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German Pages 412 [410] Year 2016
Geschichte und Kultur des modernen Vorderen Orients Herausgegeben von Michael Ursinus, Christoph Herzog, Raoul Motika
38 Elif Elmas
Die Balkankrise von 1875 bis 1878 im Spiegel osmanischer und westlicher Karikaturen
Dieses Buch gibt anhand von graphischen Bildsatiren einen Einblick in die satirische Bearbeitung der Balkankrise von 1875-1878. Ab den 1870er Jahren erschienen erstmals karikaturistische Satirezeitschriften in osmanischem Türkisch. Die Autorin widmet sich den satirischen Publikationen des wichtigsten Protagonisten dieser Jahre: Teodor Kasap, dem die Synthese des westlichen Konzepts einer Satirezeitschrift mit einer der populärsten Formen osmanischer Satire, dem Schattentheater Karagöz, gelang. Die Herausgeber von Satirezeitschriften hatten die Absicht, nicht nur zur Unterhaltung ihres Publikums beizutragen, sondern auch zur (politischen) Meinungsbildung. Verleger wie Teodor Kasap oder Mehmed Tevfik wussten um die Macht ihrer Blätter und nutzten sie als Medium zur Verbreitung eigener Gedanken, Ideale und Ansichten. Exemplarisch untersucht die Autorin unter anderem die Satirezeitschrift Hayal.
Elif Elmas hat Geschichte und Kultur des Nahen Ostens sowie Erziehungswissenschaften studiert. Ihre Forschungsschwerpunkte sind die osmanische Geschichte sowie die politischen Entwicklungen im Nahen- und Mittleren Osten. Sie wurde an der Philosophischen Fakultät der Universität Heidelberg promoviert.
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Die Balkankrise von 1875 bis 1878 im Spiegel osmanischer und westlicher Karikaturen
Geschichte und Kultur des modernen Vorderen Orients History of Culture of the Modern Near and Middle East Heidelberger Studien Heidelberger Studies Herausgegeben von Michael Ursinus, Christoph Herzog und Raoul Motika Edited by Michael Ursinus, Christoph Herzog and Raoul Motika
Band/Volume 38
Elif Elmas
Die Balkankrise von 1875 bis 1878 im Spiegel osmanischer und westlicher Karikaturen
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Zugl.: Univ., Heidelberg, Diss., 2014
D16 ISSN 2199-137X ISBN 978-3-631-67377-5 (Print) E-ISBN 978-3-653-06636-4 (E-Book) DOI 10.3726/ 978-3-653-06636-4 © Peter Lang GmbH Internationaler Verlag der Wissenschaften Frankfurt am Main 2016 Alle Rechte vorbehalten. PL Academic Research ist ein Imprint der Peter Lang GmbH. Peter Lang – Frankfurt am Main · Bern · Bruxelles · New York · Oxford · Warszawa · Wien Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Diese Publikation wurde begutachtet. www.peterlang.com
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde von Prof. Dr. Michael Ursinus angeregt und betreut. Im Mai 2014 wurde sie von der Philosophischen Fakultät der RuprechtKarls-Universität Heidelberg mit dem Titel Die Balkankrise von 1875–1878 im Spiegel osmanischer und westlicher Zeitschriften als Dissertation angenommen. Sie ist im Rahmen des transkulturellen Cluster-Projekts ‘Gauging Cultural Asymmetries: Asian Satire and the Search for Identity in the Era of Colonialism and Imperialism’ unter den Auspizien des Heidelberg Cluster of Excellence ‘Asia and Europe in a Global Context: Shifting Asymmetries in Cultural Flows’ entwickelt und gefördert worden. Diese Arbeit entstand im Rahmen des Projektes B1, dass von Herrn Professor Dr. Hans Harder und Frau Professorin Dr. Barbara Mittler geleitet wurde. Den thematischen Kontext der osmanistisch ausgerichteten Arbeit bot das Forschungsprojekt „Asian Satire“, welches unterschiedliche Forschungsarbeiten zur Satire Japans, Ägyptens, des indischen Maharashtra, Nordindiens, Bengalens sowie Chinas vereinte. Insgesamt sollen sieben Dissertationen im Rahmen dieses Projektes entstehen. Bislang sind zwei Arbeiten veröffentlicht worden: Die Arbeit von Dr. Eliane Ursula Ettmüller erschien 2012 unter dem Titel The Construct of Egypt´s National-Self in James Sanua´s Early Satire and Caricature im Klaus Schwarz Verlag. Der Forschungsbeitrag von Dr. Sonja Margaretha Hotwagner erschien 2013 als Onlinepublikation unter dem Titel Karikatur und Satire zur Zeit des Russisch – Japanischen Krieges 1904–1905. Außerdem ist der Tagungsband Asian Punches. A Transcultural Affair unter der Herausgeberschaft von Prof. Dr. Hans Harder und Prof. Dr. Barbara Mittler im Jahre 2013 erschienen, der die unterschiedlichen Beiträge zusammenfasst, die während der Punch Konferenz im November 2009 präsentiert worden waren. Es stehen die Arbeiten zur Satire des indischen Maharashtra, Nordindiens, Bengalens und Chinas noch aus. In erster Linie gebührt mein besonderer Dank meinem Doktorvater Herrn Professor Dr. Michael Ursinus für seine Geduld, seine fachliche Unterstützung in jeglicher Hinsicht, sein Gespür für die richtigen Fragen und sein stets offenes Ohr. Mein ganz herzlicher Dank gilt meiner Zweitgutachterin Frau Professorin Dr. Susanne Enderwitz, die ebenso mit sehr großem Interesse und großer Aufmerksamkeit meine Arbeit verfolgte und mit Ratschlägen und konstruktiver Kritik mir zur Seite stand. Ebenfalls gilt mein Dank Frau Professorin Dr. Barbara Mittler sowie Herrn Professor Dr. Hans Harder für ihre Unterstützung. 5
Desgleichen gilt mein Dank Herrn Professor Dr. Tobias Heinzelmann für seine konstruktive Kritik und seinen fachlichen Rat. Auch Herrn Professor Dr. Erdal Toprakyaran bin ich in dieser Hinsicht zu Dank verpflichtet. Ganz herzlich bedanke ich mich bei Dr. Johannes Zimmermann, der sich besonders intensiv mit meiner Arbeit auseinander gesetzt hat und mit seinen zahlreichen Anregungen, Ratschlägen und seiner Kritik sehr zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen hat. Auch möchte ich meinen Mitdoktorandinnen Dr. Eliane Ettmüller, Dr. Sonja Hotwagner, Swarali Paranjape und Chaiti Basu sowie meinen Kollegen Prabhat Kumar wie auch I-Wei Wu besonders für die fruchtbare Zusammenarbeit danken. Für Hinweise, Anregungen und Korrekturlesungen danke ich Minnet Atil, Funda Şen sowie Karin Diener, Marianne Laurig, Hedwig Schilling und Ulrike Schlüter-Wahala. Ein ganz besonderer Dank gilt meinen Eltern und meiner Familie sowie allen anderen, die mich in dieser Zeit tatkräftig unterstützt haben.
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Abkürzungsverzeichnis Abb. Abbildung EI2 The Encyklopaedia of Islam. New Edition. Leiden 1960ff. No. Nummer o. S. ohne Signatur H. hicri Hg. Herausgeber İA İslām Ansiklopedisi. Ankara, Istanbul: 1940–1986. R. rumi S. Seite Vgl. Vergleiche Die nach dem gregorianischen Kalender umgerechneten Daten werden in eckigen Klammern angeführt.
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Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung...............................................................................................13 1.1 Stand der Forschung..........................................................................21 1.2 Begriffsbestimmungen......................................................................24 1.3 Zur Auswahl der Quellen..................................................................28 1.4 Anmerkungen zur Auswahl der Karikaturen und zu ihrer Interpretation.................................................................34 1.5 Aufbau der Arbeit..............................................................................40
2. Die Anfänge des privatwirtschaftlich geführten Pressewesens im Osmanischen Reich............................................45 2.1 Die Entfaltung der satirischen Presse in Istanbul bis 1877...............57 2.2 Formen verbaler und visueller Satire im Osmanischen Reich vor 1870...........................................................76 2.2.1 Das osmanische Schattentheater Karagöz................................ 79 2.3 Der Einfluss visueller und verbaler Satire auf die osmanischsprachige Satirepresse................................................84
3. Teodor Kasap und seine Satirezeitschrift Hayal.......................91 3.1 Zur Biographie von Teodor Kasap....................................................91 3.2 Der Beitrag von Kasap zur osmanischsprachigen Literatur der späten Tanzimat-Periode..............................................95 3.3 Die Satirezeitschrift Hayal................................................................98 3.4 Die Inhalte von Hayal – Ein Überblick..........................................112 3.5 Kasaps Kritik am osmanischen Theater..........................................114 3.6 Das Schattentheater Karagöz als Leitmotiv von Hayal..................124 3.7 Hayal und ihre Öffentlichkeit.........................................................132
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3.8 Hayal und die zeitgenössische osmanische Presse.........................139 3.9 Hayal und die osmanische Pressezensur.........................................147
4. Die Balkankrise von 1875–1878 im Spiegel von Hayal..........165 4.1 Die frühe Phase der Balkankrise.....................................................165 4.2 Der Bulgarische Aprilaufstand von 1876........................................169 4.3 Der Serbisch-Osmanische Krieg von 1876.....................................176 4.4 Die Darstellung der unterschiedlichen Interessensphären und Interessenskonflikte am Vorabend des RussischOsmanischen Krieges in Karikatur.................................................189 4.5 Die Konferenz von Konstantinopel 1876/77 und die Proklamation der osmanischen Verfassung.....................................195 4.6 Das „Londoner Protokoll“..............................................................207 4.7 Die „Orientalische Frage“...............................................................213 4.8 Der russische Aggressor in Karikatur.............................................220 4.9 Die Kritik von Hayal an der Berichterstattung der osmanischen Presse während der Balkankrise von 1875–1878......241
5. Die Balkankrise von 1875–1878 im Spiegel von Punch.........251 5.1 Die Anfänge der Balkankrise..........................................................251 5.2 Die Karikierung der Unruhen auf dem Balkan...............................257 5.3 Der Bulgarische Aprilaufstand........................................................261 5.4 Die Allegorie „des kranken Mannes am Bosporus“........................266 5.5 Die Konferenz von Konstantinopel und die Proklamation der osmanischen Verfassung 1876..................................................270 5.6 Das „Londoner Protokoll“..............................................................275 5.7 Der Russisch-Osmanische Krieg von 1877–1878..........................278 5.8 Russland in Indien: Die britische Russophobie in Punch...............285
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5.9 Der Friedensvertrag von Adrianopel...............................................288 5.10 Der Friedensvertrag von San Stefano.............................................291
6. Die Illustration der Balkankrise von 1875–1878 im Kladderadatsch..............................................................................297 6.1 Die erste Phase der Balkankrise im Spiegel von Kladderadatsch.....297 6.2 Der „kranke Mann“ vom Bosporus.................................................304 6.3 Das Osmanische Reich als Aggressor.............................................308 6.4 Die Forderungen nach Reformen am Vorabend des Russisch-Osmanischen Krieges von 1877–1878............................311 6.5 Die Herrschaft von Murad V. aus der Perspektive von Kladderadatsch...............................................................................316 6.6 Der Serbisch-Osmanische Krieg von 1876.....................................319 6.7 Die Konferenz von Konstantinopel und die Proklamation der osmanischen Verfassung 1876..................................................324 6.8 Die „Bulgarengräuel“ als Gegenstand von Bildsatiren...................330 6.9 Der Russisch-Osmanische Krieg von 1877–1878..........................332 6.10 Vom Frieden von San Stefano bis zur Berliner Konferenz.............344
7. Karikaturen als Medium des internationalen Transfers von politischen Symbolen – dargestellt am Sinnbild des „russischen Bären“..................................................351 8. Schlussbetrachtung...........................................................................361 9. Quellenverzeichnis.............................................................................371 10. Literaturverzeichnis..........................................................................391
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1. Einleitung Zu Beginn des „langen 19. Jahrhunderts“1 gehörten die Levante, Teile Nordafrikas und des Kaukasus sowie weite Gebiete der Balkanhalbinsel zu dem Herrschaftsgebiet des Osmanischen Reiches.2 Dementsprechend lebten Angehörige unterschiedlicher Religions- und Sprachzugehörigkeiten unter osmanischer Oberherrschaft.3 Die Erhaltung der Kontrolle über diese weitläufigen Territorien stellte die Hohe Pforte im 19. Jahrhundert vor große Herausforderungen, zumal sie in diesem Jahrhundert verstärkt gegen zentrifugale Kräfte zu kämpfen hatte.4 Von ihrer Hauptstadt Konstantinopel aus verfügte sie kaum mehr über die Herrschaftsgewalt, ihre Peripherien zu kontrollieren.5 Die Anzahl von Revolten 1 Der Vertrag von Küçük Kaynarca (1774) markiert den Beginn einer neuen Epoche in der osmanischen Geschichtsschreibung und läutet „das längste Jahrhundert des Reiches“ ein. Vgl. İlber Ortaylı, İmparatorluğun En Uzun Yüzyılı, 25. Aufl., Istanbul 2005. 2 Bezeichnungen für diese Region gibt es viele – Europäische Türkei, Türkei in Europa, Europäisches Osmanisches Imperium, Europäische Levante oder Orientalische Halbinsel. In dieser Arbeit wird jedoch der Begriff Balkan verwendet, auch wenn es sich um eine nachweislich falsche Bezeichnung handelt, da sie sich im Sprachgebrauch durchgesetzt hat. Die Osmanen selbst bezeichneten dieses Gebiet als Rumelien oder Rum-eli, welches übersetzt „das Land der Römer“ bedeutet. Andere Bezeichnungen waren auch Rumeli-i şâhane (imperiales Rumelien) oder Avrupa-i Osmâni (osmanisches Europa). Vgl. Martina Baleva, Bulgarien im Bild. Die Erfindung von Nationen auf dem Balkan in der Kunst des 19. Jahrhunderts, Köln 2012, S. 13ff. 3 So gehörten neben dem Osmanisch-Türkischen, unter anderem Arabisch, Armenisch, Bulgarisch, Griechisch, Ladino, Serbisch, Albanisch, Kurdisch, Syrisch und Französisch zu den Sprachen, die im Osmanischen Reich gesprochen wurden. Allerdings ist an dieser Stelle zu anzumerken, dass es sich hierbei um keine vollständige Auflistung aller Sprachen und Dialekte handelt, die im Osmanischen Reich im Gebrauch waren. Mehmet Şükrü Hanioğlu, A Brief History of the Late Ottoman Empire, Princeton 2008, S. 33. 4 Ibidem, S. 6. Einen zusammenfassenden Überblick gibt: Carter Vaughn Findley, Turkey, Islam, Nationalism and Modernity. A History: 1789–2007, London 2010, S. 23–75. 5 Unruhen und Rebellionen gab es sowohl in den östlichen Gebieten des Osmanischen Reiches als auch in den westlichen. 1803 entrissen die Wahhabiten die wichtigsten islamischen Wallfahrtsziele Mekka und Medina der osmanischen Oberhoheit. Vgl. Ibidem, S. 12f. Ebenso forderte Mohammed Ali Pascha von Ägypten, einer der einflussreichsten lokalen Machtinhaber jener Jahre, die Hohe Pforte in zahlreichen Schlachten
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und Unruhen wuchs in den osmanischen Provinzen stetig.6 In dieser Hinsicht gehörte die Balkanhalbinsel, welche zum größten Teil dem Osmanischen Reich eingegliedert war, zu den krisenreichsten Gebieten auf dem europäischen Kontinent. Das Jahr 1804 markiert in diesem Kontext einen wichtigen Wendepunkt. In diesem Jahr revoltierten Serben aus der Umgebung von Belgrad mit der Forderung nach Autonomie.7 Drückende Steuerlasten sowie die Ungleichbehandlung von Muslimen und Nichtmuslimen führten zu Unmut bei den christlichen Untertanen. Hinzu traten die aufkeimenden separatistischen Bewegungen unter der Bevölkerung des Osmanischen Reiches.8 So forderten in den darauffolgenden Jahren weitere, zumeist christliche Untertanen des Sultans, ihre Souveränität.9 Trotz zahlreicher Pazifizierungsversuche, die die Hohe Pforte unternahm, gelang ihr es nicht, den Zentrifugalkräften erfolgreich entgegenzuwirken.10 heraus. Seinem Heer gelang es, bis nach Kütahya (1833) vorzudringen. Eine Reihe von osmanisch-ägyptischen Kriegen folgte, bis Ägypten Anfang der 1840er Jahre den Status eines quasi autonomen Vasallenstaates bekam, der jährliche Tributzahlungen an den osmanischen Sultan entrichten musste. Hanioğlu, Ottoman Empire, S. 65ff. Findley, Turkey, S. 37ff. 6 Ibidem, S. 36f. 7 Vgl. Hanioğlu, Ottoman Empire, S. 51ff. Findley, Turkey, S. 36. Bereits diese erste Insurrektion der Serben mündete in einem erneuten Krieg zwischen dem Osmanischen Reich und Russland, der sechs Jahre andauerte (1806–1812). David MacKenzie, The Serbs and Russian Pan-Slavism 1875–1878, New York 1967, S. 2ff. In der Anfangsphase war dieser Aufstand nicht gegen die osmanische Herrschaft gerichtet, sondern dadurch wollten die Serben auf lokale Missstände aufmerksam machen. Edgar Hösch, Geschichte des Balkans, 2. Aufl., München 2007. 8 MacKenzie, The Serbs, S. 51f. 9 Die politische Situation des Osmanischen Reiches blieb angespannt. 1821 erhoben sich die Griechen gegen die osmanische Herrschaft und brachten die Reichsführung in starke Bedrängnis. Vgl. Hanioğlu, Ottoman Empire, S. 66. 10 Nach Erachten der Hohen Pforte bestand besonderer Handlungsbedarf in den Balkanprovinzen. Folglich begann die Umsetzung der Provinzialverordnung (vilâyet nizamnamesi), die 1864 erlassen wurde, zuerst dort. Neue Bildungseinrichtungen sowie neue Unterrichtsmodelle wurden bereits in den 1850er Jahren in einigen Balkanprovinzen eingeführt. Vgl. Selçuk Akşin Somel, The Modernization of Public Education in the Ottoman Empire 1838–1908. Islamization, Autocracy and Discipline, Brill 2001, S. 11, 65. Ebenso nahm das im Zuge der Provinzialverordnung von 1864 neugegründete Donau-Wilajet den Betrieb der ersten Provinzdruckerei auf. Vgl. Roderic H. Davison, Reform in the Ottoman Empire 1856–1876, New Jersey 1863, S. 155 und Horst Unbehaun, “Die Anfänge des Pressewesens in der Provinz Sivas”, in: Anja Pistor-Hatam (Hg.), Amtsblatt, vilayet gazetesi und unabhängiges Journal: Die Anfänge der Presse im Nahen Osten, Bd. 27, Frankfurt am Main 2001, S. 97–119.
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Das Balkangebiet war in jenen Jahren nicht nur das Schlachtfeld unterschiedlicher Interessen, sondern auch konkurrierender Ideologien, wie zum Beispiel des Panslawismus’11 oder der Panorthodoxie12. Die innenpolitischen Belange des Osmanischen Reiches beschäftigten nicht nur die Hohe Pforte, sondern auch die Vertreter westlicher Großmächte. Ihre Sorge um die Wahrung eigener politischer und wirtschaftlicher Interessen warf die sogenannte „Orientalische Frage“ auf,13 die vornehmlich aus der Interessenkollision der europäischen Großmächte hinsichtlich des Schicksals des Osmanischen Reiches erwuchs.14 Zudem erschütterte auch der Expansionsdrang des aufstrebenden Zarenreiches,15 welches erst im 19. Jahrhundert die Bühne der Kolonialmächte betrat,16 die bisherige Ordnung des Osmanischen Reiches in ihren Grundfesten und zwang die Reichsführung Prozesse einzuleiten, die die Modernisierung, Reformierung sowie die Transformation der inneren Einrichtungen der Hohen Pforte zum Ziel hatten.17
11 Vgl. Hans Kohn, Die Slawen und der Westen: Die Geschichte des Panslawismus, Wien 1956, S. 13. 12 Vgl. Abdoul-Raouf Sinno, “Pan-Slawismus und Pan-Orthodoxie als Instrumente der russischen Politik im Osmanischen Reich”, in: Die Welt des Islams, New Series, Bd. 28, Leiden 1988, S. 537–558, S. 541. 13 Gemäß Grothusen, stellt die „Orientalische Frage“, den umfassendsten in sich geschlossenen Zusammenhang der neueren europäischen Geschichte dar, an der sämtliche Großmächte sowie eine Vielzahl der kleineren Mächte beteiligt waren. Sie ist als Zeitraum von 1683/84 bis 1918/20/23/36 einzugrenzen. Klaus-Detlev Grothusen, “Die Orientalische Frage als Problem der europäischen Geschichte. Gedanken zum 100. Jahrestag des Berliner Kongresses”, in: Klaus-Detlev Grothusen (Hg.), Die Türkei in Europa, Göttingen 1979, S. 79–96, S. 83. 14 Die Entstehung dieses Begriffes geht laut Grothusen auf die Konferenz von Verona (1822) zurück. Geographisch meint dieser Begriff aber nicht etwa den „Orient“ im weitesten Sinne, sondern vornehmlich Südosteuropa und im 19. Jahrhundert, besonders für Frankreich und England, auch den levantinisch-nordafrikanischen Raum. Grothusen,“Die Orientalische”, S. 86f. 15 Jürgen Osterhammel, Die Verwandlung der Welt – Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts, München 2009, S. 528f. Russland strebte, ebenso wie England, seine geographische Expansion an. Seit dem 16. Jahrhundert erweiterte das Zarenreich sein Machtgebiet stetig und hatte sogar auf dem amerikanischen Kontinent fußgefasst. Vgl. Hans Joachim Torke, Einführung in die Geschichte Russlands, München 1997, S. 148. 16 Zu Kolonialismus siehe: Jürgen Osterhammel, Kolonialismus – Geschichte, Formen, Folgen, 5. Aufl., München 2006. 17 Einen zusammenfassenden Überblick bietet: Findley, Turkey, S. 23–132. Vgl. Davison, Reform und Findley Carter, Bureaucratic Reform in the Ottoman Empire. The Sublime Porte, 1789–1922, Princeton 1980.
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Zum anderen konfrontierte die europäische Expansion die Hohe Pforte mit vielgestaltigen Herausforderungen.18 Denn im 19. Jahrhundert trat die Asymmetrie, unter anderem in Form des Mächteungleichgewichts in den Beziehungen zwischen Europa und nichteuropäischen Mächten, wie dem Osmanischen Reich, deutlich zu Tage. Seit dem Ende des 18. Jahrhunderts stellte das Osmanische Reich keine ernsthafte militärische Bedrohung mehr für Europa dar. Die schweren militärischen Niederlagen, die das Osmanische Reich seit dem Vertrag von Küçük Kaynarca (1774) hatte hinnehmen müssen, führten zu einem Umdenken in der osmanischen Staatsführung, die verstärkt auf die Einführung europäischer Militärtechnik setzte.19 Nicht nur im Militär, sondern auch in der Verwaltung und im Bildungswesen wurden Modernisierungs- und Reformprozesse eingeleitet. Diese „Anordnungen“ (Tanzimat) hatten das Ziel, den Fortbestand des Osmanischen Reiches zu sichern.20 Zur militärischen und technischen Überlegenheit Europas trat im 19. Jahrhundert die ökonomische hinzu. Im Gegensatz zu westlichen Ländern wie Großbritannien war das Osmanische Reich prämerkantilistisch und verfügte über wenige Instrumente der Geldschöpfung, die den enormen Kapitalbedarf der Hohen Pforte kaum zu decken vermochten. Deshalb war die osmanische Reichsführung dazu gezwungen, vermehrt Auslandsanleihen aufzunehmen,
18 Zu den militärisch-politischen sowie wirtschaftlichen Triebkräften der europäischen Expansion kam auch eine kulturelle Dimension hinzu. Nicht nur in Bereichen wie zum Beispiel Mode, Kunst, Literatur oder Musik sind westliche Prägungen nachzuweisen, sondern auch in der spätosmanischen Architektur. Vgl. Hanioğlu, Ottoman Empire, S. 95ff., S. 106. 19 Wie schon zuvor in Russland, wurde auch im Osmanischen Reich der Krieg „zum Vater der Reformen“. Vgl. Andreas Kappeler, Russische Geschichte, 5. Aufl., München 2008, S. 25. 20 Tanzimat ist die Pluralform des arabischen Wortes tanzim, welches die Bedeutung „Anordnungen“ trägt. In der Literatur wird der Beginn der Tanzimat-Periode mit der Verkündung des Edikts von Gülhane angesetzt. Gemäß Ursinus müsste sie schon mit der Eliminierung der Janitscharen 1826 beginnen, da Mahmud II. mit diesem Schritt einen gezielten Bruch mit althergebrachten Verhältnissen vollzog. Sie endet 1876 mit der Verkündung der ersten Verfassung. Während der Tanzimat-Periode wurden Reformmaßnahmen in mehreren Phasen eingeführt. Vgl. Roderic H. Davison, “Tanẓīmāt”, in: EI2, Bd. 10, Leiden 2000, S. 201–209. Michael Ursinus, Regionale Reformen im Osmanischen Reich am Vorabend der Tanzimat, Berlin 1982, S. 2. Vgl. auch: Christiane Czygan, “Reformer versus Reformen: Zum Gehalt jungosmanischer Tanzimat-Kritik”, in: Hendrik Fenz (Hg.), Strukturelle Zwänge – Persönliche Freiheiten, New York 2009, S. 65–79.
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was gewisse ökonomische und politische Abhängigkeiten von Kapitalgeberländern wie Frankreich oder Großbritannien hervorrief.21 Oft wurden die Anleihewünsche der Hohen Pforte dazu genutzt, um massiven politischen Druck auszuüben.22 In der sich zunehmend abzeichnenden Schwäche des Osmanischen Reiches sah Russland die Gelegenheit, seine Macht sowohl in Europa als auch in Asien auszubauen.23 Das Zarenreich hatte nicht nur die Territorien des Osmanischen Reiches im Blick, sondern strebte über dessen Grenzen hinaus die Einverleibung von weiteren Gebieten in Asien an, die bis nach China und Indien reichten. Die geographische Expansion sowie die Bestrebungen des weiteren Machtausbaus Russlands forderten besonders jene konkurrierenden Mächte Europas heraus, die ihre politischen und wirtschaftlichen Interessen gefährdet sahen.24 Für das Zarenreich war nicht nur die geographische Expansion von vorrangigem Interesse, sondern auch die Durchsetzung machtpolitischer ideologischer Positionen, gestützt auf die Konzepte des Panslawismus und der Panorthodoxie. Aufgrund seiner Expansionspolitik stellte das Zarenreich nicht nur eine anhaltende Bedrohung für die Integrität und den Fortbestand des Osmanischen Reiches dar, sondern auch für die westlichen Mächte, die um ihre Vormachtstellung in der Welt miteinander konkurrierten. Zwar verstand es das Osmanische Reich, sich mehrfach erfolgreich gegen die russische Bedrohung zur Wehr zu setzen, dennoch erlangte das Zarenreich die Position einer imperialen Macht ersten Ranges und baute seinen Einfluss soweit aus, dass es schließlich seine militärische Überlegenheit gegenüber der Hohen Pforte in zahlreichen Kriegen unter Beweis stellen konnte.25
21 Die Umstände des Krimkrieges (1853–1856) zwangen die Hohe Pforte dazu, sich 1854 bei den europäischen Mächten zu verschulden. In den folgenden Jahren stieg der Verschuldungsgrad des Osmanischen Reiches erheblich an, bis es im Oktober 1875 seine Zahlungsunfähigkeit verkünden musste. Hanioğlu, Ottoman Empire, S. 92f. 22 Ibidem. 23 Eine Übersicht zur russischen Geschichte bietet: Erich Donnert, Rußland (869–1917) – Von den Anfängen bis zum Ende der Zarenzeit, Regensburg 1998. 24 Für Rußland war besonders die Lösung der Meerengenfrage von höchstem Interesse. Zwar waren seit 1871 die Beschränkungen des Pariser Friedens weitgehend aufgehoben, aber das Zarenreich brauchte weiterhin die Erlaubnis der Hohen Pforte, um durch den Bosporus oder die Dardanellen zu durchqueren. 25 Vgl. Jost Dülffler, Martin Kröger und Rolf-Harald Wippich, Vermiedene Kriege. Deeskalation von Konflikten der Großmächte zwischen Krimkrieg und Erstem Weltkrieg 1865–1914, München 1997, S. 221–247.
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Während in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts besonders Frankreich ein starker Gegner des Zarenreiches war,26 stellte Russland ab der zweiten Hälfte eine besonders starke Bedrohung für die Interessen Englands dar, das seine Weltmachtstellung besonders in Asien gefährdet sah. Großbritannien besaß um die Mitte des 19. Jahrhunderts Kolonien in Nordamerika, der Karibik, Westund Südafrika, Arabien (Aden), Südostasien, Ostasien (Hongkong) und Australien. Außerdem hatte es sich nahezu den gesamten indischen Subkontinent unterworfen und war durch Konsuln und Geschäftsleute in den Handelsstädten Lateinamerikas, der Levante und an der chinesischen Küste präsent. Somit übte Großbritannien formelle Herrschaft oder informellen Einfluss auf allen Kontinenten aus und war infolgedessen bestrebt, seine Machtposition zu sichern. Die Einmischung des Zarenreiches in die „Griechische Frage“ sowie der Krieg gegen das Osmanische Reich (1828–1829) mit territorialen Gewinnen auf dem Balkan und im Kaukasus, sowie die brutale Niederwerfung des polnischen Aufstandes von 1830–1831 trugen dazu bei, dass die Differenzen mit Großbritannien und anderen europäischen Mächten immer stärker in den Vordergrund traten. Nicht selten trugen die konkurrierenden Mächte ihre politischen Auseinandersetzungen auf dem Schlachtfeld aus, so wie es beim Krimkrieg (1853–1856) der Fall war. Seit dem Pariser Vertrag vom März 1856 war das Osmanische Reich Mitglied des europäischen Mächtekonzerts. Diese Vereinbarung stellte außerdem seine Unabhängigkeit und seine Integrität unter die Garantie der europäischen Großmächte und hob jedes kollektive oder isolierte Interventionsrecht von Fremdmächten zugunsten der christlichen Untertanen auf. Nichtsdestotrotz traten die christlichen Herzegowiner im Juli 1875 eine Revolte gegen die osmanische Führung los. Innerhalb kurzer Zeit nahmen die Unruhen ein den Charakter lokaler Aufstände übersteigendes Ausmaß an. Schon bald bekamen die Rebellen Unterstützung von ihren Nachbarn, den Fürstentümern Montenegro und Serbien. 1876 flammten auch in Bulgarien Aufstände auf. Gemeinsam mit Montenegro erklärte Serbien 1876 schließlich den Krieg gegen das Osmanische Reich. Die Gründe, die zum Ausbruch des Russisch-Osmanischen Krieges von 1875–1878 führten, sind vielschichtig und können hier nicht im vollen Umfang dargestellt werden. In dieser Arbeit werden nur diejenigen Punkte aufgegriffen, die durch die Karikaturen ausgewählten angesprochen werden. Es würde den Rahmen dieser Arbeit übersteigen, den gesamten Verlauf des diplomatischen Ringens der Jahre 1875–1878 vollständig wiederzugeben.
26 Detlef Jena, Die russischen Zaren in Lebensbildern, Köln 2006, S. 358f., 368ff., 411ff.
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Trotz der Verwicklung zahlreicher europäischer Mächte blieben die Kämpfe lokal begrenzt. Dies änderte sich 1875, mit dem Aufkeimen einer erneuten Krise auf dem Balkan. Sie weitete sich zu einer dringlichen Angelegenheit von internationalem Interesse aus, die schließlich, nachdem jegliche diplomatischen Bemühungen die Unstimmigkeiten friedlich beizulegen, gescheitert waren, zum Ausbruch des Russisch-Osmanischen Krieges von 1877–1878 führte. Dieser Krieg, der im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts stattfand – am Ende einer langen Periode von ehrgeizigen Modernisierungsbestrebungen, die sowohl die Administration des Osmanischen Reiches betrafen, als auch wegweisende Transformationsprozesse in kulturellen Bereichen in Gang setzten – gehörte zu den dramatischsten gewaltsamen Konflikten dieses Jahrhunderts. Aufgrund der fortwährenden Unruhen und der Kämpfe, sowohl auf dem Balkan als auch im Kaukasus, waren zahlreiche Menschen in den Kriegsgebieten gezwungen, ihre angestammten Siedlungsräume zu verlassen, und lösten somit einen gewaltigen demographischen Wandel im Osmanischen Reich aus, da viele Flüchtlinge vor allem Zuflucht in großen Städten wie Edirne oder Istanbul suchten.27 Wie schon zuvor der Krimkrieg (1853–1856), der als der „erster Pressekrieg der Geschichte“ gilt,28 so fand auch dieser Krieg einen großen Widerhall in der zeitgenössischen Presse.29 Schon mit dem Aufkeimen des Konflikts in der Herzegowina nahmen Zeitungen weltweit ihre Berichterstattung auf.30 Neben der Tagespresse, fanden der Konflikt und die darauffolgenden Ereignisse ihren
27 Vgl. Roumen Genov, “Horrors of War Absolutely Limitless: The Russo-Turkish War of 1877–78 in the Early British and American Accounts and Interpretations”, in: Ömer Turan (Hg.), The Ottoman-Russian War of 1877–78, Ankara 2007, S. 290–305, S. 291f. 28 Gerhard Paul, Bilder des Krieges. Krieg der Bilder, Paderborn 2004, S. 62. 29 Vgl. Georg Maag (Hg.), Der Krimkrieg als erster europäischer Medienkrieg, Berlin 2010; Gerhard Paul, Bilder des Krieges Krieg der Bilder, Paderborn 2004. Laut Wilke berichteten bereits Zeitungen seit dem 17. Jahrhundert über Kriege, Militäraktionen oder Truppenbewegungen. Vgl. Jürgen Wilke, „Kriegsbilder in der histotischen (Bild-) Publizistik“, in: Thomas Knieper, War Visions. Bildkommunikation und Krieg, Köln 2005, S. 22–56, S. 24. 30 Vgl. Zu der Berichterstattung der indischen Presse: Azmi Özcan, “The Press and Anglo-Ottoman Relations, 1876–1909”, in: Middle Eastern Studies, Bd. 29, No 1 (Jan. 1993), S. 111–117, S. 111f.
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Niederschlag ebenso in Satirezeitschriften.31 Ein Novum war allerdings, dass neben die westlichen Blätter erstmals auch osmanischsprachige traten.32 Die bewaffneten Konflikte auf dem Balkan, die ihren Ursprung in der Rebellion von 1875 in der Herzegowina hatten und die im Russisch-Osmanischen Krieg (1877–1878) mündeten, bilden den thematischen Kern dieser Arbeit. Zum ersten Mal in der osmanischen Pressegeschichte wurde ein Ereignis mit dieser Tragweite nicht nur von der osmanischen Tagespresse verfolgt, sondern auch von osmanischsprachigen Satirezeitschriften aufgegriffen, die sich erst um 1870, wenige Jahre vor dem Ausbruch der Unruhen 1875, in Istanbul (und somit auch erstmals im islamischen Kulturraum) etabliert hatten. Durch diese neuentstandenen Zeitschriften ist es nun möglich, die Ereignisse dieser Jahre, ein politisches Szenario internationaler, ja globaler Wahrnehmung, anhand von satirischen Zeitschriften aus einer Pluralität von Perspektiven zu beleuchten.33
31 Auch andere Satirezeitschriften, die im deutschsprachigen Raum erschienen, wie zum Beispiel Der Floh (Wien), Die Bombe (Wien), Ulk (Berlin) oder die Zeitschrift Berliner Wespen (Berlin) thematisierten ebenso die Balkankrise der Jahre 1875 bis 1878. Vgl. Necmettin Alkan, Avrupa Karikatürlerinde II. Abdülhamid ve Osmanlı İmajı, Trabzon 2006 und Ursula E. Koch, Der Teufel in Berlin. Von der Märzrevolution bis zu Bismarcks Entlassung. Illustrierte politische Witzblätter einer Metropole 1848–1890, Köln 1991, S. 630ff. Auch in Amerika karikierten Künstler die kriegerischen Auseinandersetzungen jener Jahre. Vgl. Richard Samuel West, Satire on Stone. The Political Cartoons of Joseph Keppler, Illinois 1988, S. 155. 32 In Russland erschienen Bilderbögen, Lubok genannt, die sich der satirischen Bearbeitung der Balkankrise von 1875–1878 widmeten. Bislang gibt es keinerlei Arbeiten in europäischen Sprachen, die sich mit dieser Thematik auseinander setzen. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit diesen Bildern muss anderen Arbeiten vorbehalten bleiben. An dieser Stelle ist jedoch auf die Arbeit von Kezban Acar zu verweisen, die verschiedene Lubki aus den 1850er und 1870er Jahren untersucht hat. Ebenso gibt es eine russische Publikation, in der Lubki aus den 1870er Jahren veröffentlicht wurden. Vgl. Kezban Acar, Resimlerle Rusya, Savaşlar ve Türkler, Ankara 2004 und Dimitry Skender (u. a.), Русская карикатура, 1812–1985: из книг Владимира Лисина, 2006. Zu russischer Karikatur im 19. Jahrhundert siehe: John E. Bowlt, “NineteenthCentury Russian Caricature”, in: Theofanis George Stavrou (Hg.), Art und Culture in Nineteenth-Century Russia, Indiana 1983, S. 221–236. 33 Stichprobenartige Untersuchungen haben gezeigt, dass sich sowohl in Tokio als auch in St. Petersburg, Wien und Paris die Publizistik mit der Balkankrise von 1875–1878 satirisch auseinandersetze. Aufgrund der Fülle des zu untersuchendenden Materials sowie aufgrund von Sprachbarrieren war es notwendig, die zu untersuchenden Quellen einzuschränken und sie nicht im Rahmen dieser Arbeit zu berücksichtigen.
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1.1 Stand der Forschung In den letzten Jahren rückte die osmanischsprachige Satirepresse zunehmend in das Blickfeld der Wissenschaft.34 Doch sind die bisherigen Veröffentlichungen, die sich mit den osmanischen Satirezeitschriften des 19. Jahrhunderts befassen, keineswegs hinreichend, um die noch immer klaffenden großen Forschungslücken auf diesem Feld zu schließen. Die bisher veröffentlichten Forschungsbeiträge lassen sich dabei in zwei Gruppen gliedern. Zum einen gibt es Publikationen, die im weitesten Sinne als Bestandsaufnahmen bezeichnet werden können. Hierzu sind die Kataloge von Turgut Çeviker zu zählen, in denen er satirische Periodika aus drei Epochen sowie deren Herausgeber und Mitarbeiter skizziert. Im Vordergrund dieser Publikationen stehen die Karikaturen.35 Zum anderen veröffentlichte Çeviker Anthologien, die sich mit den themenspezifischen Werken osmanischer Karikaturisten befassen.36 Es erfolgt allerdings keineswegs eine Interpretation oder Analyse der Karikaturen, sie werden lediglich als Sammlung an den Leser herangetragen.37 Bislang gibt es nur eine einzige türkischsprachige Monographie, die sich eingehender mit zwei Satirezeitschriften, Diyojen und Çaylak, aus den Jahren 1870 34 Sabine Prätor fasst den Forschungsstand bezüglich des osmanischen Pressewesens in ihrem Artikel “Zum Stand der Forschung über die osmanische Presse” bis in das Jahr 1994 zusammen. Vgl. Sabine Prätor, “Zum Stand der Forschung über die osmanische Presse”, in: Nurettin Demir (Hg.), Turkologie heute – Tradition und Perspektive, Wiesbaden 1998, S. 225–238. 35 Turgut Çeviker, Gelişim Sürecinde Türk Karikatürü – I: Tanzimat ve İstibdat Dönemi (1867–1878/1878–1908), Istanbul 1986; Turgut Çeviker, Gelişim Sürecinde Türk Karikatürü – II: Meşrutiyet Dönemi (1908–1918), Istanbul 1988; Turgut Çeviker, Gelişim Sürecinde Türk Karikatürü – III: Kurtuluş Savaşı Dönemi (1918–1923), Istanbul 1991. 36 Vgl. Turgut Çeviker, Burun – Abdülhamit Karikatürleri Antolojisi, Istanbul 1988; Turgut Çeviker, Nişan Berberyan – Terakki Edelim Beyler, Istanbul 1986; Turgut Çeviker, Karikatür Üzerine Yazılar, Istanbul 1997; Turgut Çeviker, Meşrutiyet İmzasız Karikatürler Antolojisi, Istanbul 1989; Turgut Çeviker, Tanzimat İmzasız Karikatürler Antolojisi, Istanbul 1986; Orhan Koloğlu, Türkiye Karikatür Tarihi, Istanbul 2005. 37 Einen ähnlichen Charakter weisen auch die wenigen unveröffentlichten Dissertationen auf, die sich mit osmanisch-türkischen Satirezeitschriften auseinander setzen. Sie stellen lediglich die Sammlung einer Auswahl von Texten und Karikaturen dar, die zu unterschiedlichen Themen zusammengetragen wurden. Vgl. Belkıs Yaman, 1869–1876 Yılları Arasında Yayınlanan Mizah Gazetelerinde Tiyatro, İstanbul Üniversitesi Sosyal Bilimler Enstitüsü, Istanbul 1999; Nezihe İdemen, 1869–1876 Yılları Arasında Yayınlanan Mizah Gazetelerinde İstanbul Hayatı, İstanbul Üniversitesi Sosyal Bilimler Enstitüsü, Istanbul 1994.
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bis 1908 auseinandersetzt.38 Sie stammt von Hamdi Özdiş. In seiner Arbeit bietet er einen Einblick in die Grundzüge der osmanischsprachigen Satirezeitschrift Diyojen. Ebenso skizziert er Çaylak, die als letzte Satirezeitschrift bis Mitte des Jahres 1877 erschien.39 In seiner Arbeit schneidet Özdiş unterschiedliche Themen wie Zensur, Mode und die Herausforderungen der Moderne an. Den Kernpunkt seiner Arbeit bilden die Themen Verwestlichung (batılılaşma) und Politik (siyaset). Allerdings ist diese Arbeit sehr lückenhaft und deshalb keineswegs ausreichend. Zum Beispiel befasst er sich in keinster Weise mit den publizistischen Aktivitäten der christlichen Bevölkerung Istanbuls und klammert deren Bestrebungen in diesem Bereich aus. Es sind weitere Arbeiten zu dieser Thematik notwendig, die sich auch den anderen satirischen Periodika aus dieser Zeit widmen und deren Inhalte in den Fokus stellen. Arbeiten, die sich ausführlich mit der ersten osmanischsprachigen Satirezeitschrift Terakki (Fortschritt) beschäftigen, fehlen noch gänzlich. Bislang sind nicht einmal der tatsächliche Bestand von osmanischen Satirezeitschriften sowie deren Standorte vollständig erfasst. Eine weitere Arbeit, die die satirische Presse im Osmanischen Reich vor 1908 im Fokus hat, stammt von Johann Strauß. In seinem Artikel “Notes on the First Satirical Journals in the Ottoman Empire” bietet Strauß unter Berücksichtigung der nicht-osmanischsprachigen Blätter einen Überblick über die Anfänge der satirischen Presse im Osmanischen Reich. Er stellt dabei allerdings nur sehr wenige, ausgewählte Blätter skizzenhaft vor und weist auf Forschungslücken hin.40 Die Zeit nach 1908 stand viel mehr im Fokus der Wissenschaft. Die umfangreichste Arbeit hierzu legt Palmira Brummet vor. In ihrer Publikation stellt 38 Neben den Monographien gibt es zahlreiche Artikel, die sich recht skizzenhaft mit Karikaturen und Satirezeitschriften im Osmanischen Reich beschäftigen. Siehe: Mustafa Şahin, “Karagöz’den Punch’a Nazire”, in: Tarih ve Toplum, No. 122, Februar 1994, S. 43–47; Taha Toros, “Türk Karikatürünün Babası: Cemil Cem”, in: Tarih ve Toplum, No. 77, Mai 1990, S. 30–35; Uğur Kocabaşoğlu, “Hayal Perdesinden Gazete Sayfasına: Karagöz”, in: Tarih ve Toplum, No. 46, Oktober 1987, S. 34–35; François Georgeon, “Istanbul’un Aynası Osmanlı Yergi Basını”, in: Güldiken, No. 10, 1996, S. 46–52; Orhan Koloğlu, “Basının Karikatürle Özleştirisi 1874/1994”, in: Güldiken, No. 6, 1995, S. 38–42; Kevrok Pamukciyan, “Mizahî „Hayal“ Gazetesinin Ermeni Harfli Türkçe Baskısı”, in: Tarih ve Toplum, No. 42, Juni 1987, S. 36–40. 39 Vgl. Hamdi Özdiş, Osmanlı Mizah Basınında Batılılaşma ve Siyaset (1870–1877), İstanbul 2010. 40 Johann Strauß, “Notes on the First Satirical Journals in the Ottoman Empire”, in: Anja Pistor-Hatam (Hg.), Amtsblatt, vilayet gazetesi und unabhängiges Journal: Die Anfänge der Presse im Nahen Osten, Bd. 27, Frankfurt am Main 2001, S. 121–138.
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sie Satirezeitschriften der Jahre 1908–1911 sowie deren Inhalte vor.41 Hinzu kommen zahlreiche Artikel, die spezifische thematische Aspekte dieser Blätter beleuchteten.42 Weitere Publikationen, die sich mit der Satirepresse nach 1908 beschäftigen, stammen von Tobias Heinzelmann und Ali Şükrü Çoruk. Heinzelmann befasst sich in seiner 1999 erschienen Magisterarbeit mit der Balkankrise von 1908–1914 und ihrer Darstellung in den Satirezeitschriften Karagöz, Kalem und Cem.43 Die zweite Arbeit stammt von Çoruk, der die satirischen Texte und Karikaturen, die während dem Türkischen Befreiungskrieg (Millî Mücadele)44 in den zeitgenössischen osmanischsprachigen Satireblättern erschienen sind, untersucht.45 Auch die Einträge in Nachschlagewerken wie zum Beispiel Islam Ansiklopedisi: Islam Alemi Tarih, Coğrafya, Etnografya ve Bibliografya Luğatı sind sowohl lückenhaft als auch fehlerhaft. So schreibt Vedat Günyol, dass Hayal 1872 unter der Herausgeberschaft von Teodor Kasap erschienen sei. Außerdem heißt es, dass dieser nach dem Verbot von Hayal die Satirezeitschrift Çınğıraklı Tatar herausgab.46 Hierbei stimmt die Chronologie nicht. Hayal erschien als dritte und letzte Satirezeitschrift unter der Herausgeberschaft von Teodor Kasap. Ebenso 41 Palmira Brummet, Image & Imperialism in the Ottoman Revolutionary Press 1908–1911, New York 2000. 42 Palmira Brummet, “Fashion Satire, Imperialism and the 1908 Ottoman Revolution”, in: Turkish Studies Association Bulletin 14, Nr. 1, 1990, S. 39–41; Palmira Brummet, “New Woman and Old Nag: Images of Woman in the Ottoman Cartoon Space”, in: Fatma Müge Gökçek (Hg.), Political Cartoons in the Middle East, Princeton 1997, S. 13–58; Palmira Brummet, “Dressing for Revolution: Mother, Nation, Citizen, and Subversive in the Ottoman Satirical Press, 1908–1911”, in: Zehra F. Arat (Hg.), Deconstructing Image of „The Turkish Woman“, New York 2000, S. 37–64; Palmira Brummet, “Dogs, Woman, Cholera and Other Menaces in the Streets: Cartoon Satire in the Ottoman Revolutionary Press, 1908–11”, in: International Journal of Middle East Studies 27 (1995), S. 433–460, Tobias Heinzelmann, “Greedy Karagöz! War and Public Opinion as Seen by an Ottoman Satirical Gazette, 1912–1914”, in: Michael Ursinus (Hg.), Querelles Privées Et Contestations Publiques. Le Rôle De La Presse Dans La Formation De L’ Opinion Publique Au Porche Orient, Istanbul 2002, S. 147–161. 43 Tobias Heinzelmann, Die Balkankrise in der osmanischen Karikatur. Die Satirezeitschriften Karagöz, Kalem und Cem 1908–1914, Istanbul 1999. 44 Mit diesem Terminus wird der Befreiungskrieg gegen die westlichen Besatzungsmächte von 1919 bis 1923 bezeichnet. 45 Ali Şükrü Çoruk, Mizah Penceresinden Millî Mücadele, Istanbul 2008. 46 Vgl. Vedat Günyol, “Matbuat”, in: C. Baysun (Hg.), Islâm Ansiklopedisi: Islâm Ȃlemi Tarih, Coğrafya, Etnografya ve Bibliografya Luğatı, Bd. 7, Istanbul 1972, S. 376–380, S. 370.
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enthält das Nachschlagewerk Tanzimat’tan Cumhuriyet’e Türkiye Ansiklopedisi zwei Beiträge, die sich skizzenhaft mit Satirezeitschriften und Karikaturen aus den 1870er Jahren befassen.47 Es ist an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass es einige Publikationen gibt, die sich mit Bildern beschäftigen, die während dem Russisch-Osmanischen Krieg von 1877–1878 beschäftigen. Diesen Bildern sind nicht in die Kategorie politisches Bild einzuordnen.48
1.2 Begriffsbestimmungen Für die Bezeichnung der Periodika, die in der vorliegenden Arbeit untersucht wurden, wird der Terminus „Satirezeitschrift“ verwendet.49 Allerdings ist es bislang, trotz zahlreicher Arbeiten, die sich mit Satire beschäftigen, nur bedingt möglich, diesen Begriff eindeutig zu bestimmen und zu definieren.50 Deshalb ist es notwendig, einige Gesichtspunkte der Satire,51 die wichtig für diese Arbeit sind, im Folgenden kurz zusammen zu fassen.52 Ein besonders wichtiger Aspekt
47 Vgl. M. Bülent Varlık, “Tanzimat’tan Cumhuriyet’e Mizah” und Turgut Çeviker, “Tanzimat’tan Cumhuriyet’e Türk Karikatürü”, in: Murat Belge (Hg.), Tanzimat’tan Cumhuriyet’e Türkiye Ansiklopedisi, Istanbul 1985, S. 1092–1100 und S. 1101–1107. 48 Vgl. Yılmaz Öztuna, Resimlerle 93 Harbi. 1877–78 Türk – Rus Savaşı, Hayat Yayınları 1969. Siehe auch im Anhang: Nedim İpek, Rumeli’den Anadolu’ya Türk Göçleri (1877–1890), Ankara 1994. 49 Vgl. Heinzelmann, Balkankrise, S. 13ff. 50 Vgl. Bernhard Fabian (Hg.), Satvra – Ein Kompendium moderner Studien zur Satire, New York 1975. Leon Guilhamet, Satire and the Transformation of Genre, Philadelphia 1987, S. 1ff. Einen zusammenfassenden Überblick über den Diskurs in Bezug auf Satire bietet: Katja Föllmer, Satire in Iran von 1990 bis 2000: Eine Analyse exemplarischer Texte, Wiesbaden 2008, S. 3–23. Vgl. Jörg Räwel, Humor als Kommunikationsmedium, Konstanz 2005; Jan Bremmer (Hg.), A Cultural History of Humor, Oxford 1997; Antony J. Chapman und Hugh C. Foot (Hg.), Humor and Laughter: Theory, Research and Applications, New York 1976. Paul Simpson, On the Discourse of Satire. Towards a Stylistic Model of Satirical Humor, Amsterdam 2003. 51 Zur zusammengefassten, geschichtlichen Entwicklung von Satire siehe: Sven Behrmann, Politische Satire im deutschen und französischen Rundfunk, Würzburg 2002, S. 12ff. 52 Ebenso verhält es sich mit dem Begriff Karikatur. Es gibt zahlreiche Arbeiten, die sich der Einordnung und Definition von Karikatur widmen. In dieser Arbeit werden Karikaturen als graphische Bildsatiren gewertet. Auch über die Aufgabe, Funktion und Wirkung der Karikatur sind sich die Autoren uneinig. Vgl. Herbert Päge, Karikaturen in der Zeitung. Engagierter Bildjournalismus oder opportunistisches Schmuckelement?, Aachen 2007, S. 109ff., S. 123ff.
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der Satire ist, dass sie sowohl in den unterschiedlichsten literarischen als auch darstellerischen Formen zum Ausdruck kommen kann.53 Laut Behrmann umfasst Satire folgende Komponenten, die für diese Arbeit ebenfalls von Bedeutung sind: „Angriff, Indirektheit und Normrückbindung. Satire ist Angriff, weil die gesellschaftliche Wirklichkeit aggressiv kritisiert wird; häufig ist sie die ‚Negation des Negativen‘. Satire versucht, Problematisches, Widersprüchliches und Mangelhaftes zu entlarven. Satire ist indirekt, weil die Kritik ästhetisch vermittelt wird und mit den Mitteln der Verformung […] und mit Komik arbeitet. Satire hat eine Normrückbindung, weil sie sich -explizit oder implizit- immer auf ein vorhandenes oder utopisches Ideal bezieht und existierende -oder drohende- Zustände oder Exzesse anprangert. Häufig ist der satirische Angriff (verdeckt) moralisch. Ziel ist, den Rezipienten zu kritischer Reflexion und induktiver Erkenntnis zu bringen. Satire ist darüber hinaus ein provokativer Appell mit dem Ziel der Veränderung, Verbesserung oder Abschaffung.“54
Zum genaueren Verständnis der Satire sind ebenso die Definitionen von Begriffen wie Komik, Humor, Ironie und Spott notwendig. In der vorliegenden Arbeit wird auf die Definitionen von Behrmann für die Begriffe Komik, Humor und Spott zurückgegriffen. Behrmann definiert Komik folgendermaßen: „Komik: ist als Gattung ein übergeordneter Begriff zu Satire und bezeichnet jede Art übertreibender Sichtbarmachung von Konflikten einander widersprechender Prinzipien, die zum Lachen55 reizt, weil sie die Nichtübereinstimmung von Ideal und Wirklichkeit oder von gesellschaftlicher Norm und individuellem Handeln aufdeckt. […]“56
Behrmann definiert Humor folgendermaßen: „Humor: ist wie die Satire ein Stilmittel der Komik. Doch beim Humor hat der komische Effekt einen Selbstzweck: den formalen Vollzug der komischen Widersprüchlichkeit. Er dient der Erheiterung und erfährt keine darüber hinausweisende Funktionalisierung, weil die Referenznorm nicht klar hervortritt, anhand der das Objekt be- bzw. verurteilt werden kann. In der Satire ist das Lachen Mittel zum Zweck, beim Humor Selbstzweck. Insofern kann man sagen, dass, während die Satire ihren Gegenstand negiert, attackiert und der Lächerlichkeit preisgeben will, der Humor das Wesentliche seines Objektes bejaht, gegebene Zustände in resignierender Heiterkeit hinnimmt und lediglich individuell
53 Föllmer, Satire, S. 10. 54 Behrmann, Politische Satire, S. 9. 55 Über das Lachen siehe bei: Henri Bergson, Das Lachen, Jena 1914. 56 Ibidem, S. 10.
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bedingte Auswüchse missbilligt. – In einer zweiten Bedeutung steht Humor für die Geisteshaltung, (über sich selbst) lachen zu können.“57
Ironie bedeutet so viel wie geheuchelte oder vorgetäuschte Unwissenheit. Der Ironie liegt subtiler Spott zugrunde, mit dem versucht wird, jemanden oder etwas dadurch zu treffen. Die Funktion der Ironie ist hierbei die negative Bewertung oder das Lächerlich-Machen. Mit der Ironie wird auch das Gegenteil von dem ausgedrückt, was eigentlich gemeint ist. Dabei soll aber ersichtlich sein, welche Absicht der Sender verfolgt.58 Spott ist, im Gegensatz zu Ironie, das bewusste Lächerlich-Machen, Verhöhnen, als verachtenswertes Darstellen und ist ebenfalls ein Mittel der Satire.59 Zu den satirischen Verformungsoperationen dienen außerdem rhetorische Stilmittel wie Metapher, Allegorie, Hyperbel, Ironie, Groteske und Parodie/Travestie (u. a.), die sowohl in Karikaturen als auch in Texten zum Einsatz kommen.60 Die osmanisch-türkische Entsprechung für Satire ist der Begriff hiciv.61 Öngören definiert hiciv als eine aggressive Form des Humors, welche ihre Ziele angreift, bloßstellt oder gar beschimpft.62 In der osmanischen bzw. türkischen Literatur hat sich allerdings der Begriff mizah als Äquivalent zur Satire durchgesetzt. Das Wort mizah stammt aus dem Arabischen und bedeutet so viel wie „Humor“.63 Osmanische Wörterbücher wie zum Beispiel das Kamus-i Türkî 64 oder Osmanlı Deyimleri ve Terimleri Sözlüğü setzen dem Begriff mizah (müzah)65 lediglich die Synonyme şaka (Scherz), lâtife (Schwank) und eğlence (Vergnügen) entgegen.66 Den beiden Begriffen mizah und hiciv liegen außerdem unterschiedliche Intentionen zugrunde. Der Definition Öngörens zufolge liegt dem mizah ein hohes 57 Bergson, Das Lachen, S. 10. 58 Vgl. Duden, 6. Aufl., Mannheim 2006, S. 896. 59 Behrmann, Politische Satire, S. 11. 60 Vgl. Klaus Schwind, Satire in funktionalen Kontexten. Theoretische Überlegungen zu einer semiotisch orientierten Textanalyse, Tübingen 1988, S. 98ff. 61 Siehe: Sir James Redhouse, Redhouse Türkçe – İngilizce Sözlük, Istanbul 1997, S. 482, 62 Ferit Öngören, Cumhuriyet’in 75.Yılında Türk Mizahı ve Hicivi, Ankara 1998, S. 139. 63 Vgl. Redhouse, S. 782. 64 Das einsprachige osmanische Wörterbuch Kamus-i Türkî erschien 1901 in Istanbul. Verfasser war der berühmte Literat Şemseddin Sami. Vgl. Vorwort von Faruk Akgün, in: Şemseddin Sami, Kamus-i Türkî, Istanbul 1317. 65 Sami, Kamus-i Türkî, S. 1330, Mehmet Zeki Pakalın, Osmanlı Tarih Deyimleri ve Terimleri Sözlüğü, Bd. 2, 2. Aufl., Istanbul 1971, S. 547, Ferit Devellioğlu, Osmanlıca – Türkce Ansiklopedik Lûgat, 17. Aufl., Ankara 2000, S. 791. 66 Ibidem.
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Maß an Wohlwollen zugrunde, was bei hiciv nicht der Fall ist. Ein weiteres wichtiges Kriterium zur Unterscheidung der Begriffe mizah und hiciv ist, dass mizah zwar Personen neckt, ohne sie jedoch gering zu schätzen oder sie gar zu beleidigen. Demzufolge darf mizah keineswegs verletzend sein. Bei hiciv ist die Intention eine andere, denn es schließt den Angriff auf einzelne Personen oder Gruppen sowie deren Verspottung, Beleidigung und Herabwürdigung mit ein. Die Grenzen zwischen mizah und hiciv sind jedoch in der Realität fließend. Dementsprechend sind viele Beiträge der Satirezeitschriften, wie zum Beispiel bei Hayal, eher in die Kategorie hiciv einzuordnen, auch wenn dieser Begriff keinerlei Verwendung in den entsprechenden Zeitschriften findet. Die Ursache hierfür war mit großer Wahrscheinlichkeit, dass der Begriff mizah viel positiver belegt war als hiciv.67 Eine ähnliche Problematik bezüglich einer eindeutigen Definition besteht auch für den Terminus „Zeitschrift“.68 Somit gestaltet sich eine eindeutige Abgrenzung zwischen Zeitung und Zeitschrift als problematisch. Auch die osmanischsprachigen Blätter selbst unterschieden keineswegs zwischen dem Terminus „Zeitschrift“, dessen osmanische Entsprechung mecmua lautet, und dem italienischen Lehnwort für „Zeitung“, gazete.69 Allerdings ist die inhaltliche und thematische Ausrichtung der Zeitschrift ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal. Ähnlich wie Zeitungen, erfüllen auch Zeitschriften das Kriterium der Publizität und der Periodizität, jedoch nicht immer das der Aktualität und Universalität.70 Obwohl weder die westlichen noch die osmanischsprachigen Periodika die Bezeichnung „Zeitschrift“ in ihrem Untertitel benutzen, sind sie aufgrund ihrer satirisch-humoristischer Ausrichtung als solche zu benennen. Die Begriffe graphische Bildsatire, politisches Bild und Bild werden synonym für Karikatur verwendet. Unter politischer Karikatur werden hier solche Karikaturen verstanden, die aktuelle Ereignisse, Prozesse, Entscheidungen, Positionen usw. kritisch thematisieren, die politischer Einflussnahme unterliegen und die Öffentlichkeit betreffen. 67 Ferit Öngören, 50 Yılın Türk Hicivi, Istanbul 1976, S. 91, S. 94. 68 Dagmar Glaß, Der Muqtaṭaf und seine Öffentlichkeit. Aufklärung, Räsonnement und Meinungsstreit in der frühen arabischen Zeitschriftenkommunikation, Bd. 1, Würzburg 2004, S. 54ff. Peter Gerlach, Zeitschriftenforschung. Probleme und Lösungsansätze dargestellt am Beispiel Journalism Quarterly (1964–1983), Wiesbaden 1988, S. 27ff. 69 Ami Ayalon, ““Sihafa”: The Arab Experiment in Journalism”, in: Middle Eastern Studies, Bd. 28, No. 2 (April 1992), S. 258–280, S. 260f. 70 Vgl. Klaus Merten, Einführung in die Kommunikationswissenschaft, Berlin 2007, S. 315.
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Da während der Balkankrise von 1875–1878 Bosnien-Herzegowina wie auch Bulgarien zu den Provinzen des Osmanischen Reiches gehörten, galten ihre Einwohner ebenso als Osmanen. Mit Osmanen sind in dieser Arbeit diejenigen gemeint, die ihre Loyalität zur Hohen Pforte aufrechterhielten. Für die Transkription von osmanischen Wörtern sowie Personennamen wurde die Schreibweise des Redhouse Türkçe – İngilizce Sözlük verwendet. Türkische Wörter, die Eingang in den deutschen Sprachgebrauch gefunden haben, wurden der deutschen Rechtschreibung entsprechend verwendet. Alle Übersetzungen, falls nicht anders angegeben, stammen von der Autorin. Von der Verwendung von Artikeln bei der Nennung der Satirezeitschriften wurde abgesehen.
1.3 Zur Auswahl der Quellen Die Analyse der Karikaturen, die zwischen 1875–1878 Jahren erschienen, bildet den Kern dieser Arbeit. Graphische Bildsatiren sind wichtige – und in vielen Fällen auch die einzigen – zeitgenössische visuelle Darstellungen von historischen Ereignissen, die oft mit großer zeitlicher Nähe zu den Vorkommnissen selbst entstanden. Obwohl sie nicht die Darstellung der objektiven Wirklichkeit von politischen oder historischen Ereignissen beabsichtigen, so spiegeln politische Bilder zumeist Nuancen der Öffentlichen Meinung wider und reflektieren Zusammenhänge in komprimierter –und oft verschlüsselter- Form. Ausschlaggebend dafür, dass der Schwerpunkt dieser Arbeit auf die Analyse von Karikaturen gelegt worden ist, ist außerdem die Tatsache, dass graphische Bildsatiren während dieser Jahre erstmals in den Satirezeitschriften Istanbuls als neue satirische Ausdrucksform auftraten. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts waren Bilder oder gar Karikaturen einem nur sehr kleinen Kreis der osmanischen Oberschicht bekannt. Erst mit der Genese von osmanischen Satirezeitschriften in Istanbul fand ein breiteres Publikum Zugang zu Illustrationen und graphischen Satiren.71 So soll diese Arbeit unter anderem zeigen, wie osmanische Publizisten und Karikaturisten das neue Phänomen Karikatur als Instrument der Kommunikation und Meinungsbildung in Zeiten der Krise in ihren Blättern einsetzten. 71 Außerhalb der Grenzen des Osmanischen Reiches, in Tehran, veröffentlichte das iranische Amtsblatt Rūznāme-ye Vaqāye‘-e Ettefāqīyye später (Rūznāme-ye Doulat-e ‘Aliyye) bereits ab den 1850er Jahren regelmäßig Illustrationen. Vgl. Hassani Riazi Seyed Mehdi, Die persische Staatszeitung Rūznāme-ye Vaqāye‘-e Ettefāqīyye, weit mehr als herrschaftliche Repräsentation, Hamburg 2009, S. 68ff.
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Im Gegensatz zum Osmanischen Reich blickt die graphische Bildsatire in Europa auf eine längere Geschichte zurück.72 In Großbritannien waren politische Karikaturen bereits im 18. Jahrhundert etabliert. Aufgrund ihrer Aussagekraft und ihrer Wirksamkeit erfreuten sich britische Bildsatiren über die Landesgrenzen hinaus großer Beliebtheit. So wurden die populärsten Werke oft exportiert oder kopiert.73 Nicht selten wurden graphische Satiren eingesetzt, um politische Gegner zu diffamieren und zu diskreditieren. Zumeist nahmen politische Parteien die Dienste von Karikaturisten in Anspruch, um ihre Rivalen zu verspotten und zu verhöhnen. Somit etablierte sich die politische Karikatur zur Waffe im Kampf um die öffentliche Meinung. Aufgrund der Preise für graphische Bildsatiren waren die Hauptabnehmer vor allem Angehörige der Ober- und Mittelschicht. Allerdings hatten in England die Angehörigen aller sozialen Schichten und Klassen Zugang zu Karikaturen, da die Druckhäuser sie zumeist an den Schaufenstern ihrer Räumlichkeiten aushängten.74 Die Erfindung der Lithografie durch Alois Senefelder (1771–1834) im 18. Jahrhundert trug im Wesentlichen dazu bei, dass graphische Bildsatiren in hohen Auflagenzahlen gedruckt werden konnten. Die Lithografie gehörte im 19. Jahrhundert zu den am meisten angewandten Drucktechniken und erlaubte, dass Karikaturen sowie Zeitschriften, die Bilder, Illustrationen oder graphische Bildsatiren enthielten, in hohen Auflagen vervielfältigt werden konnten.75 Die Kreide- bzw. Tuschelithografie macht sich zum Beispiel die chemischen
72 Einen zusammenfassenden Überblick zur Geschichte der Karikatur bietet: Päge, Karikaturen, S. 17–35. Das Wort Karikatur leitet sich vom italienischen caricare ab, was übersetzt ‚beladen‘ oder ‚übertreiben‘ bedeutet. In dieser Arbeit wird unter Karikatur, wie von Rösch definiert, als die „Darstellung in Bild und Wort, in der Personen oder Vorgänge in deformierend verknappter, vielfach komischer Art und Weise charakterisiert und so häufig auch kritisiert werden“ verstanden. Gertrud M. Rösch, “Karikatur”, in: Harald Fricke (Hg.), Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft, Bd. 2, Berlin 2000, S.233–237, S. 234. 73 Michel Jouve, “Innovation und Einfluß der englischen graphischen Satire des 18. Jahrhunderts”, in: Raimund Hütten (Hg.), Die Karikatur zwischen Republik und Zensur, Bildsatire in Frankreich 1830 bis 1880 – eine Sprache des Widerstands?, Marburg 1991, S. 24–31, S. 24ff. 74 Tamara L. Hunt, Defining John Bull: Political Caricature and National Identity in Late Georgian England, Cornwall 2003, S. 13. 75 Zur Lithographie siehe: Alois Senefelder, Lehrbuch der Lithographie und des Steindrucks, Berlin 1909. Zu den verschiedenen Techniken und Methoden der Lithografie siehe: Siegfried E. Fuchs, Die Lithographie. Ein technischer Leitfaden für Künstler und Sammler, Recklinghausen 1979.
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Eigenschaften fetthaltiger Kreide oder Tusche zunutze. Das Motiv wird spiegelverkehrt und direkt auf eine zuvor mit Säure präparierte Steinplatte aufgetragen. Danach wird die Platte mit einer Mixtur aus Gummiarabikum und verdünnter Salpetersäure überzogen, wobei sich die Flüssigkeit an den kreide- bzw. tuschelosen Flächen festsetzt. Nach dem Auswaschen mit Asphaltlösung erfolgt das eigentliche Einfärben der Platte mit Druckfarbe. Trotz der ebenen Fläche nehmen lediglich die fetthaltigen Stellen der Zeichnung die Farbe an. Alle anderen Stellen stoßen sie ab. Eines der ersten Periodika, die sowohl graphische Bildsatiren als auch satirische Texte enthielt, ist die Pariser Satirezeitschrift Le Charivari (1832)76, die täglich bis 1926 erschien.77 Le Charivari erfreute sich bald auch über die Grenzen Frankreichs hinaus großer Beliebtheit und fand zahlreiche Nachahmer, sowohl in Berlin und London, als auch in Konstantinopel. In London erschien 1841 die satirische Zeitschrift Punch, die als Anspielung auf Le Charivari den Untertitel The London Charivari trug. Wenige Jahre später kam in Berlin der Berliner Charivari (1847) heraus.78 Publizisten aus Istanbul bezogen sich ebenfalls auf das Pariser Original und veröffentlichten ihre Derivate unter dem Namen Şarivari, der turkisierten Schreibweise von Charivari. Nach Sichtung zahlreicher europäischer und osmanischsprachiger Satirezeitschriften in inländischen sowie ausländischen Bibliotheken79 erwiesen sich in erster Linie unter den osmanischsprachigen Hayal und als westliche Zeitschriften
76 Das Wort Charivari stammt laut Koch vom griechischen Wort kareberia und bedeutet Kopfschmerz. Vgl. Koch, Teufel, S. 16f. 77 Die erste Ausgabe von Charivari erschien laut Koch am 1. Dezember 1832 in Paris. Vgl. Ursula E. Koch und Pierre Paul Sagava, Le Charivari: Die Geschichte einer Pariser Tageszeitung im Kampf um die Republik (1832–1882), Köln 1984, S. 18. 78 Koch, Teufel, S. 56. 79 Alle Nummern von Punch, die zwischen 1841 bis 1976 erschienen sind, sind in der Universitätsbibliothek Heidelberg einsehbar. Ebenso sind sämtliche Nummern der Jahrgänge von 1848 bis 1944 von Kladderadatsch in der Universitätsbibliothek Heidelberg vorhanden. Die osmanischsprachigen Satirezeitschriften sind in der Milli Kütüphane in Ankara sowie in der Hakkı Tarık Us Kütüphanesi in Istanbul einsehbar. Zu den Standorten von Hayal siehe bei Hasan Duman, Başlangıcından Harf Devrimine Kadar Osmanlı Süreli Yayınları ve Gazeteler Bibliografyası ve Toplu Kataloğu: 1828–1928, Ankara 2000, S. 366f.
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Punch80 und Kladderadatsch81 als Primärquellen für diese Arbeit besonders geeignet. Wichtige Kriterien, welche die Auswahl der Periodika maßgeblich bestimmten, waren ihre Popularität (bzw. ihre Auflagenstärke) und ihre Kontinuität. Sowohl Punch als auch Kladderadatsch gehörten zu den auflagenstärksten Satirezeitschriften ihrer Zeit. Punch erreichte eine Auflagenzahl von 40.000, wobei Altrick die tatsächliche Leserzahl auf das Fünffache einschätzte. Auch Kladderadatsch erreichte ähnlich hohe Auflagenzahlen. Im Jahr 1873 hatte das Blatt um die 50. 000 Abonnenten. Für Hayal fehlen zwar gesicherte Auflagenzahlen bzw. Abonnentenzahlen, allerdings wird dessen lange Publikationsdauer (im Vergleich zu anderen zeitgenössischen osmanischsprachigen Satirezeitschriften) und ihr dreimaliges Erscheinen in der Woche als Indiz für ihre Popularität gewertet. Diese Satirezeitschriften bieten die Möglichkeit, das politische Szenario der Jahre 1875–1878 im Hinblick auf die Balkankrise aus unterschiedlichen Perspektiven und von verschiedenen Standpunkten aus zu beleuchten. Im dieser Arbeit wird die Zeitschrift Hayal eingehender und umfangreicher besprochen. Deshalb wird an dieser Stelle auf eine Vorstellung dieser Satirezeitschrift verzichtet. Aufgrund des Umfangs der Thematik kann die Vorstellung von Punch und Kladderadatsch nur skizzenhaft geschehen.82 Punch wurde 1841 von Sir Henry Mayhew (1812–1887) und dem Xylografen Ebenezer Landells (1898–1860) gegründet.83 Die erste Nummer dieser Satirezeitschrift erschien am 17. Juli 1841 in London. Der Entstehungsort von Punch prägte den Inhalt dieses Blattes fundamental. London war nicht nur Regierungssitz, Überseehafen und Industriezentrum Großbritanniens sondern 80 Von Punch wurden zusätzlich auch die Bände der Jahrgänge 1841 bis 1878 untersucht, um festzustellen, ab welchem Zeitpunkt sich dieses Blatt mit dem Osmanischen Reich als Gegenstand ihrer Satire befasste. 81 Die Ausgaben der Jahre 1853 bis 1856 von Kladderadatsch wurden ebenfalls gesichtet. Ebenso wie Punch, veröffentlichte auch diese Zeitschrift zahlreiche Beiträge, die das Kriegsgeschehen thematisierten. 82 Es gibt zahlreiche Untersuchungen, die sich mit einzelnen Aspekten der Satirezeitschriften Punch oder aber mit Kladderadatsch beschäftigen. Eine vollständige Auflistung dieser Literatur muss jedoch anderen Arbeiten vorbehalten bleiben. Die Arbeit von Liesel Hartenstein (Hg.), Facsimile-Querschnitt durch den Kladderadatsch, enthält ab Seite 30 eine Liste von Werken, die sich mit dem Kladderadatsch befassen. Vgl. Liesel Hartenstein (Hg.), Facsimile-Querschnitt durch den Kladderadatsch, München 1980, S. 30ff. 83 Zur Entstehungsgeschichte vom Punch vgl. Marion H. Spielmann, The History of “Punch”, London 1895, S. 10ff. Zu weiteren Mitarbeiten und Karikaturisten siehe: Ibidem, S. 29ff.
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zugleich eines der wichtigsten Finanz-, Kultur- und Handelszentren der damaligen Welt.84 Dementsprechend reflektierte Punch das vielfältige Leben Londons auf seinen Seiten. Aus dem Inhalt und der Aufmachung dieser Satirezeitschrift deutet Stielau, dass Punch sich an die liberale bürgerliche Mittelschicht richtete. Besonders der Arbeiterschicht nahm Punch sich im Sinne einer karitativen Sozialkritik aus bürgerlich-liberaler Sicht an.85 Der Philanthrop Henry Meyhew war nicht nur Mitherausgeber von Punch, sondern ebenso Humorist, Journalist, Autor und Sozialforscher. Eine seiner wichtigsten Publikationen war seine umfassende Studie der Londoner Unterschicht, die unter dem Titel London Labour and the London Poor ab 1849 in der Zeitung Morning Chronicle erschien.86 Mit seiner Studie bietet Mayhew einen einzigartigen Einblick in das Leben der Londoner Unterschicht des 19. Jahrhunderts. Zu den Lesern von Punch gehörten Angehörige der höchsten Regierungskreise Großbritanniens. Politiker wie Gladstone oder Disraeli waren regelmäßige Leser dieser Satirezeitschrift.87 Punch bietet als führende Satirezeitschrift Großbritanniens, das zum einen als Welthandelsmacht in Konkurrenz mit dem aufstrebenden Zarenreich stand und zum anderen an der Integrität des Osmanischen Reiches interessiert war, einen Einblick in die vorherrschende politische Stimmung Londons. England war unmittelbar von der Entwicklung der aktuellen politischen Situation betroffen, die eine latente Bedrohung für den Fortbestand des Osmanischen Reiches bedeutete, denn der Erhalt und die Sicherung der osmanischen Hauptstadt als Sitz des Sultans waren in jenen Jahren richtungweisend für die britische Außenpolitik. Anhand der Satirezeitschrift Punch soll nun im Rahmen dieser Arbeit gezeigt werden, welchen karikaturistischen Niederschlag die Balkankrise von 1875–1878 und die damit verbundene „russische Bedrohung“ im Punch gefunden haben. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist zugleich die Darstellung des Osmanischen Reiches und dessen Politik in Karikatur.
84 Michael Maurer, Kleine Geschichte Englands, Bonn 2007. 85 Adelheid Stielau, Kunst und Künstler im Blickfeld der satirischen Zeitschriften ‚Fliegende Blätter‘ und ‚Punch‘, Aachen 1976, S. 12f. 86 Henry Mayhew, London Labour and the London Poor, London 1985. 87 Vgl. Fabrice Bensimon, “French Revolution in English Caricature”, in: Philippe Kaenel (Hg.), Interkulturelle Kommunikation in der europäischen Druckgraphik im 18. und 19. Jahrhundert. The European print and cultural transfer in the 18th and 19th centuries. Gravure et communication interculturelle en Europe aux 18e et 19e siècles, Hildesheim 2007, 437–462, S. 446.
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Ebenso wie Punch oder Hayal entstand Kladderadatsch im hauptstädtischen Milieu.88 Die Genese von Kladderadatsch erfolgte in einer Zeit des Umbruchs kurz nach der Märzrevolution 1848. Darauf spielt auch der Titel dieser Satirezeitschrift an. Zu jener Zeit war „Kladderadatsch“ ein in Berlin gebräuchlicher Ausruf für Zusammenbruch. Laut Duden bedeutet es ebenso „Chaos, heilloses Durcheinander nach einem Zusammenbruch“. Angesichts der Umstände, in denen das Blatt entstand, schien der Titel für den Gründer des Blattes passend. Der Schöpfer und Herausgeber von Kladderadatsch war der jüdischstämmige Berliner Humorist und ehemalige Kaufmann David Kalisch (1820–1872), der gemeinsam mit dem Verleger Heinrich Albert Hofmann (1818–1880) das Blatt herausgab. Der Kreis der Mitarbeiter war für lange Jahre sehr überschaubar. Neben den beiden Autoren Ernst Dohm (1819–1883) und Rudolf Löwenstein (1819–1891) arbeitete Wilhelm Scholz (1824–1893) als Illustrator und Karikaturist für diese Zeitschrift. Die erste Nummer dieser Satirezeitschrift erschien am 7. Mai 1848 in Berlin mit einer Auflage von 4000 Exemplaren.89 Bereits im Juni stieg die Zahl der Abonnenten auf 4800.90 Zwar erlangte Berlin vor 1914 nicht das kulturelle Übergewicht einer dominierenden Nationalmetropole in der Art von London oder Paris und war auch keineswegs mit Istanbul vergleichbar, aber es erlangte den Status einer der wichtigsten europäischen Hauptstädte im 19. Jahrhundert.91 Berlin war nicht nur Regierungssitz, sondern zugleich auch eine der bevölkerungsreichsten Metropolen in Europa, vergleichbar mit Paris, London oder St. Petersburg. Mit 8 bis 11 Prozent Bevölkerungswachstum pro Jahr gehörte Berlin zu den am schnellsten wachsenden Großstädten jener Zeit.92 Im Gegensatz zu Großbritannien hatte das Deutsche Reich vermeintlich weder einen besonderen Vorteil vom Fortbestand des Osmanischen Reiches, noch unmittelbare Interessen an dessen Territorien. Allerdings war das Deutsche Reich ein wichtiger Bündnispartner Russlands und Österreich-Ungarns im sogenannten Dreikaiserabkommen und somit ebenfalls sehr stark von der Entwicklung der Balkankrise sowie vom Ausgang des Krieges zwischen dem Osmanischen Reich und Russland betroffen. Folglich befand sich das Deutsche Reich in einer politisch äußerst prekären Position. Durch seine Lage in der Mitte Europas befürchtete vor allem Bismarck nichts mehr als die Verwicklung Deutschlands in 88 Vgl. Koch, Teufel, S. 85. 89 Ibidem, S. 85. 90 Ibidem, S. 105. 91 Vgl. Osterhammel, Verwandlung, S. 393. 92 Osterhammel, Verwandlung, S. 379.
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einen weiteren Krieg.93 Um militärische Auseinandersetzungen zu vermeiden, besonders gegen Frankreich, war das Deutsche Reich gezwungen, die Spannungen, die zwischen den konkurrierenden Bündnispartnern herrschten, abzubauen.94 Vor diesem Hintergrund sind die Karikaturen, die Kladderadatsch in diesem Zeitraum veröffentlichte, besonders interessant. Weitere Fragen sind auch, in welchem Lichte die Protagonisten dieser Krise erscheinen und ob das Blatt zugunsten der deutschen Verbündeten Stellung bezieht. Unter allen berücksichtigten osmanischsprachigen Satirezeitschriften bietet einzig Hayal aufgrund ihrer Kontinuität die Möglichkeit, die Balkankrise in ihrem gesamten Verlauf aus der Perspektive einer osmanischsprachigen Satirezeitschrift zu beleuchten. Zwar erschien in diesem Zeitraum eine Vielzahl von osmanischsprachigen Satirezeitschriften, allerdings weisen diese einen erheblichen Mangel an Kontinuität auf und wurden deshalb lediglich an wenigen Stellen ergänzend hinzugezogen.95
1.4 Anmerkungen zur Auswahl der Karikaturen und zu ihrer Interpretation Wie bereits erwähnt, stehen im Rahmen dieser Arbeit die politischen Karikaturen im Mittelpunkt, die im Zusammenhang mit der Balkankrise zwischen den Jahren 1875 bis 1878 in den oben erwähnten Satirezeitschriften erschienen, da sie als „treffsichere Waffen“ der Kritik an der Politik und als Indikatoren der öffentlichen Meinung gewertet werden. Bei der Untersuchung wird das Bild weniger als ästhetisches Produkt betrachtet sondern vielmehr als historische Quelle. Bislang haben Bilder kaum Beachtung durch die Osmanistik erfahren. Deshalb gibt es auch keine einheitliche Methode, die vorgibt, auf welche Weise diese Bilder befragt werden können. In dieser Arbeit steht, wie bereits erwähnt, nicht der künstlerische Aspekt im Mittelpunkt. Die klassischen Instrumente der Ikonologie oder Kunstgeschichte zur Befragung von Bildern kann in diesem Gebiet nicht angewandt werden, da oft weder Künstler noch das genaue
93 Vgl. James Stone, The War Scare of 1875. Bismarck and Europe in the Mid-1870s, Stuttgart 2010, Johannes Janorschke, Bismarck, Europa und die “Krieg-In-Sicht”Krise von 1875, München 2010. 94 Die jüngsten politischen Ereignisse des Sommers 1875 hatten unmittelbare Auswirkungen auf die internationalen Beziehungen jener Zeit und somit auch auf das Verhältnis des Deutschen Reiches zu den anderen Großmächten. Vgl. Stone, The Ware Scare. 95 Zu den Standorten von Basiret siehe bei: Duman, Başlangıcından, S. 174ff.
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Entstehungsdatum feststellbar sind. Außerdem fehlen Arbeiten, die sich mit der Verwendung von Symbolen in osmanischen Karikaturen befassen.96 Von weit mehr als 400 Karikaturen, die Bezug auf die Balkankrise von 1875 – bis 1878 nehmen, wurden 85 für die Analyse herangezogen. Aufgrund der Fülle von graphischen Bildsatiren war es nicht möglich, alle Beiträge zu berücksichtigen, zumal auch eine Reihe von Zeichnungen derselben Zeitschrift sich mit demselben Ereignis auseinandersetzen. Aus der Fülle von Beiträgen wurden diejenigen Bilder ausgewählt und untersucht, die am aussagekräftigsten erschienen. Im ersten Schritt war es notwendig die gesichteten Karikaturen in Bezug auf die Balkankrise als „politische Krikaturen“ zu klassifizieren. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass es drei Typen von „politischen Karikaturen“ gibt: Der erste Typus ist die Ereigniskarikatur. Sie bezieht sich auf ein punktuelles Geschehen im historischen Prozeß, ein Tagesereignis, ein Ereignis von unmittelbarer, aber zeitlich begrenzter Aktualität. Dies kann zum Beispiel das Ergebnis einer Wahl, ein politischer Zwischenfall, eine bedeutsame Rede, eine politische Konferenz, ein Staatsbesuch oder der Ausbruch eines Konfliktes u. ä. mehr sein. Der zweite Typus ist die Prozesskarikatur. Sie hebt auf geschichtliche Verläufe ab und will Wandel zum Ausdruck bringen oder Wendepunkte hervorheben, Aufstieg und Abstieg kennzeichnen, Intention und Ergebnis sowie Idee und Wirklichkeit gegenüberstellen. Sie bedient sich dabei oft der zwei- oder mehrgliedrigen Bildfolge. Die meisten Prozesskarikaturen haben eine regressive Blickrichtung und schauen von der jeweiligen Gegenwart in die Vergangenheit zurück. Der dritte Typus – die Zustandskarikatur – kann beispielsweise aktuelle Anlässe aufnehmen und ist aber darum bemüht, von ihnen aus dauerhafte Strukturen zu kennzeichnen, wenig wandelbare Grundverhältnisse aufzuzeigen wie: Herrschafts-, Gesellschafts- oder Wirtschaftsordnungen. Da die Grenzen zwischen den verschiedenen Karikaturentypen fließend sind, wurden sie in dieser Arbeit nicht explizit als solche benannt und ausgewiesen. Zur Entschlüsselung und Interpretation der Karikaturen wurden diese folgendermaßen befragt: 96 Auch im Rahmen unseres Forschungsprojektes haben wir keine einheitliche Methode zur Befragung von Karikaturen entwickelt. Die Arbeit meiner Kolleginnen Eliane Ursula Ettmüller liefert keinerlei Informationen über die von ihr verwendeten Methode zur Entschlüsselung der graphischen Bildsatiren. Frau Margaretha Hotwagner verwendet eine von Prof. Dr. Sepp Linhart entwickelte Vorgehensweise, um japanische Karikaturen zu entschlüsseln. Deshalb war es notwendig, eine eigene Methode zu entwickeln.
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Welche Situation wird dargestellt, welches Problem wird visualisiert? Wann wurde die Karikatur veröffentlicht? Welche Figuren, welche Nationalitäten werden abgebildet? Welche Symbolik und Metaphorik haben einzelne zeichnerische Elemente? (Personifikationen auflösen, Symbole deuten etc.) Welche Informationen bietet die Über- oder Unterschrift, welche Bedeutung hat sie? Wie ist der Bildaufbau gestaltet? Welche sonstigen Gestaltungsmittel fallen auf? Welche politischen, sozialen, wirtschaftlichen oder kulturellen Zusammenhänge und Hintergründe werden angesprochen, die gekannt sein müssen, um die Karikatur zu verstehen?
Publiziert in der Presse fügt sich die politische Karikatur in das journalistische Angebot. Zwar ist sie keine Nachricht, wie etwa Textmeldungen, Reportagefoto, Gesichtszeichnung oder das eine Statistik anschaulich unterstützende Piktogramm. Sie gehört aber als Form zum Genre „Kommentar“. Die Bildsatire bietet keine (sachliche) Information, sondern basiert auf Information, setzt bekannte, d. h. bereits vermittelte Informationen voraus, die sie kritisch bewertet. Karikaturen vermitteln eine (subjektive) Meinung und tragen somit zur Meinungsbildung des Rezipienten bei, in dem sie seine Zustimmung oder Ablehnung, zumindest Denkanstöße zur eigenen Auseinandersetzung, hervorrufen. In Anlehnung an die Methode von Erwin Panofsky97 wurde in dieser Arbeit ein eigenes Raster zur Interpretation der Bildsatiren angewandt, da nicht alle Gesichtspunkte, die für die kunsthistorische Interpretation von Bildern notwendig sind, auch für den Erkenntnisgewinn dieser Arbeit relevant sind. Im ersten Schritt erfolgt unter Berücksichtig des Begleittextes und des Titels (soweit vorhanden) eine Bildbeschreibung. Eine der wichtigsten Informationen, die für die Interpretation der Bildsatiren essentiell war, ist ihr Erscheinungsdatum. Da es sich bei der Vielzahl der untersuchten Karikaturen um Ereigniskarikaturen handelt, die in einem direkten Zusammenhang zu bestimmten Ereignissen angefertigt wurden, ist somit ihr Veröffentlichungsdatum wichtig, um sie in den historischen Kontext einzuordnen. In einem weiteren Schritt erfolgt die Beschreibung der Bildelemente, wie zum Beispiel die verwendeten Symbole oder andere Merkmale des Bildes. Hierzu zählen ebenso die Beschriftungen im Bild. Lediglich die Analyse der in Hayal abgedruckten Beiträge bildet hierbei eine Ausnahme. Neben den Karikaturen wurden für diesen Teil der Arbeit ebenfalls 97 Erwin Panofsky, Sinn und Deutung in der bildenden Kunst, Köln 1978.
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satirische Texte zur Untersuchung herangezogen. Dies erschien aufgrund der Konzeption osmanischsprachiger Satirezeitschriften notwendig, die im Gegensatz zu ihren westlichen Pendants ihren Schwerpunkt auf der Publikation von Textbeiträgen hatten. Zumeist erschien nur eine einzige Karikatur je Einzelnummer. Des Weiteren soll die Untersuchung ausgewählter Textbeiträge zeigen, welche unterschiedlichen Textformen Hayal als satirische Ausdrucksformen zur Karikierung einsetzte. Da Bildsatiren bislang kaum Gegenstand der Osmanistik waren, gibt es dementsprechend keine etablierte und einheitliche Methode für ihre Analyse und Interpretation. Ebenso fehlen Lexika, wie sie zum Beispiel für Symbole der griechisch/römischen Mythologie existieren, die die Interpretation von Bildern erleichtern. Weder Özdiş, Heinzelmann oder Brummet haben in ihren Arbeiten die Methode dargelegt, die sie zur Interpretation der von ihnen untersuchten Karikaturen angewandt haben. Es ist zu erwähnen, dass es zahlreiche kunsthistorische Theorien für die Analyse und Interpretation von Bildern und Bildsatiren gibt, diese sind aber für den Erkenntnisgewinn dieser Arbeit nicht dienlich,98 da es hier nicht um die künstlerischen oder ästhetischen Aspekte in Karikaturen geht. Ebenso wurden topographische Gegebenheiten wie Waffen oder Uniformen nicht auf ihre Authentizität geprüft, da sie für die Botschaft der Karikatur keine Bedeutung haben. Vielmehr versuchten die Künstler, mit Assoziationen zu arbeiten, indem sie Symbolen verwendeten, mit denen sie bestimmte Zugehörigkeiten zum Ausdruck brachten. Für die Analyse der Karikaturen in der vorliegenden Arbeit ist die Kenntnis ihrer Entstehungshintergründe unabdingbar. Der Betrachter muss Informationen über das dargestellte Ereignis oder die verbildlichte Situation haben. Ohne dieses Wissen ist es unmöglich, die Botschaft des politischen Bildes zu erfassen. Dessen waren sich auch die Herausgeber osmanischsprachiger Satirezeitschriften bewusst. Bei Karikaturen, bei denen sie befürchteten, dass sie der Rezipient nicht verstehen könne, druckten sie als Ergänzung erläuternde literarische Beiträge ab.99 Die meisten politischen Bilder, die im Rahmen dieser Arbeit untersucht wurden, sind Ereigniskarikaturen, d. h. Karikaturen, die in einem direkten Zusammenhang zu bestimmten Ereignissen angefertigt wurden. Ebenso ist es notwendig die vorhandenen Symbole, Allegorien oder Metaphern zu entschlüsseln, um Zugang zur Karikatur zu finden. Bislang gibt es auch kein 98 Einen Überblick der unterschiedlichen Ansätze und Theorien bietet Christoph Achterberg, Karikatur als Quelle. Determinanten sozialwissenschaftlicher Interpretation, Frankfurt am Main 1998. 99 Vgl. Zum Beispiel Hayal, No. 143, 3. Mayıs 1291 R. [15. Mai 1875], S. 4.
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Kompendium, dass sich mit Symbolen beschäftigt, welche in osmanischen Karikaturen häufig abgebildet werden. Deshalb wurde für die Dechiffrierung der osmanischen Bildsatiren, soweit vorhanden, auch auf die literarischen Beiträge der Satirezeitschriften zurückgegriffen. Für viele Bildsatiren zeichneten die Karikaturisten von Punch und Kladderadatsch porträthaft real existierende Herrscherpersönlichkeiten oder Politiker. Deshalb war es notwendig, diese Karikaturen auch mit Fotografien oder anderen Bildmedien abzugleichen, um die abgebildeten Personen zu identifizieren, da es in den Bildsatiren selbst keine Informationen zur abgebildeten Person gibt. Rückschlüsse diesbezüglich lassen sich in diesem Punkt auch nicht durch die literarischen Elemente der Satirezeitschrift ziehen. Anzumerken ist, dass Karikaturen in der Regel sehr subjektiv sind und keine Situation exakt wiedergeben, sondern sie vermitteln eine bestimmte Botschaft über einen Zustand oder Ereignis. Obwohl die Darstellungen innerhalb politischer Bilder fiktiv sind, bilden sie trotzdem reale Situationen oder real existierende Personen ab. Anhand von Symbolen oder Zeichen versucht der Zeichner sicherzustellen, dass seine Karikaturen auch verstanden werden. Real existierende Persönlichkeiten werden in den untersuchten Satirezeitschriften in der Regel entweder anhand ihrer Physiognomie kenntlich gemacht oder porträthaft dargestellt. Ebenso die greifen Künstler auf Allegorien zurück, wie zum Beispiel auf Nationalallegorien (Britannia, John Bull oder Germania), um dem Betrachter eine schnellere Dechiffrierung ihrer Bilder zu ermöglichen. Meist arbeiten sie auch mit Stereotypen oder Synekdochen,100 die die Dekodierung ihrer Karikaturen erheblich erleichtern, da sie oft einprägsam und bildhaft komplexe Inhalte schnell bei dem Rezipienten hervorrufen können.101 Des Weiteren ist auch das Zitat ein häufig gebrauchtes Stilmittel der Satire. Bekanntes wie populäre Liedtexte, Aphorismen, Kunstwerke oder Ähnliches werden als Vorlage genommen und satirisch verwertet. Zitieren setzt wie kaum
100 Zur Bildung von Stereotypen siehe bei: Valeria Heuberger (Hg.), Das Bild vom Anderen. Identitäten, Mentalitäten, Mythen und Stereotypen in multiethnischen europäischen Regionen, Frankfurt am Main 1998. 101 Durch die regelmäßige Typisierung einer Gruppe (oder eines einzelnen Angehörigen dieser Gruppe), mittels regelmäßig wiederkehrender Attribute oder anderer Merkmale wie zum Beispiel anhand von physiognomischer Merkmale, Kleidung, Kopfbedeckung oder durch die Nutzung von Emblemen und Symbolen entstehen Stereotype. Vgl. Angelika Plum, Die Karikatur im Spannungsfeld von Kunstgeschichte und Politikwissenschaft. Eine ikonologische Untersuchung zu Feindbildern in Karikaturen, Aachen 1998, S. 77ff.
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ein anderes Stilmittel einen gemeinsamen kulturellen Hintergrund von Künstler und Publikum voraus und erfordert Vorwissen und die Fähigkeit, Verbindungen herzustellen. Der Karikaturist muss sich hierbei im Gegensatz zu einfachen zugänglichen satirischen Hilfsmitteln wie der Verformung darauf verlassen, dass für seine Pointe das Wissen um ein anderes Werk gegeben ist und dieses auch gesellschaftlich gebilligt für seine Zwecke genutzt werden darf. Darüberhinaus wurden vorrangig die osmanischen Karikaturen daraufhin geprüft, ob es sich bei ihnen um Adaptionen, Plagiate oder Kopien von westlichen Vorlagen handelt. Der Großteil derartiger Karikaturen wurde deshalb nur in wenigen Fällen zur Analyse hinzugezogen. Vielmehr wurden diejenigen Karikaturen ausgewählt, bei denen es sich nicht um offensichtliche Kopien oder Nachdrucke von Bildern handelt, die in Punch oder Kladderadatsch erschienen waren. Politische Bilder können ebenfalls als Propaganda verstanden werden, da sie gleichzeitig viele Kriterien erfüllen, die für den Propagandabegriff gelten. Gemäß Liebel propagieren politische Karikaturen ebenso „eine Ideologie und/ oder Weltanschauung“ und finden Verbreitung durch Massenmedien.102 Auch der Definition des Propagandabegriffs von Bussemer folgend, tragen viele der Karikaturen, die in den untersuchten Satirezeitschriften veröffentlicht worden sind, propagandistische Inhalte.103 Bislang gibt es keinerlei Untersuchungen, die osmanische Karikaturen nach ihrem Propagandagehalt hin befragt haben. Aufgrund der thematischen Ausrichtung muss die Klärung dieser Fragestellung weiteren Arbeiten vorbehalten bleiben. In der vorliegenden Arbeit wird der Aspekt der möglichen Propaganda deshalb unberücksichtigt bleiben. Es ist darauf hinzuweisen, dass seit der Veröffentlichung der untersuchten Bildsatiren mehr als hundert Jahre vergangen sind. Dementsprechend ist es trotz aller Bemühungen kaum möglich, die tagesaktuellen Karikaturen in derselben Weise wie der zeitgenössische Betrachter zu verstehen. Eine weitere Gefahr bei der Interpretation ist es, die Grenzen des ursprünglichen Kontextes zu überschreiten.
102 Vinícius Liebel, Politische Karikaturen und die Grenzen des Humors und der Gewalt. Eine dokumentarische Analyse der nationalsozialistischen Zeitung „Der Stürmer“, Opladen 2011, S. 60f. 103 Vgl. Thymian Bussemer, Propaganda. Konzepte und Theorien, 2. Aufl., Wiesbaden 2008, S. 25ff.
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1.5 Aufbau der Arbeit Im ersten Kapitel dieser Arbeit wird der historische Kontext, in dem das Osmanische Reich sich im 19. Jahrhundert befand, skizzenhaft dargestellt. Ebenso werden die Definitionen für Begriffe festgelegt, die für das Verständnis der vorliegenden Arbeit notwendig sind. Das zweite Kapitel bietet eine Zusammenfassung der Entstehungsgeschichte der privatwirtschaftlich geführten Presse im Osmanischen Reich, die notwendige Voraussetzung für die Etablierung von osmanischsprachigen Satirezeitschriften war. Ebenso ist dieses Kapitel von Bedeutung, um später genauere Aussagen über den Zeitraum machen zu können, in dem sich der Aneigungsprozess von Karikaturen im Osmanischen Reich vollzog. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit osmanischer Pressegeschichte, im speziellen mit satirischer Presse fand bisher nur partiell statt. Vor allem diejenigen Satirezeitschriften, die vor 1908 erschienen, haben, wie eingangs erwähnt, bisher durch die Forschung mäßig Beachtung gefunden, obwohl in den Jahren zwischen 1870 bis 1877 zahlreiche Satirezeitschriften im Osmanischen Reich erschienen sind.104 Über die Zeitschriften, die außerhalb der Grenzen Istanbuls erschienen, ist nahezu nichts bekannt. Hierzu liefert zum Beispiel Hayal sehr spärliche Hinweise, denen durch weitere Forschungen nachgegangen werden müsste, um diesbezügliche Forschungslücken zu schließen. Ebenso fehlen Untersuchungen, die sich den nicht-osmanischsprachigen Satirezeitschriften im Osmanischen Reich widmen. Die Erforschung von Satirezeitschriften im Osmanischen Reich geschah bislang bruchstückhaft und deshalb beschränkt sich die vorhandene Literatur nur auf knappe Einsichten und erste Eindrücke. Obwohl Brummet auf diesem Gebiet die umfangreichste Arbeit vorgelegt hat, widmet sie kein einziges Kapitel den osmanischen Satirezeitschriften, die vor 1908 erschienen sind. An wenigen Stellen nimmt sie jedoch Bezug auf diese, ohne ausführlicher auf sie einzugehen. Auch Heinzelmann schreibt in seiner Arbeit nur wenige Worte zu den ersten osmanischen Satirezeitschriften. Obwohl die Satirezeitschrift Karagöz zu den Primärquellen seiner Arbeit gehört, und diese, wie Heinzelmann schreibt, an die Tradition von Hayal anknüpft, stellt er das letztgenannte Blatt nicht einmal in seinen Grundzügen vor. Özdiş, der die erste Monographie in türkischer Sprache zur Satirepresse 104 Einzig die kurzlebigen osmanischprachigen Periodika Ayine- i Vatan (Spiegel des Vaterlandes, 1867) und Istanbul (Istanbul, 1867) veröffentlichten Bilder und Karikaturen vor 1870. Deren wissenschaftliche Untersuchung steht noch aus. Çeviker, Gelişim I, S. 24.
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von 1870–1877 verfasste, erwähnt diese Zeitschriften nur beiläufig. Auch zu den Ursprüngen, Pionieren sowie zu den ersten osmanischen Satirezeitschriften in Istanbul gibt er keinerlei Auskünfte. Wie eingangs erwähnt, sind die meisten Arbeiten, die sich mit Satire oder Karikaturen im Osmanischen Reich befassen, in türkischer Sprache. Arbeiten in westlichen Sprachen sind bis auf die erwähnten Arbeiten von Heinzelmann, Brummet und Strauß nicht erschienen. Somit ist es eines der Ziele dieses Kapitels, einen zusammenfassenden Überblick, unter Berücksichtigung von Primärquellen, der wichtigsten osmanischsprachigen Satirezeitschriften jener Jahre zu bieten. Dafür wurden alle in den türkischen Bibliotheken vorhandenen Satirezeitschriften, soweit sie zugänglich waren, gesichtet. Da die Angaben, die Çeviker macht, oft fehlerhaft sind, wurden durch eigene Recherchen die Informationen bezüglich der Satirezeitschriften der Jahre 1870 bis 1877 ergänzt, korrigiert und aktualisiert. Hierzu wurden alle Nummern der zugänglichen osmanischsprachigen Satirezeitschriften, die während diesem Zeitraum erschienen sind, sowie in Ergänzung Zeitungen wie Basiret (Urteilsvermögen), Ceride-i Havadis (Journal der Neuigkeiten), Vakit (Zeit) oder İstikbal (Zukunft) stichprobenartig gesichtet.105 Zu den weiteren osmanischen Quellen, die unter anderem ergänzend hinzugezogen wurden, gehören die Satirezeitschriften Diyojen (Diogenes), Meddah (Geschichtenerzähler), Terakki (Fortschritt), Letaifi Âsar (Humoristische Werke), Geveze (Geschwätzig), Lâtife (Scherz, Witz), Kahkaha (Lautes Gelächter) und Çaylak (Weihe), welche ebenfalls in Istanbul erschienen. Zudem wird im Rahmen dieses Kapitels auf visuelle und verbale Satire eingegangen, die im Osmanischen Reich vor 1870 existierten. Dies ist notwendig, um eventuelle Einflüsse dieser Formen der Satire in den untersuchten osmanischsprachigen Zeitschriften nachzuweisen. Das dritte Kapitel widmet sich Teodor Kasap und seiner Satirezeitschrift Hayal. Teodor Kasap war nicht nur Publizist, sondern auch Autor von zahlreichen Adaptionen europäischer Theaterstücke, die bislang ebenfalls nicht zur wissenschaftlichen Untersuchung herangezogen wurden. Seine Satirezeitschrift Hayal nutzte er auch als Forum zur Publikation seiner Adaptionen, sowie zur Kritik des osmanischen Theaters. Deshalb soll in dieser Arbeit nicht nur sein Wirken 105 Andere Verleger, wie zum Beispiel Yüzbaşıcızade Ahmed Lutfî, versuchten an den publizistischen Erfolgen von Teodor Kasap anzuknüpfen. Nach 1908 erschien auf Kreta eine Neuauflage von İstikbal und Hayal. Johann Strauß, „Probleme der Öffentlichkeitswirkung der muslimischen Presse Kretas“, in: Christoph Herzog, Presse und Öffentlichkeit im Nahen Osten, Heidelberg 1995, S. 155–174, S. 164.
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sowie seine Werke vorgestellt werden, da bislang diese Thematik ebenfalls äußert bruchstückhaft von der Wissenschaft bearbeitet wurde, sondern auch seine kritische Auseinandersetzung mit dem osmanischen Theater. Obwohl Hayal zu den populärsten Zeitschriften ihrer Zeit gehörte, erfolgte bislang keine umfangreichere wissenschaftliche Untersuchung dieses Blattes, die den Rahmen eines knapp formulierten Artikels überschritt. Im Rahmen dieses Kapitels werden diese Satirezeitschrift sowie ihre Inhalte eingehender dargestellt. Des Weiteren soll im Rahmen dieses Kapitels auch dargestellt werden, welchen Hintergrund die osmanischen Karikaturisten besaßen, zu welchen „Themen“ sie ihre Karikaturen angefertigten und ob sie Zugang zu europäischen Satirezeitschriften hatten. Zudem soll geklärt werden, welcherlei Vorlagen sie sich bedienten. Auch im Hinblick auf die Werke der Karikaturisten jener Jahre bietet die Satirezeitschrift Hayal einen einzigartigen Einblick. Die wichtigsten Karikaturisten dieser Periode haben in dieser Zeitschrift ihre Werke veröffentlicht. Zudem bietet Hayal, bedingt durch ihre lange Publikationsdauer, die einmalige Möglichkeit, die Entwicklung der Karikatur im Osmanischen Reich zu skizzieren. Des Weiteren sollen im Rahmen dieser Arbeit auch dargestellt werden, aus welchen Hintergründen die osmanischen Karikaturisten stammten, zu welchen „Themen“ sie ihre Karikaturen angefertigten und ob sie Zugang zu europäischen Satirezeitschriften hatten. Zudem soll geklärt werden aus welcherlei Vorlagen sie sich bedienten. Weitere Ziele dieses Kapitels sind, neben den oben erwähnten Aspekten, auch die Klärung des Verhältnisses der osmanischen Zeitungen/Zeitschriften zueinander. Hierzu muss auf verschiedenen Ebenen gearbeitet und geforscht werden. Von Bedeutung ist die Frage, ob das Verhältnis zueinander kooperativ oder gar antagonistisch war. Gab es persönlichen, also die Person der jeweiligen Herausgeber betreffenden Anlass für die Publikation von satirischen Schriften? Oder sahen sie keine andere Möglichkeiten ihre Gedanken und Ansichten zum Ausdruck zu bringen? Was war der Inhalt dieser satirischen Schriften? Hatten sie eine bestimmte Zielgruppe? Gibt es Informationen zu ihren Rezipienten? Den Kern dieser Arbeit bildet allerdings die Untersuchung des satirischen Niederschlags der Balkankrise von 1875–1878 in den eingangs erwähnten Zeitschriften. Die Weltpresse verfolgte die dramatische Entwicklung auf dem Balkan mit großem Interesse. Dementsprechend rezipierten nicht nur die seriösen Zeitungen die dortigen Ereignisse mit großem Interesse, sondern auch die Satirezeitschriften. Gegenstand des vierten Kapitels ist die Untersuchung des Niederschlags der Balkankrise von 1875–1878 in den osmanischsprachigen Satirezeitschriften. 42
Hierbei steht, wie eingangs erwähnt, Hayal im Mittelpunkt. In Anbetracht der Tatsache, dass Karikaturen oder Bilder vor 1870 kaum Verbreitung unter allen Schichten der osmanischen Gesellschaft gefunden hatten, ist aufzuzeigen, auf welche Weise der Prozess der Aneignung des zunächst europäischen Phänomens Karikatur in Zeiten der Krise ablief. In Europa war die Karikatur ein beliebtes Medium für die Verbreitung von Feindbildern, besonders während Krisenzeiten. So ist zu zeigen, ob politische Bilder im Osmanischen Reich eine ähnliche Funktion einnahmen und ob osmanische Karikaturisten ebenso Stereotypen bildeten und auf sie zurückgriffen.106 Zudem wurden durch diese kriegerische Konfrontation nicht nur die osmanischen Interessensphären, sondern auch die der europäischen Mächte bedroht. Deshalb wird in dieser Arbeit die von Ost wie West gleichermaßen wahrgenommene (russische) Bedrohung anhand von Karikaturen und Beiträgen in Presseerzeugnissen der Zeit aus einer Pluralität von Perspektiven dargestellt. Dies soll anhand der wichtigsten Symbolelemente geschehen, speziell der bildlichen Symbolik. Außerdem wird es zu zeigen sein, wie sich Hayal im Osmanischen Reich, einem islamischen Staat, dort, wo es um die (vornehmlich) russische Bedrohung geht, desselben Motivs bedient wie der britische Punch (bildlich symbolisiert im russischen Bären), während das Blatt andererseits die Übernahme des Truthahn-Symbols oder das des „Kranken Mannes am Bosporus“ für die „Türkei“ aus derselben Quelle strikt ablehnt. Deshalb wird weiter zu fragen sein, welcherlei „Ersatzsymbolik“ in solchen Fällen geschaffen wurde, d. h. in wieweit eine eigenständige „osmanische“ satirische Symbolik ergänzend zur entlehnten hinzutrat, und wo wiederum deren Quelle zu suchen ist. Wie in der Einleitung erwähnt, sind ausgewählte Karikaturen von Punch und Kladderadatsch ebenfalls Bestandteil der vorliegenden Arbeit. In den Kapiteln 5 und 6 werden diese Bilder nach demselben Raster ausgewertet wie die osmanischsprachigen. In Kapitel 7 wird der Transfer von politischen Bildern von Europa in das Osmanische Reich anhand des Symboles des russischen Bären beleuchtet. Das letzte Kapitel der vorliegenden Arbeit ist der zusammenfassenden Schlussbetrachtung gewidmet.
106 Zu den verschiedenen Typisierungen siehe: Plum, Die Karikatur, S. 95ff.
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2. Die Anfänge des privatwirtschaftlich geführten Pressewesens im Osmanischen Reich Notwendige Voraussetzung für die Entwicklung eines Pressewesens, sowohl in Europa als auch im Osmanischen Reich, bildeten die Etablierung und die Verbreitung von Druckereien sowie ein gewisser Grad an Alphabetisierung.107 Im Osmanischen Reich gegründeten und betrieben zunächst Nichtmuslime Druckereien. Jüdische Flüchtlinge aus Europa108 errichteten noch vor dem Ende des 15. Jahrhunderts eigene Druckhäuser in Istanbul. Weitere folgten in anderen Städten des Reiches wie in Edirne, Saloniki oder Izmir.109 Andere Gemeinden,
107 Statistiken, die Auskunft über den Alphabetisierungsgrad der Bevölkerung des Osmanischen Reiches geben, fehlen bislang. Aus dem Diskurs der osmanischen Intellektuellen des 19. Jahrhunderts über die mangelhafte Bildung der osmanischen Bevölkerung sowie aus den Bestrebungen der Hohen Pforte den Grad an Bildung zu erhöhen ist abzuleiten, dass der Anteil derer, die Lesen und Schreiben konnten, offensichtlich sehr gering war. Vgl. Mustafa Gündüz (Hg.), Osmanlı Eğitim Mirası. Klasik ve Modern Dönem Üzerine Makaleler, Ankara 2013. Nach Schätzungen von Ahmed Midhat solle der Anteil der alphabetisierten Bevölkerung am Ende der Tanzimat-Zeit bei 5 bis 10% liegen. Elçin Kürșat, Der Verwestlichungsprozeß des Osmanischen Reiches im 18. und 19. Jahrhundert. Zur Komplementarität von Staatenbildungs- und Intellektualisierungsprozessen, Frankfurt am Main 2003, S. 164. 108 Das Osmanische Reich bot im 15. Jahrhundert Juden, die aus Europa flohen, ein Refugium. Diese brachten wichtige Erfahrungen und Kenntnisse über ökonomische, technische und medizinische Errungenschaften aus Europa mit und spielten somit eine nicht unbedeutende Rolle im Wissenstransfer. Aber auch Christen, die in ihren Heimatländern als Häretiker oder als Schismatiker galten, fanden eine Zufluchtsstätte im Osmanischen Reich. Diese leisteten durch ihr Wissen einen großen Beitrag, der nicht unwesentlich zum Fortschritt und zur Entwicklung in wirtschaftlichen, technologischen und kulturellen Bereichen beitrug. Bernhard Lewis, Kultur und Modernisierung im Nahen Osten, Wien 2001, S. 21, S. 27. 109 Bernhard Lewis, The Muslim Discovery of Europe, London 1982, S. 50; Osman Ersoy, Türkiye’ye Matbaanın Girişi ve İlk Basılan Eserler, Ankara 1959, S. 18f. Franz Babinger hingegen schreibt, dass erst im Jahr 1503 erste jüdische Druckerzeugnisse die Presse verließen. Franz Babinger, Stambuler Buchwesen im 18. Jahr hundert, Leipzig 1919, S. 7. Armenische Gemeinden unterhielten nicht nur in den bereits erwähnten Städten Druckereien, sondern auch in den verschiedenen Provinzzentren und Kreisstädten Anatoliens wie in Adana, Sivas und Van. Unbehaun, “Die Anfänge”, S. 99, Fn. 9.
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wie die der Armenier und Griechen, unterhielten ebenfalls eigene Druckereien im Laufe des 17. Jahrhunderts.110 Die Errichtung der ersten von Muslimen betriebenen Druckerei im Jahre 1727 erfolgte durch den ungarischen Konvertiten İbrahim Müteferrika.111 Im Osmanischen Reich entwickelte sich das Pressewesen zunächst sehr zögerlich, deshalb gab es bis zur ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts keine Erzeugnisse, die mit den Druckerzeugnissen Europas vergleichbar wären.112 Das Fehlen der Presse im Nahen Osten erklären Autoren wie Herzog damit, „dass Zeitungen bis dahin unnötig waren“ und „die vorhandenen Strukturen gesellschaftlicher und staatlicher Kommunikation den Bedarf zu decken vermochten.“113 Ab dem frühen 18. Jahrhundert erschienen erste französischsprachige Nachrichtenblätter, herausgegeben von der französischen Botschaft in Istanbul.114 So war es auch ein Franzose, Alexander Blacque, der seine journalistischen Erfahrungen bei der Gründung des ersten osmanischen Staatsanzeigers einbrachte.115
110 Christoph Herzog, “Die Entwicklung der türkisch-osmanischen Presse im Osmanischen Reich bis ca. 1875”, in: Dietmar Rothermund (Hg.), Aneignung und Selbstbehauptung: Antworten auf die europäische Expansion, München 1999, S. 13–44, S. 21. Babinger, Stambuler Buchwesen, S. 7. Die meisten Druckereien in Istanbul wurden bis 1914 von Nichtmuslimen betrieben. Johann Strauß, “Publishing in a multi-ethnic society”, in: Elisabeth Özdalga (Hg.), Late Ottoman Society: The Intellectual Legacy, Oxfordshire 2005, S. 225–253, S. 238. 111 Ersoy, İlk Basılan, S. 23ff. Zu den biographischen Daten İbrahim Müteferrikas siehe bei: Babinger, Stambuler Buchwesen, S. 10ff. Drucke in arabischer Schrift waren bis zur Einführung der ersten von Muslimen betriebenen Druckerei verboten und von der osmanischen Herrschaft unerwünscht. 112 Zur Pressetätigkeit von Muslimen unter zaristischer Herrschaft im 19. und frühen 20. Jahrhundert auf der Krim, in Aserbeidschan, in Tiflis sowie in Kazan siehe bei: Alexandre Bennigsen und Chantal Lemercier-Quelquejay, La Presse et les Mouvements National Chez Les Musulmans De Russie Avant 1920, Paris 1964. Gemäß Benningsen und Lamercier-Quelquejay hat sich die satirische Presse bei den Muslimen, die in den Gebieten des Zarenreiches lebten, erst im frühen 20. Jahrhundert etabliert. Zeitschriften wie Molla Nasreddin haben. 113 Herzog, “Die Entwicklung”, S. 21ff. 114 Vgl. Hıfzı Topuz, II. Mahmut’tan Holdinglere Türk Basın Tarihi, 2. Aufl., Istanbul 2003, S. 36ff. Herzog, “Die Entwicklung”, S. 22. 115 Ibidem. Der Hohen Pforte war die Wirkung der Presse auf die Öffentlichkeit und die Wichtigkeit der öffentlichen Meinung bekannt. Sie verfolgte mit großer Aufmerksamkeit sowohl die Periodika, die im Osmanischen Reich erschienen, als auch die europäischen Periodika, die außerhalb ihrer Reichsgrenzen erschienen. Orhan Koloğlu, Osmanlı’dan Günümüze Türkiye’de Basın, Istanbul 1992, S. 23.
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Jedoch erschien das erste amtliche Presseorgan des Osmanischen Reiches nicht in der Reichshauptstadt Istanbul, sondern in seiner Provinz Ägypten. Unter der Herausgeberschaft des ägyptischen Provinzgouverneurs Mohammed Ali kam am 4. Dezember 1828 das Amtsblatt Vekayi-i Mısrîye (Die Ereignisse Ägyptens)116 mit einer Auflage von 600 Stück heraus.117 Allerdings sollte dieses Blatt lediglich der Durchsetzung von Mohammed Alis Interessen dienen und nicht denen der Hohen Pforte in Istanbul.118 Bis ein entsprechendes Blatt in der Reichshauptstadt die Druckpresse verließ, sollten noch einige Jahre verstreichen. Mahmud II. veranlasste 1831 die Herausgabe eines offiziellen Staatsanzeigers Takvim-i Vekayi (Almanach der Ereignisse) nach dem Vorbild des ägyptischen Provinzgouverneurs, mit einer Auflagenhöhe von 5.000 Stück.119 Für die Hohe Pforte war die Herausgabe von Staatsanzeigern von besonderer Wichtigkeit. Sie erhoffte sich, dass sie bestenfalls ihre eigene Beamtenschaft über die Grenzen der Hauptstadt hinaus mittels dieser Staatsanzeiger über angestrebte Reformen und Modernisierungsmaßnahmen informieren konnte.120 Neue Verordnungen (1864/1867) schrieben jeder Provinz die Errichtung einer Druckerei sowie die Publikation eines Amtsblattes vor. Deshalb vertrat die amtliche Presse der ersten Stunde den Typ der „repräsentativen Öffentlichkeit.“121 Es mussten jedoch einige Jahrzehnte vergehen, bis sich erste privatwirtschaftlich geführte nicht-amtliche Zeitungen in Istanbul etablieren konnten. Erst ab den 1860er Jahren veränderte sich die osmanische Presselandschaft schrittweise mit der Gründung der ersten finanziell von der Hohen Pforte unabhängigen Zeitung Tercüman-i Ahval (Interpret der Zustände). Die Initiative zur Veröffentlichung eines alternativen Periodikums zu den bisherigen, dem osmanischen Staatsanzeiger Takvim-i Vekayi (Almanach der Ereignisse) und der halbstaatlichen Zeitung Ceride-i Havadis,122 ging auf die osmanischen Staatsbeamten 116 Hasan Refik Ertuğ, Basın ve Yayın Hareketleri Tarihi, 2. Aufl., Istanbul 1959. Außer seinem Amtsblatt Vekayi-i Mısrîye veröffentlichte Mohammed Ali ab 1830 die Zeitung Vekayi-i Giridîye (Die Ereignisse Kretas), in osmanisch-türkischer und griechischer Sprache. Topuz, Basın Tarihi, S. 13ff. Orhan Koloğlu, İlk Gazete İlk Polemik: Vekayi-i Mısriye’nin Öyküsü Ve Takvimi Vekayi İle Tartışması, Ankara 1989, S. 15. 117 Koloğlu, İlk Polemik, S. 29. 118 Ibidem, S. 27f. 119 Orhan Koloğlu, Takvim-i Vekayi. Türk Basınında 150 Yıl. 1831–1981, Ankara 1981, S. 17. 120 Vgl. Michael Ursinus, “ṢANʿĀʾ. Eine amtliche osmanische Zeitung”, in: Stefan Wild und Werner Ende (Hg.), Die Welt des Islams, Bd. 29, Leiden 1989, S. 101–124, S. 104f. 121 Herzog, “Die Entwicklung”, S. 26. 122 Topuz, Basın Tarihi, S. 17f.
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Âgâh Efendi und İbrahim Şinasi,123 dem geistigen Vater der „Jungosmanen“ (Yeni Osmanlılar), zurück. Trotz der neuen Aufgabe, der sich Âgâh Efendi und Şinasi stellten, behielten sie ihre Ämter im Staatsdienst bei. Âgâh Efendi diente bis zum ersten Erscheinen seiner Zeitung Tercüman-i Ahval, am 22. Teşrin-i evvel 1860 (22. Oktober 1860), seit nun mehr als achtundzwanzig Jahren als Beamter der Hohen Pforte an den unterschiedlichsten Einsatzorten, unter anderem in den frühen 1850er Jahren in Paris. Wie Âgâh Efendi, so verbrachte auch Şinasi einige Jahre in Paris, wo er sich, neben dem Studium des Finanzwesens, besonders mit der französischen Literatur beschäftigte. Dort setzte er sich eindringlich mit dem Journalismus und dem Pressewesen auseinander und konnte beobachten, welche Breitenwirkung die Presse dort hatte.124 Bei der Gründung ihrer Zeitung sicherte Âgâh Efendi die Finanzierung und Şinasi kümmerte sich um das technische Equipment und übernahm journalistische Aufgaben.125 Allerdings beendeten Âgâh Efendi und Şinasi ihre Zusammenarbeit nach nur sechs Monaten. Für Şinasi bedeutete dies aber nicht das Ende seiner journalistischen Karriere. Er gab kurze Zeit später seine erste eigene Zeitung heraus, Tasvir-i Efkâr (Das Bild der Gedanken), deren erste Nummer am 27. Juni 1862 erschien.126 Namhafte Literaten und Intellektuelle der späten Tanzimat-Ära wie Namık Kemal, Ziya Beğ oder Ahmed Midhat Efendi fanden dort ein Forum, um ihre Artikel oder ihre literarischen Werke zu veröffentlichen.127 Zuvor hatte Şinasi selbst sein erstes Theaterstück über die Grenzen eines Theaters hinaus durch die Veröffentlichung in der Zeitung Tercüman-i Ahval einem breiteren Publikum bekannt gemacht.128 Allerdings ist zu erwähnen, dass es sich 123 Ertuğ, Parlatır sowie Koloğlu behaupten, dass auch İbrahim Şinasi Efendi zu den Mitbegründern von Tercüman-i Ahval zählt, İskit dagegen führt an, dass Şinasi Efendi lediglich nur Artikel für diese Zeitung verfasste. Ertuğ, Basın, S. 154. Orhan Koloğlu, Osmanlı’dan Günümüze Türkiye’de Basın, Istanbul 1992, S. 31. Server İskit, Hususî İlk Türkçe Gazetemiz „Tercümaniahval“ ve Agâh Efendi, Ankara 1937, S. 12. Auch İnuğur betont, dass Şinasi zwar Âgâh Efendi unterstützte, aber lediglich in 25 Nummern der Zeitung literarische Beiträge veröffentlicht habe. S. 187. İsmail Parlatır, “Şinasi”, in: İsmail Parlatır (Hg.), Tanzimat Edebiyatı, Ankara 2006, S. 71–123, S 76. 124 Parlatır, “Şinasi”, S. 74ff. 125 M. Nuri İnuğur, Basın ve Yayın Tarihi, 3. Aufl., Istanbul 1993, S. 186 und Parlatır, “Şinasi”, S. 12, 76. 126 Orhan Koloğlu, Osmanlı’dan 21. Yüzyıla Basın Tarihi, Istanbul 2006. 127 Parlatır, “Şinasi”, S. 77. 128 Zu Şair Evlenmesi, siehe bei: İnci Enginün, Yeni Türk Edebiyatı Araştırmaları, 4. Aufl., Istanbul 2001, S. 11–18.
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hierbei vermutlich um die elitären Kreise handelte, denn Zeitungen waren in jenen Jahren weit davon entfernt Massenmedien zu sein. Die Schriften, die Şinasi in Tasvir-i Efkâr veröffentlichte, fanden nicht nur großen Anklang bei seinen Lesern, sondern zogen auch die Aufmerksamkeit Sultan Abdülazizs auf sich, was nicht folgenlos für den Publizisten blieb. Nach der Veröffentlichung der 106. Nummer der Zeitung befahl der osmanische Herrscher die Entlassung Şinasis aus dem Staatsdienst.129 Abdülaziz missfielen besonders die Artikel seines Beamten, in denen er die Regierung offen kritisierte.130 Auswirkungen auf seine Karriere als Publizist hatte diese Entlassung jedoch nicht, diese setzte er fort und veröffentlichte schon kurze Zeit später eine Zeitschrift für Soldaten mit dem Titel Ceride-i Askeriye (Journal des Militärs).131 Im Sommer des Jahres 1865 musste er allerdings wegen eines gescheiterten Komplotts nach Europa fliehen. Er übertrug seine Position an Namık Kemal und Raşid.132 Trotz ihrer kurzen Publikationsdauer war Tasvir-i Efkâr richtungsweisend für die osmanischsprachige Presse. Während die amtlichen Periodika lediglich Leserbriefe veröffentlichten, die nur Lobesworte für den Sultan oder andere hochrangige Staatsdiener und Würdenträger enthielten, ließ Şinasi „echte“ Leserbriefe veröffentlichen, in denen seine Rezipienten ihre Gedanken und Ansichten kundgaben.133 Somit konnten sich erstmals Leser zu Wort melden, die bislang kein anderes Forum hatten, um ihre Überlegungen einem Publikum mitzuteilen, welches die Grenzen einer Lesestube oder eines Kaffeehauses überschritt. Ebenso wie der Roman war der Leserbrief eine neue literarische Gattung, die ihre Wurzeln im europäischen Kulturraum hat. Nachdem Şinasi mit seiner Zeitung den Leserbrief eingeführt hatte, folgten auch andere Zeitungen und Zeitschriften seinem Beispiel. Berühmte Literaten wie Namık Kemal nutzten diese Art des Briefes häufig, um ihre Gedanken und ihre Kritik zum Ausdruck zu bringen. Besonders Basiretci Ali Efendi134 etablierte diese neue literarische Form der Kommunikation in
129 Koloğlu, Türkiye’de Basın, S. 48. 130 Ibidem. 131 Ibidem. 132 Ibidem. 133 Ibidem. 134 Zur Biographie Ali Efendis, siehe bei: Basiretci Ali Efendi, İstanbul Mektubları, Istanbul 2001, S. XV; Basiretci Ali Efendi, İstanbul’da Yarım Asırlık Vekayi-i Mühimme, Istanbul 1997, S. 9ff. Ziyad Ebüzziya, “Ali Efendi, Basiretci”, in: İA, S. 388–389.
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seiner Zeitung Basiret,135 in welcher er regelmäßig seine Ansichten und Gedanken zu unterschiedlichen Themen unter der Rubrik „Stadtbrief“ (şehir mektubu) publizierte.136 Şinasi gehörte außerdem zu den Intellektuellen im Osmanischen Reich, die über eine Umstellung der arabischen Schrift auf das lateinische Alphabet öffentlich nachdachten. Seiner Meinung nach lag es an der Verwendung von arabischen Buchstaben, dass nur wenige Menschen Zeitung lesen konnten. Şinasis Denkanstöße bzw. Neuerungsvorschläge griffen andere Blätter auf wie zum Beispiel Terakki (Fortschritt), Tasvir (Bild) oder Hürriyet (Freiheit) und kamen zu dem Befund, dass es letztendlich nicht an der Verwendung von arabischen Buchstaben lag, dass die Menschen keine Zeitung lesen konnten, sondern am defizitären Erziehungswesen im Osmanischen Reich.137 Die Pressefreiheit war für Şinasi ebenfalls ein wichtiges Anliegen. Seiner Meinung nach war die Bildung einer öffentlichen Meinung nur mit Hilfe einer freien Presse möglich. Während der 1860er Jahre etablierten sich weitere Zeitungen und Zeitschriften, deren Gründung auf Einsatz von Privatvermögen beruhte. Nach Tasvir-i Efkâr138 erschien die erste Nummer von Muhbir (Informant) am 1. Januar 1867 als zweite, privatwirtschaftlich geführte Zeitung auf dem osmanischen Zeitungsmarkt, gegründet vom armenischen Publizisten Filib Efendi.139 Nach kurzer Zeit veräußerte dieser die Zeitung an Ali Suavi. Allerdings hatte diese Zeitung nur eine kurze Lebensdauer. Von Muhbir erschienen lediglich 55 Ausgaben, da Ali Suavi aufgrund seiner regierungskritischen Äußerungen nach Europa fliehen musste.140 Deshalb formierte und etablierte sich vor allem in Städten wie London, Genf oder Paris eine oppositionelle Presse. In London und Genf erschien 1868 die Zeitung Hürriyet (Freiheit), herausgegeben von der Yeni 135 Zu einer ausführlicheren Darstellung der Zeitung Basiret, siehe: İlhan Yerlikaya, Basiret Gazetesi Ve Pancermenizm-Panislamizm-Panslavizm-Osmanıcılık Fikirleri, Van 1994. İlhan Yerlikaya, “Basiret”, in: İA, S. 103–105. 136 Eine umfangreiche Sammlung seiner „Istanbuler Briefe“ (İstanbul Mektubları) hat Nuri Sağlam zusammengetragen. Basiretci Ali Efendi, İstanbul Mektubları, Istanbul 2001. Zum Beispiel brachte Ali Efendi in einer Reihe von Stadtbriefen seine Gedanken zum Journalismus zum Ausdruck. Vgl. zum Beispiel Basiret, No. 812, 16. Kânun-i evvel 1288 R. [28. Dezember 1872], S. 2; Basiret, No. 842, 19. Kânun-i sâni 1288 R. [31. Dezember 1872], S. 1–2. 137 Basiret, No. 842, S. 1–2. 138 Duman, Başlangıcından, S. 816f. 139 Koloğlu, “Basın”, S. 81. 140 Topuz, Basın Tarihi, S. 24ff.
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Osmanlılar Cemiyeti (Gesellschaft der Jungosmanen).141 Die Blätter, die außerhalb des Osmanischen Reiches erschienen, waren nicht nur an eine Leserschaft vor Ort gerichtet, sondern die Herausgeber dieser Blätter suchten ihr Publikum auch, vielleicht sogar vor allem innerhalb der Grenzen des Osmanischen Reiches. Zumeist wurden diese Periodika, wie zum Beispiel Hürriyet, in die osmanische Hauptstadt geschmuggelt, oft versteckt in Privatbriefen.142 Auch andere Zeitungen dieser Periode hatten ein ähnliches Schicksal wie Muhbir und erschienen lediglich nur über einen kurzen Zeitraum.143 Diese Zeitungen konnten sich entweder nicht am Markt behaupten oder wurden von dem Presseamt geschlossen. Zu den langlebigeren und erfolgreicheren Periodika der Reformperiode gehörte zweifellos die Zeitung Basiret. Herausgeber und Eigentümer dieser Zeitung war Ali Efendi, der aufgrund des Namens seiner Zeitung den Beinamen Basiretci erhielt. Die erste Ausgabe von Basiret erschien am 23. Januar 1870 auf dem osmanischen Zeitungsmarkt.144 Im selben Jahr wie Basiret erschien auch die Zeitung İbret (Ermahnung),145 welche Aleksan Sarrafyan Efendi gründete. Da die Zeitung zwei Jahre lang nur mäßigen Erfolg hatte, übertrug dieser seine Konzession an Ahmed Midhat Efendi. In den Stab der Redaktion trat dann der Literat Namık Kemal, der die Leitartikel für diese Zeitung verfasste. Obwohl İbret nur wenige Jahre erschien, erreichte sie so hohe Auflagenzahlen wie keine andere osmanischsprachige Zeitung jener Jahre zuvor, denn das Blatt erschien mit einer Auflage von zwölftausend Stück. Laut den Angaben Koloğlus erschien die Nummer, in der Namık Kemal zum ersten Mal seine Artikel veröffentlichte, sogar mit einer Auflage von 25. 000 Stück.146 Vermutlich handelt es sich hierbei um die Anzahl von verkauften Zeitungen während eines Monats. Zwar liefert Koloğlu keinerlei Angaben 141 Christiane Czygan, Zur Ordnung des Staates. Jungosmanische Intellektuelle und ihre Konzepte in der Zeitung Hürriyet (1868–1870), Berlin 2012. Die Jungosmanen waren eine Geheimorganisation, die 1865 im Osmanischen Reich gegründet wurde. Zu ihren Mitgliedern zählten namhafte Persönlichkeiten und auch hohe Staatsbeamte wie etwa Namık Kemal oder Ziya Pascha. 142 Osterhammel, Verwandlung, S. 70; Czygan, Zur Ordnung, S. 76. 143 Vgl. Topuz, Basın Tarihi, S. 29f.; Koloğlu, Türkiye’de Basın, S. 53. 144 Ali Efendi verfügte offenbar über die modernste Druckpresse im Osmanischen Reich, die ihm Bismarck auf seiner Deutschlandreise schenkte. Orhan Koloğlu, “Ali Efendi”, in: Çakıroğlu, Osmanlılar, S. 205. 145 Vgl. Uğur Derman, “İbret”, in: Türkiye Ansiklopedisi, Bd. 20, Ankara 1972, S. 12–14; Nesimi Yazıcı, “İbret”, in: İA, Bd. 21, S. 368–370. 146 Koloğlu, Türkiye’de Basın, S. 53.
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dazu woher diese Zahlen stammen, dennoch scheinen sie glaubwürdig. Hayal gibt an, dass Zeitungen wie Basiret und Vakit 1293 (1877) täglich bis zu dreitausend Exemplare verkauften.147 Sogar kleinere Zeitungen wie Selamet (Sicherheit) sollen täglich fünfhundert Exemplare verkauft haben.148 Die Angaben in der Literatur sind in Bezug auf die Auflagenzahlen von Basiret widersprüchlich. Yerlikaya behauptet, dass Basiret täglich bis zu 1.000 Exemplaren in Zeiten von Krisen verkaufte.149 Topuz hingegen behauptet, dass sich die Auflagenzahl von Basiret auf 10. 000 Exemplare erhöhte. Dabei gibt er keine Auskunft darüber, ob es sich hierbei um die tägliche oder die monatliche Auflagenhöhe handelt.150 Das Pressewesen im Osmanischen Reich war bis in die 1860er Jahre geprägt durch multilinguale, amtliche Periodika wie Takvim-i Vekayi oder Provinzzeitungen. Mit der Etablierung einer amtlichen Presse schuf sich die osmanische Zentrale ein neues Kommunikationsmedium, durch das sie ihr Kommunikationsbedürfnis mit ihren Amtsträgern in der Hauptstadt und in den Provinzen, vor allem mit Gebieten der äußeren Peripherien, die weit von der Zentrale entfernt lagen, zu stillen vermochte.151 Erst ab den 1860er Jahren vollzog sich die Genese der privatwirtschaftlich geführten Periodika. Obwohl die Gründung der nicht-amtlichen Periodika auf die Initiative von Einzelpersonen zurückging, erhielten wohl einige Herausgeber dennoch Subventionen vom Staat.152 Vermutlich versuchte die Hohe Pforte durch diese finanziellen Zuwendungen gleich zu Beginn kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen. Doch lehnten einige Publizisten wie Şinasi die Gelder des Sultans ab, um ihre Unabhängigkeit zu bewahren.153 Auch wenn eine finanzielle Beteiligung der Reichsführung an den nicht-amtlichen Periodika ausgeschlossen war, so hatten die Pioniere der frühen privaten osmanischsprachigen Presse dennoch ihre Wurzeln in der osmanischen Bürokratie, was jedoch nicht bedeutete, dass sie keine Kritik an der Politik des Osmanischen Reiches übten, wie es der Fall Şinasis belegt.154
147 Hayal, No. 356, 21. Mayıs 1293 R. [2. Juni 1877], S. 3. 148 Vgl. Hayal, No. 350, 7. Mayıs 1293 R. [19. Mai 1877], S. 2f. 149 Yerlikaya, “Basiret”, S. 103. 150 Topuz, Türk Basın Tarihi, S. 26. 151 Ursinus, “ṢAN‘Ā’”, S. 104. 152 Für die Gründung seiner Zeitung Basiret erhielt Ali Efendi eine einmalige staatliche Zuwendung in Höhe von 300 Lira. Vgl. Herzog, “Die Entwicklung”, S. 32. 153 Parlatır, “Şinasi”, S. 77. 154 Zur biographischen Daten zu Şinasi siehe bei: Ȃlim Kahraman, “Şinâsi”, in: İA, Bd. 39, S. 166–169.
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Die privatwirtschaftlich geführten Zeitungen und Zeitschriften, die in unterschiedlichen Zyklen erschienen, eröffneten neue Kommunikationsräume mit unterschiedlichen Reichweiten. Einige Blätter wie Basiret waren so erfolgreich, dass sie in die Peripherien vordrangen und somit zu einem wichtigen Bindeglied zwischen der „Welt“ und den Provinzen wurden. Denn auch die osmanischsprachigen Periodika brachten Nachrichten aus aller Welt, von denen die Leser über die Grenzen Istanbuls hinaus erfuhren. Viele der frühen osmanischen Journalisten verfügten über unterschiedliche Grade an Auslandserfahrungen und Fremdsprachenkenntnissen. Zwar war die Gruppe derjenigen, die westliches wie östliches Wissen vereinigen konnten, recht klein, aber sie konnten durch die Presse ihren Lesern europäisch inspiriertes Gedankengut und moderne Ideen näher bringen. Auch waren die meisten osmanischen Journalisten in der Literaturszene sehr aktiv. Sie brachten den Zeitungsleser mit neuen Formen der Literatur in Kontakt, denn viele Theaterstücke oder Romane erschienen serialisiert (tefrika) in diesen Zeitungen.155 Ab der Mitte der 1870er Jahre erschienen weitere politische Zeitungen wie İstikbal,156 Sadakat (Treue) und Vakit auf dem Zeitungsmarkt und machten dem stärksten osmanischen Blatt dieser Tage, Basiret, Konkurrenz. Schnell etablierte sich auch das halb-amtliche Blatt Vakit, herausgegeben von dem armenischstämmigen Filib Efendi, zu einem festen Bestandteil des osmanischen Pressemarktes ab 1875.157 Indes durchlief auch die amtliche Presse in diesen Tagen einen Modernisierungsprozess. Das halb-amtliche Blatt Ceride-i Havadis erschien ab 1877 in neuem Gewand und unter neuer Führung. Bis zu diesem Jahr schien das Blatt allerdings kaum Beachtung gefunden zu haben.158 Laut Hayal war Ceride-i Havadis ziemlich unbeliebt und wenig beachtet.159 Auch der Staatsanzeiger Takvim-i Vekayi sollte für den osmanischen Leser attraktiver werden. Deshalb setzte Abdülhamid II. den berühmten Literaten Ahmed Midhat auf den Direktorposten der großherrlichen Druckerei.160 Noch bedeutender war 155 Zu tefrika siehe bei: Strauß, “Publishing”, S. 230f. 156 Duman, Başlangıcından, S. 438. 157 Vgl. İlhan Yerlikaya, Yarı Resmi Vakit Gazetesi (1875–1884), Kırıkkale 1996, S. 8ff. 158 1843 erschien dieses Blatt mit einer Auflage von 150 Exemplaren. Enginün, Yeni Türk Edebiyatı, S. 35. 159 Vgl. Hayal, No. 343, 21. Nisan 1293 R. [3. Mai 1877], S. 3. 160 Vgl. zum Weiteren literarischen Schaffen Ahmed Midhats auch: Christoph Herzog und Raoul Motika, “Orientalism Alla Turca: Late 19th/Early 20th Century Ottoman Voyages in to the Muslim ‘Outback’”, in: Die Welt des Islams, Bd. 40, Leiden 2000,
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allerdings seine Ernennung zum Direktor des Staatsanzeigers Takvim-i Vakayi. Ahmed Midhat gehörte in den Jahren zuvor den oppositionellen Jungosmanen an, wandte sich jedoch nach der Thronbesteigung Abdülhamids II. ihm und seiner Politik zu und wurde dementsprechend belohnt.161 In der Beurteilung von Hayal erschien Takvim-i Vekayi „zu jeder Zeit“ (her vakit’de), allerdings „kannte [diese Zeitung] niemand, niemand las sie, niemand verstand sie“.162 Obwohl die Aussagen von Hayal offensichtlich überspitzt sind, so verdeutlichen sie dennoch, dass die staatlichen Zeitungen bis um 1877 ohne jegliche Breitenwirkung blieben und vermutlich kaum über die eigene Beamtenschaft hinaus, die diese Zeitung bis 1868 zwangsweise erhielten,163 bekannt waren. Die Hohe Pforte
S. 139–195, Orhan Koloğlu, “Ahmed Midhat’s Contribution to the Assimilation of Tanzimat through his Novels Serialized in Newspapers”, in: Horst Unbehaun (Hg.), The Middle Eastern Press as a Forum for Literature, Frankfurt am Main 2004, S. 25–37. Die Hohe Pforte war äußerst bestrebt kritische und oppositionelle Stimmen zum Schweigen zu bringen. Ahmed Midhat hat vor diesem Hintergrund dieses Amt übertragen bekommen. Journalisten bekamen häufig – nach Schließung der Zeitung – Staatsämter übertragen und wurden häufig als Vizegouverneure oder Steuerbeamte in die Provinz entsand. Elçin Kürșat beschreibt die Vorgehensweise der Hohen Pforte als „eine eigentümliche Mischung von Druckverboten und Assimilation, um sie aus der Hauptstadt zu entfernen“. Vgl. Kürșat, Modernisierung, S. 451. 161 Ab diesem Zeitpunkt wurde er ebenfalls zu einem der beliebtesten Zielscheiben von Hayal. In fast jeder Ausgabe verhöhnte und verspottete Hayal den ehemaligen Genossen, der sich nun in den Dienst von Abdülhamid II. gestellt hatte. Aufgrund der ständigen Anfeindungen gegenüber Ahmed Midhat erfolgte ein kurzfristiges Publikationsverbot von Hayal. Zu Ahmed Midhat siehe auch: Michael Ursinus, “Ahmed Midhat Efendi at Tuna, June 1868 – March 1868”, in: Anja Pistor-Hatam (Hg.), Amtsblatt, vilayet gazetesi und unabhängiges Journal: Die Anfänge der Presse im Nahen Osten, Frankfurt am Main 2001, S. 47–54 und Abdülhamit Kırmızı, „Authoritarianism and Constitutionalism Combined: Ahmed Midhat Efendi Between the Sultan and the Kanun-i Esasi“, in: Christoph Herzog und Malek Sharif, The First Ottoman Experiment in Democracy, Istanbul 2010, S. 53–65. 162 Hayal, No. 330, 8. März 1293 R. [20. März 1877], S. 2. Hayal äußert sich in einem Artikel, der in dieser Ausgabe erschien, über das unregelmäßige Erscheinen sowie die hochosmanische Sprache dieser Zeitung, die in der Tat wohl kaum jemand verstand. Außerdem stichelt Hayal weiter, dass „sogar alle Seiten bedruckt werden sollen.“ Damit spottet sie darüber, dass die Zeitung zumeist mit leeren Seiten bzw. Spalten erschien. Bislang lieferte Koloğlu die ausführlichste Arbeit über den Staatsanzeiger Takvim-i Vekayi. Siehe: Orhan Koloğlu, Takvim-i Vekayi. Türk Basınında 150 Yıl. 1831–1981, Ankara 1981. 163 Herzog, “Die Entwicklung”, S. 35.
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versuchte vermutlich deshalb, für diese beiden Blätter neue Leser zu gewinnen, weil sie so den Nachrichtenfluss besser bzw. stärker kontrollieren konnte. Ab den 1870er Jahren hatte sich ein vom Staat finanziell unabhängiger, auflagenstärkerer Pressemarkt etabliert. In der Zeit der höchsten Krise versuchte die Hohe Pforte nun die staatlichen Kommunikationskanäle zu modernisieren, da allein Zeitungen wie Vakit und Basiret reißenden Absatz fanden, während die amtlichen Presseorgane in Vergessenheit geraten waren. Während in den 1860er Jahren nur wenige finanziell vom Staat unabhängige Zeitungen erschienen waren, stieg die Zahl ein Jahrzehnt später um ein vielfaches an. Neben Tageszeitungen etablierten sich während des letzten Drittels des 19. Jahrhunderts auch Zeitschriften, die neue Zielgruppen im Blick hatten. Frauen und Kinder, die bislang eine unbedeutende Rolle in der Öffentlichkeit spielten und nur beschränkte Räume zur Verfügung hatten, rückten in den Fokus der Intellektuellen. Zuerst entdeckte Terakki Frauen und Kinder als neue Zielgruppe und verlegte sowohl eine Zeitschrift für Frauen und eine weitere für Kinder.164 Zusammenfassend ist festzustellen, dass mit der Gründung und Etablierung privatwirtschaftlich geführter Druckereien ein differenzierter Zeitungs- und Zeitschriftenmarkt entstand. Erst die Kommerzialisierung des Pressewesens ermöglichte das Erscheinen von Satirezeitschriften wie Diyojen, Hayal oder Çaylak, die das moderne Kommunikationsmedium Presse ihrerseits zur Bildung einer öffentlichen Meinung nutzen wollten. In der Einleitung von Diyojen erklärte Teodor Kasap, dass diese Zeitschrift schon seit einigen Monaten auf Französisch und Griechisch erschiene und „diese die Absicht (maksad) hege, mit Anspielungen und Spott der öffentlichen Meinung (efkâr-i umumiyye) die Intentionen der erhabenen Regierung (hükümet-i seniyye) zu übersetzen sowie sie über Moral (ahlâk), Erziehung (terbiyye) und die Dinge, die unserem Vaterland fremd sind, eloquent aufzuklären. Deshalb werde nun wöchentlich
164 Koloğlu, Osmanlı’dan, S. 52f. Allerdings ist über diese Zeitschriften nicht mehr bekannt als ihre Titel. Bislang gibt es wenige Arbeiten, die sich mit Frauen- und Kinderzeitschriften aus den 1870er Jahren beschäftigen. Der Fokus der Wissenschaft liegt auch in diesem Bereich erneut in der Zeit nach 1908. Vgl. Ruth HaerkötterUzun, „Öffentliche Diskussion in der Istanbuler Frauenpresse zu Beginn der Zweiten Konstitutionellen Periode am Beispiel Maḥâsin“, in: Raoul Motika (Hg. u. a.), Presse und Öffentlichkeit im Nahen Osten, Heidelberg 1995. Die erste Frauenzeitschrift, die nur von Frauen herausgegeben wurde, erschien 1886. Vgl. Prätor, “Zum Stand”, S. 233. Zur Frauenbewegung und osmanischsprachigen Frauenzeitschriften im Osmanischen Reich siehe: Serpil Çakır, Osmanlı Kadın Hareketi, 3. Aufl., Istanbul 2011.
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eine türkische Ausgabe erscheinen.“165 Kasaps Einleitung verdeutlicht hingegen, dass, auch wenn es eine „interkommunitäre Kommunikation“166 gab, er seine „Öffentlichkeit“ durchaus nach den jeweiligen Sprachgruppen parzelliert hatte, denn seine Blätter hatten eine multilinguale Ausrichtung. Auch andere, nichtmuslimische Publizisten wie zum Beispiel Beykozliyan oder Baronyan bedienten mit ihren Satirezeitschriften nicht nur den Markt für osmanischsprachige Presserzeugnisse, sondern hatten auch die armenische Leserschaft im Blick. Auch wenn Teile der nichtmuslimischen Bevölkerung des Osmanischen Reiches der osmanischen Sprache mächtig waren, so stellte sie die osmanische Schrift vor eine große Herausforderung. Deshalb bedienten sich Publizisten und Schriftsteller oft der osmanischen Sprache und der gruppenspezifischen Schrift. Erst die kommerziell ausgerichteten Nachrichtenblätter hatten über den Kreis der Beamten hinaus die Angehörigen der „bürgerlichen Öffentlichkeit“ bzw. „Öffentlichkeiten“ im Blick.167 Auch wenn Herzog angibt, dass die „sprachlichen Barrieren“ zwar durchlässig waren, so spielten die Faktoren Sprache und Schrift eine nicht unwesentliche Rolle für den Kommunikator, nämlich sowohl für den amtlichen als auch den kommerzialisierten Zeitungsproduzenten. Nicht nur das Amtsblatt der Hohen Pforte in Istanbul war multilingual ausgerichtet, sondern auch die kommerziellen Periodika, die somit zugänglich für die unterschiedlichen Sprachgruppen im Osmanischen Reich waren. Viele der osmanischen Journalisten und Publizisten der ersten Stunde sowie Literaten begannen ihre Karriere als Staatsangestellte im Übersetzungsbüro der Hohen Pforte (Tercüme Odası).168 Dort erlernten sie europäische Sprachen. Einige von ihnen wurden zu Ausbildungszwecken unter anderem auch nach Paris geschickt. Der Kern der Männer, die sich für politische Veränderungen einsetzten sowie ihre neuen Ideen, Gedanken mittels der Presse kommunizierten, stammte aus dem Umfeld des Übersetzungsbüros. Für die Herausgeber und Journalisten dieser Periodika waren ihre Blätter zumeist wichtige Foren, um neue Ideen zu kommunizieren und zu diskutieren. Ebenso waren sie wichtige Instrumente der Kritik und wurden darüber hinaus für die Verbreitung europäischer Literaturformen oder Literaturerzeugnisse sowie deren osmanischer Adaptionen genutzt. Zudem ermöglichten sie, dass
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Diyojen, No. 1, 12. Teşrin-i sâni 1286 R. [24. November 1870], S. 1. Ibidem. Herzog, “Die Entwicklung”, S. 19. Ibidem, S. 18. Klaus Kreiser und Christoph K. Neumann, Kleine Geschichte der Türkei, 2. Aufl., Stuttgart 2009, S. 312.
eine neue Form von „öffentlicher Meinung“ entstehen konnte, wie sie zuvor im Osmanischen Reich nicht existierte.
2.1 Die Entfaltung der satirischen Presse in Istanbul bis 1877 Die Genesis der satirischen Presse im Osmanischen Reich erfolgte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und wurde, wie im vorangehenden Abschnitt dargestellt, erst durch die Etablierung einer privatwirtschaftlich geführten Presse möglich. In der Zeit zwischen 1870 bis 1877 sind ungefähr zwanzig Satirezeitschriften in osmanischer Sprache erschienen.169 Allerdings hatten die meisten eine recht kurze Lebensdauer und erschienen bloß für eine kurze Zeit, wenn nicht gar nur ein einziges Mal.170 Im Folgenden werden jedoch nur diejenigen Zeitschriften skizziert, die für diese Arbeit von Bedeutung sind. Eine Ausnahme bildet hierbei Hayal, diese wird im Rahmen des Kapitels 4 eingehend vorgestellt. Das Phänomen „satirische Presse“ tauchte im Osmanischen Reich zuerst bei der nichtmuslimischen Bevölkerung Istanbuls auf, die durch Aufenthalte in Europa in Kontakt mit Blättern wie dem Pariser Satireblatt Charivari oder seinem britischen Pendant Punch, welches den Beinamen The London Charivari trägt, kamen.171 Dies belegt zum Beispiel ein armenischer Punch, der im Jahre 1860 in Istanbul herauskam.172 Somit spielten die armenischen und jüdischen Gemeinden bei der Etablierung des zunächst „europäischen Phänomens“ satirische Presse in der Reichshauptstadt Istanbul eine tragende Rolle.173 Die erste satirische Zeitschrift im Osmanischen Reich überhaupt, Boşboğaz bir Adam (Ein geschwätziger Herr), erschien unter der Herausgeberschaft des osmanischen Beamten und Autors Hosep Vartanyan Pascha im Jahre 1852.174 Demzufolge traten die ersten Satirezeitschriften im Osmanischen Reich nicht viel später auf als die europäischen Zeitschriften wie Charivari (1832) oder Punch (1841). Eine weitere armenische Zeitschrift mit satirischem Inhalt, Meğu (Die 169 Çeviker, Gelişim I, S. 24. 170 Ein ähnliches Schicksal ereilte auch die Presse im Iran. Allerdings erschienen dort erst nach 1907 erste Satirezeitschriften. Christl Catanzaro, “Leserbriefe in Ṣûr-e Esrâfîl und Rûḥ ul Qods als Forum des Informationsaustausches für die Inteligenzija des Mašrûṭîyat-Zeit”, in: Christoph Herzog und Raoul Motika (Hg.), Presse und Öffentlichkeit im Nahen Osten, Heidelberg 1995. 171 Lewis, Kultur und Modernisierung, S. 35. 172 Topuz, Türk Basın Tarihi, S. 75. 173 Strauß, “Notes”, S. 124. 174 Ibidem, 122.
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Biene), folgte im Jahre 1856. Meğu, herausgegeben vom Armenier Harutyan Sıvacıyan, enthielt wie die europäischen Vorbilder ebenfalls Karikaturen, deren Zeichner die armenischen Karikaturisten Kirkor Semizyan sowie Harutyun Hekimyan waren.175 Diese Zeitschrift war weitaus langlebiger als Boşboğaz bir Adam und erschien bis 1874 vierzehntägig.176 In den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts folgten weitere Gemeinden in Istanbul, wie zum Beispiel die jüdische, mit der Veröffentlichung einer eigenen satirischen Zeitschrift, Djoha i Djohayko (Johâ und der kleine Johâ),177 dem Vorbild der armenischen Publikationen; kurze Zeit später erschien mit Gayda (Der Dudelsack) auch eine bulgarische Satireschrift.178 In den 1860er Jahren erschienen außerdem noch zwei griechische Zeitschriften, Plaf-pluf (1863) und Pelekys (Das Beil, 1868).179 Jedoch blieben diese satirischen Zeitschriften ohne Breitenwirkung, da diese nur in den Sprachen der jeweiligen Gemeinde publiziert wurden und somit nur beschränkten Zugang erlaubten.180 Dennoch ist zu betonen, dass diese Gemeinden, insbesondere die der Armenier, einen wesentlichen Beitrag bei der Etablierung der osmanischsprachigen Satirepresse geleistet haben, da vor allem die Karikaturisten sich aus diesen Reihen rekrutierten.181
Terakki Im Jahre 1858, lange bevor überhaupt eine Satirezeitschrift auf osmanischtürkisch erschien, trat ein Gesetz in Kraft, dessen Paragraph 139 den Druck von Witzen, Spott, Satire (hiciv) und Bildern verbot, die gegen die guten Sitten
175 Çeviker, Gelişim I, S. 33. 176 Ibidem. Somit ist Meğu nicht die erste armenische Satirezeitschrift im Osmanischen Reich, wie Heinzelmann behauptet. Heinzelmann, Balkankrise, S. 49. 177 Laut Strauß erschien diese Zeitschrift auf Judeo-Spanisch und Hebräisch. Vgl. Strauß, “Notes”, S. 124. 178 Ibidem, S. 124ff. 179 Ibidem, S. 125. 180 Çeviker, Gelişim I, S. 29. 181 Nach jetzigem Forschungsstand etablierte sich in Kairo satirische Presse erst ab 1878. Der Zeitraum vor 1878 ist bislang durch die Wissenschaft nicht beachtet worden. Gemäß Prof. Dr. Marilyn Booth gab es in den frühen 1870er Jahren vereinzelnt italienische Satirezeitschriften. Allerdings fehlen auch hierzu Forschungsbeiträge. Beiträge zur Forschung über die ägyptische Satirepresse vor 1908 leisteten unter anderem Eliane Ursula Ettmüller. Vgl: Eliane Ursula Ettmüller, The Construct of Egyptʼs National-Self in James Sanuaʼs Early Satire and Caricature, Berlin 2012.
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(ahlâk) verstießen.182 Trotzdem erschien am 10. Şaban 1287 (5. November 1870)183 das Satireblatt Terakki184 in osmanischer Sprache mit einem Umfang von vier Seiten als Beilage der gleichnamigen Zeitung.185 Herausgeber von Terakki war der Publizist Ali Raşid. Sie trägt den Untertitel „Diese Zeitschrift ist dem Vergnügen und dem Spott gewidmet“186 und verspricht, „jeden Tag außer samstags, montags, dienstags, mittwochs und donnerstags“ zu erscheinen.187 Der Verkaufspreis dieser Zeitschrift lag bei 20 Piastern pro Einzelnummer, die Abonnenten der Zeitung bekamen sie jedoch kostenfrei überlassen.188 Çeviker schreibt, dass Terakki nach der zwölften Ausgabe eingestellt wurde und ab dem 4. Dezember 1870 unter dem Namen Terakki Eğlence (Fortschritt Unterhaltung) erneut erschien, weiterhin unter der Führung Ali Raşids.189 Auch Strauß gibt 182 Alpay Kabacalı, “Tanzimat ve Meşrutiyet Dönemlerinde Sansür”, in: Murat Belge (Hg.), Tanzimat’tan Cumhuriyet’e Türkiye Ansiklopedisi, Bd. 3, Istanbul 1985, S. 607–616, S. 608. 183 Bei der Angabe, ab welchem Jahr die Publikation dieser Satirezeitschrift begann, gibt es in der Literatur dagegen unterschiedliche Angaben, die zwischen 1868, 1869 und 1870 variieren. Maria Wurm gibt als Erscheinungsjahr 1868 und Bülent Varlık 1869 an. Maria Wurm, “Entwicklung der Karikatur in der Türkei”, in: Zeitschrift für Türkeistudien, Jahrgang 13, Essen 2000, S. 97–109. S. 97. Bülent Varlık, “Mizah – Tanzimat’tan Cumhuriyet’e Mizah”, in: Murat Belge (Hg.), Tanzimat’tan Cumhuriyet’e Türkiye Ansiklopedisi, Istanbul 1985, S. 1092–1100, S. 1092. Çeviker, Gelişim I, S. 119. 184 Da Uneinigkeit bezüglich der Datierung in der Sekundärliteratur herrscht und diese teilweise nicht in Übereinstimmung mit den Primärquellen ist, ist es schwierig darzustellen, wie lange die Publikation dieses Periodikums unter dem Namen Terakki tatsächlich erfolgte. An dieser Stelle muss darauf hingewiesen werden, dass die Kollektionen von Terakki und dessen Nachfolgern in der Milli Kütüphane von Ankara sowie in der Hakkı Tarık Us Bibliothek in Istanbul chronologisch ungeordnet sowie unvollständig erhalten sind. Vgl. Duman, Başlangıcından, S. 499ff. Deshalb erhebt diese Skizzierung keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Es sind umfassendere Forschungen nötig, die jedoch einer späteren Arbeit vorbehalten bleiben müssen, um die Sachlage vollkommen klären zu können. 185 Terakki, No. 1, 10. Şaban 1287 H. [5. November 1870], S. 1. Zur Skizzierung des politischen Blattes Terakki siehe: Ȃlim Kahraman, “Terakkî”, in: İA, Bd. 40, S. 481–482. 186 Eğlence ve uzhukeye dair gazetedir. Terakki, No. 1, S. 1. 187 Ibidem. 188 Terakki, No. 1, S. 1. 189 Çeviker, Gelişim I, S. 121 und Strauß, “Notes”, S. 129. Es gibt hinsichtlich der Datierung eine Abweichung von einigen Tagen zwischen Strauß und Çeviker, dieser schreibt, dass Terakki Eğlence bereits am 4. Dezember 1870 erschien, was wohl
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an, dass Terakki nun mit dem neuen Titel Terakki Eğlence zum ersten Mal am 23. Ramazan 1287 (17. Dezember 1870) herauskam.190 Unter dem Namen Terakki Eğlence kamen nur zwölf Ausgaben heraus, bis ein erneuter Namenswechsel erfolgte.191 Die Hintergründe, weshalb das Erscheinen von Terakki unter einem neuen Namen fortgesetzt wurde, sind nicht feststellbar. Vermutlich liegt es daran, dass aus bisher unbekannten Gründen das Presseamt die Herausgabe dieser Zeitschrift unterband. Jedoch war der zweite Namenswechsel damit zu begründen, dass die Inhaber von Terakki die Rechte der Zeitung Asır (Jahrhundert) erwarben und unter dem Namen Letaif-i Âsar diese als eigenständige Satirezeitschrift,192 geführt vom stellvertretenden Lizenzinhaber Rıza, konzipierten.193 Die erste Ausgabe von Letaif-i Âsar nach dem Besitzerwechsel erschien als Nummer dreizehn, sozusagen als Fortführung von Terakki Eğlence.194 Die Zeitschrift Terakki enthielt keine Karikaturen oder Illustrationen. Erst das Nachfolgeblatt Terakki Eğlence brachte freitags eine Ausgabe in Großformat heraus, die Karikaturen oder Illustrationen enthielt. Dienstags erschien eine Ausgabe in Kleinformat ohne Karikaturen.195 Während der Verkaufspreis einer Einzelnummer von Terakki noch 20 Piaster betrug, verdoppelte sich der Preis für Einzelnummern von Terakki Eğlence auf 40 Piaster, blieb aber für die Abonnenten der Zeitung Terakki weiterhin kostenlos.196 Jedoch änderte sich der Preis des Nachfolgeblattes Letaif-i Âsar erneut. Die Dienstagsausgabe, welche keine Illustrationen enthielt, war für 20 Piaster zu bekommen und die Freitagsausgabe, die in einem größeren Format mit Zeichnungen erschien, für 40 Piaster.197 Somit war es für den Verlag wohl ertragreicher, die Ausgaben mit Karikaturen, deren Anfertigung erhebliche Kosten verursachte, für einen höheren Preis zu veräußern, und gleichzeitig war es preislich für diejenigen Leser attraktiv, die nicht so sehr an den Zeichnungen interessiert waren oder sich nur die günstigere Ausgabe leisten konnten. Jedoch schien der höhere Preis für die Freitagsausgabe bei den Lesern
auf die unterschiedlichen Umrechnungsmethoden zurückzuführen ist, die jeweils angewandt wurden. 190 Vgl. Çeviker, Gelişim I, S. 121. Die hicrî Datierung Strauß’ stimmt mit dem Faksimile der ersten Ausgabe überein. 191 Ibidem. 192 Çeviker, Gelişim I, S. 123. 193 Vgl. Letaif-i Âsar, No. 23, 28. Muharrem 1288 H. [12. April 1871], S. 4. 194 Ibidem. 195 Strauß, “Notes”, S. 129. 196 Vgl. Faksimile von Terakki Eğlence bei Çeviker, Gelişim I, S. 121. 197 Letaif-i Âsar, No. 44, 27. Cemaziyel’ahire 1288 H. [13. September 1871], S. 1.
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keine Akzeptanz gefunden zu haben, denn ab der 47. Nummer kostete Letaif-i Âsar erneut 20 Piaster. Die genauen Ursachen, die zu dieser Entscheidung führten, gaben die Verantwortlichen in ihrem Blatt nicht bekannt. Die Redaktion teilte nur ihren Lesern mit, dass die Zeitschrift nun einige Zeit in kleinem Format montags und mittwochs erschiene.198 Den Angaben Strauß’ zufolge übernahm der Journalist Mehmed Tevfik die Satirezeitschrift Letaif-i Âsar bereits, als sie noch unter dem Namen Terakki Eğlence erschien. Seine Signatur erschien in der 101. Nummer von Terakki Eğlence zum ersten Mal.199 Bis zu diesem Zeitpunkt signierte der stellvertretende Lizenzinhaber, Rıza, die Publikationen. Dieser behielt seinen Posten auch bei dem Nachfolgeblatt Letaif-i Âsar bei, denn bis zur 47. Nummer trugen diese Blätter seine Signatur. Erst ab dieser Nummer übernahm Mehmed Tevfik erneut die Verantwortung für die Herausgabe von Letaif-i Âsar. Die Gründe, warum nun nicht Tevfik, sondern sein Stellvertreter die Endredaktion dieser Nummern übernahm, sind nicht feststellbar. Mehmed Tevfik, der zu den schöpferischsten Journalisten jener Jahre gehörte, begann seine Karriere bei Muhbir und gründete einige Jahre später das Amtsblatt der Provinz Bursa namens Hüdavendigar.200 Nach seiner Rückkehr nach Istanbul verfolgte er seine publizistische Karriere mit der Herausgabe der Zeitung Asır weiter.201 Bemerkenswert an der 47. Ausgabe ist weiterhin, dass sich auch der Untertitel dieser Zeitschrift änderte, denn dieser war trotz Namenswechsel bis zu diesem Zeitpunkt konstant geblieben. Bei dem Untertitel fehlte nun das Wort „Spott“ und somit lautete dieser nur noch: „Diese Zeitschrift ist dem Vergnügen gewidmet“.202 Auch der Verlags- und Druckort von Letaif-i Âsar blieb nicht unverändert. Das Blatt erschien nicht mehr wie bisher in der Druckerei von Terakki, sondern wurde jetzt in einer namentlich nicht genannten Druckerei in der Zabtiyye Caddesi Nummer 83 aufgelegt.203 Vermutlich liegt auch hier die Ursache, dass Letaif-i Âsar nun als kleine Ausgabe erschien, darin, dass die neue Druckerei nicht über eine gleichwertige Ausstattung wie die der Druckerei von Terakki verfügte. Es 198 Letaif-i Âsar, No. 47, 14. Rebiülahir 1289 H. [21. Juni 1872], S. 1. Diese Mitteilung veröffentlichte die Redaktion zwei Nummern später erneut, ohne weitere Ergänzung. Letaif-i Âsar, No. 49, 18. Rebiülahir 1289 H. [25. Juni 1872], S. 1. 199 Strauß, “Notes”, S. 129. 200 Ömer Faruk Akün, “Çaylak Tevfik”, in: İA, Bd. 8, S.240–244, 240. Zu den biographischen Daten Tevfiks siehe auch: Özdiş, Osmanlı, S. 91ff. 201 Çeviker, Gelişim I, S. 107. 202 Letaif-i Âsar, No. 47, S. 1. 203 Ibidem.
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existiert indessen eine 21. Nummer von Terakki, veröffentlicht am 15. Zilhicce 1288 (25. Februar 1872).204 Duman gibt an, dass die Zeitschrift Letaif-i Âsar ab der 47. Nr. erneut den Namen Terakki annahm, jedoch existieren die Nummern 49, 52, 53, 54, 55 der Zeitschrift Letaif-i Âsar, die mit Mehmed Tevfik signiert sind.205 Am 15. Şevval 1291 (25. November 1874) erschien, mit neuer Gestaltung des Schriftzuges, die erste Nummer der Neuauflage dieser Zeitschrift. Die Zählung der ersten Ausgabe beginnt mit der Ziffer 1.206 Auch die Bekanntmachung, dass diese Zeitschrift an die Terakki-Leser kostenlos abgegeben wird, fehlt und ist wohl als ein Indiz dafür zu deuten, dass diese erneute Auflage von Letaif-i Âsar jetzt als eigenständige, wöchentliche Satirezeitschrift angeboten wurde und nicht mehr als Zeitungsbeilage. Zu den formalen Veränderungen gehört ebenso, dass diese Zeitschrift keinen Untertitel mit ihrer Selbstbezeichnung mehr trägt. Auch die Auflistung der Abonnementsgebühren, die im alten Format fehlte, belegt, dass Letaif-i Âsar als eigenständige Zeitschrift zu beziehen waren. Für ein Jahresabonnement betrugen die Gebühren 100 Piaster, ein Sechsmonatsabonnement kostete 50 Piaster und eine Einzelnummer war für zwei Piaster zu bekommen. Sogar die Publikation von Werbeanzeigen war für den Preis von zwei Piastern je Zeile möglich. Über einen eigenen Verlagsort verfügte Letaif-i Âsar indessen nicht, sie wurde in der Basiret-Druckerei aufgelegt, die sich zu dem Zeitpunkt auf der Bab-ı Ali Caddesi befand. Wohl aus diesem Grund publizierte die Zeitung Basiret in der 1381 Nummer eine Mitteilung, die bekannt gab, dass eine Satirezeitschrift namens Letaif-i Âsar erscheine.207 Als Herausgeber amtierte weiterhin Mehmed Tevfik und als Karikaturist (musavvir) war Ali Fuad Beğ angestellt.208 Dieser stellte eine Ausnahmeerscheinung unter den Karikaturisten jener Zeit dar. Er war einer der ersten muslimischen Karikaturisten, der Arbeiten für eine Satirezeitschrift anfertigte.209
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Terakki, No. 21, 15. Zilhicce 1288 H. [25. Februar 1872], S. 1, 4. Vgl. Duman, Başlangıcından, S. 501. Letaif-i Âsar, No. 1, 15. Şevval 1291 H. [25. November 1874], S. 1. Basiret, No. 1381, 15. Şevval 1291 H. [25. November 1874], S. 3. Letaif-i Âsar, No. 1, S. 1. Die Datenlage über Ali Fuads Biographie ist recht spärlich. Sein Geburtstag sowie sein genaues Todesdatum sind unbekannt. Jedoch vermutet Çeviker, dass er um 1920 verstorben sein muss. Auch über seinen beruflichen Werdegang sind sehr wenige Informationen vorhanden. Çevikers Angaben zufolge arbeitete er als Journalist bei der osmanischen Tageszeitung Basiret (1869) und in späteren Jahren als Direktor der Marine Druckerei. Außerdem war er als Karikaturist bei verschiedenen Satirezeitschriften wie Kahkaha und Çaylak tätig. Çeviker, Gelişim I, S. 112ff.
Letaif-i Âsar, so heißt es im Impressum: „erscheint einmal in der Woche dienstags mit einem Umfang von acht Seiten“. Das Besondere an Letaif-i Âsar ist der ungewöhnlich hohe Seitenumfang. Bis zu diesem Zeitpunkt betrug der Umfang einer Satirezeitschrift nicht mehr als vier Seiten, gedruckt auf zwei Bögen. Auch die Anzahl der Zeichnungen, Illustrationen und Karikaturen je Einzelnummer ist im Vergleich zu den Konkurrenzblättern recht hoch. Bereits die erste Ausgabe enthält vier Karikatur ähnliche Zeichnungen auf den Seiten zwei, vier, sechs und acht, während die Konkurrenzblätter in jenen Jahren nur eine Karikatur je Einzelnummer abdruckten. Das Erscheinungsdatum der letzten Ausgabe ist nicht feststellbar, denn zwischen den Jahren 1870 und 1875 hat es wohl eine Reihe von verschiedenen Heften Letaif-i Âsar gegeben.210 Jedoch bezieht sich keine der Angaben auf die Edition, die in der Basiret-Druckerei erschien.211 Da Letaif-i Âsar keinerlei Kontinuität aufweist und nicht alle Ausgaben vollständig erhalten sind, ist nicht feststellbar, wann die letzte Nummer von Letaif-i Âsar erschien. Wahrscheinlich hielt sich das Blatt, mit einigen größeren Pausen, bis ins Jahr 1875.212 Denn am 4. Receb 1292 (6. August 1876) kam ein weiteres Satireblatt namens Geveze (Geschwätzig) heraus, welches mit Tevfik signiert ist.213 Von Geveze, dessen Verlagsort nicht genannt wird, erschienen lediglich 10 Ausgaben. Die letzte Nummer von Letaif-i Âsar ist auf den 14. Ramazan 1292 datiert (14. Oktober 1875).214 Auch Hayal berichtet in ihrer 178. Nummer, dass Tevfik sein Blatt Letaif-i Âsar nun in Geveze umbenannt habe.215
Diyojen Bereits in der ersten Nummer von Terakki ist eine Vorankündigung zu lesen, und zwar gleich nach dem Vorwort, in der das Erscheinen von Diyojen dieser Zeitschrift mit den Worten begründet wird, „sie [die Zeitschrift] ist nicht notwendig, aber wir sollten trotzdem nicht von dieser Förmlichkeit ablassen“216, dass „eine Zeitschrift namens Diyojen in einer ihrer letzten Ausgaben angekündigt 210 Duman, Başlangıcından, S. 499ff. 211 Ibidem. 212 Ibidem. 213 Geveze, No. 1, 4. Receb 1292 H. [6. August 1875], S. 1. 214 Geveze, No. 10, 14. Ramazan 1292 H. [14. Oktober 1875], S. 1. 215 Hayal bemerkt dazu, dass Tevfik sich selbst hätte umbenennen sollen anstelle seiner Zeitschrift. Hayal, No. 177, 24. Temmuz 1291 R. [5. August 1875], S. 2. 216 Es gibt jedoch keinerlei Hinweise dazu, die erklären, was genau mit Förmlichkeit (adet) gemeint ist.
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habe, nun einmal in der Woche auch auf Türkisch (türkçe) zu erscheinen“.217 Aus dieser Mitteilung wird deutlich, dass Diyojen (Diogenes) bereits in einer nicht-türkischen Sprache erschienen war. Vermutlich handelt es sich hierbei um die französisch-sprachige Edition von Diyojen, da diese als Vorlage für die griechischen, armenischen und osmanisch-türkischen Versionen gilt.218 Teodor Kasap, der Herausgeber von Diyojen, schrieb seine Beiträge wohl zuerst auf Französisch, denn er beherrschte die arabischen Schriftzeichen nicht.219 Die erste osmanischsprachige Ausgabe dieser Zeitschrift kam am 12. Teşrin-i sâni 1286 (24. November 1870) heraus und somit wenige Tage nach Terakki.220 Dem Vorwort von Diyojen ist zu entnehmen, dass diese Zeitschrift bereits seit einigen Monaten auf Griechisch und Französisch erschien.221 Ferner erschien zusätzlich, wie bereits erwähnt, auch eine armenische Ausgabe von Diyojen.222 Jedoch ist das genaue Erscheinungsdatum der griechischen, französischen und armenischen Editionen nicht zu ermitteln. Gründer und Herausgeber der Satirezeitschrift Diyojen war der Journalist Teodor Kasap, der lange Jahre in Frankreich verbracht hatte und erst im Jahre 1870 nach Istanbul zurückkehrte. Wie bereits erwähnt, publizierte Kasap sein Blatt im Gegensatz zur Zeitschrift Terakki und ihren Nachfolgern in mehreren Sprachen und richtete sich somit nicht nur an eine spezifische Sprachgruppe. Außerdem hat Diyojen in Abgrenzung zu Terakki einen Protagonisten, den kynischen Philosophen Diogenes von Sinop. In seiner mukaddime (Vorwort) erklärt Kasap seinen osmanischsprachigen Lesern, um wen es sich bei diesem Diogenes handelt. Der Journalist erläutert seinen osmanischsprachigen Rezipienten, warum er diese Figur für seine Zeitschrift auserwählte, die wohl diesem Leserkreis unbekannt war, folgendermaßen: „Diogenes war ein griechischer Weiser aus Sinop, der berühmt dafür war, dass er in einem Bottich lebte. Da sein Charakter und seine Prinzipien dieser Zeitschrift entsprechen, wurde er als Namenspatron ausgewählt.“223 Strauß schreibt, dass die meisten Leser der osmanischsprachigen
217 Terakki, No. 1, S. 1. Özdiş skizziert in seiner Arbeit Diyojen grob in ihren Grundzügen. Vgl. Özdiş, Osmanlı, S. 81ff. 218 Diyojen, No. 19, 13. Mayıs 1287 R. [25. Mai 1871], S. 1. 219 İhsan Sungu, “Teodor Kasap”, in: Çeviker, Gelişim I, 96–104, S. 97. 220 Diyojen, No. 1, S. 1. 221 Ibidem. 222 Diyojen, No. 19, S. 1. Der Name dieser armenischen Ausgabe bleibt jedoch unbekannt. Strauß, “Notes”, S. 133. 223 Diyojen, No. 1, S. 1.
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Ausgabe von diesem Titel fasziniert waren, jedoch Schwierigkeiten dabei hatten, mehr über Diogenes in Erfahrung zu bringen. Ahmed Midhat Efendi gehörte zu denjenigen osmanischen Literaten, die versuchten, diesen Informationsbedarf der Leser zu befriedigen. In seiner Zeitschrift Dağarcık (Lederbeutel) veröffentlichte er einen Artikel, der das Leben des berühmten Zynikers behandelte.224 Weil jedoch keine der nicht-osmanischsprachigen Ausgaben von Diyojen in den türkischen Bibliotheken vorhanden ist, ist nicht zu ermitteln, ob auch die griechischen, französischen oder armenischen Editionen diese Erklärung beinhalten.225 Im Kopfteil der Zeitschrift ist ebenfalls die Illustration einer Begebenheit abgebildet, die sich zwischen Alexander dem Großen und Diogenes abgespielt haben soll. So sei Alexander der Große zu Diogenes getreten und habe ihm einen Wunsch freigestellt, dieser hätte jedoch nur geantwortet: „Geh mir aus der Sonne, einen anderen Wunsch habe ich nicht“. Eben jene Antwort Diogenes’ trägt Diyojen als Untertitel.226 Die Illustration zeigt, wie Diogenes in seiner Tonne sitzt und zu Alexander dem Großen spricht, der in seiner Rüstung vor ihm steht. Diyojen wurde nur bis zur 61. Ausgabe mit dieser Illustration veröffentlicht, ab der 62. Nummer ist nur noch der Spruch von Diogenes zu lesen. Diyojen erschien bis zur 28. Nummer zunächst wöchentlich. Ab dieser Nummer kam die Zeitschrift zweimal in der Woche auf den Markt und ab der 148. Ausgabe bis zur Schließung, wohl wegen der steigenden Nachfrage, sogar dreimal.227 Die Zeitschrift Diyojen scheint so großen Zuspruch von den osmanischsprachigen Lesern erfahren zu haben, dass sogar eine handschriftliche Abschrift der ersten Nummer angefertigt wurde.228 Ein jährliches Abonnement kostete ein halbes (nısf ) osmanisches Pfund, die Kosten für einen sechsmonatigen Bezug betrugen zwanzig Piaster und eine Einzelausgabe war für einen Piaster erhältlich. Ebenso war ein Versand in die Provinzen möglich, bei der jedoch zusätzlich Postgebühren anfielen. Des Weiteren bestand auch die Möglichkeit, Werbeanzeigen aufzugeben, die drei Piaster je Zeile kosteten, sowie andere Bekanntmachungen, die für eine Gebühr von zwei Piastern publiziert wurden.
224 Strauß, “Notes”, S. 132f. 225 Die Bemühungen Çevikers und Strauß’, diese Editionen zu ermitteln, blieben ergebnislos. Vgl. Çeviker, Gelişim I, S. 3 und Strauß, “Notes”, S. 132. 226 Gölge etme başka ihsan istemem. Vgl. Diyojen, No. 1, S. 1. 227 Çeviker, Gelişim I, S. 120. 228 Diese Abschrift wird mit den gedruckten Ausgaben von Diyojen in der Hakkı Tarık Us Bibliothek in Istanbul verwahrt.
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Interessant war auch die Vertriebsmethode, die Diyojen nutzte, um Leser zu werben. Die Zeitschrift wurde einem ausgewählten Rezipientenkreis zugesandt, und falls dieser Diyojen nicht zurückschickte, galten die Empfänger als Abonnenten.229 Die Druckerei und die Redaktionsräume dieser Zeitschrift befanden sich im Viertel Galata, im Zincirli Han auf der Yeni Cami Caddesi. Kasap verlegte die Redaktionsräume einige Zeit später in den Camlı Han (Asmaaltında Camlı Han).230 Ferner schreibt der Journalist Kasap in dem Vorwort (mukaddime) der ersten Nummer, dass die Intention von Diyojen vor allem sei, „die Ziele der Regierung der öffentlichen Meinung (efkâr-i umumiyye) zu übersetzen und indirekt (târiz) mit Spott (istihza) und Eloquenz (terzebanlık) über die Moral, die guten Sitten und die Dinge, die dem Vaterland (vatan) fremd sind […]“ zu berichten.231 Von außerordentlicher Wichtigkeit war es für Kasap, den Rezipienten der osmanisch-türkischen Ausgabe von Diyojen den Charakter satirischer Zeitschriften zu erläutern. Im Leitartikel (ihtar) der 19. Nummer nimmt er sich dieses Themas an und erklärt: „Denjenigen Lesern, die die französische Sprache beherrschen, ist bekannt, dass die Zeitschriften, die als ‚humoristisch‘ (ümoristik) bezeichnet werden, immer scherzhaft (lâtife tarzında) die Wahrheit schildern. Da sich Diyojen auch dieser Berufsgruppe zuordnet (Diyojen ise bu meslekde bir gazete olduğundan), […] beruht der Inhalt dieser Zeitschrift auf eben jenem Grundsatz.“232 Die Redaktion von Diyojen setzte sich aus Muslimen und Nichtmuslimen zusammen. Da es leider zu der Zeit nicht üblich war, die Artikel zu signieren, sind wenige Namen von Autoren zu ermitteln, die für Diyojen arbeiteten. Namık Kemal, einer der bedeutendsten Literaten des 19. Jahrhunderts im Osmanischen Reich, gilt zweifellos als einer der bekanntesten Beiträgern von Diyojen. Kasap lernte Kemal während seines Aufenthalts in Paris kennen, der nach seiner Rückkehr nach Istanbul Beiträge für die Zeitschrift seines Freundes schrieb.233 Zu den weiteren Mitarbeitern von Diyojen gehörten der Journalist Ebüziyya Tevfik sowie Ali Beğ.234 Der Name des Zeichners, der die Illustration für den Kopf der Zeitschrift anfertigte, sowie der (oder die) Urheber der drei Karikaturen, die in
229 Diyojen, No. 1, S. 1f. 230 Vgl. Diyojen, No. 98, 23. Şubat 1287 R. [6. März 1872], S. 1. 231 Diyojen, No. 1, S. 1f. 232 Diyojen, No. 19, S. 1. 233 Çeviker, Gelişim I, S. 100ff. 234 Ibidem, S. 120.
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den Ausgaben 74, 121 und 123 erschienen, bleiben unbekannt, da keine erkennbaren Signaturen an ihren Werken vorhanden sind.235 Nicht zu Unrecht bezeichnet Strauß das Erscheinen von Diyojen als einen „Wendepunkt in der osmanischen Pressegeschichte“, da Terakki Eğlence wohl immer noch „Probleme mit dem Humor“ gehabt habe.236 Diesen Punkt wusste Kasap für sich zu nutzen, indem er sich bereits mit der ersten Ausgabe von Diyojen über die Beiträge von Terakki, vor allem über die Rubrik Literatur (edebiyyat), lustig machte.237 Terakki ließ die Sticheleien von Diyojen nicht auf sich beruhen und ging in die Defensive.238 Folglich markieren die Angriffe Kasaps auf Terakki und andere zeitgenössische Presseerzeugnisse den Ausgangspunkt einer Reihe von Polemiken. Doch nicht nur die Konkurrenzpresse hatte nun Diyojen im Blick, sondern auch die Druckereiverwaltung (matbuat idaresi).239 Bereits nach der vierten Ausgabe wurde Diyojen zum ersten Mal für sechs Wochen suspendiert (tatil ).240 Die Druckereiverwaltung inspizierte Diyojen sehr genau, und so folgten eine Reihe von Suspendierungen und Verwarnungen, bis Kasap schließlich die Lizenz für die Veröffentlichung dieser Zeitschrift entzogen wurde. Obwohl in Diyojen nur drei Karikaturen erschienen, war vor allem die letzte Karikatur ein Anlass, die Zeitschrift gleich für zwei Monate zu verbieten.241 Die ständigen Auseinandersetzungen mit der Druckereiverwaltung waren für Kasap ein Ärgernis, das er in Diyojen häufig thematisierte. Die wiederholten Suspendierungen bedeuteten für ihn und seine Mitarbeiter vor allem, dass ihnen ein wirtschaftlicher Schaden entstand. Gegen die Übermacht der Behörde konnte Kasap jedoch nichts ausrichten und musste nach dem Erscheinen der 183. Ausgabe Diyojen endgültig schließen.242 Aus einer offiziellen Bekanntmachung (ilân-i resmi), die in der 826. Nummer der Zeitung Basiret erschien, werden die Gründe, die zur Schließung von
235 Diyojen, No. 74, 23. Teşrin-i sâni 1287 R. [5. Dezember 1871], S. 4; Diyojen, No. 121, 13. Mayıs 1288 R. [25. Mai 1872], S. 4; Diyojen, No. 123, 20. Mayıs 1288 R. [1. Juni 1872], S. 4. 236 Strauß, “Notes”, S. 132. 237 Diyojen, No. 1, S. 3f. 238 Strauß, “Notes”, S. 135. 239 Vgl. Diyojen, No. 101, 4. Mart 1288 R. [16. März 1870], S. 1. 240 Çeviker, Gelişim I, S. 65ff. 241 Ibidem, S. 70. 242 Der Person und dem Namen Diogenes’ schien Kasap besonders zugeneigt gewesen sein, deshalb nannte er wohl seinen zweiten Sohn Diyojen. Vgl. Sungu, “Kasap”, S. 101.
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Diyojen geführt haben, folgendermaßen erläutert: „Die Zeitschrift Diyojen hat unter dem Vorwand, dass sie eine Satirezeitschrift sei, gegen die Sitten der Öffentlichkeit […] verstoßen. Obwohl sie einige Male verwarnt und suspendiert wurde, ist sie nicht von ihrer Linie abgewichen und hat in ihren Nummern 174, 180 und 182 sowohl das Ansehen von hochrangigen Personen geschädigt als auch sie in ihrer Ehre (haysiyet) […] verletzt und ist so weit gegangen, dass sogar in ihrem Namen fiktive Briefe verfasst wurden […]. Deshalb wird Diyojen, dem Beschluss vom 12. März 1867 zufolge, ab diesem Datum geschlossen.“243
Çınğıraklı Tatar Wenige Monate nach der Schließung bekam Kasap erneut eine Lizenz für die Herausgabe einer Satirezeitschrift, welche jedoch unter einem anderen Namen erscheinen musste. Dies war durchaus eine übliche Praxis in jenen Jahren, von der die meisten Zeitungen und Zeitschriften Gebrauch machten, deren Periodika das Presseamt schloss.244 Der Erwerb einer neuen Lizenz schien Kasap jedoch große Anstrengung gekostet zu haben, denn in dem Leitartikel der ersten Nummer lässt er seinen Protagonisten erzählen, welche Mühen und Nöte dieser durchstehen musste, bis er eine Lizenz erhielt.245 Mit Çınğıraklı Tatar (Der Bote mit den Schellen) führte Kasap seine Karriere als Publizist einer Satirezeitschrift fort. Die erste Ausgabe seines erneuerten Formates erschien am 24. Mart 1289 (5. April 1873) und sollte von diesem Zeitpunkt an zweimal wöchentlich erscheinen. Kasap bezog auch neue Räumlichkeiten, in denen sich sowohl die Druckerei wie auch die Redaktionsbüros befanden. Zwar blieb er im Viertel Galata, aber nun publizierte er sein Blatt in der Medrese Sokağı Nummer 15. Kasap änderte auch die Bezugsbedingungen für sein Blatt. So war es nur noch möglich, ein Jahresabonnement von 104 Ausgaben zu beziehen, das die Bezieher aus Istanbul 80 Piaster kostete. Für die Abonnenten aus den Provinzen beliefen sich die Kosten auf 100 Piaster. Käufer von Einzelnummern hatten weiterhin einen Piaster zu zahlen. Die Gebühren für das Abonnement waren entweder nach der ersten oder der dreiundfünfzigsten Nummer fällig. Ein Abonnement für lediglich sechs oder gar nur drei Monate war nicht möglich.246 Werbeanzeigen konnten für drei Piaster je Zeile
243 Basiret, No. 826, 1. Kânun-i sâni 1288 R. [13. Oktober 1873], S. 1. 244 Kabacalı, Tanzimat, S. 609. 245 Vgl. Çınğıraklı Tatar, No. 1, 24. Mart 1289 R. [5. April 1873], S. 1. 246 Diesbezüglich hatten sich Leser beschwert, die nicht gleich ein Jahresabonnement beziehen wollten, aber Kasap wich nicht von seinem Standpunkt ab, empfahl
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aufgegeben werden. Anzeigen anderer Art (mevadd-i sair) kosteten zehn Piaster je Zeile. Im Impressum wird des Weiteren bekanntgegeben, dass nur noch Briefe angenommen werden, deren Postgebühren bereits entrichtet wurden247 Der Protagonist dieser Zeitschrift war der ‚Bote mit den Schellen‘, welcher gewisse Ähnlichkeiten zu den Figuren aus der italienischen commedia dell‘ arte aufweist. Strauß behauptet sogar, dass diese Figur einer Karikatur von Grandville entspricht, welche in der ersten Ausgabe von Charivari am 1. Dezember 1832 erschien.248 Es ist nicht auszuschließen, dass sich Kasap bei der Auswahl seiner Figur am französischen Charivari orientierte, da er lange Jahre in Paris gelebt hatte und somit gewiss in Kontakt mit diesem Blatt gekommen war. Aber auch im Osmanischen Reich waren die europäischen Blätter Charivari und Punch nicht unbekannt und hatten ihre Leser, vor allem unter den Publizisten.249 Im Jahre 1287 (1871) erschien eine osmanischsprachige Satirezeitschrift mit dem Titel Şarivari als Beiheft der Tageszeitung İbret.250 Eine zweite Satirezeitschrift namens Şarivari erschien im November 1874 als Beilage der Zeitung Medeniyet (Zivilisation).251 Bislang gibt es jedoch keinerlei weitere Hinweise zu diesen Zeitschriften, da diese sich entweder nicht erhalten haben oder bislang in keiner Sammlung dokumentiert sind. Von Çınğıraklı Tatar erschien, wie auch von Diyojen zuvor, eine französische (Le Courrier à clochettes), griechische (Koudounatos) und armenische (Bozhozhawor Surhandak) Ausgabe.252 Aus der zweiten Ausgabe von Çınğıraklı Tatar ist allerdings zu entnehmen, dass diese Zeitschrift nicht in vier, sondern in fünf Sprachen erschien (türkisch, griechisch, armenisch, bulgarisch und französisch).253 Demzufolge existiert auch eine bulgarische Fassung, die jedoch weder von Çeviker noch von Strauß aufgeführt wird. Somit nutzte Kasap ihnen in diesem Fall, Einzelnummern zu erwerben. Vgl. Çınğıraklı Tatar, No. 2, 29. Mart 1289 R. [10. April 1873], S. 1–2. 247 Çınğıraklı Tatar, No. 1, S. 1. 248 Strauß, “Notes”, S. 134. 249 Dies belegen in erster Linie die Karikaturen, die aus dem Punch übernommen wurden, und bei Zeitschriften wie Kahkaha und Çaylak veröffentlicht wurden. 250 Ramazan Acun, “İbret”, in: Türk Dili ve Edebiyatı Ansiklopedisi, Istanbul 1982, S. 332–336, S. 332. 251 Hayal, No. 119, 13. Teşrin-i sâni 1290 R. [25. November 1874], S. 2. Vgl. Çeviker, Gelişim I, S. 127f. 252 Çeviker, Gelişim I, S. 127f. 253 Çınğıraklı Tatar, No. 2, S. 1f. Strauß gibt an, dass die armenische Version von Çınğıraklı Tatar mit armenischen Lettern, jedoch in osmanischer Sprache erschien. Strauß, “Notes”, S. 134.
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Çınğıraklı Tatar, um einen neuen Rezipientenkreis mit seiner Publikation bekannt zu machen. Eine weitere Neuerung, die Kasap bei seinem zweiten Satireblatt einführte, war, dass er jede Ausgabe mit einer Karikatur publizierte, die sich auf der dritten Seite befand.254 Zeichner seiner Karikaturen war der Grieche Constantine N. Orphanoudakis,255 der seine Werke in der Regel mit seiner Signatur K. O. versah.256 Orphanoudakis’ Karikaturen spiegelten meistens Szenen aus dem Istanbuler (Straßen-)Leben wider. Sie thematisieren zum Beispiel die infrastrukturellen Probleme Istanbuls zu jener Zeit. Trotz des neuen Formats blieb Kasap seiner Linie treu und führte auch mit Çınğıraklı Tatar seine Polemiken mit den Konkurrenzblättern und den anderen Zeitungen fort. Gleich in der ersten Ausgabe ist auf der dritten Seite eine Karikatur abgebildet, die den Çınğıraklı Tatar darstellt, der sich mit einer Peitsche in der Hand den Konkurrenzblättern wie La Turquie, Hakayık, Basiret, İbret, Levant Herald und vielen mehr mit dem Kommentar: „Rassel, rassel’, ich bin da“ (çınğır, çınğır ben geldim) entgegenstellt. Die Reaktionen der Konkurrenzblätter ließen nicht lange auf sich warten. Schon am nächsten Tag nimmt sich Basiret im Gegenzug das Werk Teodor Kasaps, Pinti Hamid (Der geizige Hamid), vor und kritisiert es ausführlich.257 Diese zweite Zeitschrift Kasaps war nur für wenige Wochen auf dem Markt und wurde wiederum vom Presseamt nach der achtundzwanzigsten Nummer geschlossen. Die letzte Nummer von Çınğıraklı Tatar erschien am 3. Temmuz 1289 (15. September 1873).258
Lâtife Eine weitere Satirezeitschrift, die Mitte der 1870er Jahre im Osmanischen Reich erschien, hieß Lâtife (Scherz, Witz).259 Herausgeber dieser Zeitschrift, die zum
254 Die Behauptung Strauß’, dass die Karikaturen mit „a few interruptions“ erschienen, ist nicht korrekt. Jede Ausgabe dieser Zeitschrift enthält eine Karikatur, wie bereits erwähnt, auf der dritten Seite. Vgl. Bestand No. 1–28. In: Atatürk Belediye Kütüphanesi, Istanbul. 255 Strauß, “Notes”, S. 134. 256 Vgl. Çınğıraklı Tatar, No. 8, 21. Nisan 1289 R. [3. Mai 1873], S. 3. 257 Hier ist anzumerken, dass auf diese Diskussion an dieser Stelle nicht ausführlicher eingegangen wird, da dieses Thema Gegenstand des Kapitels 3. 7 in dieser Arbeit ist. Vgl. Basiret, No. 895, 9. Safer 1290 H. [3. Mai 1873], S. 3. 258 Çınğıraklı Tatar, No. 28, 3. Temmuz 1289 R. [15. September 1873], S. 1. 259 Die Skizzierung dieser Zeitschrift ist für diese Arbeit primär insofern von Bedeutung, als in dieser Artikel und Karikaturen erschienen, die sich direkt auf Kasap und seine Satirezeitschrift Hayal beziehen. Aber auch andere Beiträge dieser Zeitschrift,
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ersten Mal am 12. Ağustos 1290 (12. August 1874) erschien260, war Zakariyya Beğkozlıoğlu. Der Druck- und Verlagsort der Zeitschrift befand sich im Camlı Han, wo zuvor ebenfalls Teodor Kasaps Diyojen gedruckt wurde. Für Istanbuler kostete ein Jahresabonnement 60 Piaster und für die Abonnenten aus den Provinzen fielen zusätzlich noch die Postgebühren für den Versand an. Eine Einzelausgabe kostete 40 Piaster. Eine einmalige Werbeanzeige kostete drei Piaster je Zeile, wobei der Preis für Dauerkunden wohl auf Verhandlungsbasis erhoben wurde.261 Lâtife erschien zwei Mal in der Woche jeden Montag und Donnerstag.262 Der Karikaturist der Zeitschrift war Tınghır, wobei nicht alle Karikaturen eine Signatur tragen.263 Ein Novum, das wohl Lâtife einführte, sind kolorierte Karikaturen. Die Karikaturen der bislang untersuchten Zeitschriften sind schwarzweiß. Zwar hat auch die Zeitschrift Çaylak kolorierte Karikaturen veröffentlicht, jedoch erst mehr als ein Jahr später.264 Auch die Anzahl der publizierten Karikaturen sowie der kleineren Vignetten bei einigen Einzelnummern ist sogar vergleichsweise höher als zuvor bei Letaif-i Âsar. Nach der Publikation der 36. Nummer nahm Beğkozlıoğlu einen Wechsel seines Druck- und Verlagsortes vor und gab nun seine Zeitschrift in der Sultan Bayazid Caddesi heraus.265 Doch nur zwei Nummern später erschien die letzte Ausgabe von Lâtife am 10. Safer 1292 (18. März 1875).266 Allerdings war die Schließung wohl nicht endgültig, denn bereits am 26. Safer 1292 (30. März 1875) erfolgte die zweite Herausgabe von Lâtife, deren
die bislang noch nicht Gegenstand anderer Arbeiten war, sind es wert, dem Leser vorgestellt zu werden. Diese werden jedoch an anderer Stelle im Rahmen von weiteren Arbeiten vorgestellt. 260 Lâtife, No. 1, 12. Ağustos 1290 R. [24 August 1874], S. 1. 261 Die Zusammensetzung des Preises für Dauerkunden wird nicht näher erläutert, es heißt nur, dass dieser gesondert verhandelt werden kann (ayrıca pazarlık olunur). 262 Lâtife, No. 1, S. 1. 263 Vgl. Lâtife, No. 5, 26. Ağustos 1290 R. [7. September 1874], S. 4. 264 Bislang ist nicht bekannt, wann die ersten kolorierten Karikaturen im Osmanischen Reich erschienen sind. Vermutlich gehört die Satirezeitschrift Lâtife zu den Pionieren, die Karikaturen dieser Art veröffentlichten, jedoch bedarf dieser Gesichtspunkt weiterer Forschungen. Vgl. Lâtife, No. 25, 23. Şevval 1291 H. [3. Dezember 1874], S. 4. 265 Die vollständige Anschrift lautet nun: Sultan Bayazid Caddesi, Tavşan Taşı, im Büro Nummer 18. Lâtife, No. 37, 29. Muharrem 1292 H. [7. März 1875], S. 1. 266 Lâtife, No. 39, 10. Safer 1292 H. [18. März 1875], S. 1. Çeviker behauptet zwar, dass 43 Ausgaben erschienen sind, aber da muss eine Verwechslung mit der zweiten Auflage von Lâtife vorliegen, von der 43 Nummern publiziert wurde. Vgl. Duman, Başlangıcından, S. 498 und Çeviker, Gelişim I, S. 126.
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Zählung mit der Nummer eins beginnt, unter demselben Namen. Während der kurzen Zeit, in der die Satirezeitschrift nicht erschien, hatte Beğkozlıoğlu erneut einen Wechsel der Räumlichkeiten vorgenommen. Jetzt lag die Produktionsstätte von Lâtife in der Bab-ı Ali Caddesi 25. Nicht nur der Verlagsort hatte sich verändert, sondern auch das äußere Erscheinungsbild. Im Kopf der Zeitschrift, den zuvor nur ein Schriftzug mit dem Namen der Zeitschrift zierte, war jetzt dieser umrahmt mit grotesken Gestalten, wie zum Beispiel mit Menschen, die Tierköpfe hatten, einem Zwerg mit sehr langem Bart oder anderen Figuren mit übergroßen Nasen. Auch der Preis der Einzelnummer hatte sich halbiert, er belief sich jetzt nur noch auf 20 Piaster. Weitere Angaben zu den Abonnementsbedingungen fehlen jedoch. Im Leitartikel (ihtar) der ersten Nummer erklärt Beğkozlıoğlu, der nun sein Blatt mit Z. Beğkozlıyan signiert, seinen Lesern, warum Lâtife vorübergehend nicht erschienen war.267 Er begründet dies mit dem Vorwand, dass entweder das Wetter zu kalt gewesen sei oder die Auseinandersetzungen mit einem sarraf (Geldverleiher) daran Schuld seien. Wobei das letztere wahrscheinlich der Wahrheit entspricht, und Beğkozlıyan seine Zeitschrift aufgrund finanzieller Probleme nicht publizieren konnte. Denkbar ist, dass er auch aus diesem Grund den Verkaufspreis seiner Zeitschrift senkte, um die Nachfrage zu steigern. Beğkozlıyan schildert weiterhin, dass er in der Zwischenzeit einen guten Arzt gefunden hätte, der erheblich zu der Genesung von Lâtife beigetragen habe. Wenn diese sich an die Empfehlung des Arztes halte und nur noch eine einfache Suppe zu sich nehme, statt sich wie bisher von gefüllter Pute oder anderen Fleischgerichten zu ernähren, würde sich ihr Gesundheitszustand erheblich verbessern.268 Seine Zusammenarbeit mit dem Karikaturisten Tınghır führte Beğkozlıyan fort, wobei sich die Anzahl der Karikaturen und Vignetten im Vergleich zur vorherigen Edition erheblich verringerte. Es erschien zumeist lediglich eine Karikatur je Einzelnummer.269 Trotz der Einsparmaßnahmen und des neuen Formats konnte sein Blatt sich auch diesmal nicht auf dem Markt behaupten, und Beğkozlıyan stellte die Publikation nach der 43. Ausgabe ein.270 267 Eine Begründung für diesen Namenswechsel gibt es nicht. 268 Vermutlich waren es tatsächlich finanzielle Schwierigkeiten, die zur Einstellung der Publikation von Lâtife geführt haben, und er nun Einsparungen vornehmen musste, um sich finanziell zu sanieren. Das erklärt auch, dass er seine Zeitschrift unter dem alten Namen erneut publizieren konnte, was nicht möglich gewesen wäre, wenn das Presseamt sein Blatt geschlossen hätte. Lâtife, No. 1, S. 1. 269 Vgl. Ibidem. 270 Duman, Başlangıcından, S. 498.
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Trotz der finanziellen Schwierigkeiten, die er mit der Herausgabe der Satirezeitschrift Lâtife hatte, startete Beğkozlıyan im Jahre 1876 einen dritten Versuch, unter gleichem Namen wie ihre Vorgänger, wiederum mit der Publikation eines Satireblattes. Die erste Ausgabe seiner Zeitschrift ist mit 1. Eylül 1293 (13. September 1877) datiert, wobei es sich offensichtlich um einen Fehler handelt. Denn die zweite Nummer ist auf den 8. Eylül 1292 (12. September 1876) datiert und die folgenden Ausgaben weisen ebenso als Jahreszahl 1292 aus.271 Seine Druck- und Verlagsräume befanden sich wieder auf der Bab-ı Ali Caddesi, aber diesmal in der Kafesci Sokağı.272 Eine Einzelnummer seines Blattes kostete einen Piaster und die Abonnementsgebühren richteten sich nun nach der Anzahl der gelieferten Blätter. Beğkozlıyan war nicht nur mit dem Namen seiner Zeitschrift eng verbunden, sondern auch mit seinem Karikaturisten Tınghır, der auch für dieses Blatt die Karikaturen anfertigte. Im Vergleich zur zweiten Edition seines Blattes war der Kopf dieser Zeitschrift einfacher gestaltet, nur ein Schriftzug, der vom Impressum umrahmt wird, ziert ihn. Nach nur 27 Nummern wurde die Publikation von Lâtife erneut eingestellt. Die letzte Ausgabe erschien am 20. Şubat 1292 (4. März 1877).273
Kahkaha Herausgeber der Zeitschrift von Kahkaha (Lautes Gelächter), welche zu den kurzlebigeren Blättern gehörte, war der osmanische Journalist Basiretci Ali Efendi. Die erste Nummer erschien am 22. Mart 1291 (3. April 1875) und nicht, wie bei Çeviker angegeben am 25. Mart 1291.274 Bemerkenswert an dieser Zeitschrift ist vor allem die beträchtliche Anzahl von Entsprechungen mit dem London Charivari. Besonders der Kopfteil dieser Zeitschrift weist nicht nur sehr starke Ähnlichkeiten mit dem Titelblatt des Londoner Satireblattes Punch auf, sondern Mr. Punch selbst, der Protagonist von London Charivari, ist darauf abgebildet. Jedoch soll es sich hierbei nur um einen verworfenen Entwurf handeln, der jetzt genutzt werden müsse, da der vorgesehene Kopf noch nicht fertig gestellt sei, heißt es in einer Mitteilung an die Leserschaft.275 Wenige Tage später verkündete Ali Efendi dies auch den Lesern seiner Tageszeitung Basiret, dass eben jener Kopfteil
271 Jedoch hat Çeviker diese falsche Datierung übernommen. Vgl. Çeviker, Gelişim I, S. 134. 272 Lâtife, No. 1, 1. Eylül 1293 [sic!], S.1. 273 Lâtife, No. 27, 20. Şubat 1292 R. [4. März 1877]. 274 Kahkaha, No. 1, 22. Mart 1291 R. [3. April 1875], S. 1. Vgl. Çeviker, Gelişim I, S. 130. 275 Ibidem.
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immer noch nicht fertig gestellt sei.276 Ali Efendi ließ das Blatt, welches nicht als Beilage seiner Zeitung konzipiert war, in seiner eigenen Druckerei auflegen. Ein Abonnement für 104 Ausgaben kostete 70 Piaster und ein sechsmonatiger Bezug war für 40 Piaster zu erhalten. Der Preis für Anzeigen lag bei fünf Piastern je Zeile und lag somit um zwei Piaster höher als bei den Konkurrenzblättern. Zeichner seiner Karikaturen war Ali Fuad, der zuvor auch für Letaif-i Âsar gearbeitet hatte. In der Regel erschien eine Karikatur auf der letzten Seite und eine kleine Vignette, die einen Boten mit einem Kuvert darstellte, war über der Rubrik Kahkaha’ya mahsus teleğraf (Telegramm für Kahkaha) abgebildet. Außerdem war ein Damespiel auf der letzten Seite Bestandteil fast jeder Ausgabe. Von dem Chefredakteur sind jedoch nur seine Initialen bekannt, M. M.277 Kahkaha offenbart nicht nur im Layout gewisse Entsprechungen mit Punch. Eine Reihe von Karikaturen, die zuvor im London Charivari erschienen waren, hat in modifizierter Form ihren Platz in diesem Blatt gefunden.278 Trotz der kurzen Zeit, die Kahkaha überhaupt erschien, durfte Ali Efendi sie für drei Monate nicht publizieren. Eine Karikatur, die in der 20. Nummer erschien, missfiel dem Presseamt, und so musste diese Zeitschrift eine Zwangspause einlegen.279 Da Basiret besonders im Fokus der Konkurrenzblätter stand, bot diese Schließung eine willkommene Möglichkeit für Sticheleien; so berichtete zum Beispiel u. a. das Satireblatt Meddah (Geschichtenerzähler) in seiner 23. Ausgabe darüber. In der 1547. Nummer seiner Zeitung versucht sich Ali Efendi mit einem Artikel vor allem gegen die Zeitung Sadakat zu verteidigen, die ebenfalls die Suspendierung von Kahkaha thematisierte.280 Kurze Zeit später, nachdem das Blatt die Publikation wieder aufgenommen hatte, verkaufte Ali Efendi Kahkaha an seinen Karikaturisten Ali Fuad Beğ,281 doch auch dieser konnte der Zeitschrift nicht zum Erfolg verhelfen und musste
276 Basiret, No. 1492, 1. Rebiülevvel 1292 H. [7. April 1875], S.1. Die Fertigstellung des Kopfteiles, mit der Darstellung eines grotesken Mannes, der mit aufgerissenem Mund auf einer Trommel sitzt, muss enorm viel Zeit beansprucht haben, da dieser erst ab der 21. Nummer erschien. 277 Kahkaha, No. 1, S. 1. 278 Vgl. Punch, Ausgabe vom 9. Januar 1875 und Kahkaha, No. 4, 1. Nisan 1291 R. [13. April 1875]. Ein Vergleich beider Zeitschriften ist jedoch nicht Gegenstand dieser Untersuchung und muss weiteren Arbeiten vorbehalten bleiben. 279 Basiret, No. 1546, 29. Rebiülahir 1292 H. [4. Juni 1875], S. 1; Meddah, No. 23, 2. Cemaziyel’evvel 1292 H. [6. Juni 1875], S. 1. 280 Basiret, No. 1547, 6. Cemazyel’ahır 1292 H. [10. Juli 1875], S. 2. 281 Basiret, No. 1596, 29. Receb 1292 H. [31. August 1875], S. 2.
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die Herausgabe von Kahkaha einstellen. Hayal behauptete jedoch, die Behörden hätten Kahkaha geschlossen und das Gerücht, Ali Efendi selbst habe die Publikation dieser Zeitschrift eingestellt, stimme nicht.282 Insgesamt sind 26 Nummern dieser Zeitschrift herausgegeben worden.283 Wann genau die letzte Ausgabe erschien, war nicht feststellbar, da die Ausgaben von Kahkaha, welche sich zum Teil in einem sehr schlechten Zustand befinden, nicht vollständig in der Hakkı Tarık Us Bibliothek erhalten sind. Die Datierung der letzten Nummer mit 27. Mai 1875, die Çeviker angibt, kann definitiv nicht stimmen, da Kahkaha drei Monate lang nicht erschienen war.284 Es ist wahrscheinlicher, dass die letzte Ausgabe dieser Zeitschrift kurz vor dem 24. September 1875 liegt. Denn in der 1616. Nummer von Basiret, die an diesem Datum erschien, wird der Leserschaft mitgeteilt, dass Kahkaha nicht mehr existiere.285
Çaylak Mehmed Tevfik, der neben Kasap, wie bereits erwähnt, zu den produktivsten Publizisten dieser Jahre gehörte, begann am 5. Muharrem 1293 (1. Februar 1876)286 mit der Herausgabe seiner Satirezeitschrift Çaylak (Weihe), deren Titel sich auch zu seinem Beinamen etablierte.287 Von der Zeitschrift Çaylak sind in dem Zeitraum vom 1. Februar 1876 bis zum 26. Juni 1877288 insgesamt 162 Ausgaben erschienen. Çaylak war, neben Hayal, das einzige Blatt, das die Mitte des Jahres 1877 erlebte. Die Zeitschrift Çaylak erschien zunächst zweimal in der Woche, was sich aber kurze Zeit später, nämlich mit der 22. Nummer, auf dreimal erhöhte. Der Publizist Mehmed Tevfik war nicht nur Herausgeber, sondern auch Redakteur (muharrir) seiner Zeitschrift, die er in Zusammenarbeit mit seinem Karikaturisten Ali Fuad Beğ publizierte, mit dem er zuvor schon Letaif-i Âsar herausgegeben hatte. Er kooperierte ebenfalls erneut mit der Druckerei von Basiret, in der zuvor auch Letaif-i Âsar gedruckt worden war.289 Ein Jahresabonnement kostete 70 Piaster, und ein Abonnement für ein halbes Jahr war für 40 Piaster zu beziehen. Für eine Einzelnummer betrug der Preis einen Piaster. 282 Hayal, No. 200, 13. Eylül 1291 R. [25. September 1875], S. 1. 283 Duman, Başlangıcından, S. 462. 284 Çeviker, Gelişim I, S. 130. 285 Basiret, No. 1616, 23. Şaban 1292 H. [24. September 1875], S. 2. 286 Çaylak, No. 1, 5. Muharrem 1293 H. [1. Februar 1876], S. 1. 287 Vgl. Özdiş, Osmanlı, S. 91ff. 288 Çaylak, No. 162, 13. Haziran 1392 [26. Juni 1877], S. 1. 289 Hayal, No. 238, 24. Şubat 1291 R. [7. März 1876], S. 1–2.
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Für den Versand in die Provinz betrugen die Postgebühren für ein Jahr 30 Piaster. Den Kopf dieser Zeitschrift ziert sein Namensgeber, der mit einer Ausgabe der Zeitschrift im Schnabel über die Dächer der Stadt fliegt.290 Jede Nummer von Çaylak enthält eine Karikatur, die jeweils auf der vierten Seite abgedruckt wurde. Der thematische Schwerpunkt der Karikaturen liegt vor allem auf dem Konflikt des Osmanischen Reiches mit Russland, da Çaylak am Vorabend des Krieges mit Russland 1877/1878 erschien. Deshalb sind diese von äußerstem Interesse für die vorliegende Arbeit. Çaylak Baba (Vater Weihe), der den Körper eines Mannes und den Kopf einer Weihe hat, ist der Protagonist dieser Zeitschrift, der wie Mr. Punch teilweise auch in den Karikaturen von Çaylak auftaucht. Auffällig an Çaylak Baba ist, dass er europäische Kleidung oder Accessoires, wie zum Beispiel ein Binokel oder einen Spazierstock, trägt. In der Regel hat er aber als Kopfbekleidung einen Fez. Folglich repräsentiert er einen alafranga Efendi, eine Person, die sich europäische Gepflogenheiten zu eigen gemacht hat, aber dennoch die osmanische Kopfbedeckung beibehält.291
2.2 Formen verbaler und visueller Satire im Osmanischen Reich vor 1870 Satire, mit ihren unterschiedlichen Ausprägungen und literarischen Ausdrucksformen, war auch den Menschen im Osmanischen Reich durchaus vertraut. Da sich die Bevölkerung des Osmanischen Reiches bekanntermaßen aus unterschiedlichen Sprach- und Religionsgruppen zusammensetzte, ist es im Rahmen dieser Arbeit nicht möglich, die jeweils bevölkerungsspezifischen Formen der Satire zu skizzieren. Deshalb beschränkt sich die skizzenhafte Darstellung auf die geläufigsten satirischen Konzepte im Osmanischen Reich und hier lediglich auf die der osmanischsprachigen Bevölkerung. Im Osmanischen Reich existierte eine Mehrzahl von Formen der Satire über mehrere Jahrhunderte nebeneinander. Zum einen gab es die dramatischen Darsteller und mimischen Erzählkünstler, Meddah genannt,292 die ihre Künste sowohl an öffentlichen Plätzen als auch in Kaffeehäusern oder Karawansereien darboten. 290 Çaylak, No. 1, S. 1. 291 Die Besprechung des Typus des alafranga Efendi, der auch bei anderen Satirezeitschriften auftaucht, ist Bestandteil eines weiteren Kapitels dieser Arbeit und wird deshalb an dieser Stelle nicht ausführlicher dargestellt. 292 Der Begriff meddah ist der arabischen Sprache entlehnt und bedeutet wörtlich Lobredner. Redhouse, S. 744.
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Mit großer Kunstfertigkeit und einem hohen Maß an Realismus stellten die Meddahs zum Beispiel Szenen aus dem Alltagsleben der einfachen Bevölkerung dar, indem sie die Handlung in direkte Rede brachten und die Dialoge durch Imitation von Stimme und Mimik wiedergaben. Um ihre Figuren so realistisch wie möglich zu karikieren, beobachteten die Meddahs ihre Umgebung sehr scharf, so kam es durchaus vor, dass sie selbst Bettler verfolgten, um sie in ihren Vorstellungen zu parodieren. Sie erlernten sogar die unterschiedlichen Mundarten wie zum Beispiel die von Personen aus Van, Kayseri oder den der Istanbuler Armenier, um in ihren Vorträgen die unterschiedlichsten Menschentypen sowie deren Dialekte zu karikieren. Darüber hinaus war neben der Imitation von Dialekten auch die Nachahmung von Tierlauten ein Bestandteil von Meddah-Darbietungen. Zu der Grundausstattung eines Meddah gehörten ein langer Stock und ein Tuch, mit denen er die Dramatik seiner Erzählungen untermalte oder durch seine Mimik unterstützte. Berichten einiger europäischer Reisender zufolge, die Vorführungen von mimischen Erzählkünstlern beigewohnt hatten, erfüllten sie sogar die Funktion von Nachrichtenblättern, weil sie Bezug auf aktuelle Themen nahmen.293 Neben den Meddahs gehörte das Schauspiel Ortaoyun ebenfalls zu den Mitteln osmanischer Satire. Die Schauspieler spielten ihre Stücke ohne eine Theaterbühne und ohne festgelegten Text inmitten ihrer Zuschauer. Daher hat diese Form des Theaters auch ihren Namen, denn der Begriff Ortaoyun bedeutet sinngemäß „ein Schauspiel, welches in der Mitte inszeniert wird, oder ein Schauspiel, das inmitten der Menge gespielt wird“.294 Zwischen dem Ortaoyun und dem osmanischen Schattentheater Karagöz sind enge äußerliche und inhaltliche Gemeinsamkeiten nachzuweisen. Ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal zwischen den beiden Formen von Theater ist, dass anstelle der Lederfiguren, die im Schattentheater zum Einsatz kamen, in dem Ortaoyun reale Schauspieler auftraten. Die Hauptfiguren des Ortaoyun waren die Figuren Kavuklu und Pişekâr. Die Figur des Pişekâr hatte ihre Entsprechung in der Gestalt Hacivats, und die Figur des Kavuklu übernahm die Funktion des Karagöz aus dem Schattentheater Karagöz.295 Ebenso hatten auch die anderen Charaktere, die im Ortaoyun zum 293 Uğur Kömeçoğlu, “Homo Ludens ve Homo Sapiens Arasında Kamusallık ve Top lumsallık: Osmanlı Kahvehaneleri”, in: Ahmet Yaşar (Hg.), Osmanlı Kahvehaneleri – Mekân, Sosyalleşme, İktidar, Istanbul 2009, S. 45–80, S. 57. 294 Weitere Bezeichnungen für das Schauspiel Ortaoyun sind Meydan Oyunu, Kol Oyunu oder Zuhuri. Vgl. Cevdet Kudret, Ortaoyunu I, 2. Aufl., Istanbul 1994, S. 3ff. 295 Im Schattentheater Karagöz eröffnet Hacivat das Schauspiel. Im Ortaoyun übernimmt diese Funktion Pişekâr. Vgl. Cevdet Kudret, Ortaoyunu I, 2. Aufl., Istanbul 1994, S. 62–64.
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Einsatz kamen, ihre jeweiligen Entsprechungen im Schattentheater.296 Darüber hinaus entsprach auch der Ablauf des Schauspiels Ortaoyun – Prolog, Dialog und Hauptakt mit kurzem Finale – im Wesentlichen dem des Schattentheaters Karagöz.297 Ebenso gehörten die Anekdoten des prominenten Nasreddin Hodscha, die seit einigen Jahrhunderten im Umlauf waren, auch während der TanzimatPeriode zu den Ausdrucksformen osmanischsprachiger Satire.298 Die historische Existenz von Nasreddin Hodscha ist bislang nicht eindeutig gesichert. Çağan schreibt, dass jener mit größter Wahrscheinlichkeit im 13. Jahrhundert zur Herrschaftszeit der Seldschuken gelebt habe.299 Die Anekdoten des Nasreddin Hodscha beinhalten zumeist Gesellschaftskritik300 oder die Kritik am Herrscher.301 Wie die Charaktere Hacivat und Karagöz oder Kavuklu und Pişekâr Gegensätzlichkeit darstellen, vereint Nasreddin Hodscha diesen Kontrast in seiner Person. Zum einen hatte er eine gewisse Bildung genossen und trug die Kleidung der ilmiyye Angehörigen seiner Zeit, wie zum Beispiel das Ornat (cübbe) und einen Turban (kavuk).302 Zum anderen ritt er anstelle auf einem Pferd, welches eigentlich das Reittier wäre, das seiner Stellung angemessen war, auf einem Esel.303 Der Esel war das Reit- und Lasttier des einfachen Volkes, deshalb ist sein Reittier als Mittel der Satire und der Ironie zu bewerten. Denn ein Esel ist einerseits
296 Siehe: Ibidem, S. 62–85. 297 Aufgrund der großen Übereinstimmungen des Schattentheaters Karagöz, welches im Rahmen dieser Arbeit ausführlich besprochen wird, wird an dieser Stelle auf eine ausführlichere Darstellung des Schauspiels Ortaoyun verzichtet. 298 Die Figur des Nasreddin Hodscha ist vergleichbar mit Till Eulenspiegel, der ebenso die Unzulänglichkeiten seiner Mitmenschen bloßstellt sowie die Missstände seiner Zeit anspricht und aufdeckt. 299 Kenan Çağan, “Nasreddin Hoca’nın Çağı ve Çevresi”, in: Mustafa Özçelik (Hg.), Nasreddin Hoca, Doğumunun 800. Yılı Hatırasına, Istanbul 2008, S. 17–23, S. 20. 300 Saim Sakaoğlu, “Nasreddin Hoca’nın Fikraları”, in: Özçelik, Nasreddin Hoca, S. 83–94, S. 90ff. 301 In den Nasreddin Hodscha Anekdoten lehnte sich der Hodscha nicht gegen den realen Herrscher auf, der gerade an der Macht war, sondern Timur verkörperte den ungerechten und grausamen Herrscher, unter dem das Volk litt und dem er sich mit seinen Worten entgegenstellte. Vgl. Şükrü Kurgan, “Hoca’nın Hayatı”, in: Özçelik, Nasreddin Hoca, S. 25–46, S. 43. 302 Ibidem, S. 37f. 303 Mustafa Tatçı, “Nasreddin Hoca’nın Kişiliği”, in: Özçelik, Nasreddin Hoca, S. 59–76, S. 66.
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ein Symbol für das Erdulden von Leiden, Strafen und Hunger und andererseits für Dummheit, Ignoranz und Sturheit.
2.2.1 Das osmanische Schattentheater Karagöz Seit dem 16. Jahrhundert gehörte das Schattentheater Karagöz zum festen Repertoire osmanischer Unterhaltungskünstler in Istanbul. Bislang gibt es zwar zahlreiche Theorien, aber keine oder nur mit Einschränkung gesicherte Zeugnisse dafür, wo die Wurzeln des Schattentheaters lagen und auf welchem Wege es tatsächlich ins Osmanische Reich gelangte.304 Den Behauptungen Jacobs zufolge sollen Roma, die aus dem Nordwesten Indiens in den Westen zogen, das Schattentheater in Asien und Europa eingeführt haben.305 Der Karagöz-Experte And stützt diese Theorie jedoch nur bedingt. Er schreibt, dass zwar im Karagöz Theater selbst Beweise zu finden seien, die Jacobs Theorie stützten, nämlich, dass die Hauptfigur Karagöz selbst ein Roma ist und somit Berufe ausübt, die für gewöhnlich im Osmanischen Reich von Sinti und Roma praktiziert wurden, wie z. B. die des Schmiedes oder des Eisenwarenverkäufers, aber er fügt hinzu, dass keine eindeutigen Belege existieren, die diese Theorie untermauern. Vielmehr liegt der Ursprung des Schattentheaters für ihn im Fernen Osten, von wo aus es sich in Richtung Europa verbreitete.306 Um die Wurzeln des osmanischen Schattentheaters ranken sich auch verschiedene Volksmythen. Einem dieser Mythen zufolge sollen Hacivat und Karagöz tatsächlich während der Herrschaftszeit des Orhan Beğ gelebt haben. Beide sollen als Handwerker – Hacivat als Steinmetz und Karagöz als Schmied – am Bau der großen Moschee in Bursa beteiligt gewesen sein. Jedoch sollen sie durch ihre ständigen Späße, Wortgefechte und Auseinandersetzungen den Fortschritt des Baus so erheblich beeinträchtigt haben, dass die anderen Handwerker sich nicht mehr ihrer tatsächlichen Arbeit widmeten, sondern ausschließlich den beiden. Als dies jedoch zu Ohren des Herrschers gelangte, war dieser wohl darüber dermaßen erbost, dass er die sofortige Hinrichtung der beiden Handwerker befahl.
304 Vgl. Georg Jacob, Geschichte des Schattentheaters im Morgen- und Abendland, 2. Aufl., Hannover 1925, S. 108ff. 305 Metin And, Karagöz. Turkish Shadow Theatre, Istanbul 1979, S. 21. 306 Einigen Autoren zufolge, zu denen And keine näheren Angaben macht, können die Wurzeln des osmanischen Schattentheaters in China, Java oder Indien liegen, da die jeweiligen Länder ebenfalls über eine vergleichbare Form des Schattentheaters verfügen. Siehe: And, Karagöz, S. 21.
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Kurze Zeit später bereute Orhan seinen Befehl, konnte diesen jedoch nicht mehr ungeschehen machen. Um dem Herrscher seine Gewissenslast ein wenig zu erleichtern und ihn zu unterhalten, baute sein Gefolgsmann Şeyh Küşteri307eine Schattenwand auf und ließ die Hingerichteten als Figuren auftreten.308 Der osmanische Schriftsteller und Reisende Evliya Çelebi hingegen behauptet in seinen Aufzeichnungen, dass das Schattentheater schon seit der Herrschaftszeit der Rum-Seldschuken im Osmanischen Reich bekannt war.309 Einer weiteren Annahme zufolge soll das osmanische Schattentheater seinen Ursprung in Ägypten haben. Angeblich wohnte der osmanische Herrscher Selim I., der 1517 Ägypten einnahm, einer Schattentheatervorstellung bei, die ihm lokale Künstler darboten.310 Selim I. erfreute sich wohl so sehr an deren Vorführung, dass er eine Gruppe von Künstlern an seinen Hof in Istanbul einlud, damit sie dort ihre Kunstfertigkeit zeigten und sie an die höfischen Unterhaltungskünstler weitergaben.311 Da weder Figuren noch andere Aufzeichnungen aus dem 16. Jahrhundert existieren, die die ersten Karagöz tasvir (Abbildung, Bild) darstellen oder beschreiben, ist nicht mehr feststellbar, wie diese aussahen.312 Zunächst dienten Karagöz-Vorstellungen in erster Linie nur zur Unterhaltung der höfischen Gesellschaft in Istanbul. Erst im späten 16. Jahrhundert konnten auch Zuschauer, die nicht zum Haushalt des osmanischen Palastes gehörten, diesen Vorstellungen im Rahmen von diversen Feierlichkeiten wie zum Beispiel Beschneidungsfesten oder Hochzeiten beiwohnen. Gegen Ende des 16. Jahrhunderts fanden Karagöz-Aufführungen nicht mehr nur am osmanischen Hofe statt, sondern auch in Kaffeehäusern, auf öffentlichen Plätzen und in privaten Räumlichkeiten. Bis ins späte 19. Jahrhundert hinein gehörten Karagöz-Vorstellungen zum festen Bestandteil der höfischen Unterhaltung.313 Besonders im islamischen Fastenmonat Ramadan erfreute sich das Karagöz-Theater großer Beliebtheit. 307 Şeyh Küşteri kam ursprünglich von Persien nach Bursa und gilt, angelehnt an diese Legende, als der Patron des Karagöz-Theaters. Deshalb wird die Schattenwand auch Küşteri Meydanı genannt. And, Karagöz, S. 34. 308 Cevdet Kudret, Karagöz – I. Cilt, Istanbul 2004, S. 21. Diese Volkserzählung weist große Parallelen zur Entstehungsgeschichte des chinesischen Schattentheaters auf. Siehe: Ibidem, S. 9. 309 Kudret, Karagöz, S. 21. Gemäß Evliya Çelebi, haben zwei Formen des Schattentheaters und zwei Arten des Puppentheaters zu dieser Zeit existiert. Jedoch beschreibe er nicht die Unterschiede zwischen den Formen dieser Schattentheater. And, Karagöz, S. 24. 310 And, Karagöz, S. 25. 311 Ibidem. 312 Ibidem, S. 34. 313 Hellmut Ritter, Karagös. Türkische Schattenspiele, Hannover 1924, S. 3.
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Das Schattentheater ist mit dem Improvisationstheater vergleichbar, denn bis ins 19. Jahrhundert spielten die hayalî ihre Stücke ohne schriftliche Textvorlagen. Bei Karagöz-Aufführungen fanden zweidimensionale Figuren und Formen Verwendung, die i. d. R. aus koloriertem, durchscheinendem Leder (oft aus Kamelhaut) gefertigt waren. Die Figuren sind durchbrochen gearbeitet, so dass ihnen durch Licht- und Schattenwechsel unterschiedliche Details verliehen werden können. Die Höhe der Gestalten, tasvir oder suret genannt, liegt zwischen 25 cm und 57 cm,314 die von Objekten, göstermelik genannt, Tierfiguren oder anderen Gestalten beträgt die Höhe zwischen 7,5 cm bis 42 cm. Der Puppenspieler, hayalî, hayalbaz oder karagözcü genannt, bewegt die Figuren, die an einem (oder aber auch zwei) Holzstäben befestigt sind, unmittelbar hinter einer Leinwand (2 m x 2,5 m) aus feinem, weißem und transparentem Stoff.315 Beleuchtet wird die Leinwand (perde) der Seite des Spielers, der für das Publikum unsichtbar bleibt, so, dass die Gestalten und Formen auf der Zuschauerseite durchscheinen. Der Puppenspieler musste verschiedene künstlerische Ausdrucksformen beherrschen. Obwohl der hayalî von einigen Assistenten Unterstützung bekam, die zumeist für die musikalischen Darbietungen der Stücke sorgten, war er sowohl für die Handlung des Schauspiels als auch für die poetische Untermalung zuständig. Zudem war es für das Schauspiel erforderlich, dass der hayalî auch die Kunst der Stimmenimitation beherrschte, da er allen Figuren, sowohl den männlichen als auch den weiblichen, seine Stimme lieh. Auch musste er in der Lage sein, die unterschiedlichen Dialekte und Akzente zu imitieren, die elementare Bestandteile der Karagöz-Aufführungen waren.316 Wie die anderen Handwerks- und Berufsgruppen im Osmanischen Reich waren auch die hayalî in Zünften organisiert. Dabei spielte ihre Religionszugehörigkeit keine Rolle, da es sowohl muslimische als auch nichtmuslimische hayalî gab.317 Die „Bühne“ begrenzen die Häuser der Hauptfiguren Hacivat und Karagöz. Der Auftritt von Karagöz erfolgt stets von der rechten Seite. Die Figuren Hacivat und Karagöz verkörpern Gegensätze. Karagöz stellt eine witzig-gerissene, derbe und ungebildete Person dar, welche in ärmlichen Verhältnissen lebt und meist keiner geregelten Beschäftigung nachgeht. Aus Geldmangel nimmt Karagöz häufig 314 And, Karagöz, S. 44. 315 Ibidem, S. 42. 316 Vgl. Georg Jacob, Geschichte des Schattentheaters im Morgen- und Abendland, 2. Aufl., Hannover 1924, S.143. 317 Andreas Tietze, The Turkish Shadow Theatre and the Puppet Collection of the L. A. Mayer Memorial Foundation, Berlin 1977, S. 18, Fn. 6.
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Aufgaben an, denen er nicht gewachsen ist. Zudem ist er impulsiv und verfügt über keine sonderlich gepflegten Umgangsformen. Meistens ist er in skandalöse oder niederträchtige Ereignisse verwickelt. Jedoch ist er aufgeschlossen und begierig darauf, neue Dinge auszuprobieren und Erfahrungen zu sammeln. Sein Widerpart, Hacivat, hingegen ist gebildet und gehört zu der vornehmen, respektablen Gesellschaft. Die Menschen suchen häufig seinen Beistand und seinen Rat. Er pflegt vornehme Umgangsformen und spricht hohes OsmanischTürkisch, während sich Karagöz im Jargon der Straße spricht. Deshalb kommt es auch häufig zu Missverständnissen zwischen den beiden, da Hacivat vornehmlich Gebrauch von arabischen und persischen Wörtern macht, die wiederum Karagöz nicht versteht. Hacivat ist auch derjenige, der Karagöz hilft eine Arbeit zu finden oder ihn aus einer misslichen Lage befreit. Neben Hacivat und Karagöz gehört eine Reihe von unterschiedlichen Figuren, die je nach Szenario zum Einsatz kommen, zur Riege der Akteure in den KaragözStücken. Diese prototypischen Charaktere karikieren unterschiedliche Gestalten aus dem multikulturellen und multilingualen Alltagsleben der osmanischen Hauptstadt. Die Figuren sind Angehörige der diversen Istanbuler Religions- und Bevölkerungsgruppen und entstammen den verschiedenen Berufsgruppen sowie Gesellschaftsschichten.318 In den Karagöz-Stücken kommen nicht nur männliche Charaktere zum Einsatz, sondern auch weibliche Figuren, zenne genannt, die die vielen Frauentypen der verschiedenen mahalle Istanbuls karikieren.319 Zudem gehören ebenfalls auch ‚Schaustücke‘, die sogenannten göstermelik,320 und auch Tierfiguren sowie Gestalten aus dem Reich der Sagen und Märchen, wie zum Beispiel die cadu, zu dem Schauspiel. Eine Karagöz-Vorstellung setzte sich aus verschiedenen Teilen zusammen, deren Länge und Inhalt der hayalî selbst bestimmte. Bis ins 19. Jahrhundert hinein gab es keine schriftlichen Aufzeichnungen der Karagöz-Stücke. Es gab ungefähr 30 Karagöz-Stücke, deren Dramaturgie die hayalî der nächsten Generation mündlich weitergaben.321 Somit genossen die Puppenspieler die Freiheit, die Stücke, 318 Für eine Übersicht der unterschiedlichen Karagöz-Akteure siehe bei: And, Karagöz, S. 67–75. 319 Die Frauengestalten sind oft Ziel der sexuellen Gier Karagözs oder werden meist persifliert als geschwätzige, untreue Ehefrauen und Töchter oder gar als raffinierte Kurtisanen. And, Karagöz, S. 70. 320 Die göstermelik haben i. d. R. keinen Bezug zum Stück, sie werden meist am Anfang des Schauspiels den Zuschauern vorgeführt. 321 Tietze, Shadow Theatre, S. 22. Helmut Ritters Sammlung umfasst ungefähr 28 Karagöz-Stücke.
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im Besonderen die Dialoge, nach ihren eigenen Ideen zu gestalten. Eröffnet wird das Schauspiel zumeist mit einem Prolog (mukaddeme) von Hacivat, in dem er Gott preist und den Sultan lobt. Zudem singt Hacivat in der mukaddeme ein Lied, (semaî genannt), und stellt sich seinen Zuschauern mittels eines Gedichtes (perde gazeli) vor. Nach seiner Vorrede, in der er auch seinem Publikum erklärt, dass das Schattentheater ein Spiegelbild der Welt sei, in der wir leben, und somit daraus einige Lehren zu ziehen seien, zeigt der Puppenspieler solange ein Schaustück (göstermelik) auf der Leinwand, ein meist aufwendig gestaltetes Schaustück, bis das eigentliche Schauspiel mit musikalischer Untermalung beginnt. Am Anfang jeder Aufführung wünscht sich Hacivat einen Gesprächspartner herbei, der die arabische und persische Sprache beherrscht, einen Sinn für Kunst und Wissenschaften hat und über Humor verfügt.322 Karagöz kommentiert Hacivats Worte spöttisch und es kommt zu Handgreiflichkeiten zwischen den beiden. Nachdem Karagözs Wut abgeklungen ist und Hacivats Ausruf „hayy hakk“ erfolgt, beginnen die beiden mit ihrer muhavere. Dieser Dialog muss jedoch keinerlei Bezug zum Rest des Stückes haben, welches unmittelbar im Anschluss beginnt. Die Struktur der muhavere ist bei jeder Aufführung gleich, nur die Länge, die behandelten Themen sowie die Inhalte variieren. Die Dialoge heben zumeist den Kontrast zwischen dem gebildeten Hacivat und dem ungehobelten Karagöz hervor, der aufgrund seiner Bildungslücken Probleme hat, seinen Freund zu verstehen. Das Charakteristikum aller Dialoge ist, dass sie von den Beschränkungen der Logik befreit sind und das Beharren auf falschen Syllogismen, veralteten und überholten Gewohnheiten sowie die übertriebene Höflichkeit verspotten.323 Im Anschluss an die muhavere folgt das eigentliche Schauspiel, das fasıl. Erst in diesem Teil der Vorstellung kommen auch die anderen Charaktere zum Einsatz. Jede Figur hat ein eigenes Lied, das gespielt wird, wenn diese auf der Leinwand erscheint.324 Die Themen und Inhalte dieser Stücke sind vielfältig.325 Meistens karikieren sie Szenen aus dem alltäglichen Leben und machen es zur Zielscheibe des Spotts. Besonders in diesem Teil der Aufführung kommt die Kunstfertigkeit des hayalîs zum Einsatz. 322 In anderen Versionen des Eröffnungsaktes ruft Hacivat nach seinem Freund Karagöz, der ein Schläfchen hält. Gestört durch Hacivats Rufe wird Karagöz wütend und verprügelt ihn deshalb. Nachdem sein Ärger und seine Wut abgeklungen sind, beginnen die beiden mit ihrer muhavere. 323 And, Karagöz, S. 45. 324 Tietze, Shadow Theatre, S. 23. 325 Die Werke von Ritter und Kuntay bieten einen ausführlichen Einblick in die Karagöz-Stücke.
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Ein unerlässliches Element von Karagöz-Darbietungen war die politische wie auch soziale Satire. Die hayalî nutzten das Schattentheater nicht nur zur Unterhaltung ihres Publikums, sondern auch um Kritik an Politikern sowie anderen Personen des öffentlichen Lebens zu üben und auf lokale Missstände aufmerksam zu machen. Sie scheuten sich keinesfalls davor, Staatsmänner, Würdenträger oder andere hochrangige Persönlichkeiten des Reiches zu karikieren und anzugreifen. Joseph Pierre Agnes schrieb dazu: Even the press in Europe is not so aggressive. Countries like America, England and France are much more restricted in political criticism than Turkey, which is a country ruled by an absolute monarch. Karagöz acts like some sort of unfettered press. Actually Karagöz dialogue is much more fearsome as it is improvised and not tied down to a written text. Apart from the person of the Sultan Abdülmecit, who is considered sacred, Karagöz makes no exception in his attacks. He lashed out at the British and the French Admirals in August 1854 for the way in which they slowed down their work. He criticised their manoeuvres and their lack of efficiency in manning their warships. Even the Grand Vizier appeared on the screen. He was seen to be tried in mock trial as if he were an infidel. The court, not finding his defence acceptable, sentenced him to a term in prison at Yedikule. If this should have happened in a different country, even a single showing of such seditious material would have been sufficient to promote the author’s arrest and exile, where as nothing happened to Karagöz.326
Die Situation änderte sich ab der Mitte der 1850er Jahre. Die Zensurbedingungen, von denen auch das Schattentheater Karagöz nicht verschont blieb, verschärften sich drastisch. Das Presseamt griff hart durch und verbannte politische und soziale Satire von der Karagöz-Bühne. Anlass hierfür war die Tatsache, dass während der Regierungszeit Abdülazizs die hayalî auf ihrer Bühne eine hochrangige Persönlichkeit jener Jahre vorführten, Kıbrıslı Mehmed Pascha, wie er und seine Familienangehörigen Gelder aus der Staatskasse veruntreuten. Abdülhamid II. verbannte das Schattenspiel sogar gänzlich von seinem Hofe, indem er jegliche Aufführungen im Serail unterband.327
2.3 Der Einfluss visueller und verbaler Satire auf die osmanischsprachige Satirepresse Das Erscheinen von osmanischsprachiger Satirepresse brachte einen Wandel der satirischen Formen im Osmanischen Reich mit sich. Die osmanischsprachigen Satirezeitschriften der ersten Jahre wie zum Beispiel Terakki oder Diyojen
326 And, Karagöz, S. 84. 327 Ritter, Türkische Schattenspiele, S. 3.
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gebrauchten verschiedene satirische Darstellungsweisen, die in unterschiedlichen literarischen Formen wie zum Beispiel in Liedern328, Gedichten329 oder Essays330 und Briefen331 auftraten. Die Autoren der ersten osmanischsprachigen Satirezeitschiften bedienten sich gleich von Anfang an einer besonderen Form der mündlichen Satire, nämlich der muhavere (Konversation, Dialog). Die muhavere war sowohl ein fundamentaler Bestandteil des Schattentheaters Karagöz als auch des Schauspiels Ortaoyun. Desgleichen setzten auch die Meddahs (Geschichtenerzähler) Dialogpassagen in ihren Aufführungen ein. Bei einer muhavere traten sich zumeist zwei Figuren gegenüber, die jeweils Oppositionen verkörperten, so wie Hacivat und Karagöz im Schattentheater oder Kavuklu und Pişekâr im Ortaoyun. Die erste muhavere erschien in der zweiten Ausgabe der Satirezeitschrift Te rakki. In diesem Dialog unterhalten sich zwei Personen über Telegrammnachrichten aus Europa, die in einer nicht namentlich genannten Zeitung erschienen seien und über ausländische (frenk) Produkte, die sich im Osmanischen Reich großer Beliebtheit erfreuten. Die Personen, die diesen Dialog führen, werden nicht näher beschrieben. Allerdings handelt es sich bei ihnen vermutlich um Angehörige der Istanbuler Oberschicht, da sie zu mindestens mit nicht-osmanischen Produkten näher bekannt waren.332 Bei diesen ersten muhaveres griffen die Autoren noch nicht auf Figuren aus dem Schattentheater Karagöz oder dem Ortaoyun zurück, sondern sie setzten Personen aus dem alltäglichen Leben ein, wie zum Beispiel in einem Dialog, der den Titel „Dialog zwischen zwei Personen“333 trägt. In einer weiteren muhavere 328 Vgl. Terakki, No. 1, S. 4 und Diyojen, No. 1, S. 4. 329 Vgl. Terakki, No. 1 und Diyojen, No. 19, S. 4. Satirische Gedichte, hiciviye genannt, gehörten schon seit Jahrhunderten zur osmanischen Diwan-Literatur. Jedoch bleibt zu erforschen, ob die satirischen Gedichte, die in den osmanischsprachigen Satirezeitschriften erschienen, dieser Literaturgattung zuzuordnen sind. Zu hiciviye siehe bei: Öngören, Türk Hicivi, S. 91–112. 330 Vgl. Terakki, No. 1, S. 2. 331 Auf der folgenden Seite dieser Ausgabe ist ein Brief abgedruckt, der angeblich aus dem Jenseits entsandt wurde. In diesem Brief erkundigt sich ein verstorbener Zeitungsleser, ob er Terakki auch im Jenseits beziehen kann. Mit diesem Brief karikiert die Zeitschrift wohl die Angaben über die Bezugsmöglichkeiten ihrer Zeitungen und Zeitschriften. 332 Terakki, No. 2, 30. Teşrin-i evvel 1870 [30. Oktober 1870], S. 1–2. 333 Terakki, No. 21, S. 4. Auf der letzten Seite dieser Ausgabe erschien eine muhavere, die lediglich den Titel: Iki kişinin muhaversi (Ein Dialog zwischen zwei Personen), trägt. Letaif-i Âsar, No. 33, 31. Ağustos 1871 [31. August 1871], S. 1.
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werden die Gegensätze von einem Lehrer (hoca) und einem Schüler (şakird) dargestellt, in einer weiteren treten ein Arzt und dessen Patient auf.334 Einige von diesen muhaveres enthielten Anspielungen auf Personen aus dem öffentlichen Leben jener Zeit, wie zum Beispiel der Dialog zwischen einem Metzger (Kasap) und einem Diener.335 Diese muhavere war wohl als eine Anspielung auf Teodor Kasap, dessen Nachname ‚Metzger‘ bedeutet, gedacht, der in jenen Tagen mit der Publikation seiner osmanischsprachigen Satirezeitschrift Diyojen begann. Denn gleich auf der folgenden Seite dieser Ausgabe spottet Terakki über einige Witze, die zuvor in Diyojen erschienen sein sollen. Sogar hochrangige Politiker, wie zum Beispiel Otto von Bismarck, kamen bei diesen muhaveres zu Wort.336 Und nicht nur Personen wurden in diesen Dialogen eingesetzt, sondern auch ganze Stadtviertel, so traten sich in der 22. Ausgabe der Satirezeitschrift Letaif-i Âsar das Viertel Beyoğlu und Istanbul entgegen.337 Die muhavere entwickelte sich zu einem festen Bestandteil der Satirezeitschriften der Tanzimat-Periode, so dass Hayal mit folgenden Worten darüber spottete: „Die meisten Herausgeber der Istanbuler Satirezeitschriften nehmen an, dass erst durch die Publikation von muhaveres ihre Zeitung zu einer Satirezeitschrift wird. Deshalb füllen sie ihre Zeilen mit bedeutungslosen Dialogen.“338 Auf die Figuren Hacivat und Karagöz aus dem osmanischen Schattentheater griff als erstes die Satirezeitschrift Hayal zurück. Andere Satirezeitschriften folgten ihr, indem sie Stücke berühmter hayalî in ihren Zeitschriften veröffentlichten, wie zum Beispiel Letaif-i Âsar.339 Eine andere Figur, die der osmanischsprachigen mündlichen Satire entstammte, auf deren Anekdoten die Herausgeber der Satirezeitschriften der Tanzimat-Periode zurückgriffen, war Nasreddin Hodscha. Zwar hatte er in keiner Satirezeitschrift jener Jahre die Funktion einer Erzählerfigur, dennoch flossen zahlreiche seiner kurzen, witzigen Geschichten in die Periodika mit ein. Die Satirezeitschrift Çınğıraklı Tatar veröffentlichte nicht nur einzelne Anekdoten des Nasreddin Hodscha, sondern gleich drei in einer einzigen Ausgabe.340 334 Diyojen, No. 1, S. 4. 335 Vgl. hierzu: Terakki, No. 21, S. 1–3. Die muhavere, die in dieser Ausgabe erschien, trägt den Titel: Ayvaz, Kasap muhaversi, was mit ‚Ein Dialog zwischen einem Metzger und einem Diener‘ zu übersetzen ist. 336 Çınğıraklı Tatar, No. 4, 7. Nisan 1289 R. [19. April 1873], S. 1–3. 337 Letaif-i Âsar, No. 22, 30. Mart 1871 [30. März 1871], S. 1–3. 338 Hayal, No. 162, 17. Haziran 1291 R. [29. Juni 1875], S. 2. 339 Letaif-i Âsar, No. 9, 14. Kânun-i evvel 1290 R. [26. Dezember 1874], S. 1–2. 340 Çınğıraklı Tatar, No. 7, 18. Nisan 1289 R. [30. April 1873], S. 2–3.
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Auch Hayal veröffentlichte gelegentlich Anekdoten des Nasreddin Hodscha.341 Die Redakteure von Hayal wählten zum Beispiel Geschichtchen, die einen bestimmten Bezug zum Opfer ihres Spottes hatten. Um sich etwa über die Satirezeitschrift Çaylak lustig zu machen, veröffentlichte Hayal eine Anekdote des Hodschas, die thematisierte, wie eine Weihe (Çaylak) ihm die Leber raubte, die er kürzlich auf dem Markt gekauft hatte.342 Sogar in ihren muhavere kommen Hacivat und Karagöz auf Nasreddin Hodscha zu sprechen, und Karagöz erzählt seinem Freund gelegentlich eine Anekdote von ihm.343 Zudem erschien in der 239. Ausgabe eine Karikatur, die ebenfalls eine Anspielung auf ein berühmtes Motiv aus den Nasreddin Hodscha Anekdoten enthält. In der folgenden Karikatur ist ein Mann abgebildet, der verkehrt herum auf einem Esel reitet und auch einen seiner Strümpfe und Schuhe über seine Hände gestülpt hat.344 Die Bildunterschrift zu dieser Karikatur lautet: „Derjenige, der in dieser Dunkelheit herausgeht, der reitet den Esel auf diese Weise“.345 Zwar erschien die Karikatur vermutlich, um auf die Beleuchtungsproblematik346 der Hauptstadt hinzuweisen, aber sie greift, wie erwähnt, ein populäres Motiv der Nasreddin Hodscha Anekdoten auf.347
341 Vgl. Hayal, No. 291, 26. Ağustos 1292 R. [7. September 1876], S. 3. 342 Hayal, No. 238, 26. Şubat 1291 R. [9. März 1876], S. 4. 343 Hayal, No. 359, 28. Mayıs 1293 R. [9. Juni 1877], S. 1–2. 344 Diese Form des Ritts in der Öffentlichkeit, Asouade genannt, war eine althergebrachte Sanktionsmaßnahme zur Schmähung und Verspottung. Sowohl in Europa als auch im Osmanischen Reich. Vgl. James MacMillan, France and Woman. 1789–1914: Gender, Society and Politics, London 2000, S. 68 und Pakalın, Tarih Deyimleri, S. 559. 345 Böyle karanlıkda çıkan eşeğe böyle biner. Hayal, No. 239, 26. Şubat 1291 R. [9. März 1876], S. 4. 346 Die unzureichende Beleuchtung der Istanbuler Straßen war häufig Gegenstand der Satire und des Spottes in Hayal. Zwar wurden wohl Gaslaternen angebracht, jedoch noch nicht in Betrieb genommen. Siehe: Hayal, No. 337, 19. Mart 1293 R. [31. März 1877], S. 4 oder Hayal, No. 123, 23. Teşrin-i sâni 1290 R. [5. Dezember 1874], S. 3; Hayal, No. 233, 13. Kânun-i evvel 1291 R. [25. Dezember 1875], S. 2–3. 347 Vgl. Kemal Uzun, “Fikralarından Örnekler”, in: Özçelik, Nasreddin Hoca, S. 95–153, S. 99.
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Abb. 1.
Nach dem Vorbild Kasaps knüpften auch andere Publizisten wie Aristotelis an Vorlagen aus der osmanischsprachigen mündlichen Satire an. Als Vorlage für seine Satirezeitschrift erwählte Aristotelis den mimischen Erzählkünstler, Meddah genannt. Er sah seine Zeitschrift als Fortführung dieser Kunst, wie er im Vorwort der ersten Ausgabe seinen Lesern folgendermaßen erläutert: „Es ist unsere Aufgabe, wie die Meddahs, die seit je her Märchen vortragen und ihre Zuschauer zum Lachen bringen, […] unsere Leser zu unterhalten“.348 Jedoch schien diese Satirezeitschrift nicht genügend Anklang bei den Lesern gefunden zu haben, denn sie stellte ihre Publikation nach 34 Ausgaben ein.349 Eine andere Figur aus der osmanischen Fantasie und Märchenwelt, die Eingang in Hayal gefunden hatte, war der Gulyabani (Menschenfresser). Dieser hatte zwar keine tragende Rolle in dieser Zeitschrift, aber er war als Informant und Reporter Karagözs tätig.350
348 Meddah, No. 1, 15. Muharrem 1292 H. [21. Februar 1875], S. 1. 349 Vgl. Çeviker, Gelişim I, S. 133. 350 Vgl. Hayal, No. 160, 12. Haziran 1291 R. [24. Juni 1875], S. 2; Hayal, No. 161, 14. Haziran 1291 R. [26. Juni 187], S. 3.
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Auch wenn die Publizisten der Tanzimat-Periode mit ihren Zeitschriften an die osmanischsprachige mündliche Satire anknüpften, so sind auch westliche Konzepte von Satire nachzuweisen. Einer dieser Einflüsse ist zweifellos die Karikatur. Wie bereits im vorangegangenen Teilkapitel beschrieben, veröffentlichten die armenischen Publizisten erste Karikaturen im Osmanischen Reich bereits in den 1860er Jahren.351 Die Zeitung İstanbul (Istanbul) gehörte zu den Pionieren der osmanischsprachigen Presse, die schon 1867 begann, Karikaturen zu bringen.352 Jedoch mussten noch einige Jahre verstreichen, bis die Karikaturen zu einem unverzichtbaren Teil der osmanischsprachigen Satirezeitschriften wurden. Koloğlu zufolge war der Hauptgrund für diese Verzögerung jedoch nicht im Bilderverbot des Islams zu suchen, sondern es lag seiner Meinung nach daran, dass die Drucktechnik im Osmanischen Reich nicht genügend ausgereift war.353 Balcıoğlu hingegen sieht die islamische Religion als primäres Hindernis für das verspätete Erscheinen von Karikaturen in den osmanischsprachigen Satirezeitschriften.354 Für die Benennung der Karikaturen verwendeten die osmanischsprachigen Publizisten der Tanzimat-Periode den Begriff resim, was lediglich ‚Bild‘ bedeutet. Ein anderes Wort, welches der Bedeutung von Karikatur oder Bildsatire nahekam, verwendeten die Satirezeitschriften nicht. Ab welchem Zeitpunkt das Lehnwort karikatür Eingang in den osmanisch-türkischen Sprachgebrauch fand, ist nicht feststellbar.
351 352 353 354
Für Beispiele dieser Arbeiten siehe bei: Çeviker, Gelişim I, S. 35–38. Vgl. Ibidem, S. 139 ff. Koloğlu, Karikatür, S. 13. Semih Balcıoğlu (Hg.), 50. Yılın Türk Karikatürü, Istanbul 1876, S. 5–15. Zu figürlichen Darstellungen und Bildern im Islam siehe: Silvia Naef, Bilder und Bilderverbot im Islam, München 2007 und Lorenz Korn, Geschichte der islamischen Kunst, München 2008.
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3. Teodor Kasap und seine Satirezeitschrift Hayal 3.1 Zur Biographie von Teodor Kasap Der osmanische Publizist, Journalist und Autor Teodor Kasap (Théodore Cassape, Theodoros Kassapis)355 gehörte zweifellos zu den herausragenden Persönlichkeiten des ausgehenden 19. Jahrhunderts im Osmanischen Reich. Bislang gibt es allerdings kaum gesicherte Daten bezüglich seiner Lebensgeschichte, besonders nicht über jene Jahre, die er in Paris verbracht hatte.356 Kasap stammte aus einer Familie, die zu den turkophonen Orthodoxen (karamanlı) gehörte und in Kayseri ansässig war.357 Geboren wurde Kasap im Jahre 1835 als Sohn des Tuchhändlers Seraphim Kasapoğlu. Nachdem er in jungen Jahren seinen Vater verloren hatte,358 kam er 355 Strauß, “Notes”, S. 131. 356 Die Angaben in den wenigen Beiträgen zu Kasaps Biographie sind zumeist lückenhaft und in den Punkten, ob er in Izmir oder in Istanbul nach dem Verlust seines Vaters weiterlebte sowie bezüglich seines eigenen Todesdatums, recht widersprüchlich. Darüber hinaus gibt Kuntay an, dass Teodor Kasap (sogar) an der Schlacht von Solferino (1859) teilnahm und dafür sogar einen Orden verliehen bekam. Diesbezüglich gibt İz keine Auskunft. Fahir İz, “ḲAṢĀB, Teodor”, in: EI2, S. 681–682. Mehmed Zeki Pakalın, Sicil-i Osmanî Zeyli, Bd. 18, Ankara 2009, S. 44–46. Vgl. Mithat Cemal Kuntay, Namık Kemal – Devrinin İnsanları ve Olayların Arasında, Istanbul 1944. 357 Vgl. Robert F. M. Anhegger, “Hurufumuz Yunanca. Ein Beitrag zur Kenntnis der Karamanischen-Türkischen Literatur”, in: Handan Alkan (Hg.), Anatolica, No. 7, 1979–1980, Leiden 1981, S. 157–202. Als Selbstbezeichnung verwendeten die turkophonen Orthodoxen nicht diesen Terminus, sondern Schriftsteller wie Evangelinos Misailidis (Misailidis) sprachen sich ausdrücklich dagegen aus. Die turkophonen Orthodoxen nannten sich türkçe konuşan hristiyanlar (osmanischsprachige Christen oder anadolu hristiyanlari (anatolische Christen). Zwar beherrschten sie die osmanische Sprache, aber nicht die arabische Schrift, bedienten sich vielmehr der griechischen Buchstaben. Vgl. Robert Anhegger, “Das Temaşa-i Dünya des Evengelinos Misailidis”, in: Klaus Kreiser (Hg.), Türkische Sprachen und Literaturen. Materialien der ersten deutschen Turkologen-Konferenz. Bamberg. 3.–6. Juli 1987, Wiesbaden 1991, S. 1–28, S. 2. 358 Kasaps Familie betrieb wohl auch über die Grenzen Kayseris hinaus Handel, denn sein Vater verstarb in Persien (Acemistan) und sein älterer Bruder in Arabien (Arabistan). Vgl. Kuntay, Namık Kemal, S. 99.
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zu Verwandten nach Istanbul.359 Dort setzte er seine Schulausbildung an einer griechischen Schule in Kuruçeşme fort.360 Nebenher half er im Geschäft seiner Verwandtschaft aus, wo er seinen späteren Förderer kennenlernte, einen französischen Offizier, der zugleich ein Neffe des berühmten französischen Schriftstellers Alexandre Dumas war.361 Beeindruckt von Kasaps Intelligenz nahm ihn der Offizier nach dem Ende des Krimkrieges mit nach Frankreich, um ihm dort ein Studium zu ermöglichen.362 Somit wurde Paris zu einer der wichtigsten Stationen im Leben des jungen Teodor Kasap. Nach Abschluss seines Studiums am Collège de France blieb er in Paris und arbeitete dort als Privatsekretär für den französischen Literaten Alexandre Dumas.363 Diese Tätigkeit eröffnete ihm nicht nur die Möglichkeit, einen Einblick in den Schaffensprozess bei einem der ruhmreichsten Persönlichkeiten Frankreichs zu bekommen, sondern auch weitere europäische Städte und Länder kennenzulernen, da er seinen Dienstherren bei zahlreichen Reisen begleitete. Die Reisen, die Kasap an der Seite Dumas´ unternahm, beschränkten sich nicht ausschließlich auf den europäischen Raum. An Bord der Emma bereisten sie unter anderem Griechenland, Istanbul sowie den Libanon und Ägypten.364 Die Erfahrungen, die Teodor Kasap während seines Aufenthalts in Frankreich sammelte, waren für sein späteres Wirken gewiss von großer Bedeutung, denn dort entdeckte er auch seine Zuneigung zur französischen Literatur. In Paris knüpfte er wichtige Kontakte zu namhaften osmanischen Exilanten wie zum Intellektuellen und Literaten Namık Kemal. In ihm fand er einen besonderen Vertrauten, der ihn auf seinem weiteren Lebensweg begleitete. Vermutlich wurde Teodor Kasap auch dort mit dem Gedankengut osmanischer Oppositioneller vertraut, die in Paris zumeist journalistisch tätig waren. Das Jahr 1870 stellte einen Wendepunkt in Kasaps Biographie dar. In diesem Jahr war er aufgrund zunehmender Spannungen zwischen Preußen und
359 Auch wenn İz behauptet, dass Kasap zu Verwandten nach Izmir kam, ist der satirischen Biografie Kasaps zu entnehmen, die in Hayal erschien, dass er seine Kindheit in Istanbul verbrachte. Vgl. Hayal, No. 244, 9. Mart 1292 R. [12. März 1876], S. 4. İz, “ḲAṢĀB”, S. 681. 360 Vgl. Johann Strauß, “The Millets and the Ottoman Language: The Contribution of Ottoman Greeks to Ottoman Letters (19th–20th Centuries)”, in: Die Welt des Islams, Bd. 35, Leiden 1995, S. 189–249, S. 233. 361 İz, “ḲAṢĀB”, S. 681. 362 Ibidem. 363 Strauß, “The Millets”, S. 233. 364 Ibidem.
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Frankreich gezwungen, Europa zu verlassen und ins Osmanische Reich überzusiedeln. Auch verlor er seinen langjährigen Arbeitgeber und Freund Dumas Père, der 1870 verstarb.365 Mit dem Ausbruch des Deutsch-Französischen Krieges von 1870–1871 verließ auch Kemal sein Exil in Paris und lebte einige Zeit in Brüssel und Wien, bevor er nach Istanbul zurückkehrte, um wenig später für die erste Satirezeitschrift seines Freundes Artikel zu verfassen. Kasap ließ kaum Zeit verstreichen und setzte wenige Monate nach seiner Ankunft in Istanbul seinen Plan einer „Satirezeitschrift“ gleich in die Tat um. Zunächst begann er mit der Veröffentlichung der französischsprachigen Ausgabe von Diyojen, um kurze Zeit später auch das osmanischsprachige Publikum mit seinem Konzept eines satirischen Blattes bekanntzumachen. Fälschlicherweise gibt Bayraktar an, dass Teodor Kasap „der wichtigste osmanische Karikaturist zwischen 1870–1877“ gewesen sei. Zwar ist der Beitrag Kasaps zur Etablierung der Karikatur im Osmanischen Reich mittels seiner satirischen Zeitschriften unbestritten, doch er selbst hat nicht als Karikaturist gearbeitet.366 Zudem war Kasap auch nicht der Herausgeber der Satirezeitschrift Karagöz, wie Bayraktar behauptet. Diese erschien erst 1908, herausgegeben von Ali Fuad Beğ, einige Jahre nach dem Tod Teodor Kasaps.367 Während der Jahre, die er in Europa verbracht hatte, war Kasap ohne jeden Zweifel in Kontakt mit der dortigen satirischen Presse gekommen und war sich somit ihrer Wirkung bewusst, dass sie nämlich durchaus die öffentliche Meinung beeinflussen konnte. Mit der Etablierung seiner ersten Satirezeitschrift Diyojen verfolgte Kasap das Ziel, ein Gegengewicht zu den vorhandenen Nachrichtenblättern im Osmanischen Reich zu schaffen. Denn für ihn waren Satirezeitungen wichtige Presseorgane, die die Wahrheit humorvoll an ihre Leser herantrugen.368 Er veröffentlichte bereits in Diyojen Artikel, die seinen Rezipienten das Wesen von Satirezeitschriften erläuterten. Dieser Linie blieb er auch mit Hayal treu. Kasap vertrat die Meinung, dass seine Konkurrenten das Konzept von Satireblättern nicht verstanden hätten und deshalb ihre Seiten lediglich 365 İz, “ḲAṢĀB”, S. 681. 366 Vgl. Hatice Bayraktar, Salomon und Rabeka: Judenstereotype in Karikaturen der türkischen Zeitschriften Akbaba, Karikatür und Milli İnkilap 1933–1945, Berlin 2006, S. 29, Fn. 139. 367 Gründer der oben erwähnten Zeitschrift war Ali Fuad, welcher zu den ersten muslimischen Karikaturisten im Osmanischen Reich gehörte. Heinzelmann, Balkankrise, S. 51. 368 Diyojen, No. 19, S. 1.
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mit Scherzgeschichten (hezeliyat) füllten. Gemäß Kasap mussten die Beiträge der satirischen Presse, so wie es auch bei der politischen Presse der Fall sein sollte, auf einer wahren Grundlage basieren. Der einzige Unterschied zwischen der politischen Tagespresse und der satirischen Presse war seiner Meinung nach, dass die Nachrichtenblätter ihre Standpunkte seriös übermitteln sollten, während die Satireblätter die gleiche Aufgabe mit einer Prise Humor (gülmekle) zu erfüllen hätten. Gemäß Kasap verfolgten sowohl die seriöse Presse als auch die satirische Presse dieselben Absichten, nämlich die Verbesserung der guten Sitten der Bevölkerung (ahlâk-i ahalinin ıslahı) und den Fortschritt der Wissenschaften (maarif) und der Industrie (sanayi) zu fördern. Die Herausgabe von Hayal reichte dem ambitionierten Publizisten nicht. Im Sommer 1876 begann er zusätzlich mit der Veröffentlichung seines politischen Blattes İstikbal.369 Über seine Publikationen und seine Arbeiten hinaus ist von Teodor Kasaps Leben wenig bekannt. Jedoch verband ihn in seinen frühen Jahren eine tiefe Feindschaft mit Abdülhamid II., dessen Zorn er bereits auf sich gezogen hatte, als dieser noch Prinz war. Seine Komödie der „Geizige Hamid“ (Pinti Hamid) bzw. dessen Protagonist Hamid, erweckte einige Assoziationen zum osmanischen Thronanwärter, dem ebenfalls Geiz nachgesagt wurde. Abdülhamid II. versuchte wohl deshalb, die Publikation dieses Stückes zu verhindern, blieb dabei allerdings erfolglos. Kasaps Abneigung ging so weit, dass er sogar die Inthronisation des verhassten Abdülhamid II. in seinem Blatt verschwieg, während er den Thronantritt seines Vorgängers noch gefeiert hatte. Diese Feindschaft wurde ihm schließlich zum Verhängnis, da er aufgrund einer kritischen Karikatur angeklagt und verhaftet wurde, zur gleichen Zeit wie sein treuer Weggefährte Namık Kemal.370 Während er einsaß, erlernte er im Gefängnis die osmanische Schrift von Ata Beğ.371 Abdülhamid II. begnadigte ihn wenige Monate später, und Kasap nutzte diese Gelegenheit, um aus Istanbul zu fliehen. Nach einigen Jahren, die er im Exil verbrachte, begnadigte Abdülhamid II. ihn erneut, denn der osmanische Herrscher wusste, wie er allzu kritische Stimmen zum Schweigen bringen konnte, die ihm auch aus der Ferne gefährlich werden 369 Bislang gibt es keinerlei eingehende Untersuchungen, die sich dieser Zeitung widmen. 370 Kemal und Kasap pflegten ebenso eine ausgiebige Brieffreundschaft. Allerdings steht die eingehende Untersuchung dieser Briefe bislang noch aus. Gemäß den Informationen von Sungu, führten auch die Söhne dieser beiden freundschaftliche Beziehungen. Vgl. Mithat Cemal Kuntay, “Paris’te Bir Kayseri’li Rum Münevveri”, in: Çeviker, Gelişim I, S. 99–106, S. 101. 371 Sungu, “Kasap”, S. 96–98.
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konnten. Denn Kasap hatte die Publikation seiner Blätter im Exil erneut aufgenommen. Dort veröffentlichte er sowohl Hayal als auch İstikbal. Allerdings konnte er nur wenige Nummern herausgeben.372 Abdülhamid II. ernannte ihn zu seinem Privatbibliothekar und ließ ihn Übersetzungsarbeiten anfertigen.373 Bis zum Ende seines Lebens (1897) veröffentlichte Kasap keinerlei weiteren Werke und blieb im Dienste von Abdülhamid II.374 Beerdigt wurde er auf einem Friedhof in der Nähe des Viertels Yenimahalle, der ausschließlich den Angestellten des Yıldız-Palastes vorbehalten war.375
3.2 Der Beitrag von Kasap zur osmanischsprachigen Literatur der späten Tanzimat-Periode In diesem Abschnitt sollen die Beiträge Teodor Kasaps zur osmanisch-türkischen Literatur und sein Einsatz für die Entwicklung des frühen osmanischen Theaters im Vordergrund stehen. Teodor Kasaps Ambitionen beschränkten sich nicht nur auf die Herausgeberschaft von Satirezeitschriften. Es war ihm ein wichtiges Anliegen, seine Leser ebenso mit der Literatur und dem Theater vertraut zu machen. Denn im Osmanischen Reich war die literarische Gattung des Romans bis in die 1860er Jahre nahezu unbekannt. Lediglich einer kleinen Gruppe aus der osmanischen Elite, die bis zu einem gewissen Grade westliche Bildung genossen hatte, war der Roman als literarische Form bekannt. Erneut fungierten
372 Von Hayal war es möglich, sechs Nummern ausfindig zu machen, bei denen es sich um handschriftliche Lithografien handelt. Die erste Nummer im Exil erschien am 27. Mayıs 1295 R. [8. Juni 1879] in London. Die ersten beiden Nummern wurden in der A. H. W. Druckerei in 27 London Street gedruckt. Bislang gibt es keinerlei Arbeiten, die sich diesen Ausgaben gewidmet haben. Auch im Rahmen der vorliegenden Arbeit ist es nicht möglich, diese Nummern von Hayal zu berücksichtigen. Dies muss anderen Arbeiten vorbehalten bleiben. 373 Strauß, “The Millets”, S. 238. 374 Die Angaben in der Literatur bezüglich seines Todesjahres sind widersprüchlich. Laut Çeviker hat Kasap bis 1905 gelebt. Strauß, Kut und İz behaupten hingegen, er sei 1897 verstorben. Vgl. Çeviker, Gelişim I, S. 87. Strauß, “The Millets”, S. 232, Fn. 139. İz, “ḲAṢĀB”, S. 681. Turgut Kut, “Teodor Kasap”, in: İA, Bd. 40, S. 473–475, S. 473. 375 Der Nachlass von Teodor Kasap war bislang noch nicht Gegenstand der Wissenschaft. Sungu kündigt zwar eine umfassendere Arbeit an, diese steht jedoch bis heute aus. Hierzu müsste ebenso der Nachlass von İskit bearbeitet werden, denn, gemäß Sungu, habe İskit den Nachlass von Teodor Kasaps Familienangehörigen ausgehändigt bekommen. Sungu, “Kasap”, S. 98.
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armenische und griechische Literaten sowie Intellektuelle Istanbuls als Pioniere auf diesem Gebiet. Bereits 1851 erschien der erste osmanischsprachige Roman, Akabi Hikâyesi (Die Geschichte von Akabi),376 verfasst von Vartan Pascha. Dieser Roman war aber nur wenigen Lesern zugänglich, da dessen Druck in armenischen Lettern erfolgte.377 Der Verfasser des zweiten Romans im Osmanischen Reich, Temaşa-i Dünya ve Cefakâr u Cefakeş (Die Betrachtung der Welt und der Peiniger und der Märtyrer), hatte einen griechischen Hintergrund.378 Das Werk des karamanischen Journalisten und Lehrers Evangelinos Misailidis erschien 1871/1872, gedruckt in griechischen Lettern.379 Somit war auch dieses literarische Werk nur derjenigen Leserschaft zugänglich, die die griechische Schrift und die osmanische Sprache beherrschten. 1872 erschien der Roman Taaşşuk-i Talat (Die Liebe des Talat), gedruckt in arabischen Lettern, der aus der Feder des berühmten osmanischen Literaten Şemseddin Sami stammte.380 Bis zur Publikation der ersten osmanischsprachigen Romane erschienen auf dem osmanischen Literaturmarkt vornehmlich Übersetzungen europäischer Werke. Besonders die Romane und Theaterstücke der französischen Literaten fanden großen Anklang bei den osmanischen Lesern, vornehmlich allerdings bei den Schriftstellern. Der osmanische Beamte und Literat Yusuf Kâmil Pascha war der erste, der einen französischen Roman ins Osmanisch-Türkische übertrug. Im Jahr 1862 publizierte er seine Übersetzung von François Fénelons Roman Télémaque (Telemachos).381 In den darauffolgenden Jahren erschienen weitere osmanischsprachige Übersetzungen europäischer Literaturerzeugnisse wie zum Beispiel Victor Hugos Roman Les misérables (Die Elenden), von
376 Eine kurze Zusammenfassung des Inhalts enthält: Enginün, Türk Edebiyatı, S. 171 ff. 377 Christoph K. Neumann, Das indirekte Argument – Ein Plädoyer für die Tanẓīmāt vermittels der Historie, Münster 1994, S. 2. 378 Zur Besprechung von Temaşa-i Dünya siehe: Anhegger, “Temaşa-i Dünya”, S. 1–28. 379 Neumann, Das indirekte Argument, S. 2 und Enginün, Türk Edebiyatı, S. 172 ff. Zudem bietet Enginün eine kurze Inhaltsangabe dieses Werkes. 380 Enginün, Türk Edebiyatı, S. 172 ff. 381 Strauß, “The Millets”, S. 217. Enginün weist darauf hin, dass die ersten osmanischen Übersetzungen europäischer Literatur bislang noch ungenügend im Fokus der Wissenschaft stehen. Somit ist es keinesfalls gesichert, zu welchem Zeitpunkt und aus welchen Motiven heraus die osmanischen Literaten tatsächlich begannen, europäische Romane ins Osmanisch-Türkische zu übertragen. Enginün, Türk Edebiyatı, S. 177.
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welchem die Zeitung Ceride-i Havadis eine gekürzte Version382 unter dem Titel Hikaye-i Mağdurin (Die Geschichte der Elenden)383 serialisiert384 publizierte, und dies nur wenige Monate nach der Veröffentlichung des Originals in Paris. Einige Jahre später erschien die erste osmanischsprachige Übersetzung von Daniel Defoes Robinson Crusoe, übertragen von Ahmed Lûtfî Efendi.385 Teodor Kasap gehörte ebenfalls zu den Pionieren, die der europäischen Literatur, im Speziellen den französischen Romanen im Osmanischen Reich zu größerer Bekanntheit verhalfen. Bereits 1871 übersetzte er einen der bekanntesten französischen Romane des 19. Jahrhunderts, Le Comte de Monte-Cristo (Der Graf von Monte Christo), verfasst von seinem früheren Dienstherrn und Mäzen Alexandre Dumas Père, ins Osmanisch-Türkische. Ebenso wie das französische Original erschien auch die osmanisch-türkische Version des Romans unter dem Titel Monte Kristo serialisiert (tefrika). Kasap veröffentlichte seine Adaption des berühmten Romans zuerst in Diyojen386 ebenso wie Ahmed Vefik Paschas Übersetzung von Voltaires Roman Micromégas unter dem Titel Hikâye-i Hikemîye-i Mikromega (Die philosophische Geschichte von Mikromegas) im selben Jahr.387 1872 erschien seine Übersetzung des Romans Der hinkende Teufel.388 Der Roman Le Diable boiteux, wie er im Original hieß, stammte vom berühmten französischen Literaten Alain René Lesage und war eines der erfolgreichsten
382 Şemseddin Sami begann einige Zeit später mit der vollständigen Übertragung des Romans unter dem Titel Sefiller in die osmanisch-türkische Sprache, jedoch konnte er selbst sein Werk nicht vollenden. Erst Hasan Bedreddin Pascha vervollständigte Samis Übersetzung und publizierte sie nach 1908. Enginün, Türk Edebiyatı, S. 179. 383 Ramazan Korkmaz, “Yeni Türk Edebiyatına Giriş”, in: Ramazan Korkmaz (Hg.), Yeni Türk Edebiyatı 1839–2000, 5. Aufl., Ankara 2009, S. 13–42, S. 25. 384 In Europa war es seit dem 17. Jahrhundert üblich, Romane serialisiert in Zeitungen oder Zeitschriften zu veröffentlichen. Diese Methode wurde nun auch im Osmanischen Reich angewandt, um die Werke einem möglichst großen Leserkreis bekannt zu machen. Vgl. Uygur Kocabaşoğlu, “Literary Serials at the Dawn of Turkish Journalism”, in: Unbehaun, Middle Eastern Press, S. 15–24. 385 Eine zweite Übersetzung Robinson Crusoes fertigte Şemseddin Sami zwanzig Jahre (1884) nach dem Erscheinen der ersten Version an. Enginün, Türk Edebiyatı, S. 179. 386 Der erste Abschnitt des Fortsetzungsromans erschien in der No. 66. Vgl. Strauß, “The Millets”, S. 239. Da der Roman viel zu umfangreich war, um ihn weiterhin serialisiert zu veröffentlichen, erschien von Monte Kristo jede Woche ein Kapitel. Enginün, Yeni Türk Edebiyatı, S. 179, Fn. 43. 387 Özdiş, Osmanlı, S. 91. Der erste Abschnitt Hikaye-i Hikemiye-i Mikrogmegas erschien in der 62. Ausgabe von Diyojen. Enginün, Türk Edebiyatı, S. 179, Fn. 43. 388 Korkmaz, “Yeni Türk”, S. 25.
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Werke des frühen 18. Jahrhunderts. Lesagne war besonders für seine spöttischen, scharfen sowie häufig gesellschaftskritischen Romane berühmt. Monte Kristo erfreute sich großer Beliebtheit bei der Leserschaft, denn im selben Jahr erschienen bereits sechs Bände des Romans, vier davon verlegte Ahmed Midhat389 in seinem Verlagshaus.390 Inspiriert von diesem Roman verfasste auch Kasap selbst seinen einzigen Roman Sarı Yusuf Yahut Haydut Yusuf (Der blonde Josef oder Josef, der Bandit).391 Seine Übersetzung diente wohl nicht nur ihm selbst, sondern auch dem Schriftsteller und Publizisten Ahmed Midhat392 als Inspirationsquelle für dessen ersten osmanischsprachigen Roman Hasan Mellah (Hasan der Seefahrer), welcher im Jahre 1874 erschien. Ebenso inspirierte dieses Werk den Schriftsteller Abdülhak Hamid für dessen Werk Sabr u Sebat (Geduld und Beharrlichkeit).393 An dem Stoff von Monte Kristo hatte auch der Impresario Agop Vartovyan, besser bekannt unter dem Namen Güllü Agop,394 besonderes Interesse. Aus der Romanvorlage konzipierte er ein Theaterstück, welches sich aus dreißig abendfüllenden Vorstellungen zusammensetzte, um es im Verlauf eines Monats an seinem Theater inszenieren zu lassen.395
3.3 Die Satirezeitschrift Hayal Nachdem nun auch seine zweite Satirezeitschrift Çınğıraklı Tatar der Zensur zum Opfer gefallen war, veröffentlichte Kasap wenige Monate später sein drittes Blatt unter dem Namen Hayal.396 Die erste Nummer erschien am 18. Teşrin-i 389 Zu den biographischen Daten von Ahmed Mithat Efendi siehe bei: Pakalın, Sicil-i, Bd. 2, S. 70–97. Bernhard Lewis, “AHMAD MIDHAT”, in: EI2, S. 289–290. M. Orhan Okay, „Ahmed Midhat Efendi“, in: İA, S. 100–103. 390 Vgl. Strauß, “The Millets”, S. 239. 391 Es scheint sich kein Exemplar dieses Romans erhalten zu haben. Auch bleibt der Inhalt so wie das genaue Erscheinungsdatum dieses Romans nicht feststellbar. Enginün, Türk Edebiyatı, S. 675. 392 Neumann, Argument, S. 2. 393 Enginün, Türk Edebiyatı, S. 179. 394 Zu den biographischen Daten von Güllü Agop siehe bei: Pakalın, Sicil-i, Bd. 2, S. 25–27. Vartov heißt auf Armenisch Rose, und deshalb erhielt er den Beinamen Güllü. Siehe auch: Abdullah Uçman, “Agop, (Güllü)”, in: Ekrem Çakıroğlu (Hg.), Yaşamları ve Yapıtlarıyla Osmanlılar Ansiklopedisi, Istanbul 1999, S. 84. 395 Metin And, Osmanlı Tiyatrosu, 2. Aufl., Ankara 1999, S. 64. 396 Das Wort hayal hat viele Bedeutungen, wie zum Beispiel Traum, Illusion, Phantasie, Schatten oder Einbildungskraft. In Zusammenhang mit der inhaltlichen Gestaltung der Satirezeitschrift ist der Titel eine Anspielung auf das Karagöz-Theater, dessen Leinwand auch hayal perdesi genannt wird.
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evvel 1289 (30. Oktober 1873). Wie auch seine Zeitschriften Diyojen und Çınğıraklı Tatar erschien Hayal auch auf Griechisch, und zwar unter dem Titel Mômos, wie auf Französisch (Polichinelle) und Armenisch-Türkisch (Kheyal).397 Zudem erschien Hayal zusätzlich auf Bulgarisch.398 Der Kopf der Zeitschrift ist, im Vergleich zu Çınğıraklı Tatar und den ersten 61 Ausgaben von Diyojen, nicht aufwendig gestaltet. Nur der Namenszug der Satirezeitschrift, welcher mittig gespiegelt ist, ziert ihn. Ein Jahresabonnement für 104 Nummern kostete für Bezieher aus Istanbul weiterhin, wie bei Çınğıraklı Tatar, 60 Piaster. Abonnenten aus den Provinzen mussten hingegen 80 Piaster zahlen. Werbeanzeigen konnten für drei Piaster je Zeile aufgegeben werden. Anzeigen anderer Art (mevadd-i sair) kosteten zehn Piaster je Zeile. Ein Abonnement für sechs oder drei Monate war weiterhin nicht möglich. Die Abonnementsgebühren, wie auch zuvor bei Çınğıraklı Tatar, waren entweder nach Erhalt der ersten oder der 53. Nummer fällig. Nach der 140. Nummer erhöhte Kasap die Abonnementsgebühren für seine Abonnenten aus Istanbul um 20 Piaster. Auch der Preis für die Abonnenten aus den Provinzen erhöhte sich. Damit diese die Zeitschrift Hayal erhalten konnten, mussten sie nun 120 Piaster zahlen. Aus einem Aufruf der Zeitschrift an ihre Subskribenten geht hervor, dass Hayal auch ihre Abnehmer in den Provinzen hatte.399 Die Käufer von Einzelnummern blieben von Preiserhöhungen verschont, sie mussten konstant einen Piaster je Exemplar bezahlen. Auch die Preise für Werbung und Anzeigen blieb über den ganzen Erscheinungszeitraum unverändert. Der Verlag und die Druckerei von Hayal befanden sich im Zindankapusı, welches in der Bıçakcılar Sokağı Nummer 56 lag. Diese Adresse behielt Kasap lange Zeit bei. Erst nach Erscheinen der 251. Nummer bezog er neue Räumlichkeiten auf der Bab-ı Ali Caddesi Nummer 52 und brachte seine Zeitschrift Hayal in der berühmten Kırk Anbar Druckerei von Ahmed Midhat Efendi heraus.400 Kurze Zeit später wird in der 360. Nummer angegeben, dass die Redaktion in die Bab-ı Ali Caddesi Nummer 28 umgezogen sei.401 Wie aus Kapitel 2.1 hervorgeht, war die Bab-ı Ali Caddesi die Hauptschlagader der osmanischen 397 Strauß, “Notes”, S. 134. 398 Hayal, No. 142, 30. Nisan 1291 R. [12. Mai 1875], S. 1. 399 Hayal, No. 150, 20. Mayıs 1291 R. [1. Juni 1875], S. 1. Hayal fordert ihre Abonnenten auf, sowohl diejenigen aus Istanbul als auch diejenigen aus den Provinzen, sich sofort bei der Druckerei zu melden, falls sie ihre Zeitungen nicht am vorgesehenen Tag erhielten. 400 Hayal, No. 252, 26. Mayıs 1292 R. [7. Juni 1876], S. 1. 401 Hayal, No. 360, 31. Mayıs 1293 R. [12. Juni 1877], S. 1.
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Presse, in der sich zahlreiche Druckereien und Verlage fanden. In einer Mitteilung an die Leserschaft gibt Hayal bekannt, dass auch die Büros des politischen Blattes İstikbal in diesen Räumlichkeiten untergebracht waren.402 Hayal erschien bis zur 44. Nummer zweimal in der Woche. In der 35. Nummer von Hayal ist die Ankündigung zu lesen, dass diese Zeitschrift „ab der nächsten Woche dreimal“403 erscheinen werde, dienstags, donnerstags und samstags. In dem Zeitraum vom 21. August 1876 bis zum 9. September 1876 erschienen sogar fünf Exemplare in der Woche,404 um den Abonnenten die Nummern nachzuliefern, die während der Suspendierungen von Hayal nicht herausgeben werden konnten.405 Mit der Publikation ihrer 292. Nummer nahm Hayal bis zu ihrem endgültigen Verbot ihren gewohnten Erscheinungsrhythmus mit drei Exemplaren pro Woche auf. Eine Ausgabe der Zeitschrift Hayal hatte den Umfang von vier Seiten, gedruckt auf zwei Bögen. Bislang gibt es keine gesicherten Angaben über die tatsächliche Auflagenhöhe von Periodika im Osmanischen Reich. Es gibt lediglich einige Hinweise in Hayal, die Rückschlüsse über die Auflagenhöhe von Zeitungen und Zeitschriften erlauben. In einer muhavere, die in der 187. Nummer von Hayal erschien, gibt Karagöz an, dass er an diesem Tag bereits 2000 Exemplare mit Steuermarken beklebt habe.406 Auch für ihren stärksten Widersacher, Basiret, gibt Hayal dieselbe Zahl an verkauften Exemplaren an. Zeitungen wie Sadakat fanden allenfalls 500 Abnehmer täglich.407 Einige Nummern von Hayal erfreuten sich besonderer Beliebtheit, wie zum Beispiel die 191. Ausgabe, denn es bestand offenbar eine starke Nachfrage nach ihr. Aus diesem Grund veröffentlichte Hayal eine Mitteilung an die Leserschaft, um ihr bekannt zu geben, dass im Verlag noch Exemplare dieser Nummer erhältlich seien.408 Während der Wochen nach dem Ausbruch des Serbisch-Osmanischen Krieges von 1876 schienen sich die Auflagenzahlen um ein Vielfaches erhöht zu haben. Laut den Angaben von Hayal hatte sie von ihrer 275. Nummer 30.000 Exemplare
402 In ihrer Mitteilung an die Leserschaft gibt Hayal an, dass die Druckerei dieser Zeitschrift „aus einem Bedarf heraus“ (hasbelicab) aufgelöst worden sei und die Redaktionsräume von İstikbal und Hayal vorrübergehend in die Kırk Anbar-Druckerei verlegt werden. Hayal, No. 253, 25. Mayıs 1292 R. [6. Juni 1876], S. 4. 403 Gelecek haftadan itibaren […]. Hayal, No. 35. 404 Hayal, No. 278, 9. Ağustos 1292 R. [12, August 1876], S. 1, siehe Impressum. 405 Hayal, No. 292, 28. Ağustos 1292 R. [9. September 1876], S. 1. 406 Hayal, No. 187, 14. Ağustos 1291 R. [26. August 1875], S. 2. 407 Hayal, No. 145, 8. Mayıs 1291 R. [12. Mai 1875], S. 2. 408 Hayal, No. 195, 2. Eylül, 1291 R. [14. September 1875], S. 1.
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gedruckt, wovon sie noch 5000 übrig hatte.409 An anderer Stelle gibt Hayal an, täglich 1500 Exemplare zu verkaufen.410 Auskünfte über die Anzahl und Namen der Mitarbeiter und Journalisten, die für diese Zeitschrift arbeiteten, sind Hayal nicht zu entnehmen. Sämtliche literarischen sowie journalistischen Beiträge und sogar der Großteil der Karikaturen, die in diesem Blatt erschienen, sind i.d.R. nicht signiert. Eine Ausnahme bilden hierbei die Briefe/Leserbriefe. Einige Beiträge dieser Art waren mit Initialen oder Pseudonymen versehen.411 Obwohl Teodor Kasap der Gründer dieser Zeitschrift war, hatte er nicht über ihren gesamten Erscheinungszeitraum den Posten des Herausgebers inne. Nach dem Erscheinen der 181. Nummer übertrug er die Verantwortung für die Herausgabe einem Stellvertreter, dem Literaten, Publizisten und Lehrer Evangelinos Misailidis, weil Kasap, wie es einer Erklärung zu entnehmen ist, sich der Planung und Umsetzung seines politischen Nachrichtenblattes, İstikbal widmen wolle.412 Misailidis amtierte nicht nur für Hayal als stellvertretender Herausgeber, sondern gab zudem noch eine griechische Zeitung heraus.413 Er gehörte wie Kasap zu den turkophonen Griechen (karamanlı) und war bereits seit den 18Misailidis-50er Jahren als Publizist und Literat tätig.414 Es ist bemerkenswert, dass Kasap die Verantwortung der Herausgabe seiner Zeitschrift auf Misailidis übertrug. Denn dessen Zeitung Anatoli (Anatolien) war nicht selten die Zielscheibe des Spottes in Hayal. Bereits die erste Ausgabe von Hayal enthält Worte des Hohns, die sich sowohl gegen Misailidis als auch gegen seine Zeitung richten.415 Jedoch musste Misailidis nach der Publikation der 221. Nummer seinen Posten aufgeben. Seine Nachfolge trat ein gewisser Cemal an, der die Nummern 222 bis 277 herausgab. Gemäß einer Mitteilung in der 278. Nummer musste dieser seine Tätigkeit als stellvertretender Lizenzinhaber bei Hayal beenden,
409 Vgl. Hayal, No. 276, 20. Temmuz 1292 R. [1. August 1876], S. 2. 410 Hayal, No. 356, 21. Mayıs 1293 R. [2. Juni 1877], S. 3. 411 Es ist nicht feststellbar, ob es sich tatsächlich um Zuschriften von Lesern handelt, oder ob diese von den Journalisten von Hayal selbst verfasst wurden. 412 Hayal, No. 182, 2. Ağustos 1291 R. [7. September 1875], S. 1. 413 Hayal, No. 220, 30. Teşrin-i evvel 1291 R. [11. November 1875], S. 2. 414 Evangelinos Misailidis gründete 1851 seine Zeitung Anatoli (Anatolien), die er bis zu seinem Tod 1890 redigierte. Vgl. Robert Anhegger, “Das Temaşa-i Dünya des Evangelinos Misailidis (1871/72) als Quelle zur karamanischen Sprach- und Kulturgeschichte”, in: Ingeborg Baldauf (Hg.), Türkische Sprachen und Literaturen: Materialien der ersten Deutschen Turkologen-Konferenz, Wiesbaden 1991, S. 12f. 415 Vgl. Hayal, No. 1, 18. Teşrin-i evvel 1289 R. [30. Oktober 1873], S. 4.
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da er in ein Amt in der Provinz (straf-)versetzt wurde, da er offensichtlich auch im Staatsdienst tätig war. Hintergrund dieser Versetzung war, dass wohl einige Artikel und Beiträge das Presseamt dazu veranlassten, Hayal nach dem Erscheinen der 277. Nummer zu suspendieren. Strafversetzungen gehörten im Osmanischen Reich zu den üblichen Sanktionsmaßnahmen, die die Hohe Pforte gegen ihre Bediensteten, die in Ungnade gefallen waren, ergriff. Bis Kasap einen neuen Stellvertreter gefunden hatte, so hieß es in einer Mitteilung in der 278. Nummer, übernahm er wieder selbst die Herausgabe von Hayal.416 Zuletzt brachte Kasap die 340. Nummer heraus. Die Herausgabe der folgenden Ausgaben übernahm als stellvertretender Herausgeber [Osteratios Ispartidis], und dieser behielt seinen Posten bis zur endgültigen Schließung dieser Zeitschrift bei.417 Über die Autoren, die für Hayal arbeiteten, ist ebenfalls sehr wenig bekannt. Es können nur Mutmaßungen angestellt werden. Verlässliche Quellen fehlen. Vermutlich war der Journalist Hayreddin,418 der für mehrere Zeitungen, unter anderem auch für Basiret, seine Artikel schrieb, für Hayal tätig. Über sein Leben ist allerdings wenig bekannt. Er floh nach der gescheiterten Insurrektion von 1848 in Polen gegen die Herrschaft des Zarenreiches in das Osmanische Reich.419 Weitere Mitarbeiter von Hayal waren ein Übersetzer (mütercim)420 sowie ein Austräger (hammal).421 Darüber hinaus gibt es keine weiteren Informationen zu den Beschäftigten dieser Zeitschrift. Die Karikaturisten der Tanzimat-Zeit stammten alle, bis auf eine Ausnahme, aus den nichtmuslimischen Gemeinden des Osmanischen Reiches. Von der Gruppe der Künstler sind zumeist nicht einmal deren Initialen oder Signaturen bekannt. Vermutlich handelte es sich bei der Mehrzahl der Karikaturisten um Angehörige der armenischen Bevölkerung in Istanbul, da diese zu den Pionieren der osmanischen Satirepresse gehörten, welche erstmals Karikaturen im
416 Hayal, No. 278, 9. Ağustos 1292 R. [12. August 1876], S. 1. 417 Vgl. Hayal, No. 182, S. 4; Hayal, No. 221, 1. Teşrin-i sâni 1291 R. [13. November 1875], S. 4; Hayal, No. 222, 18. Teşrin-i sâni 1291 R. [30. November 1875], S. 4; Hayal, No. 277, 22. Temmuz 1292 R. [3. August 1876], S. 4; Hayal, No. 278, 9. Ağustos 1292 R. [12. August 1876], S. 4; Hayal, No. 340, 26. Mart 1293 R. [7. April 1877], S. 4; Hayal, No. 341, 16. Nisan 1293 R. [28. April 1877], S. 4 Hayal, No. 367, 16. Haziran 1293 R. [28. Juni 1877], S. 4. 418 Hayal, No. 232, 11. Kânun-i evvel 1291 R. [23. Dezember 1875], S. 3. 419 Vgl. Yerlikaya, Basiret, S. 62. 420 Hayal, No. 190, 21. Ağustos 1291 R. [2. September 1875], S. 3. 421 Hayal, No.137, 13. Mayıs 1291 R. [25. Mai 1875], S. 4.
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Osmanischen Reich veröffentlichten. Einige Signaturen lassen erkennen, dass ihre Schöpfer ihre Wurzeln in der griechischen Gemeinde Istanbuls hatten, wie zum Beispiel des Karikaturisten K. Opçanadassis, der für Çınğıraklı Tatar zeichnete. Bislang bleibt die genaue Anzahl der Zeichner, die zwischen 1870 und 1877 für satirische Zeitschriften oder andere Periodika Karikaturen anfertigten, unklar, da ein erheblicher Teil der Karikaturen weder Signaturen aufweist noch die Initialen ihres Urhebers trägt. Entweder wollten sie absichtlich unbekannt bleiben, um etwaigen behördlichen Repressalien zu entgehen, falls ihre Bilder unangenehm bei der Zensur auffielen, oder aber es war allgemein durch andere Quellen bekannt, welcher Karikaturist für welche Zeitschrift zeichnete. Schätzungen Çevikers zufolge gab es ungefähr zwanzig bis dreißig Personen, die als Karikaturisten und Graveure im Osmanischen Reich tätig waren.422 Auch wenn die Bildsatiren keine Signaturen tragen und deren Urheber somit unbekannt bleiben, lassen sie dennoch erkennen, dass sie zumeist aus den Kreisen nichtmuslimischer Künstler stammen. Ein wichtiges Indiz hierfür ist die Verwendung der lateinischen Schrift, die sie in ihren Karikaturen einsetzten, da Nichtmuslime zumeist nicht der arabischen Schrift mächtig waren. Auch wurde in einigen Karikaturen lediglich das osmanische Schriftbild nachgeahmt, denn die angeblich osmanischen Wörter ergeben keinerlei Sinn. Zumeist ist auch festzustellen, dass die Beschriftung von Dingen durch die Verwendung der osmanischen Schrift erfolgte und nicht aus der Feder eines geübten Schreibers stammt. Dies legt die Vermutung nahe, dass die Karikaturisten wohl gelegentlich nach Schriftvorlagen ihrer muslimischen Kollegen arbeiteten, um Gegenstände zu bezeichnen. Die Satirezeitschriften, die im Rahmen der vorliegenden Arbeit zur Untersuchung herangezogen wurden, bieten über die Signatur und die Initialen des Künstlers hinaus keinerlei weitere Hinweise. Ebenso geben die Sekundärquellen wenig Aufschluss über die Identität der osmanischen Karikaturisten dieser Periode. Einer der berühmtesten Künstler jener Jahre war aber zweifellos Nişan Berberyan, der unter anderem für Hayal tätig war. Berberyan entstammte einem armenischen Milieu, wurde 1842 in Istanbul geboren und verstarb 1907 ebendort. Obwohl er zu den schöpferischsten Karikaturisten seiner Zeit gehörte, ist über sein Geburts- sowie Todesdatum hinaus nicht viel von ihm bekannt.423 Berberyan war nicht nur Karikaturist und Graveur, sondern auch Publizist. Ab 1882 übernahm er den Verlag seines früheren Arbeitgebers B. Cevizciyan und brachte
422 Çeviker, Gelişim I, S. 109. Auf den Seiten 109–116 führt Çeviker alle bekannten Künstler samt ihrer bekannten Signaturen auf. 423 Zu Berberyan, siehe bei Çeviker, Gelişim I, S, 109f.
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von 1882–1888 die Zeitschrift Purasda Mangants (Kindergarten) heraus. Zu dem publizierte er von 1894–1907 einen Volksalmanach.424 Erste Erfahrungen als Karikaturist sammelte er bei dem armenischen Satireblatt Mamul.425 Es ist allerdings nicht feststellbar, wann seine ersten Karikaturen bei Hayal erschienen. Denn die ersten Karikaturen, die die Signatur Berberyans tragen, erschienen in der 8. Ausgabe von Hayal. Die ersten beiden Karikaturen, die in der 6. und 7. Ausgabe erschienen, sind nicht signiert. Außerdem ist nicht feststellbar, wie lange er tatsächlich für Kasap arbeitete, denn die letzte Karikatur, die seine Signatur trägt, erschien in der 98. Ausgabe. Berberyan fertigte für die Zeitschriften Tiyatro (Theater, 1874), Geveze und Meddah ebenfalls Karikaturen an. Berberyan gehörte offensichtlich zu den wenigen Nichtmuslimen, die ebenso auch die osmanische Schrift beherrschten. In der Zeitschrift Tiyatro sind einige Zeichnungen mit Berberyan unterschrieben, allerdings mit arabischen Buchstaben.426 Die Bildsatiren, die von der 99. bis zur 110. Nummer in Hayal erschienen, tragen ebenfalls keine Signatur. Erst in der 111. Ausgabe sind unter der Karikatur die Initialen N. P. und Φ. Z. (F. Z.) zu finden. Zu diesen Personen gibt es keinerlei weitere Informationen. Vermutlich handelt es sich bei Φ. Z. um einen griechisch stämmigen Mitarbeiter, da er zum Signieren seines Werkes griechische Buchstaben verwendete. Es ist aber nicht feststellbar, wer von beiden der Karikaturist war und wer der Graveur. Der Name Santr, zu dessen Person ebenfalls keinerlei Daten oder Informationen vorliegen, taucht ab der 159. Nummer auf. Insgesamt neunzehn Karikaturen, die zwischen der 159. Nummer und der 183. Nummer erschienen, tragen seine Signatur. Die 183. Nummer ist auch die letzte Nummer, deren Karikatur signiert ist. Die folgenden Bilder, die bis zur Einstellung der Satirezeitschrift 424 Çeviker, Berberyan, S. 10. 425 Ibidem. 426 Vgl. Tiyatro, No. 2, 24. Mart R. [5. April 1874], S. 4. Die erste Nummer der Zeitschrift Tiyatro erschien am 20. Mart 1290 R. [1. April 1874]. Herausgeber war der armenische Schriftsteller Agop Baronyan. Bisher war Tiyatro noch nicht Gegenstand der Wissenschaft, obwohl diese Zeitschrift ebenso eine Reihe von Illustrationen und Karikaturen veröffentlichte. Bis auf spärliche Informationen ist nicht viel über diese Zeitschrift bekannt. Dieser Umstand verdeutlicht, dass in diesem Bereich noch einige Forschungslücken bestehen. Basiret veröffentlichte gelegentlich Illustrationen und Zeichnungen, die bisher keinerlei wissenschaftliche Beachtung gefunden haben. Vgl. Basiret, No. 1433, 16. Kânun-i sâni 1290 R. [28. Januar 1875], S. 1. Die eingehende Bearbeitung der erwähnten Periodika muss jedoch weiteren Arbeiten vorbehalten bleiben.
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erschienen, tragen weder Initialen noch Signaturen. Somit sind bislang nur drei Karikaturisten zu identifizieren, die für Hayal Zeichnungen angefertigt hatten. Ein weiterer Name der auftaucht, ist Simon. Bei ihm handelt es sich vermutlich um einen Graveur, da sein Name nur zusammen mit Berberyan auf wenigen Karikaturen zu finden ist. Da im Rahmen dieser Arbeit auch Karikaturen vorgestellt werden, die nicht aus Hayal stammen, sondern den Satirezeitschriften Lâtife und Çaylak entnommen wurden, ist es notwendig, auch deren Schöpfer vorzustellen. Über die Karikaturisten, die für die Satirezeitschriften Lâtife und Çaylak arbeiteten, ist ebenfalls wenig bekannt. Eine Signatur, die häufig unter den graphischen Bildsatiren zu finden ist, ist Tınghır. Es gibt allerdings sehr wenige Informationen, die Auskunft über ihn erteilen. Sein Name ist vermutlich die Abkürzung von Tınghıryan, die zu den berühmten armenischen Familien Istanbuls gehörten. Tınghırs Arbeiten erschienen in den Zeitschriften Lâtife, Tiyatro und zuletzt in Çaylak.427 Wie Berberyan arbeitete Tıngır ebenfalls für das armenische Satireblatt Mamul. Unter den Karikaturisten der ersten Stunde ist lediglich Ali Fuad Beğ auszumachen, der von muslimischer Herkunft war. Über seine Person und seinen Werdegang ist allerdings wenig bekannt. Lediglich sein Todesdatum, der 27. August 1919, konnte bislang ermittelt werden.428 Seine ersten Karikaturen fertigte Ali Fuad Beğ für Letaif-i Âsar an. Ab April 1875 arbeitete er für Kahkaha als Karikaturist. Im August desselben Jahres erwarb er diese Zeitschrift von Ali Efendi, musste diese allerdings kurze Zeit später schließen. Im Februar des Jahres 1877 nahm er erneut seine Tätigkeit als Karikaturist auf, diesmal für die Satirezeitschrift Çaylak, und arbeitete bis zur Einstellung dieser Zeitschrift dort. Nach fast dreißig Jahren, in denen innerhalb der Grenzen des Osmanischen Reiches keine Satirezeitschriften erscheinen durften, begann er im August des Jahres 1908 mit der Veröffentlichung seiner eigenen Satirezeitschrift Karagöz, für die er die Protagonisten des osmanischen Schattentheaters wählte, wie schon vor ihm sein Zeitgenosse Kasap bei Hayal. Karagöz erschien von August 1908 bis August 1919.429 Während der Tanzimat-Periode etablierte sich neben den Satirezeitschriften auch die Karikatur im Osmanischen Reich.430 So entwickelte sich ab der Mitte 427 Çeviker, Gelişim I, S. 114. 428 Heinzelmann, Balkankrise, S. 62. 429 Ibidem. 430 Karikaturen, Bilder und Fotografien fanden erst ab den 1850er Jahren Eingang in die Alltagskultur der Istanbuler. Zuvor bekamen nur Angehörige des Palastes sowie die
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der 1850er Jahren der Beruf des Karikaturisten in Istanbul. Über die Lebenswelt dieser Karikaturisten ist bislang wenig bekannt. Über ihre veröffentlichten Zeichnungen hinaus gibt es, wie bereits erwähnt, lediglich karge Information zu ihrer Biographien.431 Wie alle Satiriker, so observierte der Karikaturist seine Umwelt scharf. Mit größter Wahrscheinlichkeit verkehrten sowohl die Publizisten osmanischer Satirezeitschriften sowie ihre Mitarbeiter in denselben Kreisen. So verarbeiteten die Karikatur-Künstler ihre Beobachtungen in ihren Arbeiten.432 Es entstanden Figuren, die aus ihrer Welt entlehnt zu sein scheinen. Als eines dieser Beispiele ist der Çaylak Baba aufzuführen, ein Mischwesen, der den Körper eines Mannes und den Kopf einer Weihe trägt.433 Er ist der Protagonist der gleichnamigen Zeitschrift, der ähnlich wie Mr. Punch teilweise in den Karikaturen von Çaylak auftaucht. Auffällig an Çaylak Baba ist, dass er europäische Kleidung trägt oder Accessoires, wie zum Beispiel ein Binokel oder einen Spazierstock. In der Regel hat er aber als Kopfbedeckung einen Fez. Folglich repräsentiert er einen alafranga Efendi, eine Person, die sich europäische Gepflogenheiten zu Eigen
Anhänger einiger Derwischorden solche Bilder überhaupt zu Gesicht. Vgl. Suraiya Faroqhi, Kultur und Alltag im Osmanischen Reich. Vom Mittelalter bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts, 2. Aufl., München 2003, S. 285ff. 431 Vergleichbare Arbeiten, die Einblick in die Lebens- und Schaffenswelt osmanischer Karikatur-Künstler des 19. Jahrhunderts geben, wie zum Beispiel zu Honoré Daumier, einem der berühmtesten französischen Künstler, fehlen vollständig. Vgl. Markus Müller (Hg.), Honoré Daumier. Paris: Der Schein vom Sein, Münster 2009. 432 Der Zeichner Hergé hinterließ eine umfangreiche Materialsammlung, die er für die Anfertigung seiner Arbeiten verwendete. Oft bannte er detailgetreu seine Vorlagen auf Papier. Aufgrund seines Nachlasses, gelang es Michael Farr, diejenigen Vorlagen eindeutig zu identifizieren, die in die Arbeiten des Zeichners Hergés eingeflossen sind. So konnte er genau den Schaffens- und Entstehungsprozess der Comics von Hergé fast minutiös rekonstruieren. Für den osmanischen Kontext ist die Forschung noch in den Kinderschuhen. Es sind umfangreichere Recherchearbeiten notwendig, um evtl. Vorlagen, die aus illustrierten Zeitungen, Fotographien, Katalogen, Postkarten, oder anderen Bildmaterialen bestehen können, ausfindig zu machen. Erst dadurch wird es möglich, genauere Aussagen bezüglich der Vorlagen osmanischer Karikaturisten zu treffen. Vgl. Michael Farr, Auf den Spuren von Tim & Struppi, Hamburg 2006. 433 Anthropozoomorphen Mischwesen sind Teil der Mythologie. Sie sind unter anderem auch in der griechischen Mythologie zu finden, als auch in der ägyptischen.
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gemacht hat. Der Typus des alafranga Efendi kam mit der Bekleidungsreform von Mahmud II. einher, der die Fez-Pflicht für seine Beamtenschaft einführte.434 In einigen Karikaturen erscheint Çaylak Baba allerdings auch in der archa ischen, osmanischen Kleidung. Somit stellt er nicht nur ein Mischwesen zwischen Mensch und Tier dar, sondern vereinigt Elemente aus Ost und West. Auch Karagöz, der Protagonist der Satirezeitschrift Hayal, erscheint häufig als alafranga Efendi.435 Dieser neue Typus Mann, der im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts zum Stadtbild des modernen Istanbuls gehörte, hielt sich vornehmlich in Vierteln wie Pera auf und strebte nach einem europäisierten Leben. Der Spott und der Hohn, mit dem die osmanischsprachigen Satirezeitschriften den alafranga Efendi436 kommentierten, ist vermutlich als eine Antwort auf die zunehmende Dominanz der europäischen Mode, Kultur und Wirtschaft zu verstehen, die sich besonders seit dem Krimkrieg verstärkt in der osmanischen Hauptstadt ausbreitete.437 Hinzu trat der Umstand, dass gewisse Schichten das Europäische, welches sie als fortschrittlich betrachteten, völlig unreflektiert und kritiklos annahmen und ihre bisherigen Werte missachteten, die sie als Rückständigkeit oder Schwäche wahrnahmen. Sowohl Männer als auch Frauen der osmanischen Oberschicht, seien es Muslime oder Nichtmuslime, streiften ihre traditionellen Kleider ab und entwickelten eine starke Affinität zur europäischen Mode.438 Neben der westlichen Kleidung hielten auch Luxusgüter und
434 Hut oder Zylinder trugen zumeist Europäer, während der Fez von muslimischen und nichtmuslimischen Beamten getragen wurde. Somit war anhand des Fez’ keine konfessionelle Trennung auszumachen. 435 Zumeist sitzen die europäischen Kleidungsstücke bei Karagöz nicht richtig, dies ist als Indiz zu deuten, dass er keineswegs weiß, wie er seine neue Kleidung zu tragen hat, aber sich dennoch nach europäischem Vorbild kleidet, um fortschrittlich und modern zu wirken. Er imitiert lediglich die Europäer, ohne genau zu wissen, worauf er achten muss, damit ihm die Kleidung auch passt und tatsächlich steht. 436 Vgl. Hayal, No. 12, 1. Kânun-i evvel 1289 R. [13. Dezember 1873], S. 4. 437 Der Krimkrieg demonstrierte der osmanischen Herrscherelite den Nutzen westlicher Technik im Transport- und Nachrichtenwesen und löste einen regelrechten innovationsschub, besonders in der Verbreitung des Telegrafennetzes, aus. Kurz nach dem Ende des Krieges wurde auch die erste osmanische Eisenbahnlinie errichtet. Siehe: Markus Klenner, Eisenbahn und Politik 1758–1914, Wien 2002, S. 99ff. 438 In den Jahren zwischen 1870–1877 erschien eine Reihe von Karikaturen, die sich sowohl auf die neue Mode als auch auf deren Rezeption in der Gesellschaft bezogen. Es ist im Rahmen dieser Arbeit nicht möglich, dieses Thema mit der Ausführlichkeit zu bearbeiten, die sie erfordert. Denn hinter der Karikierung steckt zum einen die veränderte Wahrnehmung der Frau, die zum ersten Mal in den Karikaturen
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Gebrauchsgegenstände aus Europa Einzug in die Paläste und Villen der osmanischen Elite und somit auch in die Karikaturen, die diese Mode und Gegenstände zumeist abbildeten.439 Die Bildsatiren aus dieser Zeit visualisieren nicht nur Inhalte der satirischen Zeitschriften, sondern zeigen darüber hinaus Szenen aus dem hauptstädtischen Leben, wie zum Beispiel von den Istanbuler Straßen,440 Vergnügungsorten oder Szenen aus nichtmuslimischen, europäisierten Privathaushalten. Dadurch, dass Publizisten wie Teodor Kasap sowie ihre Zeichner zumeist multilinguale Kosmopoliten waren, flossen alle Elemente in ihre Werke mit ein, die in ihrer Welt gegenwärtig waren. So sind auch die osmanischen Karikaturen, ähnlich wie die Inhalte der Blätter, vielfältig. Ebenso stellten die Künstler in ihren Bildern die vielfältigen Gestalten der Istanbuler Straßen dar, wie zum Beispiel Verkäufer von Sesamkringeln (simit), Lastenträger (hammal), osmanische Handwerker und Händler.441 Desgleichen karikierten sie die unzureichenden öffentlichen Transportmittel wie die Fähren der (Wohltätige Gesellschaft),442 die schmutzigen Straßen Istanbuls, die schlechte Beleuchtung und andere infrastrukturelle Probleme der visualisiert wird, obwohl sie im Alltagsleben zumeist ein unscheinbares Leben am Rande der männlich dominierten Gesellschaft führt. Besonders ab den 1870er Jahren dachten Intellektuelle und Publizisten in der Öffentlichkeit über die Stellung der Frau in der osmanischen Gesellschaft nach; sie waren bestrebt, sie ebenfalls an der Moderne und am (auch geistigen) Fortschritt teilhaben zulassen. Das wird besonders auch aus dem Umstand deutlich, dass Zeitungen und Zeitschriften speziell für Frauen konzipiert und veröffentlicht wurden. Die Kritik an der Mode birgt auch Gesellschaftskritik in sich, zumeist zu ungunsten der osmanischen Frauen ausgetragen, die angeblich modehungrig westliche Importe konsumieren. Bislang gibt es allerdings kaum umfassende wissenschaftliche Untersuchungen, die sich mit den Frauenzeitschriften oder den Karikaturen von Frauen vor 1908 beschäftigen. Auch diese Arbeit kann diese Lücke nicht füllen, sondern lediglich auf sie hinweisen. 439 Gegen Ende des 19. Jahrhunderts nahmen westliche Möbel Einzug in die Haushalte der osmanischen Oberschicht. Siehe: Faroqhi, Kultur und Alltag, S. 296f. 440 Vgl. Hayal, No. 209, 4. Teşrin-i evvel 1291 R. [16. Oktober 1875], S. 4; Hayal, No. 19, 27. Kânun-i evvel 1289 R. [8. Januar 1874], S. 4. Zum einen bilden die Karikaturen ganz klar Szenen aus dem elitären Leben Istanbuls ab, zum anderen aber auch das gewöhnliche Straßenbild Istanbuls. 441 Vgl. Hayal, No. 18, 22. Kânun-i evvel 1289 R. [3. Januar 1874], S. 4; Hayal, No. 88, 27. Temmuz 1290 R. [8. August 1874], S. 4. 442 Diese Dampfschiffgesellschaft wurde 1851 gegründet. Zu den Aktionären dieser Gesellschaft gehörten der Sultan sowie Mitglieder seines Haushalts und andere hochrangige Bürokraten. Oft steht auch die Misswirtschaft dieser Gesellschaft in der
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osmanischen Hauptstadt. Somit übten die Karikaturisten chiffriert Kritik an der Hohen Pforte, die für die Instandhaltung und Modernisierung der städtischen Infrastruktur zuständig war. Ferner gibt es ebenso Illustrationen vom Gedikpaşa Theater sowie von anderen Etablissements, die zumeist von Angehörigen der Istanbuler Elite besucht wurden, wie zum Beispiel vom Strandbad.443 Hayal zeigt zum Beispiel die Innenansicht einer Lesestube (kıraathâne). Dort ist zu sehen, wie Männer, gekleidet im stambulin und mit einem Fez auf dem Kopf, auf ihren Stühlen sitzend Zeitungen lesen, die sie vor sich auf einem Tisch ausgebreitet haben.444 Auch die Lesestube war ein Ort, an dem sich vornehmlich die gebildeten Schichten Konstantinopels trafen. Folglich spiegeln die Karikaturen nicht irgendeine osmanische Stadt wider, sondern ihre Hauptstadt, mit all ihren Problemen und ihren unterschiedlichen Figuren. Somit bieten diese Bildsatiren einen Einblick in die Welt der Istanbuler Elite und geben Auskunft über die Themen, die die Karikaturisten beschäftigten. Um diese Dinge karikieren zu können, mussten Themen und Objekte sowohl in der Alltagswelt des Karikaturisten als auch in der Welt seiner Rezipienten präsent sein. Für das Verständnis der Karikaturen war es daher unerlässlich, dass die Rezipienten die Abbildungen zum einen erkennen konnten, zum anderen war auch vorausgesetzt, dass sie wussten, welche Funktion sie erfüllten. Hayal veröffentlichte zum Beispiel eine Karikatur, die eine Szene beim Fotographen zeigt.445 Vor dem Apparat sitzt eine muslimische Frau mit einer ferace (Gesichtsschleier), die zum Fotographen sagt: „Oh Meister, arbeite bitte sorgfältig, damit ich auf dem Bild zu erkennen bin.“446 Der Betrachter muss wissen, dass es sich bei dem abgebildeten Gegenstand um eine Kamera handelt, die Bilder aufnehmen kann, denn die Karikatur wird erst dann grotesk, wenn der Betrachter weiß, dass das Gesicht der verschleierten Frau auf dem Bild nicht zu erkennen sein wird, obwohl sie genau dies vom Fotographen fordert. Für jemanden, der noch nie zuvor eine Kamera gesehen hat, geschweige denn eine Fotografie, macht diese Karikatur keinen Sinn. Man kann sie auch keineswegs durch ihren Begleittext erschließen. Somit setzten
Kritik von Hayal. Vgl. Hayal, No. 10, 24. Teşrin-i sâni 1289 R. [6. Dezember 1873], S. 4; Hayal, No. 21, 2. Kânun-i sâni 1289 R. [14. Januar 1874], S. 4. 443 Vgl. Hayal, No. 82, 6. Temmuz 1290, S. 4; Hayal, No. 83, 10. Temmuz 1290, S. 4. 444 Vgl. Hayal, No. 105, 25. Eylül 1290, S. 4. 445 Hayal, No. 119, 13. Teşrin-i sâni 1290 R. [25. November 1874], S. 4. 446 Aman usta dikkat et iyi benzesin. Ibidem.
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die Karikaturisten voraus, dass die Betrachter ihrer Werke, damit sie diese entschlüsseln konnten, einen gewissen Grad an Bildung besaßen. Die Dame scheint nicht mit der Funktionsweise einer Kamera vertraut zu sein. So richtet sich der Spott dieser Bildsatire offensichtlich gegen Angehörige der Istanbuler Oberschicht, die zwar über die nötigen finanziellen Mittel verfügen, um zum Beispiel einen Fotographen aufzusuchen, aber sich in keinster Weise mit der Funktionsweise der westlichen Apparate auskennen.447 Aus den untersuchten osmanischsprachigen Satirezeitschriften geht hervor, dass die Karikaturisten hauptsächlich in Absprache mit Herausgeber des Blattes arbeiteten. Zumeist standen ihre Werke in einem engen inhaltlichen Zusammenhang mit den publizierten Dialogen (muhaveres). Nach dem Ausbruch des Russisch-Osmanischen Kriegs von 1877–1878, möglicherweise aufgrund der verschärften Zensur, wurden die Karikaturen von Hayal unabhängiger vom restlichen Inhalt der Zeitschrift. Neben den Beobachtungen, die die Karikaturisten vermutlich vornehmlich in ihrer Alltagswelt machten, dienten zumeist auch westliche Satirezeitschriften wie Charivari, Punch oder Kladderadatsch als Vorlage für ihre Arbeiten.448 Dies ging so weit, dass die osmanischen Karikaturisten sogar Reproduktionen westlicher Karikaturen anfertigten. Allerdings setzten sie sie durch Hinzufügung osmanischer Symbolik (z. B. Karagöz, Çaylak Baba) durch den Begleittext oder mithilfe anderer Schriftelemente, die in die Karikatur eingefügt wurden, in einen explizit osmanischen Kontext. Jedoch ist keineswegs davon auszugehen, dass es sich bei den Adaptionen lediglich um „Kopien“ handelt. Vielmehr entstanden Mischformen sowohl in der Gesellschaft, wie der alafranga Efendi, als auch in der Kunst. Die Karikaturisten bedienten sich ebenfalls der Elemente osmanischer Unterhaltungskünste, wie zum Beispiel am Karagöz Theater. Berberyan war der erste Künstler, der die Formen der Figuren aus dem Schattentheater in seine Karikaturen übertrug. Zum Verständnis der politischen Bilder war es überaus wichtig, dass die Rezipienten die Allegorien, Figuren und Symbole wiedererkannten, um überhaupt ihre Botschaft zu verstehen. Gelang dies den Rezipienten nicht, blieb die Karikatur wirkungslos.
447 Laut Çizgen berichtete im Osmanischen Reich erstmals die Zeitung Takvim-i Vekayi ihren Lesern von der Erfindung der Daguerreotypie in ihrer Ausgabe vom 28. Oktober 1839. Zur Geschichte der Fotografie im Osmanischen Reich siehe: Engin Çizgen, Photography in the Ottoman Empire 1839–1919, Istanbul 1987. 448 Vgl. hierzu Kapitel 7 dieser Arbeit.
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Ferner setzten die Karikaturisten voraus, dass ihre Rezipienten sowohl die westliche Symbolik kannten als auch die östliche, damit sie ihre Bilder entschlüsseln konnten. Denn wesentliche Bestandteile der graphischen Bildsatiren aus den osmanischsprachigen Satirezeitschriften sind sowohl westliche als auch östliche Allegorien und Metaphern sowie Symbole, die erst ihre Wirkung entfalten, wenn sie vom Betrachter unmittelbar verstanden werden. Adaptionen und Aneignung von westlicher Kunst und Literatur waren während der Tanzimat-Periode keineswegs etwas Ungewöhnliches oder gar Spektakuläres mehr, auch wenn sie teilweise auf oppositionelle Stimmen stießen.449 Zuvor hatten Adaptionen des europäischen Theaters sowie der Literatur Eingang in die osmanische Welt der Literatur gefunden. Die osmanische Elite war bestrebt, am zeitgenössischen Fortschritt teilzuhaben. Schriftsteller, Dichter, Journalisten und Künstler, die sich für die Aneignung europäischer Romane, die Theaterpraxis oder gar Lebensstile einsetzten, begründeten ihre Entscheidungen damit, dass sie am Fortschritt teilhaben wollten. Durch den Fortschritt, so hofften diese Kreise, könne der Zerfall des Reiches aufgehalten werden. Während dieser Jahre dominierte der Fortschrittsgedanke das Handeln der Elite, auch wenn es kritische Stimmen gab, die dieser unreflektierten Übernahme durchaus nichts „Fortschrittliches“ abgewinnen konnten. Denn einerseits bewunderte ein Teil der Oberschicht Europa für dessen Errungenschaften, doch andererseits waren dieselben Leute sich auch durchaus bewusst, wie stark die Verachtung „des kranken Mannes“ am Bosporus in den europäischen Medien auftrat. Außerdem musste der Betrachter der Bildsatiren umfassend über das politische, literarische und gesellschaftliche Leben Istanbuls informiert sein. Denn die Karikaturen bezogen sich unter anderem auch auf konkrete politische oder gesellschaftliche Ereignisse. So veröffentlichten die osmanischsprachigen Satirezeitschriften zum Beispiel politische Bilder, die Bezug auf den Zusammenbruch der Börse nahmen oder auf den Staatsbankrott.450 Es ist nicht feststellbar, über welche Bildungswege die Karikaturisten ihr Handwerk erlernten, vermutlich handelte es sich bei den meisten um Autodidakten, die über Zeichentalent verfügten und ihre Erfahrungen bei der nichtmuslimischen Satirepresse sammelten. Deshalb unterscheiden sich auch die 449 Osmanen konnten in den europäischen Geschäften Istanbuls französischsprachige Bücher und Presseerzeugnisse erwerben. Französisch war unter den Angehörigen der osmanischen Oberschicht die verbreitetste Fremdsprache. Vgl. Fatma Müge Gökçek, Rise of the Bourgeoisie, Demise of Empire: Ottoman Westernization and Social Change, New York 1996, S. 122. 450 Vgl. Hayal, No. 15. Haziran 1290 R. [27. Juni 1874], S. 4.
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Bildsatiren stark vom Duktus ihrer europäischen Kollegen. Zumeist sind die Karikaturen jener Jahre ziemlich realitätsnah und detailgetreu gezeichnet. Es gab aber auch Karikaturisten, die vermutlich ihre Ausbildung in Europa erhielten, denn sie stehen ihren westlichen Kollegen künstlerisch keineswegs nach. Somit variieren die Karikaturen hinsichtlich ihrer Raffinesse und ihrer Qualität während dieser Jahre sehr stark. Wie bereits erwähnt, vereinten die Karikaturen sowohl Bild als auch Schrift. Die Textelemente kamen in Form von Bildunterschriften oder -überschriften vor oder als Aufschriften in den Karikaturen. Somit beruhte die Komik der Bildsatiren meistens auf der Kombination dieser Elemente.
3.4 Die Inhalte von Hayal – Ein Überblick Das thematische Spektrum, welches Hayal ihren Lesern bot, ist vielschichtig. Aufgrund der Fülle der Beiträge, die verschiedene Thematiken aufgreifen, die in jenen Jahren hauptsächlich die osmanische Elite beschäftigte, kann in diesem Abschnitt der Inhalt dieser Zeitschrift nur grob umrissen werden. Der Aufbau und die Aufmachung von Hayal blieben über den gesamten Zeitraum ihrer Publikation konstant. Jede Ausgabe, bis auf wenige Ausnahmen, beginnt mit der Rubrik muhavere (Dialog), die in der Funktion eines Leitartikels gleich auf der ersten Seite erscheint. Zumeist tragen diese muhavere keine Über- oder Unterschriften, wie die meisten anderen Beiträge und Artikel auch. Das Ende von Artikeln und Beiträgen ist durch graphische Elemente kenntlich gemacht. Wie bereits erwähnt, erschien Hayal in der osmanischen Hauptstadt. Dementsprechend porträtieren die Seiten dieser Satirezeitschrift vornehmlich das Istanbuler Leben in jenen Jahren. In der Berichterstattung von Hayal stehen hauptsächlich Problematiken im Vordergrund, die besonders die osmanische Hauptstadt betrafen. Sowohl die staubigen Straßen Istanbuls, die schlechte Beleuchtung der Straßen sowie die unzureichenden öffentlichen Transportmittel veranlassten die Autoren dieser Satirezeitschrift, sich eingehend mit den der osmanischen Hauptstadt eigenen Problematiken zu beschäftigen.451 Aber auch andere Unannehmlichkeiten des Alltags in Istanbul fanden Eingang in die Seiten von Hayal, wie zum Beispiel die Barschheit und das schlechte Benehmen der Lastenträger (hammal) in der Öffentlichkeit. 451 In der muhavere, die in der 5. Ausgabe von Hayal erschien, berichtet Hacivat von seinen Problemen die er erlebte, als er eine Fähre nahm, um einen Freund zu besuchen. Vgl. Hayal, No. 5, 3. Teşrin-i sâni 1289 R. [15. November 1873], S.1f.
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Die Modernisierungspolitik der Tanzimat-Reformer hatte einen kulturellen Wandel in Gang gesetzt, der in dem zunehmend westlich geprägten Lebensstil der osmanischen Oberschicht Istanbuls besonders sichtbar wurde. Eben jene Mitglieder der osmanischen Elite standen der Einfuhr von kulturellen Neuheiten aus Europa offener gegenüber. Wiederholt machte Hayal den Lebenswandel der westlich orientierten osmanischen Elite zur Zielscheibe des Spottes. Besonders den Wandel im Kleidungsstil dieser Männer und Frauen karikiert Hayal häufig in den literarischen Beiträgen sowie in den graphischen Satiren.452 Nachrichten und Ereignisse aus den Provinzen standen kaum im Fokus der Berichterstattung von Hayal. Zumeist fanden Kuriositäten, die sich in den Provinzen ereignet hatten, Eingang in Hayal. So erschien in der 177. Ausgabe von Hayal die Nachricht, die aus dem Amtsblatt des Sandschaks von Kastamonu entnommen worden war, dass in eben jenem Gebiet ein Kind zur Welt kam, welches keinerlei primäre Geschlechtsmerkmale aufwies.453 Allerdings stand auch die Entwicklung der Provinzpresse gelegentlich im Fokus der Berichterstattung von Hayal. In der 156. Nummer erschien ein Artikel mit dem Titel „Ein Priester wird Journalist“, in dem bekanntgegeben wird, das nun auch in Izmir eine osmanischsprachige Satirezeitschrift (soytarı gazetesi) mit dem Namen „Kara Sinan“ (Schwarzer Sinan) von einem griechischen Geistlichen454 herausgegeben werde.455 Kasap schreibt, er selbst habe bislang nur die 4. Nummer einsehen können, aber von einem Reporter aus Izmir habe er Briefe bekommen, die zu den Hintergründen dieser Zeitschrift Informationen lieferten.456 Aber auch in anderen Städten veröffentlichten christliche Geistliche wohl Zeitungen, dies ist einem Beitrag von Hayal zu entnehmen, in der sie über eine Zeitung in Aydın spottet, die dort ein Geistlicher herausgäbe.457
452 Vgl. Hayal, No. 8, 14. Teşrin-i sâni 1289 R. [26. November 1873], S. 4. 453 Hayal, No. 177, 22. Temmuz 1291 R. [3. August 1875], S. 2–3. 454 Hayal, No. 164, 21. Haziran 1291 R. [3. Juli 1875], S. 2. 455 Dieser Priester war wohl seit geraumer Zeit ebenfalls als Publizist tätig und hatte zuvor auch eine griechische Satirezeitschrift, „Pfeil“ herausgegeben. Hayal kommentiert dies folgendermaßen: „Als ob es nicht reicht, dass er angeblich die Christen in Izmir veredelt hat, nun will er auch die Muslime verbessern“. Hayal, No. 156, 3. Haziran 1291 R. [15. Juni 1875], S. 2. 456 Die Zensur griff auch außerhalb der osmanischen Hauptstadt zu. Aus der Zeitung Vakit ist zu entnehmen, dass auch Kara Sinan von behördlichen Sanktionsmaßnahmen betroffen war. Vgl. Vakit, No. 159, 13. Teşrin-i sâni 1291, S. 1. 457 Hayal, No. 170, 5. Temmuz 1291 R. [17. Juli 1875], S. 3.
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Aus einigen Artikeln, die Hayal veröffentlichte, wird deutlich, dass die hauptstädtischen Periodika das Bindeglied zwischen den Provinzen und der Hauptstadt darstellten, aus der häufig Meldungen oder Nachrichten übernommen wurden.458 Wie aus der 190. Nummer von Hayal hervorgeht, veröffentlichten die amtlichen Provinzzeitungen sogar Lobsprüche auf bestimmte Istanbuler Zeitungen.459 Im Vergleich zur Istanbuler Presse ist die Anzahl der Provinzblätter gering, die in einer Hacivat und Karagöz muhavere thematisiert werden.460 Auch in den Karikaturen sind Personen aus der Provinz eher als Ausnahmeerscheinung zu betrachten. In der 154. Ausgabe veröffentlichte Hayal eine Karikatur, die über die Ignoranz der Menschen aus den Provinzen spottet, die keinen Sinn für Zeitungen und Zeitschriften haben. Auf dieser Karikatur sind zwei Männer abgebildet, der rechte ist in traditioneller osmanischer Kleidung dargestellt und der linke trägt moderne Kleidung. Der moderne Istanbuler Osmane bietet dem Provinzler eine Zeitung zum Kauf an; dieser lehnt das Angebot mit der Begründung ab, dass 40 Para für eine Zeitung viel zu teuer wären, da er einige Schritte weiter ein ganzes okka für 3 Piaster (damit meint er den Altpapierhändler) erwerben könne.461 Außer der muhavere, gab es wenige Rubriken, wie zum Beispiel die Leserbriefe, die durchgehend ein Bestandteil der Zeitschrift Hayal waren. Ein Teil der vierten Seite, nach der Signatur des Herausgebers, war Bekanntmachungen und Anzeigen vorbehalten. Ebenso veröffentlichte Hayal häufig auch Leserbriefe, Witze, Anekdoten, Gedichte, oder Kurzmeldungen, die zumeist ohne Überschrift erschienen. In den folgenden Kapiteln wird eine kleine Auswahl an Themen vorgestellt, denen sich Hayal widmete.
3.5 Kasaps Kritik am osmanischen Theater Mehr als dem Roman galt Kasaps Interesse dem Theater. Aus seiner Perspektive, die er mit seinem Freund Kemal teilte, war das Theater allen anderen Formen
458 Hayal, No. 213, 14. Teşrin-i evvel 1291 R. [26. Oktober 1875], S. 2. 459 In der 190. Nummer von Hayal erschien ein Nachdruck der Lobrede auf die Zeitung Şems (Sonne), die die amtliche Provinzzeitung Trabzon veröffentlicht hatte. Hayal, No. 190, 21. Ağustos 1291 R. [2. September 1875], S. 2. 460 Hayal, No. 189, 19. Ağustos 1291 R. [31. August 1875], S. 1. In dieser muhavere spotten Hacivat und Karagöz über die Berichterstattung dieser amtlichen Zeitung. „Diese Zeitung schreibt immer nur Nützliches und Wichtiges, denn der Staat finanziert den Druck dieser Zeitung.“ 461 Hayal, No. 154, 29. Mayıs 1291 R. [10. Juni 1875], S. 4.
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der Unterhaltung vorzuziehen, da es sowohl der Zerstreuung diene als auch der Moralbildung (ahlâk ve âdaba hidmet).462 Bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts erfreuten sich im Osmanischen Reich das Schattentheater Karagöz sowie das Improvisationstheater Ortaoyun großer Popularität. Das Theater im aristotelischen Sinne war bis in die 1870er Jahre hinein nur einer kleinen osmanischen Elite bekannt. In Istanbul gab es zwar seit dem frühen 19. Jahrhundert zahlreiche professionelle sowie Amateurtheatertruppen, die Theaterstücke aufführten, aber meist in nicht-osmanischen Sprachen und im nicht-öffentlichen Raum.463 Häufig gaben auch französische und italienische464 Theaterkompanien Gastspiele in Pera für das hauptsächlich nicht-türkische Publikum.465 Darüber hinaus gaben europäische Theaterkompanien oder Opernensembles in den Botschaften Istanbuls Gastauftritte vor auserwählten Zuschauern.466 Die Gründung der ersten armenischen Amateurtheatertruppe erfolgte im Jahr 1810. Diese Gruppe führte ihre Stücke ausschließlich in der Residenz eines wohlhabenden Armeniers in Kuruçeşme auf, und somit war es deshalb nur einem auserlesenen Publikum möglich, den Vorstellungen beizuwohnen.467 Erst ab den 1830er Jahren entstanden in Istanbul weitere Gebäude, die in erster Linie 462 Hayal, No. 4, 31. Teşrin-i evvel 1289 R. [12. November 1873], S. 1. 463 Es kamen auch Theatergruppen aus Europa, um ihre Aufführungen in den Istanbuler Botschaften darzubieten. Auch die osmanischen Sultane des frühen 19. Jahrhunderts wie zum Beispiel Selim III. oder Mahmud II., die eine Vorliebe sowohl für das europäische Theater als auch für europäische Musik hatten, empfingen diese Schauspielgruppen im Rahmen privater Vorstellungen. Der Besuch dieser theatralischen sowie musikalischen Darbietungen war allein dem Sultan, seinen hohen Würdenträgern sowie einem exklusiven Personenkreis aus dem Sultanspalast vorbehalten und in keiner Weise für die Öffentlichkeit zugänglich. Vgl. Nermin Menemencioğlu, “The Ottoman Theatre 1839–1923”, in: Bulletin (British Society for Middle Eastern Studies), Bd. 10, No. 1 (1989), S. 49–58, S. 49. 464 Die italienische Gemeinde Istanbuls gründete bereits im Jahr 1524, unter der Herrschaft Sultan Süleymans, eine Balletttruppe, zu der auch türkische Tänzer gehörten, die sowohl für das nicht-türkische als auch das türkische Publikum tanzten. Menemencioğlu, “Ottoman Theatre”, S. 49. 465 In Pera ließ auch der Botschafter Louis’ XIV, Marquis de Nointel, bereits im 17. Jahrhundert das erste französische Theater, nach dem Vorbild des Teatro Farnese in Parma, gleich neben dem Botschaftsgebäude errichten, wo Stücke von Molière und Corneille gespielt wurden. Menemencioğlu, “Ottoman Theatre”, S. 49. 466 And, Osmanlı Tiyatrosu, S. 20. 467 Menemencioğlu, “Ottoman Theatre”, S. 49.
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für moderne Theatervorstellungen genutzt wurden, erbaut und geführt von Nichtmuslimen.468 Das moderne Theater erfreute sich ab der Mitte des 19. Jahrhunderts nicht nur zunehmender Beliebtheit bei osmanischen Intellektuellen, sondern auch am osmanischen Hof. Das erste Theater, welches Stücke in osmanischer Sprache aufführte, ließ Sultan Abdülaziz errichten; es gehörte zu seiner neuen Residenz, dem Dolmabahçe Palast, erbaut im Jahre 1858.469 Der Besuch des Dolmabahçe Palast-Theaters (Dolmabahçe Saray Tiyatrosu) war ausschließlich dem Sultan sowie einem erlesenen Personenkreis vorbehalten. Für die Einweihung des neuen, höfischen Theaters schrieb der osmanische Beamte und Schriftsteller İbrahim Şinasi das erste osmanischsprachige Theaterstück, Şair Evlenmesi.470 Zwar hegte Mahmud II. auch eine große Vorliebe für europäisches Theater und für europäische Musik, aber er beließ es bei der Gründung einer Hofkappelle (Muzıka-i Hümayun), die für ihn und einen ausersehenen Personenkreis Stücke von Molière spielte, die Safvet Beğ ins Osmanisch-Türkische übertrug.471 Bis in die 1870er Jahre fanden Theateraufführungen im privaten Rahmen statt und waren infolgedessen für die breite Öffentlichkeit nicht zugänglich. Erst um 1867 formierten sich in Istanbul drei armenische Schauspieltruppen,472 die auch osmanischsprachige Stücke aufführten.473 Unter diesen Theatertruppen war besonders die Asya Kumpanyası (Truppe Asiens) sehr eifrig. Gründer dieser Schauspieltruppe war der Armenier Agop Vartoviyan. Zum Werdegang
468 Bislang gibt es keine gesicherten Daten über deren Errichtungszeitpunkt, deren Anzahl sowie deren Standorte. Das berühmteste Theater jener Jahre war wohl das Naum-Theater im Viertel Beyoğlu, welches im Jahre 1870 einem Brand zum Opfer fiel. Vgl. Menemencioğlu, “Ottoman Theatre”, S. 50. 469 Ibidem, S. 51. 470 Zuerst veröffentlichte die Zeitung Tercüman-i Ahval dieses Stück als tefrika, bevor es als Buch 1860 erschien. Enginün, Türk Edebiyatı, S. 653. Şair Evlenmesi wird zumeist als erstes osmanisch-türkisches Theaterstück aufgeführt, dies ist nur bedingt richtig. Denn schon vor der Publikation von Şinasis Werk haben Literaten osmanisch-türkische Theaterstücke geschrieben, diese fanden lediglich nicht ihren Weg in die Öffentlichkeit. Vgl. Ibidem, S. 26, Fn. 1. 471 And, Osmanlı Tiyatrosu, S. 20. 472 Da das Material zu dieser Thematik recht umfangreich ist, geschieht die Schilderung des Beitrags, den die armenischen Theatergruppen zur Entwicklung des osmanischtürkischen Theaters geleistet haben, nur skizzenhaft. Eine umfassende Untersuchung muss deshalb weiteren Arbeiten vorbehalten bleiben. 473 And, Osmanlı Tiyatrosu, S. 45.
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Agops gibt es kaum gesicherte Daten, deshalb sind sein genaues Geburts- sowie Todesdatum nicht feststellbar.474 Nachdem er seine Schulbildung an einer armenischen Schule abgeschlossen hatte, erhielt Agop seine weitere Ausbildung an der höfischen Musikschule, der Muzıka-i Hümayun.475 Im Jahre 1862 schloss er sich einer armenischen Theatertruppe an, wo er erste Erfahrungen auf der Bühne sammelte. Er spielte auch auf der Bühne des Naum-Theaters, wo er 1866 die Figur des Macbeth verkörperte.476 Diese Theatertruppen spielten hauptsächlich europäische Stücke, die ins Osmanische und Armenische übertragen wurden.477 Im Jahre 1868 gründete Agop zum ersten Mal eine Theatertruppe – mit dem Namen Osmanlı Tiyatrosu (Osmanisches Theater) –, die Theatervorstellungen sowohl in armenischer als auch in osmanischer Sprache aufführte.478 Er übernahm ein Theatergebäude, das sich im Viertel Gedikpaşa befand und unter dem Namen Gedikpaşa Tiyatrosu (Das Theater von Gedikpaşa) bekannt war. Erbaut wurde dieses Gebäude in den 1860er Jahren und war für die Vorstellungen des Zirkus Souillier vorgesehen.479 Erst das Jahr 1870 markiert einen wichtigen Wendepunkt in der Theatergeschichte des Osmanischen Reiches. Denn in diesem Jahr erhielt Güllü Agop von der Hohen Pforte erstmals eine Konzession mit einer Laufzeit von zehn Jahren, welche ihm das alleinige Recht zugestand, Aufführungen von Theaterstücken in osmanischer Sprache zu inszenieren. Die Konzession gab Agop das alleinige Recht, über das Theaterwesen in Istanbul zu bestimmen.480 Somit durfte niemand ohne seine Erlaubnis weder Theatergebäude in Istanbul errichten noch Theaterstücke in osmanischer Sprache aufführen. Infolgedessen war es für andere Schauspielttruppen nicht mehr möglich, in Istanbul Theatervorstellungen in osmanischer Sprache zu geben. Eine Ausnahme bildete die Aufführung von Opern oder Operetten; diese unterlagen nicht seinem Monopol.481 Allerdings erhielt Agop die Auflage, in den verschiedenen Stadtteilen Istanbuls Schauspielhäuser zu errichten und auch dort Vorstellungen zu geben. Des Weiteren hatte er im Jahr mindestens acht Darbietungen auf die Bühne zu bringen; jeweils vier in armenischer und vier in osmanischer Sprache. 474 And, Osmanlı Tiyatrosu, S. 29. 475 Ibidem, S. 30. 476 And, Osmanlı Tiyatrosu, S. 45. 477 Menemencioğlu, “Ottoman Theatre”, S. 51. 478 And, Osmanlı Tiyatrosu, S. 27. 479 Ibidem, S. 34. 480 And, Osmanlı Tiyatrosu, S. 55f. 481 Ibidem.
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Teodor Kasap beobachtete die Entwicklungen des Theaters im Osmanischen Reich stets mit einem kritischen Auge, weshalb er als einer der ersten osmanischen Theaterkritiker bezeichnet werden kann. Bereits in seinem ersten satirischen Periodikum, Diyojen, bot er Artikeln, die sich vornehmlich mit dem Schauspiel beschäftigen, ein Forum. Somit rückte er das Theater, das bislang einer auserwählten Elite vorbehalten war, in den Fokus einer breiteren Leserschaft. Zwar war er in jenen Jahren nicht der einzige Publizist, der sich mit der Bühne beschäftigte, aber er gehörte zu den wenigen Intellektuellen, die die Verbreitung des Theaters im europäischen Stil kritisierten und eine Reform für Karagöz und Ortaoyun forderten. Er stand, wie einige andere seiner Zeitgenossen, der Einführung von europäischen Werten kritisch gegenüber und vertrat die Position, dass europäische Werke lediglich reflektiert adaptiert werden sollten. Deshalb lieferte er sich zahlreiche Kontroversen mit anderen Publizisten und Journalisten, die ihrerseits seine Haltung kritisierten. Zum Kreise der Kasap-Kritiker gehörte der Herausgeber der armenischen Satirezeitschrift Mamul (Presse). Gemäß einer Schilderung in Diyojen habe ihn einer der armenischen Schauspieler namens Fasulyeciyan gebeten, sich dieses Themas anzunehmen. Denn Fasulyeciyan hatte angeblich eine der osmanischsprachigen Ausgaben von Diyojen in die Hände bekommen, die er sich übersetzen ließ, und war wohl sehr über die Kritik Kasaps an den Schauspielern erbost. Daraufhin veröffentlichte Ayvazyan, der Herausgeber von Mamul, einen gegen Diyojen gerichteten Artikel. Kasap kommentierte dies folgendermaßen: […]da der Bedauernswerte (biçare) noch nicht einmal die türkische Sprache erlernen konnte, hat dieser angenommen, dass sich unsere Kritik gegen die armenischen Werte (ahlâk) und Sitten (âdat) richte […]. Wir haben nichts in unserer Zeitschrift veröffentlicht, das diese Bevölkerungsgruppe (millet) angreift und werden dies auch [in Zukunft nicht] tun. Wir haben uns zwar u. a. über Monsieur Fasulyeciyan und Monsieur Bayırturpciyan lustig gemacht, aber diese hätten auch Monsieur Fasulyecidis oder Monsieur Bayırturpidis oder auch Monsieur Ahmed und Monsieur Mehmed sein können. […]. Monsieur Ayvazyan hingegen hat über unser Ortaoyun, Karagöz und Meddah gespottet. Er wollte dadurch zum Ausdruck bringen, dass diese [Unterhaltungsformen] nicht zu einer zivilisierten Gesellschaft (medeni millet) passen. In der Tat hören wir den ungehobelten Worten Karagözs und den Geschichten der ignoranten Geschichtenerzähler (meddah) zu. [Auch stimmen wir zu], dass die [Karagöz Aufführungen] reformiert (ıslah-i hal) werden müssen. Obwohl diese [Unterhaltungskünste] in keiner Weise vollkommen (mükemmel) sind, […] sind sie auf den Werten der türkischen Gesellschaft aufgebaut. Dieses Ortaoyun, welches du heute verspottetest, wird [in Zukunft], nachdem es reformiert worden ist, zum eigentlichen osmanischen Theater. Das Theater von Güllü Agop kann als armenisches, französisches, englisches oder als italienisches
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Theater bezeichnet werden, aber nicht als osmanisches Theater. Denn es birgt nichts Osmanisches in sich. Wie wir alle wissen, […] ist das, was als Theater bezeichnet wird (tiyatro denilen şey), der Form nach eine Schule der Moral (mekteb-i ahlâk) und die Stücke hingegen, die aufgeführt werden, sind Unterweisungen für die Verfeinerung der Moral (tezhib-i ahlâk için verilen derslerden). Theaterstücke, die für die Verbesserung (tashih) der französischen Werte entworfen worden sind, sind zu keiner Zeit geeignet, das Benehmen [der türkischen Zuschauer] sowie die türkischen Werte zu verbessern. […] Hat Agop Efendi die Werte der Osmanen (osmanlı milletinin) ausreichend verstanden, dass er [die französischen Stücke] unverändert aufführt? Wie dem auch sei, wir haben es aufgegeben, irgendeinen Nutzen von seinem Theater zu erwarten […]. Deshalb empfehlen wir Monsieur Ayvazyan, sich nicht in Angelegenheiten einzumischen, von denen er keine Ahnung hat.482
Diesen Disput zwischen Ayvazyan und Kasap nahm ein Redakteur von Hadika (Garten) zum Anlass, um sich in die Debatte einzuschalten und Partei für Ayvazyan zu ergreifen. Kasap ließ auch die Angriffe von Hadika nicht unbeantwortet. Er schreibt, dass er es vorzöge, sich direkt an die „geliebten Osmanen“ (sevgili osmanlılar) zu wenden. Wie einige osmanische Intellektuelle betrachtete auch Kasap das Theater als moralische Anstalt, die die Umgangsformen und die Bildung der Zuschauer verbessern soll. Anders als manche seiner Zeitgenossen verteidigt er vermutlich deshalb so stark die Transformation des Karagöz-Theaters und Ortaoyuns, weil sie dem vorherrschenden Unterhaltungsgeschmack, zumindest aber dem größten Teil des muslimischen Bevölkerungssegments entsprachen, also jenem Teil der Bevölkerung, der bislang den wenigsten Kontakt zu den modernen, europäischen Künsten hatte. Einerseits sollte somit dem Zuschauer das „Neue“ und „Verbesserte“ nahegebracht, andererseits die gewohnten Formen der Verbreitung beibehalten werden. Aus der Perspektive Kasaps und seiner Mitstreiter war es notwendig, die Inhalte dieser Stücke neu zu gestalten. Auffällig ist, dass auch Şinasi bei seinem ersten Theaterstück der Form und der Komik des Karagöz-Theaters treu blieb. Kasap war somit bestrebt, neue Inhalte mit alten Formen zu verbinden. Das Karagöz-Theater und das Ortaoyun sollten dazu dienen, neue Inhalte an die Zuschauer heranzutragen, um somit deren Bildungsstand zu heben. Hierzu schienen sowohl das Ortaoyun als auch das Karagöz-Theater die geeignetsten Instrumente zu sein. Dazu war es nötig, diese reformierte Form des osmanischen Theaters möglichst weit zu verbreiten. Vermutlich liegt genau in diesem Punkt die Ursache für seine scharfe Kritik gegenüber dem Impresario Agop. Vom Standpunkt Kasaps aus verhinderte eben jener durch sein Monopol die 482 Diyojen, No. 161, 9. Teşrin-i sâni 1288 R. [12. November 1872], S. 2.
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Verbreitung des Theaters. Sein Theaterprogramm richtete sich ausschließlich an eine Elite, die ohnehin schon Zugang zu westlicher Bildung hatte. Somit schloss Agop die breite Masse aus, am „Fortschritt“ der Unterhaltungskünste teilzuhaben. Außerdem ließ er gemäß Kasap durch seine Stücke europäische Werte transportieren, die keineswegs der Mehrheit dienlich waren, sondern eher befremdlich wirkten und die Kritik der Ulema auf sich zogen. Kasap strebte demnach an, das osmanische Theater insoweit zu reformieren, dass es mit den osmanisch-muslimischen Wertevorstellungen der Mehrheit konform war und somit keineswegs anstößig wirkte. Damit hoffte er vermutlich, mögliche Kritik abzuwenden, die sich gegen das Moderne und Fremde richtete. Hauptsächlich gehörten diese Kritiker den Kreisen der unteren Ulema-Schicht an. Diese hatte allerdings den stärksten Einfluss auf die Meinungsbildung der Muslime, besonders der unteren Schichten. Denn durch ihre Arbeit als Vorbeter und Prediger in den Moscheen pflegten sie den regelmäßigsten und intensivsten Umgang mit der breiten Masse und konnten deshalb erheblich deren Meinungsbildung beeinflussen. Wenn also alles „Fremde“ aus dem Theater entfernt wurde, gab es keinen Anlass mehr, es zu boykottieren. Unter dem Titel „Osmanlılar“ (Die Osmanen) schrieb Kasap: „Das Theater ist so notwendig wie die Zivilisation“ und betonte somit ausdrücklich die Notwendigkeit und die Existenzberechtigung des Theaters. „Mit dem Theater verhält es sich wie mit der Zivilisation, es kann nicht von außerhalb eingeführt werden, sondern muss sich von innen heraus entwickeln. […] Wir brauchen nicht das Theater von Güllü Agop, sondern ein osmanisches Theater. […], so sollte zumindest das [Karagöz Theater] reformiert werden“, schrieb Kasap weiter.483 Der griechische Publizist verfasste eine Reihe von Artikeln, in denen er seiner Abneigung gegen Agop Ausdruck verlieh und ihn persönlich angriff. Es blieb nicht bei diesem Schlagabtausch, in weiteren Nummern lieferte sich Diyojen Dispute mit Hadika bezüglich der Entwicklung des osmanischen Theaters. Kasap fand heraus, dass ein gewisser Haşmet die Artikel verfasste, die sich gegen seine Gesinnung richteten. Seine Antwortschreiben nutzte er nicht nur dazu, seinen Ansichten Ausdruck zu verleihen, sondern machte sich ebenfalls über jenen Haşmet lustig.484
483 Diyojen, No. 164, 15. Teşrin-i sâni 1288 R. [27. November 1872], S. 1–2. 484 Diyojen, No. 168, 25. Teşrin-i sâni 1288 R. [7. Dezember 1872], S. 1–3; Diyojen, No. 171, 2. Kânun-i evvel 1288 R. [14. Dezember 1872], S. 1–3.
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Diese Auseinandersetzungen mit seinen Kollegen nahm Kasap auch zum Anlass, seinen Lesern eine zusammenfassende Darstellung über die Entwicklung der europäischen Theatergeschichte zu bieten. In seinen Beiträgen, die das Theater betreffen, kritisierte Kasap vor allem die defizitären Osmanischkenntnisse der armenischen Schauspieler. Gleich in der zweiten Ausgabe von Diyojen schreibt sein Redakteur Ali Beğ: „Infolge der Bemühungen, die einige Personen in den letzten drei Jahren geleistet haben, ist ein türkisches Theater zustande gekommen und hat von der Regierung eine Konzession für die nächsten zehn Jahre bekommen. Dafür danken wir und beglückwünschen dies. Die Zuschauer, die die französische Sprache beherrschen, ziehen immer noch das französische Theater (Fransız tiyatrosu) in Beyoğlu vor. Obwohl das Theater sich durch die Bemühungen des amtierenden Direktors Güllü Agop bereits weiterentwickelt hat, weisen die Osmanischkenntnisse der Schauspieler Defizite auf. Diese können nicht nur allein durch die Anstrengungen des Direktors behoben werden.“485 Obwohl Kasap deutlich eine persönliche Abneigung zu Agop empfand, besuchte er die Theatervorstellungen im Gedikpaşa Theater regelmäßig. Offenkundig kam es wohl zu einem Zerwürfnis zwischen Kasap und Agop, der nun auch in literarischer Form in Hayal zum Ausdruck kam. Die von Kasap adaptierten Stücke wurden zu früheren Zeiten im Gedikpaşa Theater aufgeführt, wie es aus der erwähnten Anzeige von Çınğıraklı Tatar zu entnehmen ist. Seine Beobachtungen und Gedanken zu diesem Theater brachte er in diversen Artikeln seiner Satirezeitschrift zum Ausdruck. Er kritisiert in einem dieser Artikel, welcher in der siebzigsten Ausgabe von Diyojen erschien, vor allem, dass Agop, dem er den Beinamen Çorbacı (Suppenkoch)486 verlieh, nicht bereit
485 Obwohl dieser Artikel nicht signiert ist, ist aufgrund eines Artikels, welcher in Diyojen, No. 168 erschien, festzustellen, dass der Verfasser Ali Beğ war. Diyojen, No. 2, 19. Teşrin-i sâni 1286 R. [1. Dezember 1870], S. 4 und Diyojen, No. 168, S. 1–3. Das französische Theater, geführt von Potel und Noci, war zu jener Zeit der größte Konkurrent des Osmanlı Tiyatrosu (Das osmanische Theater), denn die beiden Leiter holten auch berühmte Schauspieler aus Europa auf ihre Bühne. Deshalb waren die Aufführungen dieses Theaters besonders anziehend für das französischsprachige Theaterpublikum. And, Osmanlı Tiyatrosu, S. 53ff. 486 Was diese Bezeichnung zu jener Zeit bedeutete ist schwer nachzuzeichnen. Die Suppenköche waren eine Einheit der osmanischen Infanterie. Gemäß Pakalın wurde dieser Begriff auch zur Bezeichnung von reichen christlichen Kaufleuten verwendet. Vgl. Pakalın, Osmanlı Tarih, S. 380.
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sei, Ratschläge anzunehmen und stattdessen nur nach seiner eigenen Auffassung agiere.487 Basiretci Ali Efendi gehörte ebenfalls zu den regelmäßigen Besuchern des Theaters von Güllü Agop. Er warb für das Theater von Agop, indem er häufig in seiner Zeitung Basiret Lobreden auf Agop und sein Engagement veröffentlichte.488 Wiederholt thematisiert Hayal die Sprachprobleme der Schauspieler. Im selben Artikel bemerkt er dazu, dass die Schauspieler im Vergleich zu den letzten Jahren erhebliche Fortschritte im Erwerb ihrer Sprachkenntnisse gemacht hätten, da sie Anlass zur Hoffnung gäben, dass ihre Aussprache sich immer mehr dem Türkischen annähere (lisanları türkçeye benzeyecek ümidini ima ediyor).489 Des Weiteren kritisiert er auch, dass die Schauspieler nicht ihre Kunst beherrschten und somit den Stücken keineswegs gerecht würden.490 Ein Leserbrief, welcher in der 95. Ausgabe erschien, griff erneut die mangelhaften Sprachkenntnisse der Schauspieler auf. Dieser Brief stammt angeblich von einem Leser, der eine Vorstellung in Agops Theater besucht hatte.491 Er schreibt, dass er es bereue, diesem Schauspiel beigewohnt zu haben, denn durch den starken armenischen Akzent habe er nichts von der Handlung verstanden. Auch die Armenier, die sich dort befanden, hätten gesagt, „…ach, wenn das Stück bloß auf Türkisch gewesen wäre, dann hätten wir möglichenfalls die Handlung verstanden“ (ah keşke türkçe olsa da oyunun neden ibaret olduğunu anlıyabilseydik).492
487 Diyojen, No. 70, 13. Teşrin-i sâni 1287 R. [25. November 1871], S. 2–3. 488 Einem dieser Beiträge über das Theater ist zu entnehmen, dass das Theater von Agop mit geringen Zuschauerzahlen zu kämpfen hatte. Ali Efendi betrachtet die angeblich verspätete Verteilung von Werbeanzeigen als mögliche Ursache für das Fernbleiben der Zuschauer und zweifelt nicht im Geringsten an der Qualität des Theaterprogramms. Außerdem ist den Beiträgen von Basiret über das osmanische Theater zu entnehmen, dass das Theater gleichermaßen von Sanktionsmaßnahmen betroffen war wie die Satirezeitschriften. Vgl. Basiret, No. 1425, 7. Kânun-i sâni 1290 R. [19. Januar 1875], S. 3. Basiret, No. 1431, 14. Kânun-i sâni 1290 R. [26. Januar 1875], S. 2. 489 Diyojen, No. 70, 2–3. 490 Ibidem. 491 Das obige Bild visualisiert den Disput zwischen Teodor Kasap und Güllü Agop. Kasap und Agop stehen vor einer Karagöz-Leinwand. Agop vertritt die Ansicht, dass die Karagöz-Leinwand vernichtet werden solle. Kasap hat seine rechte Hand erhoben und scheint die Karagöz-Leinwand schützen zu wollen. Er antwortet dem Impresario, dass er schon wisse, in welchen Rahmen er das Schattentheater künftig setzen wolle. Vgl. Hayal, No. 87, 24. Temmuz 1290 R. [5. August 1874], S. 4. 492 Diyojen, No. 95, 12. Şubat 1287 R. [24. Februar 1872], S. 4.
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Abb. 2.
Um die Aussprache der Schauspieler zu korrigieren, gründeten einige osmanische Intellektuelle eigens ein Komitee. Die Angehörigen des Komitees, unter denen sich namhafte Größen der zeitgenössischen osmanischen Literatur befanden wie Namık Kemal oder Ali Beğ, gaben den armenischen Schauspielern und Schauspielerinnen Sprach- und Sprechunterricht.493 Die Bemühungen dieser Personen schienen aber nicht ausreichend gewesen zu sein. Denn auch in den folgenden Jahren geben die Sprachprobleme der Schauspieler Kasap immer wieder Anlass zu Kritik, die er, nach dem Publikationsstopp von Diyojen, in Hayal zum Ausdruck brachte. Mit Hayal unternahm Kasap den Versuch, die Reformierung des osmanischen Schattentheaters Karagöz und des Ortaoyun konkret anzugehen. Kasap schien von dem Gedanken überzeugt zu sein, dass das Theater sich besser als Zeitungen und Zeitschriften eignete, um die Meinung der Öffentlichkeit zu beeinflussen, denn zum Zuschauen war weder lesen noch schreiben notwendig. Das Theater
493 And, Osmanlı Tiyatrosu, S. 67.
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schien Kasap als eines der wichtigsten Medien und Instrumente der Volkserziehung, um den Fortschritt des Reiches voranzutreiben. Im Gegensatz zu einigen osmanischen Intellektuellen seiner Zeit gab er dem osmanischen Schattentheater den Vorzug und deutete somit auch eine Rückbesinnung auf alte Kunstformen an. Verstärkt drangen europäische Elemente nicht nur in die Politik und Wirtschaft des Reiches ein, sondern ebenso in der Kunst. Vermutlich plädierte Kasap auch deshalb besonders für den Erhalt des Karagöz-Theaters, weil es seit Jahrhunderten bei den Osmanen etabliert und beliebt war. Es schien ihm als besonders geeignet, für neue Zwecke instrumentalisiert zu werden, weil es sowohl bei der Elite als auch bei der gewöhnlichen Bevölkerung Zuschauer fand. Allerdings gab die Oberschicht dem westlichen Theater im 19. Jahrhundert klar den Vorzug. Kasap strebte offensichtlich an, die Popularität des Schattentheaters bei der gewöhnlichen Bevölkerung für deren Bildung einzusetzen. Aus Europa war ihm die Wirkung des Theaters, wie bereits erwähnt, bekannt. Auch im Osmanischen Reich offenbarte sich die Wirkung des Theaters auf das Publikum besonders deutlich. Nach der Aufführung des Stückes Vatan Yahut Silistire (Vaterland oder Silistira) von Namık Kemal kam es sogar 1873 zu massiven Unruhen in Istanbul. Anders als Kasap gab Kemal dem modernen, westlichen Theater den Vorzug. Ungeachtet dessen setzte der griechische Journalist auf das Karagöz-Theater, verstärkt in Hayal. Obwohl Kasap dem Theater große Bedeutung beimaß, blieb seine Karriere als Schriftsteller lediglich auf die Adaption von europäischen Theaterstücken beschränkt. Er selbst verfasste keinerlei eigene Theaterstücke.
3.6 Das Schattentheater Karagöz als Leitmotiv von Hayal Für seine erste Satirezeitschrift Diyojen wählte Teodor Kasap Figuren, die den meisten seiner osmanischsprachigen Rezipienten nicht vertraut waren. Auch der „Bote mit den Schellen“, die Hauptfigur seines Nachfolgeblattes Çınğıraklı Tatar, wies eher große Ähnlichkeiten mit einer Zeichnung von Grandville auf, die in der ersten Ausgabe des Charivari erschien,494 als mit einer Figur, die aus einem osmanisch-türkischen Hintergrund stammen könnte. Erst mit der Publikation von Hayal änderte Kasap seine Präferenzen bezüglich der Auswahl seiner Hauptfiguren. Wie der Name der Zeitschrift es vermuten lässt, adaptierte Kasap die zwei Protagonisten des osmanischen Schattentheaters Karagöz, Hacivat und Karagöz, die sich besonders bei der breiten Masse der 494 And, Osmanlı Tiyatrosu, S. 134.
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Bevölkerung großer Beliebtheit erfreuten. Die essentiellen Charaktermerkmale dieser Hauptfiguren veränderte Kasap nur unwesentlich. Im Gegensatz zu den Schattentheateraufführungen verkörpert Karagöz nun nicht mehr gänzlich einen Angehörigen der bildungsfernen Schicht, denn er erzählt seinem Freund Hacivat, dass er sechs Sprachen sprechen könne: Türkisch, Französisch, Griechisch, Armenisch, Bulgarisch und seine Muttersprache, die Sprache der Roma (er nennt es aber hier mingenece). Trotz der Wandlung des Charakters von Karagöz kam dennoch vor, dass er sein Temperament nicht zügeln konnte.495 In diesem neuen Format hat sich die Figur Karagöz weiterentwickelt, neben seinen Fremdsprachenkenntnissen hat er auch seine poetischen Fähigkeiten ausgebaut und trägt nun, ebenso wie Hacivat im Schattentheater, Gedichte vor.496 Obwohl Karagöz behauptet, dass er über Fremdsprachenkenntnisse verfügt, lassen ihn diese doch gelegentlich im Stich.497 Hacivat ist nicht mehr nur ausschließlich in der Position des Belehrenden. In einigen Dialogen kommt es durchaus vor, dass Karagöz nun seinen Widerpart belehrt.
Die muhavere Ein wesentlicher Bestandteil von Karagöz-Aufführungen ist die muhavere (Der Dialog). Ebenso wie im Schattentheater hatte die muhavere auch in Hayal eine zentrale Rolle. Bereits die erste Ausgabe beginnt mit einer muhavere von Hacivat und Karagöz anstelle der mukaddeme, mit der die meisten osmanischsprachigen Periodika im Osmanischen Reich üblicherweise begannen. In diesem ersten Dialog eröffnete Kasap seine muhavere auf die gleiche Weise, wie die hayalî (Puppenspieler) zu jener Zeit ihr Schauspiel für gewöhnlich begannen. Doch fanden die Dialoge der beiden nicht mehr nur auf der Schattenleinwand statt, sondern zwischen den Seiten von Hayal. Die muhavere erschien hauptsächlich auf der ersten Seite jeder Ausgabe und ersetzte den Leitartikel.498 In dem Zwiegespräch, das auf der Titelsteite der ersten Ausgabe von Hayal erschien, berichtet Karagöz seinem Freund Hacivat, dass er nun den Beruf des Journalisten ergriffen habe. Bereits hier setzte Kasap die Figur Karagöz als sein persönliches Sprachrohr ein, denn er berichtet seinem Freund Hacivat, wie er
495 Hayal, No. 234, 16. Kânun-i evvel 1291 R. [31. Dezember 1875], S.3. 496 Hayal, No. 1. S. 1–3. 497 Hayal, No. 177, 22. Temmuz 1291 R. [3. August 1875], S. 1; Hayal, No. 254, 28. Mayıs 1292 R. [9. Juni 1876], S. 1. 498 Hierbei gibt es auch Ausnahmen, wie z. B. Hayal, No. 195, 3. Eylül 1291 R. [15. September 1875], S. 2–3.
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zuerst in die Rolle des „Diogenes aus Tonne“ schlüpfte, um ein wenig später als „Bote mit den Schellen“ aufzutreten. Seinen Ausführungen fügt Kasap hinzu, dass er allerdings immer noch derselbe sei und auch immer noch seinen Beruf als Journalist ausübe, nur die Aufmachung habe sich geändert (ben yine ben, san’at yine gazetecilik yalnız kılık başka).499 Kasap reduzierte seine Karagöz-Stücke auf die muhavere, die keinerlei dramatische Entwicklung haben. Zudem begrenzte er auch die Anzahl der Figuren auf lediglich diese beiden Protagonisten. Er bezog keinerlei weitere Gestalten aus dem Figurenarsenal des Schattentheaters in seine Stücke mit ein. Diese Exklusion der weiteren Charaktere ist damit zu begründen, dass er lediglich den muhavere Teil der Schattentheateraufführungen adaptierte, in denen allein Hacivat und Karagöz auftauchen. Hierbei gibt es zwei Sonderfälle. Die erste Ausnahme bildet die muhavere, die in der 245. Nummer von Hayal erschien. In diesem Dialog streitet sich Karagöz mit seiner Ehefrau, da er seit Tagen weder Brot noch Fleisch nach Hause brachte. Karagöz erklärt, er sei nicht in der finanziellen Lage, diese Bedürfnisse seines Haushaltes zu decken, da die wirtschaftliche Lage gerade besonders schlecht sei, und dass aufgrund der schwierigen Zeiten kaum jemand mehr Geld zur Verfügung habe, um Fleisch oder gar Brot zu kaufen.500 Als zweite Ausnahme gilt die muhavere, die in der 318. Nummer von Hayal erschien. In dieser muhavere unterhält sich diesmal Hacivat mit der Ehefrau Karagözs, da dieser nicht zuhause ist.501 Neben den Dialogen veröffentlichte Hayal auch eine Reihe von „Schauspielen“, bei denen auch andere Protagonisten außer Hacivat und Karagöz
499 Hayal, No. 1, S. 1. 500 Hayal, No. 245, 11. Mart 1292 R. [23. März 1876], S. 1. Brot gehörte zu den Grundnahrungsmitteln im Osmanischen Reich, welches in diesen Jahren ebenfalls knapp wurde. Mit diesem Beitrag spielt Hayal auf die extrem schlechte Verfassung der Wirtschaft und die zunehmende Armut der osmanischen Bevölkerung an. Ein Jahr zuvor hatte die Hohe Pforte den Staatsbankrott erklärt, und auch der Krieg gegen Serbien und Montenegro trug zur rapiden Verschlechterung der finanziellen Lage der Bevölkerung bei. Wie auch den Aufzeichnungen von Basiretci Ali zu entnehmen ist, stiegen in diesen Tagen die Preise für Nahrungsmittel, unter anderem besonders die für Fleisch. So wird anhand dieses Beitrages deutlich, dass Hayal die Herausforderungen des alltäglichen Lebens in jenen Jahren im Blick hatte und diese auch thematisierte. 501 Hayal, No. 319, 5. Şubat 1292 R. [17. Februar 1876], S. 1–2.
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vorkamen.502 Wie im Schattentheater sind auch die Themen, die Hacivat und Karagöz in ihren Dialogen aufgreifen, breit gefächert. In ihren Dialogen besprechen sie wechselnde Themen, bei denen mehrheitlich die Kritik der amtlichen503 als auch der privatwirtschaftlichen Presse im Fokus steht.504 Hacivat und Karagöz besprachen nicht nur die osmanischsprachigen Periodika, sondern auch nicht-osmanischsprachige, die in Istanbul erschienen.505 Dabei bildete die Berichterstattung dieser Zeitungen und Zeitschriften den thematischen Kern einer Vielzahl von Hacivat-Karagöz muhaveres, besonders nach dem Ausbruch der Unruhen in der Herzegowina.506 In diesen Dialogen stand nicht nur die inhaltliche Kritik diverser Zeitungen und Zeitschriften im Vordergrund, sondern Hacivat und Karagöz stellen in ihren muhaveres auch die Periodika vor, die neu auf den osmanischen Pressemarkt gekommen waren.507 Sie fassen meist auch die Berichterstattung der osmanischen Tagespresse zusammen und geben so komprimiert Inhalte weiter, die für sie von
502 Das erste „Theaterstück“ veröffentlichte Hayal in ihrer 210. Nummer, unter dem Titel: „Evdeki hesab çarşuya uymaz“, was so viel bedeutet wie, nicht alles läuft so, wie es geplant worden ist. Vgl. Hayal, No. 210, 7. Teşrin-i evvel 1291 R. [19. Oktober 1875], S. 1–4. Weitere Nummern in denen Hayal „Theaterstücke“ veröffentlichte: Hayal, No. 234, 16. Kânun-i evvel 1291 R. [28. Dezember 1875], S. 1–3; Hayal, No. 243, 2. Mart 1292 R. [14. März 1876], S. 1. 503 Hayal, No. 189, 19. Ağustos 1291 R. [31. August 1875], S. 1. Die amtliche Presse befand Hayal als völlig unnötige Geldverschwendung, deshalb äußerte sie die Frage, ob der Staat diese nur etablierte, um seinen Beamten eine Beschäftigung zu finden. Vgl. Hayal, No. 256, 3. Haziran 1292 R. [15. Juni 1876], S. 2–3. Wie aus einem anderen Beitrag herauszulesen ist, hegte Kasap eine tiefe Abneigung gegen Provinzbeamte und deren Periodika. Vgl. Hayal, No. 258, 8. Haziran 1292 R. [12. Juni 1876], S. 2; Hayal, No. 262, 17. Haziran 1292 R. [29. Juni 1876], S. 1. 504 Hierbei macht Hayal auch keine Ausnahme bei İstikbal, sie ist ebenfalls Gegenstand der muhaveres. Vgl. z. B. Hayal, No. 195, 2. Eylül 1291 R. [14. September 1875], S. 2–3. 505 Hayal, No. 171, 8. Temmuz 1291 R. [12. Juni 1875], S. 1. 506 Hayal, No. 166, 26. Mayıs 1291 R. [7. Juni 1875], S. 1; Hayal, No. 183, 5. Ağustos 1291 R. [17. August 1875], S. 1, Hayal, No. 192, 26. Ağustos 1291 R. [7. September 1875], S. 1–2. 507 Hayal, No. 137, 15. Mayıs 1291 R. [27. Mai 1875], S. 1. In der 186. Nummer von Hayal verkündet Hacivat seinem Freund Karagöz, dass die politische Zeitung Kasaps, İstikbal nun auch auf dem osmanischen Pressemarkt erhältlich ist. In der 238. Nummer berichtet Karagöz, dass eine neue Satirezeitschrift namens Çaylak in der Basiret-Druckerei verlegt wird. Hayal, No. 238, 23. Şubat 1291 R. [6. März 1876], S. 1; Hayal, No. 249, 20. Mart 1292 R. [1. April 1876], S. 2.
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besonderem Interesse sind. So ist zum Beispiel zu lesen, dass die Zeitung İstikbal erneut erscheine, oder aber es wird die Todesnachricht von Sultan Abdülaziz, ohne ein Wort des Bedauerns, mitgeteilt.508 Selbst die Inhaftierung Kasaps wird in diesen Dialogen problematisiert und ausführlich besprochen.509 Sogar Sensationsmeldungen hatten ihren Platz in den muhaveres. So berichtete zum Beispiel Karagöz in einer seiner Unterredungen mit Hacivat von einem Jungen, der angeblich mit bloßen Händen Steine zerschlagen könne.510 Gelegentlich stehen aber auch Dinge des alltäglichen Lebens im Fokus ihrer Gespräche. So erzählt Karagöz seinem Freund Hacivat von seinem Besuch in einem deniz hamamı (Strandbad).511 Auch klagt Karagöz gelegentlich über die schmutzigen Straßen, die schlechte Qualität des Tabaks, über die Zeitungen oder gar über die gesamte Istanbuler Bevölkerung.512 Ferner greifen die muhavere auch Themen auf, die Kasap im Rahmen von ausführlicheren Artikeln behandelt. Die Dialoge fanden, wie aus dem Kontext zu entnehmen ist, i.d.R. in den Redaktionsräumen von Karagöz statt. Eine Ausnahme bildet die muhavere, die in der vierten Ausgabe von Hayal erschien. Dieser Dialog ist in einer Loge des GedikpaşaTheaters verortet. Karagöz, der das europäische Theater bis zu diesem Zeitpunkt nicht kannte, stellt in diesem Zwiegespräch Vergleiche zwischen dem Schattentheater und dem „modernen“ Theater auf, das er „Theater mit Vorhängen“ nennt. Der Bildungsaspekt steht in dieser Unterhaltung besonders im Fokus, da Karagöz über keinerlei Wissen bezüglich des moderneren Theaters verfügt. Hacivat erklärt seinem Freund, der ihn in diesem Gespräch häufig missversteht, die Unterschiede zwischen dem Schattentheater und dem modernen Theater. Aus dieser muhavere wird besonders deutlich, dass Kasap, mittels seiner Protagonisten, denjenigen Lesern das moderne Theater erklärt, die bislang keinen Bezug dazu hatten. Dialoge, die das Theater thematisieren, sind häufiger Bestandteil der muhavere.
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Hayal, No. 254, 28. Mayıs 1292 R. [9. Juni 1876], S. 1. Hayal, No. 256, 3. Haziran 1292 R. [15. Juni 1876], S. 1. Hayal, No. 160, 12. Haziran 1291 R. [24. Juni 1876], S. 3–4. Das Baden im Meer gehörte nicht zu den üblichen Gepflogenheiten der Osmanen. Lediglich in den türkischen Bädern, die mit den römischen Bädern vergleichbar sind, kamen die Menschen, getrennt nach ihrem Geschlecht, zum Baden und Plauschen zusammen. Erst im Zuge des 19. Jahrhunderts kam der Besuch von sogenannten deniz hamamı bei den Angehörigen der Istanbuler Oberschicht in Mode. Den Informationen Karagözs zufolge kostete ein Besuch einen Eintrittsentgelt von 4 Kurusch. Zu türkischen Bädern in Istanbul siehe: Klaus Kreiser, Istanbul. Ein historischer Stadtführer, 2. Aufl., München 2009, S. 62ff. 512 Hayal, No. 240, 28. Şubat 1291 R. [11. März 1876], S. 4.
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Auch zeigt dieser Dialog, dass Kasap oder die Verfasser dieser Beiträge nicht konstant die allein die Figur Karagöz als ihr Sprachrohr nutzten. Meist bediente sich Kasap beider Protagonisten, um seine Kritik am osmanischen Theater und besonders an Güllü Agop in den muhavere zu äußern. Häufig lesen Hacivat und Karagöz auch Berichte von anderen Periodika, die das Theater thematisieren. So lesen sie in der fünften Ausgabe gemeinsam die Zeitschrift Tiyatro, die sie Gedikpaşa tiyatro gazetesi513 nennen, und besprechen die Stücke, die gerade im Gedikpaşa-Theater gespielt werden.514 Obwohl die muhavere fester Bestandteil von Hayal ist, gibt es durchaus auch einzelne Ausgaben, in der sie nicht erschien.515 Auch der Zeilenumfang der muhavere ist recht unterschiedlich. In einigen Ausgaben erschienen muhaveres, die einen Umfang von 2 bis 3 oder gar 4 Seiten einnehmen, in anderen Nummern hingegen gehen sie nicht über einige Zeilen hinaus.516 Zudem beinhalten einige Ausgaben auch mehrere Hacivat- und Karagöz-Dialoge, die unterschiedliche Ereignisse und Themen behandeln. Neben den typischen Hacivat- und Karagöz-Dialogen gibt es auch eine Reihe von muhavere, deren Beteiligte nicht aus dem osmanischen Schattentheater oder dem Ortaoyun stammen. Diese Dialoge spiegeln fiktive Szenen aus dem Istanbuler Leben wider. So erschien in der 147. Nummer ein Dialog mit der Überschrift „In einem Kurzwarenladen“, der zwischen einem Verkäufer von Kurzwaren und seinem Kunden stattfindet, der sich für seine Stoffe interessiert.517 Einige
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Hayal, No. 6, 7. Teşrin-i sâni 1289 R. [19. November 1873], S. 1. Hayal, No. 5, 3. Teşrin-i sâni 1289 R. [15. November 1873], S. 2. Vgl. zum Beispiel: Hayal, No. 144, 6. Mayıs 1291 R. [18. Mai 1875]. Hayal, No. 145, 8. Mayıs 1291 R. [20. Mai 1875], S. 2. Gegenstand dieses Dialoges ist, dass der Kurzwarenhändler nur gebrochen Osmanisch spricht und der Kunde kein Französisch. Der Kunde vermutet hingegen, dass dieser wohl der osmanischen Sprache mächtig ist und lediglich vorgibt, sie nicht zu sprechen. Da dem Kunden die Preise seiner Waren zu hoch sind, verlässt er das Geschäft mit dem Kommentar: „Weil du kein Osmanisch sprichst, befürchte ich, dass du die falschen Preise nennst. Zu diesen Preisen kann ich allerdings keine Waren einkaufen.“ Hayal, No. 147, 13. Mayıs 1291 R. [25. Mai 1875], S. 3. Dieser Dialog stellt keine Ausnahmeerscheinung dar. Hayal thematisierte häufig, dass vor allem Nichtmuslime, die im Osmanischen Reich lebten, mangelhafte Osmanischkenntnisse hatten.
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muhavere greifen auch Themen oder Motive des Schattentheaters auf. So sucht Hacivat nach Möglichkeiten, um mehr Geld zu verdienen.518 Die muhavere problematisieren auch die Präsenz von „Fremden“, NichtOsmanen im Osmanischen Reich. So berichtet Karagöz seinem Freund Hacivat von einem Vorfall, der sich in den Redaktionsräumen seiner Zeitschrift ereignet habe. Ein Mann, der weder Osmanisch noch Französisch sprechen konnte, suchte den Verlag Karagözs auf. Mit einigen Mühen bekam dieser dann heraus, dass dieser Mann ein deutscher Zeichner und Graveur war, der vor zwei Wochen nach Istanbul gekommen war. Karagöz beschwert sich bei seinem Widerpart, dass dieser Fremde ohne Sprachkenntnisse ins Osmanische Reich gekommen sei. Ferner sagt Karagöz: „Die Europäer (frenkler) zwingen uns ihre Sprache zu erlernen, und nicht nur eine, sondern gleich mehrere.“ Auf die Frage Hacivats, warum es denn notwendig sei, so viele europäische Sprachen zu beherrschen, antwortet Karagöz, dass er in Beyoğlu ein Restaurant aufgesucht habe, wo er eine Speisekarte auf frenkce bekam und sie deshalb nicht verstand. Auch der Kellner dort habe die osmanische Sprache nicht beherrscht, und deshalb konnten sie sich nicht einigen. Er habe daraufhin dieses Etablissement verlassen und ein kleines Lokal aufgesucht, um seinen Hunger zu stillen. In Hayal erschien eine Reihe von weiteren Beiträgen, die einen ähnlichen Tenor aufweisen. Dies verdeutlicht die ambivalente Haltung zu Europa und den Europäern, die im Osmanischen Reich vorherrschte. Auch machte Hayal somit sein Publikum auf die Asymmetrie der Beziehungen zwischen Europa und 518 In der dritten Ausgabe von Hayal schlägt Hacivat seinem Freund Karagöz vor, Papierlaternen am Bahnhof im Viertel Sirkeci zu verkaufen. Die Idee dazu bekam Hacivat deshalb, weil ein Freund aus Adana ihn besuchen kam und er keine Laterne mit sich führte. Deshalb wurde er von Polizisten aufgehalten. Nun schlägt er vor, den Reisenden, die nicht wussten, dass sie in Istanbul eine Laterne mitzuführen hatten, vor Ort diese zu verkaufen. Karagöz lehnt den Vorschlag seines Freundes mit der Begründung ab, er sei nun Journalist und hätte keine Zeit, Laternen zu verkaufen, er fügt seinen Ausführungen spöttisch hinzu, dass schon Gaslaternen bereitgestellt worden seien, die schon bald in Betrieb genommen würden. Karagöz erläutert seinem Freund, dass er nun vorhabe, seinen Lebensunterhalt mit der Publikation seiner Zeitschrift zu bestreiten. Daraufhin fragt Hacivat ihn, ob er denn genügend Abnehmer fände. Karagöz antwortet ihm, dass er noch Zeit brauche, um Geld zu verdienen, außerdem erklärt er ihm, dass Publizisten ihren Lebensunterhalt nicht durch den Verkauf von Zeitungen bestritten. Obwohl Hacivat ihn bedrängt, ihm sein Geheimnis zu verraten, wie denn Publizisten und Journalisten nun ihr Geld verdienten, verrät Karagöz nichts. Hayal, No. 3, 27. Teşrin-i sâni 1289 R. [9. Dezember 1873], S. 1.
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Außereuropa aufmerksam. Während die Osmanen gezwungen waren, Fremdsprachen zu erlernen, um mit den Europäern zu kommunizieren, verspürten diese kaum das Bedürfnis, sich auf die lokalen, nicht-europäischen Sprachen einzulassen. Allein die Osmanen waren aus der Perspektive von Hayal gezwungen, sich der europäischen Herausforderung zu stellen. Andererseits war aber ein Transfer von europäischen Produkten, Ideen und Technologien erwünscht, um am Fortschritt teilzuhaben und die eigenen Schwächen zu überwinden. Beiträge dieser Art verdeutlichen, dass die Präsenz von Europäern und ihre zunehmende Dominanz durchaus auf Ablehnung stießen, auch in der osmanischen Oberschicht, obwohl diese durchaus die Neigung und die finanziellen Möglichkeiten hatte, sich europäische Produkte, Gepflogenheiten und Ideen anzueignen. Nach dem Ausbruch des Serbisch-Osmanischen Krieges ersetzten gelegentlich die Dialoge, die die Protagonisten des Krieges karikierten, die Hacivat-Karagöz muhaveres. Somit erfüllte die muhavere in Hayal eine ähnliche Funktion wie im Schattentheater, nämlich die Zusammenfassung aktueller Nachrichten und Ereignisse, die unter anderem durchaus auch einen ernsten und informativen Charakter haben konnten. Sowohl Kasap als auch die Redaktion äußerten ihre Kritik durch die Figuren des Schattentheaters. Zumeist besprachen Hacivat und Karagöz in ihren Dialogen auch, welche Zeitungen oder Zeitschriften von Sanktionsmaßnahmen betroffen waren. Zudem informierte die Redaktion von Hayal ihre Leserschaft durch kurze Mitteilungen, welches Periodikum nun nicht mehr erscheinen durfte oder eine Zwangspause einlegen musste. Telegrammnachrichten hatten sich während der Tanzimat-Zeit als feste Rubriken in osmanischen Zeitungen etabliert. Ihre Anzahl stieg besonders während des Deutsch-Französischen Krieges von 1870/1871 erheblich an. Nachrichtenblätter, wie zum Beispiel Basiret, veröffentlichten fortlaufend Telegrammnachrichten vom Kriegsschauplatz. Deshalb begannen zu dieser Zeit auch die zeitgenössischen Satirezeitschriften, wie etwa Letaif-i Âsar, diese Telegrammnachrichten zu parodieren.519 Auch Hayal parodierte häufig Telegrammnachrichten und veröffentlichte diese ab der 103. Ausgabe unter der Rubrik „Die Karagöz Telegrammgesellschaft“ (Karagöz Telegraf Şirketi). In dieser Rubrik erschienen nun regelmäßig satirische Telegramme, i.d.R. adressiert an Karagöz.520 Der Inhalt dieser Telegramme ist recht unterschiedlich, mal ist den 519 Letaif-i Âsar, No. 22, S. 4. 520 Unter dieser Rubrik erschien zum Beispiel in der 165. Nummer eine Telegrammnachricht, adressiert an Karagöz, vom deniz hamamı (Strandbad) in Salı Pazarı, bezüglich des dortigen Publikums. Hayal, No. 165, 24. Haziran 1291 R. [6. Juli 1875], S. 4.
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Meldungen zu entnehmen, dass Filib Efendis Redakteure und Journalisten Karagözs Vorschlag abgelehnt hätten, nur noch weniger als vier kıyye Anisschnaps pro Tag zu trinken,521 oder aber, dass die Eleganten (şık) und die Dirnen (şıllık) aus Istanbul verlegt werden.522 Nach dem Ausbruch des Serbisch-Osmanischen Krieges publizierte Hayal in dieser Rubrik fiktive Telegramme, die die Kriegskorrespondenz der Beteiligten karikierte.523 Ferner kündigte Hayal in ihrer 286. Ausgabe an, dass nun Karagöz ein Abonnement bei den europäischen, asiatischen, afrikanischen, amerikanischen und den überseeischen Telegrammgesellschaften erworben habe, um seinen Lesern einen besseren Dienst erweisen zu können.524 Unmittelbar nach dieser Mitteilung publizierte Hayal gleich eine Reihe von fiktiven Telegrammen aus Washington, Berlin, Paris, Wien, Kairo, Indien, China und Rhodos.
3.7 Hayal und ihre Öffentlichkeit Wie Pistor-Hatam in ihrer Arbeit beschreibt, waren die Leser von nahöstlicher Presse hauptsächlich unter den gebildeten Schichten zu finden, die des Lesens kundig waren. Hierzu zählen Notabeln, Großkaufleute, Großgrundbesitzer, Rechtsgelehrte sowie die Angehörigen des Herrscherhauses und die Regierungselite.525 Hinzukommen die Schüler, Studenten und Absolventen der im 19. Jahrhundert neugegründeten Bildungseinrichtungen. Wenige Hinweise zu den Lesern von satirischer Presse lassen sich auch in Hayal finden. Leserbriefe waren ein fester Bestandteil von Hayal, die unter dem Titel varaka (Brief) oder unter gar keiner Rubrik eingeordnet in fast jeder Nummer abgedruckt wurden. Gelegentlich erschienen sie auch unter der Überschrift diğer (weitere), wenn eine Reihe von Zuschriften veröffentlicht wurde. Hayal veröffentlichte sowohl fiktive als auch echte Leserbriefe. Wie hoch der Anteil von fiktiven 521 Ein kıyye sind ca. 1300 Gramm. Redhouse, S. 661. Hayal, No. 176, 19. Temmuz 1291 R. [31. Juli 1875], S. 4. 522 Hayal, No. 183, 5. Ağustos 1291 R. [17. August 1875], S. 4. 523 Vgl. Hayal, No. 173, 12. Temmuz 1291 R. [24. Juli 1875], S. 2. Diese literarische Form fand ebenso Eingang in die aserbaidschanische satirische Presse. Siehe: Raoul Motika: Die politische Öffentlichkeit Iranisch-Aserbaidschans während der Konstitutionellen Revolution im Spiegel der Täbriser Zeitung Āẕarbāyǧān, Frankfurt am Main 2001, S. 50ff. 524 Hayal, No. 286, 19. Eylül 1291 R. [1. Oktober 1875], S. 1. 525 Anja Pistor-Hatam, Nachrichtenblatt, Informationsbörse und Diskussionsforum: Ahtar-e Estānbūl (1876–1896) – Anstöße zur frühen persischen Moderne, Münster 1999, S. 61.
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im Verhältnis zu echten Zuschriften von Lesern ist, ist nicht festzustellen.526 Der fiktive (Leser-)brief war nämlich auch ein beliebtes stilistisches Mittel, um satirische Botschaften zu vermitteln.527 Schon in Diyojen erschienen, wie bereits erwähnt, fiktive Briefe, die angeblich aus der Feder von hochrangigen Persönlichkeiten stammten. Die Leserbriefe, die in Hayal erschienen, tragen zumeist die Initialen ihrer (angeblichen) Verfasser, deren Pseudonyme, oder sie sind gänzlich anonym.528 Ab der 71. Ausgabe von Hayal begann Karagöz mit seinen Lesern zu kommunizieren. Die Briefe waren an ihn adressiert und er beantwortete diese auch. In den vorherigen Ausgaben richteten sich die Briefe an die Redaktion von Hayal. Die meisten Leserbriefe unterscheiden sich in Stil und Sprache sowie in der verwendeten literarischen Form von einander.529 Unabhängig von ihrer Authentizität berichten die Verfasser der Leserbriefe von ihren Theaterbesuchen, zumeist im Gedikpaşa-Theater, oder sie nehmen Bezug auf Artikel, die in den früheren Ausgaben von Hayal oder anderen Periodika publiziert wurden und weisen somit thematische Ähnlichkeiten mit dem Inhalt der Zeitschrift auf. Die Antworten von Karagöz sind recht knapp gehalten, meist nicht mehr als zwei oder drei Zeilen. Hinweise zu Lesern aus den Provinzen sind in Hayal spärlich zu finden. Lediglich in ihrer 73. Nummer veröffentlichte Hayal den Brief eines Lesers aus Saloniki (Selanikden mektub), der dort seine Gedanken zum osmanischen Theater zum Ausdruckt bringt sowie über den Besuch einer Theatervorstellung berichtet, welche Güllü Agop ausrichtete.530 Ein Brief, dessen Verfasser ebenfalls zu den Kreisen der osmanischen Intellektuellen des 19. Jahrhunderts gehörte, ist in der 95. Ausgabe von Hayal abgedruckt, der die Initialen M. M. trägt. Aufgrund der Aussage, der Verfasser sei der Lizenzinhaber des Stückes Zavallı Çocuk (sahib-i imtiyazı oldığım Zavallı Çocuk namında olan tiyatro oyununı), handelt es sich hierbei vermutlich um
526 Der Tagungsband von: Christoph Herzog und Raoul Motika, Presse und Öffentlichkeit im Nahen Osten, beschäftigt sich mit zahlreichen Beiträgen eingehend mit den Rezipienten nahöstlicher Presseprodukte sowie ihrer Partizipation. Christoph Herzog und Raoul Motika, Presse und Öffentlichkeit im Nahen Osten, Heidelberg 1995. 527 Zum Beispiel veröffentlichte Hayal in ihrer 262. Ausgabe einen Brief, den Karagöz angeblich an Basiretci Ali Efendi geschickt habe, auf der ersten Seite. Hayal, No. 262, 19. Haziran 1292 R. [1. Juli 1876], S. 1f. 528 Hayal, No. 95, 21. Ağustos 1290 R. [20. September 1874], S. 2, Initiale: M. M. 529 Vgl. zu Leserbriefen in der nahöstlichen Presse: Motika, politische Öffentlichkeit, S. 54ff. 530 Hayal, No. 73, 5. Haziran 1290 R. [17. Juni 1874], S. 2.
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den Autor des genannten Theaterstücks, Namık Kemal.531 Hierbei ist allerdings nicht feststellbar ob Kasap im Namen seines Freundes Kemal, der sich zu dieser Zeit im Exil befand, diesen Brief verfasste, oder ob es sich tatsächlich um einen authentischen Brief handelt. In diesem Brief beklagt sich der Verfasser darüber, dass Agop ihm lediglich nach der Uraufführung seines Theaterstückes Zavallı Çocuk ein wenig von dem Gewinn hat zukommen lassen, und dass er auch in den Provinzen Saloniki und Ruscuk mit diesem Stück Vorstellungen gegeben habe, ohne über die Zustimmung des Urhebers zu verfügen. Erst durch die Lektüre der Amtsblätter der oben genannten Provinzen habe er dies in Erfahrung gebracht. Außerdem habe er auch aus anderen Quellen, nämlich sowohl von Schauspielern als auch durch Briefe erfahren, dass Agop sein Theaterstück weiterhin inszeniere. Bislang gibt es weder gesicherte Informationen bezüglich der Leserschaft noch über die tatsächlichen Auflagenzahlen von Satirezeitschriften in Istanbul. Die Hauptabnehmer dieser Zeitschriften sind allerdings wohl im hauptstädtischen Milieu zu suchen, obwohl einige dieser Zeitschriften gegen Entrichtung der Postgebühren auch in den Provinzen zu erhalten waren. Eine Schwierigkeit bei der Feststellung der tatsächlichen Auflagenhöhe ist, dass Verlage einzelne Nummern oder gar ganze Jahrgänge neu auflegten, die eine starke Nachfrage hatten. So bot der Verlag von Hayal die Gesamtausgabe der Zeitschrift Diyojen, welche 183 Nummern umfasste, für einen Preis von 240 Piastern zum Verkauf an. Käufer, die sich nur für einzelne Nummern interessierten, konnten diese für 40 Para pro Stück erwerben.532 Auch wenn konkrete Zahlen bezüglich der Auflagenhöhe fehlen, ist davon auszugehen, dass Satirezeitschriften wie Hayal genügend Abnehmer gefunden haben, um über einen langen Zeitraum zu erscheinen. Zudem ist die Öffentlichkeit der Satirezeitschriften oder anderer Presseprodukte im Osmanischen Reich nicht auf die Anzahl ihrer Abonnenten zu begrenzen. Denn die Zeitungen und Zeitschriften lagen auch in den Kaffeehäusern (kahvehane) oder Lesestuben (kıraathâne) der Hauptstadt aus und erreichten so eine Leserschaft, die die Zahl ihrer Abonnenten um ein Vielfaches überstieg. So konnten die Besucher dieser Etablissements für wenig Geld unterschiedliche Zeitungen und Zeitschriften lesen. Ferner boten diese Einrichtungen auch den leseunkundigen Besuchern die Möglichkeit, sich über aktuelle Nachrichten und Ereignisse zu informieren. Denn lesekundige Besucher trugen den Inhalt der Zeitungen einer breiten
531 Namık Kemal hieß eigentlich Mehmed Kemal. 532 Hayal, No. 2, S. 4.
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Zuhörerschaft vor, da der Grad der Alphabetisierung der muslimischen Bevölkerung noch gering war.533 Diese lauschten den Vorträgen von Zeitungsartikeln wie sonst den Vorträgen der Meddahs. Der Besuch von Kaffeehäusern gehörte zum Alltag der männlichen Bevölkerung Istanbuls.534 Jedes Stadtviertel hatte sein eigenes Kaffeehaus (mahalle kahvehanesi), das die Bewohner des jeweiligen Viertels besuchten.535 Hayal veröffentlichte in der 356. Ausgabe eine Statistik-Karikatur über die Verkaufszahlen der osmanischen Periodika und gab folgende Zahlen an: Verkaufte Exemplare 3000 3000 500 1000 300 400 1500
Name der Zeitung Basiret Vakit Müsavat Selâmet Sabah Ceride-i Havadis Hayal
Anzahl der Exemplare, die angeblich gelesen werden: 300 Basiret 150 Vakit 250 Müsavat 100 Selâmet 150 Sabah 150 Ceride-i Havadis 1 000 000 Hayal Mit bissiger Wortsatire täuscht Hayal Objektivität vor, indem sie das StatistikFormat wählt. Gemäß dieser „Statistik“ erreicht Hayal somit eine Leserschaft von angeblich einer Millionen Menschen,536 während die Konkurrenzblätter angeblich nicht einmal von ihren eigenen Abonnenten gelesen wurden.
533 Fatma Müge Gökçek, Rise of the Bourgeoisie, Demise of Empire. Ottoman Westernization and Social Change, Oxford 1996, S. 126. 534 Vgl. Zur Kaffeehauskultur der Osmanen: Ahmet Yaşar (Hg.), Osmanlı Kahvehaneleri: Mekan, Sosyalleşme, İktidar, Istanbul 2009. 535 Unveröffentlichte Dissertation von Selin Şahbaz, Geçmişten Günümüze Kahvehaneler, Kahvehanelerin Sosyal Yaşamdaki Yeri ve Önemi: Aydın Merkez Örneği, Aydın 2007, S. 53. 536 Hayal, No. 356, 21. Mayıs 1293 R, [2. Juni 1877], S. 3.
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In den Kaffeehäusern wurden nicht nur Zeitungen und Zeitschriften gelesen, sondern auch deren Inhalt diskutiert. Somit hatten die Besucher dieser Häuser ebenso teil am Meinungsbildungsprozess. Deshalb schienen diese Häuser auch von besonderem Interesse für die osmanischen Herrscher gewesen zu sein. Laut Kırlı existieren Protokolle von Spitzeln, die auf Veranlassung des Herrschers einzelne Kaffeehäuser in Istanbul besuchten, um dort die Gerüchte, die im Umlauf waren, sowie die Gespräche und Diskussionen der Besucher ausführlich zu protokollieren; diese Protokolle reichten bis in die Regierungszeit von Sultan Abdülmecid zurück.537 In ihnen spiegelt sich der Missmut der Kaffeehausbesucher wider, so klagen sie zum Beispiel über die erdrückenden Steuerlasten, die ihnen die Hohe Pforte aufbürdete. Schon vor der Einführung der Presse im Osmanischen Reich waren die Kaffeehäuser Orte für den Austausch von Neuigkeiten und Nachrichten. Zwar waren diese ursprünglich für den Ausschank von Kaffee gedacht, aber sie entwickelten sich rasch zu Orten der Zerstreuung und Unterhaltung. Die männlichen Einwohner Istanbuls verbrachten dort ihre Freizeit, ließen sich von Geschichtenerzählern oder Schattentheatervorführungen unterhalten und tauschten den neuesten Klatsch und Tratsch aus. Hatte jemand Interesse an bestimmten Neuigkeiten und Nachrichten, so musste er nur die entsprechenden Kaffeehäuser aufsuchen. Das Publikum dieser Einrichtungen war heterogen, denn sie standen allen männlichen Besuchern aus allen Berufsgruppen und sozialen Schichten offen.538 Aus den Protokollen der Spitzel ist zu entnehmen, dass sowohl Muslime als auch Nichtmuslime diese Orte gleichermaßen aufsuchten.539
537 Die Kaffeehäuser waren schon den vorherigen osmanischen Herrschern ein Dorn im Auge, da sich an diesen Orten oft oppositionelle Bewegungen formierten. So unternahm eine Reihe von osmanischen Herrschern seit dem 16. Jahrhundert den Versuch, diese Häuser zu beseitigen. Die vorerst letzte Schließung von Kaffeehäusern verordnete Sultan Mahmud II. im Jahre 1826, nach der Beseitigung des Janitscharenkorps. Erst ab 1830 erlaubte er die Wiedereröffnung der Kaffeehäuser. Vgl. Şahbaz, Kahvehaneler, S. 47ff. 538 Es gab auch Kaffeehäuser, die hauptsächlich von Besuchern frequentiert wurden, die einer gleichen Leidenschaft frönten, wie zum Beispiel die Kaffeehäuser der Opiumraucher (esrarkeş kahvehaneleri) oder die Kaffeehäuser der leidenschaftlichen Raucher und Kaffeetrinker (tiryaki kahvehaneleri), wo die Besucher Wasserpfeife rauchen konnten und der Kaffee in sehr großen Trinkgefäßen serviert wurde. Şahbaz, Kahvehaneler, S. 64f., S. 66f. 539 Kırlı, “Kahvehaneler”, S. 113.
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Mit der Etablierung der Presse im Osmanischen Reich entstanden die sogenannten kıraathane (eine speziell osmanische Weiterentwicklung des Kaffeehauses).540 Im Gegensatz zu den gewöhnlichen Kaffeehäusern hatten die kıraathane (Lesestuben) einen literarischen Schwerpunkt. Der Fokus lag auf der Lektüre von Büchern, Zeitungen oder Zeitschriften. Eine der ersten kıraathane in Istanbul, die er 1857 am Divanyolu eröffnete, gehörte Serafim Efendi.541 Zu den Besuchern seiner Einrichtung gehörten nicht nur Personen des öffentlichen Lebens, Gelehrte und Militärs, sondern auch Provinzial- und Regierungsbeamte.542 Dadurch, dass in den Lesestuben häufig auch die Amtsblätter aus den verschiedenen Provinzen des Reiches auslagen, erlaubten diese ihren Lesern, einen Einblick in dortige Ereignisse und Neuerungen zu gewinnen. Über die Lektüre von Büchern und Periodika hinaus boten die Betreiber dieser Lesestuben ihren Gästen sowohl theatralische als auch musikalische Unterhaltung. In einem Inserat der Zeitung Basiret kündigte Mehmed Efendi, der eine Lesestube im Viertel Şehzadebaşı unterhielt, an, dass samstags, montags und mittwochs der berühmte hayalî Salih Efendi dort seine Künste vorführe und dienstags, donnerstags und sonntags musikalische Unterhaltung geboten werde.543 Ähnliche Inserate lassen sich auch in anderen Zeitungen finden, wie zum Beispiel bei İstikbal. Dort gibt ein Lesestubenbetreiber, dessen Etablissement sich ebenfalls im Viertel Şehzadebaşı befindet, bekannt, dass während des Monats Ramadan der berühmte hayalî Rıza, welcher aus dem Hofe des Sultans stammte, im Garten des kıraathanes seine Künste vorführen werde. Ferner kündigt er an, dass ebenfalls eine traditionelle Musikgruppe im Inneren des Gebäudes spielen werde.544 Aus diesen Annoncen wird deutlich, dass manche Betreiber von Lesestuben die Zeitungen nutzten, um Werbung für ihre Einrichtung bei ihrem Zielpublikum zu machen. Auch ist erkennbar, dass an diesen Orten das Moderne, die Lektüre von Büchern und Periodika und das Alte, die Vorführungen der hayalî miteinander verschmolzen. Kasap nutzte die Öffentlichkeit, die seine Zeitschrift ihm bot, um seine Konkurrenten und Gegner, insbesondere seine Hauptkontrahenten wie die Zeitung Basiret sowie deren Herausgeber Basiretci Ali oder den Impresario Güllü Agop 540 Kreiser, Istanbul, S. 270. 541 Ibidem. 542 Ursinus, “ṢANʿĀʾ”, S. 106. 543 Basiret, No. 202, 2. Teşrin-i evvel 1286 R. [14. Oktober 1870], S. 4. 544 İstikbal, No 195, 15. Eylül 1876, S. 4.
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vor seiner Leserschaft bloßzustellen. Er suchte förmlich in anderen, ihm in der osmanischen Hauptstadt zugänglichen Periodika nach Fehlern oder Schwächen seiner Opfer, um diese dann seinen Lesern zuzutragen. Dementsprechend fand er zum Beispiel eine Mitteilung in der Zeitung Zaman, welche in Aleppo erschien, dass sich Leser eben an diese Zeitung wandten, um sich über die Unzuverlässigkeit in der Zustellung der Zeitung Basiret zu beschweren. Für Kasap war dies eine willkommene Gelegenheit, seine Worte folgendermaßen an Basiret zu richten: „So wisse dies mein Freund! Da du bestimmt nicht zu den Lesern der Zeitung Zaman gehörst, erfülle ich meine Pflicht, dir die Nachricht zu übermitteln. Erkenne nun deinen Freund und deinen Feind, mein Bester!“545 Ähnlich wie die anderen Zeitungen und Zeitschriften, hegten auch die Satirezeitschriften die Intention hegten, ihre Leser zu bilden.546 Publizisten wie Kasap setzten ebenso voraus, dass ihre Leser Interesse an den Themen hatten, die die Welt der osmanischen Intellektuellen im 19. Jahrhundert besonders beschäftigten, denn diese wird von Hayal vorrangig abgebildet. Deshalb ist davon auszugehen, dass die Satirezeitschriften der Tanzimat-Periode einen Leserkreis bedienten, der im hauptstädtischen Milieu der osmanischen Oberschicht sowie der Beamtenschaft anzusiedeln ist. Allerdings kann nicht ausgeschlossen werden, dass auch Personen, die keineswegs der Elite zuzurechnen waren, ebenfalls zu den Lesern gehörten. Zweifellos lässt sich feststellen, dass neben den Zensurbeamten, vor allem die Istanbuler Journalisten, die oftmals im Dienste der Hohen Pforte standen, unabhängig von ihrer Religions- sowie Sprachzugehörigkeit zu den Rezipienten der Satirezeitschriften, vor allem von Hayal, zählten. Dies belegen die öffentlichen Dispute, die Kasap mittels seiner Zeitschrift Hayal ausfocht. Allerdings hatte Hayal nicht nur ihre Konkurrenzblätter im Blick, seien es Satirezeitschriften oder politische Nachrichtenblätter wie zum Beispiel Basiret, sondern auch deren Publizisten.547 Obwohl die Satireblätter vornehmlich ein männliches Lesepublikum bedienten, gab es wahrscheinlich auch weibliche Rezipienten aus der osmanischen Oberschicht. In ihrer 163. Nummer veröffentlichte Hayal einen angeblichen 545 Hayal, No. 156, 3. Haziran 1291 R. [15. Juni 1875], S. 3. 546 Denn schon gleich in der ersten Ausgabe ist eine spöttische Kurzmitteilung zu finden, die bekannt gibt, dass der Inhaber der sogenannten „Volkszeitung“ Basiret von seiner Sommerresidenz in Yeni Köy in seine Wintergemächer im Stadtzentrum umgezogen sei. Hayal, No. 1, S. 3. 547 Nach jetzigem Forschungstand untersuchte einzig Dagmar Glaß ein Periodikum, welches im Nahen Osten erschien, hinsichtlich ihrer Leserschaft umfassend. Vergleichbare Arbeiten in diesem Bereich stehen noch aus. Vgl. Glaß, Der Muqtaṭaf.
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Leserbrief einer Dame, die sich bei Karagöz erkundigt, ob denn nicht seine Zeitschrift auch eine Beilage für Frauen herausgeben möchte. Zwar verspricht Karagöz seiner Leserin, eine „umfangreiche“ (irice) Ausgabe für Frauen herauszugeben, falls sich genügend Abonnentinnen finden lassen, aber dazu es kam nie.548 Vermutlich karikierte Hayal mit diesem Beitrag lediglich die Beilagen für Frauen, die die Konkurrenz herausgab.
3.8 Hayal und die zeitgenössische osmanische Presse Schon mit ihrer ersten Nummer nahm Hayal die kritische Auseinandersetzung mit der osmanischen Presse auf. Die Kritik an der Presse und am Journalismus gehörte somit von Anfang an zur Programmatik von Hayal.549 Nicht nur osmanischsprachige Periodika wurden kritisch, wenn nicht gar spöttisch beleuchtet, sondern nahezu alle Zeitungen und Zeitschriften, die innerhalb der Grenzen des Osmanischen Reiches erschienen. Im Mittelpunkt stand jedoch die hauptstädtische Presse. Aufgrund des Umfangs dieses Themenfeldes ist es nicht Ziel dieses Abschnitts, alle derartigen Beiträge gänzlich zu erfassen, sondern vielmehr einige charakteristische herauszugreifen, um sie im Folgenden vorzustellen.550 Bereits in der ersten muhavere, die in Hayal erschien, beschäftigten sich Hacivat und Karagöz mit der Istanbuler Presse.551 Obgleich die Kritik an der Presse ein thematischer Schwerpunkt dieser Rubrik war, beschränkte sich die Diskussion der Pressebeiträge keineswegs auf diese Dialoge. Hayal setzte das vielfältige Repertoire journalistischer Darstellungsformen ein, um ihre Kritik, unter Einsatz von humoristischen und satirischen Stilmitteln, zum Ausdruck zu bringen. Meldungen und Nachrichten oder andere journalistische Beiträge, 548 Hayal, No. 163, 19. Haziran 1291 R. [1. Juli 1875], S. 2. 549 Hayal, No. 151, 23. Mayıs 1291 R. [4. Juni 1875], S. 2. Vgl. ebenso: Ursinus, “Gazette”, in: Ursinus (Hg.), Querelles Privées, S. 99–114. 550 So berichtet die Zeitung Vakit, dass die griechische Ausgabe von Hayal, Momos, die am 15. Teşrin-i sâni 1291 R. [27. November 1875] erschien, für fünf Tage suspendiert worden war, weil der Zensur eine Karikatur missfiel. Dass nur die griechische Ausgabe von der Suspendierung betroffen war, kann als Indiz gedeutet werden, dass der Inhalt Momos’ sich von Hayal unterschied oder aber das Presseamt nur die osmanischsprachigen Ausgaben verschärft überwachte. Vgl. Vakit, No. 167, 22. Teşrin-i sâni 1291 R. [4. Dezember 1875], S. 2. Außerdem berichtet Vakit in ihrer 159. Nummer, dass das satirische Blatt Kara Sinan, welches in Izmir erschien, ebenfalls kurzweilig suspendiert worden war und nun diese Frist abgelaufen sei. Vgl. Vakit, No. 159, 13. Teşrin-i sâni 1291 R. [25. November 1875], S. 1. 551 Hayal, No. 1, S. 1–3.
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die in den nicht-osmanischsprachigen Periodika erschienen, trug die Satirezeitschrift ebenso an ihre Leser heran wie die Inhalte der osmanischsprachigen Presse. Somit erlaubte Hayal seinem Publikum, einen Einblick in die Berichterstattung der osmanischen Presse zu gewinnen, und ermöglichte ihren Lesern dadurch, sich selbst eine Meinung zu bilden.552 Hayal druckte allerdings nicht immer die Meldungen vollständig nach (iktibas), die sie kommentierte, sondern beschränkte sich zumeist auf Zitate oder zusammenfassende Wiedergaben. Darüber hinaus verglich Hayal auch Nachrichten unterschiedlicher Zeitungen, die diese jeweils zum selben Ereignis abdruckten und „entlarvte“ somit deren mangelhafte Berichterstattung.553 Zugleich nahm Hayal mit seiner ersten Nummer auch ihren Kampf gegen den Publizisten Basiretci Ali Efendi auf. In einer zweieinhalbzeiligen Meldung berichtete Hayal vom Umzug Ali Efendis von seiner Sommerresidenz in Yeni Köy nach Istanbul.554 Obwohl diese Meldung keine offene Kritik enthält, so verweist sie vermutlich darauf, dass der Herausgeber einer angeblichen „Volkszeitung“ (millet gazetesi) sich einen Lebensstil leistet, der keineswegs mit dem des einfachen „Volkes“ konform ist, als dessen Organ sich aber Basiret versteht. Unter all den „Opfern“ von Hayal kommt Basiret eine besondere Stellung zu. In fast allen Ausgaben der Satirezeitschrift fehlt es nicht an Spott und Häme, die sich gegen diese Zeitung und deren Herausgeber richtet. Hayal setzte vielfältige stilistische und literarische Mittel ein, um Basiret und ihren Herausgeber Ali Efendi zu kritisieren und zu verspotten. Die Angriffe von Hayal gegen Basiret sowie Ali Efendi waren schon programmatisch. Wenn das Blatt ausnahmsweise keine Beiträge veröffentlichte, die Basiret zum Ziel hatten, dann kommentierte der Herausgeber die letzte Seite dieser Nummer mit folgender Bemerkung: „Gott sei Dank habe ich es [geschafft], diese Ausgabe zusammenzustellen, ohne Basiret mit einzubeziehen.“555 Hayal griff Basiret nicht nur an, sondern persiflierte auch Rubriken, die zu den wiederkehrenden Inhalten von Basiret gehörten wie die „Stadtbriefe“ (Şehir Mektubları).556 In ihrer 145. Ausgabe veröffentlichte Hayal 552 Hayal, No. 1, S.1–3. 553 In ihrer dritten Nummer druckte Hayal die Nachricht bezüglich eines Zugunglückes, über das die Zeitungen Basiret, Hakayık (Wahrheiten) und Asya (Asien) berichteten, und kommentierte ihre abweichende Berichterstattung desselben Ereignisses. Vgl. Hayal, No. 3. 27. Teşrin-i evvel 1289 R. [8. November 1873], S. 3–4. 554 Hayal, No. 1, S. 3. 555 Hayal, No. 262, S. 4. 556 Hayal, No. 147, 13. Mayıs 1291 R. [25. Mai 1875], S. 3–4. Hayal erklärt ihren Lesern, dass dieser Brief „aus Versehen“ in ihrer Redaktion gelandet sei anstelle
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einen „Stadtbrief“ aus Edirne.557 Zwei Nummern später hingegen erschien ein weiterer „Stadtbrief“, der angeblich „aus Versehen“ bei der Redaktion von Hayal landete anstelle der von Basiret.558 Die Feindseligkeiten zwischen den beiden Periodika führten soweit, dass Karagöz und Hacivat in ihren muhaveres sogar die Werbeanzeigen besprachen, die Basiret veröffentlichte.559 Jede Gelegenheit schien Hayal willkommen, um diese Zeitung anzugreifen. Sogar Beschwerdebriefe, die Abonnenten des „Volksblattes“ aus Aleppo an die Redaktion von Basiret sandten, da sie ihre Zeitungen nicht rechtzeitig bekamen, veröffentlichte Hayal, um die angebliche Unzuverlässigkeit von Basiret zu akzentuieren und zu kritisieren.560 Auch in anderen Provinzen des Osmanischen Reiches erfreute sich Basiret großer Beliebtheit, da sogar die Amtsblätter, die in den unterschiedlichen Provinzen des Reiches erschienen, annoncierten, dass diejenigen, die Interesse an einem Abonnement dieser Zeitung hatten, sich an den evrak müdürü561 der jeweiligen Provinz wenden sollten, um diese Zeitung beziehen zu können. Für Hayal war dies ein außerordentlich großes Ärgernis, dass amtliche Organe des Osmanischen Reiches somit nicht nur Basiret implizit weiterempfahlen, sondern auch Interessenten Hilfestellung leisteten, ein Abonnement zu erhalten.562 Die amtlichen Zeitungen waren bei Kasap ohnehin nicht sehr beliebt, wie z. B. aus einer muhavere zu entnehmen ist, die in der 275. Nummer erschien.563 So trug der Umstand, dass sie sich an Basiret orientierten und diesem Blatt, welches aus Kasaps Perspektive keineswegs seiner Definition einer Zeitung entsprach, wie er in zahlreichen Beiträgen verdeutlichte, auch noch halfen, es in den Provinzen des Reiches zu vertreiben, nicht gerade dazu bei, ihr Ansehen zu verbessern. Ein weiterer Kritikpunkt an Basiret war, dass sie angeblich fortwährend unwahre und veraltete Nachrichten verbreiten würde.564
des eigentlichen Adressaten. 557 Hayal, No. 145, 8. Mayıs 1291 R. [20. Mai 1875], S. 3. 558 Hayal, No. 147, S. 2. 559 Hayal, No. 173, 12. Temmuz 1291 R. [24. Temmuz 1875], S. 1. 560 Hayal, No. 156, 3. Haziran 1291 R. [15. Juni 1875], S. 3. 561 Vgl. Redhouse, S. 354. 562 Hayal, No. 245, 11. Mart 1291 R. [23. Mart 1875], S. 1–2. 563 Hayal, No. 275, 17. Temmuz 1292 R. [29. Juli 1876], S. 1. 564 Basiret yalan haber yazıyor. Hayal, No. 159, 10. Haziran 1291 R. [22. Juni 1875], S. 1; Hayal, No. 154, 29. Mayıs 1291 R. [10. Juni 1875], S. 1; Hayal. No. 248, 18. Mart 1291 R. [30. März 1875], S. 1–2.
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Vor persönlichen Angriffen schreckte Kasap trotz mehrfacher Sanktionen nicht zurück.565 So schrieb Kasap, dass, wenn eines Tages eine Zeitung beschließt, den ehrenwerten Ali Efendi als „überaus gutaussehenden Mann, der aufopfernd, allwissend, eifrig und gütig ist“, zu beschreiben, dann hätte niemand etwas dagegen einzuwenden und keiner würde sagen, dass dies „persönlich“ sei. Aber wenn Hayal schreiben würde, „er [Ali Efendi] kennt sich nicht sehr gut in der Geografie aus, hat nicht viel Ahnung von der Medizin, achtet bei seiner Zeitung nicht so sehr auf Ausdruck und Orthografie und füllt, gegen Entgelt, die vierte Seite seiner Zeitung mit allem Möglichem, dann wäre es unverschämt.“ Jeder würde behaupten, Hayal greife die Persönlichkeit an.566 Ersten Einschätzungen zufolge, vermied es Ali Efendi allerdings weitestgehend, sich gegen die kontinuierlichen Angriffe von Hayal mittels seiner Zeitung explizit zu wehren. Bislang war lediglich die Nummer 1046 auszumachen, in der Basiret einen Beitrag veröffentlichte, der den Titel „Hayal“ trägt.567 Vielmehr schien Basiret es vorzuziehen, sich mit İstikbal auseinander zu setzen.568 Die Dispute, die sich die beiden Zeitungen lieferten, besprachen Hacivat und Karagöz gelegentlich im Rahmen ihrer muhavere.569 Gemäß Hayal veröffentlichte Basiret sogar einen Beitrag über vier Spalten, der İstikbal im Fokus hatte.570 Es bleibt allerdings zu untersuchen, ob „versteckte“ bzw. indirekte Angriffe gegen Hayal in Beiträgen wie z. B. in den „Stadtbriefen“ enthalten sind.571 Ali Efendi veröffentlichte in seiner Zeitung angeblich zumeist kurze Mitteilungen, die auf Teodor Kasap abzielten.572 Für Hayal war dies allerdings eine 565 Hayal, No. 208, 2. Teşrin-i evvel 1291 R. [14. Oktober 1875], S. 4. 566 Hayal, No. 173, 15. Temmuz 1291 R. [27. Juli 1875], S. 1. 567 In diesem Artikel äußert sich Basiret zum Standpunkt von Hayal bezüglich des Ortaoyun. Vgl. Basiret, No. 1046, 26. Teşrin-i evvel 1289, R. [8. Oktober 1873] S. 1–2. 568 Hayal, No. 193, 28. Ağustos 1291 R. [9. September 1875], S. 1; Hayal, No. 196, 4. Eylül, 1291 R. [16. September 1875], S. 2. 569 Hayal, No. 197, 6. Eylül 1291 R. [18. September 1875], S. 1–2. 570 Hayal, No. 199, 11. Eylül 1291 R, [23. September 1875], S. 2. 571 Aufgrund der Fülle des Materials konnte die Untersuchung von Basiret nur stichprobenartig erfolgen. Um den gesamten Verlauf dieser Auseinandersetzungen zwischen Basiret und Hayal zu verfolgen, ist allerdings eine breiter angelegte Erforschung notwendig, die jedoch im Rahmen einer anderen Arbeit geschehen muss. Dieser öffentliche Disput zwischen Ali Efendi und Teodor Kasap mittels ihrer Periodika wurde mit regem Interesse auch von anderen Zeitungen und Zeitschriften in Istanbul thematisiert. Sogar Ceride-i Havadis äußerte sich dazu. Vgl. Ceride-i Havadis, No. 3157, 20. Receb-i şerif 1293 H. [11. August 1876], S. 3. 572 Hayal, No. 270, 6. Temmuz 1292 R. [18. Juli 1875], S. 2.
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willkommene Gelegenheit, um zum Gegenschlag auszuholen. So kommentierte Hayal eine dreizeilige Meldung von Basiret mit 55 Zeilen.573 Anstelle von Basiret versuchte Ali Efendi sich mit seiner eigenen Satirezeitschrift, Kahkaha, seinerseits über Kasap und Hayal (auch İstikbal) lustig zu machen.574 Doch auch für Kahkaha hatte Hayal nur Spott und Häme übrig.575 Über die Streitigkeiten zwischen Kasap und Ali Efendi berichteten andere zeitgenössische Zeitungen ebenfalls, wie zum Beispiel das halbamtliche Blatt Ceride-i Havadis.576 So wurden diese Auseinandersetzungen einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Obwohl sich Hayal in einem fortwährenden Zwist mit Basiret befand, bedauerte sie es jedoch, wenn diese Zeitung von der Zensur suspendiert (ta’til) wurde und begrüßte das Wiedererscheinen ihres größten Widersachers nach Ablauf der Suspendierungafrist stets mit Freuden. Zum Beispiel verkündete Hayal in ihrer 190. Ausgabe ihren Lesern gleich auf der ersten Seite die „frohe Nachricht“, dass Basiret erneut erscheine, und nahm diese Gelegenheit auch zum Anlass, um über Basiret und Sadakat sowie über ihre Supplemente zu spotten.577 Auch mit den anderen osmanischen Zeitungen scheute Hayal keineswegs die offene Konfrontation. Allerdings blieben die „Opfer“ ihrer Angriffe nicht wehrlos. Dies geht besonders deutlich aus einer Meldung hervor, die Hayal gleich in ihrer ersten Ausgabe veröffentlichte. Dieser Nachricht ist zu entnehmen, dass Kasap gegen die Zeitung Asya (Asien) Klage eingereicht habe, da sie mehrere Artikel veröffentlicht habe, die ihn anscheinend persönlich angriffen. Das Gericht gab wohl Kasap Recht und verordnete, dass Asya sich bei ihm öffentlich (alenen) entschuldigen musste, um dessen Ehre wiederherzustellen (ikmal-i namus içün).578 Als Entschuldigung gab Asya jedoch an, dass diese Artikel „unwissentlich, aus nicht nachvollziehbaren Gründen“ publiziert worden seien (bizim haberimiz olmaksızın her nasılsa). Vermutlich hatten die Zwistigkeiten zwischen Asya und Kasap bereits mit Çınğıraklı Tatar begonnen. Aus einer Bekanntmachung, die Hayal am 23. September 1874 veröffentlichte, geht hervor, dass Kasap auch gegen den Lizenzinhaber der Zeitung Mecmua-i Maarif 573 Hayal, No. 270, S. 2. 574 Vgl. Kahkaha, No. 13, 3 Mayıs 1291 R. [15. Mai 1875], S. 3; Kahkaha, No. 17, 17. Mayıs 1291 R. [29. Mai 1875], S. 3; Kahkaha, No. 20, 27. Mayıs 1291 R. [8. Juni 1875], S. 2–3; Kahkaha, No. 25, 2. Eylül 1291, R. [14. September 1875] S. 1–2, S. 4. 575 Hayal, No. 149, 17. Mayıs 1291 R. [29. Mai 1875], S. 3; Hayal, No. 198, 9. Eylül 1291 R. [21. September 1875], S. 3. 576 Ceride-i Havadis, No. 3157, S. 3. 577 Hayal, No. 190, 21. Ağustos 1291 R. [2. September 1875], S. 1. 578 Hayal, No. 1, S. 4.
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(Zeitschrift der Wissenschaften) Klage eingereicht hatte.579 Über die Hintergründe dieser Klage ist nichts bekannt. Kasap publizierte eine unnummerierte und undatierte Sonderausgabe mit einem Umfang von zwei Seiten, die den Kopf der hundertsten Nummer von Mecmua-i Maarif trägt. Allerdings ist diese Ausgabe nicht datiert, sie erschien vermutlich im Oktober 1876.580 Trotz der zahlreichen Gerichtsprozesse, zu denen es wohl wegen ihrer häufigen Debatten mit den anderen osmanischen Zeitungen und Zeitschriften zustande kam, blieb Hayal ihrer Linie stets treu. In ihrer 43. Ausgabe beschäftigt sich Hayal sogar auf fast zwei Seiten mit der Zeitung Şark (Osten). Zahlreiche Witze und satirische Beiträge, die in Şark erschienen, wurden in dieser Ausgabe nachgedruckt und ausführlich von der Redaktion von Hayal kommentiert. Nicht nur in satirischen Beiträgen drückt Kasap seine Meinung zu den zeitgenössischen osmanischen Periodika aus, sondern auch in Karikaturen, die zu dieser Thematik in Hayal erschienen. Mit vielen Bildsatiren visualisierte Hayal ihre Geringschätzung der anderen Zeitungen und Zeitschriften. Zum Beispiel erschien in ihrer 18. Ausgabe eine Karikatur, die Karagöz als Schmied darstellt, dessen Geselle unterschiedliche Zeitungen jener Jahre wie Basiret, Şark und Levant Herald (u. a.) als Brennstoff verwendet. Unter der Karikatur ist folgender Begleittext zu lesen: „Zur Zeit gibt es kein billigeres [Brenn-] Material [als dieses], sei nicht zögerlich, leg reichlich nach“.581 Einige Ausgaben später ist in einem Bild eine Zeitungsredaktion dargestellt, in der die Redakteure Alkohol konsumieren und Artikel aus nicht-osmanischen Zeitungen herausschneiden, um sie dann in ihrer eigenen Zeitung zu veröffentlichen.582 Als Erklärung zu diesem Bild ist folgende Bildunterschrift zu lesen: „Eine Redaktion in Istanbul“. Damit kritisiert und karikiert Hayal eine gängige Praxis unter den osmanischen 579 Hayal, No. 101, 11. Eylül 1290 R. [23. September 1874], S. 1. 580 Da die Kollektion dieser Zeitschrift in der HTU – Bibliothek in Istanbul nur 99 Nummern umfasst, war es nicht möglich die 100. Nummer einzusehen. Die Zeitung erschien täglich, außer sonntags. Die 99. Ausgabe erschien am 13. Oktober 1876, infolgedessen muss die 100. Nummer am 14. Oktober erschienen sein. Mecmua-i Maarif, No. 99, 24. Ramazan 1293 H. [13. Oktober 1876], S. 1. 581 Hayal, No. 18, 22. Kânun-i evvel 1289 R. [3. Januar 1874], S. 4. 582 Hayal unterstellte, dass einige Journalisten der Konkurrenzblätter dem Alkohol verfallen seien und stellte sie als Trunkenbolde dar. Vgl. Hayal, No. 182, 2. Ağustos 1291 R. [14. August 1875], S. 3. Die Redakteure der Zeitung Vakit, die Hayal oft als Säufer darstellte, publizierten nun ihrerseits einen Beitrag, in dem sie versuchten, die Redakteure von Hayal zu verspotten. Hayal nahm dies jedoch erneut zum Anlass, sie wiederum zu verspotten, indem sie diesen Beitrag von Vakit zitierte und kommentierte.
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Journalisten, nämlich den Nachdruck (iktibas) von Artikeln, die aus anderen Zeitungen stammen und bezichtig sie des Alkoholismus. Der Verwurf, die Journalisten würden zu viel Trinken und in betrunkenem Zustand ihre Artikel verfassen, erscheint häufig. So ist unter der Rubrik „Traumdeutung“ zu lesen, wenn man von einer großen Flasche Anisschnaps träume, so träfe man am nächsten Tag auf die Freunde der Vakit Journalisten.583 Mit folgender -äußerst bissiger- Statistik-Karikatur, über die angeblichen Marktpreise der anderen Zeitungen, bringt Hayal ihre Geringschätzung gegenüber den anderen Periodika im Osmanischen Reich zum Ausdruck. Preis in Piaster Der Preis der Frühausgabe von Vakit – bis 17 Uhr 20 Der Preis zwischen 17–20 Uhr 15 Der Preis der Abendausgabe von Vakit – bis 22 Uhr 20 Bis 23 Uhr 15 Der Preis der Beilage bis 23:30 20 Der Preis bis zum nächsten Morgen 10 Zwei Tage später, der Preis für ein okka 80 Von der Zeitung Ceride-i Havadis kostet ein okka beim Krämer (da die Qualität des Papiers minderwertig ist) 60 Der Preis der Frühausgabe von Şems – bis 16 Uhr 20584 Der Preis der Beilage zwischen 17–20 Uhr 40 von 20–21 Uhr 20 von 21–23 Uhr 10 am Abend kostet ein okka beim Krämer 40 Sadakat ist zu den gleichen Bedingungen wie Şems erhältlich. (…)585 Aufgrund seiner anhaltenden Auseinandersetzungen mit den anderen osmanischen Publizisten hatte Kasap mit zahlreichen Klagen zu kämpfen. Zum Beispiel klagte auch Filib Efendi, der Herausgeber der Zeitung Vakit gegen Kasap. 583 Hayal, No. 236, 20. Kânun-i evvel 1291 R. [14. Dezember 1875], S. 2. 584 Einige Zeitungen wie Vakit publizierten angeblich täglich zwei Ausgaben. Vgl. Hayal, No. 190, 21. Ağustos 1291 R. [2. September 1875], S. 1. Offensichtlich handelt es sich um einen satirischen Beitrag, denn bei einer stichprobenartigen Untersuchung dieser Zeitung konnten keine Ausgaben ausgemacht werden, die am selben Tag erschienen sind. 585 Hayal, No. 186, 12. Ağustos 1291 R. [24. August 1875], S. 2–3. Mit den Preisen der Zeitungen beschäftigten sich auch Karagöz und Hacivat in ihren muhaveres. Hayal, No. 225, 25. Teşrin-i sâni 1291 R. [7. Dezember 1875], S. 3.
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Kasap sah diese Prozesse als Anlass, um sich erneut über seine Ankläger lustig zu machen.586 Trotz der Rechtsstreitigkeiten ließ Kasap nicht davon ab, weiterhin über diese Personen zu spotten.587 Außerdem veröffentlichte er in Hayal vor den Gerichtsverhandlungen sogar Mitteilungen, in denen die Zeitschrift ihre Leser an den Termin des Prozesses erinnerten.588 Auch Basiretci Ali reichte gegen Teodor Kasap Klage ein, da er sich durch dessen ständige Anfeindungen und Attacken in seiner Ehre verletzt sah. Kasap wurde deshalb zu fünf Tagen Gefängnis und fünf Lira Geldstrafe verurteilt.589 Da Basiret zu der Zeit, als das Urteil verkündet wurde, suspendiert worden war, gab Ali Efendi eine Anzeige in Vakit auf, um diese Nachricht zu verkünden.590 Kasap war nicht der einzige Publizist, der regelmäßig andere Journalisten und Publizisten angriff. Auch die Satirezeitschrift Meddah veröffentlichte häufig Beiträge, in denen sie Basiret attackierte.591 Infolgedessen beschäftigten diese Streitigkeiten unter den Journalisten und Publizisten regelmäßig die osmanischen Gerichte.592 Es scheint, dass das Austragen von Meinungsverschiedenheiten mit anderen Blättern, neben ihrer Funktion als Nachrichtenblatt oder Zeitschrift, zur Programmatik osmanischer Periodika gehörte. Diese Differenzen, die in den jeweiligen Blättern ihren Niederschlag fanden, deuten darauf hin, dass zumindest die Herausgeber, Redakteure und Journalisten jener Jahre den Pressemarkt stets aufmerksam verfolgten. Dies ist besonders bei den Satirezeitschriften klar erkennbar. Neben den kritischen bzw. spöttischen Äußerungen wird dies auch an Inhalten deutlich, die keinen angreifenden Charakter haben. Gelegentlich übernahmen die Satirezeitschriften jener Jahre entweder Motive aus den Bildern der Konkurrenz oder ließen sich zumindest von ihnen inspirieren. Meddah brachte z. B. eine Karikatur, in der die Zeitung Basiret zum Heizen verwendet wird.593 Zuvor war, wie bereits oben erwähnt, dieses Motiv in Hayal erschienen. Auch Çaylak veröffentlichte Motive, die erstmals in Hayal
586 Hayal, No. 267, 1. Temmuz 1292 R. [13. Juli 1876], S. 1–2. 587 Hayal, No. 273, 13. Temmuz 1292 R. [25. Juni 1876], S. 2, S. 3–4. 588 Hayal, No. 286, 19. Ağustos 1292 R. [31. August 1876], S. 3. Da auch Kasap in seinem politischen Nachrichtenblatt Basiret angriff, reichte dieser Klage gegen İstikbal ein. 589 Basiret, No. 2002, 16. Mart 1293 R. [28. März 1877], S. 3. 590 Ibidem. 591 Vgl. Meddah, No. 5, 29. Muharrem 1292 H. [7. März 1875], S. 2; Meddah, No. 18, 12. Rebiulevvel 1292 H. [18. April 1875], S. 1; Meddah, No. 14, 2. Rebiulevvel 1292 H. [8. April 1874], S. 2, Meddah, No. 18, S. 1. 592 Vgl. Hayal, No. 158, 7. Haziran 1291 R. [19. Juni 1875], S. 1. 593 Vgl. Meddah, No. 14, S. 4.
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erschienen waren. Während des Serbisch-Osmanischen Krieges von 1876 gab es in Hayal eine Karikatur, die einen tscherkessischen Soldaten als Riesen zeigte.594 Wenige Wochen später zeigte Çaylak (Abb. 32) ein ähnliches Bild, welches einen osmanischen Kämpfer als Riesen darstellte.595 Satirezeitschriften, wie zum Beispiel Lâtife, Meddah und Çaylak, die ihre Publikation nach 1873 aufnahmen, thematisierten und diskutierten die osmanische Presse in ihren muhaveres nach dem Vorbild von Hayal. Zudem etablierte Kasap die Figur des Karagözs als sein Sprachrohr. So erschien in den Karikaturen der Konkurrenz häufig Karagöz als Sinnbild für Hayal oder Kasap.596 Die Präsenz von Karagöz in den Bildern der anderen Satirezeitschriften hebt zum einen nochmals hervor, dass Hayal auch von anderen Publizisten wahrgenommen und gelesen wurde.597 Zum anderen verdeutlicht die Verwendung dieses Symbols, dass die Rezipienten dieser Zeitschriften ebenfalls mit Hayal bekannt waren. Denn erst, wenn sie das Symbol des Karagöz als Hayal zu deuten vermochten, war es ihnen möglich, die Karikatur zu dechiffrieren. Kannten sie hingegen die Figur Karagöz nur aus dem gleichnamigen Schattentheater, so blieb ihnen die Botschaft derartiger Bilder verborgen.
3.9 Hayal und die osmanische Pressezensur Erste Verordnungen, die die gesetzliche Regulierung der osmanischsprachigen Presse im Osmanischen Reich betrafen, wurden 1858 eingeführt, zu einem Zeitpunkt, als lediglich drei osmanischsprachige Periodika auf dem Pressemarkt zu erhalten waren.598 Zum einen gab es den Staatsanzeiger Takvim-i Vekayi nebst dem halbamtlichen Blatt Ceride-i Havadis sowie die wissenschaftliche Zeitschrift für Mediziner, Vekayi-i Tıbbiyye. Noch bevor sich ein ausdifferenzierter Pressemarkt überhaupt etablieren konnte, war die Hohe Pforte bereits in Sorge um die Wirkung der Presse. Dabei diente das französische Strafrecht der Hohen Pforte 594 Hayal, No. 277, 22. Temmuz 1292 R. [3. August 1876], S. 4. 595 Hayal veröffentlichte die Bildsatire am 3. August 1876 und Çaylak am 25. Juni 1877. Vgl. Hayal, No. 277, 22. Temmuz 1292, S. 4 und Çaylak, No. 162, 13. Haziran 1293, S. 4. 596 Vgl. Meddah, No. 1, S. 4. 597 Vgl. Meddah, No. 2, 18. Muharrem 1292 H. [24. Februar 1875], S. 4; Kahkaha, No. 17, 17. Mayıs 1291 R. [29. Mai 1875], S. 4; Çaylak, No. 132, 21. Mart 1293 R. [2. April 1877], S. 4; Çaylak, No. 124, 3. Mart 1293 R. [15. Mart 1877], S. 4; Letaif-i Âsar, No. 7, 31. Kânun-i evvel 1290 R. [12. Januar 1875], S. 6. 598 Die Satirepresse im Deutschen Reich wurde ebenfalls streng von den Behörden überwacht. Vgl. Liebel, Politische Karikaturen, S. 46f.
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als Vorlage für ihr Pressegesetz.599 Fast zwölf Jahre bevor überhaupt das erste osmanischsprachige Satireblatt erschien, sah der Paragraph 139 des osmanischen Strafgesetzes vor, dass satirische Äußerungen, die gegen die allgemeinen guten Sitten verstießen, sowie der Druck von anstößigen Bildern verboten waren.600 Bis 1864 unterstand die Aufsicht über die Presse dem Bildungsministerium (Maarif-i Umumiyye Nezareti). 1864 erfolgte eine erneute Regulierung der Presse (Matbuat Nizamnamesi). Zwar war die Anzahl der Periodika zu diesem Zeitpunkt noch gering, aber die Hohe Pforte wollte die Verbreitung der privatwirtschaftlich geführten Periodika vorsorglich unter ihre Kontrolle stellen. Deshalb war eine der wichtigsten Neuerungen die Bestimmung, die besagte, dass private Personen, die die Absicht verfolgten, eine privatwirtschaftlich geführte Zeitung oder Zeitschrift zu gründen, erst einmal die Erlaubnis der Regierung einholen mussten. Eine weitere neue Bestimmung war, dass ein Exemplar der Periodika unterschrieben an die Behörden geschickt werden musste.601 Dies verdeutlicht, dass es zwar keine Vorzensur gab, dass aber durchaus der Inhalt der Zeitungen dem kritischen Blick der zuständigen Staatsbediensteten unterlag. Drei Jahre später, 1867, erfolgte eine weitere Regulierung der Presse, die die Auflagen für die Publizisten und Journalisten zunehmend verschärfte. Die Behörden ahndeten die Nichtbeachtung dieser Bestimmungen sehr hart. Topuz schreibt, dass allein die Satirezeitschrift Diyojen im Jahre 1871 insgesamt fünfzehnmal verboten wurde.602 Ein weiteres besonders wirksames Instrument, die Zahl der kritischen Stimmen zu dezimieren oder den Zeitungsmarkt zu kontrollieren, war die Einführung der Stempelsteuer (pul parası) von zwei Para pro Exemplar im Jahr 1873. Viele Zeitungen oder Zeitschriften konnten diese finanzielle Last nicht tragen und mussten ihr Erscheinen einstellen.603 Weitere Bestimmungen der Presseregulierung folgten 1876 unter Mahmud Nedim Pascha, dem besonders die Satirezeitschriften ein Dorn im Auge waren.604 Im Januar 1876 führte er die Vorzensur für Karikaturen ein, die nicht mehr ohne amtliche Genehmigung erscheinen durften. Bis zur Verabschiedung der Verfassung gab es keine gesetzliche Regelung für die Zensur. Somit unterlag sie gewissermaßen partiell der Willkür der Beamtenschaft. Deshalb gehörte die Vorgehensweise des Presseamtes von 599 Topuz, Basın Tarihi, S. 44. 600 Ibidem. 601 Topuz, Basın Tarihi, S. 65. 602 Ibidem, S. 46. 603 Özdiş, Osmanlı, S. 73f. 604 Topuz, Basın Tarihi, S. 47.
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Anfang an zu denjenigen Inhalten, mit denen sich Hayal sehr häufig beschäftigte. Jedoch beschränkte sich die Berichterstattung von Hayal in der ersten Zeit lediglich auf die Veröffentlichung von Bekanntmachungen, aus denen der Leser entnehmen konnte, welche Zeitungen von einer temporären Einstellung oder einer endgültigen Schließung (lağv) betroffen waren. Zum ersten Mal griff die Zensur gegen Hayal nach dem Erscheinen der 139. Nummer durch und suspendierte das Blatt für den Zeitraum von einem Monat. In der 140. Nummer von Hayal ist auf der ersten Seite der Erlass des Presseamtes veröffentlicht, welcher erläutert, warum die Behörde sich gezwungen sah, diese Maßnahme einzuleiten. In diesem Erlass begründet das Presseamt (matbuat odası) die Maßnahme gegen die Zeitschrift mit der Erklärung, dass dieses Blatt ihre Opfer wiederholt auf einer persönlichen Ebene angegriffen und ihnen somit geschadet habe.605 Zwar wird in diesem amtlichen Text das Wort „Ansehen“ oder „Ehre“ nicht explizit erwähnt, doch scheint der Schutz des Rufes und der Ehre der Opfer von Hayal ausschlaggebend für diese Maßnahme gewesen zu sein. Denn schon zuvor wurde Kasaps erste Satirezeitschrift Diyojen geschlossen, da sie u. a. die Ehre ihrer Opfer verletzte. Hayal thematisiert diese Zensurmaßnahme in der muhavere, die ebenfalls auf der ersten Seite erschien, unmittelbar nach der amtlichen Verkündung. Hacivat fragt seinen Freund Karagöz, wo er denn seit einem Monat gewesen sei, und dieser antwortet: „[…] ich bin für gesetzlos erklärt worden (yolsuz oldum)“ Schon kurze Zeit später, nach der Veröffentlichung der 141. Nummer, griff die Zensur erneut durch und suspendierte Hayal nun für den Zeitraum von zwei Monaten. Der amtlichen Verkündung, die gleich auf der ersten Seite der 142. Nummer erschien, ist zu entnehmen, dass diese Maßnahme nur die osmanischsprachige Ausgabe der Zeitschrift Hayal betraf. Die Begründung, die dieser Entscheidung zugrunde lag, war, dass diese Ausgabe Äußerungen enthielt, welche dem „Ansehen des Fiskus‘ der Hohen Pforte“ (hükûmet-i seniyyenin i’tibar-i maliyyesine) schadeten.606 Daraus ist abzuleiten, dass die Inhalte der nichtosmanischsprachigen Ausgaben sich von der osmanischsprachigen unterschieden, oder aber dass lediglich die öffentliche Meinung der Leser der besagte Ausgabe für die Regierung wichtig war. Unmittelbar nach diesem amtlichen Erlass veröffentlichte die Redaktion ein Schreiben, aus dem hervorgeht, dass Kasap eine Petition einreichte und sich schuldig bekannte, damit die Behörden davon absahen, die Publikation seiner
605 Hayal, No. 140, 27. Muharrem 1292 H. [5. März 1875], S. 1. 606 Hayal, No. 142, 30. Nisan 1291 R. [12. Mai 1875], S. 1.
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osmanischsprachigen Ausgabe einzustellen. Seine Petition zeigte Wirkung, sie erlaubten ihm weiterhin seine Zeitschrift unter dem Namen Hayal zu veröffentlichen. Ferner versicherte Kasap ab diesem Zeitpunkt, den hoheitlichen Anordnungen Folge zu leisten (nizamât-i seniyyeye tevfik eyliyeceğine). Die Behörden gaben seinem Antrag statt und sahen diesmal davon ab, das Erscheinen seiner Zeitschrift unter dem Namen Hayal endgültig zu unterbinden.607 Kasap schien durch seine regierungskritischen Äußerungen den Zorn der osmanischen Behörden auf sich gezogen zu haben. Während seine persönlichen Anfeindungen und „Ehrverletzungen“ lediglich mit einem temporären Verbot geahndet wurden, duldeten die Behörden keinerlei Kritik, die auf die Staatsmacht abzielte. Erst durch seine Bemühungen, die aus dieser Erklärung von Hayal hervorgehen, konnte Kasap seine osmanischsprachige Ausgabe vor der endgültigen Schließung retten. Die Behörden zeigten Gnade und ließen ihn gewähren, deshalb sah sich Kasap auch zu Dank verpflichtet und richtete im Anschluss an diese Erklärung Worte des Dankes an die verantwortlichen Amtsträger, ohne deren Nachsicht seine osmanischsprachige Zeitschrift wohl nicht mehr hätte erscheinen können.608 Wie auch schon nach der ersten Schließung thematisieren Hacivat und Karagöz die Suspendierung erneut, jedoch wird diese nicht infrage gestellt oder ausdiskutiert. Vielmehr erkundigt sich Hacivat nach dem Verbleib seines Freundes, da er ihn seit geraumer Zeit nicht angetroffen habe. Karagöz antwortet ihm, dass er bloß auf der Suche nach einem speziellen Eichenbaum war, um sich aus dem Holz einen Stock herzustellen. Lediglich an einer Stelle des Dialoges äußert Hacivat, dass er befürchtet habe, dass die Zeitschrift seines Freundes erneut suspendiert worden sei. Karagöz antwortet daraufhin: „Ich bin für gesetzlos erklärt worden (beni yolsuz ettiler)“, und dass er vom „bösen Blick“ (nazar) getroffen sei. Im weiteren Gesprächsverlauf gehen Hacivat und Karagöz nicht mehr auf die Suspendierung ein und widmen sich anderen Themen wie zum Beispiel, dass der Herausgeber der Zeitung Basiret eine Lizenz erworben habe, um eine Satirezeitschrift unter dem Namen Kahkaha zu veröffentlichen.609 Eine erneute Suspendierung durch die Zensur erfolgte nach der Publikation der 221. Nummer. Das amtliche Schreiben erschien in der 222. Nummer, in der die zuständige Behörde begründete, aus welchem Grunde sie diese Suspendierung als notwendig erachtete. Diesmal war ein Artikel, den Hayal veröffentlicht
607 Hayal, No. 142, S. 1. 608 Ibidem. 609 Hayal, No. 142, S. 2.
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hatte, ausschlaggebend für die zuständige Behörde, die Publikation für fünfzehn Tage zu unterbinden. Der Artikel, der aber nicht näher konkretisiert wird, verstieße nach Auffassung des Amtes für Presse gegen die Auflage, dass die Publikationen in den Zeitungen nicht gegen die guten Sitten verstoßen dürfen.610 Die muhavere, welche unmittelbar unter dem amtlichen Erlass erschien, thematisierte, wie auch schon nach den vorherigen Suspendierungen. Diesmal besprechen die beiden Protagonisten – im Unterschied zu den vorherigen muhavere – die Suspendierung der Zeitschrift ausführlich. Im Folgenden wird ein Auszug aus dieser muhavere wiedergegeben: Hacivat: Oh, großartig Herr Karagöz. Herzlich willkommen, du hast die Freude mitgebracht. Seit einigen Tagen warst du nicht aufzufinden. Wo warst du denn diesmal? Karagöz: Frag nicht Hacivat! Ich bin erneut für gesetzlos erklärt worden. Hacivat: Weshalb? Hast du erneut einen Fehler begangen? Verehrtester, du verhältst dich auch nicht friedlich. Es wäre besser, etwas deine Zunge zu zügeln. K.: Hacivat, ich habe doch nichts gesagt. Es war doch unser Misailidis. H.: Was hat denn Misailidis getan? K.: Hast du es nicht gehört? Er hat in meiner Zeitung etwas veröffentlicht, was gegen die guten Sitten verstieß…. Ich habe schon gewusst, dass dieser Kerl nicht die guten Sitten der Öffentlichkeit respektiert. Aber unser Kasap hat nicht auf mich gehört und ihn geholt, und ihn zu seinem stellvertretenden Herausgeber ernannt. Was soll ich noch dazu sagen? Gott soll ihm das bescheren, was er verdient hat. Er hat wohl gedacht, dass er für die Zeitung Anatoli schreibt. H.: Oh, hast du es denn nicht gesehen? K.: Ich habe es nicht gesehen. Wenn ich das gesehen hätte, hätte ich es zugelassen? Weißt du denn nicht, wie rechtschaffen ich bin? Wie auch immer, ich habe ihn entlassen. Unter der Leitung Kasaps wurden solche Dinge nicht geschrieben. Er hatte noch Anstand. H.: Seltsam. Der Kasap? Wie auch immer, lassen wir das. Was hat denn dieser Misailidis Anstößiges geschrieben? K.: Oh Hacivat, in dem Schreiben gibt es diesbezüglich keine Angaben. Aber du kannst dir die 221. Ausgabe zur Hand nehmen und schauen, ob du es selbst herausfindest. H.: Diese Ausgabe beginnt mit einem Artikel, der den Titel „Ausstellung“ trägt. K.: Dieser Artikel ist nicht gemeint, Hacivat. Er enthält doch nichts Anstößiges. H.: Im zweiten Artikel geht es um den Zustand der Istanbuler Brücken. K.: Auch an diesem Artikel kann ich nichts Verwerfliches finden. […].
Im weiteren Verlauf ihres Gespräches versuchen Hacivat und Karagöz herauszubekommen, welcher Artikel die Zensurbeamten dazu bewegt hat, die Zeitung für fünfzehn Tage zu suspendieren. Sie kommen zu dem Schluss, dass ein Witz, welcher auf der dritten Seite stand, der Stein des Anstoßes war:
610 Hayal, No. 222, 18. Teşrin-i sâni 1291 R. [30. November 1875], S. 1.
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H.: Unter dem Beitrag „neues Wörterbuch“ ist ein bekri Witz.611 Vielleicht ist es das. K.: Genau. Du hast es gefunden. Es muss dieser Witz sein. H.: Was gibt es denn Anstößiges an diesem Witz? K.: Was soll es denn sein. Hast du es denn nicht verstanden? Was bedeutet bekri? Das bedeutet doch Betrunkener, oder? Verstößt es denn nicht gegen die Sitten betrunken zu sein? H.: Es verstößt gegen die Sitten, aber es wird doch nicht erwähnt, dass sich dieser Vorfall in Istanbul ereignet hat. K.: Wo hat es sich denn ereignet? H.: Das wird gar nicht erwähnt. K.: Genau deshalb, weil kein Ort angegeben wird, ist daraus abzuleiten, dass die Gedanken Misailidis tückisch waren. Denn die Zeitung erscheint in Istanbul und die Leser werden dementsprechend davon ausgehen, dass sich dieser Vorfall in Istanbul ereignet hat. Unverschämter Kerl. Was ist denn das für ein Journalismus? Wie kann so ein anstößiger Witz in einer Zeitung veröffentlicht werden? Hätte er ihn wenigstens in einem Brief platziert, dann wäre Hayal nicht geschlossen worden. […] K.: Wir haben beide viele Mühen auf uns genommen, bis wir herausgefunden haben, dass unserer Suspendierung dieser Witz zugrunde lag. Solche Dinge schreibe ich doch gar nicht. Irgendjemand verfasst sie und schmuggelt sie in irgendeiner Ecke der Zeitung rein, wie dieser Suppenkoch Misailidis. Wir haben angenommen, er hätte Anstand, und haben ihn zu unserem stellvertretenden Herausgeber ernannt, und er macht so etwas. H.: Was soll ich noch dazu sagen, Karagöz. Zum Glück ist es ja nochmal gutgegangen und wir sind ja erneut davon gekommen.612
Im Unterschied zu den Suspendierungen zuvor suchen Hacivat und Karagöz den Beitrag in der Zeitschrift, der zum Publikationsstopp durch die Zensur geführt haben könnte. Ob es tatsächlich dieser Witz war, der die Gemüter der verantwortlichen Beamten erhitzt hatte, ist nicht feststellbar. Obwohl die Zensur die Publikation von Hayal für lediglich zwei Wochen unterband, brachte diese Suspendierung erstmalig die Konsequenz mit sich, dass ein Schuldiger benannt und auch zur Verantwortung gezogen wurde. Wie aus der muhavere hervorgeht, musste Misailidis seinen Posten als stellvertretender Herausgeber aufgeben. Seine Nachfolge trat ein gewisser Cemal an, der nun als stellvertretender Herausgeber amtiert. Wenige Ausgaben später kam es trotz des Personalwechsels zu einer erneuten Suspendierung. Als Begründung für diese erneute Sanktionsmaßnahme gab die Behörde an, dass die 236. Ausgabe Respektlosigkeiten gegenüber höheren Instanzen enthielte. Deshalb unterband die Zensur die Publikation der 611 Mit dem Begriff bekri wurden Gewohnheitstrinker bezeichnet. 612 Hayal, No. 222, S. 1–2.
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Satirezeitschrift Hayal für den Zeitraum von zwei Monaten.613 Nach dem Ablauf dieser Frist veröffentlichte die Redaktion von Hayal ihren Kommentar zur Schließung unmittelbar nach der amtlichen Bekanntmachung auf der ersten Seite. In diesem Kommentar heißt es, dass die Frist der Suspendierung an diesem Tag abgelaufen sei und Hayal ihre Publikation erneut aufnehme.614 Zwar geht aus dem amtlichen Schreiben nicht hervor, welcher Artikel oder Beitrag der Zensur missfiel, jedoch ist davon auszugehen, dass es sich hierbei um die Karikatur handelt, die auf der letzten Seite dieser Ausgabe abgedruckt ist. Auf diesem Bild ist zu sehen, wie Karagöz, der in einen Pelzmantel gekleidet auf einem thronähnlichen Stuhl sitzt. Unter der Karikatur ist folgender Dialog der beiden Protagonisten abgedruckt: Hacivat: Was ist, Karagöz? Du hast dich in Pelz gekleidet. Karagöz: Was soll man tun, Hacivat? Es ist kalt geworden. Hacivat: Was ist das für ein Pelz? Ist es ein Zobel? Karagöz: Ganz ausgeschlossen! Das ist schwarzer Fuchs!615
Das Tragen von Pelzen im Osmanischen Reich war nur hohen Amts- und Würdenträgern vorbehalten. Obwohl niemand namentlich genannt wird, wird deutlich, dass der Spott gegen die Angehörigen der Staatsmacht gerichtet war. Unverzüglich folgte dann auch die Suspendierung. Dies war mitnichten die einzige Karikatur, die einen Handlungsbedarf bei der zuständigen Behörde erforderte. Die Bildsatiren, die Hayal veröffentlichte, gaben häufig Anlass zu Zwistigkeiten mit der Behörde. Aufgrund einer Karikatur, die Hayal in ihrer 319. Ausgabe veröffentlichte, durfte Hayal im Zeitraum vom 15. Şubat 1292 bis zum 22. Şubat 1292 lediglich ohne Bilder erscheinen.616 Dieser Umstand verdeutlicht, dass Bildsatiren den Behörden ein Dorn im Auge waren. Sie verfolgten sie mit besonders großer Aufmerksamkeit und ahndeten sofort jeden noch so kleinen Verstoß. Besonders hart griff die Behörde im Jahr 1876 durch. Jegliche Vergehen ahndete sie mit umgehend Sanktionen. Anlass für dieses erbitterte Vorgehen gaben vermutlich die Rebellionen auf dem Balkan sowie die Kriege, die das Osmanische Reich gegen Serbien und Montenegro führte. Aus der muhavere, die in der 238. Nummer von Hayal erschien, geht hervor, dass während des zweimonatigen Suspendierungszeitraums insgesamt zweiundzwanzig
613 614 615 616
Hayal, No. 237, 21 Şubat 1291 R. [4. März 1876], S. 1. Hayal, No. 237, S. 1. Hayal, No. 236, S. 4. Hayal, No. 319, 8. Şubat 1292 R. [20. Februar 1877], S. 4.
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weitere Periodika, unter anderem auch das politische Nachrichtenblatt Kasaps, İstikbal,617 ebenfalls von einer Schließung betroffen waren.618 Eine Mitteilung an die Leserschaft, die Hayal in ihrer 240. Nummer veröffentlichte, bestätigt, dass die Karikatur der Grund für die Suspendierung war. Diese Mitteilung ist an der Stelle abgedruckt, an der üblicherweise das Bild erschien, nämlich auf der oberen Hälfte der vierten Seite. Der Wortlaut dieser Mitteilung ist folgender: Früher haben wir an dieser Stelle unsere Karikatur platziert und dies hat erhebliche Kosten verursacht. […] Deshalb sparen wir nun diese Ausgaben ein. Wir haben noch zwei, drei Karikaturen von früheren Tagen, aber wir haben bislang noch keine Genehmigung bekommen für ihre Veröffentlichung. Sobald wir sie haben, werden wir diese abdrucken. Wenn wir sie veröffentlichen, werdet ihr sie sehen. Und wenn ihr sie seht, werdet ihr zufrieden sein. Und wenn ihr zufrieden seid, dann kauft ihr Hayal erneut. Wenn ihr Hayal erneut kauft, dann werdet ihr hoch erfreut. […] Den Rest möget ihr euch selbst denken. Wir haben nur so viel dazu geschrieben und haben diesen Platz gefüllt. Wenn etwas leer gelassen wird, dann ist es eure Schuld. Ihr hättet früher daran denken müssen. Und ihr hättet (Protest-) Briefe verfassen und versenden müssen.619
Trotz dieser erneuten Zuwiderhandlung gestatteten die Behörden, dass Hayal erneut erscheinen durfte, doch diesmal ohne ihre Karikaturen. Denn wie aus der Mitteilung hervorgeht, bekamen sie für die graphischen Bildsatiren, die sie schon hatten, keine Genehmigung, sie auch zu veröffentlichen. Die Redakteure argumentierten zwar spöttisch, dass sie deswegen die enormen Kosten einsparen konnten, die sie sonst für die Anfertigung und den Druck der Karikaturen ausgaben, dennoch waren diese wohl ein wichtiger Anreiz für die Kunden, die Zeitschrift zu kaufen. Es dauerte einige Wochen, bis Hayal erneut die Genehmigung zur Veröffentlichung einzelner Bilder erhielt. Ihrem Missmut wegen der Probleme mit dem Presseamt verliehen die Journalisten von Hayal mittels einer kurzen muhavere, die auf der vierten Seite der 243. Ausgabe erschien, spöttisch Ausdruck, die im Folgenden wiedergegeben wird: Hacivat: Karagöz! Die Schriftsetzer fordern die Schriftstücke ein. Es ist schon Abend geworden und du überlegst immer noch. Karagöz: Eben, darüber sinne ich gerade nach.
617 Die Behörden suspendierten İstikbal für den Zeitraum von 67 Tagen. Hayal, No. 319, S. 4. In der Anzeigenrubrik der 253. Nummer verkündet Hayal, dass İstikbal ab dem darauffolgenden Donnerstag erneut erscheine. Hayal, No. 253, 25. Mayıs 1292 R. [6. Juni 1876], S. 4. 618 Hayal, No. 238, 23. Şubat 1291 R. [6. März 1876], S. 1. 619 Hayal, No. 240, 28. Şubat 1291 R. [11. Mart 1876], S. 4.
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Hacivat: Was überlegst du denn? K.: Was soll ich denn überlegen? Ich denke darüber nach, ob ich diese Karikatur, die ich habe anfertigen lassen, publizieren soll oder ob ich [stattdessen] etwas verfassen soll. H.: Lass mich mal sehen, was ist denn das für eine Karikatur? Habe ich sie schon mal gesehen? K.: Hier nimm, sieh es dir an. Der Karikaturist hat sie eben gebracht. H.: Oh, Karagöz! Auch wenn du diese an die Schriftsetzer weitergibst, werden sie die Karikatur denn abdrucken? K.: Unsere Schriftsetzer sind doch nicht zu vergleichen mit denen der Zeitung Basiret, dass sie sich in meine Arbeit einmischen. H.: Nein Karagöz, so war das nicht gemeint. Die Suspendierung hat den Kerlen ziemlich zugesetzt. K.: In Ordnung! Wenn wir nicht diese Karikatur nehmen, was sollen wir denn sonst tun? Mir fällt nichts ein, was ich stattdessen schreiben und abgeben könnte. H.: Karagöz, mir ist etwas eingefallen. Deine Kunden sind doch sehr scharfsinnig, und du hast viele Gefolgsleute (adam). Lass doch das Atelier geöffnet und erbitte doch von ihnen jeweils eine Karikatur. Jeder von ihnen kann dann Bilder anfertigen und somit die leere Stelle füllen. Sie können dir diese zuschicken, und du kannst unter den Einsendungen mindestens zwanzig von ihnen auswählen und hast das Problem mit den Karikaturen für dich gelöst. K.: Du hast Recht Hacivat, dein Vorschlag ist nicht schlecht. Oh Kundschaft, es wird von [unseren] Gönnern Eifer [eingefordert]. […] Bitte fertigt jeweils eine Karikatur an und schickt sie an unsere Druckerei. Ziert euch nicht und denkt nicht darüber nach, ob sie euch gelungen ist oder nicht. Zeichnet Bilder von Kamelen, Ochsen, Eseln oder Maultieren. Fertigt Zeichnungen von allen möglichen Tetrapoden an, die euch einfallen. Von dem Federvieh könnt ihr Zeichnungen vom Strauß, von der Elster, von Nachtigallen und von Spatzen anfertigen, es ist nicht wichtig, ob groß oder klein. Sogar den Smaragdvogel (Zümrüdankakuşu) könnt ihr zeichnen.620 Aus der Gattung der Pflanzen könnt ihr Zeichnungen von Disteln, Lindenblüten oder Holzbirnenbäumen anfertigen. Von der menschlichen Spezies könnt ihr Karikaturen von Journalisten, eleganten Herren (şık) oder Dirnen (şıllık) anfertigen. Ihr könnt euch eben an den [aufgezählten] Beispielen orientieren und nach euren Kräften alles zeichnen, was euch so in den Sinn kommt. Schickt alle eure Werke unverzüglich an unsere Druckerei. Außerdem wird bekannt gegeben, dass Schlachtenbilder (muharebe resimleri), […] keineswegs unnütze Dinge sind. Ich wiederhole erneut, dass derjenige, dessen Zeichnung ausgewählt und in Hayal veröffentlicht wird, diese Zeitschrift für ein Jahr kostenlos erhält.
Auffällig ist, dass Hayal ihre Leser auffordert, Karikaturen, die den Krieg thematisieren, anzufertigen. Offensichtlich überwachte die Zensur derartige Bildsatiren seit dem Ausbruch des Krieges strenger. Vermutlich spielt diese Aufforderung von Hayal genau darauf an. 620 Dieser Vogel existiert nur in den orientalischen Märchen.
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Eine muhavere, veröffentlicht in der 246. Nummer von Hayal, verdeutlicht, welche Bedingungen die Zeitungen erfüllen müssen, um von den Repressalien der Behörde verschont zu bleiben. In diesem Zwiegespräch klagt Karagöz über Schmerzen, verursacht durch seinen Buckel.621 Er ist der Meinung, dass eine Linderung seiner Beschwerden nur eintritt, wenn das Pressegesetz außer Kraft gesetzt wird. Karagöz kritisiert vor allem, dass die Zeitungen über die 35 Artikel des Pressegesetzes hinaus weitere Auflagen erfüllen müssen, um einer Sanktionierung zu entgehen.622 Karagöz führt folgende Punkte auf, die die Periodika erfüllen müssen: • Wenn eine Zeitung/Zeitschrift eine Pause von zwei Monaten einlegt, muss sie erneut eine
Lizenz (ruhsat) beantragen, um ihre Veröffentlichung erneut aufnehmen zu dürfen. • Karikaturen müssen zuerst im Pressebüro (matbuat idaresi) eingereicht werden, bevor sie veröffentlicht werden dürfen. • Die amtlichen Bekanntmachungen des Pressebüros dürfen erst dann veröffentlicht werden, wenn das Schriftstück am oberen Rand die Unterschrift des Direktors dieser Behörde trägt. • Die Zeitungen/Zeitschriften dürfen keine Sonderbeilagen publizieren ohne eine besondere Anordnung (emr-i mahsus).623 • Ebenso dürfen sie sich nicht mit wichtigen Persönlichkeiten kritisch befassen (bzw. diese verhöhnen und verspotten) (şahsiyetle uğraşılmamak) • Artikel, deren Veröffentlichung in einer fremden Sprache zulässig ist, dürfen nicht in die türkische Sprache übertragen und veröffentlicht werden. • Es dürfen keine satirischen Artikel in einer Tageszeitung (ciddî) erscheinen, und ernste (ciddî) Artikel dürfen wiederum in keiner Satirezeitschrift veröffentlicht werden. • Auf jedes Exemplar eines Periodikums muss eine Marke im Wert von zwei Para aufgeklebt werden. Für den Fall, dass dies unabsichtlich nicht geschieht, ist eine Strafe von einer halben Lira pro Exemplar, welches ohne diese Marke veräußert wurde, bar zu entrichten. • Die Zeitungsverkäufer dürfen nicht den Inhalt der Zeitungen/Zeitschriften in den Straßen ausrufen.
621 Die Bildsatire, welche Hayal in ihrer 276. Nummer publizierte, greift das Motiv des buckligen Karagöz auf. In dieser Karikatur bittet Karagöz, der westliche Kleidung trägt und einen Spazierstock mit sich führt, seinen Freund Hacivat, den Buckel genau anzusehen, da er ihm erneut Schmerzen bereitet. Vgl. Hayal, No. 276, 20. Temmuz 1292 R. [1. August 1876], S. 4. 622 Hayal, No. 246, 13. Mart 1292 R. [25. März 1876], S. 1–2. 623 Jedoch befolgten nicht alle Zeitungen diese Anordnungen und gaben gemäß Hayal trotzdem Beilagen ohne die dafür erforderliche Sondererlaubnis heraus. Hayal, No. 254, 28. Mayıs 1292 R. [9. Juni 1876], S. 2.
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• Es dürfen keine Zeitungen/Zeitschriften veräußert werden, deren innere Seiten unbedruckt sind. • Zeitungen/Zeitschriften dürfen nicht mit Gerüchten (eracif) gefüllt werden. Falls eine Zeitung/Zeitschrift Gerüchte verbreitet, wird sie umgehend verboten.
Hacivat entgegnet ihm daraufhin, dass diese Vorschriften nicht aus den Bestimmungen für Druckereien stammten, sondern dass sie Anordnungen des Pressebüros seien. Sein Freund Karagöz antwortet ihm, dass es keine Rolle spiele, von wem diese Bestimmungen kämen, denn die Zeitungen seien gezwungen, diese Vorschriften einzuhalten. Diese muhavere erschien am 25. März 1876, also wenige Wochen vor der offiziellen Einführung der neuen Druckerei-Verordnung, die erst am 29. April 1876 in Kraft trat Wie aus einem Beitrag von Hayal mit der Überschrift i’tizar (Entschuldigung) hervorgeht, blieb auch die Leserschaft nicht passiv, sie mahnte die Redaktion dieser Satirezeitschrift zur Vorsicht und machte sie darauf aufmerksam, dass der Inhalt dieser Zeitschrift, die in diesen Tagen erschien, ihr zum Verhängnis werden könne. Die häufigen Sanktionsmaßnahmen, die das Pressebüro gegenüber Hayal ergriff, beunruhigte die Leserschaft. Sie befürchtete, dass Hayal die endgültige Schließung bevorstehen könne. Um ihren Rezipientenkreis zu beruhigen, wandte sich Hayal an die Leser und schrieb: „Wir vermuten, dass Hayal nicht wegen ihres albernen (saçma sapan) Inhalts geschlossen wird, da sie eine Satirezeitschrift (mizah gazetesi) ist.624 Aus Protest gegen die Bestimmung, dass die Karikaturen vor ihrer Veröffentlichung von der Druckerei-Verwaltung genehmigt werden müssen, veröffentlichte Hayal auf der letzten Seite ihrer 251. Nummer anstelle der sonst üblichen Karikatur einen schwarzen Kasten mit einem Guckloch. Der Kommentar dazu lautete: „Wenn wir eine Genehmigung erhalten, dann drucken wir in unserer nächsten Ausgabe die andere Seite ab.“ Anlass für diesen Protest war vermutlich, dass Hayal nur noch sporadisch Genehmigungen erhielt, graphische Bildsatiren zu veröffentlichen. Denn ab der 237. Nummer bis zur 251. Nummer erschienen lediglich vier Karikaturen. Nach der Veröffentlichung dieser Ausgabe erschien Hayal in dem Zeitraum vom 25. März 1292 bis zum 22. Mai 1292 nicht. Jedoch birgt die 252. Nummer keinerlei Hinweise, die Aufschluss darüber geben, ob es sich hierbei um eine Sanktionsmaßnahme der Zensur handelte oder ob die Zeitung aus anderen Gründen in diesem Zeitraum nicht erscheinen konnte. Denn auch das amtliche 624 Hayal, No. 349, 20. Mart 1292 R. [1. April 1876], S. 4.
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Schreiben, welches üblicherweise nach jeder Schließung auf der ersten Seite der nächsten Nummer erschien, fehlt in dieser Ausgabe.625 Auch die muhavere liefert keinerlei Hinweise hierzu. Karagöz begründet diese Pause lediglich damit, dass er verstorben wäre und nun wieder auferstanden sei. Erst die 254. Nummer liefert den Beweis, dass Hayal tatsächlich von der Behörde verboten worden war. Kasap profitierte offensichtlich vom Regentenwechsel und es gelang ihm, erneut eine Genehmigung für die Publikation seiner Satirezeitschrift zu erhalten. Die Frage, weshalb Hayal erneut geschlossen wurde, bleibt offen. Vermutlich war die erneute Provokation der Behörden ausschlaggebend für ihre Suspendierung.626 Wie bereits erwähnt, war nicht nur Hayal von häufigen Suspendierungen betroffen. Aus einer muhavere, die am 7. März 1876 erschien, geht hervor, dass insgesamt 22 Zeitungen suspendiert oder gänzlich verboten worden waren.627 Während der Zeit, in der Hayal nicht erscheinen durfte, musste Sultan Abdülaziz abdanken, und seine Thronfolge trat Murad V. am 30. Mai 1876 an. Nur sehr kurze Zeit später, nachdem Murad V. die Herrschaft übernommen hatte, am 3. Juni 1876, erschien Hayal erneut.628 Desgleichen nahmen auch die Zeitungen Basiret, Vakit, Sadakat sowie İstikbal, die ebenfalls verboten worden waren, erneut ihre Publikation auf.629 Der neue Großwesir Rüşdü Pascha setzte die Bestimmung des Erlasses vom 29. April 1876 außer Kraft. Sogar Journalisten wie Namık Kemal, die zuvor in Ungnade gefallen waren und die Hauptstadt verlassen mussten, durften nach Istanbul zurückkehren.630 So war es möglich, dass Hayal zwar geschlossen wurde, 625 626 627 628
Hayal, No. 252, 22. Mayıs 1292 R. [3. Juni 1876], S. 1. Hayal, No. 251, 25. Mart 1292 R. [6. April 1876], S. 4. Hayal, No. 238, 24. Şubat 1291 R. [7. Mart 1876], S. 1. Der Wechsel in der Thronfolge ist auch Gegenstand der muhavere. Hacivat berichtet Karagöz, dass während seines Aufenthalts im Jenseits Sultan Murad V. nun die Herrschaft angetreten habe. Darüber zeigt sich Karagöz sehr erfreut und lobpreist den neuen Sultan und spricht Gebete für ihn. Ferner erkundigt sich Karagöz bei Hacivat, wie denn dieser Wechsel in der Herrschaft zustande gekommen sei, und dieser setzt ihn über die Ereignisse in Kenntnis. 629 Vgl. Hayal, No. 252, S. 3; Hayal, No. 254, S. 2; Hayal, No. 255, 1. Haziran 1292 R. [13. Juni 1876], S. 1. 630 Hayal, No. 252, S. 3. Aus der Meldung mit der Überschrift müjde (gute Nachrichten) ist zu entnehmen, dass einige Journalisten, unter anderem auch Namık Kemal, hier nach seinem Theaterstück Zavallı Çocuk genannt, von Zypern in die Hauptstadt zurückkehren dürfen. Zwar wird er nicht namentlich genannt, sondern unter der Verwendung von Pseudonymen beschrieben, aber aus dem Kontext ist zu verstehen, dass damit er gemeint ist. Es wird auch nicht explizit geschrieben, dass diese
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aber durch die günstigeren Umstände nun erneut erschien, jedoch weiterhin ohne Karikaturen. Hayal spottete über die Vorgehensweise des Presseamtes, Zeitungen und Zeitschriften mit Schließungen zu sanktionieren mit folgender Kurzmeldung: „[Es geht das Gerücht herum], dass gestern eine der Istanbuler Zeitungen vom Presseamt endgültig für den Zeitraum von drei Stunden geschlossen wurde“.631 Nach der Veröffentlichung der 277. Nummer wurde Hayal wiederholt verboten. Aber auch dieses Mal schaffte es Hayal (bzw. Kasap), eine endgültige Schließung abzuwenden. Jedoch liefert die folgende Ausgabe keinerlei Hinweise darauf, weshalb die Behörde Hayal tatsächlich suspendierte. Eine Bekanntmachung auf der ersten Seite der folgenden Ausgabe verkündet lediglich, dass der stellvertretende Lizenzinhaber in ein Amt in die Provinz versetzt wurde.632 Anscheinend musste auch Cemal, ähnlich wie sein Vorgänger, die Verantwortung für den Inhalt der Zeitschrift übernehmen und seinen Posten aufgeben, damit Hayal nochmals eine Lizenz bekam, weiterhin erscheinen zu dürfen. Auch die muhavere dieser Ausgabe liefert keinerlei Hinweise: zwar versucht Hacivat herauszubekommen, weshalb Hayal nicht erscheinen durfte, jedoch gelingt es ihm nicht, da Karagöz fast vollständig sein Gehör verloren hat und ihn deshalb nicht mehr richtig versteht. Hacivat sieht die Ursache für die Taubheit Karagözs in der erneuten Suspendierung.633 Zwar geht aus der muhavere nicht hervor, weshalb die Zeitschrift suspendiert wurde, jedoch sagt Karagöz am Ende des Dialoges spöttisch: „Hacivat, habe keine Angst, ich werde niemanden mehr verletzten. Hacivat, ich fürchte mich. Ich werde mich nicht mehr mit Persönlichkeiten anlegen. Wenn du willst, dann lies meinen Artikel, den ich darüber geschrieben habe.“ Diese Aussage Karagözs führt zu der Vermutung, dass Kasap erneut die Ehre seiner Kollegen verletzte. Der Schutz der Ehre schien für die Behörden eine wichtige Angelegenheit zu sein, da Ehrverletzungen hart geahndet wurden. Erst die 280. Nummer bestätigt
Journalisten, die nun nach Istanbul zurückkehren, gezwungen waren ins Exil zu gehen. Hayal bleibt in ihrer Ausdrucksweise vorsichtig und schreibt lediglich: „So wie wir nicht die Gründe kennen, weshalb sie Istanbul verlassen haben, so wissen wir ebenfalls nicht, weshalb sie nun zurückkehren.“ 631 Geçen gün İstanbul ğazetelerinin birinin matbuat idare-i behiyyesi tarafindan üç saat müddetle külliyyen fesh ve lağv edildiği işidilmiştir. Hayal, No. 260, 12. Haziran 1292 R. [24. Juni 1876], S. 2. 632 Hayal, No. 278, 9 Ağustos 1292 R. [21. August 1876], S. 1. 633 „Oh armer Karagöz, von den vorherigen Suspendierungen hattest du deinen Buckel bekommen, jetzt hast du auch noch dein Gehör verloren.“ Vgl. Hayal, No. 278, S. 1–2.
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diese Annahme, denn diese Ausgabe enthält eine kurze muhavere, die zwischen dem Journalisten Hayreddin und einem Freund stattfindet. Dieser Freund fragt den Journalisten, weshalb Hayal nun geschlossen worden sei; dieser antwortet ihm, dass Hayal sich über die Lizenzinhaber der Zeitungen Basiret und Vakit, d. h. Basiretci Ali und Filib Efendi lustig gemacht habe.634 Nach dieser muhavere veröffentlichte Hayal einen Aufsatz unter dem Titel „Das Gewerbe, welches ich künftig betreiben werde“ (bundan böyle tutacağım meslek).635 In diesem äußerst spöttischen und ironischen Aufsatz führt Karagöz auf, was er in Zukunft unterlassen möchte. Dazu gehört (u. a.), dass er den „ehrenwerten Bruder“ nicht mehr „Bruder“ nenne.636 Ferner verkündet Karagöz: „Ich werde mich nicht mehr mit Persönlichkeiten anlegen, denn diejenigen, die das tun, werden bestraft. Weil die Zeitungen İstikbal, Vakit und Basiret sich mit Persönlichkeiten angelegt haben, wurden sie für 15 Tage für ‚gesetzlos erklärt‘ (yolsuz edilmek). Als gesetzlos erklärt zu werden, ist etwas sehr Schlimmes. Gott möge Ceride-i Havadis vor derartigen Gesetzlosigkeiten bewahren. Außerdem werde ich ab jetzt ernsthaft (ağırbaşlı) sein. […] Ich werde allem, was ich höre, applaudieren. Ich werde Güllü Agops Theater ‚Osmanisches Theater‘ nennen. […]. Ich werde der Regierung empfehlen, die Lizenz der Şirket-i Hayriyye um zehn Jahre zu verlängern. Ich werde behaupten, dass es weder in Afrika noch in Australien solche Journalisten gibt wie bei uns. Ich werde diejenigen Journalisten in Schutz nehmen, die von hier und da Geld annehmen und Artikel in ihren Zeitungen abdrucken, die unserem Land und unserem Volk nichts nutzen. […].“637 Mit diesem zynischen Artikel belegt Kasap außerdem, wie sehr er die Behörden verachtete. Jedoch bricht Karagöz schon in dieser Ausgabe seine „Versprechen“. Zwar spottet er nicht über Persönlichkeiten, aber über die Zeitungen wie İttihad (Einheit) und Ceride-i Havadis. Auf der dritten Seite veröffentlicht Hayal einen kurzen Artikel aus der halbamtlichen Zeitung Ceride-i Havadis und kommentiert ihn. Auch der darauffolgende Beitrag von Hayal stammt aus diesem Blatt. Ceride-i Havadis hatte, noch bevor Hayal erneut erscheinen durfte, eine Mitteilung veröffentlicht, in der die Zeitschrift bekannt gab, dass Hayal begnadigt worden sei und bald wieder erscheine. Außerdem gratuliere Ceride-i Havadis 634 Hayal, No. 280, 11. Ağustos 1292 R. [23. August 1876], S. 2. Vermutlich wurde dieser kurze Dialog veröffentlicht, um die Neugier der Leserschaft zu stillen. 635 Hayal, No. 280, S. 2. 636 Damit ist Basiretci Ali gemeint, den Hayal üblicherweise als den „ehrenwerten Bruder“ Karagözs bezeichnete. 637 Hayal, No. 277, 22. Temmuz 1292 R. [3. August 1876], S. 2.
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Hayal dazu. Hayal ließ diese Meldung selbstverständlich nicht unkommentiert. Unter dem Nachdruck des Originaltextes fragt Hayal, warum Ceride-i Havadis sich nicht noch zwei Tage mit ihren Glückwünschen geduldet habe und erst nach dem erneuten Erscheinen der Zeitschrift diese Mitteilung veröffentlichte. Ferner fügt Hayal noch zynisch hinzu, dass Ceride-i Havadis keine Angst zu haben brauche, denn künftig werde sie vom Spott verschont bleiben.638 Obwohl die Ausgabe 277 ebenfalls einen Artikel mit dem Titel Karagöz Beğ Efendinin Hiddeti (Der Missmut des Herrn Karagöz), enthielt, veranlassten erst die persönlichen Zwistigkeiten zwischen den Publizisten das Presseamt dazu, die Zeitschrift Hayal zu schließen. In diesem Beitrag empört sich Karagöz über die Regierung und schreibt Folgendes: „[…] eine Regierung muss ihre Pflicht kennen, unsere kennt ihre nicht. Unsere Regierung schützt nicht die Rechte unseres Landes und die unserer Bevölkerung. […].“639 Sultan Murad V., über dessen Thronbesteigung Hayal vor wenigen Wochen freudig berichtet hatte, hatte die Erwartungen, die vor allem die Anhänger der Reform in ihn gesetzt hatten, bitter enttäuscht. Trotz der zahlreichen Suspendierungen und den Problemen, die Hayal mit der Behörde hatte, blieb die Zeitschrift sich treu, ließ sich nicht den Mund verbieten und machte sich weiterhin lustig über Filib Efendi640 und Ali Efendi. Zudem berichtete Hayal ebenfalls darüber, wenn andere Zeitungen oder Zeitschriften der Zensur zum Opfer fielen. Zum Beispiel verkündet Hayal „mit Bedauern“, da Ali Efendi „täglich Fortschritte gemacht habe“, dass Kahkaha für drei Monate suspendiert worden sei. Hayal erteilt Basiretci Ali den spöttischen Ratschlag, nun alles, was er in Kahkaha zu drucken beabsichtigte, in Basiret zu veröffentlichen, damit er nicht alles vergäße, was er bislang gelernt habe.641 Aber auch das Nachrichtenblatt Ali Efendis, Basiret, war von häufigen Suspendierungen betroffen.642 Hayal berichtet sogar, dass Ali Efendi inhaftiert worden sei, da er nach der Abdankung Abdülazizs angeblich statt der „erhabene Abdülaziz“, lediglich „Abdülaziz Efendi“ geschrieben habe.643 In ihrer 146. Ausgabe veröffentlichte Hayal eine Meldung, die bekanntgab, dass die Zensur die Publikation der griechischen Ausgabe der Zeitung Terakki für einen Monat suspendiert habe, da sie einen Artikel gegen den griechischen Patriarchen veröffentlicht habe. Hayal fügt dieser Meldung noch scharf hinzu: 638 Hayal, No. 278, S. 3. 639 Hayal, No, 277, S. 3. 640 Vgl. Hayal, No. 181, 13. Ağustos 1292 R. [25. August 1876], S. 1. 641 Hayal, No. 154, 29. Mayıs 1291 R. [10. Juni 1876], S. 3. 642 Hayal, No. 179, 26. Mayıs 1291 R. [7. Juni 1876], S. 1–2; Hayal, No. 252, S. 3. 643 Hayal, No. 252, S. 2.
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„Die Glücklichen, sie sparen die Stempelsteuer für einen Monat.“644 Dies verdeutlicht, dass Hayal jede Gelegenheit dazu nutzte, ihrem Missmut über die Einführung dieser Steuer Ausdruck zu verleihen, sei es auch nur in einem Nebensatz.645 Hayal versuchte ebenso wie Çaylak, die Meinung ihrer Leser in dieser Hinsicht zu beeinflussen, indem sie Beiträge veröffentlichte, die die Stempelsteuer thematisierten.646 Um die Stempelsteuer in den Fokus ihrer Berichterstattung zu bringen, wählten die Satirezeitungen verschiedene Formen literarischer Ausdrucksmittel. In einer muhavere, die in der 186. Nummer von Hayal erschien, nimmt Karagöz an, dass die Regierung den Zeitungen Marken im Wert von zwei Para pro Einzelexemplar zahlt, um den Zeitungsmarkt zu beleben. Sein Freund Hacivat muss dieses Missverständnis aufklären und erklärt ihm, dass die Regierung pro Exemplar eines Periodikums eine Abgabe von zwei Piastern erhebt. Karagöz kann dies gar nicht fassen und fragt Hacivat, wie es denn möglich sei, von Kleinhändlern (esnaf ) eine Steuer einzutreiben, die sich in den Dienst der Bildung stellten.647 Sogar die amtlichen Periodika mussten diese Steuermarken kaufen, was Hayal als völlig unsinnig empfand, da sie sich sowieso aus den Staatseinnahmen finanzierten.648 Auch in Zeiten, als sich die politische Lage im Osmanischen Reich durch den kriegerischen Konflikt mit Serbien verschärft hatte, unterließ Hayal es nicht, ihre Forderung zu wiederholen. In einem satirischen Leitartikel, in dem es eigentlich hauptsächlich um die Forderungen der Fürstentümer Moldau und Walachei (memleketeyn) geht, äußert Hayal äußerst zynisch, dass in diesen Zeiten jeder etwas von der osmanischen Regierung einfordert. Nur die Journalisten nicht. Nach der Auffassung von Hayal sollten die Journalisten die Gunst der Stunde nutzen und die Entrichtung der Stempelsteuer (pul vergisi) verweigern und die Einführung der Pressefreiheit fordern.649
644 Hayal, No. 146, 10. Mayıs 1291 R. [7. Juni 1876], S. 4. 645 Ibidem; Hayal, No. 165, 24. Haziran 1291 R. [6. Juli 1875], S. 4; Hayal, No. 174, 15. Temmuz 1291 R. [27. Juli 1875], S. 4; Hayal, No. 182, 2. Ağustos 1291 R. [14. August 1875], S. 2; Hayal, No. 187, 14. Ağustos 1291 R. [26. August 1875], S. 2; Hayal, No. 195, 2. Eylül 1291 R. [14. September 1875], S. 1 und S. 2; Hayal, No. 296, 8. Eylül 1292 R. [20. September 1875], S. 4. 646 Hayal, No. 184, 7. Ağustos 1291 R. [19. August 1875], S. 1. 647 Hayal, No. 186, 13. Ağustos 1291 R. [25. August 1875], S. 1. In diesem Dialog mimt Karagöz den Ahnungslosen und verleiht dem Standpunkt der osmanischen Zeitungsverleger Ausdruck, indem er diese Steuer offen kritisiert. 648 Hayal, No. 256, 3. Haziran 1292 R. [15. Juni 1876], S. 2–3. 649 Hayal, No. 273, 13. Haziran 1292 R. [25. Juni 1876], S. 1.
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Im Protest gegen die Stempelsteuer demonstrierten die konkurrierenden Blätter Hayal und Çaylak Einigkeit.650 Dies visualisiert Çaylak in ihren Karikaturen aus, die die Erzählerfiguren der beiden Zeitschriften Çaylak und Karagöz in Frauengewändern darstellt, wie sie das „ungewollte Kind“, d. h. die Stempelsteuer, vor ein Tor legen, welches die Aufschrift Millet Meclisi (Nationalversammlung) trägt. Ein Herr fragt sie, weshalb sie denn das „ungewollte“ Kind dort abgelegt haben, woraufhin die Erzählerfiguren antworten: „Was sollen wir tun? Wir können es nicht ernähren.“651 Çaylak veröffentlichte zwei weitere Karikaturen, in denen sie ihrem Groll über die Etablierung dieser Steuer Ausdruck verlieh.652 Die Bestimmungen verschärften sich unter der Herrschaft Abdülhamid II. weiter. Die neue Verfassung versuchte erneut, die Pressefreiheit zu regulieren. Nachdem Kasap gegen den Paragraphen 112 der Verfassung mittels einer Bildsatire protestierte, kam er in Haft und wurde zu einer Gefängnisstrafe von drei Jahren verurteilt. In der 320. Nummer von Hayal, die am 10. Februar 1292 erschien, schreibt Kasap, dass ein Artikel (bend) die Behörde dazu veranlasst habe, ihn zu verklagen. Die Karikatur wird nicht als Ursache angegeben. Erst in der 321. Nummer wird bekanntgegeben, dass die Bildsatire den Zorn der Hohen Pforte auf sich gezogen hatte.653 Dass die politischen Bilder, die von Hayal veröffentlicht wurden, zur ihrem endgültigen Verbot führten, belegt ebenso ihre 302. Nummer.654 In der Erklärung, die in dieser Ausgabe erschien, heißt es, dass Hayal für den Zeitraum von drei Monaten suspendiert worden war aufgrund des Bildes, welches in der vorangegangen Nummer erschien. Auf ihrer letzten Seite veröffentlichte Hayal eine Bildsatire, die zeigt, wie mehrere Männer mit Eimern Wasser herbeischaffen, um einen zerbrochenen Krug mit Wasser zu füllen. Der Krug symbolisiert in diesem Bild die Staatskasse des Osmanischen Reiches.
650 Auch wenn Iskit schreibt, dass die Stempelsteuer bereits 1873 eingeführt worden sei, mussten wohl die Satirezeitschriften bis Mai 1875 davon ausgenommen worden sein, denn die erste Ausgabe von Hayal, die diese Marke in ihrem Kopf trägt, erschien am 30. Nisan 1291. Vgl. Hayal, No. 142, 30. Nisan 1291 R. [12. Mai 1875], S. 1 und Herzog, “Die Entwicklung”, S. 32. 651 Çaylak, No. 124, 3. Mart 1293 R. [15. März 1877], S. 4. 652 Çaylak, No. 126, 7. Mart 1293 R. [19. März 1877], S. 4; Çaylak, No. 132, 21. Mart 1293 R. [2. April 1877, S. 4. 653 Hayal, No. 321, 15. Şubat 1292 R. [27. Februar 1877], S. 1. 654 Hayal, No. 302, 00. Kânun-i evvel 1292 R. [Dezember 1876], S. 1–3. Diese Ausgabe von Hayal ist nicht datiert, anstelle des Datums sind lediglich zwei Punkte.
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Das Wasser steht metaphorisch für die Einnahmen des Fiskus’. Da der Krug aber zerbrochen ist, so fließt das Wasser, sprich das Geld, gleich wieder weg.655 Bis zur endgültigen Einstellung von Hayal dominiert in den nächsten Monaten der Prozess gegen Kasap die Berichterstattung. Kasap hielt die Anklage keineswegs für gerechtfertigt und wandte sich in diesem Sinne in zahlreichen persönlichen Schreiben an seine Leserschaft. Er konnte allerdings seine Verurteilung nicht abwenden und musste bis zu seiner Flucht seine Strafe absitzen. Im Gefängnis wartete schon sein treuer Weggefährte Kemal auf ihn, denn zeitgleich wurden auch andere Journalisten zu Gefängnisstrafen verurteilt. Unter der Voraussetzung, dass er von der weiteren Publikation seiner Blätter absah, begnadigte Abdülhamid II. Kasap und gestatte ihm die Publikation eines politischen Blattes namens Naşir (Publizist). Allerdings nutzte Kasap die Gelegenheit und flüchtete ins Exil.
655 Hayal, No. 301, 18. Eylül 1292 R. [30. September 1876], S. 4.
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4. Die Balkankrise von 1875–1878 im Spiegel von Hayal 4.1 Die frühe Phase der Balkankrise Im Januar 1875 brachen erste Aufstände der christlichen Bevölkerung in der Region um Nevesinje im östlichen Teil der Herzegowina aus.656 Hayal thematisierte die aufständische Bewegung auf dem Balkan erstmals explizit in ihrer 176. Nummer, die am 1. Juli 1875 erschien, mit folgendem Beitrag: Wir haben gesagt, bewahren wir Ruhe. Wir haben uns vorgenommen, uns nicht zu diesem Thema zu äußern. Allerdings haben wir es nicht mehr ausgehalten. [Denn die Situation] ist unerträglich. […] Ihr fragt: Was ist denn passiert? [Woher] sollen wir es
656 Die Motive für die zahlreichen Rebellionen in diesen Territorien waren verschiedenartig. Zum einen strebten die christlichen Untertanen, die in diesen Gebieten lebten, nach Souveränität und Autonomie. Zugleich forderten sie Gleichberechtigung oder stärkere Repräsentation eigener Interessen innerhalb des imperialen Verbandes. Die Bevölkerungszusammensetzung in den Provinzen Bosnien-Herzegowina und Bulgarien war heterogen. Ähnliche Verhältnisse herrschten auch bei den beiden tributpflichtigen Fürstentümern Serbien und Montenegro. Andere Großreiche, wie zum Beispiel die Habsburgermonarchie, die eine vergleichbare Bevölkerungszusammensetzung wie das Osmanische Reich hatten, hatten mit ähnlichen Phänomenen zu kämpfen. Osterhammel, Verwandlung, S. 572. Vgl. Davide Rodogno, Against Massacre. Humanitarian Interventions in the Ottoman Empire, 1815–1915. The Emergence of a European Concept and International Practice, Princeton 2012, S. 144. Die Angaben in der Literatur bezüglich des Beginns dieser Aufstände sind divergent. Hanioğlu schreibt zum Beispiel, dass die Revolten erst im Juli 1875 losbrachen. Hanioğlu, Ottoman Empire, S. 111. Angesichts des ersten politischen Bildes, welches im Kladderadatsch erschien, scheint es, dass erste Unruhen vor Januar 1875 stattgefunden haben müssen. Grandits schreibt hingegen, die Aufstände in der Herzegowina hätten im Frühsommer des Jahres 1875 begonnen. Eine eingehende Darstellung zur Geschichte der zahlreichen Rebellionen in der Herzegowina gibt Hannes Grandits in seiner Schrift Herrschaft und Loyalität in der spätosmanischen Gesellschaft. Das Beispiel der multikonfessionellen Herzegowina, Wien 2008, S. 613. Gemäß Andrássy war der Balkanaufstand „eine von Russland mit langer Hand geschürte kombinierte Aktion der slawischen revolutionären Komitees“ und infolgedessen arbeitete er eifrig daran, den Einfluss Russlands in diesem Gebiet zu verhindern. Vgl. Rainer F. Schmidt, “Die Balkankrise von 1875 bis 1878 – Strategien der Großen Mächte”, in: Rainer F. Schmidt (Hg.), Deutschland und Europa. Außenpolitische Grundlinien zwischen Reichsgründung und Erstem Weltkrieg, Stuttgart 2004, S. 36–96, S. 45.
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wissen? Wir wissen es auch nicht. Unter allen Journalisten und Reportern hat sich eine Herzegowina-Angelegenheit etabliert und zieht sich nun in die Länge wie eine armenische Diät. Ununterbrochen arbeiten die Telegraphen und [übertragen] fortwährend [Nachrichten] aus Belgrad, aus Serbien und aus Österreich. Aber was genau ist passiert? Was sind die Hintergründe dieser Artikel? Ist etwa das Ende der Welt gekommen? Nein, es ist gar nichts passiert. Um sich der Steuerpflicht zu entziehen, haben sich einige Schurken (hazele) dort unangemessen verhalten, (vergüden kurtulmak maksadıyla) und sind nach Montenegro geflohen. Allerdings hat Prinz Nikola [die Rebellen] nicht freundlich aufgenommen [und so] sind sie nun frustriert und verwirrt (hâib u hâsır). […] Würden [die Zeitungen] bloß die wahren Begebenheiten wiedergeben und alle von der Neugier befreien. Können [die Zeitungen] nicht davon ablassen, diese Angelegenheit durch Gerüchte aufzubauschen (i’zam)? Nein, [natürlich nicht] weil [sie es als große] Sünde empfänden. Einige behaupten, dass in der Herzegowina eine große Revolution stattgefunden habe, andere hingegen sprechen davon, dass Soldaten dorthin abberufen würden, da dort Kämpfe stattfänden. Einige behaupten, dass die Fürstentümer Montenegro und Serbien erfolgreich in die Angelegenheit eingegriffen hätten, und andere haben sich dafür entschieden, dass [diese Angelegenheit] beigelegt worden sei. Seit jeher behaupten [die Nachrichtenblätter], dass Österreich in diese Angelegenheit involviert sei. […] Aber was sollen wir dazu sagen? Wir erbitten von Gott, dass er diesen Journalisten und Reporten Einsicht zuteilwerden lassen möge.657
Wie aus diesem Beitrag hervorgeht, karikiert Hayal nach dem Ausbruch der Rebellionen in der Herzegowina offenkundig die Berichterstattung der osmanischen Presse. Hierbei stehen weder die Rebellen noch ihre Motive im Vordergrund, sondern die divergenten Nachrichten, die die osmanische Presse in jenen Tagen verbreitete. Hayal beschuldigt die osmanische Presse, dass sie Gerüchte und Unwahrheiten in Umlauf brächte und so den Ereignissen eine hohe Bedeutung beimaß. Die Zeitschrift versucht die Vorgänge in der Herzegowina zu bagatellisieren und zu beschwichtigen. In diesem Kontext schien es ihr angemessen, sich der Untertreibung zu bedienen, um der Übertreibung in der Berichterstattung osmanischer Zeitungen entgegenzuwirken. Zudem versucht Hayal den Eindruck zu vermitteln, dass die Rebellion bald ein Ende fände, da sie die Ansicht vertrat, dass die Insurgenten nicht die Unterstützung bekommen hätten, die sie sich erhofften. Vermutlich assoziierte Hayal die jüngsten Ereignisse mit früheren Revolten, die in diesem Gebiet stattfanden. Diese wurden oft erfolgreich niedergeschlagen.658 Außerdem war zu diesem Zeitpunkt auch noch nicht vorherzusehen, welchen Flächenbrand diese
657 Hayal, No. 176, 19. Temmuz 1291 R. [31. Juli 1875], S. 3. 658 Matthew Smith Anderson, The Eastern Question 1774–1923. A Study in International Relations, 4. Aufl., London 1972, S. 178.
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Rebellion in ihrem Verlauf auslösen sollte.659 Aus dem folgenden Dialog, wird die Haltung von Hayal diesbezüglich deutlicher: H: Karagöz, alle Zeitungen berichten über die Herzegowina. Du bist doch auch Journalist, warum schreibst du denn nichts dazu? K: Über wen? H. Über die Herzegowina… K: Herzegowina. Ich habe verstanden, was ist denn passiert? H: Sie haben rebelliert (ayaklanmış)… Karagöz… Sie haben rebelliert, deshalb schicken sie Soldaten. K: Ach was, warum hast du Angst? Weißt du denn nicht? Unsere Soldaten haben Kraft in ihren Beinen, die Herzegowina kann nichts ausrichten.660
In ihren folgenden Nummern befasste sich Hayal mit der aktuellen politischen Lage weiterhin in Form von literarischen Beiträgen. So berichtet sie im Rahmen eines spöttischen Artikels von der militärischen Mobilisierung der Serben.661 Hayal gibt sich angesichts ihrer Kriegsvorbereitungen ahnungslos und fragt, was die Serben denn mit ihren Waffen vorhätten und gegen welchen Feind sie diese zu richten gedachten. Als mögliche Ziele des Fürstentums zählt Hayal Russland, Österreich-Ungarn und das Osmanische Reich auf. Ihren Ausführungen fügt das Blatt hinzu, dass gemäß der Berichterstattung der Zeitung Phare du Bosphore (Leuchtturm des Bosporus) die Serben selbst noch gar nicht darüber im Klaren seien, gegen wen sie sich mobilisierten, weil all diese Vorbereitungen ihre Diplomaten träfen.662 Hayal kommentiert diesen Beitrag mit der Fabel Der Affe und die Katze des französischen Schriftstellers Jean de La Fontaine. Die Katze und der Affe waren Hausgenossen im Dienste desselben Hausherren, die beschlossen, eine Zweckgemeinschaft einzugehen, um gemeinsam Kastanien aus dem Feuer zu stehlen, die ihr Hausherr für sich selbst röstete.663 Hayal veröffentlicht eine verkürzte 659 Nachdem die osmanischen Provinzen Bosnien-Herzegowina und Bulgarien sowie die tributpflichtigen Fürstentümer Serbien und Montenegro sich gegen die osmanische Herrschaft auflehnten, kam es ebenso zu Aufständen in Kreta sowie in Rumänien, das sich aus den Fürstentümern Moldau und Walachei gebildet hatte. Miloš Ković, Disraeli & The Eastern Question, Oxford 2011, S. 171. 660 Hayal, No. 188, 16. Ağustos 1291 R. [28. August 1875], S. 2. 661 Im Jahr 1830 erlangte Serbien den Status eines tributpflichten, partiell autonomen Fürstentums. MacKenzie, Serbs, S. 5. 662 Hayal, No. 182, 2. Ağustos 1291 R. [14. August 1875], S. 1. 663 Allerdings nennt Hayal nicht den Autor dieser Fabel, sondern publiziert diese so, als stamme sie aus der Feder eines Mitarbeiters, der allerdings anonym bleibt. Jean de La Fontaine, Die Fabeln, Wiesbaden 1978, S. 282.
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Fassung des französischen Originals,664 unter dem Titel fikra (Anekdote). In dieser Fabel instrumentalisiert der Affe die Katze für seine eigenen Zwecke und lässt sich die Kastanien von ihr aus dem Feuer holen. Während der Affe alle Kastanien gierig verschlingt, profitiert die Katze in keinerlei Hinsicht von dieser Zweckgemeinschaft. Hungrig und mit verbrannten Pfoten geht sie leer aus. Als Lehre fügt Hayal hinzu, dass sich so mancher selbst in Gefahr begäbe und sich Schaden zufüge, ohne zu merken, dass er lediglich den Interessen anderer diene. Dafür erhielte er nicht einmal Worte der Dankbarkeit. Die Katze, die in dieser Fabel stellvertretend für Serbien steht, stelle sich nach Ansicht von Hayal in den Dienst einer Sache, von der es selbst keinen Nutzen ziehen könne und lediglich den Schaden davontrage. Wer die Serben in dieser Angelegenheit instrumentalisiert, lässt Hayal offen. In ihrer 200. Nummer widmete Hayal erneut einen ihrer Beiträge der aktuellen politischen Lage auf dem Balkan. Unter dem Titel: hayale mahsus bir mektub erschien ein Brief, welchen die Rebellen, die sich auf dem Berge [Zevzekice] in der Herzegowina aufhielten, angeblich an Druckerei von Hayal geschickt hätten.665 Der Titel dieses Schreibens ist doppeldeutig und enthält ein Wortspiel mit dem Begriff hayal. Er kann sowohl als „ein Schreiben, das für Hayal bestimmt ist“ bedeuten, als auch „ein Brief über die Illusion“. Aus diesem angeblichen Schreiben der Rebellen geht hervor, dass ihre Gruppe sich aus acht Personen zusammensetze, bestehend aus Serben und Montene grinern. In ihrem Brief schildern sie, wie sie zuerst versuchten, die osmanischen Streitkräfte anzugreifen, aber ihr Vorhaben rasch aufgeben, da sie vor lauter Eile ihre Gewehre sowie ihre 15 Feldkanonen auf dem Berg vergessen hätten. Wenig später stießen sie auf eine Stadt namens [Zenavina], deren Bewohner sich nicht an den Aufständen beteiligt hatten. Deshalb planten sie diese Stadt zu zerstören, aber sie gaben, angeblich vor lauter Mitleid und Menschlichkeit, diesen Plan auf. Von dort aus machten sie sich auf den Weg in die Stadt [Kalkanvina]. Unterwegs trafen sie auf eine fünfundvierzigjährige Frau in Begleitung ihres sechzigjährigen Mannes und eines jungen Mädchens, die sie dazu einluden, sich an der Rebellion zu beteiligen, jedoch ohne Erfolg.666 Hayal verspottet und verhöhnt die Dissidenten als dilettantisch und konfus. Angeblich bemühen sie sich erfolglos, ihren Aufstand auszuweiten und 664 Vgl. La Fontaine, Die Fabeln, S. 282. 665 Bei der Benennung der Orte nutzte der Autor imaginäre Namen, die vermutlich slawisch klingen sollten. Zevzek bedeutet zum Beispiel im Osmanisch-Türkischen so viel wie Schwadroneur. 666 Hayal, No. 200, 13. Eylül 1291 R. [25. September 1875], S. 2.
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Freiwillige für ihre Sache zu rekrutieren, ohne Rücksicht auf Alter und Geschlecht. Sie scheinen ein gutes Herz zu haben, denn sie lassen von ihrem Plan ab, die Stadt in Schutt und Asche zu legen. Auch in diesem Beitrag gibt Hayal vor, bei den Rebellen handle es sich um eine kleine Minderheit, deren Pläne zum Scheitern verurteilt sind. Auffällig ist, dass Hayal die beiden tributpflichtigen Fürstentümer Serbien und Montenegro als Dissidenten darstellt, während sie zu diesem Zeitpunkt die Herzegowiner mit keinem Wort erwähnt.667
4.2 Der Bulgarische Aprilaufstand von 1876 Den Aufständen schlossen sich schon bald weitere Bevölkerungsgruppen an. Nachdem es bereits im August 1875 zu Unruhen in Bosnien kam, erhoben sich 1876 auch die Bulgaren. Am Vorabend der bulgarischen Rebellionen veröffentlichte Hayal im Dezember 1875 eine kurze Meldung, in der sie Bezug auf angebliche Forderungen der Bulgaren nahm. Den Nachrichten der Zeitung İstanbul (Istanbul) zufolge forderten sie die Einführung des Bulgarischen als zweite Amtssprache. İstanbul kommentierte diese Forderung damit, dass dann auch das Armenische, Kurdische, Arabische und Tscherkessische als neue Amtssprachen eingeführt werden muss. Hayal fügte dem mit spitzer Zunge hinzu, dass infolgedessen auch die Muttersprache des Karagöz Efendi berücksichtigt werden müsse.668 Nachdem die Bulgaren im April 1876 in den Dörfern des Rhodopengebirges gegen die osmanische Herrschaft rebellierten, kommentiere Hayal die Begebenheiten, unter dem Titel Nachrichten aus Bulgarien (bulgaristan havadisi), folgendermaßen: Wir haben uns zur Ruhe begeben,669 Bulgarien hat sich erhoben!… Die großen Bulgaren! Sie werden doch den Herzegowinern in nichts nachstehen? Sie haben sogar bessere Munition [als die Herzegowiner]. Während die Herzegowiner ihre Munition von den Montenegrinern und Serben geliefert bekommen, so erhalten die [Bulgaren] sie direkt aus Deutschland, von Herrn Krupp. (…).670
667 Hayal sieht in den beiden Fürstentümern die eigentlichen Hintermänner dieser Krise, die durch aktive Agitation diese Revolte heraufbeschworen hätten. In der Tat strebte Serbien die Annexion von Bosnien an und Herzegowina sollte Montenegro zufallen. Vgl. MacKenzie, Serbs, S. 31. 668 Hayal, No. 224, 22. Teşrin-i sâni 1291 R. [14. November 1875], S. 1f. 669 Biz yatdık Bulgaristan kalkmış. 670 Hayal, No. 253, 25. Mayıs 1292 R. [6. Juni 1876], S. 3.
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Dieser Artikel erschien am 6. Juni 1876, zu einem Zeitpunkt, an dem die Streitkräfte der Zentralmacht mit Hilfe von irregulären Hilfstruppen bereits die Aufstände gewaltsam niedergeschlagen hatten. Hayal erwähnt mit keinem Wort, dass bereits erbitterte Kämpfe ausgefochten wurden, sondern stellte die Situation so dar, als ob die Bulgaren sich lediglich in Vorbereitungsphase ihres Aufstandes befänden.671 Hayal beschäftigte sich zu diesem Zeitpunkt nicht umfassender mit dem bulgarischen Aprilaufstand. Einer der Gründe hierfür war wahrscheinlich, dass Zeitungen und Zeitschriften in diesen Tagen der verstärkten Überwachungen durch die Behörden ausgesetzt waren. Die strengen Auflagen galten auch für ausländische Periodika. Insbesondere Nachrichten über die Kriegsschauplätze sollten nicht bis in die Hauptstadt durchdringen.672 Vermutlich versuchte die Hohe Pforte damit zu verhindern, dass sich die ohnehin aufgeheizte Stimmung in Istanbul gewaltsam entlud. In Europa hingegen lösten die Nachrichten über die Niederschlagung des bulgarischen Aprilaufstandes 1876 große Empörung aus und veranlassten den britischen Oppositionsführer Gladstone zur Veröffentlichung seines Pamphlets The Bulgarian Horrors and the Question of the East, das in England reißenden Absatz fand.673 Es erreichte innerhalb von einem Monat die Auflage von 200. 000 verkauften Exemplaren. Binnen weniger Tage wurden 40.000 Exemplare dieser Streitschrift allein in Großbritannien verkauft.674 Auch die britische Presse kritisierte die Vorgehensweise der Hohen Pforte äußerst scharf.675 Die Empörung der britischen Öffentlichkeit, die durchaus auch in Istanbul wahrgenommen wurde, wie der folgende Beitrag zeigt, veranlasste Hayal dazu, sich zu dieser Thematik zu äußern. In ihrer 299. Nummer veröffentlichte Hayal folgenden Beitrag: […] Die Bulgaren haben rebelliert und wollten dort alle Muslime massakrieren. Jedoch haben sie es nicht bewerkstelligen können. Sie haben sie nicht vernichtet, stattdessen wurden sie vernichtet. Darüber hat sich die öffentliche Meinung in England empört. Und wie sie sich darüber geärgert haben. Sie sind rot geworden wie gekochter Hummer. […].676
671 Bereits im September 1875 fanden bulgarische Rebellionen gegen die osmanische Herrschaft statt, die allerdings sehr rasch niedergeschlagen wurden. Ković, Disraeli, S. 104. 672 Koloğlu, Osmanlı’dan, S. 61. 673 Vgl. Rodogno, Against Massacre, S. 151ff. 674 Ković, Disraeli, S. 144f. 675 Rodogno, Against Massacre, S. 147. 676 Hayal, No. 299, 14. Eylül 1292 R. [26. September 1876], S. 3.
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Hayal wirft der öffentlichen Meinung Londons (Londra ahalisinin efkâr-i umumiyyesi) vor, dass sie in ihrer Urteilsfähigkeit befangen seien und dass sie nicht einmal den Worten ihres Botschafters Sir Henry Elliot Glauben schenkten, der zu seinen Landsleuten sagte, dass er die Ereignisse von Nahem verfolgt habe und nicht alles so gewesen sei, wie von der Presse behauptet. Hayal klagt die einseitige und voreingenommene Berichterstattung der britischen Presse an, die mit keinem Wort die muslimischen Opfer erwähnt. Am Ende dieses Artikels fügt Hayal verbittert hinzu, dass man so etwas die öffentliche Meinung eines zivilisierten Volkes nenne und richtet folgenden Aufruf an das Volk: „Oh Volk, werde auch schleunigst zivilisiert, damit wir auch über solch eine öffentliche Meinung verfügen können.“677 In diesem Artikel bringt Hayal ihre Geringschätzung gegenüber der öffentlichen Meinung Englands zum Ausdruck, da sie lediglich dem Schicksal der christlich bulgarischen Bevölkerung Beachtung schenke, ohne den gesamten Kontext wahrzunehmen. Hayal reflektierte die Ereignisse von dem Standpunkt aus, dass das osmanische Heer dazu gezwungen sei, hart gegen die Rebellen durchzugreifen, da diese bereits ihrerseits viele Muslime in ihren Gebieten massakrierten. Hayal wusste um die Wichtigkeit und Wirkung der öffentlichen Meinung in Großbritannien.678 Hatte sie zuvor den Kriegseintritt Englands an der Seite des Osmanischen Reiches im Krimkrieg befürwortet, so besaß sie nun die Macht, dafür zu sorgen, dass dem Osmanischen Reich jegliche britische Waffenhilfe versagt blieb.679 Disraeli versuchte die Situation zu beschwichtigen und behauptete, dass die Hohe Pforte nicht verantwortlich für die Massaker wäre.680 Aufgrund seiner Haltung stand Disraeli selbst in der Kritik der britischen Presse, wie es Kapitel 4 zeigen wird. Auch Russland versuchte die öffentliche Meinung für seine Zwecke zu instrumentalisieren. Die Breitenwirkung, die die blutige Niederschlagung der bulgarischen Rebellion in der Öffentlichkeit erreichte, war
677 Ibidem. 678 England galt als „traditionelle Schutzmacht der Osmanen“. Vgl. Schmidt, “Balkankrise”, S. 43. 679 Aufgrund der Vorgehensweise des Osmanischen Reiches bei der Niederschlagung dieser Rebellion, die eine starke Entrüstung in der britischen Öffentlichkeit zur Folge hatte, sah sich England nicht mehr dazu in der Lage, bei einem eventuellen Kriegsfall mit Russland, der Hohen Pforte Waffenhilfe zu gewähren. Vgl. Gisela Hünigen, Nikolaj Pavlovič Ignat’ev und die russische Balkanpolitik 1875–1878, Göttingen 1968, S. 124f. 680 Rodogno, Against Massacre, S. 147f.
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für Russland eine willkommene Rechtfertigungsgrundlage, nun seine Interventionsmaßnahmen zu verstärken und seinen Einfluss zu erhöhen.681 Dieser Artikel von Hayal nimmt keinen Bezug auf die Entrüstungen, die diese Nachricht auch in anderen europäischen Ländern wie Frankreich oder Italien hervorrief. Einflussreiche Persönlichkeiten und Literaten wie Victor Hugo verurteilten die Vorgehensweise des Osmanischen Reiches vor dem französischen Senat sowie die Haltung der europäischen Diplomatie zur Rebellion der Bulgaren. Victor Hugos Appell vom 30. August 1876 wurde in zahlreichen Zeitungen in Europa veröffentlicht. Sein nicht minder berühmter Kollege, Leo Tolstoi, verurteilte ebenfalls diese Vorkommnisse in Bulgarien in der russischen Öffentlichkeit.682 Die Unterlassung von Stellungnahmen zur öffentlichen Entrüstung anderenorts deutet daraufhin, dass die öffentliche Meinung Englands von stärkerem Interesse für die Osmanen war. Die Ereignisse in Bulgarien beschäftigten die osmanischsprachigen Satirezeitschriften über einen längeren Zeitraum. Gleich nach dem Ende der Konferenz von Konstantinopel, bei der unter anderem das Schicksal von Bulgarien 681 Gemäß dem Vertrag von Küçük Kaynarca (1774) musste die Hohe Pforte das Zarenreich als Schutzmacht der orthodoxen Christen akzeptieren, die unter osmanischer Herrschaft lebten. Auf dem Wiener Kongress von 1815 erklärte Russland, dass der Zar „der natürliche Beschützer der orthodoxen Christen im Osmanischen Reich“ sei. Aufgrund dieses Protektorats sah sich Russland nun als Schutzherr der orthodoxen Griechen, Rumänen, Serben, Montenegriner und Bulgaren. Das Patronat über die orthodoxen Christen erlaubte Russland in den nächsten Jahren sich in die inneren Angelegenheiten der Hohen Pforte einzumischen. Im Friedensvertrag von Küçük Kaynarca sicherte die Hohe Pforte den Schutz des christlichen Glaubens sowie deren Institutionen zu. Dieser Vertrag gewährte außerdem russischen Gesandten in Konstantinopel das Recht, die Belange der Donaufürstentümer zu vertreten. Ferner räumte der Vertrag dem russischen Gesandten das Interventionsrecht zugunsten der orthodoxen Kirche bei der Hohen Pforte ein sowie den uneingeschränkten Besuch der Heiligen Stätten aller russischer Untertanen. Vgl. Sinno, “Pan-Slawismus”, S. 537–558. Zum Wiener Kongress: Vgl. Robin W. Winks und Joan Neuberger, Europe And The Making Of Modernity. 1815–1914, New York 2005. 682 Wolfgang Geier, Bulgarien zwischen West und Ost vom 7. bis 20. Jahrhundert. Sozial- und kulturhistorisch bedeutsame Epochen, Ereignisse und Gestalten, Wiesbaden 2001, S. 10. Die Unterdrückung des bulgarischen Aufstands löste in Russland Wellen der Hilfsbereitschaft und einen gesellschaftlichen Mobilisierungseffekt aus. Umfangreiche Spendenaktionen wurden ins Leben gerufen, um die „Glaubensbrüder“ in ihrem Kampf zu unterstützen. Dietrich Geyer, Der russische Imperialismus. Studien über den Zusammenhang von innerer und auswärtiger Politik 1860–1914, Göttingen 1977, S. 60.
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entschieden werden sollte, befasste sich zuerst Çaylak mit diesem Thema. In ihrer folgenden Karikatur, die am 17. Februar 1877 erschien, geben sich die Bulgaren angeblich als reumütig: Abb. 3.683
Auf obigem Bild ist zu sehen, wie ein verzweifelter Bulgare, der von Männern, die Frack und Zylinder tragen,684 bedrängt wird, sich an den Sultan wendet. Die Europäer, die den Bulgaren an seinem Mantel festhalten, sagen zu ihm: „Mein lieber Junge, wir arbeiten auf deine Glückseligkeit hin“. Der Bulgare entgegnet ihnen: „Oh, Herren, lasst bitte von mir ab, ich habe mich von eurer Besserwisserei losgesagt, ich möchte bis zu meinem Tod Osmane bleiben“.685 Der Sultan verzieht keine Miene und hebt lediglich mahnend seinen Zeigefinger. Aus dieser 683 Çaylak, No. 113, 5. Şubat 1292 R. [17. Februar 1877], S. 4. 684 Im Osmanischen Reich war die Wahl der Kleidung einer Kleiderordnung unterworfen, an die sich, bis auf wenige Ausnahmen, jeder zu halten hatte, so war das Tragen von Hüten und Zylindern lediglich Nichtmuslimen vorbehalten. Madeline C. Zilfi, “Whose laws? Gendering the Ottoman sumptuary regime”, in: Suraiya Faroqhi (Hg.), Ottoman Costumes: From Textile to Identity, Istanbul 2004, S. 124–141, S. 130. 685 Mösyöler: Be kuzum senin saadet-i haline çalışıyoruz. Bulgar: Aman herifler yakamı bırakınız. Sizin safsatanızdan vaz geçdim ve ölünceye kadar osmanlu kalmak isterim. Çaylak, No. 113, S. 4.
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Karikatur geht nicht eindeutig hervor, ob die Entschuldigung Bulgariens auf Akzeptanz stößt oder nicht.686 Die Europäer, die auf obiger Bildsatire abgebildet sind, tragen Zylinder. Zur Darstellung der erwähnten Personengruppe griffen die osmanischen Karikaturisten auf eine alte Darstellungsweise von Europäern in der osmanischen Kunst und Literatur zurück. Ein wichtiges Merkmal zur Beschreibung von Europäern war in der osmanischen Litertur ab dem 16. Jahrhundert, dass sie Hüte oder Zylinder trugen.687 Auffällig an diesem Bild ist, dass die Figur des Sultans starke Ähnlichkeiten mit Darstellungen von Osmanen in westlichen Karikaturen hat. Mit großer Wahrscheinlichkeit bedienten sich seine Zeichner europäischer Vorlagen, denn seine Attribute wie der lange Vollbart des Osmanen, sein Turban sowie seine wallenden orientalischen Gewänder sind in ähnlicher Weise zum Beispiel im Kladderadatsch zu finden.688 Obwohl es sich bei dem Bild des Sultans um eine Aneignung westlicher Vorlagen handelt, ist davon auszugehen, dass die Rezeption dieser Karikatur im Osmanischen Reich eine andere war als in Europa. Aus welchen Gründen die osmanischen Karikaturisten auf dieses Bild des Sultans zurückgriffen, ist nicht feststellbar. Ein möglicher Grund könnte das Fehlen eigener Symbolik sein, um den Sultan darzustellen. Oder aber sie kannten die 686 Die Hoffnungen der Bulgaren auf Unabhängigkeit wurden bitter enttäuscht. Salisbury schlug die Zerschlagung Bulgariens in zwei Provinzen vor, die jeweils von einem Provinzgouverneur regiert werden sollten, der mit der Zustimmung der Hohen Pforte für fünf Jahre gewählt würde und zur Unterstützung der Verwaltung eine Provinzversammlung erhielt. Russland hingegen strebte die Errichtung eines Großbulgariens an, das russischen Großmachtsansprüchen dienstbar gemacht werden sollte Vgl. Franz-Josef Kos, Die Politik Österreich-Ungarns während der Orientkrise 1874/1875–1879, Köln 1984, S. 197, 203, 205f und Sinno, “Pan-Slawismus”, S. 555. 687 Virginia Aksan, “Who was an Ottoman? Reflections on “Wearing Hats” and “Turning Turk”, in: Barbara Schmidt-Haberkamp (Hg.), Europa und die Türkei im 18. Jahrhundert/Europe and Turkey in the 18th Century, Göttingen 2001, S. 305–324, S. 307und Günsel Renda, “The Image of the European in Eighteenth-Century Ottoman Painting”, in: Schmidt-Haberkamp, Europa und die Türkei, S. 325–362. 688 Auch die Künstler von Kladderadatsch haben sich offensichtlich an älteren Bildern von „Türken“ als Vorlage bedient. Ihre Darstellungen von „Türken“ weisen große Ähnlichkeiten zu Bildern aus dem 18. Jahrhundert auf. Vgl. Beate Dorfey, “Furcht – Faszination – Phantasie. 600 Jahre Begegnungen zwischen dem Osmanischen Reich und Europa”, in: Beate Dorfey (Hg.), „Die Türken kommen!“. Exotik und Erotik: Mozart in Koblenz und die Orient-Sehnsucht in der Kunst, Koblenz 2006, S. 29–55, S. 43, 46.
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Konnotation dieses Bildes aus der westlichen Publizistik, in der der osmanische Sultan häufig als paternalistisch dargestellt wurde. Diese Kritik war für diejenigen Leser offensichtlich, die solcherlei Bilder aus der westlichen Satirepresse kannten. Çaylak visualisiert mit diesem Bild einen angeblichen Gesinnungswechsel der Bulgaren, die es scheinbar vorzogen unter osmanischer Herrschaft zu bleiben, anstatt weiterhin ein Spielball von europäischen Interessen zu sein. Ebenso beschäftigte sich Hayal mit der Bulgarienthematik: Abb. 4.689
In der obigen Karikatur, die Hayal am 9. Juni 1877 veröffentlichte, ist zu sehen, wie ein Bulgare, der deutlich vom Krieg gezeichnet ist, einen Kosakenhut aufhebt und steckt ihn in einen Sack, wo schon weitere liegen. Der Hut auf dem Boden deutet auf eine vergangene Schlacht hin. Sein Träger ist entweder bei Kämpfen 689 Hayal, No. 359, 28. Mayıs 1293 R. [9. Juni 1877], S. 4.
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umgekommen oder hat seine Kopfbedeckung auf der Flucht verloren. Auf dem Kosakenhut ist ein Doppeladler zu sehen, als Symbol Russlands. Hinter ihm stehen zwei Männer, die ihn fragen, was er denn mit dieser Kopfbedeckung machen wolle. Der Bulgare antwortet: „Daraus lassen sich Kalpaks herstellen“, woraufhin die Männer ihm entgegnen: „Ihr wisst immer, was für euch von Vorteil ist.“690 Möglicherweise versucht Hayal mit diesem Bild ebenfalls den Gesinnungswandel der Bulgaren darzustellen und impliziert, dass die Bulgaren, zu deren Tracht der Kalpak gehört, sich von Russland abgewendet hätten und sich nun auf die eigene Identität, symbolisiert durch den Kalpak, besannen. Andererseits karikiert dieses Bild auch die angebliche Doppelmoral der Bulgaren, die ebenfalls ihre Interessen verfolgten und sich scheinbar demjenigen zuwandten, von dem sie sich Vorteile erhofften.
4.3 Der Serbisch-Osmanische Krieg von 1876 Im Juni 1876 erklärte Serbien der Hohen Pforte den Krieg. Kurze Zeit später schloss sich Montenegro an.691 Während Hayal bis zu ihrer 268. Nummer nur sporadisch Beiträge und Artikel in Bezug auf die Rebellionen veröffentlichte,692 änderte sich ihre Haltung in ihren folgenden Ausgaben grundlegend. Gleich auf der ersten Seite ihrer 269. Ausgabe veröffentlichte Hayal eine Komödie (komedya), bestehend aus einem Akt, mit dem Titel Vatanperverler (Die Patrioten).693 Die Hauptpersonen dieser Komödie sind drei wohlhabende Herren aus der Istanbuler Oberschicht, die bei einem çilingir sofrasi (Zechtisch) die aktuelle politische Situation des Osmanischen Reiches besprechen. Dabei essen sie teure Vorspeisen (meze), wie zum Beispiel pastırma (gewürztes Pökelfleisch) aus Mersin, zu einer Zeit, in der die meisten Istanbuler kaum Geld zusammenbekamen, um sich die nötigsten Lebensmittel zu kaufen. Die drei Herren geben vor, äußerst an der Unterstützung ihres Vaterlandes interessiert zu sein, führen aber eine Reihe von Gründen auf, die sie daran hindern, ihren Patriotismus unter 690 Yahu ey, onları ne yapacaksın. –Efendim, bunlar kalpak olur. –Nasıl da bilirsiniz kârınızı. Hayal, No. 309, S. 4. 691 Gemäß MacKenzie zogen Serbien und Montenegro nicht nur in den Krieg, um eventuell ihre Territorien zu erweitern und ihre vollständige Autonomie vom Osmanischen Reich zu erlangen, sondern sie zogen in den Kampf gegen den Islam. Vgl. Mackenzie, Serbs, S. 101. 692 Hayal, No. 264, 22. Haziran 1292 R. [4. Juli 1876], S. 3; Hayal, No. 265, 24. Haziran 1292 R. [6. Juli 1876], S. 2; Hayal, No. 266, 26. Haziran 1292 R. [8. Juli 1876], S. 1. 693 Hayal, No. 269, 3. Temmuz 1292 R. [15. Juli 1876], S. 1. Ein Autor wird nicht genannt. Vermutlich gehört der Verfasser zum Autorenstab von Hayal.
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Beweis zu stellen. Schließlich gelangen sie zu dem Entschluss, dass jeder von ihnen einen Beitrag in Form einer Geldspende leisten könne. Insgesamt kommt eine Summe in Höhe von 5 ¼ Lira zusammen, den ein Bediensteter des Hauses an die Spendensammelstelle bringen soll. Alle drei sind mit ihrer Entscheidung, etwas Geld zu spenden, hochzufrieden, da sie somit ihr Gewissen entlasteten.694 Diese Komödie kann auf unterschiedliche Arten interpretiert werden. Zum einen skizziert sie das Leben der Oberschicht, die, während der größte Teil der Istanbuler Bevölkerung Hunger litt, sich am wohl gedeckten Tischen über Politik unterhielten und Anteilnahme heuchelten. Denn die Gründe, die diese Herren aufführen, warum sie sich nicht aktiv bei der Unterstützung der Truppen beteiligen, scheinen fadenscheinig. Zum anderen gab es durchaus in jenen Jahren Menschen aus der Istanbuler Oberschicht, die verschiedene Hilfsaktionen ins Leben gerufen hatten, um die osmanische Armee zu unterstützen.695 Andererseits kann diese Komödie ebenfalls als Aufruf von Hayal an ihre Leserschaft verstanden werden, sich an den Spenden- und Hilfsaktionen zu beteiligen, da auch in diesem Stück angeben wird, dass sich in der Nähe der Hohen Pforte eine dieser Spendensammelstellen befände. Zwar ist die Summe, die diese Personen spenden, nicht sehr gering, denn ein einfacher Arbeiter erhielt um 1870 einen Monatslohn von ca. 2,5 Lira,696 aber sie steht in keinem Verhältnis zu ihrem aufwendigen Lebenswandel und ihrem Reichtum. Vermutlich soll die Komödie die wohlhabenden Leser von Hayal dazu animieren, nicht wie diese Personen zu handeln, die vorrangig sich für ihren eigenen Profit interessieren und sich lediglich durch eine Spende ihrer Gewissenslast entledigen wollen, sondern tatsächlich so viel zu spenden, wie es ihren tatsächlichen finanziellen Möglichkeiten entspricht. Im Zusammenhang mit der Balkankrise veröffentlichte Hayal in dieser Nummer einen weiteren Beitrag, betitelt mit bilmece (Rätsel). Während in den vorherigen Artikeln und Bildern zumeist die politische Situation im Allgemeinen im Fokus stand, rückten nun die politischen Akteure der Krise in den Mittelpunkt. Der österreichisch-ungarische Außenminister Andrássy und der Fürst von Montenegro, Nikola I., veranstalteten gemeinsam ein Ratespiel.697 Für jede richtige Antwort soll Nikola I. als Belohnung Städte und Provinzen aus den osmanischen Besitzungen des Balkans zugesprochen bekommen, wie zum Beispiel die Stadt Niš oder Bosnien-Herzegowina. Der Spaß geht solange gut, bis Nikola I. 694 695 696 697
Hayal, No. 269, S. 1–3. Zu den zahlreichen Hilfsaktionen siehe: İpek, Türk Göçleri, S. 59ff. Herzog, “Die Entwicklung”, S. 32. Andrássy wird in diesem Beitrag Andreya genannt. Vgl. Hayal, No. 269, S. 3.
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die memleketeyn (Moldau und Walachei)698 fordert. Umgehend beendet Andrássy das Spiel, da er selbst Ansprüche auf dieses Gebiet erhob.699 Hayal führt ihren Lesern mit diesem Ratespiel vor Augen, dass das Osmanische Reich zunehmend zum Spielball der konkurrierenden europäischen Mächte geworden ist, die ihre imperialistischen Interessen verfolgen. Zum anderen spielt dieser Beitrag auch möglicherweise auf die Militärkonferenz vom 29. Januar 1875 an, in der Andrássys seine strategischen Überlegungen vortrug, dass Bosnien-Herzegowina im Falle einer osmanischen Niederlage zwischen Serbien, Montenegro und Österreich-Ungarn aufgeteilt werden solle.700 Für die Donaumonarchie waren die Fürstentümer Moldau und Walachei nicht nur wirtschaftlich, sondern auch strategisch von großer Bedeutung. Da Andrássy jedoch Russland misstraute und als Konkurrenten bei der Werbung um die Gunst der Christen auf dem Balkan betrachtete, trotz des Dreikaiserbunds, schloss er vorsorglich eine Handelskonvention mit diesen Fürstentümern ab. Denn für Russland waren die Fürstentümer ebenfalls von großer Wichtigkeit als Tor zu Südosteuropa. Von dieser Handelskonvention erhoffte Andrássy, neben der Sicherung von wirtschaftlichen Vorteilen, eine engere Bindung der memleketeyn an die Donaumonarchie. Folglich sollte dadurch auch der Einfluss Russlands abgeschwächt werden.701 Nach dem Ausbruch des Krieges rückten die politischen Akteure Serbiens zunehmen in den Blick von Hayal. In erster Linie kamen der serbische Fürst
698 Im Osmanisch-Türkischen bezeichnet der Terminus memleketeyn die Fürstentümer Moldau und Walachei. Durch die Vereinigung der beiden Fürstentümer Moldau und Walachei entstand 1861 Rumänien. 699 Hayal, No. 269, S. 3. Für zusammenfassenden Überblick zu Andrássys Politik während der Balkankrise siehe: Schmidt, “Balkankrise”, S. 42ff. Während der Jahre der Balkankrise verfolgte der österreich-ungarische Außenminister eine widersprüchliche politische Linie. Zwar war er am Erhalt des status quo des Osmanischen Reiches interessiert, hielt aber ebenso am Ziel fest, die beiden osmanischen Provinzen Bosnien und Herzegowina zu annektieren. Siehe ebenso: Horst Haselsteiner, „Zur Haltung der Donaumonarchie in der Orientalischen Frage“, in: Ralph Melville (Hg.), Der Berliner Kongress von 1878. Die Politik der Großmächte und die Probleme der Modernisierung in Südosteuropa in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Wiesbaden 1982, S. 227–243. 700 Kos, Die Politik, S. 69ff., 76ff. 701 Ibidem, S. 93. Zu den wirtschaftlichen Interessen von Österreich-Ungarn auf dem Balkan siehe auch: Emil Palotás, Ziele und Geschichtliche Realität. Wirtschaftsbestrebungen Österreich-Ungarns auf dem Balkan zur Zeit des Berliner Kongresses im Jahre 1878, Budapest 1980.
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Milan oder General Černajaev in den muhaveres zu Wort, in denen sie diese Persönlichkeiten fiktive Gespräche führen ließ. Hayal setzte voraus, dass Persönlichkeiten wie Prinz Milan oder General Černajaev bei ihren Lesern bereits bekannt waren; über ihre Namen hinaus liefert sie keinerlei Informationen zu ihren Personen.702 Erst in ihrer 300. Nummer, nachdem die Hohe Pforte bereits einen Waffenstillstand mit Serbien vereinbart hatte, stellte Hayal erstmals die Frage, wer denn dieser Prinz Milan sei und stellte ihn, nicht ohne den Einsatz von Spott und Häme, im Rahmen einer muhavere ihren Lesern vor.703 In ihrer folgenden Ausgabe veröffentlichte Hayal zwei weitere muhaveres, die diesmal den General Černajaev karikierten. Eine der ersten muhavere dieser Art erschien unter dem Titel: Aleksinacda bir kışla otasında (In einem Raum der Kaserne in Aleksinac).704 In diesem Dialog überbringt ein Gehilfe (yaver) dem General die Nachricht vom Vorrücken der osmanischen Truppen und dem Rückzug der serbischen Streitkräfte. Darüber ist der General, der gerade noch über seinen Karten gebrütet hatte, sehr empört, da er seinen Truppen befohlen hatte, anzugreifen – und diese widersetzten sich nun seinem Befehl. Daraufhin gibt ihm sein Gehilfe zu bedenken, dass es natürlich viel einfacher sei, Befehle aus einem sicheren Zimmer zu erteilen als direkt vom Kriegsschauplatz, wo von den umherfliegenden Patronenkugeln Gefahr ausgehe. Der General erwidert auf diesen Einspruch des Gehilfen, dass er Befehle grundsätzlich aus Zimmern erteile, und dass er sonst nach Russland zurückkehren würde, falls dies nicht gewährleistet sein sollte. Auf diesen Einwand des Generals hin versuchte der Gehilfe in Erfahrung zu bringen, wie er es denn bewältigen wolle, die Osmanen zu besiegen, wenn er seine Kommandos lediglich von seinem Zimmer aus gäbe. Černajaev bestand jedoch darauf, dass er es vertraglich zugesichert bekommen habe, dass er in seinem Zimmer bleiben dürfe; er habe zwar keine Angst vor dem Tod, aber ertrage den Anblick der roten Fes und der grünen Turbane nicht. Der Gehilfe kann nur noch Worte des Bedauerns äußern, denen Černajaev kaum
702 General Mihail Grigorijevič Černajajev (1828–1898) war Herausgeber der Zeitung Russkij Mir (Russische Welt). Im April 1876 ging er nach Belgrad, um dort den Oberbefehl über die serbische Armee zu übernehmen. Ebenso begaben sich 600 russische Offiziere sowie einige Tausend Soldaten nach Serbien, um die serbische Armee in ihrem Kampf zu unterstützen. Geyer, Imperialismus, S. 60f. 703 Hayal, No. 300, 16. Eylül 1292 R. [28. September 1876], S. 2. 704 Hayal, No. 272, 10. Temmuz 1292 R. [22. Juli 1876], S. 1. Im August schickte Černajaev ein Telegramm nach Belgrad, mit der Bitte einen Waffenstillstand zu ersuchen, denn seine Truppen bei Aleksinac gerieten zunehmend in Bedrängnis. Vgl. MacKenzie, Serbs, S. 129.
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Beachtung schenkt. Er erwidert, dass er noch die Option habe, nach Moskau zurückzukehren, um dort bei einer Zeitung als Reporter zu arbeiten.705 Unmittelbar im Anschluss an diese muhavere publizierte Hayal eine weitere, die erneut den General Černajaev zum Protagonisten hatte. In diesem Dialog erkundigte sich der General bei seinem jungen Koch, warum er denn nicht die Bohnen zubereitet habe. Der Koch antwortet ihm, dass er die Nachricht vernommen habe, dass die Osmanen im Anmarsch seien und er deshalb etwas in Panik geraten sei. Černajaev kümmert diese Nachricht jedoch wenig, woraufhin der Koch ihn fragt, warum er denn nicht an der Spitze seines Heeres stehe. Der General antwortet ihm, wie in der muhavere zuvor, dass er Angst vor der Farbe Rot habe. In obigen Dialogen wird der General Černajaev, dem angeblich jeglicher Kampfgeist fehlt, als inkompetent und feige dargestellt, der dem Schlachtfeld fern bleibt und deshalb der Kritik seiner Untergebenen ausgesetzt ist. Ihn scheint es wenig zu kümmern. Für ihn scheint es nicht wichtig zu sein seine Truppen zu führen, denn er hat schon alternative Zukunftspläne. Außerdem kommuniziert Hayal ihren Lesern mit diesen Dialogen, dass angesichts eines solchen Feindes der Sieg gewiss sein wird. Hayal veröffentlichte eine Reihe von muhaveres, die in ähnlicher Weise den Kommandanten der serbischen Armee karikierten und verhöhnten.706 Prinz Milan und General Černajaev waren nicht nur durch Worte dem Spott von Hayal ausgesetzt, sondern auch durch ihre Bildsatiren. Hayal veröffentlichte am 23. August 1876 eine Karikatur, in der General Černajaev Prinz Milan die Quittung für seinen Einsatz präsentiert. Der Prinz, der hier kindlich dargestellt ist, weint bitterlich und fragt Černajaev, wie er denn die Rechnung bezahlen solle. Davon ist der General wenig beeindruckt und entgegnet: „Mein Herr, daran hättest du denken müssen bevor du … den Krieg erklärt hast.“707 Auffällig an dem Begleittext dieser Karikatur ist, dass nicht explizit geschrieben wird, wem Prinz Milan den Krieg erklärt hat. Es ist nicht feststellbar, ob es sich hierbei um amtliche Vorgaben handelt oder ob der Zeichner es vermeiden wollte, die Osmanen in diesem Kontext explizit zu benennen. 705 Hayal, No. 272, S. 1. 706 Vgl. Hayal, No. 276, 20. Temmuz 1292 R. [1. August 1876], S. 3; Hayal, No. 287, 21. Ağustos 1292 R. [2. September 1876], S. 2f. 707 Hay, hay, hay! Aman Çernayef ben o kadar parayı nasıl verebilirim? –Efendim, orasını … ilan-i harb etmeden düşünmeli idiniz. Hayal, No. 280, 11. Ağustos 1292 R. [23. August 1876], S. 4. In der Tat war die Staatskasse Serbiens leer, deshalb musste Prinz Milan Russland um einen Kredit bitten. Vgl. MacKenzie, Serbs, S. 110.
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Ein weiteres Bild, das Prinz Milan karikierte, erschien in der 271. Nummer von Hayal auf der letzten Seite. Abb. 5.
Prinz Milan, der bis zu den Zähnen bewaffnet ist, hält nicht nur verschiedene Gewehre mit Bajonett sondern auch ein überdimensional großes Schwert fest. Am ganzen ganzen Körper ist er ebenfalls mit zahlreichen kleineren Feuerwaffen und Dolchen behangen. Sogar zwischen seinen Zähnen klemmt ein Kavalleriesäbel. Neben der kleinen Kanone an seiner rechten Seite trägt er ebenfalls ein Kanonenrohr als Kopfbedeckung. Die Bildunterschrift dazu lautet: „Hey! Das Kind hat sich auf die Kanonenkugel gesetzt. Wenn dies so weiter geht, wird er in ein Faß steigen.“708 Mit dieser Illustration parodiert Hayal das Aufrüsten 708 Yahu! Bu çocuk topa oturmuş. Galiba bu gidişle küpe binecek. Hayal, No. 271, 8. Temmuz 1292 R. [20. Juli 1876], S. 4. Die Bildunterschrift spielt auf die Redewendung küplere binmek an und bedeut soviel wie in hellen Zorn geraten, in die größte Erregung kommen oder vor Wut schäumen. Vgl. Steuerwald, S. 576.
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der serbischen Armee. Von wem dieser Spruch stammt und gegen wen er sich richtet, geht jedoch aus der Karikatur nicht hervor.709. Hayal griff auf unterschiedliche Ausdrucksmittel zurück, um die politischen Akteure des Serbisch-Osmanischen Krieges zu karikieren. Telegramme waren in jenen Tagen nicht nur das wichtigste Kommunikationsmittel der Journalisten, sondern hauptsächlich der Diplomaten, Staatsoberhäupter und Generäle. Um dies zu karikieren, veröffentlichte Hayal am 25. Juli 1876 in ihrer 272. Ausgabe einen angeblichen Telegrammwechsel zwischen General Černajaev und Prinz Milan wie folgt: Černajaev: Ich werde den Posten als Kommandanten aufgeben und fliehen. Milan: Um Himmelswillen, was machst du? Du hast schon Bulgarien aufgegeben, erobere wenigstens jedoch Niš, bevor du fliehst. Č.: Ich habe begriffen, dass es mir nicht gelingen wird, deshalb fliehe ich ja. M.: Mein lieber Černajaev, mein lieber Freund Černajaev, halte doch noch ein wenig durch, nur ein wenig. Č.: Mein Herr, durchhalten, durchhalten, hier vermehren sich die roten Fes. Früher oder später werden mir die Türken den Kopf abschlagen und ihn auf dem Kampfplatz wie eine Walnuss hin und her rollen. An so einem gefährlichen Ort kann ich nicht bleiben. M.: Um Himmelswillen Černajaev, tapferer Černajaev, mein gutaussehender (şehnaz) Černajaev, nur noch ein wenig. Denn wenn du gehst, dann haben wir keinen Kommandanten, der die Kriegswissenschaft beherrscht. Č.: Mein Herr, das weiß ich doch auch. Aber was hilft das? Mir ist klar geworden, dass ich zusammen mit den Soldaten, die sich unter meinem Kommando befinden, sterben werde. Heute habe ich beschlossen zu fliehen. M.: Um Himmelswillen Černajaev, du weißt es besser, aber habe Erbarmen mit uns, Černajaev.
Im weiteren Gesprächsverlauf versucht Prinz Milan, General Černajaev zu überreden, das Kommando zu übernehmen. Jedoch gelingt es ihm nicht. General Černajaev beendet das Gespräch mit folgender Aussage: „ich habe keine Zeit zum Sterben, adieu!“710 Erneut verspottet und verhöhnt Hayal mit diesem Beitrag die Verzweiflung Serbiens im Kampf gegen das Osmanische Reich und den mangelnden Patriotismus 709 Die meisten Bilder dieser Art benennen die abgebildeten Personen nicht. Der Betrachter muss selbst erschließen, um wen es sich hierbei handelt. Wahrscheinlich verwendeten die Karikaturisten Fotografien dieser Persönlichkeiten als Vorlage, um diese mit einem möglichst hohen Wiedererkennungswert zu zeichnen. Denn sowohl die Karikaturen Prinz Milans als auch General Černajaevs weisen große Parallelen zu ihren Fotografien auf. Vgl. MacKenzie, Serbs, S. 87. 710 Hayal, No. 272, S. 3.
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ihres Generals. Černajaev wird als Feigling dargestellt, der keinen Einsatz für sein Heer zeigt und es gnadenlos im Stich lässt. Vermutlich entstand diese muhavere in Anspielung auf die Berichterstattung der Petersburger Presse, die Mitte Juli verkündete, General Černajaev befände sich in der Nähe von Niš, auf dem Weg nach Konstantinopel.711 Prinz Milan und General Černajaev waren desgleichen dem Spott und dem Hohn von Çaylak ausgesetzt.712 Auch Lâtife spottete bereits in ihrer ersten Ausgabe über Prinz Milan und veröffentlichte ein angebliches Schreiben des Prinzen an das serbische Heer. In diesem Schreiben befiehlt Milan seinen Soldaten, dass sie sich sofort zurückziehen sollen, sobald sie auch nur auf einen einzigen Soldaten der Zentralmacht träfen, oder dass sie schnellstens fliehen sollten, falls sie Tscherkessen erblickten.713 Çaylak veröffentlichte eine Bildsatire in ihrer 118. Ausgabe, die ähnlich wie der literarische Beitrag von Lâtife auf die Feigheit und die Fahnenflucht der Serben anspielt. Auf dieser Karikatur ist zu sehen, wie das serbische Heer panisch davon läuft. Über ihnen ist ein Kalpak, die Kopfbedeckung der Tscherkessen, im Anflug. Ihr Kommandant ruft dem flüchtenden Heer hinterher: „Was macht ihr erst, wenn ihr [denjenigen] seht, dem [diese Kopfbedeckung] gehört?“714 Mit diesen Bildern sprachen die osmanischsprachigen Satirezeitschriften ihren Gegnern jeglichen Kampfgeist ab und erzeugen das Bild von jämmerlichen, feigen und unfähigen Antagonisten, die jederzeit mit Leichtigkeit besiegt werden können. Hayal demonstrierte mit ihren Karikaturen und Beiträgen Siegesgewissheit der Zentrale. Am 3. August 1876 erschien eine Karikatur, die einen bewaffneten tscherkessischen Soldaten als Riesen darstellt, der eine Festung symbolisieren soll. Um ihn herum stehen drei serbische Soldaten, die im Vergleich zum Tscherkessen winzig sind. Während sie zu ihm hinauf schauen, bringt ein vierter Soldat eine Leiter. Ein fünfter hat schon eine Leiter an seinen rechten Arm angelegt. Sie suchen offensichtlich nach einem Schwachpunkt der Festung, um sie zu erobern. In diesem Bild symbolisiert der Soldat eine unbezwingbare Festung. Die Bildunterschrift lautet: „Wenn es auch keinen Zweifel daran gibt, dass dies
711 MacKenzie, Serbs, S. 111. 712 Çaylak, No. 40, 12. Ağustos 1292 R. [24. August 1876] S. 1–2; Çaylak, No. 113, S. 4. 713 Lâtife, No 1, 1. Eylül 1293 [sic!], S. 3. 714 Çaylak, No. 118, 17. Şubat 1292 R. [24. Februar 1877], S. 4. Kumandan: Bunun kendisini görseniz ne yapacaksiniz?
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eine Festung ist, so ist es erforderlich, eine Stelle zu finden, die [es uns ermöglicht] sie einzunehmen“.715 In ihren weiteren Ausgaben veröffentlichte Hayal eine Reihe von ähnlich motivierten Bildern. Eine Karikatur, die am 4. September 1876 erschien, zeigt, wie zwei Soldaten der Zentralmacht eine Suppe in ihrem Zeltlager kochen. Am oberen Rand des Bildes ist eine Kanonenkugel zu sehen, die gerade im Anflug ist, der linke Soldat sagt: „Gib Acht [mein] Freund, damit [die Kanonenkugel] nicht in die Suppe fällt!“716. Zum einen stellt diese Karikatur die beiden tscherkessischen Soldaten als so mutig und unerschrocken dar, dass sie sich nicht um ihr Leben sorgen, sondern lediglich um ihre Mahlzeit. Zum anderen haben sie noch die Gelegenheit, während eines Gefechts sich eine Suppe zuzubereiten, was verdeutlichen soll, dass die feindlichen Streitkräfte keine Herausforderung für sie darstellen.717 Nachdem die Hohe Pforte am 15. September 1876 einem zehntägigen Waffenstillstand zustimmte,718 veröffentlichte Hayal eine Karikatur, die Milan zeigt, wie er mit seinen Herrschaftsinsignien (Krone, Reichsapfel, Zepter) hoch zufrieden inmitten eines christlichen Gräberfeldes thront. Der Text zu diesem Bild lautet: „War es nicht [mein] Wunsch, König zu sein; wenn es schon nicht Serbien sein kann, dann wenigstens das Reich der Toten“719. Gemäß Hayal weihte Milan seine Streitkräfte dem Tod, nur um seinen eigenen Traum von Herrschaft zu erfüllen. Das Ziel Milans, Herrscher zu werden, griff Lâtife ebenfalls auf und veröffentlicht einen angeblichen Brief von Prinz Milan, adressiert
715 Bunun kale oldığından şübhe yoksada alınır yerini aramak lazım. Hayal, No. 277, 22. Temmuz 1292 R. [21. August 1876], S. 4. 716 Aman arkadaş dikkat et şuna, çorbanın içine düşmesin. 717 Hayal, No. 289, 24. Ağustos, 1292, R. [5. September 1876], S. 4. Mit der Veröffentlichung dieser Karikatur erregte Hayal erneut Ärgernis. Einige hatten dieses Bild missverstanden (oder wollten es missverstehen) und warfen nun Kasap vor, dass er die tscherkessischen Streitkräfte verspotte. Dies ist der muhavere zu entnehmen, die in der Ausgabe Nummer 296 erschien. Dort besprechen Hacivat und Karagöz diese Problematik, da sie sich über dieses Missverständnis ärgern. Hacivat verteidigt die Publikation Karagözs, der hier als Verantwortlicher zur Rechenschaft gezogen wird und sagt, dass es die Intention des Bildes war, die Heldenhaftigkeit der tscherkessischen Soldaten zu zeigen und nicht sie zu verspotten. Vgl. Hayal, No. 296, 7. Eylül 1292 R. [14. September 1876], S. 1. 718 Ković, Disraeli, S. 151. 719 Murad kırallık değil mi? Sırbistan olmaz ise kabristan olsun. Hayal, No. 299, S. 4.
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an General Černajaev. Dort schildert Milan, dass er seit drei Tagen davon träume, er sei König geworden.720 Lâtife nahm den Waffenstillstand mit Serbien als Anlass zur Veröffentlichung folgender Karikatur: Abb. 6.721
Auf der rechten Seite des Bildes sind Vogelscheuchen dargestellt, welche von den Osmanen aufgepflanzt wurden und die die Kleidung tscherkessischer Streitkräfte tragen. Im Hintergrund ist eine serbische Einheit zu sehen, die sich gerade auf der Flucht befindet. Links im Bild ist eine kleine Gruppe von Osmanen zu sehen, die sich recht lässig geben, denn der zweite Osmane von rechts hat seine Hände in die Hosentasche gesteckt und lauscht seinem Nachbarn. Dieser sagt zu ihm, indem er auf die fliehenden Serben zeigt: „Sie fürchten sich nicht nur vor den tapferen Tscherkessen sondern haben sogar Angst vor ihrer Kleidung.“722
720 Lâtife, No. 10, 3. Teşrin-i sâni 1292 R. [15. November 1876], S. 4. 721 Lâtife, No. 1, 1. Eylül 1293 [sic!], S. 4. 722 Çerkes dilâverlerin kendülerinden değil elbiselerinden bile korkuyorlar. Lâtife, No. 1, S. 4.
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Die Hohe Pforte setzte bei den kriegerischen Auseinandersetzungen verstärkt auf tscherkessische und zeybekische723 Kämpfer, die gemäß der Satirezeitschrift Lâtife als „äußerst gnadenlos“ galten. Lâtife karikiert die angebliche Feigheit des serbischen Heeres, indem sie ihnen unterstellt, sie hätten sogar Angst vor dem Anblick der bloßen Kleidung der tscherkessischen Streitkräfte. Gemäß einem Report General Černajavs flohen serbische Soldaten tatsächlich vom Schlachtfeld. Nachdem eine Niederlage gegen die Streitkräfte der Zentralmacht absehbar war, erbat er deshalb möglichst rasch einen Waffenstillstand, weil er befürchtete, dass sie sonst die Bevölkerung massakrierten.724 Çaylak interpretierte die Bitte der Serben um einen Waffenstillstand als Sieg der Zentralmacht und nahm dies als Anlass zur Veröffentlichung folgender Karikatur: Abb. 7.725
723 Turkstamm aus dem Südwesten Anatoliens. Siehe: Redhouse, S. 1282. 724 MacKenzie, Serbs, S. 112f; Ković, Disraeli, S. 166f. 725 Çaylak, No. 43, 19. Ağustos 1292 R. [31. August 1876], S. 4.
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In ihrer 43. Nummer publizierte sie obige Bildsatire, die zeigt, wie ein riesenhafter Tscherkesse und ein ebenso riesiger Zeybeke die Serben zusammenfegen.726 Hinter dem Tscherkessen, der die Serben, von denen einige noch versuchen zu fliehen, mit seinem Besen zusammenfegt, steht eine Gießkanne. Ein kleiner Serbe auf der rechten Seite versucht noch den Tscherkessen anzugreifen, dieser nimmt aber keine Notiz von ihm. Außerdem hält sich ein weiterer Serbe am Zipfel der Kopfbedeckung des Tscherkessen fest. Der Zeybeke hingegen hält in seiner linken Hand eine Schaufel und in seiner rechten Hand einen Serben an seinem Bein fest, wie Ungeziefer. Erneut diffamiert diese Karikatur die Aggressoren und präsentiert die osmanischen Streitkräfte als die überlegene Macht, die mit Leichtigkeit ihren „winzigen“ Feind besiegen kann, von dem kein ernsthafter Widerstand zu erwarten ist. Der Zeybeke sagt zum Tscherkessen: „Da seit langer Zeit nicht mehr gekehrt wurde, haben sie [die Serben] sich vermehrt“. Der Tscherkesse entgegnet: „Stimmt. Verwende aber ausreichend Wasser, damit du nicht jedem Kleidung und Kopf schmutzig machst. Sie passen auch nicht auf die Schaufel, man muss eine Bütte holen.“727 Während die Karikatur von Lâtife lediglich die angebliche Furchtsamkeit der Serben verhöhnt und sie als Deserteure darstellt, geht Çaylak viel agressiver vor. Zwar gehört die Verzerrung zum Wesen der Bildsatire, aber in diesem Kontext stellt der Karikaturist die Serben als Ungeziefer dar, dass im “Dreck und Staub” gedeiht.728 Çaylak bringt den Serben nicht nur Verachtung und Hohn entgegen, sondern das Blatt entmenschlicht sie geradezu. Einerseits verunglimpft und diffamiert Çaylak den Gegner, andererseits verherrlicht er die Kämpfer der Hohen Pforte als Riesen, die das Reich von den Serben befreien, die sich wie eine Plage ausgebreitet hätten. Des Weiteren karikierten osmanischsprachigen Satirezeitschriften nicht nur Telegramme, in denen Persönlichkeiten wie Prinz Milan und General Černajaev miteinander kommunizierten, sondern auch fiktive Telegrammnachrichten, die angeblich unmittelbar von der Front stammten. Damit persiflierten sie zum einen die Telegrammnachrichten, die die osmanischen Zeitungen in jenen Tagen vermehrt publizierten, zum anderen diente dies auch zur Verspottung und 726 Gemäß dem Trachtenexperten Esat Uluumay bildeten die Karikaturisten keine authentische Tracht eines Zeybeken ab. Vielmehr scheint es ein Produkt ihrer Fantasie zu sein. 727 Zeybek: Epey vakitdir süpürülmediğinden çoğalmış. Çerkes: O öyle. Ama suyu ziyadece dök de herkesin üstünü başını berbat etmesün. Bir de bunlar faraşa sığmayacak küfe getirmeli. Çaylak, No. 43, S. 4. 728 Çaylak, No. 102, 7. Mayıs 1293 R. [19. Mai 1877], S. 4.
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Verhöhnung des Feindes.729 In ihrer 273. Nummer veröffentlichte Hayal eine Reihe von Telegrammnachrichten, die die Serben angeblich nach Belgrad schickten. In diesen fiktiven Telegrammen berichten die Serben, wie sie angeblich dem osmanischen Heer eine vernichtende Niederlage beigebracht hätten. Dabei soll eine Heerschar von osmanischen Soldaten gefallen sein, so viele, dass sie bislang noch nicht mal deren genaue Anzahl bestimmen konnten. Angeblich soll dies folgendermaßen geschehen sein: Als wir heute Morgen erwachten, waren wir von einer Truppe von fünftausend osmanischen Soldaten eingekreist. Die Anzahl unserer Soldaten überstieg knapp die eines Bataillons. [Die Soldaten der Zentralmacht] führten achtzehn Kanonen mit sich und hatten sogar schon ihre Gewehre auf uns gerichtet und waren schussbereit. Wir richteten uns plötzlich auf und griffen sie mit unseren Dolchen (kama) an. Dabei brachten wir den Großteil [des Heeres] ums Leben, wobei wir einen weiteren Teil schwer verwundeten, und ein anderer Teil lief davon. Die Anzahl der gefallenen Soldaten, die sie auf dem Schlachtfeld zurückgelassen haben, beläuft sich im Moment auf sieben Tausend. Ein Großteil der Gefallenen konnte bislang noch nicht gezählt werden. Wir vermuten, dass sich die Anzahl der Verletzten schätzungsweise auf ungefähr sechstausend Personen beläuft. Die Anzahl der Waffen, die wir ergattern konnten, beläuft sich auf ungefähr dreißig Kanonen und vierundzwanzigtausend Gewehre. Von uns sind lediglich drei Personen gefallen und sechs wurden verletzt.730
Die weiteren Telegramme, die ebenfalls von dieser Einheit stammten und denselben Adressaten hatten, werden, wie bei den osmanischsprachigen Zeitungen üblich, unter dem Titel diğer (weitere) veröffentlicht. In diesen Telegrammen berichten die Serben über ihre angeblichen Heldentaten, die sie auf dem Schlachtfeld vollbrachten, obwohl sie lediglich Nahkampfwaffen mit sich führten sowie zahlmäßig unterlegen waren. Mit der Publikation dieser fiktiven Telegramme stellt Hayal die Serben als Lügner dar, die offensichtlich maßlos übertreiben. Offenbar publizierten die Tageszeitungen in jenen Tagen Telegramme oder Nachrichten, die über den Erfolg der osmanischen Streitkräfte berichteten, denn in dieser Phase der Auseinandersetzungen konnten sie bereits vereinzelt Siege melden. Diese fiktiven Telegrammnachrichten erfüllten somit lediglich den Zweck, die Feinde zu verhöhnen und sie, zur Unterhaltung der osmanischsprachigen Leserschaft, der Lächerlichkeit preiszugeben. Hintergrund dieser satirischen Nachrichten, die Hayal veröffentlichte, war wahrscheinlich auch, das sowohl die russische als auch die serbische Presse 729 Vgl. Lâtife, No. 1, S. 4; Lâtife, No. 2, 8. Eylül 1292 R. [20. September 1876], S. 4; Çaylak, No. 23, 3. Temmuz 1292 R. [15. Temmuz 1876], S. 2. 730 Hayal, No. 273, 13. Temmuz 1292 R. [25. Juli 1876], S. 2.
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berichtete, dass ein serbischer Sieg kurz bevorstünde. In den ersten Wochen des Krieges verkündeten russische Zeitungen, dass General Černajaev bereits bedeutende Siege gegen die Truppen der Hohen Pforte errungen hätte.731 Neben den Dialogen und Karikaturen veröffentlichte Hayal auch satirische Leitartikel, in denen sie ihren Standpunkt zur aktuellen politischen Lage äußerte. In ihrer 273. Nummer karikiert der Leitartikel auf der ersten Seite nicht nur die Forderungen der Fürstentümer Moldau und Walachei an die Hohe Pforte, sondern sie kommentiert diese auch ausführlich.732 Die Forderungen dieser Fürstentümer nach Un-abhängigkeit und Selbstverwaltung sind aus der Perspektive von Hayal absolut nicht zu erfüllen, da sie im Gegenzug nicht einmal bereit sind, weiterhin ihre Steuerabgaben zu entrichten.
4.4 Die Darstellung der unterschiedlichen Interessensphären und Interessenskonflikte am Vorabend des RussischOsmanischen Krieges in Karikatur In der folgenden Karikatur, die Hayal am 29. März 1877 veröffentlichte, ist zu sehen, wie sich Europa darum bemüht das Geleichgewicht zwischen dem Osmanischen Reich und Russland herzustellen. Abb. 8.
731 MacKenzie, Serbs, S. 111. 732 Hayal, No. 273, S. 1.
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Europa, gezeichnet als große gekrönte Herrscherin, die sich jedoch Russland zugewendet hat, steht auf einer Art Wippe und bringt einen Bären und einen Osmanen ins Gleichgewicht. Beide Figuren wirken im Vergleich zu Europa kindlich. Der modern gekleidete Osmane raucht nebenbei noch gemütlich seine Pfeife.733 Das Rauchen der Pfeife kann in diesem Kontext als Lethargie des Reiches gedeutet werden, da der Osmane offensichtlich nicht selbst aktiv wird, um seine Interessen zu vertreten, sondern darauf wartet, dass Europa sein Verhältnis zum Zarenreich auslotet. Der Text zu diesem Bild lautet dangala pişti muvazenesi, was als „Ein wackliges Gleichgewicht“ zu übersetzen ist.734 Mit diesem Bild thematisiert Hayal möglicherweise zum einen die Konferenz in London, die zu dieser Zeit dort stattfand, um noch eine diplomatische Lösung des Konflikts zu finden. Zum anderen scheint es nun an Europa zu liegen ein Gleichgewicht zwischen Russland und dem Osmanischen Reich herzustellen, denn ihre Position auf der Wippe ist entscheidend. Europa spielt in diesem Bild die Schlüsselrolle, denn wenn sie einem der beiden Protagonisten näher kommt, dann gerät die Wippe aus dem Gleichgewicht. Durch die physiognomischen Unterschiede – die Figur des Osmanen ist ca. 35 mm hoch und die des Bären ca. 30 mm; Europa hat in diesem Bild eine Höhe von 58mm, sie ist dementsprechend fast doppelt so groß wie die beiden Widersacher735 – verdeutlicht der Karikaturist auch die Asymmetrie der Macht, die zwischen Europa und den beiden „asiatischen“ Mächten, nämlich dem Osmanischen Reich und dem Zarenreich, herrscht. Çaylak hingegen beleuchtete die Balkanproblematik aus einer anderen Perspektive und thematisierte die kollidierenden Interessenssphären ÖsterreichUngarns und Russlands. In ihrer 24. Nummer veröffentlichte sie folgende Karikatur:
733 Hayal, No. 336, 17. Mart 1293 R. [29. März 1877], S. 4. 734 Für das Wort dangala gibt es kein Eintrag. Sowohl Redhouse als auch die anderen Wörterbücher wie Steuerwald oder Kamus-i Türkî führen dangala nicht auf. Pişti ist der Name eines Ballspiels. Vgl. Redhouse, S. 936. 735 Die Asymmetrie der Macht, zwischen Europa und dem Osmanischen Reich wurde in zahlreichen mit Zahlreichen ein Thema, welches häufig in den politischen Bildern von Hayal auf vielfältige Art dargestellt wurde. Es ist allerdings im Rahmen dieser Arbeit nicht möglich, diese aufzugreifen. Dies muss weiteren Arbeiten vorbehalten bleiben.
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Abb. 9.736
Hier werden Serbien (rechts) und Montenegro (links) als Birnen dargestellt, nach denen sich eine wohlgenährte Hand austreckt. Die Bildunterschrift zu diesem Bild lautet: „Es sieht danach aus, als ob ihr beide schon reif seid. Bei euch findet sich schon regelmäßig der Bär ein, deshalb will ich euch besser jetzt verspeisen.“ Çaylak visualisiert mit dieser Karikatur die Konkurrenz zwischen ÖsterreichUngarn und Russland um die Vorherrschaft in diesen Fürstentümern und zeigt eine andere Facette der Balkanproblematik auf, nämlich dass sich sowohl die Donaumonarchie als auch das Zarenreich neben dem Osmanische Reich um die Vorherrschaft auf dem Balkan stritten. Der Bär ist die Nationalallegorie Russlands, auf die Çaylak in diesem Kontext zurückgriff. Denn im osmanischtürkischen Kulturraum hatte der Bär nicht nur eine Vorliebe für Honig, sondern auch für Birnen. Damit bezieht sich Çaylak auch auf die Volksweise „Der Bär isst nur die guten Birnen, während der Raufbold die großen bevorzugt.“ Die Hand symbolisiert die Donaumonarchie, die starkes Interesse an der Einverleibung Serbiens und Montenegros hatte. Jedoch verletzte dieser Anspruch Österreich-Ungarns die Interessensphären des Zarenreiches, das seinerseits 736 Çaylak, No. 25, 8. Temmuz 1292 R. [20. Juli 1876], S. 4.
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Ansprüche auf dieses Gebiet erhob.737 Deshalb versuchte die Donaumonarchie zumindest Serbien dem russischen Einfluss zu entziehen.738 Während die Donaumonarchie und das Zarenreich um die Vorherrschaft in Serbien und Montenegro rangen, versuchten die beiden Fürstentümer selbst zu expandieren. Jedoch verletzte dies sowohl die Interessen des Zarenreiches, als auch die der Donaumonarchie.739 Diese Problematik griff die Satirezeitschrift Lâtife auf, und veröffentlichte folgende Karikatur: Abb. 10.740
Der Stier,741 der sich in der Mitte dieses Bildes befindet, symbolisiert BosnienHerzegowina. Der Karikaturist Tınghır bediente sich vermutlich vor-osmanischer Wappen als Vorlage, um dieses Gebiet darzustellen. Zahlreiche Embleme aus dem 15. Jahrhundert, die aus diesem Gebiet stammten, wie zum Beispiel von Glasinac oder Duvno, führten einen Stier in ihren Wappen. 737 MacKenzie, Serbs, S. 106. 738 Kos, Die Politik, S. 59. 739 Vgl. Ibidem, S. 69ff., S. 74ff., S. 77, S. 88f. 740 Lâtife, No. 2, S. 4. 741 Zwischen dem linken Bein des Osmanen und den Hinterbeinen des Stieres steht in osmanischer Schrift Bosna (Bosnien) und unmittelbar unter dem Bauch des Stieres steht Hersek (Herzegowina).
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Hinter dem Stier stehen zwei Männer, Rücken an Rücken, die die moderne osmanische Amtskleidung tragen, stambulin und einen Fez als Kopfbedeckung. Sie symbolisieren in diesem Kontext das Osmanische Reich. Der Mann auf der linken Seite hat mit einer Hand den Stier am Horn gepackt, während der andere auf der rechten Seite dem Serben das Hinterteil des Stieres präsentiert. Im vorderen Teil des Bildes steht auf der rechten Seite der Serbe in seiner Militäruniform, der das Seil, welches er in seinen Händen hält, um die Hinterbeine des Stieres geschnürt hat. Mit Hilfe des Seiles versucht er nun den hinteren Teil des Stieres, d. h. Bosnien, an sich heranzuziehen. Diese Karikatur visualisiert, wie sehr Serbien danach strebte, Bosnien zu annektieren. Links im Bild steht ein Montenegriner, der seine angeblich traditionelle Kleidung und eine Pelzmütze trägt, sein Seil um die Vorderbeine des Stieres, das die Herzegowina symbolisiert, geschlungen hat, um es an sich heranzuziehen. Der Mann, der sich auf der linken Seite des Bildes befindet, deutet auf die Hörner und sagt zum Montenegriner: „Diese Hörner sind [schön] spitz, sind sie dir nützlich?“ Der zweite Mann, rechts im Bild, verweist auf das blanke Hinterteil des Stiers und sagt zum Serben: „ Bitte, mögen sie nicht diese Seite [haben]?“742 Diese Bildsatire verdeutlicht, dass die Hohe Pforte entschlossen ist, BosnienHerzegowina nicht den beiden Fürstentümern zu überlassen. Die beiden Männer verspotten Bemühungen der Fürstentümer und präsentieren ihnen lediglich die Hörner und das Hinterteil des Stieres. Ebenso wenig wie die Hohe Pforte war auch Österreich-Ungarn dazu bereit Bosnien und die Herzegowina den Fürstentümern zu überlassen und hinderte Montenegro daran, weiter in die Herzegowina vorzustoßen.743 Auffällig ist, dass nur Serbien und Montenegro als Angreifer auftreten, während der Stier (Bosnien-Herzegowina) als Opfer erscheint, der von den osmanischen Soldaten verteidigt werden muss. In keiner Weise spielt diese Karikatur darauf an, dass die Rebellion der Bosnier und Herzegowiner Anlass zu diesem Krieg gegeben hatte. Dadurch, dass dieses Gebiet mittels eines Tieres symbolisiert wird, wird hervorgehoben, dass es den Aggressoren nicht um die Menschen geht, die in diesen Gebieten leben, sondern das Potential und die Kraft des Stieres wecken die Begehrlichkeiten. Gemäß Lâtife schien das Osmanische Reich unbesiegbar; um dies zu verdeutlichen, veröffentlichte sie am 4. Oktober 1876 folgendes Bild:
742 Nasıl, şu boynuz sivricedir işine gelür mi? Siz de şu tarafdan buyurmazmısınız [sic!]. 743 Kos, Die Politik, S. 135ff.
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Abb. 11.744
Hier ist eine überdimensionale Balkenwaage abgebildet. Auf der rechten Seite der Waage hängt Russland, symbolisiert durch den Bären, an dem Balken, während eine Gruppe von Serben in der Waagschale sitzen und noch eine Person mit zu sich hochziehen. Unter der Waagschale versucht eine Gruppe von Serben mit einem Seil, die Waagschale nach unten zu ziehen. Ein anderer Serbe, der sich ebenfalls unter der rechten Waagschale befindet, versucht mit einer Seilwinde ebenso die Waagschale herunterzuziehen. Auf der linken Waagschale befindet sich ein Halbmond mit einem Stern, das Symbol für das Osmanische Reich. Zudem ist im Hintergrund ein Schiff zu sehen, welches einen Europäer an Bord hat. Dieses Bilddetail spielt auf die Präsenz der britischen Schiffe an, die im Mai 1876 wenige Meilen vor den Dardanellen vor Anker gingen, um die Interessen Großbritanniens zu schützen.745 Diese Karikatur trägt die Bildunterschrift muvazene (Gleichgewicht). Die Aussage des Bildes steht im Gegensatz zum Begleittext, denn die Waage befindet sich eindeutig nicht im Zustand des Gleichgewichtes, sondern liegt, 744 Lâtife, No. 4, 22. Eylül 1292 R. [4. Oktober 1876], S. 4. 745 Schmidt, “Balkankrise”, S. 48.
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aufgrund der Schwere des Osmanischen Reiches, links unten auf. Obwohl Russland und die Serben mit viel Anstrengung versuchen, die Waageschale auf ihrer Seite zu senken, schaffen sie es nicht. Das das Osmanische Reich darstellende Symbol ist im Verhältnis zu Serbien und Russland, welches durch den Bären symbolisiert wird, relativ klein. Bei näherer Betrachtung wirkt der Halbmond dreidimensional. Vermutlich ist er aus Blei geformt und soll die Waffenstärke der osmanischen Streitkräfte, gegen die die russisch-serbische Union nichts ausrichten kann, symbolisieren. Aufgrund des Staatsbankrotts ist nicht davon auszugehen, dass die finanzielle Potenz der Hohen Pforte die Kraft ist, die die Waagschale nach unten zieht. Vielmehr scheint es die Präsenz des britischen Schiffes zu sein, aus der das Osmanische Reich seine Stärke schöpft, da es sich unmittelbar über der linken Waagschale, d. h. im übertragenen Sinne- „unter britischem Protektorat“, befindet.
4.5 Die Konferenz von Konstantinopel 1876/77 und die Proklamation der osmanischen Verfassung Zur Klärung und Bereinigung der Missstände auf dem Balkan schlug Großbritannien die Einberufung einer internationalen Konferenz vor, die in Istanbul stattfinden sollte.746 Mit starkem Widerwillen stimmte Sultan Abdülhamid II. den Plänen Großbritanniens zu. Für den Sultan bedeutete diese Konferenz, dass er weitere Einmischungen der westlichen Mächte hinnehmen musste. Aufgrund der starken finanziellen Abhängigkeit von europäischen Geldgebern war er gezwungen, dieser Konferenz zuzustimmen. Die Konferenz wurde an der Marinewerft am Goldenen Horn abgehalten, deshalb wird sie in der türkischsprachigen Literatur auch Tersane Konferansı genannt. Neben dem Großwesir vertraten auch Safvet Pascha und Edhem Pascha die Hohe Pforte. Baron Karl von Werther vertrat Deutschland; Österreich-Ungarn vertraten Baron Heinrich von Calice und Count Ferenc Zichy; Marquis de Salisbury, der Indien-Minister der Disraeli Regierung und Sir Henry Elliot vertraten Großbritannien; Italien vertrat Count Lodovico Corti; Russland vertrat General Nikolay Ignat’ev. Bereits im Januar 1876 überreichten die Signaturmächte des Pariser-Friedens von 1856 der Hohen Pforte eine Note (Andrássy-Note), in der sie die Hohe Pforte aufforderten, Reformen durchzuführen. Sie verlangten in dieser Note die Abschaffung des Steuerpachtwesens in Bosnien-Herzegowina soAwie Religionsfreiheit. Darüber hinaus forderten sie die Hohe Pforte auf, den Bauern den
746 Rodogno, Against Massacre, S. 160ff.
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Erwerb ihrer Felder zu überlassen, um so die Spannungen abzubauen, die zum Ausbruch der Revolten geführt hatten. Die Hohe Pforte sah sich aufgrund der angespannten politischen Lage und durch die anhaltenden Kämpfe in eben jenen Gebieten nicht imstande, diese Ansprüche zu erfüllen. Um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen, einigten sich die Vertreter Deutschlands, Russlands und Österreich-Ungarns im Mai 1876 in Berlin auf eine neue Note (Berliner Memorandum), in der sie ihre Forderungen aus der Andrássy-Note wiederholten.747 Im Berliner Memorandum drohten sie diesmal nachdrücklich Maßreglungen an, falls die Hohe Pforte weiterhin ihre Versprechen nicht erfülle. Großbritannien lehnte die Unterzeichnung des Memorandums ab, und dadurch erlangte es keine Gültigkeit.748 Wenige Tage vor Beginn dieser Konferenz ernannte Abdülhamid II. Midhat Pascha erneut zum Großwesir, und vier Tage später, am 23. Dezember 1876, wurde die neue Verfassung (Kanun-i esasi) verkündet, die zur Zeit der schwersten Unruhen auf dem Balkan entstand, um das Wohlwollen der Konferenzteilnehmer zu sichern.749 Die angespannte politische Stimmung und die Verhandlungen in Istanbul fanden auch in den Seiten von Hayal ihr Echo. In einer muhavere, die in der 209. Nummer von Hayal erschien, verfasst Karagöz eine Note (layiha-i diplomatik) über das Gleichgewicht in Europa. Hacivat fragt ihn, ob dieses denn gestört sei, woraufhin Karagöz antwortet, dass es von außen betrachtet nicht so aussehe, aber dass dies jedoch bald der Fall sein würde. Hacivat bat Karagöz, dass er ihm seinen Vorschlag zur Lösung des Problems vortrüge. Nach Auffassung Karagözs wäre das Gleichgewicht in Europa erst hergestellt, wenn die Donaumonarchie aufgelöst werden würde. Gegen die anderen europäischen Länder wie England, Frankreich und Deutschland hätte er nichts einzuwenden, nur ÖsterreichUngarn verursache Gedränge (kalabalık), mitten in Europa. Darüber hinaus bestehe seine Bevölkerung aus einem Mischmasch (alaca bulaca) verschiedener Sprachgruppen, wie aus Deutschen, Ungarn, Polen und Slawen. Ferner hätte es auch kein Vertrauen in die eigene Zukunft, deswegen hätte sich die Monarchie in Österreich-Ungarn umbenannt. Folglich wäre es gemäß Karagöz sinnvoll, Österreich-Ungarn aufzuteilen. Das Osmanische Reich, Deutschland und 747 Vgl. Schmidt, “Balkankrise”, S. 47f. 748 Ković, Disraeli, S. 105ff. England zielte auf die Sprengung des Dreikaiserabkommens und spekulierte darauf, dass durch das Fernbleiben Großbritanniens deren Interessenantagonismus freisetzen musste. So riet London auch dem Sultan, die neuen Vorschläge abzuweisen. Vgl. Schmidt, “Balkankrise”, S. 48. 749 Hanioğlu, Ottoman Empire, S. 118f.
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Russland sollten ein Bündnis eingehen und beratschlagen, wie sie ÖsterreichUngarn untereinander aufteilen sollen. Ungarn und Dalmatien solle der Hohen Pforte zugeteilt werden, die Slawen sollen Russland und die Deutschen an Deutschland, die Polen sollen an Italien fallen. Karagöz sieht jedoch ein Problem bei der Umsetzung seines Planes, das für ihn unlösbar ist. Alle beteiligten wären nach seinen Erwägungen zufrieden, bis auf die Slawen, denn die würden sich seiner Ansicht nach keinesfalls mit Russland zusammentun.750 Mit diesem Beitrag persifliert Hayal die Pläne Bismarcks, die in Erwägung zogen, das Osmanische Reich aufzuteilen, um sowohl den Dreikaiserbund nicht zu gefährden als auch die Interessen der anderen Mächte wie England und Frankreich zu wahren. Auf diese Weise wollte er zum einen das äußerst labile europäische Gleichgewicht aufrechterhalten, zum anderen Russland und Österreich-Ungarn zufriedenstellen.751. Karagöz deutet in seinen Plänen auf Parallelen zwischen dem Vielvölkerreich Österreich-Ungarn und dem Osmanischen Reich. Die innenpolitischen Probleme der Donaumonarchie waren zu dieser Zeit durchaus vergleichbar mit denen des Osmanischen Reiches. Mangelnde Stabilität der inneren Verhältnisse, bedingt durch separatistische Bewegungen einzelner Bevölkerungsgruppen sowie finanzielle Schwierigkeiten stellte die Reichsführung ebenfalls vor große Herausforderung.752 Die Konferenz am Goldenen Horn verlief für die europäischen Delegierten enttäuschend. Bereits am ersten Tag ihrer Zusammenkunft im Gebäude der osmanischen Admiralität störte lautes Kanonengedonner den Auftakt der Sitzung. Außenminister Safvet Pascha erklärte den Konferenzteilnehmern, dass die geforderten Reformen durchgeführt wurden, und somit keinen Streitpunkt mehr darstellten. Die Hohe Pforte hatte aus ihrer Sicht die Forderungen erfüllt und somit bestand auch kein Verhandlungsbedarf mehr.753 Darum zeigte sich die Hohe Pforte nicht sehr kompromissbereit und ließ sich keineswegs auf die neuen Reformvorschläge ein, die ihnen die Vertreter der europäischen Mächte
750 Hayal, No. 309, 6. Kânun-i sâni 1292 R. [18. Januar 1877], S. 1–3. 751 Gemäß Osterhammel, konnte seit dem Krimkrieg nicht mehr länger die Rede von einem funktionierenden „Konzert der Mächte“ sein. Osterhammel, Verwandlung, S. 573. 752 Osterhammel, Verwandlung, S. 574f. Vgl. auch Kemal H. Karpat, “The Social and Political Foundations of Nationalism in South East Europe After 1878: A Reinterpretation”, in: Melville (Hg.), Der Berliner Kongress, S. 385–410. 753 Findley, Turkey, S. 84.
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vorlegten. Die Unzufriedenheit der europäischen Abgeordneten über den Verlauf der Konferenz drang ziemlich zeitnah zur Presse durch. Hayal veröffentlichte am 13. Januar 1876, wenige Tage vor dem offiziellen Scheitern der Verhandlungen, eine Zeichnung in Bezug auf die Konferenz. Dieses Bild zeigt, wie sechs westliche Delegierte und drei Vertreter der Hohen Pforte gemeinsam in einer Runde sitzen. Einer der europäischen Teilnehmer hat sich erhoben und scheint zur Runde zu sprechen. Vermutlich bringt er seinen Unmut zum Ausdruck. Die drei Männer im Vordergrund des Bildes, die vermutlich die Abgeordneten der Hohen Pforte Safvet Pascha, Edhem Pascha und Großwesir Midhat Pascha darstellen sollen, haben sich abgewendet und unterhalten sich untereinander. Der eine sagt zu dem anderen: „Mein Herr, wenn sie abreisen, so möge Gott ihnen Heil bescheren, wir haben uns ausreichend vergnügt, das reicht.“754 Mit diesem Bild karikiert Hayal die Drohung der europäischen Mächte, die Konferenz abzubrechen und abzureisen. Davon schienen die osmanischen Abgeordneten wenig beeindruckt zu sein, denn dies käme ihnen äußerst gelegen, da die Angebote, die ihnen die europäischen Mächte unterbreiteten, für sie keineswegs akzeptabel waren. Aufgrund des ungünstigen Verlaufs der Verhandlungen rückte die Aussicht auf Krieg mit Russland immer näher. Zwar schrieb Hayal in ihrem Artikel Krieg oder Frieden? (sulh mu kavga mı), dass Russland bislang noch unentschlossen wäre,755 aber die Aussichten auf eine friedliche Beilegung der Krise waren denkbar schlecht, denn schon beim Auftakt der Konferenz, bestärkten öffentliche Bekundungen von patriotischen softa Studenten und Studenten der Militärakademie, die teilweise kürzlich aus dem Krieg gegen Serbien zurückgekehrt waren, dass sie gegen weitere Interventionen fremder Mächte waren.756 Bei ihren Demonstrationen prangerten die Studenten den Panslawismus 754 Efendim, giderlerse Allah selâmet versin. Bu kadar eğlendik ya elverir. Hayal, No. 307, 1. Kânun-i sâni 1292, S. 4. Die Abreise der Diplomaten karikierte Hayal ebenfalls in ihrer 315. Nummer (20. Kânun-i sâni 1292, S. 4) und 317. Nummer (25. Kânun-i sâni 1292, S. 4). 755 Vgl. Hayal, No. 303, 23. Kânun-i evvel 1292 [sic!], S. 1–2. An dieser Stelle ist darauf hinzuweisen, dass die Datierungen der Nummern 301 bis 306 von Hayal nicht stimmen. Vgl. Quellenverzeichnis im Anhang. 756 Davison, Reform, S. 383f. Die Interventionen der europäischen Mächte verhöhnte Hayal in ihren Karikaturen. In ihrer 304. Nummer, die am 21. Kânun-i evvel 1292 [sic!] erschien, ist ein kleiner Osmane in einer Lauflernhilfe zu sehen. Vor ihm steht Europa, mit erhobenem Zeigefinger und droht ihm: „Was [ist los mit dir]? Du hast nun Laufen gelernt und willst nun [aus dieser Lauflernhilfe] heraus kommen? Wenn du [es aber wagst dort] herauszukommen, dann werde ich dir deine Beine brechen.“ Diese Karikatur hat die Intention darauf hinzuweisen, dass die Osmanen,
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an und riefen zum Krieg gegen Russland auf. Diesen Demonstrationen schlossen sich auch Griechen757 und Armenier an. Dem Ausbruch der Demonstrationen war ein Besuch des Großwesirs beim armenischen und griechischen Patriarchen zuvor gegangen, die ihm ihre Verbundenheit zusicherten. Vor diesem Hintergrund, bestärkt durch die öffentlichen Bekundungen, hielt die Hohe Pforte an ihrem Kurs fest. So schien ein Krieg gegen Russland fast unvermeidlich, obwohl alle Beteiligten dieser Konferenz keinen offenen Willen zum Krieg demonstrierten. Die Bedingungen, die einen Waffengang zwischen dem Osmanischen Reich und Russland hätten verhindern könnten, waren für die Hohe Pforte nicht akzeptabel. Gemäß Millman, der aus dem Werk von Duke of Agrylls zitiert, wären die mit Hilfe der Europäer, gelernt hatten selbständig zu agieren. Ebenso haben sie die geforderte Verfassung erlassen. Aber die Europäer akzeptieren dies nicht und wollen die Osmanen keineswegs von ihrem Gängelband befreien. Eine gekrönte weibliche Figur, die auf ihrer Kleidung den Schriftzug „Europe“, geschrieben in lateinischen Lettern trägt, repräsentiert hier Europa. Von ihren Proportionen her ist sie größer und wirkt mächtiger als die Figur des Osmanen. Dadurch wird offensichtlich die Asymmetrie der Macht visualisiert. In diesem Bild trägt der Osmane, die moderne osmanische Kleidung (stambulin und Fez) der Beamten. Er wirkt im Vergleich zur Europa kindlich und schmächtig. Die Wahl des lateinischen Alphabets zur Kennzeichnung von Europa erweckt die Frage, ob es sich hierbei um eine bewusste Entscheidung des Karikaturisten handelt oder ob es lediglich damit zu erklären ist, dass der Zeichner dieses Bildes nicht der arabischen Schrift mächtig war. Allerdings muss der Zeichner davon ausgehen, dass die Rezipienten des Bildes die lateinische Schrift lesen konnten, sonst wären sie nicht dazu in der Lage, die Karikatur zu verstehen. Zumeist bedienten sich die Karikaturisten im Osmanischen Reich europäischer Vorlagen zur Anfertigung solcher Bilder. Karten, die den Umrissen eines weiblichen Körpers entsprechen, waren bereits seit dem 16. Jahrhundert in Europa in Mode. In diesen Karten war der Kontinent Europa stets als Figur einer gekrönten Herrscherin dargestellt, somit übernahmen auch die Bildmedien diese Allegorie, ähnlich wie in dieser Karikatur. Wenige Wochen später veröffentlichte Hayal erneut eine Karikatur, in der sie sich derselben Symbolik bediente. Inzwischen hatte sich der kleine Osmane aus seiner Gehlernhilfe befreit und setzte diese als Waffe gegen die verschreckte Europa ein. Der Osmane sagt zu ihr: „Stimmt es, dass du erfahren möchtest, ob ich tatsächlich Laufen gelernt habe?“ (yürümek öğrenmiş oldığımı anlamak istersin öylemi?). Vgl. Hayal, No. 304, S. 4 und Hayal, No. 318, 5. Şubat 1292 R. [17. Februar 1877], S. 4. Vgl. Almut Barbara Renger und Roland Alexander Ißler, “Stier und Sternenkranz: Europa in Mythos und Geschichte. Ein Rundgang” in: Almut Barbara Renger und Roland Alexander Ißler (Hg.), Europa – Stier und Sternenkranz: von der Union mit Zeus zum Staatenverbund, Bonn 2009, S. 51–81, S. 75. 757 Vgl. Evangelios Kofos, Greece and the Eastern Crisis 1875–1878, Thessaloniki 1975, S. 83ff.
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Bedingungen, die die westlichen Mächte der Hohen Pforte diktierten, auch für keine andere Regierung akzeptabel gewesen.758 Noch bevor die diplomatischen Verhandlungen endgültig scheiterten, veröffentlichte Hayal, in Vorahnung des Krieges, eine Zeichnung in ihrer 308. Nummer, die eine Gruppe junger osmanischer Soldaten mit fröhlichen Gesichtern, bewaffnet mit Bajonettgewehren, darstellt, die gen Himmel schauen. Im Begleittext steht die Aufforderung: „An die Waffe! …. Himmel(?)!“ (silaha!… arş!).759 Mit diesem Bild greift Hayal die Tendenz des wachsenden Patriotismus und die Mobilisierung der Hohen Pforte auf, die sich bereit machten, in den Krieg zu ziehen. Am 20. Januar brachen die europäischen Delegierten schließlich die Konferenz ab. Ihr gemeinsamer Aufbruch sollte ihre Missbilligung der Situation zum Ausdruck bringen.760 Noch am selben Tag erschien auch die 310. Nummer von Hayal, in der sie diesen Aufbruch der europäischen Diplomaten durch die Protagonisten dieser Zeitschrift kommentieren lässt. Hacivat informiert Karagöz, dass Lord Salisbury Istanbul verlassen wolle. Jedoch missversteht Karagöz seinen Freund zunächst, bis er begreift, wer gemeint ist. Hacivat schildert Karagöz, dass Lord Salisbury eigentlich angereist war, um der Konferenz zu einem positiven Abschluss zu verhelfen. Doch habe sich dieser mit Ignat’ev, dem russischen Botschafter in Istanbul zusammengetan, um mit ihm zu trinken und umherzureisen.761 Infolgedessen kommt Karagöz zu der Schlussfolgerung, dass das Ziel der Reise Lord Salisburys lediglich darin bestand, Istanbul und seine Umgebung zu erkunden und Freundschaft mit Ignat’ev zu schließen.762 In der Tat pflegte Lord Salisbury, der ebenfalls eine Beilegung der russisch-britischen Kontroversen anstrebte, einen engen Umgang mit dem russischen Botschafter Istanbuls, der sich 758 Richard Millman, Britain and the Eastern Question: 1875–1878, Oxford 1979, S. 229. 759 Der Begleittext ist doppeldeutig. Es kann damit Himmel gemeint sein, oder Marsch. Allerdings fehlt der Buchstabe M. Das wirft die Frage auf, ob Hayal damit implizieren wollte, dass die Soldaten dem Himmel d. h. dem Tode geweiht sind. 760 Gemäß Ković scheiterte die Konferenz unter anderem am Russisch – ÖsterreichischUngarischen Gegensatz, sowie auch aufgrund der gespaltenen Haltung des britischen Kabinetts. Ković, Disraeli, S. 187f. 761 Salisbury traf bereits am 5. Dezember 1876 in der osmanischen Hauptstadt ein und baute rasch ein freundschaftliches Verhältnis zu Ignat’ev auf. Ković, Disraeli, S. 177f. 762 Die Kritik von Hayal zielte vermutlich deshalb vornehmlich auf Lord Salisbury ab, da er als äußerst anti-osmanisch gesinnt galt, wie es auch sein Botschafter Sir Elliot in einem Telegramm an seinen Vater zum Ausdruck brachte. Millman, Eastern Question, S. 220.
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keiner sonderlichen Beliebtheit bei den Bewohnern der osmanischen Hauptstadt erfreute.763 Auch die Ehefrauen dieser beiden Politiker trafen sich täglich. Diese fast freundschaftliche Beziehung zwischen den Ignat’evs und den Salisburys rief sowohl Verärgerung bei dem britischen Botschafter Konstantinopels Elliot hervor als auch bei der osmanischsprachigen Tagespresse.764 Hacivat fügt seinen Ausführungen hinzu, dass auch der deutsche Botschafter bald abreisen würde. Auf diese Mitteilung antwortet Karagöz lediglich, dass sie ihnen schon längst die Erlaubnis zur Abreise gegeben hätten. Hayal fasst mit dieser muhavere die vorherrschende Meinung in Istanbul zusammen und Karagöz verdeutlicht mit seiner Aussage, dass die Diplomaten ohnehin unerwünscht waren. Somit wird ihre Abreise keineswegs als negativ aufgefasst, sondern als frohe Kunde wahrgenommen. Die Konferenz in Istanbul inspirierte Hayal zur Publikation einer Komödie, mit dem Titel „komşu fedakarlığı“ (Die nachbarschaftliche Opferbereitschaft). Veli Ağa empfängt in seiner Residenz sechs Gäste, die stellvertretend für die sechs Großmächte stehen, die an der Konferenz teilgenommen hatten. Die Gäste sind Rußland, Deutschland, Österreich-Ungarn, Italien, England und Frankreich.765 England ergreift das Wort und fragt Veli Ağa, ob er denn wüsste, weshalb sie sich heute hier versammelt hätten. Der Hausherr erwidert auf diese Frage, dass es sich nicht gezieme, Gäste danach zu fragen, weshalb sie gekommen seien. Außerdem seien sie doch alle seit langer Zeit Nachbarn, und Nachbarn sollten sich gelegentlich gegenseitig besuchen. Er fügt hinzu, dass sie nachsichtig mit ihm sein sollen, da er aufgrund seines hohen Alters es leider nicht mehr geschafft habe, ihnen seit langer Zeit Besuche abzustatten. Österreich-Ungarn pflichtet ihm bei und sagt, dass es jetzt an der Zeit sei, dass sie ihn besuchen kommen. Nach dem kurzen Austausch von Förmlichkeiten wird Russland ungeduldig und möchte nun zum eigentlichen Zweck ihres Besuches zu sprechen kommen.766
763 Millman, Eastern Question, S. 210. 764 Ibidem, S. 220. 765 Hayal nennt nicht explizit die Namen der Länder, die zu Gast im Hause von Veli Ağa sind, sondern nutzt stereotypisierte Bezeichnungen, die assoziativ mit ihnen verbunden werden. So heißt zum Beispiel Frankreich mösyö bade nûş, was in etwa Herr Trinker heißt. Wo die Wurzeln dieser Bezeichnungen liegen ist nicht feststellbar. 766 Nach Schmidt war das Zarenreich diejenige Macht, die am „eindeutigsten auf den Zerfall der Herrschaft des Sultans hinarbeitete“ und dabei auf vielgestaltige Instrumente zur Destabilisierung des Osmanischen Reiches zurückgriff. Schmidt schreibt, dass die wichtigsten Instrumente des Zarenreiches hierzu „die Aufwieglung der Balkanvölker im Geiste des Panslawismus sowie deren Unterstützung mit Waffen, Geld und
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Veli Ağa fragt, was es denn außer einer freundschaftlichen Unterhaltung für eine Absicht für einen Besuch geben könne. Daraufhin wird Russland mürrisch und erwidert, dass er selbst wisse, dass es viele Gründe dafür gäbe, jemandem einen Besuch abzustatten. England greift allerdings sofort ein und versucht zu beschwichtigen und erinnert Russland daran, dass sie nicht gekommen seien, um den Hausherren zu beleidigen, sondern, um eine Angelegenheit zu besprechen. Daraufhin ergreift erneut Russland das Wort und sagt, dass Veli Ağa viele Versprechungen gäbe, aber keine davon einhalte. Russland fügt noch hinzu, dass unter Nachbarn solch ein Verhalten unangebracht sei. Erneut ergreift England das Wort und erklärt dem Hausherren, dass seit einiger Zeit sehr viel Lärm aus seinem Hause nach außen dränge, dies würde die Nachbarn im Stadtviertel stören. Russland wirft dem Hausherren vor, dass er seine Kinder züchtigen würde und es deshalb sehr viel Lärm gäbe. England fügt hinzu, dass dies eine unangemessene Erziehungsmaßnahme wäre. Für Veli Ağa sind die Einwände Russlands und England allerdings nicht verständlich, er erinnert daran, dass Russland kürzlich selbst gegen seine „Kinder“ in derselben Weise vorgegangen sei, er allerdings sei unbescholten davongekommen. Der Hausherr wünscht keinerlei Ratschläge zur Erziehung seiner Kinder, da er der Meinung ist, dass er nicht anders als Russland handele. Russland hingegen schlägt ihm vor, dass er seine Kinder frei lassen soll. Außerdem soll jedes Kind ein eigenes Zimmer bekommen, niemand soll sich in die Angelegenheiten der Kinder einmischen, sie sollten ihre Kindermädchen selbst aussuchen, sie sollten essen dürfen, was sie wollen und auch ihre Kleidung selbst auswählen dürfen, niemand solle ihnen Ratschläge erteilen, niemand sollte sie schimpfen und keiner sollte eingreifen, wenn sie untereinander Streitigkeiten austrugen. Nach langen Diskussionen wiegelt der Hausherr ab und gibt seinen Gästen zu verstehen, dass er keinerlei Einmischung in seine Erziehungsmethoden wünsche. Daraufhin äußern seine Gäste den Wunsch, diesen Besuch zu beenden und aufzubrechen. Der Hausherr hält sie davon nicht ab, teilt ihnen aber mit, dass er ihnen gestattet, solange seine Gäste zu bleiben, solange sie es wünschen, denn die Türen seines Hauses seien sogar für Bettler offen. Doch die Gäste beschließen
Freiwilligen; diverse Teilungspläne zur Zerstückelung des Osmanischen Reiches, entweder auf der Ebene der Großmächte, um deren Appetit anzuregen, oder auf Ebene der türkischen Vasallenstaaten, um diese durch die Aussicht auf Territorialgewinne auf Kosten der Pforte an sich zu binden; zahlreiche Kriege und Stellvertreterkriege gegen Konstantinopel, um die Türken nach Kleinasien abzudrängen und deren Nachfolge auf dem Balkan anzutreten“ waren. Vgl. Schmidt, “Balkankrise”, S. 36.
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aufzubrechen, woraufhin er ihnen ihre Schuhe bringen lässt. Er verabschiedet sie in aller Förmlichkeit und spricht zu sich selbst: „Ihr habt es aber langgezogen, wenn man ihnen den kleinen Finger reicht, dann wollen sie die ganze Hand. So viel Opferbereitschaft ist doch nicht zu viel oder?767 Hayal überträgt den Verlauf der Verhandlungen in eine Komödie (komedya) und urteilt, dass die europäischen Mächte in Istanbul lediglich ein lächerliches Schauspiel inszenierten. Die Residenz steht metaphorisch für das Osmanische Reich. Der Hausherr Veli Ağa repräsentiert die Hohe Pforte, der in seiner Residenz seine Gäste, die europäischen Mächte empfängt, die von ihm fordern, dass er endlich die Reformen durchführe, die er schon seit längerer Zeit zugesagt hatte. Durch den Lärm der Auseinandersetzungen im Hause Veli Ağas wurden die europäischen Mächte, d. h. die Nachbarn, gestört und statten ihm deshalb einen Besuch ab, da er aufgrund seines Alters ihnen keinen Besuch mehr abstatten kann. Das Wohnviertel steht in diesem Kontext für Europa, dessen Frieden durch die Zwistigkeiten im Hause Veli Ağas gestört wurde. Das hohe Alter des Hausherren weist einerseits auf die lange Geschichte des Osmanischen Reiches hin und andererseits bedeutet ein hohes Alter aber auch Schwäche und Gebrechlichkeit. Die Nachbarschaftsbesuche, die er nicht mehr wahrnehmen kann, deuten auf das Ende der osmanischen Expansionen hin. Die Komödie stellt die Balkankrise lediglich als eine familieninterne Angelegenheit der Hohen Pforte dar, die lediglich Streitigkeiten mit ihren Kindern hat, denen er nun Gehorsam beibringen will. In dieser Komödie kommt zum Ausdruck, dass die Hohe Pforte ihre Zwistigkeiten intern beilegen möchte. Sie hört sich zwar die Ratschläge der Nachbarn an, aber es tritt keine Änderung ihres Standpunktes ein. Hayal definiert die Konferenzteilnehmer lediglich als Gäste, denen es freisteht zu kommen oder aber auch zu gehen. Jedoch haben sie als Gast nicht das Recht, sich in Familienangelegenheiten einzumischen. Dadurch, dass die Gäste auch keine Schuhe bei ihrem Besuch in Veli Ağas Haushalt trugen, verdeutlicht, dass immer noch der Hausherr, auch wenn er schon alt geworden ist, die Hausordnung vorgibt. Denn es ist nicht üblich, einen muslimischen Haushalt mit Straßenschuhen zu betreten. Hayal benutzt bei den Forderungen Russlands Metaphern, denn die Punkte, die Russland in dieser Komödie aufführt, sind eben auch jene Forderungen, die
767 Hayal, No. 311, 11. Kânun-i sâni 1292 R. [23. Januar 1877], S. 1–2 und Hayal, No. 312, 13. Kânun-i sâni 1292 R. [25. Januar 1877], S. 1–2.
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die europäischen Mächte auf der Konferenz zur Sprache gebracht hatten. Die Forderung Russlands, dass die Kinder ihre Kindermädchen frei wählen sollten, deutet auf seine panslawistische Ideologie hin, denn das Zarenreich wiegt sich in Sicherheit, dass die Slawen auf dem Balkan es als Patron erwählen. Diese Komödie verdeutlicht auch die Doppelgesichtigkeit der europäischen Mächte, insbesondere Russlands.768 Das Zarenreich fordert einerseits Ruhe, andererseits unterstützte es die Revolutionen und Unabhängigkeitsbestrebungen auf dem Balkan.769 Der Zar sympathisierte mit den Revolutionären und hunderte Russen meldeten sich freiwillig, um Serbien, unter der Führung des russischen Generals Černajaev, im Kampf gegen die Hohe Pforte zu unterstützen.770 Des Weiteren verfolgte der Zar das Ziel, Bosnien und die Herzegowina zu freien Fürstentümern zu machen. Er strebte an, sie so in die russische Abhängigkeit zu bringen, um sie später auszubeuten und einzuverleiben.771 Außerdem ging Russland schon seit jeher selbst äußert brutal gegen jegliche Rebellion vor und gab sich hier als Menschenfreund und Moralist.772 Das Zarenreich hatte mit vergleichbaren Problemen zu kämpfen wie das Osmanische Reich. Fehlende Stabilität der inneren Verhältnisse, ein unterentwickelter Bildungsstand der Bevölkerung, Finanzschwäche und die daraus resultierende Abhängigkeit von ausländischen Geldern waren nur einige dieser Probleme.773 Auch der Donaumonarchie kamen die Aufstände in ihrer ersten Phase sehr gelegen, so erhoffte sie, dass sie ihre eigenen Expansionspläne verwirklichen konnte. Nun erstrebte sie eine friedliche Einigung, denn eine Fortdauer der Insurrektionen könnte zu einem Krieg mit Russland führen, wenn sie eingriff, um Bosnien und Herzegowina zu annektieren. Wenn sie sich jedoch zurückhielt, so
768 Russland hatte zu dieser Zeit noch keine Verfassung. Findley, Turkey, S. 84. Die innenpolitische Situation des Zarenreiches war zu dieser Zeit keineswegs stabil. Zahlreiche Aufstände forderten ein Ende der zaristischen Autokratie und die Einführung einer konstitutionellen Monarchie. 769 Ković, Disraeli, S. 96. 770 MacKenzie, Serbs, S. 122f. 771 Kos, Die Politik, S. 124. 772 Alexander II. ließ keinesfalls Milde walten, als 1861 die Polen ihre Freiheit forderten. Äußerst brutal ließ er diese Aufstände niederschlagen. Mit der gleichen Härte ging er gegen jegliche Kritiker vor. Auch die Situation der russischen Bauern war keinesfalls besser, zwar hatte Alexander II. die Leibeigenschaft abgeschafft. Dies führte aber keineswegs zu einer Verbesserung ihrer Lebens-bedingungen. Vgl. Kappeler, Russische Geschichte, S. 28f. 773 Geyer, Imperialismus, S. 36, 42, 56.
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riskierten sie die Entstehung eines freien großslawischen Staates, das wiederum zur Destabilisierung des eigenen Vielvölkerstaates führen konnte.774 Der Hausherr lässt jedoch noch Türen offen und sagt seinen Gästen, dass sie jederzeit zurückkommen können, aber er ist erleichtert, als sie schließlich sein Haus verlassen. Aber er bringt zum Ausdruck, dass sie mehr gefordert haben, als es ihnen ihr Status als Gast erlaubt. Seiner Meinung nach können sie als Nachbarn schon ab und zu seinen Lärm ertragen. Unmittelbar nach dieser Komödie veröffentlicht Hayal noch einen satirischen Kommentar und bringt im folgenden Beitrag ihre Kritik ebenfalls in einer anderen literarischen Form zum Ausdruck: Die Teilnehmer der Konferenz sind abgereist. Sie sollen fernbleiben […]. Was ist denn das für ein Besuch? Weshalb sind die Konferenzteilnehmer überhaupt gekommen? Ist es denn möglich, so schnell wieder fortzulaufen? Sind sie denn nur gekommen, um Feuer zu holen? Für die Ungarn haben sie einige Festessen veranstaltet, Theatervorstellungen dargeboten und Gesellschaften organisiert. […] Unser Großwesir hat sie auf die Büyükada gebracht und hat ihnen dort unser Kloster mit den Glocken gezeigt. […] Beim Auftakt der Konferenz hat er wohl solch eine Rede gehalten, dass die Männer es bereut haben, überhaupt gekommen zu sein. Geziemt sich das? Ist es denn erlaubt, Gäste so zu behandeln? Was berichten sie denn über uns, wenn sie wieder in ihre Heimatländer zurückgekehrt sind? Unserer Meinung nach haben sie kein Recht dazu. Um die Respektlosigkeit dieser Rede des Außenministers wieder gutzumachen, sollte jetzt jedem einzelnen von ihnen ein Geschenk aus dem Osten hinterher geschickt werden. […].775
In diesem Beitrag greift Hayal verschiedene Punkte der Konferenz in Istanbul auf. Einerseits stellt sie die Situation so dar, als ob die Konferenzteilnehmer lediglich auf einen kurzen Besuch ins Osmanische Reich gekommen wären, und, dass die osmanischen Gastgeber sie, trotz aller Bemühungen nicht so recht zufrieden stellen konnten. Andererseits lädt sie die Schuld an der schnellen Abreise der Diplomaten auf den Außenminister, da dessen Ansprache dazu geführt haben soll, dass die Gäste ihre Anreise bereuten. Außerdem gibt Hayal vor, besorgt um das Ansehen des Osmanischen Reiches im Ausland zu sein. Obwohl Hayal in diesem Artikel die Konferenz satirisch betrachtet, so beruhen einige Punkte, die sie aufführt, auf tatsächlichen Begebenheiten. In der Tat teilte der osmanische Außenminister den Konferenzteilnehmern mit, dass die Konferenz überflüssig und bedeutungslos geworden sei, da soeben die Verfassung eingesetzt worden sei. Um jedoch die verärgerten Diplomaten zu besänftigen, schlägt Hayal vor, ihnen Geschenke nachzuschicken. 774 Kos, Die Politik, S. 123f. 775 Hayal, No. 312, S. 2.
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Auch Çaylak nahm die Abreise der Delegierten als Anlass, um dies zu karikieren. Am 25. Januar 1877 veröffentlichte sie folgende Karikatur: Abb. 12.776
Wie das obige Bild zeigt, stellt der Karikaturist die Abreise der Diplomaten, wie sie auf dem Rücken eines Esels, in Körben verladen, von Çaylak, der Erzählerfigur dieser Zeitschrift, verabschiedet werden. Die Weihe, die diesmal traditionell anmutende Kleidung trägt, steht hinter dem Esel, auf der rechten Seite im Bild und spricht zu ihm: „Ihr habt die Luft in Istanbul verpestet wie das verkommene Gemüse in Eminönü. Es gibt keine andere Möglichkeit als sie ins Meer zu kippen, nicht wahr, Esel? [Lauf schon los!]. Er hat das Wasser gesehen und ist erschrocken. [Lauf schon los!], es ist nicht die Zeit, um die Ohren aufzustellen.“777 Diese Karikatur gehört zu den wenigen porträthafthaft gestalteten Bildern, die durch die osmanischsprachigen Satirezeitschriften in jenen Jahren veröffentlicht
776 Çaylak, No. 103, 13. Kânun-i sâni 1292 R. [25. Januar 1877], S. 4. 777 Eminönünün kokmuş sebzesi gibi İstanbulu kokutdınız, denize dökmekden başka çare kalmadı, deh be eşek, değilmi? Suyu görübde ürkdü. Kulakları dikmenin sırası değil, deh. Çaylak, No. 103, S. 4.
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wurden.778 Auffällig an diesem Bild ist, dass der russische Botschafter Ignat’ev sich in einem separaten Korb befindet, während die anderen Konferenzteilnehmer sich einen Korb teilen. Auch hier enthüllt Çaylak seine aggressivere Ausdrucksweise, denn die Konferenzteilnehmer werden mit faulem Gemüse gleichgesetzt, welches nun entsorgt wird, auf dem Rücken eines Lasttieres, das keinesfalls dem Status der Gäste entspricht. Sowohl Hayal als auch Çaylak nehmen eine abwertende Haltung gegenüber den westlichen Diplomaten an, die aus ihrer Perspektive nicht für das Wohl der Hohen Pforte eintreten, sondern ihre eigenen Ziele vor Augen haben, da sie nicht nur die Vertreter der imperialistischen Mächte sind, sondern auch zugleich die Repräsentanten ihrer Politik.
4.6 Das „Londoner Protokoll“ Im Frühjahr 1877 blieben die politischen Verhältnisse im Osmanischen Reich weiterhin angespannt. Kurz nach der Istanbuler Konferenz setzte Sultan Abdülhamid II. seinen Großwesir ab unter dem Vorwand, er sei für das Scheitern der Konferenz verantwortlich und stelle eine Gefahr für das Osmanische Reich dar, und schickte ihn ins Exil.779 Seine Nachfolge trat Edhem Pascha an.780 Obwohl die diplomatischen Bemühung um den Frieden in den Balkangebieten auf der Konferenz in Konstantinopel zu keinem Ergebnis geführt hatten, ergriff die Hohe Pforte noch einmal die Initiative und trat in Friedensverhandlungen mit Serbien und Montenegro.781 Auch die europäischen Mächte blieben nicht untätig und suchten nach Möglichkeiten, diese Angelegenheit auf diplomatische Wege friedlich zu lösen. Im März einigten sich die Mächte auf die Unterzeichnung des sogenannten „Londoner Protokolls“. Ignat’ev unterbreitete seine Vorschläge bezüglich der Lösung der „Orientalischen Frage“, die von Derby, dem britischen Außenminister und Šuvalov, dem russischen Botschafter in London, umredigiert und entschärft wurden. Das „Londoner Protokoll“ forderte die Hohe Pforte auf, umgehend mit Montenegro Frieden zu schließen und die Demobilisierung der Streitkräfte in Angriff zu nehmen. Des Weiteren sollte die Hohe Pforte das Reformpaket in die Tat umsetzten, das auf der Konferenz von Konstantinopel entworfen worden 778 Die Aufgabe von Porträtkarikaturen besteht darin, eine Person oder eine Personengruppe im Bild identifizierbar zu machen. 779 Davison, Reform, S. 400. 780 Ibidem, S. 402. 781 Kos, Die Politik, S. 221f.
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war. Großbritannien ließ dem Protokoll noch die Bedingung hinzufügen, dass diese Niederschrift für die britische Seite nur dann Gültigkeit erlange, wenn auch Russland seine Teilmobilisierung einstelle und von einem Krieg gegen das Osmanische Reich Abstand nähme. Aber Russland war nur bereit, seine Demobilisierung einzuleiten, wenn das Osmanische Reich das Protokoll annahm und Bereitschaft zeigte, dessen Forderungen auch zu erfüllen.782 Am 12. April 1877 ließ die Hohe Pforte ihre Ablehnung des Protokolls verkünden.783 In der folgenden Ausgabe von Hayal, die am 31. März 1877 erschien, besprechen Hacivat und Karagöz die Balkankrise erneut. Karagöz täuscht vor, dass er angeblich die Begriffe, die in diesem Zusammenhang in der Presse erscheinen, nicht kenne, und er sie deshalb in sein Notizheft einträgt, um sie sich einzuprägen. In dieser muhavere definiert Karagöz die Rebellion in der Herzegowina als Gelbsucht (sarı illet), die durch den Atem von hungernden Montenegriner übertragen worden sei784 und berichtet seinem Freund, dass nun die Diplomaten dagegen Heilmittel entwickelt hätten, die allerdings den Grad der Schmerzen steigern würden, anstatt Linderung zu bringen. Die Montenegriner definiert Karagöz als die Ziehkinder (süd yavruları) des Nordens, d. h. Russlands. Hacivat möchte die Namen der Arzneimittel in Erfahrung bringen, da er hofft, dass sie vielleicht die Schmerzen seiner Schwester lindern. Sein Freund Karagöz nennt ihm daraufhin die Namen der Arzneien, die die Diplomaten zur Linderung der Krankheit entwickelt hätten. Die Arzneimittel, wie es Karagöz beschreibt, wären eigentlich Gifte, die die westlichen Mächte der Hohen Pforte einflößen wollten. Karagöz nennt als erstes die Andrássy Note, die vom „Norden“ zubereitet wurde, damit der österreichische Gesandte Andrássy das Gift der Hohen Pforte einflößt. Beim Treffen der Dreikaisermächte in Berlin hätten diese ein weiteres Gift gebraut, das die Hohe Pforte hätte einnehmen sollen. Gemäß den Erläuterungen Karagözs, hätten sie angeblich eine zu starke Dosis von einer der Ingredienzen verwendet, so dass der englische Diplomat in Ohnmacht fiel und so das Gift enttarnt wurde. Damit spielte Hayal auf die Tatsache an, dass London das Berliner Memorandum strikt ablehnte und dieses deshalb nicht der Hohen Pforte übermittelt wurde. Einer weiteren Überlieferung zufolge soll der Kessel umgefallen sein, als die Diplomaten gerade nach der Konsistenz der Paste schauen wollten, weil es zu Streitigkeiten zwischen ihnen kam, als
782 Schmidt, “Balkankrise”, S. 61. 783 Ković, Disraeli, S. 199. 784 (…) ekmeksiz, havasız kalmış karadağlıların (…). Vgl. Hayal, No. 337, 19. Mart 1293 R. [31. März 1877], S. 1f.
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neue Nachrichten aus dem Osmanischen Reich sie erreichten. Allerdings äußert Hayal sich nicht dazu, um welche Nachrichten es sich hierbei konkret handelt.785 Hayal hatte bereits zuvor die Zusammenkunft der Dreikaisermächte in Berlin verfolgt und karikierte das Ergebnis dieses Treffens als eine übernatürlich große Fledermaus. Der Begleittext zu diesem Bild lautet: „Das Resultat der Berliner Konferenz“. Unter dieser Fledermaus sitzen die Repräsentanten Russlands, Deutschlands und Österreichs, die mit ihrem Werk zufrieden scheinen.786 Indem Hayal das Resultat der Berliner Konferenz als Fledermaus darstellt, wertete sie es zugleich als böses Omen. Während Hayal das Ergebnis der Konferenz zuvor lediglich als unheilvolles Zeichen betrachtete, deklariert sie nun das Berliner Memorandum als Gift, das demjenigen den Tod bringt, der es einnimmt. Wenige Tage zuvor veröffentlichte Çaylak, am 9. April 1877, folgendes Bild: Abb. 13.787
785 Hayal, No. 337, S. 1f. 786 Hayal, No. 285, 18. Ağustos 1292 R. [30. August 1876], S. 4. 787 Çaylak, No. 135, 28. Mart 1292 R. [9. April 1876], S. 4.
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Auf Abb. 13 ist zu sehen, wie Çaylak, die Erzählerfigur der gleichnamigen Satirezeitschrift, mit einem großen Schirm im „Gewitter der Orientalischen Frage“ spazieren geht. Von der rechten Seite fallen Blumensträuße herab, während von der linken Seite Bajonette, Bomben und Kanonenkugeln auf ihn niederprasseln. Links oben im Bild steht şimal (Norden) und deutet darauf hin, dass die Bomben aus Russland kommen. Çaylak trägt in dieser Karikatur moderne osmanische Kleidung sowie ein westliches Accessoire, den Spazierstock. Der Regenschirm bietet ihm vermeintlich ausreichend Schutz, sowohl von den Bomben als auch von den Blumensträußen. In dieser Bildsatire symbolisiert die Figur Çaylak das Osmanische Reich. Der Untertitel dieser Karikatur lautet: „Solange aus dem Westen fortwährend Blumen regnen, hat das, was aus dem Norden regnet, nicht so viel Gültigkeit. Dennoch ist Vorsicht geboten.“788 Mit dieser Karikatur deutet Çaylak auf den Krieg mit Russland hin, der kurz bevorsteht, und mahnt ebenso zur Vorsicht, nicht auf die Bekundungen aus dem Westen zu vertrauen, die letzte Anstrengungen unternahmen, den Krieg zu vermeiden, um das Mächtegleichgewicht, dass nun drohte, völlig aus dem Gleichgewicht zu geraten, doch noch aufrecht zu erhalten.789 Die Friedensverhandlungen der Hohen Pforte mit Serbien verliefen zwar positiv und es kam bereits Ende Februar zu einem Friedensschluss.790 Schwieriger hingegen gestalteten sich die Verhandlungen mit Montenegro, die zu keinem einvernehmlichen Abschluss führten. Deshalb verließen die montenegrinischen Friedensunterhändler schon bald Istanbul. Am 16. April 1877 veröffentlichte Çaylak folgende Karikatur:
788 Garbden muttasıl çiçek yağdıkça şimal tarafindan yağacağın o kadar hükümü olamaz ise de yine ihtiyat lâzımdır. Çaylak, No. 135, S. 4. 789 Millman, Eastern Question, S. 265. 790 Kos, Die Politik, S. 221.
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Abb. 14.791
Auf dieser Karikatur ist zu sehen, wie ein alter bärtiger Mann mit Turban und traditioneller Kleidung auf einer Schaufel ein Gebiet hochhebt, das Montenegro darstellt, und im Begriff ist, es in den Korb zu werfen, welches sich zwischen dem Vertreter der Zentralmacht und dem Çaylak befindet. Der Çaylak, der hier als elegant gekleideter Herr auftritt, sagt zum alten Mann: „Beseitige diesen schlechten Geruch! Wo ist denn hier der Schwarze Berg [Montenegro]? Und es riecht auch noch sehr übel. Der Geruch verflüchtigt sich erst, wenn er gänzlich ausgehoben und im Meer versenkt worden ist.“792 Erneut greift Çaylak auf ein Motiv zurück, das schon zuvor verwendet wurde. Diesmal wird Montenegro als übelriechender Abfall dargestellt, und soll deshalb im Meer versenkt werden. Mit dieser Karikatur stellt Çaylak die Situation so dar, als ob das Osmanische Reich die Beziehung zu Montenegro abgebrochen hätte. Außerdem soll dieses Bild verdeutlichen, von welch geringer Bedeutung Montenegro für das Osmanische Reich sei und sie sogar erleichtert wären, wenn sie es los wären. Nachdem die Pforte das Londoner Protokoll ablehnte, erfolgte die offizielle Kriegserklärung Russlands am 24. April 1877 an die Hohe Pforte.793 Kurz danach veröffentlichte Çaylak das untere Bild, das darauf hinwies, dass das Osmanische Reich das Londoner Protokoll nicht akzeptierte und sich bereit zeigte, eine kriegerische Auseinandersetzung mit Russland auszutragen.
791 Çaylak, No. 139, 7. Nisan 1293 R. [19. April 1877], S. 4. 792 Aman şu kokuyu def et. Karadağ bunun neresi? Ne fena da kokmuş. Bütün bütün kaldırıb denize atmayınca bu koku def olmaz ki. Çaylak, No. 139, S. 4. 793 Ković, Disraeli, S. 201f.
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Abb. 15.794
Auf obigem Bild ist zu sehen, wie ein osmanischer Soldat sein Bajonett an die Kehle einer Figur angelegt hat, die einen menschlichen Körper besitzt, jedoch den Kopf eines Bären auf seinen Schultern trägt. Auf dem Boden liegt ein Blatt Papier, auf dem mit osmanischen Lettern „Protokoll“ geschrieben steht. Die Bildunterschrift dieser Karikatur lautet: „Eine solide Antwort auf ein marodes Protokoll“.795 Der Bär scheint auf dieser Karikatur passiv, da er sein Gewehr lediglich in seiner Hand hält und keinen Anschein erweckt, sich zu wehren. Mit diesem Bild verdeutlicht Çaylak, dass das Osmanische Reich das Protokoll, welches auf dem Boden liegt, verworfen hat und bereit war, die Konsequenzen zu tragen.
794 Çaylak, No. 145, 21. Nisan 1293 R. [3. Mai 1877], S. 4. 795 Çürük protokola sağlam cevap. Çaylak, No. 145, S. 4.
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4.7 Die „Orientalische Frage“ Schon in den Wochen vor der offiziellen Kriegserklärung Russlands rückte ein bevorstehender Krieg zunehmend in den Fokus der Berichterstattung der satirischen Presse. Ebenso wie die „Orientalische Frage“ bereits seit den Jahren des Krimkrieges ihren Niederschlag in den westlichen Satirezeitschrift fand, so griffen nun die osmanischsprachigen Satireblätter ebenfalls auf diese Thematik auf, zu einem Zeitpunkt, an dem sich der Konflikt mit Russland zunehmend verschärfte. Hayal erwähnte die „Orientalische Frage“ zum ersten Mal in ihrer Rubrik kamus-i muhtasar796. Dort definiert sie die „Orientalische Frage“ (şark mes’elesi) als „eine Fragestellung, die die Petersburger Fakultät entworfen hat“ und stellt so einen unmittelbaren Bezug zu Russland her.797 In ihrer folgenden Ausgabe definiert Hayal erneut die „Orientalische Frage“ unter der gleichen Rubrik folgendermaßen: „Eine Zerstreuung (eğlence) für diejenigen, die die Angewohnheit (i’tiyad) haben, sich in Angelegenheiten einzumischen, die sich außerhalb ihres Zuständigkeitsbereiches befinden.“ Damit impliziert sie, dass die westlichen Mächte in die inneren Angelegenheiten des Osmanischen Reiches eingriffen, obwohl diese Einmischung ausdrücklich nicht erwünscht war.798 Hacivat und Karagöz besprachen diese Problematik auch im Rahmen ihrer muhavere, die am 27. März 1877 erschien. Hacivat berichtet Karagöz, dass die Großmächte die „Orientalische Frage“ lösen möchten. Karagöz versteht ihn aber nicht, er nimmt an, dass die Großmächte zusammenkamen, um über die Zeitung Şark (Osten) zu sprechen, da diese vor einigen Monaten verboten wurde. Die Ignoranz Karagözs verärgert Hacivat, woraufhin er ihm erklärt, dass es sich um eine Angelegenheit des Osmanischen Reiches (memleket mes’elesi) handele, und er doch wissen müsse, worum es geht, da die Presse darüber berichtet hätte. Karagöz antwortet ihm, wie es denn sein kann, dass andere in dieser Angelegenheit auch ein Mitspracherecht hätten. Diese Antwort von Karagöz erhitzt das Gemüt Hacivats stärker und er weist seinen Freund darauf hin, dass er doch diese Fragestellung bereits in der vorherigen Ausgabe definiert hätte. Karagöz kann sich daran erinnern und sagt, er hätte noch danach schreiben sollen, dass diese Angelegenheit wie eine Kanonenkugel (top) sei, 796 Kamus bedeutet wörtlich: Lexikon, oder umfangreiches Wörterbuch, muhtasar hingegen bedeutet kurz. Für diese Rubrik hat Hayal absichtlich einen widersprüchlichen Titel gewählt, denn ein Lexikon, kann nicht umfangreich und kurz zugleich sein. 797 Hayal, No. 332, 12. Mart 1293 R. [24. März 1877], S. 3. 798 Hayal, No. 333, 14. Mart 1293 R. [26. März 1877], S. 3.
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sie würde explodieren, sobald sie zu sehr unter Druck gerate und diejenigen in eine Katastrophe (dehşet) stürzen, die damit spielen.799 Hayal warnt davor, zu leichtfertig mit dieser Frage umzugehen und weist darauf hin, dass es allen Beteiligten Schaden und Kummer brächte, wenn sie tatsächlich das „Pulverfass Orientalische Frage“ zum Explodieren bringen und rät so implizit dazu, diese Angelegenheit ruhen zu lassen. Lâtife veröffentlichte, noch vor Hayal und Çaylak, folgendes Bild, das die „Orientalischen Frage“ zum Gegenstand hat: Abb. 16.800
Auf obigem Bild ist eine Hydra zu sehen, die den Schriftzug „Şark Meselesi“ (Orientalische Frage) auf ihrem Körper trägt. Die Hydra ist eine Wasserschlange aus der griechischen Mythologie. Die Besonderheit dieser Wasserschlange ist, dass acht ihrer neun Köpfe unsterblich sind. Wird einer dieser unsterblichen Köpfe abgeschlagen, so wachsen an ihrer Stelle zwei neue nach. Die Hydra auf diesem Bild steht symbolisch für den Balkan, ihre vielen Köpfe symbolisieren die zahlreichen Krisenherde, die nicht befriedet werden konnten. Im Hintergrund der Hydra stehen die Vertreter der europäischen Großmächte, Österreich, Deutschland, Frankreich, Russland, Serbien sowie ein Vertreter der
799 Hayal, No. 334, 15. Mart 1293 R. [27. März 1877], S.1–2. 800 Lâtife, No. 22, 26. Kânun-i sâni 1292 R. [7. Februar 1877], S. 4.
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Hohen Pforte,801 der erneut eine Pfeife in der Hand hält. Unter der Karikatur ist ein kurzer Wortwechsel zwischen dem Vertreter der Hohen Pforte und den westlichen Militärangehörigen abgedruckt. Der Osmane richtet folgende Frage an die Vertreter der Großmächte: „Warum habt ihr sie denn aufgeweckt, wenn ihr so sehr Angst vor ihr habt?“ Diese erwidern: „Einmal und nie wieder! Wir werden uns nicht einmal mehr in ihre Nähe wagen.802“ Während die Vertreter der Großmächte im Gegensatz zu dem Osmanen aufgeregt erscheinen, so scheint der Osmane gelassen, denn er hat noch die Muße, angesichts des Wasserungeheuers eine Pfeife zu rauchen. Die alleinige Schuld an der Erweckung des Ungeheuers, d. h. der Orientalischen Frage, wird den europäischen Mächten zugewiesen, die diese auch eingestehen, während sie beteuern, diese Thematik in Zukunft nicht mehr aufzugreifen. Erneut scheint der Osmane seine Lethargie an den Tag zu legen, indem er gemütlich seine Pfeife raucht und auch sonst keinerlei Anstrengungen unternimmt. Er weist jegliche Schuld von sich und bemüht sich keineswegs, eine Lösung anzustreben. Ähnlich wie Kladderadatsch setzt auch Lâtife ein übernatürliches Wasserwesen als Symbol für die „Orientalische Frage“ ein, dessen Bezwingung nur mit größter Kraftanstrengung möglich scheint. Wenige Tage, nachdem diese Karikatur in Lâtife erschien, nahm sich auch die Satirezeitschrift Çaylak dieses Themas an. Hier erscheint die „Orientalische Frage“ nicht in Form eines Ungeheuers, sondern in Gestalt einer Quadriga,803 dessen Pferde die Aufschrift Hersek (Herzegowina), Bulgaristan (Bulgarien), Karatağ (Montenegro) und Sırbistan (Serbien) tragen. Die Zügel der Quadriga, auf der der Begriff Şark Meselesi angebracht ist, hat die Erzählerfigur dieser Zeitschrift, die Weihe, fest in seiner Hand. In der Bildunterschrift richtet Çaylak folgende Worte an die Pferde, die die „rebellischen Vasallen“ Serbien, Montenegro, Bulgarien und Herzegowina darstellen: „Seht her, ich halte die Zügel fest in meiner Hand. Verhaltet euch friedlich, sonst bekommt ihr erneut meine Peitsche zu spüren!“804 Die Zeitschrift Çaylak versuchte mit dieser Karikatur zu vermitteln,
801 In der Reihenfolge von rechts nach links. 802 Mademki bu kadar korkuyorsınız, niçün uyandırdınız? Bir daha tövbeler olsun yanına bile varmayalım. Lâtife, No. 22, S. 4. 803 Eine Karikatur, die Punch am 10. Februar 1877 veröffentlichte, allerdings in einem anderen Kontext, diente als Vorlage für den osmanischen Karikaturisten. 804 Çaylak- İşte bakın, dizginler elimde, nafile yere sıçramayın, sonra yine kamışlarım. Çaylak, No. 115, 10. Şubat 1292 R. [22. Februar 1877], S. 4.
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dass das Osmanische Reich immer noch die Kontrolle über seine aufmüpfigen Provinzen behalten hatte, und das zu einem Zeitpunkt, an dem dies keineswegs mehr zutraf und die offizielle Kriegserklärung Russlands kurz bevor stand. Abb. 17.805
In diesen Wochen beschäftigte die „Orientalische Frage“ auch die Satirezeitschrift Hayal erneut. Fast genau ein Jahr zuvor hatte sie die Thematik der ‚Orientalischen Frage‘ bereits in einem äußerst ironischen Beitrag angeschnitten. In diesem Beitrag hatte Hayal diese Thematik als „erledigt“ (hal oldu) erklärt und verkündet, dass nun der Osten sich in vielerlei Hinsicht verbessert habe (şarkın hali her cihetiyle ıslah olunmuşdur).806 Im April 1877, wenige Tage nach der offiziellen Kriegserklärung Russlands, veröffentlichte Hayal folgende Karikatur:
805 Çaylak, No. 115, S. 4. 806 Hayal, No. 250, 23. Mart 1292 R. [4. April 1876], S. 1.
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Abb. 18.807
Das Kohlebecken in der Mitte der Karikatur symbolisiert die „Orientalische Frage“ (Şark Meselesi). Auf der rechten Seite des Beckens steht ein alter Osmane und links ein Angehöriger der russischen Armee, der hohe Reiterstiefel trägt. An diesem heißen Kohlebecken, d. h. an der „Orientalischen Frage“, hat dieser Russe offensichtlich seine Finger verbrannt. Der alte Osmane, der seine althergebrachte Kleidung trägt, einen Turban und eine Pluderhose, hält in seiner Hand eine Feuerzange und richtet seinen Finger auf den Russen, der deutlich an den Schmerzen seiner Brandwunde an seiner Hand leidet. In der Bildunterschrift richtet der alte Osmane sein Wort an ihn: „Mein Herr, ich habe dir tausend Mal gesagt, dass du das nicht anfassen sollst, aber [du] hörst ja nicht auf mich.“ Gemäß Hayal ist die „Orientalische Frage“ eine Obliegenheit, die Schmerzen bei demjenigen verursacht, der sie angeht. Hayal vermittelt mit diesem Bild, wie einige Wochen zuvor Lâtife, dass es ungefährlicher ist, die „Orientalische Frage“ ruhen zu lassen, um Qualen zu vermeiden. Hayal zeigt den Osmanen in der Position des Ermahners, der darauf bedacht scheint, kein Leid heraufzubeschwören. Ferner impliziert das Bild, dass Russland selbst aus dieser Angelegenheit als Leidtragender hervorgehen wird und sozusagen zum Opfer seiner selbst wird. Nur wenige Tage später veröffentlichte Hayal folgendes Bild: 807 Efendim, dokunma diye bin kere söyledim. Söz dinlemez ki. Hayal, No. 342, 19. Nisan 1293 R. [1. Mai 1877], S. 4.
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Abb. 19.808
Diesmal nutzten die Zeichner des obigen Bildes ein Wollknäul, um die „Orientalische Frage“ darzustellen. Das Wollknäul liegt auf einem von Europäern umgebenen Tisch. Am oberen Rand sitzt ein alter Osmane, der lethargisch seine Pfeife raucht und auf das Wollknäul deutet. Er präsentiert seinem Publikum, den Europäern, den Knäul mit den Worten: „So, mein verehrten [Herren], dies ist das Ding, welches „die Orientalische Frage“ genannt wird. Schaut aufmerksam hin, vielleicht könnt ihr das Ende finden!“809 Die Europäer nutzen allerlei Sehhilfen wie zum Beispiel Ferngläser und Bi nokel, um den Knäul besser bestaunen zu können. Sie reißen sich sogar um eine vorteilhaftere Position, denn die Person links unten auf der Karikatur zerrt am Jacket seines Vordermannes, der mit einem Binokel den Knäul betrachtet. Bemerkenswert an diesem Bild ist vor allem, dass die „Orientalische Frage“ für die Europäer etwas Sensationelles darstellt, weil sie den Wollknäul mit übersteigertem Staunen betrachten. Zwei Figuren auf der rechten Seite unterscheiden sich allerdings aufgrund ihrer Physiognomie stark vom Rest der Gruppe. Die Figur, die ein Binokel in der Hand hält und ihren großen Hut auf ihrem Knie abgelegt hat, trägt erkennbar Hörner.810 Deshalb braucht er auch möglicherweise diese 808 Hayal, No. 342, S. 4. 809 İşte kuzum, şark mes’elesi denilen şey, iyi bakınız, belki ucunu bulabilirsiniz. Ibidem. 810 Vgl. Kurt Schubert, “Gottesvolk – Teufelsvolk – Gottesvolk”, in: Elisabeth Klamper (Hg.), Die Macht der Bilder. Antisemitische Vorurteile und Mythen, Wien 1995, S. 30–52.
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große Kopfbedeckung, um sie abzudecken. Die Figur hinter ihm, die an seiner Jacke zerrt, hat eine auffällig große und krumme Nase. Bei diesen beiden Figuren handelt es sich offensichtlich um stereotype Darstellungen von Juden. Die aufkeimende Judenfeindschaft, die während der Balkankrise einen Höchstand erreichte, schlug sich ab 1870er Jahre besonders auch in Karikaturen nieder.811 Allerdings ist in diesem Kontext nicht feststellbar, aus welcherlei Quelle sich der Zeichner dieses Bildes bedient hatte, ob auch die Darstellung dieser beiden Figuren in dieser Form beabsichtigt war. So stellt sich die Frage, ob die Rezipienten dieses Bildes, diese Figuren als Juden identifizieren konnten.812 In der Karikatur stellt Hayal die „Orientalische Frage“ als eine verworrene Angelegenheit dar, deren Ende nicht in Sicht ist. Obwohl das Ende der Schnur zu dem alten Osmanen hin läuft, hält er es jedoch nicht in seiner Hand. Die osmanischsprachigen Satirezeitschriften thematisierten die „Orientalische Frage“ erst am Vorabend des Russisch-Osmanischen Krieges von 1877–1878. Eine Übereinstimmung in ihren Botschaften haben lediglich die Bildbeiträge der Satirezeitschriften Lâtife und die erste Karikatur, die Hayal zu diesem Thema veröffentlichte. Die „Orientalische Frage“ war sowohl für Hayal als auch für Lâtife, ein Thema, das Unheil bringt, sobald sie aufgegriffen wird. Einer abweichenden Darstellungsweise bedient sich lediglich Çaylak, was aber in keinerlei Hinsicht den tatsächlichen Gegebenheiten entsprach. Diese Zeitschrift täuscht ihren Lesern vor, dass das Osmanische Reich, obwohl es kurz vor einer bewaffneten Konfrontation mit Russland steht, noch die Herrschaft über seine Balkanprovinzen hat.
811 Vgl. hierzu: Regina Schleicher, Antisemitismus in der Karikatur. Zur Bildpublizistik in der französischen Dritten Republik und im deutschen Kaiserreich (1871–1914), Frankfurt am Main 2009, S. 47ff; Eduard Fuchs, Die Juden in der Karikatur. Ein Beitrag zur Kulturgeschichte, München 1921; Meike Günther, Der Feind hat viele Geschlechter. Antisemitische Bilder von Körpern, Intersektionalität und historisch-politische Bildung, Berlin 2012; Julius H. Schoeps (Hg.), Bilder der Judenfeindschaft. Antisemitismus, Vorurteile und Mythen, Augsburg 1999; Heinz Schreckenberger, Die Juden in der Kunst Europas, Göttingen 1996; Julia Schäfer, Vermessen – gezeichnet – verlacht. Judenbilder in populären Zeitschriften 1918–1933, Frankfurt am Main 2005; Michaela Haibl, Zerrbild als Stereotyp. Visuelle Darstellung von Juden zwischen 1850 und 1900, Berlin 2000; Micha Brumlik, Innerlich beschnittene Juden, Hamburg 2012. 812 Bislang gibt es keine eingehende Untersuchung der osmanischsprachigen Satirezeitschriften vor 1908 im Hinblick auf Judenfeindschaft oder Judenstereotype. Auch diese Arbeit kann diese Lücke nicht schließen, sondern nur auf sie hinweisen.
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4.8 Der russische Aggressor in Karikatur Anfang Mai besprachen Hacivat und Karagöz erneut die Nachrichtenblätter und ihre Berichterstattung in ihrer muhavere. Karagöz teilt seinem Freund mit, dass er nur Interesse an „vergnüglichen Dingen“ (eğlenceli şeyler) habe. Unter den Nachrichten findet Hacivat dann eine Mitteilung, die Karagöz Vergnügen bereiten soll, nämlich, dass General Černajaev sich in den Dienst des russischen Militärs gestellt habe. Diese Nachricht erheitert Karagöz dermaßen, dass er in schallendes Gelächter ausbricht. Er findet es sehr bemerkenswert, dass General Černajaev sich erneut in den Dienst des Militärs stelle, trotz der Niederlage, die er in Aleksinac hinnehmen musste und spielt darauf an, dass die Streitkräfte der Zentralmacht nicht diesen General, den Hayal zuvor als unfähig und feige karikierte, fürchten mussten. In derselben Ausgabe veröffentlichte Hayal folgende Karikatur, die die kriegerische Konfrontation zwischen Russland und dem Osmanischen Reich visualisiert: Abb. 20.813
Auf obigem Bild ist zu sehen, wie ein russischer General sich dem bärtigen Osmanen gegenüber stellt. Hinter dem traditionell gekleideten Osmanen, der das Osmanische Reich symbolisiert, sind die Christen des Balkans als Kinder dargestellt, die voller Verzweiflung Schutz bei ihm suchen und sich an seinen Mantel klammern. Der Osmane ist bereit, seine „Kinder“ zu verteidigen und krempelt seine Ärmel hoch. Beide Kontrahenten sind nur mit Schwertern bewaffnet. 813 Hayal, No. 344, 23. Nisan 1293 R. [5. Mai 1877], S. 4.
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Dieses Bild stellt nicht nur die bewaffnete Konfrontation zwischen Russland und dem Osmanischen Reich dar, sondern zeigt, welches Ziel der russische Aggressor verfolgt, nämlich den Anspruch, den Schutz der christlichen Bevölkerung zu übernehmen. Dieser Darstellung zufolge fühlt sich die christliche Bevölkerung dem Osmanischen Reich zugehörig und nicht Russland, denn sie weinen und klammern sich am Mantel des Osmanen fest. Gemäß diesem Bild sieht es so aus, als ob Russland gegen den Willen der Balkan-Christen handelt und sie gewaltsam dem Osmanischen Reich entreißen will. Der Untertitel zu dieser Karikatur lautet: „Angeblich will er die Christen in Schutz nehmen…“814 Hayal wertet diesen Anspruch als Vorwand, den Russland vorschiebt, um Krieg gegen das Osmanische Reich zu führen. Mit dieser Karikatur visualisiert Hayal auch die divergenten Auslegungen des Friedensvertrages von Küçük Kaynarca (1774), die seitdem zu zahlreichen Konflikten zwischen dem Zarenreich und der Hohen Pforte geführt hatten. Jedoch vertraten das Zarenreich und die Hohe Pforte unterschiedliche Auffassungen bezüglich der ausgehandelten Zugeständnisse. Russland betrachtete sich fortan als Schutzherr aller orthodoxen Christen.815 Bereits 1815 machte der russische Zar auf dem Wiener Kongress deutlich, dass er der Protektor der orthodoxen Christen im Osmanischen Reich sei.816 Russland nutzte diese Zugeständnisse der Hohen Pforte als Waffe, denn durch seine Stellung als Schutzherr aller orthodoxen Christen konnte das Zarenreich auf Unterstützung aus Südosteuropa hoffen. Gestützt auf diese Auffassung begründete Russland in den folgenden Jahrzehnten seine Interventionen auf dem Balkan. Anfang Mai schien Hayal noch zuversichtlich, dass das Osmanische Reich in der Lage war, den russischen Streitkräften Widerstand zu leisten und veröffentlichte eine Bildsatire, die zeigt, wie Karagöz ein Tamburin in seiner Hand hält und den (russischen) Bären vor osmanischem Publikum tanzen und Kunststücke aufführen lässt.
814 Güya hiristiyanları himaye edecekmişde… Hayal, No. 345, S. 4. 815 Zu den divergenten Auffassungen bezüglich des Vertrags von Küçük Kaynarca siehe bei Davison, Essays, S. 29–50. 816 Sinno, “Pan-Slawismus”, S. 541.
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Abb. 21.817
Der Bär wird zur Belustigung der Osmanen vorgeführt. Karagöz sagt zu ihm: „Na, du Holzbirnenfresser, schämen sich Frauen und Mädchen auf diese Weise?“ Der Bär soll sich anscheinend schämen, aber der Grund hierfür wird nicht genannt. Mit dieser Karikatur zeigt Hayal, dass das Osmanische Reich in der Position ist, den Bären zu beherrschen, um ihn nach seiner Musik tanzen zu lassen.818 In ihrer 345. Nummer griff Hayal erneut den Konflikt mit Russland auf und veröffentlichte folgende Karikatur: 817 Seni gidi ahlat hor seni. Ulan [oğlan], kadın, kızlar öylemi utanırlar! Hayal, No. 348, S. 4. 818 Hayal, No. 348, 3. Mayıs 1293 R. [15. Mai 1877], S. 4. Çaylak griff schon wenige Tage zuvor auf dieses Sprichwort zurück. Auf dieser Karikatur ist ein Bär zu sehen, der ein Tamburin in der Hand hält, ähnlich wie Karagöz. Er gibt nicht den Takt vor, sondern die europäischen Mächte, die um ihn herum tanzen und auf einem Dudelsack musizieren. Der Çaylak kommentiert das Geschehen und sagt: „So lassen sie dich tanzen, so lange, bis du schließlich vor Erschöpfung zusammenbrichst“ (işte seni böyle oynadırlar, oynadırlar nihayet yorulur düşersin). Çaylak, No. 146, 23. Nisan 1293 R. [5. Mai 1877]. Obwohl Hayal und Çaylak auf dieselbe Redewendung zurückgriffen, treffen sie damit unterschiedliche Aussagen. Während Hayal die Osmanen in der Position sieht, die den Bären tanzen lässt, möchte Çaylak mit ihrer Karikatur ausdrücken, dass die europäischen Mächte den Bären nach ihrer Pfeife tanzen lassen und zwar solange, wie sie es wünschen. Gemäß Çaylak haben die europäischen Mächte einen starken Einfluss auf Russland und können somit die politischen Entscheidungen des Zarenreiches mitbestimmen, bzw. lenken, solange sie es wünschen.
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Abb. 22.819
Europa, die gekrönte Herrscherin, die eine überdimensionale Pfeile in ihrer Hand hält, hat den Bären von seinen starken Ketten, die ihn bislang zurück hielten, befreit und hetzt ihn nun gegen das Osmanische Reich und seine Kinder. Während der Baum, an dem der Bär gekettet war, karg und ohne Leben ist, sitzt der alte Osmane mit seinen Kindern unter einem gesunden Baum und raucht gemütlich seine Pfeife. Die Kinder sind verängstigt und werfen mit Steinen auf den Bären. Der Untertitel dieses Bildes lautet: „Habt keine Angst, Kinder, sowie er das Bajonett sieht, wird er zum Fuchs [reduziert] Tretet zur Seite, damit er [das Bajonett] sehen kann“820 Der Osmane scheint gelassen und optimistisch, da er noch die Muße hat, seine Pfeife zu rauchen. Er scheint sich nicht vor seinem Angreifer zu fürchten, denn der Bär erscheint keineswegs bedrohlich. Er erweckt eher den Eindruck eines noch sehr jungen Bären, der noch nicht ausgewachsen ist. Der Osmane scheint voller Vertrauen auf seine Waffenkraft. In diesem Zusammenhang symbolisiert der Osmane das Osmanische Reich, das Siegesgewissheit demonstriert und für seinen Gegner nur Worte voller Spott und Häme übrig hat. Aus der Perspektive von Hayal trägt neben dem Zarenreich auch Europa die Verantwortung für das Leid und das Elend des Krieges, da Europa diejenige ist, die ihn von seinen Ketten befreit hat. Wer sie dem Bären angelegt hat, bleibt ungeklärt. Möglicherweise spielt diese Karikatur darauf an, 819 Hayal, No. 345, 26. Nisan 1293 R. [8. Mai 1877], S. 4. 820 Korkmayınız çocuklar! Süngüyü gördüğü gibi tilkileşir. Açılında görsün! Ibidem.
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dass Abdülhamid II., nach der Kriegserklärung Russlands, die Signaturmächte des Pariser Friedens um Hilfe gebeten hatte, um doch noch eine friedliche Lösung zu finden, jedoch vergebens.821 Deutschland, Frankreich, Italien und Österreich gaben ihre Neutralität bekannt. England wollte ebenfalls, unter bestimmten Auflagen, seine Neutralität bewahren. Somit musste das Osmanische Reich alleine im Kampf gegen Russland auf das Schlachtfeld ziehen. Aus diesem Bild ist auch verdeckte Kritik herauszulesen an dem osmanischen Herrscher, der lethargisch seine Pfeife raucht und abwartet, bis der Angreifer sich in seine Richtung bewegt, während seine Untertanen bemüht sind, sich selbst vor den Übergriffen des Bären zu schützen. Er handelt nicht präventiv, sondern legt eine passive Haltung an den Tag. Dies steht scheinbar im Widerspruch zu seiner eigentlichen Herrscherpflicht, nämlich den Schutz all seiner Untertanen. Damit klagt Hayal auch die Hohe Pforte an, ihren eigentlichen Pflichten nicht nachzukommen und somit ihre Untertanen dem Unglück und Elend des Krieges auszusetzt. Auch Europa kann ungehindert handeln und muss keinen Widerstand von der Seite des unbewegten Osmanen befürchten. Hayal thematisiert in ihren politischen Bildern nicht nur den russischosmanischen Konflikt, sondern auch die Rivalität der Großmächte untereinander. In ihrer 348. Nummer veröffentlichte Hayal dazu folgendes Bild: Abb. 23.822
821 Millman, Eastern Question, S. 264f. 822 Hayal, No. 348, 3. Mayıs 1293 R. [15. Mai 1877], S. 4.
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Obiges Bild zeigt einen Bären, der im Begriff ist, ein wehrloses Kind anzufallen, das nur Rasseln hat, um sich zu verteidigen. Ihm ist der Schreck deutlich ins Gesicht geschrieben. Dadurch, dass er lediglich einen Lendenschurz am Leib trägt, unterstreicht der Karikaturist seine Wehrlosigkeit, seine „Nacktheit“. Hinter dem Bären hat sich jedoch schon ein Löwe, die Nationalallegorie Großbritanniens, aufgebaut, der ihn im Visier hat.823 Das Kind symbolisiert in diesem Kontext vermutlich das Osmanische Reich, das der russischen Bedrohung unmittelbar ausgesetzt sind. Der Untertitel dieser Karikatur lautet: „Die Karte des Vaterlandes“ (memleketin haritası). Mit dieser Karikatur visualisiert Hayal ihre Sicht der Situation des Reiches. Es scheint, dass der Löwe den Bären anfällt, um die Osmanen zu schützen.824 Der Löwe ist der einzige Opponent, der den Bären aufhalten kann. Mit dieser Karikatur verdeutlicht Hayal einerseits die Bedrohung, die von Russland ausgeht und andererseits, dass Großbritannien die einzige Gewalt ist, die ihn davon abhalten kann, weiteren Schaden anzurichten. Die Karikatur birgt somit auch die Hoffnung auf ein Eingreifen Englands in sich. Jedoch sind zu diesem Zeitpunkt die Voraussetzungen für eine Intervention Großbritanniens denkbar schlecht. Die heftigen Proteste und die öffentliche Entrüstung über die Vorgehensweise der Hohen Pforte bei dem bulgarischen Aprilaufstand hinderten offensichtlich Disraeli daran, Interventionsmaßnahmen zu veranlassen. So ließ Großbritannien das Osmanische Reich alleine in den Kampf ziehen. Disraeli selbst hatte sich in Großbritannien sehr unbeliebt gemacht, weil er mit als zynisch empfundenen Äußerungen die Osmanen in Schutz nahm und die „Bulgaren-Gräuel“ bagatellisierte.825 Die oppositionellen Kräfte wirkten stärker und verhinderten jegliche aktive Waffenhilfe. Disraeli machte kein Geheimnis daraus, dass er zur Not durchaus bereit war, Konstantinopel vor einer Invasion
823 Ein ähnliches Motiv veröffentlichte Punch bereits 1856, am Ende des Krimkrieges. Diese Karikatur im Punch zeigt aber nur den Kampf des Löwen mit dem Bären. 824 England ließ bereits 1876 fünf Kriegsschiffe nach Besika Bay (Çanakkale) beordern, die wenige Meilen von den Dardanellen entfernt vor Anker gingen, um machtpolitische Präsenz zu demonstrieren. Vgl. Schmidt, “Balkankrise”, S. 48 und Millman, Eastern Question, S. 102f. 825 Disreali war Verfechter der sogenannten „key-to-India-in-Constantinople“ – Theorie. Vgl. Schmidt, “Balkankrise”, S. 39.
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der Russen zu verteidigen. Die britische Regierung betrachtete eine Okkupation der osmanischen Hauptstadt durch das Zarenreich als casus belli. Vorerst verkündete England zwar seine Neutralität, jedoch nur unter der Bedingung, dass seine Interessen gewahrt blieben. Breits drei Tage vor der offiziellen Kriegserklärung Russlands tagte das britische Kabinett, um die Vorgehensweise Großbritanniens zu besprechen, denn nach den Informationen, die Disraeli vorlagen, würde es lediglich vier Monate dauern, bis die Russen Konstantinopel erreichten, nachdem sie den Pruth überquert hatten. Dieser Fall würde die britischen Investitionen und Interessen in Alexandria und am Suez- Kanal erheblich der russischen Gefahr aussetzen. Zwar kam das Kabinett zu dem Beschluss einzugreifen, doch blieb es ungeklärt, zu welchem Zeitpunkt und auf welche Art. Wenige Tage später tagte das Kabinett erneut und legte fest, dass England ebenfalls in den Krieg ziehen würde, wenn das Zarenreich die Dardanellen oder den Suez-Kanal blockieren, Konstantinopel besetzen oder Ägypten angreifen würde.826 Vermutlich drangen Nachrichten von diesen Kabinettssitzungen aus Großbritannien nach Istanbul, die in Hayal die Hoffnung auf ein Eingreifen des britischen Empires erweckten, wie schon zuvor im Krimkrieg. Allerdings sicherte Russland zu, dass es die Bedingung Großbritanniens respektieren würde, solange es seine Neutralität beibehielte. Einerseits deuteten die politischen Bilder von Hayal auch auf die Schrecken und Leiden des Krieges hin, andererseits versuchten sie ebenso einen gewissen Optimismus zu bewahren und zu verbreiten.827 In den ersten Wochen des Krieges erschienen somit auch Karikaturen, die nicht die bewaffneten Auseinandersetzungen der Kontrahenten darstellten, sondern lediglich den Konflikt andeuteten wie zum Beispiel die folgende Abbildung:
826 Millman, Eastern Question, S. 280. 827 Vgl. Karikatur in Hayal, No. 347, S. 4.
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Abb. 24.828
Auf obigem Bild ist der russische Bär in einer Militäruniform zu sehen, Seite an Seite mit Karagöz, der Grimassen schneidet. Der Bär erscheint jedoch mächtiger und kräftiger als Karagöz, der bloß seine gewohnte Kluft trägt. Der Bär fragt Karagöz: „Karagöz, hast du mich erkannt? Woraufhin Karagöz antwortet: „Du bist doch unser alter Kumpan (kafadar), oder? Ich habe dich an deiner Nase erkannt.“829 Der Untertitel des Bildes ist ironisch zu lesen. Seit dem 16. Jahrhundert fochten Russland und das Osmanische Reich zahlreiche blutige Kämpfe aus und sind somit keineswegs als Genossen zu bezeichnen. Im Anbetracht der Bedrohlichkeit der Lage erweckt Karagöz einen recht unbekümmerten, gar schelmischen Eindruck. Obwohl der Bär uniformiert erscheint, geht von ihm keine offensichtliche Gefahr aus, denn er ist gänzlich unbewaffnet. In seiner linken Hand hält er ein Fernglas, vermutlich zu Beobachtungszwecken. Allein seine Uniform deutet auf seine kriegerischen Ambitionen hin. Das Kriegsgeschehen beschäftigt Karagöz dermaßen, dass er beschließt, nach Russland zu reisen, um als Astrologe die Zukunft des russischen Zaren 828 Hayal, No. 349, 5. Mayıs 1293 R. [17. Mai 1877], S. 4. 829 Karagöz beni tanıdın mı? Bizim eski kafadar değilmisin? Burnundan tanıdım, bunundan. Hayal, No. 349, S. 4.
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Alexander II. vorherzusagen. Karagöz ist der Meinung, da er ja Roma sei, dass er dafür ein angeborenes Talent habe. Hacivat fragt ihn daraufhin, wie er denn auf die Idee gekommen sei, als Wahrsager nach Russland zu reisen, woraufhin Karagöz antwortet, er habe in einem Zeitungsartikel gelesen, dass Alexander II. Sternendeuter konsultiert hätte, bevor er den Osmanen den Krieg erklärt habe. Gemäß dem Artikel habe er drei Rabbiner zu sich gerufen, damit sie ihm die Sterne deuten. Die Rabbiner hätten daraufhin dem Zaren mitgeteilt, dass seine Sterne ungünstig stünden und er deshalb von einem Krieg mit dem Osmanischen Reich absehen solle. Dies hätte den Zaren dermaßen geärgert, dass er die Rabbiner für vierundzwanzig Stunden verhaften ließ, um sie danach hinrichten zu lassen. Darüber habe sowohl die jüdischen Zeitungen [Laayuka] aus Saloniki berichtet als auch eine österreichische Zeitung. Sein Freund Hacivat fragt ihn, ob er denn keine Angst davor habe, dass ihm das gleiche Schicksal widerfährt wie den Rabbinern. Daraufhin antwortet ihm Karagöz, dass Alexander II. dermaßen über seine Vorhersage erfreut sein wird, dass er ihm große Ehren zuteilwerden lasse und ihn sogar zum König von Montenegro ernenne. Denn er habe schon seine Vorhersage vorbereitet und werde dem Zaren mitteilen, dass die Sterne so günstig stehen wie nie zuvor, und, dass er die ganze Welt verzaubern (teshir) wird und er nicht nur Amerika und Europa, mit ihren Errungenschaften, in Besitz nehmen werde, sondern auch Indien, China, Japan und der Iran werden unter seine Herrschaft kommen. Nach der Weissagung von Karagöz werden sogar die Wilden (vahşi) in Amerika ihn als ihren Herrscher anerkennen.830 Hayal verhöhnt und verspottet mit diesem Beitrag das Oberhaupt des Zarenreiches. -Alexander II. erscheint hier als größenwahnsinniger, blutrünstiger und abergläubischer Herrscher, der mit allen Mitteln versucht, seine Macht auszuweiten. Karagöz versucht durch die angebliche Schwäche des Zaren Profit für sich herauszuschlagen, indem er ihm Lügen auftischt, von denen er vermutet, dass er sie gerne hören würde.831 Darüber hinaus greift Hayal mit diesem
830 Hayal, No. 345 [sic!], 17. Mayıs 1293 R. [29. Mai 1877], S. 1–3. Diese Ausgabe von Hayal trägt fälschlicherweise erneut die Nummer 345. Vermutlich handelt es sich um einen Satzfehler. Es müsste hier die 354. Ausgabe von Hayal sein. Vgl. Quellenverzeichnis im Anhang. 831 Dieser Beitrag kann ebenso auch als verdeckter Spott an Abdülhamid II. gelesen werden, denn ihm wurde nachgesagt, dass er ebenso ein gesteigertes Interesse an Esoterik hatte.
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Beitrag auch unterschiedliche Aspekte des Russisch-Osmanischen Krieges auf. Zum einen versucht Hayal ihren Lesern zu vermitteln, dass Russland im Krieg unterliegen wird, zum anderen weist diese muhavere auf die imperialistischen Bestrebungen des Zarenreiches hin, von denen nicht nur das Osmanische Reich betroffen ist. In derselben Ausgabe verweist Hayal darauf, dass auch Europa, nach der Kriegserklärung des Zarenreiches, der russischen Gefahr ausgesetzt sei: Abb. 25.832
Das obige Bild zeigt, wie ein russischer Soldat in einem Chemielabor (kimyahane) einen Feuerofen mithilfe eines Blasebalgs kräftig anheizt.833 Auf dem Ofen steht ein Gefäß, auf dem das Wort Europa zu lesen ist. Der Begleittext zu diesem Bild lautet: „Ich möchte [das Gefäß] endlich zum Explodieren bringen, aber ich finde leider nicht die [fehlende] chemische Substanz.“834 Hinter ihm auf dem Regal stehen Gefäße, die mit Schwarzpulver (barut [sic!]) und Quecksilber
832 Hayal, No. 345 [sic!], S. 1–4. 833 Siehe Beschriftung oberhalb der Tür. Die Schrift auf dem Schild sowie auf den Glasbehältern ist spiegelverkehrt angebracht. 834 Hayal, No. 345 [sic!], S. 1–4.
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(civa [sic!]) gefüllt sind.835 Diese Karikatur zeigt, dass es Russland zwar erreicht hat Europa aufzuheizen, denn das Gefäß ist schon kräftig am Dampfen, aber ihm fehlt noch eine Ingredienz, um das Gefäß zum Explodieren zu bringen. Somit verdeutlicht dieses Bild, dass das Zarenreich sowohl eine Gefahr für das Osmanische Reicht als auch für Europa darstellt. Die Kriegserklärung des nördlichen Nachbarn Russland an das Osmanische Reich sprengte das Dreikaiserabkommen und ein Konflikt mit Großbritannien schien sich anzubahnen. Derby bewertete die Kriegserklärung Russlands als Zuwiderhandlung gegen den Pariser Vertrag von 1856 und die Londoner Konferenz von 1871. Seiner Meinung nach habe sich das Zarenreich somit vom Europäischen Konzert getrennt und sei von seinem Grundsatz abgewichen, zu dem er selbst seine Zustimmung bekundet habe.836 Russland zog von zwei Fronten aus in den Krieg. Zum einen von der Westfront und von der Nordostfront (Kaukasus). Ziel der St. Petersburger Regierung war es, vom Westen her die osmanische Hauptstadt zu erobern und vom Nordosten her nach Erzurum vorzustoßen. Bereits in den ersten Wochen nach dem Ausbruch des Krieges errang das russische Heer rasch erste Siege, da sich das Zarenreich schon vor dem Ausbruch des Krieges die Unterstützung Rumäniens zusicherte. Dieses Abkommen zwischen Rumänien und Russland (16. April 1877) erlaubte es dem Zarenreich, seine Truppen durch Rumänien auf den Kriegsschauplatz zu bringen.837 Während der ersten Phase des Krieges zeigte Hayal sich weiterhin optimistisch und veröffentlichte folgendes Bild, das veranschaulichen sollte, dass das Osmanische Reich immer noch die Zügel fest in seiner Hand hatte.
835 Die Namen dieser chemischen Substanzen sind spiegelverkehrt angebracht. Da Hayal in verschiedenen Sprachen sowie in nichtosmanischen Schriftarten aufgelegt wurde, wurde die Beschriftung der Karikaturen für das jeweilige Lesepublikum umgestaltet. Bei diesem Bild hat der Schreiber allerdings die Tatsache nicht berücksichtigt, dass die Schrift gedruckt spiegelverkehrt erscheint. 836 Der Pariser Vertrag von 1856 nahm das Osmanische Reich in das europäische Mächtekonzert auf und stellte die Unabhängigkeit und territoriale Integrität des Reiches unter die Garantie der Großmächte. Hanioğlu, Ottoman Empire, S. 82ff. 837 Sinno, “Pan-Slawismus”, S. 553.
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Abb. 26.838
Karagöz, der in dieser Karikatur das Osmanische Reich symbolisiert, hält die Zügel des Bären fest in seinen Händen. Rechts steht Europa, die den Schwanz des Bären in ihren Händen hält. Auf der linken Seite von Karagöz steht ein Kaukasier, der ihn ebenfalls unterstützen möchte und am Ohr des Bären zieht. Dieses Bild symbolisiert, dass neben dem Osmanischen Reich auch die Kaukasier, die ebenfalls über langjährige Kampferfahrung mit Russland verfügten, das Osmanische Reich an der Nordostfront unterstützten. Bemerkenswert ist, dass die Dame Europa, die zuvor ebenfalls zu den Feindbildern gehörte, nun an der Seite der Osmanen steht, obwohl keines der Großmächte dem Osmanischen Reich offen ihre Waffenhilfe anbot. Offenbar versuchte Hayal somit lediglich zu zeigen, dass die Streitkräfte der Zentralmacht nicht alleine kämpften und sie sowohl im Westen als auch im Osten Unterstützung bekamen. Allerdings ist Karagöz sehr von seinen eigenen Kräften überzeugt und sagt zu seinen Gefährten: „Lasst los, wo auch immer er hingeht, seine Kette befindet sich in meinen Händen“.839 Obwohl Karagöz sich so selbstsicher gibt, entspricht die Darstellung auf dem Bild, genauso wenig wie Abb. 18, den tatsächlichen Gegebenheiten.
838 Hayal, No. 355, 19. Mayıs 1293 R. [31. Mai 1877], S. 4. 839 Siz bırakın, nereye gitse zinciri elimde. Hayal, No. 355, S. 4.
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Sowohl Hayal als auch Çaylak thematisierten die Niederlagen der osmanischen Streitkräfte nicht, aber sehr wohl ihre Siege. Als es den Streitkräften der Zentralmacht gelang, die Festung in Ardahan erneut in ihre Gewalt zu bringen, veröffentliche Hayal eine Karikatur, die zeigt, wie ein großer und mächtiger Karagöz, der in diesem Fall das osmanische Heer symbolisiert, den Agressor, nämlich den russischen Bären mit der Festung Ardahan erdrückt und zu ihm sagt: „Ach du, [Hund] du.“840 Karagöz hat den starken Bären zu Fall gebracht und niedergestreckt. Auffällig an dieser Karikatur ist, dass Russlands Proportionen der Größe Karagözs entsprechen. Vermutlich wollte der Karikaturist damit verdeutlichen, dass die Osmanen in Russland einen gleichstarken Gegner hatten. Abb. 27.841
840 Hey gidi [kelb?], seni hey! Die Schrift auf dem Originaldokument ist beschädigt und ist teilweise nicht lesbar. Bei dem defektiv lesbaren Wort handelt es handelt vermutlich um kelb und das trägt die Bedeutung Hund. 841 Hayal, No. 356, 21. Mayıs 1293 R. [2. Juni 1877], S. 4.
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Hayal war aber keineswegs ein Befürworter des Krieges. Schon bereits vor dem offiziellen Ausbruch des Krieges betonte Hayal, dass in diesen Zeiten, in denen die Zivilisation solchen Fortschritt erlangt hatte, kein Menschenblut mehr vergossen werden sollte. Gemäß Hayal war Krieg keineswegs eine zeitgemäße Lösung eines Konflikts. Jedoch weist Hayal der Hohen Pforte keine Schuld zu, sondern erklärt, dass sie gezwungen war in den Krieg zu ziehen, um sich zu verteidigen.842 Deshalb rückte Hayal, wenn auch implizit, die negativen Folgen des Krieges und die marode wirtschaftliche Lage des Reiches in den Blick.843 In der muhavere, die Hayal am 7. Juni 1877 veröffentlichte, berichtet Hacivat, der auf dem Basar war, dass niemand irgendwelche Einkäufe tätige und alles in einem sehr trostlosen Zustand sei. Ferner erzählt er seinem Freund, dass sogar jeder bereit sei, sein letztes Hemd zu verkaufen, aber leider keine Kundschaft dafür finde. Da Karagöz jedoch ein anderes Anliegen hat, wechseln sie das Thema.844 Hayal begnügte sich nicht damit, lediglich das Kriegsgeschehen zu karikieren, sondern widmete sich auch der treibenden Ideologie, die Russland unter anderem zu diesem Krieg bewegte, dem Panslawismus. In ihrer 360. Ausgabe veröffentlichte Hayal folgende Karikatur, die zeigt, wie Russland sich seinem Traum vom Panslawismus hingibt.
842 Hayal, No. 359, 1–2. 843 In ihrer 302. Nummer veröffentlichte Hayal ein Bild, in dem der osmanische Staatshaushalt als zersprungenes Gefäß dargestellt wird, dass zwar fortlaufend mit Wasser gefüllt wird, das zahlreiche Männern herbeischaffen. So wie das Wasser hinein gegossen wird, so fließt es auch wieder hinaus. Das Wasser symbolisiert in diesem Kontext die Einnahmen der Staatskasse. Aufgrund dieser Karikatur wurde Hayal erneut suspendiert. Vgl. Hayal, No. 302, S. 4. 844 Hayal, No. 357, 26. Mayıs 1293 R. [7. Juni 1877], S. 1.
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Abb. 28.845
Der Russe liegt auf einem Bett für Damen846 und hält ein Schläfchen. Vermutlich ist er müde von der Schlacht, denn er hat seine Uniform beiseitegelegt und umklammert eine Weltkugel. Die Unterschrift dieser Karikatur lautet: „Der Traum des Panslawisten“. Damit drückt Hayal die Bestrebung Russlands aus, die Weltherrschaft an sich zu reißen, wie schon zuvor in der Prophezeie Karagözs angesprochen. Der Russe liegt in einem filigranen Bett für Damen, dies soll symbolisieren, dass die Ausgangssituation, in der er sich befindet, nicht zu dem passt, was er eigentlich anstrebt. Er liegt lediglich in einem Bettchen, in dem sich die Damen ihren Tagträumereien hingeben, nicht etwa auf einem imposanten Bett, welches geeigneter für einen Herrscher wäre, der von der Weltherrschaft träumt. In diesem Bild bringt Hayal bildhaft Russland in Verbindung mit dem Panslawismus und impliziert damit, welche Ideologie hinter diesem Krieg steckt und welches Ziel Russland mit der Kriegserklärung verfolgte. Einerseits weist die Karikatur auf den Panslawismus hin und andererseits auf die Bestrebungen des Zarenreiches, seine Machtsphäre deutlich zu vergrößern. Russland konkurrierte zu dieser Zeit mit der großen Seemacht England und war bestrebt, seine Macht nicht nur auf dem Balkan, sondern auch in Asien auszubreiten. In Europa 845 Panslavist rüʼyası. Hayal, No. 360, S. 4. 846 Am Fußende des Bettes steht geschrieben hanım[ın] kırma yatağı, das heißt übersetzt „Das Bett für das Schläfchen der Dame“.
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konkurrierte Russland mit der Donaumonarchie um die Vorherrschaft auf dem Balkan. Unmittelbar von diesen Bestrebungen bedroht fühlte sich auch Großbritannien, denn es fürchtete, dass seine Vormachtstellung im östlichen Mittelmeer durch ein Vordringen Russlands auf dem Balkan in Richtung Konstantinopel ernsthaft in Gefahr geriete. In Asien beschnitten die Expansionsbestrebungen Russlands ebenfalls die Interessensphären Großbritanniens. England befürchtete zum einen, dass Russland seine Herrschaft in Indien ernsthaft bedrohen könnte, zum anderen, dass auch Afghanistan in den Einflussbereich des Zarenreiches geriet. Mit der Ideologie des Panslawismus versuchte Russland ab den 1870er Jahren die slawischen Bevölkerungen zu einen und sie von der osmanischen Herrschaft zu befreien. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelte sich das politische Phänomen Panserbismus, der die Vereinigung aller Südslawen, ungeachtet der Konfession, unter Serbiens Herrschaft propagierte. Der Panslawismus hingegen forderte in erster Linie die Pflege der Kultur und Sprache der Slawen. Gemäß Sinno bekam der Panslawismus durch Russland eine orthodoxe Prägung und wurde bald einflussreicher als der Panserbismus und die Panorthodoxie. Somit wurde die Verbreitung des Panslawismus, zu dessen nachdrücklichen Vertretern der russische Botschafter Ignat’ev gehörte, zum entscheidenden politischen Faktor der russischen Politik auf dem Balkan und zu seiner stärksten Waffe, auf die sie zurückgriff, um ihre eigenen politischen Ziele zu erfüllen. In seiner Kriegserklärung betonte der Zar ausdrücklich die nationalen und slawisch-orthodoxen Faktoren, die Russland zum Krieg veranlasst hätten.847 Während des andauernden Krieges thematisierten die osmanischen Satirezeitschriften auch einzelne Schlachten, aus denen die Osmanen siegreich hervor traten, wie zum Beispiel die Rückeroberung von Sohum im Mai 1877. Dieser Sieg der osmanischen Flotte ermöglichte es dem osmanischen Heer, die Insurrektion der Tscherkessen und Abchazen einzuleiten, die noch dort ansässig waren, damit sie sich den Kampfeinheiten anschlossen, um gegen Russland zu kämpfen. Çaylak kommentierte die Schlacht um Sohum mit expliziteren und aggressiveren Bildern als Hayal.
847 Sinno, “Pan-Slawismus”, S. 543ff.
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Abb. 29.848
Auf Abb. 29 ist zu sehen, wie drei Tscherkessen damit beschäftigt sind, einen großen Sack mit abgeschlagenen Köpfen von Russen füllen. Die Karikatur trägt den Untertitel: „Das sind die Erträge von Sohum, die die Tscherkessen nach Frankreich [als ihren Beitrag zur] Weltausstellung schicken möchten.“ Erneut geht Çaylak aggressiver vor als Hayal und veröffentlicht ein Bild, das die abgeschlagenen Köpfe des Feindes darstellt. Außerdem betont Çaylak, dass die Tscherkessen diese nach Paris schicken möchten, um der Welt die Niederlage des russischen Heeres zu präsentieren, die sie ihm beigebracht haben.849 848 Çerkezler tarafindan fransa ekspozisyonuna gönderilecek sohum mahsülü. Çaylak, No. 157, 2. Haziran 1293 R. [14. Juni 1877], S. 4. Mit dieser Karikatur spielt Çaylak auch auf den Umstand an, dass das Osmanische Reich ebenfalls zuvor auf einigen Weltausstellungen teilgenommen hatte. In der satirischen Presse wurde diese Teilnahme des Reiches auf diesen Ausstellungen auf vielfältige Art und Weise karikiert. 849 In Paris fand im Mai 1878 eine Weltausstellung statt. Wolfgang Piersing, Ein Exkurs durch die bedeutendsten Weltausstellungen von 1851 bis 2005 für Fachleute,
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In ihrer 364. Nummer visualisiert Hayal den Zwei-Frontenkrieg mit der folgenden Karikatur: Abb. 30.850
Auf obigem Bild ist eine Karte zu sehen, welche die Gebiete Russland (Rusya), Krim (Kırım), Kaukasus (Kafkasya), Rumelien (Rum ili) und Anatolien (Anadolu) sowie das Schwarze Meer (Bahr-i siyah) zeigt, ferner einen gigantischer Stechzirkel, auf dem ein kleiner Russe sitzt. Auf der rechten Seite steht ein Abchase, der mit seinem Bajonett den Russen stützt, der droht, von seinem überdimensionalen Stechzirkel herunterzufallen. Von der linken Seite wird der Russe von einem Osmanen gestützt, ebenfalls mit einem Bajonett. Der Text zu dieser Karikatur ist ein Dialog zwischen dem Russen und seinen beiden „Stützen“. Russland sagt: „Oh, ich werde fallen“, woraufhin der Osmane und der Abchasier spöttisch antworten: „[Schau] wir stützen dich ja, widme du dich deinem Interesse an der Geographie!“. Mit diesem Bild veranschaulicht Hayal den Zweifrontenkrieg, den das Osmanische Reich gegen Russland führte und verdeutlicht die Bestrebungen Interessierte und Laien, Norderstedt 2007, S. 66. Das Osmanische Reich war schon zuvor auf verschiedenen Weltausstellungen vertreten. Vgl. Pistor-Hatam, Nachrichtenblatt, S. 307f; Selim Deringil, The Well-Protected Domains. Ideoly and the Legitimation of Power in the Ottoman Empire 1876–1909, London 2011, S. 150ff. 850 Rusya: Aman düşeceğim. Osmanlı ve Abaza: İşte biz sana destek veriyoruz! Sen hemen coğrafya ile meşğuliyyetine bak. Hayal, No. 364, 9. Haziran 1293 R. [21. Juni 1877], S. 4.
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Russlands, die osmanische Hauptstadt zu erobern, denn die linke Spitze des Stechzirkels ist in Istanbul lokalisiert, während die rechte Spitze im Kaukasus steckt. Sowohl der Osmane als auch der Abchase demonstrieren Selbstbewusstsein und zeigen sich entschlossen, ihre Gebiete zu verteidigen. Der Russe und sein Werkzeug sind proportional kleiner als die beiden Krieger. Der Russe scheint sichtlich bestürzt über diese Abwehr der osmanischen Streitkräfte, die er offensichtlich nicht berücksichtigt hatte. Möglicherweise war er sehr mit seinen Berechnungen beschäftigt, als ihn die osmanischen Streitkräfte unterbrachen, denn ihm fällt sowohl seine Schreibfeder als auch sein Geographiebuch aus der Hand. Außerdem deutet die Karikatur durch die ungleichen Proportionen an, dass ein kleiner Russe größere Ziele, symbolisiert durch den Stechzirkel, anstrebt, denen er im Grunde nicht gewachsen ist. Mit der Veröffentlichung dieses Bildes wollte Hayal möglicherweise weiterhin Optimismus verbreiten und zeigen, dass die osmanischen Streitkräfte sich gegen die Pläne Russlands erfolgreich zur Wehr setzten. Ferner äußert Hayal auch mit ihren Bildsatiren den indirekten Wunsch, dass Russland zur Besinnung käme und der Krieg bald ein friedliches Ende fände. Am 23. Juni 1877 veröffentlichte Hayal folgendes Bild: Abb. 31.851
851 Buyrunuz, bir enfiyye çekiniz de aklınız başınıza gelsin. Hayal, No. 365, 11. Haziran 1292 R. [23. Juni 1876], S. 4.
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Oben ist zu sehen, wie Karagöz einem Russen etwas von seinem Schnupftabak anbietet, jedoch enthält die Dose keinen Tabak, sondern einen tscherkessischen Krieger, der mit Säbeln bewaffnet ist. Der Russe scheint nicht mit dem Anblick des Tscherkessen gerechnet zu haben, denn er ist offensichtlich erschrocken von der Figur, die ihm entgegenspringt. Karagöz sagt zu ihm: „Bitteschön, nehmen sie doch eine Prise Schnupftabak (enfiyye), damit sie wieder zur Besinnung kommen.“ Karagöz, der in diesem Fall das Osmanische Reich symbolisiert, präsentiert seinem Feind, Russland, seinen tscherkessischen Kämpfer und möchte damit ausdrücken, dass Russland durch ihn eine Niederlage erfahren wird. Durch den Kampf gegen die Tscherkessen soll das Zarenreich wieder zur Besinnung kommen und auf eine weitere Fortführung des Krieges verzichten. Neben den politischen Bildern, die sich direkt auf Ereignisse bezogen, veröffentlichten Hayal und Çaylak auch einige Karikaturen, die dazu dienen sollten, den Feind zu karikieren und zu verhöhnen. Je heftiger die Kämpfe wurden, desto stärker versuchte vor allem Çaylak, Siegesoptimismus zu verbreiten, denn die osmanischen Truppen konnten vereinzelt Siege von der Kaukasusfront vermelden. Diese nutzte Çaylak, um den Feind zu verspotten und zu schmähen. Jedoch überschritten die russischen Truppen Ende Juni eine psychologisch und strategisch wichtige Grenze, nämlich die Donau, und versetzten somit auch England in Alarmbereitschaft. Zwar leisteten die Streitkräfte der Zentralmacht heftigen Widerstand, aber sie konnten den Donauübergang des russischen Heeres nicht verhindern.852 Wenige Tage bevor die russischen Truppen die Donau überquert hatten, erschien folgende Karikatur in Çaylak:
852 Millman, Eastern Question, S. 303.
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Abb. 32.853
Auf obigem Bild ist ein riesenhafter Zeybeke zu sehen, der Panik unter der Armee von winzig wiedergegebenen Russen verursachte. Ein ähnliches Motiv hatte die Zeitschrift schon zuvor während dem Serbisch-Osmanischen Krieg von 1876 veröffentlicht. Der Untertitel der Karikatur lautet: „Das sind also die berühmten Mücken der Donau; die sind aber ziemlich kümmerlich.“ Çaylak bemühte sich ein letztes Mal, Optimismus und Siegesgewissheit zu verbreiten, denn dies war die letzte Ausgabe dieser Satirezeitschrift. Im Gegensatz zu den vorherigen Karikaturen versuchte Çaylak diesmal, eine offensichtliche und schwere Niederlage zu vertuschen und zu verharmlosen. Erneut diffamiert Çaylak den Feind als harmlosen Winzling, der gegen die übermächtigen osmanischen Kämpfer keine Chance habe. Jegliche militärische Macht wird dem Feind abgesprochen, um somit das eigene Selbstbild zu erhöhen.854 853 Tunanın mehşhur sivri sinekleri bumu? Amma cılız şeyler ha! Çaylak, No. 162, 13. Haziran 1293 R. [26. Juni 1877], S. 4. 854 Derartige Bilder sind, gemäß der Definition von Plum, als Feindbilder zu interpretieren, die die verschiedenen Abstufungen der Feindbilddarstellungen in ihrer Arbeit vorstellt. Sie schreibt „Zunächst geht es oft „nur“ um das LächerlichMachen eines Gegners. Mit der Verunglimpfung des Gegners als lächerliche
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Neben den Karikaturen, die sich unmittelbar auf Ereignisse bezogen, veröffentlichten Hayal und Çaylak auch einige Karikaturen, die nur dazu dienen sollten, den Feind ins Lächerliche zu ziehen und zu verhöhnen.
4.9 Die Kritik von Hayal an der Berichterstattung der osmanischen Presse während der Balkankrise von 1875–1878 Seit ihrer Gründung gehörte die Kritik an der Berichterstattung der osmanischen Presse zur Programmatik von Hayal. Ihre kritische Haltung bezüglich der Nachrichtenkommunikation zeitgenössischer osmanischer Zeitungen behielt sie während der Krisenzeit bei. Osmanische Publizisten waren in jenen Tagen außerordentlich bestrebt, möglichst viele Informationen zu den aktuellen politischen Ereignissen an ihre Leser heranzutragen. In ihrer Berichterstattung beschränkten sich Tageszeitungen wie Basiret oder Vakit keineswegs auf die Veröffentlichung von Telegrammen aus dem Krisengebiet.855 Nachrichten, die in nicht-osmanischen Zeitungen erschienen, wurden ins Osmanisch-Türkische übertragen und publiziert.856 Einige Nachrichtenblätter wie zum Beispiel Sadakat ließen sich sogar, gemäß Hayal, per Post Zeitungen aus Österreich zustellen,
Figur wird das Gefühl eigener Überlegenheit vermittelt. Diese Darstellungen erreichen keine solche Dramatik wie die anderen Typen der Feindbilddarstellungen und entspringen eher einem Siges-Optimismus.“ Der in dieser Arbeit verwendeten Definitionen von Satire folgend, werden die erwähnten Beispiele als politische Bilder, die ebenso Kriterien erfüllen, um als Karikatur gedeutet zu werden. Vgl. Angelika Plum, Die Karikatur im Spannungsfeld von Kunstgeschichte und Politikwissenschaft. Eine ikonologische Untersuchung zu Feindbildern in Karikaturen, Aachen 1998, S. 114ff. 855 Yerlikaya, Vakit, S. 128–138. 1847 führten die beiden Amerikaner Hamlin und Smith Sultan Abdülmecid den elektrischen Telegraphen im Beylerbeyi-Palast vor. Die erste Telegraphenleitung von Istanbul nach Europa wurde 1855 in Betrieb genommen. Zur Einführung der Telegraphie und zum Ausbau des Telegraphennetzes im Osmanischen Reich siehe bei: Roderic H. Davison, Essays in Ottoman and Turkish History 1774–1923. The Impact of the West, Texas 1990, S. 133ff. Zum Telegraphenwesen siehe: Roland Wenzelhuemer, Connecting the Nineteenth-Century World. The Telegraph and Globalization, Cambridge 2013; Osterhammel, Verwandlung, S. 1023–1029; Florian Sprenger, Medien des Immediaten. ElektrizitätTelegraphie-McLuhan, Berlin 2012. 856 Yerlikaya, Basiret, S. 122 und Yerlikaya, Vakit, S. 49f.
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die aktuelle Nachrichten aus der Krisenregion enthielten, um diese dann an ihre Leser weiterzugeben.857 In der 184. Nummer von Hayal erschien eine Meldung, die bekannt gab, dass die Zeitungen, die im Viertel Beyoğlu verlegt wurden, angeblich eine Deklaration des Gouverneurs von Bosnien publizierten,858 die sie der Wiener Zeitung Danube (Donau) entnommen hätten. Von offizieller Stelle wurde diese Nachrichte dementiert. Bemerkenswert an diesem Ereignis war für Hayal vor allem, dass die Zeitungen, die innerhalb der Grenzen des Osmanischen Reiches erschienen, eine solch offizielle Erklärung, die ursprünglich in der betreffenden Provinz abgegeben worden sei, den österreichischen Zeitungen entnahmen. In diesem Beitrag stellt Hayal deshalb die Frage, ob diese Zeitungen denn nicht bedacht hätten, dass dies ihre journalistische Ehre verletze, wenn sie unwahre Nachrichten aus ausländischen Periodika an ihre Leser weitergäben. Hayal kritisierte diese Journalisten sehr scharf und schrieb dazu: Wenn ich Journalist wäre, dann würde ich mich nicht dazu herablassen, eine offizielle Erklärung aus einer Provinz meiner Regierung aus einer fremden Zeitung zu übernehmen.859
Ferner wird aus diesem Beitrag deutlich, dass sowohl die osmanische als auch die ausländische Presse die Ereignisse auf dem Balkan mit regem Interesse verfolgten. Auch das Presseamt schien die Berichterstattung der osmanischen Zeitungen scharf zu beobachten. Oft stand in jener Zeit die Berichterstattung von Basiret im Fokus von Hayal, wie zum Beispiel der folgende Beitrag: Bedauernswerte Basiret, [diese Zeitung arbeitet so fleißig] und schreibt sowohl Artikel als auch Aufsätze [und unternimmt vieles weitere mehr], um die Bevölkerung der Herzegowina von der Rebellion abzubringen. Mal beschimpft sie sie und verbannt sie förmlich, mal versucht Basiret sie mit ihrem Charme zu besänftigen. Je nach Situation predigt sie mal zu ihnen und erteilt ihnen Ratschläge. […] Aber was nützt es denn? Die Gehässigen sind in der Überzahl.860
857 Da die HTU diese Zeitung nicht in ihrem digitalen Archiv hat, konnten keine Ausgaben stichprobenartig bezüglich dieser Angaben gemacht werden. 858 Seit 1283 H./1866–7 erschien auch in Bosnien eine Wilajetzeitung. Vgl. Ursinus, “ṢANʿĀʾ”, S. 104. 859 Hayal, No. 184, 7. Ağustos 1291 R. [19. August 1875], S. 1–2. 860 Hayal, No. 196, 4. Eylül 1291 R. [16. September 1875], S. 1.
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Um das verstärkte Informationsbedürfnis der Bevölkerung zu befriedigen, begannen einige osmanischsprachige Zeitungen, wie zum Beispiel Vakit oder Basiret,861 mit der Publikation von Sonderausgaben und Abendbeilagen.862 Gemäß Hayal erschien Vakit nun täglich zwei Mal, morgens und abends.863 Angeblich beabsichtigte der Herausgeber von Şems (Sonne), stündlich Sonderausgaben aufzulegen, bis die „Herzegowina-Angelegenheit“ (Hersek meselesi) ein Ende gefunden habe.864 Diese Sonderbeilagen gaben Hayal Anlass, sich spöttisch über diese zu äußern, da sie ihr besonders missfielen.865 Verschiedenen Beiträgen ist der Vorwurf gegen die Verleger dieser Periodika zu entnehmen, dass sie die aktuelle politische Situation für die Steigerung ihres eigenen Profits ausnutzten.866 Für diese Sonderausgaben, die gemäß Hayal lediglich auf einem halben Bogen Papier gedruckt wurden, verlangten die Herausgeber angeblich genauso viel Geld wie für ihre Hauptausgaben, die aus zwei bedruckten Bögen bestanden.867 Nachdem die Konflikte auf dem Balkan im Frühjahr 1876 neue Ausmaße erreichten, verdichtete sich dementsprechend die Anzahl von Beilagen.868 Dies verursachte nicht nur Verärgerung bei Hayal, sondern auch bei der Hohen Pforte. Deshalb versuchte die Reichsführung mittels administrativer Maßnahmen der wachsenden Anzahl der Beiblätter Einhalt zu gebieten.869 Zeitungen durften anscheinend künftig nur noch Sonderausgaben veröffentlichen, wenn sie zuvor eine Genehmigung hierfür erhalten hatten. Nach dem Ausbruch des Russisch-Osmanischen Krieges von 1877–1878 fokussierte Hayal verstärkt die Berichterstattung von Takvim-i Vekayi, Basiret und Vakit. Sie prangerte Fehlinformationen und Ungereimtheiten an, die sie dabei entdeckte. Obwohl Vakit und Basiret ihre Informationen aus den Berichten des 861 Hayal, No. 190, 21. Ağustos 1291 R. [2. September 1875], S. 1. Bei der stichprobenartigen Untersuchung dieser beiden Zeitungen konnten keine Sonderausgaben ausfindig gemacht werden. Dies hat allerdings nicht zu bedeuten, da es keine gab. Osmanische Zeitungen aus diesen Jahren sind zum Teil nicht vollständig archiviert oder erhalten. Siehe Fn. 215. 862 Hayal, No. 188, 12. Ağustos 1291 R. [24. August 1875], S. 2. 863 Hayal, No. 190, S. 1. 864 Ibidem. 865 Hayal, No. 202, 18. Eylül 1291 R. [30. September 1875], S. 1. 866 Hayal, No. 266, 26. Haziran 1292 R. [8. Juli 1876], S. 4. 867 Gemäß Hayal, veröffentlichte die Zeitung Şems (Sonne) in ihren Sonderausgaben sogar Fotografien aus der Krisenregion. Vgl. Hayal, No. 192, 26. Ağustos 1291 R. [7. September 1875], S. 1. 868 Yerlikaya, Basiret, S. 96ff., 134f. 869 Server İskit, Türkiyeʼde Matbuat İdareleri ve Politikaları, Ankara 1943, S. 41.
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amtlichen Blattes Takvim-i Vekayi bezögen, gäben sie trotzdem andersgeartete Informationen weiter. Im Vordergrund dieser Kritik steht nicht nur der Inhalt der Nachrichten, sondern erneut die mangelhaften journalistischen Fähigkeiten der osmanischen Berichterstatter.870 Wiederholt kritisiert Hayal auch die Flut der Beilagen, die die Zeitungen vor diesem neuen Hintergrund des Krieges herausbrachten, und ihren Hunger nach neuen Nachrichten.871 In ihrer 352. Nummer verspottet sie dies mit folgendem Bild: Abb. 33.872
Auf der linken Seite des Bildes sitzen zwei Journalisten der Zeitung Selamet, einer von ihnen ist über sein Ohr direkt mit dem im Hintergrund erkennbaren hölzernen Freileitungsmasten des Telegrafennetzes verbunden und überträgt sogleich die Nachrichten, die er über das Netz empfängt, in seine Zeitung. Auf der rechten Seite steht Karagöz mit einem Stock in der Hand und ist über die Praxis seiner Kollegen offensichtlich sehr verärgert und sagt zu den Journalisten von 870 Hayal, No. 344, 23. Nisan 1293 R. [5. Mai 1877], S. 2–3. 871 Hayal, No. 344, S. 2–3; Hayal, No. 346, 28. Nisan 1293 R. [10. Mai 1877], S. 3; Hayal, No. 356, 21. Mayıs 1293 R. [2. Juni 1877], S. 3. 872 Hayal, No. 353, 14. Mayıs 1293 R. [26. Mai 1877], S. 4.
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Selamet: „Ok, jetzt habt ihr einen Weg gefunden, wie ihr schnell an Nachrichten kommt“.873 Den Journalisten scheinen alle Mittel recht zu sein, um so schnell wie möglich an Informationen kommen. Ihre Gier nach neuen Nachrichten schien so groß, dass sie sogar staatliche Kommunikationsmittel für ihre Zwecke missbrauchten und somit funktionsunfähig machten, da sie offensichtlich die Leitung druchbrachen. Hayal sah es offensichtlich als ihre Pflicht an Falschmeldungen zu korrigieren. Zum einen, um dem Sensationsjournalismus Einhalt zu gebieten und zum anderen, um ihre Leser zum Reflektierten sowie kritischen Umgang mit Printmedien anzuhalten. Dieser Umstand verdeutlicht, dass Hayal die Intention hegte, zur seriösen Meinungsbildung ihrer Leser beizutragen. Verstärkt kritisierte und verspottete Hayal in jenen Tagen die verhasste amtliche Presse, die ihrer Meinung nach nur Unwahrheiten verbreitete. So ist am 4. Juni 1293 in Hayal, zu lesen, dass die Wilajetzeitungen eher zur Verdummung der Bevölkerung beitrügen, und die Bewohner der jeweiligen Provinzen durch die Lektüre dieser Periodika sogar das vergäßen, was sie schon wussten.874 Auch die anderen Zeitungen sowie ihre Journalisten standen bis zum Verbot von Hayal weiterhin im Kreuzfeuer der Kritik. Die Presse, insbesondere die satirisch ausgerichtete Presse, unterlag nach dem Ausbruch der Rebellionen strenger amtlicher Kontrolle.875 Vermutlich waren deshalb die kritischen Töne zumeist zwischen den Zeilen und in den politischen Bildern versteckt, aber dennoch vorhanden. Allerdings beschränkten sich die osmanischsprachigen Satirezeitschriften in ihrer Berichterstattung darauf, nur von Erfolgen zu berichten. Deshalb stand auch lediglich der unterlegene Feind im Fokus. Während des Krieges mit Serbien oder Montenegro tauchten die Montenegriner, mit wenigen Ausnahmen, in keiner Karikatur auf, da diese siegreich aus der Schlacht hervorgingen. Die osmanische Reichsführung fürchtete offensichtlich die Macht der Karikaturen, da sie das Potential in sich bargen, die öffentliche Meinung zu ihren Ungunsten zu beeinflussen. Politische Bilder, die deutlich Missstände ansprachen oder Entscheidungen des Sultans kritisierten, waren nicht gern gesehen und wurden unmittelbar geahndet. In den letzten Monaten vor dem endgültigen Verbot von Hayal, befand sich Kasap bereits in Haft. Nach jahrelangen Zwistigkeiten mit den Behörden und zahlreichen Gerichtsverfahren wurde Theodor 873 Tamam! … İşte şimdi bulmuşsunuz çabuk havadis almanın yolunu! Hayal, No. 353, S. 4. 874 Hayal, 362, S. 2. 875 Cevdet Kudret, Abdülhamit Devrinde Sansür, Istanbul 1977, S. 8ff.
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Kasap wegen seiner offenen Kritik an der osmanischen Verfassung zu einer dreijährigen Freiheitsstrafe verurteilt. Obwohl die osmanische Presse bereits seit dem Herbst 1876 über eine Verfassung diskutierte, wurde sie von ihr nicht mit ungeteilter Freude aufgenommen. Hayal war während dieser Zeit für drei Monate suspendiert worden. Gleich in ihrer ersten Nummer, nach Ablauf der Suspendierungsfrist, verkündet Hacivat seinem Freund Karagöz die freudige Botschaft, dass sich sein Wunsch erfüllt habe und die Nationalversammlung einberufen worden sei. Karagöz zeigt sich über diese Nachricht wenig erfreut und weist seinen Freund auf die Klausel matbuat kanun dairesinde serbestdir (Die Presse ist innerhalb der gesetzlichen Richtlinien frei) hin. Die Freiheit der Presse war für Hayal von Anfang an ein wichtiges Anliegen, deshalb kritisierte sie die Zeitungen scharf, die behaupteten, dass nun Pressefreiheit herrsche und die nun „irgendwelchen Quatsch über alle mögliche Personen“ schrieben. „Wenn sie deshalb die Pressefreiheit haben wollten, ist dieser Grad an Freiheit jedoch bedenklich“, schrieb Hayal dazu.876 Ebenso missfiel Hayal der Diskurs in der osmanischen Presse über die osmanische Verfassung, da sie sich nicht kritisch mit ihrem Inhalt auseinander setzte. Im Zuge der Auseinandersetzung mit der Zeitung Takvim-i Vekayi geriet zunehmend auch Ahmed Midhat persönlich in die Schusslinie von Hayal. Dieser hatte nämlich als Gunstbezeugung des Sultans für die Änderung seiner politischen Linie den Direktorposten an der großherrlichen Druckerei übertragen bekommen, die unter anderem auch den osmanischen Staatsanzeiger druckte. Die Sanktionsmaßnahmen ließen nicht lange auf sich warten. Aufgrund der fortlaufenden Anfeindungen wurden Sanktionsmaßnahmen gegenüber Hayal angedroht.877 In gewohnter Manier blieb das Blatt davon reichlich unbeeindruckt und kommentierte diese amtliche Drohung mit reichlich Spott und Häme in der anschließenden muhavere.878 Kasap gehörte zu den schärfsten Pressekritikern seiner Zeit. Für ihn war die Presse ein wichtiges Instrument für Meinungsbildung, Bildung sowie (politische-) Kommunikation. Durch seinen langjährigen Aufenthalt in Europa kannte er das dortige Pressewesen sehr gut. Vermutlich deshalb erschien ihm die Presse im Osmanischen Reich nicht fortschrittlich genug, da sie seiner Meinung nach nicht ihre Aufgabe erfüllte, nämlich ihr Publikum wahrheitsgemäß und umfassend zu informieren. Er war der Ansicht, dass die osmanischen Periodika ihre
876 Hayal, No. 302, S. 1–3. 877 Hayal, No. 348, 3. Mayıs 1293 R. [15. Mai 1877], S. 1. 878 Ibidem.
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Seiten mit allerlei Lobesworten und Belanglosigkeiten füllten, die keinerlei Relevanz hatten, sowie Lügen und Gerüchte verbreiteten. Aufgrund seines kontinuierlichen Kampfes gegen die anderen zeitgenössischen osmanischen Zeitungen und Zeitschriften blieb auch Kasap nicht unberührt von deren Kritik und Anfeindungen. Neben zahlreichen Klagen, unterstellten ihm wohl seine „Feinde“ wie Basiretci Ali, mit den Russen zu sympathisieren.879 Zudem kritisierte Hayal, dass die anderen osmanischen Blätter zwar über den Krieg berichteten, aber kein Wort zu den wahren Ursachen und den Hintergründen dieser erneuten militärischen Konfrontation mit Russland schrieben.880 Zusammenfassend ist festzustellen, dass die untersuchten osmanischsprachigen Satirezeitschriften zur Entwicklung und Etablierung eines Feindbildes beitrugen, indem sie ihren Gegnern in den veröffentlichten Karikaturen eine Gestalt verleihen. Interessanterweise erschienen in den politischen Bildern kaum reguläre Soldaten der Hohen Pforte, sondern lediglich die tscherkessischen, zeybekischen und kaukasischen Kämpfer. Vermutlich wollten die Karikaturisten nicht den Zorn der Behörden auf sich ziehen, die die Karikaturen falsch interpretierten und davon ausgingen, dass die regulären Truppen des Reiches Gegenstand des Spottes waren, denn missverständliche Interpretationen von Karikaturen war keinesfalls die Ausnahme. Auch die Insurgenten aus Bosnien und der Herzegowina erschienen keineswegs in den Karikaturen, vermutlich weil sie offiziell Untertanen des Reiches waren, auch wenn sie sich gegen die osmanische Herrschaft aufgelehnt hatten. Das Feindbild konzentrierte sich in der ersten Phase vornehmlich auf Serbien und seine Führungskräfte. Neben Serbien und Russland standen auch Europa und die Europäer in der Kritik der osmanischsprachigen Satirezeitschriften, die sich gierig und hinterhältig in die inneren Angelegenheiten des Osmanischen Reiches einmischten. Ähnlich wie die westlichen Satirezeitschriften, kreierten die untersuchten Satirezeitschriften ebenfalls ein stereotypes Bild. Als Beispiel ist das Bild von Europäern aufzuführen, die entweder zivil in Frack und Zylinder oder in ihren Militäruniformen in Erscheinung traten. Nach dem Ausbruch des Russisch-Osmanischen Krieges rückte vornehmlich das Zarenreich in den Fokus der Kritik, das hinterhältig seine Ziele verfolgte. In den meisten Karikaturen wirkten die Feinde keineswegs bedrohlich, sondern eher als lächerliche Figuren, die mit Leichtigkeit besiegt werden konnten,
879 Hayal, No. 354, S. 1. 880 Hayal, No. 359, S. 1f.
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da ihnen sowohl in den Karikaturen als auch in den literarischen Beiträgen jegliche Kampfkraft und jeglicher Kampfwillen, sowie sämtliche militärische Fähigkeiten abgesprochen wurden. In einigen politischen Bildern werden die Serben oder Russen als tölpelhafte Gestalten dargestellt, die sofort panisch flohen, wenn sie auch nur einen Kämpfer der osmanischen Armee erblicken. Vor allem aber unterstützen die Größenverhältnisse der Figuren in den Karikaturen die Bedrohungssuggestionen; gegenüber den osmanischen Kämpfern treten die Feinde vergleichsweise sehr klein in Erscheinung. Kritische Äußerungen gegenüber der eigenen militärischen Führung, den Soldaten oder den Kämpfern sind in keinem der untersuchten Blätter zu finden. Vielmehr werden sie als heroische Riesen dargestellt, die mühelos den “Feind” besiegen können. Aber auch die zunehmende Kritik gegenüber der osmanischen Herrschaft, die ebenfalls durch ihre angeblich lethargische Haltung wesentlich zum Ausbruch dieses Krieges beigetragen haben soll, blieb nicht aus.881 Die Kritik gegenüber der Hohen Pforte wird allerdings nicht direkt und explizit zur Sprache gebracht, sondern erfolgt indirekt durch die Karikaturen, die erst nach der Kriegserklärung Russlands an das Osmanische Reich Ende April 1877, folglich für eine sehr kurze Zeitspanne von wenigen Wochen erscheinen. Die Aktivitäten von Europäern im Osmanischen Reich erfahren in den osmanischen Satirezeitschriften direkte wie auch indirekte Kritik, wie aus den obigen Bildsatiren deutlich wird.882 Die osmanischsprachigen Satireblätter waren bereits unter Mahmud Nedim Pascha verhasst. Die Karikaturen missfielen ihm außerordentlich. Mit einem Beschluss vom 13. Januar 1876 ließ er die Vorzensur für Karikaturen einführen, die erst veröffentlicht werden durften, wenn sie durch die entsprechende Behörde für den Druck freigegeben wurden. Aufgrund der zahlreichen Repressalien, denen die Satireblätter in diesen Jahren ausgesetzt waren, war ihr Kampf für ihre Existenzberechtigung erfolglos. Die mitlitärischen Auseinandersetzungen zwischen dem Zarenreich und dem Osmanischen Reich spitzten sich im Jahresverlauf zu. Die osmanische Führung duldete angesichts der äußerst 881 Erst nach dem Ausbruch des Russisch-Osmanischen Krieges von 1877–1878 erschien die Figur eines Osmanen mit einem çubuk (lange Tabakpfeife). Vgl. Hayal, No. 305, S. 4, Abb.8, Abb. 19 und Abb. 22 in dieser Arbeit. 882 In einer Bildsatire, die in Hayal No. 305 wird die Dame Europa sogar als kokona. Gemäß Yeni Redhouse ist dieses Wort die Bezeichnung für eine ältere griechische Dame. Vgl. Redhouse, S. 670. Umgangssprachlich wird dieses Wort als herablassende Bezeichnung für ältere Damen verwendet, die trotz ihres Alters aufwendig zurechtgemacht ist und noch sehr auf ihr äußeres Erscheinungsbild bedacht ist. Hayal, No. 305, 23. Kânun-i evvel 1292 [sic!]; S. 4.
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angespannten und bedrohlichen Situation offensichtlich keinerlei Satire mehr. Jegliche Instrumente der Kritik an der Hohen Pforte wurden unterbunden. Es durften weder Satirezeitschriften erscheinen noch durfte das Schattentheater Karagöz aufgeführt werden. Ebenso war auch das Theater von Güllü Agop von Sanktionen betroffen. Hayal erschien noch bis zum 30. Juni 1877 und Çaylak musste bereits am 25. Juni 1877 seine Publikation einstellen.
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5. Die Balkankrise von 1875–1878 im Spiegel von Punch 5.1 Die Anfänge der Balkankrise Nach dem Ausbruch der herzegowinischen Rebellionen im Juli 1875 veröffentlichte Punch, wie Hayal, vorerst allein literarische Satiren, die Bezug auf die Unruhen nahmen. Möglicherweise hoffte die britische Regierung ebenfalls auf eine rasche Pazifizierung.883 Erst am 20. November 1875, erschien in Punch eine Karikatur, die zwar keinen unmittelbaren Bezug auf die Rebellionen auf dem Balkan nahm, aber die Haltung der westlichen Mächte gegenüber dem Osmanischen Reich karikierte.884 Abb. 34.
Um die einzelnen Mächte darzustellen, konnten die Karikaturisten von Punch auf einen breiten Fundus an Sinnbildern, Allegorien und Symbolen zurückgreifen. Für die Abbildung des Osmanischen Reiches griff Punch auf die Allegorie des Truthahns zurück, wie dies schon zuvor während dem Krimkrieg. Im englischen Sprachgebrauch bezeichnet das Wort „Turkey“ nämlich zum einen
883 Millman, Eastern Question, S. 19f. 884 Punch, Bd. 69, 20. November 1875, S. 209.
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die „Türkei“ und zum anderen auch den Truthahn.885 So war es naheliegend, dieses Geschöpf als Symbol für das Osmanische Reich einzusetzen. Für die Illustration der anderen Akteure gebrauchte Punch Symbole, die von ihren Karikaturisten während dem Krimkrieg entworfen worden waren oder aber älteren Datums waren.886 Der gekrönte Bär, das Sinnbild Russlands, hatte sich bereits seit dem 18. Jahrhundert zu einem festen Repräsentanten des Zarenreiches entwickelt.887 Für die Darstellung des Deutschen Reiches und für Österreich-Ungarn setzten die Karikaturisten die gekrönten Wappentiere dieser Reiche ein, den Doppeladler. Jedoch ließen sie bei der Illustration des Deutschen Reiches außer Acht, das seit 1871 nicht mehr den Doppeladler als Wappentier führte, sondern den einköpfigen Adler. Als Nationalallegorie Großbritanniens tritt hier der gekrönte Löwe auf. In obiger Karikatur erscheint das Osmanische Reich, wie bereits erwähnt, als Truthahn, der einen Fez auf seinem stolzen Haupte trägt. Er hat seinen sicheren Unterschlupf verlassen und wird umkreist von den westlichen Mächten, die ihm Ratschläge erteilen. Diese Karikatur thematisiert die Reformvorschläge der Großmächte, die sie der Hohen Pforte im Anbetracht der angespannten Situation auf dem Balkan unterbreiteten. Der Titel dieser Karikatur lautet dementsprechend „Objektive Berater“. Das Umwerben und die Ratschläge, die Russland, Deutschland und Österreich-Ungarn dem Truthahn unterbreiten, haben offenbar sein Misstrauen erweckt; um sein Vertrauen zu gewinnen, reden sie ihm gut zu „Du musst wissen, lieber Truthahn, unser hauptsächliches Anliegen ist nur dein Wohlergehen“.888 Der Titel dieses Bildes steht im Widerspruch zu seinem Inhalt. Denn die sogenannten Ratgeber sind keineswegs unparteiisch, bei allen außenpolitischen Aktionen hatten sie stets ihre jeweiligen Interessen im Blick, wie es das Bild des Bären verdeutlicht. Beim Anblick des Truthahns, der ihm
885 Seit dem Krimkrieg verkörperte der Truthahn in europäischen Bildsatiren eine schwache Gestalt, die aufgrund ihrer Physiognomie nicht in der Lage ist sich selbst zu behaupten. Auch andere Karikaturisten, wie zum Beispiel die Zeichner von Kladderadatsch übernahmen die Allegorie des Truthahnes, um damit das Osmanische Reich darzustellen. 886 Vgl. Punch, Bd. 24, 29. Januar 1853, S. 45. 887 Oliver Stenzel, “„The Mad Czar“ und „King Clicquot“: Russland und Preußen als Feindbilder in den Karikaturen des „Punch“”, in: Georg Maag (Hg.), Der Krimkrieg als erster europäischer Medienkrieg, S. 139–162, S. 141. 888 You must feel, dear Turkey, our only object is your good! Punch, Bd. 69, 20. November 1875, S. 209.
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eine willkommene Mahlzeit scheint, läuft ihm schon offensichtlich das Wasser im Munde zusammen.889 Der Truthahn scheint von ihren Anweisungen wenig beeindruckt zu sein, denn er starrt apathisch nach vorn. Flüchten kann er nicht. Seine Füße sind durch seine Schulden gefesselt, denn auf seinen Fußfesseln ist die Schrift „Bonds“ zu lesen. Seine Schulden werden ihm nun zum Verhängnis. Oft nutzten die Gläubiger die finanzielle Abhängigkeit der Hohen Pforte, um politischen Druck zur Durchsetzung eigener Interessen auszuüben. Infolgedessen blieb dem Truthahn keine andere Wahl, als sich ihre Ratschläge anzuhören. Vor allem Russland und Deutschland stehen ihm bedrohlich nahe. Allein der Löwe hält sich im Hintergrund, was mit der zurückhaltenden Politik Englands zu deuten ist; sein Blick ist auf ein Schild gerichtet, auf dem „Good Security“ zu lesen ist. Großbritannien war nämlich in großer Sorge um seine Schuldscheine, denn am 6. Oktober 1875 bekundete die Hohe Pforte öffentlich ihre Zahlungsunfähigkeit und kündigte an, dass sie in den nächsten Jahren allein die Hälfte der Zinsen ihrer Auslandsanleihen zurückzahlen könne.890 Seit dem Krimkrieg hatte England der Hohen Pforte große Summen geliehen und war demzufolge an ihrer Rückzahlung interessiert. Folglich blieben die Zahlungsunfähigkeit und die ungedeckten Schuldscheine weiterhin im Fokus von Punch.891 Im Anbetracht der bedrohlich zugespitzten politischen Lage auf dem Balkan gestaltete Punch dementsprechend seinen Ausblick für das neue Jahr 1876 (The New Year’s look-out).892 Es schien, dass die Klärung der Orientalischen Frage die größte Herausforderung des neuen Jahres sein würde. Ein junger Knabe verkörpert hier das neue Jahr, dem Father Time, der hier in der Gestalt des Mr. Punch auftritt, den Ratschlag erteilt: „Überlege dir genau, welchen Weg du einschlägst, kleiner Mann.“893
889 Im Juli 1875 schlug das Zarenreich ein kollektives Vorgehen der drei Kaiserreiche in dieser Angelegenheit vor. Durch identische Instruktionen an die jeweiligen diplomatischen Vertreter in Konstantinopel sollten diese eine rasche Aussöhnung zwischen den Insurgenten und der Hohen Pforte erwirken. Vgl. Hünigen, Balkanpolitik, S. 29f. 890 Millman, Eastern Question, S. 27. 891 Vgl. Punch, Bd. 70, 20. Mai 1876, S. 203. 892 Titelseite von Bd. 70. 893 Mind how you go, my little Man!
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Abb. 35.
In obigem Bild ist die Grundstimmung recht düster gehalten, möglicherweise um das Unheil deutlicher zu visualisieren, das bevorsteht. Der Osmane liegt bereits auf dem Boden, in dem er sich mit letzter Kraft auf seine Hände stützt. Über ihm befinden sich die Doppeladler (Deutschland, Russland, Österreich-Ungarn) im Anflug, die gierig wie Geier ihre Klauen ausgestrecken. Sie scheinen auf sein Ableben zu warten, um sich ihren Anteil an der Beute zu sichern. Auf der rechten Hälfte des Bildes ist noch das hintere Stück einer großen Schlange zu sehen, worauf die Aufschrift „Eastern Question“ geschrieben ist. In diesem Kontext symbolisiert die Schlange das Böse und die Niedertracht und vervollständigt das Bild des unheildrohenden Jahresausblicks.894 Punch rückt lediglich die Unterzeichner des Dreikaiserbundes, das Zarenreich, das Deutsche Reich und Österreich-Ungarn, in dem Mittelpunkt. Der Grund hierfür, weshalb allein sie im Mittelpunkt der Kritik standen, ist mitunter dadurch zu erklären, dass die Interessen Englands mit den politischen Zielen der Signaturmächte des Dreikaiserabkommens kollidierten. Deshalb zielte Disraelis
894 In den unterschiedlichen Kulturen und Mythen ist die Rezeption der Schlange divergent. Im christlichen Kulturkreis symbolisiert sie jedoch das Böse. Vgl. Christopher Partridge (Hg.), Das große Handbuch der Weltreligionen, 3. Aufl., Wuppertal 2006, S. 468.
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Politik vornehmlich auf die Sprengung dieses Abkommens ab.895 Zu den unmittelbaren Interessen Englands gehörte es primär, das Vordringen Russlands in das Mittelmeer zu verhindern. Großbritannien war bereits seit 1875 Hauptaktionär des Suez-Kanals.896 Infolgedessen war es bestrebt, mit aller Macht zu verhindern, diese große Investition und den Seeweg nach Indien der drohenden russischen Gefahr auszusetzen. Die Bündnispartner in den Karikaturen erscheinen als treibende Kräfte, die die Interessensphären Großbritanniens gefährden. Daher stellen sie gemeinsam die Aggressoren dar, die dem Osmanischen Reich feindlich gesinnt sind und kooperativ agieren, während andere europäische Mächte wie Frankreich, Italien und natürlich England außen vor bleiben. Um diese Interessenallianz zwischen Österreich-Ungarn, Russland und Deutschland deutlich hervor zu heben, verwendete der Karikaturist zu deren Darstellung dasselbe Symbol, den Doppeladler.897 Nach Punch agieren in der ersten Phase der Krise die Mächte Russland, Deutschland und Österreich-Ungarn stets vereint und sind bestrebt, ihren stärksten Opponenten, England, an ihre Seite zu ziehen. Andrássy versuchte bereits 1872, England als Bündnispartner zu gewinnen. Allerdings scheiterte sein Angebot am Desinteresse der englischen Regierung.898 Punch publizierte am 29. Januar 1876 folgende Karikatur, die das erneute Werben Österreichs darstellt, sich an der Einverleibung des „Turkey“ (Truthahn) zu beteiligen.899
895 Schmidt, “Balkankrise”, S. 37. 896 Wie es eine Karikatur in Punch darstellt, war der Suez-Kanal der Schlüssel für Indien aus der Sicht Disraelis, Punch, Bd. 68, 11. Dezember 1875, S. 245; Punch, Bd. 70, 26. Februar 1876; Punch, Bd. 69, 4. Dezember 1975, S. 228. 897 So einig, wie sie die Karikaturen darstellen, sowohl die des Punch als auch des Kladderadatsch, waren die Unterzeichner des Dreikaiserabkommens nicht. Die politischen Ziele und Interessen Österreich-Ungarns und Russlands standen sich in sehr vielen Punkten entgegen oder waren gar nicht miteinander vereinbar. Vgl. Hünigen, Balkanpolitik, S. 20ff. Nicht einmal Ignat’ev und Gorčakov, die ihre Rivalitäten offen austrugen, waren sich in allen Punkten der russischen Balkanpolitik einig. Während Ignat’ev in St. Petersburg eine gewisse „Turkophilie“ nachgesagt wurde, verfolgte sein Rivale eine entgegengesetzte Politik. Ibidem, S. 28f. 898 Kos, Die Politik, S. 64. 899 Punch, Bd. 70, 29. Januar 1876, S. 25.
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Abb. 36.
Gemeinsam sitzen Wilhelm I. und Alexander II. am Tisch. Dort steht ein TischService, welches die Aufschrift „Turkey“ trägt, als Sinnbild für das Osmanische Reich. Der österreichische Kaiser, der sich von seinem Platz erhoben hat, lädt Britannia ein, sich zu ihnen zu gesellen, damit sie gemeinsam das Truthahngericht verspeisen. Ähnlich wie in den Karikaturen von Kladderadatsch, erscheint das Osmanische Reich hier als „Mahlzeit“, welche schon fertig zubereitet und angerichtet, auf ihre Einverleibung wartet. Britannia gibt sich nachdenklich und zögerlich, sie kann sich nicht recht entscheiden, ob sie den Stuhl, dessen Lehne sie schon ihrer Hand hält, zum Tisch heranziehen soll oder ob sie dieser Gesellschaft fernbleiben will. Alle Blicke sind auf sie gerichtet. Sie spricht zu sich selbst: „Ich nehme an, ich muss. Herr Gott! Was hätte Pam dazu gesagt?“ Aus dem Kontext der Karikatur geht nicht hervor, wer mit Pam gemeint ist, jedoch handelt es sich vermutlich um Palmerstone, den britischen Premierminister,900 der bereits im Pariser Frieden dafür
900 Palmerstone prägte die britische Politik bezüglich der „Orientalischen Frage“ maßgeblich. Palmerstone hatte bereits vor 1854 versucht, die Hohe Pforte zur Durchführung von militärischen- und Fiskalen Reformen zu bewegen, um einen
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gesorgt hatte, Konstantinopel und die Meerengen vor einem russischen Zugriff zu schützen. Die Karikatur lässt die Entscheidung Britannias offen, aber weist darauf hin, dass sie sich möglicherweise gezwungen fühlt, trotz ihrer Bedenken dennoch mit den anderen Mächten zu kooperieren, um eine drohende politische Isolation zu vermeiden. Die Unschlüssigkeit Britannias deutet auf die innere Zerrissenheit der englischen Politik hin, denn in jenen Jahren wurden mehrere Optionen für eine mögliche Zusammenarbeit mit Österreich-Ungarn und dem Zarenreich entworfen. Die erste Option bestand aus einer Übereinkunft zwischen England und der Donaumonarchie, die aus einer vertraglich geregelten Sicherheitspartnerschaft auf dem Balkan bestand, um das Vordringen des Zarenreiches in dieses Gebiet zu unterbinden.901 Allerdings misstraute besonders Elliot den politischen Ambitionen Andrássys, die seiner Meinung nach besonders die Integrität und Stabilität des Osmanischen Reiches gefährdete.902 In dieser ersten Phase der Balkankrise war er nicht bereit, sich mit den Bündnispartnern des Dreikaiserbundes zusammen-zuschließen.903 Auch Salisbury stand dieser Option äußerst kritisch gegenüber und schloss jeglichen Zusammengang mit der Donaumonarchie kategorisch aus.904 Die zweite Option bestand aus einem Interessenausgleich zwischen England und Russland;905 für Salisbury war dies zweifelsfrei die geeignetere Gangart. Auffällig an dieser Karikatur ist, dass der Karikaturist lediglich bei der Darstellung Großbritanniens auf dessen Nationalallegorie zurückgriff, während er für die Illustration der anderen Mächte deren „reale“ Herrscher einsetzte.
5.2 Die Karikierung der Unruhen auf dem Balkan Nachdem es der Hohen Pforte nicht gelang, wie von der britischen Regierung erwünscht, eine Einstellung der Kampfhandlungen auf dem Balkan herbeizuführen, rückten die dortigen Ereignisse zunehmend in den Fokus der Bildsatiren von Punch. Im Juni 1876 kam folgende Karikatur heraus:
stärkeren Pufferstaat gegen Russland aufzubauen. Vgl. Millman, Eastern Question, S. 2. 901 Schmidt, “Balkankrise”, S. 39. 902 Millman, Eastern Question, S. 21f. 903 Ibidem, S. 24, S. 34f. 904 Schmidt, “Balkankrise”, S. 38. 905 Ibidem, S. 37.
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Abb. 37.
Hier ist zu sehen, wie ein kräftig gebauter Osmane gemütlich seines Weges geht, während ein Kosak, ein weiteres Symbol für das Zarenreich, bereits mit seinen „Dogs of War“ hinter ihm steht und drauf und dran ist, sie auf ihn loszulassen.906 Auf ihren Halsbändern stehen die Namen der aufrührerischen Provinzen Herzegowina, Serbien, Montenegro und Bosnien. Die Hunde werden in dieser Karikatur nicht als Nationalallegorien der jeweiligen Gebiete eingesetzt, auch wenn sie die Namen der Provinzen auf ihren Halsbändern tragen. In diesem Kontext erscheinen sie als „Werkzeuge“ Russlands, der sie nur mit Mühe bändigen kann und mit beiden Händen ihre Leinen festhalten muss, damit sie nicht über den Osmanen herfallen. Er scheint der einzige zu sein, der noch Gewalt über seine „Schützlinge“ hat. Allerdings, so vermittelt es das Bild, war er als deren Hundehalter auch derjenige, der sie auf das Osmanische Reich abgerichtet hatte. 906 Die Phrase „Dogs of War“ hat ihre Wurzeln in Shakespeares Stück Julius Cäsar und wurde abwertend für Söldner benutzt. Punch, Bd. 70, 17. Juni 1876, S. 247.
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Hinter dem Zaun steht John Bull, der den Russen mit den Worten: „Sei achtsam, mein Herr, es könnte heikel werden, wenn du sie loslässt“ warnt, die Zügel der Hunde aus der Hand zu lassen. Gemäß Punch steckt eindeutig Russland hinter den Aufständen auf dem Balkan. Der Osmane scheint nicht zu ahnen, was hinter seinem Rücken geschieht. Darauf deutet auch sein fülliger Körperbau hin, der vermutlich dessen Phlegma und Ignoranz symbolisieren soll. John Bull beobachtet hinter einem schützenden Zaun die Situtation aufmerksam aus sicherer Distanz. Er erscheint in der Rolle des Mahners, der umfassend über die Hintergründe der Vorgänge informiert zu sein scheint, die sich vor seiner Nase abspielen. Nach außen hin zeigte sich das Zarenreich ebenfalls bemüht, die Rebellionen auf dem Balkan zu einem friedlichen Ende zu führen, ließ aber den Dissidenten finanzielle Unterstüzung zukommen, in dem Wissen, dass sie mit diesen Geldern Waffen kauften, um sie im Kampf gegen das Osmanische Reich einzusetzten und tolerierte die darausresultierenden Ereigniss als „the affair of private persons“.907 Diese Begebenheiten waren den britischen Politikern und Diplomaten sehr wohl bekannt. Nach Auffassung Disraelis war es ein großer Fehler des Zarenreiches, dass es Serbien und Montenegro nicht von einem Krieg gegen das Osmanische Reich abbrachte.908 Aus der Perspektive Großbritanniens war weder dem Sultan noch seinen Ministern gegenwärtig, in welcher Gefahr sie sich tatsächlich befanden. Deshalb schickte das Foreign Office dem britischen Botschafter in Konstantinopel, Sir Elliot, ein Schreiben, dass er dem Sultan unverzüglich die Situation schildern solle, um ihn zu einer baldigen Durchführung von Reformen zu bewegen.909 Es schien, wie es das folgende Bild zeigt,910 dass die Hunde sich von ihren Leinen losgerissen hatten:
907 MacKenzie, The Serbs, S. 96. 908 Millman, Eastern Question, S. 110. 909 Ibidem, S. 112f. Die Reformpolitik des Osmanischen Reiches blieb ebenfalls ein beständiges Thema im Punch während der Jahre 1875 bis 1878. Vgl. Punch, Bd. 70, 10. Juni 1876, S. 235. 910 Punch, Bd. 71, 29. Juli 1876, S. 29.
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Abb. 38.
In der Mitte des Bildes steht ein Osmane, der mit seinem Schwert gegen vier Hunde kämpft, die versuchen, sich an ihm festzubeissen. Er erscheint hier mit einer schlankeren Statur. In dieser Karikatur treten die Hunde als Agressoren auf, die den Osmanen zwingen, mit Gewalt gegen sie vorzugehen, um sich selbst zu schützen. Auf der rechten Seite hinter ihm stehen die Bündnispartner des Dreikaiserabkommens, Franz Joseph I., Wilhelm I. und Alexander II. sowie andere Militärangehörige und Repräsentanten westlicher Mächte, die jedoch keine erkennbaren politischen Persönlichkeiten darstellen, und verfolgen den Kampf mit ernsten Gesichtern. Links im Bild stehen Mr. Punch und John Bull, die das Geschehen aus nächster Nähe verfolgen. In der hinteren Reihe stehen der König von Italien, Viktor Emanuel II. und der Präsident Frankreichs, Patrice de Mac Mahon und schauen sich ebenfalls den Kampf an. Mit dieser Karikatur bildet Punch den einsamen Kampf des Osmanischen Reiches ab, den er auf dem Balkan, vor den Augen der europäischen Mächte, gegen seine Provinzen Bosnien, Herzegowina sowie gegen die tributpflichtigen Fürstentümer Montenegro und Serbien führte. Die Vertreter der westlichen Mächte machen keine Anstalten, einzugreifen. Vielmehr scheinen sie gespannt das Ende des Kampfes abzuwarten. Die Präsenz des Mr. Punch in dieser Karikatur soll vermutlich die Absurdität und das Groteske an diesem Szenario hervorheben, in dem ein Mann sich alleine dem Kampf gegen Bestien stellt, die ihn zerfleischen wollen, während alle anderen Männer lediglich um ihn herum im Kreis stehen und das Spektal betrachten, ohne jegliche Hilfestellung zu geben. Mit der Veröffentlichung dieser Karikatur führt Punch dem Betrachter das Bild 260
des Krieges auf dem Balkan vor Augen und klagt somit möglicherweise die Neutralitätserklärungen der westlichen Mächte an.
5.3 Der Bulgarische Aprilaufstand Wie es bereits von Hayal thematisiert worden war, stand in jenen Jahren die blutige Niederwerfung des bulgarischen Aufstandes im Mittelpunkt der britischen Berichterstattung. Im Juni 1876 berichtete Daily News über Massaker in Bulgarien. Diese Nachrichten lösten eine Welle der Entrüstung in der öffentlichen Meinung Englands aus und führten zu einer veränderten Wahrnehmung des Osmanischen Reiches. Teile der britischen Bevölkerung bekundeten öffentlich ihren Missmut und verliehen ihrer Verbundenheit mit den Opfern dieser Massaker Ausdruck. Während das Osmanische Reich zuvor in den Karikaturen von Punch vornehmlich als Opfer dargestellt wurde, änderte sich dies, nachdem die britische Presse über die sogenannte „Bulgaren-Gräuel“ ausführlich berichtete. Daily News schickte den amerikanischen Journalisten J. A. Mac Gahan nach Bulgarien. Dieser sandte seinen Bericht an Daily News, der am 28. Juni 1876 erschien. In diesem Artikel berichtete er vom erschreckenden Ausmaß des Massakers, das die britische Öffentlichkeit tief erschütterte. Mac Gahan gab in diesem Artikel an, dass mindestens 60–70 Dörfer niedergebrannt wurden und insgesamt 15. 000 Menschen, vornehmlich Frauen und Kinder, erbarmungslos getötet wurden.911 Angesichts dieser Zeitungsberichte stand nicht nur die Balkanpolitik des Osmanischen Reiches im Kreuzfeuer der Kritik, sondern auch die passive Haltung der britischen Regierung, im Besonderen Disraelis. Die britische Politik wird im Punch mit dem Titel „Die Objektivität in Schwierigkeiten“ hinterfragt, denn die Stimmen, die gegen die passive Haltung Großbritanniens protestierten, vermehrten sich täglich. Zivilisten versuchten sich zu organisieren, um ihre christlichen Glaubensgenossen auf dem Balkan zu unterstützen.912 Diese Kritik der Presse und der britischen Öffentlichkeit wird besonders an der folgenden Karikatur deutlich, die Punch hierzu veröffentlichte: .
911 Millman, Eastern Question, S. 156. 912 Ibidem, S. 142.
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Abb. 39.
Im vorderen Teil des Bildes ist dargestellt, wie Disraeli gemütlich in seinem Sessel sitzend seine „offiziellen Berichte“ durchblättert.913 An seiner Seite steht Britannia, die entrüstet versucht, seinen Blick auf den Kriegsschauplatz zu lenken. Im Hintergrund ist zu sehen, wie osmanische Soldaten morden. Überall auf dem Bild sind gepfählte Köpfe von Männern zu sehen. Ein Soldat hebt mit seinen beiden Armen ein Baby hoch, von dem der Betrachter ausgehen muss, dass dieses unschuldige Neugeborene ebenfalls dem Tod geweiht ist. Ferner ist zu sehen, wie ein weiterer Soldat mit seinem Gewehr schon sein nächstes Opfer anvisiert. Schonungslos illustriert Punch ein Bild des Grauens, welches sich in den
913 Punch, Bd. 71, 5. August 1876, S. 51.
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bulgarischen Gebieten abgespielt haben soll. Punch zeichnet ein recht düsteres und grausames Szenario, das den Schilderungen der Tagespresse in nichts nachsteht. Außerdem verstärken auch die im Hintergrund emporziehenden Rauchwolken, die die Brände auf dem Schlachtfeld darstellen, das Bild des Schreckens.914 Britannia, die hier vermutlich die öffentliche Meinung Großbritanniens symbolisiert, versucht vergeblich die Aufmerksamkeit Disraelis, der im Begleittext mit seinem Spitznamen „Dizzy“ genannt wird,915 auf das entsetzliche Szenario zu lenken, dass sich im Hintergrund abspielt. Disraeli erhebt nicht einmal seinen Kopf. Vielmehr ist er in seine Berichte vertieft und antwortet auf die Vorwürfe Britannias zynisch, dass er die „Bulgaren-Gräuel“ nicht in seinen offiziellen Berichten finden könne. Allerdings waren die führenden politischen Köpfe Großbritanniens sehr wohl über die Vorgänge in Bulgarien unterrichtet.916 Elliot, der britische Botschafter in Konstantinopel, ließ der Hohen Pforte die Empfehlung zukommen, dass sie auf den Einsatz von irregulären Kampfeinheiten wie die der Tscherkessen oder der sogenannten Tollköpfe in Bulgarien verzichten solle, da diese anscheinend äußerst brutal vorgingen.917 Allerdings war die Hohe Pforte auf die Beteiligung dieser irregulären Truppen angewiesen, da diese die nötigen Ortskenntnisse hatten, die den regulären Streitkräften des Osmanischen Reiches fehlten. Überdies mangelte es der Hohen Pforte auch an finanziellen Mitteln, um den Sold ihrer regulären Truppen zu zahlen. Somit handelten die irregulären Truppen zumeist autonom. Die Hohe Pforte hatte kaum Instrumente zur Verfügung, um Einfluss auf diese ausüben zu können.918 Disraeli bestritt zunächst die Vorwürfe gegen das Osmanische Reich und spielte die Beschuldigungen als „coffee house babble“919 herunter.920 Seine Haltung 914 Schon während der sogenannten „Türkenkriege“ veröffentlichten Zeitung Bildnachrichten über die „Grausamkeiten“ der „Türken“. Laut Wilke wurden „die Gewalttäter [in diesem Fall die „Türken“] durch Kleidung und Attribute stereotypisiert, was einen gewissen propagandistischen Effekt hatte, ihnen die Schrecken des Krieges anzulasten. Wilke, „Kriegsbilder“, S. 32f. 915 Vgl. Millman, Eastern Question, S. 5. 916 Ibidem, S. 125ff. 917 Ibidem, S. 126ff. 918 Ibidem, S. 39f. 919 Schmidt, “Balkankrise”, S. 50. 920 Christian Wipperführt, Von der Souveränität zur Angst. Britische Außenpolitik und Sozialökonomie im Zeitalter des Imperialismus, Stuttgart 2004, S. 40. Im Juli schrieb Disraeli an Königin Victoria, dass er die Berichte von Elliot erhalten habe, diese aber erhebliche Übertreibungen enthalten würden, und dass sich beide Seiten an Gräueltaten in nichts nachstanden. Vgl. Millman, Eastern Question, S. 140.
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löste heftige Diskussionen im britischen Parlament aus. Später äußerte er sich dazu sehr zynisch, indem er sagte, „dass ruhig hunderttausend Bulgaren sterben sollten, wenn dadurch der Frieden gewahrt wäre.“921 Sogar den Ratschlag Königin Victorias, die Vorgehensweise der Hohen Pforte öffentlich zu verdammen, lehnte er ab. Wegen seiner Äußerungen geriet er unter heftigste Kritik, jedoch bewog ihn die Überzeugung, dass Konstantinopel der „Schlüssel für Indien“ sei, zu diesem Verhalten.922 Mit dieser Karikatur klagt Punch sowohl die Haltung der britischen Politik und Disraelis, als auch die der Hohen Pforte, an. Außerdem illustriert Punch mit diesem Bild das grausige Szenario, über das die Zeitungen berichteten. Auffällig an dieser Karikatur ist, dass der Zeichner nicht vor der Darstellung von grausamen Details zurückschreckte. Visuelle Darstellungen von Kriegsszenarien war kein Novum von Punch, denn neben den Reportern waren zumeist auch Bildberichterstatter auf den Schlachtfeldern unterwegs, die dort ihre Bilder anfertigten, die die Nachrichtenblätter wie Illustrated London News ebenfalls veröffentlichten.923 Disraeli hoffte, dass die Wellen der Empörung rasch abklangen und mit der Zeit zur Ruhe kamen. Aber das Ansehen des Osmanischen Reiches in der britischen Öffentlichkeit schien irreparabel geschädigt. Infolgedessen konnte die 921 Geier, Bulgarien, S. 10. 922 Wipperführt, Souveränität, S. 40. 923 Laut Wilke veröffentlichten bereits im 16. und 17. Jahrhundert Nachrichtenblätter Kriegsillustrationen. Paul schreibt zur frühen Kriegsfotogarfie: „Mediengeschichtlich wrude die Tatsache von Bedeutung, dass zur Mitte des Jahrhunderts der industrialisierte Krieg auf das neue technische Medium Fotografie traf. Ihre unheilige Allianz in der Form der Kriegsfotografie bildete einen wesentlichen Bestandteil der Modernität des Krieges. In Begriffen und Wortkombinationen wie „Bajonettverschluss“, „Bilder schießen oder „Schnappschuss“ hat in diesem Zusammnehang auch im alltäglichen Sprachgebrauch Eingang gefunden. Kriegführen und Fotografieren wurden zu tendenziell „kongruenten Betätigungen“. Beide Entwicklungen veränderten grundlegend das Verhältnis der Menschen zum Krieg sowie desen Bild.“ Der erste Krieg, der fotografisch festgehalten wurde, war der Texas-Krieg (1846.1848) zwischen Mexiko und den USA. Zur frühen Kriegsfotografie siehe: Paul, Bilder des Krieges, 59ff sowie Wilke, „Kriegsbilder“, S. 26ff. und Ute Daniel, “Der Krimkrieg 1853–1856 und die Entstehungskontexte medialer Kriegsberichterstattung”, in: Ute Daniel (Hg.), Augenzeugen. Kriegsberichtserstattung vom 18. Jahrhundert zum 21. Jahrhundert. Göttingen 2006, S. 40–67, S. 50ff. Frank Becker, “Deutschland im Krieg von 1870/71 oder die mediale Inszenierung der nationalen Einheit”, in: Ute Daniel (Hg.), Augenzeugen. Kriegsberichtserstattung vom 18. Jahrhundert zum 21. Jahrhundert, Göttingen 2006, S. 68–86, S. 71ff.
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Hohe Pforte nun nicht mehr auf die offene Unterstützung Großbritanniens zählen. Punch visualisierte die Entrüstung der öffentlichen Meinung in Großbritannien mit einer Karikatur, die am 9. September 1876, mit der Bildunterschrift „Der Status Quo“, erschien.924 Abb. 40.
Auf obigem Bild ist zu sehen, wie ein Osmane mit geöffneten Händen an Britannia herantritt und sie fragt: „Willst du mich immer noch nicht zum Freund haben?“ An seinem rechten Arm hängt sein Säbel, von dem noch das Blut seiner Opfer herunter tropft. Britannia hat eine empörte und abwehrende Haltung gegenüber dem Osmanen eingenommen und demonstriert offensichtlich ihren Missmut. Sie antwortet verärgert auf seine Frage: „Mit dir befreundet sein? [Deinen blutigen Händen reiche ich nicht meine Hand].“ Britannia lehnt das Freundschaftsgesuch des Osmanischen Reiches entrüstet ab und deutet auf das Blut, welches an seinen Händen klebt. 924 Punch, Bd. 71, 9. September 1876, S. 105.
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Im Hintergrund des Bildes liegen die sterblichen Überreste der Opfer, die gepfählten Köpfe sind teilweise schon verwest, was darauf deutet, dass bereits einige Zeit verstrichen ist. Die Brände sind noch nicht verloschen, denn es steigt immer noch Qualm empor. Vor den Leichenbergen liegt auch das Baby leblos auf dem Boden, das der Soldat in dem Bild zuvor noch hochgehoben hatte. Mit dieser Karikatur visualisiert Punch den Bruch zwischen den osmanisch-britischen Beziehungen. Gemäß Britannia ist die Aufrechterhaltung einer freundschaftlichen Beziehung zur Hohen Pforte nun nicht mehr möglich. In den obigen Darstellungen des Punch ist das Osmanische Reich nun eindeutig kein Opfer mehr, sondern hat selbst Blutschuld auf sich geladen. Politiker wie Derby und Salisbury nahmen infolgedessen Abstand von der „traditional Palmerstonian policy“925 und bildeten damit einen Gegensatz zur disraelischen Haltung, der nach wie vor an der Theorie festhielt, dass der Schlüssel zu Indien in Konstantinopel lag. Für Derby hingegen war der Zerfall des Osmanischen Reiches lediglich eine Frage der Zeit. Auch sein Nachfolger, Salisbury vertrat die Auffassung, dass die Verteidigung der territorialen Integrität des Osmanischen Reiches keineswegs mehr notwendig war, um britische Interessen im Mittelmeerraum und in Indien zu sichern.926
5.4 Die Allegorie „des kranken Mannes am Bosporus“ Der pro-osmanischen Fraktion in Großbritannien waren die Hände gebunden. Sie waren gezwungen, von jeglichen Hilfeleistungen gegenüber dem Osmanischen Reich Abstand zu nehmen.927 Großbritannien zeigte keinerlei Bereitschaft, in das Kriegsgeschehen einzugreifen, nötigenfalls zog Derby in Erwägung, sich auf die „Bulgaren-Gräuel“ zu berufen, um sowohl diplomatische als auch militärische Hilfeleistungen zu verweigern.928 England zog in Erwägung, den Druck auf die Hohe Pforte zu erhöhen, damit diese zu einem raschen Friedensabschluss mit Serbien komme, bevor Russland militärische Interventionsmaßnahmen ergriff. Auch die anderen Großmächte beführworteten einen baldigen Waffenstillstand. Punch karikierte die Bemühungen der Mächte, das Osmanische Reich zu einem Waffenstillstand zu bewegen, folgendermaßen:
925 Schmidt, “Balkankrise”, S. 50. 926 Ibidem, S. 38. 927 Millman, Eastern Question, S. 166. 928 Ibidem, S. 172f.
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Abb. 41.929
Für die Karikierung dieser Bemühungen der westlichen Mächte griff der Karikaturist dieser Zeichnung auf die Allegorie des „kranken Mannes“ am Bosporus zurück.930 Der „kranke Mann“, ein weiteres Symbol für die Hohe Pforte (bzw. auch für das Osmanische Reich), sitzt in seinem orientalischen Nachtgewand in seinem Sessel. Um ihn herum haben sich die besorgten Vertreter und Oberhäupter der westlichen Großmächte höchstpersönlich versammelt. Auf seiner rechten Seite stehen Wilhelm I., Franz Joseph I. und Zar Alexander II., während sich auf seiner linken Seite Patrice de Mac Mahon, Viktor Emanuel II. und John Bull eingefunden haben. Zar Alexander II. hatte offensichtlich dem „kranken Mann“ die „kleine Pille“ übergeben, die er nun in seiner Hand hält und argwöhnich betrachtet. Die „Pille“ steht in diesem Kontext symbolisch für den „Waffen stillstand“ mit Serbien, dem der Sultan zustimmen soll. Es ist kein Zufall, dass gerade der Zar höchstpersönlich das Medikament überreicht, da er auch derjenige ist, der die Bedingungen für einen Waffenstillstand festlegte. Der „kranke Mann“ zeigt wenig Bereitschaft, sie auch einzunehmen. Dr. Bull versucht seinen 929 Punch, Bd. 71, 21. Oktober 1876, S. 171. 930 Im Vergleich zu den Karikaturisten von Punch verarbeiteten sie dieses Motiv in sehr wenigen Bildern, im Vergleich zu Kladderadatsch.
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„Patienten“ mit den Worten: „Wir haben uns alle darauf geeinigt, dass Sie diese kleine Pille gänzlich hinunterschlucken, denn sonst weiß man nicht, was passieren könnte!“ zu überreden. Tatsächlich ist die Pille, die zwar als „klein“ beschrieben wird, derart groß, dass sie nicht einmal in den Mund des „kranken Mannes“ passt. Für den Fall, er würde den Ratschlag befolgen und versuchen, diese Pille an einem Stück zu nehmen, so drohte ihm offensichtlich das Ersticken. Die Größe der Pille ist als Hinweis für die Bedingungen des Waffenstillstandes zu verstehen, die für die Hohe Pforte nicht akzeptabel waren. England, hier durch Dr. Bull vertreten, schien in ernster Sorge um seinen Patienten, da er ihm versucht zu vermitteln, dass seine Weigerung, die Bedingungen einen Waffenstillstand zu akzeptieren, schwerwiegende Folgen für ihn haben könne. Denn das Zarenreich schloss eine militärische Verwicklung als ultima ratio nicht mehr aus, seit dem sich Serbien und Montenegro im Krieg gegen das Osmanische Reich befanden. Zwar einigte sich die Hohe Pforte mit Montenegro, wie im vorangegangen Kapitel beschrieben, doch schien es, dass der Zar eine Niederlage Serbiens nicht werde hinnehmen können. Am 1. November 1876 schluckte der Sultan wohl diese „kleine Pille“ und akzeptierte die Bedingungen Russlands für den Waffenstillstand.931 In dieser Karikatur erscheint der „kranke Mann“, wie auch schon zuvor, als übergewichtiger und lethargischer Mann. Anhand seiner Physiognomie schreibt ihm Punch negative Attribute wie Phlegmatismus und Ignoranz zu – darauf wird mit seinen geschlossenen Augen hingewiesen – und kritisiert hiermit die Haltung der Hohen Pforte, die nach der Ansicht der Großmächte allzu apathisch vorging, anstatt eine rasche Lösung des Konfliktes anzustreben.932 Russland wußte die anti-osmanische Stimmung zu seinem Vorteil einzusetzen und trug nun seine Rolle als Protektor der Christen auf dem Balkan in den Vordergrund. Am 4. November 1876 veröffentlichte Punch folgende Karikatur, mit dem Untertitel „Zweifelhafte Diplomatie“:
931 Millman, Eastern Question, S. 165. 932 Europäische Diplomaten und Staatsmänner des 19. Jahrhunderts verwendeten gern „medizinische Ausdrücke“ oder sprachen von „der ansteckenden Krankheit“, wenn sie die Orientalische Frage meinten. Vgl. Winfried Baumgart, “Die Orientalische Frage 1820–1923”, in: Sabine Rogge (Hg.), Zypern und der Vordere Orient im 19. Jahrhundert. Die Levante im Fokus von Politik und Wissenschaft der europä ischen Staaten, Münster 2009, S. 33–42, S. 34. Auch Mehmed Murad, nutzt in seiner Geschichtsschreibung die Methapher der Krankheit (bzw. osmanische Krankheit). Siehe: Christoph Herzog, Geschichte und Ideologie: Mehmed Murad und Celal Nuri über die historischen Ursachen des osmanischen Niedergangs, Berlin 1996, S. 46ff.
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Abb. 42.933
Hier ist zu sehen, wie die Christen des Balkans Schutz beim Bären suchen, der sie mit offenen Armen empfängt. Dass es sich hierbei um Christen handelt, wird anhand des Rosenkranzes und des Kreuzes deutlich, die am Gürtel der Frau in der Mitte des Bildes hängen. In dieser Karikatur von Punch tritt Russland nun nicht in der Position des Aggressors auf, sondern als Patron der Christen auf dem Balkan. Durch die offenen Arme des Bären verdeutlicht der Karikaturist, dass das Zarenreich mit Freude seine vermeintlich schützenden Hände über die Christen auf dem Balkan hält. Beim Anblick der Menschen, die Schutz bei ihm suchen, läuft ihm schon das Wasser im Munde zusammen; dies soll verdeutlichen, dass Russland sein Ziel, die Christen auf dem Balkan nun für eigene Zwecke mobilisieren zu können, erheblich näher gekommen ist. Rechts im Bild stehen John Bull und Lord Derby. Vorwurfsvoll deutet John Bull auf das Senario und sagt zu Derby: „Mein Lord, war das ihre Absicht?“ Der Name von Derby ist hier nicht voll ausgeschrieben, nur der erste und die letzten beiden Buchstaben sind angegeben. Er steht hier in der Kritik, da durch seine Politik, so scheint es, das Zarenreich die Gunst der Christen auf dem Balkan gewinnen könne. 933 Punch, Bd. 71, 4. November 1876, S. 193.
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5.5 Die Konferenz von Konstantinopel und die Proklamation der osmanischen Verfassung 1876 Gegen Ende des Jahres 1876 widmeten sich die Karikaturen von Punch der bevorstehenden Konferenz in Konstantinopel. Sie thematisierten unter anderem, dass das Kabinett beschloss, Salisbury nach Konstantinopel zu schicken.934 Dieser war, wie bereits erwähnt, einem Interessenausgleich mit Russland nicht abgeneigt. Die britisch-russische Annäherung visualisierte Punch mit folgender Karikatur, die unter dem Titel „Freunde oder Feinde“ am 2. Dezember 1876 erschien: Abb. 43.
934 Millman, Eastern Question, S. 198. Vgl. Punch, Bd. 71, 18. November 1876, S. 217; Punch, Bd. 71, 16. Dezember 1876, S. 265.
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Sowohl der Bär als auch der Löwe treffen sich an der Kreuzung „Bulgarien, Bosnien, Herzegowina“ und „Konstantinopel“.935 Während der Bär bewaffnet in Erscheinung tritt und seine „Garantien“ im Gürtel bereithält, trägt der Löwe lediglich seine Verpflegung in seinem Wandersack mit sich. Der Bär sagt zum Löwen: „Dies ist mein Weg“, und zeigt in Richtung Bulgarien, Bosnien und Herzegowina.936 Der Löwe entgegnet: „Dies ist auch mein Weg. Lass uns gemeinsam gehen. Anderenfalls wird es Zeit zum Streiten.“ Während der Löwe in ziviler Kleidung seinen Weg geht, trägt der Bär seine Militäruniform. Die Uniform des Bären symbolisiert seine Kriegsbereitschaft, während die zivile Kleidung des Löwen demonstriert, dass er keinerlei derartigen Pläne hegt. Vielmehr scheint er die Reise als eine „Wanderschaft“ zu betrachten, wie es sein Wandersack andeutet. Es scheint noch zu diesem Zeitpunkt unklar zu sein, ob sie nun als Freunde oder Feinde den Weg bestreiten. Zu einer englisch-russischen Annäherung kam es schon im Vorfeld der Konferenz. Gemeinsam mit dem russischen Botschafter Šuvalov in London hatten britische Deligierte Mitte September 1876 ein Friedensprogramm entworfen, welches aus drei Punkten bestand. Auf diese englisch-russische Übereinkunft spielen die „Garantien“ an, die der Bär an seinem Gürtel mit sich führt. Der erste Punkt bestand in der Durchsetzung eines sofortigen Beilegung aller Kampfhandlungen, zweitens wurde beschlossen, gegen Ende des Jahres 1876 eine Konferenz in Konstantinopel abzuhalten und drittens, eine Vorabverständigung über die Grundsätze des Konferenzprogramms zu beratschlagen. Serbien und Montenegro sollten ihren Status quo ante beibehalten, während diese Übereinkunft die Autonomie für Bosnien, Herzegowina und Bulgarien vorsah. Salisbury und Ignat’ev sollten diesen Entwurf bei der Hohen Pforte, unter Ausübung erheblichen politischen Drucks, durchsetzen.937 Allerdings ließ diese Übereinkunft jegliche Interessen Österreich-Ungarns außer Acht. Der Löwe deutet in seiner Antwort bereits an, dass Großbritannien bemüht war, eine einvernehmliche Lösung mit dem Zarenreich zu finden, um die Gegensätze zwischen den beiden Mächten abzubauen. Denn der Löwe fürchtete eine militärische Konfrontation, wenn ihn dies nicht gelänge. Der offiziellen Konferenz ging 935 Punch, Bd. 71, 2. Dezember 1876, S. 241. 936 Jedoch scheint es, als ob der Bär in Richtung „Bulgarien, Bosnien, Herzegowina“ zeigt, allerdings ist dies nicht der Weg des Löwen, deshalb ist mit starker Wahrscheinlichkeit der Weg nach Konstantinopel gemeint. Der Verweis auf „Bulgarien, Bosnien, Herzegowina“ soll vermutlich nur als Hinweis dienen, um zu zeigen, dass über deren Schicksal auf der Konferenz verhandelt wird. 937 Schmidt, “Balkankrise”, S. 51; Millman, Eastern Question, S. 210f.
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eine Präliminarkonferenz vor, die keine Teilnahme des Osmanischen Reiches vorsah. Erst auf der Konferenz von Konstantinopel, die vom 23. Dezember 1876 bis zum 20. Januar 1877 stattfand, war das Osmanische Reich vertreten. Zum Auftakt der Konferenz veröffentlichte Punch am 23. Dezember 1878 folgende Karikatur, die Bezug auf die bereits erwähnte Konferenz nimmt: Abb. 44.
Hier ist zu sehen, wie die Oberhäupter der abendländischen Mächte Zar Alexander II., Kaiser Franz Joseph I., Kaiser Wilhelm I., König Viktor Emanuel II., Präsident Patrice de Mac Mahon und Lord Salisbury gemeinsam einen Weihnachtspudding zubereiten.938 Sie haben sich um einen großen Kessel versammelt, der den Schriftzug „Konferenz“ trägt. Jedem Teilnehmer fällt eine Aufgabe bei der Zubereitung des Weihnachtspuddings zu. Alexander II. fügt getrocknete Pflaumen hinzu, Franz Joseph I. hält das kalte Wasser bereit, während Wilhelm I. kandierte Zitronen hinein gibt. Viktor Emanuel II. hält den Rindertalg bereit und Patrice de Mac Mahon mengt den Zucker bei. Ferner kommt Lord Salisbury und Alexander II. die Aufgabe zu, die ganzen Zutaten zu vermengen, da sie beide Rührgeräte in ihren Händen halten. Im Vordergrund ist ein kleiner Osmane
938 Punch, Bd. 71, 23. Dezember 1876, S. 277.
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zu sehen, der kaum an den Kesselrand reicht und versucht mit seinem kleinen Säbel mitzumischen, jedoch hält ihn Lord Salisbury mit den Worten: „Nein, nein, mein kleiner Mann, du darfst ihn nicht rühren! Du verursachst nur Chaos und verdirbst den Pudding!“ zurück. Vor dem Beginn der Hauptkonferenz gingen neun Sitzungen am runden Tisch in der russischen Botschaft in Istanbul unter dem Vorsitz von General Ignat’ev voraus, an denen die Delegierten der Großmächte entscheiden wollten, welche Maßnahmen die Hohe Pforte ergreifen sollte, um die prekäre Situation auf dem Balkan friedlich zu lösen.939 Die Karikatur verdeutlicht, dass die Hohe Pforte weder in den Entscheidungsnoch in den Diskussionsprozess bezüglich der Reformen, die es durchführen sollte, eingebunden war. Salisbury ist hier derjenige, der den kleinen Osmanen davon abhält, seinen kleinen Säbel in den Kessel zu stecken. Des Weiteren ist auch die Darstellungsweise des Osmanischen Reiches bemerkenswert, denn während die westlichen Mächte, die auf dieser Konferenz vertreten waren, als erwachsene Persönlichkeiten erscheinen, symbolisiert der Karikaturist die Hohe Pforte als einen kleinen Knaben. Mit der Auswahl dieses Stilmittels weist der Karikaturist explizit auf die Asymmetrie des Machtverhältnisses zwischen den Vertretern des Westens und dem Osmanischen Reich hin. Eine andere Allegorie, die die ungleichen Machtverhältnisse zum Ausdruck bringt, sind die Zutaten, die die Vertreter der Großmächte in ihren Händen halten; diese stehen für deren Interessen und Vorschläge. Im Gegensatz zu ihnen hat der kleine Osmane nichts, was er hinzufügen könnte, er versucht stattdessen mit seinem ebenso kleinen Säbel den Pudding umzurühren. Es ist diesem Bild allerdings nicht eindeutig zu entnehmen, ob sich das Kind spielerisch an der Zubereitung des Puddings beteiligen will, oder aber ob sein kleiner Säbel als Hinweis für einen unbedachten und naiven Umgang des Osmanischen Reiches mit seiner Waffe stehen soll. Lord Salisbury kam mit der Überzeugung nach Konstantinopel, dass die osmanische Hartnäckigkeit sich als ein größeres Hindernis für eine friedliche Lösung erweisen würde als die russischen Forderungen. Deshalb entschloss er sich dazu, mit Russland eine gemeinsame Front zu bilden, um die Hohe Pforte „zur Vernunft“ zu bewegen.940 Diese Annäherung Salisburys an Russland rief Bedenken bei den anderen britischen Delegierten hervor. Wie dieses Bild verdeutlicht, waren die Hauptakteure dieser Konferenz Salisbury und der Zar, da sie als einzige über Rührgeräte verfügen. Im Gegensatz zu den osmanischsprachigen
939 Millman, Eastern Question, S. 213ff. 940 Ibidem, S. 210.
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Satirezeitschriften symbolisiert Punch die westlichen Mächte mit ihren Regenten, während Hayal und Çaylak lediglich ihre Diplomaten karikierten. Vermutlich ist die Ursache darin zu sehen, dass in der osmanischen Presse möglicherweise Bilder und Illustrationen der Konferenzteilnehmer erschienen, anstelle der europäischen Oberhäupter, und somit diese den erforderlichen Wiedererkennungswert bei der osmanischen Leserschaft hatten. Aus der Perspektive von Punch diente die Konferenz dazu, das Osmanische Reich unter den Beteiligten aufzuteilen, wie es die folgende Karikatur, die am 6. Januar 1877 erschien, verdeutlicht: Abb. 45.
In Abb. 45 ist zu sehen, wie sich die „Schneider“, wie sie Punch nennt, um den Kaftan scheren, der hier symbolisch für das Osmanische Reich steht.941 Am heftigsten streiten sich England, symbolisiert durch Mr. Punch, Zar Alexander II. und Kaiser Franz Joseph I. Während sich Wilhelm I., Viktor Emanuel II. und Patrice de Mac Mahon sich zurückhalten, schreitet Zar Alexander II. mit seiner großen Schere energisch zur Tat und will den Kaftan, an dem schon etliche Flickarbeiten vorgenommen wurden, zerschneiden. Gemäß Punch ist das Osmanische Reich ein alter Kaftan, der jetzt in eine neue Form zurechtgeschnitten werden soll. Die dominierende Macht, die das „Schnittmuster“ maßgeblich bestimmen will, ist das Zarenreich, dessen Dominanz durch die Körperhaltung, Krone und die Schere deutlich hervorgehoben wird. Es scheint, dass allein der Zar maßgeblich über die neue Form, die der Kaftan erhalten soll, bestimmt. 941 Punch, Bd. 71, 6. Januar 1877, S. iii.
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Einem der signifikanten Ereignisse dieser Konferenz, der Proklamation der osmanischen Verfassung, misst Punch jedoch wenig Bedeutung bei. Die Verfassung erscheint lediglich als „eine Seifenblase mehr“, die aus der Wasserpfeife des korpulenten Midhat Paschas aufsteigt, sowie das Hatt-ı şerif von Gülhane von 1839 (hier als Hatt-ı Scherif bezeichnet) und das Hatt-ı hümayûn von 1856 (Hatt-ı Humayoun) zuvor, die keinesfalls die erhoffte Verbesserung bewirkt hatten. Die Karikatur illustriert angeblich den Auftritt Midhat Paschas auf der Konferenz und stellt seine Proklamation der Verfassung dar.942 Sie wird nicht als wichtiger Staatsakt wahrgenommen und beurteilt, sondern lediglich als zerbrechliche Seifenblase dargestellt, die durch ihn in den Raum gesetzt wird. Er sitzt gemütlich, gekleidet in seinem Pelzmantel, auf einem Teppich und bläst kräftig in seine Wasserpfeife, aus der die Reformedikte emporsteigen. Jedoch datiert Punch die Erklärung der Verfassung nicht mit dem Jahr 1876, sondern mit 1877. Vermutlich erfuhren die britischen Medien erst Anfang Januar 1877 von der Proklamation der osmanischen Verfassung, oder aber die Angabe eines genaueren Datums erschien Punch unwichtig, da es sich ja lediglich um „Noch eine Seifenblase“ handelte. Punch wertet die Edikte des Osmanischen Reiches als inhaltlose, leere Worthülsen ab, die im ersten Moment durch ihre Farbpracht bezaubern aber deren Lebensdauer nur aus einem kurzen Augenblick besteht. Da sie aus Sicht der britischen Politik bislang wirkungslos geblieben seien, so gilt auch die neue Verfassung als eine leere Hülse, die ebenfalls keinerlei Wirkung haben wird. Die osmanische Führungselite versuchte nämlich, europäische Intervention zu bestimmten Zeiten dadurch zu verhindern, in dem sie durch schnellere Reformankündigungen dem fremden Diktat zuvorkamen, ohne allerdings ihre Durchführbarkeit zu berücksichtigen. Das stetige Zurückbleiben der Reformen hinter den angekündigten Zielen erweckte aber bei den Vertretern der europäischen Großmächte den Eindruck, als ob der Reform- und Modernisierungswunsch der osmanischen Elite lediglich ein leeres Versprechen sei.
5.6 Das „Londoner Protokoll“ Die Verhandlungen in der osmanischen Hauptstadt verliefen für die westlichen Konferenzteilnehmer enttäuschend. Ihre letzte Hoffnung setzten die europä ischen Mächte deshalb in das sogenannte „Londoner Protokoll“. Kurz vor der Übermittlung des Protokolls an die Hohe Pforte karikierte Punch die aktuelle Sachlage folgendermaßen:
942 Punch, Bd. 71, S. 301.
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Abb. 46.
Gemäß Punch dient das Protokoll dem russischen Bären, der bewaffnet in Richtung Asien zieht, als „Eselsbrücke“, wie es der Titel „Pons Asinorum“ verrät.943 Die Brücke wird gestützt durch die Vertreter der Großmächte, die sich im Kanal „Orientalische Frage“ befinden. In der vorderen Reihe der menschlichen Stützpfeiler stehen Wilhelm I, John Bull und Franz Joseph I. Während Wilhelm I. und Franz Joseph I. erhobenen Hauptes die Last des Bären auf ihren Schultern tragen, hat John Bull seinen Hut gezogen, ein Symbol der Kapitulation, und schaut ins Wasser. Der Kanal symbolisiert die „Orientalische Frage“, die beständig weiter fließt. Dies verdeutlicht, dass sie keineswegs beigelegt worden ist und weiterhin die politischen Köpfe des Westens fortwährend beschäftigen wird. Der russische Bär erscheint hier in der dominierenden Rolle, der sich alle anderen Vertreter der Mächte gefügig gemacht hat und sich nun auf ihren Schultern in Richtung Asien, angedeutet durch die Pyramiden im Hintergrund, schreitet. Während Wilhelm I. und Franz Joseph ihr Schicksal erhobenen Hauptes ertragen, vermutlich weil sie die Bündnispartner des Bären sind, stellt die Last des Bären eine starke Bürde für John Bull dar. Seine Haltung verdeutlicht, dass ein Krieg zwischen dem Osmanischen Reich und Russland keineswegs in seinem Sinne ist.944 Durch seine 943 Punch, Bd. 72, 24. März 1877, S. 127. 944 Vgl. Millman, Eastern Question, S. 245f.
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Kriegserklärung sprengte Russland das Dreikaiserabkommen, was eigentlich im Sinne Disraelis war. Österreich-Ungarn erhielt das Recht, Bosnien und Herzegowina zu okkupieren als Gegenleistung für seine Neutralität. Das Deutsche Reich entschied sich dafür, die Bestrebungen des Zarenreiches zu tolerieren oder gar gutzuheißen, aus Angst vor einer russisch-französischen Einigung. Als Titel dieser Karikatur dient die lateinische Bezeichnung für „Eselsbrücke“. Da Esel bekanntermaßen wasserscheue Wesen waren, wurden solche Brücken über jegliche Wasserläufe gebaut, die sie überqueren sollten. Nun ist aber der Bär in der Position des „Esels“, der den Wasserlauf, d. h. die „Orientalische Frage“ auf Kosten der Großmächte umgeht. Diese dienen nun ihm als Stützpfeiler, damit er ungehindert sein Ziel verfolgen kann, während die anderen handlungsunfähig seine Last tragen müssen. Zwar hatte die Hohe Pforte zum Zeitpunkt, als die Karikatur erschien, die Annahme des Protokolls noch nicht verweigert, jedoch war es bereits absehbar, dass alle Zeichen auf Krieg standen. Wenige Tage vor der offiziellen Ablehnung des Londoner Protokolls erschien am 7. April 1877 folgende Karikatur im Punch,945 mit dem Titel „eine Kritische Situation“. Abb. 47.
945 Punch, Bd. 72, 7. April 1877, S. 151.
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Diese Karikatur entstand in Anlehnung an das Stück von Richard Brinsley Sheridan The Critic, or a Tragedy Rehearsed (Der Kritiker: oder Eine Tragödie wird geprobt, 1779). John Bull, der hier als Schauspieler in Erscheinung tritt, versucht die Kriegsparteien zur Vernunft zu rufen und zitiert aus dem dritten Akt des Stückes: „Ich fordere Sie im Namen der Königin auf, Eure Schwerter und Dolche nieder zu legen!“ In Klammern stellt sich jedoch die Frage, ob sie dies auch tatsächlich tun werden. John Bull scheint bemüht, die „Tragödie“ abzuwenden, die sich unmittelbar vor seinen Augen abspielen wird. Während Montenegro, Herzegowina und Bosnien den Osmanen, den sie umstellt haben, mit ihren Dolchen bedrohen, hat der Kosake bereits sein langes Schwert gezückt. Dem Osmanen stehen zwei Dolche zu seiner Verteidigung zur Verfügung, die vermutlich auch auf den Zweifrontenkrieg deuten, den das Osmanische Reich austragen musste. Alle Figuren in dieser Karikatur machen ein grimmiges Gesicht und tragen augenscheinlich ihre traditionelle Tracht. Erneut erscheinen sie nicht als reguläre Soldaten, sondern als irreguläre Kämpfer. Der Karikaturist illustrierte sie mit ungepflegten, wilden Bärten, als Zeichen ihrer primitiven Rohheit und ihrer Rückständigkeit. Ferner unterstreichen auch die Stichwaffen, die sie gegeneinander einzusetzen gedenken, die Wildheit dieser Charaktere, da sie als Nahkampfwaffen noch zur vormodernen Zeit der Kriegsführung gehören. Die Dolche und Schwerter in den Händen der Gegner deuten auf ihre Waffenstärke hin. Montenegro und Russland erscheinen in dieser Karikatur als die stärksten Mächte. Denn Montenegro war den Osmanen im Krieg keinesfalls unterlegen gewesen. Doch bleibt offen, ob sie der Aufforderung John Bulls Gehör schenken, der bis zuletzt noch versucht, einen Krieg abzuwenden.
5.7 Der Russisch-Osmanische Krieg von 1877–1878 Nachdem alle Bemühungen, die Differenzen auf diplomatischem Wege zu lösen, scheiterten, brach der nun vierte Krieg dieses Jahrhunderts zwischen Russland und dem Osmanischen Reich aus. Punch karikierte diesen Waffengang als Akt der Wildheit und Rückständigkeit mit folgender Karikatur, die den Titel „Gerichtlicher Zweikampf “ trägt:
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Abb. 48.
Wie der Titel des Bildes verrät, trugen die Kontrahenten einen sogenannten „Gerichtskampf“ aus.946 Im Mittelalter diente diese Form des Kampfes bei der Klärung von Streitigkeiten. Die Kontrahenten tragen hier vormoderne Waffen und Kluften von tribalen Kriegern, möglicherweise um die triebhafte Wildheit und Rohheit des Zweikampfes zu verdeutlichen. Auf der rechten Seite steht der osmanische Krieger, der einen Wolfspelz trägt, das Totemtier der türkischen Stämme. Laut einer Legende führte der Graue Wolf die türkischen Stämme zu zahlreichen Siegen, deshalb galt er als Totemtier der türkischen Stammeskrieger.947 Des Weiteren prangt auf dem Schild des türkischen Krieger der Halbmond mit einem Stern, das Symbol für das Osmanische Reich. Der russische Krieger hingegen trägt ein Bärenfell, das Totemtier Russlands, das Urkraft, Aggression und Bedrohung symbolisiert.948 Auf seinem Schild ist der doppelköpfigen Adler abgebildet, Insignien des Zarenreichs.949 Im Hintergrund sind dunkle Wolken 946 Punch, Bd. 72, 5. Mai 1877, S. 199. 947 Emre Arslan, Der Mythos der Nation im transnationalen Raum: Türkische Graue Wölfe in Deutschland, Wiesbaden 2009, S. 95. 948 Peter Thiergen, Russische Begriffsgeschichte der Neuzeit: Beiträge zu einem Forschungsdesiderat, Köln 2006, S. 88, Fn. 35. 949 Zur Einführung des doppelköpfigen Adlers als russisches Wappentier siehe bei: Isabell de Keghel, Die Staatssymbolik des neuen Russlands, Hamburg 2008, S. 34ff.
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zu sehen, die sich, so scheint es, ebenso wie der Kampf gewaltsam entladen werden. Mit dieser Karikatur veranschaulicht Punch den Krieg zwischen dem Zarenreich und dem Osmanischen Reich, und erklärt ihn, durch die Verwendung vormoderner Symbolik, für unzeitgemäß und roh. Nach Punch sollen die Kontrahenten nun ihre Kräfte im Zweikampf, Mann gegen Mann, wie die Krieger von Stammesgesellschaften, die nicht Teil der modernen und zivilisierten Welt sind, messen und das Ergebnis des Kampfes als Gottesurteil hinnehmen, so wie es bei dieser Art von Kämpfen üblich war.950 Dadurch, dass Punch beide Kontrahenten als wild und unzivilisiert darstellt, erscheinen sie als ebenbürtig. Beide Mächte tragen ihre Barbarei und Wildheit offen zur Schau und können folglich nicht Bestandteil der modernen aufgeklärten Welt sein. Hätte Punch sie als uniformierte Soldaten dargestellt, so wären sie Teil der Streitkräfte eines Reiches und würden für dessen Interessen kämpfen. Als vormoderne Krieger lassen sie lediglich ihren animalischen Trieben und ihrer Kriegslust freien Lauf.951
950 Vgl. Hermann Nottarp, Gottesurteilstudien, München 1956. 951 Osmanische Literaten und Intellektuelle begannen ab den 1860er Jahren sich mit der Fragestellung: “Sind Osmanen Türken?” auseinanderzusetzen (z. B. ist hier die Forderung nach der „Turkifiszierung“ der Sprache durch Ali Suavi als ein erster Zugang zu diesem Diskurs zu nennen) und begannen sie zögernd zu bejahen. Ahmed Midhat Efendi gehörte zum Kreis derer, der in späteren Jahren mit Vehemenz diese Frage bejahte. Vgl. Şükrü Hanioğlu, “Türkçülük”, in: Tanzimat’tan Cumhuriyet’e Türkiye Ansiklopedisi, Bd. 5, Istanbul 1985, S. 1394–1399 und Hüseyin Tuncer, “Turancılık, Türklük“, in: Türk Dili ve Edebiyatı Ansiklopedisi, Bd. 8, Istanbul 1998, S. 386–392. Noch in der Spättanizmat-Zeit ist der Begriff „Türke“ negativ konnotiert und wurde mit Degradierung und Erniedrigung assoziert. Sogar die osmanischen Geschichtsschreiber ignorierten lange die Geschichte der „Türken“ in der vorislamischen Zeit (hiervon war nur die Gründungszeit des Osmanischen Reiches ausgenommen). Erst Ahmed Cevdet Pascha betrachtete Araber und Türken als zwei große Völker der islamischen Geschichte. Mittels Zeitungen wurden die Bestrebungen unternommen den „osmanischen Türken ihre türkischen Wurzeln und ihre mittelasiatische, türkische Herkunft bewußt zu machen […].“ Vgl. Kürşat, Modernisierung, S. 365f. Ab den 1880er und 1890er Jahren begann die „Türkisierung der osmanischen Geschichte“. Vgl. Ibidem. In den untersuchten osmanischen Satirezeitschriften gibt es allerdingings keinerlei Äußerungen oder Diskussionen diesbezüglich. Vielmehr dominieren in ihnen zentrale Aspekte des Osmanismus, da die Verschmelzung aller Untertanen für die herrschende Elite der einzige Weg war, den Seperatismus zu verhindern und somit den Erhalt des Reiches zu garantieren. Erst nach der schweren Niederlage gegen Russland 1878 wandelte sich die Ideologie des Osmanismus wesentlich. Der Verlust von immer mehr Regionen mit christlicher Bevölkerungsmehrheit sowie der drastische Anstieg der muslimischen Bevölkerung durch massive Flüchtlingsbewegungen veränderten
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In den folgenden Wochen nach der Publikation des obigen Bildes veröffentlichte Punch keine weiteren Karikaturen, die unmittelbare Kampfszenen darstellten. Statt- dessen geriet die osmanische Herrschaft ins Kreuzfeuer der Kritik. Am 26. Mai 1877 erschien folgendes Bild: Abb. 49.
Disraeli, der hier als „Lord Beaconsfield“ auftritt, versucht den ausgehöhlten Baum zu retten, indem er den Holzfäller besingt, von seinem Vorhaben abzulassen.952 Der Karikaturist nutzte das Gleichnis eines ausgehöhlten Baumes, um die „türkische Herrschaft“ zu illustrieren. In seinem Inneren beherbergt dieser Baum ein Schlangennest, das als Metapher für Falschheit und List gilt. Vermutlich ist damit die Hohe Pforte gemeint, die hier als Schlangennest dargestellt wird. Außerdem verweisen die Skelette der Gehängten, die noch am Baum baumeln, auf die Willkürherrschaft der osmanischen Machthaber hin. An den Wurzeln des Baumes liegen Totenschädel, in deren Nähe steckt ein Bajonett im Erdboden. Während der Holzfäller seine Axt erhebt, um diesen morschen Baum zu fällen, stimmt Disraeli ein altes englisches Lied an, um ihn von seiner Arbeit abzuhalten.953 die Bevölkerungszusammensetzungen des Reiches wesentlich und erforderten neue Konzepte für die Konstruktion einer gemeinsamen Identität. 952 Punch, Bd. 72, 26. Mai 1877, S. 235. 953 Der Originaltext stammt von P. Morris. Vgl. Ludwig Herring, Handbuch der Nordamerikanischen National-Literatur, Braunschweig 1854, S. 95.
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Disraeli singt, „Holzfäller, verschone diesen Baum! Ich liebe jeden Zweig; Das asiatische Mysterium, als das er bis jetzt gelebt hat.“
Punch kritisiert hier hauptsächlich Disraeli, der sich sträubt, sich von diesem morschen Baum zu trennen, der als Sinnbild für die osmanische Despotie und Willkürherrschaft steht. Deshalb steht nicht nur seine politische Haltung in der Kritik, sondern auch seine Person. Seine Krone, die seinen Adelstitel symbolisiert, ist ihm offensichtlich zu groß, da es ihm tief in sein Gesicht gerutscht ist. Damit möchte der Karikaturist ausdrücken, dass er seiner adligen Rolle nicht gewachsen sei. Bald rückte allerdings der Kampf zwischen Russland und dem Osmanischen Reich erneut in den Mittelpunkt ihrer Karikaturen: Abb. 50.
Im obigen Bild, das unter dem Titel „Wer von ihnen wird gewinnen?“ erschien, verkörpert die Python mit ihrer Pickelhaube den russischen Aggressor, der den Osmanen fest umschlungen hat.954 Die Python scheint bereit, sein Opfer
954 Punch, Bd. 72, 26. Mai 1877, S. 238.
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zu verschlingen und hat bereits sein Maul weit aufgerissen. Der Osmane, der hier nackt und schutzlos erscheint, kann ihn nur mit Mühe davon abhalten, sich nicht verschlingen zu lassen. Die Kennzeichnung der beiden Kontrahenten erfolgt lediglich durch ihre Kopfbedeckung. Der Kampf ist noch nicht entschieden. Jedoch scheint es dem Osmanen zunehmend Mühe zu bereiten, sich gegen das Zarenreich zu behaupten. Während für die Darstellung des Osmanischen Reiches eine menschliche Gestalt gewählt wurde, wird das Zarenreich durch ein aggressives und wildes Tier symbolisiert. Möglicherweise versuchte Punch, die animalische Kraft des Zarenreiches, seine Hinterlist, Gier sowie seinen bestialischen und erbarmungslosen Kampf in den Vordergrund zu rücken, um die Bedrohlichkeit der Situation zu akzentuieren. Im Gegensatz zu Kladderadatsch, Hayal oder Çaylak stellte Punch kaum das Kampfgeschehen in seinen Karikaturen dar. Erst gegen Ende des Jahres, kurz vor der osmanischen Kapitulation in Plewna, thematisierte Punch den aktuellen Stand des Krieges. Am 1. Dezember 1877 publizierte Punch das folgende Bild, mit dem Titel „Tightening the Grip“. Abb. 51.
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Auf dieser Karikatur zeigt Punch, wie der russische Bär den Osmanen eng umschlungen hat.955 Er schaut entsetzt, da ihm der Osmane, der hier gänzlich in Weiß gekleidet erscheint, eine Stichverletzung mit seinem Dolch zugefügt hat. Möglicherweise ist die Kleidung des Osmanen deshalb in Weiß gehalten, um ihm einen gewissen Grad an Unschuld zu verleihen. Erneut ringt in dieser Karikatur Mensch gegen Bestie. Indes ist der Kampf noch nicht entschieden, obwohl der Bär als eindeutig stärker und kräftiger als der Osmane erscheint. Erst mit der folgenden Karikatur, die am 22. Dezember 1877 unter dem Titel „Gathering of the Eagles“ erschien, klärt Punch die Situation auf: Abb. 52.
Verletzt liegt der Osmane am Boden, sein Dolch ist ihm aus der Hand gefallen.956 Offensichtlich wurde der Bär nur leicht verletzt, da er seine Wunde an seiner Tatze leckt. Um den Kriegsschauplatz herum haben sich bereits die doppelköpfigen „Adler“, Österreich und Deutschland, in der Hoffnung auf Beute, versammelt. Zwar kündigt der Titel dieser Karikatur die „Versammlung der Adler“ an, aber für die Abbildung Russlands setzt der Karikaturist erneut den
955 Punch, Bd. 73, 1. Dezember 1877, S. 247. 956 Punch, Bd. 73, 22. Dezember 1877, S. 282f.
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russischen Bären ein. Punch setzt voraus, dass dem Betrachter eine weitere Nationalallegorie Russlands bekannt ist, nämlich der Doppeladler. Im Hintergrund des Bildes ist zu sehen, wie Schare von Adlern im Anflug sind, die sich ebenfalls Beute erhoffen. Doch sind die drei Repräsentanten des Dreikaiserabkommens die ersten am Platz. Zur Darstellung dieser Szene hat der Karikaturist möglicherweise bewusst auf den Einsatz des Doppeladlers verzichtet und stattdessen den Bären gewählt, um dessen Wildheit und Aggressivität besonders hervorzuheben. Denn die Allegorie des Bären bringt die negativen Attribute, die Russland zugeschrieben werden, stärker zum Ausdruck. Auch erscheint das Osmanische Reich nicht als schwacher Truthahn, sondern als einzige menschliche Gestalt inmitten von Wildtieren, deren Angriffslust er schutzlos ausgeliefert ist. Seine Physiognomie weist auch keinerlei übertriebenen und verzerrten Merkmale auf; durch seine neutrale, weiße Kleidung, erscheint er keineswegs unzivilisiert wie in einigen der vorherigen Karikaturen. Vermutlich stand das Osmanische Reich deshalb nicht in der Kritik von Punch, da in England Disraeli bereits eifrig Vorkehrungen für einen eventuellen Kriegseintritt Großbritanniens traf. Starken Missmut bei Großbritannien erweckten nämlich die „Poradim Bedingungen“ Russlands. Das Osmanische Reich war bereit, die Maximalforderungen des Zarenreiches zu akzeptieren. Am 26. Januar 1878 unterzeichneten die Kriegsparteien den Waffenstillstandsvertrag in Adrianopel. Trotz dieser Umstände, gelang es dem britischen Parlament bis in den Januar hinein, eine einheitliche Linie zu finden. Nach dem Fall von Plewna hatte Serbien erneut den Krieg gegen das Osmanische Reich erklärt, dementsprechend wuchsen die Befürchtungen über eine baldige Besetzung der osmanischen Hauptstadt durch russische Streitkräfte.
5.8 Russland in Indien: Die britische Russophobie in Punch Nachdem es sich abzeichnete, dass das Zarenreich möglicherweise als Sieger aus diesem Krieg hervorgehen wird, erreichte die Russophobie in den Karikaturen von Punch ihren Höchststand. Punch visualisierte verschiedene Horror szenarien, die England versucht hatte, seit Jahrzenten durch seine Außenpolitik abzuwenden.
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Abb. 53.
Punch sah den archaischen Kosak, noch bevor der Krieg endgültig zu seinen Gunsten entschieden war, bereits am Suez Kanal, der von John Bull, der den Schlüssel zum Tor in seiner Hand hält, mit Argusaugen bewacht wurde.957 Im Hintergrund sind Pyramiden zu sehen. Der Kosak verlangt nach Einlass. John Bull erklärt ihm jedoch unmissverständlich, dass die Kanalschleuse für ihn verschlossen bleibt und antwortet ihm: „Lock it is! And we don’t mean to let you, or anybody else, meddle with the key!“ Hier erscheint der Kosak, dessen Augen von seiner Fellmütze bedeckt sind, mit einem ungepflegten Bart, als Hinweis auf seine Wildheit. Offensichtlich plant er einen langen Aufenthalt, denn er führte Vorräte mit sich. John Bull zeigt sich kampfbereit und demonstriert mit seinem Gebaren, den Zugang zum Suez Kanal zu verteidigen. Unmissverständlich erklärt hier Großbritannien, hier als John Bull, dass es nicht bereit ist, den „Schlüssel“ an Russland zu übergeben. Vermutlich entstand diese Karikatur vor dem Hintergrund, dass Großbritannien ihre Flotte gegen Ende Juni nach Besika Bay
957 Punch, Bd. 72, 16. Juni 1877, S. 271.
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gesandt hatte, für den Fall, dass es Russland gelang, in die osmanische Hauptstadt einzumarschieren und so die britischen Interessen zu gefährden.958 Wenige Tage später erschien folgende Bildsatire,959 die das denkbar schrecklichste aller britischen Schreckgespenster visualisierte: Abb. 54.
Als Vorlage für diese Karikatur diente möglicherweise ein Zitat aus einer Rede von Salisbury, die er in der Merchant Taylors’ Hall hielt: „It has generally been acknowledged to be madness to go to war for an idea, but it is yet more unsatisfactory to go to war against a nightmare.“960 Die britischen Nachrichtenblätter wie Morning Post, Pall Mall und Daily Telegraph hatten bereits das Horror szenario des wilden Kosaken in Indien verbreitet. In dieser Karikatur kommt die große Furcht vor der Expansion Russlands nach Indien explizit und visuell zum Ausdruck. Salisbury versucht, gut auf die Zeitungen einzureden, die hier als schlafende Wesen dargestellt sind, und sie von ihrem Angsttraum mit den Worten: „Wacht auf, wacht auf meine kleinen Männer! Macht doch nicht so einen schrecklichen Krach! Das ist nur ein Albtraum!“ aufzuwecken. Über den
958 Milmann, Eastern Question, S. 303ff. 959 Punch, Bd. 72, 23. Juni 1877, S. 283. 960 Lord Salisbury among the Merchant Taylors. Begleittext zur Karikatur.
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schlafenden Wesen schwebt der Geist des wilden Kosak, der auf seinem geisterhaften Gaul reitet. Er ist nicht nur archaisch und wild, er hat außerdem spitze Zähne und vier Arme. Mit einer Hand hält er bereits Indien fest, während er mit seinen zwei weiteren Händen seine Waffen trägt. Vom Standpunkt Salisburys ist der Krieg, den das Zarenreich im Namen der Panorthodoxie und des Panslawismus führt, schon irrsinnig genug, jedoch hält er es für noch verrückter, in den Krieg gegen ein Horrorszenario zu ziehen. Zu diesem Zeitpunkt bestand auch noch keine unmittelbare Bedrohung für Konstantinopel, die eine Intervention Englands erfordern könnte. Obwohl britische Politiker wie Salisbury noch keinen Anlass für die Ergreifung von unmittelbaren Interventionsmaßnahmen vorsahen, war die englische Presse stark besorgt um die Investitionen im Orient. Die Sorge um britische Interessen war dermaßen stark, dass der Kosak in dieser Karikatur wilder, bestialischer und grausamer in Erscheinung tritt, deutlicher als in jedem Bild zuvor.
5.9 Der Friedensvertrag von Adrianopel Während seiner Sitzung am 7. Februar 1878 entschied das Kabinett, einen Teil der britischen Flotte nach Konstantinopel zu schicken, angeblich, um das Leben der britischen Bürger und britisches Eigentum zu beschützen.961 Am selben Tag verhandelte das Parlament auch über Kriegsanleihen, somit rückte ein möglicher Krieg gegen Russland bedrohlich näher. Großbritannien ließ sogar in Wien anfragen, ob Österreich-Ungarn bereit war, die britische Flotte im Kampf gegen das Zarenreich zu unterstützen.962 Da die Kriegskasse der Donaumonarchie keine finanziellen Mittel für einen Krieg gegen Russland hergab, erwirkte Disraeli die Garantie für eine Anleihe.963 In der Kabinettssitzung vom 8. Februar fiel die Entscheidung, auch Frankreich um die Entsendung ihrer Truppen nach Konstantinopel zu bitten. In der Zwischenzeit war auch die Gegenwehr Salisburys und Derbys gegenüber Disraelis Bestrebungen gebrochen.964 Großbritannien versuchte nun mit allen Mitteln eigene Interessen zu beschützen. Der britische Botschafter in Konstantinopel, Laylard, wurde angewiesen, die Erlaubnis des Sultans einzuholen für eine Landung britischer Truppen.965 Aus Furcht,
961 Ković, Disraeli, S. 243. 962 Millman, Eastern Question, S. 360. 963 Schmidt, “Balkankrise”, S. 74ff. 964 Millman, Eastern Question, S. 380f. 965 Ković, Disraeli, S. 243.
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die russischen Truppen könnten trotz des Friedensabkommens die osmanische Hauptstadt besetzten, sah Abdülhamid II. von der offiziellen Einladung der britischen Marinestreitkräfte ab. Diese Ablehnung des Sultans schlug sich in der folgenden Karikatur von Punch nieder,966 die am 23. Februar 1878 unter dem Titel: „Awkward“ erschien: Abb. 55.
Auf obigem Bild ist zu sehen, wie der britische Löwe, der hier als Marineoffizier erscheint, in Istanbul andockt. Der Russe hat sich bereits in Istanbul eingefunden und stützt den vom Krieg sichtlich gezeichneten Osmanen, der so stark abgemagert ist, dass ihm bereits seine Augen aus ihren Höhlen hervortreten. Der Bär 966 Punch, Bd. 75, 23. Februar 1878.
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hingegen hat kaum Verletzungen durch den Krieg davongetragen, lediglich sein linkes Auge ist verletzt. Im Gegensatz zum Osmanischen Reich, symbolisiert durch den Osmanen, trägt er immer noch seine Uniform, während der Osmane in neutralen weißen Gewändern gekleidet ist. Der Osmane scheint vom Anblick des Briten erschrocken. Er fordert den britischen Löwen mit den Worten: „Rück ab! Du kannst hier nicht landen!“ zur Umkehr auf. Der Löwe entgegnet ihm: „Ich bin gekommen, um britisches Leben und Eigentum zu schützen.“ Russland erhebt Einspruch und sagt: „Das ist überhaupt nicht notwendig. Ich bin hier um alle zu schützen.“ Zuletzt ergreift das Osmanische Reich das Wort, vermittelt dem Löwen: „Tatsache ist, dass ich mit diesem Gentleman kürzlich auf ewige Freundschaft geschworen habe.“ Damit spielt Punch auf den Friedensvertrag von Adrianopel an, den Russland und das Osmanische Reich abgeschlossen hatten, der jegliche Interventionsmaßnahmen der Großmächte ausdrücklich ablehnte. Es schien, als ob der Löwe zu spät gekommen sei, denn sein stärkster Opponent befindet sich an der Seite seines ehemaligen Verbündeten, während ihm die Landung verwehrt bleibt. Obwohl den britischen Schiffen die Landung in der osmanischen Hauptstadt verwehrt blieb, ließen sie jedoch ihre Kriegsschiffe nun in Gallipoli vor Anker gehen. Zwar waren russischen Streitkräfte in der Umgebung Istanbuls stationiert, allerdings sahen diese von einer Besetzung der Hauptstadt ab. Ungeachtet dessen verbreiteten britische Nachrichtenblätter das Gerücht, die Russen hätten Konstantinopel bereits in Besitz genommen. Angesichts der Tatsache, dass die osmanische Hauptstadt nun ungeschützt unter die Herrschaft Russlands gelangen könnte, schürte in Großbritannien die Russophobie. Seit dem Bekanntwerden der „Bulgaren Gräuel“ war das Ansehen des Osmanischen Reiches in der britischen Öffentlichkeit stark lädiert. Aber die latente russische Bedrohung ließ erneut Stimmen in der Öffentlichkeit erklingen, die ihren Schutz forderten.967 Über Krieg oder Frieden war noch nicht entschieden, so loteten die Großmächte die Situation, die sich fast täglich änderte, aus. Sowohl in Ungarn als auch in Großbritannien verstärkten sich die Stimmen von Patrioten, die einen Kampf gegen Russland forderten. Infolgedessen, hing der Friede zwischen Russland und England Mitte Februar am seidenen Faden.968 Bislang waren die diplomatischen Mittel noch nicht hinreichend ausgeschöpft. Sowohl Russland als auch England strebte nicht nach einer militärischen Lösung des Konflikts, dennoch war die Gefahr eines bevorstehenden Krieges ziemlich
967 Millman, Eastern Question, S. 385. 968 Ibidem, S. 392.
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real.969 Disraeli, der besonders eifrig Vorkehrungen für einen Waffengang traf, stand deshalb in der Kritik von Punch.970
5.10 Der Friedensvertrag von San Stefano Am 3. März 1878 schlossen Russland und das Osmanische Reich einen Friedensvertrag in San Stefano. Punch widmet dem Friedensabschluss mehrere Karikaturen, jedoch misstraute das Blatt dem Frieden. Am 27. April 1878 erschien folgende Karikatur,971 unter dem Titel „The Easter Egg“: Abb. 56.
Im obigen Bild hat, der Doppeladler, d. h. Russland, ein Ei gelegt, den Friedensvertrag von San Stefano, den er als Diktatfrieden vorgegeben hatte. Punch zeigt sich skeptisch, und fragt, was denn diesem Ei entschlüpfen werde. Der Inhalt des Vertrags unterschied sich nicht vom Vertrag von Adrianopel und ließ 969 Millman, Eastern Question, S. 293. 970 Vgl. Punch, Bd. 75, 19. Januar 1878; Punch, Bd. 75, 2. Februar 1878; Punch, Bd. 75, 16. März 1878. 971 Punch, Bd. 75, 27. April 1878.
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infolgedessen den Gegensatz zwischen England und Russland erneut aufkeimen. Ebenso wie England, war auch Österreich-Ungarn geneigt bis zum Äußersten zu gehen, um eigene Interessen, die bei diesem Vertrag blieben nämlich ebenfalls unberücksichtigt blieben, zu verteidigen. Dementsprechend waren sie dem Zarenreich nicht sehr freundschaftlich gesinnt, wie es folgendes Bild zeigt: Abb. 57.
Angelehnt an den Titel des Bildes, der „Beati Possidentes“ (Glücklich sind die Besitzenden) lautet, haben sich die Mächte versammelt, die leer ausgegangen sind, um vereint gegen Russland vorzugehen.972 Denn in den Armen des russischen Bären der eine Augenklappe trägt, liegt der leblose Truthahn, an dessen Füßen die Last von 1856 angekettet ist. Vermutlich hat der Ausspruch Bismarcks „that Turkey must be regarded as already dead“973 als Vorlage für den Karikaturisten gedient. Die Hunde haben den mächtigen Bären an die Wand gedrängt und fordern lautstark ihren Anteil ein, allen voran England, Griechenland, Serbien und Griechenland. Während diese Mächte als bellende, angriffslustige Hunde erscheinen, wird Österreich als kleiner Harmloser Dackel illustriert und 972 Punch, Bd. 75, 19. März 1878. 973 Schmidt, “Balkankrise”, S. 81.
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das Deutsche Reich als (deutsche) Dogge. Im Gegensatz zu ihren anderen Artgenossen bellen sie nicht, beweisen aber Präsenz. Mit dieser Karikatur bringt Punch, zum einen die anti-russische Stimmung zum Ausdruck zum anderen aber auch die britische Geringschätzung Österreichs, da es als harmloser Dackel dargestellt wird. Salisbury mistraute Österreich immer noch, und so war die Wahrung der Interessen der Donaumonarchie keineswegs richtungweisend für dessen Politik. Auch wenn Disraeli Versuche unternommen hatte, ein Bündnis mit Österreich-Ungarn einzugehen, so nahm Salisbury deutlich davon Abstand. Die Verhinderung von Großbulgarien war die minimale Option des britischen Entgegenkommens, da auch das britische Empire keineswegs diese vorgesehenen Grenzen akzeptieren wollte.974 Der Hinweis auf den Pariser Frieden soll vermutlich verdeutlichen, dass auch dieser mit dem Truthahn sein Ende gefunden habe und nun durch ein neues internationales Abkommen ersetzt werden solle. Ein ähnliches Motiv wie im obigen Bild erschien zum ersten Mal in der Anfangszeit des Krimkrieges, am 8. April 1853, unter dem Titel: „Turkey in Danger“.975 Obwohl der Bär weitaus größer und kräftiger als seine Widersacher ist, so scheint er doch durch deren Gebell verschreckt und verängstigt. Er macht allerdings keine Anstalten, seine Beute, den Truthahn, zu teilen. Erneut nutzt Punch zur Darstellung der Angreifer die Metapher der aggressiven Hunde. Der Bär hatte mit seinem Alleingang und dem Diktatfrieden alle Interessen der anderen europäischen Mächte missachtet. Lediglich das Deutsche Reich, hier „Bismarck“ genannt, verhielt sich möglicherweise deshalb ruhig, weil es keine unmittelbaren Interessen im Orient verfolgte, aber um den europäische Frieden, der gegenwärtig stark gefährdet schien fürchtete. England und Griechenland wehrten sich äußerst vehement gegen die Idee der Gründung von Großbulgarien.976 Nicht nur unter den Großmächten hatte sich Missmut bereit gemacht, auch die beiden Fürstentümer gaben sich nicht mit den Bedingungen zufrieden. Montenegro strebte an, sein Einflussgebiet unter anderem auf Herzegowina und Albanien auszuweiten. Auch in Serbien hatte sich Frustration breit gemacht. Muslime, Griechen und Juden, die in den dortigen Gebieten lebten, waren gleichermaßen nicht über eine Herrschaft der Bulgaren erfreut.977 Unter den Mächten herrschte inzwischen Einigkeit, dass die Meinungsverschiedenheiten und Interessenge gensätze auf einem Kongress ausführlich verhandelt werden sollten, dennoch 974 Schmidt, “Balkankrise”, S. 81. 975 Siehe Titelbild. 976 Kofos, Greece, S. 200ff. 977 Millman, Eastern Question, S. 403.
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blieb der ausgeprägte englisch-russische Gegensatz bestehen. Diesen Antagonismus verdeutlicht Punch in einer Karikatur, die am 13. April 1878 erschien.978 Auf dieser stehen sich ein Bär und ein Löwe auf schmalen Pfad auf einer Klippe gegenüber. Dessen Titel wirft die Frage auf: „Wer geht zurück?“ Denn es kann lediglich nur einer der Rivalen seinen Weg fortführen, wenn der andere den Weg frei gibt. Um diesen englisch-russischen Gegensatz zu entschärfen, bot sich Bismarck als Makler an, um zwischen London und St. Petersburg zu schlichten.979 Erst Ende April 1878 entschärfte sich das Verhältnis zwischen England und Russland. Salisbury ließ separate Verhandlungen mit Russland, ÖsterreichUngarn und dem Osmanischen Reich aufnehmen.980 Bis zum Auftakt des Berliner Kongresses im Juni 1878 setzte sich das diplomatische Tauziehen nun fort. Ein erster Erfolg, den Großbritannien schon vor dem Kongress verbuchen konnte, war die Herrschaft über die strategisch wichtige Insel Zypern.981 Großbritannien war äußerst bestrebt, den Vertrag von San Stefano schon im Vorfeld der Konferenz nach britischer Interessenlage zu revidieren. Das Schicksal des Osmanischen Reiches erschien bis zur Berliner Konferenz lediglich peripher in den Karikaturen von Punch auf. Vielmehr standen die britischen Vorbereitungen auf die Konferenz in Berlin in ihrem Mittelpunkt. Ähnlich wie in Kladderadatsch, so stand auch Disraeli häufig in der Kritik von Punch, der zynisch lächelnd rücksichtlos seine Politik betreibt und nahm sogar in Kauf Großbritannien in einen Krieg zu lotsen. Seinen Zynismus bringt Punch mit folgender Karikatur zum Ausdruck, die am 6. Juli 1878, vor dem Abschluss des Berliner Kongresses,982 unter dem Titel „New Leg“, erschien:
978 979 980 981 982
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Punch, Bd. 75, 13. April 1878. Schmidt, “Balkankrise”, S. 77. Ibidem, S. 85. Ibidem, S. 91, Millman, Eastern Question, S. 434, S. 447. Punch, Bd. 75, 6. Juli 1878.
Abb. 58.
Hier erscheint Dr. Benjamin in der Rolle eines Arztes, der seinem Patienten, dem „kranken Mann vom Bosporus“ mit einem spöttischen Lächeln den Ratschlag gibt: „Gib dir nur Mühe! Du wirst dieses bald besser finden, als dein altes [Bein]!“ Dem „kranken Mann“ wurde offensichtlich sein unteres Bein amputiert, damit sind die Provinzen auf dem Balkan gemeint, die das Osmanische Reich infolge des Krieges verlor. Während Salisbury und Bismarck versuchen ihn in seinen Sessel zu hieven, scheint Disraeli den Anblick offenkundig zu genießen. Der „kranke Mann“ ist deutlich gezeichnet vom Schrecken der Amputation und des Krieges. Hier erscheint er erneut schwerfällig, und wird wohl auch schon bald in seine gewohnte Lethargie zurückfallen, wie es seine bereitstehende Wasserpfeife andeutet. Zusammenfassend ist festzustellen, dass sich die Karikaturen von Punch überwiegend sehr allgemeinen mit der Orientalischen Frage befassen und wenig Bezug auf aktuelle Ereignisse im Krisenverlauf nehmen. In der ersten Phase bis zur sogenannten „Bulgarengräuel“ trat das Osmanische Reich vornehmlich als das Opfer von russischen Intrigen in Erscheinung. Ähnlich wie Kladderadatsch entlarvte auch Punch den russischen Agitator hinter den Aufständen in
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den Provinzen. Das Ansehen des Osmanischen Reiches änderte sich im Sommer 1876, nach dem Bekanntwerden der „Bulgaren Gräuel“ in der britischen Öffentlichkeit. Nun war es keineswegs mehr Opfer, sondern selbst zu einem barbarischen Täter geworden. Das Bild Zarenreiches blieb über den gesamten Verlauf der Krise bis hin zum Ende des Krieges vornehmlich gleichbleibend negativ. Oft stellten die Karikaturisten Russland in tierischer Gestalt dar. Sein intriganter und wilder Nimbus verstärkte sich in dem Moment, als Großbritannien seinen Einfluss im Mittelmeer Raum und in Indien wachsen sah. Das Bild des wilden Kosaken erreichte in dieser Zeit das Höchstmaß an Abscheulichkeit. Neben Russland standen seine „Verbündeten“ Österreich-Ungarn und das Deutsche Reich oft gleichermaßen in der Kritik, die als „Aasfresser“ auf einen günstigen Moment warteten, gierig und hinterlistig zugleich, selbst zuzuschlagen. Nachdem sich ein russischer Sieg scheinbar Abzeichnete, änderte sich das Bild des Osmanischen Reiches erneut. Es erschien in menschlicher Gestalt, das oft hilflos den Angriffen Russlands ausgesetzt war. Auffällig ist, dass der Hohn und der Spott der Karikaturen von Punch in den Jahren zwischen 1875–1878 verstärkt auf Disraeli abzielten, und zwar zeitweise so stark, dass das Kriegsgeschehen in den Hintergrund rückte.983
983 Vgl. Anthony Wohl, “„BenJuJu“: Representations of Disraeli’s Jewishness in the late Victorian Political Cartoon”, in: Jewish History, Bd. 10, No. 2, 1996, S. 89–134.
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6. Die Illustration der Balkankrise von 1875–1878 im Kladderadatsch 6.1 Die erste Phase der Balkankrise im Spiegel von Kladderadatsch Im Gegensatz zu Hayal, stellte Kladderadatsch noch vor dem Ausbruch der Revolten in der Herzegowina im Juli 1875 die satirisch karikaturistische Darstellung der Orientalischen Frage in ihren Fokus. Am 31. Januar 1875 erschien eine Karikatur, die auf die Unruhen, die sich auf dem Balkan anbahnten, hinwies. Unter der Überschrift „Das alte Schreckgespenst“ zeigt diese eine gewaltige Seeschlange, die ihr züngelndes Haupt emporstreckt. Die Seeschlange trägt den Schriftzug „Orientalische Frage“ auf ihrem Körper. Die Bildunterschrift dazu lautet: „Auf der untern Donau hat sich wieder einmal die Seeschlange gezeigt. Zum Glück hat man sie sofort beigelegt“. Rechts unterhalb der Seeschlange ist ein bewaffneter Osmane auf der Flucht dargestellt, welcher Pumphosen als Beinkleider und einen Fez als Kopfbedeckung trägt. Auf der anderen Seite des Ufers steht sein Gegner, der ebenfalls seine Waffe bereithält.984 Möglicherweise entstand dieses Bild vor dem Hintergrund der diplomatischen Spannungen zwischen der Hohen Pforte und Montenegro, die in Folge der Tötung eines „Türken“ in Podgorica aufkamen.985 Zwar wurde der Konflikt rasch beigelegt, aber er erweckte laut Kladderadatsch „das alte Schreckgespenst der Orientalischen Frage“. Wenige Wochen nach dem Ausbruch der Aufstände in der Herzegowina sorgte sich Kladderadatsch um den europäischen Frieden. In ihren graphischen Bildsatiren äußerte sie den Wunsch, der Friede in Europa möge bewahrt bleiben. Die Bewahrung des Friedens war aus ihrer Perspektive nur unter der Bedingung möglich, wenn sich das Osmanische Reich vollständig aus Europa zurückzöge. Unter dem Titel „Fort mit ihr aus Europa – Ein Vorschlag zur Güte“ veröffentlichte sie ein Bild, das eine feine Gesellschaft, die gemütlich beisammen sitzt, zeigt. Eine Osmanin befindet sich auch unter den illustren Gästen der Gesellschaft des „Europäischen Konzertes“, gekleidet in ihrer orientalischen Tracht,
984 Kladderadatsch, No. 5, erstes Beiblatt, 31. Januar 1875, S. 1. 985 Kos, Die Politik, S. 69.
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an deren Kopfschmuck ein Halbmond hervorragt, das Symbol für das Osmanische Reich.986 Ein Kellner ist im Begriff, ihr ein Schreiben der Direktion des Lokals zu überreichen, auf dem geschrieben steht: „Die Direktion ersucht Sie höflichst, ohne Aufsehen zu erregen, das Europäische Conzert zu verlassen.“ Der Untertitel zu diesem Bild lautet: „Könnte man nicht, wie im Berliner Stadtpark, solche Personen, die ein öffentliches Ärgernis geben und sonstige Störungen nach sich ziehen, durch eine höflich gedruckte Aufforderung zur Räumung des Locals veranlassen?“987 Gemäß dieser Karikatur sollte das Osmanische Reich Europa und das europäische Konzert still und leise verlassen, ohne Komplikationen zu verursachen oder anderweitig unangenehm aufzufallen. In ihren weiteren Karikaturen betonte die Satirezeitschrift ihre Haltung diesbezüglich nachdrücklicher.988 Beispielsweise erschien unter dem Titel „Europäisches Friedenskonzerthaus“ eine graphische Bildsatire, die zeigt, wie die Staatsmänner Bismarck, Gorčakov, Disraeli, Andrássy, Chaudordy und Corti vereint an einem Tisch sitzen. Gemeinsam haben sie darauf ein Kartenhaus errichtet. Auf dem Kartenhaus thront Athene, mit einem Palmwedel in ihrer Hand, als Allegorie des Friedens. Der Frieden steht allerdings auf einem unbeständigen Untergrund, dem Kartenhaus, das bei einer kleinsten Erschütterung in sich zusammenfallen kann. Im Hintergrund hängt an der Wand eine Liste mit dem Titel „Friedenskosten“. Der Inhalt dieser Liste steht allerdings im Widerspruch mit den darunter aufgelisteten Posten wie „Stehende Heere“ oder „Kanonen“, die eindeutig auf eine kriegerische Auseinandersetzung hindeuten. Hier bedient sich Kladderadatsch der Ironie und meint mit „Friedenskosten“ „Kriegskosten“. Der Untertitel zu diesem Bild lautet: „Daß mir nun aber keiner an den Tisch stößt.“989
986 Laut Renger hatten weibliche Allegorien seit Jahrhunderten ihren festen Platz in der europäischen Kunst. Durch ihre Haltung, Kleidung und Attribute bezeichneten sie die fundamentalen Charakteristika der Erdteile bzw. Länder, die sie repräsentieren. Vgl. Renger, “Stier und Sternenkranz”, S. 75. 987 Kladderadatsch, No. 40, 29. August 1875, S. 4. 988 Kladderadatsch, No. 6, 4. Februar 1877, S. 4. 989 Kladderadatsch, No. 44 und 45, 26. September 1875, S. 8.
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Es ist der Karikatur nicht zu entnehmen, wer diese Warnung ausspricht. Möglicherweise handelt es sich dabei um Bismarck, der eine letzte Karte in seiner Hand hält. Die Osmanen hingegen sind in dieser Gesellschaft ausdrücklich unerwünscht, denn sie stehen in der Tür und bitten verärgert um Einlass. Der ältere von beiden hebt protestierend seinen Gehstock empor (der Gehstock des Osmanen ist als Anspielung auf die Schwäche und das Alter des Osmanischen Reiches zu verstehen). Der Wachmann verwehrt ihnen den Einlass und verweist sie der Tür. Wenn er die beiden Osmanen hineinlassen würde, so bestünde die Gefahr, dass der alte und gebrechliche Osmane das mühsam errichtete Kartenhaus leicht zum Einstürzen bringen könnte, da er sich ausschließlich mit der Hilfe eines Gehstockes fortbewegen konnte. Auf diesem Bild ist an der Stelle, wo sich in den anderen Karikaturen das osmanische Emblem (ein Halbmond mit einem Stern) befindet, der Stern durch ein Fragezeichen ersetzt worden; vermutlich als neues Symbol für die „Orientalische Frage“. Des Weiteren ist an diesem Bild beachtenswert, dass die Karikaturisten die übrigen Beteiligten dieser Runde durch ihre „realen“ Repräsentanten darstellten, während sie für die Illustration des Osmanen auf stereotype Elemente zurückgegriffen. Höchstwahrscheinlich wählten die Künstler diese Art der Darstellung, um die Andersartigkeit und die Fremdartigkeit der Osmanen zu betonen. Außerdem ermöglicht es ihnen die stereotypische Abbildung, die angebliche Schwäche des alten Osmanen stilistisch besser darzustellen, als das es die Wiedergabe durch ihren realen Herrscher erlauben könnte. Unter der Rubrik „Fremdwörter – Erklärung“ veröffentlichte Kladderadatsch eine weitere Karikatur, die für die Vertreibung der Osmanen aus Europa plädiert. Diese trägt den Untertitel „Eclipse de lune“ (Mondfinsternis), und als Erklärung dieses Begriffes wird aufgeführt: „Letzte Antwort auf die Orientalische Frage“.
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Abb. 59.
Hier ist zu sehen, wie sichtlich ein Osmane, durch den Tritt eines Europäers, symbolisiert durch den Stiefel, in Richtung Asien befördert wird.990 Physiognomisch erscheint der Osmane klein und gebrechlich. Erneut setzt der Künstler den Akzent zur Kennzeichnung des Osmanen auf seine stereotype Kleidung sowie auf den Halbmond, welchen er auf seinem Turban trägt.991 Darauf spielt auch der Begriff „Mondfinsternis“ an, denn der Halbmond auf dem Turban ist schwarz. Der Wunsch des Kladderadatsch, dass das Osmanische Reich aus dem „europäischen
990 Kladderadatsch, No. 47, 10. Oktober 1875, S. 4. 991 Nur in sehr wenigen Bildern tragen Figuren, die die Osmanen, das Osmanische Reich oder den Sultan symbolisieren sollen, individuelle Merkmale. Eine der wenigen Karikaturen, die einen Osmanen mit einer großen Nase zeigt, erschien im ersten Beiblatt des Jahres 1877. Dort ist der „kranke Mann“ mit seiner unverkennbar großen Nase abgebildet. Bekanntermaßen hatte Sultan Abdülhamid II. ein dementsprechend stattliches Riechorgan. Vgl. Kladderadatsch, No. 3, erstes Beiblatt, 21. Januar 1877, S. 1 und Kladderadatsch, No. 4 und 5, 28. Januar 1877, S. 8.
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Konzert“ ausgeschlossen werden und sich rasch nach Asien zurück ziehen solle, blieb auch in den folgenden Jahren ein kontinuierliches Thema.992 Unter dem Titel „Die nächtlichen Ruhestörer Europa’s“ publizierte dieselbe Satirezeitschrift folgendes Bild: Abb. 60.
Auf obigem Bild ist zu sehen, wie eine Gruppe von Osmanen, die in den Karikaturen des Kladderadatsch, wie bereits erwähnt, vornehmlich in wallenden Gewändern, Pumphosen und Turban dargestellt werden, nachts singend umherziehen.993 Der Osmane auf der linken Seite außen soll einen Krieger darstellen, der seinen Säbel mit sich führt, möglicherweise als Attribut seines Kriegertums. Es bereitet dieser Gruppe offensichtlich großes Vergnügen, nachts umherzuziehen und Lieder anzustimmen, denn sie singen ihr „Bummellied am Bosporus“: „Nach Asien gehn wir nicht, Nach Asien gehn wir lange nicht, Nach Asien gehn wir nicht!“
Die Gestalten wirken nicht nur unsympathisch, rückständig und unzivilisiert, auch wenn der Osmane rechts außen ein fröhliches Gesicht macht, erscheint es unnatürlich maskenhaft und aufgesetzt. Sie verweigern auch dem ausdrücklichen 992 Unter dem Titel „Orientalisch Fragliches“ publizierte Kladderadatsch eine Reihe von Karikaturen in ihrer 2. Nummer des Jahres 1877. Auf einem dieser Bilder tanzt ein Osmane ausgelassen auf der Nase Europas. Um dem fragwürdigen Treiben der Osmanen Einhalt zu gebieten, wäre es für Kladderadatsch die einzige Lösung, wenn der Stier „[…] die europäische Türkei nach Asien holte“. Vgl. Kladderadatsch, No. 2, 14. Januar 1877, S. 4. 993 Kladderadatsch, No. 13, erstes Beiblatt, 18. März 1877, S. 1.
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Wunsch von Kladderadatsch, sich nach Asien zurückzuziehen. Durch ihre Darstellung in orientalischen Gewändern werden den Osmanen negative Attribute wie zum Beispiel Rückständigkeit und Mangel an Zivilisation zugeschrieben. In ihren Darstellungen halten die Karikaturisten das Bild des fremden, unmodernen, unzeitgemäßen und exotischen „Türken“ aufrecht, welcher noch zusätzlich die Ruhe Europas stört, anstatt sich friedlich nach Asien zu begeben, wo er nach Meinung von Kladderadatsch auch hingehört. Im Gegensatz zu den Darstellungen im Punch sind die Osmanen in den frühen Karikaturen von Kladderadatsch zur Balkankrise keineswegs „Opfer“ der Rebellen auf dem Balkan, sondern sie haben sich ihre Misere durch Trunksucht, Verschwendungssucht und ihren Hang zu Weibern selbst zuzuschreiben. Kladderadatsch zufolge gefährdet die Instabilität des Osmanischen Reiches die angebliche Stabilität Europas und stellt somit eine außerordentliche Bedrohung für den europäischen Frieden dar.994 Neben der Verbannung der Osmanen aus Europa war die Einverleibung der europäischen Territorien des Osmanischen Reiches durch die Donaumonarchie und dem Zarenreich ein weiter Lösungsansatz zur Klärung der „Orientalischen Frage“. Unter dem Titel: „Die drei Gewaltigen“, damit sind die Repräsentanten des Dreikaiserbündnisses gemeint, und zeigt wie diese zu einer einvernehmlichen Übereinkunft gelangt sind: Abb. 61.
994 Kladderadatsch veröffentlichte ebenfalls Karikaturen, die den Osmanen als Wein und Weib verfallenen Despoten darstellen.
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Hier ist zu sehen, wie Andrássy und Gorčakov von einer Schüssel, die das Osmanische Reich symbolisiert, diejenigen Gebiete genüsslich in völliger Eintracht verspeisen, auf die sie vornehmlich Anspruch erhoben hatten.995 Gorčakov verleibt sich Bulgarien ein, während Andrássy Bosnien verspeist. Bulgarien und Bosnien stehen hier symbolisch für all die anderen Gebiete auf dem Balkan, auf die diese beiden Mächte Anspruch erhoben. Bismarck erfüllt bei dem Mahl seine Funktion als „Wächter“, der mit seiner Speeraxt die Einverleibung überwacht und mit seiner Kerze für das nötige Licht sorgt. Es scheint so, als ob die beiden ihr Mahl heimlich in einem stillen Kämmerlein zu sich nehmen. Jack Tar und Marianne, die Allegorie für Frankreich, sind nicht eingeladen, erscheinen dennoch an der Tür und betrachten die Szenerie von draußen. Es scheint, dass Jack Tar Marianne etwas zuflüstert. Beide machen aber keinerlei Anstalten einzugreifen oder sich dazuzugesellen. Der Begleittext lautet: „Es wird zwar nichts so heiß gegessen wie es gekocht wird; aber das jüngste türkische Gericht wird doch einmal in obiger Weise – verzehrt werden.“ Damit deutet Kladderadatsch erneut auf das angeblich unvermeidliche Ende der osmanischen Herrschaft auf dem Balkan hin, das durch die Wendung „das jüngste türkische Gericht“ besonders hervorgehoben wird und weckt somit die Assoziation an das „jüngste Gericht“, das am Ende aller Tage jeden Menschen erwartet. Erneut tritt Bismarck als Mittelsmann zwischen den beiden konkurrierenden Mächten auf. Frankreich und England scheinen dabei leer auszugehen. Wichtig scheint in diesem Kontext lediglich die Einigkeit zwischen der Habsburgermonarchie und dem Zarenreich. Aus der Perspektive Bismarcks war ein einvernehmliches Vorgehen unerlässlich für die Wahrung des europäischen Friedens zwischen den Bündnispartnern.996 Bismarck befand sich in einer äußerst misslichen Lage, und war bedacht darauf, jegliche Spannungen zwischen den Parteien auszugleichen. Zusätzlich deutet Kladderadatsch mit diesem Bild wiederholt darauf, dass die Annexion des Balkans durch die Donaumonarchie und Russland hypothetisch die politischen Spannungen in Europa abbauen würde. Nur solch eine radikale Lösung, wie sie der Kladderadatsch vorschlägt, könne aus ihrer Sicht den Frieden herbeiführen. Das Blatt reflektiert mit dieser Karikatur nicht im Geringsten die tatsächlichen Beziehungen zwischen der Habsburgermonarchie und dem Zarenreich. Schon vor dem Ausbruch des Krieges traten häufiger Spannungen zwischen diesen beiden Mächten auf. Das Treffen in Reichstadt am 8. Juli 1876 konnte ebenso keine bindende Lösung
995 Kladderadatsch, No. 49 und 50, 22. Oktober 1876, S. 8. 996 Vgl. Schmidt, “Balkankrise”, S. 40.
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herbeiführen, mit denen alle Parteien zufrieden waren.997 Im Herbst desselben Jahren unterbreitete der Zar der Donaumonarchie den Vorschlag, für den Fall, dass das Osmanische Reich den Fürstentümern keinen Waffenstillstand gewähre sowie die Friedensbedingungen der Großmächte verwerfe, solle Russland Bulgarien besetzen und Österreich-Ungarn Bosnien. Andrássy sprach sich gegen diesen Vorschlag aus, somit waren sich die beiden Kontrahenten gar nicht so einig, wie es die Karikatur zu vermitteln versucht.998
6.2 Der „kranke Mann“ vom Bosporus Während der Jahre 1875 bis 1878 gebrauchte Kladderadatsch, im Gegensatz zu Punch, wiederholt die Allegorie des „kranken Mannes“ am Bosporus, dessen Reich kurz vor dem endgültigen Zerfall stehe.999 Im Folgenden sollen nun ausgewählte Karikaturen vorgestellt werden, die auf dieses Sinnbild zurückgreifen: Abb. 62.
997 Vgl. Kos, Die Politik, S. 141ff. 998 Ibidem, S. 161ff. 999 Kurz nach dem Ausbruch des Russisch-Osmanischen Krieges 1877, publizierte Kladderadatsch ein Bild, welches zwei bettlägerige kranke Männer zeigt. Rechts im Bild liegt der Osmane und links der Kosak. Kladderadatsch gemäß, muss Frau Europa bald zwei kranke Männer pflegen, wenn der Krieg weitergeführt wird. Somit stellt sie mit diesem Bild die Kräfte des Zarenreiches mit dem des Osmanischen Reiches gleich. Beide Kriegsparteien scheinen mit ihren Kräften am Ende zu sein. Kladderadatsch, No. 47, erstes Beiblatt, 14. Oktober 1877, S. 1.
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Obige Karikatur trägt den Titel: „Um des lieben Friedens willen“ und bringt erneut zum Ausdruck, dass die Bewahrung des europäischen Friedens unmittelbar vom Schicksal des Osmanischen Reichs abhängig sei.1000 Um den Osmanen herum, diesmal in seiner modernen Uniform dargestellt, haben sich die Vertreter der westlichen Mächte versammelt. Während einige versuchen, den „kranken Mann“ zu stützen und aufzurichten, damit dieser nicht auf den Boden fällt, trägt der Engländer, dargestellt als Matrose Jack Tar, als Symbol der britischen Seeherrschaft seine Schuldscheine mit sich und verlangt mit den Worten „mein Geld will ich“ deren Begleichung. Gemäß diesem Bild verfolgt er hauptsächlich seine wirtschaftlichen Interessen und ist offenkundig um sein Geld besorgt. Russland hingegen, dargestellt als Kosak, macht keinerlei Anstalten, dem „kranken Mann“ unter die Arme zu greifen. Denn sein rasches Ableben käme ihm sehr entgegen, da es schon seit Jahrhunderten danach strebte dessen Erbe anzutreten. Auch die Soldaten, die sich im Hintergrund des Bildes befinden, zeigen keinerlei Bereitschaft in den Krieg zu ziehen, sondern schwenken stattdessen die Friedensfahne. Dieser Karikatur ist zu entnehmen, dass die westlichen Mächte derzeit nicht an dem vollständigen Zerfall des Osmanischen Reiches interessiert sind. Sie streben vielmehr danach den drohenden Zusammenbruch solange aufzuhalten, bis sie ihre Ansprüche zu ihren Gunsten geklärt haben. So heißt es im Untertitel: „Da niemand weiß, wer beim Ableben des kranken Mannes dessen Erbe sein wird, und da deshalb mancherlei Streitigkeiten entstehen könnten, sind alle Mächte sich einig, den kleinen Türken so lange als möglich auf seinen schwachen Beinen zu erhalten“. Folglich scheint das Schicksal des „kranken Mannes“ ausschließlich in den Händen der westlichen Mächte zu liegen. Er selbst hat gemäß dieser Darstellung keinerlei Einfluss mehr auf sein Schicksal und ist ausnahmslos auf das Wohlwollen der westlichen Mächte angewiesen. Auch in der folgenden Bildsatire, die unter dem Titel „Damit nachher kein Streit entsteht“ erschien, griff Kladderadatsch erneut auf das Motiv des „kranken Mannes“ zurück und zeigt, wie Österreich-Ungarn, Russland und England sich an seinem Krankenlager eingefunden haben:
1000 Kladderadatsch, No. 41, 5. September 1875, S. 4.
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Abb. 63.
Hilflos und völlig geschwächt und liegt der „kranke Mann“ in seinem Bett und wird von Russland und Österreich-Ungarn fürsorglich umsorgt. Während die beiden mit der Pflege des Kranken beschäftigt sind, nutzt der hinterlistige John Bull die Gelegenheit zu seinen Gunsten und versucht die Suez-Kanal-Aktien zu erschleichen, die unter dem Kopfkissen des dahinsiechenden Osmanen liegen. Der Habsburger hat sich vorsorglich auf die Schatzkiste gesetzt und befühlt den Puls des „kranken Mannes“, möglicherweise um festzustellen, wie viel Geduld er noch aufbringen muss, bis er sich diese Kiste endgültig sichern kann. Einzig der Kosak scheint äußerst um die Gesundheit des „kranken Mannes“ besorgt zu sein. Er flößt ihm als Medizin Reformen ein, die er aus den Arzneiflaschen, die auf dem Regal über dem Krankenlager des Osmanen stehen, entnimmt. Allerdings bleibt offen, um welche „Reformen“ es sich handelt. Anscheinend versucht der Kosak seinem kranken Nachbarn jene Reformen zu verabreichen, die ihm, bei einem eventuellen Antritt seines Erbes, zur Sicherung eigener Inte ressen dienen können. Es scheint, so jedenfalls bildet es Kladderadatsch ab, dass Reformen vorerst das einzige Heilmittel für den „kranken Mann“ seien, um zu seiner Genesung beizutragen. Dem leidenden Osmanen war allerdings keine Ruhe gegönnt. Auch an seinem Krankenlager war er mit den Problemen seines Reiches konfrontiert. Es findet sich dort nämlich ein osmanischer Soldat ein, in seiner modernen Uniform dargestellt, der seinen ausstehenden Sold einfordert. Damit weist die Karikatur auf 306
die finanzielle Misere des Reiches hin. Denn die Hohe Pforte war weder in der Lage, den Sold der regulären Truppen, noch die Gehälter ihrer Beamtenschaft zu zahlen.1001 Auch in diesem Fall handeln die Mächte nicht selbstlos, um zur Rehabilitation des „kranken Mann“ beizutragen, sondern verfolgen wiederholt eigene Ziele. Der Begleittext: „John Bull tritt bereits bei Lebzeiten des kranken Mannes seinen Theil der Erbschaft an“ deutet auf den Ankauf der Suez-Kanal-Aktien durch Disraeli im Jahre 1875.1002 Im Zusammenhang mit der Balkankrise erscheint das perfide Albion in den Darstellungen dieser Satirezeitschrift stets habgierig, hinterlistig und in ständiger Sorge um die eigenen, vornehmlich finanziellen Interessen.1003 Zwar behalten auch seine Konkurrenten fortwährend ihre eigenen Belange im Auge, allerdings geht Jack Tar (oder John Bull) im Gegensatz zu ihnen stets hinterlistiger und habgieriger vor. Den Ankauf der Suez-Kanal-Aktien stellte Kladderadatsch mit einer Bildsatire dar, die unter dem Titel „Vor allen Dingen Frieden“ erschien.1004 Der Untertitel lautet: „Daß Drei-Kaiser-Bündniß sieht in der englischen Tranßaktion in Aegypten keinerlei Anlaß zu einer politischen Verwicklung.“ Dort ist zu sehen, wie Disraeli, der hier als „der Kaufmann von Suez“ bezeichnet wird, versucht mit einem Schlachtermesser ein Stück vom Osmanen bei lebendigem Leibe abzuschneiden. Während die Vertreter des Dreikaiserbündnisses hinter einer Mauer stehen und zusehen, packt Bismarck Disraeli, der seine Aktien in der Hand hält, am Kragen und mahnt mit erhobenen Zeigefinger: „Der Jude darf aus seinem Schuldner so viele Pfunde herausschneiden, als es ihm gelingt, nur darf in Folge kein Blut fließen.“ Auffällig ist, dass Kladderadatsch explizit auf den jüdischen Hintergrund des britischen Politikers anspielt, der hier als Disraeli-Shylock bezeichnet wird, 1001 Millman, Eastern Question, S. 39. 1002 Vgl. Ković, Disraeli, S. 95. In weiteren graphischen Bildsatiren widmet sich Kladderadatsch der Habgier Großbritanniens und der vermeintlich skrupellosen Vorgehensweise Disraelis beim Ankauf der Suez-Kanal-Aktien. Vgl. Kladderadatsch, No. 22, 19. Mai 1878, S. 4. 1003 Vgl. Kladderadatsch, No. 16, 7. April 1878, S. 4. Die unersättliche Gier Englands verdeutlicht Kladderadatsch mit einem Bild, welches unter dem Titel „Octupus Britannicus“ erschien. Hier befindet sich der Kopf von Jack Tar auf dem Körper eines Oktopus, der versucht sich Europa und zahlreiche Mittelmeerinseln einzuverleiben. Der Untertitel lautet: „England hat eine so polypenhafte Liebe zum Continent, dass es wünscht, Europa wäre eine Insel, um es gänzlich in seine Armee-, Flotten- und Kohlenstations-Arme schließen zu können.“ Kladderadatsch, No. 23 und 24, 26. Mai 1878, S. 5. 1004 Kladderadatsch, No. 57, 12. Dezember 1875, S. 4.
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gierig wie er ist, nicht einmal davor zurückschreckt, seinem „Opfer“ (dem Osmanen), bei lebendigem Leibe sein Fleisch herauszuschneiden.1005 Damit bedient sich Kladderadatsch des anti-semitischen Judenstereotyps, das seit Jahrhunderten in Europa vorherrschte: der geldgierige und hinterlistige Jude, der lediglich auf seinen Vorteil bedacht, seinem Opfer zu Leibe rückt. Zudem erweckt das Schlachtermesser die Assoziation an die unterstellten Ritualmorde, einem der ältesten antijüdischen Klischees.1006 Auch in England zielte die Kritik, die sich gegen ihn richtete, im Wesentlichen auf seinen jüdischen Hintergrund ab.1007 In ihrer Kritik ist die Satirezeitschrift nicht in Sorge um den Osmanen, dem Opfer der jüdischen Geldgier, sondern das Blatt ist besorgt um den europäischen Frieden, der ihrer Meinung nach in Folge des Aktien-Kaufs in Gefahr geraten könne.
6.3 Das Osmanische Reich als Aggressor Schon in der ersten Phase nach dem Ausbruch der Rebellionen im Juli 1875 erscheint das Osmanische Reich in den Karikaturen von Kladderadatsch als latente Gefahr für den europäischen Frieden. Aus der Perspektive dieser Satirezeitschrift ist es keineswegs nachvollziehbar, dass die westlichen Großmächte keine unmittelbaren Interventionsmaßnahmen einleiten, um eine rasche Pazifizierung auf dem Balkan zu erreichen. Mit einer Karikatur, die unter dem Titel „West-östliche Türkenwirthschaft“ erschien, kritisiert Kladderadatsch zum einen die Brutalität und Grausamkeit sowie das dekadente Leben der osmanischen Herrschaft, zum anderen kritisiert das Blatt auch England, Österreich-Ungarn und Russland, die nicht in das Geschehen eingreifen, weil sie damit beschäftigt sind, sich untereinander argwöhnisch zu beobachten.1008
1005 Vgl. hierzu: Wohl, “„Ben JuJu“, S. 89–134. Zur Politik Disraelis in diesen Jahren siehe bei: Ković, Disraeli. 1006 Vgl. Nicoline Hortzitz, “Die Sprache der Judenfeindschaft”, in: Julius H. Schoe ps (Hg.), Bilder der Judenfeindschaft. Antisemitismus, Vorurteile und Mythen, Augsburg 1995, S. 19–40 und Haibl, Zerrbild, S. 189. 1007 Vgl. Millman, Eastern Question, S. 239, S. 245. 1008 Kladderadatsch, No. 42, 12. September 1875, S. 4.
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Abb. 64.
Auf der unteren Hälfte des Bildes auf der linken Seite ist zu sehen, wie der „Türke“, dargestellt in seiner traditionellen Tracht, mit seiner Rute den „Zehnt“ aus den bosnischen und herzegowinischen Bauern prügelt, der wehrlos auf seinem Weizenbündeln liegt. In der Mitte der unteren Bildhälfte ist zu sehen, wie ein „Türke“, der als „…Töter“1009 bezeichnet wird, einem Christen, symbolisiert durch das Kreuz, welches er um seinen Hals trägt, an die Gurgel geht und ihn mit seinen bloßen Händen brutal erwürgen will. Außerdem fordert er das ein, was der Christ in seiner Hand hält. Auf der rechten Seite der unteren Bildhälfte ist zu sehen, wie der Sultan inmitten von Geldsäcken, bei denen es sich vermutlich um die ausländischen Staatsanleihen handelt, in den Armen seiner beiden Haremsdamen liegt, die ihrerseits schon gierig ihre Hände nach dem Geld ausstrecken.1010 Zwar befindet sich der osmanische Herrscher in einer äußerst brenzligen Situation, von der er sich aber nicht weiter stören lässt. Mit den Geldern, die er aus dem Ausland bekommen und die er aus den christlichen Bauern aus dem
1009 An dieser Stelle ist die Schrift sehr undeutlich. Es ist nicht feststellbar, wen der Türke tötet. Vermutlich soll es an dieser Stelle Christentöter heißen, da der Türke offensichtlich einen Christen brutal angeht. Es ist nicht feststellbar, ob das Schriftbild absichtlich nicht deutlich zu lesen ist, oder ob dies in unbeabsichtigter Weise in dieser Form veröffentlicht worden ist. 1010 In den vorherigen Karikaturen stellte der Kladderadatsch die „Türken“ als hinterlistige, geldgierige Schurken dar, die keineswegs bereit sind, ihre Schulden tatsächlich auch wieder zurückzuzahlen. Wie auch Punch thematisiert Kladderadatsch somit ebenfalls den Staatsbankrott des Osmanischen Reiches.
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Balkan hat heraus prügeln lassen, widmet er sich seinem eigenen Vergnügen. Kladderadatsch zeichnet das Bild eines vergnügungssüchtigen, despotischen und grausamen Osmanen, der vor den Augen Englands, Österreich-Ungarns und Russlands sein Treiben auf dem Balkan unbehelligt fortführen kann, da diese damit beschäftigt sind sich untereinander argwöhnisch zu beobachten. Mit dieser Karikatur unterstellt Kladderadatsch, dass das Osmanische Reich keineswegs die Gelder, die ihm zugeflossen sind, für den Aufbau von Institutionen sowie zur Durchführung der angestrebten Reform- und Modernisierungsmaßnahmen verwendet wie vorgesehen, sondern es völlig eigennützig verschwendet. Der Untertitel bekräftigt die Aussagen der Bildsequenzen: „Unbegreiflich bliebe es, wie die Mächte die türkische Behandlung der christlichen Bosniaken und Herzegowiner mit ansehen können, wenn sie es – überhaupt ansehen könnten, da sie alle Augen voll zu tun haben, sich untereinander zu beobachten.“ In der oberen Bildhälfte ist zu sehen, wie Jack Tar seine Augen auf Österreich-Ungarn und Russland gerichtet hat. Der Habsburger muss stark schielen, um sowohl Jack Tar zu beobachten als auch den Kosak. Der Kosak ist wiederum damit beschäftigt, Jack Tar und Österreich-Ungarn im Auge zu behalten. Infolgedessen haben sie keine Möglichkeit die Szenarien, die sich vor ihrer Nase abspielen, zu betrachten. Kladderadatsch betont ausdrücklich, sowohl mit dem Symbol des Kreuzes als auch mit dem Begleittext, dass es sich bei den Leidtragenden um Christen handelt, die der Habgier und der Despotie der Osmanen ausgesetzt sind. Während Punch in der ersten Phase der Balkankrise die Osmanen noch als Opfer der Rebellen darstellt, weist Kladderadatsch diese bereits als Täter aus, die ersichtlich Verbrechen an Christen begehen. Obwohl Kladderadatsch nicht „die Mächte“ explizit benennt, so klagt sie jedoch hauptsächlich England, Österreich-Ungarn und Russland an, nicht zu handeln, da lediglich alleine sie in dieser Karikatur dargestellt werden. Damit deutet Kladderadatsch ebenso an, dass eben jene Großmächte verstärkt ihre mittelbaren und unmittelbaren Interessen während dieser Krise verfolgen.1011
1011 Aufgrund der Fülle der Beiträge, können nicht alle Karikaturen im Rahmen dieser Arbeit vorgestellt werden, die die Brutalität und die Despotie der „Türken“ zeigen. Dies muss anderen Arbeiten vorbehalten bleiben.
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6.4 Die Forderungen nach Reformen am Vorabend des Russisch-Osmanischen Krieges von 1877–1878 Die Forderungen nach Reformen war ebenso eines der zentralen Themen, denen sich die Karikaturisten von Kladderadatsch widmeten. Dabei griffen die Karikaturisten von Kladderadatsch auf diverse Allegorien und Metaphern zurück, um dies darzustellen. So stellt die Satirezeitschrift 1875 die Hohe Pforte als baufällige „marode Pforte“ dar, die allein durch Anleihen mit Mühe und Not aufrecht gehalten wird.1012 Unter dem Titel „Die europäische Bau-Commission“ veröffentlicht Kladderadatsch folgende Karikatur: Abb.65.
Im Hintergrund des Bildes ist die Hohe Pforte dargestellt, die erhebliche Schäden aufweist. Nur die ausländischen Anleihen, die hier als Stützpfeiler fungieren, verhindern den drohenden Einsturz. Auf der rechten und linken Seite der Pforte liegen die Grundstücke der Grenznachbarn des Osmanischen Reiches, 1012 Kladderadatsch, No. 53 und 54, 21. November 1875, S. 8.
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Russland und Österreich-Ungarn, symbolisiert durch die Grundstücksmarkierungen, auf denen die jeweiligen Namen dieser Herrschaftsgebiete zu lesen sind. Im vorderen Teil des Bildes stehen die Repräsentanten des Dreikaiserbündnisses und ein Repräsentant der Hohen Pforte. Gorčakov maßregelt ihn indem er ihm am Ohr zieht. Er hält ihm ein Schriftstück vor, auf dem das Wort „Reformen“ zu lesen ist sowie sein Name „Gortschakoff“ geschrieben steht. Dieses Papier symbolisiert seine Reformvorschläge an die Hohe Pforte, die sie allerdings ausgeschlagen hatte. Nun tadelt er den Vertreter des Reiches dafür. Im Gegensatz zu vorherigen Karikaturen stellt Kladderadatsch den Osmanen nicht in wallenden Gewändern dar, sondern zeigt ihn in einer halbmodernen, bestickten Kluft. Er trägt dennoch seinen Turban mit dem Halbmond auf dem Kopf und nicht den Fez, den die Beamten der Hohen Pforte seit 1826 zu tragen hatten, sowie Elemente der traditionellen osmanischen Kleidung wie etwa den breiten Gürtel. Dadurch bleibt an seinem äußeren Erscheinungsbild immer noch etwas Exotisches haften. Auf der linken Seite des Bildes sind Bismarck, der auf einem Stein sitzt, und Andrássy zu sehen. Andrássy hat seine Hand auf die Schulter Bismarcks gelegt und deutet mit der anderen auf die Ruine der Hohen Pforte. Es scheint so, als ob er ihn davon überzeugen will, dass die Zeit gekommen sei eine mögliche Aufteilung der osmanischen Besitztümer in Angriff zu nehmen. Bismarck hält schon Pläne dafür bereit. Der Begleittext lautet: „Die alte Pforte ist baufällig und verschuldet. Einmal muß sie doch dem Meistfordernden zufallen. Da aber einerseits Europa gegenwärtig jedes „sub hasta“ vermeiden will und andererseits bei einem etwaigen Zusammensturz des morschen Gebäudes viele und große Stücke von selbst auf Nachbars Gebiet fallen könnten, so soll dem Groß-Türken die Erlaubnis aufgezwungen werden, Reparaturen anzubringen.“ Bereits zu diesem Zeitpunkt der Balkankrise, noch bevor Russland den Krieg für sich entschieden hatte vermittelt Kladderadatsch den Eindruck, dass das Osmanische Reich nicht mehr auf eine lange Zukunft zu hoffen brauche. Die künftigen Erben haben sich bereits vor Ort eingefunden und fordern nun von Bismarck, der bemüht ist, eine einvernehmliche Lösung zu finden, ihren Anteil. Jedoch wird aus dem Begleittext ersichtlich, dass er keine verbindlichen Zusagen machen kann, da das Objekt (d. h. das Erbe des Reiches) bei dieser „Zwangsversteigerung“ keinesfalls dem Höchstbietenden oder Meistfordernden zufallen wird. Bismarck erscheint in dieser Karikatur nicht als Nutznießer oder künftiger Erbe sondern als Vermittler zwischen seinen Bündnispartnern. Er tritt in der Rolle des „ehrlichen Maklers“ auf, der versucht Spannungen zwischen der Habsburgermonarchie und dem Zarenreich auszugleichen, was eines seiner 312
politischen Hauptziele in diesen Tagen war. Außerdem geht aus dem Begleittext dieses Bildes hervor, dass die geforderten Reformen keineswegs dem Erhalt des Reiches dienen sollen, sondern sie gelten als „Reparaturmaßnahmen“, die der jetzige Eigentümer, der Sultan, durchführen soll, damit die künftigen Nachfolger ein möglichst intaktes „Erbe“ antreten können. Mit dieser Karikatur „demaskiert“ Kladderadatsch die angeblich edlen Motive der westlichen Mächte. Denn sie forderten von der Hohen Pforte die Reformen vorgeblich deshalb ein, weil sie damit die Verbesserung der Lebensbedingungen der christlichen Balkanbewohner anstrebten. Mit dem Begleittext weist die Satirezeitschrift explizit darauf, dass hinter den edlen Motiven der Mächte wie Russland und Österreich-Ungarn, lediglich ihre Habgier und die Sorge um ihr Erbe verborgen sei. Die Symbolik des Punch diente ebenso den Karikaturisten von Kladderadatsch als Vorlage und adaptierte den russischen Bären: Abb. 66.
Hier ist zu sehen, wie der russische Bär einen „Türken“ tanzen lässt, wie einen Tanzbären. Durch die veränderte Rollenverteilung wirkt diese Karikatur grotesk. Eigentlich ist es der Part des Bären, der eine Kosakenmütze auf seinem Kopf trägt, seine Tanzstücke aufzuführen, nun ist es in diesem Fall der „Türke“, dem diese Position zufällt. Die Hände des „Türken“ sind durch die Reformen gebunden, die ihm der Bär auferlegt hat; er kann sich nicht gegen ihn wehren und muss nach seiner Musik tanzen. Dieses Bild visualisiert das Vorhaben des Zarenreiches, durch eigene Reformvorschläge die Hohe Pforte nach eigenem Ermessen zu lenken. Großbritannien ist auch nicht in der Nähe, um ihn aus seiner misslichen Lage zu befreien, da er, schon längst auf dem Rücken eines
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Kamels, gen Ägypten an Suez Kanal geritten ist. So ist der „Türke“ schutzlos dem Bären ausgeliefert. Die Karikatur erschien unter dem Titel: „Bär und Bassa“. Mit „Bassa“ ist hier Pascha gemeint. Der osmanische Würdenträger befindet sich aber in einer äußerst erniedrigenden Position, er muss an der Leine des Bären seinen „Tanz“ vorführen. Dies entspricht keineswegs der Behandlung, die einem hohen Würdenträger zusteht. Der Begleittext lautet: „In Folge einheimischer und fremder Erhebungen in der Herzegowina sieht der russische Bär sich veranlasst, dem kranken Sohn des Propheten den Nasenring anzulegen, um endlich auf die ewige Frage nach Reformen einmal eine orientalische Antwort zu erzielen.“ Aus dem Text geht hervor, dass es sich bei dem „Türken“, dem der Russe einen Nasenring angelegt hat, keineswegs um einen gewöhnlichen „Türken“ handelt, sondern um den Sultan höchstpersönlich, der als „kranker Sohn des Propheten“ bezeichnet wird. Mit dieser Bezeichnung versucht Kladderadatsch auf die Kalifenwürde des osmanischen Sultans anzuspielen,1013 der als religiöses Oberhaupt aller (sunnitischen) Muslime galt. Zwar war der Kalif keineswegs der „Sohn des Propheten“, sondern sein Stellvertreter. Als dessen Repräsentant wird nun der osmanische Herrscher, von aller Würde beraubt, in aller Öffentlichkeit der Demütigung ausgesetzt. Es bleibt hier unklar, was in diesem Zusammenhang mit „orientalischer Antwort“ gemeint ist. Möglicherweise ist damit gemeint, dass das die Hohe Pforte, trotz allem diplomatischen Druck und Drohungen keine verbindlichen Reformzusagen gab. In den Karikaturen von Kladderadatsch treten Russland und ÖsterreichUngarn häufig gemeinsam auf, wie in der Folgenden:
1013 Zwar können die Osmanen keinesfalls eine genealogische Abkunft vom Propheten für sich beanspruchen, jedoch soll Selim I. (1512–1520) die Kalifenwürde übernommen haben. Allerdings besann sich erst Abdülhamid I. (1774–1789), nach mehr als zwei Jahrhunderten, erneut auf die Kalifenwürde des Sultans.
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Abb. 67.
Auf obigem Bild ist zu sehen, wie Andrássy und Gorčakov dem „Großtürken“ regelrecht an die Gurgel gehen, um aus ihm die erwünschten Reformen herauszupressen. Nur widerwillig bietet der „Großtürke“ zwei Vertretern der Balkanbewohnern Reformen an.1014 Der Begleittext dieser Karikatur lautet: „Der Großtürke, der wie gewöhnlich Geld braucht, möchte wieder eine Anleihe machen; aber trotzdem er 18% bietet und als letzte Sicherheit die Zinsen seiner Schulden verpfänden will, findet sich niemand, der ihm borgt. In dieser traurigen Lage gibt er, um wenigstens im Hause Ruhe zu haben, den aufständischen Provinzen aus freien Stücken all die Reformen, welche den Friedensmächten wünschenswert erscheinen.“ Erneut betont Kladderadatsch ausdrücklich die finanzielle Miesere des Osmanischen Reiches.1015 Nicht einmal mehr Großbritannien war gewillt, der Hohen Pforte Gelder zufließen zu lassen. Der Text ist ironisch gemeint, denn er steht im starken Widerspruch zum Bild. Der Sultan gibt keineswegs, wie der Begleittext behauptet „aus freien Stücken, all diese Reformen, welche den Friedensmächten wünschenswert erscheinen“, 1014 Aus der Karikatur geht nicht eindeutig hervor, um welche Bevölkerungsgruppe es sich hierbei handelt. In Anlehnung an den Begleittext handelt es sich hierbei um die Vertreter der Bosnier und Herzegowiner. Als Vorlage für die Darstellung der unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen auf dem Balkan dienten den Zeichnern wohl Vorlagen aus der illustrierten Presse. Zur Darstellung der Bevölkerung des Balkans in der illustrierten Presse des 19. Jahrhunderts siehe: Baleva, Bulgarien, S. 23ff. 1015 Kladderadatsch bezeichnet in einem Bild sowohl das Zarenreich als auch das Osmanische Reich als „Schnorrer“, da sie ihre Hand aufhalten und neue Anleihen fordern. Vgl. Kladderadatsch, No. 31, erstes Beiblatt, 1. Juli 1877, S. 1.
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sondern er wird durch Andrássy und Gorčakov unter Anwendung von Gewalt dazu genötigt, wie es aus der Karikatur deutlich hervorgeht. Die Karikatur visualisiert die angebliche Zusage von Reformen, um eine Pazifizierung herbei zu führen. Die Bosnier und die Herzegowiner machen auf obiger Darstellung keinerlei Anstalten, diese zu akzeptieren.1016 Die Insurgenten verlangten nämlich Garantien von der Hohen Pforte, bevor sie überhaupt damit einverstanden waren, ihre Waffen tatsächlich niederzulegen. Dessen ungeachtet war der Sultan keineswegs bereit, verbindlichen Reformversprechen zu geben, bis die Pazifizierung der Rebellen faktisch vollzogen war.1017
6.5 Die Herrschaft von Murad V. aus der Perspektive von Kladderadatsch Ebenso wie Hayal, thematisierte Kladderadatsch die Thronbesteigung des neuen Sultans, der nach der Absetzung des Abdülazizs am 30. Mai 1876 dessen Thronfolge antrat. Während Hayal diesen Machtwechsel begrüßte, steckt aus der Sicht von Kladderadatsch Großbritannien hinter diesem Ereignis: Abb. 68.
1016 Gemäß Uluumay, handelt es sich der Kleidung nach, eher um Albaner oder andere Bewohner des Balkans als um Bosniaken oder Herzegowiner. 1017 Schmidt, “Balkankrise”, S. 46.
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Auf obigem Bild ist zu sehen, wie Disraeli Gročakov den neuen Sultan Murad V. präsentiert. Der Begleittext dazu lautet: „Große Aufregung. England gelingt es, hinter dem breiten Rücken Russlands und doch gleichsam unter der Nase desselben, einen neuen Sultan auf den Divan zu setzen. Russland will nun sofort in das verbotene Marmara-Meer.“1018 Kladderadatsch bewertet den Einfluss Großbritanniens bei der Hohen Pforte, besonders Disraelis, als sehr stark.1019 England galt, gemäß Kladderadatsch, als so einflussreich, dass es sogar unmittelbar in die Thronfolge des Osmanischen Reiches eingreifen könne. In der Karikatur wird der neue Sultan als eine Marionette Disraelis dargestellt, der dümmlich lächelnd, im exotischem, orientalischem Gewand, im Schneidersitz hockend, Gorčakov präsentiert wird.1020 Der neue Sultan erscheint hier als lächerliche, kleine Witzfigur, ohne jegliche Herrscherwürde und Befugnisse, der zukünftig im Dienste der britischen Interessen stehen wird. Über den neuen Sultan zeigt sich Gorčakov wenig erfreut, im Gegenzug fordert er unverzüglich den Zugang zum Marmarameer, und thematisiert damit erneut die Meerengenfrage, ein Hauptanliegen der russischen Politik seit Katharina II. Mit diesem Anspruch forderte er geradezu England heraus, das ebenso seit jeher all seinen Einfluss einsetzte, dass Russland eben jenen Zugang unter gar keinen Umständen erhält. Infolgedessen beschwört Gorčakov mit seiner Forderung förmlich einen Konflikt mit England heraus. Murad V. bleibt, trotz seiner kurzen Herrschaftszeit von nur 93 Tagen auf dem Thron, weiterhin im Fokus der Karikaturen von Kladderadatsch. Murad V. hatte nämlich zugesagt, sobald wie möglich eine Verfassung zu proklamieren, die sowohl von den westlichen Großmächten als auch von einem Teil der osmanischen Intellektuellen erwünscht war. Führende Literaten und Intellektuelle wie Namık Kemal setzten große Hoffnungen in den neuen Herrscher. Das Einzige, was dieser in seiner neuen Position einführte, war, gemäß Kladderadatsch, „das Grüßen von Oben nach Unten“.
1018 Kladderadatsch, No. 29 und 30, 25. Juni 1876, S. 4. 1019 Bislang gibt es keine Arbeiten, die sich mit der Rolle Disraelis während der Balkankrise von 1875–1878 im Spiegel von Kladderadatsch beschäftigen. Aufgrund der zahlreichen Textbeiträge und Karikaturen, die Disraeli im Fokus haben, können nicht alle Beiträge dieser Satirezeitschrift im Rahmen dieser Arbeit berücksichtigt werden. Hierzu sind weitere Arbeiten notwendig, die sich ausschließlich der Bearbeitung dieser Thematik widmen. 1020 Disraeli erscheint im Jahr 1876 häufig als der eigentliche Drahtzieher hinter der osmanischen Politik. Er wird als derjenige dargestellt, der alle Fäden in der Hand hat und die Hohe Pforte im Hintergrund lenkt. Vgl. Kladderadatsch, No. 31, 2. Juli 1876, S. 4.
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Abb. 69.
Hier ist Sultan Murad V. dargestellt, wie er hoch zu Ross, die jubelnde Menge begrüßt.1021 Der Begleittext dazu lautet: „Der neue Sultan kehrt gut. Er bringt die überraschendste Reform durch. So führt er das Grüßen von Oben nach Unten selber ein und bedient sich dabei zum ersten Mal seiner weißen Handschuhe, die vor ihm nie ein Sultan getragen hat. Ungeheurer Jubel in Istanbul.“ Die Kritik von Kladderadatsch scheint nicht auf ihn abzuzielen. Mit großer Wahrscheinlichkeit richtet sie sich gegen seine Vorgänger, die unter dem Druck der westlichen Großmächte die Reformen ihren Untertanen oktroyierten. Dies wird besonders durch die Textstelle „er führte das Grüßen von Oben nach Unten ein“ verdeutlicht. Trotz der Erlasse, die der Sultan einführte, so war ihre Gewährung ausschließlich von seinem Willensakt abhängig, denn er verkörperte immer noch die absolute Herrschaftsgewalt, somit konnte er auch jederzeit, ohne Wahrung einer bestimmten Form, widerrufen, was er zuvor gewährt hatte. Es gab auch noch keine Kontrollinstanz wie ein Parlament, das hätte Kontrolle üben können.1022 Murads „Reform“ scheint unschuldig, denn „er bedient sich dabei zum ersten Mal seiner weißen Handschuhe, die vor ihm nie ein Sultan 1021 Kladderadatsch, No. 29 und 30, 25. Juni 1876, S. 5. 1022 Das osmanische Parlament, welches aus zwei Kammern bestand, trat zum ersten Mal 1877 zusammen. Trotzdem behielt der Sultan seine absolute Machtstellung bei, der schon 1878 das Parlament auf unbestimmte Zeit beurlaubte. Christian Rumpf, Das türkische Verfassungssystem. Einführung mit vollständigem Verfassungstext, Wiesbaden 1996, S. 42ff., S. 47f.
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getragen hat“, damit weist Kladderadatsch darauf hin, dass seine Vorgänger durchaus nicht vor der Anwendung von Gewalt zurückschreckten, wie es bei der Vernichtung der Janitscharen der Fall war, um ihre Ziele durchzusetzen. Außerdem führt er diese Reform „selber ein“, d. h. er steht nicht unter dem Einfluss fremder Mächte, die ihn dazu zwingen. Sultan Murad V. enttäuschte alle Erwartungen, die in ihn gesetzt wurden. Schon bald veröffentlichte Kladderadatsch eine graphische Bildsatire, unter dem Titel: „Aus der Scheerenstadt“ (mit diesem Begriff spielt Kladderadatsch auf die besondere Lage Konstantinopels an) worauf dargestellt wird, wie Ulema und softa Studenten im „türkischen Landrecht“ (dargestellt als eine Kiste mit allerlei Werkzeug) wühlen.1023 Die Bildunterschrift hierzu lautet: „Die Ulemas und die Softas sind nunmehr damit beschäftigt, aus dem Koran alle die Suren, Schnüre, Scheeren und sonstigen Paragraphen zusammenzustellen, mittels derer sie einen unbrauchbar gewordenen Sultan abschaffen können.“ Hiermit verdeutlicht Kladderadatsch, dass auch die Angehörigen der osmanischen Gelehrtenschicht durchaus nicht mit dem neuen Sultan zufrieden waren. In derselben Ausgabe gibt Kladderadatsch auch den vermeintlichen Grund für die Unzufriedenheit der Ulema und softa bekannt. In einer kleinformatigen Karikatur zeigt Kladderadatsch den Sultan, wie er aus einer Flasche Alkohol trinkt, der Begleittext lautet: „Murads Leiden ist gar nicht gefährlich, weil chronisch. Von Ableben ist gar nicht mehr die Rede.“1024 Damit behauptet Kladderadatsch, dass Murad V., der angeblich wegen Anzeichen einer Geisteskrankheit abgesetzt werden musste, eher an Alkoholismus leide als an einer Geisteskrankheit.1025 Was genau der Begleittext mit „Ableben“ meint geht nicht klar hervor, da Murad V. nach seiner Absetzung bis 1904 weiterlebte.1026 Möglicherweise ist es als Anspielung auf das Schicksal Abdülazizs zu verstehen, der kurz nach dem er zur Abdankung gezwungen worden war, unter ungeklärten Umständen sein Leben verlor.1027
6.6 Der Serbisch-Osmanische Krieg von 1876 Im Gegensatz zu den osmanischen Satirezeitschriften, schenkt Kladderadatsch der Revolution der Bulgaren im Jahre 1876 vorerst keinerlei Beachtung. Lediglich 1023 Kladderadatsch, No. 36, 6. August 1876, S. 4. 1024 Kladderadatsch, No. 39, 20. August 1876, S. 4. 1025 Vgl. Davison, Reform, S. 351ff. 1026 Roderic H. Davison, Turkey. A Short History, Huntingdon 1998, S. 106. 1027 Hanioğlu, Ottoman Empire, S. 111.
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der Krieg, den Serbien und Montenegro gegen das Osmanische Reich führte, stand im Fokus ihrer Karikaturen. So erschien am 13. August 1876 folgende Karikatur unter dem Titel: „West-östlicher Divan“ Abb. 70.
Sowohl der Titel als auch der dazugehörige Text stammen aus Goethes „Westöstlicher Divan“, und deuten auf die „Untrennbarkeit“ der „West-östlichen“ Interessen hin.1028 Mit dieser graphischen Bildsatire stellt Kladderadatsch sowohl den kriegerischen Konflikt auf dem Balkan dar, als auch dessen angebliche Hintermänner, nämlich Jack Tar (England) und der Kosak (Russland). Auf diesem Bild ist zu sehen, wie ein kleiner osmanischer Knabe, mit Säbel und Fahne in seinen Händen, auf dem Rücken Jack Tars in die Schlacht gegen Serbien zieht.
1028 Kladderadatsch, No. 37 und 38, 13. August 1876, S. 8.
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Der serbische Knabe hingegen wird vom Kosaken in die Schlacht getragen.1029 Damit meint Kladderadatsch nicht, dass der Krieg auf dem Rücken Englands und Russlands ausgetragen wird, sondern, dass eigentlich die Interessen der jeweiligen Mächte durch die Knaben verteidigt werden. Kinder sind keine ausgereiften Persönlichkeiten, die eigene Entscheidungen treffen können und leicht durch Erwachsene beeinflusst werden können. Vermutlich sehen die beiden Knaben ihr Treiben eher als Spiel an, da Kindern weder die Dimensionen ihres Handelns noch dessen Konsequenzen bewusst sind. Ihre Waffen sehen aus wie Spielzeuge, die keine ernsthaften Verletzungen hervorrufen können. Die Darstellung der beiden Hauptkontrahenten des Krieges als Knaben soll darüber hinaus ebenso deren Abhängigkeit und Unmündigkeit verweisen, denn sie scheinen unter dem Einfluss der beiden Anstifter zu stehen, die sie für sich kämpfen lassen. Bei Jack Tar stehen offensichtlich die finanziellen Interessen im Vordergrund, symbolisiert durch die Geldsäcke auf der rechten Seite. Erneut versucht Kladderadatsch auf die „wahren“ Hintergründe des Krieges hinzuweisen, und kritisiert nicht das Osmanische Reich oder Serbien für diesen Krieg, denn sie sind Kinder, die unter dem Einfluss ihres jeweiligen Vormundes stehen, sondern, Russland und Großbritannien, die ihre Machtposition missbrauchen und ihre Schützlinge in den Krieg ziehen lassen. Gleichzeitig erkennt Kladderadatsch sowohl den Serben als auch dem Osmanischen Reich jegliche Mündigkeit ab, da sie für Fremdzwecke instrumentalisiert werden. So bekriegen sich, aus der Sicht des Kladderadatschs, letztlich Russland und England. Auch Goethes Gedicht, welches hier zum Einsatz kommt, bekräftigt die Aussage der Karikatur: „Wer sich selbst und Andre kennt, muss auch hier bekennen: Orient und Occident Sind nicht mehr zu trennen.“
Kladderadatsch spielt mit diesem Gedicht darauf an, das vor allem der „Occident“ keineswegs gewillt ist, sich von eigenen Interessen im „Orient“ zu trennen. So tragen die Kontrahenten England und Russland, laut dieser Satirezeitschrift, die Hauptschuld an den kriegerischen Auseinandersetzungen, sie zwischen 1875 bis 1878 stattfanden. 1029 Die Kosaken stellten 50 bis 70 Prozent der russischen Kavallerie. Gemäß Kappeler verbreite ihr Ruf Angst und Schrecken und galten deshalb als „brutale Schergen des Zarismus“. Vgl. Andreas Kappeler, Die Kosaken – Geschichte und Legenden, München 2013.
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Obwohl diese Satirezeitschrift seit dem Beginn der Balkankrise 1875 auf die Vertreibung der „Türken“ aus Europa plädiert,1030 steht dessen ungeachtet Russland oft in der Kritik ihrer Karikaturen, während Österreich-Ungarn, das ebenfalls starkes Interesse am „osmanischen Erbe“ hat, nur peripher angegriffen wird. So zeigt das folgende Bild, dass der Sieg des Osmanischen Reiches über die Serben, erneut ein Schlag gegen Russland war: Abb. 71.
Obiges Bild, welches unter dem Titel: „Qui pro quo“1031 erschien, zeigt, wie ein „Türke“ mit seinem Gehstock auf ein kosakischen Reiter einprügelt, der auf dem Pferd „Serbien“ reitet.1032 Der Begleittext hierzu erläutert das Verwechslungsspiel: „Der Türke hat gemeint die Serben zu prügeln, und dabei die Russen 1030 Vgl. Kladderadatsch, No. 23, 21. Mai 1876, S. 4. 1031 Dieser lateinische Ausdruck bezeichnet eine Verwechslung der Personen. 1032 Kladderadatsch, No. 52, 5. November 1876, S. 4.
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geschlagen.“ Erneut deutet Kladderadatsch auf eine fast symbiotische Beziehung zwischen den Serben und den Russen, die unzertrennlich scheint. Außergewöhnlich ist, dass keineswegs erkennbar vom Panslawismus die Rede ist, sie wird lediglich durch die Darstellung der serbisch-russischen Beziehungen impliziert. So gibt das obige Bild bekannt, dass das Osmanische Reich siegreich aus der Schlacht mit Serbien hervorgegangen ist, allerdings hat dabei das Zarenreich erheblich getroffen. Für Serbien empfindet Kladderadatsch kein Mitgefühl. Unter ihrer Rubrik „Illustrierter Rückblick“ veröffentlicht das Blatt folgende Karikatur: Abb. 72.
Hier ist zu sehen, wie ein Serbe, zwischen zwei Mühlsteine geraten ist.1033 Die Mühlsteine stehen symbolisch für das Osmanische Reich und Russland. Im Begleittext heißt es zur misslichen Lage Serbiens: „Was sich zwischen die Mühlsteine legt, muß sich gefallen lassen, zerrieben zu werden. Serbien befindet sich in der unangenehmen Klemme. Von den Russen aufgehetzt, sich gegen die Türken zu erheben, wird es von den Türken geschlagen und von den Russen in so freundschaftlicher Weise besetzt, daß es am liebsten wieder die Türken um Hilfe gegen die Russen anflehen möchte.“ Wie aus dem Text hervorgeht, trägt Serbien die alleinige Schuld an seiner schmerzlichen Situation. Weder das Osmanische Reich noch Russland stehen hier in der Kritik der Satirezeitschrift, sondern ausschließlich Serbien, das sich durch Russland hat aufhetzen lassen. Der Krieg brachte den Serben nicht die erhoffte Freiheit, nachdem sie mit ein Waffenstillstandsabkommen geschlossen hatten, besetzten russische „Freiwillige“ sowohl
1033 Kladderadatsch, No. 60, 31. Dezember 1876, S. 3.
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Serbien als auch Montenegro. Die serbische Niederlage gegen die osmanischen Truppen spaltete das Verhältnis zwischen Serbien und Russland zunächst.1034
6.7 Die Konferenz von Konstantinopel und die Proklamation der osmanischen Verfassung 1876 Die Konferenz von Konstantinopel, die am 23. Dezember 1876 in der osmanischen Hauptstadt stattfand, wurde von Kladderadatsch sehr scharf kritisiert.1035 Aus ihrer Perspektive soll das Osmanische Reich Russland und der Habsburgermonarchie zum Fraße vorgeworfen werden. Unter dem Titel: „Zoologischer Garten in Constantinopel“1036 veröffentlichte Kladderadatsch am 17. Dezember 1876 folgendes Bild: Abb. 73.
In dem Gehege befinden sich Geier sowie doppelköpfige Adler, die Russland und Österreich-Ungarn symbolisieren sollen.1037 Auf seinem Schubkarren bringt der Tierpfleger auch das heißersehnte Futter, nämlich „Turkey“. In dieser Karikatur bedient sich Kladderadatsch der englischen Sprache, angelehnt an die Symbolik und die Wortspiele, die Punch für die Darstellung sowie die Bezeichnung des Osmanischen Reiches einsetzte. Hier verzichtet der Karikaturist aber 1034 MacKenzie, The Serbs, S. 152ff. 1035 Hanioğlu, Ottoman Empire, S. 117f. 1036 Kladderadatsch, No. 58, erstes Beiblatt, 17. Dezember 1876, S. 1. 1037 Der doppelköpfige Adler war, wie bereits erwähnt, das Wappentier Russlands und Österreich-Ungarns.
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auf die bildliche Darstellung des Truthahns, sondern deutet lediglich durch den Schriftzug an, dass dieser sich unter der Decke befindet. Die Bildunterschrift lautet: „Sowie die Mächte einig sind, beginnt die Hauptfütterung.“ Gemäß Kladderadatsch dient die Konferenz hauptsächlich dazu, den „Hunger“ der Nachbarreiche auf die osmanischen Gebiete zu stillen. Erneut tritt hier das Osmanische Reich als passives Opfer in Erscheinung. Noch vor dem Ablauf des Jahres 1876 thematisiert Kladderadatsch die Proklamation der osmanischen Verfassung. Allerdings betitelt das Blatt sie in ihrer Karikatur, die am 31. Dezember 1876 erschien, als „Silvesterscherz“. Abb. 74.
Die Bildunterschrift hierzu lautet: „Der Türke verkleidet sich, um der Konferenz einen Schreck einzujagen. Allgemeine Heiterkeit und Prosit Neujahr!“1038 Der „Türke“ ist in diesem Fall ein Esel, der sich ein Löwenfell übergezogen hat, auf dem „Verfassung“ geschrieben steht. Dieses Bild entstand in Anlehnung an der Fabel Der Esel im Löwenfell, von der es verschiedene Versionen gibt. In diesem 1038 Kladderadatsch, No 60, erstes Beiblatt, 31. Dezember 1876, S 1.
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Gleichnis legt sich ein Esel das Fell eines Löwen an, um die anderen Tiere zu erschrecken. In einer dieser Versionen wird er allerdings vom Fuchs als Esel entlarvt und bloßgestellt. Der Esel versucht seine Umgebung in die Irre zu führen, in dem er vor gibt ein Löwe zu sein. Kladderadatsch setzt einen Halbmond auf das Haupt des Esels, damit auch unmissverständlich erkennbar wird, dass er als Symbol für die Hohe Pforte gebraucht wird. Der Esel hat sich hinter einem Vorhang versteckt und möchte die Konferenzteilnehmer mit seiner Verfassung überraschen. Jedoch verdirbt ihm einer dieser Teilnehmer die Überraschung, denn er lüftet schon vorher den Vorhang. Somit steht der Esel, dem es nicht gelungen ist, sein Vorhaben umzusetzen, „dumm“ da. Mit seiner Aktion löst er offensichtlich nur Heiterkeit aus. Damit deutet Kladderadatsch darauf hin, dass auch diese Verfassung, ähnlich wie die Reformversprechungen der Hohen Pforte zuvor, durchaus nicht ernst zu nehmen sei und lediglich als „Silvesterscherz“ der Erheiterung der Konferenzteilnehmer diene.1039 Da in diesem Zusammenhang der Esel als Sinnbild für die Hohen Pforte gebraucht wird, unterstellt Kladderadatsch, dass sie mit der Proklamation der Verfassung den Versuch unternimmt, die Konferenzteilnehmer zu täuschen. Ziel dieser Konferenz war es nämlich, das Osmanische Reich zur Durchführung von Reformen zu bewegen. Mit dem Verweis auf die Verfassung gibt sie nun vor, bereits Reformen eingeleitet zu haben und lehnt die Reformvorschläge der europäischen Mächte ab. Kladderadatsch durchschaut indes die Maskerade der Hohen Pforte und entlarvt sie. Gleich in ihrer ersten Ausgabe im neuen Jahr widmete sich Kladderadatsch erneut der Konferenz in Konstantinopel.1040 Am 7. Januar 1877 erschien folgendes Bild unter dem Titel: „Der türkische Suppen-Caspar“:
1039 Punch publizierte am 12. Januar 1878 ein ähnliches Bild mit der gleichen Symbolik, unter dem Titel: The Ass in the Lion´s Skin. Es ist allerdings nicht feststellbar, ob es Zufall ist, dass die Karikaturisten von Punch sich an derselben Fabel bedienten, oder aber ob sie das Bild von Kladderadatsch als Vorlage nahmen. 1040 Kladderadatsch, No. 1, 7. Januar 1877, S. 4.
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Abb. 75.
In der Mitte des Bildes ist ein Tisch zu sehen, auf dem eine Schüssel steht, die die Aufschrift „Conferenz“ trägt. Um den Tisch herum sitzen die Delegierten der westlichen Mächte. Allein Gorčakov und Andrássy entsprechen lediglich ihren „realen“ Vorbildern. Auf der Konferenz sollte ein möglicher Plan ausgearbeitet werden, der eine größere Autonomie für Bulgarien sowie für Bosnien und Herzegowina innerhalb des Osmanischen Reiches vorsah. Kladderadatsch interpretierte die Konferenz in dem Sinne, dass bei dieser Zusammenkunft vornehmlich die Interessen der Habsburgermonarchie und Russlands verhandelt werden sollten, da lediglich nur beiden Vertreter erkennbar sind. Angestrengt blasen die Mächte, vor allem aber Andrássy und Gorčakov, in die Suppe, um sie etwas abkühlen zu lassen. Vor dem Tisch tanzt Midhat Pascha „der Vater der osmanischen Verfassung“, herum. Er erscheint hier als lächerliche Witzfigur, der keinesfalls ernst zu nehmen ist. Auch Midhat Paschas Karikatur entspricht keineswegs seinem tatsächlichen Aussehen, vielmehr entspricht er dem stereotypen „Türkenbild“ des Kladderadatsch, der hier als Exot auftritt, inmitten einer hochoffiziellen, seriösen Konferenz. Die Mächte fordern ihn auf seine Suppe zu essen: „So iß doch die Suppe! Wir pusten sie dir so schön kalt!“ 327
Midhat Pascha weigert sich wie der Suppenkasper aus Hoffmanns Geschichte und antwortet in seinem Sinne: „Ich esse diese Suppe nicht, Nein, diese Suppe ess’ ich nicht! Ich esse keine Suppe nicht, Nein, eure Suppe ess’ ich nicht!“
Midhat Pascha zeigt nicht die geringste Bereitschaft, die „Suppe“, die die Reformvorschläge der westlichen Mächte symbolisiert, zu „essen“, d. h. zu akzeptieren, er lehnt sie strikt ab. Kladderadatsch veröffentlicht eine modifizierte Version der Suppen Kaspar Geschichte, denn Midhat sagt „eure Suppe“, während der Kaspar singt „meine Suppe“. Durch diese Modifikation wird die Zurückweisung Midhats verdeutlicht, der sich weigert, die Suppe zu auszulöffeln, die ihm die Mächte gekocht haben. Er führt sich auf wie der Suppenkasper, und zeigt keine Kompromissbereitschaft. Die Geschichte des Suppenkaspers endet mit seinem Tode. Damit deutet Kladderadatsch darauf hin, dass die Weigerung der Hohen Pforte, jegliche Reformen zu akzeptieren, schließlich zu ihrer endgültigen Auflösung führen wird. Nach dem Abbruch der Konferenz schien ein Konflikt zwischen Russland und dem Osmanischen Reich unvermeidlich, trotz aller diplomatischen Anstrengungen. Der russische Bär hatte bereits am „orientalischen Honig“ geleckt, wie Kladderadatsch es mit folgendem Bild zeigt, die unter dem Titel „Bär und Bassa“,1041 gleich auf der Titelseite erschien: Abb. 76.
1041 Kladderadatsch, No. 6, erstes Beiblatt, 4. Februar 1877, S. 1.
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Wie der Hinweis unter dem Titel verrät, entstand diese Karikatur in Anlehnung an die Geschichte Münchhausens „Abenteuer des Freiherren von Münchhausen während seiner Gefangenschaft bei den Türken. Er kehrt in seine Heimat zurück.“ In dieser Geschichte gerät Münchhausen während einem der zahlreichen russisch-türkischen Kriege in „türkische“ Gefangenschaft und wird als Sklave verkauft. Er landete ausgerechnet beim Sultan, dessen Bienen er nun hüten soll. Die Aussicht auf Honig lockte aber Bären an, darum war Münchhausen gezwungen, eine List zu ersinnen, um den Bienennektar vor ihm zu retten. So war er gewitzt genug um die Deichsel eines Ackerwagens mit Honig zu bestreichen, in der Hoffnung, der Bär würde durch seinen Duft angelockt. Tatsächlich ging sein Plan auf und ein Bär leckte die Stange so begierig, dass er sich die ganze Stange durch Schlund, Magen und Bauch bis hinten hinaus leckte. Nachdem sich der Bär in diese ungünstige Situation gebracht hatte, lief Münchhausen zu ihm hin und trieb durch das Loch der Deichesel einen langen Pflock und verhinderte somit die Flucht des Bären. Kladderadatsch stellt den „Türken“ gewitzt wie Münchhausen dar, der mit seiner Verfassung nun Russland auf eben jener Deichsel gefangen hält und somit bewegungsunfähig macht. Er lächelt dabei schelmisch. Auffällig ist die große Nase des „Türken“. Möglicherweise soll er Abdülhamid II. darstellen, der angeblich mit der Proklamation der osmanischen Verfassung Russland in die Enge trieb. „Der arme Bär hat sich so fest auf die Deichselstange geleckt, daß er nun weder vorwärts noch rückwärts kann“, heißt es im Begleittext der Karikatur. Gemäß Kladderadatsch hat der „Türke“ mit seiner Verfassung Russland angeblich kampfunfähig gemacht. Jedoch war die Schadenfreude Kladderadatschs von kurzer Dauer, denn am 11. Februar 1877 sah die Satirezeitschrift die osmanische Verfassung bereits in Gefahr.1042 Unter dem Titel „Parodie am Bosporus“ veröffentlichte Kladderadatsch folgendes Bild:
1042 Kladderadatsch, No. 7, erstes Beiblatt, 11. Februar 1877, S. 1.
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Abb. 77.
Hier ist zu sehen, wie der „Alttürke“ -damit ist der Sultan gemeint- der erneut in seinen traditionellen Gewändern erscheint, versucht Midhat Pascha ins Meer zu stürzen. Mit dieser Karikatur „verbildlicht“ Kladderadatsch die Redewendung „in Ungnade fallen“. Außerdem spielt das Blatt auf die Absetzung Midhats als Großwesir an, der mit einem Schiff, welches in dieser Karikatur den Namen „Ungnade“ trägt, ins Exil geschickt wurde. Midhat, der im Gegensatz zum Sultan in moderner Kleidung dargestellt ist, ist im Begriff zu fallen. Der osmanische Herrscher hilft kräftig nach und bringt die Planken ins Wanken. Des Weiteren ist noch ein Blatt Papier zu sehen, auf dem „Verfassung“ steht, welches im Begriff ist, dasselbe Schicksal wie sein Urheber zu teilen. Der „Alttürke“ sagt, „Nun wenn der Midhat fällt, dann muss die Verfassung nach!“ Mit diesem Bild prognostizierte Kladderadatsch, dass nach der Verbannung Midhats auch die Verfassung ihm folgen solle. Diese Karikatur erschien wenige Tage nach der Absetzung Midhats (am 5. Februar 1877). Dies zeigt zum einen, mit welch regem Interesse die Presse die Ereignisse am Bosporus beobachtete und zum anderen, dass die Nachrichten aus Konstantinopel Berlin in relativ kurzer Zeit erreichten und die Karikaturisten sogleich die Nachrichten in ihren Arbeiten umsetzten.
6.8 Die „Bulgarengräuel“ als Gegenstand von Bildsatiren Ähnlich wie Hayal und Punch nahm auch Kladderadatsch Bezug auf die sogenannte „Bulgarengräuel“, aber erst im Frühjahr 1877. Unter dem Titel „Komischer Geschmack“1043 erschien folgende Karikatur:
1043 Kladderadatsch, No. 12, 11. März 1877, S. 4.
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Abb. 78.
Hier ist zu sehen, wie ein grimmig dreinschauender Osmane, in seiner traditionellen Kleidung, seinen Fuß auf einen Bulgaren gesetzt hat, der mit seinem Kreuz in der Hand bereits auf dem Boden liegt. Das Kreuz zeigt, dass es sich hierbei um einen Christen handelt, der einem Gewaltakt des Osmanen ausgesetzt war und nun hilflos am Ende seiner Kräfte ist oder gar Tot. Neben ihm liegt ein Bündel Stroh, das darauf verweisen soll, dass es sich um einen Bauern handelt. Des Weiteren steht eine Kiste neben dem Strohbündel, auf dem „Bulgarien“ geschrieben steht. Damit soll verdeutlicht werden, dass es sich unmissverständlich um einen Bulgaren handelt. Obwohl in der Karikatur die Kritik hauptsächlich gegen den grausamen Osmanen gerichtet ist, greift der Begleittext erneut England an. Diesmal steht nicht Disraeli in der Kritik des Kladderadatsch, sondern Lord Derby. Der Text lautet: „Lord Derby hat den Wunsch geäußert, obiges noch ein Jahr lang mit ansehen zu können.“ Damit spielt Kladderadatsch auf die 331
zögerliche Haltung Derbys bezüglich der Unterzeichnung des Londoner Protokolls an, dass den Mächten das Recht einräumen sollte zu intervenieren, falls die Reformen zu Gunsten der christlichen Bevölkerung auf dem Balkan ihnen nicht ausreichend erschien. Lord Derby zögerte in der Tat mit der Unterzeichnung des Protokolls, weil sogar die Königin von England das Außenministerium warnte, dass es sich hierbei um eine Falle Russlands und Bismarcks handeln könne.1044 Mit diesem Begleittext unterstellt Kladderadatsch Derby, der hier als Repräsentant Großbritanniens auftritt, dass er dem Schicksal der Christen auf dem Balkan gleichgültig gegenübersteht. Möglicherweise kritisiert Kladderadatsch in diesem Fall deshalb Lord Derby, weil er im Gegensatz zu Disraeli aus einer christlichen Familie stammte. Infolgedessen erwartete Kladderadatsch keineswegs Mitleid von jemandem, der aus einer jüdischen Familie abstammte, aber von jemandem, der ebenfalls Christ war, wie die christlichen Opfer der Osmanen. Disraeli war zwar getauft, aber dies spielte in jenen Tagen keine Rolle, trotzdem verkörperte der das stereotype Bild eines Juden. Zwar stimmte die britische Regierung letztlich dem Protokoll zu, allerdings unter der Bedingung, dass sie sich davon distanzieren werde, falls es zu keiner Abrüstung zwischen Russland und dem Osmanischen Reich komme und der Friede nicht gesichert sei. Somit hatte nicht nur das Osmanische Reich Schuld auf sich geladen, sondern auch Großbritannien, dass dem Treiben seines „Schützlings“ kein Einhalt gebot und gar hinderlich auf die politischen Ambitionen der anderen Mächte wirkte.1045
6.9 Der Russisch-Osmanische Krieg von 1877–1878 Nach dem Ausbruch des Russisch-Osmanischen Krieges von 1877–1878 blieb Kladderadatsch ihrer Haltung treu. Unter dem Titel: „Europa’s frommer Wunsch“ erschien am 15. Juli 1877 folgende Karikatur:
1044 Millman, Eastern Question, S. 245f. 1045 In einem ihrer Bilder klagt Kladderadatsch Großbritannien offen an. Unter dem Titel „Du stolzes England – schäme dich“ ist Britannia zu sehen, die versucht mit ihrem Blut besudeltem Mantel vor den Augen der anderen Mächte zu verbergen, wie die Osmanen hinter ihrem Schutze Morde begehen. Im Begleittext heißt es: „Britannia hat sich bei Bemäntlung der türkischen Grausamkeiten das betreffende Ehrenkleid stark besudelt.“ In der Karikatur lässt sich kein Hinweis finden, ob es vor dem Hintergrund der sogenannten Bulgarengräuel entstanden ist. Kladderadatsch, No. 43, 17. September 1876, S. 4.
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Abb. 79.
Hier ist zu sehen, wie ein berittener Kosak einen Osmanen am Hals gepackt hat und versucht, ihn gen Osten zu verschleppen, denn dorthin deutet er mit seiner rechten Hand. Der verzweifelte Osmane, versucht sich am hinteren Teil des Mantels des Kosaken festzuhalten.1046 Im Gegensatz zum Russen wirkt der Osmane, dargestellt in seiner althergebrachten Kleidung, wehrlos und schwach. Der Begleittext lautet: „Der Russe könnte uns Allen keinen größeren Gefallen erweisen, als wenn er mit dem Türken nach Asien abführe.“1047 Gemäß dieser Karikatur scheint es, als ob die Russen die einzige Macht wären, die die Osmanen endgültig aus Europa zu vertreiben. Durch ihre Wortwahl erweckt Kladderadatsch den Anschein, als ob alle westlichen Mächte sich in diesem Punkt einvernehmlich einig wären. Obwohl, wie bereits erwähnt, diese Satirezeitschrift mitnichten eine proosmanische Haltung propagierte, klagte sie gegen Ende des Jahres 1876 erneut das Zarenreich für sein skrupelloses und hinterhältiges Handeln an, aber auch die anderen westlichen Großmächte, die seinem Treiben kein Einhalt geboten. Unter dem Titel: „Um der armen türkischen Christen willen!“ publizierte Kladderadatsch am 26. November 1876 folgendes Bild: 1046 Gemäß Kappeler verkörpern Kosaken ein russisch-orthodoxes Phänomen, das in einem „Antagonismus zur Welt der Muslime steht“. Wohl aus diesem Grund verwendeten die Karikaturisten von Kladderadatsch das Bild des Kosaken, um diesen Gegensatz in diesem Kotext hervorzuheben. Kappeler, Die Kosaken, S. 112. 1047 Kladderadatsch, No. 33, 15. Juli 1877, S. 4.
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Abb. 80.
Mit obiger Karikatur, stellt Kladderadatsch, im Gegensatz zu ihren vorherigen Publikationen, eine andere Sichtweise auf die politischen Ereignisse dieser Tage dar.1048 Zwar trat Russland wiederholt als Aggressor auf, aber der Osmane erschien bislang vorwiegend in einem negativen Kontext, als der unzivilisierte, unmoderne, gierige und chronisch verschuldete Handlanger Großbritanniens, der sich aus Europa zurückziehen sollte. Diesmal erscheint er in seiner modernen europäisierten Kleidung, die nicht exotisch und fremdartig wirkt. Allerdings erscheint der Osmane in der hilflosen Opferrolle, der wehrlos Russland ausgeliefert ist. Der Kosak Wand drückt sein Opfer an die Wand und versucht ihm Zypern und Thessalien aus der Tasche zu ziehen. Ähnlich wie in Punch, stellt Kladderadatsch die Mächte, die Russland sich scheinbar dienstbar gemacht hat, als Hunde dar. Eine Ausnahme bildet hier jedoch Italien, an dessen Halsband geschrieben steht: „Für Italien fiel doch sonst immer was ab?“. Italien ist hier als bettelndes Hündchen dargestellt, das ebenfalls einen Anteil für sich erhofft. Obwohl Italien nicht unmittelbar politisch von den Ereignissen auf dem Balkan betroffen war, so hegte das Land doch wirtschaftliche Interessen. Durch seine Ambitionen, wirtschaftlichen Einfluss
1048 Kladderadatsch, No. 55, 26. November 1876, S. 4.
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auf dem Balkan zu gewinnen, kollidierten seine Bestrebungen mit den Interessensphären Österreich-Ungarns. Italien meldete in erster Linie Ansprüche auf das katholische Albanien an, ebenso wie die Habsburger Monarchie.1049 Russland hat Serbien ihre Unabhängigkeit, dargestellt als Hundeknochen, vorgesetzt. Damit scheint Serbien, zumindest für eine Weile, zufriedengestellt. So wirkt nur Griechenland bedrohlich, da es sich bereits an Thessalien und Zypern festgebissen hat. Weder Punch noch die osmanischsprachigen Satirezeitschriften thematisierten die Ansprüche Griechenlands, obwohl sie bereits auf die Gelegenheit warteten, sich den Rebellionen anzuschließen. Schon vor der offiziellen Kriegserklärung Serbiens hatte die Hohe Pforte vorsorglich irreguläre Kampfeinheiten an den Grenzgebieten stationiert und die osmanische Flotte in griechische Gewässer entsandt, um die griechische Regierung zu zwingen, sich ruhig zu verhalten.1050 Auffällig ist, dass England, Österreich-Ungarn und Frankreich es vorziehen, sich von dem Geschehen abzuwenden. Es geht weder aus dem Text noch aus dem Bild hervor, ob sie einhellig beschlossen haben nicht hinzuschauen, oder ob es auf die Initiative des Habsburgers geschieht, denn er hat seine Arme auf die Schultern Englands, symbolisiert durch Jack Tar, und Frankreichs gelegt und scheint sie einzuschwören. Da keiner der Mächte Anstalten Macht zur Hilfe zu eilen, bleibt der Osmane schutzlos den Repressalien Russlands ausgesetzt. Punch veröffentlichte eine ähnliche Karikatur. Allerdings schauen alle Vertreter der Großmächte zu, wie sich der Osmane alleine dem Kampf stellt. Aufgrund des Titels dieser Karikatur tritt der Kosak hier als Schutzpatron der „türkischen Christen“ auf, nicht aber der orthodoxen Christen. Durch ihre Wortwahl ordnet die Satirezeitschrift die Christen auf dem Balken der „Türkei“ zu und grenzt sie somit von nicht-türkischen Christen ab. Kladderadatsch differenziert hierbei nicht zwischen den Angehörigen der unterschiedlichen christlichen Konfessionen, die unter osmanischer Herrschaft zusammen lebten. Frankreich, als Schutzherr der katholischen Christen schaut weg, ebenso wie Österreich-Ungarn, dessen Bevölkerung sich ebenfalls mehrheitlich aus katholischen Christen zusammensetzte. England stand weiterhin in der Kritik von Kladderadatsch und trug aus ihrer Perspektive nicht unwesentlich zum Ausbruch des Krieges bei. In einer Karikatur, 1049 Zur Rolle Italiens im Russisch-Osmanischen Krieg von 1877 bis 1878, siehe: Isa Blumi, “The Great Powers’ Fixation on Ottoman Albania in the Administration of the post-Ottoman-Russian War: 1878–1908”, in: Ömer Turan (Hg.), The OttomanRussian War of 1877–78, Ankara 2007, S. 187–202, S. 192ff. 1050 Kofos, Greece, S. 67.
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die unter dem Titel „Aus Ost und West“ erschien, zeigt Kladderadatsch, wie ein „Türke“ mit einer signifikanten Nase sich seine Pfeife mit der Verfassung anzündet. Im Begleittext heißt es dazu: „Der Türke, in dem Bewußtsein, daß es dem Briten auf ein Paar gequälte Christen mehr oder weniger nicht ankommt, verläßt sich auf seine gerechte Sache und läßt Allah einen guten Mann sein.“1051 Damit hebt Kladderadatsch, wie schon oft zuvor, erneut die passive und gleichgültige Haltung Englands hervor. Kladderadatsch gemäß erscheint einzig England in der Lage, diesen Krieg zu verhindern. In einem weiteren Bild stellt sie dar, dass sich John Bull angeblich lieber mit Unsinn und Grimassenschneidern beschäftige, anstatt diesen Krieg zu verhindern. Im Begleittext heißt es: „John Bull hat noch nicht das letzte Wort zum Frieden gesprochen. Möchte er es thun, aber recht bald! Vielleicht hat er es gar vergessen? Das wäre schrecklich!“1052 Kladderadatsch unterstellt England, recht phlegmatisch und unverzeihlich gleichgültig mit der Situation zu verfahren, sogar in solchem Ausmaß, dass John Bull es gar vergessen könne zu intervenieren und sich für den Frieden auszusprechen. Diese Karikaturen erschienen am 22. April 1877, kurz vor der offiziellen Kriegserklärung Russlands. Kladderadatsch schien demnach bis zuletzt auf eine friedliche Beilegung der Differenzen zu hoffen. Nachdem alle diplomatischen Bemühungen wirkungslos geblieben waren, erschien England als die einzige, einflussreiche Instanz um einen Waffengang zu verhindern. Nach dem Ausbruch des Krieges blieben allerdings die Ziele des Krieges für Kladderadatsch äußerst fragwürdig. In einer Karikatur stellte die Satirezeitschrift das Osmanische Reich als „Vorkämpfer europäischen Verfassungslebens“ dar, der gegen die „asiatische Alleinherrschaft“ Russlands kämpfe.1053 Russland hingegen trat als „der Kämpfer für Humanität“ und „gegen Christenverfolgung“ auf. Kladderadatsch verhöhnt beide Kontrahenten des Krieges und deren Kriegsziele, denn zuvor hatte das Blatt schon bereits „entlarvt“, dass das Osmanische Reich keineswegs der „Vorkämpfer des europäischen Verfassungslebens“ war, sondern lediglich auf Druck der westlichen Mächte Reformen versprach. Russland hingegen kämpfte schon gar nicht für die „Humanität“ und gegen die „Christenverfolgung“ sondern verfolgte lediglich für eigene politische Interessen. In Anbetracht dieser Tatsachen schrieb Kladderadatsch im Begleittext: „Es ist so schwierig zu entscheiden, für welchen der beiden Kämpfenden man größere Sympathien hegen könnte, daß dadurch – die Neutralität
1051 Kladderadatsch, No. 19, 22. April 1877, S. 4. 1052 Ibidem. 1053 Kladderadatsch, No. 21, 6. Mai 1877, S. 4.
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ungemein erleichtert wird.“ Aus der Perspektive des Kladderadatsch war es offensichtlich, dass keines der Kriegsziele einer Unterstützung würdig sei, denn sie entsprachen keineswegs den wahren Intentionen des Krieges, sondern scheinen lediglich vorgeschoben. Kurze Zeit nach dem Ausbruch des Krieges sprach sich Kladderadatsch für die Wahrung der Neutralität aus. Hierzu veröffentlichte Kladderadatsch am 20. Mai 1877 die ganzseitige Darstellung (angelehnt an das Gemälde von Peter von Cornelius) der „Apokalyptischen Reiter“: Abb. 81.
Kladderadatsch greift mit diesem Bild auf christliche Symbolik zurück, um eindringlich gegen die Folgen eines Krieges zu warnen.1054 Unter dem Bild steht die Warnung: „Aufforderung zur Neutralität. Sonst kommen sie!“ Dieser Appell ist aber nicht als Aufruf zum allgemeinen Frieden zu verstehen, sondern richtet sich vorrangig an die westlichen Großmächte, damit diese ihre „Neutralität“ bewahren. Hinter dieser Warnung steckt die Befürchtung, dass die kriegerischen Konflikte auf dem Balkan sich zu einem europaweiten Krieg ausweiten können, sowie Bismarck es befürchtete. Die Apokalyptischen Reiter sind die Boten des nahenden Unterganges. Die vier Reiter symbolisieren jeweils Krankheit (Pestilenz), Not, Krieg und Hunger, die Begleiter jeden Krieges. Gemäß Kladdderadatsch kommen die Apokalyptischen 1054 Kladderadatsch, No. 23 und 24, 20. Mai 1877, S. 8.
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Reiter nur dann, wenn die Neutralität nicht gewahrt wird. Es scheint, als ob hier die Wahrung des europäischen Friedens von alleiniger Bedeutung ist, sonst hätte sich Kladderadatsch für den allgemeinen Frieden ausgesprochen. Auffallend ist, dass dieses Bild keinerlei karikaturhafte Züge in sich birgt. Die Karikaturen, die während des Russisch-Osmanischen Krieges erschienen, nahmen in der Regel keinen Bezug zu bestimmten Schlachten. Vereinzelt ging aus ihnen hervor, dass Russland bereits erste Siege erringen konnte. So erschien am 08. Juli 1877 ein Bild, das zeigt, wie Jack Tar und ein Habsburger am Schlachtfeld gemeinsam beten. Im Begleittext heißt es dazu: „Himmel, gib auch den Russen etwas Prügel, damit sie nicht zu übermüthig werden! Sonst müssen wir uns hinein mischen, und das wäre doch sehr unangenehm.“1055 Hier tritt erneut die angeblich selbstsüchtige Haltung Österreich-Ungarns und Englands in den Vordergrund. Sie beten nicht aus reiner Sympathie für die „Türken“, sondern sie befürchten, dass sie selbst in das Kriegsgeschehen eingreifen müssen, um ihre jeweiligen Interessen zu wahren. Es schien, als wenn die Gebete des Habsburgers und des Engländer erhört worden waren. Am 19. August 1877 erschien folgende Karikatur, unter dem Titel: „Die türkische Fliegenklappe, oder: Mehr Glück als Verstand“: Abb. 82.
1055 Kladderadatsch, No. 32, 8. Juli 1877, S. 4.
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Das obige Bild nimmt Bezug auf eine der geschichtsträchtigsten Schlachten des Russisch-Osmanischen Krieges von 1877–1878, auf die erste Schlacht von Plewen,1056 bei der die Osmanen den zahlenmäßig überlegenen Russen eine vernichtende Niederlage beibringen konnten. Bereits seit Anfang Juli belagerte das russische Heer die Festung von Plewen. Gemäß der Karikatur, stellt sich Anfang Juli die Frage: „Wird er hineingehen?“ Kladderadatsch zufolge ist der Sieg in Plewen nicht auf das militärische Geschick der osmanischen Streitkräfte zurückzuführen, sondern sie verdanken ihn dem Zufall und ihrer Geduld. Der „Türke“ brauchte nur eine Falle aufzustellen, in die sein Feind nur noch hinein geraten muss.1057 Der russische Aggressor tritt in diesem Bild als ein Mischwesen auf, bestehend aus dem Körper einer Stubenfliege und den Kopf eines Kosaken. Die Fliege scheint ein leichtes Opfer für den Osmanen zu sein, wenn er sie nicht verschreckt. Durch diese Art der Darstellung wird Russland gleichzeitig entmenschlicht und mit einer nervenden und störenden Kreatur gleichgesetzt. Ende Juli scheint die Frage Kladderadatschs beantwortet: „Plewna. Hat ihm schon!“ Dementsprechend hatten sich die Geduld und das Ausharren des Osmanen gelohnt, um den Sieg davon zu tragen. Zwar konnten die osmanischen Streitkräfte sich zunächst erfolgreich gegen die Angriffe Russlands zur Wehr setzten, aber letztlich fiel Plewen nach einer mehrmonatigen Belagerung im Dezember 1877. England beobachtete die russischen Siege mit großem Argwohn, in Sorge um die eigenen Interessen. Obwohl Russland im Vorfeld zugesagt hatte, die britischen Interessensphären nicht zu berühren, um die Neutralität Englands zu sichern, kam in London allmählich Misstrauen auf. Besonders Disraeli sowie die britische Monarchin witterten hinter dem Abkommen mit Russland eine Falle.1058 Nicht nur die russischen Siege auf dem Balkan wirkten bedrohlich auf England, sondern auch die Expansionsbestrebungen in Asien. Der Herrscher von Afghanistan stand schon unter dem Einfluss russischer Militärs und hatte die Einreise eines britischen Agenten verweigert.1059 So war es aus der Sicht Englands nur noch eine Frage der Zeit, bis Russland nach Konstantinopel vorgerückt sein würde. In London zog die Regierung schon Anfang Juni 1877 in Erwägung, die Halbinsel von Gallipoli durch 1056 Anton Springer hat sich in seinem sieben bändigen Werk mit dem minutiösen Kriegs ablauf des Russisch-Osmanischen Krieg von 1877 bis 1878 beschäftigt und auch den Schlachten um Plewen ausführlich beschrieben. Siehe: Anton Springer, Der russisch-türkische Krieg 1877–1878 in Europa, Wien 1891. 1057 Kladderadatsch, No. 38, 19. August 1877, S. 4. 1058 MacKanzie, The Serbs, S. 301. 1059 Ibidem.
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britische Truppen besetzen zu lassen. Die Sorge um Konstantinopel veranlasste Großbritannien zum Handeln. So erschien am 29. Juli folgende Karikatur: Abb. 83.
Hier ist zu sehen, wie Russland, dargestellt als uniformierter Bär, bereits bedrohlich nah an Konstantinopel gelangt ist. Die osmanische Hauptstadt ist als Moschee mit zwei Minaretten dargestellt, auf deren Kuppel ein Halbmond thront. Der Korpus des Gebäudes stellt einen Bienenkorb dar, auf den es der Bär abgesehen hat.1060 Interessant ist, dass die Osmanen als winzige Bienen dargestellt werden, die den Bienenstock umschwirren. Damit symbolisiert Kladderadatsch wie klein und wehrlos die Osmanen sind. Als winzige Bienen sind sie machtlos, um sich gegen ihre Angreifer zu wehren, auch wenn sie Zahlreich sind. Jack Tar hat sich bereits eingefunden, um Konstantinopel vor einem möglichen Bärenbefall zu schützen und protestiert schon lautstark. Deshalb trägt die Karikatur auch die Überschrift „Man sucht keinen hinter der Thür, wenn man nicht schon selbst dahinter gesteckt hat.“1061 Damit deutet Kladderadatsch an, dass auch England nicht anders als Russland handeln würde, falls es in der gleichen Position gewesen wäre. Außerdem zeigt die Karikatur, dass Jack Tar gerade dabei ist die Transvaal Republik in seine Schultertasche zu stecken. 1060 Eine ähnliche Karikatur veröffentlichte bereits auch Punch. 1061 Kladderadatsch, No. 35, 29. Juli 1877, S. 4.
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Der Begleittext lautet: „Sowie der Engländer bemerkt, dass der Russe wiederrechtliche Absichten auf Constantinopel hegen könnte, alarmiert er ganz Europa durch seine Einsprache dagegen. In seiner gerechten Entrüstung lässt er sich kaum die Zeit, die frisch annektierte Transvaal Republik mit ihrem Diamantenfeldern erst gehörig in die Tasche zu stecken.“ Kladderadatsch kritisiert die Doppelmoral Englands. Großbritannien ist gerade im Begriff selbst die Transvaal Republik zu annektieren, protestierte jedoch aufs heftigste, sobald Russland seinerseits versuchte, eigene Interessen zu sichern. Das Wesen der russischen Denk- und Handlungsweise war England somit nicht fremd. Großbritannien durchschaute Russland also deshalb, weil ihre Politik und Handlungsweise gewisse Ähnlichkeiten zur russischen Vorgehensweise aufwies. Somit unterstellt Kladderadatsch der britischen Monarchie, dass sie auf dieselbe Weise wie Russland handeln würde und deshalb nicht das Recht habe zu protestieren, da sie selbst keineswegs „moralischer“ vorging als das Zarenreich. Die Kritik Kladderadatschs zielt folglich nicht vornehmlich auf den russischen Aggressor ab, sondern erneut trifft sie auch Großbritannien. England hatte bereits Ende Juni 1877 seine Flotten nach Besika Bay (Çanakkale) entsandt, um im Fall der Fälle so schnell wie möglich eingreifen zu können.1062 Somit nahm die Intensität der Vorbereitungen für eine mögliche Intervention zu.1063 Aufgrund dessen geriet England ins Kreuzfeuer der berlinerischen Kritik. Ein Eingreifen Englands würde aus der Sicht des Kladderadatschs unweigerlich zu einer europaweiten Ausweitung des Krieges führen. Infolgedessen blieb das negative Bild Englands bis zum Ende des Russisch-Osmanischen Krieges bestehen.1064 Nachdem das osmanische Heer vereinzelt Siegesmeldungen von den beiden Kriegsfronten verkünden konnte, entspannte sich die Situation in London vorerst. Der russisch-englische Gegensatz blieb bis zum Kriegsende bestehen. Gleich in der ersten Ausgabe des neuen Jahres, am 6. Januar 1878, veröffentlichte Kladderadatsch folgende Karikatur:
1062 MacKanzie, The Serbs, S. 305. 1063 Ibidem, S. 311ff. 1064 Den Wettstreit um Konstantinopel zwischen dem Zarenreich und England thematisiert Kladderadatsch in weiteren Karikaturen. Vgl. Kladderadatsch, No. 14 und 15, 31. März 1878, S. 4.
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Abb. 84.
Aufgrund seiner chronischen Geldnot verpfändet der Osmane seine Flotte und seine Infanterie, symbolisiert durch eine Kiste, an einen englischen Pfandleiher, der starke Ähnlichkeiten zu Disraeli aufweist.1065 Die Geldnot ist dem Osmanen anzusehen, im Vergleich zum Engländer wirkt er recht schmächtig und mager. Außerdem ist er physiognomisch kleiner dargestellt als die übrigen Figuren in der Karikatur. Kladderadatsch betrachtet den Handel des „Türken“ kritisch und empfiehlt ihm: „Der Türke thäte am besten, nicht nur Flotte und Heer, sondern auch gleich alle Provinzen bei den Engländern zu versetzen. Wenn dann der Russe nur einen Mann angriffe oder einen Fuß breit Landes besetze, wären die Interessen Englands verletzt. Dann würde sich der britische Leu wie ein Mann erheben und den russischen Bären verschlingen – mit seinem großen Maule.“ Auf dem Tresen liegt auch schon das Papier bereit, auf dem die Namen „Anatolien, Bulgarien, Rumelien“ zu lesen sind. Auch Anatolien, das Kernland des Osmanischen Reiches, soll gleich verpfändet werden. Auf der linken Hälfte der Karikatur ist zu sehen, wie der britische Löwe, bereits die Hälfte des Bären verschlungen hat. Durch den Begleittext wird deutlich hervorgehoben, wie aggressiv Großbritannien seine Interessen verfolgt und diesbezüglich keine Gnade walten lässt, sobald sie auch nur minimalst verletzt werden. England ist keineswegs bereit einen Machtzuwachs des Zarenreiches zu dulden. Aus Furcht, die osmanische Flotte könnte in die Hände des Rivalen fallen, versuchte Großbritannien dem Osmanischen Reich die vier besten Kriegsschiffe 1065 Kladderadatsch, No. 1, 6. Januar 1878, S. 4.
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abzukaufen.1066 In jeder Situation hatte Großbritannien stets seinen Profit im Blick, wie es auch die Karikatur darstellt. Der britische Löwe ist bereit, den Bären mit Haut und Haaren bei lebendigem Leibe zu verschlingen, falls dieser Anstalten machen sollte, die Interessen Englands auch nur zu tangieren. In dieser Karikatur bedient sich Kladderadatsch erneut an der Symbolik des Punch, um England und Russland darzustellen. England erscheint erneut in keinem guten Licht. Gemäß Kladderadatsch waren die Maßnahmen, die Großbritannien für eine mögliche Intervention traf, nur leere Drohgebaren und äußert sich dazu folgendermaßen: „Der Engländer hat bekanntlich einen großen Mund und ein kleines Heer“. Diese Behauptung ist der Titel einer Karikatur, die Kladderadatsch am 27. Mai 1877 veröffentlichte, in Anlehnung an die Fabel La Fontaines Der Affe und die Katze. Auf diesem Bild ist zu sehen wie ein Affe, der das Gesicht Disraelis hat, mit vier Katzen am Kamin sitzt und grübelt, wie es ihm gelänge, die Kastanien aus dem Feuer zu holen, ohne sich dabei selbst die Finger zu verbrennen.1067 Dazu schreibt Kladderadatsch: „Er sucht deshalb immer noch im Stillen nach einem Bundesgenossen, der für ihn die Castanien aus dem Feuer hole.“ So unterstellt Kladderadatsch dem britischen Löwen, dass er lediglich „brüllen“ könne, jedoch keineswegs die militärische Macht besäße, um seine Drohungen zu vollziehen, und kriegsscheu sei und lieber andere dazu einsetze, um eigene Interessen bewahren zu lassen. Nach dem zermürbenden Krieg, trat sowohl bei Russland als auch beim Osmanischen Reich zunehmend Kriegsmüdigkeit auf. Nach der Kapitulation Plewens strebten die Parteien an, den Krieg beizulegen. Diese Bemühungen schlugen sich auch im Kladderadatsch nieder. Auffällig ist jedoch, dass Kladderadatsch nun auf die Symbolik zurückgriff, die sie bereits zu Beginn der Rebellionen auf dem Balkan einsetzte. Das Osmanische Reich erscheint nun als schöne Haremsdame, die vom Kosak umworben wird.1068 Sie ist seinen Begehrlichkeiten ausgesetzt, der nun von ihr Serbien, Montenegro, Herzegowina, Bosnien und Bulgarien als Bedingung für den Frieden fordert. Wahrscheinlich spielte diese Karikatur auf den Vorfrieden von Adrianopel an, wo der Zar ankündigte, dass er die Maximalforderungen von Poradim durchsetzen wolle, die unter anderem jegliche Intervention der Großmächte ablehnte. Außerdem sollten die russischen Streitkräfte bis nach Konstantinopel vorrücken, bis der Sultan alle Bedingungen förmlich angenommen habe.1069 1066 Millman, Eastern Question, S. 392f. 1067 Kladderadatsch, No. 25, 27. Mai 1877, S. 4. 1068 Vgl. Kladderadatsch, No. 5, 3. Februar 1878, S. 4. 1069 Millman, Eastern Question, S. 375ff.
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6.10 Vom Frieden von San Stefano bis zur Berliner Konferenz Das Osmanische Reich und Russland schlossen am 3. März 1878 in San Stefano Frieden. Um das Ende des Krieges herbeizuführen, war die Hohe Pforte gezwungen, die Maximalforderungen des Zarenreiches zu akzeptieren.1070 Zwar waren Russland und das Osmanische Reich zu einer Einigung gekommen, jedoch missfielen die Friedensbedingungen des Zarenreiches vor allem der Donaumonarchie und Großbritannien. So folgte nun nach dem Krieg das Ringen der Großmächte, das sich bis zum Berliner Kongress hinzog. Die westlichen Großmächte waren keinesfalls bereit, den Diktatfrieden Russlands in dieser Form zu akzeptieren. In der Karikatur, die Kladderadatsch am 17. März 1878 publizierte, karikiert das Blatt die Vorbereitungen auf den Berliner Kongress folgendermaßen: Abb. 85.
Auf obiger Karikatur, die unter dem Titel „Der Friede ist gesichert“ erschien, ist zu sehen, dass die Vertreter der westlichen Mächte ihre Vorbereitung bezüglich
1070 Die Unterzeichnung des „Diktatfriedens“ visualisiert Kladderadatsch in ihrer Karikatur, die am 10. März 1878 erschien, gleich auf der ersten Seite. Das Bild zeigt einen sichtlich geschwächten, fast leblosen Osmanen, der den Friedensvertrag unterzeichnet. Seine Hand wird hier von Russland geführt, da er selbst scheinbar nicht einmal mehr die Kraft hat eine Feder zu führen. Kladderadatsch, No. 11, zweites Beiblatt, 10. März 1878, S. 1.
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der Verhandlungen auf dem Berliner Kongress trafen.1071 Erneut treten England, Russland, und Österreich-Ungarn in den Vordergrund des Bildes. Jack Tar schleift bereits sein Schwert, während der Kosak sichtlich betreten mit seinem Degen spielt. Andrássy hält seinen Degen mit seinen Zähnen fest während er im Begriff ist, einen Mantel überzuziehen, auf dem „Anleihe“ geschrieben steht. Dieser Mantel symbolisiert das Aufrüsten Andrássys, der seinerseits Kriegsvorbereitungen traf und sich die nötigen finanziellen Mittel für einen Kriegseintritt sicherte. Frankreich und Italien sind nur schemenhaft dargestellt. Teilnahmslos betrachten sie die Vorkehrungen, die die anderen Mächte treffen. Lediglich dem Osmanen scheint das Aufrüsten der Kontrahenten Freude zu bereiten. Er steht lächelnd im Hintergrund und betrachtet das Schauspiel, welches ihm die Vertreter der Großmächte bieten. Dementsprechend traten in den folgenden Wochen und Monaten die Friedensbemühungen in den Vordergrund der Karikaturen, denn es brach vor allem die Konkurrenz um die Territorien auf dem Balkan aus. Kladderadatsch karikierte diesen Wettstreit mit folgender Karikatur, die unter dem Titel „Gesellschaftsspiel für die langen Friedensabende“ am 17. Februar 1878 erschien: Abb. 86.
1071 Kladderadatsch, No. 12, 17. März 1878, S. 4.
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Zar Alexander II. hat sich mit den Vertretern der Balkanvölker, Serbien, Montenegro, Bosnien und Herzegowina,1072 zusammengefunden und nun teilen sie untereinander das Osmanische Reich auf, unter der Aufsicht Disraelis und Andrássys. Die Hauptpersonen dieser Karikaturen sind Disraeli, Andrássys und Zar Alexander II., die physiognomisch stärker hervortreten als die Repräsentanten der Balkanvölker, die proportional etwas kleiner gehalten sind. Die Spielanleitung lautet: „Jeder Mitspielende schneidet von dem Haufen auf dem Tische so viel ab als er kann. Das Mittelstück mit dem Halbmond muss aber stehen bleiben. Kommt Dieses ins Schwanken, so mischen sich die Anderen in das Spiel, und das ganze Vergnügen ist gestört.“ Der Zar hat sich bereits das größte Stück gesichert. Während Andrássys das Spiel mit ernster Miene verfolgt, lächelt Disraeli zynisch, wie in anderen Karikaturen zuvor. Solange das „Mittelstück mit dem Halbmond“, womit Konstantinopel gemeint ist, nicht ins Schwanken gerät, scheint es ihm eine große Freude zu bereiten, den Konkurrenzkampf der Spielteilnehmer zu beobachten. Bereits im Januar hatte Disraeli dem russischen Botschafter Šuvalov eine Note übermitteln lassen, in der er ankündigte, dass jede Okkupation der Dardanellen sowie Konstantinopels den unmittelbaren Kriegseintritt Großbritanniens zur Folge hätte.1073 Vorerst scheint Andrássys leer auszugehen, denn das Zarenreich hatte keineswegs vor, seine Interessen zu berücksichtigen. Es ließ alle Zusicherungen an die Donaumonarchie außer Acht und bestand lediglich auf der Erfüllung seiner „Poradim-Bedingungen“. So waren Andrássys Hände gebunden, er war gezwungen abzuwarten bis England intervenierte, erst dann zog es auch die Donaumonarchie in Erwägung, ebenfalls in den Krieg gegen Russland zu ziehen. Die Ziele Großbritanniens und Russlands stellte Kladderadatsch, wenige Wochen nach dem Ende der Berliner Konferenz,1074 am 18. August 1878 folgendermaßen dar:
1072 Kladderadatsch, No. 7, 17. Februar 1878, S. 4. 1073 Schmidt, “Balkankrise”, S. 70. 1074 Kladderadatsch, No. 37 und 38, 18. August 1878, S. 4.
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Abb. 87.
Als „Gargantua und Pantagruel“, in Anlehnung an die gleichnamigen Romanhelden François Rabelais’, erscheinen erneut Disraeli und Gorčakov, die beide nun ihren unersättlichen Hunger auf die Territorien des Osmanischen Reiches stillen.1075 Die „Türkei“ wird diesmal als eine breiige Masse dargestellt, aus der sich Disraeli und Gorčakov mundgerechte Gebiete formen, um sie sich anschließend einzuverleiben. Disraeli ist schon im Begriff „Cypern“ zu verschlingen, während Gorčakov dabei ist, sich „Batum“ einzuverleiben. Der Begleittext zu dieser Karikatur lautet: „Wenn England und Russland so fortfahren, ein Jedes von seiner Seite her die Türkei aufzufressen, so müssten sie nothgedrungen in der Mitte auf einander stoßen.“ Die Karikatur verweist darauf, dass der Zusammenstoß der nimmer satten Riesen, Russland und Großbritannien, unvermeidlich scheint, wenn es ihnen nicht gelingt, sich zu einigen. Auffallend ist, dass aus der Perspektive des Kladderadatsch die eigentlichen Gegenspieler des Krieges vornehmlich Russland und England waren, während das Osmanische Reich und die Balkanvölker lediglich die Kämpfe austrugen, um die Interessen ihrer jeweiligen „Schutzmacht“ zu sichern.1076 Obwohl auch Österreich-Ungarn seine Interessen am Balkan bekundete, erscheint die Donaumonarchie in ihrem Handeln keineswegs in dem Maße aggressiv wie England 1075 François Rabelais, Gargantua und Pantagruel, Frankfurt am Main 2003. 1076 Vgl. Kladderadatsch, No 16, erstes Beiblatt, 7. April 1878, S. 1; Kladderadatsch, No. 20, 5. Mai 1878, S. 4.
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und Russland. Auch tritt der Hauptbeteiligte der Krise und des Krieges, das Osmanische Reich, fast in den Hintergrund. Für die Verbildlichung des Osmanischen Reiches setzte Kladderadatsch zwar unterschiedliche Allegorien und Symbole ein, jedoch werden bei der Darstellung der „Türken“ alle individuellen Merkmale außer Acht gelassen. Die Karikaturisten setzten lediglich stereotype Charakteristika zur Visualisierung der „Türken“ ein. Vielmehr scheinen es Figuren zu sein, die den Werken orientalistischer Künstler entsprungen zu sind. Ebenso könnten auch die Kostüme aus Mozarts Die Entführung aus dem Serail den Zeichnern als Vorlage gedient haben, denn ähnlich anmutende Gewänder lassen sich in den Zeichnungen von Kladderadatsch wiederfinden. Sie verbreiten das Bild der exotischen „Türken“, wie es im 18. Jahrhundert populär war und in den Werken von Künstlern wie Joseph Marie Vien, Carle Van Loo oder Francesco Guardi zu finden ist. Dieses Bild transportierten neben Zeichnungen, Illustrationen, Gemälden ebenso Porzellanfiguren, die zum Beispiel in Meißen angefertigt wurden. Für die „Türkei“ hegte der Kladderadatsch keinerlei Sympathien, denn aus allen Karikaturen spricht ihre unverhohlene Verachtung. Die negativen Attribute, die dem Herrscher der „Türken“ zugeschrieben werden, gelten auch für seine „türkischen“ Untertanen. Besonders deutlich tritt sie in den Bildsatiren hervor, die den unmittelbaren Rückzug des Osmanischen Reiches aus Europa fordern. Durch die Darstellung der „Türken“ in ihren traditionellen, wallenden Gewändern wird dessen „Fremdheit“ besonders hervorgehoben. Es fehlt auch jegliche Rücksichtnahme gegenüber den osmanischen Sultanen. Entkleidet von jeglicher Herrscherwürde sind sie dem Spott und dem Hohn von Kladderadatsch ausgesetzt, denen eine Reihe von negativen Attributen wie Faulheit, Trunksucht, Haremswirtschaft, Verschwendungssucht usw. zugeschrieben werden. Obwohl auch England, Russland und Österreich-Ungarn der Kritik des Blattes ausgesetzt sind, erscheinen jedoch die jeweiligen Herrscher keinesfalls als unmittelbare Zielscheibe des Spottes. Für die Darstellung Russlands griff das Blatt auch auf unterschiedliche Symbole zurück, jedoch verwendeten die Karikaturisten vornehmlich die Figur des Kosaken, dessen Hauptmerkmal sein Kosakenhut ist. Somit tritt neben dem Osmanischen Reich auch das Zarenreich als Zielscheibe von Kladderadatsch auf. Ziel der Kritik war vornehmlich die Moralheuchelei des Zarenreiches, das Reformen vom Osmanischen Reich forderte, obwohl es selbst mit der Durchsetzung eigener Reformen zu kämpfen hatte. Alexander II. strebte einen grundlegenden Systemwandel in seinem Reich an. Ein erster politischer Erfolg war die Abschaffung der Leibeigenschaft von 1861. Allerdings wurden auch die 348
Reformen im Zarenreich vom Zaren oktroyiert. Auch das humanitäre Scheinmotiv wird aufs Schärfste kritisiert, denn Russland instrumentalisierte seine Verbündeten, angeblich um für bessere Lebensbedingungen bei den christlichen Balkanvölkern zu kämpfen, jedoch verfolgte es lediglich seine eigenen Interessen. Außerdem hetzte das Zarenreich die Bevölkerung des Balkans gegen das Osmanische Reich auf und ließ sie sofort fallen, wie Serbien, sobald sie nicht erfolgreich ihre Mission erfüllten. Dies galt auch für England, das seine eigentlichen Ziele versuchte, hinter einem angeblich humanitären Motiv zu verbergen. Auffällig ist allerdings, dass Disraeli äußert scharf kritisiert wird. Bei ihm ist jegliche Rücksichtnahme, ebenso wie beim Sultan, ausgeschaltet. Obwohl Disraeli, wie Andrássy oder Gročakov, die keineswegs persönlichen Angriffen ausgesetzt sind, als ein Repräsentant seines Landes auftritt, gilt er hier als die Verkörperung des Zynismus, der skrupellos und berechnend die imperialistische Machtpolitik Großbritanniens vertritt. England tritt somit häufig in den politischen Bildern als „Krämernation“ auf. Hinzukommt, dass Disraeli jüdische Wurzeln hat. In den Jahren 1873–1879 durchlebte das Deutsche Reich neben der Gründerkrise, dem Kulturkampf ebenso eine schwere Wirtschaftskrise, Gründerkrach genannt. In diesen Jahren flammte eine Judenfeindschaft auf. Den Juden wurde wirtschaftliche Ausbeutung und das Streben nach weltweiter Herrschaft vorgeworfen.1077 Wohl deshalb erscheint England, symbolisiert durch Disraeli, in den Darstellungen von Kladderadatsch als besonders rücksichtslos und aggressiv und scheut nicht einmal davor zurück, den „Bären“ mit Haut und Haaren zu verschlingen, sobald seine Interessen auch nur minimalst verletzt werden. Disraeli war vermutlich aus deshalb der scharfen Kritik des Satireblattes ausgesetzt, weil Kladderadatsch in ihm den stärksten Gegenspieler des Dreikaiser abkommens sah. Während die Politik der Bündnispartner des Abkommens an einer Aufteilung des Osmanischen Reiches und dessen Verdrängung von Europa abzielte, das im Sinne des Kladderadatschs war, wachte er mit Argusaugen über den Fortbestand des Reiches. Nachdrücklicher als die untersuchten osmanischsprachigen Satirezeitschriften und deutlicher auch als Punch, bringt Kladderadatsch ihre Sorge um die Erhaltung des Friedens in Europa zum Ausdruck und betrachtet vornehmlich das Osmanische Reich als latente Gefahr für den Frieden. Spezifischen, politischen Ereignissen bezüglich der Balkankrise räumt das Blatt wenig Platz ein, vielmehr stellt sie in zahlreichen Karikaturen den Bankrott des Osmanischen
1077 Werner Bergmann, Geschichte des Antisemitismus, 4. Aufl., München 2010, S. 40f.
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Reiches sowie dessen scheinbare Zahlungsunwilligkeit1078 in den Vordergrund und plädiert dafür, dass die „Türken“ unbedingt Europa verlassen sollten. Das Deutsche Reich erscheint in den Karikaturen, repräsentiert durch Bismarck, in der Rolle des Vermittlers, der stets bestrebt scheint, eine Lösung für die „Orientalische Frage“ zu finden. In den graphischen Bildsatiren, die Kladderadatsch ab dem Jahre 1876 veröffentlichte, dominiert zumeist der russisch-englische Gegensatz. Aus ihrer Perspektive, trugen diese beiden Kontrahenten durch ihre Politik und ihre Interessenskonflikt entscheidend zum Ausbruch der kriegerischen Auseinandersetzungen auf dem Balkan bei. Zwar zeichnet Kladderadatsch kein positives Bild der Osmanen, jedoch trug er laut den Karikaturen eine geringere Schuld an dieser Situation.
1078 Vgl. Kladderadatsch, No. 50, 31. Oktober 1875, S. 5; Kladderadatsch, No. 6, erstes Beiblatt, 6. Januar 1876, S. 1; Kladderadatsch, No. 9 und 10, 27. Februar 1876, S. 5; Kladderadatsch, No. 16, 2. April 1876, S. 4; Kladderadatsch, No. 19, S. 4.
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7. Karikaturen als Medium des internationalen Transfers von politischen Symbolen – dargestellt am Sinnbild des „russischen Bären“ Seit dem frühen 18. Jahrhundert fanden druckgraphische Produkte oft Abnehmer weit außerhalb der Grenzen ihrer Entstehungsorte. Ähnlich verhielt es sich mit Karikaturen, die gleichsam kulturelle Schranken und Sprachbarrieren überwanden.1079 Gemäß Coupe wurden Bildsatiren „ballenweise“ aus England importiert und fanden in Deutschland regen Absatz.1080 Die Genese von Satirezeitschriften ab 1832 verhalf ihrer Verbreitung beträchtlich.1081 Diese Zeitschriften zirkulierten sowohl im inner- als auch im außereuropäischen Raum.1082 Dementsprechend fanden politische Bilder, transportiert durch Satirezeitschriften, internationale Verbreitung. Oft dienten diese als Vorlage für Reproduktionen. Durch ihre Arbeit trugen dementsprechend die Karikaturisten erheblich zum internationalen Transfer von politischen Bildern, Allegorien oder Symbolen bei, 1079 Rolf Reichardt, “Interkulturelle Wechselbeziehungen der historischen Bildpublizistik als Forschungsaufgabe”, in: Kaenel, Interkulturelle Kommunikation, S. 3–16. Reichardt spricht von einer systematischen Produktion und Distribution von Druckgraphiken, die international gehandelt wurden. Ibidem, S. 6f. Im frühen 18. Jahrhundert dienten zum Beispiel niederländische Bildsatiren als Vorbilder für französische Künstler. Ab den 1790er Jahren wiederum dienten französische Produktionen als Vorlagen für Arbeiten Londoner Stecher. Ibidem, S. 14. 1080 William A. Coupe, “Die deutsche Napoleonkarikatur und das Ausland”, in: Kaenel, Interkulturelle Kommunikation, S. 479–496, S. 480. 1081 Punch war wohl eine der international einflussreichsten und bekanntesten Satirezeitschriften des 19. Jahrhunderts. So war dieses Blatt nicht nur Vorbild für Publizisten von Periodika mit satirischem Inhalt im außereuropäischen Raum, sondern auch innerhalb Europas. Kladderadatsch gestaltete zum Beispiel einige ihrer Rubriken nach dem Vorbild von Punch. Vgl. Koch, Teufel, S. 142f. Zur Popularisierung von Karikaturen durch Satirezeitschriften siehe: Liebel, Politische Karikaturen, S. 44. 1082 Ab den 1870er Jahren fanden europäisch inspirierte Satirezeitschriften, die größtenteils nach westlichem Vorbild graphischen Bildsatiren enthielten, Eingang in die Medienlandschaft des asiatischen Raumes. Nachweislich belegen zahlreiche Karikaturen, dass ihre Zeichner in Kontakt mit westlichen Medien wie dem Londoner Blatt Punch gekommen waren. Vgl. Hans Harder (Hg.), Asian Punches. A Transcultural Affair, Heidelberg 2013.
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indem sie anhand ausgewählter ausländischer Vorlagen einzelne Bildmotive in neue Zusammenhänge setzten oder sie adaptierten.1083 Eines dieser politischen Bilder ist das Symbol des russischen Bären. Das Sinnbild Russlands als Bär kam als Erstes in Großbritannien auf. Als früheste Belege hierfür gelten die Theaterstücke Heinrich V. und Macbeth von William Shakespeare. In diesen Stücken setzte Shakespeare die Allegorie des russischen Bären ein, um, wie es Philipp beschreibt, „eine grauenvolle Gefahr zu verdeutlichen“, die vermeintlich vom Zarenreich ausging.1084 Diese literarische Darstellung Russlands kam zu einem Zeitpunkt auf, als englische Kaufleute, die auf der Suche nach einer Verbindung mit China über den nördlichen Seeweg waren, das Zarenreich 1553 entdeckten. In den folgenden Jahren etablierte sich Russland als ein vieldiskutiertes Thema in der britischen Entdeckungsliteratur und Publizistik.1085 Zwar war der Bär sowohl in Europa als auch in Asien seit dem Mittelalter präsent, doch hat das politische Symbol des Bären als Sinnbild für Russland seinen Ursprung in Großbritannien. Es ist indes nicht verwunderlich, dass diese Allegorie ihre Wurzeln gerade dort hat. Denn das Zarenreich war nicht nur seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts eine „politisch und kommerziell überaus wichtige Neuentdeckung“ für Großbritannien,1086 sondern stellte seit dem frühen 19. Jahrhundert eine unmittelbare Bedrohung für seine Interessen dar. Folglich entwickelte sich in England eine Russophobie höchsten Grades.1087
1083 Ähnlich wie die osmanischen Karikaturisten, adaptierten oder transformierten bereits im 18. Jahrhundert deutsche Künstler ihre ausländischen Vorlagen. Deuling erklärt, dass diese Abweichungen von den Originalkarikaturen zum Ziel hatten, die Wirkung der Karikatur zu dämpfen, oder aber durch Verzicht auf Details die rechtzeitige Fertigstellung des Nachstichs zu gewährleisten. Auch wurden die Titel oder Untertitel gestrichen oder gekürzt, um das deutschsprachige Lesepublikum nicht zu überfordern. Zum Teil wurden auch Details weggelassen, weil es dem Kommentator nicht gelang, ihre Bedeutung zu entschlüsseln. Vgl. Christian Deuling, “Die Zeitschrift London und Paris (1798–1815) als Medium des internationalen Bildtransfers”, in: Kaenel, Interkulturelle Kommunikation, S. 245–269, S. 258. 1084 Werner Philipp, “Auf den Spuren des russischen Bären”, in: Heinz Müller-Dietz (Hg.), Aus dreissig Jahren Osteuropa-Forschung, Berlin 1984, S. 183–193, S. 183f. 1085 Philipp, “Bären”, S. 183. 1086 Ibidem. 1087 Nach der französischen Niederlage vor Moskau flammte in Großbritannien für eine kurze Zeit eine „Russlandbegeisterung“ auf, sodass George Cruikshank russische Karikaturen gegen Napoleon in englischer Fassung nachdruckte, dabei aber die Originalschrift und Titel mit ihren kyrillischen Buchstaben sorgfältig kopierte, auch
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Dementsprechend erschienen auch erste graphische Darstellungen Russlands als Bär ab dem frühen 19. Jahrhundert zuerst in Großbritannien. Bislang gibt es keine Belege für Bilder aus der Zeit vor dem 19. Jahrhundert, in der ein Bär als Sinnbild für Russland verwendet wird.1088 Die Expansionspolitik, die das Zarenreich seit dem 19. Jahrhundert verfolgte, trug im Wesentlichen dazu bei, dass sich das Bild des russischen Bären als Allegorie für Russland in der europäischen Publizistik etablierte. Im Zusammenhang mit der Außenpolitik, die Russland betrieb, veröffentlichte das britische Blatt Herald einen literarischen Beitrag, in dem das Osmanische Reich (Turkey)1089 sich bereits in den Klauen des russischen Bären befand unter dem Titel Turkey in Danger.1090 Diesen literarischen Beitrag übertrug der Zeichner von Punch in eine Karikatur, die erstmals unter demselben Titel am 9. April 1853 erschien.1091 Auch wenn die Briten Osmanen als „Türken“ bezeichneten, war im Osmanischen Reich hingegen noch in der Spät-Tanzimat die Bezeichnung „Türke“ nicht von ihrem abwertenden, beleidigenden Kontext befreit. In der gesamten osmanischen Geschichte galt das „Türkentum“ als ein Synonym für Ungehobeltheit, Unzivilisiertheit und Rohheit. Dieser Begriff stieß auf keinerlei Akzeptanz, schon gar nicht bei der osmanischen Elite, aus der sich der Kreis der Journalisten und Zeichner bildete. Noch bis 1877 erschienen Geschichtsbücher, die die „türkische Herkunft der Osmanen“ nicht erwähnten.1092 Seit dem Krimkrieg verbreitete sich diese bildliche Darstellung Russlands unter den europäischen Periodika mit satirischem Inhalt stetig. Mittels Illustrationen und Graphiken, die Russland als Bären darstellen, kritisierten sie nicht nur die innenpolitischen Verhältnisse Russlands, sondern auch seine Außenpolitik. Somit bezeichnete der Bär in Wort und Bild die Russen, Russland oder das russische Regime. Zumeist wurde der Bär nicht als anthropomorphes Sinnbild wenn die Betrachter dieser Bilder sie weder lesen noch verstehen konnten. Vgl. Coupe, “Napoleonkarikatur”, S. 483. 1088 Ibidem, S. 186f. 1089 Möglicherweise entwarf Punch das Symbol des Truthahns als Nationalallegorie für das Osmanische Reich. Bislang gibt es keine Forschungsbeiträge, die sich mit der Entstehung dieses Bildes befassen. Vermutlich tauchte dieses Bild erstmals während des Krimkrieges in den Bildsatiren von Punch auf. Aufgrund des Mangels an eingehenden Untersuchungen hinsichtlich dieser Symbolik handelt es sich hierbei um eine erste Einschätzung. Eine umfassendere Auseinandersetzung mit dieser Thematik muss weiteren Arbeiten vorbehalten bleiben. 1090 Philipp, “Bären”, S. 188. 1091 Punch, Bd. 24, 9. April 1853, S. 145. 1092 Vgl. Kürşat, Modernisierung, S. 367.
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verwendet oder als Karikatur wiedergegeben, sondern vornehmlich „realistisch“ dargestellt. Der Bär galt als Symbolfigur, die das Wesen des „Russentums“ ausdrücken sollte – wie etwa der gallische Hahn das Franzosentum oder der Löwe das Britentum. Für die Betrachter der Bilder präsentiert sich der Bär zumeist in mächtiger, dunkel-bedrohlicher Gestalt, dessen schwerfällig-drolliges Gebaren keineswegs seine Angriffslust und Aggressivität vergessen lässt. Durch die Verwendung von Tieren als Nationalallegorien werden die impliziten Eigenschaften des Tieres als charakteristisch für die dargestellte „Nation“ angesehen.1093 Die Karikaturisten, die für Punch arbeiteten, waren hinsichtlich der Schöpfung von Nationalallegorien sehr kreativ und produktiv. Zur Identifizierung und Charakterisierung unterschiedlicher Mächte entwarfen sie neue Bilder oder übertrugen vorhandene literarische Vorlangen, wie die des russischen Bären, in die Karikatur. Der Rückgriff auf Tiergestalten zur Darstellung von Persönlichkeiten oder als Nationalallegorien war keine Erfindung von Punch, sondern hatte bereits seit dem Mittelalter Tradition.1094 Wie oben erwähnt, gehörten Karikaturen zu den Multiplikatoren von politischen Symbolen. Vor den 1870er Jahren mangelte es an osmanischsprachigen Periodika, die Bilder oder Bildsatiren enthielten. Deshalb fanden politische Symbole europäischen Ursprungs erst ab diesem Zeitpunkt Eingang in die satirische Publizistik des Osmanischen Reiches. Eines dieser politischen Symbole war der russische Bär.1095 Es ist nicht feststellbar, über welche Wege europäische Satirezeitschriften oder politische Bilder nach Istanbul kamen.1096 Die Tatsache, dass osmanische 1093 David Bindman, “How the French became Frogs. English caricature and stereotypes of nations”, in: Kaenel, Interkulturelle Kommunikation, S. 423–435, S. 423. 1094 Bindman, “English caricature”, S. 423. 1095 Ersten Einschätzungen zufolge stieg die Anzahl von Bildsatiren in den osmanischsprachigen Satirezeitschriften, die Punch oder anderen westlichen Vorlagen entlehnt sind, besonders nach dem Ausbruch der Rebellionen 1875 stetig an. Bis ins Jahr 1875 sind unmittelbare Einflüsse oder gar indirekte Übernahmen aus Punch kaum nachzuweisen. Erst ab diesem Jahr stieg die Zahl von Bildern, die Punch entlehnt sind, kontinuierlich. Wie ihre europäischen Kollegen entnahmen die osmanischen Karikaturisten einzelne Bilder und setzten sie in neue Zusammenhänge oder modifizierten ihre Vorlagen, indem sie sie in einen spezifisch osmanischen Kontext setzten. 1096 Für die Zeitschrift London und Paris (1798–1815) kauften Korrespondenten in den Karikaturläden von London und Paris Originalkarikaturen an und übersandten sie an die Weimarer Redaktion. Vgl. Deuling, “London und Paris”, 248ff. Möglicherweise erfolgte die Verbreitung von westlichen Satirezeitschriften im Osmanischen Reich
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Reproduktionen oder Adaptionen von Karikaturen, die im Punch oder im Kladderadatsch erschienen waren, kurze Zeit später von den Istanbuler Satirezeitschriften wie Çaylak veröffentlicht wurden, weist darauf hin, dass die Postverbindung oder sonstige Übermittlungswege von Zeitungen und Zeitschriften zwischen Istanbul und Europa sehr gut funktionierten. Eine Karikatur, die Punch am 2. Januar 1875 veröffentlichte,1097 erschien am 10. April 1875 in Kahkaha. Während 1875 mehrere Wochen, gar Monate, verstrichen, bis osmanische Reproduktionen von britischen Karikaturen erschienen, verkürzte sich die Zeit für die Veröffentlichung der osmanischen Adaption einer Bildsatire, die am 2. Dezember 1876 in Punch erschien, auf wenige Tage, denn bereits am 14. Dezember 1876 publizierte Çaylak ihre modifizierte Version.1098 Durch das Symbol des Bären verlieh Punch der Bedrohung, die vom Zarenreich ausging, ein konkretes Äußeres, welches die osmanischen Karikaturisten im Zuge der Balkankrise übernahmen. Wie in den vorangegangenen Kapiteln dargestellt, bediente sich Kladderadatsch ebenfalls dieser Symbolik.1099 Auch in ihren Bildsatiren verkörpert der Bär Russland. Ebenso verhielt es sich mit den osmanischsprachigen Satirezeitschriften. Dieses politische Bild des Zarenreiches durchbrach somit kulturelle Grenzen und Sprachbarrieren. Aufgrund dieser Barrieren kommt die Frage auf, ob die osmanischen Rezipienten verstanden, dass es sich hierbei um das Symbol des russischen Bären handelt. Die Betrachter der osmanischsprachigen Karikaturen, denen diese Allegorie fremd ist, können ohne nähere Hintergrundinformationen in Bezug auf die Symbolik aus dem Kontext erschließen, dass es sich um den russischen Bären handelt nur unter der Voraussetzung, dass sie über die aktuelle (außen-)politische Situation des Osmanischen Reiches umfassend informiert sind. Politische Karikaturen waren nicht nur Medien der Informationsvermittlung. Da sie offene oder verborgene Kritik enthielten, transportierten sie zugleich
auf ähnliche Weise. Osmanen, die sich in Europa aufhielten kauften Periodika dieser Art oder Bilder und schickten sie nach Istanbul. 1097 Vgl. Punch, Bd. 68, 2. Januar 1875, S. 5 und Kahkaha, No. 3, 29. Mart 1291 R. [10. April 1875], S. 4. 1098 Punch, Bd. 71, 2. Dezember 1876, S. 241 und Çaylak, No. 86, 27. Zilkade 1293 H. [14. Dezember 1876], S. 4. 1099 Seit dem frühen 18. Jahrhundert fanden französische und englische Karikaturen Eingang in deutsche Presseerzeugnisse. In der Zeitschrift London und Paris (1798–1815) erschienen sowohl englische als auch französische Karikaturen. Gemäß Deuling „erklärte eine deutsche Zeitschrift den Bildtransfer aus England und Frankreich – vor allem Karikaturen – zu ihrem Prinzip (…)“. Deuling, “London und Paris”, S. 247.
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auch die Meinung ihres Urhebers. Die Aneignung von ausländischen Symbolen geschah im Osmanischen Reich, ähnlich wie in Europa, in Form von Kopien, Nachahmungen oder Adaptionen, so wie es der Fall des russischen Bären belegt. Auch andere Sinnbilder, wie zum Beispiel die Personifikation von Europa oder der britische Löwe, fanden Eingang in die osmanischsprachigen Karikaturen. Auffällig ist, dass die osmanischen Karikaturisten dort, wo es um die (vornehmlich) russische Bedrohung geht, sich desselben Motivs bedienen wie der britische Punch (bildlich symbolisiert im russischen Bären), während sie andererseits die Übernahme etwa des Truthahn-Symbols für die „Türkei“ aus derselben Quelle strikt ablehnen. Das Truthahn-Symbol, das wohl auf britische Karikaturisten zurückgeht, trat während des Krimkriegs in den Karikaturen von Punch in Erscheinung. Auch Kontinentaleuropäische Karikaturisten, wie zum Beispiel die Zeichner von Kladderadatsch, übernahmen die Allegorie des Truthahns, um damit das Osmanische Reich darzustellen. In diesen Bildsatiren verkörpert dieses Tier eine schwache Gestalt, die nicht in der Lage ist, sich selbst zu behaupten.1100 Ferner verkörperte der Truthahn ebenso eine „Mahlzeit“, die sich die Repräsentanten westlicher Mächte einverleiben. Folglich steht dieses Tier als Symbol für ein schwaches, gebrechliches Osmanisches Reich, das seinem Aggressor (oder seinen Aggressoren) hilflos ausgeliefert ist und somit keine Chance auf Entkommen hat, außer es wird von westlichen Mächten verteidigt, wie es eine Punch-Karikatur darstellt, die am 9. März 1878 erschien. Obwohl diese Figur den osmanischen Karikaturisten wohl bekannt sein musste, scheinen hier die Grenzen ihres Humors zu verlaufen. Da es keinerlei Hinweise auf die Kriterien gibt, an denen sich die Istanbuler Künstler bei der Übernahme von ausländischen Bildern und Motiven orientierten, können nur Mutmaßungen über die Ursachen dieser Ablehnung angestellt werden. Bei dem Symbol des Truthahns geht es in erster Linie um die Verspottung und Herabwürdigung des Osmanischen Reiches. Da die Aneignung von ausländischen Symbolen gleichzeitig eine Übernahme der diesen Symbolen zugrunde liegenden kritischen Ideen bedeuten würde, lag den osmanischen Karikaturisten offensichtlich nichts ferner, als diese Art von Symbolen zu übernehmen. Denn durch die Verunglimpfung des Osmanischen Reiches als lächerliche, schwache Figur wird das Gefühl von Überlegenheit seitens der Urheber vermittelt. In Anbetracht der Umstände, dass das Osmanische Reich zunehmend die Überlegenheit des Westens zu spüren bekam und sich gegen den wachsenden westlichen
1100 Siehe S. 253 dieser Arbeit.
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Einfluss zu behaupten versuchte, ist es nicht verwunderlich, dass solcherlei Symbolik keine Akzeptanz unter den osmanischen Publizisten fand. Zudem funktioniert das Wortspiel, der dieser Figur zugrunde liegt, in der osmanischen Sprache nicht. Auch das Bild des „kranken Mannes am Bosporus“ war der osmanischen Elite in Istanbul bekannt. Zahlreiche Maßnahmen und Bestrebungen wurden während der Tanzimat-Periode eingeleitet, um dem drohenden Zerfall entgegenzuwirken. Die führenden Persönlichkeiten der Hohen Pforte kannten zumeist den Westen aus eigener Anschauung. Es gab unter den Angehörigen der Elite sowie den hohen Bürokraten einen regen Diskurs über mögliche Reformmaßnahmen zur Überwindung der eigenen Rückständigkeit. Hinter den meisten Reformen und Reformversuchen des 19. Jahrhunderts stand ein starkes Rückständigkeitsbewusstsein. Obwohl die stärksten Opponenten des Herrschers gerade unter den Beamten, Intellektuellen und Publizisten zu finden waren, strebten sie nach Reformen, nach einer Transformation der alten Ordnung und nicht nach der Auflösung des Reiches, wie es die Bilder vom Truthahn oder des „kranken Mannes am Bosporus“ implizierten.1101 Lediglich orientalistische Bilder des osmanischen Herrschers, der für sie möglicherweise das Ancien Régime verkörperte, dienten den Zeichnern als Vorlagen. Der Russisch–Osmanische Krieg von 1877 bis 1878 erschütterte das Osmanische Reich in seinen Fundamenten und löste eine tiefgehende Krise aus, dessen Überwindung noch lange nach Kriegsende nachwirkte und die nachfolgende Politik im Wesentlichen prägte. Die osmanische Elite dieser Tage suchte verzweifelt nach Mitteln und Wegen, das Reich aus der Krise herauszuführen. Nach der schmerzhaften Anerkennung der westlichen Überlegenheit wurde der Fortschrittsgedanke die treibende Kraft, die osmanische Intellektuelle und Literaten wie Namık Kemal oder Ahmed Midhat dazu bewegte, sich intensiv mit Europa auseinander zu setzen und ihre Gedanken literarisch darzulegen. Dabei berührten sie unmittelbar die Frage, ob und in welchem Ausmaß die geistigen Produkte des Westens angenommen oder zurückgewiesen werden sollten. Das Verhältnis der Osmanen gegenüber Europa war zwiegespalten, da die Problematik der ungleichen kulturellen Konfrontation bestand. Sehr deutlich veranschaulichen diese Asymmetrie auch einige der untersuchten Karikaturen. Auch waren, wie Christoph Herzog schreibt, die „Symbole europäischer Überlegenheit“ im Osmanischen Reich allgegenwärtig und traten in unterschiedlichen Formen wie zum Beispiel als Telegrafeneinrichtungen, Panzerschiffe, Repetiergewehre
1101 Oder „sick man of Europe“, Findley, Turkey, S. 77ff.
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und europäische Konsulate sowie Firmenniederlassungen und in Gütern des täglichen Lebens, Industrieprodukten und Druckwaren in Erscheinung.1102 Zum einen befürworteten sie die Übernahme von „nützlichen“ europäischen Errungenschaften zum anderen beanstandeten sie die kritiklose Aneignung des europäischen Lebensstils. Den letzten Punkt sahen auch einige der osmanischen Intellektuellen als eine der Ursachen für die Situation des Osmanischen Reiches im 19. Jahrhundert. Viele Intellektuelle suchten nach Antworten für die „Rückständigkeit und Unterentwicklung“ des Osmanischen Reiches. Ali Suavi sah als ausschlaggebenden Grund für die Schwäche des Reiches, den Verlust des Glaubens. Auch Ziya Pașa beschäftigte sich eingehend mit der Ursachenforschung. Er bemängelt den moralischen Verfall und plädiert nur für die Übernahme europäischer Technologie.1103 Die zahlreichen Schriften dieser und anderer Autoren zeugen von der Hoffnung, dass das Osmanische Reich seine „Krankheit“ überwand. Verschiedene Faktoren wurden als Erklärung für die Situation, in der sich das Osmanische Reich in jenen Jahren befand, aufgeführt. So schreibt Komischke in seiner Dissertation: „Die Türkei selbst trägt zu einem großen Teil die Verantwortung für ihren Niedergang und ihre Ohnmacht. Die Verschwendungssucht despotischer Sultane, religiöser Fanatismus, unbegründete Überheblichkeit den anderen Völkerstämmen des Reiches gegenüber, Korruption und Unfähigkeit einer arroganten Beamtenaristokratie, eine nicht zu überbietende und kaum glaubhafte Lethargie diesen Zuständen gegenüber, […].“1104 Eben jene Darstellung der osmanischen Herrschaft visualisieren die untersuchten europäischen Karikaturen. In Zeiten der höchsten Krise blieb die Ursachenforschung für die Schwäche des Osmanischen Reiches in den politischen Bildern aus. Vielmehr sahen es die Karikaturisten und Mitarbeiter der Satirezeitschriften als ihre Aufgabe an, ein zusammengehörigkeitstiftendes Porträt einer siegreichen Macht zu zeigen (zum Beispiel, in dem Bevölkerungsgruppen wie Tscherkessen und Zeybeken als eine Einheit gezeigt werden, die der osmanischen Militärführung unterstehen, die den Feind in die Flucht schlägt, wie es aus obigen Karikaturen deutlich hervorgeht. Vielmehr zeichneten sie somit ein gegenteiliges Porträt vom Osmanischen Reich, das in keinster Weise Schnittpunkte mit den Bildern aufwies, die bezüglich der Osmanen in Europa zirkulierten. Die Karikaturen verbreiten eher ein
1102 Herzog, Geschichte und Ideologie, S. 5. 1103 Kürșat, Modernisierung, S. 457ff. 1104 Heinrich Komischke, Ahmed Midhat und sein Beitrag zur diplomatischen Vorgeschichte des russisch-türkischen Krieges von 1877/78, Würzburg 1938, S. 1.
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Bild der Osmanen aus längst vergangenen Tagen, als sie noch eine Großmacht waren, die ihre Feinde noch in Angst und Schrecken versetzten konnte. Nach der verlustreichen Niederlage gegen Russland, geschah das bis zu diesem Zeitpunkt Undenkbare, nämlich die Einbuße zahlreicher Gebiete. Dieser herbe Rückschlag sorgte für ein Umdenken sowohl bei der Hohen Pforte als auch bei der osmanischen Elite. Angesichts der erfahrenen Schmach begann sich eine neue Sichtweise auf die osmanische- sowie prä-osmanische Geschichte zu etablieren, zu deren Initiatoren Mizancı Mehmed Murad zu zählen ist.1105 Sowohl Mehmed Murad als auch Celal Nuri setzten sich in ihren Geschichtsbüchern unter anderem mit der Frage nach den Ursachen für die prekäre Situation des Osmanischen Reiches auseinander.1106 In der Spättanzimat-Zeit wurden laut Kürşat zwei historische Mythen konstituiert. Der erste Mythos besagt, dass die Türken „eine sehr alte Rasse“ seien, „die sich über die ganze Welt verbreitet und viele Zivilisationen gegründet hat […].“ Gemäß dem zweiten Mythos „vermittelten“ sie „zwischen den Zivilisationszentren (insbesondere zwischen Indien und China, aber auch zwischen Ägypten, Assyrien und Babylonien), übertrugen deren Leistungen zueinander. Sie waren nicht nur die Übermittler und Verbreiter der Zivilisation, sondern auch zivilisatorische Schöpfer.“1107 Kürşat bewertet diese neue Geschichtsschreibung, in denen „die zivilisatorische Überlegenheit der Türken“ sowie ihre Fähigkeit zur Weltherrschaft betont werden, als „sozialpsychologische Symptome kollektiver Bedrohungs- und Angstgefühle und des Kompensationsbedürfnisses angesichts der Abwertung des kollektiven Stolzes und Wir-Bildes, die aufgrund des Machtabstiegs des osmanischen Staates“ einsetzte.1108
1105 Zu Mehmed Murad siehe: Herzog, Geschichte und Ideologie, S. 10ff. 1106 Sehr detailiert hat sich Christoph Herzog mit den Werken der obengenannten Literaten vefasst. Vgl. hierzu: Ibidem. 1107 Kürşat, Modernisierung, S. 368f. 1108 Ibidem.
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8. Schlussbetrachtung Die vorliegende Studie gibt anhand von Karikaturen, die Zeugnisse einer global wahrgenommen Krise sind, Einblick in die satirische Bearbeitung der Balkankrise von 1875–1878. In einem ersten Schritt wurden die wichtigsten osmanischsprachigen Satirezeitschriften der Jahre 1870 bis 1877 skizziert und der bisherige Forschungsstand anhand von Primärquellen erweitert. Dabei zeichnete sich ab, dass sich die Verbreitung von Satirezeitschriften sowie Karikaturen in der osmanischen Hauptstadt in zwei Phasen vollzog. In der ersten Phase, die auf den Zeitraum von 1856 bis 1870 zu begrenzen ist, erschienen Zeitschriften mit satirischem Inhalt in nicht-osmanischen Lettern und meist in gruppenspezifischen Sprachen der nicht-muslimischen Bewohner Istanbuls. Erst in der zweiten Phase, die ab 1870 anzusetzen ist, erschienen osmanischsprachige Satirezeitschriften, zuerst ohne Illustrationen und Graphiken. Die Einführung von Karikaturen erfolgte schrittweise. Es ist festzustellen, dass sie in den Jahren zwischen 1856 bis 1873 zunächst als marginales Phänomen zu betrachten sind. Erst nach 1873 entwickelte sich die politische Karikatur allmählich zu einem festen Bestandteil der osmanischsprachigen Satirezeitschriften und somit auch zur Alltagskultur gewisser Kreise. In jenen Jahren steckte die türkischsprachige Satirepresse noch in ihren Kinderschuhen. So orientierten sich die Istanbuler Karikaturisten und Mitarbeiter von Satirezeitschriften, zunächst an europäischen Vorbildern. Es existieren keinerlei Hinweise, die belegen, dass osmanische Künstler und Publizisten Notiz von satirischen Periodika genommen haben, die nicht-europäischen Ursprungs sind. Obwohl zum Beispiel Teodor Kasap und James Sanua Zeitgenossen waren und ähnlich wirkten, so gibt es keinerlei Beweise dafür, dass sie sich kannten oder in einer Korrespondenz standen.1109 Auch James Sanua integrierte Elemente des Schattentheaters in seine Satirezeitschrift.1110 Ungeachtet der Tatsache, dass es sich bei den osmanischsprachigen Satirezeitschriften um die Aneignung eines westlichen Kommunikationsmittels handelt,
1109 Dies ist nicht weiter verwunderlich, denn die Osmanen pflegten kaum soziale Kontankte mit Ägyptern. Siehe: Felix Konrad, Der Hof der Khediven von Ägypten. Herrscherhaushalt, Hofgesellschaft und Hofhaltung 1840–1880, Würzburg 2008, Fn. 101. 1110 Zu Sanua und seinem Wirken siehe bei: Ettmüller, The Construct of Egypt’s National-Self.
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sind diese keineswegs als bloße „Kopien“ oder „Reproduktionen“ europäischer Blätter zu betrachten, auch wenn Zeitschriften wie Punch oder Kladderadatsch als Vorlage dienten. Es ist festzustellen, dass die Journalisten, Herausgeber sowie Zeichner dieser Satirezeitschriften die Vorlagen für ihre Satiren und Karikaturen ihrem jeweiligen Lebens- bzw. Kulturraum entlehnten. So nutzten die Istanbuler Karikaturisten nicht nur westliche Symbole und Symbolelemente, die sie in einen spezifisch osmanischen Kontext setzten, sondern entwickelten eigene Symbolik, die ihren Ursprung in der osmanischsprachigen sprachlichen und visuellen Satire sowie Literatur hatten, wie z.B. Hacivat und Karagöz oder die Figur des Meddahs. Wie in Kapitel 8 aufgezeigt war es jedoch auch für westliche Satirezeitschriften keineswegs unüblich, gewisse Elemente und Symbole aus anderen Quellen zu übernehmen. Hinweise dazu, dass europäische Karikaturisten und Künstler sich an osmanischen Bildern oder Symboliken orientierten, gibt es hingegen nicht. Teodor Kasap war einer der wichtigsten und produktivsten Initiatoren, der maßgeblich zur Etablierung von Satirezeitschriften im Osmanischen Reich beigetragen hat. Zu bedenken ist, dass die Publizisten und Journalisten der Tanzimat-Zeit mit vielerlei Faktoren zu kämpfen hatten, die ihre Arbeit erheblich erschwerten. Sie arbeiteten in Zeiten der Unsicherheit, ständig der Gefahr ausgesetzt, jederzeit verhaftet und ins Exis geschickt zu werden. Hinzu kamen noch die materiellen und politischen Risiken. Fortwährend setzte Kasap sich für ihre Existenzberechtigung ein. Auch Mehmed Tevfik gehört zu den Pionieren jener Jahre. Er publizierte unter verschiedenen Formaten und Titeln satirische Blätter. Zakariyya Beğkozlıyan ist ebenso zu denjenigen zu zählen, die zwischen 1870 bis 1877 kontinuierlich Satirezeitschriften mit unterschiedlichem Erfolg veröffentlichten. Im Zuge der kulturellen Selbstbehauptung gegenüber der europäischen Expansion begann eine Rückbesinnung auf eigene Kulturgüter im Osmanischen Reich. So vollzog Teodor Kasap mit der Herausgabe von Hayal einen Medienwechsel des Schattentheaters Karagöz, indem er substantielle Eigenschaften wie die Form der Dialoge (muhavere) sowie die Protagonisten Hacivat und Karagöz zu einem integralen Bestandteil seines Blattes formte.1111 Daneben behielt er gewisse Elemente der Komik bei, die ebenfalls fester Bestandteil des Schattentheaters waren, wie zum Beispiel die zahlreichen Missverständnisse zwischen Hacivat und Karagöz, die auf der Ignoranz von Karagöz basieren.
1111 Vgl. Herzog, Geschichte und Ideologie, S. 4f.
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Das Schattentheater Karagöz war eine audio-visuelle Form von Satire. Die Figuren, die in diesem Theater auftraten, können ebenso als „Karikaturen“ oder „Bildsatiren“ bezeichnet werden, da sie „Typen“ oder Angehörige bestimmter Gruppen karikieren. Berberyan zeichnete als erster osmanischer Künstler die Figuren Hacivat und Karagöz als Karikatur. So traten diese Protagonisten nicht mehr nur auf der Schattenleinwand auf, sondern fanden ihren festen Platz in einer Satirezeitschrift. Auf diese Weise gelang Teodor Kasap die Synthese des westlichen Konzepts einer Satirezeitschrift mit einer populären Form osmanischer Satire. Die Neugestaltung althergebrachter Kunstformen, wie die des osmanischen Schattentheaters Karagöz, wurde zu einem Teil des öffentlichen Diskurses, in dem die Stellvertreter unterschiedlicher Positionen ihre Meinung hinsichtlich der Zukunft dieser Form des Theaters offenbarten. Hierbei zeichneten sich deutlich zwei Standpunkte ab. Eine Gruppe von Intellektuellen, zu denen auch Kemal, der enge Freund Kasaps, gehörte, vertrat die Ansicht, dass Karagöz gänzlich verboten werden solle. Kasap hingegen befürwortete die Reform des Schattentheaters. Dieses Beispiel verdeutlicht die Pluralität der Meinungen, die die Angehörigen der Istanbuler Oberschicht im Hinblick auf Modernisierung vertraten. Während ein Teil der Elite sich Neuerungen, insbesondere aus Europa, gegenüber offener aussprach und bereit war, auf Althergebrachtes zu verzichten oder dieses durch europäische Errungenschaften zu ersetzen, gab es ebenso Vertreter, die sich für die Bewahrung von traditionellen Kulturgütern aussprachen und den Kompromiss in deren Transformation sahen. So wird deutlich, dass Meinungsverschiedenheiten, Diskurse und Dispute, die innerhalb dieser Kreise stattfanden, mittels der Presse ausgetragen wurden. Wie die Analyse dieser untersuchten osmanischen Blätter zeigt, widmeten sie sich vornehmlich den Themen, die das Osmanische Reich sowie Istanbul und im Speziellen das dortige Leben betrafen. Aufgrund der untersuchten Satirezeitschriften ist es möglich, die Lebens- und Gedankenwelt bestimmter Angehöriger der Istanbuler Oberschicht zu rekonstruieren und nachzuzeichnen. Im Rahmen vorliegender Studie war es aufgrund der thematischen Ausrichtung nur bedingt möglich, jenes Feld zu umreißen. Um ein vollständiges Bild der Lebens- und Gedankenwelt der Publizisten und Zeitungsmitarbeiter jener Tage zu gewinnen, wäre es nötig, die bestehenden Lücken durch weitere Untersuchungen in diesem Bereich zu schließen. Ähnlich wie bei Punch oder Kladderadatsch waren auch die Inhalte von Hayal oder Çaylak mit dem aktuellen Zeitgeschehen sowie den Nachrichten der politischen Tagespresse eng verknüpft. Dieser Umstand verdeutlicht die besondere Aktualität der untersuchten Blätter. Obwohl die osmanischen Satirezeitschriften somit ebenso Nachrichten verbreiteten, ersetzten sie 363
nicht die Zeitungen, sondern sind vielmehr als ihre Supplemente zu betrachten. In einigen Punkten jedoch, so scheint es, gab es inhaltliche Überschneidungen zwischen den Nachrichtenblättern und den Satirezeitschriften, da Publizisten, Journalisten und Intellektuelle der Tanzimat-Periode versuchten, die Presse nicht nur als Medium für die Verbreitung von Informationen, sondern auch für die Steigerung von Wissen und Bildung zu instrumentalisieren. Zudem schrieben die osmanischen Journalisten jener Tage sowohl für Zeitungen als auch für Satirezeitschriften. Ebenso bemühten sich die Herausgeber von Zeitungen und Zeitschriften, beide Sparten abzudecken. So veröffentlichte Teodor Kasap, wie sein Kollege Basiretci Ali Efendi, sowohl eine Zeitschrift mit satirischem Inhalt als auch ein reines Nachrichtenblatt. Wie aus Kapitel 2. 1. hervorgeht, waren die Inhalte osmanischsprachiger Satirezeitschriften der ersten Jahre fast ausschließlich literarischer Art. Illustrationen, Zeichnungen oder gar politische Bilder waren zunächst ein marginales Phänomen und nur einem kleinen, exklusiven Kreis bekannt. Binnen weniger Jahre etablierte sich hingegen die graphische Bildsatire als unverzichtbares Instrument der Kritik und vollzog während der Balkankrise eine Transformation. Während die frühen Karikaturen vorwiegend soziale und gesellschaftliche Aspekte der osmanischen Gesellschaft kritisierten, kam in Zeiten des Krisenhöhepunktes die wirtschaftliche sowie politische Dimension hinzu. Mittels politischer Bilder wurden, offen oder verdeckt, selbst die Hohe Pforte und ihre Politik kritisiert. Die zahlreichen repressiven Maßnahmen, die sich oftmals in erster Linie gegen die in den Satirezeitschriften gedruckten Karikaturen richteten, verdeutlichen und belegen, welche Schlagkraft und Wirkungsmacht graphische Bildsatiren in Istanbul innerhalb kurzer Zeit entwickelten. Nicht zu unrecht beschreibt der Oppositionelle Ali Nuri Karikaturen „als kräftigstes und wirksamstes Agitationsmittel zur Untergrabung von Abdul-Hamids Autorität“.1112 Abdülhamid II. fürchtete wohl nichts mehr, als „sein liebes Antlitz in Karikatur“ zu erblicken.1113 Es ist an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass in jenen Tagen osmanischsprachigen Satirezeitschriften keinerlei Bilder veröffentlichten, auf denen Abdülhamid II. zu erkennen ist. Vielmehr scheinen hier die westlichen Satirezeitschriften gemeint zu sein.
1112 Ali Nouri, Abdul-Hamid in Karikatur. Intimes aus Yildiz-Kiosk in Wort und Bild, Zürich 1904, S. 23. Bislang hat auch die Exilpresse keineswegs eine umfassende wissenschaftliche Bearbeitung erfahren. Lediglich Çeviker hat sie in sein Übersichtswerk aufgenommen und bietet erste Einblicke, wie auch die Arbeit Nouris. 1113 Ibidem, S. 21.
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So schreibt Ali Nuri weiter: „Selbst der ungebildete Mann, der weder lesen noch schreiben kann, versteht doch gewöhnlich eine gute Karikatur zu deuten, und wo sein eigener Verstand nicht ausreicht, läßt er sich von anderen den Sinn erklären – und damit ist der Zweck erreicht.“1114 Der öffentliche Diskurs, der in diesen Zeitschriften stattfand und in Kaffeehäusern sowie Lesestuben fortgeführt wurde, steigerte den Wirkungsgrad sowie die Wirkungsmacht dieser Blätter, da sie in die Hände unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen sowie sozialer Schichten gelangen konnten. Wohl aus diesem Grunde war der Sultan stark daran interessiert, oppositionelle Stimmen zum Schweigen zu bringen und die Verbreitung von ungeliebten, als gefährlich eingestuften Ideen zu verhindern. Ungeachtet des Bildungsgrades, den die Besucher dieser Kaffeehäuse mitbrachten, kamen sie dort in Kontakt mit oppositionellem Gedankengut, verbreitet mittels Satirezeitschriften. Gerade dieser Aspekt verlieh der osmanischen Presse sowie den Kreisen, in denen die Presseerzeugnisse rezipiert wurden, höchste Brisanz. In Zeiten der Krise war deshalb die Kontrolle der Presse eine außerordentlich wichtige Angelegenheit für den Sultan. Durch die ständige Repetition bestimmter Motive entwickelten die osmanischen Zeichner ebenso Stereotype, die sofort vom Betrachter erkannt werden konnten. In Anbetracht der Tatsache, dass der Grad der Alphabetisierung im Osmanischen Reich als nicht sehr hoch zu bezeichnen ist, war die Karikatur das wirksamste Mittel für die Verbreitung von oppositionellem und kritischem Gedankengut. Sie etablierte sich innerhalb weniger Jahre als wichtiges Instrument der Kritik und konnte sich, trotz Vorzensur und Sanktionsmaßnahmen, behaupten. Angesichts der angespannten innen- sowie außenpolitischen Situation, konnte und wollte Abdülhamid II. keinerlei Kritik gegen seine Politik und Herrschaft dulden. Zwar griff die Zensur schon vor der Regierungszeit von Abdülhamid II. hart durch, doch war er derjenige, der Satirezeitschriften bis 1908 gänzlich aus dem Osmanischen Reich verbannte. Ähnlich wie ihre europäischen Vorbilder griffen auch die osmanischen Karikaturisten auf Metaphern, Allegorien, Symbole, Nationalallegorien, Synekdochen sowie Stereotypen zurück, um ihre Botschaften an ihr Publikum heranzutragen. Sie griffen, wenn es an eigener Symbolik fehlte, wie der Fall von Europa oder dem russischen Bären zeigt, auf europäische Vorlagen zurück. Ebenso entwickelten sie eigene Stereotypen, wie zum Beispiel den Typus des Europäers, der in der Regel Frack und Zylinder zur Kennzeichnung trägt. Hinzukamen die Typisierungen von Militärangehörigen. Die westlichen
1114 Nouri, Abdul-Hamid, S. 24.
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Militärs werden in Uniformen dargestellt, die von den osmanischen Zeichnern als spezifisch angesehen wurden. Dabei spielte es keine Rolle, ob die Uniformen detailgenau den Originalen entsprachen. Vielmehr wurden wenige markante Merkmale hervorgehoben, um die Zugehörigkeit der dargestellten Figuren zu kennzeichnen. Ein Kennzeichnungsmerkmal für Russland war zum Beispiel die Pickelhaube mit dem Paradebusch, an dem das Symbol eines doppelköpfigen Adlers zu erkennen ist. Die Angehörigen der osmanischen Streitkräfte wurden in der Regel durch Tscherkessen oder Zeybeken symbolisiert, selten erschienen Soldaten der regulären Truppen in den Karikaturen. Nach dem Ausbruch des Serbisch-Osmanischen Krieges von 1876 widmeten sich die osmanischen Karikaturisten hauptsächlich den kriegerischen Konfrontationen auf dem Balkan. Im Zuge der Auseinandersetzung mit der russischen Bedrohung sowie dem Russisch-Osmanischen Krieg war auch das Mächteungleichgewicht zwischen Europa und dem Osmanischen Reich ein wiederkehrendes Thema in den politischen Bildern. Nicht nur die russische, sondern auch die europäische Expansion wurde mittels zahlreicher Karikaturen thematisiert. In Während der Balkankrise dienten die politischen Karikaturen unter anderem der Verhöhnung der Feinde und politischen Gegner. Die Bilder zeichnen durchweg das Bild eines feigen, tollpatschigen, überheblichen, nie jedoch wirklich gefährlichen Feindes. Trotz der kritischen außenpolitischen Situation blieb die Kritik am Herrscher sowie seiner Politik nicht aus, auch wenn sie oftmals versteckt zwischen den Zeilen oder nicht auf den ersten Blick ersichtlich war. Allerdings weisen die untersuchten Karikaturen unterschiedliche Grade an Aggressivität auf. Auffällig ist, dass vornehmlich der militärisch unterlegene Feind die Zielscheibe der Angriffe war. Die osmanischen Satirezeitschriften äußerten sich auch radikal gegenüber dem zunehmenden Einfluß der imperialistischen Mächte, wie aus einigen Bildern besonders deutlich hervorgeht. Während die westlichen Zeitschriften Bosnien und die Herzegowina in ihren Karikaturen ebenfalls als „Feinde“ des Osmanischen Reiches darstellen, erschienen diese keineswegs in den osmanischen Bildsatiren als militärische Gegner. Die Ursache hierfür ist darin zu suchen, dass es für die Osmanen kaum denkbar war, diese Provinzen abzutreten. Außerdem hatte Bosnien-Herzegowina einen anderen Status als Serbien und Montenegro. Ihr Ausscheiden aus dem Bund des Osmanischen Reiches schien zu diesem Zeitpunkt völlig ausgeschlossen. Die Untersuchung der osmanischen Satirezeitschriften hat zudem ergeben, dass die Karikaturen nach dem Ausbruch des Serbisch-Osmanischen Krieges stärker von der Zensur beanstandet wurden und noch strengeren Kontrollen unterlagen. Dennoch gelang es den Karikaturisten, ihre Kritik in ihren Werken zu platzieren. 366
Zwar mussten sie die Sanktionsmaßnahmen der Behörden hinnehmen, jedoch hielt sie das nicht davon ab, ihre Meinungen und Ansichten zu äußern. Die verstärkte Zensur der Karikaturen bekräftigte die These, dass sie mehr gefürchtet waren, als der literarische Inhalt. Schon allein die Einführung der Vorzensur auf politische Bilder während des Serbisch-Osmanischen Krieges deutet darauf hin, dass diese als besondere Bedrohung von der Hohen Pforte eingeschätzt wurden. Vermutlich erreichten die Satirezeitschriften während der Kriegstage einen noch höheren Kreis an Lesern als sonst, und galten somit als besonders gefährlich für die Integrität des Sultans und seiner Politik. Weshalb sonst hätte das osmanische Parlament zu einem Zeitpunkt, an dem es sich einen erbitterten Krieg mit Russland lieferte, Debatten über das Verbot von Satirezeitschriften führen sollen. Obwohl die osmanischen Satirezeitschriften ein positives Bild ihrer Streitmächte präsentierten sowie ihre militärischen Erfolge feierten, unterschieden sie sich insbesondere in einem Punkt voneinander. Während Hayal in einigen ihrer Karikaturen, die Bezug auf die Balkankrise nehmen, ebenso wie die westlichen Satirezeitschriften die passive Haltung osmanischer Entscheidungsträger beanstandete, vermied Çaylak jegliche diesbezügliche Kritik an der Herrschaft. Zudem zeigte sich Çaylak patriotischer und kämpferischer als die Konkurrenzblätter und verzerrte sogar teilweise die tatsächlichen Gegebenheiten in ihren Karikaturen. Allerdings kreieren alle osmanischsprachigen Satirezeitschriften, die Bestandteil der vorliegenden Untersuchungen sind, ein „Feindbild“, dem sie jegliche militärischen Kompetenzen absprachen. Die Funktion der Karikaturen ist aber keineswegs auf die Verhöhnung des Feindes und das Lob der eigenen Kämpfer beschränkt. Sie weist auch auf die ideologischen Hintergründe des Krieges hin. Hayal rückt zum einen die panslawistischen Träume des Zarenreiches in den Vordergrund und zum anderen den Schutz der christlichen Bevölkerung vor der russischen Bedrohung. Aus der Perspektive von Çaylak blieb dem Osmanischen Reich nichts weiter übrig als zur Waffe zu greifen, sozusagen als Antwort auf das „marode Protokoll“. Bei den westlichen Karikaturen wird die „Orientalische Frage“ ebenfalls unter Berücksichtigung verschiedener Aspekte beleuchtet. Es wird deutlich, dass die politischen Bilder, die sie veröffentlichten, mit der Berichterstattung der Presse sowie der vorherrschenden öffentlichen Meinung sowie der Politik in den jeweiligen Ländern verbunden waren. So tritt zum Beispiel in den politischen Bildern von Kladderadatsch die Bismarck’sche Angst vor einem europäischen Krieg in Folge der sogenannten „Orientalischen Frage“ deutlich hervor. Wie in den Kapiteln 5 und 6 beschrieben, unterlag das Bild des Osmanischen Reiches indessen, je nach Interessenslage der führenden Politik, einem Wandel. Die 367
Karikaturisten der europäischen Satirezeitschriften griffen auf altehergebrachte Stereotypen zurück, um die Osmanen und ihre Herrschaft zu beschreiben. Das Bild der osmanischen Herrschaft, das die europäischen Zeitschriften in jenen Jahren entwarfen, blieb noch lange nach der Auflösung des Reiches bestehen. Im Kladderadatsch standen neben dem Osmanischen Reich verstärkt Russland und England in der Kritik, die als die eigentlichen „Hauptgegner“ dieses Krieges dargestellt werden. Österreich-Ungarn rückte, neben dem Osmanischen Reich, fast in den Hintergrund. Im Punch hingegen traten als Gegner des Osmanischen Reiches vornehmlich Österreich-Ungarn, Russland und das Deutsche Reich in Erscheinung. Zwar wurde verdeutlicht, dass die hauptsächliche Bedrohung vom Zarenreich ausging, aber die beiden anderen Partner des Dreikaiserabkommens treten ebenfalls als Nutznießer in Erscheinung. Ebenso treten in den untersuchten Satirezeitschriften antisemitische Tendenzen hervor, sowohl in Hayal als auch in Punch und Kladderadatsch, wobei diese in dem letzt genannten Blatt öfter und auch expliziter zur Sprache kamen. In ihrer Gesamtheit spiegeln die Karikaturen, die während des untersuchten Zeitraums veröffentlicht wurden, die Vielfältigkeit sowie die Intensität der Interessen der beteiligten Mächte wider. Während Punch und Kladderadatsch noch einige Zeit nach dem Ende der Berliner Konferenz von 1878 Karikaturen veröffentlichten, die sich mit dem Ausgang des Krieges sowie den damit verbundenen Konsequenzen für das Osmanische Reich beschäftigten, wurden die Herausgabe von Satirezeitschriften in Istanbul verboten. Das Verbot von Satirezeitschriften scheint jedoch in keinem engen Zusammenhang mit dem Verlauf des Russisch-Osmanischen Krieges zu stehen, da sie schon lange vor dem Ausbruch der Balkankrise bereits unter besonderer amtlicher Kontrolle standen. Zwar gehörte dieser Krieg zu den tragischsten und folgenreichsten Kriegen, die das Osmanische Reich führte, doch beruht das Verbot von Satire und Satirezeitschriften vermutlich eher auf der Tatsache, dass der osmanische Herrscher keinerlei Formen der Satire mehr in jenen Tagen duldete. Abdülhamid II. verbot nicht nur Satirezeitschriften, sondern verbannte auch das Schattentheater Karagöz aus seinem Palast und ließ zudem zahlreiche Theater in Istanbul schließen. In den Jahren bis 1908 konnten während der Herrschaftszeit von Abdülhamid II. keine osmanischsprachigen Satireblätter innerhalb der Reichsgrenzen erscheinen, nur noch im Exil brachten einige Publizisten ihre Instrumente der
368
Kritik heraus, um sie dann nach Istanbul einzuschmuggeln,1115 wie es Ali Nouri in seinem Werk Abdul-Hamid in Karikatur beschreibt. Auch Kasap setzte die Publikation von Hayal und İstikbal im Exil fort. Die wissenschaftliche Bearbeitung dieser im Exil erschienenen Blätter steht noch aus. Obwohl die vorliegende Studie sich erstmals einer umfangreicheren Untersuchung einer Satirezeitschrift, die vor 1908 erschienen, widmet, wird deutlich, dass noch zahlreiche Arbeiten an Hayal sowie den anderen Satirezeitschriften der Jahre bis 1877 notwendig sind, um ein vollständigeres Bild zu gewinnen. Neben Karikaturen, veröffentlichten Zeitungen und Zeitschriften wie Basiret ebenso zahlreiche Illustrationen und Zeichnungen, die bislang noch keine wissenschaftliche Beachtung erfahren haben. Wie aus den untersuchten Blättern deutlich hervorgeht, hegten die Herausgeber von Satirezeitschriften die Absicht, nicht nur zur Unterhaltung ihres Publikums beizutragen, sondern auch zu ihrer (politischen) Meinungsbildung. Die Macht der Presse war nicht nur den europäischen Publizisten bewusst. Teodor Kasap oder Mehmed Tevfik wussten um die Wirkungsmacht ihrer Blätter und nutzten sie dementsprechend als ihr Kommunikationsmedium zur Verbreitung eigener Gedanken, Ideale und Ansichten.
1115 Ali Nouri, Abdul-Hamid, S. 22.
369
9. Quellenverzeichnis Hayal Nummer
Erscheinungsdatum
Anzahl der Karikaturen
Karikaturist
01
18. Teşrin-i evvel 1289 [sic!]
0
02
14. Teşrin-i evvel 1289
0
03
27. Teşrin-i evvel 1289
0
04
31. Teşrin-i evvel 1289
0
05
3. Teşrin-i sâni 1289
0
06
7. Teşrin-i sâni 1289
1
o. S.
07
10. Teşrin-i sâni 1289
1
o. S.
08
14. Teşrin-i sâni 1289
2
Berberyan (S.1 und S. 4)
09
17. Teşrin-i sâni 1289
2
o. S. (S. 1) Berberyan (S. 4)
10
24. Teşrin-i sâni 1289
2
Berberyan (S.1 und S. 4)
11
28. Teşrin-i sâni 1289
1
Berberyan
12
1. Kânun-i evvel 1289
2
Berberyan (S. 1 und S. 4)
13
5. Kânun-i evvel 1289
1
Berberyan
14
8. Kânun-i evvel 1289
2
o. S.
15
12. Kânun-i evvel 1289
1
o. S.
16
15. Kânun-i evvel 1289
2
Berberyan (Kürzel: N. B.)
17
19. Kânun-i evvel 1289
1
Berberyan
18
22. Kânun-i evvel 1289
2
Berberyan, o. S.
19
27. Kânun-i evvel 1289
1
Berberyan
20
29. Kânun-i evvel 1289
1
o. S.
21
2. Kânun-i sâni 1289
1
Berberyan
22
5. Kânun-i sâni 1289
2
Berberyan
23
9. Kânun-i sâni 1289
1
o. S.
24
12. Kânun-i sâni 1289
1
o. S.
25
16. Kânun-i sâni 1289
1
o. S.
26
19. Kânun-i sâni 1289
1
o. S.
371
Nummer
Erscheinungsdatum
Anzahl der Karikaturen
Karikaturist
27
23. Kânun-i sâni 1289
2
Berberyan (S. 1), o. S. (S. 4)
28
26. Kânun-i sâni 1289
1
o. S.
29
30. Kânun-i sâni 1289
1
o. S.
30
2. Şubat 1289
2
o. S.
31
6. Şubat 1289
1
o. S.
32
9. Şubat 1289
1
o. S.
33
13. Şubat 1289
2
o. S.
34
16. Şubat 1289
1
o. S.
35
22. Şubat 1289
1
Berberyan
36
23. Şubat 1289
2
o. S.
37
26. Şubat 1289
1
o. S.
38
28. Şubat 1289
0
39
2. Mart 1290
1
o. S.
40
5. Mart 1290
2
o. S.
41
7. Mart 1290
0
42
9. Mart 1290
1
o. S.
43
12. Mart 1290
1
o. S.
44
14. Mart 1290
0
45
16. Mart 1290
0
46
19. Mart 1290
1
47
21. Mart 1290
0
48
23. Mart 1290
1
o. S.
49
26. Mart 1290
1
o. S.
50
28. Mart 1290
0
51
30. Mart 1290
1
o. S.
52
2. Şubat [sic!] [Nisan] 1290
1
o. S.
53
4. Nisan 1290
0
54
6. Nisan 1290
1
Berberyan
55
9. Nisan 1290
1
o. S.
56
11. Nisan 1290
0
372
o. S.
Nummer
Erscheinungsdatum
Anzahl der Karikaturen
Karikaturist
57
13. Nisan 1290
1
o. S.
58
16. Nisan 1290
0
59
18. Nisan 1290
0
60
20. Nisan 1290
0
61
23. Nisan 1290
0
62
27. Nisan 1290
0
63
1. Mayıs 1290
0
64
4. Mayıs 1290
0
65
8. Mayıs 1290
0
66
11. Mayıs 1290
0
67
15. Mayıs 1290
1
Berberyan (nur auf S. 1)
68
18. Mayıs 1290
1
o. S. eher Zeichnung
69
22. Mayıs 1290
1
Berberyan
70
25. Mayıs 1290
1
o. S.
71
29. Mayıs 1290
1
Simon und Berberyan
72
1. Haziran 1290
1
Simon und Berberyan
73
5. Haziran 1290
1
Berberyan
74
8. Haziran 1290
1
Simon und Berberyan
75
12. Haziran 1290
1
Berberyan
76
15. Haziran 1290
1
Berberyan
77
19. Haziran 1290
1
Berberyan
78
22. Haziran 1290
1
Berberyan
79
26. Haziran 1290
1
Berberyan
80
29. Haziran 1290
1
Berberyan
81
3. Temmuz 1290
1
Berberyan
82
6. Temmuz 1290
1
o. S.
83
10. Temmuz 1290
1
o. S.
84
13. Temmuz 1290
1
Berberyan
85
17. Temmuz 1290
1
Berberyan
86
20. Temmuz 1290
1
Berberyan
87
24. Temmuz 1290
1
o. S.
373
Nummer
Erscheinungsdatum
Anzahl der Karikaturen
Karikaturist
88
27. Temmuz 1290
1
o. S.
89
31. Temmuz 1290
1
Berberyan
90
3. Ağustos 1290
1
o. S.
91
7. Ağustos 1290
1
o. S.
92
10. Ağustos 1290
1
o. S.
93
14. Ağustos 1290
1
o. S.
94
17. Ağustos 1290
1
Berberyan
95
21. Ağustos 1290
1
o. S.
96
24. Ağustos 1290
1
o. S.
97
28. Ağustos 1290
1
Berberyan
98
31. Ağustos 1290
1
Berberyan
99
4. Eylül 1290
1
o. S.
100
7. Eylül 1290
1
o. S.
101
11. Eylül 1290
1
o. S.
102
14. Eylül 1290
1
o. S.
103
18. Eylül 1290
1
o. S.
104
21. Eylül 1290
1
o. S.
105
25. Eylül 1290
1
o. S.
106
28. Eylül 1290
1
o. S.
107
2. Teşrin-i evvel 1290
1
o. S.
108
5. Teşrin-i evvel 1290
1
o. S.
109
9. Teşrin-i evvel 1290
1
o. S.
110
12. Teşrin-i evvel 1290
1
o. S.
111
16. Teşrin-i evvel 1290
1
o. S.
112
19. Teşrin-i evvel 1290
1
N. P.
113
23. Teşrin-i evvel 1290
1
N. P.
114
26. Teşrin-i evvel 1290
1
o. S.
115
30. Teşrin-i evvel 1290
1
N. P.
116
2. Teşrin-i sâni 1290
1
o. S
117
6. Teşrin-i sâni 1290
1
o. S.
118
9. Teşrin-i sâni 1290
0
374
Nummer
Erscheinungsdatum
Anzahl der Karikaturen
Karikaturist
119
13. Teşrin-i sâni 1290
1
o. S.
120
16. Teşrin-i sâni 1290
1
N. P.
121
20. Teşrin-i sâni 1290
1
N. P.
122
23. Teşrin-i sâni 1290
1
o. S.
123
27. Teşrin-i sâni 1290
1
o. S.
124
30. Teşrin-i sâni 1290
1
o. S.
125
4. Kânun-i evvel 1290
1
o. S.
126
7. Kânun-i evvel 1290
1
N. P.
127
11. Kânun-i evvel 1290
1
N. P.
128
14. Kânun-i evvel 1290
1
o. S.
129
18. Kânun-i evvel 1290
1
o. S.
130
21. Kânun-i evvel 1290
1
o. S.
131
25. Kânun-i evvel 1290
1
o. S.
132
28. Kânun-i evvel 1290
1
o. S.
133
1. Kânun-i sâni 1290
1
o. S.
134
4. Kânun-i sâni 1290
1
o. S.
135
8. Kânun-i sâni 1290
1
o. S.
136
11. Kânun-i sâni 1290
1
o. S.
137
15. Kânun-i sâni 1290
1
o. S.
138
18. Kânun-i sâni 1290
1
o. S.
139
22. Kânun-i sâni 1290
1
o. S.
140
27. Muharrem 1292 H.
1
o. S.
141
25. Şubat 1290
1
o. S.
142
30. Nisan 1291
1
o. S.
143
3. Mayıs 1291
0
144
6. Mayıs 1291
1
o. S.
145
8. Mayıs 1291
1
o. S.
146
10. Mayıs 1291
1
N. P.
147
13. Mayıs 1291
1
o. S.
148
15. Mayıs 1291
1
o. S.
149
17. Mayıs 1291
1
o. S.
375
Nummer
Erscheinungsdatum
Anzahl der Karikaturen
Karikaturist
150
20. Mayıs 1291
1
o. S.
151
22. Mayıs 1291
1
o. S.
152
24. Mayıs 1291
1
o. S.
153
27. Mayıs 1291
1
o. S.
154
29. Mayıs 1291
1
o. S.
155
31. Mayıs 1291
1
o. S.
156
3. Haziran 1291
1
o. S.
157
5. Haziran 1291
1
o. S.
158
7. Haziran 1291
1
o. S.
159
10. Haziran 1291
1
Santr
160
12. Haziran 1291
1
Santr
161
14. Haziran 1291
1
Santr
162
17. Haziran 1291
1
Santr
163
19. Haziran 1291
1
Santr
164
21. Haziran 1291
1
Santr
165
24. Haziran 1291
1
Santr
166
26. Haziran 1291
1
Santr
167
28. Haziran 1291
1
Santr
168
1. Temmuz 1291
1
Santr
169
3. Temmuz 1291
1
Santr
170
5. Temmuz 1291
1
o. S.
171
8. Temmuz 1291
1
o. S.
172
10. Temmuz 1291
1
Santr
173
12. Temmuz 1291
1
Santr
174
15. Temmuz 1291
1
Santr
175
17. Temmuz 1291
1
Santr
176
19. Temmuz 1291
1
Santr
177
22. Temmuz 1291
1
Santr
178
24. Temmuz 1291
1
o. Su
179
26. Temmuz 1291
1
o. S.
180
29. Temmuz 1291
1
o. S.
376
Nummer
Erscheinungsdatum
Anzahl der Karikaturen
Karikaturist
181
31. Temmuz 1291
1
o. S.
182
2. Ağustos 1291
1
o. S.
183
5. Ağustos 1291
1
Santr
184
7. Ağustos 1291
1
o. S.
185
9. Ağustos 1291
1
o. S.
186
12. Ağustos 1291
1
o. S.
187
14. Ağustos 1291
1
o. S.
188
16. Ağustos 1291
0
189
19. Ağustos 1291
1
o. S.
190
21. Ağustos 1291
1
o. S.
191
23. Ağustos 1291
1
o. S.
192
26. Ağustos 1291
1
o. S.
193
28. Ağustos 1291
1
o. S.
194
30. Ağustos 1291
1
o. S.
195
2. Eylül 1291
1
o. S.
196
4. Eylül 1291
1
o. S.
197
6. Eylül 1291
1
o. S.
198
9. Eylül 1291
1
o. S.
199
11. Eylül 1291
1
o. S.
200
13. Eylül 1291
0
201
16. Eylül 1291
1
o. S.
202
18. Eylül 1291
1
o. S.
203
20. Eylül 1291
1
o. S.
204
23. Eylül 1291
1
o. S.
205
25. Eylül 1291
1
o. S.
206
27. Eylül 1291
1
o. S.
207
30. Eylül 1291
1
o. S.
208
2. Teşrin-i evvel 1291
1
o. S.
209
4. Teşrin-i evvel 1291
1
o. S.
210
7. Teşrin-i evvel 1291
1
o. S.
211
9. Teşrin-i evvel 1291
1
o. S.
377
Nummer
Erscheinungsdatum
Anzahl der Karikaturen
Karikaturist
212
11. Teşrin-i evvel 1291
1
o. S.
213
14. Teşrin-i evvel 1291
1
o. S.
214
16. Teşrin-i evvel 1291
1
o. S.
215
18. Teşrin-i evvel 1291
1
o. S.
216
21. Teşrin-i evvel 1291
1
o. S.
217
23. Teşrin-i evvel 1291
1
o. S.
218
25. Teşrin-i evvel 1291
1
o. S.
219
28. Teşrin-i evvel 1291
1
o. S.
220
30. Teşrin-i evvel 1291
1
o. S.
221
1. Teşrin-i sâni 1291
1
o. S.
222
18. Teşrin-i sâni 1291
1
o. S.
223
20. Teşrin-i sâni 1291
2
o. S.
224
22. Teşrin-i sâni 1291
1
o. S.
225
25. Teşrin-i sâni 1291
0
226
27. Teşrin-i sâni 1291
1
o. S.
227
29. Teşrin-i sâni 1291
1
o. S.
228
2. Kânun-i evvel 1291
1
o. S.
229
4. Kânun-i evvel 1291
1
o. S.
230
6. Kânun-i evvel 1291
1
o. S.
231
9. Kânun-i evvel 1291
1
o. S.
232
11. Kânun-i evvel 1291
1
o. S.
233
13. Kânun-i evvel 1291
1
o. S.
234
16. Kânun-i evvel 1291
1
o. S.
235
18. Kânun-i evvel 1291
1
o. S.
236
20. Kânun-i evvel 1291
0
237
21. Şubat 1291
1
238
24. Şubat 1291
0
239
26. Şubat 1291
0
240
28. Şubat 1291
0
241
2. Mart 1292
0
242
4. Mart 1292
0
378
o. S.
Nummer
Erscheinungsdatum
Anzahl der Karikaturen
Karikaturist
243
6. Mart 1292
0
244
9. Mart 1292
0
245
11. Mart 1292
0
246
13. Mart 1292
1
o. S.
247
16. Mart 1292
1
o. S.
248
18. Mart 1292
1
o. S.
249
20. Mart 1292
1
o. S.
250
23. Mart 1292
0
251
25. Mart 1292
0
252
22. Mayıs 1292
1
253
25. Mayıs 1292
0
254
28. Mayıs 1292
0
255
1. Haziran 1292
0
256
3. Haziran 1292
0
257
5. Haziran 1292
0
258
8. Haziran 1292
0
259
10. Haziran 1292
0
260
12. Haziran 1292
0
261
15. Haziran 1292
1
o. S.
262
17. Haziran 1292
1
o. S.
263
19. Haziran 1292
1
o. S.
264
22. Haziran 1292
1
o. S.
265
24. Haziran 1292
1
o. S.
266
26. Haziran 1292
0
267
29. Haziran 1292
0
268
1. Temmuz 1292
1
269
3. Temmuz 1292
0
270
6. Temmuz 1292
1
o. S.
271
8. Temmuz 1292
1
o. S.
272
10. Temmuz 1292
1
o. S.
273
13. Temmuz 1292
1
o. S.
o. S.
o. S.
379
Nummer
Erscheinungsdatum
Anzahl der Karikaturen
Karikaturist
274
15. Temmuz 1292
1
o. S.
275
17. Temmuz 1292
1
o. S.
276
20. Temmuz 1292
1
o. S.
277
22. Temmuz 1292
1
o. S.
278
9. Ağustos 1292
1
o. S.
279
10. Ağustos 1292
1
o. S.
280
11. Ağustos 1292
1
o. S.
281
12. Ağustos 1292
1
o. S.
282
14. Ağustos 1292
1
o. S.
283
16. Ağustos 1292
1
o. S.
284
17. Ağustos 1292
1
o. S.
285
18. Ağustos 1292
1
o. S.
286
19. Ağustos 1292
1
o. S.
287
21. Ağustos 1292
1
o. S.
288
23. Ağustos 1292
1
o. S.
289
24. Ağustos 1292
1
o. S.
290
25. Ağustos 1292
1
o. S.
291
26. Ağustos 1292
1
o. S.
292
28. Ağustos 1292
1
o. S.
293
31. Ağustos 1292
1
o. S.
294
2. Eylül 1292
295
4. Eylül 1292
1
o. S.
296
7. Eylül 1292
1
o. S.
297
9. Eylül 1292
1
o. S.
298
11. Eylül 1292
1
o. S.
299
14. Eylül 1292
1
o. S.
300
16. Eylül 1292
1
o. S.
301
18. Eylül 1292
1
o. S.
302
00. Kânun-i evvel 1292
1
o. S.
303
23. Kânun-i evvel 1292 [sic!]
1
o. S.
380
Nummer
Erscheinungsdatum
Anzahl der Karikaturen
Karikaturist
304
21. Kânun-i evvel 1292
1
o. S.
305
23. Kânun-i evvel 1292 [sic!]
1
o. S.
306
30. Kânun-i evvel 1292
1
o. S.
307
1. Kânun-i sâni 1292
1
o. S.
308
4. Kânun-i sâni 1292
1
o. S.
309
6. Kânun-i sâni 1292
1
o. S.
310
8. Kânun-i sâni 1292
1
o. S.
311
11. Kânun-i sâni 1292
1
o. S.
312
13. Kânun-i sâni 1292
1
o. S.
313
15. Kânun-i sâni 1292
1
o. S.
314
18. Kânun-i sâni 1292
1
o. S.
315
20. Kânun-i sâni 1292
1
o. S.
316
22. Kânun-i sâni 1292
1
o. S.
317
25. Kânun-i sâni 1292
1
o. S.
318
5. Şubat 1292
1
o. S.
319
8. Şubat 1292
1
o. S.
320
10. Şubat 1292
1
o. S.
321
15. Şubat 1292
1
o. S.
322
17. Şubat 1292
0
323
19. Şubat 1292
0
324
22. Şubat 1292
0
325
24. Şubat 1292
1
o. S.
326
26. Şubat 1292
1
o. S.
327
1. Mart 1292
1
o. S.
328
4. Mart 1292
1
o. S.
329
5. Mart 1292
1
o. S.
330
8. Mart 1292
1
o. S.
331
10. Mart 1292
1
o. S.
332
12. Mart 1293
1
o. S.
333
14. Mart 1293
1
o. S.
381
Nummer
Erscheinungsdatum
Anzahl der Karikaturen
Karikaturist
334
15. Mart 1293
1
o. S.
335
16. Mart 1293
1
o. S.
336
17. Mart 1293
1
o. S.
337
19. Mart 1293
1
o. S.
338
22. Mart 1293
1
o. S.
339
24. Mart 1293
1
o. S.
340
26. Mart 1293
1
o. S.
341
16. Nisan 1293
1
o. S.
342
19. Nisan 1293
1
o. S.
343
21. Nisan 1293
1
o. S.
344
23. Nisan 1293
1
o. S.
345
26. Nisan 1293
1
o. S.
346
28. Nisan 1293
1
o. S.
347
30. Nisan 1293
1
o. S.
348
3. Mayıs 1293
1
o. S.
349
5. Mayıs 1293
1
o. S.
350
7. Mayıs 1293
1
o. S.
351
10. Mayıs 1293
1
o. S.
352
12. Mayıs 1293
1
o. S.
353
14. Mayıs 1293
1
o. S.
350 [sic!]
17. Mayıs 1293
1
o. S.
355
19. Mayıs 1293
1
o. S.
356 357 358 359 360 361 362 363
21. Mayıs 1293 24. Mayıs 1293 26. Mayıs 1293 28. Mayıs 1293 31. Mayıs 1293 2. Haziran 1293 4. Haziran 1293 7. Haziran 1293
1 1 1 1 1 1 1 1
o. S. o. S. o. S. o. S. o. S. o. S. o. S. o. S.
382
Nummer 364 365 366 367 368
Erscheinungsdatum
Anzahl der Karikaturen
9. Haziran 1293 11. Haziran 1293 14. Haziran 1293 16. Haziran 1293 18. Haziran 1293
1 1 1 1 1
Karikaturist o. S. o. S. o. S. o. S. o. S.
Basiret Gesichteter Bestand: 1–200; 600–900; 1000–1100; 1300–1650; 2000–2050. Zitierte Nummern: Basiret, No. 50, 25. Mart 1286. Basiret, No. 54, 31. Mart 1286. Basiret, No. 585, 18. Mart 1288. Basiret, No. 611, 24. Safer 1288. Basiret, No. 64, 25. Mayıs 1288. Basiret, No. 88, 19. Mayıs 1289. Basiret, No. 122, 23. Nisan 1290. Basiret, No. 202, 2. Teşrin-i evvel 1286. Basiret, No. 727, 4 Eylül 1288. Basiret, No. 732, 9. Eylül 1288. Basiret, No. 734, 12. Eylül 1288. Basiret, No. 812, 16. Kânun-i evvel 1288. Basiret, No. 826, 1. Kânun-i sâni 1288. Basiret, No. 881, 9. Mart 1288. Basiret, No. 895, 9. Safer 1290. Basiret, No. 1054, 1. Teşrin-i evvel 1289. Basiret, No. 1073, 24. Teşrin-i evvel 1289. Basiret, No. 1076, 26. Teşrin-i evvel 1289. Basiret, No. 1079, 30. Teşrin-i evvel 1289. Basiret, No. 1088, 31. Mart 1289. Basiret, No. 1336, 16. Eylül 1290. Basiret, No. 1367, 22. Teşrin-i evvel 1290. Basiret, No. 1381, 15. Şevval 1291. Basiret, No. 1390, 22. Teşrin-i sâni 1290. Basiret, No. 1433, 16. Kânun-i sâni 1290. 383
Basiret, No. 1476, 7. Mart 1291. Basiret, No. 1492, 1. Rebiülevvel 1292. Basiret, No. 1546, 29. Rebiülahir 1292. Basiret, No. 1547, 6. Cemaziyel’ahıre 1292. Basiret, No. 1596, 29. Receb 1292. Basiret, No. 1616, 23. Şaban 1292. Basiret, No. 2002, 16. Mart 1293. Gesichteter Bestand von Çaylak: No. 1–162. Zitierte Nummern: Çaylak, No. 1, 5. Muharrem 1293. Çaylak, No. 23, 3. Temmuz 1292. Çaylak, No. 25, 8. Temmuz 1292. Çaylak, No. 40, 12. Ağustos 1292. Çaylak, No. 43, 19. Ağustos 1292. Çaylak, No. 86, 27. Zilkade 1293. Çaylak, No. 103, 13. Kânun-i sâni 1292. Çaylak, No. 102, 7. Mayıs 1293. Çaylak, No. 113, 5. Şubat 1292. Çaylak, No. 115, 10. Şubat 1292. Çaylak, No. 118, 17. Şubat 1292. Çaylak, No. 124, 3. Mart 1293. Çaylak, No. 126, 7. Mart 1293. Çaylak, No. 132, 21. Mart 1293. Çaylak, No. 135, 28. Mart 1292. Çaylak, No. 139, 7. Nisan 1293. Çaylak, No. 145, 21. Nisan 1293. Çaylak, No. 157, 2. Haziran 1293. Çaylak, No. 162, 13. Haziran 1293. Ceride-i Havadis, No. 3157, 20. Receb-i şerif 1293 H. [11. August 1876]. Gesichteter Bestand von Çınğıraklı Tatar: No. 1–29. Zitierte Nummern: Çınğıraklı Tatar, No. 1, 24. Mart 1289. Çınğıraklı Tatar, No. 2, 29. Mart 1289. Çınğıraklı Tatar, No. 4, 7. Nisan 1289. Çınğıraklı Tatar, No. 7, 18. Nisan 1289. 384
Çınğıraklı Tatar, No. 28, 3. Temmuz 1289. Gesichteter Bestand von Diyojen: No. 1–183. Ziterte Nummern: Diyojen, No. 1, 12. Teşrin-i sâni 1286. Diyojen, No. 2, 19. Teşrin-i sâni 1286. Diyojen, No. 19, 13. Mayıs 1287. Diyojen, No. 101, 4. Mart 1288. Diyojen, No. 121, 13. Mayıs 1288. Diyojen, No. 123, 20. Mayıs 1288. Diyojen, No. 161, 9. Teşrin-i sâni 1288. Diyojen, No. 164, 15. Teşrin-i sâni 1288. Diyojen, No. 168, 25. Teşrin-i sâni 1288. Diyojen, No. 171, 2. Kânun-i evvel 1288. Diyojen, No. 74, 23. Teşrin-i sâni 1287. Diyojen, No. 95, 12. Şubat 1287. Diyojen, No. 98, 23. Şubat 1287. Gesichteter Bestand von Geveze: No. 1–10. Zitierte Nummern: Geveze, No. 1, 4. Receb 1292 H. [6. August 1875]. Geveze, No. 10, 14. Ramazan 1292 H. [14. Oktober 1875]. Gesichteter Bestand von İstikbal 1–195 Zitierte Nummern: İstikbal, No 195, 15. Eylül 1876, S. 4. Gesichteter Bestand von Kahkaha: No. 1–26. Zitierte Nummern: Kahkaha, No. 1, 22. Mart 1291 R. [3. April 1875]. Kahkaha, No. 3, 29. Mart 1291 R. [10. April 1875]. Kahkaha, No. 13, 3 Mayıs 1291 R. [15. Mai 1875]. Kahkaha, No. 17, 17. Mayıs 1291 R. [29. Mai 1875]. Kahkaha, No. 20, 27. Mayıs 1291 R. [8. Juni 1875]. Kahkaha, No. 25, 2. Eylül 1291, R. [14. September 1875].
385
Gesichteter Bestand von Kladderadatsch: Jahrgänge 1853 bis 1856 und 1875 bis 1878. Zitierte Nummern: Kladderadatsch, No. 1, 7. Januar 1877. Kladderadatsch, No. 2, 14. Januar 1877. Kladderadatsch, No. 3, erstes Beiblatt, 21. Januar 1877. Kladderadatsch, No. 4 und 5, 28. Januar 1877. Kladderadatsch, No. 6, 4. Februar 1877. Kladderadatsch, No. 6, erstes Beiblatt, 4. Februar 1877. Kladderadatsch, No. 7, erstes Beiblatt, 11. Februar 1877. Kladderadatsch, No. 13, erstes Beiblatt, 18. März 1877. Kladderadatsch, No. 19, 22. April 1877. Kladderadatsch, No. 21, 6. Mai 1877. Kladderadatsch, No. 23 und 24, 20. Mai 1877. Kladderadatsch, No. 25, 27. Mai 1877. Kladderadatsch, No. 32, 8. Juli 1877. Kladderadatsch, No. 33, 15. Juli 1877. Kladderadatsch, No. 35, 29. Juli 1877. Kladderadatsch, No. 38, 19. August 1877. Kladderadatsch, No. 47, erstes Beiblatt, 14. Oktober 1877. Kladderadatsch, No. 1, 6. Januar 1878. Kladderadatsch, No. 5, 3. Februar 1878. Kladderadatsch, No. 7, 17. Februar 1878. Kladderadatsch, No. 11, zweites Beiblatt, 10. März 1878. Kladderadatsch, No. 12, 17. März 1878. Kladderadatsch, No. 14 und 15, 31. März 1878. Kladderadatsch, No. 16, 7. April 1878. Kladderadatsch, No. 16, erstes Beiblatt, 7. April 1878. Kladderadatsch, No. 20, 5. Mai 1878. Kladderadatsch, No. 22, 19. Mai 1878. Kladderadatsch, No. 23 und 24, 26. Mai 1878. Kladderadatsch, No. 37 und 38, 18. August 1878 Kladderadatsch, No. 43, 1876, S. 4. Kladderadatsch, No. 5, erstes Beiblatt, 31. Januar 1875. Kladderadatsch, No. 40, 29. August 1875. Kladderadatsch, No. 41, 5. September 1875. Kladderadatsch, No. 42, 12. September 1875. Kladderadatsch, No. 42, 12. September 1875. 386
Kladderadatsch, No. 42, 12. September 1875. Kladderadatsch, No. 44 und 45, 26. September 1875. Kladderadatsch, No. 47, 10. Oktober 1875. Kladderadatsch, No. 50, 31. Oktober 1875. Kladderadatsch, No. 57, 12. Dezember 1875. Kladderadatsch, No. 6, erstes Beiblatt, 6. Januar 1876. Kladderadatsch, No. 9 und 10, 27. Februar 1876. Kladderadatsch, No. 16, 2. April 1876. Kladderadatsch, No. 19, 23. April 1876. Kladderadatsch, No. 23, 21. Mai 1876. Kladderadatsch, No. 29 und 30, 25. Juni 1876. Kladderadatsch, No. 31, 2. Juli 1876. Kladderadatsch, No. 36, 6. August 1876. Kladderadatsch, No. 37 und 38, 13. August 1876. Kladderadatsch, No. 39, 20. August 1876. Kladderadatsch, No. 49 und 50, 22. Oktober 1876. Kladderadatsch, No. 52, 5. November 1876. Kladderadatsch, No. 55, 26. November 1876. Kladderadatsch, No. 58, erstes Beiblatt, 17. Dezember 1876. Kladderadatsch, No. 60, erstes Beiblatt, 31. Dezember 1876. Gesichteter Bestand von Lâtife: No. 1–39, 1–43. Sowie vereinzelte Nummern aus dem Jahre 1292. Zitierte Nummern: Lâtife, No. 1, 1. Eylül 1293 [sic!]. Lâtife, No. 1, 12. Ağustos 1290. Lâtife, No. 2, 8. Eylül 1292. Lâtife, No. 10, 3. Teşrin-i sâni 1292. Lâtife, No. 22, 26. Kânun-i sâni 1292. Lâtife, No. 25, 23. Şevval 1291. Lâtife, No. 27, 20. Şubat 1292. Lâtife, No. 37, 29. Muharrem 1292. Lâtife, No. 39, 10. Safer 1292. Lâtife, No. 4, 22. Eylül 1292. Lâtife, No. 5, 26. Ağustos 1290.
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Gesichteter Bestand von Letaif-i Âsar: Nummern 13–110. Zitierte Nummern: Letaif-i Âsar, No. 1, 15. Şevval 1291. Letaif-i Âsar, No. 22, 30. Mart 1871. Letaif-i Âsar, No. 23, 28. Muharrem 1288. Letaif-i Âsar, No. 44, 27. Cemaziyel’ahire 1288. Letaif-i Âsar, No. 47, 14. Rebiülahir 1289. Letaif-i Âsar, No. 49, 18. Rebiülahir 1289. Letaif-i Âsar, No. 7, 31. Kânun-i evvel 1290. Letaif-i Âsar, No. 9, 14. Kânun-i evvel 1290. Gesichteter Bestand von Mecmua-i Maarif: No. 80–100. Mecmua-i Maarif, No. 99, 24. Ramazan 1293. Gesichteter Bestand von Meddah: No. 1–32. Zitierte Nummern: Meddah, No. 2, 18. Muharrem 1292. Meddah, No. 5, 29. Muharrem 1292. Meddah, No. 14, 2. Rebiulevvel 1292. Meddah, No. 18, 12. Rebiulevvel 1292. Gesichtete Jahrgänge von Punch: 1841 bis 1878 Zitierte Nummern: Punch, Bd. 24, 29. Januar 1853. Punch, Bd. 24, 9. April 1853. Punch, Bd. 68, 2. Januar 1875. Punch, Bd. 68, 11. Dezember 1875. Punch, Bd. 69, 20. November 1875. Punch, Bd. 69, 4. Dezember 1975. Punch, Bd. 70, 29. Januar 1876. Punch, Bd. 70, 26. Februar 1876. Punch, Bd. 70, 20. Mai 1876. Punch, Bd. 70, 10. Juni 1876. Punch, Bd. 70, 17. Juni 1876. Punch, Bd. 71, 29. Juli 1876. Punch, Bd. 71, 5. August 1876. Punch, Bd. 71, 9. September 1876. Punch, Bd. 71, 21. Oktober 1876. Punch, Bd. 71, 4. November 1876. 388
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