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German Pages 60 [67] Year 1913
Vorträge der theologischen Konferenz zu Gießen ===== 55. Zolge
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Die Berechtigung
der bekenntnismäßigen Lehrstoffe int Religionsunterricht zugleich ein Wegweiser zu ihrer pädagogischen Vehandlung von
Heinrich Matther Professor Lic. theol., Seminaroberlehrer zu Darmstadt
Verlag von HIfreb Töpelmann (vormals 3- Ricker) Gießen 1913
Hof- und Univ.-Druckerei Otto Kindt, Gießen.
Inhaltsverzeichnis. Seite
Die bekenntnismäßigen Lehrstoffe des Religionsunterrichts.
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A. Ihre religiöse Berechtigung 1. als Kundgebungen der heroischen Zeiten der christlichen Kirche 6 2. als Autoritäten im Sinne und Geist evangelischer Freiheit . 11 3. als Garantie für die Erhaltung christlicher Freiheit . . .19 4. als Garantie für die Erhaltung der Höhenlage evangelischer Frömmigkeit.......................................................................................23
B. Ihre pädagogische Berechtigung 1. als geeignetes Mittel zur christlichen Erziehung........................27 2. als untrennbarer Bestandteil des geschichtlichen Lehrstoffs . 30 C.
Ihre pädagogische Behandlung 1. Die induktive Methode ................................................ 34 2. Drei Wege zu deren Befolgung..................................................... 39 3. Der Katechismus in der Oberklasse der höheren Schule . . 49
Schluß...............................................................................
Leitsätze...........................................
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Die b ekenntnism ästigen Lehrstoffe. Ehe wir an die Probleme herantreten, die unser Thema uns stellt, ist es notwendig, festzustellen, was wir unter den bekennt nismäßigen Stoffen des Religionsunterrichts verstehen, und was wir zu dieser Gruppe von Lehrstoffen rechnen. Wir können zu nächst, auf die Gefahr hin, nicht ganz genau zu sein, negativ um schreibend, sagen: Es sind die Lehrstoffe, die nicht in strengem Sinne geschichtlicher Art sind wie die biblische Geschichte und die Kirchen geschichte, die Lehrstoffe, welche nicht die auf empirischer Beobach tung ruhende Darstellung der religiösen und kirchlichen Verhältnisse darbieten, wie z. B. die von Bornemann für den Konfirmanden unterricht geforderte Kirchen- und Gemeindekunde, die Einführung in das gottesdienstliche Leben und Ähnliches. Positiv können wir
sagen: Es sind die Lehrstoffe, die sich in den meisten BiblischenGeschichtsbüchern wie z. B. in der neuen „Biblischen Geschichte für die evangelischen Schulen des Großherzogtums Hessen" unter den einzelnen Abschnitten als sogen. Anschlußstoffe finden, also vor allem der Katechismusstoff, aber auch die Bibelsprüche und Kirchenlieder. Sie finden sich meistens in den Händen der Schulkinder in einem besonderen Büchlein vereinigt, das den Katechismus und, mit ihm verbunden und in seinen Gang eingegliedert, eine Sammlung von etwa 200 besternten und unbesternten Bibelsprüchen, sowie eine mehr oder weniger große Zahl von Hinweisen auf Lieder des Gesangbuchs enthält. So sehr diese Lehrstoffe innerlich von einander verschieden sind, die einen der lyrische Erguß des Herzens voll Sehnsucht, voll Trauer und Bußschmerzes oder voll Lobes und Dankes — die andren der Ausdruck des ernsten Willens, Gottes Gebot zu erfüllen — die andern wieder der Ausdruck des klaren verständnis mäßigen Denkens, ja zum Teil Theologumena aussprechend, die von Haus aus in die Schlußketten wissenschaftlicher Gedankenreihen
6 und kunstvoller Gedankensysteme gehören — sie gehören zusammen, in eine andre Gruppe als in die, welche die Geschichte mit ihren Tatsachen und Begebenheiten behandeln oder den empirischen Zu stand des gegenwärtigen religiösen Lebens darstellen. Sie gehören auch inhaltlich zusammen, weil sie alle den Eindruck zeigen, den die religiösen Tatsachen auf das Gemüt» den Willen und die Gedanken der Menschen ausüben. Ähnlich wie in der griechischen
Tragödie der Chor mit seinen Betrachtungen die Handlungen des Menschen begleitet, geben sie dem Werturteil Ausdruck, das die fromme Gemeinde je und je über die Heilstatsachen gefällt hat.
Die religiöse Berechtigung der bekenntnismätzigen Lehrstoffe. 1.
Es ist kaum etwas mehr charakteristisch für den Wandel der religiösen Anschauungen als der Wandel in dem Urteil über diese Unterrichtsstoffe. Eine der ältesten deutschen Verordnungen über den Religionsunterricht, die des Geistlichen Kapitels Karls des Großen aus dem Jahre 804 redet nur von diesen Stoffen. Sie bestimmt: Das Taufbekenntnis und das Gebet des Herrn sollen alle zu lernen angehalten werden. Und wenn einer das jetzt nicht behält, soll er entweder Schläge bekommen oder fasten, bis er es vollständig kann. Wir wissen auch, wie in der evangelischen Kirche im ganzen 16. und 17. Jahrhundert der Katechismus (und bald auch das Spruchbuch) das eigentliche Religionsbuch war, sodaß noch heute auf manchem hessischen Stundenplan dieKatechismus-Stunde geradezu als „die Religionsstunde" eingetragen ist neben der bibl. Geschichte, die eben nur als Geschichte der Religion, nicht als Darstellung der Religion selbst gewertet wird, was sich auch darin äußert, daß der Pfarrer in den meisten Fällen Wert darauf legt, ersteren Unterricht in seine eigene Hand zu nehmen und letzteren gern dem Lehrer überläßt. Heute aber tut es not, die Berechtigung gerade dieser
Stoffe nachzuweisen und zu verteidigen. Dieser Wandel der Stimmung ist nur zu erklären durch eine große Veränderung der Volksseele und ihrer Stellung zu der Frömmigkeit der Väter. Wer in den Bekenntnissen nur Unnatur und nur Verirrung von der wahren und echten christlichen Frömmig-
6 und kunstvoller Gedankensysteme gehören — sie gehören zusammen, in eine andre Gruppe als in die, welche die Geschichte mit ihren Tatsachen und Begebenheiten behandeln oder den empirischen Zu stand des gegenwärtigen religiösen Lebens darstellen. Sie gehören auch inhaltlich zusammen, weil sie alle den Eindruck zeigen, den die religiösen Tatsachen auf das Gemüt» den Willen und die Gedanken der Menschen ausüben. Ähnlich wie in der griechischen
Tragödie der Chor mit seinen Betrachtungen die Handlungen des Menschen begleitet, geben sie dem Werturteil Ausdruck, das die fromme Gemeinde je und je über die Heilstatsachen gefällt hat.
Die religiöse Berechtigung der bekenntnismätzigen Lehrstoffe. 1.
Es ist kaum etwas mehr charakteristisch für den Wandel der religiösen Anschauungen als der Wandel in dem Urteil über diese Unterrichtsstoffe. Eine der ältesten deutschen Verordnungen über den Religionsunterricht, die des Geistlichen Kapitels Karls des Großen aus dem Jahre 804 redet nur von diesen Stoffen. Sie bestimmt: Das Taufbekenntnis und das Gebet des Herrn sollen alle zu lernen angehalten werden. Und wenn einer das jetzt nicht behält, soll er entweder Schläge bekommen oder fasten, bis er es vollständig kann. Wir wissen auch, wie in der evangelischen Kirche im ganzen 16. und 17. Jahrhundert der Katechismus (und bald auch das Spruchbuch) das eigentliche Religionsbuch war, sodaß noch heute auf manchem hessischen Stundenplan dieKatechismus-Stunde geradezu als „die Religionsstunde" eingetragen ist neben der bibl. Geschichte, die eben nur als Geschichte der Religion, nicht als Darstellung der Religion selbst gewertet wird, was sich auch darin äußert, daß der Pfarrer in den meisten Fällen Wert darauf legt, ersteren Unterricht in seine eigene Hand zu nehmen und letzteren gern dem Lehrer überläßt. Heute aber tut es not, die Berechtigung gerade dieser
Stoffe nachzuweisen und zu verteidigen. Dieser Wandel der Stimmung ist nur zu erklären durch eine große Veränderung der Volksseele und ihrer Stellung zu der Frömmigkeit der Väter. Wer in den Bekenntnissen nur Unnatur und nur Verirrung von der wahren und echten christlichen Frömmig-
7 feit sieht, versteht nicht genug die Frömmigkeit der ersten Zeit des Christentums und des Protestantismus. Denn damals war in dem Bekennen der Pulsschlag des Lebens der christlichen Kirche zu erkennen. Viererlei Bekenntnisse kann man in jenen Zeiten unterscheiden, entsprechend der vierfachen Aufgabe der christlichen Kirche. Es galt zur Erfüllung der Aufgabe der Mission unter Juden und Heiden, die objektiven Glaubenstatsachen des Evangeliums von Christo „zu bezeugen" — „mit großer Kraft gaben die Apostel „Zeug nis" von der Auferstehung des Herrn Jesus"1) — und es galt, den noch Dranßenstehenden kundzutun, welche Wirkungen der Geist Jesu Christi und sein Evangelium in seinen Jüngern und in seiner Gemeinde hervorbringe; so wie Paulus vor dem Landpfleger Festus und vor dem König Agrippa sein Bekenntnis ablegt, da er ihnen zuruft, er wünsche ihnen, „sie würden so wie er, ausgenommen seine Bande" 2), und wie Petrus vor allem Volk von Christus bezeugt: „Es ist in keinem Andren Heil, und ist auch kein andrer Name den Menschen gegeben, darinnen sie sollen selig werden" 8). In den Jahrhunderten der Christenverfolgung hing der Bestand und die Erhaltung der christlichen Religion davon ab, ob die Christen, der römischen Obrigkeit willfahrend, der Auffor derung der Beamten Folge leisten würden: „Fluche Christus und opfere den Göttern!" oder ob sie vor dem Prätor, allen Bedrohungen zum Trotz, wie der alte Polykarp sich zu Christus als ihrem Herrn „bekannten"; und nicht ohne Grund hat die katholische Kirche mit diesen confessores bald ihren Kultus getrieben und diesen „BlutZeugen" ihre Verehrung entgegengebracht. Die libellatici haben die Kirche kompromittiert und ihr einen größeren Schaden zugefügt als die Löwen und Tiger der römischen Arena; das „Bekenntnis" und das „Martyriuin" hat die christliche Kirche in der Verfolgung erhalten. Schleiermacher hat uns wieder das Verständnis dafür geöffnet, wie der Gottesdienst der altchristlichen Gemeinde darin bestanden hat, daß ein jeder sein religiöses Innenleben darstellte, und die Beschreibung der Gemeindeversammlung im 1. Kor.-Brief zeigt, *) Ap.-Gesch. 4, 33.
’) Ebenda 26, 29.
•) Ebenda 4,12.
8 wie ein jeder sein Bestes „mitbrachte" und beisteuerte: das waren ihre mannigfach verschieden abgetönten Bekenntnisse, entsprechend den mannigfaltigen inneren Erfahrungen der Einzelnen. In dem Geist des freien Bekennens, der die Versammlung erfüllte, lag ihre Einfluß- und ihre Anziehungskraft für die von draußen herein kommenden „Laien und Ungläubigen" 1). Das führt uns auch zu der vierten Art des Bekennens in der altchristlichen Gemeinde. Schon Paulus muß die Gemeindeglieder davor warnen, daß sie nicht zu jedem der Bekenntnisse, die in der Versammlung laut werden, Ja und „Amen"8) sagen; er muß auf fordern, „die Geister zu unterscheiden" und alles zu prüfen und nur das Gute behalten®). So sind entsprechend dem wichtigsten Kampfe, der das Leben des Apostels Paulus ausfüllte, und der seinem Leben auch die Katastrophe brachte, dem Kampfe gegen die Judaisten, seine Bekenntnisse entstanden, mit denen er sein Evangelium von dem der Judaisten unterschied, insbesondere die, in denen seine Rechtfertigungslehre mit ihrem „ohne des Gesetzes Werke" und ihrem „sola fide" zum Ausdruck kommt. Noch mehr abgrenzend gehalten sind die Bekenntnisse der johanneischen Schriften. In ihnen finden wir die noch schärfer gehaltene, gegen gnostische Irrlehren gerichtete Warnung, „nicht einem jeglichen Geiste zu glauben"^); wir finden dort entschiedene, dieser abwehrenden und abgrenzenden Tendenz entsprechende Be kenntnisse, die betonen, daß Christus „im Fleische erschienen ist", und daß Gott seinen eingeborenen Sohn nicht einer Auslese von „Über geistlichen" sondern der ganzen „Welt" gegeben hat, „auf daß alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben". — Für die Tendenz dieser Bekenntnisse ist das Wort der Apokalypse charakteristisch: „Halte, was du hast, daß niemand deine Krone nehme!" Sie fordern auf festzuhalten, was die Gemeinde im Besitz hat, und sie warnen vor denen, die sie „berauben"6) wollen, daß ja kein Kleinod aus dem Glaubens besitz der Gemeinde an das Judentum oder an die heidnische Philo sophie preisgegeben werde. *) 1. Cor. 14, 24. ') Vgl. 1. Cor. 12,3.10. ‘) 1. Joh. 4, 1. ‘) Col. 2, 8. 9.
•) 1. Thess. 5, 21.
9 Jede dieser vier Arten der Bekenntnisse hat ihren Beruf und ihre Aufgabe erfüllt. Auf den Geist des Bekennens, auf die Bekennt nisfreudigkeit und auf die Bekenntnistreue ist die christliche Kirche auferbaut; das ist in der Tat „der Felsen", auf dem sie ruht, also „daß die Pforten der Hölle sie nicht überwältigen können". Auf dem Missionsbekenntnis beruht die Ausbreitung unter Juden und Heiden, auf dem Märtyrerbekenntnis beruht ihre Erhaltung in der Verfolgung, auf dem Bekenntnis der zur Gemeindefeier versam melten Gläubigen beruht ihre Erbauung, auf dem abgrenzenden Bekenntnisse die Bewahrung ihrer christlichen Eigenart.— Man kann es bedauern, daß gerade diese letztere Art des Bekennens in der Folge immer einseitiger hervorgetreten ist; man kann auch den Eifer bedauern, mit dem je länger je einseitiger diese Art des Bekennens gepflegt wurde; man kann besonders das beklagen, daß man sich auf einen Wortlaut für das Bekennen festlegte, daß man das Apostolikum zum symbolum, zum Kenn zeichen der „heilsamen Lehre" der „katholischen Kirche" machte, daß dann die Streitigkeiten über die Bekenntnisse entstanden sind, und daß die von der Majorität unter kaiserlichem Druck entstandenen Formeln zum staatlichen Reichsgesetz geworden sind, was endlich dazu führte, daß die Bestreitung der Glaubenssätze mit dem Feuertode bestraft worden ist; aber abusus non tollit usum, das ist alles nur ein Symptom dafür, daß das Bekennen in der alten Kirche als eine der allerwesentlichsten Lebensbetätigungen der christlichen Gemeinde empfunden worden ist, die man an ihr weder missen konnte noch wollte. Auch darf nicht vergessen werden, daß nicht allein hinter dem Apostolikum (in seiner Grundlage), sondern auch hinter dem Nicänum wirkliche, in der Verfolgung bewährte |idpTupe