Die Bibeldichtung zu Ausgang des Altertums: Mit einem Anhang: Des [Alcinus Ecdicius] Avitus von Vienna Sang vom Paradiese 9783111656373, 9783111272177


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German Pages 32 Year 1919

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Einleitung
Vorträge der theologischen Konferenz zu Gießen
Des Koitus von Vienna Sang vom Paradiese. Zweites Buch
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Die Bibeldichtung zu Ausgang des Altertums: Mit einem Anhang: Des [Alcinus Ecdicius] Avitus von Vienna Sang vom Paradiese
 9783111656373, 9783111272177

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Vie vtbeldtchlung T zu Ausgang des Altertums Mit einem Anhang:

Des Nvitus von Vienna Zang vom Paradiese Zweites Such im Versmaß der Urschrift übertragen von

Dr. Gustav Krüger Professor in Gießen

M 8 »:« ¥ i

Gießen 1919 Verlag von Alfred Töpelmann

Vorträge der theologischen Konferenz zu Gießen 37. Folge

von Münchow'sche Universitäts-Druckerei ((Dtto Rindt Wro.) Gießen.

Die nachstehenden Worte sind der Niederschlag einer Vortrags, den

ich im vorigen Jahre auf der Gießener Theologischen Konferenz gehalten habe.

Der Vortrag war umfänglicher, als er sich jetzt darstellt, und gern

hätte ich ihm auch das gelehrte Beiwerk mitgegeben, das meine Berech­

tigung, zum Thema zu reden, erwiesen hätte.

Vas verbieten die Zeiten.

Leid wäre es mir aber gewesen, wenn die Übersetzung des Kernstücks der Dichtung des Koitus, die ich im Anschluß an den Vortrag zur Verlesung

brachte, nicht das Licht der Welt erblickt hätte,

wer weiß, ob sich noch

einmal ein Anderer hinter diese Aufgabe macht, von der ich mit Sicherheit

behaupten zu dürfen glaube, daß sie der Losung wert ist.

3n ihrer jetzigen Gestalt wendet sich meine Arbeit nicht an die Ge­

lehrten, auch nicht an die Theologen allein, sondern an alle, die ihre literarische Bildung erweitern mochten und sich den Sinn bewahrt haben für die Feinheiten einer freilich nicht mehr modernen, aber immer noch

nicht verwelkten Poesie.

G. Krüger. Gießen, im November 1919.

Was weiß der Gebildete heute von christlich-lateinischer Dichtung?

Er weiß oder kann wissen, daß zu Ausgang des Altertums jene Hymnen­ dichtung in Blüte kam, die im kirchlichen Leben des Mittelalters eine

große Holle zu spielen berufen war, die im modernen Katholizismus noch lebendig ist und in deutscher Umformung ihren Einzug auch in

die evangelischen Gesangbücher gehalten hat.

vielleicht ist ihm

der

Name des großen Mailänder Bischofs Ambrosius (t 397) gegenwärtig,

der die Musterbilder solcher Hymnen geschaffen hat.

Kaum noch der

des Spaniers Aurelius prudentius (t nach 405), der nicht nur Hymnen dichtete, sondern auch der Schöpfer des christlichen Lehrgedichts wurde, einer Vichtgattung, die um ihrer freilich nicht von prudentius verschul­

deten Trockenheit willen später in Verruf geraten ist.

Daß diese Zeit

auch die Anfänge des biblischen (Epos sah, und daß es sich sogar lohnt, noch heute diesen Anfängen nachzugehen, das wissen die wenigsten. Richt zuletzt sind daran die zünftigen Vertreter der Altertums­

wissenschaft schuld, die die christlichen Schriftsteller überhaupt und die christlichen Dichter im besonderen über die Achsel anzusehen geneigt sind;

sie trauen dem christlichen Epiker sozusagen nicht die nötige poetische

Unparteilichkeit zu und seinem Stoff erst recht nicht.

Gemeinhin geht

das Urteil dahin, daß diese christlichen Epen doch nur wenig geistvolle,

ja fast reizlose Nachahmungen, wenn nicht Verballhornungen antiker Vorbilder, vor allem

der Poesie Vergils, daneben auch Gvids und

anderer Klassiker, darstellen. Urteil zugrunde.

Und ein Körnchen Wahrheit liegt diesem

Die christlichen Epen lateinischer Zunge sind dem Be-

dürfnis entsprungen,

Ersatz zu schaffen für die klassischen Dichtungen,

die Jedem von der Schule her vertraut waren, und die doch um ihrer

Stoffe willen christlichen Ghren anstötzig wurden.

(Es kennzeichnet die

Stimmung, wenn wir in einer poetischen Epistel Paulins von Nola (t nach 407) lesen:

Gedichte, wie das Urteil des Paris oder die

Gigantenschlacht, seien als Jugendspielereien zu ertragen gewesen, dem

christlichen Dichter stehe an, Größeres zu besingen, die Erschaffung der Welt und des Menschen, die Gesetzgebung des Moses, den neuen Bund

mit Gott in der Erlösung durch Christus. nicht kommandieren, und

Aber die Poesie läßt sich

von heute auf morgen ersteht kein christ­

licher Vergil.

Indessen gilt es, Gerechtigkeit üben. Hinweisen,

daß

die lateinische Epik

Zeugungskraft allmählich verloren hat.

Zunächst darf man darauf

der nachaugusteischen Zeit

ihre

Lucanus, Silius Jtalicus und

Statius, die dem ersten Jahrhundert angehören, zeigen noch Eigenart,

und die vielen Leser, die des Statius Epen, seine Thebais und die un­

vollendete Achilleis, auch in späteren Jahrhunderten und selbst in christ­

lichen Kreisen gefunden haben, wußten wohl, was sie an dem Dichter

besaßen.

Aber schon bas zweite und bas britte Jahrhunbert weisen

keinen Namen von Bebeutuitg auf,

unb man liest wohl,

bas Ansehen

Vergils sei so brückenb geworben, baß man sich begnügte, aus seinen

Versen unb Versteilen neue

„Dichtungen" zusammenzustoppeln.

Erst

bas vierte Iahrhunbert erlebt wieber einen wirklichen Dichter: ben

Gallier Ausonius, dessen poetische Verherrlichung ber Mosel unb bet an

ihren Ufern erwachsenen Kultur bleibenben wert besitzt.

Unb um 400

hat ber Alexanbriner Elaubius Elaubianus in lateinischer Sprache sowohl bie mythologische wie bie zeitgenössische Geschichte mit wohlgeformten Versen besungen.

Aber es ist lehrreich, zu beobachten, baß ber hunbert

Jahre später lebenbe letzte Vertreter ber Sagenbichtung, ber Afrikaner

Drakontius, sein bichterisches Empfinben in ein christliches (Epos,

bie

Lobpreisungen Gottes, hat ausströmen lassen. Ist so bie sogenannte nationale Epik allmählich verborrt, so hat

sich bie christliche aus freilich recht ungelenken Anfängen zur Blüte ent­ wickelt.

Im vierten Jahrhunbert konnte es geschehen, baß eine römische

Dame von Urabel, proba, nach ihrem Übertritt zur Kirche bie Flick-

bichtung auf bie biblischen Stoffe übertrug unb bie Schöpfungsgeschichte

einerseits, bie Geschichte Christi anbrerseits aus rein vergilischen Versen

zusammensetzte.

Alles Inbivibuelle ging habet natürlich verloren,

unb

man wunbert sich nur, baß gelegentlich, z. B. in ber Versuchungsgeschichte, selbst solches Gebräu noch eine gewisse Wirkung hervorzubringen ver­

mag.

Als proba dieses Attentat auf bie Poesie verübte, war bas erste

christliche (Epos größeren Stiles schon erschienen: bes spanischen Pres­ byters Juvenkus Umbichtung ber Evangelien in vier Gesängen.

(Es

war nicht eigentlich dichterischer Ehrgeiz, was ihn beseelte, sondern die

kühne Hoffnung, die christliche Wahrheit in neuem Gewände über das Lügengewebe der heidnischen Poesie triumphieren zu sehen.

Rechnet

er doch damit, zur Belohnung für sein werk von der Strafe des letzten Stark abhängig von Vergil, ist Iuvenkus

Gerichts befreit zu werden.

doch nicht ohne Erfolg bemüht gewesen, die dichterische Sprache dem

neuen Stoffe anzugleichen, und die Leichtigkeit seiner Versbildung ist unverächtlich.

Andrerseits

dichtet er

gewissermaßen mit

gebundener

Riarschroute: im wesentlichen hat er doch nur seine Vorlage, in erster

Linie das Matthäusevangelium, in Verse umgesetzt, und von dichterischer Phantasie ist dabei nicht viel zu spüren. Sollten wertvollere Leistungen entstehen,

so mußte man lernen,

sich den heiligen Stoffen mit der gleichen Unbefangenheit gegenüber zu stellen, wie sie die Dichter der klassischen Zeit gegenüber den mytholo­

gischen bekundet hatten. nicht Jedem.

Das gelang begreiflicherweise nicht gleich und

Ausgesprochen langweilig ist z. B. des Galliers Eyprian

(um 400) versuch,

den heptateuch, also die fünf Bücher Mosis, das

Buch Josua und das Buch der Richter, episch umzugestalten. ist daran wieder die enge Anlehnung an das Vorbild schuld.

Zum Geil

Aber da

bei der Umfänglichkeit des Stoffes die Möglichkeit gegeben war, poetisch

gar zu Ungefüges zu kürzen oder fortzulassen, so ist's im letzten Grunde

doch der Mangel an dichterischem Können, der das werk unter ästhe­ tischem Gesichtspunkt als ungenießbar erscheinen läßt.

Etwas

freier

hat

sich

Eyprians

Zeitgenosse

und

Landsmann,

Claudius Marius Victor, Rhetor in Maffilia, zu regen verstanden.

(Er hat sein Werk „Alethias", bas Lieb von ber Wahrheit, betitelt

Schon bieser Titel sagt, baß es sich hier nicht um eine rein mit bichterischem Maßstab zu bewertenbe Leistung, sonbern um ein Tenbenzwerk hanbelt. 3n ber Tat hat Victor seine Dichtung für bie Belehrung ber

Iugenb bestimmt.

(Er will mit Gottes Hilfe, bie er in einem bem

Werke vorangesanbten längeren Gebet anruft, bie jugenblichen Gemüter auf ben weg ber Tugenb führen, inbem er sie über bie Entstehung

ber Welt, ben Ursprung ber Sünbe unb ihre Überwinbung belehrt. Getreue Wiebergabe ber biblischen Stoffe strebt er nicht an. Nicht nur

verfährt er frei mit bem Text in Auslassungen, Umstellungen unb Zu­

sätzen, sonbern er gefällt sich auch - unb hier zeigt sich ber Dichter -

in längeren Abschweifungen, bie offenbar nicht nur ber Belehrung, son­ bern auch ber Belebung bienen sollen.

Da liest man Ausführungen

über bie Scheibung von Himmel unb (Erbe, über bie Willensfreiheit,

über bie Bebeutung bes Brubermorbes, bie Entstehung ber Vielgötterei unb ber magischen Künste, hier in Anlehnung an bie Uimrobsage. Rein bichterische Absichten verkörpert bie ausführliche unb schon eines gewissen

Glanzes nicht entbehrenbe Schilberung bes parabieses, ber Anfänge ber

Kultur, ber Sünbflut unb bes Kampfes Lots unb Abrahams mit ben

Königen.

Aber bie Abhängigkeit von ben klassischen vorbilbern ist boch

noch zu groß, als baß man von etwas Anberem als von verheißungs­

vollen Anfängen reben bürste. Leiber ist uns kein ausreichenbes Urteil über bes Galliers Hila­ rius Genesisbichtung möglich, ba von ihr nur ein freilich nicht unbe-

beutenbes Bruchstück erhalten geblieben ist. was wir besitzen, läßt ben

Schluß auf eine nicht geringe dichterische Begabung des Verfassers zu,

der den frei behandelten Stoff aus innerer Anschauung heraus bildhaft zu gestalten vermochte.

Für uns bedeutet den ersten Höhepunkt christlich-epischer Dichtung des Italikers Sedulius (um 450) „Gstergedicht", desselben Sedulius, der

den schonen weihnachtshymnus dichtete:

Niedergang erschalle preis und Lobgesang

„von Hufgang bis zum

dem Sohn der Jungfrau

Jesu Christ, der aller Herren Herrscher ist", uns in seiner zweiten Hälfte vertraut durch Luthers Umformung: „was fürcht'st Du, Feind herodes, sehr, daß uns gebor'n kommt Christ der Herr? Er sucht kein sterblich

Königreich, der zu uns bringt sein Himmelreich." etwa

Der in vier Büchern

1750 Hexameter umfassenden Gsterdichtung ist ein Schreiben an

Darin gibt Sedulius Huf­

einen Presbyter wacedonius vorangestellt.

schluß über die Gründe, die ihn zu seinem Schritt bewogen haben, den der Empfänger und Hndere mit ihm als ungewöhnlich und der würde

der heiligen Schrift Hbbruch tuend ansehen möchten.

Sedulius meint

im Gegenteil, daß sich die Dichtkunst als Wittel darbiete, den Glauben

zu stärken.

Er hat die Erfahrung gemacht, daß sich die Verse leicht

ins Gedächtnis derer einschmeicheln, denen die Prosa keinen Eindruck

macht.

So

will er denn nach

der Erzählung

der Evangelisten

die

Wundertaten Gottes bis zum Leiden und zur Huferstehung des Herrn

zusammenstellen. „Gstergedicht" hat er sein Werk genannt, weil Christus als unser Osterlamm geopfert worden ist.

nießen lädt er in einem kurzen Prolog, jeden verlangenden ein.

Dieses Osterlamm zu ge­

der in Distichen geformt ist,

Indem er sich dann seinem Gegenstand zu-

wendet, schickt er der versprochenen Darlegung der Wundertaten des

Herrn eine Einleitung voran,

in der er von den Taten erzählt, die

der dreieinige Gott im alten Bunde vollbracht hat.

Dann gedenkt er

des Glaubens an diesen Gott als der Grundlage alles Heils, auch seiner Verächter, des Hrtus und des Sabellius.

gedenkt

Lr selbst hofft

als Christi Soldat bei der Rreuzesfahne streitend in die Hochburg des Königs Einlaß zu erlangen,

der da Mensch ward, um die im Tode

liegende Welt wieder zum Leben zu

erwecken.

auf den Sündenfall beginnt das zweite Buch.

der Maria gedacht,

Mit einem Hinweis In feinem Bild wird

die als eine weiche Rose aus stachligen Dornen

hervorsprießend nichts verletzendes an sich trug und, eine neue Jung­ frau, der alten Jungfrau freventliche Tat gesühnt hat.

Und nun folgt

die Darstellung der Taten des Herrn, der im Einzelnen nachzugehen

sich erübrigt. Zur richtigen Würdigung dieser Dichtung muß man den Standort

bei Juvenkus nehmen.

Während dieser sich damit begnügt, im engen

Anschluß an die Vorlage die evangelische Geschichte in Versen wieder­

zugeben, hat Sedulius eine wirkliche Umdichtung vorgenommen, bei der er seiner Phantasie freien Lauf läßt.

Mit richtiger Empfindung hält

er sich dabei wesentlich an die Taten des Herrn und meidet die bei seinem Vorgänger

abschreckend wirkende Verwässerung

seiner Reden.

Freiheit des Ausdrucks, selbständige Auffassung zeichnen ihn aus.

Er

scheut auch eigne Betrachtungen nicht, mögen sie ihn auch längere Zeit

von seinem eigentlichen Gegenstände abführen.

Tharakteristisch für den

Dichter und bedeutsam für sein Zortleben in späteren Geschlechtern ist

die mystisch-typologische Betrachtung der heiligen Geschichte: die Vierzahl

der Evangelisten,

die Zwolfzahl der Jünger, die Form des Rreuzes,

die drei Tage des Herrn im Grabe, der Tempelvorhang, der Fischzug Petri, das alles reizt ihn, geheimnisvolle Beziehungen aufzudecken und zu verarbeiten.

Angesichts der großen Sicherheit des Dichters in der Beherrschung der Sprache wirkt freilich die Abhängigkeit des Ausdruckes von Vergil immer noch mit auffallender Stärke.

Sie war offenbar ein Erbstück,

dessen man sich sehr schwer entäußern mochte.

Immer noch führt sie

zur Entlehnung ganzer Verse und Versgruppen, ohne daß übrigens die Dichtung irgendwie als sogenannter Lento, d. h. als Flickwerk wirkt.

Auch zeigt die Umschreibung des Vaterunsers, auch die mystische Aus­

legung von Rreuz und Rreuzesleiden im letzten Buch, daß Sedulius des klassischen Vorbildes, wenn er wollte, sehr wohl entraten konnte, denn

hier begegnen auf lange Reihen von Hexametern keinerlei Entlehnungen. (Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß bei manchem Frommen

die freie Behandlung eines heiligen Textes, zumal des Neuen Testa­ mentes, Anstoß erregte.

Als solches Ärgernis überwunden war, hat

man Sedulius viel gelesen, und durch das ganze Mittelalter ist sein

Ruhm verkündigt worden.

Fast alle größeren Rlosterbibliotheken be­

saßen ein oder mehrere Exemplare seiner Dichtung, und zahlreiche, stark benutzte Handschriften zeugen noch heute von ihrer Verbreitung.

Die

Humanisten nannten ihn den allerchristlichsten Poeten, und Luther hat diese Bezeichnung von ihnen übernommen,

von einem Amberger Hu­

manisten ist ein schwungvolles Epigramm erhalten geblieben, darin Se-

dulius als der Seher gepriesen wird, dessen köstliches Lied „die Ge­

Und noch

müter der Jugend erquickt und zur Seligkeit hinführt."

heute betet der Geistliche im Brevier die schönen Verse, mit denen der

Lobpreis der Gottesmutter beginnt: Sei,

o Mutter,

gegrüßt,

die uns den König geboren,

Der da Himmel und Erde durch alle Zeiten regieret,

Dessen göttliche Macht, des Reich umspannet das Weltall,

In nie endendem Kreis kein Ziel erkennet der Herrschaft. Nie noch glich Dir ein Weib, nie wird ein anderes Vir gleichen, Vie ohn' Gleichen Du hast gefallen Christo dem König. Trotz dieser Wertschätzung wird man sagen müssen: als Ganzes

gehört das „Gstergedicht" heute der Vergangenheit an.

was für die

Leser früherer Zeiten sein besonderer Reiz war, die mpstisch-tppologische Betrachtung der heiligen Geschehnisse, eben das stößt uns heutige ab

und Rindert uns, die Schönheiten der Dichtung zu genießen.

Sie ist

auch, abgesehen von jenen Versen auf die Gottesmutter und der poeti­ schen Umschreibung des Vaterunsers, niemals ins Deutsche übertragen

worden. So stünde es schlecht um meinen Satz von der Bedeutsamkeit der

lateinischen Bibeldichtung, müßte ich den Leser mit diesem Eindruck ent­ lassen.

Das ist aber nicht der Fall.

Das Gstergedicht des Sedulius

bedeutet zwar einen Höhepunkt, aber nicht den Gipfel.

Ich suche ihn

nicht bei dem römischen Diakonen Rrator und seiner Umdichtung der Apostelgeschichte, mit der wir wieder ein Jahrhundert weiter, diesmal

sogar in ein bestimmtes Jahr, 544, geführt werden.

Über die ver-

öffentlichung dieser Dichtung und ihre Aufnahme durch einen großen

Hörer- und Leserkreis in der Weltstadt Rom sind wir ausnahmsweise einmal genau unterrichtet.

Wir wissen, daß Krator, Subdiakon der

römischen Rirche, nachdem er lange Zeit am gotischen Hofe geheimrätliche würden bekleidet hatte, sein werk dem Papste Vigilius vor ver­

sammeltem Klerus überreichte.

Ein Teil des Gedichtes wurde verlesen,

dann nahm der erste Notar die Handschrift in Verwahrung.

Bald aber

drängten die literarisch Gebildeten um Verlesung des Ganzen. denn Rrator in der Kirche Rd vincula,

So hat

an der Stätte, wo heute

Michelangelos Moses thront, vor Klerikern und Laien, oftmals von

Beifall unterbrochen, das Werk noch einmal zum Vortrag gebracht. Wir können diesen Beifall zwar noch verstehen, aber mit unsrem Ge­

schmack nicht mehr vereinigen: denn auch Rrator hat das Kunstmittel der Allegorie verwendet, noch reicher sogar als Sedulius.

Jede Er­

zählung wird allegorisch gedeutet, Typologie und Zahlenmystik feiern

Triumphe.

Rach seinem eignen wort ist dem Dichter kein Buchstabe

des Riten Testaments ohne prophetische Bedeutung für den neuen Bund.

Freilich, dem mittelalterlichen Leser war gerade das schönste Musik, und ein Klosterlehrer in Fulda konnte den Ausspruch

wagen,

daß

Vergil nur Spreu, Rrator aber Weizen biete.

So verengt sich denn der Ausblick immer mehr, und das Auge ruht schließlich nur noch auf zwei Dichtergestalten, in deren Werken

das biblische Epos nun freilich zu völliger Freiheit ausgewachsen er­ scheint:

dem Afrikaner Drakontius

und dem Gallier Rvitus.

Drakontius gedachten wir bereits im vorübergehen.

Des

Er war von

dem Wandalen Guntamund (484 - 496) als Hochverräter in den Ker­

ker geworfen worden, weil er in einer seiner Dichtungen dem oströmischen Kaiser seine Huldigungen dargebracht hatte.

er seine

„Lobpreisung Gottes",

(Epos in

ein

In der haft verfaßte drei Gesängen.

Der

Grundgedanke ist hier, die Wege Gottes mit der Menschheit aufzuweisen und den Allmächtigen anzuflehen, ihn,

aus seinen Noten zu befreien. nimmt in

den verachteten und Elenden,

Die Verarbeitung der biblischen Geschichte

der Dichtung einen breiten Kaum ein,

viel andersartigen Bestandteilen verflochten,

beschränktem Sinne

daß

aber sie ist mit so

das Ganze nur in

als Bibelepos bezeichnet werden kann.

Sicherlich

enthält es große Schönheiten, und wollte man nur nach der Tiefe der

lyrischen Empfindung urteilen, so wäre vielleicht dem Drakontius der

Preis unter unseren Dichtern zuzuerkennen,

wenn ich es dennoch für

richtig halte, ihm den Koitus voranzustellen, so bestimmt mich dabei einmal die Erwägung,

daß

es

sich in

dessen Dichtung um ein rein

biblisches Epos handelt, sodann aber der freilich nur subjektiv zu be­ gründende Eindruck, daß wir es hier mit einem Werke zu tun haben, an

dem die Vorurteile, mit denen man der Bibeldichtung überhaupt gegen­

über zu treten pflegt, zerschellen müssen. Zunächst: wer war Koitus?

Klcimus Ccdicius Koitus stammte

aus einer senatorischen Familie in Vienna, die seit Generationen enge

Beziehungen zur Kirche unterhielt.

Mehrere seiner vorfahren waren

Bischöfe gewesen, auch sein Vater und sein Bruder bekleideten das Kmt, und seine Schwester war Nonne.

Vaterstadt genannt.

494 wird er selbst als Bischof seiner

Kls solcher stand er trotz des konfessionellen Ge-

gensatzes in engem Verkehr mit dem Burgunderkönig Gundobad und wuhte seinen Einfluß zum Vorteil der Kirche auszunutzen. tritt des Thronerben zum Katholizismus war sein Werk.

Der Über­

Wahrscheinlich

518 ist er gestorben. wir besitzen von Koitus eine Kultur- und sprachgeschichtlich gleich bedeutsame Briefsammlung.

Kber um ihretwillen lebt er nicht fort,

zumal ein geschraubter und oft bis zur Unverständlichkeit schwülstiger

Stil die Briefe wie die wenigen erhalten gebliebenen predigten zu einer

sehr unerquicklichen Lektüre macht.

Kls Dichter hatte sich Koitus nach

der vielbezeugten Sitte der Zeit zuerst an Epigrammen versucht und

dabei eine nicht geringe Fruchtbarkeit entwickelt.

Das ist alles verweht.

Er hat es selbst nicht für der Mühe wert gehalten,

die verstreuten

oder in den Kriegsnoten der unruhigen Zeit verloren gegangenen Kinder seiner weltlichen Bluse zu sammeln oder wieder zu beleben.

Dagegen

veröffentlichte er im Jahre 507,

auf Wunsch seines Bruders, ein bib­

lisches Epos in fünf Gesängen,

dem er wenig später ein an seine

„Trostgedicht" zum Preis

der

Jungfräulichkeit

Schwester

gerichtetes

beifügte.

Dieses „Trostgedicht" dürfen wir beiseite lassen.

Cs steht

durchaus nicht auf der hohe der vorangegangenen Dichtung.

selbst hat Koitus im Widmungsschreiben an den Bruder

Diese

„von den

Begebenheiten der geistlichen Geschichte" genannt, ohne daß jetzt noch festzustellen wäre, ob er diese ungelenke Bezeichnung als Titel

betrachtet wissen wollte.

Die fünf Gesänge handeln in etwa dritthalb-

tausend Hexametern von der Schöpfung der Welt, vom Sündenfall, vom Kichterspruch Gottes, von der Sündflut und von der Durchschreitung

des Roten Meeres.

Die Schlußverse zeigen, daß der Dichter sein Werk

als Einheit empfand und angesehen wissen wollte.

Indessen heben sich

die drei ersten Bücher als in sich geschlossene Dichtung von den beiden

letzten, wiederum unter sich verbundenen sichtlich ab.

Wir fassen nur

sie ins Rüge.

Die Schöpfungstaten im übrigen nur leicht berührend, wendet sich Brutus im ersten Gesang sofort der Erschaffung des Menschen zu, in­

dem er uns dabei des Schöpfers Künstlertätigkeit mitempfinden läßt. Mit feierlichem Spruch tut Gott die Menschen zusammen.

Lngelgesang

begleitet das Hochzeitslied, zum Brautgemach wird das Paradies, die

Welt zur Mitgift, und froh flammen zum Fest die Gestirne.

Und eben

dies Paradies wird nun leuchtend geschildert, recht eigentlich als Gottes Garten, in dem ewiger Frühling herrscht und die Natur sich nicht genug

tun kann an üppiger Kraft, die zu veranschaulichen zuletzt die Uilüberschwemmung dienen muß.

gesetzt.

3n diesen Garten wird das selige paar

Blies zu genießen erlaubt ihm der Herr, vom Baum der Er­

kenntnis zu essen, verbietet er ihm mit mahnendem Wort bei Strafe

des Todes. Der zweite Gesang beginnt.

3tt seliger Freiheit leben die Beiden

ein engelgleiches Dasein, so wie es dereinst die durch Lhristus Erlösten wieder führen werden.

Da naht der tückische Feind.

Dor Zeiten war

er ein Engel gewesen, der seinem Schöpfer hatte gleich sein wollen.

Den hochmütigen warf der Rllmächtige aus dem Himmel, aber er ließ ihm die Erkenntnis der verborgenen und der zukünftigen Dinge.

Dieses

Dermögen nutzt er, indem er in allerlei Gestalt das Geschöpf seinem

Schöpfer untreu zu machen sucht.

3n neidischem Selbstgespräch beschließt

er, die neuen Menschen um ihr glückliches Leben zu bringen.

AIs

Schlange nähert er sich der Lva mit schmeichlerischem Wort, senkt in sie den Zweifel an Gottes Gebot und reicht ihr den Apfel.

Zögernd

führt sie ihn an Nase und Lippen, unbewußt mit dem Tode spielend, und verzehrt die Frucht.

Kaum vermag die schlaue Schlange ihren

Triumph zu verbergen. Da tritt nichts ahnend Adam heran, ihn lockt

die Sehnsucht nach den keuschen Küssen der Gattin. nimmt er aus ihrer Hand das tödliche Gift.

Nasch verführt,

Alsbald umstrahlt die

Beiden neues Licht, ihre Augen sind geöffnet, ihre Nacktheit zu sehen,

und das Gesetz des Fleisches wird in ihren Gedanken lebendig,

hier

auf dem Höhepunkt hält Avitus inne, um in moralisierender Rebe, zum

Schaden seiner Dichtung, die Folgen des Sündenfalles darzulegen, die

in der Sucht bestehen, die Zukunft erfahren zu wollen und sich magi­ schen Künsten zu ergeben.

Daß Eva nicht die einzige Ungehorsame

war, erläutert er an Lots Frau mit unnötiger Breite und kehrt erst nach langem Umweg zum Thema zurück.

Der dritte Gesang handelt von Gottes Richterspruch. wußt verhüllen sich die Beiden mit den Feigenblättern.

Schuldbe­

Als sie den

Herrn kommen hören, packt sie die Gewissensangst, die der Dichter an den Schrecken des jüngsten Gerichts veranschaulicht. an.

Gott spricht sie

Da verklagt Adam die Gattin und verwünscht sein Ehebündnis.

Auf des Herrn strafende Frage wirft Eva die Schuld der Schlange zu. Und nun erläßt Gott in längerer Rede den dreifachen Spruch über die Schlange, das Weib, den Mann. Die aus dem Paradies Vertriebenen

erkennen, da es zu spät ist, laut jammernd die ganze Gröhe ihres Verlustes.

Leider läßt sich der Dichter von neuem zu weit gedehnter

Abschweifung verführen:

Zünden bereut, Lazarus.

daß der Mensch erst nach

dem Gode seine

erläutert er am Gleichnis vom reichen Manne und

Dann wendet sich der Blick den Beiden zu, die die Ureltern

und wie viel mehr noch ihre sündigen Nachfahren seit dem Fall zu

erdulden hatten, Leiden, wie sie selbst ein Vergil und ein Homer nicht

würdig besingen konnten.

Erst Christus,

chenen Gefäße wiederhergestellt,

der Tröster, hat die zerbro­

wie einst der Vater des verlorenen

Sohnes, hat er sich der elenden Menschheit angenommen.

Ihn bittet

der Dichter zum Schluß, uns die Hand zu reichen und mit seiner Gnade

wieder in das Paradies zu führen, aus dem der Neid des Feindes uns

vertrieben hatte.

In diesem Epos hat das große Thema vom verlorenen Paradies zum ersten Male eine des Gegenstandes würdige dichterische Behandlung erfahren.

Unser flüchtiger Überblick läßt wohl erkennen, daß es sich

dabei um einen völlig selbständigen epischen Entwurf handelt, nicht aber,

daß dieser Entwurf eine große Fülle von dramatischen Wirkungen birgt, und daß auch lyrische Klänge nicht darin fehlen,

wie keiner vor ihm

und nicht viele nach ihm hat Koitus den seelischen Gehalt der wunder­

baren Erzählung auszuschöpfen verstanden.

Um nur eines, aber etwas

Bedeutsames, herauszuheben: die Einführung des gefallenen Engels -

der Name Luzifer kommt noch nicht vor - als handelnder Person ist sein verdienst. Die Sprödigkeiten der epischen Erzählung meidet Koitus

mit Sicherheit und versteht insbesondere den Dialog meisterlich zu hand-

haben.

Dabei tritt die lehrhafte Tendenz, von den bereits hervorge­

hobenen Entgleisungen abgesehen, wohltuend zurück.

Auch die unver­

meidlich scheinende Typologie spielt nicht die aufdringliche Rolle, die Sedulius und Arator ihr zugewiesen hatten.

Endlich sind zwar Anleihen bei den klassischen Dichtern deutlich bemerkbar, und Vergil ist im Wortschatz fast noch stärker benutzt, als

es die Ausgaben erkennen lassen, aber aufs Ganze gesehen, sind diese Anleihen nicht störend, und die Selbständigkeit der Formgebung wird

durch sie kaum beeinträchtigt. Seit Guizot (1829) in seiner Kulturgeschichte Frankreichs unsere

Dichtung mit Miltons verlorenem Paradies verglich, ist dieser vergleich

oft wiederholt worden, und die poetische Gestaltungskraft des Avitus hat dabei gerechte Würdigung

gefunden.

Indessen haben derartige

Urteile, zumal wenn es sich um Dichtungen mit verschiedenem Sprach­

gewand handelt, die noch dazu in verschiedenen Kulturkreisen entstanden sind, stets ihr Mißliches.

Sicher ist, daß des Avitus Sang vom Para­

dies manche Stelle enthält,

die

sich an Schönheit und Wirkungskraft

vor den großen Erzeugnissen der späteren christlichen Epik, bis hin zu

Klopstocks Messias, aber auch vor der weltlichen Epik nicht zu verstecken braucht, und wenn einer den Namen eines christlichen Vergil verdient, so ist es Avitus von Vienna.

Des Koitus von Vienna Zang vom Paradiese Zweites Such Frei und ungetrübt durch Schatten des kommenden Unheils Leben die Beiden dahin in des üppig tragenden Gartens

Sel'gem Genuß.

Kings bietet der Boden dem glücklichen paare

Keichliche Speise mit Lust, aus unansehnlicher Wurzel Wächst manch fettes Gesträuch und bringt nie säumende Früchte.

Während hier am wipfligen Baum gewichtige Zweige

Biegen sich unter der Last der milde duftenden äpfel,

Schwillt aus kahlem Geäst dort schon die köstliche Blüte, Und aus junger Knospe entspringt, was Zukunft verheißet.

Wie zu wohlig erquickendem Schlaf man strecket die Glieder Und auf weicher Wies' unter blumigen Kräutern dahinsinkt, Wie des heiligen Hains weiträumig spannender Bogen Wonnige Kühle beut und die Glieder zu stählen sie einlädt,

20

So auch suchen sie Speise und Trank nach ihrem Gefallen, Da kein hunger sie treibt, kein unbefriedigter Magen Gähnend sie mahnt, die erschlaffenden Eingeweide zu füllen. Stünde ihnen nicht frei, von allen Bäumen zu essen, Wie es gefällt, fremd wahrlich bliebe ihnen die Eßlust, Keinerlei Stütze bedürfte die in sich ruhende Lebkraft. Ohne Scheu betrachten sich Mann und Weib die nackenden Glieder, Und nichts Schimpfliches ahnt noch unerfahrener Unstand. Schamhaft ist des Menschen Natur, nicht Stätte des Lasters. Noch hat nicht der Zwang des fleischlichen Brauches verschuldet, Daß sie sich schämen der Glieder, die Gott in Güte geschaffen. Noch hält reinlicher Sinn das unberührete Uuge, So wie die Sage erzählt vom Engelglanz der Gestirne, So wie Christus verheißt, daß im Glanze strahlender Reine Dermaleinst erstehen vom Tod die selig Erlösten, Frei von der Sorg' um das eh'liche Joch und frei von der Fleischlust, Welche die heißen Geschlechter vermischt in schimpflichem Bunde. Da vergeht das Geächz', Furcht, Zorn und eiteler Weltsinn, Trug und List und Trauer und Schmerz und hadernde Mißgunst. Wunschlos leben sie alle dahin und ohne Begierde, Christus, der ^eiligen Glanz, eint sie in himmlischem Frieden. Ulso mit Gütern begabt verlebte heiligen Unfangs Tage das Erstlingspaar, da warf die eigene Schuld es Durch den tückischen Feind beim ersten Gefechte darnieder.

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Vieser war einst ein (Engel, der aufgeblasenen Hochmuts

voll entbrannte in Lust an verbrecherisch tollem Beginnen, Wähnte, er habe sich selber gemacht, sein eigener Schöpfer

Sei er gewesen, und lobend vor Wut, seinen Ursprung verleugnend, Sprach er: „Nun will ich erringen mir stolz den göttlichen Namen

Und einen ewigen Sitz mir über den Molken erwerben, Ähnlich dem hocherhabenen Herrn und an Macht ihm vergleichbar."

Über den Frevelnden warf des hocherhabenen Allmacht von der höhe herab, entkleidet des himmlischen Glanzes.

Früher an Ehre und Rang das Erste geschaffener Wesen

harret als Erster er nun des Gerichts und kommender Strafen. Denn ein schwererer Spruch trifft den, des Fallen verwundet, Und je höher der Schuldige steht, um so schwerer die Schuld ist.

Leicht nur wiegt die Tat des unbekannten Verbrechers,Mas ein Großer verbrach, gilt auch als größeres Übel.

Uber dem Feurigen blieb die Rraft und das hitzige Wesen, Daß er bohrenden Sinns in das verborgene eindringt,

Vas Zukünftige sieht und der Dinge Geheimnisse aufschließt. Ungeheuer in Wort und Tat, ein schauriger Anblick:

Denn was immer Grauses geschieht ringsum auf dem Erdball, Dieser hat es gelehrt, er lenkt der Verbrecher Geschosse, hat, ein verborgener Räuber, die Hand in offenem Raubwerk.

Sieh, nun nimmt er der Menschen Gestalt, nun wilden Getieres

Äußeres an, stets wandelt er neu das täuschende Antlitz. Jetzo rauscht er im Fittig heran, ein geflügeltes wesen,

Trugvoll spiegelt er vor, der Listige, ehrbare Haltung.

Gibt er als Jungfrau sich in keuschem, lieblichem Körper, Zieht er die brennenden Blicke heran der geilen Begaffer. Oft auch zeigt er dem gierigen sing’ das schimmernde Silber

Und entflammt im Herzen die Liebe zum täuschenden Golde.

Ach, ein Trugbild nur, rasch schwindet es vor den Geäfften! Zuverlässig ist keine Gestalt, und keine ist Dank wert.

Schaden sinnet er stets und greift nach wechselndem plane Stets sich neues herau?, die wechselnden Opfer zu trügen,

Sucht zu der List die gemäße Gestalt mit geheuchelter Stirne.

Aber noch größere Macht verblieb dem wütenden eigen, Daß er den heiligen spielt: so wirkt im Crstlingsgeschöpfe

Noch des Engels gerechte Natur, wie Gott sie geschaffen,

wenn sie auch längst der verstörer zu schlechtem Gebrauche verkehrt hat.

Wie er nun neue Geschöpfe gewahrte an ruhigem Sitze Glücklich lebend dahin, von keinerlei Sorge beschlichen,

wie, dem Gebote gemäß, sie gebieten dem dienenden Erdkreis,

Mit vergnügtem Sinn, was Gott ihnen schenkte, genießen, Sieh, da erregte der Funke des Neids ihm plötzliche Hitze, Schwälende Mißgunst wuchs sich aus zu verzehrendem Brande.

Frisch noch trug er im Sinn den Sturz, den er selber erlitten, Und in den er der Engel Schwarm, der ihm folgte, verwickelt. Solches erwägend, im Herzen des Falls tiefbohrenden Stachel,

(Quält ihn der Schmerz, daß ein Andrer besäß’, was er selber verloren.

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Sd)am und Galle stritten um ihn, bis endlich im Seufzen

Sich befreite die Brust, und also begann er zu Klagen:

„(D der (Qual! Da ist nun erstanden ein neues Gemächte, Ein verhaßtes Geschlecht, aus unserem Sturze erwachsen.

Jüngst noch besaß ich göttliche Macht, der Sturz von der Höhe Warf mich herab, und englischer Glanz wich niedrigem Kote. Crde und Himmel verklammern sich jetzt in verächtlichem Bunde, Irdisches herrscht, und was einst ich besaß, besitze ich nimmer.

Rber noch blieb mir ein Rest, noch ging nicht ganz mir verloren Macht und Gewalt, denn Schaden zu stiften verblieb noch die Kraft mir.

Doch nicht frommt der Verzug, gleich jetzt gilt's schmeichelnden Wettstreit

Cinzugehn, so lange sie noch unwissend und harmlos Sicher im Heil sich wiegend, nicht List mit Listen vergelten.

Besser auch, ich fange allein sie mit trüglichem Koder,

Che sie fruchtbaren Triebs auf ewige Zeiten sich mehren. Nicht sei der Crde vergönnt, unsterbliche Früchte zu tragen, Trocknen soll der (Quell des Geschlechts, des Hauptes Verwerfung

Bringe dem Samen den Tod, es fall' des verderbens Entscheidung

Gleich zu Beginn, und des Einen Geschick soll alle zermalmen. Ist die Wurzel zerschnitten, so wächst kein wipfliger Baum mehr.

Dieses allein bleibt tröstend zurück dem schmählich Gestürzten: Soll des Himmels verschlossenen Raum ich nimmer betreten, Bleib' er auch diesen versagt.

Geringer schätz' den Verlust ich,

Ist ein anderes Wesen mit mir in gleicher Verdammnis. Mag zur Vernichtung er mich begleiten, der Strafe Genosse,

Mag er brennen mit mir in der Glut des höllischen Feuers. Rud) das Mittel, mit dem ich sie trüg’, ich finde es unschwer. Weisen will ich den weg, den einst ich selber gewandelt,

Eigener Wahl: was mich stürzte vom Sitz, die Selbstüberhebung, Soll von der Schwell’ paradiesischer Lust die Menschen vertreiben." Sprach’s, und dumpfes Gestöhn’ beschloß die klagende Rede.

Nun war unter den Tieren des Felds voll tückischer Arglist,

Allen an Schlauheit voraus, sein Nebenbuhler, die Schlange.

Ihre Gestalt unter allen zu wählen beschloß der verruchte, füllte den luftigen Körper ringsum in feste Gewandung,

Wandelte sich und dehnte sich aus zum schlängelnden Kriechtier, ward ein Drache mit länglichem hals, den glänzenden Nacken Tupft er mit buntem Gesteck, und des glatten Rücken Gewinde

panzert der Länge er nach mit der rauhen Schuppe Gewaffen. Wie wenn im jungen Lenz nach des Winters trauriger Frostzeit Linde Lüfte erwachen und fröhliche Wärme heranzieht,

Nun die Schlange sich regt, des Vorjahrs spröde Bedeckung Streift sie vom gleißenden Körper sich ab, mit neuer Bewegung

Kriecht sie hervor aus dem Unterschlupf des schützenden Erdreichs, Neugeformt die grause Gestalt mit verderblichem Putze.

Schrecklich schimmert das Aug’, die neu erwachenden Lichter Läßt an der Sonne ersehntem Strahl sie froh sich gewöhnen,

Gibt sich schmeichelnden Schein, der Schlund zischt häufigen Singsang

Spielend hervor, und dem Rachen entsteigt dreispaltige Zunge.

Wir er nun so der Viper Gestalt mit trüglicher Arglist

Angelegt und, der Schlaue, sich ganz in die Schlange gewandelt, Fliegt er zum Haine dahin.

Dort pflückt gerade dar junge

Fröhliche paar vom grünenden Zweig sich rötliche Früchte.

Aber die Schlange, in Furcht, datz dem festen, männlichen Sinne Sie nicht könne das herz mit träufelndem Gifte berücken,

Schlüpft in den Wipfel des Baumes hinaus mit kriechender Windung,

Und von der höhe herab, den Leib im Laube gelagert,

Sucht sie schmeichelnd das Ohr der leicht verführbaren Jungfrau: „Glückliche du, du Zierde der Welt, du schönste der Frauen,

Vie in rosiger Scham anmutig leuchtend hervortritt, Künftigen Geschlechts Gebärerin, Eva, der mächtige Erdkreis Sieht seine Mutter in Dir.

Du bist des Mannes Erquickung,

Freude und Trost, ohn' die sein Leben zu führen ihm nichts gilt,

Er der Gebieter und doch mit Fug dir liebender Diener,

Liebster Gemahl, dem du verbunden Rinder zur Welt bringst. Euch ist gegeben zu würdigem Sitz paradiesischer Garten,

Unterworfen ist eurem Geheitz die ganze Naturwelt.

Was der Himmel, die Erde erzeugt, was im mächtigen Wirbel Bringt das Wasser hervor, es dient zu eurem Gebrauche.

Nichts versagt die Natur, es ist euch alles gegeben. Neider bin ich euch nicht, Bewund'rer nur, aber mich peinigt,

Weshalb euch, den herrlichen Baum zu berühren, verbot ist.

Wissen möcht' ich, wer solches befiehlt, wer solche Geschenke Meidet und fetteste Speisen versetzt mit trockenen Fasten."

Also zischelt sie schlechtes Geschwätz mit schmeichelnder Zunge. Welche Verblendung, törichtes Weib, verfinstert den Sinn dir,

Daß mit der Schlange du sprachst, dem unvernünftigen Tiere! Schande genug, daß die Bestie sich eurer Sprache erfrechte,

Und du gabst ihr Gehör, du standest ihr Rede und Antwort?" Uber, im Ghr das Gift, die leicht verführbare Jungfrau

hört nur das schmeichelnde Lob, das ihr der Versucher gespendet, Und zur Schlange gewandt, spricht sie mit eitelem Wunde: „Süßeste Schlange, nicht kargst du mit lieblich tönender Rede,

Aber du irrst, nicht hat uns Gott zu fasten geraten, Nicht verboten, den Rörper zu pflegen mit reichlicher Nahrung.

Siehe, genug der Speise ringsum gewähret der Erdkreis,

Alles gab zum Genuß der allzeit gütige Vater, Ließ die Zügel uns frei, zu essen nach unserm Gefallen. Dieser Baum allein, der in der Mitte des Hains steht, 3ft untersagt, seine Früchte allein zu berühren nicht statthaft. Alles Übrige dient dem reichlichen Lebensgenüsse.

Aber, wenn je das Gebot mit freiem Entschluß wir verletzen, Siehe, so hat der Schöpfer mit schrecklicher Stimme geschworen,

Daß wir sofort mit bitterem Tod als Schuldige büßen! Was nun den Tod herruft, o allergelehrteste Schlange,

Das erwäge mit klugem Sinn, uns fehlt die Erfahrung." Drauf der tückische wurm, der Meister des Triebs der Vernichtung,

Reizt mit verderblichem Rat voreingenommene Ghren:

„Was du fürchtest, o Weib, ist eingebildetes Schrecknis, Nicht wird über euch kommen der Spruch rasch raffenden Todes, Nicht gerecht verteilte das Los der unsichtbare Vater,

Wissen ließ er euch nicht, was er als höchstes sich aufhub. (Ober, was frommt der weite Blick über herrliche Auen,

Ist euer geistiges Buge mit elender Blindheit geschlagen? Kötperltd) gibt die Natur den unvernünftigen Tieren

Gleiche Sinne wie euch; es scheint dieselbige Sonne

Jedem Geschöpf, und der menschlichen gleicht die tierische Sehkraft. Drum ist mein Rat, du stellest den Sinn auf erhabenes Ziel ein.

Lenke den Blick vom Irdischen ab, schau auf in den Himmel. Siehe, die Frucht, die zu essen du scheust in Furcht des Verbotes,

Wirb, was der Vater verbarg, dir erschließen, das hohe Geheimnis,

halte nicht länger zurück die hinauf verlangenden Hände, Länger nicht zügle das Wort des Gebots den gefangenen Willen,

hast mit den Lippen gekostet du erst die göttliche Speise, Wird auch der Blick des nun gereinigten Buges erkennen,

Daß den Göttern du gleichst, daß heiliges du und verruchtes, Gutes und Böses zu scheiden erlernst, vom Falschen das Wahre."

Wie er prahlend Großes verheißt mit trüglichem Zischeln,

Staunt unterwürfig ihn an die leicht verführbare Iungfrau. Schon beginnt sie zu zögern, schon schwankt der gläubige Sinn ihr,

Und der Zweifelnden wächst die Lust am Todesverhängnis. Bls nun Jener gewahrt, daß nah der entscheidende Sieg ihm,

Denkt er der himmlischen Burg und des einst ihm gebührenden Namens, Nimmt vom Baum des Verderbens herab den schönsten der Äpfel

Und durchflutet ihn ganz mit wohlig würzigem Dufte, hält ihn der Nickenden vor und lockt mit dem köstlichen Anblick.

Und das unselige Weib, leichtgläubigen Sinnes vertrauend,

Weist nicht zurück das Geschenk, mit beiden Händen sie fassend Führt die verderbliche Frucht sie heran an Nase und Lippen,

Spielt unwissend, doch frei im Entschluß, mit dem künftigen Code.

Ach, wie oft hat die zögernde Hand den gewichtigen Apfel An die Lippen geführt, doch stets erscholl des Gewissens Warnender Ruf, und die Folgen der Tat erwägend erschrickt sie.

Aber den Göttern zu ähneln, es lockt, und schädlicher Ehrgeiz Streut sein Gift, es raffen den Sinn nach verschiedenen Seiten

hier die Begierde und dort die Furcht, hier stößt an's Gesetz sich

prahlender Stolz, dort wird das Gesetz der Strauchelnden Stütze. Auf und ab im heftigen Kampf wogt zerrissen das herz ihr.

Immer von neuem ertönt der Schlange reizvoller Zischlaut, Wieder zeigt sie die Speise der Zaudernden, schilt die verzagte,

Fördert der Fehlenden Fall und stößt sie hinab in den Abgrund. Endlich ist die Arme besiegt, es neigt sich die Schale

Wit des Verbrechens Speise gefüllt, zu ewigem hunger Tief herab- was jetzt sie genießt, es sättigt die Schlange.

Gierig nickt dem Versucher sie zu und beißt in den Apfel. Süß ist das Gift, doch gräßlich der Tod, die Folge der Weide.

Aber noch weiß der tückische Wurm die Freude zu dämpfen, Noch verrät den schaurigen Sieg kein wilder Triumphschrei.

Sieh, durch die blumigen Kräuter des weitgedehneten Blachfelds Wandelt nichts ahnend Adam daher, mit frohem Gemüte Sehnt nach den Küssen er sich und der keuschen Umarmung der Gattin.

Eva eilt ihm entgegen, ihr weckt des Weibes Gefühle

Erstmals in der erregbaren Brust die kecke Gefallsucht. Und den Apfel des Unheils, den halbverzehrten, in Händen

hält sie dem Gatten ihn hin, und also beginnt sie zu sprechen: „Nimm die Speise, du Süßer, aus gleichem Keime entsprossen, Die dem Donnerer dich und den himmlischen Gottheiten gleich macht.

Nicht die Unwissende bringt das Geschenk dir, nein, die Belehrte. Gleich der erste Biß hat mich im Innern verwandelt,

hat mit kühnem versuch den alten Vertrag uns zerrissen. Glaube mir nur, verbrecherisch ist's, daß der männliche Sinn nicht

wagt, was als Weib ich gekonnt. Du fürchtetest, traun, den Vorantritt.

Nun, so folge mir doch;• richt' auf die geschlagene Miene!

warum wendest die Augen du ab? was scheust den Entschluß du? Greife das Glück, was stiehlst du dem kommenden Glanze die Zeit weg?"

Sprach's und reicht ihm des Todes Gericht, des künftigen Siegers,

Während die Seele vergeht, und verbrecherisch schwillt das verderben. Als den Unglücksel'gen erreicht schlechtratender Zuspruch,

wirft er zurück, erhobenen Haupts, den gefesteten Nacken,

Nicht durchzittert ihn bohrende Furcht noch lastende Sorge,

Nicht gedenkt er des zaudernden Weibs, als dem Apfel sie nahte, Schnell gehorchend dem Wort, entreißt er der elenden Gattin Sicheren Griffs das unsichere Geschenk, die giftige Mitgift, Schnappt mit dem weitgeöffneten Mund den feindlichen Koder.

Kaum aber hat der gefräßige Zahn in den Apfel gebissen, Kaum glitt die schmackhafte Speise hinunter die kostende Kehle,

Da erhellt ein plötzlicher Glanz der Beiden Gesichter Und übergießt mit betrüblichem Licht neublickende Augen.

Nicht ward der Mensch von Natur mit blinden Augen geschaffen, Nicht des Gesichtes beraubt bei sonst vollkommener Gestaltung: Jetzt erst bist du blind, da nicht dir genüget zu wissen, was der große Schöpfer gewollt, daß zu wissen dir ansteht.

Leben zu bringen, ward euch verliehen das schauende Auge: Daß ihr verderben erschaut, ihr dankt es eigenem Triebe.

Weinet dem offenen Auge nur nach: jetzt leuchtet Empörung Schuldhaft darin, unziemliche Lüste durchzucken den Körper. Nun erkennet die Scham, daß nackt die Glieder: entschwand sie Gder kam sie erst jetzt in die Welt - nicht weiß ich's zu sagen.

Jetzt errötet versteh'n, das eigener Schuld sich bewußt ist. Sortab nimmt von den Gliedern Besitz das Gesetz des Fleisches.

Aber der siegreiche Wurm, froh des vollendeten Streites, Kräuselnd den purpurnen Kamm am schuppenberieselten Kücken,

hält nicht länger zurück den zuvor gedämpften Triumphschrei.

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höhnisch fährt die Besiegten er an mit ätzendem Spotte: „Seht, nun hat der Schöpfer dahin, was er rühmend versprochen. Was mein Wissen vermag, glaubt mir, es ist nun das eure, Blies zeigte ich euch, führt' euch durch verborgene Gründe. Was Natur euch böses verwehrt mit mühender Sorgfalt, 3d) entschleiert' es euch, hab' Rechtes mit Linkem verbunden. Nun ist euer Geschick dem meinen auf ewig verkettet, Nicht hat Gott, wiewohl er euch schuf, noch größere Rechte Wehr an euch: so mag er behalten, was er geschaffen. Was ich lehrte, ist mein; mir bleibt der größere Hnteil. Schuldet dem Schöpfer ihr viel, mehr noch verdankt ihr dem Lehrer." Sprach's. Ruf-die Zitternden sank herab ein finsterer Nebel. Jener entfloh, und im Dunste entschwand der zerfließende Körper.