soll, in welcher Weise er die Taufe am besten erfüllen kann. Aus diesem Grund zogen auch die ersten Christen in verschiedener Weise in die Wälder und Wüsten, zum Teil als Eremiten, zum Teil in Gemeinschaften lebend. 103 Allein das Bemühen um die Abtötung der eigenen Sünde und die unaufhörliche Lobpreisung Gottes für das Geschenk der Taufe sollen der einzige Lebensinhalt sein. Das erneut formulierte Rechtfertigungskonzept Holtmanns beharrt an dieser Stelle so deutlich wie nirgends sonst in der Unterweisung auf der Heilsnotwendigkeit des menschlichen Bemühens, an dem Gott ein Wohlgefallen hat, so daß er seine eigene Gabe im Menschen mit der Seligkeit krönt. 104 Holtmanns ausführliche Erläuterungen zu der nur für den weltlichen Bereich verbindlichen Regel kennzeichnet zum einen das die gesamte Unterweisung prägende seelsorgerische Interesse des münsterischen Fraterherren gegenüber den Niesing-Schwestern, spiegelt zum anderen aber auch das Selbstverständnis der Brüder und Schwestern vom Gemeinsamen Leben im Münster der Reformationszeit.
später die Mönche diese auch übernommen hätten, „... mer Augustinus was gijn monnick.", WLM, Ms. 517, S. 329. Vgl. zum Streit um die Gründergestalt Augustinus zwischen den Eremiten und den Chorherren, besonders auch den Windesheimern, ELM: Augustinus canonicus - Augustinus Eremita, S. 86 ff. Zur Empfehlung des gemeinsamen Lebens der Weltkleriker als Mittel der Kirchenreform, wie sie Jakobus Philippi, der Bruder des Rektors der Brüder in Zwolle, formulierte, s. N E I D I G E R : Das Dominikanerkloster Stuttgart, S. 62 f. Vgl. auch D I E T E R M E R T E N S : Der Humanismus und die Reform des Weltklerus im deutschen Südwesten. In: Rottenburger Jahrbuch für Kirchengeschichte 11 (1992), S. 11-28. 102 WLM, Ms. 517, S. 330. 103 WLM, Ms. 517, S. 330 f. 104 WLM, Ms. 517, S. 334-338.
2. Johannes Holtmanns Unterweisung zum geistlichen Leben
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So ist die Beschränkung von Regelverstößen auf den disziplinarischen Bereich zunächst geeignet, die sich auf ein Bewußtsein der Unvollkommenheit gründenden Heilsängste der Mater Elisabeth von Drolshagen und ihrer Süstern zu lindern. Mit dem Augenmerk auf der alltäglichen Praktikabilität des gemeinschaftlichen Lebens ist für Holtmann die Mäßigung auf das dem einzelnen mögliche einer strengen, aber veräußerlichten Observanz gegen die Vorschriften vorzuziehen, zumal letztere in seinem Verständnis ohnehin menschliche Einsetzungen sind und daher nicht im selben Maße verpflichten wie Gottes Gebote. Diese Haltung fugt sich nahtlos in Holtmanns Hauptargumentation ein: Eine Glaubenspraxis mit der Konzentration auf die Verrichtung von Zeremonien und Werken auf Kosten eines verinnerlichten, liebevollen Glaubens zu Gott schadet mehr, als sie nutzt. Bezüglich der täglichen Pflichten gilt es, diese nach bestem Bemühen zu erfüllen, aus einem Versäumnis aber keine zu gewichtige Schuld abzuleiten. 105 Eine übertriebene Selbstverpflichtung im Hinblick auf die äußeren Werke des Glaubens läßt, wenn sie mit einem Kausalnexus der Sündhaftigkeit in einem Moment der Schwäche verbunden ist, den einzelnen an Gott verzweifeln und verhindert im Endeffekt Glauben, Liebe und Hoffnung. Holtmann wendet sich daher explizit gegen die Belastung der Seelen mit solcherlei Sündenandrohung: „ Want der sunde heben wij doch vele, darumme lait uns gijne sunde maken, dar gijn en is... ".106 Holtmanns Diskussion vom Wert und den Grenzen der Gelübde spiegelt das genuine Selbstverständnis der Brüder vom Gemeinsamen Leben, die sich unter Verzicht auf eine unwiderrufliche Selbstbindung das in saeculo religiöse vivere als Leitmotiv gesetzt hatten. Grundlegend ist hier die universale Geltung der evangelischen Räte für die Lebensgestaltung aller Christen. Statt der stellvertretenden Nachfolge Christi durch einen gesonderten Stand des Mönchtums wird durch den Anspruch, daß Armut und Gehorsam auch für die in der Welt lebenden Gläubigen verpflichtend sind, die Welt zum Kloster, der Christ zum Mönch. Auch das Verständnis der Statuten als selbstgegebene Satzungen ohne Heils- beziehungsweise Sündenqualität war ein konstitutives Merkmal der Fratergemeinschaften. In der Frühzeit der Devotenbewegung hatte dieser Charakter die Befolgung von gemeinsamen Gewohnheiten außerhalb eines
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Holtmann nimmt hier jedoch mutwillige Verstöße aus. Seine Intention ist nicht, alle menschlichen Vorschriften für beliebig zu erklären, sondern die Gewissen zu erleichtern. Er folgt hier Bernhard von Clairvaux und Johannes Gerson, vgl. B U R G E R : Aedificatio, S. 187 ff. 106 WLM. Ms. 517, S. 327.
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III. Das Verhältnis zur Reformation
der approbierten Orden gestattet. So hat Gerhard Zerbolt von Zutphen gegen den Vorwurf der Gründung einer neuen religio, die seit dem IV. Laterankonzil und dem 2.Konzil von Lyon 1274 verboten war, 107 die brüderlichen Statuten als consuetudines pro assuefactione gerechtfertigt, denen keine Bedeutung eines ius oder die Geltungskraft einer vis coactiva zukomme, sondern mit der Regelung des Lebens innerhalb einer familia zu vergleichen sei. 108 Ein Verstoß gegen sie war rein disziplinarisch, im äußersten Fall mit dem Ausschluß aus der Gemeinschaft, zu ahnden. Den Consuetudines wurde damit bei Zerbolt derselbe Status wie den stabilia des Mönchtums beigemessen, die als äußere Übungen nicht von Gott, sondern von den Menschen eingesetzt seien. Diese dürfen als freiwillig aufgenommene Übungen ex caritate auch von privaten Häusern befolgt werden. 109 Nach dieser Grundlage des brüderlichen Gemeinschaftslebens hielten auch die Unionsstatuten fest, daß die Statuten niemanden ad culpam, sondern nur ad poenam temporalem verpflichteten. 110 Die Brüder banden sich entsprechend nicht durch ein Gelübde, sondern durch eine promissio solita an die gemeinschaftliche Ordnung. 111 Dieses Selbstverständnis der Fraterherren als freie Gemeinschaft eines status medius, der sich in Abgrenzung vom Mönchtum unter Nutzung von privatrechtlichen Instrumenten in einer Bruderschaft konstituierte, fand
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PIERRE MICHAUD-QUANTIN: Universitas. Expressions du mouvement communitaire dans le moyen-age latin (L'Église et l'État au Moyen Age 13). Paris 1970, S. 223231. ELM: Die Bruderschaft vom gemeinsamen Leben. S. 482 ff. 108 ALBERT HYMA: Het traktaat „Super modo vivendi devotorum hominum simul commorantium" door Gerard Zerbolt van Zutphen. In: Archief voor de Geschiedenis v a n h e t A a r t s b i s d o m U t r e c h t 5 2 ( 1 9 2 6 ) . S. 8 7 - 9 1 . b e s o n d e r s 9 0 f. V g l . WANSEM: H e t
ontstaan en de geschiedenis der broederschap van het gemene leven tot 1400. S. 26. 109 HYMA: Het traktaat. S. 94-97. Allerdings galt nach den Unionsstatuten, wie auch zuvor in der Herforder Hausordnung und bei Holtmann, daß ein Versäumnis nicht aus einer Verachtung der Satzungen geschehen durfte. FRATERHAUS HERFORD 2, S. 57 und S. 100. DOEBNER: Annalen und Akten. S. 212. WLM. Ms. 517. S. 327. Das Verständnis von der Verbindlichkeit selbstgesetzter Statuten stimmt hier wiederum mit Gerson überein. Auch dieser sah große Teile der Ordensregeln ohne Legitimation nach göttlichem Recht an. verurteilte aber einen bewußten Verstoß auch gegen die weniger verpflichtenden Teile als ernsthafte Sünde. PASCOE: Orders. Liberty and Reform, S. 507. S. 5 0 9 . 110 DOEBNER: Annalen und Akten. S. 212. Schon LÖFFLER: Nochmals Johannes Holtmann. S. 296. fand bei Holtmann die Statuten des münsterischen Fraterhauses wiedergegeben. 111 DOEBNER: Annalen und Akten. S. 221. Vgl. die alte Herforder Hausordnung, FRATERHAUS HERFORD 2 . S. 9 9 . GABRIEL LE BRAS: L e s c o n f r é r i e s c h r é t i e n n e s .
Pro-
blèmes et propositions. In: Revue Historique de Droit Francais et Étranger 19/20 ( 1 9 4 0 / 4 1 ) . S. 3 3 3 f f .
2. Johannes Holtmanns
Unterweisung zum geistlichen
Leben
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seine theologische Entsprechung bei Johannes Gerson. Holtmann folgt in der gesamten Behandlung der Verbindlichkeit der Regeln und der ursprünglichen Intention der Väter vor allem dessen Schrift De vita spirituali animae.ni Die betonte Sündlosigkeit von Regelverstößen gründet sich so in theologischer Überhöhung des brüderlichen Selbstverständnisses auf Gersons nominalistischer Unterscheidung von göttlichem und menschlichem Recht. 113 Auch die Frage des Verhältnisses der Taufe zu den Ordensregeln wird nach dieser Maßgabe entschieden. Der Mensch soll beide nach ihrem jeweiligen Verpflichtungscharakter halten. 114 In der gleichen Konsequenz wie die Gelübde dem Taufversprechen unterliegen die Ordensregeln dem Evangelium. Dabei werden die Gelübde jedoch nicht generell verurteilt. Im Gegenteil, einmal abgelegt, bleiben sie bei Holtmann wie auch bei Gerson verpflichtend. Ein eigenverantwortlicher Bruch der Gelübde wird ausgeschlossen, ihre Lösung durch die kirchlichen Oberen ist jedoch möglich.115 Auch Holtmanns Argumentation zum rechten Verständnis der Augustinus* und Benediktsregel kann sich auf Gerson stützen. Dieser fuhrt aus, daß die Väter ihre constitutiones nicht als Kerker zusätzlich verpflichtender Gebote, sondern als moniüones salutares, consilia oder mandata temporaliter poenalia verstanden wissen wollten, deren Übertretung disziplinar zu strafen sei.116 Das unter den Zeitgenossen wieder neu aufgekommene Wissen um die Intention der Väter findet nach Gerson lobenswerte Aufnahme in vielen Gemeinschaften, die den rein weltlichen Strafcharakter von Regelverstößen ausdrücklich festhalten. 117 Nicht die Augustiner und Benediktiner selbst, die den ursprünglichen Sinn der geisterfuliten Regeln entstellt haben, sondern die auf die Relativität von menschlichen Vorschriften achtenden Gemeinschaften des späten Mittelalters wie die Brüder vom Gemeinsamen Leben werden damit als Wiederentdecker der alten Freiheit des Evangeliums gepriesen. Bei Benedikt, so hebt der münsterische Fra-
112 GERSON: Oeuvres III. S. 113-202, hieraus besonders die Lectio sexta, S. 191202. S. hierzu BURGER: Aedificatio, S. 187-191. und PASCOE: Orders, Liberty and Reform, S. 503-512. 113 PASCOE: Orders. Liberty and Reform, S. 505 ff. 114 PASCOE: Orders, Liberty and Reform, S. 508. GERSON: Oeuvres III. S. 192 f. 115 WLM. Ms. 517, S. 325 f. GERSON: Oeuvres III, S. 195, S. 197. 116 GERSON: Oeuvres III. S. 197. 117 GERSON: Oeuvres III. S. 197, „Constat autem novissime jam in multis religionibus expresso verbo cautum esse ut vovens regulam nulla transgressione cujusvis humanae suae institutionis reus sit ad noxam sed tantum ad disciplinam ordinis constitutam. "
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III. Das Verhältnis zur Reformation
terherr hervor, „...sweert men nicht, dem men secht allene dus: Ick N loue..."u% Die Väter hätten also mit ihren Einsetzungen niemanden mit Sünden bestricken wollen, „...want also hadde se gedaen tegen de leiffte eres negesten, unde dat wer tegen dat Evangelium unde also solde men er insate nicht holden, want so weer. "U9 Diejenigen Zeitgenossen Holtmanns, die in den Orden diese Unterscheidung von göttlichem und menschlichem Recht nicht beachten oder sogar das Gegenteil behaupten, werden mit dieser Auffassung grundlegend kritisiert, da sie die Regeln nicht nach der Einsetzung durch die Väter halten. Die freie Lebensform der Brüder vom Gemeinsamen Leben versteht sich somit als die ideale Fortsetzung der altkirchlichen Bemühungen um die Realisierung eines am Beispiel Jesu und der Apostel orientierten Lebens, ja sie ist die ideale Möglichkeit der Verwirklichung einer christlichen Perfektion selbst. 120 Damit tritt eine Umordnung der Standesverhältnisse in der spätmittelalterlichen Kirche in Kraft, die nun nicht mehr dem Mönchtum, sondern den freien Gemeinschaften des Semireligiosentums das Anrecht auf die vita perfecta vorbehält. 121 In derselben Weise verfochten auch die Emmericher Brüder 122 oder der Hildesheimer Rektor Peter Dieburg 123 die118
WLM, Ms. 517, S. 327 f. Zu Gersons Programm der Restaurierung der evangelischen Freiheit PASCOE: Orders, Liberty and Reform, S. 509. Gersons sicut a legislatoribus ordinata sunt aut ordinari debuerunt... ", GERSON: Oeuvres III, S. 196, findet sich bei Holtmann wie folgt, WLM, Ms. 517, S. 329: „Unde want men alle sate unde Statuten verstaen sal na der meninge der insetters... ". 119 WLM, Ms. 517, S. 329. Die Verletzung der Nächstenliebe durch die Gelübde ist auch ein von Luther gebrauchtes Argument in De votis monasticis iudicium. Bei ihm bedeutete dies jedoch die Verurteilung der Tatsache, daß sich die Mönche aufgrund ihres Rückzuges aus der Welt nicht mehr hinreichend verpflichtet fühlen, die Bedürfnisse und Nöte ihrer Umwelt zu beachten. Holtmann hält an anderer Stelle hierzu daran fest, daß die Angehörigen des gemeinsamen Lebens nicht mehr auf das Wohl der Eltern verpflichtet seien, WLM, Ms. 517, S. 132. Er schlägt allerdings vor. hierfür geeignete Personen anzustellen. 120 Zum Selbstverständnis der Devoten in der frühen Zeit der Devotio moderna GEORGETTE EPINEY-BURGARD: Saint-Augustine et la „Vie Commune" dans la Dévotion moderne. In: Medioevo 9 (1983), S. 65, auf der Grundlage von Zerbolt von Zutphen. Zu Grootes Ideal des gemeinsamen Lebens s. DIES.: Geert Grotes Anliegen. In: OGE 59 (1985), S. 125 f. KLINKENBERG: Die Devotio moderna unter dem Thema „AntiquiModerni" betrachtet, S. 398 ff., sieht bei Groote nur einen Rückzug aus der Welt und erst bei dessen Nachfolgern den Bezug auf die Urkirche. 121 ELM: Die Bruderschaft vom gemeinsamen Leben, S. 486 ff. GOEGEBUER: Wat is Moderne Devotie?, S. 237 ff. 122 ELM: Die Bruderschaft vom gemeinsamen Leben, S. 489, Anm. 5. ENGEN: Late Médiéval Anticlericalism, S. 51, Anm. 113. Die Handschrift aus der Gymnasialbibliothek befindet sich mittlerweile im Stadtarchiv Emmerich mit der Signatur „13", vgl. HANDSCHRIFTENCENSUS RHEINLAND. Erfassung mittelalterlicher Handschriften im rhei-
2. Johannes Holtmanns Unterweisung zum geistlichen Leben
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sen Anspruch, so daß Holtmann hier als typischer Vertreter des Selbstverständnisses der Brüder im späten 15. und 16. Jahrhundert angesehen werden kann.
2.3. Holtmanns Konzept des gemeinsamen Lebens im Vergleich mit Luther Ein Vergleich des Abschnittes zum gemeinsamen Leben in Holtmanns Unterweisung mit Luthers Sermon von der Taufe aus dem Jahr 1519 fördert neben der Berufung auf das traditionelle Selbstverständnis der Brüder und auf Johannes Gerson eine weitgehende Deckungsgleichheit in Inhalt und Argumentationsaufbau auch mit dem jungen Reformator zu Tage, die sich am deutlichsten in einzelnen fast wörtlichen Übernahmen manifestiert. 124 Luthers positivste Äußerung zum gemeinsamen Leben wie die Reformvorschläge des Kanzlers der Pariser Universität boten damit die Grundlage für die Unterrichtung der Niesing-Schwestern. So übernimmt Holtmann von Luther die stark betonte und alleinige Bezugnahme der monastischen Gelübde auf die Taufe, zu deren bestmöglicher Erfüllung sie dienen. 125 Ebenso folgt aus der alleinigen Verpflichtung auf das TaufVersprechen sowohl für Luther als auch für Holtmann die Beliebigkeit des eigenen Standes, der nur nach seinem Nutzen für die Erfüllung des Versprechens gewählt werden soll. 126 Und auch Holtmanns Empfehlungen bezüglich des Keuschheitsgenischen Landesteil von Nordrhein-Westfalen mit einem Inventar. Hrsg. v. Günter Gattermann. Bearb. v. H.Finger, M.Riethmüller u.a. (Schriften der Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf 18). Bd. 1. Wiesbaden 1993, S. 502. 123 DOEBNER: Annalen und Akten. S. 114. 124 So zum Verhältnis Gelübde-Taufe: „Et vs eyne vrage, wer is de dope, unde de lofte up der dope gedaen grotter, of is de lofte der reynicheit, of de prestorscap [!] of de geistlichen? ", WLM, Ms. 517, S. 320. Bei Luther WA 2: S. 735: „Da her gehoert nu die gemeyne frag, ob die Tauff unnd gelubd, die wir da gott gethan, mehr odder groesser seyn, Dan die gelubd der keuscheit, priesterschafft, geystlicheit. " Vgl. auch Holtmann, WLM, Ms. 517, S. 332 „(Nota) Wat kan men doch hoichliker unde better louen, dan de sunde uth to drijvene, unde to doden, dit leuen to hatene, unde rechtuerdig werden. " Dazu WA 2: S. 736: „...was kan man weyter geloben, dan alle sund vortrevben, sterben, diß leben hassen und heylig werden. " Ebenso zur Selbstprüfung bei der Wahl eines Standes, WLM, Ms. 517, S. 330 f.. und WA 2: S. 735. 125 WA 2: S. 736. WLM. Ms. 517, S. 320. 126 WA 2: S. 735 f. WLM, Ms. 517, S. 326 f.. S. 330 f. Für Holtmann bietet sich das Leben in der Urkirche als Vorbild an. Seine Wertmaßstäbe sind hier von der asketischen Tradition des Christentums bestimmt. Die Ehe ist zwar nicht anzuzweifeln, doch stellt die Keuschheit den ehrenvolleren Stand dar. Wer jedoch einmal die Keuschheit gelobt hat, darf nicht mehr heiraten, ebd.. S. 140 und S. 325. Vgl. hierzu Billerbeck, Bibliothek des Benediktinerklosters Gerleve. Hs. 6. Der Schreiber der Marginalien (als Kommentar zu „De lere der junfferschap und echten stände... ", FRATERHAUS HERFORD
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lübdes, nämlich als ein Bitten und Hoffen um Gottes Gnade, der seine besondere Gabe im Menschen erfüllen soll, gleicht Luthers positiver Deutung der Gelübde von 1519. In exakt derselben Reihenfolge wie Luther führt Holtmann den Gedankengang fort: Man kann nichts höheres geloben als die Taufe, die allerdings dadurch gemindert wird, daß die Menschen nicht auf Gottes Gnadengeschenk, sondern auf die eigenen Werke oder Ablässe vertrauen. Gleichlautend beklagen beide, daß die Menschen damit handeln, als ob sie Gottes Gnade kaufen oder bezahlen könnten. 127 Stattdessen sei es vielmehr nötig, Gott unaufhörlich für seine Gnade zu danken und sich damit im Glauben zu begnügen. Der Befund der weitgehenden Übereinstimmung in dem Taufkapitel mit dem jungen Luther bestätigt die durch den Briefverkehr unter den Fraterhäusern schon anderweitig bekannte starke Anziehungskraft, die dieser in seiner Frühzeit auf die Fraterhäuser ausübte. 128 Angesichts der Tatsache, daß der münsterische Fraterherr seine Unterweisung erst 1539/40 verfaßte, also zu einem Zeitpunkt, als Luther schon lange über seine Auffassung aus dem Sermon von der Taufe hinausgeschritten war, stellt sich jedoch die Frage nach der Ursache für die Unterschiede zwischen dem späteren Luther und Holtmann. Letzterer hält in der Unterweisung an der Verbindlichkeit von einmal geleisteten Gelübden fest und diskutiert auch nicht, ob Gelübde ihrer Natur nach dem Wesen der evangelischen Freiheit widersprechen. Zwar stimmt der von Holtmann vorgeschlagene innere Zusatz zu den Gelübden, diese nur so weit wie möglich und nach dem Gutdünken der Oberen zu halten, mit den von Luther in De votis monasticis iudicium formulierten Gelübdeformeln überein, nach denen das Urteil der Oberen ausschlaggebend für den Vollzug des Gelübdes sein soll.129 Dennoch sucht
2: S. 144. Z. 23) beruft sich zur Rechtfertigung eines keuschen Lebens, das schneller zur Erfüllung des Taufgelübdes führe, auf Luthers Sermon von der Taufe, s. unten. S. 297 f. 127 WA 2: S. 736 f. WLM. Ms. 517. S. 332 f.: ., Wij svn verweert mvt unsen guden werken unde verdensten, unde bekümmert myt vele aflaite ... recht of wij myt unsen werken kopen willen unde betalen syne genade unde barmherticheit. " Vgl. WA 2: S. 736. 38 - S. 737. 3. 128 Dombibliothek Hildesheim. Hs.Ps.23. hinten eingeheftet. Neben den deutschen Häusern suchte auch Hinne Rode, der Rektor der Brüder in Utrecht. Kontakt mit Luther. Zwingli, Bucer und Ökolampad. ROELINK: Moderne Devotie en Reformatie. S. 17. B.J. SPRUYT: Hinne Rode (C.1480-C.1539): het leven en de ontwikkeling van de dissidente rector van het Utrechtse fraterhuis. In: Utrechters entre-deux. Stad en sticht in d e e e u w v a n d e r e f o r m a t i e 1 5 2 0 - 1 6 2 0 . D e l f t 1 9 9 2 . S. 2 1 - 4 2 . 129
WA 8: S. 634. BELL: Divus Bernhardus. S. 223 f.
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Luther hier anhand von Bernhard von Clairvaux die untergeordnete Bedeutung der Regeln und Gelübde zu belegen und daraus folgend die faktische Unmöglichkeit eines rechten Christenlebens im Mönchsstand zu beweisen. 130 Da in der Interpretation des Reformators nach dem großen Zisterzienserabt allein schon Zweckmäßigkeit als Grund für einen Dispens hinreicht, erklärt er die Unlösbarkeit des Keuschheitsgelübdes für wider alle Vernunft. 131 Auch Holtmann geht in der Unterweisung davon aus, daß die Zweckmäßigkeit für die Lösung von einer Verpflichtung hinreichend ist. 132 Beide stehen damit in der Tradition von Bernhards De praecepto et dispensatione, welches in seelsorgerischer Intention den Zisterzienser als Kronzeugen für eine großzügige Dispenspraxis aufrief. Entscheidend für die Interpretation der Übereinstimmung zwischen Luther und Holtmann ist jedoch die Beurteilung der Tatsache, welche Teile der Regeln jeweils angesprochen werden. Luther verstand angesichts der alleinigen Verpflichtung des Menschen auf die Taufe die gesamte Regel als menschliche Satzung. Holtmann spricht an dieser Stelle in erster Linie die beweglichen Teile an, da er bei der Erläuterung der unterschiedlichen Qualität der menschlichen und göttlichen Gebote nur von diesen redet. Gottes Gebote geben nach Holtmann innere Freude und Zufriedenheit und sind von den Kranken leichter als von den Gesunden zu vollziehen. Die menschlichen Satzungen dagegen, also „...vasten, waken, vro upstaen, beden, syngen, arbeiden,... " 133 seien von den Kranken und Alten nicht zu leisten. Da entsprechende Reservationsklauseln im Gelübde hiervon nicht ausdrücklich ausnehmen, soll man sich des angeführten inneren Zusatzes bedienen. Dennoch charakterisiert der Fraterherr zuvor in der Einleitung der Behandlung des Verhältnisses zwischen der Taufe und den Gelübden letztere in ihrer Gesamtheit nur als ein Instrument zur Erfüllung des Taufversprechens. Mit dieser Einschätzung geht Holtmann über Gerson hinaus, der nur Teile der Regeln auf den rein menschlichen Bereich beschränkt ansah. 134
130
BELL: Divus Bernhardus. S. 221 ff. WA 8: S. 633. 132 WLM. Ms. 517, S. 325. Auch Gerson führt dies in De vita spirituali animae mehrfach in diesem Sinn an. vgl. BELL: Divus Bernhardus. S. 225. GERSON: Oeuvres III, S. 193 f.. S. 199. 133 WLM. Ms.517, S. 326. Vgl. BURGER: Aedificatio. S. 179, Gerson erklärt, Fasten. Wachen gehörten nicht zur christlichen Vollkommenheit, wären doch sonst alle ausgeschlossen, die dies körperlich nicht leisten könnten. 134 PASCOE: Orders. Liberty and Reform. S. 507 f. GERSON: Oeuvres III, S. 192 f. 131
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III. Das Verhältnis zur Reformation
Die dem Selbstverständnis der Fraterhäuser entsprechende Auffassung der Statuten als freie, selbstauferlegte Satzungen zur internen Regelung des gemeinsamen Lebens wird von Holtmann auf das Mönchtum übertragen. Während Luther aber die inhärente Ungültigkeit der monastischen Gelübde schlechthin demonstrieren will, sucht Holtmann lediglich die Entstehung von Notlagen, die zur Änderung oder Lösung der Gelübde fuhren könnten, durch einen inneren Zusatz zu vermeiden. Der Fraterherr ist, wie hier abermals deutlich wird, mit Luthers Bedenken vertraut, die in der Tradition Bernhards und Gersons stehen. Wie in anderen Teilen der Unterweisung meidet er jedoch dessen radikale Schlußfolgerungen. Zwar teilt er Luthers Klage über die latente Problematik der Gelübde, doch reicht für ihn ein innerer Zusatz in direkter Hinwendung zu Gott zur Lösung dieses Problems aus. Derjenige, der die Gelübde aus freiem Entschluß und nach Prüfung seiner Berufung abgelegt und dabei sein Hoffen auf die Barmherzigkeit Gottes ausgedrückt hat, bleibt stets an sie gebunden. Leidet man etwa unter der Einhaltung des Keuschheitsgelübdes, ist man allein auf die Hilfe Gottes verwiesen, an den sich der Mensch in festem Glauben und froher Erwartung wenden soll.135 Auch Luther hatte so noch 1519 ein Gelübde als unbedingt verpflichtend ansehen können. 136 Beide sprechen sich dafür aus, daß auch das Keuschheitsgelübde wie Armut oder Gehorsam dispensabel zu sein hat. 137 Der Zusatz zum Gelübde soll bei Holtmann im Gegensatz zu Luther in De votis monasticis Mißstände vermeiden und eine innere Freiheit zur Liebe vorbereiten helfen, nicht jedoch an der Verbindlichkeit von Gelübden zweifeln. Die einzige Möglichkeit der Lösung liegt für ihn in der Dispensation durch die kirchlichen Oberen. Auch Luther hat dies endgültig erst 1520/21 anders beantwortet. Erst nun verschob sich seine Einschätzung des Wesens der Gelübde dahingehend, daß durch sie der Mensch notwendigerweise in Unfreiheit gerät, auch wenn er im rechten Geist gelobt hat. 138 Diese letzte Fortfuhrung von Luthers Auseinandersetzung mit den Gelübden, die Oberman als Erweiterung der theologischen Argumentation durch die ratio charakterisiert hat, 139 steht der Denkweise Holtmanns diametral gegenüber. Während 135
WLM, Ms. 517, S. 325. LOHSE: Mönchtum und Reformation, S. 327. 137 WLM, Ms. 517, S. 325. Die Begründung Holtmanns gleicht der Luthers in De votis monasticis iudicium, WA 8: S. 634. Die Gelübde sollen hinsichtlich ihrer Lösbarkeit gleichgestellt sein. 138 LOHSE: Mönchtum und Reformation, S. 366. STAMM: Luthers Stellung, S. 50 ff. 139 OBERMAN: Werden und Wertung der Reformation. In: Reformatio Ecclesiae, S. 499. 136
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Leben
119
Luther aus der Erfahrung der Mißstände den Schritt vom Reformkonzept zur Aufhebung des Institutes selbst vollzieht, verharrt der Fraterherr auf der ersten Stufe. Nicht der notwendige Verlust der evangelischen Freiheit ist für Holtmann das latente Übel der Gelübde und Regeln, sondern die Belastung der Liebe zu Gott durch die Beschwerung der Seele mit vermeintlichen Sünden aus menschlichen Satzungen. Dies ist durch eine Rückkehr zum ursprünglichen Verständnis der Einsetzungen zu vermeiden. Die Kategorien der Bewertung von Gelübden sind bei Holtmann auf der psychologischen Ebene des täglichen religiösen Lebens angesiedelt: statt einer Auseinandersetzung zwischen Gesetz und Glauben beschränkt er seine Sichtweise einzig auf die Überwindung der Verzweiflung hin zur Liebe. Gelingt dies, ist der unangezweifelt mögliche Sinn des Lebens nach den evangelischen Räten erreicht worden. So gilt entsprechend für die Erfüllung des Keuschheitsgelübdes dasselbe wie für das Taufversprechen: verletzt der Mensch diese, wird ihm im Glauben an das Opfer Christi vergeben. Die Gelübde bleiben trotzdem gut. 140 Die Reserven, die bei Holtmann gegenüber den Gelübden offenbar werden, begründen sich damit auf den potentiellen, nicht den notwendigen Gefahren dieser Institution. Hinsichtlich des stets dominierenden Ziels der Liebe zu Gott sind sie zudem nicht notwendig, da diese in jedem Stand erreicht werden kann. Holtmann steht hier letztendlich der Ansicht Gabriel Biels nahe, der ebenfalls Gelübde und Räte nicht grundsätzlich in Frage stellt, es aber dennoch vorzieht, nicht durch Gelübde zur Notwendigkeit zu machen, was in Freiheit den Möglichkeiten des Einzelnen überlassen werden kann. 141 Die Schlußfolgerung Luthers, der 1520/21 Gelübde wie Mönchtum generell verwirft, ist dementsprechend bei Holtmann explizit gegenteilig nachzulesen: er kennt uprechte cloisterluden und gude geloffte142 Ist deren Existenz auch für Luther lange Zeit vorstellbar gewesen, glaubt er in den Jahren nach De votis monasticis iudicium nicht mehr an die praktische Realisierung eines solchen Ideals. 143 Für den münsterischen Fraterherren sind gude geloffte freie Gelübde, die nach sorgfältiger Prüfung aus freiem Entschluß aufgenommen werden, keine Heilsrelevanz besitzen und dennoch verpflichtend sind. Frei hat hier nicht die lutherische Konnotation „veränderbar", sondern eher „sünden- oder heilsfrei", da sie nicht göttliche,
140 141 142 143
WLM, Ms. 517, S. 324, „De gelofte blift al gelike wal. " OBERMAN: Werden und Wertung der Reformation, S. 68 f. WLM, Ms. 517, S. 323 und S. 320. HALKENHÄUSER: Kirche und Kommunität, S. 61-64.
120
III. Das Verhältnis zur
Reformation
sondern menschliche Satzung sind. Während bei Luther das erste aus dem zweiten folgt, hält der Fraterherr an der Verbindlichkeit der Gelübde fest. Der Unterschied liegt dabei in der systemsprengenden Radikalität des Reformators. 144 Luthers Verständnis von Omne, quod non est ex fide, peccatum est, mündet in der Verwerfung von Gelübden und Regeln, da diese Gesetz und Werk, nicht aber Glauben sind. Holtmann kann gerade aufgrund der Tatsache, daß diese menschliche Satzungen sind, denen man sich frei unterwerfen kann, an ihnen festhalten. Um des Erlangens von Eintracht und Frieden willen soll man sich gehorsam an alle Einsetzungen halten, solange sie der Liebe nicht hinderlich sind.145 Zwar ist auch bei Holtmann die Liebe wichtiger als der Stand und das Handeln zum Lob Gottes besser als alle Regeln und Statuten, 146 befolgt man letztere jedoch als Übung der anzustrebenden Tugenden, erlangen die Gelübde eine mögliche Legitimation. Man kann sich an diese also aus praktischem Nutzen binden. Die Kritik am Mönchtum bleibt damit bei Holtmann auf der Ebene des Vorwurfs einer verfehlten Lebensgestaltung, nicht einer in sich verfehlten Lebensform. 147 Das Mönchtum ist legitim, aber stets in Gefahr, durch die Erhöhung der selbstgewählten Regeln von dem Hauptzweck des gemeinsamen Lebens abgelenkt zu werden. Der Mensch bleibt in Korrelation zu Holtmanns augustinischer Rechtfertigungslehre darauf angewiesen, sein Bestes zu tun und auf Gottes Gnade zu vertrauen. Die Gestaltung dieses Besten innerhalb der Welt ist frei, die für Holtmann vollkommene Form ist das gemeinsame Leben nach den evangelischen Räten. Dieses ist jedoch nicht an die Ablegung der Gelübde gebunden, sondern kann auch in der Welt erreicht werden. Ohne die besondere Verpflichtung von Gelübden ist in der direkten Hinwendung zu Gott nach Holtmann wohl der sichere Weg zu sehen. Entscheidend bleiben letztendlich allein der Glauben und die Liebe. 144
Vgl. HAMM: Was ist reformatorische Rechtfertigungslehre?. S. 3 ff. WLM, Ms. 517. S. 171. 146 WLM. Ms. 517. S. 326 f. 147 Vgl. Billerbeck. Bibliothek des Benediktinerklosters Gerleve. Hs. 6. Der Schreiber der Marginalien zum Gründl des Fraterleuendes verteidigt zu Wilskamps Einleitung über das gemeinsame Leben, vgl. FRATERHAUS HERFORD 2: S. 145, Z. 13, die Möglichkeit eines legitimen Klosterlebens: „Summa summarum: Der beider evn, du motest de meyninge aßeggen, edder du motest den stant verlaten. De loue lydet de meyninge nicht, dat du dorch evn geistlik leuent edder stant woldesl from unde salich werden. De wvle auerst de loue den stant Ivden mach, so ist better de meynynge alse den stant afdon. ", vgl. Luthers Epistel zum Neujahrstag WA 10.1: S. 494 f.. und fährt fort „Solke lere verstoret nicht de closter unde stifte, sunder leret se recht unde christlick dar vn wanderen. " 145
2. Johannes Holtmanns Unterweisung zum geistlichen
Leben
121
Die von Luther proklamierte Freiheit des Standes für ein Streben nach christlicher Perfektion traf den Kernpunkt des Selbstverständnisses der Brüder vom Gemeinsamen Leben, die hier ihre nicht durch Gelübde gebundene Lebensform bestätigt sehen mochten. Die grundlegende Übereinstimmung zwischen dem jungen Luther und dem Devoten des 16. Jahrhunderts bestand in der Auffassung von Regeln und Gelübden als insate und gewonte und ist letztlich nominalistisches Erbe. Für den einen folgt daraus im Zusammenhang mit den erfahrungsgemäß entstandenen Übeln die Verwerfung des gesamten Standes, für den anderen die Notwendigkeit einer Rückkehr zum ursprünglichen Verständnis, vorgezeichnet in der Lebensform der Brüder vom Gemeinsamen Leben. Der entscheidende Faktor für die unterschiedlichen Schlußfolgerungen von Holtmann und Luther ist der Gehorsam des Fraterherren gegenüber der Kirche. Gottes Gebote sind für Holtmann im Einklang mit den kirchlichen Satzungen zu erfüllen, wenn auch erstere den höheren Verpflichtungscharakter haben. Die Einheit der Kirche bleibt unveräußerbares Gut, dem sich alle Streitigkeiten unterzuordnen haben. Nur innerhalb der einen Kirche kann es eine Vergebung der Sünden geben. 148 Nach dieser Prämisse sucht der Fraterherr im Zweifelsfall nach einem Kompromiß. Sein Gehorsam gegenüber der Kirche wird so in der Abendmahlsfrage am deutlichsten. In derselben Weise, wie er auf die Wiedereinsetzung des Abendmahles in beiderlei Gestalt durch die Kirche zu warten bereit ist, vertraut er auch in der Frage der Lösung von Gelübden auf eine Regelung durch die Bischöfe und Oberen.
148
WLM. Ms. 517, S. 78. Die bedingungslose Unterwerfung unter die Kirche als Gemeinschaft der Gläubigen, nicht als historische Institution, ist ein allgemeines Kennzeichen der Devoten, ROELINK: Moderne Devotie en Reformatie, S. 21 f.
3. Die Fraterherren in der spätmittelalterlichen Kirche und der Reformation: Der,, Grundt des Fraterleuendes " von Gerhard Wilskamp Das Bekenntnis der Herforder Fraterherren zur Reformation 1 und Luthers positive Beurteilung des brüderlichen Lebens auf dem Varenkampinghof haben in der Historiographie vielfach Anlaß gegeben, in der Entwicklung von der Devotio moderna zur Reformation nach einer direkten Verbindung zu suchen. So galt das Erkenntnisinteresse der Frage, inwieweit man Luthers Lob der ratio vivendi1 der Herforder Brüder als Hinweis auf die Vorwegnahme des reformatorischen Entwurfs eines rechten Christenlebens in den gelübdelosen Gemeinschaften der Fraterherren deuten dürfe. 3 Die Stellungnahme Luthers wurde dabei veranlaßt durch die Angriffe der Herforder Prädikanten, die nach der Einführung der Reformation im Jahr 1532 auf eine Aufhebung der Brüdergemeinschaft drängten, da sie die klosterähnliche Lebensform der Devoten gemäß Luthers Verurteilung des Mönchtums für gottwidrig hielten. Das Fraterhaus beharrte jedoch auf einem legitimen Fortbestehen innerhalb der lutherischen Stadt und wandte sich um Unterstützung direkt an den Reformator. Die Rechtfertigung des gemeinsamen Lebens der Brüder manifestierte sich in der Apologie Grundt des Fraterleuendes, die von Rektor Gerhard Wilskamp im Jahre 1532 entworfen wurde 4 und deren Bedeutung nach der Intention des Verfassers über einen bloßen Verteidigungscharakter in der Herforder Reformation hinausging. Wilskamp hoffte, die Schrift als Grundlage für das Leben in 1
Zu Herford s. STUPPERICH: Die Herforder Fraterherren als Vertreter spätmittelalterlicher Frömmigkeit in Westfalen. DERS.: Luther und das Fraterhaus in Herford. DERS.: Das Herforder Fraterhaus und die Reformation. DERS.: Das Herforder Fraterhaus und die Devotio moderna. 2
3
FRATERHAUS HERFORD 2 : S. 2 2 2 .
STUPPERICH: Das Herforder Fraterhaus und die Reformation. S. 9 ff. DERS.: Luther und das Fraterhaus in Herford, S. 223. Vgl. ELM: Die Bruderschaft vom gemeinsamen Leben, S. 492. 4 FRATERHAUS HERFORD 2 : S. 1 4 2 - 1 6 1 . Als Verfasser nennt sich Wilskamp in der Summa, einem zusammenfassenden Bericht über die Ereignisse in Herford von 1 5 3 1 / 1 5 3 2 , ebd., S. 2 5 2 . Zusätzlich zur Edition wurde eine Handschrift im Kommunalarchiv Herford, Stadtarchiv, Fraterhaus, o.Sig., herangezogen, die als Konzept zwei Apologien des Herforder Brüderlebens enthält, aus denen der Text der endgültigen Fassung des Grundt des Fraterleuendes zusammengeschrieben wurde. Eine Kurzbeschreibung dieser Handschrift demnächst in HANDSCHRIFTENCENSUS WESTFALEN. Erfassung mittelalterlicher Handschriften im westfälischen Landesteil von NordrheinWestfalen mit einem Inventar. Bearb. v. Ulrich Hinz (Schriften der Universitäts- und Landesbibliothek Münster). Wiesbaden, Veröffentlichung geplant für 1997.
3. Gerhard Wilskamps „ Gründl des
Fraterleuendes"
123
allen Gemeinschaften des Münsterschen Kolloquiums zu etablieren. 5 Wie sehr sich die Herforder Brüder trotz ihres Bekenntnisses zur Reformation innerhalb des Verbandes der Brüderbewegung verstanden, zeigt die Tatsache, daß Wilskamp zwei Exemplare des Grundt an die Häuser in Münster und Hildesheim sandte, die als Visitatoren dem Herforder Haus vorstanden. 6 Ohne an dieser Stelle auf die Auseinandersetzungen einzugehen, die sich in der Kommunalisierung der Herforder Kirche dadurch ergaben, daß die Prädikanten eine einheitliche Kirchenorganisation anstrebten und ein selbständiges Pfarrecht der Fraterherren nicht dulden wollten, 7 soll an Wilskamps Rechtfertigung eines gemeinsamen Lebens in evangelischer Freiheit das Selbstverständnis der Herforder Brüder in der Reformationszeit aufgezeigt werden. Als ein Eckpunkt des hierbei anzulegenden Bezugsfeldes wird Luthers Beurteilung des Mönchtums beziehungsweise eines wahren christlichen Lebens dienen, die mit dem Lebensideal der Herforder Brüder verglichen werden soll. Auf der anderen Seite werden die Darstellung des gemeinsamen Lebens bei Johannes Holtmann und die Traktate De communi vita clericorum von Gabriel Biel8 sowie Super modo vivendi devotorum hominum simul commorantium von Gerhard Zerbolt von Zutphen 9 herangezogen werden, um die Verwurzelung der Herforder Brüder in der Devotenbewegung aufzuzeigen. Die beiden letzten Schriften waren als grundlegende Rechtfertigung des gemeinsamen Lebens der Fraterherren innerhalb der spätmittelalterlichen Kirche angelegt und viele ihrer Argumente werden von Gerhard Wilskamp auch gegenüber der Reformation verwandt. Wie
5
FRATERHAUS HERFORD 2: S. 2 5 3 .
STUPPERICH: D a s H e r f o r d e r F r a t e r h a u s u n d
die
Reformation. S. 20. 6
FRATERHAUS HERFORD 2: S. 2 5 2 f., u n d ebd. 1, S. 1 1 4 ff. D a s n a c h H i l d e s h e i m g e -
sandte Exemplar ist in einer Abschrift von circa 1570 überliefert in Dombibliothek Hildesheim. Hs.Ps.10, fol. 236 r -250 v . Im Jahr 1536 leisteten die Herforder Brüder durch die Schenkung von Büchern Hilfe bei der Wiedererrichtung der nach der Täuferherrschaft vernichteten Bibliothek des münsterischen Hauses, s. HELLMUT RÜTER: Einbände aus der Werkstatt der Herforder Brüder vom gemeinsamen Leben. Mit einem Anhang: Der Bücherbestand der Herforder Fraterhaus-Bibliothek (Hausarbeit am Bibliothekars-Lehrinstitut des Landes Nordrhein-Westfalen). Köln 1969, S. 29-40. S. 47-53, S. 61. Auch aus dem Fraterhaus in Marburg liegen noch zwei Bände eines ursprünglich dreibändigen Alten Testamentes vor. die den münsterischen Brüdern vermutlich nach 1535 übergeben wurden, s. Diözesanbibliothek Münster, Handschriften B 1 2 2 und B 1 2 3. 7 Zu den Auseinandersetzungen um das Pfarrecht der Brüder s. unten, S. 170-175. 8 Ediert bei LANDEEN: Gabriel Biel and the Devotio moderna in Germany, 28, S. 7995. 9
Ediert bei HYMA: Het traktaat. S. 1-100.
III. Das Verhältnis zur Reformation
124
nach dem Bericht von Johannes Busch schon Geert Grote selbst in der Frühzeit die ersten Angriffe auf die entstehenden Devotengemeinschaften zurückgewiesen hatte, 10 so versuchte auch Wilskamp die Übereinstimmung des brüderlichen Lebens einerseits mit der Heiligen Schrift, andererseits mit dem kirchlichen und weltlichen Recht nachzuweisen. Durch den Vergleich der Apologie Wilskamps mit dem traditionellen Selbstverständnis der Brüder im späten Mittelalter, wie es bei Zerbolt, Biel und auch Johannes Holtmann zu Tage tritt, soll es möglich gemacht werden, die genuinen Elemente der Brüder vom Gemeinsamen Leben von den in Herford neu dazugenommenen Lehren Luthers zu scheiden, oder eine eventuelle Nähe beziehungsweise Identität einzelner Bestandteile zu erkennen.
3.1. Das gemeinsame Leben nach dem Vorbild der
Apostelgeschichte
Das gemeinsame Leben der Fraterherren eiferte unmittelbar dem Vorbild der Apostelgeschichte nach, indem es nach dem Beispiel der Urgemeinde in freier Gemeinschaft die evangelischen Räte befolgte. 11 Dieser Vollzug eines perfekten Christentums sollte nicht auf den gesonderten Stand des Mönchtums beschränkt bleiben, sondern darüber hinaus auch Klerikern und Laien ermöglicht werden. Den Anspruch auf eine vollwertige Gleichstellung des freien Brüderlebens gegenüber dem Mönchtum vertraten dabei auch Johannes Holtmann und Gabriel Biel.12 Gerhard Wilskamp berief sich ebenso auf die unmittelbare Nachfolge des Evangeliums durch die Herforder Fraterherren. Dabei basiert im Gründl des Fraterleuendes die Rechtfertigung des gemeinsamen Lebens der Brüder gegenüber der Reformation auf einer Differenzierung zwischen den vor Gott verbindlichen Punkten und den menschlichen Einsetzungen, den nodigen und den vryen dingen der conscientien,u wobei die Fragen der Organisation eines gemeinschaftlichen Lebens dem letzteren Bereich zuzuordnen sind. Auf der Grundlage der nodigen dingen, der Einheit im Glauben und der Kirche, sah Wilskamp im
10
WÄCHTER: Matthäus Grabow. S. 309-313. Zu der Berufung auf die Urkirche im späten Mittelalter LEFF: The Apostolic Ideal in Later Medieval Ecclesiology, bes. S. 81. EPINEY-BURGARD: Saint-Augustine et la „Vie commune" dans la Devotion Moderne, S. 65, S. 74. Vgl. auch Gerhard Zerbolt von Zutphen, HYMA: Het traktaat. S. 33 perfectum vite magisterium est Semper ecclesie primitive actus imitari. .. ". Dieses Idealbild steht auch am Beginn der Unionsstatuten von 1499. s. DOEBNER: Annalen und Akten. S. 209. 11
12
W L M . M s . 5 1 7 . S. 3 2 0 - 3 2 3 . LANDEEN: G a b r i e l B i e l . S. 81 f. V g l . HYMA: H e t
traktaat. S. 13. 13
FRATERHAUS HERFORD 2: S. 142.
3. Gerhard Wilskamps „ Gründl des
Fraterleuendes"
125
Fraterleben auf dem Varenkampinghof die reformatorische Freiheit des Christenmenschen gewahrt und berief sich auf das traditionelle Selbstverständnis der Brüder vom Gemeinsamen Leben, mit dem sich diese vor der Reformation gegenüber dem Mönchtum abgegrenzt hatten. War es in der spätmittelalterlichen Kirche für die Brüder notwendig gewesen, ein gemeinsames Leben außerhalb der Orden in der Berufung auf einen dritten, ebenfalls legitimen Stand zu rechtfertigen, kam es nun darauf an, diesen status medius auch in der Reformation zu behaupten. Wilskamp rechtfertigt die vita communis als generell erlaubte Lebensform auf der Grundlage der Heiligen Schrift mit dem Beispiel der Apostelgeschichte und weiteren Stellen des Neuen und Alten Testamentes. 1 4 Entscheidend für die Wahl der eigenen Lebensform sei allein die für jeden Einzelnen geltende Verpflichtung, Gottes Geboten nach besten Kräften nachzueifern. Wie Johannes Holtmann beharrt damit auch Gerhard Wilskamp auf der Möglichkeit, in Freiheit die der eigenen Disposition am besten entsprechende Lebensform wählen zu können. 1 5 Zur Preisung eines gemeinsamen Lebens innerhalb der Geschichte der Kirche wird in erster Linie Augustinus angeführt. Dieser habe als Bischof von Hippo ein gemeinsames Leben für die Kleriker an seiner Kirche eingeführt und als besonders geeignete Form des Dienstes an Gott empfohlen. 1 6 Wilskamp betont dabei zur Rechtfertigung des Brüderlebens gegenüber der Reformation, daß nach der Einsetzung von Augustinus das gemeinsame Leben frei von den Verstrickungen durch Gelübde gewesen sei. 17 In dem Konzept zum Grundt des Fraterleuendes hatte der Herforder Rektor die Formen der vita communis ausfuhrlich dargestellt: die Dom und Monster, die Collegia und die Canonicksen seien alle zusammen Klöster gewesen, in denen man in geschlossenen Häusern ein einsames Leben geführt habe. Dies sei - gleich dem Vorsatz der Fraterherren - in
christlicher vryheit ane loffte, doch myt upsaet und vriwillige beslutynge na atrwysinge und lere pauli 1 Cor 7 vollzogen worden. " 18 Doch seien die Menschen von dieser ursprünglichen Weise zu ihrem Schaden
14 FRATERHAUS HERFORD 2: S. 145 f. Vgl. auch LANDEEN: Gabriel Biel, S. 79 f., S. 82 f. 15 EPINEY-BURGARD: Geert Grotes Anliegen, S. 125, betont Grotes Auffassung des gemeinsamen Lebens als Mittel zum Zweck. 16
FRATERHAUS HERFORD 2 : S . 1 4 6 f.
17
FRATERHAUS HERFORD 2 : S . 1 4 8 .
18 Kommunalarchiv Herford, Stadtarchiv, Fraterhaus, o.Sig., fol. 18 r ~ v . Diese Darstellung der Anfänge des gemeinsamen Lebens ist eingefügt nach FRATERHAUS HERFORD 2: S. 147. Z.7, Absatz „Alle domstyffte...", der auch im Konzept schon vorhanden ist.
126
III. Das Verhältnis zur
Reformation
abgefallen. 19 Die Brüder haben somit im Verständnis Wilskamps mit ihrer frei gestalteten Lebensform die historische Fehlentwicklung von Profeß und Gelübden vermieden. 20 Wie der Herforder Rektor hatten schon Gabriel Biel und Johannes Holtmann darauf hingewiesen, daß die Augustinerregel erst später von den Mönchen übernommen worden sei.21 Wilskamp wie Biel und Holtmann sahen sich damit zusätzlich zum Vorbild der Urgemeinde in der Tradition der altkirchlichen Klerikergemeinschaften, die in Freiheit ohne Gelübde ein gemeinsames Leben geführt haben. Die Berufung auf das ursprüngliche Verständnis eines gemeinsamen Lebens, welches keinen Anspruch auf einen besonderen Stand christlicher Perfektion begründet, sondern lediglich eine menschliche Einsetzung zur Regelung eines einträchtigen Zusammenlebens darstellt, bildet hier das gemeinsame Fundament der Verteidigungen der Fraterherren. 22 Ein Mißbrauch des gemeinsamen Lebens, wie es für Wilskamp, nicht aber zwingend bei Holtmann und Biel, aufgrund des falschen Verständnisses von Gelübden und Regeln beim Mönchtum besteht, entwertet so nicht generell die Lebensform der vita communis.23 Gegen die Angriffe der lutherischen Prädikanten Herfords, die im abgesonderten Leben der Brüder alle Laster mönchischer singularitas verkörpert sahen, verteidigte der Brüderrektor das gemeinsame Leben der Fraterherren nach den Räten gerade unter Bezugnahme auf die evangelische Freiheit und die Unterscheidung von dem jeweiligen Verpflichtungscharakter göttlichen Rechts und menschlicher Satzungen. Der zweite der beiden Traktate, die als Konzept für die Abfassung des Gründl dienten, bestreitet gleich eingangs eine Spaltung der Kirche in Herford durch die
19
Kommunalarchiv Herford, Stadtarchiv, Fraterhaus, o.Sig., fol. 19 r . Kommunalarchiv Herford, Stadtarchiv, Fraterhaus, o.Sig., fol. 14r: „So heft uns god ok behod vor menschen namen, professien, verbyndvnge und verstryctynge der conscientien, up dat wy nicht knechte der menschen werden, de Christus duer gekoft het, sunder in der fryheit bestaen, dar uns Christus mede gefryet heft. " FRATERHAUS HERFORD 2: S. 160, Zeile 11-13. 21 LANDEEN: Gabriel Biel, S. 85, „ ... non ad monachos licet postea a multis religiosis assumpta sit. " WLM, Ms. 517, S. 329: de hebben dar na de monike angenomen, mer Augustinus was gijn monnick. " Vgl. ELM: Augustinus canonicus - Augustinus eremita, S. 86. 22 Vgl. WLM, Ms. 517: S. 329, „...want men alle sate unde Statuten verstaen sal na der menige der insetters... ". 23 FRATERHAUS HERFORD 2 : S. 1 4 9 . Zu den Unterschieden zwischen Wilskamp und Holtmann beziehungsweise Biel s. unten, S. 1 4 0 - 1 4 2 . Mit demselben Argument hatte Gerhard Zerbolt von Zutphen das Semireligiosentum gegenüber den Angriffen innerhalb der spätmittelalterlichen Kirche verteidigt, HYMA: Het traktaat, S. 16 f. 20
3. Gerhard Wilskamps „ Grundt des Fraterleuendes "
127
Existenz der Fratergemeinschaft. 24 Der von ihnen geführte Name der fraters des gemeynen leitendes bedeutet nach Wilskamp weder ein Zeichen der Absonderung noch eine neuerrichtete Lebensform und sei auch nicht gegen Gott und die Nächsten gerichtet. 25 Nach dem Beispiel Christi und der Apostel sei ein gemeinsames Leben grundsätzlich legitim, so daß auch die Brüder ihrer Kleidung oder ihres gemeinsamen Wohnortes halber nicht als Sekte angegriffen werden könnten. 26 Der Sinn dieses Lebens besteht allerdings nicht in einem besonderen Verdienst, sondern ist nicht mehr als „...eyn myddelwerk...mehr vordelick dan hinderlich thom christendom schafft also die Voraussetzungen für eine bestmögliche Hinwendung zu Gott und hat damit einen praktischen Nutzen. 27 Auch die Keuschheit wird als eine besondere Gabe Gottes dargestellt, 28 die der Mensch nach „...der thosage, loffte und rade Gottes... " 29 befolgen kann. Wilskamp beruft sich dazu auch auf Augustinus und Melanchthon. 30 Wer durch Gottes Gnade die Befähigung zu einem jungfräulichen Leben hat, kann sich die Bewahrung der Keuschheit frei vornehmen. 31 Die Ehe ist für Wilskamp legitim und ehrenvoll, doch ermöglicht die Enthaltsamkeit eine ungestörtere, innige Hinwendung zu Gott. 32 Das gemeinsame Leben ist dabei besonders geeignet, die Gabe der Keuschheit in idealer Weise zu unterstützen, da sie in der Gemeinschaft Gleichgesinnter äußere Gefahren
24 Kommunalarchiv Herford. Stadtarchiv, Fraterhaus, o.Sig., fol. 14r: „To eyrter widerer unterrichtynge unses leuendes is lo weten, dat wy nene secte syn, want wy synt nicht gedeilel van gade edder van der hilgen kercken in ienigen articulen des christlikken louen, edder der sacramenten, darynne de hilge kerk besteit, unde nicht in stede edder cledinge. " 25 Kommunalarchiv Herford, Stadtarchiv, Fraterhaus, o.Sig., fol. 14r. 26 Kommunalarchiv Herford, Stadtarchiv, Fraterhaus, o.Sig., fol. 14 v : „...so können wy ok des fraters names des gemeynen leuendes, der cledinge edder der stede halven nene secte myt der warheit geschulden werden, so wenich, alse Christus myt synen apostoln unde voelheit der louygen sampte den de in pelzen unde zegenvellen hebn in elende gegan der wostenyen, und synt doch nene secte van den louygen geholden, wo seer se ok van den unlouigen vor secten geholden synt. " 27 Kommunalarchiv Herford, Stadtarchiv, Fraterhaus, o.Sig., fol. 14 v . 28
FRATERHAUS HERFORD 2: S. 1 4 3 f., S. 1 4 8 .
29
FRATERHAUS HERFORD 2: S. 1 4 2 f.
30
FRATERHAUS HERFORD 2: S . 1 4 4 f . . S. 1 4 9 .
31
FRATERHAUS HERFORD 2: S . 1 4 9 .
32 FRATERHAUS HERFORD 2: S. 1 4 3 f. Dieselbe Argumentation vertritt der Schreiber der Marginalien in Billerbeck. Bibliothek des Benediktinerklosters Gerleve, Hs. 6, unter Berufung auf Luthers Sermon von der Taufe, s. unten, S. 2 9 7 f. Vgl. WILLEM LOURDAUX: Dirk of Herxen's Tract „De utilitate monachorum". A Defence of the Lifestyle of the Brethren and Sisters of the Common Life. Studies voor Prof. Dr. J.de Smet (Mediaevalia Lovaniensia 10). Löwen 1983, S. 322 f.
128
III. Das Verhältnis zur Reformation
meidet. 33 Wilskamp empfiehlt eine myddel strafe, die zwischen den Extremen liegt: weder soll man dazu drängen in den Ehestand einzutreten noch den Rat der Jungfernschaft verachten. 34 Eine sorgfältige Prüfung der eigenen Berufung allein kann hier den Weg weisen. 35 Die grundlegende Bedingung bleibt für Wilskamp stets die Beachtung der evangelischen Freiheit, um nicht den menschlichen Satzungen, sondern Gott selbst nachzufolgen. 36 In seiner Rechtfertigung eines keuschen gemeinsamen Lebens befindet sich Wilskamp damit in Übereinstimmung mit dem Selbstverständnis der Brüderbewegung. Auch Johannes Holtmann interpretiert die Keuschheit als eine besondere Gabe Gottes, die aus freiem Entschluß mit Gottes Gnade bewahrt werden kann. 37 Die Enthaltsamkeit stellt bei ihm die besondere Eigenschaft und den Schmuck des geistlichen Standes dar, 38 deren Bewahrung die vollkommenere Hingabe an Gott ermöglicht. 39 Die Ehe ist legitim, 40 aber für ein gottzugewandtes Leben weniger dienlich. Wilskamp faßt dies im Grundt mit dem Korintherbrief zusammen: „Endlyken, we fryet, de doit wol, we overst nicht vryet, de doit better. "41 Wie die Keuschheit findet auch die Armut bei Wilskamp ihre Begründung im bestmöglichen Vollzug eines gemeinsamen Lebens im Dienste Gottes. 42 Nach dem Beispiel der Apostelgeschichte ist sie als ein Akt der Entledigung von den Sorgen der Welt wie die Keuschheit geeignet, eine innigere Hingabe an Gott zu bewirken. Mit derselben Begründung empfehlen auch Johannes Holtmann und Gabriel Biel die Besitzlosigkeit. 43 Biel
2: S. 1 4 7 f. Vgl. HYMA: Het traktaat. S i l . Schärfer als in der Luther zugesandten Fassung wendet sich Wilskamp im Konzept des Grundt gegen die Bedrängung durch die neugläubigen Prädikanten. die sich für ihn zum Herren über anderer Glauben machen. Trotz der durch die Keuschheitsgelübde aufgekommenen Mißstände warnt er jedoch davor, vom Ieronimianer zum lovinianer zu werden, wie er es in den Prädikanten verkörpert sah. Kommunalarchiv Herford. Stadtarchiv. Fraterhaus. o.Sig.. fol. 22 r " v . 35 Kommunalarchiv Herford, Stadtarchiv. Fraterhaus, o.Sig.. fol. 21 v . 36 FRATERHAUS HERFORD 2: S. 143. Die Keuschheit wird entsprechend empfohlen nicht dat ick yx ein strick am halse werpe, sunder dartho, dat et wal zyreth. " Auch ebd.. S. 149, „Wenn idt dan gelevet in chrystlvcher vrvheit ... vs und blvvet wall ein lovelick standt tho levende. " 37 WLM. Ms. 517. S. 323 f. 38 WLM, Ms. 517. S. 323. Vgl. LANDEEN: Gabriel Biel, S. 93 f. 39 WLM, Ms. 517. S. 328. 40 WLM, Ms. 517. S. 325 wil he so mach he doer in gaen... 33
FRATERHAUS HERFORD
34
41
FRATERHAUS HERFORD 2: S. 1 4 4 ( 1 C o r . 7 , 3 8 ) .
FRATERHAUS HERFORD 2: S. 1 4 6 . Vgl. die Statuten der Union der Fraterhäuser DOEBNER: Annalen und Akten. S. 238. 43 WLM, Ms. 517, S. 321. LANDEEN: Gabriel Biel. S. 84. 42
3. Gerhard Wilskamps „ Grundt des
Fraterleuendes"
129
nennt hier ein dreifaches Vorbild: zunächst die urkirchliche Gemeinde, dann den Rat des Evangeliums und schließlich den Brauch der Kleriker, die formell oder stillschweigend auf ihren Besitz verzichtet haben. 44 Holtmann betont die Notwendigkeit, diesen Verzicht mit Hingabe und Begehren zu leisten, da sonst die wahre Liebe zu Gott nicht entstehen könne. Um in dieser Armut nicht zur Last der Mitmenschen zu werden, wollen die Brüder gemäß der Mahnung des Apostels Paulus ihren Unterhalt durch eigene Arbeit bestreiten. 45 Das Ideal des gemeinsamen Lebens der Fraterherren beruht damit sowohl bei den altkirchlichen Johannes Holtmann und Gabriel Biel als auch bei Gerhard Wilskamp auf der unmittelbaren Nachfolge des Evangeliums, welches sich nach der Apostelgeschichte als ein direkt auf die evangelischen Räte und die Gebote Gottes bezogenes Leben aller Gläubigen darstellt.
3.2. Die Freiheit des Brüderlebens bei Wilskamp in der Tradition Apologien
devoter
Zur Rechtfertigung des brüderlichen Lebens gegenüber der Reformation betont Gerhard Wilskamp im Grundt des Fraterleuendes stark den freiheitlichen Charakter des Zusammenschlusses im Fraterhaus, der die Brüder den Angriffen der Prädikanten entziehen sollte. Diese Wesensart der Brüdergemeinschaften war bei den deutschen Fraterherren besonders von Gabriel Biel in seinem Traktat De cotnmuni vita clericorum herausgearbeitet worden. Biel verteidigte das Vorhaben der Brüder, ohne die Ablegung von Gelübden ein vollkommenes gottzugewandtes Leben allein in libertate 46 legis Christiane sub uno abbate Christo Jhesu... " anzustreben. Die damit verbundene Ablehnung einer monopolisierten Nachfolge Christi allein in den Orden stützte er auf den Verteidiger der Brüder vom Gemeinsamen Leben vor dem Konzil von Konstanz, Johannes Gerson. 47 Die in der mittelalterlichen Kirche existenten Orden stellten bei Biel nicht mehr einen höherstehenden und allein zur Perfektion befähigenden Stand dar, sondern
44
LANDEEN: Gabriel Biel. S. 84 f.
45
LANDEEN: G a b r i e l B i e l . S. 8 5 . FRATERHAUS HERFORD 2: S. 1 4 6 .
46 LANDEEN: Gabriel Biel. S. 81. Auch ebd.. S. 80. „...rtos ordinem non habere quia neque monachi sumus neque professionem faeimus neque habitum alieuius religionis suseipimus. " OBERMAN: Werden und Wertung der Reformation. S. 58. Vgl. zu Gerson BURGER: Aedificatio. S. 63. 47 Vgl. PASCOE: Orders. Liberty and Reform. S. 509. Vgl. LANDEEN: Gabriel Biel, S. 80. S. 82. und öfter.
130
III. Das Verhältnis zur
Reformation
nur „...facticias quasi ab hominibusfactas. " 48 Die Zugehörigkeit zu ihnen bewirkte damit weder einen besonderen Verdienst noch eine hervorgehobene Stellung vor Gott, da sie lediglich menschliche Einsetzungen vollzogen. 49 Darüber hinaus erhoben die Fraterherren des fortgeschrittenen 15. und des 16. Jahrhunderts nach Biel mit der von ihnen proklamierten Nachfolge des Evangeliums auch Anspruch auf eine unverfälschtere, dem eigentlichen Ideal der Urkirche näherstehende Lebensform als das Mönchtum. 50 Die Legitimation der Religiösen wurde zwar nicht bestritten, doch war es nach der Art der Brüder besser, ohne Zusätze dem Vorbild Christi und der Apostel nachzueifern. 51 Das keusche, gemeinsame Leben in Freiheit von zugesetzten Regeln, direkt nach dem Beispiel der Apostelgeschichte, kennzeichnete die Fraterherren so nach ihrem Selbstverständnis als ordo apostolorum oder ordo discipulorum Christi}2 Biel übernahm zur Behauptung dieses Anspruchs wörtlich einen Passus aus der Verteidigung der Brüder durch Gerson: „...sola religio christiana estproprie vere et anthonomatice dicenda religio... ",53 Nicht die Orden, sondern die sich direkt auf die Apostelgeschichte berufenden Gemeinschaften der Brüder vom Gemeinsamen Leben werden so zu den eigentlichen Nachfolgern Christi. 54 Die konkrete Realisierung eines solchen Vorhabens drückt sich aus in der Anwendung von Rechtsformen zur Organisation des Brüderlebens, die die Möglichkeiten jenseits der Bahnen des Ordenswesens zu nutzen suchten. Das Ideal eines gemeinsamen Lebens in evangelischer Freiheit konstituierte sich daher in dem privatrechtlichen Aufbau der norddeutschen Brüdergemeinschaften nach dem Vorbild einer societas, die aufgrund ihrer juristi48 LANDEEN: Gabriel Biel. S. 80. Vgl. auch Holtmann, WLM. Ms. 517, S. 328, und GERSON: Oeuvres X, S. 70. Zu Gerson vgl. STAUBACH: Christianam sectam arripe,
S. 1 3 1 . 49 Vgl. zu der identischen Haltung bei Lorenzo Valla TRINKAUS: Humanists on the Status of the Professional Religious, S. 674 ff. 50 Die folgende Skizze der Darstellung Biels stimmt weitgehend mit Johannes Holtmann überein. Die Fraterherren zogen dieses Ideal eines gemeinsamen Lebens demjenigen des spätmittelalterlichen Mönchtums vor, da dessen exklusives, mit göttlichem Recht gleichgesetztes Verständnis von Ordensregeln, Profeß und Gelübden in der den Devoten eigenen nüchternen Selbsteinschätzung die Möglichkeiten aller nicht in besonderem Maße von Gott Berufenen überforderte, vgl. zu Geert Grote GOEGEBUR: Wat is Moderne Devotie?, S. 237. 51 LANDEEN: Gabriel Biel, S. 80, „...excellentior est tarnen illa [religio] quam Christus per se et immediate instituit. " 52 LANDEEN: Gabriel Biel, S. 79 f. 53 LANDEEN: Gabriel Biel, S. 80. Vgl. GERSON: Oeuvres X, S. 70. 54 So Zerbolt, HYMA: Het traktaat, S. 23. Vgl. PASCOE: Jean Gerson, S. 165.
3. Gerhard Wilskamps „Gründl des
Fraterleuendes"
131
sehen Konstruktion stets allein dem Bereich des ius humanuni und dem Naturrecht zuzuordnen war. 55 Dies verdeutlicht sich am besten in der Berufung auch auf nichtchristliche Vorbilder wie Aristoteles, Pythagoras und seine Schüler sowie die Essener. 56 Die Fratres verstanden sich als Gemeinschaft, deren Mitglieder socialiter vivunt,57 ohne dabei die Qualität einer Ordenszugehörigkeit zu übernehmen. Sie gehörten damit einem medius vivendi modus58 zwischen Kirche und Welt an, der neben den Bruderschaften auch eine Vielzahl anderer Vereinigungen wie etwa die Hospitalgenossenschaften oder Beginen umfaßte, die auf der Grundlage des Vereinigungszweckes in erster Linie religiös motivierte freie Assoziationen darstellten. 59 Die Mitgliedschaft in einer dieser Vereinigungen war am Ende des Mittelalters die vielfach praktizierte Ausdrucksform einer Frömmigkeit, die sich innerhalb einer Gruppierung mit genau spezifiziertem Zweck ideal realisieren konnte. 60 Die für diesen Stand bestimmenden Merkmale der rechtlichen Organisation und eines genossenschaftlichen Selbstverständnisses verkörperten sich unverwechselbar auch bei den Brüdern vom Gemeinsamen Leben, die sich auf einen kontinuierlich seit der alten Kirche fortgeführten modus vivendi beriefen, 61 der vor allem in Italien nie zu existieren aufgehört habe. 62 Auch nach der seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts einsetzenden Annahme stiftischer Rechtstitel 63 blieb das ursprüngliche Selbstverständnis der Brüder prägend für das innere Leben und die Spiritualität der Fraterhäuser. So spiegeln die Statuten der
55
MICHAUD-QUANTIN: Universitas. S. 65. Zur uneinheitlichen Verwendung der Begriffe societas und cotlegium, ebd.. S. 74. Vgl. HYMA: Het traktaat, S. 12 (Cicero). 56 HYMA: Het traktaat. S. 34 homo enim naturaliter est animal sociale... " (Aristoteles), S. 37 f.. S. 39 f. ELM: Die Bruderschaft vom gemeinsamen Leben. S. 488. Zu den Analogien zwischen dem christlichen Urkommunismus, den antiken Philosophenschulen und den jüdischen Sekten vgl. STAUBACH: Christianam sectam arripe. S. 129 f. ENENKEL: Alciatis bürgerhumanistische Religionskritik, S. 16-20. 57 HYMA: Het traktaat, S. 21 f. 58 LANDEEN: Gabriel Biel. S. 82. 59 ELM: Die Bruderschaft vom gemeinsamen Leben, S. 475 ff. LE BRAS: Les confréries chrétiennes, S. 310, definiert sie als „familles artificielles ... unis par une fraternité
volontaire".
MICHAUD-QUANTIN: U n i v e r s i t a s , S. 7 4 f f . D A V I D H. DIETERICH: B r o -
therhood and Community on the Eve of Reformation. Confraternities and Parish Life in Liège 1450-1550. Ann Arbor 1982, S. 25 f., weist auf die Vorbereitung der Gemeinschaften des Semireligiosentums durch die Hospitäler hin. 60 Vgl. LEBRAS: Les confréries chrétiennes, S. 324 f. 61 HYMA: Het traktaat, S. 36 f. 62 LANDEEN: Gabriel Biel, S. 85. ELM: Die Bruderschaft vom gemeinsamen Leben, S. 4 8 5 f. 63 CRUSIUS: Die Brüder vom gemeinsamen Leben, S. 78-83.
132
111 Das Verhältnis zur Reformation
Union von 1499 die noch im 16. Jahrhundert prägenden zentralen Werte der Freiheit und Liebe unter den Devoten. 6 4 In dieser Tradition brüderlichen Selbstverständnisses berief sich auch Gerhard Wilskamp auf die freie Nachfolge Christi durch die Fratergemeinschafit auf dem Herforder Varenkampinghof. Der Fraterherr kehrte die Verurteilung des Mönchtums durch Luther zugunsten der Brüder vom Gemeinsamen Leben um, indem er nachzuweisen suchte, daß eine Mißachtung der evangelischen Freiheit bei den Fratres aufgrund ihrer besonderen Lebensform nicht vorlag. Das Selbstverständnis des Fraterhauses, in einer freien Gemeinschaft nach selbstgesetzter Ordnung den göttlichen Geboten nachfolgen zu wollen, sollte sie aufgrund der stets eingehaltenen Differenzierung von den notwendigen, gegenüber Gott verpflichtenden und den freien Bereichen des menschlichen Zusammenlebens der lutherischen Kritik am Mönchtum entheben. 65 Die von ihm angesprochenen Punkte spiegeln dabei die von den Prädikanten vorgebrachten Vorwürfe, die sämtlich auf Luthers Verurteilung des Mönchtums gründeten, aus der Sicht des Brüderrektors jedoch nicht auf das Herforder Fraterhaus anzuwenden waren. Die Verteidigungsschrift von Gerhard Wilskamp steht damit in der Tradition früherer Apologien der Fratres und ist gleichzeitig die beste überlieferte Anschauung für die Möglichkeit einer Koexistenz der spätmittelalterlichen Reformkonzeption der Brüder vom Gemeinsamen Leben mit der Reformation Martin Luthers. In der Einleitung des Grundt verweist Wilskamp so auf die Konstituierung der Fratergemeinschaft durch eine donatio irrevocabi/i,66 bei der der Eintretende seinen gesamten Besitz den Hausmitgliedern zum gemeinsamen Eigentum schenkte, im Falle des Austritts jedoch keinen Anspruch auf das ehemals eingebrachte Gut hatte. 67 Diese donatio inter vivos war der grund-
64
DOEBNER: Annalen und Akten. S. 206-245. CRUSIUS: Die Brüder vom gemeinsamen Leben. S. 83. 65
FRATERHAUS HERFORD 2: S.
142.
66
FRATERHAUS HERFORD 2: S.
142.
67
LOURDAUX: Frères d e la v i e c o m m u n e .
Sp.
1442. JÜRGEN SYDOW: F r a g e n z u
Gilde. Bruderschaft und Zunft im Lichte von Kirchenrecht und Kanonistik. In: Gilden und Zünfte. Kaufmännische und gewerbliche Genossenschaften im frühen und hohen Mittelalter. Hrsg. v. B.Schwineköper (Vorträge und Forschungen 29). Sigmaringen 1985. S. 121. verweist auf die kanonistische Begründung bei Johannes Andreae. Vgl. auch ENGEN: Laie Médiéval Anticlericalism. S. 45 f. Zu den Streitigkeiten anläßlich des Herforder Bruders Bertram Preckel vgl. FRATERHAUS HERFORD 1: S. 182 f. Preckel hatte bei seinem Austritt seine resignatio und damit den rechtsgültigen Beweis seines Besitzverzichtes entwendet. Der Regelfall dürfte in einer gütlichen Einigung bestanden haben, wie ihn die Unionsstatuten empfahlen. DOEBNER: Annalen und Akten. S. 220.
3. Gerhard Wilskamps „ Gründl des Fraterleuendes "
133
legende Schritt, der den Brüdern eine dem Vorbild der Apostelgeschichte nachempfundene Besitzlosigkeit des einzelnen ermöglichte. Durch diese Verfahrensweise gelang es ihnen in der Frühzeit der Bewegung, den Status eines Collegiums innerhalb des kanonischen Rechtes zu vermeiden, da eine so geschaffene societas omnium bonorum diese Rechtsqualität nicht besaß. 68 Ein eigentlicher Besitzverzicht, der auch die Entsagung über jede formale Verfügungsgewalt nach Art des Mönchtums, das ius procurandi oder alienandi, impliziert hätte, lag hierbei jedoch nicht vor. 69 Jeder Bruder sollte ex caritate sein Gut ausschließlich zum gemeinsamen Besten verwenden, wobei eine kommunitäre Hauswirtschaft aufgrund dieses Verständnisses auch für gemeinschaftlich Lebende außerhalb der Orden erlaubt war. 70 Mittels der donatio inter vivos bildeten sie eine Gütergemeinschaft auf der Basis eines vertraglich festgehaltenen freien Konsenses, 71 in der das einzelne Haus, nicht der Gesamtverband eines Ordens wie beim Mönchtum, das Eigentumsrecht innehatte. In dieser Konstruktion, der das Vorhaben einer selbständigen Subsistenzsicherung an die Seite gestellt wurde, 72 war der Rücktritt eines Mitgliedes formell jederzeit möglich und hatte seine einzige Beschränkung in der Wahrung des gemeinsamen Besten, so daß die Gefahrdung der Gesellschaft durch eine Entnahme eingebrachten Gutes ausgeschlossen wurde. Melanchthons Anerkennung der brüderlichen Lebensform auf dem Herforder Varenkampinghof basierte in erster Linie auf dieser Form des gemeinschaftlichen Besitzes, da seine Kennzeichnung des Fraterhauses als societas in der beigefugten Übersetzung die selschap der guder meinte. 73
68 H Y M A : Het traktaat. S. 41 f. Vgl. M I C H A U D - Q U A N T I N : Universitas. S. 6 7 . C R U SIUS: Die Brüder vom gemeinsamen Leben. S. 35 f. Der Verzicht auf jedes Privateigentum wurde bei der Aufnahme eines Bruders nicht durch ein Gelübde, sondern durch eine Übergabe an die Gemeinschaft in Gegenwart eines Notars und vor weiteren Zeugen vollzogen, D O E B N E R : Annalen und Akten, S. 219 f. 69 Die donatio inter vivos stellte die vierte Stufe eines sechsgliedrigen Schemas dar, nach dem Gerhard Zerbolt von Zutphen die Möglichkeiten von Besitz beziehungsweise Besitzlosigkeit einteilte, s. HYMA: Het traktaat, S. 24 ff. Vgl. Holtmann, WLM, Ms. 517, S. 323, „De uprechte cloisterluden synt doch vultenkommener in dessen deile, want se affmitten ock die sorge unde egen willen des tijtliken gudes. "
70
71
HYMA: Het traktaat. S. 26. S. 28.
Vgl. zum Beitritt in eine societas per Vertrag A N T H O N Y B L A C K : Council and Commune. The Conciliar Movement and the Fifteenth-Century Heritage. London 1979. S. 203 f. 72 F R A T E R H A U S H E R F O R D 2 : S . 1 5 5 . Vgl. H Y M A : Het traktaat, S . 8 f. Wilskamp wie Zerbolt von Zutphen verweisen diesbezüglich auf das Lob der gemeinschaftlich lebenden Christen in Rom durch Augustinus. 73 F R A T E R H A U S H E R F O R D 2 : S. 1 6 1 . In diesem Sinn gebraucht auch Zerbolt von Zut-
134
III. Das Verhältnis zur Reformation
Grundlegend für die Wahrung d e s freien Charakters der Z u s a m m e n schlüsse in den Fraterhäusern war das Verständnis der H a u s o r d n u n g e n , die als s e l b s t g e g e b e n e S a t z u n g e n keine v o l l e Verbindlichkeit im Sinne v o n Ordensregeln hatten, sondern j e nach ihrer E i g n u n g veränderbar w a r e n und allein der praktischen Organisation dienten. Gerhard W i l s k a m p v e r w i e s in seiner Schrift a u f diesen Charakter der C o n s u e t u d i n e s . 7 4 Mit einem solchen Verständnis der Statuten als consuetudines
specialissima75
o h n e die Impli-
kation einer Heilsrelevanz waren auch die lutherischen A n g r i f f e a u f das M ö n c h t u m , w e l c h e s seine j e w e i l i g e R e g e l höher als G o t t beachte, in B e z u g auf die Brüder hinfällig. 7 6 D i e H e r v o r h e b u n g ihres Charakters als weltliche S a t z u n g für die disziplinare R e g e l u n g eines e n g u m g r e n z t e n
Bereiches
vermied v o n vornherein j e d e n V o r w u r f einer V e r m i s c h u n g v o n g ö t t l i c h e m und p o s i t i v e m R e c h t und beließ beiden ihre j e w e i l i g e Geltungskraft. 7 7 D i e
phen den Begriff der simplex societas, Leben, S. 38 f.
vgl. CRUSIUS: Die Brüder vom gemeinsamen
74 FRATERHAUS H E R F O R D 2 : S. 1 5 9 , „ ... unde gelyck eyn landt landes Recht, Sassen speygel, keyser recht, Eyn stat stades recht unde politiam hebn moth, so behovet ock eyn huiß husrechtes und der economia, schalt in eren freden und walfort bestendich blyven. " Vgl. Holtmann, WLM, Ms. 517. S. 326 f.
75
76
HYMA: Het t r a k t a a t . S. 91.
Der Schreiber der Marginalien in der Gerlever Handschrift des Grundt des Fraterleuendes führt diesbezüglich unter Kürzung der Schriftbelege die Nürnbergische Kirchenordnung von 1533 an, Billerbeck, Bibliothek des Benediktinerklosters Gerleve, Hs. 6, Marginalie zu FRATERHAUS H E R F O R D 2: S. 159, Z.17, Thom vyfften (zu den Consuetudines). Mit der Kirchenordnung verweist er auf die stets zu beachtende Trennung von göttlichem und weltlichem Bereich, in den Worten Wilskamps die vryen und nodigen dinge der conscientien. Nicht jede von Menschen aufgestellte Ordnung sei gegen die Gebote Gottes gerichtet. Dieser habe vielmehr den Obrigkeiten die Herrschaft über die Welt nach eren rade unde verstände überlassen. Wenn ein König aufgrund des göttlichen Auftrags eine wohlbedachte Ordnung erläßt, so sei diese daher als eine ordenynge gades anzusehen. Von Menschen aufgestellte Ordnungen können nicht schädlich werden oder Gottes Wort entgegen stehen, wenn sie sich auf den innerweltlichen Bereich beschränken. Der Erlaß von Satzungen - wie im vorliegenden Fall der Herforder Consuetudines - sei daher nicht nur erlaubt, sondern auch löblich. Darüber hinaus sei es zur Verurteilung von menschen lere auch nicht ausreichend, wenn diese Dinge des Gewissens berührt, die zu Gottes Reich gehören, obwohl sie nicht von Gott selbst aufgestellt sei. Vielmehr sei es zusätzlich notwendig zu beweisen, daß die Lehre auch „... de geweten gefangen genamen hebben ..." oder noch tun werden, also etwa durch die Behauptung eines Verdienstes gegenüber Gott durch die Befolgung der Ordnung. Im umgekehrten Fall gelte auch, daß ein Verstoß gegen eine menschliche Satzung nicht als Sünde betrachtet werden könne. Zum Text s. unten. S. 300 f. Vgl. E M I L SEHLING (Hrsg.): Die evangelischen Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts. Bd. 11: Bayern. Teil 1: Franken. Tübingen 1961, S. 171-173. 77 Vgl. das Konzept des Grundt, Kommunalarchiv Herford, Stadtarchiv, Fraterhaus. o.Sig., fol. 12 v : „Tom vyfften: In den uthwendigen lichamliken dyngen unß
3. Gerhard Wilskamps „ Gründl des Fraterleuendes"
135
Frage des Gehorsams, die zur Wahrung der Eintracht notwendig festzulegen war, wurde dabei in den Fratergemeinschaften ebenfalls nach den Maßgaben einer privatrechtlichen Rechtsform angegangen. So sollte ein bewährter Bruder des Hauses zum Rektor gewählt werden, 78 der jedoch gegenüber den anderen Fratres keine Vorrechte besaß, sondern eine Stellung als par inter pares innehatte. 79 Der Rektor übte keine volle Jurisdiktionsgewalt aus und konnte daher nicht, wie es die Gelübde des Mönchtums vorsahen, auf einem absoluten Gehorsam seiner Hausgenossen bestehen. Die Mitbrüder waren ihm stattdessen nach einer oboedientia caritatis verpflichtet, 80 wobei die Satzungen des Hauses die Richtlinien vorgaben. Die alte Hausordnung der Herforder Fratergemeinschaft auf dem Varenkampinghof hatte dementsprechend empfohlen, daß die Priester die Ratschläge des Rektors willig hören und befolgen sollten. 81 In seinen Korrekturen und Eingriffen sollte dieser jedoch friheit brücken und seine Maßregeln nach dem Hauptziel des geistlichen Fortschrittes des einzelnen ausrichten. 82 In derselben Weise ermahnten die Unionsstatuten den Rektor, bei der Auswahl der Strafe die discretio zu beachten. 83 Die libertas und die Caritas stellten so die bestimmenden Merkmale der Regelung der hausinternen Disziplin dar. 84 Die von Luther verworfenen Gehorsamsgelübde der Mönche werden damit in der Lebensorganisation der Fraterherren gemieden. 85 Ihr Gehorsam sollte stets ex caritate motiviert sein und erstreckte sich nur auf die für das gemeinsame Beste des jeweiligen Fraterhauses relehußhaldinge hebn wy unse gewonte dar tho nodich beschreuen ... ". 78 DOEBNER: Annalen und Akten. S. 216-218. 79 DOEBNKR: Annalen und Akten. S. 224, S. 211. HYMA: Het traktaat, S. 72. Vgl. LEBRAS: Les confréries chrétiennes. S. 339 f. 80 DOEBNER: Annalen und Akten. S. 237. HYMA: Het traktaat, S. 71-78. Die oboedientia caritatis definiert Zerbolt nach Bernhard von Clairvaux in „De praecepto et dispensatione": „Duplex est obediencia, scilicet necessitatis et sufficiens et caritatis et superhabundans", ebd. S. 76. Vgl. auch ebd., S. 78, den Verweis auf die (pseudo-) bernhardischen Epístola ad fratres de monte Dei. die 1 Petr. 1,22 zitieren (castificantes corda in obediencia caritatis). Diese Stelle diente in den Statuten als Leitmotiv, vgl. FRATERHAUS HERFORD 2 : S. 6 0 . 81 FRATERHAUS HERFORD 2: S. 6 0 f.. S. 1 0 3 f. Vgl. LANDEEN: Gabriel Biel, 9 3 , der den Titel Rektor im Gegensatz zu monastischen und stiftischen Titeln nach der caritatis vocabulo begründet. DOEBNER: Annalen und Akten, S. 236 f. ELM: Die Bruderschaft vom gemeinsamen Leben, S. 483 f. 82
FRATERHAUS HERFORD 2: S . 1 0 4 .
83
DOEBNER: A n n a l e n u n d A k t e n .
S. 2 2 4 . V g l . FRATERHAUS HERFORD 2: S .
„...geist der underscheidenheit...", beziehungsweise ebd., S. 62 nis. " 84 ELM: Die Bruderschaft vom gemeinsamen Leben, S. 484. 85 Vgl. BELL: Divus Bernhardus. S. 222 f.
spiritum
106,
discretio-
136
III Das Verhältnis zur
Reformation
vanten Bereiche, wobei der Rektor sich gegenüber den Brüdern ebenfalls auf die Hausstatuten verpflichtete. 86 Mit dieser Regelung der Frage des Gehorsams und dem Verzicht auf den Eintritt in einen besonderen Heilsstand mittels einer professio regulae vermieden die Fratres die entscheidenden Merkmale des Mönchtums, wie sie im kanonischen Recht festgelegt waren. 87 Die Angriffe der Herforder Prädikanten auf die besondere „mönchische" Kleidung der Fraterherren wurden von Wilskamp ebenfalls unter Rückgriff auf das traditionelle Selbstverständnis der Fraterherren abgewiesen.88 Aufgrund der freiheitlichen Grundordnung des Brüderlebens war es den Fraterherren in der spätmittelalterlichen Kirche nicht erlaubt gewesen, wie die Mönche eine einheitliche Tracht anzunehmen.89 Die erste Herforder Hausordnung hatte dem vestiarius der Gemeinschaft eingeschärft, den Anschein einer einheitlichen Kleidung durch die unterschiedliche Ausstattung der Brüder zu vermeiden. 90 In der Reformationszeit argumentierte Wilskamp daher entsprechend den eigenen Lebensgewohnheiten, daß die Brüder der Kleidung keine besondere Bedeutung beimäßen, vielmehr die Fragen von Kleidung und auch Speise allesamt als menschliche Satzungen ansähen, die einer selbstbestimmten freien Regelung durch die Fratergemeinschaft unterlägen.91 Gegenüber den Prädikanten vertrat er die Beliebigkeit der Kleidung für ein wahres Christenleben, um so das Herkommen der Brüder beibehalten zu können. Diese hätten ihre Röcke nach dem Vorbild von in Herford ehemals üblicher Ratsherrenkleidung gewählt und wollten nun bei dieser Gewohnheit bleiben.92 Wilskamp zieht hier die Eigenarten des Fraterlebens aufgrund der Unterscheidung von göttlichem und menschlichem Recht abermals gegen die Vorwürfe der Reformation heran. Menschliche Einsetzungen, und dabei ist die Regelung des gemeinsamen Lebens der Brüder vollständig inbegriffen, sind grundsätzlich frei, solange sie Gottes Wort nicht widersprechen. Letzteres ist jedoch nur der Fall, wenn man ih-
86 87 88
DOEBNER: Annalen und Akten. S. 218. Vgl. HYMA: Het traktaat. S. 100. FRATERHAUS H E R F O R D 2 : S .
156-159.
89
HYMA: Het traktaat, S. 22 f. Gabriel Biel empfahl daher eine der Würde des Klerikerstandes angemessene Form der Kleidung, die jedoch die Insignien des Ordenswesens meiden sollte. LANDEEN: Gabriel Biel. S. 94 f. 90
FRATERHAUS H E R F O R D 2 : S. 7 8 f. u n d S .
1 2 5 . In d e n U n i o n s s t a t u t e n
ist
diese
betonte Haltung nicht mehr vorzufinden, vgl. DOEBNER: Annalen und Akten. S. 232. 91
FRATERHAUS H E R F O R D 2 : S.
159. mit Berufung auf Melanchthon:
dinge ys noch sunde noch rechtverdycheyl 92
FRATERHAUS H E R F O R D 2 : S . 1 5 7 .
tho seilende. "
..In
der
cle-
3. Gerhard Wilskamps „ Gründl des Fraterleuendes "
137
nen eine Heilsrelevanz zuschreibt, sich also durch eine besondere geistliche Kleidung ein Verdienst zu erwerben trachtet. Im Herforder Reformationsgeschehen scheint besonders die kogel, die weitgeschnittene Kapuze, nach der die Brüder in Kassel und Marburg den Namen Kogelherren erhielten, ein besonderer Angriffspunkt gegen die Brüder gewesen zu sein. In dem der endgültigen Fassung des Gründl zugrundeliegenden Konzept hatte der Herforder Rektor daher eine schlichte, einfachen Bedürfnissen angepaßte Kleidung als besonders geeignet für ein gottzugewandtes Leben gekennzeichnet und die kogel der Brüder historisch legitimiert. 93 Gott habe ein Wohlgefallen an denjenigen, die sich bemühen, 94 auch wenn die Kleidung den Menschen nicht fromm machen könne. 95 Daher wollen die Brüder ein für ihr Leben geeignetes Gewand tragen, das ein myddelmatige sein soll, nicht zu kostbar und nicht zu zerrissen, sondern nützlich zum Wärmen und Verhüllen gemäß ihres Standes. 96 Die Kogel wird von Wilskamp in ihren Ursprüngen bis in die Zeit vor Christi Geburt zurückverfolgt, nämlich bis zur Erklärung des Wortes capitium durch Marcus Terentius Varro, 97 um die Üblichkeit dieses Kleidungsstückes lange vor der Existenz des Brüderlebens nachzuweisen 98 und so den Vorwurf einer Absonderung der Frater93
Kommunalarchiv Herford. Stadtarchiv. Fraterhaus. o.Sig., fol. 6 r -l l v . Kommunalarchiv Herford, Stadtarchiv, Fraterhaus. o.Sig.. fol. 8V: „...und wo wal de lichamlike ofnvnge na des apostels worde to wenigen dynge nuth is, so heft sick god doch alle tyd der erbarmet, de sick myt gansen herten to en bekert hebn, unde heft de uthwendige vernedrynge und boitteyken nicht an en verworpen, alsmehn sehn mach an die niniviter und voel andern, de myt vastende bedende in secken asschen unde hären cledern ere Uchammen hebn castyet und demodiget vor gades angesicht, und svnt in gnaden upgenamen... ". 95 Kommunalarchiv Herford. Stadtarchiv. Fraterhaus, o.Sig., fol. 9 r : „So kan ok neen cledvnge den menschen from maken sunder evn from mensch treget eyn themüke cledynge de he myt tuchten drege. " 96 Kommunalarchiv Herford. Stadtarchiv. Fraterhaus. o.Sig., fol. 9 r . Auch fol. l l v : „ Summa aller gesachten van der cledynge is dyt de mevninge, de wyle al to koste! gade und den menschen verdruth, und all to slvm ok eynen myshagen unde aflcer maket, willen wv dat myddel ramen, unde laten de cledynge eyn uthwendich myddel dyngk blyven, wy em wilt uns ok nene conscientien maken ofte maken laten ouer cledinge, so wenich alse ouer ethen unde drenken... ". Dies entsprach der Kleidung, die Zerbolt von Zutphen für den status medius als angemessen betrachtete: einfacher und demütiger als die Kleidung der Weltlichen, aber deutlich unterschieden von einem Ordenshabit. 94
HYMA. Het traktaat: S. 23. 97 Vgl. M . TERENTI VARRONIS D E LINGUA LATINA QUAE SUPERSUNT. Accedunt Grammaticorum Varronis Librorum Fragmenta. Recenserunt Georgius Goetz et Fridericus Schoell. Leipzig 1910, 40 (Liber V. 131). 98 Kommunalarchiv Herford. Stadtarchiv. Fraterhaus, o.Sig.. fol. 10r. Dazu verweist Wilskamp darauf, daß die Kogel in einer Kölnischen Chronik aus dem Jahr 1262 belegt und am Chor des Herforder Münsters und in anderen Kirchen abgebildet sei. In Herford
138
III. Das Verhältnis zur
Reformation
herren zu entkräften. Das Grundprinzip der Apologie Wilskamps, die Heranziehung der Eigenheiten des Fraterstandes gegen die Angriffe der Prädikanten, wird hier durch die Berufung auf die ersten Brüder um Geert Grote in Deventer in dem Jahr 1380 vollends offenbar." Auch eine Zusammenstellung entsprechender Erklärungen aus den Patristikern, die zu einfacher Kleidung ermahnen, soll den Gebrauch der Brüder legitimieren.100 In derselben Berufung auf menschliche Gewohnheiten reklamierte Wilskamp noch lange nach der Verfassung des Grundt im Jahr 1538 die grundsätzliche Freiheit der selbsterwählten Satzungen. Anläßlich der Rückkehr zu alten Fastengewohnheiten, die die Fratres under den namen christlicker fryheit 1532 in Übereinstimmung mit der Stadt abgelegt hatten, betonte er die Irrelevanz der von der Gemeinschaft befolgten Gewohnheiten für das Seelenheil, solange diese nicht gegen den Glauben verstießen. In Verwahrung gegenüber der Unterstellung eines falschen Verständnisses vom Sinn des Fastens beharrte er darauf, daß die Brüder dieses nicht aus der besonderen Erwählung von Fastentagen oder Speisen wieder eingeführt hätten, sondern nur aufgrund der Empfehlung in der Heiligen Schrift.101 Wilskamps Verteidigung gegenüber den Angriffen der Herforder Prädikanten folgte damit weitgehend der traditionellen Argumentationsweise devoter Apologien, die unter Betonung der besonderen Rechtsfigur der Brüdergemeinschaften ihre formelle Unbedenklichkeit herausstellten und ihren frommen Zweck, die unmittelbare Nachahmung der Urkirche, betonten. Diese Darstellung des Wesens der Fratergemeinschaften entsprach somit den Bedingungen, unter denen die Kirche des hohen und späten Mittelalters die Bildung freier Assoziationen zugelassen hatte: Diese sollten causam religionis und in recta intentio begründet sein.102 War es im ausgehenden 14. und im 15. Jahrhundert für die Brüder eine besondere Notwendigkeit gewesen, die innere Ordnung ihrer Gemeinschaften auf einer genos-
tragen zudem noch andere Einwohner eine Kogel zum Schutz vor Kälte und Nässe, ebd., fol. 9 V . 99 Kommunalarchiv Herford, Stadtarchiv, Fraterhaus, o.Sig., fol. 10r: „Nu en kan io de nam nicht syn vor dem dynge dat men noemet, so moth capitium ok eyn cogel vor Christus tyden gewest und geheiten hebn, unde wal xii (!) hundert iare vor der frater leuent ym bruke gewest syn, want der ersten fraters hebn to deventer begonnen im iare 1380, wy auerst hyr to hervorde im iare 1428. " 100 Kommunalarchiv Herford, Stadtarchiv, Fraterhaus, o.Sig., fol. l l r " v . Angeführt werden Augustinus, Hieronymus, Ambrosius und Johannes Chrysostomus. 101
102
FRATERHAUS HERFORD 2: S. 1 3 8 .
LE BRAS: Les confréries chrétiennes, S. 344. MICHAUD-QUANTIN: Universitas, S. 229 f. ELM: Die Bruderschaft vom gemeinsamen Leben, S. 482. SYDOW: Fragen zu Gilde, Bruderschaft und Zunft, S. 120.
3. Gerhard Wilskamps „ Gründl des Fraterleuendes"
139
senschaftlich geprägten Ethik zu gründen und Caritas, libertas und fraternitas als Ideale des menschlichen Zusammenlebens zu definieren, so waren diese Eigenschaften des devoten Lebens doch auch direkt dem Evangelium entnommen und religiös fundiert. Neben dem säkularen Charakter der zwischenbrüderlichen Liebe stand unlöslich damit verknüpft stets auch die Hinwendung des einzelnen zu Gott. Die Universalität ihres Anspruches, wie die Apostel in der Welt ein vollkommenes gottzugewandtes Leben zu fuhren, fand so seinen idealen Ort in einer Bruderschaft, die das gemeinsame Leben zu ihrem Vereinigungszweck erkoren hatte und die Ambivalenz dieser zentralen Werte in Rechtsfigur und Spiritualität verkörperte. Gegenüber der Reformation bot dieses Selbstverständnis die Möglichkeit, sich auf den privatrechtlichen Charakter des Zusammenschlusses zu berufen und damit als legitime, wenn auch besondere Form des frommen Lebens akzeptiert zu werden. Die Wittenberger Reformatoren erkannten den Charakter des Herforder Fraterhauses. Die Auffassung des gemeinsamen Lebens als Übung im Glauben innerhalb einer freien Gemeinschaft stellte die von Luther gelobte ratio vivendi des Herforder Fraterhauses dar. Er sprach dem Fraterrektor seine Hochachtung für das institutum vivendi der Herforder Fratres aus, welches als privata domus dem evangelischen Glauben nachfolge. 103 Auch Melanchthon schloß sich diesem Urteil über die Rechtsform des Hauses an, welches er als societas und damit als res licita ansprach. 104 Zusätzlich zu dem Nachweis der formellen Unbedenklichkeit des Brüderlebens aufgrund seiner Rechtsfigur war es für Wilskamp unerläßlich, auch eine positive Übereinstimmung hinsichtlich der Einheit im Glauben und der Kirche zu betonen. Zu diesem Zweck stellte Wilskamp in der Einleitung des Grundt, stärker als dies in der Vorrede der Herforder Hausordnung und in den Unionsstatuten der Fall war, besonders die Beachtung der christlichen Freiheit, der Gabe Gottes und der Anweisung der Heiligen Schrift in den Vordergrund, 105 und faßte damit das kommunitäre Ideal der Brüder in einen neuen, reformatorischen Rahmen. Luther hatte aufgrund des seit langem geführten Briefwechsels mit dem Fraterhaus und der Dar-
103
FRATERHAUS HERFORD 2 : S . 2 4 4 .
FRATERHAUS HERFORD 2 : S . 161. E L M : Die Bruderschaft vom gemeinsamen Leben, S. 491. 105 Anstelle der Heiligen Schrift, FRATERHAUS HERFORD 2 : S. 1 4 2 , findet sich in den Statuten der Verweis auf die Canones sowie die Regeln und Einsetzungen der Väter, ebd.. S. 57, S. 99. Ebenso fallen die Vorschriften zur Messe und den kanonischen Hören weg, ebd., S. 175. Vgl. die Statuten, ebd., S. 108 f. 104
140
III. Das Verhältnis zur
Stellung des Gründl des Fraterleuendes bigkeit der Brüder. 106
Reformation
keine Zweifel an der Rechtgläu-
3.3. Freiheit und Gelübde bei Holtmann und Wilskamp In der vergleichenden Untersuchung des Grundt des Fraterleuendes ist die Verwurzelung der Wilskampschen Rechtfertigung des freien Brüderlebens in dem genossenschaftlichen Selbstverständnis der Fraterherren deutlich geworden. Für Luthers Beurteilung des Existenzrechtes der Brüdergemeinschaft auf dem Varenkampinghof bot die Rechtsfigur der Fratres die Grundlage einer prinzipiellen Unbedenklichkeit, zu der sich seitens der Herforder Brüder notwendig ein Bekenntnis zur Lehre des Wittenberger Reformators gesellen mußte. Von einer Verbindung a priori zwischen der Devotio moderna und der Reformation im Sinne einer logischen Kausalität kann daher auf der Grundlage des Herforder Beispiels nicht gesprochen werden. Die Freiheit des Brüderlebens meinte nicht automatisch die Freiheit des Christenmenschen im reformatorischen Sinn.107 Das traditionelle devote Verständnis von „Freiheit" bei Holtmann, der sich in seiner Unterweisung auf Gerson beruft, und das von Wilskamp, der Luther folgt, steht in jeweils unterschiedlichem Kontext. Ersterer legte den Schwerpunkt seiner Betrachtungen auf die Erlangung der reinen Liebe zu Gott durch das einzelne Mitglied der Fratergemeinschaften. Zu diesem Zweck stellt die Freiheit ein förderliches Element dar. Der Mensch bleibt dabei stets der viator, der an der Gnadenerlangung mitwirkt. Wie bei Gerson ist damit bei Holtmann alles auf den fruchtbaren Aufbau einer religiösen Persönlichkeit bezogen. 108 Unfreiheit bedeutet hier die latente Behinderung der Liebe zu Gott - die als Essenz des geistlichen Lebens über den menschlichen Satzungen thront - durch als bedrückend empfundene Regeln. Da die Regeln und Gewohnheiten eines gemeinsamen Lebens letztendlich nur zur Erlangung dieser Liebe geleiten sollen, werden sie in dem Moment verwerflich, in dem sie das Gegenteil bewirken. 109 In diesem Sinn hielt Gabriel Biel die Gelübde und Regeln der Mönche nur für eine besonders ausgestattete Minderheit
106
V g l . d i e B r i e f e L u t h e r s in FRATERHAUS HERFORD 2 u n d STUPPF.RICH: L u t h e r u n d
das Fraterhaus in Herford. 107 OBERMAN: Werden und Wertung der Reformation. S. 69 f. 108 Vgl. ABRAMOWSKI: Jean Gerson. S. 65 f. BURGER: Aedificatio. S. 48 f.. S. 62 f. 109 Holtmann folgt hier weiter Gerson. über den hinaus sich eine Traditionslinie bis hin zu Bernhard von Clairvaux ergibt, s. PASCOE: Orders. Liberty and Reform. S. 509 f. BELL: Divus Bernhardus. S. 221. S. 225 f.
3. Gerhard Witskamps „ Grundt des
Fraterleuendes"
141
unter den Menschen für nützlich, 110 bestritt jedoch nicht ihre grundsätzliche Legitimität. Wie bei Luther ist hier mittels der ratio die in den Mißständen im Ordenswesen manifeste historische Erkenntnis für die Beurteilung der Gelübde entscheidend. Die Konsequenz Biels war jedoch weniger radikal, da im Gehorsam gegenüber der Kirche deren Gesetzgebung nicht in Frage gestellt wurde. 111 Auch Johannes Holtmann vertrat nicht die immanente Ungültigkeit von Gelübden, wußte aber um die geistliche Notlage, in die der einzelne durch sie kommen konnte. So stellte sich für ihn im Konfliktfall als einzige Lösung dar, daß sich der Betroffene noch entschlossener Gottes Gnade anbefahl. Die freiwillige Unterwerfung unter eine Regel, die nach ihrer Annahme verbindlich war, obwohl sie keinerlei Heilsrelevanz besaß, blieb für Holtmann stets denkbar. 112 Der entscheidende Faktor der Beurteilung durch den münsterischen Fraterherren war der latent vorhandene kontraproduktive Effekt von Gelübden innerhalb der Frömmigkeitspraxis, die Kategorie der Bewertung anthropologisch-psychologischer Natur. Die im Ordenswesen konstitutiven Gelübde erschienen daher zur Realisierung des Hauptzweckes der Fratergemeinschaften, der Erlangung der reinen Liebe, nicht opportun, da sie nicht nur als ohne Nutzen, sondern in den meisten Fällen sogar als hinderlich angesehen wurden. 113 In der grundsätzlichen Verwerfung der Gelübde ging Luther einen entscheidenden Schritt weiter als die Brüder vom Gemeinsamen Leben wie Holtmann oder Biel. Für den Wittenberger Reformator war die Freiheit als Frucht des Opfers Christi eine konstitutive Qualität des Christenmenschen, die durch die Gelübde der Mönche mißachtet wurde. Diese widersprechen nicht nur dem Sinn menschlicher Einsetzungen, sondern Gottes Wort selbst und sind daher notwendigerweise zu brechen. Die von Menschen dem Evangelium zugesetzten Regeln leugnen bei Luther zwangsläufig das Geschenk der Freiheit. Auch Gerhard Wilskamp vertrat den radikaleren Standpunkt Luthers. Das Mönchtum ist bei ihm nicht lediglich eine latent gefährliche, weil nur für wenige geeignete Lebensform, sondern ein in sich verwerflicher Stand, der die evangelische Freiheit mißachtet. Die Fraterherren in Herford, worauf Wilskamp in diesem Zusammenhang explizit verweist, lehnten daher die Leistung von Gelübden bei Neuaufnahmen in ihre
110
LANDEEN: Gabriel Biel. S. 82. Vgl. LANDEEN: Gabriel Biel. S. 71 f. OBERMAN: Der Herbst der mittelalterlichen Theologie. S. 369 ff. 112 WLM. Ms. 517. S. 324 de gelofte blift al gelike wal. " 113 WLM. Ms. 517. S. 323. S. 327. LANDEEN: Gabriel Biel. S. 81 f.. mit der Schlußfolgerung „Non omnia possumus omnes ". ebd.. S. 82. 111
142
III. Das Verhältnis zur
Reformation
Gemeinschaft ab, um die Freiheit aus Christi Opfer zu bewahren. 114 Könnte dies allein noch als eine weitere Entsprechung zwischen der Rechtsfigur der Fraterhäuser und der Reformation gedeutet werden, die Wilskamp lediglich zur formal-rechtlichen Verteidigung des Hauses hätte anfuhren können, 115 so konkretisiert seine Stellungnahme zu einem Gelübde der Keuschheit doch die lutherische Position. Hier wird auch die Differenz zwischen Gerhard Wilskamp und Johannes Holtmann deutlich. Während letzterer an der Möglichkeit eines Keuschheitsgelübdes festhielt und als Hoffnung auf Gottes fortwährende Gnade ansah, 116 lehnte Wilskamp dies von vornherein ab, da die Keuschheit von Gott weder ge- noch verboten sei. 117 Eine verpflichtende Bindung an ein von Gott als frei bestimmtes Element widersprach hier für Wilskamp im Sinne Luthers dem Evangelium. Der Rektor pries damit den Verzicht der Brüder auf ein Gelübde, der in den Anfangen der Fratergemeinschaften mit der Empfehlung eines dritten Weges verbunden und rechtlich eine Notwendigkeit gewesen war, nicht mehr mit dem genossenschaftlichen Selbstverständnis der spätmittelalterlichen Brüderbewegung, sondern mit der reformatorisch verstandenen evangelischen Freiheit. Der Vollzug dieser Positionen in der täglichen Lebenspraxis der Fratres vermag den Unterschied zwischen Wilskamp und Holtmann in seinen Konsequenzen zu illustrieren. Die Bezugnahme der libertas des Brüderlebens auf das allgegenwärtige Ziel der puritas cordis erfuhr unter der Regie Wilskamps mit dem Bekenntnis der Herforder Brüder zur Reformation einschneidende Veränderungen. Ein Vergleich der Herforder Statuten aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts auf der einen Seite mit dem Grundt und einer Neubearbeitung des ersten Teils der Herforder Hausordnung" 8 auf
114 FRATERHAUS HERFORD 2: S. 160. In einem Brief an Luther aus dem Jahr 1534 weist er nochmals auf diesen Sachverhalt hin, ebd.. S. 239. 115 Die Herforder Hausordnung aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts hatte den Verzicht auf Gelübde festgelegt, FRATERHAUS HERFORD 2: S. 96, S. 131. Auch die Unionsstatuten von 1499 hatten unter anderem zur Bedingung für eine Aufnahme in die Bruderschaft gemacht, daß der Betreffende kein Gelübde abgelegt haben durfte. DOEBNER: Annalen und Akten, S. 219. 116 WLM, Ms. 517, S. 325. 117 FRATERHAUS HERFORD 2: S. 148. Im Konzept zum Grundt wird dies abermals schärfer ausgedrückt: „... undgelick vorhin Sick voel hebn der lunferschap angenamen myt heften, und synt dar schendigen afgevallen, de wile se buthen der schrift her louet hadn, dat se nicht in eren hendn hadn. ", Kommunalarchiv Herford, Stadtarchiv, Fraterhaus, o.Sig., fol. 22 v . 118
FRATERHAUS HERFORD 2: S.
175-181.
S t u p p e r i c h datiert auf die Mitte
des
16. Jahrhunderts. Aufgrund der Übereinstimmungen mit den kurzen Ausführungen des
3. Gerhard Wilskamps „Grundt des Fraterleuendes"
143
der anderen Seite fördert dies zu Tage. Der Abschnitt zu den geistlichen Betrachtungen in der methodischen Meditation, die zum inneren Fortschritt des Einzelnen anleiten sollten und in der alten Hausordnung als Notwendigkeit für die Rechtfertigung deklariert waren, 1 1 9 fiel im 16. Jahrhundert ersatzlos weg. Das Programm des spirituellen Aufstiegs durch die kontinuierliche Verinnerlichung und Vergegenwärtigung ausgewählter Stoffe war damit bei den Herforder Brüdern der allein rechtfertigenden Gnade Gottes gewichen. Die neu bearbeitete Hausordnung des 16. Jahrhunderts empfahl anstatt erbaulicher Schriften wie der Kollationen Cassians, dem Leben der Väter oder der Predigten Bernhards die Lektüre der Postillen und Katechismen von Luther, Spangenberg, Huberinus, Corvin oder Brenz. 1 2 0 Stand im 15. Jahrhundert bei der Auswahl der Lektüre noch die geistige Erbauung des einzelnen Hausmitglieds im Vordergrund, sollten nun hauptsächlich Erklärungen der Heiligen Schrift herangezogen werden, die für die Predigt und Unterrichtung nützlich sein konnten. Die Behauptung des gemeinsamen Lebens nach der Reformation implizierte damit bei den Herforder Brüdern die Aussonderung von altgläubigen, nicht dem reformatorischen Verständnis des Evangeliums gemäßen Elementen, die zuvor für den Lebensvollzug der Devoten konstitutiv gewesen waren. Die grundlegende Berechtigung eines keuschen und gemeinsamen Lebens wurde jedoch weiterhin aufrecht erhalten, solange es unter Bewahrung der evangelischen Freiheit geführt wurde. Dennoch sind auch bei Wilskamp Anhaltspunkte für eine Auffassung feststellbar, daß die Keuschheit und Armut nach dem Neuen Testament als Räte und damit als eine höhere Stufe des christlichen Lebens empfohlen werden. 1 2 1 Dabei wird ein Leben nach den Räten nicht unmittelbar auf die Rechtfertigung bezogen, sondern nach seinem Nutzen für die Praktizierung eines geistlichen Lebens beurteilt. 122 Dieses wird somit bei Wilskamp, wie auch durch Holtmann, in dem traditionellen Selbstverständnis der Devotio moderna als der verläßlichere Weg
Grundt. ebd. S. 159 f., wird man jedoch annehmen können, daß diese Gewohnheiten schon 1532 beachtet wurden. 119
FRATERHAUS HERFORD 2 : S. 1 1 2 f.
120
FRATERHAUS HERFORD 2 : S. 1 7 5 f. V g l . e b d . . S. 1 1 2 f f .
121
FRATERHAUS HERFORD 2 : S. 1 4 7 , S. 1 4 9 . V g l . W L M , M s . 5 1 7 , S. 3 2 3 . LANDEEN:
Gabriel Biel, S. 83. Vgl. auch Kommunalarchiv Herford, Stadtarchiv, Fraterhaus, o.Sig., fol. 23 r : Auch die Keuschen werden von Gott versucht, müssen jedoch hiergegen kämpfen, denn „ ...nummant kan gekronet werden, he stryde dan ridderlicker mathen. " 122 In derselben Verbundenheit zu der mittelalterlichen Terminologie bezeichnet Wilskamp das Fraterhaus auch einmal als „...kloster...", FRATERHAUS HERFORD 2 : S. 160.
144
HI. Das Verhältnis zur
Reformation
zum Seelenheil verstanden, 1 2 3 wie es Luther auch 1519 noch im Sermon von der Taufe vertreten konnte. Auch in diesem Punkt waren die Herforder Brüder dem ursprünglichen Charakter der Fraterbewegung verbunden, die den Vorsatz des religiöse vivere zwar außerhalb der Orden, aber dennoch mehr als die saeculares verwirklichen wollten und diesen gegenüber dem Stand einer religio largo modo angehörten. 1 2 4 Das gemeinsame Leben ex caritate sollte die Brüder auch in der Reformationszeit anleiten, hingebungsvoller den Geboten Gottes zu folgen und die Welt zu verachten. Die Gleichwertigkeit aller Berufe vor Gott, wie sie Luther nach 1519 entwikkelte, ist hier nicht vollständig mitvollzogen. Die Kritik Melanchthons an dem Gründl des Fraterleuetides bezog sich auf diese Bewertung des Fraterlebens durch Wilskamp: „ Vellern potius dici hanc societatem esse rem licitam quam vel consilium vel perfectionem. " 1 2 5 Melanchthon schloß sich damit zwar der grundlegenden Argumentation Wilskamps zur Legitimität des Fraterlebens an, lehnte aber schon eine nur ansatzweise zu erkennende Höherbewertung des gemeinsamen Lebens in der christlichen Gesellschaftsordnung ab. Noch 1534 antwortete Melanchthon den Brüdern auf ihre Bitte um Unterstützung nur ausweichend. 1 2 6 Luther entsprach dagegen wie schon 1532 dem Wunsch Wilskamps nach einer Gutheißung der brüderlichen Lebensform. Anders als Melanchthon war Luther damit eher geneigt, das formale Konzept eines freien Brüderlebens im Evangelium, wie es Wilskamp zeichnete, zu akzeptieren.
123
V g l . d i e Herforder H a u s o r d n u n g . FRATERHAUS HERFORD 2: S. 100: „Dvtt
v.v
overst de warer und velige weg und wyse... ". 124
HYMA: Het traktaat. S. 17 f.
125
F R A T E R H A U S H E R F O R D 2 : S.
126
161.
FRATERHAUS HERFORD 2: S. 237. Man wolle zwar die Enthaltsamkeit nicht verbieten. aber auch niemanden mit den Verstrickungen von Gelübden belasten.
IV. Die Existenz unter den Bedingungen der Glaubensspaltung Die Auseinandersetzung der Brüder vom Gemeinsamen Leben mit der geistigen Herausforderung der Reformation hat in den Fraterhäusern unterschiedliche Ergebnisse gezeitigt. So konnten sich die Herforder Fratres gemeinschaftlich zur Lehre Martin Luthers bekennen, aber dessenungeachtet in Tradition zu ihrem genuinen Selbstverständnis an ihrer gemeinschaftlichen Lebensform festhalten. Brüder wie der münsterische Senior Johannes Holtmann dagegen verblieben auf Seiten der alten Kirche, wenn sie auch das Anliegen einer verinnerlichten Frömmigkeit und die Freiheit des Fraterlebens mit der Reformation zum Teil identifizieren konnten. Unabhängig von der geistigen Auseinandersetzung der Fraterherren mit der neuen Lehre gingen mit der durch die Reformation hervorgerufenen Glaubensspaltung eine Vielzahl politischer, rechtlicher, sozialer und ökonomischer Prozesse einher, die die Existenzbedingungen der norddeutschen Häuser der Brüder vom Gemeinsamen Leben so weit beeinträchtigten, daß diese einen einschneidenden Bedeutungsverlust bis hin zum endgültigen Untergang einzelner Gemeinschaften hinnehmen mußten. 1 Während in den protestantischen Städten der konfessionelle Konformitätsdruck von Obrigkeit und Bevölkerung den entscheidenden Faktor flir den Verfall der Brüdergemeinschaften darstellte, unterlagen die Fraterherren in den katholischen Städten den indirekten Auswirkungen der Reformation, die sich zum Beispiel in den Veränderungen der Frömmigkeit der jeweiligen Einwohnerschaft manifestierte. 2 Im Einflußbereich altgläubiger Obrigkeiten wurden sie zudem vielfach zum Objekt der katholischen Konfessionalisierung, in der die freien Brüdergemeinschaften mit den Anforderungen der sich neuformierenden tridentinischen Kirche konfrontiert wurden. Die Verbreitung und Festigung der Reformation verursachte zudem soziale und öko-
1
Die Spätgeschichte der Fraterhäuser ist bisher vergleichsweise wenig untersucht. Zur Orientierung vgl. die Artikel in MFVC 2. 2
B e i s p i e l h a f t RONNIE PO-CHIA HSIA: G e s e l l s c h a f t u n d R e l i g i o n in M ü n s t e r
1535-
1618 (Quellen und Forschungen zur Geschichte der Stadt Münster N F. 13 = Ser. B 1). Münster 1989.
146
/I ' Die Existenz unter den Bedingungen
der
Glaubensspaltung
nomische Wandlungsprozesse, die das institutionelle Überdauern der Krisenzeit erschwerten und im Extremfall unmöglich machten. Die Fraterhäuser konnten daher mit dem fortschreitenden 16. Jahrhundert ihr Lebensideal aufgrund des äußeren konfessionellen Drucks und der ungenügenden inneren Ausstattung, die in der Folge zumeist geistliche Defekte verursachte, immer weniger realisieren. Die Faktoren, die den Niedergang und die teilweise Aufgabe der norddeutschen Brüdergemeinschaften auslösten, waren in ihren entscheidenden Bestandteilen nicht in der individuellen oder gemeinschaftlichen Entscheidung der Brüder in Bekenntnisfragen begründet, sondern erwuchsen aus den gesamtgesellschaftlichen Umwälzungen in den Städten und Territorien. Die Brüder teilten damit das Schicksal des spätmittelalterlichen Mönchtums, dessen Überlebensfähigkeit in den protestantischen Gebieten weitgehend von ihrer rechtlichen Privilegierung abhing, und dessen Erneuerung in den katholischen Territorien eine Fähigkeit zur Anpassung an die veränderten Rahmenbedingungen der sich reformierenden Kirche bedingte.
1. Die Maßnahmen der neugläubigen Magistrate gegen die Fraterhäuser Mit der Einführung der Reformation in den Städten Hildesheim, Rostock, Wesel und Herford ergaben sich für die dortigen Fraterniederlassungen grundsätzlich veränderte Existenzbedingungen. Die neugläubigen Magistrate ergriffen in der Folge konfessionspolitische Maßnahmen, die durch die Einschränkung und mittelfristige Auflösung des altgläubigen Lebens auf das Ideal von städtischer Unikonfessionalität, sozialem Frieden und innerlicher Geschlossenheit zielten. Das genossenschaftliche Selbstverständnis der mittelalterlichen Stadt, welches durch die Reformation theologisch neu fundiert wurde, erforderte die Einheit im Glauben innerhalb der korporativ verbundenen Einwohnerschaft. 3 Durch die Aufhebung der Trennung von Laientum und Klerus wurde eine Identifizierung von städtischer Bürger-
3
ALFRED SCHULTZE: Stadtgemeinde und Reformation. In: Festgabe für Rudolph Sohm. München-Leipzig 1914, S. 103-142. BERND MOELLER: Reichsstadt und Reformation. Bearb. Neuausgabe, Berlin 1987, besonders S. 11 ff., S. 25 ff., S. 32 ff. Zur Bedeutung der Studie Moellers und den von ihr ausgelösten Arbeiten vgl. HERIBERT SMOLINSKY: Stadt und Reformation. Neue Aspekte der reformationsgeschichtlichen Forschung. In: Trierer Theologische Zeitschrift 92 (1983), S. 32-44, GREYERZ: Stadt und Reformation, S. 6 ff.
I. Die Maßnahmen der neugläubigen
Magistrate
147
und Kirchengemeinde ermöglicht, die so das spätmittelalterliche Streben in den Städten nach einer Verbürgerlichung des Klerus fortführte. 4 Die Gemeinde übte fußend auf diesem Verständnis das Recht der Pfarrerwahl aus und realisierte damit das Ideal einer einheitlichen Kirchenorganisation. Der den verschiedenen Bekenntnissen inhärente Anspruch auf das Wahrheitsmonopol in der Lehre schloß zudem eine parallele Existenz verschiedener Konfessionen in der Regel aus, sofern nicht besondere politische und rechtliche Faktoren eine Ausnahme bedingten. 5 Die in den Jahren auf die Einführung der Reformation folgende praktische Durchsetzung eines einheitlichen Kultus und die angestrebte Vertiefüng der Lehre durch Predigt und Unterricht kann dabei als sich gegenseitig überlappendes Stadium einer Etablierung der Reformation und der beginnenden Konfessionalisierung des städtischen Glaubenslebens 6 beschrieben werden. Die Hemmnisse einer schnellen und umfassenden Verdrängung altgläubiger Religionspraxis lagen in außenpolitischen und rechtlichen Rücksichtnahmen begründet, die die städtischen Obrigkeiten bei der Erreichung des Idealziels der Unikonfessionalität in Rechnung stellen mußten. Hierbei waren die Interessen und die kirchenpolitische Haltung der Landesherren und des Kaisers zu beachten und gegen die Gefahr innerstädtischer Unruhen aufzuwiegen. 7 Je weniger solche Einschränkungen der städtischen Autonomie vorhanden waren, desto entschlossener konnten die Magistrate die schnelle Aufhebung der Klöster forcieren. 8 Deren 4 BERND MOELLER: Kleriker als Bürger. In: Festschrift für Hermann Heimpel 2 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 36, 2). Göttingen 1972. S. 195-224. 5 PETER LANG: Die Ulmer Katholiken im Zeitalter der Glaubenskämpfe. Lebensbedingungen einer konfessionellen Minderheit (Europäische Hochschulschriften Reihe 23. 89). Frankfurt u.a. 1977. PAUL WARMBRUNN: Zwei Konfessionen in einer Stadt. Das Zusammenleben von Katholiken und Protestanten in den paritätischen Reichsstädten Augsburg, Biberach. Ravensburg und Dinkelsbühl von 1548 bis 1648 (VeröfflnstEurGesch Mainz, Abteilung für Abendländische Religionsgeschichte 111). Wiesbaden 1983. Auf die in dieser Arbeit untersuchten Städte trifft der § 27 des Augsburger Religionsfriedens, der die parallele Existenz des katholischen und des lutherischen Bekenntnisses in den Reichsstädten regelte, nicht zu, vgl. ebd., S. 1 ff. PETER ZSCHUNKE: Konfession und Alltag in Oppenheim. Beiträge zur Geschichte von Bevölkerung und Gesellschaft einer gemischtkonfessionellen Kleinstadt der Frühen Neuzeit (VeröfflnstEurGesch Mainz, Abteilung für Abendländische Religionsgeschichte 115). Wiesbaden 1984. 6 RÜTH: Reformation und Konfessionsbildung im städtischen Bereich, S. 207 f., S. 272 f. Zu Fragen der Periodisierung vgl. SCHMIDT: Die Konfessionalisierung im 16. Jahrhundert. S. 110-115. 7 GREYERZ: Stadt und Reformation. S. 13. 8 BECKER: Reformation und Revolution, S. 90.
148
/[ ' Die Existenz unter den Bedingungen der
Glaubensspaltung
Widerstandsfähigkeit innerhalb städtischer Mauern bemaß sich hauptsächlich an ihrer rechtlichen und sozialen Unabhängigkeit gegenüber den Städten, so daß relativ junge Gemeinschaften wie die Mendikantenkonvente oder gar die Häuser der Brüder vom Gemeinsamen Leben der Machtfülle der Magistrate nur wenig entgegenzusetzen hatten. 9 Insgesamt haben sich auf dem Boden der Reformation nur sehr wenige Klöster halten können. Der Bursfelder Mönch Bodo stellte 1543 folgende Ursachen für den fast vollständigen Untergang der Klöster zusammen: Zwietracht unter den Konventen der Kongregation, Zerstörung der Klöster durch die Lutheraner, neugläubige Parteibildungen innerhalb der Klostermauern und eine allgemeine Abnahme der Vokationen. 1 0 Mit der Ausgestaltung der ratsherrlichen Kirchenhoheit im neuen Glauben ergaben sich die rechtlichen und sozialen Grundlagen für die Fortexistenz der mit Ausnahme der Herforder Brüder bei der alten Kirche bleibenden Fratergemeinschaften, die im einzelnen von den jeweils lokal vorhandenen Kräftekonstellationen abhingen. Die städtischen Magistrate folgten in ihrer Kirchenpolitik gegen die Klöster weitgehend den Empfehlungen Luthers, die in der Leisniger Kastenordnung beispielhaft vorgebildet w a r e n . " Bezüglich der Rigorosität in der Durchsetzung sind dabei verschiedene zeitliche Phasen zu differenzieren. In einem ersten Abschnitt unmittelbar nach der Einführung einer neuen Kirchenordnung wurde den Klöstern in der Regel noch eine Übergangszeit zum Bekenntniswechsel eingeräumt. Die öffentliche Feier der altgläubigen Messen und die Predigt wurde unterbunden, die Beibehaltung des Kultus bei geschlossenen Türen jedoch vorerst geduldet. 1 2 Konversionen sollten nicht gewaltsam erzwungen werden. 1 3 Erst in einem zweiten Schritt folgte nach Ablauf der zugebilligten Übergangszeit ein vollständiges Verbot der altgläubigen Zeremonien, da die Beharrung des Klerus nun nicht mehr nur als Glaubensschwachheit, sondern als Uneinsichtigkeit verurteilt wurden. 1 4 Zur Legitimation der konfessionellen Änderungen wurden
9
ZIF.GLER: Reformation und Klosterauflösung. S. 612 f. ZIEGLER: Die Bursfelder Kongregation. S. 25. 11 MARTIN BRECHT: Luthertum als politische und soziale Kraft in den Städten. In: Franz Petri (Hrsg.). Kirche und gesellschaftlicher Wandel in deutschen und niederländischen Städten der werdenden Neuzeit (Städteforschung, Veröffentlichungen des Instituts für vergleichende Städteforschung in Münster. A 10). Köln. Wien 1980. S. 8. Vgl. SCHRÄDER: Ringen. Untergang und Überleben. S. 14-18. 12 KARL TRÜDINGER: Luthers Briefe und Gutachten an weltliche Obrigkeiten zur Durchführung der Reformation (RST 111). Münster 1975. S. 49. 13 BRECHT: Luthertum als soziale und politische Kraft. S. 6. 14 TRÜDINGER: Luthers Briefe und Gutachten. S. 47. 10
1. Die Maßnahmen der neugläubigen
Magistrate
149
zuvor oftmals Religionsgespräche unter der Teilnahme der altgläubigen Kommunitäten veranstaltet, die mit einer verbindlichen Erklärung über die zu haltende kirchliche Praxis endeten. In Kontinuität zum spätmittelalterlichen Institut der Kirchenpflegschaft erstellten die Magistrate Inventare der Kirchengüter, um deren Zerstreuung durch die abwandernden Konventualen vorzubeugen und sie für die Umwidmung zu karitativen und bildungspolitischen Zwecken bereitzuhalten. Die damit verbundene Zielsetzung der grundlegenden Neuordnung des christlichen Lebens ging jedoch über die mittelalterliche Praxis ratsherrlicher Kirchenpatronate hinaus. 15 Letztlich sollte ein Aufnahmeverbot das mittelfristige Aussterben der noch verbliebenen Restkonvente sicherstellen, soweit sie eine vorzeitige Abfindung abgelehnt hatten. In Fällen großer Gefahr von innerstädtischen Unruhen oder äußerer militärischer Bedrohung versuchten die Räte darüber hinaus, durch die Ausübung von Druck eine Verzichterklärung und Selbstauflösung der Gemeinschaften zu erreichen. Hildesheim Die Einführung der Reformation in Hildesheim im Jahr 1542 löste eine Reihe derartiger Maßnahmen gegen das altgläubige Leben in der Stadt aus. Noch im Juni 1542 hatte der Rat gegenüber dem Bischof erklärt, am alten Glauben festhalten zu wollen, relativierte dies aber in der Situation der schmalkaldischen Mobilmachung gegen Herzog Heinrich d.J. von Braunschweig-Wolfenbüttel dahingehend, unter Umständen einem Aufstand nachgeben zu müssen. 16 Nach der Niederlage Herzog Heinrichs und dem Tod des altgläubigen Bürgermeisters Hans Wildefuer gab der Magistrat dem Druck der zur neuen Lehre tendierenden Bäuerschaften nach. Am 27. August setzten diese unter Führung des Christoph von Hagen die Annahme der Reformation durch, 1 7 die am 26. September in die Einfuhrung der Kirchenordnung mündete. 1 8 15
BECKER: Reformation und Revolution. S. 60 ff. GREYERZ: Stadt und Reformation. S. 42. ZIEGLER: Reformation und Klosterauflösung, S. 594 f. 16 JOHANNES H. GEBAUER: Geschichte der Stadt Hildesheim 1. Leipzig 1922, S. 319. 17 GEBAUER: Geschichte der Stadt Hildesheim 1. S. 322 f. Zum Verhältnis des Rates und der Bäuerschaften s. MEYER-WILKENS: Hildesheimer Quellen, S. 40 f. 18 MEYER-WILKENS: Hildesheimer Quellen, S. 46 f. Edition der 1544 gedruckten Kirchenordnung von Bugenhagen in EMIL SEHLINO (Hrsg.): Die evangelischen Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts. Bd. 7, 2/1: Niedersachsen, Die außerwelfischen Lande. Stift Hildesheim. Stadt Hildesheim, Grafschaft Oldenburg und Herrschaft Jever. Bearb. von A.Sprengler-Ruppenthal. Tübingen 1980, S. 829-884. Zu Bugenhagens Kirchenordnungen vgl. auch ANNELIESE SPRENGLER-RUPPENTHAL: Bugenhagen und d a s p r o t e s t a n t i s c h e K i r c h e n r e c h t . In: Z R G K A 5 7 ( 1 9 7 1 ) , S. 1 9 6 - 2 3 3 .
150
IV. Die Existenz unter den Bedingungen der Glaubensspaltung
Mit der Einfuhrung der Reformation standen die Klöster und Stifte Hildesheims nach lutherischem Verständnis in gotteslästerlichem Widerspruch zur Schrift, so daß ihre bloße Fortexistenz von den neuordnenden, auf Uniformität im Bekenntnis drängenden Kräften als andauernde Provokation aufgefaßt wurde. Die Protagonisten der Entwicklung waren die Hildesheimer Prädikanten, die zur Durchsetzung des neuen Glaubens auch darüber wachten, daß der Magistrat seinen Pflichten in der Regelung des Kirchenwesens nachkam. 19 Nach dem Bericht des Domdekans Ludolf von Veltheim waren am 24. September 1542 bereits die Kirchen der Franziskaner, St.Michael, St.Lamberti und St.Johann geschlossen, aber noch beim alten Glauben. 20 Vier Tage später, nach der zwischenzeitlich erfolgten Annahme der neuen Kirchenordnung, waren dagegen auch die verbliebenen Klosterkirchen betroffen. Die Meßfeiern und Hören waren nur noch clausis januis erlaubt, die Klöster und Stifte sollten nach dem Willen der Stadt niemanden mehr vorvören 21 Der Dombesuch zur Messe wurde verboten, das Michaelskloster besetzt. Dennoch blieb eine altgläubige Restgemeinde bestehen. Eine Versammlung in der Antoniuskapelle des Doms, in der die Fraterherren einen Altar verwalteten, wurde gewaltsam aufgelöst. 22 Für die frühe Phase begnügte die Stadt sich jedoch damit, den altgläubigen Kultus nicht vollständig zu unterdrücken, sondern auf die Konvente zu beschränken. 1543 legten die Fraterherren, ebenso wie die Franziskaner und Dominikaner, die Windesheimer auf der Sülte, die Willigen Armen im Langenhagen und ein Teil der Benediktiner in St.Godehard ihre geistliche Kleidung ab. 23 Die Fraterherren unterwarfen sich damit der neuen Kirchendisziplin,
19
LUISE SCHORN-SCHOTTE: „Papacaesarismus" der Theologen? Vom Amt des evan-
gelischen Pfarrers in der frühneuzeitlichen Stadtgesellschaft bei Bugenhagen. In: ARG 7 9 ( 1 9 8 8 ) , S. 2 4 0 ff. und S. 2 5 8 . MOELLER: Reichsstadt und Reformation, S. 2 5 . Zur Verantwortung der Obrigkeit vgl. E R N S T WALTER ZEEDEN: Grundlagen und Wege der Konfessionsbildung in Deutschland im Zeitalter der Glaubenskämpfe, in: Ders. (Hrsg.), Gegenreformation (Wege der Forschung 311). Darmstadt 1973, S. 92 f. 20 E. JACOBS: Heinrich Winkel und die Einführung der Reformation in den niedersächsischen Städten Halberstadt, Braunschweig, Göttingen, Hannover und Hildesheim. In: Zeitschrift des Historischen Vereins für Niedersachsen 1896. S. 308. 21 JACOBS: Heinrich Winkel, S. 309 f. SEHLING: Die evangelischen Kirchenordnungen. Bd. 7, 2/1, S. 847. 22 MEYER-WILKENS: Hildesheimer Quellen, S. 49. Am 16.November mußte das Verbot des Besuchs katholischer Gottesdienste wiederholt werden, s. SEHLING: Die evangelischen Kirchenordnungen. Bd.7, 2/1, S. 805. 23 DOEBNER: Annalen und Akten, S. 201. Die Frage der Kleidung blieb in der Kirchenordnung der Regelung durch die Prädikanten vorbehalten, die die Handhabung danach ausrichten sollten, Zwiespalt in der Gemeinde zu verhindern, SEHLING: Die evangelischen Kirchenordnungen. Bd.7, 2/1, S. 833. Einige Mönche von St.Godehard
I. Die Maßnahmen der neugläubigen Magistrale
151
ohne allerdings gemeinschaftlich die neue Lehre anzunehmen. 2 4 D i e s wurde deutlich, als mit der Konsolidierung des protestantischen Kirchenwesens nicht mehr nur eine passive Unterwerfung, sondern auch eine aktive Teilhabe am neuen Gottesdienst eingefordert wurde. 1545 kam der Konflikt zum o f f e n e n Ausbruch. Die Prädikanten beklagten, daß die Fraterherren vor Empfang des Abendmahls die Kirche verließen. 2 5 D i e s e beharrten demgegenüber auf ihrer persönlichen Ü b e r z e u g u n g in Glaubensfragen. 2 6 Der Rektor des Fraterhauses, Paul N a g e l s m e d t aus Ahlen, wurde kurze Zeit nach den Klagen der Prädikanten der Stadt verwiesen, da er seine Treue zum alten Glauben öffentlich kundgetan hatte. 2 7 N a c h Ablauf der v o n der Kirchenordnung v o r g e s e h e n e n Übergangszeit wurde nun ein abweichendes Verhalten in Fragen des Glaubens nicht mehr geduldet. Im März 1544 waren schon zuvor auch die nichtöffentlichen opera
divina
untersagt wor-
den. 2 8 N a c h der Auskunft v o n Bürgermeister Tilo Brandis hielt man sich in Stiften und Klöstern an diesen Erlaß. 2 9 Im Jahr 1546 trat vor dem Hintergrund des Krieges g e g e n Karl V. eine weitere Radikalisierung ein. 3 0 Im Juli wurden endgültig alle Zeremonien in der Fraterherrenkirche unterbunden, die Kirche neuerlich verschlossen, die
blieben auf Befehl des Abtes jedoch in ihrem Habit und leisteten Widerstand, DOEBNER: Annalen und Akten. S. 201 f. Der Rektor der Fraterherren kommentierte den Widerstand in confusionem omni um nostrum qui habitum exuimus... ". 24 DOEBNER: Annalen und Akten. S. 137. 25 StA Hildesheim. 1 0 0 / 1 3 2 . N r . 4 3 ( 1 5 4 5 , Aug. 1). M E Y E R - W I I . K E N S : Hildesheimer Quellen. S. 27. 26 StA Hildesheim. 100/132, Nr.43, nymand schulte den andern drengen... ". 27 DOEBNER: Annalen und Akten, S. 141 (Aug. 17). EUUNG: Chronik des Johan Oldecop. S. 244. Nach Oldecop ist Nagelsmedt jedoch bald zurückgekehrt. In Briefen des Bischofs Valentin von Teteleben, der die Brüder zur Glaubenstreue aufforderte, werden weitere Repressionen der Stadt aus früherer Zeit genannt, s. BERTRAM: Geschichte des Bistums Hildesheim 2, S. 144 f. und BRÜGGEBOES: Die Fraterherren im Lüchtenhofe, S. 27 f. Der Bischof nennt die Vorenthaltung von Subsistenzmitteln und das Verbot, die städtischen Straßen zu nutzen. 28 EULING: Chronik des Johann Oldecop, S. 233. BERTRAM: Geschichte des Bistums Hildesheim 2. S. 147. 29 BUHLERS: Joachim Brandis' des Jüngeren Diarium, S. 56. 30 Nach einer anonymen Darstellung und ohne Quellenbeleg erging am 11. Februar ein Ratsbeschluß, wonach jedem, der weiterhin unter einer Gestalt kommuniziere, die Ausweisung und im Falle des Ablebens die Beerdigung auf dem Schindanger angedroht wurde, s. D A S LUTHERTUM IN DER STADT HILDESHEIM. Bericht, wie und was Gestalt die Stadt Hildesheim bei Einführung des Luthertums die katholischen Stiftsklöster und Pfarrkirchen occupiert, theils spoliirt, und was sie weiter dabei verübt haben, oder sonst sich dabei zugetragen hat. In: Historisch-Politische Blätter für das katholische Deutschland 9 (1842), S. 318.
152
IV. Die Existenz unter den Bedingungen
der
Glaubensspaltung
Wertgegenstände entfernt und die Glocke zerstört. Zugleich wurden die Kartause und die Sülte niedergerissen und das Baumaterial zu städtischen Zwecken verwandt. 3 1 Die Tatsache, daß die Schließung der Kirche gegen die Fraterherren erneut durchgesetzt werden mußte, ist ein indirekter Beleg für deren altgläubige Beharrung. Noch im April hatten sie eine neue Stiftung empfangen. 3 2 Der Magistrat traf nun Anstalten zur endgültigen Auflösung des Hauses. Die Brüder wurden im Februar 1546 auf das Rathaus geladen, schickten aber nur zwei Abgeordnete zum anberaumten Termin, um Beschlußfähigkeit zu vermeiden. 33 Der Magistrat verlangte die Auslieferung der päpstlichen und bischöflichen Privilegien und die Aufkündigung des Gehorsams gegen den altgläubigen Rektor. Bei einem folgenden Besuch im Fraterhaus nahm der Rat alle Brüder einzeln in ein Verhör, zunächst ausfuhrlich den vermutlichen Vertreter des zwangsexilierten Rektors Nagelsmedt, Johannes Susati, 34 dann die übrigen Brüder nach ihrer Rangfolge. Ziel der Ratsgesandten war die Unterwerfung des Fraterhauses unter den Magistrat und die Lossagung vom Bischof, um so den Lüchtenhof in Besitz nehmen und hier eine Schule einrichten zu können. 3 5 Trotz der Bedrängnis gelang es den Brüdern jedoch, eine Aufgabe ihrer rechtlichen Eigenständigkeit zu vermeiden, so daß sie lediglich zwei städtische Prokuratoren hinnehmen mußten, deren Aufgabe die Aufsicht über den Besitzstand und die Geschäftsführung des Fraterhauses war. Die ungewisse reichspolitische Lage und eine Stellungnahme von Bugenhagen, Cruciger, Melanchthon und Eberus, die von Eingriffen in fremde Obrigkeiten abrieten, 36 veranlaßten den Magistrat in der Folge zur Zurück-
31
DOEBNER: Annalen und Akten. S 141. Die Windesheimer auf der Sülte übergaben vermutlich zu dieser Zeit alle Rechte und Briefe in Verwahrung an die Fraterherren. Am 19.April 1573 quittierten sie den Rückerhalt der „vor geraumer Zeit" hinterlegten Schriftstücke, s. Dombibliothek Hildesheim. Hs.Ps.12. fol. 212 r " v 32 Dombibliothek Hildesheim. H s . P s . l l . fol. 10 r -12 r . 33 Hierzu s. DOEBNER: Annalen und Akten. S. 137. 34 DOEBNER: Annalen und Akten. S. 137. Der Text bezeichnet nur einen „Casselanum". Susati war Rektor der Brüder in Kassel gewesen und hatte sich 1526 nach Hildesheim gewandt. 35 Die Fraterherren waren 1453 in die Klerusunion Hildesheims aufgenommen worden. was 1536 von Domdechant Ludolf von Veltheim erneuert wurde, und hatten daher teil an der Immunität des Domstiftes. DOEBNER: Annalen und Akten. S. 196 f.. BRÜGGEBOES: Die Fraterherren im Lüchtenhofe. S. 15. Die Stadt setzte allerdings seit 1526 eine regelmäßige Schoßzahlung der Fratres durch, s. LINDENBERG: Stadt und Kirche. S. 22 f. 36 BERTRAM: Geschichte des Bistums Hildesheim 2. S. 153 f.
1. Die Maßnahmen der neugläubigen
Magistrate
153
haltung vor dem letzten Schritt einer gewaltsamen Auflösung. Die Kontinuität zum vorreformatorischen Kirchenrecht blieb nach dem Gutachten der Reformatoren bestimmend, da der Rat nur in den städtischen Pfarrkirchen unter eigenem Patronat die neue Ordnung einfuhren durfte. Eine Übergabe der Klöster und des Fraterhauses konnte rechtlich unanzweifelbar nur durch den Entschluß der Konventualen selbst bewirkt werden, wie er sich idealtypisch in der Darstellung des Bekenntniswechsels spiegelt, die die verbliebenen Dominikaner 1547 anläßlich der Überschreibung ihrer Güter an die Stadt gaben. 3 7 Diese bekundeten die Erkenntnis, einer falschen Verdienstlehre und der sündhaftesten Lebensform, dem Mönchtum, angehangen zu haben. Da die Fraterherren diesen Schritt 1546 jedoch verweigerten, blieb ihre rechtliche Stellung vorerst unabhängig von der Stadt. In der kriegerischen Auseinandersetzung mit dem Kaiser wurde die Unikonfessionalität zur Sicherung des sozialen Friedens für die Stadt eine erhöhte Notwendigkeit. 3 8 Der Rat formulierte daher eine Reihe von Artikeln zur Vorlage in den Stiften und Klöstern, 3 9 anhand derer der Klerus in den bevorstehenden Kriegstagen Treue zur Stadt und finanzielle Hilfeleistungen beschwören sollte. 40 Die Flucht in möglichst unverbindliche Zusagen war das einzige zur Verfugung stehende Mittel der geistlichen Institute, um ihre Unabhängigkeit zu bewahren. St.Godehard und St.Michael versprachen Gehorsam. 4 1 Während St.Godehard es bei einer allgemeinen Formulierung beließ, erklärten sich die Benediktiner in St.Michael auch zum Besuch der lutherischen Predigt bereit. Nur die Kartäuser verweigerten das Ablegen ihres Habits, die Domherren antworteten überhaupt nicht. 42 Das Fraterhaus hatte bei Vorlage der Artikel schon keine Wahl mehr. Die städtischen Prokuratoren leiteten die Hauswirtschaft und erstell-
37
U B HILDESHEIM 8. S. 7 1 7 f f , N r . 8 8 0 ( 1 5 4 7 , S e p .
38
29).
Vgl. ERDMANN WEYRAUCH: Konfessionelle Krise und soziale Stabilität. Das Interim in Straßburg (1548-1562). Stuttgart 1978, S. 53 f. 39 SEHLING: Die evangelischen Kirchenordnungen, Bd.7, 2/1, S. 887-892. Sogar die Ausweisung der widerspenstigen Geistlichkeit wurde erwogen, s. MEYER-WILKENS: Hildesheimer Quellen, S. 61. 40 BERTRAM: Geschichte des Bistums Hildesheim 2. S. 154 f., nennt zudem die Verpflichtung zum Predigtbesuch und den Empfang des Abendmahls in beiderlei Gestalt, was sich im Text jedoch nicht findet. 41 StA Hildesheim, 100/91. Nr. 7. 42 Die Bettelordenskonvente erhielten von der Stadt Prokuratoren vorgesetzt, um die Entschädigung der abwandernden Mendikanten zu regeln. Der größte Teil der Brüder war hier zur neuen Lehre übergetreten. Die Abwicklung der Konventsgüter s. für die F r a n z i s k a n e r U B HILDESHEIM 8: S. 7 1 1 u n d S. 7 5 1 ff.
154
IV. Die Existenz unter den Bedingungen
der
Glaubensspaltung
ten noch im Dezember 1546 ein Inventar, welches auch den Grund- und Rentbesitz der Brüder umfaßte. Die Interessen der Stadt waren damit hinreichend gesichert. Für das weitere Vorgehen wurde festgestellt: „In der
congregation ist nichts mehr to donde. "43 Die Rahmenbedingungen für die weitere Existenz altgläubiger Konvente schufen die Verträge der Stadt mit den Bischöfen Friedrich von Holstein und Burchard von Oberg. Mit dem lutherischen Friedrich von Holstein einigte sich der Rat 1553 über die Restitution des Klerus. 44 Die Stadt versprach dem Bischof die Huldigung, dieser garantierte im Gegenzug das lutherische Bekenntnis. 4 5 Die Stifte und Klöster sollten in ihren Besitzrechten belassen bleiben, die geistliche Jurisdiktion des Bischofs wurde anerkannt. Hildesheim blieb ungeachtet der Regelung des Augsburger Religionsfriedens eine anerkannte protestantische Stadt in einem nominell altgläubigen Territorium. Eine Präzisierung der Übereinkunft mit Bischof Friedrich von Holstein illustriert jedoch, daß für den altgläubigen Klerus im täglichen Leben eine weitgehend unveränderte Situation bestand. 4 6 Die städtische Zusicherung galt nur unbeschadet des lutherischen Bekenntnisses und sollte nicht dazu mißbraucht werden, „...unzucht und unerbarkeit zu trei47 ben... ", Das kultische Leben der Stifte und Klöster konnte damit unter Hinweis auf die zu wahrende Unversehrtheit des lutherischen Bekenntnisses in der Stadt eingeschränkt werden, Eingriffe in die Konvente waren als Reform der Sitten zu rechtfertigen. Dies verdeutlichen die Klagen Bischof Burchards aus dem Jahr 1562 über die tägliche Gefahr, der die Stifte und Klöster ausgesetzt seien. 48 Der Rat garantierte daraufhin, den Klerus zu schützen und sicherte die alleinige Rechtshoheit des Bischofs über die Klöster und Stifte zu. Im Gegenzug sollten diese die Zeremonien in aller Stille feiern. 49 Im Fraterhaus scheint ein altgläubiges Leben bis zum Tod des Rektors Bernward Wever im Jahr 1566 in Grundzügen noch vorhanden
43 StA Hildesheim, 100/91, Nr. 7 (1546, Dez. 21). Auch St.Michael hatte sich bereit erklärt, ein Inventar zu geben. 44 BERTRAM: Geschichte des Bistums Hildesheim 2, S. 188. 45 ÜB HILDESHEIM 8: S. 740 ff., Nr.896 (1553, Jun. 21). Eine Zusammenstellung der vom Rat geleisteten Restitutionen, die nicht alle Forderungen des Klerus befriedigte, bei SEHLING: Die evangelischen Kirchenordnungen, Bd.7, 2/1, S. 814. 46
U B HILDESHEIM 8: S. 7 4 5 f f , N r . 9 0 1 ( 1 5 5 4 , D e z .
4 7
U B HILDESHEIM 8: S.
48
29).
746.
UB HILDESHEIM 8: S. 767-773, Nr.919 (1562, Nov. 22), hier S. 768. UB HILDESHEIM 8: S. 769. Auch nach diesem Vertrag kam es jedoch zu konfessionellen Auseinandersetzungen zwischen Stadt und Bischof, zum Beispiel bei der Neuwahl des Abtes von St.Michael im Jahr 1563, vgl. GEBAUER: Geschichte der Stadt Hildesheim 2, S. 8, und BERTRAM: Geschichte des Bistums Hildesheim 2, S. 245 ff. 49
I Die Maßnahmen der neugläubigen
Magistrate
155
gewesen zu sein, da die Namen der verstorbenen Brüder bis zu dem Tode Wevers im Nekrolog verzeichnet wurden und das Totengedächtnis im Haus wohl noch vollzogen wurde. Infolge des steten Verlustes an Hausmitgliedern zeigte das kultische Leben jedoch notgedrungen schwere Defekte. Für die Stiftung des Domvikars Johannes Bringmann etwa wurden sechs Priester und sechs Kleriker benötigt. 50 Angesichts der Tatsache, daß 1573 aber nur noch drei Brüder im Haus lebten, 51 wird offenbar, daß allein die stets geringer werdende Zahl der Brüder eine weisungsgemäße Verwaltung der Seelmessen unmöglich machte Der Rektor der Brüder blieb zudem im Besitz des Antonius-Altars im Domkreuzgang, der ihm 1557 und 1574 vom Domdekan übertragen wurde. 52 Da der Empfänger von 1557, Paul Nagelsmedt aus Ahlen, jedoch schon 1559 starb, und die Brüder die übliche Praxis der Verleihung des Antonius-Altars 1574 erst nach großen Mühen wieder erreichten, 53 wird von einer kontinuierlichen Verwaltung des Altars keine Rede sein können. 54 Rostock Nach dem Übertritt der Stadt Rostock zur neuen Lehre im März/April 1531 war das weitere Schicksal des dortigen Fraterhauses zunächst abhängig von der Ausgestaltung des Verhältnisses der Stadt zu den mecklenburger Landesherren. Der früh zur neuen Lehre tendierende Herzog Heinrich der Friedfertige nahm die Rechte seines noch unmündigen Sohnes Magnus, des postulierten Bischofs von Schwerin, wahr und verteidigte die Rechte der Altgläubigen in Rostock. Der Rat wahrte bei der Neuordnung des Kirchenwesens zunächst formell die Rechte des Landesherren in der Stadt. 55 Gegen den altgläubigen Bruder Herzog Heinrichs, Herzog Albrecht,
50
DOEBNER: Annalen und Akten, S. 332. Dombibliothek Hildesheim, Hs.Ps.10. fol. 369 v . 52 BA Hildesheim, Ps. U 52 (1557, Jan. 4), und U 86 (1574, Jan. 4). 53 Dombibliothek Hildesheim, Hs.Ps.10, fol. 371 r . 54 Die Verleihung fand jeweils in wörtlicher Wiederholung der Urkunde statt, wie sie DOEBNER: Annalen und Akten, S. 196 f.. für 1536 wiedergibt. Der Formel, die Brüder hätten die Fundation des Altars bisher laudabili ter verwaltet, ist daher für 1557 und 1574 nicht viel Bedeutung beizumessen. Die Probleme lagen zu dieser Zeit ohnehin im Bereich einer grundlegenden Reform der Sitten des gesamten Hildesheimer Klerus, wie die Konditionen verdeutlichen, die Bischof Burchard von Oberg 1563 erfüllt sehen wollte, als er den Klerus zur Teilnahme an der Lichtmeßprozession aufforderte, s. EULING: Chronik des Johan Oldecop, S. 507, „...mit oren ruchelen, abgesneden barden und gewontlichen platten mit langen und geistlichen klederen. .. ". 55 SEHLING: Die evangelischen Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts 5. S. 281. PETTKE: Stadtobrigkeit und Landesherren, S. 73 ff. 51
156
IV. Die Existenz unter den Bedingungen der
Glaubensspaltung
behauptete er dagegen seine Unabhängigkeit in Religionsfragen. In einem Brief vom 4. Mai 1531 berief er sich auf das Wort Gottes als alleiniger Autorität in Glaubensfragen und lehnte Albrechts Wunsch nach einer friedlichen Koexistenz der Konfessionen ab, da dies zu Aufruhr in der Stadt fuhren müsse und es nur einen wahren Glauben gebe. 5 6 Allerdings gestand der Magistrat wie in Hildesheim zunächst zu, daß niemand zum neuen Glauben gedrängt werden solle. Seit der Einsetzung des Syndikus Johann Oldendorp und einiger Ratsverwandter zur Bereitstellung der Güter des Kalands und der Bruderschaften für die Predigerbesoldung am 11. September 1531 handelte die Stadt weitgehend selbständig. 57 Die Meßfeier nach römischer Art wurde zunächst in ihrer öffentlichen Form, im September auch in den Klöstern verboten. 5 8 Den Ordensniederlassungen und den Fraterherren wurde untersagt, sich in geistlicher Tracht auf der Straße zu zeigen. 59 Noch vor der Jahreswende 1531/32 begann der Magistrat mit der Inventarisierung des Kirchensilbers, wogegen der altgläubige Klerus Rückhalt bei dem Herzog suchte. 60 Nach dem Bericht von Herzog Albrecht waren 1533 die Klöster der Stadt auf sich selbst beschränkt und die altgläubigen Zeremonien verboten. 6 1 Die Stadt setzte insgesamt, wenn auch gegen vereinzelte Einsprüche der Landesherren, ihre Ziele bei der Bestellung der Prediger, der Einbürgerung des Klerus und der Aufsicht über das Kirchengut gegen den Landesherren durch. 6 2 Erst nach dem Tod des Herzogs Heinrich und dem Regierungsantritt von Johann Albrecht ab 1552 mußte sie sich dem landesherrlichen Kirchenregiment unterwerfen. Der Rektor der Fraterherren, Martin Hillemann, widersetzte sich in den frühen Jahren der Reformation wiederholt der Kirchenhoheit des Magistrats. So hatten die Brüder zur Unterstützung des von ihnen unternommenen Druckes von Emsers Neuem Testament, gegen das Luther schon 1529
56 P > P X X K E : S t a d t o b r i g k e i t u n d L a n d e s h e r r e n . S. 7 7 . SABINE PETTKE: D a s
Rostocker
Kloster zum Heiligen Kreuz vom 16. bis zum 20. Jahrhundert. Kirchen- und staatsrechtliche Auseinandersetzungen im Rahmen der mecklenburgischen Kloster- und Verfassungsfrage (Mitteldeutsche Forschungen 106). Köln u.a. 1991. S. 15 f. 57 SEHLING: Die evangelischen Kirchenordnungen 5. S. 272. 58 PETTKE: Das Rostocker Kloster. S. 14 f. 59 AXEL VORBERG: Beiträge zur Geschichte des Dominikanerordens in Mecklenburg 1. Das Johanniskloster in Rostock (Quellen und Forschungen zur Geschichte des Dominikanerordens in Deutschland 5). Leipzig 1911. S. 15. PETTKE: Das Rostocker Kloster. S. 25. 60 PETTKE: Das Rostocker Kloster. S. 30. S. 33 f. 61 PETTKE: Das Rostocker Kloster. S. 31 f. König Ferdinand I. forderte 1533 den Rat daher auf. alle klösterlichen Rechte zu restituieren. 62 PETTKE: Stadtobrigkeit und Landesherren. S. 82 ff.
1. Die Maßnahmen der neugläubigen
157
Magistrate
aufgetreten und dessen Fertigstellung den Brüdern vom Rat untersagt worden war, Hilfe bei dem altgläubigen Herzog Albrecht gesucht und waren mit der Arbeit fortgefahren. 6 3 Der Drucker der Brüder, Johann Holt, und Martin Hillemann wurden hierbei auch von Plänen des Herzogs gegen die Person des Syndikus Johann Oldendorp unterrichtet. Da die Brüder jedoch die Stadt hiervon nicht in Kenntnis setzten, hatten sie nicht nur mit dem Druck des Werkes von Emser, sondern auch durch ihr Schweigen nach Ansicht des Magistrats schweren Schaden für die Stadt verursacht. Johann Holt wurde bis zur Leistung der Urfehde in Haft genommen, Rektor Hillemann unter Hausarrest gestellt. 64 Im September 1533 wurde Hillemann erneut vom Magistrat mit einer Strafe bedacht, da er einen aus der Stadt gewiesenen Mönch heimlich beherbergt hatte. 6 5 Aufgrund dieser wiederholten Vergehen konnte der Fraterrektor im Dezember desselben Jahres keine Bürgen mehr für eine neuerliche Urfehde stellen. Hillemann hatte eine Monstranz der Fraterkirche verkauft und weitere Güter vor der Inventarisierung durch den Magistrat verborgen. In seiner Urfehde vom 16. Dezember gestand er ein, damit gegen seinen gegenüber der Stadt geleisteten Eid verstoßen zu haben, und gelobte, das Kleinod für die Fraterkirche zurückzukaufen, über die verborgenen Güter Rede und Antwort zu stehen und zukünftig auf die eigenverantwortliche Verfügung über die Fratergüter zu verzichten. 6 6 Trotz dieser wiederholten Verstöße gegen die ratsherrliche Kirchenhoheit wurde das Fraterhaus in der Folge von den städtischen Bemühungen um die Aufhebung der altgläubigen Konvente in der Stadt verschont. Schon 1533 hatte der Rat die Klostergebäude der Dominikaner teilweise beansprucht und hier die Räumlichkeiten der neuen Stadtschule etabliert. 67 1534 wurde der Konvent der Franziskaner aufgehoben, die Fraterherren jedoch nur zur Einrichtung einer „deutschen Schule ", die sich altgläubiger Lehren enthalten sollte, verpflichtet. 6 8 Zu dieser Gelegenheit - wie schon anläßlich der Verstöße Hillemanns gegen die Befehle des Rats - erweist
63 64
LISCH: Geschichte der Buchdruckerkunst in Mecklenburg, S. 23 f. LISCH: Geschichte der Buchdruckerkunst in Mecklenburg, S. 24. S. 261-263
( 1 5 3 2 . J u n . 2 8 ) . LESKER: D i e R o s t o c k e r F r a t e r h e r r e n . S. 1 5 7 . 65 66
PETTKE: Die Rostocker Reformation, S. 163 f., Anm. 54. LISCH: G e s c h i c h t e
der Buchdruckerkunst
in Mecklenburg,
S.
263-265
(1533.
Dez. 16). LESKER: Die Rostocker Fraterherren. S. 158 f. PETTKE: Die Rostocker Reformation. S. 163. 67 p p T T K E : D i e Rostocker Reformation. S. 162. 68 LISCH: Geschichte der Buchdruckerkunst in Mecklenburg. S. 25. LESKER: Die Rostocker Fraterherren, S. 159. PETTKE: Das Rostocker Kloster, S. 21.
158
IV. Die Existenz unter den Bedingungen der
Glaubensspaltung
sich das Verhalten des Magistrats gegenüber dem Fraterhaus teilweise als erstaunlich zurückhaltend. 6 9 Möglicherweise war dies durch die Verbindungen der Brüder mit den Familien der Bürgermeister Steffen Slorf 70 und Bernhard Kroen 7 1 sowie zu Teilen des Rates verursacht. 7 2 Mit der Etablierung und Fortfuhrung der Reformation durch den Ausschuß der Vierundsechziger in Rostock 7 3 wurden die Güter und Besitztitel der Gemeinschaft 1534 in Gewahrsam genommen, den Brüdern auf ihre Bitte hin jedoch im Jahr 1542 unter Vorbehalt eines Vorkaufsrechtes seitens der Stadt vollständig restituiert. 74 Die Stadt beschränkte sich damit auf die Verhinderung der Zerstreuung oder Entfremdung des Besitzes der Brüder und wartete das Aussterben der Gemeinschaft ab. Dabei scheint sie auf ein Verbot von Neuaufnahmen verzichtet zu haben, da das Haus zwischen den Jahren 1533 und 1542 von neun auf zehn Brüder anwuchs und hierbei vier neue Fratres zu verzeichnen hatte. 7 5 Trotz der konfessionellen Einschränkungen konnten die Fraterherren auch in der lutherischen Stadt ihr gemeinschaftliches Leben zunächst aufrechterhalten. Erst in den Jahren nach der Jahrhundertmitte scheint der überwiegende Teil der Gemeinschaft das Haus in Rostock verlassen zu haben beziehungsweise gestorben zu sein. Der Tod des Herzogs Heinrich, der für die Konvente ein Rückhalt gewesen war, 7 6 das weitgehende Ende des altgläubigen Lebens in Mecklenburg in der Säkularisierung seit 1552 und die damit verbundene Gefahr einer herzoglichen Visitation in Rostock im Jahr 1557 mögen den Ausschlag für den Niedergang gegeben haben. 77 Obwohl die Stadt Rostock die landesherrlichen Eingriffe in ihre Kichenhoheit nicht
69
Dies gilt um so mehr, da für Rostock keine Privilegien bezeugt sind, die den Hof der Brüder von der städtischen Gerichtsbarkeit befreit hätten. 1557 war das Haus abgabenpflichtig, vgl. CRUSIUS: Die Brüder vom gemeinsamen Leben, S. 70. 70 pp T T K F ; £ l n e vergessene Urkunde, S. 93. Nr. 24. 71 LISCH: Geschichte der Buchdruckerkunst in Mecklenburg, S. 267-271. 72 p>£TTKE: E i n e vergessene Urkunde, S. 81. Anm. 31. Pettke schließt auf eine einflußreiche katholische Partei in der Stadt. 73 PETTKE: Das Rostocker Kloster. S. 32 ff. 74 LISCH: Geschichte der Buchdruckerkunst in Mecklenburg, S. 265 f. (1542, Nov. 4). LESKER: Die Rostocker Fraterherren. S. 162. Abdruck des Schreibens der Brüder bei PETTKE: Eine vergessene Urkunde, S. 80. 1559 wurden zudem die Güter des Klosters St.Johannis, 1567 des Heilig-Geist-Hospitals restituiert, ebd.. S. 89. 75 Vgl. die namentlichen Nennungen in den Urkunden bei LISCH: Geschichte der Buchdruckerkunst in Mecklenburg. S. 264 f. und S. 265 f. 76 Herzog Heinrich war zum Beispiel 1534 beim Rat der Stadt für die Fraterherren eingetreten, s. PETTKE: Eine vergessene Urkunde. S. 81. 77 Vgl. PETTKE: Das Rostocker Kloster, S. 68 ff. Die Visitationsinstruktion bei SEHLING: Die evangelischen Kirchenordnungen 5. S. 283 f.
I. Die Maßnahmen
der neugläubigen
159
Magistrate
zuließ, war die Situation der Altgläubigen nun vollends hoffnungslos. Die Einsicht in diese Lage spiegelt der Versuch der Brüder, ihre Güter 1557 durch ein Konservatorium vorbehaltlich der eigenen Nutzung an den Bürgermeistersohn Bernhard Kroen zu überschreiben. 7 8 Dies scheiterte am Einspruch des Rates, der sich 1559 von den Fratres selbst gegen die Ansprüche Kroens als Eigentümer bestätigen ließ. 79 Die Brüder behielten sich in der Erwartung des baldigen Endes des Fraterhauses die Nutzung auf Lebenszeit und die Wiedereinrichtung der Gemeinschaft im Falle einer nochmaligen Veränderung der Glaubenslage in der Stadt vor. Die Stadt trat 1560 mit der Einrichtung eines Pädagogiums im Fraterhaus ihr Besitzrecht an. 80 Den beiden verbliebenen Brüdern Heinrich Arsenius und Gerhard Dunckradt wurde ein lebenslanges Wohnrecht belassen. Auch Arsenius befürchtete aufgrund dieser Übereinkunft das baldige Ende des Hauses, da er angesichts seines hohen Alters nicht mehr an eine rechtzeitige Heranziehung eines geeigneten Nachwuchses glaubte. 81 Als ehemaliger Professor der Theologie an der Universität Rostock starb er 1575 als letzter Bruder des Rostocker Fraterhauses. Wesel Die Stellung der altgläubigen Konvente in Wesel unterlag nach dem Übergang der Stadt zur neuen Lehre im Jahr 1540 verschiedenen sich überlagernden Faktoren der konfessionellen Entwicklung. Die Jahre von 1540 bis zur Einführung des Interims 1548 waren gekennzeichnet von den Versuchen des Rates, die Klöster und Stifte in der Stadt zu isolieren und auf Dauer die Praktizierung des alten Glaubens zu unterdrücken. Der Magistrat bewegte sich dabei im Spannungsfeld zwischen den Forderungen der Bürgerschaft und den Ansprüchen der herzoglichen Kirchenordnung, die für Herzog Wilhelm als Maßstab der Religionspolitik galt. 82 Die Rücksicht
78
LISCH: G e s c h i c h t e
der Buchdruckerkunst
in M e c k l e n b u r g ,
S.
267-271
(1557,
Jun. 23). Die Überschreibung an Kroen ist als ein Versuch unter der Regie des münsterischen Rektors Johann Krampe anzusehen, den Besitz des Hauses für die Fraterbewegung zu erhalten, s. unten, S. 245-247. 79
LISCH: G e s c h i c h t e
der Buchdruckerkunst
in Mecklenburg,
S.
271-273
(1559,
Okt. 8). 80 LISCH: Geschichte der Buchdruckerkunst in Mecklenburg, S. 273-278 (1560, Jun. 29 und 1560. Sep. 23). 81 STA Münster, Msc. VII, 3307, S. 10. Er sah sich daher an den Hof gefesselt, um die Fratergebäude nicht vorzeitig preiszugeben: „Hoc mihi in primis in votis est. " 82
WOLTERS: R e f o r m a t i o n s g e s c h i c h t e
der
Stadt
Wesel,
S.
91-97.
P.TH.A.
GAN-
TESWIILER: Chronik der Stadt Wesel. Wesel 1881, S. 217-231. Vgl. die Eingriffe des Herzogs von 1540 bis 1542, STEMPEL: Die Reformation in der Stadt Wesel, S. 24 ff.
160
IV. Die Existenz unter den Bedingungen der
Glaubensspaltung
auf den Landesherren verlangte vom Weseler Rat ein behutsames Vorgehen, so daß zunächst ein offenes Bekenntnis zu Luther unterblieb. Das katholische Lager, dem neben dem Pfarrer von St. Willibrord, Anton Fürstenberg, die Dominikaner und Fraterherren sowie Teile des AugustinerEremitenkonvents angehörten, unterstützte sich gegenseitig gegen die Bedrängung durch die Stadt. So übergab Anton von Fürstenberg gegen Ende der dreißiger Jahre den wertvollen Kelch eines Vikars an der Willibrordkirche an die Fraterherren. 83 Das Fraterhaus kaufte von dem Augustiner-Eremiten Engelbert Berndtz eine Rente über 5 fl., 84 die zur Schülerstiftung des Johannes Heck gehörte. 85 Bei der Anlegung des Geldes wandten sich die Brüder dabei an einen ausgewiesenen Vertreter der altgläubigen Partei in Wesel, der bei der Auseinandersetzung um die Priorenwahl seines Konventes im Jahr 1540 auf der Seite derjenigen Brüder gewesen war, die die Wahl des vom Rat gewünschten neugläubigen Anton von Mechelen verhindern wollten. 86 In den ersten beiden Jahren nach 1540 beschränkte sich der Rat darauf, die neue Lehre in den städtischen Pfarrkirchen zu etablieren. Erst 1542, nachdem die herzoglichen Proteste gegen die Religionspolitik der Stadt abgeklungen waren, schritt der Magistrat gegen die verbliebenen altgläubigen Konvente ein. In der ersten Phase dieser Entwicklung begnügte er sich mit der Beschränkung des Klerus auf sich selbst. So war im Dezember 1542 der katholische Kultus nur noch in den Klöstern erlaubt. Der Magistrat untersagte die altgläubigen Meßfeiern in den Stadtkirchen und bestimmte, daß die Ordenspriester ohne Lizenz des Pfarrers von St.Willibrord keine Beichte mehr abnehmen durften. Allerdings waren bis auf weiteres die Mette und die Vesper erlaubt. Die Taufe sollte nur noch in deutscher Sprache vorgenommen werden 87 Auch die Abendmahlsausteilung in einer Gestalt war nur noch an Konventsmitglieder gestattet, nachdem eine Disputation über die Rechtmäßigkeit der communio sub utraque außer von den Augustiner-Eremiten nur ausweichend beantwortet worden war. Im Fall der Zuwiderhandlung wurde der Entzug von Schutz und
83
U N N D E R BEIDER GESTALT..."'. S . 9 0 . K a t a l o g N r . 1 4 ( W . A r a n d ) .
84
HSTA Düsseldorf. Fraterherren Wesel. U 35 (1540. Jan. 31).
85
P f A St.Martini
Wesel.
A
3. 5, N r .
5. Z u r S c h ü l e r s t i f t u n g s. ULRICH SIMON:
Im
Namen Gottes Amen. Zu Leben und Testament des Magisters Johann Heck aus Büderich. In: Büderich. Beiträge zur Stadtgeschichte (Studien und Quellen zur Geschichte von Wesel 9). Wesel 1987. S. 79-165. hier S. 99 ff. 86 BAMBAUER: Forschungen zur Geschichte des Augustinerklosters. S. 21, S. 26 f. 87 GANTESWEILER: Chronik der Stadt Wesel, S. 218 f.
/ . Die Maßnahmen der neugläubigen
Magistrate
161
Schirm angedroht. 88 Seit 1543 folgten Maßnahmen, die durch Druck auf das innerkonventuale Leben unikonfessionelle Verhältnisse in der Stadt erreichen wollten. Die Altgläubigen wurden auf dem Rathaus von den Prädikanten aufgefordert, die römische Meßfeier aus der Schrift zu rechtfertigen. Der von jenen angeführte Verweis auf die kirchliche Tradition wurde gemäß des zuvor zugrunde gelegten sola scriptura Prinzips nicht anerkannt. Beichte, Sakramentenspendung und Meßfeier sollten bis zur Erbringung des geforderten Beweises ausgesetzt bleiben. 89 Die konfessionelle Entwicklung zielte damit unter der Leitung des Magistrats nicht mehr nur auf die Isolation, sondern auf die vollständige Unterdrückung des altgläubigen Kultus auch in den Klosterkirchen. Die Ausbildung des lutherischen Stadtkirchentums seit dem ersten offenen Abendmahl sub utraque erreichte damit einen vorläufigen Höhepunkt. 90 Das Fraterhaus wird als einzelne Institution in dieser Zeit nicht faßbar. Die Meßfeier und sakramentale Handlungen wurden in der Fraterkapelle allenfalls heimlich vorgenommen, zumal der Rat sofort energische Maßnahmen ergriff, als aus dem teilweise noch widerspenstigen Augustinerkloster 1544 eine altgläubige Meßfeier bekannt wurde. 91 Die Güter und Renten des Mendikantenkonvents wurden nach dem Zwischenfall inventarisiert und die Kleinodien zum Verkauf nach Köln gebracht. Weitere Maßnahmen, die die vollständige Auflösung des Fraterhauses wie der anderen Konvente hätten vorantreiben können, unterblieben, um durch eine weitergehende Bedrängung der Konvente nicht die herzogliche Regierung auf den Plan zu rufen. Nach der Niederlage des Herzogs gegen Karl V. hatte sich der klevische Landesherr im Venloer Vertrag auch auf den Schutz des alten Glaubens verpflichten müssen. 92 Gegenüber den Unwägbarkeiten, die eine Anrufung des kaiserlichen oder landesherrlichen Schutzes durch die Weseler Klöster mit sich gebracht hätten, vertraute der Magistrat auf die selbsttätige Wirkung, die von der Beschränkung der Konvente auf Dauer zu ihrem Aussterben fuhren sollte. Die Fratergemeinschaft hielt dem äußeren Druck zunächst stand. Angesichts der Tatsache,
88
WOLTERS: Reformationsgeschichte der Stadt Wesel, S. 95. GANTESWEILER: Chronik der Stadt Wesel. S. 218 f. 90 J.F. GERHARD GOETERS: Martin Luther und die reformatorische Bewegung am Niederrhein. In: Joachim Mehlhausen (Hrsg.). Reformationsgedenken. Beiträge zum Lutherjahr 1983 aus der Evangelischen Kirche im Rheinland (Schriftenreihe des Vereins für Rheinische Kirchengeschichte 81). Köln 1985. S. 218. 91 STEMPEL: Die Reformation in der Stadt Wesel. S. 26. Ebd.. 27. urteilt über die Fraterherren: „Sie blieben mehr in der Stille beim Alten. " 92 STEMPEL: Die Reformation in der Stadt Wesel. S. 28. 89
162
IV. Die Existenz unter den Bedingungen
der
Glaubensspaltung
daß die Ratsbeschlüsse bei der Regelung der kirchlichen Fragen in den Jahren von 1540 bis 1548 nur im Fall der Augustiner-Eremiten von einer Unterstützung der Neuerungen berichten, 93 müssen die Brüder als gemeinschaftlich auftretende Institution weiterhin der Seite der Altgläubigen zugerechnet werden. Nach einer zwischenzeitlichen Verbesserung der Situation der Altgläubigen in Wesel, die mit der Einfuhrung des Augsburger Interims und der Entlassung der Prädikanten günstigere Rahmenbedingungen für die Konvente schufen, 94 ergriff der Magistrat ab 1552 wieder Maßnahmen zur Etablierung eines lutherischen Bekenntnisses in der Stadt. Die Klöster wurden aufgefordert, die Unrechtmäßigkeit des Abendmahles in beiderlei Gestalt aus der Schrift zu beweisen. Angesichts der Beschränkung auf die Schrift baten diese anstatt einer inhaltlichen Einlassung jedoch nur um Duldung in der Stadt. Der Magistrat verbot daraufhin unter Androhung der Ausweisung, gegen die Austeilung des Abendmahles in beiderlei Gestalt zu polemisieren. 95 Zur lutherischen Abendmahlsfeier bemächtigte er sich im Juli der Kirche der Fraterherren. Die Brüder erreichten lediglich eine schriftliche Bestätigung des Magistrats, daß die Abendmahlsfeier gegen ihren Willen abgehalten wurde. 9 6 Hätte sich die reichspolitische Lage noch einmal zugunsten Karls V. und der Altgläubigen gewandt, wäre das Fraterhaus damit gegenüber dem Landesherren in der Lage gewesen, seine „Rechtgläubigkeit" zu beweisen. Die Kirche der Dominikaner wurde ebenfalls für Predigten genutzt, bevor die Stadt es im folgenden Jahr wagte, sich wieder der Mathena-Kirche zu bemächtigen. 9 7 Zur Vereinheitlichung der Gebräuche wurde 1553 die Reformation des Kölner Erzbischofs Hermann von Wied eingeführt, die damit einen späten Wirkungsbereich fand. Diese Ordnung schlug einen
93
WOLTERS. Reformationsgeschichte der Stadt Wesel, S. 95, S. 97. JULIUS HEIDEMANN: Vorarbeiten zu einer Geschichte des höheren Schulwesens in Wesel 2 (1545-1612). In: Programm des Gymnasiums zu Wesel 1859, Wesel o.J. (1859), S. 34. 1552 ist ein bichthoirer im Fraterhaus belegt, die Kirche der Fraterherren war wieder ohne Restriktionen geöffnet, ebd., S. 36. OTTO R. REDLICH: Zur Einführung des Augsburger Interims in Wesel und Soest. In: Düsseldorfer Jahrbuch 26 (1914), S. 260 f. STEMPEL: Die Reformation in der Stadt Wesel. S. 34. 95 HEIDEMANN: Vorarbeiten zu einer Geschichte des höhern Schulwesens in Wesel 2. S. 36. 96 GOETERS: Die konfessionelle Entwicklung, S. 146. STEMPEL: Die Reformation in der Stadt Wesel. S. 35. 97 KESSEL: Reformation und Gegenreformation im Herzogtum Cleve. S. 24. STEMPEL: Die Reformation in der Stadt Wesel. S. 41. 94
/. Die Maßnahmen der neugläubigen
Magistrate
163
Mittelweg ein, der auch den landesherrlichen Wünschen Rechnung trug. 9 8 Der Willibrorddom, dessen Kollatur der Herzog im Jahr 1557 vom Kloster Oberndorf erwarb, blieb dem protestantischen Gottesdienst jedoch bis 1559 verschlossen." Der Rat strebte nun eine vollständige Kontrolle des konventualen Lebens mit dem Ziel der Selbstauflösung an, da den altgläubigen Konventen jede ungenehmigte Neuaufnahme und auch jede Primizfeier verboten wurde. 1 0 0 Dessen ungeachtet zeichnete sich die Zeit nach dem Interim in Wesel durch eine kirchliche Vielfalt aus. Neben den lutherischen Zeremonien der Stadtkirche wirkte bis 1557 in der Willibrordkirche der Interimsprediger Gotfried von Kindern, 101 hielten die Dominikaner und Fraterherren Gottesdienste in ihren Kirchen ab und versammelten sich die reformierten Wallonen und Engländer in den Kirchen des Heilig-Geist Hospitals und der Augustiner-Eremiten, wobei sie allerdings auf den Empfang des Abendmahls durch städtische Prediger verpflichtet waren. 1 0 2 Altgläubigen und Exulanten wurde also zugestanden, sich eigenständig zu versammeln, wenn auch gegen die reformierten Neuankömmlinge eine Kontrolle der Sakramentspraxis eingeführt wurde. Hier machte die Stadt aus Sorge um ihre Einheit und Verdächtigungen von außen keine Zugeständnisse. 1 0 3 Eine Verschärfung der Spannungen im kirchlichen Leben Wesels trat mit der Einfuhrung der lutherischen Confesio Wesaliensis im Jahr 1561 und den darauf folgenden Auseinandersetzungen zwischen deren Befürwortern 98 GOETERS: Die konfessionelle Entwicklung, S. 149. Zum Kölner Erzbischof s. AUGUST FRANZEN: Bischof und Reformation. Erzbischof Hermann von Wied in Köln vor der Entscheidung zwischen Reform und Reformation (KLK 31). Münster 1972 2 . 99 WALTER STEMPEL: Die Einführung der Kölner Reformation in der Stadt Wesel. In: MEKGR 34 (1985), S. 261. Vor 1557 hatte das Hochkloster die Besetzungsrechte an beiden Stadtkirchen, konnte sie aber in der Reformationszeit nicht mehr durchsetzen. In St. Willibrord wurde die Pfarrstclle nach Anton Fürstenberg nicht mehr besetzt, s. STEMPEL: Die Reformation in der Stadt Wesel, S. 41 f. Auch 1559 verstieß die Stadt nicht gegen die Rechte des Herzogs, aber der vom Landesherren eingesetzte Kaplan Rollius erwies sich schnell als Protestant. Zur Entwicklung des Rollius vom herzoglichen Prediger bis hin zur Unterstützung der reformierten Wallonen s. HEINZ SCHILLING: Niederländische Exulanten im 16. Jahrhundert. Ihre Stellung im Sozialgefüge und im religiösen Leben deutscher und englischer Städte (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte 187). Gütersloh 1972, S. 91 f. 100 BAMBAUER: Forschungen zur Geschichte des Augustinerklosters, S. 9. Das Verbot von Neuaufnahmen berief sich auf eine frühere, nicht genauer datierte Regelung. 101 STEMPEL: Die Reformation in der Stadt Wesel. S. 36. 102 STEMPEL: Die Reformation in der Stadt Wesel, S. 37. 103 SCHILLING: Niederländische Exulanten. S. 88 f. Den Hintergrund dieser Auseinandersetzungen bildete der mittlerweile ausgebrochene zweite Abendmahlsstreit, der das Wissen um die Unterschiede zwischen Luther und Calvin förderte.
164
IV. Die Existenz unter den Bedingungen
der
Glaubensspaltung
und den Vertretern eines melanchthonisch-kryptocalvinistischen Mittelweges in der Stadt auf. 104 Die Vereinheitlichung der Stadtkirche, die mit der Confesio Wesaliensis täuferische Elemente und die reformierte Abendmahlslehre ausschließen wollte, zeitigte als Nebenwirkung der eigentlich bezweckten Konsolidierung innerhalb des Protestantismus auch den Wiederbeginn von Repressionen gegen die seit dem Interim geduldeten altgläubigen Konvente. 1 0 5 So wurde die Abschaffung der Chorröcke gefordert, die man aus Rücksicht auf den Herzog geduldet hatte. Die Prädikanten der Stadtkirchen wurden angewiesen, sich deutlich von der römischen Kirche abzugrenzen. 1 0 6 In dieser Verschärfung des konfessionellen Klimas sind wieder Eingriffe des Rates in das Leben der Klöster und geistlichen Gemeinschaften bezeugt. Die altgläubigen Konvente sollten nunmehr vollständig unterdrückt werden. Der Magistrat verbot erneut ungenehmigte Neuaufnahmen in die Klöster, 1 0 7 nachdem noch zwei Tage zuvor der spätere Rektor des Fraterhauses, Sebastianus Vorst, in die Brüdergemeinschaft eingetreten war. 1 0 8 Auch sollte laut Ratserlaß von 1564 der Rektor nur noch aus der Weseler Hausgemeinschaft gewählt werden. 1 0 9 Damit wollte man der Entsendung von Brüdern aus den Häusern in Münster oder Köln vorbeugen, die dem Leben im Fraterhaus den Interessen des Rats entgegenlaufende Impulse hätten verleihen können. Solche Missionen aus dem Münsteraner Fraterhaus waren seit der Reformation in den geschwächten Häusern üblich. 110 Auf längere Sicht schien dieses Vorgehen des Rates das Ende des
104
GOETERS, Die konfessionelle Entwicklung, S. 147 f. Im Herbst 1563 griff das Haupt der Weseler strenglutherischen Partei, Tilemann Heshusen, in einer Schmähschrift die Altgläubigen an, wogegen der Herzog prote105
stierte, s. GOETERS: D i e k o n f e s s i o n e l l e E n t w i c k l u n g . S. 148. WALTER STEMPEL: D i e
Reformation in der Stadt Wesel. In: Geschichte der Stadt Wesel 2. Hrsg. von J.Prieur. Düsseldorf 1991, S. 136. 106 GANTESWEILER: Chronik der Stadt Wesel. S. 254. 107 GANTESWEILER: Chronik der Stadt Wesel. S. 254. 108 HEINRICH A. DRAHT: Sankt Martini Wesel. Festschrift zur 500-Jahrfeier des Weseler Fraterhauses mit 20 Abbildungen und einem Anhang: Quellen zur Weseler Kirchengeschichte. Gladbeck 1936, S. 107. Ebenso war auch Balthazar de novo Castro Wesaliensis im Jahr 1562 eingetreten. Theodor Piper de Dorsten war allerdings entgegen den Angaben Drahts schon 1559 Mitglied des Konventes gewesen, s. HSTA Düsseldorf, Fraterherren Wesel, U 49 (1559, Okt. 9). 109 G. SEILER: Die Fraterherren zu Wesel. Ein Beitrag zur Kirchengeschichte des Niederrheins. Wesel 1899, S. 10. 110 Für Wesel s. DRAHT: Sankt Martini Wesel. S. 107 f. Essentiell für den Fortbestand des Hauses St.Martini wurde diese Art der Unterstützung ab 1575. Schon in den
1. Die Maßnahmen der neugläubigen
Magistrate
165
altgläubigen, gemeinschaftlichen Lebens im Fraterhaus zu garantieren. Der Gemeinschaft gelang es unter den ungünstigen Rahmenbedingungen kaum noch, ihr gewohntes Leben aufrecht zu erhalten und weiteren Nachwuchs heranzuziehen. Münster Aufgrund der nur geringen institutionellen Konsolidierung, zu der die lutherische Vorherrschaft in Münster vor dem Wiedertäuferreich gelangte, blieben die Klöster und Stifte von konfessionellen Vereinheitlichungstendenzen der Stadtkirche in den Jahren 1532 und 1533 relativ unbehelligt. In der ersten Phase der Reformation vor Abschluß des Dülmener Vertrages, mit dem am 14.Februar 1533 Bischof Franz von Waldeck das lutherische Bekenntnis der Stadt anerkannte, beschränkten sich die Forderungen auf eine Heranziehung des Klerus für die aus der Auseinandersetzung mit dem Bischof entstehenden Kosten der Einwohnerschaft. 111 Das Domkapitel und der clerus secundariiis, zu dem auch die Brüdergemeinschaft gehörte, 112 wurden beschuldigt, durch Verleumdungen die Blockade der Stadt durch den Bischof verursacht zu haben. 113 Das Schicksal der Stifte und Klöster hing davon ab, wie weit es dem radikalen Teil der lutherischen Bewegung gelang, seine Forderungen gegen die Geistlichkeit durchzusetzen. 114 Die entscheidende Position hatte der Magistrat inne, für den es galt, die Gefahr eines Eingreifens des Landesherren durch die weitestmögliche Schonung der Stifte und Klöster zu verhindern und der daher einen Mittelkurs steuerte, indem er die Forderungen gegen den Klerus zwar aufnahm, diese aber dilatorisch behandelte.
vierziger Jahren war zum Beispiel der münstersche Bruder Theodericus Bredevort nach W e s e l entsandt w o r d e n , s. FRATERHAUS HERFORD 2: S. 2 6 9 f. 111
Zu den Ereignissen s. SCHRÖF.R: Die Reformation in Westfalen 2. S. 374 f. In seiner divisio incolarum nennt Kerssenbroch neben den Stiften die vier Männerklöster der Stadt, die Kommenden des Deutschen Ordens und der Johanniter, den Minoritenkonvent und das Fraterhaus als Angehörige des Sekundarklerus. s. KERSSEN112
BROCH: S . 1 0 0 f. 113
K E R S S E N B R O C H : S . 2 7 6 . JOSEPH N I E S E R T ( H R S G . ) : B e i t r ä g e z u e i n e m
Münsteri
sehen Urkundenbuche 1. Münster 1823. S. 182 ff. 114 Das Ringen zwischen den Protestanten und den Katholiken um die Vorherrschaft in der Stadt war gleichzeitig der Kampf zwischen verschiedenen Gruppen innerhalb des Honoratiorentums um die Verteilung der politischen Gewalt, s. SCHILLING: Aufstandsbewegungen, S. 225. TAIRA KURATSUKA: Gesamtgilde und Täufer. Der Radikalisierungsprozeß in der Reformation Münsters. Von der reformatorischen Bewegung zum Täuferreich 1533/34. In: ARG 76 (1985). S. 237, unterscheidet hierzu in „Alt-" und „Neuhonoratiorentum". wobei die Trennungslinie zwischen Altgläubigen und Protestanten horizontal unterhalb des Althonoratiorentums verlief.
166
IV. Die Existenz unter den Bedingungen
der
Glaubensspaltung
Mit der Fortdauer der Blockade erweiterten Gesamtgilde und Gemeinheit im November die Forderungen gegen den Klerus. 115 Anstatt von bloßen Kontributionen schlug man nun eine vollständige Enteignung vor, sofern die Geistlichkeit nicht für den gesamten Schaden der Bürgerschaft aufkäme. Anders als einen Monat zuvor gelang es dem Magistrat nicht mehr, die Forderungen zu unterdrücken. Innerhalb zweier Tage sollte der Klerus die Aufhebung der Blockade beim Bischof erwirken und den Sold eines Monats für die angeworbenen Haufen sammeln. 116 Am 18. Dezember forderte der Magistrat den Sekundarklerus nochmals auf, den Betrag für die Besoldung zu sammeln. Diejenigen Mitglieder des Klerus, die dies verweigerten, sollten der Obrigkeit gemeldet werden. 117 Die Forderungen gegen den Klerus wurden jedoch verdrängt durch die sich überschlagenden Ereignisse der folgenden Tage, die im Überfall der Bürgerschaft auf das bischöfliche Quartier in Telgte gipfelten. Mit dem Sieg der Stadt Münster über den Bischof verfielen automatisch die aus der Situation der Belagerung entstandenen Forderungen gegen den Sekundarklerus. Durch die Vermittlung der Räte des Landgrafen Philipps von Hessen wurde am 14. Februar 1533 der Vertrag von Dülmen geschlossen, 118 in dem Bischof, Domkapitel und Ritterschaft die kirchlichen Verhältnisse in der Stadt anerkannten. Der Bischof gestand der Stadt bis zur endgültigen Entscheidung der Religionsfragen durch ein Konzil oder eine Ständeversammlung des Reiches zu, in den Pfarrkirchen Prediger einzusetzen, die Sakramente auszuteilen und eine eigene Kirchenordnung aufzustellen. 119 Im Gegenzug versprach die Stadt, die übrigen Capittel Stiften ader Collegia ... by yrer religion unbekümmert und vor sich leben lassen, biß so lange es der almechtig anders schicken wirdet... ", 120 Ihre Einkünfte sollten den Konventen uneingeschränkt belassen werden. 121
115
KERSSENBROCH: S.
318.
116
KERSSENBROCH: S. 319. Auch dieses Vorgehen des Rates ist noch gemäßigt gegenüber den Forderungen der Gemeinheit. Der Rat verließ nicht die institutionellen Bahnen und wählte den Weg über die Repräsentation des clerus secundarius, der damit auch die Vorantreibung der Forderungen überlassen wurde. 117 KERSSENBROCH: S. 329 f. Die Deutschordensritter und Johanniter, das Überwasserstift und der Pater der Niesing-Schwestern blieben fern und wurden dem Rat gemeldet. Die Fraterherren scheinen sich demnach an dieser Versammlung beteiligt zu haben. 118 Gedruckt bei ROBERT STUPPERICH: Dr. Johann von der Wyck. Ein münsterscher S t a a t s m a n n der R e f o r m a t i o n s z e i t : In: W Z 123 ( 1 9 7 3 ) . S. 9 - 5 0 , hier S. 3 6 - 4 2 . 119
STUPPERICH: Dr. Johann von der Wyck, S. 37. STUPPERICH: Dr. Johann von der Wyck, S. 37. Die Formulierung, die die Rechte der Katholiken festlegte, war ein Werk der hessischen Räte gewesen. Die Stadt hatte 120
1. Die Maßnahmen der neugläubigen
Magistrate
167
Seit März 1533 begann der Magistrat dennoch mit einer Reihe von Maßnahmen gegen das altgläubige Leben in der Stadt. 122 Der Rat forderte die münsterischen Franziskaner auf, ihre Konventsgebäude zu verlassen und der Stadt zu übereignen, die hierin eine Schule einrichten wollte. 123 Eine gute Woche später folgte das Verbot von Beichtabnahme und Predigt. 124 Den Fraterherren wurde am 7. April der Verkauf von Hostien verboten. 125 Gegenüber der Gemeinschaft Zum Springborn war wie 1525 deren gewerbliche Tätigkeit der Hauptpunkt der Kritik. Darüber hinaus forderte der Rat nicht nur von den Pfarrkirchen, sondern auch von Geistlichen, die nach dem Dülmener Vertrag noch dem Bischof unterstanden, alle Kleinodien ein. 126 Wahrscheinlich in dieser Zeit kam es auch zu einer Anleihe des Rates über 100 fl. beim Fraterhaus. 127 Nach Beschwerden des Bischofs wurden die hessischen Räte erneut nach Münster entsandt, um im Sinn des Vertrages vom Februar 1533 zu vermitteln. Anfang Juli kam es jedoch zu weiteren Übergriffen gegen die Stifte und Klöster. 128 Jedoch nicht die Altgläubigen, sondern die progressiv-gemeindliche Partei um Bernhard Rothmann war der stärkste Gegner des Magistrats. 129 Durch Rothmanns Weigerung, seine Kirchenordnung vom März 1533 in den Passus ursprünglich dadurch einschränken wollen, daß die Zeremonien nicht gegen Gottes Wort verstoßen oder offene Gotteslästerung enthalten dürften, s. FRIEDRICH KRAPF: Landgraf Philipp der Großmütige von Hessen und die Religionskämpfe im Bistum Münster 1532-1536. Diss. Marburg 1951. S. 62. 121 Dagegen wurden aber diejenigen Stiftungen, die von den Bürgern an den Pfarrkirchen für Bruderschaften. Memorien oder ähnlichem getätigt worden waren, zum Unterhalt der Prediger und für die Armen vorbehalten. STUPPERICH: Dr. Johann von der Wyck. S. 38. 122 SCHRÖF.R: Die Reformation in Westfalen 2. S. 394 f. 123
K E R S S E N B R O C H : S. 4 0 0 f.
124
KERSSENBROCH: S. 4 0 4 .
125
K E R S S E N B R O C H : S. 4 0 4 .
126
KRAPF: Landgraf Philipp der Großmütige, S. 73. HSIA: Gesellschaft und Religion in Münster, S. 53. Anm. 93: Der neue Rat weigert sich 1536, die Anleihe seines protestantischen Amtsvorgängers von 1533 anzuerkennen. 128 KRAPF: Landgraf Philipp der Großmütige. S. 73. 129 CARL A. CORNELIUS: Geschichte des münsterischen Aufruhrs 2. Leipzig 1860, S. 180 ff. RICHARD VON D Ü L M E N : Reformation als Revolution. Soziale Bewegung und religiöser Radikalismus in der deutschen Reformation. Überarb. Neuausgabe, Frankfurt a.M. 1987, S. 256. Sozialgeschichtlich waren diese Kämpfe nach SCHILLING*: Aufstandsbewegungen, S. 228, Auseinandersetzungen innerhalb des Großbürgertums. KURATSUKA: Gesamtgilde und Täufer. S. 240-246, betont die Radikalisierung Rothmanns gerade durch den äußeren Druck und das autoritäre, obrigkeitliche Auftreten v.d.Wycks, das dem genossenschaftlichen Selbstverständnis entgegenlief und zu einem Bruch im seit 1532 dominierenden „Neuhonoratiorentum" führte. 127
168
IV. Die Existenz unter den Bedingungen der Glaubensspaltung
den von den Marburger Theologen beanstandeten Punkten zu ändern, war der Bruch im protestantischen Lager offenbar geworden. 130 In der Folge wandte sich daher die konservativ-lutherische Ratspartei auch an Teile der Altkirchlichen in der Stadt, um gegen die täuferischen Abweichungen vorzugehen. Der Syndikus von der Wyck versuchte so im August, durch ein Religionsgespräch über die strittigen Punkte von Kindstaufe und Abendmahl die Oberhand gegen Rothmann und die Wassenberger Prädikanten zu festigen. 131 Die Fraterherren Johannes Holtmann und Dietrich Bredevort traten hier zusammen mit dem vom Rat beauftragten Hermann von dem Bussche auf. 132 Holtmann und Bredevort zitierten eine Reihe von Schriftbeweisen, die die Kindstaufe rechtfertigen sollten und schlössen sich den Ausführungen von Buschius an. 133 Holtmann verwies zudem auf die Praxis der Apostel und die Beschlüsse der ersten Konzile. 134 Nach dem Abbruch der Gespräche am zweiten Tag wiederholte der Rat den schon am Ende des ersten Tages verlesenen Erlaß, daß die Kindstaufe in christlicher Weise beizubehalten und keine Neuerungen zu propagieren oder einzuführen seien, bis die Prädikanten „...mit gotliken worde ehre Iher und angevendt bewerten. " 135 Zwar war es durch den Ablauf des Religionsgespräches 136
130
DIETRICH KLUGE:
Kirchenordnung
und
Sittenzucht
in
Münster
(1533).
In:
J b w e s t f K G 6 7 ( 1 9 7 4 ) , S. 2 2 4 . 131
Das Protokoll des Gesprächs bei STUPPERICH: Schriften Rothmanns. S. 94-119. Dazu HEINRICH DETMER: Das Religionsgespräch zu Münster (Westf.) am 7. und 8. August 1533. Ein Beitrag zur Geschichte Bernhard Rothmanns und des sogenannten Anabaptismus. In: Monatshefte der Comenius-Gesellschaft 9 (1900). S. 273-300. Durch die Festlegung des Themas, nämlich die Widerlegung der Kindstaufe aus der Schrift, und des Ablaufs der Disputation wollte der Syndikus das Religionsgespräch als Mittel zum Ausbau der ratsherrlichen Kirchenhoheit einsetzen, vgl. hierzu MARION HOLLERBACH: Das Religionsgespräch als Mittel der konfessionellen und politischen Auseinandersetzung im Deutschland des 16. Jahrhunderts (Europäische Hochschulschriften Reihe 3, 165). Frankfurt a.M. 1982, bes. S. 103 f.. und BERND MOELLER: Zwingiis Disputationen. Studien zu den Anfängen der Kirchenbildung und des Synodalwesens i m P r o t e s t a n t i s m u s 1. I n : Z R G K A 5 6 ( 1 9 7 0 ) . S. 2 7 5 - 3 2 4 . 132 Die Fratres allein aufgrund dieser Tatsache mit PETER J A. NISSEN: De Moderne Devotie en het Nederlands-Westfaalse Doperdom. Op zoek naar relaties en invloeden. In: De doorwerking van de Moderne Devotie, S. 112, als „...sympathisanten van de lutherse partij... " zu qualifizieren, erscheint angesichts der erforderlichen Abwehr der Täufer nicht ausreichend. 133 STUPPERICH: Schriften Rothmanns. S. 104 ff. 134 STUPPERICH: Schriften Rothmanns, S. 105. 135 STUPPERICH, Schriften Rothmanns, S. 109. 136 Die Beiträge von Buschius und seiner Helfer richteten sich nicht gegen die Argumente der Prädikanten, sondern versuchten die Kindstaufe aus der Schrift zu beweisen. Dies war von von der Wyck nicht so vorgesehen gewesen. Stattdessen hätte Rothmann die späte Taufe aus der Schrift beweisen sollen. Wie unzufrieden von der
I. Die Maßnahmen der neugläubigen
Magistrate
169
dem Rat damit nicht gelungen, eine theologische Legitimation für ein Vorgehen gegen die täuferischen Prädikanten zu erhalten, doch war jetzt mit Zustimmung der teilnehmenden Gildenvertreter die Einfuhrung neuer kirchlicher Gebräuche bei Strafe untersagt. 1 3 7 Auch die neue Kirchenordnung von Johannes Westermann wurde in der Frontstellung zu den Täufern Anfang November wiederum der katholischen Partei zur Beurteilung vorgelegt, zu der abermals der Fraterherr Johannes Holtmann gehörte. 1 3 8 Ohne Zustimmung der Altgläubigen wurde sie von Rat und Gilden gebilligt und am 3O.November in der Lambertikirche verlesen. 139 Mit der Übernahme der Macht durch die Täufer im Februar gingen zahlreiche Ausschreitungen gegen die Kirchen der Stadt einher. In der letzten Woche des Februars wurden der Dom, die Stifts- und Pfarrkirchen und die Klöster gestürmt und teilweise verwüstet, hierunter auch das Frater- und das Süsternhaus. 140 Ebenso wie alle anderen nicht taufwilligen Einwohner mußten Brüder und Süstern Ende Februar/Anfang März die Stadt verlassen. Die Niesing-Chronik berichtet von der Verteilung der Schwestern auf die Süsternhäuser des Münsterlandes, 1 4 1 der Aufenthaltsort der Fraterherren ist nicht bekannt. Herford Auch die sich zu Luther bekennende Fratergemeinschaft auf dem Varenkampinghof mußte sich gegen die Maßnahmen der nach einer einheitlichen Kirchenorganisation strebenden Prädikanten und des Rats erwehren. Herford trat mit der Inkraftsetzung der Kirchenordnung am 7. April 1532 endgültig zum Luthertum über. Das Fraterhaus, welches als neugläubige Gemeinschaft weiterhin bestehen und unabhängig bleiben wollte, wurde im Zuge dieser Entwicklung zum Objekt heftiger Angriffe von seiten der Herforder Prädikanten. 1 4 2 Neben der grundsätzlichen Bestreitung der brü-
Wvck mit diesem Ergebnis war, zeigt sein Ersuchen um Hilfe in Straßburg bei Bucer, s. hierzu SCHRÖER: Die Reformation in Westfalen 2. S. 398. 137 CORNELIUS: Münsterscher Aufruhr 2. S. 193. STUPPERICH: Schriften Rothmanns, S.
119. 138
KERSSENBROCH: S. 4 5 4 .
139
KERSSENBROCH: S . 4 5 8 f.
140
NIESING-CHRONIK: S. 4 3 0 ff. KERSSENBROCH: S. 5 2 0 f.
141
NIESING-CHRONIK: S. 4 3 5 ff.
142
STUPPERICH: Luther und das Fraterhaus in Herford. DERS.: Das Herforder Fraterhaus und die Reformation. DERS.: Das Herforder Fraterhaus und die Devotio moderna.
170
IV. Die Existenz unter den Bedingungen
der
Glaubensspaltung
derlichen Existenzberechtigung war die Behauptung eines eigenständigen Pfarrechtes durch die Fraterherren der zweite Kernpunkt der Auseinandersetzungen, die sich über ein Jahrzehnt hinzogen. Das Vorgehen der Stadt und der Prädikanten gegen das Fraterhaus wies hierbei alle Instrumente und dieselbe Motivation auf, die auch dem Handeln lutherischer Magistrate gegen altgläubige Fraterhäuser eigen war. Die Auseinandersetzungen begannen um Mittsommer 1531.143 Nachdem beide Kirchspiele mit lutherischen Prädikanten besetzt waren, sollten die Brüder den Gottesdienst in St.Johann und Dionys besuchen. 144 Um ihre Forderungen durchzusetzen, beraumten die Prädikanten kurzfristig eine Disputation an, auf der anhand der vorgeschriebenen Thesen das Monopol der städtischen Kirchen auf die Sakramentsausteilung behauptet werden sollte. 145 Die Fratres unterliefen diese Vorgehensweise durch ihr Fernbleiben. Erst mit diesen Ereignissen wurde damit um die Jahreswende 1531/32 offenbar, daß die Brüdergemeinschaft in der lutherischen Stadt auf Dauer weiter existieren wollte. Die Prädikanten forderten daraufhin offen die Aufhebung des Fraterhauses. 146 Im Januar erschien im Fraterhaus eine städtische Gesandtschaft, um die Güter der Gemeinschaft zu inventarisieren. 147 Aufgrund des Widerstandes der Brüder verhängte der Rat einen zweiwöchigen Hausarrest. 148 Während dieser Zeit traf Hilfe für die Brüder aus Wittenberg ein. Luther forderte den Rat nach Prüfung des ihm von Gerhard Wilskamp übersandten Grundt des Fraterleuendes auf, die Brüder gegen die Angriffe zu schützen, da sie in Lehre und Lebensführung nicht gegen das Evangelium verstießen. 149 Der Reformator hatte sich damit auf die Argumentationsebene der
143
FRATERHAUS HERFORD 2 : S. 2 5 2 .
144
FRATERHAUS HERFORD 2:
145
FRATERHAUS HERFORD 2: S. 2 4 9 f. D i e s e D i s p u t a t i o n wurde v o n STUPPERICH:
Die Abfolge der Ereignisse schildert die „Summa". S. 248-253.
Luther und das Fraterhaus in Herford, S. 234, in das Jahr 1540 datiert. Die Quelle berichtet aber chronologisch die Etappen der Auseinandersetzung. Dem Bericht von der Disputation folgt zeitlich eindeutig nachgeordnet die Abfassung des Grundt des Fraterleuendes im Januar 1532, s. FRATERHAUS HERFORD 2: S. 250. Die Disputation muß daher schon 1531 angesetzt gewesen sein. Auch starb Johannes Blomberg, der an der Disputation hätte teilnehmen sollen, schon 1534, s. HAMELMANN: Reformationsgeschichte Westfalens, S. 309. Anm. 7. 146
FRATERHAUS HERFORD 2: S. 2 5 0 , „...nu
huse hadde hören laten, datmen noch fraterhuß
id sik van den predicanten
noch susterhuß
up dem
liden scholde. "
147
FRATERHAUS HERFORD 2 : S. 2 5 0 ( 1 5 3 2 , J a n . 2 3 ) . S. a u c h e b d . . 1, S. 1 8 0 .
148
FRATERHAUS HERFORD 2 : S. 2 4 6 , u n d , 1, S .
149
FRATERHAUS HERFORD 2 : S. 2 2 1 .
180.
rat-
I. Die Maßnahmen der neugläubigen
Magistrate
171
Brüder begeben. Die Fragen der praktischen Organisation des lokalen Kirchenwesens waren für Luther grundsätzlichen Erwägungen nachgeordnet. Die Übereinstimmung mit dem Evangelium allein war für ihn der Maßstab für die Zulassung des Fraterhauses, dessen Existenzberechtigung er bekräftigte. Die Differenz zwischen den Fraterherren und den Prädikanten blieb ungeachtet der Beurteilung ihres Bekenntnisses durch den Wittenberger Reformator in der Auffassung von dem, was „Kirche" darstellte, erhalten. Die Brüder reklamierten für sich die Übereinstimmung mit der Kirche als Gesamtheit aller Gläubigen, die sich durch den Glauben und die Taufe konstituierte. Die Prädikanten sahen dagegen die Kirchengemeinde in erster Linie als identisch mit der Stadtgemeinde. 1 5 0 Luthers Konzept einer Gemeinde war jedoch nicht mit einer konkreten Organisationsform gekoppelt. 1 5 1 Vielmehr war sie eine relativ unbestimmte Versammlung, in der allein entscheidend war, daß „...das lautier Euangelion gepredigt 152 wirf. " Dies war für ihn nicht nur in einem Kirchspiel möglich und im vorliegenden Fall bei den Fraterherren anzutreffen. Die Disputation von 1531 hatte in ihren Thesen dagegen schon auf einer einheitlichen Kirchenorganisation beharrt. 1 5 3 Das Pfarrecht sollte entsprechend nach der Herforder Kirchenordnung für die Kirchspiele reserviert bleiben. 154 Diejenigen, die wie die Fraterherren hiergegen verstießen, waren nach dem Verständnis der Prädikanten „...eygen erweite geistlichen..." und duvels
plantynge... ",155
150
Vgl. PETER BLICKLE: Gemeindereformation. Die Menschen des 16. Jahrhunderts auf dem Weg zum Heil. München 1985, S. 109, „ Offensichtlich überstieg es den Denkund Erfahrungshorizont der Bürger, kirchliche Gemeinde und städtische Gemeinde zu trennen. " 151 Für Luther waren Stadt- und Kirchengemeinde nicht identisch, s. M O E L L E R : Reichsstadt und Reformation. S. 3 2 ff., S. 4 9 . BLICKLE: Gemeindereformation, S. 1 3 6 f. G E R H A R D PFEIFFER: Das Verhältnis von kirchlicher und politischer Gemeinde in den deutschen Reichsstädten. In: Walther P. Fuchs (Hrsg.): Staat und Kirche im Wandel der Jahrhunderte. Stuttgart u.a. 1 9 6 6 , S. 8 5 f. S. auch K A R L M Ü L L E R : Kirche, Gemeinde und Obrigkeit nach Luther. Tübingen 1 9 1 0 . S. 4 3 - 4 7 . 152 Zitiert nach C H R I S T I A N M Ö L L E R : Gemeinde 1. In: TRE 1 2 . S. 3 2 0 . Die Prüfung, inwieweit dies der Fall war, blieb der hörenden Gemeinde vorbehalten. 153 F R A T E R H A U S H E R F O R D 2: S. 249, ,, F.yn here, eyn love, eyn l y f f schal syn. " Im Gründl des Fraterleuendes las sich dies dagegen: „Ein here, ein gelove, ein dope ", FRATERHAUS HERFORD 2: S.
142.
Reformationsgeschichte der Stadt Herford, S. 72, „De Erwelinge der Predikers und der anderen deners der kerken is na Codes ordeninge by der Christeliken gemeine, dat wy en kerspel nomen... ". 155 F R A T E R H A U S H E R F O R D 2 : S. 2 4 9 . Vgl. die Kirchenordnung. H Ö L S C H E R : Reformationsgeschichte der Stadt Herford, S. 62. 154
HÖLSCHER:
172
IV. Die Existenz unter den Bedingungen der Glaubensspaltung
Aufgrund seiner weiter gefaßten Gemeindekonzeption trug Luther diese Konsequenz nicht mit. Auch die von den Brüdern beibehaltene besondere Kleidung und ihr Verbleiben bei einem keuschen Leben sah der Wittenberger Reformator auf einem rechten Verständnis des Evangeliums gegründet, so daß keine Notwendigkeit für ein Eingreifen vorlag. Seine Stellungnahme stimmte hier mit seinen sonstigen Urteilen in lokalen Fragen überein, die von reflektierter Distanz zur unbedingten Durchsetzung der Kirchenordnungen geprägt war. 1 5 6 Die Begutachtung durch Luther und Melanchthon entzog den Bemühungen der Prädikanten, das Fraterhaus aufheben zu lassen, den Boden. Die geplante öffentliche Rechtfertigung der Brüder, die am 18. Februar hatte stattfinden sollen, wurde abgesagt. Die Angriffe von der Kanzel verschärften sich allerdings weiter. Quasi zum Beweis für die Gefahren, die aus dem Fraterhaus entstünden, klagten die Prädikanten vor dem Rat den Fall desjenigen Bruders an, der schon neun Monate zuvor eine Schriftstelle falsch ausgelegt hatte. 1 5 7 Die Stadt wandte sich auch selbst an Luther, um den Reformator auf ihre Seite zu ziehen, 158 so daß dieser nun mehr auf die organisatorischen Probleme der Kirchenneuordnung einging und einen Kompromiß empfahl. Die Brüder sollten freiwillig das Abendmahl im Kirchspiel empfangen. 1 5 9 Allerdings sah er weiterhin keine Handhabe, die Fratres zu diesem Schritt zu zwingen, da sie direkt der Äbtissin des Herforder Reichsstiftes unterstanden. 1 6 0 Auch das Pfarrecht der Brüder müsse im Zweifelsfall akzeptiert werden. Die Gefahr, daß nun jeder eine eigene Abendmahlsfeier einrichten könne, wie sie die Prädikanten beschworen, hielt Luther für nicht gegeben, da die Brüder nicht heimlich, sondern offen handelten. Der Reformator, der schon lange mit Wilskamp und Montanus im Briefwechsel gestanden hatte,
156
BRECHT: Luthertum als politische und soziale Kraft. S. 10. 2: S. 251 f. Anfang April 1532 wurden die Brüder erneut für eine Woche mit Hausarrest belegt, nachdem sie einer Vorladung auf das Rathaus nicht Folge geleistet hatten, ebd., S. 246. Ein von der Äbtissin anberaumter Termin, zu dem Wilskamp auch die Rektoren der Häuser in Münster und Hildesheim hinzurief, wurde von Seiten der Stadt ausgelassen. 158 FRATERHAUS HERFORD 2: S . 2 4 6 . Entgegen der Datierung in ebd., Anm. 4 , handelt es sich um Ereignisse des Jahres 1532. 157
FRATERHAUS HERFORD
159
FRATERHAUS HERFORD 2 : S. 2 2 7 .
160
Der Varenkampinghof war eigenhöriges Gut des Stifts und die Äbtissin damit alleinige Inhaberin der weltlichen und geistlichen Gerichtsbarkeit, s. die Belehnungen durch die Äbtissin. FRATERHAUS HERFORD 1: S. 1 9 2 f. ALFRED COHAUB: Herford als Reichsstadt und papstunmittelbares Stift am Ausgang des Mittelalters. Ein Beitrag zur Geschichte der Landeshoheit in den westfälischen Reichsstädten. Bielefeld 1928, S. 31.
1. Die Maßnahmen der neugläubigen
Magistrate
173
hielt in diesem konkreten Fall die Einrichtung einer Kontrolle gegen sektierische Absonderungsgefahr nicht für notwendig. 1 6 1 Bugenhagen, als Verfasser vieler Kirchenordnungen und bewährter Organisator in der Praxis mit den Problemen der Neugestaltung vertraut, urteilte dagegen im Sinn der Prädikanten. 162 Wie diese sah er die Einheit der Kirche durch die Fraterpfarre zerstört. Allerdings war er sich der rechtlichen Unantastbarkeit des Hauses bewußt. Er forderte daher die Brüder auf, um des Friedens willen ihre Privilegien freiwillig abzulegen. Auch Amsdorf wünschte gegenüber Johann Dreier, daß die Brüder sich dem Kirchspiel unterordneten. 1 6 3 Ein Gutachten der Universität Wittenberg, welches den Fraterherren recht gab, 164 und eine Bestätigung der Privilegien des Hauses durch die Äbtissin 165 beendeten zunächst die Auseinandersetzungen. Den Prädikanten war es anläßlich der Einführung der Kirchenordnung nicht gelungen, das Pfarrecht der Brüder aufzuheben. Der prinzipielle Angriff auf die Lebensform der Fraterherren war schon nach Luthers erstem Eintreten für sie aufgegeben worden. 1533 flackerte der Streit jedoch wieder auf. Luthers Mahnung an die Neunmänner bezüglich der Fraterherren, „Die Zeit selb wird Rat finden... ", 166 wurde von den Prädikanten so ausgelegt, daß man das Aussterben des Hauses abzuwarten habe, indem man Neuaufnahmen in die Gemeinschaft nicht zuließ. 167 Wilskamp wandte sich erneut an Luther, um diese Interpretation zu widerlegen. 1 6 8 Der Wittenberger Reformator verurteilte daraufhin die Übergriffe auf das Fraterhaus, da ihre Lebensform untadelig sei. Seine Bemerkung wollte er nicht dazu benutzt wissen, die
161
FRATERHAUS HERFORD 2: S. 2 2 6 .
F R A T E R H A U S H E R F O R D 2 : S . 2 2 9 . Vgl. H O R S T J E . BEINTKF.R: Fortsetzung und Festigung der Reformation. Neuordnung in evangelischen Kirchen unter Bugenhagens Anleitung mittels seiner Braunschweiger Kirchenordnung von 1528. In: Theologische Zeitschrift 4 4 ( 1 9 8 8 ) . S . 1 - 3 1 . hier S . 1 9 f. Allgemein M A R T I N B R E C H T : Lutherische Kirchenzucht bis in die Anfänge des 17. Jahrhunderts im Spannungsfeld von Pfarramt und Gesellschaft. In: Hans-Christoph Rublack (Hrsg.): Die lutherische Konfessionalisierung in Deutschland. Wissenschaftliches Symposion des Vereins für Reformationsgeschichte 1988 (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte 197). Gütersloh 1 9 9 2 . S. 4 0 0 - 4 2 0 . hier S. 4 0 1 f. 163 STUPPERICH: Luther und das Fraterhaus in Herford. S . 2 3 0 f. 162
164
FRATERHAUS HERFORD 2: S. 2 3 4 .
165
FRATERHAUS HERFORD 2: S. 2 3 3 f.
166
FRATERHAUS HERFORD 2: S.
227.
und 1. S . 1 3 4 „...uth anholdunge der predicanten ane sake verfolget unde derhalven van der stad in personen anthonemende verhyndert... ". 167
FRATERHAUS HERFORD 2: S. 2 3 6 .
168
FRATERHAUS HERFORD 2: S. 2 3 6 f.
174
IV. Die Existenz unter den Bedingungen der
Glaubensspaltung
Brüder langsam aus der Stadt zu drängen. 1 6 9 Auch die von der Stadt geplante Heranziehung des Fraterhauses zu Schulzwecken wies Luther zurück, da nur diejenigen Klöster, die zu Schulzwecken fundiert und mit entsprechenden Mitteln versehen worden seien, hierfür umgewandelt werden dürften. 1 7 0 Wie schon 1532 schweigen die Quellen auch nach der zweiten Etappe der Auseinandersetzung über weitere Angriffe gegen das Fraterhaus. Die Autorität des Wittenberger Reformators schützte die Brüder hinreichend, um vor offener Bedrohung sicher zu sein. Dennoch strebte die Stadt weiter danach, langsam der Fraterherren ledig zu werden. Das Verbot, neue Mitglieder im Fraterhaus aufzunehmen, wurde auch noch 1537 aufrecht erhalten, 171 so daß 1539 nur noch fünf Fraterherren auf dem Varenkampinghof lebten. 172 Der Prediger auf der Neustadt, Jodocus Deterding, begann im Herbst 1539 wieder mit heftigen Angriffen auf die Brüder. 1 7 3 Von dem Magistrat forderte er, daß dieser erneut das Fraterhaus zur Eingliederung in das Kirchspiel aufforderte, 1 7 4 den Brüdern im Haus warf er vor, sich den Schriften Witzeis zugewandt und damit die Einheit in der Lehre zerstört zu haben. 175 Die Fraterherren waren 1538 wieder zu strengeren Fastengewohnheiten zurückgekehrt und begründeten dies damit, daß diese unter dem Namen christlicher Freiheit stark abgenommen hätten, obwohl sie in der Schrift begründet seien. 176 Zudem behielten sie auch Elemente ihres alten Gottesdienstes bei. So forderte Deterding 1539 und 1540 auch, daß sie ihre geistlichen Gewänder während des Gottesdienstes der Kleidung der lutherischen Prädikanten angleichen sollten. 177 Die Brüder trugen offenbar die alten Alben und Kasein, während die Prädikanten eine einheitliche Kleidung hatten. 1 7 8
169
FRATERHAUS HERFORD 2 : S. 2 4 4 .
170
FRATERHAUS HERFORD 2 : S. 2 4 3 .
171 Das Verbot ist vom Offizial der Äbtissin auch im Jahr 1537 bezeugt, s. COHAUB: Anmerkungen zum Herforder Bildersturm. S. 218. 172
FRATERHAUS HERFORD 1: S. 1 3 3 ff. ( 1 5 3 9 . M a i 2 3 ) .
173
Eine stichwortartige Auflistung der Vorwürfe von September bis Oktober 1539 s. FRATERHAUS HERFORD 2: S. 246 f. Auch mit dem Kapitel St.Johann und Dionys führte Deterding heftige Auseinandersetzungen, s. HÖLSCHER: Reformationsgeschichte der Stadt Herford, S. 24. 174
FRATERHAUS HERFORD 1: S. 1 8 1 .
175
FRATERHAUS HERFORD 1: S. 1 8 0 f. Z u W i t z e l s. WINFRIED TRUSEN: U m d i e R e -
form und Einheit der Kirche. Zum Leben und Werk Georg Witzeis (KLK 14). Münster 1957. 176
FRATERHAUS HERFORD 2 : S. 1 3 8 .
177
FRATERHAUS HERFORD 2 : S. 2 6 2 .
178 In Mittel- und Norddeutschland war das Beibehalten der alten Chorröcke und Meßgewänder ein weit verbreiteter Gebrauch, s. ERNST WALTER ZEEDEN: Katholische
/. Die Maßnahmen
der neugläubigen
Magistrate
175
Die Fraterherren bemühten sich vergeblich, die Angriffe Deterdings von der städtischen Obrigkeit beenden zu lassen. 179 Dieser beharrte im April 1540 darauf, daß außer dem Fraterhaus sich alle ehemaligen Konvente dem Kirchspiel untergeordnet hätten. 1 8 0 Aufgrund des Verbleibens der Brüder in ihrer Sonderstellung und des Verlassens der rechten Lehre exkommunizierte Deterding das Fraterhaus und alle, die bei ihnen das Abendmahl empfingen. 1 8 1 Der Nachfolger des 1540 verstorbenen Rektors Gerhard Wilskamp, Gerhard Decker aus Roggel, verbrachte daraufhin in der akuten Gefahr alle Briefe und Werte des Fraterhauses nach Münster, wo sie bis auf wenige Ausnahmen bis 1560 blieben. 182 Nach der Wahl Roggels, die erst 1542 erfolgte, 1 8 3 begannen neue Bemühungen um eine Beendigung des Streites und die Aufhebung der Exkommunikation. Deterding beharrte auf der Unterordnung des Fraterhauses in sein Kirchspiel. Zur Predigt und Austeilung der Sakramente sollten die Fraterherren einen geeigneten Bruder bestimmen, dessen Prüfung dem Pfarrer der Neustadt zustehen sollte. 184 Wenig später kam es zu einer Einigung zwischen den Parteien. Ein Schlichtungsausschuß setzte fest, daß die Brüder innerhalb ihrer Gemeinschaft weiterhin selbständig die Sakramente austeilen durften. Gleichzeitig wurden sie dem Kirchspiel der Neustadt „...bepryvielegiert. "185 Nach zehn Jahren der Auseinandersetzung war damit ein Kompromiß gefunden. Die Pfarrechte der Brüder wurden auf die Mitglieder des Hauses beschränkt. Dieser Kompromiß beendete die Auseinandersetzung um die Existenzberechtigung und das Pfarrecht des Fraterhauses. Letzteres mußten die Brüder aufgeben, ersteres wurde aber nicht mehr angezweifelt.
Überlieferungen in den lutherischen Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts (KLK 17). Münster 1959, S. 132 f. 179
FRATERHAUS HERFORD 2 : S . 2 5 3 .
180
FRATERHAUS HERFORD 2: S. 255. Deterding beschreibt ausführlich seine gescheiterten Bemühungen, zu einer friedlichen Einigung zu kommen. Die Brüder stellen dies in ihrer Antwort, ebd., S. 258, umgekehrt dar. Auch in der Armenversorgung strebte Deterding eine bessere Kontrolle der Mittel des Fraterhauses an. Um zu verhindern, daß die Falschen in den Genuß unkoordinierter Almosenvergabe kämen, berief er sich auf seine Ordination für diese Aufgabe, ebd.. S. 256. 181
FRATERHAUS HERFORD 2 : S. 2 6 0 .
182
FRATERHAUS HERFORD 1: S.
183
FRATERHAUS HERFORD 2 : S. 3 9 .
184
FRATERHAUS HERFORD 2 : S. 2 6 1 f.
185
FRATERHAUS HERFORD 1: S.
186.
179.
176
IV. Die Existenz unter den Bedingungen der Glaubensspaltung
Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß die Gemeinschaften der Brüder vom Gemeinsamen Leben auch in den neugläubigen Städten - soweit sie den ersten Ansturm der Reformation getrotzt hatten und mit der Ausnahme des Herforder Fraterhauses - bis weit in das 16. Jahrhundert hinein am alten Glauben festhielten und ihre Fortexistenz realisieren konnten. Nur das Haus in Rostock, welches als einziges jenseits der Stadtgrenzen von einem protestantischen Territorium umgeben war, starb mit dem Tod des letzten Bewohners, Heinrich Arsenius, im Jahr 1575 aus. In Herford sicherte das Eintreten Luthers für die Brüder den seit 1542 unbestrittenen Fortbestand des Hauses, wenn auch unter Aufgabe des selbständigen Pfarrechts. In Hildesheim verhinderte die Rücksichtnahme auf die Rechte des Bischofs, in Wesel auf den Herzog von Kleve vorerst die Aufhebung des Hauses. Im letzten Viertel des Jahrhunderts wirkten sich die ungünstigen äußeren Existenzbedingungen in zahlreichen geistlichen Defekten aus, so daß in Hildesheim eine Aufhebung durch den Magistrat oder den Geistlichen Rat des Bischofs Ernst unmittelbar bevorstand. Auch in Wesel rief seit den siebziger Jahren der innere Zustand der Gemeinschaft den Herzog von Kleve auf den Plan. 186 In Münster war nach dem Sieg des Bischofs über das Täuferreich die unmittelbare Gefahr einer Aufhebung gebannt. Das innere Leben der Fraterhäuser nahm jedoch in den protestantischen Städten schweren Schaden, die sich neben konfessionellen Abweichungen von dem alten Glauben vor allem in der rapiden Verkleinerung des Personalbestandes und der Desintegration des Besitzstandes dokumentierten. Diese Entwicklungen sind eine Folge der konfessionellen Veränderungen im Umfeld der Fraterhäuser: die Abnahme der Vokationen spiegelt die Verbreitung der lutherischen Verurteilung des Mönchtums, die unsichere Lage der Fraterhäuser in den protestantischen Städten schreckte darüber hinaus auch potentielle Kandidaten von einem Eintritt ab.
186
S. unten. S. 220 f. und S. 267 f.
2. Der Personalbestand Durch die Reformation und die konfessionsübergreifenden Veränderungen in der Frömmigkeit wurde das Phänomen eines allgemeinen Rückgangs der Vokationen zum geistlichen Leben ausgelöst, das die Existenz der Fraterhäuser wie aller anderen Ordensniederlassungen beeinträchtigte. Die Verurteilung des Mönchtums durch Luther und das hierauf folgende Einschreiten der Obrigkeiten gegen die Klöster entzog dem gemeinsamen Leben die Grundlage seiner Existenz. Ein Nachlassen der Eintritte in die Ordensgemeinschaften ist in abgeschwächter Form jedoch auch in den katholischen Territorien und Städten zu erkennen. Um eine genauere Kenntnis über die Größe und Zusammensetzung der norddeutschen Fraterhäuser zu gewinnen, werden im folgenden zunächst die Personalbestände der Gemeinschaften im frühen 16. Jahrhundert untersucht. Dies wird es in einem zweiten Schritt erlauben, das Ausmaß und die entscheidenden Faktoren des personellen Niedergangs der deutschen Brüderbewegung zu analysieren.
2.1. Die personelle Zusammensetzung der Fraterhäuser 2.1.1. Die Größe der Gemeinschaften Die Fraterhäuser des Münsterschen Kolloquiums hatten zu Beginn des 16. Jahrhunderts in Bezug auf ihre Größe und Zusammensetzung eine weitgehend einheitliche Gestalt entwickelt. Die Größe des Fraterhauses Weidenbach in Köln läßt sich anhand von Mitgliederlisten in Akten und Urkunden der Gemeinschaft erkennen. 1482 nennt eine in Buchschrift ausgefertigte Urkunde der Brüder anläßlich der Stiftung verschiedener Renten in Köln und Zülpich insgesamt elf Priester in Weidenbach, 1 zu denen weitere Kleriker und Laienbrüder zu rechnen sind, die im einzelnen nicht aufgeführt werden. Die einzig komplette Aufstellung aller dem Haus zugehörigen Personen bietet ein Visitationsprotokoll von 1510. 2 14 Priester, sechs Laien, vier als Beichtväter in Süsternhäusern lebende Brüder und der Vikar am Katharinenaltar in Zülpich, den die Fraterherren verwalteten, sollten zu den Mißständen in der Hausgemeinschaft Stellung nehmen. 3 Insgesamt 1
2
KASTNER: I n v e n t a r . S. 1 6 0 . N r . 2 3 2 ( 1 4 8 2 , J a n . 6 ) .
HASt Köln. Weidenbach. A 1. 3 Innerhalb des Hauses war es zur Bildung zweier rivalisierender Gruppen gekommen. der Rektor des Hauses war vor der Visitation nach Zülpich gegangen. Auch mit
178
IV. Die Existenz unter den Bedingungen der
Glaubensspaltung
zählte die Kongregation am Weidenbach zu Beginn des 16. Jahrhunderts also 25 Personen, von denen 20 auch ständig im Haus selbst lebten. Da der Kölner Magistrat im selben Jahr den Brüdern vorwarf, die dem Haus gestattete Mitgliederzahl überschritten zu haben, 4 kann diese Größe vermutlich als Maximalwert angesehen werden. Im späten 15. und frühen 16. Jahrhundert entsprach die Brüdergemeinschaft auf dem Hildesheimer Lüchtenhof personell dem Niveau des Hauses in Köln, obwohl die Brüder in der sächsischen Bischofsstadt wesentlich größere Schwierigkeiten zu überwinden gehabt hatten. Die Nachwuchsrekrutierung des Hauses erwies sich als stabil genug, die Pestkatastrophe der Jahre 1463/64 5 und eine nur zu vermutende Epidemie um 1495, während der zehn Brüder starben, zu überdauern.6 Eine alle Hausmitglieder umfassende Angabe liegt ebenfalls aus dem Jahr 1510 vor. Ein Visitationsbericht nennt zwölf Priester, fünf Kleriker, vier Klerikernovizen, vier Laien und einen Laiennovizen, also insgesamt 26 Personen. 7 Die Größe des Fraterhauses Wesel ist von der Forschung bisher ausnahmslos unterschätzt worden. Die Zahl der Hausmitglieder wurde auf weniger als zehn angesetzt, 8 für das 16. Jahrhundert diagnostizierte man den außerhalb des Hauses lebenden Confessoren hatte man offensichtlich des öfteren disziplinarische Probleme, da diese ohne den Rückhalt des gemeinschaftlichen Lebens von der Norm des Brüderlebens abwichen. Wilhelmus Bunna. Confessor in St.Reynold, erschien in unkorrektem Gewand vor den Visitatoren und lebte nach deren Urteil weltlich. Von Johannes Michael. Confessor in Essig, ging das Gerücht, daß er mit der Mater des Konvents ein Verhältnis unterhielt. HASt Köln, Weidenbach, A 1. fol. 5 V . Die Gemeinschaft in Weidenbach betreute zu Beginn des 16. Jahrhunderts das Süsternhaus in Essen, die Gemeinschaften in Essig und Ginderich sowie die Reklusen von St.Reynold in Köln. Mit Ginderich bestanden nur vorübergehende Kontakte, s. REHM: Die Schwestern vom gemeinsamen Leben. S. 54 f. Die den Fraterherren 1478 übertragene Betreuung des Schwesternhauses Mommersloch, ebd. S. 73. wird 1510 nicht mehr erwähnt. 4 HASt Köln. HUA 15543 (1510, Feb. 18). 5 DOEBNER: Annalen und Akten, S. 49. 6 Jeweils ein weiterer Bruder starb 1494 und 1496. nach den Angaben des Anniversars, DOF.BNER: Annalen und Akten. S. 283-298. Bei GEBAUER: Geschichte der Stadt Hildesheim 1. S. 237, findet sich 1495 allerdings nicht unter den großen Seuchenjahren. Dennoch wurde 1496 aus Rücksicht auf die Interessen des Domdekans, der den Antonius-Altar im Dom an die Fraterherren vergab, der Bruder Hinricus Gottingen als Confessor für das Süsternhaus Plön abgestellt. DOEBNER: Annalen und Akten. S. 133 f. 7
D o m b i b l i o t h e k H i l d e s h e i m . H s . P s . 1 0 . f o l . 1 5 4 R ( 1 5 1 0 . J u n . 1). BRÜGGEBOES: D i e
Fraterherren im Lüchtenhofe. S. 23. 8 ISABELLA BENNINGHOFF-LOHL: Güter und Einnahmequellen der Weseler Fraterherren. In: 550 Jahre Sankt Martini. Eine Gründung der Fraterherren in Wesel. Hrsg. v. W.Arand (Weseler Museumsschriften 12). Köln. Bonn 1986. S. 53, geht von 6-8 Brüdern aus. HERMANN KNAUS: Rheinische Handschriften in Berlin 2: Aus der Schreib-
2. Der Personalbestand
179
zusätzlich einen starken R ü c k g a n g d e s P e r s o n a l b e s t a n d e s . 9 D i e s e Zahlen sind erheblich zu niedrig. 1 0 S o w u r d e n 1 4 8 0 anläßlich der B e s t ä t i g u n g d e s Privilegs Calixt III. aus d e m Jahre 1 4 5 5 neun Priester und drei D i a k o n e der H a u s g e m e i n s c h a f t auf ihre L e b e n s w e i s e verpflichtet. 1 1 A u s d e m v o n Draht erstellten V e r z e i c h n i s der W e s e l e r Fraterherren, für w e l c h e s der Gladbekker Religionslehrer das Gedächtnisbuch s o w i e mittlerweile verlorene Brüderlisten und A u f n a h m e u r k u n d e n h e r a n z o g , 1 2 lassen sich s e c h s w e i t e r e Fraterherren des W e s e l e r H a u s e s b e n e n n e n , 1 3 die um 1 4 8 0 in den Süsternhäusern am Niederrhein und in W e s t f a l e n lebten. D i e s e m ü s s e n z w a r g e s o n d e r t g e r e c h n e t w e r d e n , da sie nicht mehr zur e n g e r e n L e b e n s g e m e i n s c h a f t in W e s e l zählten, g e h ö r t e n aber formell n o c h z u m Fraterhaus und w u r d e n bei w i c h t i g e n A n l ä s s e n h i n z u g e z o g e n . 1 4 Ein Bruder lebte z u d e m ständig als Verwalter der Johannis-Vikarie in Kalkar. 1 5 Für die Zeit u m 1 4 8 0 läßt damit sich insgesamt festhalten, daß d e m H a u s St.Martini in W e s e l u n g e fähr 2 0 P e r s o n e n angehörten, v o n denen gut ein Viertel außerhalb lebte. 1 6
stube der Weseler Fraterherren. In: Archiv für Geschichte des Buchwesens 10 (1969), Sp. 357, schätzt zehn Personen, von denen aber außerhalb des Hauses lebende Patres abzuziehen seien. Am höchsten setzt DRAHT: Sankt Martini Wesel, S. 59, die Zahl an, der für die Blütezeit des Hauses ungefähr zehn, ansonsten weniger Personen annimmt. 9 E. GOTENBURG: Aus der Bibliothek des Fraterhauses St.Martini. In: 550 Jahre St.Martini, S. 59. 10 Die zu vorsichtigen Einschätzungen werden zum Teil dadurch verursacht, daß die Laien ebenso wie die in den Süsternhäusern lebenden Confessoren nur selten in der Weseler Überlieferung erwähnt werden. 11 PfA St.Martini Wesel. U 6 (1480, Aug. 13). Es werden im einzelnen genannt: Gerardus Dinslaken als Rektor, die Priester Theodericus Dijrken de Buderick, Johannes de Reynen de Kalkar, Gerardus de Zwollingen, Jacobus Wever de Attendorn, Albertus Walburgensis de Essendia. Jordanus ton Oerde de Ramstorp. Fredericus Gent de Wesalia, Bernhardus Warendorp. Als Diakone sind betitelt: Johannes Brouwerinck de Monasterio. Theodericus Till und Euerardus Poir de Monte. Die im Haus lebenden Laien wurden nicht hinzugezogen. In Frage kommen nach DRAHT: Sankt Martini Wesel, S. 103. Nr. 39 und 43. 12 DRAHT: St.Martini Wesel. S. 101, Anm. 1. 13 Hier die Nummern 8, 29, 34, 40, 47 und 63. Johannes Pelmeken (Nr.29), starb entgegen der Datierung Drahts erst 1481, s. KOHL: Die Schwesternhäuser nach der Augustinerregel, S. 330 f. 14 Die Chronik des Doesburger Hauses zählt die Confessoren, die von der eigenen Gemeinschaft entsandt wurden, in der Regel mit. Ebenso verfahren die Visitationsberichte. 15 HStA Düsseldorf. Fraterherren Wesel. Hs.2, fol. 7 r . PfA St.Nicolai Kalkar, A 6, fol. 76 r . 16 Im frühen 16. Jahrhundert scheinen sich ein oder mehrere Brüder des Weseler Hauses zumindest zeitweilig im Süsternhaus in Dinslaken aufgehalten zu haben. Anläßlich des Verkaufs einer Rente verpflichteten sich die Fraterherren. im Fall der
180
IV. Die Existenz unter den Bedingungen
der
Glaubensspaltung
Eine weitere Auswertung der von Draht gesammelten Daten unterstützt die Erkenntnis, daß die Weseler Brüdergemeinschaft wesentlich größer als bisher angenommen war und in etwa dem Standard der anderen norddeutschen Fraterhäuser entsprach. So lassen sich zwischen 1476 und 1500 36 Personen belegen, die in das Fraterhaus eintraten. Im darauf folgenden Vierteljahrhundert leisteten 29 Personen die hierfür notwendige Verzichtserklärung. Die hohe Zahl der Eintritte um die Wende zum 16. Jahrhundert mit durchschnittlich ein bis zwei Neuaufnahmen pro Jahr sicherte so das Niveau der Mitgliederzahl auch angesichts der Pesttoten von 1507. 17 Der Personalbestand des Fraterhauses Münster zu Beginn des 16. Jahrhunderts ist nur indirekt zu erfassen, da eine Nennung aller Mitglieder zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht vorliegt. Einzig im Jahr 1442 wurden anläßlich der Verbrüderung mit dem Weseler Haus sechs Priester und zehn Kleriker namentlich aufgelistet. 18 Eine Schätzung der Größe des Fraterhauses ist daher nur aufgrund einer Auswertung des Gedächtnisbuchs möglich.19 Bis 1525 starben in den vorangegangenen Generationsabschnitten von je 25 Jahren circa 30 Personen im Fraterhaus. 20 Vor dem Auftreten der neuen Lehre hat man demzufolge eine konstante Größe der Gemeinschaft aufrecht erhalten, die nach der Anzahl der Todesfälle in der Größenordnung von Köln und Wesel gelegen hat, also ungefähr 20-25 Personen umfaßte. 21 Das Herforder Fraterhaus war zu Beginn des 16. Jahrhunderts nur geringfügig kleiner als die anderen Gemeinschaften des Münsterschen Kolloquiums. Anläßlich einer Visitation unter dem Vorsitz des Rektors Heinrich Themme aus Münster und dem Prior der Augustiner-Chorherren zu Möllenbeck wurden 1504 16 Brüder, denen noch der abwesende Rektor zuzurechnen ist, einzeln aufgelistet. 22 Die Resignationes, also die Liste
Säumnis eenen van oern broederen seynde toe Dinslaken... " an das weltliche Gericht zu entsenden. PfA St.Martini Wesel. A 11. 149 R ' V . 17 DRAHT: Sankt Martini Wesel, S. 103 ff. 18 BA Münster, Fraterherren, U 80 (1442. Feb. 2). HÖING: Kloster und Stadt, S. 43, schätzt den Klosterhaushalt, eingeschlossen die betreuten Scholaren, die Kranken und das Gesinde, für die Mitte des 15. Jahrhunderts auf circa 50 Personen. 19
ERHARD: G e d ä c h t n i s s - B u c h . S. 8 9 - 1 2 6 .
20
ERHARD: G e d ä c h t n i s s - B u c h .
S. 9 3 - 9 7 . V o n
1 4 7 6 - 1 5 0 0 31 P e r s o n e n , v o n
1501-
1525 32. 21
In Köln wurden in denselben Zeiträumen weniger, nämlich 19 und 24 verstorbene Brüder in das Gedächtnisbuch eingetragen. LÖFFLER: Das Gedächtnisbuch des Kölner Fraterhauses Weidenbach. S. 24-38. In Wesel starben von 1476 bis 1500 22 Brüder, von 1501 bis 1525 derer 30. DRAHT: Sankt Martini Wesel. S. 102-106. 22
FRATERHAUS HERFORD 1: S. 1 7 5 .
2. Der
Personalbestand
181
derjenigen, die zugunsten des Fraterhauses ihrer Güter entsagten und Mitglied im Haus wurden, nennen ftir diese Zeit im Schnitt fast zwei Neuaufnahmen pro Jahr, 23 so daß die Zahl der Brüder weiter anstieg. 1525 schlössen 20 Brüder, davon 14 Priester und Kleriker sowie sechs Laien, den Vertrag mit Bischof Erich von Paderborn. 24 Dies ist die höchste überlieferte Mitgliederzahl, wenn sie vermutlich bisweilen auch überschritten wurde. 25 Das erst im Jahr 1462 gegründete Fraterhaus in Rostock 26 verfugte um die Wende zum 16. Jahrhundert über eine ähnlich große Gemeinschaft wie in Herford. Nachdem noch 1470 unter dem Rektor Johannes Veghe nur zwei Priester und vier Kleriker im Haus lebten, 27 war die Gemeinschaft 1488 schon auf 17 Personen angewachsen. 28 In einer kupfernen Inschrift wurden in diesem Jahr neben dem Rektor sieben weitere Priester, drei Kleriker, zwei Scholaren, vier Laienbrüder und ein Laiennovize genannt. Es liegt nahe, unter den Scholaren noch nicht aufgenommene, aber schon als Probanden im Haus lebende Kleriker zu sehen, die über die Betreuung der Schüler in Rostock durch die Brüder in das Fraterhaus gekommen sind.29 Eine Auflistung der Hildesheimer Brüder von 1510 reiht geistliche Probanden zwischen den hauszugehörigen Klerikern und Laien ein.30 Der Rektor der Brüder hatte 1476 von Bischof Magnus die Aufgabe zugeteilt bekommen, auch bei den studentium et scholarium scholas frequentancium 23
FRATERHAUS HERFORD 2: S. 37 ff. In d e n Rektoraten v o n W e s s e l S c h a r n o w . A n -
dreas Walschart und Bartholomäus Vechel wurden in 27 Jahren, von 1492-1519. insgesamt 47 Brüder aufgenommen. 24 FRATERHAUS HERFORD 2: S. 203 f. In der Aufzählung fehlt der Prokurator Johannes Neer. 25 In einer Urkunde der Äbtissin von 1532. FRATERHAUS HERFORD 1: S. 127, wird angegeben, daß das Fraterhaus früher 24 Personen beherbergt habe. Da diese Mitteilung aber sehr wenig spezifiziert ist und zudem von außerhalb des Hauses stammt, erscheint sie nicht so zuverlässig wie die hier herangezogenen Quellen. 26 In Rostock hatten jedoch auch schon vor 1462 devote Zirkel der Gründung eines Fraterhauses vorgearbeitet, wie dies häufig der Fall war, s. FRATERHAUS HERFORD 1: S. 190. wo von dem Testament des Tuchkaufmanns Bartolt Bolen die Rede ist. der 1455 im Fraterhaus in Rostock starb. Vgl. zur Gründung von Münster CRUSIUS: Die Brüder vom gemeinsamen Leben. S. 21-29. 27 LISCH: Geschichte der Buchdruckerkunst in Mecklenburg. S. 215 f. Vermutlich sind auch in diesem Fall noch ein oder zwei Laienbrüder zu addieren. 28 LISCH: Geschichte der Buchdruckerkunst in Mecklenburg. S. 21. 29 LISCH: Geschichte der Buchdruckerkunst in Mecklenburg, S. 22, plädiert für ihre Eigenschaft als Lehrer. THIERFELDER in MFVC 2: S. 212. nennt sie Lehrer oder Scholaren. 30 Dombibliothek Hildesheim. Hs.Ps.10, fol. 154 r (1510, Jun. 1). BRÜGGEBOES: Die Fraterherren im Lüchtenhofe. S. 23.
182
IV. Die Existenz unter den Bedingungen der
Glaubensspaltung
confessiones audire... " 3 1 1534 verpflichtete die Stadt die Brüder zur Haltung einer grundlegenden Schule, wie sie es von alters her getan hätten. 32
2.1.2. Die regionale und soziale
Herkunft
Neben der ungefähr einheitlichen Größe der norddeutschen Fraterhäuser griffen diese im frühen 16. Jahrhundert auch auf ein gemeinsames Einzugsgebiet für die Rekrutierung ihres Nachwuchses zurück, dessen Schwerpunkte in Westfalen und am Niederrhein lagen. Das Fraterhaus Wesel zog seine Probanden überwiegend aus niederrheinischen Landstädten der vereinigten Herzogtümer heran. 33 Die Stadt Wesel selbst war die am häufigsten nachzuweisende Heimat der in den Jahren 1476 bis 1525 aufgenommenen Brüder. Aus Kalkar, Bislich und Straelen sind jeweils mehrere Fratres nachzuweisen. Bei der Dichte von Frater- und insbesondere von Süsternhäusern am Niederrhein 34 ist es müßig, auf die Werbewirksamkeit anderer Niederlassungen der Devotio moderna hinzuweisen. So kamen aus Rees, Elten, Brünen, Emmerich, Uedem, Büderich, Dinslaken und Essen, wo jeweils ein Schwesternhaus existierte, weitere Brüder. In Kempen hatten die Kölner Fraterherren verschiedene Besitzungen, 35 und 1506 wurde hier von Nimwegen aus der Versuch unternommen, eine Brüdergemeinschaft neu zu etablieren. 36 Das soziale Netz, das diese Institutionen mittels ihrer Geschäftskontakte, Stifterkreise und verwandtschaftlicher Beziehungen am Niederrhein aufspannten, war dicht genug, um das devote Leben in den Fraterhäusern allgemein bekannt zu machen. Nach den niederrheinischen Städten folgten mit deutlichem Abstand weitere, untereinander etwa gleichgewichtige Rekrutierungsgebiete der Fraterherren in Wesel. So kamen vor allem aus dem westlichen Münsterland, der Stadt Münster und aus niederländischen Städten weitere Brüder in das Fraterhaus St.Martini. 31
LISCH: Geschichte der Buchdruckerkunst in Mecklenburg, S. 236. LISCH: Geschichte der Buchdruckerkunst in Mecklenburg. S. 25. Anm. 3. 33 Vgl. die Mitgliederliste bei DRAHT: Sankt Martini Wesel. S. 106 ff. 34 S. die Karten von HEINRICH RÜTHING: Die Brüder vom gemeinsamen Leben. In: Atlas zur Kirchengeschichte. Karte 68b. und bei REHM: Die Schwestern vom gemeinsamen Leben, nach Seite 98 eingeheftet. JUTTA PRIEUR: Zur „devotio moderna" am Niederrhein. In: Kurköln. Land unterm Krummstab (Veröffentlichungen der staatlichen Archive des Landes Nordrhein-Westfalen. C 22. Schriftenreihe des Kreises Viersen 35a). Kevelaer 1985. S. 215-232. 35 WALTER FÖHL: Das Kölner Brüderhaus Weidenbach und sein Besitz im Kempener Lande. Abelshof in Schmalbroich. Dückershof bei Vorst. Mörterhof in St.Tönis. In: Heimatbuch des Landkreises Kempen-Krefeld 19 (1968), S. 203-216. 36 REHM: Die gescheiterte Gründung eines Fraterherrenhauses in Kempen. 32
2. Der
Personalbestand
183
Die regionale Herkunft der Fraterherren des Hauses Zum Springborn in Münster ist für die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts ebenfalls einem homogenen Bereich zuzuordnen. Mehr als die Hälfte der Brüder, deren Herkunftsort das Gedächtnisbuch mitteilt, 37 stammten aus einem südwestlich von Münster gelegenen Teil des Oberstiftes, zu denen Personen aus den vereinigten Herzogtümern und den niederländischen Grenzprovinzen kamen. 3 8 Die Stadt Münster selbst wird nur einmal im Gedächtnisbuch als Herkunftsort eines Bruders genannt. 3 9 Demzufolge wäre das Fraterhaus personell keine Bindung zum es umgebenden Gemeinwesen eingegangen. Die Schwerpunkte der Herkunft Kölner Fraterherren glichen weitgehend denen von Wesel und Münster. 4 0 Der Großteil der Brüder stammte vom Niederrhein und aus Westfalen. Zusätzlich sind einige Fälle aus benachbarten niederländischen Städten und aus dem Kölner Umland zu verzeichnen. Belege für Brüder aus der Stadt Köln selbst bleiben wie in Münster selten. Für das Fraterhaus Herford bieten die Resignationes einen guten Einblick in den regionalen Einzugsbereich des Herforder Fraterhauses. 4 1 Am Ende des 15. Jahrhunderts rekrutierten sich die Brüder gleichmäßig aus den genannten traditionellen Bereichen in Westfalen und am Niederrhein sowie aus Brabant. Die personelle Verflechtung des Fraterhauses mit seinem unmittelbaren Umfeld in Stadt und Umland war schwach ausgeprägt. Mit Johann Woltmann und Johann Kolebadt sind 1482 und 1484 erstmals zwei Herforder belegt. 42 Eher haben landsmannschaftliche und verwandtschaftliche Verbindungen als Motive zum Eintritt in das Fraterhaus gewirkt. So ist eine Reihe von Brüdern aus dem limburgischen Vechel zu belegen, was Stupperich auf den Einfluß des Rektors Bartholomaeus Amelii aus demselben Ort zurückfuhrt. 4 3 Unter dem Rektor Johannes Nethovel aus Dorsten traten ebenso weitere Brüder aus Dorsten ein. 44 Im Visitati-
37 Dies ist bei gut 50% der Nennungen der Fall, vgl. ERHARD: Gedächtniss-Buch. S. 94-97, S. 102. 38 Nur wenige Kandidaten kamen aus weiter entfernten Gebieten, s. z.B Siegfried Bussbach oder Martinus Emede, ERHARD: Gedächtniss-Buch, S. 96 f. 39 Johannes Rothgers, ERHARD: Gedächtniss-Buch, S. 97. Aus den Urkunden noch Pelgrym Block, BA Münster, Fraterherren, U 295 (1545, Apr. 30). 40 LÖFFLER: Das Gedächtnisbuch des Kölner Fraterhauses Weidenbach, S. 24-38. 41
FRATERHAUS HERFORD 2 : S. 3 5 - 4 2 .
42
FRATERHAUS HERFORD 2: S. 3 7 f.
43
STUPPERICH: Das Herforder Fraterhaus und die Devotio moderna. S. 24. FRATERHAUS HERFORD 2: S. 37 f. Wessel Scharnow. Nicolaus Scharnow, Bertram Preckel. 44
184
IV. Die Existenz unter den Bedingungen der
Glaubensspaltung
onsbericht von 1504 wird die enge Verbindung der Dorstener Fratres untereinander auch noch innerhalb des Fraterhauses deutlich. 45 Die Brüdergemeinschaft in Hildesheim rekrutierte sich ebenfalls zu großen Teilen aus den klassischen Zentren der deutschen Fraterbewegung. 4 6 Vor allem der Niederrhein den Strom hinauf bis nach Köln bildete einen Einzugsbereich, aus dem sich eine Vielzahl von Fraterherren in der Hildesheimer Gemeinschaft nachweisen lassen (12). Das Münsterland war demgegenüber geringer vertreten (6). Zudem reichte die Anziehungskraft der Brüder aber auch weit in die niederdeutsche Tiefebene hinein, von wo noch aus Oldenburg 4 7 oder Meppen 4 8 sich Personen dem Hildesheimer Fraterhaus anschlössen. Eine namentliche Nennung von sieben Priestern aus dem Jahr 1489 49 gestattet einen exemplarischen Querschnitt, der den gewonnenen Eindruck bestätigt. Nach Johannes Hinsberch aus der Diözese Löwen stammten Gerhard Goch und Goswin Waghening aus Geldern vom Niederrhein, der genannte Arnold, vermutlich gleich dem später nach Magdeburg gesandten Arnold von Alen, aus dem Münsterland. Daneben kamen aber auch Brüder aus Hessen (Peter Dieburg) und Pommern (Johannes Dantzik). Aus dem Hinterland Hildesheims stammte der Priester Petrus Walbeck. Belege für Priester oder Laien aus dem nächsten Umland der niedersächsischen Bischofsstadt, die sich für ein devotes Leben bei den Fraterherren entschieden hätten, bleiben jedoch wie in den anderen Häusern mit der Ausnahme von Wesel selten. Auch aus der Stadt selbst scheint so gut wie überhaupt kein Nachwuchs für die Brüder gekommen zu sein. Möglicherweise folgte man weitgehend dem Prinzip, einheimische Eintrittswillige an andere Gemeinschaften zu vermitteln, um sie aus dem gewohnten Umfeld zu entreißen und einem geistlich-meditativen Leben empfänglicher zu machen. Der Sohn des Ratsschreibers Johann Hottelem, der als einziger Hildesheimer sicher bekannt ist, wurde jedenfalls nach Magdeburg gesandt. 5 0
45
46
FRATERHAUS HERFORD 1: S. 1 7 5 f f .
DOEBNER: Annalen und Akten. S. 283-298. Ausgewertet sind alle bei Doebner faßbaren Angaben (93) zwischen 1476 und 1600. von denen 50% (47:46) Aufschluß über die Herkunft des betreffenden Fraters bieten, sowie die Angaben aus den Kopiaren des Fraterhauses. 47 Johannes Oldenborch (1495. Nov. 3) und Hans Oldenborch (1522, Okt. 8). der nach Kulm entsandt wurde, DOEBNER: Annalen und Akten. S. 296 und 295. 48 DOEBNER: Annalen und Akten. S. 287. Conradus Meppis (1496, Apr. 8). 49 DOEBNER: Annalen und Akten. S. 112. 50 DOEBNER: Annalen und Akten. S. 193.
2. Der
Personalbestand
185
Nachrichten zur sozialen Herkunft der Brüder vom Gemeinsamen Leben liegen nur in geringem Umfang vor. 51 Mit dem Eintritt in ein Fraterhaus vollzog sich ein Bruch mit dem früheren weltlichen Leben, so daß Standesfragen bedeutungslos wurden. Als eine seltene Ausnahme läßt sich der Kölner Bruder Gumpert Hardefuyst 52 anfuhren, der einem der alten Geschlechter Kölns entstammte und der Gemeinschaft am Weidenbach viele Güter hinterließ. Gerade die Betonung der Herkunft Hardefuysts im Memorienbuch kann aber als Hinweis darauf gelten, daß dieser eine Ausnahme von der Regel darstellte. 53 Die Bedingungen für eine Aufnahme in das Fraterhaus nennen die Consuetudines. Die Bewerber mußten frei und gesund sein sowie einen guten Leumund vorweisen können. 54 Einzig die Quellenlage für das Fraterhaus Herford ermöglicht einen Einblick in den Besitz von verschiedenen Brüdern, die zu Anfang des 16. Jahrhunderts im Fraterhaus lebten. So verzichtete der aus Vechel stammende Barthoiomaeus Amelii bei seinem Eintritt in die Gemeinschaft auf 73 fl., 23 brabantische Stüber und 96 daler 55 Auch die aus Dorsten stammenden Brüder Bertram Preckel sowie Wessel und Nicolaus Scharnow verfügten über einen ansehnlichen Besitz. 56 Wessel Scharnow brachte mit seinem Bruder mehrere Stücke Land und Rentbriefe über 12 Malter Getreide und 1,5 fl. ein. 57 Der vor 1506 eingetretene spätere Prokurator und Rektor Gerd Roggel steuerte 20 Hornische Gulden bei. 58 Von Theodericus Pipers de Echt erhielten die Fratres zwischen 1506 und 1514 wertvolle Kasein und liturgische Gerätschaften. 59 Über Johan Kolebadt, einen der wenigen nachweisbaren Herforder im Fraterhaus, erbten die Brüder zudem eine
51
HÖING: Kloster und Stadt. S. 109 f., ordnet die Münsteraner Fraterherren unter Verweis auf die vollständige Absenz von Erbmänner- und Honoratiorenfamilien den mittleren städtischen Schichten zu. 52 LÖFFLER: Gedächtnisbuch. S. 25 quondam scabinus alti iudicii Cotoniensis de anliqua militia... ". 53 Einer vermögenden Familie entstammte auch der Proband Heinrich Sevenich, der aber anscheinend nicht in das Fraterhaus eintrat, da er im Gedächtnisbuch nicht verzeichnet ist. Zu Sevenich s. BRUNO KUSKE (Hrsg.): Quellen zur Geschichte des Kölner Handels und Verkehrs im Mittelalter 3 (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde 33). Bonn 1923. S. 224 f., Nr.37 (1494, Dez. 9). 54 DOEBNER: Annalen und Akten, S. 218 f. Vgl. STUPPERICH: Die Herforder Fraterherren als Vertreter spätmittelalterlicher Frömmigkeit in Westfalen, S. 346 f. 55
FRATERHAUS HERFORD 2: S. 4 9 . FRATERHAUS HERFORD 1: S . 1 8 3 . Z u d e n e i n z e l -
nen Währungen s. ebd.. S. 209. Anm. 102. 56
FRATERHAUS HERFORD 2: S. 4 9 ff.
57
FRATERHAUS HERFORD 1: S . 1 8 2 f . . u n d 2 , S. 4 9 .
58
FRATERHAUS HERFORD 1: S. 1 8 3 .
59
FRATERHAUS HERFORD 1: S. 1 8 5 .
186
IV. Die Existenz unter den Bedingungen der Glaubensspaltung
Rente von 4 fl. und verschiedene Stücke Land vor der Berger- und der Renneporte. 6 0 Diese Zeugnisse belegen für das erste Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts insgesamt acht Fraterherren, die dem Haus zum Teil beträchtliche Einkünfte einbrachten. Bei einer Mitgliederzahl von 16 Fraterherren im Jahr 1504 61 sind somit die Hälfte der Brüder als Besitzende ausgewiesen. Der Eintritt in ein Fraterhaus wurde zum großen Teil von jungen Klerikern angestrebt und bedeutete den Einstieg in eine geistliche Laufbahn, die fast ausnahmslos zum Empfang der Priesterweihe führte. 6 2 Die Normalität dieses Vorgangs spiegelt das im Kopiar der Weseler Fraterherren enthaltene Formular, das für die Beantragung der Zulassung zur Subdiakonatsweihe einzelner Brüder beim Kölner Domscholaster vorgesehen war. 6 3 In vielen Fällen übernahmen diese dann als Priester nach einer Zeit des gemeinschaftlichen Lebens das Amt eines Beichtvaters in einem Süsternhaus. Dieser Verlaufläßt sich exemplarisch an den Mitgliedern des Weseler Hauses aus dem Jahr 1480 belegen. 64 Von den sechs Beichtvätern, neun Priestern und drei Klerikern lebten nach den Angaben des Weseler Memorienbuches, welches den Stand zum Zeitpunkt des Todes der betreffenden Brüder mitteilt, an ihrem Lebensende zehn als Confessoren in den Schwesternhäusern und acht als Priester im Weseler Fraterhaus St.Martini. 65 Vier der Priester von 1480 waren zu ihrem Lebensende zum Confessor berufen worden, alle Diakone zum Priester aufgestiegen. 6 6
60 F R A T E R H A U S H E R F O R D 1: S . 1 9 1 f. Hermann Colebadt. der Vater Johanns, war Kanoniker am Stift St. Johann und Dionys. Hermanns Bruder Richard ist als Herforder Bürger belegt, F R A T E R H A U S H E R F O R D 1: S. 1 9 1 . 61
F R A T E R H A U S H E R F O R D 1: S . 1 7 5 f.
POST: The Modern Devotion. S . 4 4 4 . S . 4 4 9 ff.. S . 4 8 7 . und öfter. W E I L E R : Recent Historiography on the Modern Devotion. S. 170 f. 63 PfA St.Martini Wesel. A 12. f o l . l l v . S. hierzu auch den Eintrag im Gedächtnisbuch zu Rutgerus Heilswegen aus Dinslaken. D R A H T : Sankt Martini Wesel. S. 104. Nr. 69. 64 PfA St.Martini Wesel. U 6 (1480. Aug. 13). 65 PfA St.Martini Wesel. A 10. fol. 33 r ff. Es handelt sich hierbei um die Personen, die oben. S. 179. Anm. 11 und 13 genannt sind. D R A H T : Sankt Martini Wesel, S. 102104. hat die biographischen Daten zusammengestellt. Zu ergänzen ist für Johannes Revnen de Kalkar der Titel presbvter aus dem Gedächtnisbuch. 66 Gerardus Averveit aus Dinslaken wurde Confessor in Mariengarden. Albertus Walburgensis de Essendia in Kranenburg. Johannes de Reynen de Kalkar und Jordanus ton Oerde de Ramstorp gingen in das Schwesternhaus Essen. Die Diakone Johannes Brouwerinck de Monasterio. Theodericus Till und Euerardus Poir de Monte tragen zum Ende ihres Leben den Priestertitel. Vgl. unten S. 302. Diagramm 1. 62
2. Der
Personalbestand
187
Auch die Mitglieder des Fraterhauses Münster erlangten im Regelfall während der Zeit in der Brüdergemeinschaft die Priesterweihe und wurden als presbyter in das Gedächtnis aufgenommen. Wie ungewöhnlich der Verbleib in niederen Weihen war, zeigt der Eintrag im Memorienbuch zu dem Bruder Jordanus Vyscher, der 1519 starb und als perpetuus clericus betitelt wurde. 6 7 Ebenso zeigt die Zusammensetzung des Fraterhauses in Köln eine deutliche Dominanz der Priester. Hierbei muß allerdings stets berücksichtigt werden, daß viele der genannten Priester eine Zeit lang als Kleriker im Haus gelebt haben. Die Tatsache jedoch, daß wie in Münster nur ein einziger Kleriker im 16. Jahrhundert auch als solcher im Gedächtnisbuch verzeichnet wurde, beweist das allgemeine Streben der Eintretenden hin zum Priestertum. 6 8 Im Jahr 1510 war in dieser Hinsicht ein perfekter Zustand im Kölner Haus erreicht, da der Gemeinschaft zu dieser Zeit 14 Priester und sechs Laien, aber kein Kleriker, der noch nicht die Priesterweihe erlangt hatte, angehörte. 6 9 Das Streben zur Priesterweihe war schon allein deshalb eine Notwendigkeit, weil die Fraterhäuser eine große Anzahl von Brüdern zur Betreuung der Süstern entsandten. Allein an die Schwesternhäuser des Bistums Münster stellte die Brüdergemeinschaft Zum Springborn in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts insgesamt 20 Confessoren ab. 70 In extremen Fällen konnte dies zu einem Mangel an Priestern innerhalb der Hausgemeinschaft führen. 7 1 So standen in den vierziger Jahren nur noch sieben Priester für die neun Meßstiftungen in der münsterischen Fraterkirche bereit. 72 Der Phänotyp eines norddeutschen Fraterhauses des Münsterschen Kolloquiums bestand damit zusammengefaßt aus einer Gemeinschaft von gut 20 Personen, die sich überwiegend aus westfälischen und niederrheinischen Priestern zusammensetzte. 7 3 Diese hatten vielfach im Fraterhaus die Priesterweihe erhalten. Diese Charakteristik läßt sich dabei sowohl in den
67
ERHARD: Gedächtniss-Buch. S. 95. LÖFFLER: Das Gedächtnisbuch des Kölner Fraterhauses Weidenbach. S. 30-42. Das Gedächtnisbuch nennt 45 Priester (davon 9 Confessoren). einen Kleriker und 13 Laien im 16. Jahrhundert. In zwei Fällen ist die Zuordnung nicht zu klären. 69 HASt Köln, Weidenbach. A 1. 70 S. die Angaben zu den Rektoren der Häuser bei KOHL: Die Schwesternhäuser. 71 NIESING-CHRONIK: S. 439 f.. zur Abstellung von Johannes Holtmann im Jahr 68
1539. 72
STA Münster. Msc. I. 79, fol. 49. Neben den hier ausgeführten Belegen vgl. auch den Fall Magdeburgs, WIGGERT: Ueber Martin Luthers Schülerleben in Magdeburg, S. VII f. (Urkunde 5). Den Brüdern wurde hier 1496 von Erzbischof Ernst gestattet, neben dem Pater 20 Brüder aufnehmen zu dürfen, während 1489 noch 12 Brüder die Höchstgrenze gewesen waren. 73
188
/ [ ' Die Existenz unter den Bedingungen
der
Glaubensspaltung
ersten Häusern in Münster, Köln, Herford und Wesel als auch in den späteren, weiter östlich gelegenen Häusern in Hildesheim und Rostock erkennen. In der Regel gingen die Fraterhäuser dabei nur geringe personelle Verbindungen mit dem sie umgebenden städtischen Gemeinwesen ein, 74 sondern rekrutierten sich aus mittleren und kleinen Landstädten Westfalens und des Niederrheins. Die Betreuung der Schwesternhäuser wurde mit deren schneller Verbreitung zu einer der Hauptaufgaben der Fraterherren und nahm die Gemeinschaften bisweilen stark in Anspruch.
2.2. Die Verluste seit der
Reformation
Das Auftreten der Reformation mit ihren religionspolitischen wie frömmigkeitsgeschichtlichen Auswirkungen verursachte eine deutliche Zäsur für die personelle Entwicklung der norddeutschen Fratergemeinschaften. In den protestantischen Regionen blieb der Nachwuchs für die sich leerenden und überalternden Häuser stark beschränkt. Auch in den katholischen Territorien und Städten ist mit der generellen Infragestellung des Mönchtums durch die Reformatoren ein augenscheinlicher Rückgang zu verzeichnen. Zu der verbreiteten Unsicherheit über den Wert und Nutzen eines gemeinsamen Lebens trat seit der Mitte des 16. Jahrhunderts die Konkurrenz der neu entstehenden Orden mit gegenreformatorischer Ausrichtung, die den mittelalterlichen Klöstern und Gemeinschaften ebenfalls potentielle Kandidaten für ein geistliches Leben entzogen. Im speziellen Fall der Fraterherren erleichterte die Rechtsfigur der Brüdergemeinschaften zudem den Rückzug vom gemeinsamen Leben. Holten die Klöster mit Hilfe des weltlichen Arms einen Mönch im Fall seiner Flucht nach Möglichkeit zurück und setzten ihn in Haft - wobei die Apostasie im rechtlichen Sinn kein Austritt aus dem Kloster war, da dies durch das Gelübde von vornherein ausgeschlossen wurde -, konnte jeder Fraterherr frei in die Welt ziehen, da ein Austritt aus der Fratergemeinschaft eine rechtlich erlaubte Option war, die mit der Aufnahme zugestanden wurde. So war es nicht nur für jeden Bruder, der sein Bekenntnis wechselte, sondern auch für die vor den äußeren Umständen Resignierenden und Wankelmütigen möglich, sich einer anderen Lebensform zuzuwenden. 7 5 Dies war im späten 16. Jahrhundert eine zunehmend ergriffene Möglichkeit, wie das Beispiel des Hildesheimer Rektors Henning Balhorn im Jahr 1581 illu74
Als Ausnahme muß Wesel genannt werden. Hiergegen versuchte Papst Pius V. mit der Konstitution Lubricum wirken, vgl. unten, S. 261 f. 75
vitae genus
zu
2. Der Personalbestand
189
striert, dem die zurückbleibenden Brüder ein Dimissorium über die vorbildliche Erfüllung seiner Pflichten auf dem Lüchtenhof ausstellten. 76 Münster Das Auftreten der neuen Lehre und die sozial-religiösen Unruhen in Münster bewirkten eine starke Abnahme von Eintritten in die Brüdergemeinschaft Zum Springborn, so daß das Gedächtnisbuch für die zweite Hälfte des Säkulums nur noch gut ein Drittel der Personenzahl der ersten Jahrhunderthälfte fuhrt. 7 7 Da die Einträge der Verstorbenen besonders seit den fünfziger Jahren weniger werden, dürfte die Aufnahmepraxis bis in die zwanziger und dreißiger Jahre nach normalem Muster verlaufen sein, bevor ein Bruch einsetzte. Die Personaldecke war entsprechend seit der Mitte des 16. Jahrhunderts gerade noch ausreichend, um die wesentlichen Funktionen des Fraterhauses aufrecht zu erhalten. Fast alle Brüder hatten ein Amt innerhalb des Fraterhauses oder in einer der Schwesterngemeinschaften zu versehen, um die Anforderungen zu bewältigen. 7 8 Trotz der angespannten Situation gaben die Brüder auch zwischen 1551 und 1600 noch insgesamt 15 Hausmitglieder zur Betreuung der Schwestern ab. 79 Die Fraterherren reagierten auf die personelle Notlage mit der Erweiterung des sozialen Spektrums, aus dem Eintrittswillige zugelassen wurden. So wurden verstärkt auch Unfreie aufgenommen, die allerdings anläßlich ihres Eintritts Freibriefe ihrer Herren ausgestellt bekamen, um so formell den nach den Statuten der Fraterhäuser notwendigen Stand zu gewährleisten. 8 0 In drei Fällen handelte es sich bei den Ausstellern um münsterische Domkanoniker, die damit zur Förderung der Brüdergemeinschaft beitrugen und geeigneten Personen aus dem Kreis ihrer Abhängigen den Weg zum Priestertum
76 Dombibliothek Hildesheim. Hs.Ps.ll. fol. 29 v ff. Das schloß nicht aus, daß manche Brüder heimlich und irregulär das Haus verließen, so zum Beispiel Antonius Rosen aus Alfeldt. der nachts und „in diebischer Weise" das Haus verließ, s. ebd.. fol. 28 r und Hs.Ps. 10. fol. 194r. 77 E R H A R D : Gedächtniss-Buch. S . 9 8 f. ( In Zahlen 6 2 zu 2 3 ) . 78 In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts halfen die Fraterherren auch in der Minoritenkirche. s. R A L F N I C K E L : „Vere Germanum vivendi et conversandi modum". Zur Reflexion der Münsterer Minoritenchronistik des 18. Jahrhunderts auf Kooperation und Konflikt zwischen Konvent und Stadt in früheren Jahrhunderten. In: Dieter Berg (Hrsg.): Bettelorden und Stadt. Bettelorden und städtisches Leben im Mittelalter und in der Neuzeit (Saxonia Franciscana 1). Werl 1992, S. 115. 79 KOHL: Die Schwesternhäuser, nach dem Register. 80 BA Münster, Fraterherren. U 297 (1546. Nov. 10), U 299 (1547, Dez. 23), U 306 (1552. Mär. 24), U 308 (1553, Sep. 28), U 311 (1556, Jan. 18). Vgl. D O E B N E R : Annalen und Akten. S. 218.
190
IV. Die Existenz unter den Bedingungen
der
Glaubensspaltung
ermöglichten. 81 Die Brüdergemeinschaft bot damit seit der Mitte des 16. Jahrhunderts für einen neuen, sozial niedrig stehenden Personenkreis die Möglichkeit eines sozialen Aufstiegs. Aus den Urkunden des Fraterarchives lassen sich zudem weitere Brüder nachweisen, die nicht in das Gedächtnisbuch aufgenommen wurden, da sie vermutlich vorzeitig das Haus verlassen haben. 82 Möglicherweise durchliefen diese eine ähnliche Laufbahn wie Henricus Femer, der nach seinem in gegenseitigem Einverständnis erzielten Austritt aus dem Fraterhaus verschiedene Vikarsstellen im Münsterland innehatte. 83 Auch der 1559 gestorbene Pastor zu Bocholt, Hermann ter Brüggen, war ursprünglich Münsterischer Fraterherr gewesen, bevor er über das Süsternhaus Marienberg zum Säkularklerus wechselte. 84 Die Abgänge und das gleichzeitige Nachlassen der Vokationen führten zu einer schnellen Verkleinerung der Fratergemeinschaft. 85 Während des 17. Jahrhunderts blieb die Mitgliederzahl auf einheitlichem Niveau. So wurden 1631 sieben Fratres genannt, 86 1640 wurde eine Schätzung auf 12 Mitglieder erhoben, 87 1662 nahmen zehn Brüder an einer feierlichen Prozession in Münster teil. 88 Köln Auch das Fraterhaus Weidenbach in Köln hatte seit der Verbreitung der neuen Lehre stetige personelle Verluste hinzunehmen. Anhand einzelner Urkunden und dem Gedächtnisbuch der Gemeinschaft läßt sich diese Ent81 BA Münster. Fraterherren. Goddert van Mervelde. U 297 (1546. Nov. 10). Berndt van Raesfeld. U 299 (1547, Dez. 23). und Georg von Hatzfeld. U 311 (1556. Jan. 18). 82 BA Münster. Fraterherren. Bernhardus ton Rvthues. U 299 (1547. Dez. 23). Gherritz van Lochum und Lambert thom Dale U 324 (1562. Jan. 13). Henricus Hülsbusch U 332 (1573. Sep. 9). Hermann von Heyden A 2. fol. 33r (1564. Feb. 1). 83 HERBERT IMMENKÖTTF.R (Hrsg.): Die Protokolle des Geistlichen Rates in Münster (1601-1612) (RST 104). Münster 1972. S. 124 f. Femer stellte den Rat in Lehrfragen zufrieden, hatte aber eine Konkubine und zwei Kinder. 84 BA Münster. Fraterherren. A 241 (1559, Mai 1). Anfang des 17. Jahrhunderts war der Fraterherr Johannes Engelberndinck Pastor in Sendenhorst, s. MANFRED BECKER-HUBERT!: Die tridentinische Reform im Bistum Münster unter Fürstbischof Christoph Bernhard von Galen 1650 bis 1678. Ein Beitrag zur Geschichte der Katholischen Reform (Westfalia Sacra 6). Münster 1978. S. 205. 85 Gemäß des freien Charakters der Bruderschaft konnten die Fratres in der Visitation von 1571 die Frage nach fugitivi und apostatae verneinen. SCHWARZ: Visitation. S. 78. Dies bedeutete aber wohl nur. daß die Austritte offen und ordnungsgemäß vonstatten gingen. 86 HÖING: Kloster und Stadt. S. 44. 87 BA Münster. Fraterherren. A 28. 88 LUDWIG SCHMITZ-KALLENBERG: Eine Chronik des Fraterherrenhauses in Münster über die Jahre 1650-1672. In: WZ 68 (1910). S. 360.
2. Der
Personalbesland
191
wicklung hinreichend nachvollziehen. So wurden 1551 in einem Vertrag mit dem Bonner Kanoniker Anton Rasseler noch neun Priester aus Weidenbach aufgezählt. 89 1591 war die Gesamtzahl der Brüder auf sechs abgesunken, 90 da der Rektor zusammen mit seinen fünf Mitbrüdern erklärte, daß aller Besitz gemeinschaftlich sein sollte. Offenbar hatte es Schwierigkeiten gegeben, etwaigen Privatbesitz zu vereiteln, da schon 1567 der Rektor Gottfried von Greffradt ein entsprechendes Gelöbnis hatte ablegen lassen. 91 Ein Blick auf die Häufigkeit der Einträge in das Gedächtnisbuch bestätigt den ersten Eindruck der steten personellen Verkleinerung. 9 2 Während im ersten Viertel des 16. Jahrhunderts im Schnitt jedes Jahr ein Kölner Fraterherr starb und die Gemeinschaft entsprechend viele Neuaufnahmen zu verzeichnen gehabt haben muß, um die Lücken zu füllen, ist die Frequenz der Todesfälle im restlichen Jahrhundert deutlich geringer und hat zudem eine stetig absteigende Tendenz. Da die Größe der Gemeinschaft bis 1591 trotz der verringerten Zahl der Toten stark abnahm, muß man ein verhältnismäßig noch stärkeres Nachlassen der Eintritte annehmen, um diesen Sachverhalt zu erklären. Über die ungefähr drei Generationen von 1525 bis 1591, als nur noch sechs Fraterherren in Weidenbach lebten, ging so mit dem Nachlassen der Vokationen eine ständige Verkleinerung und Überalterung einher. Ein Vergleich zu der neuen Gesellschaft der Jesuiten zeigt hier die ungleich höhere Attraktivität der neuen Orden in der sich formierenden katholischen Konfessionskirche. Die Jesuiten verfügten im Jahr 1545, ein Jahr nach der Niederlassung in Köln, über 14 Mitglieder. 93 1556 hatten sie schon über 40 Novizen, 94 in den Jahren 1559 und 1560 hatte man gar 50
89 HASt Köln. HUA 17199 (1551. Aug. 7). Die Laien erscheinen nur im Kollektiv. LÖFFLER: Gedächtnisbuch, S. 38. nennt den Tod zweier Laien der Hausgemeinschaft in den Jahren 1552 und 1553, die in der Urkunde nicht aufgezählt sind, obwohl sie vermutlich auch 1551 im Haus lebten. 90 HASt Köln. HUA 18400 (1591, Jul. 7). Neben dem Pater waren noch drei Priester, ein Novize und ein Laie im Haus. 91 Ebd.. 17811 (1567. Aug. 16). 92 Vgl. LÖFFLER: Das Gedächtnisbuch des Kölner Fraterhauses Weidenbach. S. 3042. 93 BERNHARD DUHR: Geschichte der Jesuiten in den Ländern deutscher Zunge im 16. Jahrhundert 1. Freiburg 1907. S. 37. 94 BRIGITTE GARBE: Reformmaßnahmen und Formen der katholischen Erneuerung in der Erzdiözese Köln (1555-1648). In: JbKGV 47 (1976). S. 142. Die Namen sind aufgelistet bei THERESE VIRNICH: Leonhard Kessel, der erste Obere der Kölner JesuitenNiederlassung (1544-1574). In: AH VN 90 (1911), S. 13 f.
192
IV. Die Existenz unter den Bedingungen der Glaubensspaltung
beziehungsweise 57 Mitglieder, bevor man viele Brüder nach Trier entsandte. Nachdem ihnen 1556 die Dreikronenburse übertragen wurde, stieg auch die Zahl der Scholaren deutlich an. 95 Viele kamen auf die Empfehlung Matthias Bredenbachs aus Emmerich nach Köln. 96 Während also die neu in Köln niedergelassenen Jesuiten einen regen Zulauf zu verzeichnen hatten, war die Attraktivität der Fraterherren rückläufig. Herford Auch in Herford datiert der Beginn des personellen Niedergangs der Fratergemeinschafit mit der Reformation. 1528 und 1529 beschlossen nur noch zehn Brüder, die Votivmessen und Vigilien aufzugeben, 97 während 1525 noch 20 die Urfehde gegen Bischof Erich von Paderborn schwören mußten. 98 Innerhalb von drei Jahren hatte sich der Personalbestand halbiert. Besonders unter den Priestern fallen große Abgänge auf. Von den 14 Geistlichen, die 1525 im Fraterhaus lebten, waren 1528 nur noch vier vorhanden. Drei waren inzwischen verstorben, 99 bei sechs Brüdern fehlt jeder Hinweis auf ihren Verbleib. Zusätzlich zu dieser Entwicklung verursachte eine Reihe von Todesfallen in der Folge eine rapide Verkleinerung der Hausgemeinschaft. Insgesamt neun Tote während der Jahre 1528 bis 1530 vermochte das Fraterhaus nicht mehr aufzufangen. 100 Das 1532 von der Stadt erlassene Aufnahmeverbot 1 0 1 schrieb den reduzierten Personalstand der Gemeinschaft zunächst fest. 1536 und 1539 lebten nur noch fünf Personen im Fraterhaus. 102 Diese waren auch schon 1528 vorhanden gewesen. Die Neueintritte in die Fratergemeinschafit waren demnach schon vor dem Erlaß des Aufnahmeverbots versiegt. Die Unterordnung des Fraterhauses
95
VIRNICH: Leonhard Kessel. S. 23. 1560 waren es 402. 1566 schon 558 und 1574 sogar 641 Eingeschriebene. Vgl. auch JOSEPH B. KETTENMEYER: Die Anfange der Marianischen Sodalität in Köln 1576-1586 (KLK 2). Münster 1928. 96 GARBE: Reformmaßnahmen und Formen der katholischen Erneuerung. S. 142. Noch 1531 hatten die Weidenbacher Brüder Hermann Weinsberg nach Emmerich auf die Schule Bredenbachs empfohlen, s. DITSCHE: Die devotio moderna. S. 120 f. 97
FRATERHAUS HERFORD 1: S . 2 0 4 .
98
FRATERHAUS HERFORD 2: S. 2 0 6 f.
99 FRATERHAUS HERFORD 2: S. 5 2 f. Gerhardus Nyekerck. Tebbertus Huffelage, Bartholomäus Vechel. Dazu kommt noch Jakob Montanus, der 1528 nicht mit auftrat. Er war Confessor des Süsternhauses und zählte nicht zur engsten Hausgemeinschaft. Montanus starb 1534. 100
FRATERHAUS HERFORD 2: S . 5 2 f.
FRATERHAUS HERFORD 2 : S . 2 4 5 f. Ebd., kungen zum Herforder Bildersturm, S. 218. 101
102
1, S. 1 7 9 .
FRATERHAUS HERFORD 2 : S . 1 7 1 f . , u n d 1, S. 1 3 3 .
Vgl. auch
COHAUB:
Anmer-
2. Der
Personalbestand
193
in das Kirchspiel der Neustadt im Jahr 1542 führte jedoch vermutlich zur Aufhebung des städtischen Aufnahmeverbots. Nach der Gutheißung der brüderlichen Lebensform durch Luther und Melanchthon sowie der Beendigung des Konfliktes um das Pfarrecht der Brüder existierten von Seiten der Stadt keine Bedenken gegen eine Fortexistenz des Fraterhauses mehr. Der Rektor Gerhard Roggel konnte daher 1546 und 1547 drei neue Mitglieder aufnehmen. 103 1549 traf eine Visitation des Bischofs von Paderborn nach wie vor nur fünf Brüder - drei Priester und zwei Kleriker - an. 104 Zu diesen müssen noch die Laienbrüder Hermann Havixbeck und Johann Sendenhorst addiert werden, die schon 1528 im Haus gelebt hatten und noch in den fünfziger Jahren Mitglieder des Hauses waren. 105 1549 wurden noch vier weitere Brüder neu aufgenommen, 106 so daß zum Jahresende vermutlich schon wieder elf Personen dem Fraterhaus angehörten. Diese Größenordnung gelang es beizubehalten. Ende der sechziger Jahre lebten ebenfalls noch zehn Brüder auf dem Varenkampinghof. 107 Nach der Neuordnung des Kirchenwesens erreichte das Haus durch den Verzicht auf sein Pfarrecht eine zwar isolierte, aber weitgehend unbedrängte Stellung in der Stadt und erlebte eine personelle Konsolidierung, allerdings auf einem Niveau, das deutlich unterhalb desjenigen zu Beginn des 16. Jahrhunderts lag. Rostock In Rostock ist die personelle Entwicklung des Fraterhauses nur in Umrissen zu erkennen. Im Jahr 1533 hatte sich das Haus gegenüber den 1488 belegten 17 Brüdern schon fast um die Hälfte auf neun verringert, 108 diesen Status dann aber bis 1542 mit zehn Brüdern stabilisiert. 109 Erst in den fünfziger Jahren scheinen sich mit der fortschreitenden Säkularisierung in Mecklenburg die Fraterherren von Rostock abgewandt zu haben. 1557 waren nur noch vier Fratres in der Gemeinschaft vorhanden, 1559 derer drei und 1560 nur noch der letzte Rektor der Gemeinschaft, Heinrich Arsenius, und der Bruder Gerhard Dunckradt. 110
103
FRATERHAUS HERFORD 2: S. 3 9 .
104
F R A T E R H A U S H E R F O R D 1: S . 8 f. ( L e e s c h ) .
105
FRATERHAUS HERFORD 1: S. 182 u n d 193. H e r m a n n W e n n v n c k a u s H a v i x b e c k
war seit 1515 Pförtner des Hauses und lebte hier noch bis nach 1561. Johann Sendenhorst wurde 1555 von der Äbtissin belehnt. 106
FRATERHAUS HERFORD 2: S. 3 9 .
107
FRATERHAUS HERFORD 2: S. 2 7 3 .
108
LISCH: Geschichte der Buchdruckerkunst in Mecklenburg, S. 264 f. LISCH: Geschichte der Buchdruckerkunst in Mecklenburg. S. 265 f. LISCH: Geschichte der Buchdruckerkunst in Mecklenburg, S. 273 f.
109 110
194
IV. Die Existenz unter den Bedingungen der Glaubensspaltung
Hildesheim In der ersten Zeit nach der Einführung des neuen Glaubens in Hildesheim fehlen Informationen über die Entwicklung der Größe der Brüdergemeinschaft auf dem Lüchtenhof. Der Bericht des Kapuziners Polycarp, dessen Konvent in der Mitte des 17. Jahrhunderts den Lüchtenhof bezog, über den Abfall vieler Fraterherren erweist sich bei näherem Hinsehen als konfessionelle Polemik. 111 Unter Verweis auf die Briefe des Marburger Rektors Bernhard Rothert und seines Herforder Amtskollegen Bartholomäus Vechel aus dem Jahre 1519 beklagt er den Anklang, den Luther bei den Brüdern fand. 112 Das beharrende Verhalten der Brüder gegenüber den Forderungen der Prädikanten und des Rats in den 1540er Jahren deutet jedoch eher auf ein noch vorhandenes gemeinschaftliches Leben hin. Erst in den fünfziger und sechziger Jahren des 16. Jahrhunderts ist eine Verkleinerung der Gemeinschaft deutlich zu erkennen. In dieser Zeit werden auch die meisten der vor 1542, dem Jahr der Einfuhrung der Reformation, eingetretenen Brüder verstorben sein, so daß sich durch den eintretenden Generationswechsel gravierende Lücken im Personalbestand ergaben. Dasselbe galt für diejenigen Fraterherren, die nach dem Untergang ihrer Häuser in Kassel und Magdeburg auf den Hildesheimer Lüchtenhof geflohen waren. 113 Auch starb 1559 mit Paul Nagelsmet aus Ahlen, 114 der als Rektor in Hildesheim der lutherischen Stadt beharrlich getrotzt hatte, der altgläubige Rückhalt der Gemeinschaft. Um das Jahr 1560 werden die Defekte in der Gemeinschaft unübersehbar. Viele Brüder verließen Anfang der sechziger Jahre das Haus, 115 wobei nicht deutlich wird, zu welchen Anteilen hier individuelle Glaubensentscheidungen oder die Resignation angesichts der endgültigen Festschreibung des neugläubigen Bekenntnisses im Jahr 1562 den Ausschlag gaben. Die Wahl des Rektors Bernward Wever aus Rheden im Jahr 1565 fand aus Mangel an Hausmitgliedern in Anwesenheit des Domdechanten und von andere herrn statt. 116 Auch die Rekto-
111 Dombibliothek Hildesheim. Hs.Ps.25. 9, plures ex hac congregacione defecisse tarn a fide orthodoxa quam ab ordine. .. 112 Dombibliothek Hildesheim. Hs.Ps.25. 9. Als Motiv für den Austritt nennt Polycarp die Erlaubnis der Freuden des Fleisches. Zu den Briefen. Dombibliothek Hildesheim. Hs.Ps.23. hinten eingeheftet, vgl. oben. S. 45. 113 So die Rektoren der genannten Häuser. Johannes Twigetmann und Ludolf Munder. Johannes Twigetmann aus Soest starb 1560. Ludolf Munder 1544. DOEBNER: Annalen und Akten. S. 286 und S. 296. 114 DOEBNER: Annalen und Akten. S. 317. 115 Dombibliothek Hildesheim. Hs.Ps.10. fol. l r . 116 Dombibliothek Hildesheim. Hs.Ps.10. fol. 371 r .
2. Der
Personalbestand
195
ren der Gemeinschaft verließen oft vor ihrem Lebensende das Hildesheimer Fraterhaus. So kehrte der aus Münster entsandte Bernhard Wedemann 1570 dem Haus den Rücken, 117 sein 1573 gewählter Nachfolger Henning Balhorn tat es ihm nach acht Jahren Amtszeit gleich. 118 Auch der zwölfte Rektor, Johannes Nebelingk, trat im Jahr 1588 zurück und verließ vorzeitig den Lüchtenhof. 119 Diese Praxis der Rektoren spiegelt die nun übliche Gewohnheit wider, nicht bis zum Lebensende im Fraterhaus zu bleiben, sondern dieses als Zwischenstation auf dem Weg zu einer anderen Stelle zu nutzen. 120 Im Jahr 1573 unterschrieben lediglich drei Brüder als Nos Fratres Clerici ejusdem Domus propriis manibus121 das Instrument über die Wahl Henning Balhorns zum Rektor. Das Fraterhaus in Hildesheim vermochte aufgrund seines Zustandes kaum noch, neue Kandidaten für das gemeinsame Leben an sich zu binden. Dies bestätigt auch eine Liste der Ein- und Austritte der Jahre von 1571-1585. 1 2 2 In dieser Zeit wurde die erstaunlich hohe Zahl von 19 Klerikern und Laien zur Probe im Haus angenommen. Nur in fünf Fällen folgte darauf jedoch auch die Aufnahme in die Bruderschaft, das heißt die förmliche gegenseitige Schenkung des Privateigentums und die Verpflichtung auf die Statuten. Vier dieser fünf verließen frühzeitig das Fraterleben. 123 Nur für den Laienbruder Christianus Schowarten ist nicht explizit vermerkt, daß er das Haus verlassen hätte. 124
117 Dombibliothek Hildesheim. Hs.Ps.10, fol. LR und 343 r . BRÜGGEBOES: Die Fraterherren im Lüchtenhof, S. 30, verweist auf LÜNTZEL: Die Annahme. S. 73, der ohne Angabe seiner Quelle mitteilt, Wedemann sei Superintendent geworden. 118 Balhorn ging als lutherischer Prädikant nach Soest. Dombibliothek Hildesheim. Hs.Ps.10. fol. 194 und H s . P s . l l , fol. 29 V -30 R . BRÜGGEBOES: Die Fraterherren im Lüchtenhof. S. 30 f. 119 Dombibliothek Hildesheim. H s . P s . l l , fol. 42 v . 120 Bis zum Jahrhundertende starben nur noch wenige Hausmitglieder auf dem Lüchtenhof: der 13.Rektor Johannes Engelken am 31. Januar 1594, und der Frater Kasten, der von einem Spielmann erstochen wurde, am 18.Dezember 1588, StA Hildesheim, 100/91, Nr.64, und BUHLERS: Joachim Brandis' des Jüngeren Diarium, S. 260. 121 Dombibliothek Hildesheim, Hs.Ps. 10, fol. 369 v . Henning Balhorn, Johannes Engelken und Conradus Cock. Wie stets werden noch ein oder zwei Laien hinzuzuzählen sein, so zum Beispiel der 1572 aufgenommene Christianus Schowarten. s. ebd., fol. 194 r . oder der Koch Hanse, s. BUHLERS: Joachim Brandis' des Jüngeren Diarium. S. 107. 122 Dombibliothek Hildesheim. Hs.Ps. 10, fol. 194 r " v . 123 Dombibliothek Hildesheim, Hs.Ps. 10, fol. 194 r " v . Conradus Cock, der 1572 aufgenommen wurde, verließ das Haus am 15. Juni 1580. Antonius Rosen aus Alfeld war 1580/81 „Kapitular" des Hauses, Henricus Rotfeldt von 1580 bis 1582. Johannes Nebelingk, der 1576 eingetreten war. trat 1588 als Rektor zurück und verließ Hildesheim. 124 Dombibliothek Hildesheim. Hs.Ps. 10, fol. 194 r " v .
196
IV. Die Existenz unter den Bedingungen der
Glaubensspaltung
Auch für die spätere Zeit ist der frühzeitige Rückzug aus dem Fraterhaus wiederholt festzustellen. So wandten sich die Brüder Johannes Bocholt und Hinricus Joen im Jahr 1591 ab, nachdem sie erst 1589 beziehungsweise 1590 in die Bruderschaft aufgenommen worden waren. 125 Nach dem Tod von Johannes Engelken im Jahr 1594 bestand die Gemeinschaft nur noch aus zwei Brüdern. Diese zollten 1604 der Entwicklung Tribut und übergaben den hochverschuldeten Lüchtenhof an die bischöflichen Räte. 1 2 6 Nach dem Aussterben der Fratergeneration, die schon 1542 im Haus gelebt hatte, war die personelle Situation der Gemeinschaft stets zu schlecht gewesen, um eine neue Blüte des geistlichen Lebens zuzulassen. Wesel Das Auftreten der reformatorischen Lehre am Niederrhein bewirkte wie in den anderen Gemeinschaften auch - in Wesel einen offensichtlichen Personalschwund im Fraterhaus. Nach 1530, also mit einer geringen Verzögerung gegenüber dem Fußfassen der neuen Lehre in Wesel von 1523 bis 15 2 5, 127 fehlen zunächst Belege für weitere Eintritte. Insgesamt sind zwischen 1530 und 1550 nur noch sechs Fälle zu verifizieren, wobei zwischen 1529 und 1538 personeller Zuwachs vollständig ausblieb. 128 In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts blieb das Niveau auf niedrigem Stand. Von 1551 bis 1575 stieg es bis auf 15 Eintritte leicht an, um bis 1600 auf einen Tiefstand von neun abzusinken. Durch diese Entwicklung wurde auch in einer kurzen Zeitspanne eine schnelle Verkleinerung des Personalbestandes bewirkt. Innerhalb einer Generation dürften sich diese Defizite soweit vermehrt haben, daß wesentliche Funktionen des Hauses nicht mehr aufrecht erhalten werden konnten. Der Druck des Weseler Magistrates auf das altgläubige kirchliche Leben in der Stadt und die Verbreitung des Luthertums bewirkten eine gleichbleibend geringe Zahl von Neueintritten. Der Beginn
125 Dombibliothek Hildesheim. Hs.Ps. 11. fol. 44 r . Ebenso trat 1582 „unser gewesener kuchenbecker" Johann Vligekope. der später eine Kiste abholen ließ, aus, ebd.. fol. 33 r . 126 BA Hildesheim. Ps. U 145 (1604. Mär. 14). BRÜGGEBOF.S: Die Fraterherren auf dem Lüchtenhof. S. 35. 127 STEMPEL: Die Reformation in der Stadt Wesel. S. 10. 128 S. jeweils die Liste bei DRAHT: St.Martini Wesel. S. 106 ff. Das energische Auftreten des geldrischen Herzogs Karl gegen die Lutheraner hat die Verluste im nahegelegenen Doesburg wohl gemildert, während in der von Glaubenskämpfen erschütterten Stadt Wesel die Wirkungen krasser zu Tage traten. Der Doesburger Chronist vermerkte gar den gestiegenen Lebensstandard im Haus, der durch die geringe Mitgliederzahl und das Auslaufen verschiedener Leibrenten bewirkt wurde. WEILER: Necrologie, Kroniek en Cartularium. S. 126 (1535).
2. Der
Personalbestand
197
einer solchen Entwicklung glich dem Einstieg in einen circulus vitiosus: wachsender Druck von außen, stete Verkleinerung der Hausgemeinschaft, Aufgabe der wichtigsten geistlichen Funktionen und daran anschließend der Verlust der eigenen Identität und Legitimation bildeten sich gegenseitig fördernde Komponenten, die eine Überwindung dieser Schwierigkeiten ohne Hilfe von außen immer unwahrscheinlicher werden ließen. In seinem Bemühen zur Aufhebung des altgläubigen Lebens in Wesel unterstützte der Rat zudem die Austrittswilligen aus der Fratergemeinschaft. Ein Laienbruder aus Bislich forderte bei seinem Austritt im Jahr 1559 sein eingebrachtes Gut vom Fraterhaus Wesel zurück, welches ihm jedoch nicht zugestanden wurde. 1 2 9 Der Rat verfugte daraufhin die Rückgabe allen Besitzes und die Auszahlung einer zusätzlichen Leibrente von fünf Talern und drei Maltern Roggen. 1 3 0 Mit diesem Beschluß wandte der Magistrat das Prinzip der Entschädigung von Austretenden aus den Mitteln der betreffenden kirchlichen Institution an, welches der Empfehlung Luthers in der Leisniger Kastenordnung folgte, 1 3 1 und bemühte sich so um die mittelfristige Auflösung der Gemeinschaft. Nach einer kurzen Periode der Erholung zwischen 1551 und 1560 blieb die Zahl der Aufnahmen in Wesel gering. Diese Erholung wird durch die Einfuhrung des Interims und die darauf folgende Kirchenordnung von Hermann von Wied verursacht worden sein. Die Stadt nahm in dieser Zeit größere Rücksicht auf die Interessen des Landesherren, wie die Wiedereinführung der Chorröcke im Interim demonstrierte, die bis nach 1560 beibehalten wurden. 1 3 2 In diesem Klima relativer Offenheit erlangte auch das Fraterhaus eine zwischenzeitliche Rekuperation. Dennoch reichte das Nachlassen des konfessionellen Drucks nicht aus, um eine personelle Konsolidierung im Fraterhaus zu bewirken. Sowohl 15 7 5 133 als auch 15 8 9 1 3 4 bestand die Hausgemeinschaft nur noch aus vier Brüdern. Angesichts der Tatsache, daß trotz der belegten 13 Aufnahmen zwischen 1551 und 15 7 5 135 nur so wenige Fraterherren in Wesel lebten,
129
SEILER: Die Fraterherren zu Wesel. S. 10. Nach den Statuten der Fraterhäuser stand dem Austretenden nur zu. was ihm vom Rektor der Gemeinschaft aus freiem Entschluß bewilligt wurde. DOEBNER: Annalen und Akten. S. 223. 130 SEILER: Die Fraterherren zu Wesel. S. 10. 131 BRECHT: Luthertum als politische und soziale Kraft. S. 7 f. 132 GOETERS: Die konfessionelle Entwicklung, S. 149. 133 PfA St.Nicolai Kalkar. A 6, fol. 76 r . 134 PfA St.Martini Wesel, A 3. 4. fol. 10 r . 135 DRAHT: Sankt Martini Wesel. S. 107. Nr. 122-133, und ein Bruder Konrad Voirst. HSTA Düsseldorf. Fraterherren Wesel, fol. 2 r .
198
IV. Die Existenz unter den Bedingungen der
Glaubensspaltung
steht zu vermuten, daß wie in Hildesheim in den erschwerten äußeren Bedingungen die Eintretenden oft schon nach kurzer Zeit wieder das Haus verließen. Hierfür sind vereinzelte Beispiele wie der Fall des Caspar Lechenich, 136 der 1559 bei der herzoglichen Visitation in Jülich als Kaplan der Kirche in Mersch Auskunft über sein Leben gab, beizubringen. Lechenichs Vita verlief in vielerlei Hinsicht typisch für einen niederrheinischen Fraterherren. Er war ein Jahr in Emmerich zur Schule gegangen und hatte dort die sechste Klasse absolviert. 137 Möglicherweise schon in Emmerich von den dortigen Fraterherren religiös unterwiesen und betreut, 1 3 8 trat er anschließend den Brüdern vom Gemeinsamen Leben in Wesel bei, wurde in Münster zum Subdiakon, in Köln zum Priester geweiht. Seine erste Messe feierte er im Fraterhaus Wesel und war seit 1557 Kaplan in Mersch. Der Grund des Austritts aus dem Fraterhaus ist im Visitationsprotokoll nur ungenau beschrieben: er sei „...mit willen des convents us dem cloister kommen, umb der Uneinigkeit willen, die sich zu Wesel zugedragen habt. " 139 Ob diese Uneinigkeit den Zustand im Fraterhaus bezeichnet oder die vielgestaltige konfessionelle Situation in der Stadt Wesel betraf, ist nicht eindeutig. Lechenich wurde in jedem Fall nicht wegen protestantischer Lehren aus dem Fraterhaus gewiesen, da ihm das Visitationsprotokoll Lehre und Sakramentsspendung nach der römischen Kirche bescheinigte. 140 Trotz der wieder gestiegenen Zahl von Neuaufnahmen nach dem Interim blieb das Weseler Fraterhaus klein. Nach dem Ratserlaß vom 15. Juli 1562, ohne Genehmigung keine Geistlichen mehr aufzunehmen, sind kaum noch Eintritte nachzuweisen. 141 Außer zwei Neuaufnahmen in den Jahren 1563 und 1566 142 klafft die Lücke hier bis 1577. 143
136
REDLICH: Jülich-Bergische Kirchenpolitik 2.1. S. 399 f. Zur Emmericher Schule s. JOSEF KUCKHOFF: Der Sieg des Humanismus in den katholischen Gelehrtenschulen des Niederrheins 1525-1557 (KLK 3). Münster 1929. bes. S. 12-25. und OEDIGER: Die niederrheinischen Schulen vor dem Aufkommen der Gymnasien, S. 351-408. besonders S. 361 f.. S. 378 ff., S. 384 f. 138 Zur Betätigung der Brüder, die keine eigene Schule besaßen, sondern die Scholaren nur unterstützten und anwiesen, s. JOHANNES PETRY: Beiträge zur Wirksamkeit der Fraterherren in Emmerich. Aus bisher ungedruckten Quellen. In: Mitteilungen der Gesellschaft für deutsche Erziehungs- und Schulgeschichte 13 (1903), S. 9-23. und POST: The Modern Devotion. S. 417-421. 139 REDLICH: Jülich-Bergische Kirchenpolitik 2.1, S. 399. 140 REDLICH: Jülich-Bergische Kirchenpolitik 2.1. S. 399. Die mangelhafte Bildung Lechenichs wird getadelt. 141 GANTESWEILER: Chronik der Stadt Wesel. S. 254. Der spätere Rektor. Sebastianus Vorst, trat drei Tage vor diesem Erlaß ein, s. DRAHT: St.Martini Wesel. S. 107. 142 DRAHT: St.Martini Wesel. S. 108. Nr. 132 und 133. 143 DRAHT: St.Martini Wesel. S. 108. Nr. 139. 137
2. Der
Personalbestand
199
Auch bezüglich der regionalen Herkunft der Brüder läßt sich seit der Reformation eine deutliche Veränderung gegenüber der Praxis des frühen 16. Jahrhunderts feststellen. Seit der Jahrhundertmitte gingen die Vokationen vor allem am Niederrhein zurück. Anstatt von 30 Personen, die aus niederrheinischen Städten zwischen 1476 und 1525 eingetreten waren, lassen sich 1551 bis 1600 nur noch sechs Brüder aus diesem Gebiet belegen. 1 4 4 Dies war auch angesichts des allgemeinen Rückgangs von Eintritten in das Fraterhaus ein überproportional hoher Wert. Demgegenüber blieben die Zuwanderungen aus Westfalen und Münster fast auf dem Niveau der Jahre vor der Reformation. 1 4 5 Aus den Niederlanden trat kein Bruder mehr der Weseler Gemeinschaft bei. Der regionale Schwerpunkt der Weseler Fratres hatte sich damit vom Niederrhein in das benachbarte Westfalen verschoben. Nur noch ein Viertel der mit Herkunftsort feststellbaren Brüder kam in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts vom Niederrhein, die überwiegende Mehrheit dagegen aus Münster und westfälischen Städten wie Dorsten und Dülmen. 1 4 6 Ab 1580 kamen für längere Zeit alle Brüder aus Münster und Dülmen. 147 Die Verbreitung des reformatorischen Gedankenguts am Niederrhein und die nicht geklärte konfessionelle Entwicklung reduzierte damit die Zahl der Kandidaten für das Brüderleben in Wesel und trug dazu bei, dem Fraterhaus die Grundlage seiner Existenz zu entziehen. Die Reformation hat dabei nicht nur durch den äußeren konfessionellen Druck der Obrigkeiten, sondern auch durch die Verurteilung des Mönchtums die Entscheidung der potentiellen Kandidaten für ein gemeinschaftliches Leben beeinflußt. Welche Rolle zusätzlich auch die religionspolitische Ungewißheit spielte, vermag ein Vergleich mit der Herkunft der Kölner Brüder vom Gemeinsamen Leben zu illustrieren. Die Dominanz von Fraterherren, die vom Niederrhein nach Köln kamen, blieb hier ungebrochen. 1 4 8 Besonders bei Brüdern, die um oder kurz nach der Jahrhundertmitte verstarben, ist dies auffällig. Vermutlich wandten sich in der Zeit der größten Unsicherheit im klevischen Herzogtum viele Probanden nach
144 145
Von insgesamt 65 beziehungsweise 24 Eintritten. Aus Westfalen kamen von 1476-1525 insgesamt zehn, von 1551-1600 acht Brü-
der. 146
Präsent waren vor allem Dorsten (4) und Dülmen (3). Aus Münster zuvor acht, nun fünf. Diese waren vermutlich zum Teil aus den Häusern in Münster und Köln entsandt. vgl. DRAHT: Sankt Martini Wesel. S. 107. Nr. 134 und 135. 147 DRAHT: St. Martini Wesel, S. 108 f. 148 S. zum Beispiel Bartholomaeus Kempis, Hermannus Borcken, Petrus Kempis, Rutgerus Burich, Heribertus Vorst, Petrus Ude, Jacobus Embricensis u.a., LÖFFLER: Das Gedächtnisbuch des Kölner Fraterhauses Weidenbach. S. 37-39.
200
IV. Die Existenz unter den Bedingungen der
Glaubensspaltung
Köln, um sich in der gesichert altgläubigen Stadt einem gemeinschaftlichen geistlichen Leben zu widmen. In dem von den Religionsparteien umstrittenen Wesel nahm in diesem Abschnitt die Zahl der Neueintritte dagegen deutlich ab. Wie in Wesel rekrutierte sich auch das Fraterhaus in Hildesheim um die Jahrhundertmitte hauptsächlich aus Brüdern aus dem Münsterland. 1 4 9 Nachdem aber sowohl Arnold Udense 1 5 0 als auch Bernhard Wedemann aus Beckum, die aus dem Haus Zum Springborn in Münster zu Hilfe gesandt worden waren, bis 1570 das Haus verließen, 151 war der Lüchtenhof ausschließlich auf Nachwuchs aus dem Um- und Hinterland Hildesheims angewiesen. Weder vom Niederrhein noch aus dem Münsterland waren noch Brüder anzutreffen. Stattdessen stammte der überwiegende Anteil aus dem ländlichen Gebiet des nördlichen Harzvorlandes, in dem sich auch der Besitz der Brüder konzentrierte, und erstreckte sich nur in einigen Fällen bis in den Norden Hessens. 152 In der Regel lagen die Herkunftsorte der sich nach 1570 bewerbenden Brüder im Um- und Hinterland Hildesheims 153 und innerhalb des Fürstentums Braunschweig-Wolfenbüttel, in dem Herzog Heinrich der Jüngere beim alten Glauben geblieben war. Der Lüchtenhof war damit von den klassischen Zentren der Devotio moderna isoliert. Diese Verlokalisierung der Fratergemeinschaft war eine indirekte Auswirkung der Reformation und der beginnenden Konfessionalisierung 154 und trug dazu bei, daß sich das Fraterhaus weiter von seinem ursprünglichen Charakter entfernte. Nicht aus Wesel, Dorsten oder Ahlen, wo man das devote Leben aus eigener Anschauung kannte und sich auf ein weitgespanntes soziales Umfeld stützen konnte, zogen nun Brüder auf den Lüchtenhof, sondern Kleriker und Laien aus den Landstädten des näheren Umlandes Hildesheims.
149
Hermann Pelckmann und Paul Nagelsmedt aus Ahlen, Hinrick Monasteriensis. s. DOEBNER: Annalen und Akten, im Namensregister. Arnold Udense, Bernardus Wedemann aus Beckum, s. Dombibliothek Hildesheim. Hs.Ps. 10, fol. l r . 150 Dieser hatte sich möglicherweise die Rückkehr nach Münster vorbehalten, um Schäden an Seele und Körper zu begegnen. Dieses Mittel wurde zum Teil auch von Brüdern angewandt, die zur Betreuung der Süstern abgeordnet wurden, s. DOEBNER: Annalen und Akten. S. 93 f. 151 Dombibliothek Hildesheim, Hs.Ps. 10. fol. l r . 152 So bei Johannes Molterns. Battomontanus Hassus. Dombibliothek Hildesheim. Hs.Ps. 10. fol. 194 r . 153 Bernhardus Wever aus Rheden. Conradus Cock aus Salzdetfurth, Johannes Backhus und Jacobus Willen aus Lampspringe, Antonius Rosen aus Alfeld, Jost Wittekop aus Hemmendorf. 154 Vgl. FRANK: Das Mainzer Dominikanerkloster, S. 454.
2. Der
Personalbestand
201
Die personelle Entwicklung in den Fraterhäusern war in erster Linie abhängig von den konfessionellen Rahmenbedingungen, die der Fortexistenz der Gemeinschaften zugrundelagen. In den katholischen Städten Köln und Münster wie auch in Herford, wo sich die Brüder in Übereinstimmung mit der lutherischen Stadt befanden, erlaubte das Ausbleiben von Zulassungsbeschränkungen und ein ausreichender personeller Einzugsbereich eine Fortexistenz in kleinen Gemeinschaften, die ungefähr zehn Personen zählten. In Hildesheim und Wesel dagegen resultierte der konfessionelle Druck der protestantischen Magistrate in starker Schrumpfung zu Restgemeinschaften, in denen starke geistliche Defekte es oftmals kaum noch gerechtfertigt erscheinen lassen, von dem Charakter eines Fraterhauses zu sprechen. In Rostock blieb eine vergleichbare Einflußnahme des Magistrats zwar aus, doch führte die Lage des Hauses fernab altgläubiger Territorien, die die Grundlage einer Nachwuchsrekrutierung hätten bieten können, zum Aussterben der Gemeinschaft.
3. Der
Besitzstand
3.1. Die Einkünfte und Wirtschaftsweise
der
Fraterhäuser
Die Praktizierung einer der Lebensform der Brüder vom Gemeinsamen Leben angemessenen Wirtschaftsweise war nach dem Verständnis der Brüder eine essentielle Voraussetzung zum Vollzug ihres Lebensideals. 1 Dies wurde noch im frühen 16. Jahrhundert deutlich, als der Erzbischof von Magdeburg den Brüdern 1518 die verfallene Kollegiatkirche in Walbeck übertragen wollte. Die Rektoren aus Marburg und Herford machten in Briefen an ihren Hildesheimer Amtskollegen Paulus Nagelsmedt hiergegen Bedenken geltend, da man angesichts der armen Ausstattung der ländlichen Walbecker Kirche zum Ackerbau gezwungen und ein Leben nach Art der Brüder daher nicht durchfuhrbar sei. Als Folge dieser unangemessenen Wirtschaftsweise sei zu befürchten, daß nur Unfrieden, Gefahr und Mühsal entstünden. 2 Die Ansiedlung in einem städtischen Gemeinwesen und die Partizipation am dort konzentrierten Handels- und Rentmarkt waren somit schon in der Planung konstitutive Elemente der Gründung neuer Niederlassungen. Damit waren diese aber auch unauflöslich an das ökonomische Geschick ihres Umfeldes gebunden, was sich in den Wirren des 16. Jahrhunderts existenzbedrohend für die Brüdergemeinschaften auswirkte. Eine ökonomische Autarkie auf der Basis von agrarischer Eigenproduktion der Subsistenzmittel war im Gesamtgebilde ihrer Lebensform nicht vorgesehen. Dies illustriert die Auswahl der Schreibarbeit als bevorzugtem Handwerk, da diese nur über den Umweg eines erwirtschafteten Geldwertes den Haushalt unterstützen konnte. 3
1 S. hierzu DIRK SCHÖNBACH: Lebensform und Wirtschaftsweise der Brüder vom Gemeinsamen Leben in Köln im 15. Jahrhundert (Wissenschaftliche Hausarbeit zur Ersten Staatsprüfung für das Amt des Studienrats). Berlin 1990. bes. S. 23 f. 2 Dombibliothek Hildesheim, Hs.Ps.23, hinten eingeheftet. 3 Zur Schreibarbeit der Brüder des Münsterschen Kolloquiums WOLFGANG OESER: Die Brüder des gemeinsamen Lebens in Münster als Bücherschreiber. In: Archiv für Geschichte des Buchwesens 5 (1962-64), Sp. 197-398. KIRSCHBAUM: Liturgische Handschriften aus dem Fraterhaus St.Michael am Weidenbach. HERMANN KNAUS: Die Fraterherren in Münster und Köln als Bücherschreiber. In: Archiv für Geschichte des Buchwesens 4 (1963), Sp. 1103-1116. DERS.: Windesheimer und Fraterherren. Zwei Kölner Skriptorien des 15. Jahrhunderts. In: Gutenberg-Jahrbuch 41 (1966), S. 52-64. DERS.: Rheinische Handschriften in Berlin 2: Aus der Schreibstube der Weseler Fraterherren. In: Archiv für Geschichte des Buchwesens 10 (1969), Sp. 353-370.
3. Der Besitzstand 3.1.1. Einkünfte aus Rent- und
203
Grundbesitz
Die norddeutschen Fraterhäuser hatten sich zum Ende des 15. Jahrhunderts stabile Hauswirtschaften geschaffen, die eine weitgehend einheitliche Struktur aufwiesen. 4 Von den ersten Anfängen der Gemeinschaften, als die noch losen Zirkel von dem eingebrachten Gut der Mitglieder und dem Ertrag der Schreibarbeit lebten, bis zu den in den Städten etablierten Häusern mit arrondierter Niederlassung 5 an der Wende zum 16. Jahrhundert sind hier bedeutende Veränderungen zu beobachten. Seit der Mitte des 15. Jahrhunderts gelang es den Fraterhäusern zusehends, eine vielgestaltige Erwerbspolitik ihrer Gemeinschaften ertragreich zu realisieren, die sowohl an Geldgeschäften und Grundbesitz als auch an gewerblicher Handarbeit und Handel partizipierte. Für das erste Halbjahr 1487 ist ein Einblick in das Einkommen des Weseler Fraterhauses möglich, der es auch erlaubt, die einzelnen Erwerbsformen untereinander zu gewichten. Nach sechs Punkten gegliedert, die als die wesentlichen Stützen der Hauswirtschaft angesehen werden können, listete der Prokurator des Hauses sukzessive die Einkünfte auf. Zu Beginn stehen mit den Rentgeschäften und den Stiftungen die bedeutendsten Einkünfte der Fraterhäuser. 6 Anschließend folgen Aufzeichnungen über die Erträge aus der Buchwerkstatt und die Einkünfte an Lebensmitteln aus verpachteten Höfen. 7 Am Ende ist der Verdienst aus dem Verkauf von Getreide und Erbsen sowie von Hostien und Tinte an der Pforte des Fraterhauses verzeichnet. 8 Nimmt man die Bezüge an Lebensmitteln aus, die die Fraterherren zu ihrem Eigenbedarf nutzten, so ergibt sich für die Geldeinkünfte, mit denen sie ihren weiteren Unterhalt bestritten, ein differenziertes Bild. 9
4
Vgl. ECKHARDT: Besitz und Einkünfte der Kugelherren in Marburg, S. 128 ff. Zur systematischen Vergrößerung und Abrundung der Fraterhöfe in den Städten vgl. KARL-HEINZ KIRCHHOFF: Die Entstehung des Fraterhauses „Zum Springborn" in Münster. Ein Beitrag zur mittelalterlichen Stadttopographie mit einem Exkurs: Straßen und Wege im Südwesten Münsters vor 1661. In: Westfalen 51 (1973), S. 92-114. 6 B A Münster, PfA St.Martini Wesel. A 12, fol. 4 r und 5 r . Das Kopiar A 12 war vermutlich ursprünglich als Rechnungskladde angelegt worden, der freie Platz wurde dann jedoch mit Urkundenabschriften gefüllt. 7 BA Münster, PfA St.Martini Wesel, A 12, fol. 24 r , 30 r 8 BA Münster, PfA St.Martini Wesel, A 12, fol. 35 r und 38 r . Die Umrechnung der Währungen folgt der Tabelle zum Wert des Guldens auf fol. 2 V , nach der 1 fl. 1487 ungefähr 35 Albus galt. Albus und Studer als gängige Zahlungsmittel waren in etwa gleichwertig, da nach fol. 35 r im März 1487 ein Malter Weizen 15 Studer, anderthalb Malter Weizen 22 Albus kosteten. 9 S. unten, S. 303, Diagramm 2. 5
204
IV. Die Existenz unter den Bedingungen der
Glaubensspaltung
Das Einkommen des Weseler Fraterhauses stützte sich demnach auf zwei Hauptbereiche. Aus ihren Rentbriefen erhielten die Brüder im ersten Halbjahr 1487 insgesamt 223 fl. an Zins plus 320 fl. aus einmaligen Zuwendungen, vermutlich der Ablöse von Pensionen, die bei einem Zinssatz von 5 Prozent 16 fl. entsprechen. Die Stiftungen und Schenkungen zugunsten der Brüder brachten diesen 196 fl. ein. Darüber hinaus erwarben die Brüder aus ihrer Partizipation an der gewerblichen Produktion und am Handel weitere Einkünfte, die sich zusammengenommen ebenfalls auf über 200 fl. im ersten Halbjahr 1487 bezifferten. Mit dem Verkauf der überschüssigen Naturalabgaben aus ihren verpachteten Höfen und von Hostien und Tinte an der Pforte des Fraterhauses sowie den Einnahmen aus der Buchwerkstatt schufen sich die Fraterherren so einen dritten Ertragssektor, der die Hauswirtschaft zusätzlich absicherte. Einen Gesamtüberblick über den Besitz des münsterischen Fraterhauses in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts vermittelt das Registrum anni 1535 usque ad 1564 10 Dieses Einkünfteverzeichnis wurde nach der Rückkehr in die nach der Täuferherrschaft verwüstete Stadt im Herbst 1535 angelegt. Es setzt am 25.November 1535 mit der 101. von insgesamt 105 jährlich zu zahlenden Geldrenten ein. 11 Das Register ist nach der Art der Einkünfte, also nach Rent- und Pachterträgen, sowie nach der geographischen Lage der geführten Besitzungen geordnet. In einem ersten Teil werden die 105 Geldrenten mit einem jährlichen Ertrag von 256 fl. in der chronologischen Reihenfolge ihrer Fälligkeit aufgelistet. 12 Danach folgen die Erträge aus jeweils sieben Kämpen und Gütern in und bei Münster, Sendenhorst und Groningen, aus denen die Brüder insgesamt 144,5 fl. und 47 Silbergulden erhielten. Der dritte Abschnitt enthält 38 Titel Frumenta n Zum Abschluß sind die regelmäßigen Abgaben der Brüder aufgelistet, die in Naturalien abgegolten wurden und von kleinem Umfang waren. 1 4 Ver-
10 BA Münster. Fraterherren. A 15. Kurze Beschreibung dieser Handschrift bei OESER: Die Brüder vom gemeinsamen Leben in Münster als Bücherschreiber, S. 383. 11 Der Schuldner war Hinrick van Munst mit 10 fl. Dieses Datum steht daher als terminus ante quem für die Rückkehr der Brüder in die Stadt fest. 12 Die hier angegebenen Zahlen sind die des Jahres 1536, die später durch Veräußerungen und Neukäufe leichte Veränderungen erfuhren. Die vorkommenden Währungen sind nach den Angaben von ERNST MÜLLER (Hrsg.): Die Abrechnung des Johannes Hageboke über die Kosten der Belagerung der Stadt Münster 1534-1535. Nebst der Abrechnung des Heinrich Flyncterinck über Büchsenmeister, Artillerie u.a. (VeröffHist KommWestf 3, GQBM 8). Münster 1937, S. 169, in fl. umgerechnet. 13 Einkünfte an Gerste: 15 Malter und 4 Scheffel. Hafer: 11 Malter und 9 Scheffel. Weizen: 14 Malter und 3 Scheffel. 14 Gerste: 3 Malter und 10 Scheffel. Weizen: 10 Scheffel, dazu 13 Schilling.
3. Der
Besitzstand
205
nachlässigt man zunächst eine eventuelle Säumnis der Schuldner und wechselnde Zahlungsmodi, so erhielt das Fraterhaus im Idealfall jährlich eine Summe von cirka 400 fl. und 47 Silbergulden sowie gut 40 Maltern Getreide. Mit diesen Einkünften verfugte es im frühen 16. Jahrhundert über eine abgesicherte materielle Existenz. Der entscheidende Anstoß für die prosperierende ökonomische Entwicklung der Fraterhäuser lag oftmals in reichen Stiftungen einzelner Wohltäter begründet, die die Prokuratoren über die Erwirtschaftung des Lebensunterhaltes hinaus in die Lage setzten, zusätzliche Geldeinkünfte und Immobilien zu erwerben. Für das Herforder Fraterhaus auf dem Varenkampinghof hat die Stiftung des Tuchkaufmanns Bartolt Bolen diese Funktion erfüllt. 15 Bolen hinterließ 1455 den Fraterherren, bei denen sein Sohn Bartolt lebte, insgesamt 1540 fl. in Renten bei den Städten Osnabrück, Herford, Stadthagen und Hameln. Als persönliche Leibzucht für seinen Sohn überschrieb er zudem eine Rente über 20 fl., die 1489 ebenfalls dem Fraterhaus Herford zufiel. Eine Vielzahl hoch dotierter Stiftungen, die die Kölner Fraterherren um die Mitte des 15. Jahrhunderts erhielten, 1 6 leitete ebenso wie in Herford eine Entwicklung ein, die den Brüdern die ökonomische Absicherung ihres Hauses ermöglichte. Gestützt auf Kapitalien aus der Stiftung Bolens und selbst erwirtschaftete Erträge traten die Herforder Fraterherren seit dem letzten Drittel des 15. Jahrhunderts verstärkt als Rentkäufer auf. Die Hauptschuldner waren die Städte Osnabrück, Hameln, Stadthagen und Salzuflen. 17 Zu Beginn des 16. Jahrhunderts lag der jährliche Zinsertrag von diesen Städten bei 160 fl. In kurzer Folge erwarben auch die Kölner Brüder schon in der Mitte des 15. Jahrhunderts zahlreiche Rententitel auf städtische und außerstädtische
13 Zu Bolen und seinen Vergabungen s. FRATERHAUS HERFORD 1: S. 189 ff. Bolen starb 1455 im „Fraterhaus Rostock" und war vermutlich Teil einer ersten losen Devotengemeinschaft, da sich die Gemeinschaft in Rostock erst 1462 rechtlich konstituierte. Vgl. zur Vorbereitung von Gründungen die erste Phase des Hauses in Münster, CRUSIUS: Die Brüder vom gemeinsamen Leben, S. 21-29, und PRIEUR: Zur „devotio moderna" am Niederrhein, S. 217. 16 Die bedeutendsten Geldstiftungen dieser Zeit seien hier kurz aufgelistet: Petrus de Meroede 300 fl. (1451), Walburgis de Moirsa 400 fl. (1451), Henricus Hardefuyst 500 fl. (1453), Henricus Haech 1300 fl (1454), Johannes Hell 800 fl. (1459), Magister Georgius Gladbach 300 fl. (1461), zusammen also 3600 fl. in zehn Jahren, s. LÖFFLER: Das Gedächtnisbuch des Kölner Fraterhauses Weidenbach, S. 13-20. SCHÖNBACH: Lebensform und Wirtschaftsweise der Brüder vom Gemeinsamen Leben in Köln, S. 34 ff. 17 Sie beliehen das Fraterhaus zusammen um 3600 fl.. FRATERHAUS HERFORD 1: S. 215-219. Die im Rechnungsbuch zusammengestellten Briefe stammen mehrheitlich aus dem frühen 16. Jahrhundert.
206
IV. Die Existenz unter den Bedingungen der Glaubensspaltung
Güter. D e n Höhepunkt dieser Aktivität bildeten die Jahre zwischen
1442
und 1453, als die Brüder insgesamt 61 Renten und Immobilien kauften. 1 8 N e b e n der allgemeinen Zunahme v o n Vergabungen zugunsten der Fraterherren hatte diese erhöhte Aktivität ihren Anlaß in dem Plan, in Zülpich ein neues Fraterhaus zu errichten. Zu diesem Z w e c k hatte der ehemalige Weidenbacher Proband Goidert Rempel 1 9 den Brüdern den Katharinenaltar der Kirche St.Peter in Zülpich und alle seine sonstigen Güter vermacht. 2 0 In der F o l g e kauften die Fraterherren eine Vielzahl kleinerer Renten und Güter v o n und mit Hilfe der Zülpicher Schöffenfamilie Rempel. 2 1 Erst 1456 wurde der Katharinenaltar j e d o c h endgültig dem Kölner Fraterhaus inkorporiert, 2 2 w o b e i die Gründung einer Fratergemeinschaft j e d o c h weiterhin unterblieb. 2 3 In allen Fraterhäusern des Münsterschen Kolloquiums wurde der Rentkauf in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts zu der bedeutendsten Form der Erwirtschaftung v o n Geldeinkünften. In Wesel wurden im Rektorat von Gerhard Averveit aus Dinslaken ( 1 4 6 8 - 1 4 8 4 ) zwischen
1473 und
1485
insgesamt 19 Rententitel mit jährlichen Einkünften v o n 100 fl. erworben. 2 4 D i e s e Rentkäufe setzten unmittelbar nach der reichen Stiftung des Magisters Johannes Heck aus dem Jahr 1472 ein. 2 5 Auch die münsterische Hauswirtschaft stützte sich seit dem letzten Viertel des 15. Jahrhunderts
18 SCHÖNBACH: Lebensform und Wirtschaftsweise der Brüder vom Gemeinsamen Leben in Köln. S. 40 ff. 19 Das Gedächtnisbuch verzeichnet Rempel mit dem Eintrag „qui fuit in proba apud nos". LÖFFLER: Das Gedächtnisbuch des Kölner Fraterhauses Weidenbach, S. 13. Nach einer Urkunde des Jahres 1443 erklären Verwandte Rempels in einer Einigung mit den Fraterherren über dessen Hinterlassenschaft, Rempel sei in das Fraterhaus eingetreten und dort gestorben, s. KASTNER: Inventar, S. 127, Nr. 162. 20 SCHÖNBACH: Lebensform und Wirtschaftsweise der Brüder vom Gemeinsamen Leben in Köln, S. 41. KASTNER: Inventar, S. 124 f., Nr. 157. 21 SCHÖNBACH: Lebensform und Wirtschaftsweise der Brüder vom Gemeinsamen Leben in Köln, S. 44. S. nach KASTNER: Inventar, unter den Lemmata „Köln, Weidenbach" und „Remplin" im Register. 22 KASTNER: Inventar, S. 142, Nr. 194. Pius II. bestätigte dies auf Betreiben der Fraterherren im Jahr 1463, ebd., S. 150. Nr. 208. 23 Noch 1470 mußten die Brüder vor dem Richter des Kölner Erzbischofs Ruprecht von der Pfalz ihr Anrecht auf die Vikarie gegen den Zülpicher Magister Paulus Kistenmecher verteidigen, KASTNER: Inventar, S. 154, Nr.218 (1470, Sept. 24). 1502 gewann man einen Prozeß an der Rota gegen die Ansprüche des Klerikers Jacobus Fabri von Alkmaar, ebd., 168 f., Nr.255 (1502, Sept. 24). Möglicherweise verhinderte diese unsichere rechtliche Lage die Gründung einer Kongregation in Zülpich. 24 S. die Aufstellung bei DRAHT: St.Martini Wesel. S. 49. Bei einem Zinssatz von 5% entsprechen diese Einnahmen einem angelegten Kapital von 2000 fl. 25 Vgl. hierzu SIMON: In Gottes Namen Amen.
3. Der Besitzstand
207
zunehmend auf die Rentwirtschaft. Allein zwischen 1471 und 1500 wurden 44 neue Titel gekauft, bis 1530 kamen nochmals 41 hinzu. 26 Die jährlichen Einkünfte aus diesen Briefen summierten sich in den zwanziger Jahren des 16. Jahrhunderts auf über 200 fl. 27 Diese aktive Kapitalanlage war besonders von dem Prokurator und späteren Rektor des Hauses, Tymann Brabandes aus Coesfeld, vorangetrieben worden. 28 Der größte Rentschuldner der Hildesheimer Fraterherren war das Benediktinerkloster St.Blasius in Northeim, welches wiederholt bedeutende Beträge bei den Brüdern aufnahm. 29 Beim Rat von Braunschweig legten die Brüder verschiedene Renten zusammen, 30 um die Geschäftsführung zu vereinfachen. Das Gesamteinkommen aus ihren Rentbriefen betrug nach einem Inventar des Jahres 1546 259 fl., 111 daler, 67,5 Schilling und 1 punt.31 Bei einem Zinssatz von fünf Prozent entsprach dies einem Kapital von cirka 7000 fl. 32 Die Häuser der Brüder vom Gemeinsamen Leben bedienten sich damit zum Erwerb ihres Lebensunterhaltes einer typisch städtischen Wirtschaftsweise, die in ihrer Geschäftstätigkeit auf das soziale Umfeld, auf den Rentkäufer, angewiesen war. 33 Neben den Kauf von Rentbriefen trat zur Sicherung des Bedarfs an Grundnahrungsmitteln der Erwerb von Höfen im Umland der jeweiligen
26
Siehe die Tabelle bei HÖING: Kloster und Stadt, S. 174-182. Am Ende des 15. Jahrhundert errechnete Höing cirka 170 Mark, 1520 erhielten sie 186 fl., 54,75 M, 18 ß und 20 d., HÖING: Kloster und Stadt, S. 47. 28 ERHARD: Gedächtniss-Buch, S. 94. Knapp 75 Prozent der Rentbriefe, die bis 1500 gekauft wurden, nannten als Sicherheit Güter außerhalb der Stadt Münster. Schwerpunkte waren hier Warendorf (16) und Sendenhorst (12) sowie Wolbeck (6). Diese und alle weiteren Orte lagen innerhalb eines Radius von 30 Kilometern, s. HÖING: Kloster und Stadt, S. 156, und Abb. 9. S. 158. 29 So 800 fl. im Jahr 1470, 600 fl. im Jahr 1487 und 1200 fl. im Jahr 1497, s. Dombibliothek Hildesheim, Hs.Ps.12, fol. 13 r -16 v . 30 DOEBNER: Annalen und Akten, S. 193 f. (1508, Apr. 7), verschiedene Briefe über circa 300 fl. 31 StA Hildesheim, 100/91, Nr.99. Angesichts der hohen Abgaben an die Stadt seit der Zeit der Stiftsfehde kann dies als bescheidener Besitz angesehen werden. 32 Die angegebene Summe ist vermutlich sehr zuverlässig, da sie unter der Aufsicht der städtischen Prokuratoren erstellt worden sein muß. die der Hauswirtschaft schon seit zehn Monaten vorstanden. Das Inventar stammt vom 21.Dezember 1546, die Prokuratoren der Stadt waren am 16.Februar eingesetzt worden, s. DOEBNER: Annalen und Akten, S. 137. 33 HÖING: Kloster und Stadt, S. 44. Zum Gesamtkomplex s. auch HEKTOR AMMANN: Klöster in der städtischen Wirtschaft des ausgehenden Mittelalters. In: Argovia 72 (1960) (Festgabe Otto Mittler), S. 102-133. KASPAR ELM (Hrsg.): Erwerbspolitik und Wirtschaftsweise mittelalterlicher Orden und Klöster (Berliner Historische Studien 17, Ordensstudien 7). Berlin 1992. 27
208
IV. Die Existenz unter den Bedingungen der
Glaubensspaltung
Fraterhäuser, die gegen vertraglich festgesetzte Naturalleistungen verpachtet wurden. In Wesel legte der Rektor Jakob Wever aus Attendorn (1484-1517) statt weiterer Rentkäufe die Kapitalien des Fraterhauses im Kauf ländlicher Güter an, die gegen ein Drittel oder ein Viertel ihres jährlichen Ertrages verpachtet wurden. 3 4 1487 kaufte man das Sobben-Gut in Schüttwick, vor 1488 den Algerdszehnten in Brünen und Dingden sowie vor 1490 das halbe Sleuffen-Gut in Bislich. 1492 folgte der Johan von Orsoy zu Lehen eigene Zehnt der Herrschaft Anholt in Brünen und Dingden. Bis zum Jahr 1506 erwarben die Brüder weitere Höfe rund um Wesel. 35 Um die Wende zum 16. Jahrhundert hatte der Besitzstand des Fraterhauses damit eine feste Größe erreicht. Allein die agrarischen Einkünfte sicherten das Auskommen des Fraterhauses. 3 6 Der Rektor Paulus Hemsberg stellte zur Vorlage bei der Landesregierung eine Übersicht über die Einkünfte des Jahres 1535 zusammen. 3 7 Insgesamt verfugten die Brüder in der Reformationszeit über ein jährliches Einkommen von etwa 250 Goldgulden und 250 Maltern Getreide und Frucht. 3 8 Die Schwerpunkte der Fraterwirtschaft lagen neben der Stadt Wesel selbst im niederrheinischen Um- und Hinterland. Die größten Abgaben in Geldbeträgen erzielten sie aus Wesel und Bislich, 39 die größten Pachtabgaben in Korn und Frucht kamen aus den Zehnten in Brünen und Dingden, 4 0 den Gütern in Hamminkeln 41 und dem Hof Geisthusen, 4 2 der zur Vikarie der Fraterherren in Kalkar gehörte. Einen wesentlichen Bestandteil der Hauswirtschaft des Hofes Weidenbach bestritten die Brüder aus dem mit dem Katharinenaltar in Zülpich ver-
34 BENNINGHOFF-LÜHL: Güter und Einnahmequellen, S. 47 ff. Der Wechsel der Rektoren hat scheinbar seine Ursache gerade in dieser wirtschaftlichen Umorientierung des Fraterhauses. Der abgesetzte Rektor Gerhard Averveit lebte noch eine Zeitlang im Weseler Fraterhaus und wurde dann Confessor im Süsternhaus Mariengarden, BA Münster. PfA St.Martini Wesel, A 10, fol. 34 r . Noch 1484 verkauften die Brüder fünf der von Averveit erworbenen Renten, s. ebd.. A l l , fol. 115 r _ v (Apr. 20), 113 v -114 v (Mai 18), 112 r -l 13 r (Mai 19), 11 l v - l 12 r (Mai 19), 110 r (Sep. 9). 35 S. die Aufstellung bei BENNINGHOFF-LÜHL: Güter und Einnahmequellen, S. 47. 36 BENNINGHOFF-LÜHL: Güter und Einnahmequellen, S. 53. 37 HStA Düsseldorf, Fraterherren Wesel, Hs. 2, fol. 7 r -8 v . 38 BENNINGHOFF-LÜHL: Güter und Einnahmequellen, S. 53 f. Dies schließt die Einnahmen aus den Zehnten in Brünen und Dingden ein, die in dem Inventar fehlen. 39 HStA Düsseldorf. Fraterherren Wesel, Hs. 2, fol. 7 r und 8 V . 40 Die Erträge beliefen sich auf cirka 40 Malter, s. BENNINGHOFF-LÜHL: Güter und Einnahmequellen, S. 52. 41 Insgesamt cirka 80 Malter, HStA Düsseldorf, Fraterherren Wesel, Hs. 2, fol. 8 r . 42 Cirka 30 Malter, ebd., fol. 7 r " v -
3. Der
209
Besitzstand
bundenen Gütern. 4 3 Neben Zülpich bildete das niederrheinische Kempen den zweiten wichtigen Stützpunkt der Brüder. Gleichzeitig mit dem sprunghaften Anstieg der Rentkäufe faßten die Fraterherren auch hier ungefähr um die Mitte des 15. Jahrhunderts Fuß. Über den Kölner Patriziersohn Gumpert Hardefuyst, der in Weidenbach eingetreten war, gelangte man in den Besitz des halben Abelshofs. 4 4 Wenig später kauften die Brüder zusätzlich den Dückershof bei Vorst. 4 5 Die Fraterherren hatten damit den Besitz zweier großer zusammenhängender Besitzungen angetreten, die sie an örtliche Meierfamilien verpachteten und deren Ertrag den agrarischen Eigenbedarf des Hauses vermutlich weitgehend deckte. In der Mitte des 17. Jahrhunderts trugen beide Höfe jeweils 150 Reichstaler Pacht, die im Fall des Abelshofes auch mit 60 Maltern Roggen abzulösen waren. 4 6 Mit diesen Besitzungen war das Fraterhaus Weidenbach zu Beginn des 16. Jahrhunderts wirtschaftlich saturiert. Neuerwerbungen von großem Umfang blieben nunmehr aus. 4 7 Die Herforder Brüder verfugten mit dem Hof zu Büxten ebenfalls über hinreichende Einkünfte aus ihrem Grundbesitz. 4 8 Dieser bot nach der Vermessung, die der Rektor Gerhard Wilskamp in den dreißiger Jahren des 16. Jahrhunderts selbst vornahm, Saatland für etwa 30 Malter Getreide. 4 9 Der Hof wurde an verschiedene Meier der Familie Dethardynck verpachtet, die neben anderen Leistungen jährlich 16 Malter Roggen und Gerste Pacht abzuführen hatten. 5 0 Häufig ergaben sich für die Brüder jedoch Schwierigkeiten, die vereinbarten Abgaben auch zu realisieren. 51 Daneben besaßen
43 SCHÖNBACH: Lebensform und Wirtschaftsweise der Brüder vom Gemeinsamen Leben in Köln. 46 V -48. rechnet den Anteil des Altars auf etwa die Hälfte des Gesamteinkommens des Fraterhauses. welches am Ende des 15. Jahrhunderts bei ungefähr 260 fl. lag. 44 FÖHL: Das Kölner Brüderhaus Weidenbach. S. 209. Vgl. hierzu Heinrich Hardefuvst bei LÖFFLER: Das Gedächtnisbuch des Kölner Fraterhauses Weidenbach, S. 16. 45 FÖHL: Das Kölner Brüderhaus Weidenbach. S. 210. 46 FÖHL: Das Kölner Brüderhaus Weidenbach. S. 212. Die fehlende Hälfte des Abelshofes hatte man 1493 für 650 fl. erwerben können, ebd., S. 207. 47 Man beschränkte sich in der Folge weitgehend auf die Verpachtung eigener Güter und die Arrondierung der Besitzkomplexe, vgl. KASTNER: Inventar. S. 169 f., Nr. 257260. 48
FRATERHAUS HERFORD 1: S. 13 ( L e e s c h ) . u n d S.
49
FRATERHAUS HERFORD 1: S. 2 0 0 .
50
FRATERHAUS HERFORD 1: S. 1 9 8 ( 1 5 3 5 ) .
51
197-202.
FRATERHAUS HERFORD 1: S. 199. So hatte der Meier 1535 knapp 71 Molt. also die Pacht von vier bis fünf Jahren. Rückstand. Während der Jahre 1539 bis 1545 blieben 42 Molt Getreide aus. Zusätzlich schuldete er den Brüdern knapp 200 fl. Mehrmals erließen die Brüder die fälligen Zahlungen.
210
IV. Die Existenz unter den Bedingungen
der
Glaubensspaltung
die Herforder Fratres den Kowinkelkamp südöstlich von Herford und verschiedene Landstücke vor der Rennepforte. 5 2 Zu Beginn des 16. Jahrhunderts erwarben sie vom Kloster Iburg einen weiteren Hof zu Holdeissen im Kirchspiel Schötmar bei Salzuflen, dessen Ertrag etwa mit dem des Hofes zu Büxten zu vergleichen war. 5 3 Der Grundbesitz der Hildesheimer Brüder bestand neben dem Lüchtenhof im wesentlichen aus zwei Zehnten in Segeste und Heinde im nördlichen Harzvorland. 5 4 Der Zehnte in Segeste, in dem die Fraterherren zwei halbe Meierhöfe und drei Kothöfe besaßen, stammte aus der Stiftung der Haseke Bruninghusen. 5 5 Zu dem Zehnten in Heinde gehörte ein Hof in Listringen. 56 Die Brüder deckten ihren Bedarf an Agrarprodukten zu Beginn des 16. Jahrhunderts zum großen Teil aus diesen Besitzungen und hatten feste Einnahmen aus der Verpachtung der Höfe. Sie wurden jedoch durch den Ausgang der Hildesheimer Stiftsfehde in dauerhafte Mitleidenschaft gezogen. 5 7 Die Niederlage des Bischofs und die territoriale Reduzierung des Bistums auf das Kleine Stift hatten für die Hildesheimer Brüder weitreichende Konsequenzen. Im Zuge der großen Hufen- und Zehntschatzung, die Herzog Heinrich der Jüngere von Braunschweig-Wolfenbüttel nach Beendigung der Fehde ausschrieb, 58 hatten die Brüder regelmäßige Abgaben zu leisten. 59 Der Bischof von Bremen bestätigte den Brüdern zwar die Freiheit des Zehnten in Westfelde, 6 0 jedoch schon 1529 wurden sie ungeachtet dessen wieder zu Zahlungen herangezogen. 1531 einigten sich die
52
53
FRATF.RHAUS H E R F O R D 1: S . 1 3 ( L e e s c h ) .
FRATERHAUS HERFORD 1: S. 203. Diese Güter waren jedoch anscheinend nur kurz im Besitz der Brüder. 54 Zusätzlich hierzu verfügten sie noch über 6.5 Morgen Land bei Rutenberg und einen Garten bei der Hohnser Mühle. StA Hildesheim. 100/91. Nr.99. 55 DOEBNER: Annalen und Akten. S. 303 und S. 308. 56 DOEBNER: Annalen und Akten. S. 139 ff. 57 Vgl. BERTRAM: Geschichte des Bistums Hildesheim 2. S. 33 ff. 58 BERTRAM: Geschichte des Bistums Hildesheim 2. S. 36 f. Zur starken Heranziehung aller Klöster für den Landesausbau durch den Herzog s. GUSTAV OEHR: Ländliche Verhältnisse im Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel im 16. Jahrhundert (Quellen und Darstellungen zur Geschichte Niedersachsens 12). Hannover. Leipzig 1912. S. 1015. 59 Die Verhandlungen des Domkapitels gegen diese Forderungen ließen die vom Herzog gesetzte Widerspruchsfrist erfolglos verstreichen, s. Dombibliothek Hildesheim. Hs.Ps. 10. 323 v . Der Schreiber im Fraterherrenkopiar vermerkt non confidamus ergo in dominis nostris. lpsi dant nobis bona verba et nihil aliud sequitur... ". Zu den Schäden der Stiftsfehde für die Stadt und den Klerus s. BERTRAM: Geschichte des Bistums Hildesheim 2. S. 38 f. 60 DOEBNER: Annalen und Akten. S. 139.
3. Der
Besitzstand
211
Fraterherren mit dem Herzog darauf, regelmäßig die Hälfte der Ernte in der Form ihres Geldwertes abzugeben. 61 Um die Mitte des 16. Jahrhunderts zahlten sie zwischen 100 und 150 punt als jährliche Ablöse für den Westfelder Zehnten. Die Güter in Heinde wurden 1537 verkauft, 62 wobei nicht deutlich wird, ob die gesunkene Rentabilität durch die Abgabenbelastung oder eine akute Geldnot zur Veräußerung führte. 63 Durch die Niederlage des Bischofs in der Stiftsfehde und die Beschneidung des Hildesheimischen Territoriums wurde damit dem Fraterhaus mehr als die Hälfte seiner Einkünfte aus dem Grundbesitz auf Dauer entzogen. Seit 1462 legten auch die münsterischen Fraterherren erwirtschaftetes Kapital auch im Kauf von Landgütern an. Schwerpunkte waren der Waterkamp vor dem Liebfrauentor Münsters und eine Vielzahl von Kämpen und Gütern vor Sendenhorst. 64 Hier strebten sie ebenso wie um ihre unmittelbare Niederlassung herum eine zweckmäßige Konzentration ihrer Besitzungen an. 65 Die Verpachtung dieser Güter stellte nach den Erträgen des Rentkaufes den bedeutendsten Bestandteil der Fraterwirtschaft dar. 3.1.2. Stiftungen und
Schenkungen
Stiftungen und Schenkungen blieben auch nach der erfolgten wirtschaftlichen Etablierung ein wichtiger Einnahmebereich für die Fratergemeinschaften. Die finanziellen Zuwendungen des Stifterkreises des Weseler Fraterhauses, die im Gedächtnisbuch aufgezeichnet sind,66 beliefen sich in der Zeit von der Gründung des Konvents bis in die zwanziger Jahre des 16. Jahrhunderts auf über 3700 fl. Die Höhe der Stiftungen differierte zwischen einmaligen Vergabungen von 10 fl., 67 einer Rente von 1 fl. pro memoria des Dominus Wilkynus decanus veteris ecclesiae monasteriensis,68
61
Die Zahlungen siehe DOEBNF.R: Annalen und Akten. S. 140 ff. DOEBNER: Annalen und Akten, S. 140 ff. 63 Verkauf war ein übliches Mittel der Klöster im Herrschaftsbereich des Herzogs, um dessen Forderungen genügen zu können, OEHR: Ländliche Verhältnisse, S. 10-15. 64 HÖING: Kloster und Stadt. S. 48, und die Tabelle S. 183 f. 65 S. die Tauschhandlungen mit dem Stift Freckenhorst, BA Münster, Fraterherren. U 256 (1512, Mär. 31). Später folgten weitere Transaktionen, ebd., U 331 (1570, Okt. 18), und mit dem Domkapitel U 300 (1548, Mai 7). 66 BA Münster, PfA St.Martini Wesel, A 10, fol. 41 r -46 v . Die Namensliste von DRAHT: St.Martini Wesel, S. 58-61, über die Wohltäter des Hauses nach dem Memorienbuch, ist nicht vollständig und teilt die Stiftungen der einzelnen Personen nicht mit. 67 Zum Beispiel durch Henricus Grys, Kanoniker in Kaiserswerth, s. BA Münster. PfA St.Martini Wesel, A 10, fol. 41 r 68 BA Münster, PfA St.Martini Wesel, A 10. fol. 41 r . 62
212
IV. Die Existenz unter den Bedingungen der Glaubensspaltung
und reichen Stiftungen wie von Gerhard Ryddersbeck, der 400 fl. für eine tägliche Messe und 100 fl. für die Armen gab. 69 Für die Hildesheimer Brüder liegt aus der Zeit um 1515 eine Auflistung der in der Kirche der Brüder abgehaltenen Messen und Vigilien vor, 70 die einen Einblick über die Meßstiftungen des Fraterhauses und ihre Vergaber unmittelbar vor der Reformation ermöglicht. Zwei Stiftungen sahen tägliche Messen vor. An erster Stelle wird der Hildesheimer Domvikar Johannes Cramer genannt, der den Antonius-Altar im Domkreuzgang fundiert hatte, sowie dessen Schwester Haseke, die den Zehnten in Segeste und all ihr übriges Gut hinterließ.71 Diese beiden Personen haben in der Hauptsache die materielle Grundlage für das Fraterleben in Hildesheim geschaffen. Eine tägliche Messe war entsprechend dieser Bedeutung „...communiter conventualis in choro... "11 zu feiern. Für den Domvikar Johannes Bringmann wurden wöchentlich sechs Messen und Vigilien sowie jährlich vier Psalter von täglich wechselnden Brüdern gelesen. 73 1516 empfingen die Brüder eine Vergabung von Borchard Wychmann, 74 in den zwanziger Jahren noch eine nicht näher zu spezifizierende Stiftung über 800 fl., für die sie eine wöchentliche Messe und weitere liturgische Handlungen zu feiern hatten. 75 Zusammengerechnet lasen die Priester und Kleriker des Lüchten-
69
BA Münster. PfA St.Martini Wesel, A 10. fol. 41 v . Vgl. zu dem karitativen Engagement der Brüder M L. CARON: Ideaal en werkelijkheid. Armoede en liefdadigheid in het fraterhuis te Zwolle. In: Overijsselse Historische Bijdragen 96 (1981), S. 29-50. 70 DOEBNER: Annalen und Akten, S. 332 ff. Doebner datiert die Liste auf „nach 1502, Sep. 30". Dies ist genauer möglich, da die jüngste in dieser Übersicht aufgenommene Meßstiftung von 1513 stammt, eine spätere von 1516 aber noch nicht aufgenommen ist. vgl. Dombibliothek Hildesheim, Hs.Ps. 12, fol. 94 r , Memoria Heyneke Knyp (1513), und fol. 98 v f.. Memoria Borchardi Wychman (1516). Die Liste muß also zwischen diesen Vergabungen erstellt worden sein. 71 DOEBNER: Annalen und Akten. S. 303. Der zweite Stifter mit einer täglichen Messe war ein nicht näher bezeichneter Dominus Wedekindus Warborch. der nach eigener Angabe in der Zeit des Rektors Bernhard von Büderich 200 fl. an die Brüder übergeben hatte. Nach Büderichs Tod fehlte hierfür zwar jeder Beleg, zur Vermeidung von Unruhe lasen die Brüder jedoch die geforderte Messe, s. ebd., 304 und 312. 72 DOEBNER: Annalen und Akten. S. 303. 73 DOEBNER: Annalen und Akten, S. 190 ff. (1502, Sep. 30). Bringmann bestimmte, daß an jedem Wochentag ein anderer Priester die Messe lesen sollte, ebd., S. 332. Eine Abschrift seines Testamentes mit vielen Vergabungen an andere Klöster, vor allem die Kartäuser, in Dombibliothek Hildesheim, Hs.Ps. 11, fol. 14 r -16 r . 74 Dombibliothek Hildesheim, Hs.Ps. 12. fol. 98 v f. 75 Dombibliothek Hildesheim. Hs.Ps. 10, fol. 323 r . Der Schreiber im Kopiar beklagt sich anläßlich dieser Stiftung über die schlechte Geschäftsführung des Prokurators, der zusätzlich zu den liturgischen Leistungen der Brüder noch einen Zins von 5 fl. per annum auszahlte.
3. Der Besitzstand
213
hofes wöchentlich 31 Messen in ihrer Kapelle. Hierfür hatten sie über 1000 fl. und 600 lübische Pfund empfangen, 7 6 die zumeist in Renten angelegt wurden. Regelmäßige Pflichten hatten die Brüder auch in der Antonius-Kapelle des Domes. Neben einer täglichen Messe für Johannes Rotberch am Altar Ss. Innocentum 7 7 verwaltete der Rektor der Brüder hier den Antonius-Altar. 7 8 Die Fraterherren in Köln empfingen um die Wende zum 16. Jahrhundert eine Vielzahl frommer Stiftungen, die oft für die Ausstattung der 1490/91 erweiterten Kapelle bestimmt waren. 7 9 Diese war zwar 1491 geweiht worden, benötigte aber noch für längere Zeit Zuwendungen aus dem Stifterkreis, um sich in Baukörper und Ausstattung der Vollendung zu nähern. Erst die für diese Zeit ungewöhnlich große Stiftung des Henricus Haich, der dem Haus 200 fl. für den Kapellenbau, die Bestuhlung und das Hauptfenster übertrug, deckte alle Bedürfnisse. 8 0 Eine Memorie in der Brüderkapelle konnten die Wohltäter zwischen 1490 und 1520 für etwa 20 bis 30 fl. erwerben. 8 1 Johannes Brubach, der Famiiiare der Weißen Frauen war, übergab dem Fraterhaus drei Renten von zusammen 15 fl., die für 340 fl. gekauft worden waren, und erhielt hierfür drei wöchentliche Messen. 8 2 Innerhalb der Hauswirtschaft machten diese Legate einen bedeutenden Teil aus. Allein zwischen 1501 und 1520 erhielten die Brüder an den explizit mit Wertangaben versehenen Stiftungen in der Form von Renten, Geldzahlungen und anderen Gütern cirka 700 fl.83 Den Herforder Fraterherren stifteten Geistliche und Laien insgesamt 1649 fl. zur Abhaltung von Memorien, Messen und Vigilien. 84 Der Zeit-
76
Diese Summe ergibt sich aus den Angaben bei DOEBNER: Annalen und Akten, die sich über die Nennungen der Personen im Register zusammenstellen lassen. 77 DOEBNER: Annalen und Akten. S. 162 f. 78 DOEBNER: Annalen und Akten. S. 303. Damit war offenbar verbunden, sich im Äußeren den Domvikaren angleichen zu müssen, wodurch vor allem Peter Dieburg das gemeinsame Leben gestört sah. Verschiedene Versuche, hiervon dispensiert zu werden, blieben jedoch erfolglos, ebd., S. 73. 79 LÖFFLER: Das Gedächtnisbuch des Kölner Fraterhauses Weidenbach. S. 28-32. 80 Haich war ein Freund der Brüder beim Rat. LÖFFLER: Das Gedächtnisbuch des Kölner Fraterhauses Weidenbach. S. 32. 1491/92 und 1494/95 war er selbst Bürgermeister, s. WOLFGANG HERBORN: Zur Rekonstruktion und Edition der Kölner Bürgermeisterliste bis zum Ende des Ancien Régime. In: Rheinische Vierteljahresblätter 36 (1972). S. 130. 81 Dies sind die am häufigsten vorkommenden Angaben im Gedächtnisbuch, LÖFFLER: Das Gedächtnisbuch des Kölner Fraterhauses Weidenbach, S. 28-36. 82 KASTNER: Inventar. S. 160, Nr.232 (1482, Jan. 6). 83 LÖFFLER: Das Gedächtnisbuch des Kölner Fraterhauses Weidenbach, S. 31-36. 84
FRATERHAUS HERFORD 1: S. 2 0 2 .
214
IV. Die Existenz unter den Bedingungen
der
Glaubensspaltung
räum dieser Vergabungen wird nicht angegeben. Da die Fratres aber 1528 beschlossen, keine Vigilien und Votivmessen mehr zu lesen, 85 sind die Stiftungen zwischen der Gründung 1428 und 1528 anzusetzen. Wiederholt läßt sich nach 1528 die Umwidmung von Stiftungen zu karitativen Zwecken durch die Brüder belegen. Eine Seelmesse zu Ehren der Jungfrau Maria, die der Kanoniker Heinrich Vourstenouwe den Fratres gestiftet hatte, wurde nicht mehr gelesen. 86 Auch verschiedene Rentbriefe, die gegen Memorien für den Tisch der Brüder bestimmt waren, wurden nun für die Armen genutzt. 8 7 Von einer Messe und der Lesung von Vigilien für die ehemalige Äbtissin des Herforder Pusinnenstiftes, Margarethe von Gleichen, ließen sich die Brüder im Jahr 1535 befreien. 8 8 Die Bedeutung der Stiftungen für die Fraterhäuser korrelierte mit ihrer inneren Zusammensetzung, in denen die Priester stets die stärkste Gruppe stellten. 89 Auch die Stifter der Seelmessen und Vigilien waren in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle selbst Geistliche. Das Hildesheimer Frateranniversar nennt bis auf wenige Ausnahmen ausschließlich Kleriker und Priester, 90 neben denen lediglich noch verschiedene Frauen als Vergaberinnen auftraten. Die Frömmigkeit der Fraterherren war damit eindeutig für ganz spezifische Gruppen attraktiv. Vor allem lokale Kleriker, oft die Vikare, aber auch höhere Dignitäre des Domes und der Stifte Hildesheims, und fromme Frauen ließen den Brüdern ihre Stiftungen zukommen. 9 1 Auch in Münster läßt sich eine bevorzugte Berücksichtigung der Fraterherren bei Stiftungen aus dem Klerus selbst feststellen. Vorherrschend waren die Angehörigen des Doms. Allein zwischen 1476 und 1525 wurden 17 Domvikare, -keilner und -dekane unter den Wohltätern verzeichnet. 92 Die Vikare
85
F R A T E R H A U S H E R F O R D 1: S . 2 0 4 .
86
F R A T E R H A U S H E R F O R D 1: S .
87
F R A T E R H A U S H E R F O R D 1: S . 2 0 4 .
88
F R A T E R H A U S H E R F O R D 1: S .
89
113. 130.
S. oben, S. 186 f. 90 Lediglich der Magister Tilemann Tzirenbach trägt einen anderen Titel, DOEBNER: Annalen und Akten, S. 333. Vermutlich war dieser ein Verwandter des Fraters Johannes Tzirenbach. der 1530 im Fraterhaus als sacerdos jubilarius starb, s. ebd., S. 289. 91 Das Wohltäterverzeichnis. DOEBNER: Annalen und Akten, S. 299-326, listet zudem eine Vielzahl von Personen auf. die im einzelnen aufgrund fehlender Angaben nicht näher einzuordnen sind. Auch hier, unter den vermutlich meist kleinen Zuwendungen, sind häufig Kleriker aller Dignitäten und Frauen anzutreffen. Hildesheimer Einwohner sind kaum eindeutig festzumachen, werden aber ebenfalls vertreten sein. Die Ratsgeschlechter fehlen allerdings, vgl. ebd.. S. XLV. 92 ERHARD: Das Gedächtniss-Buch. S. 113-121 (Geistliche) und S. 123-126 (Laien). Dazwischen liegt eine ältere Liste vor. die Wohltäter aus beiden Ständen umfaßt und
3. Der
Besitzstand
215
machten den Hauptanteil aus. Auch die Brüder selbst besaßen durch ein Hausmitglied eine Stelle am Dom, nachdem der Domdekan Hermann von Langen 1477 den Altar S.Eligii in der Michaeliskapelle an den Fraterherren Gerhard Custodis von Beringen verliehen hatte. 93 Auch aus dem Kreis der Testamentsexekutoren derjenigen Vikare und Kanoniker, die den Fraterherren meist kleine Beträge für Memorien hinterließen, finden sich eine Reihe von Personen im Gedächtnisbuch des Fraterhauses Zum Springborn wieder. So stiftete der Domvikar Johannes Lubbeke, 94 der 1477 auch als Notar und 1493 als Kanoniker an St.Ludgeri belegt ist, dem Fraterhaus 1509 eine Marienmesse, eine Memorie und eine Kollekte. 95 Zwei der Exekutoren seines Vermächtnisses, der Domkellner Bernhardus Linteloe 96 und der Propst von St.Aegidii, Hermannus Engelhart, 97 erscheinen auch selbst als Wohltäter des Hauses. 98 Engelhart hatte sich bei den Auseinandersetzungen des Fraterhauses mit dem Überwasserstift um seine Kirchrechte auf die Seite der Brüder gestellt. 99 Auch Johannes Lubbeke selbst war zuvor als Exekutor des Domdekans Otto Korff zugunsten des Fraterhauses tätig geworden. 100 Bischof Konrad von Rietberg, dessen Hauskaplan und Kommensale Johannes Lubbeke gewesen war, hinterließ den münsterischen Brüdern eine Kasel und mehrere Dalmatiken aus schwarzem Damast. 101 Das Beziehungsgeflecht unter den Wohltätern des münsterischen Fraterhauses im späten 15. und frühen 16. Jahrhundert ließe sich in derselben
auch Fraterherren der frühen Zeit nennt, hier S. 117 f. Neben den in der Liste eindeutig gekennzeichneten Personen sind zusätzlich folgende Domvikare nachzuweisen: Johannes Cluver, Gotfridus Saggel, Hinricus Plantstake, Bernhardus Suthoff und Gerhardus Trippenmecker. S. zu den Personen nach dem Register von WILHELM KOHL (Bearb ): Das Domstift St. Paulus zu Münster (Germania Sacra, N F. 17: Die Bistümer der Kirchenprovinz Köln, Das Bistum Münster 4). 3 Bde., Berlin, New York 1982-1989. Hier Bd. 3. Vgl. auch DERS.: Der Anteil der münsterischen Domherren an der Devotio moderna. In: Serta Devota. In memoriam Guillelmi Lourdaux. Pars Prior: Devotio Windeshemensis. Hrsg. v. Werner Verbeke u.a. (Mediaevalia Lovaniensia Ser. I, Studia XX). Löwen 1992. S. 155-167, mit abschwächender Bewertung. 93 KOHL: Domstift Münster 3. S. 119. Diese wurde zur Verwaltung an Johannes Teleke übergeben. 94 KOHL: Domstift Münster 3. S. 105 ff. 95 ERHARD: Gedächtniss-Buch. S. 118. Diese Messe ist noch Mitte des 16. Jahrhunderts in einer Auflistung der kirchlichen Pflichten in der Fraterkirche, die dem Gedächtnisbuch zugefugt ist, belegt, s. STA Münster, Msc. I, 79, fol. 49. 96 Zu Linteloe KOHL: Domstift Münster 2. S. 347 f. 97 KOHL: Domstift Münster 1, S. 315. 98
ERHARD: G e d ä c h t n i s s - B u c h , S. 118.
"ERHARD: Gedächtniss-Buch, S. 118. 100 ERHARD: Gedächtniss-Buch. S. 117, und KOHL: Domstift Münster 2, S. 121 f. 101
ERHARD: G e d ä c h t n i s s - B u c h , S. 118.
216
IV. Die Existenz unter den Bedingungen
der
Glaubensspaltung
Weise weiter ausfuhren. An den aufgezeigten Beispielen wird jedoch hinreichend deutlich, wie intensiv die Beziehungen zwischen dem Fraterhaus und besonders dem Domstift in Münster waren. Hinzu kamen Kanoniker und Vikare am Alten Dom, an St.Ludgeri, St.Aegidii und St.Mauritz sowie eine Vielzahl von Geistlichen an Kirchen des Münsterlandes. 1 0 2 Die Stiftungen zugunsten des Herforder Fraterhauses wurden ebenso fast ausnahmslos von Herforder Säkularklerikern getätigt. Der Wochenherr an der Münsterkirche, Arnold Dyckmann, hat 1471 eine ewige Kommende eingerichtet und mit zwei Rentbriefen über insgesamt 15 Malter Getreide und 4 Mark fundiert. 1 0 3 Das Präsentationsrecht stand den Söhnen von Dyckmanns Bruder zu und ging nach deren Tod auf den Rektor des Fraterhauses über. 1 0 4 Weitere Einkünfte aus liturgischen Leistungen hatten die Brüder aus einer von Winand Becker zu Memorien ausgesetzten Rente von 1 fl., 105 einem auf die Stadt lautenden Brief über 8 fl. von dem Kanoniker Heinrich Vourstenouwe, 1 0 6 sowie aus zusammen sechs Renten, die der Priester Jasperus Bekeman den Brüdern für die wöchentlich dreimalige Lesung einer Seelmesse vermachte. 1 0 7 Auch in Herford läßt sich also bei den Seelgerätsstiftungen ein deutliches Übergewicht der Kleriker als Vergaber festhalten, die in Vermächtnissen oder zu Lebzeiten den Fraterherren die Sorge um ihr Seelenheil anvertrauten. Diese waren, soweit bekannt, durchweg begütert und von hohem gesellschaftlichen Rang: Arnold Dyckmann war als Hebdomadar der Münsterkirche einer der ranghöchsten Kleriker Herfords, Vourstenouwe war Kanoniker an St. Johann und Dionys und kaiserlicher Notar, letzteres ebenso wie Winand Becker. Bekemann ist angesichts des Umfangs seines Vermächtnisses von circa 250 fl. wahrscheinlich der Neustädter Patrizierfamilie Beckemann zuzuordnen. 1 0 8
102
ERHARD: Gedächtniss-Buch. S. 117 ff. FRATERHAUS HERFORD 1: S. 189. Dvckmann ist in vielen Funktionen in der Stadt bezeugt, so als Prokurator von Stift und Stadt bei der Eintreibung von Gütern vom Bischof von Gurk, s. StA Herford. U 145 (1442, Jun. 17). Außerdem siegelte er 1473 bei der Befreiung des Fraterhauses von den städtischen Lasten mit. s. FRATERHAUS HERFORD 1: S. 75 f., und war Mitglied des Kalands. s. StA Herford, U 196 (1460. Aug. 1). 104 Später verkauften die Fratres die Einkünfte der Kommende für 100 fl., die sie zum Kauf einer Salzrente verwandten, s. FRATERHAUS HERFORD 1: S. 213. 103
105
FRATERHAUS HERFORD 1: S. 1 8 8 .
106
FRATERHAUS HERFORD 1: S. 1 1 3 .
107
FRATERHAUS HERFORD 1: S. 117. S. 2 2 4 . Ebd.. S. 116, nennt i h n a l s V i k a r a n
der Kirche St. Johann und Dionys. 108 WOLFGANG KNACKSTEDT: Chronik des Kreises Herford. Herford 1983, S. 81, nennt die Familie Beckemann als Neustädter Patrizier. Die Stifter von Armenrenten,
3. Der
Besitzstand
217
Die Weseler Brüder vom Gemeinsamen Leben waren eine attraktive Anlaufstelle für die Stiftungen gelehrter Wohltäter, die in ihrer Hinterlassenschaft Sorge für die Ausbildung der Landesjugend trugen. 1472 stiftete der Büdericher Magister Dr.med. Johannes Heck neben 1200 fl. für eine tägliche Messe auch eine Rente von 20 fl. für den Unterhalt von zehn Schülern, von denen vier aus Büderich und j e zwei aus Wesel, Xanten und Rees stammen sollten. 109 Der Rektor der Fraterherren suchte unter den zehn- bis zwölfjährigen Schülern in Wesel diejenigen aus, die Stipendiaten der Heckschen Stiftung werden sollten. 110 Die fromme Lebensführung der Devotenhäuser und ihre am Niederrhein bekannten Bursen in Emmerich, Deventer und Zwolle sorgten dafür, daß ihnen solcherlei Stiftungen zur Verwaltung übertragen wurden. 1 1 1 Noch um 1500 jedoch verfügten sie nicht über eine Unterkunft für mittellose Scholaren, da eine Stiftung des Heinrich Rabay zu diesem Zweck eine Rente von 5,5 fl. ausschrieb. 112 Häufig wurden neben den Geldsummen auch andere Geschenke gemacht, so vor allem Bücher, liturgische Geräte und geistliche Gewänder. Der Dekan des Frankfurter Doms hinterließ 50 fl. und verschiedene Bücher. 113 Aber auch von Laien, wie von der Kölner Bürgerin Katharina Keysers erhielten die Brüder neben 100 fl. für Memorien viele Bücher und ein Subdiakonatsgewand. 1 1 4 Von Johan Averveit, dem Bruder des Rektors Gerhard Averveit, 115 stammten verschiedene Kappen, das gesamte Corpus Iuris Canonici und weitere Bücher, 1 1 6 Johans Neffe Jasperus schenkte dem Haus eine vierbändige Ausgabe des Nicolaus de Lyra. 117 Zusammen mit den Stiftungen Hecks und Rabays zeigen solche Zuwendungen den Wir-
die die Fratres in großer Zahl verwalteten, waren dagegen eher in bürgerlichen Kreisen anzusiedeln. 109 DRAHT: St.Martini Wesel. S. 53. Zu dieser Stiftung s. SIMON: Im Namen Gottes Amen. 110 SIMON: Im Namen Gottes Amen. S. 89. 111 Von 1458-1464 leitete zudem der Fraterherr Heinrich Mant aus Utrecht die Weseler Stadtschule, SIMON: Im Namen Gottes Amen, S. 41. 112 BA Münster, PfA St.Martini Wesel, A 11, fol. 134 r -135 r (1501, Nov. 6). Das Geld sollte nach dem Willen des Stifters für kinderlose Hausarme und arme Schüler verwandt werden, es sei denn, daß der Bau eines Schülerhauses wie in Emmerich, Deventer oder Zwolle begonnen würde. In diesem Fall seien die Stiftungsgelder hierfür zu nutzen. Für eine Umsetzung dieser Bestimmung Rabays in spaterer Zeit gibt es allerdings keinen Hinweis. 113 BA Münster, PfA St.Martini Wesel. A 10, fol. 41 v . 114 BA Münster. PfA St.Martini Wesel, A 10, fol. 44 v . 115 DRAHT: Sankt Martini Wesel, S. 60. 116 BA Münster. PfA St.Martini Wesel, A 10, fol. 44 v . 117 BA Münster, PfA St.Martini Wesel, A 10. fol. 44 v .
218
IV. Die Existenz unter den Bedingungen der
Glaubensspaltung
kungsbereich der Fraterherren in einem bildungsbewußten sozialen Umfeld. Das Buch als fester Faktor im Leben der Brüder manifestierte sich nicht nur in der brüderlichen Schreibstube, sondern prägte auch die Zusammensetzung des sozialen Umfelds. Wie die vorliegenden Werte vor allem aus Wesel verdeutlichen, ist die ökonomische Bedeutung der Schreibarbeit jedoch bisher fast ausnahmslos überschätzt worden. 118 Der Gewinn, den die Fraterherren im späten 15. Jahrhundert aus anderen Erwerbsformen erwirtschafteten, übertraf den Verdienst der Buchwerkstätten um ein Vielfaches. Der Verdienst der Herforder Fraterherren aus ihren Schreibarbeiten und Buchreparaturen belief sich zwischen 1446 und 1525 auf 4554 fl. 119 und blieb mit durchschnittlich cirka 57 fl. jährlich weit unterhalb des Einkommens aus den Rentbriefen von über 160 fl. 120 Neben diesen überall anzutreffenden Erwerbsformen hatten sich einzelne Fraterhäuser je nach den lokalen Gegebenheiten weitere Einkünfte gesichert, wie die Herstellung von Schuhen in Hildesheim, 121 die Unterhaltung einer Druckerei in Rostock, 122 das Brauen und den Ausschank von Bier in Marburg, 123 das Backen von Hostien in Wesel oder die Aufnahme von Kostgängern in Herford. Insbesondere die Hostienproduktion war nach dem Verständnis der Brüder nicht nur ein Erwerbszweig, sondern zugleich ein Reformwerk innerhalb der Kirche. Dieses Bemühen wurde auch von Seiten des Kölner Bischofsstuhles unterstützt. Als die Brüder im Jahr 1500 vom Weihbischof Johann auf eine vila reformata verpflichtet wurden, wurde die Abstellung eines Bruders zum Backen der Hostien mit in den Katalog derjenigen Punkte aufgenommen, die zur richtigen Lebensführung zählten. 124 Mit der Aufnahme von Kostgängern in ihre Besitzungen boten die Brüder in Herford eine gesicherte Versorgung von Personen, die sich beispielsweise zur Altersversorgung in das Fraterhaus begaben. In Herford
118
Vgl. zum Beispiel STUPPERICH: Die Herforder Fraterherren als Vertreter spätmittelalterlicher Frömmigkeit. S. 342. 119
120
F R A T E R H A U S H E R F O R D 1: S . 2 0 2 .
FRATERHAUS HERFORD 1: S. 215-219. Oeser konnte insgesamt 46 Handschriften der münsterischen Fraterherren verifizieren, von denen 38 für Auftraggeber im Münsterland gefertigt wurden. Das Register des Alten Doms zu Münster listet als Ausgaben an die Fraterherren für Schreib-, Einbinde- und Reparaturarbeiten zwischen 1488 und 1535 insgesamt 34 Mark, 57 den. und 103 sol. auf, vgl. OESER: Die Brüder vom gemeinsamen Leben in Münster als Bücherschreiber, hier besonders Sp. 212 f. 121 DOEBNER: Annalen und Akten. S. 85. 1 2 2 P E T T K E : Eine vergessene Urkunde, S. 80. 123 THEODOR APEL: Stadt und Kirche im mittelalterlichen Marburg. In: ZRG KA 12 (1922), S. 294. 124 BA Münster. PfA St.Martini Wesel. U 7 (1500. Aug. 10 / 1 1 ) .
3. Der
Besitzstand
219
nutzte im Jahr 1505 Frederick Havergoe diese Möglichkeit. 125 1507 kaufte sich auch der Kanoniker Heinrich Vourstenouwe als Kostgänger in das Fraterhaus ein. 126 Zu Vourstenouwe läßt sich seit 1481 eine enge Beziehung des Fraterhauses nachweisen. Die Fraterherren hatten diesem und dessen Magd Fye Sundermans ein Haus gegenüber dem Süsternhaus überlassen. 127 Im selben Jahr übergab Vourstenouwe den Fratres alle seine verbrieften Rechte auf die Gravesbreden. 1 2 8 In der Folgezeit vertrat er die Brüder bei ihren Geschäften verschiedentlich als Notar. 1 2 9 1512 zedierte er zu ihren Gunsten eine Rente beim Rat zu Osnabrück, wobei die Hälfte des Ertrags Fye Sundermans zukam. 1 3 0 Die norddeutschen Fraterherren zeichneten sich damit bis zum Auftreten der Reformation durch eine weit gefächerte Wirtschaftsweise aus, die mit dem Erwerb von Renten und landwirtschaftlichen Gütern sowohl eine gewinnträchtige Partizipation auf dem Kreditmarkt als auch die notwendige Grundversorgung an agrarischen Gütern implizierte. Darüber hinaus waren sie weiterhin mit der Schreibarbeit oder dem Backen von Hostien in handwerklichen Gewerben tätig. Der Verkauf von Überschüssen aus Pachteinkünften ihrer ländlichen Besitzungen und die Aufnahme von Kostgängern waren zusätzliche Erwerbsformen, die die Hauswirtschaft der Fraterhäuser absicherten. In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts hatten sich die Fraterhäuser im Hinblick auf ihre Wirtschaftsführung dadurch von Gemeinschaften handwerklich wirtschaftender Priester, Kleriker und Laien, zu Gruppen von Rentenempfängern und Grundbesitzern gewandelt, die aber dennoch die Schreibarbeit unvermindert fortbetrieben, da diese die Askese und den geistlichen Fortschritt des Einzelnen fördern sollte. 131
125
FRATERHAUS HERFORD 1: S. 108. S. 2 0 4 . A n d e n a u f d e m B e r g vor Herford a n -
sässigen Hinrick Rall verkauften die Fratres zwei Rentbriefe, zu deren Ablösung sie ihn später als Kostgänger auf dem Varenkampinghof aufnahmen, ebd., S. 99, S. 109, S. 1 2 5 126 FRATERHAUS HERFORD 2: S. 110 f. Für 100 fl. erwarb Vourstenouwe das Recht, lebenslang mit den Fratres zu speisen und im Haus zu schlafen. Der Vertrag konnte mit jährlicher Frist gekündigt werden, wobei die Fratres dann statt der Beköstigung jährlich 4 fl. an Vourstenouwe hätten zahlen müssen. 127 FRATERHAUS HERFORD 2: S. 84 f. Der Ankauf des Hauses durch die Fratres geschah allerdings schon mit Vourstenouwes Geld. Die Brüder erledigten hier also nur ein Geschäft für den Kleriker. 128 FRATERHAUS HERFORD 2: S. 85. Die Gravesbreden waren 10 Stücke Land. 129
FRATERHAUS HERFORD 2 : S . 8 6 , S. 9 1 . S. 9 6 , S.
130
FRATERHAUS HERFORD 2: S. 113. 1517 starb Vourstenouwe im Fraterhaus. ebd.,
109.
S. 111. 131
FRATERHAUS HERFORD 2 : S. 6 7 u n d S.
113.
In d e n Unionsstatuten v o n
1499
wurde die Schreibarbeit im Kapitel zur Arbeit nicht mehr so stark in den Vordergrund
220
IV. Die Existenz unter den Bedingungen der Glaubensspaltung
3.2. Die Desintegration
des Besitzstandes
seit der
3.2.1. Die Verluste in RentgeSchäften und aus dem
Reformation
Grundbesitz
Mit dem Auftreten der Reformation und ihren Auswirkungen auf das gesamtgesellschaftliche Leben des 16. Jahrhunderts wurde den Fraterherren die ökonomische Basis ihrer Existenz weitgehend entzogen. Die religionspolitischen Unruhen beeinträchtigten die auf Rechtssicherheit und kontinuierlicher Zinszahlung beruhenden Rentgeschäfte. Auch die Einkünfte aus den verpachteten Höfen der Brüder blieben vielfach aus. Wesel Dem Fraterhaus Wesel gingen mit dem Verlauf des 16. Jahrhunderts wichtige Besitzungen verloren, so daß seine Existenz ernsthaft gefährdet war. Als wichtigstes Beispiel ist der Verlust der Johannis-Vikarie in Kalkar zu nennen, die den Brüdern 1574 von Herzog Wilhelm von Kleve entzogen wurde. 132 Die Einkünfte, die aus dem zu ihr gehörigen Hof Geisthusen erwirtschaftet wurden, schätzte der apostolische Nuntius Kaspar Gropper 1574 auf etwa 100 Malter Frucht.133 Zusätzlich zu diesen für die Hauswirtschaft unverzichtbaren Erträgen verloren die Brüder auch weitere, in Kalkar angesiedelte Einkünfte. Neben einer Rente von 30 fl. 134 gingen sie auch des Kolkackers 135 verlustig, der zwar innerhalb des Hofes Geisthusen lag, aber von den Brüdern gesondert erworben worden war. 1574 befahl der Rat von Kalkar, daß die Einkünfte des Hofes Geisthusen ausschließlich gestellt. Stattdessen findet sich derselbe Gedanke nur noch im Kapitel „De scriptuario ", s. DOEBNER: Annalen und Akten. S. 228. Daneben wurde die Arbeit aber auch als sinnvolle Ergänzung zu Meditation und geistlichen Übungen verstanden, s. G E R H A R D REHM: Aspekte der Wirtschaftstätigkeit der Schwestern vom gemeinsamen Leben im 15. Jahrhundert. In: Elm, Erwerbspolitik und Wirtschaftsweise. S. 250 f. Zur Handarbeit als Mittel der Askese vgl. DIETRICH K U R Z E : Die Bedeutung der Arbeit im zisterziensischen Denken. In: Die Zisterzienser. Ordensleben zwischen Ideal und Wirklichkeit. Ausstellung Aachen 3.7.-28.9.1980. Hrsg. K.Elm, P.Joerißen und H.J.Roth (Schriften des Rheinischen Museumsamtes 10). Bonn 1980, S. 179-202. 132 BA Münster, PfA St.Nicolai Kalkar, A 6, fol. 78 v . DRAHT: St.Martini Wesel. S. 145 f. Zu den Ereignissen, die hierzu führten, s. unten S. 264-270. Die Vikarie war den Fratres 1447 als wichtige Stütze ihrer noch jungen Gemeinschaft von Herzog Adolph übertragen worden, DRAHT: Sankt Martini Wesel, S. 35. 133 BA Münster, PfA St.Nicolai Kalkar, A 6, fol. 82 r . Diese Schätzung stimmt überein mit der Pachtabgabe des Hofes von 1535 (ca. 30 Malter), die ein Drittel des Gesamtertrages darstellte, s. HStA Düsseldorf. Fraterherren Wesel, Hs.2, fol. 7 r " v . 134 Eine Kopie des Briefes BA Münster, PfA St.Nicolai Kalkar, A 6, fol. 72 r -73 r . 135 BA Münster, PfA St.Nicolai Kalkar, fol. 73 r ~ v Der Ertrag dieses Guts wird mit 54 Maltern Frucht angegeben.
3. Der
Besitzstand
221
dem Bürgermeister der Stadt übergeben werden sollten. 136 Eine Trennung der Güter, die zur Vikarie gehörten, und derjenigen, die als Teile des Kolkackers dazu gekauft worden waren, war offensichtlich nicht mehr üblich, da die Brüder den Gesamtkomplex an die Meierfamilie Maess verpachtet hatten. Erst 1570 hatten die Brüder mit Johan Maess einen neuen Pachtvertrag abgeschlossen, in dem diesem der Hof Geisthusen gegen den dritten Teil der Erträge zur Bewirtschaftung überlassen worden war. 1 3 7 Der Pächter entrichtete die Abgaben nun insgesamt an die Stadt Kalkar. Als die Brüder 1574 ihren Abgesandten zur Rechnungslegung schickten, wurde dieser abgewiesen. 1 3 8 Die Auseinandersetzung um die Rechte an den Besitzungen der Fraterherren zogen sich mehrere Jahre hin. 1579 wandte sich der Pfarrer aus Kalkar erneut an die Brüder, um diesen den Kolkacker abzukaufen. 1 3 9 Diese klagten jedoch vor den fürstlichen Räten gegen die unrechtmäßige Entfremdung.' 4 0 Die Stadt berief sich bezüglich der angemahnten Rente auf einen Passus im Stiftungsbrief, nach dem diese nur so lange dem Fraterhaus zufallen sollte, wie diese die Vikarie in Kalkar besäßen. 141 Die Form der Pachtverträge, die den Weseler Fraterherren jeweils den dritten oder vierten Teil der Ernte vorbehielten, brachte mit sich, daß sie ebenso wie ihre Pächter direkt an den Auswirkungen von Mißernten zu leiden hatten. In der anhaltenden Agrarkrise des 16. Jahrhunderts, den Wirren der Reformation und der darauf folgenden kriegerischen Verwüstungen blieben die Abgaben von den Höfen wiederholt ganz oder teilweise aus, da die Erträge so gering waren, daß die Pächterfamilien nicht mehr in der Lage waren, noch einen Teil der Ernte abzutreten. 1 4 2 So ergab ein% Abrechnung mit dem Pächter Hermann Terhart im Jahr 1555 eine Schuld von 37,5 Talern, 10 Maltern Roggen und 5 Maltern Hafer. 1 4 3 Dennoch verlängerten die Weseler Fraterherren den Pachtvertrag für weitere zwölf Jahre, da sie die unverschuldete Armut Terharts anerkannten.
136
BA Münster. PfA St.Nicolai Kalkar, fol. 80 v . HStA Düsseldorf, Fraterherren Wesel, A 9. fol. 2 r . 138 BA Münster, PfA St.Nicolai Kalkar, A 6, fol. 81 v . 139 HStA Düsseldorf, Fraterherren Wesel. A 9, fol. 3 r (1579, Nov. 29). 140 BA Münster. PfA St.Nicolai Kalkar, fol. 71 r (1580, Mär. 23). 141 Dieser Passus findet sich in der Abschrift des Stiftungsbriefes in den städtischen Akten in der Tat. s. BA Münster. PfA St.Nicolai Kalkar, fol. 72 v . 142 Hierzu kam unterstützend, daß die bewirtschafteten Güter durch die Zersplitterung ehemaliger Höfe oft zu klein geworden waren, s. BENNINGHOFF-LÜHL: Güter und Einnahmequellen. S. 47. 143 BA Münster. PfA St.Martini Wesel, A 18, fol. 18 v . 137
222
IV. Die Existenz unter den Bedingungen der
Glaubensspaltung
Auf einer breiteren Quellenbasis sind solche Einnahmeverluste anhand der Zehntregister in Brünen und Dingden festzustellen. 1 4 4 Diese waren Lehen der Herrschaft zu Anholt und des Bischofs von Münster und brachten von insgesamt 39 Pächtern einen jährlichen Ertrag von circa 40 Maltern Getreide Weseler Maß. 1 4 5 Während im Jahr 1508 die Naturalabgaben noch vollständig geleistet wurden, 1 4 6 blieben 1538 fast 20% aus. Im Jahr 1563 waren die Verluste bis auf 40% nochmals erheblich gestiegen 1 4 7 und nahmen gravierenden Charakter an. Im einzelnen kaum konkret nachzuvollziehen, weisen diese Zahlen auf Mißernten und die unruhige politisch-religiöse Situation hin. Das Ausbleiben von Einkünften sowie der Verlust des Hofes Geisthusen liefen parallel zu weiteren Einbußen, die durch eigene Mißwirtschaft im Fraterhaus verursacht wurden. Die auftretenden disziplinaren Defekte ließen die Methoden der Rechnungsführung und Besitzverwaltung außer Übung geraten. Der Prokurator der Weseler Gemeinschaft hatte diese über längere Zeit vernachlässigt. Der 1589 nach Münster um Hilfe gesandte Frater Hermann berichtete dort, daß aller Vorrat erschöpft und von den jährlichen Einkünften nur sehr wenig erhalten sei. 148 Um die Kosten der laufenden Haushaltung zu verringern, sollten Mitglieder des Weseler Hauses nach Münster transferiert werden. Die Einkünfte waren offenbar nicht mehr ausreichend, um die ohnehin kleine Gemeinschaft zu unterhalten. Damit war man in ein Stadium zurückgefallen, welches dem der Pestkatastrophe von 1440 glich, als das Haus aufgegeben werden mußte. 1 4 9 Aber selbst die Verkleinerung der Weseler Hausgemeinschaft auf ein Minimum von wenigen Personen, die kaum noch mehr als Restverwalter des zerstreuten Besitzes der Brüder darstellten, war nicht ausreichend, um der größten ökonomischen Not zu genügen. Um ihren Verpflichtungen nachkommen zu können, sollten einige ihrer Gebäude, der Kirchenzierrat und andere Dinge versetzt werden. Dazu wurde den Weseler Brüdern untersagt, weitere Renten aufzunehmen und das eigene Haus zu belasten. 150
144
BA Münster. PfA St.Martini Wesel. A 15. BA Münster. PfA St.Martini Wesel. A 15. BENNINOHOFF-LÜHL: Güter und Einnahmequellen, 51 f. 146 BA Münster. PfA St.Martini Wesel. A 15. Heft zu 1508. 147 BA Münster. PfA St.Martini Wesel. A 15. in den entsprechenden Jahresheften. 148 BA Münster. PfA St.Martini Wesel. A 3. 4. fol. 5 V . 149 DRAHT: Sankt Martini Wesel. S. 30 f. 150 BA Münster. PfA St.Martini Wesel. A 3. 4. fol. 6 r . Der Prokurator sollte in der Zukunft jährliche Rechnungen vorlegen und sich von den Hausmitgliedern entlasten lassen, ebd.. fol. 5 V . 145
3. Der
Besitzstand
223
Hildesheim In Hildesheim resultierte eine ähnlich kritische ökonomische Entwicklung letztlich in der Aufgabe des Hauses im Jahr 1604. Schon die Stiftsfehde (1519-1523) hatte die Wirtschaftsführung des Hauses erschwert. Außerhalb des Stiftes angelegte Kapitalien wurden zum Teil nicht mehr verzinst. So hielt der Braunschweiger Rat aufgrund der über Hildesheim verhängten Reichsacht die Zinsen aus 250 fl. zurück. 1 5 1 Kurz nach dem Ende der kriegerischen Auseinandersetzungen blieben ebenfalls Rentzahlungen aus, so von den Herren von Steinberg und aus Northeim. 1 5 2 Das Quellenmaterial zu den wirtschaftlichen Schwierigkeiten der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts füllt zum großen Teil drei Kopiare aus der Zeit nach 1570. 153 Lang andauernde Auseinandersetzungen gab es zwischen dem Windesheimer Chorherrenstift Riechenberg bei Goslar und dem Fraterhaus. Nach 1523 war Riechenberg von Herzog Heinrich dem Jüngeren 1 5 4 als Feste gegen die Stadt Goslar herangezogen, im Schmalkaldischen Krieg für kurze Zeit evangelisiert, 1546 rekatholisiert und 1568 wiederum und endgültig der Reformation zugeführt worden. 1 5 5 In zwei Rentbriefen erhielt das Kloster 1565 und 1566 von den Fraterherren 1000 fl. gegen einen jährlichen Zins von 50 fl. 156 Schon 1566 blieben jedoch die Zinszahlungen aus. Der letzte altgläubige Prior Riechenbergs, Hermann Loeff, bat 1568 um Kopien der Rentbriefe, da bei den Windesheimern keine Unterlagen existierten. 157 Die Briefe waren noch von LoefFs Vorgänger, Johannes Böning, gekauft worden. Die Fraterherren hatten in der Folgezeit große Mühen, ihre Ansprüche zu realisieren. 158 Die fehlenden Zahlungen wurden ebenso wie die eigenen Ausgaben sorgsam aufgelistet. 1 5 9 Zur Unterstützung wandten sich die Brüder an Herzog Heinrich den Jüngeren und an dessen Nachfolger, Herzog Julius. 160 Auch Bischof Burchard von Oberg
151
DOEBNER: Annalen und Akten. S. 139. Dombibliothek Hildesheim. Hs.Ps. 10,
fol. 323R. 152
DOEBNER: Annalen und Akten. S. 139. Dombibliothek Hildesheim, Hs.Ps. 10-12. 154 Vgl. OEHR: Ländliche Verhältnisse, S. 11 f. 155 S. hierzu HARTMUT VON HINDTE: Riechenberg, in: Monasticon Windeshemense 2. Deutsches Sprachgebiet Hrsg. v. W.Kohl, E.Persoons und A.G.Weiler (Archives et Bibliothèques de Belgique, Numéro spécial 16). Brüssel 1977. S. 374. 156 BA Hildesheim, Ps. U 57 a (1565, Sep. 29), und 57 b (1566, Apr. 15). 157 BA Hildesheim, U 61 (1568, Mär. 22). 158 Dombibliothek Hildesheim. Hs.Ps. 10, fol. 33 r -106 v . 159 Dombibliothek Hildesheim, Hs.Ps. 10, fol. 90 v . Im Jahr 1567 belief sich die Summe schon auf 104 fl. und 2 Taler, ebd., fol. 77 r . 160 BA Hildesheim, Ps. U 64 a-e (1568-1570). 153
224
/I7. Die Existenz unter den Bedingungen der
Glaubensspaltung
wurde in einer Bittschrift angegangen. 1 6 1 Ihre Bemühungen hatten jedoch nur bedingten Erfolg. So kamen sie in den Pfandbesitz eines Zehnten in Astfeld, den sie für die Jahre 1572 und 1573 verpachten konnten. 1 6 2 Allerdings wurden ihre Ansprüche hierdurch nicht vollständig gedeckt. Erst im Jahr 1581 endet die Liste, die die fehlenden Zahlungen zusammenstellte. 163 Auch das Zisterzienserinnenkloster in Derneburg, welches ebenfalls der Windesheimer Reform angeschlossen worden war, blieb den Fraterherren große Beträge schuldig. Zwischen 1551 und 1560 hatten sie bei dem Lüchtenhof 900 fl. und 100 Taler aufgenommen. 1 6 4 Die Zinsen konnten die Nonnen Anfang der 1570er Jahre nicht mehr leisten. 165 Die Äbtissin räumte daher 1574 den Fraterherren den Nießbrauch verschiedener Höfe und Zehnten des Klosters ein, bis deren Ansprüche erfüllt seien. 166 Noch 1581 besaßen die Brüder einen Pfandbrief über 655 fl. aus Derneburg, den sie nun wiederum selbst zur Leihe von 300 fl. bei dem Propst des Hildesheimer Maria-Magdalena Stifts einsetzten. 167 Auch mit den Benediktinern aus Northeim, die mit 2600 fl. der größte Schuldner der Brüder waren, gab es ähnliche Schwierigkeiten. 168 Ein Inventar des Lüchtenhofes, welches nach dem Austritt des Rektors Bernhard Wedemann ungefähr um 1570 aufgenommen wurde, verdeutlicht den desolaten Zustand der Hauswirtschaft. 1 6 9 Der Schreiber rechnete die Schulden der Brüder auf über 3000 fl. zusammen. 1 7 0 Innerhalb von weniger als 30 Jahren seit der Einführung der Reformation in der Stadt war das Haus bis zum Ruin verfallen. Die Erstellung von Inventaren, wie es auch Henning Balhorn 1573 zu Beginn seines Rektorates anfertigen ließ, 171 kann ebenso wie die reichhaltigen Geschäftsaufzeichnungen der Folgezeit jedoch als Indiz für einen versuchten Neuaufschwung gelten. Die verstärkte Neuaufnahme von Kostgängern und die Wiederbelebung der Arbeiten in der
161
BA Hildesheim. Ps. U 64 f (1570, Jul. 10). BA Hildesheim, Ps. U 77 a (1572, Jul. 2), und b (1573, Jun. 16). Sie erhielten jeweils 39 Joachimstaler Pacht. 163 Dombibliothek Hildesheim, Hs.Ps.10. fol. 90 v . 164 Dombibliothek Hildesheim, Hs.Ps.12. fol. 19 r -22 r , und Hs.Ps.10, fol. 26 r -32 v . 165 Im Jahr 1573 lebten nur noch vier Nonnen und fünf Jungfrauen ohne Gelöbnis in Derneburg, s. BERTRAM: Geschichte des Bistums Hildesheim 2, S. 268. 166 Dombibliothek Hildesheim, Hs.Ps.12. fol. 116 r -117 v . 167 BA Hildesheim, Ps. U 102 (1581, Mär. 27). 168 Dombibliothek Hildesheim, Hs.Ps.10, fol. 10 r -24 v . und Hs.Ps.12. 13 r -16 v . Der Abt konnte nur durch einen Rezeß zu Zahlungen bewegt werden, s. ebd., fol. 17 r " v . 169 Dombibliothek Hildesheim, Hs.Ps.10, fol. 344 r -349 r . 170 Dombibliothek Hildesheim, Hs.Ps.10, fol. 349 r . 171 Dombibliothek Hildesheim, Hs.Ps.10. fol. 358 r -369 v . 162
3. Der Besitzstand
225
Schreibstube bedeuteten neue Einnahmequellen. 172 Dennoch gelang es bis zur Auflösung des Hauses 1604 nicht mehr, die Hauswirtschaft zu stabilisieren. Eine Aufstellung der Getreidekäufe des Jahres 1580 zeigt, daß die Brüder nur zwei Drittel ihres Bedarfs entgelten konnten. 1 7 3 Sie versetzten daher die Kleinodien ihrer Kirche und beliehen das Testament des Domvikars Johannes Bringmann wie die Briefe des Hospitals in der Neustadt, 1 7 4 dessen Mitvorsteher der Brüderrektor war. 1 7 5 1604 übergaben die Fraterherren den Lüchtenhof an die Geistlichen Räte des Bischofs Ernst von Bayern. Diese übernahmen die Schulden der Gemeinschaft bei der Stadt, die durch die Kündigung von 1240 Talern auf den Pfandbesitz des Lüchtenhofs gehofft hatte, und sicherten den verbliebenen beiden Brüdern eine angemessene Versorgung zu. 176 Münster Die münsterischen Brüder konnten in der Krisenzeit nach dem Sieg des Bischofs über die Täufer nur einen geringen Teil ihrer sonstigen regelmäßigen Einkünfte realisieren. Besonders in den ersten Jahren nach 1535 waren die Folgen der Unruhen überall präsent. So fehlt im Einkünfteregister bei insgesamt 32 von 105 Rententiteln des Jahres 1536 jeder Eintrag über die Begleichung der Schuld, sechsmal wurde die Zahlung von Seiten der Brüder erlassen. 177 Damit blieb mehr als ein Drittel der Einkünfte aus. Die Zahlungen erfolgten darüber hinaus zum Teil mit erheblicher Verspätung. Im Jahr 1536 selbst erhielten die Fraterherren ungefähr nur ein Zehntel der ihnen zustehenden Geldbeträge, 1 7 8 auch bei den Fruchtrenten hatte man Einbußen. Zusammen mit den Nachzahlungen, die die Brüder im folgenden
172
Dombibliothek Hildesheim. Hs.Ps. 10, fol. 342 r f. (Liste von 21 Kostgängern in der Zeit von 1575 bis 1582). und Hs.Ps.ll. fol. 43 v -44 r . 1568 und 1569 erhielten die Brüder Aufträge für Binde- und Zierarbeiten, s. BA Hildesheim, Ps. U 63 (1569, Nov. 30) und U 65 (1569, Mai 13). Von 1571 existiert ein Bibliotheksverzeichnis, s. Dombibliothek Hildesheim. Hs.Ps. 10. fol. 361 r f., Henning Balhorn trägt zu dieser Zeit öfter den Titel „scriptuarius". Ab 1580 verkaufte man wieder Handschriften für den liturgischen Gebrauch, zumeist an das Heilig-Kreuz-Stift, s. Hs.Ps.ll, fol. 28 r und 31 r . 173 Dombibliothek Hildesheim, Hs.Ps. 11. fol. 25 r ff. 174 Dombibliothek Hildesheim. Hs.Ps. 10. fol. 348 r f. 175 DOEBNER: Annalen und Akten. S. 79 f. BRÜGGEBOES: Die Fraterherren im Lüchtenhofe. S. 22. In letzterem Fall griff die Stadt ein und nahm die Briefe des Hospitals in Verwahrung. BA Hildesheim, Ps. U 72 (1571, Jan. 24). 176 BA Hildesheim. Ps. U 145 (1604, Mär. 14). 177 BA Münster, Fraterherren. A 15. 178 Fast gänzlich aus blieben im ersten Jahr die hochdotierten Einkünfte aus Sendenhorst und Groningen.
226
IV. Die Existenz unter den Bedingungen der
Glaubensspaltung
Jahr eintrieben, erreichten sie 210 fl., also circa 50% ihrer regulären Geldeinkünfte, und ausreichende Getreidelieferungen. Die noch offenen Ansprüche verfolgten sie bis ins Jahr 1542, einzelne Nachzahlungen erstreckten sich noch bis 1555. Insgesamt erhielten sie schließlich circa 75% der Solleinkünfte aus den Geldrenten. Je weiter der Anspruch der Fraterherren jedoch schon zurücklag, desto geringer wurde die Aussicht auf Erfolg. Die Herrschaft der Wiedertäufer sowie die Belagerung und Eroberung der Stadt Münster waren damit noch lange über 1535 hinaus eine wirtschaftliche Belastung für das Fraterhaus. Schon die Einkünfte des Jahres 1533 im lutherischen, der bischöflichen Blockade ausgesetzten Münster, waren weitgehend ausgeblieben. Nimmt man hierzu noch den äußerst langsam wieder einsetzenden Zahlungsfluß seit dem Jahr 1536, erhält man ein Bild von den ökonomischen Schwierigkeiten, die das Fraterhaus in den dreißiger Jahren und danach zu überwinden hatte. Die Reorganisation der Hauswirtschaft litt zudem unter den Vernichtungen der Täuferzeit. Das Rechnungsbuch des Hauses spiegelt in einzelnen Vermerken die Verluste von älteren Unterlagen, die nach 1535 fehlten, 179 da die Wiedertäufer alte Verpflichtungen aufgehoben und viele der Einkünfteregister verbrannt hatten. Vor der erneuten Realisierung von Einkünften aus konfiszierten oder weiterverkauften Täuferhäusern in der Stadt mußten die Rentansprüche zunächst registriert und beglaubigt werden. Das Fraterhaus meldete hier Forderungen auf sechs Häuser an. 180 Auf die Einkünfte aus Besitzungen im Umland oder entfernterer Güter hatten die Brüder angesichts des Zusammenbruchs einer geordneten Jurisdiktion im Stift und der weit verbreiteten Verwüstungen ohnehin kaum Zugriff. Die Verluste des Fraterhauses waren somit Ausdruck der allgemeinen wirtschaftlichen Situation im Stift und in der Stadt. Die Entvölkerung Münsters durch die Vernichtung der Wiedertäufer beziehungsweise die Flucht der Überlebenden bewirkte eine finanzielle Krise, von der sich die Stadt erst in den sechziger Jahren wieder erholte. 181 Trotz der großen ökonomischen Probleme erschienen die Fraterherren jedoch auch schon in den
179 BA Münster. Fraterherren Münster. Akte A 15. Im Fall des Hermann Bispinck (Nr.46), von dem die Fraterherren jährlich 1 fl. erhielten, wird diese Rente im chronologisch angeordneten Rechnungsbuch erstmals 1539 richtig eingeordnet. In den Jahren 1536-1538 sind die Zahlungen unten auf der jeweiligen Seite nachgetragen. Ebenso ist die Schuld von Johann Weisten (Nr. 145) von einem Malter Hafer 1539 erstmals aufgenommen. er zahlt aber laut Vermerk für die vorhergehenden Jahre mit. 180 KIRCHHOFF: Die Täufer in Münster 1534/35. S. 7. S. 10. Die Kopien der Briefe des Fraterhauses sind gesammelt in STA Münster. Msc. VII. 1027e. 181 S. die Zahlen bei HSIA: Gesellschaft und Religion in Münster. S. 10, S. 12.
3. Der Besitzstand
227
Jahren unmittelbar nach der Eroberung Münsters wiederholt als Rent- und Immobilienkäufer. So kauften sie den Süstern in Coesfeld eine Rente über 1 fl. auf ein Haus im Kirchspiel Lamberti und zwei Landstücke vor dem Ludgeritor ab. 1 8 2 Auf ein weiteres H a u s in der Jüdefelder Straße erwarb man noch eine Rente über 1 fl. 1 8 3 Eine Summe von 60 fl. gaben die Brüder im Februar 1537 für einen Rentbrief über 3 fl. auf einen Kamp bei Warendorf 1 8 4 und kauften im Juni desselben Jahres einen weiteren Kamp im N o r den M ü n s t e r s zurück. 1 8 5 E s handelte sich bei diesen Erwerbungen jedoch nur um vereinzelte Geschäfte von kleinem Umfang. Erst seit 1550 findet man auch wieder neu erworbene Rentbriefe mit höheren Dotierungen. 1 8 6 Trotz dieser geschäftlichen Aktivitäten zählte das Fraterhaus Zum Springborn zu den ärmeren geistlichen Gemeinschaften in der Stadt Münster. Vergleichswerte lassen sich aus den bischöflichen Schatzungsregistern gewinnen. 1 8 7 Nachdem man 1535 noch nicht zur Tilgung der Kriegsschulden herangezogen w o r d e n war, zahlten die Fraterherren 1538 anläßlich der Fehde mit dem Grafen von Oldenburg 100 fl. 1 8 8 1560 und 1567 betrug der Anteil der Brüder 80 und 100 fl.,189 1592 zahlten sie 16 Reichstaler. 1 9 0 Verglichen mit den älteren Männerstiften der Stadt wird hier eine g r o ß e Differenz deutlich. 1560 zahlten jene das Doppelte, 1567 das Fünffache des Beitrages der Fraterherren. Auch die g r ö ß e r e n der Süsternhäuser zahlten in der Regel mehr als die Brüder. 1592 waren nur die Häuser Rosental und Ringe niedriger als die Fraterherren angesetzt. Köln Auch in Köln offenbart sich schon in einer quantitativen Betrachtung der Geschäftstätigkeit des Fraterhauses eine klare Zäsur in der Erwerbspolitik
182
BA Münster. Fraterherren, A 1, fol. 124 f. BA Münster, Fraterherren, A 1, fol. 123 f. (1537, Feb. 1). 184 BA Münster, Fraterherren, U 283 (1537, Feb. 17). 185 BA Münster, Fraterherren, U 284 (1537, Jun. 13). 186 BA Münster. Fraterherren, U 305 (1550, Sep. 28), 4,5 fl. für 90 fl. Ebd.. A 1, fol. 145 ff. (1551, Aug. 9), 5 fl. für 100 fl. 187 S. hierzu allgemein KARL-HEINZ KIRCHHOFF: Die landständischen Schätzungen des Stifts Münster im 16. Jahrhundert. In: Westfälische Forschungen 14 (1961), S. 117133. 188 STA Münster. Msc. VII. 3307, fol. 9. Der Rektor Ludolph Borkelo fürchtete weitere Zahlungsforderungen an das Haus. 189 WILHELM E. SCHWARZ (Hrsg.): Die Akten der Visitation des Bistums Münster aus der Zeit Johannes von Hoya (1571-1573) (VeröffHistKommWestf 3. GQBM 7). Münster 1913, S. 240. 190 HÖING: Kloster und Stadt. S. 78. 183
228
IV. Die Existenz unter den Bedingungen
der
Glaubensspaltung
der Brüder mit dem Auftreten der Reformation. Während diese im ersten Viertel des 16. Jahrhunderts ökonomisch stark expandierten, 191 trat zwischen 1525 und 1549 ein fast völliger Stillstand ein. 192 Nach der Jahrhundertmitte setzten die Rentkäufe ebenso wie die Stiftungen zugunsten der Fraterherren jedoch wieder ein. 193 Die Gesamtzahl der geschäftlichen Transaktionen von 1550 bis 1574 (19) übertraf sogar die des ersten Viertels des 16. Jahrhunderts (13), 194 darunter neun Rententitel, mit denen sie sich jährliche Neueinkünfte von knapp 60 fl. sicherten. 195 Die Gewißheit, auch in langfristigen Geldgeschäften wie dem Rentkauf profitabel wirtschaften zu können, hat sich um diese Zeit wieder eingestellt. Die Ursachen lagen sowohl in der Niederlage Hermann von Wieds und seinem Rücktritt im Jahr 1547 sowie dem Sieg Karls V. gegen die Schmalkaldener begründet. 196 Diese Entwicklung schien um die Jahrhundertmitte, zusätzlich unterstützt durch das Augsburger Interim, welches allgemein für die altgläubige Partei positive Auswirkungen zeitigte, gefestigt genug, um alltägliche und andauernde Rechtssicherheit zu gewährleisten. Genauere Werte über das Einkommen der Fraterherren bietet das Rechnungsbuch der Gemeinschaft für die 1580er Jahre. 197 Aus 50 Erbleihen und 17 Erbrenten verfügten die Brüder über cirka 400 fl. an jährlichen Einkünften. 1 9 8 Damit lag man ungefähr auf dem Einkommensniveau des münsterischen Fraterhauses und der Jesuiten in Köln, die allerdings ein Viel-
191
S. oben. S. 213. Im Einzelnen liegen Urkunden vor: Der Verkauf der Altartafel nach Zülpich, s. KASTNER: Inventar. S. 174, Nr.270 (1531. Mai 8): der Verkaufeines Hofes in Zülpich, ebd.. 175, Nr.271 (1534, Jun. 15); eine Belehnung mit dem Abelshof. s. HASt Köln. HUA 16973 (1543. Dez. 20): ein Landkauf in der Bauerschaft Spoelbergh, ebd. 17139 (1549, Jul. 31); Verkauf einer Leibrente an Bernard Georgius von Seiten über 12 fl.. HASt Köln, Weidenbach. U 6 (1549. Mai 22). 193 LÖFFLER: Das Gedächtnisbuch des Kölner Fraterhauses Weidenbach. S. 38 f. 194 Die Zahlen ergeben sich aus den Fraterherrenurkunden im Haupturkundenarchiv des Stadtarchivs Köln und den Angaben bei KASTNER: Inventar. Die ersten Geschäfte waren HASt Köln, HUA 17199 (1551, Aug. 7), und ebd.. 17209 (1551, Nov. 23). 195 Genau waren es 43 fl. und 17.5 Taler. Der Taler war um die Jahrhundertmitte 192
e t w a s s c h w ä c h e r a l s der G u l d e n , s. d i e T a b e l l e bei DIETRICH EBELING u n d FRANZ
IRSIGLER (Bearbb): Getreideumsatz, Getreide- und Brotpreise in Köln 1368-1797. Bd. 1: Getreideumsatz und Getreidepreise: Wochen-, Monats- und Jahrestabelle (Mitteilungen aus dem Stadtarchiv von Köln Heft 65). Köln. Wien 1976. S. XXXV f. 196 Zum Scheitern Hermanns und der allgemeinen Entwicklung s. FRANZEN: Bischof und Reformation. S. 57-106, und KLEIN: Die Kölner Kirche. S. 362 ff. 197 HASt Köln, Weidenbach, A 9. Einkünfte 1579-1596. 198 Den Umrechnungswerten liegen die jeweils zeitlich nächsten Angaben bei EBELING, IRSIGLER: Getreideumsatz, S. XXXV f. zugrunde.
3. Der
Besitzstand
229
faches an Hausmitgliedern versorgen mußten. 199 Eine wichtige neue Einnahmequelle war in dieser Zeit die Aufnahme von Kostgängern ins Fraterhaus. Im Zeitraum von 1581 bis 1587 schlössen die Fraterherren insgesamt 26 Verträge mit einem Gesamtbudget von 832 Talern ab. 200 In der Regel wurden zwischen 24 und 36 Talern als jährliches Kostgeld berechnet. Mit der Verköstigung war nicht in jedem Fall eine Unterbringung im Gästehaus der Fraterherren verbunden. Bei mehreren Kostgängern gibt das Rechnungsbuch den Wohnort mit an. 201 Zahlreicher als diese Gruppe waren jedoch die Scholaren (12), deren Eltern und Vormünder mit den Brüdern die Verträge abschlössen. Diese werden bei den Fraterherren logiert haben. Mit diesen Einnahmequellen verfugte das Fraterhaus über hinreichend Einkünfte, ihre Gemeinschaft materiell abzusichern, zumal diese in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts immer kleiner wurde. Im Vergleich mit dem Besitz anderer geistlicher Institutionen Kölns stand das Fraterhaus auch in Köln jedoch weiterhin am unteren Ende der Einkommensskala. 1567 wurden dem Fraterhaus pro primo termino ad beneplacitum reverendissimi domini nostri von der erzbischöflichen Kurie 50 Mark berechnet. 202 Damit wurden die Brüder wesentlich niedriger als die Konvente der Windesheimer von Herrenleichnam (70 Mark), der Kreuzherren (80 Mark) oder gar der Kartäuser (300 Mark) eingestuft. Dem entspricht das Bild, welches die Gesamtweineinfuhr der Kölner Geistlichkeit aus den Jahren 1570-73 und 1574-76 vermittelt. 203 Auch hier standen die Fraterherren deutlich zurück. Obwohl die Brüder damit zu den finanziell schlecht bemittelten geistlichen Institutionen Kölns zu zählen sind, war es ihnen gelungen, ihr wirtschaftliches Fundament über die Wirren des Jahrhunderts hinweg zu stabilisieren. Herford Anders als die anderen Fraterhäuser, die den Ansturm der Reformation überstanden hatten, konnte die Herforder Gemeinschaft ihren Besitzstand während der Wirren des 16. Jahrhunderts im wesentlichen beibehalten. Zwar versuchten zum Teil ehemalige Brüder, sich für früher eingebrachtes
199 DUHR: Geschichte der Jesuiten in den Ländern deutscher Zunge im 16. Jahrhundert 1, S. 42. 200 HASt Köln. Weidenbach, A 9, fol. 24 r -31 r . 201 So „unser naber Meister Frantz", HASt Köln, Weidenbach, A 9. fol. 26 r und die Brabanter. die bei dem Kanoniker Wolff von St. Apostel wohnten, fol. 27 v . 202 HASt Köln, Geistliche Abteilung 1. fol. l r . 203 MARIANNE GECHTER: Kirche und Klerus in der stadtkölnischen Wirtschaft im Spatmittelalter (Beiträge zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte 28). Wiesbaden 1983, S. 362.
230
IV. Die Existenz unter den Bedingungen der
Glaubensspaltung
Gut und erbrachte Arbeitsleistung entschädigen zu lassen, doch wies der Rektor Gerhard Wilskamp diese Ansinnen zurück. 2 0 4 Sowohl von der Herforder Äbtissin als auch von Hermann von Wied in seiner Eigenschaft als Administrator des Bistums Paderborn ließen sich die Brüder bestätigen, in dieser Beziehung keinen Entschädigungspflichten zu unterliegen. 205 Die Wirtschaftstätigkeit der Brüder wurde im 16. Jahrhundert fast unverändert aufrecht erhalten. Das Rentenverzeichnis von 1560 listet die Briefe des Fraterhauses auf. 206 Die Hauptschuldner waren wie vor der Reformation die Städte Osnabrück, Hameln, Stadthagen und Salzuflen. 207 Weitere jährliche Einkünfte erhielten sie von einzelnen Einwohnern Salzuflens und von den Meiern aus Schötmar, die zusammen Rentbriefe im Wert von 713 fl. bei den Brüdern gekauft hatten. 2 0 8 Ein Vergleich mit dem Heberegister des Paters Antonius Stertfedder 2 0 9 aus der Mitte des 17. Jahrhunderts macht deutlich, daß diese Struktur der Hauswirtschaft im großen und ganzen intakt blieb. Von den genannten Städten empfing das Fraterhaus Zinsen aus Rentbriefen im Wert von 3200 fl., 210 der größte Teil der anderen Zahlungen ging nach wie vor aus Salzuflen ein. Die Brüdergemeinschaft des 17. Jahrhunderts stützte sich damit weitgehend auf das wirtschaftliche Fundament, das schon während des 15. und des frühen 16. Jahrhunderts gelegt worden war. Auch ihr Grundbesitz blieb den Fraterherren zum größten Teil erhalten. Zwar mußten sie ihren Fischteich 1565 an die Stadt abtreten, 2 1 1 der wichtige Hof zu Büxten blieb aber in ihrem Besitz. Die Abgaben des Meiers waren um 1560 gegenüber dem frühen 16. Jahrhundert zwar leicht gesunken, 212 dennoch blieb der Hof das wichtigste Instrument zur Versorgung der Brüder mit Agrarprodukten. Die Hauswirtschaft erwies sich zudem auch als stabil genug, die Untreue des Rektors Johannes Wachtendonck zu überdauern. 2 1 3 Dieser hatte 1566 ver-
2 0 4
FRATERHAUS HERFORD 2: S. 2 6 2 ff.
2 0 5
F R A T E R H A U S H E R F O R D 1: S . 1 2 7 f f . ( 1 5 3 2 , M a i 2 0 ) u n d
206
FRATERHAUS HERFORD 1: S. 2 0 9 - 2 2 5 . E s trennt dabei die R e n t e n , d i e z u g u n s t e n
133.
der Armen verwaltet wurden (Nr. 1-22), und diejenigen, die den Brüdern selbst zugute kamen. Erstere hatten eine Dotierung von 2491 fl., letztere von 5988 fl., ebd., 215 und 225. 207
FRATERHAUS HERFORD 1: S. 2 1 5 - 2 1 9 . Nr. 2 3 - 3 7 .
2 0 8
F R A T E R H A U S H E R F O R D 1: S . 2 2 5 . N r .
2 0 9
F R A T E R H A U S H E R F O R D 1: S .
226-249.
2 1 0
FRATERHAUS HERFORD 2: S.
227-233.
211
FRATERHAUS HERFORD 2: S. 1 5 0 ( 1 5 6 5 . F e b .
212
FRATERHAUS HERFORD 1: S. 2 0 1 . E b e n s o a u c h s c h o n 1 5 4 8 , s. ebd.. 140 ff.
213
F R A T E R H A U S H E R F O R D 1: S . 1 5 1 f f .
50-67.
21).
3. Der Besitzsland
231
schiedene Rentbriefe der Brüder gekündigt und war mit dem Geld sowie der übrigen gesamten Barschaft und weiteren Rentbriefen geflohen. 214
3.2.2. Das Nachlassen der Stiftungen und Schenkungen Die deutlichste Zäsur im Leben der Fraterhäuser, die mit der Reformation eintrat, war das Nachlassen der Stiftungen und Schenkungen an die Brüder. Dies war ein allgemeines Phänomen der Glaubensspaltung. In lutherischem Gebiet wurden die Seel- und Totenmessen geächtet, da sie gegen den solafide-Grundsatz verstießen. Aber auch im altgläubigen Bereich veränderten sich langfristig die Motive und Formen, in denen sich die Frömmigkeit der Stadtbevölkerung äußerte, 215 ganz abgesehen von der quellentechnisch kaum einmal zu fassenden Verunsicherung der Unentschiedenen. 216 Münster In Münster taten das Aufkommen der neuen Lehre, die lutherische Vorherrschaft in der Stadt und die Episode des Täuferreiches der Stiftungstätigkeit gegenüber dem Fraterhaus zunächst bis zur Jahrhundertmitte keinen Abbruch.217 Die Häufigkeit der Vergabungen blieb im ersten und zweiten Viertel des 16. Jahrhunderts auf einheitlichem Niveau und sank erst danach deutlich ab. 218 Unter den Stiftern wurde der bischöfliche FRATERHAUS H E R F O R D 2 : S . 2 7 0 - 2 7 3 . Teilweise erlangte Wachtendoncks Nachfolger, Wilhelm Crüdering, dieses Geld zurück. Der größte Teil scheint aber verloren gegangen zu sein. 215 Dies zeigt am Beispiel Münsters HSIA: Gesellschaft und Religion in Münster, S. 186-210, auch in DERS.: Civic Wills as Sources for the Study of Piety in Münster. 216 Z E E D E N : Grundlagen und Wege, S. 98 ff. A U G U S T F R A N Z E N : Die Herausbildung des Konfessionsbewußtseins am Niederrhein im 16. Jahrhundert. In: AHVN 158 (1956), S. 185. DERS.: Die Visitation im Zeitalter der Gegenreformation im Erzstift Köln. In: Die Visitation im Dienst der kirchlichen Reform. Hrsg. v. E.W.Zeeden und H.Molitor, mit einer Einführung von H.Jedin und Beiträgen von A.Franzen u.a. (KLK 25/26). Münster 1967, S. 16, weist auf die Mischformen auch im Klerus in der kölnischen Visitation von 1569 hin. 214
217
218
ERHARD: G e d ä c h t n i s s - B u c h . S. 118 f.
Vgl. unten, S. 303, Diagramm 3. Jeweils zwölf Nennungen im Gedächtnisbuch, ERHARD: Gedächtniss-Buch, S. 118 f. Von 1501-1525 sind hier die Personen von Jo. Zoest bis Hermannus Engelhart gefaßt, von 1526-1550 Bernhardus Tegeder bis Johannes Wesselinck. Das Todesdatum der meisten ist nach KOHL: Domstift Münster 1-3, erfaßbar. In der Reihe genannte, nicht näher faßbare Personen wurden zeitlich ihren Nachbarn zugerechnet, da das Verzeichnis chronologisch angelegt ist. K O H L : Domstift Münster 2, S. 127 und S. 131, nennt weitere Legate an die Fratres, die nicht im Gedächtnisbuch verzeichnet sind (Domdekan Heinrich Hake 1537 und Domdekan Rotger Korff-Schmising 1548). Zusätzlich ist eine Stiftung von Johann Stevermann
232
IV. Die Existenz unter den Bedingungen
der
Glaubensspaltung
Kanzler Johannes Aelius, 219 der der Vater des gleichnamigen Reorganisators der Domschule nach den Täuferwirren war, besonders hervorgehoben. 220 Auch Johannes Hageboke, der Verfasser der Abrechnung über die Belagerungskosten der Stadt 1534/35, der Friedrich von Wied und Franz von Waldeck nahestand, 2 2 1 zählte zu den Wohltätern des Hauses. 2 2 2 Die Fraterherren in Münster nahmen die liturgische Praxis bald nach der Rückkehr in die Stadt Münster im Herbst 1535 wieder auf. Die Brüder erstellten ein Verzeichnis der zu lesenden Messen, 2 2 3 die dem Haus gestiftet worden waren. Vermutlich waren ältere Aufzeichnungen in der Wiedertäuferzeit zerstört worden. Die Bestimmungen der insgesamt 22 Messen wurden genau festgehalten, 2 2 4 um eine weisungsgemäße Verwaltung der Stiftungen zu garantieren, mit der die Priester des Hauses, Philippus Stempel, Heinrich Walgert, Johannes Holtmann, Theodericus Bredevort, Johannes Nedis, der Pater Ludolph Borckloe und Matthias Roggen beauftragt wurden. 2 2 5 Vermutlich während der vierziger Jahre, spätestens aber vor 15 5 8 2 2 6 wurde diese Liste aktualisiert. Für Holtmann und Bredevort, die 1539 beziehungsweise vor 1548 in das Süsternhaus Niesing 227 und in das Fraterhaus Wesel 228 gegangen waren, wurden ebenso Vertreter aus der Hausgemeinschaft benannt wie für Matthias Roggen, der in das Süsternhaus Bocholt wechselte, 2 2 9 und Johannes Nedis. Die baldige Redaktion der Übersicht über die Messen, die nach den Veränderungen in der personellen Zusam-
belegt, ERHARD: Gedächtniss-Buch, S. 122. 1523 wurde ein Rentbrief an den Rektor Johannes Rotger übergeben, der zunächst als Leibzucht für die Magd Stevermanns, nach deren Ableben für eine Memorie des Stifters verwandt werden sollte, s. BA Münster, Fraterherren, U 365a (1523, Nov. 13). 219 ERHARD: Gedächtniss-Buch, S. 119, „ ...summi amici nostri... ". 220 KOHL: Domstift Münster 1. S. 194. 221 MÜLLER: Die Abrechnung des Johannes Hageboke, S. V f. 222 ERHARD: Gedächtniss-Buch, S. 119. 223 STA Münster. Msc. I. 79, fol. 49. Das Verzeichnis stammt noch von vor 1539, da Johannes Holtmann noch als Hausmitglied genannt ist. 224 Es wurden Messen gelesen für: Ludolph Jorges, Johann Groll, Theodericus Sorbecke, Johannes Brabancie, Hinrick Oldendorp, Egbertus Ummegrove, Gertrudt Hekkesdeschen und Johannes Lübbecke. Dazu kam eine Gesamtmesse für die Stifter der Titel in der Fraterkirche. 225 Roggen und Stempel sind mit ihrem Nachnamen nach ERHARD: GedächtnissBuch, S. 98, ergänzt. Der Rektor Borckloe wird nur mit seinem Amtstitel bezeichnet. 226 1558 starb der ebenfalls in der Liste genannte Prokurator Johannes Düker, ERHARD: Gedächtniss-Buch. S. 98. 227 BA Münster, Fraterherren, U 285 (1539. Jan. 4). KOHL: Die Schwesternhäuser, S. 1 8 0 . 228
FRATERHAUS HERFORD 2: S. 2 6 9 f.
229
KOHL: Die Schwesternhäuser. S. 139.
3. Der
Besitzstand
233
mensetzung des Hauses notwendig geworden war, illustriert das Bemühen der Fraterherren um das ihnen übertragene Seelenheil der Stifter, obwohl schon zu dieser Zeit ein Mangel an Priestern vorgeherrscht zu haben scheint. So war für die Stiftung von Johannes Lübbecke kein Priester mehr zugeteilt worden, während der spätere Rektor Heinrich Walgert sowohl mit den Messen für Ludolph Jorges als auch für Gertrudt Heckesdeschen beauftragt war. 230 Nach der Jahrhundertmitte blieben weitere Stiftungen für das münsterische Fraterhaus mit Ausnahme von drei kleineren Vergabungen jedoch weitgehend aus. 231 Wie schon vor der Reformation häufig zu beobachten, 232 handelte es sich bei den Stiftern um miteinander in Kontakt stehende münsterische Domkleriker. Theodericus Ketteier 233 war seit 1518 Domküster und starb 1558. Er hatte schon seit langem Verbindung mit dem Fraterhaus, dem er 1524 das Gut Grumsmühlen bei Lingen verkaufte. 2 3 4 Noch kurz vor seinem Tod vereinbarte er mit den Brüdern, daß diese in der Stadt weilende Franziskaner-Observanten für die Dauer ihres Aufenthaltes beherbergten. 235 Unter Kettelers Exekutoren befand sich der Domdekan Georg Hatzfeld, 236 der in der Wohltäterliste des Fraterhauses unmittelbar folgt. Hatzfeld hatte 1556 einen Freibrief für Bernd Oisthuß ausgestellt, damit dieser im Fraterhaus Geistlicher werden konnte. 237 Neben vielen Legaten für andere Konvente hinterließ er auch dem Fraterhaus 10 fl. Der letzte noch verzeichnete benefactor war der Domherr Johannes Morrien, 238 Bruder des Dompropstes Sander Morrien und seit 1557 Domsenior, der ebenfalls als Exekutor Hatzfelds aufgetreten war. Für ihn ist 1538 ein Aufenthalt im Mester-Geerts-Huis in Deventer nachweisbar. 239 Morrien starb wie Hatzfeld noch 1562. Mit ihnen scheint die Reihe der Domkanoniker versiegt zu sein, die schon vor dem Aufkommen der neuen Lehre in Münster lebten und in der Tradition ihrer Vorgänger weitgestreute Legate an eine Vielzahl von Empfängern vergaben, um ihr Seelenheil zu sichern. Ihre Nachfolger dagegen treten im Gedächtnisbuch der Fraterherren nicht mehr
230
STA Münster. Msc. I, 79, fol. 49.
231
ERHARD: G e d ä c h t n i s s - B u c h . S. 1 2 3 .
232
S. oben. S. 214-216. KOHL: Domstift Münster 2. S. 229 ff. BA Münster, Fraterherren, U 276 (1524, Okt. 5). BA Münster, Fraterherren, A 248 (1558, Jan. 25). KOHL: Domstift Münster 2. S. 132 ff. BA Münster, Fraterherren, U 311 (1556, Jan. 18). KOHL: Domstift Münster 2. S. 594 ff. KOHL: Domstift Münster 2. S. 595.
233 234 235 236 237 238 239
234
IV Die Existenz unter den Bedingungen der
Glaubensspaltung
auf. Mit der Ausnahme des Domherren Johannes Nagel blieben weitere Legate aus. 240 Die dargestellte Entwicklung stimmt überein mit der allgemeinen Veränderung im Stiftungsverhalten münsterischer Bürger. 241 Die tendenzielle Abnahme der traditionellen Kommendationsformeln und Legate an den katholischen Klerus nach der Wiedertäuferzeit führte seit der Jahrhundertmitte zu einem Tiefpunkt. 242 Besonders reiche Meßstiftungen blieben selten. Die nicht mehr unangezweifelte Wirksamkeit der traditionellen Rückversicherung für das Seelenheil in Memorien und Seelmessen bewirkte eine insgesamt nachlassende Stiftungstätigkeit. 243 Auch wurden bis zu dem Eintreffen der Jesuiten, mit der die katholische Erneuerung in der Stadt wieder größere Erfolge zeitigte, die Männerklöster bedeutend weniger und mit abnehmender Häufigkeit als die Pfarrgeistlichen für die Sorge um das Seelenheil herangezogen, 244 wovon die Fraterherren mit betroffen waren. Die Fratres verschwanden, einhergehend mit der zunehmenden Verkleinerung der Gemeinschaft, zusehends aus dem Blickfeld der katholischen Gläubigen Münsters und wandten sich mehr und mehr ausschließlich der Betreuung der Schwestern vom Gemeinsamen Leben zu. Köln Die Verbreitung der neuen Lehre in Köln und deren Folge für die allgemeine Frömmigkeit in Stadt und Region fanden auch in der rheinischen katholischen Metropole einen eindeutigen Niederschlag in der Stiftungstätigkeit der Einwohner. 245 Während von 1500 bis 1519 insgesamt noch 17 Stiftungen belegt sind, waren es von 1519 bis 1549 lediglich vier, von 1550 bis 1574 nur neun Vergabungen an das Fraterhaus. Die nach 1550 wieder gestiegene Anzahl ist durch die erhöhte Stiftungsfreudigkeit (6) der Jahre
240
BA Münster. Fraterherren, A 2, fol. 387-390 (1579. Sep. 20). Die Exekutoren übergaben Rektor Caspar Voerst 200 Taler. Von weltlichen Stiftern erhielten die Brüder noch zwei Vergabungen, s. ERHARD: Gedächtniss-Buch, S. 125, von der Witwe Johannes Grolles (1579), und BA Münster, Fraterherren. A 2, fol 38-41 (1587, Aug. 3) von Catharina von Münster. 241 HSIA: Gesellschaft und Religion in Münster, S. 186-210. 242 HSIA: Gesellschaft und Religion in Münster. S. 188-192. 243 HSIA: Gesellschaft und Religion in Münster, S. 191. Zudem waren die Kosten einer Meßstiftung hoch. Im Fraterhaus zahlte die Witwe von Johannes Grolle im Jahr 1579 200 Reichstaler für eine ewige Messe, s. ERHARD: Gedächtniss-Buch, S. 125. Dies war vergleichsweise billig, s. HSIA: Gesellschaft und Religion in Münster, S. 206 f. 244 HSIA: Gesellschaft und Religion in Münster. S. 192 f. 245 Vgl. zum folgenden die Angaben bei LÖFFLER: Das Gedächtnisbuch des Kölner Fraterhauses Weidenbach, S. 24-42.
3. Der Besitzstand
235
von 1550 bis 1553 zu erklären. Außerhalb dieser Zwischenperiode blieb die Vergabepraxis aber auf niedriger Stufe. Diese Entwicklung ist durch einen allgemeinen Frömmigkeitswandel zu erklären, der durch die Reformation ausgelöst worden ist. 246 Chaix zeigt für die Kartause St.Barbara in Köln eine ähnliche Entwicklung. 247 Im 16. Jahrhundert erhielt die Kartause nur knapp ein Viertel der Stiftungen wie in der Blütezeit im 15. Jahrhundert. Auch ohne daß die Stadt formell durch ihre Obrigkeit die Reformation einführte, verschlechterten sich mit der Verbreitung der neuen Lehre die Existenzbedingungen klösterlicher Gemeinschaften, für die das Institut der Memoria eine wichtige gesellschaftliche Funktion und zugleich auch bedeutende Einnahmequelle war. 248 Hildesheim, Wesel In Hildesheim ist nur noch eine einzige Stiftung während der letzten knapp 80 Jahre des Fraterhauses belegt. Der Magister Henning Pirgallus aus Hildesheim bedachte in seinem Testament neben vielen anderen Empfangern auch die Hildesheimer Fraterherren mit 50 fl. für ein ewiges Anniversar. 249 Der Rektor der Fraterherren war zusammen mit dem Abt von St.Michael als Exekutor des Testamentes eingesetzt. 250 Im Gesamtzusammenhang betrachtet war dies jedoch ein Einzelfall. Für den Zeitraum ab 1530 fehlen weitere Hinweise auf Stiftungen. Mit dem Aufkommen der reformatorischen Lehre trat eine Zäsur im Stiftungsverhalten auch gegenüber dem Weseler Fraterhaus auf. Die Liste der weltlichen und geistlichen Wohltäter der Fratergemeinschaft brach unvermittelt ab. 251 Bei den geistlichen Wohltätern sind die letzten Einträge allesamt vor der Reformation anzusiedeln. Die Vikare der Willibrordskirche in Wesel und Conradus von Haghe, Vikar in Büderich, stifteten Geld-
246 FRANCIS RAPP: Réformes et réformations ä Strasbourg. Église et société dans le diocese de Strasbourg (1400-1525). Paris 1974, S. 398 ff., zeigt dagegen den Beginn des Nachlassens in Straßburg schon im 15. Jahrhundert.
247
CHAIX: Réforme et contre-réforme, S. 25. WILFRIED ENDERLE: D i e katholischen
Reichsstädte im Zeitalter der Reformation und der Konfessionsbildung. In: ZRG KA 1 0 6 ( 1 9 8 9 ) , S. 2 6 2 . 248
So fand auch die spätmittelalterliche Erbauungsliteratur keinen Markt mehr. Die Verleger verzichteten zunehmend auf den Druck entsprechender Werke, SCHMITZ: Buchdruck und Reformation in Köln. S. 144. 249 DOEBNER: Annalen und Akten, S. 289. Abschrift des Testamentes in Dombibliothek Hildesheim. Hs.Ps.ll, fol. 10 v -12 r . 250 1570 legten die Brüder dieses Geld nochmals neu in einer Rente an, s. Dombibliothek Hildesheim, Hs.Ps.12, fol. 36 v -37 r , bei Diderich Stavorde. 251 BA Münster, PfA St.Martini Wesel, A 10, fol. 41 v -42 v , und 44 v -47 v .
236
IV. Die Existenz unter den Bedingungen der Glaubensspaltung
beträge zwischen 20 und 60 fl. für Memorien in der Fraterherrenkapelle. Der drittletzte Eintrag ist auf 1498 datiert. 252 Ähnlich ist die Situation bei den Wohltätern aus dem Laienstand. Die letzte datierte Stiftung stammt aus dem Jahr 15 1 9. 253 Auch urkundlich sind keine Legate mehr belegt. 254 Die Fraterherren haben seit der Verbreitung lutherischen Gedankenguts am Niederrhein keine Stiftungen mehr empfangen. 2 5 5 Die ökonomischen Auswirkungen der Glaubensspaltung waren damit für die Fraterhäuser in allen Gemeinschaften des Münsterischen Kolloquiums von einschneidender Natur. Der Grad der Existenzgefährdung war dabei abhängig von der äußeren religionspolitischen Einbettung der Häuser. Während in den katholischen Städten Münster und Köln nach den ersten Unruhen eine Rekuperation des Besitzstandes, wenn auch auf niedrigerem Niveau als vor der Reformation, gelang, konnten die Fraterherren in den lutherischen Städten Hildesheim und Wesel einen sukzessiven Verlust ihrer Einkünfte nicht verhindern. In Herford wiederum, wo sich das Fraterhaus in konfessioneller Übereinstimmung mit der Stadt befand, ist eine ökonomische Krise nicht zu erkennen. Die Entwicklung gleicht damit der des Personalbestandes, für die ebenfalls das Verhältnis zum näheren und regionalen Umfeld entscheidend war. Die stark auf den Rentkauf, die Verpachtung und den Handel ausgerichtete Wirtschaftsweise der Brüder bedingte hier ebenfalls eine Abhängigkeit von den Geschäftspartnern in Stadt und Land. Die sozioökonomische Basis der Fratergemeinschaften wurde so durch die Reformation und die auf sie folgenden religionspolitischen Auseinandersetzungen entscheidend geschwächt und trug in großem Maße zum Nieder- beziehungsweise Untergang der Fratergemeinschaften bei.
252
DRAHT: Sankt Martini Wesel. S. 59, Johannes Swynenbraet senior. Henrica Wust, BA Münster, PfA St.Martini Wesel, A 10. fol. 46 r . 254 Die Urkunde von 1540, Okt. 29, über eine Erbrente für Fyken Amelongh bekundet nur einen schon früher geschlossenen Kontrakt, BA Münster, PfA St.Martini Wesel, A 1, 10. 255 Außerhalb von Wesel waren dagegen durchaus noch die Voraussetzungen gegeben, um als Empfanger von Vergabungen in Erscheinung zu treten. So wurde derjenige Fraterherr, der die Johannis-Vikarie in Kalkar verwaltete, noch 1553 von dortigen Wohltätern zusammen mit dem Magistrat als Exekutor einer Stiftung eingesetzt, die zur Versorgung armer Mägde bestimmt war, BA Münster, PfA St.Nicolai Kalkar, A 6, fol. 72 r -73 r . 253
4. Bemühungen um die Reorganisation der Fraterbewegung durch das münsterische Brüderhaus Zum Springborn Das Fraterhaus Zum Springborn hatte als die älteste deutsche Brüdergemeinschaft eine fuhrende Stellung im Münsterschen Kolloquium inne, obwohl es im ausgehenden 15. Jahrhundert seine Bemühungen um eine Zentralisierung aller Fraterhäuser in einer Union nicht in der ursprünglich angestrebten Form hatte realisieren können. 1 Die Bewahrung eines gemeinschaftlichen Bewußtseins der norddeutschen Brüder war in den Unruhen nach dem Auftreten der neuen Lehre jedoch eine wichtige Voraussetzung für das Überleben der einzelnen Fraterhäuser. Nur eine intakte Gruppenidentität der Brüder vom Gemeinsamen Leben konnte im überregionalen Rahmen gegenseitige Hilfe gegen äußere Unterdrückung und das Aussterben der Häuser sowie gegebenenfalls eine konfessionelle und sittliche Korrektur ermöglichen. Die bruchstückhafte Überlieferung des BriefVerkehrs, den das Fraterhaus Herford während des 16. Jahrhunderts mit den anderen Brüdergemeinschaften pflegte, belegt einen kontinuierlichen Informationsaustausch. 2 In bedrängter Situation beriefen sich die Gemeinschaften zum Schutz vor äußeren Gewalten auf verschiedene rechtliche Vereinbarungen, die unter den Häusern getroffen worden waren. Die Brüder in Herford von 1436 mit den Häusern in zogen so 1539 die unio et confoederatio Münster, Köln und Wesel heran und nannten auch das Münstersche Kolloquium beziehungsweise die Rektoren in Münster und Hildesheim als Vorgesetzte der eigenen Gemeinschaft. 3 In Hildesheim suchte dagegen der Rektor Johannes Engelken Schutz durch die Anführung der Union von 1499. 4 Spätestens mit der Verschlechterung der Existenzbedingungen in Reformation und Konfessionalisierung kam eine regelmäßige Versammlungspraxis der Häuser, die nicht einmal für das frühe 16. Jahrhundert belegbar ist, zum Erliegen. Das Fraterhaus Münster fungierte im Verlauf des Jahrhunderts jedoch als Koordinationszentrale der Brüderhäuser und dirigierte zum Teil unmittelbar das Verhalten der anderen Gemeinschaften. Die Stärkung der Zentrale war in den Wirren der Glaubensspaltung eine typische Erscheinung, mit der die Oberen auch in den Orden den Schwie-
1 2
S. oben, S. 36-39. STA Münster. Msc. VII, 3307, 1-10. Briefe von 1507 bis 1560. s. die Übersicht
v o n L e e s c h . FRATERHAUS HERFORD 1: 178. 3
FRATERHAUS HERFORD 1: S. 1 3 5 . Z u r unio
4
Dombibliothek Hildesheim, Hs.Ps.ll, fol. 48 r .
v o n 1 4 3 6 e b d . . S. 5 1 ff. ( 1 4 3 6 , Okt. 9).
238
IV. Die Existenz unter den Bedingungen der
Glaubensspaltung
rigkeiten der Zeit begegneten. 5 Im Falle Münsters erlaubten die günstigen Rahmenbedingungen der Rekatholisierung der Stadt nach 1535 ein solches Wirken des Fraterhauses. Neben dem Briefverkehr wurde die Verbindung unter den Häusern noch durch Visitationen und Personalaustausch gewährleistet.
4.1. Personelle
Hilfeleistungen
Die wichtigste Funktion des Fraterhauses Münster bestand in der Entsendung von Fraterherren in personell stark geschwächte Gemeinschaften, um das jeweilige Überleben der Häuser sicherzustellen. Zumeist wurden dabei Angehörige des Hauses Zum Springborn entsandt. Die Unterstützung der gefährdeten Fratres in Wesel setzte schon in den vierziger Jahren des 16. Jahrhunderts ein, denen der neben Johann Holtmann geistig führende Bruder der Gemeinschaft, Theodericus Bredevort, 6 zugewiesen wurde. Vermutlich ging er nach dem Tod des Rektors Hermann Dülmen 1545 nach Wesel, 7 um an dessen Stelle die Leitung des Hauses zu übernehmen, und wirkte hier bis 1548. Noch 1550, nachdem er schon zwei Jahre als Rektor in Herford tätig war, unterrichtete ihn der münsterische Rektor Johann Krampe von der Bestätigung Hermann Ruistvelts aus Dorsten als Rektor des Hauses St.Martini in Wesel. 8 Die Tatsache, daß diese Bestätigung in ihrem Verlauf dem münsterischen Rektor genau bekannt war, spricht wiederum für eine ständig aufrecht erhaltene Kommunikation unter den westfälischen und niederrheinischen Fratergemeinschaften. Diese verlief maßgeblich über den münsterischen Rektor Johann Krampe, der die dominierende Gestalt der deutschen Fraterbewegung um die Mitte des 16. Jahrhunderts war und mit seinen Hilfsaktionen unmittelbar auch die anderen norddeutschen Hausgemeinschaften mitlenkte. Auch innerhalb der münsterischen Kirche hatte er eine hervorgehobene Stellung inne. So wurde er von Bischof Franz von Waldeck 1551 zusammen mit Weihbischof Johannes Kridt und Ofifizial Konrad von Wesel nach Bonn entsandt, um mit den Bischöfen der Kölner Provinz über die Teilnahme am Konzil von Trient zu 5 ZIEGLER: Die Bursfelder Kongregation, S. 58 f. SEIBRICH: Gegenreformation als Restauration. S. 21-30, stellt vergleichbare Bemühungen zusammen. Eine gut funktionierende Organisation wurde meist erst wieder im 17. Jahrhundert erreicht. 6 Bredevort nahm mit Holtmann an den Disputationen in Münster 1532/1533 teil. s. STUPPERICH: Die Schriften Bernhard Rothmanns. S. 95. 7 DRAHT: Sankt Martini Wesel. S. 107. 8 STA Münster, Msc. VII, 3307, 5. Dieser hatte in Gegenwart der Brüder Johannes Hoynck und Wolter von Kalkar eine Bilanz der Fraterwirtschaft vorgelegt.
4. Die Reorganisation der Fraterbewegung
239
beraten. 9 Auch die münsterische Hausgemeinschaft selbst erlebte unter Krampe einen neuen Aufschwung nach der Wiedertäuferzeit. Neben der allmählichen personellen wie materiellen Rekuperation verhalf Krampe der Kirche der Fraterherren zu neuer Pracht, indem er sie mit fünf Tafelbildern von Hermann ton Ring ausstatten ließ und ein neues Sakramentshäuschen anschaffte. 10 Parallel zu der Entwicklung in Wesel kam es seit der Mitte der vierziger Jahre unter der Führung von Johannes Krampe auch zu energischen Bemühungen um die Absicherung des Herforder Fraterhauses. Während die Herforder Rektoren von 1529 bis 1548, Gerhard Wilskamp und Gerhard Decker aus Roggel, ohne Beteiligung der Visitatoren des Münsterschen Kolloquiums gewählt worden waren, 11 reagierte Krampe 1548 schnell auf ein Hilfegesuch der Herforder Brüder um die Neubesetzung des leitenden Hausamtes und entsandte Theodericus Bredevort von Wesel nach Herford. 12 Dieser war offenbar schon zuvor einige Zeit auf dem Varenkampinghof gewesen, da die Herforder gerade ihn wegen seiner Vertrautheit mit den lokalen Verhältnissen wünschten. 13 Bredevort scheint somit zwischen den Fraterhäusern gependelt zu sein. 1549 fragte er in Münster nach der Existenz der Meßgewänder und Urkunden, die von seinem Vorgänger zur Verwahrung übergeben worden waren. 14 Vor seinem Tod 1550 gelang ihm die Konsolidierung des Herforder Hauses, indem er vier neue Brüder aufnahm und so für eine sichere personelle Grundlage sorgte. 15 Als neuer Leiter des Hauses wurde 1550 Johannes Becker ebenfalls aus Münster entsandt. Auch seine Amtszeit währte nur kurz, da er sich vom Brüderleben abwandte und 1552 Prädikant in Detmold, später Pastor in Horn wurde. 16 9 SCHRÖER: Das Tridentinum und Münster. In: Schreiber. Das Weltkonzil von Trient 2. S. 301. 10 MAX GEISBERG: Die Bau- und Kunstdenkmäler von Westfalen 41. 1. Die Stadt Münster. Münster 1932, S. 319 f. Hermann ton Ring war der bedeutendste Künstler Münsters in der Zeit der ersten Rekatholisierungsbemühungen um die Mitte des 16. Jahrhunderts. Noch dem traditionellen, vorreformatorischen Katholizismus verbunden, führte er eine Vielzahl von Gemälden im Auftrag des münsterischen Klerus aus, vgl. HSIA: Gesellschaft und Religion in Münster. S. 167 f. 11 Zur Wahl Wilskamps FRATERHAUS HERFORD 1: S. 1 7 7 . Zu Roggel heißt es in der Rektorenliste wie bei Wilskamp „...ab Anna von Lymbourg electus est... ", FRATERHAUS
HERFORD 2: S. 3 9 . 12
FRATERHAUS HERFORD 2: S. 2 6 9 f.
13
Der Herforder Prokurator Heinricus Doetinchen hat zudem in Briefkontakt mit Bredevort in Wesel gestanden, FRATERHAUS HERFORD 2: S. 5 3 . 14
FRATERHAUS HERFORD 2: S. 4 9 .
15
FRATERHAUS HERFORD 2: S. 3 9 .
16
FRATERHAUS HERFORD 2 : S. 5 1 .
240
IV. Die Existenz unter den Bedingungen der
Glaubensspaltung
Schon vor der Entsendung von Bredevort in das Herforder Fraterhaus waren andere Brüder aus Münster nach Herford gekommen. So hatte der Bruder Hermann Vornheide, der aus Nortwalde stammte und 1546 zusammen mit dem Bruder Henricus Etlen in Herford eintrat, 17 1544 einen Freibrief des Mauritzstiftes zu Münster erhalten, um Fraterherr zu werden und wurde vermutlich nach Herford vermittelt. 18 Er trat in den fünfziger Jahren verschiedentlich als Prokurator des Herforder Hauses auf. 19 1557 wurde ein neuer Anlauf aus Münster unternommen, die Herforder Gemeinschaft innerhalb der Fraterbewegung zu erhalten. Johann Krampe nahm persönlich in Herford zwei Mitglieder auf und ließ Johannes Wachtendonck, einen der beiden, zum neuen Rektor wählen. 2 0 Zuvor waren offenbar Eintritte in die Brüdergemeinschaft in Ermangelung eines Rektors nicht durchgeführt worden, da Wachtendonck schon seit fünf Jahren auf dem Varenkampinghof lebte. 21 Während seines Rektorates kam zusätzliche personelle Hilfe auch aus Deventer. Zwei Brüder, Guilelmus Borkensis und Johannes Eltensis, zogen aus dem dortigen Fraterhaus nach Herford und traten hier 1562 bei. 22 Auch die beiden nachfolgenden Herforder Rektoren, Wilhelm Crüdering 2 3 und Johannes Buck, beide aus Borken, wurden unter der Beteiligung des münsterischen Rektors gewählt. 2 4 Erst danach fehlt seit der Wahl Ewald Tegeders 1587 jeder Hinweis auf die weitere Hinzuziehung anderer Fraterhäuser in das Herforder Geschehen. Das Haus auf dem Varenkampinghof war nun zunehmend von der restlichen Fraterbewegung isoliert und wurde im 17. Jahrhundert eine Sinekure der Herforder Äbtissin. Die münsterischen Bemühungen um den Fortbestand sowie der Vollzug der Neuaufnahmen illustrieren jedoch die Verbundenheit des Herforder Hauses mit dem Münsterschen Kolloquium noch in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Der Varenkampinghof verfügte in dieser Zeit über aus-
17
FRATERHAUS HERFORD 2 : S. 3 9 .
18
FRATERHAUS HERFORD 1: S. 138 (1544; Okt. 10). Im Archiv des Fraterhauses Münster finden sich für die selbe Zeit vergleichbare Freibriefe, so daß die Vermutung einer Vermittlung Vornheides nach Herford naheliegt, s. BA Münster, Fraterherren, U 297 (1546, Nov. 10), U 299 (1547, Dez. 23), U 306 (1552, Mär. 24), U 308 (1553, Sep. 28), U 311 (1556, Jan. 18). 19
FRATERHAUS HERFORD 1: S. 182. A u c h ebd., S. 146 f. ( 1 5 5 6 , Mär. 4).
20
FRATERHAUS HERFORD 1 : S. 4 0 .
21
FRATERHAUS HERFORD 1: S. 5 1 .
22
FRATERHAUS HERFORD 1: S. 40. 1565 verkaufte das münsterische Fraterhaus zudem drei hochdotierte Rentbriefe an die Herforder Brüder, ebd.. S. 150 f. 23 Er wurde 1570 Prediger an der Herforder Münsterkirche, s. FRATERHAUS HERFORD 1: S. 19 ( W . L e e s c h ) . 24
FRATERHAUS HERFORD 1: S. 4 0 .
4. Die Reorganisation
der
Fraterbewegung
241
reichendes Personal. 25 Die Bindung an das Haus Zum Springborn ging erst in der konfessionellen Verfestigung des späten 16. Jahrhunderts verloren, als sich mit Margarete II. zur Lippe auch die Äbtissin des Herforder Reichsstiftes dem neuen Glauben zuwandte. In Hildesheim haben ähnliche Hilfeleistungen aus Münster erst mit dem fast vollständigen Absterben der Hausgemeinschaft eingesetzt. 2 6 Nach dem Tod des Rektors Bernward Wever im Jahr 1566 entsandte das Haus Zum Springborn den Bruder Arnold Udense, 2 7 der jedoch schon bald wieder in sein Stammhaus zurückkehrte. An seiner Stelle wurde als neuer Rektor Bernhard Wedemann aus Beckum abgeordnet, der erstmals 1568 im Amt belegt ist. 28 Auf dem Hildesheimer Lüchtenhof war jedoch in der Folge wieder eine kleine Gemeinschaft existent, die 1573 Henning Balhorn aus Söhre zum Rektor wählte. 2 9 Der Kontakt zwischen den Häusern in Hildesheim und Münster scheint im folgenden nicht mehr abgerissen zu sein. In der bedrohlichen Situation des Jahres 1588, als neben die ohnehin problematische Einbettung in die protestantische Stadt noch der starke Druck des neu geschaffenen Geistlichen Rats von Bischof Ernst trat, liegt wieder ein Hinweis darauf vor, daß münsterische Fraterherren an der Aufrechterhaltung des Lüchtenhofes persönlich teilhatten, 30 da der Hildesheimer Rektor Johann Engelken dem aus Münster gekommenen Bruder Johannes Remmelink gestattete, zur Erledigung von Geschäften in die Heimat zu ziehen. 31 Engelken bat zugleich in Münster angesichts der geringen Brüderzahl um die Entsendung von „...illum
aut alium confratrem...
", 3 2 bis es ihm selbst g e l u n g e n sei, a n d e r e
geeignete Personen zu werben und aufzunehmen. Er berief sich hierbei auf die Union von 1499, in der sich die Fraterhäuser zur gegenseitigen Hilfeleistung verpflichtet hatten. Die personelle Lage des Lüchtenhofs blieb aber weiter angespannt. Zwar gelang es Engelken, 1589 und 1590 insgesamt
25
1 568 lebten 11 Brüder im Haus. s. FRATERHAUS HERFORD 2: S. 272 f. Möglicherweise weist die Tatsache, daß der Hildesheimer Fraterherr Rodolph 1548 im Fraterhaus Münster starb, auf frühere Kontakte hin, s. DOEBNER: Annalen und Akten, S. 284. 27 Dombibliothek Hildesheim. Hs.Ps.10. fol. l r . BRÜGGEBOES: Die Fraterherren im Lüchtenhofe. S. 29 f. 28 BA Hildesheim. Ps. U 62 (1568, Okt. 18). 29 Dombibliothek Hildesheim. Hs.Ps.10. fol. 356 r -358 r . 30 Dombibliothek Hildesheim. H s . P s . l l , fol. 48 r . Zu den Ereignissen von 1588 s. unten. S. 272 ff. 31 Dieser kehrte nicht nach Hildesheim zurück und wurde später Confessor bei den Süstern in Ahlen, s. ERHARD: Das Gedächtniss-Buch, S. 99. 32 Dombibliothek Hildesheim. H s . P s . l l , fol. 48 r . 26
242
IV. Die Existenz unter den Bedingungen der
Glaubensspaltung
drei Brüder aufzunehmen, zwei von ihnen wandten sich jedoch vorzeitig wieder ab. 33 Zudem kamen die münsterischen Brüder seinem Begehren von 1588 vermutlich nicht nach. Auch 1594 beschieden sie ein erneutes Gesuch des Hildesheimer Fraters Johannes Philipps abschlägig. 34 Philipps hatte nach dem Tod Engelkens um die Abordnung eines neuen Rektors aus Münster gebeten. Der dortige Leiter der Gemeinschaft, Johannes Timmerscheit, verwies jedoch darauf, daß die Brüder im Haus Zum Springborn alle unabkömmlich seien. 35 Er erklärte sich lediglich bereit, an diejenigen Mitglieder der münsterischen Gemeinschaft zu schreiben, die in anderen Brüder- und Schwesterhäusern lebten, um sie zum Übertritt nach Hildesheim zu bewegen. Auch dieses Vorhaben hat in der Folgezeit aber keinen Erfolg gehabt. Johann Philipps leitete selbst bis 1604 das Haus. Sein einziger Mitbruder war der Frater Ulrich Mulmer, bei dem es sich aber wohl kaum um den erbetenen neuen Rektor aus Münster handeln dürfte. Das Fraterhaus St.Martini in Wesel befand sich im letzten Viertel des 16. Jahrhunderts in einem Zustand, in dem eine Auflösung der Gemeinschaft unmittelbar bevorstand. Die Politik des Magistrats, die auf ein Aussterben des altgläubigen gemeinschaftlichen Lebens in der Stadt zielte, zeitigte Erfolge. Ebenso wirkte sich die weite Verbreitung des Protestantismus am Niederrhein ungünstig aus, da geeigneter Nachwuchs ausblieb. 36 Das Fraterhaus Münster griff seit dem letzten Drittel des 16. Jahrhunderts auch in Wesel zu der Entsendung von Brüdern aus dem Haus Zum Springborn, um das Rektorenamt zu versehen. Die Rektoren Hermann Vornheide und Theodor Hanso kamen wie ihre Nachfolger aus Münster 3 7 und ordneten die zerrütteten Verhältnisse in sittlicher und konfessioneller Hinsicht neu. Hermann Vornheide hatte nach seiner Zeit in Herford auch dem münsterischen Haus Zum Springborn als Rektor vorgestanden. 3 8 Er war dort 1560 auf Pater Heinrich Walgert gefolgt und wurde später von Heinrich Sluiterman abgelöst. Neben den Rektoren kamen in dieser Zeit weitere sechs Fraterherren aus Münster. 3 9 Diese Personal-Implantationen sorgten
33
Dombibliothek Hildesheim. Hs.Ps.ll, fol. 44 r . StA Hildesheim. 100/91. Nr. 64 (1594. Feb. 23). 35 Als Begründung führt Timmerscheit zusätzlich an. daß der Rektor in Münster verstorben sei. Dies lag jedoch nach dem Gedächtsbuch schon über ein halbes Jahr zurück, s. ERHARD: Gedächtniss-Buch, S. 98. 36 KESSEL: Reformation und Gegenreformation im Herzogtum Cleve. S. 19 f. und S. 31 f. GOETERS: Die konfessionelle Entwicklung. S. 150 ff. 37 DRAHT: Sankt Martini Wesel. S. 107 f. 38 MFVC 2: S. 198. 39 DRAHT: Sankt Martini Wesel. S. 108. 34
4. Die Reorganisation
der
Fraterbewegung
243
dafür, daß das Fraterhaus Wesel im 17. Jahrhundert wieder einen Zustand erreichte, der zusammen mit den Dominikanern die Seelsorge für die altgläubige Weseler Restgemeinde erlaubte. 40 Angesichts der geringen Zahl von Brüdern und der Hinwendung zur Seelsorge wird sich auch der Charakter des Hauses verändert haben. Zwar wurde das Fraterhaus nicht durch die Aufteilung des Besitzes in einzelne Präbenden in ein kleines Stift umgewandelt, in der alltäglichen Wirklichkeit wird man das Leben der Brüder aber mit den Aufgaben einer solchen Institution vergleichen können. 41 Angesichts der Herkunft aller Fraterherren in Wesel aus der Stadt Münster oder aus Westfalen kann man das Fraterhaus St.Martini im 17. Jahrhundert als seelsorgerische Wirkungsstätte westfälischer Priester beschreiben, die vermutlich über das Mutterhaus Zum Springborn an den Niederrhein geleitet worden sind. Die seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts übliche Zahlung von Statuten- oder Aufnahmegebühren entsprach ebenfalls der Praxis eines Eintritts in ein Stift, wobei der aufgebrachte Betrag in etwa dem Preis eines Platzes in einem kleineren Kapitel glich. 42 Der Personalaustausch unter den Häusern sorgte so zusammenfassend unter der Regie der münsterischen Brüder ftir die Fortexistenz eines lebendigen Gemeinschaftsbewußtseins unter den Fraterhäusern. In den Situationen höchster Gefahr retteten die entsandten Brüder zunächst die Häuser in Hildesheim, Herford und Wesel, wobei in Herford der Kontakt im späten 16. Jahrhundert abbrach und das Haus aus der Fraterbewegung ausschied.
4.2. Rechtliche Schutzinstrumente
gegen äußere
Bedrohung
Neben der personellen Hilfestellung durch das Fraterhaus Zum Springborn in Münster nutzten die Brüdergemeinschaften auch verschiedene rechtliche Konstruktionen, um sich gegenseitig Schutz vor der Aufhebung durch die protestantischen wie später auch die katholischen Obrigkeiten zu gewähren. Enge Anlehnung an das münsterische Haus Zum Springborn und die anderen Fraterhäuser suchten während der Reformationszeit vor allem die Herforder Brüder. Die lutherischen Prädikanten Herfords nahmen dies 1532 zum Anlaß, die Fratres auf dem Varenkampinghof wegen ihres Kontaktes zu den Altgläubigen anzuklagen, da der Rektor Gerhard Wilskamp
40
DRAHT: Sankt Martini Wesel, S. 85. Draht sieht diesen Zustand allerdings schon früher als gegeben an. 41 ULRICH SIMON: Der Eintritt in das Fraterhaus St.Martini. Statuten und Urkunden. In: 550 Jahre St.Martini, S. 27. 42 SIMON: Der Eintritt in das Fraterhaus St.Martini, S. 25 f.
244
IV. Die Existenz unter den Bedingungen der
Glaubensspaltung
die Bekenntnisschrift Grundt des Fraterleuendes zur Begutachtung nach Münster und Hildesheim gesandt hatte. 43 1539 schien die gewaltsame Auflösung des Hauses unmittelbar bevorzustehen. Die Auseinandersetzungen mit dem Prädikanten der Herforder Neustadt, Jodocus Deterding, erreichte einen für die Brüder existenzgefährdenden Höhepunkt, als Deterding ihnen Abweichungen in der Lehre vorwarf. 4 4 Die Herforder Brüder beugten in dieser Situation der Aufhebung ihres Hauses vor, indem sie ihre Güter vorbehaltlich der eigenen Nutzung für die Dauer ihrer Fortexistenz den Gemeinschaften in Münster, Köln, Wesel und Hildesheim überschrieben. 45 Damit waren bis auf die Gemeinschaft in Rostock alle noch existenten Fraterhäuser des Münsterschen Kolloquiums als Treuhänder des Herforder Besitzes eingesetzt. Für den Fall ihrer Vertreibung reservierten die Herforder Fratres die Einkünfte aus ihren Renten für die weitere Versorgung der Hausmitglieder. Bei Aussterben der Gemeinschaft sollten die Erträge in Verwahrung der genannten Häuser bleiben, um damit eine spätere Wiederaufrichtung ihres Standes in Herford zu unterstützen. Erst wenn nach zehn bis zwölf Jahren dieses Unterfangen hoffnungslos erschiene, war eine anderweitige Verteilung der Renteinkünfte vorgesehen. Dabei sollten zwei Fünftel des Gesamtbetrages an die Armen der Stadt Herford gehen, 46 da die Brüder hier lange Zeit den Schutz und Schirm der Obrigkeit genossen hatten. Zwei weitere Fünftel sollten denjenigen Städten zufallen, an die die Brüder ihre Rentbriefe verkauft hatten, um wie in Herford für die Armen verwandt zu werden. Der verbleibende fünfte Teil wurde zur Vergütung der Unkosten der anderen Fraterhäuser und zur Verteilung auf dem Münsterschen Kolloquium bereitgestellt. 47 Mit diesen Bestimmungen versuchten die Herforder Brüder, ihr gemeinsames Leben und ihren Besitz gegen äußere Zugriffe abzusichern. Die Überschreibung entzog die Hausgüter dem direkten Zugriff der Stadt, da nun die für den Herforder Rat unerreichbaren Fraterhäuser des Kolloquiums als Rechtsvertreter der Brüder auf dem Varenkampinghof auftreten
43 FRATERHAUS HERFORD 2: S. 252 f. Eine kürzere Fassung war zudem für den Pater der Süstern in Oldendorp bestimmt, s. FRATERHAUS HERFORD 2: S. 161 (Stupperich). 44 S. oben, S. 174 f. 45
FRATERHAUS HERFORD 1: S. 1 3 3 f. ( 1 5 3 9 , M a i 2 3 ) . A u c h i n D o m b i b l i o t h e k H i l -
desheim, Hs.Ps.12, fol. 102 V ff. 46 Für den Fall einer gewaltsamen Vertreibung jedoch nur ein Fünftel, Dombibliothek Hildesheim, Hs.Ps,12, fol. 133 f. 47 Dombibliothek Hildesheim. Hs.Ps, 12. fol. 133 f. Das Fraterhaus selbst und seine Einrichtung sollten dem Kapitel von St.Johann und Dionys in Herford zur vorläufigen Verfügung gestellt werden.
4. Die Reorganisation
der
Fraterbewegung
245
konnten. Die Bestimmung der Einkünfte für die Armen und Bedürftigen sorgte für eine weitere Verwendung ad pios usus in denjenigen Städten, auf die die Brüder sich vor allem ökonomisch gestützt hatten. Falls die Ausführung dieser Vorgaben auf Schwierigkeiten stieße, sollte über die genannten Häuser hinaus auch die Hilfe des „...capitels to Deventer... " 4 8 in Anspruch genommen werden. Die Verbindung zu und das gemeinschaftliche Bewußtsein mit den anderen Häusern des Münsterschen Kolloquiums gehörte damit bei den Herforder Brüdern trotz ihres Bekenntnisses zu Luther weiterhin zu ihrem Selbstverständnis. Die Gefahr des baldigen Untergangs blieb auch in der Folgezeit präsent. Der Herforder Rektor Gerhard Roggel verbrachte wenig später die Urkunden und Kleinodien des Hauses zur Verwahrung in das Haus Zum Springborn nach Münster. 4 9 Die Meßgewänder der Herforder Brüder waren zum Teil noch 1565 im münsterischen Fraterhaus, während sie ihre Rentbriefe und Urkunden um 1560 zurückholten. 5 0 Auch in Rostock griffen die Brüder 1557 zum Instrument der Besitzübertragung, um ihr Haus vor dem Zugriff der Stadt abzusichern. 51 Dies geschah auf direkte Anweisung des münsterischen Rektors Johann Krampe, der die Transaktion auch mit dem Siegel des Hauses Zum Springborn beglaubigte. 52 Der Rektor Heinrich Arsenius und die drei noch im Haus lebenden Fraterherren stellten für Bernhard Kroen, Sohn des gleichnamigen Rostocker Bürgermeisters, aufgrund dessen treuer Dienste ein Konservatorium aus. Für die Dauer der Fortexistenz des Fraterhauses wurde ein Nutzungsvorbehalt zugunsten der Brüder festgeschrieben, Kroen und dessen Erben ansonsten aber in „...vullenkommen possession und wercklicke best t... " 53 der Fratergüter gesetzt. Mit dem Konservatorium waren vor allem zwei Aufgaben verbunden: die Gebäude der Fratres instandzuhalten und etwaige Ansprüche der Stadt falls nötig vor Gericht abzuwehren. 5 4 In direktem Widerspruch zu dieser Überschreibung stellten die Fratres 1559 jedoch auch für die Stadt eine Urkunde aus, in der sie dieser alle Güter überließen, vorbehaltlich wiederum der eigenen Nutzung auf
48
FRATERHAUS HERFORD 1: S. 1 3 5 .
49
FRATERHAUS HERFORD 1: S. 5 2 .
50
FRATERHAUS HERFORD 1: S. 1 8 6 .
51
LISCH: Geschichte der Buchdruckerkunst in Mecklenburg, S. 267-271, Nr. 26
( 1 5 5 7 . Jun. 2 3 ) . 52 53 54
LISCH: Geschichte der Buchdruckerkunst in Mecklenburg, S. 270 f. LISCH: Geschichte der Buchdruckerkunst in Mecklenburg, S. 270. LISCH: Geschichte der Buchdruckerkunst in Mecklenburg, S. 269.
IV. Die Existenz unter den Bedingungen der
246
Glaubensspaltung
Lebenszeit. 55 Zugunsten der Stadt wurde das Konservatorium für Kroen nur für die Dauer des Fortlebens von Fraterherren in Rostock als gültig bezeichnet, obwohl dessen Vollmachten „...nha unseren doitlichen a f f gange... " 5 6 1557 noch genau beschrieben worden waren. Vermutlich mußten sich die Brüder dem Druck der Stadt beugen, die die Güter des Hauses einziehen wollte. Gegen Bernhard Kroen, der die Ansprüche der Stadt gemäß der Anweisung seines Konservatoriums anfocht, stützte sich der Rat vor allem auf die Tatsache, daß die Fratergüter nicht verkauft und zu weltlichen Zwecken genutzt werden könnten, und behauptete zudem ein Recht als Patronatsherr. 57 Noch in ihrer Überschreibung an Kroen hatten sich die Fraterherren darauf berufen, daß sie ihr Haus vollständig auf eigenes Geld und selbständige Arbeit gestützt hätten, 5 8 woraus sie eine freie Verfügungsgewalt über den Grünen Hof, auf dem sie ihr Haus errichtet hatten, ableiteten. 1559 wurde der Besitz der Brüder dagegen als unentziehbares Stiftungsvermögen definiert, das es nach protestantischem Verständnis in Rückführung zu seiner eigentlichen Bestimmung in der lutherischen Stadtkirche für neue Aufgaben zu nutzen galt. 59 Die Brüder erklärten nun, ihr Haus durch
almissen beide binnen unde buten der Stadt Rostock von fr amen gotfrüchtigen lüden... " 6 0 errichtet zu haben, so daß dieses nach dem Aussterben der Gemeinschaft bei der Stadt verbleiben solle. Diese wurde daher in den Besitz der Güter des Fraterhauses gesetzt, um sie zum gemeinen Besten zu verwenden. Der Rektor Arsenius, der 1560 mit seinem letzten Mitbruder Gerard Dunckradt vor den Rat geladen wurde, mußte die Schlüssel an den Bürgermeister Hinrich Gultzow übergeben, und sollte sich der Unterstützung Bernhard Kroens enthalten. Für die stiftungsgemäße Verwendung der Fratergüter im protestantischen Sinne wurden noch im selben Jahr alle Maßnahmen getroffen, als der Rat im Haus der Brüder ein Pädagogium ein-
55 LISCH: Geschichte der Buchdruckerkunst in Mecklenburg, S. 271-273. Nr. 27 (1559. Okt. 8 ). 56 LISCH: Geschichte der Buchdruckerkunst in Mecklenburg, S. 269. 57 LISCH: Geschichte der Buchdruckerkunst in Mecklenburg, S. 273-277, Nr. 28
( 1 5 6 0 , Jun. 2 9 ) . 58
LISCH: Geschichte der Buchdruckerkunst in Mecklenburg, S. 273-277. S. hierzu JÖRN SIEGLERSCHMIDT: Territorialstaat und Kirchenregiment. Studien zur Rechtsdogmatik des Kirchenpatronatsrechtes im 15. und 16. Jahrhundert (Forschungen zur kirchlichen Rechtsgeschichte und zum Kirchenrecht 15). Köln, Wien 1987. S. 226 f. 60 LISCH: Geschichte der Buchdruckerkunst in Mecklenburg, S. 271. 59
4. Die Reorganisation der
Fraterbewegung
247
richtete. 6 ' 1563 wurde er in den vollen Besitz des Fraterhofes gesetzt, welcher in der Folge von der theologischen Fakultät der Universität genutzt wurde. 62 Die Intention des münsterischen Rektors Johann Krampe, auf dessen Initiative das Konservatorium für Bernhard Kroen ausgestellt worden war, den Fraterbesitz für eine spätere Wiederaufrichtung der eigenen Lebensform in private Verwaltung zu übergeben, war damit nicht umgesetzt worden. 63 Auch in Hildesheim erfuhr das Fraterhaus im Jahr 1588, als die bischöflichen Räte von Ernst von Bayern den Lüchtenhof zur Errichtung eines Jesuitenkollegs heranziehen wollten, 64 die Unterstützung der Gemeinschaft Zum Springborn in Münster. Nachdem nach inneren Auseinandersetzungen der Rektor seines Amtes entsetzt worden war, 65 bestimmten die Räte den Prokurator Johann Engelken zum Verwalter der Fratergüter und verboten weitere Neuaufnahmen in die Hausgemeinschaft. 66 Das Fraterhaus sah damit in Ermangelung eines gewählten Rektors seinem Ende auf Zeit entgegen. Um dieser Entwicklung vorzugreifen, wandte sich Engelken an die münsterischen Brüder und ließ sich von diesen unter Berufung auf die Union von 1499 zum Rektor wählen. 67 Gegen die Pläne der geistlichen Räte stand damit dem Lüchtenhof wieder ein voll rechtsfähiger Rektor vor, der anders als ein Verweser der Fratergüter seiner Rechte kaum zu entledigen war. Diese Vorgehensweise zur Sicherung der Fortexistenz des Hauses hatte Engelken selbst in Münster vorgeschlagen. Nur durch seine Wahl zum Rektor sah er später den Bestand des Hauses gegen die plurimos inimicos... "6B gewährleistet.
61
LISCH: Geschichte der Buchdruckerkunst in Mecklenburg, S. 278, Nr. 29 (1560, Sep. 23). Der Rektor Arsenius durfte im Haus wohnen bleiben. 1560 sah er aufgrund seines bevorstehenden Todes die Lage als hoffnungslos an, so daß das Haus nicht für lange zu halten sei, STA Münster, Msc. VII, 3307, 10. 62 LISCH: Geschichte der Buchdruckerkunst in Mecklenburg, S. 278 ff. Nr. 30 ( 1 5 6 8 , Jul. 1 5 ) . 63 Der münsterische Pater um 1560. Hermann Vornheide, berichtete die Rostocker Ereignisse brieflich an Herford, STA Münster, Msc. VII, 3307, 10. Das münsterische Gedächtnisbuch nennt Vornheide nicht. Er starb vermutlich in Wesel, wo er ab 1575 ebenfalls als Rektor fungierte. In Vornheide darf man den im Memorienbuch fehlenden 13.Rektor der Gemeinschaft Zum Springborn sehen, s. ERHARD: Gedächtniss-Buch, S. 98. 64 S. näher hierzu unten. S. 272 f. 65 Dombibliothek Hildesheim, Hs.Ps.ll, fol. 42 v . 66 Dombibliothek Hildesheim, Bev. Cod. 1081 (1588, Apr. 23). 67 Dombibliothek Hildesheim, H s . P s . l l , fol. 4 6 v - 4 7 v . Innerhalb der Hildesheimer Gemeinschaft konnte eine Wahl aus Mangel an Personen nicht stattfinden. 68 Dombibliothek Hildesheim. fol. 48 r .
248
IV. Die Existenz unter den Bedingungen der
Glaubensspaltung
1594 wiederholte sich dieser Ablauf unter umgekehrten Vorzeichen. 6 9 Noch am Tag des Todes von Johann Engelken wandte sich der letzte im Haus lebende Bruder, Johannes Philipps, um Hilfe an den Rat der Stadt. 70 Nach Auskunft des Ratsherrn Tilo Brandis fürchtete er Übergriffe des Domdekans und des Geistlichen Rats. 71 Die Bestimmungen von 1588 hatten lediglich die persönlichen Rechte Engelkens, nicht die seiner Mitbrüder im Fraterhaus garantiert. 7 2 Philipps bat in Münster auch um Beistand gegen die zahlreichen Gläubiger. Die starke Verschuldung des Lüchtenhofs ent-
schuldigte er mit „...allerhand mißgewächtz und andern beschwerungen, eine zeithero gewesenen theuren beschwerlichen jähren... "73 und bat um ein Darlehen, um die größte Gefahr zu bannen. Ende Februar folgte auf diese Hilfegesuche die Unterwerfung unter den Schutz der Stadt, in der sich das Fraterhaus zu allen städtischen Kontributionen sowie zu Hilfe und Treue gegenüber dem Rat und der Bürgerschaft verpflichtete. 74 Der Rat nahm die Brüder darauf zu Schutz und Schirm an. 75 Der befürchtete gewaltsame Eingriff der bischöflichen Räte und des Domkapitels war damit zunächst abgewehrt, die Pole der Entwicklung jedoch nur vertauscht. Der Rat der Stadt zielte ebenso wie die bischöfliche Regierung auf die vollständige Einziehung des Fraterhauses, welches seinem Ende nahe war. 7 6 Johannes Philipps bediente sich jedoch desselben Instruments wie sein Vorgänger, um seine Position zu stärken, indem er sich in Münster zum Rektor wählen ließ. 77 Insgesamt waren die Versuche der Unterdrückung des Hauses das bestimmende Merkmal der Entwicklung seit cirka 1570 gewesen. Die Alternative hierzu, der Versuch der Reform des Fraterhauses, gelang den Brüdern ohne äußere Hilfe allein nicht.
69
BRÜGGEBOES: Die Fraterherren im Lüchtenhofe. S. 33 f. StA Hildesheim, 100/91, Nr. 64 (1594, Jan. 31). 71 BUHLERS: Joachim Brandis' des Jüngeren Diarium, S. 345. 72 Dombibliothek Hildesheim, Bev. Cod. 1081 (1588. Apr. 23). 73 StA Hildesheim, 100/91, Nr. 64 (1594., Feb. 5). 74 StA Hildesheim, U 234 (1594, Feb. 23). Auch das Fraterhaus in Münster empfahl dieses Vorgehen. Da das diesbezügliche Schreiben aber ebenfalls vom 23.Februar datiert, hat Philipps hier noch eigenständig gehandelt. 75 BUHLERS: Joachim Brandis' des Jüngeren Diarium, S. 345, „...und se darmit desto eier gewunnen und willich wurden... ". 76 BRÜGGEBOES: Die Fraterherren im Lüchtenhofe. S. 34 77 BRÜGGEBOES: Die Fraterherren im Lüchtenhofe. S. 34. 70
4. Die Reorganisation der
4.3. Konfessionelle
Fraterbewegung
249
Korrektur
Im Zuge der innerkirchlichen Reform nach der Beendigung des Konzils von Trient hat das Fraterhaus in Münster und teilweise auch die Gemeinschaft in Köln die neuen Richtlinien des Konzils aufgegriffen und versucht, diese innerhalb der Fraterbewegung als Leitmotive von Korrektur und Disziplinierung anzuwenden. Die beiden ältesten deutschen Brüdergemeinschaften schlössen sich damit an die Anfänge einer zentral geleiteten Reform der römischen Kirche an. Angesichts einer sich ausbreitenden Hinterfragung ihrer Existenzberechtigung 78 hatte diese Adaption des Tridentinums eine besondere Bedeutung, da die Fratres aufgrund der Angriffe auf ihre Niederlassungen auf konfessionelle und sittliche Integrität bedacht sein mußten. Aus diesen Erfordernissen heraus wachte das Fraterhaus Zum Springborn über den Zustand der anderen Gemeinschaften, die vor allem in den protestantischen Städten stets der Einflußnahme der neuen Lehre ausgesetzt waren. Im Jahr 1575 schritten die Fraterhäuser Münster und Köln in zwei Visitationen in Wesel ein, wo die Lebensführung der Brüder zur Abwendung des Herzogs geführt hatte. 79 Zu der ersten Untersuchung vom 14. Mai 1575 liegt ein Abschlußbericht vor, der den Zustand des Hauses und die Maßnahmen zur Besserung, die die Rektoren Slutermann aus Münster und Greffradt aus Köln vorschrieben, zusammenstellt. 80 Die Visitatoren stellten eine Reihe von Devianzen sowohl in der Lehre als auch im Leben der Fratres fest. Kennzeichnendes Merkmal war in beiden Bereichen eine tiefgreifende Uneinheitlichkeit innerhalb der Hausgemeinschaft und damit ein Verlust wesentlicher Elemente der vita communis. Die Weseler Fraterherren wurden ermahnt, die Mißstände innerhalb von 14 Tagen abzustellen. 81 In den Lehrfragen hatten sich unter den Brüdern Meinungen und Praktiken etabliert, die in fast allen relevanten Punkten von den Definitionen des
78
S. hierzu unten. S. 262 ff. PfA St.Martini Wesel, A 3, 3 (1575, Mai 14), und A 3, 4 (1575, Okt. 22). Die erste Visitation fand im Mai statt, deren Erfolg im Oktober überprüft wurde. Die Visitatoren waren aus Münster der Rektor Henricus Sluterman, aus Köln Rektor Godefridus Greffradt. 80 Der interne Charakter des Schriftstücks macht glaubhaft, daß die Situation in Wesel zutreffend dargestellt wird. Die sonst wegen ihres summarischen Charakters zu berücksichtigenden Eigenheiten der Quellengattung „Visitationsprotokoll" können daher vernachlässigt werden, vgl. hierzu PETER THADDÄUS LANG: Die Kirchenvisitationsakten des 16. Jahrhunderts und ihr Quellenwert. In: Rottenburger Jahrbuch für Kirchengeschichte 6 (1987), S. 133-153. 81 BA Münster. PfA St.Martini Wesel. A 3, 3, fol. 2 r . 79
250
IV. Die Existenz unter den Bedingungen der
Glaubensspaltung
Tridentinums abwichen. Im Vordergrund der Visitation standen vor allem Fragen bezüglich der Meßfeier und der Sakramentalpraxis. Die Verwicklung in „...absurdissimas haereses... " 82 habe zur Veränderung der Zeremonien und Satzungen der Kirche geführt, so daß ein Teil der Brüder den Opfercharakter der Messe ablehnte, andere die Feier durch verkürzte und verzerrte Gebräuche verunstalteten. In der Mehrzahl glaubten sie nach dem Visitationsbericht weder an die Wirksamkeit der Sakramente noch an die Glaubensartikel der römischen Kirche, hingen neuen Irrlehren an und verbreiteten diese auch unter den Laien. Das Abendmahl wurde in beiderlei Gestalt gereicht. Die hier zu erkennenden Auffassungen und Gebräuche innerhalb des Weseler Fraterhauses schwankten offenbar zwischen einer verzerrt gehandhabten, sich aber noch an der römischen Gottesdienstordnung orientierenden Kultuspraxis und einer radikalen Ablehnung aller äußerlichen Elemente, die sich an calvinistische Nüchternheit annäherte. Die Visitatoren bemängelten bezüglich der Lebensführung die vollständige Mißachtung des geistlichen Standes durch die Priester und Kleriker im Weseler Fraterhaus. Die Brüder führten nach dem Bericht der Kommission weder ein enthaltsames noch ein keusches Leben und verwahrlosten in ihrem ganzen Auftreten so sehr, daß ein Unterschied zu den Laien nicht mehr erkennbar war. Aufgrund der Zügellosigkeit und den Auflösungserscheinungen in ihrem Leben fielen sie nach der Sichtweise der Visitatoren vor aller Augen in Sünde und mißachteten die notwendige Ehrfurcht vor Gott und den weltlichen Obrigkeiten. Mit der Vernachlässigung der Disziplin war auch die Plünderung und Entfremdung der ihnen übertragenen Güter und Stiftungen verbunden. Sollten die Brüder nicht von dem begonnenen Bösen ablassen, ihr Leben verbessern und ihre geistlichen Ämter und Funktionen wahrnehmen, befürchteten die Visitatoren, daß sie nicht nur all ihrer Güter, sondern auch der Niederlassung selbst verlustig gingen. 83 Angesichts dieser Zustände verpflichteten die Rektoren von Münster und Köln die Weseler Brüder auf die Bestimmungen des Konzils von Trient. Wesen und Praxis der Eucharistie und des Meßopfers wurden gemäß der Auffassung der tridentinischen Kanones definiert. Unter Berufung auf die Fundation des Hauses und die Bestimmung des Klerus wurden die geistlichen Aufgaben betont, die Brüder zur Abhaltung der kanonischen Hören und auf die weiteren Bestimmungen Trients ermahnt. 84 „Pro exi-
82 83 84
BA Münster. PfA St.Martini Wesel. A 3. 3, fol. l r . BA Münster. PfA St.Martini Wesel. A 3, 3. fol. l v . BA Münster, PfA St.Martini Wesel. A 3. 3. fol. 2 r .
4. Die Reorganisation der Fraterbewegung
251
gentia fundationis et professionis... " 85 sollten die Priester und Kleriker enthaltsam und einträchtig leben sowie die Stiftungen weisungsgemäß verwalten. 8 6 Die Anweisungen der Visitatoren sollten in der gesetzten Frist von 14 Tagen stets repetiert und gelesen werden, um sicherzustellen, daß alle Brüder sie zur Kenntnis nahmen und verinnerlichten. Als Strafmittel wurden Exkommunikation und Ausweisung aus der Hausgemeinschaft angedroht, wobei im Falle der Widerspenstigkeit auch die Anrufung des weltlichen Armes angekündigt wurde. Eine nochmalige Überprüfung der Weseler Brüder vom Oktober 1575 wiederholte dieselben Punkte. 8 7 In dem ersten halben Jahr nach der Visitation durch die Rektoren aus Münster und Köln war es nicht gelungen, grundlegende Veränderungen in Wesel herbeizufuhren. Die im Haus lebenden Brüder wurden daraufhin vor den Visitatoren, einem Notar und zwei Zeugen mit einem Eid auf die Weisungen der Kommission verpflichtet. 88 Die monitio canonica vom Mai 1575 wurde damit öffentlich wiederholt und die Drohung bekräftigt, den weltlichen Arm anzurufen. 8 9 Zusätzlich wurden die Weseler Fraterherren auch wieder auf ihre „...statuta, Consuetudines antiquasque instituti sui... "90 verpflichtet, nachdem sie im Mai noch allein auf die Beschlüsse des Konzils von Trient verwiesen worden waren. Allerdings war ein Bekenntnis und kirchliche Praxis im Sinn des Tridentinums nach wie vor die Grundlage der Reform. Bis 1589 scheinen sich jedoch protestantische Einflüsse und konfessionelle Mischpositionen im Fraterhaus Wesel fortgesetzt zu haben. In einem Schreiben des münsterischen Hauses an die notleidenden Weseler Fraterherren stand erneut die Uneinigkeit der Brüder im Vordergrund. 9 1 Die Bekenntnislage im Weseler Fraterhaus des späten 16. Jahrhunderts entzieht sich damit einer einheitlichen Zuordnung zu einer der drei Konfessionen. Festhalten läßt sich, daß vor dem Eingriff der Visitatoren alle Brüder Lehren vertraten, die mit den Definitionen des Konzils von Trient unvereinbar BA Münster, PfA St.Martini Wesel, A 3, 3, fol. l r . Die Laien wurden auf „...ein uffrichtig fromb eherlich leben nach euwer vocation... " und den Gehorsam gegen den Pater so unser profession und vocation gemaes... " beziehungsweise nach „ ...euwer angenhommer profession und gelubt... " verpflichtet, BA Münster, PfA St.Martini Wesel, A 3, 3, fol. 2 V -3 V . 87 BA Münster, PfA St.Martini Wesel, A 3, 4 (1575, Okt. 22). Aus Münster trat nun statt Henricus Sluterman der Rektor Jasparus Forst auf. 88 Zwei Weseler Bürger, Arnold Amelonck und Hermann de Aldenbergh. waren anwesend, BA Münster, PfA St.Martini Wesel, A 3, 3, fol. 2V. 89 Vgl. auch „Monitio canonica", in: LThK 7, 555 (A.Scheuermann). 90 BA Münster. PfA St.Martini Wesel, A 3, 4, fol. 10r. 91 BA Münster, PfA St.Martini Wesel, A 3, 5 (1589, Mär. 8), fol. 5V. 85
86
252
IV. Die Existenz unter den Bedingungen der Glaubensspaltung
waren. Die Priesterehe, wie im Fall des Prokurators Bernardus Dorstensis, 92 und der Laienkelch waren zumindest zum Teil üblich. Damit hatte man die allgemein verbreiteten Zustände und Gebräuche am Niederrhein aufgenommen. 9 3 In der Zeit um die Jahrhundertmitte war die Legalisierung der Priesterehe durch den Papst vielfach erwartet, der Laienkelch 1558 durch den Herzog freigestellt worden. 9 4 Beides gehörte vor der Beendigung Trients nicht zum engeren dogmatischen Bereich und war auch über den Niederrhein hinaus weit verbreitet. Erst nach Abschluß und Publikation des Konzils wurden diese Probleme innerhalb der Kirche verbindlich festgelegt. Auch die klevische Kirchenpolitik hatte sich in den späten sechziger Jahren wieder enger an die römische Kirche angeschlossen, und erst nun wurde das Abendmahl sub utraque nach und nach auch am Niederrhein ein konfessionsscheidendes Charakteristikum der Protestanten. 9 5 Das Fraterhaus Wesel verharrte 1575 ungeachtet dieser Entwicklung noch bei einer offenen, eklektizistischen Position mit starken Einflüssen von „...vetustis et noviter exortis haeresibus... " 9 6 und genügte damit nicht mehr den tridentinischen Vorgaben zu Gebräuchen und Lehre. Die Abweichungen von der Orthodoxie gingen jedoch auch über die vor Trient offenen Fragen von Laienkelch und Priesterehe hinaus. Die Ablehnung des Opfercharakters der Messe belegt das Eindringen essentieller Teile der reformatorischen Lehre in die Fratergemeinschaft. 9 7 Anders als bei Laienkelch und Priesterehe befand man sich hier auch nicht in Übereinstimmung mit der Kirchenpolitik des Herzogs. 9 8 Dieser kommunizierte zwar selbst in beiderlei Gestalt, vollzog dies allerdings innerhalb der altgläubigen Meßfeier, hielt also am Meßopfer fest. Die im Weseler Fraterhaus vorhandenen unterschiedlichen Auffassungen, in denen Einflüsse aus allen Richtungen
92
BA Münster, PfA St.Nicolai Kalkar, A 6, fol. 76 r . REDLICH: Jülich-Bergische Kirchenpolitik 2.2. S. 29 und S. 42. 1550 lebte in Jülich jeder dritte Priester im Konkubinat, 1559 cirka jeder vierte. 94 FRANZEN: Die Herausbildung des Konfessionsbewußtseins am Niederrhein, S. 183. Auch DERS.: Die Kelchbewegung am Niederrhein, 66 f. Laienkelch und Priesterehe waren auch am Hof lange selbstverständlich, s. STOVE: Via media, S. 120. 95 FRANZEN: Die Kelchbewegung am Niederrhein, S. 77 f. 96 BA Münster, PfA St.Martini Wesel, A 3, 3, fol. l r . 97 In Kleve hatte man 1545 versucht, eine an Erasmus orientierte Auffassung von dem Problem des Meßopfers zu etablieren, s. FRANZEN: Die Herausbildung des Konfessionsbewußtseins am Niederrhein, S. 204. 98 1564 hielt man aber auch am klevischen Hof den Opferbegriff für erklärungsbedürftig, s. HERIBERT SMOLINSKY: Kirche in Jülich-Kleve-Berg. Das Beispiel einer landesherrlichen Kirchenreform anhand der Kirchenordnungen. In: Römische Quartalsschrift 84 (1989), S. 114. 93
4. Die Reorganisation
der
Fraterbewegung
253
vorhanden waren, spiegeln die konfessionelle Gemengelage am Niederrhein. Die Visitationen aus Münster und Köln trachteten in dieser Situation danach, das Weseler Haus den neuen Rahmenbedingungen anzupassen und es mit den Mitteln der Fraterorganisation zu korrigieren. Die Entwicklung hin zur vollständigen Auflösung der Weseler Gemeinschaft schritt in der Folge trotz der Korrekturversuche aus Münster und Köln weiter voran. Explizit mit dem Vorsatz, dem „...Untergange Ires Collegii zuvor zu kommen... " , " schrieb das münsterische Haus noch 1589 an die Weseler Brüder. Nachdem schon im Jahr 1588 ein Hilfeversuch ohne Wirkung geblieben war, 1 0 0 äußerte das Mutterhaus seine Skepsis gegenüber weiteren Anstrengungen, die Weseler Gemeinschaft zu retten. Die Schuld an dieser Entwicklung wurde der Uneinigkeit und dem Mutwillen der Brüder gegeben. Die Ratschläge, die man dem niederrheinischen Fraterhaus gab, offenbaren dessen vollständig zerrütteten Zustand. Die Hauswirtschaft war durch die schlechte Amtsführung des alten Prokurators derart in Mitleidenschaft gezogen worden, daß fast alle laufenden Einkünfte verloren gegangen waren. Um die Kosten zu reduzieren, wurde die Versetzung einiger Brüder nach Münster und Köln sowie der Verkauf nicht benötigter Kleinodien vorgeschlagen. 1 0 1 In konfessioneller Hinsicht waren jedoch keine Verfehlungen mehr zu bemängeln. Offenbar war in den Lehrfragen unter den aus Münster entsandten Rektoren Vornheide und Hanso eine Korrektur gelungen. In der kurzen Episode der Rückkehr des Katholizismus nach Wesel unter der spanischen Vorherrschaft am Ende des 16. Jahrhunderts wirkten die Brüder aktiv an der Seite der federführenden Jesuiten. 102 Aufgrund der Unterstützung der münsterischen Fraterherren hatte das Weseler Haus damit die kritische Phase des späten 16. Jahrhunderts überstanden. Auch in Hildesheim versuchte das münsterische Fraterhaus, die Richtlinien der kirchlichen Erneuerung nach dem Tridentinum zu etablieren. Dem Rektor Johannes Engelken wurde 1588 auferlegt, den Gottesdienst nach altem Gebrauch beizubehalten und Neuerungen nach Art secktischer religion... " 103 weder selbst einzuführen noch zuzulassen. Engelkens Verantwortung erstreckte sich bei seinem priesterlichen Eid bis zur Unterrichtung seiner Mitbrüder, um das Leben in vollkommener Erfüllung der Sta-
99
BA Münster. PfA St.Martini Wesel. A 3. 5. fol. 5 r . BA Münster. PfA St.Martini Wesel. A 3. 5. fol. 5 r . 101 BA Münster. PfA St.Martini Wesel. A 3. 5. fol. 5 v - 6 r . 102 DRAHT: Sankt Martini Wesel. S. 80. 103 Dombibliothek Hildesheim. H s . P s . l l . fol. 47 r . 100
254
IV. Die Existenz unter den Bedingungen der
Glaubensspaltung
tuten zu gewährleisten. Er versicherte seine Übereinstimmung im Glauben mit den münsterischen Fraterherren und legte ein entsprechendes Bekenntnis ab, welches ihm vom Haus Zum Springborn vorgelegt worden war. 1 0 4 Hierunter ist ein Bekenntnis im Sinne des Tridentinums zu verstehen, wie es die Münsteraner auch von den Weseler Brüdern verlangt hatten. 105 Zur Versicherung der Münsteraner verwies Engelken zusätzlich darauf, daß dieses in Anwesenheit des Bruders Johannes Remmelink erfolgt sei, der inzwischen nach Münster zurückgekehrt war. 1 0 6 Die besondere Betonung der konfessionellen Orthodoxie Engelkens war im Fall Hildesheims aufgrund der Hinwendung seines Amtsvorgängers Johannes Nebeling zum Luthertum 1 0 7 von äußerster Wichtigkeit. In Herford hatte das Fraterhaus Münster schon seit 1548 versucht, die dortige Brüdergemeinschaft zum alten Glauben zurückzuführen. Hierfür spricht die Entsendung der neuen Rektoren durch Johann Krampe zwischen 1548 und 1552. 108 Auch danach wurden bis zum Jahrhundertende die Herforder Rektoren durch den Vorsteher des münsterischen Hauses bestätigt, die nach wie vor als Visitatoren und Vorgesetzte des Varenkampinghofes handelten. Die Tätigkeit des Rektors Bredevort und seiner Nachfolger seit der Jahrhundertmitte blieb jedoch ohne dauerhafte erkennbare Folgen. Auch der Bericht von Johannes Wachtendonck, der bichthoren und misseholden zu seinen Aufgaben zählte, muß nicht zwangsläufig auf einen römisch-katholischen Kultus hinweisen, da die Terminologie der Zeit nicht einheitlich war. 1 0 9 Ohnehin wäre eine Rückkehr zum alten Glauben angesichts des Examinationsrechtes der Herforder Prädikanten nur in aller Heimlichkeit möglich gewesen. Auf Dauer blieb der Anschluß an die innerkirchliche katholische Reform, wie sie in Wesel und Hildesheim durch die Münsteraner betrieben wurde, in Herford aus. Der endgültige Abbruch der Beziehungen mit dem Haus in Münster scheint etwa um 1600 erfolgt zu sein. Noch 1595 hatten die Brüder einen Rektor aus Münster erbeten, 1606 wurde das Haus dagegen ohne Beteiligung anderer Fraterherren durch die Räte der Äbtissin visitiert. 110 1630 bezogen die protestantischen Kanoniker
104 105 106 107
Dombibliothek Hildesheim. Hs.Ps.l 1, fol. 48 r . BA Münster, PfA St.Martini Wesel, A 3. 3. Dombibliothek Hildesheim, Hs.Ps.l 1. fol. 48 r . STA Hannover, Cal.Br.10, 120.
108
FRATERHAUS HERFORD 2 : S . 3 9 .
109
FRATERHAUS HERFORD 2 : S. 4 7 .
110
FRATERHAUS HERFORD 1: S. 15 f. ( L e e s c h )
4. Die Reorganisation
der
Fraterbewegung
255
aus dem Augustiner-Chorherrenstift Möllenbeck das Fraterhaus, nachdem sie von den Katholiken ausgewiesen worden waren. 1 1 1 Zusammenfassend läßt sich festhalten, daß die Existenz- und Identitätswahrung der Fraterherren maßgeblich an die Beibehaltung des Kontaktes der Brüderhäuser untereinander geknüpft war. Angesichts der sich verschlechternden Existenzbedingungen, die von der Reformation ausgelöst waren und ihren Niederschlag in den ökonomischen Krisen, den Religionskriegen und der beginnenden Konfessionalisierung fanden, bot nur der Zusammenhalt der Fratres selbst einen Ort, an dem das brüderliche Selbstverständnis gegenüber dem konfessionellen und disziplinaren Druck hätte überdauern können. Auch gegenüber sittlichen Defekten konnte eine Reform nur erfolgen, wenn eine starke Zentralgewalt die Maßnahmen zu Korrektur und Disziplinierung durchsetzte. 1 1 2 So war die Vereinzelung von Konventen auch in Trient als Hemmnis der Reform erkannt worden. Dieselbe Funktion übernahm in der Brüderbewegung das Fraterhaus Münster schon seit der Mitte des 16. Jahrhunderts, das auf der Basis des Münsterschen Kolloquiums und der Union von 1499 seine führende Stellung fortführte. In Rostock konnte die Hilfestellung Münsters den Übergang des Fraterhofes an die Stadt jedoch nicht verhindern. In Herford verlor sich der Kontakt gegen Ende des 16. Jahrhunderts, in Hildesheim war er dagegen bis zum Ende des Hauses im Jahr 1604 noch existent. Neben personeller Hilfe und rechtlichem Schutz wirkte das Fraterhaus Münster dabei auch als konfessionelles Korrektiv. In der vortridentinischen Phase war hier der Rektor Johann Krampe die fuhrende Kraft, der den Ausgriff nach Wesel, Herford und Rostock vorantrieb und damit den Zusammenhalt der Fraterhäuser bewahrte. Spätestens seit den frühen 1570er Jahren drängte das Fraterhaus Münster auf die Bindung der Brüdergemeinschaften an das Tridentinum, was sich am deutlichsten in den Visitationen der Gemeinschaft in Wesel manifestierte. Die östlich gelegenen Häuser in lutherischen Städten waren auf Dauer allein von Münster aus nicht zu erhalten. Die rheinisch-westfälischen Gemeinschaften blieben als
111 FRATERHAUS HERFORD 2: S. 33. Auch hiergegen protestierte nochmals erfolglos der münsterische Pater. Das Fraterhaus Herford war nun endgültig protestantisiert und dem münsterischen Einfluß entzogen. Ein erneuter Anspruch Münsters 1656 erlitt dasselbe Schicksal. FRATERHAUS HERFORD 1: S. 15 f. (W.Leesch). Auch in Loccum kam erst mit der endgültigen Etablierung verschiedener Bekenntnisse die Einbindung in den Ordensverband zum Erliegen. SEIBRICH: Gegenreformation als Restauration. S. 40. 112 Für die organisatorischen Umstrukturierungen zur Verwirklichung der Reform am Beispiel der Windesheimer Kongregation s. SEIBRICH: Gegenreformation als Restauration. S. 24 f.
256
IV. Die Existenz unter den Bedingungen der Glaubensspaltung
letzte Mitglieder des Münsterschen Kolloquiums vertreten und pflegten weiterhin einen personellen und informellen Austausch. Diese Entwicklung implizierte die Abkehr von vermittelnden oder offenen Positionen in der Lehre und den Anschluß an die eindeutigen Definitionen des Konzils von Trient.
5. Die Stellung in der beginnenden katholischen Konfessional isierung Mit dem Abschluß des Konzils von Trient legte die katholische Kirche die dogmatischen Grundlagen und das organisatorische Instrumentarium fest, die Rückhalt in der Auseinandersetzung mit den anderen Bekenntnissen der gespaltenen Christenheit bieten sollten. 1 Die Reform der Institution „Kirche" wurde von Rom angegangen unter den Prinzipien der Zentralisierung und der Uniformierung. 2 Das aus dem kurialen Fiskalismus erwachsene Geflecht von Privilegien und Sonderrechten der geistlichen Korporationen war das Haupthindernis einer wirkungsvollen Reform, gleich, ob es sich um die Domkapitel, 3 exemte Klöster 4 oder um den dispensierten Kleriker handelte, der als massenhafte Erscheinung die Funktionalität der Kirche durch Pfründenkumulation und Absenz von der Seelsorge unterlief. Diesen gegenüber galt es die römische Zentralgewalt zu stärken. 3 Das Leben und die Rechtspraxis der Kirche mußten dabei nach dem Primat der Reform umgestaltet werden. Für die kurialen Bemühungen um Vereinheitlichung stehen der Erlaß des Tridentinischen Glaubensbekenntnisses 1564, die Publizierung des Römischen Katechismus 1566, die Erarbeitung eines einheitlichen Breviariums 1568 sowie des Missale Romanum 1570. 6 Der Erfolg der Reform hing maßgeblich von lokalen und individuellen Faktoren, etwa der Person des Bischofs oder der Kooperationsbereitschaft des Domkapitels, ab. 7 Flächendeckende Erfolge sind erst nach 1600
1
Zu Trient s. zusammenfassend MARC VF.NARD (Hrsg.): Die Zeit der Konfessionen (1530-1620/30). Dt. Ausgabe bearb. und hrsg. von H.Smolinsky (Die Geschichte des Christentums. Religion. Politik, Kultur 8). Freiburg u.a. 1992. S. 254-273. SCHMIDT: Die Konfessionalisierung im 16. Jahrhundert. S. 26 ff. und S. 69-80. Grundlegend HUBERT JEDIN: Geschichte des Konzils von Trient. 4 Bde.. Freiburg 1949-1975. 2 BORROMEO: Tridentine Discipline. S. 250. 3 GEORG SCHREIBER: Zur Hinführung. In: Ders. (Hrsg.): Das Weltkonzil von Trient. Sein Werden und Wirken 1. Freiburg 1951. S. LH f. 4 S. zu den Orden und dem Konzil die Beiträge in SCHREIBER: Das Weltkonzil von Trient 2. Freiburg 1951. 5
6
SCHREIBER: Zur E i n f ü h r u n g . S. X X X .
VENARD: Die Zeit der Konfessionen. S. 275. 7 GEORG SCHREIBER: Tridentinische Reformdekrete in deutschen Bistümern. In: Remigius Bäumer (Hrsg.): Concilium Tridentinum (Wege der Forschung 132). Darmstadt 1979. S. 462-521. KONRAD REPGEN: Der Bischof zwischen Reformation. Katholischer Reform und Konfessionsbildung (1515-1650). In: Der Bischof in seiner Zeit. Bischofstypus und Bischofsideal im Spiegel der Kölner Kirche. Festgabe Joseph Kardinal Höffner. Köln 1986, S. 245-314. besonders S. 252 ff. und S. 280 ff.
258
IV. Die Existenz unter den Bedingungen der Glaubensspaltung
erzielt worden. Trient war die Norm, von der die lokalen Kirchen mehr oder minder stark abwichen. 8 Die praktische Umsetzung der tridentinischen Beschlüsse ging je nach dem Gegenstand der Reform unterschiedliche Wege. 9 Neben der Reform der aktiven Seelsorgekirche galt es, eine Neuformierung des regulierten und nichtregulierten Gemeinschaftslebens zu erreichen. Im Bereich der alten Orden stand die Rückkehr zur ursprünglichen Ordensdisziplin im Vordergrund. Allerdings blieb man hinter den radikalen Vorschlägen in der Reformliteratur, alle Religiösen in nur wenigen Orden zusammenzufassen, weit zurück. 10 In erster Linie wurden institutionelle Straffungen innerhalb der einzelnen Orden forciert. In den Bettelorden und allen religiösen Genossenschaften, in denen es Spaltungen in strenge Gruppierungen und „Konventualen" gab, bevorzugte die auf Trient folgende Regularenreform die Observanten. 11 Vor allem der asketische Dominikaner-Papst Pius V. erließ in seinem relativ kurzen Pontifikat eine Flut von Breven, Konstitutionen und Bullen. 12 Auf Initiative von Philipp II. wurden in Spanien schnell energische Maßnahmen ergriffen. Betroffen waren vor allem die Augustiner 13 sowie die franziskanischen Konventualen und Tertiaren.14 8 HANSGEORG MOLITOR: Die untridentinische Reform. Anfänge katholischer Erneuerung in der Reichskirche. In: Ecclesia militans 1, S. 399-431, hier S. 429, bestreitet gar den tridentinischen Charakter der Reform, indem er darauf hinweist, daß die Reform ohne die Verkündigung Trients von statten ging. 9 Vgl. CRAJG HARUNE: Officiai Religion - Populär Religion in Recent Historiography of the Catholic Reformation. In: ARG 81 (1990), S. 241 ff. 10 HUBERT JEDIN: Zur Vorgeschichte der Regularenreform Trid. Sess. XXV. In: DERS.: Kirche des Glaubens, Kirche der Geschichte. Ausgewählte Aufsätze und Vorträge 2. Konzil und Kirchenreform. Freiburg u.a. 1966. S. 375 f., S. 396. 11
JEDIN: Z u r V o r g e s c h i c h t e d e r R e g u l a r e n r e f o r m . S. 3 7 3 . ISNARD W . FRANK: Z u r
nachtridentinischen Erneuerung der deutschen Dominikaner. In: Papsttum und Kirchenreform. Historische Beiträge. Festschrift Georg Schwaiger zum 65. Geburtstag. St.Ottilien 1990, S. 445. Zur Umsetzung Trients in den Consuetudines vgl. F. BERRIOT: La vie monastique après le Concile de Trente. Notes sur quelques manuscrits de „Règles conventuelles". In: Hommage à Jean Onimus (Annales de la Faculté des Lettres Nice 38). Paris 1979. S. 51-59. 12 LUDWIG FREIHERR V. PASTOR: Geschichte der Päpste im Zeitalter der katholischen Reformation und Restauration. Pius V. (1566-1572) (Geschichte der Päpste seit dem Ausgang des Mittelalters 8). Freiburg i.Br. 1920, S. 175-209, besonders S. 190 ff. 13 CARLOS ALONSO: La reforma tridentina en la provincia agustiniana de la Corona de Aragon (1568-1586) (Estudios de Historia Agustiniana 3). Valladolid 1984. 14 PASTOR: Geschichte der Päpste 8. S. 183 ff. GUSTAVO PARISCIANI: La riforma tridentina e i fratri minori conventuali. In: Miscellanea Francescana 83 (1983), S. 4991021, hier S. 537-543 und S. 548-552. Nach Parisciani, S. 564. rettete nur die Person des Generalministers der Konventualen, Giovanni Pico da Serrapetrona, den Ordenszweig vor der Unterdrückung auch außerhalb Spaniens.
5. Die Stellung in der katholischen
Konfessionalisierung
259
Diese waren aufgefordert, ihre institutionelle Eigenständigkeit aufzugeben und sich den Observanzen anzuschließen. Denjenigen Tertiaren, die diesen Schritt nicht mitvollziehen wollten, w u r d e lediglich eine isolierte Fortexistenz unter Ausschluß weiterer Neuaufnahmen zugestanden. Die Reformpläne Pius V. stellten besonders die Befolgung von Armut, Gehorsam und Klausur in den Vordergrund, und nutzten hierzu den unwiderruflichen Charakter der feierlichen Gelübde. 1 5 Da diese im Unterschied zu den einfachen Gelübden weder zu dispensieren noch zu lösen waren, wurden die zahlreichen Fluchten einzelner M ö n c h e - ob ihnen nun eine individuelle religiöse Entscheidung oder nur die Entschlossenheit, die Gunst der Stunde zu nutzen, zugrunde lag - als Apostasie gebrandmarkt und erlaubte die Verfolgung der Geflohenen durch die weltliche Obrigkeit. In extremen Fällen sittlicher Zerrüttung kam es auch zu Aufhebungen kirchlicher Institute durch den Papst, deren bekannteste Beispiele die Abtei Fontevellana und die Humiliaten sind. 1 6 Die Hervorhebung der Unlöslichkeit feierlicher Gelübde illustriert den juridischen Charakter der institutionellen Neuformierung der Kirche. Die R e f o r m führte dabei nicht nur zu dem Versuch, einen als ursprünglich projektierten Idealzustand im Gemeinschaftsleben wiederherzustellen, 1 7 sondern unterdrückte auch konkurrierende Konzepte. So wurden vor allem die erasmisch-humanistischen Kreise, die sich in der Auseinandersetzung mit der Reformation um eine offene, auf die Einheit der Kirche gerichtete Haltung bemüht hatten, ausgeschieden. 1 8 Gegenüber den Partizipationsbestrebungen der Laien wurde der Charakter der Priesterkirche hervorgehoben, indem die unüberschaubare Zahl 15 PASTOR: Geschichte der Päpste 8. S. 188 f. S. die Erlasse zu unter anderem den Kreuzherren, Camaldulensern. Vallombrosanern. zum Teil auch den Benediktinern und Kartäusern. LÉOPOLD WILLAERT: La restauration catholique 1563-1648 (Histoire de l'Eglise depuis les Origines jusqu'a nos Jours 18, Après le Concile de Trente). O.O. 1960, S. 97. 16 PASTOR: Geschichte der Päpste 8, S. 178 ff. E. BOAGA: La soppressione della congregazione avellanitana e la sua unione con Camaldoli (1569). In: Atti del IV. Convegno del Centro di Studi Avellaniti. Fonte Avellana nella società dei secoli XV e XVI. Urbino 1981, S. 161-172. Eine Übersicht bei DOMINGO J. ANDRÉS: La supresión de los institutos religiosos. Éstudio canónico de los datos más relevantes. In: Commentarium pro Religiosis et Missionariis 67 (1986). S. 3-54. zu Pius V. S. 17 f. 17 KARL Suso FRANK: Ordensreform und Verlust der gesellschaftlichen Funktion im späten Mittelalter. In: Kloster Amelungsborn 1135-1985. Hrsg. v. Gerhard Ruhbach und Kurt Schmidt-Clausen. Hannover 1985, S. 146 f. K O N R A D REPGEN: „Reform" als Leitgedanke kirchlicher Vergangenheit und Gegenwart. S. 8 ff. 18 GOTTFRIED MARON: Das Schicksal der katholischen Reform im 16. Jahrhundert.
In: Z K G 8 8 ( 1 9 7 7 ) . S. 2 1 8 - 2 2 9 .
260
IV. Die Existenz unter den Bedingungen der Glaubensspaltung
der Bruderschaften, die wie die Dritten Orden eine Vielzahl von Gläubigen in die Kirche integrierten, stärker hierarchisch eingespannt wurden. Beispielhaft ist hierfür das Wirken des Mailänder Erzbischofs Carlo Borromeo, der die Zentralisierung in übergeordneten Erzbruderschaften anstrebte. 1 9 Ein Institut wie das der Brüder vom Gemeinsamen Leben geriet im Umfeld dieser Zentralisierungs- und Disziplinierungsbestrebungen aufgrund ihres weitgehend desolaten Zustandes und der großen Anfälligkeit gegen die Wirren der Zeit geradezu automatisch in das Blickfeld der Reformer. Die Lebenskonzeption und der Zustand der von der Reformation geschwächten Fraterhäuser entsprachen nicht mehr den Anforderungen der sich ausbildenden katholischen Konfessionskirche. Beispielhaft kann hierfür ein Vergleich gelten, den der Apostolische Vikar für die Niederlande, Jacques de la Torre, 1656 anstellte, um die deventrischen Brüder vom Gemeinsamen Leben zu beschreiben. 20 De la Torre verglich die Fraterherren mit dem Oratorium von Berulle, wobei letzteres sich in den Augen des Vikars jedoch mit der wesentlich nützlicheren Aufgabe befaßte. Während nämlich die Oratorianer an der Vervollkommnung der Priesterschaft arbeiteten, hätten die Brüder lediglich Schreibarbeiten verrichtet und könnten gleichsam als Mönche angesehen werden, da sie gemeinsam lebten und einen Habit trügen. 2 1 Die Lebenskonzeption der Oratorianer hatte somit zwar als Priesterkongregation wesentliche Elemente der Fraterhäuser des frühen 16. Jahrhunderts beibehalten, erfüllten jedoch mit der Heranziehung von Priesternachwuchs eine Reformaufgabe, die den Erfordernissen der Glaubensspaltung eher entsprach als die stille Reform der Brüder. Auch die rückschauende Betrachtung des Hildesheimer Bischofs Ferdinand, der 1615 die Erhaltung eines Alumnats auf dem 1604 von den Brüdern aufgegebenen Lüchtenhof beschloß, 2 2 charakterisiert das ehemalige Fraterhaus als ein von
JOHN B O S S Y : The Counter-Reformation and the People of Catholic Europe. In: Past and Present 47 (1970), S. 59 f. Mustergültig gelang die enge Bindung an die Kirche in den Sodalitäten der Jesuiten, s. Louis CHÂTELLIER: L'Europe des dévots. Paris 1987. S. auch das Wirken der Jesuiten in Münster. HSIA: Gesellschaft und Religion in Münster, S. 61-97, und T H E O D O R ROLLE: Die Anfänge der Marianischen Kongregation in Augsburg. In: Jahrbuch des Vereins für Augsburger Bistumsgeschichte 23 (1989). S. 27-68. 20 S. hierzu W I L L E M FRIJHOFF: Het Oratoire van Bérulle en de geest van Windesheim. In: De doorwerking van de Moderne Devotie, S. 193-207. Frijhoff wertet den Vergleich für die Brüder positiv. 21 FRIJHOFF: Het Oratoire van Bérulle. S. 1 9 3 . Zur Stellung der Oratorianer in der nachtridentinischen Kirche vgl. R O B E R T B I R E L E Y : Neue Orden. Katholische Reform und Konfessionalisierung. In: Die katholische Konfessionalisierung, S. 1 4 5 - 1 5 7 . 22 B E R T R A M : Geschichte des Bistums Hildesheim 2 . S . 3 5 3 . 19
5. Die Stellung in der katholischen
Konfessionalisierung
261
den Wirren der Zeit in Disziplin und Besitz geschwächtes Institut, für dessen erneuerte Blüte eine personelle Vergrößerung notwendig gewesen wäre, die aber aufgrund der mittlerweile ärmlichen Verhältnisse und des konfessionellen Zustandes der Diözese nicht möglich war. 23 Um diesen Gefahren besser entgegenwirken zu können, war den Fraterherren schon von dem nachtridentinischen Papsttum eine Veränderung ihrer freien Lebensform befohlen worden, die in erster Linie die Möglichkeiten der Disziplinierung verbessern sollte.
5.1. Die Bulle Lubricum vitae genus von Pius V. In der nachtridentinischen Klerusreform wurde der Kampf gegen die Mißstände im Ordenswesen zunächst von Pius V. in Angriff genommen. Um hierbei die Möglichkeit des Zugriffs auch auf die freien Sammlungen des Semireligiosentums zu verbessern, erließ er die Bulle Lubricum vitae genus vom 17.November 1568. 24 Die Bulle richtete sich an diejenigen Gemeinschaften, die weder eine Ordensregel befolgten, noch auf ihr Eigentum verzichteten. Alle Mitglieder dieser Kongregationen und Häuser, die somit eine oboedientia voluntaria zur Grundlage ihrer Hausordnung gemacht hatten und deren Äußeres sich von dem der Säkularkleriker unterschied, sollten entweder die feierlichen Gelübde leisten und eine der approbierten Ordensregeln annehmen, oder ihre Gemeinschaft auflösen und sich dem Weltklerus anschließen. Den aufgetretenen Depravationen im Klerus ließ sich in den Augen des Papstes aufgrund des freiwilligen Charakters der Zusammenschlüsse nur ungenügend entgegentreten. Die sittlichen und konfessionellen Defekte in den unregulierten Kongregationen wurden damit aus päpstlicher Sicht von deren Lebensform selbst begünstigt. Sogar diejenigen, die sich noch beim rechten Leben hielten, sähen sich frei und gingen in die Welt. Die rechtliche Ungebundenheit der Mitglieder förderte so auch den allgemeinen Mißstand vagierender Seelsorger aus den Orden. 25 Pius V. vertraute dagegen auf die Möglichkeiten einer äußerlichen Disziplinierung durch die erzwungene Annahme einer Ordensregel. Die Hausgenossen sollten sich auf ewig einer Ordensdisziplin unterwerfen, oder im anderen Fall das Haus verlassen. Denjenigen, die in ihrem nunmehr verbotenen Stand bleiben wollten, wurde die Privation aller Ämter, Würden und 23
Dombibliothek Hildesheim. Bev. Cod. 1081 (1615. Jan. 28).
24
M A G N U M BULLARIUM ROMANUM 4 / 3 : S. 4 7 f. PASTOR: G e s c h i c h t e d e r P ä p s t e 8 ,
S. 202. 25 Vgl. hierzu PASTOR: Geschichte der Päpste 8. S. 204.
262
IV. Die Existenz unter den Bedingungen
der
Glaubensspaltung
Benefizien angedroht. 26 Die päpstliche Bulle hob damit das gesamte Spektrum von Lebensformen auf, die als Nachfolger einer via media unter Berufung auf die Urkirche frei zusammen lebten. Das brüderliche Streben nach einer unveränderten, intakten Identität ohne Ordensregel und Gelübde wurde so im fortschreitenden 16. Jahrhundert mit dem Primat der Reform konfrontiert. Die organisatorische Straffung der Kirche schloß Zwischenpositionen aus und stellte Nischenexistenzen vor die Wahl von Teilhabe oder Ausscheiden. Wie bei der Bewertung des Trienter Konzils insgesamt ist jedoch auch für die päpstliche Bulle nach dem Ausmaß ihrer konkreten Durchfuhrung vor Ort zu fragen. Die Applikation von Lubricum Vitae Genus in den deutschen und niederländischen Diözesen ist in der Tat nur lückenhaft nachzuweisen, da die römischen Erlasse von den lokalen Gewalten in unterschiedlicher Weise aufgegriffen wurden. Am Niederrhein, im spanischen Einflußgebiet, 27 war die Bulle allgemein bekannt und hat zumindest die Geschichte der Fraterhäuser in Wesel, Emmerich und Doesburg nachhaltig beeinflußt. Von der Seite der Fraterherren betrieben nur die Brüder in Doesburg 1571 auf die päpstliche Verfugung hin ihre Selbstauflösung. 28 Die verbliebenen zehn Fraterherren traten in Verbindung mit dem Bischof von Deventer und dem Bailiff von Utrecht, der das Pfarrecht in Doesburg innehatte, um den römischen Anweisungen zu folgen. Die Güter des Fraterhauses wurden in Vikariatsstiftungen an der Pfarrkirche zu Doesburg aufgeteilt, die von sechs Brüdern als Weltpriestern verwaltet wurden. Zwei der Vikare hatten zudem noch eine Sonderaufgabe: einer verwaltete die Geschäfte des weiter bestehenden domus pauperum, ein anderer fungierte als Rektor des Süsternhauses. Die verbleibenden vier Fratres, für die keine eigene Vikarie geschaffen wurde, erhielten eine sichere Versorgung aus den Hausgütern und waren als Nachfolger der genannten sechs auf den Vikarsstellen vorgesehen. Nach dem Tod aller zehn Fraterherren stand dem Bischof die Besetzung mit Mitgliedern des deventrischen Priesterseminars zu. Mit der Anordnung dieser Verfahrensweise durch Bischof Aegidius de
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27
M A G N U M BULLARIUM ROMANUM 4 / 3 : S. 4 8 .
Im Herrschaftsbereich der spanischen Krone hatten günstige Voraussetzungen zur Umsetzung der Reformerlasse vorgelegen. Die Gültigkeit des Erlasses zum Dritten Orden in Spanien wurde auch explizit auf die Niederlande ausgedehnt, s. PASTOR: Geschichte der Päpste 8, S. 186. Der Rat von Kalkar, der später gegen die Weseler Fraterherren vorging, berief sich darauf, daß Lubricum vitae genus vom spanischen König in Kraft gesetzt worden sei, s. PfA St.Nicolai Kalkar, A 6, fol. 86 v . 28 POST: The Modern Devotion, S. 590 ff. Sie zogen diese Möglichkeit damit dem Übertritt in ein reguliertes Gemeinschaftsleben vor.
5. Die Stellung in der katholischen
Konfessionalisierung
263
Monte war das Fraterhaus als Körperschaft aufgehoben und gehörte der Vergangenheit an. In einem Akt des Gehorsams gegenüber dem Papst hatte es sich selbst aufgelöst. 2 9 Dennoch blieb auch danach die gemeinschaftliche Identität der Fraterherren in Doesburg intakt. Die Totenliste des Hauses wurde dementsprechend noch nach der Aufhebung der Gemeinschaft fortgeführt und die Eintragungen der Verstorbenen mit dem Zusatz / [ r a t e r ] i/.[omus] versehen. 30 Die Fraterherren in Emmerich änderten wie die in Doesburg ihre Lebensform, ohne jedoch ihr gemeinsames Leben vollständig aufzugeben. 1575 beschlossen die acht Emmericher Brüder gemeinschaftlich neue Statuten für ihre Hausgemeinschaft, 3 1 nachdem sie diese Herzog Wilhelm von Kleve-Jülich-Berg vorgelegt hatten. 3 2 Anstatt der vom Papst aufgestellten Alternative der Annahme einer Ordensregel oder des Übertritts in den Status der Weltkleriker veränderten die Emmericher Brüder nur diejenigen Eigenheiten ihrer Gemeinschaft, die im besonderen als Merkmale der unerlaubten Lebensweise angegriffen waren, also gemeinsamen Besitz und einheitliche Kleidung ohne Legitimation durch eine Ordensregel. Nicht um eines freiwilligen Gehorsams, sondern nur, um sich und ihre Nachfolger dem Gültigkeitsbereich der Bulle zu entziehen, wurden diese Maßnahmen getroffen. Die Priester des Hauses erhielten jährlich 30 Goldguldfen vom Prokurator ausgezahlt, womit der gemeinsame Besitz formal aufgehoben war, 3 3 und die Kleidung wurde der der Säkularkleriker angeglichen. 34 Mit dieser Veränderung sollte aber weder das gemeinsame Leben noch die Freiheit des Brüderlebens angetastet werden, 3 5 da alle Fratres diese nach
29
Lubricum vitae genus selbst sah vor, daß die Häuser sich innerhalb von 24 Stunden nach der Präsentation der päpstlichen Verfügung zu entscheiden hätten, s. M A G N U M BULLARIUM ROMANUM 4 / 3 : S. 4 8 . 30 WEILER: Necrologie, Kroniek en Cartularium, S . l l . Auch in 's-Hertogenbosch wurde die Bulle Pius V. mit den Brüdern in Verbindung gebracht. Der Bischof erklärte anläßlich einer Visitation des Fraterhauses im Jahr 1573, mit den von ihm entwickelten Reformplänen nicht gegen die päpstliche Verfügung verstoßen zu wollen, s. POST: The Modern Devotion, S. 589. 31 JOHANNES PETRY: Die Satzungen des St.Gregoriushauses zu Emmerich. Ein Beitrag zur Geschichte der Fraterherren. In: AH VN 93 (1912). S. 103-122. 32 PETRY: Die Satzungen des St.Gregoriushauses, S. 107. 33 PETRY: Die Satzungen des St.Gregoriushauses, S. 107. Allerdings wurden alle Mitglieder verpflichtet, in ökonomischen Krisen aus diesen Mitteln zur Bewältigung der Situation Teile abzutreten. 34 Zu diesem Schritt gab Herzog Wilhelm eine gesonderte Erlaubnis, PETRY: Die Satzungen des St.Gregoriushauses. S. 108. 35 PETRY: Die Satzungen des St.Gregoriushauses, S. 108. „...nihilominus in communi vita sicuti hactenus viximus perpetuo permanere debeamus; et ne per huiusmodi
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IV. Die Existenz unter den Bedingungen
der
Glaubensspaltung
dem Willen ihres Stifters beibehalten wollten. Die acht Brüder legten gemäß dieses Vorsatzes ein Versprechen ab, welches auch von den zukünftig in „...nostram fraternitatis societatem,.."36 Eintretenden verlangt werden sollte. Die Fraterherren in Emmerich hatten damit alle Maßregeln getroffen, um Angriffen auf ihre Existenz mittels der Bulle Lubricum vitae genus zu entgehen und sich zusätzlich beim Herzog Rückhalt zu verschaffen. Als 1592 die sich neu ansiedelnden Jesuiten in einem Tauschgeschäft das Fraterhaus beziehen wollten, griffen diese dennoch auf die päpstliche Verfugung zurück und baten in Rom um die Zustellung einer beglaubigten Kopie. 3 7 Der Pater Hasius berichtete an den General Aquaviva von der Umgehung der Bulle Pius V. durch die Emmericher Brüder und betonte den schlechten wirtschaftlichen Zustand des Hauses. 3 8 Die Fratres boni cordis seien kein approbierter Orden und in Lüttich sei ihr Platz bereits von den Jesuiten eingenommen worden. In einem weiteren Schreiben von 1594 wiederholte er sein Anliegen und verwies darauf, daß mittlerweile einige Brüder das Fraterhaus verlassen hätten. 39 Die Funktionalität der Fratres für das Anliegen der Reform war damit grundsätzlich in Frage gestellt. Während sie nach Hasius früher in nützlicher Weise die Scholaren betreut hätten, seien sie nun quasi beschäftigungslos. Die Jesuiten erreichten in der Folge ihr Ziel zwar nicht, doch war ihr Vorgehen fast 25 Jahre nach dem Erlaß von Lubricum vitae genus ein Musterbeispiel für die stets latent vorhandene Bedrohung der Fraterhäuser aufgrund der Bulle Pius V. In der Neustrukturierung der römischen Kirche konnten rivalisierende Kräfte auf die päpstliche Verfügung zurückgreifen, wenn man den Besitz der Brüder neuen Zwecken in der Katholischen Reform und Gegenreformation zuweisen wollte. Das Fraterhaus Wesel sah sich ebenfalls Angriffen ausgesetzt, die aus dem Erlaß von Lubricum vitae genus mit entstanden. Der Magistrat von Kalkar trachtete 1573 danach, die im Besitz der Brüder befindliche Johannis-Vikarie der dortigen Pfarrkirche St.Nicolai inkorporieren zu lassen. Nachdem 1573 der Inhaber dieser Stelle, Sebastianus Vorst, zum Pater des Fraterhauses gewählt worden war, 40 versuchte der Rat, diese für den Ka-
translationem seu habitus mutationem (ad quam necessario per Bullam supradictum constringimur) forte intentioni omnium primi fundatoris nostri in ulto derogari vel imminui queat... ". 36 PETRY: Die Satzungen des St.Gregoriushauses, S. 109. 37 ARSJ, Germ. Ep. 170. (1592, Sep. 30). fol. 251 r . 38 DUHR, Geschichte der Jesuiten in den Ländern deutscher Zunge 1, S. 157 f. 39 DUHR, Geschichte der Jesuiten in den Ländern deutscher Zunge 1, S. 158. 40 BA Münster, PfA St.Nicolai Kalkar, A 6, fol. 76 r .
5. Die Stellung in der katholischen
Konfessionalisierung
265
plan Matthias Holtstegen, der an St.Nicolai den schon alten Pfarrer seit acht Jahren als Prediger vertrat, 4 1 zu verwenden. In einer Supplik an den Patronatsherren, Herzog Wilhelm von Kleve, ersuchte er um die Union der Johannis-Vikarie mit der Kalkarer Pfarrei, da deren Güter durch die regelmäßigen Überschwemmungen am Rhein keinen ausreichenden Ertrag abwarfen, um Pfarrer und Kaplan angemessen zu unterhalten. 4 2 Zudem blieben auch die Abgaben, Stiftungen und Schenkungen an die Kirche in den veränderten Zeiten fast ganz aus. 43 Der apostolische Nuntius Kaspar Gropper, der zu dieser Zeit am Niederrhein wirkte, wurde ebenfalls um seine Zustimmung angegangen. 4 4 Der Magistrat stützte sein Gesuch auf drei Argumente: erstens ließen nach seiner Darstellung die sittlichen und konfessionellen Defekte im Fraterhaus die einwandfreie, katholische Verwaltung der Vikarie nicht zu. Dazu habe Papst Pius V. die Brüdergemeinschaften ohnehin aufgehoben. Das Konzil von Trient letztlich habe die Union von Benefizien als Instrument zur Verbesserung zu gering ausgestatteter Pfarrkirchen empfohlen. Besonders die sittlichen und konfessionellen Mängel in der Brüdergemeinschaft wurden ausfuhrlich dargestellt. Nach dem Wegzug des Vikars Sebastian Vorst war es dem Fraterhaus demnach nicht möglich gewesen, einen würdigen Nachfolger aus ihrer Gemeinschaft zu präsentieren. Der Prokurator des Fraterhauses, Bernhard Dorsten, und der Bruder Johann Hessels wurden von dem Pfarrer, den Vikaren und den Kirchmeistern wegen ihrer zügellosen Lebensweise abgelehnt. 45 Der letzte der nur noch vier Weseler Brüder, Ewaldus Dulmensis, war Lutheraner. 4 6 Ein aus dem Kölner Haus
41
BA Münster. PfA St.Nicolai Kalkar. A 6. fol. 78 r und 85 r . Holtstegen wurde 1574 Pfarrer der Kirche, s. ebd.. fol. 80 v -81 r . 42 B A Münster. PfA St.Nicolai Kalkar. A 6, fol. 76 r -78 r . 43 BA Münster. PfA St.Nicolai Kalkar, fol. 76 v . 44 BA Münster, PfA St.Nicolai Kalkar, fol. 79 r " v . CHRISTIAN GREBNER: Kaspar Gropper (1514-1594) und Nikolaus Elgaard (ca.1538-1587). Biographie und Reformtätigkeit. Ein Beitrag zur Kirchenreform in Franken und im Rheinland in den Jahren 1573 bis 1576 (RST 121). Münster 1982. S. 145-154. Gropper verhandelte am klevischen Hof um die Besetzung der Münsterschen Koadjutorie. REINHARD BRAUNISCH: Johannes Gropper (1503-1559). In: Erwin Iserloh (Hrsg.): Katholische Theologen der Reformationszeit 1 (KLK 48). Münster 1984, S. 117-124. 45 B A Münster. PfA St.Nicolai Kalkar. A 6. fol. 76 r . DRAHT: Sankt Martini Wesel. S. 77. Johann Hessels verließ später das Fraterhaus und wurde Confessor des Süsternhauses Mariengeist in Ginderich (vor 1580, Okt. 15). s. JUTTA PRIEUR: Das Süsternhaus Mariengeist im Kirchspiel Ginderich. In: Büderich. Beiträge zur Stadtgeschichte (Studien und Quellen zur Geschichte von Wesel 9). Wesel 1987. S. 188. 46 BA Münster. PfA St.Nicolai Kalkar. A 6. fol. 76 r . Obwohl die Interessenlage des Magistrats eine Überzeichnung in der Darstellung des Zustandes im Fraterhaus nahe-
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IV. Die Existenz unter den Bedingungen der Glaubensspaltung
Weidenbach abgesandter Frater, Bartholomäus Gladbach, der an Stelle der Weseler die Vikarie verwalten sollte, wurde in Kalkar ebenfalls „...als einen frembden,.."47 abgelehnt. Die Brüder verteidigten dessen Entsendung zwar unter Verweis auf die Union mit den Häusern in Münster und Köln, blieben jedoch erfolglos.48 Herzog Wilhelm gab dem Ansuchen um die Union statt.49 Auch Nuntius Gropper gab mündlich seine vorläufige Zustimmung.50 Scheinbar erst nach dem Entzug ihrer Vikarie traten die Weseler Fraterherren gegen die Union auf, fanden aber beim Herzog und dessen Räten kein Gehör.51 Für Herzog Wilhelm bot die mangelnde Idoneität der Fratres Anlaß genug zum Eingreifen, um die reibungslose Verwaltung der Vikarie zu garantieren. Zur Begründung der Inkorporation berief er sich darauf, daß das „...Cloester in desen beschwerlichen tyden to sulchen verloef und affnehmen geraden, dat idt geine Conventualen hebben noch vermuthlich in Kurten weder Krigen werde, welche bevurie Vikarie...to bedienen ...bequeem wehren...",52 Die Brüder versuchten in ihrer Supplik um die Rücknahme der Union, dieses Argument zu entkräften.53 Um ihre Eignung als Verwalter der Vikarie, insbesondere bei der Memoria für den verstorbenen Stifter zu betonen, legten sie sich einen ungewohnten Titel zu, indem sie als ,ßevoti Oratores, Pater fratresque Coenobii S.Martini in Wesalia" unterschrieben.54 Zudem beharrten sie auf ihrem Anspruch auf die Vikarie, da ihnen selbst in dem Fall, kein geeignetes Hausmitglied zur Verwaltung
legt, bestätigte die Visitation des Fraterhauses von 1575, daß in der Brüdergemeinschaft das Abendmahl in beiderlei Gestalt ausgeteilt und der Opfercharakter der Messe abgelehnt wurde, s. BA Münster, PfA St.Martini Wesel, A 3, 3. Für Ewaldus Dulmensis wurde dies auch durch die fürstlichen Räte behauptet, BA Münster, PfA St.Nicolai Kalkar, A 6, fol. 85R. Auch Rektor Sebastianus Vorst verließ wenig später die Hausgemeinschaft. Nach DRAHT: Sankt Martini Wesel, S. 79, hieß es „in der kleinen Brüderliste " des Fraterhauses über Vorst: „ apostatavit. " 47 BA Münster, PfA St.Nicolai Kalkar, A 6, fol. 78 r . Auch Hessels war zeitweise Mitglied des Fraterhauses Weidenbach. Das Gedächtnisbuch führte ihn als dilectus frater, s. LÖFFLER: Das Gedächtnisbuch des Kölner Fraterhauses Weidenbach, S. 46. 48 BA Münster, PfA St.Nicolai Kalkar, A 6, fol. 78 r . 49 BA Münster, PfA St.Nicolai Kalkar, A 6, fol. 78 V . DRAHT: Sankt Martini Wesel, S. 145 f. 50 BA Münster, PfA St.Nicolai Kalkar, A 6, fol. 79 v . 51 BA Münster, PfA St.Nicolai Kalkar, A 6, fol. 81 r -82 r , und fol. 83 r -84 v . 52 BA Münster, PfA St.Nicolai Kalkar, A 6, fol. 78 V . DRAHT: Sankt Martini Wesel, S. 145 f. 53 BA Münster, PfA St.Nicolai Kalkar, A 6, fol. 83 r -84 v . 54 BA Münster, PfA St.Nicolai Kalkar, A 6, fol. 84 v .
5. Die Stellung in der katholischen Konfessionalisierung
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entsenden zu können, das Recht auf die Präsentation eines Stellvertreters zustünde, und betonten ihre Rechtgläubigkeit und fromme Lebensweise. 55 Die Fraterherren erzielten bei Kaspar Gropper einen zwischenzeitlichen Erfolg. Es gelang ihnen, den Nuntius nach Vorlage des Stiftungsbriefes davon zu überzeugen, daß die Union widerrechtlich erfolgt sei.56 Gropper wollte sie daraufhin revozieren lassen und schlug einen Kompromiß vor. Die Einkünfte der Vikarie sollten zur Hälfte der Pfarrei, zur anderen Hälfte dem Fraterhaus zufallen, welches weiterhin den Vikar stellen sollte. 57 Die fürstlichen Räte wandten sich darauf erneut an Gropper, um dessen endgültige Konfirmation der Union zu erlangen. 58 In einer Confutatio stellten sie ihre Sichtweise dar und widerlegten einzeln die Argumente der Fraterherren. Sie wiederholten die Darstellung des Kalkarer Magistrates über die Mißstände im Fraterhaus und schützten ihn vor dem Vorwurf der Brüder, die Situation falsch dargestellt zu haben. 59 Der Herzog habe angesichts der Tatsache, daß die Pfarrkirche Not litt, die Brüder aber im Überfluß lebten, von seinem Patronatsrecht Gebrauch gemacht und die Vikarie ad pium usum zurückgeführt. 60 Auch die von den Brüdern behauptete katholische Lebensweise wurde von den Räten bestritten. 61 Der zerrüttete Zustand des Hauses war jedoch nur eines von mehreren Argumenten, mit denen der Magistrat die Inkorporation der Vikarie zu legitimieren suchte. Zusätzlich zur Konstatierung der Mißstände schloß er sich explizit an die Beschlüsse der katholischen Reform an, indem er sich auch auf Lubricum vitae genus und die Tridentiner Dekrete berief. 62 In der Supplik an Herzog Wilhelm behauptete er, der Papst habe den „...frater orden abrogiert und gentzlich cassiert, ...alsoe die fratres vast allenthalben in andere gesteliche regulierte huisere sich begeven mottend Ob die hier vom Magistrat unterstellten weitverbreiteten Austritte aus den Brü-
BA Münster, PfA St.Nicolai Kalkar, A 6, fol. 84 v : „...iuxta receptum Romanae Ecclesiae morem, pie sancte et catholice vivere habitumque decentem quotidie gestare. " 56 BA Münster, PfA St.Nicolai Kalkar, A 6, fol. 82 r . 57 BA Münster, PfA St.Nicolai Kalkar, A 6. fol. 82 r " v 58 BA Münster, PfA St.Nicolai Kalkar, A 6, fol. 85 r -86 v . 59 BA Münster. PfA St.Nicolai Kalkar, A 6, fol. 85 r " v . Neu ist der Vorwurf der Räte, daß zwei leibliche Söhne des Paters in Kalkar die Vikarie zu ihren Gunsten nutzen wollten, ebd., fol. 85 v . Punkt 5. 60 DUHR: Geschichte der Jesuiten in den Ländern deutscher Zunge 1, S. 157 f. 61 BA Münster, PfA St.Nicolai Kalkar, A 6. fol. 86 v . 62 BA Münster, PfA St.Nicolai Kalkar. A 6, fol. 78 r . 63 BA Münster, PfA St.Nicolai Kalkar, A 6, 78 r . Eine Kopie von Lubricum vitae genus legte er dem Gesuch bei, ebd., fol. 75r"v. 55
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IV. Die Existenz unter den Bedingungen der Glaubensspaltung
derhäusern als gewollte Übertreibung oder als Hinweis auf eine tatsächliche, durch Lubricum vitae genus ausgelöste Entwicklung zu werten ist, läßt sich aufgrund der schlechten Quellenlage kaum entscheiden. Zumindest wird die Selbstauflösung der Gemeinschaft im nahe gelegenen Doesburg dem Magistrat bekannt gewesen sein, die er sich für seine Zwecke zu Nutze machte. Die Brüder verteidigten sich nicht explizit gegen die Anwendung der päpstlichen Bulle auf ihre Lebensform. Weder in ihrem Schreiben an den Herzog, noch an dessen Räte versuchten sie, den Vorwurf der Illegitimität von sich zu weisen. Dagegen betonten sie die Gefahr, die ihrer Gemeinschaft aus dem Entzug der Vikariengüter entstünde. 64 Auch die fürstlichen Räte hielten dagegen die Auflösung des Hauses für nichts weiter als das Eintreten dessen, was Pius V. schon vor Jahren befohlen und Philipp II. exekutiert habe. 65 Wie die päpstliche Bulle machte der Magistrat von Kalkar auch Bestimmungen des Trienter Konzils für seine eigenen Zwecke dienstbar. Nicht nur mit den Reformplänen der Kurie, sondern auch mit denen des Landesherren wurde hierbei die Übereinstimmung der geplanten Union betont. Herangezogen wurde der Kanon 13 der 24. Sessio Trients, der das Problem der zu gering ausgestattenen Pfarrkirchen behandelte. 66 Der Bischof hatte nach dem Konzil hier die Aufgabe, diesem Mißstand durch die Union von Benefizien abzuhelfen. Ausgenommen blieben jedoch Ordensbenefizien und die Union mit Klöstern oder Abteien, Dignitäten und Präbenden an Stiften sowie einfachen Benefizien bei Hospitälern oder Ritterorden. Auch die klevische Instruktion von 1532 und die jülich-bergischen Visitationen von 1550 und 1559 hatten schon besonders darauf geachtet, inwieweit der Unterhalt der Pfarrgeistlichen durch fremde Benefizien gemindert war. 67 Die Kalkarer Pfarre St.Nicolai war dabei 1532 hinsichtlich ihrer ungenügenden Ausstattung festgehalten worden. 68
64
BA Münster. PfA St.Nicolai Kalkar, A 6, fol. 81 v . Sie fürchteten um ihren Unterhalt, sowie um „...schattong und ander beswer... ". Die fürstlichen Räte suchten auch dieses Argument gegenüber Gropper zu entkräften. Falls die Brüder dessen würdig seien, würde der Herzog auch für ihren Unterhalt sorgen, ebd., fol. 86 v , Punkt 9. 65 BA Münster, PfA St.Nicolai Kalkar, A 6, fol. 86 r , Punkt 10. 66 BA Münster, PfA St.Nicolai Kalkar, A 6, fol. 78R. Es handelt sich um: CONCILIUM T R I D E N T I N U M . Diariorum, Actorum, Epistolarum, Tractatuum 9 . Actorum, Pars Sexta, Complectens Acta post Sessionem Sextam (XXII) usque ad Finem Concilii (17. Sept.1562-4.Dec. 1563). Bearb. v. S.Ehses, Freiburg 1965 2 , S. 984 f. 67 REDLICH: Jülich-Bergische Kirchenpolitik 2.1, S. 5, Punkt 23, und 2.2. S. 58 ff. 68 BA Münster. PfA St.Nicolai Kalkar. A 6, fol. 78 v . D R A H T : Sankt Martini Wesel, S. 146.
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Konfessionalisierung
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Die Brüder argumentierten dagegen, daß der herangezogene Trienter Kanon in ihrem Fall nicht zutreffend war. Das Konzil habe nicht solche Benefizien mit den Pfarreien unieren wollen, die als „...beneficium simplex et non curatum..."69 zum Unterhalt eines Priesters gestiftet worden waren. Daher könne die Trienter Bestimmung auf den vorliegenden Fall nicht angewandt werden. Gemäß den Bestimmungen der Fundation sei die Vikarie ausschließlich zu ihrer Versorgung angelegt worden und stehe ihnen auf ewig zu. Die Räte bestritten diesen Charakter des Benefiziums. Entgegen der Darstellung der Brüder hätten schon vor Herzog Adolph der Kalkarer Bürger Gottfried Hein und der Kanoniker Adolph Suytkame die Vikarie fundiert. 1447 sei sie dann vom Landesherren an die Brüder vergeben worden. 70 Sie verwiesen darauf, daß schon vor den Brüdern andere Weltkleriker die Güter genossen hätten und zudem ein frommer Priester vor den Brüdern bevorzugt werden sollte. Der exklusive Anspruch der Brüder war damit ihrer Meinung nach hinfallig. Diese Denkschrift der fürstlichen Räte hat vermutlich den Ausschlag gegen die Supplik der Brüder an Kaspar Gropper gegeben. Die Vikarie blieb der Pfarre St.Nicolai in Kalkar inkorporiert. Den Hauptgrund für diese Transaktion hatte die mangelhafte Ausstattung der Parochie geliefert. 71 Herzog Wilhelm berief sich allerdings nicht auf den vom Kalkarer Magistrat angeführten Kanon Trients, sondern auf die eigene, landesherrliche Reformpolitik, wie sie sich in den klevischen und jülich-bergischen Visitationen manifestiert hatte. 72 Dazu kam der allgemeine Wandel, den die Ausrichtung der herzoglichen Kirchenpolitik seit dem Ende der sechziger Jahre nahm. Mit dem Tod beziehungsweise Rückzug der Räte Vlatten und Heresbach schwand der Einfluß erasmisch-humanistischer via media Kräfte, so daß sich der klevische Hof enger an die römische Kurie anschloß. 73 Die Bulle Lubricum vitae genus von Pius V. fand keinen Niederschlag in der herzoglichen Begründung. Daß sie aber im Prozeß der Meinungsbildung eine Rolle gespielt hatte, wird daran deutlich, daß die fürstlichen Räte
69
BA Münster. PfA St.Nicolai Kalkar. A 6. fol. 84 r . Im Kanon 13, Sessio 24 hieß es „In unionibis vero quibuslibet ... benificiis simplicibus ... non uniantur ", s. CONCILIUM TRIDENTINUM 9 . S. 9 8 4 . 70
BA Münster. PfA St.Nicolai Kalkar. A 6. fol. 8 5 v - 8 6 r . DRAHT: Sankt Martini Wesel. S. 145 f. 72 REDLICH: Jülich-Bergische Kirchcnpolitik. 2.2.. S. 58 ff. 73 S. hierzu A. GAIL: Johann von Vlatten und der Einfluß des Erasmus von Rotterdam auf die Kirchenpolitik der vereinigten Herzogtümer. In: Düsseldorfer Jahrbuch 45 71
( 1 9 5 1 ) , S. 1 - 1 0 9 . FRANZEN: D a s S c h i c k s a l d e s E r a s m i a n i s m u s a m N i e d e r r h e i n , S. 8 6 f.,
u n d STÖVE: V i a m e d i a . S. 131 f.
270
IV. Die Existenz unter den Bedingungen der Glaubensspaltung
sie in ihrer Denkschrift an Kaspar Gropper gegen die Brüder verwandt hatten. Diese unterlagen also in Wesel weniger den Konsequenzen einer monolithisch auftretenden, von Rom gelenkten Gegenreformation, sondern den spezifischen Entwicklungen der klevischen Kirchenpolitik. Da die Lebensform der Brüder aber hinsichtlich ihrer Legitimität angezweifelt werden konnte und auch das Konzil von Trient die Inkorporation von Benefizien zugunsten der Pfarrkirchen empfahl, konnten lokale Interessenvertreter, wie im vorliegenden Fall der Magistrat von Kalkar, die allgemeinen Richtlinien der Kirchenreform für ihre Zwecke nutzen. Den Weseler Fraterherren ging damit eine wichtige Einnahmequelle aus der Frühzeit des Hauses verloren.
5.2. Versuche zur Umwandlung der Fraterhäuser für die Zwecke der Katholischen Reform und Gegenreformation Mit der beginnenden Neuformierung der katholischen Kirche nach der Reformation und in der Folge des Konzils von Trient setzten eine Reihe von Entwicklungen ein, die die Existenz der Fraterhäuser über den Erlaß von Lubricum vitae genus hinaus gefährdeten, indem sie den Besitz der Brüder und die Fraterhöfe selbst für neue Zwecke heranzuziehen versuchten. Insbesondere die Niederlassung der neu auftretenden Jesuiten und die Pläne zur Gründung der Diözesanseminare waren Vorhaben der Katholischen Reform und Gegenreformation, die in der beginnenden Konfessionalisierung der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts stets ihr Augenmerk auf die Fraterhäuser richteten, wenn es um die Bereitstellung geeigneter Ansiedlungen und die Dotierung der geplanten Institutionen ging. In Hildesheim setzten die ersten Versuche zur Neuformierung der katholischen Kirche mit dem Amtsantritt Bischofs Ernst II. und der Ankunft des Germanikers Heinrich Winichius, der als neuer Domprediger vorgesehen war, 74 im Jahr 1573 ein. Im Fraterhaus wurde man den Anforderungen der Reform kaum noch gerecht. 75 Die Defekte im kultischen Le74
BERTRAM: Geschichte des Bistums Hildesheim 2, S. 345 f. Zum Collegium Germanicum s. PETER SCHMIDT: Das Collegium Germanicum in Rom und die Germaniker. Zur Funktion eines römischen Ausländerseminars (1552-1914) (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom 56). Tübingen 1984, besonders S. 38-55. 75 Damit standen sie in einer Reihe mit den anderen Stiften Hildesheims, die Gegenstand von Reformen waren, s. BERTRAM: Geschichte des Bistums Hildesheim 2, S. 339-344. Eine Ausnahme waren die Kartäuser. Noch Anfang des 17. Jahrhunderts lagen nur teilweise Fortschritte vor, s. HERMANN ENGFER: Die kirchliche Visitation von 1608-1609 im Bistum Hildesheim. In: Die Diözese Hildesheim in Vergangenheit und
5. Die Stellung in der katholischen
Konfessionalisierung
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ben auf dem Lüchtenhof zeigten sich anhand des Reformversuchs durch Bischof Ernst im Jahr 1581, als die Brüder aufgefordert wurden, wieder „...den heilligen Gotsdienst allten loblichen catholischen gebrauch 16 nach..." zu feiern. Da die Fraterherren seit geraumer Zeit den Gottesdienst nicht mehr gefeiert hätten, 77 erklärte Bischof Ernst die frommen Stiftungen, mit denen Klöster und Stifte dotiert seien, als zugehörig zu den Satzungen und Ordnungen der katholischen Kirche. Die Unterlassung der gestifteten Messen, aus denen die Klöster ihren Unterhalt bezögen, verurteilte er als einen Mißstand, den das bischöfliche Amt zu korrigieren gebiete. Für den Fall fortgeführter Nachlässigkeit seitens der Brüder wurde die Privation aller Stiftungen angedroht. Das dem bischöflichen Mandat zugrunde liegende Programm spiegelt die Grundsätze der Katholischen Reform des 16. Jahrhunderts. Als Funktion der Stifte und Klöster wurde das Lob Gottes und die Sorge um die Seelen angesehen, die nach den Satzungen der Kirche und den frommen Stiftungen ausgeübt werden mußte. Wurde ein Institut, wie im vorliegenden Fall das Hildesheimer Fraterhaus, dem nicht gerecht, verlor es seine Legitimation und mußte reformiert, im äußersten Fall amtsentsetzt werden. Die Kontrolle und Durchfuhrung etwaiger Strafmaßnahmen oblag dem Bischof. Die Betonung der bischöflichen Initiativrolle und Kontrollbefugnis in Sachen der Reform ist hierbei typisch für die nachtridentinische Reorganisation der Kirche. 78 In der konfessionellen Spannungslage mit den Protestanten wurden abweichende Elemente im eigenen Lager nicht geduldet. Das Fraterhaus war damit stark gefährdet, durch Mandat der kirchlichen Obrigkeit aufgehoben zu werden. Die Mängel im Personal- und Besitzstand erschwerten zusätzlich eine Verbesserung der hausinternen Zustände. Für den Augenblick beschränkten sich die bischöflichen Forderungen auf die bloße Pflichterfüllung im Fraterhaus. Orthodoxie in der Lehre und Konformität in der kirchlichen Praxis waren der angelegte Maßstab. Mit dem
Gegenwart 32/33 (1964/65), S. 17-151. Zum Zustand um 1800 vgl. HUBERT HÖING: Raumwirksame Kräfte katholisch-kirchlicher Einrichtungen im frühneuzeitlichen Hildesheim. In: Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte 52 (1980), S. 77 f. 76 B A Hildesheim, Ps. U 105 (1581, Jun. 1). Vgl. BRÜGGEBOES: Die Fraterherren im Lüchtenhofe, S. 31. 77 Der Ausdruck der Quelle, seit „ ...etzliche vil jar... ", läßt eine genauere Datierung nicht zu. Zu vermuten ist, daß mit dem Ende der Einträge in das Anniversar im Jahr 1566 auch die allgemeine gottesdienstliche Praxis erlahmte. 78 Anstelle zahlreicher Einzeluntersuchungen SCHREIBER: Tridentinische Reformdekrete in deutschen Bistümern. Zum Gesamtkomplex auch REPGEN: Der Bischof zwischen Reformation, Katholischer Reform und Konfessionsbildung, S. 245-314.
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IV. Die Existenz unter den Bedingungen der Glaubensspaltung
Fortschreiten der Entwicklung traten jedoch stärker Momente in den Blickpunkt, die eine aktive Teilhabe an der konfessionellen Auseinandersetzung in der Stadt zum entscheidenden Kriterium machten. Solchen Anforderungen war das Fraterhaus aber schon aufgrund seiner personellen Situation nicht gewachsen. Dieses zweite Stadium der Katholischen Reform und Gegenreformation in Hildesheim begann mit der Ankunft des ersten Jesuiten, Johann Hammer, und eines Gehilfen im Jahr 1587. In dieser Frühphase, als sowohl der Geistliche Rat als auch das Domkapitel nach Wegen für die Ausstattung und Etablierung des neuen Ordenskollegs suchten, trat das anfällige Fraterhaus wieder in den Blickpunkt der Reformkräfte. Die Fraterherren hatten nun stets mit der Gefahr zu rechnen, daß ihre für die Rückgewinnung von Stift und Stadt vollständig nutzlos gewordene Gemeinschaft für die Jesuiten herangezogen werden sollte. Deren Ausrichtung auf die Bedürfnisse der Zeit, ihr aktiver Kampf um die Seelen, von den Marianischen Kongregationen über die Theateraufführungen und die Straßenkatechese, 79 machten ihre Niederlassung zur vorrangigen Aufgabe. Brachliegendes Potential, wie etwa der desolate Lüchtenhof, bot sich für eine Nutzbarmachung an. In den Jahren 1587, 1588 und 1591 wurden entsprechende Pläne erörtert. Schon im Dezember 1587 hatten die Räte Albert Busche und Abt Hermann Dannhausen mit dem Prokurator des Fraterhauses, Johann Engelken, bezüglich der Aufnahme der ersten Jesuiten vertrauliche Abmachungen getroffen. 80 Nachdem der Rektor Johannes Nebelingk durch die Räte und den Domdekan, an den sich Engelken aufgrund hausinterner Auseinandersetzungen gewandt hatte, abgesetzt worden war, wurde der 1587 geschlossene Vertrag bestätigt. Engelken verpflichtete sich, nach Pfingsten 1588 den Jesuitenpater und dessen Gehilfen, im Bedarfsfall auch weitere Angehörige der Sozietät, zur Kost und Logis auf dem Lüchtenhof unterzubringen. Die Aufwendungen der Brüder sollten durch Kornlieferungen aus der Dompräbende des Predigers Winichius vergolten werden. Die Motivation dieser Übereinkunft begründete der Vertrag mit den allgemeinen Erfordernissen der Zeit, der „...ehr Gottes erhaltung und vortsetzung unsers allein seligmachenden Catholischen Religion...".81 Engelken verpflichtete sich damit auf die Teilhabe an der Gegenreformation, für die die
S . zur Wirkung der Jesuiten CHÂTELLIER: L'Europe des dévots. Dombibliothek Hildesheim, Bev. Cod. 1081 (1588, Apr. 23). Die einzelnen Punkte der Abmachung von 1587 sind nicht bekannt, da diese nur im Folgevertrag von 1588 erwähnt wird, selbst aber nicht überliefert ist. 81 Dombibliothek Hildesheim, Bev. Cod. 1081 (1588, Apr. 23). 79
80
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273
Jesuiten mustergültig standen. Noch wurde ein Vorhaben, den Lüchtenhof vollständig der Societas Jesu zu übereignen, nicht genannt, stand aber schon im Hintergrund. Von seiten der Fraterherren verpflichtete sich Engelken lediglich zu einer bloßen Kostaufnahme. Die Übertragung des Lüchtenhofs an die Jesuiten war jedoch schon wenig später Gegenstand eines Gutachtens für die bischöfliche Regierung. 8 2 Der Verfasser diskutiert die Möglichkeiten einer endgültigen Etablierung der Jesuiten, wofür es einer Unterkunft und Schule, einer Kirche und der Sicherstellung des Unterhalts bedurfte. Zur Beschaffung der materiellen Grundlagen wurde in erster Linie der Lüchtenhof untersucht. Nach einem kurzen Rückblick auf die Geschichte des Hauses, der vor allem den Niedergang der Gemeinschaft herausstellt, erinnert der Verfasser an die Übereinkunft von 1587/88, die Engelken nicht eingehalten hatte. Dieser hatte sich, der realen Gefahr wohl bewußt, seinen Verpflichtungen entzogen und sich in Münster zum Rektor der Fratergemeinschaft wählen lassen, 83 um seine rechtliche Position als Vertreter des Fraterhauses zu stärken. 84 Der Gutachter empfahl, auf der Einhaltung des geschlossenen Vertrags durch Engelken zu bestehen, entweder durch gütliche Einigung oder auf Befehl des Fürstbischofs. Hierbei bewog ihn allerdings nicht mehr nur die Frage der bloßen Unterbringung von Johann Hammer und seiner Gehilfen, sondern die Tatsache, daß der Lüchtenhof ein „...bequem Jesuit
Collegium gebenn und leichtlich darzue angerichtett werden konte. "85 Für die zusätzliche Ausstattung der Jesuiten empfahl der Gutachter die Kirche des ehemaligen Dominikanerklosters, 8 6 die sich durch ihre Lage ge-
82
STA Hannover. Cal. Br. 10. 120. S. hierzu auch BERTRAM: Geschichte des Bistums Hildesheim 2, S. 348. Das Fraterhaus wird dargestellt als ein ehemaliges Schulkollegium, welches mit der Reformation zerstört worden sei. Einige Insassen seien noch vorhanden, zum Teil aber, wie viele schon ausgetretene, lutherisch geworden. 83 Dombibliothek Hildesheim. H s . P s . l l . fol. 4 6 v - 4 7 v . 84 Dombibliothek Hildesheim. Bev. Cod. 1081 (1588, Apr. 23), und H s . P s . l l . fol. 4 2 v . Engelken war 1588 nach Streitgkeiten mit dem Rektor Johannes Nebelingk vom Konsistorialrat Abt Hermann von Dannhausen und dem Domdekan zum Verwalter des Hauses bestimmt worden, bis vom Bischof eine endgültige Entscheidung getroffen würde. Er wurde damit nicht vollwertiger Amtsnachfolger Nebelings, sondern lediglich der Verweser der Fratergüter, während die Räte und der Domdekan den Zweck und die Gestalt der Gemeinschaft nun weitgehend allein zu bestimmen suchten. Engelken mußte entsprechend bei seiner Ernennung zum Verwalter des Lüchtenhofs versprechen, ohne Einwilligung der Räte und des Domdekans keine neuen Mitglieder in das Haus aufzunehmen. 85 STA Hannover. Cal. Br. 10. 120. 86 Der Verfasser ist hier schlecht informiert, da er an dieser Stelle den ehemaligen Franziskanerkonvent lokalisiert. Dies ist von anderer Hand in „Prediger" verbessert.
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IV. Die Existenz unter den Bedingungen der
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genüber dem Lüchtenhof anbot. Da aber die Stadt diese Kirche besetzt hielt, sollten die Jesuiten anfanglich auf die kleinere Kapelle des Fraterhauses zurückgreifen, bis es möglich würde, die Ansprüche auf das alte Gotteshaus der Dominikaner zu realisieren. Der Unterhalt des neuen Kollegs konnte allerdings aus den Mitteln des Fraterhaus allein nicht getragen werden. Hierzu sollten zusätzlich die Güter des Johannesstifts herangezogen werden. Von dem ehemaligen Besitz des Fraterhauses sei zudem schon vieles verkommen, und noch täglich werde vieles distrahiert. Durch die Einbeziehung der Kirche und des gesamten Besitzes der Brüder wird vollends deutlich, daß eine restlose Unterdrückung des Fraterhauses angestrebt wurde, um dessen Grundbesitz und Ressourcen als Basis für die neue Niederlassung der Jesuiten zu nutzen. Der personelle und materielle Zustand des Fraterhauses ließ von vornherein eine Teilhabe an der Reform nicht zu. Mit Hilfe des Fraterhauses in Münster und im späteren Stadium durch die Inanspruchnahme des Schutzes der Stadt gelang es den Brüdern, der unmittelbaren Gefahr der frühen 1590er Jahre zu begegnen. 8 7 Die Jesuiten erhielten schließlich die Langensche Domherrenkurie, als Kirche nutzten sie die Antoniuskapelle des Doms, zum Unterhalt wurden Mittel der Propstei des Moritzstiftes herangezogen. 8 8 Auch mit der fortschreitenden kirchlichen Reform im Bistum Münster ging eine tiefgreifende Umstrukturierung der Kirche einher, die im Klerus zu Parteibildungen und Rivalitäten führte. In rückschauender Betrachtung des um 1670 schreibenden Chronisten der münsterischen Fraterherren standen die Verteilungskämpfe innerhalb der Kirche im Vordergrund des Geschehens. 89 Anlaß und Hauptgegenstand der Chronik waren die Belagerung Münsters 1657 durch Bischof Christoph Bernhard von Galen, 90 in der Vorrede überhöht der Chronist die Ereignisse aber zu allgemeiner Bedeutung. Zwar habe die Verbreitung der Irrlehren zu größerer Eintracht zwischen den geistlichen und weltlichen Ständen gefuhrt, doch nach der Rückftih-
87 BRÜGGEBOES: Die Fraterherren im Lüchtenhofe. S. 33-36. Noch 1594 fürchteten sie, ihr Besitz solle den Jesuiten übergeben werden, s. BUHLERS: Joachim Brandis' des Jüngeren Diarium, S. 345. 88 BERTRAM: Geschichte des Bistums Hildesheim 2. S. 348 ff. 89 SCHMITZ-KALLENBERG: Eine Chronik des Fraterherrenhauses in Münster, S. 338-
362. 90
ALOIS SCHRÖER: Die Korrespondenz des Münsterer Fürstbischofs Christoph Bernhard von Galen mit dem Heiligen Stuhl (1650-1678) (Westfalia Sacra 3). Münster 1972, S. 54-59. Die Fraterherren scheinen auf der Seite des Domdechanten Mallinckrodt und der Stadt die Gültigkeit der Wahl Christoph Bernhards bestritten zu haben, s. SCHMITZ-KALLENBERG: Eine Chronik des Fraterherrenhauses in Münster, S. 343.
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rung in den Schoß der einen Kirche hätten die Diener des Glaubens sich entzweit. Die Zustände gingen in den Augen des Chronisten so weit, daß ein jeder nach des anderen Hab und Gut gierte. 91 Wenn dieser auch im Schwang der Empörung über das Vorgehen des Bischofs schrieb, so ist die Perspektive doch instruktiv: die Fraterherren erfuhren die Neuformierung der Kirche nicht als Gestaltende, sondern als deren Objekt. Die Reform des altgläubigen Klerus Münsters gewann mit der Bistumsvisitation in den Jahren 1571-73 erste Gestalt. 92 Die Interrogatorien zeigen die für das 16. Jahrhundert typischen, vollständig auf die Beseitigung der Devianzen im kirchlichen Leben ausgerichteten Fragen. 93 Nach der Überwindung des Widerstandes, den vor allem die Stiftsgeistlichen einer Untersuchung ihrer Lehr- und Lebenshaltung entgegenbrachten, 94 wurden vom 24.-29. August 1571 die Klöster der Stadt Münster visitiert. Die Brüder des Hauses Zum Springborn erzielten in der Befragung ein weit über dem Durchschnitt liegendes Ergebnis. 95 Sowohl das Bewußtsein um ihre Eigenart in Verbindung mit der Regelung des täglichen Lebens als auch ihr sittlicher Zustand waren intakt. Gemäß dem Charakter ihres Hauses gaben sie an, keine Regel und kein Gelübde zu befolgen, sondern nach ihren Statuten keusch, einträchtig und gemeinsam zu leben. Die Fraterherren wollten kein Privateigentum zulassen und der Rektor war in Kleidung, Einkünften und Rechten den anderen Hausmitgliedern inklusive der Laienbrüder gleichgestellt. Die Brüder hielten zudem pia et religiosa colloquia ab und erwiesen sich gegenseitige Hochachtung und Liebe. Dazu pflegten sie Meditationen
91 SCHMITZ-KALLENBERG: Eine Chronik des Fraterherrenhauses in Münster. 338 ff. 92 Zu den ersten Anfängen einer Reform s. ALOIS SCHRÖER: Das Tridentinum und Münster, in: Schreiber, Das Weltkonzil von Trient 2, S. 295-336. WILHELM KOHL: Die Durchsetzung der tridentinischen Reformen im Domkapitel zu Münster. In: Reformatio Ecclesiae. Beiträge zu kirchlichen Reformbemühungen von der Alten Kirche bis zur Neuzeit. Festgabe für Erwin Iserloh. Hrsg. v. Remigius Bäumer. Paderborn, München u.a. 1980, S. 729-747. IMMENKÖTTER: Die Protokolle des Geistlichen Rats, S. 4-11. 93 SCHWARZ: Visitation, S. 6-38. Dazu PETER T. LANG: Reform im Wandel. Die katholischen Visitationsinterrogatorien des 16. und 17. Jahrhunderts. In: Kirche und Visitation. Beiträge zur Erforschung des frühneuzeitlichen Visitationswesens in Europa. Hrsg.v. E.W.Zeeden und P.T.Lang (Spätmittelalter und Frühe Neuzeit 14). Stuttgart 1984, S. 145. DERS.: Die Kirchenvisitationsakten des 16. Jahrhunderts und ihr Quellenwert. 94 SCHWARZ: Visitation. S. LX ff. Die münsterischen Stifte waren personell eng mit dem D o m verbunden, der von der Visitation ausgenommen war. 95 Das Interrogatorium s. SCHWARZ: Visitation, S. 30-34, die Antworten der Fraterherren S. 77 f. Die Antwort auf Frage 18 fehlt im Protokoll, so daß der Bezug von Frage und Antwort im folgenden jeweils um eins verschoben ist.
S.
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über die heiligen und himmlischen Dinge, hielten Lesungen zu Tisch, sorgten sich um eine Bibliothek und verzichteten auf die Ausübung eines unpassenden Handwerkes. Die Hören wurden gemäß den Statuten gelesen. Im disziplinaren Bereich erwiesen sich die Brüder gleichfalls als untadelig. Das Protokoll der Visitation nennt sie „...superiores bonae conversationis et vitae...",96 Streitigkeiten und Konventikelbildungen waren nicht anzutreffen. Luxus, Pomp oder Trinkgelage wurden vermieden, die Abendruhe eingehalten. Hausfremde Laien und Frauen wurden nicht eingelassen. Auch Flüchtlinge oder Überläufer zur neuen Lehre waren nicht zu beklagen. 97 Man wird bei der Bewertung der Visitationsprotokolle immer mit einbeziehen müssen, daß die Häuser vor der bischöflichen Kommission darauf bedacht sein mußten, ihren guten Zustand nachzuweisen. Besonders die Fraterherren waren sich angesichts des Erlasses von Lubricum vitae genus und der Entwicklungen am Niederrhein und in den Niederlanden bewußt, daß bei tiefgreifenden Umstrukturierungen innerhalb der münsterischen Kirche ihr Haus stets in das Blickfeld geriete, wenn es Ressourcen für die neuen Aufgaben der Kirche zu gewinnen galt. Allein die Unterstellung der Fraterherren unter die bischöfliche Jurisdiktion ermöglichte oftmals einen leichteren Zugriff als auf die exemten Orden. 98 Konkret wurden solche Überlegungen in Münster anläßlich der Planungen zur Einrichtung eines Priesterseminars für die westfälische Diözese. Die ersten Träger der Erneuerung in Münster, der Nuntius Kaspar Gropper und die Jesuiten, hatten auch schon am Niederrhein und in den Niederlanden entsprechende Formationsprozesse zum Nachteil der Brüder vom Gemeinsamen Leben mitgestaltet. Unmittelbar nach der Visitation durch Bischof Johann von Hoya wurden durch den Nuntius Kaspar Gropper Vorschläge zur Umsetzung der Reform im Bistum Münster unterbreitet, die vor allem auf die Gründung eines Seminars zielten. 99 Der Nuntius schlug
96
SCHWARZ: V i s i t a t i o n . S. 7 8 .
97
Auch der allgemein zu beobachtende gute Zustand der von ihnen geleiteten Schwesternhäuser des Münsterlandes deutet darauf hin, daß die Angaben vor der Visitationskommission das tatsächliche Leben der Brüder widerspiegelten, SCHWARZ, Visitation. S. CXLVII ff. Die Minoriten als einziger innerstädtischer Vergleich hatten hier in der Vergangenheit Konventualen verloren, wenn sich auch nach ihrer Aussage vor den Visitatoren zu Anfang der siebziger Jahre keine des Luthertums verdächtigen Personen mehr in der Hausgemeinschaft befanden, ebd. S. 80. 98 Vgl. G. VAN DEN ELSEN und W. HOEVENAARS (Bearbb ): Analecta Gisbertij Coeverincx 2 (Provinciaal Genootschap van Künsten en Wetenschapen in Noord-Brabant, Werken, N.R. 12). 's-Hertogenbosch 1907. S. 84 ff. 99
KELLER: G e g e n r e f o r m a t i o n
SCHRÖER: E r n e u e r u n g 1, S. 3 4 1 f.
1. N r .
3 0 1 , S. 3 9 0 - 3 9 2
( 1 5 7 3 , Okt.
1). D a z u
auch
5. Die Stellung in der katholischen Konfessionalisierung
277
Bischof Johann von Hoya die Nutzung der Margarethen- oder Nikolaikapelle des Doms und die Leitung des geplanten Institutes durch die Jesuiten vor. Nach dem Ableben des Bischofs warb Gropper für diese Pläne auch beim Domkapitel. Dieses stimmte den Plänen jedoch nur teilweise zu, da seine Haltung in Reformfragen weitgehend von eigenen Standesinteressen geprägt war. Aus Platzgründen im Domhof lehnte es die Heranziehung der Kapellen ab und schlug stattdessen die Konventsgebäude der Fraterherren oder der Minoriten vor. 1 0 0 Deren Nutzung unterliege jedoch der Zustimmung der Betroffenen und sei ohne Wissen des Magistrats nicht durchsetzbar. Das Kapitel versuchte damit, die Lasten des Seminarprojektes vom Stiftsklerus abzuwenden. Da die Visitation von 1571 keine Ergebnisse erbracht hatte, die eine Auflösung aus disziplinarischen Gründen nahegelegt hätte, geriet das Fraterhaus vor allem aufgrund seiner vergleichsweise schwachen rechtlichen Stellung in das Blickfeld. Neben der Frage des Ortes wurde auch die Finanzierung des Projektes von einem für das Domkapitel günstigen Verlauf des kostenintensiven Schenking-Prozesses an der Rota abhängig gemacht. 1 0 ' Aufgrund dieser Taktik und der allgemeinen Zurückdrängung der Reformfragen in den Kämpfen um die Besetzung des münsterischen Bischofsstuhles erfuhr die Gründung eines Seminars in der Folge keine Fortschritte. 1582 wurde abermals ein Versuch unternommen, die Jesuiten in die Stadt zu holen und damit die Gründung eines Seminars zu verbinden. Domdechant Gottfried von Raesfelt warb bei Provinzial Franz Coster für einen entsprechenden Plan und verwies auf Überlegungen, das nur noch schwach besetzte Kloster der Minoriten einzuziehen. Coster plädierte jedoch für eine Vorgehensweise wie in Trier. 102 Dort war 1569 der als einziger Einwohner verbliebene Rektor des Fraterhauses abgefunden worden, so daß die Minoriten in das Fraterhaus, die Jesuiten aber in das Minderbrüderkloster zogen. 1 0 3 Ähnliche Übertragungen häuften sich seit den späten sechziger Jahren. In Gent war ein Vertrag über die Einrichtung eines bischöflichen Seminars geschlossen worden, 1 0 4 in Brüssel plante Kardinal
100
KELLER: G e g e n r e f o r m a t i o n
1. N r . 3 0 4 . S. 3 9 4 - 3 9 7 ( 1 5 7 4 , M a i 2 1 ) .
Datierung
nach den Angaben von SCHWARZ: Die Nuntiaturkorrespondenz Kaspar Groppers, S. 1 3 9 . 101
KELLER: Gegenreformation 1. S. 397. Vgl. SCHRÖER: Erneuerung 1, S. 343. KELLER: Gegenreformation 1. S. 397. Vgl. SCHRÖER: Erneuerung 1, S. 343. 103 JOSEF HEYEN: Die Brüder vom gemeinsamen Leben in St.German. In: Neues Trierisches Jahrbuch 2 (1962), S. 16-27. MFVC 2: S. 225. (W.Leesch). 104 MFVC 1: S. 166 f. (N.Geirnaert). 102
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IV. Die Existenz unter den Bedingungen der Glaubensspaltung
Granvelle 1570 ebenfalls die Aufhebung des Fraterhauses. 105 In Utrecht verkauften die Brüder ihr Hostal an eine erzbischöfliche Kommission zur Errichtung eines Seminars. 106 In 's-Hertogenbosch wurde das Schülerhaus 1571/72 zu dem gleichen Zweck dienstbar gemacht, 107 und auch in Groningen war schon 1568 die Einrichtung eines Seminars im domus scholarum der Brüder geplant gewesen. 108 Es steht zu vermuten, daß Coster auch in Münster die geringeren Schwierigkeiten in der Verdrängung der Fraterherren als der alteingesessenen, eng mit der Stadt verbundenen Minoriten sah. Ob die Jesuiten in Münster, wie auch später in Emmerich, zusätzlich mit der Konstituion Lubricum vitae genus von Pius V. die Stellung der Fraterherren zu unterminieren versuchten, ist nicht nachweisbar. Erst nach der Wahl des Bischofs Ernst von Bayern waren jedoch die Voraussetzungen gegeben, weitere Schritte zu unternehmen. Gestützt auf Mittel aus dem Vermächtnis des Domdechanten Gottfried von Raesfelt erhielten die Jesuiten schließlich doch, wie schon im Memorial von Kaspar Gropper vorgeschlagen, die Nikolaikapelle, und dazu das Paulinische Gymnasium. Dennoch waren die Fraterherren in Münster ungeachtet ihres intakten Gemeinschaftslebens wieder in das Blickfeld getreten, als es neue Kräfte für die Etablierung der katholischen Konfessionalisierung bereitzustellen galt. Die Motive hierfür waren vielfältig. Das Domkapitel konnte im Interesse der Besitzwahrung ebenso auf das minderprivilegierte Fraterhaus verweisen wie die Jesuiten auf die andernorts schon gehandhabte Praxis, die Brüdergemeinschaft zu Zwecken der tridentinischen Reform aufzuheben. Die Verkleinerung der Fratergemeinschafit infolge des Nachlassens der Vokationen und der Verpflichtungen in den Süsternhäusern hatten jedoch schon vor dem Aufkommen von Plänen zur Schaffung eines Diözesanseminars das Augenmerk auf das brachliegende Potential im Fraterhaus gelenkt. Schon 1558 hatten die Brüder sich zum Ende des Rektorates von Johann Krampe bereit erklärt, die in der Stadt weilenden Franziskaner-Observanten im Fraterhaus aufzunehmen. 109 Die Modalitäten der Aufnahme wurden genau festgelegt, um den Gedanken einer Übergabe des Hauses an die Mendikanten gar nicht erst aufkommen zu lassen. Lediglich für den Fall,
105
MFVC 1: S. 33. (E.Cockx-Indestege). S. hierzu die Übereinkunft mit der Stadt bei J. LAENEN: Geschiedenis van het Seminane van Mechelen. Mechelen 1930, S. 22 f. 106 POST: The Modern Devotion, S. 570 f. 107 POST: The Modern Devotion, S. 593 f. 108 P o s T . T h e M o ( j e r n Devotion, S. 602 f. 109 BA Münster, Fraterherren, A 248 (1558, Jan. 25).
5. Die Stellung in der katholischen Konfessionalisierung
279
daß diese sich wie bis dahin üblich für zwei oder drei Tage in Münster aufhielten, galt die vereinbarte Beherbergung. Allerdings verpflichteten sich die Fraterherren, die westfälischen Franziskaner auch für längere Zeit aufzunehmen, falls „...yn äussert periculosen tyden..."uo eines ihrer Klöster zerstört würde. Der Domküster Theodericus Ketteier, Bruder des Bischofs Wilhelm von Ketteier, sollte die Unkosten der Fratres vergüten. 111 Diese Übereinkunft steht stellvertretend für die ersten, noch unkoordinierten Reformbemühungen in Münster, die zumeist von einzelnen älteren Domkanonikern getragen wurden. Die Bereitschaft der Brüder, an diesen Anfangen mitzuwirken, illustriert ihre Einbindung in die traditionellen stadtmünsterischen Reformkreise. 1613 wurden die Abmachungen zwischen den Brüdern und den Mendikanten erneuert. 112 Die Observanten nutzten in der Folge bei ihrer Etablierung in Münster das Fraterhaus als ersten Stützpunkt, bevor sie schließlich mit einem Neubau begannen. 113 Wie sehr die Neuansiedlungen der Reformorden auch die schon in der Stadt ansässigen Konvente betreffen konnte, zeigte im frühen 17. Jahrhundert die versuchte Verdrängung der Beginen im Haus Ringe zugunsten einer Niederlassung der Klarissen. 114 Die Observanten versuchten im Zuge ihres Engagements in der katholischen Reform des 16. Jahrhunderts die ordensrechtlich ungefestigte Stellung und das offene Leben der Beginen zu bemängeln. 115 Die Schwestern standen als relativ freie Gemeinschaft den Richtlinien der nachtridentinischen Ordensreform entgegen, die besonders für die Frauengemeinschaften auf Einhaltung von Klausur und Disziplin pochte, zu deren Befolgung das Leben nach einer Ordensregel das geeignetste Mittel erschien. 116 Die Observanten versuchten daher, die Ringe110
BA Münster. Fraterherren, A 248 (1558, Jan. 25). Theodericus Ketteier vermachte dem Fraterhaus 20 Taler, s. ERHARD: Gedächtniss-Buch, S. 123. 112 BA Münster, Fraterherren, A 248. 113 SCHRÖER: Erneuerung 2, S. 278. Sie nutzten anfangs die Kirche der Johanniter, denen sie 1617 auch mehrere kleine Gebäude abkauften, s. KUNIBERT BERING: Die Ritterorden in Westfalen. In: Monastisches Westfalen. Klöster und Stifte 800-1800. Hrsg. v. G. Jäszai. Münster 1982, S. 96. 114 HSIA: Gesellschaft und Religion in Münster, S. 149-155. 115 HSIA: Gesellschaft und Religion in Münster, S. 151. 116 S. hierzu am Beispiel der Ursulinen auch ANNE CONRAD: Ursulinen und Jesuiten. Formen der Symbiose von weiblichem und männlichem Religiosentum in der frühen Neuzeit. In: KASPAR ELM und M. PARISSE (Hrsgg.): Doppelklöster und andere Formen der Symbiose männlicher und weiblicher Religiösen im Mittelalter (Berliner Historische Studien 18, Ordensstudien 8). Berlin 1992, S. 220 ff. Die Regelannahme war schon im 15. Jahrhundert oftmals die Forderung äußerer Gewalten, s. REHM: Die Schwestern vom Gemeinsamen Leben, S. 161-180. Zur Verschärfung der Klausur in 111
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IV. Die Existenz unter den Bedingungen der
Glaubensspaltung
Schwestern den neu einziehenden Klarissen anzugliedern. Auch Bischof Ferdinand von Bayern unterstützte sowohl die Verpflichtung der Beginen auf eine strengere Regel als auch die Etablierung der Klarissen in Münster. Während die Nonnen des Zweiten Ordens der Franziskaner schließlich ein eigenes Konventsgebäude bezogen, wurde in der Frage der Regel der Ringe-Schwestern erst 1621 ein Kompromiß geschlossen. Ordenskleidung und Regel wurden für diese nun zur Pflicht, wobei sie aber bestimmte Eigenheiten beibehalten durfiten. 117 Die Unterstützung des Rates und der Gilden, die mit den Schwestern sozial eng verbunden waren, hatte die teilweise Rücksicht erzwungen. In Zusammenhang mit der Etablierung der Ordensreform in Münster bestand jederzeit die Gefahr, daß ähnliche Richtlinien auch auf die Fraterherren angewandt wurden. 1 1 8 Mit der Leitung des Paulinums durch die Jesuiten war noch kein eigentliches diözesanes Priesterseminar geschaffen worden. Nach dem Untergang der Stiftung des Weihbischofs Kridt, 119 die zwischenzeitlich Ersatz geboten hatte, wurde dieses Vorhaben erst unter Bischof Christoph Bernhard von Galen angegangen. 1 2 0 Auf den Vorschlag des ehemaligen münsterischen Generalvikars Petrus Nikolartius sollte 1653/54 wiederum das Fraterhaus zu diesem Zweck herangezogen werden. Auch Nikolartius verwies wie die Jesuiten 1592 in Emmerich auf das Beispiel von Lüttich, wo die Nachfolger des Ignatius von Loyola um 1580 den alten Brüderhof übernommen hatten. 121 Zudem übten die Brüder nach Nikolartius im wesentlichen nur noch die Betreuung der Schwesternhäuser aus, während ihre alten Gepflogenheiten, die Unterweisung der Scholaren und die Handarbeit, aufgegeben worden seien. Bischof von Galen folgte dem Vorschlag von Nikolartius. Eine Aufhebung des Fraterhauses scheiterte jedoch an dessen Behauptung einer direkten Unterstellung unter den Papst, die die Brüder auf die Erhe-
Frauenklöstern und der Forderung nach feierlichen Gelübden bei Tertiarinnen durch die Bulle Circa Pastoralis von Pius V. s. ROBERT BIRELEY: Neue Orden, Katholische Reform und Konfessionalisierung. In: Die katholische Konfessionalisierung, besonders S. 152. 117 HSIA: Gesellschaft und Religion in Münster. S. 155. 118 Auch die Minoriten mußten im frühen 17. Jahrhundert eine Verdrängung zugunsten der Jesuiten und Observanten abwehren, NICKEL: Vere Germanum vivendi et conversandi modum, S. 115 und S. 122 f. 119 SCHRÖER: Erneuerung 1, S. 392 f. 120 Zum folgenden BECKER-HUBERTI: Die tridentinische Reform im Bistum Münster. S. 203 ff. 121 LÉON E. HALKIN: Les Frères de la Vie Commune de la Maison Sainte-Jerome de Liège (1495-1595). In: Bulletin de l'Institut Archéologique Liégeois 65 (1945), S. 5-70, bes. S. 40 f.. S. 53 f., S. 61 ff. POST: The Modern Devotion, S. 567.
5. Die Stellung in der katholischen
Konfessionalisierung
281
bung zum Kollegiatstift durch Eugen IV. aus dem Jahr 1439 gründeten. Ein Gutachten des Offizials von Osnabrück, Johannes Bisschoppinck, ergab im Auftrag des Bischofs dagegen die Gebundenheit der Fratres an die bischöfliche Jurisdiktion. 122 Ein Breve Alexanders VII. bestätigte schließlich 1657 auf Betreiben der Fraterherren die Gleichstellung der Brüder mit den direkt dem Papst unterstellten Kollegiatstiften. 123 Für die Fraterhäuser in Wesel, Hildesheim und Münster sowie für eine Vielzahl der niederländischen und belgischen Niederlassungen stellte somit die beginnende Neuformierung der katholischen Kirche nach dem Konzil von Trient zumindest zwischenzeitlich eine ernsthafte Gefährdung ihrer Existenz dar. Ungeachtet der Bemühungen besonders der Zentrale der deutschen Fraterbewegung, des Hauses Zum Springborn in Münster, in den Gemeinschaften des Münsterschen Kolloquiums die dogmatischen und sittlichen Richtlinien des Konzil zu etablieren, traten die Brüder stets mit als erste in den Vordergrund, wenn es Ressourcen zur Unterstützung der neuen Reformkräfte bereitzustellen galt. Aus der Sicht der Fraterherren mußte eine vollkommene Integrität in Lehre und Leben als der beste Garant gegen die fortgesetzte Hinterfragung der brüderlichen Lebensform nach dem Erlaß von Lubricum vitae genus durch Pius V. erscheinen. Dieses Bemühen war jedoch nicht hinreichend, um den Zugriff der Protagonisten der innerkirchlichen Reform von vornherein zu unterbinden. Vielmehr gerieten die Brüderhäuser schon aufgrund ihrer vergleichsweise schwachen rechtlichen Absicherung und ihrer funktionellen Insuffizienz für die Zwecke der Katholischen Reform und Gegenreformation in den Blickpunkt. In der organisatorischen Straffung der Kirche, die sich als Konfessionskirche nun gegen die anderen Bekenntnisse abgrenzen und ihre Mitglieder neu werben mußte, wurden die Brüder obsolet, ja sie widersprachen durch ihre freie Rechtsform gar den Grundprinzipien der Reform. Trotz des Anschlusses an die dogmatischen und disziplinaren Richtlinien von Trient behaupteten die Häuser des Münsterschen Kolloquiums jedoch zunächst ihren Anspruch auf eine uneingeschränkte Fortexistenz innerhalb der katholischen Kirche. Ähnlich wie das lutherische Haus in Herford stützten sie ihre Legitimation allein auf ihre Orthodoxie und Sittlichkeit, ohne einer funktionellen Einbindung in das kirchliche Ganze ähnlichen gewichtigen Stellenwert einzuräumen. Diese Haltung war im Grunde vorkonfessionell und wurzelte in der korporativen Kirchenvorstellung des Mittelalters.
122 123
BECKER-HUBERTI: Die tridentinische Reform im Bistum Münster. S. 205. STA Münster, Msc. II, 40. fol. 9 V -10 V .
V. Zusammenfassung Das Vorhaben dieser Arbeit war es, die Geschichte der Fraterhäuser des Münsterschen Kolloquiums im 16. Jahrhundert zu untersuchen. Dabei sollten sowohl das genuine Verhältnis der Brüder vom Gemeinsamen Leben zur Reformation als auch die Ursachen des Nieder- beziehungsweise Untergangs der Brüdergemeinschaften im Zeitalter der beginnenden Glaubensspaltung dargestellt werden In dem frühen Stadium des Bekanntwerdens der Brüder mit der Reformation liegen verschiedene Hinweise darauf vor, daß Luther unter den Fraterherren wie in weiten Teilen der spätmittelalterlichen Reformbewegung eine verbreitete Anhängerschaft fand. Der Bruch mit dem Papsttum und die tumultuarisch verlaufende Ausbreitung der Reformation verursachte jedoch mit der Ausnahme des Hauses in Herford eine Abwendung der Brüder von der neuen Lehre. Bei den Fraterherren mehrten sich die ethisch-praktischen Bedenken gegen die aus altgläubiger Sicht durch vielerlei Rechtsbrüche gekennzeichnete Durchsetzung der Reformation in Nordwesteuropa. Die Einheit der Kirche und die Bewahrung des Friedens blieben nach den Vorgaben eines Bibelhumanismus unveräußerbare Grundwerte. Die fatalen Folgen, die die neue Lehre für das kommunitäre Leben mit sich brachte, mündeten in eine apokalyptisch geprägte Wahrnehmung des Zeitgeschehens, die in Luther den Kern des Übels lokalisierte. Ein Mitwirken der Brüder vom Gemeinsamen Leben an der Einführung der Reformation in den Städten, etwa in der Form einer Teilhabe an den evangelischen Bewegungen, war entsprechend nicht vorhanden, auch nicht im Fall der lutherischen Fraterherren in Herford. Die Häuser hatten gleichwohl zum Teil gravierende Einbußen in ihrem Personalbestand hinzunehmen und erfuhren somit frühzeitig eine nachhaltige Schwächung. Unter ungünstigen religionspolitischen Rahmenbedingungen wie in Hessen oder Magdeburg gelang es den Fraterherren nicht, gegen die Erlasse der Obrigkeiten auf einer Fortführung ihres Lebens zu beharren. Diese Gemeinschaften gingen schnell unter. Mit dem Anliegen Luthers in den Jahren vor 1520/21 verband die Brüder das Bemühen um eine verinnerlichte und schriftbezogene Frömmigkeit. Ihr Verständnis vom Sinn und Zweck eines gemeinsamen Lebens war geprägt von der skeptischen Distanz, die sie gegenüber einer buchstabenge-
V. Zusammenfassung
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treuen Befolgung von Regeln und Gelübden ohne innere Anteilnahme und Hingabe an Gott einnahmen. Diese Praxis ließ sich in der Sichtweise der Brüder vielfach bei den Religiösen beobachten, deren unzureichender Vollzug eines christlichen Lebens sich in einem Mangel an Liebe zu Gott manifestierte. Luthers Ansatz zu einer Reform des Mönchtums durch einen vertieften Bezug auf die Taufe, besonders deutlich im Sermon von der Taufe des Jahres 1519, glich hinsichtlich der Orientierung auf die Heilige Schrift und auf Gottes Gebote der Intention der Brüder vom Gemeinsamen Leben. Die Betonung der evangelischen Freiheit als eines göttlichen Geschenks an den Menschen hatte dabei seine Entsprechung in der Lebensform der Brüder, die als Semireligiosen auf ewig bindende Gelübde verzichteten und so ihre ratio vivendi institutionell in ihrer Lebensform verankerten. Die reformatorische Kritik am Mönchtum entwickelte sich jedoch 1520/21 fort, indem Luther die evangelische Freiheit in das Zentrum seiner Argumentation rückte und die Gelübde grundsätzlich für verwerflich erklärte. Eine solche generelle Ablehnung des Mönchtums wurde unter den Fraterherren allein von dem Herforder Rektor Gerhard Wilskamp, nicht aber bei Johannes Holtmann oder Peter Dieburg vertreten. Allerdings hielten die Brüder ihre eigene Lebensform für eine geeignetere Art der Hinwendung zu Gott, da diese die Gefahren des Religiosentums, die in der übertriebenen Befolgung der Regeln lauerten, mied. Ihr freies Leben entsprach nach ihrer Ansicht besser als das Mönchtum dem Vorbild der Urkirche und den Intentionen der Väter, die durch die historischen Einsetzungen von Profeß und Gelübde verfälscht worden seien. Zwar lag in diesen für Johannes Holtmann kein notwendiger Widerspruch zu Gottes Wort begründet, doch begab sich der Mensch in die Gefahr eines unauflöslichen Konfliktes zwischen seinen individuellen Möglichkeiten und der selbstauferlegten ewigen Bindung. Die von Luther im Sermon von der Taufe formulierte grundlegende Verpflichtung des Menschen allein auf Gottes Gebote, denen alle menschlichen Satzungen untergeordnet sein müssen, traf den Kern des Selbstverständnisses der Brüder, deren Hausordnungen stets rein säkularen Charakter behielten. Die privatrechtliche Organisation ihrer Zusammenschlüsse zu einem religiösen Zweck, der Liebe und der Hingabe an Gott, folgte der abgestuften Verbindlichkeit von göttlichen und menschlichen Vorschriften, wie sie in theologischer Überhöhung in Gersons Nominalismus vertreten wurde. Die radikale Schlußfolgerung Luthers, daß menschliche Satzungen Gottes Gebot notwendig gegenüberstehen, ist damit jedoch nicht impliziert. Die Freiheit der Brüder vom Gemeinsamen Leben war eine selbsterwählte Eigenschaft, die die Verwirklichung der Liebe zu Gott unterstützen sollte,
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V. Zusammenfassung
nicht aber die den Menschen existentiell kennzeichnende evangelische Freiheit Luthers. Die Herforder Fraterherren behaupteten auf der Grundlage ihres freiheitlichen Lebens eine legitime Existenz ihrer Gemeinschaft innerhalb der lutherischen Stadtkirche. Der Rektor Gerhard Wilskamp rechtfertigte dabei das Brüderleben mit den traditionellen Argumenten devoter Apologien des späten Mittelalters, anhand derer sich diese gegen Angriffe auf ihre Existenzberechtigung vor allem von Seiten der Mendikanten erwehrt hatten. Der ambivalente status medius der Fraterherren, der die Nachfolge Christi nach dem Beispiel der Apostelgeschichte in freien Gemeinschaften außerhalb des Ordenswesens umsetzen wollte, entzog sie der lutherischen Kritik am Mönchtum und legitimierte ihre eigenständige Lebensform jenseits der Konfessionen. Durch die Vermeidung von Profeß und Gelübden sowie durch das Verständnis aller hauseigenen Vorschriften als freie menschliche Satzungen konnten sich die Herforder Brüder Luthers Gutheißung ihrer Lebensform versichern. Zusätzlich zur Unbedenklichkeit ihrer Lebensform hatten sie jedoch auch ihre Übereinstimmung mit der neuen Lehre im Glauben und in der Sakramentspraxis nachzuweisen. Luthers Zustimmung zum Brüderleben auf dem Varenkampinghof war an diese Bedingung geknüpft, die durch die freie Organisation des Fraterhauses nicht beeinträchtigt wurde. Der Reformator gab also keine generelle Lizenz für das Fortbestehen aller Fraterhäuser, sondern bezog sich konkret auf die Herforder Brüdergemeinschaft, mit der er schon seit über zehn Jahren in Briefkontakt gestanden hatte. Aufgrund des Herforder Beispiels eine Beeinflussung Luthers durch die Devotio moderna zu konstatieren, hieße daher, die Pole des Handelns zu vertauschen. Der Niedergang der Fraterhäuser des Münsterschen Kolloquiums wurde durch die direkten und indirekten Folgewirkungen der Reformation verursacht. In den neugläubigen Städten suchten die Magistrate mit einer an Luthers Empfehlungen orientierten Klosterpolitik, die sich auch gegen die Gemeinschaften der Fraterherren wandte, das altgläubige Leben in den Städten auf Dauer zu unterdrücken. Dabei wurde den Konventen mit Einführung der Reformation zunächst eine Übergangszeit zugestanden, die der Unterweisung dienen sollte. Mit der Festigung des neuen Glaubens verstärkte sich der obrigkeitliche Druck auf die Gemeinschaften bis hin zu einem vollständigen Verbot des altgläubigen Kultus und der Neuaufnahme von Mitgliedern. Die Inventarisierung der Klostergüter bereitete deren Verwendung zu frommen Zwecken innerhalb der lutherischen Kirchen vor. Der Verlauf dieser Entwicklung war dabei abhängig von verschiedenen Faktoren, die durch die innen- und außenpolitischen Rahmenbedingungen
V. Zusammenfassung
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vorgegeben waren. Im Inneren der Stadt drängten die Prädikanten und die Gemeinde auf eine schnelle Aufhebung der Gemeinschaften. Gegen diese Interessen hatten die Magistrate außenpolitische Rücksichten auf altgläubige Landesherren oder den Kaiser zu nehmen. Diesen Kräften stand das von der inneren Vitalität der Gemeinschaften abhängige Beharrungsvermögen der Fraterhäuser entgegen. Die Reformation bewirkte sowohl in den neugläubigen als auch in den altgläubigen Städten eine schnelle Verkleinerung der Fratergemeinschaften, die sich im frühen 16. Jahrhundert zum großen Teil aus niederrheinischen und westfälischen Klerikern und Priestern zusammengesetzt hatten. Eine nicht zu beziffernde Zahl von Fraterherren verließ aufgrund einer Hinwendung zur Reformation das Brüderleben. Die Aufnahmeverbote der Magistrate und das allgemeine Nachlassen der Vokationen verhinderten eine personelle Rekuperation. Besonders die weitgehend von neugläubigen Territorien umgebenen Fraterhäuser in Rostock und Hildesheim, die von den traditionellen Rekrutierungsgebieten am Niederrhein und in Westfalen abgeschnitten waren, schrumpften schnell zu kleinen Restkommunitäten. In Wesel wurde das Fraterhaus seit der Jahrhundertmitte maßgeblich durch die Entsendung von Brüdern aus Münster und Köln aufrecht erhalten. In Münster, Köln und Herford, wo sich die Fraterherren in konfessioneller Übereinstimmung mit dem sie umgebenden städtischen Gemeinwesen befanden, verkleinerten sich die Häuser auf die Hälfte bis zum einem Drittel des Zustandes vor der Reformation, hielten diesen Status dann jedoch aufrecht. In den katholischen Städten Münster und Köln wirkte sich hier neben dem allgemeinen Rückgang der Vokationen auch die Konkurrenz der neuen Orden aus. Auch der Besitzstand der Fraterherren, der sich in einer vielgestaltigen Erwerbspolitik auf Stiftungen und Rentbesitz sowie die Verpachtung von Höfen und auf Handarbeit gegründet hatte, erfuhr im Verlauf des 16. Jahrhunderts starke Verluste. Die mit der Reformation einhergehende Rechtsunsicherheit, die militärischen Auseinandersetzungen und die konfessionellen Veränderungen schmälerten die Einkünfte aus den Rentbriefen und dem Grundbesitz. In lutherischer Umgebung ist zudem ein bis auf wenige Ausnahmen vollständiges Ausbleiben der Stiftungen, in katholischen Städten eine graduelle Abnahme zu beobachten. Dem Fraterleben wurde in konfessionell feindlicher Umgebung die materielle Basis weitgehend entzogen. Ein mit der Stadt übereinstimmendes Bekenntnis ermöglichte, daß die Brüder eine für die verkleinerten Hausgemeinschaften ausreichende Wirtschaft aufrecht erhalten konnten.
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V. Zusammenfassung
Die Versuche der norddeutschen Fraterherren, sich untereinander gegen die erschwerten Existenzbedingungen der beginnenden Glaubensspaltung zu unterstützen, zeitigten nur vorübergehende Erfolge. Unter dem Rektorat von Johannes Krampe und für den weiteren Verlauf des 16. Jahrhunderts wurden von der Gemeinschaft Zum Springborn in Münster aus zahlreiche Versuche unternommen, die bedrängten Fraterhäuser vor allem in Hildesheim und Wesel, aber auch in Rostock und Herford, aufrecht zu erhalten. Personelle Hilfeleistungen konnten in Hildesheim den Untergang zwar nicht verhindern, sicherten in Wesel jedoch den Fortbestand des Hauses bis in das 17. Jahrhundert. Gegenseitige Besitzübertragungen oder die auf Anweisung von Johannes Krampe erfolgte Verschreibung des Rostocker Fraterhofes an den Bürgermeistersohn Bernhard Kroen sollten die Güter der Fraterherren vor der Entfremdung durch neugläubige Obrigkeiten schützen, blieben jedoch im einzig ausgetragenen Streitfall, in Rostock, ohne Erfolg. Mit der beginnenden katholischen Konfessionalisierung nach Abschluß des Konzils von Trient begannen die münsterischen Rektoren, die schon stark in Verfall geratenen Häuser auf die Bestimmungen des Konzils zu verpflichten. Das gemeinschaftliche Bewußtsein der norddeutschen Fraterherren überdauerte somit das gesamte 16. Jahrhundert, die gegenseitige Hilfeleistung blieb jedoch in den engen Grenzen der vorhandenen Möglichkeiten. Mit den ersten Anfangen der katholischen Konfessionalisierung seit den frühen siebziger Jahren des 16. Jahrhunderts unterlagen die Fraterherren auch den Wandlungsprozessen in der sich neuformierenden römischen Kirche. Im Zuge der auf Hierarchisierung und Zentralisierung angelegten Umstrukturierung der Kirche gerieten ihre Häuser aufgrund ihrer freiheitlichen Lebensorganisation und des schlechten Gesamtzustandes wiederholt in den Blickpunkt der Protagonisten der Reform und anderer Kräfte, die sich die allgemeine Entwicklung zu Nutze machten. Die Bulle Lubricum vitae genus von Pius V. stellte dabei die Lebensform der Fraterherren grundsätzlich in Frage. Die von Trient geforderte Gründung von Diözesanseminaren zur Ausbildung eines geeigneten Priesternachwuchses führte ebenso wie die Niederlassung der Jesuiten in den Städten mehrfach zu dem Versuch, die Niederlassungen der Brüder für die Zwecke der Katholischen Reform und Gegenreformation heranzuziehen. Die funktionelle Insuffizienz der Fraterherren für die Rückgewinnung von an die Protestanten verlorenem Terrain führte so zu Verdrängungskämpfen und Aufhebungsbestrebungen, die den Häusern zum Teil schweren Schaden zufügten. In derselben Weise, in der ihre Lebensform im späten Mittelalter zwischen dem Mönch- und dem Laientum eine eigene, dritte Position einge-
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nommen hatte, standen die Fraterherren im Zeitalter der Glaubensspaltung zwischen den sich etablierenden Konfessionskirchen. Während in den lutherischen Städten ihre Existenz aufgrund ihrer klosterähnlichen Lebensweise und der Abgrenzung von der Gemeinde auf Dauer unterdrückt wurde, widersprach das brüderliche Selbstverständnis und ihre Rechtsfigur in der nachtridentinischen Kirche den Grundprinzipien der Katholischen Reform und Gegenreformation.
Anhang 1 Johannes Holtmann von Ahaus, Van waren geistliken leuene eyn körte underwij singe Münster. Westfälisches Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte, Ms. 517 Depositum Verein für Geschichte und Altertumskunde Westfalens, Abteilung Münster Papier, I + 353 Bll., 14,4 x 9,5. Münster, Schwesternhaus Mariental genannt Niesing: Nach 1540. Moderne Seitenzählung (Bleistift). Schriftraum 8,5-9,5 x 5-6 cm, 16-20 Zeilen. Schlaufenlose Bastarda (Devotenbastarda 1 ). Drei Hände. Überschriften und liturgische Texte (Vater Unser. Taufritus usw.) in rot. Am Rand Quellenverweise und Kommentare einer späteren Hand in rot, Korrekturen der Schreiber. Rubriziert. 5-6 zeilig: S. 1, 10, 18. 47, 91, 94, 174, 393, 465, 621. 3-4 zeilig: 240, 242, 280, 338, 635, 643, 656. Blaue und blau-rote Fleuroneeinitialen mit Ranken und Zierstäben. Rote und blaue Lombarden. Großbuchstaben rot gestrichelt. In M-Initiale S. 47 im linken Innenraum das Monogramm „F I H" (F[rater] I[ohannes] H[oltmann] ?). Ledereinband des 16.Jh (Rollen- und Einzelstempel). Rücken und hinterer Holzdeckel erneuert (Restauration 1958). Zwei Metallschließen ab. Im hinteren Deckel zwei Heftfälze eingeklebt, lat., 15.Jh Pergament. Vorbesitzer: Dr. Bernhard Hölscher. Gymnasialdirektor in Recklinghausen. Sprache: Westfälisch mit niederrheinischen Einflüssen. Lit.: CONRAD BORCHLING: M i t t e l n i e d e r d e u t s c h e H a n d s c h r i f t e n in N o r d d e u t s c h l a n d
und den Niederlanden. Erster Reisebericht. (Nachrichten der kgl. Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen. Gesch. Mitt. 1 8 9 8 , H. 2 ) . Göttingen 1 8 9 9 , S. 2 9 3 . G R U T KAMP. Johannes Holtmann, bes. S. 1 6 - 2 2 . B R I G I T T E D E R E N D O R F : Mittelniederdeutsche literarische Handschriften in Münster. In: Niederdeutsches Wort 3 4 ( 1 9 9 4 ) , S. 3 0 .
JOHANNES HOLTMANN VON AHAUS: VAN WAREN GEISTLIKEN LEUENE EYN KÖRTE UNDERWIJSINGE l'ele lüde svn van beide naturen manne unde vrouwen in geistliken habite ... - ... Christus ihesus gebenedijet unde gelouet in ewicheit Amen. Inhalt: S. 1-10 Vorrede; S. 10-18 Eyne underwijsinge to geistliken leuene uth der hilligen scrift unde leres genomen; S. 18-47 Van den geloven to gode; S.47-55 Van den xii articulen des gelouen: S.55-89 Uthlegginge des gelouen; S.89-91 Dit is de bloite
1 Vgl. W O L F G A N G O E S E R : Beobachtungen zur Entstehung und Verbreitung schlaufenloser Bastarden. Eine Studie zur Geschichte der Buchschrift im ausgehenden Mittelalter. In: Archiv für Diplomatik 38 (1992), S. 235-343, bes. S. 239 f.
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Anhang
texte des gelouen; S.91-94 De geloue den men synckt in der mysse; S.94-174 Van den geboden; S. 194-199 Vader unse; S. 174-194 Van den gebede; S. 199-240 Gebede van dem vader unse unde verclaringe; S.240-242 Des engels gabriel grote; S.242-262 Van dem sacrament der dope; S.262-279 Beredinge tor dope (Taufritus und Gebete); S.280337 De verclaringe der dope; S.338-393 Van der bicht of penitencia; S.393-464 Van dem hilligen sacramente vleschs unde blods christi; S.465-621 Innyge gepinse off hertelike sprake to unsen heren vor der untfencknisse; S.621-635 Andechtlicke to beden to unsen leuen heren Ihesu christi; S.635-643 Oeffnynge na der untfencknisse; S.643-656 Wu vake men communiceren oft ton hilligen sacramente gaen sal; S.656-704 Van der nutticheit unde vruchten des untfangen sacraments des vleschs unde blods christi; S.704-705 Explicitformel: Gemaket van gods genade van den erwerdigen Her Johan Holtman prester to mariendail verstorven int jare unses heren xvc unde xl des dages S. Andreas.
Textausgabe S. 320-338: Zum Verhältnis der Taufe zu den Gelübden2 [5.320] Et ys eyne vrage, wer is de dope, unde de lofte up der dope gedaen grotter, of is groter de lofte der reynicheit, of de prestorscap of de geistlicheit? Sunder twijvel is de dope grotter, unde al de anderen loften unde upsate synt anders nycht, dan eyn behulp to vullenbregen de lofte, de up der dope hoichliken gescheyn is. Unde ock darumme sollen alle gude gelofte gescheyn, se syn wiise syn, up dat wy mit gods hulpe unde gracie uprechtliker unde vullenkomeliker mögen vervullen, dat wij [5.321] in de dope gelouet heben, unde dat god geboden heft. Want wij nemen nicht an de lofte de reynicheit, of nicht egens to heben, of de gehorsamheit, dat wij dar dorch sollen salich werden. Anders weren se al verloren de desse gelofte nicht en hadden als wertlike lüde, dat valsch is. Mer darumme louen wij de reynicheit, up als wij se wairen nicht en vallen in unkuescheit unde in ander boiser manneer der unreynicheit. Als wij nicht egens heben, schuwen lichtelike de gericheit. Als wij gehorsam syn, dat wij dan leren oitmodich u n d e sachtmodich van liten t o sijn. [R: MATT. 11]
Wattan wij syn doch verbunden na den Evangelio unde sanct Paulo al manne underdaenich unde gehorsam to sijn. Ja ock also dat nicht allene de c l e y n e s t e [R: MATT. 2 0 , MARC.
19], m e r o c k
de ouerste der
anderen
deyner sal sijn manck den Christen [5.322] luden, na den exempel unses leuen heren paulus secht [R: RÖMER 12]: De eyne sal den anderen vorkomen in eerdanicheit unde denst
2 Die Orthographie der Handschrift wurde unverändert übernommen, die Zeichensetzung heutigem Verständnis angepaßt. Randbemerkungen in der Handschrift werden an der betreffenden Textstelle durch eckige Klammern und R: ([R:...]) wiedergegeben. Unterstreichungen im Text durch kursiven Druck gekennzeichnet.
I. Johannes Holtmanns Unterweisung. Textbeispiel zur Taufe
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unde leifmodicheit to bewijsen. Item wij moten ock myt affectien un begerte gijn dinck besitten up der erden, wil wij anders Christen luden sijn in der werlt. Unde dat mende de here als he sprack [R.: MATT. 10, LUK. 14]: Et en sij dat we achterlatet vader unde moder, suster unde broder, hof, hues unde acker, unde ock syne egene seile, he en mach mijn deyner nicht sijn. Dat is, is dat we bekümmert is myt leisten de vorg. dinger unde der geliken, de en kan mij nicht leifheben. Unde de mij nicht leif en heft, und nicht bouen al dynck behage, de en is nicht wijs, unde mach ock nummer salich werden. Want ick byn allene dat ewige wesentlicke ouerste guet, [5.323] dar alle guet uthuloiet, unde in untholden wert. Hijrumme geboit uns unse here unde Paulus unde Johannes in syner epistolen [R: L U K . 6 ; 1 .EP. TO TYMOTHEUM 3 ; RÖMER 1 2 , KORINTHER 2.EP. 7; JOHANNES
INT III SYNER EPISTOLEN]: dat wij van tijtliken gude, des uns nicht nodich is, sollen t o hulpe komen de behouigen. Als wij dat doen, so hebe wij dat tijtlike guet allene in gebruckinge de noit troist, unde also leuet men int gemeyne. D e uprechte cloisterluden synt doch vullenkomener in dessen deile, want se affmitten ock de sorge unde egen willen des tijtliken gudes. Hijr nu uth dessen allen suestu wal, dat men in den closteren besunders geyne loften doit, dan allene ewiger reynicheit. [R: MERCKE] Welcker reynicheit, w e su upnympt dor de genade genade gods unde louet se to holden, de louet se also, dat he hoppet, dorch de [5.324] solue genade se t o bewaren. Ist dat id anders velt, dat sal uns leit sijn unde betteren uns. De gelofte blift al gelike wal. Want in der dope loue wij t o versaken alle ydelheit. Als wij dat vake brecken, so en is de dope doch nicht verloren, mer de penitencie kumpt uns to hulpe, [R: NOTA] dat is de gelove in de barmherticheit godes, unde dat verdenst synes bitteren lidens. Unkuescheit to done, of ander unreyne wercke, is nicht allene klosterluden unde den de löffle der reynicheit gedaen heben ungeorleft unde verboden, mer ock allen menschen, uth genomen de echte stant, unde dat doch allene umme vrucht to weruen t o godes eer. Unde ist doch noch like wat sunde, als geschreuen steit in den L. psalmo: Su want ick in boisheit untfangen byn etc. Wu ve[5.325] le to in ist sunde, als men desse andacht unde vornemen nicht en heft noch enn achtet. M e r de buten de echtschap is, wil he so mach he dor in gaen, dan de reynicheit gelouet heft, de en mach des nummer doen, secht Augustinus in den boike van de junfferschap. Mer he sal myt vasten gelouen hoppen unde bidden, dat god in en vervulle, dat he begunnen heft, unde wesen nicht trorich unde anxtuoldich unde unnuttelike bekümmert, mer beuelt al gode, so kumpt id uns allent to glorie unde verdenste, ock unse egene sunde, als Paulus schrift to den romers [R: INT VIII CAP.]. Item
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in den loften, de men doit, mach altijt de prelate of ouerste de dispenseren of verwanderen, of den louer dar van unt heuen, ist so nutte unde nodich, gelick als he orlef gijft in den enen, also mach he ock in den anderen. Mer gods gebod [5.326] of der dopen loffte mach nummant orleuen achter to laten. Want de ewige wijsheit gods heft syne gebode so wunderlike geordineirt, dat se waren vreden unde ynnige vrolicheit geuen den werker, unde lichtliker vullenbracht werden van den krancken, dan van den gesunden. Mer also en ist nicht in den insaten of beloften der menschen, als in vasten, waken, vro upstaen, beden, syngen, arbeiden. Want dar ynne spairt men den krancken iungen unde den overoilden. Wattan in der gelofite solckes nicht wert uthgenomen of Vorbescheiden. Hijrumme weert guet in allen gelofte in den herten vor gode also to louen: so veer alst mogelick wer unde unsen ouersten duchte uns nutte unde drechlick to sijn. [R: NOTA] Et is en like vele, in wat wijse wij leuen, ist dat wij gode van herten leuen, mynnen unde vruch[5.327] ten. Wantte insate unde gewonte is guet, dat men se wairt, dan wairt mer nicht van gevalle of versumenisse, so veer alst nicht en geschuet uth uersmaenisse unde dertenheit, so en ist gijne sunde, dan allene lide wij dar vor tijtlike pijne of oitmodige oifnynge na saite der regulen of Statuten. Nummant sal of mach jummande bestricken myt insaten of gebode, welcker nagelaten oft vergetten sunde der zeilen solde maken. Want der sunde heben wij doch vele, darumme lait uns gijne sunde maken, dar gijn en is. Allene lait uns myden unde schuwen versmanisse of verachtinge der insaite, wantte dat is sunde, unde lait uns al dynck doen to den loue, eer unde glorie gods, so syn wij bouen alle regule, Statuten unde gewonten. In sunte Benedictus regule en sweert men nicht, [5.328] dan men secht allene dus: Ick N loue stedicheit der stede, verwandelinge der sede, unde gehorsamheit vor gode unde sijn engelen. Hijr wert nicht geroirt van de armoit of reynicheit, mer de sijn leuen schicket na der regulen, de moit se wairen. Sanctus Augustinus lange vor Benedictus heuet myt allen gijne besunders professie of geloffte in syner regulen g., dan allene insate gemaket, umme vredelike unde eyndrechtlyke to leuen na de wijse (als men lest in de apostelen werke [R: 2.KAP.]), de eirtse gelouige unde den apostelen geleuet heben int gemeyne sunder egen guet. Dan solde dit gescheen in eyndrechtlyker raste, so moste dar ock gehorsamheit by sijn. Unde solde men ock gode myt gantzen herten deynen unde anhangen, so moste men vrij sijn van den benden de echtscap, unde up dat s e v e r v u l d e n d a t g e b o t [R: PAULUS, CORINTHER 7 , 1. KAP.]: D U e n s a l s t
nicht
1. Johannes Holtmanns Unterweisung. Textbeispiel zur Taufe
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[5.329] unkuesch sijn, so heben se in reynicheit geleuet [R: MOSES 5 . K A P . , MATTH. 5, PAULUS 13 RÖMER], A u g u s t i n u s s c h r e f d e s s e r e g u l e ,
als he bisschop was, vor em unde de presters sijner kercken. De heben dar na de monike angenomen, mer Augustinus was gijn monnick. Hijr nu uth dessen allen ist apenbair, dat de hilligen vaders nummande bestricken wolde myt sunden, want also hadde se gedaen tegen de leifte eres negesten, unde dat wer tegen dat Evangelium unde also solde men er insate nicht holden, want so weer. [R: MERCKE] Mer eer meninge was, dat wij in de vergadderinge uns to samen schicken solden na de regulen in mynnentliker eyndracht unde sedeliken vrede to gods denste. Unde want men alle sate unde Statuten verstaen sal na der meninge der insetters, so ist hijr mede gelijck, alst is in allen undersaten der vorsten heren unde Steden. Ouertredet se dat [5.330] gebod, so sundiget se nicht, mer men schattet se, wert men des wijs, in tijtliken gude, of in pijnen, edder dode des lichams. So ist ock myt uns. Do wij tegen de insate, so schattet men edder pijnet men unse licham (Want gelt en hebe wij nicht) in berispinge, in disciplinen, unde in anderen veroitmodinge, als wij dan oitmodelike bekennen unse schult, so is dat quijt unde wij leren uns myt solcken veroitmodige sterven unde unsen moit to breken, id sehe myt rechte of myt unrechte. Nu heuestu wal gemercket, dat de gelofte in der dope allent en bouen geit, dorch welcker dope wij gelouen alle sunde vergeuen werden, unde wij rechtuerdich werden dor de genade unde werke christi. Dan ittlick sal dencken unde ouerleggen, in wat staite of maneer des leuens he alre best raken mochte [R: NOTA], ster[5.331] uen to levene synen gebrecken unde syner natuer. Unde wat oifnynge em hijr alre meist to helpen, de sal he vakest donde, want de synt em nuttest unde best. Hijrumme gengen se in de eirsten hilligen kercken, manne unde vrouwen, myt groten scharen achter latende de werlt in de wolde unde wostenije, in den bergen unde kuelen de erden gode deynende, sommyge allene, sommyge in de vergadderinge, in hunger unde dorste. In kulde unde hette gequelet unde benouwet, der de werlt nicht werdich en was to heben, als g. steit int xi cap. Pauli to den hebreen unde in de christliker Kerke historia, unde in hieronymo unde Augustino in den boke van der stad gods. Ock sommyge al er tijtlick guet den armen gedeih heben, up dat he unbelastet, sunder sorge, in lustiger unde [5.332] ernstiger wackerheit gode deynen mochten. Somyge arbeideden in der verkundige gods worde, somyge arbeideden in dessen werken de guetdensticheit, somyge in den, gode to behage. [R: NOTA] Wat kan men doch hoichliker unde better louen, dan de sunde uth to drijvene, unde to doden, dit leuen to hatene, unde rechtuerdich to werden. Nu dan ist recht,
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dat wij uns vliten unde dae na arbeiden, dat wij mynnentlike unde vrolike gode dancken, em lof sprecken unde eer bewijsen sunder up hören, vor so grote gaue de dope. Want mij vruchtet, dat wij verblyndet syn, umme unse undancberheit willen. Wenich denckende, wat in sick untholdet betekent unde uns verlenende is des sacraments der dope wunderwerke. Wij syn verweert myt unsen [5.333] guden werken unde verdensten, unde bekümmert myt vele aflaite, meynende also gode behechlick to werden, als wij vrom syn unde vuldoen vor unse sunde, recht of wij myt unsen werken kopen willen unde betalen syne genade unde barmherticheit. [ R : PHILLIPPER III] Verwair als Paulus secht, de gods genade nicht also en achtet unde werdiget, dat he dorch de allene salich wert, de kan nummermer van herten vrolick sijn, he en gelouet ock nicht recht in gode, noch mynnet em gruntlike. Hijrumme de recht in gode gelouen unde verstaen de boirde der sunde, unde warumme god steruen wolde unde moste. [R: NOTA] Solle wij anders rechtuerdich werden (als vake g. is), de doen alle gude werke de se vermögen in dancberheit umme gods leifte, nicht anseende dat verdenst, als [5.334] eyn huerlinck plecht, mer alle dynck doende to gods eer unde lof. [ R : SCHOUE] Want dat heele rike gelijck als kynder godes hoirt em to. Vromheit dan unde guet leuen in gods leifte betekent unde bewijset den wairen gelouen in des menschen herten, ist dat he sick nicht to en schrijuet. Men mochte vragen: warumme do wij dan gude werke, na den, dat god uns umme nicht vergeuet unse sunde, unde heft uns kynder godes gemaket. Darumme do wij dat: dat wij uns dancber bewijsen, want de wij des nicht, dat wer eyn apenbar teken, dat wij nicht en weren van synen kynderen. De eynen dancber is, de meynet nicht, myt der dancberheit wat to verdeynen, mer he doit dat umme waldait, de he untfangen heft. Also solle wij ock doen in unsen guden [5.335] werken to gode. Wattan al hadde wij allene aller hilligen werken unde dancberheit, weirt doch neynerleijewijs genoch vor so grote gaue unde waldait unser ewiger salichmakinge. Tegen ewicheit en is gijn gelick. Nu al syn wij schuldich gode to deynen unde dancberheit to bewijsen, nochtans en wil de gudertijrne here dat uns nicht vor schult reckenen, mer vor unse verdenste. Dan wij sollen dar mede unbekümmert sijn, unde geuent al ouer in sijn hande, uns vernichtende unde verwerpende. Darumme schrift sanctus Augustinus in ener epistolen to de prester Sixtum aldus. Et is wair, unser rechtuerdicheit wert gegeuen de crone der salicheit, [R: VORG ] mer god verleynende uns eirsten de solue rechtuerdicheit. God dan krönet unde salichmaket
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[5.336] syne egene gaue in uns, welcker wil he doch ock, dattet unse verdenste wesen solt. [R: CORINTH 8,1] Want god heft uns al dynck gegeuen, unde dor de doit synes sones,_de verstaen unde betekent wert in der dope, syn wij nu alrede alto maile kynder gods, [R: I.BRIEF, 3] secht Johannes, unde he heft uns gegeuen syne verdenste. So we dit andechtlike unde gruntlike ouerlecht, de nympt sick an, dit na to volgene, unde dancket gode to allen tijden na synen vermögen unde achtet syne werke doch cleyne eder myt allen nicht [R: LUCE 17], unde desse behaget gode alre meist, unde vergaddert untellike vele verdenste, bisunders ist, dat he vurich is in der leifte. Welcker verdenste na den, dat he in christo unde dorch Christum rechtuerdich unde salich geworden is, maken [5.337] em groter unde hoger in der claerheit unde glorie des hemels. Hijrumme ist noit, dat wij der also groter almechtigen mogentheit gods danckber syn sunder upholden, de sick uns armen wormekens unde verdomeden gesiechte so gudertirlike unde barmhertlike bewijset uns gans ouerg e u e n heft. [R: DANIEL 3.KAP.; SALOMON SPRÜCHE 18.KAP.; PSAL.ECCL.
19+23] Unde lait uns sijn werck, want id em allene to hoirt, bekennen to wesen, unde nicht dat unse, unde lait uns dat verhogen, eren unde groitmaken, [R: PAULUS, EPHESER 1,2,3] altijt uns holdende in synen vruchten, up dar wij de rijckdom der gotlike gracie holden mögen myt starcken gelouen, unde myt ynnige solais unde herteliker vrolicheit, moiten angeneme sijn unde dancken syner barmherticheit nu unde in ewicheit, [R: JOHANNES, BRIEFE, 3.KAP.] de uns gegeuen heft, dat wij genomet werden unde ock synt kynder gods, unde in al[5.338] ene ewige medecine der iegenwordigen gesuntmakinge, also dat unse eirste val in den paradise, unse gebreche, krancheit unde elendicheit uns myt allen nicht en schaden of hinderen mögen. Amen.
Anhang 2 Gerhard Wilskamp, Grundt des Fraterleuendes tho Heruorde In der Bibliothek der Benediktinerabtei Gerleve wird eine bisher unbekannte Handschrift des Grundt des Fraterleuendes von Gerhard Wilskamp, dem Rektor des Herforder Fraterhauses von 1528-1539, verwahrt. Die Papierhandschrift trägt die Signatur Hs. 6 (alte Signatur N° 355) und umfaßt 37 Blatt mit der Größe von 21,7 x 16,8 cm. Schriftraum: 14,5 x 9 cm, auf fol. 1 und 37 19 x 14 cm. Bastarda. Das Heft ist eingebunden in ein Blatt Pergament. Auf fol l r und im hinteren Einband Besitzstempel: „Sigillum Monast. ad. S. Joseph O.S.B. Billerbeck i.W." Die Handschrift ist, da sie neben dem Grundt des Fraterleuendes auch den darauf folgenden Briefwechsel mit den Wittenberger Reformatoren enthält, um etwa 1538/39 im Fraterhaus Herford geschrieben. Es handelt es sich um ein Handexemplar, das in dem Streit mit den Prädikanten und der Stadt den legitimen Anspruch des Hauses auf eine Fortexistenz im lutherischen Herford belegen helfen sollte. In der Innenseite des vorderen, als Einband verwandten Pergamentblattes ist von Hand des Schreibers bezüglich des Grundt des Fraterleuendes vermerkt, daß es sich um eine Kopie des hauetbokes handele, welches nach Wittenberg gesandt worden sei. Weitere Textzeugen sind die von Stupperich der Edition1 grundgelegte Handschrift im Staatsarchiv Münster, Altertumsverein, Msc. 436, eine Hildesheimer Abschrift des späten 16. Jahrhunderts in der Dombibliothek Hildesheim, Hs.Ps.10, fol. 236 r -250 v , und der aus dem frühen 18. Jahrhundert stammende Codex Pagendarm in Wittenberg. Die Handschrift aus Kloster Gerleve bietet folgenden Inhalt: Innenseite Vorderdeckel, Vermerk: Kopie des Buches, das an Luther gesandt worden sei; fol. l r Vorrede zum Grundt des Fraterleuendes; fol. l v Brief Gerhard Wilskamps an Luther (FRATERHAUS HERFORD 2: Briefe Nr. 24) und der Wortlaut der Beurteilungen der Apologie durch Luther und Melanchthon; fol. 2 r -19 v Grünt des Fraterleuendes; nach fol. 19 eingeheftet: Brief Luthers an den Rat der Stadt Herford (1532, Jan. 31, vgl.
1
FRATERHAUS HERFORD 2 : S .
141-161.
2. Gerhard
Wilskamp,
Grundt des Fraterleuendes
tho
Heruorde
297
FRATERHAUS HERFORD 2: S. 221); fol. 20 r -33 r Kopien der Briefe Luthers, Melanchthons und Gerhard Wilskamps von 1532-1537 (FRATERHAUS HERFORD 2: Nrr. 26, 27, 26, 27, 31-33, 35, 48-50, 24, 26, 27, 31-33, 35, 42, 43, 45, 48, 49); fol. 33 v -36 r Van der Iunferschap unde closterleuende (vgl. FRATERHAUS HERFORD 2: S. 172-175); fol. 37 r " v „Summa" der Auseinandersetzungen zwischen dem Fraterhaus und der Stadt Herford (vgl. FRATERHAUS HERFORD 2: S . 2 4 8 f f . , A u s z u g ) .
Von besonderem Interesse sind in der vorliegenden Handschrift eine Reihe von zum Teil umfangreichen Marginalien, die von einer zeitgenössischen Hand dem Text des Grundt des Fraterleuendes zugefügt worden sind. Diese Ausführungen zum Inhalt der Vorlage bemühen sich durchweg um unterstützende, von Gerhard Wilskamp bei der Verfassung des Textes nicht herangezogene Argumentationen. Der Schreiber beruft sich auf reformatorisches Schrifttum: Luthers Sermon von der Taufe, 2 die Epistel zum Neujahrstag, 3 die Postille zum Allerheiligentag, 4 Melanchthons Loci Communes 5 und die Nürnbergische Kirchenordnung von 1533. 6
Es folgt der Text der Marginalien: Marginalie zu De lere van der iunferschap und echten stände: (Fraterhaus Herford 2: S. 144, Z. 23)
Martinus Luther in demm sermon van der dope am 18 underscheide. Der dope folge tho don, dat de sunde erdodet werde, mach nycht eyne wyse edder stant syn. Darumme hebbe ik gesecht, eyn itlick mote sick sulffs prouen, in wilchen stände he am besten de sunde möge doden, unde de natur dempe, Also ist waer, dat neen hoger beter groter gelofte is, dan der dope gelofte. Wat kan man wyder gelauen dan alle sunde verdryuen, steruen, dyt leuen haten, unde hyllich werden. Bauen de lofte mach sick eyn wal verbynden in eyne stände, die em fuglick unde forderlich sy to syner dope volbryngynge. Gelik alse wen twe to eyner stat wandern, mach
2 3 4 5
WA 2: S. 724-737. WA 10.1: S. 449-519. WA 10,3: S. 400-407. MELANCHTHONS WERKE IN AUSWAHL. B d . II. T e i l 1: L o c i v o n 1 5 2 1 u n d 1 5 5 9 .
Bearb. v. Hans Engelhard, fortgeführt von Robert Stupperich. Gütersloh 1978, S. 15185. 6 EMIL SEHLING (Hrsg.): Die evangelischen Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts. Bd. 11: Bayern. Teil 1: Franken. Tübingen 1961, S. 140-205.
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de eyn den votwech, de ander de lantstrat gan, wo id em am besten dunket. Also we sik am eheliken stände byndet, de wandert in des suluen standes muhe unde lydent. Darynne he syner natur beladet dat se leuen unde ledes gewene, de sunde myde, unde sick tom dode des to beth bereide, dat he nicht so wal vermochte buten dem suluen stände. We auer mer lyden soket unde dorch veel offenynge wil kortlik sik thom dode bereiden, unde syn dopwerk balde erlangen, de byndet sik an de keusheit edder predickampt, want solke stant wan he recht steit, so sal he vol lidens unde marter syn, dat he mer offenynge syner dope hebbe wen de ehelike stant. Marginalie zu Vam gemeynen eyndrechtigen leuende christi myt synen apostelen: (Fraterhaus Herford 2: S. 145, Z. 13)
Martinus Luther up de epistel am nygen Iars dage secht vol bescheides vam closter leuende, unde manck anderen also. So wenich alse id tor salicheit helpet edder hindert, dat du eyn man edder frouwe bist, so wenich helpet und hindert id ok dar tho, dat du eyn Carthuser edder eyn pape bist. Edder allerley wesent, werck, orden, stende uthwendich vurest. Item: Eyn itlik alse en de here beropen heft, wyder, dan van den ioden unde heiden to verstaen etc. 7 Summa summarum: Der beider eyn, du motest de meyninge afleggen, edder du motest den stant verlaten. De loue lydet de meyninge nicht, dat du dorch eyn geistlik leuent edder stant woldest from unde salich werden. De wyle auerst de loue den stant lyden mach, so ist better de meynynge alse den stant afdon. 8 Solke lere verstoret nicht de closter unde stifte, sunder leret se recht unde christlick dar yn wanderen. Philippus Melanchthon secht in den gemeynen Steden van der monche unde nonnen gelofte also: Vortyden synt de closter Scholen gewesen in welken sick de scholer ym vrygen stände ane vrouwen willichlik unthielden, so lange id en beleueden, unde de scholer gebrukeden alle erer guder ynt gemeyne, weren eren leermeistern myt willen gehorsam, singen, bededen, disputerden myt eyn ander. Unde die selb ganse art leuens wart nicht vor eyn sunderlik christlik leuen edder vor eyn stant der volkomenheit, sunder der unvolkomene, unde vor eyn anfank, unde vor eyn voerryderschap der iungen lüde geholden. 9 Dar na alse de seden der menschen (wo gewonlick) umsloegen unde ouel gereeden, heft men angefange, de daer sick in de closter begeuen, erstlyck myt gesetten, und 7 8 9
Vgl. WA 10,1: S. 481 f. Vgl. WA 10,1: S. 494 f. V g l . MELANCHTHONS WERKE IN AUSWAHL. B d . II, T e i l 1, S. 6 9 .
2. Gerhard Wilskamp, Gründl des Fraterleuendes tho Heruorde
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dar na myt geloften to verstricken. Der haluen plech men hyr to disputern, van der holdynge unde nalatynge der suluen geloften, van welker saken doctor martyn luther yn der lenge geschreuen hefft. Marginalie zu Dat we dann nu der sacramente: (Fraterhaus Herford 2: S. 150, Z. 3)
In de Nurembergesche ordinancie utgangen am iare 1533 steit also geschreuen. 10 In Stiftern unde clostern sal id myt demm Tageampt gehalten werden, wie in andern pfarren nemlich. Wan se communicanten haben, das sie das abentmal halten, wo aber nicht, das sie die andern Ordnungen halten wie vor angezeigt is. Dar neben aber sollen se ire horas Canonicas de tempore auch halten, unde sick fleissich hüten, das sie darynne nichts singen edder lesen, das gottes wort entgegen sy, als da ist, anruffung der hilgen unde was das vegefur belanget, unde ander yrthumb mehr, welliges die verstendige under yhm selbs wol urteylen werden.
Marginalie zu Also syn wy doch ock myt unsen pastor: (Fraterhaus Herford 2: S. 152, Z. 28)
S.Paul: Verlet sick yemant darup dat he christo thohore, de dencke ock solckes werderumme by sick suluest. Dat gelyck alse he christo tohort also hören wy christo ock tho (2 Cor. 10). Marginalie zu Christus unse mester unde here: (Fraterhaus Herford 2: S. 153, Z. 4):
Martinus Luther in die postillen an aller hilgen dage fol. 238: Huse nomet S.Pawel, dat wy itzundes kercken heyten, wente to syner tyd weren nene kerken, sunder de Christen quemen to samende in eyn huß als itzundes noch mochte theyn edder twyntich nabers to sammende komen in eyn huß under sick. Marginalie zu Tom vyfften: (Fraterhaus Herford 2: S. 159, Z. 17) 10
Vgl. SEHUNG: Die evangelischen Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts, Bd.
11. S. 199.
300
Anhang
In der Nurembergesche Ordinancie Van menschen lere, steit also geschreuen: Id geschut gemeynliken, war men wedder menschen lere redet, dattet mysbruket wert, unde alle gude ordenynge der men doch nicht untberen kan, dar dorch toreeten werden, unde de ghene, de solke gude ordenynge erhalden, edder war se gevallen syn wedder uprichten wollen, werden van den unverstendigen beschuldiget, als wolden se menschen lere verdedynge unde uprichten, unde werden also dorch er dol geschrey gude ordenynge, dartho uns doch Paulus in der ersten Epistel tho den Corinthern, am 14. Cap. vermanet, verhindert, edder upt wenichts verachtelik gemaket. Item: Menschen lere schal nicht regern unde ouerhant nemen etc. Item: Id is nicht alles menschen lere, wat god nicht suluest geordent unde gebaden heft, sunder id behoren dar tho twe ander umstende: Thom ersten, dat solke ordenynge, de men eyn menschen lere wil scheiden unde verwerpen, nicht in dat ryke dusser werlt gehören, welck god geordent unde ingesettet heft to regeren lyff ere unde gudt, to beschudden de frommen unde to straffen de bösen, sunder dat se getagen unde geset werden in dat ryke gades welk de conscientie regert, unde füret vor God unde leret uns wo wy salich sullen werden etc. God hefft de wertlike overicheit ingeseth unde bestediget, thor beschuddynge der fromen, unde tor straffe der bösen, wo se auerst dat sullen uthrichten, heft he en nichts gebaden, sunder eren rade unde verstände heymgeseth, unde doch se dar by getrost, dat he myt en syn, unde se heymlik leiden wol, wo Salomon in den sproken secht am 21 Cap. Des konynges herte is in der hant des heren wo eyn waterbeken. Unde he neyget war hin he wyll. Also do Saul tho konynck gesaluet was unde eyn ander man geworden was, sprack god he scholde don wat yn under handen quemen, he wolde myt em syn. So nu god des konynges hert leidet, unde beuelet em he sal don wat em under handen kompt, so folget dar uth, wat eyn konninck ym wertlicke rik myt walbedachten rade na itliker tyd unde sake gelegenheit fiirnympt, settet, unde gebudet, dat doch nicht weder christum is, dat dat sulue neen menschen lere, sunder eyn ordenynge gades is, der men gehorsam sal syn, nicht alleyn um der straff willen, sunder ok umm des gewetens wiln. Wan ouerst de werltlike ouericheit ichts wat vorneme, dat weder christum were, so geuen dat antwort actus am v: Men mote gade mehr gehorsam syn dan den menschen etc. Christus heft uns beualen, wy sullen uns hoden vor valschen propheten, unde nenen menschen up erden unsen meister syn laten in den geweten, want dar is men eyn unser meyster, nemlick Christus im hemel. Uth den allen ist apenbar, dat de schedelike menschen settynge de Christus verwerpet unde uns vor warnet nicht gefunden werden, dan alleyn
2. Gerhard Wilskamp, Grundt des Fraterleuendes tho Heruorde
301
in den geistlicke ryke christi dar se dat geweten bynden unde gar nicht ym werltlicke ryken, dar id to gelaten beualen unde louelick is uth eygen rath unde wysheit, gude unde nuttelicke ordenyngen to vynden unde up to richten. Tom andern Ist noch nicht genoch, wanmen eyn ordenynge edder gewonheit alse eyn menschen lere wel verwerpen, dat men kan bewisen, se gehöre nicht in dat werltlike ryke, sunder to gades ryke, unde sy doch nicht dorch got upgeseth edder geordent, sunder men moth ok konen anteykenen, dat solke menschen lere, settynge edder gewonheit de geweten gefangen genamen hebben, edder noch gefangen nemen willen, dat is, datmen also geleret oder gebaden hebbe, we id do, de do eyn gud werk, darmyt he gade gefalle, unde syne gnade erwerue, edder Ion verdene. We id auerst nicht do, de do sunde, ertorne god, unde verdene de helle dar mede. Und dat wy dyt kortelik anteykenen, so yst umme twe worden to donde, nemlick Moten und Sunde. Als wan men sprecket, dat moth eyn Christen donn, doth he id ouerst nicht, so duth he sunde. Edder dat moth eyn Christen laten, leth he id auerst, so duth he sunde, soke daer wyder. Dat heytet eyn lere, wan men dar so up helt dattet also syn moth, und en is ider beuel, rath edder ordenynge, nene lere, exempeln van fleis eten, bichten unde datmen den kerker bede des morgens to perdaten nicht des namiddages etc. et Sancti Pauli act 21. 11
11
Vgl. SEHLING: Die evangelischen Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts, Bd.
11, S. 1 7 1 - 1 7 3 .
Anhang 3 Diagramm l
D
a s
Weseler Fraterhaus im Jahr 1480
Priester 9
Confessoren 8
Die Weseler Fraterherren von 1480 an ihrem Lebensende
303
Diagramme
Diagramm 2:
Einkünfte der Weseler Fraterherren im ersten Halbjahr 1487 in fl. Buchwerkstatt Getreide und Erbsen 97 Hostien und Tinte 42,5
Stiftungen 196 Renten 239
Stiftungeil und
Diagramm 3
Legate
für das Fraterhaus Münster Anzahl 15 10
_
1501-1525
j
1526-1550
..—.
1551-1575
Jahre
II 1576-1600
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1. Personenregister
In den Registern gebrauchte Abkürzungen: A (Anmerkung); Bf (Bischof); BvGL (Brüder vom Gemeinsamen Leben); Ebf (Erzbischof). Querweise unter den Registern sind durch die jeweilige Ordnungszahl angezeigt. Im Text namentlich genannte Brüder vom Gemeinsamen Leben sind im Namensregister unter dem Eintrag des jeweiligen Fraterhaus („Münster, Fraterherren...") zusammengefaßt. Alternativbegriffe und Begriffserweiterungen, die unter einem Lemma zusammengefaßt werden sollen, sind in Klammern hinzugefügt.
Adolph, Herzog von Jülich-Kleve 220 A132, 269 Aegidius de Monte, Bf Deventer 262 f. Aelius, Johannes 232 Agricola, Rudolf 3, 100 A49 Albrecht VII., Herzog von Mecklenburg 63, 155 ff. Alexander VII., Papst 281 Ambrosius, Ebf Mailand 138A100 Amsdorf, Nikolaus 173 Anselm von Canterbury 84, 106 Anton von Mechelen 160 Aquaviva, Claudius 264 Aristoteles 131 August, Kurfürst von Sachsen 74 Augustinus, Aurelius, s.a. 3. Regel 99, 106, 138 A100 — gemeinsames Leben 125, 127, 133 A72 Balthasar, Bf Schwerin 29 Barnikol, Ernst 13 f., 49 Bedeker, Anthonius 35 Benedikt von Nursia 109, 113 f. Berndtz, Engelbert 160 Bernhard von Clairvaux, s.a. 3. Regel, Geltungsbereich 65, 135 A80, 143 — Mönchtum 84, 118 Biel, Gabriel 101 A52, 103 A63 und A69. 123, 140 f. — Augustinerregel 126 — Kleidung BvGL 136 A89
— Oberdeutsches Generalkapitel 29 A18 — Verhältnis der BvGL zum Mönchtum 12 A42, 119, 124, 129 f.. 140 Bisschoppinck, Johannes 281 Bodo, Mönch in Bursfelde 148 Boeckmann, Patroclus 53 Böning, Johannes 223 Boerner, Gustav 14 Bolen, Bartolt 29 A22, 205 Bonizeth von Limburg, Äbtissin Herford 35, 37 Borromeo, Carlo 260 Brandis, Tilo 151.248 Bredenbach, Matthias 59, 192 Brenz, Johannes 143 Brüggeboes, Wilhelm 13, 50 Bucer, Martin 3, 116 A128, 169 A136 Bugenhagen, Johannes 152, 173 Bullinger. Heinrich 3 Burchard von Oberg, Bf Hildesheim 154, 155 A54, 223 f. Busch, Johannes 124 Busche, Albert 272 Bussche, Hermann von dem 3 , 1 6 8 Kalberg, Henning 33 A40, 34 Calixt III., Papst 179 Calvin, Jean 3, 9 f. Canisius, Petrus 3 Cansen, Lubbert 51
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1. Personenregister
Karl V. (Kaiser) 40, 56, 67, 69 A163, 147,151, 153, 161 f., 228, 285 Karl, Herzog von Geldern 43 f., 196 A128 Karlstadt, Andreas 84 Caspar, Prior OP Hildesheim 33 A40 Kassel. Fraterherren — Gabiel Syburgk 78 — Johann Bender 77 ff. — Johann Haupt 78 — Johannes Susati, s.a. 1. Hildesheim, Fraterherren 77 f. Cassian, Johannes 143 Castellio, Sebastian 11 Kempf, Nikolaus 101 A52 Kerssenbroch, Hermann von 93 Ketteier, Theodericus 279 Christoph Bernhard von Galen, Bf. Münster 274 f., 280 Chrysostomus, Johannes 138 AI00 Ciarenbach, Adolf 51, 55 f. Cochlaeus, Johann 61 Klopris, Johann 55 Knolleysen, Johannes 72 Köln. Fraterherren — Bartholomäus Kempis 199 A148 — Friedrich Wichterich 58 — Goidert Rempel 206 — Gottfried von Greffradt 191. 249 f. — Gumpen Hardefuyst 185, 209 — Heinrich Sevenich 185 A53 — Heribertus Vorst 199 A148 — Hermannus Borcken 199 A148 — Jacobus Embricensis 199 A148 — Jasparus Forst 251 A87 — Johannes Michael 178 A3 — Petrus Kempis 199 AI48 — Petrus Ude 199A148 — Rutgerus Burich 199 AI48 — Wilhelmus Bunna 178 A3 Konrad von Rietberg, Bf Münster 215 Kopernikus. Nikolaus 3 Corvin. Anton 143 Coster, Franz 277 f. Kridt. Johannes 238, 280 Kroen, Bernhard 158 f., 245 ff . 286 Cruciger, Caspar 152 Cues, Nikolaus von 3
Dieburg, Peter, s.a. 3. BvGL, Opposition gegen die Union 14, 184, 213 A78 — Verhältnis der BvGL zum Mönchtum 16, 114 f., 283 Deterding, Jodocus 174 f.. 244 Doesburg, Fraterherren — Johannes Huesden 45 — Mathias Kempis 45 Dreier, Johann 35 A51, 63 f., 66, 173
Dannhausen. Hermann 272, 273 A84
Gansfort, Wessel 3, 4 A l l
Eberhard der Ältere, Herzog von Württemberg, 19 Eberus, Andreas 152 Eck , Johannes 61 Elisabeth von Drolshagen 94 ff., 98, 111 Emser. Hieronymus 62 f., 156 f. Engen. John van 11 Erasmus von Rotterdam 3, 6, 46, 56 A87, 65, 106 A80, 252 A97 Erich von Braunschweig-Grubenhagen, Bf Münster und Paderborn 52. 6669, 181, 192 Ernst von Sachsen, Ebf Magdeburg 36. 187 A73 Ernst II. von Bayern, Bf Münster und Paderborn 176. 225, 270 f., 278 Essener 131 Eugen IV., Papst 27 f., 29 A18, 36, 281 Valentin von Teteleben. Bf Hildesheim 151 A27 Varro, Marco Terentius 137 Ferdinand I., König 156 A61 Ferdinand von Bayern, Bf Münster und Paderborn 260, 280 Vlatten, Johann von 269 Vourstenouwe, Heinrich 214, 216. 219 Franz von Waldeck, Bf Münster 165 ff., 232, 238 Friedrich von Holstein. Bf Hildesheim 154 Friedrich von Wied, Bf Münster 52, 232 Fürstenberg, Anton 56. 57 A90, 160, 163 A99
I. Personenregister Gerson. Johannes 97, 104. 106, 115, 140, 283 — Augustinus- und Benediktsregel 113 f. — Gelübde 108 A96, 113 — Konzil von Konstanz 81, 129 — Regel (Geltungsbereich) 111-114, 117 f., 130 Girdenich, Matthäus 55 Gysbert von Neukirchen 56 f. Gottfried von Kindern 163 Gottfried von Raesfelt 277 f. Grest, Johannes 35 A51, 66 Gropper, Kaspar 220, 265 ff., 269 f., 276 ff. Grote, Geert 1, 3, 4 A l l , 114 A120, 124 Gultzow, Hinrich 246 Hadrian VI., Papst 3. 67 Hageboke, Johannes 232 Haich, Henricus 213 Hamelmann. Hermann 52 f., 66 Hammer, Johann 272 f. Hardenberg, Albert Rizaeus 3 Heck, Johannes 160,206.217 Heinrich d.J., Herzog von Braunschweig-Wolfenbüttel 149. 200. 210 f.. 223 Heinrich III., Landgraf von Hessen 75 Heinrich. Herzog von Mecklenburg 63, 155 f.. 158 Heresbach. Konrad 269 Herford, Fraterherren, s.a. 1. Gerhard Wilskamp; Fraterherren Münster. Theodericus Bredevort — Andreas Walschart 181 A23 — Antonius Stertfeder 230 — Bartholomäus Aemelii de Vechel 45 f., 48 f., 65 f.. 68 f., 87. 181 A23. 183, 185, 192 A99, 194 — Bertram Preckel 132 A67. 183 A44. 185 — Ewald Tegeder 240 — Gerhard Decker aus Roggel 175, 185, 193, 239. 245 — Gerhardus Nvekerck 192 A99 — Guilelmus Borkensis 240 — Heinricus Doetinchen 239 AI3 — Heinricus Etlen 240
— — — — — — — — — —
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Heinrich Telgte 67 f. Hermann Vornheide 240 Hermann Havixbeck 193 Johannes Buck 240 Johann Kolebadt 183, 185 f. Johannes Eltensis 240 Johannes Neer 181 A2 3 Johannes Nethovel 183 Johann Sendenhorst 193 Johannes Wachtendonck 230 f.. 240. 254 — Johann Woltmann 183 — Nicolaus Scharnow 183 A44, 185 — Tebbertus Huffelage 192 A99 — Theodericus Pipers 185 — Wessel Scharnow 181 A23, 183 A44. 185 — Wilhelm Crüdering 231 A214, 240 Hermann von Langen 215 Hermann von Schildesche 37 A53 Hermann von Wied, Ebf Köln 68 A163, 162 f.. 197, 228, 230 Hieronymus, Sophronius E. 84, 138 A100 Hildesheim. Fraterherren, s.a. 1. Peter Dieburg — Antonius Rosen 189 A76. 195 A123. 200 A153 — Arnold von Alen 184 — Arnold Udense 200. 241 — Bernhard Wedemann 195. 200, 224. 241 — Bernward Wever 194, 200 AI53. 241 — Kasten 195 A120 — Christianus Schowarten 195 — Conradus Cock 195 AI21. 200 AI 53 — Gerhard Goch 184 — Goswin Waghening 184 — Hans Oldenborch 184 A47 — Hanse 195 A121 — Henning Balhorn 188 f., 195, 224, 225 A172. 241 — Hermann Pelckmann 200 A149 — Hinricus Joen 196 — Hinrick Monasteriensis 200 A149 — Henricus Rotfeldt 195 A123 — Hinricus Gottingen 178 A6 — Jacobus Willen 200 AI53
344 — — — —
1. Personenregister
Johannes Backhus 200 A153 Johannes Bocholt 196 Johannes Dantzik 184 Johannes Engelken 195 A120, 196, 237, 241 f., 247 f., 253 f., 272 f. — Johann Vligekope 196 A125 — Johann Hottelem 184 — Johannes Hinsberch 184 — Johannes Molterns 200 AI 52 — Johannes Nebelingk 194, 254, 272, 273 A84 — Johannes Oldenborch 184 A47 — Johannes Philipps 242, 248 — Johannes Remmelink 241, 254 — Johannes Twigetmann (Susati), s.a. 1. Kassel, Fraterherren 152, 194 AI 13 — Johannes Zelheim 71 A10 — Jost Wittekop 200 AI 53 — Ludolf Munder 194 AI 13 — Paulus Nagelsmedt 48 f., 51, 69, 72 f., 152, 155, 194, 200 A149 — Petras Walbeck 184 — Rodolph 241 — Ulrich Mulmer 242 Hitler, Adolf 4 A l l Hochstraten, Jakob 57 Hölscher, Bernhard 289 Holtmann, Johannes s.a. 2. Fraterhaus Münster, Religionsgespräch; 3. Abendmahl; Armut; BvGL; Freiheit des Brüderlebens; Fortschritt, geistlicher; Gebote; Gelübde; Glauben; Katechismus; Keuschheit; Kirche; Konzil; Liebe als Ziel des geistlichen Lebens; Mönchtum; Räte; Recht; Rechtfertigung; Regel; Sünde; Taufe;Vernunft 17, 82, 92, 96-121, 123-126, 128 f f , 133 A69, 140-145, 168 f., 232, 283 — Biographie 93 f. — Seelsorge für die NiesingSchwestern 94 ff., 102 f., 106, 110, 115 Holtmann, Nikolaus 93 A4 Holtstegen, Matthias 265 Huberinus, Caspar 143 Hyma, Albert 3, 7 A20 Imhof, Heinrich 75
Johann Albrecht I.. Herzog von Mecklenburg 156 Johann von Hoya, Bf Münster 276 f. Johann von Paltz 84 Johann von Wallwitz 72 Jong, Johannes de 9 A29 Julius, Herzog von Braunschweig und Lüneburg 223 Jutta, Äbtissin in Vreden 25 Leesch. Wolfgang 19 Leo X., Papst 61 Loeff, Hermann 223 Löff, Johannes 34 Lohse, Bernhard 90 Lourdaux, Willem 5 f. Loyola, Ignatius von 3 Ludolf von Veltheim (Domdekan Hildesheim) 150, 155, 178 A6 Ludwig II., Landgraf von Hessen 30, 74 Ludwig von Stolberg, Graf 19 A80 Lukas, Dominikaner Wesel 55 Luther, Martin, s.a. 1. Jakob Hochstraten; 2. Fraterhaus Herford; Fraterhaus Magdeburg; Fraterhaus Rostock; 3. Armut; BvGL; Freiheit; Gebote; Gelübde; Gemeinde; Glauben; Keuschheit; Messe; Mönchtum; Profeß; Rechtfertigung; Vernunft 3 f. mit A l l , 80, 82-92, 94 A12, 100 — Einfluß auf das Leben in den Klöstern 9, 43-47, 69, 177 — Schriften 15, 45, 61 f., 76, 87, 109 A100, 143 De captivitate 90 An den christlichen Adel 89 f. Deutsche Messe 92 Epistel zum Neujahrstag 120 A147, 297 Leisniger Kastenordnung 148, 197 1. Psalmenvorlesung 86 Römerbrief 86 Sermon von der Taufe 86-90, 115 f., 118, 144, 283, 297 Themata de votis 88 A32, 90, 100 A4 7
I. Personenregister De votis monasticis 83-86, 89, 91 f., 100 A47, 114 AI 19, 116, 118 f. Magdeburg, Fraterherren — Johannes Zelheim 71 A 10 — Konrad von Paderborn 71 AI 1 — LudolfMunder 71 A l l Magnus von Mecklenburg, Bf Schwerin 181 Marburg, Fraterherren — Bernhard Rothert 45, 49, 87, 194 — Heinrich Keck 76 f. — Johann Thenner 77-80 — Laurentius von Münster 79 Margarete II. zur Lippe, Äbtissin Herford 241 Margarethe von Gleichen, Äbtissin Herford 214 Melanchthon, Philipp 4 A l l , 84, 90, 109 A100, 127, 152, 172, 297 — Erlaubtheit einer societas 133. 139, 144 Merseburg, Fraterherren — Adam Westerburg 73 — Gisbert 47, 72 — Johannes Coci 73 Montanus, Jakob 35, 65-68, 172, 192 A99 Münster, Fraterherren, s.a. 1. Johannes Holtmann — Bernd Oisthuß 233 — Bernhardus ton Rythues 190 A82 — Caspar Voerst 234 — Custodis von Beringen 215 — Gherritz van Lochum 190 A82 — Heinrich von Ahaus 25 — Henricus Femer 190 — Henricus Hülsbusch 190 A82 — Heinrich Sluiterman 242, 249 — Heinrich Themme 180 — Heinrich Walgert 232 f., 242 — Hermann ter Brüggen 190 — Hermann von Heyden 190 A82 — Hermann Holtmann 93 — Johannes Becker 239 — Johannes Engelberndinck 190 A84 — Johann Krampe 159 A78, 238 ff.. 245. 247, 254 f., 278, 286 — Johannes Nedis 232
345
— Johannes Rotger 46 f., 51, 183 A39, 232 A218 — Johannes Timmerscheit 242 — Jordanus Vyscher 187 — Lambert thom Dale 190 A82 — Ludolph Borkelo 227 A188, 232 — Martinus Emede 183 A38 — Matthias Roggen 232 — Pelgrym Block 183 A39 — Philippus Stempel 232 — Siegfried Bussbach 183 A38 — Theodericus (Dietrich) Bredevort 52, 93 f., 168, 232, 238 ff., 254 — Tymann Brabandes 207 Murmellius. Johannes 3 Mutian, Konrad 3 Nicolaus de Lyra 217 Nikolartius, Petrus 280 Oberman, Heiko A. 5 f., 18, 118 Ökolampad, Johannes 3, 116A128 Oldecop, Johann 48 A45, 50 Oldendorp, Johann 60, 63, 156 f. Otto von Laufenfelden 59 Paulus. Apostel 129 Paulus IV., Papst 20 Philipp II., König von Spanien 258, 268 Philipp I., Landgraf von Hessen 59 A99, 74 ff., 166 Philippi, Jakobus 110 A101 Pirckheimer, Willibald 65 AI36 Pierre d'Ailly 81 Pius II., Papst 206 A22 Pius V., Papst 258 f., 262 f., 278, 280 f. — Lubricum vitae genus 188 A75, 261264, 267-270, 276, 281, 286 Polycarp, Kapuziner Hildesheim 194 Post, Regnerus R. 4 f., 7 ff., 20 Pythagoras 131 Rasseler, Anton 191 Rhegius, Urbanus 61 Rostock, Fraterherren — Gerhard Dunckradt 159, 193,246 — Heinrich Arsenius 159, 176, 193, 245 f.
346
1. Personenregister
— Johannes Veghe 181 — Johann Holt 157 — Martin Hillemann 156 f. Rothmann, Bernhard 51 ff., 93. 167 Schatzgeyer, Kaspar 92 A50 Serrapetrona, Giovanni Pico de 258 A14 Sigismund von Lindenau, Bf Merseburg 73 Sixtus IV., Papst 29, 36 Slorf, Steffen 158 Slüter. Joachim 60 Spangenberg, Johann 143 Staubach, Nikolaus 6 f. Sturm, Jakob 3, 4 AI3 Teellinck, Wilhelm 11 Thilo von Trotha, Bf Merseburg 30 Thomas a Kempis 11 Ton Ring, Hermann 239 Torre, Jacques de la 260 Ulrich, Herzog von Württemberg 19 Weinsberg, Hermann 59 f. Wesel, Fraterherren, s.a. 1. Fraterherren Münster, Theodericus Bredevort — Albertus Walburgensis 179 A l l . 186 A66 — Bartholomäus Gladbach 266 — Bernardus Dorstensis 252, 265 — Bernhardus Warendorp 179 AI 1 — Caspar Lechenich 198 — Konrad Voirst 197 AI35 — Euerardus Poir 179 AI 1, 186 A66 — Ewaldus Dulmensis 265 — Fredericus Gent 179 AI 1 — Gerardus Averveit aus Dinslaken 179 A l l , 186 A66, 206, 208 A34 — Gerardus de Zwollingen 179 AI 1 — Heinrich Mant 217 AI 11 — Hermann N N. 222 — Hermann von Dülmen 238 — Hermann Vornheide 242. 253 — Hermann Ruistvelt 238 — Jacobus Wever 179 AI 1. 208 — Johannes Brouwerinck 179 AI 1. 186 A66 — Johann Hessels 265
— Johannes Hoynck 238 A8 — Johannes Pelmeken 179 AI3 — Johannes de Reynen 179 AI 1, 186 A65 und A66 — Jordanus ton Oerde 179 AI 1. 186 A66 — Paulus Hemsberch 208 — Paulus Nagelsmedt 48 f., 51, 69, 72 f., 152, 155 — Sebastianus Vorst 164, 198 A141. 264 f. — Theodericus Dijrken 179 A l l — Theodor Hanso 242, 253 — Theodor Holtmann 93 A4 — Theodericus Till 179 A 11. 186 A66 — Wolter von Kalkar 238 A8 Westermann. Johannes 169 Wildefuer, Hans 49 A47, 50, 149 Wilhelm III. (V ), Herzog von JülichKleve 56, 159-164, 197, 220, 249, 252, 263-269 Wilhelm von Ketteier. Bf Münster 279 Wilhelm von Löwenich 59 Wilskamp, Gerhard, s.a. 1. Augustinus; 2. Fraterhaus Herford; 3. Abendmahl; Apostelgeschichte; Armut; BvGL; Gelübde; Ehe; Freiheit des Brüderlebens; Kirche; Kleidung; Leben, gemeinsames; Messe; Recht; 17. 38, 66 f f , 82, 92, 122-144, 172 f.. 175, 209, 230, 239, 243 f., 283 f. — Grundt des Fraterleuendes als Apologie des Brüderlebens 109 A100. 170, 123 ff, 132, 138, 284 — evangelische Predigt 67 f. Witzel. Georg 174 Wimpfeling. Johannes 3 Winichius. Heinrich 270. 272 Wullenwever, Jürgen 63 Wyck, Johann von der 167 A129, 168 Zerbolt von Zutphen, Gerhard 3 f., 123 f., 126 A23. 133 A72 — donatio inter vivos 133 A69 — Kleidung 137 A96 — oboedicntia caritatis 135 A80 — societas 133 f. A73 — Statuten 112 Zwingli, Huldrvch 3, 116A128
2. Ortsregister Ahaus 93 Ahlen. Schwesternhaus 241 A31 Amersfoort, Fraterhaus 20 A83, 46 f. Antwerpen 58 Bislich 182. 197, 208 Bocholt. Schwesternhaus 190, 232 Bonn 238 Braunschweig, Magistrat (Rat) 207, 223 Bremen, Erzbischof 210 Brünen 182,208,222 Brüssel, Fraterhaus 277 Büderich 182. 217, 235 Büxten 209 f., 230 Bursfelde 75. 148 Butzbach, Fraterhaus 19 A80. 26, 27 A10. 59 A99 Coesfeld, Schwesternhaus 227 Derneburg (OCist) 224 Detmold. Schwesternhaus 65 Detmold 239 Deventer. Fraterhaus 25, 36, 138, 233, 260 — Aufhebung 20 — Aufruhr unter den Scholaren 46 f. — Hilfe für die Herforder BvGL 240. 245 — Schule 5 A13. 217 Deventer, s.a. 1. Aegidius de Monte 47, 262 Dingden 208. 222 Dinslaken, Schwesternhaus 179 A16. 182 Doesburg, Fraterhaus 20. 57 — Auflösung 262 f. — Chronik 42-45. 62 Doesburg 196A128 — Schwesternhaus 262 Dorsten 183, 185, 199 Dülmen 199
Eilsleben, s. 2. Merseburg, Fraterhaus Einsiedel, Fraterhaus 19 Elten 182 Emmerich, Fraterhaus 114.280 — Scholarenhaus 60, 198. 217 — Statuten 263 f. Emmerich 182, 192 — Jesuiten 264 — Stiftsschule 59 Essen, Schwesternhaus 178 A3, 182 Essig, Augustinerinnen 178 A3 Falkenhagen (OSC) 35 A45, 37 Fontevellana, Abtei 259 Freckenhorst, Stift 93 A3, 211 A65 Gent, Priesterseminar 277 Ginderich, Schwesternhaus (Tertiarinnen) 178 A3. 265 A45 Göhlitzsch 73 Goslar 223 Groningen. Fraterhaus 278 Groningen 204, 225 AI78 Hameln 205. 230 Hamminkeln 208 Harderwijk, Fraterhaus 20 Heinde 210 f. Herford, Fraterhaus, s.a. 1. Gerhard Wilskamp: 2. Fraterhaus Deventer 9. 26. 36, 49, 148, 176, 238, 281 — Abendmahlspraxis 66, 172. 175 — Anklage durch Bf. Erich von Paderborn 66-69 — Aufnahmeverbot 173 f., 192 f. — Bekenntnis zu Luther 64, 66 ff., 87. 122 ff.. 145 — Besitzübertragung 244 f. — Briefwechsel mit den Wittenberger Reformatoren 65. 68, 139 f.. 172 ff. — evangelische Bewegung (Teilhabe an) 64 ff., 69. 282
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2. Ortsregister
— Einkünfte 205, 209 f., 218 f., 229 ff., 236 — Exkommunikation 175 — Größe der Gemeinschaft 180 f., 188, 192 f., 201 — Herkunft der Brüder 183-186 — Inventarisierung 170 — Kleidung 174 — Luthers Beurteilung des Brüderlebens 15, 122, 139 f., 144, 170-174, 176, 193 — Pfarrecht 123, 170-173, 175 f., 192 f. — Schule 173 f. — Statuten (Hausordnung) 38,112 A109, 134-136, 139, 142 f. — Stiftungen und Schenkungen 59, 213 f., 216 — unio von 1436 237 — Union 34-38 — Unterstützung durch das münsterische Haus 238-241, 243, 254 f., 286 — Verteidigung in der Reformation 92, 122-144, 169-176, 284, 297 f. — Visitationen 34 f., 37 f., 180, 183 f., 193 Herford 205 — Äbtissin, s.a. 1. Bonizeth von Limburg; Margarethe von Gleichen; Margarete II. zur Lippe 64, 172 f., 181 A25, 230, 240, 254 — Kirchenordnung, s.a. 1. Johannes Dreier 169-173 — Magistrat (Rat) 64, 136, 146, 169 f., 172 ff., 244 f. — Münster (-kirche) 63 f., 137 A98, 216 — Prädikanten 63, 122, 126, 128 A34, 129, 132, 136, 138, 169-174, 243 f.. 254 — Religionsgespräch 170 f. — Schwesternhaus, s.a. 1. Jakob Montanus 219 — St. Johann und Dionys, s.a. 1. Johannes Grest; Heinrich Vourstenouwe; Jodocus Deterding 63, 170 's-Hertogenbosch, Fraterhaus 20, 263 A30
— Schülerhaus 278 Hildesheim, Fraterhaus. s.a. 2. Fraterhaus Magdeburg 26, 36, 123, 285 — Abendmahlspraxis 151 — Alumnat 260 — Antonius-Altar im Dom (Antoniuskapelle), s.a. 1. Ludolf von Veltheim 212 f.. 274 — Einkünfte 207, 210 f., 218, 223 ff, 236 — evangelische Bewegung (Teilhabe an) 49 f. — Größe der Gemeinschaft 178. 188, 194 ff. — Handschriften 224 f. — Herkunft der Brüder 184 200 f. — Inventarisierung 153 f., 224 — geistliche Kleidung 150.153 — Reformversuch Bischofs Ernst II. von Bayern 270 ff. — Religionseid 253 f. — Schriften Luthers 45. 87 — Stiftungen und Schenkungen 212 f., 214, 235 f. — Union, s.a. 3. BvGL, Union 32 f., 36-39 — Unterstützung durch das münsterische Haus 241-243, 247 f., 273 f.. 286 — Versuche der Aufhebung 152 f.. 176, 272 ff. 281 — Visitationen, s.a. 1. Kalberg, Henning; Löff, Johannes 33 A40, 34, 37. 178 — Widerstand gegen die Einführung der Reformation 151-155 Hildesheim — Ausweisungen Altgläubiger 151. 153 A39 — Bischof, s.a. 1. Valentin von Teteleben: Friedrich von Holstein; Burchard von Oberg; Ernst II. von Bayern; Ferdinand von Bayern 33, 149, 152, 210 — Dom 150, 153 — Domkapitel 210 A59, 248. 272 — Dominikaner 33 A40, 150, 153, 273 f. — evangelische Bewegung 50 — Franziskaner 150. 153 A42
2. Ortsregister — Geistlicher Rat des Bischofs, s.a. 1. Albert Busche; Hermann Dannhausen 176. 196, 225, 241, 247 f. — Hospital in der Neustadt 225 — Jesuiten 247, 272 ff. — Kartause 152 f.. 212 A73, 270 A75 — Kirchenordnung 149 ff. — Magistrat (Rat), s.a. 1. Hans Wildefuer 50. 146, 149-154, 176. 194 — Prädikanten 50. 150 f.. 153 — Schule 152 — St. Godehard (OSB), s.a. 1. Henning Kalberg 37, 49 A48. 150, 153 — St. Johann 150, 274 — St. Lamberti 150 — St. Maria Magdalena 224 — St. Michael (OSB), s.a. 1. Johannes Löff 49 A48, 150, 153. 154 A43. 235 — St. Moritz 274 — Stiftsfehde 210 f.. 223 — Willige Arme im Langenhagen 150 — Windesheimer (Sülte) 49, 150. 152 Homberg, Synode 75 Horn 239 Hulsbergen. Fraterhaus 20 Iburg, Kloster 210 Italien 131 Kalkar, s.a. 2. Fraterhaus Wesel. Kalkar St. Nikolai 43, 182, 221 — Magistrat (Rat) 220 f., 262 A27, 264 f., 267-270 Kassel, Fraterhaus 26. 36, 48, 74 f.. 137 — Abfindungsverhandlungen 78 ff. — Abwanderung in der Reformation 77 f.. 194 — Aufhebung 77-80 — Gründung 30 — Inventarisierung 77 — Union 30, 33, 39 Kempen, Fraterhaus 22 A93, 182 Kempen, s.a. 2. Fraterhaus Köln, Besitz in Kempen Kleve-Jülich-Berg, s.a. 1. Adolph, Herzog; Wilhelm, Herzog
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— Instruktion 1532 268 — fürstliche Räte 221, 266-269 — Visitation 1550 268 — Visitation 1559 198 Köln, Fraterhaus, s.a. 2. Fraterhaus Wesel, Visitationen 21, 26, 36, 285 — Einkünfte 205 f., 209, 227 f f , 236 — evangelische Bewegung (Teilhabe an) 57 ff. — Größe der Gemeinschaft 177 f., 188. 190 ff., 201 — Handschriften 58 f. — Herkunft der Brüder 183. 185, 199 f. — Kempen, Besitz in 182, 209 — Scholaren 229 — Stiftungen und Schenkungen 177, 213. 234 f. — Union von 1439 28 — Visitation 1510 34 A43. 37. 177 — Zülpich, Besitz in 34 A43. 59 A103 St. Peter, Katharinenaltar 177, 206. 208 f. — Zülpich, Plan einer Fraterhausgründung 206 Köln 161, 184. 198 — Augustiner-Eremiten 58 — Chronik aus dem Jahr 1262 137 A98 — Dom 59 — Domscholaster 186 — Dreikronenburse 192 — Erzbischof. s.a. 1. Hermann von Wied 229 — Jesuiten 191 f., 228 f. — Kartause 8 A22, 229, 235 — Kreuzherren 229 — Magistrat (Rat) 34 A43, 58, 178 — Mommersloch. Schwesternhaus 178 A3 — St. Gereon 59 — St. Maria ad Gradus 59 — St. Peter 59 — St. Reynold, Reklusen 34 A43 — St. Severin 59 — Universität 57 f. — Weihbischof 218 — Windesheimer (Herrenleichnam) 8 A22, 58, 229
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2. Ortsregister
Königstein, Fraterhaus 19 A80, 26, 27 A10, 58 f. Konstanz, Dominikanerinnen 92 A52 Konstanz, Konzil v , s. 1. Johannes Gerson Löwen, Windesheimer 11 Lübeck, Fraterhaus 23 A93 Lüttich, Fraterhaus 264, 280 Lüttich, Jesuiten 264, 280 Lyon, Konzil 1274 112 Magdeburg, Fraterhaus 26, 49, 184 — Abwanderung nach Hildesheim 194 — confoederatio mit Hildesheim 30 — evangelische Bewegung (Teilhabe an) 71 — Größe der Gemeinschaft 187 A73 — Luthers Besuch der Brüderschule 3 — Stiftungen 72 — Union 30, 33, 36, 39 — Untergang 71 f., 282 Magdeburg — Augustiner-Eremiten 70 — Dominikaner 70 — Domkapitel, s.a. 1. Johann von Wallwitz 70 f. — Erzbischof, s.a. 1. Ernst von Sachsen 49 A51, 71 f., 202 — Franziskaner 70 — Magistrat (Rat) 70 f. — Zisterzienserinnen 70 Marburg, Fraterhaus 26, 78 f., 87. 137 — Abfindungsverhandlungen 76 — Aufhebung 74-77 — Bierbrauen und -ausschank 218 — Handschriften 123 A6 — Schule 76 A43 — Union 29. 36 — Visitation 75 Marburg — Dominikaner 76 — Franziskaner 76 — Universität 77 f. Marienberg, s. 2. Bocholt, Schwesternhaus Mariengarden, s. 2. Schüttorf, Schwesternhaus
Marienthal, Fraterhaus 19 A80, 26, 27 A10 Mecklenburg 158, 193 Meppen 184 Mersch s. 1. Fraterherren Wesel, Caspar Lechenich Merseburg, Fraterhaus 23 A93, 70 — Eilsleben, Rente bei dem Rat 73 — Gründung 29 f. — Untergang 47 f., 72 ff. Merseburg — Bischof, s. 1. Thilo von Trotha; Sigismund von Lindenau — Dom, s. 1. Johannes Knolleysen — Magistrat 74 — Visitation des Bistums 1544/45 73 Möllenbeck (CanA), s.a. 1. Bedeker, Antonius 35 A45. 37, 180, 255 Münster, Fraterhaus, s.a. 2. Fraterhaus Herford; Fraterhaus Hildesheim; Fraterhaus Wesel, Visitationen; Pius V., Lubricum vitae genus 21, 26, 31, 123, 165, 175 f., 222, 243, 248, 274 f., 281 — Aufhebungsversuche 276 ff. — Bibliothek 123 A6, 276 — Einkünfte 204-207, 211, 225 ff., 236 — Entsendung von Mitgliedern 29 f.. 195. 238-243, 254, 285 — evangelische Bewegung (Teilhabe an) 51 ff. — Größe der Gemeinschaft 180, 189 f., 201 — Gründung 25 — Herkunft der Bruder 183,199 — Prozession 1662 190 — Religionsgespräch im Fraterhaus 52 f., 93 f., 168 f. — Schule 280 — Stadtunruhen von 1525 (Forderungen gegen die Brüder) 53 ff. — Statuten 276 — Stiftungen 187, 214 f., 231-234 — Tridentinum (Rezeption) 254 ff. — Union von 1439 28 — Union 27-33, 36-39 — Verbot des Hostienverkaufs 167 — Visitation 275 f. Münster 166, 182 f., 198
2. Ortsregister — Bischof s.a. 1. Erich von Braunschweig-Grubenhagen, Friedrich von Wied, Franz von Waldeck, Konrad von Rietberg; Johann von Hoya, Ernst II. von Bayern. Christoph Bernhard von Galen 176. 225 — clerus secundarius 165 f — Deutscher Orden 165 AI 12, 166 AI 17 — Dom 169, 215 f., 275 A94, 277 — Domkapitel 165 f., 211 A65, 277 f. — Domkanoniker, s.a. 1. Hermann von Langen; 2. Münster, Fraterhaus, Stiftungen; 190 A81, 231 A218. 233 f. — Domvikare 215 A92 — Franziskaner-Observanten 233, 278 f. — Jesuiten 234. 276 ff., 280 — Johanniter 165 AI 12, 166 AI 17, 279 AI 13 — Kirchenordnung 93, 166 ff. — Klarissen 279 f. — Magistrat (Rat), s.a. 1. von der Wyck 52. 54 f., 165-169. 277, 280 — Minoriten 165 AI 12. 167. 189 A78. 276 A97. 277 f. — Schwesternhaus Niesing (Marienthal), s.a. 1. Elisabeth von Drolshagen; Johannes Holtmann 51. 54 f.. 93 f.. 166 AI 17. 169. 290 Stadtunruhen 1525 53 ff. — Priesterseminar 276 ff.. 280 — Paulinum (Paulinisches Gymnasium) 278. 280 — Ringe (Haus R„ Beginen) 227. 279 f. — Rosental. Schwesternhaus 227 — Schule 167 — Überwasserstift 166 A117. 215 Niederzwehren, s. 1. Kassel. Fraterherren, Johann Bender Nimwegen. Fraterhaus 20 A83. 22 A93, 182 Northeim, St. Blasius (OSB) 207. 223 f. Nürnberg, Kirchenordnung von 1533 109 A100. 134 A76, 297
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Oldenburg 184 Oldendorp. Schwesternhaus 244 A43 Osnabrück 205, 219, 230 Paderborn 67 f., 193 — Bischof, s.a. 1. Erich von Braunschweig-Grubenhagen; Ernst II. von Bayern; Ferdinand von Bayern; Hermann von Wied Pfallenschwabenheim (CanA) 19 A80 Plön, Schwesternhaus 178 A6 Rees 182, 217 Riechenberg (CanA) 223 f. Rostock, Fraterhaus 26, 155-159, 176, 285 f. — Besitzübertragung, s.a. 1. Kroen, Bernhard 245 f. — Druckerei 61 ff . 218 Luthers Einschreiten 63, 156 f. — Größe der Gemeinschaft 181 f., 188, 193. 201 — Gründung 29 A22. 205 AI5 — Kleidung 156 — Restituierung 158 — Schule 181 f. — Union 29. 36 Rostock — Dominikaner 63. 157 — Domkapitel 60 f. — Franziskaner 157 — Heilig-Geist-Hospital 158 A74 — Inventarisierung 156 f. — Kaland 156 — Magistrat 60 f.. 63, 146, 155-159. 246 — Prädikanten 61. 156 — Schule 157.246 — St. Johannis 158 A74 — Universität 60. 63, 159. 247 Russen 73 Salzuflen 205. 230 Schüttorf. Schwesternhaus 208 A3 4 Schüttwick 208 Schwerin. Bischof, s.a. 1. Balthasar: Magnus von Mecklenburg 61 Segeste 210.212
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2. Ortsregister
Sendenhorst 204, 207 A28, 211, 225 AI78 Soest, Fraterhaus 23 A93 Speyer, Nationalversammlung 67 Stadthagen 205, 230 Straelen 182 Straßburg 4 f. AI3 Telgte 166 Trient, s. 3. Trient, Konzil von Trier, Fraterhaus 19 A80, 277 Trier, Minoriten 277 — Jesuiten 192, 277 Uedem 182 Urach, Fraterhaus 97 A27 Utrecht, Fraterhaus 20, 116 A128, 278 Venlo, Vertrag von 161 Vorst 209 Walbeck 23 A93. 49 A51, 202 Wamell 43 Warendorf 207 A28, 227 Wees 43 Weilheim, Fraterhaus 97 A27 Wesel, Fraterhaus, s.a. 1. Pius V., Lubricum vitae genus 26, 146, 159 ff., 164 f., 176, 186, 254, 281, 285 f. — Abendmahlsfeier 162 — Aufnahmegebühren 243 — Aufnahmeverbot 163 f. — Einkünfte 203 f., 206, 208, 220 f., 236 — evangelische Bewegung (Teilhabe an) 56 f. — Größe der Gemeinschaft 178 ff., 188, 196-201 — Herkunft der Brüder 182, 199 f. — Unterstützung durch das münsterische Fraterhaus 238 — Hostienbacken 218 — Kalkar, St.Nikolai, JohannisVikarie 179, 220 f., 236 A255, 264-269 Hof Geisthusen 208, 220 ff. — Schule 56 mit A88, 217 — Statuten 251
— Stiftungen und Schenkungen 57, 211 f., 217, 235 f. — Union von 1439 27 f., 266 — Union 28 f., 36 — Unterstützung durch das münsterische Haus 242 f., 286 — Visitationen 249-253 Wesel, s.a. 1. Hermann von Wied 217 — Augustiner-Eremiten, s.a. 1. Engelbert Berndtz; Anton von Mechelen; Matthäus Girdenich; Gysbert von Neukirchen 57 A90, 160-163 — Confesio Wesaliensis 163 f. — Dominikaner 55, 160. 162 f., 243 — Heilig-Geist-Hospital 163 — Interim 159, 162 ff. — Jesuiten 253 — Magistrat (Rat) 56, 159-164, 196 f.. 242 — Mathena-Kirche 162 — Oberndorf, Kloster (OPraem) 163 — Prädikanten 161, 163 f. — Religionsgespräch 160 — St. Willibrord, s.a. 1. Anton Fürstenberg; Gottfried von Kindern 160, 163, 235 Westfelde 210 f. Wiesbaden, Fraterhaus 23 A93 Windesheim (CanA), s.a. 2. Derneburg; Hildesheim; Köln; Möllenbeck; Riechenberg 1, 9, 20 A85 — Windesheimer Kongregation 5,19, 58, 255 AI 12 Wittenberg, Universität 173 Wolf, Fraterhaus 19 A80 Xanten, Fraterhaus 23 A93 Xanten 217 Zülpich, s.a. 2. Köln, Fraterhaus 59, 177 Zwolle, Fraterhaus (Kolloquium) 20, 36, 217
3.
Abendmahl 56. 61. 66, 160 f., 163, 168, 250. 252 — bei Holtmann 51. 95, 105 f., 121 Ablaß 65, 116 Apostasie 188. 259 Apostelgeschichte, s.a. 3. Urkirche 16 f.. 127-130, 133. 284 Armut, s.a. 3. BvGL, donatio inter vivos 86. 108 f.. 111. 118. 128 f.. 143 Augsburger Interim 79, 197. 228 Augsburger Religionsfrieden 147 A5, 154 Bauernkriege 72. 75 Beginen 131 Beichte (Buße) 14. 65, 95, 105, 160 f., 254 Bewegung, evangelische (reformatorische), s.a. 2. Fraterhäuser Herford, Hildesheim, Köln, Magdeburg, Münster, Wesel 41 ff., 69, 80, 282 Brüder vom Gemeinsamen Leben, s.a. 1. Gabriel Biel; Gerhard Zerbolt von Zutphen; 3. Freiheit; Gelübde; Mönchtum 3 — Austritt aus einem Fraterhaus 17. 45 A28, 73, 132 mit A67, 188 ff., 195, 197 — als Anhänger Luthers, s.a. 2. Fraterhaus Herford 45 f.. 49 f.. 87. 116, 194, 282 — donatio inter vivos 17, 132 f. — Kanoniker vom Gemeinsamen Leben, s.a. 3. BvGL, Oberdeutsches Generalkapitel; Stift 18 f. — Kleidung 127, 136 ff., 172,260, 263. 275 — Legitimität der Lebensform, s.a. 1. Gabriel Biel; Johannes Gerson; Gerhard Wilskamp; Gerhard Zerbolt
Sachregister
von Zutphen 16 f., 23, 25, 123 f., 138 f. — Münstersches Kollquium, s.a. 3. BvGL. Union von 1499 18-21, 25 f., 82, 123, 177, 180, 206. 236 f., 240, 244, 255 f., 281 f., 284 Visitation 66. 239 — Oberdeutsches Generalkapitel 7 A20, 18 ff., 26 f., 29 A18, 32 A35 — oboedientia caritatis (voluntaria, Gehorsam) 27 f., 33 f.. 135 f., 251 A86, 261 — puritas cordis, s.a. 3. Fortschritt, geistlicher; Meditation 98. 142 f. — Schreibarbeit 202 f., 218 f., 260 — Schule (Unterweisung, Erziehung), s.a. 1. Johannes Heck; Jakob Sturm; 2. Fraterhaus Herford; Fraterhaus Marburg; Fraterhaus Rostock; Fraterhaus Wesel 3 f.. 264 — societas (omnium bonorum), s.a. 1. Melanchthon; Gerhard Zerbolt von Zutphen 130 f. — status medius (via media, Semireligiosentum), s.a. 1. Gabriel Biel; Peter Dieburg; Gerhard Zerbolt von Zutphen; Pius V.. Lubricum Vitae genus 16 f., 83, 112, 114 f., 125 f., 130 f., 144, 261 f., 284. 286 f. — Statuten (Consuetudines) 28, 110 ff., 118, 134 ff., 283 — Union von 1499, s.a. 3. BvGL, Münstersches Kolloquium 48, 237. 241 Opposition gegen die Unionsbestrebungen (Peter Dieburg) 13, 19, 26 ff., 31 f., 36. 39 Unionsstatuten 27 ff., 32, 34-38, 112, 124 A l l , 128 A42, 131 f., 135. 136 A90, 139, 142 A115, 219 A131 Visitationen 31-39 Wahl der Rektoren 31 f f , 35-38
354
3. Sachregister
— Verhältnis zum Mönchtum. s.a. 1. Gabriel Biel; Gerhard Zerbolt von Zutphen; 3. Freiheit des Brüderlebens; Mönchtum 130 f. bei Holtmann 111-114,124,283 bei Wilskamp 141 f. Bruderschaft, s.a. 3. BvGL, status medius 112, 131. 139, 259 f. Buch 217 f. Devotio moderna, s.a. 3. BvGL; Exerzitien; Fortschritt; Freiheit; Liebe; Meditation; Reform — Entwicklungsstadien 7 — Institutionen 7 f. — als Teil der spma Reformbewegung 12, 15, 45, 81 ff., 282 — Verhältnis zum Humanismus (in der Historiographie) 1,3-7 — Verhältnis zur Reformation (in der Historiographie) 1-4, 7-18, 122 f. Dülmen. Vertrag von 165 ff. Ehe, s.a. 3. Keuschheit 105, 127 f. Einfachheit, s.a. 3. BvGL, puritas cordis; Fortschritt, geistlicher 96 ff. Exerzitien (geistliche, äußere Übungen). s.a. 3. Meditation 11 f., 96. 98 f.. 112. 220 A131 Fasten (Speise) 96. 117, 136. 138 f.. 174 Fortschritt, geistlicher, s.a. 3. BvGL. puritas cordis; Exerzitien; Meditation 10, 25. 135. 143 — bei Holtmann 96. 99 f., 102. 105 Franziskaner-Tertiaren 258 f.. 262 Freiheit (überlas), s.a. 3. Gelübde; Liebe; Recht. Unterscheidung von göttlichem und weltlichem; Regel; Sünde 17 f., 83, 135, 138. 140 — des Brüderlebens, s.a. 3. BvGL status medius 18, 92, 113 f., 123126. 128-136. 139-143. 145, 263 f.. 283 f. — evangelische (bei Luther) 84 f.. 8892. 118 f.. 141. 283 f. Frömmigkeit 3. 6. 11, 13, 40, 56, 97 f.. 131. 141. 145, 177. 188. 214, 231. 234 f., 282
Frömmigkeitstheologie 14 Gebote, s.a. 3. Mönchtum; Recht; Taufe 134 A76. 283 — bei Holtmann 101, 108-111,117, 121 — bei Luther 84 ff., 88 Gegenreformation (Katholische Reform und G ), s.a. 3. Bischof; Konfessionalisierung; Trient, Konzil von 3. 264, 272 f. Gehorsam, s.a. 3. BvGL, oboedientia caritatis 108 f., 111, 118, 121, 259 Gelübde, s.a. 1. Augustinus; 3. Freiheit; Heilige; Mönchtum; Regel; Taufe 17, 73, 81, 119, 121, 188, 259, 261 f., 283 f. — bei Holtmann 107-121 Gelübde als Hilfsmittel zur Erfüllung des Taufversprechens 107 f., 111. 115, 117 — — Verständnis der Gelübde bei den Vätern 109 f., 121 Verbindlichkeit und Dispensmöglichkeit 108 ff., 116-121, 141 Vorrang der Taufgelübde 107 f.. 115 f. — Verurteilung durch Luther, s.a. 3. Freiheit; Mönchtum 83-86. 90-92. 116 f., 120, 135. 141 f.. 283 Gelübde als Hilfsmittel 87 ff. private Gelübde 90 — Verurteilung durch Wilskamp 125 f., 141 f., 283 Gemeinde 146 f.. 171 f.. 287 Gesetz, s. 3. Gelübde; Freiheit; Regeln Glauben, s.a. 3. Gelübde; Regeln — bei Holtmann 98-101. 107. 111, 119 f. als Erkenntnis Gottes 102 f. Weisen des Glaubens 98 f, 101 f.. 104 f. — bei Luther 10. 83 f.. 87 ff.. 103 f. Gnade, s. 3. Rechtfertigung Heilige 88 f. Heil (-sungewißheit, -Ordnung) 4 0 , 4 2 .
96 f., 100, 111 Humanismus, s.a. 1. Erasmus von Rotterdam; 3. Devotio moderna,
5. Sachregister
355
Verhältnis zum; Kirche, Einheit der 6, 46, 259, 269. 282 Humiliaten 259
— als Ziel des geistlichen Lebens (Holtmann) 95 f., 99 f., 118 ff., 129, 140 f.. 283
Jesuiten, s.a. 2. Emmerich; Hildesheim; Köln; Münster; Trier; Wesel 270, 286
Meditation, s.a. 3. BvGL. puritas cordis; Exerzitien; Fortschritt, geistlicher 10 f.. 143, 220 A 131, 275 f. Mendikanten (Bettelorden) 16, 81. 258. 284 Messe (Meßfeier) 65,79, 139 A105, 160 f., 212, 232, 234, 250, 252, 254. 271 — deutsche M. 51 — Abschaffung der M. 66, 148, 156. 192 Mönchtum (religio), s.a. 1. Bernhard von Clairvaux; Gabriel Biel; Peter Dieburg; 3. BvgL, status medius; Freiheit; Gelübde; Orden; Recht, Unterscheidung vom göttlichem und weltlichem; Regel 48, 81. 83, 111 f., 124, 133 — Kritik am Mönchtum bei Holtmann 102, 114 f.. 119 f.. 283 Widerspruch des Mönchtums zur Intention der Väter 109 f., 113 f. — Verurteilung durch Luther, s.a. 3. Gelübde 17, 40, 70, 122, 132
Kartäuser, s.a. 2. Hildesheim; Köln 7 f. Katechismus 95 f., 104 Keuschheit, s.a. 3. Ehe 86, 108 f., 115 A126, 117 ff., 128, 142 f.. 172 Kirche, s.a. 3. Gemeinde — Einheit (concordia) 46, 124 f., 139, 141. 259. 282 — bei Holtmann 102, 106 f., 121 — Spaltung 8, 41, 43, 53, 126 f., 145 Kirchengüter, Inventarisierung von, s.a. 2. Fraterhaus Herford; Fraterhaus Hildesheim; Fraterhaus Kassel; Fraterhaus Rostock 75 f.. 149 Kirchenordnung, s.a. 1. Johannes Bugenhagen; 2. Herford; Hildesheim. Münster; Nürnberg 172 f. Kirchenpatronat (-Pflegschaft) 74 f., 149. 153. 156, 246 Klausur 259. 279 Kogel, s. 3. Kleidung Konfessionalisierung, s.a. 3. Gegenreformation 20 f.. 23. 41. 145. 147. 237. 255. 270. 278, 286 Konzil (Wunsch nach) 67. 106, 166. 168 Kreuzherren, s.a. 2. Falkenhagen; Köln 8 Laie (—ntum) 17, 56. 81. 88. 124. 146. 250. 259. 276 Laienkelch 106 A80. 252 Leben, gemeinsames (vita communis), s.a. 1. Augustinus; 3. BvGL; Freiheit; Gelübde; Mönchtum 83. 99. 107. 120 f.. 127, 144 Liebe (Caritas), s.a. 3. BvGL. oboedientia caritatis; Glauben 85. 102 f.. 108 f.. 111, 114 AI 19. 139
Nicäanum 106 Nominalismus, s.a. 3. Recht. Unterscheidung von göttlichem und weltlichem 113,121.283 Nürnberger Reichstag 67 Obrigkeit 23. 41. 134 A76, 177, 199, 243 f.. 250, 259. 271. 282. 284 f. — Neuregelung des Kirchenwesens 145-149. 177 Ökumene 2 Oratorium von Bérulle 260 Orden 22. 80, 188, 237 f., 258 f., 261 ff. Ordinariat 28. 37 Ordnungsverlust (durch die Reformation. Verunsicherung) 42 f.. 46, 48, 53, 58. 69 Pelagianismus 84. 87. 89
356
3. Sachregister
Persönlichkeitsbildung, religiöse, s.a. 3. Meditation 3, 11, 97 f., 140 Prädestination 10, 104 Priesterehe 252 Priesterseminar (Diözesan-), s.a. 2. Gent; Münster 262, 270, 277 f., 286 Profeß, s.a. 3. Gelübde 83 f., 86, 126, 130 A50, 283 f. Räte, evangelische, s.a. 3. Armut; Gelübde; Keuschheit; Liebe; Mönchtum; Profeß 16, 108, 119, 126 — als Leitfaden für alle Christen 81, 84 f., 111, 120, 124 Recht, Unterscheidung von göttlichem und weltlichem (menschlichem), s.a. 1. Johannes Gerson; 3. BvGL, Statuten; Gelübde; Freiheit; Mönchtum; Regel; Taufe 67, 110 f., 113 ff.., 117-121, 130 f., 140 f., 283 f. — bei Wilskamp 124, 126, 134 mit A76; 136 ff. Recht, kanonisches 133, 136 Rechtfertigung, s.a. 1. Augustinus; 3. Fasten; Freiheit; Gelübde; Glauben; Heilige; Kleidung; Mönchtum; Taufe 9 f., 14 f., 65, 143 — menschlicher Anteil (Bemühen) und Gottes Gnade 83, 85, 101. 103 f.. 107 — bei Holtmann 97-104, 110, 116, 120, 140 Reform (Kirchenreform, Reformbewegung), s.a. 3. Devotio moderna 1, 40 f., 67, 74, 80, 82 Regel (Ordens-), s.a. 1. Johannes Gerson; 3. BvGL, Statuten; Mönchtum 120, 140, 261 ff., 279 f. — Augustinus- und Benediktsregel 109, 113 f., 126 — Geltungsbereich 111 f., 117, 120, 140 Reichstag, s. 2. Nürnberg Religionsgespräch, s.a. 2. Herford; Münster; Wesel 149 Säkularisierung 70
Satzungen, menschliche, s. 3. Recht, Unterscheidung von göttlichem und weltlichem Schule, s.a. 3. BvGL, Schule 76, 109 A100 Schwestern vom Gemeinsamen Leben, s.a. 2. Ahlen; Bocholt; Coesfeld; Detmold; Doesburg; Essen; Ginderich; Herford; Köln, Mommersloch; Münster, Niesing; Münster, Rosental; Oldendorp; Plön; Schüttorf 26, 182, 186-189, 234, 276 A97. 278, 280 Semireligiosentum, s.a. 1. Pius V., Lubricum vitae genus; 3. BvGL, status medius Stift (ecclesia collegiata) 18 f., 28 f.. 131 Stoa 96 A23 Sünde, s.a. 3. Recht, Unterscheidung von göttlichem und weltlichem 65, 88 f.. 105 ff., 110, 119, 121, 134 A76 Taufe, s.a. 3. Freiheit: Gelübde; Mönchtum; Rechtfertigung 95. 105. 107, 109 ff.. 116. 160. 168, 171 Trient. Konzil von. s.a. 2. Fraterhaus Hildesheim, Religionseid: Fraterhaus Münster. Tridentinum; Fraterhaus Wesel. Visitationen; 3. Gegenreformation; Jesuiten: Konfessionalisierung; Oratorium von Bérulle 238. 262, 265, 267270. 281. 286 — tridentinische Reform, s.a. 1. Pius V.; Priesterseminar 254 f.. 257. 260 f.. 270 f., 278, 280 f. Ordensreform 258 f.. 279 f. Union von Benefizien 265-269 Tugend 99 f., 120 Universität 76 Urkirche (Urgemeinde) 1 2 , 4 0 , 8 1 , 8 3 . 109 f., 114, 124, 129, 138, 262, 283 Verfall (und Erneuerung) 21 f. Vernunft (ratio) — Luther 84, 86, 91, 117 f., 141
3. Sachregister — Holtmann 97 Vorreformation (Vorreformatoren, vorreformatorische Bewegung) 1 f., 9.18
Wahrheit 68, 87 Weisheit, göttliche 97 Werke, s. 3. Rechtfertigung Wormser Edikt 66 ff.
357
Spätmittelalter
und Reformation.
Neue
Reihe
Herausgegeben von Heiko A. Oberman in Verbindung mit Kaspar Elm, Bernd Hamm, Jürgen Miethke und Heinz Schilling
Band 1
Matthias Benad
Domus und Religion in
Montaillou
Eine Fallstudie zum Zusammenhang von Alltagserfahrung und religiöser Weltdeutung bei den Anhängern katharischer Asketen. Anhand der Inquisitionsprotokolle des Bischofs Jacques Fournier von Pamiers (1317-26) rekonstruiert Benad für einen Zeitraum von 30 Jahren Prozeßverläufe, Biographien und Familienschicksale. Im Zentrum steht der Pfarrer des Pyrenäendorfes Montaillou mit seiner Familie (domus). 1990. X, 398 Seiten und 12 Seiten Kunstdruck. Leinen. Band 2
M a n f r e d Schulze
Fürsten und
Reformation
Geistliche Reformpolitik weltlicher Fürsten vor der Reformation »Insgesamt überzeugt der hier verfolgte Ansatz, und er verspricht insbesondere auch anregende Anschlußdiskussionen, in denen man eingeschliffene Begriffsdefinitionen und Epocheneinschnitte zu überprüfen haben wird.« Dieter Stievermann in Zeitschrift für Württembergische Landesgeschichte, 53. Jg. (1994), S. 371-372 1991. VII, 231 Seiten. Leinen. Band 3
Sabine Holtz
Theologie und Alltag Lehre und Leben in den Predigten der Tübinger Theologen 1550-1750 Auswertung und Analyse von rund 1000 Predigten unter sozialgeschichtlichen und theologischen Aspekten. Das Ergebnis dokumentiert die Lebensnähe der Predigtaussagen der lutherisch-orthodoxen Theologen. 1993. IX, 479 Seiten. Leinen. Band 4
Ute Gause
Paracelsus
(1493-1541)
Genese und Entfaltung seiner frühen Theologie »Vom Grund aus gearbeitet, liegt nun die Genese und Entfaltung der frühen Theologie des Paracelsus vor. Damit wird der Anspruch im Obertitel >Paracelsus (1493-1541)< erfüllt, denn die reformatorisch-biblische Frömmigkeit wird in ihrer Ausprägung vorgestellt. Mit erfreulicher Redundanz, die den facettenreichen Modulationen in den vielen intensiven theologischen Bemühungen des Paracelsus sorgfältig zu folgen weiß, erscheint immer wieder: >das eindeutige Bekenntnis zu Christus, das sich . . . als Herzstück der paracelsischen Theologie zeigt