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German Pages 161 Year 2012
Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 422
Die Bemessung des Inkommensurablen Wege zur Bestimmung des Ersatzes immaterieller Schäden am Beispiel des Schmerzensgelds
Von
David von Mayenburg
Duncker & Humblot · Berlin
DAVID VON MAYENBURG
Die Bemessung des Inkommensurablen
Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 422
Die Bemessung des Inkommensurablen Wege zur Bestimmung des Ersatzes immaterieller Schäden am Beispiel des Schmerzensgelds
Von
David von Mayenburg
Duncker & Humblot · Berlin
Die Herausgabe des Buches wurde gefördert durch die Mathews-Stiftung im Förderfonds des Stifterverbandes für die deutsche Wissenschaft
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Fremddatenübernahme: Process Media Consult GmbH, Darmstadt Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7387 ISBN 978-3-428-13750-3 (Print) ISBN 978-3-428-53750-1 (E-Book) ISBN 978-3-428-83750-2 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
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Für Esther und Jakob
Vorwort „Zu viel“ titelte die Frankfurter Allgemeine Zeitung als Kommentar zu den 3.000 E, die der Kindesmörder Magnus Gäfgen vom LG Frankfurt a.M. als Entschädigung für die ihm im Verhör angedrohten Mißhandlungen zugesprochen bekam.1 Obgleich es in dieser Entscheidung nicht im streng juristischen Sinn um ein Schmerzensgeld ging, verweisen die teilweise heftigen Kontroversen, die das Urteil auslöste, einmal mehr darauf, daß bei der Bemessung von Entschädigungen für beeinträchtigte immaterielle Rechtsgüter häufig nicht nur eine inter partes als gerecht erscheinende Konfliktlösung gesucht wird. Wenn gerade die Höhe von Schmerzensgeldern immer wieder zur gesellschaftlichen Streitfrage wird, so ist dies ein deutliches Anzeichen dafür, daß Schmerzensgeldprozesse häufig auch eine symbolische Funktion übernehmen, deren Rolle nicht zuletzt darin besteht, Fragen der Gerechtigkeit und der Proportionalität auch und gerade im Bereich des Immateriellen auszuloten, auszuhandeln oder zu bestimmen. Die Gesellschaft richtet also an Schmerzensgeldurteile eine besondere Gerechtigkeitserwartung. Mein Interesse an diesem Thema wurde bereits im Wintersemester 2000/2001 geweckt, als ich erste Thesen in einem interdisziplinären Seminar der Herren Professoren Dr. Christoph Engel, Dr. Urs Schweizer und Dr. Gerhard Wagner zu den „ökonomischen Grundlagen des Haftungsrechts“ vortragen durfte. Den Veranstaltern und Teilnehmern dieses anregenden Seminars danke ich ebenso, wie meinen vielen Gesprächspartnern, mit denen ich seither über das Thema diskutiert habe. Wichtige Anregungen und Kritik erhielt ich dabei vor allem von Frau Hanka von Aswege, Dr. Christoph Goos, Frau Dipl. Psych. Elfrun Magloire und Dr. Alexander Morell. Zu besonderem Dank verpflichtet bin ich den Herren Professoren Dr. Mathias Schmoeckel und Dr. Wilhelm Rütten, die mir mit ihrer Kritik ebenso weitergeholfen haben wie mein Habilitationskollege Dr. Matthias Maetschke. Für die großzügige Übernahme der Druckkosten bin ich der Mathews-Stiftung außerordentlich dankbar. Herrn Dr. Stefan Stolte und Frau Rüdel vom Stifterverband für die deutsche Wissenschaft danke ich für die außerordentlich rasche Bearbeitung meines Antrags und ihre stets freundliche Auskunftsbereitschaft. Sehr zu Dank verpflichtet bin ich auch dem Verlag Duncker & Humblot und seinem Geschäftsführer, Herrn Dr. Florian R. Simon LL.M., für die freundliche Aufnahme des Buches in die Reihe „Schriften zum Bürgerlichen Recht“.
1 LG Frankfurt a.M., 2 – 04 O 521/05, Juris. Vgl. den Kommentar FAZ Nr. 180, 5. 8. 2011, S. 10.
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Vorwort
Am entbehrungsreichsten war die Arbeit an diesem außerhalb des akademischen Pflichtenkanons entstandenen Projekt für meine Familie, die mehr als nur ein Wochenende auf mich verzichten mußte und der dieses Buch darum gewidmet sein soll. Bonn, im Oktober 2011
David von Mayenburg
Inhaltsverzeichnis A. Einleitung und Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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B. Wird der immaterielle Schaden sauber bemessen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Dogmatische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
18
1. § 253 im System des Schadensrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
18
a) Unveränderte Sonderrolle nach dem 2. SchadÄndG . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
18
b) Schmerzensgeld als Naturalrestitution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
23
c) Schmerzensgeld als Kompensation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
24
d) Die doppelte Problematik der gesetzlichen Anordnung . . . . . . . . . . . . . . . .
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2. Kriterien der Bemessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
27
a) Die Funktionen als Bemessungskriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
27
aa) Grundlage: Die Leitentscheidung des Großen Senats – GS-BGHZ 18, S. 149 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
27
bb) Ausgleichsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
28
cc) Genugtuungsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
31
(a) Sektorale Abstufung – Straßenverkehr und Arzthaftung . . . . . . . . .
35
(b) Abstufung nach Verschuldensgraden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
36
(c) Sonderproblem: Schmerzensgeld bei Gefährdungshaftung . . . . . . .
37
dd) Präventionsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
42
ee) Rechtspolitische Erwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
47
b) Vergleichsrechtsprechung als Bemessungskriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
49
c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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II. Die Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
54
1. Schmerzensgeldtabellen und Vergleichsrechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . .
54
a) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
54
b) Auswahl der Daten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
55
10
Inhaltsverzeichnis c) Zuverlässigkeit der Daten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
57
d) Vollständigkeit der bemessungsrelevanten Informationen . . . . . . . . . . . . . .
59
e) Materiellrechtlicher und prozessualer Kontext der Angaben . . . . . . . . . . . .
60
f) Probleme bei der Isolation vergleichbarer Fälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
62
g) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
63
2. Schmerzensgelder im Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
64
a) Oberer Bereich: Schwerste Hirnschädigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
66
b) Mittlerer Bereich: Verlust von Zeigefinger(gliedern) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
72
c) Unterer Bereich: Schädigung von Haar und Kopfhaut . . . . . . . . . . . . . . . . .
75
d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
78
III. Bewertung der Ergebnisse und offene Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
79
C. Kann der immaterielle Schaden sauber bemessen werden? . . . . . . . . . . . . . . . .
81
I. Berechnung nach dem Ausgleichsgedanken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
81
II. Berechnung unter Ein- oder Ausschluß von Genugtuungsaspekten . . . . . . . . . . .
86
1. Genugtuung als entscheidende oder mitentscheidende Funktion . . . . . . . . . . .
87
2. Bemessungsvorteile einer Eliminierung der Genugtuung . . . . . . . . . . . . . . . . .
87
3. Reduzierte Berücksichtigung der Genugtuungsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . .
87
III. Berechnung unter Präventionsgesichtspunkten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
91
IV. Konsequenzen und offene Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
97
D. Muß der immaterielle Schaden sauber bemessen werden? – Wege aus dem Dilemma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
98
I. Verfassungsrechtliche Anforderungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
98
II. Kern des Problems: Auflösung des Inkommensurabilitätsparadoxes . . . . . . . . . .
99
1. Konsequentialistische Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
100
2. Nicht-konsequentialistische Ethik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
101
3. Vereinbarkeit der Prämissen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
102
Inhaltsverzeichnis
11
III. Nochmals: Die Dogmatik des Schmerzensgelds . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
103
1. Der Weg über § 249 – Schmerzensgeld als Restitution? . . . . . . . . . . . . . . . . . .
103
2. Auflösung des Inkommensurabilitätsparadoxons: Immaterielle Güter sind kommensurabel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
106
3. Auflösung des Bemessungsproblems – Ausgleich und Billigkeit im Spannungsverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
107
a) Äquivalenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
108
b) Billigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
108
aa) Billigkeit als Einzelfallgerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
110
bb) Billigkeit zwischen Ermessen und Bindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
113
cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
114
c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
115
IV. Problemlösungsvorschlag de lege lata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
115
1. Rechtsgüterschutz als Orientierungspunkt der Schmerzensgeldbemessung . . .
115
2. Einzelprobleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
118
a) Probleme des Schadens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
118
aa) Subjektiver oder objektiver Schaden? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
119
bb) Berücksichtigung des Verschuldens? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
123
b) Probleme der Bemessung – die Rolle der Vergleichsrechtsprechung . . . . . .
125
aa) Orientierung an den Zwecken des Schadens- und Haftungsrechts . . . . .
126
bb) Orientierung an Vergleichsrechtsprechung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
126
V. Verzicht auf die Präzisionsperspektive – Das Judiz als Maßstab . . . . . . . . . . . . .
129
1. Judiz ist nicht Willkür . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
130
2. Funktioniert Judiz? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
131
VI. Problemlösungen de lege ferenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
133
1. Abschaffung des Schmerzensgeldanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
133
2. Symbolisches Schmerzensgeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
134
12
Inhaltsverzeichnis 3. Autoritative Festlegung des Schmerzensgeldumfangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
136
a) Gesetzliche Schmerzensgeldtabelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
136
b) Bindung an „objektive“ Schadensposten, Kappungsgrenzen oder Rahmenwerte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
136
4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
138
E. Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
139
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
141
Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
158
A. Einleitung und Problemstellung Wird ein Mensch in seiner körperlichen Integrität, seiner Freiheit oder seiner sexuellen Selbstbestimmung verletzt, so verpflichtet das Gesetz den Schädiger nicht nur Schadensersatz für die materiellen Schäden zu leisten, sondern gibt dem Geschädigten in § 253 Abs. 2 BGB1 auch die Möglichkeit, für seinen „immateriellen Schaden“ eine „Entschädigung in Geld“ zu erhalten. Die dem Richter damit vom Gesetzgeber ausdrücklich aufgegebene Aufgabe, etwas Immaterielles „in Geld“ zu bewerten, hat zu einer bis heute anhaltenden Debatte über die Kriterien und Techniken der Bemessung dieses Schmerzensgelds geführt.2 Versuche, verallgemeinerungsfähige Regeln für diesen Bemessungsvorgang zu finden, oder diesen auch nur zu beschreiben, führen zwangsläufig in eine Vielzahl grundsätzlicher Fragen: Zu klären ist zunächst, was unter „immateriellem Schaden“ zu verstehen ist und wie dieser vom Vermögensschaden abgegrenzt werden soll, also der Anwendungsbereich des § 253 Abs. 2.3 Die deutsche Diskussion stellt für diese Unterscheidung ganz überwiegend auf die axiomatisch vorausgesetzte Inkommensurabilität immaterieller Beeinträchtigungen, auf die Unmöglichkeit einer Umrechnung von Schmerz in Geld ab.4 Immaterielle Schäden sind solche, die sich nicht in Geld messen lassen. Doch hilft der Verweis auf die Inkommensurabilität wirklich weiter? Arbeiten aus dem Bereich der ökonomischen Analyse des Rechts haben immerhin, wenn auch unter Anwendung methodisch angreifbarer Hypothesen, versucht, mit Hilfe ökonomischer Theorie den „tatsächlichen Wert“ von Einbußen an Lebensgütern zu kalkulieren.5 Ginge es also nur um die Wahl der richtigen Bemessungsmethode, so wäre die Inkommensurabilität von Schmerz und Geld möglicherweise nicht die naturgesetzliche Notwendigkeit, als die sie immer beschrieben wird, sondern viel1
§§ beziehen sich, wo nicht anders angegeben, auf das BGB. Terminologisch soll hier der nunmehr fest etablierten Sprachregelung gefolgt werden, wonach sich der Begriff „Schmerzensgeld“ allein auf den Ersatz nach § 253 Abs. 2 bezieht, während „Geldersatz“ die für schwere Verletzungen des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts gewährten Entschädigungen meint. Undeutlich: Ady, S. 57. 3 Vgl. die teilweise stark abweichenden Ansätze bei: Christian Huber, Fragen, S. 150 – 153; Lange/Schiemann, § 2 I, S. 50 – 57; Larenz, § 28 III, S. 474 – 479; Neuner, AcP 133, 1931, S. 277 – 314; Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn. 893 f.; Zeuner, AcP 163, 1963, S. 380 – 400; MüKo/Oetker, § 249, Rn. 24 – 93. unter rechtsvergleichender Perspektive: Stoll, Haftungsfolgen, Nr. 236 – 240; unter rechtshistorischer Perspektive: Ady, S. 5 – 25. 4 Allg. M., vgl. nur: von Gierke, S. 197; Harke, Rn. 329. Weniger deutlich: Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn. 893: „wenn überhaupt, dann nur ungenau“; Larenz, § 28 III, S. 474: kein „Ausgleich im strengen Sinn“. 5 Ott/Schäfer, JZ 1990, S. 563 – 573; vgl. auch Wagner, Neue Perspektiven, S. A 22 f. 2
14
A. Einleitung und Problemstellung
mehr eine gesetzliche Wertentscheidung, ein Verbot, das seinerseits durch den in den Grenzen des § 253 erlaubten oder verfassungsrechtlich sogar notwendigen Ersatz immaterieller Beeinträchtigungen durchbrochen wird.6 Doch damit ist noch nicht geklärt, wie genau das Schmerzensgeld in diesen Fällen bestimmt werden soll, in denen auch das Gesetz eine Kommensurabilität von Schmerz und Geld voraussetzt bzw. anordnet. Damit ist die zentrale Frage dieser Studie aufgeworfen: Gelingt es der Rechtsordnung, für immaterielle Schäden exakte, also intersubjektiv reproduzierbare Ersatzsummen zu bestimmen? Ist dieses Ziel aus juristischer Perspektive überhaupt sinnvoll anzugehen? Und steht die Erreichung dieses Ziels eines exakten Schmerzensgelds in Einklang mit dem Normenprogramm des BGB? Meist wird die Bemessungsfrage resignativ als nicht weiter hinterfragbares Problem des richterlichen Innenlebens ausgeklammert und behauptet, weder juristische noch ökonomische Argumente könnten hier etwas Substantielles beitragen.7 Die Mehrheit der Literatur und die Praxis versuchen die Rationalitätserwartungen an den Bemessungsvorgang durch die Kombination zweier Bewertungsvorgänge zu erfüllen: Zum einen rekurrieren sie auf die Funktionen des Schmerzensgelds, die teilweise aus der schadensrechtlichen Aufgabe des Ausgleichs, teilweise aber auch aus weiteren zivilrechtlichen Zielsetzungen, wie Genugtuung oder Prävention abgeleitet werden. Zum anderen soll die Bemessung des Schmerzensgelds durch die Orientierung an Präjudizien, der sog. „Vergleichsrechtsprechung“, ein zusätzliches Maß an Plausibilität und zumindest den Anschein von Berechenbarkeit erhalten. Richtet man den Bemessungsvorgang auf die Funktionen des Schmerzensgelds aus, so handelt man sich weitere grundsätzliche Probleme ein, die mit der nach wie vor sehr kontrovers diskutierten Frage nach den Zwecken des Haftungsrechts insgesamt und des Schmerzensgeldanspruchs im Besonderen zusammenhängen. Wo steht das Schmerzensgeld in der Gesamtrechtsordnung? Handelt es sich um einen „echten“ Schadensersatzanspruch, oder um einen Anspruch „eigener Art“? Welche Interferenzen bestehen bei Annahme einer Präventions- oder Sühnefunktion mit dem Strafrecht, insbesondere vor dem Hintergrund des Grundsatzes ne bis in idem (Art. 103 Abs. 3 GG)?8 Sollte der dem Schmerzensgeld zugrunde liegende Konflikt nicht besser an anderer Stelle der Rechtsordnung (Verwaltungsrecht, Versicherungsrecht etc.) bewältigt werden?9
6 So auch, jedenfalls andeutungsweise, Staudinger/Schiemann, § 253, Rn. 1: „Immaterielle Werte sollen (…) nicht in Geld umgerechnet werden“. 7 So Christian Huber, Fragen, S. 17. 8 Hierzu ausführlich: Wagner, AcP 206, 2006, S. 355 – 360, 433 f. 9 Comandé, in: FS Koziol, S. 86 nennt mindestens sechs Konfliktlösungsmechanismen: Versicherung (1st party/ 3rd party); Deliktsrecht; Strafrecht; Verwaltungsregeln; Marktpreismechanismen; compensation plans.
A. Einleitung und Problemstellung
15
Als Hintergrund dieser Auseinandersetzung über die Aufgaben des Ersatzes immaterieller Schäden, die gerade in letzter Zeit wieder verstärkt geführt wird, läßt sich die tiefer gehende Streitfrage isolieren, welche Form von Gerechtigkeit denn durch den Schmerzensgeldanspruch erreicht werden soll. Geht es um ausgleichende (kommutative) Gerechtigkeit,10 Verteilungsgerechtigkeit, effiziente Allokation von Gütern,11 oder um Einzelfallgerechtigkeit (Billigkeit)? Aus der Antwort auf diese Frage ergibt sich nicht nur, welche Wege zur Ermittlung konkreter Schmerzensgeldbeträge zulässig sind, sondern auch viel grundsätzlicher, welche Rationalitätserwartungen überhaupt an diesen Bemessungsvorgang gerichtet werden können. Verlangt man nämlich eine relational, d. h. im Vergleich unterschiedlicher Schadensfälle, gerechte Bemessung, ist die Suche nach einem objektivem Maßstab einer wenigstens annähernd gleichen Zumessung von Schmerzensgeld für vergleichbare Fälle gerechtfertigt. Will man dagegen das Schmerzensgeld allein durch den Blick auf den Einzelfall entscheiden, so ist die Suche nach Vergleichsmaßstäben a priori fehlgehend. Anlaß dieser Studie ist zunächst die Tatsache, daß die Frage der Schmerzensgeldbemessung im deutschen Recht durch die Neuerungen des am 1. 8. 2002 in Kraft getretenen 2. Schadensersatzrechtsänderungsgesetzes (2. SchadÄndG12) wieder in Bewegung geraten und die Praxis eher noch unsicherer geworden ist. Darauf weisen nicht nur die kontroversen Diskussionen auf dem Deutschen Juristentag 2006 hin,13 sondern auch wachsende Ungereimtheiten in der Schmerzensgeldpraxis.14 Eine größere Zahl neuerer Monographien,15 Gutachten und grundlegender Aufsätze16 belegt zudem, daß auch nach der Reform von 2002 beim Ersatz immaterieller Einbußen nicht nur Detailfragen, sondern viel grundsätzlichere Probleme noch ungelöst sind. Vor allem der Streit um die Funktionen des Schmerzensgelds dürfte sich in naher Zukunft durch die Abkehr der Rechtsprechung vom Genugtuungsprinzip einerseits und eine zunehmend auf präventive, gelegentlich auch noch auf Sühneaspekte ausgerichtete Lehre andererseits eher noch verstärken. Darüber hinaus läßt der internationale Rechtsvergleich erkennen, daß nicht nur in Deutschland, sondern gerade auch im angelsächsischen Bereich intensiv über die hier 10
So Wagner, Neue Perspektiven, S. A 23. Vgl. Behrens, S. 175 f. 12 Einen Überblick über die durch das 2. SchadÄndG eingeführten Neuerungen einschließlich der wichtigsten Gesetzgebungsmaterialien findet sich bei Wagner, Schadensersatzrecht; vgl. auch, allerdings noch auf dem Stand eines später überarbeiteten Entwurfs: Christian Huber, Schadensersatzrecht. 13 Vgl. Wagner, Neue Perspektiven und die kritischen Stellungnahmen bei: Medicus, JZ 2006, S. 805 – 812; Staudinger, NJW 2006, S. 2433. 14 Vgl. hierzu unten, Kap. B. II. 15 Bost, passim; Pflüger, passim; Stiegler, passim; Walter, passim. 16 Bydlinski, in: FS Widmer, S. 27 – 47; Diederichsen, VersR 2005, S. 433 – 442; Göthel, AcP 205, 2005, S. 36; Jaeger, ZGS 2004, S. 217; Ders., in: FS Lorenz, S. 377; Jansen, JZ 2005, S. 160; Wagner, AcP 206, 2006, S. 352; Ders., JZ 2004, S. 319. 11
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A. Einleitung und Problemstellung
angesprochenen Grundsatzfragen diskutiert wird. Auch wenn die Bestimmung einer Technik der Bemessung immaterieller Schäden nach den Plänen zur Vereinheitlichung des europäischen Zivilrechts weiterhin der nationalen Gesetzgebung vorbehalten bleiben soll,17 dürfte die europäische Rechtsangleichung gerade mit Blick auf den immateriellen Schadensersatz einige Diskussionen entfachen. Wie unterschiedlich etwa die Rechtslage in Deutschland und Frankreich ist, zeigt die ältere französische Rechtsprechung, die den prinzipiellen Ausschluß des Ersatzes immaterieller Schäden nach § 253 Abs. 1 heutiger Fassung schlechthin als Verstoß gegen den französischen ordre public bezeichnet hatte.18 Jedenfalls kann der Blick auf die ausländische Literatur dazu beitragen, nicht nur die hierzulande gefundenen Ansätze zu hinterfragen, sondern auch für kommende Reformvorhaben, insbesondere auf europäischer Ebene, besser gerüstet zu sein. Vor diesem Hintergrund soll im Folgenden der Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen einer sauberen Bemessung des Schmerzensgeldes als einem wesentlichen Kernpunkt der Debatte nachgegangen werden. Kann und soll es gelingen, das Schmerzensgeld mit gleicher Präzision auszuwerfen wie der Ersatz materieller Schäden? Während die Inkommensurabilitätsthese diese Möglichkeit verneint wird sie durch die Berechnungsversuche von Vertretern der Ökonomischen Analyse des Rechts zumindest implizit bejaht. Nicht zuletzt, weil der Begriff „sauber“ kein juristischer terminus technicus ist, muß allerdings zunächst definiert werden, was darunter verstanden werden soll. Zweifellos kann dies nicht den Anspruch an eine auf Heller und Pfennig exakte Berechnung im mathematisch-naturwissenschaftlichen Sinne bedeuten. Diesen Anspruch würde auch beim Ersatz materieller Schäden außerhalb einer strikt theoretisch verstandenen ökonomischen Analyse kaum jemand erheben.19 „Sauber“ im hier verstandenen Sinne soll daher eine Bemessung sein, bei der unterschiedliche Rechtsanwender, ausgehend von einem inhaltlich und argumentativ klar umrissenen Schadenstatbestand, durch Anwendung einheitlich vollzogener Bemessungsvorgänge zu Ergebnissen kommen, die sich bei gleicher Ausgangslage vielleicht nicht bis auf den Cent exakt gleichen, aber doch annähernd vergleichbare Schmerzensgeldsummen hervorbringen. Ob diese Voraussetzungen bei der gegenwärtigen Bemessungspraxis gegeben sind, ob sie überhaupt erreichbar sind und welche Alternativen zur Verfügung stehen, soll im Folgenden untersucht werden. Dafür wird ein dreischrittiges Verfahren ge17 Vgl. Art. VI. – 6:203 Abs. 2 Draft Common Frame of Reference (DCFR), zit. n. von Bar/ Clive/Schulte-Nölke, DCFR: „National law determines how compensation for personal injury and non-economic loss is to be quantified.” 18 Nachweise bei: Hohloch, S. 99 f. 19 Vgl. Hans Huber, S. 121, wonach „mathematische Präzision im Recht weder möglich noch überhaupt ein Ideal ist“. Ähnlich BGH JZ 1972, S. 165, 166, der bzgl. § 950 der Tatsache Rechnung trägt, „… daß der Wert (einer Sache und der Verarbeitung) nicht immer exakt mit mathematischer Präzision errechnet werden kann, eine Wertfestsetzung vielmehr häufig Elemente einer subjektiven Schätzung enthält.“
A. Einleitung und Problemstellung
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wählt und zuerst, in Form einer Analyse der gegenwärtigen Theorie und Praxis gefragt, ob derzeit Schmerzensgelder sauber bemessen werden. Dabei wird sich eine große Zahl erheblicher Inkonsistenzen bei der Ermittlung der bemessungsrelevanten Faktoren und bei der Übertragung dieser Faktoren auf den Bemessungsprozeß zeigen. Daher ist in einem zweiten Schritt zu klären, ob eine saubere Bemessung des Schmerzensgelds überhaupt möglich ist. Dabei wird sich erweisen, daß erhebliche praktische und juristische Probleme einer solchen Bemessung im Wege stehen. Deshalb ist in einem dritten Schritt zu fragen, ob das Ideal einer sauberen Bemessung überhaupt ein zu verfolgendes Ziel darstellt. In abschließenden Überlegungen de lege lata und de lege ferenda werden schließlich Möglichkeiten angesprochen, wie ein Schmerzensgeld jenseits des Anspruchs auf Exaktheit ermittelt und ohne Willkür bestimmt werden kann. Die Weite der Fragestellung erfordert gleichzeitig eine thematische Begrenzung. Gegenstand ist hier allein die Rationalität des Bemessungsvorgangs, also der Weg vom Schadenstatbestand zur Rechtsfolge des Schmerzensgeldes.20 Viele besondere Fragen, die bei der Ermittlung des Schadens eine Rolle spielen, etwa die Problematik des Schockschadens oder des Angehörigenschmerzensgelds, können hier allenfalls am Rande behandelt werden. Außerdem konzentrieren sich die folgenden Überlegungen auf den Bereich des „klassischen“ Schmerzensgeldes, also den Anwendungsbereich des § 253. Details zu Sonderfragen und Sondergesetzen, insbesondere die Problematik des Geldersatzes bei Persönlichkeitsverletzungen und ihr dogmatischer Zusammenhang zum Schmerzensgeld, kommen ebenso nur am Rande zur Sprache wie der in der neueren Literatur bereits ausführlich behandelte rechtshistorische Kontext.21
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Zur Unterscheidung von Haftungstatbestand, Schadenstatbestand und Schadensersatzrechtsfolge: Stoll, Haftungsfolgen, Nr. 312. 21 HKK/Jansen, §§ 249 – 253, Rn. 52 – 55; Göthel, AcP 205, 2005, S. 36 – 66; Vergau, passim und Walter, passim; hierzu die Besprechung von Göthel, AcP 205, 2005, S. 580 – 589; vgl. auch: Ebert, S. 13 – 245; Nehlsen-von Stryk, JZ 1987, S. 119 – 124; Kern, AcP 191, 1991, S. 256 – 260; Brüggemeier, Haftungsrecht, S. 573 – 575; Unterreitmeier, S. 5 – 157.
B. Wird der immaterielle Schaden sauber bemessen? Die Bemessung des Schmerzensgeldes wäre dann kein Problem, wenn bereits die gegenwärtige Praxis einen Weg gefunden hätte, Schmerzensgelder sauber zu bemessen. Im Kern geht es also um die Frage, ob die gegenwärtige Bemessungspraxis zunächst stabile Bemessungsregeln definiert und diese dann auch homogen praktiziert.1 Damit wird eine zweischrittige Prüfung impliziert, die sich zunächst der argumentativen Grundlage und dann der Homogenität der Ergebnisse zuwenden muß.
I. Dogmatische Grundlagen Wer die Binnenlogik der gegenwärtigen Bemessung erschließen möchte, muß zunächst das dogmatische Fundament des Schmerzensgeldanspruchs kurz umreißen.
1. § 253 im System des Schadensrechts Spätestens mit der Neufassung der Schmerzensgeldregelung im 2. SchadÄndG steht fest, daß es sich hierbei nicht um eine eigenständige Anspruchsgrundlage, sondern um eine schadensrechtliche Norm hat, der lediglich die Funktion zukommt, die Rechtsfolgen einer feststehenden Haftung für den Bereich immaterieller Schäden besonders zu regeln.2 Als haftungsausfüllende Norm begründet sie gegenüber dem Schadensersatz für Vermögensschäden eine Schlechterstellung des immateriellen Schadens. Trotz einer Erweiterung seines Anwendungsbereichs durch das 2. SchadÄndG steht das Schmerzensgeld unter dem Vorbehalt erheblicher Einschränkungen. a) Unveränderte Sonderrolle nach dem 2. SchadÄndG Die Materialien zum 2. SchadÄndG nährten die Hoffnung auf eine Stärkung des Schmerzensgeldanspruchs in der deutschen Zivilrechtsordnung. Nach Auskunft seiner Verfasser war es Ziel der am 1. 8. 2002 in Kraft getretenen Neuregelung, „einen 1 Zur Bedeutung der „Voraussehbarkeit“ von Schmerzensgeldentscheidungen: Donaldson, AcP 166, 1966, S. 462. 2 MüKo/Oetker, § 253, Rn. 15 f.; Looschelders, Rn. 969 unter Verweis auf die Gesetzessystematik. Mißverständlich: Palandt/Grüneberg, § 253, Rn. 4 („selbständiger Anspruch“); a.A. Schellhammer, Rn. 933.
I. Dogmatische Grundlagen
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allgemeinen Anspruch auf Schmerzensgeld einzuführen“.3 Bei genauerem Hinsehen zeigt sich jedoch, daß die Bezeichnung „allgemeiner Anspruch“ vielleicht politische, aber nur geringe juristische Substanz besitzt.4 Trotz der nunmehr erfolgten Erstreckung des Schmerzensgelds auf Schädigungen im Bereich des Vertragsrechts und sämtliche Bereiche der Gefährdungshaftung werden nämlich Nichtvermögensschäden nach deutschem Zivilrecht weiterhin nur in eingeschränktem Umfang ersetzt.5 Einer großzügigen Ausweitung auf gesetzlich bislang ungeregelte Fallkonstellationen steht insbesondere § 253 Abs. 1 entgegen, der nicht nur ein Analogieverbot beinhaltet, sondern vor allem den Nichtersatz immaterieller Einbußen als Regel und ihre Entschädigung als Ausnahme definiert („nur“).6 Sofern eine solche Ausnahme in § 253 Abs. 2 zugelassen wird, wird der Ersatz auf Fälle der Verletzung der in § 253 Abs. 2 genannten Rechtsgüter Körper, Gesundheit, Freiheit und sexuelle Selbstbestimmung beschränkt. Damit besteht, wie vor der Reform, kein Anspruch auf Ersatz immaterieller Einbußen bei Verletzungen des Lebens,7 der Ehre,8 bei Sach- oder Vermögensschäden,9 sowie bei schlichtem Vertragsbruch, der allein das Leistungs- und nicht das Integritätsinteresse betrifft.10 Kein 3
Vgl. die Materialien bei: Wagner, Schadensersatzrecht, S. 95 unter 1 c). Dennoch wird die vorgebliche Vollständigkeit des neuen Schmerzensgeldanspruchs teilweise unkritisch in die juristische Literatur übernommen: Pflüger, S. 5 f. Differenzierend: Unterreitmeier, S. 243 f. Krit. gegenüber dem unterschiedlichen Schutzniveau aus rechtsökonomischer Perspektive: Wagner, AcP 206, 2006, S. 460 – 463. 5 Zu öffentlich-rechtlichen Schmerzensgeldansprüchen ausführlich: Unterreitmeier, passim. 6 Mißverständlich insofern Christian Huber, Schadensersatzrecht, § 2, Rn. 2, wonach das Regel-Ausnahme-Verhältnis bei der Ersatzfähigkeit immaterieller Schäden „auf den Kopf gestellt“ worden sei. Wie hier: von Bar, Karlsruher Forum 2003, S. 9 f. Für die Rechtslage vor dem 2. SchadÄndG: Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn. 899. 7 Auch der Vorschlag eines „Angehörigenschmerzensgeldes“ beim Tod naher Angehöriger wurde im Gesetzgebungsverfahren des 2. SchadÄndG nicht aufgenommen: MüKo/Oetker, § 253, Rn. 28. Ausführlich zu diesem Problemkomplex: Pflüger; außerdem: Klinger NZV 2005, S. 290 ff. und neuerdings ausführlich unter Einbeziehung rechtsvergleichender Aspekte: Schramm, passim. Wie Pfeifer, AcP 205, 2005, S. 795 ff. zeigen konnte, betrifft die Zurückhaltung beim Ersatz von Schäden im Falle der Tötung nicht nur immaterielle Beeinträchtigungen, sondern auch das lucrum cessans. 8 Anders, wenn die Ehrverletzung den sexuellen Bereich betrifft, somatische Auswirkungen hat, oder einen schweren Eingriff in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht darstellt und damit einen Geldersatzanspruch gem. § 823 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs.1, 2 Abs.1 GG auslöst, wie etwa die Bemerkung über die Klägerin „an sie gehe ja kein Hund mehr ran“: LG Wiesbaden 6 O 331/88, Juris. Vgl. auch: von Bar, Karlsruher Forum 2003, S. 11; Jaeger/Luckey, Rn. 462 f. 9 Staudinger/Schiemann, § 253, Rn. 3. Vgl. allerdings die Ersatzfähigkeit beim Verlust von Körpersubstanzen, die vom Körper abgetrennt und dann vernichtet werden, so z. B. BGHZ 124,S. 52 (Sperma) und LG Koblenz 10 O 50/05, Juris (Schädeldecke). Krit.: Zeytin, S. 38 – 45. 10 BGH NJW 2009, S. 3025: Keine Haftung des Anwalts, wenn seine Falschberatung zu gesundheitlichen Folgeschäden führt; ebenso: Druckenbrodt, VersR 2010, S. 601; von Bar, Karlsruher Forum 2003, S. 19 f. mit Kritik an dieser Beschränkung der Neuregelung; a.A.: Pardey, Rn. 2815; krit. zum BGH-Urteil: Schiemann, JZ 2011, S. 526 f.; vgl. zum Gesamt4
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B. Wird der immaterielle Schaden sauber bemessen?
Schmerzensgeldanspruch besteht auch bei amtspflichtwidrigem Vorenthalten von Geld.11 Indem sich der Gesetzgeber außerdem gegen entsprechende Vorschläge des Bundesrats bewußt dagegen entschieden hat, die bereits durch gefestigte Rechtsprechung gesicherte Gewährung eines Geldersatzanspruchs bei schweren Verletzungen des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts in der Neuregelung des § 253 festzuschreiben, weil dieser Anspruch seine Grundlage nicht in §§ 253, 847 a. F. habe,12 wurde nunmehr auch die bereits von der bisherigen h.M. vertretene prinzipielle Unterscheidung zwischen Schmerzensgeld und Geldersatz gesetzlich zementiert. Der Weg, der allerdings auch zuvor nur noch in Teilen der Literatur gewählt wurde, immaterielle Schäden bei Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts schadensersatzrechtlich zu behandeln und ihren Ersatz auf eine Analogie zu § 253 zu stützen,13 ist nach der heute überwiegenden Ansicht nunmehr in Ermangelung einer planwidrigen Regelungslücke versperrt.14 Damit kann ein Anspruch wegen APRVerletzung fortan nur noch durch direkte Anwendung grundgesetzlicher Normen (§ 823 Abs.1 i. V. m. Artt. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG) zugesprochen werden.15 Weiter eingeschränkt wird der Schmerzensgeldanspruch außerdem durch sozialversicherungsrechtliche Ausschlußvorschriften.16 Die wenige höchstrichterliche Rechtsprechung, die seit der Reform ergangen ist, läßt erkennen, daß der BGH trotz der Betonung des Opferschutzes im Gesetzgebungsverfahren auch weiterhin eher zurückhaltend beim Ersatz von Nichtvermögensschäden urteilen wird. So lehnte er die in der Literatur teilweise in Analogie zu § 253 geforderte Zuerkennung eines Schmerzensgeldes in Fällen des Ausgleichsanspruchs nach § 906 Abs. 1 Satz 2 mit dem Argument ab, dieser Anspruch sei kein Schadensersatzanspruch.17 Auch psychosomatische Folgeschäden einer anwaltlikomplex: Staudinger/Schiemann, § 253, Rn. 6, und, unter Einbeziehung rechtsvergleichender und rechtsökonomischer Aspekte: Thüsing VersR 2001, S. 285 ff. Eine Ausnahme des Ersatzes immaterieller Schäden bei enttäuschter Leistungserwartung bildet § 651 f Abs. 2. 11 OLG München 1 W 2536/10, Juris, Rn. 8. 12 Vgl. die Begründung der Bundesregierung für die Nichtregelung: BT-Dr. 14/775, S. 24 f., den Vorschlag des Bundesrats: Ebd., S. 49 f., und die ablehnende Gegenäußerung der Bundesregierung, Ebd., S. 55. 13 So z. B. noch Soergel11/Mertens, § 253, Rn. 3. 14 Staudinger/Schiemann, § 253, Rn. 57; MüKo/Oetker, § 253, Rn. 27. 15 MüKo/Oetker, § 253, Rn. 27. 16 Vgl. §§ 104, 105 SGB VII, § 46 Abs. 1 BVersG, § 91 SoldVersG; Palandt/Grüneberg, § 253, Rn. 9; krit. de lege ferenda: Staudinger/Schiemann, § 253, Rn. 27. 17 BGH NJW 2010, S. 3160 f., zust. Nassall jurisPR-BGHZivilR 22/2010, Anm. 4; Stefan Müller ZGS 2010, S. 538; Ders., Überkompensatorische Schmerzensgeldbemessung, S. 19 – 22; ebenso bereits die Vorinstanz: LG Saarbrücken 13 S 19/09, Juris, Rn. 38; krit. Majer LMK 2010, 309746; a. A. Däubler, JuS 2002, S. 626 f.; Bamberger/Roth-Spindler, § 253, Rn. 10; AnwKom-BGB/Huber, § 253, Rn. 11; Jaeger/Luckey, Rn. 112. Ausführlich zum Ganzen: Benkendorff, passim. Zum verwandten Problem des öffentlich-rechtlichen Aufopferungsanspruchs: Unterreitmeier, bes. S. 137 – 142.
I. Dogmatische Grundlagen
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chen Fehlberatung bleiben weiterhin ersatzlos, weil der BGH sie als nicht vom Schutzbereich des Anwaltsvertrags umfaßt betrachtet.18 Mittelbare Folgen von Vertragsverletzungen im gesundheitlichen Bereich bleiben damit nach Auffassung des BGH trotz der Öffnung des § 253 selbst dann prinzipiell ohne Ersatz, wenn der Anwalt gegen seine Nebenpflicht zur Rücksichtnahme auf die Gesundheit seines Mandanten verstieß, dieser Schadensverlauf vorhersehbar war und nicht wegen reiner Überempfindlichkeit als Bagatelle ausgeklammert werden muß.19 Wenn diese Zurückhaltung des BGH bei der Erstreckung des Schmerzensgeldanspruchs in den vertraglichen Bereich hinein in der Literatur als „Desavouierung des Gesetzgebers des Zweiten Schadensersatzänderungsgesetzes“ kritisiert wird,20 zeigt dies bereits die Beharrungskräfte einer höchstrichterlichen Rechtsprechung, die sich in der Tendenz eher einer Begrenzung als einer Ausweitung von Schmerzensgeldansprüchen verschrieben hat. Von der Schaffung eines „einheitlichen“ Schmerzensgeldanspruchs, der alle denkbaren Fälle immaterieller Beeinträchtigung einschlösse oder gar eine mit dem Ersatz von Vermögensschäden vergleichbare Gesetzeslage herbeiführte, kann also keine Rede sein. Ob das Schmerzensgeld damit weiterhin als eine „schadensrechtlich diskriminierte Kategorie“21 zu bezeichnen ist und daher bereits nach zehn Jahren eine Reform des § 253 unternommen werden sollte,22 ist nicht nur eine juristische, sondern auch eine politische Frage. Sie hängt zum einen davon ab, welche Erwartungen die Gesellschaft an den Umfang dieses Anspruchs knüpft und wie viel Geld sie letztlich bereit ist, etwa in Form erhöhter Versicherungsbeiträge, für eine großzügigere Ersatzpraxis auszugeben. Hinzu tritt die emotionale Komponente eines Rechtsbereichs, der offenbar besonders geeignet erscheint, gesellschaftliche Kontroversen über Fragen der Gerechtigkeit auszuhandeln. Gelegentliche (Fehl-)Urteile einzelner Amtsgerichte, in denen teilweise auch Schockschäden wegen des Verlusts eines Haustiers für ersatzfähig gehalten wurden,23 und die öffentliche Diskussion über 18
BGH NJW 2009, S. 3025. Hierzu Diehl, zfs 2010, S. 22. Daher zu Recht krit. auch: Pardey, Rn. 2815. 20 Schiemann, JZ 2011, S. 526 f. 21 Brüggemeier, Prinzipien, S. 189; Ders., Haftungsrecht, S. 572; ebenso für die aktuelle Rechtslage im Bereich der Gefährdungshaftung: Wagner, JZ 2004, S. 320 und generell Ders., Neue Perspektiven, S. A 65 f. 22 Wagner, Neue Perspektiven, S. A 65 – 67 plädiert nur für eine Anpassung des bestehenden Systems und nicht für eine völlige Freigabe des Ersatzes von Nichtvermögensschäden. 23 So AG Viersen bei Hacks/Ring/Böhm, Nr. 6: 70 E Schmerzensgeld, weil die Klägerin die Tötung ihrer Katze durch den Nachbarshund mit ansehen mußte. Die Entscheidung ist nicht nur aufgrund des Grundsatzes, daß Schockschäden nur bei der Tötung naher Angehöriger gewährt werden, sondern bereits deshalb abwegig, weil § 253 Abs. 2 kein Schmerzengeld beim Schock anläßlich einer Sachbeschädigung (bzw. Tötung von Tieren) gewährt. Richtig dagegen: LG Bad Kreuznach 1 S 33/07, Juris, Rn. 11; AG Essen-Borbeck ZfSch 1986, S. 197; AG Recklinghausen ZfSch 1989, S. 191; KreisG Cottbus NJW-RR 1994, S. 804 („allgemeines Lebensrisiko“). Zu den Voraussetzungen des Näheverhältnisses bei Schockschäden: Adelmann, VersR 2009, S. 449 – 455. 19
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B. Wird der immaterielle Schaden sauber bemessen?
dieses Thema24 zeigen, wie die in den entsprechenden Klageschriften zum Ausdruck kommende gesellschaftliche Druckwirkung in Richtung auf großzügigere Schmerzensgelder gelegentlich auch die Richter unterer Instanzen mitzureißen vermag.25 Nach wie vor sind in der Öffentlichkeit Rufe nach insgesamt höheren und „gerechteren“ Schmerzensgeldern unüberhörbar.26 Teilweise zeigt auch der Gesetzgeber in letzter Zeit Ansätze zu einer Ausweitung von Schmerzensgeldern an den Rändern, so etwa hinsichtlich der Ersatzpflicht bei Verstößen gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (§§ 15 Abs. 2 Satz 1, 21 Abs. 2 Satz 2 AGG),27 einem geplanten Geldersatzanspruch beim Abschöpfen personenbezogener Daten,28 oder bei der angestrebten Verlängerung der Verjährungsfristen in Fällen sexuellen Mißbrauchs.29 Auch der neue § 284 wird als Ausnahme zu § 253 interpretiert.30 Die Lockerung des Verbots der Vereinbarung von anwaltlichen Erfolgshonoraren erfolgte nicht zuletzt auch unter dem Gesichtspunkt der Rechtsdurchsetzung in Schmerzensgeldfällen.31 Zum anderen folgt die Bemessungspraxis aber auch der internen Logik des Rechts. Möglicherweise kann von einer „Diskriminierung“ jedenfalls aus rechtlicher Perspektive schon deshalb nicht die Rede sein, weil die Sonderbehandlung immaterieller Schäden eine folgerichtige Konsequenz aus deren Stellung im System des Schadensrechts und somit, zumindest juristisch, konsequent und unvermeidlich ist.
24 Vgl. Melliwa, in: „Der Westen“, 1. 12. 2010 und die entsprechenden Forenbeiträge: [http://www.derwesten.de/staedte/dortmund/Frauchen-kriegt-kein-Schmerzensgeld-fuer-Mit leid-id4008505.html], zuletzt besucht am 02. 05. 2011. 25 Immer wieder müssen abstruse Schmerzensgeldklagen abgewiesen werden: AG Köln 123 C 254/10, Juris (keine Haftung bei Verletzung durch geworfene Schokoriegel bei einem Karnevalszug); OLG Bamberg 5 U 159/10, BeckRS 2011, 04057 (Hinweisbeschluß: Angebliches Trauma eines Siebenjährigen durch die Veranstaltung eines Singspiels unter Mitwirkung des eigenen Vaters). 26 Vgl. Rippegather, in: „Frankfurter Rundschau“, 2. 6. 2010, zit. n. [http://www.fr-online. de/rhein-main/viel-leid-wenig-geld/-/1472796/4469334/-/index.html], zuletzt besucht am 02. 05. 2011. 27 BGBl I 2006, S. 1897. Vgl. BAG NZA 2010, S. 1412; LAG Berlin-Brandenburg, BeckRS 2011, 65322; LAG Köln BeckRS 2010, 74747; LAG Hessen BeckRS 2010, 75816; vgl. MüKo/Thüsing, § 15 AGG, Rn. 4 – 20; MüKo/Thüsing, § 21 AGG, Rn. 60 f.; als erste Bilanz zur zurückhaltenden Bemessungspraxis: Hey, BB 2011, Beil. I. 28 Vgl. Pressemeldung des Bundesministeriums des Innern vom 1. 12. 2010: Gesetzentwurf des BMI zum Schutz vor besonders gefährlichen Eingriffen in das Persönlichkeitsrecht. Ein neuer § 38b BDSG soll den Ersatz immaterieller Schäden bei besonders schweren Datenschutzverstößen regeln, vgl. die Ankündigung unter [http://www.bmi.bund.de/SharedDocs/ Downloads/DE/Themen/OED_Verwaltung/Informationsgesellschaft/rote_linie.pdf?__blob=pu blicationFile], zuletzt besucht am 11. 1. 2011]. 29 Vgl. o.V., in: „Spiegel-Online“ vom 30. 9. 2010: [http://www.spiegel.de/panorama/ge sellschaft/0,1518,720571,00.html], zuletzt besucht am 02. 05. 2011. Die Opposition hat kürzlich einen entsprechenden Gesetzentwurf eingebracht: BT-Dr. 17/3646 vom 9. 11. 2010. 30 MüKo/Ernst, § 284, Rn. 7; Canaris, JZ 2001, S. 516. 31 Gesetz zur Neuregelung des Verbots der Vereinbarung von Erfolgshonoraren vom 12. 6. 2008, BGBl. I, S. 1000. Zu den Motiven vgl. RegE BTDr. 16/8384, S. 11.
I. Dogmatische Grundlagen
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b) Schmerzensgeld als Naturalrestitution Anders als in anderen Rechtsordnungen, die das Kompensationsprinzip gewählt haben,32 schuldet der Schädiger in Deutschland, unabhängig vom Haftungsgrund, gem. § 249 Abs. 1 prinzipiell Naturalrestitution. Der Geschädigte ist demnach so zu stellen, wie er ohne das schädigende Ereignis stünde. Nach ganz überwiegender Ansicht wird im Bereich der Naturalrestitution nicht zwischen materiellen und immateriellen Schäden unterschieden. Die Wiederherstellungspflicht richtet sich vielmehr allein darauf, den Geschädigten vollumfänglich, also auch in Hinblick auf seine immaterielle Integrität, in denjenigen Zustand zu versetzen, der ohne das schädigende Ereignis bestünde.33 Der Herstellungsanspruch umfaßt daher nicht nur den Ersatz materieller Einbußen, wie etwa von Behandlungskosten, die nach § 249 Abs. 2 Satz 2 zu ersetzen sind, wenn die geschuldete Heilungsaufwand durch ein Krankenhaus übernommen wurde,34 sondern schließt nach heute wohl allgemeiner Ansicht auch die Restitution immaterieller Schäden ein.35 Die Literatur hält allerdings fest, daß hier die Wiederherstellung der unbeeinträchtigten Güterlage aufgrund der Natur dieser Beeinträchtigungen nur sehr eingeschränkt möglich sei. Entsprechend ist die Bedeutung der Restitution in diesem Bereich sehr gering.36 Eine gewisse, wenn auch inzwischen weniger gewichtige,37 Rolle spielt das Herstellungsprinzip im Bereich immaterieller Schäden in Fällen der Ehrverletzung, wo auf Widerruf von Tatsachenbehauptungen geklagt werden kann.38 Diskreditierende Schriften, Datenträger o. ä. müssen herausgegeben oder vernichtet,39 unsachliche oder schmähende Bewertungen des Vertragspartners bei Onlineversteigerungen gelöscht werden.40 32
Rechtsvergleichender Überblick bei Stoll, Haftungsfolgen, Nr. 132. Larenz, Schuldrecht I, § 28 I, S. 469; Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn. 787; Stoll, Haftungsfolgen, Nr. 236. 34 Palandt/Grüneberg, § 249, Rn. 8. 35 MüKo/Oetker, § 249, Rn. 309 f.; Lange/Schiemann, Schadensersatz, § 5 II 2, S. 218 – 220, Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn. 895, Rechtsvergleichend: Stoll, Haftungsfolgen, Nr. 133; anders noch: Ders., Begriff, S. 8 mit Verweis auf den angeblich umfassenden Zweck des § 253 a.F., den Ersatz immaterieller Schäden zu begrenzen; krit.: Wagner, Neue Perspektiven, S. A 29 f. 36 Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn. 895. Zu den Möglichkeiten einer umfangreicheren Erstattung immaterieller Schäden über das Prinzip der Naturalrestitution vgl. unten, Kap. D. III. 1. 37 Wichtiger als der Anspruch auf Naturalrestitution sind allerdings neuerdings die leichter durchzusetzenden quasinegatorischen Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche analog §§ 823 Abs. 1, 12, 862, 1004. 38 MüKo/Oetker, § 249, Rn. 338; Stoll, Haftungsfolgen, Nr. 133; Palandt/Grüneberg, § 249, Rn. 3; Lange/Schiemann, § 5 II 2, S. 218 f. m. w. N. 39 Berühmt ist RGZ 45, S. 170 mit der Verpflichtung, die Negative rechtswidrig angefertigter Photographien vom Leichnam Otto von Bismarcks zum Zwecke der Vernichtung herauszugeben. Weitere Beispiele bei: Lange/Schiemann, § 5 II 2, S. 218; Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn. 895. 33
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B. Wird der immaterielle Schaden sauber bemessen?
Im Übrigen vertritt die ganz h.M. die Auffassung, daß in den klassischen Fällen des Schmerzensgeldes aufgrund der Natur des Schadens eine Restitution immaterieller Beeinträchtigungen unmöglich sei. Keine restitutive Handlung des Schädigers könne dem Beklagten diese Einbußen wieder abnehmen. Sein körperliches Leiden, sein Ärger und Verdruß blieben in der Welt, eine Wiederherstellung des unbeschwerten Zustandes in Natur sei nicht möglich.41 Ob diese Argumentation tragfähig ist, soll unten näher beleuchtet werden.42 In der gegenwärtigen Schmerzensgeldpraxis spielt jedenfalls die Naturalrestitution immaterieller Schäden nur eine sehr untergeordnete Rolle. c) Schmerzensgeld als Kompensation Bei Verletzungen immaterieller Güter bleibt daher in der Regel nur die in § 251 Abs. 1 Var. 1 im Grundsatz beschriebene Möglichkeit einer Kompensation in Geld, also einer an die Stelle des verlorenen Interesses tretenden „andersartige[n] Vermögensmehrung“.43 Dem Kompensationsprinzip liegt dabei der Gedanke zugrunde, daß in Fällen, in denen eine Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands versagt, ein Äquivalent für die erlittenen Einbußen zu finden ist, und zwar „in Geld“ als dem in der Marktwirtschaft geltenden „universellen Wertmesser und Tauschmittel“.44 Für den Ersatz immaterieller Schäden wird der Kompensationsgedanke in § 253 modifiziert.45 Dabei findet sich in § 253 Abs. 1 der bereits erwähnte Grundsatz der Nichtersatzfähigkeit dieser Schäden und in § 253 Abs. 2 dessen wichtigste Durchbrechung für Verletzungen der dort genannten Rechtsgüter. Dieses Regel-Ausnahme-Verhältnis hat dazu geführt, daß in Deutschland, anders als in manchen anderen Rechtsordnungen,46 die Ersatzfähigkeit von Schadensposten im Bereich der Kompensation ganz wesentlich davon abhängt, ob diese als Vermögens- oder Nichtvermögensschäden qualifiziert werden. Die in der Literatur äußerst kontrovers diskutierte Frage nach dem Schadensbegriff muß an dieser Stelle nicht eingehend erörtert werden.47 Wichtig ist im hier interessierenden Zusammenhang aber hervorzuheben, daß der Gesetzgeber zu dieser Frage schweigt. Ganz offen40
AG Koblenz NJW-RR 2006, S. 1643, 1644 f. (grundlose Bezeichnung eines Käufers als „Spaßbieter“); Palandt/Ellenberger, § 156 Rn. 3 m. w. N. 41 Larenz, § 28 III, S. 474; Medicus, JZ 2006, S. 805. 42 Vgl. unten, Kap. D. III. 1. 43 Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn. 778. 44 Stoll, Haftungsfolgen, Nr. 145. 45 Als eigenständige „dritte Spur“ neben Restitution und Kompensation definiert das Schmerzensgeld: Brüggemeier, Haftungsrecht, S. 577. 46 Nach Magnus, Schaden, S. 53 hat die Unterscheidung im deutschen Recht, anders als in Frankreich, „guillotinierende Wirkung“; vgl. auch die Nachweise bei Stoll, Haftungsfolgen, Nr. 238. 47 Vgl. dazu die Übersicht bei Magnus, Schaden, S. 9 – 21; außerdem: Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn- 781 – 786, 893 f.; MüKo/Oetker, § 249, Rn. 16 – 22.
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sichtlich scheint er damit zweierlei vorauszusetzen, nämlich (1), daß es einen Unterschied zwischen Vermögens- und Nichtvermögensschäden tatsächlich gibt und (2), daß es der Rechtsprechung immerhin möglich sein muß, diesen Unterschied zu ermitteln. d) Die doppelte Problematik der gesetzlichen Anordnung Die Diskussion der letzten Jahrzehnte hat jedoch große Schwierigkeiten im Umgang mit den gesetzlichen Vorgaben gezeigt. Bereits an dieser Stelle soll festgehalten werden, daß es zwei in der Regelungstechnik des BGB angelegte, fundamentale Problemfelder sind, die zur Verwirrung über die Schmerzensgeldbemessung beitragen: (1) Das erste Problem (im Folgenden vereinfachend Inkommensurabilitätsparadoxon genannt), bezieht sich auf all diejenigen Rechtstheorien, die den immateriellen Schaden unter Hinweis auf seine Inkommensurabilität abzugrenzen suchen. Dies betrifft besonders die heute herrschende Kommerzialisierungsthese, die für die Frage, ob eine in Geld meßbare Einbuße vorliegt, auf die Existenz eines entsprechenden Marktes abstellt48. Immaterielle Schäden sind dann genau diejenigen Einbußen, für die kein Markt existiert und für die sich aufgrund ihrer Unmeßbarkeit kein Gegenwert in Geld finden läßt. Auf den ersten Blick leuchtet das Argument ein: Gütern wie Freiheit oder Gesundheit steht kein in Geld ausdrückbarer Gegenwert gegenüber. Bei genauer Betrachtung besteht die Inkommensurabilität sogar in doppelter Hinsicht, denn zum einen lassen sich Schmerzzustände oder Freiheitsbeeinträchtigungen bereits untereinander kaum hierarchisieren und zum anderen fehlt es ihnen an einem Geldäquivalent: (a) Bereits ohne die Orientierung am Geldwert fehlt es weitgehend an der Möglichkeit einer Hierarchisierung von Beeinträchtigungen höchstpersönlicher Rechtsgüter.49 Das Erleiden von Schmerzen etwa ist als urpersönlicher, intimer psychophysiologischer Vorgang unmittelbar an den Menschen selbst gebunden. Bereits die Beschreibung von Schmerzen durch das Opfer, ihre Kommunizierbarkeit gegenüber der Außenwelt, ist äußerst eingeschränkt und gelingt nicht immer50. Folgt man der Definition des Rechtsphilosophen Joseph Raz, dann sind A und B inkommensurabel, wenn weder wahr ist, daß einer der Werte besser ist als der andere, noch daß A und B gleichwertig sind.51 Diese Voraussetzungen treffen bereits bei der Hierarchisierung 48
Vgl. MüKo/Oetker, § 249, Rn. 40 – 45 m. w. N. Empirische Untersuchungen zeigen, daß es in der Praxis Menschen leichter fällt, immaterielle Güter abstrakt zu hierarchisieren, als ihnen einen Geldwert zuzuordnen. Hierzu unten, Kap. D. V. 2. 50 Zu den medizinischen Aspekten übersichtlich: Gutiérrez-Lobos, in: Danzl/Dies./Müller, S. 1 ff. 51 Raz, Morality, S. 322: „A and B are incommensurate if it is neither true that one is better than the other nor true that they are of equal value“. 49
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von Schmerzzuständen zu: Wie soll der Kopfschmerz des Opfers A mit einer Brustkorbprellung des Opfers B in ein mehr als nur intuitives hierarchisches Verhältnis gesetzt werden? (b) Doch selbst wenn sich derartige Beeinträchtigungen interpersonal kommunizieren und sich, etwa mit den Mitteln der Algesimetrie,52 hierarchisieren ließen, so bliebe immer noch, als zweites Bemessungsproblem, die Frage offen, welcher konkrete Geldwert den einzelnen „Schmerzposten“ zuzuordnen wäre. Die Ermittlung eines derartigen Maßstabs unter dem Äquivalenzgedanken scheint ohne die Heranziehung subjektiver, letztlich willkürlicher Bewertungsmaßstäbe von vornherein unmöglich; Schmerzen scheinen nicht materiell greifbar, offenbar noch nicht einmal „materialisierbar“ zu sein, sie erscheinen als „inkommensurabel“. Folgt man den Anhängern der Inkommensurabilitätstheorie bis hierhin, so wäre es eigentlich konsequent, auf einen Schmerzensgeldanspruch zu verzichten. Voßkuhle hat für das Verfassungsrecht entsprechend argumentiert und der ontologischen Unmeßbarkeit normativ ein Verbot des Ersatzes entnommen: Weil Preis und Würde inkommensurabel seien, dürfe auch kein Gegenwert für verlorene Freiheit in Geld bestimmt werden.53 Auch für das Zivilrecht erscheint es zumindest als paradox, wenn zunächst der immaterielle Schaden als der nicht kommensurable bestimmt wird und der Richter dann im Bereich des Schmerzensgelds dennoch aufgerufen wird, einen Gegenwert für die immateriellen Einbußen des Klägers zu finden.54 Denn entweder verlangt der Gesetzgeber vom Richter etwas Unmögliches, oder der Richter widerlegt durch seine Bemessung den immateriellen Charakter der Beeinträchtigung und weist ihr letztlich doch einen materiellen Gegenwert zu. (2) Das zweite Grundproblem (im Folgenden: Bemessungsproblem) betrifft nicht den Inhalt des immateriellen Schadens, sondern den Weg zu seiner Bemessung. § 253 Abs. 2 nennt hierfür keine klaren Kriterien, sondern gibt lediglich zwei eher gegenläufige Prinzipien vor:55 Durch die, infolge der Verlagerung aus dem Deliktsrecht endgültig vollzogene, Einordnung des § 253 in das Schadensrecht wird das Schmerzensgeld ganz offensichtlich auch dessen zentralen Prinzipien unterworfen: Ent-Schädigung bedeutet im Kern Äquivalenz von Schaden und Ersatz. In einem Spannungsverhältnis hierzu steht jedoch die Anordnung, eine „billige“ Entschädi52 Vgl. zur Anwendung algesimetrischer Methoden auf die HWS-Symptomatik vgl. Nebe/ Keidel/Lüdecke u. a., Nervenarzt 69, 1998, S. 924 – 928. Vgl. auch die Übersicht über Möglichkeiten und Grenzen algesimetrischer Methoden bei Lehmann, mit dem Ergebnis, S. 65, daß die „Probleme einer gleichermaßen akzeptablen wie präzisen Schmerzmessung heute bei weitem noch nicht gelöst“ seien. 53 Konsequent gegen eine schadensersatzrechtliche Natur des Schmerzensgelds daher: Voßkuhle, S. 282 f. Dagegen: Unterreitmeier, S. 237 – 240. 54 So besonders deutlich auch: Bydlinski, in: FS Widmer, S. 28 f. 55 Dieses Spannungsverhältnis wird gelegentlich auch in der Rechtsprechung offen ausgesprochen: LG Hannover NJW-RR 1989, S. 633, 635.
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gung zu bestimmen, also durch eine Gesamtschau mit Hilfe eines unmittelbaren Zugriffs auf Gerechtigkeitskriterien eine Entscheidung unter Einbeziehung aller Aspekte des Einzelfalls zu treffen. Wie soll sich aber eine Entscheidung an allen Aspekten des Falls und gleichzeitig am vorrangigen Ziel des Ausgleichs orientieren? Ist es möglich, sowohl relational vergleichenden Gerechtigkeitsvorstellungen zu entsprechen als auch strikt einzelfallbezogen zu urteilen?
2. Kriterien der Bemessung Wie ist diese doppelte Problematik aufzulösen? Die Antwort wäre jedenfalls dann rein akademisch und praktisch irrelevant, wenn es Rechtsprechung und Literatur immerhin gelänge, zumindest annähernd vergleichbare Kriterien für den Bemessungsvorgang zu entwickeln. Ganz überwiegend wird die Schmerzensgeldbemessung in Deutschland über die kumulative Berücksichtigung zweier Aspekte gesteuert, nämlich zum einen der, jeweils verschieden gewichteten, Funktionen des Schmerzensgeldanspruchs und zum anderen der Berücksichtigung von Vergleichsrechtsprechung. Während die Orientierung an der Ausgleichs- und Genugtuungsfunktion bereits in der Leitentscheidung des Großen Senats des BGH zur Schmerzensgeldbemessung im Jahr 1955 vorgegeben wurde,56 gewann die Berücksichtigung von Vergleichsentscheidungen und insbesondere der Schmerzensgeldtabellen erst seit einem Urteil des Sechsten BGHSenats von 1976 besondere Bedeutung.57 a) Die Funktionen als Bemessungskriterium Da sich aus dem Gesetz selbst kein Hinweis darauf ergibt, nach welchen Kriterien bei immateriellen Schäden ein Ersatz in Geld bemessen werden soll, versucht man seit jeher, aus den verschiedenen Funktionen des Schmerzensgelds auf die entsprechenden Bemessungsfaktoren zu schließen. Eine befriedigende Lösung konnte dabei aber bis heute nicht gefunden werden.58 aa) Grundlage: Die Leitentscheidung des Großen Senats – GS-BGHZ 18, S. 149 Der wichtigste Bezugspunkt der heutigen Schmerzensgeldjudikatur ist nach wie vor die Leitentscheidung des Großen Senats des BGH vom 6. Juli 1955 (GSBGHZ 18, S. 149).59 Das Gericht hatte hier nicht nur Position zu den Funktionen des 56 57 58 59
GS-BGHZ 18, S. 149 ff. BGH DB 1976, S. 1520. Wagner, AcP 206, 2006, S. 380. GS-BGHZ 18, S. 149; zust. auch: BVerfGE 116, S. 229, 240.
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Schmerzensgeldanspruchs bezogen, sondern auch die für die Bemessung entscheidenden Grundlagen herausgearbeitet. In Abkehr von einer Tendenz des Dritten Senats, den Schmerzensgeldanspruch als reinen Schadensersatzanspruch mit Ausgleichsfunktion zu interpretieren,60 entschied sich der Große Senat für eine Doppelfunktionslehre: Demnach ergab sich aus dem Gesichtspunkt der Billigkeit, daß der Schädiger dem Geschädigten nicht nur den entstandenen immateriellen Schaden auszugleichen habe, sondern ihm außerdem auch, in Ansehung dessen „was er ihm angetan hat“, Genugtuung schulde.61 Zwar stehe der Ausgleichsgedanke im Vordergrund, doch da es beim Schmerzensgeld um eine „billige Entschädigung“ gehe, könne der Ausgleichszweck nicht allein maßgeblich sein. Vielmehr schwinge beim Ausgleich immaterieller Schäden immer etwas vom „Charakter der Buße“ oder der „Genugtuungsfunktion“ mit.62 Anders als im Schadensrecht üblich, sei daher bei der Schmerzensgeldbemessung nicht nur die Situation auf Geschädigtenseite relevant, sondern es müßten ebenso Aspekte auf Seiten des Verursachers, insbesondere sein Verschulden, einbezogen werden. Obgleich diese Entscheidung des Großen Senats von allen Gerichten nach wie vor nahezu gesetzesgleich als Grundlage der Schmerzensgeldbemessung herangezogen wird, lassen sich in Literatur und Rechtsprechung, gerade in der Diskussion seit dem 2. SchadÄndG, deutliche Unterschiede bei der Auswahl und Gewichtung der relevanten Faktoren erkennen. Die entsprechenden Positionen und die dagegen erhobenen Einwände sollen an dieser Stelle nur berichtet und noch nicht kommentiert werden,63 um zunächst nur die Homogenität der juristischen Dogmatik als Voraussetzung einer „exakten Bemessung“ zu hinterfragen. bb) Ausgleichsfunktion Daß das Schmerzensgeld in erster Linie die Funktion besitzt, den beim Verletzten entstandenen immateriellen Schaden auszugleichen, schien bis vor kurzem eine von wenigen Prämissen zu sein, über die sich Rechtsprechung und Literatur jedenfalls im Grundsatz einig waren.64 Auch der Gesetzgeber ging beim 2. SchadÄndG von der vorherrschenden Ausgleichsfunktion aus.65 Allerdings gehen die Ansichten darüber, was unter Ausgleich zu verstehen ist, besonders in der Literatur, weit auseinander.
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Ausführlich BGHZ 7, S. 223 mit Hinweisen zum zeitgenössischen Streitstand. GS-BGHZ 18, S. 149, 154. 62 GS-BGHZ 18, S. 149, 155. Der Begriff, nicht aber die dortige Bedeutung von „Genugtuung“ wurde vom BGH explizit aus dem Schweizer Recht übernommen. 63 Eine Bewertung erfolgt unten, Kap. C. 64 GS-BGHZ 18, S. 149, 154; Palandt/Grüneberg, § 253, Rn. 4, MüKo/Oetker, § 253, Rn. 10; Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn. 905 f.; Lange/Schiemann, § 7 V 2, S. 435 – 440; Lorenz, S. 95; Kern, AcP 191, 1991, S. 247, 254; a. A. Harke, Rn. 329: Rein pönale Funktion; zum Meinungsstand unter Einbeziehung aktueller Literatur: Ady, S. 103 – 108. 65 RegE BT-Dr. 14/7752, S. 14 f. 61
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Nach einer verbreiteten Formel wird der Ersatz des immateriellen Schadens so gedacht, daß der Geschädigte für seine Einbuße an Lebensfreude durch eine Geldsumme entschädigt wird, für die er sich Annehmlichkeiten in einem Umfang erwerben kann, der in etwa der zerstörten Lebensfreude entspricht.66 Während einige die alleinige Anknüpfung am Schadensausgleich rühmen, da dadurch die Schadensabwicklung „ideologiefrei“ gelenkt würde,67 wird gerade diese Wertfreiheit von anderen als Schwäche des Ausgleichsprinzips identifiziert.68 Ohne die Orientierung an einem über den bloßen Transfer hinausgehenden rechtsethischen Bezugsrahmen könne der Ausgleichsgedanke nicht überzeugend begründen, warum nicht nur der Geschädigte, sondern nun auch noch der Schädiger einen Nachteil hinnehmen müsse.69 Die Vertreter der ökonomischen Analyse des Rechts fügen hinzu, daß ein rein distributiv begründeter Ausgleich schon deshalb abzulehnen sei, weil er gesamtgesellschaftlich zu Wohlfahrtsverlusten führe.70 Rechtsökonomen geben dem Ausgleichsprinzip daher einen anderen Sinn: Der Schädiger soll zur Sicherstellung eines gesamtgesellschaftlich optimalen Sorgfaltsniveaus gezwungen werden, sämtliche beim Opfer entstandenen Nachteile zu tragen.71 Dagegen ist die Anerkennung der Ausgleichsfunktion in der Rechtsprechung ungebrochen.72 Die Gerichte ordnen die wichtigsten immateriellen Beeinträchtigungen über die Ausgleichsfunktion dem Nichtvermögensschaden zu. Dabei berücksichtigen sie vor allem die Größe, Heftigkeit und Dauer von Schmerzen, Leiden und Entstellungen.73 Im Einzelnen sind zugrunde zu legen: Zahl und Schwere von Operationen, Länge der Behandlung, Dauer der Verletzungsfolgen oder der Grad von Entstellungen.74 Auch psychische Auswirkungen werden berücksichtigt, allerdings
66 So die h.M.: GS-BGHZ 18, S. 149, 154 f.; Palandt/Grüneberg, § 253, Rn. 4; Medicus, Schuldrecht AT, Rn. 656; MüKo/Oetker, § 253, Rn. 10; Kötz/Wagner, Deliktsrecht, Rn. 702; Zur begrenzten argumentativen Stärke dieser Formel: Nehlsen- von Stryk, JZ 1987, S. 119, 125; krit. auch Ady, S. 104; Lange/Schiemann, § 7 V 2, 435 f.; Möller, S. 203 f. 67 Lange/Schiemann, Einl. III 2 a), S. 10. 68 Weychardt, S. 147; Möller, S. 92 – 94. 69 Blaschczok, S. 157: „Der Ausgleich bzw. der Schadensersatz ist nichts anderes als die Rechtsfolge der Norm … Wäre der Ausgleich als solcher die ratio der Deliktshaftung, dann müßte § 823 lauten: ,Jeder Schaden wird ersetzt‘.“ Vgl. auch die Argumente gegen ein „Kompensationsschmerzensgeld“ bei Schäfer/Ott, Lehrbuch, S. 371 f.; Wagner, AcP 206, 2006, S. 453 f. Ähnlich: Großfeld, S. 76 f. 70 Bost, S. 93 f. 71 Wagner, AcP 206, 2006, S. 458, 469. 72 Ablehnend gelegentlich die ältere Rechtsprechung, z. B. OLG Karlsruhe DRiZ 1933, Sp. 455 f., Nr. 513: Die Ausgleichsfunktion stehe nicht im Gesetz. 73 Hierzu i. E. Küppersbusch, Rn. 275. 74 Früher wurde hier auch nach Geschlecht differenziert und man hat insbesondere bei Frauen die psychischen Folgen von Entstellungen berücksichtigt: OLG Frankfurt a.M. DAR 1994, S. 119; OLG Celle NJWE-VHR 1997, S. 138, 139; dagegen neuerdings LG Berlin NJW 2006, S. 702: Diese Unterscheidung sei „nicht mehr für zeitgemäß, da das äußere Er-
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grundsätzlich nur, sofern sie sich auch in Form eines meßbaren Krankheitsbildes niederschlagen.75 Verminderte Heiratschancen,76 Einschränkungen bei der Berufswahl,77 Suizidgedanken,78 Zerbrechen der Familie,79 Wesensänderungen, sogar ein unfallbedingter Hang zur Kriminalität80 sind dann ebenso zu berücksichtigen, wie die Angst vor Ansteckung beim Biß durch einen tollwutverdächtigen Hund.81 Das Sammelsurium zeigt, daß in Deutschland, anders als teilweise im Ausland82, kaum nach dem Inhalt des konkret ausgleichspflichtigen immateriellen Schadens differenziert, sondern meist kasuistisch argumentiert wird. Subjektive Kriterien, die am Leid des Verletzten anknüpfen, fließen ebenso ein wie solche, die sich an den objektiven Verletzungsfolgen orientieren. Der Begriff „Schmerzensgeld“ greift jedenfalls erkennbar zu kurz, denn es werden nicht nur körperliche und seelische Schmerzen abgegolten, wobei auch zwischen letzteren nicht einmal deutlich unterschieden wird,83 sondern auch Einbußen, die man besser als entgangene Lebensfreude,84 als „Lebensbeeinträchtigung“,85 oder ganz allgemein als Beschränkung der allgemeinen Handlungsfreiheit einordnen sollte. Problematisch wird die Ausgleichsformel vor allem dann, wenn das Opfer völlig empfindungsunfähig ist. Nimmt man die Formel des BGH ernst und denkt die Ausgleichsfunktion als Spende einer Wohltat, so setzt dieser subjektive Ansatz voraus, daß der Empfänger zum Empfang einer derartigen Wohltat auch in der Lage ist. So scheint die Rechtsprechung die Formel im Ausgangspunkt tatsächlich zu verstehen. Daher bemühen sich die Gerichte häufig, etwa bei schwerst hirngeschädigten Opfern zu begründen, daß auch diesen Personen, wenigstens in eingeschränktem Maße, durch das Schmerzensgeld Annehmlichkeiten verschafft werden könnten, die ihnen sonst nicht zur Verfügung stünden.86 Versagt aber diese Bescheinungsbild eines Menschen in einer von den Medien geprägten Gesellschaft mit entsprechenden Schönheitsvorstellungen für beide Geschlechter die gleiche Rolle spielt“. 75 Küppersbusch, Rn. 275. 76 BGH VersR 1959, S. 458; OLG Koblenz NJW-RR 1992, S. 417; KG VerkMitt 1990, Nr. 26; LG Wiesbaden NJW-RR 1991, S. 148. 77 OLG Karlsruhe, VersR 2008, S. 545; OLG Brandenburg VRR 2007, S. 345; OLG Köln VersR 1992, S. 714. Näher: Magnus, Schaden, S. 238 – 247, bes. 247. 78 OLG Düsseldorf VersR 1993, S. 113; LG Köln MedR 2008, S. 153; LG Bielefeld NJWRR 2006, S. 746. 79 Küppersbusch, Rn. 277 m. w. N. 80 BGH NJW 1979, S. 1654. 81 OLG Augsburg Recht 1908, Nr. 2822. Hierzu: Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn. 791. 82 Vgl. Stoll, Haftungsfolgen, Nr. 238. 83 Zum Umgang mit seelischen Schmerzen und ihrer Differenzierung vgl. Kegel, passim. 84 So auch: OLG Karlsruhe, VersR 2001, S. 1175. 85 OLG Koblenz NJOZ 2004, S. 416, 419. 86 OLG Hamm NJW-RR 2009, S. 959, 960 bei Vergewaltigung und daraus resultierender Schwangerschaft einer geistig Schwerbehinderten.
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gründung, weil das Opfer vollständig empfindungslos ist, zog man früher die Konsequenz, lediglich ein symbolisches Schmerzensgeld zu verhängen.87 Doch 1992 gab der BGH diese Rechtsprechung auf.88 Der Schaden bestehe in diesen Fällen nicht nur in körperlichen oder seelischen Schmerzen, sondern in der Zerstörung der klägerischen Persönlichkeit selbst. Unter Rückgriff auf die in Art. 1 GG getroffene Wertentscheidung für die menschliche Persönlichkeit dürfe deren weitgehende Zerstörung nicht nur zu einer symbolischen Entschädigung führen.89 Ob allerdings das Schmerzensgeld hier tatsächlich noch aus dem Ausgleichsgedanken gewährt wird,90 oder nicht, wie der BGH selbst feststellt, eher eine eigene Fallgruppe aus der Taufe gehoben wurde,91 die als weitere Funktion die Anerkennung des grundgesetzlichen Persönlichkeitsschutzes postuliert, blieb dabei offen. Diese Wende der Rechtsprechung gab einer Literaturmeinung Auftrieb, die den Ausgleichsgedanken nicht subjektiv, sondern objektiv fassen und den sog. „Gefühlsschaden“ aus der Ersatzpflicht ausgrenzen möchte.92 Nach dieser „objektiven Lehre“ soll nur ersetzt werden, was als „Störung der persönlichen Integrität“ äußerlich wahrnehmbar ist, etwa in Form einer Körperverletzung oder einer unterbliebenen Entfaltungsmöglichkeit.93 Im Ergebnis kann damit heute nicht einmal die Reichweite der Ausgleichsfunktion sicher bestimmt werden. Während sich die Rechtsprechung an einem Sammelsurium unterschiedlicher subjektiver oder objektiver Kriterien orientiert, die eher formal dem Ausgleichsprinzip zugeordnet werden, ist in der Literatur der Streit zwischen subjektiver und objektiver Theorie nach wie vor nicht entschieden. cc) Genugtuungsfunktion Noch umstrittener als die Ausgleichsfunktion ist die vom Großen Senat des BGB 1955 als weiterer Bemessungsfaktor aus der Taufe gehobene Genugtuungsfunktion.94 87
BGH NJW 1976, S. 1147; BGH NJW 1982, S. 2123. BGHZ 120, S. 1. Dieser Linie folgten die Instanzgerichte umgehend nahezu einhellig: OLG Oldenburg VersR 1994, S. 1071; OLG Hamm RuS 1993, S. 339; OLG Köln NJWRR 1996, S. 281, st. Rspr. Dezidiert gegen den BGH nur: OLG Stuttgart NJW 1994, S. 3016, allerdings für die anders gelagerte Fallkonstellation des alsbaldigen Versterbens nach kurzer Bewußtlosigkeit. 89 BGHZ 120, S. 1; BGH NJW 1993, S. 1531, st. Rspr. 90 So die Interpretation bei Jaeger, FS Lorenz, S. 379. 91 BGHZ 120, S. 1, 8. In der Literatur wird gelegentlich von „Würdefunktion“ gesprochen: Deutsch, NJW 1993, S. 784; Deister, VW 2006, S. 989. Daß Deutsch diesen Begriff „ironisch“ gemeint haben soll, wie Müller, VersR 1993, S. 913, Fn. 53 behauptet, wird aus dessen Beitrag allerdings nicht ersichtlich. Gegen die Figur der „Würdefunktion“ auch: Möller, S. 204. 92 Näher: Ady, S. 106 – 108. 93 Vgl. v. a. Lorenz, bes. S. 58 f.; Ebert, S. 464 für Unfallschäden; vgl. zum Ganzen: Ady, S. 106 m. w. N. 94 Im Überblick zu Geschichte und Streitstand: Ady, S. 109 – 114. 88
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Dieser Aspekt des Schmerzensgelds war seither erheblicher Kritik ausgesetzt: Während die Rechtsprechung teilweise neben dem Ausgleich bis heute überwiegend auch Genugtuungsaspekte im Rahmen der Schmerzensgeldbemessung berücksichtigt, gehen vor allem in der wissenschaftlichen Literatur die Meinungen auseinander. In der Literatur war die Genugtuungsfunktion von Anfang an auf ein geteiltes Echo gestoßen95. Seit dem 2. SchadÄndG hat sich die Debatte erheblich verschärft. Während teilweise weiterhin an der Doppelfunktionsthese des BGH festgehalten wird,96 scheint die Zahl ihrer Gegner in der Literatur zuletzt gewachsen zu sein.97 Dabei werden zunächst die Argumente des älteren Schrifttums wiederholt und auf den sachfremden und angeblich irrationalen, archaischen oder zumindest anachronistischen Strafcharakter der Genugtuung,98 auf deren Leerlaufen im Bereich der KFZ-Versicherung99 und gegenüber Körperschaften,100 sowie auf deren Verstoß gegen das schadensrechtliche Bereicherungsverbot verwiesen.101 Außerdem wird hervorgehoben, daß auch bei Sachschäden das Verschulden nicht anspruchserhöhend wirke.102 Seit dem 2. SchadÄndG kommt nunmehr das Argument hinzu, mit der Erstreckung des Schmerzensgeldanspruchs auf die Gefährdungshaftung sei der Genugtuungsfunktion insgesamt „die Grundlage entzogen“ worden.103 Wie solle eine Berücksichtigung des Verschuldens auf der Rechtsfolgenseite möglich sein in einem Bereich, in dem „nicht Unrechtsschäden, sondern Unglücksschäden“ ersetzt wür95 Für eine Genugtuungsfunktion: Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn. 907 – 911; Lange/Schiemann, § 7 V 2, S. 438; MüKo/Oetker, § 253, Rn. 13; Bentert, S. 98 f.; Großfeld, S. 77 f.; gegen eine Berücksichtigung von Verschuldensmomenten bereits vor 1955: Seydel, NJW 1954, S. 1020; ausführlich: Köndgen, Haftpflichtfunktionen, S. 84 – 121; außerdem: Jaeger, FS Lorenz, S. 377 – 388; Lorenz, S. 95 – 111; Nehlsen-von Stryk, JZ 1987, S. 119 ff. Schwerdtner, S. 286 – 290 will sogar im Bereich des APR-Schutzes auf die Genugtuung verzichten. Zusammenfassend: Ebert, S. 452 – 462; Wagner, AcP 206, 2006, S. 380 – 382. 96 Lange/Schiemann, § 7 V 2, S. 438; Ady, S. 196 f. 97 So auch Bost, S. 72 f. 98 Bydlinski, FS Widmer, S. 33; Hirsch, FS Engisch, S. 317; Honsell, VersR 1974, S. 205; Jaeger, FS Lorenz, S. 380; Köndgen, Haftpflichtfunktionen, S. 53; Nehlsen-von Stryk, JZ 1987, S. 126; Esser/Weyers, § 61 II 1 b), S. 245; dagegen: Möller, S. 177. Hinter der Kennzeichnung bestimmter juristischer Figuren als „archaisch“ kommt der für die 1970er-Jahre typische Glaube an eine teleologische Entwicklung von Wissenschaft und Technik in Richtung Fortschritt zum Ausdruck, den man heute in dieser Form eher skeptisch betrachten muß. 99 Wagner, AcP 206, 2006, S. 362; Diederichsen, VersR 2005, S. 435; Behr, ZJS 2010, S. 295; Medicus, Rn. 656; Köndgen, Haftpflichtfunktionen, S. 119. 100 Wagner, AcP 206, 2006, S. 362 f. 101 Jaeger, FS Lorenz, S. 378; Ebert, S. 463; BGH NJW 2006, S. 2179. Zur Bedeutung des Bereicherungsverbots instruktiv: Möller, S. 56 f.; Brüggemeier, Haftungsrecht, S. 556 – 560. 102 Wagner, AcP 206, 2006, S. 382 f. 103 Kötz/Wagner, Rn. 703; ähnlich: Schäfer/Ott, Lehrbuch, S. 369; Ebert, S. 463, 466. Zur Problematik des Schmerzensgeldanspruchs bei Gefährdungshaftung eingehend unter Einbeziehung der Grundwertungen beider Rechtsinstitute: Köndgen, Haftpflichtfunktionen.
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den?104 Die Genugtuungsfunktion habe daher insgesamt „ausgedient“.105 Andeutungen von Richtern des sechsten Zivilsenats lassen zudem erkennen, daß vor dem Hintergrund der gesetzlichen Neuregelung auch dort überlegt wird, den Genugtuungsgedanken aufzugeben106, was allerdings wegen § 132 Abs. 2 GVG einer erneuten Vorlage vor den Großen Senat bedürfte.107 Eine weitere Auffassung plädiert zwar ebenfalls für einen „Abschied vom Genugtuungsgedanken“108 als Vergeltung im Sinne der absoluten Straftheorien,109 möchte diesen aber insofern aufrechterhalten, als damit präventive Ziele verfolgt und Anreize zur Schadensverhütung gesetzt werden.110 Ebenso wird neuerdings vertreten, daß lediglich die Doppelfunktionstheorie aufgegeben werden sollte und je nach Bedarf ein „Ausgleichsgeld“, und, kumulativ oder alternativ, ein als Privatstrafe zulässiges „Genugtuungsgeld“ zu verhängen sei.111 Doch nach wie vor finden sich auch Vertreter einer rein an der Genugtuung ausgerichteten Interpretation des § 253: So sieht Harke in seinem jüngst erschienen Lehrbuch in dessen punitiver Funktion, genauer in der „objektiven Vergeltung des schädigenden Verhaltens“, den alleinigen Zweck des Schmerzensgelds.112 Auch den Gefährdungshaftungstatbeständen liege letztlich die Vorstellung einer Sanktionsbedürftigkeit risikobedingter Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit zugrunde. Das Gericht müsse daher die Mitwirkungsanteile beider Parteien berücksichtigen, die vom Gesetzgeber beabsichtigte Prozeßökonomie trete dagegen in den Hintergrund.113 Diese Unsicherheit im Umgang mit der Genugtuungsfunktion spiegelt sich auch in einer zunehmend uneinheitlichen Schmerzensgeldjudikatur wieder. Ausgangspunkt der meisten Entscheidungen ist zwar nach wie vor die Doppelfunktionslehre des Großen Senats. Jedoch geschieht dies meist eher „gebetsmühlenhaft“114 und häufig 104
Diederichsen, VersR 2005, S. 435; ähnlich Pauker, VersR 2004, S. 1391. Jaeger, FS Lorenz, S. 377 – 388; Ders., ZGS 2004, S. 218. 106 Vgl. Diederichsen, VersR 2005, S. 435: Die Aufgabe der Genugtuungsfunktion sei „dogmatisch richtig“. An anderer Stelle erklärt die Verf. aber, eine solche Wendung der Rechtsprechung sei „in nächster Zeit eher unwahrscheinlich“. Vgl. auch Müller, zfs 2005, S. 54 (es ginge „beim Schmerzensgeld weniger um Genugtuung als vielmehr um den Ausgleich der erlittenen Beeinträchtigung) unter Verweis auf BGHZ 120, S. 1, wo allerdings eine Konstellation vorlag, die der BGH selbst als eigenständige Fallgruppe bezeichnet hat. 107 Hierauf weist zu Recht hin: Bost, S. 71 f. 108 Wagner, JZ 2004, S. 321 f. 109 Wagner, AcP 206, 2006, S. 362. 110 Wagner, JZ 2004, S. 321 f.; vgl. auch: Ders., NJW 2002, S. 2054 f.; Kötz/Wagner, Rn. 704. Ähnlich: Möller, S. 177 – 179, allerdings unter Beschränkung auf APR-Verletzungen: Ebd., S. 205 f. 111 Carsten Schäfer, AcP 202, 2002, S. 426 f. 112 Harke, Rn. 330. Für eine punitive Funktion auch: Carsten Schäfer, AcP 202, 2002, S. 419 – 427; Bentert, S. 98 f.; Kern, AcP 191, 1991, S. 268. 113 Harke, Rn. 330 mit Fn. 26. 114 Bost, S. 71; ähnlich bereits Kern, AcP 191, 1991, S. 266. 105
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ohne Konsequenzen für die Argumentation der konkreten Schmerzensgeldbemessung.115 Einige Gerichte deuten bereits eine generelle Abkehr von der Genugtuungsfunktion an.116 Die meisten Judikate behelfen sich, indem sie auf Erwägungen zum Verschulden des Schädigers stillschweigend verzichten.117 Sofern die Genugtuung Berücksichtigung findet, geschieht dies sehr häufig unter Verwendung einschränkender Formulierungen.118 Vorbehaltlos wird die Genugtuungsfunktion in der Regel nur bei Verbrechen oder vorsätzlichen Taten berücksichtigt,119 wobei auch das Verhalten des Schädigers oder seiner Versicherung im Prozeß Beachtung findet, so etwa, wenn sich der Schädiger vor Gericht einsichtslos zeigt120 oder die Haftpflichtversicherung mutwillig den Schadensausgleich verzögert oder gar sabotiert.121 Auch bei Bagatellverletzungen soll bei Vorsatztaten ein Schmerzensgeld aus Genugtuungsgesichtspunkten gerechtfertigt sein.122 Im Bereich der Fahrlässigkeit wird dagegen der Genugtuungsgedanke insgesamt seltener berücksichtigt.123 Umstritten ist er vor allem für den oberen Bereich der 115 So z. B. OLG München 10 U 2544/05, Juris, Rn. 30; LG Köln Schaden-Praxis 2008, S. 108; LG Münster NJW 2010, S. 85, 87 f.; LG Traunstein Schaden-Praxis 2010, S. 220 f. Wohl untechnisch gebraucht das OLG Naumburg NJW-RR 2009, S. 744, 746 den Begriff „Genugtuung“ für den Schmerzensgeldanspruch schlechthin. 116 OLG Saarbrücken MDR 2007, S. 1190. 117 OLG Hamm zfs 2005, S. 122, 124; OLG Saarbrücken MDR 2007, S. 1190; LG Karlsruhe 3 O 381/07, Juris, Rn. 43; LG Saarbrücken MietRB 2010, S. 132 f.; AG Wiesbaden 92 C 3277/07, Juris, Rn. 25. 118 OLG Karlsruhe, VersR 2011, 122 (vorsätzliche Körperverletzung durch Polizeibeamten schmerzensgelderhöhend); KG NJOZ 2004, S. 3136 (deutliche Erhöhung des Schmerzensgelds bei vorsätzlichem Stoßen eines Unbekannten vor eine einfahrende U-Bahn). 119 Vgl. z. B. OLG Saarbrücken NJW 2008, S. 1166, 1168 (Einsatz eines KFZ als „Waffe“); OLG Köln NJW-RR 2007, S. 174, 175 (Faustschlag ins Gesicht); OLG Saarbrücken 4 U 392/ 07, Juris, Rn. 37 – 41 (Vergewaltigung); OLG Schleswig MDR 2009, S. 346 f. (Faustschlag); LAG Köln 5 Sa 827/08, Juris, Rn. 51 (Ohrfeige); AG Düsseldorf SpuRt 2007, S. 38 (grobes Foul beim Eishockey). 120 KG NJW-RR 2008, S. 1557, 1559; LG Bielefeld, IMM-DAT, Nr. 1939. Ebenso bereits: BGH VersR 1964, S. 1103, 1104 f. (kränkender Prozeßvortrag des Beklagtenanwalts). Einschränkend: OLG Schleswig 4 U 34/07, Juris, Rn. 59 (Mitverschuldenseinwand im Prozeß sei nicht „verletzend oder herabwürdigend“). 121 Vgl. OLG Naumburg NJW-RR 2002, S. 672, 673; OLG Nürnberg NZV 2007, S. 301, 303; OLG Köln VersR 2007, S. 259 f.; OLG Köln NJW-RR 2002, S. 962, 963; LG Berlin NJW 2006, S. 702 (Erlaßfalle); LG Gera VersR 2009, S. 1232 m. Anm. Jaeger; einschränkend OLG Saarbrücken 4 U 585/09, Juris, Rn. 52 (Das Schmerzensgeld habe „keinen Sanktionscharakter“). 122 OLG München 1 U 5003/07, Juris, Rn. 17. 123 Vgl. OLG Hamm I-9 U 89/09, 9 U 89/09, Juris, Rn. 12 (Tinnitus wegen des Pfiffs auf einer Trillerpfeife durch Zugpersonal in unmittelbarer Nähe des Ohres); OLG München 1 U 1941/05, Juris, Rn. 5 (Verletzung durch Polizeibeamten, passiver Widerstand des
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Fahrlässigkeit.124 Wo die Gerichte den Genugtuungsaspekt einbeziehen, wird häufig, in Abkehr von der Vorgabe des BGH, das Gesamtschmerzensgeld nicht als Summe von Einzelposten, sondern unter Berücksichtigung der Doppelfunktion ein einheitliches Schmerzensgeld zu bilden,125 zunächst ein an der Ausgleichsfunktion orientiertes „Normalschmerzensgeld“ ermittelt, das dann um einen, teilweise bis zum Doppelten reichenden,126 Genugtuungsaufschlag erhöht wird.127 Eine wachsende Zahl von Gerichten läßt Genugtuungsgesichtspunkte neuerdings entweder generell oder sektoral, vor allem im Straßenverkehrs- und Arzthaftungsrecht, zurücktreten. Gerade diese an typologisch-objektiven Momenten (Lebensbereich, Verschuldensgrad) orientierten Einschränkungen verschärfen die Uneinheitlichkeit bei der Schmerzensgeldbemessung weiter und bedürfen daher einer näheren Analyse. (a) Sektorale Abstufung – Straßenverkehr und Arzthaftung Im Kontext der Verkehrsunfallhaftung wird teilweise behauptet, daß in diesem Lebensbereich das Verschulden regelmäßig von untergeordneter Bedeutung sei und der Geschädigte daher keine besondere Genugtuung verdiene.128 Eine „Sonderbeziehung“ zwischen Täter und Opfer, wie sie der Große Senat als Grundlage für die Genugtuungsfunktion ansieht, bestehe hier nicht.129 Zumindest sei dann „das Ausmaß des subjektiven Fehlverhaltens eines Schädigers nur schwer zu beurteilen“. Manchmal genüge „eine in Sekundenbruchteilen gefällte Fehlentscheidung, um einen schweren Verkehrsunfall“ zu verursachen.130 Nur selten wird dabei der Genugtuungsgedanke völlig ausgeschlossen, was eine Abkehr von der Leitentscheidung Verletzten wird im Rahmen der Genugtuungsfunktion anspruchsmindernd berücksichtigt); LG Köln NJW-RR 2006, S. 1614, 1616 (fehlerhafte Augenlaser-OP); OLG Koblenz NJWRR 2008, . 1055, 1056 (fehlerhafte Befunderhebung im Krankenhaus, Patient wird als Simulant bezeichnet). 124 Dafür offenbar die h.M.: KG NZV 2002, S. 398, 400; AG Saarbrücken SVR 2007, S. VI; LG Stralsund 7 O 354/05, Juris, Rn. 59 (Genugtuung bei „grobem Verkehrsverstoß“); Palandt/Grüneberg, § 253, Rn. 4. Dagegen offenbar: LG Köln 20 O 127/07, Juris, Rn. 46 (Erhöhung des Schmerzensgelds nur bei böswilligem Täterverhalten); KG 12 U 193/09, Juris, Rn. 31 (Vergleich des vorliegenden Sachverhalts mit einem Fall des OLG Koblenz zulässig, obgleich der Beklagte dort nur leicht, hier aber grob fahrlässig gehandelt hatte). 125 BGHZ 138, S. 388; Richtig: OLG Naumburg NJW-RR 2008, S. 407, 408; OLG Hamm VersR 2006, S. 512. 126 So bei OLG Frankfurt a.M. zfs 2005, S. 597: Verdoppelung des Schmerzensgelds bei Unfallverursachung durch stark alkoholisierte Geisterfahrerin. 127 LG Köln 37 O 670/06, Juris, Rn. 24 (Schlägerei: Unter dem Gesichtspunkt der Genugtuung wird „eine gewisse Erhöhung“ des Schmerzensgeldes gewährt); ähnlich: LG Stralsund, 7 O 354/05, Juris, Rn. 59 (grober Verkehrsverstoß wirkt „schmerzensgelderhöhend“). 128 Küppersbusch, Rn. 274; OLG Saarbrücken NJW 2008, S. 1166, 1168; OLG Düsseldorf I-1 U 130/08, Juris, Rn. 10. Anders aber dasselbe Gericht in Fällen, in denen das Opfer kurz nach dem Unfall stirbt: OLG Düsseldorf I-1 U 141/00, Juris, Rn. 82. 129 Ebert, S. 464 m. w. N. 130 LG München I NJW-RR 2001, S. 1246.
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des Großen Senats bedeuten würde.131 Statt dessen behelfen sich die Gerichte mit der wenig transparenten Formel, daß die Genugtuungsfunktion in diesen Fällen „zurücktrete“, bzw. die Ausgleichsfunktion „im Vordergrund“ stehe.132 Derartige Formulierungen sind insofern problematisch, als sie eher verhüllen als offenlegen, ob und in welchem Umfang der Genugtuungsgedanke nun tatsächlich in den Abwägungsvorgang und schließlich die Bemessung des Schmerzensgelds eingeflossen ist. Bereits logisch kaum nachzuvollziehen ist etwa die Formulierung des KG, bei der Bemessung des Schmerzensgelds sei „vorrangig vor einer theoretischen [sic!] Genugtuungsfunktion“ auf die Dauer der stationären Behandlung der Klägerin abzustellen.133 Eine ähnlich einschränkende Tendenz bei der Berücksichtigung von Genugtuungsaspekten zeigt auch die Judikatur zum Arzthaftungsrecht. Während ein Teil der OLG-Senate auch hier den Genugtuungsgedanken berücksichtigt,134 lassen ihn andere wie in Straßenverkehrsfällen zurücktreten.135 Begründet wird die Zurückdrängung der Genugtuung hier selten. Das OLG Düsseldorf betont die prinzipiell altruistische Natur des ärztlichen Heileingriffs.136 Einige Urteile lassen auch in anderen Fallgestaltungen ein Zurücktreten der Genugtuungsfunktion in bestimmten Lebensbereichen anklingen, wobei die Kriterien selten offen gelegt werden. So soll pauschal bei Sportunfällen137 oder Verletzungen der gemeindlichen Streupflicht die Genugtuung zurücktreten.138 (b) Abstufung nach Verschuldensgraden Die Alternative zur Beschränkung der Genugtuungsfunktion nach Lebensbereichen besteht in einer Abstaffelung entsprechend des Verschuldensgrads, so daß ein Verschulden unterhalb einer bestimmten Grenze nicht mehr bemessungsrelevant 131 Teilweise wird allerdings ohne Erwähnung der Genugtuungsfunktion allein auf den Ausgleichsgedanken abgestellt: OLG Saarbrücken 4 U 585/09, Juris, Rn. 44. 132 KG NZV 2002, S. 398, 399; OLG Celle NZV 2004, S. 251; OLG Celle MDR 2009, S. 1273 f.; OLG Saarbrücken NJW 2008, S. 1166, 1168; LG Stendal 22 S 195/03, Juris, Rn. 24 f. („geringeres Gewicht“ der Genugtuungsfunktion im Bereich der Fahrlässigkeit). Die entsprechende Argumentation ist allerdings bereits seit längerem üblich, vgl. z. B. OLG Frankfurt a.M. VersR 1993, S. 1033. 133 KG NZV 2002, S. 398, 399. 134 OLG Naumburg NJW-RR 2002 S. 672, 673 unter Berücksichtigung der Schwere der ärztlichen Fehlleistung; OLG Naumburg PatR 2008, S. 90 f.; ebenso: OLG Zweibrücken NJW-RR 2009, S. 1110, 1111. 135 OLG Nürnberg VersR 2009, S. 71, 73; OLG Düsseldorf VersR 2009, S. 403, 404; OLG München 1 U 3198/07, Juris, Rn. 34 (Kein Gewicht der Genugtuung „insbesondere bei fahrlässigen Pflichtverletzungen“). 136 OLG Düsseldorf NJW-RR 2003, S. 87, 88. 137 OLG München 9 U 5191/05, Juris, Rn. 14 unter Berufung auf OLG Köln VersR 1995, S. 57 f. Anders im Falle eines groben Foulspiels: AG Düsseldorf SpuRt 2007, S. 38. 138 LG Düsseldorf 2b O 213/06, Juris, Rn. 33.
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wäre. Die wohl h.M. hält das Ziehen einer derartigen Linie für zulässig.139 Gewöhnlich wird diese dann oberhalb der leichten Fahrlässigkeit angesiedelt.140 Nach a.A. soll auch bei grober Fahrlässigkeit nur die Ausgleichsfunktion berücksichtigt werden,141 während eine weitere Ansicht selbst bei Vorsatz nur auf die Ausgleichswirkung achten will.142 Auch manche Gerichte tendieren dazu, Abstufungen nicht nach dem betroffenen Lebensbereich, sondern direkt nach der Schwere des Verschuldens vorzunehmen und bei leichter, teilweise auch grober Fahrlässigkeit auf die Genugtuungsfunktion zu verzichten.143 Nur selten geschieht dies explizit. Häufig wird zwar der Genugtuungsgedanke formelhaft im Kontext der Doppelfunktionslehre des BGH angesprochen, Hinweise auf eine Einbeziehung des Verschuldensmoments in die Abwägung sucht man dann allerdings vergeblich.144 (c) Sonderproblem: Schmerzensgeld bei Gefährdungshaftung Problematisch ist die Genugtuungsfunktion vor allem aufgrund der Neuregelung des § 253 durch das 2. SchadÄndG geworden. Nachdem nunmehr in allen Fällen der Gefährdungshaftung ein Schmerzensgeldanspruch eröffnet ist, stellt sich die Frage, inwieweit in dieser Konstellation überhaupt Raum für die Genugtuungsfunktion bleibt und vor allem, ob in Fällen, die allein aufgrund von verschuldensunabhängigen Haftungstatbeständen entschieden werden, geringere Schmerzensgelder auszuwerfen sind. Wenn auch unstreitig bei verschuldensunabhängiger Vertrags- und Deliktshaftung auf Tatbestandsseite kein Verschulden zu prüfen ist, bedeutet dies allerdings weder 139 Bydlinski, FS Widmer, S. 36 f.; Wagner, AcP 206, 2006, S. 383, allerdings aus Präventionsgesichtspunkten. Ähnlich andeutungsweise auch der BGH, der allerdings die genaue Bestimmung des für die Berücksichtigung der Genugtuung erforderlichen Verschuldensmaßstabs offen läßt: BGHZ 128, S. 117, 120. Vgl. auch: OLG Brandenburg 12 U 215/06, Juris, Rn. 17 (Bewohner eines Lehrlingsheims hatte Reinigungslauge in eine Trinkflasche gefüllt; das Gericht hat „in erster Linie“ die Ausgleichsfunktion berücksichtigt); LG Düsseldorf 2b O 118/ 08, Juris, Rn. 37 (fahrlässige Freiheitsberaubung durch Polizeibeamten: die Genugtuungsfunktion falle „nicht wesentlich ins Gewicht“); LG Karlsruhe KHR 2007, S. 156 (fehlerhafte Einlagerung einer Schädeldecke, hier stehe der „Ausgleichsgedanke im Vordergrund“). 140 Wagner, AcP 206, 2006, S. 383; Bydlinski, FS Widmer, S. 37 (bei „schwerem Verschulden“). 141 Kötz/Wagner, Rn. 708; Wagner, NJW 2002, S. 2054 f. Unklar: Ebert, S. 464 – 469: In ihrer Argumentation will sie nur bei „vorsätzlich begangenen Gewalttaten“ Genugtuung gewähren, S. 466, in der Zusammenfassung spricht sie von „grob schuldhaften Verletzungen“, S. 468. 142 Christian Huber, Schadensersatzrecht, Rn. 48. 143 Für Einbeziehung der Genugtuungsfunktion im Straßenverkehr nur, wenn der Schädiger den Geschädigten „besonders böswillig“ verletzt habe: LG Köln 20 O 127/07, Juris, Rn. 46. 144 OLG Brandenburg 12 U 215/06, Juris, Rn. 17; LG Karlsruhe NJW-RR 2009, S. 1620, 1621.
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automatisch, daß nicht auf der Rechtsfolgenseite ein Verschulden (etwa als Schadenselement) wieder relevant werden kann,145 noch, daß damit notwendig auch geringere Schmerzensgelder als bei vergleichbaren Verletzungsfolgen in der Verschuldenshaftung verhängt werden müssen. Zur Frage, ob der Geschädigte bei einem Urteil auf der Basis von Gefährdungshaftung (oder auch verschuldensunabhängiger Vertragshaftung)146 einen Abschlag beim Schmerzensgeld hinnehmen muß, ist in der Literatur noch keine klare Linie erkennbar. Ein Teil des Schrifttums fordert bei Entscheidungen aus verschuldensunabhängiger Haftung eine Bemessung unterhalb der bei Verschuldenshaftung üblichen Beträge,147 während sich die h.M. gegen eine unterschiedliche Bemessung ausspricht.148 Eine Aufrechterhaltung des status quo wird dabei unterschiedlich begründet. Autoren, die ohnehin für eine vollständige oder sektorale Zurückdrängung der Genugtuung plädieren, haben hier die geringsten Probleme: Wenn bereits in der großen Masse der Fälle einer fahrlässigen Schadensverursachung keine Erhöhung nach Genugtuungsgesichtspunkten zu erfolgen hat, kann bei einer Entscheidung nach Gefährdungshaftung erst recht nichts anderes gelten.149 Teilweise wird vorgeschlagen, dem Verschuldensaspekt zwar nicht mehr eine eigenständige Funktion zuzusprechen, ihn aber als weiteren Faktor im Bereich des Schadensausgleichs zu berücksichtigen.150 Diese „Einpreisung“ des täterbezogenen Verschuldens in den opferzentrierten Ausgleichsgedanken wird damit begründet, daß eben auch die Verbitterung über das konkrete Verhalten des Schädigers den Umfang des Schadens mitbestimme und desto mehr vertiefe, je schwerer das Verschulden wiege. Eine derartige Verlagerung des Verschuldens in den ausgleichspflichtigen Gefühlsschaden wird jedoch mit unterschiedlicher Begründung abgelehnt: Ihr wird entgegengehalten, daß die Frustration über den Normbruch nicht notwendig den Eintritt des Taterfolgs voraussetze, was aber für die Einordnung als ersatzfähiger 145 So im Ausgangspunkt auch Wagner, Schadensersatzrecht, Rn. 30; undeutlich: Looschelders, Rn. 974; Küppersbusch, Rn. 275. 146 Der einzige auffindbare Fall, in dem die Problematik diskutiert wird, ist LG Duisburg, RRa 2009, S. 138. 147 Lang/Stahl/Suchomel, NZV 2003, S. 445 (Bemessung im „unteren Bereich des Korridors“); Rauscher, JURA 2002, S. 579; MüKo/Oetker, § 253, Rn. 49; Medicus, Rn. 656. 148 Palandt/Grüneberg, § 253, Rn. 4; AnwKom-BGB/Huber, § 253, Rn. 19 f.; Schirmer, DAR 2004, S. 22; Däubler, JuS 2002, S. 627; Macke, DAR 2000, S. 509; Heß/Buller, zfs 2003, S. 221 f. 149 Diehl, zfs 2007, S. 11; Küppersbusch, Rn. 275. 150 So der Vorschlag bei Jaeger, FS Lorenz, S. 386 f.; ebenso Christian Huber, Schadensersatzrecht, § 2, Rn. 48; Ders., NZV 2005, S. 623: Die Verbitterung des Opfers könne allein über die Ausgleichsfunktion Berücksichtigung finden; Bydlinski, FS Widmer, S. 33 m. Fn. 11; zu ähnlichen älteren Vorschlägen: Kern, AcP 191, 1991, S. 253 f.; krit.: Wagner, AcP 206, 2006, S. 380 f.
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Schaden aus dieser Tat erforderlich sei.151 Außerdem ließe sich dieser Schaden ohne Überdehnung des § 287 ZPO nicht ermitteln und sei im Übrigen individuell so stark unterschiedlich, daß auch eine objektivierende Typologie kaum gelingen könne.152 Statt dessen wird vorgeschlagen, das Verschulden als „selbständiges Kriterium bei der Abwägung dessen, was ,billig‘ ist“ zu erfassen.153 Der BGH hat entsprechende Fälle seit Inkrafttreten des 2. SchadÄndG noch nicht zu entscheiden gehabt.154 Die übrige Judikatur zeigt jedoch eine erhebliche Varianz im Umgang mit diesem Problem. Bereits vor dem 2. SchadÄndG war die Rechtsprechung im Bereich der bereits damals bestehenden Schmerzensgeldansprüche bei Gefährdungshaftung (§ 664 HGB und vor allem § 833 Satz 1) alles andere als einheitlich.155 Einige Gerichte erwogen in derartigen Fallgestaltungen sogar unter Verweis auf die fehlende Genugtuungsfunktion einen Schmerzensgeldanspruch völlig zu versagen.156 Andere entschieden für eine Absenkung des Schmerzensgelds.157 Weitere Gerichte bestimmten in Fällen der Tierhalterhaftung, daß hier die Schadenshöhe im Vergleich von Gefährdungs- und Verschuldenshaftung erst dann unterschiedlich sein könnte, wenn den Täter der „Vorwurf und Tadel der massiven Sorglosigkeit“ treffe.158 Ein Blick auf die nach dem 2. SchadÄndG ergangene Judikatur liefert noch kein klares Bild. Dies liegt zum einen daran, daß entsprechende Fälle erst nach und nach den Weg durch die Instanzen gefunden haben, vor allem aber auch daran, daß auch dort, wo dies prinzipiell möglich wäre, bei weitem nicht alle aktuellen Entscheidungen ein Schmerzensgeld allein auf Gefährdungshaftungstatbestände (insb. §§ 7 Abs. 1 i. V. m. 11 Satz 2 StVG) stützen.159 Eine nicht geringe Zahl von Urteilen gründet sich weiterhin zusätzlich auf eine Haftung nach § 823.160 Noch erscheint also 151
Hirsch, FS Engisch, S. 307. Pauker, VersR 2004, S. 1392 f. 153 Pauker, VersR 2004, S. 1393. 154 Bereits nach altem Recht war in einzelnen Spezialgesetzen ein Schmerzensgeld bei Gefährdungshaftung vorgesehen, so z. B. nach § 36 Satz 2 LuftVG. Hier hielt der BGH eine Entscheidung für rechtsfehlerfrei, die nur ein sehr geringes Schmerzensgeld zusprach, da die Genugtuungsfunktion entfalle: BGH NJW 1982, S. 1046 f.; NJW 1993, S. 2173, 2175. 155 Der BGH äußerte sich 1997 in einem Urteil zu § 644 HGB nicht zu der Bemessungsproblematik: BGH VersR 1997, S. 474. 156 OLG Zweibrücken VersR 1971, S. 724. Das Gericht konnte die Frage letztlich offen lassen. Anders die damals h.M., vgl. BGH NJW 1977, S. 2158, 2159 zu § 833 Satz 1. 157 OLG München VersR 1966, S. 170 zu § 53 Abs. 3 LuftVG; LG Konstanz VersR 1979, S. 428 zu § 829: 3.000 DM statt 5.000 DM wegen fehlenden Verschuldens. 158 OLG Celle 5 U 263/90, Juris, Rn. 5. 159 So z. B. OLG Saarbrücken Schaden-Praxis 2011, S. 13; OLG Celle MDR 2009, S. 1273; OLG Naumburg VersR 2009, S. 373; LG Köln 20 O 127/07, Juris, Rn. 46. 160 KG VersR 2011, 274; OLG Brandenburg, 12 U 26/09, Juris, Rn. 29; OLG Brandenburg DAR 2008, S. 520 f.; OLG Düsseldorf 1 U 137/05 NZV 2006, S. 415, 418 (Ausführungen zum Schmerzensgeld hier gekürzt, Volltext bei Juris, Rn. 24 ff.); OLG Oldenburg DAR 2004, 152
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zweifelhaft, ob die mit der Neuregelung verbundenen Verfahrensvereinfachungen auch tatsächlich greifen. Sofern allein aufgrund von Gefährdungshaftung entschieden wird, scheint den Gerichten allerdings die Problematik der Genugtuungsfunktion häufig gar nicht bewußt zu sein und es wird ohne weiteres ein Genugtuungsaspekt angesprochen161 oder dieser sogar aktiv in die Bemessung einbezogen.162 Sofern die Problematik wahrgenommen wird, sehen die Gerichte überwiegend unter Verweis auf die Natur der verschuldensunabhängigen Haftung grundsätzlich von der Einbeziehung der Genugtuungsfunktion ab.163 Teilweise wird hieraus ohne weiteres auch auf die Berechtigung zu teilweise erheblichen Abschlägen beim Schmerzensgeld geschlossen.164 Die Gegenposition hat 2004 das OLG Celle in der bislang ausführlichsten Begründung zu diesem Problem eingenommen. Im Falle einer Haftung aus §§ 7 Abs. 1, 11 Satz 2 StVG sei kein deutlich geringeres Schmerzensgeld zu zahlen, als wenn dem Täter (auch) ein Verschulden zur Last zu legen sei.165 Drei Begründungen werden dafür angeführt: Zum einen trete die Genugtuungsfunktion ohnehin im Straßenverkehr jenseits grober Verkehrsverstöße in den Hintergrund. Für den Geschädigten sei es bedeutungslos, ob der Schädiger aufgrund einfachen Verschuldens hafte oder sich nur nicht entlasten könne. Zum zweiten führt das Gericht das (al-
S. 706; LG Köln Schaden-Praxis 2008, S. 108; LG Essen BeckRS 2011, 02726; AG Wiesbaden 92 C 3277/07, Juris, Rn. 25; AG Düren Schaden-Praxis 2007, S. 209 (Verschuldensaspekte waren unstreitig). 161 OLG Saarbrücken MDR 2007, S. 1190; OLG München BeckRS 2005, 31160105; LG Dortmund NJW-RR 2005, S. 678 (zu §§ 1 Abs. 1 Satz 1, 8 Satz 2 ProdHG); LG Bonn Schaden-Praxis 2010, S. 251; LG Amberg 24 O 826/08, Juris, Rn. 33; LG Köln 20 O 127/07, Juris, Rn. 46; LG Karlsruhe VersR 2009, S. 1397; bei OLG Naumburg VersR 2009, S. 373, 374 und LG Duisburg BeckRS 2009, 15917 wird der Begriff „Genugtuung“ wohl eher untechnisch gebraucht. 162 OLG Nürnberg NZV 2007, S. 301, 303 (verzögerte Regulierung); OLG Oldenburg DAR 2004, S. 706 (§ 7 StVG, erhebliches Verschulden des Unfallverursachers); LG Berlin NJW 2006, S. 702 (Hundebiß); AG Berlin-Schöneberg 17b C 153/08, Juris, Rn. 26 (Hundebiß, verzögerte Regulierung); AG Düsseldorf BeckRS 2007, 08337 (Haftung allein nach § 7 StVG, Verschulden im Bereich der Rechtsfolge erwogen). 163 OLG Frankfurt a.M. NJW-RR 2007, S. 748, 749 (zu § 833); OLG Frankfurt a.M. BeckRS 2010, 20201 (zu § 7 StVG); OLG Karlsruhe BeckRS 2010, 05078 (zu § 6 Satz 2 HaftPflG); OLG München RuS 2010, S. 390 (zu § 833); OLG Koblenz BeckRS 2005, 05352 (PKH-Beschluß zu § 7 StVG: „die Genugtuungsfunktion … tritt wohl noch weiter als bisher zurück“); OLG Oldenburg MDR 2001, S. 274 (zu § 833); LG Hamburg BeckRS 2007, 19990 (zu § 833); LG Duisburg RRa 2009, S. 138 (zu § 651 f). 164 AG München BeckRS 2010, 00910; ebenso die Vorinstanz zu OLG Celle NJW 2004, S. 1185, unveröff.; hinsichtlich des Ausmaßes der Absenkung undeutlich: OLG Frankfurt a.M. BeckRS 2010, 20201; LG Duisburg RRa 2009, S. 138 (deutliche Absenkung bei Haftung wegen vermutetem Verschulden aus § 651 f). 165 OLG Celle NJW 2004, S. 1185 f.; zust. OLG Saarbrücken NJW 2008, S. 1166, 1168.
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lerdings durch seine eigene Rechtsprechung widerlegte)166 Argument an, die Rechtsprechung habe auch im Falle der bereits vor 2002 bestehenden Schmerzensgeldansprüche aus Gefährdungshaftung die entsprechenden Schmerzensgelder nie aufgrund der verschuldensunabhängigen Haftung gekürzt.167 Und zum dritten entfiele der vom Gesetzgeber geplante Vereinfachungszweck, wenn die Gerichte nunmehr doch wieder die Voraussetzungen der Verschuldenshaftung prüfen müßten, um die volle Schmerzensgeldhöhe aufzufinden. Daß es hier durchaus um ein spürbares Bemessungsproblem geht, zeigen die Berechnungen des OLG Celle zur Schmerzensgeldhöhe: Während die Vorinstanz hinsichtlich des Schmerzensgeldanspruchs lediglich Prozeßkostenhilfe bis zur Höhe von 3.420 E gewähren wollte, sprach das OLG PKH bis zu 6.000 E zu. Auffällig ist, daß eine Reihe von Gerichten ohne Weiteres die Rechtsprechung zum Schmerzensgeldaufschlag bei verzögerter Regulierung auch bei reiner Gefährdungshaftung anwendet und damit letzten Endes auf die Genugtuungsfunktion stützt.168 Diese im Rahmen der Gefährdungshaftung dogmatisch kaum erklärbare Ausnahme verweist auf den eigentlichen Kern des Schmerzensgeldaufschlags für Abwicklungsverzögerung: In Wirklichkeit handelt es sich hier weder um einen Aspekt der Genugtuung noch des Ausgleichs, denn die zusätzliche Kränkung durch den Prozeßverlauf kann nur selten die teilweise massiven Aufschläge erklären.169 Vielmehr geht es hier um den Versuch, die Haftpflichtversicherungen im Wege eines
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OLG Celle VersR 1997, S. 633: „… Denn die zweite Funktion des Schmerzensgeldes, dem Verletzten Genugtuung für das erlittene Unrecht zu verschaffen, entfällt im vorliegenden Fall, in dem die Bekl. an der Verletzung keine Schuld hat, sondern lediglich aus dem Gesichtspunkt der Gefährdungshaftung für den von ihrem Pferd verursachten Schaden einstehen muß …“. Ebenso: OLG Saarbrücken VersR 1988, S. 752; LG Flensburg NJWE-VHR 1997, S. 192. 167 Ob diese Analyse, die ohne Angabe von Rechtsprechungsnachweisen erfolgt, zutrifft, erscheint zweifelhaft. So hat der BGH 1981 eine unter Verweis auf die Gefährdungshaftung erfolgte Schmerzensgeldkürzung der Vorinstanz im Rahmen des § 53 Abs. 3 LuftVG a.F. unbeanstandet gelassen: BGH NJW 1982, S. 1046 f. Ausdrücklich für „denkbar“ hielt der BGH eine unterschiedliche Schmerzensgeldbemessung für Gefährdungshaftung auch im Bereich von Art. 5 EMRK: BGHZ 122, S. 268, 282. Anders dagegen im Bereich der Tierhalterhaftung (§ 833 Satz 1): OLG Düsseldorf NJW-RR 2001, S. 890, 892; LG Kiel 2 O 90/98, bei Hacks/ Ring/Böhm, Nr. 1047; AG Bad Liebenwerda NJW-RR 1999, S. 1255, 1256: Bemessungsgrundlage war die Erwägung, „über die Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes dem Bekl. als Halter des Tieres sein verantwortungsloses Verhalten klar zu machen“. Unklar LG Göttingen NJW-RR 1992, S. 987, 988, wonach in der Tierhalterhaftung die Genugtuungsfunktion „naturgemäß nur schwach ausgeprägt sein“ könne. 168 KG MDR 2010, S. 1318 m. zust. Anm. Krenberger, jurisPR-VerkR 17/2010 Anm. 4; OLG Nürnberg NZV 2007, S. 301, 303; LG Berlin NJW 2006, S. 702, 703; AG Berlin-Schöneberg 17b C 153/08, Juris, Rn. 26. 169 Das OLG Frankfurt a.M. NJW 1999, S. 2447 hat das Schmerzensgeld in einem besonders schwerwiegenden Fall verdoppelt, das LG Berlin erhöhte das Schmerzensgeld unter diesem Gesichtspunkt um 3.000 E auf insgesamt 22.000 E: LG Berlin NJW 2006, S. 702, 703.
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B. Wird der immaterielle Schaden sauber bemessen?
spürbaren general- wie spezialpräventiv wirkenden Anreizes zu einer insgesamt zügigeren Abwicklungspraxis zu motivieren.170 dd) Präventionsfunktion Eine schnell wachsende Literaturansicht weist dem Schmerzensgeld, wie überhaupt dem Haftungsrecht, alternativ oder zusätzlich zu den genannten Funktionen, eine präventive Aufgabe zu.171 Während bereits früh vermutet und gebilligt wurde, daß die Verhängung von Schadensersatz de facto auch eine verhaltenssteuernde Nebenwirkung hat, ihr allerdings keine eigenständige Legitimationswirkung zugestanden wurde,172 wird die Aufgabe der Prävention zunehmend als bestimmende,173 teilweise sogar allein maßgebliche Funktion des Schmerzensgelds angesehen.174 Gleichzeitig bemüht man sich, diese zivilrechtliche Prävention von der sühnenden Strafe abzuheben.175 Am konsequentesten wurde die Präventionstheorie zuletzt von den Vertretern der ökonomischen Analyse des Rechts vorgetragen.176 Im Kern postulieren alle Anhänger der Präventionsfunktion eine verhaltenssteuernde Aufgabe des Schadensersatzrechts.177 Zielsetzung des Zivilrechts und der Gerichte sei es nicht nur, eingetretene Schäden ex post zu ersetzen, sondern durch die Klarstellung von Verhaltensstandards und/oder Sanktionierung von Schadensfolgen bereits ex ante das Verhalten der Rechtsunterworfenen bewußt und steuernd in die gewünschte Richtung zu lenken.178 Wolle man aber die Schadensvermeidung ins170 So explizit: OLG Karlsruhe/Freiburg NJW 1983, S. 581, 583 (der Rechtsprechung käme „die Aufgabe zu, … künftigen Mißbräuchen vorzubeugen“). Wagner, AcP 206, 2006, S. 383; Kötz/Wagner, Rn. 710; Lange/Schiemann, Einl. III 2 b), S. 11; Möller, S. 206 – 208; a.A. LG Berlin NJW 2006, S. 702, 703. 171 Wagner, AcP 206, 2006, S. 382, Ders., ZEuP 2000, S. 209; Brüggemeier, Prinzipien, S. 193 ff.; Rosengarten, NJW 1996, S. 1935; Deutsch, JuS 1969, S. 202; Körner, NJW 2000, S. 243; Prinz, NJW 1996, S. 955 ff.; Ott/Schäfer, JZ 1990, S. 568; Bentert, S. 98 f.; Behrens, S. 175; Großfeld, S. 80; Shavell, S. 5 – 33; vgl. i.Ü. die Übersicht bei Löwe, S. 80 – 84. 172 Lange/Schiemann, Einl. III 2 b), S. 11 f.; Stoll, Haftungsfolgen, Nr. 182; MüKo/Oetker, § 253, Rn. 13; Staudinger/Schiemann, § 253, Rn. 33. 173 Für eine Doppelfunktion aus Ausgleich und Prävention: Brüggemeier, Haftungsfolgen, S. 192; Ders., Haftungsrecht, S. 577; für Einbeziehung der Prävention „in vorsichtiger Weise“: Magnus, Schaden, S. 282; Kornes, BG 2006, S. 315; Rosengarten, NJW 1996, S. 1936. 174 Wagner, AcP 206, 2006, S. 451: Das Präventionsziel sei aus ökonomischer Perspektive „an die Spitze der Zwecke des Haftungsrechts zu setzen“. 175 Löwe, S. 24; Möller, S. 177 – 179; Wagner, AcP 206, 2006, S. 361 gegen Ebert, S. 6 ff.; a.A. auch Bentert, S. 98 (vergeltender und präventiver Charakter des Schmerzensgelds sind nicht zu trennen). 176 Wagner, AcP 206, 2006, S. 382 f.; vgl. auch Schäfer/Ott, Lehrbuch, S. 365 – 377; Dies., JZ 1990, S. 563; ausführlich neuerdings: Bost, passim. 177 Zum Problem der Verhaltenssteuerungsaufgabe des Privatrechts in rechthistorischer, rechtsökonomischer und rechtsvergleichender Perspektive: Wagner, AcP 206, 2006, S. 352 ff.; vgl. auch Bost, S. 94. 178 Wagner, AcP 206, 2006, S. 454.
I. Dogmatische Grundlagen
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gesamt optimieren, könne dies nur gelingen, wenn nicht nur Vermögensschäden, sondern auch immaterielle Einbußen einbezogen würden.179 Im Detail unterscheidet sich allerdings das Präventionsverständnis der verschiedenen Theorien erheblich.180 Teilweise wird eine generelle Verpflichtung des Haftpflichtrechts – wie auch anderer Teile der Privatrechtsordnung181 – zum Rechtsgüterschutz durch Prävention postuliert.182 Die Verhaltenssteuerung dient dann dazu, die Gesamtzahl der Schäden an gesetzlich für schutzwürdig erklärten Gütern zu reduzieren. Differenzierter will die ökonomische Analyse des Rechts nicht ein Maximum an Prävention, sondern lediglich „Anreize für das optimale Maß an Sorgfaltsaufwendungen“ setzen.183 Schäden sind dann nicht um jeden Preis zu vermeiden, sondern das Schadensaufkommen „auf ein ökonomisch sinnvolles Maß“184 zu reduzieren.185 Diese Voraussetzung ist bereits erfüllt, wenn die auszuschüttende Summe so bemessen ist, daß der Preis, den der Schädiger für seine schädigende Handlung zu zahlen hat, genau den gesamtgesellschaftlichen Kosten entspricht, die diese Handlung auslöst. In dieser Absicht, die Externalisierung von Schädigungskosten, also deren Abwälzung vom Schädiger auf Dritte, zu verhindern, trifft sich der Präventionsgedanke mit dem Ausgleichsgedanken.186 Ähnlich wie die Anhänger der reinen Ausgleichsidee nehmen auch die Vertreter der Präventionsidee für sich in Anspruch, mit der Prävention keine ideologischen Ziele, sondern letztlich eine „,moralinfreie‘ Funktion des Privatrechts“ zu verfolgen.187 Für das Verständnis des rechtsökonomischen Ansatzes ist es allerdings wichtig hervorzuheben, daß dieser zunächst ein analytisches Instrument ist um die Funkti179
Wagner, AcP 206, 2006, S. 460 f. Zu unterschiedlichen Ansätzen innerhalb der Rechtsökonomik, die teilweise für ein sehr hohes Ersatzniveau, teilweise für die Verweigerung des Ersatzes immaterieller Schäden eintreten, Thüsing VersR 2001, S. 294 f. 181 RGZ 73, S. 423, 425 sprach §§ 61 Abs. 1 HS 2, 113 Abs. 1 HS 2 HGB präventive Funktionen zu. Zur Bedeutung des Präventionsgedankens außerhalb des Haftpflichtrechts ausführlich: Wagner, AcP 206, 2006, S. 364 – 422; außerdem: Schmidt, KritV 1986, S. 86 ff.; Köndgen, RabelsZ 64, 2000, S. 679. 182 Möller, bes. S. 256 ff. 183 Wagner, AcP 206, 2006, S. 451; ebenso bereits Behrens, S. 175. Der konzeptionelle Unterschied besteht darin, daß die ökonomische Theorie eine gleich bleibend hohe oder sogar höhere Schadensquote durchaus akzeptieren kann, sofern nur der Schädiger die Schadensvermeidungskosten nicht ineffizient auf den Geschädigten abwälzt, während die juristische Theorie eine Senkung der Schadensfälle anstrebt. 184 Weise, S. 197. 185 Wagner, Neue Perspektiven, S. A 79; Ders., AcP 206, 2006, S. 457 f.; Löwe, S. 24. Bost, S. 94: Es gehe nicht um eine „maximale, sondern um eine optimale Verhinderung von Schädigungen“. 186 Bost, S. 95; hier auch eine ausführliche Analyse der wohlfahrtsökonomischen Aspekte, S. 152 – 191, 270 – 323. Wagner, Neue Perspektiven, S. A 79 m. w. N. 187 Wagner, AcP 206, 2006, S. 364. 180
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B. Wird der immaterielle Schaden sauber bemessen?
onsweise bestehender oder hypothetisch gesetzter Haftungssysteme zu verstehen. Gerade in letzter Zeit sind auch die Vertreter dieses Ansatzes skeptischer hinsichtlich der Möglichkeiten einer Nutzanwendung ihrer Modelle im gerichtlichen Alltag geworden.188 Dies gilt nicht nur für die Quantifizierung immaterieller Werte mit Hilfe der neoklassischen Ökonometrie; auch Vertreter des modernen behavioral approach, der zu einer stark wachsenden Kenntnis der individuellen und kollektiven Mechanismen bei der Verarbeitung von Glück und Unglück geführt hat, gestehen offen ein, daß die Möglichkeiten zur Monetarisierung ihrer happiness measures gegenwärtig noch in dramatischer Weise unvollständig seien.189 Entsprechend führte in den USA, wo die Rechtsprechung der Rechtsökonomik sehr viel aufgeschlossener gegenübertritt als in Europa, die Sorge vor der Zulassung allzu gewagter wissenschaftlicher Hypothesen vor Gericht („junk science“190) zu einer zurückhaltenden Linie. So hat der Supreme Court die Zulassung von Wirtschaftswissenschaftlern als Sachverständigen zur Kalkulation bestimmter immaterieller Schäden (hedonic value) stark begrenzt.191 Dennoch werden hier teilweise noch ökonomische Sachverständige zugelassen, um der jury bei der Bemessung immaterieller Schäden zu helfen.192 Auf der Grundlage deutschen Rechts liegen nur vereinzelte Studien vor, in denen tatsächlich versucht wird, mit Hilfe empirischer Daten die Höhe von ex-anteSchmerzensgeldern unter Berücksichtigung des Effizienzkriteriums zu berechnen.193 Hier, wie auch in vergleichbaren Untersuchungen aus anderen Ländern, ergeben sich dann Werte, die um ein Vielfaches über den gegenwärtig üblichen Summen liegen.194 188 Bost, S. 389 f.; ähnlich: Möller, S. 212: „Die ökonomische ,Berechnung‘ des Schadens kann die Ausübung des richterlichen Ermessens keinesfalls ersetzen“. 189 Vitarelli, Yale J. on Reg. 27, 2010, S. 133 f. Zu den massiv unterschiedlichen Ergebnissen von Versuchen, den Geldwert menschlichen Lebens zu bestimmen, vgl. Ott/Schäfer, JZ 1990, S. 571; gegen einen generellen Ersatz von Nichtvermögensschäden mangels Nachweis wirksamer Prävention daher Thüsing, VersR 2001, S. 295. 190 Domingo v. T.K. 289 F.3d. 600, 2002, S. 2; Estate of DuBose v. City of San Diego, 2002 WL 34408963 (S.D.Cal.), S. 1. 191 Ausgangspunkt war die Entscheidung Sherrod v. Berry, 629 F. Supp. 159 (N. D. Ill. 1985), wieder abgedruckt in: Wahl, S. 313 – 318. In Daubert v. Merrell Dow Pharmaceuticals Inc., 113 S. Ct. 2787, 1993 und Kumho Tire Co. v. Carmichael, 131 F.3d 1433, 1999, verschärfte der US-Supreme Court die Anforderungen an die Zulassung wissenschaftlicher Experten als Sachverständige; hierzu näher: Ghosh, J. Intell. Prop. 1, 1999, S. 47 ff.; Ireland/Johnson/Taylor, J. For. Econ. 10, 1997, S. 139 ff. 192 Vgl. z. B. eine Entscheidung des Supreme Court of Nevada: Banks ex rel. Banks v. Sunrise Hosp., 120 Nev. 822, 102 P. 3d 52, 2004 m. w. N. 193 Ott/Schäfer, JZ 1990, S. 563 – 573. Vgl. auch Bost, S. 230 – 247, der allerdings lediglich den Wert der Todesverhütung mit etwa 890.000 E beziffern will, aber keinen Weg zur entsprechenden Ermittlung optimaler Schmerzensgelder sieht. Bereits in den 1970er-Jahren galt „Effizienz“ in den Rechtswissenschaften als „Modewort“: Leisner, S. 5. 194 Schäfer/Ott, Lehrbuch, S. 377: 1,5 Mio. E für schwerste Verletzungen angemessen; das höchste Schmerzensgeld überhaupt beträgt aktuell (bei Kapitalisierung der zusätzlich verhängten Schmerzensgeldrente) knapp 620.000 E: OLG Zweibrücken MedR 2009, S. 88. 1991
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Es waren nicht zuletzt diese als exorbitant empfundenen Hochrechnungen, die die Gegner der Präventionstheorie auf den Plan riefen.195 Die Präventionstheorie wird von verschiedener Seite angegriffen. Strafrechtwissenschaftler bemängeln, daß hier die Unterschiede zwischen Zivil- und Strafrecht verwischt würden: Das Zivilrecht betrete den „Strafraum“196 und verletze den grundrechtlichen Schutz vor Doppelbestrafung und den strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz.197 Aber auch im Zivilrecht werden gravierende Bedenken geltend gemacht. Der Präventionsgedanke dürfe nicht zum alleinigen Zweck des Haftungsrechts erhoben werden, zumal dadurch die Bewegungsmöglichkeiten nicht nur des Täters, sondern auch des Opfers in grundrechtsrelevanter Weise beeinträchtigt würden.198 Das Verhalten des Einzelnen werde außerdem nicht nur durch die Androhung zivilrechtlicher Haftungsfolgen, sondern auch durch Strafrecht, Verwaltungsrecht und andere Anreizfaktoren gesteuert. Wie bestimmt man dann aber das optimale Abschreckungsschmerzensgeld?199 Weiter versage Prävention ebenso wie Genugtuung dort, wo derjenige, der das Schmerzensgeld zahlt ein anderer ist als derjenige, der für die Sorgfalt zuständig ist, insbesondere also dann, wenn der Täter versichert sei.200 Ob die postulierte Wirkung verhaltenssteuernder Schmerzensgelder tatsächlich und nicht nur theoretisch eintrete, sei zudem empirisch nicht gesichert, zumal nicht einmal klar sei, ob die Information über das gerichtlich festgelegte Schmerzensgeldniveau den risikosteuernden Akteuren tatsächlich bekannt sei.201 Gerade wo Entscheidungen in Sekundenbruchteilen gefällt werden müssen, wie etwa im Straßenverkehr, seien kaum verhaltenssteuernde Anreize durch die in Rede stehenden Haftungsfolgen zu
hielten Schäfer und Ott in vergleichbaren Fällen noch 1 Mio. DM für angemessen: Dies., JZ 1990, S. 572. 195 Krit.: Lange/Schiemann, § 7 V 2, S. 439 f.; Staudinger/Schiemann, § 253, Rn. 33. 196 Bötticher, MDR 1963, S. 357. 197 Hirsch, FS Engisch, S. 314, 324; ähnlich: Bötticher, MDR 1963, S. 357 ff.; Gounalakis, AfP 1998, S. 18; Honsell, VersR 1974, S. 207; Staudinger/Schiemann, § 253, Rn. 33; dagegen Wagner, Neue Perspektiven, S. A 78; Ders., AcP 206, 2006, S. 433. 198 Hager, FS Deutsch, 2009, S. 771 m. w. N. 199 Medicus, JZ 2006, S. 812; Thüsing, VersR 2001, S. 295; King, SMU L Rev. 57, 2004, S. 190; für eine vollständige Verlagerung der Präventionsfunktion in das Deliktsrecht: Chaudhuri, S. 147. 200 Honsell, VersR 1974, S. 206 f.; Christian Huber, Schadensersatzrecht, § 2, Rn. 29; Staudinger/Schiemann, § 253, Rn. 33; ebenso für die amerikanische Diskussion King, SMU L. Rev. 57, 2004, S. 187 f.; dagegen: Lange/Schiemann, Einl. III 2 b), S. 11; Wagner, AcP 206, 2006, S. 455. 201 Medicus, JZ 2006, S. 812; Thüsing, VersR 2001, S. 295; Katzenmeier, S. 251 mit Beispielen für vereinzelte empirische Studien in Fn. 386; Köndgen, Haftpflichtfunktionen, S. 69 f., 101 – 103 m. w. N. zur älteren Literatur. Vgl. auch: King, SMU L. Rev. 57, 2004, S. 188 f. m. w. N. zum Informationsproblem; eine „verhalten optimistische Prognose der präventiven Wirkung“ wagt dagegen Möller, S. 109 m. w. N.
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erwarten.202 Manche, besonders schwere, Verletzungen seien unter Präventionsgesichtspunkten überhaupt nicht faßbar.203 Selbst wenn im Übrigen überkompensatorische Schmerzensgelder aus wohlfahrtsökonomischen Gründen zweckmäßig seien, könne mit der Präventionstheorie nicht begründet werden, warum gerade der konkret Geschädigte in den Genuß des Schmerzensgeldes kommen solle.204 Besondere Probleme muß dies im Extremfall der Tötung eines Menschen aufwerfen: Aus Präventionsgesichtspunkten müßte gerade hier, entgegen dem geltenden Recht, eine „billige Entschädigung“ geleistet werden. Doch wer soll dann mit welcher Berechtigung in den „Genuß“ dieser Entschädigung kommen?205 Zumindest auf den ersten Blick fand die Debatte um die Prävention außerhalb der Sonderproblematik des Geldersatzes206 und des ebenfalls dem Persönlichkeitsschutz dienenden neuen Anspruchs auf Ersatz immaterieller Schäden nach § 15 Abs. 2 AGG207 noch keinen Niederschlag in der Rechtsprechung zum Schmerzensgeld.208 Der Präventionsgedanke wird hier im Gegenteil sogar explizit abgelehnt.209 So erklärte das BVerfG im Jahre 2000, daß die Ungleichbehandlung des Ersatzes im Bereich der Persönlichkeitsverletzungen gegenüber dem von Unfallschäden nicht
202 Katzenmeier, S. 252 m. w. N.; ähnlich: King, SMU L. Rev. 57, 2004, S. 188; a.A. Carsten Schäfer, AcP 202, 2002, S. 424.: Es gehe nicht um den Moment der Unachtsamkeit, sondern um das Sorgfaltsniveau bei der planenden Schadensvermeidung. 203 Medicus, JZ 2006, S. 812; Ebert, S. 6 f. 204 Knöpfel, AcP 155, 1956, S. 149. Aus diesem Grund sprechen sich einige Stimmen dafür aus, die Summen wohltätigen Organisationen zukommen zu lassen: Behr, JZ 1976, S. 622 ff. Aus der Perspektive der ökonomischen Analyse ließe sich erwidern, daß die ausgeschütteten Summen teilweise auch eine Motivation für die Übernahme von Prozeßrisiken ist, deren positive Erträge in Form der Abschreckung allen zugute kommen: Cooter, S. Cal. L. Rev. 56, 1982, S. 98 für punitive damages. 205 Zu den Problemen hierbei vgl. Brüggemeier, Haftungsfolgen, S. 188 – 190. 206 BGHZ 128, S. 1, bes. 15 f. („Caroline I“); BGH NJW 1996, S. 985 – 987 („Caroline II“); BGHZ 131, S. 332 („Caroline III“); Instanzgericht war jeweils das OLG Hamburg: NJWRR 1994, S. 990; AfP 1995, S. 517, NJW 1996, S. 2870, AfP 1997, S. 535; zum Präventionsaspekt dieser Rechtsprechung: Wagner, AcP 206, 2006, S. 384 – 386. 207 Nach der Rechtsprechung des BAG ist hier „der Sanktionszweck der Norm zu berücksichtigen. … Dabei ist zu beachten, daß die Entschädigung geeignet sein muß, eine wirklich abschreckende Wirkung gegenüber dem Arbeitgeber zu entfalten und in jedem Fall in einem angemessenen Verhältnis zum erlittenen Schaden stehen muß“: BAG NZA 2010, S. 1412, 1416; BAGE 129, S. 181. Hintergrund ist die Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976. 208 So auch Wagner, AcP 206, 2006, S. 382. 209 LG Berlin NJW 2006, S. 703 („keine ,Abschreckungsfunktion‘“) unter Verweis auf Wiedemann, NVersZ 2000, S. 15.
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zuletzt dadurch gerechtfertigt sei, daß im Unfallrecht keine Präventionsgesichtspunkte durchgriffen.210 Ob diese Haltung von Dauer sein wird, läßt sich bezweifeln. Bereits jetzt nehmen einige Urteile zumindest den Gedanken einer Anreizfunktion des Schmerzensgeldes zur Schadensverhütung auf. So entschieden mehrere OLG in Fällen unfallbedingter Erblindung, daß hier die Schadenshöhe „auch als Regulativ für das Ausmaß der Vorkehrungen für eine Schadensverhütung wirken“ könne.211 Der Einfluß von Ideen aus der ökonomischen Analyse des Rechts ist hier unverkennbar. Nur ganz vereinzelt wird in der Rechtsprechung der „Strafzuschlag“ beim Schmerzensgeld in Fällen zögerlicher Abwicklung durch die Haftpflichtversicherer als „abschreckend“ und damit präventiv beschrieben.212 Die Begründung dieser inzwischen umfassend anerkannten Fallgruppe mit präventiven Gesichtspunkten überzeugt gerade auch in denjenigen Fällen, in denen der Geschädigte bei völliger Zerstörung seiner Persönlichkeit durch diesen Zuschlag weder einen (zusätzlichen) Ausgleich noch eine Genugtuung für die Rücksichtslosigkeit der Versicherung erfahren kann.213 Welche Rolle die Prävention in der künftigen Schmerzensgeldrechtsprechung spielen wird, läßt sich auch unter Einbeziehung entsprechender Publikationen von Mitgliedern des sechsten Zivilsenats des BGH nur schwer ermessen. Dort wird zwar angedeutet, daß im Bereich des Ersatzes immaterieller Schäden, der nicht durch das Prinzip der Totalreparation begrenzt sei, eine stärkere Berücksichtigung präventiver Momente denkbar sei.214 Doch diese Ausführungen zielen erkennbar weniger auf das klassische Schmerzensgeld, als vielmehr auf Fälle der Persönlichkeitsverletzung. ee) Rechtspolitische Erwägungen Nicht nur die Literatur läßt in ihre Überlegungen rechtspolitische Erwägungen in ihre Argumentation zur Gerechtigkeit der Schmerzensgeldbemessung einfließen. Auch in der Praxis führt offenbar die Konfusion über Zielsetzungen und Maßstäbe gelegentlich dazu, schlicht die eigene rechtspolitische Auffassung von der ange-
210
BVerfG NJW 2000, S. 2187, 2188. So bereits BGH VersR 1970, S. 134, 136; BGH VersR 1970, S. 281; BGH NJW 1997, S. 1148; vgl. auch die Zuweisung der Abschreckungsaufgabe ins Strafrecht bei: BGHZ 118, S. 312, 338. 211 OLG Frankfurt a.M. zfs 1996, S. 131, 132; OLG Köln zfs 1998, S. 328, 329 f. 212 OLG Karlsruhe/Freiburg NJW 1973, S. 851, 853; a.A. OLG Düsseldorf I-1 U 130/08, Juris, Rn. 28 (Das Schmerzensgeld diene dem „Ausgleich der immateriellen Schäden des Opfers und nicht der Disziplinierung des Ersatzpflichtigen“). Krit.: Staudinger/Schiemann, § 253, Rn. 33. 213 So etwa bei LG Gera VersR 2009, S. 1232, 1233. 214 Gerda Müller, VersR 2006, S. 1289, 1294 f.
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messenen Höhe bei der Bemessung zu berücksichtigen.215 Dabei wird teilweise zugunsten einer Anhebung argumentiert. So hielt das OLG Celle in einem PKH-Verfahren ein besonders hohes Schmerzensgeld deshalb für gerechtfertigt, da dies dem „Bestreben des Senats“ entspräche, „Schmerzensgelder einer entsprechenden Empfehlung des Verkehrsgerichtstages folgend angemessen zu erhöhen“.216 Immer wieder wird betont, anders als früher bewege sich das Schmerzensgeld heute nicht mehr auf „Almosenniveau“.217 Wichtig sind rechtspolitische Überlegungen aber vor allem als Begründung für die Begrenzung von Schmerzensgeldern. Seltener werden dabei heute moralisierende Argumente genannt, etwa das angebliche Erfordernis, „würdelose Begehrlichkeit, unterstützt durch geschäftstüchtigen Advokatenfleiß“ zu unterbinden.218 Scheinbar rationaler klingt die nicht nur von der Versicherungswirtschaft219 und Teilen der Literatur,220 sondern auch der Rechtsprechung seit einem BGH-Urteil von 1976 heraufbeschworene Gefahr einer „Aufblähung des allgemeinen Schmerzensgeldgefüges“, die der „Versicherten-Gemeinschaft nicht zugemutet werden“ dürfe. An dieser Zumutbarkeitsgrenze müsse sich der Tatrichter bei der Bemessung orientieren.221 Daß mit diesem Kriterium nicht viel gewonnen ist, zeigen die Schwierigkeiten im Umgang mit dem Zumutbarkeitsargument. So sah sich das OLG München 2005 in einem Arzthaftungsfall mit dem Einwand der Berufung konfrontiert, die Höhe des erstinstanzlichen Schmerzensgelds sei für die Versichertengemeinschaft unzumutbar. Es konterte diesen Vorwurf mit dem Argument, der ausgeurteilte Betrag sei zumutbar, wenn er dem entspreche, was „im Bewußtsein redlich denkender und fühlender Menschen als angemessen anzusehen ist“.222 Abgesehen von der Frage, wie man „redlich fühlt“, ist diese Argumentation zirkulär, denn sie definiert nur das Prinzip der Billigkeit, das es doch auszulegen galt.
215 Mit der erstmaligen Verhängung von 1 Mio. DM Schmerzensgeld 2001 wollte allerdings das LG München I VersR 2001, S. 1124 nach eigener Auskunft „weder einen Markstein setzen noch Rechtspolitik betreiben“. 216 OLG Celle NZV 2004, S. 251. 217 OLG München 1 U 2640/05, Juris, Rn. 40; vgl. auch: KG NZV 2002, S. 398, 400; OLG Zweibrücken MedR 2009, S. 88. 218 So noch Pecher, AcP 185, 1985, S. 104. 219 Vgl. Kornes, BG 2006, S. 315. 220 Strücker-Pitz, VersR 2007, S. 1468; Pecher, AcP 185, 1985, S. 104; Diederichsen, VersR 2005, S. 438. Die Betonung dieses Gesichtspunkts durch eine Richterin des sechsten Zivilsenats läßt erwarten, daß der BGH von dieser Position in näherer Zukunft nicht abrücken wird. Dies befürchten auch: Jaeger/Luckey, Rn. 1009. 221 BGH VersR 1976, S. 967, 968; OLG Düsseldorf Schaden-Praxis 2008, S. 255 – 257; OLG Naumburg Schaden-Praxis 2007, S. 354 f.; LG Duisburg 4 O 265/01, Juris, Rn. 16, st. Rspr. 222 OLG München 1 U 2640/05, Juris, Rn. 37 – 41; diesem Kriterium folgend: OLG Zweibrücken MedR 2009, S. 88 – 90.
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Die Berücksichtigung rechtspolitischer Kriterien beim Schmerzensgeld wird von der h.M. teilweise vehement abgelehnt:223 Vor allem wird vorgetragen, daß eine derartige Differenzierung ansonsten im Schadensrecht unüblich sei und betriebsoder volkswirtschaftliche Kalkulationen nicht der Maßstab seien, an denen Einbußen der Person zu messen seien.224 Die befürchtete Maßlosigkeit bei der Forderung nach Schmerzensgeldern sei im Übrigen in der Praxis nicht belegt.225 Auch wenn rechtspolitische Erwägungen meist nur eine argumentative Hilfsfunktion einnehmen, weisen sie doch darauf hin, wie schwer es den Gerichten fällt, ihr Schmerzensgeldurteil mit Hilfe allein rechtlicher Argumentation überzeugend zu begründen. b) Vergleichsrechtsprechung als Bemessungskriterium Gerade die geschilderten Unsicherheiten bei der Festlegung belastbarer Kriterien für die Schmerzensgeldbemessung führten gerade in letzter Zeit verstärkt dazu, festen Grund bei der Bemessung in der Berücksichtigung von Vergleichsrechtsprechung zu suchen, der man zumindest die Fähigkeit zuspricht, der Rechtssicherheit und dem Gerechtigkeitsaspekt im Sinne der Gleichbehandlung zu dienen.226 Die Suche und argumentative Auswertung von Vergleichurteilen, die vor allem den in wachsender Zahl vorliegenden Schmerzensgeldtabellen und -datenbanken entnommen werden, hat inzwischen eine mindestens ebenso große Bedeutung erlangt, wie die Begründung der Schmerzensgeldbemessung aus den Funktionen des Schadensersatzes. Während die Orientierung an Vergleichsurteilen im Ausgangspunkt rechtsdogmatisch heute kaum noch Kontroversen auslöst, fällt auf, daß in oberlandesgerichtlichen Urteilen neuerdings immer ausführlicher über die Bedeutung von Schmerzensgeldtabellen bei der Auffindung des auszuurteilenden Schmerzensgelds diskutiert wird.227 Obwohl bereits vor dem Zweiten Weltkrieg mit Schmerzensgeldtabellen gearbeitet wurde, ist das allgemeine Vertrauen in deren Zuverlässigkeit vergleichsweise 223
Jaeger/Luckey, Rn. 1008 – 1013, 1341; Bamberger-Roth/Spindler, § 253, Rn. 43; von Mayenburg, VersR 2002, S. 285 f.; Christian Huber, Schadensersatzrecht, § 2, Rn. 119 f.; ebenso wohl auch Palandt/Grüneberg, § 253, Rn. 17, der bereits die Frage des Bestehens einer Haftpflichtversicherung des Schädigers für bemessungsirrelevant hält. 224 Jaeger/Luckey, Rn. 1010. 225 Jaeger/Luckey, Rn. 1013 mit einem besonders markanten Beispiel eines maßlosen Ersatzes materieller Schäden. 226 Brüggemeier, Haftungsrecht, 2006, S. 580; Bydlinski, FS Widmer, S. 39. Bereits 1943 wurde die durch die Unsicherheit der Schmerzensgeldhöhe entstehende Rechtsunsicherheit beklagt und Versuche einer Objektivierung durch schematisches Vorgehen unternommen: Krause, DR 1943, S. 1057; vgl. auch: OLG Saarbrücken NJW 1975, S. 1467 („Rationalisierung der Zumessung“). 227 Krit.: Staudinger, NJW 2006, S. 2434; KG 12 U 193/09, Juris, Rn. 23 ff. OLG Frankfurt a.M. NZV 2011, S. 39; Zum vergleichbaren Problem der „Reisepreisminderungstabellen“: Schmid, NJW 2005, S. 2945.
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B. Wird der immaterielle Schaden sauber bemessen?
neu. In der Nachkriegsliteratur wurde die Orientierung an Schmerzensgeldtabellen zunächst kritisiert228 und noch in den 1970er Jahren sogar für gescheitert erklärt.229 Heute dagegen werden sie ohne weiteres als „wichtiges und unverzichtbares Hilfsmittel“ für die Schmerzensgeldbemessung bezeichnet230 und ihnen sogar „eine gewisse Bindung des richterlichen Ermessens“ zugestanden.231 Kritische Stellungnahmen sind selten,232 Versuche einer methodischen und dogmatischen Bewertung dieses Instrumentariums im Kontext von § 253 wurden in letzter Zeit nicht unternommen.233 Nachdem bereits 1969 Henke in einer ausführlichen Analyse die systematische Heranziehung von Vergleichsrechtsprechung befürwortet hatte,234 vollzog auch der BGH 1976 eine Wende:235 Während zuvor der Dritte Senat mit der Mehrheit der Instanzgerichte Vergleichsrechtsprechung für unbeachtlich gehalten hatte und die Bedeutung des Einzelfalls betonte,236 wurde diese nunmehr vom Sechsten Senat ausdrücklich anerkannt und sogar insofern mit Bindungswirkung versehen, als die Gerichte verpflichtet wurden, ein Abgehen von der Vergleichsrechtsprechung besonders zu begründen.237 Besonders dann, wenn der Richter das vorgegebene Schmerzensgeldniveau deutlich nach oben überschreite, müsse er zu erkennen geben, „daß er sich der Bedeutung seiner Entscheidung für das allgemeine Schmerzensgeldgefüge und seiner Verantwortung gegenüber der Gemeinschaft aller Versicher-
228
Fenzl, S. 127 – 129; Dickertmann, NJW 1954, S. 1758. Füchsel, VersR 1970, S. 16. 230 Palandt/Grüneberg, § 253, Rn. 15; Küppersbusch, Rn. 281; Geigel/Pardey, § 7, Rn. 54; ebenso mit gewisser Skepsis bereits: Köndgen, Haftpflichtfunktionen, S. 140 f. 231 Nehlsen-von Stryk, JZ 1987, S. 126 unter Verweis auf BGH VersR 1970, S. 281, wo eine derartige Bindungswirkung gerade abgelehnt wird. Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn. 894 spricht von einer Einschränkung der freien Stellung des Richters durch „Parallelisierungstendenzen der Rechtsprechung (Schmerzensgeldtabellen)“. 232 Vorsichtig krit.: Lange/Schiemann, § 7 V 3, S. 440; Thüsing, VersR 2002, S. 931 f.; Köndgen, Haftpflichtfunktionen, S. 140 f. Ohne Methodenkritik die Rezension zu Jaeger/Luckey, bei Born, NZV 2005, S. 353 – 355. 233 Einige methodenkritische Ansätze finden sich bei: Jaeger/Luckey, Rn. 1014 – 1029; aus der älteren Lit. vgl. ausführlich: Henke; außerdem: Helle AfP 1992, S. 326 (gegen Schmerzensgeldtabellen bei APR-Verletzungen wegen zu geringer Urteilszahl); Füchsel, DAR 1968, S. 253; Berger, VersR 1977, S. 877; aus Schweizer Sicht krit.: Hunziker-Blum, Schweizerische Versicherungs-Zeitschrift 63, 1995, S. 348; Ott/Schäfer, JZ 1990, S. 568 f. übernehmen ohne Methodenkritik die Angaben der ADAC-Datenbank für eine statistische Ermittlung der Schmerzensgeldentwicklung. 234 Henke, passim. Befürwortend bereits Donaldson, AcP 166, 1966, S. 479 f. 235 BGH DB 1976, S. 1520. 236 BGH VersR 1961, S. 459, 461; BGH VersR 1964, S. 842, 843; OLG München 10 U 1571/76, Juris, Rn. 16. 237 BGH DB 1976, S. 1520; zust.: MüKo/Oetker, § 253, Rn. 37; Staudinger/Schiemann, § 253, Rn. 34; Jaeger/Luckey, Rn. 1017. 229
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ten, die letztlich von jeder Ausweitung der Schmerzensgeldsätze belastet wird, bewußt“ sei.238 Eine klare Distanz gegenüber dem Nutzwert von Schmerzensgeldtabellen, wie sie noch in den späten 1970er Jahren vereinzelt durchscheint,239 findet sich heute nur noch selten. Eine 1979 durchgeführte Befragung unter Richtern ergab, daß 95,5 % von ihnen die Heranziehung von Schmerzensgeldtabellen nützlich fanden.240 Überwiegend wird dabei die Bedeutung der Vergleichsrechtsprechung für die Gerechtigkeit des Urteils betont.241 Für annähernd gleiche Verletzungen müsse auch ein annähernd gleiches Schmerzensgeld gezahlt werden.242 Maßgebliche Argumente für den Einsatz von Vergleichsrechtsprechung sind dabei die letztlich verfassungsrechtlich hergeleiteten Argumente der Rechtssicherheit243 und Rechtsanwendungsgleichheit (Art. 3 Abs. 1 GG).244 Die Berücksichtigung von Tabellenwerken schließe im Übrigen auch nicht aus, den Fall abschließend noch einer Einzelfallkontrolle zu unterziehen.245 Andererseits wird aber gelegentlich auch betont, daß „kein Fall mit dem anderen zur Gänze vergleichbar“ sei246 und methodische Sorgfalt bei der Auswahl angemahnt.247 Dabei wird nicht nur auf die Problematik der Geldentwertung und veränderter gesellschaftlicher Vorstellungen über die angemessene Schmerzensgeldhöhe hingewiesen, sondern auch auf die erforderliche Vergleichbarkeit hinsichtlich des Verschuldensgrads.248 Entscheidungen zu vergleichbaren Fällen könnten daher allenfalls „Orientierungshilfen“ sein249 und „gewisse Anhaltspunkte [liefern,] aber weder Maßstab noch Begrenzung“ bei der Bemessung.250 238
BGH VersR 1986, S. 173; OLG Brandenburg 13 U 107/05, Juris, Rn. 24. OLG Köln VersR 1977, S. 628; OLG Köln VersR 1978, S. 650; vgl. dagegen die vorsichtige Zustimmung zur Nutzung von Schmerzensgeldtabellen bei OLG Köln VersR 1992, S. 1013. 240 Musielak, VersR 1982, S. 618 mit allerdings einigen Differenzierungen im Detail. 241 OLG Koblenz NJOZ 2004, S. 419 f.; OLG München, 1 U 2640/05, Juris, Rn. 42.; OLG Schleswig MDR 2009, S. 346; OLG Saarbrücken NJW 1975, S. 1467. 242 MüKo/Oetker, § 253, Rn. 37 m. w. N.; Geigel/Pardey, § 7, Rn. 54; OLG Oldenburg NJW-RR 2007, S. 1468; KG NJW-RR 2003, S. 24, 26. 243 OLG Naumburg 6 U 114/06, Juris, Rn. 21. 244 OLG Schleswig 4 U 10/01, Juris, Rn. 25; OLG München 1 U 2640/05, Juris, Rn. 42 unter Verweis auf: OLG Hamm, NJW 2000, S. 3219; OLG Celle, 9 W 21/01, Juris; Brüggemeier, Haftungsrecht, S. 580. 245 LG Osnabrück VersR 1992, S. 466. 246 OLG München 1 U 2640/05, Juris, Rn. 42; ebenso bereits: OLG Oldenburg VersR 1983, S. 1064. 247 OLG München 1 U 2640/05, Juris, Rn. 42; zurückhaltend auch: Kötz/Wagner, Rn. 712. 248 OLG München 1 U 2640/05, Juris, Rn. 42 f. 249 KG NJOZ 2005, S. 4637, 4640 f. Ähnlich: OLG München 1 U 2640/05, Juris, Rn. 42; OLG Saarbrücken zfs 1999, S. 101 („Orientierungsrahmen“). 250 OLG Karlsruhe VersR 2001, S. 1175; zust.: Geigel/Pardey, § 7, Rn. 54. 239
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Wie stark sich im Ergebnis selbst unterschiedliche Senate desselben Gerichts bei der Anwendung von Vergleichsrechtsprechung unterscheiden, zeigt ein Vergleich des 20. und des 12. Zivilsenats des Kammergerichts: So verweigerte der 20. (Arzthaftungs-)Senat die Berücksichtigung von Vergleichsentscheidungen und hielt fest, eine dem Gleichheitssatz entsprechende Gleichbehandlung unterschiedlicher Fallkonstellationen sei „faktisch nicht realisierbar“.251 Für eine Berücksichtigung vergleichbarer Entscheidungen fehle bereits die entsprechende Aktenkenntnis.252 Anders entscheidet dagegen der für Verkehrsunfälle zuständige 12. Zivilsenat des Kammergerichts in ständiger Rechtsprechung. Er sieht die gesetzliche Billigkeitsanordnung als Eröffnung eines Spielraums, den der Richter „durch eine Einordnung des Streitfalls in eine Skala der von ihm entschiedenen anderen Fälle einordnen“ müsse.253 Eine Zusammenschau von Schmerzensgeldentscheidungen der letzten zehn Jahre zeigt einen quantitativen und qualitativen Bedeutungsgewinn der Argumentation mit Vergleichsrechtsprechung und damit einhergehend eine stärker technokratische Begründungskultur.254 Die abgrenzende Besprechung vergleichbarer Präzedenzentscheidungen nimmt im Vergleich zur Erörterung der bemessungsrelevanten Faktoren einen immer größeren Raum ein. Der Einsatz von Schmerzensgeldtabellen soll dabei dazu dienen, Rationalitätserwartungen zu befriedigen, die durch klassische juristische Argumentation offensichtlich nicht mehr hinreichend bedient werden. Das OLG München stellt ganz dezidiert fest, daß die „besondere Bedeutung“ der Tabellen daraus erwachse, daß Schmerzensgelder „nicht betraggenau bestimmbar und für jedermann nachvollziehbar begründbar [sic!]“ seien.255 Die Vergleichsrechtsprechung dient also nicht nur als Hilfe dabei, einen Schmerzensgeldbetrag auszuwerfen, sondern übernimmt gleichzeitig auch einen Teil der Begründungslast, die durch juristisches Argumentieren angeblich nicht geleistet werden kann. Dieser Wandel wird von den Parteien teilweise bewußt verstärkt, indem etwa bei der Berufungsbegründung darauf hingewiesen wird, daß das erstinstanzliche Gericht keine Vergleichsrechtsprechung berücksichtigt habe.256 Teilweise wird seitens der Prozeßbeteiligten ein übermäßiges Eingehen auf vergleichbare Fälle aber auch als Mangel an Einfühlungsvermögen für die vorgetragenen
251
KG NJOZ 2004, S. 2197, 2199; NJOZ 2005, S. 4637, 4640 f. KG NJOZ 2004, S. 2197, 2199. 253 KG 12 U 193/09, Juris, Rn. 21; KG NZV 2002, S. 230, 232, st. Rspr. 254 Ähnlich die Beobachtung bei Jaeger/Luckey, Rn. 1022. Vgl. z. B. die schematische Begründung bei OLG Stuttgart NJOZ 2010, S. 1374, bes. 1375 f. 255 OLG München 20 U 4661/10, Juris, Rn. 16; KG NJW-RR 2003, S. 24, 26. 256 OLG Frankfurt a.M. NZV 2011, S. 39, 40. Die Schwierigkeit bestand hier darin, daß die einschlägigen Schmerzensgeldtabellen für das streitgegenständliche Schadensbild keinen vergleichbaren Fall abwarfen. 252
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Besonderheiten des Einzelfalls kritisiert.257 Dieser Einwand scheint besonders bedenkenswert, denn er deckt sich mit den Erkenntnissen der modernen Psychotraumaforschung, wonach gerade die Möglichkeit, im Prozeß das Erlebte zu verarbeiten, für das Traumaopfer von besonderer Bedeutung für die positive Entwicklung und die Prävention einer posttraumatischen Belastungsstörung ist.258 Zwar ist das Gericht kein Ort der Psychotherapie und folgt primär anderen Zielsetzungen als der Opferhilfe, doch wenn das primäre schadensersatzrechtliche Ziel der Restitution und der im Gesetzgebungsverfahren ausdrücklich erwähnte Zweck des Opferschutzes ernst genommen werden sollen, muß sich die Rechtsordnung zumindest der potentiell schadensvertiefenden Wirkung einer rein mechanistisch arbeitenden Schadensersatzpraxis bewußt sein. Hinzu kommt aus juristischer Perspektive, daß sich aus der Verwendung von Vergleichsrechtsprechung gerade keine argumentative Tendenz entnehmen läßt; sie kann, je nach Auswahl, gleichermaßen als zentrales Argument für eine Erhöhung oder für eine Reduzierung259 gegenüber dem klägerischen Antrag oder der Entscheidung von Vorinstanzen eingesetzt werden. Dennoch genießen Vergleichsrechtsprechung und Schmerzensgeldtabellen inzwischen auch über ihren engeren Anwendungsbereich hinaus einen guten Ruf. Sie werden nicht nur bei der Bestimmung von Schmerzensgeldurteilen als „Werttabelle“ herangezogen, sondern auch sonst überall dort, wo nach einem Ersatz für reale Märkte im Kontext immaterieller Einbußen gesucht wird. So zieht beispielsweise die Bundesanstalt für Straßenwesen die ADAC-Schmerzensgelddatenbank als Grundlage der Berechnung humanitärer Unfallkosten im Bereich der Unfallkostenrechnung heran.260 c) Zwischenergebnis Die Übersicht über die rechtlichen Grundlagen der gegenwärtigen Bemessungspraxis konnte zeigen, daß bereits auf der Ebene der Dogmatik erhebliche Divergenzen bestehen. Die offene Formulierung des § 253 überläßt Theorie und Praxis einen breiten Interpretationsspielraum, der durch das nach wie vor grundlegende Urteil des Großen Senats von 1955 nicht hinreichend präzisiert werden konnte, um eine homogene Bemessung zu erlauben. Die fortdauernden Differenzen bei der Beurteilung der bemessungsrelevanten Faktoren führten vielmehr zu einer wachsenden Unsicherheit über die Wertungsgrundlagen des Schmerzensgelds, die durch einen zu-
257 Ein Beispiel liefert KG VersR 2011, S. 274, wo das Gericht die Aufforderung des Klägers, sich mit den Besonderheiten der Schädigung bei einem vierjährigen Kind besonders zu befassen, beiseite schiebt und sich fast ausschließlich mit der Einordnung des Falls in die Vergleichsrechtsprechung begnügt. 258 Fischer/Riedesser, S. 222. 259 OLG Hamm NJW-RR 1993, S. 537; OLG Celle VersR 2006, S. 1085. 260 Baum/Kranz/Westerkamp, S. 74 f.
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B. Wird der immaterielle Schaden sauber bemessen?
nehmend mechanistisch verstandenen Rückgriff auf Vergleichsrechtsprechung und insbesondere Schmerzensgeldtabellen argumentativ verschleiert werden. Dabei ist festzuhalten, daß die Verwendung von Vergleichsrechtsprechung nicht schlechthin schädlich ist. Daß sich ein Richter bei seiner Entscheidung auch dann mit Präjudizien beschäftigen muß, wenn er sich nicht an sie hält, bedarf keiner weiteren Erläuterung.261 Eine entsprechende Kritik kann daher nicht genereller, sondern nur gradueller Natur sein: Die Berücksichtigung von Vergleichsrechtsprechung wird um so problematischer, je stärker einerseits die Einzelfallentscheidung durch Präjudizienbindung verunklart oder gar vereitelt wird und je geringer gleichzeitig die in der Vergleichsrechtsprechung repräsentierte Grundlage für die richterliche Entscheidung ist. Dies gilt in besonderem Maße dann, wenn Vergleichsmaßstäbe mechanisch aus Schmerzensgeldtabellen entnommen werden, ohne die zugrunde liegende Entscheidung vollumfänglich in die Abwägung einzubeziehen.
II. Die Praxis Während zuvor die Schmerzensgeldbemessung aus rechtsdogmatischer Perspektive beleuchtet wurde, werden im folgenden Abschnitt die praktischen Auswirkungen der gegenwärtigen Bemessungspraxis analysiert. Dabei soll zunächst die bereits angedeutete Kritik an der Verwendung von Vergleichsrechtsprechung durch die Gerichte mit Hilfe einiger methodischer Überlegungen vertieft werden, ehe dann der Versuch einer empirischen Annäherung an die praktischen Divergenzen von Schmerzensgeldentscheidungen zu vergleichbaren Fällen unternommen wird.
1. Schmerzensgeldtabellen und Vergleichsrechtsprechung Gerade die steigende Bedeutung von Vergleichsrechtsprechung macht es erforderlich, deren Einbeziehung und insbesondere die Heranziehung der verbreiteten Schmerzensgeldtabellen methodenkritisch zu überprüfen. Es fragt sich, ob die vorliegenden Tabellenwerke überhaupt geeignet sind, dem Richter einen verläßlichen Vergleichsmaßstab zu liefern oder ob sie eher eine Vergleichbarkeit vorspiegeln, wo in Wirklichkeit gravierende Unterschiede in den Fallgestaltungen bestehen. a) Grundlagen Sucht ein Gericht nach passender Vergleichsrechtsprechung, wird es zunächst die teilweise bereits seit Jahrzehnten gepflegten Schmerzensgeldtabellen konsultie261 Zum Fehlen einer verfassungsrechtlich gebotenen Präjudizienbindung vgl. Maunz/ Dürig/Hillgruber, Art. 97, bes. Rn. 48 f.
II. Die Praxis
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ren.262 Diese enthalten allerdings keine Urteile im Volltext, sondern lediglich einige Hinweise zum Sachverhalt, eine Auswahl bemessungsrelevanter Fakten, sowie die ausgeurteilte Summe. Benötigt der Richter weitere Informationen, kann er versuchen, diese über die Literatur oder einschlägige Entscheidungsdatenbanken (jurisonline, beck-online etc.) im Volltext zu ermitteln. Allerdings wird dies nur in einem Teil der Fälle gelingen, so daß er sich im Übrigen mit den Informationen der Schmerzensgeldtabellen begnügen muß. Urteilssammlungen zum Schmerzensgeld werden in Deutschland nicht zentral oder hoheitlich angelegt.263 Gegenwärtig sind auf dem Markt drei größere Tabellenwerke verbreitet, die allesamt Privatarbeiten sind.264 Das muß nicht grundsätzlich ein Nachteil gegenüber einer staatlich monopolisierten Erhebung sein. Allerdings ist nicht zu verkennen, daß zumindest hinter einigen der vorliegenden Schmerzensgeldtabellen durchaus schmerzensgeldpolitische Absichten stehen. Dies trifft für die vom ADAC herausgegebene Sammlung von Hacks, Ring und Böhm ebenso zu wie für das relativ neue, von den Richtern Jaeger und Luckey gepflegte Sammelwerk. Letztere nennen im Vorwort ihrer ersten Auflage ganz explizit das Ziel „eine Plattform für höhere Schmerzensgelder zu schaffen.“265 Alle drei Sammlungen enthalten zwar ausführliche Einführungen in die materiell- und prozeßrechtlichen Besonderheiten des Schmerzensgeldanspruchs, kaum aber Hinweise auf methodische Probleme im Umgang mit den Tabellenwerken.266 Diverse bemessungsrelevante Schwierigkeiten werden dabei übersehen, die sowohl die Erhebung und Verarbeitung, als auch den Verwendungskontext der Schmerzengelddaten betreffen. b) Auswahl der Daten Eine nahe liegende Frage gilt der Vollständigkeit bzw. der Sammlung und Auswahl der veröffentlichten Entscheidungen. Selbstverständlich erfaßt keine der Sammlungen sämtliche in Deutschland ergangenen Schmerzensgeldentscheidungen. Die Kriterien der Auswahl und die Systematik bei der Erstellung werden jeweils nicht
262 Bereits 1955 erschien eine 1958 nach drei Auflagen eingestellte Tabelle: Chomse, passim. Vgl. außerdem: Giese, passim. 263 Der Vorschlag der ehemaligen BGH-Richterin Scheffen, NZV 1994, S. 420, durch Zusammenarbeit der OLG mit Fachleuten zu einem „Raster“ für Schmerzensgelder zu gelangen, blieb offensichtlich ohne Resonanz. 264 Jaeger/Luckey; Hacks/Ring/Böhm, hier verwendet in der Datenbankversion auf CDROM; Slizyk, hier verwendet als Datenbank unter dem Titel „IMM-DAT Plus“. 265 Jaeger/Luckey, S. VII. Bei der Autorenpräsentation in Hacks/Ring/Böhm, S. 8, wird das Engagement der Autorin Hacks für höhere Schmerzensgeldbeträge hervorgehoben. 266 Hacks/Ring/Böhm, Allgemeiner Teil, Kap. IV. S. 1 warnen immerhin vor einer Überschätzung der Vergleichsentscheidungen und davor, die Besonderheiten des Einzelfalls aus den Augen zu verlieren. Eine Übersicht über methodische Probleme findet sich bei Jaeger, VersR 1996, S. 1177.
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vollständig genannt und sind damit intransparent.267 Eine rein numerische Durchsicht legt nahe, daß bestimmte Gerichte signifikant häufiger berücksichtigt werden als andere.268 So finden sich in der ADAC-Datenbank 279 Entscheidungen des LG München I, während aus den Landgerichten anderer, auch größerer deutscher Ballungszentren deutlich weniger Urteile aufgenommen wurden (LG Berlin: 48, LG Hamburg: 21, LG Köln: 74).269 Offensichtlich werden die Sammlungen durch die Kombination einer systematischen Literaturanalyse und zufälliger Einsendungen von Gerichten oder Prozeßparteien aufgebaut und fortgeführt. Dadurch dürfte insofern eine Verzerrung in die Auswahl gelangen, als weniger durchschnittliche Urteile des juristischen Alltags, sondern vor allem spektakuläre Entscheidungen eingesandt oder in die juristische Fachliteratur aufgenommen werden, die entweder durch spezielle rechtliche oder aber durch tatsächliche Auffälligkeiten, insbesondere die Höhe des ausgeurteilten Betrags, aus der Masse herausragen. Für den Anwender, der eine möglichst große Zahl von vergleichbaren Fallkonstellationen sucht, wäre eine größere Zahl „durchschnittlicher“ Entscheidungen hilfreicher. Auffällig sind unterschiedliche zeitliche Grenzen: Während IMM-DAT nur Urteile nach 1985 und Jaeger/Luckey vorwiegend nach 1999 aufnehmen, reicht die ADAC-Tabelle bis in die Mitte der 1970er Jahre zurück. Die Berücksichtigung älterer Entscheidungen bringt zwar den Vorteil einer Vergrößerung des Vergleichsstoffes mit sich. Andererseits erzeugt deren Einbeziehung aber auch besondere Verzerrungsmöglichkeiten, nicht nur aufgrund der Geldentwertung, sondern auch wegen möglicher Änderungen der zugrunde liegenden rechtlichen und ethisch-sozialen Wertungen. Die Gefahr, daß durch eine unkritische Nutzung älterer Entscheidungen veraltete Wertungen perpetuiert werden, ist nicht von der Hand zu weisen.270 Keinen Eingang in die Tabellen finden Schmerzensgelder, die durch inner- oder außerprozessuale Vergleiche zustande kommen, denn derartige Verhandlungsergebnisse werden nicht veröffentlicht und von den Betroffenen tunlichst unter Verschluß gehalten. Gelegentliche Andeutungen lassen vermuten, daß außergerichtlich deutlich höhere Schmerzensgelder vereinbart werden, als die Schmerzensgeldtabellen für vergleichbare Fälle ausweisen.271
267
Krit. auch Füchsel, DAR 1968, S. 253; zur vergleichbaren Problematik bei Reisepreisminderungstabellen: Schmid, NJW 2005, S. 2946 f. 268 Die geringe Beachtung Berliner Urteile konstatiert bereits Füchsel, DAR 1968, S. 253. 269 Ähnlich die Abweichungen bei Slizyk: LG München I: 99; LG Köln: 69; LG Hamburg: 36; LG Berlin: 34. Auch auf der Ebene der OLG dominieren jeweils Entscheidungen aus München und Köln gegenüber Hamburg und Berlin, wobei hier allerdings der kleinere Einzugsbereich der beiden Stadtstaaten zu beachten ist. 270 Vgl. hierzu die kritischen Anmerkungen bei Jaeger/Luckey, Rn. 1029. Ebenso für die USA: Sanders, DePaul L. Rev. 55, 2006, S. 506. 271 LG München I NJW-RR 2001, S. 1246, 1247.
II. Die Praxis
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c) Zuverlässigkeit der Daten Ein weiteres Problem liegt in der Gründlichkeit bei der Erhebung und Verarbeitung der Daten. Bei der Auswertung von Stichproben fiel eine Reihe von offensichtlichen Fehlern und Ungereimtheiten auf. Besonders im Bereich unveröffentlichter Urteile wichen die Angaben identischer Urteile in den unterschiedlichen Sammelwerken immer wieder signifikant voneinander ab. Da hier, wie auch in der Bemessungspraxis, nicht immer die vollständigen Entscheidungen und in keinem Fall die vollständigen Akten zur Verfügung standen, muß von einer „Dunkelziffer“ weiterer Übertragungsfehler ausgegangen werden. Derartige Schreib- und Transskriptionsfehler lassen sich bei solch umfangreichen Zahlenwerken kaum vermeiden. Sie fanden sich im Laufe der näheren Analyse nicht nur bei der Bezeichnung des erkennenden Gerichts272 und des Entscheidungsjahres,273 sondern auch bei wesentlich bedeutsameren Fakten wie dem Alter des Geschädigten,274 der Mitverschuldensquote,275 gelegentlich aber auch bei der Wiedergabe der ausgeurteilten Summe selbst.276 Durchaus sehr erheblich kann dabei der fehlende 272 Vgl. die Zuordnung der Entscheidung OLG Düsseldorf 8 U 147/99 (= VersR 2001, 1384) zum OLG München bei Slizyk, Nr. 2888. Richtig dagegen: Hacks/Ring/Böhm, Nr. 2829; LG Frankfurt/O. DAR 2008, S. 29 wird bei Jaeger/Luckey, E 932 dem LG Freiburg zugeschrieben. 273 Die 2000 ergangene Entscheidung OLG Köln NJW-RR 2000, S. 1344 wird bei Slizyk, Nr. 2883 für 2009 angegeben. Sie erscheint korrekt noch einmal Ebd., Nr. 2844. 274 Vgl. die Angaben zu LG Flensburg 4 O 263/98 bei Slizyk, Nr. 3080 (6 Jahre) und bei Hacks/Ring/Böhm, Nr. 2913 (5 Jahre). Keine Erwähnung bei Jaeger/Luckey. Ungenau auch die Angabe „Kleinkind“ für einen bei der Geburt geschädigten Säugling zu LG Kleve zfs 2005, S. 235 bei Hacks/Ring/Böhm, Nr. 3051. Für den Fall LG München GesR 2003, S. 355 spricht Slizyk, Nr. 3174 von einer 14-jährigen Geschädigten. Aus dem Berufungsurteil OLG MedR 2006, S. 106 ergibt sich jedoch, daß es sich um eine 19jährige handelt. So auch: Hacks/ Ring/Böhm, Nr. 2870. 275 Zu OLG Frankfurt a.M. NZV 1996, S. 281 gibt Slizyk, Nr. 1914 einen Mitverschuldensanteil von 25 % an. Das Urteil selbst legt aber ein Mitverschulden von 1/3 zugrunde: Ebd., 283. An anderer Stelle, Slizyk, Nr. 2156, wird dasselbe Urteil noch einmal mit korrekter Quote wiedergegeben. Zu OLG Hamm NZV 1997, S. 233 fehlt bei Hacks/Ring/Böhm, Nr. 618 die im Urteil ausgewiesene Mitverschuldensquote von 50 %. Das LG Dessau 2 O 1185/98 hatte nicht, wie bei Slizyk, Nr. 3100 angegeben, eine Vollhaftung des Beklagten, sondern eine 20 %ige Mitverursachung angenommen. 276 Fehlerhaft: OLG Frankfurt a.M. VersR 1996, S. 764 (ausgeurteilt: 300.000 DM) bei Slizyk, Nr. 2156 (250.000 DM); OLG Hamm, VersR 2004, S. 516 bei Jaeger/Luckey, E 2049: Das Gericht hatte eine vorprozessual gezahlte Summe von 200.000 DM (nicht 200.000 E!) erwähnt. Richtig: Slizyk, Nr. 3202. Vgl. auch Jaeger/Luckey, E 587 zu LG Berlin VersR 2004, S. 1326: 250 E statt 500 E, außerdem wird hier auch das Aktenzeichen verkehrt angegeben (23 O 593/01 statt 23 O 539/01). Das richtige Urteil erscheint dann Ebd., E 590. Bei der Wiedergabe von LG Mannheim 3 O 247/03 nennen Jaeger/Luckey E 2075 nur den ausgeurteilten Betrag von 346.612 E. Dieser ergab sich allerdings erst nach Abzug eines bereits vom Beklagten geleisteten Teilbetrags. Insgesamt betrug das zuerkannte Schmerzengeld daher exakt 500.000 E. Widersprüchlich auch Jaeger/Luckey, E 1378: Die Summe von 750 E läßt sich dem Urteil nicht entnehmen. Zum Urteil LG Würzburg DAR 2002, S. 74 gibt Slizyk an einer Stelle
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Hinweis auf eine zusätzlich zum Kapitalbetrag ausgeworfene Schmerzensgeldrente ausfallen. Dies gilt etwa bei Geburtshilfefehlern, wo ab dem ersten Lebensjahr kapitalisiert wird.277 Ebenfalls gravierend wirkt sich aus, wenn bei einer zurückverweisenden Entscheidung des BGH zum Zwecke einer (höheren!) Neufestsetzung des Schmerzensgelds in der Tabelle ein Betrag von 0 E ausgewiesen wird.278 Andere Abweichungen ergaben sich durch unterschiedliche methodische Ansätze der Tabellenwerke beim Umgang mit den Beträgen selbst. Auf die Erfordernisse einer Inflationsbereinigung älterer Entscheidungen wird immer wieder hingewiesen.279 Die Datenbank IMM-DAT bietet auch einen entsprechenden Rechner an, während die ADAC-Schmerzensgelddatenbank zwar einen inflationsangepaßten Betrag auswirft, allerdings an keiner Stelle erwähnt, auf welches Bezugsjahr sich die Umrechnung bezieht. Teilweise durchaus erheblich können sich Unsauberkeiten bei der Umrechnung von DM- in Euro-Beträge auswirken. Jaeger/Luckey und die ADAC-Datenbank runden nämlich, letztere unter Verweis auf eine fern liegende Rechtsgrundlage, im Verhältnis 1:2.280 Diese Ungenauigkeit gegenüber dem amtlichen Umtauschkurs von 1:1,95583 führt besonders bei großen Beträgen zu durchaus nennenswerten Diskrepanzen, die zu Lasten der Schmerzensgeldgläubiger gehen: So wird beispielsweise ein 1999 ausgeurteilter Betrag von 800.000 DM, jeweils unter Berücksichtigung der Indexanpassung, in der ADAC-Schmerzensgeldtabelle mit heute 472.647,70 E angegeben, in der Schmerzensgelddatenbank IMM-DAT dagegen, bei (Nr. 2912) die Schmerzensgeldrente korrekt mit 1.000 DM wieder, an anderer Stelle aber (Nr. 2952) mit 1.000 E. 277 Vgl. z. B. die Angaben zu OLG Oldenburg 5 U 60/92, Juris, bei Hacks/Ring/Böhm, Nr. 2732 und Slizyk, Nr. 2244. Das Gericht hatte 1993 einem durch Geburtshilfefehler geschädigten neugeborenen Mädchen neben einem Schmerzensgeldkapital von 150.000 DM ausweislich des bei Juris veröffentlichten Volltexts eine monatliche Rente von lebenslang monatlich 500 DM zugesprochen. Bei der üblichen Verzinsung von 5 % entspräche dies kapitalisiert weiteren rund 120.000 DM. Dieser letztgenannte Betrag fehlt jedoch bei Hacks/Ring/ Böhm. Für die Kapitalisierung wurde hier, wie auch im Folgenden, die Tabelle bei Jaeger/ Luckey, Rn. 169 herangezogen. 278 Vgl. BGHZ 120, S. 1: Hacks/Ring/Böhm, Nr. 2940 geben einen Betrag von 50.000 DM und 500 DM Rente an, Slizyk, Nr. 2212 setzt beide Posten dagegen auf Null. Tatsächlich hatte der BGH in dieser Entscheidung seine Auffassung von der Ersatzfähigkeit in Fällen irreversibler Persönlichkeitszerstörungen revidiert und zwecks Entscheidung über den Einzelfall zurückverwiesen. 279 Näher: Pardey, Rn. 2873 f. 280 Jaeger/Luckey und Hacks/Ring/Böhm rechnen 1:2 um und runden damit zu Lasten der Kläger. Begründet wird diese Glättung mit dem Gesetz zur Umrechnung und Glättung steuerlicher Euro-Beträge (StEuGlG) vom 19. 12. 2000, BGBl. I, S. 1790: Hacks/Ring/Böhm, Benutzerhinweise, S. II. Dieser Verweis ist offenkundig falsch, denn anders als im Steuerrecht gilt in Ermangelung einer Sonderregel im Schadensrecht die kommastellengenaue Umrechnung (Vgl. Art. 4 Satz 2 VO (EG) Nr. 1103/97 vom 17. 6. 1997 über bestimmte Vorschriften im Zusammenhang mit der Einführung des Euro, AblEG Nr. L 162, S. 1). Vgl. auch: MüKo/ Grundmann, §§ 244, 245, Rn. 51 und 62.
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korrektem Umrechnungskurs, mit 478.846,66 E.281 Dies entspricht einem Unterschied von mehr als 6.000 E. d) Vollständigkeit der bemessungsrelevanten Informationen Gravierende Probleme für die Verwertung ergeben sich aus der mangelnden Vollständigkeit der in den Tabellen aufgeführten Angaben.282 Eine umfassende Wiedergabe des Tatbestands würde zwar dem Tabellencharakter und der Übersichtlichkeit schaden und erscheint daher unpraktikabel. Angesichts der Bedeutung, die die Rechtsprechung dem Verletzungskontext (Straßenverkehr, Arzthaftung etc.) für die Berücksichtigung der Genugtuungsfunktion zumißt, sollte aber zumindest eine grobe Information darüber erfolgen, welche Umstände (Pflichtverletzung, Gefährdungshaftungstatbestand) jeweils zur Haftung führen. Außerdem müßten zu jedem Urteil zumindest die zentralen bemessungsrelevanten Faktoren angegeben werden, also: Art der Verletzung, Umfang der Schmerzen, Alter des Verletzten, Wahrnehmung der Verletzung durch den Verletzten, Verlauf der Heilung, Dauer des Leidens und Verschuldensgrad.283 Gerade hier zeigen die ausgewählten Stichproben teilweise gravierende Unzulänglichkeiten. Besonders bei unveröffentlichten Entscheidungen läßt sich oft nicht einmal nachvollziehen, in welchem Lebensbereich die entscheidungserhebliche Pflichtverletzung geschah.284 Wichtige Umstände des Einzelfalls, etwa das Alter des Geschädigten oder bei einem Zeigefingerverlust die Angabe, ob ein Rechts- oder Linkshänder geschädigt worden ist, werden häufig nicht genannt oder sind ungenau („Frau in den besten Jahren“).285 Besonders häufig fehlen Angaben, ob und wenn ja in welchem Umfang ein Verschulden auf Beklagtenseite in die Entscheidung eingeflossen ist. Umgekehrt wird immerhin der Mitverschuldensanteil regelmäßig genannt. Manche Tabellen bieten gleichzeitig einen Rechner an, der die Summe unter Ausblendung dieses Anteils angibt.286 Angaben über die Einbeziehung eines, zumindest denkbaren, wenn
281
LG Flensburg 4 O 263/98, unv., bei Slizyk, Nr. 3080 = Hacks/Ring/Böhm, Nr. 2913. Fenzl, S. 128. 283 BGH NZV 1998, S. 370, 371; übersichtlich dargestellt werden die Kriterien bei Jaeger/ Luckey, Rn. 1031 ff. 284 Vgl. OLG Köln 15 U 117/01, unv., bei Slizyk, Nr. 3063; LG Berlin 4 O 374/94, unv., bei Hacks/Ring/Böhm, Nr. 3012; OLG Brandenburg, 2 U 198/97, unv., bei Slizyk, Nr. 3357; LG Trier 5 O 61/04, unv., bei Hacks/Ring/Böhm, Nr. 2865; LG Regensburg 3 O 1371/93, unv., bei Slizyk, Nr. 2253 und Hacks/Ring/Böhm, Nr. 2824. 285 LG Ravensburg 1 O 123/86, unv., bei Slizyk, Nr. 1403. Keine Altersangaben bei: OLG Oldenburg 5 U 62/04, unv., bei Jaeger/Luckey, E 2079. 286 So die Online-Version von Slizyk. Zur Problematik dieses Verfahrens vgl. unten, Kap. B. II. 1. e). 282
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auch nicht besonders praxisrelevanten, immateriellen Vorteilsausgleichs, wären ebenfalls einzubeziehen,287 konnten allerdings an keiner Stelle aufgefunden werden. e) Materiellrechtlicher und prozessualer Kontext der Angaben Angesichts der oben aufgezeigten Diskrepanzen der Gerichte bei der Bemessungsbegründung muß damit gerechnet werden, daß auch jenseits grob rechtsfehlerhafter Urteile288 ganz erhebliche Unterschiede bei den Bewertungsmaßstäben einfließen, ohne daß diese aus den Tabellen oder entsprechenden Datenbanken eindeutig hervorgehen. Besonders die Rolle der Genugtuungsfunktion bildet einen neuralgischen Punkt. Schmerzensgeldtabellen sind kaum verwertbar, wenn weder klar wird, ob die entsprechende Schädigung vorsätzlich oder nur fahrlässig verursacht wurde, noch, ob das Gericht diesen Umstand überhaupt berücksichtigt hat. Erst recht ist vor diesem Hintergrund ein Vorgehen zu beanstanden, die in den Schmerzensgeldtabellen vorgefundenen Schmerzensgeldbeträge als normales (Ausgleichs-) Schmerzensgeld zu betrachten, das dann ggf. um einen Genugtuungszuschlag zu erhöhen ist. Wenig Beachtung schenken die Verwender von Schmerzensgeldtabellen auch der prozessualen Situation. Diese produziert immer wieder Summen, die entweder das Schmerzensgeld nicht endgültig festlegen, oder keine eigenständige Wertung des erkennenden Gerichts wiedergeben. So fließen in die Sammelwerke in großer Zahl Urteile zur Prozeßkostenhilfe ein, die lediglich auf den klägerischen Angaben und nicht einer umfassenden Beweiserhebung und -würdigung beruhen und erst recht keine endgültige Festlegung eines Schmerzensgelds unter Abwägung aller entscheidungserheblichen Tatsachen treffen.289 Auch mangelnde Rechtskraft spielt für die Aufnahme in die Tabelle keine Rolle. So erscheinen nicht wenige Urteile von Instanzgerichten, die später von der Berufungs- oder Revisionsinstanz kassiert oder hinsichtlich der Schmerzensgeldhöhe abgeändert wurden. Sofern Urteile von Revisionsgerichten einfließen, ist zu bedenken, daß diese die vom Tatsachengericht festgesetzten Beträge nur eingeschränkt überprüfen dürfen und daher ebenfalls keine eigenständige Bewertung der bemessungsrelevanten Faktoren vornehmen.290 Für die Berufungsinstanz haben sich nach der Rechtsmittelreform auch einige Oberlandesgerichte darauf beschränkt, gem. § 513 Abs. 1 ZPO die erstinstanzliche Entscheidung lediglich auf Rechtsfehler zu 287 OLG Köln 5 U 86/08, Juris wird zwar bei Jaeger/Luckey, Rn. 652 erwähnt, erscheint aber wegen klageabweisender Entscheidung weder hier im Tabellenteil, noch in einer der beiden anderen Schmerzensgeldtabellen. Vgl. auch: Pauge, VersR 2007, S. 569, 576. Zu den Grenzen des Vorteilsausgleichs bei immateriellen Schäden: Brüggemeier, Haftungsrecht, S. 560. 288 Vgl. das oben, Fn. 23 genannte Beispiel. 289 BeckOK/Spindler, § 253, Rn. 73. 290 BGHZ 138, S. 388, 391; MüKo/Oetker, § 253, Rn. 74.
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untersuchen.291 Der BGH hat zwar inzwischen klargestellt, daß die Berufungsinstanz eine eigenständige Schmerzensgeldbemessung vornehmen muß.292 Doch wenn lediglich die Beklagtenseite gegen die Höhe des Schmerzensgeldes Berufung einlegt, begnügen sich die OLG-Senate häufig damit, den ausgeurteilten Betrag für „jedenfalls nicht übersetzt“ zu erklären.293 Dies bedeutet dann aber nicht notwendig, daß der entsprechende Betrag auch der nach Ansicht des Senats angemessene ist.294 Weiterhin werden zum Teil auch Grundurteile aufgenommen, die nur über den Anspruchsgrund entscheiden und in denen ein vom Beklagten bereits freiwillig gezahltes Schmerzensgeld erwähnt wird, dessen Höhe dann in die Tabelle einfließt.295 Schwierigkeiten mit der Vergleichbarkeit von Schmerzensgeldentscheidungen ergeben sich vor allem dort, wo ein Mitverantwortungsanteil des Geschädigten einbezogen wird oder der Schmerzensgeldanspruch teilweise in Rentenform ausgeurteilt wird, wie dies vor allem bei gravierenden Dauerschäden bei Vorliegen eines entsprechenden Antrags zulässig und üblich ist.296 Es fragt sich dann, wie sich dieses Faktum bei der Verwendung des Urteils als Präzedenzfall auswirkt. Hinsichtlich der Berücksichtigung des Mitverursachungsanteils ist eine Diskrepanz zwischen den Bemessungsvorgaben des BGH und der Gerichtspraxis zu konstatieren.297 Nach Auffassung des BGH ist die Mitverursachung ein eigenständiger Bemessungsfaktor, der neben allen anderen Umständen jeweils im konkreten Einzelfall in die Bewertung einzubeziehen ist.298 Verboten ist damit die Technik, zunächst ein fiktives Gesamtschmerzensgeld zu bilden und dieses dann um die Mitverschuldensquote zu kürzen. Würde dieses Verbot der „Hochrechnung“ ernst genommen, wäre die Brauchbarkeit all derjenigen Vergleichsentscheidungen deutlich reduziert, in denen ein Mitverschulden berücksichtigt wird, denn sie wären allenfalls für eine Entscheidung mit vergleichbarem Mitverschuldensanteil verwendbar. Allerdings lassen die Instanzgerichte bereits seit längerem diese Vorgabe des BGH unberücksichtigt299 und die Online-Version von IMM-DAT bietet sogar einen Rechner an, mit dessen Hilfe Schmerzensgelder unter Herausrechnen des Mitverursachungsanteils auf 100 % Haftung hochgerechnet werden können. In der Regel 291 OLG Braunschweig NJOZ 2004, S. 1656, 1658; OLG München NJW 2004, S. 959; a. A. OLG Brandenburg VersR 2005, S. 953 f. (Das Berufungsgericht sei keine „Unterrevisionsinstanz“). 292 BGH NJW 2006, S. 1589, 1592. 293 OLG Celle VersR 2007, S. 543; OLG Frankfurt a.M. NJOZ 2009, S. 4715, 4717; krit.: Jaeger, VersR 2009, S.161. 294 Jaeger, VersR 2009, S. 161. 295 Vgl. z. B. OLG Hamm VersR 2004, S. 516. Der Betrag wird bei Jaeger/Luckey, E 2049 fehlerhaft als E- und nicht, wie im Urteil, als DM-Summe angegeben. 296 Näher: Jaeger/Luckey, Rn. 127 – 168. 297 Näher: Jaeger/Luckey, Rn. 579 – 593. 298 BGH NZV 1991, S. 305. 299 Jaeger/Luckey, Rn. 581.
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werden sich, gerade wegen der Einheitlichkeit dieser dogmatisch unsauberen Praxis, bei „Herausrechnen“ des Mitverursachungsanteils durchaus vergleichbare Schmerzensgeldhöhen ergeben. Daß dies nicht ausnahmslos gilt, zeigt allerdings ein vom BGH bestätigtes Urteil des OLG Stuttgart von 1997.300 Das Gericht hatte einem unachtsamen Fahrradfahrer, der von einem Auto überrollt wurde und eine schwerste Hirnschädigung erlitt, unter Einbeziehung eines Mitverursachungsanteils von 70 % ein Schmerzensgeld von damals 200.000 DM (ca. 121.600 E) plus einer monatlichen Rente von 500 DM zugesprochen. Rechnet man hier den Mitverschuldensanteil heraus und ermittelt man dann, unter Einbeziehung der Rente und des Inflationseffekts den heutigen Kapitalwert dieses Betrags, ergäbe sich das höchste Schmerzensgeld in der Geschichte der Bundesrepublik, nämlich exakt 636.739,52 E. Dies wäre in der Tat eine Summe, die Ende der 1990er Jahre alle Bemessungsgrenzen gesprengt hätte. Ganz offensichtlich hatten aber OLG Stuttgart und BGH den Mitverschuldensanteil des Opfers nur sehr geringfügig in ihre Gesamtabwägung einbezogen und ein Schmerzensgeld in einer Größenordnung verhängt (inflationsbereinigt ca. 270.000 E), die damals auch ohne Mitverschulden bei solchen Schwerstschäden üblich war.301 f) Probleme bei der Isolation vergleichbarer Fälle Je größere Bedeutung die Heranziehung von Vergleichsrechtsprechung gewinnt, desto wichtiger wird eine nachvollziehbare Isolierung vergleichbarer Fallgestaltungen. Diese wird vor allem durch die große Streubreite möglicher Verletzungsfolgen und deren nahezu unbegrenzten Kombinationsmöglichkeiten stark erschwert. Unklar ist bereits der Ausgangspunkt: Soll das erkennende Gericht sich an einer Zusammenstellung von Entscheidungen ähnlicher Fallgestaltungen orientieren oder zunächst eigenständig eine Summe bilden, deren Plausibilität dann anhand anderer Entscheidungen mit derselben Entschädigungssumme überprüft wird? Kann beim Scheitern der einen Methode auf die andere gewechselt werden? Anders als früher orientieren sich die modernen Schmerzensgeldtabellen nicht an vergleichbaren Geldbeträgen,302 sondern an den nach der medizinischen Nomenklatur ausgerichteten Verletzungsfolgen. Die Orientierung am Schadensbild bringt aber häufig das Problem mit sich, daß Entscheidungen mit auch nur annähernd vergleichbaren Verletzungen in der veröffentlichten Rechtsprechung und den Tabellen nicht zu finden sind. Das OLG Frankfurt a.M. versuchte in einem derartigen Fall die relationale Plausibilität seiner Entscheidung dadurch zu retten, daß es Vergleichsentscheidungen heranzog, die zwar dem angestrebten Betrag (200.000 E bis 300.000 E) entsprachen, aber 300
OLG Stuttgart VRS 1997, S. 15, bestätigt durch BGH VI ZR 175/97, unv., bei Slizyk, Nr. 3367. 301 Vgl. z. B. OLG Hamm VersR 1999, S. 488: Schwerstschädigung eines Neugeborenen mit vergleichbaren Symptomen: 1997 inflationsbereinigt ca. 303.000 E. 302 Krit. zu dieser Sortierung Henke, S. 128 f.
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vollständig andere Verletzungen zum Gegenstand hatten.303 Ob eine derartige Bemäntelung einer letztlich doch gegriffenen Entscheidung argumentativ plausibler ist als ein mutiges Bekenntnis zum eigenen Judiz, muß stark bezweifelt werden. Es fragt sich damit, wie weit die vom BGH angeordnete Verpflichtung zur Berücksichtigung von Vergleichsrechtsprechung zu treiben ist, wenn sich tatsächlich kein auch nur einigermaßen ähnlich gelagerter Sachverhalt findet, oder wenn die entsprechenden Fundstellen entweder deutlich veraltet oder stark widersprüchlich sind. Eine durch die Struktur vieler Schmerzensgeldsammelwerke vorgegebene Fehlerquelle liegt bereits in der dort vorgenommenen Fallgruppenbildung, die zumeist an einer isolierten Schädigung ansetzt. So verweisen zwar Jaeger/Luckey in ihrer Vorbemerkung zur Rubrik „Platzwunden“ darauf, daß diese häufig von anderen Verletzungen (Frakturen etc.) begleitet seien. Sie erklären dann aber weiter, unter „Platzwunden“ nur solche Fälle aufzuzählen, bei denen Platzwunden „die alleinigen oder doch wesentlichen Verletzungen darstellen“.304 Es folgt dann aber eine Entscheidung des LG Münster, wo eine Platzwunde im Kontext einer Geiselnahme entstand. Das ungewöhnlich hohe Schmerzensgeld von 7.500 E war dabei nicht nur der Vorsätzlichkeit der Tat geschuldet, sondern vor allem dem Umstand, daß hier weniger die Körperverletzung, als vielmehr die Freiheitsberaubung im Mittelpunkt stand.305 g) Bewertung Wie schädlich man die oben herausgearbeiteten Fehler und Ungereimtheiten der Schmerzensgeldtabellen findet, hängt nicht zuletzt davon ab, welche Rolle man diesen Sammelwerken zumißt. Fehlzugehen scheint jedenfalls die Hoffnung, ihnen eine Art „Marktersatzfunktion“ zuzuweisen, sie als eine Art Bündel unterschiedlicher Bemessungen des „Gegenwerts“ bestimmter Verletzungen zu sehen, die zwar nicht durch eine Koordination von Angebot und Nachfrage, aber zumindest durch verschiedene immerhin weitgehend autonome und unabhängige autoritative Instanzen festgelegt werden.306 Denn eine derartige „Preistabelle“ setzte zumindest voraus, daß die Bezugsgrößen identisch sind. Gerade diese Voraussetzung ist aber angesichts der Heterogenität der Fallgestaltungen und der regelmäßig sehr niedrigen Zahl annähernd vergleichbarer Fälle nicht erfüllt. Man könnte dem entgegenhalten, daß eine Alternative zu dieser Lösung eben nicht zur Verfügung stünde. Dann käme den Schmerzensgeldtabellen keine Marktersatzfunktion, aber immerhin die Rolle einer Orientierungshilfe zu. Um gänzlich willkürliche Entscheidungen zu vermeiden, scheint es unumgänglich, zumindest solche Präzedenzfälle zu berücksichtigen, die dem zu entscheidenden Fall zumindest ähneln. Aber auch diese Funktion können die Tabellen nur erfüllen, wenn sie profes303 304 305 306
OLG Frankfurt a.M. NZV 2011, S. 39, 40. Jaeger/Luckey, vor E 1770. LG Münster 8 O 58/05, Juris; vgl. Jaeger/Luckey, E 1783. So aber Lorenz, S. 171.
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sionell erstellt und stets mit großer methodischer Sorgfalt analysiert werden. Wünschenswert wäre eine systematische und ohne Filtereffekte nach Vollständigkeit strebende Sammlung unter Anwendung standardisierter Kriterien in einer Datenbank, die ohne Ausnahme, etwa durch einen Link, Zugriff auf den Volltext des Urteils erlaubt. Solange eine derartige Professionalisierung der Datenpflege nicht erreicht ist, sind die vorhandenen Tabellen allein und ohne Zugang wenigstens zum Urteilstext nicht aussagekräftig genug, um ihnen einen derart prominenten Platz in der Begründung einzuräumen, wie es heute häufig geschieht. Die derzeitige Bemessungspraxis gibt vielmehr nur vor, mit den Schmerzensgeldtabellen auf ein scheinbar geschlossenes System von Wertungen zurückzugreifen, das aber den damit verfolgten Anspruch, nämlich der Rechtsanwendungsgleichheit und Rechtssicherheit zu dienen, nicht erfüllen kann.
2. Schmerzensgelder im Vergleich Die geschilderten Probleme der mangelnden Folgerichtigkeit der argumentativen und rechnerisch-tabellarischen Aspekte bei der Schmerzensgeldbemessung müßten sich, wenn sie zuträfen, in einer uneinheitlichen Bemessungspraxis niederschlagen. Ob dies der Fall ist, kann nur anhand einer Auswertung der derzeitigen Schmerzensgeldrechtsprechung ermittelt werden. Konzentriert man sich zunächst auf die Binnenwahrnehmung der Schmerzensgeldexperten, so war bis vor kurzem immer wieder von der im internationalen Vergleich geringen Höhe deutscher Schmerzensgelder zu lesen.307 Neuerdings mehren sich allerdings Beiträge, die angesichts einiger spektakulär hohen Schmerzensgelder,308 vor allem im Arzthaftungsrecht, ganz allgemein von einem Trend zur Zuerkennung höherer Ersatzsummen sprechen.309 Nimmt man die Stellungnahmen der Versicherungswirtschaft als Indikator, ist diese Entwicklung allerdings kaum als dramatisch zu interpretieren:310 Die teilweise 2002 geäußerte Befürchtung, es werde nicht zuletzt wegen der Neuregelung des Schmerzensgelds und einer zunehmend 307
Vgl. Rosengarten, NJW 1996, S. 1936; Berger, VersR 1977, S. 877; Wussow, DRiZ 1950, S. 400 f. (früher Vergleich mit US-amerikanischen Schmerzensgeldern). Die Übersicht bei Sprung, VW 1992, S. 638 f., belegt allerdings anhand eines Vergleichsbeispiels, daß das Schmerzensgeld schon damals in Deutschland mehr als doppelt so hoch ausfiel, wie in Belgien und Frankreich (380.000 DM in Deutschland, umgerechnet 142.000 DM in Belgien und 165.000 DM in Frankreich für den beispielhaft gewählten Unfall eines 20jährigen, der eine Tetraplegie erleidet). 308 Vgl. die Nachweise bei Jaeger, VersR 2009, S. 160. 309 Vgl. die Aufstellungen bei: Strücker-Pitz, VersR 2007, S. 1466; Jaeger, VersR 2009, S. 159; Deister, VW 2006, S. 989. Die Versicherungswirtschaft konstatiert vor allem im Bereich der Haftpflichtversicherung für die Heilberufe eine durch veränderte Rechtsprechung bedingte Verteuerung: GDV Jahrbuch 2010, S. 114. 310 Lier, VW 2002, S. 420 f.; Peiffer, VW 2003, S. 1312 (prognostizierte Erweiterung des Gesamtschadensaufwands der Versicherungswirtschaft um weniger als 0,1 %).
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großzügigen Rechtsprechung zu einem sprunghaften Anstieg der Entschädigungssummen für Verkehrsunfälle kommen,311 wird gegenwärtig nicht mehr vorgetragen. Die Branche setzt im Moment offenbar weniger auf Kostensenkung bei der Schadensregulierung als auf Unfallvermeidung durch Verbesserungen im technischen Bereich.312 Genauere Auskünfte über die Bemessungspraxis könnte nur eine seriöse statistische Untersuchung einer repräsentativen Zahl von Schmerzensgeldentscheidungen liefern. Anders als in anderen Ländern liegen derartige Zahlen aus Deutschland allerdings nicht vor.313 Über Unterschiede der Bemessungspraxis, etwa hinsichtlich einzelner Schadensposten, hinsichtlich der Bedeutung des Verschuldens oder hinsichtlich regionaler Unterschiede wissen wir daher praktisch nichts. Statt dessen finden sich vor allem pauschale Urteile über die Brauchbarkeit von Schmerzensgeldtabellen. Die Behauptung, daß durch die Nutzung dieser Hilfsmittel Schmerzensgeldurteile „in der Ausgleichsfunktion relativ wenig Diskrepanzen“ aufwiesen,314 ist bereits insofern fragwürdig, als die Schmerzensgeldtabellen selbst im Verkehrsunfallrecht in großer Zahl Genugtuungsaspekte einpreisen. Jedenfalls sind Aussagen wie diese gegenwärtig nicht seriös zu verifizieren. Sofern sich statistische Studien auf eine Interpretation der vorliegenden Schmerzensgeldrechtsprechung stützen wollten, stünden sie vor den gleichen Problemen, die soeben hinsichtlich der Schmerzensgeldtabellen vorgestellt wurden: Uneinheitliche Schadensgestaltungen, niedrige Grundgesamtheiten und unklare Hinweise auf die jeweils konkret einbezogenen Kriterien erschweren jeden Versuch einer statistischen Erfassung von Streubreiten und Entwicklungstendenzen bei der Schmerzensgeldbemessung oder der Auswirkungen von Gesetzesreformen wie des 2. SchadÄndG. Dabei ist noch nicht berücksichtigt, daß zunächst behutsam einige Wertungsfragen zu beantworten wären: So ist zu klären, wann Unterschiede in der Bemessung überhaupt signifikant und damit gerechtigkeitsrelevant sind: Je größer die Bandbreite der bemessungsrelevanten Kriterien, desto differenzierter müssen zwangsläufig die ausgeworfenen Beträge sein.315 Entsprechend fein müssen dann aber auch die analytischen Instrumente eingestellt sein. Es waren gerade die geschilderten methodischen Schwierigkeiten, die den Versuch einer umfassenden Auswertung der gegenwärtigen Schmerzensgeldpraxis so stark erschwerten, daß an dieser Stelle keine vollständige Analyse, sondern lediglich
311
Lier, VW 2002, S. 420 f.; Lang/Stahl/Suchomel, NZV 2003, S. 447. Vgl. GDV, Positionen 2010, S. 26 f. 313 Zu regionalen Unterschieden in Frankreich vgl. Backu, DAR 2001, S. 588: In Südfrankreich wird großzügiger bemessen als im Norden. Allerdings beruht das Schmerzensgeldsystem in Frankreich auf weit stärker standardisierten Berechnungsmethoden als in Deutschland. 314 Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn. 906. 315 Vgl. Zanitelli, Quinnipiac L. Rev. 28, 2009, S. 211. 312
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eine stichprobenartige Auswahl präsentiert werden kann, deren Fokus allein auf die Frage nach der Homogenität der ausgeworfenen Schmerzensgelder gerichtet ist. Ausgehend von den drei oben genannten Schmerzensgeldtabellen und der in jurisonline und beck-online veröffentlichten Judikatur wurden für drei Schadensgruppen sämtliche auffindbaren Fälle erfaßt.316 Die Gruppen sollen dabei jeweils den oberen, mittleren und unteren Bereich des Schmerzensgeldspektrums repräsentieren. Ein wichtiges Auswahlkriterium war dabei, daß der entsprechende Schädigungstyp überwiegend isoliert und nicht in Kombination mit anderen Schäden auftritt. Damit war ein wichtiger Verzerrungsfaktor zumindest im Ansatz ausgeschaltet. Sofern im Einzelfall dennoch Verletzungskombinationen ermittelt wurden, wurde der entsprechende Treffer bei der Auswertung nicht berücksichtigt. a) Oberer Bereich: Schwerste Hirnschädigungen Im obersten Bereich des Schmerzensgeldspektrums wurde die Gruppe der schwersten Hirnschädigungen ausgewählt. Diese Fallgruppe, die sich ganz überwiegend aus Arzthaftungs- und Verkehrsunfallsituationen ergibt, ist derjenige Bereich, in dem gegenwärtig die höchsten Schmerzensgelder ausgeurteilt werden.317 Einbezogen wurden alle ermittelbaren Fälle, in denen der Geschädigte körperlich und geistig allerschwerste Schädigungen erlitten hat und bis zur Urteilsverkündung noch nicht verstorben war.318 Die untersuchte Gruppe umfaßt vor allem Fälle eines Komplettausfalls des Großhirns (sog. Apallisches Syndrom, „persistierender vegetativer Zustand“ (PVS) oder Wachkoma).319 Kennzeichnend für dieses Krankheitsbild, das unterschiedliche Ursachen haben kann, ist eine aufgehobene Wahrnehmungsmöglichkeit bei erhaltener Wachheit.320 Im körperlichen Bereich führen entsprechende Schäden zu nahezu völliger Bewegungsunfähigkeit aller Extremitäten (Tetraspastik), zur Inkontinenz und dem Erfordernis künstlicher Ernährung. Regelmäßig kommt es dabei auch zu einem Ausfall der Sinnesorgane und der Sprachmotorik. Kennzeichnend ist also die nahezu vollständige Unfähigkeit, Kontakt zur Außenwelt aufzunehmen oder von dort Reize zu empfangen. Problematisch ist hier die Abgrenzung zu leichteren Fällen. Einbezogen wurden hier auch solche Fälle, in 316
Die Veröffentlichung der vollständigen Liste der ausgewerteten Urteile würde den Rahmen dieser Publikation sprengen. Entsprechende Übersichten können auf Nachfrage vom Autor zur Verfügung gestellt werden. 317 Zur Entwicklung der Obergrenze bei Schmerzensgeldern Jaeger, VersR 2009, S. 159; Deister, VW 2006, S. 989; vgl. Berger, VersR 1977, S. 877 (Ende der 70er-Jahre lag die Grenze bei 250.000 DM). 318 Im Falle des Versterbens vor Urteilsverkündung werden regelmäßig deutlich geringere Schmerzensgelder zugesprochen. 319 Vgl. zu dem auch in der medizinischen Literatur nicht einheitlich verwendeten Begriff: Nacimiento, Deutsches Ärzteblatt 94, 1997, S. A-661, bes. A-662; Kutzner, VersMed 2000, S. 105; Schroth/König, Transplantationsgesetz, Einl., Rn. 94. 320 Nacimiento, Deutsches Ärzteblatt 94, 1997, S. A-661.
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denen eine minimale Kommunikationsfähigkeit erhalten blieb und sich der Geschädigte etwa durch Mimik, Kopfnicken oder wenige Laute oder Worte verständlich machen konnte, nicht aber solche, wo eine komplexere sprachliche Kommunikation möglich war oder der Entwicklungsstand eines Kleinkinds erreicht wurde. Eine besondere Gruppe bilden Fälle des sog. Locked-In-Syndroms.321 Hier entsteht infolge einer Lähmung ein Zustand, der körperlich zwar dem Wachkoma ähnelt, indem jede Art von willkürlicher Bewegung ausgeschlossen ist. Allerdings verfügt hier der Patient über das volle Bewußtsein, ihm fehlt nur die Möglichkeit, sich nach außen mitzuteilen. Die ausgewerteten Fälle stimmen also hinsichtlich der nahezu vollständigen Ausschaltung jeder willkürlichen Bewegung und damit auch jeder selbstbestimmten Lebensführung, sowie in der Angewiesenheit der Betroffenen auf Intensivpflege überein. Zur Beschreibung dieses Zustands wird in der Gerichtspraxis häufig von einer „Zerstörung der Persönlichkeit“ gesprochen.322 Insgesamt konnten in den konsultierten Datenbanken zu dieser Gruppe von Schwerstschäden für den Zeitraum seit 1987 85 Entscheidungen gefunden werden. Wenn man zwei untypische Entscheidungen ausklammert,323 verbleiben 83 Fälle. Deren große Mehrheit (51 Fälle) betrifft Schädigungen im Umfeld des Geburtsvorgangs, weitere 14 Urteile fallen in den Bereich der übrigen Arzthaftung, 13 Entscheidungen ergingen in Straßenverkehrssachen und die fünf restlichen Urteile betreffen sonstige Unfälle (Reitunfall, Eisenbahnunfall, Verkehrssicherungspflicht für Fallschirmschule, Ferienanlage und Schwimmbecken). Das durchschnittliche Schmerzensgeld aller 83 Fälle beträgt, unter Kapitalisierung von Schmerzensgeldrenten, Herausrechnung von Mitverschuldensanteilen und Berücksichtigung der Inflation, 342.000 E. Die Streuung im Einzelnen ist in Graphik 1 aufgetragen. Bereits auf den ersten Blick wird die mit der steil verlaufenden Trendlinie angedeutete deutliche Tendenz zu höheren Schmerzensgeldern erkennbar. Auffällig ist auch, besonders bei den neueren Entscheidungen, eine relativ große Streuung der Schmerzensgeldbeträge um den Mittelwert. Diesen Effekt verdeutlicht Graphik 2, 321 Zum Begriff Nacimiento, Deutsches Ärzteblatt 94, 1997, S. A-662. Ob das Locked-InSyndrom einen Unterfall des apallischen Syndroms bildet oder eine eigenständige Schädigungsart bildet, ist in der Medizin umstritten, spielt aber im juristischen Kontext keine Rolle. Die Gerichte verwenden beide Begriffe gelegentlich nebeneinander, z. B. LG Detmold NZV 2004, S. 198. 322 Vgl. z. B. OLG Jena VersR 2009, S. 1676, 1677; OLG Stuttgart NJOZ 2009, S. 3986, 3988. 323 Ausgeklammert bleiben die beiden oben, Kap. B. I. 2. a) bb), besprochenen Entscheidungen OLG Stuttgart, VRS 1997, S. 15 und, ihm folgend, BGH VI ZR 175/97, unv., Slizyk, Nr. 3367, bei denen sich angesichts eines 70 %igen Mitverschuldens ein völlig unrealistischer Kapitalbetrag von, inflationsbereinigt, mehr als 630.000 E ergab. Die Entscheidungen lassen nicht erkennen, ob den Gerichten bewußt war, wie stark sie von der zeitgenössischen Norm abwichen. Da diese Urteile insgesamt aber als singulär zu beurteilen sind, bleiben sie bei der statistischen Auswertung hier außer Betracht.
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Graphik 1: Schwerste Hirnschäden, 83 Fälle, nach Jahren, linearer Trend
Graphik 2: Schwerste Hirnschäden: 83 Fälle, Abweichung der jeweils höchsten und niedrigsten Schmerzensgelder vom Durchschnitt, nach Jahrfünften
die jeweils für ein Jahrfünft die Entwicklung der höchsten und niedrigsten Schmerzensgelder mit dem Durchschnitt vergleicht.
II. Die Praxis
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Die Öffnung der Schere bei den Trendlinien scheint eine insgesamt wachsende Uneinheitlichkeit bei der Bemessung innerhalb dieser insgesamt relativ homogenen Fallgruppe anzudeuten. Allerdings ist bei der Interpretation dieser Zahlen Vorsicht geboten, da die Grundgesamtheit zwar im Vergleich mit den übrigen Fallgruppen verhältnismäßig groß ist, aber immer noch in einem statistisch problematischen Bereich liegt. Außerdem verteilen sich die Datenpunkte nicht gleichmäßig auf den Beobachtungszeitraum: Nur 24 Entscheidungen fallen in die Jahre 1987 – 1998, 59 dagegen in den gleich langen Zeitraum 1999 – 2010. Zudem liegt der oben bereits betonte Einwand nahe, daß höhere Schmerzensgelder eben auch Fälle mit besonders gravierenden Schadensbildern betreffen. Doch selbst wenn man dies konzediert, so können doch die teilweise erheblichen Bemessungsunterschiede allein hierdurch nicht erklärt werden, wie eine Feinanalyse zeigt: Als schwerste Verletzung werten die Gerichte wohl das in der Tat albtraumhafte LockedIn-Syndrom, also den Verlust aller Kommunikations- und Bewegungsmöglichkeiten bei gleichzeitig vollem Bewußtsein. Derartige Fälle werden heute relativ durchgängig mit Schmerzensgeldern von über 550.000 E entschieden.324 Betrachtet man dagegen Fälle, deren Folgen im Urteil mit dem Begriff Apallisches Syndrom gekennzeichnet werden, ergibt sich ein weit weniger homogenes Bild: Zwischen 29.000 E (1990)325 und 552.000 E (2003)326 schwanken hier die Extreme der zuerkannten Schmerzensgelder. Bei näherer Betrachtung unterscheiden sich die hier gefundenen Fallgestaltungen vor allem hinsichtlich des Maßes an Bewußtsein und Wahrnehmungsfähigkeit, das dem Opfer nach der Schädigung noch verbleibt. Dieser Faktor soll nach der Rechtsprechung des BGH durchaus schmerzensgeldrelevant sein. 1992 hatte er betont, daß bei Einbuße der Personalität der Umstand, daß das Opfer seine Lage wahrnimmt, schmerzensgelderhöhend berücksichtigt werden könne.327 1993 stellte er dann klar, daß der Richter bei der Beurteilung von Fällen, in denen der Schwerpunkt der Schädigung in der Zerstörung der klägerischen Persönlichkeit liege, zwar nach der Wahrnehmungsfähigkeit des Opfers abstufen könne. Allerdings dürfe er dabei keinesfalls „ein nur gedachtes Schadensbild, das von einer ungeschmälerten Empfindungs- und Leidensfähigkeit gekennzeichnet“ sei, zugrunde legen und sodann „mit Rücksicht auf den vollständigen oder weitgehenden Wegfall der Empfindungsfähigkeit Abstriche“ vornehmen.328 Das Vorliegen von 324 Vgl. LG Detmold NZV 2004, S. 198 (2003: kapitalisiert und inflationsbereinigt unter Herausrechnen von 30 % Mitverschulden: 565.826,98 E); OLG Naumburg NZV 2003, S. 130 (2001: kapitalisiert und inflationsbereinigt unter Herausrechnen von 20 % Mitverschulden: 555.430,64 E); In diese Kategorie gehört auch der oben, Fn. 323, als „Ausreißer“ ausgeklammerte Sachverhalt. 325 LG Freiburg/Br. 1 O 572/87, unv., Slizyk, Nr. 1214. 326 LG Münster 11 O 1004/03, unv., Slizyk, Nr. 4084. 327 BGHZ 120, S. 1, 7. 328 BGH NJW 1993, S. 1531, 1532.
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B. Wird der immaterielle Schaden sauber bemessen?
Bewußtsein soll sich in dieser Fallgruppe also erhöhend, dessen Fehlen aber nicht mindernd auswirken. Die Praxistauglichkeit dieser Vorgabe leidet erkennbar darunter, daß sowohl „Aufschläge“ als auch „Abschläge“ einen Vergleichsmaßstab benötigen, der aber angesichts der Tatsache fehlt, daß die „Zerstörung der Persönlichkeit“ vom BGH soeben erst als neue Fallgruppe anerkannt worden ist und eine Orientierung am Schmerzensgeld bei voll orientierten Klägern gerade unterbunden sein soll. In der Tat fällt den Gerichten die Bemessung in diesem Kontext nach wie vor schwer, was sich nicht nur in divergierenden Begründungen, sondern auch in eklatant unterschiedlichen Schmerzensgeldbeträgen äußert. Teilweise wird, dem BGH folgend, das Vorhandensein einer Einsichts- und Leidensfähigkeit erhöhend berücksichtigt.329 Andere Gerichte betonen, Bewußtseinsreste des Opfers dürften jedenfalls nicht zu einem „nennenswerten [sic!] Abschlag“ führen.330 Weitere Richter verweigern dem BGH die Gefolgschaft und folgern aus dem Fehlen dieser Fähigkeiten eine Minderung des Schmerzensgelds im Vergleich zu wahrnehmungsfähigen Opfern.331 Andere halten sogar die Antwort auf die Frage, ob der Geschädigte seine Situation erfasse, explizit für nicht bemessungsrelevant.332 Vergleicht man nun die nach diesen unterschiedlichen Grundsätzen jeweils ausgeurteilten Summen, so zeigt sich jedoch, daß die Bedeutung dieser argumentativen Unterschiede für die Bemessung relativ gering ist. Das LG München I erachtete das Bewußtsein des Klägers als schmerzensgelderhöhenden Faktor und sprach ihm knapp 500.000 E zu.333 Doch Beträge in dieser oder höherer Größenordnung werden teilweise auch bei völliger Reduktion des Körpers auf die Vitalfunktionen ausgeurteilt,334 oder in Fällen, in denen, wie jüngst dem LG Münster, eine Beurteilung des klägerischen Bewußtseins nicht gelang und dieser Faktor im übrigen für bedeutungslos erachtet wurde.335 Wo Gerichte, umgekehrt, Einschränkungen des Bewußtseins mindernd berücksichtigten, fielen die ausgeurteilten Schmerzensgelder insgesamt eher in den unteren Bereich des Spektrums, unterschieden sich aber untereinander teilweise erheblich: Das OLG Düsseldorf sprach 2001 ein Schmerzensgeld von (inflationsbereinigt) 177.000 E,336 sechs Jahre später dann bei gleicher Argumenta329
LG München I VersR 2007, S. 1139. OLG Brandenburg OLG-NL 2003, S. 224, 227. 331 OLG Düsseldorf VersR 2008, S. 534; LG Schwerin SP 2010, S. 251; OLG Bremen NJW-RR 2003, S. 1255, 1255; LG Köln 25 O 402/94, unv., Argumentation nach Hacks/ Ring/Böhm, Nr. 2822. 332 LG Münster NJW 2010, S. 86; LG Mannheim 3 O 247/03, Juris; LG Landshut 72 O 402/ 00, unv., Argumentation nach Hacks/Ring/Böhm, Nr. 2855. 333 LG München I VersR 2007, S. 1139. 334 OLG Zweibrücken MedR 2009, S. 88 (2008: 621.000 E); OLG Jena VersR 2009, S. 1676 (2009: 600.000 E); OLG Hamm NJW-RR 2002 S. 1604 (2002: 558.000 E); LG Münster 11 O 1004/03, unv., Slizyk, Nr. 4084 (2003: 552.000 E). 335 LG Münster NJW 2010, S. 86 (2009: 500.000 E). 336 OLG Düsseldorf VersR 2001, S. 1384. 330
II. Die Praxis
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tion mehr als das Doppelte, nämlich rund 383.000 E zu,337 während das LG Schwerin 2010 bei völlig fehlendem Bewußtsein des Opfers nur 200.000 E für angemessen hielt338 und das OLG Bremen 2002 vorinstanzlich gewährte 300.000 E auf 250.000 E (inflationsbereinigt: 278.936 E) reduzierte.339 Die eklatanten Abweichungen selbst innerhalb vergleichbarer Untergruppen und das relativ geringe Gewicht der Frage nach dem (Rest-)Bewußtsein des Geschädigten zeigt folgender Vergleich, der nur die jüngste Judikatur (seit 2003) einbezieht: Für ein apallisches Syndrom bei voller Wahrnehmung seiner Umgebung durch den Kläger ließ das LG Kleve 2005 556.000 E,340 das LG Landshut 2004 aber nur 271.000 E Schmerzensgeld zahlen.341 Verblieb dem Kläger eine gewisse Wahrnehmung, hielt das LG Münster 2003 552.000 E,342 das OLG München 2004 dagegen nur 217.000 E für angemessen.343 Bei völligem Verlust der Wahrnehmung urteilte das LG Mannheim 2004 543.000 E aus,344 während das LG Schwerin 2010 lediglich ein Schmerzensgeld von 200.000 E für gerechtfertigt hielt.345 Diese Zahlen legen, bei aller Vorsicht gegenüber ihrer statistischen Belastbarkeit, drei Folgerungen nahe: Erstens wachsen die Schmerzensgelder in diesem Bereich tatsächlich deutlich stärker als die Inflationsrate, womit sich die von vielen Gerichten bewußt geförderte Anhebung des Schmerzensgeldniveaus bestätigt. Zweitens zeigen sich selbst bei sehr fein eingestellten Anforderungen an die Vergleichbarkeit ganz erhebliche Abweichungen der ausgeurteilten Summen. Drittens schließlich spielt die in der Urteilsbegründung niedergelegte Bewertung der klägerischen Bewußtseinsreste offenbar kaum eine Rolle hinsichtlich der Festlegung des konkreten Schmerzensgelds. Vergleicht man die nach der deutschen Rechtsprechung üblichen Beträge in dieser Fallgruppe mit den in anderen Ländern gewährten Summen, so liegen die Schmerzensgelder in Deutschland, bei häufig sehr ähnlicher rechtsdogmatischer Schwerpunktsetzung, eher an der europäischen Spitze:346 niedriger sind die Summen beispielsweise in Österreich, wo in derartigen Fällen rund 100.000 E zugesprochen 337
OLG Düsseldorf VersR 2008, S. 534. LG Schwerin SP 2010, S. 251. 339 OLG Bremen NJW-RR 2003, S. 1255. 340 LG Kleve NZV 2003, S. 130. 341 LG Landshut 72 O 402/00, unv., Argumentation nach Hacks/Ring/Böhm, Nr. 2855. 342 LG Münster 11 O 1004/03, unv., Slizyk, Nr. 4084. 343 OLG München OLGR 2006, S. 185 und Juris. 344 LG Mannheim 3 O 247/03, Juris. 345 LG Schwerin SP 2010, S. 251. 346 Vgl. auch die, allerdings bereits mehr als 20 Jahre alte, vergleichende Zusammenstellung der Schmerzensgeldniveaus in Europa bei: McIntosh/Holmes, S. 16 f. 338
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B. Wird der immaterielle Schaden sauber bemessen?
werden347 oder der Schweiz, wo bis 2003 für schwerste Schädigungen maximal 200.000 CHF (damals ca. 130.000 E) üblich waren.348 In Großbritannien hat die Queen’s Bench Division des High Court 2010 einer minderjährigen Beifahrerin, die bei einem Verkehrsunfall ein apallisches Syndrom mit Verbleib eines nur geringen Restbewußtseins erlitten hatte, auf einer nach eigener Auskunft, „conservative basis“ 220.000 £ (damals ca. 242.000 E) für „pain and suffering and past losses“ zugesprochen.349 Vor einem bekanntermaßen anderen dogmatischen und rechtssoziologischen Hintergrund deutlich höher liegen die Summen in den USA. Hier erhielt ein 53jähriges Unfallopfer, das ein apallisches Syndrom erlitten hatte, bereits 1990 allein für pain and suffering eine Summe von 2,5 Mio. US-$.350 b) Mittlerer Bereich: Verlust von Zeigefinger(gliedern) Im Bereich mittelschwerer Verletzungen wurde der Verlust von Zeigefingern oder -fingergliedern ausgesucht. Es handelt sich hierbei um einen Verletzungstyp, der zumeist ohne Begleitung anderer Verletzungen einhergeht und sich daher relativ leicht isolieren läßt.351 Insgesamt ließen sich in den genannten Quellen für die Zeit nach 1977 nicht mehr als elf entsprechende Entscheidungen auffinden. Diese resultieren aus sehr unterschiedlichen Fallgestaltungen: Neben ärztliche Behandlungsfehler (4 Fälle)352 treten fünf Unfälle. Diese verteilen sich auf je einen Fall der Tierhalter-353 und Produzentenhaftung,354 einen Sportunfall355 und zwei nicht weiter 347 Vgl. die ausführliche Einführung in die österreichische Diskussion und die dort gegebenen Beispiele bei Danzl/Gutiérrez-Lobos/Müller, S. 121 – 141. Zur Geschichte des Schmerzensgelds in Österreich: Bydlinski, FS von Caemmerer, S. 785 ff. 348 Vgl. Thür, saldo 14/2003. Allerdings ist hier die Besonderheit zu berücksichtigen, daß Art. 47 OR an der Empfindungsfähigkeit des Opfers anknüpft, ein Manko, das jedoch durch die Möglichkeit eines Angehörigenschmerzensgelds aufgewogen wird, Art. 49 OR: Berner Kommentar/Brehm, Art. 47 OR, Rn. 26. 349 Brown v. Emery, 2010 EWHC 388 (QB), 2010 WL 666272, Nr. 21. Auch hier weist die Tendenz in Richtung auf höhere Entschädigungen: In einem vergleichbaren Fall hatte dasselbe Gericht 1995 noch 120.000 £ für ausreichend gehalten: Wells v. Wells, 1996 P.I.Q.R. Q 62. 350 Spitzke v. U.S., 914 F. 2d. 263, 1990 WL 131720 (C.A. 9 (Cal.)). 351 Ausgeklammert bleiben hier solche Finger(glied)verluste, die mit anderen Schäden einhergehen, wie z. B. OLG München 3 U 3387/83, Juris (LS) = Hacks/Ring/Böhm, Nr. 14.435. Hier war ein weiterer Finger geschädigt und die Hand verunstaltet worden, was zu einem deutlich höheren Schmerzensgeld von 7.000 DM (unter Einbeziehung einer Mitverursachung von 1/3) führte. 352 OLG Stuttgart 4 U 106/99, Juris = Hacks/Ring/Böhm, Nr. 1492; OLG München VersR 1988, S. 1156 = Slizyk, Nr. 462; LG Würzburg 4 S 987/89, Juris (LS) = Hacks/ Ring/Böhm, Nr. 1078; AG Eschweiler 18 C 329/94, unv. = Slizyk, Nr. 3060 = Hacks/Ring/ Böhm, Nr. 1002. 353 LG Gera 6 O 762/05, unv. = Slizyk, Nr. 4041 = Hacks/Ring/Böhm, Nr. 1033 (hier: fehlerhafte Angabe der Verletzungsursache als „Pferdebiß“). 354 OLG Celle VersR 1978, S. 258 = Slizyk, Nr. 452. 355 OLG Nürnberg MDR 2009, S. 688.
II. Die Praxis
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Graphik 3: Verlust von Zeigefinger(gliedern), 11 Fälle, nach Jahren, linearer Trend
spezifizierte Unfallgeschehen.356 Die beiden verbleibenden Fälle betreffen eine tätliche Auseinandersetzung357 und einen Fall von besonders grober Aufsichtspflichtverletzung (ein Schulbusfahrer hatte Schülern Anleitungen zum Bau von Sprengkörpern erteilt).358 Das durchschnittliche Schmerzensgeld in dieser Fallgruppe beträgt, unter Berücksichtigung der Inflation und Herausrechnen von Mitverschuldensanteilen, 6.263 E. Nimmt man zunächst die Gesamtentwicklung in den Blick, ohne Besonderheiten des Einzelfalls zu beachten, scheint sich auch hier ein Trend zu höheren Schmerzensgeldern zu zeigen: Allerdings wirken sich in dieser Fallgruppe die geschilderten methodischen Probleme noch stärker aus als bei den Schwerstschäden: Die Statistik steht hier, ähnlich wie die Judikatur,359 vor dem Problem einer extrem kleinen Grundgesamtheit von nur elf Fällen, von denen lediglich drei aus den letzten zehn Jahren stammen. Blendet man die beiden frühesten Entscheidungen aus, ist der Trend bereits auf den Kopf gestellt. Eine seriöse Aussage über die Entwicklung der Schmerzensgelder in 356
LG Düsseldorf 13 O 284/98, unv. = Slizyk, Nr. 3807 = Hacks/Ring/Böhm, Nr. 1205; OLG Bamberg 1 U 79/79, unv. = Hacks/Ring/Böhm, Nr. 14.237. 357 AG Mönchengladbach 5a C 93/90, unv., Juris (LS) = Hacks/Ring/Böhm, Nr. 16.247. 358 OLG Düsseldorf NJW-RR 2000, S. 169. 359 Dies bemerkte auch das OLG Nürnberg 14 U 1786/08, Juris, Rn. 14 (diese Passage fehlt im Abdruck MDR 2009, S. 688).
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dieser Fallgruppe im Zeitverlauf läßt sich also nicht treffen. Eine Anreicherung der Statistik mit Urteilen zum Verlust anderer Finger bietet insofern keine Lösung, als die funktionalen Beeinträchtigungen, etwa beim Verlust eines Daumens oder eines kleinen Fingers, sich deutlich von denen eines Zeigefingerverlusts unterscheiden. Auch die Beurteilung der Streuung ist nicht einfach. Zum einen variieren nämlich die Fälle stark in den Verletzungsfolgen: manche Kläger verloren lediglich ein oder mehrere Fingerglieder, andere den gesamten Zeigefinger. Zwar bleiben die funktionalen Folgen dieser Verletzungstypen ähnlich (Einschränkungen beim Greifen), dennoch trifft der vollständige Verlust eines Zeigefingers den Geschädigten stärker als das Fehlen lediglich eines Fingerglieds. Vor allem aber geben die Schmerzensgeldtabellen zwar durchgehend an, ob der linke oder der rechte Zeigefinger betroffen ist; allerdings fehlt mit einer Ausnahme die für die Beurteilung der Beeinträchtigung zentrale Information, ob der Kläger Rechts- oder Linkshänder ist.360 Teilweise ist dieser Mangel allerdings weniger den Redakteuren der Schmerzensgeldtabellen zu verdanken, als vielmehr der Tatsache, daß bereits ein entsprechender Klägervortrag nicht gegeben war.361 Läßt man die beiden frühesten Urteile außer Betracht, so ist für den Verlust eines gesamten Zeigefingers zwischen 7.700 E und 10.700 E zu zahlen, wobei der höchste Wert 1999 ausgeurteilt wurde, der niedrigste 1988. Verliert das Opfer ein bis zwei Fingerglieder, ergeben sich, inflationsbereinigt, Schmerzensgelder zwischen 4.400 E und 7.500 E, wobei unterhalb des totalen Fingerverlusts keine signifikante Abstufung nach der objektiven Schädigung mehr zu erkennen ist. Insgesamt läßt sich in dieser Erhebung kein signifikanter Einfluß der Genugtuungsfunktion auf die Schmerzensgeldbemessung feststellen: Die Fälle, in denen (wohl) einfache Fahrlässigkeit zugrunde lag, schwanken zwischen 5.000 E und 7.700 E, die übrigen Fallgestaltungen sind zu vereinzelt, als daß man aus ihnen einen Trend ablesen könnte. Eine Auswertung dieser Daten mit den Mitteln der Statistik scheint also kaum möglich. Ein detaillierter Vergleich der einzelnen Urteile weist allerdings auf eine insgesamt doch auffällige Diskrepanz der ausgeurteilten Summen hin. So liegt das 1999 entschiedene höchste Schmerzensgeld bei Verlust eines Zeigefingers mit 10.774,05 E mehr als viermal so hoch wie die 1979 gefundene Summe von inflationsbereinigten 2.495,81 E. Selbst die im vergangenen Jahrzehnt (1999 – 2009) ausgeworfenen Summen weichen immer noch um das doppelte voneinander ab (5.000,00 E bzw. 10.774,05 E), wobei die niedrigste gleichzeitig die späteste, die höchste die früheste Entscheidung ist. Auch ein Vergleich der beide im Jahr 1999 ergangenen Urteile des OLG Stuttgart und des OLG Düsseldorf zeigt eine Abweichung um mehr als 2.000 E, obgleich die Fallgestaltungen sehr ähnlich liegen: Verlust 360 Diesen Aspekt berücksichtigt OLG Stuttgart 4 U 106/99, Juris = Hacks/Ring/Böhm, Nr. 1492. 361 So bei OLG Düsseldorf NJW-RR 2000, S. 169, 170.
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eines ganzen Fingers bei einem Schulkind, mehr als einfache Fahrlässigkeit, kein Mitverschulden.362 Diese Diskrepanz kann auf Umständen beruhen, die die Schmerzensgeldtabellen nicht ausweisen. Den Richter auf der Suche nach Vergleichsrechtsprechung muß sie ratlos zurücklassen. Im internationalen Vergleich bewegen sich die deutschen Schmerzensgelder deutlich unterhalb der in Großbritannien363 oder gar den USA üblichen Beträge.364 c) Unterer Bereich: Schädigung von Haar und Kopfhaut Für den unteren Bereich der Schmerzensgeldbeträge hätte sich angeboten die äußerst kontroversen Fälle der Hals-Wirbelsäulen-Syndrome herauszugreifen365. Darauf wurde allerdings verzichtet, weil in dieser Fallgruppe häufig weitere physische und psychische Schäden mit hineinspielen, so daß eine Isolierung dieser Schädigung schwierig erschien. Statt dessen wurde ein Bereich herausgegriffen, in dem sich die Schädigungen einigermaßen klar auf bestimmte Verletzungsfolgen begrenzen und damit gut vergleichen lassen. Ausgewählt wurde der Verlust von Kopfhaar infolge von Fehlleistungen im Friseurhandwerk, in einer Form, die mit einer höchstens vorübergehenden Schädigung der Kopfhaut einhergeht. Als bereits schwerere Verletzungen ausgenommen bleiben dabei dauerhafte Schäden der Kopfhaut und irreversible Schädigungen des Haarwuchses.366 Ebenso wurden Fallgestaltungen ausgeschlossen, in denen lediglich die ästhetischen Vorstellungen des Kunden beim Haarschnitt nicht beachtet wurden. Derartige „Schäden“ bleiben nach
362
OLG Stuttgart 4 U 106/99, Juris; OLG Düsseldorf NJW-RR 2000, S. 169. Moeliker v. A. Reyrolle & Co. Ltd., Court of Appeal (1976), 1 W.L.R. (1977), S. 132: 3.000,00 £. Dies entsprach 1976 ca. 13.700 DM oder nach Inflationsanpassung (Deutschland!) heute ca. 15.000 E. Umtauschkurs nach: [http://www.bundesbank.de/statistik/statistik_zeitrei hen.php?lang=de&open=&func=row&tr=WJ5005], zuletzt besucht am 18. 4. 2011. 364 Vgl. z. B. Ahmed v. Children’s Hospital of Buffalo, 238 A.D. 2nd 956, 661 N.Y.S. 2nd 164 (1997): 87.000 US-$ pain and suffering für vergangene und 50.000 US-$ für zukünftige Schäden bei Amputation eines Fingerglieds bei einem Säugling; Hudson v. Lansingburgh Central School District, 27 A.D. 3d 1027, 812 N.Y.S. 2d 678 (Supreme Court, Appellate Division, Third Department, New York, 2006): 90.000 US-$ für vergangene und 150.000 US-$ für zukünftige immaterielle Schäden wegen Verlusts des Mittelfingers der nicht führenden Hand bei Schüler. 2008 sprach der Supreme Court von Queens County / New York einem 42jährigen Bauarbeiter, der als Rechtshänder seinen linken Zeigefinger verlor, 467.000 US-$ für pain and suffering zu: Huang v. Cherry Avenue Corp. (Index # 12201/05, Supreme Court, Queens County, 5. 12. 2008, bei: http://www.newyorkinjurycasesblog.com/2009/06/articles/amputation-in juries/finger-amputation-cases-pain-and-suffering-awards-range-from-85000-to-2000000/ [besucht am 26.01.11]. Hier auch weitere Beispiele zur New Yorker Gerichtspraxis. 365 Vgl. Frh. von Hadeln, NZV 2001, S. 457; Heß/Burmann, NJW-Spezial 2004, S. 303 f.; Eschelbach/Geipel, NZV 2010, S. 481 ff; Luckey, SVR 2010, S. 174 – 176. 366 Vgl. z. B. AG Erkelenz VersR 1995, S. 797: Dauerhafte Schädigung des Haarwuchses bei 15jähriger: 1.500 DM Schmerzensgeld. 363
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B. Wird der immaterielle Schaden sauber bemessen?
Graphik 4: Schädigungen von Haar und Kopfhaut, 16 Fälle, nach Jahren, linearer Trend
deutschem Recht, anders als in anderen europäischen Ländern,367 jedenfalls dann ohne Ersatz, wenn allein die ästhetischen Wünsche des Kunden enttäuscht werden und kein relevanter Eingriff in die körperliche Substanz (Reizung der Kopfhaut, Verfilzung oder Ausfall von Haaren) hinzutritt.368 Erst recht ersatzlos bleiben (als Sachbeschädigung) die immateriellen Folgen von Perückenschäden.369 Die Suche in den einschlägigen Datenbanken erbrachte 20 Entscheidungen, darunter vier Klageabweisungen, die hier außer Betracht bleiben. Insgesamt erscheint die Gruppe relativ homogen: Die Verletzungshandlung besteht überwiegend in der unsachgemäßen Aufbringung von Chemikalien auf den Kopf (Dauerwelle oder Färben), die regelmäßig zur Verfilzung und zum Ausfall von Kopfhaar und teilweise auch zu einer reversiblen Reizung der Kopfhaut führt. Das durchschnittliche Schmerzensgeld in dieser Fallgruppe betrug 734 E. Graphik 4 scheint auf ein insgesamt leicht steigendes Schmerzensgeldniveau bei gleichzeitig relativ markanten Abweichungen der Einzelfälle hinzuweisen. Auch 367
In Österreich werden allein bereits für mißglückte Frisuren Entschädigungen zugesprochen, die in etwa den nunmehr höchsten deutschen Schmerzensgeldern bei Haarausfall und Schädigung der Kopfhaut entsprechen: OLG Innsbruck, 23. 4. 1996 ZVR 1997/118, zit. nach: Danzl/Gutiérrez-Lobos/Müller, S. 216 Fn. 594: 2.906,91 E für eine mißglückte Dauerwelle. Der italienische Kassationsgerichtshof kritisierte allerdings neuerdings die Praxis italienischer Untergerichte, in derartigen Fällen Schmerzensgelder zuzusprechen: Oliphant, S. 659, Rn. 4. 368 Kein Schmerzensgeld gewährten: AG Hamburg 18 C 294/92, unv., bei Slizyk, Nr. 1667; AG Castrop-Rauxel BeckRS 2006, 01746; AG Ulm 1 C 2937/95, unv., bei Slizyk, Nr. 2645, Jaeger/Luckey, E 585 und Hacks/Ring/Böhm, Nr. 18.8. 369 AG Koblenz zfs 1990, S. 339.
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diese Graphik darf allerdings angesichts der geringen Grundgesamtheit nicht überinterpretiert werden, da der Einfluß der jeweiligen Einzelfälle groß ist. Läßt man beispielsweise die drei „Ausreißer“ nach oben (mehr als 1.500 E) außer Betracht, sinkt das durchschnittliche Schmerzensgeld in dieser Fallgruppe um mehr als die Hälfte auf 311 E, während immerhin der Trend zur Anhebung der Schmerzensgelder erhalten bleibt. Auch hier muß hinsichtlich der Verletzungsfolgen sorgsam differenziert werden. Diese unterscheiden sich teilweise hinsichtlich der körperlichen Schmerzen, ohne daß sich allerdings dieser Umstand signifikant auf die Bemessungspraxis auswirkte: Zwar berücksichtigt das LG Arnsberg in seiner Entscheidung des mit Abstand höchsten Schmerzensgelds (3.000 E) in dieser Fallgruppe eine Verletzung der Kopfhaut, die in anderen Entscheidungen zumeist nicht erwähnt wird.370 Ähnlich lag aber auch der Fall des AG Berlin-Charlottenburg, das lediglich rund 100 E zusprach.371 Unterschiede bestehen auch insofern, als teilweise immerhin ein Kurzhaarschnitt „übrig blieb“, in anderen Fällen aber das mehrmonatige Tragen einer Perücke erforderlich wurde. Die Zumutung einer Kurzhaarfrisur wurde teilweise als Bagatelle eingestuft und entschädigungslos gelassen,372 während das AG Hannover in einem vergleichbaren Fall immerhin 638 E zusprach.373 Auch unter Einbeziehung einer Einzelfallanalyse verbleibt es also auch hier bei einer erheblichen Streuung. Es deutet einiges darauf hin, daß es den Gerichten in dieser Fallgruppe nicht nur schwer fällt, Bagatellen von entschädigungspflichtigen Schädigungen abzugrenzen, sondern auch für identische Fallgestaltungen und bei identischer rechtlicher Würdigung angemessene Schmerzensgeldbeträge zu finden. Darauf weist auch hin, daß eine Entscheidung des AG Erkelenz, in der einer Frau für eine gescheiterte Dauerwellenbehandlung 1.000 E zugesprochen worden war, vom LG Mönchengladbach auf 300 E, also um mehr als 2/3 nach unten korrigiert wurde.374 Manche Richter sehen diese Fälle in der Nähe der Bagatelle und sprechen daher nur minimale Beträge zu oder schließen eine Haftung ganz aus, andere werten dagegen auch die psychische Belastung, die durch das Tragen einer Perücke entsteht, als schwer wiegend und erkennen Schmerzensgelder in einem Umfang an, wie sie ansonsten bei einem Schädel-Hirn-Trauma ersten Grades mit kurzzeitiger Bewußtlosigkeit und bei grober Fahrlässigkeit des Schädigers üblich sind.375 370
LG Arnsberg 3 S 111/10, Juris. 5 C 308/92, unv., bei Slizyk, Nr. 1649. 372 AG Castrop-Rauxel BeckRS 2006, 01746; AG Ulm 2937/95, unv. = Slizyk, Nr. 2645 = Jaeger/Luckey, E 585 = Hacks/Ring/Böhm, Nr. 18.8; AG Hamburg 18 C 294/92, unv., bei Slizyk, Nr. 1667. 373 AG Hannover 510 C 705/94, unv. = Slizyk, Nr. 1835 = Hacks/Ring/Böhm, Nr. 17.140 = Jaeger/Luckey, E 589; vgl. auch LG Berlin VersR 2004, S. 1326 (279 E). 374 Vgl. AG Erkelenz 8 C 351/08, Juris = BeckRS 2009, 13669; LG Mönchengladbach NJW-RR 2010, S. 325. 375 Vgl. KG 12 U 193/09, Juris. 371
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B. Wird der immaterielle Schaden sauber bemessen?
Anders als bei Urteilen mit schwerwiegenderen Verletzungsfolgen fehlt es bei diesen meist amtsgerichtlichen Entscheidungen des gerichtlichen Massengeschäfts häufig an einer eingehenden Begründung unter Nennung der bemessungsrelevanten Faktoren. Insbesondere die Rolle der Genugtuung bei der Bemessung wird aus dem zugänglichen Material überhaupt nicht erkennbar. Diese Sparsamkeit ist mit Rücksicht auf die Prozeßökonomie im amtsgerichtlichen Verfahren verständlich und legitim. Allerdings erschwert sie die Verwendbarkeit der entsprechenden Daten für die Vergleichsrechtsprechung. Selbst wenn also ein Richter, der einen Fall dieser Art zu entscheiden hat, nur einen groben Anhaltspunkt für die Bemessung sucht, erweisen sich die in den Datenbanken zugänglichen Vergleichsurteile häufig als wenig brauchbar. Die Vermutung, daß in diesem Bereich eine Bemessung von Schmerzensgeld besonders schwierig ist, bestätigt sich auch im internationalen Vergleich. Amerikanische Gerichte urteilten in vergleichbaren Fällen ebenfalls sehr uneinheitlich: Während ein US-Distriktgericht 1952 für den Vertrieb und Verkauf einer schädigenden Dauerwellenkur ein Schmerzensgeld von 4.000 $ für überzogen und lediglich 1.500 $ für angemessen hielt,376 befand 1965 ein Berufungsgericht in Illinois für den Fehlgebrauch einer Chemikalie durch einen Friseur mit Verbrennungswirkung und teilweisem, zeitweisem Verlust des Kopfhaars eine Entschädigungssumme für Schmerz und Ärger (pain and anguish) in Höhe von 12.500 $ für nicht überzogen.377 Dagegen sprach der Superior Court of Connecticut 1996 einer Klägerin lediglich 500 $ für ihre immateriellen Schäden (noneconomic damages) wegen der Schädigung ihrer Kopfhaut durch ein (Haar-)Glätteisen zu378. d) Zwischenergebnis Bei aller Vorsicht hinsichtlich der statistischen Belastbarkeit der Stichproben, scheinen doch im Ergebnis einige Folgerungen nahezuliegen: Erstens ist der Trend zu höheren Schmerzensgeldern besonders im Bereich der Schwerstschäden offenkundig. Wenn im Rahmen der Stichprobenanalyse eine ähnliche Tendenz auch für die unteren Regionen der Schmerzensgeldskala erkennbar wird, so sind diese Ergebnisse allerdings angesichts sehr kleiner Grundgesamtheiten kaum verallgemeinerungsfähig. Inwieweit es tatsächlich zu der häufig angemahnten oder befürchteten Umschichtung der Schmerzensgelder von unten nach oben kommt, bedarf weiterer Analysen auf größerer Datengrundlage. Zweitens zeigen alle drei Fallgruppen eine verhältnismäßig starke Streuung hinsichtlich der ausgeurteilten Summen. Diese Divergenzen lassen sich darüber 376
1952). 377
Higbee v. Giant Food Shopping Center Inc. et. al., 106 F. Supp. 586 (US Distr. E.D.
Horan v. Klein’s Sheridan Inc., 62 Ill. App. 2d 455, 211 N.E 2d 116 (1965). Howard v. Barfield, 1996 WL 590690 (Conn. Super. 1996). Allerdings kam es hier nicht zu einem Haarverlust. 378
III. Bewertung der Ergebnisse und offene Fragen
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hinaus nur schwer durch Unterschiede in der Fallgestaltung erklären. Mit anderen Worten liegt die Vermutung nahe, daß zwischen der Begründung und der Bemessung der Schmerzensgelder allenfalls eine sehr lockere Verbindung besteht. Je stärker man auf die Umstände des Einzelfalls sieht, um so divergierender erscheinen die ausgeworfenen Beträge. Umgekehrt kommen Urteile, die bestimmte Bemessungsfaktoren stark betonen zu identischen Ergebnissen wie andere Entscheidungen, die bei ansonsten gleichen Bedingungen diese Faktoren außer Betracht lassen. Drittens verweist damit auch diese sehr skizzenhafte Analyse der Rechtswirklichkeit auf die Schwierigkeit einer Harmonisierung der Schmerzensgeldbeträge mit Hilfe von Vergleichsrechtsprechung. Indem die Datenbanken Entscheidungen versammeln, die nicht nur auf der Basis von Fallgestaltungen entstanden sind, die sich um so weniger ähneln, je genauer man hinsieht, sondern die auch bei der Bemessung die angeblich relevanten Faktoren sehr unterschiedlich bewerten, eignen sie sich kaum als Grundlage für einen am Maßstab der Präzision orientierten Vergleich.
III. Bewertung der Ergebnisse und offene Fragen Die Analyse der dogmatischen und rechtstatsächlichen Aspekte der Schmerzensgeldbemessung konnte zeigen, daß von einer einheitlichen Schmerzensgeldbemessung in Deutschland gegenwärtig kaum gesprochen werden kann. Entsprechende Homogenitätserwartungen müssen bereits auf der dogmatischargumentativen Ebene enttäuscht werden: Die Doppelfunktionsthese des Großen Senats, die von Anfang an nicht unumstritten war und zunächst vor allem in der Literatur teilweise scharf kritisiert wurde, wird zunehmend auch in der Rechtsprechung durch immer weitere generalisierende Einschränkungen untergraben. Vor allem die Genugtuungsfunktion und die Bedeutung des Verschuldens auf Täterseite bei der Bemessung werden zunehmend unter Verweis auf den Lebensbereich, den Verschuldensgrad oder den Haftungsgrund (Gefährdungshaftung) eingeschränkt oder ausgeschlossen. Neue Überlegungen zu präventiven Funktionen des Haftungsrechts können dagegen nicht unberechtigte Hoffnung haben, künftig auch im Bereich des klassischen Schmerzensgelds eine wichtigere Rolle zu spielen. Im Prinzip ist dies kein dramatischer Befund, denn dogmatische Streitfragen und widersprüchliche Gerichtsentscheidungen gehören nun einmal zum juristischen Alltag und sind in einem Rechtssystem, das der Freiheit des Richters und der Wissenschaft den Vorzug vor einem totalitären Verwaltungsstaat gibt, weder zu vermeiden noch zu kritisieren. Richtet man sich allerdings an dem Ideal homogener Schmerzensgelder aus, wächst die Versuchung, mit dem schwindenden dogmatischen Konsens dieses Ziel durch die Verwendung von Schmerzensgeldtabellen und -datenbanken gewährleisten zu können, denen dabei eine Art Marktersatzfunktion zugesprochen wird. Es konnte
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B. Wird der immaterielle Schaden sauber bemessen?
gezeigt werden, daß gegenüber dieser Hoffnung eine starke Skepsis geboten ist, da die Auswahl, Verarbeitung und die Zahl und Verteilung der Datenmengen dieser Werke die Voraussetzungen für eine stabile Berechnungsgrundlage nicht erfüllen. Dies darf nicht allein als Schwäche der Datenbankersteller mißverstanden werden, denn diese können nur das heterogene Fallmaterial verarbeiten, das ihnen vorliegt. Mit der Auswahl und typologisierenden Ordnung des Materials treffen sie allerdings weit reichende Vorentscheidungen für die Anwendung ihrer Sammlungen. Die methodischen Schwierigkeiten im Umgang mit Vergleichsrechtsprechung bestätigten sich in der empirische Analyse dreier stichprobenartig ausgewählter Fallgruppen. Diese konnten allein einen Trend zu höheren Schmerzensgeldern klar bestätigen, und zwar vor allem in den oberen Bereichen des Spektrums. Dieses Ergebnis steht auch im Einklang mit ähnlichen Untersuchungen in anderen Ländern.379 Einer statistischen Auswertung der übrigen Ergebnisse stellten sich dagegen die gleichen Schwierigkeiten entgegen, die auch der Richter in seinem Alltagsgeschäft bewältigen muß: Stark divergierende und widersprüchliche Wertungen bei insgesamt sehr geringen Grundgesamtheiten erschweren einen echten Vergleich. Es wäre die Aufgabe einer noch tiefer gehenden Analyse mit größeren Datenmengen, die hier nur als Hypothese formulierbare Behauptung zu bestätigen, daß sogar zwischen den vom Gericht herausgehobenen objektivierbaren Faktoren (z. B. Alter, Dauer der Schmerzen, Tage einer Freiheitsentziehung, Verschuldensgrad) und den ausgeworfenen Schmerzensgeldern statistisch kein signifikanter Zusammenhang besteht. Daraus ergäbe sich allerdings der durchaus dramatische Befund, daß es für die Schmerzensgeldsumme völlig gleichgültig ist, wie diese begründet wird.
379 Vgl. für die USA: Baldus/MacQueen/Woodworth, Iowa L. Rev. 80, 1995, S. 1109 ff.; Bovbjerg/Sloan/Blumstein, Nw. U. L. Rev. 83, 1989, S. 919 – 924 mit statistischer Auswertung, S. 938.
C. Kann der immaterielle Schaden sauber bemessen werden? Die vorstehende Analyse der gegenwärtigen Bemessungssituation kann in unterschiedliche Konsequenzen münden: Entweder man hält an der Idee einer exakten Bemessung fest und versucht diese durch die konsequentere Orientierung an einer der diskutierten Schmerzensgeldfunktionen zu erreichen, oder man gibt das Ideal der Präzision auf und sucht nach Wegen eines angemessenen Schmerzensgelds jenseits des Anspruchs der Exaktheit. Zu fragen ist also zunächst, ob vor dem Hintergrund der gegenwärtig vorliegenden Funktionstheorien Wege zu einer sicheren Bemessung eröffnet werden. Würde also, mit anderen Worten, eine strikte Beschränkung auf eine dieser Theorien zu homogeneren Ergebnissen führen? Blickt man in die Literatur, wird die Frage, wie man unter konsequenter Beschränkung auf bestimmte Funktionen des Schmerzensgelds den immateriellen Schaden sauber bemessen kann, in Deutschland nur von den Anhängern der ökonomischen Analyse des Rechts intensiver erörtert. Sehr viel reichhaltiger fließt die Literatur dagegen im angelsächsischen Bereich, wo sich nicht nur die Rechtsökonomen, sondern auch ihre Gegner mit derartigen Fragen beschäftigen. Sofern es dabei um Grundsatzfragen geht, die sich nicht spezifisch auf das angelsächsische Rechtssystem beziehen, kann diese Literatur durchaus weiter führende Erkenntnisse für die deutsche Debatte zum Schmerzensgeld liefern und wird daher auch hier berücksichtigt.
I. Berechnung nach dem Ausgleichsgedanken Eine Orientierung an der Ausgleichsfunktion scheint auf den ersten Blick die sicherste Bemessungsbasis vorzugeben, nicht zuletzt auch, weil sich hier der Standort des Schmerzensgelds im kompensatorischen Bereich des Schadensersatzrechts widerspiegelt. Das Schmerzensgeld wäre dann diejenige Summe Geldes, die in ihrer Höhe dem Umfang des immateriellen Schadens entspräche. Gegen diese These spricht noch nicht der Einwand, es sei beim Schmerzensgeld keine restitutio, sondern nur ein aliud möglich.1 Dieser Satz reformuliert nur § 251 Abs. 1, der genau dies für alle Fälle einschließlich der Vermögensschäden anordnet, nämlich im Falle der Unmöglichkeit einer Restitution ein aliud, nämlich Geld, zu leisten.
1
Ady, S. 191.
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C. Kann der immaterielle Schaden sauber bemessen werden?
Doch die Ausrichtung am Ausgleichsgedanken ist zunächst deshalb problematisch, weil sie allenfalls auf die Technik, nicht aber die Ethik des angestrebten Transferinstrumentariums verweist.2 Gewichtige weitere Probleme kommen hinzu: Zunächst setzt eine exakte Bestimmung voraus, daß zuvor der ersatzpflichtige Schaden unmißverständlich zu bestimmen wäre. Zunächst müßte festgelegt werden, ob und wenn ja welche rein subjektive Empfindungen ersatzpflichtig sein sollen.3 In der deutschen Diskussion hat man bisher eher wenig Mühe aufgewendet, die entsprechenden Schadensposten (körperlicher Schmerz, Trennungsschmerz, Wut, Erregung, Trauer etc.) dogmatisch sauber zu erfassen und voneinander abzugrenzen,4 sondern schnürt die entsprechenden Schadenstypen, meist ohne Gewichtung, additiv zu einem einheitlichen Ausgleichsschmerzensgeld zusammen. Problematisch ist weiter, daß die Grenze zum Vermögensschaden generell fließend ist.5 Sehr häufig wird dem Schmerzensgeld ganz offen die Funktion zugewiesen, Schäden zu ersetzen, die eigentlich Verletzungsfolgeschäden am Vermögen sind, so etwa der unfallbedingte Verlust eines Einfamilienhauses.6 Vor allem dient das Schmerzensgeld ganz offen dort als „Lückenfüller“ bei Vermögensschäden, wo solche nach den Leistungsrichtlinien der Versicherungen nicht ersatzpflichtig sind oder durch Angehörige wahrgenommen werden.7 So begründete das LG München I im Jahr 2001 eine besonders hohe Schmerzensgeldentscheidung damit, daß das Schmerzensgeld in der Ausgleichsfunktion dazu dienen solle, ein bequemes Einfamilienhaus oder einen behindertengerechten Mittelklassewagen zu erwerben.8 So verständlich eine derartige Argumentation auch ist, sie verwechselt letztlich die Ausgleichsfunktion des Schmerzensgeldes mit dem zum Vermögensschaden gehörenden Anspruchs wegen vermehrter Bedürfnisse, die keinem anderen Zweck dienen, als der Annäherung an den vor der Schädigung bestehenden Lebensstandard.9 Auch Einschränkungen bei der Berufswahl10 haben als Erwerbsschäden einen eher materiellen Einschlag.11 Vor allem aber ist der Anspruch, durch das Schmerzensgeld eine immaterielle Einbuße zu kompensieren, bereits logisch inkonsistent, sofern man der verbreiteten 2
Vgl. oben, Kap. B. I. 2. a) bb), Fn. 69. Vgl. zum Problem der Ersatzfähigkeit von Gefühlsschäden unten, Kap. D. IV. 2. a) aa). 4 Eine Ausnahme bildet die Typologie bei Kegel, passim. 5 Stoll, Haftungsfolgen, Nr. 239 f. 6 OLG Düsseldorf I-1 U 206/06, Juris, Rn. 78. Korrekt als verletzungsbedingten Vermögensfolgeschaden berechnet in einem vergleichbaren Fall das OLG Koblenz 12 U 1262/02, Juris, Rn. 39. Vgl. auch BGH NJW 1990, S. 1037. 7 OLG Stuttgart, 10 U 260/93, Juris, Rn. 139: „… Erleichterungen durch die Mutter … oder doch wegen geldlicher Entlastung eine intensivere Zuwendung …“ 8 LG München I NZV 2001, S. 263, 264. 9 Christian Huber, Fragen, S. 317 – 320. 10 OLG Schleswig 4 U 34/07, Juris, Rn. 58; vgl. Jaeger/Luckey, Rn. 1101 – 1103 m. w. N. 11 Vgl. Pardey, Rn. 2125 ff. 3
I. Berechnung nach dem Ausgleichsgedanken
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These der Inkommensurabilität immaterieller Beeinträchtigungen folgt. Dann wäre nämlich der Anspruch der Totalreparation im Sinne des Inkommensurabilitätsparadoxons widersprüchlich,12 denn zwischen zwei inkommensurablen Werten gibt es keinen tauglichen Vergleichsmaßstab, an dem sich ablesen ließe, wie ein optimaler Ausgleich zu bemessen wäre.13 An der Feststellung der Unmeßbarkeit führt dann kein Weg vorbei. Die immer wieder implizierte Vorstellung, etwas könne „ein bißchen meßbar“ sein, ist logisch nicht zu halten. Ebenso wenig ist dann eine Näherung oder Schätzung möglich, die letztlich ohne ein subjektives Element auskäme und den Ausgleichsgedanken verunklarte. Nimmt man die Inkommensurabilität ernst, gibt es keine begehbare Brücke zwischen Schaden und Ersatz, kein mechanisches Instrumentarium, das unter Ausschaltung von Wertungselementen ein „sauberes“ Schmerzensgeld erzeugen könnte. Damit wird aber nicht nur die Debatte über „zu hohe“ oder „zu niedrige“ Schmerzensgelder fragwürdig.14 Ebenso wenig kann dann darüber diskutiert werden, ob aus Genugtuungsgedanken heraus ein „Ausgleichsschmerzensgeld“ zu „erhöhen“ oder zu „mindern“ ist.15 Damit scheitert im übrigen auch der Vorwurf der Anhänger der (reinen) Ausgleichsfunktion gegenüber den Vertretern des Genugtuungsgedankens, diese würden überkompensatorisch entschädigen: Wer nicht weiß, wie hoch das Kompensationsschmerzensgeld ist, kann auch nicht beurteilen, ob ein anderer Maßstab über- oder unterkompensiert. Ebenso wenig kann dann argumentiert werden, ein Schmerzensgeld sei vom Ausgleichsstandpunkt her „überzogen“ oder zu gering bemessen. Vielfach wird daher zurückhaltender formuliert: Der Grundsatz der Totalreparation sei im Bereich des Schmerzensgelds nicht anwendbar. Es könne daher nicht darum gehen, einen Betrag zu suchen, der sich als Gegenwert der Differenz zwischen dem (immateriellen) Vermögenszustand vor der Schädigung und dem schädigungsbedingt verminderten immateriellen Vermögen nach dem schädigenden Ereignis darstellt.16 Teilweise wird auch argumentiert, der Weg verlaufe zwar vom Schaden zum Geld, allerdings nur indirekt und vermittelt durch die herrschenden sozialen Wertungen.17 All diese Überlegungen müssen sich aber den Einwand gefallen lassen, daß es sich dabei nur um einen letztlich gegriffenen Betrag handeln kann, der nach Auffassung des Gerichts genügt, um dem Opfer für sein Leid eine gewisse Erleichterung zu verschaffen. In der Literatur läßt sich der arbiträre Charakter einer so verstandenen „Ausgleichsfunktion“ unschwer an Formulierungen wie 12
Vgl. oben, Kap. B. I. 1. d). Vgl. die anregenden Hinweise zur Problematik des Ausgleichsschmerzensgelds bei Zanitelli, Quinnipiac L. Rev. 28, 2009, S. 203 – 209, bes. 205. 14 Ähnlich bereits Füchsel, DAR 1968, S. 253. 15 So aber die Argumentation z. B. bei Möller, S. 205: Minderung des Schmerzensgelds mangels Genugtuung bei geringem Verschulden. 16 So die herrschende Differenzhypothese im Bereich des § 251: Palandt/Grüneberg, § 251, Rn. 10; krit., aber am Ende zust.: Schlechtriem, ZEuP 1997, S. 239 – 244 m. w. N. 17 Bydlinski, FS Widmer, S. 40. 13
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C. Kann der immaterielle Schaden sauber bemessen werden?
„irgendeine Annehmlichkeit oder Erleichterung“ oder „gewisser Ausgleich“ erkennen.18 Bydlinski, der das Inkommensurabilitätsdilemma so genau wie kaum ein anderer im deutschsprachigen Raum thematisiert hat, sprach vor kurzem von einer „unvermeidlich sehr grobe[n] und ungefähre[n] soziale[n] Bewertung in objektiver, durchschnittlicher Sicht“.19 Nicht der Ausgleich, sondern die freie Wertung des Gerichts ist dann aber der eigentlich bemessungsrelevante Faktor. Will man die Kernbedeutung des Ausgleichsbegriffs, nämlich die Schaffung eines Gleichgewichtszustands, also die Äquivalenz nicht aufgeben, so muß man an dem Erfordernis der Meßbarkeit dieser Gleichgewichtslage festhalten. Wer diese Anforderung aufgibt, ersetzt letztlich den Ausgleich durch ein anderes Prinzip. Die Alternative wäre der Versuch, unter Aufgabe der Inkommensurabilitätsthese ernsthaft nach dem tatsächlichen „Gegenwert“ des eingetretenen Schadens zu suchen. Sieht man an dieser Stelle noch von den Berechnungsmethoden der ökonomischen Analyse des Rechts ab, die zwar auch den vollen Schadensausgleich behaupten, allerdings vorrangig vom Anreiz- bzw. Präventionsgedanken getragen werden und daher unten diskutiert werden,20 wäre ein Ausgleichsschmerzensgeld unter der Prämisse vorstellbar, daß Menschen theoretisch und auch alltagspraktisch gewohnt sind, nicht nur ihre materiellen, sondern auch ihre immateriellen Präferenzen ordnend zu verwalten. Jeder Mensch kann also, wenn er gefragt wird, sagen, ob eine entsprechende Güterlage besser, gleich gut oder schlechter ist als eine andere.21 Basierend auf dieser Prämisse könnte auch ein perfektes Ausgleichsschmerzensgeld gefunden werden. Dabei kommen zwei Maßstäbe in Betracht:22 Sucht man nach objektiver Kompensation, müßte der Preis eines Substituts, also ein Marktpreis für die erlittene Einbuße gefunden werden. Geht man dagegen von einer Kompensation unter Berücksichtigung der subjektiven Wertschätzung aus, müßte man nach derjenigen Summe suchen, durch die der Geschädigte dem Schaden gegenüber indifferent gemacht würde, indem seine „emotionale Vermögenslage“ ohne Schaden genau derjenigen mit Schaden plus Kompensation entspräche.23 Selbst wenn man die juristische Frage außer Betracht läßt, welche Berechnungsmethode bei der Ermittlung des Ersatzes immaterieller Schäden vorzuziehen ist, ist leicht erkennbar,
18 Vgl. besonders deutlich: OLG Köln ZfSch 1998, S. 328; außerdem: LG Mannheim 3 O 247/03, Juris, Rn. 45; ebenso die Rspr. zum APR: BGH VersR 1974, S. 756; OLG Celle NJW-RR 2001, S. 335, 337; LG Frankfurt a.M. AfP 2008, S. 318, st. Rspr.; Larenz, § 28 III, S. 475 f. Von einer „Schätzung“ und einer subjektiven Komponente spricht: Magnus, Schaden, S. 21; ähnlich: Deutsch/Ahrens, Rn. 474 („irgendwie kompensieren“). 19 Bydlinski, FS Widmer, S. 40. 20 Manche Studien aus der ökonomischen Analyse des Rechts gehen vom Ausgleichsgedanken aus, andere von der Präventionsfunktion: Faure, FS Koziol, S. 144. 21 Cooter, San Diego L. Rev. 40, 2003, S. 1100. Ebenso bereits: Böhm-Bawerk, JbNatökStat 47, NF 13, 1886, S. 46 – 51. 22 Cooter, San Diego L. Rev. 40, 2003, S. 1097 f. 23 Zanitelli, Quinnipiac L. Rev. 28, 2009, S. 206.
I. Berechnung nach dem Ausgleichsgedanken
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welche Schwierigkeiten einer quantitativen Umsetzung dieser Formeln entgegen stehen. In vielen Fällen wird sich weder ein Marktpreis noch eine zu subjektiver Indifferenz führende Summe finden lassen, etwa im Falle des Verlusts von nahen Angehörigen.24 Da insbesondere Märkte für Körperverletzungen oder die immateriellen Aspekte der Gesundheit fehlen, kann eine entsprechende Ersatzsumme nur über Umwege errechnet werden, wobei als Alternativen entweder theoretische Modelle über menschliches Verhalten zugrunde zu legen wären oder aber empirische Untersuchungen und Befragungen zu den tatsächlich geübten Präferenzen. Juristen wären damit überfordert und letztlich auf die Hilfe von Ökonomen und Psychologen angewiesen. Alles hinge von den dann zugrunde gelegten Methoden und Prämissen ab, die ihrerseits vor dem Hintergrund der juristischen Anforderungen kritisch zu hinterfragen wären. Neuerdings wird insbesondere auf die teilweise gravierenden Abweichungen der von psychologischen Faktoren mitbestimmten Realität von der ökonomischen Theoriewelt hingewiesen.25 Für reale Menschen erscheint es ungewohnt, nicht marktfähige Güter zu kaufen oder zu verkaufen. Viele von ihnen sehen sich gerade dadurch an einer Ordnung ihrer Präferenzen gehindert, daß sie selbst von der Inkommensurabilitätsthese ausgehen.26 Selbst dort, wo Marktpreise existieren, ist Vorsicht geboten. Unzureichend wäre beispielsweise, sich schlicht an den Preisen zu orientieren, die für entsprechende Verletzungen auf bestimmten legalen oder illegalen Teilmärkten tatsächlich gezahlt werden. Auch wenn Prostituierte bereit sind, gegen Geld sexuelle Dienste anzubieten und Menschen in Piercing- und Tattoo-Studios sogar dafür bezahlen, daß ihnen durch Stechen oder Brennen schmerzhafte und irreversible Körperschäden zugefügt werden, wäre es evident abwegig, beim Schmerzensgeld für sexuelle Nötigung die Marktpreise für Prostituierte zugrunde zu legen oder die Zufügung von Verstümmelungen oder Verbrennungen entschädigungslos zu lassen (oder dem Schädiger gar einen Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung zuzusprechen),27 weil andere dies freiwillig geschehen lassen. An dieser Stelle scheint eine generelle Problematik des utilitaristischen Ansatzes zu liegen, der sich an Vertragssituationen orientiert und damit zumindest im Ausgangspunkt auf freiwillige Entscheidungen der Akteure abstellt. Überträgt man aber die Marktmechanismen auf die Bemessung deliktischer ideeller Personenschäden, verkennt man, daß hier gerade der Aspekt der Unfreiwilligkeit, der Hilflosigkeit des Opfers gegenüber dem Schädiger, den Schaden selbst entscheidend mitprägt. Eine 24
Cooter, San Diego L. Rev. 40, 2003, S. 1098; Posner, § 6.12, S. 196 – 198. Cooter, San Diego L. Rev. 40, 2003, S. 1100 f. 26 Raz, Proceedings of the Aristotelian Society, N.S. 86, 1985/86, S. 128 – 133. 27 Ein solcher Wertersatzanspruch schiede allerdings bereits deshalb aus, weil es sich um eine aufgedrängte Bereicherung handelte, vgl. Palandt/Sprau, § 812, Rn. 52. 25
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C. Kann der immaterielle Schaden sauber bemessen werden?
Orientierung an Märkten, auf denen man sein Selbstbestimmungsrecht (vollständig) feilbieten kann, wäre nicht nur aufgrund der Unveräußerlichkeit des Rechts auf Selbstbestimmung juristisch problematisch (vgl. Art. 1 Abs.1 GG), sondern stünde erst recht der Schwierigkeit gegenüber, daß es derartige Märkte, auf denen man sich gegen Geld anderen vollständig ausliefert, heute nicht (mehr) gibt.28 Dennoch können gerade empirische Untersuchungen zur Glücksforschung, wie sie neuerdings vor allem in den USA stark betrieben werden, auch für die deutsche Schmerzensgeldproblematik wichtige Hinweise liefern. Dies gilt beispielsweise für die Frage der hedonic adaption, also der Erkenntnis, daß Menschen sich im Laufe der Zeit selbst an schwerste körperliche Beeinträchtigungen anpassen und trotz lebenslanger Behinderung kaum unglücklicher sind als gesunde Menschen. Die Frage, ob diese Anpassung nicht eine schrittweise Reduzierung des immateriellen Schadens bewirken muß, wird für US-amerikanische pain-and-suffering awards bereits kontrovers diskutiert, ist in Deutschland bislang aber unbeachtet geblieben.29 Insgesamt ist aber festzuhalten, daß selbst die Pioniere der Glücksforschung nach wie vor skeptisch gegenüber dem „Myth of ,Making Whole‘“30 im Bereich des Schmerzensgelds sind. Belastbare und vor allem praxistaugliche Methoden für die Berechnung einer realen Kompensation immaterieller Schäden in Geld lassen sich nicht finden.
II. Berechnung unter Ein- oder Ausschluß von Genugtuungsaspekten Fehlen schon bei der Ausgleichsfunktion sichere Anhaltspunkte für die Bemessung, so muß dies erst recht für die Genugtuungsfunktion konstatiert werden. Die Debatte um deren Berechtigung spielt sich dabei vor allem auf der Ebene des Schadenstatbestands ab und weniger auf der hier interessierenden Ebene der Schadensrechtsfolge, also ihrer Einbeziehung in die Schmerzensgeldbemessung. Der oben dargestellte Streitstand läßt drei Ansichten unterscheiden: Ein Teil sieht in der Genugtuung die einzige oder zumindest eine mitentscheidende Funktion, eine starke Ansicht möchte sie völlig eliminieren und eine verbreitete Meinung möchte ihren Einfluß nur noch in bestimmten Fallgruppen anerkennen. Die Auswirkungen dieser drei Auffassungen auf die Exaktheit der Bemessung sind getrennt zu untersuchen. 28 Im Mittelalter war es üblich, sich in Erwartung bestimmter Vorteile in die Leibeigenschaft zu begeben. Doch zum einen lassen die hier gezahlten Summen keinen Vergleich mit heutigen Verhältnissen zu und zum anderen verloren auch diese Menschen ihr Selbstbestimmungsrecht nicht vollständig; vgl. Blickle, S. 259 – 278. 29 Ubel/Loewenstein, J. Legal Stud. 37, 2008, S. S198-S202; Vitarelli, Yale J. on Reg. 27, 2010, S. 127 – 133. 30 Ubel/Loewenstein, J. Legal Stud. 37, 2008, S. S207.
II. Berechnung unter Ein- und Ausschluß von Genugtuungsaspekten
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1. Genugtuung als entscheidende oder mitentscheidende Funktion Sehr knapp läßt sich für die Anhänger einer unbeschränkten Genugtuungsfunktion sagen, daß Ideen, wie der Genugtuungsgedanke quantifizierbar gemacht werden soll, weder von der Literatur vorgeschlagen werden, noch auch nur denkbar erscheinen.31 Darüber, wie ein bestimmtes Verschuldensmaß in Geld umgemünzt werden soll, läßt sich ebenso wenig etwas sagen, wie zur Berechnung eines Gegenwerts für den immateriellen Verletzungsschaden nach dem Ausgleichsprinzip.
2. Bemessungsvorteile einer Eliminierung der Genugtuung Als normativer Anknüpfungspunkt für den Genugtuungsaspekt kommt allein die in § 253 angeordnete Berücksichtigung der Billigkeit in Betracht.32 Diese steht insgesamt im Ruf der Irrationalität, so daß juristische Lehre und Praxis durch Versuche ihrer rationalen Einhegung gekennzeichnet sind.33 So berufen sich die strikten Gegner der Genugtuungsfunktion vor allem auf die Zurückdrängung der im Billigkeitsprinzip gesehenen Willkürmomente. Relational gefundener Ausgleich erscheint rationaler als Billigkeit im Einzelfall. Dieser Auffassung steht allerdings die oben herausgearbeitete Erkenntnis entgegen, daß auch die Ausgleichsfunktion keinesfalls härter und damit willkürärmer ist als die Genugtuungsfunktion. Die Eliminierung der schädigerbezogenen Umstände hat damit allein die Wirkung einer Begrenzung der bemessungsrelevanten Faktoren.34 Da es aber von diesen Faktoren zur Entschädigungssumme, wie oben gezeigt, weder in der Theorie noch in der Praxis eine begehbare Brücke gibt, läßt sich die Eliminierung dieser Elemente jedenfalls nicht mit dem Willkürargument begründen. Nur wer das Ausgleichsschmerzensgeld einigermaßen genau bestimmen kann und einen Maßstab für die Gewichtung der einzelnen berücksichtigungsrelevanten Faktoren nennt, kann auch den Genugtuungsaspekt rational nachvollziehbar aus der Kalkulation ausscheiden.
3. Reduzierte Berücksichtigung der Genugtuungsfunktion Wo man die Genugtuungsfunktion nicht ganz aufgeben möchte, versucht man sich in einer Reduktion ihres Anwendungsbereichs durch eine lebensbereichsbezogene 31 32 33 34
So auch Donaldson, AcP 166, 1966, S. 470; Günther, S. 61. So auch der Ausgangspunkt in GS-BGHZ 18, S. 149, 151 ff. Zur Billigkeit im Einzelnen unten, Kap. D. III. 3. b). So bereits in aller Deutlichkeit: Köndgen, Haftpflichtfunktionen, S. 141.
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C. Kann der immaterielle Schaden sauber bemessen werden?
oder verschuldensabhängige Stufenlehre. Einig ist man sich dabei nur, daß Verschuldensmomente bei Vorsatz immer berücksichtigt werden sollen, selbst im Falle von Bagatellverletzungen.35 Im Bereich der Fahrlässigkeit und der Gefährdungshaftung hat sich dagegen keine klare und in der Praxis operationalisierbare Linie herausgebildet. Weder die entsprechenden Abgrenzungsvorschläge im Einzelnen, noch das Konzept einer nur teilweisen Berücksichtigung der Genugtuungsfunktion vermögen dabei zu überzeugen. Naheliegend ist zunächst der Einwand, daß die Differenzierung nach Verschuldensgraden gegen das schadensrechtliche Prinzip der Totalreparation verstoße, wonach sämtliche Nachteile ohne Rücksicht auf das Ausmaß des Verschuldens zu ersetzen sind.36 Doch selbst wenn man unterstellen mag, daß dieser Grundsatz im Bereich des Immaterialschadensersatzes gerade nicht gilt, muß die unterschiedliche Berücksichtigung der Genugtuungsfunktion nach Lebensbereichen insgesamt sehr kritisch beurteilt werden, da sie weder relationalen Gerechtigkeitskriterien, noch der Billigkeit entspricht: Legt man den Maßstab der Gleichbehandlung vergleichbarer Fallgestaltungen an, müßten zumindest sämtliche Unfallsituationen gleich behandelt werden,37 denn es ist kaum ein Grund erkennbar, warum für fahrlässig herbeigeführte Verkehrs- und Sportunfälle prinzipiell unterschiedliche Genugtuungsbedürfnisse bestehen sollen.38 Allenfalls könnte zwischen einem versicherten und einem unversicherten Geschehen differenziert werden, mit dem Argument, daß in ersterem Fall die Genugtuungswirkung beim Schädiger entfiele. Im Ergebnis hätte dies den wenig überzeugenden Erfolg, daß derjenige, der sich durch regelmäßige Prämienzahlung eine Versicherung gekauft hat, weniger Schmerzensgeld erhielte als der Unversicherte. Legt man andererseits den Maßstab der Billigkeit an, so wird auch dieser verletzt, wenn das Gericht bestimmte Aspekte des konkreten Einzelfalls ohne Einzelfallanalyse a priori außer Betracht läßt. Dabei soll nicht bestritten werden, daß in einer großen Zahl von Verkehrsunfällen und Arzthaftungssachen das Verschulden aus den genannten Gründen minimal sein wird. Jedoch kann auch dort erst der Blick auf den 35
Palandt/Grüneberg, § 253, Rn. 14. MüKo/Wagner, § 823, Rn. 321. 37 Unklar hier: Ebert, S. 464, die für eine Unterscheidung zwischen „Unfällen“ und vorsätzlichen Schädigungen plädiert und damit sowohl offen läßt, wie nicht versicherte Unfälle zu bewerten sind, als auch wie Fallgestaltungen zu behandeln sind, die fahrlässig verursacht werden, aber mehr als nur ein Unglück sind. 38 Das OLG Brandenburg berücksichtigt in ständiger Rechtsprechung im Straßenverkehr die Genugtuungsfunktion nur eingeschränkt, hat aber bei einem „Auffahrunfall“ auf der Skipiste das Schmerzensgeld ausdrücklich unter offenbar voller Einbeziehung des Genugtuungsgedankens gewährt: OLG Brandenburg 12 U 214/08, Juris, Rn. 19; OLG Brandenburg 12 U 151/08, Juris, Rn. 35; dagegen: OLG Brandenburg 7 U 200/07, Juris, Rn. 43 (entsprechende Passage nicht mit abgedruckt in MDR 2008, S. 860). 36
II. Berechnung unter Ein- und Ausschluß von Genugtuungsaspekten
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Einzelfall und nicht eine schematische Orientierung an Fallgruppen die Frage beantworten, ob das konkrete Verhalten des Täters eine Genugtuung erfordert. Die gleiche Unaufmerksamkeit im Verkehr kann durch die kaum zu vermeidende Überforderung eines Fahranfängers oder durch vermeidbare Alkoholisierung ausgelöst worden sein. Im ersten Fall wird das Opfer eher bereit sein, seine Schädigung als Unglück zu ertragen als im zweiten. Ähnliches gilt im Arzthaftungsrecht: Der Arzt oder die Hebamme können bei der Entstehung eines fahrlässigen Kunstfehlers überfordert, übernächtigt, nachlässig, aber auch rücksichtslos gewesen sein, etwa wenn der behandelnde Arzt während einer Risikogeburt zum Mittagessen nach Hause geht.39 Prinzipiell altruistisch ist das Handeln außerdem auch in anderen Lebensbereichen. Nur eine Einzelfallbetrachtung kann erweisen, welche Rolle der Altruismus im konkreten Geschehen spielt. Ähnlichen Einwänden sieht sich die Begrenzung der Genugtuungsfunktion nach der Schuldschwere ausgesetzt. So kann deren Einschränkung in Fällen geringeren Verschuldens allenfalls in ähnlicher Weise wie beim Bagatellschaden im Rahmen der Ausgleichsfunktion auf das Billigkeitsargument gestützt werden, etwa im Sinne eines für die Bemessung nicht relevanten „Bagatellverschuldens“. Es ließe sich außerdem anführen, daß der Gesetzgeber trotz Streichung einer gesetzlich verordneten Bagatellschwelle aus der Endfassung des 2. SchadÄndG in seinen Motiven der Rechtsprechung aus gesamtwirtschaftlichen Erwägungen eine Fortentwicklung der bereits üblichen Bagatellgrenzen nahe gelegt hat.40 Dennoch sprechen überwiegende Gründe gegen die Orientierung an starren Bagetellverschuldensgrenzen. Eine im ursprünglichen Gesetzentwurf des 2. SchadÄndG vorgesehene, nach Verschuldensgraden differenzierende Bagatellschwelle ist aus guten Gründen nicht Gesetz geworden, weil der Gesetzgeber die bestehende Rechtsprechung für ausreichend erachtet hat.41 Auch eine weniger weit gehende Regelung wurde nicht gewählt, wie etwa in § 97 Abs. 2 Satz 4 UrhG, wo ein Anspruch nur besteht „wenn und soweit dies der Billigkeit entspricht“. An die in den Gesetzesmotiven formulierte Aufforderung des Gesetzgebers, die Bagatellschwelle „über die Auslegung des Begriffs ,billige‘ Entschädigung in Geld fortzuentwickeln“, ist der Rechtsanwender nicht gebunden, will er nicht die Motive in Gesetzesrang erheben. Zumindest kann der Gesetzgeber damit nicht gemeint haben, daß die aus dem Gesetzentwurf gestrichene Regelung Rechtswirklichkeit werden soll, denn sonst hätte er sie auch im Gesetz belassen können. Ganz offensichtlich sollte also zumindest
39 OLG Hamm VersR 1994, S. 730. Das Gericht hat das Schmerzensgeld (inflationsbereinigt 122.710,05 E) allerdings trotzdem vorrangig auf die Ausgleichsfunktion gestützt. 40 Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zum 2. SchadÄndG, BTDr. 14/8780, S. 20. 41 Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zum 2. SchadÄndG, BTDr. 14/8780, S. 20. Zustimmend zur Streichung der Bagatellschwelle: Däubler, JuS 2002, S. 627.
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C. Kann der immaterielle Schaden sauber bemessen werden?
dem Anspruch nach in § 253 Abs. 2 das schadensersatzrechtliche „Alles-oderNichts-Prinzip“ gewahrt bleiben.42 Der Versuch, das Problem der Genugtuungsfunktion durch eine Reduzierung ihres Anwendungsbereichs zu lösen, begegnet darüber hinaus außerdem auch allgemeinen Bedenken, die in einer weitgehend beliebigen Verwendung der Billigkeitsanordnung zu erkennen sind. Die Billigkeit wird nämlich von den Anhängern einer zurückgedrängten Genugtuungsfunktion gleich in dreifacher Weise als Argument herangezogen: Zum ersten soll sie begründen, warum die Genugtuungsfunktion prinzipiell zulässig ist. Dann soll sie rechtfertigen, warum in bestimmten, typologisch beschreibbaren Situationen von der Genugtuung abzusehen ist und schließlich wird das Konzept der Billigkeit auch noch als Instrument aufgefaßt, mit dessen Hilfe man die eigenen Schwellen im Einzelfall wieder mißachten darf. Vor allem die beiden letzten Aspekte dieser Art von Billigkeitsrechtsprechung sind äußerst fragwürdig: So findet die Heranziehung der Billigkeit als Ausschlußkriterium trotz feststehenden Schadens, anders als im Rahmen des Persönlichkeitsschutzes,43 keinen Anhaltspunkt im Gesetz. § 253 Abs. 2 spricht vielmehr, wie auch alle nebengesetzlichen Schmerzensgeldansprüche außer § 97 Abs. 2 Satz 4 UrhG, von einer billigen Entschädigung wegen eines Schadens. Die Billigkeitsanordnung soll also nicht das „Ob“ einer Entschädigung oder eines Schadens, sondern nur das „Wieviel“ eines feststehenden Schadens steuern.44 Zudem ist das Abgehen von einer bereits durch Billigkeitsrecht legitimierten Schranke innerhalb des Billigkeitsrechts mit Hilfe eben desselben Billigkeitsarguments bereits methodisch fragwürdig. Der Rückgriff auf weiche Formulierungen („Zurücktreten“, „im Vordergrund stehend“) kann kaum verhehlen, daß dahinter die Mutlosigkeit der Gerichte steht, die Genugtuungsfunktion im definierten Bereich offen aufzugeben und dem Kläger klar zu erklären, daß das Ausmaß der Verantwortungslosigkeit des Täters für die Bemessung seines Schmerzensgelds irrelevant sein soll. Im „Hintergrund“ stehend soll die Genugtuung offenbar immer noch einen Rest an Argumentationspotential entfalten, auf dessen Überzeugungskraft die Gerichte bei aller Objektivierung der Maßstäbe nicht verzichten möchten. 42 Näher: von Mayenburg, VersR 2002, S. 283 – 286; vgl. auch: Nixdorf, NZV 1996, S. 90; nach a.A. gilt das „Alles-oder-Nichts-Prinzip“ im Bereich des Ersatzes immaterieller Schäden nicht: Lange/Schiemann, § 2 I 3, S. 56; Kern, AcP 191, 1991, S. 249; ebenso, auch in Hinblick auf das 2. SchadÄndG, Brüggemeier, Haftungsrecht, S. 555 f. Ganz allgemein ist eine Tendenz zur Durchbrechung des „Alles-oder-Nichts-Prinzips“ erkennbar: Heß, NZV 1998, S. 402; Staudinger, NJW 2006, S. 2438; vgl. zum Ganzen auch: Möller, S. 54 – 56. 43 Vgl. den von allen übrigen Ersatzanordnungen für immaterielle Schäden abweichenden Wortlaut von § 97 Abs. 2 Satz 4 UrhG: „Urheber, Verfasser wissenschaftlicher Ausgaben (§ 70), Lichtbildner (§ 72) und ausübende Künstler (§ 73) können auch wegen des Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine Entschädigung in Geld verlangen, wenn [sic!] und soweit dies der Billigkeit entspricht“. 44 Ähnlich: Böhm, DAR 1992, S. 76.
III. Berechnung unter Präventionsgesichtspunkten
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Im Ergebnis kann daher eine Berücksichtigung der Genugtuungsfunktion die Zuverlässigkeit der Bemessung ebenso wenig steuern, wie deren teilweise oder vollständige Außerachtlassung.
III. Berechnung unter Präventionsgesichtspunkten Neben Ausgleich und Genugtuung wird neuerdings das Präventionsziel als zentrales Bemessungskriterium vorgeschlagen. Die hier vertretenen Auffassungen variieren teilweise stark. Spezialpräventiven Einschlag besitzen die Zuschläge für verzögertes Abwicklungsverhalten der Versicherungen. Vorwiegend werden allerdings generalpräventive Spielarten vertreten, die auf eine Steuerung der Allgemeinheit zugunsten einer Optimierung von Sorgfaltsanstrengungen hinwirken wollen. Mit dieser Intention haben Vertreter der ökonomischen Analyse des Rechts tatsächlich Wege für die Berechnung eines optimalen Präventionsschmerzensgeldes vorgeschlagen.45 Allerdings muß auch hier zunächst konstatiert werden, daß es an einem Marktpreis für unersetzliche Lebensgüter fehlt, an dem man die Höhe etwaiger Ersatzsummen bei Körperschäden oder Tötung festmachen könnte.46 Daher kann allenfalls auf Umwegen versucht werden, mit Hilfe ökonomischer Methoden einen sinnvollen Wert zu errechnen. Die inzwischen geläufige Argumentation47 läßt sich, verkürzt, wie folgt beschreiben: Grundsätzlich sind zwei Anknüpfungspunkte für die Bestimmung der Ersatzsumme möglich: Ausgehend vom schadensrechtlichen Gedanken der Kompensation könnte man das (risikoaverse)48 Opfer ex post, das heißt nach dem Unfall, fragen, wie viel Geld man ihm zu zahlen hätte, damit es den Unfallfolgen indifferent gegenüberstünde (sog. ex post- oder Kompensationsschmerzensgeld). Dies entspräche einer Vollversicherung des Opfers gegen die betreffende Schadensart, weshalb der so errechnete Wert „insurance value“49 genannt wird. Alternativ kann man aber auch mit Hilfe empirischer Daten aus realen Märkten errechnen, wie viel denn ihr Leben und ihre Gesundheit den Menschen tatsächlich wert ist. Gefragt wird nach der Summe, für die ein Mensch bereit ist, eine marginale Verschlechterung seiner Sicherheit gegen eine marginale Verbesserung seines Einkommens hinzunehmen.50 Diese Summe wäre dann danach bemessen, was ein 45 Vgl. für das Folgende: Schäfer/Ott, Lehrbuch, S. 374 – 377; Dies., JZ 1990, S. 563 ff.; Bost, passim. 46 Posner, § 6.12, S. 196 – 198. 47 Näher: Bost, S. 214 – 226. 48 Viscusi, J. For. Econ. 3, 1990, S. 3. 49 Viscusi, J. For. Econ. 3, 1990, S. 3. 50 Dardis, Am. Ec. Rev. 70, 1980, S. 1078.
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C. Kann der immaterielle Schaden sauber bemessen werden?
Durchschnittsbürger bereit wäre zu zahlen, wenn nur er und nicht andere den Schadenseintritt beeinflussen könnten (ex-ante-Schmerzensgeld oder deterrence value, Abschreckungsschmerzensgeld).51 Es liegt auf der Hand, daß ein ex post-Schmerzensgeld enorme Summen kosten würde. Dies allein wäre noch kein Gegenargument, sofern man legitim beabsichtigen könnte, im Ergebnis die Gesamtwohlfahrt zu erhöhen. Daß eine solche Lösung unpraktikabel sei, wird aber vor allem damit begründet, daß Schmerzen nicht versicherbar seien – und tatsächlich wird aus der Tatsache, daß sich auf dem Markt kein Versicherer findet, der ein ex post-Schmerzensgeld anbietet, geschlossen, daß die entsprechende Nachfrage gering sei52. Dies hat zwei Gründe: Zum einen haben potentielle Opfer dann keinen Anreiz, eine Versicherung abzuschließen, wenn die versicherte Verletzung keine Auswirkungen auf ihren Nutzen an zusätzlichem Geld hat. Dies ist insbesondere bei kleineren Verletzungen der Fall.53 Anders liegt der Fall bei schwereren Verletzungen oder gar dem Tod: Hier beeinflußt der Schadensfall durchaus die Nutzenstruktur des Opfers in negativer Weise: Ein Euro in seiner Hand hat nach einer Querschnittslähmung für das Opfer einen geringeren Wert als vorher, denn eine Reihe von Annehmlichkeiten kann es nun damit nicht mehr erwerben. Bezüglich der Versicherbarkeit hat dies aber zur Konsequenz, daß auch die (fiktive) Versicherungsprämie in der Hand des Unverletzten einen weit höheren Wert hat, als die Aussicht auf ein (wenn auch hohes) Kompensationsschmerzensgeld.54 Über die Zeitachse betrachtet wird er eher dazu tendieren, sein Geld zu einem Zeitpunkt auszugeben, zu dem sein Nutzen besonders groß ist und nicht gerade dann, wenn die Möglichkeiten, sich damit Annehmlichkeiten zu kaufen, geringer sind. Cook und Graham haben auch mit quantitativen Methoden die Nichtversicherbarkeit derartiger Risiken nachgewiesen.55 Konsequent stellt Friedman56 das Versicherungsargument auf den Kopf: Gesetzt, ein potentielles Opfer wisse, daß es für einen schweren Unfall entschädigt würde, und ginge gleichzeitig davon aus, daß ein Euro heute ihm mehr bringe als ein Euro im Falle der Invalidität, könnte es – das Bestehen entsprechender Institutionen vorausgesetzt – eine „Schmerzensgeldversicherung“ nicht kaufen, sondern verkaufen. Es würde dann z. B. dem Käufer 1 Mio. E seines zukünftigen Schmerzensgelds zum heutigen Preis von 10.000 E verkaufen. Die Schmerzensgeldzahlung wäre dann ebenso wie beim exante-Schmerzensgeld zu bemessen. Der Vorteil wäre, daß die Summen gezahlt würden, wenn der Unfall sich ereignet, aber (jedenfalls teilweise) gesammelt, wenn er 51
Viscusi, J. For. Econ. 3, 1990, S. 1; Möller, S. 209. Ott/Schäfer, JZ 1990, S. 568; Zanitelli, Quinnipiac L. Rev. 28, 2009, S. 196; einen entsprechenden Markt konstatieren aber durchaus: Croley/Hanson, Harv. L. Rev. 108, 1995, S. 1812 – 1896. 53 Shavell, S. 228 f.; Viscusi, J. For. Econ. 3, 1990, S. 12. 54 Ott/Schäfer, JZ 1990, S. 567; Shavell, S. 229. 55 Cook/Graham, Qu .J. Econ. 91, 1977, S. 151. 56 Friedman, Int. Rev. L Econ. 2, 1982, S. 81. 52
III. Berechnung unter Präventionsgesichtspunkten
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sich nicht ereignet. Da diese Lösung aber die gleichen Bewertungskriterien voraussetzt, wie das ex-ante-Schmerzensgeld, kann sie zur Bemessungsfrage keine weiterreichenden Hinweise liefern. Hat man somit das ex post-Schmerzensgeld als unpraktikabel abgelehnt,57 wird auf verschiedenem Wege versucht, ein ex ante-Schmerzensgeld zu errechnen.58 Diese Berechnungsmethode versucht nicht wie die ex-post-Methode, ein Äquivalent zwischen Geld und eingetretenem Schaden zu finden, sondern zwischen Geld und Schadenseintrittsrisiko.59 Der Gegenwert des Schadens wird dabei anhand der tatsächlichen Summen errechnet, die Personen bereit sind, auf dem Markt für die Reduzierung des Schadenseintrittsrisikos auszugeben. Diese Bereitschaft wird um so geringer sein, je weniger Nutzen sich die Person von der Aufwendung weiteren Geldes für ihre Sicherheit erwartet. Die in diesem Sinne maximale Summe wäre theoretisch auch derjenige Betrag, den der Betroffene von einem Dritten akzeptieren würde, um ein bestimmtes Risiko einzugehen.60 Um diesen Ansatz in Geldsummen umzusetzen, ist ein Perspektivwechsel von der Theorie zur Empirie vorzunehmen: aus aktuellen Zahlen muß errechnet werden, wie viel ein durchschnittlicher Bürger zur Vermeidung von Unfällen ausgibt. Da Material zur Bewertung von immateriellen Körperschäden fehlt, werden statistische Untersuchungen zum Wert der Todesverhütung zugrunde gelegt.61 Dieser wird in der Literatur auf verschiedenen Wegen ermittelt. Methodisch fragwürdig erscheinen Versuche, immaterielle Schäden aus dem Bruttosozialprodukt zu errechnen (Humankapitalansatz)62 oder ihre Berechnung anhand von Interviews.63 Tauglichere Berechnungsmethoden setzen etwa bei der Frage an, wie viel an zusätzlichem Lohn (Risikoprämie) eine Gruppe von Menschen erhält, wenn sie eine besonders riskante Arbeit übernimmt (sog. willingness-to-accept-Methode).64 Gesetzt, 1000 Arbeiter übernehmen einen Job, der das zusätzliche Risiko von einem Toten pro Jahr birgt und erhalten dafür einen Lohnaufschlag von jeweils 200 E pro Jahr; wenn sie einen weniger riskanten Job angenommen hätten, hätten sie als Gruppe zugunsten eines 57
Viscusi, J. For. Econ. 3, 1990, S. 4; Bost, S. 225 f. Näher: Bost, S. 227 – 247. 59 Bost, S. 228. 60 Bost, S. 227 f. 61 Bost, S. 231, hebt zu Recht hervor, daß es hier nicht um den in der Tat unendlichen „Wert des Lebens“, sondern den optimalen Gegenwert der Todesverhütung geht. 62 Schätzungen sehen die immateriellen Unfallkosten bei 50 % der Gesamtunfallkosten: Elvik, Accident Analysis & Prevention 32, 2000, S. 849 – 851. Höhnscheid, S. 162 f. klammert die „humanitären Kosten“ als nicht kalkulierbar aus seiner Kostenrechnung aus. Krit. gegen diesen Ansatz auch: Möller, S. 211. 63 Krit.: Conley, Am. Ec. Rev. 66, 1976, S. 45; Mishan, J. Pol. Econ. 79, 1971, S. 687 – 705; O’Hara, Georgt. L. J. 78, 1990, S. 1694 ff.; Ott/Schäfer, JZ 1990, S. 570; Viscusi, Publ. Pol. 2, 1978, S. 361 f.; Bost, S. 232 f. 64 Viscusi, Publ. Pol. 2, 1978, S. 362 ff. Näher zu den ökonomischen Implikationen der „willingness-to-pay-Methode“: Jones-Lee, S. 36 – 101. 58
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C. Kann der immaterielle Schaden sauber bemessen werden?
„eingesparten Todesfalls“ 200.000 E ausgegeben, womit die Summe gefunden wäre, die ihnen ein gerettetes Leben wert ist.65 Andere Untersuchungen fragen, wie viel Geld Menschen durchschnittlich für ihre eigene Sicherheit ausgeben, etwa für Rauchmelder, Alarmanlagen, Sicherheitsgurte oder andere lebensrettende Vorkehrungen (sog. willingness-to-pay-Methode) .66 Diese Summen werden dann in ein Verhältnis zu ihrer Effizienz gesetzt. Vereinfacht gesprochen,67 wird z. B. gemessen, wie viel in den USA jährlich für Rauchmelder ausgegeben wird und wie viele Leben durch die entsprechenden Einrichtungen gerettet wurden. Rechnet man diese Daten, unter Einbeziehung verschiedener anderer Variablen, gegeneinander, so ergibt sich der von den Käufern unterstellte Nutzen des Geräts im Sinne geretteten Lebens. Andere Studien errechnen den Wert der Todesverhütung, indem sie den in Geld umgerechneten Zeitaufwand für die Benutzung von Sicherheitsgurten durch den gurtbedingten Wahrscheinlichkeitsrückgang des eigenen Todes dividieren.68 Diese Untersuchungen ergaben allerdings zum Teil drastisch unterschiedliche Ergebnisse. Bost verglich 14 verschiedene Studien, die den Wert der Todesverhütung einer Person, gemessen in Euro in Deutschland für das Jahr 2005 zwischen knapp 250.000 E und mehr als 10,5 Mio. E bezifferten.69 Der Autor versucht dann zwar, diese enorme Diskrepanzen zu verringern, indem er zunächst die deutlich höheren Schätzungen nach der willingness-to-accept-Methode als irrational beeinflußt ausschließt, hinsichtlich der übrigen Studien Ausreißer eliminiert und schließlich einen Durchschnittswert bildet, der gut 890.000 E beträgt.70 Ob dieses Vorgehen überzeugt, muß bezweifelt werden. Bost selbst muß eingestehen, daß es sich hier am Ende lediglich um einen Mittelwert aus mehreren Schätzungen handelt.71 Deutsche Behörden gehen von anderen Werten aus und setzen den Wert der humanitären Unfallfolgekosten nach der Zahlungsbereitschaftsmethode im Falle der Tötung mit 1,32 Mio. E (2005) an.72 Selbst wenn man unterstellt, daß damit für die Prävention von Todesfällen ein quantifizierbarer Anhaltspunkt gefunden ist, erfordert die Berechnung von Schmerzensgeldern aber einen weiteren Schritt. Die „Brücke zum Wert der Verhütung von Unfällen mit Körperverletzungen“73 soll gebaut werden, indem mit Hilfe 65
Beispiel nach Bailey, Am. Ec. Rev. 68, 1978, S. 295. Blomquist, J. Pol. Ec. 87, 1979, S. 540 – 558; Dardis, Am. Ec. Rev. 70, 1980, S. 1077 ff. 67 Weiterführend: Dardis, Am. Ec. Rev. 70, 1980, S. 1078 f. 68 Blomquist, J. Pol. Ec. 87, 1979, S. 545. 69 Bost, S. 239; vgl. auch die Werte bei Schäfer/Ott, Lehrbuch, S. 376 (Wert der Todesverhütung zwischen 49.000 und 9,2 Mio. $). 1990 hatten sie den Wert noch mit 1,45 Mio. DM (für Deutschland 1987) angegeben: Ott/Schäfer, JZ 1990, S. 572. Allein die verschiedenen Studien von Viscusi zeigen eine Spannbreite zwischen 2,8 und 13,4 Mio. $: Viscusi, J. For. Econ. 3, 1990, S. 9. 70 Bost, S. 237 – 244. 71 Bost, S. 244. 72 Baum/Kranz/Westerkamp, S. 76. 73 Ott/Schäfer, JZ 1990, 563, S. 572. 66
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von Expertenbefragungen (z. B. Fachleuten aus Versicherungen und dem Gesundheitswesen) eine Skala der Unfallschwere erstellt wird, durch die sich Indexwerte für einzelne Verletzungstypen bilden lassen.74 Körperliche Schäden werden in ihrem Verhältnis zum Wert des Lebens dargestellt. Mit Hilfe dieser Rechenmethode ermittelten Schäfer und Ott 1990 für Querschnittslähmungen Werte von ca. 500.000 E75 und Viscusi errechnete im gleichen Jahr für eine „Durchschnittsverletzung“ von 17 Tagen Dauer einen immateriellen Schaden zwischen 19.000 und 30.000 US-$76. Eine Untersuchung der EU ergab 1994, allerdings auf anders gelagerter methodischer Grundlage, als durchschnittliche immaterielle Kosten für einen Schwerverletzten zwischen 3.251 ECU (Dänemark) und 91.589 ECU (Schweden), bei einem Durchschnittswert der acht untersuchten Länder von 32.833 ECU; bei leicht Verletzten lagen die entsprechenden Werte bei 67 ECU (Dänemark), 11.225 ECU (Finnland) und 1.652 ECU (Durchschnitt).77 Wäre diese Berechnungsmethode zuverlässig, so enthielte sie eine eindeutige Botschaft: die momentan ausgeschütteten Schmerzensgeldbeträge wären, jedenfalls im oberen Bereich des Schadensspektrums, um ein Vielfaches zu niedrig, um effiziente Sorgfaltsanreize zu setzen und Externalisierungseffekte zu vermeiden.78 Allerdings stehen derartigen Berechnungen nicht unerhebliche Einwände gegenüber. Rechtsethische und verfassungsrechtliche Bedenken angesichts des in der Tat makaberen Berechnungsszenarios überzeugen dabei noch am wenigsten.79 Wenn Möller vorträgt, Berechnungen zum Wert des Lebens seien verfassungswidrig,80 erscheint dies nicht nur deshalb kaum ein tauglicher Einwand gegen ökonomische Analyse des Schmerzensgelds zu sein, weil er sich nur auf die, methodisch in der Tat fragwürdige, Methode der Ableitung eines „Wert des Lebens“ aus dem Bruttosozialprodukt, nicht aber auf die weit überwiegend herangezogene, hier beschriebene Methode bezieht.81 Vor allem aber läßt er außer Betracht, daß jede Schmerzensgeldbemessung sich gezwungen sieht, Einbußen an grundrechtlich besonders geschützten Rechtsgütern in Geld zu bemessen. Die Errechnung eines Ausgleichswerts für einen abgetrennten Arm hält aber niemand für verfassungswidrig. Allenfalls ließe sich vorbringen, daß der Präventionsgedanke schlechthin, ähnlich wie im Strafrecht, problematisch in Bezug auf die Objektformel der Menschenwürde 74
Vgl. Bost, S. 245 m. w. N. Ott/Schäfer, JZ 1990, S. 572. 76 Viscusi, J. For. Econ. 3, 1990, S. 10 f. 77 Alfaro/Chapuis/Fabre, S. 38 f. 78 So bereits Posner, § 6.12, S. 196 – 198. 79 Derartige Bedenken erhebt Möller, S. 211. 80 Möller, Präventionsprinzip, S. 211. Versuche von Ökonomen, den „Wert des Lebens“ zu berechnen, gab es bereits in den 1930er-Jahren, vgl.: Dublin/Lotka. 81 Das sieht wohl auch Möller so, der die ökonomische Analyse an anderer Stelle durchaus für ein zulässiges Mittel der Schadensbewertung hält: Ders., S. 212. 75
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ist. Wer einen individuellen Schadensfall nur und allein als Vehikel benutzt, um mit seiner Hilfe Ziele der Gesamtwohlfahrt zu fördern, würdigt letztlich Täter und Opfer zum Objekt des öffentlichen Ziels der Wohlfahrtssteigerung herab.82 Gewichtig erscheinen aber vor allem Einwände gegen die Methode selbst. Dabei ist zunächst hervorzuheben, daß die aus den häufigen Perspektivwechseln resultierenden Fehlerquellen schon per se zur Skepsis einladen. Sofern theoretische Überlegungen einfließen, müssen diese notwendigerweise Annahmen treffen, die sich in der Realität nicht widerspiegeln, wie etwa perfekte Rechtsdurchsetzung, Abwesenheit anderer Sanktionen und vernünftiges Verhalten der Akteure.83 Mit der Bezugnahme auf empirische Untersuchungen handelt sich die Schmerzensgeldanalyse darüber hinaus deren – auch in der „Value of Life“-Literatur selbst immer wieder als beachtlich bezeichneten84 – methodische Prämissen und Begrenztheiten ein. Die signifikanten Unterschiede zwischen willingness-to-pay- und willingness-toaccept-Studien müssen in ihren Ursachen sauber analysiert werden, wobei nicht nur ökonomische, sondern auch neuere psychologische Erkenntnisse einzubeziehen sind.85 Welche Rolle spielen beispielsweise die unterschiedliche Risikoeinschätzung und -bereitschaft der jeweils untersuchten Bevölkerungsgruppe?86 Möglicherweise ziehen besonders gefahrenträchtige Berufe risikobereite Arbeiter geradezu an, so daß sich die erzielten Ergebnisse wohl kaum verallgemeinern lassen.87 Noch problematischer erscheint aber der zweite Schritt der Schmerzensgeldberechnung. Eine zuverlässige Studie zur Übertragung von Todes- auf Verletzungswerte fehlt bislang.88 In der ökonomischen Literatur werden unterschiedliche Methoden vorgeschlagen, um vom „Wert des Lebens“ auf die Bewertung leichter oder schwerer Verletzungen schließen zu können.89 Indem die Aufgabe der Erstellung einer abstrakten Wertigkeitsliste von Körperschäden „Unfallfachleuten“ oder medizinischem Fachpersonal übertragen wird, werden deren subjektive Wertungen zu einem entscheidenden Faktor bei der Schmerzensgeldbemessung. Die eigentliche Wertungsfrage wird damit an diese Fachleute weitergereicht. Nicht der feste Grund von Theorie oder Empirie, nicht der Richter, sondern die subjektiven Wertungen dieser Fachleute bestimmten dann den exakten Betrag des Schmerzensgelds. Möglicherweise ist aber bereits die Aufgabe dieser Experten undurchführbar, denn ihr liegt die Annahme zugrunde, daß Schmerzen und Tod in einem graduellen 82 Vgl. anstelle einer umfangreichen strafrechtlichen und rechtsphilosophischen Debatte zur Generalprävention: Roxin, JuS 1966, S. 380. 83 Zanitelli, Quinnipiac L. Rev. 28, 2009, S. 187. 84 Skeptisch: Cook, Am. Ec. Rev. 68, 1978, S. 710; Dardis, Am. Ec. Rev. 70, 1980, S. 1082; Zanitelli, Quinnipiac L. Rev. 28, 2009, S. 187 – 189. 85 Zu diesen Effekten: Zanitelli, Quinnipiac L. Rev. 28, 2009, S. 187. 86 Viscusi, J. For. Econ. 3, 1990, S. 9. 87 Friedman, Int. Rev. L. Econ. 2, 1982, S. 85; Viscusi, Publ. Pol. 2, 1978, S. 377. 88 So auch: Bost, S. 246. 89 Vgl. die Übersicht bei: ECMT, Efficient Transport, S. 180 f.
IV. Konsequenzen und offene Fragen
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Verhältnis zueinander stehen.90 Dieses Verhältnis wird inzwischen in Europa standardmäßig so angesetzt, daß der Wert einer schweren Körperverletzung mit 13 % und der einen leichten Verletzung mit 1 % des value of life angegeben wird.91 Auch ohne hier eine philosophische Grundsatzfrage anreißen zu wollen, muß jedenfalls bezweifelt werden, ob Menschen Schmerz und Tod nach der gleichen Kosten-NutzenRechnung bemessen. Überfordert dürften die Experten aber auch sein, wollten sie die verschiedenen Schadenstypen wirklich bis ins Letzte klassifizieren. Denn ein Blick in die Schmerzensgeldtabellen zeigt eindrucksvoll die ungeheure Bandbreite je unterschiedlich kombinierter Verletzungsschäden. Es bleibt festzuhalten, daß die Argumentation mit der Präventionsfunktion zu dem bislang ambitioniertesten Versuch geführt hat, das Fehlen eines Marktwerts bei immateriellen Schäden durch eine Kombination von theoretischem und empirischem Vorgehen zu kompensieren. Auch nach mehreren Jahrzehnten konnten dabei allerdings nur sehr widersprüchliche und methodisch angreifbare Ergebnisse erzielt werden. Entsprechend bekennt auch ein Lehrbuch zur ökonomischen Analyse des Rechts freimütig, daß deren Methoden zur Berechnung von Schmerzensgeldern ziemlich willkürlich („somewhat arbitrary“) seien92.
IV. Konsequenzen und offene Fragen Im Ergebnis bleibt damit festzuhalten, daß weder die Rechtspraxis noch die juristische, ökonomische oder psychologische Theorie einen Weg gefunden haben, die Bemessung des Schmerzensgelds kalkulatorisch sicher zu steuern. Selbst wenn man sich auf eine der immer zahlreicher werdenden Theorien zum Schmerzensgeld einläßt und den dort vertretenen Satz an Kriterien für die Bemessung berücksichtigt, bleibt es dabei, daß ein sicherer Weg vom Argument zum Geld nicht gefunden werden kann.
90 Deutlich in dieser Richtung geht die Graphik bei Adams, S. 177, wo auf der Längsachse unter „Schwere der Verletzung“ als äußerster Wert der Tod angegeben wird. 91 So übereinstimmend: Bickel u. a., S. 87; ECMT, Efficient Transport, S. 180; Baum/ Kranz/Westerkamp, S. 76. Grundlage ist hierbei: O’Reilly u. a., Journal of Transport Economics and Policy 28, 1994, S. 45 – 59. 92 Polinsky, S. 137.
D. Muß der immaterielle Schaden sauber bemessen werden? – Wege aus dem Dilemma Die Erkenntnis der Unmöglichkeit einer sauberen Bemessung des Schmerzensgeldes scheint gravierende Konsequenzen zu haben, denn es kann nicht nur niemand sagen, ob die gegenwärtig ausgeschütteten Schmerzensgelder für sich oder insgesamt zu niedrig oder zu hoch sind, sondern es fehlt auch offensichtlich ein normativer Maßstab um festzulegen, wie hoch sie denn sein sollen. Weder die Orientierung an den Funktionen des Schmerzensgelds noch die Bezugnahme auf die Vergleichsrechtsprechung führt dabei weiter. Ob dies den Schmerzensgeldanspruch insgesamt in Frage stellt oder den Gesetzgeber auf den Plan rufen muß, der dann die Bemessungsmaßstäbe autoritativ festzulegen hätte, hängt allein von der Antwort auf die Frage ab, ob denn der immaterielle Schaden überhaupt „sauber“ bemessen werden muß, oder ob nicht bereits die Suche nach einem exakten Gegenwert für den immateriellen Schaden an der gesetzlichen Wertung vorbei zielt, die den Schmerzensgeldanspruch als Billigkeitsanspruch ausgestaltet. Ehe auf Vorschläge de lege ferenda einzugehen ist, muß daher im Wege der Auslegung bestimmt werden, welche Maßstäbe der Gesetzgeber an die Präzision der Schmerzensgeldbestimmung anlegt.
I. Verfassungsrechtliche Anforderungen? Richtet man den Blick auf die Frage, ob überhaupt und wenn ja wie sicher die Schmerzensgeldentscheidung ausfallen muß, könnte zunächst unter Rückgriff auf Verfassungsrecht geantwortet werden. Vor allem der Gesichtspunkt der Rechtsanwendungsgleichheit (Art. 3 Abs. 1 GG) und der Rechtssicherheit als Ausfluß des Rechtsstaatsprinzips (Art. 20 GG) wären dann zu berücksichtigen. Es fragt sich, ob aus diesen Prinzipien eine präjudizielle Wirkung auch von Billigkeitsentscheidungen folgt, wie dies häufig in der zivilrechtlichen Literatur zum Billigkeitsbegriff angedeutet, aber nicht näher begründet wird.1 Auch wenn diese Frage hier nicht eingehend aus verfassungsrechtlicher Perspektive beleuchtet werden kann,2 so läßt sich doch festhalten, daß das Grundgesetz 1
So die oben, Kap. B. I. 2. b), Fn. 237 zitierten Quellen zur Präjudizwirkung von Schmerzensgeldentscheidungen. Vgl. Lange/Schiemann, Einl. III. 5, S. 16 f. („Widerstreit mit den Erfordernissen der Rechtssicherheit“, aber Zugeständnis, daß ein „irrationaler Rest“ bleibt). 2 Eine konzise Darstellung der Probleme aus verfassungsrechtlicher Sicht bietet Unterreitmeier, passim.
II. Auflösung des Inkommensurabilitätsparadoxes
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zwar das implizite „Postulat nach Widerspruchslosigkeit der Gerichtsentscheidungen zwischen verschiedenen Spruchkörpern postuliert, auch wenn sie „gleichzeitig“ judizieren“.3 Jedoch wird auch die Unabhängigkeit des Richters grundgesetzlich garantiert (Art. 97 GG). Der Forderung nach Rechtsanwendungsgleichheit steht dabei die gleichermaßen grundgesetzlich gewünschte Freiheit des Richters gegenüber, der nicht zum Subsumtionsapparat herabsinken soll und darf. Das Grundgesetz zwingt den Richter damit jedenfalls nicht zum Auswerfen mechanisch berechenbarer Schmerzensgelder, sondern eröffnet ihm innerhalb seines Ermessens Freiräume bei der Bemessung.4 Die Berechenbarkeit der Justiz wird im Übrigen durch prozessuale Normen hinreichend abgesichert.5 Das immer wieder gehörte Argument der Rechtsanwendungsgleichheit und Rechtssicherheit mag damit zwar durchaus ein erstrebenswertes Ziel sein, fordert aber nicht von Verfassungs wegen eine absolut homogene Schmerzensgeldbemessung.
II. Kern des Problems: Auflösung des Inkommensurabilitätsparadoxes Ist damit die Frage nach den Anforderungen an die Bemessungsgenauigkeit vor allem eine zivilrechtliche, so zeigt eine Analyse des Streitstands, daß fundamental unterschiedliche Positionen zur Inkommensurabilität eine nicht unwesentliche Rolle spielen. Mit der in der Schmerzensgelddiskussion zumindest hierzulande bislang wenig beachteten Frage der Kommensurabilität von Werten wird auf eine philosophische Kategorie verwiesen, deren Vielschichtigkeit hier nicht in voller Breite dargestellt werden kann.6 Einige sehr grobe Linien mögen genügen um aufzuzeigen, daß die Grundfrage der Schmerzensgeldbemessung nicht so sehr die Entscheidung zwischen Ausgleich und Genugtuung oder Schadensersatz und Strafe ist, sondern die Position zur Inkommensurabilität betrifft und damit der Möglichkeit zur Bestimmung einer exakten Bemessung immaterieller Schäden. Arbeiten, die versucht haben, das Inkommensurabilitätsproblem für die Rechtswissenschaften zu beleuchten, haben in letzter Zeit vor allem angelsächsische Philosophen und von ihnen angeregte Rechtstheoretiker vorgelegt.7 Im Kern stehen sich 3
Maunz/Dürig/Scholz, Art. 3 Abs. 1 GG, Rn. 409. Maunz/Dürig/Scholz, Art. 3 Abs. 1 GG, Rn. 410 f. 5 Maunz/Dürig/Grzeszick, Art. 20 GG, Rn. 101. 6 Vgl. als Übersicht: Balzer, Kant-Studien, 76, 1985, S. 196 ff. 7 Vgl. statt vieler die zentralen Beiträge der angelsächsischen Literatur aus den letzten Jahren: Radin, Duke L. J. 43, 1993, S. 56 ff.; Raz, S. 320 – 366; Ders., Proceedings of the Aristotelian Society, N.S. 86, 1985/86, S. 117 ff.; Robbennolt/Darley/MacCoun, Brook. L. Rev. 68, 2003, S. 1121 ff.; Schauer, Hastings L. J. 45, 1994, S. 785 ff.; Ders., Univ. Penns. L. Rev. 146, 1998, S. 1215 ff.; Smith, Buff. L. Rev. 45, 1997, S. 503 ff.; Sunstein, Mich. L. Rev. 92, 1994, S. 779 ff. 4
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D. Wege aus dem Dilemma
dabei zwei Schulen gegenüber, nämlich auf der einen Seite eine konsequentialistische Richtung, die einer folgenorientierten Handlungsethik folgt.8 Deren wichtigste Untergruppe bilden die Utilitaristen, zu denen auch die Anhänger der ökonomischen Analyse des Rechts gehören und die den Erfolg der Nutzenoptimierung nicht auf den Einzelnen, sondern auf die Gesamtgruppe der Interagierenden beziehen. Auf der anderen Seite steht eine weit weniger homogene Gruppe, die eine nicht-konsequentialistische Rechtsethik vertritt.
1. Konsequentialistische Ansätze Konsequentialistische Rechtswissenschaftler gehen grundsätzlich von einem systemischen Zusammenhang von Glückszuständen aus, der durch menschliche Entscheidungen hergestellt wird. Menschen richten ihr Handeln so aus, daß sie einen möglichst hohen Glückszustand erreichen. Dazu sind sie bereit, bestimmte Güter aufzugeben, an denen sie ein geringeres Interesse haben. Dabei sind die Utilitaristen gewöhnt, nicht nur materielle, in Geld meßbare Güter einzubeziehen. Auch immaterielle Güterlagen werden von den Menschen bewertet und Anstrengungen unternommen, um einen höheren Glückszustand zu erreichen oder einen Unglückszustand zu verlassen.9 Steht damit für die Utilitaristen ein systemischer Zusammenhang zwischen heterogenen Güterlagen zur Verfügung, kann auch gegen eine hierarchische Ordnung dieser Güterlagen kein prinzipieller Einwand erhoben werden. Schadensrechtlich gewendet kann dieser Ansatz in das Ausgleichs- oder das Präventionsprinzip führen und in der Tat werden beide Aspekte je einzeln oder in Kombination von Autoren der ökonomischen Analyse des Rechts vertreten. Es erscheint nicht nur gerechtfertigt, sondern sogar zwingend, unausgewogene Güterlagen in ein gesamtgesellschaftlich effizientes Gleichgewicht zu bringen und gleichzeitig Anreize zu setzen, damit ein derartiges Ungleichgewicht künftig möglichst vermieden wird. Vertreter dieses Ansatzes betonen damit nicht die Billigkeitsanordnung, sondern die schadensersatzrechtlichen Dimensionen des Schmerzensgeldanspruchs. Eine exakte Umrechnung von Schmerzen in Geld scheitert vielleicht in der Praxis, aber nicht in der Theorie. Die Inkommensurabilitätsproblematik verengt sich dabei auf die Feststellung, daß immaterielle Güter keinen realen Marktwert haben. Die Aufgabe besteht dann darin, mit Hilfe empirischer Methoden und theoretischer Überlegungen einen Marktersatzwert zu bestimmen.
8
Statt einer breiten Literatur zum Konsequentialismus, vgl. die kritische Diskussion bei Raz, S. 267 – 287. 9 Sehr plastisch beschrieb diesen Ansatz bereits Böhm-Bawerk, JbNatökStat 47, NF 13, 1886, S. 46 – 51.
II. Auflösung des Inkommensurabilitätsparadoxes
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2. Nicht-konsequentialistische Ethik Gegen diese folgenorientierte Ethik stehen andere, weit weniger homogene Strömungen, die sich an sehr unterschiedlichen philosophischen Konzepten orientieren,10 oder sich dem Problem eher anekdotisch-induktiv nähern.11 Diese stützen ihre Argumentation vor allem auf die unhintergehbare Inkommensurabilität immaterieller Güter.12 Teilweise werden dabei ethische Motive erkennbar, insbesondere wenn das angebliche Verbot einer Messung von Persönlichkeitsgütern in Geld hervorgehoben wird.13 Wo sich die Vertreter dieser Auffassung nicht völlig gegen Schmerzensgelder aussprechen, lösen sie das Problem, indem sie es als schadensersatzfernes Thema behandeln.14 Dabei wird besonders häufig historisch mit der Herkunft des Schmerzensgelds aus der Privatstrafe argumentiert, die ganz andere Ziele als den Schadensausgleich verfolge.15 Gerade in der Vergangenheit waren Auffassungen aus diesem Bereich wenig klar und verwiesen teilweise auch in der Nachkriegszeit noch auf problematische Sühnetheorien aus dem „Dritten Reich“.16 Pragmatischer wird agiert, wenn darauf verwiesen wird, daß der Richter letztlich durch die Billigkeitsanordnung (§ 253 Abs. 2) und seinen prozessualen Ermessensspielraum (§ 287 ZPO) die nötige Freiheit habe, um die Höhe des Schmerzensgelds autonom zu bestimmen.17 Das Bemessungsparadoxon wird hier also nicht zugunsten des Ersatzcharakters, sondern der Billigkeit aufgelöst. Maßstab sind nicht Ausgleich und Prävention, sondern Genugtuung oder Strafe. Es ist bezeichnend, daß sich im Lehrbuch von Harke, einem expliziten Vertreter der Privatstrafentheorie des Schmerzensgelds, nichts zu den Bemessungsgrundsätzen findet und ganz konkret auch nichts zu dem gerade im Bereich der Strafe besonders wichtigen Rechtsschutzproblem der Sanktionsbegrenzung nach oben.18 Der Anspruch ist jedenfalls aus dieser Perspektive kein echter Schadensersatz, sondern ein Anspruch eigener Art. Maßgeblich ist nicht ein objektiver Maßstab, sondern die Einzelfallgerechtigkeit. Eine „saubere“ Bemessung ist bestenfalls unmöglich, schlimmstenfalls Utopie. 10
Vgl. Raz, S. 321 – 366. Vgl. Abel, DePaul L. Rev. 55, 2006, S. 270 – 282. 12 Harke, Rn. 329; aus rechtsphilosophischer Perspektive ausführlich: Raz, S. 322 – 328. 13 Vgl. Voßkuhle, S. 282 f. 14 So argumentiert letztlich auch der Große Senat des BGH, wenn er betont, der Schmerzensgeldanspruch sei „zwar formal vom Gesetzgeber als bürgerlichrechtlicher Schadensersatzanspruch konstruiert“, er sei aber „jedenfalls nicht ein solcher der üblichen, dh auf den Ersatz vonVermögensschäden zugeschnittenen Art“: GS-BGHZ 18, S. 149, 156. 15 Harke, Rn. 329. 16 Vgl. z. B. Fenzl, S. 40, der noch 1957 unkritisch auf antiliberal-völkisches Gedankengut bei Heinrich Lange aus dem Jahr 1934 verweist; vgl. Heinrich Lange, S. 64. 17 Geigel/Pardey, Kap. 7, Rn. 31. 18 Vgl. Harke, Rn. 328 – 330. 11
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D. Wege aus dem Dilemma
3. Vereinbarkeit der Prämissen? Der Vergleich der beiden Perspektiven scheint zu zeigen, daß die Antwort auf die Frage nach Inhalt und Umfang der Inkommensurabilität letztlich von der Wertentscheidung zugunsten oder zulasten bestimmter ethischer Systeme abhängt. Ob unser Rechtssystem eine derartige Entscheidung trifft, und wenn ja für welche Seite, kann zumindest pauschal nicht beantwortet werden. Die heftige Debatte um die ethischen Grundlagen der ökonomischen Analyse des Rechts setzt die seit zwei Jahrhunderten tobende Debatte über die Ethik des Utilitarismus fort und weist darauf hin, daß diese Frage nicht entschieden und wahrscheinlich auch nicht entscheidbar ist.19 Diese Grundsatzfrage kann daher auch hier nicht beantwortet werden. Das Problem der Inkommensurabilität soll statt dessen lediglich aus dem Blickwinkel des Immaterialschadens eingekreist und argumentativ beherrschbar gemacht werden. Dabei ist den Vertretern der konsequentialistischen Sichtweise immerhin zuzugestehen, daß die Inkommensurabilität von Schmerz und Geld jedenfalls keine quasi naturrechtlich vorgegebene Notwendigkeit ist. Daß Menschen tatsächlich immaterielle und materielle Güter gegeneinander abwägen, erweist bereits der Alltag.20 Bestätigt wird dies weniger durch die oben beschriebenen Schadensschätzungen der ökonomischen Analyse des Rechts, als durch die Regelungen des Zivilrechts selbst: Die Parteien können innerhalb der Grenzen der §§ 138 und 242 sowohl vor als auch nach einem schädigenden Ereignis die aus ihrer Sicht dem immateriellen Schaden entsprechende Summe durch Parteivereinbarung, etwa in Form einer Vertragsstrafe oder eines Vergleichs, festlegen.21 Allein dies zeigt bereits, daß das Gesetz Menschen zutraut, auch immateriellen Gütern einen Geldwert zuzumessen und diese Zumessung in den Grenzen der guten Sitten anerkennt. Gerade das Beispiel der Vertragsstrafe zeigt, daß offenbar auf der Ebene eines isolierten Rechtsverhältnisses leichter ein Konsens über die Angemessenheit des Gegenwerts für immaterielle Güter zu erreichen ist, als durch die Orientierung am Anspruch flächendeckender Homogenisierung. Damit ist bereits angedeutet, daß es für die Arbeit des Juristen hilfreich sein kann, die Lösung auf normativer Seite zu suchen und die Fragestellung darauf zu konzentrieren, welche Anordnung denn der BGB-Gesetzgeber zu dieser Frage getroffen hat. Dies impliziert einen Perspektivwechsel: Ein Weg aus dem Paradox des 19
Ökonomische Begriffe wie „human capital“ werden z. B. als „Unworte“ gebrandmarkt: von Westphalen, MDR 2000, S. R1. Grundlegend auch die Kritik am Menschenbild der ökonomischen Analyse des Rechts und dessen Übertragbarkeit in den Bereich der Rechtsdogmatik bei: Fezer, JZ 1986, S. 817 und Gröschner; dagegen: Kirchgässner. Vgl. zu dieser Debatte die ausgewogene Analyse bei: Möller, S. 110 – 114. 20 Vgl. Raz, S. 338 mit dem Beispiel einer Abwägung zwischen Beruf und Privatleben beim Angebot einer besser dotierten auswärtigen Arbeitsstelle. 21 Staudinger/Schiemann, § 253, Rn. 9 f. mit Beispielen für sittenwidrige Vertragsstrafenversprechen; MüKo/Oetker, § 253 Rn. 8; vgl. OLG Oldenburg VersR 2004, S. 64 für das Beispiel eines gem. § 242 anzupassenden Abfindungsvergleichs.
III. Nochmals: Die Dogmatik des Schmerzensgelds
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Schmerzensgelds soll dabei gefunden werden, indem nicht mehr gefragt wird, ob etwas kommensurabel ist, sondern nur noch, ob etwas vom Recht als kommensurabel betrachtet wird. Nicht die empirische, sondern die normative Bedeutung des Problems wird damit in den Blick genommen. Dies entspricht im Übrigen auch dem Ausgangspunkt moderner Studien zur Kommensurabilität, die diese Frage auf den entscheidenden Akteur beziehen: „incommensurability is relative to the values of an actor“.22 Es lohnt sich daher, sich von der oben dargestellten Dogmatik des Schmerzensgelds und insbesondere den verschiedenen Funktionstheorien zu lösen und das Regelungsprogramm des Schadensrechts noch einmal unter der Prämisse zu rekapitulieren, welche Entscheidungsmöglichkeiten es für die Inkommensurabilitätsproblematik enthält. Eine erneute Analyse von Wortlaut, Systematik und Gesetzeszweck kann dabei möglicherweise helfen, eine neue Entschädigungsstrategie zu formulieren.
III. Nochmals: Die Dogmatik des Schmerzensgelds 1. Der Weg über § 249 – Schmerzensgeld als Restitution? Eine erste Überlegung könnte bereits beim Grundsatz der Naturalrestitution ansetzen. Nach allgemeiner Ansicht umfaßt der Vorrang der Naturalrestitution auch immaterielle Schäden.23 Begreift man die Zahlung von Schmerzensgeld als einen Akt der Wiederherstellung des status quo ante wäre es also denkbar, eine Bewältigung immaterieller Beeinträchtigungen nach Restitutionsgesichtspunkten in Erwägung ziehen ohne daß damit die Inkommensurabilitätsproblematik überhaupt berührt würde. Allerdings wird ebenfalls allgemein angenommen, daß gerade bei immateriellen Schäden eine derartige Wiederherstellung in den meisten Fällen unmöglich sei.24 Ob diese Skepsis gegenüber der Restituierbarkeit immaterieller Schäden berechtigt ist, ist zumindest eine Überlegung wert. Immerhin denkbar wäre eine Naturalrestitution in Form des Ersatzes derjenigen Kosten, die der Geschädigte selbst oder Dritte in Form des Spendens von Trost (§ 249 Abs. 2 Satz 1) für die Wiederherstellung der seelischen Gesundheit aufzuwenden haben. Teilweise wird dieser Aspekt von den Gerichten, etwa in Form von Aufwendungen für die Konsultation von Psychologen, in Anwendung des § 249 Abs. 2 Satz 1 bereits beachtet. Die Übertragung auf Nichtvermögensschäden würde die Erfahrung berücksichtigen, daß körperliche und seelische Schäden nicht „von alleine“ heilen. Vielmehr ist hier neben dem Einsatz 22
Cooter, San Diego L. Rev. 40, 2003, S. 1102. Ähnlich: Schauer, Univ. Penns. L. Rev. 146, 1998, S. 1232. 23 So deutlich bereits ProtRJA, S. 209, zit. n. Jakobs/Schubert (Hg.), Beratung Schuldverhältnisse I, S. 112. 24 Vgl. oben, Kap. B. I. 1. b).
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D. Wege aus dem Dilemma
materieller Ressourcen auch eine seelische Mitarbeit erforderlich, die den Heilungsprozeß unterstützen muß und der Verarbeitung des schädigenden Ereignisses dient. Dieser dem Opfer vom Schädiger aufgezwungene persönliche Einsatz zur Schmerzbewältigung zieht emotionale Ressourcen ab, die ansonsten für andere Aktivitäten zur Verfügung stünden und kann daher durchaus als immaterieller Schaden bewertet werden. Sofern die Zuerkennung von Geld dazu dienen kann, würde ein solches Restitutionsschmerzensgeld außerdem Anreize zur schnelleren Bewältigung des Schadens und damit zur Reduzierung der Gesamtkosten des Heilungsverlaufs, auch in materieller Hinsicht, setzen. Eine so verstandene Restitutionswirkung darf nicht mit der in der Literatur immer wieder diskutierten und wegen ihres Bezugs auf angeblich archaische Rachegedanken stark kritisierte „Besänftigung des verletzten Rechtsgefühls“ verwechselt werden, die seit Jhering in der Schmerzensgeldliteratur zu finden ist.25 Obwohl psychologische Studien durchaus gelegentlich eine Befriedigung des Verbrechensopfers konstatieren, wenn dieses den Täter „leiden sieht“,26 geht es in Anwendung von § 249 weder um die Aggression des Opfers, noch um sein Rechts- oder Rachegefühl, sondern um die inneren Heilungskosten von kausal auf die Schädigung zurückzuführende Beeinträchtigungen der Persönlichkeit. Der häufig gegen die Restituierbarkeit vorgebrachte Einwand, daß der Schaden in der Welt und für die Zeitspanne seines Bestehens bis zur Reparatur nicht ungeschehen zu machen sei,27 ist jedenfalls kein Spezifikum des Nichtvermögensschadens. Auch für den Vermögensschaden gilt, daß „Geschehenes nicht ungeschehen zu machen“ und daher durch Restitution keine vollkommene Identität mit dem Vorschädigungszustand zu erreichen ist.28 Fehlgehend ist daher die Auffassung, eine restitutive Funktion des Schadensersatzes bei immateriellen Einbußen scheitere grundsätzlich daran, daß der Ersatz stets der Verwirklichung eines anderen als des unwiederbringlich verlorenen Interesses diene.29 Dies träfe nur unter der Prämisse zu, daß seelische Schmerzen (anders als etwa ein Kratzer im Auto) stets von alleine und ohne Aufwendungen des Geschädigten oder Dritter heilten. Sofern aber Aufwendungen zur Selbstheilung oder aber (tröstende) Hilfe Dritter erforderlich ist, besteht kein Anlaß, diese nicht als Restitution der Ersatzpflicht zu unterstellen. Derartige Kosten, etwa in Form von Besuchskosten naher Angehöriger am Krankenbett, werden im Übrigen bereits jetzt als Naturalrestitution dem Schädiger auferlegt, ohne daß dies als „Trostschmerzensgeld“ bezeichnet würde.30
25 Gegen diese Form des Psychologismus mit guten Gründen: Köndgen, Haftpflichtfunktionen, S. 84 – 95. 26 Kammerer, S. 57 – 63. 27 Vgl. Medicus, JZ 2006, S. 805. 28 Lange/Schiemann, Schadensersatz, § 5 II 1, S. 215; Stoll, Haftungsfolgen, Nr. 135. 29 So Lobinger, S. 307; ähnlich: Lorenz, S. 79. 30 BGH NJW 1991, S. 2340. Näher zu dieser Problematik: Harrje, S. 140 – 158.
III. Nochmals: Die Dogmatik des Schmerzensgelds
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Ein Schadensausgleich immaterieller Beeinträchtigungen im Wege der Naturalrestitution hätte gewiß deutliche Vorteile, vor allem weil die Barrieren des § 253 Abs. 1 hier keine Rolle spielten. Besondere Bedeutung könnte einer Restitutionsfunktion des Schmerzensgeldes bei fortbestehenden Beeinträchtigungen zukommen, wie etwa anhaltenden Schmerzen, Narben und anderen Dauerschäden, sowie insbesondere bei den zunehmend besser erforschten posttraumatischen Belastungsstörungen.31 Neuere Forschungen aus dem Bereich der Psychotraumaforschung im Kölner Opferhilfemodell (KOM) konnten zeigen, daß zunächst der im gerichtlichen Verfahren erfolgende Aspekt der „Anerkennung“ ein wesentlicher Schritt ist, „[…] um den Opferstatus schrittweise zu überwinden, die persönliche Würde zu restituieren [sic!] und vom Opfer zum (Über-)Lebenden zu werden“.32 Der auch im Schmerzensgeldprozeß zum Ausdruck kommende Aspekt eines öffentlichen Interesses am Tatgeschehen trägt nicht nur zur Verarbeitung bei, sondern hilft auch dabei, die Entstehung einer „querulatorischen Opferidentität“ zu vermeiden.33 Doch der Hinweis auf die symbolische Wirkung des Schmerzensgeldprozesses auf die Genesungsprognose genügt nicht, um dem Schädiger auch eine materielle Leistung abzuverlangen34. Die Rechtfertigung eines Restitutionsschmerzensgelds hängt also davon ab, ob eine Geldzahlung zur Erreichung dieses Zwecks überhaupt geeignet ist. Zumindest intuitiv scheint dies nicht fern zu liegen. Nicht nur in der Kindererziehung dienen in erster Linie Zuwendung, dann aber auch materielle Anreize und Ablenkungen häufig zur Bewältigung traumatischer Erfahrungen und zur Wiedergewinnung von Vertrauen in die Stabilität der Welt.35 Indes findet sich in der psychologischen Literatur kaum etwas über die Auswirkungen von Schmerzensgeldzahlungen auf den seelischen Heilungsprozeß. In der Literatur stehen sich Auffassungen, die in materieller Entschädigung durchaus einen von mehreren Mechanismen zur Symptombewältigung sehen,36 anderen gegenüber, die den Einsatz von Entschädigungszahlungen eher als Störungsfaktor im seelischen Heilungsprozeß begreifen.37 Die Frage einer restituierenden Funktion eines in Geld 31
Versorgungsverwaltung NRW (Hg.), Neue Wege, S. 45 – 47. Versorgungsverwaltung NRW (Hg.), Neue Wege, S. 45. 33 Versorgungsverwaltung NRW (Hg.), Neue Wege, S. 45. 34 Beim Amtshaftungsanspruch wegen der immateriellen Schäden durch menschenunwürdige Haftunterbringung haben einige Gerichte tatsächlich den Genugtuungsgedanken durch die Feststellung der Menschenunwürdigkeit für erfüllt erachtet: LG Halle/S. 8 O 340/05, Juris, Rn. 29 – 32. Nach st. Rspr. wird allerdings jedenfalls in schwerwiegenden Fällen dieser Art ein Ersatz immaterieller Schäden geleistet: BGHZ 161, S. 33; Palandt/Grüneberg, § 253, Rn. 10 und neuerdings: BVerfG EuGRZ 2011, S. 177. 35 So auch das Argument zugunsten einer „Trostfunktion“ im amerikanischen Kontext: Jaffe Law & Contemp. Probs. 18, 1953, S. 224; vgl. auch: Radin Duke L .J. 43, 1993, S. 71 f. 36 Versorgungsverwaltung NRW (Hg.), Neue Wege, S. 45. 37 Skeptisch aus psychologischer Perspektive: Shuman, Kansas L. Rev. 43, 1994, S. 39. 32
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D. Wege aus dem Dilemma
zugesprochenen Schadensersatzes kann daher einstweilen nicht ohne Rückgriff auf spekulative Erwägungen geklärt werden.38 Wichtige Folgefragen schließen sich an: Schwierig zu prüfen wäre etwa der Umfang des entsprechenden Schadens: Möglicherweise stehen nämlich (zumindest in einigen Fällen) den entsprechenden Nachteilen bemessungsrelevante Vorteile in Form einer Weiterentwicklung der Persönlichkeit gegenüber,39 die im Wege der Vorteilsausgleichung zu berücksichtigen wären. Untersuchungen zur hedonic adaption wurden bereits angesprochen.40 Hinzu kommt die in der Rechtsprechung seit jeher ausführlich diskutierte, allerdings wohl stark überschätzte Problematik, daß die Fixierung des Opfers auf die Entschädigung auch unterhalb der Schwelle zur Begehrensneurose die Schadensfolgen nicht nur mindern, sondern auch vertiefen kann.41 Schließlich fragt sich, in welcher Weise derartig sensible Fakten in einen Schmerzensgeldprozeß eingebracht werden könnten, um noch als Grundlage einer Schadensschätzung i. S. d. § 287 Abs. 1 Satz 1 ZPO in Frage zu kommen.42 So überzeugend ein restitutives Schmerzensgeld intuitiv auch sein mag, vor dem heutigen Kenntnisstand führt es in Bereiche, die mit Mitteln des Rechts kaum auszuleuchten sind. Mit den fortschreitenden Erkenntnissen der Psychologie und Hirnforschung mag sich dies aber in einigen Jahren anders darstellen.
2. Auflösung des Inkommensurabilitätsparadoxons: Immaterielle Güter sind kommensurabel Joseph Raz, ein überzeugter Antikonsequentialist, hat deutlich herausgearbeitet, daß utilitaristische Ansätze die Wahlmöglichkeiten bei der Entscheidung zwischen materiellen und immateriellen Gütern mit einer wichtigen Einschränkung beschreiben.43 Sie gehen nämlich davon aus, daß der Mensch in einer derartigen Situation nur die Wahl hat, die seiner Auffassung nach bessere Variante zu wählen. Dabei wird aber übersehen, daß der Mensch, wenn er beispielsweise mit der Wahl zwischen einer bestimmten Summe Geldes und der Aufrechterhaltung einer Lie38 Explizit gegen eine Trostfunktion des Schmerzensgeldes: LG Lüneburg 9 O 139/01, Juris, Rn. 18. 39 Vgl. Fischer/Riedesser, S. 222. 40 Vgl. oben, Kap. C. I. 41 OLG Saarbrücken 4 U 649/07 – 216, 4 U 649/07, Juris, Rn. 69. Zu querulatorischen Tendenzen als Teil des Krankheitsbilds bei Mobbing: Fischer/Riedesser, S. 375. Gegen eine Überschätzung dieses Aspekts aus psychologischer Sicht: Versorgungsverwaltung NRW (Hg.), Neue Wege, S. 45: Querulatorische Entwicklungen werden gerade durch Verständnislosigkeit seitens staatlicher Instanzen gefördert. 42 Die sog. „Anknüpfungstatsachen“ unterliegen der vollen Beweispflicht des Klägers: BGH NJW 1988, S. 3016; MüKo-ZPO/Prütting, § 287 ZPO, Rn. 14. 43 Raz, Morality, S. 337 – 340.
III. Nochmals: Die Dogmatik des Schmerzensgelds
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besbeziehung konfrontiert wird, nicht nur die Möglichkeit hat, Geld oder Liebe zu wählen. Vielmehr kann er es auch prinzipiell ablehnen, sich mit dieser Frage überhaupt zu beschäftigen, sich also für die Inkommensurabilität von Geld und Liebe entscheiden.44 Nicht nur Personen, sondern auch Gesetzgeber haben diese Option zu entscheiden, daß bestimmte Güter inkommensurabel sein sollen. Ebenso haben sie aber auch die Möglichkeit, zwei Güterlagen für kommensurabel zu erklären und eine Wertung vorzunehmen. Nimmt man nun § 253 in den Blick, scheint der BGB-Gesetzgeber als wertender Akteur eine durchaus eindeutige Antwort auf das Inkommensurabilitätsproblem zu geben: Prinzipiell unterscheidet er zunächst materielle und immaterielle Schäden. Diese im § 253 Abs. 1 niedergelegte Differenzierung scheint fundamental: Marktfähige Güter sollen nach ihrem Marktwert zu ersetzen sein, alle anderen Schadensposten bleiben außer Betracht, weil sie als inkommensurabel anzusehen sind. Allerdings trifft § 253 Abs. 2, wie auch die übrigen Anordnungen von Schmerzensgeld inner- und außerhalb des BGB, eine Gegenausnahme. Bestimmte, klar umrissene Schadensposten werden auch dann als kommensurabel betrachtet – und sind nach Auskunft des Gesetzes kommensurabel, wenn sich ein Marktpreis nicht finden läßt. Dies hat eine bedeutende Konsequenz, indem jedenfalls aus dem Blickwinkel des Gesetzes der Einwand der Inkommensurabilität als Argument bei der Bemessung des Schmerzensgelds untauglich ist. Dieser gern als bemessungsrelevante Einschränkung formulierte Einwand verstößt schlicht gegen die klare Anordnung des § 253 Abs. 2, wonach immaterielle Schäden bei Gesundheits-, Körperund Freiheitsbeeinträchtigungen als kommensurabel zu betrachten sind.45
3. Auflösung des Bemessungsproblems – Ausgleich und Billigkeit im Spannungsverhältnis Das gesetzliche Postulat einer Kompensationsfähigkeit immaterieller Schäden in Geld sagt allerdings noch nichts darüber aus, wie diese Kompensation bei der Bemessung des Schmerzensgeldes umzusetzen ist. An dieser Stelle wird nun das Bemessungsproblem des Schmerzensgelds zu problematisieren sein, also die widersprüchliche Regelungsanordnung des § 253 Abs. 2. Demnach kann „wegen des Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine billige Entschädigung in Geld gefordert werden“. Zentral sind dabei die beiden Begriffe „billig“ und „Entschädigung“, die jeweils ganz unterschiedliche, im Ergebnis widersprüchliche Methoden der Entscheidungsfindung ansprechen.46 44
Raz, Morality, S. 337 – 340. Krit. gegenüber dem Inkommensurabilitätsargument Köndgen, AcP 177, 1977, S. 11. 46 Die Kombination von Schadensersatz und Billigkeit findet sich bereits in I 6 § 112 PrALR. 45
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D. Wege aus dem Dilemma
a) Äquivalenz Die Bezugnahme auf „Entschädigung“ in § 253 signalisiert die Auffassung des Gesetzgebers, daß es bei der Bemessung des Schmerzensgelds darum geht, ein dem Schadensumfang wertmäßig entsprechendes Gegenstück in Geld zu finden. Wie auch immer man diesen Schaden versteht, als subjektiven Gefühlsschaden oder als objektive Einschränkung der Personalität des Geschädigten, im Kontext des Schadensersatzes geht es darum, für diese Einbuße ein wertgleiches Gegengewicht in Geld zu finden. Ganz deutlich bringen dies bereits die Protokolle zu § 253 zum Ausdruck, wo es heißt, man könne den Schutz des Verletzten nicht allein dem Strafrecht überlassen, „da auf diesem Wege die Schadloshaltung des Verletzten nicht erreichbar sei, obschon die nur durch Gewährung eines Äquivalents in Geld [sic!] denkbare Entschädigung des Verletzten doch gleichfalls zu den Postulaten der Rechtsordnung gehöre“.47 Die bereits durch die systematische Stellung des § 253 a. F. erkennbare schadensersatzrechtliche Natur des Schmerzensgeldes wurde durch die Transplantation des § 847 a. F. in § 253 Abs. 2 noch unterstrichen. Wortlaut, Geschichte und Systematik verweisen also klar darauf, daß das BGB die Problematik immaterieller Beeinträchtigungen im Wege des Schadensausgleichs zu lösen sucht. Dieser Schadensausgleich impliziert eine Blickverengung auf den beim Geschädigten eingetretenen immateriellen Schaden. Bemessungsrelevant ist damit allein der Vergleich der immateriellen Güterlage des Opfers vor und nach dem schädigenden Ereignis. Mit dem Schaden steht und fällt die Entschädigung. Was nicht Schaden ist, kann nicht entschädigt werden. b) Billigkeit Allerdings ordnet das BGB bei immateriellen Schäden gerade nicht, wie bei materiellen Schäden in § 251 Abs. 1, schlicht eine Geldentschädigung an, sondern setzt als weiteres bemessungssteuerndes Prinzip die Billigkeit hinzu. Geschuldet ist nicht Entschädigung schlechthin, sondern eine „billige“ Entschädigung. Bereits dieser Vergleich der Kompensationen nach §§ 251 und 253 macht deutlich, daß es gesetzwidrig wäre, im Bereich der in § 253 Abs. 2 genannten Rechtsgüter immaterielle Schäden durch ökonometrische Methoden zu kommerzialisieren und dann ebenso wie materielle Schäden i. S. d. § 251 Abs. 1 zu ersetzen. Vielmehr verlangt das Gesetz unmißverständlich eine andere Bemessungsmethode, nämlich die Zumessung nach den Grundsätzen der Billigkeit. Daß diese Zumessung explizit allein dem Urteil des Richters und nicht einem durch den Kläger eidlich zu beweisenden mathematischen Verfahren anvertraut werden soll, läßt sich auch den Materialien zum BGB entnehmen: Der ursprüngliche Entwurf von Kübels sah beim Ersatz immaterieller Schäden generell und hinsichtlich des Affektionsinteresses
47
Prot. I S. 1049 f., zit. n. Jakobs/Schubert (Hg.), Beratung Schuldverhältnisse I, S. 111.
III. Nochmals: Die Dogmatik des Schmerzensgelds
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insbesondere das Verbot des Schätzeids (iuramentum in litem) vor.48 In die endgültige Gesetzesfassung wurde diese Passage nicht aufgenommen, da man annahm, daß der dort gefundene Wortlaut „eine besondere Bestimmung über die Unzulässigkeit, den Werth der besonderen Vorliebe zu berechnen [sic!], entbehrlich mache.“49 Was hier über das Affektionsinteresse gesagt wird, gilt auch für den Immaterialschadensersatz allgemein. Den Verfassern ging es an dieser Stelle nicht nur um die Kompetenzzuweisung für die Schätzung an den Richter, sondern darüber hinaus auch darum, den Versuch abzuschneiden, den Gegenwert immaterieller Güter mechanisch-rechnerisch zu bestimmen. Mit der Billigkeit ist allerdings ein Kriterium angesprochen, das dogmatisch und rechtstheoretisch gleichermaßen einen zweifelhaften Ruf genießt. Teilweise wird gefordert, die „emotionalen Billigkeitserwägungen“ zugunsten gesetzlicher Festlegungen zurückzudrängen.50 Andere argumentieren, daß sich aus diesem Begriff für die Bemessung nichts Handfestes gewinnen ließe,51 oder verzichten völlig auf eine inhaltliche Bestimmung des Billigkeitsbegriffs.52 Nur vereinzelt wird der Versuch unternommen, aus dem Billigkeitsgebot etwas zur Bemessungsfrage abzuleiten.53 Die Schwierigkeit im Umgang mit dem unbestimmten Rechtsbegriff54 der Billigkeit liegt nicht allein in der Tatsache, daß es sich dabei um einen jahrhundertelang bis zur Konturlosigkeit ausdiskutierten Fundamentalbegriff, ein „vagabundierendes Element der Rechtsgestaltung“ handelt,55 sondern auch in der internen Widersprüchlichkeit des Konzepts selbst, das einerseits als Korrektiv des starren dogmatischen Ergebnisses außerhalb, andererseits aber als „integrierte Billigkeit“56 (wie in § 253) innerhalb des Rechts steht.57 Nur in letzterer Form als Rechtsbegriff ist die Billigkeit hier von Interesse. Die insgesamt diffuse, meist nicht übergreifend argumentierende, sondern an einzelnen
48 §§ 14 Abs. 2, 15 Satz 3 TE-OR, zit. n. Jakobs/Schubert (Hg.), Beratung Schuldverhältnisse I, S. 110. 49 Prot. I S. 1050 f., zit. n. Jakobs/Schubert (Hg.), Beratung Schuldverhältnisse I, S. 112. 50 Esser, Wandlungen, S. 39. 51 So Henke, S. 57; Lange/Schiemann, Einl. III. 5, S. 16 f. 52 Staudinger/Schiemann, § 253, Rn. 34 grenzt lediglich negativ ab, welche Freiheiten der Richter nicht genießt, ohne dies aber näher zu begründen. Ähnlich: MüKo/Oetker, § 253, Rn. 36 f. 53 Positiv zur Billigkeit neuerdings: Ady, S. 88 f.; Pauker, VersR 2004, S. 1391 ff. („Marktersatzfunktion“). Ausführlich: Henke, S. 52 – 78, der allerdings, anders als hier, den Anspruch der Rechtsgleichheit in die Billigkeitsanordnung hineinlesen will. 54 MüKo/Wagner, § 829, Rn. 13; MüKo/Born, § 1611, Rn. 30 für das Unterhaltsrecht; Ebenroth/Löwisch, § 89b HGB, Rn. 96 für den Provisionsanspruch des Handelsvertreters. 55 Esser, Wandlungen, S. 23; dagegen: Gernhuber, FS Tübinger Juristenfakultät, S. 193. Vgl. auch den Überblick zu den verschiedenen Billigkeitskonzepten bei: Ady, S. 84 – 89. 56 Gernhuber, FS Tübinger Juristenfakultät, 1977, S. 193 ff. 57 Vgl. Rümelin, S. 5, 16.
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D. Wege aus dem Dilemma
Billigkeitsanordnungen orientierte Debatte zum Billigkeitsbegriff läßt einige zentrale Diskussionspunkte erkennen. aa) Billigkeit als Einzelfallgerechtigkeit Wenig Einigkeit besteht in der Frage der Einzelfallorientierung der Billigkeitsanordnung des § 253 Abs. 2. Dabei stehen sich zwei Auffassungen gegenüber: Die herrschende Auffassung interpretiert „Billigkeit“ im Sinne einer Berücksichtigung aller denkbaren Umstände des zu entscheidenden Einzelfalles.58 Diese Einzelfallorientierung ist allerdings für den Schmerzensgeldanspruch von Teilen der Literatur bestritten worden.59 Sie definiert Billigkeit dagegen als eine „von den individuellen Verhältnissen der Parteien losgelöste“ Bewertung der „sozialen, ökonomischen und organisatorischen Gegebenheiten des Rechtsgebiets“, das für die Billigkeitsentscheidung einschlägig ist.60 Billigkeit in diesem Sinne ist „etwas Objektives und Unpersönliches“61 und verweist auf eine nicht allein am Einzelfall, sondern an Vergleichsmaßstäben orientierte Form distributiver oder kommutativer Gerechtigkeit. Eine gewisse Ambivalenz zwischen Einzelfallorientierung und vergleichenden Gerechtigkeitsmomenten ist bereits bei historischer Betrachtung nicht von der Hand zu weisen. Gerade der häufig synonym zur Billigkeit benutzte Begriff aequitas war bereits in der Antike und dem Mittelalter in seinem Gerechtigkeitsbezug ambivalent.62 So konnte damit nicht nur die Orientierung der Problemlösung am konkreten Lebenssachverhalt gemeint sein, sondern auch die Gleichheit von Leistung und Gegenleistung, also die Tauschgerechtigkeit.63 Auch die Diskussion im Gemeinen Recht weist auf einen über die Einzelfallbetrachtung hinausweisenden Charakter der Billigkeit hin.64 Es fragt sich jedoch, ob diese Akzentuierung auch dem Billigkeitskonzept des modernen Zivilrechts und insbesondere des § 253 entspricht, oder ob hier nicht doch bei der Verwendung des Billigkeitsbegriffs gerade die Einzelfallbezogenheit angesprochen werden muß. Einen gewissen Hinweis in diese Richtung gibt bereits die Paarformel „billig und gerecht“, die nicht nur im Recht der Sittenwidrigkeit angeführt wird, um ein 58
Vgl. von Hoyningen-Huene, S. 18 mit den zahlreichen in Fn. 32 angegebenen weiteren Nachweisen; außerdem: Larenz/Canaris, § 83 III 2 a, S 592; Pauker, VersR 2004, S. 1391; Rosengarten, NJW 1996, S. 1536; OLG Köln VersR 1989, S. 518. 59 Henke, S. 52 ff. 60 So: Lorenz, S. 170 f. m. w. N. zu dieser Auffassung. Ähnlich Henke, S. 72 m. w. N. in Fn. 8. 61 Donaldson, AcP 166, 1966, S. 467. 62 Hierzu die rechtshistorische Analyse bei: Henke, S. 61 – 67. 63 Repgen, Sp. 515 – 519, bes. 516. 64 Vgl. Becker, Sp. 587 – 592, bes. Sp. 590 f.
III. Nochmals: Die Dogmatik des Schmerzensgelds
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Rechtsgeschäft dann als sittenwidrig zu qualifizieren, wenn es gegen das „Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden“ verstößt.65 Auch in einer Vielzahl verstreuter Normen wird die Formel verwendet.66 Soll diese Paarformel nicht als bloßer Pleonasmus interpretiert werden, liegt die Vermutung nahe, daß der Bezug auf „billig“ die Einzelfallbezogenheit und der Terminus „gerecht“ die relationalen Aspekte der Gerechtigkeit ansprechen soll. Ein systematischer Vergleich der Billigkeitsnormen im geltenden Recht unterstützt diese Vermutung. Nicht nur im Bereich des Schmerzensgeldes,67 sondern allgemein im BGB68 und in benachbarten Normkontexten69 wird die Billigkeitsanordnung durchgehend als Aufforderung zur Einzelfallorientierung interpretiert. Beispielhaft steht ein Kommentar zum Unterhaltsrecht, in dem festgehalten wird: „Der unbestimmte Rechtsbegriff der Billigkeit beherrscht das gesamte Unterhaltsrecht; er dient dem notwendigen Bemühen um Individualisierung.“70 Auch im Arbeitsrecht wird deutlich zwischen Gleichbehandlungsgrundsatz und Billigkeitskontrolle unterschieden, da es sich hier um „rechtsethisch selbständige, klar von-
65
So seit RGZ 48, S. 114, 124 st. Rspr., vgl. BGH NJW 2004, S. 2668, 2670; Palandt/Ellenberger, § 138, Rn. 2. 66 Vgl. § 744 Abs. 3 HGB zur Sondervergütung des Bergenden im Seerecht; vgl. auch einzelne Normen zum einstweiligen Rechtsschutz, z. B. § 753a Satz 1 HGB, § 59 Abs. 1 EEG; Art. 2 § 16 Abs. 5 a) SkAufG. Nach dem BFH ist es „billig und gerecht“, wenn das Finanzamt den Steuerhinterzieher vorrangig in Anspruch nimmt: BFHE 138, S. 157, 161. 67 Vgl. LG Düsseldorf 11 O 334/07, Juris, Rn. 25: „Maßgebend für die Höhe des Schmerzensgeldes sind die gesamten Umstände des Einzelfalles“; ebenso: BGH NJW 2004, S. 1243, 1244; Palandt/Grüneberg, § 253, Rn. 15. 68 Vgl. zu § 315 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1, 2: MüKo/Gottwald, § 315, Rn. 31 („Austauschgerechtigkeit im Einzelfall“); zu § 571 Abs. 1 Satz 2: MüKo/Häublein, § 571, Rn. 7 („Bei der hiernach erforderlichen Abwägung sind alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen“); zu § 829: Palandt/Sprau, § 829, Rn. 4 („Berücksichtigung aller Umstände“); MüKo/Wagner, § 829, Rn. 15: („Dabei spielen vor allem die konkreten Umstände des Schadensereignisses eine Rolle“); zu § 1361b Abs. 1 Satz1, Abs. 3 Satz 2: MüKo/Weber-Monecke, § 1361b, Rn. 6; OLG Köln, 4 UF 68/05, Juris, Rn. 3 („Der Begriff der unbilligen Härte ist gesetzlich nicht definiert und daher Einzelfall bezogen auszufüllen“); zu § 1381: Palandt/Brudermüller, § 1381, Rn. 4 („§ 1381 kann nur eine Ungerechtigkeit im Einzelfall korrigieren“); zu § 1570 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2: MüKo/Maurer, § 1570, Rn. 50 („Was unzumutbar ist, kann nur unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls beurteilt werden“); zu § 1576 Satz 1: MüKo/Maurer, § 1576, Rn. 15 („In die Billigkeitsabwägung sind alle Umstände des Einzelfalles … einzubeziehen“); zu § 1581: Palandt/Brudermüller, § 1581, Rn. 21 („Der Umfang des Billigkeitsanspruchs ist … nach individuellen Gesichtspunkten zu bestimmen“); BGH NJW 1990, S 1172, 1176; zu § 1615 l Abs. 2 Satz 4: Palandt/Brudermüller, § 1615 l, Rn. 15 („Es entscheidet der jeweilige Einzelfall“); zu § 2057a Abs. 3: Palandt/Weidlich, § 2057a, Rn. 9 („nach den Umständen des Einzelfalls billig und gerecht“). 69 Vgl. zu § 87 Abs. 3 Satz 2 HGB: Ebenroth/Löwisch, § 87 HGB, Rn. 36 („Maßgebend sind die Umstände des Einzelfalls, eine Würdigung sämtlicher Umstände ist erforderlich“); zu § 75 BetrVG: EK/Kania, § 75 BetrVG, Rn. 5 („Die Grundsätze der Billigkeit sollen eine gerechte Entscheidung im Einzelfall gewährleisten“). 70 MüKo/Born, § 1611, Rn. 30.
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D. Wege aus dem Dilemma
einander getrennte Erscheinungsformen der Gerechtigkeit“ handele.71 In seiner Begründung zur Neufassung des Unterhaltsrechts hat auch der Gesetzgeber jüngst Billigkeit im Sinne von Einzelfallbezogenheit interpretiert.72 Weder die Gesetzgebungsgeschichte noch die Systematik lassen erkennen, daß im Bereich des Schmerzensgeldes eine spezifisch andere Auffassung als die Orientierung der Billigkeit an den Erfordernissen des Einzelfalls maßgeblich wäre. Im übrigen richten sich die Einwände Henkes nur scheinbar prinzipiell gegen die Einzelfallorientierung des Billigkeitsurteils. Auch wenn demnach die Unterschiede zwischen Billigkeit und strengem Recht nicht kategorial, sondern graduell sein mögen,73 bleibt es nämlich auch für Henke dabei, daß das Billigkeitsurteil seine Aufmerksamkeit primär an der Rechtsbeziehung des zu entscheidenden Falls orientiert.74. Andere Rechtsbeziehungen und die generellen Wertungen der Rechtsordnung werden daher nur insofern aktuell, als sie Bedeutung im vorliegenden Fall erlangen.75 Vor allem können die Vertreter einer vom Einzelfall gelösten Billigkeit nicht erklären, inwieweit sich ihr Billigkeitsbegriff noch von der ausgleichenden Gerechtigkeit (iustitia commutativa) unterscheidet. Die Billigkeit wird zum Vehikel einer Politik der Sozialingenieure und verliert gleichzeitig völlig ihre Konturen. Die Motivation dieser Ansicht ist aber nicht nur in der Absicht zu suchen, als Einflußtor für eine gesamtgesellschaftliche Steuerung zu dienen. Sie hat auch eine dogmatische Funktion. Lorenz etwa geht es darum, einen relativ engen Begriff des ersatzfähigen immateriellen Schadens zu begründen. Seine Ansicht, wonach auf der Ebene des Schadenstatbestands der Gefühlsschaden nicht ersatzpflichtig ist und eine Genugtuungsfunktion ausscheidet, wäre allerdings dann wenig effektiv, wenn das Moment der Einzelfallgerechtigkeit dazu führte, bei der Bemessung diese Kriterien doch wieder heranzuziehen. Diese Auffassung, die nicht zuletzt auch dem Ziel dient, Schmerzensgeldprozesse als „Massenprozesse“ einem „typisierten Bemessungsstandard“ zu unterwerfen,76 setzt notwendig voraus, daß auch der Billigkeit ein enger Spielraum gesetzt wird. Der methodische Blickwinkel der Billigkeitsanordnung bei Verletzungen personaler Rechtsgüter, nämlich deren Komplexität durch Flexibilisierung zu begegnen, wird dann aber verfehlt.
71
Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht/Richardi, Bd. 1, § 9, Rn. 6 m. w. N. Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Unterhaltsrechts, 7. 11. 2007, BT-Dr. 16/ 6980, S. 9: „Die im Einzelfall zu bestimmende Billigkeit“. 73 So auch von Hoyningen-Huene, S. 15. 74 Henke, S. 60. 75 von Hoyningen-Huene, S. 22 f. 76 Lorenz, S. 7. 72
III. Nochmals: Die Dogmatik des Schmerzensgelds
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bb) Billigkeit zwischen Ermessen und Bindung In eine andere Richtung zielt der Einwand, auch die Anordnung der Billigkeit ziele eher auf eine richterliche Bindung als auf eine Eröffnung von richterlichem Ermessen.77 Bei näherer Analyse der Materialien zum BGB fällt zunächst auf, daß in den früheren Entwürfen zunächst nur vom „richterlichen Ermessen“ die Rede ist.78 Während der Beratungen der I. Kommission hat dann Planck durch einen Formulierungsvorschlag zum Ersatz immaterieller Schäden bei Freiheitsberaubung die Billigkeit in Kombination mit dem freien richterlichen Ermessen in einer Formulierung ins Spiel gebracht,79 die dann von der Kommission ohne weitere Diskussion im Grundsatz gebilligt wurde.80 Die Vorkommission des Reichsjustizamts faßte dann die zunächst für sich stehenden Ersatzansprüche für die Rechtsgüter Körper, Gesundheit und Freiheit in einer Norm zusammen. Hier fehlte dann der Hinweis auf das Ermessen und die Formulierung nennt nur noch eine „billige Geldentschädigung“. Diese Veränderung des Wortlauts wurde von der Kommission lediglich ohne weiteren Kommentar zur Kenntnis genommen.81 Anschließend entstand dann durch redaktionelle Umstellung der in § 847 a. F. eingeflossene und heute in § 253 Abs. 2 und den meisten übrigen Ersatzansprüchen für immaterielle Schäden zu findende Wortlaut „billige Entschädigung in Geld“.82 Die Streichung des Hinweises auf das „freie Ermessen“ darf allerdings nicht so verstanden werden, als habe der Gesetzgeber damit den Grundsatz der richterlichen Freiheit aufgegeben.83 Im Gegenteil scheint der Schluß näher liegend, daß in dem geschilderten mehrschrittigen Verfahren der Verweis auf die Billigkeit eingefügt und das richterliche Ermessen getilgt wurde, weil der Billigkeitsbegriff nicht nur die Berücksichtigung der Ermessensfreiheit einschloß, der damit als pleonastisch ausgeschlossen werden konnte. Die Abtrennung des Verweises auf das Ermessen war auch deshalb nahe liegend, weil dieser Begriff eher in den prozeßrechtlichen Bereich verweist, wo mit § 287 ZPO bereits eine entsprechende Anordnung bestand. Die 77
Henke, S. 54 – 73. Vgl. Prot. I S. 2834, zit. n.: Jakobs/Schubert (Hg.), Beratung Schuldverhältnisse III, S. 1049, zur Körperverletzung spricht von einer „nach freiem Ermessen“ festzulegenden Entschädigung. 79 Prot. I S. 2841 zit. n.: Jakobs/Schubert (Hg.), Beratung Schuldverhältnisse III, S. 1049: „… nach freiem Ermessen eine billige Geldentschädigung …“ 80 Vgl. die entsprechende Formulierung von E I § 728 bei: Jakobs/Schubert (Hg.), Beratung Schuldverhältnisse III, S. 1062. 81 Prot-RJA S. 566, zit. n. Jakobs/Schubert (Hg.), Beratung Schuldverhältnisse III, S. 1073. 82 Wie in § 253 Abs. 2 formulieren: § 11 Satz 2 StVG, § 6 Satz 2 HaftPflG, § 32 Abs. 5 GenTG; § 8 Satz 2 ProdHaftG; § 13 Satz 2 UmwHaftG; § 29 Satz 2 AtG; § 87 Satz 2 AMG; § 36 Satz 2 LuftVG; § 52 Satz 2 BPolG; ähnlich: § 97 Abs. 2 Satz 3 UrhG (… eine Entschädigung in Geld verlangen, wenn und soweit dies der Billigkeit entspricht). 83 So aber Henke, S. 54 f., der den Gesetzgebungsprozeß nicht vollständig analysiert und unterschlägt, daß zunächst nur vom freien Ermessen die Rede war. 78
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D. Wege aus dem Dilemma
Einfügung der „Billigkeit“ betont dagegen den materiellrechtlichen Gehalt des Problems und konkret den Gesichtspunkt der Einzelfallgerechtigkeit.84 Daß es nicht nur um eine formale Ermessenseröffnung geht, sondern auch um Aspekte materieller Gerechtigkeit, zeigt im Übrigen auch die in neueren Nebengesetzen vorzufindende sprachliche Modernisierung des Begriffs „billig“, für den neuerdings „angemessen“ gesetzt wird, ohne daß damit eine Bedeutungsänderung impliziert wird.85 cc) Zwischenergebnis Damit sind als begrifflicher Kernbestand der Billigkeitsanordnung folgende Gesichtspunkte festzuhalten: (a) Die Billigkeitsanordnung fragt nicht primär nach generellen Gerechtigkeitskriterien, sondern richtet ihren Blick auf die individuellen Umstände des Einzelfalls.86 (b) Mit dieser Einzelfallorientierung verlangt die Billigkeit aber gleichzeitig die Berücksichtigung aller Belange, die dem Fall sein Gepräge geben.87 Damit ist eine Öffnung des Blicks verbunden, denn es ist nicht nur ein besonderer Satz an Aspekten, sondern das Verhältnis der Parteien zueinander in seiner Gesamtheit zu berücksichtigen.88 Man kann daraus umgekehrt ein Verbot herleiten, den Blick auf nur ausgewählte Aspekte zu beschränken. (c) Die Billigkeitsanordnung eröffnet dem Richter einen Ermessensspielraum, auf der Rechtsfolgenseite gestaltend tätig zu werden. Mit der „Abkehr von der Totalität des rechtlich relevanten Wertsystems“89 tritt der Aspekt des strikten Rechts zurück. (d) Billigkeit ist nicht Willkür. Grenzen findet die Ausübung der Billigkeit in den Regelungen der ermessenseröffnenden Norm,90 der Begründungsehrlichkeit,91 und höherrangigen Rechtsprinzipien. Der gelegentliche Hinweis auf das Rechtsgefühl des Entscheiders92 kann daher nicht als Anlaß herangezogen werden, um die Billigkeitsentscheidung als blanke Willkür oder „Kadijustiz“ zu denunzieren.93 84
Zur Differenzierung der Problembereiche von § 287 ZPO und § 847 a. F.: Donaldson, AcP 166, 1966, S. 464 f. 85 Vgl. § 651 f Abs. 2; § 8 Abs. 2 BDSG; §§ 15 Abs. 2 Satz 1, 21 Abs. 2 AGG. 86 Vgl. MüKo/Wagner, § 829, Rn. 15 (für die Billigkeitshaftung nach § 829). 87 Gernhuber, FS Tübinger Juristenfakultät, S. 195 („… wenn der Einzelfall sein Recht verlangt“); von Hoyningen-Huene, S. 22 f. Für § 253: MüKo/Oetker, § 253, Rn. 36. 88 von Hoyningen-Huene, S. 22 f. 89 Gernhuber, FS Tübinger Juristenfakultät, S. 195 f. 90 von Hoyningen-Huene, S. 114 f. 91 von Hoyningen-Huene, S. 116. 92 Rümelin, S. 80. 93 So die Stoßrichtung der Argumentation bei Henke, bes. S. 53. Daß Billigkeit nicht Willkür bedeutet, konstatiert auch: Lorenz, S. 170.
IV. Problemlösungsvorschlag de lege lata
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Unabhängig von der sogleich zu erörternden Frage, welche Konsequenzen die Billigkeitsanordnung für die Schmerzensgeldbemessung hat, wird jedenfalls deutlich, daß der Blick der Billigkeit ein ganz anderer ist, als derjenige des Ausgleichsprinzips: Ziel der Betrachtung ist nicht die Verengung auf bestimmte Aspekte, sondern die Öffnung des Blicks für die Berücksichtigung der gesamten Verhältnisse beider Beteiligter. Von Hoyningen-Huene bezeichnet die Billigkeit daher als „,sehende‘ Göttin Justitia“.94 c) Zwischenergebnis Auf den ersten Blick scheint aus dem Bemessungsparadoxon kein Weg herauszuführen: Orientiert man sich allein an der Äquivalenz des Schadensersatzrechts, hängt der Schmerzensgeldanspruch an den begrenzenden Momenten eines Schadensbegriffs, dessen Konstruktionsprinzipien allerdings am Vermögensschaden ausgerichtet sind und damit nur schwer mit den Besonderheiten der Beeinträchtigung von personenbezogenen Rechtspositionen in Einklang zu bringen sind. Äquivalenz bedeutet gleichzeitig die Orientierung an überindividuell reproduzierbaren Kriterien. Die Anordnung der Billigkeit wäre dann allerdings redundant. Die alleinige Orientierung an der Billigkeit führte dagegen ins gegenteilige Extrem: An die Stelle mechanischer Bemessung träte dann das Rechtsgefühl des Richters. Mit der Erweiterung der Perspektive über den Schaden hinaus wäre zudem das Schmerzensgeld keine Entschädigung mehr und die Entschädigungsanordnung redundant.
IV. Problemlösungsvorschlag de lege lata Es fragt sich, ob sich dieser Gegensatz überhaupt argumentativ überwinden läßt. Im Folgenden soll eine Lösung vorgeschlagen werden, die im Versuch einer optimalen Vermittlung dieser gegensätzlichen Prinzipien besteht, vor dem Hintergrund der gesetzgeberischen Intention der Anordnung einer „billigen Entschädigung“.
1. Rechtsgüterschutz als Orientierungspunkt der Schmerzensgeldbemessung Fragt man sich nach den Motiven für die scheinbar paradoxe Anordnung des Gesetzes, so wird diese zunächst als klassische Kompromißformel zu interpretieren sein. Je nachdem, aus welcher Perspektive man das Problem betrachtet, dient entweder die Billigkeitsanordnung einer Erweiterung der im Bereich immaterieller Schäden für zu eng erachteten Voraussetzungen des auf Vermögensschäden zuge94
von Hoyningen-Huene, S. 23.
116
D. Wege aus dem Dilemma
schnittenen Schadensbegriffs oder der Schadensbegriff der Begrenzung von Willkürpotential seitens einer potentiell entgrenzenden Billigkeitsanordnung. Im Folgenden soll keiner der beiden Prinzipien a priori ein Vorrang eingeräumt, sondern vielmehr versucht werden, sie, ausgehend von der klassischen Prüfung eines Schadensersatzanspruchs, jeweils an den neuralgischen Punkten zu einem Ausgleich zu bringen. Den Wertungshintergrund der anzustellenden Überlegungen soll dabei die Konzentration auf die gesetzgeberische Intention dieser Anordnung bilden. Die teleologische Perspektive auf den Schmerzensgeldanspruch ist selbstverständlich nicht neu, sondern liegt auch der gesamten Funktionsdebatte zugrunde, wie sie oben erörtert wurde. Entsprechend besteht die gegenwärtige Bemessungstechnik darin, Elemente des Einzelfalls abstrakt den einzelnen Funktionen zuzuordnen und in ihrer Bemessungsrelevanz zu bewerten. Diese Funktionsmethode ist nur rechtshistorisch zu verstehen, in ihrer Einbettung in den größeren Zusammenhang der Auseinandersetzung über die streng alternativ betrachtete Entscheidung, ob das Schmerzensgeld Schadensersatz oder Privatstrafe sei.95 Entsprechend organisieren sich auch die Argumente in der Diskussion regelmäßig an der Abgrenzung zwischen Ausgleich und einer als Rache oder Prävention verstandenen Genugtuung. Im Folgenden soll versucht werden, die oben dargestellten Ausweglosigkeiten dieser Funktions- und Zuordnungsdebatte zu meiden, der Problemstellung eine andere Wendung zu geben.96 Gefragt werden soll daher nicht, ob der Gesetzgeber das Schmerzensgeld als schadensersatzrechtlichen Ausgleichs- oder strafrechtlichen Genugtuungsanspruch konstruiert hat, sondern welche Motive ihn bewegten, Billigkeit und Ausgleich als Bemessungsregeln zu kombinieren, um Beeinträchtigungen immaterieller Natur einen Geldwert zuzuweisen. Einen wichtigen ersten Hinweis auf die Antwort geben bereits die Motive des BGB-Gesetzgebers: „Anzuerkennen sei, daß auch die sogenannten idealen, nicht minder wie die dinglichen Rechte einen absoluten Schutz verdienenden Rechtsgüter gegen widerrechtliche Verletzung gesichert werden müßten, daß es ferner nach der Aufgabe der Rechtsordnung nicht genüge, den Schutz ausschließlich in das Strafrecht zu verlegen, da auf diesem Wege die Schadloshaltung des Verletzten nicht erreichbar sei, obschon die nur durch Gewährung eines Äquivalents in Geld denkbare Entschädigung des Verletzten doch gleichfalls zu den Postulaten der Rechtsordnung gehöre.“97
Drei wichtige Gedanken lassen sich dieser Passage entnehmen: 95
HKK/Jansen, §§ 249 – 253, 255, Rn. 52 – 55. Für eine Lösung aus den gewohnten Fixierungen auch: Wagner, JZ 2004, S. 324. Skeptisch zur Leistungsfähigkeit der Funktionstheorien hinsichtlich der Bemessung bereits: Donaldson, AcP 166, 1966, S. 472. 97 Prot. I S. 1049 f., zit. n. Jakobs/Schubert, Beratung Schuldverhältnisse I, S. 111. 96
IV. Problemlösungsvorschlag de lege lata
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Erstens wird deutlich, daß das Schmerzensgeld im Interesse des Rechtsgüterschutzes in das BGB aufgenommen wurde, zweitens läßt sich erkennen, daß der Gesetzgeber dabei einen Vergleich zum Schutz der dinglichen Rechte anstellt und drittens zeigt der Verweis auf das Strafrecht, daß ihm nicht ein strafrechtlicher Schutz mit den Mitteln des Zivilrechts vorschwebte, sondern ein spezifisch zivilrechtlicher Rechtsgüterschutz und zwar konkret ein vom Äquivalenzprinzip beherrschter, schadensersatzrechtlicher.98 Der Gedanke des Rechtsgüterschutzes wird auch heute noch nicht nur in der Lehre als tragend anerkannt,99 sondern auch in Rechtsprechung und Gesetzgebung zur Grundlage der Weiterentwicklung des Haftungsrechts im Bereich nichtvermögensrechtlicher Güter gemacht. So war er tragend für die Anerkennung eines Geldersatzanspruchs bei schweren Verletzungen des APR.100 Er ist außerdem auch der juristische Kern des im Gesetzgebungsverfahren zum 2. SchadÄndG neumodisch als „Opferschutz“ formulierten Gedankens.101 Es spricht einiges dafür, diesen Gedanken noch weit stärker, als es die bisherige Literatur tut, als Grundidee des Schmerzensgelds nutzbar zu machen um den immateriellen Schaden zu bestimmen. Die Lösung des Schmerzensgeldproblems muß von der Frage ausgehen, warum der Gesetzgeber angeordnet hat, daß die Verletzung der in § 253 Abs. 2 aufgeführten Rechtsgüter nicht nur einen Ersatz materieller, sondern auch immaterieller Schäden zur Folge haben soll, und dies trotz der bekannten Bemessungsprobleme. Die Antwort ist in der besonders herausgehobenen Bedeutung dieser Rechtsgüter für die menschliche Freiheit zu sehen. Gesundheit, körperliche Unversehrtheit und Bewegungsfreiheit sind basale Voraussetzungen für die grundgesetzlich geschützte Entfaltungspotenz des Menschen. Ohne dieses Rüstzeug kann der Mensch seine personalen Qualitäten nicht oder jedenfalls nicht in dem von ihm intendierten Umfang wahrnehmen. Es ist daher, ähnlich wie übrigens auch in einigen anderen europäischen Ländern, der Gedanke ernsthaft zu erwägen, ob nicht in der Beeinträchtigung der Entfaltungsmöglichkeit der Kern des immateriellen Schadens erblickt werden kann.102 Diese 98 So auch die Begründung des Redakteurs von Kübel, Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Recht der Schuldverhältnisse, 1882, zit. n. Schubert (Hg.), Vorlagen II/1, S. 719. 99 Den Gedanken des Rechtsgüterschutzes betonen auch, trotz im Einzelnen sehr unterschiedlicher Stoßrichtung, mehrere neuere grundlegende Arbeiten zum Schadensrecht. Vgl. Möller, S. 256 ff., 293; Magnus, Schaden, S. 278, Jansen, Struktur, bes. S. 635; Brüggemeier, Haftungsrecht, S. 577. 100 BGHZ 26, S. 349, 354 ff. („Herrenreiter“); BGHZ 128, S. 1, 15 („Caroline von Monaco I“). 101 Vgl. die Begründung im Gesetzentwurf der Bundesregierung zum 2. SchadÄndG: BRDr. 742/01, S. 32; hierüber herrschte fraktionsübergreifend Einigkeit: Eckhart Pick (SPD): Deutscher Bundestag, Stenographische Berichte, Plenarprotokoll 14/230 vom 18. 4. 2002, S. 22877 (C); Wolfgang Götzer (CDU): Ebd., S. 22879 (D). 102 Vgl. für Österreich und Italien: Christandl/Hinghofer-Szalkay, ZfRV 2008, S. 82 – 87 als Vorwort eines ebd. abgedruckten Vergleichs italienischen und peruanischen Rechts. Ähnlich bereits die Überlegungen bei MüKo3/Stein, § 847 a. F., Rn. 4: „Ausgleich für die Persönlich-
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D. Wege aus dem Dilemma
Perspektive hätte vor allem den Vorteil, daß damit eine durchaus objektivierbare Abgrenzung des immateriellen Schadens gelänge ohne auf psychologisierende Argumente zurückgreifen zu müssen. Die gegen eine derartige Konzeption vorgebrachten Einwände lassen sich dagegen entkräften. Der Vorwurf, daß damit die Persönlichkeit zur Handelsware herabgewürdigt würde,103 richtet sich eher gegen die gesetzliche Anordnung genau dieses Verfahrens als gegen deren Auslegung. Der Einwand, daß mit dem Rechtsgüterschutzkonzept nicht erklärt werden könne, warum dann ausgerechnet das Leben als hochwertigstes Rechtsgut ungeschützt bleibe,104 ist ebenfalls mit Blick auf den klaren Wortlaut zu entkräften. Der Vorwurf stellt nämlich das Problem auf den Kopf, denn er trägt nur dann, wenn etwa aus der Perspektive des Verfassungsrechts gefragt würde, ob das zivilrechtliche Schutzprogramm vollständig ist und ob dieses grundgesetzliche Schutzpflichten homogen und in sich konsistent erfüllte. Selbst wenn diese Frage negativ beantwortet würde, spricht dies nicht gegen den, wenn auch insulären, Schutz einiger enumerierter Persönlichkeitsteilbereiche. Daß § 253 Abs. 2 dem Schutz der dort genannten Rechtsgüter dient, wird nicht dadurch widerlegt, daß andere Rechtsgüter in der Aufzählung fehlen.
2. Einzelprobleme Welche Konsequenzen hat die vorgestellte Lösung für die oben angesprochenen konkreten Bemessungsprobleme des Schmerzensgelds? Ziel kann es hier nicht sein, alle Schattierungen der sehr fein ausdifferenzierten Debatte zu beleuchten, sondern anhand einiger ausgewählter Probleme zum Schadenstatbestand und der Schadensrechtsfolge die Tragfähigkeit der geschilderten Lösungswegs zu überprüfen. Dabei ist auch die Frage nach dem Anspruch der Exaktheit des Schmerzensgelds besonders im Auge zu behalten. a) Probleme des Schadens Ausgangspunkt der Schmerzensgeldbemessung ist die Bestimmung des entschädigungspflichtigen Schadens. Diese Prämisse ergibt sich aus beiden Betrachtungsweisen, und zwar nicht nur, um im Sinne des Billigkeitsgedankens dem Richter alle Informationen für seine Einzelfallentscheidung in die Hand zu geben, sondern auch um aus der Perspektive des Schadensrechts festzulegen, was denn überhaupt keitseinbuße als Ganzes“. Vgl. auch Pardey, Rn. 2784 f.: „Beeinträchtigung der Entfaltung der Persönlichkeit oder die Beeinträchtigung der individuellen Aktionsfähigkeit …“. 103 Esser/Weyers, § 61 II 1 c), S. 246. Ähnliche Einwände finden sich in der amerikanischen Literatur, vgl. die Nachweise bei Sanders, DePaul L. Rev. 55, 2006, S. 490. Auch in der amerikanischen Literatur wird über einen Rechtsschutz nicht nur der „physical autonomy“, sondern auch der „psychical autonomy“ diskutiert: Rabin, DePaul L. Rev. 55, 2006, S. 369. 104 So Esser/Weyers, § 61 II 1 c), S. 246.
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Grundlage der Schadensmessung, bzw. -schätzung i. S. d. § 287 ZPO sein soll. „Schätzen kann man nur, was mengenmäßig faßbar ist“.105 In der Homogenität des immateriellen Schadens liegt also ein wesentlicher Schlüssel für eine rationale Schmerzensgeldrechtsprechung. Werden die in § 253 Abs. 2 zusammengefaßten Rechtsgüter als Ausprägungen der klägerischen Personalität interpretiert, die geschützt werden, damit die Person ihren Wirkungskreis eigenmächtig bestimmen und Freiheit ausüben kann, so besteht der entsprechende Schaden in dem Umfang der Einschränkung dieser personalen Entfaltungsmöglichkeit.106 Entsprechende Einbußen sind als „Persönlichkeitsminderung“ des Geschädigten zu identifizieren und entsprechen durch diese Opferbezogenheit auch den Anforderungen der schadensrechtlichen Verankerung des Schmerzensgeldanspruchs.107 Das Äquivalenzprinzip fordert dann, daß der Geldersatz um so höher ausfallen muß, je schwerer die jeweilige Beeinträchtigung wiegt. Allerdings weist der immaterielle Schaden einige Besonderheiten auf, die ihn gegenüber dem Vermögensschaden auszeichnen. Insbesondere ist zu berücksichtigen, daß die Person sich nicht auf ihre körperlichen Funktionen beschränkt, so daß der Schaden schlicht in einer Substanzverletzung bestehen würde. Dies ist der Kern des Problems des Gefühlsschadens. Die Beeinträchtigung von Gesundheit, Körper und Freiheit kann weiterhin nicht nur wie bei Sachen durch äußerliche Kraftentfaltung bewirkt werden, sondern auch psychisch ausgelöst, vermittelt, unterstützt oder verstärkt werden. Hier liegt das Problem der Berücksichtigung des Täterverschuldens. aa) Subjektiver oder objektiver Schaden? Intensiv diskutiert wird die Frage, ob beim Schmerzensgeld auch die „innere Lebenslage des Geschädigten“ oder nur objektive Schäden zu ersetzen seien. Die prominent von Lorenz vertretene Ansicht, wonach Gefühlsschäden nicht ersatzpflichtig sein sollen, stützt sich vor allem darauf, daß diese Schäden nicht meßbar seien und daher die Gefahr einer unkontrollierbaren Überreaktion des mitfühlenden Richters drohe, auf der anderen Seite aber auch eine moralisch nicht hinnehmbare „Kommerzialisierung der Gefühle“.108 Daher sei nur der objektive Verletzungsschaden zu ersetzen. Fraglich ist jedoch, ob diese einschränkende Interpretation des Schmerzensgeldanspruchs trägt. Drei Probleme sind zu unterscheiden. Zunächst muß noch einmal klar werden, worum es beim Ersatz immaterieller Schäden geht. Orientiert man sich am oben entwickelten Rechtsgüterschutz, richtet 105
Donaldson, AcP 166,1966, S. 478. Ähnlich: Stoll, Neuregelung, S. 127; Ehlers, S. 16. 107 BGHZ 26, S. 349, 354; Rötelmann, AcP 160, 1961, S. 374; Stoll, Neuregelung, S. 127. 108 Ausführlich: Lorenz, S. 34 f., 51 – 60. Krit. gegenüber der objektiven Lehre: Pecher, AcP 185, 1985, S. 383, und bes. S. 390 ff. 106
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sich das Ziel darauf, genau diejenigen Einschränkungen zu kompensieren, die durch die Verletzung von Körper, Gesundheit, sexueller Selbstbestimmung oder Bewegungsfreiheit erzeugt wurden. Schmerzen, Narben, Scham und Empörung führen dazu, daß das Opfer nicht in gleicher Weise wie vor der Schädigung in der Lage ist, seine personalen Qualitäten zu entfalten. Vielmehr wird ihm vom Schädiger die Bewältigung dieser Schädigung aufgezwungen. Der Geschädigte ist vorübergehend oder auf Dauer nicht in der Lage, seinen Berufswünschen, Heiratsabsichten, Hobbies, oder seinem Wissensdrang nachzugehen. Die Entfaltung seiner Person und die Kommunikation zu seinen Mitmenschen ist, etwa durch das Erfordernis eine Perücke tragen zu müssen oder seinen Zeigefinger nicht gebrauchen zu können, gestört oder wird gar infolge einer Beeinträchtigung der Hirnfunktionen unmöglich. Diese aufgezwungene Bewältigung wird teilweise somatisch manifest, indem der Körperschaden die Entfaltungsmöglichkeiten schwächt oder der Mensch bei Freiheitsverlust schlicht den Ort nicht verlassen kann. Es wäre aber Ausdruck eines allzu mechanistischen Menschenbilds, wenn man den Ersatz auf diese Art von offensichtlich somatisch vermittelten Beeinträchtigungen beschränkte. Dabei würde nicht nur übersehen, daß auch der psychische Apparat Teil der geschädigten Persönlichkeit ist,109 sondern auch außer Acht gelassen, daß im Regelfall die Folgen der Verletzung ganz wesentlich von der inneren Verarbeitung mitbestimmt werden. Abgesehen davon, daß gerade durch die neueren Erkenntnisse der neuronalen Wissenschaften und der Hirnforschung die Grenze zwischen diesen Bereichen immer unschärfer wird, ist jedenfalls auf juristischer Ebene eine unbeeinträchtigte Psyche ebenso wie eine gesunde Physis Voraussetzung für die mit dem Schmerzensgeldanspruch geschützten Entfaltungsmöglichkeiten der Person, so daß eine letztlich statische Zerschneidung der Person in ein „innen“ und „außen“ abzulehnen und das Ausmaß des Schadens kommunikativ zu bestimmen ist.110 Er besteht in der konkret ermittelbaren – und daher auch nicht beliebigen oder entgrenzten111 – Beeinträchtigung der personalen Entfaltung. Von dieser Frage nach der grundsätzlichen Ersatzpflichtigkeit auch des sog. „Gefühlsschadens“ abzugrenzen ist die Frage, ob sämtliche Beeinträchtigungen in diesem Bereich ersatzpflichtig sein sollen. Hier enthüllt die „objektive Lehre“, daß sie gerade nicht von einer objektiven und ideologiefreien Perspektive gelenkt wird. Wenn etwa Lorenz argumentiert, die Anhänger einer Ersatzpflicht für Gefühlsschäden „begünstigten hemmungslose und benachteiligten beherrschte Geschädigte“,112 zeigt sich der rechtspolitische durchaus wünschenswerte Zweck der Prozeßökonomie. Allerdings kann er damit nicht begründen, warum diese Einbußen deshalb generell ersatzlos bleiben sollen. Mißbrauchsgefahr ist auch bei Vermögensschäden kein Ausschlußgrund, sondern allenfalls Anlaß für eine gründlichere Erforschung des 109
Dies setzt auch Lorenz, S. 63 f. voraus. Gegen ein Verständnis des Ausgleichs im Sinne einer „hedonistischen Vulgärpsychologie“: MüKo3/Stein, § 847 a. F., Rn. 4. 111 So der Vorwurf gegen diese Konzeption bei Esser/Weyers, § 61 II 1 c), S. 245 f. 112 Lorenz, S. 55. 110
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Sachverhalts.113 Die Frage nach dem Umfang der Ersatzpflicht kann sachgerecht nicht durch Ausschluß, sondern durch Anwendung der herkömmlichen zivilrechtlichen Begrenzungsinstrumente, insbesondere im Bereich der Zurechnung geklärt werden. So ist jeweils im Einzelfall festzulegen, ob eine bestimmte Verletzungsfolge dem Verletzer zuzuordnen oder vom Verletzten als sein allgemeines Lebensrisiko zu tragen ist.114 Überreaktionen und mutwillige Verarbeitungsverzögerung sind dagegen als Verletzung einer Schadensminderungspflicht im Rahmen von § 254 zu berücksichtigen.115 Dennoch bleibt, als drittes Problem, die Schwierigkeit mit dem Beweis des immateriellen Schadens. Wer an dieser Stelle schlicht mit Rücksicht auf die Inkommensurabilität des Gefühlsschadens für dessen Ausschluß aus der Ersatzpflicht argumentiert, verfehlt jedoch nicht nur die Tatsache, daß das Gesetz diese Inkommensurabilität gerade für unbeachtlich erklärt, sondern auch den Kern der Billigkeitsanordnung. Er unterstellt nämlich, daß für immaterielle Schäden in gleicher Weise Beweis angeboten und erhoben werden müsse, wie für Vermögensschäden. Ausgangspunkt für ein näheres Verständnis des Problems ist dabei die Erkenntnis, daß im Prozeß ohnehin nur berücksichtigt werden kann, was kommunizierbar ist.116 Es versteht sich von selbst, daß alles, was im Inneren des Menschen bleibt, weil es nicht kommunizierbar ist, notwendigerweise unersetzt bleiben muß. Hier liegt das Residuum absoluter Inkommensurabilität, an der auch die gesetzliche Anordnung nicht vorbei kommt. Das heißt aber umgekehrt, daß jeder Schaden, über den gesprochen werden kann, auch der Gefühlsschaden, insofern notwendig objektiv ist, als er durch das Opfer im Prozeß sprachlich mitgeteilt wird. Das Problem verlagert sich damit auf den kommunikativen Prozeß zwischen den Parteien und auf die Frage, ob der seinen immateriellen Schaden betreffende Vortrag des Klägers durch die anderen Beteiligten des Rechtsstreits verstanden und für glaubhaft befunden werden kann oder sogar muß. Walter Grasnick hat am Beispiel des Strafrechts untersucht, welche Chancen bestehen, überhaupt über innere Vorgänge zu kommunizieren.117 Klar ist, daß niemand in naturwissenschaftlich präziser, falsifizierbarer Form nachweisen kann, was in seinem Inneren tatsächlich vorgeht. Dies ist allerdings kein schmerzensgeldspezifisches Problem, sondern begegnet überall dort, wo das Recht subjektive Voraussetzungen aufstellt. Das heißt aber nicht, daß die Verbalisierung der Beeinträchtigung durch das Opfer sinnlos wäre. Sie ist vielmehr notwendiger Bestandteil eines prozessualen Kommunikationsprozesses, einer Interaktion zwischen den Parteien und 113
Vgl. von Mayenburg, VersR 2002, S. 284 f. m. w. N. So bereits jetzt die h.M.: Palandt/Grüneberg, vor § 249, Rn. 37 – 39; Pardey, Rn. 2780. 115 Palandt/Grüneberg, § 254, Rn. 38 zur Obliegenheit, einen Arzt aufzusuchen. 116 Zu den nicht unerheblichen erkenntnistheoretischen Problemen der Feststellung subjektiver Tatsachen vgl. die für das Strafrecht gefundenen, aber auf die Schmerzensgeldproblematik weitgehend übertragbaren Thesen von Grasnick, bes. S. 73 ff. 117 Vgl. als Hintergrund der folgenden Überlegungen: Grasnick, S. 86 – 120. 114
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dem Richter. Mit der Schilderung seiner Verletzungen erfüllt der Kläger seine prozessualen Darlegungslasten und umreißt mit dem Streitgegenstand gleichzeitig das Thema der nun folgenden Kommunikation der Prozeßbeteiligten, deren Ausgabe darin besteht, die vom Kläger vorgetragene Geschichte deutend und auf ihre Konsensfähigkeit hin zu verstehen.118 Indem der Kläger selbst bestimmt, welche Bereiche seiner Persönlichkeitsverletzung er im Prozeß zum Gegenstand macht – und welche ggf. nicht, entkräftet sich auch der häufig zu lesende Einwand, es könne und dürfe nicht Aufgabe eines Zivilprozesses sein, eine Persönlichkeit bis ins letzte zu durchleuchten. Der Beklagte kann diese Auffassung bestreiten und seinerseits plausibel erklären, warum er die geschilderten Beeinträchtigungen für inexistent oder unerheblich hält. Fraglich ist allerdings, wie eine Beweisaufnahme in diesem Zusammenhang zu erfolgen hat: Soll der vorgetragene Schaden mit Hilfe rechnerisch-quantifizierender Methoden oder mit Blick auf den Einzelfall ermittelt werden? Die h.M. versucht, hier anhand objektiver Maßstäbe vorzugehen und den immateriellen Gesundheitsschaden weitgehend mit Hilfe medizinischer Kriterien zu bestimmen.119 Dieses „medizinische Paradigma“ erscheint auf den ersten Blick plausibel: Die zu messenden Schäden sind nun einmal Körper- oder Gesundheitsschäden und wie sollen diese anders gemessen werden als mit den Instrumenten des Arztes oder Psychologen? Außerdem verspricht das medizinische Paradigma sogar die Möglichkeit, die entsprechenden Schäden zu klassifizieren und damit die Schmerzensgeldbemessung durch eine objektivierte Ermittlung des Schadens rationaler zu steuern. Neuere Methoden der Algesimetrie (Schmerzmessung) versuchen tatsächlich, Schmerzzustände in eine relationale Ordnung zu bringen. So wird seit einigen Jahren an Möglichkeiten gearbeitet, HWS-Traumata neurologisch präzise nachzuweisen und in ihrer Schwere zu klassifizieren.120 Auch wird mit Hilfe von Tests und Befragungen, etwa durch Einzeichnen von aktuellen Schmerzen in eine Skala durch das Opfer, an Methoden zur Meßbarkeit und überindividuellen Vergleichbarkeit von Schmerzzuständen gearbeitet. Andere Klassifizierungen, wie die von Walter Düben aus den 1970er-Jahren, ordneten Krankheitsbilder und leiten hieraus eine Relation von Gesundheitsbeeinträchtigungen ab.121 Diese Schemata, die gewissermaßen die 118
Vgl. Grasnick, S. 266, 277. Deutlich: Pardey, Rn. 2830: Ein Schmerzensgeld könne nur verlangt werden, „wenn die Beeinträchtigung eine medizinisch und damit in gewissem Sinn objektiv nachgewiesene Verletzung des Körpers oder der Gesundheit bedeutet“. 120 Vgl. die Nachricht bei Plümper, Berliner Zeitung 7. 7. 1999, zit. n. [https://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/1999/0707/wissenschaft/0010/index.html], zuletzt besucht am 02. 05. 2011. 121 Das „Düben-Schema“ ist abgedruckt bei Moog, VersR 1978, S. 305; vgl. auch Düben, Deutscher Verkehrsgerichtstag 15, 1977, S. 137. Für eine Berücksichtigung auch: Küppersbusch, VersR 1982, S. 618; Magnus, Schmerzensgeldhaftung, S. 48 m. Fn. 78. Ähnliche Ver119
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Schmerzensgeldtabellen im Bereich des Schadenstatbestands spiegeln, leiden allerdings unter vergleichbaren methodischen Mängeln: Vor allem bei komplexen Verletzungsfolgen sind sie regelmäßig zu schematisch, als daß sie ohne weiteres eine Zuordnung erlaubten. Die Gerichte haben deshalb nach einigen Experimenten in den 1990er-Jahren von einer Verwendung der Düben-Klassifikation wieder abgesehen.122 Der wichtigste Einwand gegen das medizinische Paradigma betrifft allerdings die Frage, was hier überhaupt „gemessen“ wird. Es ist nicht zu leugnen, daß die Instrumente des Arztes bestimmte Aspekte des Gesundheitsschadens zu Tage fördern und dabei helfen können, die individuelle Verarbeitung des Schädigungsereignisses besser zu verstehen und einordnen zu können. Allerdings ist fraglich, ob damit auch alle, oder auch nur die wesentlichen, Aspekte gerade des immateriellen Schadens erfaßt werden. Algesimetrische Studien oder Klassifizierungen nach Düben greifen allenfalls den Aspekt des Schmerzes oder der tatsächlichen Verletzungen aus dem komplexen Schädigungszusammenhang heraus. Erst recht ist illusorisch, daß mit ihrer Hilfe an den Kern eines „tatsächlichen“ Schadens heranzukommen ist. Das Vertrauen in naturwissenschaftlich-quantifizierende Methoden zur Introspektion in die Innenwelt eines anderen ist mit guter Begründung nachhaltig erschüttert worden.123 Es ist insofern aber auch gefährlich, wenn es die Prozeßparteien von der eigentlichen Aufgabe ablenkt, sich mit dem konkreten Sachvortrag des Klägers auseinanderzusetzen. Dieser wird sich nur zum Teil durch medizinische oder psychologische Gutachten substantiieren lassen. Den eigentlichen Wertungsvorgang, also die Festlegung, ob und in welcher Höhe ein Schaden entstanden ist, kann ohnehin der Sachverständige nicht ersetzen. Er ist vom Richter unter Einbeziehung der vorgetragenen und ggf. bewiesenen Fakten zum Gesundheitszustand, aber auch seiner Lebenserfahrung im Wege der Schätzung gem. § 287 ZPO vorzunehmen. bb) Berücksichtigung des Verschuldens? Fraglich ist weiter, ob der Schadensbegriff Platz für die Berücksichtigung von Verschuldensmomenten bietet. Dies ist der eigentliche Streitpunkt bei der Frage nach der Genugtuungsfunktion. Dabei ist zunächst eine terminologische Klarstellung zu treffen. Wenn in diesem Zusammenhang von einem „Verschulden“ gesprochen wird, so wird dadurch impliziert, es ginge um eine Verknüpfung mit dem Haftungstatbestand. Daher rührt das Mißverständnis, im Bereich der Gefährdungshaftung könne es auf ein Verschulden nicht ankommen. Das Problem löst sich auf, wenn berücksichtigt wird, daß es hier suche wurden bereits vor dem Zweiten Weltkrieg unternommen, vgl. die Nachweise bei Fenzl, S. 125 – 127. 122 Explizit erscheint der Verweis auf den Düben-Katalog nur bei OLG München VersR 1989, S. 1203; OLG München VersR 1992, S. 508; OLG München NZV 1993, S. 232. 123 Vgl. Grasnick, S. 266, 277.
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nicht so sehr um ein Verschulden im technischen Sinn geht, also eine Vorwerfbarkeit, die in der Tat den strafrechtlichen Bereich assoziieren läßt. Vielmehr geht es hier um solche Einwirkungen des Täters psychischer Art, die aufgrund ihrer kommunikativen Bedeutung den Freiheitsraum des Opfers beschränken und damit den Schadensentstehung und -verlauf mitbestimmen oder vertiefen.124 Bei Vorsatztaten leuchtet dies unmittelbar ein: Der Verletzte hat sich nicht nur mit seinen körperlichen Schmerzen zu befassen, sondern ihm wird zusätzlich die Auseinandersetzung über die Vermeidbarkeit des Geschehens zugemutet. Gleiches gilt, allerdings in abgeschwächter Form, auch für den Bereich fahrlässigen Verhaltens. Je unvermeidbarer das Szenario, desto eher wird der Verletzte es als Schicksal hinzunehmen bereit sein. Doch auch hier verbietet der Billigkeitsgedanke eine schematische und generalisierende Perspektive. Im Einzelfall kann sich der kommunikative Kontext der Tat bei gleicher Sorgfaltswidrigkeit sehr unterschiedlich auf den immateriellen Schaden auswirken: So wird es der Verletzte leichter haben, einen Behandlungsfehler hinzunehmen, wenn er als Notfallpatient in einem ansonsten gut organisierten, aber punktuell überlasteten Krankenhaus von einem überforderten Berufsanfänger falsch behandelt wurde als wenn ein vergleichbarer Fehler bei einer von langer Hand geplanten Operation geschieht, die ein erfahrener Arzt in einem schlecht organisierten Krankenhaus vornimmt. Erst die wertende Gesamtschau aller erheblichen Faktoren und nicht die Fixierung auf statische Fahrlässigkeitsstufen oder Lebensbereiche erhellt die Prägung des immateriellen Schadens durch das Verletzerverhalten. Gegen die kommunikative Interpretation der Schadensentstehung läßt sich einwenden, daß dann gerade in denjenigen Fällen, in denen dem Opfer die Kommunikationsfähigkeit fehlt, selbst ein Vorsatz des Täters unbeachtlich bliebe.125 Diese Konsequenz ist in der Tat unausweichlich, erscheint aber aus folgenden Überlegungen erträglich: Zum einen wird insbesondere dann, wenn die Kommunikationsfähigkeit des Opfers durch die Tat zerstört wurde, ein Schaden in einem Umfang vorliegen, der durch die zusätzliche Berücksichtigung des Täterverhaltens auch nicht mehr nennenswert erhöht würde. In der Regel haben „Genugtuungszuschläge“ in diesen Fällen weniger den Geschädigten selbst als die Angehörigen im Auge, deren Betroffenheit allerdings de lege lata außerhalb des Schockschadens nach wie vor nicht ersatzpflichtig ist.126 Schwieriger zu beurteilen sind Fallgestaltungen, in denen das Opfer auch jenseits der Tat nicht in der Lage ist, das ihm widerfahrene Unrecht als solches wahrzunehmen. Hierher gehört etwa der Fall einer geistig schwer behinderten Frau, die nach sexuellem Mißbrauch durch ihren Vater schwanger wurde und ein Kind zur Welt
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Ähnlich: MüKo3/Stein, § 847 a. F., Rn. 4. So Esser/Weyers, § 61 II 1 c), S. 246. 126 Die Planungen zur Vereinheitlichung des Europäischen Zivilrechts sehen ein Angehörigenschmerzensgeld vor: Vgl. Art. VI.–2.202 DCFR, zit. n. von Bar/Clive/Schulte-Nölke, DCFR; zust. Pinkel, S. 27 f. 125
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brachte.127 Das Gericht hat im Ergebnis auf die durch die Tat erlittene Einbuße an personaler Würde abgestellt und der Klägerin Prozeßkosten in Höhe der beantragten 7.500 E unter Ausgleichs- und Genugtuungsgesichtspunkten zugesprochen und dabei ausdrücklich die Rechtsprechung des BGH für Fälle zugrunde gelegt, bei denen die geistige Behinderung selbst aus dem Schädigerverhalten resultierte. Bereits ohne Berücksichtigung des Verschuldens ist bei sensibler Betrachtung von einem erheblichen Schaden auszugehen, denn das Leben der Klägerin wird durch ein Geschehen, das sie nicht einmal wie gesunde Menschen begreifend verarbeiten kann, durch Vergewaltigung, Schwangerschaft und Geburt in besonders schmerzhafter und bedrohlicher Weise beeinträchtigt. Vor diesem Hintergrund erscheinen die beantragten 7.500 E eher bescheiden. Ob darüber hinaus der vom Gericht zugrunde gelegte Genugtuungsgedanke trägt, hängt davon ab, ob der besondere Unrechtsgehalt der Tat die Klägerin zusätzlich beeinträchtigt hat. Ob dies konkret der Fall war, läßt sich dem Urteil nicht entnehmen. Entscheidend ist jedenfalls, daß sich das Gericht mit Fragen wie diesen argumentativ-wertend auseinandersetzt. Ansonsten bleibt nur zu konstatieren, daß allein von den Tatumständen ausgehende Schadensvertiefungen, also deren Manifestation beim Opfer, im Rahmen des Schmerzensgelds zu bemessen sind. Die auf die Allgemeinheit wirkenden Folgen der Tat können indes nur im Strafverfahren sachgerecht behandelt werden. Im vorliegenden Fall schwerster Kriminalität wird sich dies zweifellos in einer erheblichen Kriminalstrafe niederschlagen.128 Es bleibt damit festzuhalten, daß vorwerfbares Schädigerverhalten als ein gewichtiger schadensprägender Umstand bei der Bemessung des Schmerzensgelds auch im Bereich von fahrlässigen Schädigungen weiterhin zu berücksichtigen ist. b) Probleme der Bemessung – die Rolle der Vergleichsrechtsprechung Für den so umrissenen Schaden muß dann eine Entschädigungssumme gefunden werden, die den Zielen des Schadensrechts entspricht und mit Hilfe der Billigkeit gewonnen wird. Dazu sind sämtliche schadensbildenden Faktoren in wertender Gesamtschau zu berücksichtigen und dafür nach richterlichem Ermessen eine Summe festzulegen. Diese Festlegung hat sich an der Schwere der im Schaden manifestierten Persönlichkeitsminderung zu orientieren. Entscheidend ist dabei zunächst die für die Billigkeitsentscheidung entscheidende Beachtung der Begründungsklarheit. Die Parteien müssen erkennen, welche Aspekte in die Entscheidung einbezogen und wie sie im Einzelnen gegeneinander gewichtet wurden. Problematisch ist dabei, welche Kriterien der Richter in seine Erwägungen einfließen lassen darf, ob und wenn ja welche Anhaltspunkte außerhalb des konkreten 127
OLG Hamm NJW-RR 2009, S. 959. Vgl. die verstärkte Bemühung der BGH-Strafsenate um den Schutz behinderter Menschen vor sexuellen Übergriffen, z. B. BGH NJW-Spezial 2011, S. 121. 128
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Sachverhalts er einbeziehen darf. Wie streng ist also die Einzelfallorientiertheit der Billigkeitsentscheidung? Mehrere Aspekte lassen sich dabei unterscheiden: aa) Orientierung an den Zwecken des Schadens- und Haftungsrechts Aus dem oben Dargestellten ergibt sich zwingend eine Ausrichtung des Abwägungsvorgangs an den Zwecken des Schadensausgleichs. Dem widerspricht etwa, wenn der Richter strafende oder rechtspolitische Erwägungen in die Abwägung einfließen läßt. Problematisch ist in diesem Zusammenhang die oben diskutierte Einbeziehung generalpräventiver Momente. Skepsis ist hier vor allem dann angebracht, wenn das Gericht in Wirklichkeit nicht mehr den vor ihm liegenden Einzelfall entscheidet, sondern dieser nur noch den Anlaß bildet für eine an der Gesamtwohlfahrt orientierte Anreizpolitik. Dies gälte um so mehr, wenn versucht würde, Berechnungen wie die oben dargestellten in die Bemessungspraxis einzuführen. Denn diese sind nicht nur methodisch angreifbar, sondern verfehlen auch das Ziel der Billigkeitsanordnung. bb) Orientierung an Vergleichsrechtsprechung? Es verbleibt noch die Klärung der Frage, ob und in welcher Weise der Richter auf Vergleichsrechtsprechung zurückgreifen darf. Die bislang vorgetragenen Überlegungen legen eher eine ablehnende Antwort nahe: In Kap. B. II. 1. konnte gezeigt werden, daß es nicht nur bei der Sammlung und Verarbeitung der relevanten Daten auf Seiten der Ersteller von Schmerzensgeldtabellen zu erheblichen Verzerrungen kommt. Nur durch präzise Auswahl des Vergleichsmaterials und dessen intensive methodenkritische Analyse des Rechtsanwenders kann außerdem sichergestellt werden, daß auch die ausgeworfenen Summen selbst wiederum einen verläßlichen Vergleichsmaßstab darstellen. Kap. C. hat dann allerdings belegt, daß vor dem Hintergrund keiner der in der Literatur diskutierten Funktionen des Schmerzensgelds eine mathematisch präzise Methode zur Ermittlung des Schmerzensgelds zur Verfügung steht. Zu klären ist daher, ob die Auswertung von Vergleichsrechtsprechung vor diesem Hintergrund nicht wenigstens als zweitbeste Lösung einer letztlich willkürlichen Festlegung durch den Richter vorzuziehen ist. Dies scheint auch das zentrale Argument für BGH und h.M. zu sein, mit dem sie die ihrer Auffassung nach besondere Bedeutung der Vergleichsrechtsprechung begründen.129 Zugunsten einer solchen Antwort lassen sich sicher gewichtige Gründe finden: Auch wenn Rechtsanwendungsgleichheit und Rechtssicherheit, wie oben dargestellt, ihre Grenze in der richterlichen Autonomie finden, es also keinen grundgesetzlichen
129 BGH DB 1976, S. 1520; Palandt/Grüneberg, § 253, Rn. 15; Küppersbusch, Rn. 281; Geigel/Pardey, § 7, Rn. 54; vgl. oben, Kap. B. I. 2. b).
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Auftrag zur Vereinheitlichung der Rechtsprechung gibt,130 so bleibt doch, gerade auch im Bereich der Billigkeitsrechtsprechung, das Gebot der Begründungsklarheit eine Voraussetzung für die Akzeptanzfähigkeit des Urteils und damit letztlich dessen rechtsbefriedende Funktion. Man kann mit guten Gründen annehmen, daß auch dann, wenn der BGH die Orientierung an Vergleichsurteilen ausschlösse, die Richter sich dennoch an ihnen orientierten und dies nur nicht in das Urteil schrieben. Insofern ist die explizite Berücksichtigung wenigstens ehrlich. Darüber hinaus ist zu fragen, ob ein Billigkeitsbegriff tragfähig ist, der Richter und Parteien völlig dekontextualisiert betrachtet und sich gegenüber der kommutativen Gerechtigkeit gleichgültig verhält. Die Prozeßbeteiligten leben nicht im luftleeren Raum, sondern nehmen die Wertungen ihrer Umgebung auf und verarbeiten sie kommunikativ. So wird auch ihr Judiz wesentlich von ihnen mitbestimmt. Zugespitzt formuliert kann der Blick allein auf den Einzelfall auch isoliert kein gerechtes Ergebnis liefern, wollte man nicht dem naturalistischen Fehlschluß verfallen, daß aus der Natur ohne einen rechtlichen Maßstab ein juristisch richtiges Ergebnis abgeleitet werden könne.131 Demnach könnte man argumentieren, daß Vergleichsurteile als kontextbestimmende Faktoren notwendig Gegenstand der Entscheidung sein müssen. Diesen Erwägungen lassen sich allerdings ebenso gewichtige Einwände entgegenhalten. Zunächst läßt sich fragen, was noch die Besonderheit der Billigkeit ausmachte, wenn man sie völlig ihres Einzelfallbezugs entkleidete und mit der kommutativen Gerechtigkeit identifizierte. Problematischer als diese eher terminologische Frage ist aber, daß die h.M. nicht präzise begründen kann, in welcher Beziehung die Vergleichsrechtsprechung zum entscheidungsrelevanten Fall steht, genauer gesagt, ob und inwieweit ihr Bindungswirkung zukommt. Dabei findet sich häufig die Aussage, der Richter müsse sich an die Vergleichsrechtsprechung halten und unterliege bei Abweichungen nach oben und unten einer besonderen Begründungspflicht.132 Ehe diese Argumentation einer kritischen Analyse unterzogen wird, ist allerdings darauf hinzuweisen, daß diese Kritik nicht die methodologisch kaum in Frage zu stellende allgemeine Bedeutung von Vergleichsrechtsprechung betrifft. Selbstverständlich muß der Richter einschlägige Entscheidungen zu vergleichbaren Sachverhalten kennen und die dort angestellten Überlegungen in seinen Entscheidungsprozeß einbeziehen.133 Prä-Judizien haben außerdem die Vermutung der Richtigkeit der juristischen Argumentation für sich. Allerdings geht es hier nicht um die juristische Argumentation, sondern um deren Ergebnis, nämlich die konkret ausgewor130 131 132 133
Maunz/Dürig/Hillgruber, Art. 97 GG, Rn. 50 m. w. N. Zum Problem der Naturalismuskritik: Hügli, Sp. 519 – 521. Vgl. oben, Kap. B. I. 2. b), Fn. 237. Gröschner, JZ 1987, S. 904.
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fene Summe als Produkt eines nicht weiter rational aufschlüsselbaren internen Bewertungsprozesses. Ob auch hinsichtlich dieser „nackten Summe“ eine Bindungswirkung besteht, kann allerdings mit guten Gründen bezweifelt werden. Diese Bindungswirkung ist in mehrfacher Hinsicht problematisch. Zum einen ist schon die Grenzziehung des in der vorhandenen Rechtsprechung bestehenden Rahmens schwierig. Beispielsweise hängt die Frage, welches die höchste bislang ausgeschüttete Schmerzensgeldsumme ist, davon ab, ob man Mitverschuldensanteile herausrechnet und mit welchem Faktor man Schmerzensgeldrenten kapitalisiert. Der Höchstbetrag könnte dann ein Fall des OLG Stuttgart aus dem Jahr 1998 sein, das unter Herausrechnen eines Mitverschuldensanteils des Geschädigten von 70 % und einer Verzinsung der Rente von 5 % einen rein rechnerischen Betrag von inflationsbereinigt 636.740 E verhängt hatte,134 oder aber ein Fall des OLG Zweibrücken, das ohne Mitverschuldensanteil aber mit Teilverrentung 621.393 E zugesprochen hatte,135 oder schließlich ein Urteil des OLG Jena, das 2009 ohne Zuerkennung einer Rente auf 600.000 E entschieden hatte.136 Unterliegt nun ein Gericht, das 625.000 E verhängen will, einer besonderen Begründungspflicht? Ohne argumentative Unterfütterung ist den „nackten Zahlen“ also keine erkenntnisleitende Wirkung zuzusprechen. Nicht ganz unwahrscheinlich ist darüber hinaus, daß gerade Extrementscheidungen eine juristische Fehlbewertung zugrunde liegt, oder, wie ganz offensichtlich im geschilderten Fall des OLG Stuttgart, der Gesichtspunkt der Billigkeit zu einem radikalen Ausblenden bestimmter Faktoren (hier des Mitverschuldens) führt, die in anderen Urteilen ganz anders gewichtet werden. Selbst wenn man unterstellte, daß die Erweiterung der Begründungspflicht nicht absolut, sondern eher relativ gemeint ist, daß also um so sorgfältiger begründet werden müsse, je stärker man sich an den Rändern der Vergleichsrechtsprechung bewegte, wird dabei übersehen, daß Billigkeitsurteile immer besonders gründlich und einzelfallorientiert begründet werden müssen. Auch wenn sich der Richter also innerhalb der Bandbreite hält, die durch die Vergleichsrechtsprechung vorgegeben werden, schuldet er den Parteien nicht nur Auskunft darüber, welche Urteile anderer Gerichte er aus welchen Gründen für relevant gehalten hat, wo die Gemeinsamkeiten und Unterschiede bestehen und wie sich diese auf das eigene Urteil ausgewirkt haben, sondern er muß diese Auswertung argumentativ mit seiner qualitativen Bewertung des vorliegenden Sachverhalts verknüpfen. Vor allem aber verzichtet der BGH darauf, Ursache, Reichweite und Rechtsgrund der Bindungsanordnung wirklich plausibel zu begründen.
134 OLG Stuttgart VRS 1997, S. 15, bestätigt durch BGH VI ZR 175/97, unv., bei Slizyk, Nr. 3367. 135 OLG Zweibrücken MedR 2009, S. 88. 136 OLG Jena VersR 2009, S. 1676.
V. Verzicht auf die Präzisionsperspektive – Das Judiz als Maßstab
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Liegt ihr Kern in der Absicht der Rechtsvereinheitlichung, so hat die obige Analyse gezeigt, daß der Versuch, über die flächendeckende Einbeziehung von Vergleichsrechtsprechung zu einer Harmonisierung von Schmerzensgeldern zu gelangen, schlicht illusorisch ist. Die Vorstellung einer Marktersatzfunktion ist irreführend. Es ist also nicht begründbar, daß der Präzedenzentscheidung ein höherer Gerechtigkeitswert zukommt als dem Judiz des erkennenden Richters. Unter dieser Prämisse wird sich allerdings kaum eine vernünftige und vor allem verfassungsrechtlich tragfähige Begründung finden lassen, warum die Unabhängigkeit des erkennenden Richters durch den Oktroy eines offensichtlich untauglichen Mittels beschränkt werden soll. Dies scheint dem BGH auch bewußt gewesen zu sein, denn er hat die angebliche Bindungswirkung dadurch bis in ihr Gegenteil entschärft, daß letztlich doch dem entscheidenden Richter die Letztentscheidung für die Bestimmung des Schmerzensgelds überlassen wird. Werden damit am Ende doch Erwägungen außerhalb der Schmerzensgeldtabellen zum alles entscheidenden Kriterium, fragt sich, warum dieser eigentliche Entscheidungsfindungsprozeß durch die Einbeziehung einer in Wirklichkeit scheinrationalen und scheinmathematischen Begründungsperspektive verunklart werden soll. Versuche, der Vergleichsrechtsprechung eine wie auch immer geartete Bindungswirkung zuzusprechen sind damit nicht nur ungeeignet zur Erreichung des Ziels einer „exakten“ Schmerzensgeldbestimmung, sondern mißachten darüber hinaus auch den gesetzlich angeordneten Billigkeitsmaßstab. Die Aufgabe des Richters besteht darin, in kommunikativer Auseinandersetzung mit den Parteien und ihren Argumenten den vor ihm liegenden Fall zu entscheiden. Die Billigkeit ist damit weniger eine Konsequenz aus der Inkommensurabilität, sondern entspricht der bewußten Entscheidung des Gesetzgebers, den Bemessungsvorgang nicht aktiv zu programmieren, sondern der Einzelfallentscheidung zu überlassen. Er unterstellte dabei, daß der Entscheider vor Ort über einen Informationsvorsprung gegenüber allen anderen vorhandenen Wissensspeichern verfügt.137 Dieses Mißtrauen gegenüber einer mechanischen Präjudizienbildung und das Vertrauen gegenüber dem Richter vor Ort sollten ernst genommen werden.
V. Verzicht auf die Präzisionsperspektive – Das Judiz als Maßstab Damit bleibt tatsächlich nur das Judiz als Mittel der Entscheidungsfindung und damit ein Instrument, das dem nach Exaktheit strebenden Juristen zutiefst suspekt
137
Vgl. Zanitelli, Quinnipiac L. Rev. 28, 2009, S. 190.
130
D. Wege aus dem Dilemma
sein muß.138 Wenn jeder Versuch einer Verankerung des Schmerzensgeldurteils in der Sicherheit relationaler Vergleichbarkeit scheitert, ist das Ergebnis dann nicht doch irrationales Produkt einer Kadijustiz? Diesem Vorwurf soll abschließend auf zwei verschiedenen Wegen begegnet werden, die gleichzeitig eine Antwort auf die Frage nach der Präzision der Schmerzensgeldbemessung geben: Zum einen ist der Einwand der Willkür gegenüber der Einzelfallentscheidung zu entkräften, zum anderen soll die Tauglichkeit des Judizes mit Hilfe neuerer Erkenntnisse über die tatsächliche Streuung von Einzelfallentscheidungen unter Experimentbedingungen unterfüttert werden. Im Zentrum steht dabei die These, daß auch dann hinreichend vergleichbare Schmerzensgelder zugesprochen werden, wenn man den Anspruch einer rein mechanistischen Berechnungstechnik aufgibt.
1. Judiz ist nicht Willkür Wenn hier das Judiz als entscheidende Methode der Schmerzensgeldbemessung verteidigt werden soll, so müssen zunächst einige nahe liegende Einwände entkräftet werden, die dieser Auffassung entgegenstehen. Insbesondere wird der Vorwurf der Irrationalität und der Gefühlsbetontheit erhoben. Abgesehen von der rechtsphilosophischen Erkenntnis, daß das Judiz ohnehin eine notwendige Operation bei der Anwendung rechtlicher Regeln ist,139 kann der Willkürvorwurf bereits entkräftet werden, indem auf die notwendige Steuerung des Judizes durch seine Ausrichtung auf das Schadensrecht allgemein und § 253 Abs. 2 insbesondere verwiesen wird. Es geht also nicht darum, dem Richter völlig freie Hand bei der Entscheidung zu lassen. Bis zum Moment der Bestimmung des Schadenstatbestands, auf den allein sich die Bemessung bezieht, bleibt der Entscheidungsprozeß argumentativ an die Vorgaben des Gesetzes gebunden. Das Judiz dient also nicht zur Entscheidung dogmatischer Streitpunkte, sondern allein der spontan-intuitiven Findung einer Geldsumme ohne die Einschaltung argumentativer oder rechnerischer Zwischenschritte.140 Klar ist auch, daß das Judiz bei der Bestimmung des Schmerzensgelds nicht ohne Bezug auf rechtliche Wertungen auskommt und damit auch den Wissensschatz über in der Vergangenheit ergangene Entscheidungen notwendig einbezieht. Überzeugend erscheint die Auffassung, die im Judiz eine Form des Denkens in Typologien sieht. Offensichtlich sind erfahrene Juristen in der Lage, ihr jahrelang gewachsenes Wissen über unterschiedliche Fallgestaltungen in Form von Mustern zusammenzufassen und bei der Entscheidungsfindung spontan abzurufen.141 Dabei gelingt ihnen intuitiv das, 138 Zum Judiz aus rechtsphilosophischer Perspektive zuletzt Gröschner, JZ 1987, S. 903 ff.; Fromm, DRiZ 1996, S. 484 ff., jeweils mit zahlreichen weiteren Nachweisen. 139 Vgl. Rafi, S. 180 – 182. 140 Zu dieser Bestimmung des Judizes: Fromm, DRiZ 1996, S. 487 f. 141 Fromm, DRiZ 1996, S. 488 f.
V. Verzicht auf die Präzisionsperspektive – Das Judiz als Maßstab
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was mit Hilfe von Schmerzensgeldtabellen, wie oben gezeigt, nur scheinbar logisch erfolgt, nämlich die Bündelung der in unterschiedlichsten Fallkonstellationen gefundenen Einzelwertungen zu einer Geldsumme. Es wird damit spontan erzeugt, was bei Vermögensschäden der Markt erfüllt: Die Vernetzung der Wertungen einer Fülle von Einzelfallabwägungen zu einer konkreten Entscheidung über die auszuschüttende Summe im aktuell zu entscheidenden Fall. Daß dieser Vorgang so weit wie möglich bewußt zu steuern ist, ist dabei ein Gebot der Selbstkontrolle des Entscheiders und der Methodenehrlichkeit. Bezieht sich somit das Judiz notwendig auf Präjudizien, so stellt sich die Frage, ob diese dann nicht doch, zumindest im Hintergrund, zur Rationalisierung der Schmerzensgeldentscheidung beitragen können. Offensichtlich benötigt das Judiz eine möglichst große Zahl von Präjudizien, um angesichts der Fülle zu berücksichtigender Faktoren eine zufriedenstellende Summe ermitteln zu können.142 Dies wäre grundsätzlich zu befürworten, wenn nicht die oben geschilderten methodischen Einwände gegen die Sammlung und Ordnung der Vergleichsrechtsprechung in Tabellenform zu gefährlichen Verzerrungen und der Versuchung führen würden, letztlich die Orientierung am Judiz durch eine schlichte Subsumtion unter die Tabellen zu ersetzen. Daß dieser Gefahr viele Gerichte erliegen, ist oben nachgewiesen worden. In den USA führt die Skepsis gegen die Verzerrungswirkungen von Präjudizien sogar so weit, daß es dem Richter untersagt ist, die Geschworenen über die Entschädigungssummen in vergleichbaren Fallgestaltungen aufzuklären.143 Aus diesem Grund wäre zu überdenken, ob diese Verzerrungsgefahren durch eine andere Technik der Präjudiziensammlung entschärft werden könnten. Bereits häufiger wurde vorgeschlagen, Schmerzensgeldurteile zentral zu sammeln und zu publizieren.144 Entscheidender ist aber, daß diese Sammlungen nicht nur einige magere Informationen über die Verletzungsfolgen und den entsprechenden Geldbetrag auswerfen, sondern so präzise wie möglich sowohl die Umstände des Einzelfalls, wie auch die Wertungsgrundlagen des Richters benennen. Letztlich werden nur im Volltext publizierte Urteile diesem Anspruch gerecht und auch nur unter der Prämisse einer entsprechend sauberen Urteilsbegründung des Präzedenzfalls.
2. Funktioniert Judiz? Muß man sich somit beim Schmerzensgeld auf die Intuition des richterlichen Judizes verlassen, so liegt der Einwand nahe, daß kaum nachweisbar sein dürfte, daß dieses Judiz besser funktioniert als eine immerhin rational nachvollziehbare Bemessungsmethode. Diesem Einwand kann man nur begegnen, indem versucht wird, 142 Dieses Bedürfnis äußerte eine durch langjähriges Richteramt außerordentlich erfahrene BGH-Richterin: Scheffen, NZV 1994, S. 419. 143 Baldus/MacQueen/Woodworth, Iowa L. Rev. 80, 1995, S. 1124. 144 Scheffen, NZV 1994, S. 420.
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D. Wege aus dem Dilemma
das Funktionieren des Judiz tatsächlich, also empirisch zu ermitteln. Kann also sichergestellt werden, daß Schmerzensgeldurteile vor diesem Hintergrund wenn auch nicht exakt-mathematisch, so doch wenigstens annähernd vergleichbare Ergebnisse hervorbringen und damit zumindest den Minimalanforderungen der Rechtsanwendungsgleichheit entsprechen? Erfahrungen in der universitären Juristenausbildung lassen hier nichts Gutes erwarten: Legt man Studierenden deliktische Fallkonstellationen mit der Aufgabe vor, ein Schmerzensgeld vorzuschlagen, so weichen die entsprechenden Summen teilweise erheblich voneinander ab.145 In den USA durchgeführte experimentelle Studien zu Streuungen bei pain-andsuffering-awards oder bei der Zumessung von punitive damages kamen zu dem Ergebnis, daß Menschen offenbar weit weniger Probleme haben, sich über die moralische Bewertung eines Geschehens zu einigen, als darüber, welcher Geldwert in diesem Fall als Entschädigung angemessen ist.146 Doch diese Abweichungen sprechen noch nicht gegen die Leistungsfähigkeit eines richterlichen Judizes. Zu beachten ist nämlich, daß hier fast ausschließlich das Verhalten von Studenten oder Geschworenen, nicht aber von professionellen Richtern untersucht wurde. Untersuchungen, in denen die Einschätzungen professioneller Richter mit denen von Jury-Mitgliedern verglichen wurden, legten dagegen nahe, daß die Streuungen bei Richtern offenbar weit geringer waren als bei Geschworenen.147 Dies steht in Einklang mit der Erwartung, daß professionelle Entscheider aufgrund ihrer überlegenen Erfahrung vertrauter mit der Bewertung immaterieller Beeinträchtigungen sind, als Laien.148 Empirische Studien haben außerdem ergeben, daß die von Testpersonen ausgeworfenen Schmerzensgeldbeträge dann enger zusammen lagen, wenn sie den Betrag innerhalb einer oben und unten begrenzten Skala auswählen mußten (sog. bounded scale).149 Erkenntnisse dieser Art auf das deutsche Recht zu übertragen, könnte etwa in der Einführung einer Kappungsgrenze für Schmerzensgelder bestehen. Derartige Haftungshöchstsummen sind heute bereits im Bereich der Gefährdungshaftung üblich, wenn auch umstritten.150
145
So eigene Erfahrungen beim Unterricht mit Studienanfängern. Ebenso für die USA: Abel, DePaul L. Rev. 55, 2006, S. 253, 292 und Tabelle C, S. 329. 146 Vgl. Sunstein/Kahneman/Schkade, Yale L. J. 107, 1998, S. 2071; Sunstein, Supreme Court Economic Review 11, 2004, S. 180 f.; Zavos, Loy. L.A. L. Rev. 43, 2009, S. 252. 147 Vgl. Viscusi, in: Sunstein u. a. (Hg), Punitive Damages, S. 186 ff. Die Methodologie des gesamten Bandes wurde allerdings z. T. scharf kritisiert, vgl. Vidmar, Emory L. J. 53, 2004, S. 1359 ff. Vgl. zum Stand der Diskussion auch: Sanders, DePaul L. Rev. 55, 2006, S. 493 – 496. 148 So auch die Konsequenz bei Sunstein, Geo. L. J. 86, 1998, S. 2642. 149 Sunstein, Geo. L. J. 86, 1998, S. 2640. 150 Kötz/Wagner, Rn. 536 – 541.
VI. Problemlösungen de lege ferenda
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Ihre Übertragung über den spezifischen Bereich der Gefährdungshaftung hinaus ins allgemeine Ersatzrecht immaterieller Schäden wäre allerdings nicht nur deshalb problematisch, weil sich gerade in der derzeitigen Expansion der Schmerzensgeldobergrenze eine veränderte Einstellung gegenüber immateriellen Schäden zeigt und diese Anpassungs- und Umwertungsprozesse durch einen unflexiblen Höchstsatz unterbunden würden. Vor allem aber kollidierten derartige Kappungsgrenzen mit dem Grundsatz des vollen Schadensersatzes und gerieten damit in Gegensatz zu allen drei wichtigen Funktionstheorien. Eine Steuerung des Judizes durch Haftungsbegrenzungen würde damit durch kaum hinnehmbare Eingriffe in die Strukturen des Schadensrechts erkauft. Daß im übrigen zumindest das Judiz professioneller Juristen tatsächlich funktioniert, legen entsprechende Studien zwar nahe, aber angesichts der heftigen Debatten, die innerhalb der empirischen Sozialwissenschaften dazu geführt werden, kann dies gegenwärtig nicht mit der in diesen Forschungszweigen notwendigen Sicherheit „bewiesen“ werden. Letzte Zweifel an der Leistungsfähigkeit der Billigkeitsentscheidung können also auch auf diesem Weg nicht ausgeräumt werden. Deutlich ist aber auch, daß die empirischen Wissenschaften ebenso wenig einen gangbaren Weg zur Bestimmung „exakter“ Schmerzensgelder vorgelegt haben.
VI. Problemlösungen de lege ferenda Wer von dem vorgeschlagenen Lösungswege einer auf das Judiz angewiesenen Schmerzensgeldbemessung ebenso wenig überzeugt ist, wie von den verschiedenen Versuchen einer „exakten“ Zumessung, mag sich Gedanken über gesetzgeberische Eingriffe machen. In der deutschen und internationalen Diskussion wird dabei eine ganze Reihe von Maßnahmen unterschiedlicher Radikalität vorgeschlagen, die zu heterogen sind, um sie hier im Einzelnen zu würdigen. Es kann also im Folgenden nur darum gehen, schlaglichtartig die wichtigsten Konzepte zu beleuchten und zu bewerten.
1. Abschaffung des Schmerzensgeldanspruchs Eine Streichung des schadensersatzrechtlichen Schmerzensgeldanspruchs wird von Vertretern beider Seiten des Meinungsspektrums vertreten: Konsequentialisten halten ihn wegen seiner Unversicherbarkeit für ineffizient151 und auch einige AntiKonsequentialisten rufen unter Berufung auf die Inkommensurabilität des Schmerzensgelds oder aus ethisch-moralischen oder rechtsstaatlichen Motiven nach einer Abschaffung von Ersatzansprüchen für immaterielle Schäden. Statt dessen sollte 151
Jaffe, Law & Contemp. Probs. 18, 1953, S. 224.
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D. Wege aus dem Dilemma
Unfall- und Verbrechensopfern mit den Mitteln des Strafrechts oder Wohlfahrtseinrichtungen geholfen werden.152 Gegen eine Abschaffung des Schmerzensgelds spricht nicht nur, daß sie wohl kaum mehrheitsfähig in einer Bevölkerung sein wird, die weiterhin von der Gerechtigkeit des Schmerzensgeldanspruchs überzeugt ist.153 Sofern auf die Inkommensurabilität verwiesen wird, muß das gewichtige, von Wagner formulierte Argument berücksichtigt werden, daß Bemessungsschwierigkeiten nicht zu der falschen Folgerung verführen dürfen, dann gar nichts zu bezahlen.154 Dies würde nicht nur falsche Präventionsanreize setzen, sondern auch zu massiven Unterschieden im Rechtsschutz materieller und immaterieller Güter führen, die auch mit Hinweis auf alternative Bewältigungsformen kaum noch begründbar wären.155 Von diesen Wertungsfragen abgesehen bleibt außerdem zu beachten, daß trotz vielerorts heftiger Diskussionen, die gesetzgeberischen Tendenzen sowohl in der europäischen Rechtsprechung156 und Gesetzgebung,157 als auch in den meisten anderen Rechtstraditionen eher zu einer Ausweitung als zu einer Abschaffung des Schmerzensgeldanspruchs tendieren.158 Deutschland stünde also mit einer Ablehnung alleine da.
2. Symbolisches Schmerzensgeld Ein Alternativvorschlag besteht darin, auf den Anspruch einer „Bemessung“ des Schmerzensgelds zu verzichten und statt dessen ein symbolisches Schmerzensgeld zu verhängen.159 In der Diskussion taucht die Idee symbolischen Ersatzes immer wieder auf, meist als hilflos erscheinender Versuch, in Fällen des Versagens „echten Schadensersatzes“ dem Opfer oder der Gesellschaft die Anerkennung des verletzten Guts 152
Vgl. King, SMU L. Rev. 57, 2004, S. 163 ff. Ebenso HKK/Jansen, §§ 249 – 253, 255, Rn. 54. 154 Kötz/Wagner, Rn. 701. 155 Rauscher, JURA 2002, S. 577. 156 Vgl. etwa zum Ersatz immaterieller Schäden im Reisevertragsrecht: EuGH NJW 2002, S. 1255 (Leitner/Tui); hierzu auch die Anmerkungen: Roth, CMLR 40, 2002, S. 937 ff.; Tonner/Lindner, NJW 2002, S. 1475; Doehner, EuZW 2002, S. 340 ff. 157 Art. III.–3:701, VI.–2.101, VI.–2.202, VI.–6.106 DCFR, zit. n.: von Bar/Clive/SchulteNölke, DCFR; krit. zur dort vorgenommenen Regelung immaterieller Schäden: Brüggemeier, in: FS Deutsch, S. 749, bes. 762, 766 f.; Whittaker, S. 112 – 114; Eidenmüller/Faust/Grigoleit u. a., JZ 2008, S. 539; vgl. auch Artt. 2:101, 10:301 PETL und die entsprechende Kommentierung: European Group on Tort Law (Hg.), Principles, S. 27 – 29, 171 – 178; krit.: van den Bergh/Visscher, ERPL 2006, S. 511. Zur Harmonisierung insgesamt: Wagner, CMLR 42, 2005, S. 1269 ff. 158 Vgl. zu Reformvorschlägen in Österreich: Taupitz/Pfeiffer, JBl. 132, 2010, S. 98 – 100 mit Hinweisen auf richterliche Rechtsfortbildung contra legem bereits nach dem existierenden Recht. 159 Vgl. die Überlegungen zum nominellen Schadensersatz bei: Brüggemeier, FS Heinrichs, S. 79. 153
VI. Problemlösungen de lege ferenda
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zu signalisieren. So wurde die Zuerkennung „symbolischer Kompensation“ vertreten, um beim Versterben des Opfers den erloschenen Anerkennungsanspruch des Geschädigten in der Gegenwart noch achten zu können.160 Die Kommensurabilitätsproblematik würde beseitigt, indem seitens des Gesetzgebers oder des Richters eine Summe verhängt würde, die von vorneherein nicht darauf abzielt, eine vollständige Kompensation zu bewirken, sondern lediglich dem Kläger signalisieren soll, daß seine Einbuße von der Rechtsordnung wahrgenommen worden ist. Der einzige Zweck, den ein solches „Schmerzensgeld“ noch erfüllte, wäre die Erfüllung der expressiven Funktion des Rechtsspruches. Die einzige Antwort des Rechts auf die Verletzung wäre, daß eine Antwort gegeben wird.161 Dem Geschädigten wird einerseits signalisiert, daß er und sein Opfer wahrgenommen wird, gleichzeitig zeigt das symbolische Schmerzensgeld an, daß diesem Opfer in gewisser Weise auch eine Werteinheit zugeordnet wird. Da das Recht aber nicht weiß, wie hoch dieser Wert ist, verbleibt es bei einem bewußt willkürlich kleinen „Ersatz“. Eine derartige Lösung ist früher vom BGH in Fällen der Persönlichkeitszerstörung gewählt worden, weil man keine Anknüpfungsmöglichkeiten für den Ersatzanspruch an der Ausgleichs- oder Genugtuungsfunktion sah.162 Allerdings war dies keine echte symbolische Leistung, da auch dieses „zeichenhafte“ Schmerzensgeld für den Schädiger „fühlbar“ sein sollte163 und deshalb stets mit mehr als 10.000 E bemessen wurde. Ähnliches wurde teilweise für die Fallgruppe eines kurz nach dem Unfall versterbenden Opfers vertreten, auch hier mit unterschiedlichen Bemessungshöhen.164 Im Übrigen lehnt aber die Rechtsprechung die Verhängung nur symbolischer Schmerzensgelder selbst dann ab, wenn der Schädiger durch seine Ersatzpflicht in wirtschaftliche Not gerät.165 Gegen die Verhängung symbolischer Schmerzensgelder läßt sich einiges vorbringen. Jedenfalls wäre dies kein Schadensersatz, der diesen Namen noch verdient.166 So ließe sich kaum begründen, ob dieses symbolische Schmerzensgeld für alle Fallgestaltungen gleich oder unterschiedlich hoch bemessen werden soll, ob es 1, 1000 oder 100.000 E betragen soll. Jedenfalls dann, wenn alle immaterielle Schäden gleich bewertet würden oder wenn die Höhe auf Minimalbeträge wie 1 E festgelegt würden, stellte sich die Frage, ob der gewünschte Zweck, dem Opfer eine Anerkennung seines immateriellen Schadens zu signalisieren, überhaupt verstanden würde.
160
Meyer, in: Kruip, S. 65 – 78. Vgl. Robbennolt/Darley/MacCoun, Brook. L. Rev. 68, 2003, S. 1131 ff. 162 BGH NJW 1976, S. 1147; BGH NJW 1982, S. 2123. 163 BGH NJW 1976, S. 1147, 1149. 164 OLG Stuttgart VersR 1994, S. 736; OLG Rostock, 1 W 86/98, Juris, Rn. 56 m. w. N. 165 OLG Köln VersR 2002, S. 65. 166 So mit Blick auf den „symbolischen Franc“ in Frankreich: Schlechtriem, ZEuP 1997, S. 235 f. Gegen eine Symbolfunktion auch: Esser/Weyers, § 61 III 1 b), S. 245. 161
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D. Wege aus dem Dilemma
3. Autoritative Festlegung des Schmerzensgeldumfangs Eine Reihe von Vorschlägen zielt auf eine aktivere Gestaltung der Bemessung durch den Gesetzgeber.167 Dies kann auf unterschiedlichem Wege geschehen. a) Gesetzliche Schmerzensgeldtabelle Die extremste Lösung wäre eine Festlegung fester Taxen durch den Gesetzgeber, also eine Art gesetzlich verankerte Schmerzensgeldtabelle. Kaum ein Gesetzgeber brächte allerdings die Phantasie auf, sich alle Schadensfolgen, jeweils in Kombination mit den anderen bemessungsrelevanten Faktoren vorzustellen oder ein Berechnungssystem zu erdenken, das sie berücksichtigt. Es wäre also gerade die Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls, die verloren ginge. b) Bindung an „objektive“ Schadensposten, Kappungsgrenzen oder Rahmenwerte Alternativen bestünden in einer gesetzlich festgeschriebenen Orientierung des Schmerzensgelds an objektiven Verletzungsschäden, der Festsetzung von Schmerzensgeldhöchstbeträgen oder von strafrahmenähnlichen Korridoren. Dabei könnte das Schmerzensgeld durch mathematische Bezugssysteme aus klar objektivierbaren Faktoren, wie Minderung der Erwerbsfähigkeit, der objektiven Verletzungsschwere oder dem Umfang des Sachschadens abgeleitet werden. Ansätze, etwa Personenschäden pauschal und ohne Berücksichtigung der jeweils individuellen Auswirkungen objektivierend zu bewerten, hat Stoll in mehreren ausländischen Rechtsordnungen gefunden.168 Alternative Möglichkeiten wären die Festlegung einer Haftungsobergrenze, wie sie etwa im Bereich der Gefährdungshaftung schon besteht, oder die Vorgabe von groben Rahmenwerten nach Kriterien wie „leichte, mittlere oder schwere Verletzung“, also eine den Strafrahmen vergleichbare Orientierung. Gerichtliche oder behördliche Festlegungen finden sich im europäischen Rechtsraum ebenso wie Berechnungsschlüssel, die sich an objektivierbaren Kriterien orientieren.169 Dies gilt sogar für das deutsche Recht im Bereich der Haftentschä167 So auch Reformvorschläge im angelsächsischen Bereich: Zavos, Loy. L.A. L. Rev. 43, 2009, S. 271: “I propose a legislatively created monetary scale that can be used to express the relative gravity of noneconomic injuries or losses in terms of dollars.“ 168 Stoll, Haftungsfolgen, Nr. 237. 169 Vgl. für Frankreich: Backu/Wendenburg, DAR 2006, S. 547 (gerichtliche Tabellen); für Italien: Backu, DAR 2003, S. 345 f. (Orientierung am Umfang der Erwerbsminderung); für Spanien: Ders./Naumann, VersR 2006, S. 766 – 769 (behördlich festgelegte Taxen); für Dänemark: Wezel, DAR 1991, S. 133 f. In Dänemark wird Schmerzensgeld als Pauschale in Höhe von derzeit 150 dKr pro Krankheitstag bezahlt.
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digung, wo § 7 III StrEG pauschal 25 E pro angebrochenen Hafttag zuspricht,170 und des Schadensersatzes gem. § 15 AGG, wo der Ersatz immaterieller Schäden bei diskriminierender Nichteinstellung nach oben auf drei Monatsgehälter begrenzt wird.171 Derartige Berechnungsmethoden haben auf den ersten Blick einige Vorteile. Sie entheben die Parteien und Gerichte der Aufgabe der Bestimmung von Schadensumfang und -höhe und zeigen sich gleichzeitig hinreichend flexibel gegenüber der Verletzungsschwere. Die Wahrnehmung der Bemessungsaufgabe durch den Gesetzgeber würde dessen Verantwortung für Eingriffe in Vermögensrechte signalisieren, diente der Verdrängung von Billigkeitsargumenten zugunsten generell-abstrakter und damit vor allem berechenbarer Normierung. Kappungsgrenzen könnten, sofern entsprechende psychologische Untersuchungen zutreffen, außerdem zur Folge haben, daß die ausgeworfenen Beträge enger beieinander lägen als heute.172 Gegen eine Übertragung derartiger Bemessungsmethoden im Bereich des § 253 Abs. 2 sprechen allerdings, neben den oben bereits hinsichtlich von Kappungsgrenzen genannten Argumenten,173 gewichtige Gründe: So verschiebt diese Methode die Bemessungsaufgabe lediglich innerhalb des Systems der Gewaltenteilung. Da auch der Gesetzgeber nicht weiß, wie hoch der „eigentliche Schaden“ ist, ginge die Diskussion über über- oder unterkompensatorisches Schmerzensgeld weiter. Letztlich handelte es sich um nicht mehr als die gesetzliche Anordnung von Schmerzensgeldtabellen, noch dazu mit geringerer Anpassungsfähigkeit, denn Gesetzgeber oder Verwaltung könnten weder Änderungen der gesellschaftlichen Wertungen noch Preisänderungen ebenso flexibel in die Bemessung einpreisen, wie Gerichte. Auch die Orientierung am objektiven Verletzungsschaden überzeugt nicht: Nimmt man beispielsweise die Minderung der Erwerbsfähigkeit als Ausgangspunkt für die Bemessung des immateriellen Schadens, würde gerade dessen immaterieller Charakter völlig verfehlt.174 Vor allem aber wäre die Anknüpfung an die genannten Bemessungskriterien insofern willkürlich, als die gesamte Bemessung an diesem einzigen Kriterium hinge und alle anderen Besonderheiten des Einzelfalls außer Betracht blieben, auch wenn gerade sie dem Fall ihr besonderes Gepräge verleihen. Über- und Unterkompensation würden die Regel sein, denn nicht jeder besonders schwerwiegende Gesundheitsschaden wird von gleichermaßen schwerwiegenden immateriellen Beeinträchtigungen begleitet und umgekehrt. Köndgen hat daher zu
170
Näher: Unterreitmeier, S. 141. Zur Höchstgrenze des AGG, auch im internationalen Vergleich, vgl. MüKo/Thüsing, § 15 AGG, Rn. 11. 172 Vgl. oben, Kap. D. V. II. 173 Vgl. oben, Kap. D. V. II. 174 So bereits aus der Perspektive des DDR-Rechts deutlich: Posch/Fritsche/Wedekind, NJ 1987, S. 112. 171
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D. Wege aus dem Dilemma
Recht festgestellt, daß derartige Mechanismen nicht funktionieren „ohne den Ausgleich solcher psychischen Einbußen überhaupt zu pervertieren.“175
4. Zwischenergebnis Die genannten Einwände lassen erkennen, daß auch Gesetzesänderungen die Problematik des Ersatzes immaterieller Schäden höchstens verlagern, aber nicht beseitigen können. Der erwünschte einfache Weg aus dem Bemessungsproblem läßt noch auf sich warten.
175 Köndgen, Haftpflichtfunktionen, S. 140, der allerdings gleichzeitig für eine primäre Anknüpfung an schematisierten Verletzungsfolgen plädiert, denen gegenüber Faktoren persönlicher Art nur nachrangig zu behandeln wären: Ebd., S. 141.
E. Ergebnisse Gegenstand der vorangegangenen Untersuchung war die Frage nach der sicheren Bemessung des Schmerzensgelds im Spannungsfeld zwischen Ausgleich und Billigkeit. Es sollte geklärt werden, ob die gegenwärtige Theorie und Praxis in der Lage sind, Schmerzensgelder in einer prognostizierbaren Form exakt zu bestimmen. Weiter war zu fragen, ob dieses Ziel überhaupt vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Ziele des Haftungsrechts erreichbar ist. Und schließlich sollte versucht werden zu klären, ob dieses Ziel überhaupt wünschenswert ist und welche Ergebnisse eine abweichende Perspektive mit sich brächte. Es konnte dabei gezeigt werden, daß die gegenwärtig in Deutschland ausgeworfenen Schmerzengelder den Ansprüchen einer präzisen, das heißt überpersonal reproduzierbaren, Bemessung nicht gerecht werden. Selbst Schmerzensgeldbeträge zu äußerst nahe beieinander liegenden Fallgestaltungen weisen regelmäßig große Spannbreiten auf. Schmerzensgeldtabellen sind dabei kein taugliches Rationalisierungsinstrument. Aufgrund diverser Verzerrungseffekte bei der Sammlung und Verarbeitung der entsprechenden Daten sind sie vielmehr als scheinrationales Hilfsmittel zu betrachten, das die richterliche Tätigkeit vom zu entscheidenden Fall ablenkt. Die Varianzen bei den Ersatzsummen sind nicht allein durch die Besonderheiten von Körper- und Gesundheitsschäden, sondern bereits dadurch bedingt, daß in einer lebendigen Rechtsordnung notwendig unterschiedliche Wertungen entscheidungserheblich werden. Diese bemessungsrelevanten Wertungsunterschiede sind in letzter Zeit eher größer als kleiner geworden. Sie sind aber als notwendiger und über Art. 97 GG auch grundgesetzlich geschützter Ausfluß richterlicher Unabhängigkeit hinzunehmen. Weiter konnte gezeigt werden, daß auch dann, wenn man den Meinungsstreit über die Ziele des Schmerzensgelds außer Acht läßt und nur auf der Basis der einzelnen Funktionstheorien nach einer sicheren Bemessungsgrundlage sucht, kein vertretbares Ergebnis gefunden werden konnte. War somit erwiesen, daß das Ideal der Exaktheit von Schmerzensgeldern gegenwärtig nicht zu erreichen ist, verlagerte sich die Blickrichtung auf die Frage, ob auch jenseits dieses Präzisionsanspruchs eine juristisch vertretbare Begründung für die Bemessung von Schmerzensgeldern gefunden werden kann. Die Lösung wurde dabei einerseits in einer Aufwertung der bislang eher ausgeblendeten Billigkeitsanordnung gesehen, andererseits in einer präziseren Bestimmung dessen, was den ausgleichspflichtigen Immaterialschaden ausmacht. Eine Präzisierung des immateriellen Schadens ließ sich erreichen, indem die bisher dominierende Funktionsperspektive aufgegeben und der Blick auf die rechtsgutsbewahrende Funktion des
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E. Ergebnisse
Schmerzensgelds gerichtet wurde. Die gesetzliche Anordnung eines Ersatzanspruchs selbst in einem Bereich, der allgemein als inkommensurabel bezeichnet wird, kann nur mit dem Schutz der in § 253 Abs. 2 enumerierten Rechtsgüter erklärt werden. In dem Umfang, in dem diese Güter durch den Schädiger beeinträchtigt werden, hat er Ersatz zu leisten. Soweit sie vom Kläger im Prozeß artikuliert werden, berücksichtigt diese Perspektive auch sog. „Gefühlsschäden“. Sie kann auch das Täterverhalten einbeziehen, sofern sich dieses auf die Beeinträchtigung des klägerischen Freiheitsraums ausgewirkt hat. Ist somit der Schaden präzise definierbar, geht es beim Billigkeitsurteil um die Bemessung des Ersatzes in Geld. Eine präzise Definition des Billigkeitsbegriffs konnte zeigen, daß damit eine Perspektivvorgabe an den Rechtsanwender gemeint ist. Dieser soll sein Bild so fein rastern wie möglich und seine Entscheidung am vor ihm liegenden Fall ausrichten. Ausscheiden müssen damit Versuche, über den Schmerzensgeldanspruch sozialtechnologisch die gesellschaftlichen Zustände zu bessern oder die Gesamtwohlfahrt zu erhöhen. Auch mißtraut der Gesetzgeber dem vorgeblichen Informationsvorsprung alternativer Wissensspeicher, sondern er vertraut dem richterlichen Judiz die Entscheidung eines Einzelfalls an. Diese richterliche Einzelfallentscheidung ist im Ergebnis notwendigerweise nicht intersubjektiv nachprüfbar richtig, aber dennoch vor dem Hintergrund der schadensersatzrechtlichen Äquivalenzidee gerecht.
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Sachwortverzeichnis Affektionsinteresse 108 Algesimetrie 26, 122 Alles-oder-Nichts-Prinzip 90 Allgemeine Handlungsfreiheit 30 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) 22, 46, 114, 137 Allgemeines Lebensrisiko 21, 121 Allgemeines Persönlichkeitsrecht (APR) 13, 17, 19 f., 46 Allokationseffizienz 15 Alter des Geschädigten 57, 59 Amtspflichtverletzung 20 Angehörigenschmerzensgeld 17, 72 Antikonsequentialismus 100 f., 106, 133 Anwaltsvertrag 21 Äquivalenz 26 Äquivalenzprinzip 26, 84, 108, 115, 117, 119, 140 Arbeitsrecht 111 f. Arzthaftungsrecht 35 f., 48, 52, 59, 64, 66 f., 72, 89 – Apallisches Syndrom 66 f., 69 – apallisches Syndrom 71 f. – Geburtshilfefehler 58, 67 – Locked-In-Syndrom 67, 69 Aufsichtspflichtverletzung 73 Ausgleichsfunktion 13, 20, 28 – 33, 35 – 38, 42, 47, 65, 81 – 84, 86 f., 89, 91, 99, 101, 107, 116 f., 138 f.
Bagatellverletzungen 21, 77 Begehrensneurose 106 Behandlungskosten 23 Belgien 64 Bemessungsproblem 26, 41, 107, 138 Bereicherungsverbot 32 Berufswahl 30, 82 Bewußtlosigkeit 30 f., 69 – 71 Billigkeit 15, 26, 28, 39, 46, 48, 52, 87 – 90, 98, 100 f., 107 – 116, 121, 124 – 129, 139 f.
Bindungswirkung von Präjudizien 50, 127 – 129 Buße 28 Doppelfunktionslehre
28, 32 f., 35, 37, 42
Ehrverletzungen 19, 23 Erwerbsschäden 82 Ex-ante-Schmerzensgeld 92 f. Ex-post-Schmerzensgeld 83, 91 – 93 Externalisierungseffekte 95 Fahrlässigkeit 34, 36 f., 74 f., 77, 88 Frankreich 16, 24, 64 f., 135 f., 141 Freiheit 13, 19, 25 f., 37, 63, 80, 99, 107, 113, 117, 119 Funktionen des Schmerzensgelds 14 f., 27 f., 81, 98, 126 Gefährdungshaftung 19, 21, 32, 37 – 41, 79, 88, 123, 132 f., 136 Gefühlsschaden 31, 38, 108, 112, 119 – 121, 140 Geldersatzanspruch 17, 19 f., 22, 46, 117 Genugtuungsfunktion 15, 27 f., 31 – 37, 39 – 41, 59 f., 74, 79, 86 – 91, 112, 123, 125, 135 Gerechtigkeit 7, 15, 21 f., 47, 51, 111 f., 114, 127, 134 – kommutative 15, 110 Gesundheitsbeschädigung 19, 21, 25, 85, 91, 103, 113, 117, 119 f., 122 Gewinn, entgangener 19 Gleichbehandlungsgrundsatz 49, 52, 88 Großbritannien 72 Haftungsobergrenze 136 Hedonic adaption 86, 106 Hedonic value 44 Humankapitalansatz 93
Sachwortverzeichnis Inflationseffekte 67, 70, 73 Inkommensurabilität 13, 16, 25 f., 83 – 85, 99 – 103, 107, 121, 129, 133 f., 140 Inkommensurabilitätsparadoxon 25, 83, 106 Integrität, körperliche 13 Italien 76 Judiz
63, 127, 129 – 133, 140
Kappungsgrenzen 133, 136 f. KFZ-Halterhaftung 39 f. Kommensurabilität 14, 99, 103 Kommerzialisierungsthese 25 Kompensation 24, 84, 86, 91, 107, 135 Konsequentialismus 100, 102, 133 Körperverletzung 19, 31, 34, 63, 97, 107, 113, 119 f., 122, 139 Marktersatzfunktion 63, 79, 100, 109, 129 Menschenwürde 31, 95, 105, 118 Mitverschulden 57, 59, 61 f., 67, 69, 72 f., 75, 128 Naturalrestitution 23 f., 53, 81, 103 – 106 ne bis in idem 45 ne bis in idem 14 Ökonomische Analyse des Rechts 13, 16, 29, 42 – 44, 46 f., 81, 84, 91, 97, 100, 102 – Behavioral approach 44 Opferschutz 20, 53, 117 Österreich 71 f., 76, 117, 134 Posttraumatische Belastungsstörung 53 Präjudizienbindung 54 Präventionsfunktion 14 f., 33, 42 f., 45 f., 84, 91, 95, 97 Präzedenzentscheidungen 52 Privatstrafe 33, 101, 116 Prozeßkostenhilfe (PKH) 40 f., 48, 60 Prozeßökonomie 33, 78, 120 Psychologie 85, 96 f., 104 – 106, 123, 137 Psychotraumaforschung 53, 105 Punitive damages 46, 132 Querulanten
105 f.
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Rechtsanwendungsgleichheit 51, 64, 98 f., 126, 132 Rechtsgüterschutz 43, 115, 117 – 119 Rechtskraft 60 Rechtspolitik 47 – 49, 120, 126 Rechtssicherheit 49, 51, 64, 98 f., 126 Rechtsstaatsprinzip 98 Rechtsvereinheitlichung, europäische 16 Regulierung, verzögerte 40 Restitution 81 Richterliche Freiheit 79, 101, 113, 125, 139 Schaden, immaterieller 13, 18, 26, 29 f., 81, 86, 112, 117 – 119, 121, 123 f., 135, 137, 139 Schadensausgleich, verzögerter 34 Schadensbegriff 24, 116, 123 Schadensersatzänderungsgesetz, zweites 15, 18 f., 28, 32, 37, 39, 65, 89 f., 117 Schadensersatzanspruch 14, 20, 28, 101 Schadensschätzung 39, 101, 106, 113 f., 119, 123 Schadenstatbestand 16 f., 118 Schädigung des Kopfhaars 75 – 78 Schmerz 13, 78, 82, 97, 102 Schmerzensgeldrente 44, 58, 61 f., 67, 128 Schmerzensgeldtabellen 27, 49 – 56, 58, 60, 62 f., 65 f., 74 f., 79, 97, 123, 126, 129, 131, 136 f., 139 Schockschaden 17, 21, 124 Schweiz 72 Sexuelle Selbstbestimmung 22, 124 Sportunfälle 36, 88 Strafrecht 14, 33, 45, 47, 95, 108, 116 f., 121, 134 Sühnefunktion 14 f. Symbolisches Schmerzensgeld 31, 134 f. Tierhalterhaftung 39, 41 Totalreparation 47, 83, 88 Tötungsschaden 19, 21, 44, 46, 91, 93 – 96, 141 Unterhaltsrecht 109, 111 Urheberrecht 89 f., 113 USA 44, 56, 64, 72, 75, 78, 80, 86, 94, 131 f. Utilitarismus 85, 100, 102
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Sachwortverzeichnis
Vergeltung 33 Vergleichsrechtsprechung 14, 27, 49 – 55, 61 f., 75, 78 – 80, 98, 125 – 129, 131 Verhaltenssteuerung 43 Verkehrsunfallrecht 35 – 37, 40, 45, 47, 52, 59, 65 – 67, 88 Vermögensschaden 13, 18 f., 21, 43, 81 f., 90, 104, 107, 115, 119 – 121, 131 Verschulden 28, 32, 34 – 40, 51, 59, 65, 79 f., 83, 88 f., 123, 125 Versicherung 14, 21, 32, 34, 47, 88, 92 – Haftpflichtversicherung 34, 41, 49, 64 Versicherungsrecht 14 Versicherungswirtschaft 48, 51, 64, 92 Verteilungsgerechtigkeit 15
Vertragsbruch 19 Vertragsrecht 19 Vertragsverletzungen 21 Verwaltungsrecht 14, 45 Vorsatztaten 34, 88, 124 Willingness-to-accept-Methode 93 f., 96 Willingness-to-pay-Methode 93 f., 96 Willkür 17, 87, 97, 114, 116, 130, 135, 137 Zeigefingerverlust 59, 72 – 75, 120 Zerstörung der Persönlichkeit 31, 47, 67, 69 f., 135 Zumutbarkeitsgrenze 48