Die Aussetzung nach § 221 Abs. 1 StGB [1 ed.] 9783428527656, 9783428127658

Der seit seinem Inkrafttreten 1871 nahezu unverändert gebliebene Grundtatbestand der Aussetzung wurde durch das 6. StrRG

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German Pages 555 Year 2009

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Die Aussetzung nach § 221 Abs. 1 StGB [1 ed.]
 9783428527656, 9783428127658

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Schriften zum Strafrecht Heft 203

Die Aussetzung nach § 221 Abs. 1 StGB Von

Martin Wielant

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

MARTIN WIELANT

Die Aussetzung nach § 221 Abs. 1 StGB

Schriften zum Strafrecht Heft 203

Die Aussetzung nach § 221 Abs. 1 StGB

Von

Martin Wielant

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Der Fachbereich Rechts- und Wirtschaftswissenschaften der Johannes Gutenberg-Universität Mainz hat diese Arbeit im Jahre 2008 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten # 2009 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: L101 Mediengestaltung, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0558-9126 ISBN 978-3-428-12765-8 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meinen Eltern

Vorwort Der Fachbereich Rechts- und Wirtschaftswissenschaften der Johannes Gutenberg-Universität Mainz hat die vorliegende Arbeit im Wintersemester 2007/2008 als Dissertation angenommen. Bis Oktober 2007 veröffentlichte wichtige Rechtsprechung und Literatur zum Thema wurden in Text und Fußnoten berücksichtigt. Nach Abschluss einer Arbeit, die sich von der Lektüre der ersten Texte bis zum Setzen des letzten Punktes über mehrere Jahre erstreckt hat, ist die Zahl der Unterstützer und Wegbegleiter groß und es fällt schwer, wirklich jedem in dieser Danksagung gerecht zu werden. Die Personen, die ich im Folgenden erwähne, haben aber alle wesentlich zum Gelingen dieser wissenschaftlichen Arbeit beigetragen. Es ist kaum möglich, ihre Unterstützung in einem Vorwort ausreichend und erschöpfend zu würdigen, zumal sich Art und Weise der Unterstützung sehr unterschiedlich darstellen. Dennoch möchte ich den Versuch unternehmen, meiner Dankbarkeit einen angemessenen Ausdruck zu verleihen. Mein herzlichster Dank kann sich nur an den Erstberichterstatter, Herrn Professor Dr. Michael Hettinger, richten. Er stand mir bei der Auswahl und während der Bearbeitung des Themas stets mit Rat und Tat zur Seite, leistete eine fürsorgliche und ideenreiche Betreuung der Arbeit und schenkte mir und meinen vielen Fragen immer seine Aufmerksamkeit und Geduld. Durch seine stets aufmunternden Worte, wann immer ich mich im Dschungel der Argumente und Meinungen rund um § 221 Abs. 1 StGB „in eine hilflose Lage versetzt“ fühlte, und durch seine menschliche Unterstützung bei diesem wissenschaftlichen Projekt wurde er für mich zum „Doktorvater“ im besten Sinne. Meine langjährige Tätigkeit an seinem Lehrstuhl als studentischer und wissenschaftlicher Mitarbeiter in Würzburg und Mainz hat mich und mein juristisches Denken und Arbeiten zweifelsohne geprägt; ich werde diese Jahre daher als glücklichen und erfüllten Lebensabschnitt in bester Erinnerung behalten. Mein Dank gilt ebenso Herrn Professor Dr. Jan Zopfs, der die Mühen des Zweitgutachtens um- und eingehend auf sich genommen hat. Aufgrund seiner instruktiven und umfangreichen Anmerkungen konnte die Arbeit um einige neue Perspektiven und Ideen erweitert werden. Außerdem darf in dieser Danksagung die Lang-Hinrichsen-Stiftung der Johannes Gutenberg-Universität Mainz nicht fehlen. Ohne deren großzügige

8

Vorwort

Unterstützung zu Beginn meiner Promotionszeit und bei der Veröffentlichung dieser Arbeit wäre manches komplizierter und schwieriger für mich gewesen. Mein Dank gilt auch meinen Lehrstuhlkollegen Claus Barthel, Eric Simon und Armin Engländer für ihre langjährige gute und kollegiale Zusammenarbeit, der Sekretärin des Lehrstuhles, Frau Martina Weichel, für ihre freundliche und verlässliche Unterstützung sowie Frau Katharina Diel für die gründliche Korrektur des Manuskripts des Quellenverzeichnisses und für ihren Einsatz bei der Beschaffung ausländischer Literatur. Außer den Personen, die zum Wachsen und Werden dieser Arbeit direkt einen Beitrag geleistet haben, gibt es eine Reihe von Menschen, die mich gerade in den schwierigen Phasen der Arbeit ertragen oder aufgemuntert haben und mich nicht „in hilfloser Lage im Stich gelassen“ haben. Dabei schulde ich ohne jeden Zweifel den größten Dank meinen Eltern, denen daher auch diese Arbeit gewidmet ist. Ohne ihre stete und vorbehaltlose Unterstützung während Studium, Referendariat und Promotion, ihre tatkräftige Mithilfe bei der Suche nach Fehlern im ersten Textentwurf und ihre immer ungebrochen optimistische Zuversicht, dass diese Arbeit zu einem erfolgreichen Abschluss kommen werde, wäre dieses Vorwort wohl nie geschrieben worden. Schließlich möchte ich auch meiner Schwester Monika Wielant, Eva Wendt, Robert Spatschek und ganz besonders Kerstin Kummermehr danken: für ihre langjährige Freundschaft, die mentale Unterstützung während meiner Promotion und ihre Bereitschaft, meine Klagen über hilflose Lagen, Versetzen und Imstichlassen entweder fachlich zu kommentieren oder einfach nur mit großer Geduld zu ertragen. Sie alle waren für mich mehr Halt und Hilfe als sie ahnen. Mainz-Kastel, im Juli 2008

Martin Wielant

Inhaltsübersicht 1. Teil Einleitung A. Einführung in Gegenstand und Problematik der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . B. Eingrenzung des Themas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

33 33 37

2. Teil Bedeutung der Aussetzungsnorm in Praxis und Wissenschaft

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3. Teil Historischer Überblick zur Entwicklung des Aussetzungstatbestandes bis zur heutigen Fassung A. Die gesetzlichen Fassungen des Tatbestandes der Aussetzung . . . . . . . . . . . . . I. Gesetzliche Fassungen bis zum RStGB von 1871 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. § 221 RStGB von 1871 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Die Reformbestrebungen zum Aussetzungstatbestand seit Beginn des 20. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Entwürfe zur Reformierung des RStGB von 1902 bis 1930 . . . . . . . . II. Bestrebungen zu einer Strafrechtsreform nach dem 2. Weltkrieg . . . . . . . C. Ergebnis zum historischen Teil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

43 43 43 51 52 54 67 79

4. Teil Der Grundtatbestand der Aussetzung nach dem heutigen Verständnis von Rechtsprechung und Literatur A. Die Tätereigenschaft bei der Aussetzung, insbesondere die Obhuts- oder Beistandspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Tätereigenschaft in Rechtsprechung und Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . II. Eigene Auffassung zum Kreis möglicher Täter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Der Kreis tauglicher Opfer i. S. v. § 221 Abs. 1 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Opfereigenschaft in Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . II. Eigene Auffassung zum Kreis tauglicher Opfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

80

80 80 83 86 86 88

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Inhaltsübersicht

C. Die Tathandlung der Aussetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die zweite Tathandlung des Grundtatbestands: Das Imstichlassen. . . . . . . II. Die erste Tathandlung des Grundtatbestands: Das Versetzen. . . . . . . . . . . . III. Ergebnis zu den Tathandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Das situationsbezogene Tatbestandsmerkmal der hilflosen Lage . . . . . . . . . . . . I. Hintergrund des Bestrebens nach einer engen Auslegung der hilflosen Lage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Auslegungskonzepte zur hilflosen Lage seit dem 6. StrRG . . . . . . . . . . . . . III. Zwischenergebnis zur hilflosen Lage. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Eigene Auffassung zur hilflosen Lage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Fazit zur hilflosen Lage. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Das Verhältnis der beiden Tathandlungen zueinander und ihre gegenseitige Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Verhältnis und Abgrenzung der beiden Tatvarianten in der a. F. . . . . . . . . II. Verhältnis und Abgrenzung der beiden Tatvarianten in der n. F. . . . . . . . . III. Eigene Auffassung zu Verhältnis und Abgrenzung der beiden Tatvarianten n. F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . F. Die Gefährdungsklausel: Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Verständnis der Gefährdungsklausel in Rechtsprechung und Wissenschaft seit dem 6. StrRG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Eigene Auffassung zur Gefährdungsklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Der Begriff der konkreten Gefahr. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die tatbestandsmäßigen Gefahren für Leben und Gesundheit i. S. der Aussetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Fazit zur Gefährdungsklausel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Das Verhältnis von hilfloser Lage und Gefährdungsklausel . . . . . . . . . . . . . G. Problematische Anwendungsfälle der Aussetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die unterlassene Schmerzlinderung bei einem unrettbar (tödlich) verletzten Opfer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das Versetzen in eine „neue hilflose“ Lage und das Intensivieren einer bestehenden hilflosen Lage. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Das Steigern und Intensivieren einer bestehenden Gefahr . . . . . . . . . . . . . .

93 93 168 215 216 216 237 260 261 338 340 340 345 361 428 428 429 436 437 440 440 446 446 450 458

5. Teil Zusammenfassung und Endergebnis

472

6. Teil Annex: Die Zukunft der Aussetzung?

476

Inhaltsübersicht

11

7. Teil Anhang A. B. C. D.

Gesetzliche Fassungen der Aussetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Übersicht über die Reformvorschläge der Aussetzung von 1909 bis 1998 . . . Normen des ausländischen Rechts. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsprechung zur Aussetzung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

482 482 488 497 501

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 505 Quellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 536 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 543

Inhaltsverzeichnis 1. Teil Einleitung A. Einführung in Gegenstand und Problematik der Untersuchung . . . . . . . . B. Eingrenzung des Themas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

33 33 37

2. Teil Bedeutung der Aussetzungsnorm in Praxis und Wissenschaft

38

3. Teil Historischer Überblick zur Entwicklung des Aussetzungstatbestandes bis zur heutigen Fassung

43

A. Die gesetzlichen Fassungen des Tatbestandes der Aussetzung . . . . . . . . . . 43 I. Gesetzliche Fassungen bis zum RStGB von 1871 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 1. Alte Wurzeln der Aussetzung: Corpus Iuris Canonici von 1136 und Art. 132 CCC von 1532 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 2. Teil II Titel 20 §§ 969–971 PrALR von 1794 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 3. Art. 174–177, 370 bayer. StGB 1813 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 4. Art. 131 sächs. CrimGB 1838 und Art. 163 sächs. StGB 1855 . . . . . . 48 5. § 183 preuß. StGB von 1851 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 6. Art. 129 CrimGB von Hamburg 1869 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 II. § 221 RStGB von 1871 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 B. Die Reformbestrebungen zum Aussetzungstatbestand seit Beginn des 20. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 I. Die Entwürfe zur Reformierung des RStGB von 1902 bis 1930 . . . . . . . . 54 1. Die Vergleichende Darstellung (1902–1909) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 2. Der Vorentwurf zu einem Deutschen Strafgesetzbuch 1909 . . . . . . . . . 55 3. Der Gegenentwurf zum Vorentwurf eines Deutschen Strafgesetzbuches 1911. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 4. Der Entwurf zu einem Deutschen Strafgesetzbuch nach den Beschlüssen der Strafrechtskommission („Kommissionsentwurf“) 1913 . . . . . . 58 5. Der Entwurf von 1919 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60

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Inhaltsverzeichnis

6. Der Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuches 1922 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Der amtliche Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuches 1925 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Der amtliche Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuches 1927 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Der Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuches 1930 („Entwurf Kahl“). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Bestrebungen zu einer Strafrechtsreform nach dem 2. Weltkrieg . . . . . . . . 1. Die Große Strafrechtskommission und die Entwürfe von 1960 und 1962 2. Der Alternativentwurf eines Strafgesetzbuches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Das 6. StrRG von 1998 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Ergebnis zum historischen Teil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

61 62 64 65 67 67 72 72 79

4. Teil Der Grundtatbestand der Aussetzung nach dem heutigen Verständnis von Rechtsprechung und Literatur A. Die Tätereigenschaft bei der Aussetzung, insbesondere die Obhutsoder Beistandspflicht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Tätereigenschaft in Rechtsprechung und Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . II. Eigene Auffassung zum Kreis möglicher Täter. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Der Kreis tauglicher Opfer i. S. v. § 221 Abs. 1 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Opfereigenschaft in Rechtsprechung und Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . II. Eigene Auffassung zum Kreis tauglicher Opfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Die Tathandlungen der Aussetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die zweite Tathandlung des Grundtatbestands: Das Imstichlassen. . . . . . . 1. Auslegung des Tatbestandsmerkmals „Verlassen“ vor dem 6. StrRG 2. Neue Auslegung des Tatbestandsmerkmals seit 1998 . . . . . . . . . . . . . . . a) Kritik im Schrifttum an der gesetzgeberischen Begründung zum Imstichlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Überwiegende Ansicht zum Imstichlassen: weites Verständnis der zweiten Tathandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Teilweise vertretene Ansicht zum Inhalt des Imstichlassens: weites Verständnis mit Einschränkungen in spezifischen Fallkonstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der Tatbestandstyp der zweiten Tatvariante . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zur Einordnung der zweiten Tatvariante a. F. in die Kategorien der Typen der Tatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zur Klassifizierung des Tatbestandstyps der zweiten Tatvariante n. F.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Echtes Unterlassungsdelikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

80

80 80 83 86 86 88 93 93 94 98 98 99

103 108 108 112 112

Inhaltsverzeichnis bb) „Normales“ Begehungsdelikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Speziell vertatbestandlichtes unechtes Unterlassungsdelikt . . . dd) Die Aussetzung als Delikt sui generis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Eigene Auffassung zum Imstichlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Wortlautauslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Historische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Systematische Auslegung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Vergleich mit anderen Normen des StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) § 323c StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Weitere Delikte mit einem „Lassen“ in der Tathandlung bb) Vergleich mit ausländischen Strafgesetzbüchern, die ebenfalls ein Imstichlassen als Tathandlung der Aussetzung enthalten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Strafgesetzbuch von Österreich. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Strafgesetzbuch der Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Zwischenergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Teleologische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Sinn und Zweck der Aussetzung in der zweiten Tatvariante . bb) Einschränkungen des Tatbestandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Einschränkung des § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB durch Ausschluss gewisser Garanten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Einschränkung über die hilflose Lage vor der Tat und über die Obhuts- oder Beistandspflicht. . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Einschränkung aufgrund der Einordnung in die Kategorien der Tatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Der Tatbestandstyp des § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB. . . . . . . . . . . . . . . aa) Begehungsdelikt oder Unterlassungsdelikt . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Wortlaut der zweiten Tatvariante als Anhaltspunkt . . . . . . (2) Historische Anhaltspunkte für den Tatbestandstyp des § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Systematische Aspekte für die Bestimmung des Tatbestandstyps der zweiten Tatvariante . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Bildung des unechten Unterlassungsdelikts zu § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB über § 13 Abs. 1 StGB . . . . . . . . . (b) Kausalitätsbezogene Betrachtung des Imstichlassens . (c) Unbeachtlichkeit der phänomenologischen Erscheinungsform für die Einordnung als Tun oder Unterlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (d) Vergleich mit Strafgesetzbüchern anderer Länder . . . . bb) Zwischenergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB als Unterlassungsdelikt . . . . . . . . . . . (1) Einschränkungen des § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB aus dessen Tatbestandstyp . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis (2) Unechtes oder echtes Unterlassungsdelikt?. . . . . . . . . . . . . . dd) Imstichlassen als Delikt sui generis? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Fazit zum Imstichlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die erste Tathandlung des Grundtatbestands: Das Versetzen. . . . . . . . . . . . 1. Auslegung des Tatbestandsmerkmals „Aussetzen“ vor dem 6. StrRG. a) Die Ansicht der Rechtsprechung zum Aussetzen . . . . . . . . . . . . . . . . b) Auslegung des Aussetzens im Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Enge Auslegung: Notwendigkeit einer räumlichen Entfernung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Weite Auslegung: Verzicht auf das räumliche Entfernen . . . . . cc) Vermittelnde Ansicht: Aussetzen als „Änderung der räumlichen Beziehungen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Auslegung des neuen Tatbestandsmerkmals „Versetzen“ seit 1998 . . . a) Enge Auslegung des Versetzens: Erfordernis eines räumlichen Kriteriums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Weite Auslegung des Versetzens: Verzicht auf das räumliche Kriterium. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der Tatbestandstyp der ersten Tatvariante . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Einordnung der ersten Tatvariante a. F. in die Typen der Tatbestände. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Rechtsprechung zu § 221 Abs. 1 Alt. 1 StGB a. F. . . . . . . . . . . bb) Literatur zu § 221 Abs. 1 Alt. 1 StGB a. F. . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Klassifizierung des Tatbestandstyps des § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB n. F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB als nur durch aktives Tun begehbares Delikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Tatvariante des Versetzens als auch durch Unterlassen begehbares Erfolgsdelikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Eigene Auffassung zum Versetzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Wortlautauslegung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Historische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Systematische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Systematische Argumente im Rahmen von § 221 Abs. 1 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) „Gleiches Unrecht“ in beiden Tathandlungen . . . . . . . . . . . (a) Das System der Strafrahmen im StGB . . . . . . . . . . . . . . (b) Folgerungen aus identischen Strafrahmen mehrerer Tatvarianten einer Norm. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Vergleichbarkeit des tatbestandlichen Unrechts in der Aussetzungsnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Harmonisierung der Tathandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis (3) Folgerungen aus der Erweiterung des Opferkreises für das Versetzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Umgehung der engeren Voraussetzungen von § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB durch eine weite Auslegung des Versetzens . . bb) Systematische Argumente mit Blick auf andere Normen des StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Rechtsvergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Schweiz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Teleologische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Ansätze zu einer Einschränkung des Versetzens . . . . . . . . . . . . . . . . f) Zwischenergebnis zur Auslegung der ersten Tatvariante . . . . . . . . . g) Der Tatbestandstyp des § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB. . . . . . . . . . . . . . . aa) Argumente für die Einordnung des § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB als durch Tun und (unechtes) Unterlassen begehbares Erfolgsdelikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Ausschluss der Ingerenzgarantenstellung für § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Fazit zum Tatbestandstypus der ersten Tatvariante. . . . . . . . . . 6. Fazit zum Versetzen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ergebnis zu den Tathandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Das situationsbezogene Tatbestandsmerkmal der hilflosen Lage . . . . . . . . I. Hintergrund des Bestrebens nach einer engen Auslegung der hilflosen Lage. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das allgemeine Leibes- und Lebensgefährdungsdelikt . . . . . . . . . . . . . . a) Begriff des allgemeinen Leibes- und Lebensgefährdungsdelikts . . b) Der Streit um die Einführung eines allgemeinen Leibes- und Lebensgefährdungsdelikts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Reformentwürfe bis 1930 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Große Strafrechtskommission und die Entwürfe E 1960 und E 1962 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Die Einschätzung der Strafrechtswissenschaft vom E 1962 bis zum 6. StrRG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Das Meinungsspektrum seit dem 6. StrRG . . . . . . . . . . . . . . . . . c) § 221 Abs. 1 StGB als allgemeines Gefährdungsdelikt? . . . . . . . . . aa) Wortlaut des § 221 Abs. 1 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Historische Auslegung zu § 221 Abs. 1 StGB . . . . . . . . . . . . . . cc) (Hypothetische) Auswirkungen im System des StGB bei Deutung der Aussetzung als allgemeines Gefährdungsdelikt . (1) Allgemeines Strukturprinzip der konkreten Gefährdungsdelikte: bestimmte Umschreibung der Tathandlungen. . . . (2) Verhältnis der Aussetzung zu anderen Gefährdungsdelikten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis (3) Verhältnis der Aussetzung zu vorsätzlichen – auch versuchten – Verletzungsdelikten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) „Unerträgliche“ Strafbarkeitslücken? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Weitere Anhaltspunkte für eine enge Auslegung der hilflosen Lage . . 3. Fazit zur Frage: Die Aussetzung als allgemeines Gefährdungsdelikt II. Auslegungskonzepte zur hilflosen Lage seit dem 6. StrRG . . . . . . . . . . . . . 1. Auslegung der hilflosen Lage n. F. unter Bezugnahme auf die hilflose Lage in § 221 Abs. 1 StGB a. F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verständnis der hilflosen Lage nach § 221 Abs. 1 StGB a. F. . . . . . b) Heutige Ansätze mit Gleichsetzung von hilfloser Lage n. F. und Gefahr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Auslegung der hilflosen Lage n. F. unter Bezugnahme auf die hilflose Person a. F.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verständnis der hilflosen Person i. S. v. § 221 Abs. 1 StGB a. F. . . b) Gleichsetzung der hilflosen Lage n. F. mit der hilflosen Person a. F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Auslegung der hilflosen Lage als Hilfsbedürftigkeit mit zusätzlichen Bedingungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Einschränkung der hilflosen Lage durch ein Kriterium der Dauer oder Stabilität. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Einschränkung der hilflosen Lage über die Einbeziehung von Hilfen durch Dritte und/oder den Täter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Ausschließliche Einbeziehung der von Dritten gewährten Hilfe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Einbeziehung von Hilfen durch Dritte und eines Zusatzkriteriums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Einbeziehung der von Dritten oder dem Täter gewährten Hilfe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Differenzierende Auslegung der hilflosen Lage n. F. . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zwischenergebnis zur hilflosen Lage. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Eigene Auffassung zur hilflosen Lage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kritik der an die a. F. anknüpfenden Auslegungskonzepte . . . . . . . . . . . a) Die Gleichsetzung von hilfloser Lage n. F. und Gefahr . . . . . . . . . . aa) Folge dieser Auslegung: Einführung eines allgemeinen Gefährdungsdelikts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Historische Belege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Gleichsetzung von hilfloser Lage n. F. und Gefahr als Voraussetzung für das Entstehen der Garantenpflicht . . . . . . . . dd) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gleichsetzung von hilfloser Lage n. F. und hilfloser Person a. F. . . aa) Wortsinn der hilflosen Lage n. F. und die Auslegung der hilflosen Person a. F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Systematische Aspekte bei Gleichsetzung der Begriffe hilflose Lage n. F. und hilflose Person a. F. . . . . . . . . . . . . . . . . .

229 234 235 237 237 238 238 240 242 242 244 246 247 247 247 249 255 256 260 261 261 261 261 262 264 267 267 267 269

Inhaltsverzeichnis (1) Auswirkungen auf das Verständnis des Tatbestandes n. F. (2) Unstimmigkeiten zwischen der „weiten“ Auslegung der ersten Tathandlung n. F. und der Gleichsetzung von hilfloser Lage n. F. und hilfloser Person a. F.. . . . . . . . . . . . . . . cc) Wille des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Zwischenergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Widerlegung der am Einzelfall orientierten Ansicht Gössels . . . . . d) Unterschiedliches Verständnis der hilflosen Lage je nach Tathandlung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Zwischenergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Eigener Ansatz zur Auslegung der hilflosen Lage n. F. . . . . . . . . . . . . . a) Wortlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) „Hilflos“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) „Lage“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Die hilflose Lage als Beschreibung der Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung . . . . . . . . . . . . . . . dd) Wortlautargument: Hilflose Lage bei Betreuung des Opfers. . b) Historische Anhaltspunkte für die Auslegung der hilflosen Lage n. F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Systematische Analyse der hilflosen Lage n. F. . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Systematische Aspekte innerhalb von § 221 Abs. 1 StGB . . . bb) Systematische Untersuchung anderer Normen des StGB. . . . . (1) Normen, die das Merkmal hilflose Lage enthalten. . . . . . . (a) § 234 Abs. 1 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) § 237 StGB a. F. bis 1997 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Tatbestände mit den Begriffen Hilflosigkeit, Hilfsbedürftigkeit, hilfsbedürftige Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) §§ 232 Abs. 1, 233 Abs. 1 StGB n. F.: Die „auslandsspezifische Hilflosigkeit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) § 174a Abs. 2 StGB: Hilfsbedürftige Menschen und Hilfsbedürftigkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) § 243 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 StGB: Ausnutzen der Hilflosigkeit einer anderen Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Normen mit dem Tatbestandsmerkmal „Lage“ . . . . . . . . . . (a) § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB: Die schutzlose Lage. . . . . . (b) §§ 182 Abs. 1 Nr. 1/2, 232 Abs. 1, 233 Abs. 1 StGB: die Zwangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) §§ 239a Abs. 1, 239b Abs. 1 StGB: Das Ausnutzen einer durch Entführung oder Bemächtigung geschaffenen Lage. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Fazit der systematischen Untersuchung anderer Normen des StGB. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Rechtsvergleich mit Normierungen der Aussetzung in Österreich und der Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis d) Teleologische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Einschränkung durch die zeitlichen Abläufe der Tat. . . . . . . . . bb) Einschränkung der hilflosen Lage über die Möglichkeit der Hilfeleistung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Rechtsprechung gegen die Einschränkung der hilflosen Lage durch die Möglichkeit zur Hilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Ermittlung der zum Ausschluss der hilflosen Lage führenden Hilfsmittel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Das Opfer als sein eigener Helfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Sachmittel als Hilfsmittel (sächliche Hilfsmittel) . . . . . . . . (3) Dritte Personen als Hilfen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Der „Täter“ als Helfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Fazit zur hilflosen Lage. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

E. Das Verhältnis der beiden Tathandlungen zueinander und ihre gegenseitige Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Verhältnis und Abgrenzung der beiden Tatvarianten in der a. F.. . . . . . . . . 1. Verhältnis der beiden Tathandlungen a. F.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Abgrenzung der beiden Tathandlungen a. F.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verhältnis und Abgrenzung der beiden Tatvarianten in der n. F. . . . . . . . . 1. Verhältnis der beiden Tathandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Möglichkeit der gleichzeitigen Verwirklichung beider Tathandlungen durch eine Verhaltensweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ablehnung der gleichzeitigen Verwirklichung der beiden Tathandlungen durch eine Verhaltensweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Ausgangspunkt: Zeitliches Verhältnis der beiden Tathandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Verwirklichung aufeinander folgender Tathandlungen . . . . . . . (1) Möglichkeit der Aufeinanderfolge der beiden Tathandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Ausschluss eines nachfolgenden Imstichlassens bei Verwirklichung des Versetzens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Abgrenzung der beiden Tathandlungen n. F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Abgrenzung der Tathandlungen am Beispiel von „Bergsteiger-“ und „Krankenschwester-Fall“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Der „Bergsteiger-Fall“ bei Jäger. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Fallbezogene Annahme des Imstichlassens . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Fallbezogene Annahme des Versetzens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Abstrakte Abgrenzung der beiden Tathandlungen . . . . . . . . . . . . . . . aa) Abstrakte Annahme des Imstichlassens. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Abstrakte Annahme des Versetzens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Abweichende Abgrenzungskonzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Abgrenzung über den subjektiven Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . .

313 314 314 319 322 322 324 325 328 338 340 340 340 343 345 345 346 347 348 348 349 351 352 354 354 355 357 358 358 359 359 360

Inhaltsverzeichnis bb) Abgrenzung über den Tatbestandstypus: § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB als Unterlassungsdelikt zu § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB . . cc) Abgrenzung über die Unterscheidung von Tun und Unterlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Eigene Auffassung zu Verhältnis und Abgrenzung der beiden Tatvarianten n. F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Prämissen des Verhältnisses und der Abgrenzung sowie Ziel dieses Kapitels. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Eigene Deutung zum Verhältnis der Tathandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . a) (Un-)Möglichkeit der gleichzeitigen Verwirklichung beider Tathandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) (Un-)Möglichkeit der aufeinanderfolgenden Verwirklichung der Tathandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Herleitung der mehrheitlich vertretenen Ansicht zum Verhältnis der beiden Tathandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Widerlegung der mehrheitlich vertretenen Ansicht und Begründung der Exklusivität der Tatvarianten . . . . . . . . . . . . . . (1) Garanten als Täter eines Versetzens. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Versetzen durch positives Tun . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Versetzen durch unechtes Unterlassen . . . . . . . . . . . . . . (2) Nicht-Garanten als Täter eines Versetzens . . . . . . . . . . . . . . (a) Umdeutung der Nichtvornahme einer Rücktrittshandlung als selbständig strafbares Imstichlassen . . . . (b) Entstehung einer Ingerenzgarantenstellung bei vorsätzlichem Versetzen?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Ergänzende Argumente für eine Exklusivität der beiden Tatalternativen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Auswirkungen bei konsequenter Beachtung der Prämissen der Gegenansicht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Eindeutigkeit und Klarheit der hier vertretenen Ansicht . dd) Einwände gegen das vom Verfasser hergeleitete Verständnis c) Vorrang von § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB nach Arzt für jegliches Unterlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Fazit und Folgen für das Verhältnis der beiden Tathandlungen n. F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Abgrenzung der Tathandlungen: Der Unterschied zwischen Versetzen und Imstichlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Notwendigkeit einer Abgrenzung der beiden Tathandlungen . . . . . b) Kritik an den bestehenden Abgrenzungskonzepten . . . . . . . . . . . . . . aa) Möglichkeit der Begehung eines Versetzens durch unechtes Unterlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Widerlegung der Deutung des § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB als Unterlassungstatbestand zu § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB . . . . . . . cc) Ausschluss der Milderungsmöglichkeit von § 13 Abs. 2 StGB

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360 361 361 361 362 362 365 366 367 367 368 372 373 373 374 389 389 392 392 394 395 397 398 399 399 400 401

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Inhaltsverzeichnis

dd) Unzureichende Berücksichtigung der Neufassung der Norm ee) Versetzen als die „unrechtsschwerere“ Tathandlung der Aussetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ansatz für ein neues Abgrenzungskonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Wortlaut der Norm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Vorgaben des Gesetzgebers in historischer Hinsicht . . . . . . . . . cc) Argumente aus der Systematik der Norm und den allgemeinen Regeln des Strafrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Teleologischer Aspekt: Einheitliche Behandlung personeller und sächlicher Hilfsmittel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Weitere Kritikpunkte an der vorrangigen Subsumtion unter das Imstichlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Behandlung von „Hochgebirgskriminalität“ nach dem hier vertretenen Konzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Verallgemeinerung der Lösung im „Bergsteiger-Fall“ auf ähnlich gelagerte Fälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Durch räumlich-örtliche Bewegungsvorgänge geprägte Verhaltensweisen als „typische“ Fälle des Versetzens und Imstichlassens. g) Fazit zur Abgrenzung der Tathandlungen n. F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . F. Die Gefährdungsklausel: Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Verständnis der Gefährdungsklausel in Rechtsprechung und Wissenschaft seit dem 6. StrRG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Eigene Auffassung zur Gefährdungsklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Wortlautauslegung der Gefährdungsklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Historische Aspekte zur Deutung der Gefährdungsklausel . . . . . . . . . . . 3. Auswirkungen auf die Systematik des StGB durch ein die Gefährdungsklausel erweiterndes Verständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Teleologische Aspekte: Schutzzweck der Norm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Der Begriff der konkreten Gefahr. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die tatbestandsmäßigen Gefahren für Leben und Gesundheit i. S. der Aussetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Fazit zur Gefährdungsklausel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Das Verhältnis von hilfloser Lage und Gefährdungsklausel . . . . . . . . . . . . . 1. Die Literatur zum Verhältnis hilflose Lage – Gefährdungsklausel . . . . 2. Eigene Ansicht zum Verhältnis von hilfloser Lage und Gefährdungsklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . G. Problematische Anwendungsfälle der Aussetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die unterlassene Schmerzlinderung bei einem unrettbar (tödlich) verletzten Opfer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Meinungsspektrum zur a. F. und n. F. der Aussetzung . . . . . . . . . . . . . . . 2. Eigene Stellungnahme zur Tatbestandsmäßigkeit der unterlassenen Schmerzlinderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Fazit zur unterlassenen Schmerzlinderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

404 405 407 407 408 412 419 420 421 425 425 427 428 428 429 429 430 433 435 436 437 440 440 440 444 446 446 446 447 450

Inhaltsverzeichnis II. Das Versetzen in eine „neue hilflose“ Lage und das Intensivieren einer bestehenden hilflosen Lage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Meinungsspektrum zur n. F. der Aussetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Eigene Stellungnahme zum Versetzen in eine „neue hilflose“ Lage und zum Intensivieren einer bestehenden hilflosen Lage. . . . . . . . . . . . 3. Fazit zum Versetzen in eine „neue hilflose“ Lage und zum Intensivieren einer bestehenden hilflosen Lage. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Das Steigern und Intensivieren einer bestehenden Gefahr. . . . . . . . . . . . . . 1. Meinungsspektrum zur a. F. und zur n. F. der Aussetzung . . . . . . . . . . . 2. Eigene Stellungnahme zum Steigern und Intensivieren einer bestehenden Gefahr. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Fazit zum Steigern und Intensivieren einer bestehenden Gefahr . . . . .

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450 451 452 457 458 458 460 471

5. Teil Zusammenfassung und Endergebnis

472

6. Teil Annex: Die Zukunft der Aussetzung?

476

7. Teil Anhang A. Gesetzliche Fassungen der Aussetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Gesetzbücher bis zum Preußischen StGB 1851 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Corpus Iuris Canonici von 1136 (Decretalia Gregorii Lib. V Tit. XI c. I.//cap. un. X. 5, 11): „De infantibus et languidis expositis“ . . . . . . 2. Art. 132 Constitutio Criminalis Carolina von 1532. . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Teil II Titel 20 §§ 969–971 PrALR von 1794 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Art. 174–177, 370 Strafgesetzbuch für das Königreich Bayern, 1813 5. Art. 131 Königlich Sächsisches Criminalgesetzbuch von 1838 . . . . . . 6. § 183 Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten von 1851. . . . . . . . II. Gesetzbücher bis zum Inkrafttreten des RStGB 1871. . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Strafgesetzbuch für das Königreich Sachsen vom 13. August 1855 . . 2. Art. 129 Criminalgesetzbuch der freien und Hansestadt Hamburg von 1869. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. § 193 Strafgesetzbuch des Norddeutschen Bundes von 1869 . . . . . . . . 4. § 216 Strafgesetzbuch des Norddeutschen Bundes von 1870 . . . . . . . . III. Gesetzbücher nach Inkrafttreten des RStGB 1871. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. § 221 RStGB von 1871 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. § 221 StGB a. F. bis 1998 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. § 221 StGB n. F. ab 1998. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

482 482 482 482 482 483 483 484 484 485 485 485 486 486 486 486 487 487

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Inhaltsverzeichnis

B. Übersicht über die Reformvorschläge der Aussetzung von 1909 bis 1998 I. Entwürfe vor dem 1. Weltkrieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vorentwurf zu einem deutschen Strafgesetzbuch 1909 . . . . . . . . . . . . . . 2. Gegenentwurf zum Vorentwurf zu einem Deutschen Strafgesetzbuch (1911). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Entwürfe der Strafrechtskommission zu einem Deutschen Strafgesetzbuch und zu einem Einführungsgesetz – Beschlüsse 1. Lesung, 1913 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Entwürfe der Strafrechtskommission zu einem Deutschen Strafgesetzbuch und zu einem Einführungsgesetz – Vorläufige redigierte Beschlüsse 2. Lesung, 1913 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Entwurf der Strafrechtskommission 1913 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Entwürfe aus der Weimarer Republik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Entwurf von 1919 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuches 1922 (Entwurf Radbruch) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Amtlicher Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuchs 1925 – Reichsratsvorlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Amtlicher Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuchs 1927 – Reichstagsvorlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuchs 1930 (Entwurf Kahl). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Entwürfe nach dem 2. Weltkrieg bis zum 6. StrRG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Große Strafrechtskommission 1958 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Große Strafrechtskommission – 1. Lesung 1958 – Vorschlag der Sachbearbeiter des Bundesjustizministeriums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Große Strafrechtskommission – 1. Lesung 1958 – Vorschlag der Unterkommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Große Strafrechtskommission – 1. Lesung 1958 – Beschlüsse der Großen Strafrechtskommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Große Strafrechtskommission – 2. Lesung 1959. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. E 1960 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. E 1962 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Entwürfe im Verlauf des 6. StrRG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Unveröffentlichter Referentenentwurf vom 15. Juli 1996 . . . . . . . . . . . . 2. Entwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Entwurf eines Sechsten Gesetzes zur Reform des Strafrechts (6. StrRG) der Bundesregierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Gesetzesbeschluss des Deutschen Bundestages vom 14. November 1997 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Normen des ausländischen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Strafgesetzbuch von Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Entwürfe und Strafgesetzbuch der Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis 1. Entwürfe aus der Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Schweizerisches Strafgesetzbuch – Vorentwurf mit Motiven, 1893 b) Vorentwurf zu einem Schweizerischen Strafgesetzbuch und zu einem Bundesgesetz betreffend Einführung des Schweizerischen Strafgesetzbuches, 1903 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Schweizerisches Strafgesetzbuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Rechtsprechung zur Aussetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

25 499 499

499 500 501

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 505 Quellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Gesetzbücher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gesetzbücher bis zum Preußischen StGB von 1851 . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gesetzbücher und Materialien bis zum Inkrafttreten des RStGB 1871. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Fassungen des Strafgesetzbuchs nach dem 2. Weltkrieg . . . . . . . . . . . . 4. Strafgesetzbücher aus dem Ausland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) StGB von Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) StGB der Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Quellen zu den Reformversuchen in Deutschland von 1909 bis 1971 . . . 1. Entwürfe vor dem 1. Weltkrieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Entwürfe aus der Weimarer Republik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Entwürfe nach dem 2. Weltkrieg bis zum 6. StrRG . . . . . . . . . . . . . . . . III. Quellen zum 6. StrRG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Entwürfe aus Österreich und der Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Sonstige Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

536 536 536 536 538 538 538 538 538 538 539 541 541 541 541 541 542

Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 543

Abkürzungsverzeichnis Die für Literatur und Quellen verwendeten Abkürzungen und Zitierweisen sind in den jeweiligen Verzeichnissen (im Anhang S. 505 ff. und S. 536 ff.) an den entsprechenden Stellen angegeben. 6. StrRG a. A. Abs. Abschn. a. E. AE a. F. Alt. Anm. Annalen d. Dt. Reichs

Art. ARWP

AS AT bayer. BayObLG BayObLGSt BBl. Bd. BGBl. BGH BGHR BGHSt

Sechstes Gesetz zur Reform des Strafrechts (6. StrRG vom 14. November 1997 – Strafrechtsreformgesetz) anderer Ansicht Absatz Abschnitt am Ende Alternativentwurf eines Strafgesetzbuches alte Fassung Alternative Anmerkung Annalen des Deutschen Reichs für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft: staatsrechtliches, volkswirtschaftliches und statistisches Jahrbuch; Materialiensammlung und Reformzeitschrift; Berlin u. a. 1870 ff. Artikel Archiv für Rechts- und Wirtschaftsphilosophie: mit besonderer Berücksichtigung der Gesetzgebungsfragen; Berlin/Leipzig 1907 ff. Amtliche Sammlung des Bundesrechts und Systematische Sammlung des Bundesrechts; Bern 1987 ff. Allgemeiner Teil bayerisch Bayerisches Oberstes Landesgericht Entscheidungen des Bayerischen Obersten Landesgerichts in Strafsachen; München 1949 ff. Bundesblatt der Schweiz; Bern 1848 ff. Band Bundesgesetzblatt; Köln/Bonn 1949 ff. (zit. nach Teil und Seite) Bundesgerichtshof BGH – Rechtsprechung Strafsachen; Köln u. a. 1951 ff. Entscheidungen des Bundesgerichtshof in Strafsachen; Köln u. a. 1950 ff.

Abkürzungsverzeichnis Blutalkohol

BMJ BR-Drs. BSG BSK BT BT-Drs. BVerfG bzw. CCB CCC CrimGB DAR ders. d.h. dies. Diss. DJ DJZ DR DRiZ

DSNS

DStrZ

dt. DVBl E E 1919

27

Blutalkohol: Alcohol, Drugs and Behaviour. Official published of the International Committee on Alcohol, Drugs and Traffic Safety; Lübeck 1961 ff. Bundesministerium der Justiz Drucksachen des Bundesrats; Bonn 1949 ff. Bundessozialgericht Basler Kommentar zum StGB Besonderer Teil Drucksachen des Deutschen Bundestags; Bonn 1949 ff. Bundesverfassungsgericht beziehungsweise Constitutio Criminalis Bambergensis von 1507 Constitutio criminalis Carolina von 1532 (auch: Peinliche Gerichtsordnung) Criminalgesetzbuch Deutsches Autorecht: DAR; Rechtszeitschrift des ADAC; München 1926 ff. derselbe das heißt dieselben Dissertation Deutsche Justiz, Rechtspflege und Rechtspolitik; amtliches Blatt der deutschen Rechtspflege; Berlin 1933 ff. Deutsche Juristen-Zeitung; München/Berlin 1896 ff. (zit. nach Jahr und Spalte) Deutsches Recht. Monatsschrift des Bundes N.-S. Deutscher Juristen; München 1931 ff. Deutsche Richterzeitung: Organ des Deutschen Richterbundes, Bund der Richter und Staatsanwälte in der Bundesrepublik Deutschland; Köln u. a. 1909 ff. Dencker, Friedrich/Struensee, Eberhard/Nelles, Ursula/Stein, Ulrich: Einführung in das 6. Strafrechtsreformgesetz 1998 – Examensrelevante Änderungen im Besonderen Teil des Strafrechts; München 1998 Deutsche Strafrechtszeitung: Zentralorgan für das gesamte Strafrecht, Strafprozeßrecht und die verwandten Gebiete in Wissenschaft und Praxis des In- und Auslandes; Berlin 1914 ff. (zit. nach Jahr und Spalte) deutsch Deutsches Verwaltungsblatt; Köln u. a. 1952 ff. Entwurf Entwurf von 1919, in: Entwürfe zu einem Deutschen Strafgesetzbuch – Zweiter Teil, veröffentlicht auf Anordnung des Reichs-Justizministeriums; Berlin 1920

28 E 1919 (Denkschrift) E 1922 E 1925 E 1927 E 1930 E 1960 E 1962 EBRV 1971 erg. f. ff. Fn. FS GA

GE 1911 GedS GS Hb. HRR Hs. i. d. F. i. e. S. IKV i. S. i. S. v. i. V. m. i. w. S. JA

Abkürzungsverzeichnis Denkschrift zum Entwurf von 1919, in: Entwürfe zu einem Deutschen Strafgesetzbuch Dritter Teil; veröffentlicht auf Anordnung des Reichs-Justizministeriums; Berlin 1920 Entwurf eines allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuches 1922 (Radbruch) Amtlicher Entwurf eines allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuchs nebst Begründung 1925 (Reichsratsvorlage) Entwurf eines allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuchs 1927 nebst Begründung und 2 Anlagen (Reichstagsvorlage) Entwurf eines allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuchs 1930 (Entwurf Kahl) Entwurf eines Strafgesetzbuches (StGB) E 1960 mit Begründung Entwurf eines Strafgesetzbuches (StGB) E 1962 mit Begründung Erläuternde Bemerkungen zur Regierungsvorlage zu einem Strafgesetzbuch 1971 (Österreich) ergänze folgende fortfolgende Fußnote Festschrift Archiv für Preußisches Strafrecht; Berlin 1853 ff.; ab 19. Band (1871) Archiv für Gemeines Deutsches und für Preußisches Strafrecht; ab 28. Band (1880) Archiv für Strafrecht; ab 47. Band (1900) Archiv für Strafrecht und Strafprozess; ab 1934 Deutsches Strafrecht (DStR); ab 1953 Goltdammer’s Archiv für Strafrecht; Hamburg 1953 ff. (zit. nach Band, Jahr und Seite; ab 1953 zit. nach Jahr und Seite) Gegenentwurf zum Vorentwurf eines deutschen Strafgesetzbuches 1911 Gedächtnisschrift Der Gerichtssaal. Zeitschrift für volksthümliches Recht; Erlangen 1849 ff. (zit. nach Band, Jahr und Seite) Halbband Höchstrichterliche Rechtsprechung; Berlin/Leipzig; 1927 ff. (zit. nach Jahr und Nummer) Halbsatz in der Fassung im enge(re)n Sinn Internationale Kriminalistische Vereinigung im Sinne im Sinne von in Verbindung mit im weite(re)n Sinn Juristische Arbeitsblätter

Abkürzungsverzeichnis JbfRE JbvRV

JR Jura JuS Justiz

JW JZ Kap. KE 1913 KG Kriminalistik LG LK LSG LZ MBO-Ä MDR MDR/H MedR MüKo m. w. N. m. z. N. NACR Ndschr. Nds.Rpfl. n. F. NJW NK NKP Nr.

29

Jahrbuch für Recht und Ethik (= Annual review of law and ethics); Berlin 1993 ff. Jahrbuch der internationalen Vereinigung für vergleichende Rechtswissenschaft und Volkswirtschaftslehre zu Berlin; Berlin u. a. 1895 ff. Juristische Rundschau (n. F.); Berlin 1947 ff. Juristische Ausbildung; Berlin u. a. 1979 ff. Juristische Schulung, Zeitschrift für Studium und praktische Ausbildung; München/Frankfurt am Main 1961 ff. Die Justiz: Monatsschrift für Erneuerung des deutschen Rechtswesens, zugleich Organ des Republikanischen Richterbundes; Berlin 1925 ff. Juristische Wochenschrift: Organ des Deutschen Anwaltvereins; Leipzig 1872 ff. Juristenzeitung; Tübingen 1951 ff. Kapitel Kommissionsentwurf: Entwurf der Strafrechtskommission (1913) Kammergericht Kriminalistik: unabhängige Zeitschrift für die gesamte kriminalistische Wissenschaft und Praxis; Heidelberg 1949 ff. Landgericht Leipziger Kommentar zum Strafgesetzbuch Landessozialgericht Leipziger Zeitschrift für deutsches Recht; München u. a. 1914 ff. (Muster-)Berufsordnung für die deutschen Ärztinnen und Ärzte – MBO-Ä 1997 (aktuelle Fassung; vgl. Quellenverzeichnis) Monatsschrift für Deutsches Recht; Köln/Hamburg 1947 ff. Rechtsprechung des BGH in MDR bei Holtz Medizinrecht; München/Frankfurt 1983 ff. Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch mit weiteren Nachweisen mit zahlreichen Nachweisen Neues Archiv des Criminalrechts; Halle 1816 ff. (zit. nach Band, Jahr und Seite) Niederschriften über die Sitzungen der Großen Strafrechtskommission; Bonn 1956 ff. Niedersächsische Rechtspflege; Celle 1947 ff. neue Fassung Neue Juristische Wochenschrift; München/Frankfurt am Main 1947 ff. Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch Neue Kriminalpolitik: Forum für Praxis, Politik und Wissenschaft; Baden-Baden 1989 ff. Nummer

30 NStZ NStZ-RR

NVwZ NZA NZV OGH OGH SSt.

ÖJZ OLG ÖRZ

öStGB ÖStR PflR Polizei

PrALR preuß. RefE

RG RGBl. RGR RGSt RG Warn B

Abkürzungsverzeichnis Neue Zeitschrift für Strafrecht; München/Frankfurt am Main 1981 ff. NStZ-Rechtsprechungsreport Strafrecht: Rechtsprechungsübersichten und neue Entscheidungen aus den Bereichen Strafrecht, Strafverfahrensrecht, Ordnungswidrigkeitenrecht, Steuerstrafrecht, Betäubungsmittelrecht; München/Frankfurt am Main 1996 ff. Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht; München/Frankfurt am Main 1982 ff. Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht; München/Frankfurt am Main 1992 ff. Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht; München/Frankfurt am Main 1988 ff. Oberster Gerichtshof (Österreich) Entscheidungen des österreichischen Obersten Gerichtshofes in Strafsachen und Disziplinarangelegenheiten. Veröffentlicht von seinen Mitgliedern unter Mitwirkung der Generalstaatsanwaltschaft; Wien 1921 ff. Österreichische Juristenzeitung; Wien 1946 ff. Oberlandesgericht Österreichische Richterzeitung: Organ der Richter und Staatsanwälte Österreichs/Vereinigung der Österreichischen Richter in Gemeinschaft mit der Bundessektion Richter und Staatsanwälte in der Gewerkschaft der Öffentlich Bediensteten; Wien 1908 ff. Österreichisches Strafgesetzbuch Österreichische Zeitschrift für Strafrecht; Wien 1910 ff. Pflegerecht, Zeitschrift für Rechtsfragen in der stationären und ambulanten Pflege; Neuwied 1997 ff. Die Polizei: Fachzeitschrift für die öffentliche Sicherheit mit Beiträgen aus der Deutschen Hochschule der Polizei; Köln u. a. 1904 ff. Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten preußisch Entwurf eines Sechsten Gesetzes zur Reform des Strafrechts (6. StrRG) des BMJ vom 15.07.1996 (Unveröffentlichter Referentenentwurf) Reichsgericht Reichsgesetzblatt; Berlin 1871 ff. (zit. nach Teil und Seite) Rechtsprechung des Deutschen Reichsgerichts in Strafsachen; München u. a. 1879 ff. Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen; Berlin/Leipzig 1879 ff. Warneyers Jahrbuch der Entscheidungen. B. Strafrecht und Strafprozeß; Leipzig 1906 ff. (zit. nach Band, Jahr und Seite)

Abkürzungsverzeichnis RiA Rn. Rspr. Preuß. OT RStGB S. sächs. schwStGB SchwZStR

SK sog. Sp. StÄG StGB StR StraFo StrRG StV Tb. u. a. u.Ä. ugs. usw. u. U. VD

VE VE 1909 vgl. Vorbem VRS wistra WK z. B.

31

Das Recht im Amt: Zeitschrift für den öffentlichen Dienst; Neuwied/Berlin 1954 ff. Randnummer Die Rechtsprechung des Königlichen Obertribunals in Strafsachen; Berlin 1861 ff. (zit. nach Band, Jahr und Seite) Reichsstrafgesetzbuch Satz oder Seite sächsisch Schweizerisches Strafgesetzbuch Zeitschrift für Schweizer Strafrecht. Schweizerisches Centralorgan für Strafrecht, Strafprozessrecht, Gerichtsorganisation, Strafvollzug, Kriminalpolizei, gerichtliche Medizin und Psychiatrie, Kriminalstatistik und Kriminalsoziologie (= Revue pénale suisse) (zit. nach Band, Jahr und Seite) Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch so genannte Spalte Strafrechtsänderungsgesetz Strafgesetzbuch Strafrecht Strafverteidiger-Forum; Bonn 1988 ff. Strafrechtsreformgesetz Strafverteidiger; Neuwied 1981 ff. Teilband unter anderem, und andere und Ähnliches umgangssprachlich und so weiter unter Umständen Vergleichende Darstellung des deutschen und ausländischen Strafrechts. Vorarbeiten zur deutschen Strafrechtsreform, herausgegeben auf Anregung des Reichs-Justizamtes von Birkmayer u. a., Berlin 1905 ff. Vorentwurf Vorentwurf zu einem Deutschen Strafgesetzbuch, 1909 vergleiche Vorbemerkung(en) Verkehrsrechts-Sammlung: Entscheidungen aus allen Gebieten des Verkehrsrechts; Berlin u. a. 1949 ff. Zeitschrift für Wirtschafts- und Steuerstrafrecht; Heidelberg 1982 ff. Wiener Kommentar zum Strafgesetzbuch zum Beispiel

32 ZfAR ZfGR

zit. ZRP ZStW

Abkürzungsverzeichnis Der Arzt und sein Recht: Zeitschrift für Arzt-, Kassenarzt- und Arzneimittelrecht; Frankfurt am Main 1988 ff. Zeitschrift für Gerichtspraxis und Rechtswissenschaft in Deutschland n. F. (zit. nach Band, Jahr und Seite); München 1872 ff. zitiert Zeitschrift für Rechtspolitik; München/Frankfurt am Main 1968 ff. Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft; Berlin u. a. 1881 ff. (zit. nach Band, Jahr und Seite)

1. Teil

Einleitung A. Einführung in Gegenstand und Problematik der Untersuchung Das Sechste Gesetz zur Reform des Strafrechts (6. StrRG) vom 26. Januar 19981 hat eine Vielzahl von Normen des Besonderen Teils des StGB reformiert, überarbeitet oder neu in das Gesetzbuch eingefügt. Betroffen von dieser Reform war auch der Tatbestand der Aussetzung – § 221 StGB –, der sprachlich neu gefasst und inhaltlich verändert wurde2. Der seit dem Inkrafttreten des RStGB am 1. Januar 1872 nahezu unverändert gebliebene Absatz 13 lautete bis zum 1. April 19984: Wer eine wegen jugendlichen Alters, Gebrechlichkeit oder Krankheit hilflose Person aussetzt, oder wer eine solche Person, wenn sie unter seiner Obhut steht oder wenn er für ihre Unterbringung, Fortschaffung oder Aufnahme zu sorgen hat, in hilfloser Lage verläßt, wird . . . bestraft.

Seit dem 6. StrRG hat § 221 Abs. 1 StGB folgende Fassung: Wer einen Menschen 1. in eine hilflose Lage versetzt oder 2. in einer hilflosen Lage im Stich läßt, obwohl er ihn in seiner Obhut hat oder ihm sonst beizustehen verpflichtet ist, und ihn dadurch der Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung aussetzt, wird . . . bestraft.

1

BGBl. I 1998, 164 ff. Küper, ZStW 111 [1999], 30 f.; SK-StGB7-Horn/Wolters [03/2002], § 221 Rn. 1; MüKo-StGB-Hardtung, § 221 Rn. 1; Sonnen, BT, S. 19; Hacker/Lautner, Jura 2006, 274; Rengier, BT II8, § 10 Rn. 1; Wessels/Hettinger, BT I31, Rn. 198. 3 Einzige Änderung der Aussetzungsnorm vor dem 6. StrRG war die Streichung des Wortes „leiblichen“ vor dem Tatbestandsmerkmal „Eltern“ in Absatz 2 durch das Adoptionsgesetz vom 02.07.1976 [BGBl. I, 1749]; vgl. Feloutzis, S. 92; Tröndle, StGB48, § 221 Rn. 1; LK-StGB11-Jähnke [07/1999], § 221 Entstehungsgeschichte vor Rn. 1; S. Heinrich, S. 161. 4 BGBl. I 1987, 1003. 2

34

1. Teil: Einleitung

Die Überarbeitung des Grundtatbestandes in § 221 Abs. 1 StGB und der Folgeabsätze erfolgte in starker Anlehnung an § 139 E 19625. Die „Wurzeln“ der Reform der Aussetzungsnorm sind jedoch viel älter; sie reichen bis zu den Reformbestrebungen vor dem 1. Weltkrieg und in der Weimarer Republik zurück6. Ein erster flüchtiger Blick auf den Grundtatbestand fördert – schon anhand des neuen Wortlautes – folgende Änderungen zu Tage7: Opfer kann seit 1998 jedermann sein, nicht mehr wie zuvor nur eine aus bestimmten Gründen8 hilflose Person. Aus der Tathandlung des „Aussetzens“ wurde ein „Versetzen“, aus der zweiten des „Verlassens“ ein „Imstichlassen“. War früher der Taterfolg der Aussetzung in dem Merkmal der „hilflosen Lage“ umschrieben9, findet man seit der Reform des Tatbestandes den Erfolg jetzt in der sog. „Gefährdungsklausel“ in § 221 Abs. 1 Hs. 2 StGB. Die hilflose Lage ist allerdings weiterhin als Tatbestandsmerkmal in der Norm enthalten: Für § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB beschreibt sie nach dem Wortlaut ein Resultat der Tathandlung, für § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB ist sie hingegen die Ausgangssituation der tatbestandlichen Verhaltensweise. Kurz nach dem Inkrafttreten des 6. StrRG setzte die Auseinandersetzung der Wissenschaft mit dem Tatbestand ein10. Lobende Worte sind kaum zu finden; es überwiegt deutlich die Kritik an der Neufassung11. Auffallend ist dabei die Zahl der massiven bis „vernichtenden“ Kritiken12: So ist die Rede 5 RefE, S. 63, 123; BT-Drs. 13/7164, S. 18, 34; 13/8587, S. 18, 34; DSNSStruensee, 2. Teil Rn. 7; Küper, ZStW 111 [1999], 40; LK-StGB11-Jähnke [07/ 1999], § 221 Entstehungsgeschichte vor Rn. 1; Kosloh, S. 43; SK-StGB7-Horn/ Wolters [03/2002], § 221 Rn. 1; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 19, § 4 Rn. 3; Lucks, S. 1; NK-StGB2-Neumann, § 221 Rn. 2; Lackner/Kühl, StGB26, § 221 Rn. 1; Wessels/Hettinger, BT I31, Rn. 198. 6 Hierzu im 3. Teil: B. I. 7 Eine vertiefte Darstellung der Änderungen erfolgt im 3. Teil: B. II. 3. 8 § 221 Abs. 1 StGB a. F. verlangte eine „wegen jugendlichen Alters, Gebrechlichkeit oder Krankheit hilflose Person“. 9 Dies war zur a. F. für beide Tathandlungen die mehrheitlich vertretene Ansicht und dieses Ergebnis wurde im Wege der Auslegung des Tatbestandes gewonnen; vgl. hierzu ausführlich im 4. Teil: D. II. 1. a). 10 Die Rechtsprechung hat sich bisher – wie schon vor der Reform – kaum mit dem Tatbestand befasst. 11 NK-StGB2-Neumann, § 221 Rn. 2; Sonnen, BT, S. 19. Die Problematisierung durch die „überkritische Wissenschaft“ bewertet Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 19, § 4 Rn. 4, als „übertrieben“. 12 Was an sich nichts Neues ist: Schon 1921 wurde der Reformentwurf der Aussetzung im E 1919 von Löffler, S. 148 f., als „eine juristische Mißgeburt, die man auf einer wüsten Insel aussetzen sollte“ sehr drastisch charakterisiert, und Küper, Jura 1994, 514, sprach schon von der alten Fassung als einem „traditionsreichen wie strukturell undurchsichtigen“ Delikt.

A. Einführung in Gegenstand und Problematik der Untersuchung

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von einer gesetzestechnisch „missglückte(n) Vorschrift“13, einer „gesetzgeberische(n) Fehlleistung“14, ja sogar von einem „schlimmen Mißgriff“15. Etwas gemäßigter erscheinen dagegen schon die Beurteilungen, der Gesetzgeber habe die Auswirkungen des 6. StrRG „offenbar selbst nicht immer überblickt“16, die Neuformulierung sei „weit über dieses Ziel hinausgegangen“17 bzw. die „wenig überzeugende Neufassung“ begründe „erhebliche Interpretationsschwierigkeiten“18, der Aussetzungstatbestand habe „weitgehend seine Konturen verloren“19 oder der Tatbestand bewirke „manche Ungereimtheiten“20. Trotz dieser teilweise harschen Kritik herrscht im Schrifttum hinsichtlich einer Bewertung Konsens: Der Anwendungsbereich der Aussetzungsnorm ist gegenüber dem alten Status vergrößert worden, es werden mehr Verhaltensweisen als bisher von § 221 Abs. 1 StGB als strafbar erfasst21. Wie kommt es zu diesen – doch ungewöhnlich deutlichen und scharfen – Stellungnahmen zur Neufassung der Aussetzung, eines Tatbestandes, der in der Praxis wenig bis keine Bedeutung hat, sich aber von jeher in der Wissenschaft einer gewissen Beliebtheit erfreut22? Bedauerlicherweise sind durch die Neuformulierung des Tatbestandes – wohl bedingt durch die Eile bei der Durchführung der Reform – neue Probleme entstanden23: War bei der alten Fassung des Tatbestandes insbesondere problematisch, ob die zweite Tathandlung auch die Fälle reiner Passivität sowie die sog. „unterlassene Rückkehr“ des Täters erfassen sollte24, und daneben die Frage umstritten, ob nur eine Lebensgefahr oder NK-StGB2-Neumann, § 221 Rn. 2. Kosloh, S. 60. 15 So DSNS-Struensee, 2. Teil Rn. 58; ähnlich Sonnen, BT, S. 19. Einen „schweren Mißgriff des modernen Gesetzgebers“ sieht Kosloh, S. 67, in der neuen Norm des § 221 StGB. Lucks, S. 229, und Schönke/Schröder-StGB27-Eser, § 221 Rn. 1, geht die Bewertung von Struensee allerdings zu weit. 16 Jäger, JuS 2000, 32. 17 Tröndle/Fischer, StGB54, § 221 Rn. 9. 18 Tröndle/Fischer, StGB52, § 221 Rn. 10; gestrichen seit Tröndle/Fischer, StGB53, § 221 Rn. 10. 19 Lucks, S. 229. 20 LK-StGB11-Jähnke [07/1999], § 221 Rn. 3. 21 Brodag, StR9, 9. Teil Rn. 69; NK-StGB2-Neumann, § 221 Rn. 2; Kindhäuser, LPK3, § 221 Rn. 1; Tröndle/Fischer, StGB54, § 221 Rn. 1; Wessels/Hettinger, BT I31, Rn. 198. 22 Siehe im 2. Teil, dort insbesondere die Nachweise in Fn. 1. 23 LK-StGB11-Jähnke [07/1999], § 221 Rn. 3; Sternberg-Lieben/Fisch, Jura 1999, 45; Jäger, JuS 2000, 31 f.; Lucks, S. 2, 3 f.; NK-StGB2-Neumann, § 221 Rn. 2; Sonnen, BT, S. 19; Rengier, BT II8, § 10 Rn. 2; in diese Richtung auch Kosloh, S. 54 f.; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 19, § 4 Rn. 4. 13 14

36

1. Teil: Einleitung

auch Gesundheitsgefahren der tatbestandsmäßige Erfolg sein können25, so hat der Gesetzgeber diese Probleme durch das 6. StrRG explizit geklärt und aufgelöst26. Nunmehr wird jedoch über den Inhalt der ersten Tathandlung diskutiert sowie deren Unterscheidung von der zweiten, über den Tatbestandstyp27 des § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB, über den Inhalt der hilflosen Lage und ganz besonders über das Verhältnis der hilflosen Lage zur Gefahr bzw. über die Frage, ob die Aussetzung zu einem allgemeinen Gefährdungsdelikt geworden ist. Darüber hinaus wird über die Lösung der Fälle sog. „Hochgebirgskriminalität“28 – gemeint ist etwa die Konstellation, dass ein Bergführer einen von ihm geführten Bergsteiger, der sich nicht selber aus der Situation befreien kann, im Gebirge zurücklässt – gestritten29. Eine obergerichtliche Stellungnahme zu diesen Fragen steht bis dato noch aus. Die wissenschaftliche Literatur vertritt hierzu sehr verschiedene, sich teilweise in Begründung und Ergebnis widersprechende Auffassungen. In Teilbereichen haben sich inzwischen allerdings „überwiegende“ oder „herrschende Ansichten“ herauskristallisiert30. Dieses Meinungsspektrum zu „durchleuchten“, Standpunkte zu vergleichen und auf Stimmigkeit und Widerspruchsfreiheit zu untersuchen, stellt den ersten Schwerpunkt dieser Arbeit dar. Der zweite – ausgehend von der eigenen Kritik an den bestehenden Auslegungskonzepten – ist dann der Versuch, ein in sich stimmiges und widerspruchsfreies Konzept zur Interpretation des Tatbestandes und seiner einzelnen Tatbestandsmerkmale zu erarbeiten. Im Mittelpunkt der Arbeit stehen dabei die Deutung des Merkmalkomplexes der hilflosen Lage sowie der Inhalt der beiden Tathandlungen einschließlich ihres gegenseitigen Verhältnisses. Im Verlauf der Arbeit wird sich zeigen, dass gerade diese Punkte entscheidend für das Verständnis und die Auslegung der neuformulierten Aussetzungsnorm sind. 24

Vgl. hierzu später im 4. Teil: C. I. 1. Zur dieser Thematik vgl. die Ausführungen im 4. Teil: F. IV. 26 Kritisch zu der „Lösung“ des Problems innerhalb der zweiten Tatvariante Kosloh, S. 48 f.; Lucks, S. 2, 193, weil der Gesetzgeber [RefE, S. 14; BT-Drs. 13/7164, S. 35; 13/8587, S. 34] davon spricht, das Imstichlassen bringe „deutlicher zum Ausdruck als das geltende Recht, daß diese Ausführungsart nicht nur durch räumliches Verlassen“ verwirklicht werden kann, aber keine „Verdeutlichung“ des Inhalts der zweiten Tathandlung gegeben ist, sondern dieser ein ganz neuer Inhalt beigelegt wird. 27 Zu diesem Begriff später ausführlich im 4. Teil: C. I. 3. in Fn. 160. 28 Diese Wortschöpfung stammt von Küper, ZStW 111 [1999], 32. 29 Hierzu später unter 4. Teil: E. II. 2. a). 30 So z. B. zur Reichweite der Tathandlungen und zum Deliktscharakter der zweiten Tathandlung; vgl. die Ausführungen in den entsprechenden Abschnitten. 25

B. Eingrenzung des Themas

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Bereits zur alten Fassung konnte man lesen: „Die charakteristischen Fälle, die das Gesetz meint, sind klar genug. Aber das Unsicherheitsfeld um den Kern des Tatbestandes ist ungewöhnlich groß und die Methode, sozialethisches Unrecht von gleichem Gewicht in den Tatbestand einzubeziehen, besonders gefährlich.“31

Diese Unsicherheit ist durch das 6. StrRG nicht behoben, sondern eher größer geworden. Die Arbeit möchte den Versuch unternehmen, einen Teil der Unklarheiten zu beseitigen.

B. Eingrenzung des Themas Den Schwerpunkt der Arbeit bildet § 221 Abs. 1 StGB, der Grundtatbestand der Aussetzung. Allerdings sind für die in der Einführung aufgeworfenen Fragen nicht alle Tatbestandsmerkmale von gleich großem Interesse. So wird z. B. der Begriff der „schweren Gesundheitsschädigung“ keiner vertiefenden Betrachtung unterzogen, da er – wie sich im Folgenden zeigen wird – für die Lösung der problematischen Fragen kaum eine Rolle spielt32. Auch der Begriff der Gefahr bedarf keiner kompletten Darstellung, Auswertung und Würdigung; eine Arbeit, die sich nicht ausschließlich mit der Gefahr befasst, kann Derartiges naturgemäß nicht leisten33. Mit dem Grundtatbestand und seiner Bewertung sind diverse Fragen des Allgemeinen Teils des StGB eng verknüpft, insbesondere die Abgrenzung des Tuns vom Unterlassen, die Kausalität beim Unterlassungsdelikt und die Abgrenzung des echten vom unechten Unterlassungsdelikt. Da diese Fragen aber schon jede für sich eine monographische Untersuchung erfordern würden, kann diese Abhandlung ihre vollständige Aufarbeitung nicht leisten; vielmehr muss sie sich auf Grundzüge beschränken sowie auf Aspekte, die für die Lösung der Fragen dieser Arbeit wesentlich sind. Außerdem ergibt sich aus der Ausrichtung der Arbeit auf den Grundtatbestand, dass die tatbestandlichen Abwandlungen nur insoweit einbezogen werden, als sie für die Lösung der aufgeworfenen Fragen von Interesse sind.

31

Dreher, JZ 1966, 579. Neben den Kommentaren und Lehrbüchern befasst sich die Arbeit von Windhorst ausschließlich mit dem Begriff der schweren Gesundheitsschädigung im StGB. Auf diese sei daher verwiesen. 33 Zum Begriff der Gefahr vgl. nur die umfangreichen Literaturangaben bei Zieschang, S. 394 ff.; Küper, BT6, S. 149 f.; MüKo-StGB-Barnickel, § 315 [Literaturnachweise zur Gefahr]; Roxin, AT I4, § 11 Vor Rn. 146. 32

2. Teil

Bedeutung der Aussetzungsnorm in Praxis und Wissenschaft Die Bedeutung der Aussetzung in der täglichen Praxis der Rechtsprechung ist sehr gering1. Seit dem Inkrafttreten des 6. StrRG sind gerade einmal fünf veröffentlichte Entscheidungen bekannt geworden2, die sich – in unterschiedlichem Umfang – mit der Aussetzung und der Auslegung ihrer Tatbestandsmerkmale befassen3. Dies mag überraschen, insbesondere wenn man sich die Tatsache vor Augen führt, dass der Gesetzgeber im 6. StrRG mit Hinweis auf das Bedürfnis des Schutzes – auch – erwachsener und gesunder Menschen den Tatbestand neugefasst und erweitert hat4, und dementsprechend etliche Autoren dieses Argument aufgreifen und daraus eine weite Auslegung des Tatbestandes herleiten. Insoweit hätten vermutlich nicht wenige der Entscheidungen zur unterlassenen Hilfeleistung5 oder zur fahrlässigen Tötung6 Anlass geben können oder sogar müssen, sich auch zum Tatbestand der Aussetzung zu äußern.

1 Arzt/Weber, BT LH 2, Rn. 405; dies. BT, § 36 Rn. 3; Hohmann/Sander, BT II, § 5 Rn. 1; SK-StGB7-Horn/Wolters [03/2002], § 221 Rn. 1; S. Heinrich, S. 193; MüKo-StGB-Hardtung, § 221 Rn. 3; Pfleiderer/Schubert, MedR 2005, 594; Schönke/Schröder-StGB27-Eser, § 221 Rn. 1; anders aber Küper, ZStW 111 [1999], 30, der die Aussetzung als „praktisch bedeutsam“ bezeichnet. Nach Kosloh, S. 62, 69 f., besteht für den Tatbestand überhaupt kein praktisches Bedürfnis mehr. Zweifel daran, ob sich an der praktischen Bedeutung etwas durch die Neufassung ändern wird, äußert Lucks, S. 229. Vgl. zu der Thematik auch die Auflistung der Entscheidungen der Rechtsprechung im Anhang S. 501 ff. 2 BGHSt 44, 196; BGH NStZ 2002, 432; Polizei 2004, 53; LG Zweibrücken DAR 2000, 226; LG Kiel NStZ 2004, 157. Von den unveröffentlichten Entscheidungen konnten folgende ermittelt werden: BGH, Urteil vom 24.08.1999 – 5 StR 81/99; und Urteil vom 03.03.2000 – 2 StR 388/99, sowie LG Offenburg, Urteil vom 12.07.2002 – 1 Ks 10 Js 3709/00. 3 Interessanterweise war allerdings die Aussetzung früher deutlich häufiger Anlass von gerichtlichen Entscheidungen. Sie stand zur Entscheidung von 1945–1997 in 25 Urteilen, von 1932–1945 in 11 Urteilen, von 1918–1932 in sieben Urteilen und vor 1918 in 24 Urteilen. 4 Vgl. BT-Drs. 13/8587, S. 34. Mit dieser Begründung stellt der Gesetzgeber dann auch implizit klar, dass er ein Bedürfnis für den Tatbestand in der Praxis sieht.

2. Teil: Bedeutung der Aussetzungsnorm in Praxis und Wissenschaft

39

Die wissenschaftliche Literatur geht allerdings davon aus, dass der Tatbestand der Aussetzung in der Praxis in erster Linie als Auffangtatbestand bei Beweisschwierigkeiten oder bei Nichtnachweisbarkeit des (Tötungs-) Vorsatzes dient, insbesondere im Bereich des Verkehrsstrafrechts7. Hinsichtlich der statistischen Erfassung ist festzuhalten, dass die Aussetzung in der Polizeilichen Kriminalstatistik mangels Relevanz gar nicht separat aufgeführt wird; in der Strafverfolgungsstatistik hingegen wird sie er5 Die Zahlen in der Strafverfolgungsstatistik zu § 323c StGB seit 1998 sind deutlich höher als die des § 221 StGB [zur Statistik des § 221 StGB vgl. sogleich im Text]:

Jahr 2006 2005 2004 2003 2002 2001 2000 1999 1998

Abgeurteilte 199 209 208 165 150 192 167 174 174

Verurteilte 111 117 107 81 78 89 76 103 89

Quelle wie 2. Teil: Fn. 10. 6 Mit Blick auf § 221 Abs. 3 StGB hätten sich auch bei Entscheidungen zu § 222 StGB gegebenenfalls Ausführungen aufgedrängt. Die Strafverfolgungsstatistik weist folgende Zahlen für § 222 StGB [fahrlässige Tötung außer im Straßenverkehr] seit 1998 aus: Jahr 2006 2005 2004 2003 2002 2001 2000 1999 1998

Abgeurteilte 554 553 451 371 409 382 350 347 347

Verurteilte 296 349 274 209 254 223 189 179 152

Quelle wie 2. Teil: Fn. 10. 7 Eser, StR III2, Fall 10 Anm. 1; Arzt/Weber, BT LH 2, Rn. 405; dies., BT, § 35 Rn. 21, § 36 Rn. 3; Feloutzis, S. 31; U. Weber, ZStW Beiheft 1987, 5. So auch für den Bereich des Pflegerechts, Sträßner, PflR 2002, 99. In diese Richtung auch Kosloh, S. 62. BGH NJW 1999, 69 [72] bestätigt diese Einschätzung durchaus.

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2. Teil: Bedeutung der Aussetzungsnorm in Praxis und Wissenschaft

fasst8. Allerdings sind die Zahlen der Ab-/Verurteilungen nach § 221 StGB sehr gering9, wie man der folgenden Tabelle10 entnehmen kann11: Jahr 2006 2005 2004 2003 2002 2001 2000 1999 1998 1997 1996 1995 1994 1993 1992 1991 1990 1989 1988 1987 1986 1985 1984 1983 1982 1981 1980 1979 1978 1977 1976 1975 1974 1973 1972 1971 1970

Abgeurteilte12 14 30 18 20 25 19 10 12 23 31 12 17 22 28 30 27 23 29 24 32 17 32 18 31 34 29 32 34 40 35 26 29 22 24 24 29 35

Verurteilte 12 20 12 14 15 10 7 7 18 22 4 10 12 19 21 16 12 21 18 20 7 14 11 21 17 15 22 21 22 19 17 13 14 13 15 22 25

2. Teil: Bedeutung der Aussetzungsnorm in Praxis und Wissenschaft

41

Eine Auseinandersetzung mit der kriminalpolitischen Notwendigkeit der Norm, die von den Autoren des AE sogar als entbehrlich angesehen und aus dem StGB gestrichen worden war13, fand 1998 nicht statt14. Trotz der Erweiterung des Tatbestandes durch das 6. StrRG sind die Zahlen nicht angestiegen, was man hätte erwarten können15. Folge dieser geringen praktischen Relevanz war – bereits in der Vergangenheit – mehrfach die Forderung nach Streichung des Paragraphen16. Anders in der Wissenschaft: Hier bewirkt das Delikt nicht erst seit seinen Änderungen durch das 6. StrRG ein deutlich größeres Interesse17. So war – insbesondere in den Jahren von 1900 bis 1933 – die Aussetzung Thema

8

MüKo-StGB-Hardtung, § 221 Rn. 3. Arzt/Weber, BT, § 36 Rn. 3; MüKo-StGB-Hardtung, § 221 Rn. 3. Insoweit ist die – berechtigte – Frage, ob es einer Erweiterung des Tatbestandes überhaupt bedurft hat. Allerdings ist dies eine rein kriminalpolitische Frage, die zu entscheiden Sache des Gesetzgebers ist. 10 Quelle sind die Strafverfolgungsstatistiken [Rechtspflege – Strafverfolgung; Fachserie 10/Reihe 3; herausgegeben vom Statistischen Bundesamt Wiesbaden] der jeweiligen Jahrgänge. Aufgeführt sind in der Strafverfolgungsstatistik seit 1995 die Bundesländer des früheren Bundesgebietes sowie Gesamt-Berlin; bis 1994 [inkl.] die Bundesländer des früheren Bundesgebietes inkl. West-Berlin. Eine Gesamtstatistik aller Bundesländer besteht nicht; vgl. Strafverfolgungsstatistik 2005 S. 10; Eisenberg, Kriminologie6, § 17 Rn. 35 Fn. 18. 11 Da nicht alle diese Urteile veröffentlicht wurden, kann leider nicht ermittelt werden, wie hoch die Zahl der „Altfälle“ [d.h. Verurteilungen nach § 221 StGB a. F.] nach 1998 war und wie viele Lebenssachverhalte von den Gerichten unter § 221 StGB n. F. subsumiert wurden. 12 Zu dem Inhalt der Begriffe „Abgeurteilte“ und „Verurteilte“ siehe Strafverfolgungsstatistik 2005 S. 13, 15, sowie Göppinger, Kriminologie5, S. 473, und Eisenberg, Kriminologie6, § 17 Rn. 36. 13 Vgl. hierzu 3. Teil: B. II. 2. 14 Laue, S. 16. Die Existenzberechtigung des Tatbestandes ausdrücklich verneinend; Kosloh, S. 62, 69 f. 15 MüKo-StGB-Hardtung, § 221 Rn. 3, noch abwartend hinsichtlich einer abschließenden Bewertung der Entwicklung der Aussetzung; Lucks, S. 229. Eher im Gegenteil: Vergleicht man die Zahlen der Abgeurteilten und Verurteilten seit 1998 mit denen vom Beginn der 90er Jahre oder aus den 80er und 70er Jahren, fällt eher auf, dass die Zahlen gesunken sind: Ob dies mit einer erhöhten Einstellungspraxis der Staatsanwaltschaften, einer durch die Änderung des Delikts bedingten „Anwendungsunsicherheit“ der Gerichte oder dem wirklichen Rückgang der Begehung des Delikts zu tun hat, kann mangels Vorliegen brauchbaren Zahlenmaterials – leider – nicht beurteilt werden. 16 Zuletzt Kosloh, S. 70, ähnlich schon vor dem 6. StrRG Prestel, S. 32; Arzt/ Weber, BT LH 2, Rn. 405. 17 Prestel, S. 34; Arzt/Weber, BT, § 35 Rn. 1, § 36 Rn. 3; SK-StGB7-Horn/Wolters [03/2002], § 221 Rn. 1; Hacker/Lautner, Jura 2006, 274. 9

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2. Teil: Bedeutung der Aussetzungsnorm in Praxis und Wissenschaft

zahlreicher wissenschaftlicher Abhandlungen18, was sich wohl damit erklären lässt, dass der Tatbestand – im Rahmen zahlreicher Reformentwürfe dieser Zeit – als reformbedürftig angesehen wurde19. Aber auch seit dem 6. StrRG bekam die Aussetzung wieder verstärkt die Aufmerksamkeit der Literatur20, weshalb das Fazit zur Bedeutung der Aussetzung lautet: praktisch nahezu keine Bedeutung, für die Wissenschaft jedoch von durchaus hohem Interesse21.

18 Alleine die Zahl der Dissertationen, die sich ausdrücklich oder im Zusammenhang mit der Frage der Zulässigkeit eines allgemeinen Gefährdungsdelikts mit dem Tatbestand der Aussetzung befassten, ist außergewöhnlich hoch [vgl. – in der Abfolge des Erscheinens – die Arbeiten von Platz, H. Schmidt, Ziehm, Henning, H. Weber, Fenner, Lifschitz, Warmuth, Dieterich, Zerling, Hasenberg, Albrecht, Nejmark, Itin, Redlich, Usinger, Scheffer, Marfels, Sudhoff, Teufel, Gottschalk, Sörgel, Appel, Prestel, Heilbrunn, J. Meier, Urban und von Ruepprecht im Literaturverzeichnis]. 19 Ausführlichere Darstellung der einzelnen Reformvorhaben, auf die die heutige Fassung der Aussetzung zurückgeht, unter 3. Teil: B. 20 Neben den z. T. recht umfangreichen Ausführungen in den einschlägigen Kommentaren und Lehrbüchern haben sich folgende Abhandlungen [in der Reihenfolge des Erscheinens] ausführlicher mit der Aussetzung befasst: Schlüchter-Nolte, § 221 Rn. 1 ff.; DSNS-Struensee, 2. Teil Rn. 7 ff.; Küper, ZStW 111 [1999], 30 ff.; Sternberg-Lieben/Fisch, Jura 1999, 45 ff.; Jäger, JuS 2000, 31 ff.; Ebel, NStZ 2002, 404 ff.; Sträßner, PflR 2002, 95 ff. Hacker/Lautner, Jura 2006, 274 ff., sowie die Dissertationen von Kosloh, Laue, Lucks und S. Heinrich. 21 Arzt/Weber, BT, § 35 Rn. 1, § 36 Rn. 3; Hohmann/Sander, BT II, § 5 Rn. 1; ähnlich zur a. F. Prestel, S. 34; a. A. Küper, ZStW 111 [1999], 30.

3. Teil

Historischer Überblick zur Entwicklung des Aussetzungstatbestandes bis zur heutigen Fassung Die heutige Fassung des Aussetzungstatbestandes ist aus zwei unterschiedlichen Quellen entstanden: einerseits aus der bereits bestehenden und seit 1871 nahezu unveränderten Gesetzesfassung des § 221 RStGB bzw. StGB1, andererseits aus den Bemühungen um eine Reform des StGB, die von Beginn des 20. Jahrhunderts bis in dessen 60er Jahre stattgefunden haben. Diese im Folgenden dargestellten Reformvorschläge, -diskussionen und -ansätze führten trotz ihrer Vielzahl im Ergebnis nicht dazu, dass der Aussetzungstatbestand geändert wurde.

A. Die gesetzlichen Fassungen des Tatbestandes der Aussetzung2 I. Gesetzliche Fassungen bis zum RStGB von 1871 Die Geschichte der Aussetzung als normierter Tatbestand ist relativ kurz; man kann daher auch von einem noch „jungen Tatbestand“3 sprechen. 1. Alte Wurzeln der Aussetzung: Corpus Iuris Canonici von 1136 und Art. 132 CCC von 1532 Dem römischen Recht sowie dem Recht des frühen Mittelalters war das Delikt der Aussetzung unbekannt und die Begehung einer entsprechenden Tat nicht mit Strafe bedroht, weil die Aussetzung von Kindern ein Recht 1 Im Wesentlichen blieb der Tatbestand von 1871 bis 1998 unverändert. Zur einzigen Änderung des Abs. 2 a. F. vgl. oben im 1. Teil: B. in Fn. 3. 2 Sämtliche im Folgenden in der Arbeit zitierten, historisch normierten oder geplanten Aussetzungsnormen sowie die ausländischen Normen aus Österreich und der Schweiz sind in dem für die Arbeit relevantem Umfang im Anhang ab S. 536 ff. zu finden. 3 So Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 19, § 4 Rn. 3; ähnlich: Dreher, JZ 1966, 579; anders Küper, ZStW 111 [1999], 30 [„traditionsreicher Tatbestand“], und S. Heinrich, S. 2 [„uralter Tatbestand“].

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3. Teil: Historischer Überblick

des Vaters darstellte4. Dies änderte sich allerdings unter dem Einfluss des kanonischen Rechts und man begann die Aussetzung von Kindern durch den Vater zu bestrafen, da die Zahl der Taten immer größer wurde5. Jedoch sahen die ersten Normierungen die „Aussetzung“ nicht als eigenen Tatbestand an, sondern ordneten die Tat den Delikten der Kindestötung, Tötung oder Körperverletzung zu, d.h. die Tat war nur bei Eintritt einer Verletzung strafbar6. Den ersten Schritt hin zu einem eigenständigen Delikt enthält der Corpus Iuris Canonici von 1136 unter der Überschrift „de infantibus et languidis expositis“7. Die dort vorhandene Norm verband allerdings mit dem Verlust der „patria potestas“ keine Kriminalstrafe, sondern war eine Regelung der zivilrechtlichen Stellung der Kinder; hier findet sich aber erstmals eine von einer eingetretenen Verletzung unabhängige, eigenständige Normierung der Aussetzung8. Neue Wege wurden dann durch Art. 132 CCC9 beschritten10. Dieser Artikel normierte die Aussetzung als eigenständiges Delikt11 und sah – eine 4 Spangenberg, NACR 3 [1819], 10 ff.; Jarcke, S. 379; Temme, StR, S. 814; von Holtzendorff, Handbuch III, S. 463 f.; H. Meyer, S. 384; Ziehm, S. 10; H. Weber, S. 9; Fenner, S. 11 f.; Dieterich, S. 12; Zerling, S. 2, 4; Albrecht, S. 12 f.; Redlich, S. 1 ff.; von Liszt/Schmidt, StR24, S. 330; Teufel, S. 9; Maurach, BT4, S. 46; Feloutzis, S. 83 f. Ausführlichst zu verschiedenen germanischen, gotischen und römischen Gesetzbüchern Spangenberg, NACR 3 [1819], 7 ff., und Platz, S. 7 ff. 5 Spangenberg, NACR 3 [1819], 13; Jarcke, S. 380; von Holtzendorff, Handbuch III, S. 464; Ziehm, S. 11; H. Weber, S. 10; Zerling, S. 3, 5; Albrecht, S. 13; Redlich, S. 3; von Liszt/Schmidt, StR24, S. 330; Teufel, S. 10; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 19, § 4 Rn. 3. 6 Schwarze, GS 24 [1872], 52; Binding, Lehrbuch BT I2, S. 61; H. Weber, S. 11; Fenner, S. 11 f.; Warmuth, S. 11; Dieterich, S. 11; Zerling, S. 4; Albrecht, S. 11; Redlich, S. 4 f.; Heilbrunn, S. 23; Laue, S. 5. Im Übrigen war auch die Verletzung der Alimentationspflicht unter Strafe gestellt; vgl. S. Heinrich, S. 23. 7 CIC, S. 32; Laue, S. 5; Fenner, S. 13; Redlich, S. 6; Nejmark, S. 32; Feloutzis, S. 85; Urban, S. 11; Temme, StR, S. 814 Fn. 2. Allgemein zum CIC: Eisenhardt, Rechtsgeschichte4, Rn. 134 ff. 8 Nejmark, S. 33; Urban, S. 11; Feloutzis, S. 85; Laue, S. 5; zweifelnd S. Heinrich, S. 26. 9 CCC, S. 69. Allgemein zur CCC Eisenhardt, Rechtsgeschichte4, Rn. 353 ff.; Rüping/Jerouschek, Strafrechtsgeschichte5, Rn. 94 f. Ein ähnliches, aber textlich und inhaltlich leicht abweichendes Delikt war auch in Art. 157 CCB zu finden; hierzu Feloutzis, S. 86; ausführlich auch S. Heinrich, S. 28 ff. Den genauen Wortlaut des Art. 157 CCB findet man bei Sudhoff, S. 72. 10 Ziehm, S. 4; Dieterich, S. 12; Zerling, S. 6 f.; Nejmark, S. 41; Redlich, S. 6 f.; Teufel, S. 10; Prestel, S. 10 f.; Urban, S. 12; S. Heinrich, S. 28 ff., 42 f. 11 Platz, S. 47; Ziehm, S. 11; Fenner, S. 14; Warmuth, S. 16; Dieterich, S. 12; Nejmark, S. 41; Redlich, S. 6; von Liszt/Schmidt, StR24, S. 330; Feloutzis, S. 86; S. Heinrich, S. 29, geht davon aus, dass „Beide Gesetze schon all diejenigen Elemente,

A. Die gesetzlichen Fassungen des Tatbestandes der Aussetzung

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wesentliche Änderung im Vergleich zu den bisherigen „Tatbeständen“ – die Mutter als Täterin an, nicht mehr den Vater12. Außerdem änderte sich der Kreis der möglichen Opfer: Nach der CCC waren jedenfalls Kinder13, nach einer weitergehenden Ansicht sogar auch sonstige hilfsbedürftige Personen14, taugliche Tatobjekte. Daneben taucht hier auch deutlich die Absicht der Verletzung der Fürsorgepflicht als Tatbestandsmerkmal auf15. Ob dieser Tatbestand bereits eine Gefährdung als Voraussetzung der Strafbarkeit erforderte, ist hingegen umstritten16. Entscheidendes Tatbestandsmerkmal für die Strafbarkeit der Tat war also seit Art. 132 CCC – auch in den zahlreichen Gesetzbüchern, auf deren Entwicklung die CCC Einfluss hatte17 – nicht primär die Gefährdung von Leib oder Leben des Opfers, sondern die Absicht, dem Opfer die Fürsorge zu entziehen. Hierin wurde damals der Schutzzweck der Aussetzung gesehen18. die aus heutiger Sicht einen Straftatbestand ausmachen“ enthalten. Nach Urban, S. 11 f., war das Baseler Recht von 1426 das erste Gesetz, das eine peinliche Strafe für das Delikt der Aussetzung vorsah. 12 Jarcke, S. 381; Temme, StR, S. 814; H. Meyer, S. 385; Platz, S. 47; Ziehm, S. 12; H. Weber, S. 11; Warmuth, S. 14, 16; Dieterich, S. 12; Zerling, S. 6; Redlich, S. 6; von Liszt/Schmidt, StR24, S. 330; Teufel, S. 11; Urban, S. 12 f.; Feloutzis, S. 86; Laue, S. 7; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 19, § 4 Rn. 3; S. Heinrich, S. 30; enger: nur die uneheliche Mutter: von Holtzendorff, Handbuch III, S. 464; Fenner, S. 14; Albrecht, S. 14. 13 Temme, StR, S. 814; H. Meyer, S. 385; Ziehm, S. 11; Warmuth, S. 14; Nejmark, S. 42; Redlich, S. 6; Teufel, S. 11; Simson/Geerds, S. 205; Feloutzis, S. 86; Küper, ZStW 111 [1999], 33; Lucks, S. 46; a. A. S. Heinrich, S. 32 [nur Kleinkinder]. 14 Hälschner, Strafrecht, S. 76; H. Weber, S. 12; Albrecht, S. 16. Nach Jarcke, S. 381, und Temme, StR, S. 814, geschah dies im Wege einer Analogie. 15 Hälschner, Strafrecht, S. 76 f.; Ziehm, S. 12; H. Weber, S. 11; Fenner, S. 14; Warmuth, S. 13 f.; Dieterich, S. 12; Zerling, S. 6; Albrecht, S. 14; Nejmark, S. 43; Teufel, S. 11; Heilbrunn, S. 23; Simson/Geerds, S. 205; Feloutzis, S. 86; S. Heinrich, S. 33. 16 Diese bejahen: Warmuth, S. 14; Dieterich, S. 7, 12 f.; Albrecht, S. 14 f.; Heilbrunn, S. 23; Simson/Geerds, S. 205; in diese Richtung tendierend auch Wilhelmi, S. 8 f.; dagegen die Gefährdungsabsicht ablehnend Hälschner, Strafrecht, S. 76; Ziehm, S. 12; Nejmark, S. 42 f.; Teufel, S. 11; Urban, S. 13; in diese Richtung auch Zerling, S. 7; offen gelassen von: Redlich, S. 7, Feloutzis, S. 86, und Laue, S. 7. Nach S. Heinrich, S. 39, war in der CCB eine Gefährdung erforderlich; in der CCC hingegen zweifelt sie an dem Erfordernis der Gefährdung, dies., S. 40. 17 Temme, StR, S. 814; H. Schmidt, S. 9 f.; Fenner, S. 13 f.; Lifschitz, S. 46; Zerling, S. 8; Nejmark, S. 43; Redlich, S. 8; Marfels, S. 39; S. Heinrich, S. 42 f. [Aufzählung dort in Fn. 143]. Eine Aufstellung einer Vielzahl von betroffenen Partikulargesetzen findet sich bei Radbruch, VD BT V, S. 187 Fn. 4. 18 Zum Ganzen: Hälschner, Strafrecht, S. 76 f.; Binding, Lehrbuch BT I2, S. 61; H. Schmidt, S. 33; Ziehm, S. 10, 12; H. Weber, S. 11; Fenner, S. 14; Warmuth,

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3. Teil: Historischer Überblick

2. Teil II Titel 20 §§ 969–971 PrALR von 1794 Entgegen Art. 132 CCC beschränkte dann aber die Norm in Teil II Titel 20 §§ 969–971 PrALR von 179419 die Reichweite des Tatbestandes auf Täterseite: Täter konnte nur die Mutter sein, und zwar nur die eines unehelichen, neugeborenen Kindes20. In der Entwicklungsgeschichte der Aussetzung ist daher das PrALR im Vergleich zur CCC als „doppelter Rückschritt“ anzusehen21, weil schon in der CCC jede Mutter Täterin sein konnte und der Opferkreis über die Gruppe der unehelichen Kinder hinaus alle Kinder oder – nach einigen Stimmen – sogar alle hilfsbedürftigen Personen erfasste22. Dass diese Einschätzung auch von staatlicher Seite geteilt und das Gesetz als lückenhaft empfunden wurde, wird im Übrigen dadurch bestätigt, dass man durch das Ministerialreskript vom 18.04.1796 die Lücken zu beheben suchte23: Dort wurde darauf hingewiesen, dass, wenn die (engen) Voraussetzungen der Aussetzung nicht vorlagen, die Tatbestände Betrug, Tötung oder fahrlässige Gesundheitsschädigung greifen konnten24. S. 13; Dieterich, S. 12; Zerling, S. 8; Albrecht, S. 15; Nejmark, S. 43; Redlich, S. 4; Marfels, S. 38; Heilbrunn, S. 23; Maurach, BT4, S. 46; Simson/Geerds, S. 205; Laue, S. 7; so für die CCC auch S. Heinrich, S. 41. 19 PrALR, S. 705. Allgemein zum PrALR: Eisenhardt, Rechtsgeschichte4, Rn. 293 ff.; Rüping/Jerouschek, Strafrechtsgeschichte5, Rn. 198. 20 Jarcke, S. 382; Beseler, S. 361; Temme, StR, S. 814; Schwarze, GS 24 [1872], 52; Ziehm, S. 13; Warmuth, S. 17; Zerling, S. 9; Albrecht, S. 16; Redlich, S. 10; Usinger, S. 2; Teufel, S. 11. So auch zu finden in Goltdammer, Materialien II, S. 391. S. Heinrich, S. 46, spricht allgemein von Neugeborenen; Maurach/ Schroeder/Maiwald, BT 19, § 4 Rn. 3 sogar nur von der Mutter, ohne den Kreis der „Opferkinder“ genauer zu beschreiben; kritisch, den Opferkreis aber offenlassend Spangenberg, NACR 3 [1819], 363. 21 Ziehm, S. 13; H. Weber, S. 13; Fenner, S. 16; Lifschitz, S. 56; Warmuth, S. 17; Dieterich, S. 14; Zerling, S. 9; Redlich, S. 10; Teufel, S. 11; Urban, S. 15, sowie in Goltdammer, Materialien II, S. 391; so auch als Ansicht der Literatur zu finden bei S. Heinrich, S. 43, 49, die aber selber den Tatbestand durchaus als fortschrittlich bewertet [S. Heinrich, S. 52]. 22 Fundstellen vgl. 3. Teil: A. I. 1. Fn. 13 und 14. 23 Das Reskript findet man im Anschluss an § 971 PrALR bei PrALR [Rescript], S. 559 f., sowie bei Jarcke, S. 386 Fn. 25. Hierzu auch: H. Weber, S. 13; Zerling, S. 10; Albrecht, S. 16; Usinger, S. 2; Teufel, S. 11; Urban, S. 15; S. Heinrich, S. 47 f. Nach Spangenberg, NACR 3 [1819], 363 f., betraf das Ministerialreskript nur die Strafbarkeit gegenüber neugeborenen Kindern. 24 Ziehm, S. 13; H. Weber, S. 13; Zerling, S. 10; Usinger, S. 2. Fenner, S. 16, bezeichnet diese „Strafbarkeitskonstruktionen“ als „fragwürdig“. Redlich, S. 11 f., spricht davon, „dass man durch einen Kunstgriff die Aussetzung durch die Mutter als Entziehung der Fürsorgepflicht ansah und unter den Begriff des Betruges subsumierte“.

A. Die gesetzlichen Fassungen des Tatbestandes der Aussetzung

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3. Art. 174–177, 370 bayer. StGB 1813 Das stark von Feuerbach geprägte StGB für das Königreich Bayern von 1813 erweiterte den Tatbestand auf Täter- und Opferseite25. Diese Normen im bayer. StGB stellen in mehrfacher Hinsicht eine Besonderheit dar und waren ein grundlegender Schritt in Richtung auf die spätere Gesetzesfassung des § 221 RStGB26. Erstmals taucht für die Art. 174 ff., 370 in der Überschrift die Bezeichnung „Aussetzen“ bzw. „Aussetzung“ auf27. Bis zu diesem Zeitpunkt lief der Tatbestand in den Gesetzbüchern zumeist unter der Überschrift „Weglegung“ oder „Abkommen“28. Dieser Titel passte aber nur auf Kinder, die nicht gehen konnten, und war daher für das bayer. StGB 1813, das den Tatbestand auf Seiten der Opfer auch auf erwachsene Kranke und Gebrechliche erweitert hatte, nicht mehr geeignet29. Außerdem erweiterte das bayer. StGB den Kreis der Täter über Eltern hinaus auf Obhutspflichtige30. Diese Erweiterungen des bayer. StGB 1813 haben zahlreiche Partikulargesetze hinsichtlich der Tatsubjekte, der Tatobjekte und der Normbezeichnung 25

Radbruch, E 1922, Bemerkungen, S. 46; S. Heinrich, S. 64; T. Busch, S. 29; Roxin, AT I4, § 4 Rn. 1, sowie Küper, Jura 1994, 514, der darauf hinweist, dass Art. 174 bayer. StGB 1813 keinen Tatbestand im heutigen Sinne enthielt. Allgemein zur Gestaltung der Normen im bayer. StGB 1813: Küper, Seelenleben, S. 72 Fn. 161, S. 91 ff. 26 Feloutzis, S. 88; Küper, Seelenleben, S. 87 [„eine ‚moderne‘ Konzeption“]; ders., Jura 1994, 514 [„ersten ‚modernen‘ Vorläufer“]; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 19, § 4 Rn. 3 [„Den ersten entschlossenen Schritt . . . geht das bayer. StGB 1813 . . .“]. 27 Bayer. StGB 1813, S. 71 f. [zu Art. 174–177], 144 [zu Art. 370]. 28 Lifschitz, S. 57; Warmuth, S. 17; Dieterich, S. 13 f.; Albrecht, S. 17; Usinger, S. 2; Marfels, S. 39 Fn. 7; Sudhoff, S. 3; Feloutzis, S. 89; Laue, S. 8; Lucks, S. 47 f.; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 19, § 4 Rn. 3; so auch S. Heinrich, S. 69, die allerdings betont, schon im PrALR sei die Bezeichnung des Delikts von Weglegung in Aussetzung geändert worden; vgl. dies., S. 45. 29 Jarcke, S. 385; H. Weber, S. 13; Fenner, S. 15; Lifschitz, S. 57; Warmuth, S. 17; Dieterich, S. 13 f.; Zerling, S. 9; Albrecht, S. 17; Redlich, S. 9; Usinger, S. 2; von Liszt/Schmidt, StR24, S. 330; Urban, S. 16; Küper, ZStW 111 [1999], 31; Laue, S. 9; Lucks, S. 47 f.; zweifelnd an der Begründung für diese Erweiterung S. Heinrich, S. 69, da die Bezeichnung als Aussetzung schon im PrALR enthalten war, wo aber gerade nur Neugeborene als Opfer erfasst waren. Nach Spangenberg, NACR 3 [1819], 270, und Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 19, § 4 Rn. 3, soll sogar „jeder Hilflose“ erfasst sein. 30 Jarcke, S. 383; Warmuth, S. 17; Albrecht, S. 17; Usinger, S. 2; Feloutzis, S. 89; Küper, Seelenleben, S. 86, 89 f.; ders., Jura 1994, 514; ders., ZStW 111 [1999], 33; Laue, S. 8; S. Heinrich, S. 73 f.; enger Redlich, S. 9, der neben den Eltern nur alle unterhaltspflichtigen Personen als mögliche Täter ansieht. Dagegen am weitesten und „jedermann“ als Täter ansehend: Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 19, § 4 Rn. 3.

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3. Teil: Historischer Überblick

übernommen31; die Norm hatte damit einen erheblichen Einfluss auf die Gesetzgebung im 19. Jahrhundert32. Hinsichtlich des Taterfolges war in dieser Norm weiterhin für die Strafbarkeit nicht das Vorliegen einer Gefahr entscheidend, sondern die heute überholte, historische Ansicht Gesetz geworden, dass es für die Strafbarkeit einer Aussetzung entscheidend auf das Vorliegen der Absicht der Fürsorgeentziehung ankommt33. Dies ergab sich daraus, dass die Norm – abgestuft nach Gefahrengraden – verschiedene Strafen vorsah und auch den Fall der Aussetzung ohne Gefahr für das Opfer in Art. 370 bayer. StGB 1813 für strafbar erklärte34. Das Vorliegen einer Gefahr war also hier noch nicht strafbarkeitsbegründend, sondern Strafzumessungsgrund35. 4. Art. 131 sächs. CrimGB 1838 und Art. 163 sächs. StGB 1855 Wurde schon – wie zuvor dargestellt – der Tatbestand auf der Opferund Täterseite durch das bayer. StGB 1813 erweitert, so ging 1838 das Criminalgesetzbuch von Sachsen den nächsten – im Hinblick auf die Erweiterungstendenzen logischen – Schritt und führte eine Ausdehnung des Tatbestandes auf Seiten der Tathandlung ein36. In Art. 13137 wurde – der Anregung Tittmanns folgend38 – eine zweite Möglichkeit der Tathandlung eingefügt: Dem Aussetzen wurde das „Verlassen in einem hülflosen Zustand“ als echte Handlungsalternative zur Seite gestellt39. Seitdem wurde 31

Aufzählung einiger Gesetze bei H. Weber, S. 14. Warmuth, S. 20; Küper, Jura 1994, 514; Laue, S. 9; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 19, § 4 Rn. 3; NK-StGB2-Neumann, § 221 Rn. 1. 33 H. Weber, S. 13; Warmuth, S. 18 f.; a. A. Fenner, S. 15; differenzierend Appel, S. 43, der davon ausgeht, dass sowohl eine Verletzung der Fürsorgepflicht als auch eine Gefahr für eine Strafbarkeit vorliegen müssen; in diese Richtung ebenfalls Laue, S. 7 f. Hierzu auch Küper, Jura 1994, 515 Fn. 18. 34 Die Art. 175 ff. bayer. StGB 1813 normierten Verbrechen, Art. 370 bayer. StGB enthielt hingegen ein Vergehen. Zur Unterscheidung der Begriffe siehe Art. 2 bayer. StGB 1813. 35 Siehe hierzu auch Häberlin, S. 86 ff.; Schwarze, GS 24 [1872], 54; H. Weber, S. 13; Lifschitz, S. 55 ff.; Warmuth, S. 18 f.; Nejmark, S. 48; Teufel, S. 12; Urban, S. 16; Simson/Geerds, S. 205; Küper, Seelenleben, S. 82 f. Fn. 183, S. 91 f.; ders., Jura 1994, 514 f.; Lucks, S. 103. Insoweit sehen Feloutzis, S. 89 ff., und S. Heinrich, S. 85, in der Norm sogar ein abstraktes Gefährdungsdelikt. 36 Albrecht, S. 17; Schroeder, JZ 1992, 378; S. Heinrich, S. 87 f., 177. 37 Sächs. CrimGB 1838, S. 81 f. 38 Tittmann, Handbuch I2, S. 416; darstellend Warmuth, S. 20; Marfels, S. 39; Laue, S. 10; S. Heinrich, S. 88. 39 Weiß, CrimGB, Art. 131 Anm. I.1; Warmuth, S. 20.; Albrecht, S. 17; Usinger, S. 3; Feloutzis, S. 89; Schroeder, JZ 1992, 378; Laue, S. 10; S. Heinrich, S. 88 ff., 177 mit ausführlichen Belegen. Überraschenderweise schreibt Gross, CrimGB, 32

A. Die gesetzlichen Fassungen des Tatbestandes der Aussetzung

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der Tatbestand der Aussetzung auch als „zweigeteilt“ angesehen, und zwar zerfallend in eine „Aussetzung i. e. S.“ und in eine „Verlassung“ oder „Aussetzung i. w. S.“, zusammengefasst häufig auch unter dem Begriff der „Preisgebung Hilfloser“40. Damit löste sich der Gesetzgeber hier erstmals aus Gründen der materiellen Gerechtigkeit und gegen die Tendenz der bis dahin bestehenden Begrenzung der Tathandlung auf das örtliche Verbringen von diesem engen Begriff des „Aussetzens“41. Diese Erweiterung wurde in allen später eingeführten Tatbeständen auf Reichs- sowie, bei einigen Gesetzen, auch auf Länderebene und ebenso in allen Reformvorschlägen beibehalten und teilweise auch auf ein Imstichlassen ausgedehnt42. Im Rahmen einer Gesetzesrevision wurde 1855 der Tatbestand der Aussetzung als Art. 163 teilweise, aber nur unwesentlich sprachlich geändert; allerdings wurde auch die zweite Tathandlung umformuliert43. Aus dem „in einem hülflosen Zustande verlassen“ wurde ein „in einem hülflosen Zustande gelassen“. 5. § 183 preuß. StGB von 1851 Nur auf das Vorliegen einer Gefährdung und nicht mehr auf die Absicht, sich der Fürsorge zu entledigen, stellte § 183 preuß. StGB 1851 ab; das Delikt wurde mithin seitdem als (konkretes) Gefährdungsdelikt verstanden44. Art. 131, S. 138, in seiner Kommentierung nichts zur neuen Fassung der Tathandlungen. 40 H. Meyer, S. 385; Warmuth, S. 20; Albrecht, S. 25 f., 44; Feloutzis, S. 89; S. Heinrich, S. 87; so zu § 183 preuß. StGB 1851 auch Küper, ZStW 111 [1999], 34. 41 Schroeder, JZ 1992, 378; S. Heinrich, S. 90. Die Idee dieser Erweiterung ist bereits zeitlich früher bei Jarcke, S. 381 f., 385 zu finden. 42 Schroeder, JZ 1992, 378; S. Heinrich, S. 178 f. Aufzählung weiterer vom Sächsischen Criminalgesetzbuch geprägten Gesetze bei H. Weber, S. 14. 43 Sächs. StGB 1855, S. 81 f. Dieses Detail übersieht S. Heinrich, S. 87 Fn. 256. 44 Preuß. StGB 1851, S. 52; Goltdammer, Materialien II, S. 393; zustimmend Hälschner, System, S. 125; Ziehm, S. 14; H. Weber, S. 14; Lifschitz, S. 58; Warmuth, S. 21; Zerling, S. 10; Albrecht, S. 18; Nejmark, S. 55; Redlich, S. 11; Usinger, S. 23; Marfels, S. 40; Teufel, S. 12; Hall, SchwZStR 46 [1932], 349; Feloutzis, S. 90, 92; Küper, Jura 1994, 515 f.; Lucks, S. 29; dem folgend auch die Rechtsprechung: Preußisches Obertribunal GA 5 [1857], 421 [423]. Grundsätzlich zustimmend S. Heinrich, S. 106, 112, 114, 121, 187, 189, die das Abstellen auf eine Gefährdung nicht aus den Materialien herleitet, sondern aus der Tatsache, dass die Verletzung des Personenstandes 1851 in einem eigenen Tatbestand geregelt worden war. Hingegen nimmt Radbruch, VD BT V, S. 187, an, dass neben der Gefährdung eine Fürsorgeentledigungsabsicht erforderlich ist. Abweichend – alleine die Verletzung einer Obhutspflicht ohne Gefährdung als Aussetzung ansehend – Beseler, S. 361; Binding, Lehrbuch BT I2, S. 61; Urban, S. 17.

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3. Teil: Historischer Überblick

Deshalb wird dieser Paragraph manchmal als der „erste ‚moderne‘ Tatbestand der Aussetzung“ bezeichnet45. Diese Änderung der Art des Tatbestandes ergibt sich zwar nicht ausdrücklich aus dem Gesetzeswortlaut, kann aber klar aus dem System und der geschichtlichen Entstehung der Norm gefolgert werden46. In den Materialien zum Strafgesetzbuch der Preußischen Staaten47 ist nämlich der Hinweis zu finden, die Tat könne auch aus anderen Gründen als aus Hass oder Bosheit begangen werden. Die Entledigungsabsicht sei daher zu streichen und der Schutz vor Gefahren für Leben und Gesundheit bestimme allein die Strafbarkeit. Abweichend von den Nachfolgernormen48 in § 216 StGB des Norddeutschen Bundes von 187049 bzw. § 221 RStGB von 187150 war der Kreis tauglicher Opfer im preuß. StGB jedoch noch auf Kinder unter 7 Jahren beschränkt51. Anknüpfend an das sächsische Vorbild von 1838 war auch in Preußen die Tathandlung in das Aussetzen und das Verlassen hilfloser Person unterteilt52. 45

Zerling, S. 10; vgl. aber oben 3. Teil: A. I. 3. Fn. 26 zum bayer. StGB 1813 und dessen Bewertung durch Küper und Schroeder. 46 H. Weber, S. 15; Warmuth, S. 21; Zerling, S. 11; Albrecht, S. 18; Usinger, S. 23; Marfels, S. 40; Feloutzis, S. 91; Küper, Jura 1994, 515; S. Heinrich, S. 106. So dann auch die Rechtsprechung des Preußischen Obertribunals, GA 5 [1857], 421 [424]. a. A. jedoch Beseler, S. 361. 47 Goltdammer, Materialien II, S. 393, sowie H. Weber, S. 15; Lifschitz, S. 58; Warmuth, S. 22; Zerling, S. 11; Teufel, S. 12; Feloutzis, S. 92; Küper, Jura 1994, 515 f.; kritisch zu dieser Änderung: Beseler, S. 361, und H. Schmidt, S. 58 f. 48 Allgemein zur Vorbildfunktion des preuß. StGB 1851 für das RStGB 1871 und zum Verhältnis von preuß. StGB, StGB Norddt. Bund und RStGB: Radbruch, E 1922, Bemerkungen, S. 46; Kahl, ZStW 48 [1928], 251; Eisenhardt, Rechtsgeschichte4, Rn. 569; MüKo-StGB-Joecks, Einleitung Rn. 77; T. Busch, S. 27 f.; Roxin, AT I4, § 4 Rn. 1; Rüping/Jerouschek, Strafrechtsgeschichte5, Rn. 232 f. 49 StGB E Norddt. Bund 1870, S. 15; vgl. zur Aufhebung der Altersgrenze auch StGB E Norddt. Bund 1870, Motive, S. 71. In § 193 E Norddt. Bund 1869 war die Altergrenze noch enthalten[ vgl. StGB E Norddt. Bund 1869, S. 53, und StGB E Norddt. Bund 1869, Motive, S. 278]. 50 RStGB, S. 49. 51 Preuß. StGB E 1851, Motive, S. 49; Goltdammer, Materialien II, S. 392.; vgl. auch Temme, StR, S. 815; Blum, StGB Norddt. Bund, § 221 Anm. 1; Fenner, S. 17; Lifschitz, S. 58; Warmuth, S. 21; Zerling, S. 11; Hasenberg, S. 13; Albrecht, S. 19; Nejmark, S. 56; Redlich, S. 11; Urban, S. 17; Lucks, S. 49; S. Heinrich, S. 108. Im § 193 des Entwurfs des Norddeutschen Bundes von 1869 war diese Altersgrenze anfangs auch noch zu finden; vgl. StGB E Norddt. Bund 1869, S. 53, wurde aber in § 216 des Entwurfs von 1870 aufgegeben; vgl. StGB E Norddt. Bund 1870, S. 15, und StGB E Norddt. Bund 1870, Motive, S. 71. Hierzu auch H. Weber, S. 16; Zerling, S. 16; Albrecht, S. 19; Redlich, S. 12 f.; Urban, S. 17. 52 Goltdammer, Materialien II, S. 392; siehe auch Beseler, S. 361; Temme, StR, S. 815; Nejmark, S. 55; Küper, ZStW 111 [1999], 34; Laue, S. 10; S. Heinrich,

A. Die gesetzlichen Fassungen des Tatbestandes der Aussetzung

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Das Erfordernis der Gefahr – bzw. das der hilflosen Lage, die als Gefahr gedeutet wurde – galt entgegen dem Wortlaut für beide Tatalternativen des Grundtatbestands53. 6. Art. 129 CrimGB von Hamburg 1869 Von Interesse ist der Tatbestand aus dem hamburgischen CrimGB von 1869 deshalb, weil hier in Art. 12954 – im Gegensatz zu den anderen Gesetzen dieser Zeit – nicht Hilflosigkeit von Person und Lage als Tatbestandsmerkmale genannt wurden, sondern erstmals nur von einer „hilflosen Lage“ die Rede war, in die das Opfer ausgesetzt oder in der es verlassen wird55. In dieser Hinsicht weist der Tatbestand gewisse Parallelen zur heutigen Normierung auf, die als Tatbestandsmerkmal auch nur die hilflose Lage und nicht mehr die Hilflosigkeit der Person kennt56. Allerdings finden sich keine Belege für eine Verbindung zwischen dieser Norm und den Reformentwürfen zum StGB Anfang des 20. Jahrhunderts, zu den Entwürfen im Rahmen des E 1960, E 1962 oder dem 6. StrRG: Diese Entwürfe verweisen nicht auf die Norm oder das Tatbestandsmerkmal der hilflosen Lage im CrimGB von Hamburg; der Tatbestand des Art. 129 CrimGB war in keinem der Entwürfe Thema der Diskussion.

II. § 221 RStGB von 1871 Anknüpfend an die Fassung der Aussetzung in § 183 StGB preuß. StGB, die Vorbild für § 221 RStGB war57, wurde 1871 der Tatbestand der Aussetzung in das RStGB übernommen58. Die einzige, kleine – den Tatbestand S. 109; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 19, § 4 Rn. 3; NK-StGB2-Neumann, § 221 Rn. 1. 53 Zum Ganzen: Goltdammer, Materialien II, S. 394; dem folgend auch die Rechtsprechung: Preußisches Obertribunal GA 5 [1857], 421 [423]. Siehe auch Nejmark, S. 56, sowie unter ausführlicher Bezugnahme auf die Materialien S. Heinrich, S. 109 ff. 54 CrimGB Hamburg 1869, S. 164 f. 55 Radbruch, VD BT V, S. 189; Warmuth, S. 21; Feloutzis, S. 89; Laue, S. 9 f. 56 Feloutzis, S. 89; Laue, S. 9. 57 Fenner, S. 18; K. Meyer, Annalen d. Dt. Reichs 1910, 321; Marfels, S. 59; L. Schäfer, S. XIII; Feloutzis, S. 92; Küper, Jura 1994, 514; ders., JZ 1995, 169; ders., ZStW 111 [1999], 34; S. Heinrich, S. 105, 135; Lucks, S. 48; Maurach/Schroeder/ Maiwald, BT 19, § 4 Rn. 3. 58 Der direkte Vorläufer dieser Norm des RStGB war eigentlich § 221 StGB des Norddeutschen Bundes von 1870, der zuerst eine wortgetreue Übernahme des § 183 StGB preuß. StGB 1851 enthielt, in der revidierten Fassung dann aber die Opferaltersgrenze von 7 Jahren bei Kindern aufgab und damit dem späteren § 221 RStGB

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3. Teil: Historischer Überblick

im Vergleich zum preußischen StGB erweiternde – Änderung, die vorgenommen wurde, war die Aufgabe der Beschränkung des Tatbestandes auf Opferseite auf Kinder unter 7 Jahren59. Ansonsten blieben Tatobjekte, -subjekte und Tathandlungen aus dem preuß. StGB unverändert60. Bis auf geringfügige Änderungen61 ging die Fassung des § 221 RStGB in das StGB über und blieb bis zu den – seit über 140 Jahren ersten – grundlegenden Änderungen durch das 6. StrRG bestehen62.

B. Die Reformbestrebungen zum Aussetzungstatbestand seit Beginn des 20. Jahrhunderts63 Die zweite „Wurzel“ der heutigen Fassung der Aussetzung sind die Reformbestrebungen, die sich zwischen 1902 und 1932 mit dem RStGB beschäftigten64. Diese führten zwar weder zur geplanten Neugestaltung des RStGB noch des Tatbestands der Aussetzung65, sind aber – wie sich im Folentsprach; vgl. Blum, StGB Norddt. Bund, § 221 Vor Anm. 1 f.; Warmuth, S. 23; Zerling, S. 11; Redlich, S. 12 f.; Feloutzis, S. 92; Küper, JZ 1995, 169; S. Heinrich, S. 135. Wegen dieser Entsprechung wird hier nicht gesondert auf das StGB des Norddeutschen Bundes eingegangen. Allgemein zur Entstehungsgeschichte des StGB für den Norddeutschen Bund von 1870, welches durch den Beitritt der süddeutschen Staaten zum RStGB wurde, vgl. LK-StGB11-Jescheck [04/1992], Einleitung Rn. 46 f.; Rüping/Jerouschek, Strafrechtsgeschichte5, Rn. 233. 59 Schwarze, GS 24 [1872], 53; von Holtzendorff, Handbuch III, S. 465; Fenner, S. 17; Lifschitz, S. 58 f.; Zerling, S. 11; Hasenberg, S. 13; Redlich, S. 13; Hall, SchwZStR 46 [1932], 332; Urban, S. 17; Feloutzis, S. 92; Laue, S. 10. 60 Fenner, S. 18; Lifschitz, S. 59; K. Meyer, Annalen d. Dt. Reichs 1910, 321; Dieterich, S. 15; Zerling, S. 11; Redlich, S. 12 f.; Marfels, S. 40; L. Schäfer, S. XIII; Laue, S. 10; S. Heinrich, S. 179; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 19, § 4 Rn. 3. 61 Durch das Adoptionsgesetz vom 02.07.1976 [BGBl. I S. 1749] wurde 1976 in Abs. 2 das Wort „leiblich“ vor Eltern gestrichen; vgl. Preisendanz, StGB30, § 221 Anm. 1; Feloutzis, S. 92; SK-StGB5-Horn [05/1993], § 221 Rn. 1; Güntge, Unterlassen, S. 148; Tröndle, StGB48, § 221 Rn. 1; LK-StGB11-Jähnke [07/1999], § 221 Entstehungsgeschichte vor Rn. 1; S. Heinrich, S. 161. 62 Feloutzis, S. 83 ff.; Güntge, Unterlassen, S. 148; LK-StGB11-Jähnke [07/1999], § 221 Entstehungsgeschichte vor Rn. 1; SK-StGB7-Horn/Wolters [03/2002], § 221 Rn. 1; S. Heinrich, S. 105, 161; Lucks, S. 1. 63 Die hier zitierten, verschiedenen Reformentwürfe des Tatbestandes der Aussetzung sind in Anhang B., Übersicht über die Reformvorschläge der Aussetzung von 1909 bis 1998, ab S. 488 zu finden. 64 Nach DSNS-Struensee, 2. Teil Rn. 7, geht die Entstehungsgeschichte der Neufassung nur bis zum E 1913 zurück. 65 T. Busch, S. 35; S. Heinrich, S. 161; allgemein zur Erfolglosigkeit der Reformversuche Gerland, StR2, S. 60; E. Schmidt, Geschichte3, S. 407 f.; Jescheck, Straf-

B. Reformbestrebungen zum Aussetzungstatbestand des 20. Jhdts.

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genden zeigen wird – von grundlegender Bedeutung für die heutige Fassung des Tatbestandes und das Verständnis der einzelnen Tatbestandsmerkmale. Dies wird deutlich, wenn man beachtet, dass der Gesetzgeber das 6. StrRG als Fortführung der Reformgesetze von 1969 bis 1974 ansieht66, die u. a. auf den Arbeiten zum E 1962 beruhen67 und für § 221 StGB weitgehend an die Begründung zu § 139 E 1962 anknüpfen68. Der E 1962 wiederum sieht sich als Fortführung der Reformversuche zum RStGB, die vor dem 1. Weltkrieg sowie in der Weimarer Republik durchgeführt wurden69, und verweist in seinen Materialien bezüglich § 221 StGB vielfach auf diese Reformbestrebungen70. Aufgrund dieser „Verweisungskette“ sind die Ideen und Intentionen, die mit den Reformbestrebungen von 1902 bis 1930, mit denen der Großen Strafrechtskommission sowie mit dem E 1960 und E 1962 verknüpft waren, von Belang und Interesse.

rechtsreform, S. 15; Kosloh, S. 4; Peters, S. 34; Eisenhardt, Rechtsgeschichte4, Rn. 782, sowie die Fundstellen im 3. Teil: A. II. in Fn. 62. 66 RefE, S. 63; BR-Drs. 164/97, S. 63; BT-Drs. 13/7164, S. 18; 13/8587, S. 18; vgl. auch Freund, ZStW 109 [1997], 456; Hörnle, Jura 1998, 169; Kreß, NJW 1998, 633; Sander/Hohmann, NStZ 1998, 273; Rengier, ZStW 111 [1999], 1; Kosloh, S. 7; S. Heinrich, S. 162; Lucks, S. 1; MüKo-StGB-Joecks, Einleitung Rn. 93; T. Busch, S. 131. 67 Sander/Hohmann, NStZ 1998, 273; T. Busch, S. 40, 49, 52. Der Gesetzgeber hat bei der Begründung des 6. StrRG dementsprechend häufig Bezug auf den E 1962 genommen; vgl. Kosloh, S. 1. 68 RefE, S. 63, 123; BT-Drs. 13/7164, S. 18, 34; 13/8587, S. 18, 34; vgl. auch DSNS-Struensee, 2. Teil Rn. 7; Küper, ZStW 111 [1999], 31, 40; ders., BT6, S. 36; LK-StGB11-Jähnke [07/1999], § 221 Entstehungsgeschichte vor Rn. 1; SternbergLieben/Fisch, Jura 1999, 45; Kosloh, S. 43; Laue, S. 2, 72; SK-StGB7-Horn/Wolters [03/2002], § 221 Rn. 1; S. Heinrich, S. 163; Lucks, S. 53, 202; Maurach/Schroeder/ Maiwald, BT 19, § 4 Rn. 3; NK-StGB2-Neumann, § 221 Rn. 2; Lackner/Kühl, StGB26, § 221 Rn. 1; Wessels/Hettinger, BT I31, Rn. 198. Die „unkritische Übernahme“ des E 1962 durch das 6. StrRG stark kritisierend Kosloh, S. 48. Zum E 1962 später mehr ab S. 67. 69 E 1962 S. 94 f.; Bucher, S. 4; Jescheck, Strafrechtsreform, S. 15; LKStGB12-Weigend [03/2007], Einleitung Rn. 34 f. Schubert, in: Einführung zu Reformkommission [1911–1913], Protokolle, Bd. 1, S. XXXVII, bezeichnet den VE 1909 und den KE 1913 als „Grundlage aller strafrechtlichen Reformbemühungen im 20. Jahrhundert“. 70 E 1962, S. 270, zum gesamten Abschnitt „Straftaten gegen das Leben“ und auf S. 276, zur Aussetzung; identisch die Begründung E 1960, S. 260. Vgl. auch DSNSStruensee, 2. Teil Rn. 24; S. Heinrich, S. 160 f.

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3. Teil: Historischer Überblick

I. Die Entwürfe zur Reformierung des RStGB von 1902 bis 1930 Das RStGB von 1871 wurde schon nach wenigen Jahrzehnten als veraltet und überholt angesehen; nach einhelliger Meinung war der Bedarf an einer grundlegenden Reform des RStGB evident und diese wurde gefordert71. Von diesen Versuchen einer Neu- und Umgestaltung des RStGB war auch der Tatbestand der Aussetzung betroffen: Vielfach war das Delikt Gegenstand von Änderungsvorschlägen und den damit einhergehenden Diskussionen72. 1. Die Vergleichende Darstellung (1902–1909) Die erste Initiative zur Reform des damals geltenden Strafrechts ging 1902 vom Reichsjustizamt auf Veranlassung von Staatssekretär Dr. Nieberding aus73. Er berief eine achtköpfige Professorenkommission74, die in den Folgejahren zur Vorbereitung einer Reform des Strafrechts eine „Vergleichende Darstellung des deutschen und ausländischen Rechts“ unter Mitarbeit nahezu aller deutschen Strafrechtslehrer erarbeitete und 1909 vorlegte75. Sie bildete in den Folgejahren Diskussions- und Arbeitsgrundlage der Bestrebungen hinsichtlich der Strafrechtsreform76. 71

E 1962, S. 93 f.; so schon K. Meyer, Annalen d. Dt. Reichs 1910, 321 f.; Sudhoff, S. 1; Kahl, ZStW 48 [1928], 251 f.; vgl. auch E. Schmidt, Geschichte3, S. 394; Peters, S. 27; MüKo-StGB-Joecks, Einleitung Rn. 79; Roxin, AT I4, § 4 Rn. 3 f.; LKStGB11-Weigend [03/2007], Einleitung Rn. 24. Nach Wassermann, Einleitung, S. 5 war das RStGB „bereits unter dem Zeichen der Revisionsbedürftigkeit ins Leben getreten“. Zusammenfassung der Gründe für diese Forderung bei T. Busch, S. 30 ff. 72 H. Weber, S. 45, 79 f.; Warmuth, S. 31, 122; Zerling, S. 70 f.; Hasenberg, S. 21; Redlich, S. 85 ff.; Teufel, S. 46; Heilbrunn, S. 28; LK-StGB11-Jähnke [07/1999], § 221 Entstehungsgeschichte vor Rn. 1. 73 Radbruch, E 1922, Bemerkungen, S. 47; Sudhoff, S. 1; Kahl, ZStW 48 [1928], 252; LK-StGB11-Jescheck [04/1992], Einleitung Rn. 61; Wassermann, Einleitung, S. 6; Roxin, AT I4, § 4 Rn. 4. 74 Franz von Liszt, Wilhelm Kahl, Karl von Birkmeyer, Adolf Wach, Karl von Lilienthal, Seuffert [später verstorben und ersetzt durch Robert von Hippel], Fritz van Calker und Reinhard Frank; vgl. Radbruch, E 1922, Bemerkungen, S. 47; von Hippel, StR I, S. 358; E. Schmidt, Geschichte3, S. 394 f.; Wassermann, Einleitung, S. 6. 75 K. Meyer, Annalen d. Dt. Reichs 1910, 32 f.; von Liszt/Schmidt, StR24, S. 76; Radbruch, E 1922, Bemerkungen, S. 48; L. Schäfer, S. XIII; LK-StGB11-Jescheck [04/1992], Einleitung Rn. 61; Wassermann, Einleitung, S. 7; MüKo-StGB-Joecks, Einleitung Rn. 79.; Peters, S. 28; T. Busch, S. 32; Roxin, AT I4, § 4 Rn. 4. 76 Radbruch, E 1922, Bemerkungen, S. 48; Sudhoff, S. 1; Wassermann, Einleitung, S. 7; Peters, S. 28. Nach MüKo-StGB-Joecks, Einleitung Rn. 79 ist die Vergleichende Darstellung „bis heute noch eine wahre Erkenntnisquelle“.

B. Reformbestrebungen zum Aussetzungstatbestand des 20. Jhdts.

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In der „Vergleichenden Darstellung“ forderte Radbruch, Bearbeiter des entsprechenden Abschnitts, die Reformierung der Aussetzung77. Er kritisierte die damals geltende Regelung des § 221 RStGB als nicht konsequent zu Ende entwickelt und als lückenhaft, sah demzufolge in mehrfacher Hinsicht Änderungsbedarf. Täter- und Opferkreis sollten nach Ansicht Radbruchs unbeschränkt „jedermann“ erfassen und auch die Gefahr einer Gesundheitsschädigung sollte für die Erfüllung des Tatbestandes ausreichen. Wegweisend für die kommenden Jahre war aber insbesondere seine Forderung, bezüglich der Tathandlung vom Erfordernis einer räumlichen Trennung abzusehen und jede Art der Herbeiführung einer Lebensgefahr einzubeziehen78. Letztendlich schwebte Radbruch weniger die Beibehaltung der Aussetzung im ursprünglichen Sinne und nach historischem Verständnis vor, sondern wegen der Lückenhaftigkeit der Aussetzung vielmehr ein Tatbestand, der dem allgemeinen Gefährdungsdelikt im Schweizer Vorentwurf von 1903 ähneln sollte79. Daneben wollte Radbruch – um auch die Verletzungen der Fürsorgepflicht durch die Mutter bestrafen zu können – einen weiteren Tatbestand einführen, der gerade diese Verhaltensweisen unter Strafe stellte80. 2. Der Vorentwurf zu einem Deutschen Strafgesetzbuch 1909 Noch bevor die Materialsammlung der „Vergleichenden Darstellung“ vollkommen abgeschlossen war, begann 1906 eine vom Reichsjustizamt aufgestellte 5-köpfige Kommission aus Praktikern81 einen ersten Entwurf eines reformierten StGB nebst Begründung zu erarbeiten, der 1909 als „Vorent77

Radbruch, VD BT V, S. 185 ff. Zum Ganzen: Radbruch, VD BT V, S. 194 f., 200 f.; hierzu auch: Laue, S. 11. 79 Radbruch, VD BT V, S. 201. Diese Norm lautete: „Wer einen Menschen wissentlich und gewissenlos in unmittelbare Gefahr für das Leben oder in schwere Gefahr für die Gesundheit bringt, wird . . . bestraft.“ Dieser Normtext sowie die Texte der weiteren schweizerischen Entwürfe des allgemeinen Gefährdungsdelikts aus den Entwürfen von 1894, 1896, 1908, 1916 und 1918 sind zu finden bei Scheffer, Anhang S. VIff.; Marfels, S. 103 f., Anhang Nr. 8–14 oder von Ruepprecht, S. 105 f. Auch für die Schaffung eines allgemeinen Leibes- und Lebensgefährdungsdelikts: von Liszt, VD BT V, S. 152.; ablehnend Hamm, DJZ 1906, 843; später ausführlich zu dem Thema im 4. Teil: D. I. 1. Zur Geschichte dieser Reformversuche in der Schweiz Itin, S. 138 f.; Prestel, S. 27; Sörgel, S. 27 f.; von Ruepprecht, S. 46 ff. 80 Radbruch, VD BT V, S. 202 f.; zu diesem Themenkomplex auch von Hippel, VD BT II, S. 238 ff. 81 Hermann Lucas, von Tischendorf [später ersetzt durch Kurt Joel], Schulz, Georg Wilhelm Ditzen [später ersetzt durch Oelschläger] und Karl Meyer; vgl. VE 1909, Begründung AT, S. V; Radbruch, E 1922, Bemerkungen, S. 48; von Hippel, StR I, S. 359; E. Schmidt, Geschichte3, S. 395 f. 78

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3. Teil: Historischer Überblick

wurf zu einem neuen deutschen Strafgesetzbuch“ veröffentlicht wurde82. Die Öffentlichkeit befasste sich ebenso eingehend mit dem Entwurf wie auch Strafrechtswissenschaft und Praxis83; dies entsprach auch der Absicht und der Zielsetzung, als die Kommission mit der Erstellung des VE beauftragt wurde84. Insgesamt wurde der VE als „geeignete erste Grundlage für die Ausarbeitung des endgültigen Regierungsentwurfs“ angesehen85. Entgegen dem Vorschlag Radbruchs in der „Vergleichenden Darstellung“ wurde in § 218 VE als „Aussetzung Hilfloser“ kein allgemeines Leibesund Lebensgefährdungsdelikt geschaffen. Ein solches Delikt lehnten die Verfasser des VE als in der Reichweite nicht überblickbar und als unzumutbare Einschränkung der Bewegungsfreiheit der Bürger ab, da die Mittel der Gefährdung nicht umschrieben seien86. Vielmehr wurde ein „reformiertes“ Aussetzungsdelikt normiert, das einige Änderungen gegenüber § 221 RStGB aufwies. Wie schon von Radbruch gefordert, wurde der Opferkreis dadurch erweitert, dass die Beschränkung auf abschließend aufgezählte Gründe der Hilflosigkeit entfiel und als Opfer allgemein eine „hilflose Person“ in Betracht kam87. Die Tathandlungen blieben – anders als in den folgenden Entwürvon Liszt/Schmidt, StR24, S. 76 f.; Radbruch, E 1922, Bemerkungen, S. 48; L. Schäfer, S. XIII; Gerland, StR2, S. 58; E. Schmidt, Geschichte3, S. 395; Wassermann, Einleitung, S. 7; Peters, S. 28; T. Busch, S. 32 f.; Roxin, AT I4, § 4 Rn. 5; LK-StGB12-Weigend [03/2007], Einleitung Rn. 25. 83 von Hippel, StR I, S. 362; L. Schäfer, S. XIII; Kahl, ZStW 48 [1928], 252; LK-StGB11-Jescheck [04/1992], Einleitung Rn. 65; Wassermann, Einleitung, S. 7. Einen guten Überblick über die vielen unterschiedlichen Veröffentlichungen und Stellungnahmen zu diesem und auch den folgenden Reformversuchen zum StGB bieten die Literaturlisten in DStrZ 1914, LIXff., für die Jahre 1906–1913; in ZStW 46 [1925], 329 ff., für die Jahre 1914–1925 und von Kreplin, JW 1925, 2828 f.; 1926, 1260 f., 2241; 1927, 938 f.; 1928, 442 ff., 3019 ff.; 1929, 297 ff., 1516 ff., für die Jahre 1925–1929 [Nachdruck dieser Listen in der Einleitung von Schubert zu Entwürfe (1919–1927), Bd. 1, S. XXVII–LXIII]. 84 VE 1909, Begründung AT, S. V; K. Meyer, Annalen d. Dt. Reichs 1910, 323; von Overbeck, SchwZStR 23 [1910], 1; von Hippel, StR I, S. 362. 85 So von Hippel, StR I, S. 362; ähnlich Usinger, S. 60; Gerland, StR2, S. 59. Schubert, Reformkommission [1911–1913], Protokolle, Bd. 1, S. XXXVII, sieht in seiner Einführung u. a. den VE als „Grundlage aller strafrechtlichen Reformbemühungen im 20. Jahrhundert“; Zusammenstellung kritischer Äußerungen findet man bei Schubert, ebenda, S. XXVIII ff. 86 VE 1909, Begründung BT, S. 647; zustimmend Wachenfeld, ARWP 1909/1910, 436; Aschrott/von Liszt-von Lilienthal, BT II, S. 280; Ebermayer, DJZ 1911, 1047 f.; zum allgemeinen Leibes- und Lebensgefährdungsdelikt in der Schweiz von Overbeck, SchwZStR 23 [1910], 38. 87 VE 1909, Begründung BT, S. 648; die Änderung begrüßen Wach, DJZ 1910, 111; Aschrott/von Liszt-von Lilienthal, BT II, S. 279 f.; Ebermayer, DJZ 1911, 1048; Usinger, S. 57; darstellend Küper, ZStW 111 [1999], 34; Laue, S. 11. 82

B. Reformbestrebungen zum Aussetzungstatbestand des 20. Jhdts.

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fen – im Vergleich zu § 221 RStGB unverändert und lauteten daher weiterhin „Aussetzen“ und „Verlassen“88. 3. Der Gegenentwurf zum Vorentwurf eines Deutschen Strafgesetzbuches 1911 Um die Weiterarbeit am VE zu fördern, erstellten 1911 vier Professoren89 einen „Gegenentwurf zum Vorentwurf eines Deutschen Strafgesetzbuches“. Dieser beruhte auf den Vorarbeiten des VE, sollte aber – entgegen seiner Bezeichnung – kein Gegenentwurf sein, sondern die Kritik am VE zusammenfassen und als Grundlage für eine weitere Überarbeitung bzw. Verbesserung der Arbeiten von 1909 dienen90. Ungewöhnlich und in der Gesetzgebungsgeschichte einzigartig war die Einordnung des Deliktes der Aussetzung innerhalb des Systems in diesem Entwurf: Die Tat war – um klarzustellen, dass auch eine Körperverletzungsgefahr für die Erfüllung des Tatbestandes hinreichend sein sollte – als § 272 GE in dem Abschnitt „Körperverletzung“ eingeordnet91. Hinsichtlich der Gestaltung des Tatbestandes wurde die Aufgabe der Gründe der Hilflosigkeit aus dem VE beibehalten, aber darüber hinaus auch die zweite Tathandlung geändert. Eingefügt war die Wendung „hilflos läßt“ anstelle von „verlassen“, um klarzustellen, dass der wesentliche Aspekt bei der Aussetzung in der Nichtgewährung von Hilfe und nicht in der räumlichen Entfernung des Täters liegt92. Diese Erweiterung und Änderung der zweiten Tathandlung ist von hier an – mit verschiedenen Formulierungen – in allen Entwürfen zu finden und wurde letztlich auch im 6. StrRG umgesetzt93. 88 Feloutzis, S. 243.; kritisch hierzu mit der Forderung, die zweite Alternative in ein „Imstichlassen“ zu ändern, weil der entscheidenden Aspekt „nicht das Weggehen, sondern das Nichtgewähren von Hilfe“ sei: Aschrott/von Liszt-von Lilienthal, BT II, S. 279 f. 89 Wilhelm Kahl, Karl von Lilienthal, Franz von Liszt und James Goldschmidt; vgl. Kahl, DJZ 1911, 501; von Hippel, StR I, S. 363; Sudhoff, S. 1; Gerland, StR2, S. 59; E. Schmidt, Geschichte3, S. 395 f.; Wassermann, Einleitung, S. 7 f.; Peters, S. 28 f.; T. Busch, S. 33; Roxin, AT I4, § 4 Rn. 5; LK-StGB12-Weigend [03/2007], Einleitung Rn. 25. 90 GE 1911, Begründung, S. IIIf.; Kahl, DJZ 1911, 501; Kohler, GA 58 [1911], 289; 59 [1912], 48; von Liszt/Schmidt, StR24, S. 78; L. Schäfer S. XIII; Gerland, StR2, S. 59; E. Schmidt, Geschichte3, S. 395 f.; Peters, S. 28 f.; T. Busch, S. 33; Roxin, AT I4, § 4 Rn. 5. 91 GE 1911, S. 76, sowie GE 1911, Begründung, S. 259; Hartwig, ZStW 34 [1913], 49; kritisch zu den vom Tatbestand geschützten Rechtsgütern Kohler, GA 59 [1912], 50 f.; darstellend hierzu Laue, S. 12. 92 GE 1911, Begründung, S. 259; kritisch Kohler, GA 59 [1912]. 50 f. 93 Feloutzis, S. 243; Laue, S. 12.

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3. Teil: Historischer Überblick

Eine zusätzliche Erweiterung sollte die zweite Alternative durch Einfügung der Wendung „oder eine Person, die er schuldhaft verletzt hat“ erhalten, die sich aber in den späteren Entwürfen nicht wiederfindet und fallen gelassen wurde94. 4. Der Entwurf zu einem Deutschen Strafgesetzbuch nach den Beschlüssen der Strafrechtskommission („Kommissionsentwurf“) 1913 Auf der Grundlage der „Vergleichenden Darstellung“ und der vorhergehenden zwei Entwürfe erstellte dann eine 18-köpfige95, vom Reichsjustizamt einberufene Kommission den KE 191396. Dessen Veröffentlichung erfolgte wegen des Ausbruchs des 1. Weltkrieges jedoch nicht zeitnah; vielmehr nahm die Öffentlichkeit diesen Entwurf erst 1920/1921 – zusammen mit der Überarbeitung durch den E 1919 – als Band 1 der dreibändigen Denkschrift des Reichsjustizministeriums zur Kenntnis97. Infolgedessen unterblieb im Gegensatz zu den vorhergehenden Gesetzesvorhaben eine intensive wissenschaftliche Aufarbeitung des Entwurfs98. Hinsichtlich des Tatbestandes der Aussetzung ist beim KE 1913 eine bewegte Entwicklungsgeschichte zu verzeichnen: Im Verlaufe der Beratungen erweiterte die Kommission einerseits den Tatbestand und andererseits änderte sie mehrfach den Wortlaut der Tathandlungen99. Erstmals wurde hier – wie auch im Rahmen des 6. StrRG – sogar die Begrenzung des Opferkreises auf hilflose Personen – wenn auch nur bei der 94 Der dieser Änderung zugrundeliegende [Ingerenz-]Gedanke war § 22 Abs. 2 Kraftfahrzeuggesetz von 1909 entnommen; GE 1911, Begründung, S. 259. Dies begrüßen Hartwig, ZStW 34 [1913], 49; Redlich, S. 84; ablehnend Kohler GA 59 [1912], 51 [„Gedanke nicht verallgemeinerungsfähig“]; darstellend Laue, S. 12. 95 Die Mitglieder der Kommission findet man bei Radbruch, E 1922, Bemerkungen, S. 48 Fn. 2; von Hippel, StR I, S. 363; E. Schmidt, Geschichte3, S. 397. Von der namentlichen Aufzählung wurde aufgrund der Vielzahl der Mitglieder abgesehen. 96 von Liszt/Schmidt, StR24, S. 78; L. Schäfer, S. XIII.; Kahl, ZStW 48 [1928], 252; Gerland, StR2, S. 59; LK-StGB11-Jescheck [04/1992], Einleitung Rn. 65; T. Busch, S. 33; Roxin, AT I4, § 4 Rn. 6. 97 Radbruch, E 1922, Bemerkungen, S. 48; von Liszt/Schmidt, StR24, S. 78; von Hippel, StR I, S. 364; L. Schäfer, S. XIII; Kahl, ZStW 48 [1928], 252; Gerland, StR2, S. 59; E. Schmidt, Geschichte3, S. 397; Wassermann, Einleitung, S. 9; T. Busch, S. 33; Roxin, AT I4, § 4 Rn. 6; LK-StGB12-Weigend [03/2007], Einleitung Rn. 25. 98 So die Einführungen von Schubert, in: Reformkommission [1911–1913], Protokolle, Bd. 1, S. XXV, und in: Entwürfe [1919–1927], Bd. 1, S. IX. 99 Ebermayer, JW 1921, 778, 782. Zu den einzelnen Textfassungen vgl. Strafrechtskommission [1911–1914], Entwürfe, S. 76, 211, 325, und zu den Diskussionen Reformkommission [1911–1913], Protokolle, Bd. 3, S. 38 ff., 456.

B. Reformbestrebungen zum Aussetzungstatbestand des 20. Jhdts.

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ersten Tathandlung – weggelassen; jedermann konnte damit Opfer einer Aussetzung sein100. Auch beide Tathandlungen erfuhren – im Vergleich zu den vorherigen Entwürfen – eine Umformulierung. Dabei enthält der KE 1913 eine Besonderheit: Die Kommission äußert sich im Rahmen ihrer Beratungen zur ersten Tatalternative; solche Bemerkungen des Gesetzgebers sind in allen Reformentwürfen und -diskussionen äußerst selten101. Im Gegensatz zu der Formulierung „eine hilflose Person aussetzen“ im VE 1909 wollte die Kommission die Tathandlung der ersten Begehungsalternative weiter verstanden wissen. Es sollte sowohl der Fall erfasst werden, dass eine bereits hilflose Person ausgesetzt wird, als auch die Konstellation, dass eine im Zeitpunkt der Aussetzung noch nicht hilflose Person durch die Tat erst hilflos wird. Daher wählte man – dies klarstellend – die Wendung „Wer . . . einen anderen durch Aussetzung in hilflose Lage bringt . . .“102. Beide Fallgruppen waren nach Ansicht der Kommission gleich strafwürdig, weil das strafbarkeitsbegründende und entscheidende Moment das der Gefährdung sei103. In der endgültigen Textfassung des KE 1913 war dann jedoch der Wortlaut wieder geändert: „Wer einen anderen aussetzt und dadurch in eine hilflose Lage bringt, . . . .“ Ob hiermit eine inhaltliche Änderung einhergehen sollte, bleibt im Dunkeln, weil für diesen neuen Wortlaut keinerlei Begründung zu finden ist. Bei der zweiten Begehungsalternative herrschte in der Kommission dahingehend Einigkeit, dass man auf das Kriterium einer räumlichen Entfernung des Täters vom Opfer verzichten wollte104. Allerdings wurde die ur100 Heilbrunn, S. 28; Küper, ZStW 111 [1999], 34; LK-StGB11-Jähnke [07/1999], § 221 Entstehungsgeschichte vor Rn. 1; Laue, S. 12; Lucks, S. 41, 49. Für die zweite Alternative erfolgte der Verzicht auf die Hilflosigkeit des Opfers erst durch den E 1936; Küper, ZStW 111 [1999], 34; Lucks, S. 50, wobei sich weder der E 1962 noch das 6. StrRG auf diesen Entwurf berufen. 101 So zum E 1962 und zum 6. StrRG: Küper, ZStW 111 [1999], 40 f. Fn. 49; LK-StGB11-Jähnke [07/1999], § 221 Entstehungsgeschichte vor Rn. 1; SternbergLieben/Fisch, Jura 1999, 45; Kosloh, S. 56; Laue, S. 70; S. Heinrich, S. 165; Lucks, S. 53, 60. 102 141. Sitzung der 1. Lesung vom 12.06.1912, in: Reformkommission [1911–1913], Protokolle, Bd. 3, S. 38, und 182. Sitzung der 1. Lesung vom 06.11.1912, in: Reformkommission [1911–1913], Protokolle, Bd. 3, S. 400; hierzu auch: Heilbrunn, S. 28 f.; Küper, ZStW 111 [1999], 35. 103 182. Sitzung der 1. Lesung vom 06.11.1912, in: Reformkommission [1911–1913], Protokolle, Bd. 3, S. 400; so auch Heilbrunn, S. 28. 104 141. Sitzung der 1. Lesung vom 12.06.1912, in: Reformkommission [1911–1913], Protokolle, Bd. 3, S. 38; siehe auch Lucas, DJZ 1912, 831; Ebermayer, Entwurf 1914, S. 62; Ebermayer, Reform 1914, S. 47; Heilbrunn, S. 29 f.;

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3. Teil: Historischer Überblick

sprüngliche Fassung der zweiten Tathandlung von „hilflos läßt“ in „in hilfloser Lage läßt“ geändert, um klarzustellen, dass hier nicht die Fälle erfasst werden sollten, in denen „ein Wärter oder ein anderer Aufsichtspflichtiger die einem Kranken oder einem Kinde geschuldete Aufmerksamkeit vorübergehend bewußt versäumt“, sondern dass der „Begriff ‚hilflos läßt‘ vielmehr in einem engeren Sinne verstanden“ werden sollte105. Aus heutiger Sicht bleibt – leider – offen, worin dieser „engere Sinn“ bestehen sollte. 5. Der Entwurf von 1919 In Fortführung der Reformvorschläge wurde 1919 nach dem Ende des 1. Weltkrieges auf Betreiben des Staatssekretärs im Reichsjustizamt Paul mit einer kleinen Kommission106 ein erneuter Versuch einer Reform des Strafgesetzbuches unternommen107. Hierbei orientierte man sich zwar am KE 1913, nahm aber wegen der veränderten politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Situation eine Überarbeitung desselben vor108. Der Tatbestand der Aussetzung blieb gegenüber dem des KE 1913 unverändert. In der zum E 1919 erschienenen Denkschrift finden sich daher nur wenige Ausführungen zu diesem Tatbestand. Wie schon in den Entwürfen vor dem 1. Weltkrieg war das Delikt – im Vergleich zum damals geltenden RStGB – in mehrfacher Hinsicht erweitert worden109: Bei der ersten Begehungsvariante wurde auf das Erfordernis der Hilflosigkeit des Opfers vor der Tat verzichtet und die Aussetzung ohne Laue, S. 12; Usinger, S. 58. Kritisch zu der Änderung der zweiten Tatalternative wegen zu großer Weite, Unbestimmtheit und fehlenden Bedürfnisses der Praxis aber Prestel, S. 32 f. 105 257. Sitzung der 2. Lesung vom 25.06.1913, in: Reformkommission [1911–1913], Protokolle, Bd. 4, S. 457; siehe auch Lucas, DJZ 1912, 831. 106 Kurt Joel, Ludwig Ebermayer, Paul Cormann, Erich Bumke unter Mitarbeit von Leopold Schäfer und Wilhelm Kiesow; vgl. Radbruch, E 1922, Bemerkungen, S. 48 Fn. 3; L. Schäfer, S. IX; Gerland, StR2, S. 59; Wassermann, Einleitung, S. 9. 107 von Liszt/Schmidt, StR24, S. 78; L. Schäfer, S. IX; LK-StGB11-Jescheck [04/1992], Einleitung Rn. 67; Wassermann, Einleitung, S. 9. 108 Radbruch, E 1922, Bemerkungen, S. 48; von Liszt/Schmidt, StR24, S. 78; L. Schäfer, S. IX; Kahl, ZStW 48 [1928], 253; LK-StGB11-Jescheck [04/1992], Einleitung Rn. 67; Wassermann, Einleitung, S. 9; T. Busch, S. 33. E. Schmidt, Geschichte3, S. 398, sieht im E 1919 hingegen nur eine Wiederholung des KE 1913. Eine grundlegende Kritik am KE 1919 liefert Beling, S. 108 ff., insbesondere S. 179 ff. 109 E 1919, Denkschrift, S. 233; Ebermayer, JW 1921, 782; Positiv zu der Änderung auch Wach, DStrZ, 1921, 138, der begrüßt, dass die Aussetzung „verallgemeinert und auf das Wesentliche beschränkt worden“ ist. Ablehnend zur Neufassung hingegen Löffler, S. 148 f.: Der Tatbestand stelle „eine juristische Mißgeburt, die man auf einer wüsten Insel aussetzen sollte.“ dar.

B. Reformbestrebungen zum Aussetzungstatbestand des 20. Jhdts.

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Rücksicht auf den Zustand des Opfers für strafbar erklärt. Entscheidend war danach die Herbeiführung einer hilflosen Lage durch die Tat110. Anders hingegen bei der zweiten Variante, wo das Opfer weiterhin als „Hilfloser“ umschrieben ist. Allerdings betont der Gesetzgeber auch diesmal, dass das Kriterium der räumlichen Entfernung des Täters vom Opfer entfallen sollte, weil dadurch willkürlich strafwürdige Fälle ausklammert würden111. Wie schon die Bearbeiter des VE 1909 standen die Verfasser dieses Entwurfs der Einführung eines allgemeinen Leibes- und Lebensgefährdungsdelikts Radbruchscher Prägung ablehnend gegenüber: Man befürchtete eine unerträgliche Beeinträchtigung der Bewegungs- und Betätigungsfreiheit sowie eine Gefährdung der Rechtssicherheit112. 6. Der Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuches 1922 Die bis dahin erfolglosen Versuche einer Reform des RStGB in Deutschland stießen in Österreich auf großes Interesse, so dass man sich entschied, die Reform gemeinsam voranzutreiben und einen einheitlichen Entwurf zu erarbeiten113. Aus dieser Idee entstand der E 1922, der seitens Österreichs auf die Bemühungen von Kadecˇka und auf deutscher Seite auf die Arbeiten Radbruchs, der den Entwurf wesentlich prägte, zurückzuführen war114. Dieser später als fortschrittlich bewertete Entwurf115 wurde aber – wie schon seine Vorgänger – niemals geltendes Recht, da Radbruch dessen Verabschiedung durch das Kabinett aufgrund einer Regierungskrise nicht erreichen konnte116. 110

E 1919, Denkschrift, S. 233. E 1919, Denkschrift, S. 233; kritisch hierzu Prestel, S. 32. 112 Löffler, S. 149 f.; Scheffer, S. 73; Marfels, S. 80 f.; von Ruepprecht, S. 48 f.; Lucks, S. 21. 113 Hierzu: Radbruch, E 1922, Bemerkungen, S. 49 f.; Gerland, StR2, S. 59; Dahs, NJW 1958, 1161; E. Schmidt, Geschichte3, S. 406; Wassermann, Einleitung, S. 22 ff.; T. Busch, S. 34. 114 L. Schäfer, S. IX; Gerland, StR2, S. 59; Radbruch, Der innere Weg, S. 156; E. Schmidt, Einleitung E 1922, S. VII; E. Schmidt, Geschichte3, S. 406; Laue, S. 12; T. Busch, S. 34; Roxin, AT I4, § 4 Rn. 8; LK-StGB12-Weigend [03/2007], Einleitung Rn. 26. 115 Wassermann, Einleitung, S. 1, 25; Kosloh, S. 4; Roxin, AT I4, § 4 Rn. 8; LKStGB12-Weigend [03/2007], Einleitung Rn. 26. Dehler, Vorwort, S. V, bezeichnet ihn als „großer Wurf“; E. Schmidt, Einleitung E 1922, S. XI, ders., Geschichte3, S. 406, nennt ihn eine „einheitliche, in sich geschlossene, von gesunden sozialen Einsichten und von mutigem Fortschrittsgeist getragene Leistung“. 116 Hierzu ausführlich: Radbruch, Der innere Weg, S. 157 ff., sowie Kahl, ZStW 48 [1928], 253; E. Schmidt, Einleitung E 1922, S. VII; Wassermann, Einleitung, S. 34 f.; Peters, S. 33. 111

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3. Teil: Historischer Überblick

Die Normierung der Aussetzung war in § 227 E 1922 enthalten. Materialien hierzu existieren so gut wie keine, da keine „offizielle“ Veröffentlichung des E 1922 erfolgte117 und erst 1952 die von Radbruch zum E 1922 verfasste Begründung auf Betreiben von Dehler veröffentlicht wurde118. In dieser Begründung und in einer Abhandlung in der ZStW119 äußert sich Radbruch zwar zu seinem Entwurf; zum Tatbestand der Aussetzung finden sich aber nur wenige Ausführungen: Danach erfasste der Tatbestand der Aussetzung nur die Lebensgefährdung als Taterfolg, eine Gefährdung der Gesundheit reichte nicht aus120. Dies ergab sich auch aus dem gegenüber dem E 1919 nahezu unveränderten Wortlaut der beiden Tathandlungen121, die nur durch den Zusatz ergänzt worden waren, dass die hilflose Lage als Taterfolg eine Situation darstellen müsse, „die sein122 Leben gefährdet“. Neben der Aussetzung enthielt der Entwurf aber auch – erstmals in der deutschen Strafrechtsgeschichte – in § 228 E 1922 einen Tatbestand der allgemeinen Lebensgefährdung, dessen Einfügung auf die positive Einstellung Radbruchs zu diesem Delikt und auf eine österreichische Anregung zurückzuführen war123. Radbruch sah in der Beschränkung der Aussetzung auf fürsorgepflichtige Personen die Restwirkung einer historischen Zufälligkeit und wollte aus Strafwürdigkeitserwägungen jede Art der Lebensgefährdung erfasst wissen124. Als weiteres ergänzendes Delikt trat nach österreichischem Vorbild neben die Aussetzung noch in § 275 E 1922 die Kindesweglegung als eine Verletzung der Fürsorgepflicht125. 7. Der amtliche Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuches 1925 Obwohl der E 1922 das Schicksal seiner Vorgänger geteilt hatte und nicht in geltendes Recht umgesetzt worden war, kam die Strafrechtsreform dennoch nicht zum Erliegen. Vielmehr erschien 1925 ein erster „Amtlicher“ 117 Radbruch, ZStW, 45 [1925], 417; Kahl, ZStW 48 [1928], 253; E. Schmidt, Einleitung E 1922, S. VII; Wassermann, Einleitung, S. 1. 118 Dehler, Vorwort, S. V; Wassermann, Einleitung, S. 2. 119 Radbruch, ZStW, 45 [1925], 417 ff.; darstellend Gerland, StR2, S. 59. 120 Radbruch, E 1922, Bemerkungen, S. 64; darstellend DSNS-Struensee, 2. Teil Rn. 9. 121 Wie schon im KE 1913, S. 68, und im E 1919, S. 66. 122 Erg.: das des Opfers. 123 Vgl. zu Radbruchs Auffassung in der Vergleichenden Darstellung oben im 3. Teil: B. I. 1. sowie Radbruch, E 1922, Bemerkungen, S. 64; darstellend Laue, S. 12. 124 Laue, S. 14; S. Heinrich, S. 158. 125 Radbruch, E 1922, Bemerkungen, S. 64; darstellend S. Heinrich, S. 159.

B. Reformbestrebungen zum Aussetzungstatbestand des 20. Jhdts.

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Entwurf eines Strafgesetzbuches126. Dieser baute auf dem E 1919 und Radbruchs E 1922 auf, nutzte diese als Grundlage, überarbeitete und änderte sie jedoch in wesentlichen Punkten127. Im Gegensatz zum Radbruchschen Entwurf hat der Gesetzgeber 1925 seine leitenden Vorstellungen in einer entsprechenden Begründung niedergelegt128. Wie schon in den vorherigen Entwürfen erfuhr der Kreis der geschützten Personen in § 230 E 1925 eine Erweiterung129: Für die erste Variante war es danach ohne Belang, ob die Person vor der Aussetzung hilflos war oder erst durch diese hilflos wurde, während bei der zweiten die Person bereits vor der Tat hilflos gewesen sein musste130. Allerdings wurden die abschließenden Gründe der Hilflosigkeit bei der zweiten Alternative aufgehoben wie auch die Tathandlung unter Verzicht auf das räumliche Kriterium erweitert und als „in einer hilflosen Lage läßt“ bezeichnet131. Voraussetzung für die Erfüllung beider Varianten war aber darüber hinaus der vom Vorsatz umfasste Eintritt einer Lebensgefahr132. Neben den Tatbestand der Aussetzung traten – zur Schließung von Strafbarkeitslücken – die Kindesweglegung (§ 275 E 1925) und die Lebensvon Hippel, StR II, S. 1; Sudhoff, S. 2; E. Schmidt, Geschichte3, S. 406; Kosloh, S. 4; Roxin, AT I4, § 4 Rn. 9. 127 So die Einleitung von Schubert, in: Entwürfe [1919–1927], Bd. 1, S. XII ff.; siehe auch L. Schäfer, S. IX; E. Schmidt, Geschichte3, S. 406; T. Busch, S. 34 f.; Roxin, AT I4, § 4 Rn. 9 f. 128 E 1925, Begründung, S. 119 f., sowie die Beratungen zum E 1927 zur Aussetzung, Lebensgefährdung und Kindesweglegung, in: Beratungen Reichsrat [1926/27], Bd. 2 S. 218, 234, 515, 337 f., 401 f., 406, 423, 425, 441, 443, 492, 627, 629, 638. Ebermayer, DJZ 1926, 656 f. begrüßt den Tatbestand, mahnt aber wegen des hohen Strafrahmens zu vorsichtiger Anwendung in der Praxis. 129 E 1925, S. 26; E 1925, Begründung, S. 119; vgl. auch Wachenfeld, GA 70 [1925], 68; Aschrott/Kohlrausch-Radbruch, S. 313 f.; Schoetensack, GS 93 [1926], 114; Lincke, S. 2; Sudhoff, S. 4 f., 11 ff.; Teufel, S. 48; Appel, S. 80 f.; S. Heinrich, S. 159 f. In E 1925, Begründung, S. 119, findet man zur Begründung der Notwendigkeit der Erweiterung des Tatbestandes übrigens die Fälle, die sich bis zum 6. StrRG in den Materialien wiederfinden: den vom Kapitän auf einer Insel ausgesetzten Schiffsreisenden und den vom Bergführer zurückgelassenen Kunden; vgl. auch S. Heinrich, S. 160. 130 E 1925, Begründung, S. 119; begrüßt von Aschrott/Kohlrausch-Radbruch, S. 313 f., der aber die zweite Tathandlung in Abs. 2 für überflüssig erachtet, weil Abs. 2 nur das unechte Unterlassungsdelikt zu Abs. 1 normiere. Prestel, S. 34, hingegen hält die erste Tatvariante für entbehrlich, misst dem Tatbestand nur eine rein wissenschaftliche Bedeutung bei. 131 E 1925, Begründung, S. 119; Lincke, S. 2; Sudhoff, S. 5, 10, 33 ff. 132 E 1925, Begründung, S. 119; positiv hierzu Wachenfeld, GA 70 [1925], 68; Marfels, S. 81; Appel, S. 80 f.; zustimmend Schoetensack, GS 93 [1926], 114, und Teufel, S. 48, die aber auch Gesundheitsgefahren erfasst sehen wollen; darstellend S. Heinrich, S. 160. 126

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3. Teil: Historischer Überblick

gefährdung (§ 231 E 1925)133. Fehlte es nämlich an dem für die Aussetzung erforderlichen Gefährdungsvorsatz, so kam nur der neue Tatbestand der Kindesweglegung in Betracht, der keine Lebensgefährdung verlangte134. Für die daneben noch bestehenden Strafbarkeitslücken ergänzte der Tatbestand der Lebensgefährdung die Aussetzung, um die bisher straflosen, aber strafwürdigen Gefährdungen des Lebens des Einzelnen erfassen zu können. Dieser Tatbestand war durch die Merkmale der unmittelbaren Lebensgefahr auf objektiver Seite sowie der „Wissentlichkeit“ und der „Gewissenlosigkeit“ auf subjektiver beschränkt und eng auszulegen135. 8. Der amtliche Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuches 1927 Eine Weiterentwicklung des E 1925 stellte der E 1927 dar: Dieser entstand, weil der E 1925 von der Reichsregierung dem Reichsrat zur Beratung übermittelt wurde, dieser ihn aber grundlegend in Frage stellte und so weitgehend überarbeitete und änderte, dass der Reichsrat den Entwurf – aufgrund der Vielzahl der gewünschten Änderungen – erst 1927 als „neuen“ Entwurf an den Reichstag weiterleitete136. Aufgrund der innenpolitischen 133

E 1925, Begründung, S. 119; Ebermayer, DJZ 1925, 765, 767; Wachenfeld, GA 70 [1925], 68; Marfels, S. 12; Gottschalk, S. 41; J. Meier, S. 109 ff.; von Ruepprecht, S. 49; darstellend Feloutzis, S. 244; S. Heinrich, S. 159; Lucks, S. 21. Umfangreich zur Kindesweglegung: Sudhoff, S. 46 ff. Die Lebensgefährdung begrüßend Scheffer, S. 84 ff., und Gottschalk, S. 50 ff.; ablehnend R. Schmidt, StR1, Anhang S. 17 [„Aber nicht minder schwammig und direkt sozialgefährlich ist der aus dem Eidgenössischen Entwurf der Schweiz entnommene Tatbestand der Lebensgefährdung, . . . .“]; kritisch auch Appel, S. 81 f., der – wenn überhaupt – entweder nur die Aussetzung oder das allgemeine Lebensgefährdungsdelikt im StGB für erforderlich hält; ablehnend zur Lebensgefährdung und Kindesweglegung Schoetensack, GS 93 [1926], 114, 116, sowie Lincke, S. 3. 134 E 1925, Begründung, S. 119. Daher fordert Lincke, S. 2, die Erweiterung des Deliktes auf schwere Gesundheitsgefährdungen. 135 E 1925, Begründung, S. 120. Wobei innerhalb des Reichsrates die Einführung dieses Deliktes durchaus nicht unumstritten war, wie sich aus den Niederschriften der Beratungen ergibt; vgl. Niederschrift vom 10.11.1926, in: Beratungen Reichsrat [1926/27], Bd. 2, S. 218; siehe auch Wachenfeld, GA 70 [1925], S. 68; Aschrott/Kohlrausch-Radbruch, S. 314 f.; Ebermayer, DJZ 1926, 657. Diese Einschätzung zu den Merkmalen der unmittelbaren Gefahr, der Wissentlichkeit und der Gewissenlosigkeit teilten aus dem damaligen Schrifttum Marfels, S. 93 ff.; Gottschalk, S. 53 ff.; von Ruepprecht, S. 74 ff.; kritisch, aber im Ergebnis zustimmend Itin, S. 141 ff.; ablehnend Scheffer, S. 87 ff.; Heilbrunn, S. 53 ff.; J. Meier, S. 112 ff. 136 von Hippel, StR II, S. 4; E. Schmidt, Geschichte3, S. 406 f.; LK-StGB11-Jescheck [04/1992], Einleitung Rn. 69; Peters, S. 33 f.; T. Busch, S. 35; Roxin, AT I4, § 4 Rn. 10. Nach R. Schmidt, StR2, S. 56, löste der E 1925 einen „Sturm der Ent-

B. Reformbestrebungen zum Aussetzungstatbestand des 20. Jhdts.

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Krise der Reichstagsauflösung von 1928 wurde aber auch der E 1927 niemals umgesetzt137. In dem Entwurf fand man weiterhin die drei getrennten Tatbestände: die Aussetzung (§ 257 E 1927)138, die Lebensgefährdung (§ 243 E 1927)139 und das – nur der Überschrift nach von der Kindesweglegung des E 1925 sich unterscheidende Delikt – Verlassen eines Kindes (§ 315 E 1927)140. Der Tatbestand der Aussetzung war wortgleich zum E 1925 abgefasst. Auch die Begründung141 war identisch mit der von 1925, so dass sich keine neuen Stellungnahmen der Literatur zu dieser Fassung finden142. Eine Änderung erfuhr aber das Delikt der Lebensgefährdung: Aus dem Delikt der Individualgefährdung im E 1925 war jetzt in § 243 E 1927 ein Delikt geworden, das vor Gemeingefahren schützen sollte und daher aus dem Abschnitt „Tötung“ in den Abschnitt mit den gemeingefährlichen Handlungen verschoben worden war143. Ansonsten sind Tatbestandsmerkmale der „wissentlichen“ und „gewissenlosen“ Gefährdung weiterhin in der Norm enthalten144. 9. Der Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuches 1930 („Entwurf Kahl“) Auch nach der Auflösung des Reichstages gingen 1928 die Bemühungen um die Reform des RStGB weiter. Federführend dabei war Kahl als Vorsitzender des mit der Reform befassten Reichstagsausschusses, der es erreichte, dass der E 1927 mit Hilfe eines „Fortführungsgesetz(es)“145 im rüstung“ aus, was zu dessen Überarbeitung und im E 1927 zu einer [Rück-]Annäherung an den E 1919 führte; so auch Gerland, StR2, S. 60. Als „Fortschritt“ sieht auch von Hippel, StR II, S. 8, den E 1927 an. Kritisch zum E 1927 hingegen Radbruch, IKV, S. 300, wonach der E 1927 „jedes Mauseloch des Strafrechtschutzes aufs Sorgfältigste“ schließen würde. 137 E. Schmidt, Geschichte3, S. 407.; LK-StGB11-Jescheck [04/1992], Einleitung Rn. 69; T. Busch, S. 35; Roxin, AT I4, § 4 Rn. 10. 138 E 1927, S. 28. 139 E 1927, S. 26. Zur – lebhaften – Diskussion um dieses Delikt in den Beratungen J. Meier, S. 119 f. 140 E 1927, S. 33, sowie E 1927, Begründung, S. 155, wo auf den E 1925 verwiesen wird, man aber keine Gründe für die Umbenennung findet. 141 E 1927, Begründung, S. 129 f. Vgl. auch Sudhoff, S. 70. 142 Insoweit sei auf die Anmerkungen zum E 1925 verwiesen. 143 E 1927, Begründung, S. 126; Wolf, Justiz, 1927/1928, 117; Gottschalk, S. 44, 50; Lucks, S. 21. 144 Hierzu schon oben 3. Teil: B. I. 7. und insbesondere dort in Fn. 135. 145 Fortführungsgesetz vom 31.03 1928; RGBl. S. 135.

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3. Teil: Historischer Überblick

neugewählten Parlament weiterbehandelt wurde146. Ergebnis dieser Arbeit nach der 1. Lesung im Ausschuss war der E 1930. Allerdings teilte dieser Entwurf das Schicksal des E 1927: Durch die erneute Auflösung des Reichstages 1930 konnte er nicht in geltendes Recht umgesetzt werden. In der neuen Legislaturperiode gelang es aber Kahl, den Entwurf wiederum in den Reichstag einzubringen147. Allerdings verlief danach die Reform des Strafrechts im „Sand der Zeitgeschichte“: Die politisch radikalen Kräfte der NSDAP148 verhinderten in der Folgezeit Reformen im Sinne des E 1930149. Eine „offizielle“ Begründung des E 1930 existiert nicht; allerdings sind die Niederschriften aus den Beratungen der Strafrechtsausschüsse vorhanden150, in denen sich auch Ausführungen zur Aussetzung und zum allgemeinen Gefährdungsdelikt befinden. Der E 1930 enthält die Normierungen der Aussetzung in § 257, der Lebensgefährdung in § 243 und des Verlassens eines Kindes in § 315151. Die Aussetzung war darüber hinaus weiterhin wortgleich mit dem E 1925 und dem E 1927 normiert152. von Hippel, StR II, S. 8; R. Schmidt, StR2, S. 56; Gerland, StR2, S. 60; E. Schmidt, Geschichte3, S. 407; T. Busch, S. 35. 147 Gerland, StR2, S. 60; Dahs, NJW 1958, 1161; E. Schmidt, Geschichte3, S. 407; LK-StGB11-Jescheck [04/1992], Einleitung Rn. 69; T. Busch, S. 35; Roxin, AT I4, § 4 Rn. 10. 148 Zu den Entwicklungen des Strafrechts während des Nationalsozialismus: Die Strafrechtsreform wurde in den nächsten Jahren unter Leitung von Gürtner [hierzu: Gürtner Das kommende Deutsche Strafrecht – Besonderer Teil; 1. Auflage 1935; 2. Auflage 1936; beide Berlin] zwar fortgesetzt, stand aber unter dem Leitbild einer Erneuerung im Sinne des autoritären Staates; MüKo-StGB-Joecks, Einleitung Rn. 81; Roxin, AT I4, § 4 Rn. 12 ff.; LK-StGB12-Weigend [03/2007], Einleitung Rn. 29 ff.; ausführlich auch T. Busch, S. 36 ff. Da diese Reformversuche auch nie umgesetzt wurden und weder der E 1962 noch das 6. StrRG darauf Bezug nehmen, werden diese Ansätze hier nicht weiter dargestellt und verfolgt. 149 LK-StGB11-Jescheck [04/1992], Einleitung Rn. 69; T. Busch, S. 35; Roxin, AT I4, § 4 Rn. 10. 150 In Beratungen Reichsrat [1926/27], Bd. 3/2 zur 1. Lesung sowie Bd. 3/3, 3/4 zur 2. Lesung. 151 E 1930, S. 24 f., 30. Die Norm des § 243 E 1927 war heftig umstritten und sowohl eine Erweiterung des Tatbestandes als auch dessen Abschaffung wurden gefordert. In der 1. Lesung war der Tatbestand in der 47. Sitzung [Protokoll der 47. Sitzung, S. 7 f., in: Beratungen Reichsrat (1926/27), Bd. 3/2, S. 501 f.], und der 58. Sitzung [Protokoll der 58. Sitzung, S. 6 ff., in: Beratungen Reichsrat (1926/27), Bd. 3/2, S. 612 ff.] Thema der Aussprache und wurde letztlich nach umfangreichen Diskussionen gestrichen; Protokoll der 58. Sitzung, S. 9, in: Beratungen Reichsrat [1926/27], Bd. 3/2, S. 616. Diese Streichung des § 243 E 1927 blieb auch in der 2. Lesung des Entwurfes erhalten; vgl. Protokoll der 137. Sitzung, S. 4 ff., in: Beratungen Reichsrat [1926/27], Bd. 3/3, S. 525 ff. Nicht zu klären ist dann aber, wieso der § 243 E 1927 trotz Streichung in beiden Lesungen letztlich in der Endfassung des E 1930 wieder auftaucht; E 1930, S. 24; vgl. auch Simson/Geerds, S. 211. Im Jahr 1932 wurde das Delikt dann auch in den Entwurf auf- und auch in dieser Fas146

B. Reformbestrebungen zum Aussetzungstatbestand des 20. Jhdts.

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Wirft man einen Blick auf die heutige Fassung der Aussetzung nach dem 6. StrRG, so fallen einige interessante Anträge des Abgeordneten Strathmann auf153, die aber nicht umgesetzt wurden. Strathmann forderte die Normierung des Deliktes in einem Absatz und den ausdrücklichen Verzicht auf die Notwendigkeit der räumlichen Entfernung des Opfers bei der ersten Tatvariante, um Strafbarkeitslücken zu schließen. Daneben wollte er bei der zweiten Tathandlung die Hilfspflichten vereinfachen und war zudem der Ansicht, bei der von ihm vorgeschlagenen Gestaltung der Norm würden beide Tathandlungen einen eigenen Anwendungsbereich aufweisen. Ferner regte er – wegen dieser Änderungen – die Umbenennung des Tatbestandes in „Verschuldete Hilflosigkeit“ an. Der Antrag wurde in der 1. Lesung nicht mehr verbeschiedet und für die 2. Lesung zurückgestellt154.

II. Bestrebungen zu einer Strafrechtsreform nach dem 2. Weltkrieg 1. Die Große Strafrechtskommission und die Entwürfe von 1960 und 1962 Im Jahr 1953 forcierte der Bundesminister der Justiz Dehler das durch den 2. Weltkrieg zum Erliegen gekommene Projekt „Strafrechtsreform“ wieder: Er initiierte zuerst eine umfangreiche Materialsichtung und ließ zu den wichtigsten Themen und Grundsatzfragen des Allgemeinen und Besonderen Teils Gutachten anfertigen sowie vom Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht rechtsvergleichende Arbeiten erstellen155. Nach Abschluss der Arbeiten an dieser wissenschaftlichen Grundlage berief Justizminister Neumayer 1954 dann die sog. „Große sung angenommen; Protokoll der 25. Sitzung, S. 4, in: Beratungen Reichsrat [1926/27], Bd. 3/4, S. 227. 152 Insoweit gab es kaum neue Literatur zur Aussetzung; nur van Calker, Grundriß4, S. 142, erwähnt kurz die Aussetzung im E 1930. 153 Protokoll der 66. Sitzung, S. 6 ff., in: Beratungen Reichsrat [1926/27], Bd. 3/2, S. 674 ff. 154 Protokoll der 66. Sitzung, S. 8, in: Beratungen Reichsrat [1926/27], Bd. 3/2, S. 676, und die Anlage zur 134. Sitzung, in: Beratungen Reichsrat [1926/27], Bd. 3/3, S. 610, in denen die Frage von Strathmann ausdrücklich als offen bezeichnet wird. Anscheinend wurde in der 2. Lesung dann aber nicht über diese Anträge entschieden, weil in der Gegenüberstellung der Textfassungen der 1. und 2. Lesung, in: Beratungen Reichsrat [1926/27], Bd. 3/4, S. 594 f., zu § 257 keine Änderungen eingetragen sind. 155 E 1962, S. 95; siehe auch Dahs, NJW 1958, 1161 f.; Jescheck, Strafrechtsreform, S. 15, 10; Kosloh, S. 5; MüKo-StGB-Joecks, Einleitung Rn. 83; Eisenhardt, Rechtsgeschichte4, Rn. 782; T. Busch, S. 40; Roxin, AT I4, § 4 Rn. 1.

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3. Teil: Historischer Überblick

Strafrechtskommission“ ein, die bis 1959 einen neuen Entwurf erarbeitete, den sog. E 1960156. Dieser passierte zwar den Bundesrat, seine endgültige Verabschiedung scheiterte aber wegen des Endes der Legislaturperiode, so dass er zwei Jahre später als E 1962 mit geringfügigen Änderungen wieder vorgelegt wurde157. Allerdings teilte dieser Entwurf weitgehend das Schicksal seiner Vorgänger; eine vollständige Umsetzung in geschriebenes Recht erfolgte nicht158. Der E 1962 wirkte sich aber nachhaltig auf das geltende StGB und auf das 6. StrRG aus159. Hinsichtlich des Aussetzungstatbestandes gilt es festzuhalten, dass seine Gestaltung innerhalb der Kommission kontrovers diskutiert wurde: Ausgehend von zwei Formulierungsalternativen160 am Beginn der Beratungen

E 1962, S. 95; LK-StGB12-Weigend [03/2007], Einleitung Rn. 34; Kosloh, S. 5; MüKo-StGB-Joecks, Einleitung Rn. 83; T. Busch, S. 40; Roxin, AT I4, § 4 Rn. 16. Eine Aufzählung der Mitglieder der Strafrechtskommission findet man bei Dahs, NJW 1958, 1162. 157 E 1962, S. 95 f.; Kosloh, S. 5 f.; MüKo-StGB-Joecks, Einleitung Rn. 83; T. Busch, S. 40; Roxin, AT I4, § 4 Rn. 16. 158 Kreß, NJW 1998, 633; Kosloh, S. 6. Der Allgemeine Teil des E 1962 – allerdings in wesentlich geänderter und überarbeiteter Form – und wenige Teile des Besonderen Teils wurden im Rahmen der Reformen von 1969 bis 1974 umgesetzt; vgl. MüKo-StGB-Joecks, Einleitung Rn. 86; Roxin, AT I4, § 4 Rn. 24 ff.; Schönke/ Schröder-StGB27-Eser, Einführung Rn. 7 ff. 159 MüKo-StGB-Joecks, Einleitung Rn. 85; T. Busch, S. 40, 45; Roxin, AT I4, § 4 Rn. 17. 160 Ndschr. Bd. 5 [1958], Anhang B, S. 298. Da im Folgenden vielfach gerade diese beiden Ausgangsalternativen herangezogen werden, hier der genaue Wortlaut in Gegenüberstellung: 156

1. Alternative

2. Alternative

§ 325 Aussetzung (§ 324) (I)II Wer einen anderen dadurch in Lebensgefahr bringt, daß er ihn in eine hilflose Lage versetzt oder entgegen einer Pflicht zur Obhut in hilfloser Lage läßt, wird mit Gefängnis bis zu fünf Jahren bestraft. (II)I Ebenso wird bestraft, wer einen anderen, der sich in Lebensgefahr befindet, entgegen einer Pflicht zur Obhut in dieser Gefahr läßt. (III) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Gefängnis nicht unter sechs Monaten.

§ 325 Aussetzung (§ 324) (I)II Wer einen anderen in eine hilflose Lage bringt und dadurch sein Leben gefährdet, wird mit Gefängnis bis zu fünf Jahren bestraft. (II)I Ebenso wird bestraft, wer einen Hilflosen, der unter seiner Obhut steht, im Stiche läßt und dadurch sein Leben gefährdet. (III) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Gefängnis nicht unter sechs Monaten.

B. Reformbestrebungen zum Aussetzungstatbestand des 20. Jhdts.

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durchlief der Tatbestand der Aussetzung in der Strafrechtskommission161, im E 1960162 und E 1962163 verschiedene Textfassungen. Die heutige „optische Gestaltung“ des Tatbestandes in zwei Nummern findet sich erstmals im E 1962164; bis zum E 1960 hatte man die beiden Tathandlungen in je einem eigenen Absatz geregelt165. Begründung für diese Umgestaltung war, dass hierdurch „die beiden Untertatbestände klarer als bisher unterschieden“ und „das beiden Gemeinsame betont“ sowie „Wiederholungen vermieden“ wurden166. Unverändert weit – und damit den Reformvorschlägen vor dem Weltkrieg folgend – blieben Täter- und Opferkreis: Täter und Opfer konnte grundsätzlich jedermann sein. Leicht einzuschränken ist diese Festlegung aber für die zweite Tathandlung, da sie ja das Vorliegen einer Obhuts- oder Beistandspflicht verlangte167. Auffallend ist, dass es bei der zweiten Tathandlung im Verlauf der Diskussionen verschiedene Textfassungen für die Beschreibung der möglichen Opfer gab: War in den beiden Ausgangsalternativen entweder von einem „anderen, der sich in Lebensgefahr befindet“ oder einem „Hilflosen“ die Rede168, wurde von der Kommission die Wendung „einen anderen in einer 161 Vorschlag der Sachbearbeiter des Bundesjustizministeriums während der 1. Lesung: Ndschr. Bd. 7 [1959], Anhang J 68, S. 331, Vorschlag der Unterkommission in der 1. Lesung, Ndschr. Bd. 7 [1959], Anhang U 53, S. 350, sowie zur 1. Lesung der Beschluss der Großen Strafrechtskommission, Ndschr. Bd. 7 [1959], Anhang K 53, S. 351. Die Fassung nach der 2. Lesung findet man in den Ndschr. Bd. 12 [1959], Anhang B, S. 593. 162 E 1960, S. 35. 163 E 1962, S. 35. 164 E 1962, S. 35, 276. 165 Ndschr. Bd. 8 [1959], S. 96 f.; E 1960, S. 260, wo für die Gestaltung in zwei Absätzen ausdrücklich die Parallele zu der Gestaltung in den Entwürfen von 1919 bis 1930 gezogen wird. 166 E 1962, S. 276; darstellend Küper, ZStW 111 [1999], 41; Kosloh, S. 56; Lucks, S. 61. Diese Begründung findet sich so wörtlich in den Materialien zum 6. StrRG wieder; RefE, S. 123; BR-Drs. 164/97, S. 120; BT-Drs. 13/7164, S. 34; BT-Drs. 13/8587, S. 34. Die „Klarheit“ der Unterscheidung der beiden Tathandlungen war übrigens im E 1960, S. 260, auch als Grund für die Gliederung in zwei Absätze angeführt worden. 167 E 1960, S. 260, und E 1962, S. 276, sprachen insoweit recht missverständlich von einer Beschränkung des „geschützten Personenkreises auf Hilflose“, denen gegenüber der Täter eine Obhuts- oder Beistandspflicht habe. Allerdings sollte die „hilflose Lage“ nicht gleichbedeutend mit der „Hilflosigkeit der Person“ sein; vgl. Jescheck, Ndschr. Bd. 7 [1959], Anhang J 68, S. 348. Hierzu auch: Küper, ZStW 111 [1999], 32; ders., BT6, S. 35 f.; S. Heinrich, S. 160 f. 168 Vgl. in diesem Abschnitt Fn. 160.

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3. Teil: Historischer Überblick

hilflosen Lage“ als Umschreibung des Opferkreises der zweiten Tathandlung gewählt169. Die erste Tathandlung lautete in den Ausgangsalternativen „versetzen“ oder „in hilflose Lage bringen“170. Die Kommission und die Entwürfe übernahmen das Versetzen aus der ersten Alternative in die Fassung des Tatbestandes171. Es ist allerdings unklar, ob mit der Änderung des Wortlautes weg vom Aussetzen i. S. v. § 221 StGB a. F. hin zum Versetzen auch eine Änderung des Inhaltes angestrebt war, weil sich weder in den Begründungen zum E 1960 und E 1962 noch bei den Beratungen der Kommission ein Wort dazu findet172. Bei der zweiten Tathandlung war in den Ausgangsalternativen einerseits von „in dieser Gefahr läßt“, andererseits erstmals im Verlaufe der Reformen von „im Stiche läßt“ die Rede173. Die Kommission bevorzugte von Anfang an die zweite Formulierung, die sich dann in allen folgenden Vorschlägen wiederfindet174. Dabei war es „selbstverständlich und nicht erklärungsbedürftig“175, dass das Imstichlassen sowohl durch räumliches Verlassen als auch durch reines Passivbleiben geschehen konnte176. Sehr umstritten war allerdings im Rahmen der Kommissionsberatungen, ob schon die Verletzung der Beistandspflicht zur Verwirklichung der zwei169 Vgl. die Textfassungen in: Ndschr. Bd. 7 [1959], Anhang J 68, S. 331, und Bd. 12 [1959], Anhang B, S. 593. Ein Grund für diesen Wechsel wird in den Materialien der Kommission allerdings nirgends genannt; Fritz, Ndschr. Bd. 7 [1959], S. 99, Schafheutle, Ndschr. Bd. 7 [1959], S. 101 f., und Baldus, Ndschr. Bd. 7 [1959], S. 102, verwenden im Rahmen der Diskussion über die Aussetzung schon die geänderte Fassung des Opferkreises. 170 Vgl. Ndschr. Bd. 5 [1958], Anhang B, S. 298, und oben in diesem Abschnitt Fn. 160; Küper, ZStW 111 [1999], 40. 171 Überraschend ist hierbei, dass die Kommission die Formulierung der ersten Tathandlung aus der ersten Ausgangsalternative wählte, sich aber sonst bei der Fassung der Aussetzung an der zweiten Alternative orientierte; Ndschr. Bd. 5 [1958], Anhang B, S. 298; Ndschr. Bd. 7 [1959], S. 102, sowie Ndschr. Bd. 7 [1959], Anhang J 68, S. 331; Anhang U 53, S. 350, und Anhang K 53, S. 351, sowie Ndschr. Bd. 12 [1959], S. 593; E 1960, S. 35; E 1962, S. 35. 172 DSNS-Struensee, 2. Teil Rn. 24; Küper, ZStW 111 [1999], 40; LKStGB11-Jähnke [07/1999], § 221 Entstehungsgeschichte vor Rn. 1; Kosloh, S. 56; Laue, S. 2, 69 ff.; Lucks, S. 53, 60 f. 173 Vgl. in diesem Abschnitt Fn. 160. 174 Ndschr. Bd. 7 [1959], Anhang U 53, S. 331, und Anhang K 53, S. 351, sowie Ndschr. Bd. 12 [1959], S. 593; E 1960, S. 35; E 1962, S. 35; vgl. auch Küper, ZStW 111 [1999], 51 [insbesondere Fn. 93], und Lucks, S. 202. 175 Ndschr. Bd. 7 [1959], S. 96. 176 Ndschr. Bd. 7 [1959], S. 96 f.; Ndschr. Bd. 7 [1959], Anhang J 68, S. 338; E 1960, S. 260; E 1962, S. 277; Güntge, Unterlassen, S. 148; Kosloh, S. 48 f.; S. Heinrich, S. 161; Lucks, S. 202.

B. Reformbestrebungen zum Aussetzungstatbestand des 20. Jhdts.

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ten Tathandlung hinreichend oder ob zusätzlich die Neuschaffung bzw. Vergrößerung einer Lebensgefahr durch das „Im Stiche lassen“ zu verlangen sei. Während Schwalm177, Lackner178 und Dreher179 die bloße Verletzung der Beistandspflicht ohne weitergehenden Erfolg als hinreichend strafwürdig ansahen180, teilten Jescheck181, Welzel182 und Schafheutle183 diese Ansicht nicht und wollten auch bei der zweiten Tathandlung die Gefährdung als Taterfolg. Letztlich entschied die Kommission auf Anregung von Schafheutle und Baldus184, auch bei der zweiten Tathandlung solle das Schaffen oder Vergrößern der Gefahr Tatbestandsmerkmal sein185. Damit war also klargestellt, dass die Klausel, die als Taterfolg der Aussetzung die (Lebens-)Gefahr beschreibt (sog. Gefährdungsklausel), für beide Tatvarianten gleichlautend den Taterfolg einer konkreten Gefahr fordert. Dementsprechend entschied sich die Kommission bei ihren Beratungen hinsichtlich der zweiten Tathandlung für die zweite Ausgangsalternative und damit dafür, dass auch die zweite Tathandlung das Schaffen oder Vergrößern einer Lebensgefahr erfordere und dort eine Lebensgefahr nicht Ausgangssituation sei186. In der ersten Ausgangsalternative wäre hingegen die erste Tatvariante als „in Lebensgefahr bringt“ beschrieben gewesen187, während in der zweiten Tathandlung nach diesem Ausgangsentwurf das Vorliegen einer Lebensgefahr Ausgangssituation der Tat und nicht deren Resultat hätte sein sollen188. Nur kurz diskutierte die Kommission die Frage, ob für den Aussetzungstatbestand auch eine Regelung der tätigen Reue erforderlich sei189. Eine 177

Ndschr. Bd. 7 [1959], S. 96, 101. Ndschr. Bd. 7 [1959], S. 99. 179 Ndschr. Bd. 7 [1959], S. 101. 180 So auch noch der Vorschlag der Bearbeiter des BMJ, Ndschr. Bd. 7 [1959], Anhang J 68, S. 338. 181 Ndschr. Bd. 7 [1959], S. 101. 182 Ndschr. Bd. 7 [1959], S. 101. 183 Ndschr. Bd. 7 [1959], S. 101. 184 Ndschr. Bd. 7 [1959], S. 102. 185 Ndschr. Bd. 7 [1959], S. 102; Ndschr. Bd. 7 [1959], S. 282; so auch in E 1960, S. 260, und E 1962, S. 276. 186 Schafheutle, Ndschr. Bd. 7 [1959], S. 101 f.; darstellend Küper, ZStW 111 [1999], 36; Laue, S. 15; vgl. auch die Fundstellen und Nachweise soeben in Fn. 185. Aus sprachlichen Gründen wurde die Klausel auf Anregung von Baldus, Ndschr. Bd. 7 [1959], S. 102, noch leicht geändert. So dann auch im E 1960, S. 35, und E 1962, S. 35, zu finden. 187 Ndschr. Bd. 5 [1958], Anhang B, S. 298. 188 Ndschr. Bd. 5 [1958], Anhang B, S. 298.; so explizit Ndschr. Bd. 7 [1959], Anhang J 68, S. 338. 189 Schwalm, Ndschr. Bd. 7 [1959], S. 97. 178

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3. Teil: Historischer Überblick

entsprechende Klausel wurde aus kriminalpolitischen Gründen im E 1962 eingefügt190. Die Schaffung eines allgemeinen Leibes- und Lebensgefährdungsdelikts lehnte die Große Strafrechtskommission ab191: Man ging davon aus, dass ein solcher Tatbestand nicht genau genug umschrieben werden konnte und dass man, solange Verletzungstatbestände konkret formuliert werden konnten, von einem so allgemeinen Delikt absehen sollte192. 2. Der Alternativentwurf eines Strafgesetzbuches Eine vollständige Transformation des E 1962 in geschriebenes Recht erfolgte nicht, er führte aber zu einer Diskussion innerhalb der Strafrechtswissenschaft über die Inhalte und Ausrichtung der Strafrechtsreform. Als Reaktion auf den E 1962 verfassten 14 vorwiegend jüngere Strafrechtsprofessoren 1966 den „Alternativentwurf eines Strafgesetzbuches“193. Im AE war keine Regelung für die Aussetzung vorhanden. Die Autoren waren der Ansicht, dass die Normierung des Tatbestandes überflüssig und damit entbehrlich sei. Dem bisherigen Tatbestand wurde die praktische Relevanz abgesprochen und damit das rechtspolitische Bedürfnis für die Existenz dieses Tatbestandes verneint. Man war der Ansicht, dass die Fälle, die bisher unter den Tatbestand der Aussetzung subsumiert wurden, auch als Fälle der unterlassenen Hilfeleistung hinreichend bestraft werden konnten194. 3. Das 6. StrRG von 1998 Durch das 6. StrRG195, eine der umfangreichsten Novellierungen des Besonderen Teils nach den Strafrechtsänderungsgesetzen von 1969–1974196, 190

E 1962, S. 35, 277, 518; Kosloh, S. 47 f. Ndschr. Bd. 5 [1958], Anhang B, S. 298 Fn. 15; Ndschr. Bd. 8 [1959], Anhang J 84, S. 663 f.; ebenso dann auch E 1960, S. 254 f.; E 1962, S. 270; darstellend Arzt/Weber, BT, § 35 Rn. 63; Simson/Geerds, S. 211; Laue, S. 17; Lucks, S. 22. 192 Baldus, Ndschr. Bd. 2 [1958], S. 258; ders., Ndschr. Bd. 8 [1959], S. 428; Schafheutle, Ndschr. Bd. 2 [1958], S. 258 f.; Bockelmann, Ndschr. Bd. 5 [1958], S. 49; ders., Ndschr. Bd. 7 [1959], Anhang J 68, S. 348; Schwalm, Ndschr. Bd. 8 [1959], S. 382; ders., Bd. 10 [1959], S. 370 f.; Dreher, Ndschr. Bd. 9 [1959], S. 270. 193 Jescheck, Strafrechtsreform, S. 20; MüKo-StGB-Joecks, Einleitung Rn. 85; Eisenhardt, Rechtsgeschichte4, Rn. 782; T. Busch, S. 45; Roxin, AT I4, § 4 Rn. 20. Eine Liste der 14 „Alternativprofessoren“ findet man bei Wassermann, Einleitung, S. 3 Fn. 14. 194 AE, BT Hb.1, S. 59; AE, BT Hb.2, S. 99; darstellend Kosloh, S. 48; Laue, S. 16. 191

B. Reformbestrebungen zum Aussetzungstatbestand des 20. Jhdts.

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fand die Reform des Besonderen Teils des StGB einen (vorläufigen) Abschluss; insbesondere strebte der Gesetzgeber als Ziele der Reform die Harmonisierung der Strafrahmen, die Schließung von Strafbarkeitslücken sowie die technische und sprachliche Erneuerung von Tatbeständen und die Aufhebung nicht mehr zeitgemäßer Bestimmungen an197. Die Literatur setzte sich vielfach, meist höchst kritisch, mit der „raschen“ Durchführung der Reform198 und dem „Erfolg“ des 6. StrRG auseinander199. Ausgehend von einem ersten Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz200 wurden im Bundesrat201 und im Bundestag – sowohl von den 195

Vom 26. Januar 1998; BGBl. I S. 164 ff., 704. RefE, S. 63; BR-Drs. 164/97, S. 63; BT-Drs. 13/7164, S. 18; 13/8587, S. 18; Freund, ZStW 109 [1997], 456; Hörnle, Jura 1998, 169; Kreß, NJW 1998, 633; Sander/Hohmann, NStZ 1998, 273; Rengier, ZStW 111 [1999], 1; Lucks, S. 1; MüKo-StGB-Joecks, Einleitung Rn. 93; T. Busch, S. 131. 197 RefE, S. 1, 63 ff.; BR-Drs. 164/97, S. 1, 63 ff.; BT-Drs. 13/7164, S. 1, 18 ff.; 13/8587, S. 1, 18 ff. 198 Kritisch Freund, ZStW 109 [1997], 455; DSNS-Einleitung, Rn. 4; Kreß, NJW 1998, 634; Lackner/Kühl, StGB22 [Nachtrag], S. V; Sander/Hohmann, NStZ 1998, 273; Fischer, NStZ 1999, 13; Rengier, ZStW 111 [1999], 1; Kosloh, S. 8, 11; MüKoStGB-Joecks, Einleitung Rn. 93; T. Busch, S. 132. Kritik kam auch aus den Reihen des Bundesrates: BR-Drs. 164/2/97, S. 1 [abgedruckt auch in BT-Drs. 13/8587, S. 55], insbesondere zu finden in den Anlagen 19–21 zum Sitzungsprotokoll der 712. Sitzung des BR vom 16.06.1997, S. 198–203, durch von Behrens [Anlage 19, S. 198–199], Männle [Anlage 20, S. 199–201], und Bräutigam [Anlage 21, S. 201–203]. Däubler-Gmelin spricht in der 204. Sitzung des BT vom 14.11.1997, in: BT-Protokoll 13/204, S. 18438, bildhaft von einem „Schweinsgalopp“. 199 Positiv zum 6. StrRG nur V. Weber, DRiZ 1997, 4; tendenziell positiv Rengier, ZStW 111 [1999], 128; weitgehend negativ u. a. Freund, ZStW 109 [1997], 470; Wolters, JZ 1998, 397; DSNS-Einleitung, Rn. 4, 6 f., 9; Sander/Hohmann, NStZ 1998, 273; Laue, S. 1. Nach K. Weber, [3. Teil: B. II. 3. in Fn. 205], S. 52, schafft das 6. StrRG mehr Probleme als es löst. Freund, ZStW 109 [1997], 489; Kempf, [3. Teil: B. II. 3. in Fn. 205], S. 105, und auch von Behrens, [soeben in Fn. 198], S. 199, betonen, dass die Reform des BT entgegen der Intention des Gesetzgebers noch nicht abgeschlossen ist. Äußerst kritisch äußert sich das Schrifttum insbesondere zur „Harmonisierung der Strafrahmen“, weil sich diese alleine in einer Erhöhung derselben niedergeschlagen habe; Freund, ZStW 109 [1997], 470; DSNS-Einleitung, Rn. 6; Kreß, NJW 1998, 633 f.; Sander/Hohmann, NStZ 1998, 273; Stächelin, StV 1998, 98, 101 f.; Wolters, JZ 1998, 397; MüKo-StGB-Joecks, Einleitung Rn. 93; etwas positiver nur Rengier, ZStW 111 [1999], 128. Ähnlich kritisch auch die Stellungnahmen von Bräutigam, [soeben in Fn. 198], S. 202 f., sowie die Äußerungen von Kempf, S. 104; G. Schäfer, S. 36; Sack, S. 47 f. [zu den drei Letztgenannten siehe sogleich 3. Teil: B. II. 3. in Fn. 205]; positiver nur Widmaier, [3. Teil: B. II. 3. in Fn. 205], S. 72. V. Beck, in: Protokoll der 100. Sitzung des Rechtsausschusses vom 12.11.1997, S. 39, spricht gar von einem „phantasielosen Strafrahmenerhöhungsgesetz“. 200 Dieser Entwurf wurde nicht veröffentlicht, ist aber hinsichtlich der Aussetzung wortgleich mit den Gesetzesentwürfen der Fraktionen der CDU/CSU und FDP 196

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3. Teil: Historischer Überblick

Fraktionen der CDU/CSU und FDP202 als auch von der Bundesregierung203 – Entwürfe für das Gesetz eingebracht. Diese Entwürfe waren Diskussionsgrundlage für Beratung und Beschlussempfehlung im Rechtsausschuss204. Wesentliche – insbesondere von der Wissenschaft und den Gutachtern in ihren Stellungnahmen zum 6. StrRG geäußerte – Kritikpunkte am Ablauf des Gesetzgebungsverfahrens waren die hektische Eile bei der Entstehung des Gesetzesvorhabens sowie die relativ späte Beachtung der Stellungnahmen von Fachverbänden, Justiz und Rechtswissenschaft205. Letztlich stimmte der Bundesrat dem 6. StrRG in der Fassung der Beschlussempfehlung des Rechtsauschusses des Bundestages zu und das Gesetz wurde am 26.01.1998 verabschiedet206. Hinsichtlich der Aussetzung gilt es festzuhalten, dass einige der seit fast 100 Jahren angedachten und geforderten Reformen 1998 umgesetzt wurden207. Die Fassung des Grundtatbestandes und die Begründung lehnen sich stark an § 139 E 1962 an208. Die in der Großen Strafrechtskommission und zu den Entwürfen von 1960 und 1962 geführte Diskussion um das allgemeine Gefährdungsdelikt wurde im Rahmen des 6. StrRG vom Gesetzgeber jedoch nicht wieder aufgegriffen209. In Anlehnung an die letzte Fassung des Tatbestandes aus dem E 1962 wurde die optische Gestaltung des Grundtatbestandes geändert: Die zwei [BT-Drs. 13/7164] sowie dem Entwurf der Bundesregierung [BT-Drs. 13/8587]. Hierzu auch Freund, ZStW 109 [1997], 455; Lackner/Kühl, StGB22 [Nachtrag], S. V; T. Busch, S. 132. 201 BR-Drs. 164/97. 202 BT-Drs. 13/7164. 203 BT-Drs. 13/8587. 204 BT-Drs. 13/8991 und 13/9064. 205 Freund, ZStW 109 [1997], 455; Lackner/Kühl, StGB22 [Nachtrag], S. V; Sander/Hohmann, NStZ 1998, 273 Fn. 10; Rengier, ZStW 111 [1999], 1 f.; Kosloh, S. 9, 11; T. Busch, S. 132; Hettinger; FS Küper, S. 97 f., 112. Die – wenigen eingeholten – Stellungnahmen aus Praxis und Wissenschaft sind als Anlage zum Protokoll der 88. Sitzung des Rechtsauschusses [13. Wahlperiode] vom 04.06.1997 zu finden. Gutachter waren Frenzel [S. 2–7, 116–128], Hubmann [S. 8–18], Nack [S. 20–35], G. Schäfer [S. 36–41], Sack [S. 42–50], K. Weber [S. 52–61], Wick [S. 62–70], Widmaier [S. 72–82], Gold-Pfuhl [S. 84–100] und Kempf [S. 102–115]. 206 BR-Drs. 931/97, S. 1, S. 20 zur Aussetzung. 207 Nicht umgesetzt wurden Forderungen der Literatur aus der Zeit vor dem 2. Weltkrieg, auch den Versuch des Grundtatbestands unter Strafe zu stellen; vgl. H. Weber, S. 80; Dieterich, S. 44; Zerling, S. 72; Redlich, S. 85; im Rahmen der Beratungen zum 6. StrRG fordert dies nur Frenzel, [3. Teil: B. II. 3. in Fn. 205], S. 2. Bussmann, GA 1999, 21, bezeichnet die fehlende Möglichkeit der Versuchsstrafbarkeit als „vollkommen inkonsistent“. 208 Nachweise vgl. im 3. Teil: B. in Fn. 68. 209 Laue, S. 17; Lucks, S. 23.

B. Reformbestrebungen zum Aussetzungstatbestand des 20. Jhdts.

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Tathandlungen sind nunmehr zwar in einem Absatz normiert, werden aber in zwei Nummern getrennt aufgeführt210. In inhaltlicher Hinsicht erfuhr der Grundtatbestand der Aussetzung im Laufe der Beratungen zum 6. StrRG nur wenig Veränderungen: Während im RefE § 221 Abs. 1 StGB noch stand211: Wer einen Menschen 1. in eine hilflose Lage versetzt oder 2. in einer hilflosen Lage im Stich läßt, obwohl er ihn in seiner Obhut hat oder ihm sonst, unabhängig von einer durch § 323c begründeten Hilfspflicht, beizustehen verpflichtet ist, und ihn dadurch in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung bringt, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

wurde die Formulierung durch die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses in Wer einen Menschen 1. in eine hilflose Lage versetzt oder 2. in einer hilflosen Lage im Stich läßt, obwohl er ihn in seiner Obhut hat oder ihm sonst beizustehen verpflichtet ist, und ihn dadurch der Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung aussetzt, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

geändert und damit in die Fassung gebracht, die seitdem geltendes Recht ist212. Beim Täter- und Opferkreis blieb der Gesetzgeber auf der „Linie“ des E 1962: Es gilt seit 1998 der weitestmögliche Anwendungsbereich für Täter und mögliche Opfer213. Grund für diese Ausweitung war die Ansicht des Gesetzgebers, dass zwar die in der a. F. geschützten Personengruppen durch eine Aussetzung besonders gefährdet seien, jedoch auch Erwachsene und gesunde Personen des Schutzes vor Aussetzung bedürften214. 210

RefE, S. 123; BR-Drs 164/97, S. 119; BT-Drs. 13/7164, S. 34; 13/8587, S. 34; siehe auch DSNS-Struensee, 2. Teil Rn. 8; Schlüchter-Nolte, § 221 Rn. 1; Jäger, JuS 2000, 32; Kosloh, S. 43; Laue, S. 1; Lucks, S. 2, 53. 211 RefE, S. 12; damit auch in den wortgleichen Entwürfen in BR-Drs. 164/97, S. 12; BT-Drs. 13/7164, S. 5; 13/8587, S. 6. 212 BT-Drs. 13/8991, S. 16; 13/9064, S. 14. So auch der Bundesratsbeschluss, in: BR-Drs. 931/97, S. 20. 213 DSNS-Struensee, 2. Teil Rn. 22; Hörnle, Jura 1998, 177; Kreß, NJW 1998, 641; Schlüchter-Nolte, § 221 Rn. 3; Sternberg-Lieben/Fisch, Jura 1999, 45; Jäger, JuS 2000, 32; Kosloh, S. 43 f.; S. Heinrich, S. 163; Lucks, S. 3, 45, 51.; Küper, BT6, S. 36; Tröndle/Fischer, StGB54, § 221 Rn. 1. 214 RefE, S. 124; BR-Drs. 164/97, S. 120; BT-Drs. 13/7164, S. 34; 13/8587, S. 34. Vgl. hierzu auch Sternberg-Lieben/Fisch, Jura 1999, 45; Kosloh, S. 43 f., 54.

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3. Teil: Historischer Überblick

Die Tathandlungen lauten nunmehr Versetzen in eine hilflose Lage und Imstichlassen in einer hilflosen Lage215. Eine eigenständige Begründung für den Wechsel des Wortlauts vom „Aussetzen“ zum „Versetzen“ fehlt im Entwurf, man findet nur wenige Sätze zum Imstichlassen und zum Verhältnis der beiden Tathandlungen216. Durch die Neufassung unterscheidet nach den Materialien „Absatz 1 . . . deutlicher als der geltende § 221 Abs. 1 zwischen zwei Ausführungsarten“ und „der Begriff des Imstichlassens bringt deutlicher als das geltende Recht zum Ausdruck, daß diese Ausführungsart nicht nur durch das räumliche Verlassen, sondern auch dadurch verwirklicht werden kann, daß der Beistandspflichtige sich der Beistandsleistung vorsätzlich entzieht, obwohl er dazu in der Lage wäre“217. Das Fehlen einer Begründung ist bezüglich der Neuaufnahme des Begriffes „Versetzen“ überraschend, zumal schon im E 1962 keine Begründung für das Versetzen zu finden war218, das 6. StrRG aber – nach der eigenen Zielvorgabe – ja Auslegungsprobleme beseitigen wollte219. Abweichend vom E 1962 und vom RefE sind im Verlauf der Entstehung des 6. StrRG die Umschreibung der Obhuts- oder Beistandspflicht und die Gefährdungsklausel im letzten Teilsatz des Grundtatbestands gestaltet worden220. Enthielt die Formulierung der Obhuts- oder Beistandspflicht anfangs noch den ausdrücklichen Hinweis darauf, dass eine Pflicht aus § 323c StGB keine Obhuts- oder Beistandspflicht i. S. v. § 221 Abs. 1 StGB begründen kann221, so wurde dieser klarstellende Verweis später als „entbehrlich“ gestrichen222. Sachlich sollte die Obhuts- oder Beistandspflicht, obwohl vom Wortlaut her im Vergleich zu § 221 Abs. 1 StGB a. F. leicht ab215

RefE, S. 123; BR-Drs. 164/97, S. 119; BT-Drs. 13/7164, S. 34; 13/8587, S. 34. DSNS-Struensee, 2. Teil Rn. 24; Küper, ZStW 111 [1999], 41; LKStGB11-Jähnke [07/1999], § 221 Entstehungsgeschichte vor Rn. 1; Sternberg-Lieben/Fisch, Jura 1999, 45; Kosloh, S. 48 f.; S. Heinrich, S. 165; Lucks, S. 53, 202. 217 RefE, S. 123 f.; BR-Drs. 164/97, S. 120 f.; BT-Drs 13/7164, S. 34 f.; 13/8587, S. 34. 218 Küper, ZStW 111 [1999], 41; Kosloh, S. 56; S. Heinrich, S. 165; Lucks, S. 53, 60. Vgl. auch zum E 1962 oben im 3. Teil: B. II. 1. [Nachweise ebenda, Fn. 172]. 219 So für die Aussetzung Freund, ZStW 109 [1997], 457. Vgl. allgemein zu diesem Anliegen des 6. StrRG: Freund, ZStW 109 [1997], 456; V. Weber, DRiZ 1997, 4; DSNS-Einleitung, Rn. 1–9; Hörnle, Jura 1998, 169; Kreß, NJW 1998, 633 f.; Lackner/Kühl, StGB22 [Nachtrag], S. V; Rengier, ZStW 111 [1999], 1; Laue, S. 1; Lucks, S. 1; T. Busch, S. 132 f. 220 Kosloh, S. 46; S. Heinrich, S. 163. 221 RefE, S. 124; BR-Drs. 164/97, S. 120; BT-Drs. 13/7164, S. 34; 13/8587, S. 34. 222 Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses BT-Drs. 13/8991, S. 17, und Bericht des Rechtsausschusses des Bundestages, in: BT-Drs. 13/9064, S. 14; Freund, ZStW 109 [1997], 474 bezeichnete die ursprüngliche Formulierung als „schief und ungenau“; vgl. auch Kosloh, S. 46; S. Heinrich, S. 163. 216

B. Reformbestrebungen zum Aussetzungstatbestand des 20. Jhdts.

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gewandelt, nach dem Willen des Gesetzgebers wie in der a. F., als Garantenstellung i. S. der unechten Unterlassungsdelikte verstanden werden223. Auch der Taterfolg ist in zweifacher Hinsicht – abweichend von den Reformansätzen der 50er und 60er Jahren – festgelegt worden: Erstens umfasst er nicht mehr nur die Gefahr des Todes, sondern erweiternd auch die „Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung“224. Zweitens wurde die Klausel, die den Gefahrenerfolg umschreibt, im Verlauf der Beratungen des 6. StrRG umformuliert225: Aus dem ursprünglichen „und ihn dadurch in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung bringt“ wurde das heutige „und ihn dadurch der Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung aussetzt“. Diese Änderung geht darauf zurück, dass ein Arbeitskreis von Strafrechtswissenschaftlern226 an der Textfassung des RefE bezüglich der zweiten Tathandlung und der Gefährdungsklausel bemängelte, die geplante Norm enthalte mit Blick auf das Imstichlassen „einen sprachlichen und sachlichen Bruch, wenn es heißt: ‚. . . in einer hilflosen Lage im Stich läßt, . . . und ihn dadurch in die Gefahr . . . bringt, . . .‘ Sagen ließe sich wohl: ‚. . . im Stich läßt, . . . und ihn dadurch der Gefahr aussetzt, . . .‘ “227. Daraufhin wurde vom Rechtsausschuss die Anregung der Wissenschaft aufgenommen und der heutige Wortlaut gewählt228. Dass sich der Gesetzgeber damit für eine Formulierung entschieden hat, die in dieser Art und Weise selten für das Erfordernis einer Gefährdung ist und die mit dem § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB nur noch schwerlich harmoniert, wurde dabei nicht thematisiert, sondern vielmehr die – nur auf die zweite Tathandlung beschränkte – Anregung der Wissenschaft schlichtweg und un223 RefE, S. 124; BR-Drs. 164/97, S. 120 f.; BT-Drs. 13/7164, S. 34; 13/8587, S. 34. Diese Einschätzung teilt auch nahezu einhellig das Schrifttum; vgl. hierzu im folgenden Abschnitt 4. Teil: A. 224 RefE, S. 123; BR-Drs. 164/97, S. 119; BT-Drs 13/7164, S. 34, 13/8587, S. 34; DSNS-Struensee, 2. Teil Rn. 9, 11; Kreß, NJW 1998, 641; Sander/Hohmann, NStZ 1998, 275; Schlüchter-Nolte, § 221 Rn. 1; Bussmann, GA 1999, 24; Küper, ZStW 111 [1999], 36; Jäger, JuS 2000, 33; SK-StGB7-Horn/Wolters [03/2002], § 221 Rn. 1; Laue, S. 15 f.; S. Heinrich, S. 164. 225 Sternberg-Lieben/Fisch, Jura 1999, 48; Küper, ZStW 111 [1999], 45; Laue, S. 16, 26; Lucks, S. 30. 226 Die Beteiligten an diesem Arbeitskreis sind zu finden bei Freund, ZStW 109 [1997], 469 Fn. 5. 227 Freund, ZStW 109 [1997], 474 [Hervorhebungen im Original]; hierzu auch Kosloh, S. 46, 49 f.; Laue, S. 26; Lucks, S. 30. 228 Beschlussempfehlung des Rechtsauschusses des Bundestages, in: BT-Drs. 13/8991, S. 17; Bericht des Rechtsausschusses des Bundestages, in: BT-Drs. 13/9064, S. 14; siehe auch Sternberg-Lieben/Fisch, Jura 1999, 48 Fn. 64; Küper, ZStW 111 [1999], 45; Lucks, S. 30.

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3. Teil: Historischer Überblick

kritisch auf den gesamten Tatbestand des Absatz 1 übertragen229. Schließlich ist den Materialien zu entnehmen, dass nach dem Willen des Gesetzgebers auch das Verstärken einer Gefahr als Taterfolg ausreichen soll230. Im Übrigen ist der Grundtatbestand weder in den Materialien noch in den Ausschüssen Gegenstand einer vertieften Diskussion oder Auseinandersetzung gewesen; Fragen zum genauen Inhalt der einzelnen Tatbestandsmerkmale wurden nicht aufgeworfen231. Vielmehr hat der Gesetzgeber vielfach nahezu wortgleich die Begründung des E 1962 übernommen232. Ebenfalls keine Äußerung oder Begründung des Gesetzgebers findet man zu dem Merkmal der hilflosen Lage sowie der Gefahr und vor allem nicht zu der Frage, wie das Verhältnis der beiden zueinander aussehen soll233. Viel stärker im Fokus der Diskussion als der Grundtatbestand befanden sich während des Gesetzgebungsverfahrens jedoch die (un)selbständigen Abwandlungen des Tatbestandes in den Absätzen 2 bis 4. Über diese wurde erst ausgiebig diskutiert und dann die heutige Fassung gewählt234. Letztlich ist dem Gesetzgeber noch ein kleiner „Schönheitsfehler“ im Gesetzgebungsverfahren unterlaufen: Im E 1962 war als Absatz 3 der Aussetzung eine Regelung der tätigen Reue eingefügt235. Ausführungen dazu, was aus dieser Klausel geworden ist, sucht man in den Materialien zum Gesetzgebungsverfahren vergeblich, obwohl sich an den Argumenten, die vor gut 40 Jahren für die Einführung dieser Klausel sprachen236, in den Jahren danach nichts geändert hat237. 229 Küper, ZStW 111 [1999], 45 f.; Sternberg-Lieben/Fisch, Jura 1999, 48 Fn. 64; Kosloh, S. 49 f.; Laue, S. 26; Lucks, S. 30. 230 Bericht des Rechtsausschusses des Bundestages, in: BT-Drs. 13/9064, S. 14. 231 Kritisch in diese Richtung auch Männle [3. Teil: B. II. 3. in Fn. 198], S. 200: „Im federführenden Rechtsausschuß ist nur wenig diskutiert, aber viel abgestimmt worden.“. 232 Vgl. E 1962, S. 276 f., und RefE, S. 123 ff.; BR-Drs. 164/97, S. 119 ff.; BTDrs. 13/7164, S. 34 f.; 13/8587, S. 34, 69 f.; so auch S. Heinrich, S. 162, 165; Lucks, S. 1. Kritisch zu dem Vorgehen Kosloh, S. 48, 66 f.; Laue, S. 3 f. Fn. 10. 233 Kosloh, S. 49; S. Heinrich, S. 164; Lucks, S. 85. 234 Vgl. zur wechselhaften Entstehungsgeschichte der Absätze 2 bis 4 die Materialien: RefE, S. 125 f.; BR-Drs. 164/97, S. 121 f.; BR-Drs. 164/2/97, S. 14 [auch abgedruckt in BT-Drs. 13/8587, S. 60]; BR-Drs. 164/6/97, S. 1 f.; BT-Drs. 13/7164, S. 35; 13/8587, S. 35, 60, 82, sowie der Bericht des Rechtsausschusses des Bundestages, in: BT-Drs. 13/9064, S. 7, 14 f., und Gold-Pfuhl, [3. Teil: B. II. 3. in Fn. 205], S. 94. Zu diesem Themenbereich auch Schlüchter-Nolte, § 221 Rn. 2; Kosloh, S. 45 f. 235 Vgl. die Ausführungen im Abschnitt 3. Teil: B. II. 1. auf S. 67, dort insbesondere Fn. 189, 190. 236 E 1962, S. 277; Kosloh, S. 47 f. 237 Kosloh, S. 47 f., die die Einfügung einer solchen Klausel in den – nach ihrer Ansicht auch grundlegend zu überarbeitenden – Tatbestand fordert; dies., S. 68.

C. Ergebnis zum historischen Teil

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C. Ergebnis zum historischen Teil Wie dargestellt, lassen sich die Änderungen, die § 221 Abs. 1 StGB durch das 6. StrRG erfahren hat, teils aus den bisherigen Gesetzen bis zum Ende des 19. Jahrhunderts erklären, teils auf die Reformentwürfe zum StGB zurückführen. Betrachtet man die heutige Fassung der Aussetzung, ist von der „klassischen Wurzel“ des Tatbestandes – der Aussetzung von Kleinkindern – nicht mehr viel übrig geblieben238: Die bereits seit Anfang des 19. Jahrhunderts zu beobachtende Tendenz der Erweiterung des Täter- und Opferkreises ist zu einem Abschluss gebracht worden, da der Gesetzgeber – den Forderungen der Reformentwürfe folgend – durch die Schaffung eines Jedermanndelikts die weitest mögliche Lösung gewählt hat239. Im Zuge der Entfernung von der historischen Wurzel liegt auch die (im 6. StrRG erstmals erfolgte) ausdrückliche Aufnahme des Taterfolgs einer konkreten Gefahr i. S. des § 221 Abs. 1 Hs. 2 StGB in den Tatbestand und dessen explizite Erweiterung um die Gefahr der schweren Gesundheitsschädigung240. Die Aussetzung wurde zwar seit § 183 preuß. StGB von 1851 in den Gesetzen als Gefährdungsdelikt angesehen241, aber die erstmalige ausdrückliche Aufnahme des Taterfolgs der konkreten Gefahr in den Tatbestand stellt letztlich die endgültige Absage an die Aussetzung als Delikt mit mehreren Schutzrichtungen242 dar, wie es bis Mitte des 19. Jahrhunderts gesehen wurde243. Für die Tathandlungen kann an dieser Stelle noch nicht entschieden werden, ob es eine Entwicklung hin zu einer Erweiterung derselben im Verhältnis zur a. F. der Aussetzung gibt. Bezüglich des Imstichlassens hat sich der Gesetzgeber jedenfalls dahingehend geäußert; beim Versetzen fehlt es an einer Begründung in den Materialien. Dies gilt auch für das Merkmal der hilflosen Lage: Ausführungen zum Inhalt des Tatbestandsmerkmals sind weder im Gesetzgebungsverfahren zum 6. StrRG noch in den Reformberatungen der Jahre 1902–1930 oder 1958–1962 zu finden. 238 Sternberg-Lieben/Fisch, Jura 1999, 45; Laue, S. 146; S. Heinrich, S. 184; so schon zur a. F. Küpper, BT I1, § 1 Rn. 84. 239 Schroeder, JZ 1992, 378; Küper, ZStW 111 [1999], 34; Laue, S. 5; ausführlich S. Heinrich, S. 168 ff. So schon zu den vergangenen Gesetzen Fenner, S. 13; Dieterich, S. 13 f.; Appel, S. 46. 240 S. Heinrich, S. 191. Hierzu ausführlich im 4. Teil: F. I. 241 Vgl. schon im 3. Teil: A. I. 5. [siehe besonders die Nachweise dort in Fn. 44 f.] sowie S. Heinrich, S. 187. 242 Lebensgefährdung, Fürsorgepflichtverletzung und Unterdrückung des Personenstandes; zusammenfassend S. Heinrich, S. 185. 243 S. Heinrich, S. 185.

4. Teil

Der Grundtatbestand der Aussetzung nach dem heutigen Verständnis von Rechtsprechung und Literatur Nachdem die historischen Grundlagen des 1998 neu gefassten Tatbestandes der Aussetzung dargestellt wurden, ist im Folgenden zu klären, wie Rechtsprechung und Literatur seit dem 6. StrRG den Grundtatbestand und dessen Tatbestandsmerkmale verstehen und auslegen. Davon ausgehend hiervon wird dann zum jeweiligen Tatbestandsmerkmal ein eigener Auslegungsansatz dargestellt.

A. Die Tätereigenschaft bei der Aussetzung, insbesondere die Obhuts- oder Beistandspflicht I. Die Tätereigenschaft in Rechtsprechung und Schrifttum Zum Täterkreis des § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB finden sich in der einschlägigen Literatur1 nur wenige Sätze: Täter der ersten Tatalternative kann jedermann sein. Eine Begründung, warum dies so ist, fehlt; dies aber – wie sogleich gezeigt wird2 – letztlich vollkommen zu Recht: Es gab hinsichtlich des Täterkreises „im Vergleich zu der Fassung von vor 1998 keine signifikanten Änderungen“3. Ein deutliches „Mehr“ an Erläuterungen befasst sich dann aber mit der erforderlichen Tätereigenschaft des § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB. Hier verlangt 1 LK-StGB11-Jähnke [07/1999], § 221 Rn. 31; Jäger, JuS 2000,32; ders., BT2, Rn. 66; SK-StGB7-Horn/Wolters [03/2002], § 221 Rn. 12; S. Heinrich, S. 163; Lucks, S. 62; Gössel/Dölling, BT 12, § 7 Rn. 7; NK-StGB2-Neumann, § 221 Rn. 44; Sonnen, BT, S. 20; Schönke/Schröder-StGB27-Eser, § 221 Rn. 10; Rengier, BT II8, § 10 Rn. 4; Schmidt/Priebe, BT I6, Rn. 244; Tröndle/Fischer, StGB54, § 221 Rn. 2; Wessels/Hettinger, BT I31, Rn. 199. Aus der Judikatur nach Inkrafttreten des 6. StrRG behandeln nur BGH NStZ-RR 2002, 207 und BSG Nds.Rpfl. 2006, 286 [288] Fälle des § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB. Eine ausdrückliche Äußerung zum Täterkreis enthalten die Entscheidungen jedoch nicht. 2 Im 4. Teil: A. II. 3 So S. Heinrich, S. 163.

A. Die Tätereigenschaft bei der Aussetzung

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der Wortlaut, dass der Täter „ihn (erg. das Opfer) in seiner Obhut hat oder ihm sonst beizustehen verpflichtet ist“ (sog. Obhuts- oder Beistandspflicht), und schränkt nach bisher unwidersprochener Ansicht mit diesem Erfordernis den Täterkreis ein4. Die Obhuts- oder Beistandspflicht war auch früher – allerdings in sprachlich leicht abweichender Form5 – tatbestandliches Erfordernis der zweiten Tatalternative. Die herrschende Ansicht fasste diesen Merkmalkomplex im Rahmen von § 221 Abs. 1 Alt. 2 StGB a. F. als Garantenstellungen i. S. des heutigen § 13 StGB auf6. Der Wortlaut der Klausel in der a. F. war zwar auf die Fälle von Obhut und Beistand in bestimmten Situationen beschränkt; er schien insoweit enger, als er verstanden wurde. Aber die Anhänger dieser einhellig vertretenen Auffassung gingen davon aus, dass die Aufzählung der Pflichten nur beispielhaft, zufällig und nicht abschließend gemeint war7. Dem entspricht auch das heute zu § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB herrschende Verständnis der Obhuts- oder Beistandspflicht: Grundsätzlich kommen als Obhuts- oder Beistandspflichten alle – aus der Dogmatik zum unechten Unterlassungsdelikt – bekannten Pflichtenstellungen8 in Betracht9. Manchmal LK-StGB11-Jähnke [07/1999], § 221 Rn. 32; Lucks, S. 187; Schönke/SchröderStGB27-Eser, § 221 Rn. 2, 10; Rengier, BT II8, § 10 Rn. 4; Tröndle/Fischer, StGB54, § 221 Rn. 3; Wessels/Hettinger, BT I31, Rn. 199; offener Gössel/Dölling, BT 12, § 7 Rn. 22, indem er hervorhebt, Tatobjekt und Tatsubjekt des § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB seien „aufeinander bezogen“. 5 „. . . wenn sie [erg.: eine Person] unter seiner Obhut steht oder wenn er für ihre Unterbringung, Fortschaffung oder Aufnahme zu sorgen hat, . . .“. 6 Einhellige Ansicht in Rechtsprechung und Schrifttum; vgl. statt aller nur BGHSt 25, 218 [221]; 26, 35 [38]; 34, 83 [84]; BGH NJW 1993, 2628 [2628 f.]; LK-StGB10-Jähnke [04/1981], § 221 Rn. 19; Feloutzis, S. 187 ff.; Schönke/Schröder-StGB25-Eser, § 221 Rn. 9. 7 Schwarze, GS 24 [1872], 55; Bockelmann, BT 2, S. 73; Preisendanz, StGB30, § 221 Anm. 3; Krey, BT I10, Rn. 135; Schönke/Schröder-StGB25-Eser, § 221 Rn. 9; Schroth, BT1, S. 51. 8 Zu der Einteilung der Garantenstellung in Beschützer- und Überwachungsgaranten und den genauen Inhalten der Pflichten sei nur verwiesen auf Jescheck/Weigend, AT5, § 59 IV; Schönke/Schröder-StGB27-Stree, § 13 Rn. 8 ff.; LK-StGB12-Weigend [07/2007], § 13 Rn. 20 ff.; Wessels/Beulke, AT37, Rn. 715 ff., sowie zur Rechtsprechung Tröndle/Fischer, StGB54, § 13 Rn. 5 ff.; alle m. z. N. 9 BSG Nds.Rpfl. 2006, 286 [288]; LG Kiel NStZ 2004, 157 [158]; Hörnle, Jura 1998, 177; DSNS-Struensee, 2. Teil Rn. 34; Schlüchter-Nolte, § 221 Rn. 4; Küper, ZStW 111 [1999], 49; ders., BT6, S. 207; LK-StGB11-Jähnke [07/1999], § 221 Rn. 32; Sternberg-Lieben/Fisch, Jura 1999, 47; Laue, S. 100; Lucks, S. 187; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 19, § 4 Rn. 11; Gössel/Dölling, BT 12, § 7 Rn. 23; Haft, BT II8, S. 126; Krey/Heinrich, BT I13, Rn. 135; Hacker/Lautner, Jura 2006, 278;. Schönke/Schröder-StGB27-Eser, § 221 Rn. 10; Küpper, BT I3, § 1 Rn. 87; Rengier, BT II8, § 10 Rn. 4; Tröndle/Fischer, StGB54, § 221 Rn. 5; Wessels/Hettin4

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4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

ist aber der einschränkende Hinweis zu finden, dass bei § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB meist Fälle der Beschützergaranten in Rede stehen10. Einige Autoren im Schrifttum weisen zwar unter Bezugnahme auf die gesetzgeberische Begründung darauf hin, dass der neue Wortlaut nunmehr ein weiteres Verständnis der Obhuts- oder Beistandspflicht ermögliche, verfolgen allerdings diese Idee nicht weiter11. Nur vereinzelt findet sich die Meinung, die Vorschrift gehe mit der Obhuts- oder Beistandspflicht über „die Haftung des § 13 StGB hinaus“12. Ergänzend ist aber darauf hinzuweisen, dass einige Autoren den von § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB erfassten Täterkreis etwas einschränken13: Sie wollen für sog. „Berufsretter“ – gemeint sind z. B. Ärzte im Notfalldienst oder Feuerwehrleute, also Personen, die kraft ihrer beruflichen Stellung zur Hilfe verpflichtet sind – die Alternative des Imstichlassens verneinen, damit die Verweigerung von Hilfe durch diese nur unter § 323c StGB subsumiert werden kann. Diese Einschränkung erfolgt konstruktiv über eine restriktive Interpretation des Tatbestandsmerkmals Imstichlassen, nicht über eine Beschränkung der Obhuts- oder Beistandspflicht. Deshalb ist der Frage, ob und gegebenenfalls wie man für diese „Berufsretter“ eine Einschränkung des Tatbestandes vornehmen kann oder muss, an dieser Stelle noch nicht nachzugehen14.

ger, BT I31, Rn. 202. Nur auf den ersten Blick anders NK-StGB2-Neumann, § 221 Rn. 28, der die Frage einer abweichenden Auslegung der Obhuts- oder Beistandspflicht zwar im Rahmen der Kommentierung der Obhuts- oder Beistandspflicht aufwirft, zugleich aber betont, dass der Begriff des Imstichlassens den Ansatzpunkt für die einschränkende Interpretation bietet; von daher wird die Frage erst in dem entsprechenden Zusammenhang aufgeworfen, nachdem auch das Tatbestandsmerkmal des Imstichlassens erörtert worden ist. 10 So Arzt/Weber, BT, § 36 Rn. 2, 4; Lucks, S. 192; ähnlich Joecks, StGB7, § 221 Rn. 11; anders hingegen Wessels/Hettinger, BT I31, Rn. 202, und Kindhäuser, BT I3, § 5 Rn. 17, die nur den Begriff der Obhut mit dem Beschützergaranten gleichsetzen wollen. Nach Arzt/Weber, BT LH 2, Rn. 404, und Mitsch, JuS 1996, 408, wurde schon die a. F. fast nur durch Beschützergaranten verwirklicht. 11 Hörnle, Jura 1998, 177 Fn. 77; Sternberg-Lieben/Fisch, Jura 1999, 46 f.; Laue, S. 98 ff.; Lucks, S. 191. 12 Kindhäuser, LPK3, § 221 Rn. 13; ders., BT I3, § 5 Rn. 18. 13 LK-StGB11-Jähnke [07/1999], § 221 Rn. 29; Lucks, S. 204 ff.; NK-StGB2Neumann, § 221 Rn. 24 ff.; in diese Richtung tendieren auch Arzt/Weber, BT, § 36 Rn. 7, und Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 19, § 4 Rn. 12; offen gelassen von Tröndle/Fischer, StGB54, § 221 Rn. 9 a. E., 17. 14 Siehe im 4. Teil: C. I. 5. d) bb) (1). Zu NK-StGB2-Neumann, § 221 Rn. 28 vgl. oben im 4. Teil: A. I. in Fn. 9.

A. Die Tätereigenschaft bei der Aussetzung

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II. Eigene Auffassung zum Kreis möglicher Täter Den – zu Recht knappen – Ausführungen der Literatur zu § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB gibt es kaum etwas hinzuzufügen. Die Unbeschränktheit des Täterkreises der ersten Tatvariante ergibt sich aus dem – insoweit eindeutigen – Wortlaut der Norm. Dieser umschreibt den Täter mit dem Begriff „wer“, stellt mithin keine über das „Menschsein“ hinausgehende, besondere Anforderung. § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB ist ein „Jedermanndelikt“15. Also kann grundsätzlich jeder Mensch Täter eines Versetzens sein. Insoweit besteht im Übrigen auch keine Änderung gegenüber der Gesetzeslage vor dem 6. StrRG. Hinsichtlich der Obhuts- oder Beistandspflicht i. S. v. § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB ist im Ergebnis der herrschenden Meinung zuzustimmen: Diese Klausel umschreibt inhaltlich dasselbe wie die Garantenstellung beim unechten Unterlassungsdelikt nach § 13 StGB. An diesem Befund ließe sich allerdings bei einem Blick in die amtliche Begründung zum 6. StrRG durchaus zweifeln. Zur Umformulierung der Obhuts- oder Beistandspflicht heißt es dort16: „Der Begriff der Beistandspflicht geht über diejenigen Fälle hinaus, die der geltende § 221 Abs. 1 durch die Pflicht zur Sorge für die ‚Unterbringung, Fortschaffung oder Aufnahme‘ kennzeichnet“. Jedoch scheint der Gesetzgeber hier nur eine unglückliche Wortwahl in den Materialien gewählt zu haben, da er im gleichen Atemzug betont, die Obhuts- oder Beistandspflicht sei weiterhin i. S. der Garantenstellung bei den unechten Unterlassungsdelikten zu verstehen17. Zudem hebt er sogar hervor, die Pflicht aus § 323c StGB reiche gerade nicht als Obhuts- oder Beistandspflicht aus, womit der Gesetzgeber einer erweiterten Interpretation ausdrücklich eine Absage erteilt18. Dass der Wortlaut „weiter“ verstanden werden kann, zwingt auch nicht zu einer derartigen Deutung: Zwar ist der Wortlaut die äußerste Grenze der 15 So explizit zur Aussetzung Sonnen, BT, S. 20; allgemein zu den Allgemeinbzw. Jedermannsdelikten statt aller Jescheck/Weigend, AT5, § 26 II 6; Roxin, AT I4, § 10 Rn. 54; Schönke/Schröder-StGB27-Lenckner Eisele, Vorbem §§ 13 ff. Rn. 131; Wessels/Beulke, AT37, Rn. 38. 16 RefE, S. 124; BR-Drs. 164/97, S. 120 f.; BT-Drs. 13/7164, S. 34; 13/8587, S. 34 [Hervorhebungen vom Verfasser]. 17 RefE, S. 124; BR-Drs. 164/97, S. 120 f.; BT-Drs. 13/7164, S. 34; 13/8587, S. 34; 13/9064, S. 14. 18 In den ersten Entwürfen war eine § 323c StGB ausdrücklich aus dem Pflichtenkreis ausschließende Klausel noch vorhanden, wurde aber später als entbehrlich gestrichen; vgl. 3. Teil: B. II. 3. auf S. 76; darstellend Lucks, S. 192; Wessels/Hettinger, BT I31, Rn. 202.

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4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

Auslegung19, aber das bedeutet ja nicht, dass man stets an diese äußerste Grenze gehen muss. Eher im Gegenteil: Eine restriktive Interpretation von Tatbestandsmerkmalen wird dem fragmentarischen Charakter des Strafrechts20 besser gerecht als eine weite Deutung. Gibt der Gesetzgeber aber eine Auslegung vor, die vom Wortlaut gedeckt ist, so sollte man dieser auch folgen21. Letztlich spricht für die Übernahme der bisherigen Interpretation und gegen eine darüber hinausgehende Deutung der Obhuts- oder Beistandspflicht, dass schon die Aufzählung der Pflichten in der a. F. als nur beispielhaft und nicht abschließend angesehen und über den Wortlaut hinaus als Ausdruck einer Garantenstellung gedeutet wurde22. Diese Interpretation der a. F. hat die neue Gesetzesformulierung nunmehr in Textform bekräftigt23. Somit ergeben insbesondere die Interpretation der gesetzgeberischen Motive und die historischen Wurzeln der Obhuts- oder Beistandspflicht, dass diese weiterhin als Garantenstellung i. S. v. § 13 StGB ausgelegt werden muss. Zu widersprechen ist jedoch den Stimmen in der Rechtslehre, die davon ausgehen, dass § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB meist Fälle der Beschützergaranten betrifft24. Zwar erfasst § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB auch den Fall, dass ein Garant eine drohende Gefahr von seinem Schützling abwenden soll, was insoweit nichts anderes als eine Beschützergarantenstellung umschreibt. Der typische Fall des § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB ist der Beschützergarant deshalb allerdings noch nicht. Insbesondere Fälle der Haftung wegen Ingerenz, die zur Gruppe der Überwachungsgarantenstellungen zählt25, sind – jedenfalls im Fall der fahrlässigen Herbeiführung einer hilflosen Lage – ein wesentlicher Anwendungsfall der Aussetzung26. Insoweit ist die Aussage, dass der 19 BVerfGE 71, 108 [115]; 73, 206 [235]; 105, 135 [157]; BGHSt 39, 112 [114 f.]; 40, 272 [279]; 42, 291, und Simon, S. 100 ff.; alle m. z. N. 20 Ausführlich und m. z. N. zu dieser Thematik Maiwald, FS Maurach, S. 9 ff.; Jescheck/Weigend, AT5, § 7 II; Kölbel, GA 2002, 402 ff., und insbesondere zu diesem Begriff [auch dem des Strafrechts als „ultima ratio“] Prittwitz, Antrittsvorlesungen, S. 146 ff., sowie zur Herleitung desselben, Prittwitz, ebenda, S. 153 ff. 21 Problematischer ist der Fall, dass der Gesetzgeber in seinen Materialien eine Auslegung „vorgibt“, diese aber vom Wortlaut nicht mehr gedeckt ist; vgl. hierzu BGHSt 47, 243, und Simon, S. 204 f. [Fn. 7], 213, 218 ff. sowie insbesondere S. 227 ff. 22 Vgl. die Nachweise im 4. Teil: A. I. in Fn. 7. 23 Dem zustimmend Schönke/Schröder-StGB27-Eser, § 221 Rn. 10. 24 Siehe oben die Darstellung im 4. Teil: A. I. sowie dort die Nachweise in Fn. 10. 25 LK-StGB11-Jescheck [03/1992], § 13 Rn. 30 ff.; Schönke/Schröder-StGB27Stree, § 13 Rn. 11, 32 ff.; Tröndle/Fischer, StGB54, § 13 Rn. 5c, 11 ff.; Wessels/ Beulke, AT37, Rn. 716.

A. Die Tätereigenschaft bei der Aussetzung

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nach § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB strafbare Täter „meistens“ ein Beschützer ist, in dieser Allgemeinheit nicht zutreffend27. Was jedoch nicht möglich erscheint, ist eine Verwirklichung des § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB durch einen Ingerenzgaranten. Denn wie sollte der Fall aussehen, in dem man nach dem pflichtwidrigen Schaffen einer Gefahr und der damit verbundenen Haftung aus Ingerenz eine Person in eine hilflose Lage versetzt und dadurch einer Gefahr aussetzt28? Die Person, die sich in einer Gefahr befindet, kann sich in einer hilflosen Lage befinden und damit kommt § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB nicht mehr in Betracht, weil diese Alternative als Ausgangsituation eben das Nichtvorliegen einer hilflosen Lage verlangt29. Vielmehr wird im Regelfall die Handlung, die die hilflose Lage fahrlässig herbeiführt, die Garantenstellung aus Ingerenz erst entstehen lassen. Nachfolgende Verhaltensweisen stellen dann ein Imstichlassen dar, wenn sie eine Steigerung der Gefahr hin zur Verletzung realisieren30, nicht aber mehr ein Versetzen, da eben schon eine hilflose Lage vorliegt; anders liegt der Fall, wenn das Versetzen in eine hilflose Lage vorsätzlich erfolgte31. 26 BSG Nds.Rpfl. 2006, 286 [288]; Küper, ZStW 111 [1999], 55; Hacker/Lautner, Jura 2006, 278; Küpper, BT I3, § 1 Rn. 89a; Schmidt/Priebe, BT I6, Rn. 252. Gerade Fälle im Straßenverkehr, bei denen der Täter das Opfer fahrlässig verletzt und die Verletzung erkennt, es dann aber liegen lässt und wegfährt, können solche der Aussetzung sein, wenn kein Tötungsvorsatz gegeben oder nachweisbar ist. Zur Aussetzung bei Nichtnachweisbarkeit des Tötungsvorsatzes auch BGH NJW 1999, 69 [72] [insoweit in BGHSt 44, 197 ff. nicht abgedruckt], und BGH, Urteil vom 03.03.2000 – 2 StR 388/99. Einen Fall von Aussetzung und Ingerenz betrifft auch BGH, Urteil vom 24.08.1999 – 5 StR 81/99. 27 Der Fall der Ingerenz ist bei § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB auch nicht aus dem Kreis der Obhuts- oder Beistandspflicht herauszunehmen; LK-StGB11-Jähnke [07/1999], § 221 Rn. 32; so aber zur a. F. Schünemann, Dogmatik, S. 59 f., und in diese Richtung auch RGSt 8, 343 [344]. 28 Vgl. zum Verhältnis von hilfloser Lage und Gefahr ausführlich 4. Teil: D. IV. und 4. Teil: F. VI. 29 LK-StGB11-Jähnke [07/1999], § 221 Rn. 2 f.; SK-StGB7-Horn/Wolters [03/2002], § 221 Rn. 3; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 19, § 4 Rn. 5, 9; Gössel/ Dölling, BT 12, § 7 Rn. 34; Kindhäuser, BT I3, § 5 Rn. 2; Küpper, BT I3, § 1 Rn. 84; Rengier, BT II8, § 10 Rn. 4; Wessels/Hettinger, BT I31, Rn. 199. Zur Bestimmung der inhaltlichen Reichweite einer hilflosen Lage vgl. ausführlich im 4. Teil: D. IV. und insbesondere im 4. Teil: D. V. 30 Zu der Thematik der Ingerenzgarantenstellung im Rahmen der Aussetzung später ausführlich im 4. Teil: G. III. 2., ab S. 466. 31 Diese Ausführungen müssen an dieser Stelle ohne weitergehende Begründung genügen, da sie aufs Engste mit der Ansicht und Begründung des Verfassers zu den Tatbestandsmerkmalen Versetzen, Imstichlassen und hilflose Lage sowie dem Verhältnis der beiden Tathandlungen verzahnt sind. Die Begründung wird daher später in den jeweiligen Abschnitten erfolgen.

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4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

Ebenfalls nicht gefolgt werden kann der Einschätzung Kindhäusers32, die Vorschrift gehe mit der Obhuts- oder Beistandspflicht über „die Haftung des § 13 StGB hinaus“, weil nicht erst der Erfolg abgewendet werden müsse, sondern bereits die Gefahr eines solchen Erfolges. Sicherlich ist zutreffend, dass der (Todes- oder Körperverletzungs-)Erfolgseintritt vom Garanten nicht abgewartet werden darf, sondern dass er sich bereits vorher einer Aussetzung schuldig machen kann. Allerdings umfasst der Taterfolg des Grundtatbestands der Aussetzung ja schon die in der Gefährdungsklausel umschriebenen Gefahren; mithin muss zwar bereits die konkrete Gefahr, als der Taterfolg der Aussetzung, abgewendet werden, nicht aber muss man – wie Kindhäuser sagt33 – das Opfer „vor der Gefahr eines solchen (Gefahr-)Erfolgs“ schützen“. Nichts anderes verlangt die „normale“ Garantenstellung i. S. v. § 13 StGB: Je nach Delikt ist der dort beschriebene Taterfolg abzuwenden, d.h. man darf es nicht zum Eintritt desselben kommen lassen34. So ist z. B. bei §§ 212, 13 StGB der Tod eines Menschen oder bei §§ 303, 13 StGB die Beschädigung bzw. Zerstörung einer Sache abzuwenden; bei §§ 315b, 13 StGB ist es die konkrete Gefahr für Leib oder Leben eines anderen Menschen oder für fremde Sachen von bedeutendem Wert. Genau dies gilt auch bei § 221 StGB: Taterfolg ist die Gefahr35 und ihr Eintritt ist zu verhindern36.

B. Der Kreis tauglicher Opfer i. S. v. § 221 Abs. 1 StGB I. Die Opfereigenschaft in Rechtsprechung und Literatur Das Meinungsbild im Schrifttum37 ist bei der Frage, wer nach § 221 Abs. 1 StGB n. F. Opfer einer Aussetzung sein kann, eindeutig: Opfer dieKindhäuser, LPK3, § 221 Rn. 13; ders., BT I3, § 5 Rn. 18. Kindhäuser, LPK3, § 221 Rn. 13; ders., BT I3, § 5 Rn. 18. Es scheint sich allerdings möglicherweise nur um eine unglücklich gewählte und daher höchst missverständliche Formulierung zu handeln, da Kindhäuser in LPK3, § 221 Rn. 4 f., und in ders., BT I3, § 5 Rn. 4 f., den § 221 Abs. 1 StGB zutreffend als konkretes Gefährdungsdelikt qualifiziert. 34 Schönke/Schröder-StGB27-Stree, § 13 Rn. 7; Lackner/Kühl, StGB26, § 13 Rn. 6; Tröndle/Fischer, StGB54, § 13 Rn. 4; Wessels/Beulke, AT37, Rn. 715. 35 Hörnle, Jura 1998, 177; SK-StGB7-Horn/Wolters [03/2002], § 221 Rn. 2, 7; Küper, BT6, S. 37 f.; Schönke/Schröder-StGB27-Eser, § 221 Rn. 8, 10; Lackner/ Kühl, StGB26, § 221 Rn. 1; Rengier, BT II8, § 10 Rn. 13; Tröndle/Fischer, StGB54, § 221 Rn. 1. 36 Schönke/Schröder-StGB27-Eser, § 221 Rn. 10; Tröndle/Fischer, StGB54, § 221 Rn. 4; so schon zur a. F. Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 18, § 4 Rn. 8. 37 In den Entscheidungen der Gerichte finden sich seit Inkrafttreten des 6. StrRG keine Ausführungen, die die erforderliche Opfereigenschaft problematisieren. 32 33

B. Der Kreis tauglicher Opfer i. S. v. § 221 Abs. 1 StGB

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ses Deliktes kann jeder Mensch sein. Während früher der Kreis der (potenziellen) Opfer auf aus bestimmten Gründen38 hilflose Personen beschränkt war, hat das 6. StrRG diese Limitierung aufgegeben und demzufolge kann jetzt jeder Mensch, und damit auch eine gesunde, erwachsene Person, Opfer einer Aussetzung sein. Dieses Verständnis gilt nach der mehrheitlich vertretenen Ansicht in der Literatur jedenfalls uneingeschränkt für das Versetzen in § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB39. Insoweit werden heute die Fälle vom Tatbestand erfasst, in denen das Opfer erst durch die Tathandlung hilflos wird; die betreffenden Täter waren nach der a. F., die nach dem eindeutigen Wortlaut der Norm das Vorliegen der abschließenden Gründe der Hilflosigkeit vor der Tat verlangte, nicht strafbar40. Damit stellt die n. F. auf Opferseite den Endpunkt der möglichen Erweiterungen dar, die seit Bestehen des Tatbestandes immer wieder angestrebt und gefordert wurden41. Kleinere Abstriche machen Teile des Schrifttums jedoch beim Opferkreis der zweiten Tatalternative: § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB erfasst auf Opferseite nur Personen in einer hilflosen Lage42, für die außerdem noch eine Obhutsoder Beistandspflicht des Täters bestehen muss43. 38 Die Gründe waren jugendliches Alter, Gebrechlichkeit oder Krankheit. Zum Inhalt dieser Tatbestandsmerkmale der a. F. LK-StGB10-Jähnke [04/1981], § 221 Rn. 8; vgl. Feloutzis, S. 114 ff.; Schönke/Schröder-StGB25-Eser, § 221 Rn. 4; Tröndle, StGB48, § 221 Rn. 3; Lucks, S. 43 f.; alle m. w. N. Aus dem älteren Schrifttum sind insbesondere die Ausführungen von H. Weber, S. 38 ff.; Fenner, S. 19 ff. oder Zerling, S. 17 ff. instruktiv. 39 DSNS-Struensee, 2. Teil Rn. 22; Sander/Hohmann, NStZ 1998, 275; Schlüchter-Nolte, § 221 Rn. 3; Schroth, NJW 1998, 2863; Küper, ZStW 111 [1999], 32; ders., BT6, S. 36; LK-StGB11-Jähnke [07/1999], § 221 Rn. 11; Sternberg-Lieben/ Fisch, Jura 1999, 45; Hohmann/Sander, BT II, § 5 Rn. 3; Jäger, JuS 2000, 32; Kosloh, S. 43 f., 55; Laue, S. 4; Lucks, S. 41, 45; MüKo-StGB-Hardtung, § 221 Rn. 4; Gössel/Dölling, BT 12, § 7 Rn. 7; Haft, BT II8, S. 125; Pfleiderer/Schubert, MedR 2005, 594; Sonnen, BT, S. 20; Kindhäuser, LPK3, § 221 Rn. 1; Schönke/SchröderStGB27-Eser, § 221 Rn. 2; Joecks, StGB7, § 221 Rn. 2; Tröndle/Fischer, StGB54, § 221 Rn. 1 f.; Wessels/Hettinger, BT I31, Rn. 198. 40 Küper, ZStW 111 [1999], 31 f.; ders., BT6, S. 35; S. Heinrich, S. 163; Lucks, S. 42. So schon früher Feloutzis, S. 113 f.; Tröndle, StGB48, § 221 Rn. 3 m. w. N. sowie zur Kritik an der engen Fassung des Tatbestandes: Usinger, S. 57 f.; Marfels, S. 81; Heilbrunn, S. 28 f.; a. A. hinsichtlich des Zeitpunktes der Hilflosigkeit damals aber Zerling, S. 23. 41 Küper, ZStW 111 [1999], 33 f.; LK-StGB11-Jähnke [07/1999], § 221 Entstehungsgeschichte vor Rn. 1; Sternberg-Lieben/Fisch, Jura 1999, 45; Laue, S. 5; Lucks, S. 50, sowie die Nachweise im 3. Teil: A. I. 3. in Fn. 29. Aus dem Schrifttum vor dem zweiten Weltkrieg: vgl. Dieterich, S. 13; Hasenberg, S. 21; Appel, S. 46; nach dem zweiten Weltkrieg ausführlich Feloutzis, S. 250, sowie die Fundstellen bei den Reformentwürfen im 3. Teil: B. I. in den Fn. 78, 87, 92, 100, 111 und 129.

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4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

Abschließend ist noch zu erwähnen, dass Teile der Wissenschaft die kriminalpolitische Notwendigkeit einer Erweiterung des Opferkreises grundsätzlich in Frage stellen44; insbesondere wird kritisiert, die den Gesetzgeber motivierenden Beispiele beträfen „exotische Fallgestaltungen“45 bzw. „Lehrbuchkriminalität“46.

II. Eigene Auffassung zum Kreis tauglicher Opfer Wie schon beim Täterkreis, so ist auch bei diesem Tatbestandsmerkmal im Ergebnis der überwiegend vertretenen Ansicht nicht zu widersprechen. Allerdings sind teilweise noch ergänzende Anmerkungen und Begründungen erforderlich. Dass das 6. StrRG grundsätzlich jeden Menschen als potenzielles Opfer einer Aussetzung ansieht, lässt sich im Ergebnis nicht ernsthaft in Zweifel ziehen. Erstens ist der Wortlaut in dieser Hinsicht eindeutig, wenn der erste Halbsatz von § 221 Abs. 1 StGB lautet „Wer einen Menschen . . .“ und demnach keine weiteren Einschränkungen aufstellt. 42 DSNS-Struensee, 2. Teil Rn. 34; Küper, ZStW 111 [1999], 52; ders., BT6, S. 207; Arzt/Weber, BT, § 36 Rn. 4; Laue, S. 69, 100; SK-StGB7-Horn/Wolters [03/2002], § 221 Rn. 6; Lucks, S. 187, 189; Haft, BT II8, S. 126; Krey/Heinrich, BT I13, Rn. 135; Kindhäuser, BT I3, § 5 Rn. 12; Schönke/Schröder-StGB27-Eser, § 221 Rn. 2; Küpper, BT I3, § 1 Rn. 84, 87; Wessels/Hettinger, BT I31, Rn. 203; ähnlich Tröndle/Fischer, StGB54, § 221 Rn. 3 [„schutzbedürftige Personen“]; a. A. Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 18, § 4 Rn. 9, der betont, bei § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB könne die hilflose Lage schon vorliegen oder noch geschaffen werden. Unklar Hörnle, Jura 1998, 177, die davon ausgeht, durch beide Tathandlungen sei „nun auch eine gesunde, erwachsene Person geschützt, die sich konkret in einer hilflosen Lage befindet“, was jedenfalls für § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB nicht zutreffend ist. Anders LK-StGB11-Jähnke [07/1999], § 221 Rn. 23 [„jedermann“], Hohmann/Sander, BT II, § 5 Rn. 3 [„jeden Menschen“]; Jäger, JuS 2000, 33; ders., BT2, Rn. 67 [„alle Menschen“], MüKo-StGB-Hardtung, § 221 Rn. 4 [„jeder lebende Mensch“], die auch bei § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB keine Einschränkung des Opferkontingents annehmen; ähnlich auch Sonnen, BT, S. 20, der davon ausgeht, nur der Täterkreis sei bei § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB beschränkt. 43 Schönke/Schröder-StGB27-Eser, § 221 Rn. 2; dies wird von Küper, ZStW 111 [1999], 32 f. Fn. 11, und Lucks, S. 45, als „indirekte“ bzw. „mittelbare“ Beschränkung des Opferkreises des § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB eingeordnet. Gössel, in: Gössel/ Dölling, BT 12, § 7 Rn. 22, 25 f. betont, Tatobjekt und Tatsubjekt des § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB seien „aufeinander bezogen“. 44 Ablehnend Lucks, S. 46, 51; zweifelnd Küper, ZStW 111 [1999], 32; LKStGB11-Jähnke [07/1999], § 221 Entstehungsgeschichte vor Rn. 1. Kritisch hierzu Laue, S. 4, der betont, die Beantwortung dieser Frage sei Sache des Gesetzgebers. 45 LK-StGB11-Jähnke [07/1999], § 221 Entstehungsgeschichte vor Rn. 1; Lucks, S. 46, 51. In diese Richtung auch Küper, ZStW 111 [1999], 32. 46 Lucks, S. 46, 190.

B. Der Kreis tauglicher Opfer i. S. v. § 221 Abs. 1 StGB

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Zweitens ist der Wille des Gesetzgebers in der amtlichen Begründung zur Thematik des Opferkreises (vordergründig) deutlich erkennbar47: „Im geltenden Recht werden in beiden Fällen nur die wegen jugendlichen Alters, Gebrechlichkeit oder Krankheit hilflosen Personen geschützt. Diese Personen sind zwar durch die Aussetzung besonders gefährdet. Jedoch bedürfen auch Erwachsene und gesunde Personen des Schutzes gegen Aussetzung, . . .“ Dies allerdings – wie gesagt – nur vordergründig, denn der Folgesatz in den Drucksachen liest sich dann anders48: „Deshalb schränkt der Entwurf den geschützten Personenkreis im Falle des Versetzens in hilflose Lage (Nummer 1) nicht ein, während er im Falle des Imstichlassens (Nummer 2) zwar den geschützten Personenkreis auf hilflose Personen begrenzt, denen gegenüber der Täter eine Obhuts- oder Beistandspflicht hat, dabei aber keinen Unterschied macht, ob die Hilflosigkeit auf jugendlichem Alter, Gebrechlichkeit, Krankheit oder anderen Zuständen beruht“. Aufgrund dieser Ausführungen des Gesetzgebers in der amtlichen Begründung könnte man auf die Idee kommen, den Opferkreis des § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB auf hilflose Personen zu begrenzen49. Durch das 6. StrRG wären dann allein die abschließend aufgeführten Gründe der Hilflosigkeit a. F. entfallen. Diese Überlegung ist aber nicht weiterführend und kann in der Sache zu keiner Begrenzung des Opferkreises der zweiten Tatvariante führen. Nach dem Wortlaut ist die Ausgangssituation dieser Tatmodalität eine hilflose Lage, das Opfer mithin ein Mensch in einer solchen. Zu einer Beschränkung des § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB würde es somit nur kommen, wenn ein inhaltlicher Unterschied zwischen einem Menschen in einer hilflosen Lage und einer hilflosen Person bestünde. Gerade dies wurde bei § 221 Abs. 1 StGB a. F. bestritten und vertreten, die Merkmalkomplexe der hilflosen Person und der hilflosen Lage wiesen keinen Unterschied auf und es handele sich nur um einen unnötigen Pleonasmus50. Dies scheint 47 RefE, S. 123 f.; BR-Drs. 164/97, S. 120; BT-Drs. 13/7164, S. 34; 13/8587, S. 34. 48 Fundstelle wie zuvor [Hervorhebungen vom Verfasser]. 49 Diese Möglichkeit sieht Lucks, S. 45, lehnt sie aber – zu Recht – ab. Allerdings finden sich bei Haft, BT II8, S. 125 [„Rechtsgüter des § 221 sind Leben und die körperliche Unversehrtheit hilfloser Personen.“] und Lackner/Kühl, StGB26, § 221 Rn. 1 [„Die Vorschrift schützt nach der Neufassung (. . .) hilflose Personen vor der konkreten Gefährdung des Lebens (. . .) und . . . der Gesundheit.“] Formulierungen, die in diese Richtung verstanden werden können. 50 Radbruch, VD BT V, S. 196 Fn. 1; a. A. Henning, S. 10 f.; H. Weber, S. 45 f.; Warmuth, S. 43 f.; Albrecht, S. 34 f.; Usinger, S. 13; Teufel, S. 15; Hall, SchwZStR 46 [1932], 330 f.; LK-StGB10-Jähnke [04/1981], § 221 Rn. 12; Feloutzis, S. 107

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4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

dann auch der Grund zu sein, warum noch heute ähnliche Überlegungen angestellt werden51. Diese Diskussion hat sich jedoch aus einem einfachen Grund erledigt: Der aktuelle Normtext kennt die hilflose Person gar nicht mehr als Tatbestandsmerkmal. Beschrieb früher nach herrschender Ansicht das Merkmal der hilflosen Person einen individuellen Zustand der Hilfsbedürftigkeit des Opfers vor der Tat52 und die hilflose Lage den Taterfolg53, so beschreibt heute die hilflose Lage die Ausgangssituation von § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB und der Taterfolg ist in der Gefährdungsklausel verankert54. Damit ist nur noch die Frage, ob die „hilflose Lage“ in der Neufassung wie die „hilflose Person“ des § 221 Abs. 1 StGB a. F. verstanden werden kann55. Keinesfalls aber kann man allein aufgrund dieser gesetzgeberischen Äußerung in den Materialien in den Tatbestand „hineinlesen“, es bedürfe neben dem Erfordernis einer hilflosen Lage noch einer hilflosen Person als Opfer, denn dadurch würde der Wortlaut der Norm in „Wer eine hilflose Person . . . in einer hilflosen Lage . . . im Stich lässt, . . .“ umgewandelt. Einer vor der Tat bestehenden Hilfsbedürftigkeit des Opfers neben der hilflosen Lage bedarf es jedoch gerade nicht mehr56. Ein wenig verklart es die Sachlage noch, wenn man nach der Herkunft der erwähnten Textpassage in der Begründung zum 6. StrRG fragt. Deren genauer Ursprung lässt sich nicht ganz eindeutig nachvollziehen, jedoch stammt sie nicht von den Verfassern des 6. StrRG, weil sich diese Passage fast wortgleich in den Materialien zum E 1960 und E 196257 wiederfindet, wobei dort nicht die Rede vom Tatbestandsmerkmal „hilflose Person“, sondern von „Hilflosen“ ist. In den Reformentwürfen der 20er und 30er Jahre findet man diese Begründung zwar nicht wortgleich wieder, sinngemäß aber in den Begründungen zum E 191958, E 192559 und E 192760. AllerFn. 108, S. 120 f.; Küper, Jura 1994, 516. Hierzu später ausführlicher im 4. Teil: D. II. 2. a) auf S. 244. 51 Diesen Pleonasmus von hilfloser Lage und hilfloser Person sehen heute noch LK-StGB11-Jähnke [07/1999], § 221 Rn. 14, 18; ähnlich Schönke/SchröderStGB25-Eser, § 221 Rn. 9, während Ebel, NStZ 2002, 405, und Lackner/Kühl, StGB26, § 221 Rn. 2, dem ausdrücklich eine Absage erteilen. 52 Vgl. unten im 4. Teil: D. II. 2. a). 53 Später im 4. Teil: D. II. 1. a). 54 Siehe im 4. Teil: F. 55 Entsprechende Deutungen werden im 4. Teil: D. II. 2. b) erläutert. 56 Küper, ZStW 111 [1999], 32; ders., BT6, S. 36; Lucks, S. 45. 57 E 1960, S. 260; E 1962, S. 276; vgl. auch Kosloh, S. 44, 48. 58 E 1919, Denkschrift, S. 233. 59 E 1925, Begründung, S. 119. 60 E 1927, Begründung, S. 130.

B. Der Kreis tauglicher Opfer i. S. v. § 221 Abs. 1 StGB

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dings weichen diese Entwürfe insoweit grundlegend vom E 1960, dem E 1962 und dem 6. StrRG ab, als dort der Opferkreis nach dem Wortlaut der Vorschriften61 gerade nicht völlig offen war, sondern bei der zweiten Tatvariante nur das „in hilfloser Lage Lassen“ eines „Hilflosen“ erfasst wurde62. Die Ähnlichkeit der Formulierung in den Begründungen legt den Schluss nahe, dass auch der Gesetzgeber 1998 diesem Verständnis zuneigte, nur ist der Wortlaut der Normen verschieden bzw. die Begründung „schweigt“ zu der Frage, was der Gesetzgeber im Sinn hatte. Damit bleibt nach Durchsicht der Materialien unklar, ob der Gesetzgeber 1998 „aus Versehen“ den Kreis der Opfer weiter gefasst hat als geplant oder ob er bewusst – von den Entwürfen der Jahre 1919, 1925 und 1927 abweichend – eine erneute Erweiterung vorgenommen hat63. Allerdings gibt es doch einen kleinen Hinweis, dass die Abkehr vom Begriff der hilflosen Person bzw. des Hilflosen bewusst erfolgt ist: In der zweiten Ausgangsalternative der Aussetzung, die der Großen Strafrechtskommission anfangs zur Diskussion vorlag und an der sich letztlich die Fassung der zweiten Tathandlung der Aussetzung im E 1960 und E 1962 orientierte, hieß es noch64: „Ebenso wird bestraft, wer einen Hilflosen, . . ., im Stiche läßt und dadurch sein Leben gefährdet.“ In der zweiten Lesung der Großen Strafrechtskommission65 und im E 196066 hingegen lautete die Formulierung: „Ebenso wird bestraft, wer einen anderen in einer hilflosen Lage im Stiche läßt und dadurch sein Leben gefährdet, . . .“ bzw. beim E 196267 – sprachlich leicht abweichend, weil die zweite Tathandlung in 61

E 1919, S. 66; E 1925, S. 26; E 1927, S. 28. Vgl. hierzu auch die Ausführungen zu den entsprechenden Entwürfen oben unter 3. Teil: B. I. Im E 1919, Denkschrift, S. 233, findet sich allerdings ein Anhaltspunkt, dass der damalige Reformentwurf keinen Unterschied in der Sache zwischen der hilflosen Lage und der hilflosen Person sah, wenn es dort heißt [Hervorhebungen vom Verfasser]: „Etwas anders liegt die Sache bei dem zweiten Tatbestand (Abs. 2). Nach ihm soll, wer für einen anderen zu sorgen hat, nicht nur im Falle einer Aussetzung, sondern auch dann strafbar sein, wenn er seinen Schützling in hilfloser Lage verläßt. Eine solche Handlung ist nach der Natur der Sache nur denkbar, wenn die im Stiche gelassene Person auf fremde Hilfe angewiesen ist. Der Entwurf setzt daher hier, dem geltenden Recht folgend, eine hilflose Person voraus. Worauf die Hilflosigkeit beruht, kann aber auch hier nicht entscheiden; die Aufzählung bestimmter Gründe der Hilflosigkeit läßt daher der Entwurf auch in diesem Tatbestand fallen.“ 63 So S. Heinrich, S. 163. Küper, ZStW 111 [1999], 32 f. Fn. 11 hingegen bezeichnet die Materialien insoweit als „mißverständlich“. 64 Ndschr. Bd. 5 [1958], Anhang B, S. 298 [Hervorhebung vom Verfasser]. 65 Die Fassung nach der 2. Lesung findet man in den Ndschr. Bd. 12 [1959], Anhang B, S. 593. 66 E 1960, S. 35 [Hervorhebungen vom Verfasser]. 67 E 1962, S. 35 [Hervorhebungen vom Verfasser]. 62

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4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

den ersten Absatz integriert wurde: „Wer einen anderen . . . in einer hilflosen Lage im Stiche läßt, . . . und dadurch dessen Leben gefährdet, . . . .“ Diese Änderung geht offenbar auf eine Anregung von Jescheck68 zurück. Nach ihm galt: „Nach Absatz 2 kommt es nicht so sehr auf die Hilflosigkeit der Person als auf die hilflose Lage an, in der sich jemand befindet.“ Damit ging seine Anregung dahin, den Hilflosen aus dem Wortlaut der zweiten Tathandlung zu streichen und die hilflose Lage aufzunehmen. Gerade diese Änderung findet man dann in der zweiten Lesung und im E 1960 und E 1962 wieder. Dieses Detail spricht dafür, dass die heutige Fassung des Tatbestandes bewusst auf die Bezeichnung des Opferkreises des Imstichlassens als „Hilflosen“ verzichtet hat, auch wenn sich dies nicht klar und deutlich aus den Materialien zum 6. StrRG ergibt und damit auch nicht als „ungeschriebenes Merkmal“ fortlebt69. Hinsichtlich der Aussagekraft der amtlichen Begründung zum 6. StrRG, ist in diesem Zusammenhang auch noch Folgendes zu bedenken: Der Fall des Bergsteigers, der von seinem „gebuchten“ Bergführer alleingelassen wird, ist in den Materialien70 zweimal angeführt: einmal als Beispiel für einen gesunden und erwachsenen Menschen, der nunmehr von § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB geschützt wird, und dann als Beispiel für eine „hilflose Person“, gegenüber der der Täter eine Obhuts- oder Beistandspflicht nach § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB hat. Der Bergsteiger und Kunde des Bergführers kann aber wohl kaum bei ein und derselben Handlung Opfer des § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB und gleichzeitig Opfer des § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB sein oder – anders gesagt – das eine Mal hilflose Person und das andere Mal eine gesunde, erwachsene und zur Selbsthilfe fähige Person sein. Dies spricht dafür, dass in den Materialien durch den Gesetzgeber eine nicht genügend durchdachte und als unglücklich zu bezeichnende Formulierung gewählt wurde. Man könnte auch sagen, dass diese Begründung und der Wortlaut der Norm nicht zueinander passen – übrigens ein weiterer deutlicher Beleg für „handwerkliche Schwächen“71 des 6. StrRG. 68

Ndschr. Bd. 7 [1959], Anhang J 68, S. 348. Eine andere Frage ist es hingegen, ob der Begriff der hilflosen Lage n. F. eventuell gleichbedeutend mit dem Tatbestandsmerkmal der hilflosen Person a. F. ist. Dies ist aber eine Frage des Merkmals der hilflosen Lage und wird dementsprechend auch erst dort geklärt; vgl. 4. Teil: D. II. 2. und die Kritik hierzu im 4. Teil: D. IV. 1. b). 70 E 1960, S. 260; E 1962, S. 276; RefE S. 123 f.; BR-Drs. 164/97, S. 120; BTDrs. 13/7164, S. 34; 13/8587, S. 34. 71 Küper, ZStW 111 [1999], 32 f. Fn. 11; Kosloh, S. 48 f. Vgl. zu der entsprechenden allgemeinen Kritik der Literatur am 6. StrRG schon die Nachweise im 3. Teil: B. II. 3. in den Fn. 198 und 199. Im Übrigen ist die Übernahme von Ideen oder Begründungen aus alten Entwürfen nichts Neues oder Ungewöhnliches: So stammt das Beispiel des Bergführers, der seinen Kunden alleine lässt, aus den Mate69

C. Die Tathandlung der Aussetzung

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Gegen das Hineinlesen des Merkmals hilflose Person in den Opferkreis bei § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB spricht schließlich auch noch eine ganz allgemeine Erwägung: Der Gesetzgeber hat als eines der Ziele des 6. StrRG das Schließen von Strafbarkeitslücken angeführt72. Dies ist umso eher zu erreichen, wenn man den Opferkreis des § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB weit auslegt. Damit drängt sich die Vermutung auf, dass der Gesetzgeber mit dem Wort „hilflose Person“ in den Materialien nur eine allgemeine Äußerung gemacht hat, das Wort sozusagen „unsystematisch“ und nicht i. S. der a. F. gemeint hat, den Opferkreis aber nicht – gegen den Wortlaut der Norm – beschränkt wissen wollte. Das Vorgehen des Gesetzgebers, ein ehemaliges Tatbestandsmerkmal zur Erläuterung der neuen Gesetzesfassung zu verwenden, mag unglücklich sein73, ist aber nicht geeignet, den Normtext zu modifizieren oder um ein Merkmal zu erweitern.

C. Die Tathandlungen der Aussetzung Nunmehr gilt es, die Tathandlungen von § 221 Abs. 1 StGB näher zu betrachten. Dabei soll – entgegen der Nummerierung und Reihenfolge im Gesetz – zunächst das Imstichlassen diskutiert werden. Da nämlich bei der Lösung der Probleme des Versetzens auf die Ausführungen zum Imstichlassen zurückgegriffen werden muss, ist es sinnvoll, die Reihenfolge der Darstellung entgegen der Abfolge der Tathandlungen im StGB zu gestalten.

I. Die zweite Tathandlung des Grundtatbestands: Das Imstichlassen Zunächst ist also das Augenmerk auf die zweite Begehungsform zu richten und die Frage nach deren Inhalt, Auslegung und Verständnis zu stellen. rialien zum E 1925, Begründung, S. 119 bzw. E 1927, Begründung, S. 129; [vgl. auch Küper, ZStW 111 (1999), 32 Fn. 9; Lucks, S. 51] und wurde – ungeachtet der textlichen und inhaltlichen Änderungen im E 1960, E 1962 und 6. StrRG – stets in den Begründungen übernommen, ohne dass man sich darüber Gedanken machte, ob das Beispiel überhaupt noch zu der Neufassung passte. Im E 1925 und E 1927 [Fundstelle jeweils wie zuvor] wurde übrigens als weiteres Beispiel der Fall eines vom Schiffskapitän auf einer Insel alleine zurückgelassenen Passagiers angeführt, welches aber nach dem Zweiten Weltkrieg in den amtlichen Begründungen zu den Entwürfen nicht mehr zu finden ist; Küper, ZStW 111 [1999], 32 Fn. 9. 72 Vgl. hierzu oben 3. Teil: B. II. 3. [Nachweise dort in Fn. 197] sowie LKStGB11-Jähnke [07/1999], § 221 Entstehungsgeschichte vor Rn. 1, zum Schließen von Strafbarkeitslücken als „Ziel“ der Großen Strafrechtskommission. 73 Ähnlich Küper, ZStW 111 [1999], 32 Fn. 11, und Lucks, S. 45, die die Gesetzesbegründung als „mißverständlich“ bezeichnen.

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4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

Im Rahmen des 6. StrRG wurde aus dem Verlassen der a. F. das heutige Imstichlassen74, eine Änderung, die seit dem GE 1911 alle Reformentwürfe umsetzten75 und die früher im Schrifttum häufig gefordert worden war76. Von Interesse ist aber das Verständnis des Verlassens heute noch, da dessen inhaltliche Reichweite erhellt, warum die Formulierung dieser Tathandlung als reformbedürftig angesehen wurde. 1. Auslegung des Tatbestandsmerkmals „Verlassen“ vor dem 6. StrRG Die zweite Tathandlung a. F. – das Verlassen – ist historisch gesehen die jüngere jener beiden Tathandlungen, da sie in der Ursprungsnorm der Kindesweglegung nicht enthalten war, sondern erst durch Art. 131 sächs. CrimGB 1838 in einen Aussetzungstatbestand Eingang fand und letztlich in § 221 RStGB übernommen wurde77. Die Auslegung dieses Tatbestandsmerkmals stellte Rechtsprechung und Literatur vor die Frage, ob der Begriff des Verlassens räumlich – im Sinne eines Sich-Entfernens des Täters vom Opfer (enges Verständnis der zweiten Tathandlung) – oder nicht räumlich – also nur im Sinne einer Verweigerung des Beistandes (weites Verständnis der zweiten Tathandlung) – zu verstehen sein sollte78. Es lassen sich gewisse „Entwicklungslinien“, insbesondere innerhalb der Rechtsprechung, erkennen, denen die Literatur – jedenfalls die Mehrzahl der Autoren – folgte. Die Rechtsprechung des Reichsgerichts war schwankend, tendierte aber anfangs zu einer zwischen den beiden Extremen liegenden vermittelnden Ansicht79: Das Gericht ging davon aus, dass eine räumliche Entfernung des 74 75

Ausführlich oben dargestellt im 3. Teil: B. II. 3. Vgl. die Ausführungen zur zweiten Tathandlung in den Entwürfen im 3. Teil:

B. 76 Henning, S. 24; Ziehm, S. 29; Fenner, S. 30; Radbruch, VD BT V, S. 194 f.; Warmuth, S. 56 ff.; Aschrott/von Liszt-von Lilienthal, BT II, S. 279 f.; Dieterich, S. 28. Nach Veröffentlichung des GE 1911 fordern dies für die Reformentwürfe Lucas, DJZ 1912, 831; Ebermayer, Entwurf 1914, S. 62; ders., Reform 1914, S. 47; Usinger, S. 58; Heilbrunn, S. 26, 29 f.; Hall, SchwZStR 46 [1932], 353 f. Nach dem zweiten Weltkrieg noch gefordert von Eser, StR III2, Fall 10 Anm. 11; Arzt/ Weber, BT LH 2, Rn. 408; Gössel, BT 1, § 8 Rn. 21; Schroeder, JZ 1992, 379; Walther, NStZ 1992, 231 f.; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 18, § 4 Rn. 4; Haft, BT6, S. 100; Schönke/Schröder-StGB25-Eser, § 221 Rn. 7. 77 Vgl. die Ausführungen und Nachweise oben im Abschnitt 3. Teil: A. I. 4. 78 Darstellend zum Ganzen LK-StGB10-Jähnke [04/1981], § 221 Rn. 13 f.; Feloutzis, S. 150 ff.; Küper, Jura 1994, 519 ff.; ders., ZStW 111 [1999], 49 ff.; Lucks, S. 193 ff.; alle m. w. N. 79 Küper, BT6, S. 207.

C. Die Tathandlung der Aussetzung

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Täters vom Opfer weder grundsätzlich erforderlich, noch eine reine Verweigerung der Hilfe durch den Täter hinreichend war; vielmehr wurde das Verlassen als „Änderung der räumlichen Beziehungen des Opfers“ angesehen80. Hintergrund dieser Auslegungsvariante war, dass man so die Fälle der sog. „Rückkehrunterlassung“ erfassen konnte – also die Fälle, in denen der Täter das Opfer unvorsätzlich oder gerechtfertigt verlässt, später aber nicht mehr zurückkehrt, obwohl er weiß, dass das Opfer ohne seine Hilfe in Gefahr gerät81. Diesem Modell folgten weite Teile des damaligen Schrifttums82. Argumentiert wurde von Rechtsprechung und Literatur einerseits mit dem Begriff Verlassen und andererseits mit dem Vergleich zur ersten Tathandlung, dem Aussetzen, das – unstreitig – eine Fortbewegung des Opfers aus den bisherigen räumlichen Verhältnissen erforderte83. Allerdings wurde sowohl gegen die enge als auch gegen die vermittelnde Auslegung vielfach im Schrifttum deren Willkürlichkeit angeführt und betont, auch die Fälle, in denen nur der Beistand verweigert wird, seien strafwürdig und dürften nicht aus dem Tatbestand ausgeklammert werden84. Ne80 Bzw. „Einwirken auf die räumlichen Beziehungen zum Opfer“ in RGSt 8, 343 [345]; 38, 377 [378]; RG DJ 1938, 2041 [2042]. Wobei in RGSt 59, 387 [388]; 76, 371; RGR 5, 260 [261]; RG DJZ 1911, 1392 [1393]; RG HRR 1941 Nr. 366 und Nr. 367 eindeutige und unproblematische Fälle eines räumlichen Verlassens vorlagen, so dass das Reichsgericht sich dort nicht zur Tathandlung äußerte. In RGSt 66, 71 [73 f.] wurde die Frage hingegen offengelassen, wobei auf S. 74 eine gewisse Tendenz hin zur weiten Auslegung zu erkennen ist. 81 RG DJZ 1911, 1392 [1393]; RG HRR 1941 Nr. 366 und Nr. 367; später zu diesem Themenkomplex auch: BGHSt 21, 44 [48]; BGH NStZ 1983, 454. Zustimmend zur Einbeziehung dieser Fallgruppe unter das Verlassen LK-StGB10-Jähnke [04/1981], § 221 Rn. 14; Gössel, BT 1, § 8 Rn. 21; Krey, BT I10, Rn. 139; Tröndle, StGB48, § 221 Rn. 6; ablehnend Dreher, JZ 1966, 581; Küper, Jura 1994, 522 ff.; Mitsch, JuS 1996, 409. 82 H. Weber, S. 24; Schwartz, RStGB, § 221 Anm. 4; Zerling, S. 37 ff.; Hasenberg, S. 36; Redlich, S. 46; Usinger, S. 22; Ebermayer/Lobe/Rosenberg, RStGB4, § 221 Anm. 4; Teufel, S. 24 f.; Gerland, StR2, S. 491; Urban, S. 28. Der engen Auslegung unter Verzicht auf die Änderung der räumlichen Beziehungen folgten zum RStGB Rubo, RStGB, § 221 Anm. 5; zum StGB des norddeutschen Bundes Blum, StGB Norddt. Bund, § 221 Anm. 6; ebenso Häberlin, S. 83 f., für die Gesetzbücher von Bayern und Sachsen sowie Jarcke, S. 385, für das bayer. StGB 1813; offen aber Weiß, CrimGB, Art. 131 Anm. I.1., zum Merkmal „Verlassen“ in Art. 131 sächs. CrimGB 1838. 83 RGSt 8, 343 [345]; Schwartz, RStGB, § 221 Anm. 4; Gerland, StR2, S. 491; ebenso Teufel, S. 24, der auch die Entstehungsgeschichte und den Vergleich zum sächs. StGB 1855 als Begründung für die eingeschränkte Auslegung bemüht, ders., S. 25. 84 Oppenhoff, RStGB6, § 221 Anm. 6; Hälschner, Strafrecht, S. 77; Ziehm, S. 29; Henning, S. 24; Fenner, S. 30; Warmuth, S. 56 ff.; Dieterich, S. 28; Albrecht,

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4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

ben diesen Aspekten wurde für die weite Auslegung insbesondere auch der Wortlaut ins Feld geführt, sprachlich die Tathandlung dann als „Imstichlassen in hilfloser Lage“ bzw. „Belassen in hilfloser Lage“ umschrieben85. Dieser Argumentation folgend gab das Reichsgericht 1940 die vermittelnde Ansicht auf, jedoch ohne sich mit der Frage nach der Reichweite des Verlassens und den Argumenten für und wider die verschiedenen Ansichten auseinanderzusetzen86. Die Diskussion über den Inhalt der zweiten Tathandlung setzte sich auch nach dem 2. Weltkrieg fort, wobei der Bundesgerichtshof – teils mit Zustimmung teils gegen den Widerspruch des Schrifttums – wieder der vermittelnden Ansicht folgte87. Nachdem der Bundesgerichtshof die Festlegung, ob das Verlassen nur durch eine räumliche Entfernung verwirklicht werden kann, im Jahr 1966 noch offenlassen konnte88, ließ sich die Klärung dieser Frage 1991 nicht mehr vermeiden. Die vom 1. Senat getroffene Entscheidung89 wurde – was die Rechtsprechung angeht – zu KehrtS. 46 f.; Hall, SchwZStR 46 [1932], 353 f.; Heilbrunn, S. 26; LK-StGB8-Schaefer [1958], § 221 Anm. II.2.B; in diese Richtung auch Gerland, StR2, S. 491. Dem widersprechend Hasenberg, S. 37; Usinger, S. 24; Appel, S. 48; Frank, StGB18, § 221 Anm. III.2; Urban, S. 28 f.; Mezger, DR 1941, 194. 85 Schwarze, GS 24 [1872], 61; ders., RStGB3, S. 548; Hälschner, Strafrecht, S. 77; Ziehm, S. 29; Dieterich, S. 28; Albrecht, S. 43, 46 f.; Hall, SchwZStR 46 [1932], 353 f. So im Ergebnis auch Heilbrunn, S. 25 f., die aber das Imstichlassen gerade nicht als vom Wortlaut des Verlassens gedeckt ansieht. Diesen Argumenten widersprechen RGSt 8, 343 [345]; Rubo, RStGB, § 221 Anm. 5; H. Weber, S. 26; Usinger, S. 24; Ebermayer/Lobe/Rosenberg, RStGB4, § 221 Anm. 4; Marfels, S. 49; Urban, S. 29. 86 RG DR 1941, 193 [194] mit ablehnender Anmerkung Mezger, DR 1941, 194. Kritisch zu der Entscheidung auch Dreher, JZ 1966, 580. In RGSt 66, 71 [74], und RG Warn B 11 [1917], 16 gab es bereits Tendenzen, die Tathandlung in diese Richtung auszulegen. 87 BGHSt 21, 44 [48]; 25, 218 [219]; 26, 35 [36 f.] und BGH NStZ 1983, 454, betrafen allesamt unzweifelhafte Fälle räumlichen Verlassens durch Weggehen/-fahren des Täters und die Frage wurde nicht angesprochen. Aus dem Schrifttum vor BGHSt 38, 78 folgten der vermittelnden Ansicht Dreher, JZ 1966, 579, 581; H. J. Hirsch, ZStW 84 [1972], 381; Bockelmann, BT 2, S. 72; LK-StGB10-Jähnke [04/1981], § 221 Rn. 14; Feloutzis, S. 181 ff. Für die enge Auslegung hingegen LG Berlin MDR 1967, 57 [58]; Kohlrausch/Lange, StGB41, § 221 Anm. IV; van Els, NJW 1967, 966 f.; Geilen, JZ 1973, 324. Für die weite Auslegung Maurach, BT5, S. 50; Eser, StR III2, Fall 10 Anm. 11; Arzt/Weber, BT LH 2, Rn. 408; Gössel, BT 1, § 8 Rn. 21. 88 BGHSt 21, 44 [47], mit Anmerkung Dreher, JZ 1966, 579 ff. 89 BGHSt 38, 78 [78 f.]; zustimmend Horn, JR 1992, 248 f.; Mitsch, StV 1992, 319 f.; ablehnend Schroeder, JZ 1992, 379; Walther, NStZ 1992, 231 f. Die späteren Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zur Aussetzung betrafen dann wieder nur unproblematische Fälle des Verlassens; so BGH NJW 1993, 2628 – hier kritisch zur Annahme des Verlassens Mitsch, JuS 1994, 555, 557 – und BGH, Urteil vom

C. Die Tathandlung der Aussetzung

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wende und Schlussstrich hinsichtlich der Auslegung des Verlassens. Der Bundesgerichtshof schloss sich erstmals der engen, auf die räumliche Entfernung abstellenden Ansicht an. Zur Begründung der Entscheidung zog der Bundesgerichtshof einerseits den Wortlaut des Verlassens und andererseits die These heran, die Aussetzung sei ein vom Gesetzgeber ausdrücklich normierter „Sonderfall aus dem Bereich der Gefährdungen“, der ansonsten weitgehend straflos sei; zudem drohe bei anderem Verständnis eine „bedenkliche Ausweitung der Strafbarkeit“90. Die Frage, ob allein das Abschneiden des Zugangs zu Hilfsmitteln ebenfalls ein Verlassen sein könne, und damit die Frage, ob die vermittelnde Auslegung auch zutreffend sein könnte, ließ der Bundesgerichtshof in der Entscheidung ausdrücklich offen91. Die Mehrzahl der Autoren folgte bis zum 6. StrRG nunmehr der Begründung des Bundesgerichtshofs92. Außerdem würde, so fügte ein Autor93 an, bei einem anderen Verständnis die zweite Alternative der Aussetzung zu einem „allgemeinen Auffangtatbestand für garantenpflichtwidriges Unterlassen“, der sich nicht mit den Regelungen zum Versuch des Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts durch Unterlassen vereinbaren lasse und die Spezialität der Körperverletzungs- bzw. Tötungsdelikte umgehe. Ergänzend führte das Schrifttum an, nur durch die Auffassung des Bundesgerichtshofs werde die zweite Tathandlung zu einer „Umkehrung der ersten Tathandlung“, die vor 1998 unstreitig eine räumliche Bewegung des Opfers weg aus den bisherigen örtlichen Verhältnissen erforderte94.

24.08.1999 – 5 StR 81/99 – S. 2 [unveröffentlicht]. Unproblematisch zum Imstichlassen auch OLG Zweibrücken NJW 1998, 841. 90 BGHSt 38, 78 [79 f.]; dem Wortlautargument zustimmend Horn, JR 1992, 248; Mitsch, StV 1992, 319; ders., JuS 1994, 557; Krey, BT I10, Rn. 139; Schroth, BT1, S. 52; a. A. Walther, NStZ 1992, 231 f.; zweifelnd Küper, Jura 1994, 522 f. Nach Güntge, Unterlassen, S. 147, ist der Wortlaut der Gesetzesfassung hingegen offen für eine weite oder enge Deutung des Verlassens. 91 BGHSt 38, 78 [80]; ablehnend zu dieser „Tathandlung“ Küper, Jura 1994, 522. 92 Horn, JR 1992, 248; Mitsch, StV 1992, 320; ders., JuS 1994, 557; ders., JuS 1996, 408 f.; Küper, Jura 1994, 517, 523; Güntge, Unterlassen, S. 148; Krey, BT I10, Rn. 139; Küpper, BT I1, § 1 Rn. 89 f.; Schroth, BT1, S. 52; Wessels, BT I21, Rn. 192; ähnlich aber auf den Aspekt der Chancenentziehung abstellend SKStGB5-Horn [05/1993], § 221 Rn. 2, Rn. 7; a. A. weiterhin Maurach/Schroeder/ Maiwald, BT 18, § 4 Rn. 4; Haft, BT6, S. 100; Schönke/Schröder-StGB25-Eser, § 221 Rn. 7; offener – eher zur vermittelnden Ansicht tendierend – Lackner/Kühl, StGB22, § 221 Rn. 3; Tröndle, StGB48, § 221 Rn. 6. 93 Güntge, Unterlassen, S. 148. 94 Mitsch, JuS 1994, 557; ders., JuS 1996, 409; ähnlich Güntge, Unterlassen, S. 149 f.; Küpper, BT I1, § 1 Rn. 89 spricht von einer ansonsten vorliegenden „Disharmonie der beiden Tatbestände“.

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4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

2. Neue Auslegung des Tatbestandsmerkmals seit 1998 Die Formulierung der zweiten Tathandlung lautet seit dem 6. StrRG Imstichlassen. Insbesondere mit Blick auf diese Änderung wird heute kaum noch die enge oder die vermittelnde Auslegung zum Verlassen nach § 221 Abs. 1 StGB a. F. vertreten. Diese sind seit 1998 – wie sich im Folgenden zeigen wird – auch nicht mehr begründbar. Vielmehr geht die Wissenschaft davon aus, dass der Tatbestand der zweiten Tathandlung wesentlich erweitert wurde und es nunmehr auf das äußerlich räumliche Entfernen des Täters vom Opfer oder das Ändern einer räumlichen Beziehung nicht mehr ankommt. Einigkeit über den Inhalt des Imstichlassens herrscht damit jedoch bei weitem noch nicht, wie die folgenden Darlegungen zeigen werden. Zwar wird die weite Auslegung nahezu durchgängig vertreten, der genaue Umfang der Tathandlung aber durchaus unterschiedlich beurteilt95. a) Kritik im Schrifttum an der gesetzgeberischen Begründung zum Imstichlassen Die Ausführungen des Gesetzgebers in der amtlichen Begründung zum 6. StrRG bieten der Literatur den ersten Ansatzpunkt für eine Kritik an der Begründung der Neufassung96. Der Gesetzgeber hat dort gewisse Vorgaben für die Deutung des Imstichlassens gemacht. Sonderlich umfangreich sind diese gesetzgeberischen Vorstellungen freilich nicht; zum Imstichlassen erschöpfen sie sich in dem Satz: „. . . der Begriff des Imstichlassens bringt deutlicher als das geltende Recht zum Ausdruck, daß diese Ausführungsart nicht nur durch das räumliche Verlassen, sondern auch dadurch verwirklicht werden kann, daß der Beistandspflichtige sich der Beistandsleistung vorsätzlich entzieht, obwohl er dazu in der Lage wäre“97. Gerügt wird hieran insbesondere die Formulierung, das Imstichlassen bringe „deutlicher als das geltende Recht zum Ausdruck“, dass es nicht mehr auf ein räumliches Verlassen ankommt, und hieran anknüpfend wird hervorgehoben, dass es sich nicht um eine Verdeutlichung oder Klarstellung der alten Rechtslage handele, sondern um eine völlig neue Inhaltsbestim95 Kosloh, S. 69 f. fordert – von allen abweichend – die ersatzlose Streichung des ganzen Tatbestandes, weil dieser ein allgemeines Gefährdungsdelikt und deshalb unbestimmt sowie verfassungswidrig sei. 96 Küper, ZStW 111 [1999], 49; Kosloh, S. 48 ff.; Laue, S. 2; Lucks, S. 193, 201. 97 RefE, S. 124; BR-Drs. 164/97, S. 121; BT-Drs 13/7164, S. 35, 13/8587, S. 34.

C. Die Tathandlung der Aussetzung

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mung der zweiten Tathandlung98. Denn es gehe – entgegen der Wortwahl in den Materialien – nicht um eine Verdeutlichung, sondern um eine Erweiterung des Tatbestandes durch Änderung der Tathandlungsbeschreibung99. Mithin habe der Gesetzgeber den bisherigen Streit zu Gunsten der extensiven Auslegung durch ein „legislatorisches Machtwort“ entschieden100. Trotz ihrer Einwände gegen die Begründung des Gesetzgebers schließen sich die Kritiker mehrheitlich dem Verständnis der Tathandlung Imstichlassen an, wie es die amtliche Begründung zum Ausdruck bringt101. b) Überwiegende Ansicht zum Imstichlassen: weites Verständnis der zweiten Tathandlung Die herrschende Lehre versteht also das Imstichlassen seit 1998 weit und knüpft damit an das weite Verständnis des Verlassens in der a. F. an102. Hierbei werden bestimmte Handlungen, bei denen früher umstritten war, ob sie als Verlassen anzusehen sind, nunmehr entweder direkt unter den Begriff des Imstichlassens subsumiert oder als Imstichlassen durch Unterlassen verstanden103. Die Umschreibungen des Inhaltes der zweiten Tathandlung sind nur in der Wortwahl verschieden. Wohl am gebräuchlichsten ist aber die Beschreibung des Imstichlassens als ein Unterlassen der Hilfeleistung104 bzw. als das Unterlassen der Hilfe105. Andere verwenden dagegen nicht den Begriff des Unterlassens der Hilfe(-leistung), sondern charakterisieren die zweite Tathandlung als jedes Verhalten, durch das sich der Täter seiner Beistandspflicht entzieht106, oder sprechen vom Unterlassen der Beistandsleistung107. 98

Küper, ZStW 111 [1999], 49; Kosloh, S. 49; Lucks, S. 201. Küper, ZStW 111 [1999], 49; Laue, S. 2; Lucks, S. 193. 100 Küper, ZStW 111 [1999], 49; Lucks, S. 201. 101 Anders nur Kosloh; vgl. die Ausführungen im 4. Teil: C. I. 2. in Fn. 95. 102 Vgl. nur Hörnle, Jura 1998, 177; Sternberg-Lieben/Fisch, Jura 1999, 47; Jäger, JuS 2000, 33; Laue, S. 88 f.; MüKo-StGB-Hardtung, § 221 Rn. 17; Küper, BT6, S. 205 ff.; Tröndle/Fischer, StGB54, § 221 Rn. 8. 103 Hierzu mehr im 4. Teil: C. I. 3. b). 104 Küper, ZStW 111 [1999], 52; ders., BT6, S. 205; Sternberg-Lieben/Fisch, Jura 1999, 47 f.; Küpper, JuS 2000, 229; Lucks, S. 202; NK-StGB2-Neumann, § 221 Rn. 22; Schroth, BT4, S. 80; Tröndle/Fischer, StGB54, § 221 Rn. 8; Wessels/Hettinger, BT I31, Rn. 202. Sehr ähnlich Brodag, StR9, 9. Teil Rn. 73 [Unterlassen der Hilfeleistungspflicht]. 105 Baier, JA 2000, 305; Kindhäuser, LPK3, § 221 Rn. 11; ders., BT I3, § 5 Rn. 15; ähnlich Hacker/Lautner, Jura 2006, 277 [„alle Modalitäten der Vorenthaltung notwendiger Hilfe“].. 106 Hörnle, Jura 1998, 177; Kreß, NJW 1998, 641; Küpper, BT I3, § 1 Rn. 88; ähnlich Schlüchter-Nolte, § 221 Rn. 4. 99

100 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

Von diesen beiden Ansätzen leicht abweichende Definitionen des Imstichlassens sind selten108. Im Ergebnis scheint es sich bei all diesen Definitionen aber nur um eine Frage der sprachlichen Gestaltung zu handeln. In der Sache kommt es letztlich aber allen in erster Linie auf die Verweigerung der geschuldeten Hilfe an. Unabhängig von den sprachlich verschiedenen Umschreibungen des Imstichlassens, betonen jedoch alle Stimmen aus der Wissenschaft, dass es auf das räumliche Verlassen für die inhaltliche Reichweite der zweiten Tathandlung nicht mehr ankommen soll109. Allerdings meint eine größere Zahl von Autoren, das Verlassen durch räumliches Entfernen bilde weiterhin den „verdeckten Ursprungstypus“110 oder die „typische Begehungsweise“ bzw. es sei der „typische Fall“111 der zweiten Tathandlung. Die Hauptargumente für die inhaltliche Erweiterung des Imstichlassens gegenüber dem Verlassen der a. F. sind grammatischer bzw. historischer Natur. Zur Begründung dient häufig eben dieser Wortlautwechsel112 sowie die Annahme, es sei beim 6. StrRG der Wille des Gesetzgebers gewesen, den Tatbestand hinsichtlich der zweiten Tathandlung zu erweitern113. Laue, S. 94; Pfleiderer/Schubert, MedR 2005, 595; Joecks, StGB7, § 221 Rn. 9; Schönke/Schröder-StGB27-Eser, § 221 Rn. 6. Sehr ähnlich auch Lucks, S. 202, die aber die Begriffe Hilfe- und Beistandsleistung bei der Beschreibung des Imstichlassens verwendet. 108 Man findet noch die Umschreibung eines Imstichlassens als jeden „Verstoß des Garanten gegen die Hilfeleistungspflicht“ [Kosloh, S. 57] oder als „jedes Nichthelfen trotz Helfenkönnens und Helfenmüssens“ [MüKo-StGB-Hardtung, § 221 Rn. 17]. 109 DSNS-Struensee, 2. Teil Rn. 35; Hörnle, Jura 1998, 177; Küper, ZStW 111 [1999], 49, 59; ders., BT6, S. 205, 208; Sternberg-Lieben/Fisch, Jura 1999, 47; Baier, JA 2000, 305; Jäger, JuS 2000, 33; SK-StGB7-Horn/Wolters [03/2002], § 221 Rn. 6; Laue, S. 1, 88 f.; Haft, BT II8, S. 126; Krey/Heinrich, BT I13, Rn. 138; Pfleiderer/Schubert, MedR 2005, 595; Hacker/Lautner, Jura 2006, 277; Schönke/ Schröder-StGB27-Eser, § 221 Rn. 6; Kindhäuser, BT I3, § 5 Rn. 1, 15; Tröndle/ Fischer, StGB54, § 221 Rn. 1, 8; Wessels/Hettinger, BT I31, Rn. 202. 110 Küper, BT6, S. 208. Leicht abgeschwächt in Küper, ZStW 111 [1999], 59, wo es heißt: Das „räumliche Verlassen ist vielmehr eine Modalität des Imstichlassens neben anderen, mit denen der Täter seine Garantenpflicht verletzt“. 111 Pfleiderer/Schubert, MedR 2005, 595; Schönke/Schröder-StGB27-Eser, § 221 Rn. 6; ähnlich Haft, BT II8, S. 126; Krey/Heinrich, BT I13, Rn. 136; NKStGB2-Neumann, § 221 Rn. 22, und Rengier, BT II8, § 10 Rn. 9. 112 Sternberg-Lieben/Fisch, Jura 1999, 47; Hohmann/Sander, BT II, § 5 Rn. 11; Hacker/Lautner, Jura 2006, 277; Tröndle/Fischer, StGB54, § 221 Rn. 9; ebenso Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 19, § 4 Rn. 4, die aber daneben eine Einschränkung der zweiten Tathandlung vertreten [hierzu sogleich im 4. Teil: C. I. 2. c)]. 113 Sternberg-Lieben/Fisch, Jura 1999, 47; Hohmann/Sander, BT II, § 5 Rn. 11; Jäger, JuS 2000, 33; MüKo-StGB-Hardtung, § 221 Rn. 17. 107

C. Die Tathandlung der Aussetzung

101

Hierüber hinausgehend betont Küper, es bedürfe eigentlich keiner Hervorhebung mehr, dass mit dem Begriff Imstichlassen die frühere weite Auslegung des Verlassens Gesetz geworden sei114; er bietet aber dennoch einige weiterführende historische Ausführungen. Ausführlich wertet er die Materialien der Großen Strafrechtskommission aus und kommt zu dem Ergebnis, der Begriff Imstichlassen sei erstmals in einem Entwurf einer Unterkommission der Großen Strafrechtskommission aufgetaucht, im Folgenden in die Beschlüsse der Kommission und letztendlich in den § 139 Abs. 1 E 1962 übernommen und hier stets weit verstanden worden115. Allerdings kritisiert Küper die Wortlautänderung vom Verlassen zum Imstichlassen, weil dieser Begriff als Beschreibung des strafbaren Verhaltens das Wesentliche mehr verdecke als verdeutliche. Das Verhalten sei klarer in § 323c StGB als ein „Hilfeleistungs-Unterlassen“ umschrieben116. Für Laue117 spricht – neben der amtlichen Begründung zum 6. StrRG und der Wortlautänderung – auch die Änderung des Grundgedankens der Norm für ein neues, weites Verständnis des Imstichlassens: Sei – bezugnehmend auf Dreher118 – die Grundidee früher gewesen, „Wer bleibt, wird in der Regel auch helfen!“, so sei dies jetzt hinfällig, weil nunmehr jede Unterlassung einer erwarteten Beistandsleistung einzubeziehen sei119. Zudem spreche auch der neue Schutzzweck, der allgemein in der Abwendung von Gefahren vom Opfer zu sehen sei, für ein weiteres Verständnis der zweiten Tathandlung120. Lucks121 begründet ihre Ansicht – ähnlich wie Küper – durch Bezugnahme auf die historischen Ursprünge des Imstichlassens in der Strafrechtskommission sowie im E 1960 und E 1962122. Anhand dieser historischen Betrachtung betont sie, das Imstichlassen erfasse jede Form des unterlassenen Beistandes123. Ein zweites Argument für die weite Auslegung sieht Küper, ZStW 111 [1999], 49, 51; ders., BT6, S. 205, 208. Küper, ZStW 111 [1999], 51 Fn. 93. 116 Küper, ZStW 111 [1999], 51 f.; ders., BT6, S. 205, 208. 117 Laue, S. 2, 89. 118 Dreher, JZ 1966, 581. 119 Laue, S. 88 f. So schon Güntge, Unterlassen, S. 101 f., als Folge der Deutung des Verlassens als Imstichlassen. 120 Laue, S. 96. 121 Lucks gehört zu der Gruppe von Autoren, die eine Einschränkung der zweiten Tathandlung befürworten [hierzu sogleich 4. Teil: C. I. 2. c)]. Da sie allerdings den bei weitem ausführlichsten Ansatz für die Herleitung der weiten Auslegung bietet, diesen im Folgenden dann einschränkt, soll der erste Teil ihrer Ansicht schon hier dargestellt werden. 122 Lucks, S. 202, mit Verweis auf E 1962, S. 277. 123 Lucks, S. 202. 114 115

102 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

Lucks in einer teleologischen Begründung, nämlich dass die weite Interpretation „dem zweifellos bestehenden Strafbedürfnis“ Rechnung trage124. Mit Laue geht sie insoweit konform, als sie meint, dass sich der Grundgedanke der Norm geändert habe und heute die Betonung nicht mehr auf der räumlichen Komponente liege125. Neben diesen Begründungen findet man bei vielen Autoren Aufzählungen von beispielhaften Verhaltensweisen, die unter den Begriff des Imstichlassens subsumiert werden können: Die unterlassene Rückkehr wird häufig angeführt126, daneben aber auch Fälle, in denen sich der Täter die Hilfeleistung durch vorsätzliches Einschlafen, Alkoholkonsum, reine Untätigkeit oder geistige Abwesenheit unmöglich macht127. Angesichts der großen Weite des Imstichlassens wird regelmäßig aber betont, die Tathandlung des § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB unterliege einigen Einschränkungen: Eine mittelbare Einschränkung des Tatbestandes bedeute das Erfordernis des Vorliegens einer hilflosen Lage vor der Tathandlung128 sowie das Erfordernis der Obhuts- oder Beistandspflicht129. Daneben wird stets hervorgehoben, der Tatbestand des § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB sei dahingehend – wie übrigens allgemein bei jedem Unterlassungsdelikt – einzuschränken, dass nur das Unterlassen derjenigen Hilfe als Aussetzung nach § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB strafbar sei, die dem Täter persönlich und technisch möglich130, 124

Lucks, S. 207. Lucks, S. 207. 126 DSNS-Struensee, 2. Teil Rn. 35 f.; Küper, ZStW 111 [1999], 62; ders., BT6, S. 209 f.; Jäger, JuS 2000, 33; Laue, S. 95; MüKo-StGB-Hardtung, § 221 Rn. 17; Krey/Heinrich, BT I13, Rn. 139; NK-StGB2-Neumann, § 221 Rn. 23; Hacker/Lautner, Jura 2006, 277; Kindhäuser, LPK3, § 221 Rn. 11; Schroth, BT4, S. 80; Küpper, BT I3, § 1 Rn. 88; Lackner/Kühl, StGB26, § 221 Rn. 4; Rengier, BT II8, § 10 Rn. 10. 127 Küper, ZStW 111 [1999], 63; MüKo-StGB-Hardtung, § 221 Rn. 17; NKStGB2-Neumann, § 221 Rn. 23; Hacker/Lautner, Jura 2006, 277; Kindhäuser, LPK3, § 221 Rn. 11; Schroth, BT4, S. 80; Küpper, BT I3, § 1 Rn. 88; Lackner/Kühl, StGB26, § 221 Rn. 4; Rengier, BT II8, § 10 Rn. 10. 128 SK-StGB7-Horn/Wolters [03/2002], § 221 Rn. 7; Lucks, S. 187, 189; Krey/ Heinrich, BT I13, Rn. 135; NK-StGB2-Neumann, § 221 Rn. 18; Rengier, BT II8, § 10 Rn. 4; Tröndle/Fischer, StGB54, § 221 Rn. 8; Wessels/Hettinger, BT I31, Rn. 203. Abweichend aber Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 19, § 4 Rn. 9: „Bei Abs. 1 Nr. 2 liegt die hilflose Lage des Opfers im Zeitpunkt der Täterhandlung bereits vor oder sie wird von ihm gerade durch das Im-Stich-Lassen herbeigeführt.“ 129 LK-StGB11-Jähnke [07/1999], § 221 Rn. 22; siehe auch Nachweise und Ausführungen im 4. Teil: B. I. in Fn. 43. 130 Kreß, NJW 1998, 641; Sternberg-Lieben/Fisch, Jura 1999, 48; Küper, ZStW 111 [1999], 61; ders., BT6, S. 205; Küpper, JuS 2000, 229; Lucks, S. 133; MüKoStGB-Hardtung, § 221 Rn. 17; Joecks, StGB7, § 221 Rn. 9. 125

C. Die Tathandlung der Aussetzung

103

erforderlich131 und zumutbar132 ist und die daneben auch die Aussicht verspricht, den tatbestandlichen Erfolg zu verhindern133. c) Teilweise vertretene Ansicht zum Inhalt des Imstichlassens: weites Verständnis mit Einschränkungen in spezifischen Fallkonstellationen Dem weiten Verständnis der zweiten Tathandlung stimmen im Grundsatz Jähnke, Arzt, Schroeder, Neumann und Lucks zu; für diese Autoren hat der Gesetzgeber 1998 das weite Verständnis des Verlassens a. F. durch das Imstichlassen gesetzlich normiert134. Allerdings stehen sie der jetzigen Reichweite der zweiten Tathandlung kritisch gegenüber und belegen dies an Fällen, die sie aufgrund eines geringeren Unrechts nicht als Aussetzung durch Imstichlassen erfasst sehen wollen. In erster Linie dreht es sich hierbei um die sog. „Retterfälle“135. Gemeint sind damit Fälle, in denen ein von Berufs wegen Hilfspflichtiger, z. B. ein Arzt oder ein Rettungssanitäter, bei einem Anruf nicht ausrückt und die Hilfe für einen Hilflosen nicht leistet. Dies waren – mangels räumlicher Bewegungskomponente bei Täter oder Opfer – bis zur Neufassung der Norm DSNS-Struensee, 2. Teil Rn. 35; Baier, JA 2000, 305; Joecks, StGB7, § 221 Rn. 9; Schmidt/Priebe, BT I6, Rn. 253. 132 Sternberg-Lieben/Fisch, Jura 1999, 48; Küper, BT6, S. 205; Joecks, StGB7, § 221 Rn. 9; Schmidt/Priebe, BT I6, Rn. 253. 133 Sternberg-Lieben/Fisch, Jura 1999, 48; Küpper, JuS 2000, 229; Lackner/ Kühl, StGB26, § 221 Rn. 4. Im Ergebnis auf die aussichtsreiche Hilfe abstellend, betont Küper, ZStW 111 [1999], 61, dass diejenigen Fälle aus dem Tatbestand auszuscheiden sind, „in denen der Garant trotz räumlichen Verlassens dem Schützling ebenso wirksam hilft, wie es bei Anwesenheit gewesen wäre oder sogar bessere Hilfe leistet“. 134 LK-StGB11-Jähnke [07/1999], § 221 Rn. 22 f.; Lucks, S. 202. Maurach/ Schroeder/Maiwald, BT 19, § 4 Rn. 9 f., und Arzt/Weber, BT, § 36 Rn. 4 ff., legen sich dagegen bezüglich des Inhaltes der zweiten Tathandlung nicht eindeutig fest, sondern operieren mit Fallgruppen, die nunmehr als Imstichlassen anzusehen sind. Dies sind aber gerade die Fälle der weiten Auslegung. Einzig NK-StGB2-Neumann, § 221 Rn. 28 geht ausdrücklich davon aus, dass der „Begriff des Imstichlassens, . . . mehr erfordert als das bloße Unterlassen der Hilfeleistung in Garantenstellung“. Schon zum Verlassen a. F. ging Mitsch, JuS 1996, 410, davon aus, dass die Erfolgsherbeiführung durch Unterlassen voraussetzt, dass sich der Garant in der Nähe des Opfers aufgehalten hat, als das tatbestandsmäßige Unterlassen begann, also – mit anderen Worten – einmal eine räumliche Nähebeziehung bestanden hatte. Ähnlich H. Weber, S. 24, 34 ff.; Teufel, S. 24. 135 Es geht dabei in erster Linie um [Bereitschafts-]Ärzte, die einen Hausbesuch verweigern; so LK-StGB11-Jähnke [07/1999], § 221 Rn. 29; Laue, S. 96, 98; SKStGB7-Horn/Wolters [03/2002], § 221 Rn. 6; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 19, § 4 Rn. 12; Rengier, BT II8, § 10 Rn. 11; aber dies betrifft auch andere „professionelle Retter“ von Berufs wegen wie Feuerwehrleute, Rettungsdienste, Polizisten. 131

104 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

Fälle lediglich der unterlassenen Hilfeleistung136. Deshalb suchen diese Autoren nach einer zusätzlichen Einschränkungsmöglichkeit für die zweite Tathandlung. Insoweit kann man von einer weiten Auslegung mit gewissen Einschränkungen sprechen. Der erste Autor, der ein einschränkendes Verständnis der zweiten Tathandlung forderte, war Jähnke. Er betonte, der neue Wortlaut des Imstichlassens erfasse auch „Fälle bloßer außerstrafrechtlicher Pflichtverletzungen“ und sei daher zu präzisieren, „um eine ungewollte und nicht hinnehmbare Ausdehnung der Strafbarkeit zu verhindern“137. Nach ihm hat ein Arzt, der einen Hausbesuch unterlässt, zwar eine Garantenstellung, aber bei der reinen Verweigerung des Hausbesuches fehlten „Gesichtspunkte, welche darüber hinaus erhöhtes Unrecht anzeigen“. Um diese Unrechtserhöhung aber bei der zweiten Tathandlung zu erhalten, fordert Jähnke deshalb als zusätzliches Kriterium ein „Näheverhältnis“, das „im räumlichen Beieinander von Täter und Opfer zu erblicken“ ist. Dieses Erfordernis der räumlichen Nähe leitet er aus dem Wortsinn des Imstichlassens her und begründet es anhand einiger Beispiele, in denen dieses „Näheverhältnis“ vorliegt138. Daneben beruft sich Jähnke auf die Annahme von Dreher zur zweiten Tatvariante a. F., wonach der gemeinsame Aufenthalt „von Angesicht zu Angesicht“ die besondere Erwartung einer Befolgung der bestehenden Obhutsgebote begründet139. Nach Jähnke140 erfasst damit das Imstichlassen letztlich zweierlei: die Fälle des aktiven räumlichen Verlassens der a. F. und die Fälle einer Abwendung des Täters vom Opfer durch Untätigkeit. Die zweite Konstellation ist einerseits dergestalt denkbar, dass im Zeitpunkt der Abwendung eine räumliche Verbindung zwischen Täter und Opfer noch besteht, andererseits in der Erscheinungsform, dass der Täter diese räumliche Verbindung schon zuvor aufgehoben hat. Diesem Ansatz von Jähnke folgt im Ergebnis Arzt, wenngleich dies in dem Lehrbuch nicht sehr deutlich wird141: Ausgehend von der Frage, ob 136 Fälle, bei denen man heute über die Strafbarkeit nach § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB nachdenken müsste, die früher aber nur § 323c StGB oder §§ 222, 13 StGB erfüllten, sind z. B. RGSt 75, 160; BGHSt 17, 166; BGH NStZ 1985, 409, mit Anmerkung Frellesen, StV 1987, 22, sowie OLG Hamm NJW 1975, 604, und OLG Köln NJW 1991, 764 [wobei in den beiden Fällen nicht nur die Strafbarkeit nach § 323c StGB, sondern auch nach §§ 223, 13; 229 (= 230 a. F.), 13 StGB in Rede stand]. Zur rechtlichen Einordnung dieser Fälle in die a. F. des Tatbestandes: Feloutzis, S. 185. 137 Zum Ganzen LK-StGB11-Jähnke [07/1999], § 221 Rn. 29. 138 LK-StGB11-Jähnke [07/1999], § 221 Rn. 29, wo auf die Beispiele in Rn. 28 verwiesen wird. 139 LK-StGB11-Jähnke [07/1999], § 221 Rn. 29 mit Verweis auf Dreher, JZ 1966, 581. 140 LK-StGB11-Jähnke [07/1999], § 221 Rn. 29.

C. Die Tathandlung der Aussetzung

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§ 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB weiterhin das Erfordernis einer räumlichen Nähebeziehung zwischen Garant und Opfer als zusätzliches Merkmal aufweise, gibt er die Antwort nicht allgemein, sondern im Rahmen eines Beispiels: Der Fall, in dem die Mutter – in Kenntnis von gesundheitlichen Problemen ihres Kindes – nicht nach Hause zurückkehrt, soll nach Arzt mangels der „besonderen Beziehung zum Opfer durch räumliche Nähe“ kein Imstichlassen sein. Die Antwort auf die Frage, warum dieser nahezu typische Fall der unterlassenen Rückkehr kein Imstichlassen sein soll und inwieweit dieses Ergebnis verallgemeinert werden kann, bleibt er leider schuldig. Auch Schroeder macht sich Jähnkes Ansatz einer notwendigen räumlichen Nähebeziehung zwischen Täter und Opfer zu Eigen; er bezeichnet diese als „besonderes Näheverhältnis mit einer besonderen Bereitschaftserklärung“142. Die räumliche Nähe muss nach seiner Ansicht bei der Tat oder jedenfalls vor der zulässigen Entfernung bestanden haben143. Dieser Befund ist allerdings recht überraschend, da Schroeder im Rahmen der allgemeinen Ausführungen zum Imstichlassen davon ausgeht, die Notwendigkeit des räumlichen Sich-Entfernens durch den Täter sei entfallen und der § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB durch Tun und Unterlassen begehbar, womit er die bloße Untätigkeit sowie das Unmöglichmachen der Hilfeleistung durch Alkohol oder Selbsttötungsversuch und auch die unterlassene Rückkehr als im Merkmal Imstichlassen erfasst ansieht144. Nach Schroeder kann das aber nicht bedeuten, „daß alle Garanten (Hausärzte, Feuerwehrleute, Rettungsdienste, Angehörige) bei Eintritt einer hilflosen Lage und Unterlassung der Hilfeleistung nach § 221 Abs. 1 Nr. 2 strafbar sind“; vielmehr sei das Imstichlassen „mehr als Unterlassen der Hilfeleistung“145. Warum dieses „Mehr“ nun in der Bereitschaftserklärung – basierend auf einer räumlichen Nähe – zu finden sein soll oder warum er überhaupt meint, die genannten Fälle seien nicht als Aussetzung strafbar, sagt er nicht. Neumann sieht – den zuvor dargestellten Autoren folgend – das „berechtigte Anliegen“, gewisse Fälle wegen fehlender Strafwürdigkeit aus dem Anwendungsbereich der zweiten Tathandlung auszuklammern146. Allerdings lehnt er es ab, dies über eine räumliche Nähebeziehung oder ein räumliches Beieinander zu begründen, da die Neufassung des Imstichlassens eine „Tendenz . . . zur Eliminierung des Faktors der räumlichen Distanzierung“ erken141 142 143 144 145 146

Zum Ganzen Arzt/Weber, BT, § 36 Rn. 7. Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 19, § 4 Rn. Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 19, § 4 Rn. Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 19, § 4 Rn. Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 19, § 4 Rn. NK-StGB2-Neumann, § 221 Rn. 24.

12. 12, sowie ebenda Fn. 247. 4, 9 f. 12.

106 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

nen lasse147. Neumann betont zwar, dass „richtigerweise . . . diesem Erfordernis (erg.: dem nach einer sozialen Nähe zur Einschränkung des Tatbestandes) bei der Konkretisierung der an die Beistandspflicht zu stellenden Anforderungen Rechnung zu tragen“ sei148, behandelt die gesamte Frage aber im Rahmen der Erläuterung zur zweiten Tathandlung und stellt fest, dass den „Ansatzpunkt für eine entsprechende einschränkende Interpretation . . . der Begriff des Imstichlassens“ bietet149. Damit bleibt letztlich offen, ob er die Einschränkung beim Imstichlassen oder bei der Obhuts- oder Beistandspflicht verortet. Sicher ist aber: Er hält eine Einschränkung für erforderlich und geboten. Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist die These, dass der Anwendungsbereich der Vorschrift zu weit gerät, wenn die Obhuts- oder Beistandspflicht bei § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB mit der Garantenstellung beim unechten Unterlassungsdelikt gleichgesetzt wird150. Grund für diese Annahme ist ein Vergleich zwischen § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB und § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB: Derjenige garantenpflichtige Täter, der eine Lage nach § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB durch Unterlassen herbeiführe, stehe – da für ihn § 13 Abs. 2 StGB anwendbar sei – besser da als derselbe Täter, der die hilflose Lage vorfinde und durch sein Unterlassen nicht abwende151. Bei einem identischen Adressatenkreis sei dies aber sinnwidrig; die schärfere Haftung nach § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB lasse sich nur mit einem im Vergleich zur Unterlassensvariante des § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB eingeschränkten Täterkreises begründen152. Diese Einschränkung des Täterkreises erfolgt dann aber – wie schon oben angedeutet – leicht widersprüchlich nicht im Rahmen der Tätereigenschaft, sondern anhand des Imstichlassens153. Letzteres erfordere begrifflich mehr als das bloße Unterlassen der Hilfeleistung in Garantenstellung, setze ein „über die Minimalbedingung einer Garantenstellung hinausreichendes Näheverhältnis zwischen Täter und Opfer“ voraus. Diese Nähe sei aber nicht räumlicher, sondern „psychologisch-sozialer“ bzw. „normativer“ Art, also als eine Vertrauensbeziehung zu verstehen, die „über die Erwartung der Erfüllung institutionell begründeter Hilfspflichten (. . .) hinaus sich gerade (auch) auf eine persönliche Beziehung zwischen den Beteiligten stützt“. Typischerweise liege eine solche bei Beschützergaranten und Inge147 148 149 150 151 152 153

NK-StGB2-Neumann, § 221 Rn. 24, 28. NK-StGB2-Neumann, § 221 Rn. 24. NK-StGB2-Neumann, § 221 Rn. 28. NK-StGB2-Neumann, § 221 Rn. 25, 27. NK-StGB2-Neumann, § 221 Rn. 27. NK-StGB2-Neumann, § 221 Rn. 27. Zum Folgenden NK-StGB2-Neumann, § 221 Rn. 28 f.

C. Die Tathandlung der Aussetzung

107

renz vor, bei letzterer im Hinblick auf die besondere persönliche Zuständigkeit für die Abwendung der selbst geschaffenen Gefahr, nicht aber bei „ausschließlich institutionell begründeten, durch wechselnde Personen wahrzunehmende(n) Rettungspflichten“154. Auch nach Lucks fehlen in den „Retterfällen“ Gesichtspunkte, die ein erhöhtes Unrecht begründen können, und sie verlangt deshalb eine Einschränkung des Imstichlassens, insbesondere da in den Fällen ohne räumliche Nähe bei Anwendung von § 221 Abs. 3 StGB ein „kaum erklärbarer Sprung“ im Strafrahmen vorliege155. Sie sieht daher zwei Ansätze, die „Retterfälle“ nicht als Aussetzung zu bestrafen: Die Mehrzahl dieser Konstellationen lasse sich schon durch eine strenge Interpretation des Merkmals der hilflosen Lage aus dem Tatbestand ausklammern, weil einerseits der „Retter“ Kenntnis von dem Vorfall haben müsse und andererseits das Opfer sich nicht in hilfloser Lage befinde, wenn es noch telefonieren, also noch anderweitig Hilfe holen könne156. In den verbleibenden Fällen, in denen nicht nur das Vertrauen des Anrufers auf Hilfe enttäuscht wird, sondern eine wirkliche Abhängigkeit von dem angerufenen Retter derart besteht, dass dieser die einzige mögliche und erreichbare Hilfe darstellt, will Lucks dann „im Einzelfall“, um „sachgerechte Ergebnisse“ zu erreichen, – das Imstichlassen einschränkend – eine besondere Nähebeziehung zwischen Täter und Opfer verlangen157. Diese Nähe ist nach ihr aber nicht in dem – „äußerlich-zufälligen“ und nicht durch die Materialien gedeckten – räumlichen Kriterium von Jähnke, Arzt und Schroeder zu finden, sondern vielmehr unter dem Gesichtspunkt der persönlichen Verantwortung des Garanten für das Opfer oder für das Entstehen der hilflosen Lage zu bestimmen158. Beispiele für diese persönliche Verantwortung sind für Lucks eine enge persönliche Beziehung zwischen Täter und Opfer, eine vertragliche Beistandsverpflichtung des Täters oder die Verantwortlichkeit des Täters für die hilflose Lage, nicht jedoch die berufliche Stellung des Alarmierten159.

154 NK-StGB2-Neumann, § 221 Rn. 29. Dieser Idee scheint auch Arzt, ZStW 111 [1999], 781 zuzuneigen, wenn er betont: „Zu den ausgezeichneten Innovationen des 6. StrRG gehört die Einsicht, daß es bei § 221 StGB [und nicht nur dort!] starke und schwache Garantenstellungen gibt“. 155 Lucks, S. 204 f. 156 Lucks, S. 205 f. 157 Lucks, S. 206. 158 Lucks, S. 205 f. 159 Lucks, S. 207.

108 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

3. Der Tatbestandstyp160 der zweiten Tatvariante Schon vor Inkrafttreten des 6. StrRG war umstritten, ob die zweite Tatalternative der Aussetzung ein Begehungs- oder (un)echtes Unterlassungsdelikt darstellt. Interessanterweise hat sich diese Frage durch die Neufassung nicht erledigt, sondern der Streit wird weiterhin geführt. a) Zur Einordnung der zweiten Tatvariante a. F. in die Kategorien der Typen der Tatbestände Zum Verlassen i. S. v. § 221 Abs. 1 StGB a. F. gab es hinsichtlich des Tatbestandstyps fünf verschiedene Ansichten. Man ging mehrheitlich im Schrifttum davon aus, die zweite Tatvariante sei ein „normales“, auch durch Unterlassen nach § 13 StGB zu verwirklichendes Begehungsdelikt. Deutlich geringer war dagegen die Anzahl derjenigen Autoren, die meinten, § 221 Abs. 1 Alt. 2 StGB stelle ein nur echtes oder ein nur unechtes Unterlassungsdelikt dar, enthalte zugleich ein echtes und ein unechtes Unterlassungsdelikt oder normiere ein reines Begehungsdelikt ohne die Möglichkeit der Begehung durch Unterlassen. Bei der überwiegenden Annahme eines „normalen“ Begehungsdelikts, dem über § 13 StGB ein unechtes Unterlassungsdelikt zur Seite stehe161, 160 5

Dieser – im Folgenden verwendete – Begriff stammt von Jescheck/Weigend, AT , § 26 II, der das Begriffspaar „Tatbestandstyp“ und „Typen der Tatbestände“ mit demselben Inhalt belegt und verwendet [vgl. insoweit Jescheck/Weigend, AT5, § 26 II, mit seinem Sachverzeichnis, S. 1017]. Die Bezeichnung variiert in der Literatur allerdings stark. So spricht M. Köhler, AT, S. 127, von „Deliktstypologie“; Jakobs, AT2, 6. Abschn. Rn. 77, von „Gestalten der Tatbeständen“ bzw. „Tatbestandsgestalten“; Baumann/Weber/Mitsch, AT11, § 8 Rn. 30, von „Deliktsarten“, „Deliktsgruppen“ oder „Deliktskategorien“ [siehe auch Webers Zusammenfassung am Ende des Kapitels, ebenda, § 8 IV]. Roxin, AT I4, § 10 H [Vor Rn. 102] wählt die Bezeichnung „Arten der Tatbestände“; ähnlich Lackner/Kühl, StGB26, Vor § 13 Rn. 31, mit „Arten von Straftaten“ sowie Tröndle/Fischer, StGB54, Vor § 13 Rn. 11 [„Formen von Straftaten“]. In der Sache geht es jedoch immer darum, welche Rechtsqualität oder Natur innerhalb der Deliktskategorien einem bestimmten Tatbestand oder einer bestimmten Variante eines Tatbestandes zugewiesen werden soll, wie man sie also „klassifizieren“ kann: Handelt es sich z. B. um ein Erfolgs- oder ein schlichtes Tätigkeitsdelikt? Liegt ein Verletzungs- oder konkretes Gefährdungsdelikt vor? Oder eben auch: Ist ein bestimmter Tatbestand [bzw. eine seiner Varianten] als Begehungs- oder Unterlassungsdelikt einzuordnen, wenn letzteres: Kann man von einem echten oder einem unechten Unterlassungsdelikt sprechen? Einige Autoren verzichten auf eine begriffliche Festlegung und sprechen nur mit Blick auf Funktion und Aufgabe dieser Begriffsbildungen von „Einteilung der Straftaten“ [NK-StGB2-Hassemer/Neumann, Vor § 1 Rn. 251], „Einteilung der Delikte“ [Wessels/Beulke, AT37, Rn. 17] oder „Einteilung der strafbaren Handlungen“ [Schönke/Schröder-StGB27Lenckner/Eisele, Vorbem §§ 13 ff. Rn. 127].

C. Die Tathandlung der Aussetzung

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wurde wesentlich der Aspekt des Weggehens bzw. die aktive Tätigkeit des Weggehens als positives Tun in den Vordergrund gerückt162. Es fanden sich aber auch weitergehende Argumente. Auf den Wortlaut des Verlassens stellten Dreher und Jähnke ab163: Nach ihnen beschrieb der Wortsinn von „Verlassen“ eine Tätigkeit mit einem bestimmten Resultat und somit in der Regel ein strafrechtliches Tun. Bockelmann164 folgte diesem Verständnis, betonte aber ergänzend, dem Verlassen wohne zwar ein Moment des Unterlassens inne, aber auf dieses käme es gerade nicht an, sondern darauf, ob dem Opfer durch das Täterverhalten die Chance auf die notwendige Hilfe entzogen oder verkürzt würde, was durch Tun oder Unterlassen geschehen könne. Henning165 versuchte den gegenteiligen Standpunkt – also die Annahme eines Unterlassungsdelikts – dadurch zu widerlegen, dass er hervorhob, das Verständnis des Verlassens als echtes Unterlassungsdelikt verkenne den Grundgedanken des Gesetzes, der nicht allein in einer Pflichtverletzung zu finden sei, sondern vielmehr in der Schaffung der Gefahr für das Opfer liege, was durch Handeln oder Unterlassen denkbar sei. Genau den gegenteiligen Aspekt betonten diejenigen Autoren, die im Verlassen ein echtes Unterlassungsdelikt sahen: Zwar sei das Weggehen optisch ein Tun, in der Sache aber ein Unterlassen166. Zudem sei der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit – nach dem Grundgedanken der Norm – beim 161 Neben Dreher, Jähnke, Küper, Bockelmann und Henning [zu diesen vgl. die Fundstellen sogleich in Fn. 163–165] vertreten diese Ansicht auch Lifschitz, S. 71; Hasenberg, S. 40; Gerland, StR2, S. 491; Urban, S. 29; Dalcke/Fuhrmann/Schäfer, StGB37, § 221 Anm. 6; van Els, NJW 1967, 966; LK-StGB9-Lange [12/1971], § 221 Rn. 6; Eser, StR III2, Fall 10 Anm. 17, 21; Schroeder, JZ 1992, 379; Güntge, Unterlassen, S. 149 f.; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 18, § 4 Rn. 10; Haft, BT6, S. 100; Lackner/Kühl, StGB22, § 221 Rn. 3; Schroth, BT1, S. 52; Tröndle, StGB48, § 221 Rn. 6; Wessels, BT I21, Rn. 189. 162 Henning, S. 24; LK-StGB10-Jähnke [04/1981], § 221 Rn. 14; Küper, Jura 1994, 523; Schönke/Schröder-StGB25-Eser, § 221 Rn. 9a. 163 Dreher, JZ 1966, 580; LK-StGB10-Jähnke [04/1981], § 221 Rn. 14, 20; a. A. zum Wortlaut Küper, Jura 1994, 522, der aber [S. 523], das Verlassen durch SichEntfernen des Täters als „Tun mit einem bestimmten Resultat“ bezeichnet. 164 Bockelmann, BT 2, S. 72; ähnlich Küpper, BT I1, § 1 Rn. 89 f. 165 Henning, S. 23 f. Allerdings vertrat Henning ein weites Verständnis der zweiten Tathandlung; vgl. im 4. Teil: C. I. 1. [Nachweise dort in Fn. 84]. 166 Ziehm, S. 29, 32; Teufel, S. 34; Schmidhäuser, BT2, Kap. 2 Rn. 42; Feloutzis, S. 181; Schürmann, S. 193; Mitsch, StV 1992, 320. Innerhalb dieser Gruppe weicht Feloutzis, S. 184, leicht ab, da er in der zweiten Alternative „ein verkapptes echtes Unterlassungsdelikt“ sieht, weil die Tathandlung des Verlassens den Tatbestand auf bestimmte – räumliche – Begehensweisen beschränke. Zum Begriff des „verkappten Unterlassungsdelikts“ vgl. Güntge, Unterlassen, S. 100 ff.

110 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

Verlassen in der Verweigerung der erforderlichen Hilfe zu sehen und damit ein klassischer Unterlassensvorwurf167. Eine ähnliche Argumentation findet sich bei Maurach168 und Schwarz169, die davon ausgingen, das Verlassen sei als unechtes Unterlassungsdelikt anzusehen. Sie leiten dies daraus her, beim Verlassen bedürfe es eben keiner räumlichen Entfernung und damit stehe das Unterlassen der Hilfe im Vordergrund170. Im älteren Schrifttum existiert daneben noch die Ansicht, das Verlassen könne einerseits ein unechtes Unterlassungsdelikt (= Kommissivdelikt durch Unterlassen), andererseits ein echtes Unterlassungsdelikt (= Omissivdelikt) sein171. Es wurde hier nach der Art der Tathandlung differenziert: Während das Schaffen der hilflosen Lage durch Verlassen – als positive Tätigkeit – das unechte Unterlassungsdelikt erfülle, verwirkliche die reine Untätigkeit oder Passivität das echte Unterlassungsdelikt172. Einerseits könne es sich wegen der räumlichen Fortbewegung beim Verlassen nicht nur um ein echtes Unterlassungsdelikt handeln, da dieses nur passive Verhaltensweisen erfasse173. Andererseits könne es aber auch nicht nur ein unechtes UnterlasZiehm, S. 29; Olshausen, RStGB7, § 221 Anm. 7; Schmidhäuser, BT2, Kap. 2 Rn. 43; Feloutzis, S. 181, 184; Schürmann, S. 193. So im Ergebnis ohne Begründung auch Schwarze, GS 24 [1872], 54; ders., RStGB3, S. 548. 168 Maurach, BT4, S. 47. Diese Ansicht wird in Maurach, BT5, S. 48, aber aufgegeben und das Verlassen als auch durch Unterlassen begehbares Begehungsdelikt eingeordnet, wobei auch dort betont wird, das Verlassen werde „in der Regel durch Unterlassen verwirklicht“. Diese Änderung begrüßt H.J. Hirsch, ZStW 84 [1972], 381. 169 Schwarz, S. 145. 170 So ohne weitere Argumente auch Binding, Lehrbuch BT I2, S. 62 f.; LKStGB8-Schaefer [1958], § 221 Anm. II.2.B, V.1. 171 Hälschner, Strafrecht, S. 79 f.; Fenner, S. 30 f.; Redlich, S. 48 f.; Marfels, S. 48. Teilweise [vgl. Warmuth, S. 60 f.; Usinger, S. 31] wurde in der älteren Literatur die zweite Tatalternative von § 221 Abs. 1 StGB a. F. sogar „dreigeteilt“ verstanden, und zwar einerseits als Kommissivdelikt [= Begehungsdelikt], das sowohl durch Tun als auch durch Unterlassen begangen werden kann konnte, sowie andererseits auch – bei gewissen Verhaltensweisen – als Omissivdelikt [= echtes Unterlassungsdelikt]. Dieses Deutung lässt sich aber mit der heute herrschenden Einteilung der Delikte [in die Kategorien der – auch durch unechtes Unterlassen zu verwirklichenden – Begehungsdelikte und der echten Unterlassungsdelikte] nicht mehr vereinbaren: Eine Tatvariante eines Tatbestandes zugleich als echtes wie auch als unechtes Unterlassungsdelikt anzusehen erscheint, gleich wie man diese beiden Typen voneinander abgrenzt [hierzu später ausführlich im 4. Teil: C. I. 5. e) cc) (2)], sinnwidrig, weil sich diese beiden Kategorien nach allen Ansichten nicht miteinander vereinbaren lassen. Von daher wird dieser Ansatz hier nicht weiter dargestellt und verfolgt. 172 Hälschner, Strafrecht, S. 79; Fenner, S. 31; Redlich, S. 49; Marfels, S. 48. 173 Fenner, S. 31; Redlich, S. 49; Marfels, S. 49. 167

C. Die Tathandlung der Aussetzung

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sungsdelikt sein: Der Gesetzgeber hätte sich – wenn es sich bei § 221 Abs. 1 Alt. 2 StGB nur um ein solches Delikt handeln sollte – die Normierung sparen können, weil sich diese Möglichkeit schon nach allgemeiner Gesetzestechnik aus dem unechten Unterlassungsdelikt zum Aussetzen ergeben würde174. Insoweit müsse das Verlassen – abhängig von der Erscheinungsform des Verhaltens – echtes oder unechtes Unterlassungsdelikt sein175. Dagegen verneinten Schöne176 und Horn177 schon grundsätzlich die Begehbarkeit der zweiten Tatalternative durch Unterlassen: Der entsprechende Unterlassenstatbestand lasse sich beim Verlassen schlichtweg nicht bilden, sondern alleine die räumliche Trennung sei das Wesensmerkmal von § 221 Abs. 1 Alt. 2 StGB. Die Rechtsprechung hat sich mit der Frage der Einordnung in eine der Deliktsgruppen jahrelang nicht befassen müssen178. Als die Entscheidung jedoch nicht mehr offengelassen werden konnte, entschied der Bundesgerichtshof in der – bereits oben angesprochenen – grundlegenden Entscheidung zum Verlassen179, es handele sich bei der zweiten Tathandlung um ein – auch durch Unterlassen zu verwirklichendes – Begehungsdelikt. In den Vordergrund der Begründung stellte das Gericht das äußerlich erkennbare Geschehen, wonach das Verlassen im Regelfall als ein Weggehen in Erscheinung trete und damit seitens des Täters als ein positives – mithin als Tun im strafrechtlichen Sinne einzuordnendes – Verhalten zu verstehen sei180. 174

Redlich, S. 48 f. Dem folgten ohne weitergehende Begründung auch Dieterich, S. 29, und Zerling, S. 40. 176 Schöne, S. 225 f. 177 SK-StGB4-Horn [02/1988], § 221 Rn. 9. Diese Ansicht vertritt ders., in: SKStGB5-Horn [05/1993], § 221 Rn. 9, nur noch in abgeschwächter Form, wenn er schreibt, dass sich „ein Unterlassenstatbestand, der dem aktiven Tun gleichwertig ist, allenfalls für den Fall bilden lässt, dass der Täter sich nicht dagegen wehrt, durch einen Dritten von seinem Schützling räumlich getrennt zu werden“. 178 So lässt BGHSt 21, 44 [47] die Frage ausdrücklich offen, während die Entscheidungen RGSt 38, 377 [378]; 59, 387; RG JW 1932, 2720; DR 1941, 193 [194]; LG Berlin MDR 1967, 57 [58], die sich mit dem Inhalt des Verlassens befassen, zu der Frage gar keine Äußerung enthalten. Der Leitsatz zur RG-Entscheidung Warn B 11 [1917], 16 deutet dann eher die Einordnung als echtes Unterlassungsdelikt durch das Gericht an, während RG JW 1938, 2334 [2335] in die Richtung eines Begehungsdelikts, das auch durch Unterlassen erfüllt werden kann, tendiert. Eine deutliche Zuordnung der Rechtsnatur des Tatbestandes erfolgt aber auch in diesen Entscheidungen nicht. 179 BGHSt 38, 78 [81]; mit zustimmender Anmerkung Schroeder, JZ 1992, 379; ablehnend aber Mitsch, StV 1992, 320, der ein Aussetzen durch Unterlassen annimmt; ähnlich Güntge, Unterlassen, S. 149 f. 180 BGHSt 38, 78 [81]. 175

112 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

b) Zur Klassifizierung des Tatbestandstyps der zweiten Tatvariante n. F. Im Gegensatz zur a. F. wird die Neufassung der zweiten Tatvariante, das Imstichlassen, inzwischen im Schrifttum wohl überwiegend als echtes Unterlassungsdelikt angesehen181. Daneben findet sich aber auch die – früher herrschende – Ansicht, das Imstichlassen stelle ein Begehungsdelikt dar. Neben diesen beiden Positionen, gibt es zur n. F. der zweiten Tathandlung noch weitere Konstrukte hinsichtlich des Deliktstypus: Man findet die Einordnung des § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB durch einige Autoren als eine Kombination aus Begehungs- und echtem Unterlassungsdelikt, die Qualifizierung der zweiten Tatvariante als vertatbestandlichtes unechtes Unterlassungsdelikt sowie die Annahme eines Delikts sui generis182. aa) Echtes Unterlassungsdelikt Wohl überwiegend wird inzwischen vertreten, das Imstichlassen sei ein echtes Unterlassungsdelikt183. Die Änderung des Tatbestandstyps wird mehrheitlich damit begründet, dass sich aufgrund der Wortlautänderung der zweiten Tathandlung auch deren Typus gewandelt habe. Durch die Verschiebung des Schwerpunktes der Tathandlung weg vom „aktiven“ räumlichen Verlassen hin zur Abwendung der gesetzlich umschriebenen Gefahren durch den Täter sei letztendlich 181 Zusammenfassend zu den Ansichten bezüglich des Tatbestandstyps Lucks, S. 211. Zur Rechtsnatur des Imstichlassens äußern sich Arzt/Weber, BT, § 36 Rn. 2, 4 ff.; Ebel, NStZ 2002, 404; Haft, BT II8, S. 126; Rengier, BT II8, § 10 Rn. 4, 9 ff., und Wessels/Hettinger, BT I31, Rn. 198, 202 ff., nicht, während die Frage von BSG Nds.Rpfl. 2006, 286 [288], und Hacker/Lautner, Jura 2006, 277, angesprochen aber offen gelassen wurde. Bei Schroth, BT3, S. 62, findet man einerseits, das Imstichlassen sei als die „Unterlassensalternative des Tatbestandes“ anzusehen, andererseits aber auch, das Versetzen sei durch Tun oder Unterlassen begehbar; wohl nun anders und der herrschenden Meinung folgend, ders., BT4, S. 78. Die endgültige Bestimmung des Tatbestandstypus lassen auch Ellbogen, JuS 2002, 155 Fn. 42, und Laue, S. 91 ff., offen, die in § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB – ohne weitergehende Festlegung – ein Unterlassungsdelikt sehen. 182 Die These, § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB sei der Unterlassungstatbestand zu § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB, wird nicht hier, sondern im Rahmen der Abgrenzung der Tathandlungen im 4. Teil: E. II. 2. c) bb) dargestellt und im 4. Teil: E. III. 3. b) bb) auf ihre Plausibilität untersucht, weil die Klärung dieser Thematik die Kenntnisse über Inhalt und Tatbestandstypus beider Tatalternativen voraussetzt. 183 Sternberg-Lieben/Fisch, Jura 1999, 48 Fn. 57; Baier, JA 2000, 305; SKStGB7-Horn/Wolters [03/2002], § 221 Rn. 6; Lucks, S. 217 ff., 221; MüKo-StGBHardtung, § 221 Rn. 2; NK-StGB2-Neumann, § 221 Rn. 4, 19 f.; Kindhäuser, LPK3, § 221 Rn. 13; ders., BT I3, § 5 Rn. 18; Joecks, StGB7, § 221 Rn. 10.

C. Die Tathandlung der Aussetzung

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klargestellt worden, dass das Leisten von Hilfe durch den Täter in § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB gefordert sei, deren Nichterbringung dann ein echtes Unterlassungsdelikt darstelle184. Dem folgt auch Laue, der – in systematischer Hinsicht – ergänzend auf die Ähnlichkeit der Tathandlung des § 323c StGB hinweist, der ebenfalls ein echtes Unterlassungsdelikt ist185. Ausführlichere Herleitungen bieten Lucks und Neumann: Erstere sieht in § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB ein „echtes Unterlassungsdelikt auf Garantenbasis“186. Dies ergibt sich für sie einerseits daraus, dass nach einer Kausalitätsbetrachtung das „aktive Weggehen“ für den Taterfolg bei § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB nicht relevant sei, sondern das Unterlassen der Hilfeleistung187. Dieses stelle den Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit dar und kennzeichne damit den Tatbestandstyp als Unterlassungsdelikt188. Andererseits werde dieses Resultat auch durch den Sinn des Wortes „Lassen“, Teil des Begriffes Imstichlassen, bestätigt; zudem ergebe sich die Annahme eines Unterlassungsdelikts auch aus der amtlichen Begründung zum 6. StrRG, wonach das passive Am-Bett-Sitzen der Krankenschwester unmittelbar als Imstichlassen zu verstehen sei und nicht als ein über § 13 StGB gebildetes unechtes Unterlassungsdelikt189. Andernfalls wäre beim Sitzenbleiben über § 13 Abs. 2 StGB eine Milderungsmöglichkeit vorhanden, die beim Weggehen – ohne dass ein höheres Unrecht erkennbar sei – dem Täter zu versagen wäre, was Lucks als „nicht nachvollziehbar“ qualifiziert190. Auch Neumann betont, schon durch die Neuformulierung und die damit einhergehende inhaltliche Änderung der zweiten Tathandlung sei durch den Gesetzgeber ein Unterlassungsdelikt geschaffen worden191. Die Tatsache, dass sich das Unterlassen der Gefahrabwendung in einem räumlichen Entfernen vollziehe, verhindere nicht die Annahme eines Begehungsdelikts, da ein systematischer Vergleich mit § 323c StGB ergebe, dass bei der unterlassenen Hilfeleistung aus der äußerlichen Form der Hilfeverweigerung auch keine Aussagen über den Typus des Tatbestandes hergeleitet werden können192. Letztlich sei im Gesetz das Unterlassen ausdrücklich mit Strafe beBaier, JA 2000, 305; SK-StGB7-Horn/Wolters [03/2002], § 221 Rn. 6; MüKoStGB-Hardtung, § 221 Rn. 2; Kindhäuser, LPK3, § 221 Rn. 13; ders., BT I3, § 5 Rn. 18. 185 Laue, S. 91. 186 Lucks, S. 221. 187 Lucks, S. 218 f. 188 Lucks, S. 219. 189 Lucks, S. 219. 190 Lucks, S. 220. 191 NK-StGB2-Neumann, § 221 Rn. 4, 19, der in Rn. 20 für die Einordnung von § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB in die Kategorie des echten Unterlassungsdelikts plädiert. 192 NK-StGB2-Neumann, § 221 Rn. 19. 184

114 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

droht und es bedürfe keines Rückgriffes auf § 13 Abs. 1 StGB, um ein unechtes Unterlassungsdelikt zu bilden193. bb) „Normales“ Begehungsdelikt Zahlreiche Stimmen im Schrifttum gehen weiterhin von einem Begehungsdelikt aus194. Weit verbreitet ist, – wie schon bei der a. F. – zur Begründung auf den äußerlichen Vorgang abzustellen: Da das Weggehen phänomenologisch als ein positives Tun wahrgenommen wird und keine reine Untätigkeit darstellt, sei dieses Verhalten als Imstichlassen durch Tun anzusehen und demzufolge die Tat auch ein Begehungsdelikt195, das dann nach der allgemeinen Systematik und Dogmatik des StGB als unechtes Unterlassungsdelikt verwirklicht werden könne, indem der Täter die notwendige Hilfe nicht leiste196. Daneben gibt Jähnke197 für die Einordnung als Begehungsdelikt und gegen eine Betrachtung als echtes Unterlassungsdelikt noch an, es handele sich bei § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB um ein Erfolgsdelikt. cc) Speziell vertatbestandlichtes unechtes Unterlassungsdelikt Küper hingegen geht davon aus, dass die Einordnung des § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB als echtes oder unechtes Unterlassungsdelikt eigentlich nur eine „Frage der Terminologie“ sei198. Da sich die zweite Tathandlung – als Gefährdungsdelikt – aber grundsätzlich von den Verletzungsdelikten durch Unterlassen dadurch unterscheide, dass die strafrechtliche Haftung (nur) an die NK-StGB2-Neumann, § 221 Rn. 20. LK-StGB11-Jähnke [07/1999], § 221 Rn. 4, 22; Haft, BT7, S. 102 [offen aber Haft, BT II8, S. 126; vgl. Fn. 181]; Gössel/Dölling, BT 12, § 7 Rn. 5, 24, 28, 30; Schönke/Schröder-StGB27-Eser, § 221 Rn. 10; Jäger, BT2, Rn. 69; Lackner/Kühl, StGB26, § 221 Rn. 4; Schmidt/Priebe, BT I6, Rn. 253 f. [zweifelnd an der Richtigkeit dieser Einordnung allerdings in Rn. 256 a. E.]; wohl auch Maurach/Schroeder/ Maiwald, BT 19, § 4 Rn. 10; offen, dieser Ansicht aber wohl zuneigend Tröndle/ Fischer, StGB54, § 221 Rn. 8 a. E. Kritisch Lucks, S. 217, und ablehnend NK-StGB2-Neumann, § 221 Rn. 19, da diese Deutung offensichtlich noch der alten Gesetzesfassung verhaftet sei. 195 LK-StGB11-Jähnke [07/1999], § 221 Rn. 4; Schönke/Schröder-StGB27-Eser, § 221 Rn. 10; Lackner/Kühl, StGB26, § 221 Rn. 4; Schmidt/Priebe, BT I6, Rn. 253 f. Von Gössel/Dölling, BT 12, § 7 Rn. 5, 24, 28, als „handelnde Aktivität“ bezeichnet. 196 Gössel/Dölling, BT 12, § 7 Rn. 30; Schönke/Schröder-StGB27-Eser, § 221 Rn. 10; Lackner/Kühl, StGB26, § 221 Rn. 4. 197 LK-StGB11-Jähnke [07/1999], § 221 Rn. 22; hierzu zu Recht ablehnend Lucks, S. 217. 198 Küper, ZStW 111 [1999], 58 f. 193 194

C. Die Tathandlung der Aussetzung

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nicht abgewendete konkrete Gefahr, nicht aber (erst) an die Verantwortlichkeit für einen Verletzungserfolg anknüpfe, deutet Küper § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB als ein „kodifiziertes (speziell vertatbestandlichtes) unechtes Unterlassungsdelikt“199. Diesem Ansatz folgt auch Kosloh200: Sie geht davon aus, dass einerseits § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB nur Unterlassungen erfasse. Da aber andererseits die Norm als Gefährdungsdelikt ein Erfolgsdelikt ist und sich ihr Unrechtsgehalt nicht – wie bei einem echten Unterlassungsdelikt normalerweise üblich – im Unterlassen einer bestimmten gesetzlich geforderten Tätigkeit erschöpft, könne das Imstichlassen nur ein unechtes Unterlassungsdelikt beschreiben. dd) Die Aussetzung als Delikt sui generis Einen gänzlich abweichenden Weg geht Sander201, der meint, die zweite Alternative der Aussetzung lasse sich keinem der Deliktstypen des StGB unterordnen, es handele sich vielmehr „um ein Delikt sui generis, das den Unterlassungstatbestand mit umschließt“. Dies leitet er daraus her, dass einerseits § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB durch das Erfordernis der Obhuts- oder Beistandspflicht eher einem echten Unterlassungsdelikt ähnele, andererseits aber nach dem Wortsinn auch aktive Verhaltensweisen bei bestehender Obhuts- oder Beistandspflicht erfassen solle. 4. Zwischenergebnis Die überwiegende Ansicht im Schrifttum geht aufgrund der Gesetzesänderung von 1998 von einem neuen, erweiterten Verständnis der zweiten Tatalternative aus: Betonte man beim Verlassen der a. F. meistens, nur das räumliche Sich-Entfernen des Täters vom Opfer – oder jedenfalls nur das Einwirken auf räumliche Beziehungen – sei unter Strafe gestellt, geht die Mehrzahl der Autoren nunmehr davon aus, die Tathandlung sei erweitert worden und als Unterlassen der erforderlichen und gebotenen Hilfe (bzw. des Beistandes) auszulegen. Ein hiervon grundlegend abweichendes Konzept existiert nicht; es gibt nur eine Handvoll Autoren, die für gewisse Fälle (sog. „Retterfälle“) Ausnahmen aus Gründen der Strafwürdigkeit machen wollen. Auch hinsichtlich des Tatbestandstyps hat die Änderung des Wortlauts einen Wandel bewirkt: Im Hinblick auf das räumliche Sich-Entfernen des Täters wurde früher überwiegend das Verlassen als – auch durch Unterlassen 199 200 201

Küper, ZStW 111 [1999], 59. Kosloh, S. 58. Hohmann/Sander, BT II, § 5 Rn. 21.

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begehbares – Begehungsdelikt angesehen. Aufgrund der Neuformulierung der Tathandlung betont aber jetzt die Mehrheit der Autoren, dass es sich beim Imstichlassen um ein echtes Unterlassungsdelikt handeln müsse. Bezüglich der Einordnung in die Kategorien der Tatbestandstypen wurden und werden hinsichtlich der zweiten Tatvariante zahlreiche abweichende Ansichten vertreten. 5. Eigene Auffassung zum Imstichlassen Eine gesetzliche Definition des Begriffs Imstichlassen existiert nicht. Deshalb sind Bedeutung und Sinn des Tatbestandsmerkmals aus dem Sprachgebrauch unter Berücksichtigung der rechtsgeschichtlichen Entwicklung, der Systematik des StGBs sowie Sinn und Zweck der Norm des § 221 Abs. 1 StGB zu ermitteln202. a) Wortlautauslegung Was bedeutet also der Begriff Imstichlassen in sprachlicher Hinsicht? Im Duden findet man folgende Umschreibungen der Wendung „jemanden im Stich lassen“203: 1. sich um jemanden, der in eine Notlage geraten ist, sich in einer kritischen Situation befindet, nicht mehr kümmern . . ., 2. jemanden, mit dem man verbunden war, verlassen . . ., 3. umgangssprachlich; jemandem den Dienst versagen . . . Da die dritte Variante ersichtlich nicht zum Tatbestand der Aussetzung und der Tathandlung passt, verbleiben die ersten beiden Möglichkeiten zur Bestimmung der inhaltlichen Reichweite und der Bedeutung der zweiten Tathandlung204. Hierbei fällt auf, dass die erste Umschreibung eher mit 202 Allgemein zu diesem „Kanon“ der Auslegungsmethoden: Bydlinski, Methodenlehre2, S. 436 ff.; Larenz, Methodenlehre6, S. 320 ff.; Schönke/SchröderStGB27-Eser, § 1 Rn. 36 ff.; alle m. z. N. 203 Duden – Das große Wörterbuch der deutschen Sprache; 3. Aufl. Mannheim u. a. 1999, Bd. 8 S. 3738 [wortgleich im Übrigen schon die Ausführungen zum „jemanden im Stich lassen“ in der letzten vor dem 6. StrRG publizierten Auflage, siehe Duden – Das große Wörterbuch der deutschen Sprache; 2. Aufl. Mannheim u. a. 1995, Bd. 7 S. 3250 f.]. Umfangreich zu Fragen der Wortlautauslegung im Strafrecht Simon, S. 41 ff.; zum Verwenden von Wörterbüchern insbesondere S. 64 ff. 204 Nahezu identisch mit diesen beiden Umschreibungen sind im Übrigen die Erklärungen bei Wahrig – Deutsches Wörterbuch – Mit einem Lexikon der Sprachlehre; 8. Aufl. Gütersloh/München 2006; S. 1416 [ebenso schon die letzte Auflage vor Inkrafttreten des 6. StrRG; Wahrig – Deutsches Wörterbuch – Mit einem Lexikon der deutschen Sprachlehre; 6. Aufl. Gütersloh 1997, S. 1179]:

C. Die Tathandlung der Aussetzung

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dem weiten Verständnis des Verlassens der a. F. übereinstimmt, die zweite Umschreibung hingegen tendenziell mit der engen, auf das räumliche Entfernen abstellenden Auslegung konform geht205. Eine Rangfolge oder Wertigkeit in dem Sinne, dass eine der beiden Umschreibungen die übliche oder gebräuchliche ist, wird im Duden nicht gegeben. Damit bleibt festzuhalten, dass die Formulierung der zweiten Tathandlung als Imstichlassen vom Wortlaut her sowohl für die enge als auch für die weite Auslegung des Verlassens a. F. herangezogen werden könnte. Jedoch hat der Wortlaut alleine noch keine allzu große Überzeugungskraft: Wörterbücher führen eben ohne Vornahme einer Wertung alle sprachlich möglichen bzw. üblichen Interpretationen eines Begriffes auf und sind damit kaum geeignet, engere Grenzen einer Auslegung zu ermitteln oder den Vorrang eines bestimmten Verständnisses zu begründen; sie legen im Gegenteil am ehesten die weite Auslegung eines Begriffes nahe206. Allerdings gibt es bei einer Interpretation des Imstichlassens einen weiteren sprachlichen Aspekt, den man nicht aus den Augen verlieren darf: Betrachtet man die Umschreibungen des Inhaltes der zweiten Tathandlung bei den Autoren, die schon beim Verlassen nach § 221 Abs. 1 StGB a. F. keinerlei räumliche Einschränkungen zulassen wollten, so wurde dort regelmäßig von „Imstichlassen“ (in hilfloser Lage) oder „Belassen“ (in hilfloser Lage) gesprochen207. Von daher wurde bis zum 6. StrRG die Formulierung „Imstichlassen“ gleichbedeutend mit dem weiten Verständnis der zweiten Tathandlung gebraucht208 und demzufolge die weite Auslegung mit dem Begriff des Imstichlassens eng verknüpft. Dies sahen im Übrigen die Vertreter der engen Auslegung genauso, da sie das Verlassen nicht mit einem Imstichlassen gleichsetzen wollten209. Sie betonten zudem, dass – wenn eine Erweiterung der zweiten Tathandlung erfolgen solle – der Gesetzgeber diese entsprechend umformulieren müsse210. – jemanden treulos verlassen – jemanden seinem Schicksal preisgeben. 205 Wobei man auch diese zweite Umschreibung im Duden weit verstehen kann, wenn man den Begriff des „Verbundenseins“ nicht i. S. eines örtlichen Zusammenseins, sondern weiter versteht. 206 Simon, S. 66, mit der durchaus passenden Bewertung: „Irgendeine der im Lexikon aufgeführten Wortbedeutungen wird schon (noch) passen“. 207 Vgl. die Nachweise im 4. Teil: C. I. 1. in Fn. 85. 208 Vgl. Küper, ZStW 111 [1999], 51: „Affinität (oder gar Identität)“ der Begriffe Verlassen und Imstichlassen bei der a. F. 209 Vgl. die Nachweise zur engen und vermittelnden Ansicht im 4. Teil: C. I. 1. in den Fn. 82, 87 und 92. 210 H. Weber, S. 79 f.; Zerling, S. 71; Hasenberg, S. 38.; Usinger, S. 58; Dreher, JZ 1966, 581; Küper, Jura 1994, 523 Fn. 103; Mitsch, JuS 1994, 557. Genau dies ist in den Strafgesetzbüchern von Schweiz und Österreich erfolgt: Dort wurde schon

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Nicht aus den Augen verlieren sollte man zudem die Tatsache, dass sich der Wortlaut der zweiten Tathandlung geändert hat. Diese Änderung hat der Gesetzgeber im 6. StrRG vorgenommen, und wenn man annimmt, dass die Umformulierung nicht gedankenlos erfolgt ist, muss man von einem neuen Verständnis der zweiten Tathandlung ausgehen211. Die oben bei der Untersuchung des Wortlautes dargestellten Aspekte sprechen ziemlich eindeutig dafür, die zweite Tathandlung heute weiter als vor 1998 zu verstehen212. b) Historische Auslegung Die Gleichsetzung des Begriffs Imstichlassen mit der weiten Auslegung der zweiten Tathandlung a. F. ist aber seit dem 6. StrRG nicht nur die überwiegende Ansicht in Literatur und Rechtsprechung, vielmehr war die Änderung des Verständnisses der zweiten Tathandlung – weg vom engen räumlichen Verständnis hin zur weiten Auslegung – auch Wille des Gesetzgebers, wie sich aus der amtlichen Begründung zum 6. StrRG und aus den vorhergehenden erfolglosen Reformversuchen ermitteln lässt. Zum Imstichlassen i. S. des 6. StrRG heißt es, durch die Veränderung der zweiten Tathandlung vom Verlassen zum Imstichlassen bringe das neue Gesetz „deutlicher als das geltende Recht zum Ausdruck . . ., daß diese Ausführungsart nicht nur durch räumliches Verlassen, sondern auch dadurch verwirklicht werden kann, daß der Beistandspflichtige sich der Beistandsleistung vorsätzlich entzieht, obwohl er dazu in der Lage wäre“213. Dadurch wird zweierlei deutlich: Erstens kann die Tathandlung nicht mehr nur durch räumliches Verlassen verwirklicht werden, sondern eben vor dem 6. StrRG gerade die Wortwahl Imstichlassen oder Belassen synonym für das weite Verständnis der Tathandlung verwendet; so Mitsch, StV 1992, 319; ders., JuS 1994, 557; ders., JuS 1996, 409; Schroeder, JZ 1992, 378 f.; Lucks, S. 11, 15. Zu den entsprechenden Tatbeständen in Österreich und der Schweiz sogleich 4. Teil: C. I. 5. c) bb). 211 So letztlich auch diejenigen Autoren, die die Änderung des Wortlauts als Hauptargument für die inhaltliche Änderung der zweiten Tathandlung vorbringen: Sternberg-Lieben/Fisch, Jura 1999, 47; Hohmann/Sander, BT II, § 5 Rn. 11; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 19, § 4 Rn. 4; Tröndle/Fischer, StGB54, § 221 Rn. 9. 212 Zwar mag die Neufassung – so Küper, ZStW 111 [1999], 51 – den Nachteil haben, „daß sie einen Auslegungsvorschlag zum bisherigen Recht in das Gesetz übernimmt, der sich auf die sprachliche Affinität (oder gar Identität) von ‚Verlassen‘ und ‚Imstichlassen‘ stützte“ [Hervorhebung im Original]; letztlich zweifelt aber auch Küper selber nicht daran, dass Gesetz und Gesetzgeber heute das Imstichlassen weit verstanden sehen wollen; ders., ZStW 111 [1999], 52. 213 RefE, S. 124; BR-Drs. 164/97, S. 121; BT-Drs 13/7164, S. 35, 13/8587, S. 34 [Hervorhebungen vom Verfasser].

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auch durch Verhaltensweisen ohne eine solche räumliche Komponente; gemeint sind die Fälle der unterlassenen Rückkehr oder des Verharrens und reinen Nichtstuns in Kenntnis der Gefahr für das Opfer. Zweitens verschiebt sich der Schwerpunkt der zweiten Tathandlung weg vom räumlichen Gesichtspunkt hin zum vorsätzlichen Entziehen der Beistandsleistung. Beide Punkte werden in den Materialien ausdrücklich angesprochen. Obwohl sich die Ausführungen des Gesetzgebers zur zweiten Tathandlung in wenigen Worten erschöpfen, wird durch diese aber hinreichend deutlich, dass der Gesetzgeber die weite Auslegung zum Verlassen i. S. v. § 221 Abs. 1 StGB a. F. nunmehr als Inhalt des Imstichlassens ansieht. Dies wird sogar noch klarer, wenn man sich einen weiteren Punkt vor Augen führt, der schon oben angesprochen wurde214: Der Gesetzgeber interpretierte sein Reformwerk 1998 als Abschluss der gesamten Arbeiten zur Strafrechtsreform seit Anfang des 20. Jahrhunderts und als Fortführung der Reformversuche des E 1960 und E 1962. Auf letztere, die wiederum – über entsprechende Verweise – mit den Entwürfen von 1902 an eine „Kette“ bilden, wurde 1998 ausdrücklich Bezug genommen. Wegweisend für alle späteren Entwürfe war die Vergleichende Darstellung, wonach bei der zweiten Tathandlung auf das Erfordernis einer räumlichen Trennung verzichtet werden sollte215. Nur der VE 1909 hielt an der Tathandlung „Verlassen“ und deren Reichweite fest216. Der GE 1911 und der KE 1913 wollten die zweite Tathandlung weiter verstanden wissen und machten dieses Ziel auch durch eine entsprechende Wortlautänderung deutlich217: Die Begehung der Tat nach der zweiten Alternative wurde als „hilflos lassen“ ausgestaltet, um festzulegen, dass der wesentliche Aspekt in der Nichtgewährung von Hilfe und nicht im räumlichen Sich-Entfernen des Täters zu sehen war. Allerdings wurde das „hilflos läßt“, wie es im Originaltext heißt, während der Beratungen zum KE 1913218 in eine leicht abweichende Formulierung geändert, um klarzustellen, dass der Wortlaut „in hilfloser Lage läßt . . . in einem engeren Sinn verstanden“ werden sollte als das ursprüngliche 214

Vgl. – auch für die folgenden Ausführungen – schon im 3. Teil: B. mit Nachweisen ebenda in Fn. 66. 215 Radbruch, VD BT V, S. 194 f., 200 f., der allerdings im Endergebnis die Aussetzung streichen und durch ein allgemeine Gefährdungsdelikt ersetzen wollte. 216 VE 1909, Begründung BT, S. 647 f. 217 GE 1911, Begründung, S. 259; so auch zum KE 1913 in der 144. Sitzung der 1. Lesung vom 19.06.1912, in: Reformkommission [1911–1913], Protokolle, Bd. 3, S. 39. 218 Zum Ganzen 257. Sitzung der 2. Lesung vom 25.06.1913, in: Reformkommission [1911–1913], Protokolle, Bd. 4, S. 457. Hierzu schon 144. Sitzung der 1. Lesung vom 19.06.1912, in: Reformkommission [1911–1913], Protokolle, Bd. 3, S. 39.

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„hilflos läßt“. Jedenfalls nicht erfasst werden sollten die Fälle, in denen „ein Wärter oder ein anderer Aufsichtspflichtiger die einem Kranken oder einem Kinde geschuldete Aufmerksamkeit vorübergehend bewußt versäumt“. Leider findet sich in den Materialien kein weiterer Hinweis, worin dieser „engere Sinn“ bestehen sollte; vielmehr wurde festgestellt: „Die Abgrenzung im einzelnen sollte der Praxis überlassen bleiben.“ Im wortgleichen E 1919, der auf dem KE 1913 beruhte, gibt es zu diesem „engeren Sinn“ auch keine weitergehenden Erläuterungen, sondern nur den Hinweis, dass die zweite Tathandlung erweitert werden solle und es keines räumlichen Verlassens mehr bedürfe219. Dieser endgültige Wortlaut von KE 1913 und E 1919 – „in hilfloser Lage läßt“ – findet sich ohne weitere Anmerkungen dann auch in den folgenden Entwürfen von 1922, 1925, 1927 und 1930 wieder220. Abgesehen vom VE 1909 haben also alle Folgeentwürfe den Wortlaut der zweiten Tathandlung geändert, um klarzustellen, dass diese Alternative weiter verstanden werden sollte, und um noch andere – bis dahin umstrittene oder straflose – Fälle der Aussetzung zu erfassen. Ein weite(re)s Verständnis der umformulierten zweiten Alternative der Aussetzung war also Ziel dieser Neufassungen bis zum 6. StrRG. Allerdings wird die Formulierung in den Materialien zum 6. StrRG221, dass das neue Gesetz „deutlicher als das geltende Recht“ die Erweiterung der zweiten Tathandlung zum Ausdruck bringt, von einigen Autoren kritisch gesehen222. Sie betonen, dass es sich eben nicht um eine „Verdeutlichung“ oder „Klarstellung“, sondern um eine inhaltliche Neubestimmung handelt. Es ist zuzugeben, dass es sich im Hinblick auf die vor dem 6. StrRG überwiegend enge Sicht des Verlassens weniger um eine „Verdeutlichung“ als um eine Neubestimmung der zweiten Tathandlung handelt; die Herkunft dieser Formulierung lässt sich aber verhältnismäßig einfach rekonstruieren und erklären: Der Gesetzgeber hat diese Passagen wörtlich aus der Begründung zum E 1960 und E 1962 übernommen223. Zum Entstehenszeitpunkt der Materialien zum E 1960 und E 1962 war weder BGHSt 21, 44 (Entscheidungsdatum: 219

E 1919, Denkschrift, S. 233. E 1925, Begründung, S. 119; E 1927, Begründung, S. 129 f. Zum E 1922 und E 1930 existieren keine amtlichen Begründungen; vgl. oben 3. Teil: B. I. 6. und 3. Teil: B. I. 9. 221 RefE, S. 124; BR-Drs. 164/97, S. 121; BT-Drs. 13/7164, S. 35; 13/8587, S. 34. 222 Vgl. die Darstellung im 4. Teil: C. I. 2. a) und die Nachweise dort in Fn. 96. 223 Vgl. die entsprechenden Passagen in E 1960, S. 260; E 1962, S. 277, mit RefE, S. 124; BR-Drs. 164/97, S. 121; BT-Drs. 13/7164, S. 35; 13/8587, S. 34. 220

C. Die Tathandlung der Aussetzung

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24.02.1966) noch BGHSt 38, 78 (Entscheidungsdatum: 30.09.1991) – erschienen oder gar veröffentlicht224, die sich vertieft mit dem Verlassen befassten. Vielmehr setzte sich keine der seit Ende des 2. Weltkrieges veröffentlichten Entscheidungen zur Aussetzung mit der Reichweite der zweiten Tathandlung auseinander225. Deshalb gab es schlichtweg keine gerichtliche Stellungnahme zum Streit um die Auslegung des Begriffs Verlassen; die Entscheidung war vielmehr noch offen. Damit konnten die Autoren des E 1960 und E 1962 die Wortwahl „verdeutlichen“ bedenkenlos wählen, weil sie eben nicht von einer herrschenden Rechtsprechung oder der Literatur abwichen, sondern rechtliches Neuland betraten und einem bis dahin offenen Streit „ein Ende setzten“. Das Ergebnis der bisherigen historischen Darstellung lässt sich mit einem zusätzlichen Beispiel untermauern: Im Strafgesetzbuch des Königreichs Sachsen von 1855 gab es eine Normierung, die die zweite Tathandlung von einem „in einem hülflosen Zustande verlassen“ aus Art. 131 des sächs. CrimGB 1838 in das „in einem hülflosen Zustande gelassen“ änderte. Sollte der Gesetzgeber damals gerade mit dieser Umformulierung das weite Verständnis der zweiten Tathandlung im Sinn gehabt haben, spräche dies auch heute für einen dementsprechenden Willen des Gesetzgebers. Von diesem Willen zur Erweiterung der zweiten Tathandlung gingen in der Literatur einige Stimmen aus226, allerdings handelt es sich um Autoren, die sich erst Jahrzehnte später zu dieser Norm geäußert haben. Die (zeitnähere) Literatur zum Strafgesetzbuch von Sachsen hingegen sieht dies nicht so: Man findet bei den Erläuterungen zur zweiten Tathandlung keinen Hinweis auf ein erweitertes Verständnis; vielmehr behandeln die meisten Autoren nicht einmal die Umformulierung und bezeichnen die zweite Tathandlung weiterhin als Verlassen227. Es ist also aus dem im Vergleich der Jahre von 1838 und 1855 geänderten Wortlaut des StGB von Sachsen kein sicherer Schluss auf ein geändertes Verständnis der zweiten Tathandlung möglich. Als Ergebnis der historischen Auslegung bleibt somit festzuhalten: Die Tathandlung des Imstichlassens sollte nach dem Willen des Gesetzgebers weit verstanden werden; es ist daher keine räumliche Entfernung des Täters 224

Zu diesen beiden Entscheidungen vgl. die Ausführungen im 4. Teil: C. I. 1. In zeitlicher Abfolge waren dies BayObLG NJW 1953, 556; BGHSt 4, 113; OLG Hamm VRS 19 [1960], 431. 226 H. Weber, S. 24 f.; Teufel, S. 24 f.; Dreher, JZ 1966, 580. 227 Heffter, StR6, S. 213 Anm. 271 Fn. 1, Anm. 272; Siebdrat, StGB Sachsen, Art. 163 Anm. 2; H. Meyer, S. 385 Fn. 5. Krug, sächs. StGB2, Art. 163 Anm. 3, sieht zwar die Umformulierung, äußert sich aber nicht dazu, ob damit auch eine inhaltliche Änderung einhergeht. 225

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vom Opfer mehr zu fordern, vielmehr reicht die Entziehung des Beistandes oder der Hilfe bzw. die Verletzung einer Hilfspflicht, die gegenüber dem Opfer besteht, zur Verwirklichung der Tathandlung aus228. c) Systematische Auslegung Es soll nunmehr geklärt werden, ob ein weites Verständnis des Imstichlassens Probleme im System des StGB oder innerhalb des Tatbestandes des § 221 StGB herbeiführt. aa) Vergleich mit anderen Normen des StGB Der Begriff Imstichlassen ist im StGB kein zweites Mal zu finden, so dass ein direkter Vergleich mit der Formulierung einer Tathandlung und deren Inhalt nicht möglich ist. Vielleicht ist aber ein inhaltlicher Vergleich mit ähnlichen Wendungen im Gesetz hilfreich. Hier drängt sich einerseits die unterlassene Hilfeleistung in § 323c StGB auf, die – wie sich sogleich zeigen wird – gewisse strukturelle Ähnlichkeiten mit § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB aufweist, und andererseits gibt es zahlreiche weitere Delikte, die in der Beschreibung der Tathandlung den Begriff „Lassen“ enthalten. (1) § 323c StGB Bei einer Deutung des Imstichlassens als Verletzung der Hilfs- und Beistandspflicht drohen Probleme und Kollisionen mit § 323c StGB, wenn einerseits die Tathandlung der unterlassenen Hilfeleistung – das Nicht-HilfeLeisten – mit der zweiten Tathandlung der Aussetzung identisch und andererseits die Begriffe des Unglücksfalles aus § 323c StGB und die hilflose Lage in § 221 Abs. 1 StGB gleichbedeutend wären. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Der Strafrahmen von § 323c StGB ermöglicht Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe, der der Aussetzung im Grundtatbestand Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren. Wären daher beide Tatbestände gleichzusetzen, bestünde ein Widerspruch im System des StGB. 228 Ob diese durch den Gesetzgeber gewählte Erweiterung der zweiten Tathandlung sinnvoll bzw. zu begrüßen ist, dürfte angesichts des geringeren Unrechtsgehaltes der nunmehr erfassten nichträumlichen Verhaltensweisen ebenso zweifelhaft sein wie das praktische Bedürfnis für diese Norm. Allerdings ist die Entscheidung des Gesetzgebers, eine Norm zu erweitern, eine seines Einschätzungsspielraumes und kann ihm – im Rahmen der geltenden Verfassung – nicht verwehrt werden. So auch Dreher, JZ 1966, 581; a. A. Kosloh, S. 69 f., die die Neufassung der Aussetzung als unbestimmt und verfassungswidrig ansieht.

C. Die Tathandlung der Aussetzung

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Die völlige Deckungsgleichheit dieser beiden Tatbestände wird jedoch nicht vertreten; allerdings findet man vielfach die Ansicht, der neue § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB bilde einen Qualifikationstatbestand zu § 323c StGB oder umgekehrt § 323c StGB stelle den Grundtatbestand zu § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB dar229. Dabei werden die § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB gegenüber der unterlassenen Hilfeleistung qualifizierenden Merkmale im Gefährdungserfolg und im Vorliegen einer Obhuts- oder Beistandspflicht gesehen230. Hinsichtlich der Tathandlungen geht man hingegen von einer Identität der beschriebenen Verhaltensweisen aus231. Die Charakterisierung der beiden Tatbestände als Grundtatbestand und Qualifikation kann – in dieser Absolutheit – nicht überzeugen: Ein Vergleich des Täterkreises der Aussetzung mit dem der unterlassenen Hilfeleistung führt zu der Erkenntnis, dass der Aussetzungstatbestand höhere Anforderungen stellt, mithin der engere Tatbestand ist. Während § 323c StGB als Jedermanndelikt von jedem Menschen begangen werden kann, d.h. kein Delikt ist, das nur Garanten als mögliche Täter kennt232, setzt § 221 Abs. 1. Nr. 2 StGB mit dem Tatbestandsmerkmal der Obhutsoder Beistandspflicht gerade das Bestehen einer Garantenstellung voraus233. Da ein Garant jedoch gleichzeitig ein „Jedermann“ i. S. v. § 323c StGB ist, umschreibt der Täterkreis des Imstichlassens einen Ausschnitt aus § 323c StGB und die Obhuts- oder Beistandspflicht käme als qualifizierendes Merkmal in Betracht. In dieser Hinsicht wäre die Einordnung der zweiten Tatalternative der Aussetzung als Qualifikation der unterlassenen Hilfeleistung also zutreffend. Wie sieht es nun aber mit der hilflosen Lage und dem Unglücksfall aus? Wäre die hilflose Lage dasselbe oder „mehr“ als der Unglücksfall, würde auch dies für das Verhältnis von Grundtatbestand und Qualifikation sprechen. Ohne hier den genauen Inhalt des Tatbestandsmerkmals der hilflosen Laue, S. 129, 131; SK-StGB7-Horn/Wolters [03/2002], § 221 Rn. 6. In diese Richtung auch Küper, ZStW 111 [1999], 55; LK-StGB11-Jähnke [07/1999], § 221 Rn. 1. So schon zur a. F. unter der Prämisse der Erweiterung der zweiten Tathandlung: H.J. Hirsch, ZStW 84 [1972], 381; Küper, Jura 1994, 519. 230 Küper, ZStW 111 [1999], 55; SK-StGB7-Horn/Wolters [03/2002], § 221 Rn. 6; abweichend Laue, S. 130, der die Garantenstellung als das qualifizierende Merkmal ansieht. 231 So wörtlich Küper, ZStW 111 [1999], 52; Laue, S. 91. 232 LK-StGB11-Spendel [10/1995], § 323c Rn. 104; Güntge, Unterlassen, S. 74; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 19, § 55 Rn. 17; NK-StGB2-Wohlers, § 323c Rn. 2; Schönke/Schröder-StGB27-Cramer/Sternberg-Lieben, § 323c Rn. 1; Wessels/ Hettinger, BT I31, Rn. 1042 f. 233 Vgl. oben 4. Teil: A. 229

124 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

Lage vorwegzunehmen234, lässt sich jedoch zeigen, dass dies nicht der Fall ist. Das ergibt sich schon aus dem weit verbreiteten Verständnis des Begriffes Unglücksfall: Ein Unglücksfall ist danach ein Ereignis, das die unmittelbare Gefahr eines erheblichen Schadens für andere Menschen oder für fremde Sachen bewirkt bzw. anders formuliert: Ein Unglücksfall erfordert das Vorliegen einer konkreten Gefahr235. Damit wird bereits bei nur oberflächlicher Betrachtung des Merkmals der hilflosen Lage deutlich, dass und warum diese Lage nicht deckungsgleich mit dem Unglücksfall sein kann: Der Taterfolg des § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB ist in der Gefährdungsklausel mit dem Begriff „Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung“ beschrieben. Damit kann aber die hilflose Lage nicht dasselbe wie die Gefahr sein, weil man ansonsten eine Doppelung eines Tatbestandsmerkmals hätte236. Der Tatbestand des § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB wäre bei diesem Verständnis der hilflosen Lage sinnentleert. Also kann die hilflose Lage nicht identisch mit dem Unglücksfall sein; vielmehr muss sie „weniger“ als der Unglücksfall sein, da die Gefahr der hilflosen Lage, betrachtet man den Wortlaut der Norm, nachfolgt, d.h. die hilflose Lage muss vor – oder höchstens gleichzeitig mit – einem Unglücksfall vorliegen, jedenfalls aber beschreibt sie keinen Ausschnitt aus dem Begriff Unglücksfall237. Streng genommen ist dann aber gerade nicht jeder Fall der Aussetzung nach § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB eine unterlassene Hilfeleistung, wobei einer Aussetzung nach der zweiten Variante des Grundtatbestands immer eine unterlassene Hilfeleistung nachfolgen dürfte. Damit ist die Charakterisierung von Jähnke des § 323c StGB als regelmäßig zu prüfender Auffangtatbestand zu § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB zutreffender als die Annahme eines Grundtatbestands und seiner Qualifikation238. 234

Hierzu später 4. Teil: D. BGHSt 6, 147 [152 f.]; Geilen, Jura 1983, 78, 82 f., 85 f.; SK-StGB7-Rudolphi [10/1999], § 323c Rn. 5; Geppert, Jura 2005, 41; Küper, BT6, S. 299, 301; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 19, § 55 Rn. 14; NK-StGB2-Wohlers, § 323c Rn. 4; Schönke/Schröder-StGB27-Cramer/Sternberg-Lieben, § 323c Rn. 5; Tröndle/ Fischer, StGB54, § 323c Rn. 2a; Wessels/Hettinger, BT I31, Rn. 1044; kritisch LKStGB11-Spendel [10/1995], § 323c Rn. 42. 236 So auch DSNS-Struensee, 2. Teil Rn. 28; Küper, ZStW 111 [1999], 47; Ebel, NStZ 2002, 405; Lucks, S. 84; hingegen geht Kosloh, S. 60, von einer „Doppelung“ der Tatbestandsmerkmale aus. 237 So auch Lucks, S. 210 [hilflose Lage als „Minus“ im Vergleich zum Unglücksfall]; ähnlich Tröndle/Fischer, StGB54, § 323c Rn. 2. 238 LK-StGB11-Jähnke [07/1999], § 221 Rn. 1; ähnlich Lucks, S. 208. In diese Richtung auch eine unveröffentlichte Entscheidung des BGH, Urteil vom 03.03. 235

C. Die Tathandlung der Aussetzung

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Identisch sind nach den vorhergehenden Ausführungen dann aber natürlich die Begriffe konkrete Gefahr in § 221 Abs. 1 Hs. 2 StGB und Unglücksfall in § 323c StGB, wobei der Tatbestand der Aussetzung auf Gefahren für Leben und schwere Gesundheitsschädigung beschränkt ist, während § 323c StGB auch Gefahren für andere Rechtsgüter erfasst239. Aber auch hier ist ein wesentlicher Unterschied zu beachten: Während die Gefährdungsklausel bei der Aussetzung den Taterfolg umschreibt240, ist der Unglücksfall bei § 323c StGB die Ausgangssituation, die die Jedermannpflicht zur Hilfe erst auslöst241. Nach Betrachtung des Täterkreises und der hilflosen Lage bei der Aussetzung ist schon deutlich geworden, dass beide Tatbestände – wenn auch ähnlich – ohnehin nicht identisch sind und dass die Charakterisierung als Grundtatbestand und Qualifikation in dieser Allgemeinheit nicht stimmen kann. Vielmehr folgt einigen Verhaltensweisen, die eine Strafbarkeit nach § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB begründen, eine unterlassene Hilfeleistung nach. Man könnte auch sagen, dass sich die unterlassene Hilfeleistung auf einem „Zeitstrahl“ der zweiten Tatvariante der Aussetzung anschließt. Dass die Abgrenzung dieser verschiedenen Stufen des Zeitkontinuums schwierig, wenn nicht sogar unmöglich ist, ändert nichts daran, dass das unterscheidende Merkmal der beiden Tatbestände eben das Vorliegen oder das NichtVorliegen der Gefahr bzw. des Unglückfalles ist. Damit bleibt noch die Frage der Deckungsgleichheit der Tathandlungen bei § 323c StGB und § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB zu klären. Meint das Imstichlassen dasselbe wie ein Nicht-Hilfe-Leisten? Das Imstichlassen ist 2000 – 2 StR 388/99, wonach – wenn eine Strafbarkeit wegen Totschlags durch Unterlassen in Betracht kommt – auch immer eine nach § 323c StGB oder § 221 StGB zu erörtern ist, sowie BGH NJW 1999, 69 [72], wonach im Falle der Verneinung eines Tötungsdeliktes durch Unterlassen eine Strafbarkeit nach § 221 StGB oder § 323c StGB zu prüfen sein wird. 239 Individualrechtsgüter, wie z. B. Freiheit, sexuelle Selbstbestimmung und körperliche Integrität sowie [jeweils strittig] Ehre und Sachwerte; vgl. SK-StGB7-Rudolphi [10/1999], § 323c Rn. 5; Geppert, Jura 2005, 42; Küper, BT6, S. 301; NKStGB2-Wohlers, § 323c Rn. 6; Schönke/Schröder-StGB27-Cramer/Sternberg-Lieben, § 323c Rn. 5; Lackner/Kühl, StGB26, § 323c Rn. 1; Tröndle/Fischer, StGB54, § 323c Rn. 2a. Weitergehend [alle Rechtsgüter] aber Geilen, Jura 1983, 78, 84. 240 Sander/Hohmann, NStZ 1998, 275; LK-StGB11-Jähnke [07/1999], § 221 Rn. 9; Laue, S. 26; SK-StGB7-Horn/Wolters [03/2002], § 221 Rn. 9; MüKo-StGBHardtung, § 221 Rn. 19 f.; Brodag, StR9, 9. Teil Rn. 75; Gössel/Dölling, BT 12, § 7 Rn. 4 f.; Küper, BT6, S. 35, 37 f.; Kindhäuser, LPK3, § 221 Rn. 5; Schönke/ Schröder-StGB27-Eser, § 221 Rn. 8; Rengier, BT II8, § 10 Rn. 13; Tröndle/Fischer, StGB54, § 221 Rn. 10. Hierzu ausführlich später im 4. Teil: F. 241 SK-StGB7-Rudolphi [10/1999], § 323c Rn. 4; Geppert, Jura 2005, 41; Schönke/Schröder-StGB27-Cramer/Sternberg-Lieben, § 323c Rn. 4; Tröndle/Fischer, StGB54, § 323c Rn. 2; Wessels/Hettinger, BT I31, Rn. 1043.

126 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

bisher als die Verletzung einer Pflicht zu Hilfe und Beistand verstanden worden. Damit wird vom Täter aber nicht nur gefordert, beim Opfer zu bleiben – das rein passive Bleiben würde ja nichts daran ändern, dass das Opfer Hilfe benötigt –, sondern ihm würde auch abverlangt, diesem die notwendige Hilfe zu leisten. Das so verstandene Imstichlassen wäre wirklich nahezu deckungsgleich mit dem Nicht-Hilfe-Leisten des § 323c StGB, aber eben auch nicht mehr. Aber diese Betrachtung übersieht wesentliche Gesichtspunkte, die für einen Unterschied der beiden Tathandlungen sprechen. Nach überwiegender Ansicht ist das Unterlassen einer Schmerzlinderung bei einem unrettbar verlorenen Opfer eine taugliche Tathandlung nach § 323c StGB242. Dies kann beim Imstichlassen aber nicht so sein243, weil in diesem Fall die Gefahr als Taterfolg schon eingetreten ist. Damit kann dieses Verhalten schon aus den soeben angeführten Gründen nicht tatbestandsmäßig sein. Dieses Ergebnis wird zusätzlich dadurch untermauert, dass die Abwendung des Taterfolgs bei § 221 Abs. 1 Nr. 2 noch möglich sein muss244, was aber in den Fällen der schon eingetretenen Gefahr gerade nicht mehr möglich ist. Aber auch ein weiterer Grund spricht dafür, dass das Imstichlassen etwas anderes ist als das Nicht-Hilfe-Leisten: Nach dem – aus Wortlaut und historischen Materialien – entwickelten Bedeutungsinhalt der zweiten Tathandlung besteht diese in der Verletzung einer Hilfs- und/oder Beistandspflicht und setzt damit gerade das Bestehen einer derartigen Verpflichtung voraus. Eine solche Verpflichtung ist aber dem Tatbestand des § 323c StGB als Jedermanndelikt fremd und daher nicht Merkmal dieses Tatbestandes245. Warum von den oben246 genannten Autoren § 323c StGB als Grundtatbestand zu § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB angesehen wird, ist dagegen leicht zu 242 BGHSt 14, 213 [216 f.]; BGH JR 1956, 347 [348]; OLG Hamm NJW 1975, 604 [605]; OLG Karlsruhe NJW 1979, 2360; LK-StGB11-Spendel [10/1995], § 323c Rn. 84; SK-StGB7-Rudolphi [10/1999], § 323c Rn. 15; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 19, § 55 Rn. 18; NK-StGB2-Wohlers, § 323c Rn. 10; Schönke/SchröderStGB27-Cramer/Sternberg-Lieben, § 323c Rn. 14; Wessels/Hettinger, BT I31, Rn. 1046. 243 Vgl. hierzu später ausführlich im 4. Teil: G. I. 244 Vgl. hierzu die Nachweise oben im 4. Teil: C. I. 2. b) in Fn. 130–133, sowie die Ausführungen im 4. Teil: C. I. 5. d) bb) (3) und im 4. Teil: C. I. 5. e) cc) (1). 245 Vgl. Nachweise im 4. Teil: C. I. 5. c) aa) (1) in Fn. 232. Auch in den Ndschr. Bd. 7 [1959], Anhang J 68, S. 338, wurde der Unterschied zwischen der Aussetzung in der zweiten Variante und der unterlassenen Hilfeleistung gerade in der Verletzung einer „Beistandspflicht besonderer Art“ gesehen. 246 Vgl. die Nachweise im 4. Teil: C. I. 5. c) aa) (1) in Fn. 229.

C. Die Tathandlung der Aussetzung

127

erklären: Die nunmehr von der Aussetzung247 erfassten Fälle der Krankenschwester und des Bergführers248 konnte man früher – wenn überhaupt – nur unter § 323c StGB subsumieren. Fallen diese jetzt unter § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB, der ja in einiger Hinsicht engere Voraussetzungen als die unterlassene Hilfeleistung aufweist, so ist der Schluss auf das Verhältnis von Aussetzung und § 323c StGB als Grundtatbestand und eigenständige, tatbestandliche Abwandlung nachvollziehbar. Dass er nicht völlig zutreffend ist, sondern § 323c StGB dem Delikt der Aussetzung eher nachfolgt, wurde aber soeben dargelegt249. Auch wenn manchmal dieses „Nachfolgen“ der unterlassenen Hilfeleistung zeitlich sehr knapp dem Imstichlassen folgt, ändert sich nichts an der Tatsache, dass nicht alle Fälle des Imstichlassens auch solche der unterlassenen Hilfeleistung sind. Dieses Nacheinander führt aber dazu, dass es schwierig ist, die einzelnen Merkmale der beiden Normen genau zu unterscheiden und sich der Unterschiede der beiden Delikte bewusst zu werden. Dies umso mehr, je kleiner sich der zeitliche Abstand der Tathandlungen zwischen § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB und § 323c StGB darstellt. (2) Weitere Delikte mit einem „Lassen“ in der Tathandlung Die Frage, ob mittels eines systematischen Vergleichs von Imstichlassen und Tathandlungen anderer Delikte aus dem StGB Argumente für oder gegen die weite Auslegung gefunden werden können, soll durch die Untersuchung solcher Delikte beantwortet werden, deren Tathandlung mit dem Wort „Lassen“ gebildet werden, da dieses – wie bei der Aussetzung – auf eine eher unterlassensgeprägte Verhaltensweise hindeutet250. Die Zahl solcher Tathandlungen im StGB ist recht hoch. Es sind – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – folgende Verhaltensweisen: 247 Wobei hier bewusst von Aussetzung die Rede ist, da an dieser Stelle noch nicht geklärt werden kann und soll, unter welche Nummer des Tatbestandes diese Fälle zu subsumieren sind. 248 Zum Bergführer: RefE, S. 123 f.; BR-Drs. 164/97, S. 120; BT-Drs. 13/7164, S. 34; 13/8587, S. 34. Die Krankenschwester findet man in den Materialien zum 6. StrRG nicht mehr, sondern nur im E 1960, S. 260, und E 1962, S. 277, sowie in den Ndschr. Bd. 7 [1959], S. 96 f., 101 [dort ist auch stets der Bergführer erwähnt]. 249 Auch in den Fällen, in denen § 323c StGB und z. B. §§ 212, 13 StGB oder §§ 223, 13 StGB verwirklicht sind, enthalten die Tatbestände der Tötung oder Körperverletzung ein „Mehr“ an Voraussetzungen gegenüber der unterlassenen Hilfeleistung, wobei bisher dennoch niemand auf die Idee gekommen wäre, diese Tatbestände als Qualifikationen des § 323c StGB anzusehen. 250 Zu dem Thema ausführlich Schöne, S. 39 ff., 176; Güntge, Unterlassen, S. 93, 150 ff., und Vogel, S. 97. Ebenso für das öStGB Triffterer, AT2, Kap. 14 Rn. 3.

128 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung Tathandlung

Norm

an sich vornehmen lassen

§§ 174 Abs. 1; 174a Abs. 1, 2; 174b Abs. 1; 174c Abs. 1, 2; 176 Abs. 1; 176a Abs. 2 Nr. 1; 177 Abs. 2 Nr. 1; 179 Abs. 1 StGB

aufstellen lassen

§ 107b Abs. 1 Nr. 4 StGB

ausüben lassen

§ 145c StGB

begehen lassen

§ 340 Abs. 1 StGB

eindringen lassen

§ 324a Abs. 1 StGB

fortdauern lassen

§ 164 Abs. 1, 2 StGB

gelangen lassen

§§ 94 Abs. 1 Nr. 2; 95 Abs. 1; 97 Abs. 1, 2; 100a Abs. 1, 2; 109g Abs. 1, 2; 353b Abs. 2 StGB

geschehen lassen

§ 357 I StGB

gewähren lassen

§ 291 Abs. 1 StGB

in Unkenntnis lassen

§§ 264 Abs. 1 Nr. 3; 266a Abs. 2 Nr. 2 StGB

schulen lassen

§ 87 Abs. 1 Nr. 5 StGB

überlassen

§§ 87 Abs. 1 Nr. 3; 130 Abs. 2 Nr. 1c; 131 Abs. 1 Nr. 3; 149; 152a Abs. 1 Nr. 2; 184 Abs. 1; 236 Abs. 1; 263a Abs. 3; 265 Abs. 1; 275 Abs. 1; 276 Abs. 1 Nr. 2; 281 Abs. 1; 310 Abs. 1; 316c Abs. 4; 323b; 328 Abs. 3 Nr. 2 StGB

untauglich machen lassen

§ 109 Abs. 1 StGB

unterlassen

§§ 138 Abs. 2; 266a Abs. 3; 283 Abs. 1 Nr. 5, 7b; 283b Abs. 1 Nr. 1, 3b; 336 StGB

verkünden lassen

§ 107a Abs. 2 StGB

versprechen lassen

§§ 108b Abs. 2; 291 Abs. 2 Nr. 3; 299 Abs. 1; 331 Abs. 1–3; 332 Abs. 1–3; 337 StGB

Aus dieser Aufzählung wird deutlich, dass Tathandlungen, die ein „Lassen“ enthalten, über alle Kapitel des StGB verstreut sind. Dabei fällt auf, dass – außer bei der Aussetzung – keine dieser Normen dem Schutz des Lebens oder der körperlichen Integrität dient, sondern dem Schutz andersartiger Rechtsgüter. Um für den Inhalt des Imstichlassens Schlüsse ziehen zu können, bräuchte man aber in Wortlaut oder Schutzgut vergleichbare oder jedenfalls näherliegende Normen als es die aufgezählten darstellen. Insoweit erscheint es nicht möglich, mittels der Delikte, die ein „Lassen“ als Tathandlung aufweisen, Folgerungen für den Inhalt des Imstichlassens zu ziehen251.

251 Möglicherweise ist dies aber ein Ansatzpunkt bei der Bestimmung des Tatbestandstyps; hierzu später 4. Teil: C. I. 5. e) aa) (1).

C. Die Tathandlung der Aussetzung

129

bb) Vergleich mit ausländischen Strafgesetzbüchern, die ebenfalls ein Imstichlassen als Tathandlung der Aussetzung enthalten252 Die Formulierung „Imstichlassen“ findet man auch in anderen deutschsprachigen Gesetzestexten, namentlich in Österreich und in der Schweiz, so dass „ein Blick über die Grenzen“ durchaus von Interesse ist, um zu klären, wie dieser Begriff dort verstanden wird. (1) Strafgesetzbuch von Österreich In Österreich existieren mehrere Normen, die den Themenbereich der deutschen Aussetzung berühren. Es handelt sich um §§ 82, 94 öStGB. Hierbei enthält § 82 öStGB in den Absätzen 1 und 2, die den Grundtatbestand der Aussetzung bilden, jeweils den Begriff des Imstichlassens als Umschreibung der tatbestandlichen Handlung. Allerdings ist die Tathandlung in § 82 Abs. 1 öStGB als „in eine hilflose Lage bringen und in dieser Lage im Stich lassen“ beschrieben, so das das Imstichlassen selber nur ein Bestandteil der Tathandlung ist. § 94 öStGB hingegen enthält den Begriff des Imstichlassens lediglich in der Überschrift des Tatbestandes. Wie in Deutschland spielt der Tatbestand der Aussetzung in Österreich in der Praxis kaum eine Rolle253. Auch in Österreich wird betont, der Begriff des Imstichlassens beschränke sich nicht auf Handlungen des sich räumlich entfernenden Täters, sondern könne vielmehr jede Verhaltensweise erfassen; er wird sogar überwiegend mit einem Unterlassen der erforderlichen Hilfe gleichgesetzt254. Der Begriff des Imstichlassens wird in beiden Absätzen von § 82 öStGB verwendet und ist identisch auszulegen255. Damit wird das Imstichlassen in Österreich i. S. des weiten Verständnisses gebraucht. Aufgrund der identischen Wortwahl des österreichischen und des deutschen Gesetzgebers könnte man hierin ein weiteres Indiz dafür sehen, dass der Begriff in Deutschland nunmehr auch weit und nicht räumlich aufzufassen ist. Das Problem der Übertragbarkeit dieser Einordnung zeigt sich allerdings, wenn man den grundlegenden Unterschied im Verständnis des Tatbestandes 252

Sämtliche ausländische Normtexte sind im Quellenteil zu finden im 7. Teil:

C. I. Kienapfel, BT I4, § 82 Rn. 6; WK-öStGB2-Burgstaller/Fabrizy [04/2002], § 82 Rn. 3. 254 Zum Ganzen: EBRV 1971 S. 210 f.; OGH SSt 60/71, 203 [205]; Kienapfel, BT I4, § 82 Rn. 18, 22; WK-öStGB2-Burgstaller/Fabrizy [04/2002], § 82 Rn. 10, 24, 26, 29. 255 EBRV 1971 S. 211; WK-öStGB2-Burgstaller/Fabrizy [04/2002], § 82 Rn. 24. 253

130 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

zwischen Deutschland und Österreich betrachtet: Nach der überwiegenden Ansicht in Österreich kann der erste Fall des Grundtatbestandes („Wer das Leben eines anderen dadurch gefährdet, daß er ihn in eine hilflose Lage bringt und in dieser Lage im Stich läßt, ist . . . zu bestrafen.“) nur durch Tun, nie aber durch Unterlassen begangen werden. Damit werden aber alle Fälle, in denen der Täter die hilflose Lage nicht durch eine Handlung herbeiführt, zu einem Imstichlassen i. S. v. § 82 Abs. 2 öStGB256. Dies läuft jedoch dem deutschen Verständnis des § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB zuwider, wonach die erste Tathandlung des Delikts ein normales Begehungsdelikt darstellt257, und würde auch gegen den allgemein anerkannten Grundsatz verstoßen, dass grundsätzlich jedem Tatbestand eines Begehungsdeliktes über § 13 StGB ein entsprechendes unechtes Unterlassungsdelikt zuzuordnen ist258. Außerdem geht man in Österreich davon aus, dass sich die beiden Tathandlungen gegenseitig ausschließen, also ein Verhalten, das den Tatbestand des § 82 Abs. 1 öStGB erfüllt, nicht später auch noch § 82 Abs. 2 öStGB erfüllen kann259. Das wird bislang von der überwiegenden Ansicht in Deutschland anders beurteilt260. Insgesamt spricht das Verständnis des Imstichlassens nach § 82 öStGB verglichen mit § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB jedenfalls eher für das weite Verständnis unter Verzicht auf räumliche Kriterien. Ein Vergleich der Aussetzung in der deutschen Fassung mit dem „Imstichlassen eines Verletzten“ in § 94 öStGB ist kaum möglich, da dieser – entgegen der Überschrift – als Tathandlung erstens nicht das Imstichlassen vorsieht, sondern das Unterlassen der erforderlichen Hilfe261, und zweitens das 256 OGH SSt 60/71, 203 [205]; Kienapfel, BT I4, § 82 Rn. 17; WKöStGB2-Burgstaller/Fabrizy [04/2002], § 82 Rn. 7, 9; Foregger/Fabrizy, öStGB9, § 82 Rn. 3. Widersprüchlich die österreichischen Materialien, die den Bergführer, der seinen Schützling verlässt, als Fall von § 82 Abs. 1 öStGB einordnen; vgl. EBRV 1971 S. 210; ebenso Triffterer, AT2, Kap. 14 Rn. 96. 257 Vgl. 4. Teil: C. II. 3. b) bb) und 4. Teil: C. II. 5. g). Abweichend Schroth, NJW 1998, 2863; wohl auch ders., BT3, S. 62 [vgl. oben im 4. Teil: C. I. 3. b) in Fn. 181]; Brodag, StR9, 9. Teil Rn. 72. 258 Kühl, AT5, § 10 Rn. 10 f., § 18 Rn. 2; NK-StGB2-Wohlers, § 13 Rn. 1 f.; Schönke/Schröder-StGB27-Stree, Vorbem §§ 13 ff. Rn. 135; Wessels/Beulke, AT37, Rn. 697. 259 Sog. tatbestandsausschließende Exklusivität; vgl. EBRV 1971 S. 211; OGH SSt 60/71, 203 [205]; Kienapfel, BT I4, § 82 Rn. 19; Bertel/Schwaighofer, BT I5, § 82 Rn. 6; Foregger/Fabrizy, öStGB9, § 82 Rn. 7; a. A. [Subsidiarität] WKöStGB2-Burgstaller/Fabrizy [04/2002], § 82 Rn. 38. 260 Einer Tat nach § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB folgt nach der überwiegenden Ansicht in aller Regel eine nach § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB nach. Hierzu später ausführlich unter 4. Teil: E. II. 1. b) bb) (1).

C. Die Tathandlung der Aussetzung

131

Vorliegen einer Körperverletzung beim Opfer als Tatbestandsmerkmal verlangt und damit quasi eine spezielle Normierung der Ingerenzhaftung darstellt262. Gerade dies ist bei § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB nicht Voraussetzung. (2) Strafgesetzbuch der Schweiz Auch in der Schweiz existieren mehrere Normen, die den Themenbereich der deutschen Aussetzung berühren; es handelt sich um Art. 127, 128 schwStGB. Der Begriff Imstichlassen ist dabei nur in Art. 127 schwStGB zu finden, der schweizerischen Normierung der Aussetzung. Auch in der Schweiz ist die praktische Bedeutung des Tatbestandes gering263, so dass teilweise die Abschaffung der Norm264, teilweise allerdings auch eine Erweiterung gefordert wird265. Im Übrigen wird in der Schweiz ebenfalls betont, dass die aktuelle Fassung der Aussetzung weit über das hinausgehe, was der historische Begriff Aussetzen im Sinn hatte266. Grundlegender Unterschied zwischen der deutschen und schweizerischen Norm ist, dass Art. 127 schwStGB in allen Tatvarianten – nicht nur beim Imstichlassen – das Vorliegen einer Garantenstellung verlangt. Damit wird die Aussetzung in der Schweiz zu einem Sonderdelikt für Garanten, deren Garantenstellung schon vor der Tat bestand267. Es ist dabei umstritten, ob Art. 127 schwStGB, der mit dem Aussetzen ein Begehungsdelikt und mit dem Imstichlassen ein echtes Unterlassungsdelikt enthält268, in der Tatvariante des Aussetzens auch als unechtes Unterlassungsdelikt konstruiert werden kann269. 261 Kienapfel, ÖJZ 1977, 430; Bertel/Schwaighofer, BT I5, § 94 Rn. 7, 9; WKöStGB2-Hauptmann/Jerabek [11/2001], § 94 Rn. 19 ff.; Foregger/Fabrizy, öStGB9, § 94 Rn. 3 ff. 262 Kienapfel, ÖJZ 1977, 425 f.; WK-öStGB2-Hauptmann/Jerabek [11/2001], § 94 Rn. 1, 3.; Foregger/Fabrizy, öStGB9, § 94 Rn. 2. 263 Schubarth, schwStGB, Art. 127 Rn. 2; Noll, BT I, S. 56; BSK-schwStGB2Aebersold, Art. 127 Rn. 2. 264 Schubarth, schwStGB, Art. 127 Rn. 30. 265 Noll, BT I, S. 56. 266 Schubarth, schwStGB, Art. 127 Rn. 11; Stratenwerth, BT I5, § 4 Rn. 52. 267 Schwander, schwStGB2, Rn. 523; Schubarth, schwStGB, Art. 127 Rn. 6; Noll, BT I, S. 56; Stratenwerth, BT I5, § 4 Rn. 47, 49; Trechsel, schwStGB2, Art. 127 Rn. 2; C. Meier, S. 21; BSK-schwStGB2-Aebersold, Art. 127 Rn. 1, 7. 268 Noll, BT I, S. 56; Trechsel, schwStGB2, Art. 127 Rn. 1; BSK-schwStGB2Aebersold, Art. 127 Rn. 14. 269 Zustimmend Schwander, schwStGB2, Rn. 523; Stratenwerth, BT I5, § 4 Rn. 55; a. A. Schubarth, schwStGB, Art. 127 Rn. 13. Offen gelassen von BSKschwStGB2-Aebersold, Art. 127 Rn. 15.

132 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

Daneben ist – anders als in Deutschland – nicht das Bestehen bzw. Nichtbestehen einer hilflosen Lage tatbestandliche Voraussetzung beider Tathandlungen, sondern der Kreis der Opfer von vorneherein auf Hilflose beschränkt. Hilflos ist nach der überwiegenden Ansicht in der Schweiz diejenige Person, die außerstande ist, sich selbst zu helfen bzw. die sich nicht selbst zu schützen vermag270. Wegen dieses Merkmals weicht das schwStGB allerdings recht deutlich vom deutschen StGB ab, was eine Übertragung der inhaltlichen Bestimmung des Imstichlassens erschwert. Dritter und sehr wesentlicher Unterschied ist, dass die Gefahr im Zeitpunkt des Imstichlassens i. S. v. Art. 127 schwStGB eingetreten sein muss und damit nicht wie in § 221 Abs. 1 StGB Ergebnis der Tathandlung ist271. Abgesehen von diesen Unterschieden wird das Imstichlassen auch in der Schweiz weit verstanden: Erfasst ist jede Unterlassung der gebotenen Hilfe, sowohl das räumliche Verlassen als auch die Untätigkeit und die ungenügende Hilfeleistung272. Damit stimmt das weite Verständnis des Imstichlassens in der Schweiz mit dem zurzeit in Deutschland – überwiegend – vertretenen weitgehend überein. Hinzuweisen ist noch darauf, dass Art. 128 schwStGB a. F. als Tathandlung ebenfalls das Imstichlassen kannte, das im Rahmen einer Reformierung des schwStGB 1990 aber zum „Nicht-Helfen“ wurde273. Ob hiermit eine Gleichstellung der beiden Tathandlungen oder ein Abweichung verbunden war, ließ sich nicht ermitteln. cc) Zwischenergebnis Aus dem StGB lassen sich in systematischer Hinsicht relativ wenig zwingende Argumente für das weite Verständnis der zweiten Tathandlung finden. Andererseits handelt man sich mit dem weiten Verständnis keine „Systembrüche“ oder Widersprüche ein. Insbesondere im Verhältnis zu § 323c StGB gilt: Die zweite Tatvariante der Aussetzung umschreibt ein ähnliches Verhalten und Unrecht, ist aber nicht mit der unterlassenen Hilfeleistung gleichzusetzen. Damit überzeugt auch nach der systematischen Auslegung als Ergebnis das weite Verständnis des Imstichlassens am meisten. Schubarth, schwStGB, Art. 127 Rn. 7; Noll, BT I, S. 56; Stratenwerth, BT I5, § 4 Rn. 48; BSK-schwStGB2-Aebersold, Art. 127 Rn. 9. Leicht abweichend Trechsel, schwStGB2, Art. 127 Rn. 1. Dies stimmt mit der Auslegung des Tatbestandsmerkmals hilflose Person in § 221 Abs. 1 StGB a. F. überein; vgl. 4. Teil: D. II. 2. a). 271 Schwander, schwStGB2, Rn. 523; Schubarth, schwStGB, Art. 127 Rn. 14; Noll, BT I, S. 56; Stratenwerth, BT I5, § 4 Rn. 53; Trechsel, schwStGB2, Art. 127 Rn. 5. 272 Schubarth, schwStGB, Art. 127 Rn. 14; Stratenwerth, BT I5, § 4 Rn. 53; Trechsel, schwStGB2, Art. 127 Rn. 5; BSK-schwStGB2-Aebersold, Art. 127 Rn. 15. 273 BSK-schwStGB2-Aebersold, Art. 128 Vor Rn. 1. 270

C. Die Tathandlung der Aussetzung

133

d) Teleologische Auslegung Nachdem die Untersuchung bisher mehr Argumente für das weite Verständnis als für eine enge Deutung geliefert hat, gilt es nunmehr zu fragen, ob dieses weite Verständnis wirklich Sinn und Zweck der Aussetzung n. F. sein kann bzw. soll oder ob – und gegebenenfalls wie – der Tatbestand eingeschränkt werden kann. aa) Sinn und Zweck der Aussetzung in der zweiten Tatvariante Da Wortlaut, Geschichte und System bisher für eine Erweiterung der zweiten Tathandlung sprechen, erscheint eine andere Auslegung nur möglich, wenn das bisher gewonnene Ergebnis gegen Sinn und Zweck der zweiten Tathandlung verstoßen würde oder durch diese Auslegung schwerwiegende Wertungswidersprüche entstehen würden. Durch das neue Verständnis des Imstichlassens wird unstreitig der Kreis möglicher Tathandlungen der zweiten Tatvariante erweitert. Dies widerspricht aber nicht dem Sinn und dem Zweck des Tatbestandes, sondern erfüllt vielmehr die Intention des Gesetzgebers, der mit der Aussetzung i. S. des 6. StrRG Strafbarkeitslücken schließen wollte274. Ein solches Ziel erreicht man logischerweise dadurch, dass man entweder neue Tatbestände schafft oder vorhandene erweitert. Um jener Vorgabe gerecht zu werden, erscheint die weite Auslegung der zweiten Tathandlung geeignet. Diese Idee der Erweiterung des Strafrechtsschutzes ist aber nicht nur im Allgemeinen dem 6. StrRG inhärent; vielmehr ist sie im Besonderen auch in der Neunormierung der Aussetzung mehrfach zu finden. Wie bereits dargelegt, wurde der Kreis der möglichen Opfer erweitert275 und hinsichtlich des Taterfolges verdeutlicht, dass nunmehr auch Gesundheitsgefahren erfasst werden276. Daraus wird eine deutliche Tendenz des Gesetzgebers ersichtlich, den Tatbestand der Aussetzung weiter als bisher zu fassen. Bezieht man nunmehr ein, dass die „Verdeutlichung“ des Inhalts der zweiten Tathandlung durch den Gesetzgeber weniger eine Verdeutlichung als eine inhaltliche Neubestimmung ist277, so sieht man auch hier abermals seine Intention, nach der Neuformulierung durch den Tatbestand mehr Verhaltensweisen als bisher zu erfassen. Sinn und Zweck der Aussetzung in der zweiten Tathandlung ist damit eine umfassendere Bestrafung von Gefährdungsverhaltensweisen. Diese Aufgabe erfüllt auch die neue, weite Auslegung des Imstichlassens. 274 275 276 277

Vgl. oben 3. Teil: B. II. 3. und insbesondere die Nachweise dort in Fn. 197. Vgl. 4. Teil: B. Vgl. 4. Teil: F. Siehe im 4. Teil: C. I. 5. b) auf S. 120.

134 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

Die Tendenz zu einer Erweiterung des Tatbestandes ist nichts Neues, sondern prägt fast dessen gesamte historische Entwicklung weg vom ursprünglichen Tatbestand der „Kindesweglegung“ hin zu einem auf die Gefährdung beliebiger Personen abstellenden Delikt278. Insoweit ist die Feststellung, dass die Überschrift der Norm gar nicht mehr zu dem im Gesetzestext normierten Delikt passt, durchaus zutreffend279, wenn auch in der Sache nicht weiterführend. Durch die Erweiterung des Opferkreises der Aussetzung hat sich auch die Schutzrichtung des Tatbestandes geändert und damit der Kreis der erfassten Tathandlungen. Diente früher die Aussetzung ausschließlich dem Schutz von Personen, die sich aus bestimmten Gründen nicht selber gegen drohende Lebens- oder Leibesgefahren schützen konnten280, so ist heute – weil die hilflose Person eben kein Tatbestandsmerkmal mehr ist – jeder Mensch – auch der gesunde und erwachsene – potenzielles Opfer281. Erwachsene und gesunde Menschen wird man in aller Regel nur gegen deren Widerstand in eine neue räumliche Lage bringen können. Daneben ist das Vorgehen mit Hilfe einer List denkbar. Da es in diesem Fall für den Täter keinen körperlichen Widerstand zu überwinden gilt, dürfte es sich hier um eine häufiger auftretende Erscheinungsform handeln, wenn die Tatopfer erwachsene und gesunde Menschen sind. Der Fall einer List wiederum ist jedoch nicht auf das – im wahrsten Sinne des Wortes – räumliche „Locken in eine Falle“ beschränkt, sondern kann eben auch ohne eine Fortbewegung des Opfers oder Täters vonstatten gehen. Das wesentliche, eine List prägende Moment ist nämlich nicht das „freiwillige“, räumlich verstandene „In-die-Falle-Gehen“ des Opfers, sondern entscheidend ist vielmehr, dass das Opfer weder wahrnimmt noch durchschaut, dass es in eine Gefahr geraten könnte und deshalb seine Möglichkeiten zur Selbsthilfe nicht zur Entfaltung gelangen können. Das Vorgehen des Täters mittels einer List als Erscheinungsform einer Aussetzung bei gesunden und erwachsenen Menschen ist damit nicht eine nur auf räumliche Bewegungsvorgänge beschränkte Tathandlung. Da aber beide Tathandlungen für den Opferkreis, den der Gesetzgeber im Blick hatte, offen sein sollen, spricht dies dafür, auch solche Verhaltensweisen beim Imstichlassen zu erfassen, die keine Bewegungsvorgänge auf Täter- und/oder Opferseite erfordern. Die Betonung muss, wenn 278

Vgl. oben 3. Teil: C. So schon zur a. F. Schroeder, JZ 1992, 378. LK-StGB11-Jähnke [07/1999], § 221 Rn. 1; S. Heinrich, S. 192; Lucks, S. 227; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 19, § 4 Rn. 4; Kindhäuser, LPK3, § 221 Rn. 1. So auch für das öStGB WK-öStGB2-Burgstaller/Fabrizy [04/2002], § 82 Rn. 7. 280 Welzel, StR11, S. 295; Gössel, BT 1, § 8 Rn. 5; SK-StGB5-Horn [05/1993], § 221 Rn. 2; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 18, § 4 Rn. 4; Lackner/Kühl, StGB22, § 221 Rn. 1; Tröndle, StGB48, § 221 Rn. 1; Wessels, BT I21, Rn. 186. 281 Darstellung und Nachweise oben unter 4. Teil: B. 279

C. Die Tathandlung der Aussetzung

135

man den erweiterten Opferkreis beachtet, weg von der allein auf die räumlichen Bewegungsdimensionen abstellenden Betrachtung hin zum Verzicht auf diese Dimensionen gehen282. Mit dem Verzicht auf das nur räumliche Verständnis wird aber der ursprüngliche historische Grundgedanke der Aussetzung aufgegeben, der mit „Wer bleibt, wird in der Regel auch helfen, . . .“ treffend umschrieben wurde283. Dieser alte Grundgedanke wurde durch einen neuen ersetzt, nämlich die Idee, dass Menschen nicht dadurch in Lebens- oder Leibesgefahr geraten dürfen, dass man sie zuvor in hilflose Lage versetzt oder sie als Garant in einer hilflosen Lage im Stich gelassen hat284. Dies geschieht bei § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB eben durch den Verstoß gegen die Obhuts- oder Beistandspflicht, anders formuliert: Der Verzicht auf die Betrachtung der räumlichen Bewegungsvorgänge führt beim Imstichlassen dazu, dass aus der alten Vermutung „Wer bleibt, wird in der Regel auch helfen!“ die weitergehende Annahme „Wer von einer Situation weiß, in der einem Schützling zu helfen ist, wird in der Regel auch helfen!“ wurde285. Die Erweiterung dieses Grundgedankens erscheint lebensnäher, weil sie sich vom manchmal rein zufälligen Kriterium des räumlichen Sich-Entfernens löst. Gefordert ist heute also nicht nur das Dableiben, sondern zugleich auch das Leisten des Beistandes286, d.h. die Nicht-Verletzung der Obhuts- oder Beistandspflicht287. Die neue Sicht der Aussetzung in der Fassung von 1998 geht damit zweifelsohne über das bisher Normierte hinaus. Die nunmehr berechtigte Folgefrage, ob die Aussetzung in der ersten, zweiten oder sogar in beiden TatSo auch Lucks, S. 207; ähnlich Schmidt/Priebe, BT I6, Rn. 250 f. So Dreher, JZ 1966, 581; ähnlich Welp, S. 155 f.; H.J. Hirsch, ZStW 84 [1972], 381; Bockelmann, BT 2, S. 72; Schmidhäuser, BT2, Kap. 2 Rn. 43; Horn, JR 1992, 248; SK-StGB5-Horn [05/1993], § 221 Rn. 2, 7, 10; Küper, Jura 1994, 517; offen gelassen von W. Hassemer, JuS 1992, 526; darstellend hierzu Laue, S. 88; Lucks, S. 207; Küper, BT6, S. 207. 284 Laue, S. 96; Kindhäuser, BT I3, § 5 Rn. 1 f.; Wessels/Hettinger, BT I31, Rn. 198. LK-StGB11-Jähnke [07/1999], § 221 Rn. 1, bezeichnet die Verhaltensweisen als solche, die „in besonders krasser Weise die Gebote der Fürsorge für den schutzbedürftigen Nächsten verletzen“. 285 Ähnlich [„Es ist geboten, sich zu kümmern“] schon Güntge, Unterlassen, S. 101 f., zum Gebot des Tatbestandes bei weiter Auslegung des Verlassens a. F. 286 Laue, S. 88 f.; Küper, BT6, S. 207 f. 287 Schon früher war aber eigentlich das reine Vor-Ort-Bleiben nicht geeignet, den tatbestandlichen Erfolg abzuwenden, und der Appell lautete auch vor 1998 in Wahrheit nicht „Bleibe da!“, sondern „Leiste Hilfe!“; vgl. Schmidhäuser, BT2, Kap. 2 Rn. 43; Mitsch, StV 1992, 319 f.; Güntge, Unterlassen, S. 101 f.; in diese Richtung auch Küper, Jura 1994, 518. Jetzt ähnlich DSNS-Struensee, 2. Teil Rn. 35; Küper, ZStW 111 [1999], 60, 63. Hierzu später abermals unter 4. Teil: C. I. 5. e) aa). 282 283

136 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

handlungen ein allgemeines Leibes- und Lebensgefährdungsdelikt geworden ist, – eine Einordnung, die man sowohl für das Versetzen in hilflose Lage als auch für das Imstichlassen in hilfloser Lage nach dem 6. StrRG findet288 –, diese Frage ist damit noch nicht geklärt. Bevor ihre Beantwortung möglich ist289, bedarf es noch einer weiteren Betrachtung der einzelnen Merkmale des Grundtatbestandes, so dass die Antwort vorerst zurückgestellt werden muss. bb) Einschränkungen des Tatbestandes Betrachtet man die bisherigen Ergebnisse zum Imstichlassen, so fällt auf, dass nunmehr nahezu jedes Verhalten eines Garanten, der einem Schützling in einer kritischen Situation keinen Beistand leistet, als Imstichlassen qualifiziert werden könnte290. Insbesondere die Fälle der unterlassenen Rückkehr können nunmehr reibungslos unter den Tatbestand des § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB subsumiert werden. Damit sind jetzt vom Tatbestand Verhaltensweisen neu erfasst, die bisher jedenfalls nicht als Aussetzung strafbar waren. Darum gibt es Bestrebungen, die zweite Tathandlung einzuschränken, um dem Tatbestand wieder mehr Konturen zu geben. Hierbei steht die Gruppe der sog. „Berufsretter“291 im Fokus der Aufmerksamkeit, weil sie nach dem 288 Den gesamten Tatbestand für ein allgemeines Gefährdungsdelikt halten Kosloh, S. 55 ff., 60, und S. Heinrich, S. 167, während von MüKo-StGB-Hardtung, § 221 Rn. 1; Tröndle/Fischer, StGB54, § 221 Rn. 9, und Rengier, BT II8, § 10 Rn. 2 [ablehnend ders. bis BT II4, § 10 Rn. 1], nur § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB so qualifiziert wird. Diese Einordnung wählte Küper, ZStW 111 [1999], 47 ff., nur für § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB [explizit aufgegeben in Küper, BT6, S. 38]. DSNS-Struensee, 2. Teil Rn. 22; LK-StGB11-Jähnke [07/1999], § 221 Rn. 1; Sternberg-Lieben/Fisch, Jura 1999, 50 f.; Lucks, S. 4; NK-StGB2-Neumann, § 221 Rn. 2, und Wessels/Hettinger, BT I31, Rn. 198, sehen den Tatbestand tendenziell auf dem Weg zu einem allgemeinen Gefährdungsdelikt. Dies lehnen Ebel, NStZ 2002, 404 f.; Gössel/Dölling, BT 12, § 7 Rn. 2; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 19, § 4 Rn. 1 f., und Küpper, BT I3, § 1 Rn. 85 ab. So aber früher Güntge, Unterlassen, S. 148 [„allgemeiner Auffangtatbestand für garantenpflichtwidriges Unterlassen“], wenn Verlassen als Imstichlassen verstanden würde. 289 Näher zum allgemeinen Leibes- und Lebensgefährdungsdelikt siehe 4. Teil: D. I. 1. Zur Klärung der Rechtsnatur der Aussetzung als allgemeines Leibes- und Lebensgefährdungsdelikt vgl. 4. Teil: D. V. 290 Zur Illustration können hier die im 4. Teil: C. I. 2. b) auf S. 99 angeführten Beispiele möglicher Tathandlungen oder die Ausführungen von Raßbach/Richter/ Pietschel/Quasdorf, JuS 2001, 1144, herangezogen werden. Letztere wollen eine verweigerte Blutspende eines Vaters für seinen Sohn unter den Begriff des Imstichlassens subsumieren, weil dadurch ein relevantes Risiko einer Gesundheitsschädigung für das Opfer durch einen Garanten geschaffen wurde. 291 Zum Personenkreis der „Berufsretter“ vgl. oben im 4. Teil: C. I. 2. c) in Fn. 135.

C. Die Tathandlung der Aussetzung

137

Wortlaut der Norm schon, wenn sie die Fahrt zum Opfer bzw. den Besuch desselben verweigern, in den Täterkreis des § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB fallen können. Beim Versuch, einen Ansatzpunkt zur Einschränkung zu finden, bieten sich verschiedene Möglichkeiten an: die Einschränkung des Täterkreises (verbunden mit der Möglichkeit, einige Verhaltensweisen aus dem Anwendungsbereich der Norm „auszuklammern“) oder Einschränkungen aufgrund des Typus des Tatbestandes. Im Folgenden wird zu klären sein, ob diese einleuchtenden Ansätze gedanklich und sachlich geeignet sind, den Tatbestand einzuschränken. (1) Einschränkung des § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB durch Ausschluss gewisser Garanten Insbesondere die Idee, bestimmte Garanten – die soeben erwähnten „Berufsretter“ – aus dem Täterkreis auszuklammern, erfreut sich in der Literatur großer Beliebtheit. Die Mehrzahl der Autoren, die eine solche Einschränkung fordern, erreicht die Limitierung des Täterkreises, indem sie eine „räumliche Nähe“ oder „räumliche Beziehung“ zwischen Täter und Opfer vor der Tat fordern. Teilweise wird der Schwerpunkt nicht auf das räumliche Beieinander, sondern auf ein normatives Element gelegt292. Sind diese – vor dem Hintergrund des niedrigeren Strafrahmens von § 323c StGB durchaus verständlichen – Bestrebungen, die „Berufsretter“ aus dem Täterkreis auszuklammern, zutreffend, die dazu angegebenen Begründungen und Konzepte tragfähig? Oder sind die „Berufsretter“ seit dem 6. StrRG ebenfalls nach dem Tatbestand der Aussetzung zu bestrafen, wenn sie – entgegen ihrer beruflichen Pflicht – in Kenntnis eines Notfalles nicht zum „Tatort“ fahren? Bei der Antwort auf diese Fragen sind die beiden oben beschriebenen Begründungskonzepte zu trennen: Der Aspekt der räumlichen Nähe und das Vorliegen einer normativen Beziehung. Als erstes gilt es festzuhalten, dass die Materialien des Gesetzgebers keinen Anhaltspunkt für eine derartige Einschränkung bieten; vielmehr findet man dort den ausdrücklichen Hinweis, dass das Imstichlassen „nicht nur durch räumliches Verlassen, sondern auch dadurch verwirklicht werden kann, daß der Beistandspflichtige sich der Beistandsleistung vorsätzlich entzieht“293. Mithin kommt es auf das räumliche Sich-Entfernen allein nicht Vgl. die Darstellung oben unter 4. Teil: C. I. 2. c); Rengier, BT II8, § 10 Rn. 11, wirft die Frage der Einschränkung auf, lässt die Antwort aber offen. 293 RefE, S. 124; BR-Drs. 164/97, S. 121; BT-Drs 13/7164, S. 35, 13/8587, S. 34; darstellend Lucks, S. 205 [Hervorhebungen vom Verfasser]. 292

138 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

mehr an und darum können die oben beschriebenen Verhaltensweisen der „Berufsretter“ unter den Tatbestand subsumiert werden. Da sich der Gesetzgeber aber nicht ausdrücklich zu dieser Fallgruppe äußert, kann ein Wille kaum ermittelt oder begründet werden, weil es schwierig – wenn nicht gar unmöglich – ist, aus dem Schweigen des Gesetzgebers Schlüsse zu ziehen294. Auf der anderen Seite gilt es anzumerken, dass die Erfassung der „Berufsretter“ bei einer tatbestandlichen Erweiterung der zweiten Aussetzungstatalternative, keine neue Erkenntnis darstellt: Feloutzis hat schon zur a. F. festgestellt, dass bei einem weiten Verständnis der zweiten Tathandlung eine Strafbarkeit des Hausarztes, der pflichtwidrig einen Hausbesuch unterlässt, in Frage kommen kann295. Weil einige Autoren, die die Eingrenzung des Tatbestandes fordern, diese Position gerade aus dem Wortlaut Imstichlassen herleiten296, Vertreter der gegenteiligen Ansicht diesen aber gerade auch als grundlegendes Argument gegen die Einengung heranziehen297, ist hier abermals der Wortlaut zu betrachten298: 1. sich um jemanden, der in eine Notlage geraten ist, sich in einer kritischen Situation befindet, nicht mehr kümmern . . ., 2. jemanden, mit dem man verbunden war, verlassen . . ., 3. umgangssprachlich; jemandem den Dienst versagen . . . Während die Variante 2 darauf abstellt, dass die Personen, um die es geht, verbunden waren, fehlt ein solcher Zusatz bei der Deutungsvariante 1, die die weite Auslegung des Imstichlassens beschreibt. Auch wenn das „Verbunden-Sein“ örtlich oder emotional verstanden wird, kann man aus der weiten Deutungsvariante 1 keinen Hinweis auf ein „Verbunden-Sein“ entnehmen. Es ist nur die Rede von einer Notlage, einer kritischen Situation. Eine Andeutung für eine Nähebeziehung – gleich welcher Art und 294

Hierzu Simon, S. 328 ff., 332, 356. Feloutzis, S. 185. 296 LK-StGB11-Jähnke [07/1999], § 221 Rn. 29; NK-StGB2-Neumann, § 221 Rn. 28. 297 Laue, S. 96; SK-StGB7-Horn/Wolters [03/2002], § 221 Rn. 6. 298 Duden [3. Aufl., siehe hierzu im 4. Teil: C. I. 5. a), Fn. 203, dort auch zur wortgleichen Vorauflage, die vor dem 6. StrRG publiziert wurde], Bd. 8, S. 3738. Vgl. auch die weitgehend übereinstimmenden Umschreibungen im Wahrig [siehe 4. Teil: C. I. 5. a), Fn. 204], S. 1416 [8. Aufl.] und S. 1179 [6. Aufl.]. Das Problem ist hier – wie häufiger bei der Wortlautauslegung [vgl. hierzu schon die Ausführungen im 4. Teil: C. I. 5. a) auf S. 116 und die Nachweise dort in Fn. 206] –, dass ein Begriff – hier das Imstichlassen – durchaus für mehrere Deutungsvarianten mit höchst unterschiedlichem Bedeutungsgehalt und inhaltlicher Reichweite offen ist. 295

C. Die Tathandlung der Aussetzung

139

Weise – ergibt der Wortlaut hier nicht. Dies spricht eher dafür, dass ein Imstichlassen keine räumliche oder sonstige Verbundenheit verlangt und damit auch eine entsprechende tatbestandliche Begrenzung aus dem Wortlaut nicht herleitbar ist. Schon nach dem Wortgebrauch fällt es demzufolge schwer, das Erfordernis der räumlichen Nähebeziehung mit dem weiten Verständnis der zweiten Tathandlung zu verbinden, anders gesagt: Die Autoren, die einerseits das Imstichlassen weit verstehen wollen, andererseits aber räumliche Einschränkungen verlangen, handeln im Hinblick auf die möglichen Bedeutungen des Imstichlassens zumindest nicht folgerichtig. Betrachtet man die weiteren Argumente der Befürworter der Einschränkung, so fällt auf, dass diese häufig damit begründet wird, es drohe eine „ungewollte und nicht hinnehmbare Ausdehnung der Strafbarkeit“299, die Anwendung des § 221 StGB erscheine „nicht angemessen“300 oder die Einschränkung sei erforderlich, um „im Einzelfall“ „sachgerechte Ergebnisse“ zu erreichen301. Die Behauptung des Ausschlusses als sachgerecht oder als Einzelfall ist eine kriminalpolitisch motivierte Petitio, für deren Legitimität sich kein Anknüpfungspunkt finden lässt. Die Befürworter der Einschränkung entwickeln kein festgefügtes und durchdachtes System, sondern verlangen nur den Ausschluss einiger – als weniger strafwürdig empfundener – Fälle302, die von § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB nicht erfasst werden sollten, könnten oder dürften. Dabei hätte es in der Reformgeschichte der Aussetzungsnorm einen guten Anhaltspunkt für eine wirkliche Begründung gegeben. Im Rahmen der Beratungen zum KE 1913 wurde nämlich aus der ursprünglichen Fassung „hilflos läßt“ der zweiten Tatvariante ein „in hilfloser Lage läßt“, um damit zu verdeutlichen, dass hier nicht die Fälle erfasst werden sollten, in denen „ein Wärter oder ein anderer Aufsichtspflichtiger die einem Kranken oder einem Kinde geschuldete Aufmerksamkeit vorübergehend bewußt versäumt“, sondern dass „der Begriff ‚hilflos läßt‘ vielmehr in einem engeren Sinne verstanden“ werden sollte303. Davon abgesehen, dass das Anknüpfen an die Überlegung dieses alten Entwurfs ohne konkreten Hinweis des Gesetzgebers von 1998 problematisch erscheint, ist aber die Übertragbarkeit dieser Begründung eines engeren Verständnisses beim Imstichlassen aus einem einfachen Grund abzulehnen: Damals sollten Wärter oder Aufsichtspflichtige, wenn sie die ihrem Schützling geschuldete Aufmerksamkeit bewusst versäumen, vom Tatbestand nicht erfasst werden. 299 LK-StGB11-Jähnke [07/1999], § 221 Rn. 29; kritisch hierzu auch MüKoStGB-Hardtung, § 221 Rn. 17 Fn. 53 a. E. 300 NK-StGB2-Neumann, § 221 Rn. 24. 301 Lucks, S. 206. 302 Ebenso Laue, S. 98. 303 257. Sitzung der 2. Lesung vom 25.06.1913, in: Reformkommission [1911–1913], Protokolle, Bd. 4, S. 457; vgl. schon im 3. Teil: B. I. 4. auf S. 60.

140 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

Wegen genau desselben Verhaltens sollte aber die Krankenschwester, die am Bett des Pfleglings untätig bleibt, nach dem eindeutigen Willen vieler späterer Reformentwürfe bestraft werden304. Damit kann auch dieser Ansatz die Einschränkung der zweiten Tathandlung nicht begründen. Gerade das Beispiel einer sich untätig verhaltenden Krankenschwester liefert also ein weiteres deutliches Argument gegen die Einschränkungskonzepte, seien sie räumlich oder normativ begründet: Die untätige Krankenschwester ist das „Standardbeispiel“ für die Erweiterung der Tathandlungen305. Dasselbe muss dann auch für den Stationsarzt gelten, der bei Vorliegen einer hilflosen Lage für einen Patienten auf seiner Station untätig bleibt. Worin soll man denn den sachlichen Unterschied zwischen der Krankenschwester und dem im Krankenhaus tätigen Arzt sehen? Beide sind den Patienten ihrer Station gegenüber hilfs-, pflege- und beistandspflichtig. Würde man dies anders beurteilen und nur der Krankenschwester eine „Sonderpflicht“ gegenüber dem Kranken auferlegen, so würde man eine Art „Sonderstrafrecht“ für Krankenschwestern schaffen, für das keine stichhaltige Begründung zu finden ist. Wenn nun aber das Personal im Krankenhaus besonders für das Wohl und Wehe des Patienten zu sorgen hat, ergibt sich die Folgefrage: Wo ist der Unterschied zwischen dem Stationsarzt und einem Arzt, der den hausärztlichen Notfalldienst („Bereitschaftsarzt“306) übernommen hat? Aufgabe von beiden ist es, in ihrem Verantwortungsbereich gesundheitliche Schädigungen der ihnen anvertrauten Menschen zu verhindern und diesen zu helfen. Dies ist eine allgemeine Aufgabe von Ärzten, wie sie auch in § 1 Abs. 2 MBO-Ä niedergelegt ist. Bedenkt man nun, dass für einen niedergelassenen Arzt der Notfalldienst gem. § 26 Abs. 1 MBO-Ä verpflichtend ist307, so ist kein Grund ersichtlich, wieso für ihn dann während dieser Zeit § 1 Abs. 2 MBO-Ä nicht gelten sollte, mit anderen Worten: Er ist verpflichtet, einem Notruf Folge zu leisten und – soweit ein Notfall vorliegt – zu Hilfe zu kommen. Eben dies hat der Bundesgerichtshof308 schon vor Jahrzehnten klargestellt, als er betonte, „daß der Bereitschaftsarzt eine strafrechtlich geschützte Rechtspflicht nicht nur gegenüber der kassenärztlichen Einrichtung, sondern gegenüber der Bevölkerung hat, in dringenden Fällen ein304

E 1925, Begründung, S. 119; E 1927, Begründung, S. 130; E 1960, S. 260, und E 1962, S. 277, sowie Ndschr. Bd. 7 [1959], S. 96 f., 101; Jäger, JuS 2000, 33; Lucks, S. 219. So auch für Österreich EBRV 1971, S. 211. 305 Von Krey/Heinrich, BT I13, Rn. 138, als „Schulbeispiel“ der zweiten Tathandlung bezeichnet. 306 Oder – quasi „auf halber Strecke“ – dem Stationsarzt in Rufbereitschaft; zu den Begriffen Erlinger, S. 116 f. 307 So auch Erlinger, S. 117; Rieger-Rieger, Rettungsdienst Rn. 2. 308 BGHSt 7, 211 [212].

C. Die Tathandlung der Aussetzung

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zugreifen. Das ergibt sich, wie das angefochtene Urteil (erg.: des Landgerichts Berlin) zutreffend darlegt, aus dem Wesen des Bereitschaftsdienstes und dem überragenden Interesse der Bevölkerung, nicht zuletzt der Ärzteschaft selbst, an seiner geordneten Durchführung. Wer als Bereitschaftsarzt den Schutz der Bevölkerung gegenüber gesundheitlichen Gefahren übernimmt, muß schon deshalb für pflichtwidriges Unterlassen ebenso einstehen wie für tätiges Handeln, weil die Pflichten anderer Ärzte gegenüber ihren Patienten für die Dauer des Bereitschaftsdienstes mindestens erheblich eingeschränkt werden“. Dieser Einschätzung folgt die weit überwiegende Zahl der Autoren im Schrifttum309, und zwar unabhängig davon, ob der Arzt schon vorher eine Behandlung an dem Patienten durchgeführt hat oder ob er „nur“ Bereitschaftsarzt ist310. Die Ärzte sind gerade wegen ihrer Eigenschaft als Garanten zur Hilfe verpflichtet und gegebenenfalls wegen Tötungsdelikts oder Körperverletzung zur Verantwortung zu ziehen311. Damit hat insbesondere der ärztliche Notfalldienst die Aufgabe, zu Hilfe zu eilen, wenn er von einem Notfall erfährt, der sich für ihn auch als solcher darstellt312; genau dies entspricht übrigens dem „Erwartungshorizont“ der Bevölkerung gegenüber diesen institutionell begründeten Notdiensten313. Die Ärzte vom Tatvorwurf der Aussetzung auszuschließen, weil sie nicht örtlich anwesend sind, hieße – um es bildhaft zu umschreiben – Feuerwehrmänner nur dann zum Löschen zu verpflichten, wenn sie bei der Entstehung 309 Schulz, S. 49; Gallas, Studien, S. 83 f.; Broglie, ZfAR 1992, 13, 15; Jescheck/Weigend, AT5, § 59 IV 3c; Laufs/Uhlenbruck, § 139 Rn. 16, § 141 Rn. 2; Geppert, Jura 2005, 44 Fn. 62; Kühl, AT5, § 18 Rn. 74; Pfleiderer/Schubert, MedR 2005, 594; Schönke/Schröder-StGB27-Stree, § 13 Rn. 28a; differenzierend Ranft, JZ 1987, 914; SK-StGB7-Rudolphi [09/2000], § 13 Rn. 61; Roxin, AT II, § 32 Rn. 75 a. A. Erlinger, S. 120. So aber auch die Rechtsprechung, z. B. OLG Hamm NJW 1975, 604 [605]; AG Jever MDR 1991, 441; auch OLG Köln, Urteil vom 21.07.1995 – Ss 328/95 – 100 [unveröffentlicht], setzt dies stillschweigend voraus. 310 Schulz, S. 49 f.; Broglie, ZfAR 1992, 13, 15; Laufs/Uhlenbruck, § 139 Rn. 16; a. A. Ranft, JZ 1987, 914; SK-StGB7-Rudolphi [09/2000], § 13 Rn. 61; Roxin, AT II, § 32 Rn. 75. 311 BGHSt 7, 211 [212]; Gallas, Studien, S. 84; Broglie, ZfAR 1992, 15; Laufs/ Uhlenbruck, § 141 Rn. 2; Pfleiderer/Schubert, MedR 2005, 594; Geppert, Jura 2005, 44 Fn. 62; Kühl, AT5, § 18 Rn. 74; grundsätzlich ablehnend Erlinger, S. 120. 312 D.h. er muss natürlich alle Voraussetzungen des § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB in seinen Vorsatz aufgenommen haben. Erkennt er schon aus der Schilderung des Anrufers, dass kein Notfall gegeben ist, so kann er sich auf Ratschläge beschränken oder den Patienten in seine [Notfall-]Sprechstunde einbestellen. Bei Zweifeln über Art und Umfang der Erkrankung wird der Arzt aber zu dem Patienten fahren müssen, um einer Haftung aus § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB zu entgehen. 313 Diesen Aspekt betont Kühl, AT5, § 18 Rn. 74; ähnlich schon Gallas, Studien, S. 84.

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des Brandes vor Ort sind. Zutreffend betont daher auch Laue314, dass kein Anlass besteht, „eine optimale oder gar die einzige Hilfe aus dem Tatbestand“ allein wegen fehlender örtlicher Nähe auszuklammern, sondern dass vielmehr der Schutzzweck der Norm – die Abwendung von Gefahren – der räumlichen Einschränkung entgegensteht. Wieso die genannten Autoren dies in Frage stellen, bleibt unklar: In dem Fall, in dem es nach der Verweigerung der Behandlung durch den Arzt im Notfalldienst zu einer Verletzung der körperlichen Integrität des Patienten oder gar dessen Tod kommt, steht die Strafbarkeit aus (vorsätzlicher oder fahrlässiger) Körperverletzung oder gar Tötung durch Unterlassen außer Frage315, soweit die tatbestandlichen Voraussetzungen erfüllt sind, und zwar unabhängig von der örtlichen Anwesenheit des Arztes beim Patienten. Wieso dann bei einem Gefährdungsdelikt höhere Voraussetzungen erfüllt werden sollen als bei einem Verletzungsdelikt mit einem höheren Strafrahmen, bleibt nebulös. Damit erscheint der Ausschluss der Ärzte, die einen Hausbesuch verweigern, gerade im Vergleich zur Krankenschwester, die untätig bleibt, willkürlich und nicht durch sachliche Argumente begründbar. Haus- und Notärzte und auch andere Garanten kraft institutioneller Verpflichtung genießen ein besonders Vertrauen der Bevölkerung, was sich teilweise aus der Institution, teilweise aus den besonderen Fähigkeiten und Kenntnissen ergibt. Gerade deshalb sind sie nicht aus der Haftung des § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB zu entlassen, sondern fallen auch in den Anwendungsbereich dieser Norm316. Die Idee, bei den vorstehend beschriebenen Verhaltensweisen die Strafbarkeit von Ärzten auf die Fälle eines räumlichen Beieinanders zu beschränken, ist an sich nicht neu; vielmehr gab es eine entsprechende Diskussion auch bei § 323c StGB317. Dort wurde nach einer teilweise vertretenen Ansicht der Wortlaut der Formulierung „bei Unglücksfällen“ dahingehend interpretiert, der Hilfspflichtige müsse örtlich bei dem Unglücksfall anwesend sein318. Das zweite Hauptargument neben dem Wortlaut war und ist, nur von Personen, die sich am Unglücksort befänden, könne erwartet werden, dass sie helfen, weil sie quasi mitbetroffen 314

Laue, S. 96. Broglie, ZfAR 1992, 13; Geppert, Jura 2005, 44 Fn. 62. 316 Ebenso Laue, S. 98. 317 Laue, S. 95. 318 E. Schmidt, Besuchspflicht, S. 14; Gallas, JZ 1952, 396, 398; Welzel, NJW 1953, 328; ders., StR11, S. 472; Bockelmann, BT 3, S. 219; Arzt/Weber, BT, § 39 Rn. 20 f. Nach Seebode, FS Kohlmann, S. 285, ist die weite Auslegung „noch mit dem Wortlaut“ zu vereinbaren. Die Argumente dieser Ansicht fasst Haubrich, S. 288 f., zusammen. 315

C. Die Tathandlung der Aussetzung

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seien319. Ansonsten würden die Pflichten aus § 323c StGB überspannt320 und eine „unerträgliche Rechtsunsicherheit“321 oder „uferlose“ Ausweitung des Tatbestandes322 könnte entstehen. Allerdings wird diese Ansicht heute kaum mehr vertreten, die überwiegende Ansicht will der räumlichen Entfernung nur im Rahmen der Zumutbarkeit der Hilfeleistung Relevanz einräumen und ansonsten auf das Merkmal einer räumlichen Nähe verzichten323. Als Argument wird auch hier der Wortlaut angeführt, der i. S. v. „anlässlich eines Unglücksfalles“ zu verstehen sei324. Zudem spreche der Sinn des § 323c StGB – die Gewährung sicherer und effektiver Hilfe für das Opfer – dafür, die Tat in einem funktionalen Sinne weit zu verstehen; andernfalls würde man die vielleicht einzige qualifizierte Person, die aufgrund ihres Fachwissens besonders effektiv Hilfe leisten könnte325, sinnwidrig aus dem Tatbestand ausschließen326. Dies würde zu einer schwer vertretbaren Einengung des Tatbestandes führen und der heutigen Technisierung und Arbeitsteilung zuwiderlaufen327. Außerdem sei die räumliche Nähe bei den Fällen der Not und der gemeinen Gefahr unstreitig nicht erforderlich, und der Tatbestand einheitlich auszulegen, um Widersprüche zu vermeiden328. Schließlich wird der einengenden Ansicht noch vorgehalten, dass sie – sinnwidrig im Hinblick auf die behauptete „Appellfunktion“ der Anwesenheit beim Unglücksfall – nicht nur die den Unglücksfall unmittelbar erlebenden Anwesenden bestrafen wolle, 319 E. Schmidt, Besuchspflicht, S. 14; Bockelmann, BT 3, S. 219; Arzt/Weber, BT, § 39 Rn. 21. Dies umschreibt Gallas, JZ 1952, 396, 398 als „den Bannkreis des Unheils“; ähnlich Seebode, FS Kohlmann, S. 285. 320 Gallas, JZ 1952, 396, 398; Welzel, NJW 1953, 328. 321 Arzt/Weber, BT, § 39 Rn. 21. 322 Welzel, NJW 1953, 328. 323 BGHSt 2, 296 [298]; 21, 50 [53]; Blindauer, S. 88; Vermander, S. 74 f.; Schöne, S. 86; Geilen, Jura 1983, 138 f.; LK-StGB11-Spendel [10/1995], § 323c Rn. 107 f.; SK-StGB7-Rudolphi [10/1999], § 323c Rn. 18; Geppert, Jura 2005, 44; NK-StGB2-Wohlers, § 323c Rn. 3; Schönke/Schröder-StGB27-Cramer/SternbergLieben, § 323c Rn. 25; Lackner/Kühl, StGB26, § 323c Rn. 4. Darstellend mit Abwägung einer Vielzahl von Argumenten, letztlich aber wohl dem nichträumlichen Verständnis zuneigend, Haubrich, S. 287 ff., 412 ff. 324 BGHSt 21, 50 [53]; Vermander, S. 74; Schöne, S. 85, 88; SK-StGB7-Rudolphi [10/1999], § 323c Rn. 18; Geppert, Jura 2005, 44; a. A. Blindauer, S. 84; Haubrich, S. 290. 325 BGHSt 2, 296 [298]; Vermander, S. 75. 326 Blindauer, S. 86 f.; Schöne, S. 86; LK-StGB11-Spendel [10/1995], § 323c Rn. 108; SK-StGB7-Rudolphi [10/1999], § 323c Rn. 18; Geppert, Jura 2005, 44; Lackner/Kühl, StGB26, § 323c Rn. 4. 327 Geilen, Jura 1983, 138 f.; Schönke/Schröder-StGB27-Cramer/Sternberg-Lieben, § 323c Rn. 25. 328 Blindauer, S. 85; Haubrich, S. 291.

144 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

sondern auch denjenigen, der später hinzu kommt oder zu dem das Opfer gebracht wird329. Diese Argumente lassen sich weitgehend auf die zweite Tathandlung der Aussetzung übertragen und sprechen damit genauso gegen das räumlich einengende Verständnis beim Imstichlassen wie ein weiterer Gesichtspunkt: Ein häufig erhobener Vorwurf gegen § 323c StGB lautet, dass er für einen Unbeteiligten ein Handlungsgebot statuiert, das nur auf einen Solidaritätsappell gründet330. Dies ist aber bei § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB anders, weil dort eine Obhuts- oder Beistandspflicht gefordert wird: Grundlage der Pflicht zum Einschreiten ist eine konkret bestehende Rechtspflicht und nicht nur die „Jedermannsolidarität“. Gegen das auf die räumliche Nähe abstellende Argumentationsmuster zur Einschränkung spricht zu guter Letzt noch ein weiterer Aspekt: Die Umformulierung und Erweiterung der zweiten Tathandlung diente gerade dazu, die Fälle der unterlassenen Rückkehr, die vorher nicht problemlos unter das Verlassen subsumiert werden konnten, in den Tatbestand mit einzubeziehen. Gerade diese Fälle zeichnen sich dadurch aus, dass bei der Tathandlung keine räumliche Nähe zwischen Täter und Opfer besteht, vielmehr der Täter nur seiner Pflicht zur Rückkehr nicht nachkommt. Diese Konstellationen – um derentwillen der Tatbestand erweitert wurde – könnten nach den Konzepten, die einschränkend eine räumliche Nähe verlangen, nicht erfasst werden. Ein schwerlich begründ- und vertretbares Ergebnis! Wollte man nun einwenden: „Aber es bestand ja vorher einmal eine räumliche Beziehung zwischen Täter und Opfer“, so ist dies sicher zutreffend, würde aber zur Folgefrage führen, wie weit man zeitlich und räumlich zurückgehen kann und darf, um das Fortbestehen einer räumlichen Beziehung zu begründen. Hier ließe sich ein einheitliches und stimmiges Konzept kaum erstellen und begründen. Die Zufälligkeit des Zusammenseins oder Nichtzusammenseins ist daher ungeeignet, als Anknüpfungspunkt für eine Einschränkung zu dienen331. Wieder anders sieht dies Neumann, wenn er davon ausgeht, die institutionell begründeten Hilfspflichten brächten eine niedrigere Vertrauenserwartung mit sich als eine persönliche Vertrauensbeziehung und bei ausschließlich institutionell begründeten, durch wechselnde Personen wahrzunehmenden Rettungspflichten fehle dieses Vertrauen332. Allerdings: Woraus soll sich das „niedrigere“ Vertrauen ergeben? Aus der beruflichen Stellung oder der Tatsache der wechselnden Personen? Die Krankenschwester im Krankenhaus wechselt genauso wie der dort behandelnde Arzt die Schicht und 329 330 331 332

Geilen, Jura 1983, 138. Seebode, FS Kohlmann, S. 283. In diese Richtung auch Laue, S. 98. NK-StGB2-Neumann, § 221 Rn. 30.

C. Die Tathandlung der Aussetzung

145

sie sind beide kraft ihrer beruflichen Stellung im Krankenhaus zur Hilfe dem Patienten gegenüber verpflichtet. Ist nicht sogar im Gegenteil das Vertrauen auf Hilfe durch beruflich verpflichtete (und auch entsprechend qualifizierte) Personen größer als gegenüber örtlich nahen und persönlich bekannten, aber eventuell weniger qualifizierten Menschen? Im Übrigen würde es dann hochproblematisch, wenn man mit Schroeder333 auch Angehörige dem Personenkreis zurechnen würde, für den die Einschränkung angedacht werden kann. Denn diese sind gerade nach Neumann Personen mit einer besonderen Vertrauensbeziehung. Dann blieben am Ende fast nur noch die Ingerenzgaranten übrig, und warum man den Personen, die jemanden in eine Gefahr bringen, besonderes Vertrauen schenken soll, wird kaum zu begründen sein. Auch die Idee von Lucks334, eine „enge persönliche Beziehung“, die zur Verpflichtung aus § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB führen soll, dann anzunehmen, wenn sich der Täter vertraglich zum Beistand verpflichtet hat, kann nicht überzeugen: Nach überwiegender Meinung ist nicht das Vorliegen eines (wirksamen) Vertrages das Kriterium für die Entstehung einer Garantenstellung, sondern die tatsächliche, faktische Übernahme einer entsprechenden Pflicht335. Eine solche tatsächliche Übernahme von (Schutz-)Pflichten liegt aber – wie gerade ausgeführt – beim ärztlichen Notfalldienst vor. Zudem erweist sich ein weiteres Argument von Lucks336 als nicht tragfähig: Sie geht davon aus, dass derjenige, der noch zu telefonieren vermag, nicht auf die Hilfe des (ersten) Angerufenen angewiesen ist, weil er noch einen weiteren Helfer anrufen könne. Damit bestehe keine hilflose Lage und keine Pflicht des Angerufenen zur Hilfeleistung. Erstens verkennt sie hier, dass der angerufene Arzt gerade Bereitschaft hat und von daher „stärker“ in der Pflicht ist als andere Ärzte337. Zweitens ist es dem Notfallarzt genauso wie dem Hausarzt bei eigener bestehender Pflicht gerade verwehrt, auf einen anderen Arzt zu verweisen, soweit dieser keine bessere oder schnellere Möglichkeit zur Hilfe hat338. Ansonsten ließe sich mit diesem Argument nämlich jegliche Haftung von jedem Arzt und Rettungsdienst vermeiden: Wer will in einer Stadt widerlegen, dass nicht irgendein anderer Arzt hätte helfen können? Folgte man der Lucksschen Konstruktion, wäre entsprechenMaurach/Schroeder/Maiwald, BT 19, § 4 Rn. 12. Lucks, S. 207. 335 BGHSt 47, 224 [229]; Roxin, AT II, § 32 Rn. 13; Schönke/SchröderStGB27-Stree, § 13 Rn. 28; Tröndle/Fischer, StGB54, § 13 Rn. 7; Lackner/Kühl, StGB26, § 13 Rn. 9; Wessels/Beulke, AT37, Rn. 720; alle m. w. N.; so explizit für einen Arzt Laufs/Ulsenheimer, § 140 Rn. 14. 336 Lucks, S. 205 f. 337 Vgl. die Nachweise im 4. Teil: C. I. 5. d) bb) (1) in Fn. 308 und 309. 338 BGHSt 7, 211 [212]; Haubrich, S. 414. 333 334

146 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

den Schutzbehauptungen Tür und Tor geöffnet. Andererseits würde bei diesem Verständnis die Aussetzung in der zweiten Variante neben einem Delikt für die „Hochgebirgskriminalität“339 zusätzlich noch ein solches für ländliche Gegenden enthalten, wo es nur einen Arzt gibt, der sich seiner Verpflichtung nicht durch Verweis auf andere Ärzte entziehen kann, ein „Landarztdelikt“ sozusagen. Das war aber sicher nicht der Wille des Gesetzgebers bei der Änderung und Erweiterung der zweiten Tathandlung. Lucks verkennt darüber hinaus, dass die Rettung des Anrufers in der Regel von der Schnelligkeit der zu leistenden Hilfe abhängt340. Ansonsten wäre man – Lucks folgend – verpflichtet, so lange verschiedene Ärzte anzurufen, bis einem im wahrsten Sinne des Wortes die Luft wegbleibt. Der zuletzt angerufene Arzt wäre dann zur Verantwortung zu ziehen. Es kann dem Patienten oder Opfer schon aus Gründen des Opferschutzes wohl kaum zugemutet werden, alle Ärzte anzurufen, die keinen Notdienst haben; denn häufig hängt die Rettung des Hilfsbedürftigen entscheidend davon ab, wie schnell Hilfe geleistet wird. Haubrich umschreibt dies bildhaft und sehr zutreffend als „Wettlauf mit dem Tod“341. Das Argument von Lucks mutet darum nahezu makaber an. Abschließend muss man feststellen: Garanten sind gerade die Täter, die § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB im Blick hat, und deren pflichtwidriges Nichtleisten von Beistand und Hilfe sollte – wenn es zum Gefahrenerfolg kommt – nach dieser Norm strafbar sein. Die „Berufsretter“ kraft Institution, insbesondere die Bereitschaftsärzte, sind Garanten schlechthin, und wenn diese die von ihnen erwartete Hilfsund Beistandspflicht verletzen, erfüllt das den Tatbestand des § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB. Dies mag man als hart empfinden, aber das Imstichlassen ist eben weit und lässt für eine Einschränkung auf der Ebene der Garanten keinen Raum. Wenn der Gesetzgeber „übersehen“ haben sollte, dass er jetzt viel mehr Fälle als früher erfasst, so ist es nicht Aufgabe der Literatur, dies korrigierend im Wege eines Einschränkungskonzeptes wieder „geradezubiegen“. Es ist nicht Aufgabe von Rechtsprechung und Lehre ein vom Gesetzgeber „deformiertes Strafrecht durch Deformierung der juristischen Auslegungsregeln“ einzuschränken342, vielmehr kann vor dem Hintergrund des 339

Küper, ZStW 111 [1999], 32. So schon Haubrich, S. 414. 341 Haubrich, S. 414. Als Beispiel kann hier der Sachverhalt von BGHSt 17, 166 [167] dienen. 342 So zu einer ähnlichen Problemlage bei der Auslegung des – ebenfalls durch das 6. StrRG eingefügten – Tatbestandsmerkmals „Beisichführen eines gefährlichen Werkzeuges“ in §§ 244 Abs. 1 Nr. 1a, 250 Abs. 1 Nr. 1a StGB Bussmann, StV 1999, 620. 340

C. Die Tathandlung der Aussetzung

147

Gewaltenteilungsgrundsatzes nur der Gesetzgeber eine zu weitgehende Norm wieder zurechtrücken. Eine selbstverständliche, sich aus dem subjektiven Tatbestand ergebende Einschränkung für die „Berufshelfer“ ist damit in erster Linie die Frage, ob sie Kenntnis von der ihre Hilfspflicht auslösenden Situation haben oder nicht343. Bei Kenntnis gibt es aber – wie soeben dargelegt – keinen sachlichen Grund, die Haftung für „Berufsretter“ an engere Voraussetzungen zu knüpfen als für andere Garanten. (2) Einschränkung über die hilflose Lage vor der Tat und über die Obhuts- oder Beistandspflicht Eingeschränkt wird die zweite Tatvariante der Aussetzung jedoch über das Merkmal der Obhuts- oder Beistandspflicht und durch die Tatsache, dass die hilflose Lage – nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut – vor der Tathandlung des Imstichlassens bestehen muss344. Dies sind zwar keine Einschränkungen, die an das Imstichlassen anknüpfen, aber dennoch Bedingungen, die sich beschränkend auf die zweite Variante des Grundtatbestandes auswirken. (3) Einschränkung aufgrund der Einordnung in die Kategorien der Tatbestände Daneben ist das oben angesprochene Problem noch ungeklärt345, ob bei § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB nur die mögliche, erforderliche und zumutbare Hilfe vom Obhutspflichtigen verlangt werden kann oder ob es dieser Einschränkungen des Tatbestandes nicht bedarf. Entscheidend für die Lösung dieser Frage ist die Ermittlung des Tatbestandstyps der zweiten Tatvariante, da sich aus ihr Aussagen zu den genannten Einschränkungen herleiten lassen. Darum ist zuerst der grundlegenden Frage nach der Einordnung der zweiten Tathandlung in die Kategorien der Tatbestände nachzugehen. e) Der Tatbestandstyp des § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB Für die Einordnung der zweiten Tatvariante der Aussetzung in eine Deliktskategorie ist zu entscheiden, ob es sich um ein Begehungsdelikt oder ein (un)echtes Unterlassungsdelikt handelt, ob § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB den 343 344 345

Lucks, S. 205. So zu § 323c StGB Geilen, Jura 1983, 138 f. Vgl. hierzu später im 4. Teil: E. II. 1. b) aa). Siehe im 4. Teil: C. I. 2. b) am Ende des Abschnittes.

148 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

Unterlassungstatbestand zu § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB darstellt oder ob sich das Imstichlassen dieser Einordnung entzieht und ein Delikt sui generis ist. aa) Begehungsdelikt oder Unterlassungsdelikt Für die Einordnung als Begehungsdelikt i. S. eines Begehens durch aktives Tun wird – wie dargelegt346 – hauptsächlich auf den phänomenologisch erkennbaren äußeren Vorgang abgestellt oder die Existenz des Taterfolges i. S. der Gefährdungsklausel (= konkrete Gefahr) bzw. der Charakter der Aussetzung als (Gefahren-)Erfolgsdelikt in den Mittelpunkt gestellt. Beide Ansatzpunkte sind aber nicht zutreffend und können die Einordnung des Imstichlassens als Begehungsdelikt nicht begründen. (1) Wortlaut der zweiten Tatvariante als Anhaltspunkt Man könnte vordergründig aus der Formulierung Imstichlassen folgern, dass es sich um ein Unterlassungsdelikt handeln muss347, weil das Wort „lassen“ auf den passivischen Charakter eines Verhaltens hinweist348. Die Frage, ob mit der Formulierung einer Tathandlung als „Lassen“ eine automatische Festlegung des Tatbestandstypus als Unterlassungsdelikt einhergeht, wurde bereits von Güntge gründlich und ausführlich behandelt349. Dieser hat festgestellt, ein Grundsatz der Art, dass alle Delikte, deren tatbestandliche Handlung mit einem „Lassen“ beschrieben werden, das Unterlassen mitenthalten oder sogar Unterlassungsdelikte darstellen, lasse sich nicht belegen350. Vielmehr sei die Frage, ob ein Tatbestand ein Unterlassungsdelikt darstellt oder ob er gewisse Verhaltensweisen des Unterlassens tatbestandlich direkt miterfasst, von Tatbestand zu Tatbestand unterschiedlich zu beantworten. Die Antwort ergebe sich weniger aus dem Wortlaut der Tathandlung als aus dem Inhalt des Tatbestandes und der Tathandlung351. Ein wesentlicher Anhaltspunkt für oder gegen die Einordnung als 346

Vgl. im 4. Teil: C. I. 3. b) bb). In diese Richtung Lucks, S. 219. 348 So für das öStGB Triffterer, AT2, Kap. 14 Rn. 3. Vgl. insoweit die Wortbedeutung im Duden, [3. Aufl., siehe 4. Teil: C. I. 5. a) Fn. 203], Bd. 5, S. 2357 f. in Ziffer 2a als „zulassen, erlauben, dulden, nicht an etwas hindern“, Ziffer 2b als „jemandem etwas zugestehen, jemanden nicht behindern“, Ziffer 6a als „unterlassen, nicht tun, einstellen“ oder Ziffer 6b „von etwas absehen, etwas weiterhin nicht tun“. Die weiteren Bedeutungen im Duden [Fundstelle wie zuvor] beschreiben hingegen nicht zwingend und automatisch nur passive Verhaltensweisen. 349 Güntge, Unterlassen, S. 150 ff. 350 Güntge, Unterlassen, S. 150 ff., insbesondere S. 164, zu zahlreichen Tatbeständen vor Inkrafttreten des 6. StrRG. 347

C. Die Tathandlung der Aussetzung

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Unterlassungsdelikt sei darin zu sehen, ob die Garantenstellung gegenüber dem geschützten Rechtsgut schon im Tatbestand mitgeregelt sei oder ob sie sich bei dem jeweiligen Delikt erst aus der Natur der Sache ergebe352. Übertragen auf die zweite Tatalternative der Aussetzung bedeutet das: Weil das Imstichlassen mit der Obhuts- oder Beistandspflicht die Garantenstellung im Wortlaut des Tatbestandes umschließt, hat man einen Hinweis darauf, dass das Imstichlassen ein Unterlassungsdelikt darstellen könnte. Diese Einschätzung teilt auch Güntge353, der bei der Untersuchung der zweiten Tathandlung a. F. zu dem Ergebnis kommt, das Verständnis des Verlassens als Imstichlassen würde das Delikt zu einem Unterlassungsdelikt umgestalten, soweit die Obhuts- oder Beistandspflicht im Tatbestand enthalten ist bzw. bleibt. Da der Gesetzgeber die weite Auslegung des Verlassens a. F. zum Wortlaut des Gesetzes gemacht hat und die Obhuts- oder Beistandspflicht weiterhin tatbestandliches Erfordernis einer Garantenstellung darstellt, ist hierin ein Anhaltspunkt dafür zu finden, dass die zweite Tatalternative der Aussetzung heute ein Unterlassungsdelikt ist. (2) Historische Anhaltspunkte für den Tatbestandstyp des § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB Für die Einordnung als Unterlassungsdelikt sprechen auch noch zwei historische Argumente. Ein erstes Argument kann man aus den Materialien der Großen Strafrechtskommission gewinnen354. Dort war man der Ansicht, dass einige Fälle der zweiten Aussetzungsvariante – es ging um Fälle der Verletzung einer Beistandspflicht ohne Steigerung der Lebensgefahr – auch mit der unterlassenen Hilfeleistung gemeinsam hätten geregelt werden können, weil jene sich gegen dasselbe Rechtsgut wie das Imstichlassen richteten und insoweit mit der Hilfspflichtverletzung des § 330c StGB a. F. (heute § 323c StGB) verwandt seien. Man beließ letztlich diese Fälle in der Aussetzungsnorm, weil stets die Verletzung einer „Beistandspflicht besonderer Art“ erforderlich wäre, was § 330c StGB a. F. tatbestandlich gerade nicht verlangte. Wenn nun aber diese Fälle mit der unterlassenen Hilfeleistung verwandt sind, die nahezu unstreitig als echtes Unterlassungsdelikt qualifiziert 351

Güntge, Unterlassen, S. 150. Güntge, Unterlassen, S. 150. 353 Güntge, Unterlassen, S. 101 f., 147 ff. So auch zur n. F. Baumann/Weber/ Mitsch, AT11, § 15 Rn. 2. 354 Zum Ganzen Ndschr. Bd. 7 [1959], Anhang J 68, S. 338. 352

150 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

wird355, so spricht dies dafür, dass die Aussetzung in der zweiten Tatvariante heute auch den Charakter eines – echten oder unechten, jedenfalls aber die Natur eines – Unterlassungsdelikts aufweisen sollte. Zweitens wurde bei der Diskussion über den Inhalt des Verlassens in § 221 StGB a. F. vielfach betont, dass bei einem weiten Verständnis des Verlassens i. S. eines Imstichlassens aus dem – bisher als Begehungsdelikt eingeordneten – Delikt ein (echtes oder unechtes) Unterlassungsdelikt werden würde356. Dies wird auch durch die früher vertretene Auffassung bestätigt, dass das weite Verständnis letzten Endes die zweite Tatvariante der Aussetzung zu einem um Obhuts- oder Beistandspflicht und Grad der Gefahr qualifizierten Fall der unterlassenen Hilfeleistung umgestalten würde357. Wenn das weite Verständnis der zweiten Tathandlung mit der Umformulierung des Tatbestandes durch den Gesetzgeber zum geltenden Recht geworden ist, muss man konsequent auch von einer Änderung des Tatbestandstyps ausgehen, und zwar hin zu einem Unterlassungsdelikt. Ob es sich dabei um ein (un-)echtes handelt, soll hier noch nicht interessieren, sondern erst später aufgegriffen werden358. (3) Systematische Aspekte für die Bestimmung des Tatbestandstyps der zweiten Tatvariante Gerade auf systematischer Ebene lassen sich einige Argumente für die Einordnung der zweiten Tatvariante als Unterlassungsdelikt bzw. gegen die Einordnung als Begehungsdelikt durch Tun finden. (a) Bildung des unechten Unterlassungsdelikts zu § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB über § 13 Abs. 1 StGB Unterstellt, die Qualifizierung des § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB als „normales“ Begehungsdelikt wäre zutreffend, so müsste sich zu dem Begehungs355 SK-StGB7-Rudolphi [10/1999], § 323c Rn. 3; Geppert, Jura 2005, 40; NKStGB2-Wohlers, § 323c Rn. 3; Tröndle/Fischer, StGB54, § 323c Rn. 1; alle m. w. N.; zweifelnd [„Annäherung an die unechten Unterlassungsdelikte“] Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 29, § 55 Rn. 7. 356 Für ein echtes Unterlassungsdelikt Ziehm, S. 32; Olshausen, RStGB11, § 221 Anm. 7; Redlich, S. 49; Bockelmann, BT 2, S. 72; Schönke/Schröder-StGB25-Eser, § 221 Rn. 9a. Für ein unechtes Unterlassungsdelikt Dreher, JZ 1966, 580; Maurach, BT4, S. 47; offen gelassen von Güntge, Unterlassen, S. 102. Anders Feloutzis, S. 158, 184 ff. [„verkapptes Unterlassungsdelikt“]. 357 Dreher, JZ 1966, 580; H. J. Hirsch, ZStW 84 [1972], 381; Küper, Jura 1994, 519. 358 Vgl. 4. Teil: C. I. 5. e) cc).

C. Die Tathandlung der Aussetzung

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delikt aufgrund des allgemeinen strafrechtlichen Grundsatzes des § 13 StGB ein unechtes Unterlassungsdelikt bilden lassen359. Ein Unterlassen wird über § 13 Abs. 1 StGB dem Begehen durch Tun primär dann gleichgestellt, wenn bei Erfolgsdelikten eine sog. Garantenstellung gegeben ist360. Ob § 13 Abs. 1 StGB daneben weitere Anforderungen an die Gleichstellung von Tun und Unterlassen enthält, ist bis heute nicht endgültig geklärt361. Bei den sog. verhaltensgebundenen Delikten besteht weitgehend Einigkeit, dass hier – einzelfallbezogen für die Entsprechung von Tun und Unterlassen über die Garantenstellung hinaus – weitere Voraussetzungen erfüllt sein müssen362. Ein verhaltensgebundenes Delikt ist dann gegeben, wenn das Handlungsunrecht des Tatbestandes nicht nur in der Verursachung des tatbestandsmäßigen Erfolges besteht, sondern auch durch die Art und Weise seiner Herbeiführung mit Hilfe bestimmter Mittel geprägt ist363. Durch die Erweiterung der Tathandlung des Imstichlassens, weg vom nur räumlichen Verständnis und hin zur denkbar weitesten Auslegung, ist jeden359 So zur Aussetzung auch Lucks, S. 220. Vgl. allgemein zur Bildung des unechten Unterlassungsdeliktes zum Begehungsdelikt über § 13 StGB: SK-StGB7-Rudolphi [09/2000], § 13 Rn. 1, 14; Kühl, AT5, § 18 Rn. 1 f.; NK-StGB2-Wohlers, § 13 Rn. 1 f.; Schönke/Schröder-StGB27-Stree, § 13 Rn. 1; Tröndle/Fischer, StGB54, § 13 Rn. 2. 360 LK-StGB11-Jescheck [03/1992], § 13 Rn. 4, 6; Güntge, Unterlassen, S. 57 ff.; SK-StGB7-Rudolphi [09/2000], § 13 Rn. 17; Roxin, AT II, § 32 Rn. 225; Gropp, AT3, § 11 Rn. 79; Kühl, AT5, § 18 Rn. 2, 124; NK-StGB2-Wohlers, § 13 Rn. 19; Schönke/Schröder-StGB27-Stree, Vorbem §§ 13 ff. Rn. 135; Tröndle/Fischer, StGB54, § 13 Rn. 3, 17; a. A. Androulakis, S. 219 ff.; Arzt, JA 1980, 716 f.; Schürmann, S. 94 ff., 109; Kahlo, S. 322; MüKo-StGB-Freund, § 13 Rn. 44 ff., 190 ff. 361 Nitze, S. 26 [der aber im Ergebnis die Entsprechungsklausel für funktionslos erachtet, ders., S. 111, 188 f.] sowie Roxin, AT II, § 32 Rn. 218; Kühl, AT5, § 18 Rn. 122. Die überwiegende Ansicht in der Literatur [Nachweise sogleich in Fn. 362 sowie umfangreich darstellend Güntge, Unterlassen, S. 46 ff.; Roxin, AT II, § 32 Rn. 227 ff.; Nitze, S. 26 ff.] lehnt neben der Garantenstellung zusätzliche Voraussetzungen zur Feststellung der Gleichstellung ab, während teilweise – die Garantenstellung ergänzend – eine „Gesamtbewertung“ gefordert wird [so NK-StGB1-Seelmann (07/1994), § 13 Rn. 70 ff.; weitere Nachweise bei Jescheck/Weigend, AT5, § 39 V 1 Fn. 75] oder weitere zusätzliche Erfordernisse geprüft werden [z. B. Schürmann, S. 109, 117 ff., mit einer „unwertsbezogenen Betrachtung“ sowie Kahlo, S. 306 ff., 322, mit dem Erfordernis eines „Verschlechterungsmomentes“; ähnlich auch MüKoStGB-Freund, § 13 Rn. 193 f.]. 362 LK-StGB11-Jescheck [03/1992], § 13 Rn. 4, 6; SK-StGB7-Rudolphi [09/2000], § 13 Rn. 18 f.; Roxin, AT II, § 32 Rn. 225; Gropp, AT3, § 11 Rn. 79 f.; Kühl, AT5, § 18 Rn. 123; NK-StGB2-Wohlers, § 13 Rn. 19; Schönke/Schröder-StGB27-Stree, § 13 Rn. 2, 4; Lackner/Kühl, StGB26, § 13 Rn. 16; insoweit zustimmend auch Arzt, JA 1980, 716 f. 363 LK-StGB11-Jescheck [03/1992], § 13 Rn. 5; Schönke/Schröder-StGB27-Stree, § 13 Rn. 4; Lackner/Kühl, StGB26, Vor § 13 Rn. 32; zweifelnd MüKo-StGBFreund, § 13 Rn. 191 f.

152 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

falls heute die zweite Tatvariante gerade nicht mehr durch die Art und Weise der Herbeiführung der konkreten Gefahr als Taterfolg auf bestimmte Mittel beschränkt oder durch solche geprägt. Vielmehr ist jede Verletzung der Obhuts- oder Beistandspflicht durch einen Garanten ein tatbestandsmäßiges Verhalten i. S. der zweiten Tatalternative. Gegen die Einordnung von § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB als verhaltensgebundenes Delikt spricht im Übrigen auch, dass die Aussetzung nirgends – weder in der a. F. noch in der n. F. – als Beispiel für ein verhaltensgebundenes Delikt genannt wurde und wird364. Damit würde – unterstellt § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB ist ein Begehungsdelikt – zur Bildung des entsprechenden unechten Unterlassungsdelikts nach überwiegender Ansicht allein das Vorliegen einer Garantenstellung ausreichen müssen. Diese Garantenstellung enthält § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB nach fast einhelliger Einschätzung jedoch schon im Tatbestandsmerkmal der Obhuts- oder Beistandspflicht365. Damit stößt man auf einen überraschenden Befund: Wäre § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB ein „normales“ Begehungsdelikt, müsste man über § 13 Abs. 1 StGB ein unechtes Unterlassungsdelikt bilden können. Dann wäre zu fragen, was die Anwendung von § 13 Abs. 1 StGB auf diese Tatvariante an zusätzlichen Voraussetzungen für eine Gleichstellung von Tun und Unterlassen bringen könnte oder sollte. Die Antwort hierauf kann nur „nichts“ lauten, weil über § 13 Abs. 1 StGB keine weiteren tatbestandlichen Voraussetzungen mehr eingeführt werden können, die der Tatbestand mit der Obhuts- oder Beistandspflicht nicht schon im Normtext enthält. Die Annahme eines unechten Unterlassungsdelikts über § 13 Abs. 1 StGB würde also ein Tatbestandsmerkmal des § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB schlichtweg nur „verdoppeln“ und erscheint daher weder erforderlich noch logisch oder sinnvoll. (b) Kausalitätsbezogene Betrachtung des Imstichlassens Einen weiteren Gesichtspunkt, der dafür spricht, dass die Verhaltensweisen nach § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB Unterlassungsdelikte und nicht Begehungsdelikte darstellen, liefert eine Betrachtung des Inhalts der zweiten Tathandlung und der Kausalitätsverhältnisse. Mit dem Imstichlassen werden alle diejenigen Verhaltensweisen erfasst, die eine Verletzung der Obhuts- oder Beistandspflicht durch einen Garanten Vgl. z. B. die Aufzählungen bei Nitze, S. 165 ff.; LK-StGB11-Jescheck [03/1992], § 13 Rn. 5; Gropp, AT3, § 11 Rn. 79; Schönke/Schröder-StGB27-Stree, § 13 Rn. 4. Ebenso in Österreich; vgl. Kienapfel/Höpfel, AT8, Z 30 Rn. 20. 365 Vgl. 4. Teil: A. 364

C. Die Tathandlung der Aussetzung

153

beinhalten. Eine derartige Verletzung bedeutet in der Sache, dass der Garant seinen Pflichten gegenüber dem Opfer nicht nachkommt; er handelt nicht zu Gunsten des Opfers. Er tut nicht das, was seiner Garantenpflicht entspricht und was von ihm verlangt und erwartet wird, sondern er tut etwas anderes oder gar nichts. Garantenpflichtgemäß wäre das Verhalten, das die spezifische und erforderliche Hilfe gewährt. Ein Verhalten, das eine Verletzung der Garantenpflicht – mit den Worten von § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB: der Obhuts- oder Beistandspflicht – bedeutet, wird daher dieser Erwartung nicht gerecht. Der Garant tut also etwas Bestimmtes nicht. In diesem „Etwas-Erwartetes-Nicht-Tun“ besteht also die Verletzung der Obhuts- oder Beistandspflicht, sprich das Imstichlassen. Schon hier wird deutlich, dass der Schwerpunkt des Imstichlassens nicht auf dem liegt, was der Garant anstelle der erwarteten Verhaltensweise tut, sondern auf dem, was er nicht tut: nämlich seiner Obhuts- oder Beistandspflicht genügen. Setzt man nun die Verletzung der Obhuts- oder Beistandspflicht, das „Etwas-Erwartetes-Nicht-Tun“, in Bezug zum Taterfolg der zweiten Tatvariante, dem Eintritt der konkreten Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung, dann muss nach allgemeiner strafrechtlicher Dogmatik beim vorsätzlichen Begehungsdelikt der Taterfolg kausal i. S. der condiciosine-qua-non-Formel aus der Tathandlung erwachsen; beim Unterlassen „quasikausal“ i. S. der modifizierten condicio-sine-qua-non-Formel. Kausal i. S. der condicio-sine-qua-non-Formel oder der Äquivalenztheorie366 ist ein Tun für einen bestimmten Erfolg dann, wenn es nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele367. „Quasikausal“368 i. S. der modifizierten condicio-sine-qua-non-Formel369 ist ein Unterlassen für einen Erfolg, wenn das unterlassene Verhalten nicht 366 So ständige Rechtsprechung vgl. nur BGHSt 1, 332 [333]; 39, 195 [197 f.]; 45, 270 [294 f.], und vielfach in der Literatur vertreten z. B. Welzel, StR11, S. 43 ff.; Baumann/Weber/Mitsch, AT11, § 14 Rn. 8 ff.; Gropp, AT3, § 5 Rn. 13 ff.; Tröndle/ Fischer, StGB54, Vor § 13 Rn. 16. 367 Zur – in der Literatur inzwischen überwiegend vertretenen, neueren – Lehre von der gesetzmäßigen Bedingung, die im wesentlichen aber mit den Ergebnissen der condicio-sine-qua-non-Formel übereinstimmt [so bereits der Begründer dieser Lehre Engisch, FS von Weber, S. 260 f.; zustimmend Wessels/Beulke, AT37, Rn. 168a] und hier auch zur Ablehnung einer Kausalität führen würde, vgl. Jescheck/Weigend, AT5, § 28 II 4 f.; SK-StGB6-Rudolphi [06/1997], Vor § 1 Rn. 42 ff.; Kühl, AT5, § 4 Rn. 22 ff.; Schönke/Schröder-StGB27-Lenckner/Eisele, Vorbem §§ 13 ff. Rn. 75. 368 Den Begriff „kausal“ kann es beim Unterlassen naturgemäß nicht geben, da der Unterlassende den Dingen seinen Lauf lässt und gerade nicht in die Umwelt eingreift. Es wird daher schon bestritten, dass es beim Unterlassen eine Kausalität

154 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

hinzugedacht werden kann, ohne dass der tatbestandsmäßige Erfolg mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit entfiele. Ein erstes Kriterium für die Einordnung eines Verhaltens als Tun oder Unterlassen ist daher – für die überwiegende Ansicht im Schrifttum – die Betrachtung von tatbestandsmäßigem Verhalten und Taterfolg anhand der Kausalitätsverhältnisse370: Erfolgskausales Verhalten ist grundsätzlich Tun und damit Begehungsdelikt; Verhalten mit „Quasi-Kausalität“ im Hinblick auf den Taterfolg Unterlassen und damit Unterlassungsdelikt. Diese einfache Abgrenzung wird in den meisten Fällen mit dem allgemeinen Verständnis des Unterschieds zwischen Tun und Unterlassen übereinstimmen und hinreichend sein371. Untersucht man aber die Verhaltensweisen, die das Imstichlassen umfasst, so ergibt schon die einfache Anwendung der condicio-sine-qua-non-Formel, dass keine Kausalität gegeben ist. Denkt man sich beim Imstichlassen nämlich die Verletzung der Obhuts- oder Beistandspflicht weg, so ist dem Opfer damit auch noch nicht gedient bzw. geholfen. Vielmehr bleibt durch das i. S. der gesetzmäßigen Bedingung überhaupt geben kann. Ablehnend zu einer „Kausalität des Unterlassens“ Kaufmann, S. 61; Jakobs, AT2, 7. Abschn. Rn. 26, 29. Abschn. Rn. 15 ff.; Stoffers, GA 1993, 262, 265 f.; differenzierend Roxin, AT II, § 31 Rn. 1, 37 ff.; a. A. aber die herrschende Meinung [so BGHSt 48, 77 (92 ff.); Engisch, FS von Weber, S. 247, 264; R. Merkel, S. 270 f.; Gropp, AT3, § 11 Rn. 71; NK-StGB2-Puppe, Vor § 13 Rn. 117 ff.; Lackner/Kühl, StGB26, Vor § 13 Rn. 12; Tröndle/Fischer, StGB54, Vor § 13 Rn. 20; Wessels/Beulke, AT37, Rn. 711; ausführliche Darstellung auch bei Böhm, S. 25 ff.], die davon ausgeht, dass es auch beim Unterlassen einer Verbindung zwischen Tatverhalten und Taterfolg bedarf, die als „Quasikausalität“ bzw. modifizierte condicio-sine-qua-non-Formel bezeichnet wird; vgl. hierzu u. a. BGHSt 37, 106 [126]; Schlüchter, JuS 1976, 793 f.; Kühl, AT5, § 18 Rn. 35. 369 BGHSt 37, 106 [126]; 48, 77 [92 ff.]; BGH NStZ 1985, 26 [27]; StV 1985, 229; Schlüchter, JuS 1976, 794; Kühl, AT5, § 18 Rn. 36 ff.; Schönke/SchröderStGB27-Stree, § 13 Rn. 61; Lackner/Kühl, StGB26, Vor § 13 Rn. 12; Tröndle/Fischer, StGB54, Vor § 13 Rn. 20; LK-StGB12-Weigend [03/2007], § 13 Rn. 70 ff.; Wessels/Beulke, AT37, Rn. 711. Zur Risikolehre, die sogar höhere Anforderungen an die Verneinung der „Kausalität“ beim Unterlassungsdelikt stellt und damit hier erst recht zur Annahme derselben gelangt: ausführlich SK-StGB7-Rudolphi [09/2000], Vor § 13 Rn. 16 f., und Roxin, AT II, § 31 Rn. 51 ff. 370 Herzberg, Unterlassung, S. 39; Roxin, ZStW 74 [1962], 415; ders., FS Spinellis, S. 945 ff.; ders., AT II, § 31 Rn. 77; Arzt, JA 1980, 553; LK-StGB11-Jescheck [03/1992], Vor § 13 Rn. 90; Stoffers, Schwerpunkt, S. 106 ff.; ders., GA 1993, 264 ff.; Jescheck/Weigend, AT5, § 58 II 2; SK-StGB7-Rudolphi [09/2000], Vor § 13 Rn. 1; Gropp, GedS-Schlüchter, S. 175; Kühl, AT5, § 18 Rn. 13; Wessels/Beulke, AT37, Rn. 699; ähnlich auch Güntge, Unterlassen, S. 23 Fn. 26; ablehnend Struensee, FS Stree/Wessels, S. 141 ff.; Walter, ZStW 116 [2004], 566 f. 371 Arzt, JA 1980, 553; Jescheck/Weigend, AT5, § 58 II 2; Gropp, GedS-Schlüchter, S. 174, 177; Roxin, AT II, § 31 Rn. 73; Kühl, AT5, § 18 Rn. 13.

C. Die Tathandlung der Aussetzung

155

Wegdenken (mitsamt dem Garanten) ein Zustand des Opfers ohne Hilfe bestehen. An einem typischen Beispiel zum Verlassen nach § 221 Abs. 1 StGB a. F. verdeutlicht: Geht der Garant weg, so dass sein hilfloser Schützling in Gefahr gerät, so hätte dem Opfer auch das untätige Dableiben nicht geholfen, sondern allein das Leisten von Hilfe372. Geholfen wird dem Opfer daher nicht durch das Wegdenken der Verhaltensweise, die die Obhutsoder Beistandspflicht verletzt, sondern durch das Hinzudenken des garantenpflichtgemäßen Tuns. Erst dieses ist geeignet, die Entstehung des Taterfolges zu verhindern und die hilflose Lage des Opfers durch die Hilfeleistung des „Täters“ – besser wäre es hier von „Helfer“ zu sprechen – in eine nicht (mehr) hilflose Lage umzuwandeln. Die Kausalitätsbetrachtung des Imstichlassens spricht also für die Einordnung dieses Verhaltens als Unterlassen und nicht etwa als positives Tun. Wird aber ein Delikt nur durch Verhaltensweisen verwirklicht, die in der Sache ein Unterlassen sind, so kann man nicht sagen, es sei ein Begehungsdelikt, das auch durch Unterlassen verwirklicht werden kann. Zu der Bewertung des Imstichlassens als Unterlassen müsste man im Übrigen auch gelangen, wenn man ein anderes Konzept zur Abgrenzung von Tun und Unterlassen favorisieren würde als das Kausalitäts-Kriterium als ersten Anhaltspunkt373. Neben dem Abstellen auf die Kausalität als erstem Kriterium für die Abgrenzung von Tun und Unterlassen gibt es im Wesentlichen noch drei weitere Ansätze374. Ein eher überkommenes, heute kaum mehr vertretenes Konzept ist das Abstellen auf ein Körperbewegungskriterium: Die willkürliche Vornahme 372 So auch DSNS-Struensee, 2. Teil Rn. 35; Küper, ZStW 111 [1999], 60, und schon zur a. F. Mitsch, StV 1992, 319. 373 Volk, FS Tröndle, S. 223, 237, hält die Frage der Abgrenzung für „vollkommen unerheblich“. A. A. Spendel, FS Schmidt, S. 183; NK-StGB1-Seelmann [07/1994], § 13 Rn. 29; Haas, S. 111. Die Abgrenzung der Verhaltensweise ist ebenso für diejenigen ohne Belang, die davon ausgehen, dass eine Verhaltensweise gleichzeitig Tun und Unterlassen sein kann, also in jedem Tun die Voraussetzungen eines Unterlassen mitenthalten sind, und die Frage der Abgrenzung nur eine solche der Konkurrenzen ist; so Jakobs, AT2, 28. Abschn. Rn. 4; Herzberg, JuS 1996, 377; T. Walter, ZStW 116 [2004], 558, 567 f.; Kindhäuser, LPK3, § 13 Rn. 72 f.; zweifelnd an der Möglichkeit der Trennung von Tun und Unterlassen auch Arzt, JA 1980, 554 ff. Dies teilt aber die absolut überwiegende Ansicht nicht, sie geht vielmehr davon aus, dass eine Verhaltensweise nur entweder Tun oder Unterlassen sein kann; vgl. z. B. Roxin, ZStW 74 [1962], 415; Welp, S. 118 f.; Vogel, S. 373 f.; Lackner/Kühl, StGB26, Vor § 13 Rn. 31a; Tröndle/Fischer, StGB54, Vor § 13 Rn. 11 a. E. 374 Einen guten Überblick über diese und weitere Ansätze bietet insbesondere Stoffers, Schwerpunkt, S. 69 ff.; ders, GA 1993, 264 f. [der insgesamt neun verschiedene Ansätze unterscheidet], und Brammsen, GA 2002, 194 ff.

156 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

einer Körperbewegung ist danach eine Handlung, die willkürliche Nichtverhinderung eines Erfolges ein Unterlassen375. Diese Ansicht scheint daher auf den ersten Blick das Entfernen als Tun, das schlichte Nichts-Tun als Unterlassen zu deuten. Aber das dürfte nicht den Kern treffen, da auch diese Autoren beim Begehungsdelikt eine „Verursachung“ des Taterfolges durch den Täter verlangen, mithin das Erfordernis einer Kausalität beim Tun (und einer „Quasi-Kausalität“ beim Unterlassen)376 und damit ein nichtkausales, „aktives“ Verhalten kaum in eine Handlung im strafrechtlichen Sinne umgedeutet hätten. Einige Autoren meinen, entscheidend für die Abgrenzung von Tun und Unterlassen sei die Entfaltung von Energie377: Tun liegt danach vor, wenn der Täter Energie in Richtung auf das betroffene Rechtsgut entfaltet; Unterlassen, wenn entweder keine Energie oder nur eine solche vom Opfer weg entfaltet wird378. Bei der Verletzung der Obhuts- oder Beistandspflicht wird die garantenpflichtgemäße Hilfe gerade nicht geleistet, d.h. der Täter setzt entweder gar keine Energie ein – ist schlichtweg untätig – oder seine „Aktivität“ ist nicht auf das Opfer bezogen, sondern seine Energie geht – z. B. beim Verlassen des Opfers – vom Opfer weg. Auch nach dem „Energie-Kriterium“ stellt das Imstichlassen also ein Unterlassen dar. Zuletzt: Rechtsprechung und einige Autoren stellen bei der Beurteilung von Verhaltensweisen darauf ab, auf welchem Verhalten der „Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit“ liegt379. Die Bestimmung des „Schwerpunktes der Vor375 M. E. Mayer, S. 108 f.; von Liszt/Schmidt, StR24, S. 123, 127, 133; Böhm, S. 17 ff., 24; Spendel, FS Schmidt, S. 192 ff.; Struensee, FS Stree/Wessels, S. 143 ff.; NK-StGB1-Seelmann [07/1994], § 13 Rn. 28. 376 M. E. Mayer, S. 140 f.; von Liszt/Schmidt, StR24, S. 127 f., 133; Spendel, FS Schmidt, S. 193 f.; zweifelnd an der Geeignetheit der Kausalität als Kriterium aber Struensee, FS Stree/Wessels, S. 141 ff. 377 Androulakis, S. 55; Engisch, FS Gallas, S. 170 f.; Welp, S. 110 ff.; Schlüchter, JuS 1976, 795; Sieber, JZ 1983, 433 ff.; Güntge, Unterlassen, S. 18 ff.; SKStGB7-Rudolphi [09/2000], Vor § 13 Rn. 6; Brammsen, GA 2002, 205 ff.; 212 f.; Otto, AT7, § 13 Rn. 2. 378 Manchmal wird dieser Ansatz in Verbindung oder kumulativ mit einem Kausalitäts-Kriterium verwendet und nähert sich damit teilweise der Abgrenzung über die Kausalität an; so z. B. Welp, S. 110 f.; Sieber, JZ 1983, 433; Vogel, S. 116; Güntge, Unterlassen, S. 19 f., 23; SK-StGB7-Rudolphi [09/2000], Vor § 13 Rn. 1, 6; Otto, AT7, § 9 Rn. 2; ähnlich Roxin, AT II, § 31 Rn. 78; NK-StGB2-Wohlers, § 13 Rn. 7. 379 Ständige Rechtsprechung: BGHSt 6, 46 [59]; BGH NStZ 1999, 607; 2005, 446 [447]; NStZ-RR 2006, 174 [175], sowie Schönke/Schröder-StGB27-Stree, Vorbem §§ 13 ff. Rn. 158; Wessels/Beulke, AT37, Rn. 700; kritisch zur „Schwerpunktformel“ mit dem Vorwurf eines Zirkelschlusses sowie der Unbestimmtheit und unklarer Wertungsmaßstäbe weite Teile der Literatur; z. B. [ausführlich] Stoffers, Schwerpunkt, S. 28 ff.; Struensee, FS Stree/Wessels, S. 136 ff.; Herzberg, FS Röhl, S. 275 f.; Roxin, AT II, § 31 Rn. 79 ff.

C. Die Tathandlung der Aussetzung

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werfbarkeit“ erfolgt dabei im Rahmen einer normativ-wertenden Betrachtung bei Berücksichtigung des sozialen Handlungssinns der Verhaltensweisen durch den Tatrichter. Berücksichtigt man aber die neue, weite Fassung der zweiten Tathandlung der Aussetzung, so liegt der Vorwurf eben in der Verletzung der Obhuts- oder Beistandspflicht, die in der Nichterfüllung der garantenpflichtgemäß zu leistenden Hilfe zu sehen ist. Der „Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit“ liegt daher auf einem „Nicht-Tun“ und somit einem Unterlassen. Die zuletzt beschriebenen Ansätze zur Unterscheidung von Tun und Unterlassen führen beim Imstichlassen also ebenfalls zur Annahme eines Unterlassens und damit zum gleichen Ergebnis wie die kausalitätsbezogene Betrachtung380. Darüber hinaus wird dieses Ergebnis auch durch die Parallelbetrachtung zu den Verletzungsdelikten bestätigt: Variiert man den Fall eines sich vom Opfer entfernenden Garanten381 ein wenig und lässt das Opfer – bei Vorliegen von Tötungsvorsatz anstelle von Gefährdungsvorsatz seitens des Garanten – sterben, so würde wohl niemand auf die Idee kommen, die Tat als Tötung durch aktives Tun zu qualifizieren, da das Entfernen evident nicht kausal für den Todeserfolg ist, sondern eben das Unterlassen der zu leistenden Hilfe382. 380 Auf den Aspekt, dass der Streit um die Abgrenzung von Tun und Unterlassen oft keine Auswirkungen hat, weil alle Ansichten zu demselben Ergebnis gelangen, weist allgemein auch Kühl, AT5, § 18 Rn. 17 hin; so hinsichtlich des Imstichlassens auch Lucks, S. 218 f. 381 Die überwiegende Ansicht bezeichnet dieses Verhalten als einen typischen Fall des Imstichlassens; vgl. die Nachweise im 4. Teil: C. I. 2. b) in Fn. 110 ff.; ob er dies wirklich ist, wird später [4. Teil: E. III. 3. f)] geklärt werden. 382 So auch die Einordnung der Verhaltensweisen in der unveröffentlichten Entscheidung des LG Offenburg, Urteil vom 12.07.2002 – 1 Ks 10 Js 3709/00, wo im Rahmen der Aussetzung das Wegfahren bzw. Weiterfahren eines Taxifahrers ohne weitere Erläuterung als Unterlassen bezeichnet wird. So auch OGH SSt 31/60, 3 ff., wonach das Weggehen einer schutzpflichtigen Person ein Unterlassen, kein Tun ist. So sehen auch Schmidt/Priebe, BT I6, Rn. 255, im Fall des mit Tötungsvorsatz wegfahrenden Pkw-Fahrers – nach einem von ihm verursachten Unfall – eine Tötung durch Unterlassen verwirklicht und wollen das Imstichlassen als Unterlassen einordnen: „Um sich aber nicht dem Widerspruch auszusetzen, dieselbe Handlung einmal als Unterlassen und ein anderes Mal als aktives Tun zu qualifizieren, sollte man . . . hinsichtlich des § 221 I Nr. 2 schlicht von einem Imstichlassen ausgehen, das darin begründet ist, dass der Täter das Opfer seinem Schicksal überlässt.“ Hier wird deutlich, dass dieses Verhalten kein Tun sein kann; den Widerspruch in der eigenen Argumentation geben beiden Autoren selber zu! Zudem würde die Ansicht von Schmidt/Priebe darauf hinauslaufen, dass bei Tötungsvorsatz ein Unterlassen anzunehmen wäre; läge aber nur Gefährdungsvorsatz vor, wäre von einem Tun auszugehen. Damit würde die subjektive Einstellung des Täters entscheidend für die Einordnung eines Verhaltens als Tun oder Unterlassen.

158 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

Der Fall, dass ein Garant seine Obhuts- oder Beistandspflicht verletzt und dabei gleichzeitig „direkt kausal“ i. S. der condicio-sine-qua-non-Formel den Taterfolg herbeiführt, ist zwar denkbar, nur bewirkt dieses Verhalten dann das Neuschaffen einer hilflosen Lage und ist damit ein Versetzen und kein Imstichlassen383. Ergänzend sei hier abermals darauf hingewiesen, dass es auch schon zur a. F. nicht wenige Stimmen in der Literatur gab, die betonten, das Verlassen stelle kein Begehungsdelikt dar, sondern sei – unabhängig von der äußerlichen Verhaltensform – stets als Unterlassen anzusehen. Wesentliches Argument dieser Ansicht war damals die fehlende Kausalität zwischen dem räumlichen Verlassen – dem Weggehen des Täters – und dem Eintritt des Taterfolges384. Das Dableiben des Täters hätte dem Opfer nämlich nur dann geholfen, wenn der Täter auch helfend tätig geworden wäre. Zwar ging das Gesetz anscheinend davon aus, der beim Hilflosen Bleibende lasse diesem dann im Zweifel auch die notwendige Hilfe zukommen385, zwingend war dieser Schluss allerdings schon früher nicht386. Zu guter Letzt soll noch ein weiterer Begründungsansatz für die Unterlassensnatur der zweiten Tatvariante erwähnt werden: Nach Ansicht einiger Autoren ist das Imstichlassen ein Anwendungsfall der Figur der „omissio libera in causa“387. Die Figur wird regelmäßig in Abhandlungen zum Stichwort „Unterlassung durch Begehung“ bzw. „Unterlassen durch Tun“ erörtert388; sie geht zurück auf Merkel389. Während bei dem Problem der „Un383

Hierzu später ausführlich im 4. Teil: E. III. 3. Nachweise oben im 4. Teil: C. I. 3. a) in Fn. 166. 385 Dreher, JZ 1966, 581; Schmidhäuser, BT2, Kap. 2 Rn. 43. 386 Daher auch zu Recht kritisch zu dem Appell „Bleibe da!“ Mitsch, StV 1992, 320, der vielmehr die Verhaltensanweisung „Leiste Hilfe!“ für zutreffend hält und damit beim Verlassen ein Unterlassungsdelikt annimmt. 387 So DSNS-Struensee, 2. Teil Rn. 35; SK-StGB7-Horn/Wolters [03/2002], § 221 Rn. 6; schon zur a. F. Welp, S. 156; Mitsch, StV 1992, 320; Stoffers, JA 1992, 178; Walther, NStZ 1992, 231, 233; ablehnend Laue, S. 91 f. 388 Roxin, FS Engisch, S. 381; ders., FS Spinellis, S. 955 ff.; ders., AT II, § 31 Rn. 99, 103; Jakobs, AT2, 7. Abschn. Rn. 69; Stoffers, JA 1992, 140, 181; NKStGB1-Seelmann [07/1994], § 13 Rn. 25 f.; Baier, GA 1999, 272. 389 A. Merkel, S. 90 ff.; neu aufgegriffen und fortgeführt später durch von Overbeck, GS 88 [1922], 319 ff., 331 f. Hierzu Roxin, FS Engisch, S. 381 f.; ausführlich hat sich Stoffers, Schwerpunkt, S. 358 ff., ders., JA 1992, 138 ff., 177 ff., mit diesen Rechtsfiguren befasst, der aber diese beiden und ähnlichen Konstrukte allesamt ablehnt. Auch in der Rechtsprechung ist die Figur anerkannt; vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 06.03.2003 – Az. 2 BvR 397/02 – unter II 2 b [insoweit in StV 2003, 553 ff.; NStZ 2003, 488 f.; DVBl 2003, 662 ff.; NVwZ 2003, 1250 f., nicht abgedruckt]; BGHSt 47, 318 [320]; BGH NZA 2002, 923 [924]; OLG Koblenz NStZ-RR 2006, 77 [79]. Eine allgemeine Darstellung zur omissio libera in causa sowie Argumenten und Lösungsansätzen findet man bei Satzger, Jura 2006, 516 ff. 384

C. Die Tathandlung der Aussetzung

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terlassung durch Begehung“ ausschließlich danach gefragt wurde, wann und ob ein positives und kausales Tun nicht als Begehen, sondern als Unterlassen angesehen werden kann390, betrifft die Konstellation der omissio libera in causa einen etwas anders gelagerten Fall: Von einer omissio libera in causa wird dann gesprochen, wenn sich der Handlungspflichtige selbst durch aktives Tun oder Unterlassen außer Stande setzt, seiner Handlungspflicht in einem späteren Zeitpunkt zu genügen391. Ein häufig angeführtes Beispiel ist der Bahnwärter, der sich trotz Kenntnis eines später kommenden Zuges in einen Zustand der Handlungsunfähigkeit versetzt, so dass er im Augenblick der Zugdurchfahrt die Schranken nicht herunterlassen kann und dadurch Personen bei der Querung der Gleise zu Schaden kommen392. Hier wird mit verschiedenen Begründungsansätzen trotz des „aktiven“ Verhaltens (= des Versetzens in den Zustand der Handlungsunfähigkeit) im Vorfeld eine Strafbarkeit aus einem Unterlassungsdelikt angenommen393, weil der Täter den Erfolg nicht aktiv kausal herbeigeführt habe und letztlich untätig bleibe394 bzw. weil sein Verhalten als Unterlassen zu werten sei395. In diesen Fällen – unabhängig davon, ob man die Konstruktion der omissio libera in causa für unzulässig erachtet396 oder nicht – wird letztlich von 390 Samson, FS Welzel, S. 580; Stoffers, JA 1992, 140 f.; Roxin, FS Spinellis, S. 956; ders., AT II, § 31 Rn. 99. 391 von Overbeck, GS 88 [1922], 331 f.; Bertel, JZ 1965, 53; SK-StGB7-Rudolphi [09/2000], Vor § 13 Rn. 46; Roxin, FS Spinellis, S. 957; ders., AT II, § 31 Rn. 103; Baumann/Weber/Mitsch, AT11, § 15 Rn. 28; Kühl, AT5, § 18 Rn. 22; Schönke/ Schröder-StGB27-Stree, Vorbem §§ 13 ff. Rn. 144; darstellend Satzger, Jura 2006, 516. 392 Vgl. nur von Overbeck, GS 88 [1922], 332; Bertel, JZ 1965, 53; Meyer-Bahlburg, GA 1968, 49; Vogel, S. 122; Baier, GA 1999, 272; Roxin, FS Spinellis, S. 957; ders., AT II, § 31 Rn. 103; Schönke/Schröder-StGB27-Stree, Vorbem §§ 13 ff. Rn. 144. 393 Teilweise für ein Begehungsdelikt nur Bertel, JZ 1965, 53, 55; Jakobs, AT2, 7. Abschn. Rn. 69; differenzierend Baumann/Weber/Mitsch, AT11, § 15 Rn. 29 f. Vgl. auch Satzger, Jura 2006, 517 f., mit ausführlicher Darstellung von Argumenten und Gegenargumenten. 394 SK-StGB7-Rudolphi [09/2000], Vor § 13 Rn. 46; Roxin, FS Spinellis, S. 957; Kühl, AT5, § 18 Rn. 22. 395 Welp, S. 137; Roxin, FS Spinellis, S. 957 f.; ders., AT II, § 31 Rn. 105 f.; Schönke/Schröder-StGB27-Stree, Vorbem §§ 13 ff. Rn. 144. 396 So Samson, FS Welzel, S. 580 f., 597 f.; Stoffers, Schwerpunkt, S. 380 f.; ders., JA 1992, 181; Struensee, FS Stree/Wessels, S. 151; Otto, AT7, § 9 Rn. 3, die die Konstruktion insgesamt ablehnen, im Ergebnis aber mit anderen Begründungen auch ein Unterlassungsdelikt bejahen. Grundsätzliche Zweifel an der Zulässigkeit des gesamten Konstrukts und der Unterlassungsstrafbarkeit bei solchen Geschehen haben hingegen Baier, GA 1999, 275 f., und NK-StGB2-Wohlers, § 13 Rn. 13.

160 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

der deutlich überwiegenden Mehrzahl der Stimmen das Vorliegen eines strafbaren Unterlassungsdeliktes bejaht397. Damit wäre, unterstellt das Imstichlassen wäre ein Fall einer omissio libera in causa, auch hiernach die Einordnung als Unterlassungsdelikt zutreffend. Daher ist hier eine vertiefte Auseinandersetzung mit der Frage, ob dieses Konstrukt überhaupt vertretbar und zutreffend ist, nicht erforderlich. (c) Unbeachtlichkeit der phänomenologischen Erscheinungsform für die Einordnung als Tun oder Unterlassen Diejenigen, die das Imstichlassen als Begehungsdelikt ansehen, stellen wesentlich auf die äußerlich erkennbare Art und Weise des Verhaltens ab398. Möglicherweise wird daher jemand gegen die oben dargelegte Kausalitätsbetrachtung den Einwand erheben, dass es Fälle gebe, bei denen äußerlich erkennbar klar ein Handeln des Täters vorliege – z. B. wenn das Opfer vom Täter allein gelassen werde bzw. dieser das Opfer in hilfloser Lage antreffe und weggehe – und bei denen dieses aktive Verhalten dann auch ein Tun i. S. des Strafrechts sein müsse. Diese Betrachtung geht aber in verschiedener Hinsicht fehl: Erstens bedeutet die umgangssprachliche Qualifikation eines Verhaltens als Tun nicht, dass es automatisch auch im strafrechtlichen Sinne eine aktive Handlung darstellen muss. Die Einordnung von Verhaltensweisen als Tun oder Unterlassen anhand der erlebten Wirklichkeit entspricht zwar häufig der rechtlichen Bewertung des Verhaltens, aber nicht immer399. Die umgangssprachliche Bezeichnung eines Verhaltens als Tun und die Einordnung eines Verhaltens als Aktivität mag zwar einen ersten Anhaltspunkt für Tun im strafrechtlichen Sinne liefern und in den „Normalfällen“ zutreffend sein400; entscheidend ist sie aber nicht. 397 Für die Befürworter [vgl. Nachweise in diesem Abschnitt in Fn. 391 ff.] ist letztlich die Bezeichnung als omissio libera in causa eigentlich nur ein Schlagwort im Rahmen einer Begründung für die Annahme eines Unterlassens [ebenso Baier, GA 1999, 275], während die Gegenansicht [Nachweise wie zuvor in Fn. 396] die Zulässigkeit dieser Bezeichnung verneint, aber mit anderen Begründungen auch zur Annahme eines Unterlassungsdeliktes gelangt. Anders Vogel, S. 123 f., der aus fahrlässigem Begehungsdelikt bestrafen will, sowie NK-StGB2-Wohlers, § 13 Rn. 13, und Baier, GA 1999, 275 f., die die Figur komplett ablehnen. 398 Vgl. 4. Teil: C. I. 3. b) bb). 399 Ranft, JuS 1963, 341; Schmidhäuser, AT2, Kap. 16 Rn. 8; Gropp, GedSSchlüchter, S. 174, 177; LK-StGB12-Weigend [03/2007], § 13 Rn. 7; Wessels/ Beulke, AT37, Rn. 699. 400 Jescheck/Weigend, AT5, § 58 II 2; Roxin, AT II, § 31 Rn. 73; Kühl, AT5, § 18 Rn. 13; Wessels/Beulke, AT37, Rn. 699. So wird niemand in Frage stellen, dass umgangssprachlich wie strafrechtlich ein Tun vorliegt, z. B. wenn der Täter

C. Die Tathandlung der Aussetzung

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Zweitens ist dieser Einwand zu sehr der phänomenologischen Optik verhaftet. Die Tatsache, dass eine Bewegung irgendeiner Art vorliegt, macht für sich allein daraus noch kein strafrechtliches Tun. Hier ist vielmehr auf die von Rechtsprechung und Literatur entwickelten Abgrenzungskonzepte zurückzugreifen, die durchweg für ein Unterlassen sprechen401. Dass der Täter irgendetwas aktiv tut, während er eigentlich eine andere Leistung erbringen müsste, macht aus dem nichterbrachten, unterlassenen Verhalten kein Tun im strafrechtlichen Sinne402 – von Roxin403 treffend beschrieben: „Die Tätigkeit, die ein unterlassender Garant anstelle der erfolgsabwendenden Handlung vornimmt, macht aus einem Unterlassungsdelikt niemals ein Begehungsdelikt“. Dies wird sogar als „Gemeingut der strafrechtlichen Dogmatik“ bezeichnet404, oder die ausschließliche Orientierung an den äußerlichen Gegebenheiten wird als „seltsame Physikstunde einer etwas kindlichen Mechanik“ qualifiziert405. Unterlassen „bedeutet nicht Nichtsthun, sondern: ‚Etwas nicht thun‘ “406. Andernfalls müsste man, wenn man allein auf den Augenschein eines Verhaltens abstellen würde, zu der Einschätzung kommen, dass ein Nichtgarant, der sich entfernt – damit etwas „tut“ –, Begehungstäter eines Tötungsdelikts sein müsste und nicht nur eine unterlassene Hilfeleistung verwirklicht407. (d) Vergleich mit Strafgesetzbüchern anderer Länder Die Einordnung des Imstichlassens unter einen Deliktstypus ist in den Strafgesetzbüchern der Schweiz und Österreichs unterschiedlich. Während in der Schweiz betont wird, die zweite Tatvariante des Art. 127 schwStGB Waren aus dem Regal im Supermarkt nimmt, wenn er mit einem Knüppel seinem Opfer auf den Kopf schlägt oder wenn er aus einer Waffe einen Schuss auf das Opfer abfeuert. 401 Vgl. hierzu im 4. Teil: C. I. 5. e) aa) (3) (b) die Ausführungen ab S. 155. 402 H. Mayer, S. 113; Ranft, JuS 1963, 341 f.; Herzberg, Unterlassung, S. 38; Engisch, FS Gallas, S. 167, 174; Wilhelm, S. 42 f.; Güntge, Unterlassen, S. 21; SKStGB7-Rudolphi [09/2000], Vor § 13 Rn. 1; Roxin, FS Spinellis, S. 952 f.; ders., AT II, § 31 Rn. 88; Wessels/Beulke, AT37, Rn. 708. 403 Roxin, AT II, § 31 Rn. 90. 404 Engisch, FS Gallas, S. 174; zustimmend Kaufmann, S. 25 f.; Roxin, FS Spinellis, S. 952 f. 405 H. Mayer, S. 113. 406 So von Liszt, StR2, S. 116. Vgl. auch Kaufmann, S. 25; Jescheck/Weigend, AT5, § 59 I; SK-StGB7-Rudolphi [09/2000], Vor § 13 Rn. 1; Schönke/SchröderStGB27-Stree, Vorbem §§ 13 ff. Rn. 139. 407 Roxin, FS Spinellis, S. 953; ähnlich NK-StGB2-Neumann, § 221 Rn. 19.

162 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

sei als echtes Unterlassungsdelikt anzusehen408, geht man in Österreich davon aus, § 82 Abs. 2 öStGB sei ein speziell vertatbestandlichtes unechtes Unterlassungsdelikt409, d.h. es bedarf keines Rückgriffs auf § 2 öStGB (entspricht § 13 StGB)410. Lassen die beiden Strafgesetzbücher der Nachbarländer somit zwar keinen eindeutigen Schluss auf die Einordnung als unechtes oder echtes Unterlassungsdelikt zu, so kann aber jedenfalls aus beiden gefolgert werden, dass es sich nach dortiger Ansicht um ein Unterlassungsdelikt, nicht aber um ein Begehungsdelikt handelt. bb) Zwischenergebnis Somit steht bisher fest: Die Aussetzung ist in der zweiten Tatvariante des Grundtatbestands ein Unterlassungsdelikt. Die Ansicht, die § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB als Begehungsdelikt interpretiert, berücksichtigt nicht die geänderte Textfassung des Tatbestandes und deren historischen Hintergrund, bleibt damit der alten Fassung der Aussetzung verhaftet. Daneben verkennt sie die Tatsache, dass die als Imstichlassen zu bezeichnenden Verhaltensweisen ausschließlich Fälle von Unterlassungen darstellen. cc) § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB als Unterlassungsdelikt Nach der Qualifizierung des § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB als Unterlassungsdelikt drängen sich noch zwei Folgefragen auf: Welche Einschränkungen der zweiten Tatmodalität gehen mit der Einordnung als Unterlassungsdelikt einher? Um welche Art von Unterlassungsdelikt handelt es sich? (1) Einschränkungen des § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB aus dessen Tatbestandstyp Nunmehr kann die am Ende der teleologischen Auslegung zum Inhalt des Imstichlassens noch offengelassene Frage411 nach weiteren Einschränkungen der zweiten Tathandlung beantwortet werden. Schwander, schwStGB2, Rn. 523; BSK-schwStGB2-Aebersold, Art. 127 Rn. 15. Kienapfel, ÖRZ 1978, 4; ders., BT I4, § 82 Rn. 20; Leukauf/Steininger, öStGB3, § 82 Rn. 16. Hingegen sprechen Bertel/Schwaighofer, BT I5, § 82 Rn. 3, von einem reinen Unterlassungsdelikt, während WK-öStGB2-Burgstaller/Fabrizy [04/2002], § 82 Rn. 22 nur von einem Unterlassungsdelikt ausgehen. 410 Kienapfel, ÖRZ 1978, 4; Leukauf/Steininger, öStGB3, § 82 Rn. 16; WKöStGB2-Burgstaller/Fabrizy [04/2002], § 82 Rn. 22. 411 4. Teil: C. I. 5. d) bb) (3). 408 409

C. Die Tathandlung der Aussetzung

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Aus dem Tatbestandstyp der Aussetzung in der Variante des Imstichlassens als Unterlassungsdelikt ergibt sich, dass vom Täter nur die mögliche und ihm zumutbare Hilfe gefordert werden kann412. Hierfür bedarf es keiner genaueren Bestimmung, weil das Erfordernis der Möglichkeit und der Zumutbarkeit sowohl für die unechten als auch für die echten Unterlassungsdelikte anerkannt ist413. In dieser Hinsicht scheint daher eine Einordnung der zweiten Variante der Aussetzung in diese beiden Kategorien nicht erforderlich zu sein. Wesentliche, praktische Bedeutung erlangt die Einordnung dadurch, dass – je nachdem was unter echten oder unechten Unterlassungsdelikten verstanden wird414 – die Anwendbarkeit des § 13 StGB, insbesondere des Absatzes 2, und das daraus resultierende Erfordernis der Garantenstellung auf die unechten Unterlassungsdelikte beschränkt ist415. Da das Imstichlassen aber mit dem speziellen Erfordernis der Obhuts- oder Beistandspflicht schon eine spezialgesetzliche Normierung einer Garantenstellung im Tatbestand enthält416, hat in dieser Hinsicht die Subsumierung unter eine der beiden Kategorien keinerlei Relevanz, wohl aber hinsichtlich möglicher Strafmilderung nach § 13 Abs. 2 StGB417. 412

So etwa auch DSNS-Struensee, 2. Teil Rn. 35; Laue, S. 107; Lucks, S. 202. So zur Möglichkeit der Hilfe Kaufmann, S. 27 ff.; Jescheck/Weigend, AT5, § 59 II 2; SK-StGB7-Rudolphi [09/2000], Vor § 13 Rn. 2, 13; Baumann/Weber/ Mitsch, AT11, § 15 Rn. 15 ff.; Roxin, AT II, § 31 Rn. 8 ff.; NK-StGB2-Wohlers, § 13 Rn. 11 f.; Schönke/Schröder-StGB27-Stree, Vorbem §§ 13 ff. Rn. 141 f.; Lackner/Kühl, StGB26, § 13 Rn. 5. Dass die Leistung einer unzumutbaren Hilfe kein strafbares Unterlassen ist, ist unstreitig. Allein die Einordnung der Zumutbarkeit als Prüfungspunkt im Deliktsaufbau ist nicht geklärt; für Prüfung im Rahmen des Tatbestandes NK-StGB1-Seelmann [07/1994], § 13 Rn. 63; Stree, FS Lenckner, S. 401 f.; Schönke/Schröder-StGB27-Stree, Vorbem §§ 13 ff. Rn. 155; Schönke/ Schröder-StGB27-Lenckner, Vorbem §§ 32 ff. Rn. 125; Tröndle/Fischer, StGB54, § 13 Rn. 15 f.; LK-StGB12-Weigend [03/2007], § 13 Rn. 68. Beachtung der Unzumutbarkeit im Rahmen der Rechtswidrigkeit Schmidhäuser, AT2, Kap. 16 Rn. 84; M. Köhler, AT, S. 297 f.; Gropp, AT3, § 11 Rn. 53 ff. Die wohl noch überwiegende Meinung berücksichtigt die Unzumutbarkeit im Rahmen der Schuld; so Maurach/ Gössel/Zipf, AT 27, § 46 Rn. 132; SK-StGB7-Rudolphi [09/2000], Vor § 13 Rn. 31 f.; Baumann/Weber/Mitsch, AT11, § 15 Rn. 19, § 23 Rn. 60; Kühl, AT5, § 18 Rn. 33, 140; Lackner/Kühl, StGB26, § 13 Rn. 5; Wessels/Beulke, AT37, Rn. 739. Differenzierend nach echtem [dann Tatbestandsausschluss] und unechtem [dann Schuldausschluss] Unterlassungsdelikt LK-StGB11-Jescheck [03/1992], Vor § 13 Rn. 98; Jescheck/Weigend, AT5, § 59 VIII. Die Rechtsprechung tendiert zum Ausschluss des Tatbestandes; vgl. BGH NJW 1994, 1357; OLG Karlsruhe MDR 1975, 771 [772]; OLG Hamburg StV 1996, 437 [438]; für Schuldausschluss jedoch BGHSt 6, 46 [57]; offengelassen BGH NStZ 1984, 164. 414 Hierzu sogleich im folgenden Abschnitt. 415 Schünemann, ZStW 96 [1984], 303; Roxin, AT II, § 31 Rn. 28. 416 Vgl. oben 4. Teil: A. 413

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(2) Unechtes oder echtes Unterlassungsdelikt? Die Kriterien für eine Unterscheidung zwischen echten und unechten Unterlassungsdelikten sind im Strafrecht umstritten418. Einhelligkeit herrscht bei der Bewertung, dass einerseits die über § 13 StGB gebildeten Unterlassungsdelikte unechte sind419, und dass andererseits die „klassischen echten Unterlassungsdelikte“ §§ 138, 323c StGB eben als echte Unterlassungsdelikte zu klassifizieren sind420. Die weitere Einordnung von gesetzlich normierten Unterlassungsdelikten – wie z. B. § 109 StGB (zweite Begehensform), § 225 Abs. 1 StGB (dritte Begehensform), § 283 Abs. 1 Nr. 7b StGB, § 315c Abs. 1 Nr. 2g StGB, § 340 Abs. 1 (zweite Begehensform), § 357 StGB (dritte Begehensform)421 – als echt oder unecht ist dann von der Stellungnahme des jeweiligen Autors zur Abgrenzung der beiden Deliktsarten abhängig. Regelmäßig finden sich drei Auffassungen zur Unterscheidung von echten und unechten Unterlassungsdelikten422: Teilweise werden alle spezialgesetzlich – insbesondere im Besonderen Teil des Strafgesetzbuches – normierten Unterlassungsdelikte als echte angesehen und nur die Fälle der aus einem Begehungstatbestand i. V. m. § 13 StGB gebildeten Delikte als unechte Unterlassungsdelikte qualifiziert423. 417 Ebenso Hacker/Lautner, Jura 2006, 277. Dementsprechend attestieren Maurach/Gössel/Zipf, AT 27, § 45 Rn. 42, dem Streit um die Einordnung der Unterlassungsdelikte auch im Allgemeinen nur „eine geringe praktische Relevanz“. 418 Statt aller nur Roxin, AT II, § 31 Rn. 16; Schönke/Schröder-StGB27-Stree, Vorbem §§ 13 ff. Rn. 135; Tröndle/Fischer, StGB54, Vor § 13 Rn. 11; alle m. w. N.; kritisch Schmidhäuser, AT2, Kap. 16 Rn. 18 f.; ders., FS Müller-Dietz, S. 762, 765 ff.; Walter, ZStW 116 [2004], 581; LK-StGB12-Weigend [03/2007], § 13 Rn. 16. NK-StGB1-Seelmann [07/1994], § 13 Rn. 17, geht davon aus, dass der Übergang zwischen „beiden Grundtypen von Unterlassungstatbeständen fließend ist“. 419 Roxin, AT II, § 31 Rn. 17; Kindhäuser, LPK3, § 13 Rn. 1; Tröndle/Fischer, StGB54, § 13 Rn. 2. 420 Welzel, StR11, S. 202; LK-StGB11-Jescheck [03/1992], Vor § 13 Rn. 91 [offener, im Ergebnis aber zustimmend LK-StGB12-Weigend (03/2007), § 13 Rn. 12, 16]; Roxin, AT II, § 31 Rn. 16; NK-StGB2-Wohlers, § 13 Rn. 2. 421 Weitere Tatbestände zu finden bei NK-StGB2-Wohlers, § 13 Rn. 2; Schönke/ Schröder-StGB27-Stree, Vorbem §§ 13 ff. Rn. 134, 136; Wessels/Beulke, AT37, Rn. 696. Vgl. zu den Fassungen vor dem 6. StrRG LK-StGB11-Jescheck [03/1992], Vor § 13 Rn. 52; Jescheck/Weigend, AT5, § 58 III 4. 422 So zu finden bei Schünemann, ZStW 96 [1984], 302; Maurach/Gössel/Zipf, AT 27, § 45 Rn. 38 ff.; Roxin, AT II, § 31 Rn. 17 ff.; Schönke/SchröderStGB27-Stree, Vorbem §§ 13 ff. Rn. 137. Daneben vertritt Androulakis, S. 158 ff., noch einen eigenen „ontologisch geprägten“ Ansatz. 423 Kaufmann, S. 275 ff.; Welzel, StR11, S. 202 f.; Maurach/Gössel/Zipf, AT 27, § 45 Rn. 38; Baumann/Weber/Mitsch, AT11, § 15 Rn. 7 ff.; Gropp, AT3, § 11

C. Die Tathandlung der Aussetzung

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Verbreitet ist auch die Annahme, dass die unechten Unterlassungsdelikte die Parallele zu den (Verletzungs-)Erfolgsdelikten sind und einen Taterfolg erfordern, während die echten Unterlassungsdelikte als Parallele zu den schlichten Tätigkeitsdelikten keinen Taterfolg aufweisen müssen424. Auch wird die Meinung vertreten, dass das entscheidende Kriterium für die Abgrenzung die Begehungsgleichheit ist425: Danach stellen alle begehungsgleichen Unterlassungen – gleichgültig ob über § 13 StGB oder im Besonderen Teil des StGB normiert – unechte Unterlassungsdelikte dar, während echte Unterlassungsdelikte dann vorliegen sollen, wenn sie nur als begehungsungleiche Unterlassungen im jeweiligen Gesetz existieren – d.h. wenn mit ihnen keine Tatbestandserfüllung durch aktives Tun korrespondiert. Damit ist die Frage, ob das Imstichlassen ein echtes oder ein unechtes Unterlassungsdelikt darstellt, letztlich davon abhängig, anhand welcher Kriterien man diese beiden Delikte unterscheiden will426: Echtes Unterlassungsdelikt ist das Imstichlassen „insofern, als seine Voraussetzungen im gesetzlichen Tatbestand selbst unmittelbar beschrieben sind, so daß es eines Rückgriffs auf die Ergänzungsnorm des § 13 StGB nicht bedarf“; unechtes Unterlassungsdelikt ist es in der Hinsicht, dass es einen Gefahrenerfolg und eine Garantenstellung als tatbestandliche Voraussetzungen enthält427. Da die Klärung dieser Frage aufgrund der identischen tatbestandlichen Einschränkungen der Möglichkeit und Zumutbarkeit sowie der gesetzlich normierten Garantenstellung bei § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB keinerlei Auswirkungen auf den Fortgang dieser Arbeit hat428, wird sie nicht weiter vertieft. Im Folgenden wird das Imstichlassen in Anlehnung an Küper429 als speziell Rn. 2 f.; NK-StGB2-Wohlers, § 13 Rn. 2; Schönke/Schröder-StGB27-Stree, Vorbem §§ 13 ff. Rn. 134 ff.; weitergehend Schwarz, S. 182 f., der alle Delikte mit Garantenstellungen – auch solche im Gesetz selber normierten – als unechte Unterlassungsdelikte einordnet. Güntge, Unterlassen, S. 132 ff., vertritt einen einzelfallbezogenen Ansatz anhand einer Auslegung des Tatbestandes. 424 BGHSt 14, 280 [281]; BGH NJW 1980, 406 [408]; BayObLG NJW 1990, 1861; LK-StGB11-Jescheck [03/1992], Vor § 13 Rn. 91; Jescheck/Weigend, AT5, § 58 III 2; SK-StGB7-Rudolphi [09/2000], Vor § 13 Rn. 10, 11; Otto, AT7, § 9 Rn. 13; Geppert, Jura 2005, 40; Kindhäuser, LPK3, § 13 Rn. 1 f.; Lackner/Kühl, StGB26, § 13 Rn. 4; Tröndle/Fischer, StGB54, Vor § 13 Rn. 11, § 13 Rn. 2; Wessels/Beulke, AT37, Rn. 696 f. 425 Schünemann, Grund und Grenzen, S. 44 f.; ders., ZStW 96 [1984], 303; Herzberg, Unterlassung, S. 22; Roxin, AT II, § 31 R. 17 f. 426 Küper, ZStW 111 [1999], 58; NK-StGB2-Neumann, § 221 Rn. 20. 427 Zitat von Küper, ZStW 111 [1999], 58 f.; ähnlich NK-StGB2-Neumann, § 221 Rn. 20. 428 Zur Frage der – analogen – Anwendbarkeit des § 13 Abs. 2 StGB auf § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB vgl. Fn. 582 im 4. Teil: C. II. 5. c) aa) (2) der Arbeit. 429 Küper, ZStW 111 [1999], 59.

166 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

vertatbestandlichtes unechtes Unterlassungsdelikt angesehen. Hierfür sind nach Ansicht des Verfassers die beiden folgenden, kurz angerissenen Gesichtspunkte entscheidend: Erstens enthält § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB unstreitig in der Gefährdungsklausel einen (Gefahren-)Taterfolg430. Zwar ist das Merkmal eines Taterfolges nicht grundsätzlich allen echten Unterlassungsdelikten fremd, jedoch fehlt es gerade in den beiden „klassischen“ echten Unterlassungsdelikten (§§ 138, 323c StGB). Da bei diesen typischen Beispielen echter Unterlassungsdelikte der Taterfolg gerade nicht der Regelfall ist, ist § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB, weil es hiervon abweicht, mithin kein „typisches“ echtes Unterlassungsdelikt. Vor allem gegen ein echtes Unterlassungsdelikt spricht aber nach Ansicht des Verfassers das Merkmal der Obhuts- oder Beistandspflicht. Echte Unterlassungsdelikte zeichnen sich dadurch aus, dass jedermann als potenzieller Täter in Betracht kommt und keine Garantenstellung i. S. v. § 13 StGB tatbestandliches Erfordernis dieser Normen ist431. Da mit der Obhuts- oder Beistandspflicht in § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB ein Merkmalskomplex zu finden ist, der als Garantenstellung i. S. v. § 13 StGB zu verstehen ist432, enthält die zweite Tatvariante der Aussetzung das Merkmal einer Garantenstellung. Täter kann also gerade nicht jedermann sein. Dieser Aspekt spricht dafür, dass die zweite Tatvariante ein unechtes Unterlassungsdelikt ist. Da dieses Delikt dann aber – wie zuvor gezeigt433 – stets durch Unterlassen begangen wird und es des § 13 StGB wegen des Merkmals der Obhuts- oder Beistandspflicht nicht bedarf, enthält die Norm alle Merkmale des § 13 StGB schon in sich selbst. dd) Imstichlassen als Delikt sui generis? Obwohl die Einordnung des Imstichlassens als (speziell vertatbestandlichtes unechtes) Unterlassungsdelikt dem Verfasser der Arbeit am überzeugendsten erscheint, soll dennoch am Ende der Betrachtung zum Tatbestandstyp noch kurz auf einen anderen Begründungsansatz eingegangen werden: die Einordnung des Imstichlassens als delictum sui generis. 430

Vgl. hierzu später 4. Teil: F. BGHSt 38, 388 [391]; BGH NJW 2000, 2754 [2755]; Geilen, Jura 1983, 78; NK-StGB1-Seelmann [07/1994], § 13 Rn. 16; Jescheck/Weigend, AT5, § 58 III 2; Gropp, AT3, § 11 Rn. 8; Kühl, AT5, § 1 Rn. 11. 432 Siehe oben 4. Teil: A. 433 Vgl. 4. Teil: C. I. 5. e) aa). 431

C. Die Tathandlung der Aussetzung

167

Kann die zweite Tatvariante der Aussetzung vielleicht ein delictum sui generis sein? Ein Delikt also – wie Sander meint434 –, das sich schlichtweg der Einordnung in die bestehenden und allgemein anerkannten Deliktskategorien der Begehungs- oder Unterlassungsdelikte entzieht? Die Antwort auf diese Frage muss lauten: Ein Delikt, das man in die anerkannten Deliktskategorien grundsätzlich einordnen kann, ist in diese einzuordnen und nicht als delictum sui generis anzusehen. Zudem lassen die bekannten und üblichen Deliktskategorien der Begehungsdelikte und der (unechten sowie echten) Unterlassungsdelikte überhaupt keinen Raum mehr für ein „andersartiges“ Delikt, da alle Verhaltensformen abgedeckt sind: Welches Verhalten sui generis soll vorliegen, wenn es weder Begehen durch Tun noch Unterlassen ist? „Deckt“ ein Delikt gleichzeitig mehrere dieser Verhaltensformen ab, so kann man die Deliktsbezeichnungen entsprechend kombinieren, ein neuer Deliktstypus muss dafür nicht geschaffen werden. Die Annahme von Delikten sui generis in dem Sinn, wie es Sander vorschwebt, führt vielmehr grundsätzlich zu einem Bruch im Verständnis von strafrechtlicher Systematik und Dogmatik; die Einführung solcher Delikte erweist sich als nicht nachvollziehbar435. Ergänzend sei noch darauf hingewiesen, dass der Begriff des delictum sui generis eigentlich nicht für die Einordnung in die Deliktskategorien der Begehungs- und Unterlassensdelikte verwendet wird, sondern dafür, ob ein Delikt im Verhältnis zu anderen Delikten als eigenständiges Delikt, sog. verselbständigte Abwandlung, oder als Qualifikation bzw. Privilegierung anzusehen ist436. Keiner weitergehenden Wertung, sondern der Beurteilung dieser Relation dient der Begriff des Delikts sui generis und insoweit erscheint er sinnvoll und nützlich437. Wenn man ihn aber zur Beschreibung anderer Probleme einsetzt, verliert er seine ursprüngliche Bedeutung und wird konturenlos438. 434

Hohmann/Sander, BT II, § 5 Rn. 21. So auch Lucks, S. 220. 436 Seligmann, S. 40, 56; Haffke, JuS 1973, 402 f.; Jescheck/Weigend, AT5, § 26 III 1; Roxin, AT I4, § 10 Rn. 135; Gropp, AT3, § 3 Rn. 45c; Schönke/SchröderStGB27-Stree, Vorbem §§ 38 ff. Rn. 59; Wessels/Beulke, AT37, Rn. 111. Den Begriff beschränkend auf den Bereich der Sonderdelikte als Delikte mit bestimmtem Täterkreis Lackner/Kühl, StGB26, Vor § 13 Rn. 33. Ausführlich mit zahlreichen Beispielen Seligmann, S. 13, 57 ff.; V. Hassemer, S. 57 ff. Rechtshistorisch zum Begriff Seligmann, S. 17 ff. 437 Haffke, JuS 1973, 407; V. Hassemer, S. 96; Schönke/Schröder-StGB27-Stree, Vorbem §§ 38 ff. Rn. 59; zweifelnd Roxin, AT I4, § 10 Rn. 136; kritisch bezüglich weitergehender Deutungen durch die Festlegung eines Delikts als delictum sui generis auch V. Hassemer, S. 22 f., 26, 95. 438 Seligmann, S. 12 f.; Haffke, JuS 1973, 407; V. Hassemer, S. 21 f., 26, 96. Im Übrigen sind Tragweite und Leistungsfähigkeit der Begriffsbildung delictum sui ge435

168 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

ee) Zwischenergebnis Nach den bisherigen Darlegungen erscheint die Einordnung des § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB als speziell vertatbestandlichtes unechtes Unterlassungsdelikt am überzeugendsten. 6. Fazit zum Imstichlassen Das Imstichlassen erfordert keine räumliche Bewegung des Täters weg vom Opfer; es erfasst vielmehr jede Verhaltensweise, die eine Verletzung der Obhuts- oder Beistandspflicht beinhaltet. Auf die äußerlich objektive Erscheinungsform des Verhaltens kommt es nicht an, weil § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB ein speziell vertatbestandlichtes unechtes Unterlassungsdelikt darstellt. Damit geht das jetzige Imstichlassen über die – bei der Frage der Erweiterung der zweiten Tathandlung in der Reformgeschichte bisher diskutierten – Fälle der untätigen Krankenschwester und der unterlassenen Rückkehr hinaus. Diese Situation hat allerdings der Gesetzgeber durch seine deutliche Abkehr vom örtlich-räumlich verstandenen Handlungstypus der zweiten Tathandlung der a. F. hervorgerufen.

II. Die erste Tathandlung des Grundtatbestands: Das Versetzen Das ursprüngliche Aussetzen als erste Tathandlung des § 221 Abs. 1 StGB a. F. wurde durch das 6. StrRG zum Versetzen439; eine Umformulierung, die man erstmals in den Beratungen der Großen Strafrechtskommission und im E 1960 und E 1962 findet440. Von Interesse ist der Begriff des Aussetzens aber auch heute noch, weil Inhalt und Reichweite der ersten Tathandlung seit 1998 umstritten sind und bei der Frage der Neubestimmung der tatbestandlichen Reichweite der ersten Tathandlung meistens das alte Verständnis des Aussetzens Ausgangspunkt ist. 1. Auslegung des Tatbestandsmerkmals „Aussetzen“ vor dem 6. StrRG Eine gesetzgeberische Definition hat es für die Tathandlung Aussetzen weder in den Materialien zu den früher geltenden Gesetzen noch in einem neris schon unklar und strittig; vgl. Seligmann, S. 34 f.; Haffke, JuS 1973, 403; V. Hassemer, S. 6 ff.; Lackner/Kühl, StGB26, Vor § 13 Rn. 33. 439 Dargestellt oben im 3. Teil: B. II. 3. ab S. 76. 440 Vgl. oben im 3. Teil: B. II. 1. auf S. 70.

C. Die Tathandlung der Aussetzung

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der Reformentwürfe je gegeben441. Nur in den Materialien zum preußischen Strafgesetzbuch findet man die Bemerkung, dass der Begriff „dem Leben angehöre und daher keiner gesetzlichen Definition bedürfe“442, wobei sich der Passus eher auf den Begriff der „hülflosen Lage“ als auf das Tatbestandsmerkmal Aussetzen beziehen dürfte. Inhalt und Reichweite des Tatbestandsmerkmals Aussetzen wurden durch Rechtsprechung und Literatur entwickelt und bestimmt. a) Die Ansicht der Rechtsprechung zum Aussetzen Das Reichsgericht hat einige Entscheidungen zum Aussetzen gefällt443; nach dem 2. Weltkrieg hingegen stand diese Tathandlung weniger im Fokus444. Eine Entwicklung, wie sie beim Imstichlassen zu erkennen war, hat beim Aussetzen nicht stattgefunden; inhaltliche Deutung und Definition des Aussetzens waren in den Urteilen gleichbleibend445: Ein Aussetzen war bei einer vorsätzlichen Handlung dann gegeben, wenn durch das Vorgehen eine aus bestimmten Gründen hilflose Person aus ihren bisherigen Verhältnissen weg in den vom Gesetz als hilflose Lage bezeichneten Zustand räumlich verbracht wurde. In dieser Situation war die Person, falls nicht ein rettender Zufall eintrat, an Leben oder Gesundheit gefährdet. Somit war bei der ersten Tathandlung der Aussetzung für die Rechtsprechung unstreitig, dass es beim Aussetzen einer Veränderung der räumlichen Verhältnisse des Opfers bzw. des Aufenthaltsortes des Opfers bedurfte. Um die Parallele zum Imstichlassen zu ziehen: Die enge Auslegung wurde von der Rechtsprechung favorisiert. b) Auslegung des Aussetzens im Schrifttum In der Literatur wurde diese Einschätzung nicht durchgängig geteilt, vielmehr gab es drei verschiedene Ansichten zur Reichweite der ersten Tathandlung: eine enge Auslegung, die mit der Rechtsprechung übereinstimmte, eine weite Auslegung, die auf die Räumlichkeit als prägendes Element beim Aussetzen verzichten wollte, und eine dritte differenzierende Ansicht. 441

RGSt 7, 111 [112]; H. Weber, S. 22; Dieterich, S. 25; Redlich, S. 40; Sudhoff, S. 30; S. Heinrich, S. 139. 442 Vgl. Goltdammer, Materialien II, S. 393; S. Heinrich, S. 139; a. A. H. Weber, S. 22. 443 RGSt 7, 111 [112]; 31, 165 [167]; 54, 273 [274]; RGR 7, 250 [252]; RG GA 45 [1897], 357; 54 [1907], 297; RG LZ 1923, 172. 444 BGHSt 4, 113 [115]; BGH, Urteil vom 13.04.1976 – 1 StR 13/76 – S. 5 [unveröffentlicht]; KG JR 1973, 71 [72]. 445 Fundstellen zum Ganzen wie zuvor in Fn. 443 f.

170 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

aa) Enge Auslegung: Notwendigkeit einer räumlichen Entfernung Die meisten Autoren folgten der Ansicht der Rechtsprechung und betonten, die Tathandlung des Aussetzens bestehe aus zwei Elementen, dem Entfernen der hilflosen Person aus einer sicheren und deren Verbringen in eine hilflose Lage. Dies müsse in der Form des räumlichen Fortbewegens des Opfers weg aus den bisherigen örtlichen Verhältnissen geschehen446. Zur Begründung wurde darauf abgestellt, das Erfordernis der räumlichen Ortsveränderung beim Opfer ergebe sich aus dem Begriff oder – nach Küper – dem „Sprachsinn der Handlungstypisierung“ des Aussetzens447. Daneben findet man auch noch das Argument, bei Verzicht auf das räumliche Element wäre eine Abgrenzung zum Verlassen nicht mehr möglich und das einzig sichere Unterscheidungsmerkmal würde entfallen448. Zudem wurde das historische Argument angeführt, in den älteren Normierungen der Aussetzung sei das Aussetzen immer räumlich verstanden worden449. bb) Weite Auslegung: Verzicht auf das räumliche Entfernen Nach dem weiten Verständnis des Aussetzens kam es dagegen auf die räumliche Entfernung des Opfers aus den bisherigen – sicheren – Verhältnissen nicht an, sondern es ging einzig und alleine darum, das Opfer aus einem Zustand der Sicherheit in einen solchen der Gefahr gelangen zu lassen450. 446 So bereits zu § 221 RStGB Oppenhoff, RStGB6, § 221 Anm. 3; Hälschner, Strafrecht, S. 77; Ziehm, S. 25; Binding, Lehrbuch BT I2, S. 63; H. Weber, S. 22; Fenner, S. 26; Schwartz, RStGB, § 221 Anm. 3; von Liszt/Schmidt, StR24, S. 331; Ebermayer/Lobe/Rosenberg, RStGB4, § 221 Anm. 2; R. Schmidt, StR1, S. 197; Frank, StGB18, § 221 Anm. III.1; Gerland, StR2, S. 490; Urban, S. 23; Olshausen, RStGB12, § 221 Anm. 5. So auch schon Blum, StGB Norddt. Bund, § 221 Anm. 4. Ebenso zu § 221 StGB Dalcke/Fuhrmann/Schäfer, StGB37, § 221 Anm. 3; Welzel, StR11, S. 296; Bockelmann, BT 2, S. 71; Preisendanz, StGB30, § 221 Anm. 3; Eser, StR III2, Fall 10 Anm. 4; LK-StGB10-Jähnke [04/1981], § 221 Rn. 9; Arzt/Weber, BT LH 2, Rn. 410; Schmidhäuser, BT2, Kap. 2 Rn. 42; Feloutzis, S. 141; Gössel, BT 1, § 8 Rn. 10; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 18, § 4 Rn. 4; Krey, BT I10, Rn. 134; Küpper, BT I1, § 1 Rn. 87; Haft, BT6, S. 99; Lackner/Kühl, StGB22, § 221 Rn. 2; Schönke/Schröder-StGB25-Eser, § 221 Rn. 6; Schroth, BT1, S. 51; Tröndle, StGB48, § 221 Rn. 5; Wessels, BT I21, Rn. 190. 447 Küper, Jura 1994, 516; so sinngemäß auch H. Weber, S. 23; Fenner, S. 26; Hasenberg, S. 33; Teufel, S. 21; Urban, S. 23; Feloutzis, S. 145. 448 H. Weber, S. 23; Hasenberg, S. 33; Teufel, S. 21; Feloutzis, S. 145. 449 Urban, S. 23. 450 Zum RStGB so Schwarze, RStGB3, S. 548; Lifschitz, S. 70; Dieterich, S. 27; Albrecht, S. 28 f.; Hall, SchwZStR 46 [1932], 356; Heilbrunn, S. 24.

C. Die Tathandlung der Aussetzung

171

Als Argument wurde für diese Auffassung eher selten auf Wortlaut und Geschichte der Norm abgestellt451, häufiger schon ein teleologisches Argument angeführt: Ein Verhalten, das ohne örtlich-räumliche Bewegungsvorgänge eine konkrete Gefahr herbeiführt, sei genauso strafwürdig wie das räumliche Verbringen des Opfers452. Daneben findet man noch ein mit der Systematik arbeitendes Argument bei Appel453, der – mit Blick auf § 234 RStGB – davon ausgeht, es müsse bei § 221 Abs. 1 RStGB auch ein Aussetzen in eine nicht hilflose Lage geben, weil andernfalls § 234 RStGB keinen Sinn ergebe. Um dies aber zu gewährleisten, müsse beim Aussetzen auch das nicht örtlich geprägte Sich-Entledigen des Opfers als Tathandlung erfasst sein. cc) Vermittelnde Ansicht: Aussetzen als „Änderung der räumlichen Beziehungen“ Auf halbem Weg zwischen der engen und der weiten Ansicht ordnet sich die vermittelnde Ansicht ein. Nach ihr musste das Opfer grundsätzlich auch aus einer sicheren Situation in eine Gefahr geraten, was normalerweise in der Erscheinungsform des räumlichen Entfernens geschehen sollte454. Allerdings sollten zusätzlich auch solche Verhaltensweisen von § 221 Abs. 1 Alt. 1 StGB erfasst werden, die – ohne eine räumliche Veränderung – eine Änderung der räumlichen Verhältnisse beinhalteten; klassisches Beispiel hierfür war das Zerstören eines Verbindungsmittels, z. B. einer Brücke, über die das Opfer aus einer Gefahr in Sicherheit hätte gelangen können455. Wie schon zu den beiden anderen Ansichten wurde auch hier der Wortlaut als Argument für das Verständnis angeführt456; daneben aber auch das kriminalpolitische Argument, die enge Ansicht führe zu „unbefriedigenden Ergebnissen“457. Darüber hinausgehende Begründungsansätze sind nicht vorhanden. 451

Dieterich, S. 25, 2; Albrecht, S. 287. Albrecht, S. 28; Hall, SchwZStR 46 [1932], 356; Heilbrunn, S. 24. 453 Appel, S. 47. 454 Henning, S. 15 f.; Fenner, S. 26 f.; Warmuth, S. 49; Zerling, S. 31 f., 36; Redlich, S. 44; Usinger, S. 17; LK-StGB9-Lange [12/1971], § 221 Rn. 5. Ähnlich SK-StGB5-Horn [05/1993], § 221 Rn. 2, 5, der auf die räumliche Nähe einer anderen Person im Sinne einer Schutzzone für das Opfer abstellt. 455 Henning, S. 17; Fenner, S. 29; Warmuth, S. 51 f. [mit weiteren Beispielen]; Zerling, S. 36; Redlich, S. 44; Usinger, S. 17; LK-StGB9-Lange [12/1971], § 221 Rn. 4. Abweichend hingegen SK-StGB5-Horn [05/1993], § 221 Rn. 5, der ohne Ortsveränderung zwar eine „Entfernung eines menschlichen Schutzkreises für das Opfer“ ausreichen lassen will, nicht aber die Beseitigung von sachlichen Hilfsmitteln. So zum Aussetzen im E 1925 Sudhoff, S. 30. 456 Henning, S. 17. 457 Warmuth, S. 51. 452

172 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

2. Auslegung des neuen Tatbestandsmerkmals „Versetzen“ seit 1998 Im Hinblick auf die Änderung des Wortlauts der ersten Tathandlung – vom Aussetzen zum Versetzen – durch das 6. StrRG wird die bisherige Auffassung zur Reichweite der ersten Tathandlung in Frage gestellt. Neigten bisher Rechtsprechung und große Teile des Schrifttums der einengenden, auf die räumlichen Bewegungsvorgänge abstellenden Auslegung zu, so entbrannte ein Streit gerade um dieses räumliche Element beim Versetzen in der n. F.458. Im Gegensatz zur a. F. werden aber nur noch zwei Ansichten vertreten459, wobei die „Mehrheitsverhältnisse“ der Ansichten sich deutlich geändert haben. Inzwischen bewertet nur noch eine kleinere Gruppe das Erfordernis der Ortsveränderung des Opfers als konstituierend beim Versetzen, während die Mehrheit davon ausgeht, es bedürfe beim Versetzen keiner räumlichen Bewegung des Opfers mehr. a) Enge Auslegung des Versetzens: Erfordernis eines räumlichen Kriteriums Das enge Verständnis des Versetzens knüpft an die bisher überwiegende Auslegung des Tatbestandsmerkmals Aussetzen in Rechtsprechung und Lehre an und geht davon aus, auch das Versetzen enthalte einen räumlichen Aspekt; es sei eine räumliche Veränderung der Situation des Opfers erforderlich460. Nach Krey461 und Sander462 sei dies weiterhin der Wille des Gesetzgebers, der mit dem 6. StrRG die erste Tathandlung nicht habe erweitern, sondern nur präzisieren wollen. Andernfalls – bei einem weiten Verständnis – entstünde in systematischer Hinsicht folgende widersprüchliche Wer458

Durchaus ein Beleg für die handwerklichen Schwächen des neuen Aussetzungstatbestands: Der alte Streit zum Verlassen wurde geklärt, gleichzeitig aber ein neuer geschaffen. So auch allgemein zur Aussetzung Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 19, § 4 Rn. 4. 459 Entscheidungen der Rechtsprechung zum Inhalt der ersten Tathandlung existieren bislang keine; vgl. insoweit die Übersicht bei Hillenkamp, BT10, S. 13 ff., oder Küper, BT6, S. 35. Gänzlich auf eine Bestimmung des Inhalts der ersten Tathandlung verzichtet Arzt in: Arzt/Weber, BT, § 36 Rn. 2, 8. 460 Rengier, BT II1, § 10 Rn. 4 [ders., BT II2, § 10 Rn. 3 f., der weiten Auslegung folgend; so zuletzt ders., BT II8, § 10 Rn. 7]; Sander/Hohmann, NStZ 1998, 275; Schlüchter-Nolte, § 221 Rn. 4; Hohmann/Sander, BT II, § 5 Rn. 4 f.; Krey/ Heinrich, BT I13, Rn. 134 f.; für die enge Auslegung wohl auch Brodag, StR8, 9. Teil Rn. 83 [a. A. jetzt aber Brodag, StR9, 9. Teil Rn. 71]. 461 Krey/Heinrich, BT I13, Rn. 134 f. 462 Sander/Hohmann, NStZ 1998, 275; Hohmann/Sander, BT II, § 5 Rn. 4 f.

C. Die Tathandlung der Aussetzung

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tung zwischen § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB und § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB: Beim Verzicht auf den örtlich-räumlich verstandenen Handlungstypus für § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB würde die strafbarkeitseinschränkende Voraussetzung der Garantenstellung von § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB umgangen, da dann auch bei der ersten Tathandlung jede Verhaltensweise – auch das Weggehen des Täters – ein Versetzen sein könne. Das weite Verständnis beim Versetzen würde damit aber zu einer Umgehung der engen Voraussetzungen des § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB führen und diese Tatmodalität leerlaufen lassen463. Im Ergebnis meint dieser Begründungsansatz, dass ohne das räumliche Verständnis der ersten Tathandlung keine Abgrenzung zum Imstichlassen möglich sei464. b) Weite Auslegung des Versetzens: Verzicht auf das räumliche Kriterium Die Anhänger des weiten Verständnisses hingegen wollen auf das Kriterium einer Entfernung des Opfers aus den bisherigen räumlichen Verhältnissen verzichten und sehen das Spezifische der ersten Tathandlung nur noch in der Veränderung der Sicherheitslage des Opfers bzw. im Verursachen oder Herbeiführen einer hilflosen Lage465. Dabei wird allerdings regelmäßig davon ausgegangen, das räumliche Aussetzen bleibe weiterhin die „typische Begehungsform“, der „typische Fall“ oder der „verdeckte Ursprungstypus“ der ersten Tatvariante466. Krey/Heinrich, BT I13, Rn. 134 f.; Kosloh, S. 56 f.; ähnlich Hohmann/Sander, BT II, § 5 Rn. 4. 464 Krey/Heinrich, BT I13, Rn. 134a, der davon ausgeht, dass diesen Standpunkt im Ergebnis diejenigen – wie Marxen, BT, S. 21 – teilen, die beim räumlichen Sich-Entfernen des Täters vom Opfer § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB gegenüber § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB als lex specialis ansehen. Zu dieser „eingeschränkt weiten Auslegung“ sogleich im folgenden 4. Teil: C. II. 2. b) [Nachweise dort in Fn. 484 ff.]. 465 Sternberg-Lieben/Fisch, Jura 1999, 46; Baier, JA 2000, 305; Laue, S. 74; Lucks, S. 69; MüKo-StGB-Hardtung, § 221 Rn. 8; Gössel/Dölling, BT 12, § 7 Rn. 8; Küper, BT6, S. 34 f.; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 19, § 4 Rn. 6; Pfleiderer/Schubert, MedR 2005, 594; Hacker/Lautner, Jura 2006, 275; Kindhäuser, LPK3, § 221 Rn. 8; ders., BT I3, § 5 Rn. 9; Schönke/Schröder-StGB27-Eser, § 221 Rn. 4; Schroth, BT4, S. 78; Küpper, BT I3, § 1 Rn. 86; Rengier, BT II8, § 10 Rn. 7; Wessels/Hettinger, BT I31, Rn. 199. Sträßner, PflR 2002, 96 f. spricht sogar von einer „schlicht kausalen Wirkgröße“. 466 Küper, ZStW 111 [1999], 44; ders., BT6, S. 34, 36; MüKo-StGB-Hardtung, § 221 Rn. 10; NK-StGB2-Neumann, § 221 Rn. 11; Schönke/Schröder-StGB27-Eser, § 221 Rn. 4; Küpper, BT I3, § 1 Rn. 86; Tröndle/Fischer, StGB54, § 221 Rn. 6; Wessels/Hettinger, BT I31, Rn. 200. In diese Richtung auch Haft, BT II8, S. 125; Gössel/Dölling, BT 12, § 7 Rn. 14; zweifelnd aber Sternberg-Lieben/Fisch, Jura 463

174 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

Zur näheren Erläuterung hinsichtlich des Umfangs der ersten Tathandlung findet man häufig Beispiele für jetzt erfasste Verhaltensweisen, z. B. das Vernichten von lebensnotwendigem Bedarf wie Lebensmittel oder Kleidung, das Beseitigen oder Entziehen von Rettungs- oder Hilfsmitteln, das Fehlleiten von Rettungswilligen sowie das Fesseln, Betäuben, Alkoholisieren oder Einsperren des Opfers467. Im Gegensatz zur a. F. findet man teilweise ausführliche Begründungsversuche zur Herleitung der weiten Fassung: Der Wortlaut wird hierbei in zweierlei Hinsicht als Argument für die weite Auslegung angeführt: Ein Teil der Autoren betont, schon der Begriff des Versetzens habe im Sprachgebrauch einen weitergehenden Inhalt als das Aussetzen und beschreibe nur einen schlichten Wirkungszusammenhang; für ihn müsse infolgedessen eine räumliche Änderung nicht zwingend vorliegen468. Andere Autoren kombinieren die Betrachtung des Wortlauts mit einem historischen Argument: Das Versetzen sei weit zu verstehen, da eine Änderung im Wortlaut vorliege und der Gesetzgeber damit die – in der Entwicklungsgeschichte stets vorhandene – Vorstellung einer Erweiterung der Norm verbunden habe469. Allerdings wird der Schlussfolgerung, die Wortlautänderung bewirke eine Erweiterung der ersten Tathandlung, häufig widersprochen und betont, aus dem Wortlaut könne sowohl ein weites als auch ein enges Verständnis hergeleitet werden470. Bezüglich der – durch das 6. StrRG unveränderten – Überschrift „§ 221 StGB Aussetzung“ wird hervorgehoben, hieraus könne nicht auf das Beibe1999, 46; a. A. – insbesondere beim erwachsenen gesunden Menschen als Opfer – Lucks, S. 70 f. 467 LK-StGB11-Jähnke [07/1999], § 221 Rn. 15; Sternberg-Lieben/Fisch, Jura 1999, 46; Jäger, JuS 2000, 32; Laue, S. 74; SK-StGB7-Horn/Wolters [03/2002], § 221 Rn. 4; Sträßner, PflR 2002, 97; MüKo-StGB-Hardtung, § 221 Rn. 11; Gössel/Dölling, BT 12, § 7 Rn. 15; Haft, BT II8, S. 126; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 19, § 4 Rn. 6; NK-StGB2-Neumann, § 221 Rn. 12; Rengier, BT II8, § 10 Rn. 7; Schmidt/Priebe, BT I6, Rn. 250; Tröndle/Fischer, StGB54, § 221 Rn. 6. Im Hinblick auf das „Abschneiden von Hilfen“ teilweise aber a. A. Schönke/SchröderStGB27-Eser, § 221 Rn. 4; Lackner/Kühl, StGB26, § 221 Rn. 3. 468 Küper, ZStW 111 [1999], 42; LK-StGB11-Jähnke [07/1999], § 221 Rn. 12 f.; Baier, JA 2000, 305; Jäger, JuS 2000, 32; Ebel, NStZ 2002, 405; Laue, S. 72, 74; MüKo-StGB-Hardtung, § 221 Rn. 11; Marxen, BT, S. 21; Hacker/Lautner, Jura 2006, 275; Joecks, StGB7, § 221 Rn. 6; Küpper, BT I3, § 1 Rn. 86; Schmidt/Priebe, BT I6, Rn. 250. 469 Schroth, NJW 1998, 2863 [jetzt aber zweifelnd an dem Willen des Gesetzgebers zur Erweiterung des Versetzens ders., BT4, S. 78]; Jäger, JuS 2000, 32; Schmidt/Priebe, BT I6, Rn. 250; a. A. MüKo-StGB-Hardtung, § 221 Rn. 12. 470 DSNS-Struensee, 2. Teil Rn. 30 f.; Sternberg-Lieben/Fisch, Jura 1999, 46; Lucks, S. 60 f.; ähnlich Lackner/Kühl, StGB26, § 221 Rn. 3. In diese Richung auch noch Küpper, JuS 2000, 225, dann aber anders in Küpper, BT I3, § 1 Rn. 86.

C. Die Tathandlung der Aussetzung

175

halten des engen Verständnisses geschlossen werden, weil die Überschrift historisch gewachsen und nur deshalb beibehalten worden sei471. Hinsichtlich der Aussagekraft der Materialien zur Frage der Reichweite der ersten Tatvariante sind die Stimmen in der Lehre ebenfalls geteilter Meinung: Während einige Autoren meinen, den Materialien zum 6. StrRG, E 1960 und E 1962 seien keine stichhaltigen Ausführungen zur ersten Tathandlung zu entnehmen und ein Schluss auf eine Erweiterung der ersten Tathandlung daher nicht möglich472, beurteilt dies ein Teil des Schrifttums anders: Er geht davon aus, der amtlichen Begründung sei der historisch gewachsene Wille des Gesetzgebers zu einer neuen, über das Aussetzen der a. F. hinausgehenden Auslegung der ersten Tatmodalität zu entnehmen473. Zusätzlich wird versucht, die weite Auslegung durch systematische Argumente zu untermauern. In erster Linie wird – im Rahmen einer zweigliedrigen Argumentation – mittels eines Vergleichs mit der alten Rechtslage und mit der Tatsache der Erweiterung der zweiten Tathandlung gearbeitet. Zur a. F. war es die überwiegende Ansicht in Rechtsprechung und Lehre, dass beide Tathandlungen eine räumliche Bewegung verlangten, die beim Aussetzen eine solche des Opfers war, beim Verlassen in einer solchen des Täters weg vom Opfer bestand; es existierte quasi ein „Gleichklang“ 474 der Tathandlungen475. Da dieser „Gleichklang“ auch bei der n. F. wieder herzustellen und grundlegend für die Aussetzung anzusehen sei, müsse man – mit Blick auf das weit zu verstehende – Imstichlassen auch beim Versetzen auf ein räumliches Element verzichten und dieses weit auslegen, um 471 LK-StGB11-Jähnke [07/1999], § 221 Rn. 1; Laue, S. 73; Lucks, S. 227. So schon zur a. F. der Norm Eser, StR III2, Fall 10 Anm. 2. Das Problem ist an sich auch nicht neu, sondern wurde bereits bei den Beratungen der Reformentwürfe in der Weimarer Republik erörtert; vgl. 1. Lesung Strafrechtsausschüsse des Reichstages 1928–1929, in: Beratungen Reichsrat [1926/27], Bd. 3/2, S. 676. A. A. zur Herleitung des Inhaltes der ersten Tathandlung aus der Überschrift nach § 82 öStGB aber EBRV 1971 S. 210, und Leukauf/Steininger, öStGB3, § 82 Rn. 8. Diesem Argument widersprechen jedoch WK-öStGB2-Burgstaller/Fabrizy [04/2002], § 82 Rn. 7; Foregger/Fabrizy, öStGB9, § 82 Rn. 3. 472 Küper, ZStW 111 [1999], 41; Sternberg-Lieben/Fisch, Jura 1999, 45; Kosloh, S. 56; Ellbogen, JuS 2002, 155; Lucks, S. 60; MüKo-StGB-Hardtung, § 221 Rn. 12. 473 Schroth, NJW 1998, 2863 [jetzt aber zweifelnd an dem Willen des Gesetzgebers zur Erweiterung des Versetzens ders., BT4, S. 78]; Jäger, JuS 2000, 32; Pfleiderer/Schubert, MedR 2005, 595; Hacker/Lautner, Jura 2006, 275. Ähnlich Laue, S. 70, der zwar davon ausgeht, dass sich eine eindeutige Begründung für die Umgestaltung in den Materialien nicht finden lasse, jedoch – mangels ausdrücklicher Anknüpfung an die alte Rechtslage in den Materialien – die weite Auslegung vorzuziehen sei, ders., S. 74. 474 Formulierung bei Laue, S. 73. 475 Vgl. oben im 4. Teil: C. II. 1. [Nachweise dort in Fn. 447, 448].

176 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

einen inneren Widerspruch zu vermeiden476. Ergänzend wird darauf hingewiesen, der Unrechtsgehalt in beiden Tatvarianten müsse aufgrund des identischen Strafrahmens gleich groß sein und deshalb seien auch die Tathandlungen gleich weit zu interpretieren477. Zudem wird – rechtsvergleichend – darauf aufmerksam gemacht, auch die erste Tathandlung in § 82 öStGB verlange beim „in eine hilflose Lage Bringen“ keine Ortsveränderung478. Einige Stimmen in der Lehre wollen außerdem berücksichtigt wissen, dass dem 6. StrRG im Allgemeinen479 und der Normierung der Aussetzung im Speziellen480 eine Tendenz zur Erweiterung des strafbaren Verhaltens bzw. zur Schließung von Strafbarkeitslücken zu eigen sei, was auch bei der Auslegung der Aussetzung berücksichtigt werden müsse. Daneben wird vielfach mit Sinn und Zweck der „neuen“ Aussetzung argumentiert: Danach erlaube der Zweck des § 221 StGB keine Reduktion der ersten Tathandlung auf nur räumliche Verhaltensweisen481 bzw. wäre die Limitierung des Tatbestandes hierauf „ungerecht“482. Die neue erste Tathandlung wird in ihrer Reichweite von etlichen Autoren wieder eingeschränkt, indem sie die Definition des Versetzens dahingehend ergänzen, ein Versetzen in eine hilflose Lage liege nur dann vor, wenn das Opfer unter dem „bestimmenden Einfluss“ des Täters in diese Situation gebracht werde483. Sucht man nach einer positiven Umschreibung dieses Einflusses, findet man nicht sehr viel. Vielmehr wird nur regelmäßig der Aspekt hervorgehoben, das Vorliegen einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung des Opfers solle zum Ausschluss des „bestimmenden Einflusses“ des Täters führen. 476 Küper, ZStW 111 [1999], 43; Sternberg-Lieben/Fisch, Jura 1999, 46; Küpper, JuS 2000, 225; ders., BT I3, § 1 Rn. 86; Laue, S. 73; Lucks, S. 61. 477 Sternberg-Lieben/Fisch, Jura 1999, 46; Kosloh, S. 57; Ellbogen, JuS 2002, 155; Lucks, S. 61. 478 Küper, ZStW 111 [1999], 43. 479 Kosloh, S. 57. DSNS-Struensee, 2. Teil Rn. 32 f., bezeichnet dies als Tendenz zur „bestrafungsfreudigsten Alternative“; dem zustimmend Laue, S. 74. 480 Küper, ZStW 111 [1999], 43. 481 Schroth, NJW 1998, 2863. 482 Ebel, NStZ 2002, 405. 483 Zum Folgenden: LK-StGB11-Jähnke [07/1999], § 221 Rn. 16; Sternberg-Lieben/Fisch, Jura 1999, 46. Fn. 26; Laue, S. 71; S. Heinrich, S. 166, 180; Lucks, S. 74, 109, 172; Küper, BT6, S. 34, 38 f.; Tröndle/Fischer, StGB54, § 221 Rn. 6; Wessels/Hettinger, BT I31, Rn. 199. So schon zu § 221 StGB a. F. LKStGB10-Jähnke [04/1981], § 221 Rn. 9; Küper, BT1, S. 26 f. Dass eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung eine Strafbarkeit einer Aussetzung durch Versetzen ausschließt, wurde auch von Schmidt und Schwalm in der Großen Strafrechtskommission betont; Ndschr. Bd. 7 [1959], S. 97.

C. Die Tathandlung der Aussetzung

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Innerhalb der weiten Auslegung des Versetzens gibt es aber eine beachtliche Gruppe von Wissenschaftlern, die zwar in der Sache der weiten Auslegung folgen, eine bestimmte Verhaltensweise aber wieder aus dem Tatbestand des § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB herausnehmen und unter das Imstichlassen subsumieren wollen484: das örtliche Verlassen des Opfers durch den Täter. Argument hierfür ist die – bei Subsumtion unter § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB – drohende Umgehung der engeren Voraussetzungen von § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB oder sind auch die sonst entstehenden systematischen Widersprüche485. Laue geht sogar grundsätzlich davon aus, die Fälle der fehlenden Zustandsveränderung beim Opfer seien immer unter das Imstichlassen zu subsumieren486. Teilweise wird dieses Ergebnis nicht aus dem Versetzen selber, sondern über das jeweilige Verständnis der hilflosen Lage begründet487. 3. Der Tatbestandstyp der ersten Tatvariante Die Einordnung der ersten Tatalternative in eine der Deliktskategorien war früher und ist heute – im Gegensatz zur zweiten Tatvariante – kaum umstritten. a) Einordnung der ersten Tatvariante a. F. in die Typen der Tatbestände Hinsichtlich der Interpretation der Tathandlung Aussetzen vor dem 6. StrRG ist eine Entwicklung zu erkennen: Ging man zu Zeiten des RStGB eher davon aus, die erste Tatvariante des Grundtatbestandes könne nur durch eine „positive Tätigkeit“ begangen werden, so wurde ab Ende des 2. Weltkrieges nahezu durchgehend vertreten, sie stelle ein auch durch Unterlassen zu verwirklichendes Begehungsdelikt dar. 484 So mit verschiedenen Begründungsansätzen LK-StGB11-Jähnke [07/1999], § 221 Rn. 12; Jäger, JuS 2000, 33 f.; Laue, S. 114; SK-StGB7-Horn/Wolters [03/2002], § 221 Rn. 4 a. E.; Lucks, S. 170 ff.; Hillenkamp, BT10, S. 15 f.; Marxen, BT, S. 21; Küper, BT6, S. 36; NK-StGB2-Neumann, § 221 Rn. 9; Hacker/Lautner, Jura 2006, 277 f.; Lackner/Kühl, StGB26, § 221 Rn. 3. Zu den Begründungen und Argumenten dieser Ansicht für diese Einschränkung später ausführlich 4. Teil: E. II. 2. 485 Kosloh, S. 57; Marxen, BT, S. 21; Küper, BT6, S. 36; Rengier, BT II8, § 10 Rn. 9, 12. Dieses Argument findet sich im Übrigen bei den Vertretern der engen Auslegung als Argument gegen das weite Verständnis; vgl. die Nachweise im 4. Teil: C. II. 2. a) in Fn. 463. 486 Laue, S. 114; in diese Richtung auch Hacker/Lautner, Jura 2006, 277 f. 487 So Lucks, S. 177 ff.; ähnlich Jäger, JuS 2000, 34; Ebel, NStZ 2002, 408; NKStGB2-Neumann, § 221 Rn. 9.

178 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

aa) Rechtsprechung zu § 221 Abs. 1 Alt. 1 StGB a. F. Entscheidungen, die sich ausdrücklich mit der Möglichkeit der Begehung der ersten Tatvariante durch Unterlassen befassen, existieren weder zu Zeiten des RStGB noch des StGB. Aussagen zum Tatbestandstypus der ersten Tatalternative findet man darum kaum, vielmehr nur wenige Worte in den Entscheidungen, die sich mit dem Begriff Aussetzen befassen488. Bei der Definition, die das Reichsgericht verwendet, fällt auf, dass immer wieder die Rede davon ist, beim Aussetzen würde der Taterfolg der hilflosen Lage durch ein „tätiges Handeln“ bzw. eine „positive Tätigkeit“ herbeigeführt489. Dies bietet einen gewissen, wenn auch nicht zwingenden Hinweis darauf, dass das Aussetzen als reines Begehungsdelikt angesehen wurde, ohne die Möglichkeit der Begehung durch Unterlassen. Zwingend ist dieser Schluss – mangels wirklich eindeutiger Belege – aber nicht. Nur in einer einzigen Entscheidung490 ist noch ein Anhaltspunkt für eine Beschränkung des Aussetzens ausschließlich auf positives Tun zu entdecken, weil dort die zweite Tathandlung als Vergleich herangezogen wurde; es heißt in besagter Entscheidung: „Der Unterschied (erg.: zwischen beiden Varianten der Aussetzung) liegt lediglich darin, daß im ersten Fall eine positive Tätigkeit, die den hilflosen Zustand herbeiführt, gefordert wird, während im zweiten Fall der hilflose Zustand bereits vorhanden ist und das Vergehen darin besteht, daß eine fürsorgepflichtige Person den Zustand vorsätzlich fortbestehen läßt.“ Ausdrücklich ausgeschlossen wurde ein Begehen der ersten Tatvariante durch Unterlassen allerdings auch hier nicht. Die neueren Entscheidungen der Rechtsprechung zu § 221 StGB, die sich mit der Tatvariante des Aussetzens befassen, äußern sich nicht zur Frage der Möglichkeit der Begehung durch Unterlassen, da sie nur Fälle des Aussetzens durch Tun betrafen; allerdings findet man in der allgemeinen Definition des Aussetzens in diesen Entscheidungen nicht mehr die Forderung eines „tätigen Handelns“ oder einer „positiven Tätigkeit“ für das Aussetzen491.

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Vgl. die Nachweise im 4. Teil: C. II. 1. a) in Fn. 443 und 444. RGSt 7, 111 [112]; 31, 165 [167]; 54, 273 [274]; RG GA 45 [1897], 357; 54 [1907], 297; RG Warn B 11 [1917], 16. 490 RG Warn B 11 [1917], 16. 491 BGHSt 4, 113 [115]; OLG Hamm VRS 19, 431 [433]; KG JR 1973, 72 [73]; BSG NJW 1993, 880, scheint aber der Möglichkeit der Begehung durch Unterlassen zuzuneigen. 489

C. Die Tathandlung der Aussetzung

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bb) Literatur zu § 221 Abs. 1 Alt. 1 StGB a. F. Die Umschreibung der ersten Variante der Aussetzung durch das Reichsgericht als eine „positive Tätigkeit“, „positive Einwirkung“ bzw. „tätiges Handeln“ findet man auch vielfach in der Literatur zu § 221 RStGB492. Im Gegensatz zur Rechtsprechung wird in der Literatur aber deutlich betont, die Aussetzung i. e. S. – gemeint war damit früher die erste Tatvariante493 – stelle stets ein Kommissivdelikt dar494. Kommissivdelikt bedeutet – übertragen auf den heutigen strafrechtlichen Sprachgebrauch – ein durch positives Tun verwirklichtes Begehungsdelikt495. Für eine Aussetzung durch Unterlassen wurde nur die zweite Tatvariante der Aussetzung für einschlägig erachtet, teils bezeichnet als Kommissivdelikt durch Unterlassen, teils als Omissivdelikt496. Solange das RStGB geltendes Recht war, fand sich für die Ansicht, bei § 221 Abs. 1 Alt. 1 RStGB handele es sich um ein auch durch unechtes Unterlassen begehbares Kommissivdelikt, nur eine Minderheit497. Zu § 221 StGB wurde nach 1945 aber genau diese Auffassung mehrheitlich vertreten498. Hierbei wurden zur Veranschaulichung typische Fälle für ein Ausset492 Olshausen, RStGB7, § 221 Anm. 5; Warmuth, S. 60; Dieterich, S. 25 ff.; Schwartz, RStGB, § 221 Anm. 3; Zerling, S. 40; Redlich, S. 48; Usinger, S. 17 f., 21; Ebermayer/Lobe/Rosenberg, RStGB4, § 221 Anm. 2; Teufel, S. 21, 24. Zum StGB nur noch LK-StGB8-Schaefer [1958], § 221 Anm. II.2.A; Dalcke/Fuhrmann/ Schäfer, StGB37, § 221 Anm. 3; Maurach, BT4, S. 47. 493 H. Meyer, S. 385; Radbruch, VD BT V, S. 189; Warmuth, S. 20; Zerling, S. 30; Hasenberg, S. 40; Redlich, S. 38, 48; Teufel, S. 16; Feloutzis, S. 89, 117; S. Heinrich, S. 87; so zu § 221 preuß. StGB 1851 auch Küper, ZStW 111 [1999], 34. 494 Ziehm, S. 23; Warmuth, S. 60; Zerling, S. 40; Redlich, S. 48; Maurach, BT4, S. 47. 495 Kommissivdelikt ist eine überkommene Formulierung für das Begehungsdelikt durch Tun. Das heutige Begehungsdelikt durch Unterlassen über § 13 StGB wurde als Kommissivdelikt durch Unterlassen bezeichnet; das heutige echte Unterlassungsdelikt als Omissivdelikt. Vgl. zu den Begrifflichkeiten Frank, StGB18, § 1 Anm. II.2; Androulakis, S. 140; LK-StGB9-Heimann-Trosien/Wolf [11/1974], Einleitung IV.1; Schöne, S. 23; Schmidhäuser, FS Müller-Dietz, S. 779; Schönke/SchröderStGB27-Stree, Vorbem §§ 13 ff. Rn. 135. 496 Zerling, S. 40; Maurach, BT4, S. 47; ähnlich Ziehm, S. 23, und Redlich, S. 48 ff. 497 Schwarze, RStGB3, S. 547; Hälschner, Strafrecht, S. 78; H. Weber, S. 26; Hasenberg, S. 40; Albrecht, S. 48; Frank, StGB18, § 221 Anm. III.2; Hall, SchwZStR 46 [1932], 357; Urban, S. 24. 498 Welzel, StR11, S. 296; van Els, NJW 1967, 966; Bockelmann, BT 2, S. 71; Eser, StR III2, Fall 10 Anm. 17; LK-StGB10-Jähnke [04/1981], § 221 Rn. 10; Schmidhäuser, BT2, Kap. 2 Rn. 42; Feloutzis, S. 147; Gössel, BT 1, § 8 Rn. 14; SK-StGB5-Horn [05/1993], § 221 Rn. 6; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 18, § 4 Rn. 7; Küpper, BT I1, § 1 Rn. 87; Haft, BT6, S. 99; Schönke/Schröder-StGB25-Eser,

180 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

zen durch Unterlassen gebildet; dies waren in erster Linie das pflichtwidrige Dulden des Weggehens seitens des Schützlings oder das Nichthindern des Wegbringens des Opfers durch Dritte oder das Nichteinschreiten gegen Naturgewalten499. Eine Begründung, warum die mehrheitlich vertretene Ansicht diesen Wechsel für die Einordnung des § 221 Abs. 1 Alt. 1 StGB a. F. vollzog und die erste Tatalternative nicht mehr als nur durch aktives Tun, sondern als ein auch durch Unterlassen begehbares Delikt qualifizierte, ist nirgends zu finden. Neben der im Allgemeinen Teil des StGB zu findenden generellen Norm des § 13 StGB, wonach grundsätzlich jedem Begehungsdelikt ein entsprechendes unechtes Unterlassungsdelikt zuzuordnen ist, scheint durchaus die Erkenntnis eine Rolle gespielt zu haben, es könne für die Strafbarkeit nach § 221 Abs. 1 StGB „nicht mehr entscheidend darauf ankommen“500, ob das Kindermädchen den Kinderwagen in den Abgrund stößt oder ihn abwärts rollen lässt, bzw. eine unterschiedliche Behandlung dieser beiden Verhaltensweisen sei „nicht einzusehen“501. b) Klassifizierung des Tatbestandstyps des § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB n. F. An der Einordnung des – heutigen – Versetzens als Begehungsdelikt, das auch in der Erscheinungsform eines unechten Unterlassungsdeliktes begangen werden kann, wird heute weitgehend festgehalten; allerdings gibt es auch Befürworter des gegenteiligen Standpunktes. aa) § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB als nur durch aktives Tun begehbares Delikt Schroth und Brodag gehen davon aus, das Versetzen sei ein Begehungsdelikt, das nur durch Tun begehbar ist, ein entsprechender unechter Unterlassungstatbestand existiere nicht502. Zur Begründung führt Schroth den § 221 Rn. 6a; Schroth, BT1, S. 51; Tröndle, StGB48, § 221 Rn. 5; Wessels, BT I21, Rn. 189; offen gelassen bei Lackner/Kühl, StGB22, § 221 Rn. 2. 499 Albrecht, S. 48; Frank, StGB18, § 221 Anm. III.2; Hall, SchwZStR 46 [1932], 357; Urban, S. 24; LK-StGB10-Jähnke [04/1981], § 221 Rn. 10; SK-StGB5-Horn [05/1993], § 221 Rn. 6; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 18, § 4 Rn. 7; Schönke/ Schröder-StGB25-Eser, § 221 Rn. 6a; Schroth, BT1, S. 51; Tröndle, StGB48, § 221 Rn. 5; Wessels, BT I21, Rn. 189. 500 Eser, StR III2, Fall 10 Anm. 17. 501 van Els, NJW 1967, 966. 502 Schroth, NJW 1998, 2863 [tendenziell so auch noch ders., BT4, S. 79]; Brodag, StR8, 9. Teil Rn. 83 f. [widersprüchlich jetzt Brodag, StR9, 9. Teil Rn. 71:

C. Die Tathandlung der Aussetzung

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Wortlaut an: Nach seiner Ansicht verlangt das Versetzen als Handlungsbeschreibung sprachlich eine aktive Herbeiführung der hilflosen Lage503. Brodag ergänzt hierzu, bei Bestehen einer Garantenstellung erfasse § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB diese Fälle504. bb) Die Tatvariante des Versetzens als auch durch Unterlassen begehbares Erfolgsdelikt Die Mehrzahl der Stimmen im Schrifttum zieht die Einordnung des § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB als auch durch Unterlassen begehbares (= „normales“) Erfolgsdelikt vor505. Für die Möglichkeit, § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB könne durch Unterlassen begangen werden, wird heute das systematische, auf der allgemeinen Dogmatik des StGB beruhende Argument angeführt, die Gegenansicht beachte § 13 Abs. 1 StGB nicht506; zudem sei deren Zuhilfenahme des Wortlauts bei der Begründung nicht hinnehmbar, denn alle Begehungsdelikte seien aktiv umschrieben und dennoch über § 13 StGB durch Unterlassen begehbar507. Wie schon zur a. F., so werden auch zur n. F. Fallbeispiele angeführt, die als typische Fälle des Versetzens durch Unterlassen anzusehen sein sollen. Diese sind weitgehend identisch mit den vor dem 6. StrRG genannten, ins„Besteht eine Garantenpflicht, kann § 221 I Nr. 1 auch durch Unterlassen erfüllt werden, § 13“, und Rn. 72: „Abs. 1 Nr. 2 ist der entsprechende Unterlassungstatbestand zu Abs. 1 Nr. 1“]. Daneben gibt es noch Autoren [so Ebel, NStZ 2002, 404; in diese Richtung wohl auch Roxin, AT II, § 31 Rn. 18], die das Versetzen – ähnlich wie früher das Reichsgericht und Teile der Lehre – als „aktive“ Tathandlung bezeichnen, wobei aber offen bleibt, ob mit dieser Nomenklatur auch eine Einordnung als [nur] durch aktives Tun zu verwirklichendes Begehungsdelikt einhergehen soll. Dieser Ansicht muss auch DSNS-Struensee, 2. Teil Rn. 42, zugeordnet werden, der § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB als das entsprechende unechte Unterlassungsdelikt zu § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB ansieht; vgl. ausführlich später im 4. Teil: E. II. 2. c) bb). 503 Schroth, NJW 1998, 2863. 504 Brodag, StR8, 9. Teil Rn. 83. 505 Küper, ZStW 111 [1999], 44; ders., BT6, S. 38; LK-StGB11-Jähnke [07/1999], § 221 Rn. 4, 21; Sternberg-Lieben/Fisch, Jura 1999, 46; Hohmann/Sander, BT II, § 5 Rn. 20; Jäger, JuS 2000, 33; ders., BT2, Rn. 69; Laue, S. 75 f.; SK-StGB7-Horn/ Wolters [03/2002], § 221 Rn. 5; Lucks, S. 76; MüKo-StGB-Hardtung, § 221 Rn. 2, 11; Gössel/Dölling, BT 12, § 7 Rn. 5, 12, 17; Haft, BT II8, S. 126; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 19, § 4 Rn. 8; NK-StGB2-Neumann, § 221 Rn. 4, 17; Kindhäuser, LPK3, § 221 Rn. 9; ders., BT I3, § 5 Rn. 11; Schönke/Schröder-StGB27-Eser, § 221 Rn. 5; Joecks, StGB7, § 221 Rn. 7; Küpper, BT I3, § 1 Rn. 85; Lackner/Kühl, StGB26, § 221 Rn. 3; Rengier, BT II8, § 10 Rn. 8; Schmidt/Priebe, BT I6, Rn. 251a; Tröndle/Fischer, StGB54, § 221 Rn. 6; Wessels/Hettinger, BT I31, Rn. 199. 506 Laue, S. 76; Lucks, S. 76; Wessels/Hettinger, BT I31, Rn. 199 Fn. 4. 507 Jäger, JuS 2000, 33; Lucks, S. 76.

182 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

besondere das Geschehenlassen der „Selbstaussetzung“ des Opfers durch den Täter, die Duldung der Aussetzung durch einen Dritten sowie das Nichteinschreiten gegen das Opfer gefährdende Naturgewalten oder Zufälle508. 4. Zwischenergebnis Die überwiegende Anzahl der Autoren will das Versetzen weit verstehen und dabei auf das räumliche Kriterium der a. F. verzichten. Es kommt danach nicht mehr darauf an, dass der Täter das Opfer aus den bisherigen Verhältnissen weg in neue räumliche Verhältnisse bringt, sondern es reicht jedes Verhalten – auch ohne eine Ortsveränderung – aus, das eine hilflose Lage zur Folge hat. Nach absolut überwiegender Ansicht war und ist die erste Tathandlung der Aussetzung als „normales“ Begehungsdelikt einzuordnen, das über § 13 StGB auch als unechtes Unterlassungsdelikt gebildet werden kann. 5. Eigene Auffassung zum Versetzen Wie man den vorhergehenden Darstellungen zu den beiden Tathandlungen unschwer entnehmen kann, hat sich das „Windrad der Streitigkeiten“ gedreht: War früher der Inhalt der ersten Tathandlung – Aussetzen – weitgehend unstreitig und in erster Linie der Umfang und die Rechtsnatur der zweiten Tatalternative – Verlassen – Gegenstand der Diskussion, so hat sich dies seit 1998 umgekehrt: Das Imstichlassen ist deutlich weniger im Fokus der Auseinandersetzung als das Versetzen, wobei insbesondere die Frage der inhaltlichen Reichweite und die Abgrenzung zur zweiten Tathandlung diskutiert wird. Eine Definition oder Erläuterung des Begriffes Versetzen existiert in der amtlichen Begründung zum 6. StrRG nicht. Demzufolge ist der Inhalt aus dem Wortlaut – unter besonderer Berücksichtigung der rechtsgeschichtlichen Entwicklung – sowie mit Hilfe einer systematischen Betrachtung – unter Beachtung von Sinn und Zweck des Tatbestandes – zu ermitteln. 508 LK-StGB11-Jähnke [07/1999], § 221 Rn. 21; Sternberg-Lieben/Fisch, Jura 1999, 46; Jäger, JuS 2000, 33; Laue, S. 76 f.; SK-StGB7-Horn/Wolters [03/2002], § 221 Rn. 5; Lucks, S. 75 ff.; MüKo-StGB-Hardtung, § 221 Rn. 10 f.; Gössel/Dölling, BT2, § 7 Rn. 17; Haft, BT II8, S. 126; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 19, § 4 Rn. 8; NK-StGB2-Neumann, § 221 Rn. 17; Kindhäuser, LPK3, § 221 Rn. 9; ders., BT I3, § 5 Rn. 11; Schönke/Schröder-StGB27-Eser, § 221 Rn. 5; Joecks, StGB7, § 221 Rn. 7; Rengier, BT II8, § 10 Rn. 8; Tröndle/Fischer, StGB54, § 221 Rn. 6; Wessels/Hettinger, BT I31, Rn. 199.

C. Die Tathandlung der Aussetzung

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a) Wortlautauslegung Häufig wird auf den Wortlaut der neuen Fassung der ersten Tathandlung für die Deutung ihres Inhaltes abgestellt. Infolgedessen ist nun der Frage nachzugehen, wie der Wortlaut zu verstehen ist. Rein sprachlich kann der Begriff Versetzen diverse Bedeutungen haben509: 1. a) b) c) d)

an eine andere Stelle o. Ä. setzen, bringen, an eine andere Dienststelle o. Ä. beordern, (einen Schüler) in die nächste Klasse aufnehmen, (veraltet) unterdrücken;

2. a) in einen anderen Zustand, in eine neue Lage bringen, b) sich in jemanden, in etwas hineindenken; 3. unversehens geben, beibringen; 4. a) verpfänden, b) zu Geld machen; 5. (umgangssprachlich) vergeblich warten lassen, eine Verabredung mit jemandem nicht einhalten; 6. (energisch, mit einer gewissen Entschlossenheit) antworten; 7. vermischen (und dadurch in der Qualität mindern). Die hohe Anzahl der möglichen Umschreibungen zeigt, dass das Versetzen für sich genommen eine Vielzahl von verschiedenen Bedeutungen haben kann. Im Rahmen der Aussetzung werden nur die Bedeutungen 1a und 2a in Betracht kommen, was sich aus dem Zusammenhang des Versetzens mit der hilflosen Lage ergibt, in die das Opfer versetzt wird. Die anderen Deutungen lassen sich mit dem Tatbestandsmerkmal der Lage nicht in Einklang bringen. Dabei klingt das „an eine andere Stelle o. Ä. setzen oder bringen“ (1a) eher nach einem räumlichen Aspekt, während die Bedeutung 2a offen für sowohl ein räumliches als auch für ein nichträumliches Verständnis des Versetzens ist. Da man dem Duden nicht entnehmen kann, welche dieser zwei Definitionen gebräuchlicher ist, kann man aus den inhaltlichen Umschreibungen – wie schon beim Imstichlassen – sowohl die weite als auch die enge Auslegung herleiten, je nachdem, welche der aufgeführten Bedeutungen man für die richtige hält. Mit Hilfe der Wortlautauslegung wird sich zwar meis509 Duden [3. Aufl., siehe 4. Teil: C. I. 5. a) Fn. 203], Bd. 9, S. 4277 f. [ebenso schon Duden (2. Aufl., siehe 4. Teil: C. I. 5. a) Fn. 203) Bd. 8, S. 3714]. Nicht ganz so zahlreich, in der Sache aber weitgehend identisch die Umschreibungen bei Wahrig [vgl. 4. Teil: C. I. 5. a) Fn. 204], S. 1586 [8. Aufl.] und S. 1313 [6. Aufl.].

184 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

tens nur die weitestmögliche Grenze der Auslegung eines Begriffs bestimmen lassen, zur Festlegung einengender Kriterien ist sie aber kaum geeignet510. Der reine Wortlaut „Versetzen“ ist insoweit offen und hilft bei der Bestimmung der inhaltlichen Reichweite der ersten Tatvariante nicht weiter, weil man ja – ohne ihm Gewalt anzutun – beide Ansichten aus ihm herleiten kann511. Ein Aspekt, der bei der Auslegung des Imstichlassens weitergeführt hat, könnte möglicherweise auch beim Versetzen einen Anhaltspunkt bieten: Beim Imstichlassen konnte für das weite Verständnis herangezogen werden, dass früher von Anhängern und Gegnern der weiten Auslegung des Verlassens a. F. der Begriff Imstichlassen für die weite Auslegung verwendet wurde512. Wäre dies auch beim Aussetzen in der a. F. der Fall, ergäbe sich aus dem Wortlaut ein Anhaltspunkt für die weite Auslegung des Versetzens. Allerdings lässt sich kein Beleg dafür finden, dass der Begriff Versetzen und die weite Auslegung bei § 221 Abs. 1 Alt. 1 StGB a. F. gleichzusetzen sind. Der Begriff Versetzen wird zwar vielfach als Handlungsumschreibung des Aussetzens a. F. verwendet, aber nicht einheitlich: Sowohl Vertreter der engen513, der weiten514 als auch der vermittelnden Ansicht515 benutzten das Wort „Versetzen“ zur näheren Charakterisierung ihres jeweils eigenen Verständnisses des Aussetzens und setzen es mit ihrer Auslegung gleich. Eine Eindeutigkeit wie beim Verlassen besteht nicht. Ob die Wortbedeutungen des Begriffs Aussetzen einen Hinweis zum Verständnis des Versetzens liefern, soll anhand der nachstehenden Definitionen geklärt werden516: 510 Vgl. oben die Darstellung im 4. Teil: C. I. 5. a) auf S. 116 und insbesondere ebenda die Ausführungen in Fn. 206. Daneben sei noch darauf hingewiesen, dass Rechtssprache und Alltagsprache häufig nicht einmal mit ein- und demselben Begriff dieselben Vorstellungen verbinden; vgl. hierzu Neumann, FS Androulakis, S. 1095, und Simon, S. 82 ff. 511 So auch Sternberg-Lieben/Fisch, Jura 1999, 46; Kosloh, S. 56; Lucks, S. 61; a. A. zur a. F. aber Albrecht, S. 55 f. 512 Vgl. Darstellung und Nachweise im 4. Teil: C. I. 5. a) auf S. 117 f. 513 Fenner, S. 26; Schwartz, RStGB, § 221 Anm. 1; Frank, StGB18, § 221 Anm. III.1; Gerland, StR2, S. 490; Dalcke/Fuhrmann/Schäfer, StGB37, § 221 Anm. 3; Feloutzis, S. 141; Schönke/Schröder-StGB25-Eser, § 221 Rn. 6. 514 Lifschitz, S. 70; Dieterich, S. 25; Heilbrunn, S. 24. 515 Henning, S. 15; Warmuth, S. 49; Usinger, S. 17. 516 Duden [3. Aufl., siehe 4. Teil: C. I. 5. a) Fn. 203], Bd. 1, S. 415. Nahezu identisch die Ausführungen zum Aussetzen in der letzten vor dem 6. StrRG publizierten Auflage im Duden – 2. Aufl., siehe 4. Teil: C. I. 5. a) Fn. 203 – Bd. 1, S. 370 f., wo eine weitere Ziffer „1 d) (Billard) zum Spielen hinsetzen“ zu finden ist. Ähnlich, aber weniger zahlreich die Ausführungen zum „Aussetzen“ bei Wahrig [4. Teil: C. I. 5. a) Fn. 204], S. 210 [8. Aufl.] und S. 238 [6. Aufl.].

C. Die Tathandlung der Aussetzung

185

1. a) an einen Ort bringen (und dort sich selbst überlassen), b) (kath. Kirche) zur Anbetung auf den Altar stellen, c) (Kaufmannssprache) zur Verpackung vorbereiten; 2. (der Einwirkung von) jemanden oder etwas preisgeben; 3. in Aussicht stellen, versprechen; 4. a) mitten in einer Tätigkeit o. Ä. plötzlich (für eine gewisse Zeit) abbrechen, aufhören, b) eine Pause machen; 5. a) vorübergehend unterbrechen, nicht weiterführen, b) (Rechtssprache) auf-, hinausschieben; 6. beanstanden, kritisieren; 7. ansetzen, festsetzen. Für die Aussetzung könnten die Deutungen 1a und 2 mögliche Ergebnisse einer Auslegung sein. Aber auch hier gilt: Während die Möglichkeit 1a ein räumliches Verständnis nahelegt, spricht die andere eher für ein nichträumliches, d.h. der Wortlaut des Aussetzens sprach schon früher nicht eindeutig für das enge Verständnis517. Ob also der Begriff des Versetzens generell weiter gefasst ist als der des Aussetzens, kann letztendlich nicht eindeutig bestimmt werden. Die Idee von Laue518, die Überschrift zur Auslegung der ersten Tathandlung heranzuziehen, ist – wie er selbst zutreffend feststellt – zum Scheitern verurteilt: Erstens bestehen schon Zweifel, ob und inwieweit man aus der Überschrift überhaupt Schlüsse ziehen kann519, und zweitens ist die Bezeichnung der Norm als Aussetzung rein historisch bedingt und passte schon früher nur zur ersten Tathandlung, nicht aber zur zweiten520. Nicht umsonst wurde deshalb schon früh gefordert, die Überschrift der Norm, die seit dem Bestehen der zweiten Tathandlung in Art. 131 sächs. CrimGB 517 Was übrigens dadurch bestätigt wird, dass sich Autoren aller drei Ansichten zum Aussetzen a. F. auf den Wortlaut beriefen; vgl. die Nachweise im 4. Teil: C. II. 1. b) in Fn. 447, 451 und 456. 518 Vgl. oben im 4. Teil: C. II. 2. b). 519 In BGHSt 45, 103 [106] lehnt der Bundesgerichtshof die Überschrift als Auslegungshilfe für die mögliche Grenze des Wortlauts sogar explizit ab. Zu dem Themenkomplex „Auslegung und Überschrift des Tatbestandes“ vgl. auch Simon, S. 136, 390 f. 520 Feloutzis, S. 31; Eser, StR III2, Fall 10 Anm. 2; LK-StGB11-Jähnke [07/1999], § 221 Rn. 1; Lucks, S. 227; ähnlich Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 19, § 4 Rn. 4. So auch Nejmark, S. 64, 85, 88, zur Bezeichnung von Art. 117 VE 1903 in der Schweiz als Aussetzung.

186 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

1838 nicht mehr zutraf, in die allgemeinere Fassung „Preisgebung Hilfloser“ zu ändern521. Obwohl der Wortlaut „Versetzen“ und die Überschrift also keine zwingenden Argumente für die weite Auslegung liefern, bleibt aber eine Tatsache bestehen: Der Wortlaut der ersten Tathandlung wurde geändert. Unterstellt man, der Gesetzgeber agiere sinnvoll und durchdacht bei der Neufassung von Gesetzen, so spricht eine Änderung des Wortlauts durchaus für eine Änderung der inhaltlichen Reichweite des Begriffs. Sollte nämlich nichts geändert werden, hätte man den alten Wortlaut beibehalten können. Da eine – im Vergleich zum Aussetzen nach § 221 Abs. 1 StGB a. F. – engere Auslegung des Versetzens nicht möglich erscheint, kann mit der Neuformulierung nur eine Erweiterung gemeint sein522. Mit anderen Worten: Was sollte der Gesetzgeber denn sonst mit der Änderung des Wortlautes beabsichtigt haben? Dieser Gedanke leitet direkt über zu der historischen Auslegung der ersten Tathandlung. b) Historische Auslegung Bei dem Versuch, den Willen des Gesetzgebers aus der historischen Entwicklung der Beschreibungen der ersten Tatvariante zu ermitteln, erweist es sich als Problem, dass weder in der amtlichen Begründung zum 6. StrRG noch im E 1960 oder E 1962 genauere Ausführungen zu dieser Tathandlung zu finden sind523. Das überrascht, denn die Formulierung der Tathandlung als Versetzen findet man erstmals in den Beratungen der Großen Strafrechtskommission, während die vorhergehenden Entwürfe im Deutschen Kaiserreich und in der Weimarer Republik stets am Aussetzen als Handlungsumschreibung für die erste Tatvariante festgehalten hatten524. Die fehlende Begründung zum Versetzen ist mit der Intention des 6. StrRG, Auslegungsprobleme zu beseitigen525, schwerlich vereinbar. Zu der Wortlautänderung der ersten Tatalternative vom Aussetzen zum Versetzen und zu der Einführung der Nummerierung der Tatvarianten von 521

Fenner, S. 26; Zerling, S. 30; Redlich, S. 38. So Jäger, JuS 2000, 32; Lucks, S. 61. 523 DSNS-Struensee, 2. Teil Rn. 24; Küper, ZStW 111 [1999], 41; LKStGB11-Jähnke [07/1999], § 221 Entstehungsgeschichte vor Rn. 1; Sternberg-Lieben/Fisch, Jura 1999, 45; Kosloh, S. 48; Laue, S. 69 f.; S. Heinrich, S. 165; Lucks, S. 53, 202. 524 DSNS-Struensee, 2. Teil Rn. 24; Küper, ZStW 111 [1999], 40; LKStGB11-Jähnke [07/1999], § 221 Entstehungsgeschichte vor Rn. 1; Kosloh, S. 56; Laue, S. 2 f., 69 ff.; Lucks, S. 53, 60 f. 525 Freund, ZStW 109 [1997], 457. Vgl. allgemein zu diesem Anliegen des 6. StrRG die Verweise im 3. Teil: B. II. 3. in Fn. 197. 522

C. Die Tathandlung der Aussetzung

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§ 221 Abs. 1 StGB sind in den Materialien zum 6. StrRG folgende Ausführungen zu finden526: „Absatz 1 unterscheidet deutlicher als der geltende § 221 Abs. 1 zwischen zwei Ausführungsarten, nämlich dem Versetzen in hilflose Lage (Nummer 1) und dem Imstichlassen in hilfloser Lage (Nummer 2). Zur Begründung der Neufassung im einzelnen kann auf den E 1962 (S. 276 f.) zurückgegriffen werden.“

An der genannten Stelle im E 1962 findet sich folgende Passage527: „Der Entwurf begnügt sich jedoch nicht mit einer so allgemeinen Fassung der Gefährdungshandlung. Vielmehr beschreibt er die für den Tatbestand der Aussetzung typische Art und Weise, durch die der Täter das Leben des anderen gefährdet. Die Vorschrift führt hier im Anschluß an das geltende Recht und die früheren Entwürfe zwei Ausführungsarten an, die in der neuen Fassung nur äußerlich anders als im Entwurf 1960 geordnet werden, nämlich in Absatz 1 Nr. 1 das Versetzen in hilflose Lage und in Absatz 1 Nr. 2 das Imstichlassen in hilfloser Lage. Durch die Umschreibung der Tathandlungen in zwei Nummern desselben Absatzes – statt wie in den Entwürfen von 1913 bis 1930 und noch im Entwurf 1960 in zwei Absätzen – werden einerseits die beiden Untertatbestände klarer als bisher unterschieden, andererseits wird das beiden Gemeinsame betont; auch werden Wiederholungen vermieden.“

Kann man nun aus der Einfügung der Nummerierung und den dazu gehörigen Materialien etwas zum Inhalt der ersten Tathandlung ermitteln? Nach dem E 1960 war die „klarere Unterscheidung“ der beiden Tathandlungen das Ziel der Aufteilung in zwei Absätze. Diesen Zweck verfolgte auch die Neueinfügung der Nummern durch den E 1962 und diente damit einer deutlicheren und übersichtlicheren Gestaltung des Tatbestandes, weil dort die Tathandlungen „nur äußerlich anders als im Entwurf 1960 geordnet“ werden sollten, also kein inhaltlich anderes Verständnis angestrebt war. Das 6. StrRG äußert sich dann zur Nummerierung nur noch derart, dass die beiden Ausführungsarten in Absatz 1 jetzt deutlicher unterschieden sind. Mit Blick auf die Erläuterungen im E 1960 und E 1962 bezieht sich auch diese Anmerkung nur auf die optische Gestaltung des Tatbestandes. Mithin gilt es zur ersten Änderung der ersten Tathandlung festzuhalten: Durch die Einfügung der Ziffern wollte der Gesetzgeber den Tatbestand nur in optischer Hinsicht übersichtlicher gestalten, eine inhaltliche Neuaus526

RefE, S. 123; BR-Drs. 164/97, S. 120; BT-Drs. 13/7164, S. 34; 13/8587,

S. 34. 527 In E 1960, S. 260, sind die Ausführungen zu den Tathandlungen – abgesehen vom letzten Satz im E 1962 – wortgleich. Der letzte Satz lautet – leicht abweichend vom E 1962: „. . ., nämlich in Absatz 1 das Versetzen in hilflose Lage und in Absatz 2 das Imstichlassen in hilfloser Lage. In der Umschreibung dieser Tathandlungen in zwei Absätzen folgt der Entwurf den Entwürfen von 1913 bis 1930. Hierdurch werden die beiden Untertatbestände klarer als bisher unterschieden.“.

188 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

richtung war damit nicht verbunden528. Aus der Einfügung der Nummerierung alleine ergibt sich also nichts für die Auslegung der Tathandlungen. Kann man aus den Materialien über die Frage der Nummerierung hinaus etwas Neues zum Inhalt des Versetzens herleiten? Schließlich heißt es dort: „Der Entwurf begnügt sich jedoch nicht mit einer so allgemeinen Fassung der Gefährdungshandlung. Vielmehr beschreibt er die für den Tatbestand der Aussetzung typische Art und Weise, durch die der Täter das Leben des anderen gefährdet.“ Bedauerlicherweise geht der Gesetzgeber nicht näher darauf ein, was er unter der „allgemeinen Fassung der Gefährdungshandlung“ und unter der „typischen Art und Weise, durch die der Täter das Leben des anderen gefährdet“ versteht. Ist die „typische Art und Weise“ die historisch gewachsene, von einem räumlichen Verständnis geprägte Auslegung oder ein neues, nicht auf den räumlichen Aspekt beschränktes Verständnis? Die Materialien zum 6. StrRG sowie zum E 1960 und E 1962 sind hinsichtlich des Versetzens also unergiebig und es ist in ihnen kein Anhaltspunkt zur Klärung der Frage zu finden, wie die erste Tathandlung ausgelegt werden könnte529. Aus dem Ursprung der heutigen Formulierung kann man jedoch Folgendes herleiten: Schon in den beiden alternativen Ausgangsformulierungen, die der Großen Strafrechtskommission als Diskussionsgrundlage vorlagen, war nicht mehr von Aussetzen, sondern von „Versetzen“ oder „in hilflose Lage bringen“ die Rede530. Die Kommission entschied sich – auf Anregung des Bundesministeriums der Justiz531 – für das Versetzen, wobei nirgends eine Erläuterung zu finden ist, warum das geschah und welche Vorstellung man mit dem „Versetzen“ oder dem „in hilflose Lage bringen“ verbinden wollte532. Da die Materialien der Großen Strafrechtskommission zum E 1960 und E 1962 – als „direkter historischer Vorläufer“ der heutigen Textfassung der ersten Variante der Aussetzung – nichts hergeben, bietet es sich an, abermals einen Blick auf die Reformentwürfe aus der Weimarer Republik und 528

Küper, ZStW 111 [1999], 41; Lucks, S. 61, tendenziell ebenfalls Kosloh, S. 56. DSNS-Struensee, 2. Teil Rn. 24; Küper, ZStW 111 [1999], 40; LKStGB11-Jähnke [07/1999], § 221 Entstehungsgeschichte vor Rn. 1; Kosloh, S. 56; Laue, S. 2, 69 ff.; Lucks, S. 53, 60 f.; a. A. Schroth, NJW 1998, 2863 [jetzt aber zweifelnd an dem Willen des Gesetzgebers zur Erweiterung des Versetzens ders., BT4, S. 78]; Jäger, JuS 2000, 32 Fn. 6. 530 Ndschr. Bd. 5 [1958], Anhang B, S. 298; siehe auch Küper, ZStW 111 [1999], 40. Vgl. schon die Darstellung im 3. Teil: B. II. 1. sowie die Texte der Ausgangsformulierungen ebenda in Fn. 160. 531 Ndschr. Bd. 7 [1959], Anhang J 68, S. 331; vgl. auch Küper, ZStW 111 [1999], 41 Fn. 48. 532 Küper, ZStW 111 [1999], 41. 529

C. Die Tathandlung der Aussetzung

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dem Kaiserreich zu werfen; schließlich knüpften E 1960 und E 1962 explizit an sie an533. Jedoch findet man in diesen Entwürfen als Handlungsbeschreibung der ersten Tatvariante immer nur das alte Aussetzen; insoweit ist das Versetzen für die erste Tathandlung bei der Aussetzung neu und historisch ohne Vorbild534. Allerdings wurde – wenn auch selten – in den Beratungen über die erste Tathandlung diskutiert. Besonders interessant ist in diesem Zusammenhang der KE 1913, bei dessen erster Lesung die erste Tathandlung in § 264 als „Wer vorsätzlich einen anderen durch Aussetzung in hilflose Lage bringt“ beschrieben war535. Im Rahmen der Sitzungen wurde dabei die Ansicht zur ersten Alternative der Aussetzung geäußert, bei der Ausdehnung des geltenden Rechts „müsse man aber doch weiter gehen“ als der VE 1911 und „für die Strafwürdigkeit der Aussetzung sei es einerlei, ob die betroffene Person bereits vor der Aussetzung hilflos gewesen sei oder erst durch die Aussetzung hilflos werde. . . . Die hiernach bestehende Lücke sei zu schließen“536. Dies hätte eine Erweiterung des Kreises möglicher strafbarer Verhaltensweisen der ersten Tathandlung bedeutet. In der zweiten Lesung zu § 264 KE 1913537 wurde der Wortlaut jedoch wieder geändert und beinhaltete die Tathandlung, dass der Täter „einen anderen aussetzt und dadurch in ein hilflose Lage bringt“. Ob damit eine Rückkehr zum alten – engen – Verständnis verbunden sein sollte oder nur eine andere Wortwahl für das weite Verständnis aus der ersten Lesung gewählt wurde, ist den Materialien zum KE 1913 nicht zu entnehmen538. Es spricht aber für die Rückkehr zum engen Verständnis, dass in allen späteren Entwürfen539 als erste Tathandlung wieder das Aussetzen verwendet und dieses wie bisher als örtlich-räumlich beschränkter Handlungstypus verstanden wurde540. 533

Vgl. Darstellung und Nachweise oben im 3. Teil: B. in Fn. 69, 70. Küper, ZStW 111 [1999], 40. 535 Vgl. Strafrechtskommission [1911–1914], Entwürfe, S. 77. 536 141. Sitzung der 1. Lesung vom 12.06.1912, in: Reformkommission [1911–1913], Protokolle, Bd. 3, S. 38. Bestätigt durch die Ausführungen in der 182. Sitzung der 1. Lesung vom 06.11.1912, in: Reformkommission [1911–1913], Protokolle, Bd. 3, S. 400. Vgl. auch Küper, ZStW 111 [1999], 35. 537 Strafrechtskommission [1911–1914], Entwürfe, S. 211. So dann auch die endgültige Fassung in § 285 KE 1913; vgl. KE 1913, S. 69. 538 Ebermayer, Entwurf 1914, S. 62, sieht bei § 218 VE 1909 – der hinsichtlich der ersten Tathandlung wortgleich mit § 285 KE 1913 formuliert ist – weiterhin das alte Verständnis der ersten Tathandlung normiert. 539 § 289 Abs. 1 E 1919; § 227 Abs. 1 E 1922; § 230 Abs. 1 E 1925; § 257 Abs. 1 E 1927 und § 257 Abs. 1 E 1930. 540 So im E 1919, Denkschrift, S. 233; im E 1925, Begründung, S. 119, und im E 1927, Begründung, S. 129 f. Hierzu auch Usinger, S. 58; Aschrott/Kohlrausch534

190 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

Aus der – wenn auch nicht realisierten – Änderung der ersten Tathandlung in das „in hilflose Lage bringen“ kann man aber eines folgern: Die Idee einer erweiterten Auslegung der ersten Tathandlung ist an sich nichts Neues und sie wurde in der ersten Lesung des KE 1913 mit einem vom Aussetzen abweichenden Wortlaut umschrieben. Durch die Änderung in „bringen“ sollte eine Erweiterung geschaffen werden. Anknüpfend an die Stimmen, die aus der Wortlautänderung der ersten Tatvariante einen Willen des Gesetzgebers zur Änderung der tatbestandlichen Reichweite des § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB folgern, kann man also feststellen, dass diese Meinung aus historischer Sicht durchaus fundiert ist. Ähnliches kann man auch im Rahmen der Beratungen zum E 1930 beobachten; auch dort war die erste Tathandlung in § 257 E 1930 als Aussetzen formuliert, woraufhin der Abgeordnete Strathmann beantragte, dies abzuändern in die Formulierung „bringen in eine hilflose Lage“ und auf diese Weise die Lücke zu schließen, die bei der ersten Tatvariante bestehe, wenn man nur auf eine räumliche Entfernung abstelle541. Demzufolge schuf man mit dieser Umformulierung ein erweitertes Verständnis der ersten Tatvariante. Die Abstimmung über den Antrag Strathmanns wurde aber für die zweite Lesung zurückgestellt und in der ersten Lesung § 257 E 1930 in unveränderter Textfassung angenommen542. In der zweiten Lesung wurde über § 257 Abs. 1 E 1930 nicht mehr diskutiert, der Antrag damit letztlich nicht umgesetzt543. Die Gründe für die Nichtbehandlung des Antrages sind aus den Unterlagen nicht ersichtlich. Die Materialien zu den Reformentwürfen zum StGB und zum 6. StrRG liefern keinen konkreten Hinweis auf eine neue inhaltliche Deutung der ersten Tathandlung, allerdings auch keinen zwingenden Beweis für die Beibehaltung der bisherigen Auslegung. Allerdings sprechen die – im KE 1913 und E 1930 beantragten – Wortlautänderungen und die damit einhergehenden Diskussionen zu diesen Reformversuchen dafür, dass mit einer Umformulierung der ersten Tathandlung auch eine inhaltliche Veränderung verbunden sein sollte. Und darin kann man durchaus einen schwachen Anhaltspunkt für ein neues, weites Verständnis des Versetzens finden. Radbruch, S. 313 [der aber die Beibehaltung der räumlichen Trennung bei § 230 Abs. 1 E 1925 als „unverständlich“ kritisiert]; Olshausen, RStGB11, § 221 Anm. 16 [zu § 230 E 1925]; Teufel, S. 49; Appel, S. 80; Heilbrunn, S. 28 f. 541 Antrag Nr. 264, in: Beratungen Reichsrat [1926/27], Bd. 3/2, S. 675. 542 Beratungen Reichsrat [1926/27], Bd. 3/2, S. 67 f.; Anlage zur 134. Sitzung, in: Beratungen Reichsrat [1926/27], Bd. 3/3, S. 610. 543 In der 2. Lesung wurde nur ein Absatz 3 für besonders schwere Fälle eingefügt; vgl. Beratungen Reichsrat [1926/27], Bd. 3/3, S. 563. Siehe auch die Übersicht zur 2. Lesung, in: Beratungen Reichsrat [1926/27], Bd. 3/4, S. 594 f.

C. Die Tathandlung der Aussetzung

191

Im Übrigen: Selbst wenn in den Materialien die weite Auslegung der ersten Tatvariante nicht ausdrücklich formuliert wird, so hat der Grundtatbestand der Aussetzung durch die Erweiterung des Opferkreises, die eindeutige Erfassung auch von Gesundheitsgefahren und die neue Auslegung der zweiten Tathandlung insgesamt doch eine Entwicklung hin auf eine Erweiterung genommen, die bei der Auslegung der ersten Tathandlung nicht völlig übergangen und aus dem Auge verloren werden darf. c) Systematische Auslegung aa) Systematische Argumente im Rahmen von § 221 Abs. 1 StGB Die Systematik innerhalb des § 221 Abs. 1 StGB – also Folgerungen aus dem Verhältnis und dem Zusammenspiel der beiden Tathandlungen des Grundtatbestands – ist für die Frage von Interesse, ob sich Argumente für das weite Verständnis der ersten Tathandlung gewinnen lassen. Bei positiver Antwort muss geklärt werden, ob das weite Verständnis – wie teilweise behauptet – zu einem Systembruch innerhalb des Absatz 1 führen würde. Aus der Erweiterung der zweiten Tathandlung auch auf nicht räumlichörtlich geprägte Verhaltensweisen wird häufig der Schluss gezogen, damit müsse auch die erste Tathandlung weit verstanden werden: Aufgrund der postulierten „Identität des Unrechtsgehalts wegen übereinstimmender Strafrahmen“ bzw. aus Gründen der „Harmonisierung“ oder des „Gleichklangs“ der Tathandlungen wird die inhaltliche Gleichsetzung der Tathandlungen gefordert544. (1) „Gleiches Unrecht“ in beiden Tathandlungen Als Erstes soll die Argumentation „Ein identischer Strafrahmen bedeutet gleiches Unrecht, was wiederum zur übereinstimmenden Auslegung der beiden Tathandlungen bezüglich der erfassten Verhaltensweisen führt.“ auf ihre Richtigkeit untersucht werden. Um valide zu sein, muss diese Argumentation mehrere Prämissen erfüllen: Erstens:

Die Strafrahmen des StGB bilden ein stimmiges und in sich geschlossenes System, das genaue und generelle Aussagen über den Unrechtsgehalt der durch diese Strafrahmen erfassten Delikte gestattet.

544 Darstellung und Nachweise zu diesem „Gleichklang“ im 4. Teil: C. II. 2. b) – S. 175 f.

192 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

Zweitens: Tatvarianten einer Norm, die ein und demselben Strafrahmen unterliegen, stellen gleiches Unrecht dar. Drittens:

Verschiedene Tathandlungen desselben Tatbestandes lassen sich vergleichen. Um eine Vergleichbarkeit zu erreichen, muss man die Tathandlungen standardisieren können. Anders gesagt: Es gibt „typische“ Fälle bzw. „Normal-“ oder „Regelfälle“ für das Versetzen und das Imstichlassen.

Bei genauer Betrachtung wird sich keine dieser drei Prämissen als tragfähig und zutreffend erweisen. (a) Das System der Strafrahmen im StGB Folgerungen aus Strafrahmen bzw. Unrecht einer Norm sind schwierig zu ziehen, problematisch und infolgedessen kritisch zu bewerten. Prämisse derartiger Argumentationsstrukturen ist nämlich, dass den Strafrahmen des StGB ein logisches und in sich stimmiges System zugrundeliegt. Dem stimmte aber die überwiegende Ansicht schon vor dem 6. StrRG nicht zu; vielmehr sei eine Vielzahl von Unstimmigkeiten im Gefüge der Strafrahmen vorhanden545. An dieser Einschätzung hat sich durch das 6. StrRG nichts geändert546. Als Beleg dafür werden zahlreiche Widersprüche zwischen einzelnen Strafrahmen angeführt547. Zu bedenken ist darüber hinaus auch, dass es durch die vielfachen Erweiterungen von Strafrahmen durch das 6. StrRG noch schwieriger geworden ist, Aussagen zum Unrechtsgehalt und zum Schweregrad einer Tat vorzunehmen, sofern dies überhaupt möglich ist548. 545 Dreher, FS Bruns, S. 151; Hettinger, GA 1995, 421 ff.; ders., FS Küper, S. 96; Lackner/Kühl, StGB26, § 46 Rn. 48; a. A. Bruns, Strafzumessung2, S. 70; Montenbruck, S. 65. 546 Wilcken, S. 164; Freund, ZStW 109 [1997], 470; Sander/Hohmann, NStZ 1998, 273; MüKo-StGB-Joecks, Einleitung Rn. 93; Kempf, [3. Teil: B. II. 3. in Fn. 205], S. 104; Stächelin, StV 1998, 98, 101 f.; Kreß, NJW 1998, 633 f.; G. Schäfer, [3. Teil: B. II. 3. in Fn. 205], S. 36; Sack, [3. Teil: B. II. 3. in Fn. 205], S. 47 f.; Bussmann, StV 1996, 613 f.; Freund, GA 1999, 509; Hettinger, FS Küper, S. 107, 120; etwas positiver nur Rengier, ZStW 111 [1999], 128, und Widmaier, [3. Teil: B. II. 3. in Fn. 205], S. 72. 547 Allgemein Freund, ZStW 109 [1997], 459 ff.; Wilcken, S. 164; Hettinger, FS Küper, S. 101 ff. Aus der – inzwischen nahezu unüberschaubaren – Literatur nur: DSNS-Stein, 4. Teil Rn. 57 zu § 306c StGB; DSNS-Struensee, 2. Teil Rn. 2 ff. zu § 213 StGB; Bussmann, GA 1999, 25 f. zu § 227 StGB; Fischer, NStZ 1999, 14 zu §§ 306 ff. StGB; Rengier, ZStW 111 [1999], 11 f., 21 f. zu §§ 223 ff. StGB. 548 Bussmann, StV 1999, 614; Rengier, ZStW 111 [1999], 12; Wilcken, S. 157, 164; Lackner/Kühl, StGB26, Vor § 38 Rn. 10.

C. Die Tathandlung der Aussetzung

193

Völlig bedeutungslos sind die Strafrahmen des Besonderen Teils allerdings nicht. Sie stellen zumindest ein Grobschema dar, das eine abstrakte Unrechtsbewertung bzw. eine generelle Vorbewertung des Unrechts gestattet, mehr aber auch nicht549. Eine genaue Schwereskala der Straftaten, die innerhalb eines Strafrahmens alle Fälle vom denkbar leichtesten bis zum denkbar schwersten erfasst, lässt sich – entgegen anderslautender Ansicht550 – nicht herleiten und begründen551: Ohne diese Diskussion vertieft darstellen zu können552, lässt sich dies sowohl für die im Höchstmaß angedrohte Strafe eines Strafrahmens als auch für den untersten Bereich, die ja den denkbar schwersten und leichtesten Fall abbilden müssten, belegen. Im Bereich des Höchstmaßes der angedrohten Strafen macht schon allein die Möglichkeit der Bildung einer Gesamtstrafe nach §§ 53, 54 StGB bei Tatmehrheit deutlich, dass es einen denkbar schwersten Fall nicht gibt: Da nach §§ 53, 54 StGB grundsätzlich keine553 Freiheitsstrafe von mehr als 15 Jahren verhängt werden kann, gleichgültig wie viele Straftaten begangen wurden554, würde man, wenn ein Täter z. B. drei denkbar schwerste Fälle einer Tötung in Tatmehrheit begeht, dennoch nur 15 Jahre Freiheitsstrafe verhängen können. Damit spiegelt die Grenze von 15 Jahren keinesfalls das höchst mögliche Unrecht wider. Auch im unteren Bereich der Unrechtsschwere wird deutlich, dass der denkbar leichteste Fall häufig nicht von der – im Strafrahmen als geringst möglich – vorgesehenen Strafe erfasst wird. Dies verdeutlichen die §§ 153 ff. StPO, die – bei vorhandener Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit des Verhaltens – von der Einstellungsmöglichkeit aufgrund gerinBruns, Strafzumessung2, S. 70; Hettinger, Doppelverwertungsverbot, S. 79 f., 83; ders., GA 1995, 410; Freund, GA 1999, 509, 515; G. Schäfer, Strafzumessung3, Rn. 623; SK-StGB7-Horn [01/2001], § 46 Rn. 85; MüKo-StGB-Franke, § 46 Rn. 22; T. Busch, S. 132; Lackner/Kühl, StGB26, § 46 Rn. 6; Tröndle/Fischer, StGB54, § 46 Rn. 16. Vgl. auch BT-Drs 13/8587, S. 19, unter Bezugnahme auf BVerfGE 25, 269 [286]; 45, 187 [256]. 550 Dreher, FS Bruns, S. 145, 149; G. Schäfer, Strafzumessung3, Rn. 622; SKStGB7-Horn [01/2001], § 46 Rn. 48; Schönke/Schröder-StGB27-Stree, Vorbem §§ 38 ff. Rn. 42; Tröndle/Fischer, StGB54, § 46 Rn. 17. 551 Hettinger, GA 1995, 410; Fahl, S. 186 ff.; Freund, GA 1999, 509, 515; Ahlers-Grzibek, S. 116. Nach BGHSt 27, 2 [3], enthält der Strafrahmen zwar alle Schweregrade der jeweils zu beurteilenden Gesetzesverletzung, aber eine Punktstrafe ist nicht möglich. 552 Vgl. hierzu die ausführlichen Darstellungen m. z. N. bei G. Schäfer, Strafzumessung3, Rn. 453 ff.; Ahlers-Grzibek, S. 11 ff.; Wilcken, S. 135 ff.; NKStGB2-Streng, § 46 Rn. 96 ff.; LK-StGB12-Theune [06/2006], § 46 Rn. 37 ff. 553 Ausnahme nur bei Vorliegen einer Tat, die mit lebenslanger Freiheitsstrafe zu ahnden ist; § 54 Abs. 1 S. 1 StGB. 554 G. Schäfer, Strafzumessung3, Rn. 659; Schönke/Schröder-StGB27-Stree/Sternberg-Lieben, § 54 Rn. 11; Tröndle/Fischer, StGB54, § 54 Rn. 5. 549

194 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

ger Schuld ausgehen. In einem solchen Fall ist eine Bestrafung nach dem vorgesehenen Strafrahmen nicht erforderlich555. Darüber hinaus dürfte es bei Annahme einer Schwereskala keine Überschneidungen der Strafrahmen von Grundtatbestand und (un)selbständigen Abwandlungen geben, die aber seit dem 6. StrRG die Regel bilden556. Grundsätzlich zutreffend dürfte jedoch die Feststellung sein, dass die unterschiedlichen Strafrahmen und -arten innerhalb eines bestimmten Deliktstyps unter Berücksichtigung seiner Privilegierungen und Qualifikationen auch auf einen geringeren bzw. höheren Unrechtsgehalt hinweisen werden557, genauso dürfte grundsätzlich vorsätzliches Verhalten im Unrecht schwerer wiegen als fahrlässiges Verhalten558. Aber auch hier handelt es sich nur um einen Grundsatz, der durch zahlreiche Ausnahmen durchbrochen wird: Z. B. belegt § 316 StGB sehr deutlich, dass die Unrechtsunterscheidung bei vorsätzlichem und fahrlässigem Verhalten vom Gesetzgeber nicht immer konsequent beachtet wird, wenn in Absatz 1 und 2 der besagten Norm der identische Strafrahmen zu finden ist559. Daneben zeigt auch § 221 StGB, dass sich der Unrechtsgehalt von Grundtatbestand und Qualifikation nicht alleine anhand des Strafrahmen ermitteln lässt; es bestehen nämlich Überschneidungen der Strafrahmen560. Letztendlich ist den Strafrahmen des StGB hauptsächlich eines zu entnehmen: die vom Gesetzgeber normierte Möglichkeit zur Bestrafung, aber keine genaue Festlegung des Unrechtsgehalts einer Tat durch denselben561. Ein Strafrahmen gibt daher nur die „groben Dimensionen“ des Unrechts wieder, eine genaue Einordnung oder Bestimmung des Unrechts kann er nicht leisten562. 555 Fahl, S. 187; Freund, GA 1999, 519; G. Schäfer, Strafzumessung3, Rn. 17 f. So zu finden bei LR-StPO25-Beulke, § 153 Rn. 24 f., § 153a Rn. 32 f. oder MeyerGoßner, StPO50, § 153 Rn. 3 f., § 153a Rn. 7 f., was ja nichts anderes bedeutet, als dass das „Unrecht“, das der Strafrahmen hergibt, gerade nach unten nicht abschließend, sondern vielmehr offen für Fälle noch geringeren Unrechts ist. 556 G. Schäfer, Strafzumessung3, Rn. 623; Hettinger, FS Küper, S. 103 f., 105 ff. So schon vor 1998 Dreher, FS Bruns, S. 151; Hettinger, Doppelverwertungsverbot, S. 80; Fahl, S. 193 ff. 557 Hettinger, Doppelverwertungsverbot, S. 79, 82; Montenbruck, S. 43; Freund, GA 1999, 513; Schönke/Schröder-StGB27-Stree, Vorbem §§ 38 ff. Rn. 43. 558 Bruns, Strafzumessung2, S. 555; Hettinger, Doppelverwertungsverbot, S. 63; Freund, GA 1999, 520, 527. 559 Freund, GA 1999, 520. 560 Nicht nur bei § 221 StGB, sondern bei jedem Delikt, das [un]selbständige Abwandlungen aufweist; d.h. es muss Fälle einer qualifizierten Tat geben, die trotzdem geringeres Unrecht verkörpern als Fälle aus dem Bereich des Grundtatbestands. 561 Freund, GA 1999, 524. 562 Vgl. Nachweise oben in diesem Abschnitt in Fn. 549.

C. Die Tathandlung der Aussetzung

195

Im Übrigen wären, wenn die Vergleichbarkeit des Unrechts aus dem identischen Strafrahmen folgen würde, folgende – willkürlich gewählte – Delikte unrechtsidentisch: §§ 222, 223 Abs. 1, 242 Abs. 1, 315b Abs. 1, 315c Abs. 1 StGB563. Zu behaupten, dass diese Delikte das gleiche Unrecht enthalten, erscheint als „gewagte Spekulation“564. Insoweit ist es nahezu unmöglich, aus der abstrakt angedrohten Strafe des Strafrahmens Schlussfolgerungen auf das einer konkreten Tat zugrundeliegende Unrecht zu ziehen. Mithin kann schon die erste der oben angesprochenen Prämissen, die als Argumentationsansatz für das weite Verständnis des Versetzens angeführt wird, nicht belegt werden. (b) Folgerungen aus identischen Strafrahmen mehrerer Tatvarianten einer Norm Auch die These, Tathandlungen aus verschiedenen Alternativen eines Tatbestandes müssten bei identischem Strafrahmen das gleiche Unrecht aufweisen, ist in dieser Allgemeinheit nicht haltbar565. Da der Strafrahmen – wie soeben dargelegt – nur einen groben Anhaltspunkt für das Unrecht einer Tat bietet, erfasst derselbe Strafrahmen eben eine Vielzahl verschiedener möglicher Tathandlungen, die in ihrem Unrechts- und Schuldgehalt völlig unterschiedlich sein können. Aus der abstrakten Formulierung der Tatbestandsmerkmale des StGB folgt eben, dass eine Vielzahl verschiedener „Tatbilder“ und -situationen unter diese subsumiert werden können566. Deshalb wird die Unrechtsbewertung verschiedener Tathandlungen eines Tatbestandes auch unterschiedlich ausfallen. Anhand einiger Beispiele im StGB lässt sich zudem zeigen, dass die These des identischen Unrechts bei identischer Strafe innerhalb eines Tatbestandes nicht zutreffen kann: So haben beide Tatalternativen der Untreue in § 266 Abs. 1 StGB den gleichen Strafrahmen, obwohl die Missbrauchs563 Freund, GA 1999, 522; ähnlich: Wilcken, S. 165. Vgl. auch die Aufzählung einiger weiterer durch das 6. StrRG geänderter Tatbestände bei Hettinger, FS Küper, S. 103, 111 f. Bezüglich der Übertragung der Strafrahmen von einigen Eigentums- und Vermögensdelikten in den Bereich der Körperverletzungsdelikte vor 1998 spricht Hettinger, GA 1995, 402, davon, dass der Gesetzgeber, statt „das jeweilige denkbare Unrecht neu zu bewerten“, sich damit begnügt hat, eine „Harmonie der Zahlen“ zu erzeugen. 564 Freund, GA 1999, 522. 565 LK-StGB12-Theune [06/2006], § 46 Rn. 266, sieht aber ein Regel-AusnahmeVerhältnis zu Gunsten der Annahme unrechtsgleicher Verhaltensweisen bei verschiedenen Tatalternativen eines Tatbestandes. 566 BGHSt 40, 360 [369]; Hettinger, Doppelverwertungsverbot, S. 83; Freund, GA 1999, 513 f.; NK-StGB2-Streng, § 46 Rn. 5.

196 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

alternative nach überwiegender Ansicht einen Unterfall des Treubruchstatbestands bildet und daher im Verhältnis zur dieser als lex specialis vorgeht567. Wäre die These des gleichen Unrechts bei übereinstimmendem Strafrahmen zutreffend, dürfte § 266 StGB nicht die beiden Tathandlungen des Absatz 1 unter dieselbe Strafandrohung stellen. Ebenso wären z. B. alle drei Tathandlungen der Hehlerei nach § 259 Abs. 1 StGB unrechtsidentisch, obgleich anerkannt ist, dass das Absetzenhelfen eine vertatbestandlichte Form der Beihilfe darstellt und damit ein geringeres Unrecht beinhaltet als das Sichverschaffen568. Diese Ausführungen sind übertragbar auf § 267 Abs. 1 StGB, der mit den Tathandlungen des Herstellens und Verfälschens Vorbereitungshandlungen für das Gebrauchen normiert, die nicht das identische Unrecht aufweisen569. Ähnliches gilt für §§ 239a Abs. 1, 239b Abs. 1 StGB, deren Tathandlungen – Entführen und Sich-Bemächtigen – unterschiedliches Unrecht verkörpern570. Ebenso wird in § 123 Abs. 1 StGB dem Begehungsdelikt des widerrechtlichen Eindringens in einen Raum das echte – und damit unrechtsgeringere – Unterlassungsdelikt des Verweilens an die Seite gestellt571. § 303 Abs. 1 StGB erfasst – unter Zugrundelegung des gleichen Strafrahmens – das Beschädigen und Zerstören einer fremden Sache, wobei unverkennbar ist, dass das Zerstören einer Sache – als endgültige Aufhebung der Sacheigenschaft – eingriffs- und unrechtsschwerer ist572. BGHSt 24, 386 [387]; 33; 244 [250 f.]; SK-StGB7-Samson/Günther [12/1996], § 266 Rn. 4 f.; NK-StGB2-Kindhäuser, § 266 Rn. 26; Lackner/Kühl, StGB26, § 266 Rn. 21; Tröndle/Fischer, StGB54, § 266 Rn. 6 ff.; a. A. Schönke/ Schröder-StGB27-Lenckner/Perron, § 266 Rn. 2; an der herrschenden Meinung zweifelnd auch LK-StGB11-Schünemann [05/1998], § 266 Rn. 25 ff. 568 Freund, GA 1999, 527 Fn. 68; SK-StGB7-Hoyer [08/2001], § 259 Rn. 35 f., 39; NK-StGB2-Altenhain, § 259 Rn. 49; Schönke/Schröder-StGB27-Stree, § 259 Rn. 35; Lackner/Kühl, StGB26, § 259 Rn. 15; Tröndle/Fischer, StGB54, § 259 Rn. 19. 569 SK-StGB7-Hoyer [07/1998], § 267 Rn. 114; LK-StGB11-Gribbohm [10/2000], § 267 Rn. 290; Schönke/Schröder-StGB27-Cramer/Heine, § 267 Rn. 46; Wessels/ Hettinger, BT I31, Rn. 853. 570 MüKo-StGB-Renzikowski, § 239a Rn. 28 ff. [insbesondere Rn. 40]; Schönke/ Schröder-StGB27-Eser, § 239a Rn. 6 f.; Tröndle/Fischer, StGB54, § 239a Rn. 4 ff. Vgl. hierzu auch die Diskussion zum Bemächtigen im Zwei-Personen-Verhältnis, bei der es in der Sache gerade um die Wahrung des Unrechts des Tatbestandes geht; BGHSt 40, 350 [358 f.]; MüKo-StGB-Renzikowski, § 239a Rn. 54 ff.; Schönke/ Schröder-StGB27-Eser, § 239a Rn. 13a; Lackner/Kühl, StGB26, § 239a Rn. 4a; Tröndle/Fischer, StGB54, § 239a Rn. 6 ff. 571 MüKo-StGB-Schäfer, § 123 Rn. 49 ff.; Schönke/Schröder-StGB27-Lenckner/ Sternberg-Lieben, § 123 Rn. 27; Lackner/Kühl, StGB26, § 123 Rn. 9; Tröndle/ Fischer, StGB54, § 123 Rn. 27. 567

C. Die Tathandlung der Aussetzung

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Im Übrigen erkennt auch die Rechtsprechung die Möglichkeit an, dass verschiedene Tatvarianten eines Tatbestandes trotz des identischen Strafrahmens durchaus abweichendes Unrecht darstellen können. Im Rahmen der Betäubungsmittelstraftaten hat der Bundesgerichtshof dies mehrfach betont und klargestellt, dass verschiedene Tathandlungen der §§ 29, 29a BtMG unterschiedlich schwer hinsichtlich des Unrechts zu bewerten seien, obwohl ihnen derselbe Strafrahmen zugeordnet ist573. Es ist also festzuhalten, dass das StGB für mehrere „unrechtsverschiedene“ Verhaltensweisen denselben Strafrahmen vorsieht574. (c) Vergleichbarkeit des tatbestandlichen Unrechts in der Aussetzungsnorm Um den Unrechtsgehalt beider Tathandlungen der Aussetzung vergleichen zu können, müsste man diese „standardisieren“, also gleichsam einen „Normalfall“ des Versetzens bilden, ihm den „Normalfall“ des Imstichlassens gegenüberstellen und klären, ob beide das identische Unrecht verkörpern oder nicht. Dies scheitert jedoch aus zwei Gründen. Zuerst dürfte es schon nicht möglich sein, einen „Normalfall“ der ersten oder der zweiten Tatvariante zu bilden. Wie soll dieser aussehen? Bezieht man dabei nur die „normale“ Tathandlung ein oder gehört zum „Normalfall“ der Tathandlungen auch das „normale Opfer“, der „normale Umfang der Gefährdung“ und der „normale Täterkreis“575? Wobei dann auch hier zu fragen wäre: Was ist „normal“ bei Gefährdung, Täter und Opfer? Konnte man früher – gemeint sind die historischen Ursprünge der Norm576 – sagen, dass die „normale“ Aussetzung die eines Kleinkindes durch seine Mutter war, so ist – sowohl durch die seit zwei Jahrhunderten 572

Vom nicht nur unerheblichen und nicht nur vorübergehendem Verändern des Erscheinungsbildes einer fremden Sache, also der neuen, dritten Tathandlung des § 303 Abs. 2 StGB, ganz zu schweigen. Der neue Absatz wurde eingefügt durch das als „Graffiti-Bekämpfungsgesetz“ bezeichnete 39. StÄG vom 1.9.2005, BGBl. I S. 2674. 573 BGH NJW 1999; 1724 [1726]; NStZ 1999, 625 [626]; zweifelnd Wilcken, S. 27 ff., sowie ausführlich K. Weber, BtMG2, Vor §§ 29 ff. Rn. 711 ff., und Körner, BtMG6, § 29 Rn. 564 ff., und beide m. z. N. 574 Bruns, Strafzumessung2, S. 80; LK-StGB11-Gribbohm [02/1994], § 46 Rn. 298 f.; G. Schäfer, Strafzumessung3, Rn. 397; Wilcken, S. 27 ff.; differenzierend LKStGB12-Theune [06/2006], § 46 Rn. 266, der davon ausgeht, dass Tatbestandsalternativen mit identischem Strafrahmen grundsätzlich auch denselben Unrechtsgehalt aufweisen, was aber eben nur ein Grundsatz ist, von dem Theune Ausnahmen zulässt. 575 Allgemein zu den unrechtsprägenden Faktoren eines Tatbestandes Hettinger, Doppelverwertungsverbot, S. 63. 576 Vgl. oben im 3. Teil: A. I.

198 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

zu beobachtende stetige Erweiterung des Tatbestandes auf Täter- und Opferseite als auch durch die Einführung der Tathandlung des Verlassens seit 1838 im sächs. CrimGB – diese Grundidee der Aussetzung schon lange verloren gegangen577. Man kann nicht mehr sagen, dass der soeben genannte Fall der „Normalfall“ oder „typische Fall“ der Aussetzung ist. Durch die Erweiterungen des Tatbestandes sind vielmehr höchst unterschiedliche Fälle hinsichtlich Unrechts- und Schuldgehalt von der Aussetzungsnorm erfasst. Einen Kern des Tatbestandes oder einen „typischen Fall“ zu bilden, dürfte demzufolge nahezu unmöglich sein. Im Übrigen ist die Frage, ob es einen „Regelfall“ oder „Normalfall“ für ein Delikt gibt, nicht neu. Man findet sie vielfach bei der Untersuchung eines Verstoßes gegen das Doppelverwertungsverbot i. S. v. § 46 Abs. 3 StGB. Dort ist heute im Grundsatz anerkannt, dass man den „Normalfall“ oder „Regelfall“ eines Deliktes nicht bilden kann578. Die abstrakten Beschreibungen der Tatbestände des StGB erfassen eine Vielzahl von Fällen und wollen Voraussetzungen für ihre Strafbarkeit festlegen; daher kann eine normale Ausprägung von Tatmerkmalen nicht bestimmt werden579, d.h. also, man kann „den typischen Diebstahl“, „den normalen Mord“ oder „die normale Körperverletzung“ nicht festlegen580. Ergo: Die „normale Aussetzung“ in der ersten oder zweiten Tatvariante lässt sich nicht bestimmen! Damit erweist sich der Versuch, anhand des Strafrahmens Aussagen über den Unrechtsgehalt der Tathandlungen Versetzen und Imstichlassen herzuleiten, als nicht Erfolg versprechend. Mithin lässt sich aus dem nicht durchführbaren Unrechtsvergleich der beiden Tatalternativen kein Argument für die weite Auslegung herleiten, allerdings auch keines für eine enge, räumliche verstandene Inhaltsbestimmung. 577 Wachenfeld, StR, S. 330; Nejmark, S. 88; Sternberg-Lieben/Fisch, Jura 1999, 45; Lucks, S. 46; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 19, § 4 Rn. 3. 578 BGHSt 34, 345 [351]; 40, 360 [365/368]; Hettinger, Doppelverwertungsverbot, S. 143 ff.; ders., GA 1993, 14 f., 21 f.; Montenbruck, S. 113; Fahl, S. 121 ff.; G. Schäfer, Strafzumessung3, Rn. 405 ff.; MüKo-StGB-Franke, § 46 Rn. 86; Wilcken, S. 69, 84 f.; NK-StGB2-Streng, § 46 Rn. 140; LK-StGB12-Theune [06/2006], § 46 Rn. 267 f., 316; Lackner/Kühl, StGB26, § 46 Rn. 48; a. A. Ahlers-Grzibek, S. 201 ff. Zur Entwicklung der Begriffe in der Rechtsprechung: Ahlers-Grzibek, S. 28 ff.; zur Terminologie „Regelfall“, „Durchschnittsfall“, „Normalfall“ usw. Hettinger, Doppelverwertungsverbot, S. 137 ff.; SK-StGB7-Horn [01/2001], § 46 Rn. 88; Ahlers-Grzibek, S. 17, und Wilcken, S. 65 ff., 69 ff. 579 Hettinger, Doppelverwertungsverbot, S. 146; Ahlers-Grzibek, S. 82 f.; NKStGB2-Streng, § 46 Rn. 140; Lackner/Kühl, StGB26, § 46 Rn. 48. 580 So wörtlich zu § 211 StGB BGHSt 40, 360 [368]. Zu weiteren Tatbeständen Fahl, S. 122 f.; Ahlers-Grzibek, S. 84 f. [weitere Beispiele S. 85 ff.]; Wilcken, S. 82 f.; vgl. allgemein Lackner/Kühl, StGB26, § 46 Rn. 49, und zur Bildung des typischen Falles Hettinger, GA 1993, 24, mit der treffenden Feststellung: „entscheidend ist immer, wie man den Vergleichsfall bildet“.

C. Die Tathandlung der Aussetzung

199

(2) Harmonisierung der Tathandlungen Damit verbleibt noch das Argument der „Harmonisierung“ bzw. des „Gleichklangs“ der beiden Tathandlungen. Zuerst sollte man festhalten, dass dieses Argument zur Gleichsetzung des Umfangs beider Tathandlungen ein „Standardargument“ zur a. F. war, um – ausgehend von der engen Fassung der ersten Tathandlung – die enge Fassung der zweiten Tathandlung herzuleiten. Dieser Gleichlauf der Tathandlungen wurde insbesondere deshalb gefordert, um eine Abgrenzung der beiden Tathandlungen zu ermöglichen581. Da aber aufgrund des Verzichts auf den räumlich-örtlich geprägten Handlungstypus beim Imstichlassen und der Tatsache, dass § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB weiterhin durch unechtes Unterlassen verwirklicht werden kann, diese Abgrenzung der beiden Tathandlungen nicht mehr möglich ist, erscheint das Festhalten am räumlichen Verständnis der ersten Tathandlung unter diesem Blickwinkel nicht mehr zwingend erforderlich. Darüber hinaus führt das Beharren auf dem streng räumlichen Verständnis der ersten Tatvariante nicht zur Lösung, sondern zu Problemen bei der Abgrenzung der beiden Tathandlungen, insbesondere beim Versetzen durch Unterlassen582: Unterstellt, die Forderung, bei § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB sei weiterhin ein räumliches Element unverzichtbar, wäre zutreffend, dann 581 Vgl. hierzu schon im 4. Teil: C. I. 1. ab S. 95, und im 4. Teil: C. II. 1. b) aa) ab S. 170; sowie Mitsch, JuS 1994, 557; ders., JuS 1996, 409; Küpper, BT I1, § 1 Rn. 89. 582 Ausführlich zu der Thematik abermals im 4. Teil: E. Bedeutung hat die Abgrenzung der beiden Tathandlungen deshalb, weil §§ 221 Abs. 1 Nr. 1, 13 StGB den Weg zur fakultativen Milderungsmöglichkeit des § 13 Abs. 2 StGB eröffnet, während bei § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB – als speziell vertatbestandlichtem unechtem Unterlassungsdelikt – dieser Weg – in direkter Anwendung des § 13 StGB – nicht möglich ist, wobei u. U. die Möglichkeit bestehen würde, hier § 13 Abs. 2 StGB entsprechend anzuwenden. Diese – allgemeine und für verschiedene Delikte – kontrovers diskutierte Frage kann hier keiner Klärung zugeführt werden; zu der Thematik im Rahmen von § 266 StGB BGHSt 36, 227 [228 f.], mit Anmerkung Timpe, JR 1990, 428 ff., sowie Güntge, Unterlassen, S. 167 ff.; ders., wistra 1996, 89. Allgemein zur Frage einer Analogie des § 13 Abs. 2 StGB: Vogel, S. 97 f.; Güntge, Unterlassen, S. 167 ff.; G. Schäfer, Strafzumessung3, Rn. 517; SK-StGB7-Rudolphi [09/2000], § 13 Rn. 4 ff.; MüKo-StGB-Freund, § 13 Rn. 284 ff.; Roxin, AT II, § 31 Rn. 28 ff. Ablehnend zur Möglichkeit der Anwendung des § 13 Abs. 2 StGB auf § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB Arzt/Weber, BT, § 36 Rn. 3; Laue, S. 110, 115 f.; SKStGB7-Horn/Wolters [03/2002], § 221 Rn. 6; MüKo-StGB-Hardtung, § 221 Rn. 2, 30; NK-StGB2-Neumann, § 221 Rn. 4, 17, 20, 27; so schon zu § 221 Abs. 1 StGB a. F. Rudolphi, ZStW 86 [1974], 69; a. A. Vogel, S. 97 f. [zur a. F.]; NK-StGB1-Seelmann [07/1994], § 13 Rn. 21; Roxin, AT II, § 31 Rn. 250. Kritisch zum Ausschluss des § 13 Abs. 2 StGB DSNS-Struensee, 2. Teil Rn. 42, 44, 57, und Tröndle/ Fischer, StGB54, § 221 Rn. 9.

200 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

müsste dies auch für das Versetzen durch Unterlassen verlangt werden. Dadurch würden aber – wie sich später zeigen wird583 – wesentliche Probleme entstehen, die beiden Tathandlungen des Grundtatbestands der Aussetzung zu unterscheiden. Weiterhin lässt sich kaum begründen, wieso dem Täter, der §§ 221 Abs. 1 Nr. 1, 13 StGB durch ein „räumliches Verhalten“ verwirklicht, § 13 Abs. 2 StGB zugute kommen soll, aber nicht dem Täter, der eine hilflose Lage durch ein nicht räumlich-örtlich geprägtes Verhalten schafft. Es gibt keinen sachlichen Grund, bei letzterem Handlungstypus dem Täter nicht das Schaffen der hilflosen Lage durch Unterlassen, sondern nur das Aufrechthalten der hilflosen Lage nach § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB – ohne die Möglichkeit dieser (fakultativen) Milderung – vorzuwerfen584. Um ein – wie so häufig bei der Aussetzung allerdings wohl kaum praxisrelevantes – Beispiel zur Erläuterung zu bilden: Das Verhalten des Vaters, der seinen Sohn auf einen Waldbrand zugehen lässt, wäre unter §§ 221 Abs. 1 Nr. 1, 13 StGB zu subsumieren, während derjenige Vater, der beim Sich-Zubewegen des Brandes auf seinen Sohn weggeht, sich genauso gemäß § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB strafbar machen würde, wie derjenige, der das Sich-Zubewegen der Flammen auf seinen Sohn völlig untätig beobachtet. Wesentliche Unterschiede im Unrecht sind nicht erkennbar, und deshalb lässt sich nicht begründen, wieso dem einen Täter die Möglichkeit der Strafmilderung nach § 13 Abs. 2 StGB gewährt werden soll, dem anderen hingegen nicht. Das Problem der Abgrenzung der beiden Tathandlungen besteht bei der n. F. ohnehin, würde aber noch größer, wenn man beim Versetzen nur „räumliche“ Verhaltensweisen als tatbestandsmäßig ansehen würde. Es gäbe also noch mehr Ungereimtheiten hinsichtlich des Strafrahmens, die sich weder sachlich noch aus der Perspektive des Unrechtsgehalts erklären lassen585. 583 Zu der Thematik der Abgrenzung der beiden Tathandlungen später ausführlich im 4. Teil: E. III. 3. 584 Ob diese – von der überwiegenden Ansicht für zutreffend erachtete – Möglichkeit einer Abfolge der beiden Tatvarianten überhaupt überzeugen kann, bleibt einem späteren Abschnitt dieser Arbeit vorbehalten; vgl. 4. Teil: E. III. 2. 585 Es ist hier insbesondere auch zu bedenken, dass vielfach vertreten wird, dass das Unterlassen im Gegensatz zum positiven Tun regelmäßig einen geringeren Unrechtsgehalt aufweist. So Jescheck/Weigend, AT5, § 58 V 1; Schönke/SchröderStGB27-Stree, § 13 Rn. 64; Lackner/Kühl, StGB26, § 13 Rn. 17; Tröndle/Fischer, StGB54, § 13 Rn. 20; a. A. Timpe, Strafmilderungen, S. 152 ff.; ders., JR 1990, 428 ff.; Bruns, FS Tröndle, S. 129 ff. [dort – auf S. 126 f. – auch der rechtshistorische Hintergrund zu § 13 Abs. 2 StGB]; zweifelnd MüKo-StGB-Freund, § 13 Rn. 282; offen gelassen von G. Schäfer, Strafzumessung3, Rn. 517.

C. Die Tathandlung der Aussetzung

201

Davon abgesehen, war selbst zur a. F. schon bei den „klassischen Fallgruppen“586 manchmal unklar, ob eine Verhaltensweise ein Aussetzen durch Unterlassen oder ein Verlassen durch Unterlassen darstellen sollte587. Damit ließen sich bei kritischer Betrachtung auch heute durchaus alle Fälle des Versetzens durch Unterlassen als Imstichlassen auffassen, was aber dazu führen würde, dass ein unechtes Unterlassungsdelikt zu § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB nicht existieren würde; ein mit der Systematik und Dogmatik des StGB schwerlich zu vereinbarendes Ergebnis588. Es gibt also einige Argumente, die für einen „Gleichklang“ der beiden tatbestandlichen Verhaltensweisen der n. F. sprechen589; sie sind allerdings nicht sehr überzeugend. (3) Folgerungen aus der Erweiterung des Opferkreises für das Versetzen Die Ausführungen aus den Materialien zu den Entwürfen vor dem 6. StrRG bzw. dem E 1960 und E 1962, die sich mit diesem – um gesunde und erwachsene Menschen erweiterten – Opferkreis590 befassen, enthalten häufig zwei Fallbeispiele591: Das Zurücklassen des Kunden durch seinen Bergführer und das „Aussetzen“ eines Passagiers auf einer einsamen Insel. Beides sind Verhaltensweisen, die eine räumliche Fortbewegung des Täters, nicht aber des Opfers enthalten. Der Täter schafft allein durch das Sich-Entfernen vom Opfer eine hilflose Lage. Dennoch werden beide Fälle vom E 1925 und vom E 1927 als Beispiele für die erste Tathandlung der Aussetzung angesehen592. 586

Vgl. hierzu oben im 4. Teil: C. II. 3. a) bb). Vgl. hierzu nur die Einordnung der Duldung des Entfernens des Opfers durch den Täter als Verlassen durch Unterlassen durch den Bundesgerichtshof in BGHSt 38, 78 [81], und die gegenteilige Einordnung als Aussetzen durch Unterlassen durch Mitsch, StV 1992, 320, und Horn, JR 1992, 248. Zu der Frage auch Dreher, JZ 1966, 580. 588 Zu dem Fragenkomplex schon soeben beim Imstichlassen im 4. Teil: C. I. 5. e) dd). 589 Ebenso Küper, ZStW 111 [1999], 43; Sternberg-Lieben/Fisch, Jura 1999, 46; Küpper, JuS 2000, 225; ders., BT I3, § 1 Rn. 86; Ellbogen, JuS 2002, 155; Laue, S. 73; Lucks, S. 61. 590 Vgl. 4. Teil: B. 591 Im E 1960, S. 260, im E 1962, S. 276, und im 6. StrRG [RefE, S. 123 f.; BRDrs 164/97, S. 120; BT-Drs. 13/7164, S. 34; 13/8587, S. 34] findet man nur noch den Fall des Bergführers, der seinen Kunden alleine zurücklässt, ohne dass ganz eindeutig wird, zu welcher Tathandlung dieser Fall gehören soll. 592 E 1925, Begründung, S. 119, ordnet den „Bergsteiger-“ und den „PassagierFall“ eindeutig der ersten Tathandlung zu; ebenso E 1927, Begründung, S. 129 f., und Sudhoff, S. 12; vgl. auch die Darstellung bei S. Heinrich, S. 160; Lucks, S. 51, 161. So auch für den „Passagier-Fall“ in der 144. Sitzung vom 19.06.1912 zur 587

202 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

Diese Zuordnung kann als deutlicher Fingerzeig angesehen werden, dass eine Beschränkung der ersten Tatvariante auf eine Ortsveränderung für das Opfer [unabhängig davon, ob der Täter die erste Tathandlung als Tun oder Unterlassen verwirklicht] nicht mehr erforderlich sein sollte. Über die Beispiele hinausgehend, kann man aber auch ganz allgemein fragen: Wie versetzt man einen gesunden, erwachsenen Menschen in eine hilflose Lage? Eine Ortsveränderung, die diesen in eine hilflose Lage bringt, wird im Regelfall nur gegen dessen (vermuteten) Willen durchsetzbar sein, d.h. bei einer räumlichen Fortbewegung des Opfers aus seinen bisherigen örtlichen Verhältnissen wird ein Handeln des Täters mittels Gewalt, List oder Täuschung erforderlich sein, um ein Versetzen annehmen zu können593. Naheliegender als tatbestandliche Handlungen erscheinen beim gesunden Menschen vielmehr andere Verhaltensweisen, die eine Änderung der räumlichen Beziehungen bzw. eine direkte Einwirkung auf das Opfer beinhalten, wie z. B. Einschließen oder Abschneiden des Zuganges zu bestimmten Hilfsmitteln594. Limitierte man die erste Tathandlung nur auf den örtlich-räumlich geprägten Verhaltenstypus, i. S. eines Wegbewegens des Opfers, so würde man diese Erscheinungsformen ausschließen, die aber gerade bei gesunden, erwachsenen Menschen typische Anwendungsfälle einer Aussetzung sein dürften. Der Ausschluss der gesunden, erwachsenen Menschen als Opfer mittels einer Deutung der ersten Tathandlung würde aber dem Wunsch des Gesetzgebers nach Erweiterung des Opferkreises zuwiderlaufen. Insoweit spricht die Ausdehnung des Opferkreises für das weite Verständnis des Versetzens, da sonst diese Erweiterung umgangen würde. (4) Umgehung der engeren Voraussetzungen von § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB durch eine weite Auslegung des Versetzens § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB stellt nach eindeutig überwiegender Ansicht ein Begehungsdelikt dar, das auch durch unechtes Unterlassen gem. § 13 StGB verwirklicht werden kann595. Dies kann – wenn zutreffend – dazu führen, dass aufgrund der Neufassung des Versetzens in seiner weiten Auslegung nunmehr Verhaltensweisen, die man bisher unter das Imstichlassen sub1. Lesung zum Besonderen Teil des E 1913, in: Reformkommission [1911–1913], Protokolle, Bd. 3, S. 38, und der E 1919, Denkschrift, S. 233. 593 So auch Lucks, S. 70; Schmidt/Priebe, BT I6, Rn. 250 f. 594 Vgl. hierzu nur die Fallbeispiele der weiten Auslegung zum Versetzen im 4. Teil: C. II. 2. b) sowie der vermittelnden Ansicht zum Aussetzen a. F. im 4. Teil: C. II. 1. b) cc), die eine Änderung der räumlichen Verhältnisse für ausreichend erachtete. 595 Später unter 4. Teil: C. II. 5. g).

C. Die Tathandlung der Aussetzung

203

sumieren wollte, unter die erste Ziffer des Grundtatbestandes fallen (können)596. Damit drohe – so die engere Gegenauffassung – durch das weite Verständnis der ersten Tathandlung eine Umgehung der besonderen Voraussetzungen des § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB, nämlich der Obhuts- oder Beistandspflicht597. Diese Überlegung scheint auf den ersten Blick einleuchtend. Erst bei genauer Betrachtung erkennt man den Fehler: Sie setzt voraus, dass der Täter bei den in Rede stehenden Verhaltensweisen ein Versetzen durch positives Tun verwirklicht, d.h. das Weggehen des Täters vom Opfer müsste ein Schaffen einer hilflosen Lage durch positives Tun bedeuten. Dann wäre die erste Tatvariante des Versetzens als Begehungsdelikt anwendbar und jedermann, nicht nur ein Garant, tauglicher Täter. Hier aber liegt gerade der Fehler. Das Weggehen stellt zwar eine „aktive Bewegung“ dar, ist aber niemals kausal für das Entstehen einer hilflosen Lage und kann damit nicht als aktives Tun im strafrechtlichen Sinne verstanden werden598. Entsprechend den Ausführungen zum Imstichlassen599 ergibt auch hier die Betrachtung der Kausalität, dass ein untätiges Dableiben des Täters dem Opfer nicht helfen, vielmehr die hilflose Lage genauso eintreten würde. Ausbleiben würde sie nur, wenn der Täter zur Hilfe bereit ist, bleibt und hilft600. Damit ist in den Fällen, die Krey als Versetzen durch Tun einordnen will, der Vorwurf eben nicht das Verlassen als aktives Verhalten, sondern das Nichtleisten von Hilfe, die zu einer Entstehung einer hilflosen Lage führt. Dies ist aber nichts anderes als ein Unterlassen, und zwar – da nach dem Wortlaut des Grundtatbestandes die hilflose Lage beim Versetzen noch nicht bei Vornahme der „Tathandlung“601 vorliegt, sondern das Resultat derselben darstellt – ein Versetzen durch Unterlassen. 596 Dieser Themenkomplex berührt auch die Frage der Abgrenzung und des Verhältnisses der beiden Tathandlungen. Dieses soll hier aber noch nicht geklärt werden, sondern bleibt dem 4. Teil: E. vorbehalten. An dieser Stelle soll vorerst nur die Frage unter dem Gesichtspunkt der Umgehung der Voraussetzungen von § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB betrachtet werden. 597 Krey/Heinrich, BT I13, Rn. 134 f.; ähnlich Hohmann/Sander, BT II, § 5 Rn. 4. Vgl. schon die Darstellung im 4. Teil: C. II. 2. a) [Nachweise in Fn. 463]. 598 Dem im Ergebnis zustimmend Lucks, S. 66 f. Vgl. zur Einordnung solcher Verhaltensweise in die Kategorien Tun und Unterlassen sowie zur Unbeachtlichkeit der äußerlich erkennbaren Erscheinungsform für die strafrechtliche Einordnung einer Verhaltensweise; 4. Teil: C. I. 5. e) aa) (3) (c). 599 Vgl. 4. Teil: C. I. 5. e); insbesondere im 4. Teil: C. I. 5. e) aa) (3) (b). 600 An diesem Fall wird auch klar, welche Personengruppe Krey bei seinem Beispiel vor Augen hat: Personen mit einer bereits angelegten Entwicklung hin zu einer hilflosen Lage, d.h. die hilflosen Personen a. F. [ausführlich zu dieser Thematik im 4. Teil: D. II. 2. a)] und gerade nicht den gesunden, erwachsenen Menschen, der sich selber helfen kann. Zu dieser Einschätzung gelangt auch Lucks, S. 63, die diese Personen als „vom Täter abhängig“ charakterisiert.

204 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

Erkennt man aber, dass die von Krey angeführte Verhaltensweise ein Unterlassen darstellt, wird auch deutlich, dass keine Umgehung der Voraussetzungen des § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB vorliegt. Auch für §§ 221 Abs. 1 Nr. 1, 13 StGB ist eine Garantenstellung konstituierende Voraussetzung. Handelt es sich aber um einen Nichtgaranten, so ist das Weggehen – entgegen Krey – kein Versetzen (durch Unterlassen), sondern eben allenfalls eine unterlassene Hilfeleistung nach § 323c StGB602. Bei richtiger Qualifizierung des oben beschriebenen Verhaltens als Unterlassen sind die Voraussetzungen in beiden Tatalternativen des § 221 Abs. 1 StGB genau dieselben, bei beiden ist eine Garantenstellung erforderlich. Damit verbleibt von Kreys Umgehungseinwand, den in der Sache auch Sander teilt, nur noch der Vorwurf, gewisse Verhaltensweisen, die man bisher unter das Verlassen subsumierte, würden jetzt als Versetzen (durch Unterlassen) erfasst. Diese Zuordnung allein ist aber kein wesentlicher Einwand gegen das weite Verständnis, sondern sie ergibt sich vielmehr aus dem neuen Wortlaut der Aussetzung und der Erweiterung der Tathandlungen. Es besteht – anders formuliert – kein „Anspruch“ darauf, eine gewisse Verhaltensweise weiterhin unter eine bestimmte Tatalternative zu subsumieren, nur weil dies auch bisher so war. Ein Wertungswiderspruch – wie vorgebracht wird – entsteht jedenfalls bei einem weiten Verständnis der ersten Tathandlung nicht603. Die Einordnung der von Krey angeführten Fälle als Imstichlassen wird dem geänderten Wortlaut der Aussetzung nicht mehr gerecht und geht über den aus dem neuen Wortlaut folgenden Unterschied zwischen den beiden Tathandlungen hinweg: Von § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB wird das Schaffen einer hilflosen Lage – auch durch Unterlassen – erfasst, während § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB Verhaltensweisen unter Strafe stellt, die bei einer schon bestehenden hilflosen Lage zu einer Gefahr i. S. der Gefährdungsklausel führen. Zuzugeben ist, dass einige Fälle aus dem Anwendungsbereich des § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB herausfallen, aber dann eben von §§ 221 Abs. 1 Nr. 1, 13 StGB erfasst werden, der – abgesehen von der Möglichkeit der Strafmilderung nach § 13 Abs. 2 StGB – keine geringeren Anforderungen hinsichtlich Täterkreis, Kausalität und Zurechung stellt als die zweite Tatvariante. Hinzu kommt, dass aus der Neufassung nicht einmal sicher hergeleitet werden kann, welche Fälle unter welche Ziffer des Tatbestandes subsumiert werden sollten604. 601 Da hier Unterlassen in Rede steht, wäre die Bezeichnung „Tatverhaltensweise“ passender, Tathandlung ist aber die übliche Bezeichnung. 602 Ebenso Lucks, S. 64. 603 So im Ergebnis auch Lucks, S. 68 f. 604 Hierzu später 4. Teil: E. III. 3. c) bb).

C. Die Tathandlung der Aussetzung

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bb) Systematische Argumente mit Blick auf andere Normen des StGB Beschreibungen tatbestandlicher Verhaltensweisen, die Ähnlichkeiten mit dem Versetzen in § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB aufweisen und insoweit geeignet sein können, Schlüsse auf den Inhalt der ersten Tathandlung des Aussetzungstatbestandes zu ziehen, sind im StGB kaum zu finden. Zwar findet man in § 323a StGB als tatbestandliche Verhaltensweise das Versetzen, aber es geht im Rahmen des Vollrauschtatbestandes um das „Sich-Versetzen“ des Täters in einen Rauschzustand und gerade nicht, wie bei der Aussetzung, um das Versetzen des Opfers in eine bestimmte Situation. Damit ist ein Vergleich dieser beiden Tathandlungen kaum möglich und die Betrachtung der Tathandlung des § 323a StGB nicht geeignet, Rückschlüsse auf das Versetzen zu liefern. Damit verbleibt als einzige strafrechtliche Norm, die allerdings nur eine ähnliche Begrifflichkeit wie § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB aufweist, § 234 StGB605 mit der Formulierung „Aussetzen“606. Im Rahmen des 6. StrRG wurde der Menschenraub in § 234 StGB anscheinend übersehen, der Wortlaut der Norm zwar sprachlich modernisiert, aber nicht der Änderung des § 221 Abs. 1 StGB angepasst607. Von daher ist heute unklar und offen, ob das durch das 6. StrRG unveränderte „um sie (erg.: eine andere Person, d.h. das Opfer der Tat) in hilfloser Lage auszusetzen“ in § 234 StGB nur als Verweis auf die erste Tathandlung der n. F. verstanden werden muss – wie es zur a. F. überwiegende Meinung war608 – oder als Komplettverweis auf den gesamten Grundtatbestand der Aussetzung, also auf beide neuen Tathandlungen609.

605

Zu § 234 StGB und Folgerungen für die Auslegung der hilflosen Lage vgl. 4. Teil: D. IV. 2. c) bb) (1) (a). 606 Gemeint ist „Aussetzen“ als Beschreibung der Tathandlung, nicht das viel häufiger im StGB zu findende Aussetzen der Vollstreckung einer Strafe oder Maßregel o. ä.; vgl. z. B. § 56 ff.; 67b ff.; 68 ff.; 70a f. StGB. In §§ 234a, 241a StGB findet man daneben noch die Wendung „einer Gefahr aussetzen“, die aber keine Beschreibung der Tathandlung, sondern des tatbestandlichen Erfolges beinhaltet; dazu später im Rahmen des Taterfolgs unter 4. Teil: F. 607 LK-StGB11-Gribbohm [03/1999], § 234 Entstehungsgeschichte vor Rn. 1, 37; Lucks, S. 138 f.; MüKo-StGB-Wieck-Noodt, § 234 Rn. 9; NK-StGB2-Sonnen, § 234 Rn. 5; SK-StGB7-Wolters [10/2005], § 234 Rn. 1; Schönke/Schröder-StGB27-Eser, § 234 Rn. 6; Tröndle/Fischer, StGB54, § 234 Rn. 1. 608 Schwarze, GS 24 [1872], 54; H. Weber, S. 58; Warmuth, S. 117; LKStGB10-Vogler [08/1979], § 234 Rn. 8; Feloutzis, S. 238; Lackner/Kühl, StGB22, § 234 Rn. 3; Schönke/Schröder-StGB24-Eser, § 234 Rn. 6; Tröndle, StGB48, § 234 Rn. 4. 609 So SK-StGB7-Wolters [10/2005], § 234 Rn. 4; wohl auch Laue, S. 80 f.

206 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

Die deutlich überwiegende Ansicht verfolgt aber einen – von diesen beiden Konzepten – abweichenden Ansatz und geht – aufgrund der Nichtanpassung des § 234 StGB an die durch das 6. StrRG geänderte Fassung des § 221 StGB – weiterhin davon aus, der Passus „in hilfloser Lage auszusetzen“ sei als Verweis auf das Verständnis der Tatbestandsmerkmale „hilflose Lage“ und „aussetzen“ in ihrer Bedeutung bei § 221 Abs. 1 StGB a. F. zu verstehen610. Da im § 234 StGB damit quasi „die Zeit stehen geblieben ist“ und die alte Auslegung der Tatbestandsmerkmale „hilflose Lage“ und „aussetzen“ beim Menschenraub immer noch herangezogen wird, kann man aus einem systematischen Vergleich für das Verständnis des neuen Tatbestandsmerkmals Versetzen nichts gewinnen. Das zweite Problem bei Folgerungen aus § 234 StGB besteht darin, dass die genannte Passage des Menschenraubes – wie aus dem „um . . . zu . . .“ deutlich wird – eine Absicht i. S. v. zielgerichtetem Wollen als subjektives Tatbestandmerkmal beschreibt, dem kein Merkmal auf Seiten des objektiven Tatbestands entspricht; § 234 StGB ist ein sog. erfolgskupiertes Delikt611. Die Merkmale „hilflose Lage“ und „aussetzen“ hingegen waren bzw. sind bei der Aussetzung objektive Tatbestandsmerkmale, beim Absichtsdelikt des § 234 StGB aber Merkmale subjektiver Natur612, womit sich die grundsätzliche Frage der Übertragbarkeit stellt. Diese muss aber nicht geklärt werden, da das 6. StrRG § 234 StGB nicht an § 221 Abs. 1 StGB n. F. angepasst hat. Folgerungen aus dem Tatbestand des § 234 StGB für ein weites oder enges Verständnis des Versetzens sind infolgedessen nicht möglich. cc) Rechtsvergleich Hier soll abermals ein Blick über die Grenzen auf die Regelungen in den Strafgesetzbüchern Österreichs und der Schweiz geworfen werden.

610 BGH NStZ 2001, 247; LK-StGB11-Gribbohm [03/1999], § 234 Rn. 38 f.; Heger, JA 2001, 631 f., 634; MüKo-StGB-Wieck-Noodt, § 234 Rn. 43 f.; NKStGB2-Sonnen, § 234 Rn. 24; Schönke/Schröder-StGB27-Eser, § 234 Rn. 6; Lackner/Kühl, StGB26, § 234 Rn. 3; Rengier, BT II8, § 25 Rn. 2; Tröndle/Fischer, StGB54, § 234 Rn. 4. 611 BGH NStZ 2001, 247; LK-StGB11-Gribbohm, [03/1999], § 234 Rn. 34 ff., 68; MüKo-StGB-Wieck-Noodt, § 234 Rn. 3, 38 ff.; NK-StGB2-Sonnen, § 234 Rn. 23 f.; Schönke/Schröder-StGB27-Eser, § 234 Rn. 6; Lackner/Kühl, StGB26, § 234 Rn. 3; Tröndle/Fischer, StGB54, § 234 Rn. 4. 612 LK-StGB11-Gribbohm [03/1999], § 234 Rn. 37; MüKo-StGB-Wieck-Noodt, § 234 Rn. 41.

C. Die Tathandlung der Aussetzung

207

(1) Österreich Anders als in § 221 StGB wird nach der ersten Tathandlung des § 82 öStGB bestraft, wer das Opfer „in eine hilflose Lage bringt und in dieser Lage im Stich läßt“. Dies erfordert nicht zwingend eine Ortsveränderung oder eine Änderung der räumlichen Beziehungen, sondern umfasst alle Verhaltensweisen, durch die für das Opfer eine hilflose Lage geschaffen wird613. Angesichts des vom deutschen StGB abweichenden Wortlauts der Norm in Österreich und des Verständnisses des § 82 Abs. 1 öStGB als „reines Handlungsdelikt“, das nicht durch Unterlassen begehbar ist614, erscheint eine Übertragung auf die deutsche Normierung der Aussetzung schwierig. Allerdings wird auch hier eines wieder deutlich: Verwendet der Gesetzgeber einen anderen Begriff als Aussetzen für die erste Tatvariante, so verknüpft er damit regelmäßig ein weites, nicht örtlich geprägtes Verständnis dieser Tathandlung. (2) Schweiz Der Vergleich mit Art. 127 schwStGB gestaltet sich aus zwei Gründen schwierig: Erstens ist der Wortlaut der ersten Tathandlung dort – wie in § 221 Abs. 1 StGB a. F. – als „Aussetzen“ formuliert, wobei der Begriff in einem anderen Kontext steht als in der Aussetzung a. F. in Deutschland: In Art. 127 schwStGB heißt es nämlich „einer Gefahr . . . aussetzen“. Zweitens können Täter der schweizerischen Norm ausschließlich Garanten sein615. Hinsichtlich der inhaltlichen Reichweite wird das „einer Gefahr aussetzen“ in der Literatur – im Gegensatz zum historischen Vorgängertatbestand, bei dem auch das räumlich geprägte „Aussetzen“ die Tathandlung bildete – jetzt durchgehend weit verstanden616. Erfasst wird nicht nur das Verbringen 613 So – interessanterweise gegen die Materialien in EBRV 1971, S. 210 und Leukauf/Steininger, öStGB3, § 82 Rn. 8, die ein räumliches Aussetzen aus der Überschrift folgern – die restliche Literatur zu § 82 öStGB; vgl. Kienapfel, BT I4, § 82 Rn. 14; WK-öStGB2-Burgstaller/Fabrizy [04/2002], § 82 Rn. 7; Foregger/Fabrizy, öStGB9, § 82 Rn. 3. Siehe dazu auch Küper, ZStW 111 [1999], 43 Fn. 56. 614 OGH SSt 60/71, 203 [205]; Leukauf/Steininger, öStGB3, § 82 Rn. 8; Kienapfel, BT I4, § 82 Rn. 17; WK-öStGB2-Burgstaller/Fabrizy [04/2002], § 82 Rn. 9; Foregger/Fabrizy, öStGB9, § 82 Rn. 3. Vgl. auch im 4. Teil: C. II. 5. g) aa). 615 Schwander, schwStGB2, Rn. 523; Schubarth, schwStGB, Art. 127 Rn. 6; Stratenwerth, BT I5, § 4 Rn. 47, 49; Trechsel, schwStGB2, Art. 127 Rn. 1 f.; BSKschwStGB2-Aebersold, Art. 127 Rn. 1, 7. Kritisch hierzu aber Noll, BT I, S. 56, der die Erweiterung der ersten Tathandlung auch auf Nichtgaranten fordert. 616 Schubarth, schwStGB, Art. 127 Rn. 11; Stratenwerth, BT I5, § 4 Rn. 52.

208 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

des Opfers in den Gefahrenbereich, sondern auch das Bringen der Gefahr zum Opfer617. Anders gesagt: Auf die Richtung der räumlichen Bewegung kommt es nicht an; es ist vielmehr jedes Schaffen einer Gefahr für das Opfer tatbestandsmäßig. Damit wird in der Schweiz das Aussetzen i. S. der weiten Auslegung des Versetzens im aktuellen deutschen Schrifttum verstanden. In Anbetracht der Tatsache, dass gerade das Aussetzen in Deutschland aber von der überwiegenden Ansicht bisher anders – nämlich eng – ausgelegt wurde, scheint es kaum möglich, aus der Tathandlung des Art. 127 schwStGB Folgerungen für die deutsche Normierung der Aussetzung zu ziehen. Außerdem verbietet schon der fundamental andere Täterkreis, der in der Schweiz von der Norm erfasst wird, einen Vergleich der jeweils ersten Tatvarianten. d) Teleologische Auslegung Bislang bleibt also festzuhalten, dass sich aus dem Wortlaut kaum Schlüsse ziehen lassen, während in geschichtlicher und systematischer Hinsicht wenige, aber durchaus überzeugende Gründe für das weite Verständnis zu finden sind. Es gibt zumindest mehr Anhaltspunkte für die neue Auffassung als für die alte. Abschließend soll untersucht werden, ob sich aus einer an Sinn und Zweck orientierten Auslegung weitere Hinweise für oder gegen eine weite Auslegung ergeben. Zuerst ist auch hier wieder zu bedenken, dass dem 6. StrRG u. a. das Ziel des Gesetzgebers zugrundelag, Strafbarkeitslücken zu schließen. Dieser Gedanke wurde zwar nicht explizit für die erste Tathandlung der Aussetzung in den Materialien niedergelegt, war aber ein allgemeines Anliegen der Reform618. Dies spricht eher für ein weites Verständnis des Versetzens619. Außerdem ist zu bedenken, dass die Reform im Zusammenhang mit der Harmonisierung der Strafrahmen den höchstpersönlichen Rechtsgütern, wie z. B. Leben und körperliche Unversehrtheit, ein größeres Gewicht verleihen 617 Schubarth, schwStGB, Art. 127 Rn. 11; Stratenwerth, BT I5, § 4 Rn. 52; Trechsel, schwStGB2, Art. 127 Rn. 4; BSK-schwStGB2-Aebersold, Art. 127 Rn. 15. 618 Vgl. oben 3. Teil: B. II. 3. [insbesondere dort die Nachweise in Fn. 197]. Bussmann, StV 1999, 621 bemerkt zu diesem Thema kritisch, dass dem „Gesetzgeber der Gedanke bestehender Strafbarkeitslücken . . . mittlerweile vollkommen unerträglich geworden ist“. 619 So auch DSNS-Struensee, 2. Teil Rn. 32, und Kosloh, S. 57. Ein ähnlicher Aspekt findet sich lange vor Inkrafttreten des 6. StrRG bei Rudolphi, Gleichstellungsproblematik, S. 117: Der Gesetzgeber . . . [erg.: mißbilligt] im Interesse eines möglichst weitgehenden Rechtsgüterschutzes jedes Versetzen einer Person in einen Zustand der Hilflosigkeit . . .“

C. Die Tathandlung der Aussetzung

209

wollte620. Diese Rechtsgüter sind gerade die von der Aussetzungsnorm geschützten Güter. Die Betonung des größeren Gewichts von Leib und Leben wird aber durch eine weite Auslegung des Versetzens eher durchgesetzt als durch das enge Verständnis, das eine Vielzahl von Verhaltensweisen straflos lassen würde. Die Reichweite der ersten Tathandlung könnte im Hinblick auf die oben beschriebenen Ziele des Gesetzgebers sogar ohne Bedeutung sein, wenn – wie von der überwiegenden Ansicht behauptet621 – jedem Versetzen stets ein Imstichlassen nachfolgen und damit – selbst bei engem Verständnis der ersten Tatvariante – keine Straflosigkeit eintreten würde. Dies könnte für ein enges Verständnis von § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB sprechen. Diese Argumentation ist allerdings nicht ganz zutreffend. Abgesehen davon, dass die Ansicht, jedem Versetzen folge immer ein Imstichlassen nach, schon grundsätzlich problematisch ist622, wäre die Schlussfolgerung, aufgrund dieser Prämisse zu dem engen Verständnis zu gelangen, weiteren Einwänden ausgesetzt. Sicher ist aufgrund des eindeutigen Wortlautes, dass das Imstichlassen das Bestehen einer hilflosen Lage verlangt, welche beim Versetzen gerade erst das Ergebnis der Tathandlung darstellt623. Damit scheint sich – unabhängig von der Frage, ob einem Versetzen stets ein Imstichlassen folgt – ein zeitliches Nacheinander der beiden Verhaltensweisen nicht leugnen zu lassen, ist aber auch zugleich der Ansatzpunkt gefunden, der für ein weites Verständnis des Versetzens spricht. Völlig nebensächlich ist es nämlich nicht, ob man gewisse Verhaltensweisen als Versetzen oder als Imstichlassen würdigt. An diese Tathandlungen knüpfen weitere Konsequenzen an: So verlangen die Notrechte aus §§ 32, 34 StGB das Vorliegen eines Angriffs bzw. einer Gefahr als Voraussetzung für das Entstehen von Eingriffsrechten des Opfers in die Sphäre des Täters. Subsumiert man Verhaltensweisen unter das – zeitlich spätere – Imstichlassen und nicht unter das Versetzen, so kann sich das Opfer auch erst spä620 RefE, S. 1, 63 ff., BR-Drs. 164/97, S. 1, 63 ff.; BT-Drs. 13/7164, S. 1, 18 ff.; 13/8587, S. 1, 18 ff. 621 LK-StGB11-Jähnke [07/1999], § 221 Rn. 3; Jäger, JuS 2000, 33 f.; Laue, S. 115, 118; Lucks, S. 221 ff.; MüKo-StGB-Hardtung, § 221 Rn. 11, 48; NKStGB2-Neumann, § 221 Rn. 45. Hierzu und zu den Folgefragen später ausführlicher im 4. Teil: E. II. 1. b) bb) (1). 622 Vgl. hierzu ausführlich später unter 4. Teil: E. III. 2. b). 623 Laue, S. 69; SK-StGB7-Horn/Wolters [03/2002], § 221 Rn. 3, 4; NKStGB2-Neumann, § 221 Rn. 3; Kindhäuser, BT I3, § 5 Rn. 2; Küpper, BT I3, § 1 Rn. 84; Rengier, BT II8, § 10 Rn. 4; Tröndle/Fischer, StGB54, § 221 Rn. 8; Wessels/Hettinger, BT I31, Rn. 199, 203; a. A. LK-StGB11-Jähnke [07/1999], § 221 Rn. 14, der auch Personen in hilfloser Lage unter § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB subsumieren will, weil alles andere „unverständlich“ wäre.

210 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

ter auf das Be- bzw. Entstehen dieser Rechte berufen, wird gegebenenfalls dadurch aber auch auf eine weniger sichere oder geeignete Verteidigung verwiesen. Im schlimmsten Fall müsste es sogar Einbußen in seinem Rechtskreis dulden, bevor es sich verteidigen kann. Die weite Auslegung des Versetzens gewährleistet deshalb eher einen erweiterten Schutz der Eingriffsrechte des Opfers gegen tatbestandsmäßige Verhaltensweisen des Täters. Dieser interessante Nebeneffekt sollte in Zeiten, in denen der Opferschutz im Strafrecht immer mehr betont wird624, nicht aus den Augen verloren werden. e) Ansätze zu einer Einschränkung des Versetzens Mit dem weiten Verständnis wird dennoch nicht jedes Schaffen einer hilflosen Lage erfasst, vielmehr sind gewisse Beschränkungen vorhanden. Die Formulierung der Tathandlung ist nicht uferlos. Ansätze zu Einschränkungen ergeben sich aus dem Wortlaut der Norm und den allgemeinen Regeln des Strafrechts. Wie soeben angesprochen, verlangt der Wortlaut des § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB, dass sich das Opfer erst nach dem tatbestandsmäßigen Verhalten in einer hilflosen Lage befindet, sich demzufolge vor der besagten Verhaltensweise noch nicht in einer solchen befunden hat. Mithin ist nicht jedes Herbeiführen einer hilflosen Lage erfasst, sondern grundsätzlich das Neuschaffen einer hilflosen Lage gemeint625. Eine Person, die sich bereits in hilfloser Lage befindet, kann schon nach dem eindeutigen Wortlaut der Norm nicht mehr in dieselbe hilflose Lage versetzt werden. Daneben erfährt die erste Tatvariante der Aussetzung eine Einschränkung dadurch dass bei ihr die Grundsätze von Kausalität und objektiver Zurechnung zu beachten sind626. Dies führt demzufolge zum Ausschluss derjeni624 Allgemein zum Aspekt des Opferschutzes in der Gesetzgebung der letzten Zeit: Zypries, StraFo 2004, 221 ff. Ausführlich zum Opferrechtsreformgesetz von 2004: Stiebig, Jura 2005, 592 ff. Zur Berücksichtigung des Opferschutzes als Argument im Rahmen der Auslegung von § 24 StGB vgl. BGHSt 39, 221 [232] sowie statt aller umfangreich und m. z. N. hierzu Kühl, AT5, § 16 Rn. 7; MüKo-StGBHerzberg, § 32 Rn. 21 ff. Vgl. zu § 138 StGB BGHSt 42, 86 [88]; zu § 261 StGB OLG Hamburg NJW 2000, 673 [680]; kritisch zu dieser Entscheidung Lüderssen, StV 2000, 207; ablehnend Scherp, NJW 2001, 3243. 625 So auch Sternberg-Lieben/Fisch, Jura 1999, 46; SK-StGB7-Horn/Wolters [03/2002], § 221 Rn. 4; in diese Richtung auch MüKo-StGB-Hardtung, § 221 Rn. 9, 12. Zu den hiermit eng verknüpften Problemen des Versetzens in eine „neue hilflose“ Lage bzw. des Versetzens durch Intensivieren einer bestehenden hilflosen Lage im 4. Teil: G. II. 626 SK-StGB7-Horn/Wolters [03/2002], § 221 Rn. 4.

C. Die Tathandlung der Aussetzung

211

gen Verhaltensweisen, durch die der Täter entweder nicht kausal oder ihm nicht objektiv zurechenbar eine hilflose Lage für das Opfer geschaffen hat. Diese Einschränkung ergibt sich – nach noch überwiegender Ansicht in der Literatur – beim vorsätzlichen Erfolgsdelikt allerdings schon aus den grundsätzlichen Regeln des Strafrechts627; sie reduziert den Umfang des Sachverhalts freilich nicht erheblich. Da zudem schon dargelegt wurde, dass ein Versetzen als das Neuschaffen einer hilflosen Lage zu verstehen ist, scheiden einige im Folgenden beschriebene Zustände aus dem Anwendungsbereich des § 221 Abs. 1 StGB aus. Der Täter kann das Opfer nämlich nicht – kausal und ihm objektiv zurechenbar – in solche Zustände versetzen, die bestimmte Eigenschaften des Opfers sind oder die für das Opfer dauerhafte Merkmale darstellen, die dieses also auch ohne den Täter und dessen Einflussnahme aufweist. In erster Linie handelt es sich um das Alter und die körperliche Konstitution des Opfers628. Anders formuliert: Der aktuelle körperliche Normalzustand des Opfers unterliegt nicht dem Einfluss des Täters629. Dies gilt sowohl für das Versetzen durch positives Tun als auch durch unechtes Unterlassen: Es ist ein neuer Zustand des Opfers zu begründen. Damit ist als Unterlassen das Nichteinschreiten des Täters gegen neu entstehende Situationen erfasst (z. B. Naturvorfälle, andere zufällige Ereignisse, Handeln Dritter, nicht vollverantwortliches Eigenhandeln des Opfers) bzw. die Nichtverhinderung der aktiven Entstehung einer Situation, die sich nicht ausschließlich aus dem körperlichen Normalzustand ergibt. f) Zwischenergebnis zur Auslegung der ersten Tatvariante Das Versetzen ist nach den vorstehenden Ausführungen grundsätzlich weit zu verstehen, als Schaffen einer hilflosen Lage durch den bestimmenden Einfluss des Täters; genauer gesagt ist es das Neuschaffen einer hilflosen Lage. Hiermit gehen zwei Einschränkungen einher: Erstens muss das Statt aller nur Jescheck/Weigend, AT5, § 28 I 1 f., § 28 IV; Kühl, AT5, § 4 Rn. 1 ff. [insbesondere Rn. 4, 37]; Roxin, AT I4, § 11 Rn. 1 ff. [insbesondere Rn. 15, 50]; alle m. z. N. 628 Ähnlich Lucks, S. 109; Lackner/Kühl, StGB26, § 221 Rn. 2. 629 Wie zuzugeben ist, geht mit dieser Aussage zum Versetzen schon eine gewisse Aussage zum Tatbestandsmerkmal der hilflosen Lage einher: Sie ist eben kein vor der Tat bestehender Zustand, auf den der Täter keinen Einfluss nehmen kann. Hier wird deutlich, dass die Tatbestandsmerkmale des § 221 Abs. 1 StGB, insbesondere die Tathandlungen, die hilflose Lage und der Taterfolg der Gefahr sehr eng miteinander verzahnt sind [so auch Sternberg-Lieben/Fisch, Jura 1999, 46; Lucks, S. 228], so dass die Auslegung und das Verständnis des einen Auswirkungen auf das andere hat und Rückschlüsse ermöglicht. 627

212 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

Versetzen kausal für das Entstehen der hilflosen Lage sein und diese Lage dem Täter auch objektiv zugerechnet werden können. Zweitens muss die hilflose Lage erst durch das Versetzen entstanden sein und darf sich nicht in einem schon vorher vorhandenen Zustand erschöpfen. g) Der Tatbestandstyp des § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB Für die Einordnung der ersten Tatvariante kommen folgende Alternativen in Betracht: Sie ist ein „normales“ Begehungsdelikt, das durch positives Tun aber auch gem. § 13 StGB als unechtes Unterlassungsdelikt verwirklicht werden kann, oder sie ist nur durch positives Tun begehbar, quasi ein „reines“ Handlungsdelikt, für das kein entsprechender unechter Unterlassenstatbestand existiert. aa) Argumente für die Einordnung des § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB als durch Tun und (unechtes) Unterlassen begehbares Erfolgsdelikt Für diese Einordnung und die damit einhergehende Möglichkeit der Strafbarkeit des unechten Unterlassens gem. § 13 StGB spricht ein einfaches, aber überzeugendes Argument: Nach der allgemeinen Regelung des § 13 StGB lässt sich grundsätzlich für jedes Erfolgsdelikt ein entsprechendes unechtes Unterlassungsdelikt bilden630. Warum dies bei § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB anders sein – und damit eine fundamentale Abweichung von einem allgemeinen Grundsatz des StGB vorliegen – soll, müsste von denjenigen, die die Nichtanwendbarkeit von § 13 StGB auf § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB befürworten, begründet und nicht nur behauptet werden. Im Gegensatz zu denjenigen Delikten, bei denen nur ein Unterlassen den Tatbestand erfüllen kann, bzw. zu denjenigen Tatbeständen, bei denen die tatbestandliche Umschreibung der Tathandlung schon direkt – also ohne Anwendung von § 13 StGB – Tun und Unterlassen erfasst631, existieren im Gesetz keine Fälle von ausschließlich durch positives Tun zu verwirklichenden Delikten632. Ein solches Konstrukt wäre ein Novum. Bis zum Beweis des GegenStatt aller nur SK-StGB7-Rudolphi [09/2000], § 13 Rn. 1; NK-StGB2-Wohlers, § 13 Rn. 1; Tröndle/Fischer, StGB54, § 13 Rn. 2; alle m. z. N. 631 Zu diesen Arten von Delikten vgl. oben 4. Teil: C. I. 5. e) cc) (2). 632 Die verhaltensgebundenen, die eigenhändigen und die Zueignungsdelikte sind allerdings im Regelfall mangels Entsprechung i. S. von § 13 Abs. 1 StGB a. E. nicht als unechte Unterlassensdelikte konstruierbar; vgl. LK-StGB11-Jescheck [03/1992], § 13 Rn. 5 f.; SK-StGB7-Rudolphi [09/2000], § 13 Rn. 9 ff.; Schönke/SchröderStGB27-Stree, § 13 Rn. 4; Tröndle/Fischer, StGB54, § 13 Rn. 17; darstellend Güntge, 630

C. Die Tathandlung der Aussetzung

213

teils ist aber kein Grund ersichtlich, die vorhandene, unstreitige und festgefügte Dogmatik des StGB in Frage zu stellen. Im Übrigen ergibt sich für die Einordnung als nur durch positives Tun begehbares Delikt kein Anhaltspunkt in der Gesetzgebungsgeschichte. Eher im Gegenteil: Man findet in den Niederschriften der Großen Strafrechtskommission633 den Satz „Sie (erg.: die unechten Aussetzungsfälle) sollten aber im Zusammenhang mit den echten Aussetzungsfällen normiert werden, da in allen Aussetzungsfällen, die durch Unterlassen begangen werden, eine Beistandspflicht besonderer Art verletzt wird“. Der Passus „die durch Unterlassen begangen werden“ bezieht sich vom Wortsinn her auf alle Fälle der Aussetzung („in allen Aussetzungsfällen“), also „echte wie unechte“ Fälle. Fälle der „echten Aussetzung“ bzw. der „Aussetzung i. e. S.“ waren die ursprünglich unter die erste Tathandlung subsumierten, während die Fälle einer „unechten Aussetzung“ bzw. einer „Aussetzung i. w. S.“ Fälle des Verlassens waren634. Beide Tathandlungen konnten aber nach früher überwiegend vertretener Ansicht sowohl durch Tun als auch unechtes Unterlassen verwirklicht werden635. Daraus wird man folgern müssen, dass die Kommission auch von der Möglichkeit der Begehung der ersten Tatvariante durch Unterlassen ausgegangen ist. Ist ein Delikt aber nach Ansicht der Kommission durch aktives Tun und Unterlassen begehbar, so bietet das StGB für ein solches Delikt nur eine gängige und übliche Bezeichnung: Begehungsdelikt, das auch als unechtes Unterlassungsdelikt über § 13 StGB begangen werden kann. bb) Ausschluss der Ingerenzgarantenstellung für § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB Eine Einschränkung hinsichtlich der Begehung von § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB durch Unterlassen ist allerdings einzuräumen: Diese Tatvariante wird grundsätzlich nicht durch einen Ingerenzgaranten ausgeführt werden können636. Unterlassen, S. 66 ff. Jedoch gehört die Aussetzung zu keiner der genannten Deliktsgruppen; zu den verhaltensgebundenen Delikten schon oben im 4. Teil: C. I. 5. e) aa) (3) (a). 633 Ndschr. Bd. 7 [1959], S. 338 [Hervorhebungen vom Verfasser]. 634 Die Begriffe echte/unechte Aussetzungsfälle werden synonym zu den Begriffen Aussetzung im engeren und weiteren Sinne verwendet; hierzu im 3. Teil: A. I. 4. [Nachweise ebenda in Fn. 40] und im 4. Teil: C. II. 3. a) bb) [Nachweise dort in Fn. 494]. 635 Vgl. zum Verlassen im 4. Teil: C. I. 3. a) sowie zum Aussetzen im 4. Teil: C. II. 3. a). 636 Vgl. schon oben 4. Teil: A. II. auf S. 85.

214 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

Das ergibt sich aus Folgendem: Unabhängig von den zahlreichen Streitfragen, die sich um die Garantenstellung aus Ingerenz ranken637, setzt diese nach einhelliger Ansicht voraus, dass der Ingerenzgarant eine Gefahr für das Opfer geschaffen hat und nun – wegen seiner Garantenpflicht – dafür Sorge zu tragen hat, dass sich diese nicht zu Lasten des Opfers verwirklicht638. Diese Garantenstellung verlangt also das Bestehen einer Gefahr. Für eine Aussetzung i. S. v. § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB muss die Gefahr nach dem Normtext der hilflosen Lage nachfolgen; liegt also schon eine Gefahr vor, hat – wenn überhaupt – vor dieser eine hilflose Lage bestanden639. Liegt aber vor dem – die Ingerenzgarantenstellung begründenden – Verhalten eine hilflose Lage vor, scheidet eine Begehung der ersten Tatvariante durch Tun oder Unterlassen nach dem Wortlaut der Norm aus640; der Anwendungsbereich von § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB ist eröffnet. Damit ist nach dem Entstehen der Ingerenzgarantenstellung grundsätzlich kein Raum mehr für § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB; vielmehr schafft die erste Tathandlung erst die Voraussetzungen der Ingerenz641. Abschließend ist festzuhalten: Das fahrlässige „Schaffen“ einer Ingerenzgarantenstellung kann – mangels Vorsatz – nicht unter § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB fallen. Ist der Täter nun aber Garant aus (fahrlässiger) Ingerenz, so liegt grundsätzlich eine hilflose Lage des Opfers vor und sein weiteres Verhalten fällt unter § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB. Schafft der Ingerenzgarant die garantenpflichtbegründende Situation jedoch vorsätzlich, so ist dies zwar ein Versetzen in eine hilflose Lage, allerdings nicht durch Unterlassen, sondern durch Tun. Ob das nachfolgende Verhalten des Garanten dann ein zusätzliches Imstichlassen darstellt, ist eine noch zu klärende Frage642. cc) Fazit zum Tatbestandstypus der ersten Tatvariante § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB ist ein „normales“ Begehungsdelikt, bei dem der Taterfolg sowohl auf aktivem Tun als auch auf unechtem Unterlassen 637 Vgl. die Darstellung bei Roxin, AT II, § 32 Rn. 143 ff.; Sowada, Jura 2003, 237 ff.; Kühl, AT5, § 18 Rn. 92 ff.; alle m. w. N. 638 Statt aller nur: Jescheck/Weigend, AT5, § 59 IV 4 a; Sowada, Jura 2003, 237; Jasch, NStZ 2005, 9 f.; Kühl, AT5, § 18 Rn. 91; NK-StGB2-Wohlers, § 13 Rn. 43 ff. 639 Zum Verhältnis der hilflosen Lage und der Gefahr sowie zum Unterschied der beiden Tatbestandsmerkmale später unter 4. Teil: D. IV. 1. a). 640 Zu den sich hieran anschließenden Fragen der Abgrenzung der beiden Tathandlungen vgl. 4. Teil: E. III. 3. 641 Letzteres betonen auch Lucks, S. 222, und Küpper, BT I3, § 1 Rn. 89a. Dieser – hier unproblematisch erscheinende – Befund wird ausführlicher im 4. Teil: G. III. 2. – ab S. 466 – behandelt, weil er wegen der Neufassung der Aussetzung problematischer ist, als es auf den ersten Blick erscheint. 642 Näheres hierzu im 4. Teil: E. III. 2. b) bb).

C. Die Tathandlung der Aussetzung

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gem. § 13 StGB beruhen kann. § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB stellt nicht das der ersten Tatvariante entsprechende Unterlassungsdelikt dar. 6. Fazit zum Versetzen Daraus folgt: Das Versetzen ist als das Neuschaffen einer hilflosen Lage zu verstehen, welches nicht an eine räumliche Bewegung gebunden ist. Dies ergibt sich aufgrund einiger, unterschiedlich gewichtiger Argumente aus der Gesetzgebungsgeschichte sowie einer systematischen und teleologischen Betrachtung der Tathandlung. Der Wortlaut hingegen, der häufig bemüht wird, ist für den Inhalt der Tathandlung selbst unergiebig, ermöglicht aber Schlüsse bei der Abgrenzung zum Imstichlassen und bei der Begrenzung der Tathandlung auf das Neuschaffen einer hilflosen Lage. Die erste Tathandlung ist als Begehungsdelikt einzuordnen, das auch als unechtes Unterlassungsdelikt nach § 13 StGB begangen werden kann.

III. Ergebnis zu den Tathandlungen Die Betrachtung der Tathandlungen hat ergeben, dass eine weite Deutung der erfassten Verhaltensweisen – d.h. der Verzicht auf den räumlich-örtlich geprägten Handlungstypus der Tathandlungen in der a. F. – zutreffend ist; ein Ergebnis, das auch von der überwiegenden Ansicht seit dem 6. StrRG vertreten wird. Dieses Verständnis entspricht der Tendenz hin zur Erweiterung der beiden Tathandlungen in den letzten zwei Jahrhunderten. Mit dieser Interpretation der Tathandlungen geht die Norm weit über die historischen Wurzeln der Kindesaussetzung hinaus643. Ob sich § 221 Abs. 1 StGB – wie teilweise behauptet644 – schon zu einem allgemeinen Leibes- und Le643 So auch Küper, ZStW 111 [1999], 34, 43; LK-StGB11-Jähnke [07/1999], § 221 Rn. 1; Lucks, S. 47 ff., 227; Kindhäuser, LPK3, § 221 Rn. 1. So schon zu § 221 StGB a. F. Fenner, S. 13; Nejmark, S. 85; Meyer-Fröhlich, S. 82; Schroeder, JZ 1992, 378. 644 Den gesamten Tatbestand als allgemeines Leibes- und Lebensgefährdungsdelikt deuten Kosloh, S. 60, 66, und S. Heinrich, S. 167. Hingegen sehen Rengier, BT II8, § 10 Rn. 2, 14 [anders noch ders, BT II4, § 10 Rn. 1], und Tröndle/Fischer, StGB54, § 221 Rn. 9, nur in § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB ein solches. Eine Tendenz in diese Richtung konstatieren DSNS-Struensee, 2. Teil Rn. 22, 32; Küper, ZStW 111 [1999], 34, 43, 49; LK-StGB11-Jähnke [07/1999], § 221 Rn. 1; Sternberg-Lieben/ Fisch, Jura 1999, 50 f.; NK-StGB2-Neumann, § 221 Rn. 2; Wessels/Hettinger, BT I31, Rn. 198. Gegen die Einordnung der gesamten Aussetzungsnorm als allgemeines Gefährdungsdelikt wenden sich Ebel, NStZ 2002, 404 f.; Laue, S. 146; Lucks, S. 160, 185, 228; Gössel/Dölling, BT 12, § 7 Rn. 2; Küper, BT6, S. 38; Maurach/ Schroeder/Maiwald, BT 19, § 4 Rn. 1 f.; Hacker/Lautner, Jura 2006, 276, und Küpper, BT I3, § 1 Rn. 85.

216 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

bensgefährdungsdelikt entwickelt hat, wird bei der Auslegung des Tatbestandsmerkmals der hilflosen Lage zu klären sein645. In Bezug auf den Tatbestandstyp ist ebenfalls der überwiegenden Ansicht zu folgen: Das Versetzen umschreibt ein auch durch Unterlassen zu verwirklichendes Begehungsdelikt, während das Imstichlassen ein speziell vertatbestandlichtes unechtes Unterlassungsdelikt darstellt. Wertungswidersprüche zwischen den beiden Tatvarianten entstehen bei diesem Verständnis nicht.

D. Das situationsbezogene Tatbestandsmerkmal der hilflosen Lage Gemeinsames Merkmal646 von Versetzen und Imstichlassen ist die hilflose Lage, die – in unterschiedlichem Kontext – in beiden Begehungsmodalitäten als Tatbestandsmerkmal enthalten ist. Nach den bisherigen Überlegungen sind beide Tathandlungen weit zu verstehen; deshalb bietet nur dieses Merkmal die Möglichkeit einer einengenden Auslegung und einer Abgrenzung der Aussetzung von einem allgemeinen Gefährdungsdelikt.

I. Hintergrund des Bestrebens nach einer engen Auslegung der hilflosen Lage Damit die Diskussion um Auslegung, Verständnis und Reichweite der hilflosen Lage nachvollziehbar wird, sind zuerst folgende Fragen zu klären: Wieso ist es überhaupt erforderlich, gerade das Merkmal der hilflosen Lage „eng“ auszulegen, dadurch dem Tatbestand der Aussetzung feste Konturen zu geben und die Strafbarkeit zu beschränken? Wäre es nicht vielmehr durchaus wünschenswert, jede Verhaltensweise, die zu einer wesentlichen Gefährdung von Leben oder Gesundheit führt, zu bestrafen? In der Sache geht es hier um mehrere, verschiedene Problemkreise: Erstens:

Ist die Aussetzung ein allgemeines Gefährdungsdelikt und welche Auswirkungen hätte ein solches Verständnis auf das Strafrecht?

Zweitens: Wie würde sich das Verhältnis der – weit verstandenen – Aussetzung zu den Delikten der (versuchten) Tötung und Körperverletzung bzw. zur fahrlässigen Tötung und Körperverletzung darstellen? 645

Vgl. 4. Teil: D. I. 1. Von Hacker/Lautner, Jura 2006, 274, als „zentraler Anknüpfungspunkt“ bezeichnet. 646

D. Das situationsbezogene Tatbestandsmerkmal der hilflosen Lage

Drittens:

217

Welche Rolle spielt es für die Auslegung, dass bei der Aussetzung eine Regelung zur tätigen Reue nicht existiert und bei der zweiten Tatvariante im Besonderen eine Milderung nach § 13 Abs. 2 StGB nach überwiegender Ansicht nicht möglich ist?

1. Das allgemeine Leibes- und Lebensgefährdungsdelikt a) Begriff des allgemeinen Leibes- und Lebensgefährdungsdelikts Konkrete Gefährdungsdelikte sind im StGB in vielen Paragraphen zu finden647: Ihr Taterfolg besteht – im Gegensatz zu den Verletzungsdelikten, die den Eintritt einer Verletzung bzw. eines Schadens als Erfolg verlangen, – im Eintritt einer konkreten Gefahr648. Das allgemeine Gefährdungsdelikt wäre daher ein konkretes Gefährdungsdelikt, das alle Arten von Gefahrensituationen – quasi als Grundtatbestand der speziellen konkreten Gefährdungsdelikte – erfasst, die durch ein beliebiges Verhalten des Täters (vorsätzlich) geschaffen wurden649. Das allgemeine Leibes- und Lebensgefährdungsdelikt wäre dementsprechend das allgemeine Gefährdungsdelikt, das dann als Taterfolg die Gefahren für Leib und Leben umfasst. Dem deutschen Strafrechtssystem ist das allgemeine Gefährdungsdelikt unbekannt650; seine Einführung wurde aber im Verlaufe der Reforment647

Konkrete Gefährdungsdelikte findet man z. B. in §§ 80, 94, 95, 97, 97a, 99, 100, 100a, 109e, 109g, 113, 121, 125, 125a, 171, 176a, 177, 179, 184e, 187, 225, 234a, 235, 236, 241a, 250, 261, 263, 267, 283a, 283d, 297, 306a, 306b, 306d, 306 f., 307, 308, 312, 313, 315, 315a, 315b, 315c, 317, 318, 319, 325a, 328, 330, 330a, 353b StGB. Während Kindhäuser, Gefährdung, S. 189, die Anzahl der Gefährdungsdelikte allerdings als „bescheiden“ bewertet, gehen Lackner, Gefährdungsdelikt, S. 1, U. Weber, ZStW Beiheft 1987, 1, und Zieschang, S. 1, – angesichts der reinen Zahl der Tatbestände gut nachvollziehbar – von einer zunehmenden Anzahl aus. 648 Schröder, ZStW 81 [1969], 14, 17 f.; U. Weber, ZStW Beiheft 1987, 21; Kindhäuser, Gefährdung, S. 189; Jescheck/Weigend, AT5, § 26 II 2; Zieschang, S. 14 ff.; Wohlers, S. 281 f.; Roxin, AT I4, § 10 Rn. 123 f.; Lackner/Kühl, StGB26, Vor § 13 Rn. 32; Tröndle/Fischer, StGB54, Vor § 13 Rn. 13a. Die Existenz eines „Taterfolges“ der konkreten Gefahr bei den konkreten Gefährdungsdelikten grundsätzlich ablehnend Koriath, GA 2001, 58 ff., 74. Näheres zum Begriff der Gefahr im 4. Teil: F. Auf die abstrakten Gefährdungsdelikte soll hier nicht vertieft eingegangen werden, da bei diesen die Gefahr nicht der tatbestandliche Erfolg ist, sondern nur das Motiv des Gesetzgebers für die Einführung dieser Delikte [Nachweise wie soeben]. 649 Schröder, ZStW 81 [1969], 26. 650 Schwarz, S. 136 f.; Willfratt, SchwZStR 83 [1968], 229; Schröder, ZStW 81 [1969], 26; Simson/Geerds, S. 211; LK-StGB9-Lange [1974], Vor § 211 Rn. 9; Mitsch, JuS 1994, 557; Lucks, S. 7; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 18, § 4 Rn. 1.

218 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

würfe bis 1930 häufig gefordert und war teilweise auch in den Entwürfen enthalten651. In Art. 129 schwStGB und §§ 89 i. V. m. 81 Abs. 1 öStGB hingegen existieren allgemeine Gefährdungsnormen seit Jahrzehnten652. Die Fassung der Norm in der Schweiz ist dabei für die Diskussion in Deutschland von größerem Interesse, da im Rahmen des Streits um die Einführung eines allgemeinen Gefährdungsdelikts in Deutschland regelmäßig Art. 129 schwStGB653 als „Muster“ oder Vorbild herangezogen wurde654. Strafbar ist nach dieser Norm jedes Schaffen einer unmittelbaren Gefährdung des Lebens; allerdings nur, wenn dies „in skrupelloser Weise“ geschieht655. Bis 1990 hieß es in diesem Passus „wissentlich und gewissenlos“656; diese Textfassung wurde auch als Reform für das deutsche StGB vorgeschlagen657. Die Existenz des Art. 129 schwStGB erklärt sich jedoch größtenteils daraus, dass in der Schweiz die Aussetzung in Art. 127 schwStGB als Delikt ausgestaltet war und ist, das nur durch Garanten begangen werden kann658, und damit hat das allgemeine Gefährdungsdelikt in der Schweiz eine „Auffangfunktion“ für anderenfalls nicht strafbare Gefährdungen659. 651

Vgl. schon oben die entsprechenden Ausführungen im 3. Teil: B. I. und sogleich im 4. Teil: D. I. 1. b). 652 Schröder, ZStW 81 [1969], 25 f.; Feloutzis, S. 24; Lucks, S. 9. 653 Bzw. bis 1942 die wortgleiche Vorgängernorm des Art. 113 schwStGB und die Entwürfe hierzu; vgl. Itin, S. 137 ff.; Willfratt, SchwZStR 83 [1968], 225 f., 228; Lucks, S. 15, 21. 654 J. Meier, S. 68; Willfratt, SchwZStR 83 [1968], 229; Simson/Geerds, S. 211; Schröder, ZStW 81 [1969], 25; U. Weber, ZStW Beiheft 1987, 29; Lucks, S. 12, 21. Art. 129 schwStGB geht zurück auf den – zur a. F. der Norm wortgleichen – Art. 68 des Vorentwurfs zu einem StGB 1903 von Stooss, VE 1903, S. 27 ff.; zu dem Entwurf auch Willfratt, SchwZStR 83 [1968], 226; Trechsel, schwStGB2, Art. 129 Vor Rn. 1; BSK-schwStGB2-Aebersold, Art. 129 Rn. 4. Zum abweichend formulierten Vorgängerentwurf des Art. 58 von 1893 [VE 1893, S. 40/42] siehe von Liszt, VD BT V, S. 153 f.; Schoetensack, GS 93 [1926], 116; Marfels, S. 88 f.; Sörgel, S. 31. Zur Entstehungsgeschichte der Schweizer Normen allgemein Miricka, S. 191, und J. Meier, S. 69 f. 655 Zur Auslegung dieses Merkmals in der Schweiz: Stratenwerth, BT I5, § 4 Rn. 13; Trechsel, schwStGB2, Art. 129 Rn. 5; BSK-schwStGB2-Aebersold, Art. 129 Rn. 32 ff. 656 Stratenwerth, BT I5, § 4 Rn. 11; Lucks, S. 15; BSK-schwStGB2-Aebersold, Art. 129 Kriminalstatistik vor Rn. 1. Ausführlich zur Geschichte der Revision des Art. 129 schwStGB, C. Meier, S. 7 ff. Zum Verständnis dieser Tatbestandsmerkmale Itin, S. 142 ff.; Willfratt, SchwZStR 83 [1968], 245 ff.; Schubarth, schwStGB, Art. 129 Rn. 12 ff. 657 § 228 E 1922; § 231 E 1925; § 243 E 1927; § 243 E 1930. Sowie E 1925, Begründung, S. 120, und E 1927, Begründung, S. 125 f.; hierzu Willfratt, SchwZStR 83 [1968], 229, und Feloutzis, S. 24. 658 Vgl. die Nachweise im 4. Teil: C. I. 5. c) bb) (2) in Fn. 267.

D. Das situationsbezogene Tatbestandsmerkmal der hilflosen Lage

219

Die österreichische Gefährdungsnorm, die sich aus §§ 89 i. V. m. 81 Abs. 1 öStGB ergibt660, war dagegen niemals Gegenstand der Diskussion über ein allgemeines Gefährdungsdelikt in Deutschland. Der Grund dürfte darin zu finden sein, dass – obwohl im § 89 öStGB jede Gefährdung für Leben, Gesundheit oder körperliche Sicherheit erfasst wird – wegen des Verweises auf § 81 Ziff. 1–3 öStGB das Vorliegen einer bestimmten Grundsituation zur tatbestandlichen Voraussetzung wird: Nur Gefährdungen, die aus „besonders gefährlichen Verhältnissen“, aus „Rauschzuständen“ oder aus der „Haltung gefährlicher Tiere“ resultieren, sind vom Tatbestand erfasst661. „Allgemein“ in dem Sinne, dass sie jede Herbeiführung einer Gefährdung erfasst, ist die Norm im öStGB damit nicht; jedenfalls geht der Anwendungsbereich des Art. 129 schwStGB weiter662. b) Der Streit um die Einführung eines allgemeinen Leibesund Lebensgefährdungsdelikts Von Beginn des 20. Jahrhunderts an bis zum Jahre 1962 wurde im Verlauf der Reformversuche zum StGB heftig über das Für und Wider der Einführung eines solchen Delikts gestritten. aa) Reformentwürfe bis 1930 Obwohl Radbruch in der Vergleichenden Darstellung die engen Voraussetzungen des § 221 StGB a. F. kritisiert und – wegen der sich daraus ergebenden Strafbarkeitslücken – ein allgemeines Gefährdungsdelikt gefordert hatte663, wurde es in die Entwürfe von 1911 bis 1919 nicht aufgenom659

Meyer-Fröhlich, S. 103; Willfratt, SchwZStR 83 [1968], 225, 231 ff.; Schubarth, schwStGB, Art. 129 Rn. 1 f.; Stratenwerth, BT I5, § 4 Rn. 7; Trechsel, schwStGB2, Art. 129 Rn. 1; C. Meier, S. 19 f.; BSK-schwStGB2-Aebersold, Art. 129 Rn. 1 ff. 660 Zum allgemeinen Gefährdungsdelikt in den österreichischen Entwürfen und dem öStGB vgl. J. Meier, S. 57 ff. 661 Kienapfel, BT I4, § 89 Rn. 10 ff.; Bertel/Schwaighofer, BT I5, § 89 Rn. 2; Foregger/Fabrizy, öStGB9, § 89 Rn. 1; WK-öStGB2-Burgstaller [03/2006], § 89 Rn. 6, 9 ff. 662 So schon zur Vorgängernorm des § 89 öStGB: Willfratt, SchwZStR 83 [1968], 230. 663 Radbruch, VD BT V, S. 194 f., 200 f.; zustimmend von Liszt, VD BT V, S. 152; ablehnend Hamm, DJZ 1906, 843; darstellend Lucks, S. 20. Noch weiter geht Miricka, S. 192 ff., der jede vorsätzliche und fahrlässige Einzel- und Gemeingefährdung bestrafen will.

220 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

men664. Seit § 228 E 1922 war aber in allen späteren Entwürfen ein derartiges Konstrukt zu finden665. Diese Normen lehnten sich regelmäßig an die später Gesetz gewordene Formulierung des Art. 129 schwStGB a. F. an, deren Wurzeln in Art. 68 des „Vorentwurfs zu einem Schweizerischen Strafgesetzbuch“ von 1903 liegen, der auf Stooss zurückgeht666. Dessen – sehr eigene – Sicht vom dolus eventualis spiegelt sich in der Fassung dieser Norm wider: Aufgrund einer Untersuchung von Gefährdung und Eventualvorsatz lehnte Stooss einen dolus eventualis bei den Gefährdungsdelikten nämlich ab und wollte, um die sich hieraus ergebenden Strafbarkeitslücken zu schließen, – sozusagen als „Notnagel“ – das allgemeine Gefährdungsdelikt einführen, das als Vorsatzform „wissentliches“ Handeln verlangte667. Wie sehr sein Vorschlag die damalige Wissenschaft bewegt hat, lässt sich schon anhand der Zahl der – innerhalb eines kleinen Zeitraums – erschienenen Monographien erahnen668. Der wissenschaftliche Diskurs zur gesetzlichen Umsetzung der Stoossschen Idee war lebhaft, die Argumente für und wider eine Aufnahme in das RStGB waren zahlreich669. Die ablehnenden Stimmen aus der Wissenschaft führten an, die Norm sei nicht bestimmt und damit in ihrer Reichweite unüberschaubar670. Außerdem bestünde – mangels Strafbarkeitslücken – keine 664 VE 1909, Begründung BT, S. 647; zustimmend Wachenfeld, ARWP 1909/1910, 436; Aschrott/von Liszt-von Lilienthal, BT II, S. 280; Ebermayer, DJZ 1911, 1047 f.; J. Meier, S. 56, 109; von Ruepprecht, S. 48; darstellend Lucks, S. 21. 665 § 231 E 1925; § 243 E 1927; § 243 E 1930. 666 Vgl. die Darstellung soeben im 4. Teil: D. I. 1. a) [Nachweise ebenda in Fn. 653 und 654]. Nach J. Meier, S. 10, 81, geht die grundsätzliche Forderung nach einem derartigen Delikt auf Stübel, NACR 8 [1826], 251, 254, 311, 314, zurück, der sich in dieser Abhandlung sehr ausführlich mit Fragen der Gefährdung und der Strafbarkeit derselben befasst und die Einführung von Gefährdungsdelikten gefordert hat. 667 Stooss, ZStW 15 [1895], 199 f., 201; zustimmend zur Ablehnung der Existenz des dolus eventualis beim Gefährdungsdelikt von Liszt, VD BT V, S. 153 f.; in die Richtung heute wieder Laue, S. 45 ff., der die Existenz des Gefährdungsvorsatzes verneint; ablehnend aber von Lilienthal, ZStW 15 [1895], 318 f.; Scheffer, S. 30 f.; Schoetensack, GS 93 [1926], 116; Sörgel, S. 31; J. Meier, S. 35 ff., 41 ff.; von Ruepprecht, S. 46; darstellend Willfratt, SchwZStR 83 [1968], 246 ff.; Lucks, S. 13. Zu der in der Schweiz von Rechtsprechung und Literatur lebhaft diskutierten Frage, ob Art. 129 schwStGB mit Eventualvorsatz begangen werden kann, vgl. C. Meier, S. 42 ff. 668 Vgl. nur aus dem Literaturverzeichnis – in zeitlicher Abfolge – die Arbeiten von Itin, Scheffer, Marfels, Gottschalk, Sörgel, Appel, Heilbrunn, J. Meier und von Ruepprecht. Danach ist es vergleichsweise still um diese Delikt geworden, was auch C. Meier, S. IX, feststellt und sich daher nach langer Pause wieder dem Thema widmet. 669 Umfangreiche Darstellung aller Argumente bei J. Meier, S. 81 ff., und von Ruepprecht, S. 55 ff.

D. Das situationsbezogene Tatbestandsmerkmal der hilflosen Lage

221

Notwendigkeit für die Einführung eines solchen Delikts671. Es würden vielmehr nicht strafwürdige Gefährdungen bestraft672 und die Reichweite des allgemeinen Gefährdungsdelikts würde zu einer Beschränkung der Handlungs- und Bewegungsfreiheit des Bürgers führen, weil dieser ständig befürchten müsse, sich strafbar zu machen673. Im Übrigen bestehe bei einer durch Fahrlässigkeit entstandenen Gefahrensituation und einem Ausbleiben des Erfolges kein Vergeltungs- und Schutzbedürfnis674. Letztlich stelle dieses Konstrukt eine unzulässige Steigerung des richterlichen Ermessens dar675 und damit eine „Verflachung“676 und „kriminelle Missbildung“677. Nach dieser Ansicht müssten alle Gefährdungsdelikte im StGB tatbestandlich genau umschrieben, sog. „Verbrechen mit gesetzlich geschlossenen Mitteln“, sein und dürften nur bei einem unabweisbaren Bedürfnis für ihre Notwendigkeit geschaffen werden678. Um die Einführung des allgemeinen Leibes- und Lebensgefährdungsdelikts zu erreichen, wurde vorgebracht, dass die bestehenden Strafbarkeitslücken dem Bedürfnis nach Bestrafung zuwider liefen679. Es sei nicht angängig, das „nichtswürdigste, gefährlichste und gemeinste Verhalten“680 bzw. die „brutale Mißachtung des Menschenlebens“681 ungestraft zu lassen. 670 von Bar, JbvRV 1905, 25 Fn. 1; Hamm, DJZ 1906, 843; Wachenfeld, ARWP 1909/1910, 436; Aschrott/von Liszt-von Lilienthal, BT II, S. 280; Ebermayer, DJZ 1911, 1047 f.; Albrecht, S. 53; Redlich, S. 82 f.; Schoetensack, GS 93 [1926], 116 f.; Sörgel, S. 20; Appel, S. 76; Heilbrunn, S. 54; J. Meier, S. 96 f. Sehr deutlich R. Schmidt, StR1, Anhang S. 17: „Aber nicht minder schwammig und direkt sozialgefährlich ist der aus dem Eidgenössischen Entwurf der Schweiz entnommene Tatbestand der Lebensgefährdung, . . .“. 671 Schoetensack, GS 93 [1926], 116 f.; Sörgel, S. 38 f.; J. Meier, S. 98. 672 Hamm, DJZ 1906, 843; Zerling, S. 69; R. Schmidt, StR1, Anhang S. 17; Heilbrunn, S. 55; J. Meier, S. 97 f. 673 Wachenfeld, ARWP 1909/1910, 436; Aschrott/von Liszt-von Lilienthal, BT II, S. 280; Ebermayer, DJZ 1911, 1047 f.; Zerling, S. 69; Albrecht, S. 53; Binding, GS 86 [1919], 369; Redlich, S. 82 f.; Sörgel, S. 21; J. Meier, S. 96; von Ruepprecht, S. 49. 674 Sörgel, S. 35. 675 Heilbrunn, S. 53. 676 von Hippel, VD AT III, S. 532. 677 Binding, GS 86 [1919], 362. 678 So Binding, GS 86 [1919], 362; ders., Normen I4, S. 384; zustimmend von Hippel, VD AT III, S. 528 ff., 532; Ebermayer, DJZ 1911, 1047; Zerling, S. 69; Albrecht, S. 53; Redlich, S. 82 f.; Schoetensack, GS 93 [1926], 115; von Hippel, ZStW 47 [1927], 53 f.; Heilbrunn, S. 55; J. Meier, S. 97. In neuester Zeit widerspricht C. Meier, S. 32 f. explizit dieser These Bindings. 679 E 1925, Begründung, S. 119; so schon vorher Miricka, S. 192 f.; von Liszt, VD BT V, S. 155; Radbruch, VD BT V, S. 194; Ebermayer, DJZ 1925, 765, 767; Gottschalk, S. 30, 31, 38; von Ruepprecht, S. 67. 680 Gottschalk, S. 39. 681 von Liszt, VD BT V, S. 155.

222 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

Vielmehr seien alle Gefährdungen des Lebens zu bestrafen, weil andernfalls Fälle der schlimmsten Fahrlässigkeit, bei denen nur durch Zufall der Erfolg nicht eingetreten sei, unerträglicherweise straflos bleiben müssten682. Außerdem könne der Gesetzgeber nicht mit der fortschreitenden Technisierung Schritt halten und alle strafwürdigen Gefährdungen erfassen; deshalb sei eine allgemeine Normierung erforderlich683. Im Übrigen sei die Norm durch die Merkmale der „unmittelbaren Gefahr“, der „Wissentlichkeit“ und „Gewissenlosigkeit“ hinreichend beschränkt und damit auch bestimmt684. Eine Beschränkung der allgemeinen Handlungs- und Bewegungsfreiheit drohe nicht, weil erlaubte Gefährdungen nicht rechtswidrig und damit auch nicht von der Norm erfasst würden685. Letztlich müsste die Gegenansicht sonst auch die Abschaffung der Fahrlässigkeitsdelikte fordern, weil diese die Handlungs- und Bewegungsfreiheit nicht weniger einschränkten686. bb) Die Große Strafrechtskommission und die Entwürfe E 1960 und E 1962 Die Große Strafrechtskommission griff die Diskussion über ein allgemeines Leibes- und Lebensgefährdungsdelikt wieder auf; angedacht war die Einführung eines allgemeinen Gefährdungsdelikts zusätzlich zur Aussetzung687. Daraus kann geschlossen werden: Die Aussetzung sollte nach der Vorstellung der Großen Strafrechtskommission kein allgemeines Gefährdungsdelikt darstellen, weil – unterstellt, beide Normen würden den identischen Anwendungsbereich aufweisen – sonst eine sinnlose Doppelnormierung vorgelegen hätte. Vielmehr sollte das allgemeine Gefährdungsdelikt nach den Materialien ein eigenständiges Delikt sein, unabhängig von der Aussetzung. Vom Wortlaut her orientierte sich der Vorschlag der Strafrechtskom682 Miricka, S. 193; von Liszt, VD BT V, S. 155; Marfels, S. 96; Gottschalk, S. 38 f.; von Ruepprecht, S. 68; ähnlich Stübel, NACR 8 [1826], 255, 312 f., der sogar gerade im Gegenteil eine Stärkung der „bürgerlichen Eintracht“ durch die Einführung eines derartigen Tatbestandes annimmt. 683 Scheffer, S. 68; Gottschalk, S. 38; von Ruepprecht, S. 68. 684 Radbruch, VD BT V, S. 201; Scheffer, S. 59; Marfels, S. 93 ff.; Gottschalk, S. 36 f.; so auch in E 1925, Begründung, S. 119, zu finden. 685 von Liszt, VD BT V, S. 155; Scheffer, S. 59; Gottschalk, S. 35 f.; von Ruepprecht, S. 69; anders Stübel, NACR 8 [1826], 255, 260 [vgl. die Ausführungen in Fn. 682 in diesem Abschnitt]. 686 Radbruch, VD BT V, S. 201; Warmuth, S. 124 f.; Scheffer, S. 60; Gottschalk, S. 36. 687 § 324 des Entwurfs des Besonderen Teils des StGB; Ndschr. Bd. 5 [1959], Anhang B, S. 263 ff., 298.

D. Das situationsbezogene Tatbestandsmerkmal der hilflosen Lage

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mission688 für § 324 deutlich am Wortlaut von Art. 129 schwStGB a. F. Im Verlauf der Diskussionen über das allgemeine Gefährdungsdelikt kristallisierte sich jedoch letztendlich heraus, dass die Mehrheit der Wissenschaftler und Praktiker dieses Delikt für nicht erforderlich hielt689. Folgerichtig wurde die Norm von der Kommission abgelehnt und war dementsprechend weder im abschließenden Kommissionsentwurf eines StGB noch im E 1960 oder E 1962 enthalten690. Die Hauptargumente gegen die Einführung waren schon aus der Weimarer Zeit bekannt: In erster Linie sah man neben den bestehenden Normen für Verletzungen und den Spezialtatbeständen für Gefährdungen kaum Strafbarkeitslücken und damit kein kriminalpolitisches Bedürfnis für eine allgemeine Norm691. Man zweifelte auch am Bedürfnis der Praxis für eine solche Norm692. Zudem wurde gefordert, bei Gefährdungsdelikten müsse die Tathandlung genau umschrieben werden, was beim allgemeinen Gefährdungsdelikt nicht der Fall sei693. Teilweise war man sogar der Ansicht, dass Normen mit Verletzungstatbeständen prinzipiell Gesetzen mit Gefährdungstatbeständen vorzuziehen seien694. Außerdem befürchtete man bei Normierung des allgemeinen Gefährdungsdelikts das Überhandnehmen von „Gehässigkeitsanzeigen“ und betonte, das gelegentliche Auftreten von Einzelfällen könne keine so weitgehende Norm rechtfertigen695. Damit wurde bei den Reformversuchen zum StGB aus den 60er Jahren dem allgemeinen Gefährdungsdelikt eine deutliche Absage erteilt; vielmehr 688 Ndschr. Bd. 5 [1958], Anhang B, S. 298; Schafheutle, Ndschr. Bd. 2 [1958], S. 258 f.; Simson/Geerds, S. 211; U. Weber, ZStW Beiheft 1987, 29. 689 Stellungnahme der Unterkommission, Ndschr. Bd. 5 [1958], Anhang B, S. 298 Fn. 15; Baldus, Ndschr. Bd. 2 [1958], S. 258; ders., Ndschr. Bd. 8 [1959], S. 428; Schafheutle, Ndschr. Bd. 2, [1958], S. 259; Bockelmann, Ndschr. Bd. 5 [1958], S. 49; Dreher, Ndschr. Bd. 9 [1959], S. 270. So auch die Stellungnahme der Sachbearbeiter des BMJ, Ndschr. Bd. 8 [1959], Anhang J 68, S. 663 f., die nur „vorsorglich“ eine entsprechende Norm in ihren Vorschlag aufnahm [vgl. hierzu Anmerkung von Schwalm, Ndschr. Bd. 10 (1959), S. 370 f.]. 690 E 1960, S. 35; E 1962, S. 35; Ndschr. Bd. 12 [1959], Anhang B, S. 593. Die Abstimmung gegen die Lebensgefährdung ist in Ndschr. Bd. 7 [1959], Anhang J 68, S. 332 zu finden. Schwarz, S. 136 f., forderte hingegen die Einführung des Deliktes. 691 Stellungnahme der Unterkommission, Ndschr. Bd. 5 [1958], Anhang B, S. 298 Fn. 15; Stellungnahme der Sachbearbeiter des BMJ, Ndschr. Bd. 8 [1959], Anhang J 68, S. 663 f.; Schwalm, Ndschr. Bd. 10 [1959], S. 371. 692 Bockelmann, Ndschr. Bd. 5 [1958], S. 49. 693 Baldus, Ndschr. Bd. 2 [1958], S. 258; Bockelmann, Ndschr. Bd. 5 [1958], S. 49. 694 Schafheutle, Ndschr. Bd. 2 [1958], S. 259. 695 Stellungnahme der Sachbearbeiter des BMJ, Ndschr. Bd. 8 [1959], Anhang J 68, S. 664.

224 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

hielt man weiterhin an der Idee der genauen und abschließenden Beschreibung von speziellen Gefährdungsdelikten als Verbrechen „mit gesetzlich geschlossenen Mitteln“ fest696. cc) Die Einschätzung der Strafrechtswissenschaft vom E 1962 bis zum 6. StrRG Nach Ablehnung des allgemeinen Leibes- und Lebensgefährdungsdelikts im E 1960 und E 1962 wurde es in den Folgejahren ruhig um dieses Delikt. Umfangreiche Arbeiten zum allgemeinen Gefährdungsdelikt, wie in der Weimarer Republik, findet man kaum noch697. Insgesamt ist es den 60er Jahren vielmehr einhellige Meinung, dass es kein allgemeines Leibes- und Lebensgefährdungsdelikt im StGB geben sollte698, wenn auch teilweise in der Strafrechtsentwicklung eine gewisse Tendenz erkennbar ist, ein allgemeines Gefährdungsdelikt zu schaffen699. Darüber hinaus wird die Einführung dieses Deliktes – obwohl die früher dafür vorgebrachten Gründe weiterhin Bestand haben – auch kaum mehr gefordert700. Anscheinend hält man die Strafbarkeitslücken im StGB nicht für so groß und unerträglich, wie in der Weimarer Republik, und sah die Gefährdungshandlungen ohne (Verletzungs-)Erfolg701 nicht als so häufig und strafwürdig an wie zuvor. dd) Das Meinungsspektrum seit dem 6. StrRG Die in der Großen Strafrechtskommission und die im Verlauf des E 1960 und des E 1962 geführte Diskussion über das allgemeine Gefährdungsdelikt wurde im Rahmen des 6. StrRG nicht wieder aufgegriffen702; der Gesetzgeber schweigt zu diesem Thema. 696 Simson/Geerds, S. 211; LK-StGB9-Lange [1974], Vor § 211 Rn. 9; Feloutzis, S. 24 f.; U. Weber, ZStW Beiheft 1987, 29; Lucks, S. 7, 23. 697 Vgl. die Nachweise im 4. Teil: D. I. 1. b) aa) in Fn. 668. 698 Schröder, ZStW 81 [1969], 26; Simson/Geerds, S. 211; LK-StGB9-Lange [1974], Vor § 211 Rn. 9; Feloutzis, S. 24; U. Weber, ZStW Beiheft 1987, 9; Mitsch, JuS 1994, 557; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 18, § 4 Rn. 1. 699 Simson/Geerds, S. 209; Feloutzis, S. 25. U. Weber, ZStW Beiheft 1987, 1, stellt allgemein eine steigende Zahl der Gefährdungsdelikte fest. 700 Nur Schwarz, S. 136 f., hält die Einführung weiterhin für erforderlich. 701 Nur diese sind für das allgemeine Gefährdungsdelikt wirklich von Interesse, da bei Eintritt eines Verletzungserfolges die Tatbestände der vorsätzlichen oder fahrlässigen Verletzungsdelikte greifen. Durch die Normierung von Versuchsstrafbarkeiten werden auch weitere Fälle für strafbar erklärt, bei denen der Verletzungstaterfolg ausgeblieben ist. 702 Laue, S. 17; Lucks, S. 23.

D. Das situationsbezogene Tatbestandsmerkmal der hilflosen Lage

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Da ein solches Gesetz ein absolutes Novum im deutschen Strafrecht darstellen würde, hätte man zumindest eine Diskussion in den Materialien erwarten müssen, wenn seine Einführung angedacht worden wäre703. Im Schrifttum wird das Thema aber angesprochen: Einige Autoren gehen davon aus, die Aussetzung habe sich durch das 6. StrRG in Richtung auf ein allgemeines Leibes- und Lebensgefährdungsdelikt entwickelt, beurteilen diese Entwicklung aber zugleich kritisch704. Diese Ansicht beruht hauptsächlich auf dem weiten Verständnis des Versetzens und der – mit der a. F. der Norm verbundenen – Gleichsetzung der Tatbestandsmerkmale Gefahr und hilflose Lage. Sie schafft jedoch ein „doppeltes“ Tatbestandsmerkmal und unterstellt damit dem Gesetzgeber die Konstruktion eines fehlerhaften und nicht durchdachten Tatbestandes705. Die Mehrzahl der Autoren lehnt aber weiterhin die Einordnung der Aussetzung als allgemeines Gefährdungsdelikt ab706. c) § 221 Abs. 1 StGB als allgemeines Gefährdungsdelikt? Hat nun der Gesetzgeber 1998 „aus Versehen“ und entgegen der Ansicht der Großen Strafrechtskommission ein allgemeines Gefährdungsdelikt durch die Änderungen beim Grundtatbestand der Aussetzung geschaffen? aa) Wortlaut des § 221 Abs. 1 StGB Schon der Wortlaut spricht aus mehreren Gründen gegen eine Auffassung der Aussetzung als allgemeines Gefährdungsdelikt. Die Aussetzung beinhaltet zwei Tathandlungen und mit der hilflosen Lage ein weiteres tatbestandliches Erfordernis, das bei der ersten Tatvariante das Ergebnis der Tathandlung, bei der zweiten Tatvariante Voraussetzung der Tathandlung ist. Schon nach der Wortbedeutung ist ein Versetzen in eine hilflose Lage bzw. das Imstichlassen in hilfloser Lage, das zu einer Gefährdung des Opfers (vom Gesetz als „einer Gefahr aussetzen“ bezeich703

Lucks, S. 7. Kosloh, S. 60 ff., 66 f.; MüKo-StGB-Hardtung, § 221 Rn. 18 Fn. 56; Wessels/ Hettinger, BT I31, Rn. 198; offener S. Heinrich, S. 193; zustimmend für § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB Rengier, BT II8, § 10 Rn. 2, 14 [anders – die Aussetzung ist kein allgemeines Gefährdungsdelikt – noch die Vorauflagen bis einschließlich ders., BT II4, § 10 Rn. 1], und Tröndle/Fischer, StGB54, § 221 Rn. 1, 9. 705 So Ebel, NStZ 2002, 405; Lucks, S. 83 ff. 706 Ebel, NStZ 2002, 404 f.; Laue, S. 146; Lucks, S. 85, 160, 185, 228; Gössel/ Dölling, BT12, § 7 Rn. 2; Küper, BT6, S. 38; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 19, § 4 Rn. 1 f.; Hacker/Lautner, Jura 2006, 276. 704

226 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

net) führt, etwas anderes als nur ein „in eine Gefahr bringen“, „eine Gefahr schaffen“ oder schlichtweg nur „gefährden“707. Genau diese Begriffe werden aber bei der Normierung eines allgemeinen Gefährdungsdelikts in den Entwürfen der Weimarer Republik und der 60er Jahre sowie in deren Vorbild, dem Art. 129 schwStGB a. F.708, verwendet. Der Inhalt dieses Artikels weicht eindeutig von dem des § 221 Abs. 1 StGB ab. bb) Historische Auslegung zu § 221 Abs. 1 StGB In den Materialien zum 6. StrRG finden sich keine Hinweise auf ein „allgemeines Gefährdungsdelikt“. Allerdings verweist die amtliche Begründung hinsichtlich der Aussetzung – wie am Anfang der Arbeit dargelegt709 – auf die Ausführungen der Großen Strafrechtskommission sowie die Materialien zum E 1960 und E 1962 und macht sich damit die dort niedergelegten Begründungen und Ansichten zu eigen. Über ein allgemeines Gefährdungsdelikt findet man in der amtlichen Begründung zum 6. StrRG hingegen nichts; auch keinen Verweis auf die Diskussionen in den 60er Jahren. Die Ideen und Ansichten zu einem solchen Delikt wurden mithin nicht direkt – d.h. kraft geschriebenen Willens des Gesetzgebers – in das 6. StrRG übertragen. Da aber E 1960 und E 1962 die Aussetzung nicht als allgemeines Gefährdungsdelikt charakterisieren und das 6. StrRG sich auf diese Ausführungen zur Aussetzung ausdrücklich bezieht, „darf“ bzw. sollte man das Tatbestandsmerkmal hilflose Lage nicht so deuten, dass § 221 Abs. 1 StGB als allgemeines Leibes- und Lebensgefährdungsdelikt anzusehen ist. cc) (Hypothetische) Auswirkungen im System des StGB bei Deutung der Aussetzung als allgemeines Gefährdungsdelikt Unterstellt man, die Aussetzung wäre ein allgemeines Gefährdungsdelikt, so ergeben sich aus den Auswirkungen auf das System des StGB einige Gründe, die die Fehlerhaftigkeit dieser Hypothese belegen. Diese Auswirkungen zeigen sich erstens in einem allgemeinen „Strukturprinzip“ der Ge707

So auch Sternberg-Lieben/Fisch, Jura 1999, 50 f.; MüKo-StGB-Hardtung, § 221 Rn. 12; ähnlich Gössel/Dölling, BT 12, § 7 Rn. 2; nur für § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB zustimmend Rengier, BT II8, § 10 Rn. 2, 14. 708 Vgl. Nachweise 4. Teil: D. I. 1. a) in Fn. 654 sowie im 4. Teil: D. I. 1. b) in Fn. 666 und 688. 709 Vgl. die Ausführungen und Nachweise im 3. Teil: B.

D. Das situationsbezogene Tatbestandsmerkmal der hilflosen Lage

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fährdungsdelikte und zweitens im Verhältnis der Aussetzung zu den sonstigen Gefährdungsdelikten und den (versuchten) vorsätzlichen Verletzungsdelikten. (1) Allgemeines Strukturprinzip der konkreten Gefährdungsdelikte: bestimmte Umschreibung der Tathandlungen Hier ist das „alte“ Argument Bindings gegen die Einführung eines allgemeinen Gefährdungsdelikts aufzugreifen, wonach Gefährdungsdelikte stets „mit gesetzlich geschlossenen Mitteln“ zu formulieren seien710. Damit ist gemeint, dass der tatbestandliche Erfolg eines Gefährdungsdelikts die Gefahr ist, diese aber nur durch eine tatbestandlich genau beschriebene Verhaltensweise und nicht auf beliebige Art und Weise herbeigeführt werden darf711. Dieses Strukturprinzip zieht sich nachweislich durch das gesamte StGB; zur Verdeutlichung kann man alle Gefährdungsdelikte heranziehen712; hier eine Auswahl von Tathandlungen einiger konkreter Gefährdungsdelikte: • bei § 80 StGB die Vorbereitung des Angriffskrieges, • bei §§ 94, 95, 97 f. StGB das Mitteilen, Gelangenlassen oder öffentlich Bekanntmachen von Staatsgeheimnissen oder ähnlichen Geheimnissen, • bei § 109e StGB das Zerstören, Beschädigen, Verändern, Unbrauchbarmachen oder Beseitigen von Wehrmitteln oder anderen Anlagen zur Landesverteidigung u. Ä., • bei § 171 StGB das gröbliche Verletzen der Fürsorge- oder Erziehungspflicht, • bei § 184e StGB das der Prostitution Nachgehen, • bei § 234a StGB das Verbringen des Opfers durch List, Drohung oder Gewalt in ein Gebiet außerhalb des Geltungsbereichs des StGB, das Veranlassen, sich an einen solchen Ort zu begeben, bzw. das Verhindern der Rückkehr in denselben, 710 Binding, GS 86 [1919], 362; ders., Normen I4, S. 384; zustimmend von Hippel, VD AT III, S. 528 ff.; ders., ZStW 47 [1927], 53 f.; 532; Ebermayer, DJZ 1911, 1047; Zerling, S. 69; Redlich, S. 82 f.; Schoetensack, GS 93 [1926], 115; Heilbrunn, S. 55. 711 Lackner, Gefährdungsdelikt, S. 1, 7; Schröder, ZStW 81 [1969], 26; Arzt/Weber, BT, § 35 Rn. 62; Ebel, NStZ 2002, 404; Lucks, S. 7. 712 Vgl. die Aufzählung von Gefährdungsdelikten im 4. Teil: D. I. 1. a) in Fn. 647. Zur Trennung der Gefährdungshandlung und des Gefahrenerfolgs auch ausführlich Zieschang, S. 29 ff.

228 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

• bei § 297 StGB das Bringen oder Nehmen von bestimmten Sachen an Bord eines deutschen Schiffes ohne Wissen des Reeders oder des Schiffsführers, • bei §§ 306a, b, d, f StGB das In-Brand-Setzen bzw. das ganz oder teilweise Zerstören durch Brandlegung, • bei § 312 StGB das fehlerhafte Herstellen oder Liefern einer kerntechnischen Anlage oder von Gegenständen zur Errichtung oder zum Betrieb einer solchen Anlage, • bei §§ 315, 315a, 315b, 315c StGB die enumerativ aufgezählten Tathandlungen. In allen diesen Beispielen handelt es sich um konkret beschriebene Verhaltensweisen, die dann den Taterfolg der – jeweils vom Tatbestand erfassten – Gefahr herbeiführen. Es ist kein Grund ersichtlich, warum der Gesetzgeber von diesem Prinzip ausgerechnet bei der Aussetzung abgerückt sein sollte, und solange er sich nicht ausdrücklich äußert, muss man an diesem Strukturprinzip festhalten. Nimmt man hingegen die Tathandlung zahlreicher Verletzungsdelikte in den Blick, so sind diese erfolgsbezogen formuliert, lassen jedwede Herbeiführung des tatbestandlichen Erfolgs zu, ohne sich auf bestimmte Verhaltensweisen zu beschränken: §§ 212, 222, 223, 229, 303 StGB mögen hier als Beispiele genügen713. Da diese Delikte die Verletzung eines Rechtsgutes i. S. eines objektiv in Erscheinung tretenden Schadens bzw. einer objektivierbaren Beeinträchtigung verlangen, ist es nachvollziehbar, dass der Gesetzgeber auf eine allzu bestimmte Beschreibung tatbestandlicher Verhaltensweisen verzichtet, denn das Schutzgut soll ja vor jedweder Verletzung bewahrt werden. Bei den Gefährdungsdelikten hingegen ist keine Verletzung Erfordernis des Tatbestandes, sondern eine konkrete Gefahr, die einer Verletzung vorausgeht und nicht unbedingt in eine Verletzung umschlagen muss714. Dem Begriff der Gefahr ist ein prognostisches Element und eine gewisse Unbestimmtheit inhärent, die der Richter im Strafverfahren zu füllen hat und die dann durch genaue Umschreibungen der tatbestandlich möglichen Verhaltensweisen ausgeglichen werden715. Die konkrete beschriebene Handlung 713 Die Tathandlungen vieler Delikte, die Eigentum oder Vermögen schützen, sind hingegen auf bestimmte Verhaltensweisen limitiert; z. B. Wegnehmen in §§ 242, 249 StGB, Sichzueignen in § 246 StGB oder die Tathandlungen des § 264 Abs. 1 StGB; ebenso beschränkt auf bestimmte Verhaltensvorgänge sind z. B. die Tathandlungen Herstellen, Verfälschen oder Gebrauchen in § 267 StGB, dessen geschütztes Rechtsgut die Sicherheit und Zuverlässigkeit des Rechtsverkehrs mit Urkunden ist. 714 Ausführlich zum Begriff der Gefahr im 4. Teil: F.

D. Das situationsbezogene Tatbestandsmerkmal der hilflosen Lage

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ist daher „Schutz vor zu weitem oder gar willkürlichem Verständnis der Gefahr“716 und beugt der sonst zu befürchtenden Rechtsunsicherheit sowie einer Ausuferung strafbaren Verhaltens vor. (2) Verhältnis der Aussetzung zu anderen Gefährdungsdelikten Wäre die Aussetzung ein Delikt, das die Herbeiführung jeder Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung erfasst, würde § 221 Abs. 1 StGB zum Grundtatbestand aller anderen Gefährdungsdelikte, die ebenfalls als Taterfolg eine konkrete Gefahr für Leib oder Leben vorsehen. Nun haben allerdings z. B. §§ 306a Abs. 2, 306b Abs. 1 StGB einen höheren Mindeststrafrahmen als § 221 Abs. 1 StGB, die Grundtatbestände der §§ 315a-c StGB einen geringeren. Wäre aber die Aussetzung als allgemeines Gefährdungsdelikt der Grundtatbestand dieser Normen, so würden diese zu Qualifikationen bzw. Privilegierungen der Aussetzung717. Dieses Ergebnis erscheint so überraschend, wenn nicht sogar abwegig, dass man sich nur den treffenden Worten von Ebel anschließen kann: „Es überschreitet die Grenzen zulässiger Auslegung, dem Gesetzgeber ein solches Strafrahmenverständnis zu unterstellen.“718 (3) Verhältnis der Aussetzung zu vorsätzlichen – auch versuchten – Verletzungsdelikten Auch das Verhältnis der Aussetzung – verstanden als allgemeines Gefährdungsdelikt – zu den vorsätzlichen Verletzungsdelikten, insbesondere zu denen, die – wie §§ 211 ff., 223 ff. StGB – Leib oder Leben schützen, lässt sich nicht mit dem System des StGB vereinbaren. Bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts sah ein Teil des Schrifttums den Unterschied zwischen Tötung und Aussetzung insbesondere im Vorsatz715 Schröder, ZStW 81 [1969], 26; ähnlich Lackner, Gefährdungsdelikt, S. 21 f.; Arzt/Weber, BT, § 35 Rn. 62. Zur Prognose beim Gefahrenurteil: Gallas, FS Heinitz, S. 176 ff.; Kindhäuser, Gefährdung, S. 212 Fn. 25; Zieschang, S. 74 ff.; Kretschmer, Jura 2005, 663. 716 von Ruepprecht, S. 59; ähnlich Schröder, ZStW 81 [1969], 26. 717 Ebel, NStZ 2002, 404; Lucks, S. 5, 156. Das Problem spricht auch LKStGB11-Jähnke [07/1999], § 221 Rn. 41 an. Aus der Erklärung von Bräutigam, [3. Teil: B. II. 3. in Fn. 198], S. 202, kann man folgern, dass dieses Verständnis vom Tatbestand auch bei den Beratungen zum 6. StrRG nicht das des Gesetzgebers war, weil Bräutigam den Tatbestand der Aussetzung auf Gefährdungen im Bereiche des Straßenverkehrs erweitert sehen will, was nicht erforderlich wäre, wenn diese Fälle sowieso von § 221 StGB erfasst würden. 718 Ebel, NStZ 2002, 404 f.; ähnlich [„offensichtlich abwegig“] Lucks, S. 5, 156.

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bereich: Aussetzungsvorsatz und Tötungsvorsatz schlossen sich hiernach gegenseitig aus; eine Konkurrenz zwischen beiden Delikten war dementsprechend nicht möglich719. Inzwischen hat sich jedoch die Ansicht durchgesetzt, dass Aussetzungs- und Tötungsvorsatz (Gefährdungs- und Verletzungsvorsatz) sich nicht gegenseitig ausschließen, sondern der Verletzungsvorsatz als „Minus“ stets den Gefährdungsvorsatz beinhaltet, weil sich dieser nur auf die Gefährdung des Rechtsgutes beziehen muss, jener auf eine tatsächliche Verletzung des in Rede stehenden Rechtgutes720. Eine Konkurrenz zwischen Aussetzung und Tötungsdelikt ist damit möglich721. Ähnlich sieht damit auch das Verhältnis der Aussetzung (beim Taterfolg der Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung) zu den Körperverletzungsdelikten aus: Körperverletzungsvorsatz und Gefährdungsvorsatz können gleichzeitig vorliegen; es besteht ein Konkurrenzverhältnis722. Da dieses Verhältnis von Gefährdungsvorsatz und Verletzungsvorsatz überwiegende – nahezu einhellige – Ansicht ist, kann der Unterschied zwischen Aussetzung und Tötungsdelikten bzw. Körperverletzungstatbeständen nur noch im Bereich der objektiven Tatbestandsmerkmale liegen; und hier ergibt sich ein Problem: das Verhältnis von Gefahr und Verletzung in objek719 Jarcke, S. 385 f.; Gross, CrimGB, Art. 131 S. 138; Beseler, S. 362; Heffter, StR6, S. 212 f. Anm. 270 f.; Ziehm, S. 32; Henning, S. 36; H. Weber, S. 52 f.; Fenner, S. 40 f.; Warmuth, S. 77 ff.; Dieterich, S. 33 ff., 40; Wilhelmi, S. 24 ff.; Zerling, S. 43 f.; Redlich, S. 52; Marfels, S. 34; Teufel, S. 32, 42 Fn. 3; A. Weber, JW 1928, 2228; Olshausen, RStGB12, § 221 Anm. 13; a. A. aber J. Meier, S. 37; differenzierend RGSt 25, 321 [322]. In diese Richtung später nur noch Bockelmann, BT 2, S. 70. 720 So schon früher H. Meyer, S. 384; Rubo, RStGB, § 221 Anm. 9; von Hippel, VD AT III, S. 530 f.; Appel, S. 21 f.; Frank, StGB18, § 221 Anm. IV; Heilbrunn, S. 20 f.; Urban, S. 41 f.; von Ruepprecht, S. 39. Nach dem 2. Weltkrieg vgl. U. Weber, ZStW Beiheft 1987, 21; LK-StGB11-Jähnke [07/1999], § 221 Rn. 36; Arzt/ Weber, BT, § 35 Rn. 101; Schönke/Schröder-StGB27-Eser, § 221 Rn. 12; SKStGB7-Horn/Wolters [04/2006], Vor § 306 Rn. 13. 721 Die Einordnung ist hier unterschiedlich: Gesetzeskonkurrenz [ohne genauere Festlegung] LK-StGB6/7-Nagler-Schaefer [1951], § 221 Anm. VII; LK-StGB11Jähnke [07/1999], § 221 Rn. 36; SK-StGB7-Horn/Wolters [03/2002], § 221 Rn. 13; Schönke/Schröder-StGB27-Eser, § 221 Rn. 18; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 19, § 4 Rn. 16, spricht davon, dass der „Tötungsvorsatz den Aussetzungsvorsatz absorbiert“. Für Subsidiarität: Welzel, StR11, S. 296 f.; Preisendanz, StGB30, § 221 Anm. 1, 7; Feloutzis, S. 183, 236; Küpper, BT I1, § 1 Rn. 91; Arzt/Weber, BT, § 35 Rn. 132, § 36 Rn. 11; Haft, BT II8, S. 128. Für Konsumtion: Allfeld/Meyer, Lehrbuch8, S. 353; Urban, S. 41 f.; Gössel/Dölling, BT 12, § 7 Rn. 21. 722 So unter Annahme von Idealkonkurrenz BGHSt 4, 113 [116]; Welzel, StR11, S. 296 f.; SK-StGB7-Horn/Wolters [03/2002], § 221 Rn. 13; Maurach/Schroeder/ Maiwald, BT 19, § 4 Rn. 16; Haft, BT II8, S. 128; so auch schon Olshausen, RStGB12, § 221 Anm. 13. Für Gesetzeskonkurrenz hingegen Feloutzis, S. 201, und Ellbogen, JuS 2002, 156.

D. Das situationsbezogene Tatbestandsmerkmal der hilflosen Lage

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tiver Hinsicht. Aufgrund des allgemeinen Verständnisses der Gefahr als eines Zustandes, in dem – abhängig von den konkreten Umständen – die Wahrscheinlichkeit eines Schadens derart gesteigert ist, dass sein Eintritt naheliegt723, geht logischerweise jeder Verletzung immer eine Gefahr als Durchgangsstadium voraus, wobei der zeitliche Abstand der beiden auch nur den Bruchteil einer Sekunde betragen kann724. Wäre nun die hilflose Lage identisch mit der Gefahr und die Aussetzung damit ein allgemeines Leibes- und Lebensgefährdungsdelikt, wäre das Entstehen der Gefahr das einzige verbleibende Unrechtselement, weil die Tathandlungen keine Beschränkung auf örtlich-räumlich begrenzte Begehensweisen mehr beinhalteten. Da aber eine Gefahr jedweder Verletzung vorausgeht, läge z. B. vor jeder Tötung immer auch eine Aussetzung vor. Die Aussetzung würde zum „Vorfeldtatbestand“ der vollendeten Tötung. Bei den Körperverletzungsdelikten wäre dieses Verhältnis jedenfalls genauso zu §§ 226, 227 StGB; bei §§ 223, 224 StGB wäre dies wegen des Erfordernisses der Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung in § 221 Abs. 1 Hs. 2 StGB nicht stets der Fall. Damit müsste aber bei jeder Verurteilung wegen §§ 211, 212, 226 oder 227 StGB auch eine Strafbarkeit gem. § 221 Abs. 1 StGB gegeben sein. Der Tatbestand würde zwar im Wege der Gesetzeskonkurrenz verdrängt725, wäre im Schuldspruch auch nicht aufzunehmen726, aber in den Gründen durchaus zu erörtern, da auch aus den – in Gesetzeskonkurrenz zurücktretenden – Delikten Nebenfolgen erwachsen können727 und das (Nicht-)Vorliegen dieser Delikte Einfluss auf die Strafzumessung haben kann728 bzw. Statt aller zur überwiegenden Ansicht: Küper, BT6, S. 149 m. z. N. Vgl. auch später: 4. Teil: F. 724 Binding, GS 86 [1919], 365; Marfels, S. 34; Heilbrunn, S. 19; J. Meier, S. 37; von Ruepprecht, S. 39; SK-StGB6-Samson/Günther [03/1995], Vor § 52 Rn. 93; Laue, S. 28; NK-StGB2-Puppe, Vor § 52 Rn. 39; SK-StGB7-Horn/Wolters [04/2006], Vor § 306 Rn. 13; a. A. A. Weber, JW 1928, 2228. 725 Vgl. Nachweise in diesem Abschnitt in Fn. 721. 726 SK-StGB6-Samson/Günther [03/1995], Vor § 52 Rn. 104; LR-StPO25-Gollwitzer, § 260 Rn. 63; MüKo-StGB-von Heintschel-Heinegg, § 52 Rn. 126; Roxin, AT II, § 33 Rn. 227; Meyer-Goßner, StPO50, § 260 Rn. 26; kritisch NK-StGB2-Puppe, Vor § 52 Rn. 56 f. 727 BGHSt 7, 307 [312]; 8, 46 [52]; 19, 188 [189]; LR-StPO25-Gollwitzer, § 260 Rn. 63; Roxin, AT II, § 33 Rn. 247; Meyer-Goßner, StPO50, § 260 Rn. 26; Schönke/Schröder-StGB27-Stree/Sternberg-Lieben, Vorbem §§ 52 ff. Rn. 144; Lackner/Kühl, StGB26, Vor § 52 Rn. 29; Tröndle/Fischer, StGB54, Vor § 52 Rn. 45. 728 Ständige Rechtsprechung BGHSt 6, 25 [27]; 19, 188 [189]; BGH NStZ-RR 1996, 20 [21]; Jescheck/Weigend, AT5, § 69 III 3; Roxin, AT II, § 33 Rn. 240 ff.; LK-StGB12-Rissing-van Saan [06/2006], Vor §§ 52 ff. Rn. 119, 139, 148; Lackner/ Kühl, StGB26, Vor § 52 Rn. 29; Tröndle/Fischer, StGB54, Vor § 52 Rn. 45; kritisch MüKo-StGB-von Heintschel-Heinegg, Vor §§ 52 ff. Rn. 64. 723

232 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

der Mindeststrafrahmen gem. § 52 Abs. 2 S. 2 StGB analog zu beachten ist729. Eine solche Erörterung zu den genannten Tatbeständen findet sich nun aber in keinem der Urteile des Bundesgerichtshofs oder der Untergerichte seit der Änderung der Aussetzung durch das 6. StrRG. Hierfür gibt es zwei Erklärungsmöglichkeiten: a) Alle Gerichte haben die Aussetzung übersehen und die Erörterung fehlerhaft unterlassen oder b) die Aussetzung ist eben kein allgemeines Gefährdungsdelikt, lag tatbestandlich nicht vor und war deshalb nicht zu erörtern. In Anbetracht der dreistelligen Anzahl alleine der veröffentlichten Entscheidungen zu diesen Delikten im besagten Zeitraum wird man hier wohl einmal sagen können, dass die Antwort „auf der Hand liegt“: Die hilflose Lage kann nicht pauschal mit der Gefahr gleichgesetzt werden, vielmehr ist eine neue Auslegung zu suchen. Die gerade erläuterten Probleme der Abgrenzung potenzieren sich übrigens, wenn man in die Betrachtung noch § 221 Abs. 3 StGB einbezieht730, nach dem sich im Rahmen eines erfolgsqualifizierten Delikts die Gefahr des Grundtatbestands verwirklicht haben muss. Das Verständnis als allgemeines Gefährdungsdelikt würde darüber hinaus beim versuchten Delikt der §§ 211 f., 223 ff. StGB zu Problemen führen. Dem Versuch wohnt regelmäßig – eine Ausnahme bildet der untaugliche Versuch – ein Element der Gefährdung des betroffenen Rechtsgutes inne731. Dieses Verständnis des Versuchs als Gefährdung führte schon bei § 221 StGB a. F. dazu, dass man – soweit man Verletzungsvorsatz und Gefährdungsvorsatz für vereinbar hielt732 – davon ausging, auch im Bereich des (erfolgreichen) Rücktritts vom Versuch des Verletzungsdelikts liege ein Anwendungsbereich der Aussetzung733. Dies wird auch nach der Neufassung 729 Ständige Rechtsprechung und überwiegende Meinung: BGHSt 7, 307 [312]; 10, 312 [315]; 15, 345 [346]; 19, 188 [189]; BGH StV 2003, 285; SK-StGB6-Samson/Günther [03/1995], Vor § 52 Rn. 105; Roxin, AT II, § 33 Rn. 243; Schönke/ Schröder-StGB27-Stree/Sternberg-Lieben, Vorbem §§ 52 ff. Rn. 144; Lackner/Kühl, StGB26, Vor § 52 Rn. 29; Tröndle/Fischer, StGB54, Vor § 52 Rn. 45. 730 So auch Tröndle/Fischer, StGB54, § 221 Rn. 20, der „ungeklärte Konkurrenzprobleme“ sieht. 731 SK-StGB6-Rudolphi, [04/1993], § 22 Rn. 10; MüKo-StGB-Herzberg, § 22 Rn. 1 ff., 9; Schönke/Schröder-StGB27-Eser, § 22 Rn. 42; Lackner/Kühl, StGB26, § 22 Rn. 4. So schon zu Zeiten des RStGB Marfels, S. 9; Appel, S. 6; Gottschalk, S. 18. 732 Vgl. Nachweise in diesem Kapitel in Fn. 720. 733 H. Meyer, S. 384; Gottschalk, S. 18; Feloutzis, S. 236; U. Weber, ZStW Beiheft 1987, 5; Kindhäuser, Gefährdung, S. 220. Kritisch Schmidhäuser, BT2, Kap. 2 Rn. 41, der betont, dass die Aussetzung deswegen eigentlich nur in ein StGB passt, das einen Versuch mit dolus eventualis nicht kennt.

D. Das situationsbezogene Tatbestandsmerkmal der hilflosen Lage

233

teilweise so gesehen734. Der Tatbestand der Aussetzung ermöglicht nämlich, mangels einer Klausel der tätigen Reue und aufgrund seines frühen Vollendungszeitpunktes735, eine Bestrafung selbst bei einem strafbefreienden Rücktritt des Täters vom Versuch des Verletzungsdelikts736. Ginge nun mit jeder versuchten Tötung bzw. Körperverletzung stets eine Aussetzung einher, so würde das Rücktrittsprivileg des Täters umgangen737, dieser sich in diesen Fällen immer strafbar machen738 und ein Auslegungsprinzip der Rechtsprechung bei § 24 StGB – den Schutz des Opfers vor schwereren Tatfolgen durch möglichst weite Deutung der Rücktrittsregeln zu vergrößern739 – leerlaufen. Somit wird auch im Bereich des Versuchs eines Verletzungsdelikts deutlich, dass ein Verständnis der Aussetzung als allgemeines Gefährdungsdelikt gegen die Struktur und die allgemeinen Prinzipien des StGB verstoßen würde. Auch hier sei noch ergänzend darauf hingewiesen, dass in allen Fällen seit 1998, in denen die Gerichte einem Rücktritt vom Versuch eines Tötungsdelikts angenommen haben, die Aussetzung hätte zwingend erläutert werden müssen, wenn jeder Tötung eine Aussetzung vorausgehen würde. 734 LK-StGB11-Jähnke [07/1999], § 221 Rn. 42; Laue, S. 147; a. A. [Rücktritt von § 212 StGB wirkt sich auch auf § 221 StGB aus] NK-StGB2-Zaczyk, § 24 Rn. 127. 735 Hierzu sogleich im 4. Teil: D. I. 2. 736 Feloutzis, S. 236; Kindhäuser, Gefährdung, S. 220; LK-StGB11-Jähnke [07/1999], § 221 Rn. 42; Laue, S. 147. So auch allgemein zu Gefährdungsdelikten BGHSt 39, 128 [130 f.]; SK-StGB6-Rudolphi [04/1993], § 24 Rn. 44; MüKo-StGBHerzberg, § 24 Rn. 216; Tröndle/Fischer, StGB54, § 24 Rn. 45; a. A. Jescheck/ Weigend, AT5, § 51 VI 2; NK-StGB2-Zaczyk, § 24 Rn. 127; Schönke/SchröderStGB27-Eser, § 24 Rn. 110; Schönke/Schröder-StGB27-Stree/Sternberg-Lieben, Vorbem §§ 52 ff. Rn. 142 a. E. Arzt/Weber, BT, § 35 Rn. 11, sieht diese Strafbarkeitsmöglichkeit als ein Motiv des Gesetzgebers zur Schaffung von Gefährdungsdelikten. 737 Die Frage der analogen Anwendung des § 24 StGB auf die Fälle eines vollendeten Delikts führt zu weit vom Thema der Arbeit weg und muss deshalb offen bleiben; vgl. hierzu daher MüKo-StGB-Herzberg, § 24 Rn. 212 ff.; NK-StGB2Zaczyk, § 24 Rn. 127; Schönke/Schröder-StGB27-Eser, § 24 Rn. 116. Ebenso die Problematik einer analogen Anwendung von Regelungen der tätigen Reue; vgl. MüKo-StGB-Radtke, § 11 Rn. 89, 94; SK-StGB7-Rudolphi/Stein [02/2005], § 11 Rn. 42 f.; Schönke/Schröder-StGB27-Eser, § 11 Rn. 51, 55; Lackner/Kühl, StGB26, § 24 Rn. 29. 738 Auch dann, wenn es zu keiner Beeinträchtigung der körperlichen Integrität gekommen ist, also ein Fall des sog. „qualifizierten Versuchs“ nicht vorgelegen hat; hierzu BGHSt 42, 43; BGH NJW 2002, 3717; NStZ 2005, 150; Jescheck/Weigend, AT5, § 51 VI 2; Lackner/Kühl, StGB26, § 24 Rn. 23; Wessels/Beulke, AT37, Rn. 653. 739 BGHSt 39, 221 [232]; statt aller m. z. N. hierzu MüKo-StGB-Herzberg, § 32 Rn. 21 ff.; Kühl, AT5, § 16 Rn. 7.

234 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

Zusammenfassend lässt sich also aus dem Verhältnis der Aussetzung zu den Verletzungsdelikten schließen: Geht man davon aus, dass jeder Verletzung eine Gefahr vorausgeht, würde das allgemeine Gefährdungsdelikt neben jedem Verletzungsdelikt verwirklicht werden. Wäre die Aussetzung ein solches Delikt, hätten die Gerichte seit 1998 zahllose fehlerhafte Urteile verkündet. Da man dem Gesetzgeber ein solches Normverständnis ohne weiteren Anhalt nicht unterstellen kann, ist die Deutung der Aussetzung als allgemeines Gefährdungsdelikt abzulehnen. d) „Unerträgliche“ Strafbarkeitslücken? Nachdem Wortlaut, Geschichte und Systematik deutlich gegen die Existenz eines allgemeinen Gefährdungsdelikts im StGB und damit auch gegen ein entsprechendes Verständnis der Aussetzung sprechen, könnte nur noch ein Grund für diese Auslegung angeführt werden: das Vorhandensein von Strafbarkeitslücken, also von Fällen, die mangels Anwendungsmöglichkeit der Aussetzung auf sie vollkommen straflos bleiben würden. Solche Lücken halten sich aber in überschaubaren Grenzen: Durch §§ 211 f., 222, 223 ff., 229 StGB wird die Verletzung von Leben und körperlicher Integrität nahezu lückenlos erfasst. Die verbleibenden Lücken tendieren sogar gegen „Null“, wenn man bedenkt, dass §§ 211 f., 223 ff. StGB auch den Versuch unter Strafe stellen und die wenigen verbleibenden Fälle im Zweifel von § 323c StGB erfasst werden. Deshalb werden Strafbarkeitslücken, die schon in der Weimarer Republik als Begründung für die Einführung des allgemeinen Gefährdungsdelikts dienten740, heute kaum noch als Argument für die Notwendigkeit eines solchen Deliktes angeführt. Selbst diejenigen Autoren, die die Aussetzung heute ganz oder hinsichtlich einer Tatvariante als allgemeines Gefährdungsdelikt glauben ansehen zu müssen, stehen dieser Einordnung kritisch gegenüber741.

740 Vgl. die Nachweise im 4. Teil: D. I. 1. b) aa) in Fn. 679. In der Schweiz hat das allgemeine Gefährdungsdelikt eine geringe, aber steigende praktische Bedeutung; vgl. Willfratt, SchwZStR 83 [1968], 225; Schubarth, schwStGB, Art. 129 Rn. 2; Noll, BT I, S. 53; BSK-schwStGB2-Aebersold, Art. 129 vor Rn. 1. 741 Arzt/Weber, BT, § 35 Rn. 36, 63; Kosloh, S. 60 ff.; MüKo-StGB-Hardtung, § 221 Rn. 18 Fn. 56; Tröndle/Fischer, StGB54, § 221 Rn. 1, 9, 20; offen S. Heinrich, S. 193.

D. Das situationsbezogene Tatbestandsmerkmal der hilflosen Lage

235

2. Weitere Anhaltspunkte für eine enge Auslegung der hilflosen Lage Der frühe Zeitpunkt der Tatvollendung bei der Aussetzung und das Fehlen einer Klausel für tätige Reue sprechen für eine enge Auslegung des Tatbestandsmerkmals hilflose Lage. Das Eintreten einer Gefahr als Vollendung des Tatbestandes eines Gefährdungsdelikts ist dem schutzrichtungsgleichen Verletzungsdelikt stets zeitlich vorgelagert742. Damit erfassen konkrete Gefährdungsdelikte tatbestandlich mehr Verhaltensweisen als Verletzungsdelikte, insbesondere solche im Vorfeld von Verletzungen743. Durch die Normierung von Gefährdungstatbeständen erreicht der Gesetzgeber mithin einen umfassenderen Schutz für bestimmte Rechtsgüter als mit Verletzungsdelikten allein möglich ist744. Es ist also allgemein ein Spezifikum der Gefährdungs- wie auch der Unternehmensdelikte, dass sie einen – im Vergleich zum „normalen“ Verletzungsdelikt – vorverlagerten Zeitpunkt der Vollendung des Tatbestandes aufweisen: bei den Unternehmensdelikten, weil mit der Tathandlung des Unternehmens Verhaltensweisen den Tatbestand erfüllen, die ansonsten nur eine Versuchs- oder sogar nur eine Vorbereitungshandlung darstellen würden745. Beim Gefährdungsdelikt liegt der Grund darin, dass die Gefahr – als ein jeder Verletzung vorangehendes Stadium – logischerweise früher eintritt als die Verletzung selbst746. Aufgrund dieses frühen Vollendungszeitpunktes bei Gefährdungs- und Unternehmensdelikten normiert der Gesetzgeber – quasi als Ausgleich – häufig eine Klausel für eine tätige Reue747. Dies soll dem Täter, der nach formeller Vollendung eines der besagten Delikte den Schadenseintritt verhindert, ermöglichen, Straffreiheit oder -milderung zu erlangen, ihn also gegenüber dem ein solches Verhalten nicht leistenden Täter privilegie742 Vgl. Nachweise im 4. Teil: D. I. 1. c) cc) (3) in Fn. 724 sowie Geerds, Konkurrenz, S. 214; Frehsee, NKP 1999, 16. 743 Lackner, Gefährdungsdelikt, S. 7; U. Weber, ZStW Beiheft 1987, 1 ff.; Blöcker, S. 119; Wohlers, S. 283; Zieschang, S. 13, 42. 744 Blöcker, S. 119; Arzt/Weber, BT, § 35 Rn. 18; weitere gesetzgeberische Motive stellt U. Weber, ZStW Beiheft 1987, 23 ff. dar. 745 Blöcker, S. 41 f.; MüKo-StGB-Radtke, § 11 Rn. 83 f.; SK-StGB7-Rudolphi/ Stein [02/2005], § 11 Rn. 40; Schönke/Schröder-StGB27-Eser, § 11 Rn. 46, Vorbem § 22 Rn. 15; Lackner/Kühl, StGB26, § 11 Rn. 19. 746 Vgl. die Darstellung oben im 4. Teil: D. I. 1. c) cc) (3) [Nachweise dort in Fn. 724] sowie Arzt/Weber, BT, § 35 Rn. 114; Kosloh, S. 68. 747 U. Weber, ZStW Beiheft 1987, 9; Arzt/Weber, BT, § 35 Rn. 20, 114; MüKoStGB-Radtke, § 11 Rn. 89; Lackner/Kühl, StGB26, § 11 Rn. 19; § 24 Rn. 29.

236 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

ren748. Je nach Ausgestaltung der Regelung enthält die tätige Reue dann eine obligatorische oder fakultative Strafmilderung oder die Möglichkeit, von der Strafe abzusehen749. Vor Veröffentlichung der Vergleichenden Darstellung zum Themenkomplex der tätigen Reue im Jahr 1908 ging man davon aus, dass kein Verhalten des Täters nach dem Eintritt der hilflosen Lage – selbst wenn es einen drohenden Schaden verhindert – eine tätige Reue darstellen und zur Straflosigkeit führe könne750. Das sah Schoetensack in der Vergleichenden Darstellung dann anders und forderte eine solche Regelung für die Aussetzung751. Bemerkenswerterweise enthält § 221 StGB n. F. – anders als sein „Vorbild“ § 139 E 1962 in Abs. 3752 – eine solche Klausel jedoch nicht. Dem Vorschlag lag eine kurze Diskussion in der Großen Strafrechtskommission zugrunde753, in der die Frage als klärungsbedürftig, aber als dem Allgemeinen Teil des StGB zugehörig angesehen und daher bis zur Diskussion über diesen Teil des StGB zurückgestellt worden war. Materialien zu dieser Diskussion sind leider keine vorhanden. Trotzdem taucht im E 1962 – nicht aber im E 1960 – in § 139 Abs. 3 die Normierung der tätigen Reue auf. Den wenig ausführlichen Materialien ist zu entnehmen, dass sie aus kriminalpolitischen Gründen eingefügt wurde754: Man wollte dem Täter die „Möglichkeit einer goldenen Brücke in die Legalität erhalten“755 und die Klausel sollte der Tatsache Rechnung tragen, dass bei Vorliegen einer tätigen Reue der Wunsch nach einer Bestrafung aus dem Gefährdungsdelikt mit seinem frühen Vollendungszeitpunkt geringer sei756. Die Einführung der tätigen Reue wurde von der Großen Strafrechtskommission nicht endgültig geklärt: Im E 1962 war sie dann enthalten, mithin offenbar für notwendig erachtet worden. Dennoch sprach man diese Klausel im Verlaufe der Beratungen zum 6. StrRG nicht an und klärte die Erforderlichkeit ihrer Einführung demzufolge auch nicht. Möglicherweise hat man 748 Lackner/Kühl, StGB26, § 24 Rn. 29; umfangreich zum Rechtsgrund der tätigen Reue Blöcker, S. 133 ff. 749 Vgl. die Aufzählung bei Jescheck/Weigend, AT5, § 81 III 2; Blöcker, S. 44 ff., 133 Fn. 331; Lackner/Kühl, StGB26, § 24 Rn. 29. 750 H. Weber, S. 66; Warmuth, S. 102; Wilhelmi, S. 54; später auch noch Marfels, S. 72. 751 Schoetensack, VD AT II, S. 462 f.; so später auch Spohr, S. 214; Marfels, S. 101; Heilbrunn, S. 22; von Ruepprecht, S. 102; Feloutzis, S. 252. 752 Vgl. E 1962, S. 35; Kosloh, S. 47 f. 753 Schwalm, Ndschr. Bd. 7 [1959], S. 97. 754 E 1962, S. 518; Kosloh, S. 47 f. 755 E 1962, S. 277. 756 E 1962, S. 518.

D. Das situationsbezogene Tatbestandsmerkmal der hilflosen Lage

237

dieses Problem übersehen757. Das Verhalten des Täters nach Vollendung der Tat ist damit nur noch im Rahmen der Strafzumessung, § 46 Abs. 2 StGB, von Belang; Straffreiheit kann der Täter aber nicht mehr erlangen, selbst wenn aufgrund seines Bemühens die Weiterentwicklung der Gefahr zu einem Schaden verhindert wird758. Ohne die Regelung der tätigen Reue werden nun aber Lebenssachverhalte als Aussetzung erfasst, die wegen eines schadensverhindernden Verhaltens des Täters straflos hätten bleiben sollen. Auch dies spricht dafür, die hilflose Lage – als das letzte verbleibende limitierende Merkmal – eng und damit nicht i. S. einer Gefahr zu deuten759. 3. Fazit zur Frage: Die Aussetzung als allgemeines Gefährdungsdelikt Aus den vorhergehenden Überlegungen ergibt sich, dass 1998 kein allgemeines Gefährdungsdelikt in das StGB eingefügt werden sollte. Es ist aber nicht auszuschließen, dass dies aufgrund eines Versehens des Gesetzgebers geschehen ist760. Allerdings würde dieses Delikt als völliger Fremdkörper im System des geltenden StGB anmuten und wäre auch nicht integrierbar.

II. Auslegungskonzepte zur hilflosen Lage seit dem 6. StrRG Nach dem Vorstehenden darf die Auslegung der hilflosen Lage die Aussetzung nicht in ein allgemeines Leibes- und Lebensgefährdungsdelikt umwandeln. Zunächst sind die vorhandenen Konzepte zur Auslegung dieses Tatbestandsmerkmals darzustellen. Wie sich sogleich zeigen wird, sind diese vielfältig und nur schwer zu überschauen. Im Wesentlichen gibt es vier Gruppen von Ansichten, von denen die ersten beiden an das Verständnis der hilflosen Lage bzw. der hilflosen Person i. S. des § 221 StGB a. F. anknüpfen, während die letzten beiden von einem durch das 6. StrRG geänderten Verständnis der hilflosen Lage ausgehen und eine neue Auslegung versuchen. Da die a. F. also auch für die Auslegung der n. F. eine wichtige Rolle spielt, wird in den betreffenden Abschnitten jeweils mit der Deutung der a. F. begonnen. 757

Die Einführung einer solchen Regelung fordert daher Kosloh, S. 68. Eine Lösung für dieses Problem wäre eine analoge Anwendung der Vorschriften zur tätigen Reue oder zum Rücktritt vom Versuch, hierzu schon oben im 4. Teil: D. I. 1. c) cc) (3) in Fn. 737. 759 In diese Richtung schon zur a. F. Mitsch, JuS 1994, 558. 760 So DSNS-Struensee, 2. Teil Rn. 28, und Lucks, S. 5 f. 758

238 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

1. Auslegung der hilflosen Lage n. F. unter Bezugnahme auf die hilflose Lage in § 221 Abs. 1 StGB a. F. a) Verständnis der hilflosen Lage nach § 221 Abs. 1 StGB a. F. Die hilflose Lage in der a. F. stand in einem anderen Kontext und erfüllte daher eine andere Funktion als die hilflose Lage in § 221 Abs. 1 StGB n. F. Nach Wortlaut und grammatischem Kontext der alten Norm bezog sich die hilflose Lage nur auf die zweite Tathandlung – das Verlassen –, nicht aber auf die erste, das Aussetzen. Allerdings war die Ansicht deutlich dominierend, die hilflose Lage wäre auch beim Aussetzen tatbestandliches Erfordernis und müsse in die erste Tatvariante „hineingelesen“ werden761. Dies war aber nicht die einzige These, die in den Grundtatbestand bezüglich der hilflosen Lage hineininterpretiert wurde: Man sah überdies im Merkmal der hilflosen Lage den Taterfolg für beide Tathandlungen, was zumindest beim Verlassen nur im Wege einer (teleologischen) Deutung möglich war, da nach dem Wortlaut die hilflose Lage beim Verlassen schon vorliegen musste762. Jenem zuwider laufend wurde es als hinreichend erachtet, dass die hilflose Lage mit dem Verlassen zugleich entstand763. Dieser Taterfolg wurde nach deutlich überwiegender Ansicht folgendermaßen verstanden: Die hilflose Lage umschrieb einen Zustand, in dem das Opfer sich weder selbst helfen konnte noch ihm die für seine Existenz erforderliche Hilfe zuteil wurde und daher – ohne einen rettenden Zufall – der Eintritt eines Schadens an Leib oder Leben wahrscheinlich war764. 761 RG Warn B 11 [1917], 16; Albrecht, S. 33; Urban, S. 21; Kindhäuser, Gefährdung, S. 213; Küpper, BT I1, § 1 Rn. 85; Zieschang, S. 204; S. Heinrich, S. 147; Lucks, S. 26, 81; Schönke/Schröder-StGB25-Eser, § 221 Rn. 8. So schon zu § 183 preuß. StGB 1851 Preußisches Obertribunal GA 5 [1857], 421 [423]. 762 Ziehm, S. 24; DSNS-Struensee, 2. Teil Rn. 27 f.; Schönke/SchröderStGB25-Eser, § 221 Rn. 8; ablehnend Albrecht, S. 41 f., der von der Verwirklichung eines Aussetzens in diesen Fällen ausgeht; darstellend Küper, Jura 1994, 515. 763 RGR 4, 78; BGHSt 21, 44 [48]; Heilbrunn, S. 30; Dreher, JZ 1966, 579; SKStGB5-Horn [05/1993], § 221 Rn. 8; DSNS-Struensee, 2. Teil Rn. 11; Lucks, S. 25; darstellend Küper, Jura 1994, 518 f. 764 RGSt 7, 111 [112]; 71, 200 [202]; RG DJ 1938, 2041; BGHSt 21, 44 [45 f.]; 26, 35 [36 f.]; BGH MDR/H 1982, 448; BGH, Urteil vom 13.04.1976 – 1 StR 13/76 – S. 5 [unveröffentlicht]; OLG Hamm VRS 19 [1960], 431 [433]; KG JR 1973, 72 [73]; Henning, S. 16; H. Weber, S. 46; Zerling, S. 33 f.; Hasenberg, S. 13; Albrecht, S. 33, 36; Redlich, S. 41 f.; Usinger, S. 13; Ebermayer/Lobe/Rosenberg, RStGB4, § 221 Anm. 2; LK-StGB9-Lange [12/1971], § 221 Rn. 5; Bockelmann, BT 2, S. 71; LK-StGB10-Jähnke [04/1981], § 221 Rn. 12; Feloutzis, S. 30 f., 107; Tröndle, StGB48, § 221 Rn. 7; S. Heinrich, S. 148, 150.

D. Das situationsbezogene Tatbestandsmerkmal der hilflosen Lage

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Betrachtet man die heute – wie damals – überwiegend übliche Umschreibung einer Gefahr765, so fällt auf: Die Definitionen von hilfloser Lage und Gefahr sind identisch und die Aussetzung war demzufolge nach nahezu einhelliger Ansicht ein konkretes Gefährdungsdelikt766. Dieses Verständnis der hilflosen Lage i. S. einer Gefahr wurde von den meisten Befürwortern durch ein rechtshistorisches Argument unterlegt: Seit dem § 183 preuß. StGB 1851 wurde das Delikt als Gefährdungsdelikt verstanden, was sich aus den Beratungen zu dem Gesetz ergab767. Aber auch systematische Aspekte wurden für die Einordnung als Gefährdungsdelikt vorgebracht768 und sogar der Wortlaut „hilflose Lage“ bemüht769. Die hilflose Lage konnte ihre Entstehung in der Hilflosigkeit des Opfers oder auch in anderen Ursachen haben; sie konnte sowohl dauernder als auch vorübergehender Natur sein770. Ob eine hilflose Lage vorlag, war dann bei der Aussetzung stets eine Frage des Einzelfalles771. Eine hilflose Lage lag jedoch nicht vor, wenn sich das Opfer (noch) selber helfen konnte oder wenn ihm Hilfe von anderen Personen zuteil wurde772. Auch eine Hil765 Zur Definition schon oben im 4. Teil: D. I. 1. c) cc) (3) und die Nachweise ebenda in Fn. 723. 766 RGSt 10, 183 [184]; 59, 387 [388]; RG GA 45 [1897], 357; 54 [1907], 297; LZ 1923, 172; JW 1928, 2983; BGH MDR/H 1982, 448; JR 1999, 294 [295]; OLG Zweibrücken NJW 1998, 841; Oppenhoff, RStGB6, § 221 Anm. 7; Warmuth, S. 45; Redlich, S. 41 f.; Marfels, S. 57; Hall, SchwZStR 46 [1932], 342; Urban, S. 22; Olshausen, RStGB12, § 221 Anm. 4; LK-StGB10-Jähnke [04/1981], § 221 Rn. 5; Feloutzis, S. 123, 130. SK-StGB5-Horn [05/1993], § 221 Rn. 3; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 18, § 4 Rn. 4; Küpper, BT I1, § 1 Rn. 85; Lackner/Kühl, StGB22, § 221 Rn. 3; Tröndle, StGB48, § 221 Rn. 7; Lucks, S. 25. Anders Gönner, Anmerkungen II, S. 48, und Hälschner, System, S. 187, die auch die Aussetzung ohne Gefährdung für strafbar hielten. 767 Preußisches Obertribunal GA 5 [1857], 421 [423]; Ziehm, S. 14; H. Weber, S. 14 f.; Warmuth, S. 21 f.; Zerling, S. 10 f.; Redlich, S. 11; Usinger, S. 3; Marfels, S. 40; Appel, S. 43; Küper, Jura 1994, 515; Schönke/Schröder-StGB25-Eser, § 221 Rn. 8; S. Heinrich, S. 148; Lucks, S. 29. Vgl. schon oben Darstellung und Nachweise im 3. Teil: A. I. 5. 768 H. Weber, S. 14 f.; Küper, Jura 1994, 516. 769 So Feloutzis, S. 30 f.; a. A. H. Weber, S. 14 f.; Zerling, S. 10 f.; Schönke/ Schröder-StGB25-Eser, § 221 Rn. 8. 770 RGR 4, 78; RG DJ 1938, 2041; Oppenhoff, RStGB6, § 221 Anm. 7; H. Weber, S. 45 f., 47; Fenner, S. 27; Hasenberg, S. 14; LK-StGB10-Jähnke [04/1981], § 221 Rn. 7; Feloutzis, S. 121; Schönke/Schröder-StGB25-Eser, § 221 Rn. 3; S. Heinrich, S. 148. 771 RG HRR 1941 Nr. 367; BGHSt 21, 44 [46]; H. Weber, S. 46; Warmuth, S. 44; Zerling, S. 33; Usinger, S. 14; Redlich, S. 41; Hasenberg, S. 14; Feloutzis, S. 135, 137, 139; LK-StGB10-Jähnke [04/1981], § 221 Rn. 11; Tröndle, StGB48, § 221 Rn. 7. 772 Preußisches Obertribunal GA 5 [1857], 421 [423]; RGSt 7, 111 [113]; 71, 200 [202]; 75, 68 [74]; RGR 4, 78 [79]; RG JW 1892, 196; Oppenhoff, RStGB6,

240 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

feleistung seitens des „Täters“ schloss das Vorliegen der hilflosen Lage aus, wovon auszugehen war, wenn er das Opfer an einem Ort absetzte, dann aber in der Nähe beobachtend abwartete, wie sich das Geschehen entwickelte773. Ob die erforderliche Gefahr das Leben des Opfers bedrohen musste oder ob auch eine Leibesgefahr hinreichend für den Taterfolg sein konnte, war während der Geltung der a. F. umstritten774, spielt aber für die heutige Auslegung aufgrund der in dieser Hinsicht eindeutigen Gefährdungsklausel keine Rolle mehr und soll nicht weiter verfolgt werden. b) Heutige Ansätze mit Gleichsetzung von hilfloser Lage n. F. und Gefahr Eine nicht allzu große Anzahl von Autoren übernimmt für die neue Fassung des Tatbestandes das bisherige Verständnis der hilflosen Lage als Gefahr775. Von einigen wird die Gleichsetzung von hilfloser Lage und Gefahr in der n. F. allerdings bewusst vorgenommen und auch begründet. Kosloh776 kommt zur Deutung der hilflosen Lage als Gefahr mit Hilfe eines systematischen Arguments, welches sie aus § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB und den Entstehungsvoraussetzungen einer Garantenpflicht gewinnt: Nach dem Willen des Gesetzgebers und der einhelligen Meinung bezeichne die Obhuts- oder Beistandspflicht nichts anderes als eine Garantenstellung777. Wäre nun die hilflose Lage enger als bisher, nicht als eine Gefahr, zu verstehen, so wäre dies in der zweiten Tatvariante der Aussetzung sehr problematisch. Nach überwiegender Ansicht beginnt beim unechten Unterlas§ 221 Anm. 7; Zerling, S. 36; Albrecht, S. 34 f., 37 f.; Nejmark, S. 65 f.; Redlich, S. 43 f.; Usinger, S. 5; Urban, S. 22; Fenner, S. 27; Feloutzis, S. 134, 137; Gössel, BT 1, § 8 Rn. 8. 773 RGSt 2, 15 [16]; RGR 7, 250 [252]; RG JW 1928, 2983; Oppenhoff, RStGB6, § 221 Anm. 6; Warmuth, S. 46 f.; Zerling, S. 34; Albrecht, S. 34, 38; Nejmark, S. 65 f.; Redlich, S. 43; LK-StGB9-Lange [12/1971], § 221 Rn. 5; LKStGB10-Jähnke [04/1981], § 221 Rn. 11; SK-StGB5-Horn [05/1993], § 221 Rn. 3; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 18, § 4 Rn. 6; Schönke/Schröder-StGB25-Eser, § 221 Rn. 8; offengelassen aber von Fenner, S. 28; a. A. nur Henning, S. 16. 774 Vgl. hierzu im 4. Teil: F. IV. 775 So ohne weitergehende Begründung Ellbogen, JuS 2002, 155; Hohmann/Sander, BT II, § 5 Rn. 4 f.; Brodag, StR9, 9. Teil Rn. 70 [leicht abweichend aber hierzu Brodag, StR9, 9. Teil Rn. 75, wo die hilflose Lage als „potenzielle Gefahr“ charakterisiert wird]. Zweifel daran, ob hilflose Lage und Gefahr in der n. F. überhaupt unterscheidbar sind, äußern Stein, JR 1999, 265 Fn. 5, und Tröndle/Fischer, StGB54, § 221 Rn. 7, 10. 776 Kosloh, S. 59 f. 777 Vgl. oben 4. Teil: A.

D. Das situationsbezogene Tatbestandsmerkmal der hilflosen Lage

241

sungsdelikt der Versuch der Tat durch einen Garanten nämlich erst dann, wenn eine Gefahr für das vom Garanten zu schützende Rechtsgut geschaffen oder erhöht wird. Da die hilflose Lage die Obhuts- oder Beistandspflicht des Garanten auslösen muss, könne sie kein Stadium sein, in dem dem Opfer noch keine Gefahr droht, weil in diesem Fall – nach den allgemeinen Grundsätzen zum unechten Unterlassungsdelikt – der Garant noch nicht zum Einschreiten verpflichtet gewesen wäre. Nur wenn man die hilflose Lage als Gefährdung deute, sei die Pflicht des Garanten zum Einschreiten auch aktualisiert und dieser müsse handeln. Struensee und Jähnke kommen zu demselben Ergebnis, allerdings stellen sie ihre Herleitung argumentativ auf eine etwas andere Basis. Struensee arbeitet mit historischen und systematischen Argumenten. Dabei stimmt er mit der Position von Kosloh überein, dass bei § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB die hilflose Lage geeignet sein müsse, für den Garanten die Pflicht zum Eingreifen auszulösen. Da dies aber erst beim Vorliegen einer Gefahr der Fall sei, habe der Gesetzgeber die Aussetzung „falsch gestaltet“ und bei § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB ein überflüssiges Tatbestandsmerkmal geschaffen778. Allerdings geht Struensee davon aus, der Gesetzgeber habe das Ergebnis „allgemeines Gefährdungsdelikt“ durch die „Doppelung des Gefahrenerfordernisses“ zwar nicht beabsichtigt, aber bei der überstürzten Behandlung des 6. StrRG dennoch geschaffen779. Eine andere Deutungsmöglichkeit der hilflosen Lage als i. S. einer Gefahr hält Struensee nicht für möglich – vor allem nicht das Verständnis der hilflosen Lage als Hilfsbedürftigkeit einer Person780: Letzteres gehe am Wortlaut der Norm vorbei, weil so die hilflose Person der a. F. wieder eingeführt werde und dies dem Willen des Gesetzgebers, dieses Tatbestandsmerkmal abzuschaffen, zuwiderlaufen würde. Auch Jähnke setzt hilflose Lage und Gefahr gleich781. Er stellt dabei hauptsächlich auf den Wortlaut und den Willen des Gesetzgebers ab. Einerseits betont er, eine Lage könne streng genommen nicht hilflos sein, sondern nur eine Person in einer bestimmten Lage; daher umschreibe schon nach dem Wortlaut die hilflose Lage weiterhin eine hilflose Person in einer Gefahr; die Gefährdungsklausel präzisiere nur noch Art und Umfang der Gefahren. Andererseits geht er davon aus, der Gesetzgeber habe im 6. StrRG das Merkmal der hilflosen Lage nicht ändern wollen, was die unveränderte Fassung des § 234 StGB bestätige. Dieser Tatbestand ergebe nur einen Sinn, wenn die hilflose Lage in § 221 StGB weiterhin als Gefahr gedeutet würde. 778 779 780 781

DSNS-Struensee, 2. Teil Rn. 39 f. DSNS-Struensee, 2. Teil Rn. 28. DSNS-Struensee, 2. Teil Rn. 29. Zum Ganzen: LK-StGB11-Jähnke [07/1999], § 221 Rn. 7, 18.

242 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

Weitere Ausführungen Jähnkes zur hilflosen Lage n. F. finden sich bereits in den Begründungen zur Gleichsetzung von hilfloser Lage und Gefahr in der a. F.: So kann die Lage dauerhaft oder vorübergehend sein und das Feststellen einer solchen ist eine Frage des Einzelfalles782. Außerdem schließt die Beobachtung des Geschehens durch den Täter das Vorliegen einer Gefährdung aus783. Nach dieser Ansicht sind die Merkmale hilflose Lage und tatbestandliche Gefahr – in der Gefährdungsklausel – untrennbar miteinander verzahnt und beschreiben beide nichts anderes als den Taterfolg der Gefahr784. Die Bedeutung der Gefährdungsklausel beschränkt sich damit für diese Autoren auf eine Klarstellungsfunktion hinsichtlich Art und Umfang der erforderlichen tatbestandlichen Gefahr785. 2. Auslegung der hilflosen Lage n. F. unter Bezugnahme auf die hilflose Person a. F. Eine zweite Gruppe will ebenfalls ein Tatbestandsmerkmal der a. F. für die heutige Auslegung des Tatbestandes „wiederbeleben“. Diese Autoren halten das Verständnis des Merkmals der hilflosen Person aus der a. F. als Auslegung der hilflosen Lage n. F. für zutreffend. a) Verständnis der hilflosen Person i. S. v. § 221 Abs. 1 StGB a. F. In der Fassung der Norm bis 1998 enthielt der Tatbestand neben dem Merkmalskomplex der hilflosen Lage den einer hilflosen Person als Opfer der Tat. Die Hilflosigkeit der Person war regelmäßig Ausgangspunkt der hilflosen Lage; zwingend erforderlich war dies aber nicht, sondern die hilflose Lage konnte sich auch aus einem anderen Grund ergeben786. LK-StGB11-Jähnke [07/1999], § 221 Rn. 18. LK-StGB11-Jähnke [07/1999], § 221 Rn. 20. 784 LK-StGB11-Jähnke [07/1999], § 221 Rn. 7, 18, 25; Kosloh, S. 59 f.; tendenziell auch Stein, JR 1999, 265 Fn. 5, und Tröndle/Fischer, StGB54, § 221 Rn. 7. Ablehnend hierzu NK-StGB2-Neumann, § 221 Rn. 7. 785 LK-StGB11-Jähnke [07/1999], § 221 Rn. 7, 18; Kosloh, S. 59 f.; wohl auch S. Heinrich, S. 165. So auch für § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB Küper, ZStW 111 [1999], 48 f., 54 [a. A. nun aber ders., BT6, S. 37 f.]. Kritisch zur Beschränkung der Gefährdungsklausel auf eine klarstellende Funktion Ebel, NStZ 2002, 405 f.; Laue, S. 101; Lucks, S. 84 f., 94. 786 RGSt 10, 183 [185]; BGHSt 21, 44 [45]; OLG Hamm VRS 19 [1960], 431 [432]; OLG Zweibrücken NJW 1998, 841; Feloutzis, S. 121; Küper, Jura 1994, 516, sowie die Nachweise im 4. Teil: D. II. 1. a) in Fn. 770. 782 783

D. Das situationsbezogene Tatbestandsmerkmal der hilflosen Lage

243

Das wurde meist wie folgt verstanden: Eine hilflose Person war zur Erhaltung ihres Lebens oder ihrer körperlichen Integrität nicht selbst fähig und daher auf Hilfe anderer angewiesen787. Das Merkmal der hilflosen Person umschrieb damit eine individuelle, personenbezogene Eigenschaft, die teils auch als Schwächezustand der Person (des Opfers) charakterisiert wurde788. Deshalb empfand man auch vielfach die Bezeichnung „hilfsbedürftige Person“ als treffender und zog diese dem Begriff „hilflose Person“ vor789. Diese Eigenschaft konnte sowohl vorübergehender als auch dauerhafter Natur sein790. Die Eigenschaft der Hilfsbedürftigkeit der Person musste nach dem Wortlaut der Norm – zeitlich gesehen – vor der Tathandlung des Aussetzens oder Verlassens vorliegen und durfte – anders als bei der weiten Auslegung des Wortlauts beim Verlassen und bei der hilflosen Lage791 – nicht durch die Tathandlung entstehen; der Fall des Entstehens der Hilfsbedürftigkeit durch die Tathandlung selbst war daher straflos792. Zudem musste die Hilf787

BGHSt 4, 113 [115]; BGH, Urteil vom 13.04.1976 – 1 StR 12/76 – S. 4 f. [unveröffentlicht]; KG JR 1973, 71 [72]; Ziehm, S. 15; Fenner, S. 18; Warmuth, S. 28, 43; Dieterich, S. 16; Zerling, S. 16; Hasenberg, S. 12; Redlich, S. 19; Usinger, S. 5; von Liszt/Schmidt, StR24, S. 330 f.; Ebermayer/Lobe/Rosenberg, RStGB4, § 221 Anm. 1; Teufel, S. 15; Frank, StGB18, § 221 Anm. II; Urban, S. 20; Welzel, StR11, S. 296; LK-StGB9-Lange [12/1971], § 221 Rn. 2; Bockelmann, BT 2, S. 71; Eser, StR III2, Fall 10 Anm. 4; LK-StGB10-Jähnke [04/1981], § 221 Rn. 6 f.; Feloutzis, S. 108, 120; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 18, § 4 Rn. 5; Krey, BT I10, Rn. 135; Küpper, BT I1, § 1 Rn. 85; Haft, BT6, S. 99; Lackner/Kühl, StGB22, § 221 Rn. 1; Schönke/Schröder-StGB25-Eser, § 221 Rn. 3; Schroth, BT1, S. 51; Tröndle, StGB48, § 221 Rn. 2; Wessels, BT I21, Rn. 186; Küper, ZStW 111 [1999], 31; S. Heinrich, S. 146; Lucks, S. 41, 98 f. 788 Ziehm, S. 15; Warmuth, S. 43; Zerling, S. 16; Albrecht, S. 34; Redlich, S. 19; Usinger, S. 5; von Liszt/Schmidt, StR24, S. 330 f.; Feloutzis, S. 120; Maurach/ Schroeder/Maiwald, BT 18, § 4 Rn. 5; Küper, ZStW 111 [1999], 31; S. Heinrich, S. 148; Lucks, S. 42. Alternativ häufig auch als subjektives Unvermögen, sich selbst zu helfen, bezeichnet. 789 BGH MDR/H 1985, 979 [980]; NJW 1993, 2628; OLG Hamm VRS 19 [1960], 431 [433]; Henning, S. 10; H. Weber, S. 48; Fenner, S. 19; Lifschitz, S. 66; Warmuth, S. 28, 43; Dieterich, S. 16; Zerling, S. 16; Hasenberg, S. 12; Albrecht, S. 24; Redlich, S. 19; Teufel, S. 15; Feloutzis, S. 113, 120; Mitsch, JuS 1996, 408; Lucks, S. 42; ähnlich Küper, Jura 1994, 516; ders., ZStW 111 [1999], 31. Den Begriff Hilfsbedürftigkeit als zu unbestimmt ablehnend Usinger, S. 5. 790 RG DJ 1938, 2041; BGH MDR/H 1982, 448; von Liszt/Schmidt, StR24, S. 330 f.; Usinger, S. 6; Dalcke/Fuhrmann/Schäfer, StGB37, § 221 Anm. 2; LKStGB10-Jähnke [04/1981], § 221 Rn. 7; Feloutzis, S. 113; Schönke/SchröderStGB25-Eser, § 221 Rn. 3; S. Heinrich, S. 148. 791 Vgl. oben die Darstellung im 4. Teil: D. II. 1. a) und die Nachweise dort in Fn. 763. 792 OLG Hamm VRS 19 [1960], 431 [433]; Redlich, S. 29; Usinger, S. 6; Feloutzis, S. 113; Mitsch, JuS 1996, 408; Tröndle, StGB48, § 221 Rn. 3; Küper, ZStW 111

244 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

losigkeit bzw. Hilfsbedürftigkeit der Person auf den in § 221 Abs. 1 StGB a. F. abschließend genannten Gründen – jugendliches Alter, Gebrechlichkeit oder Krankheit – beruhen793. Zwar wurde eingewendet, in den Begriffen der hilflosen Lage und der hilflosen Person sei die Beschreibung ein und desselben Zustandes zu sehen und es liege ein „unnötiger Pleonasmus“ vor794, die Mehrzahl der Autoren lehnte diese Gleichsetzung der Begriffe aber ab und sah den Unterschied zwischen hilfloser Person und hilfloser Lage im soeben Beschriebenen: Die Hilflosigkeit der Person war eine individuelle und grundsätzliche – d.h. nicht nur rein situative, sondern länger anhaftende – Eigenschaft des Opfers, während die hilflose Lage als eine bestimmte örtliche und zeitliche Situation die Beschreibung des konkreten Taterfolgs im Einzelfall enthielt795. Das Leisten von Hilfe schloss damit in der a. F. zwar das Vorliegen einer hilflosen Lage aus, hatte aber keine Auswirkungen auf die hilflose (bzw. hilfsbedürftige) Person, da dieses Tatbestandsmerkmal eine lediglich subjektive, individuelle Eigenschaft des Opfers beschrieb. b) Gleichsetzung der hilflosen Lage n. F. mit der hilflosen Person a. F. Auch in der n. F. spielt das Verständnis der hilflosen Person a. F. noch eine wesentliche Rolle, weil zahlreiche Autoren die alten Ausführungen zur Hilflosigkeit der Person auf die hilflose Lage der n. F. übertragen haben796. [1999], 31 f.; ders., BT6, S. 35; S. Heinrich, S. 163; Lucks, S. 42. Dies war auch vielfach Grund für Kritik an der „Enge“ des Tatbestandes; vgl. Warmuth, S. 31; Usinger, S. 57 f.; Marfels, S. 81; Heilbrunn, S. 28 f. 793 RGSt 10, 183 [185]; Ziehm, S. 15; Binding, Lehrbuch BT I2, S. 62; Usinger, S. 5; LK-StGB10-Jähnke [04/1981], § 221 Rn. 6; Gössel, BT 1, § 8 Rn. 7; Küper, Jura 1994, 513; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 18, § 4 Rn. 5; Mitsch, JuS 1996, 408; Lucks, S. 42. Zu den Gründen vgl. die Nachweise im 4. Teil: B. I. in Fn. 38. 794 Radbruch, VD BT V, S. 196 Fn. 1. Diesen Pleonasmus von hilfloser Lage und hilfloser Person sieht heute noch LK-StGB11-Jähnke [07/1999], § 221 Rn. 18, während Ebel, NStZ 2002, 405 f., dem ausdrücklich eine Absage erteilt. 795 Henning, S. 10 f.; H. Weber, S. 45 f.; Warmuth, S. 43 f.; Albrecht, S. 34 f.; Usinger, S. 13; Teufel, S. 15; Hall, SchwZStR 46 [1932], 330 f.; LK-StGB10-Jähnke [04/1981], § 221 Rn. 12; Feloutzis, S. 107 Fn. 108, S. 120 f.; Küper, Jura 1994, 516; S. Heinrich, S. 144, S. 148 f. 796 Dabei erscheint es manchmal schwierig bis unmöglich festzustellen, ob die Autoren wirklich die hilflose Lage n. F. mit der hilflosen Person a. F. – als individuelle Hilfsbedürftigkeit – gleichsetzen wollen, da dies – in dieser Eindeutigkeit – selten geschrieben wird. Vor dem Problem stand nach ihren Ausführungen auch Lucks, S. 89. In Anlehnung an die Definition zur hilflosen Person der a. F. finden sich in diesem Abschnitt daher diejenigen Autoren, die die hilflose Lage als das individuelle subjektive Unvermögen des Opfers verstehen, sich selber zu helfen, und dabei

D. Das situationsbezogene Tatbestandsmerkmal der hilflosen Lage

245

Nach dieser Ansicht ist eine hilflose Lage eine Situation, in der eine Person sich nicht aus eigener Kraft vor potenziellen Gefahren für Leben oder Gesundheit schützen kann, bzw. sich nicht bei solchen Gefahren helfen kann797. In diesem Sinne verstanden, wird die hilflose Lage zu einem Vorstadium der Gefahr bzw. zur Ausgangssituation der sich aus ihr entwickelnden Gefahr798. Die Gleichsetzung der hilflosen Lage n. F. mit der hilflosen Person a. F. sieht man auch dadurch bestätigt, dass einige Ausführungen, die früher zur hilflosen Person geschrieben wurden, sich nunmehr in den Begründungen zur hilflosen Lage wiederfinden: So zum Beispiel, es sei für das Vorliegen einer hilflosen Lage ohne Belang, ob schutzbereite Personen dem Opfer Hilfe bringen können oder nicht799. Zur Begründung für diese Auslegung der hilflosen Lage wird in der Regel der Wortlaut der Norm herangezogen, wonach hilflose Lage und Gefahr i. S. der Gefährdungsklausel zwei Merkmale des Tatbestandes seien und dies auch bei der Auslegung der hilflosen Lage berücksichtigt werden müsse, um nicht ein überflüssiges Tatbestandsmerkmal zu schaffen800. Das Abstellen auf die Person, nicht die Lage, bei der Auslegung der hilflosen Lage begründet Eser darüber hinaus noch damit, dass schon nach dem Sprachgebrauch nur Personen in gewissen Situationen hilflos sein, nicht aber gewisse Lagen allgemein als hilflos bezeichnet werden könnten801. Daneben bieten Jäger und Rengier noch ein systematisches Argument für das alleinige Abstellen auf die individuellen Ressourcen des Opfers802: keine zusätzlichen Elemente in ihre Definition integrieren, wie eine gewisse Dauer der hilflosen Lage oder wie die Hilfemöglichkeiten durch Dritte oder den Täter. 797 LG Zweibrücken DAR 2000, 226; Jäger, JuS 2000, 32; Sträßner, PflR 2002, 96; Krey/Heinrich, BT I13, Rn. 134, 137; Haft, BT II8, S. 125; Rengier, BT II7, § 10 Rn. 5 [anders nunmehr ders., BT II8, § 10 Rn. 5]; Schönke/SchröderStGB27-Eser, § 221 Rn. 2, 9; Joecks, StGB7, § 221 Rn. 5. Leicht abweichend durch das Abstellen auf die Hilfsbedürftigkeit in einer konkreten Situation bei Schmidt/ Priebe, BT I6, Rn. 246. Offen gelassen von Schroth, BT3, S. 62, der es aber für „völlig eindeutig“ hält, „daß die ‚hilflose Lage‘ weniger ist als konkrete Gefahr“ [anders jetzt ders., BT4, S. 78]. 798 Rengier, BT II7, § 10 Rn. 14; Schönke/Schröder-StGB27-Eser, § 221 Rn. 9. 799 Haft, BT II8, S. 125; Rengier, BT II7, § 10 Rn. 5 [anders ders. seit, BT II8, § 10 Rn. 5, wo er ausdrücklich der Gegenansicht folgt und hilfsfähige und hilfswillige Dritte in die Betrachtung einbezieht]. 800 Schroth, BT3, S. 62 [anders jetzt ders., BT4, S. 78]; Rengier, BT II7, § 10 Rn. 14; Schönke/Schröder-StGB27-Eser, § 221 Rn. 9; ähnlich Haft, BT II8, S. 125. 801 Schönke/Schröder-StGB27-Eser, § 221 Rn. 9. 802 Jäger, JuS 2000, 34; Rengier, BT II8, § 10 Rn. 12 [nicht stimmig hierzu jedoch die Ausführungen in ders., BT II8, § 10 Rn. 5].

246 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

Würde man den Täter oder Dritte miteinbeziehen, würde man den Anwendungsbereich von § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB einschränken, weil die Fälle der Hilfeverweigerung durch den Täter, die zu einer hilflosen Lage führen, dann als Fälle des Versetzens anzusehen wären. Diese seien aber typische Fälle des § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB und dem sei bei der Auslegung der hilflosen Lage Rechnung zu tragen. 3. Auslegung der hilflosen Lage als Hilfsbedürftigkeit mit zusätzlichen Bedingungen Seit der Änderung des Tatbestandes der Aussetzung durch das 6. StrRG wurden vielfach Konzepte entwickelt, die ein „neues“ Verständnis des Merkmals der hilflosen Lage zum Ziel haben. Als Begründung mögen die bildhaften Ausführungen von Ebel dienen803: „Den bisherigen Versuchen, die ‚hilflose Lage‘ mit Leben zu füllen, haften sämtlich die Eierschalen der alten Fassung des § 221 an.“ Dabei gehen die Anhänger des „neuen“ Verständnisses“ davon aus, die hilflose Lage und die Gefahr seien zwei zu trennende, unterschiedliche Tatbestandsmerkmale804 und demzufolge sei die Annahme individueller Hilfsbedürftigkeit des Opfers notwendige, aber nicht hinreichende Grundvoraussetzung für das Vorliegen einer hilflosen Lage805. Jenseits dieses „Grundkonsenses“ besteht jedoch Uneinigkeit innerhalb dieser Autorengruppe über weitere Einschränkungsmöglichkeiten der hilflosen Lage. Diese werden für erforderlich erachtet, um dem Begriff schärfere Konturen zu geben. Dieses „Mehr“ an Konturen wird • teils in dem Kriterium der Dauer oder Stabilität der hilflosen Lage gesehen, • teils durch Einbeziehung von konkret vorhandenen personellen Hilfen seitens dritter Personen oder seitens des Täters erreicht, • manchmal auch durch eine Kombination dieser beiden Kriterien erzielt.

803

Ebel, NStZ 2002, 405. In diese Richtung auch Sternberg-Lieben/Fisch, Jura 1999, 45; Lucks, S. 86. 804 Sternberg-Lieben/Fisch, Jura 1999, 46; Mitsch, JuS 2000, 849; SKStGB7-Horn/Wolters [03/2002], § 221 Rn. 3; Lucks, S. 79, 185, 228; Hacker/Lautner, Jura 2006, 276; Küpper, BT I3, § 1 Rn. 85; Rengier, BT II8, § 10 Rn. 14; offen bei Lackner/Kühl, StGB26, § 221 Rn. 2. 805 Sternberg-Lieben/Fisch, Jura 1999, 46; Laue, S. 81 f.; Lucks, S. 182 f.; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 19, § 4 Rn. 5; NK-StGB2-Neumann, § 221 Rn. 7; Kindhäuser, LPK3, § 221 Rn. 6; Küpper, BT I3, § 1 Rn. 85; Wessels/Hettinger, BT I31, Rn. 199.

D. Das situationsbezogene Tatbestandsmerkmal der hilflosen Lage

247

a) Einschränkung der hilflosen Lage durch ein Kriterium der Dauer oder Stabilität Manche sehen das die hilflose Lage prägende Element – im Gegensatz zur Gefahr – darin, dass eine derartige Lage eine gewisse Dauer oder Stabilität aufweisen müsse. Die Einschränkung über ein derartiges Kriterium geht zurück auf Sternberg-Lieben/Fisch, die zuerst diese Ansicht vertreten haben806. Nach ihnen liegt eine hilflose Lage vor, wenn sich das Opfer aus eigenen Kräften vor Gefahren für Leib oder Leben nicht zu schützen vermag und diese Lage zusätzlich eine gewisse Dauer bzw. Stabilität aufweist807. Begründung hierfür ist die Erkenntnis, der Gesetzgeber trenne die Merkmale der hilflosen Lage und der Gefahr, weshalb eine Deutung entsprechend der hilflosen Lage a. F. nicht möglich sei808. Damit aber nicht die hilflose Person a. F., die durch das 6. StrRG explizit aus dem Tatbestand gestrichen wurde, wieder Eingang in die Norm finde, sei – auch zur Abgrenzung zu einem allgemeinen Gefährdungsdelikt – von der hilflosen Lage eine gewisse Dauer und Stabilität zu fordern. Dies ergebe sich schon aus dem Sprachgebrauch des Wortes „Lage“809. Welche Anforderungen genau an diese Dauer bzw. Stabilität zu stellen sind bzw. wie Dauer und Stabilität zu verstehen sind, bleibt bei den Vertretern dieser Ansicht offen. b) Einschränkung der hilflosen Lage über die Einbeziehung von Hilfen durch Dritte und/oder den Täter Andere Autoren legen den Schwerpunkt bei der Bestimmung der inhaltlichen Reichweite der hilflosen Lage auf die dem Opfer gewährten Hilfen durch andere Personen. Welche Hilfsmittel hierbei einzubeziehen sind, wird unterschiedlich beurteilt. aa) Ausschließliche Einbeziehung der von Dritten gewährten Hilfe Unter den „neuen“ Auslegungskonzepten zur hilflosen Lage hat die Ansicht, dass es neben der individuellen Hilfsbedürftigkeit des Opfers auf das 806

Sternberg-Lieben/Fisch, Jura 1999, 46. Sternberg-Lieben/Fisch, Jura 1999, 46; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 19, § 4 Rn. 5; Küpper, BT I3, § 1 Rn. 85; so wohl auch Lackner/Kühl, StGB26, § 221 Rn. 2 a. E., der sich einerseits nicht auf eine Auslegung der hilflosen Lage festlegt und andererseits eine differenzierende Auslegung der hilflosen Lage für „denkbar“ hält. 808 Sternberg-Lieben/Fisch, Jura 1999, 46, sowie ebenda Fn. 27, 29. 809 Sternberg-Lieben/Fisch, Jura 1999, 46; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 19, § 4 Rn. 5; ähnlich Küpper, BT I3, § 1 Rn. 85. 807

248 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

Fehlen von konkret ausgeübter Hilfe durch Dritte ankommt, einige Anhänger gefunden810. Auch dieser Ansatz geht davon aus, dass sich das Opfer dann in einer hilflosen Lage befindet, wenn es außerstande ist, sich ohne Hilfe anderer aus einer Gefahr für Leib oder Leben zu befreien811. Erweiternd wird aber betont, bei der Bestimmung der hilflosen Lage seien nicht nur die eigenen Fähigkeiten des Opfers als Hilfsmittel anzusehen, sondern die durch Dritte ausgeübte Hilfe sei ebenfalls einzubeziehen. Das bedeutet: Solange dem Opfer konkrete Hilfe von einer hilfsbereiten dritten Person – gemeint sind alle Personen außer dem Täter – gewährt wird, ist es nicht in einer hilflosen Lage812. So läge z. B. beim Niederschlagen des Opfers in einer großen Menschenmenge keine hilflose Lage vor, weil damit gerechnet werden könne, dass dem Opfer geholfen werde813. Argument für diese Ansicht ist primär der Sprachgebrauch: Man könne bei einem hilfsbedürftigen, aber versorgten Menschen nicht davon sprechen, dass er sich in einer hilflosen Lage befinde814. Bei der Deutung der hilflosen Lage als Gefahr entstehe sonst ein überflüssiges Tatbestandsmerkmal, weshalb eine andere Auslegung vorzugswürdig sei815. Nur bezogen auf § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB betonen Hacker/Lautner, die Einbeziehung des Täters bei der Bestimmung der hilflosen Lage würde in einem Zirkelschluss enden816, und ergänzen, die Ahnungslosigkeit des Opfers gegenüber einer drohenden Gefahr begründe keine hilflose Lage817. Man kann sagen, dass diese Ansicht auf „halbem Weg“ zwischen der hilflosen Person a. F. und der hilflosen Lage a. F. anzusiedeln ist: Von der hilflosen Person ist die individuelle Hilfsbedürftigkeit des Opfers übernom810 Baier, JA 2000, 305; Gössel/Dölling, BT 12, § 7 Rn. 9 f.; Pfleiderer/Schubert, MedR 2005, 594; Hacker/Lautner, Jura 2006, 274; Schroth, BT4, S. 78 [anders noch ders, BT3, S. 62; vgl. hierzu schon im 4. Teil: D. II. 2. b) in Fn. 800]; Rengier, BT II8, § 10 Rn. 5 [anders noch die Vorauflage ders, BT II7, § 10 Rn. 5; vgl. schon im 4. Teil: D. II. 2. b) in Fn. 799]. 811 Baier, JA 2000, 305; Gössel/Dölling, BT 12, § 7 Rn. 9; Pfleiderer/Schubert, MedR 2005, 594; Hacker/Lautner, Jura 2006, 274; Rengier, BT II8, § 10 Rn. 5. 812 Pfleiderer/Schubert, MedR 2005, 594; Hacker/Lautner, Jura 2006, 274, 277; Schroth, BT4, S. 78; Rengier, BT II8, § 10 Rn. 5. 813 Hacker/Lautner, Jura 2006, 274. 814 Pfleiderer/Schubert, MedR 2005, 594; Hacker/Lautner, Jura 2006, 274; Rengier, BT II8, § 10 Rn. 5. 815 Schroth, BT4, S. 78. Hacker/Lautner, Jura 2006, 275 sprechen von „abstrakte(r) Gefährdung“. 816 Hacker/Lautner, Jura 2006, 277. 817 Hacker/Lautner, Jura 2006, 274.

D. Das situationsbezogene Tatbestandsmerkmal der hilflosen Lage

249

men, von der hilflosen Lage a. F. der Ausschluss einer solchen bei Vorliegen fremder Hilfe. Leicht abweichend beurteilt dies Gössel818, der das Vorliegen einer hilflosen Lage bei Anwesenheit schutz- und hilfsbereiter Dritter als eine Frage des Einzelfalls ansieht. Z. B. seien Querschnittsgelähmte oder sonst Gebrechliche unabhängig von der Anwesenheit weiterer Personen stets in hilfloser Lage. Wann aber genau eine hilflose Lage vorliegt bzw. wann allgemein eine Person dermaßen hilfsbedürftig ist, dass sie sich stets in einer hilflosen Lage befindet, bleibt bei Gössel offen. bb) Einbeziehung von Hilfen durch Dritte und eines Zusatzkriteriums Im Prinzip vertreten auch noch andere Autoren die soeben beschriebene Ansicht, Ausgangspunkt für die hilflose Lage sei das individuelle Unvermögen des Opfers, sich selber zu helfen; sie ergänzen ihn aber – das Tatbestandserfordernis hilflose Lage einschränkend – zum Teil um den Gesichtspunkt einer Dauer bzw. Stabilität, oder sie beziehen das Fehlen von rettungsgeeigneten Sachmitteln bzw. hilfsfähigen und -bereiten Personen in die Bestimmung der hilflosen Lage mit ein819. Auf diese Weise versucht man einerseits, die Einordnung der hilflosen Lage als Gefahr zu widerlegen, andererseits die eigene Deutung und die gewählten Einschränkungen zu rechtfertigen. Die Gleichsetzung von hilfloser Lage und Gefahr sei schon deshalb abzulehnen, weil der Tatbestand nach dem Wortlaut zwei Tatbestandsmerkmale enthalte und dies bei der Auslegung zu berücksichtigen sei820. Es bestehe zwar eine funktionale Relation zwischen den beiden Merkmalen, weil die Gefahr aus der hilflosen Lage entstehen müsse, aber die beiden Begriffe seien dadurch nicht untrennbar verzahnt821. Da außerdem in der ersten TatGössel/Dölling, BT 12, § 7 Rn. 10. Laue, S. 77, 79, 81, 114; Lucks, S. 63, 67 f., 112 f., 117 f., 176 ff., 180, 182 f., 228. Leicht abweichend SK-StGB7-Horn/Wolters [03/2002], § 221 Rn. 3, die die hilflose Lage folgendermaßen umschreiben: Nach ihnen befindet sich in einer hilflosen Lage, wer sich gegen potenzielle Lebens- oder Gesundheitsgefahren nicht wehren kann, weil ihm bestimmte sächliche Abwehrmittel und/oder menschliche Hilfe nicht rechtzeitig zuteil wird. Ebenso NK-StGB2-Neumann, § 221 Rn. 7 f.; er nimmt allerdings beim Imstichlassen eine weitere, zusätzliche Eingrenzung des Tatbestandes vor und verlangt dort ein – über die Garantenstellung hinausgehendes – Näheverhältnis, nicht i. S. einer räumlichen Nähe, sondern in einem psychologischsozialen bzw. in einem normativen Sinne; vgl. hierzu ausführlich oben unter 4. Teil: C. I. 2. c) ab S. 105. 820 SK-StGB7-Horn/Wolters [03/2002], § 221 Rn. 3. 821 NK-StGB2-Neumann, § 221 Rn. 6 f. 818 819

250 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

variante der Täter die hilflose Lage verursache, bei der zweiten der Täter aber dieselbe schon vorfinde, was der Wortlaut „dadurch“ in der Gefährdungsklausel verdeutliche, sei die (potenziell gefährliche) hilflose Lage von der eigentlichen Gefährdung zu trennen822. Zudem würde die Deutung der hilflosen Lage als Gefahr zu einem Pleonasmus im Tatbestand führen, also ein überflüssiges Tatbestandsmerkmal schaffen, und überdies die Aussetzung in ein allgemeines Gefährdungsdelikt umwandeln, was aber im E 1962 ausdrücklich abgelehnt worden sei823. Auch sei der Verweis in § 234 StGB – entgegen der Einschätzung von Jähnke824 – als Verweis auf alle Voraussetzungen des § 221 Abs. 1 StGB zu verstehen und lasse daher keinen Schluss auf ein Verständnis der hilflosen Lage als Gefahr zu825. Da also hilflose Lage und Gefahr zu trennen seien, müsse die als hilflose Lage bezeichnete Situation ein in gewisser Weise gefestigtes Zwischenstadium auf dem Weg zur Gefahr darstellen bzw. sie müsse eine gewisse Dauer aufweisen826. Die Richtigkeit dieser These ergebe sich schon aus dem Wortlaut „Lage“827 und der Tatsache, dass so die „ ‚rechtwinklig‘ einsetzenden Augenblicksgefahren“ keine hilflose Lage darstellten und aus dem Tatbestand ausschieden828. Vor allem gewährleiste die Forderung nach einer gewissen Dauer und Stabilität der Lage eine Unterscheidung der hilflosen Lage von der Gefahr und der Aussetzung vom allgemeinen Leibesund Lebensgefährdungsdelikt829. Nach Horn/Wolters830 gilt für die vorauszusetzende Dauer, „daß die Situation ein in gewisser Weise gefestigtes Zwischenstadium darstellen muss . . . Im vorgenannten Sinne gefestigt ist eine Situation nur dann, wenn in ihr noch durch beherrschbare (also nicht zufällige), hypothetisch zur Verfügung stehende Schutzmaßnahmen der Eintritt der konkreten Gefahr abgewendet werden kann“. Ähnlich auch Laue831, der die erforderliche Dauer dann bejaht, wenn nicht unmittelbar durch die Tathandlung eine Gefahrensituation geschaffen werde, sondern diese mittels zur Verfügung stehender Schutzmaßnahmen noch einer sicheren Abwendung zugänglich sei. SK-StGB7-Horn/Wolters [03/2002], § 221 Rn. 3. Laue, S. 78, 101. 824 Vgl. Darstellung im 4. Teil: D. II. 1. b). 825 Laue, S. 80 f. 826 Laue, S. 82 f., 105; SK-StGB7-Horn/Wolters [03/2002], § 221 Rn. 3; NKStGB2-Neumann, § 221 Rn. 7. 827 Laue, S. 83; SK-StGB7-Horn/Wolters [03/2002], § 221 Rn. 3. 828 Laue, S. 82 f., 105; NK-StGB2-Neumann, § 221 Rn. 7. 829 Laue, S. 84, 105. 830 SK-StGB7-Horn/Wolters [03/2002], § 221 Rn. 3 [Hervorhebungen im Original]. 831 Laue, S. 83. 822 823

D. Das situationsbezogene Tatbestandsmerkmal der hilflosen Lage

251

Bei der Bestimmung der Abwendbarkeit der hilflosen Lage seien aber neben den Fähigkeiten des Opfers auch hilfsbereite Dritte in die Betrachtung einzubeziehen832. Das Erfordernis der fehlenden fremden Hilfe für das Vorliegen einer hilflosen Lage sei schon dem allgemeinen Sprachgebrauch zu entnehmen833. Außerdem sei es zutreffend, die personellen Hilfen durch Dritte mit einzubeziehen; ansonsten wäre eine Person, der von hilfswilligen Dritten geholfen wird, dennoch in einer hilflosen Lage834. Bei einer anderen Betrachtung wären zudem einige Personen per se hilflos, Verhaltensweisen gegen diese könnten nur unter § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB subsumiert werden, was zu einer unnötigen Verkürzung des Anwendungsbereichs der ersten Tatvariante führen würde835. Außer Betracht müsse aber die Unterstützung des Opfers durch den Täter selbst bleiben836. Neumann ergänzt noch, durch dieses Verständnis sei der Inhalt der hilflosen Lage in beiden Tatvarianten identisch und aus Gründen der Konsistenz daher vorzuziehen837. Dagegen spreche auch nicht der Einwand Küpers838, nur eine Gefahr vermöge die Pflicht zum Eingreifen des Garanten auslösen, weil keine zwingende Notwendigkeit bestehe, das Vorhandensein der hilflosen Lage als hinreichendes Kriterium für das Umschlagen der generellen „Garantenpflicht“ in eine konkrete Handlungspflicht heranzuziehen. Vielmehr ergebe sich die Antwort auf die Frage, ab wann dem Opfer zu helfen sei, aus den konkreten Umständen der Situation des Opfers, nicht aber aus der Kennzeichnung derselben als hilflose Lage. Die bisher wohl ausführlichste Herleitung und Begründung zum Verständnis der hilflosen Lage leistet Lucks. Für sie erfordert das Vorliegen einer hilflosen Lage zweierlei: Das Opfer muss erstens mangels eigener Abwehrkräfte oder aufgrund besonderer äußerer Umstände hilfsbedürftig und zweitens mangels fehlender hilfsfähiger und hilfsbereiter Personen gerade auf den – möglichen – Beistand des Täters angewiesen sein. Kennzeichnend ist für Lucks also die Kombination aus der individuellen Hilfsbedürftigkeit des Opfers und dessen Abhängigkeit vom Beistand des Täters839. Dieses Ergebnis erarbeitet sie in zwei Schritten: Zuerst zeigt Lucks die Schwächen und Unstimmigkeiten der beiden – sich an den Tatbestandsmerkmalen der a. F. orientierenden – Deutungsansätze zur hilflosen Lage 832 833 834 835 836 837 838 839

NK-StGB2-Neumann, § 221 Rn. 8 f. Laue, S. 77. Laue, S. 81; NK-StGB2-Neumann, § 221 Rn. 8 f. Laue, S. 114. NK-StGB2-Neumann, § 221 Rn. 9. Zum Folgenden NK-StGB2-Neumann, § 221 Rn. 21. Vgl. sogleich im 4. Teil: D. II. 4. ab S. 258. Lucks, S. 228.

252 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

auf; im folgenden Schritt entwickelt sie die argumentative Basis für ihr eigenes Verständnis. Lucks betont, die Gleichsetzung von hilfloser Lage und Gefahr in der n. F. könne nicht zutreffend sein, da andernfalls eine „eigenartige Verdoppelung der Begriffe“ im Tatbestand vorläge und der Gesetzgeber ein überflüssiges Tatbestandsmerkmal sowie zugleich ein allgemeines Leibes- und Lebensgefährdungsdelikt geschaffen hätte840. Ein solches Delikt habe der Gesetzgeber 1998 aber nicht schaffen, sondern nur die bis dahin kritisierten Strafbarkeitslücken schließen wollen841, was sich auch aus einem Vergleich der Strafrahmen von § 221 Abs. 1 StGB und § 315b StGB ergebe842. Auch Jähnkes Betrachtung zu § 234 StGB843 überzeugt Lucks nicht: Jähnke übergehe schlichtweg die im 6. StrRG nicht erfolgte Anpassung an die Aussetzung844 und die Tatsache, dass im Rahmen von § 221 StGB eben nicht die Schaffung der hilflosen Lage allein tatbestandsmäßig sei845. Außerdem gehe die situationsbedingte Hilflosigkeit, wie sie in § 221 StGB erforderlich sei, deutlich über ein Sich-Bemächtigen i. S. v. § 234 StGB hinaus846. Die Ablehnung der Gleichsetzung von hilfloser Lage und Gefahr gilt nach Lucks entgegen der Ansicht Küpers847 für beide Tatvarianten. Dessen Argumentation enthalte nämlich einen „Zirkelschluss“, denn ob der Täter durch das Imstichlassen eine Gefahrabwendungspflicht verletze, hänge gerade von der (eigenen) Auslegung der hilflosen Lage ab848. Zudem könne innerhalb eines Tatbestandes die unterschiedliche Deutung eines Tatbestandsmerkmals nicht überzeugen849. Gleichwohl geht Lucks davon aus, dass beim Vorliegen einer Gefahr eine hilflose Lage für das Opfer vorliegen könne850. Fälle der Koinzidenz von Tathandlung und Gefahr ließen sich nach dem Wortlaut der n. F. zwanglos unter § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB subsumieren851. Die hilflose Lage und die Gefahr ließen sich sowohl inhaltlich als auch zeitlich voneinander trennen, seien aber dennoch aufeinander bezogen852. 840 841 842 843 844 845 846 847 848 849 850 851

Lucks, S. 84, 93. Lucks, S. 160. Lucks, S. 156. Vgl. oben im 4. Teil: D. II. 1. b) ab S. 241. Lucks, S. 138 f. Lucks, S. 138 f. Lucks, S. 115. Zu diesem Autor sogleich im 4. Teil: D. II. 4. Lucks, S. 129. Lucks, S. 122. Lucks, S. 126, 136 f., 183. Lucks, S. 128.

D. Das situationsbezogene Tatbestandsmerkmal der hilflosen Lage

253

Auch die Deutung der hilflosen Lage ausschließlich als individuelle Hilflosigkeit der Person hält Lucks für nicht vertretbar, weil schon das zeitliche Verhältnis zwischen der Tathandlung des § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB und dem Zustand der Hilfsbedürftigkeit von der a. F. fundamental abweiche; nach altem Recht sei die hilflose Person Objekt der Tathandlung gewesen, heute eine Person in hilfloser Lage deren Ergebnis853. Zudem seien die Gründe, auf denen die Hilfsbedürftigkeit der a. F. beruhte, abgeschafft worden854. Die Hilflosigkeit n. F. sei im Gegensatz zur a. F. nicht immer nur konstitutionell bedingt, sondern stets in Beziehung zu den besonderen Umständen zu verstehen, weil die bisher gesetzlich normierten Gründe (Alter, Krankheit, Gebrechlichkeit) gerade bei gesunden, erwachsenen Menschen normalerweise nicht vorlägen und nicht vom Einfluss des Täters abhängig seien855. Zudem würde diese Deutung die vom Gesetzgeber verfolgte Ausdehnung des Schutzbereiches der Aussetzung im Wege der Interpretation der hilflosen Lage unterlaufen856. Nach Ablehnung der beiden – sich an den Tatbestandsmerkmalen der a. F. orientierenden – Deutungsansätze zur hilflosen Lage kommt Lucks zu dem Ergebnis, die Hilfsbedürftigkeit der Person sei der richtige Ausgangspunkt zur Bestimmung dieses Tatbestandsmerkmals. Dafür sprächen Wortlaut, Entstehungsgeschichte der Norm und Systematik: Diese Deutung verschaffe der hilflosen Lage gegenüber der Gefährdungsklausel eine eigenständige Bedeutung und weise dem Kausalitätserfordernis eine inhaltliche Dimension zu857. Dafür spreche zusätzlich, dass – nach dem strengen Wortsinn – eine Lage nie hilflos sein könne, sondern nur die in der Lage befindliche Person hilflos sei, was aber Bedarf nach Hilfe voraussetze, weil das Opfer sich selbst nicht hinreichend schützen könne858. Die Wortlautdeutung des Adjektivs „hilflos“ laufe zwar dem umgangssprachlichen Gebrauch zuwider und es sei sprachlich ungewöhnlich, einen Schwerkranken unter der Obhut einer Krankenschwester als in hilfloser Lage befindlich zu bezeichnen859; jedoch überschreite die Interpretation der hilflosen Lage als Hilfsbedürftigkeit des Opfers nicht die Wortlautgrenze860. 852 853 854 855 856 857 858 859 860

Lucks, Lucks, Lucks, Lucks, Lucks, Lucks, Lucks, Lucks, Lucks,

S. S. S. S. S. S. S. S. S.

228. 105 f., 109. 104. 107, 109 f., 182. 104. 149. 97, 111. 98, 100. 102.

254 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

Für das Verständnis der hilflosen Lage als Hilfsbedürftigkeit des Opfers greift Lucks auch auf die historische Entwicklung des Begriffs der hilflosen Lage zurück: Die hilflose Lage sei nicht immer als Gefahr gedeutet worden; im bayer. StGB 1813 und anderen Partikulargesetzen sei der Begriff anders – nämlich als Vorstufe der Gefährdung – verstanden worden; historisch betrachtet bedeute die Interpretation der hilflosen Lage als Hilfsbedürftigkeit insoweit eine Rückkehr zum ursprünglichen Begriff861. Dies ist für Lucks aber nicht die endgültige Deutung der hilflosen Lage, sondern es sind weitere, zusätzliche Voraussetzungen erforderlich, um diesem Merkmal festere Konturen zu geben. Hierbei lehnt sie den Ansatzpunkt einer gewissen Stabilität und Dauer von Sternberg-Lieben/Fisch862 ab, weil der Begriff „Lage“ einerseits nach dem Wortlaut ganz allgemein eine bestimmte Situation umschreibe, aber eine bestimmte Dauer oder Stabilität nicht erfordere863, andererseits unklar bleibe, welche Anforderungen an die Dauer und Stabilität zu stellen seien864. Ebenso unzutreffend sei Ebels Idee einer Einschränkung über den Begriff der Ausnutzung der Hilflosigkeit einer anderen Person aus § 243 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 StGB, weil nach dessen Begründungsansatz letztlich gar nicht die Hilflosigkeit von Belang sei, sondern nur die (theoretische) Fähigkeit, sich vor Gefahren zu schützen865. Lucks sieht daher den zutreffenden Weg zur Begrenzung der hilflosen Lage vor allem in der Einbeziehung der eigenen Ressourcen des Opfers866. Dies folge schon daraus, dass derjenige, der sich selber vor einer Gefahr für Leib und Leben zu retten vermag, nach dem allgemeinen Sprachgebrauch nicht in einer hilflosen Lage sei. Die Anforderungen an die Selbsthilfemöglichkeiten des Opfers dürften aber nicht überspannt werden: Könne sich das Opfer nur unter großen Risiken befreien, so sei es dem Zufall zu verdanken, dass trotz der konkreten Gefahr kein Schaden eingetreten sei, und aus dessen zufälligem Ausbleiben dürfe nicht auf das Nichtvorliegen einer hilflosen Lage geschlossen werden. Ein Hilfsbedarf sei vielmehr immer dann gegeben, wenn das Opfer zwar noch eine Möglichkeit habe zu handeln, hierdurch aber die Gefahr nicht sicher abzuwenden vermöge. Daneben seien aber auch andere Personen, die hilfswillig und -fähig sind, bei der Untersuchung, ob eine hilflose Lage vorliegt, zu berücksichtigen867. 861

Lucks, S. 103 f., 139. Vgl. oben 4. Teil: D. II. 3. a). 863 Lucks, S. 145. Wobei Lucks, S. 166, abschließend zu ihren Einschränkungsansätzen feststellt, sie gelange „zu dem Ergebnis wie . . . Sternberg-Lieben/Fisch“. 864 Lucks, S. 146 f. 865 Zum Ganzen Lucks, S. 159. Darstellung der Thesen von Ebel sogleich im 4. Teil: D. II. 4. 866 Zum Folgenden Lucks, S. 153–155. 862

D. Das situationsbezogene Tatbestandsmerkmal der hilflosen Lage

255

Andernfalls wären die bereits vor der Tathandlung hilfsbedürftigen Personen, also die konstitutionell absolut hilfsbedürftigen Opfer der a. F., nur durch § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB geschützt und befänden sich per se in hilfloser Lage868; nach Lucks ein „untragbares Ergebnis“869. Der Täter ist nach Lucks allerdings nicht in die Betrachtung einzubeziehen: Zwar enthalte die amtliche Begründung zum 6. StrRG im Hinblick auf die Subsumtion seiner Verhaltensweisen unter eine der Tatvarianten keine eindeutige Festlegung; diese Fälle seien aber dem Imstichlassen zuzuordnen, was nur durch die Nichtberücksichtigung des Täters ermöglicht werde870. Würde man den Täter in die Betrachtung einbeziehen, käme es zu Differenzierungsschwierigkeiten zwischen den beiden Alternativen des Grundtatbestandes, weil das Einstellen von Hilfe durch den zunächst hilfswilligen Täter dann die erste Tatvariante verwirklichen würde. Diese Verhaltensweisen wurden aber in der a. F. durch das Verlassen erfasst und müssten daher nun als Imstichlassen gem. § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB angesehen werden871. Das räumliche Verlassen des Schützlings sei bisher das typische Beispiel der zweiten Alternative gewesen und diese liefe weitgehend leer, würde man nun die Subsumtion dieser Fälle unter § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB befürworten872. Außerdem wirke die Annahme eines Versetzens durch Unterlassen in diesen Fällen stark konstruiert, weil die Krankenschwester, die beim Betreten des Krankenzimmers trotz einer hilflosen Lage des Patienten völlig untätig bleibe, unter die zweite Tatvariante fallen und keine Strafmilderungsmöglichkeit nach § 13 Abs. 2 StGB erhalten würde, während der Krankenschwester, die die Rettungsmaßnahmen nach einem Sinneswandel einstelle, diese Möglichkeit zugute käme873. cc) Einbeziehung der von Dritten oder dem Täter gewährten Hilfe Daneben gibt es noch einige Stimmen im Schrifttum, die ausdrücklich auch die Einbeziehung des (späteren) Täters, solange dieser Hilfe ausübt, als Helfer in die Betrachtung der hilflosen Lage fordern874. Nach diesem 867

Lucks, S. 63, 67 f., 177 f., 180, 182 f., 228. Lucks, S. 177. 869 Lucks, S. 117. 870 Lucks, S. 171, 180. 871 Lucks, S. 170, 173, 179. 872 Lucks, S. 179. 873 Lucks, S. 179 f. 874 Der Unterschied dieser Ansicht zu den Konzepten, die nur Dritte als Hilfsmöglichkeit in die Betrachtung einbeziehen wollen, zeigt sich hauptsächlich bei der Subsumtion derjenigen Fälle unter die erste Tatvariante, in denen der Täter durch Aufgabe seines Hilfswillens das Opfer in eine Gefahr bringt. Hierzu ausführlich unter 4. Teil: E. II. 2. 868

256 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

Ansatz liegt eine hilflose Lage also erst vor, wenn das Opfer individuell hilfsbedürftig ist und ihm zusätzlich keine Hilfe durch Dritte oder den Täter gewährt wird875. Zur Begründung wird auch hier wieder der Sprachgebrauch herangezogen876: Eine Person, um die sich jemand kümmert, sei hilfsbedürftig, befinde sich aber nicht in hilfloser Lage, solange jemand hilft, wobei dieser Helfer auch der spätere Täter sein könne. Erst wenn dieser seinen Hilfswillen aufgebe, sei das Opfer hilflos und in hilfloser Lage. Kindhäuser ergänzt diesen Ansatz877: Nach ihm schließt die Ahnungslosigkeit des Opfers hinsichtlich der hilflosen Lage deren Vorliegen aus. Dies ergebe eine Parallelbetrachtung zu § 243 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 StGB, wonach die reine Ahnungslosigkeit nicht hinreichend sei, eine Hilflosigkeit i. S. der Norm zu begründen. Da dies für die Hilflosigkeit bei § 243 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 StGB Gültigkeit besitze, müsse es auch für die hilflose Lage bei § 221 StGB gelten. Nach dieser Ansicht ist die hilflose Lage nicht gleichbedeutend mit einer Gefahr, sondern vielmehr eine Situation, die einer Gefahr vorausgeht bzw. die in eine solche umschlagen kann878. Allerdings geht Kindhäuser davon aus, dass eine hilflose Lage ebenfalls anzunehmen sei, wenn sich das Opfer bereits in der Gefahr befinde und die Wahrscheinlichkeit des Erfolgseintritts durch den Täter erhöht werde879. 4. Differenzierende Auslegung der hilflosen Lage n. F. Küper, Ebel und Hardtung weisen dem Begriff der hilflosen Lage in den beiden Tatvarianten des Grundtatbestands jeweils eine unterschiedliche Bedeutung zu, favorisieren also eine differenzierende Auslegung. Wessels/Hettinger, BT I31, Rn. 199, 201. Bei Kindhäuser, LPK3, § 221 Rn. 6; ders., BT I3, § 5 Rn. 6 f., findet man dieses Erfordernis, indem er davon ausgeht, ein Täter, der vor Eintritt der hilflosen Lage schon Beschützergarant sei, könne für das Opfer durch Verweigern seines vorher garantierten Beistandes eine hilflose Lage entstehen lassen. Dieser Ansicht folgt einzelfallbezogen auch Gössel/Dölling; vgl. soeben im 4. Teil: D. II. 3. b) aa). Interessanterweise soll der helfende Täter auch nach Schönke/Schröder-StGB27-Eser, § 221 Rn. 9 a. E., das Vorliegen einer hilflosen Lage ausschließen, was sich mit seiner Definition der hilflosen Lage [vgl. im 4. Teil: D. II. 2. b)] schwerlich vereinbaren lässt. 876 Zum Folgenden Wessels/Hettinger, BT I31, Rn. 203 f. 877 Kindhäuser, LPK3, § 221 Rn. 7; ders., BT I3, § 5 Rn. 8. 878 Kindhäuser, LPK3, § 221 Rn. 7; ders., BT I3, § 5 Rn. 6; Wessels/Hettinger, BT I31, Rn. 199. 879 Kindhäuser, LPK3, § 221 Rn. 8; ders., BT I3, § 5 Rn. 10. Zweifelnd [„soll ausreichen“] Wessels/Hettinger, BT I31, Rn. 199. 875

D. Das situationsbezogene Tatbestandsmerkmal der hilflosen Lage

257

Der erste Autor, der sich intensiv mit der Neufassung der Aussetzung durch das 6. StrRG auseinandersetzte und die Idee des unterschiedlichen Begriffsinhaltes der hilflosen Lage in den beiden Tatvarianten vertrat, war Küper880. Er ging davon aus, dass die hilflose Lage in der ersten Tatvariante als Hilfsbedürftigkeit unter Einbeziehung der Hilfe durch Dritte zu bestimmen sei, während die hilflose Lage in der zweiten Tatvariante identisch mit einer konkreten Gefahr sei, die Gefährdungsklausel damit nur noch eine klarstellende Bedeutung hinsichtlich des Gefahrengrades und der Art und Weise der Gefahr habe881. Die Probleme der Auslegung der hilflosen Lage in der Neufassung resultieren nach Küpers Ansicht aus dem alten Verständnis der hilflosen Lage, in der früher der – im Gesetzestext fehlende Hinweis auf den – Taterfolg der konkreten Gefahrenlage gesehen wurde, und aus dem alten Verständnis der hilflosen Person, die die im Gesetz geforderten Opfereigenschaften festlegte882. Bei Übernahme dieses Verständnisses enthielte die Neufassung einen gesetzgeberischen Fehler, weil es zu einer Doppelung bzw. Überschneidung der Gefahr in der Gefährdungsklausel und der hilflosen Lage käme und daher die hilflose Lage als Tatbestandsmerkmal letztlich überflüssig wäre883. Zur „Berichtigung des Fehlers“ hält Küper es für zutreffend, der hilflosen Lage je nach Tatvariante einen unterschiedlichen Bedeutungsgehalt zuzuweisen. Dabei geht er folgendermaßen vor884: In der ersten Tatvariante bezeichnet das Tatbestandsmerkmal hilflose Lage einen Zustand der Hilfsbedürftigkeit, in dem sich das Opfer aus eigener Kraft nicht mehr zu schützen vermag und in dem es deshalb auf fremde, verfügbare – allerdings nicht geleistete – Hilfe durch schutzbereite Personen angewiesen ist. Beim Versetzen ist die hilflose Lage also noch keine konkrete Gefahr und in der Gefährdungsklausel wird der Eintritt des Taterfolgs beschrieben. Die Klausel hat damit eine eigenständige Funktion im Grundtatbestand der Aussetzung885. In der zweiten Tatvariante beschreibt nach Küper die hilflose Lage hingegen eine konkrete Gefahr, da nur bei Vorliegen einer konkreten Gefahr die Gefahrabwendungspflicht des Garanten ausgelöst und „aktualisiert“ werVgl. Küper, ZStW 111 [1999], 30 ff.; ders., BT5, S. 33 ff., 200 ff. [zur Änderung dieser Ansicht in der 6. Auflage des Lehrbuches, siehe in diesem Abschnitt sogleich ab S. 258]. 881 Küper, ZStW 111 [1999], 48, 52; ders., BT5, S. 36, 201. 882 Küper, ZStW 111 [1999], 46 f.; ders., BT5, S. 34 f., 201. 883 Küper, ZStW 111 [1999], 47 [insbesondere Fn. 73], 49. 884 Küper, ZStW 111 [1999], 48; ders., BT5, S. 36. 885 Küper, ZStW 111 [1999], 48; ders., BT5, S. 33 f., 36. 880

258 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

den könne. Küper wörtlich: „Der Gefahrbegriff bezeichnet . . . einen pflichtbegründenden Sachverhalt, der den Garanten zu der gebotenen Schutzmaßnahme herausfordert. Die ‚Gefahr‘ ist nicht konkrete Handlungswirkung, sondern in erster Linie – als ‚Verhaltensappell‘ – Konstitutionselement aktueller Handlungspflicht (Garantenpflicht).“886. Die bloße objektive Hilfsbedürftigkeit des Opfers allein ist für das Auslösen der Garantenpflicht nicht hinreichend887. Hinsichtlich des Imstichlassens dient die Gefährdungsklausel also nur noch der Klarstellung: Sie limitiert die konkrete Gefahr auf die Gefahr des Todes oder die einer schweren Gesundheitsschädigung888. Von dieser Konzeption ist Küper allerdings in der sechsten Auflage seines Lehrbuchs teilweise abgewichen: Hinsichtlich der ersten Tatvariante bleibt Küper weitestgehend bei seinem bisherigen Verständnis, wonach die Gefährdungsklausel den Taterfolg beschreibt und die hilflose Lage einen eigenen Merkmalkomplex bildet889. Bei der zweiten Tatvariante hat er jedoch eine grundlegende Wendung vollzogen890: Er setzt die hilflose Lage in dieser Tatalternative nicht mehr grundsätzlich mit der Gefahr gleich, sondern will der hilflosen Lage im Rahmen des Imstichlassens je nach dem Inhalt der Garantenpflicht einen unterschiedlichen Bedeutungsgehalt beimessen. Richte sich die Garantenpflicht darauf, erst die entstandene Gefahr abzuwenden, so enthalte die hilflose Lage neben der Hilfsbedürftigkeit auch die Gefahrenlage; die Gefährdungsklausel umschreibe dann – wie Küper auch bisher meinte – nur noch das Erfordernis des Eintritts des konkreten Gefahrenerfolgs. Sei die Garantenpflicht aber darauf ausgerichtet, schon in einer nur latent bedrohlichen Situation für den Fall später auftretender Gefahr eine Hilfeleistung zu garantieren und von vorneherein die Entstehung einer Gefahr abzuwenden oder auszuschließen, sei die hilflose Lage dann gegeben, wenn der Garant dem Schützling diese Hilfsbereitschaft versage und es dem Zufall überlasse, ob und wann eine Gefahr eintritt. In der Sache weicht dieses Verständnis der hilflosen Lage in § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB immer noch ein wenig von dem in § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB vertretenen ab. Insofern findet sich bei Küper weiterhin kein einheitliches Verständnis von beiden Tatvarianten des Grundtatbestandes. 886 5

Küper, ZStW 111 [1999], 52 f. [Hervorhebungen im Original]; so auch ders., BT , S. 201. 887 Küper, ZStW 111 [1999], 54; ders., BT5, S. 201; in diese Richtung wohl auch LK-StGB12-Weigend [03/2007], § 13 Rn. 62. 888 Küper, ZStW 111 [1999], 54. 889 Küper, BT6, S. 35, 37 f. Neu zur ersten Tatvariante ist allerdings die Einschätzung Küpers, die Aussetzung sei in der ersten Tatvariante kein allgemeines Gefährdungsdelikt; Küper, BT6, S. 38; anders noch ders., ZStW 111 [1999], 49. 890 Zum Folgenden Küper, BT6, S. 209.

D. Das situationsbezogene Tatbestandsmerkmal der hilflosen Lage

259

Dem Küperschen Ansatz einer unterschiedlichen Auslegung der hilflosen Lage in Abhängigkeit von der Tathandlung folgen im Grundsatz auch Hardtung und Ebel. Hardtung führt aus891: Eine hilflose Lage verlange, dass das Opfer bestimmten Gefahren gegenüber ohne Hilfe, also hilfsbedürftig sei. Diese Lage sei damit weniger als eine Gefahr; man könne von einer potenziellen oder hypothetischen Gefahr sprechen. Die Notwendigkeit der Unterscheidung von Gefahr und hilfloser Lage ergebe sich schon durch die deutliche Trennung beider Merkmale im 6. StrRG durch den Gesetzgeber. Bei der Bestimmung der Hilfsbedürftigkeit des Opfers will Hardtung aber auch mögliche Hilfen durch Sachen, Tiere oder andere Menschen in Betracht ziehen. Insoweit sei – jedenfalls bei § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB – eine Lage für eine Person auch dann nicht hilflos, wenn ein hilfswilliger und hilfsfähiger Mensch dem Opfer zur Seite stehe; ein solcher Mensch könne auch derjenige sein, der das Opfer in diese Lage gebracht hat, also der Täter892. Im Gegensatz hierzu sei in § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB der Täter bei der Bestimmung der hilflosen Lage nicht einzubeziehen, sogar dann nicht, wenn er zunächst hilfswillig und -fähig war, weil er andernfalls das Opfer niemals in einer hilflosen Lage verlassen könnte, sondern immer ein Versetzen vorläge893. Abweichend von Küper betont Hardtung, eine Gefahr sei als Entstehungsvoraussetzung der konkreten Hilfspflicht beim Imstichlassen nicht zu fordern, weil dies den Begriff der hilflosen Lage verenge und im Übrigen die Hilfspflicht durchaus früheres Eingreifen gebieten könne894. Ganz ähnlich sieht dies Ebel895. Seine Herleitung beruht dabei auf der Prämisse, die alten Definitionen von hilfloser Lage und hilfloser Person könnten heute nicht weiterhelfen: Einerseits dürfe man die hilflose Lage n. F. nicht als Hilfsbedürftigkeit i. S. der a. F. der Norm interpretieren, da andernfalls das alte Tatbestandsmerkmal der hilflosen Person wieder eingeführt würde896. Andererseits könne die hilflose Lage inhaltlich nicht dasselbe wie die Gefahr bedeuten, da der Gesetzgeber grundsätzlich alle Gefährdungsdelikte zweiaktig gestalte und ansonsten die §§ 315 a–c StGB aufgrund des Strafrahmens Privilegierungen der Aussetzung sein müssten897. Im Übrigen hätte der Ausdruck „dadurch“ bei der Gleichsetzung von hilfloser Lage und Gefahr keinen zeitlichen Bezug und es entstünde durch 891 892 893 894 895 896 897

Zum Folgenden: MüKo-StGB-Hardtung, § 221 Rn. 5–7. MüKo-StGB-Hardtung, § 221 Rn. 6. MüKo-StGB-Hardtung, § 221 Rn. 16. MüKo-StGB-Hardtung, § 221 Rn. 16 Fn. 46. Ebel, NStZ 2002, 404 ff. Ebel, NStZ 2002, 405. Ebel, NStZ 2002, 404 f.

260 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

das dann zweifach vorhandene Tatbestandsmerkmal ein „logische(s) Nullsummenspiel“898. Ebel versteht daher unter der hilflosen Lage im Prinzip die individuelle Hilfsbedürftigkeit des Opfers, wobei die Hilfe durch Dritte oder auch den Täter – falls dieser sich zur Hilfeleistung durchringt – eine hilflose Lage ausschließen könne899. Dritte Personen als Helfer seien im Rahmen der Bestimmung der hilflosen Lage zu berücksichtigen, da Personen, denen geholfen wird, nicht als in hilfloser Lage befindlich bezeichnet werden könnten900. Ebel gelangt aber zu einem unterschiedlichen Verständnis der hilflosen Lage in den beiden Tatvarianten, indem er den Täter als Hilfs- und damit als Ausschlussmöglichkeit für die hilflose Lage des Opfers nur beim Versetzen berücksichtigen will; beim Imstichlassen hingegen sei der TäterGarant außer Betracht zu lassen901. Die Fälle der Umkehr des Hilfswillens des Täters wären ansonsten bei ständiger Einbeziehung des Täters in die Betrachtung stets solche des Versetzens, nach dem Schutzzweck der Norm seien diese aber Fälle des Imstichlassens. Insoweit liege hier eine Ausnahme von der Regel vor, dass derjenige, der von Dritten Hilfe erwarten dürfe, sich nicht in einer hilflosen Lage befinde. Aufgrund des zeitlichen Verhältnisses von hilfloser Lage und Gefahr ist auch für Ebel die hilflose Lage ein Zustand im Vorfeld einer Gefahr902. Keine hilflose Lagen i. S. v. § 221 Abs. 1 StGB sind für ihn damit Augenblicksgefahren, d.h. Fälle, in denen die Gefahr vor der Verletzung nur das Stadium der logischen Sekunde durchläuft903. Nicht hinreichend für eine hilflose Lage sei es auch, wenn das Opfer nur aufgrund seiner Unfähigkeit, die Situation richtig einzuschätzen – Ebel bezeichnet diesen Zustand als ahnungslos –, sich nicht helfen könne. Diese Bewertung ergebe sich aus einer Parallele zu § 243 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 StGB904.

III. Zwischenergebnis zur hilflosen Lage Das zum Tatbestandsmerkmal der hilflosen Lage vertretene Meinungsspektrum ist vielgestaltig und differenziert. Mindestanforderung bei allen Ansichten, die heute zur hilflosen Lage vertreten werden, ist, dass für die 898 899 900 901 902 903 904

Ebel, NStZ 2002, 405. Ebel, NStZ 2002, 406, 408. Ebel, NStZ 2002, 408. Zum Folgenden Ebel, NStZ 2002, 408. Ebel, NStZ 2002, 406 spricht von „drohende(r) Gefahr“. Ebel, NStZ 2002, 407 f. Ebel, NStZ 2002, 407.

D. Das situationsbezogene Tatbestandsmerkmal der hilflosen Lage

261

Person in der hilflosen Lage eine Situation der individuellen Hilfsbedürftigkeit besteht und dass sie sich aus eigenen Kräften nicht zu helfen vermag. Ob die individuelle Hilfsbedürftigkeit des Opfers für das Vorliegen einer hilflosen Lage ausreicht oder ob weitere darüber hinausgehende Anforderungen zu stellen sind, wird höchst unterschiedlich beurteilt.

IV. Eigene Auffassung zur hilflosen Lage Die Darstellung des eigenen Verständnisses der hilflosen Lage wird in zwei Schritten erfolgen: Im ersten Schritt werden diejenigen Auslegungskonzepte gewürdigt, die an das Verständnis der hilflosen Lage a. F. oder der hilflosen Person a. F. anknüpfen. Dabei wird herausgearbeitet, inwieweit diese Deutungen zu Problemen oder Unstimmigkeiten bei der Aussetzungsnorm n. F. bzw. innerhalb des StGB führen. In einem zweiten Schritt wird dann – ausgehend von den in der Kritik gewonnenen Ergebnissen – dargelegt, wie man die hilflose Lage und damit die Aussetzung verstehen und auslegen kann, ohne dass Unstimmigkeiten und Systembrüche entstehen. 1. Kritik der an die a. F. anknüpfenden Auslegungskonzepte Sowohl die Gleichsetzung der hilflosen Lage in der n. F. mit diesem Tatbestandsmerkmal der a. F. (= verstanden als konkrete Gefahr) als auch das Verständnis der hilflosen Lage n. F. als lediglich individuelle Hilfsbedürftigkeit des Opfers (= Verständnis entsprechend der hilflosen Person a. F.) begegnen grundsätzlichen Bedenken. a) Die Gleichsetzung von hilfloser Lage n. F. und Gefahr aa) Folge dieser Auslegung: Einführung eines allgemeinen Gefährdungsdelikts Die Gleichsetzung der hilflosen Lage n. F. mit dem Tatbestandsmerkmal der Gefahr macht § 221 Abs. 1 StGB zu einem allgemeinen Gefährdungsdelikt, wie schon ausführlich dargestellt wurde905. Das hat der Gesetzgeber nicht gewollt und das lehnt auch die Wissenschaft mehrheitlich ab, weil ein solches Delikt im StGB ein Fremdkörper wäre und sich in die Systematik des StGB nicht ohne wesentliche Brüche und Unstimmigkeiten integrieren ließe. 905

Vgl. oben 4. Teil: D. I. 1.

262 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

bb) Historische Belege Auch aus den Niederschriften über die Sitzungen der Großen Strafrechtskommission, die der Vorbereitung des E 1960 und E 1962 dienten, ergibt sich ein recht deutlicher Hinweis darauf, dass die hilflose Lage nicht als Gefahr verstanden werden sollte: Zu Beginn der Beratungen existierten zwei alternative Textfassungen für die Aussetzung, bezeichnet als § 325. Die Kommission entschied sich im Hinblick auf den Taterfolg letztlich für die zweite, die inhaltlich sehr nah bei der heutigen Fassung der Aussetzung ist906. Allerdings wich die Beschlussempfehlung der Sachbearbeiter des BMJ von dieser zweiten Alternative des § 325 leicht ab: Nach ihrem § 324907 lag die Gefahr bei Ausführung der Tathandlung Imstichlassen schon vor, während sie beim Versetzen als Taterfolg das Ergebnis der Tathandlung war. Genau dies war auch gewollt, wie man aus den Niederschriften folgern kann908: „Die Gliederung des Tatbestandes in den Absätzen 1 und 2 unterscheidet sich von der Gliederung in § 325 dadurch, daß jene nach den Fällen des Versetzens in hilflose Lage und des Imstichlassens, diese hingegen unter dem Gesichtspunkt der geschaffenen oder schon bestehenden Lebensgefahr vorgenommen wird.“ Aus dem sprachlichen Kontext und dem Gesamtzusammenhang der Ausführungen ergibt sich, dass sich das „jene“ auf die a. F. der Aussetzung in § 325 bezieht, das „diese“ auf § 324, den Vorschlag der Sachbearbeiter des BMJ. Diese Einordnung bestätigt auch ein Blick auf die Fassung des Wortlautes. So heißt es in § 325 – 2. Alternative (I) Wer einen anderen in eine hilflose Lage bringt und dadurch sein Leben gefährdet, wird mit Gefängnis bis zu fünf Jahren bestraft. (II) Ebenso wird bestraft, wer einen Hilflosen, der unter seiner Obhut steht, im Stiche läßt und dadurch sein Leben gefährdet. (III) . . .,

hingegen im Vorschlag der Sachbearbeiter des BMJ § 324 Aussetzung (I) Wer einen anderen in eine hilflose Lage versetzt und dadurch sein Leben gefährdet, wird mit Gefängnis bis zu fünf Jahren bestraft. (II) Ebenso wird bestraft, wer einen anderen in einer hilflosen Lage, die sein Leben gefährdet, im Stiche läßt, obwohl er ihn in seiner Obhut hat oder ihm, unabhängig von § 304, beizustehen verpflichtet ist. (III) . . . 906

Ndschr. Bd. 5 [1958], Anhang B, S. 298. Vgl. hierzu schon oben 3. Teil: B. II. 1. inbesondere die Darstellung auf S. 71 und dort die Nachweise in Fn. 186. 907 Vgl. Ndschr. Bd. 7 [1959], Anhang J 68, S. 331. 908 Ndschr. Bd. 7 [1959], Anhang J 68, S. 338 [Hervorhebungen vom Verfasser].

D. Das situationsbezogene Tatbestandsmerkmal der hilflosen Lage

263

Hier wird deutlich, dass die Unterscheidung in § 325 nach dem Vorliegen bzw. Nichtvorliegen der hilflosen Lage, in § 324 nach dem Bestehen bzw. Nichtbestehen der Gefahr erfolgen sollte. Letztlich gewählt wurde sowohl von der Großen Strafrechtskommission909 als auch von den Verfassern des E 1960 und E 1962910 aber eine Formulierung, die sich an die 2. Alternative des § 325 anlehnte und die der heutigen Fassung des Tatbestandes entspricht – abgesehen von der Trennung der zwei Tathandlungen nach Absätzen und einer leicht abweichenden Fassung der Gefährdungsklausel911: § 145 Aussetzung (I) Wer einen anderen in eine hilflose Lage versetzt und dadurch sein Leben gefährdet, wird mit Gefängnis bis zu fünf Jahren bestraft. (II) Ebenso wird bestraft, wer einen anderen in einer hilflosen Lage im Stiche läßt und dadurch sein Leben gefährdet, obwohl er ihn in seiner Obhut hat oder ihm, unabhängig von § 238, beizustehen verpflichtet ist. (III) . . .

Da jedoch in der ursprünglichen 2. Alternative des § 325 der Schwerpunkt auf der Unterscheidung Versetzen in hilflose Lage bzw. Imstichlassen in hilfloser Lage lag und nicht auf das Vorliegen oder Nichtvorliegen einer Gefahr abgestellt werden sollte, gilt dies ebenso für § 145 E 1960 bzw. § 139 E 1962. Ist aber der Unterschied zwischen den beiden Tathandlungen nicht das Vorliegen oder Nichtvorliegen einer Gefahr, sondern das Versetzen in hilflose Lage bzw. Imstichlassen in hilfloser Lage, darf die hilflose Lage nicht mit der Gefahr gleichgesetzt werden, weil diese Gleichsetzung im Ergebnis die Unterscheidung nach Vorliegen oder Nichtvorliegen der Gefahr bedeuten und den Erläuterungen in den Niederschriften zuwiderlaufen würde. Die von der Kommission nicht gewählte Fassung des Tatbestandes hätte zwar nur bei der zweiten Tathandlung das Bestehen einer Gefahr verlangt; die gewählte Fassung sollte aber auch dies nicht erfordern. Damit sollte bei beiden Tatalternativen eine Lebensgefahr nicht Voraussetzung des Tatbestandes sein. Dem würde die Deutung der hilflosen Lage als Gefahr zuwiderlaufen. Über diesen Anhaltspunkt hinaus gibt es weitere Hinweise, die gegen ein Verständnis der hilflosen Lage als Gefahr sprechen: Man ging bei den Beratungen der Kommission davon aus, der Taterfolg beider Tathandlungen – damit auch der zweiten Tatvariante der Aussetzung – solle im Schaffen 909 Zur 1. Lesung: Ndschr. Bd. 7 [1959], Anhang U 53, S. 350, und Anhang K 53, S. 351. 910 E 1960, S. 35; E 1962, S. 35. 911 Große Strafrechtskommission – 2. Lesung 1959; Ndschr. Bd. 12 [1959], Anhang B, S. 593.

264 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

oder zumindest Vergrößern einer Gefahr zu sehen sein912. Damit war – jedenfalls im Fall des Schaffens einer Gefahr durch ein Versetzen oder Imstichlassen913 – die Gefahr nicht Ausgangssituation der Tat; sie musste gerade nicht schon bei Ausführung der Tathandlung vorliegen, sondern konnte vielmehr nur später entstehen. Mithin war man sich in der Kommission letztlich einig, dass der Taterfolg der Aussetzung im Eintritt einer (damals nur Lebens-)Gefahr bestehen sollte. Die Betonung muss hier auf dem Taterfolg i. S. der Gefährdungsklausel liegen, womit ersichtlich wird, dass die hilflose Lage eben nicht den tatbestandlichen Erfolg umschrieb und somit keine Gefahr darstellen sollte und konnte. Darüber hinaus würde durch eine Gleichsetzung von hilfloser Lage und Gefahr wegen der Gefährdungsklausel eine Doppelung des Merkmals Gefahr in der Aussetzungsnorm entstehen914. Dem Gesetzgeber ein dermaßen fehlerhaftes Verständnis eines Tatbestandes zu unterstellen, erscheint – ohne Anhaltspunkt in der amtlichen Begründung – nicht legitim915. cc) Gleichsetzung von hilfloser Lage n. F. und Gefahr als Voraussetzung für das Entstehen der Garantenpflicht Küper meint, dass beim Imstichlassen die hilflose Lage als Gefahr verstanden werden muss, um die Garantenstellung des Täters in eine Handlungsverpflichtung (die Garantenpflicht) umzuwandeln916. Wenn sich diese 912 Ndschr. Bd. 5 [1958], Anhang B, S. 298.; so explizit Ndschr. Bd. 7 [1959], Anhang J 68, S. 338; vgl. auch Küper, ZStW 111 [1999], 36; Laue, S. 15, und die Darstellung oben im 3. Teil: B. II. 1. auf S. 70 f. 913 Der Fall des Vergrößerns einer Gefahr stellt auch heute noch ein grundlegendes Problem dar, das sich kaum in die Dogmatik des Tatbestandes einfügen lässt; ausführlich hierzu später unter 4. Teil: G. III. 914 Dies ablehnend auch DSNS-Struensee, 2. Teil Rn. 28; Küper, ZStW 111 [1999], 47; Ebel, NStZ 2002, 405; Laue, S. 78, 101; Lucks, S. 84. Anders aber zur a. F. Radbruch, VD BT V, S. 196 [vgl. zu der Frage eines Pleonasmus im Tatbestand der Aussetzung schon oben im 4. Teil: D. II. 1. a) am Ende des Abschnittes], der in den Tatbestandsmerkmalen der hilflosen Lage und der hilflosen Person einen Pleonasmus erblickte. Diese Einschätzung Radbruchs wurde jedoch schon früher mehrheitlich abgelehnt, weil andernfalls ein überflüssiges Tatbestandsmerkmal im Grundtatbestand der Aussetzung bestanden hätte. Dies vertreten Oppenhoff, RStGB6, § 221 Anm. 7; Henning, S. 10 f.; H. Weber, S. 45 f.; Warmuth, S. 28, 42 f.; Usinger, S. 13; Teufel, S. 15; Hall, SchwZStR 46 [1932], 330 f.; Urban, S. 22; LK-StGB10-Jähnke [04/1981], § 221 Rn. 12; Feloutzis, S. 107 Fn. 108, S. 120 f.; Küper, Jura 1994, 516; darstellend S. Heinrich, S. 144, S. 148 f. 915 In diese Richtung auch Ebel, NStZ 2002, 405; Laue, S. 78, 101; Lucks, S. 83 ff.; a. A. Kosloh, S. 60, die von einer „Doppelung“ der Tatbestandsmerkmale ausgeht. 916 Vgl. oben 4. Teil: D. II. 4.

D. Das situationsbezogene Tatbestandsmerkmal der hilflosen Lage

265

Ansicht Küpers als zutreffend erweist, so spricht dies für die Gleichsetzung von hilfloser Lage und Gefahr. Seine Festlegung trifft freilich nicht auf alle Garanten zu, sondern nur auf die Ingerenzgaranten, womit Küper aber lediglich einen Teil innerhalb der sog. Überwachungsgaranten erfasst917. Die Garantenstellung aus Ingerenz beruht auf dem Gedanken, dass derjenige für eine Gefahr bzw. eine Gefahrenquelle, die er selbst geschaffen hat, verantwortlich ist und damit verpflichtet ist zu verhindern, dass durch diese Gefahrenquelle andere Personen bzw. andere Rechtsgüter beeinträchtigt werden. Es muss also schon eine Gefahr existieren, damit die Ingerenzgarantenstellung zu einer Handlungsverpflichtung führt918. Bei anderen Garantenstellungen, insbesondere denen kraft natürlicher Verbundenheit, Gesetz oder tatsächlicher Übernahme einer Beschützerstellung, sieht es anders aus. Hier ist eine Gefahr nicht unbedingt für die Entstehung der aus der Garantenstellung resultierenden Garantenpflicht erforderlich, sprich für die „Aktualisierung“ dieser Stellung und die Pflicht des Garanten einzuschreiten919. Ansonsten dürften – übertragen auf die Aussetzung – diese Garanten das Eintreten einer Gefahr abwarten und wären erst nach deren Eintritt zum Handeln verpflichtet; ein Ergebnis, das dem effektiven Schutz der Rechtsgüter des betroffenen Opfers deutlich zuwiderläuft920. Die Garanten, deren Verpflichtung nicht auf Ingerenz beruht, müs917

Vgl. die Nachweise im 4. Teil: A. II. in Fn. 25. Vgl. oben die Darstellung unter 4. Teil: C. II. 5. g) bb) und die Nachweise dort in Fn. 638. 919 Jasch, NStZ 2005, 9; so auch Roxin, AT II, § 32 Rn. 66 ff. im Rahmen der Garantenstellung kraft Übernahme einer Schutzfunktion. Äußerste Grenze der „Aktualisierung“ der Garantenstellung dürfte gleichwohl der Versuchsbeginn sein. Wann der Eintritt in das Versuchsstadium und damit das unmittelbare Ansetzen i. S. v. § 22 StGB beim unechten Unterlassungsdelikt anzunehmen ist, wird kontrovers diskutiert und kann hier keiner Lösung zugeführt werden. Zur überwiegenden Ansicht zum unmittelbaren Ansetzen vgl. nur Kühl, AT5, § 18 Rn. 148 f.; Roxin, AT II, § 29 Rn. 286 f.; Wessels/Beulke, AT37, Rn. 741 f. Nach Welzel, StR11, S. 221, ist hingegen der Zeitpunkt der letztmöglichen Hilfeleistung entscheidend, während Tröndle/Fischer, StGB54, § 22 Rn. 33, und im Ergebnis auch BGHSt 40, 257 [270 f.], den erstmöglichen Zeitpunkt zugrundelegen. Zahlreiche Nachweise bei Hillenkamp, AT12, S. 84 ff. 920 Ebenso Lucks, S. 123. Um sich das Problem der Auslegung von Küper an einem Beispiel zu verdeutlichen, folgender Fall: Ein Vater findet auf einer Wanderung im Gebirge zufällig seinen minderjährigen Sohn, der sich verbotenerweise allein auf eine für ihn zu anspruchsvolle Wanderung gemacht hat und nach einem Sturz mit gebrochenem Bein in einsamem Gelände liegt. Der Sohn ist noch nicht in einer Gefahr für Leib oder Leben, aber er kann sich selber nicht aus dieser Situation befreien. Der Vater lässt seinen Sohn liegen, weil er weiß, dass der Sohn am nächsten Tag gefunden werden wird und in der Nacht keine weitere Gefahr droht. Nach 918

266 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

sen also gegebenenfalls schon handeln, wenn sich die Gefahr für das von ihnen zu schützende bzw. von ihnen zu überwachende Rechtsgut noch nicht als akut, sondern nur als „latent“ darstellt921. Ein anderes Ergebnis liefe dem Verständnis vieler Garantenstellungen als Sicherungs- und Schutzaufgabe gegenüber bestimmten Gefahren oder für bestimmte Rechtsgüter zuwider922. Küpers Auslegung der hilflosen Lage beim Imstichlassen, die im Übrigen wenn überhaupt nur für die Gruppe der Ingerenzgaranten möglich ist, widerspricht außerdem dem Willen des Gesetzgebers, der in der amtlichen Begründung klargestellt hat, dass grundsätzlich alle Garanten i. S. von § 13 StGB unter die Obhuts- oder Beistandspflicht in § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB fallen können923. Im Übrigen führt die Ansicht Küpers, dass der Garant erst bei Eintritt der Gefahr hilfspflichtig wird, bei der Aussetzung zu einer weiteren Unstimmigkeit: Würde erst die Gefahr dem Garanten ein Eingreifen und Handeln gebieten, wäre der tatbestandliche Erfolg von § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB schon eingetreten. Ist der Taterfolg der Gefahr aber schon gegeben, kann grundsätzlich § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB nicht mehr verwirklicht werden924. Also darf nicht erst der Taterfolg der Gefahr die Pflicht des Garanten zum Handeln auslösen, sondern dies muss schon durch das Vorliegen der hilflosen Lage geschehen, die dann aber nicht bereits eine Gefahr sein darf925.

allen Ansichten würde eine Strafbarkeit aus § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB letztlich daran scheitern, dass es nicht zum Taterfolg der Gefahr gekommen ist. Nach dem Verständnis von Küper müsste man aber sogar das Vorliegen einer hilflosen Lage i. S. v. § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB verneinen. Darüber hinaus wäre nach Küper mangels Vorliegen einer Gefahr noch nicht einmal die Garantenstellung des Vaters aus § 1626 Abs. 1 BGB „aktuell“, weil hierfür das Vorliegen einer Gefahr nötig wäre. 921 So Jasch, NStZ 2005, 9; ähnlich SK-StGB7-Rudolphi [09/2000], § 13 Rn. 24, 46 [Schutz vor „drohenden Gefahren“]; vgl. auch Lackner/Kühl, StGB26, § 13 Rn. 11 [für die Garantenstellung aus Ingerenz sei eine „nahe Gefahr des Erfolgseintritts“ erforderlich]; ähnlich Gropp, AT3, § 11 Rn. 33 [eine „erhöhte Gefahr“]. 922 Jasch, NStZ 2005, 9; in diese Richtung auch Lucks, S. 123. Hierzu allgemein SK-StGB7-Rudolphi [09/2000], § 13 Rn. 52, 58 ff.; Kindhäuser, LPK3, § 13 Rn. 35; Tröndle/Fischer, StGB54, § 13 Rn. 5a/b. 923 Vgl. oben im 4. Teil: A. 924 Mögliche Ausnahme wäre es auch hier, wenn ein Steigern einer Gefahr tatbestandsmäßig i. S. v. § 221 Abs. 1 StGB wäre; siehe hierzu die Ausführungen und den Verweis im 4. Teil: D. IV. 1. a) bb) in Fn. 913. 925 So auch Rengier, BT II8, § 10 Rn. 14; Wessels/Hettinger, BT I31, Rn. 203; ähnlich Kindhäuser, LPK3, § 221 Rn. 13, der davon ausgeht, § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB gehe sogar über die Haftung des § 13 StGB hinaus.

D. Das situationsbezogene Tatbestandsmerkmal der hilflosen Lage

267

dd) Zwischenergebnis Systematik des StGB und die Belege aus den Materialien der Großen Strafrechtskommission sprechen gegen die Gleichsetzung der hilflosen Lage n. F. mit dem Verständnis der hilflosen Lage a. F. (= Gefahr). Auch die Entstehungsvoraussetzungen einer Garantenstellung drängen nicht zu dieser Gleichsetzung. Für das Vorliegen einer hilflosen Lage muss „weniger“ genügen als für das Vorliegen einer konkreten Gefahr. b) Gleichsetzung von hilfloser Lage n. F. und hilfloser Person a. F. Mithin wäre nun zu klären, ob das Verständnis der hilflosen Lage als hilflose Person i. S. der a. F. überzeugen kann oder ob auch diese Idee grundlegenden Einwänden ausgesetzt ist. aa) Wortsinn der hilflosen Lage n. F. und die Auslegung der hilflosen Person a. F. Zuerst kann möglicherweise der Wortsinn der hilflosen Lage dagegen ins Feld geführt werden, diese entsprechend der hilflosen Person a. F. zu verstehen. Die Bezeichnung „hilflose Person“ wurde schon von den Interpreten der a. F. als nicht ganz zutreffend eingestuft. „Hilfsbedürftigkeit“ oder „hilfsbedürftige Person“ schienen treffendere Bezeichnungen zu sein. Diese Umdeutung wurde vorgenommen, weil man damals mit der hilflosen Lage und der hilflosen Person zwar zwei ähnlich lautende Begriffspaare hatte, aber unterschiedliche Bedeutungen mit ihnen verbinden wollte926. Würde man nun die hilflose Lage n. F. wie die hilflose Person a. F. verstehen, ginge man über die historische Absicht, mit beiden Begriffskomplexen unterschiedliche Bedeutungen zu verbinden, hinweg927. Das muss allerdings nicht unbedingt gegen die Gleichsetzung der Begriffe in der n. F. sprechen, weil sich durch die Neufassung der Norm Auslegung und Verständnis der hilflosen Lage geändert haben könnten. Die Feststellung Jähnkes928, wonach „eine Lage . . . streng genommen gar nicht hilflos sein (kann), sondern nur die darin befindliche Person“, scheint 926

Vgl. die Darstellung oben im 4. Teil: D. II. 2. a) [Nachweise insbesondere dort in Fn. 787]. 927 Lucks, S. 99, bezeichnet dementsprechend das Andenken eines solchen Vorgehens als „kurios“. 928 LK-StGB11-Jähnke [07/1999], § 221 Rn. 18; zustimmend Schönke/SchröderStGB27-Eser, § 221 Rn. 9; ähnlich Lucks, S. 111.

268 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

die Gleichstellung der beiden Begriffe zu ermöglichen929, denn in der Umgangssprache nennt man eine Person, die in eine „hilflose Lage“ geraten ist, hilflos oder hilfsbedürftig. Allerdings hilft dies bei der Frage, ob die hilflose Lage n. F. der hilflosen Person a. F. entspricht, kaum weiter, weil in der a. F. die hilflose Person eben keine Person in einer bestimmten Situation war, sondern eben (nur) eine Person mit mangelnden eigenen Fähigkeiten zur Selbsthilfe. Jähnke hingegen legt seiner Feststellung zum Inhalt der hilflosen Person nicht diesen spezifischen Sinn der a. F., sondern einen allgemeineren zugrunde. Anders gesagt: Er versteht die hilflose Person als (umgangssprachlich) hilflose Person und nicht als hilflose Person i. S. der Definition zu § 221 StGB a. F.930. Nach dem Verständnis der a. F. war Hilfe durch andere Personen bei der Einstufung einer Person als hilflos nicht zu beachten. Eine derartige Hilfe verhinderte nur das Entstehen oder beendete das Vorliegen einer hilflosen Lage931. Würde man das Verständnis der hilflosen Person a. F. als Bedeutung der hilflosen Lage n. F. übernehmen, würde dies bedeuten, dass Personen wie z. B. Schwerkranke, Pflegebedürftige oder Kleinkinder – mit anderen Worten Menschen, die aufgrund ihrer körperlichen Gesamtkonstitution immer hilfsbedürftig sind – sich auch immer in hilfloser Lage befänden, unabhängig davon, ob ihnen gerade durch eine Person – z. B. Pfleger, Krankenschwester, Eltern – Hilfe zuteil wird. Diese Menschen sind nach dem Sprachgebrauch durchaus – wenn auch nicht grundsätzlich und immer932 – hilfsbedürftig, aber das Sprachgefühl sträubt sich dagegen, sie als in hilfloser Lage befindlich zu bezeichnen, solange ein Helfer bei ihnen ist und die erforderliche Hilfe gewährt933. Unter hilflos versteht man nach dem Sprachgebrauch934 a) auf Hilfe angewiesen sein (ohne sie zu erhalten), b) unbeholfen, ungeschickt 929 Daher geht auch Lucks, S. 102, davon aus, dass die „Interpretation der hilflosen Lage als Hilfsbedürftigkeit des Opfers jedenfalls nicht die Wortlautgrenze [erg.: überschreitet] und . . . daher grundsätzlich zulässig [erg.: ist].“ 930 Dies erkennt Jähnke im Übrigen selber, wenn er, in: LK-StGB11-Jähnke [07/1999], § 221 Rn. 18, feststellt: „Hilflosigkeit läßt sich nicht als allgemeine Hilfsbedürftigkeit, als Unfähigkeit, sich vor potentiellen Gefahren zu bewahren, verstehen“. 931 Vgl. die Darstellung im 4. Teil: D. II. 1. a) und im 4. Teil: D. II. 2. a) [Nachweise ebenda u. a. in Fn. 772, 788]. 932 Hierzu Roxin, AT II, § 32 Rn. 28. 933 So auch Laue, S. 114; Lucks, S. 100, 177; NK-StGB2-Neumann, § 221 Rn. 8; Pfleiderer/Schubert, MedR 2005, 594. 934 Duden [3. Aufl., siehe 4. Teil: C. I. 5. a) Fn. 203], Bd. 4, S. 1795; ebenso schon Duden [2. Aufl., siehe 4. Teil: C. I. 5. a) Fn. 203] Bd. 4, S. 1576.

D. Das situationsbezogene Tatbestandsmerkmal der hilflosen Lage

269

oder auch935 1. ohne Hilfe, 2. ratlos, schutzlos. Hilfsbedürftigkeit hat die Bedeutungen936 a) schwach und auf Hilfe angewiesen, b) auf materielle Hilfe angewiesen, Not leidend oder auch937 hilfsbedürftiger Zustand, Not. Hilflos ist dem Sprachgebrauch nach also derjenige, der sich nicht helfen kann und dem auch nicht geholfen wird938. Der individuelle Zustand einer Person ist daher nicht hilflos, sondern wird eher mit dem Begriff hilfsbedürftig umschrieben, der nichts über den Erhalt von Hilfe aussagt939. Das Außerachtlassen von tatsächlich geleisteter Hilfe bei der Bestimmung der hilflosen Lage und das damit einhergehende Verständnis der hilflosen Person a. F. ist daher mit dem Sprachgebrauch einer hilflosen Lage kaum vereinbar. Insgesamt bietet der Wortlaut also nur wenige Anhaltspunkte gegen das Verständnis der hilflosen Lage n. F. als hilflose Person a. F., viel zu Gunsten dieser Deutung lässt sich ihm aber auch nicht entnehmen. bb) Systematische Aspekte bei Gleichsetzung der Begriffe hilflose Lage n. F. und hilflose Person a. F. (1) Auswirkungen auf das Verständnis des Tatbestandes n. F. Definiert man die hilflose Lage in der n. F. nur als individuelle Hilfsbedürftigkeit – entsprechend der alten Definition zur hilflosen Person –, so sind alle Opfer der a. F. stets und allein wegen ihrer individuellen Hilfsbedürftigkeit in einer hilflosen Lage, weil sie aufgrund ihrer nicht hinreichenden individuellen Fähigkeiten eben hilfsbedürftig sind. Ist diese Personengruppe aber stets in einer hilflosen Lage, kann damit auf sie nur noch 935 Wahrig [8. Aufl., siehe 4. Teil: C. I. 5. a) Fn. 204], S. 715; ebenso schon Wahrig [6. Aufl., siehe 4. Teil: C. I. 5. a) Fn. 204] S. 636. 936 Fundstelle wie soeben in Fn. 934. 937 Fundstelle wie soeben in Fn. 935. 938 Zum Wortsinn der Worte „hilflos“ und „Lage“ sogleich ausführlich unter 4. Teil: D. IV. 2. a). 939 Anders aber Lucks, S. 98, die meint, die „umgangssprachliche“ Bedeutung des Wortes „hilflos“ gehe weiter.

270 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

§ 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB Anwendung finden, da – nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut der Aussetzung – beim Versetzen noch keine hilflose Lage seitens des Opfers gegeben ist, diese Lage aber beim Imstichlassen die Ausgangssituation darstellt940. Damit würden alle Fälle der Aussetzung a. F. in die heutige zweite Tatvariante abwandern. Die Opfer a. F. könnten nicht mehr versetzt, sondern nur noch im Stich gelassen werden, was vom Gesetzgeber so sicher nicht gewollt941 war und auch seltsam anmuten würde942. Allerdings wäre diese Folgerung für sich allein nicht allzu bedenklich, da sich nach überwiegender Meinung dem Versetzen immer ein Imstichlassen anschließt943. Der Täter würde nicht schon für das Versetzen einer Person, die hilfsbedürftig ist, bestraft, sondern erst für das sich dem Versetzen anschließende Imstichlassen – falls eine Garantenstellung i. S. v. § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB besteht. Wo diese fehlt, müsste man eine Strafbarkeitslücke in Kauf nehmen. Anders sieht es aber auf der Seite des individuell hilfsbedürftigen Opfers (verstanden als hilflose Person i. S. der a. F.) aus: Dieses könnte – bei Zugrundelegen der Gleichsetzung der hilflosen Lage n. F. mit der hilflosen Person a. F. – nur von einem Garanten im Stich gelassen werden, weil es sich schon allein aufgrund seiner körperlichen Konstitution immer in hilfloser Lage befände. Würde dann aber ein Nichtgarant gegenüber dem Opfer eine erste Verhaltensweise vornehmen, die für sich geeignet wäre, eine hilflose Lage herbeizuführen, so könnte dieser Garant nicht für diese erste Verhaltensweise belangt werden, weil sich das Opfer ja per definitionem schon in hilfloser Lage befände und daher nur Garanten gegenüber den besagten Personen eine Aussetzung begehen könnten. Damit wäre der Vorwurf der Strafbarkeit nicht schon an die erste Verhaltensweise des Nichtgaranten anzuknüpfen – diese würde vielmehr zunächst eine Garantenstellung aus Ingerenz des Täters begründen –, sondern allein an das nachfolgende Nichtnutzen einer Hilfsmöglichkeit. Damit könnte auch erst gegen diese (zweite) Verhaltensweise mit Notrechten seitens des Opfers oder durch helfende Dritte eingeschritten werden. Ein vorheriges Einschreiten wäre wegen des Erfordernisses der Gegenwärtigkeit bei den Notrechten – § 32 StGB verlangt einen gegenwärtigen An940

Später ausführlicher erörtert unter 4. Teil: E. II. 1. b) aa). So auch Lucks, S. 177 f. Hierzu sogleich noch ausführlicher unter 4. Teil: D. IV. 1. b) cc). Möglicher Ausweg wäre es, ein Versetzen durch Intensivieren einer bestehenden hilflosen Lage als Tathandlung Versetzen anzuerkennen, wobei auch diese Konstruktion schon heute durchaus umstritten ist und das Problem nur von der hilflosen Lage zum Versetzen verlagern würde. Zu dieser Frage am Ende der Arbeit im 4. Teil: G. II. 942 Von Lucks, S. 117 als „untragbares Ergebnis“ bezeichnet. 943 Vgl. 4. Teil: E. II. 1. b) bb). 941

D. Das situationsbezogene Tatbestandsmerkmal der hilflosen Lage

271

griff, § 34 StGB eine gegenwärtige Gefahr – kaum möglich. Kann das hilfsbedürftige Opfer aber noch in eine hilflose Lage versetzt werden, so kann auch zeitlich früher dem Täter mit Notrechten entgegengetreten werden. Anders gesagt: Die Auslegung der hilflosen Lage als individuelle Hilfsbedürftigkeit würde zu einer Verkürzung des Opferschutzes führen944. Es lässt sich sinnvoll kaum begründen, wieso die Opfer der a. F., die ja schon früher geschützt wurden, jetzt nach einer Reform der Aussetzung – deren Ziel die Erweiterung des strafrechtlichen Schutzes vor Gefahr für Leib und Leben war – ein „Weniger“ an Schutz erfahren sollen als die neu hinzugekommenen Opfer – die gesunden, erwachsenen Menschen –, die man i. S. des § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB versetzen könnte. Das spricht gegen eine Gleichsetzung des Verständnisses der hilflosen Lage n. F. mit der Auffassung von der hilflosen Person a. F. (2) Unstimmigkeiten zwischen der „weiten“ Auslegung der ersten Tathandlung n. F. und der Gleichsetzung von hilfloser Lage n. F. und hilfloser Person a. F. Daneben erscheint das Verständnis der hilflosen Lage als Hilfsbedürftigkeit auch im Hinblick auf den Inhalt der ersten Tathandlung problematisch. Wie erarbeitet, bedeutet das Versetzen in Übereinstimmung mit der überwiegenden Meinung das Neuschaffen einer hilflosen Lage945. Wäre nun die hilflose Lage in Anlehnung an die Auffassung zur hilflosen Lage aus der a. F. als Zustand der individuellen Hilfsbedürftigkeit zu verstehen, so müsste im Rahmen der ersten Tathandlung der Täter diese Zustände schaffen bzw. verursachen, weil dort ja die hilflose Lage das Resultat des Versetzens ist. Individuelle, konstitutionell bedingte Zustände, wie es jugendliches Alter, Gebrechlichkeit und letztlich auch chronische Krankheit in der a. F. waren, kann der Täter aber gar nicht schaffen; sie bestehen ja bereits beim Opfer; er kann höchstens an diese Zustände mit seiner Tathandlung anknüpfen946. Mit anderen Worten: Das neue Verständnis der ersten Tathandlung ließe sich mit einer Auslegung der hilflosen Lage als individuelle Hilfsbedürftigkeit kaum vereinbaren; häufig würde § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB weitgehend für die Opfer der a. F. leerlaufen und sehr viele Fälle der Aussetzung würden nur noch unter die zweite Tatvariante subsumiert werden947.

944

So auch Laue, S. 114. Vgl. zum Versetzen im 4. Teil: C. II. 2. und 4. Teil: C. II. 5. sowie zusammenfassend im 4. Teil: C. II. 6. 946 So schon Lucks, S. 108. 947 Ebenso Lucks, S. 117. 945

272 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

Der Wille des Gesetzgebers wünschte eine Erweiterung der Norm, keine Limitierung des Tatbestandes auf die zweite Tatvariante. Dem ist dann aber auch bei der Auslegung Rechung zu tragen, und eine Auslegung, die dem Willen des Gesetzgebers fundamental zuwiderläuft, sollte – so es der Wortlaut erlaubt – nicht gewählt werden. Hilflose Personen der a. F. müssen dementsprechend also auch in eine hilflose Lage gebracht werden können, z. B. indem man ihnen die Hilfe durch Fremde oder die ihnen selbst zur Verfügung stehenden Hilfsmittel entzieht. Jedenfalls darf diese Personengruppe nicht ausschließlich unter § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB fallen. cc) Wille des Gesetzgebers Aus der Entstehungsgeschichte der Neufassung der Aussetzung lässt sich ein erstes Argument gegen eine Gleichsetzung von hilfloser Lage n. F. und hilfloser Person a. F. ableiten: Der Gesetzgeber verfolgte im Allgemeinen – besonders aber hinsichtlich des Opferkreises – durch die Änderung der Aussetzungsnorm eine Erweiterung des strafrechtlichen Schutzes. Aus den Materialien ergibt sich deutlich, dass Opferkreis948 und zweite Tathandlung erweitert werden sollten949. Die Auslegung der hilflosen Lage als individuelle Hilfsbedürftigkeit würde jedoch – wie soeben gezeigt – eine Verengung des Tatbestandes für die Opfer a. F. mit sich bringen, was mit der Intention des Gesetzgebers für eine Erweiterung nicht vereinbar scheint. Eine Auslegung gegen den Willen des Gesetzgebers ist – so man diese überhaupt für möglich hält – aber sicherlich nur dann legitim, wenn sich das vom Gesetzgeber verfolgte Ziel nicht mit dem Wortlaut vereinbaren lässt950. Lassen sich hingegen Wortlaut der Norm und Wille des Gesetzgebers im Wege der Auslegung eines Tatbestandsmerkmals in Einklang bringen, so ist diese Auslegung sicher einer Deutung vorzuziehen, die entweder dem Wortlaut oder dem Willen des Gesetzgebers zuwiderläuft. Da dies allerdings beim Verständnis der hilflosen Lage als Hilfsbedürftigkeit in Bezug auf den gesetzgeberischen Willen der Fall wäre, ist ein weiterer Anhaltspunkt gegen dieses Verständnis gefunden. Ein weiterer, leider nur auf den ersten Blick eindeutiger Fingerzeig ergibt sich aus den Ausführungen zu den Tathandlungen in den Materialien. Dort heißt es951: „Im geltenden Recht werden in beiden Fällen nur die wegen jugendlichen Alters, Gebrechlichkeit oder Krankheit hilflosen Personen ge948

Siehe oben unter 4. Teil: B. Siehe 4. Teil: C. I. 5. b). 950 Herzberg, JuS 2005, 1; Rüthers/Höpfner, JZ 2005, 25; Simon, S. 253 ff. 951 RefE, S. 123; BR-Drs. 164/97, S. 120; BT-Drs. 13/7164, S. 34; 13/8587, S. 34 [Hervorhebungen vom Verfasser]. 949

D. Das situationsbezogene Tatbestandsmerkmal der hilflosen Lage

273

schützt. Diese Personengruppen sind zwar durch die Aussetzung besonders gefährdet. Jedoch bedürfen auch Erwachsene und gesunde Menschen des Schutzes gegen Aussetzung.“ Hieraus ergibt sich zur a. F., dass bisher beide Fälle der Aussetzung die hilflosen Personen schützten. Aus dem Wort „auch“ im dritten Satz kann man zudem aber folgern, dass dies auch in der n. F. so bleiben sollte und die hilflosen Personen wie bisher unter beide Tatalternativen fallen können sollten, aber jetzt zusätzlich auch die gesunden, erwachsenen Menschen. Es wurde also eine Erweiterung des Opferkreises beider Tathandlungen angestrebt und gewollt, aber kein Ausschluss der hilflosen Personen a. F. aus der ersten Tathandlung. Die Eindeutigkeit dieses Ergebnisses stellt jedoch der Gesetzgeber selber im Folgesatz wieder in Frage, indem er schreibt952: „Deshalb schränkt der Entwurf den geschützten Personenkreis im Falle des Versetzens in hilflose Lage (Nummer 1) nicht ein, während er im Falle des Imstichlassens (Nummer 2) zwar den geschützten Personenkreis auf hilflose Personen begrenzt, . . ., dabei aber keinen Unterschied macht, ob die Hilflosigkeit auf jugendlichem Alter, Gebrechlichkeit, Krankheit oder anderen Zuständen beruht.“ Dies klingt sehr stark danach, dass die Opfer des Imstichlassens nur hilflose Personen sein können, was für das Verständnis der hilflosen Lage als individuelle Hilflosigkeit sprechen würde. Allerdings macht diese Passage zugleich deutlich, dass die hilflosen Personen nicht nur unter das Imstichlassen fallen sollten, sondern auch unter das Versetzen fallen können. Mithin will der Gesetzgeber, dass der gesamte Opferkreis von beiden Tathandlungen erfasst werden kann, was der Interpretation der hilflosen Lage als individuelle Hilflosigkeit deutlich widerspricht. Unklar und irritierend bleibt jedoch die Bezeichnung der Opfer der zweiten Tatvariante als hilflose Personen. Ob mit diesem Wort allerdings dasselbe wie mit dem Begriff der a. F. gemeint sein sollte oder ob der Gesetzgeber den „umgangssprachlichen“ Begriff953 – und damit nichts anderes als Personen in einer hilflosen Lage – gemeint hat, lässt sich mangels erläuternder Hinweise aus der amtlichen Begründung heute nicht mehr klären. Sicher ist aber, dass es zumindest unglücklich ist, den Wortlaut eines gestrichenen Tatbestandsmerkmals zur Erläuterung der Neufassung einer Norm zu verwenden954. 952 RefE, S. 123 f.; BR-Drs. 164/97, S. 120; BT-Drs. 13/7164, S. 34; 13/8587, S. 34 [Hervorhebungen vom Verfasser]. In diesem Zusammenhang zur „handwerklichen Reife“ von Gesetzgebungsvorhaben der jüngsten Vergangenheit Rönnau, StV 2004, 455: „Dabei ist insgesamt eine abnehmende handwerkliche Qualität der Gesetze festzustellen, die sich auch und gerade in dem Auseinanderfallen von Gesetzeswortlaut und gesetzgeberisch erwünschtem Anwendungsbereich widerspiegelt“. 953 So Lucks, S. 98.

274 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

Vor allem ist unklar, warum der Gesetzgeber 1998 überhaupt von „hilflosen Personen“ gesprochen hat. In den Materialien zum E 1960 und E 1962 sind die gerade zitierten Passagen fast wortgleich zu finden955. Nur ist dieses „fast“ gerade hier wesentlich: Im E 1960 und E 1962 war nämlich die Rede von „Hilflosen“ als Opferkreis der zweiten Tathandlung, nicht wie im 6. StrRG von „hilflosen Personen“. Entgegen seinem sonstigen Vorgehen hat also der Gesetzgeber hier einmal nicht die Ausführungen der 60er-Jahre wortgleich übernommen956. Ob dies rein stilistische Gründe hatte oder ob dem Gesetzgeber u. U. doch eine andere, abweichende Bedeutung der hilflosen Lage vorschwebte, lässt sich auch hier mangels Anhaltspunkten in den Materialien nicht mehr nachvollziehen. Im Übrigen fällt auch auf, dass der Gesetzgeber sein Konzept zur Aussetzung nicht immer völlig folgerichtig gestaltete: Man findet im E 1925 und E 1927 als Beispiel für die erste Tatalternative den Fall des Schiffskapitäns, der einen Passagier auf einer einsamen Insel aussetzt957. E 1960 und E 1962 lehnten sich zwar an die §§ 230 Abs. 1 E 1925; 257 Abs. 1 E 1927 an, übernahmen jedoch den „Schiffskapitänfall“ nicht in die Materialien. Würde man aber die hilflose Lage als individuelle Hilfsbedürftigkeit verstehen, wäre der Passagier von Beginn der Schifffahrt an in hilfloser Lage, weil er die ganze Zeit auf Hilfe von Kapitän und Crew angewiesen ist; schließlich kann er selber das Schiff nicht steuern. Das Aussetzen auf der Insel wäre dann ein Imstichlassen, kein Versetzen, was der Einordnung im E 1925 und im E 1927 zuwiderliefe. Genau dies wäre aber die zutreffende Einordnung, wenn man mit der Deutung der hilflosen Lage als individuelle Hilfsbedürftigkeit ernst machen würde. Folge dieser Interpretation wäre letztlich, dass jeder Garant nur noch § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB begehen könnte, was nach nahezu einhelliger Ansicht mit der Möglichkeit der Begehung der ersten Tatvariante durch Unterlassen kollidieren würde958. Zusätzlich ergeben die Niederschriften der Großen Strafrechtskommission einen ergänzenden Gesichtspunkt, der gegen die Gleichsetzung von individueller Hilfsbedürftigkeit und hilfloser Lage spricht. Man findet einen Änderungsvorschlag von Jescheck zu § 325, in dem er sich zu einer Textfassung der zweiten Tatvariante äußert, die der heutigen Fassung der Aussetzung stark ähnelt959. Er führt aus, dass es beim Imstichlassen „nicht so sehr 954 Küper, ZStW 111 [1999], 32 Fn. 11, und Lucks, S. 45, bezeichnen daher die Materialien als „missverständlich“, gehen anscheinend nur von einem unglücklichen Wortgebrauch des Gesetzgebers – ohne weiteren Hintergedanken – aus. 955 E 1960, S. 260; E 1962, S. 276. 956 Vgl. hierzu oben 3. Teil: B. II. 3. 957 E 1925, Begründung, S. 119; E 1927, Begründung, S. 129. Diese Einordnung teilt Lucks, S. 70, 105, 108; wohl auch Küper, ZStW 111 [1999], 32. 958 4. Teil: C. II. 3. b).

D. Das situationsbezogene Tatbestandsmerkmal der hilflosen Lage

275

auf die Hilflosigkeit der Person, als auf die hilflose Lage an (erg.: kommt), in der sich jemand befindet.“ Mithin ging Jescheck, der allerdings nicht stellvertretend für die gesamte Kommission spricht – immerhin aber eine der seltenen Äußerungen zum Inhalt der hilflosen Lage bietet –, davon aus, dass die Hilflosigkeit der Person beim Imstichlassen gerade nicht das wesentliche Element darstellt, sondern dass es um die hilflose Lage geht. Da aber die Hilflosigkeit der Person entscheidend wäre, wenn man die hilflose Lage n. F. wie die hilflose Person a. F. deuten will, spricht die Bemerkung ebenfalls gegen diese Interpretation. dd) Zwischenergebnis Die Zuordnung derjenigen Personen, die nach der a. F. die einzigen Opfer sein konnten, zu den Tathandlungen des ersten Absatzes von § 221 StGB ist heute durch das Streichen der hilflosen Person als Tatbestandsmerkmal zu einem Problem geworden, weil der Gesetzgeber nicht deutlich genug erklärt, ob sie nunmehr stets in einer hilflosen Lage sein sollen oder nicht. Eröffnete früher die Hilfsbedürftigkeit des Opfers erst den Anwendungsbereich der Norm, so ist dieser – den Tatbestand der a. F. limitierende – Ansatzpunkt weggefallen bzw. in die hilflose Lage n. F. „abgewandert“, die aber – jedenfalls beim Versetzen – eben nicht mehr den gesamten Anwendungsbereich für das Delikt öffnet960. Aus den zweifelsfreien Fällen eines Aussetzens bzw. Verlassens des Opfers sind mithin Konstellationen geworden, bei denen zwar der Tatbestand erfüllt werden kann, aber unklar ist, welche Alternative des Grundtatbestands in Rede steht. Die Gleichsetzung der hilflosen Lage n. F. mit der hilflosen Person a. F. kann also nicht überzeugen, weil dabei Systembrüche im Tatbestand und nicht auflösbare Widersprüche entstünden. Alle Opfer der a. F. könnten nur noch unter das Imstichlassen subsumiert werden und für diese besonders schutzbedürftigen Personen würde der strafrechtliche Schutz – im Gegensatz zum expliziten Willen des Gesetzgebers – letztlich sogar verringert. c) Widerlegung der am Einzelfall orientierten Ansicht Gössels Ein ähnlicher Einwand muss auch gegen Gössel erhoben werden, der einzelfallbezogen entweder aus der rein individuellen Hilfsbedürftigkeit des Opfers eine hilflose Lage herleitet oder aber – wenn die Hilfsbedürftigkeit nicht ganz so ausgeprägt ist – das Vorliegen einer solchen verneint: 959 960

Ndschr. Bd. 7 [1959], Anhang J 68, S. 348. So auch Lucks, S. 105.

276 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

Es gibt nach ihm Personen, die aufgrund ihrer körperlichen Konstitution so hilfsbedürftig sind, dass sie sich stets in hilfloser Lage befinden, während andere Person zwar latent hilfsbedürftig, aber nicht in hilfloser Lage sind961. Erstens fallen nach dem Verständnis Gössels z. B. Kleinkinder, Querschnittsgelähmte oder andere besonders Gebrechliche962 nur unter § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB, was – wie gerade erläutert – abzulehnen ist. Zweitens ist nach dieser Ansicht der Tatbestand nur noch schwer zu handhaben: Wie unterscheidet man einen absolut Hilfsbedürftigen, der immer in hilfloser Lage ist, von einem nur latent Hilfsbedürftigen, der sich nicht stets in hilfloser Lage befindet? Leider bleibt die Antwort auf diese Frage bei Gössel offen; vielmehr sei dies eine Frage des Einzelfalles. Es scheint aber kaum möglich, eine bestimmte und allgemeingültige Grenze zu bestimmen, ab der eine Person so hilfsbedürftig ist, dass sie sich in hilfloser Lage befindet. d) Unterschiedliches Verständnis der hilflosen Lage je nach Tathandlung Als letztes soll die Auslegung betrachtet werden, die das Verständnis der hilflosen Lage je nach Tathandlung unterschiedlich beurteilen will963. Diese Ansicht orientiert sich nicht an der Auslegung zu einem einzigen Tatbestandsmerkmal der a. F. wie die vorher beschriebenen; sie soll aber dennoch an dieser Stelle behandelt werden, weil auch ihr ähnliche Einwände entgegenzuhalten sind. Jede differenzierende Ansicht steht einem grundlegenden Problem gegenüber: Darf man innerhalb einer Norm ein und dasselbe Tatbestandsmerkmal überhaupt unterschiedlich auslegen? Die Literatur lehnt ein solches Verfahren überwiegend ab. Kosloh und Lucks964 sind kategorisch dagegen, Struensee965 bezeichnet es als „Auslegungskunststück“, Kühl966 hält es hingegen für „denkbar“. Das Problem der unterschiedlichen Auslegung eines bestimmten Tatbestandsmerkmals innerhalb der gesamten Rechtsordnung, innerhalb des StGB oder sogar innerhalb einer Norm hat die Rechtsprechung bei anderen Normen bereits beschäftigt967. Nach Inkrafttreten des 6. StrRG ist es – für 961 962 963 964 965 966

Vgl. die Darstellung oben im 4. Teil D. II. 3. b) aa) a. E. Gössel/Dölling, BT 12, § 7 Rn. 10. Vgl. oben 4. Teil: D. II. 4. Kosloh, S. 60; Lucks, S. 122. DSNS-Struensee, 2. Teil Rn. 38. Lackner/Kühl, StGB26, § 221 Rn. 2.

D. Das situationsbezogene Tatbestandsmerkmal der hilflosen Lage

277

die Auslegung eines Begriffes innerhalb verschiedener Normen des StGB – im Zusammenhang von § 306b Abs. 2 Nr. 2 StGB bereits aufgetaucht, als es um die Frage ging, ob dem Passus der Verdeckungs- und Ermöglichungsabsicht ein anderer Sinngehalt beigelegt werden kann oder muss als in § 211 Abs. 2 StGB968. Das hat der Bundesgerichtshof unter Bezugnahme auf den Wortlaut und die Entstehungsgeschichte des § 306b StGB mit der Begründung abgelehnt, dass die wortgleichen Tatbestandsmerkmale innerhalb des StGB den gleichen Bedeutungsgehalt aufweisen müssen. Eine allgemeine Tendenz innerhalb der Urteile des Bundesgerichtshofs, die sich mit der „Begriffsspaltung“ befassen, ist nicht einfach auszumachen. Aufgrund des starken Bezugs auf die jeweilige Einzelnorm sind sie kaum einer Systematisierung zugänglich969. Allerdings gibt es dennoch eine gewisse Tendenz innerhalb der Rechtsprechung, die eine „Begriffsspaltung“ innerhalb einer Vorschrift als „kaum möglich“ oder „sehr ungewöhnlich“ ansieht970. Der Bundesgerichtshof hat diese Auffassung in einer Entscheidung sogar zu folgender Vermutung verdichtet971: „Nach gesetzgeberischen Gepflogenheiten versteht ein Gesetz, wenn es an mehreren Stellen denselben Begriff wörtlich verwendet, in der Regel dasselbe“. Damit ist davon auszugehen, dass der Bundesgerichtshof – sollte er sich jemals mit dieser Frage bei der Aussetzung befassen müssen – sich einer nach Tathandlungen differenzierenden Auslegung schwerlich anschließen würde, wenn auch das Gegenteil nicht völlig ausgeschlossen werden kann. In der Literatur, die sich mit der Frage der „Begriffsspaltung“ befasst, besteht im Wesentlichen Konsens dahingehend, dass innerhalb einer Norm ein und demselben Tatbestandsmerkmal auch derselbe Bedeutungsinhalt zukommen sollte, insbesondere wenn der neue Wortlaut durch ein und dieselbe Novellierung des Gesetzes eingefügt wurde972. Man darf auch nicht die Folgewirkungen außer Acht lassen, die mit einer differenzierenden Ansicht einhergehen, die den Täter bei der ersten Tathandlung als Helfer berücksichtigen will, bei der zweiten Tathandlung hingegen nicht973. 967 Ausführlich mit zahlreichen Entscheidungen und deren Begründungen für und wider eine solche – als „Begriffsspaltung“ bezeichnete – Auslegung Simon, S. 453 ff. 968 Zum Ganzen: BGH NJW 2000, 3581 [3581 f.], mit zustimmender Anmerkung Liesching, JR 2001, 127. 969 Vgl. die Zusammenfassung und Auswertung der Judikatur in dieser Hinsicht bei Simon, S. 454 ff. 970 BGHSt 13, 178 [180]; 18, 246 [249]; Simon, S. 455 f. 971 BGHSt 13, 178 [180]; vgl. auch Simon, S. 456. 972 Bydlinski, Methodenlehre2, S. 447 f.; Simon, S. 458.

278 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

Als Beispiel möge der Fall dienen, dass der Täter eine bisher geleistete Hilfe einstellt und das Opfer dadurch in eine Lebensgefahr gerät. Berücksichtigt man in diesem Fallbeispiel den Täter im Rahmen einer (hypothetischen) Subsumtion nach der differenzierenden Ansicht unter § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB als Helfer, so wäre das Einstellen seiner Hilfe ein Versetzen in eine hilflose Lage, weil der Täter durch sein Verhalten diese Lage erst verursacht hätte und man ihn vor dem Tatverhalten als Hilfe in die Betrachtung einbeziehen müsste. Erst mit dem Einstellen der Hilfe würde also die hilflose Lage zur Entstehung gelangen, vorher war das Opfer nicht in einer solchen. Berücksichtigt man nun aber den Täter für dieselbe Verhaltensweise im Rahmen einer (hypothetischen) Subsumtion unter § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB nicht als Helfer, wäre das Opfer schon vor dem Einstellen der Hilfe in hilfloser Lage und der Täter hätte es durch das Einstellen der Hilfe im Stich gelassen (obwohl er zuvor einmal geholfen hat). Demzufolge könnte man nach der differenzierenden Ansicht ein und dieselbe Verhaltensweise unter beide Tatalternativen zugleich subsumieren, womit sich die Frage nach einem Argument aufdrängt, welche der beiden Tatvarianten denn nun einschlägig sein soll. Hardtung sieht die Subsumtion unter beide Tatvarianten als zutreffend an und löst die Frage der Anwendbarkeit einer der Tatvarianten auf der Ebene der Konkurrenzen; Ebel hingegen will diese Fälle nur dem Imstichlassen unterstellen974. Dies erscheint nicht folgerichtig: Der Wortlaut der Aussetzung stellt beide Tathandlungen in ein Verhältnis der zeitlichen Exklusivität: „Versetzen in eine hilflose Lage“ und „im Stich lassen in einer hilflosen Lage“ sind die Tathandlungen. Die erste Formulierung fordert das Entstehen einer hilflosen Lage nach der Tathandlung, die zweite hat diese hilflose Lage als Ausgangssituation. Es kann immer nur die eine oder die andere Situation vorliegen, nicht aber beide Situationen gleichzeitig. 973 Dies vertreten Ebel und Hardtung [vgl. 4. Teil: D. II. 4.]. Küper betrifft diese Kritik nicht; allerdings wurde seine Ansicht, dass die hilflose Lage in der zweiten Tatvariante – anders als in § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB – als Gefahr zu verstehen sei, bereits oben im 4. Teil: D. IV. 1. a) cc) widerlegt. Dieser Themenkomplex steht in engster Beziehung zur Frage von Verhältnis und Abgrenzung der beiden Tathandlungen und wird aus diesem Grund auch dort 4. Teil: E. II. 1. a) nochmals aufgegriffen. 974 Ebel, NStZ 2002, 408; MüKo-StGB-Hardtung, § 221 Rn. 6, 11, 16, 48. Vgl. ausführlich zu den Ansichten dieser beiden Autoren später im 4. Teil: E. II. 1. a). Die Antwort auf die Frage, warum die Subsumtion nur unter das Imstichlassen nicht zutreffend sein kann, wird nicht hier, sondern später im Rahmen des Abschnitts über Verhältnis und Abgrenzung der beiden Tathandlungen zueinander erfolgen; vgl. im 4. Teil: E. III.

D. Das situationsbezogene Tatbestandsmerkmal der hilflosen Lage

279

e) Zwischenergebnis Mithin kann nach dem Bisherigen festgehalten werden, dass das Tatbestandsmerkmal der hilflosen Lage n. F. weder als Gefahr noch i. S. der hilflosen Person a. F. gedeutet werden kann. Auch eine nach Tathandlungen unterscheidende Auslegung überzeugt nicht. Vielmehr scheint die hilflose Lage n. F. irgendwo zwischen den beiden Auslegungsmöglichkeiten anzusiedeln zu sein, also zwischen der rein individuell bestimmten Hilfsbedürftigkeit und der Gefahr. Das sind die beiden Eck- und Endpunkte, die nicht erreicht werden dürfen, weil die entsprechenden Auslegungen nicht mit dem Gesetz vereinbar sind. Die bisher vorhandenen neuen Konzepte975 folgen damit grundsätzlich dem richtigen Ansatz. Zu klären ist nun aber noch, ob bzw. inwieweit Einschränkungen bei der hilflosen Lage n. F. vorzunehmen sind, um dem Tatbestand deutliche Konturen zu geben und ihn nicht als allgemeines Gefährdungsdelikt zu verstehen976. 2. Eigener Ansatz zur Auslegung der hilflosen Lage n. F. Die enge oder weite Auslegung der Tathandlungen spielt in der aktuellen Diskussion über die Aussetzung nur noch eine untergeordnete Rolle. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung ist zum Merkmal der hilflosen Lage „gewandert“ und der Streit dreht sich jetzt um deren Bedeutung nach der Änderung der Norm durch das 6. StrRG. Da weder eine Gleichsetzung mit einer konkreten Gefahr noch die mit der hilflosen Person a. F. möglich ist, bietet sich nur eine Möglichkeit an: Die Loslösung von den alten Ansichten hinsichtlich der Auslegung des Tatbestandsmerkmals und dessen inhaltliche Neubestimmung. Die soeben angesprochenen neuen Konzepte folgen einem sicherlich richtigen Ansatz, ihre Autoren sind sich allerdings nicht einig über die Hilfsmittel, die bei der Bestimmung der hilflosen Lage zu beachten sind, ob man eine gewisse Dauer oder Stabilität bei der hilflosen Lage fordern muss und ob es weitere Kriterien für eine hilflose Lage gibt. Damit ist in diesem Abschnitt der Arbeit vor allem der Frage nachzugehen, welche der in der Literatur vorgebrachten Argumente überzeugend sind, welche Kriterien und Ansatzpunkte zur Auslegung ein in sich stimmiges System schaffen und welche eben nicht. 975

Vgl. oben im 4. Teil: D. II. 3. Zu Sinn und Hintergrund einer Einschränkung der Aussetzung über die hilflose Lage vgl. im 4. Teil: D. I. 976

280 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

Die Definition der hilflosen Lage muss dabei ein Mehrfaches leisten: Einerseits muss sie die Aussetzung vom allgemeinen Gefährdungsdelikt und den anderen Gefährdungsdelikten abgrenzen, andererseits muss sie dem Tatbestand feste, über die reine Verursachung jeder beliebigen Gefährdung hinausgehende Konturen geben, um ihn zu beschränken. Diese schwierige Aufgabe hat der Gesetzgeber selbst dem Begriff durch seine Änderung der Norm zugewiesen. a) Wortlaut Es fällt auf, dass nahezu alle Autoren, die bei der Auslegung dieses Tatbestandsmerkmals auf den Wortsinn abstellen, stets eine Definition der hilflosen Lage insgesamt herleiten, aber nicht versuchen, für beide Begriffe getrennt einen jeweils eigenen Sinngehalt zu ermitteln. Der Schwerpunkt der Wortlautdeutungen liegt dabei auf dem Hilflos; wobei in erster Linie diskutiert wird, wann jemand hilflos ist und was diese Hilflosigkeit erfordert. Der Begriff der „Lage“ wird bei diesen Ansätzen nur kurz gestreift. Allein die Stimmen, die sich mit dem Kriterium einer „gewissen Dauer oder Stabilität“ im Rahmen der Auslegung der hilflosen Lage befassen, setzen am Begriff der Lage an977. Im Folgenden soll daher versucht werden, den Begriffen „hilflos“ und „Lage“ – getrennt voneinander – einen Gehalt aufgrund einer Analyse des Wortlauts zu geben. Daneben wird der Frage nachgegangen, ob die hilflose Lage nach dem Sprachgebrauch eine Gefahr darstellt und ob hilfsbereite Personen bei der Bestimmung einer hilflosen Lage zu berücksichtigen sind. aa) „Hilflos“ Wann also ist ein Mensch nach dem allgemeinen Sprachgebrauch „hilflos“? Der Duden versteht darunter Folgendes978: 977

Vgl. oben 4. Teil: D. II. 3. a) und 4. Teil: D. II. 3. b) bb). Duden, [3. Aufl., siehe 4. Teil: C. I. 5. a) Fn. 203], Bd. 4, S. 1795; ebenso schon Duden [2. Aufl., siehe 4. Teil: C. I. 5. a) Fn. 203] Bd. 4, S. 1576. Die Erläuterung von „Hilflosigkeit“ ist übrigens nahezu identisch. Dies bedeutet nach dem Duden [Fundstelle wie zuvor] a) das Hilflossein oder b) Unbeholfenheit, Ungeschicklichkeit. Sehr ähnlich die Umschreibungen in Wahrig [8. Aufl., siehe 4. Teil: C. I. 5. a) Fn. 204], S. 715, für „hilflos“ als 1. ohne Hilfe, 2. ratlos, schutzlos, 978

D. Das situationsbezogene Tatbestandsmerkmal der hilflosen Lage

281

a) auf Hilfe angewiesen sein (ohne sie zu erhalten), b) unbeholfen, ungeschickt. Aus der ersten Bedeutung – die zweite ist deutlich nicht für den Tatbestand der Aussetzung verwendbar, weil sie mit dem Merkmal der Lage nicht harmoniert – kann man zweierlei folgern: Erstens muss jemand, den der Wortlaut als hilflos bezeichnet, auf Hilfe angewiesen sein, kann sich also nicht selber helfen, und zweitens: Er erhält diese Hilfe nicht. Wer sich selber helfen kann, wird vom gewöhnlichen Sprachgebrauch nicht als hilflos bezeichnet979. Das heißt: Hilflos ist derjenige, der individuell hilfsbedürftig ist und fremder Hilfe durch andere Personen entbehrt. Wer oder was zu diesen fremden Hilfsmitteln hinzuzuzählen ist, kann dem Begriff „hilflos“ hingegen nicht entnommen werden. Der Gegenschluss aus dem Wortlaut ist aber: Derjenige, der Hilfe erhält, ist nicht hilflos! Ebenso ergibt sich schon aus dem Wortlaut: Es muss auch Hilfe möglich sein, denn sonst würde sich nichts am Vorliegen der Hilflosigkeit bzw. am Angewiesensein auf Hilfe ändern. Kurz gesagt: „unmögliche“ Hilfe kann das Opfer nicht erhalten. Der Begriff der hilflosen Lage suggeriert, dass Hilfe noch möglich ist, weil das Gegenstück zur hilflosen Lage – bezeichnen wir es hier der Einfachheit halber als „Lage mit Hilfe“ – auch existieren muss. In einer „Lage mit Hilfe“ wird einer Person auch wirklich geholfen oder es kann davon ausgegangen werden, dass im Falle der Erforderlichkeit geholfen wird980. D.h. die „Hilfe“, die das Opfer erhält oder erhalten wird, kann nur dann den Zustand der Hilflosigkeit beenden, wenn die Person, die diese Hilfe leisten will, sie auch wirklich leisten kann981. Damit ergibt sich zusätzlich aus der Interpretation des Wortlautes, dass Hilfe durch denjenigen, der sie gewähren will, nur dann das Vorliegen der Hilflosigkeit verhindern kann, wenn die Hilfeleistung möglich ist, und zwar durch den Helfer persönlich.

und für „Hilflosigkeit“ [Fundstelle wie zuvor] als Zustand des Hilflosseins, Ratlosigkeit, Schutzlosigkeit. Ebenso schon die 6. Aufl. des Wahrig [siehe 4. Teil: C. I. 5. a) Fn. 204], S. 636. 979 So auch Lucks, S. 153. 980 Dies ist insbesondere der Fall in Konstellationen mit „Betreuung“ des Opfers, wie z. B. im Krankenhaus, Pflegeheim oder ähnlichen Institutionen. Zu den Problemen und Verwicklungen dieser Sachverhalte sogleich im 4. Teil: D. IV. 2. a) dd), im 4. Teil: D. IV. 2. d) dd) (3) und im 4. Teil: D. IV. 2. d) dd) (4). 981 So kann sicherlich das 5-jährige Kind keinen hünenhaften Mann über mehrere hundert Meter aus einer für ihn hilflosen Situation wegziehen. Selbst wenn das Kind es versucht, ändert dies nichts an der Hilflosigkeit der Lage.

282 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

bb) „Lage“ Der Duden kennt eine Vielzahl möglicher Bedeutungen für den Begriff „Lage“982: 1. a) Stelle, wo etwas (in Bezug auf seine Umgebung) liegt/gelegen ist, b) (Winzersprache) Wein einer bestimmten Lage; 2. a) Art des Liegens, b) (meist beim Schwimmen) eine der vier verschiedenen Stilarten; 3. a) die (augenblicklichen) Verhältnisse, Umstände, die bestehende Situation, b) Lagebesprechung; 4. a) Schicht, b) aus ineinander geschobenen und in der Mitte gefalzten oder zusammengeklebten Papierbogen hergestellter Teil eines Buchblocks, c) (ostmitteldeutsch) Zimmerdecke; 5. a) Ton- oder Stimmbereich, Tonlage, Stimmlage, b) (Musik) Stellung der Hand auf dem Griffbrett eines Saiteninstruments und der dadurch verfügbare Tonraum; 6. (ugs.) eine Runde Getränke. Hiervon erscheint aber nur die Bedeutung in Ziffer 3a für die Auslegeng im Rahmen der Aussetzung geeignet983. Die anderen Bedeutungen ergeben für ein Gefährdungsdelikt mit dem Schutzgut Leben und körperliche Unversehrtheit keinen Sinn. Damit meint „Lage“ i. S. der Aussetzung „die (augenblicklichen) Verhältnisse, Umstände, die bestehende Situation“. Was zeichnet damit eine Lage aus? Einerseits ist sie kein unbegrenzt dauerhafter Zustand, sondern wandelbarer Natur984. Dies ergibt sich im Übrigen auch aus dem Begriff der Situation, die gerade keine dauernd feststehenden Umstände meint. Andererseits folgt hieraus aber im Gegenschluss, was eine Lage nicht ist: dauerhafte, feste Zustände, insbesondere also dauerhaft mit einer Person verbundene Merkmale985. Dieser Aspekt hat für das 982

Duden [4. Teil: C. I. 5. a) Fn. 203], Bd. 5, S. 2336; nahezu identisch schon Duden [2. Aufl., siehe 4. Teil: C. I. 5. a) Fn. 203] Bd. 4, S. 2046 f., der noch eine weitere – hier unbeachtliche – Bedeutung [Ziffer 2c] anführt. 983 Vgl. insoweit auch die nahezu übereinstimmende Erläuterung einer „Lage“ in Wahrig [4. Teil: C. I. 5. a) Fn. 204], S. 913 [8. Aufl.], insbesondere als „2. Situation, gegenwärtiger Zustand“ [So in der 6. Aufl., S. 790, noch nicht zu finden]. 984 So auch Lucks, S. 101, 146: „Ein Zustand vorübergehender Natur reicht jetzt aus“.

D. Das situationsbezogene Tatbestandsmerkmal der hilflosen Lage

283

Verständnis der hilflosen Lage n. F. eine wichtige Konsequenz: Das Alter ist z. B. keine Lage, ebenso wenig der allgemeine Gesundheitszustand. Um es auf die Aussetzung n. F. zu übertragen: Keine hilflose Lage sind demzufolge die Gründe, die zur Hilflosigkeit der hilflosen Person a. F. führten: Jugendliches Alter, Gebrechlichkeit und Krankheit. Die generelle Hilflosigkeit begründet somit keine hilflose Lage986. Bei solchen grundsätzlich – also auch außerhalb der konkreten Situation – bestehenden und damit nicht behebbaren und nicht nur vorübergehenden Schwächen oder Merkmalen des Opfers fehlt es an einer Lage i. S. v. § 221 Abs. 1 StGB, falls nicht ein „Mehr“ an Hilflosigkeit durch den Täter geschaffen wird. Nach dieser Deutung kann man sowohl gesunde, erwachsene Menschen in hilflose Lage versetzen als auch die Opfer i. S. der a. F. Zu beachten ist aber, dass der körperliche Allgemeinzustand des Opfers im Einzelfall Anknüpfungspunkt für das Schaffen einer hilflosen Lage sein kann. Diese Erkenntnis wurde im Übrigen auch schon an früherer Stelle der Arbeit aus dem Zusammenspiel der Begriffe hilflose Lage und Versetzen gewonnen987: Ein Versetzen als Neuschaffen einer Situation ist bei dauerhaften und nicht vom Willen des Täters oder dritten Personen wandelbaren Zuständen nicht möglich. Zwar kann der Täter an diese Zustände anknüpfen, aber für ein Versetzen muss er eine über diesen Zustand hinausgehende, neue Lage schaffen. Bei anderem Verständnis der hilflosen Lage n. F. befänden sich alle Opfer der a. F. schon wegen ihrer persönlichen Hilflosigkeit stets und immer in hilfloser Lage n. F. Die Konsequenzen dieser Auslegung wurden bereits oben dargestellt; das Konzept wurde verworfen988. Damit darf die Lage kein dauerhafter Zustand sein; da sie aber, um eine Abgrenzung vom allgemeinen Gefährdungsdelikt zu gewährleisten, auch nicht nur eine augenblickliche Situation sein darf989, ist dieser – erste – Befund später noch einzuschränken. Anknüpfungspunkt hierfür kann nicht der Wortlaut sein, da dieser ohne Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG auch die rein kurzzeitigen und augenblicklichen Situationen erfassen kann990. Es Ebenso Lucks, S. 100; Lackner/Kühl, StGB26, § 221 Rn. 2. So schon früher Schwarze, GS 24 [1872], 63, und seit dem 6. StrRG Lucks, S. 100, 109. 987 Vgl. 4. Teil: C. II. 5. e). 988 Vgl. 4. Teil: D. IV. 1. b) bb). 989 Vgl. 4. Teil: D. I. 1. 990 Wenn der Täter mit Gefährdungsvorsatz einen Schuss auf das Opfer abfeuert, kann man ohne Verstoß gegen den Wortlaut die Situation, die zwischen dem Austritt der Kugel aus dem Lauf und dem Treffen des Opfers besteht, als „Lage“ bezeichnen. 985 986

284 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

spricht zwar einiges dafür, dass eine Lage nach dem umgangssprachlichen Gebrauch mehr ist als ein nur flüchtiger Moment der Gefahr, also z. B. eine gewisse Dauer und Stabilität aufweisen muss. Der Begriff der Lage allein kann dies aber nicht gewährleisten, vielmehr erfasst er auch diese kurzfristigen Momentaufnahmen auf dem Weg in eine Gefahr. cc) Die hilflose Lage als Beschreibung der Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung Nachdem die beiden Begriffe hilflos und Lage einzeln betrachtet worden sind, ist nunmehr die Kombination aus beiden – also die hilflose Lage – auszulegen: Ist eine hilflose Lage dem Wortlaut nach dasselbe wie die Gefahr i. S. der Gefährdungsklausel? Dies lässt sich ohne Verstoß gegen den Sprachgebrauch aus zweierlei Gründen kaum behaupten. Erstens: Eine hilflose Lage ist – wie soeben erarbeitet – ein Zustand der Hilflosigkeit bei fehlender Unterstützung durch Helfer. Damit ist sie aber nicht zwangsläufig eine gefährliche oder ausweglose Lage – so banal diese Feststellung auch klingt. Der Sprachgebrauch setzt die hilflose Lage nicht mit einer Gefahr gleich, sondern benutzt dafür den Begriff „gefährliche Lage“, gegebenenfalls noch „ausweglose Lage“991. Im Übrigen sagt man auch in der Umgangssprache weniger „gefährliche Lage“ als vielmehr „gefährliche Situation“; die Bezeichnung „hilflose Lage“ für eine Gefahr ist hingegen ungewöhnlich. Daneben überzeugt zweitens die – sprachliche – Gleichsetzung von hilfloser Lage und Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung aus einem weiteren Grund nicht: Diese Gleichsetzung beschränkt die hilflose Lage auf bestimmte Zustände, obwohl dies dem Begriff weder inhärent noch für die Auslegung zur Aussetzung erforderlich ist. Weshalb soll sich die hilflose Lage nur auf solche Zustände beziehen, die in Zusammenhang mit einer Gefahr für Leib oder Leben stehen? Zweifelsohne verlangt das der – in der Gefährdungsklausel beschriebene – Taterfolg der Aussetzung. Das muss aber nicht generell gelten. Gibt es nicht auch „hilflose Lagen“ für andere Rechtsgüter? Es wird sich kaum bestreiten lassen, dass man auch hilflos gegenüber anderen Gefahren sein kann, mithin von einem Täter auch in eine hilflose Lage für ein anderes Rechtsgut versetzt bzw. in einer solchen im Stich gelassen werden kann.

991

Lucks, S. 164, spricht von einer „aussichtslosen Lage“.

D. Das situationsbezogene Tatbestandsmerkmal der hilflosen Lage

285

Zur Verdeutlichung drei Beispiele992: Beispiel 1: Täter T will seinem Freund, dem Opfer O, sein Bargeld entwenden. Um dies zu erreichen, gibt er vor, mit O „ein Bierchen trinken“ zu wollen, wobei er aber dem Bier des O hochprozentigen Alkohol hinzufügt. Bei T ist hingegen im Glas nur alkoholfreies Bier. Als O hochgradig betrunken unter den Tisch sinkt, entwendet T das Bargeld aus dem Portemonnaie des O und sucht das Weite. O wacht am nächsten Morgen mit einem Kater, aber sonst körperlich unversehrt auf.

Eine hilflose Lage i. S. v. § 243 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 StGB ist hier anzunehmen, weil auch Trunkenheit eine solche Lage begründen kann993. In diese hat T den O durch das Hinzufügen des hochprozentigen Alkohols, welchen O dann getrunken hat, versetzt994. Hilflos war O insoweit, als er sich infolge der Alkoholisierung nicht mehr selber helfen konnte. Eine Gefährdung des Lebens des O oder die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung ist hier nicht gegeben, weshalb eine Strafbarkeit aus § 221 StGB zu verneinen ist. Nicht bestritten werden kann aber eine Verletzung des Eigentums995 des O, was voraussetzt, dass es zuvor auch zu einer Gefährdung dieses Rechtsguts gekommen ist996. Beispiel 2: Landwirt A, der auf einem einsam gelegenen Bauernhof alleine wohnt, will auf das Dorffest, um die X zu treffen. Sein Bursche B ist aber auch in die X verliebt und will das Treffen verhindern. 992 Daneben liegt z. B. auch eine hilflose Lage vor, wenn das Opfer hilflos gegenüber einer drohenden Gefahr für die Gesundheit ist, die aber den Grad einer schweren Gesundheitsschädigung nicht erreichen wird. Auch hier gilt: Das Tatbestandsmerkmal der hilflosen Lage ist erfüllt, aber eben nicht der Taterfolg der Aussetzung eingetreten. 993 LK-StGB11-Ruß [01/1994], § 243 Rn. 32; NK-StGB2-Kindhäuser, § 243 Rn. 36; Schönke/Schröder-StGB27-Eser, § 243 Rn. 39; Tröndle/Fischer, StGB54, § 243 Rn. 21; zweifelnd Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 19, § 33 Rn. 99. 994 Ob es sich hier um unmittelbare Täterschaft des T handelt oder ob ein Fall der mittelbaren Täterschaft vorliegt, ist für die Beurteilung der Lage als hilflos ohne Belang. Der BGH hat im Urteil zur „Passauer Giftfalle“ die Frage offen gelassen; BGHSt 43, 177 [180], ähnlich Tröndle/Fischer, StGB54, § 22 Rn. 28. Die Literatur geht wohl mehrheitlich von mittelbarer Täterschaft aus, so Roxin, AT II, § 29 Rn. 216; Schönke/Schröder-StGB27-Cramer/Heine, § 25 Rn. 9, 11; Wessels/Beulke, AT29, Rn. 539a; m. w. N. a. A. NK-StGB2-Schild, § 25 Rn. 26, 47 ff. 995 Nach einer sich inzwischen im Vordringen befindenden Ansicht schützt § 242 StGB nur das Eigentum; so MüKo-StGB-Schmitz, § 242 Rn. 8; NK-StGB2Kindhäuser, Vorbemerkungen zu den §§ 242 bis 248c Rn. 3 f.; Schönke/SchröderStGB27-Eser, § 242 Rn. 2 f.; Tröndle/Fischer, StGB54, § 242 Rn. 2; alle m. w. N. Die früher herrschende Meinung sah zusätzlich den Gewahrsam als geschütztes Rechtsgut an; vgl. BGHSt 10, 400 [401]; 29, 319 [323]; BGH NJW 2001, 1508; LK-StGB11-Ruß [01/1994], Vor § 242 Rn. 3; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 19, § 32 Rn. 5, § 33 Rn. 1; Lackner/Kühl, StGB26, § 242 Rn. 1; alle m. w. N. 996 Vgl. hierzu schon oben im 4. Teil: D. I. 1. c) cc) (3).

286 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung Variante a) B manipuliert den Pkw und versteckt den einzigen, passenden Schraubenschlüssel, so dass A das ganze Wochenende über den Hof nicht verlassen kann. Am Montag „findet“ B überraschend das Werkzeug wieder. Variante b) B bindet A an einem Stuhl für 24 Stunden fest. Zu einer Gefahr für Leib oder Leben des A kommt es in keinem der Fälle.

Eine hilflose Lage in dem Sinn, dass A sich nicht aus eigener Kraft helfen und aus der jeweiligen Situation befreien kann, liegt in beiden Varianten vor, aber es fehlt jeweils an der Gefahr i. S. der Gefährdungsklausel. Eine Gefahr liegt in beiden Fällen vor und zwar eine für das Nutzungsrecht des A an seinem Pkw bzw. eine Gefahr – genauer gesagt sogar eine Verletzung – der Fortbewegungsfreiheit des A, aber eben keine solche Gefahr, die für § 221 Abs. 1 StGB von Belang wäre. Daher ist das Verhalten des B tatbestandlich nicht als Aussetzung zu bewerten, aber nur weil es am Merkmal der Gefahr i. S. v. § 221 Abs. 1 StGB fehlt; die hilflose Lage des A ist nämlich durch das Verhalten des B gegeben. Beispiel 3: O steht in vermögensrechtlichen Angelegenheiten unter Betreuung des T (vgl. §§ 1896 ff. BGB). Der T hat keine Lust, einige Rechnungen des O per Überweisung zu begleichen, weil O ihn wegen seiner Leibesfülle gehänselt hat. Daher wartet T mehrere Mahnungen ab, kümmert sich nicht um die finanziellen Belange des O und genehmigt auch die von O selber getätigten Überweisungen nicht. Erst als ein Mahnbescheid eintrifft, überweist er das Geld.

Da O seine finanziellen Geschäfte nicht selber durchführen kann bzw. T die Genehmigung verweigert hat, konnte O sich nicht selber helfen: Er war in einer hilflosen Lage im Hinblick auf sein Vermögen. Dass dies tatbestandlich keine Aussetzung darstellt, ist evident, denn es fehlt an der tatbestandlichen Gefahr des § 221 StGB, nicht am Merkmal der hilflosen Lage. Folglich gibt es auch hilflose Lagen im Hinblick auf andere Rechtsgüter, aber sie sind letztlich nicht tatbestandlich i. S. v. § 221 Abs. 1 StGB, weil sie nicht zum Taterfolg der Aussetzung führen997. Allgemein formuliert: Die Übernahme der drohenden Gefahren für Leben und Leib – beschränkt auf schwere Gesundheitsschädigungen – in die Definition der hilflosen Lage bedeutet ein teilweises Festhalten an dem alten Verständnis und der früheren Auslegung zur hilflosen Lage. Bei kritischer Betrachtung gibt es aber auch Situationen ohne Leibes- oder Lebensgefahr, in denen sich das Opfer mangels eigener körperlicher, tatsächlicher oder rechtlicher Möglichkeiten nicht helfen kann. 997

In diese Richtung auch NK-StGB2-Neumann, § 221 Rn. 6, 15.

D. Das situationsbezogene Tatbestandsmerkmal der hilflosen Lage

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Ein Grund für das Festhalten am alten Verständnis der hilflosen Lage ist nicht zu finden, weil eine geeignete „Auslesefunktion“ für die zur Aussetzung passende hilflose Lage auch von der Gefährdungsklausel übernommen werden kann. Damit kommt dieser Klausel auch ein größerer Anwendungsbereich zu, sie gewinnt an Bedeutung, weil sie nicht nur die Aufgabe hat, den Taterfolg zu beschreiben, sondern zugleich auch die – gegenüber vielen verschiedenen Rechtsgütern bestehenden – hilflosen Lagen auf die durch den Taterfolg beschriebenen zu beschränken. Der Begriff der hilflosen Lage als solcher ist also nicht nur auf Situationen zu beziehen, die in eine Gefahr für Leib oder Leben als Taterfolg einmünden. Die Aufnahme (nur) von Gefahren für Leib und Leben schon in die Definition der hilflosen Lage ist nicht erforderlich, obwohl die Aussetzung diese Gefahren im Blick hat, weil diese Aufnahme zu einer starken, rein ergebnisorientierten Einschränkung des Begriffs hilflose Lage führen würde. Den Tatbestand auf diese Gefahren zu beschränken, ist Aufgabe der Gefährdungsklausel. Das Merkmal der hilflosen Lage erfasst grundsätzlich alle Situationen, in denen die eigenen Ressourcen des Opfers und die ihm zur Verfügung stehenden sächlichen oder personellen Hilfsmittel nicht ausreichen, um sich zu helfen bzw. das Entstehen der hilflosen Lage zu verhindern. dd) Wortlautargument: Hilflose Lage bei Betreuung des Opfers Anknüpfend an die Ausführungen zu der Ansicht, die die hilflose Lage als individuelle Hilfsbedürftigkeit versteht998, erscheint es nach dem Sprachgebrauch ungewöhnlich bis unmöglich, eine Person, der die erforderliche Hilfe zuteil wird, als in hilfloser Lage befindlich zu bezeichnen999. Eine Person, die betreut und der geholfen wird bzw. bei der davon ausgegangen werden kann, dass diese Betreuung und Hilfe geleistet werden wird1000, ist nach dem natürlichen Sprachempfinden gerade nicht in hilfloser Lage. Beim Vorliegen tatsächlich geleisteter Hilfe existiert keine hilflose Lage mehr. Andernfalls wären alle Menschen, die ständig auf Hilfe angewiesen sind, selbst dann in hilfloser Lage, wenn diese geleistet wird, so z. B. der Patient auf der Intensivstation, das Kleinkind trotz Anwesenheit von Mutter oder Vater.

998

Vgl. oben 4. Teil: D. IV. 1. b) aa). Ebenso Lucks, S. 100; Gössel, BT 1, § 8 Rn. 8. So schon zur a. F. Feloutzis, S. 120. 1000 Vgl. hierzu schon die Ausführungen in Fn. 980 im 4. Teil: D. IV. 2. a) aa). 999

288 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

b) Historische Anhaltspunkte für die Auslegung der hilflosen Lage n. F. Historisch gesehen schloss früher die Hilfe, die dem Opfer zuteil wurde, das Vorliegen einer hilflosen Lage aus1001. Jedoch bezog sich dies auf das Tatbestandsmerkmal der hilflosen Lage verstanden als Gefahr. Da dieses Verständnis so heute nicht mehr vertretbar ist, kann diese Deutung nicht einfach übernommen werden1002. Vielmehr ist in den Materialien zum 6. StrRG und in den vorgehenden Reformentwürfen nach Anhaltspunkten für eine Auslegung der hilflosen Lage zu suchen. Allerdings bietet der Gesetzgeber in besagten Materialien wenig Ertragreiches für eine Auslegung der hilflosen Lage. Seine Äußerungen wurden schon oben bei der Ablehnung des Verständnisses der hilflosen Lage als individuelle Hilfsbedürftigkeit dargestellt1003. Mehr ist in den Materialien nicht zu finden und damit lässt sich nur bestimmen, was die hilflose Lage nicht ist. Was eine hilflose Lage dann ist, lässt sich aber positiv aus den Materialien nicht folgern. Der Gesetzgeber hat schlicht und einfach in keinem der Entwürfe dem Merkmal der hilflosen Lage Aufmerksamkeit gewidmet. Dies könnte sogar dafür sprechen, dass er die hilflose Lage weiter so verstanden wissen wollte wie früher – also als konkrete Gefahr. Dieses Verständnis ist aber aus den dargelegten Gründen für die Neufassung nicht mehr möglich und abzulehnen1004. Einen weiteren Hinweis für das Verständnis der hilflosen Lage kann man den Äußerungen von Bräutigam im Rahmen der Diskussion des 6. StrRG im Bundesrat entnehmen1005: „Gerade hier (erg.: im Straßenverkehr) ist es an1001 Vgl. oben 4. Teil: D. II. 1. a). So schon zur hilflosen Lage im E 1925 Sudhoff, S. 26, 28. 1002 Allerdings sollte man noch kurz darauf hinweisen, dass die hilflose Lage nicht in allen vormaligen Gesetzesbüchern als Gefahr verstanden wurde. In Art. 174 ff. bayer. StGB 1813 und den sich daran orientierenden Partikulargesetzen anderer Länder war das Vorliegen der Gefahr nur Strafzumessungsgrund, das Merkmal des hilflosen Zustandes das Tatbestandsmerkmal. Da sich diese Ansicht und Auslegung zur hilflosen Lage bzw. zum hilflosen Zustand jedoch im RStGB und später auch im StGB nicht durchgesetzt hat und der Wortlaut der heutigen Norm der Aussetzung wesentlich vom dem bayer. StGB 1813 abweicht, führt dieser Weg hier nicht weiter. Vgl. hierzu Lucks, S. 103, und oben 3. Teil: A. I. 3. 1003 Vgl. 4. Teil: D. IV. 1. a) bb) und 4. Teil: D. IV. 1. b) cc). 1004 Vgl. 4. Teil: D. I. 1. c) und 4. Teil: D. IV. 1. a). 1005 Bräutigam, [3. Teil: B. II. 3. in Fn. 198], S. 202. Es sei, ohne dies weiter zu vertiefen, darauf hingewiesen, dass Bräutigam im Rahmen seiner Argumentation für die Erweiterung des Grundtatbestandes der Aussetzung stets mit Beispielen operiert, in denen wirklich Schäden oder Verletzungen eingetreten sind; also ausschließlich Fälle von Qualifikationen i. S. v. §§ 221 Abs. 2 Nr. 2, 221 Abs. 3 StGB.

D. Das situationsbezogene Tatbestandsmerkmal der hilflosen Lage

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gesichts der Gefahren durch rücksichtslose Raser oder betrunkene Verkehrsteilnehmer geboten, die leichtfertige Verursachung schwerer Gesundheitsschäden oder des Todes als besonders strafwürdig zu kennzeichnen und entsprechend zu ahnden. Ähnlich verhält es sich bei Angriffen auf Kraftfahrer etwa durch Steinwürfe von Autobahnbrücken oder mit Straftaten gegen Bahnstrecken, wenn hierdurch Menschen ernsthaft zu Schaden kommen.“ Nach Bräutigam würden die beschriebenen Taten weiterhin von dem geringeren Strafrahmen der bisher einschlägigen Tatbestände (§§ 315b, 315c StGB) erfasst, anscheinend aber nicht von dem höheren Strafrahmen der Aussetzung. Mithin ging Bräutigam, dessen Äußerung im Bundesrat unwidersprochen blieb, davon aus, dass diese Verhaltensweisen trotz der erweiterten Fassung der Aussetzung nicht unter diesen Tatbestand fallen konnten. Es handelt sich um Moment- oder Augenblicksgefahren, die auch heute noch bei der Bestimmung der hilflosen Lage Probleme darstellen und diskutiert werden. Aus Bräutigams Äußerungen kann man wiederum nur negativ entnehmen: Eine hilflose Lage ist keine Gefahr, die Aussetzung erfasst keine Moment- und Augenblicksgefahren. Für den Ausschluss unmittelbar gefahrverursachender Verhaltensweisen aus dem Tatbestand spricht noch ein weiteres Detail. Man findet in den Materialien zum E 1960 und E 1962 folgende Passage: „Der Entwurf begnügt sich jedoch nicht mit einer so allgemeinen Fassung der Gefährdungshandlung. Vielmehr beschreibt er die für den Tatbestand der Aussetzung typische Art und Weise, durch die der Täter das Leben des anderen gefährdet“1006. Dies kann nur so verstanden werden, dass eben nicht jede Verursachung einer Gefahr erfasst werden soll, sondern nur spezielle, sozusagen „aussetzungstypische“1007, wobei der Gesetzgeber es dann leider versäumt hat, diese „typischen“ Handlungen genauer zu beschreiben. Daher wird auch hier wieder nur deutlich, was die Aussetzung und die hilflose Lage nicht sind: Erstere ein allgemeines Leibes- und Lebensgefährdungsdelikt, Letztere eine Gefahr. Auch wenn man die Materialien der Entwürfe von 1909 bis 1933 in die Betrachtung miteinbezieht, ist kaum etwas zur hilflosen Lage zu finden. Einige kurze Ausführungen, die sich aber nicht problemlos auf die heutige Fassung der Norm übertragen lassen, stehen im E 1913, E 1919, E 1925 und E 1927. Die Übertragung scheitert i. d. R. daran, dass einerseits in einigen Entwürfen der Opferkreis der zweiten Tatvariante noch auf „hilflose Personen“ oder „Hilflose“ beschränkt war, andererseits im E 1913 und E 1919 der Taterfolg der Norm als hilflose Lage umschrieben war. 1006 1007

E 1960, S. 260; E 1962, S. 276. So auch MüKo-StGB-Hardtung, § 221 Rn. 12.

290 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

Zum E 1913 findet man eine Äußerung, die die hilflose Lage betrifft, sich aber nur mit der ersten Tathandlung befasst. Danach sollte die erste Tatvariante „Wer . . . einen anderen durch Aussetzung in hilflose Lage bringt . . .“ lauten und klarstellen, dass – weiter als bisher – sowohl der Fall der Aussetzung einer bereits hilflosen Person erfasst werden sollte als auch die Konstellation, dass eine im Zeitpunkt der Aussetzung noch nicht hilflose Person durch die Tat erst hilflos wurde1008. Aus diesem Hinweis wird abermals nur negativ deutlich, was die hilflose Lage nicht ist: Die rein individuelle Hilfsbedürftigkeit des Opfers, weil andernfalls die schon hilflosen Personen nicht unter die erste Tathandlung im E 1913 hätten fallen können1009. Diese Feststellung ist für die heutige Auslegung der Aussetzung nicht sehr erhellend, weil im E 1913 die hilflose Lage – entsprechend der früher überwiegenden Meinung – den tatbestandlichen Erfolg umschrieb1010. Nur die Fassung der Aussetzung in § 230 E 1925 könnte weiterhelfen, weil dort erstmals in der ersten Tatvariante das Element der hilflosen Lage und das einer Lebensgefährdung zusammen verwendet wurden. In der zweiten Tatvariante ist hingegen weiterhin von „Hilflosen“ als Opfer die Rede. Die Literatur, die sich mit der Norm und der hilflosen Lage befasste – die Materialien äußern sich nicht dazu –, ging davon aus, es sei für die erste Variante belanglos, ob die Person vor der Aussetzung hilflos war oder erst durch diese hilflos wurde, während bei der zweiten die Person bereits vor der Tat hilflos gewesen sein musste1011. Danach konnte die hilflose Lage i. S. v. § 230 E 1925 jedenfalls keine rein individuelle Hilfsbedürftigkeit sein. Da man zudem davon ausging, zusätzliche Voraussetzung beider Tatalternativen sei der Eintritt einer Lebensgefahr1012, konnte sinnlogisch auch damals die hilflose Lage letztlich nicht gleichbedeutend mit der Gefahr sein. Der Versuch einer historischen Analyse des Begriffs der hilflosen Lage bleibt also weitgehend erfolglos: Negativ kann man zwar konstatieren, dass die hilflose Lage weder Gefahr noch individuelle Hilfsbedürftigkeit sein 1008 141. Sitzung der 1. Lesung vom 12.06.1912, in: Reformkommission [1911–1913], Protokolle, Bd. 3, S. 38, und 182. Sitzung der 1. Lesung vom 06.11.1912, in: Reformkommission [1911–1913], Protokolle, Bd. 3, S. 400. Ebenso im E 1919, in dem die zweite Tatalternative noch auf Hilflose beschränkt war, der Opferkreis der ersten Tatvariante hingegen jedermann erfasste; vgl. E 1919, Denkschrift, S. 233. 1009 Vgl. ausführlich oben unter 4. Teil: D. IV. 1. b) bb) (1). 1010 Ebenso noch in § 289 E 1919; vgl. E 1919, Denkschrift, S. 233. 1011 Lincke, S. 2; Sudhoff, S. 5, 10, 33 ff. 1012 E 1925, Begründung, S. 119; Wachenfeld, GA 70 [1925], 68; Marfels, S. 81; Appel, S. 80 f.; darstellend S. Heinrich, S. 160. Ebenso Aschrott/Kohlrausch-Radbruch, S. 313 f., und Prestel, S. 34, die aber die zweite bzw. die erste Tathandlung als überflüssig ansehen. Schoetensack, GS 93 [1926], 114, und Teufel, S. 48, fordern sogar die Erweiterung des Tatbestandes auf Gesundheitsgefahren.

D. Das situationsbezogene Tatbestandsmerkmal der hilflosen Lage

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kann, eine positive Aussage, was eine hilflose Lage ist, kann man aus den Materialien nicht herleiten. c) Systematische Analyse der hilflosen Lage n. F. Nachdem die vorherigen Abschnitte hauptsächlich zu einer negativen Inhaltsbestimmung der hilflosen Lage in dem Sinne, was eine hilflose Lage nicht ist, beitragen konnten, soll das Augenmerk im Folgeabschnitt insbesondere auf die positive Inhaltsbestimmung dieser Lage gerichtet werden. aa) Systematische Aspekte innerhalb von § 221 Abs. 1 StGB Wie bereits ausführlich erläutert1013, ergibt sich aus dem Vergleich der hilflosen Lage in § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB und § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB in erster Linie, was die hilflose Lage nicht ist: Sie kann nicht als Gefahr und nicht als individuelle Hilfsbedürftigkeit interpretiert werden. Des Weiteren ergibt sich aus der Verwendung desselben Begriffes in beiden Tatvarianten des Grundtatbestandes die Unmöglichkeit einer unterschiedlichen Auslegung. Innerhalb des Tatbestandes liefert die Systematik also abermals – wie schon die Geschichte – nur Ansatzpunkte einer negativen Begriffsbestimmung für die hilflose Lage. bb) Systematische Untersuchung anderer Normen des StGB Viele Normen des Besonderen Teils im StGB enthalten das Tatbestandsmerkmal der Lage oder sogar der hilflosen Lage, der Hilflosigkeit, der Hilfsbedürftigkeit oder ähnliche Begriffe; daraus können möglicherweise Schlüsse auf den Inhalt der hilflosen Lage bei der Aussetzung gezogen werden. (1) Normen, die das Merkmal hilflose Lage enthalten Die Formulierung „hilflose Lage“ findet bzw. fand man in zwei Normen des StGB: In § 234 StGB und § 237 StGB a. F. (a) § 234 Abs. 1 StGB In § 234 Abs. 1 StGB findet sich die „hilflose Lage“ wörtlich als Merkmal des Tatbestandes. Mithin wäre es naheliegend, aus der Auslegung der 1013

4. Teil: D. IV. 1.

292 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

hilflosen Lage in § 234 Abs. 1 StGB Folgerungen für das Verständnis dieses Merkmals in § 221 Abs. 1 StGB zu ziehen. Allerdings bestehen hier grundlegende Probleme: Erstens wurde der Wortlaut der Norm des § 234 Abs. 1 StGB durch das 6. StrRG nicht an die Änderungen der Aussetzung angepasst1014. Zweitens ist das „Aussetzen in hilfloser Lage“ in § 234 Abs. 1 StGB – wie durch das „um . . . zu“ deutlich wird – ein subjektives Tatbestandsmerkmal1015; bei der hilflosen Lage in § 221 Abs. 1 StGB handelt es sich jedoch um ein objektives. Leider befassen sich die Ausführungen im Schrifttum zur hilflosen Lage beim Menschenraub nur sehr sporadisch mit der inhaltlichen Bedeutung dieses Merkmals1016. Vielmehr wird die Frage nach der Natur des Verweises auf die Aussetzung in den Vordergrund gestellt: Handelt es sich um einen Verweis auf die gesamte Aussetzung a. F.1017, auf die gesamte Aussetzung n. F.1018, nur auf die erste Tatvariante a. F.1019, auf die erste Tatvariante n. F.1020 oder 1014 Vgl. hierzu oben im 4. Teil: C. II. 5. c) bb) [Nachweise dort in Fn. 607]. § 234 StGB war auch im Rahmen des 37. StÄG vom 18.02.2005 [BGBl. I 2005 S. 239] Gegenstand von geringfügigen Änderungen; das Aussetzen in hilfloser Lage blieb aber weiterhin bestehen; vgl. BT-Drs. 15/3045, S. 10. 1015 BGH NStZ 2001, 247; LK-StGB11-Gribbohm [03/1999], § 234 Rn. 37; Heger, JA 2001, 632; MüKo-StGB-Wieck-Noodt, § 234 Rn. 41; NK-StGB2-Sonnen, § 234 Rn. 23 f.; Kindhäuser, LPK3, § 234 Rn. 4 f.; Schönke/Schröder-StGB27-Eser, § 234 Rn. 6; Lackner/Kühl, StGB26, § 234 Rn. 3; Tröndle/Fischer, StGB54, § 234 Rn. 4. Daneben ist bei § 234 StGB seit jeher streitig, welche Vorsatzform für das Aussetzen in hilfloser Lage vorliegen muss: Für den Eintritt der Gefahr genügt nach MüKoStGB-Wieck-Noodt, § 234 Rn. 44; SK-StGB7-Wolters [10/2005], § 234 Rn. 4, dolus eventualis, während die restlichen Stimmen Absicht [dolus directus 1. Grades] verlangen; so LK-StGB11-Gribbohm [03/1999], § 234 Rn. 42; NK-StGB2-Sonnen, § 234 Rn. 24; Kindhäuser, LPK3, § 234 Rn. 4; Schönke/Schröder-StGB27-Eser, § 234 Rn. 6; Rengier, BT II8, § 25 Rn. 2; Tröndle/Fischer, StGB54, § 234 Rn. 4. Offen gelassen in BGH NStZ 2001, 247, und von Lackner/Kühl, StGB26, § 234 Rn. 3. 1016 Anders aber BGH NStZ 2001, 247, und MüKo-StGB-Wieck-Noodt, § 234 Rn. 43. 1017 In diese Richtung NK-StGB2-Sonnen, § 234 Rn. 24; so schon vor dem 6. StrRG H. Weber, S. 58; Warmuth, S. 117; wohl auch Preisendanz, StGB30, § 234 Anm. 4, und Schönke/Schröder-StGB24-Eser, § 234 Rn. 6. 1018 Laue, S. 81; SK-StGB7-Wolters [10/2005], § 234 Rn. 4. 1019 Schönke/Schröder-StGB27-Eser, § 234 Rn. 6; Lackner/Kühl, StGB26, § 234 Rn. 3; wohl auch MüKo-StGB-Wieck-Noodt, § 234 Rn. 41 f. [die zwar in Rn. 41 die Begriffe „entsprechend § 221 StGB“ verstehen will, in Rn. 42 dann aber nur das räumliche Verbringen als Aussetzen – wie zu § 221 StGB a. F. – versteht] und Rengier, BT II8, § 25 Rn. 2. So vor dem 6. StrRG LK-StGB10-Vogler [08/1979], § 234 Rn. 8; Lackner/Kühl, StGB22, § 234 Rn. 3; Tröndle, StGB48, § 234 Rn. 4. 1020 Kindhäuser, LPK3, § 234 Rn. 5. Wohl auch Tröndle/Fischer, StGB54, § 234 Rn. 4, der aber missverständlich auf das „Aussetzen in hilfloser Lage“ in § 221 StGB verweist.

D. Das situationsbezogene Tatbestandsmerkmal der hilflosen Lage

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enthält § 234 Abs. 1 StGB sogar einen eigenständigen Begriff1021 der hilflosen Lage? Aus der Beurteilung dieses Verweises ergibt sich allerdings – ohne dass ausdrückliche Äußerungen zum Inhalt der hilflosen Lage bei § 234 Abs. 1 StGB gemacht werden – gleichwohl eine Aussage zum Inhalt der hilflosen Lage beim Menschenraub: Die Mehrzahl der Autoren folgt weiterhin dem Verständnis der hilflosen Lage i. S. der a. F. der Aussetzung und setzt damit die hilflose Lage in § 234 Abs. 1 StGB mit einer konkreten Gefahr gleich1022. Überraschenderweise stimmen mit diesem Befund sowohl diejenigen Autoren überein, die einen eigenständigen Begriff der hilflosen Lage in § 234 Abs. 1 StGB annehmen wollen1023, als auch diejenigen, die sich an § 221 Abs. 1 StGB n. F. orientieren wollen1024, da letztere bei § 234 Abs. 1 StGB die hilflose Lage (immer noch) mit der konkreten Gefahr gleichsetzen und ihre eigene Ansicht zur hilflosen Lage bei § 221 Abs. 1 StGB n. F. nicht auf § 234 Abs. 1 StGB übertragen1025. Mithin wird in der Literatur und auch in der Rechtsprechung zu § 234 Abs. 1 StGB die hilflose Lage weiterhin als Gefahr verstanden. Da dies aber nicht für die Aussetzung in der n. F. gelten kann1026, ist es nicht möglich, aus dem Vergleich der – zwar wortgleichen, aber, wie soeben gezeigt, im Inhaltlichen verschiedenen – Merkmale der hilflosen Lage bei Aussetzung und Menschenraub Folgerungen für die hilflose Lage im Rahmen von § 221 Abs. 1 StGB n. F. zu ziehen. (b) § 237 StGB a. F. bis 1997 Auch die alte Fassung von § 237 StGB enthielt das Merkmal der hilflosen Lage und zwar – im Gegensatz zu § 234 Abs. 1 StGB – als objektives Tatbestandsmerkmal. Allerdings wurde die Norm schon zum LK-StGB11-Gribbohm [03/1999], § 234 Rn. 37. BGH NStZ 2001, 247, mit zustimmender Anmerkung Heger, JA 2001, 634; NK-StGB2-Sonnen, § 234 Rn. 24; Schönke/Schröder-StGB27-Eser, § 234 Rn. 6; Lackner/Kühl, StGB26, § 234 Rn. 3; Rengier, BT II8, § 25 Rn. 2. So – mit Betonung auf dem subjektiven Aspekt der Gefahr durch die Absicht bei § 234 StGB – auch MüKo-StGB-Wieck-Noodt, § 234 Rn. 43 f. 1023 LK-StGB11-Gribbohm [03/1999], § 234 Rn. 38, 41. 1024 Laue, S. 80; SK-StGB7-Wolters [10/2005], § 234 Rn. 4; wohl auch Tröndle/ Fischer, StGB54, § 234 Rn. 4, der auf das „Aussetzen in hilfloser Lage“ in § 221 StGB verweist. 1025 Anders anscheinend nur MüKo-StGB-Wieck-Noodt, § 234 Rn. 69, wo § 234 StGB als Beschreibung des Vorfeldes von § 221 StGB angesehen wird. Offen gelassen bei Kindhäuser, LPK3, § 234 Rn. 5. 1026 Vgl. oben 4. Teil: D. IV. 1. a). 1021 1022

294 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

04.07.1997 – bevor die Neufassung der Aussetzung in Kraft trat – aufgehoben1027, womit es schwierig erscheint, Folgerungen aus dem Inhalt dieser Norm für die heutige Fassung der Aussetzung zu ziehen. Nach den Ausführungen in Rechtsprechung und Literatur zeichnet sich die hilflose Lage bei § 237 StGB a. F. dadurch aus, dass das Opfer dem ungehemmten Einfluss des Täters ohne Schutz preisgegeben war und weder die eigene Kraft des Opfers ausreichte, um sich diesem Einfluss zu entziehen, noch mit Hilfe durch Dritte zu rechnen war1028. Das wurde u. a. dann angenommen, wenn das Opfer sich dem Täter allein gegenübersah und auf fremde Hilfe nicht vertrauen konnte1029. Hierbei führte die Anwesenheit hilfsbereiter Personen nicht schon zum Ausschluss der hilflosen Lage, sondern diese Personen mussten auch im Einzelfall geeignet sein, das Opfer gegen den hemmungslosen Einfluss des Täters zu schützen1030. Im Gegensatz zu § 221 StGB a. F. war aber eine hilflose Lage nicht erst dann gegeben, wenn keine Verteidigungs- oder Ausweichmöglichkeit mehr bestand, sondern schon, wenn sich das Opfer dem ungehemmten Einfluss des Täters gegenübersah1031. Mithin musste für eine hilflose Lage gem. § 237 StGB a. F. (noch) keine Gefahr für das Opfer vorliegen, sondern es reichte „weniger“ aus; die hilflose Lage lag im Vorfeld der Gefahr. Dies liegt durchaus auf der Linie dessen, was nach dem bisherigen Erkenntnisstand die hilflose Lage in der Aussetzung n. F. auszeichnet. 1027 § 237 StGB a. F. wurde durch das 33. StÄG vom 01.07.1997 [BGBl. I S. 1607] mit Wirkung zum 04.07.1997 aufgehoben und wird heute durch § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB [hierzu sogleich im 4. Teil: D. IV. 2. c) bb) (3) (a)] ersetzt; vgl. BT-Drs. 13/7324, S. 7; zum dem Gesetz auch BGHSt 44, 228 [231]; BGH NJW 2003, 2250 [2251]; Renzikowski, NStZ 1999, 379; Mildenberger, S. 56; Laubenthal, 3. Kap. Rn. 149; Harbeck, S. 130; kritisch Fischer, ZStW 112 [2000], 101 f. 1028 BGHSt 24, 90 [93]; BGH NJW 1989, 917; Otto, JR 1989, 341; LKStGB10-Vogler [08/1979], § 237 Rn. 6; Schönke/Schröder-StGB24-Eser, § 237 Rn. 7; Mitsch, JuS 1993, 222; Dreher/Tröndle, StGB47, § 237 Rn. 5; SK-StGB5-Horn [08/1996], § 237 Rn. 5; Lackner/Kühl, StGB22, § 237 Rn. 5; Laubenthal, JZ 1999, 583; Harbeck, S. 130. 1029 BGH NJW 1989, 917 mit kritischer Anmerkung Otto, JR 1989, 341; Mitsch, JuS 1993, 222; SK-StGB5-Horn [08/1996], § 237 Rn. 5; Laubenthal, JZ 1999, 583. 1030 So hat es der Bundesgerichtshofs in einem Fall [zu § 236 StGB] genügen lassen, dass eine hilfsbereite Personen dem Opfer zur Seite stand, um einen ungehemmten Einfluss zu verneinen; vgl. BGHSt 22, 178 [179 f.]; in einem anderen Fall – trotz Anwesenheit zweier weiterer Personen – das Vorliegen einer hilflosen Lage bejaht; vgl. BGH NJW 1989, 917. In BGHSt 24, 90 [93] führte die Anwesenheit hilfsbereiter Personen zur Ablehnung der hilflosen Lage. Vgl. auch LK-StGB10-Vogler [08/1979], § 237 Rn. 6; Dreher/Tröndle, StGB47, § 237 Rn. 5. 1031 Schönke/Schröder-StGB24-Eser, § 237 Rn. 7; SK-StGB5-Horn [08/1996], § 237 Rn. 5; Harbeck, S. 131.

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Allerdings war die hilflose Lage in § 237 StGB a. F. das Ergebnis einer Ortsveränderung des Opfers1032. Hierin besteht in jedem Fall ein deutlicher Unterschied zur hilflosen Lage in § 221 Abs. 1 StGB n. F., da beide Tathandlungen keine solche räumliche Veränderung mehr erfordern1033. Eines wird durch § 237 StGB a. F. mit Blick auf § 234 Abs. 1 StGB und § 221 Abs. 1 StGB a. F. dennoch deutlich: Schon vor dem 6. StrRG gab es in unterschiedlichen Normen des StGB voneinander abweichende Bedeutungen der hilflosen Lage. Deshalb scheint es nicht unmöglich, heute den Begriff in § 234 Abs. 1 StGB anders auszulegen als in § 221 Abs. 1 StGB n. F. Anders gesagt: Die Stimmen, die in § 234 Abs. 1 StGB den Begriff der hilflosen Lage weiterhin als konkrete Gefahr wie in § 221 Abs. 1 StGB a. F. deuten, zwingen nicht zu einer Übertragung dieser Deutung auf § 221 Abs. 1 StGB n. F. (2) Tatbestände mit den Begriffen Hilflosigkeit, Hilfsbedürftigkeit, hilfsbedürftige Personen Zahlreiche Normen enthalten Begriffe, die in verschiedener Art und Weise mit Hilflosigkeit zu tun haben. So findet man in §§ 232 Abs. 1, 233 Abs. 1 StGB (so auch schon § 180b Abs. 1 StGB a. F.) das Handeln unter Ausnutzung der „Hilflosigkeit“ einer Person, in § 243 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 StGB die „Hilflosigkeit einer anderen Person“, in § 174a Abs. 2 StGB die Begriffe „hilfsbedürftige Menschen“ und die „Hilfsbedürftigkeit dieser Person“. (a) §§ 232 Abs. 1, 233 Abs. 1 StGB n. F.: Die „auslandsspezifische Hilflosigkeit“ In §§ 232 Abs. 1, 233 Abs. 1 StGB findet man – seit der Änderung durch das 37. Strafrechtsänderungsgesetz1034 – das objektive Tatbestandsmerkmal1035 „unter Ausnutzung . . . der Hilflosigkeit, die mit ihrem Aufenthalt 1032 BGHSt 24, 90 [92]; 29, 233 [237]; BGH NJW 1969, 1774; BGHR § 237 Ausnutzen 2; LK-StGB10-Vogler [08/1979],§ 237 Rn. 4; Schönke/SchröderStGB24-Eser, § 237 Rn. 7; Mitsch, JuS 1993, 222; SK-StGB5-Horn [08/1996], § 237 Rn. 5. 1033 Vgl. oben 4. Teil: C. I. 6. und 4. Teil: C. II. 6. 1034 BGBl. I 2005 vom 18.02.2005 S. 239. §§ 232, 233 StGB ersetzen u. a. §§ 180b, 181 StGB; vgl. BT-Drs. 15/3045, S. 3 f., 7 ff. Zur Entstehung der Normen siehe BT-Drs. 15/4048, S. 4 ff.; 15/4380, S. 2 f.; BR-Drs. 846/04, S. 1 f.; vgl. auch Schroeder, NJW 2005, 1393 ff.; SK-StGB7-Wolters [10/2005], Vorbemerkungen vor § 232; Eydner, NStZ 2006, 10 f. 1035 In § 180b Abs. 1 StGB a. F. war das Handeln „in Kenntnis der Hilflosigkeit, die mit ihrem Aufenthalt [erg.: dem des Opfers] in einem fremden Land verbunden

296 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

(erg.: dem der Person, des Opfers) in einem fremden Land verbunden ist“1036. Man spricht aufgrund der Verbindung von Hilflosigkeit und dem Aufenthalt in einem fremden Land auch vom Erfordernis einer „ausländerspezifischen Hilflosigkeit“1037. In den Texten, die sich mit der hilflosen Lage i. S. der Norm befassen, findet man dementsprechend einerseits Erläuterungen dazu, was unter Hilflosigkeit zu verstehen ist, andererseits Ausführungen dazu, wann diese Hilflosigkeit als „ausländerspezifisch“ einzuordnen ist1038. Die Hilflosigkeit ist danach gegeben, wenn die Person aufgrund ihrer persönlichen Fähigkeiten und der konkreten Umstände nicht oder nur wesentlich eingeschränkt in der Lage ist, sich dem Verlangen sexueller Belästigung zu widersetzen; bei der Bestimmung der Hilflosigkeit kommt es auf die konkrete Lage und die konkreten Fähigkeiten der betroffenen Person an1039. Betont wird aber, dass keine Hilflosigkeit i. S. der genannten Normen beim Vorliegen von Gebrechen und Krankheiten besteht1040. Hieraus lässt sich einerseits folgern, dass in §§ 232 Abs. 1, 233 Abs. 1 StGB die Hilflosigkeit individuell zu bestimmen ist; dies deckt sich mit dem bisherigen Ergebnis dieser Arbeit, wonach die Hilflosigkeit im Begriff der hilflosen Lage eine Frage des Einzelfalles darstellt. Ob man bei der Bestimmung der Hilflosigkeit die Hilfe Dritter einzubeziehen hat, wird bei ist“ hingegen subjektives Tatbestandsmerkmal; vgl. BT-Drs. 15/3045, S. 8. So auch BGH NJW 1996, 2875 [2876]; anders aber die überwiegende Literatur zu § 180b StGB a. F., die ein objektives Tatbestandsmerkmal annahm; vgl. Schönke/SchröderStGB26-Lenckner/Perron, § 180b Rn. 5; Lackner/Kühl, StGB25, § 180b Rn. 6; MüKo-StGB-Renzikowski, § 180b Rn. 30; darstellend Schroeder, NJW 2005, 1394 f. 1036 Zum Tatbestandsmerkmal der Zwangslage in §§ 232, 233 StGB im 4. Teil: D. IV. 2. c) bb) (3) (b). 1037 Laubenthal, 3. Kap. Rn. 652; Gössel, Sexualstrafrecht, § 5 Rn. 42; Schönke/ Schröder-StGB27-Eisele, § 232 Rn. 11; Tröndle/Fischer, StGB54, § 232 Rn. 10. 1038 Da für diese Arbeit nur der Begriff der Hilflosigkeit i. S. v. §§ 232, 233 StGB von Interesse ist, beschränkt sich der folgende Text auf diesen Aspekt des Tatbestandsmerkmals. Zum auslandsspezifischen Aspekt der Hilflosigkeit vgl. daher SK-StGB7-Wolters [10/2005], § 232 Rn. 15; Schönke/Schröder-StGB27-Eisele, § 232 Rn. 11; Tröndle/Fischer, StGB54, § 232 Rn. 10, sowie zu § 180b StGB a. F. BGH NStZ 1999, 349 [350]; NStZ-RR 2004, 233 [234]; Lackner/Kühl, StGB25, § 180b Rn. 8; MüKo-StGB-Renzikowski, § 180b Rn. 40; NK-StGB2-Frommel, § 181 Rn. 7. 1039 Zum Ganzen: SK-StGB7-Wolters [10/2005], § 232 Rn. 15; Kindhäuser, LPK3, § 234 Rn. 7; Schönke/Schröder-StGB27-Eisele, § 232 Rn. 11; Tröndle/Fischer, StGB54, § 232 Rn. 10. So identisch das Verständnis der Hilflosigkeit in § 180b StGB a. F.; vgl. BGH NStZ-RR 2004, 233 [234]; Lackner/Kühl, StGB25, § 180b Rn. 8; MüKo-StGB-Renzikowski, § 180b Rn. 40; NK-StGB2-Frommel, § 181 Rn. 7. 1040 SK-StGB7-Wolters [10/2005], § 232 Rn. 15; Schönke/Schröder-StGB27-Eisele, § 232 Rn. 11 a. E.

D. Das situationsbezogene Tatbestandsmerkmal der hilflosen Lage

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§§ 232 Abs. 1, 233 Abs. 1 StGB nicht erörtert, scheint aber wegen des Abstellens auf die konkreten Umstände des Opfers naheliegend. Andererseits handelt es sich bei der Hilflosigkeit in §§ 232 Abs. 1, 233 Abs. 1 StGB um behebbare und damit situative Umstände, die der Person nicht grundsätzlich anhaften, sondern die sich aus der spezifischen Situation ergeben. Mithin ist diese Hilflosigkeit eine Situation, kein dauerhafter, sondern ein beendbarer bzw. aufhebbarer Zustand. Dies geht ebenfalls konform mit dem Verständnis der hilflosen Lage bei der Aussetzung, wie die bisherigen Überlegungen gezeigt haben. (b) § 174a Abs. 2 StGB: Hilfsbedürftige Menschen und Hilfsbedürftigkeit § 174a Abs. 2 StGB enthält die Begriffe „hilfsbedürftige Menschen“ und „Hilfsbedürftigkeit“. Entscheidungen der Rechtsprechung bzw. Ausführungen der Literatur zum Inhalt dieser Begriffe sind nur in geringem Umfang vorhanden: Es gibt drei veröffentlichte Entscheidungen zu § 174a Abs. 2 StGB, die sich am Rande mit dem Inhalt der Hilfsbedürftigkeit bzw. mit dem Merkmal des hilfsbedürftigen Menschen auseinandersetzen1041; auch in den Büchern und Kommentaren finden sich nur wenige Sätze. Aus diesen kann man aber herauslesen: Die Begriffe Krankheit und Hilfsbedürftigkeit in § 174a Abs. 2 StGB beschreiben Zustände1042, die beide eine gewisse Abhängigkeit des Opfers vom Täter begründen1043. Wann genau aber ein Mensch hilfsbedürftig ist bzw. sich im Zustand der Hilfsbedürftigkeit befindet, wird nirgends definiert. Vielmehr wird betont, dass die Merkmale der Hilfsbedürftigkeit bzw. Krankheit ohnehin nicht geeignet erscheinen, den Tatbestand des § 174a Abs. 2 StGB zu begrenzen, und dies nur über das Merkmal „ausnutzen“ geschehen kann1044. 1041 BGHSt 29, 16 ff.; BGH NStZ 2004, 630 [630 f.]; OLG Hamm NJW 1977, 1499 [1500 f.]. 1042 BGH NStZ 2004, 630 [631]; OLG Hamm NJW 1977, 1499 [1500]; Maurach/ Schroeder/Maiwald, BT 19, § 18 Rn. 40; MüKo-StGB-Renzikowski, § 174a Rn. 20; NK-StGB2-Frommel, § 174a Rn. 14; Kindhäuser, LPK3, § 174a Rn. 6; Schönke/ Schröder-StGB27-Lenckner/Perron/Eisele, § 174a Rn. 10; Lackner/Kühl, StGB26, § 174a Rn. 7; Tröndle/Fischer, StGB54, § 174a Rn. 8a. 1043 BGH NStZ 2004, 630 [631]; OLG Hamm NJW 1977, 1499 [1500]; SKStGB8-Wolters/Horn [10/2004], § 174a Rn. 18; NK-StGB2-Frommel, § 174a Rn. 14; Lackner/Kühl, StGB26, § 174a Rn. 7. MüKo-StGB-Renzikowski, § 174a Rn. 19, 24, spricht von „bestimmten Obhutsverhältnissen“; ähnlich Gössel, Sexualstrafrecht, § 4 Rn. 69; Schönke/Schröder-StGB27-Lenckner/Perron/Eisele, § 174a Rn. 9, sprechen von einem „spezifischen Betreuungsverhältnis“. Vgl. hierzu im Rahmen von § 174a Abs. 1 StGB auch BGH NStZ 1999, 29. 1044 So Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 19, § 18 Rn. 40; in die Richtung auch MüKo-StGB-Renzikowski, § 174a Rn. 20; Lackner/Kühl, StGB26, § 174a Rn. 9.

298 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

Damit kann die Hilfsbedürftigkeit i. S. v. § 174a Abs. 2 StGB ein dauerhafter oder zeitweiliger Zustand sein, in dem sich das Opfer in Abhängigkeit vom Täter befindet. Problematisch bei einer Übertragung dieses Verständnisses der Begriffe „hilfsbedürftige Menschen“ bzw. „Hilfsbedürftigkeit“ auf den Tatbestand der Aussetzung ist in erster Linie, dass die Heranziehung dieser Begriffe auf die Übernahme des Wortlauts und der Grundsätze zur Auslegung der hilflosen Person i. S. der a. F. der Norm hinauslaufen würde, was aber – wie bereits dargelegt wurde1045 – heute nicht mehr zutreffend sein kann. (c) § 243 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 StGB: Ausnutzen der Hilflosigkeit einer anderen Person Ebel1046 und Kindhäuser1047 folgern aus dem Verständnis der Hilflosigkeit in § 243 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 StGB eine tatbestandliche Einschränkung für den Begriff der hilflosen Lage in § 221 Abs. 1 StGB n. F. Sie übersehen dabei allerdings einerseits die von der Aussetzung abweichende Bedeutung der Hilflosigkeit in § 243 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 StGB. Andererseits muss man aber auch grundsätzlich daran zweifeln, ob aus dem Regelbeispiel eines Eigentums(verletzungs)deliktes Folgerungen für ein ähnlich formuliertes Merkmal in einem Gefährdungsdelikt, das dem Schutz von Leib und Leben dient, gezogen werden können. Hilflos i. S. v. § 243 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 StGB ist nämlich derjenige, der sich nicht aus eigener Kraft gegen die – gerade dem Rechtsgut des § 242 i. V. m. § 243 Abs. 1 StGB drohenden – Gefahren schützen kann, also unfähig ist, der Wegnahme und dem Gewahrsamsbruch wirksam zu begegnen und diese zu verhindern1048. Hierbei spielt es nach überwiegender Ansicht keine Rolle, ob die Hilflosigkeit des Opfers dauernd oder nur vorübergehend ist, ob sie vom Täter selber herbeigeführt oder ob sie vom Opfer verschuldet wurde oder nicht1049. Die Hilflosigkeit kann – wie aus den Be1045

Siehe 4. Teil: D. IV. 1. b). Ebel, NStZ 2002, 407; vgl. schon oben 4. Teil: D. II. 4. 1047 Kindhäuser, LPK3, § 221 Rn. 7; ders., BT I3, § 5 Rn. 8; vgl. schon oben 4. Teil: D. II. 3. b) cc). 1048 SK-StGB6-Hoyer [02/1999], § 243 Rn. 38; MüKo-StGB-Schmitz, § 243 Rn. 50; Küper, BT6, S. 204; NK-StGB2-Kindhäuser, § 243 Rn. 36; Lackner/Kühl, StGB26, § 243 Rn. 21. 1049 SK-StGB6-Hoyer [02/1999], § 243 Rn. 38; MüKo-StGB-Schmitz, § 243 Rn. 50; Küper, BT6, S. 204; NK-StGB2-Kindhäuser, § 243 Rn. 36; Schönke/Schröder-StGB27-Eser, § 243 Rn. 39; Lackner/Kühl, StGB26, § 243 Rn. 21; Tröndle/Fischer, StGB54, § 243 Rn. 21; a. A. zur vom Opfer verschuldeten Hilflosigkeit Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 19, § 33 Rn. 99. 1046

D. Das situationsbezogene Tatbestandsmerkmal der hilflosen Lage

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griffen „dauerhaft“ oder „vorübergehend“ folgt – sowohl ein dem Opfer grundsätzlich anhaftendes Merkmal – wie z. B. Krankheit, Blindheit oder Taubheit – sein als auch eine nur in einer spezifischen Situation zeitweilig bestehende Unmöglichkeit zur Selbsthilfe bedeuten1050. Die Hilflosigkeit muss jedoch eine besondere Schutzbedürftigkeit gegenüber der Wegnahme begründen, die vom Normalzustand der körperlichen Funktionen abweicht, so dass z. B. der normale gesunde Schlaf oder das hohe Alter allein keine Hilflosigkeit zu begründen vermögen1051. Bisher ist festzuhalten: Die Hilflosigkeit i. S. v. § 243 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 StGB kann sowohl ein dauerhafter als auch ein kurzzeitiger Zustand sein, was von der bisher erarbeiteten Deutung für die hilflose Lage i. S. v. § 221 Abs. 1 StGB abweicht. Allerdings bestehen neben dieser Abweichung auch grundlegende Zweifel, ob die Übertragung dieser Deutung der Hilflosigkeit auf § 221 Abs. 1 StGB n. F. überhaupt möglich ist: Die Hilflosigkeit wird in dem Regelbeispiel des Diebstahls als Gefahr für das betroffene Rechtsgut gedeutet1052. Dementsprechend wird auch in der Literatur betont, die Begriffe der Hilflosigkeit in § 243 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 StGB und der hilflosen Lage in § 221 Abs. 1 StGB deckten sich jedenfalls seit dem 6. StrRG nicht mehr; vielmehr gehe der Begriff in § 243 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 StGB weiter als der in § 221 Abs. 1 StGB n. F.1053. Im Übrigen wurde der Begriff der Hilflosigkeit bereits vor dem 6. StrRG als von der hilflosen Lage im § 221 Abs. 1 StGB a. F. abweichend gedeutet und als weitergehend angesehen1054. Wenn schon früher die Hilflosigkeit in § 243 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 StGB weiter zu verstehen war als die hilflose Lage 1050 BGH NStZ-RR 2003, 186 [188]; BayObLG NJW 1973, 1808, mit zustimmender Anmerkung Schröder, JR 1973, 427; LK-StGB11-Ruß [01/1994], § 243 Rn. 32; Küper, BT6, S. 204; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 19, § 33 Rn. 99; MüKo-StGB-Schmitz, § 243 Rn. 50; NK-StGB2-Kindhäuser, § 243 Rn. 36; Schönke/Schröder-StGB27-Eser, § 243 Rn. 39. 1051 BGH NStZ 1990, 388; 2001, 532 [533]; LK-StGB11-Ruß [01/1994], § 243 Rn. 32; Küper, BT6, S. 204; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 19, § 33 Rn. 99; MüKo-StGB-Schmitz, § 243 Rn. 50; NK-StGB2-Kindhäuser, § 243 Rn. 36; Lackner/ Kühl, StGB26, § 243 Rn. 21; a. A. [zum „gesunden Schlaf“] Schönke/SchröderStGB27-Eser, § 243 Rn. 39, und [zum hohen Alter] Henninger, Kriminalistik 1996, 272. 1052 BayObLG NJW 1973, 1808; LK-StGB11-Ruß [01/1994], § 243 Rn. 32; Küper, BT6, S. 205; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 19, § 33 Rn. 99. 1053 Küper, BT6, S. 205; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 19, § 33 Rn. 99; a. A. wohl Tröndle/Fischer, StGB54, § 243 Rn. 21. 1054 BayObLG NJW 1973, 1808, mit zustimmender Anmerkung Schröder, JR 1973, 427; LK-StGB11-Ruß [01/1994], § 243 Rn. 32; offen gelassen bei Küper, BT6, S. 205.

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in § 221 Abs. 1 StGB a. F. und diese hilflose Lage durch die Neufassung jetzt enger zu verstehen ist, kann letztlich die Hilflosigkeit, die das Ausnutzen einer Person ermöglicht, erst recht nicht mehr gleichbedeutend mit der hilflosen Lage der Aussetzung n. F. sein. Die oben vertretene These, dass der Begriff der hilflosen Lage nicht auf Leib oder Leben begrenzt werden muss1055, sieht man hier am Beispiel der Hilflosigkeit i. S. v. § 243 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 StGB jedoch erneut bestätigt. (3) Normen mit dem Tatbestandsmerkmal „Lage“ Auch der Begriff der „Lage“ ist in einigen Normen des Strafgesetzbuches als Tatbestandsmerkmal zu finden: In § 177 Abs. 1 Nr. 2 StGB wird der Begriff „schutzlose Lage“ und in §§ 182 Abs. 1 Nr. 1/2, 232 Abs. 1, 233 Abs. 1 StGB die „Zwangslage“ verwendet. In §§ 239a Abs. 1, 239b Abs. 1 StGB ist die Ausnutzung der „von ihm (erg.: dem Täter) . . . geschaffenen Lage eines Menschen zu einer solchen Erpressung“ unter Strafe gestellt1056. (a) § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB: Die schutzlose Lage Durch das 33. StÄG vom 01.07.19971057 wurden die Tatmittel des § 177 Abs. 1 StGB erweitert und seitdem bildet die dritte Tatvariante die 1055

Vgl. oben 4. Teil: D. IV. 2. a) cc). Es gibt im StGB noch weitere Tatbestände mit „Lagen“, die hier aber nicht näher betrachtet werden, weil sie so grundlegend von der hilflosen Lage § 221 Abs. 1 StGB abweichen, dass ein Vergleich nicht möglich ist. Es handelt sich hierbei um den Begriff der Konfliktlage bzw. Notlage in § 219 StGB, die Zwangslage in § 291 StGB [= § 302a StGB a. F.], das „Verändern der Lage einer Betriebsstätte“ in § 327 Abs. 1 Nr. 2 StGB und „in der Lage sein“ in §§ 315a, 315c, 316 StGB. Daneben ist es bei § 32 StGB und § 34 StGB üblich, die den Rechtfertigungsgrund auslösende Situation als Notwehrlage bzw. Notstandslage zu bezeichnen [vgl. nur Gropp, AT3, § 6 Rn. 67, 116; Kühl, AT5, § 7 Rn. 21, § 8 Rn. 20; Wessels/Beulke, AT37, Rn. 299, 325]. Da sie sich aber nicht aus dem Wortlaut des Gesetzes ergeben, dieses vielmehr von einem „gegenwärtigen, rechtswidrigen Angriff“ bei § 32 StGB und von einer „gegenwärtigen, rechtswidrigen Gefahr“ bei § 34 StGB spricht, sind diese „Lagen“ ausschließlich Ergebnis einer Interpretation des Gesetzes. Infolgedessen wird hierauf nicht weiter eingegangen. 1057 BGBl. I S. 1607; ausführlichst zum Gesetzgebungsverfahren zu §§ 177 ff. StGB Wetzel, S. 61 ff. Zur Reformgeschichte der Normen auch Otto, Jura 1998, 210 ff.; Mildenberger, S. 29 ff.; Fischer, ZStW 112 [2000], 76 ff.; LK-StGB11Laufhütte/Roggenbruck [09/2000], § 177 [Nachtrag] Entstehungsgeschichte; Harbeck, S. 20 ff. Zu den Ursachen und Hintergründen der Gesetzesänderungen siehe Mildenberger, S. 3 ff.; Harbeck, S. 15 ff.; Folkers, Probleme, S. 23 ff. Rechtshistorische und rechtsvergleichende Aspekte findet man bei Wetzel, S. 33 ff., 91 ff. Die 1056

D. Das situationsbezogene Tatbestandsmerkmal der hilflosen Lage

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Tatbegehung mittels Nötigung unter Ausnutzung einer Lage, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist1058. Durch die Einführung der Neuregelung sollten nach dem Willen des Gesetzgebers der Tatbestand erweitert und Strafbarkeitslücken geschlossen werden, die nach alter Rechtslage auftraten, wenn z. B. ein Opfer – vor Schrecken starr oder aus Angst vor der Anwendung von Gewalt – die sexuelle Handlung über sich ergehen ließ, ohne dass der Täter Gewalt anwendete oder eine Drohung mit einer Gefahr für Leib oder Leben feststellbar war1059. Die neugefasste Norm wird in der Literatur regelmäßig als wenig gelungen angesehen1060, was letztlich auch die recht hohe Anzahl von Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zu verschiedenen Fragen des § 177 StGB seit 1997 bestätigt1061. Interessant im Hinblick auf das Verständnis der hilflosen Lage in der Aussetzungsnorm sind Äußerungen in den Materialien zu § 177 Abs. 1 gesamten Materialien zur Änderung im Bereich des Sexualstrafrechts hat Gössel, Sexualstrafrecht, Anhang S. 243 ff., zusammengestellt. Die Stellungnahmen aus Praxis und Wissenschaft zur Reform des Sexualstrafrechts findet man in der Anlage zum Protokoll der 35. Sitzung des Rechtsauschusses [13. Wahlperiode] vom 06.12.1995; Gutachter waren Helmken [S. 1–43], König [S. 45–51], Salditt [S. 53–62], Schroeder [S. 65–69], Vollmer S. 71–81], K. Weber [S. 83–110], Frommel [S. 111–116], Gerstendörfer [S. 117–123] und Nelles [S. 125–135]. 1058 BGH NStZ 1999, 30; NJW 2003, 2250 [2251]; Otto, Jura 1998, 212; Renzikowski, NStZ 1999, 378; MüKo-StGB-Renzikowski, § 177 Rn. 14; Schönke/Schröder-StGB27-Lenckner/Perron/Eisele, Vorbem §§ 174 ff. Rn. 5; Tröndle/Fischer, StGB54, § 177 Rn. 1. Diese Tathandlung war ursprünglich als dritte Alternative – neben der Begehung mittels Gewalt oder Drohung mit einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben – ohne weitere Gliederung in § 177 Abs. 1 StGB einbezogen. Im Verlauf der Beratungen zum 6. StrRG wurde § 177 Abs. 1 StGB dann redaktionell geändert und die noch heute vorhandene Nummerierung des Tatbestandes nach Tathandlungen eingeführt, wodurch aus der dritten Tatalternative § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB wurde. Eine inhaltliche Änderung des § 177 Abs. 1 StGB fand dadurch jedoch nicht statt; vgl. BGH NStZ 1999, 30; Otto, Jura 1998, 213 f.; Harbeck, S. 23 f.; MüKo-StGB-Renzikowski, § 177 Rn. 15 f. 1059 BT-Drs. 13/7324, S. 6. Siehe auch BVerfG NJW 2004, 3768 [3769]; BGHSt 44, 228 [230]; BGH NStZ 1999, 30; NJW 2003, 2250 [2251]; Laubenthal, JZ 1999, 585; Renzikowski, NStZ 1999, 378; Folkers, NJW 2000, 3318; dies., Probleme, S. 52 [m. z. N.]; Harbeck, S. 87. 1060 Fischer, ZStW 112 [2000], 103; Hiebl/Bendermacher, StV 2005, 264; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 19, § 18 Rn. 12; Schönke/Schröder-StGB27-Lenckner/ Perron/Eisele, § 177 Rn. 8; anders Gössel, Sexualstrafrecht, § 2 Rn. 34. 1061 Die Entscheidungen sind knapp dargestellt und aufgelistet zu finden in der jährlich erscheinenden Rechtsprechungsübersicht [„Aus der Rechtsprechung des BGH zu materiellrechtlichen Fragen des Sexualstrafrechts“] von Pfister in NStZ-RR 1999, 321, 353; 2000, 353; 2001, 353; 2002, 353; 2003, 353; 2004, 36, 353; 2005, 361; 2006, 361; 2007, 361.

302 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

Nr. 3 StGB1062: Die schutzlose Lage in der dritten Tatalternative des § 177 Abs. 1 StGB solle so zu verstehen sein wie die hilflose Lage in §§ 221, 234 und 237 StGB1063. Demzufolge solle eine schutzlose Lage i. S. des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB nicht erst dann vorliegen, wenn objektiv keine Verteidigungs- oder Ausweichmöglichkeit mehr gegeben ist, sondern schon dann, wenn die Schutz- und Verteidigungsmöglichkeiten des Opfers in einem Maß vermindert sind, dass es dem ungehemmten Einfluss des Täters preisgegeben ist1064. Eine dieser Definition fast entsprechende Formulierung sollte im Entwurf von CDU/CSU und FDP zu § 177 Abs. 1 StGB anfangs mit dem „Ausnutzen einer Lage, in der das Opfer dem ungehemmten Einfluss des Täters preisgegeben ist“, sogar Gesetzeswortlaut werden1065. Erst durch die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses wurde er in das heutige „Ausnutzen einer Lage, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist“ geändert, weil diese Formulierung „das strafbare Verhalten noch deutlicher zum Ausdruck bringt“1066. Der Entwurf der SPD-Fraktion zu § 177 Abs. 1 StGB hatte sogar ein Handeln „unter Aus1062 BT-Drs. 13/2463, S. 6; 13/4543, S. 7; 13/7663, S. 4. So auch die Äußerungen im Plenarprotokoll der 104. Sitzung des Bundestages [13. Wahlperiode] vom 09.05.1996 von Simm, S. 9189, und van Essen, S. 9191. Ebenso Frommel, in Protokoll der 35. Sitzung des Rechtsausschusses [13. Wahlperiode] vom 06.12.1995, S. 3. Wetzel, S. 175, fordert sogar die Änderung des Wortlautes der Norm in „hilflose Lage“. 1063 BT-Drs. 13/2463, S. 6; 13/4543, S. 7; ganz ähnlich auch BT-Drs. 13/7663, S. 4. Siehe auch die Äußerungen der drei Gutachter im Gesetzgebungsverfahren Helmken, S. 6; Frommel, S. 112; Nelles, S. 126, [genaue Fundstellen zu den drei Letztgenannten im 4. Teil: D. IV. 2. c) bb) (3) (a) in Fn. 1057] sowie Wetzel, S. 174. Mit Verweis auf die hilflose Lage i. S. v. § 237 StGB auch die Entwürfe der SPD-Fraktion in BT-Drs. 12/1818, S. 5; 13/323, S. 5. K. Weber, [4. Teil: D. IV. 2. c) bb) (3) (a) in Fn. 1057], S. 98, war jedoch der Ansicht, dass sich nur die hilflose Lage in § 237 StGB als Anknüpfungspunkt anbiete, weil die hilflosen Lagen in §§ 221, 234 StGB in einem anderen Zusammenhang verwendet würden. § 237 StGB wurde jedoch später aufgehoben; vgl. oben 4. Teil: D. IV. 2. c) bb) (1) (b). Vgl. zu der Thematik auch BGHSt 44, 228 [231]; BGH NStZ 1999, 30; NJW 2003, 2250 [2251]; Mildenberger, S. 51; Wetzel, S. 64; Folkers, NJW 2000, 3318; LKStGB11-Laufhütte/Roggenbruck [09/2000], § 177 [Nachtrag] Rn. 2; MüKo-StGBRenzikowski, § 177 Rn. 40; Schönke/Schröder-StGB27-Lenckner/Perron/Eisele, § 177 Rn. 8. 1064 BT-Drs. 13/2463, S. 6. So schon – mit Verweis auf BGHSt 1, 199 [201]; 24, 90 [93] – die Entwürfe der SPD-Fraktion in BT-Drs. 12/1818, S. 5; 13/323, S. 5. 1065 BT-Drs. 13/2463, S. 3; Frommel, [4. Teil: D. IV. 2. c) bb) (3) (a) in Fn. 1057], S. 112; Mildenberger, S. 52; Fischer, ZStW 112 [2000], 77 Fn. 18; Harbeck, S. 130. 1066 BT-Drs. 13/4543, S. 4, 7. So auch der Wortlaut in BR-Drs. 349/96, S. 4; BTDrs. 13/7324, S. 3. Vgl. auch Wetzel, S. 68, 173. Beide Formulierungen bezeichnet Schroeder, in: Protokoll der 35. Sitzung des Rechtsausschusses [13. Wahlperiode]

D. Das situationsbezogene Tatbestandsmerkmal der hilflosen Lage

303

nutzung einer hilflosen Lage“ als Beschreibung des tatbestandsmäßigen Verhaltens der dritten Tatvariante vorgesehen1067. Der Grund, warum diese Formulierung, die der Entwurf der CDU/CSU und der FDP zwar nicht verwendete, aber letztlich ja umschrieb, nicht gewählt wurde, dürfte parteipolitischer Natur gewesen sein: Man wollte sich nicht den Vorschlag der SPD zu eigen machen1068, obwohl die Gleichwertigkeit beider Formulierungen mehrfach festgestellt wurde1069. Interessanterweise war sogar angeregt worden, die dritte Tatvariante des § 177 Abs. 1 StGB als „Versetzen in hilflose Lage“ zu beschreiben1070. Diesem Vorschlag folgte man nicht und ging weder in der Anhörung noch im Gesetzgebungsverfahren auf ihn ein. Seit der Neufassung durch das 33. StÄG wird über Inhalt und Bedeutung der Norm allgemein, im Speziellen aber auch über die dritte Tatalternative gestritten. Hauptdiskussionspunkte sind dabei die Fragen, ob § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB ein einaktiges Delikt darstelle1071 oder ob es restriktiv als ein zweiaktiges Delikt aufgefasst werden müsse1072 sowie die Frage der Abvom 06.12.1995, S. 18, und ders., [4. Teil: D. IV. 2. c) bb) (3) (a) in Fn. 1057], S. 66, als „zu dramatisch“. 1067 BT-Drs. 13/323, S. 3; 13/4561, S. 1. So schon BT-Drs. 12/1818, S. 3. Vgl. auch Mildenberger, S. 26; Wetzel, S. 57, 61; Harbeck, S. 86. Der Antrag der SPD wurde jedoch abgelehnt; vgl. Protokoll der 104. Sitzung des Bundestages [13. Wahlperiode] vom 09.05.1996, S. 9202. 1068 Mildenberger, S. 52. So auch Simm, in: Protokoll der 104. Sitzung des Bundestages [13. Wahlperiode] vom 09.05.1996, S. 9189. 1069 Nelles, in: Protokoll der 35. Sitzung des Rechtsausschusses [13. Wahlperiode] vom 06.12.1995, S. 15; dies., [4. Teil: D. IV. 2. c) bb) (3) (a) in Fn. 1057], S. 126; Frommel, [4. Teil: D. IV. 2. c) bb) (3) (a) in Fn. 1057], S. 112. 1070 K. Weber, in: Protokoll der 35. Sitzung des Rechtsausschusses [13. Wahlperiode] vom 06.12.1995, S. 23; ders., [4. Teil: D. IV. 2. c) bb) (3) (a) in Fn. 1057], S. 87, 89; darstellend Fischer, ZStW 112 [2000], 77 Fn. 20. 1071 BGHSt 45, 253 [257 ff.]; BGH NJW 2002, 381 [382]; NStZ-RR 2003, 42 [44]; NStZ 2004, 440 [441], m. z. N. Diese Judikatur ist insoweit nicht von dem Rechtsprechungswandel in BGHSt 50, 359 [363 ff.] betroffen; so auch Renzikowski, NStZ 2006, 397 [398]. Siehe zur „Einaktigkeit“ der Tatvariante auch LKStGB11-Laufhütte/Roggenbruck [09/2000], § 177 [Nachtrag] Rn. 2 f.; Gössel, Sexualstrafrecht, § 2 Rn. 12; NK-StGB2-Frommel, § 177 Rn. 28 ff.; Reichenbach, JR 2005, 405. Die Normauslegung des Bundesgerichtshofs wurde vom Bundesverfassungsgericht in NJW 2004, 3768 [3769 ff.] für verfassungsgemäß erklärt; dies verneinend Fischer, NStZ 2000, 142 f.; Güntge, NJW 2004, 3750. 1072 So weite Teile der Literatur z. B.: Fischer, ZStW 112 [2000], 84 f.; ders., NStZ 2000, 143 f.; Graul, JR 2001, 117; Folkers, Probleme, S. 27, 58; dies., NStZ 2005 S. 181, 183; Hiebl/Bendermacher, StV 2005, 265 f.; MüKo-StGB-Renzikowski, § 177 Rn. 46 ff.; Schönke/Schröder-StGB27-Lenckner/Perron/Eisele, § 177 Rn. 11; Tröndle/Fischer, StGB54, § 177 Rn. 34 ff.; ähnlich auch SK-StGB8-Wolters/ Horn [10/2004], § 177 Rn. 3. Offen gelassen von Lackner/Kühl, StGB26, § 177 Rn. 6a. Mit Tendenzen in diese Richtung aber auch BGH NJW 2003, 2250

304 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

grenzung von § 177 StGB zu § 179 StGB1073. Die Frage aber, was unter einer schutzlosen Lage i. S. v. § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB zu verstehen ist, spielt bei diesen drei Diskussionen eine eher untergeordnete Rolle. Dennoch finden sich in Rechtsprechung und Literatur einige Ausführungen zum Inhalt der schutzlosen Lage. Die Rechtsprechung orientiert sich seit der Neufassung der dritten Tathandlung und der Einführung der schutzlosen Lage in § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB weitgehend an den wenigen Vorgaben, die der Gesetzgeber gemacht hat1074: Eine schutzlose Lage bestehe, wenn die Schutz- und Verteidigungsmöglichkeiten des Opfers in einem solchen Maße verringert seien, dass es dem ungehemmten Einfluss des Täters preisgegeben sei. Davon sei regelmäßig auszugehen, wenn das Opfer sich dem überlegenen Täter allein ge[2251 f.]; NStZ 2005, 267 [268]; 2005, 380 [380 f.], wo zwar eine einschränkende Auslegung gefordert, aber ein zweiaktiges Delikt explizit abgelehnt wird. 1073 Nach einer Ansicht erfasst § 177 StGB grundsätzlich alle Personen als potenzielle Opfer; z. B. BGHSt 45, 253 [255 ff.]; BGH NJW 2003, 2250 [2251]; NStZ-RR 2006, 139; Renzikowski, NStZ 1999, 379 [so wohl auch der Wille des Gesetzgebers in BT-Drs. 13/7663, S. 4]; zweifelnd inzwischen aber BGHSt 50, 359 [363 ff.]. Nach a. A. sind Personen, die absolut oder relativ widerstandsunfähig sind, nur durch § 179 StGB geschützt; so Mildenberger, S. 82; Harbeck, S. 128; Folkers, NStZ 2005, 181 ff.; Gössel, Sexualstrafrecht, § 2 Rn. 39; in diese Richtung auch SK-StGB8-Wolters/Horn [10/2004], § 177 Rn. 14 f.; enger [nur die rein konstitutionelle Widerstandsunfähigkeit] Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 19, § 18 Rn. 13, und wohl auch Wetzel, S. 179. Eine dritte Ansicht will bei § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB nur solche Lagen als tatbestandsmäßig ansehen, die der Täter herbeigeführt hat, andere Zustände fallen unter § 179 StGB; vgl. Folkers, Probleme, S. 56 f. Schon im Gesetzgebungsverfahren hat Schroeder, in: Protokoll der 35. Sitzung des Rechtsausschusses [13. Wahlperiode] vom 06.12.1995, S. 19, darauf hingewiesen, dass durch die geplante Neufassung des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB die Normierung des § 179 überflüssig würde. Ebenso Schroeder, [4. Teil: D. IV. 2. c) bb) (3) (a) in Fn. 1057], S. 67, und Helmken, [4. Teil: D. IV. 2. c) bb) (3) (a) in Fn. 1057], S. 10. Alternativ wollte Helmken, ZRP 1995, 304, den § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB auf die Fälle einer vom Täter veranlassten Lage beschränken. 1074 Zum Ganzen in ständiger Rechtsprechung: BGHSt 44, 228 [231 f.]; 45, 253 [255 ff.]; 50, 359 [362]; BGH NStZ 1999, 30; NStZ-RR 2003, 42 [44]; NJW 2002, 381 [382]; StV 2005, 439; NStZ 2006, 165; leicht abweichend BGH StV 2003, 393; 2005, 439; 2006, 14 [15]; NJW 2003, 2250 [2251], hinsichtlich des Verhältnisses von äußeren Umständen und Umständen in der Person des Tatopfers. So auch schon die Rechtsprechung zu § 237 StGB a. F. BGHSt 22, 178 [278 f.]; 24, 90 [93]; BGH NJW 1989, 917. Diesen Ansatz teilt die herrschende Ansicht in der Literatur; vgl. Mildenberger, S. 52; Wetzel, S. 173; Renzikowski, NStZ 1999, 379; Folkers, NJW 2000, 3318; dies., Probleme, S. 52 f.; Laubenthal, 3. Kap. Rn. 150; LK-StGB11Laufhütte/Roggenbruck [09/2000], § 177 [Nachtrag] Rn. 2; Reichenbach, JR 2004, 386; ders., JR 2005, 405; SK-StGB8-Wolters/Horn [10/2004], § 177 Rn. 13b; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 19, § 18 Rn. 12; MüKo-StGB-Renzikowski, § 177 Rn. 40; NK-StGB2-Frommel, § 177 Rn. 51; Kindhäuser, LPK3, § 177 Rn. 4; Schönke/Schröder-StGB27-Lenckner/Perron/Eisele, § 177 Rn. 8.

D. Das situationsbezogene Tatbestandsmerkmal der hilflosen Lage

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genüber sehe und auf fremde Hilfe nicht rechnen könne. Unerheblich ist nach der Rechtsprechung, auf welche Umstände die schutzlose Lage des Opfers zurückzuführen ist; sowohl äußere Gegebenheiten als auch in der Person des Opfers liegende Umstände können die verminderten Schutz- und Verteidigungsmöglichkeiten begründen; die Schutzlosigkeit ist aufgrund einer Gesamtwürdigung der äußeren und inneren Umstände zu bestimmen und muss nicht vom Täter selbst herbeigeführt sein. Die schutzlose Lage kann also vom Täter – muss aber nicht von ihm – selber geschaffen und damit auch wieder behoben werden; in diesem Fall handelt es sich um eine situativ geprägte Momentaufnahme und kein allgemein und ständig vorhandenes Merkmal oder einen Dauerzustand des Opfers. Anders ist dies allerdings bei den sog. „inneren Umständen“ des Opfers, d.h. Dauerzuständen bzw. Merkmalen, die eine schutzlose Lage nach Rechtsprechung und Literatur begründen können. Hinsichtlich der Frage, ob nur äußere Umstände diese schutzlose Lage begründen können oder ob auch innere Umstände seitens des Opfers hinreichend sind, herrscht zu Gunsten der letzteren Variante weitgehend Einigkeit1075. An dieser Stelle sollte darauf hingewiesen werden, dass die Rechtsprechung davon ausgeht, dass die Annahme einer schutzlosen Lage aufgrund einer Gesamtwürdigung der äußeren wie inneren Umstände zu begründen ist, wobei sich die Lage häufig schon aus äußeren Umständen ergibt1076. Normalerweise kann der Täter bei § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB die schutzlose Lage also beeinflussen oder aufheben. Ergänzend wird noch ausgeführt, für das Vorliegen einer schutzlosen Lage sei auch erforderlich, dass die eigenen Kräfte des Opfers nicht zur Selbsthilfe gegenüber dem Täter ausreichen und dass dritte Personen die schutzlose Lage nur dann ausschließen, wenn sie auch hilfswillig und hilfsfähig sind1077. 1075 Wetzel, S. 176; Renzikowski, NStZ 1999, 379; Fischer, ZStW 112 [2000], 81; Laubenthal, 3. Kap. Rn. 152; Reichenbach, JR 2004, 386; ders., JR 2005, 405; Gössel, Sexualstrafrecht, § 2 Rn. 36 f.; MüKo-StGB-Renzikowski, § 177 Rn. 42; NKStGB2-Frommel, § 177 Rn. 51; Kindhäuser, LPK3, § 177 Rn. 4; Schönke/SchröderStGB27-Lenckner/Perron/Eisele, § 177 Rn. 8; Tröndle/Fischer, StGB54, § 177 Rn. 27. A. A. Mildenberger, S. 52; Folkers, NJW 2000, 3318; dies., NStZ 2000, 183; dies., Probleme, S. 52 f. SK-StGB8-Wolters/Horn [10/2004], § 177 Rn. 14, sieht im Abstellen nur auf äußere Umstände eine mögliche Abgrenzung zu § 179 StGB, die aber gegen den Willen des Gesetzgebers und den Wortlaut der Norm verstoßen würde. Aus diesen Gründen ablehnend Kindhäuser, LPK3, § 177 Rn. 4. 1076 Vgl. die Nachweise soeben in Fn. 1074. 1077 Mildenberger, S. 62 f.; Renzikowski, NStZ 1999, 379; Fischer, ZStW 112 [2000], 80 f.; Folkers, NJW 2000, 3318; dies., Probleme, S. 53; Laubenthal, 3. Kap. Rn. 150; LK-StGB11-Laufhütte/Roggenbruck [09/2000], § 177 [Nachtrag] Rn. 2; Harbeck, S. 117, 138; Güntge, NJW 2004, 3751; Reichenbach, JR 2004, 386; SK-

306 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

Einige der Autoren, die nur äußere Umstände für das Entstehen einer schutzlosen Lage als beachtlich ansehen, betonen, eine Lage könne schon nach dem Wortlaut kein Zustand des Opfers bzw. kein für das Opfer dauerhaftes Merkmal sein1078. Anders jedoch die Gegenansicht, die davon ausgeht, es gebe bestimmte Personengruppen – wie z. B. Kinder –, bei denen grundsätzlich wegen des Alters und der damit verbundenen Widerstandsunfähigkeit gegenüber sexuellen Übergriffen von einer schutzlosen Lage auszugehen sei1079. Quervergleiche von der schutzlosen zur hilflosen Lage in §§ 221, 234 StGB werden recht selten gezogen. Sie kommen entweder zu dem Ergebnis, dass – wegen der Unterschiedlichkeit des Wortlautes und der von diesen Normen und § 177 StGB geschützten Rechtsgüter – ein Vergleich im Grunde nicht möglich ist1080 oder dass eine Überschneidung zwischen den beiden Lagebegriffen besteht1081. Fischer1082 deutet die schutzlose Lage, indem er zwischen den Begriffen der Hilflosigkeit, Schutzlosigkeit und Wehrlosigkeit unterscheidet. Während der Begriff der Wehrlosigkeit die fehlende subjektive Fähigkeit zur Verteidigung durch den Rechtsgutsinhaber beschreibe, betreffe die Schutzlosigkeit das objektive Fehlen angriffshemmender Faktoren, also z. B. von verteidigungsbereiten Dritten. Der Oberbegriff der Hilflosigkeit sei dann eine Kombination aus Schutz- und Wehrlosigkeit und erfasse daher sowohl innere als auch äußere Umstände. Hilflos ist damit nach Fischer nicht, wer zwar ohne äußeren Schutz, aber durchaus in der Lage ist, sich selbst zu helfen, jedoch auch derjenige nicht, der zwar weitgehend verteidigungsunfähig ist, aber dem ausreichender Schutz durch Dritte gewährt wird. Seit Neuestem betont Fischer darüber hinaus, der Begriff der Lage in § 177 StGB erfasse eine stabilisierte Konstellation von gewisser Dauer, nicht aber eine flüchtige, situative Gelegenheit1083. An diesen Ausführungen zur schutzlosen Lage fallen einige Parallelen zur hilflosen Lage i. S. v. § 221 Abs. 1 StGB auf: Erstens stellt die schutzStGB8-Wolters/Horn [10/2004], § 177 Rn. 13b; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 19, § 18 Rn. 12; MüKo-StGB-Renzikowski, § 177 Rn. 40; NK-StGB2-Frommel, § 177 Rn. 51; Schönke/Schröder-StGB27-Lenckner/Perron/Eisele, § 177 Rn. 8; Lackner/Kühl, StGB26, § 177 Rn. 6. 1078 Folkers, NStZ 2005, 183. 1079 Harbeck, S. 137; MüKo-StGB-Renzikowski, § 177 Rn. 46; überraschenderweise auch Folkers, NJW 2000, 3318. 1080 Mildenberger, S. 50, 54 ff. 1081 Kindhäuser, LPK3, § 177 Rn. 4; Tröndle/Fischer, StGB54, § 177 Rn. 29; ähnlich auch SK-StGB8-Wolters/Horn [10/2004], § 177 Rn. 13a. 1082 Zum Ganzen Fischer, ZStW 112 [2000], 80. 1083 Tröndle/Fischer, StGB54, § 177 Rn. 32.

D. Das situationsbezogene Tatbestandsmerkmal der hilflosen Lage

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lose Lage i. S. v. § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB noch keine Gefahr dar, sondern eine Situation im Vorfeld einer solchen. Daneben schließt die Möglichkeit der Selbsthilfe durch das Opfer sowie die Hilfe durch Dritte das Vorliegen einer schutzlosen Lage aus. (b) §§ 182 Abs. 1 Nr. 1/2, 232 Abs. 1, 233 Abs. 1 StGB: die Zwangslage Ein weiterer Begriff in Verbindung mit Lage bezieht sich auf das Handeln unter Ausnutzung einer Zwangslage in §§ 182 Abs. 1 Nr. 1/2; 232 Abs. 1, 233 Abs. 1 StGB. Der Begriff i. S. v. § 182 Abs. 1 StGB lehnt sich an das entsprechende Merkmal in § 180b Abs. 1 StGB a. F.1084 und § 302a StGB a. F.1085 an1086. Eine Zwangslage liegt nach überwiegender Ansicht vor, wenn eine ernste persönliche oder wirtschaftliche Bedrängnis des Opfers besteht1087. Der Schutzzweck der Vorschrift verlangt dabei jedoch eine einschränkende Auslegung dahingehend, dass als Zwangslage nur bedrängende Umstände von einigem Gewicht in Betracht kommen1088. Ob der Täter die Zwangslage selber geschaffen hat oder nur ausnutzt, macht für seine Strafbarkeit aus § 182 Abs. 1 StGB keinen Unterschied; in beiden Fällen kann eine Zwangslage vorliegen1089. Die das Vorliegen einer Zwangslage begründenden Umstände können längerfristiger oder kurzfristiger Natur sein1090. 1084 Heute durch §§ 232, 233 StGB ersetzt. Zur deren Entstehung und zum Verhältnis zu § 180b StGB a. F. siehe oben Fn. 1034 f. im 4. Teil: D. IV. 2. c) bb) (2) (a). 1085 Durch das Gesetz zur Bekämpfung der Korruption vom 13.08.1997 [BGBl. I S. 2038, dort Art. 1 Nr. 2] wurde der Wucher-Tatbestand in § 302a StGB a. F. aufgehoben und als § 291 StGB normiert; vgl. auch BR-Drs. 553/96, S. 7, 26; 482/97, S. 1; BT-Drs. 13/5584, S. 5, 12; 13/6424, S. 4; 13/8079, S. 5. 1086 BT-Drs. 12/4584, S. 8; vgl. auch BGHSt 42, 399 [400]; LK-StGB11-Laufhütte [08/1994], § 182 Rn. 3; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 19, § 21 Rn. 28; MüKo-StGB-Renzikowski, § 182 Rn. 36. 1087 BGHSt 42, 399 [400]; LK-StGB11-Laufhütte [08/1994], § 182 Rn. 3; SKStGB8-Wolters/Horn [10/2004], § 182 Rn. 4; MüKo-StGB-Renzikowski, § 182 Rn. 36; NK-StGB2-Frommel, § 182 Rn. 8; Schönke/Schröder-StGB27-Lenckner/Perron/Eisele, § 182 Rn. 5; Tröndle/Fischer, StGB54, § 182 Rn. 5. 1088 BGHSt 42, 399 [400]; NK-StGB2-Frommel, § 182 Rn. 8; Tröndle/Fischer, StGB54, § 182 Rn. 5. 1089 LK-StGB11-Laufhütte [08/1994], § 182 Rn. 3; SK-StGB8-Wolters/Horn [10/2004], § 182 Rn. 4; Schönke/Schröder-StGB27-Lenckner/Perron/Eisele, § 182 Rn. 5; Tröndle/Fischer, StGB54, § 182 Rn. 5. 1090 MüKo-StGB-Renzikowski, § 182 Rn. 36; Tröndle/Fischer, StGB54, § 182 Rn. 5.

308 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

In §§ 232 Abs. 1, 233 Abs. 1 StGB wird das Merkmal der „Ausnutzung einer Zwangslage“ nahezu gleichbedeutend zu § 182 Abs. 1 StGB verstanden1091. Danach ist für das Vorliegen einer Zwangslage i. S. des Absatz 1 von §§ 232, 233 StGB erforderlich, dass sich das Opfer in einer ernsten persönlichen oder wirtschaftlichen Bedrängnis befindet, die mit einer wesentlichen Einschränkung der Entscheidungs- und Handlungsmöglichkeiten verbunden ist und der die Gefahr anhaftet, den Widerstand des Opfers gegen Angriffe auf seine sexuelle Selbstbestimmung herabzusetzen1092. Die Zwangslage stellt bei § 232 Abs. 1 StGB insoweit eine Situation dar, in der sich das Opfer befindet1093. Auch bei § 232 StGB wird betont, es spiele keine Rolle, ob der Täter die Zwangslage selber geschaffen hat oder lediglich ausnutzt1094. Die Zwangslage stellt demzufolge sowohl in § 182 Abs. 1 StGB als auch in §§ 232, 233 StGB eine Situation dar, die der Täter geschaffen hat oder ausnutzt; jedenfalls eine Situation, die keinen Zustand grundsätzlicher und dauerhafter Natur bildet, sondern situativ geprägt ist. So betreffen z. B. auch die zu § 182 Abs. 1 StGB angeführten Beispiele1095 durchgehend Umstände, die behebbar und nicht dauerhafter Natur sind. (c) §§ 239a Abs. 1, 239b Abs. 1 StGB: Das Ausnutzen einer durch Entführung oder Bemächtigung geschaffenen Lage Auch in §§ 239a Abs. 1, 239b Abs. 1 StGB findet man den Begriff der Lage. Dort ist er eingebunden in die zweite Tatalternative, die als sog. Ausnutzungstatbestand denjenigen bestraft1096, der die „von ihm durch eine solGössel, Sexualstrafrecht, § 6 Rn. 111; Tröndle/Fischer, StGB54, § 232 Rn. 9. Bei Lackner/Kühl, StGB25, § 180b Rn. 6, und Schönke/Schröder-StGB27-Lenckner/ Perron/Eisele, § 232 Rn. 10, ergibt sich dies aus der Bezugnahme auf Entscheidungen zu § 182 Abs. 1 StGB. 1092 Gössel, Sexualstrafrecht, § 5 Rn. 41; SK-StGB8-Wolters [10/2005], § 232 Rn. 15; Schönke/Schröder-StGB27-Eisele, § 232 Rn. 9; Kindhäuser, LPK3, § 232b Rn. 6; Tröndle/Fischer, StGB54, § 232 Rn. 9. So auch schon das Verständnis der Zwangslage zu § 180b StGB LK-StGB11-Laufhütte [08/1994], § 180b Rn. 7; Lackner/Kühl, StGB25, § 180b Rn. 6; MüKo-StGB-Renzikowski, § 180b Rn. 31; NKStGB2-Frommel, § 181 Rn. 6. 1093 SK-StGB8-Wolters [10/2005], § 232 Rn. 14; Schönke/Schröder-StGB27-Eisele, § 232 Rn. 8; Tröndle/Fischer, StGB54, § 232 Rn. 9. 1094 MüKo-StGB-Renzikowski, § 180b Rn. 32; Schönke/Schröder-StGB27-Eisele, § 232 Rn. 12. 1095 Vgl. MüKo-StGB-Renzikowski, § 182 Rn. 36; Schönke/Schröder-StGB27Lenckner/Perron/Eisele, § 182 Rn. 5. 1096 BGH NStZ-RR 1997, 100; Zöller, JA 2000, 477; LK-StGB11-Träger/Schluckebier [09/2001], § 239a Rn. 19, § 239b Rn. 11; NK-StGB2-Sonnen, § 239a 1091

D. Das situationsbezogene Tatbestandsmerkmal der hilflosen Lage

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che Handlung (erg.: wie in der ersten und zweiten Tatalternative beschrieben, mithin ein Entführen oder Sich-Bemächtigen) geschaffene Lage eines Menschen zu einer solchen Erpressung ausnutzt“. Schon bei Lektüre des Gesetzeswortlautes wird deutlich: Die Lage, die ausgenutzt wird, ist bei §§ 239a, 239b StGB durch den Täter geschaffen, Werk des Täters und damit ein Zustand bzw. eine Situation, die der Täter auch wieder aufheben kann. Somit ist die Lage hier kein grundsätzliches bestehendes und dauerhaftes Merkmal des Opfers, sondern von einem situativen Element geprägt. In der Literatur zu §§ 239a, 239b StGB und in den – zahllosen – Entscheidungen der Rechtsprechung1097, die zu der Norm ergangen sind, finden sich allerdings kaum Ausführungen zum Begriff der Lage i. S. der zweiten Tatvariante. Hauptdiskussionsthema ist seit deren Änderung – durch das „Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches, der Strafprozeßordnung und des Versammlungsgesetzes und zur Einführung einer Kronzeugenregelung bei terroristischen Straftaten“1098 – die Frage der Anwendbarkeit der Bemächtigungsvariante der ersten Tatalternative auf das „Zwei-Personen-Verhältnis“1099. Die zweite Tatalternative von §§ 239a, 239b StGB sowie Inhalt und Bedeutung des Tatbestandsmerkmals der Lage haben die Rechtsprechung hingegen kaum beschäftigt1100. In diesen wenigen Entscheidungen findet man jedoch Hinweise, die den in dieser Arbeit aus dem Wortlaut hergeleiteten Inhalt der Lage bestätigen: Es wird einerseits betont, die Lage müsse eine gewisse Dauer aufweiRn. 22; § 239b Rn. 13; Elsner, JuS 2006, 784; Schönke/Schröder-StGB27-Eser, § 239a Rn. 18; § 239b Rn. 11/12. 1097 Vgl. nur die Rechtsprechungs- und Literaturnachweise bei Küper, BT6, S. 263; die Literaturhinweise bei MüKo-StGB-Renzikowski zu § 239a vor Rn. 1, sowie die Rechtsprechungsnachweise bei B. Heinrich, NStZ 1997, 365 f. 1098 Sog. 2. StGB/VersÄndG vom 09.06.1989 [BGBl. I S. 1059]; ausführlich zu Entstehung und Inhalt dieses Gesetzes allgemein sowie zu den Änderungen der §§ 239a, 239b StGB Kunert/Bernsmann, NStZ 1989, 449 ff.; MüKo-StGB-Renzikowski, § 239a Rn. 13 ff. 1099 Vgl. statt aller die Entscheidung des Großen Senats in BGHSt 40, 350 [355 ff.]; zuletzt BGH NStZ 2006, 340 m. w. N., sowie Zöller, JA 2000, 480 f.; MüKo-StGB-Renzikowski, § 239a Rn. 54 ff.; Küper, BT6, S. 263 ff.; Elsner, JuS 2006, 785 ff. 1100 So auch Zöller, JA 2000, 477, wonach sich die zweite Alternative auf die „wohl weniger häufigen Fälle“ bezieht. Der Verfasser konnte gerade einmal zwei Entscheidungen finden, die sich mit der zweiten Tatvariante des § 239a Abs. 1 StGB befassten: BGH MDR/H 1987, 445, und BGH NStZ-RR 2003, 45. Zu § 239b Abs. 1 Alt. 2 StGB sind es auch nur fünf: BGHSt 26, 309; BGH NStZ-RR 1997, 100; 2003, 328; NStZ 2002, 317; BGH, Urteil vom 09.04.2003 – 2 StR 421/02 [unveröffentlicht].

310 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

sen1101, andererseits müsse es sich um eine vom Täter geschaffene Lage handeln1102. Die Lage i. S. der zweiten Tatalternativen der §§ 239a Abs. 1, 239b Abs. 1 StGB zeichne sich zudem dadurch aus, dass das Opfer dem ungehemmten Einfluss des Täters ausgesetzt sei1103. Eine genaue Festlegung der erforderlichen Dauer erfolgt allerdings nicht1104. Dadurch, dass die Lage in §§ 239a, 239b StGB aber eine gewisse Dauer haben muss, wird deutlich, dass (zu) kurzfristige Zustände in diesen Normen keine Lagen sind. Das „dem ungehemmten Einfluss des Täters Ausgesetztsein“ bedeutet einerseits, dass sich das Opfer selber nicht helfen kann und ihm andererseits keine Hilfe durch dritte Personen zuteil wird; sonst wäre es eben nicht dem ungehemmten Einfluss des Täters ausgesetzt. Jedenfalls wird bei der Lage i. S. der zweiten Tatalternativen der §§ 239a Abs. 1, 239b Abs. 1 StGB deutlich, dass die Lage auch dort eine eigenständige, nicht ganz kurzfristige Situation ist, deren Entstehen bzw. Bestand vom Willen des Täters abhängt und in der sich das Opfer allein nicht helfen kann und auch keine Hilfe durch Dritte erfährt. (4) Fazit der systematischen Untersuchung anderer Normen des StGB Die systematische Betrachtung der Normen im StGB, die ähnliche Tatbestandsmerkmale enthalten wie § 221 Abs. 1 StGB, steht in jedem Fall vor dem Problem der Vergleichbarkeit der Normen: §§ 234 Abs. 1, 237 a. F., 232 Abs. 1, 233 Abs. 1, 174a Abs. 2, 243 Abs. 1 S. 2 Nr. 6, 177 Abs. 1 Nr. 3, 182 Abs. 1 Nr. 1/2, 239a Abs. 1, 239b Abs. 1 StGB schützen diverse und vor allem sehr verschiedene Rechtsgüter. Eine Norm, die – wie die Aussetzung – dem Schutz der körperlichen Integrität dient, findet sich BGH NStZ 2002, 317 [318]. Tröndle/Fischer, StGB54, § 239a Rn. 10; § 239b Rn. 5, spricht von einer „fortdauernden Lage“; ähnlich MüKo-StGB-Renzikowski, § 239a Rn. 66. 1102 BGHSt 26, 309 [310]; BGH NStZ-RR 1997, 100; NStZ 2002, 317 [318]; BGH, Urteil vom 09.04.2003 – 2 StR 421/02 [unveröffentlicht]; LK-StGB11-Träger/ Schluckebier [09/2001], § 239a Rn. 19, § 239b Rn. 11; MüKo-StGB-Renzikowski, § 239a Rn. 65, § 239b Rn. 25; SK-StGB7-Horn/Wolters [10/2003], § 239a Rn. 16; NK-StGB2-Sonnen, § 239a Rn. 22, § 239b Rn. 13; Elsner, JuS 2006, 784 Fn. 5; Schönke/Schröder-StGB27-Eser, § 239a Rn. 18 f., 21, § 239b Rn. 13; Tröndle/Fischer, StGB54, § 239a Rn. 10 f., § 239b Rn. 5. 1103 BGH NStZ-RR 2003, 45; BGH, Urteil vom 09.04.2003 – 2 StR 421/02 [unveröffentlicht]. 1104 Aus den Entscheidungen ergeben sich als hinreichende Zeiträume für die Dauer: Wenige Minuten in BGH MDR/H 1987, 445 [445 f.]; Dauer einer Autofahrt in BGH NStZ-RR 2003, 328, und BGH, Urteil vom 09.04.2003 – 2 StR 421/02 [unveröffentlicht]; 4 bis 4,5 Stunden in BGH NStZ-RR 1997, 100; 2003, 45; 4 Tage in BGH NStZ 2002, 317. 1101

D. Das situationsbezogene Tatbestandsmerkmal der hilflosen Lage

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in dieser Aufzählung nicht wieder. Für das Fazit zu trennen ist hier die Gruppe der Normen, die das Tatbestandsmerkmal der hilflosen Lage enthalten, von denjenigen, deren Tatbestand ein Element der Hilflosigkeit oder Hilfsbedürftigkeit erfasst, sowie denjenigen mit einem „Lage-Erfordernis“. Die Normen, die eine hilflose Lage enthalten bzw. enthielten, bringen für einen Vergleich mit der hilflosen Lage i. S. v. § 221 StGB kaum etwas Ertragreiches: Bei § 234 StGB wird die hilflose Lage als Gefahr verstanden und § 237 StGB a. F. verlangte eine Ortsveränderung, was einen Vergleich mit der heutigen Aussetzung kaum möglich erscheinen lässt. Aus den Tatbeständen, die Begriffe wie Hilflosigkeit oder Hilfsbedürftigkeit enthalten, lässt sich ebenfalls nur wenig für die Auslegung der hilflosen Lage, insbesondere für das Element der Hilflosigkeit in dieser Lage, gewinnen. Das Verständnis der entsprechenden Tatbestandsmerkmale ist sehr verschieden; teilweise handelt es sich – wie in §§ 232 Abs. 1, 233 Abs. 1 StGB – um situative und für das Opfer nicht dauerhafte Merkmale, teilweise sind es – wie in § 174a Abs. 2 StGB – gerade Merkmale, die das Opfer ständig charakterisieren, oder beide Zustände werden – als Beispiel möge § 243 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 StGB dienen – als tatbestandsmäßig angesehen. Betrachtet man allerdings die Verwendung des Begriffs Lage in anderen Paragraphen (§§ 177 Abs. 1 Nr. 3, 182 Abs. 1, 232 Abs. 1, 233 Abs. 1, 239a Abs. 1, 239b Abs. 1 StGB), so kann man feststellen, dass diese vielfach einen situativen Zustand beschreiben, der vom Täter, aber auch von dritten Personen geschaffen sein kann. Diese Lagen sind zumeist nicht dauerhafter Natur bzw. – anders ausgedrückt – ein dem Opfer grundsätzlich anhaftendes Merkmal, sondern von Kurzfristigkeit bzw. der Aufhebbarkeit durch den Täter oder dritte Personen geprägt. Außerdem erfordert das Vorliegen einer Lage i. S. der genannten Normen, dass sich das Opfer selber nicht hinreichend helfen kann und dass Hilfe durch Dritte nicht vorhanden ist. In diesen Normen kann man also einen gewissen Anhaltspunkt dafür finden, dass „Lage“ im StGB dadurch geprägt ist, dass sie kein grundsätzliches Charakteristikum des Opfers, sondern eine vom Täter oder einer dritten Person geschaffene Situation darstellt und sich dadurch auszeichnet, dass sich das Opfer nicht aus eigener Kraft befreien kann und keine Hilfe von anderen Personen zur Verfügung steht.

cc) Rechtsvergleich mit Normierungen der Aussetzung in Österreich und der Schweiz In Art. 127 schwStGB ist das Tatbestandsmerkmal der hilflosen Lage nicht enthalten, die Norm kennt nur den „Hilflosen“ als Opfer der Tat; Tat-

312 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

erfolg ist das Vorliegen einer Lebensgefahr oder einer schweren unmittelbaren Gefahr für die Gesundheit des Opfers. Die Hilflosigkeit des Opfers wird – entsprechend dem überkommenen Verständnis der hilflosen Person zur a. F. der Aussetzung – rein individuell bestimmt und als Unfähigkeit, sich selber vor Gefahren aus eigener Kraft zu schützen, verstanden1105. Während also ein Vergleich mit dem Schweizerischen StGB nicht möglich ist, findet man in § 82 öStGB sowohl den Begriff der hilflosen Lage als auch den der Lebensgefahr, wobei letzterer den Taterfolg umschreibt1106. Rechtsprechung und Literatur gehen in Österreich davon aus, dass eine hilflose Lage dann vorliegt, wenn das Opfer nicht imstande ist, sich ohne fremde Hilfe gegen eine ihm drohende Lebensgefahr zu schützen1107, und ihm auch keine hilfsbereiten und hilfsfähigen Personen in dieser Situation zur Seite stehen1108. Dieses Verständnis ergibt sich daraus, dass der Gesetzgeber den – aufgrund der historischen Entwicklung nur einen Sonderfall erfassenden – Tatbestand der Aussetzung allgemeiner fassen wollte und als Opfer vor allem solche Personen im Blick hatte, die bereits vor der Aussetzung in einem minderen Grade hilflos gewesen sind, ohne den Tatbestand nur auf diese Personen einzuschränken1109. Da es auf die Ursachen, auf denen die Hilflosigkeit beruht, nicht ankommt, kann sowohl der Hilfsbedürftige als auch der Nicht-Hilfsbedürftige in eine hilflose Lage versetzt werden1110. Das Vorliegen einer von vorneherein gegebenen Hilfsbedürftigkeit schließt § 82 Abs. 1 öStGB nicht aus, allerdings muss die Lage des Opfers vor der Tat eine relativ sichere gewesen sein1111. 1105 Schubarth, schwStGB, Art. 127 Rn. 7; Noll, BT I, S. 56; Stratenwerth, BT I5, § 4 Rn. 48; Trechsel, schwStGB2, Art. 127 Rn. 1; BSK-schwStGB2-Aebersold, Art. 127 Rn. 9. 1106 Leukauf/Steininger, öStGB3, § 82 Rn. 5; Kienapfel, BT I4, § 82 Rn. 24; WKöStGB2-Burgstaller/Fabrizy [04/2002], § 82 Rn. 13. 1107 OGH SSt 49/51, 201; 60/71, 203 [204]; Kienapfel, ÖRZ 1978, 4; ders., BT I4, § 82 Rn. 9, 24; Leukauf/Steininger, öStGB3, § 82 Rn. 5, 7; WK-öStGB2-Burgstaller/Fabrizy [04/2002], § 82 Rn. 5, 13; Foregger/Fabrizy, öStGB9, § 82 Rn. 2. 1108 Kienapfel, ÖRZ 1978, 4; WK-öStGB2-Burgstaller/Fabrizy [04/2002], § 82 Rn. 5, 8, nach denen dieses Erfordernis in der „gängigen Umschreibung“ der hilflosen Lage „wohl stillschweigend mitgedacht“ wird. 1109 OGH SSt 49/51, 201 [208]. 1110 Leukauf/Steininger, öStGB3, § 82 Rn. 4, 7; Kienapfel, BT I4, § 82 Rn. 11; Bertel/Schwaighofer, BT I5, § 82 Rn. 2; WK-öStGB2-Burgstaller/Fabrizy [04/2002], § 82 Rn. 6, 8; Foregger/Fabrizy, öStGB9, § 82 Rn. 2. 1111 Kienapfel, BT I4, § 82 Rn. 16; WK-öStGB2-Burgstaller/Fabrizy [04/2002], § 82 Rn. 8; Foregger/Fabrizy, öStGB9, § 82 Rn. 3.

D. Das situationsbezogene Tatbestandsmerkmal der hilflosen Lage

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Auch in Österreich wird mithin die hilflose Lage nicht mit der rein individuellen Hilfsbedürftigkeit gleichgesetzt. Dieses Verständnis der hilflosen Lage stimmt im Grundsatz mit dem Ansatzpunkt der „neuen“ Definitionen zur hilflosen Lage in der deutschen Fassung der Aussetzung seit dem 6. StrRG überein. d) Teleologische Auslegung Das bisher gefundene Ergebnis zum Verständnis der hilflosen Lage ist sehr weit, Abgrenzungen vom allgemeinen Gefährdungsdelikt sind kaum zu erkennen. Die Deutung der hilflosen Lage als eine vom Täter oder von einer dritten Person geschaffenen Situation, in der sich das Opfer selber nicht zu helfen vermag und ihm auch keine tatsächliche Hilfe durch Dritte zu Teil wird, erfasst bislang auch jede Gefahr. Daran ändert auch der Befund nichts, dass die hilflose Lage kein feststehendes, dauerhaftes Merkmal des Opfers beschreiben kann, sondern vom Täter oder einem Dritten geschaffen werden muss. D.h.: Eine Lage braucht im Hinblick auf ihre Zeitlichkeit eine gewisse Dauer, darf aber auch nicht unbegrenzt dauerhaft sein. Da aber jeder Verletzung – und wenn auch nur für eine logische Sekunde – das Stadium einer Gefährdung vorausgeht, ginge jeder Verletzung, wenn die hilflose Lage und die Gefahr nicht abgrenzbar und trennbar wären, auch ein hilflose Lage voraus. Mithin wäre in jedem Verletzungsdelikt gegen Leben oder körperliche Unversehrtheit eine Aussetzung mitenthalten. Da dieses Verständnis aber abzulehnen ist1112, dient die teleologische Auslegung des Tatbestandsmerkmals hauptsächlich dem Zweck, das Verständnis der hilflosen Lage einzuschränken sowie einen Unterschied zwischen hilfloser Lage und Gefahr herzustellen. Das ist unverzichtbar, weil es Situationen gibt, in denen einer Gefahr keine hilflose Lage vorausgeht. Folgende Beispiele mögen dies verdeutlichen1113: • Der Täter wirft – nur mit Gefährdungsvorsatz – einen Stein von einer Autobahnbrücke auf eine Fahrspur. Der Fahrer des gerade vorbeifahrenden Pkws kann mit viel Glück noch ausweichen. • Der Täter feuert auf das Opfer einen Schuss aus einem Gewehr ab, verfehlt es aber. 1112

Vgl. 4. Teil: D. I. und 4. Teil: D. IV. 1. a). Diese und ähnliche Beispiele sind zu finden bei LK-StGB11-Jähnke [07/1999], § 221 Rn. 13; Sternberg-Lieben/Fisch, Jura 1999, 46; Ebel, NStZ 2002, 407 f.; Lucks, S. 162; Küper, BT6, S. 38; NK-StGB2-Neumann, § 221 Rn. 7; Kindhäuser, BT I3, § 5 Rn. 8; Rengier, BT II8, § 10 Rn. 14. 1113

314 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

Wie kann man diese „ ‚rechtwinklig‘ einsetzenden Gefahren“ bzw. „Moment- oder Augenblicksgefahren“1114 aus dem Tatbestand der Aussetzung ausschließen? aa) Einschränkung durch die zeitlichen Abläufe der Tat Der Tatbestand sieht aufgrund des Wortlauts eine gewisse zeitliche Abfolge vor. Dem Versetzen folgt – als Zwischenergebnis – die hilflose Lage nach, an die sich – im Gesetz mit „dadurch“ beschrieben – letztlich der Taterfolg des Eintritts der konkreten Gefahr in der Art und Weise, wie ihn die Gefährdungsklausel umschreibt, anschließt1115. Ebenso beim Imstichlassen, wo die hilflose Lage zwar vor dem tatbestandsmäßigen Verhalten vorliegt, es aber erst später zum Eintritt des Taterfolges kommt. Dieses zeitliche Verhältnis darf nicht umgekehrt oder derart auf „Kopf gestellt“ werden, dass die Hilflosigkeit des Opfers erst durch eine zuvor entstandene Gefahr hervorgerufen oder erst synchron mit der Gefahr das Vorliegen einer hilflosen Lage angenommen wird. Die tatbestandsmäßige Gefahr der Aussetzung muss Folge der hilflosen Lage und der Tathandlungen sein, nicht umgekehrt; die hilflose Lage muss beim Versetzen ein Glied in der Kausalkette zwischen Tathandlung und Gefahr darstellen1116. bb) Einschränkung der hilflosen Lage über die Möglichkeit der Hilfeleistung Eine häufiger zu findende Einschränkung der hilflosen Lage besteht in der Forderung, die Hilfe müsse nach dem Eintritt der hilflosen Lage noch möglich sein1117. Dies nehmen – selbst wenn es nicht ausdrücklich angeKüper, ZStW 111 [1999], 38; LK-StGB11-Jähnke [07/1999], § 221 Rn. 13; Mitsch, JuS 2000, 849; Ebel, NStZ 2002, 407; Lucks, S. 162 ff.; MüKo-StGB-Hardtung, § 221 Rn. 12; LPK3, § 221 Rn. 7; NK-StGB2-Neumann, § 221 Rn. 7. 1115 Zum zeitlichen Verhältnis zwischen hilfloser Lage und Gefahr vgl. 4. Teil: F. VI. 1116 Sternberg-Lieben/Fisch, Jura 1999, 46, 50 f.; Mitsch, JuS 2000, 849; MüKoStGB-Hardtung, § 221 Rn. 12, 16; Rengier, BT II8, § 10 Rn. 14; ähnlich auch Ebel, NStZ 2002, 405 f.; SK-StGB7-Horn/Wolters [03/2002], § 221 Rn. 3; Küper, BT6, S. 38; Hacker/Lautner, Jura 2006, 276. 1117 Lucks, S. 162 ff., 182 f., 282 f.; Kindhäuser, LPK3, § 221 Rn. 7; ders. BT I3, § 5 Rn. 8, sowie – im Rahmen der Definition des Versetzens – MüKo-StGB-Hardtung, § 221 Rn. 7, 9; Pfleiderer/Schubert, MedR 2005, 594; ähnlich Tröndle/Fischer, StGB54, § 221 Rn. 10, der betont, es liege dann keine Gefahr vor, fehle „i. d. R. aber schon an der Hilflosigkeit“; während Krey/Heinrich, BT I13, Rn. 137, und Schönke/Schröder-StGB27-Eser, § 221 Rn. 8, bei fehlender Hilfsmöglichkeit 1114

D. Das situationsbezogene Tatbestandsmerkmal der hilflosen Lage

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sprochen wird – letztlich auch diejenigen Autoren an, die Dritte und/oder den Täter als die hilflose Lage ausschließende Helfer ansehen1118, da diese Personen nur dann eine echte Hilfe darstellen und die hilflose Lage ausschließen können, wenn Hilfe überhaupt noch möglich ist. Folgerichtig geht daher auch eine Vielzahl von Autoren davon aus, der Fall eines „unrettbar“ verletzten Opfers werde von § 221 StGB nicht erfasst1119. Im Folgenden soll untersucht werden, ob dieser Einschränkungsansatz zutrifft, wie weit er trägt und warum und welche Fälle er erfasst oder ausschließt. Unterstellt, zwischen dem Eintritt der hilflosen Lage und der Gefahr wäre keine Hilfe mehr möglich, d.h. das Opfer wäre beim Versetzen nach Vornahme der Tathandlung unrettbar verloren oder Hilfe technisch unmöglich gewesen, wäre es – wie schon oben dargelegt1120 – sprachlich ungewöhnlich, von einer hilflosen Lage zu sprechen. Ist nun aber die Einfügung einer Hilfsmöglichkeit geeignet, diese Fälle aus dem Anwendungsbereich der Norm auszuschließen? Die Besonderheit der „Augenblicksgefahr“ lässt sich an folgenden Beispielen verdeutlichen: Wenn das Projektil den Gewehrlauf oder der Stein die werfende Hand verlässt – allgemein: beim Ingangsetzen des Handlungsverlaufs in Richtung auf das Opfer –, kann wegen der schnellen Umsetzung der Handlung in die Gefahr nichts mehr – außer dem rettenden Zufall – dem Opfer helfen; weder der Täter noch Dritte können diese in Bewegung gesetzten Kausalverläufe wieder abbrechen oder anhalten, weil kein Mensch Hilfe gegen das fliegende Projektil oder den Stein leisten kann. Fordert man für die hilflose Lage das Vorliegen einer Möglichkeit zur Hilfe, würden diese Fälle nicht unter den Tatbestand der Aussetzung fallen. Damit könnte man die durch die Versetzungshandlung ohne jeden Zeitverzug entstehenden Gefahren aus dem Tatbestand ausschließen. nur die Gefahr verneinen wollen. In eine ähnliche Richtung geht die Forderung einiger Autoren nach einer gewissen Dauer oder Stabilität für das Vorliegen einer hilflosen Lage; vgl. Sternberg-Lieben/Fisch, Jura 1999, 46; Laue, S. 83 f., 105, 146; SK-StGB7-Horn/Wolters [03/2002], § 221 Rn. 3; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 19, § 4 Rn. 5; NK-StGB2-Neumann, § 221 Rn. 7; Küpper, BT I3, § 1 Rn. 85; Lackner/Kühl, StGB26, § 221 Rn. 2. 1118 Vgl. oben 4. Teil: D. II. 3. b). 1119 OLG Zweibrücken NJW 1998, 841 [841 f.]; Küper, ZStW 111 [1999], 56 f., Jäger, JuS 2000, 33; Laue, S. 108; NK-StGB2-Neumann, § 221 Rn. 31; Rengier, BT II8, § 10 Rn. 15; differenzierend danach, ob Schmerzlinderung noch möglich ist Schönke/Schröder-StGB27-Eser, § 221 Rn. 8; wohl a. A. LK-StGB11-Jähnke [07/1999], § 221 Rn. 9; differenzierend Krey/Heinrich, BT I13, Rn. 137. Vgl. ausführlich später 4. Teil: G. I. 1120 Vgl. 4. Teil: D. IV. 2. a).

316 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

Lucks meint sogar, die Begrenzung über die Hilfsmöglichkeit betone das Wesentliche deutlicher als die Begrenzung über die Dauer und Stabilität, weil die Annahme des Kriteriums der Dauer und Stabilität vor dem Problem stehe, definieren zu müssen, welcher Zustand „dauerhaft“ bzw. „stabil“ sei und welcher nicht. Eine klar abstrakte, zeitliche Grenzziehung sei hier noch nicht gefunden worden1121. Wie lange diese Phase der Hilfsmöglichkeit andauern muss oder wie kurz sie höchstens sein darf, um noch eine hinreichende Hilfsmöglichkeit darzustellen, lässt sich abstrakt kaum bestimmen1122. Allein dies ist aber nicht hinreichend, um dem Versuch der Einschränkung über das Kriterium der Dauer oder Stabilität eine Absage zu erteilen1123, denn auch die Hilfsmöglichkeit erfordert ein temporär geprägtes Element: Sie setzt eben die Möglichkeit zum Helfen und Handeln voraus und diese Möglichkeit besteht nur, wenn man dafür hinreichend Zeit hat. Ist das Zeitfenster zum Einschreiten aber zu klein, kann keine Hilfe mehr geleistet werden. Von daher schließen sich die beiden Einschränkungskriterien Hilfsmöglichkeit und Dauer nicht gegenseitig aus, sondern bedingen einander: Gerade das mangelnde zeitliche Moment zwischen hilfloser Lage und Gefahreintritt führt dazu, dass keine Hilfe möglich ist. Oder umgekehrt: Ist zwischen hilfloser Lage und Gefahr noch Zeit, bleibt in der Regel auch Hilfe möglich1124. Die Dauer muss dann zumindest den Zeitraum umfassen, der für die Hilfeleistung erforderlich ist. Dieser Zeitraum ist vom jeweiligen Einzelfall abhängig und braucht nicht vorab oder generell festgelegt zu werden. Die Lage erfordert also mehr als ein nur flüchtiges Gefahrenmoment. Sie muss eine Hilfsmöglichkeit zulassen und deshalb eine gewisse Dauer sowie Stabilität aufweisen. Nur so kann man verhindern, dass die Aussetzung ein Delikt wird, das jedwede Gefahrschaffung erfasst. Es gibt noch weitere Argumente für die Einschränkung der hilflosen Lage über das Kriterium der Hilfsmöglichkeit: Wie dargelegt, sollten nach dem Willen des Gesetzgebers sowohl gesunde, erwachsene Menschen Opfer sein können als auch der bisherige Opferkreis der Aussetzung erfasst werden1125. Bezüglich der ersten Tathandlung führt die Integration der Hilfsmöglichkeit als Erfordernis der hilflosen Lage dazu, dass der körperliche 1121

Zum Ganzen Lucks, S. 146, 166. Ebenso Lucks, S. 146 f. 1123 So aber Lucks, S. 166, wonach die Hilfsmöglichkeit eher entscheidend sei als das zeitliche Moment einer Dauer oder Stabilität. Das zeitliche Moment auch ablehnend MüKo-StGB-Hardtung, § 221 Rn. 12 Fn. 25. 1124 Die Ausnahme ist die ausweglose Lage des unrettbaren Opfers, von Lucks, S. 164 als „aussichtslose Lage“ bezeichnet. 1125 Vgl. oben 4. Teil: B. 1122

D. Das situationsbezogene Tatbestandsmerkmal der hilflosen Lage

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Allgemeinzustand oder ein beim Opfer dauerhaft vorhandenes Merkmal nicht allein die hilflose Lage begründen können. Gegen ein individuelles, dauerhaftes Merkmal oder den Allgemeinzustand gibt es nämlich keine Hilfe, sondern sie bestehen unabhängig von Hilfe oder Nichthilfe des Täters oder Dritter. Das bedeutet: Die Integration der Hilfsmöglichkeit als Bestandteil der hilflosen Lage entspricht nicht nur dem Willen des Gesetzgebers, sondern sichert zusätzlich den Opferkreis und die Auslegung des Versetzens als Neuschaffen der hilflosen Lage ab. Dieses Verständnis ermöglicht also eine Bestimmung der hilflosen Lage, losgelöst von der rein individuellen Hilfsbedürftigkeit – entsprechend der hilflosen Person a. F. –, was letztlich dazu führt, dass die Subsumtion unter eine der Tathandlungen nicht von der körperlichen Konstitution des Opfers abhängt, sondern allein von der aktuellen Situation, in der es sich befindet. Damit bleiben auch die Opfer a. F. weiterhin vom Schutzbereich des gesamten Grundtatbestandes erfasst und fallen nicht ausschließlich unter die zweite Tathandlung. Der allgemeine Zustand dieser Personen allein stellt keine hilflose Lage dar, aber der Täter kann bei Vornahme seiner Tathandlung an diesen Zustand anknüpfen und hieraus die hilflose Lage entstehen lassen. Dieses Ausnutzen der Hilfsbedürftigkeit als Ansatzpunkt für die hilflose Lage dürfte bei den Opfern a. F. wahrscheinlich sogar der Regelfall sein. Daneben trennt man deutlich die hilflose Lage und die Gefährdungsklausel, weil das Vorliegen einer Gefahr „mehr“ erfordert als eine hilflose Lage: Die Gefahr setzt die Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines Schadens voraus; es darf nur noch der Zufall vor dem Eintritt des Schadens retten1126. Ist mit Vornahme der Tathandlung aber die Lage schon dergestalt, dass nur noch der Zufall vor dem Eintritt einer Verletzung schützt, existiert keine Hilfsmöglichkeit und es liegt schon eine Gefahr, aber keine nur hilflose Lage mehr vor1127. Somit kann man das Delikt der Aussetzung auch vom allgemeinen Leibes- und Lebensgefährdungsdelikt abgrenzen, weil die hilflose Lage und die Gefahr eben nicht gleichgesetzt werden, und dadurch gibt man der Aussetzung einen eigenen Charakter mit eigenem Anwendungsbereich. Aus den bisherigen Überlegungen folgt also: Die Lage muss grundsätzlich ein durch menschliche Hilfe beendbarer Zustand sein; es muss eine 1126

Zur Gefahr später unter 4. Teil: F. III. In diesem Zusammenhang sollte man auch darauf hinweisen, dass bei enger Auslegung des Begriffs der Gefahr mehr Raum für die Annahme einer hilflosen Lage verbleibt. Zum – recht weiten – Verständnis der Rechtsprechung der hilflosen Lage als konkrete Gefahr bei § 221 StGB a. F. [die heute aber wegen der Trennung der Merkmale der hilflosen Lage und Gefahr nicht mehr erforderlich ist]: siehe Lucks, S. 27 ff.; DSNS-Struensee, 2. Teil Rn. 23; vgl. auch Hacker/Lautner, Jura 2006, 275 f. 1127

318 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

Hilfsmöglichkeit bestehen. Auf Alter, allgemeinen Gesundheitszustand oder Gebrechlichkeit kann man jedoch nicht einwirken und diese schnell beenden, und daher begründen diese genauso wenig „Lagen“ wie der sofortige Eintritt einer Gefahr. Ist nach Durchführung der Tathandlung ein Rettungsoder Befreiungsversuch zu Gunsten des Opfers durch den Täter oder Dritte nicht mehr möglich, d.h. steuert die Tat unabänderlich auf das Ziel zu, so besteht vor Eintritt der Gefahr keine hilflose Lage1128. Nur beim Vorliegen einer Hilfsmöglichkeit kann man zwischen Tathandlung und Eintritt der Gefahr noch eine hilflose Lage annehmen. Wer sich der Gefahr des Todes gegenüber sieht, befindet sich zwar in einer Gefahr, aber nicht automatisch in einer hilflosen Lage. Ist eine Hilfsmöglichkeit aus logisch-naturwissenschaftlichen Gründen ausgeschlossen, d.h. kein Mensch kann diese Lage beeinflussen und sächliche oder persönliche Hilfe leisten, so ist eben nur die Gefahr, nicht aber die hilflose Lage gegeben. Bei „zeitlich gestreckten“ Vorgängen – also solchen, bei denen zwischen Tathandlung und Eintritt der Gefahr noch einige Zeit vorhanden ist – wird die hilflose Lage in der Regel gegeben sein; Ausnahme ist auch hier nur das unrettbare Opfer. Bei nicht „zeitlich gestreckten Vorgängen“ – also kurzfristig und schnell ablaufenden Geschehnissen – wird die hilflose Lage hingegen häufig nicht vorliegen, weil dort meistens wegen des sofortigen Eintritts der Gefahr keine Hilfsmöglichkeit besteht. Die Situation, in der sich das Opfer nach Vornahme der Tathandlung befindet, muss beendbar sein, bevor es zu einer Gefahr kommt. Durch das Kriterium der Hilfsmöglichkeit wird die hilflose Lage letztlich zu einem „Teilerfolg“, „Zwischenerfolg“ oder „Vorstadium“ auf dem (zeitlichen) Weg in einige, aber eben nicht alle Gefahren1129. Damit hat man mit diesem Kriterium bzw. mit der Möglichkeit der Beendbarkeit der hilflosen Lage eine Einschränkung für diesen Begriff – und vor allem eine Abgrenzung zu den direkt aus der Tathandlung resultierenden Gefahren – gefunden. Hilfsmöglichkeit und Dauer hängen eng miteinander zusammen, so dass der Vorwurf der mangelnden Bestimmbarkeit bei der Hilfsmöglichkeit nicht mehr greift: Wie soeben dargestellt, kann klar definiert und festgelegt werden, was erforderlich ist, damit die hilflose Lage eine „Lage“ ist, und was eine Hilfsmöglichkeit verlangt. 1128

Ähnlich Sternberg-Lieben/Fisch, Jura 1999, 46. So im Ergebnis mit verschiedenen Begründungsansätzen auch Sternberg-Lieben/Fisch, Jura 1999, 46; Mitsch, JuS 2000, 849; Laue, S. 69, 79, 84; SKStGB7-Horn/Wolters [03/2002], § 221 Rn. 3; Lucks, S. 140, 183; Küper, BT6, S. 37 f.; MüKo-StGB-Hardtung, § 221 Rn. 7; NK-StGB2-Neumann, § 221 Rn. 3, 7; Hacker/Lautner, Jura 2006, 276; Kindhäuser, LPK3, § 221 Rn. 14; ders., BT I3, § 5 Rn. 20; Schönke/Schröder-StGB27-Eser, § 221 Rn. 9; Rengier, BT II8, § 10 Rn. 14; a. A. LK-StGB11-Jähnke [07/1999], § 221 Rn. 7. 1129

D. Das situationsbezogene Tatbestandsmerkmal der hilflosen Lage

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cc) Rechtsprechung gegen die Einschränkung der hilflosen Lage durch die Möglichkeit zur Hilfe Nun gibt es aber zwei Entscheidungen des Bundesgerichtshofs – eine zu § 221 StGB und eine zu § 315b StGB –, die gegen die Einführung einer solchen Einschränkung sprechen könnten, da sie betonen, dass bei einem Gefährdungsdelikt der zeitliche Abstand zwischen Tathandlung und Gefahr keine Rolle für die (Nicht-)Verwirklichung des Tatbestandes spiele. So heißt es in der Entscheidung zu § 221 StGB1130: „Mit dem Verlassen des Opfers, das die Angekl. in Kenntnis der hierdurch eingetretenen konkreten Gefährdung auf das Gartengrundstück verbracht hatten, war der Tatbestand der Aussetzung vollendet; auf die Dauer der hilflosen Lage kommt es hierbei nicht an, wenn die von § 221 I StGB vorausgesetzte Gefahr eingetreten ist; dies hat das LG rechtsfehlerfrei bejaht.“ Heißt das nun, dass die hilflose Lage gar keine „Dauer“ haben muss, es nur auf den Eintritt der Gefahr ankommt und damit die gefundene Einschränkung zu verwerfen ist oder ist die Entscheidung des Bundesgerichtshofs anders zu verstehen? Aus zwei Gründen kann dieser Entscheidung nicht entnommen werden, dass das gefundene Einschränkungsergebnis wieder zu verwerfen ist: Erstens lag die hilflose Lage schon spätestens beim Ablegen des Opfers durch die Angeklagten vor, wovon auch das Gericht ausgeht, da es die zweite Tatvariante angenommen hat. Zwischen dem Ablegen und dem Verlassen durch die Täter bestand aber noch die Möglichkeit zur Hilfe. Zweitens betont der Bundesgerichtshof nur, eine bestimmte Dauer der hilflosen Lage sei nicht zu fordern. Es wurde aber gezeigt, dass es weniger auf das zeitliche Element einer bestimmten Dauer ankommt, als auf die Möglichkeit der Hilfeleistung zwischen Eintritt der hilflosen Lage und der Gefahr, wenn auch die Hilfsmöglichkeit stets eine gewisse Zeit erfordern wird. Eine bestimmte Länge wird aber durch das Kriterium der Hilfsmöglichkeit nicht gefordert oder eingeführt, so dass diese Entscheidung des Bundesgerichtshofs nicht gegen das gefundene Ergebnis spricht. Möglicherweise kollidiert aber die Idee, über die Hilfsmöglichkeit ein den Tatbestand einschränkendes Kriterium zu gewinnen, mit Aussagen der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im Rahmen von § 315b StGB. Hier hat sich der Bundesgerichtshof auch mit der Frage befassen müssen, ob zwischen der abstrakt gefährlichen Tathandlung und dem Eintritt der konkreten Gefahr eine gewisse zeitliche Spanne liegen muss1131. 1130

BGH NStZ-RR 2002, 207 [Hervorhebungen vom Verfasser]. BGHSt 48, 119, mit Anmerkungen von Berz/Saal, NZV 2003, 198; König, JR 2003, 255; ders., JA 2003, 828. Ebenso Schönke/Schröder-StGB27-Cramer/ 1131

320 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

Dies hat der Bundesgerichtshof verneint1132; vielmehr bedürfe es beim konkreten Gefährdungsdelikt des § 315b dieses zeitlichen Verhältnisses nicht, sondern die konkrete Gefahr und die abstrakte Verkehrsgefährdung könnten zusammenfallen1133: „Die nach dem Wortlaut der Norm doppelte Verknüpfung des Tatbestandsmerkmals Beeinträchtigung der Sicherheit des Straßenverkehrs’ sowohl mit der tatbestandlichen Handlung . . . als auch mit dem tatbestandlichen Erfolg macht deutlich, daß Gefährdungshandlungen und Gefährdungserfolg in besonderer Weise kausal miteinander verbunden sein müssen, um den Tatbestand zu erfüllen . . . Das Erfordernis einer zeitlichen Differenz zwischen Eingriff und konkreter Gefahr ist dem Wortlaut der Vorschrift dagegen nicht zu entnehmen. Der Tatbestand . . . kann daher . . . auch dann erfüllt sein, wenn die Tathandlung unmittelbar zu einer konkreten Gefahr oder Schädigung führt, . . . Zwar wird die Herbeiführung der abstrakten Gefahr der hieraus entstehenden konkreten Gefahr in aller Regel zeitlich vorangehen, . . . Dieser zeitlich gestreckte Vorgang verkürzt sich aber in dem Maße, in dem der Täter das Herannahen eines Fahrzeugs abwartet, um dessen Fahrt durch ein plötzlich in den Weg geschobenes oder geworfenes Hindernis zu hemmen“.

Verallgemeinert und überträgt man diese Grundsätze zu § 315b StGB auf alle Gefährdungsdelikte, so müsste bei der Aussetzung die unmittelbar aus dem Versetzen resultierende Gefahr vom Tatbestand erfasst werden; ein Ergebnis, was – wie bereits mehrfach dargelegt wurde1134 – kaum vertretbar ist. An der Möglichkeit der Übertragung bestehen aber aus mehreren Gründen erhebliche Zweifel: Zwar normiert § 315b StGB, genau wie § 221 StGB, ein konkretes Gefährdungsdelikt1135, aber der Tatbestand weist eine andere Struktur als die Aussetzung auf. Er beschreibt durch enumerativ aufgezählte und genau umschriebene Tathandlungen den sog. „verkehrsspezifischen“ Eingriff, der zu einer Beeinträchtigung der Sicherheit des Verkehrs und dadurch zu einer konkreten Gefahr führen muss1136. Durch den abschließenden Charakter Sternberg-Lieben, § 315b Rn. 12; Lackner/Kühl, StGB26, § 315b Rn. 5; Tröndle/Fischer, StGB54, § 315b Rn. 17. Anders noch BGH NStZ-RR 1998, 187; LKStGB11-König [07/2000], § 315b Rn. 83. 1132 BGHSt 48, 119 [121 ff.]. 1133 BGHSt 48, 119 [122] [Hervorhebungen vom Verfasser]. 1134 Verwiesen wird insoweit nur auf die Ausführungen unter 4. Teil: D. I. 1135 LK-StGB11-König [07/2000], § 315b Rn. 2, 63 ff.; NK-StGB2-Herzog, § 315b Rn. 1, 16; Schönke/Schröder-StGB27-Cramer/Sternberg-Lieben, § 315b Rn. 1, 12; Lackner/Kühl, StGB26, § 315b Rn. 5; Tröndle/Fischer, StGB54, § 315b Rn. 2, 16 ff. 1136 LK-StGB11-König [07/2000], § 315b Rn. 58 ff.; Schönke/Schröder-StGB27Cramer/Sternberg-Lieben, § 315b Rn. 3; Tröndle/Fischer, StGB54, § 315b Rn. 5, 17 f.; abweichend SK-StGB7-Horn/Wolters [10/2006], § 315b Rn. 3.

D. Das situationsbezogene Tatbestandsmerkmal der hilflosen Lage

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und die genaue Handlungsbeschreibung kommt dem verkehrsspezifischen Eingriff schon eine tatbestandseinschränkende Funktion im Rahmen des § 315b StGB zu; er führt dazu, dass eben nicht jede Schaffung einer Gefahr im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr als tatbestandlich erfasst wird1137. Das „Aussetzungsspezifische“ an den Tathandlungen der Aussetzung ist aber durch die Erweiterung dieser beiden Tatvarianten durch das 6. StrRG verloren gegangen und damit die Limitierung der Tat, die früher über die Tathandlungen erreicht werden konnte. Da der Gesetzgeber diese Erweiterung, gleichzeitig aber kein allgemeines Gefährdungsdelikt schaffen wollte1138, muss man an einem anderen Merkmal für eine Beschränkung ansetzen, und dafür bietet sich nur noch die hilflose Lage an. Insoweit ist diese Judikatur kein Hinderungsgrund, vielmehr würde die Übertragung die Aussetzung zu einem allgemeinen Leibes- und Lebensgefährdungsdelikt machen, und da dies nicht möglich ist, ist davon auszugehen, dass auch die Rechtsprechung einer solchen Auslegung nicht folgen würde. Die Auslegung eines Straßenverkehrsdelikts lässt sich kaum auf ein ausschließlich auf Schutz von Leib und Leben ausgerichtetes Gefährdungsdelikt, wie es die Aussetzung ist, übertragen, obwohl es sich in beiden Fällen um Gefährdungsdelikte handelt. Zudem sind die Begriffe hilflose Lage und Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit zu verschieden, um sie vergleichen zu können. Darüber hinaus schließt das Kriterium der Hilfsmöglichkeit in zeitlicher Hinsicht schnell ablaufende Vorgänge nicht generell aus dem Tatbestand aus, sondern in erster Linie nur das sofortige und völlig deckungsgleiche Eintreten von hilfloser Lage und Gefahr und die Fälle des durch die Tathandlung unrettbar verletzten Opfers. Die Hilfsmöglichkeit sichert vielmehr nur die sich aus dem Wortlaut ergebende Reihenfolge von Versetzen, hilfloser Lage und Gefahr bzw. hilfloser Lage, Imstichlassen und Gefahr ab, weil die Hilfsmöglichkeit gerade keine absolute zeitliche Grenze einführt. Zusammenfassend: Weder die zitierte Entscheidung zu § 221 StGB noch die Rechtsprechung der Bundesgerichtshofs zu § 315b StGB stehen der gefundenen Einschränkung über das Kriterium der Hilfsmöglichkeit entgegen, das sich bisher als ein Weg zu erweisen scheint, dem Tatbestand der Aussetzung genauere Konturen zu geben.

NK-StGB2-Herzog, § 315b Rn. 16; Schönke/Schröder-StGB27-Cramer/Sternberg-Lieben, § 315b Rn. 12; SK-StGB8-Horn/Wolters [10/2006], § 315b Rn. 3, 19 f.; Tröndle/Fischer, StGB54, § 315b Rn. 18. 1138 Vgl. oben 4. Teil: D. I. 1. b). 1137

322 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

dd) Ermittlung der zum Ausschluss der hilflosen Lage führenden Hilfsmittel Die Unmöglichkeit der Hilfe schließt nach den bisherigen Ausführungen das Bestehen einer hilflosen Lage aus. Damit ist die Möglichkeit von Hilfe ein Teilaspekt der hilflosen Lage. Zu klären ist deshalb, was man unter einem Hilfsmittel versteht, welche Hilfsmittel und welche Helfer im Hinblick auf die Aussetzung in Frage kommen. (1) Das Opfer als sein eigener Helfer Zweifellos sind die eigenen Kräfte und Ressourcen des Opfers Möglichkeiten, die bei der Entscheidung, ob eine hilflose Lage vorliegt oder nicht, berücksichtigt werden müssen. Es darf hier einmal ausnahmsweise als evident und unstreitig bezeichnet werden und ohne weitergehende Begründung bleiben, dass eine hilflose Lage nicht vorliegt und auch nicht vorliegen kann, wenn sich das Opfer problemlos selber zu helfen vermag1139. Dies ergibt sich zumeist schon aus dem in der Literatur unstreitigen Bestandteil in der Definition der hilflosen Lage1140. Allerdings ist noch darauf hinzuweisen, dass eine hilflose Lage wandelbar ist, d.h. eine Person, die sich zu Beginn eines Lebenssachverhaltes in hilfloser Lage befindet, kann – so sie z. B. neue Fähigkeiten erlernt – diese Situation später meistern, sich nicht mehr in hilfloser Lage befinden1141. Solange es nicht zum Eintritt einer Gefahr gekommen ist, ist der Tatbestand nicht vollendet und die Eigenhilfe des Opfers kommt damit dem Täter zugute. Damit kommt dem Begriff der Gefahr in § 221 Abs. 1 StGB auch eine beschränkende Funktion zu. Je enger er ausgelegt wird, desto später wird die Aussetzung vollendet. Eine enge Auslegung der Gefahr erscheint in Anbetracht der fehlenden Klausel einer tätigen Reue wünschenswert1142. Einzelheiten zum Begriff der Gefahr sollen und können hier nicht im Vorder1139 So auch die gesamte Literatur; statt aller nur LK-StGB11-Jähnke [07/1999], § 221 Rn. 7, 18; Sternberg-Lieben/Fisch, Jura 1999, 46; Laue, S. 82; Lucks, S. 153, 183, 228; MüKo-StGB-Hardtung, § 221 Rn. 6; NK-StGB2-Neumann, § 221 Rn. 8; Schönke/Schröder-StGB27-Eser, § 221 Rn. 2. 1140 Vgl. oben 4. Teil: D. III. 1141 Um ein Beispiel aus der Literatur zu bemühen: Sicherlich war Defoes Robinson Crusoe hilflos als er auf „seiner“ Insel strandete, im Folgenden aber wuchs er an den Anforderungen, war dementsprechend nicht mehr hilflos bzw. in hilfloser Lage. 1142 Vgl. schon oben 4. Teil: D. I. 2.

D. Das situationsbezogene Tatbestandsmerkmal der hilflosen Lage

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grund stehen und verfolgt werden, aber einige Anmerkungen sind unumgänglich1143. Gesetzt den Fall, dass sich das Opfer überraschend doch aus eigener Kraft retten kann oder der Zufall dem Opfer zur Hilfe kommt und es aus der hilflosen Lage befreit, bevor die Gefahr und damit der Taterfolg eintritt. Können diese Ereignisse das Vorliegen der hilflosen Lage ausschließen? Man könnte argumentieren: Die Eigenrettung zeigt, dass sich das Opfer selber helfen konnte und damit hat nie eine hilflose Lage vorgelegen, denn wenn die Lage wirklich „hilflos“ gewesen wäre, hätten ja die eigenen Kräfte des Betroffenen nicht zur Rettung ausreichen können und dürfen. Dagegen ließe sich einwenden: Kann man schon aus dem Ausbleiben eines Schadens nicht schließen, dass nie eine Gefahr vorlag, so muss dies im übertragenen Sinne auch für die hilflose Lage gelten1144: Aus dem Ausbleiben einer Gefahr kann man nicht folgern, dass nie eine hilflose Lage vorlag. Denkbar ist doch, dass zwar eine hilflose Lage bestand, es aber („dadurch“) nicht zu einer Gefahr gekommen ist. Wenn man diese Konstellation nicht akzeptiert, würde man die hilflose Lage „durch die Hintertür“ doch wieder mit der Gefahr gleichsetzen. Der Täter bleibt bei diesem Handlungsverlauf – jedenfalls aus § 221 Abs. 1 StGB – straflos. Die Fälle, in denen dem Opfer der Zufall – wie z. B. unvorhersehbar vorbeikommende und helfende Dritte – zu Hilfe kommt, sind letztlich uninteressant: Gerade dieses Zufallselement ist charakteristisch und – wie sich aus der Definition der überwiegenden Ansicht zum Gefahrenbegriff ergibt1145 – Entstehungsvoraussetzung schon für das Vorliegen einer Gefahr. Wird diese Hilfe dann wirklich zufällig geleistet, ändert dies nichts daran, dass zuvor eine konkrete Gefahr für das Opfer bestand; mit anderen Worten: Das Leisten dieser zufälligen Hilfe ist nicht geeignet, das Vorliegen der Gefahr auszuschließen. Vielmehr ist in diesen Fällen eine Gefahr in aller Regel schon eingetreten und damit wird der Tatbestand der Aussetzung vollendet sein. Von Interesse ist daher nur die reine Selbsthilfe des Opfers: Wo liegt aber die Grenze zwischen den eigenen, vorhandenen Möglichkeiten des Opfers, die das Vorliegen einer hilflosen Lage ausschließen, und den zufälligen Hilfen für das Opfer? Es kommt hier auf das Opfer und dessen Fähigkeiten an. Kann es sich aufgrund seiner „normalen“ Fähigkeiten aus der Situation befreien, ist dies eine zu beachtende Hilfe. In diesem Fall dürfte sogar in 1143

Zum Begriff der Gefahr im Kontext mit dem Tatbestand der Aussetzung jedoch später im 4. Teil: F. III.; vgl. dort insbesondere die Nachweise in Fn. 1607. 1144 So auch Lucks, S. 154 f. 1145 Zum Begriff der Gefahr im 4. Teil: F. III.

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der Regel der Vorsatz des Täters für das Schaffen oder Vorliegen einer hilflosen Lage zu verneinen sein. Entwickelt das Opfer aber in der Situation ungeahnte Kräfte, so ist dies keine Hilfe, die den Täter entlasten kann. Letztlich wird die Wertung aber stets eine Frage des Einzelfalles bleiben; feste Richtlinien sind kaum bestimmbar1146. (2) Sachmittel als Hilfsmittel (sächliche Hilfsmittel) Ein zweites Hilfsmittel für das Opfer, das unstreitig einbezogen werden kann, ist die Hilfe durch Sachmittel. Nach fast einhelliger Ansicht sind auch sächliche Hilfsmittel, d.h. Sachen oder Gegenstände, die dem Opfer zur Verfügung stehen und geeignet sind, das Entstehen einer hilflosen Lage zu verhindern oder eine solche aufzuheben, beachtliche Hilfsmittel1147. Der im Schneesturm auf einer Hütte eingeschlossene Wanderer ist nicht in hilfloser Lage, wenn sich in der Hütte ausreichend Nahrung befindet, so dass er das Ende des Sturmes abwarten kann. Ebenso befindet sich ein Mensch, der vom Täter eingeschlossen wurde, um den Hungertod zu erleiden, nicht in hilfloser Lage ist, wenn er mit seinem Mobiltelefon Hilfe rufen kann1148. Abstrakt formuliert: Diejenigen sächlichen Hilfsmittel, die dem Opfer zur Verfügung stehen und die ihm die Möglichkeit eröffnen, sich selber in seiner Situation zu helfen bzw. aus dieser zu befreien, sind geeignet, das Vorliegen einer hilflosen Lage auszuschließen.

1146 Ähnlich Lucks, S. 153 f., die eine hilflose Lage dann verneint, wenn sich das Opfer „sicher aus der hilflosen Lage zu retten vermag“, andererseits das Vorliegen einer hilflosen Lage annimmt, wenn sich das Opfer nur „unter Aufsichnahme großer Risiken befreien“ kann. 1147 So ausdrücklich Küper, ZStW 111 [1999], 48 Fn. 76; Küpper, JuS 2000, 225; SK-StGB7-Horn/Wolters [03/2002], § 221 Rn. 3; MüKo-StGB-Hardtung, § 221 Rn. 6. Aus dem Verständnis des Versetzens, das auch das Abschneiden von Hilfsmitteln erfasst, ergibt sich die Beachtlichkeit von Sachmitteln aber auch für LK-StGB11-Jähnke [07/1999], § 221 Rn. 15; Sternberg-Lieben/Fisch, Jura 1999, 46; Jäger, JuS 2000, 32; Gössel/Dölling, BT 12, § 7 Rn. 15; Haft, BT II8, S. 126; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 19, § 4 Rn. 6; NK-StGB2-Neumann, § 221 Rn. 8, 12; Kindhäuser, LPK3, § 221 Rn. 8; ders., BT I3, § 5 Rn. 10; Schroth, BT4, S. 78; Küpper, BT I3, § 1 Rn. 86; Rengier, BT II8, § 10 Rn. 7; Schmidt/Priebe, BT I6, Rn. 250; Wessels/Hettinger, BT I31, Rn. 199; a. A. Hohmann/Sander, BT II, § 5 Rn. 4; Krey/Heinrich, BT I13, Rn. 134; Schönke/Schröder-StGB27-Eser, § 221 Rn. 4. 1148 Gegebenenfalls wäre hier an einen Versuch der Erfolgsqualifikation gem. § 221 Abs. 3 StGB zu denken, wenn der Täter glaubt, dass sein Opfer kein Mobiltelefon habe und er dessen Tod will.

D. Das situationsbezogene Tatbestandsmerkmal der hilflosen Lage

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(3) Dritte Personen als Hilfen1149 Ist die Einbeziehung der eigenen Fähigkeiten des Opfers als Hilfsmittel noch unstreitig, wird es schwieriger – und die Ansichten divergieren hier –, sobald man die Frage aufwirft, ob und, wenn ja, welche weiteren Personen als personelle Hilfe Beachtung finden müssen1150. Die Mehrzahl der Autoren geht davon aus, dass dritte Personen und deren Hilfe beachtlich und damit geeignet sind, das Vorliegen einer hilflosen Lage auszuschließen. Da die Argumente, die gegen das Nichtbeachten von dritten Personen als Hilfen sprechen, bereits dargestellt wurden1151, ist hier nur noch auf einige ergänzende Aspekte hinzuweisen. In einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Celle findet man folgende Ausführungen zur schutzlosen Lage gem. § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB1152: „Die Zeugin L befand sich, nachdem der Angeklagte das übrige Pflegepersonal aus dem Zimmer geschickt hatte und da sie auf Grund der vorangegangenen Stimmbandoperation nicht in der Lage war zu sprechen, geschweige denn um Hilfe zu rufen, in einer objektiv hilflosen Lage.“ Mit diesen Ausführungen macht das Gericht deutlich, dass es davon ausgeht, bei Anwesenheit des restlichen Pflegepersonals, das zuvor geholfen und damit seinen „Schutzwillen“ kundgetan hatte, hätte keine schutzlose Lage für das Opfer vorgelegen. Mithin schließt bei § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB die Anwesenheit schutzbereiter Personen das Vorliegen einer schutzlosen Lage aus1153. In Anbetracht dessen, dass beide Normen eine Lage verlangen und diese nur mit dem Attribut der Hilflosigkeit bzw. Schutzlosigkeit näher umschreiben, ist es angängig, diesen Gedanken auf die Aussetzung und die hilflose Lage zu übertragen. Damit ist im Prinzip eine weitere Person als Hilfe zu beachten, weil sie das Vorliegen einer hilflosen Lage auszuschließen vermag. Kann dies jeder beliebige Dritte sein oder sind nur bestimmte Personen als Hilfen geeignet? Die Antwort muss lauten: Kann der Dritte dem Opfer nicht helfen oder will er nicht helfen, so ist die Lage des Opfers genauso 1149

Als dritte Person werden im Folgenden nur solche Personen verstanden, die weder Täter noch Garant für das Opfer sind, sondern – im eigentlichen Sinn des Wortes – Unbeteiligte. Die Frage, inwieweit der Täter eines positiven Tuns oder der Täter-Garant eines unechten Unterlassens zu beachtende Hilfen bei der Bestimmung der hilflosen Lage sein können, folgt sogleich im 4. Teil: D. IV. 2. d) dd) (4). 1150 Vgl. schon oben im 4. Teil: D. II. 3. b). 1151 Vgl. oben die Argumente gegen das Verständnis der hilflosen Lage als rein individuelle Hilfsbedürftigkeit im 4. Teil: D. IV. 1. b). 1152 OLG Celle NStZ-RR 2005, 263 [264] [Hervorhebungen vom Verfasser]. 1153 So auch ausdrücklich für § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB Fischer, ZStW 112 [2000], 80.

326 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

„hilflos“ wie bei Abwesenheit des Dritten. Deshalb muss eine Person hilfswillig und auch hilfsfähig sein, um eine beachtliche Hilfe darzustellen. Für dieses Ergebnis spricht ein Blick auf den Wortlaut des § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB; dort heißt es1154: „Wer einen Menschen . . . in einer hilflosen Lage im Stich läßt, obwohl er ihn in seiner Obhut hat oder ihm sonst beizustehen verpflichtet ist, . . . .“ Durch das „obwohl“ wird deutlich, dass eine hilflose Lage vorliegen kann, selbst wenn eine Person – im Falle der zweiten Tatvariante sogar deren Täter – anwesend ist, die eine Obhuts- oder Beistandspflicht – sprich Garantenstellung – innehat. Diese Person ist grundsätzlich hilfspflichtig und dennoch kann das Opfer in eine hilflose Lage geraten. Damit ist ein Anhaltspunkt vorhanden, dass die Tatsache einer nur abstrakt existierenden Hilfspflicht nicht von Bedeutung für das (Nicht-)Vorliegen einer hilflosen Lage ist, wohl aber – weil dann dem Opfer geholfen wird – die Existenz und Ausübung eines realen Hilfswillens1155. Mithin ist erst recht eine dritte Person nur dann ein wesentlicher Faktor bei der Bestimmung der hilflosen Lage, wenn sie hilft oder jedenfalls den Willen zu helfen objektiv erkennbar zu Tage treten lässt1156. Darüber hinaus muss die dritte Person fähig sein, Hilfe zu leisten; sonst kann man sie nicht als wirkliche Hilfe sehen1157: Das anwesende Kleinkind oder der äußerst Gebrechliche sind wegen ihrer eigenen, unzureichenden Körperkräfte nicht in der Lage, einen Schwerverletzten aus der Nähe einer drohenden Explosion zu bewegen. Ihre Anwesenheit kann den Täter nicht entlasten und zur Aufhebung der hilflosen Lage führen. Wer ist nun, abgesehen vom vorstehenden Aspekt, als hilfswillige und hilfsfähige dritte Person in die Betrachtung mit einzubeziehen? Nach Lucks ist dies jedermann, der hilfsbereit ist, aber auch derjenige, der nur gem. § 323c StGB unter Umständen hilfspflichtig ist1158. Dies wirkt überraschend: Die Richtigkeit dieser Annahme unterstellt, wäre jede Person, die 1154

Hervorhebung vom Verfasser. Zu der Frage, ab wann man von einer Aufkündigung des Hilfswillens durch einen Garanten ausgehen kann, sogleich ausführlich im 4. Teil: D. IV. 2. d) dd) (4) und insbesondere auf S. 333 und S. 335 ff. 1156 So im Ergebnis auch Lucks, S. 63, wenn sie betont, dass „die bloße Anwesenheit einer Person die hilflose Lage nicht auszuschließen vermag, was sich aus § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB ergibt“, sondern nur dann, „wenn ihm [erg.: dem Opfer] auch tatsächlich Hilfe geleistet wird“, so dies., S. 67, 183. Ähnlich auch Gössel/ Dölling, BT 12, § 7 Rn. 15. Die Bedeutung des Hilfswillens allgemein im Rahmen von Garantenstellungen betont auch Rudolphi, Gleichstellungsproblematik, S. 114. 1157 Vgl. schon am Ende von 4. Teil: D. IV. 2. a) aa). 1158 Lucks, S. 140 f. 1155

D. Das situationsbezogene Tatbestandsmerkmal der hilflosen Lage

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der Anwendungsbereich der Jedermannpflicht des § 323c StGB erfasst1159, eine Hilfe, und deren Anwesenheit würde für den Täter ausreichen, um das Vorliegen einer hilflosen Lage und damit die Tatbestandsmäßigkeit seines Verhaltens zu verneinen. Aus folgenden Gründen kann dies nicht zutreffend sein: Durch § 323c StGB wird zwar der Verstoß gegen diese Jedermannpflicht bestraft, damit wird aber nicht Jedermann zum „Hilfspflichtigen“ gegenüber jedem Dritten. § 323c StGB begründet ja keine Garantenstellung, was aber bei Annahme einer Hilfspflicht aus dieser Norm gerade der Fall wäre. Sprechen also schon Gründe der Systematik des StGB und des Tatbestandstypus des § 323c StGB gegen diese Annahme von Lucks, so findet sich auch ein Anhaltspunkt in der Entstehungsgeschichte der Aussetzung, der belegt, dass § 323c StGB keine Rolle bei der Frage einer Hilfspflicht spielen kann: Im Verlauf der Entstehung des 6. StrRG hat der Gesetzgeber betont, die Jedermannpflicht aus § 323c StGB sei gerade nicht hinreichend, eine Obhuts- oder Beistandspflicht i. S. v. § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB zu begründen1160. Daher wurde die Passage, die dies anfangs klarstellte, als entbehrlich wieder gestrichen1161. Ist die Pflicht aus § 323c StGB aber schon ungeeignet, eine Obhuts- oder Beistandspflicht i. S. der zweiten Tatvariante zu begründen und kann das abstrakte Vorliegen dieser Obhuts- oder Beistandspflicht eine hilflose Lage nicht ausschließen, dann ist erst recht das abstrakte Vorliegen des Gebotes aus § 323c StGB bei der Klärung der Frage, wer überhaupt eine hilfswillige Person sein kann, ohne Bedeutung. Wie eben schon gesagt: Es geht um den gezeigten oder getätigten Hilfswillen, nicht um das abstrakte Vorliegen einer Garanten- oder Jedermannpflicht. Die bloße Anwesenheit einer x-beliebigen Person hebt damit eine hilflose Lage nicht auf bzw. kann die Entstehung einer solchen nicht verhindern; dies kann nur der gezeigte oder ausgeübte Hilfswille. Dies verkennt auch Hillenkamp in seinem Beispiel1162: Der erfahrene Bergsteiger ist als solcher weder hilfspflichtig noch hilfswillig; damit ist er aber auch kein zu beachtender Helfer. Der unerfahrene Bergsteiger, den er antrifft, ist vor, aber 1159 Zu dieser Jedermannpflicht SK-StGB7-Rudolphi [10/1999], § 323c Rn. 4; Geppert, Jura 2005, 41; Schönke/Schröder-StGB27-Cramer/Sternberg-Lieben, § 323c Rn. 4; Wessels/Hettinger, BT I31, Rn. 1043. 1160 RefE, S. 124; BR-Drs. 164/97, S. 120 f.; BT-Drs. 13/7164, S. 34; 13/8587, S. 34. 1161 BT-Drs. 13/9064, S. 14. 1162 Hillenkamp, BT10, S. 15 f. Das Beispiel ist zu finden im 4. Teil: E. III. 3. d) auf S. 424. Dort auch ausführlicher zur Ansicht Hillenkamps.

328 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

auch nach dem Eintreffen des erfahrenen Bergsteigers in hilfloser Lage. Durch das Weggehen des erfahrenen Bergsteigers wird also nichts Neues geschaffen, sondern es besteht die ganze Zeit eine hilflose Lage. Das ungewollte Sich-Anschließen seitens des unerfahrenen Kletterers an den ortskundigen Bergsteiger kann zu Lasten des Letzteren weder eine Garantenstellung begründen noch die hilflose Lage aufheben. In dieser kann der unerfahrene Bergsteiger nur im Stich gelassen werden, was eine Garantenstellung voraussetzen würde, die jedoch für den erfahrenen Kletterer eben nicht besteht1163. Das Verhalten mag eine unterlassene Hilfeleistung sein, eine Aussetzung ist es aber nicht. Mithin sind dritte Personen nur dann eine Möglichkeit, die hilflose Lage auszuschließen, wenn sie fähig und objektiv erkennbar willens sind, Hilfe für das Opfer zu leisten. (4) Der „Täter“ als Helfer Bisher war nur von „einer Person“ als Helfer die Rede. Dies sind – wie aus den bisherigen Ausführungen deutlich wurde – Dritte, die vor dem Tatgeschehen in keinerlei Beziehung zum Opfer standen. Wie aber sieht es mit dem Täter selber aus? Ist er auch als möglicher Helfer zu berücksichtigen? Die Fälle zur Aussetzung, die bei der Frage der Einbeziehung des Täters als möglicher Helfer in der Literatur diskutiert werden, sind ausschließlich solche Konstellationen, in denen der „Täter“ seine Hilfe einstellt, obwohl er zuvor dem Opfer geholfen hat und infolgedessen zum Garanten wurde oder obwohl er schon vorher eine Garantenstellung anderer Art innehatte1164. Ist der Wille eines Garanten dergestalt erkennbar zu Tage getreten, muss man – bis zum objektiv erkennbaren Beweis des Gegenteils – davon ausgehen, dass der Garant diese Hilfe auch weiterhin leisten wird. Wie lange man von einer solchen Vermutung ausgehen kann, bis sie nicht mehr besteht, und wo die zeitlichen Grenzen des Erlöschens dieser Vermutung zu ziehen sind und wann ein tatsächliches Helfen des Garanten erforderlich ist, damit diese Vermutung wieder auflebt, wird sich kaum abstrakt bestimmen lassen, sondern stark von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls geprägt sein. Allerdings ist bei Garanten, deren Funktion gerade ausschließlich in der Gewährung von Hilfe und Betreuung besteht, wie insbesondere dem Personal in Krankenhäusern oder Pflegeheimen – also: Helfern von Berufs wegen –, bis zum Beweis des Gegenteils davon auszugehen, dass sie helfen werden. So dann auch Hillenkamp, BT10, S. 16. Vgl. die im 4. Teil: E. II. 2. geschilderten Sachverhalte, wie den „Bergsteiger“- oder „Krankenschwester-Fall“, sowie die allgemeinen Umschreibungen der Verhaltensweisen im 4. Teil: C. II. 1. b) bb). 1163 1164

D. Das situationsbezogene Tatbestandsmerkmal der hilflosen Lage

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Andere Fallkonstellationen scheinen unstreitig zu sein und werden nicht diskutiert. Die angesprochenen Verhaltensweisen betreffen also in erster Linie die Fälle, in denen der zunächst hilfswillige Täter diese Hilfe später einstellt. Das kann durch einfaches Nicht-Weiterleisten von Hilfe geschehen, indem sich der Täter die Hilfeleistung selber unmöglich macht oder indem er sich vom Opfer entfernt. Die äußere Form ist – wie bei der Tathandlung der Aussetzung allgemein – für das Einstellen der Hilfe ohne weitere Bedeutung. Dieses Verhalten des Täters stellt einen Verstoß gegen seine Garantenstellung dar, präziser gesagt, ist es eine Verletzung seiner aus der Garantenstellung erwachsenden Pflichten. Damit steht fest, dass es bei der Einstellung von Hilfe um ein Unterlassen geht. Allerdings kann ein Unterlassen sowohl §§ 221 Abs. 1 Nr. 1, 13 StGB als auch § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB erfüllen. Die Einbeziehung des Täters als Person, die möglicherweise hilft, hat mithin direkte Auswirkungen auf die Frage, welche Tatvariante bei diesen Verhaltensweisen einschlägig ist1165. Der „Täter-Garant“ wird häufiger aus der Bestimmung der hilflosen Lage ausgeblendet als einbezogen. Begründet wird das Ausblenden in erster Linie damit, andernfalls würden die engeren Voraussetzungen des § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB umgangen und die in Rede stehenden Verhaltensweisen könnten nicht mehr unter die zweite Tatvariante fallen, obwohl sie dort schon immer subsumiert worden sind1166. Dem zweiten Argument muss allerdings sofort widersprochen werden: Die zweite Tatvariante mag zwar auf diese Weise „mit Leben gefüllt“ werden, die Autoren bleiben aber eine zwingende Begründung dafür schuldig, warum das Verhalten nicht unter die erste Tatvariante als Unterlassen subsumiert werden kann. Der Hinweis, dieses Verhalten habe früher die zweite Tatvariante erfüllt, ist zwar zutreffend, bedeutet aber nicht, dass dies nach einer kompletten Reform der Norm auch so bleiben muss. Vielmehr stellt das Übergehen des Täters bei der Bestimmung der hilflosen Lage nur den Versuch dar, das Verständnis der a. F. zu übernehmen, um bestimmte Verhaltensweisen in die Tathandlungen einordnen zu können. Dieses Haften an der Tradition verbürgt aber für sich keine tragfähige Begründung.

1165 Und damit auch auf die Frage der Abgrenzung der beiden Tathandlungen; vgl. hierzu die Darstellung im 4. Teil: E. II. 2. und die eigene Ansicht des Verfassers im 4. Teil: E. III. 3. 1166 Vgl. zum Ganzen die Darstellung im 4. Teil: D. II. 3. b) [Nachweise dort in Fn. 812 f., 819, 836, 867] und 4. Teil: D. II. 4. [Nachweise dort in Fn. 892 f., 895].

330 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

Das erste Argument, die drohende Umgehung der Voraussetzungen des § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB, ist hingegen nicht so einfach zu entkräften. Dennoch wird sich zeigen, dass es für den „Täter-Garanten“ ebenfalls nicht zutreffend ist. Wegen des engeren Zusammenhangs mit dem Thema der Abgrenzung der beiden Tathandlungen wird es allerdings erst in dem dieser Abgrenzung gewidmeten Abschnitt behandelt werden1167. Außerdem hat die Auffassung, die den Täter überhaupt nicht in die Betrachtung der helfenden Personen einbeziehen will – im Folgenden der Einfachheit halber: Gegenansicht –, ein beträchtliches Problem mit dem Täter, der seinem Opfer erst hilft und durch eben diese Hilfe das Entstehen einer hilflosen Lage verhindert bzw. ihr Bestehen beendet. Wenn man ihn aufgrund eines späteren Verhaltens aber wegdenkt, wäre das Opfer die ganze Zeit – auch als Hilfe geleistet wurde – in hilfloser Lage gewesen1168. Um dies zu vermeiden, müsste die Gegenansicht einen Zeitpunkt benennen, ab dem der „Täter“ weggedacht werden kann und bis zu dem er eben kein „Täter“, sondern Hilfe ist. Genau dies erfolgt aber nicht, sondern der Täter wird einfach grundsätzlich nicht als möglicher Helfer beachtet. Ein Grund hierfür wird nicht genannt, dürfte aber in dem späteren Verhalten zu sehen sein, durch das der Täter § 221 Abs. 1 StGB verwirklicht und mit dem er die „Aufkündigung seines Hilfswillens“ manifestiert. Dieser Schluss aus dem späteren Verhalten basiert aber auf einer Unterstellung: Das pauschale Wegdenken des Täters – für einen beliebig langen Zeitraum – vor der Verhaltensweise, die auf ihre Tatbestandsmäßigkeit geprüft wird, ist nicht möglich, weil der „Täter“ zum Zeitpunkt des Helfens kein Täter war. Man kann und darf aus der zeitlich späteren Aufkündigung des Hilfswillens nicht folgern, der Täter sei schon immer hilfsunwillig gewesen und stelle keine wirkliche Hilfe dar. Gerade dies geschieht aber bei der vollständigen Nichtbeachtung des Täters. Die „innere Aufkündigung“ des Hilfswillens seitens des Täters ist als rein gedanklicher Vorgang so gut wie nie beweisbar. Wäre diese Aufkündigung aber schon das Versetzen in die hilflose Lage, so würde dieses Verhalten die Vornahme der Tathandlung darstellen. Da aber solch ein innerer Vorgang kaum zur Überzeugung des Gerichtes wird bewiesen werden können, muss man in aller Regel – gegebenenfalls unter Anwendung des Grundsatzes „in dubio pro reo“ – mindestens bis zum objektiv erkennbaren und nachweisbaren Zeitpunkt der Aufkündigung des Hilfswillens des Täters davon ausgehen, dass er zuvor noch helfen wollte, und dieses Verhalten als 1167

Vgl. später im 4. Teil: E. III. 3. c) cc), ausführlich ab S. 416. So im Ergebnis die Ansicht von Jäger, JuS 2000, 34; wohl anders jetzt aber ders., BT, Rn. 69. 1168

D. Das situationsbezogene Tatbestandsmerkmal der hilflosen Lage

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Tathandlung ansehen. Vorher gibt es keinen gegenteiligen Anhaltspunkt. Denkt man sich aufgrund des späteren Verhaltens den Täter als mögliche Hilfe von Anfang an weg, so ist dies nichts anderes als die Unterstellung, er habe von Anfang an in Wahrheit nicht helfen wollen, was aber eben nicht ausnahmslos mit der Realität vereinbar scheint. Mithin muss man feststellen: Solange der „Täter“ hilft oder aufgrund seines bisherigen Verhaltens davon ausgegangen werden kann, dass er helfen wird, ist er nicht „Täter“, sondern Helfer bzw. eine „dritte“ Person, die hilfswillig ist. Wie schon bei der dritten Person gilt: Wem geholfen (werden) wird, der ist nicht in einer hilflosen Lage. Oder anders formuliert: Das Attribut „Täter“ hat eine Person, die noch hilft oder für die eine entsprechende Vermutung besteht, nicht verdient, es kann und darf ihr (noch) nicht zugeschrieben werden. Gegen das vollständige Übergehen des Täters als möglicher Helfer bei der Bestimmung der hilflosen Lage spricht erstens, dass andernfalls alle Fälle eines Garanten, der seine bisherige Hilfeleistung einstellt, als Anwendungsfälle der zweiten Tatvariante anzusehen wären, da das Opfer durch das generelle Wegdenken des Täters – selbst als dieser noch Hilfe leistete – „in Wahrheit“ schon in hilfloser Lage war. Dieses Ergebnis scheint aber – wie oben dargelegt1169 – bei einer Person, der gerade geholfen wird, widersprüchlich und nicht vertretbar. Gegen das Nicht-Berücksichtigen des anfangs hilfsbereiten „Täters“, der zum Zeitpunkt der Hilfeleistung noch gar nicht so bezeichnet werden kann, spricht also das Wortlautargument, das auch schon für die Berücksichtigung der „Dritthilfe“ sprach: Wem in einer Situation geholfen wird, die er alleine nicht meistern kann, ist nicht hilflos – sprich: ohne Hilfe –, sondern dem wird geholfen. Es liegt keine hilflose, sondern eine „nicht hilflose Lage“ vor. Die pauschale Nichtbeachtung des Täters geht darüber wegen dessen späteren Verhaltens hinweg. Hilflos wird die Lage des Opfers vielmehr – frühestens – erst in dem Moment, in dem sich der Täter entscheidet, keine Hilfe mehr zu gewähren und nicht mehr helfen zu wollen. Solange er aber hilft, ist es schon nach dem Wortlaut ausgeschlossen, dem Opfer eine hilflose Lage zu konstatieren1170. Ignoriert man zweitens die zuvor geleistete Hilfe des „Täters“, durch die eine hilflose Lage des Opfers aufgehoben oder deren Entstehung verhindert 1169

Ausführlich im 4. Teil: D. IV. 1. b). So wird – außer von Jäger – auch im „Bergsteiger-Fall“ [vgl. zu der Fallkonstellation im 4. Teil: E. II. 2. sowie zu den Argumenten gegen die Annahme Jägers im 4. Teil: E. III. 3. b)] von keinem Autor in Abrede gestellt, dass der Bergführer beim gesamten – problemlosen – Aufstieg dem Kunden geholfen hat, hilfsbereit war und somit keine hilflose Lage anzunehmen ist. Daher wird er während dieser Zeit als Hilfsmöglichkeit angesehen. 1170

332 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

wurde, vollkommen, könnte ein solcher Garant, obwohl zuvor von ihm Hilfe geleistet wurde, niemals die erste Tatvariante verwirklichen: Nach Wegdenken der vom „Täter-Garanten“ geleisteten Hilfe war das Opfer trotz dieser Hilfe stets in hilfloser Lage, in der es dann aber nur noch im Stich gelassen werden kann. Nach dieser Ansicht wären alle Fälle, in denen ein Unterlassen eines Garanten in Rede steht, als Imstichlassen zu qualifizieren. Eine Tat nach §§ 221 Abs. 1 Nr. 1, 13 StGB existierte nicht. Die Anwendung von § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB durch Unterlassen wäre ausgeschlossen und letztlich der Tatbestand des § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB doch zum Unterlassungsdelikt der ersten Tatvariante „uminterpretiert“. Eine Auslegung, die im Ergebnis eine Tatvariante so weitgehend leerlaufen lässt und einen Widerspruch in der strafrechtlichen Dogmatik zum unechten Unterlassungsdelikt bewirkt, kann aber kein „richtiges Verständnis“ darstellen1171. Diese Ansicht wird deshalb auch kaum noch vertreten und ist auch nicht vertretbar1172, so dass die Auslegung der hilflosen Lage unter Außerachtlassung der Hilfe durch den „Täter“ einen Widerspruch hierzu darstellen würde. Außerdem ist die Nichtbeachtung des Täters als möglicher Helfer – insbesondere bei der zweiten Tatvariante der Aussetzung – nicht folgerichtig: Das Element des Helfens ist nämlich zu berücksichtigen, wenn es um die Entstehung einer Garantenstellung geht. Erst die tatsächlich geleistete Hilfe begründet die Garantenstellung für diejenigen Personen, bei denen diese Stellung noch nicht kraft Gesetz, Vertrag oder anderer verpflichtender Beziehungen besteht1173. Damit verwendet man – zu Lasten des Tä1171

Vgl. zu der Thematik auch 4. Teil: C. I. 5. e) dd). So denn auch die überwiegende Ansicht [vgl. zu deren Argumenten 4. Teil: C. II. 5. g)]; a. A. nur Schroth, NJW 1998, 2863 [in diese Richtung auch weiterhin ders., BT4, S. 79], und Brodag, StR8, 9. Teil Rn. 83 f. [ders. jetzt anders, aber widersprüchlich in StR9, 9. Teil Rn. 71 f.; siehe hierzu schon im 4. Teil: C. II. 3. b) aa) in Fn. 502]. Vgl. auch die allgemeine Darstellung zu den beiden letztgenannten Autoren im 4. Teil: C. II. 3. b) aa). 1173 Das tatsächliche Leisten von Hilfe ist in aller Regel geeignet, [zusätzlich] eine neue Garantenstellung zu begründen. Unter welchen Voraussetzungen und zu welchem Zeitpunkt eine Garantenstellung aus einer Hilfeleistung entsteht, ist umstritten und eine Frage des Allgemeinen Teils des Strafrechts, die hier nicht geklärt werden kann; vgl. zu dem Thema Roxin, AT II, § 32 Rn. 61 ff.; Kühl, AT5, § 18 Rn. 68 ff.; NK-StGB2-Wohlers, § 13 Rn. 38 ff.; Schönke/Schröder-StGB27-Stree, § 13 Rn. 26 ff.; Lackner/Kühl, StGB26, § 13 Rn. 9; alle m. w. N. Um diese Fallgruppe anhand eines plastischen Fallbeispieles [frei nach Roxin, AT II, § 32 Rn. 65] zu verdeutlichen: Pfadfinder P will seine tägliche gute Tat vollbringen und dem gebrechlichen Rentner R über eine vielbefahrene Straße helfen. Nach der Hälfte des Weges erblickt P aber auf der anderen Straßenseite einen Eisstand und lässt deshalb R mitten auf der Straße im Verkehr stehen, so dass dieser von einem Auto angefahren wird und sich ein Bein bricht. Letzteres hat P auch voraus1172

D. Das situationsbezogene Tatbestandsmerkmal der hilflosen Lage

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ters – die geleistete Hilfe, um das Entstehen einer Garantenstellung und seine Handlungspflicht herzuleiten, berücksichtigt aber – wiederum zu Lasten des Täters – seine Hilfe bei der Frage nach dem Vorliegen einer hilflosen Lage nicht. Als widerspruchsfrei ist dieses Vorgehen jedenfalls nicht einzuordnen1174. Für die Einbeziehung des Täters spricht daneben auch ein rechtshistorischer Anhaltspunkt: Früher war weitgehend anerkannt, dass die Anwesenheit des hilfsbereiten „Täters“ das Vorliegen einer hilflosen Lage – verstanden als Gefahr – ausschloss1175. Da die hilflose Lage aber heute nicht einmal mehr das Vorliegen einer Gefahr verlangt, sondern nur noch einen Zustand im Vorfeld einiger Gefahren darstellt – also „weniger“ ist als eine Gefahr – muss die Anwesenheit des Täters als möglicher Helfer umso mehr beachtet werden. Ein zunächst hilfsbereiter und helfender „Täter“ verliert demzufolge seine Hilfsfunktion, wenn er seine Hilfe einstellt und weitere Hilfe verweigert. Wie kann man nun aber erkennen, ob dieser Fall vorliegt oder nicht? Lässt sich – wie z. B. beim Weggehen – ein fester Zeitpunkt bestimmen, in dem der dem Hilfswillen zuwiderlaufende Entschluss durch ein Verhalten manifestiert wird, so ist dies der Zeitpunkt der Aufkündigung des Hilfswillens seitens des Täters, der auch erst ab diesem Zeitpunkt diese Bezeichnung verdient. Jetzt – und nicht früher – gerät das Opfer in hilflose Lage. Neben dem Täter des § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB, der das Delikt durch aktives Tun begeht, ist auch derjenige, der diese Situation nur fahrlässig schafft und im Folgenden als Ingerenzgarant zur Verhinderung des Eintritts des Taterfolgs verpflichtet ist, kein Helfer: Auf Grund des – wenn auch nur fahrlässigen – Schaffens der Situation allein kann von einem Hilfswillen nicht ausgegangen werden; dieser muss vielmehr erst tatsächlich zu Tage treten. Will der Täter in diesem Fall ein Helfer sein, muss er seinen Hilfswillen durch entsprechende Gegenmaßnahmen objektiv zeigen; sonst kann ein vorsätzliches Imstichlassen vorliegen1176. gesehen und billigend in Kauf genommen. Hier wurde P durch Übernahme einer Schutzfunktion zu Gunsten des R zu dessen Garanten; mithin ist er für die Verletzung der körperlichen Integrität des R gem. §§ [223 Abs. 1; 224 Abs. 1 Nr. 1, 5]; 13 StGB strafbar. 1174 Vgl. zu diesem Aspekt schon im 4. Teil: D. IV. 1. d) am Ende. 1175 RGSt 2, 15 [16]; RGR 7, 250 [252]; RG JW 1928, 2983; Oppenhoff, RStGB6, § 221 Anm. 6; Warmuth, S. 47; Zerling, S. 34; Redlich, S. 43; LKStGB9-Lange [12/1971], § 221 Rn. 5; LK-StGB10-Jähnke [04/1981], § 221 Rn. 11; SK-StGB5-Horn [05/1993], § 221 Rn. 3; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 18, § 4 Rn. 6; Schönke/Schröder-StGB25-Eser, § 221 Rn. 8; a. A. nur Henning, S. 16. 1176 Zu der Thematik der Ingerenzgarantenstellung im Rahmen der Aussetzung grundsätzlich später im 4. Teil: G. III. 2., dort ausführlich ab S. 466.

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Schwieriger aber wird das Erkennen einer Hilfsverweigerung bei der Einstellung von Hilfe ohne solche deutlichen Verhaltensweisen, insbesondere bei der Verweigerung der bisherigen Hilfe durch reines Unterlassen i. S. eines schlichten Nichtstuns. Ab wann man bei einem Unterlassen nicht mehr hilft und das Opfer damit in eine hilflose Lage gerät, wird sich abstrakt kaum bestimmen lassen. Nur dann, wenn das Opfer aufgrund einer nicht mehr fortgesetzten Hilfe bei Möglichkeit einer Hilfeleistung in eine Gefahr i. S. v. § 221 Abs. 1 Hs. 2 StGB gerät, ist sicher: Es lag vorher eine hilflose Lage vor und diese wurde durch das Unterlassen des Täters geschaffen. Wann genau die hilflose Lage eintrat oder nicht, spielt dann eine eher untergeordnete Rolle, weil das Vorliegen einer hilflosen Lage vor dem Eintritt der Gefahr sicher ist, wenn man die bereits erarbeiteten Kriterien der Möglichkeit der Hilfe und der Beendbarkeit der Situation beachtet. Das Problem für die Benennung eines festen Zeitpunktes als Beginn der hilflosen Lage liegt abermals darin, dass Fälle des Unterlassens andere zeitliche Dimensionen aufweisen als Fälle des aktiven Tuns1177. Kann man bei letzteren problemlos die Verhaltensweise exakt benennen, deren Tatbestandsmäßigkeit zu prüfen ist, so ist das beim Unterlassen nicht der Fall: Das Unterlassen, an das der strafrechtliche Vorwurf anknüpft, „zieht“ sich über einen gewissen Zeitraum hin. Es geht nicht um einen festen Zeitpunkt und eine Verhaltensweise, sondern um den Vorwurf, über eine gewisse Zeitspanne nicht gehandelt zu haben, obwohl man hätte handeln müssen. Das Vorgehen zur Klärung der Frage einer Strafbarkeit aus § 221 Abs. 1 StGB gestaltet sich damit folgendermaßen: Ist eine Gefahr für das Opfer eingetreten, macht man sich auf die Suche nach einer Verhaltensweise, die auf ihre Tatbestandsmäßigkeit geprüft werden soll. Findet man eine solche, die die Gefahr kausal oder quasi-kausal verursacht hat, ist die Frage: War das Opfer vor dieser Verhaltensweise in hilfloser Lage oder nicht? Lag eine hilflose Lage vor der Verhaltensweise des Täters vor, kommt nur die zweite Tatvariante in Betracht. Kam das Opfer aber erst durch die Verhaltensweise des Täters in hilflose Lage, ist zu klären, ob es sich um Tun oder Unterlassen handelt. Dabei muss man aus Gründen der Beweisbarkeit und des „in dubio pro reo“ – Grundsatzes davon ausgehen, dass mangels anderer Anhaltspunkte der Täter vor der Tathandlung bzw. bis zur Vornahme derselben noch hilfswillig war. Eine andere Beurteilung wäre die Unterstellung eines „bösen Willens“ beim Täter und deren Be1177

Androulakis, S. 105 f.; Maiwald, Handlungseinheit, S. 106; Struensee, Konkurrenz, S. 37 f., 59 f.; Roxin, AT II, § 33 Rn. 61. Hierzu später noch im 4. Teil: E. III. 2. b) cc) (1).

D. Das situationsbezogene Tatbestandsmerkmal der hilflosen Lage

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strafung1178. Bis dahin war das Opfer noch nicht in hilfloser Lage, sondern erst ab diesem Zeitpunkt. Folgerichtig ist dieses Verhalten des Täters – den man erst jetzt so bezeichnen kann – das Schaffen einer hilflosen Lage, sprich ein Versetzen1179. Ist eine Tathandlung bzw. ein bestimmtes Verhalten nicht festzustellen, hat der Täter durch Aufgabe seines Hilfswillens ebenfalls die Hilflosigkeit des Opfers irgendwann vor Eintritt der konkreten Gefahr bewirkt. Dass man in den Fällen des Versetzens durch Unterlassen bzw. des Imstichlassens keinen „festen Tatzeitpunkt“ finden kann, wird offen zugegeben1180. Dies hat aber nichts mit dem in dieser Arbeit entwickelten Verständnis der hilflosen Lage und der Aussetzung zu tun, sondern gründet auf den spezifischen Besonderheiten des echten und unechten Unterlassungsdelikts, die in diesem Abschnitt schon angesprochen wurden: Bei diesen Delikten kann man nie einen „festen Zeitpunkt“ der „Tathandlung“ – des Unterlassens – bestimmen, weil es gerade ein Spezifikum des Unterlassens ist, dass es nicht an einem festen Zeitpunkt geschieht, sondern ein Zeitkontinuum bzw. einen Zeitraum abdeckt oder, anders formuliert, ein Element der Dauer aufweist. Man wirft ja dem Täter auch vor, eine Handlung über eine gewisse Zeitspanne unterlassen zu haben, nicht, zu einem bestimmten, genau abgrenzbaren Zeitpunkt nicht gehandelt zu haben1181. Genau genommen gerät das Opfer in dem Moment in eine hilflose Lage, in dem sich der „Täter-Garant“ entscheidet, keine Hilfe mehr zu gewähren. Diese Entscheidung ist aber nun ein rein interner Prozess, der nicht – jedenfalls nicht notwendig – nach außen erkennbar ist. Er ist – anders gesagt – die Bildung des Tatentschlusses für eine Aussetzung. 1178 Dies sieht zur a. F. auch Lucks, S. 132, ähnlich, wenn sie im Fall des Weggehens des Täters die Annahme des sofortigen Eintritts einer konkreten Gefahr als „Strafbarkeit der Gesinnung“ bezeichnet. 1179 Zu dem Thema noch später ausführlich im 4. Teil: E. III. 3. 1180 Womit hier schon angedeutet wird, dass die Aufgabe der bisher geleisteten Hilfe ein Unterlassen darstellt; ausführlich im 4. Teil: E. III. 3. d). 1181 Diesen besonderen zeitlichen [Dauer-]Bezug des Unterlassungsdelikts kann man sich auch anhand des Streits zum unmittelbaren Ansetzen beim unechten Unterlassungsdelikt verdeutlichen. Dort geht es innerhalb eines zeitlichen Prozesses um die Frage, ab wann von einem unmittelbaren Ansetzen zum Versuch gesprochen werden kann. Erst ab dem Zeitpunkt, ab dem die drohende Verletzung bzw. Gefährdung evident ist – d.h. wenn das geschützte Rechtsgut nach der Tätervorstellung durch das Nichthandeln unmittelbar gefährdet ist bzw. eine bereits bestehende Gefahr erhöht wird und der Garant hätte handeln müssen, geht die überwiegende Ansicht von einem unmittelbaren Ansetzen aus. Mit anderen Worten: Bis zu diesem Zeitpunkt geht man anscheinend davon aus, dass der Garant kein Täter ist, sondern nur ein „nachlässiger Garant“, der schon noch helfen wird; Nachweise im 4. Teil: D. IV. 1. a) cc) in Fn. 919.

336 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

Dieser rein interne Vorgang ist aber ungeeignet, eine Strafbarkeit des Täters aus § 221 Abs. 1 StGB einzuleiten; andernfalls wäre der Versuchsbeginn grundsätzlich immer in der Willensbildung zu sehen und damit das unmittelbare Ansetzen i. S. v. § 22 StGB. Gerade diese Norm verlangt aber neben subjektiven auch objektive Elemente für das unmittelbare Ansetzen1182. Außerdem kann die Fassung eines Entschlusses – schon aus Gründen der Praktikabilität – kein relevantes Kriterium sein: Würde die Fassung des Tatentschlusses immer die hilflose Lage begründen, wäre dies ein Versetzen und jede dem Tatentschluss folgende Handlung wäre ein Imstichlassen. Dieser innere Prozess ist kaum beweisbar und kann dem Täter als reine Gesinnung auch nicht vorgeworfen werden. Die rein innere Entschlussfassung des Täters eines Gefährdungsdelikts stellt zwar schon eine gewisse „Gefährdung“ des Opfers dar, ist aber eben noch keine (Teil-)Verwirklichung des Tatbestandes. Also kann man von einer Aufkündigung des Hilfswillens erst dann ausgehen, wenn er sich auch äußerlich objektiv manifestiert hat, d.h. wenn die erste objektive und damit beweisbare Verhaltensweise gegeben ist. Selbst wenn der Täter schon vor der objektiven Offenlegung in Gedanken hilfsunwillig war, so begründet dies keine Strafbarkeit für ihn: Die „böse Gesinnung“ ist eben nicht strafbar, sondern nur bestimmte Verhaltensweisen. Bis zur objektiv erkennbaren Verweigerung weiterer Hilfe oder der objektiv belegbaren Aufgabe des Hilfswillens des bisher Helfenden ist diese Person als möglicher Helfer zu betrachten. Auch bei einem Garanten besteht keine generelle Vermutung, dass dieser Hilfe leistet, selbst wenn dies zumeist der Fall sein wird. Allein das Bestehen der Garantenstellung schließt die Möglichkeit der Hilfsverweigerung jedoch nicht aus1183. Der Garant ist aufgrund seiner Garantenstellung zwar zum Helfen verpflichtet, aber solange er – trotz Kenntnis der Lage – keine Hilfe leistet, hat der Appell zu helfen ihn letztlich noch nicht erreicht. Die Garantenstellung hat sich noch nicht „aktualisiert“ und in die konkrete Hilfeleistung – was seiner Garantenpflicht entspricht – umgewandelt. Nur aus dem Bestehen einer Garantenstellung kann man also nicht grundsätzlich auf einen Hilfswillen und auf eine zukünftige Verhinderung oder Beendi1182 Herrschende, sog. gemischt subjektiv-objektive Theorie der Rechtsprechung und Literatur; vgl. nur BGHSt 26, 201 [202 f.]; 28, 162 [163]; 37, 294 [297 f.]; 40, 257 [268 f.]; 48, 34 [36]; Jescheck/Weigend, AT5, § 49 IV; SK-StGB6-Rudolphi [04/1993], § 22 Rn. 8 ff.; NK-StGB2-Zaczyk, § 22 Rn. 22 ff.; Schönke/Schröder, StGB27-Eser, § 22 Rn. 32 ff.; Lackner/Kühl, StGB26, § 22 Rn. 4; Wessels/Beulke, AT37, Rn. 599 f.; alle m. w. N. 1183 Zu diesem Aspekt mit Blick auf den Wortlaut des § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB bereits oben im 4. Teil: D. IV. 2. d) dd) (3).

D. Das situationsbezogene Tatbestandsmerkmal der hilflosen Lage

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gung der hilflosen Lage schließen. Nur wenn und solange der Hilfswille erkennbar zu Tage tritt, stellt der Garant eine (konkrete) Hilfsmöglichkeit dar, die bei der Bestimmung der hilflosen Lage zu beachten ist. Diese Erkennbarkeit eines Hilfswillens ist aber nicht nur bei dem Garanten anzunehmen, der aktuell Hilfe leistet, sondern sie ist auch dann zu bejahen, wenn eine noch unwiderlegte Vermutung besteht, dass der Garant helfend einschreiten wird. Hiervon wird man insbesondere bei solchen Garanten ausgehen müssen, deren spezifische berufliche Funktion gerade im Leisten von Hilfe besteht1184. Dass nicht jeder Garant als hilfswillig anzusehen ist, wird daneben – wie zuvor erörtert – auch aus dem Wortlaut von § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB und der Entstehungsgeschichte dieser Tatalternative deutlich1185. Nun könnte man einwenden, dass – bei Einbeziehung Dritter als Helfer in die Betrachtung – doch wohl erst recht Personen mit einer Garantenstellung, also einer besonderen Hilfsverpflichtung gegenüber dem Opfer, beachtet werden müssten. Aber diese formelle Argumentation greift zu kurz: Wie dargelegt, bezieht man nicht jeden beliebigen Dritten ein, sondern es geht nur um denjenigen Dritten, der hilfswillig ist1186. Die Betonung lag dabei auf dem Kriterium des Hilfswillens, der vorliegen musste, damit man eine Person als Helfer beachten konnte. Gerade dies muss auch für den „Täter“ gelten, unabhängig von seiner Garantenstellung: Der Garant muss mithin entweder tatsächlich geholfen haben oder es muss die (bis dahin unwiderlegte) Vermutung bestehen, dass er helfen wird. Abschließend spricht für die Einbeziehung des Täters als möglicher Helfer – ein weiteres Mal1187 – auch der systematische Vergleich mit der schutzlosen Lage in § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB. Aus den Ausführungen des Oberlandesgerichts Celle1188 ergibt sich, dass es die Lage des Opfers ab dem Wegschicken des übrigen Pflegepersonals als schutzlos beurteilt. Die Annahme der Schutzlosigkeit für das Opfer resultiert aus dem Verhalten des Täters vor der eigentlichen Tathandlung, nämlich dem Wegschicken und dem nachfolgenden tatbestandsmäßigen Verhalten gem. § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB. Damit hat das Gericht bei § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB die erste objektiv erkennbare und beweisbare Verhaltensweise des Täters als 1184

Vgl. schon oben im 4. Teil: D. IV. 2. a) aa) sowie dort in Fn. 980. Vgl. die Ausführungen unter 4. Teil: D. IV. 2. d) dd) (3). 1186 Und fähig ist, Hilfe zu leisten. Zum Einfluss der Hilfs[un]fähigkeit einer Person auf die Bestimmung der hilflosen Lage siehe oben im 4. Teil: D. IV. 2. a) aa). 1187 Vgl. zu diesem Aspekt schon oben für die Einbeziehung von dritten Personen als Hilfsmöglichkeit auf 4. Teil: D. IV. 2. d) dd) (3). 1188 OLG Celle NStZ-RR 2005, 263 [264]. 1185

338 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

Anhaltspunkt genommen, um zu begründen, der Täter wolle dem Opfer nicht mehr Schutz gewähren, vielmehr die ihm gegenüber schutzlose Lage ausnutzen. Das Wegschicken als Verhaltensweise ist zwar noch keine Tathandlung, wohl aber das unmittelbare Ansetzen zum Versuch des § 177 StGB oder jedenfalls eine Vorbereitungshandlung der Tat, aus der man – und genau dies tut das Gericht – rückblickend folgern kann, dass der Täter schon zu diesem Zeitpunkt nicht mehr Schutz gewähren wollte. Übertragen auf das – vom Wortlaut und der Struktur Ähnlichkeiten aufweisende – Tatbestandsmerkmal der hilflosen Lage in § 221 Abs. 1 StGB heißt das: Solange der Täter im Vorfeld der eigentlichen Tathandlung keine Verhaltensweisen zeigt, die dafür sprechen, dass er nicht helfen will und wird, ist er als möglicher Helfer einzubeziehen. Gibt es keine solche Verhaltensweise, ist der Täter bis zur Tathandlung als möglicher Helfer anzusehen. Nach alledem ist der „Täter-Garant“ – wie alle weiteren hilfswilligen und hilfsfähigen Personen – bis zum objektiv erkennbaren Gegenteil als möglicher Helfer in die Betrachtung der hilflosen Lage mit einzubeziehen. Die ausgeübte Obhut oder der ausgeübte Beistand – bzw. die unwiderlegte Vermutung von deren Ausübung seitens des Garanten – schließen damit eine hilflose Lage aus.

V. Fazit zur hilflosen Lage Nach der nunmehr abgeschlossenen Untersuchung zum Verständnis der hilflosen Lage lässt sich sagen, wie der Begriff hilflose Lage zu verstehen ist und was nicht von ihm erfasst wird. Um mit dem letzteren Aspekt zu beginnen: Die hilflose Lage im Rahmen der Aussetzung kann seit dem 6. StrRG weder mit der hilflosen Lage der a. F. – mithin mit einer konkreten Gefahr – gleichgesetzt werden noch ist sie als individuelle Hilfsbedürftigkeit i. S. der hilflosen Person a. F. zu deuten. Beide Ansätze führen zu nicht behebbaren Widersprüchen und sind daher nicht zutreffend. Da die hilflose Lage nicht als konkrete Gefahr verstanden werden kann, ist damit eine Charakterisierung der Aussetzung als allgemeines Gefährdungsdelikt abzulehnen: Die Aussetzung stellt gerade nicht jedwede Schaffung einer Gefahr unter Strafe1189. Mit diesem Ansatz wird das Merkmal der hilflosen Lage von dem der konkreten Gefahr i. S. der Gefährdungsklau1189 Ob dies u. U. für Garanten der Fall ist, wird später im 4. Teil: G. III. noch einmal aufgegriffen werden.

D. Das situationsbezogene Tatbestandsmerkmal der hilflosen Lage

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sel getrennt, was zur Folge hat, dass es sich um zwei verschiedene Tatbestandsmerkmale handelt. Nun zur „positiven“ Bestimmung der Merkmale einer hilflosen Lage: Was zeichnet eine solche Lage i. S. der Aussetzung aus, welche Anforderungen sind tatbestandlich für das Vorliegen einer solchen Lage zu erfüllen? Eine hilflose Lage ist gegeben, wenn sich das Opfer • in einer Situation befindet, die durch den Täter, eine dritte Person, das Opfer selbst oder ein zufälliges Ereignis herbeigeführt wurde, und • in der Hilfe zwar noch möglich ist, • in der aber – die eigenen Kräfte des Opfers nicht ausreichen oder nicht genügend geeignete Sachmittel (sächliche Hilfsmittel) als Hilfen vorhanden sind, um sich selber aus dieser Situation zu befreien, und – in der ihm auch keine Hilfe durch hilfswillige und hilfsfähige Personen („personelle Hilfsmittel“) zur Verfügung steht. Ergänzend und klarstellend ist zu dieser Definition noch anzumerken, dass die hilflose Lage durch das Erfordernis der Möglichkeit von Hilfe sowie die Herbeiführung der hilflosen Lage durch den Täter bzw. eine dritte Person zu einer räumlichen Situation mit einer gewisser Dauer wird. Sie ist dadurch in „zwei Richtungen“ begrenzt: Die hilflose Lage ist kein grundsätzlich und ständig vorhandenes Merkmal bzw. kein Dauerzustand des Opfers, aber auch noch keine Gefahr. Die hilflose Lage ist somit ein Durchgangsstadium bzw. ein Zwischenerfolg auf dem Weg in einige, aber eben nicht in alle Gefahren. Allerdings kann der Täter oder die dritte Person beim Herbeiführen einer hilflosen Lage an solche Merkmale bzw. Dauerzustände des Opfers anknüpfen. Ein personelles Hilfsmittel ist jedermann – auch der „Täter“ –, der Hilfe geleistet hat und eine „Hilfe(weiter)leistungserwartung“ begründet, bis objektiv erkennbar der nicht mehr bestehende Hilfswillen manifestiert wurde. Erst ab diesem Zeitpunkt kann man nicht mehr von einem möglichen Helfer sprechen. Das abstrakte Bestehen einer Garantenstellung allein reicht für die Annahme einer möglicherweise helfenden Person nicht aus, vielmehr ist auch hier tatsächlich Hilfe zu leisten oder es muss die unwiderlegte Vermutung bestehen, dass Hilfe geleistet werden wird, damit die garantenpflichtige Person eine – die hilflose Lage ausschließende – Hilfsmöglichkeit darstellen kann. Letztlich schließt die Definition aus, dass die hilflose Lage nur eine Hilflosigkeit für Leib und Leben darstellt, sondern sie erfasst grundsätzlich auch hilflose Lagen im Hinblick auf andere Rechtsgüter.

340 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

E. Das Verhältnis der beiden Tathandlungen zueinander und ihre gegenseitige Abgrenzung Nachdem nunmehr die eigene Ansicht zum Inhalt der einzelnen Tatbestandsmerkmale hergeleitet worden ist, wird sich der folgende Abschnitt mit dem Verhältnis der beiden Tathandlungen zueinander und der Abgrenzung voneinander befassen. Geht es beim Verhältnis der beiden Tatvarianten darum, ob sie an einem Opfer gleichzeitig oder nacheinander vorgenommen werden können oder ob innerhalb eines Lebenssachverhaltes immer nur eine der beiden Tathandlungen erfüllt sein kann, so geht es bei der Abgrenzung der Tathandlungen voneinander darum zu klären, ob ein Verhalten ein Versetzen oder ein Imstichlassen darstellt. Die Aussagen in diesem Abschnitt sind, da die hilflose Lage das „Bindeglied“ zwischen den Tathandlungen ist, logischerweise stark durch das Verständnis dieses Merkmals geprägt. Zuerst werden die Konzepte zu Verhältnis und Abgrenzung der Tatvarianten in der a. F. erläutert, dann die Meinungen und Argumente zur n. F. der Norm dargestellt. Anschließend wird die eigene Ansicht zu den beiden besagten Fragen entwickelt.

I. Verhältnis und Abgrenzung der beiden Tatvarianten in der a. F. 1. Verhältnis der beiden Tathandlungen a. F. Zum Verhältnis der beiden Tatvarianten a. F. herrschte weitgehender Konsens dahingehend, dass im Aussetzen und Verlassen zwei selbständige, völlig verschiedene Tatbestände zu sehen seien; man sprach von der Aussetzung als einem sog. kumulativen „Mischgesetz“ bzw. „Mischtatbestand“1190. Diese Begriffe gehen zurück auf Binding1191 und Wertheimer1192. Binding bezeichnete mit dem Begriff des Mischgesetzes eine Zusammenfassung mehrerer selbständiger Tatbestände in formeller Hinsicht1193; heute ist hierfür die Bezeichnung Tatbestandsalternativen gebräuchlicher1194. RGSt 25, 321 [323]; Fenner, S. 26; Olshausen, RStGB7, § 221 Anm. 4; Warmuth, S. 41; Zerling, S. 30; Albrecht, S. 27; Redlich, S. 38 f.; Usinger, S. 12; Hall, SchwZStR 46 [1932], 355. 1191 Binding, Normen II, S. 482 f.; ders., Handbuch, S. 560 f.; ders., Normen I4, S. 205 ff. 1192 Wertheimer, S. 3; 6 f.; darstellend zu beiden Vorgenannten M. E. Mayer, S. 123; Küpper, NStZ 1986, 250; Tsai, S. 142 f. 1193 Binding, Normen I4, S. 205 ff.; so auch Tsai, S. 142. 1194 Tsai, S. 142. 1190

E. Verhältnis der beiden Tathandlungen zueinander und ihre Abgrenzung 341

Wertheimer hingegen legte dem Begriff des „Mischgesetzes“ eine darüber hinausgehende Bedeutung zu: Nach ihm gab es alternative und kumulative Mischgesetze1195. Ein alternatives Mischgesetz lag danach vor, wenn in einem Tatbestand mehrere Tatvarianten alternativ und gleichwertig nebeneinander normiert waren, die aber auch gleichzeitig durch eine Verhaltensweise verwirklicht werden konnten. Es handelte sich also um ein einheitliches Delikt, bei dem der Gesetzgeber mehrere denkbare Möglichkeiten der Tatverwirklichung erfassen wollte, für die aber keine zusammenfassende, allgemeine Beschreibung im Gesetz möglich war, weshalb mehrere gewählt wurden1196. Ein kumulatives Mischgesetz bestand hingegen aus mehreren selbständigen und vor allem wesensverschiedenen Delikten. Diese waren aber aus Gründen der Gesetzestechnik oder der Übersichtlichkeit vom Gesetzgeber in einer Norm zusammengefasst, konnten im Regelfall aber nicht durch eine Verhaltensweise gleichzeitig erfüllt werden1197. Die beiden Tatvarianten der Aussetzung wurden früher als kumulatives Mischgesetz aufgefasst1198, was nach dem soeben Erörterten bedeutete: Sie waren unvereinbar und schlossen sich gegenseitig aus; eine Verhaltensweise konnte damit niemals gleichzeitig die Tatvariante des Aussetzens und des Verlassens erfüllen1199. Dies ergab sich für die deutlich überwiegende Auffassung aus dem Inhalt des Aussetzens: Von dieser Tathandlung war dann auszugehen, wenn der Täter das Opfer örtlich-räumlich aus den bisherigen Verhältnissen ver1195 Wertheimer, S. 3. Ihm folgend A. Köhler, AT, S. 182 f., der aber die Termini „unselbständige und selbständige Mischtatbestände“ anstelle von „alternativem und kumulativem Mischgesetz“ verwendet, und M. E. Mayer, S. 123 f., der anstatt von „kumulativ“ von „kasuistisch verbunden“ spricht. Darstellend Küpper, NStZ 1986, 250; Tsai, S. 142 f. Später werden diese Mischtatbestände von Baumann/Weber/ Mitsch, AT11, § 8 Rn. 97 f., auch als „i. w. S. zusammengesetzte Tatbestände“ bezeichnet. 1196 Wertheimer, S. 3 f.; M. E. Mayer, S. 123 f.; A. Köhler, AT, S. 182; Küpper, NStZ 1986, 250. 1197 Wertheimer, S. 3, 5; M. E. Mayer, S. 124; Baumann/Weber/Mitsch, AT11, § 8 Rn. 98; Tsai, S. 143. Allerdings beurteilte Wertheimer, S. 5, 69 f., die Existenz der kumulativen Mischgesetze kritisch und forderte deren Abschaffung; anders aber A. Köhler, AT, S. 183. 1198 Vgl. die Nachweise am Anfang dieses Abschnitts in Fn. 1190. 1199 RGSt 25, 321 [323]; Henning, S. 14; Wertheimer, S. 47; Fenner, S. 26; Warmuth, S. 41; Dieterich, S. 24; Zerling, S. 30; Hasenberg, S. 32; Albrecht, S. 26, 42; Redlich, S. 38 f.; Hall, SchwZStR 46 [1932], 355; a. A. nur von Tippelskirch, GA 15 [1867], 516.

342 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

brachte und sich dann entfernte1200. Jedes Aussetzen enthielt also immer ein räumliches Sich-Entfernen, mithin ein Verlassen i. S. der überwiegenden Ansicht zur zweiten Tathandlung1201. Dieses Verlassen war also integraler und sinnlogischer Bestandteil eines Aussetzens1202. Die beiden Tatvarianten der Aussetzung standen damit im Verhältnis der Alternativität, weil ein Sich-Entfernen des Täters mit vorhergehender Fortbewegung des Opfers ein Aussetzen, ohne eine solche Bewegung ein Verlassen war1203. Die Annahme der Alternativität der Tathandlungen findet man allerdings regelmäßig nur in älteren Abhandlungen zur Aussetzung1204; in Arbeiten nach dem 2. Weltkrieg ist sie selten geworden1205. Selbst die Auffassung, zum Aussetzen gehöre auch immer sinnlogisch ein Verlassen, wird nicht mehr ausgesprochen; man findet sie aber noch verklausuliert in den Feststellungen, dass „zum Aussetzen i. e. S. in den meisten Fällen ein Verlassen nach dem gewöhnlichen Wortsinn gehören wird“1206, oder das Aussetzen meine, „den Hilflosen – u. U. auch durch Unterlassen – in eine neue räumliche Lage bringen, die Leib oder Leben gefährdet und ihn dort allein lassen“1207. Die Erkenntnis, dass in § 221 StGB 1200 Vgl. oben im 4. Teil: C. II. 1. Ohne dieses Entfernen konnte keine hilflose Lage für das Opfer vorliegen, da die Anwesenheit des Täters das Entstehen einer hilflosen Lage ausschloss; vgl. oben im 4. Teil: D. II. 1. a) am Ende. 1201 Vgl. oben 4. Teil: C. I. 1. 1202 Schwarze, RStGB3, S. 548; von Holtzendorff, Handbuch III, S. 465; Hälschner, Strafrecht, S. 78; Henning, S. 14; H. Weber, S. 22; Fenner, S. 26; Zerling, S. 31; Albrecht, S. 26, 42; Redlich, S. 39; Appel, S. 47; enger Hall, SchwZStR 46 [1932], 355, der nur im Fall der Begehung der ersten Tathandlung durch einen Garanten davon ausging, dass im Aussetzen immer ein Verlassen enthalten ist. Ablehnend zu dieser Ansicht Urban, S. 24, die aufgrund der Tatsache, dass es auch ein Aussetzen durch Unterlassen und in mittelbarer Täterschaft gibt, davon ausging, dass das nachfolgende Verlassen kein allgemeingültiges Kennzeichen des Aussetzens darstellt. Ähnlich übrigens auch schon Tittmann, Handbuch I2, S. 416: „Verlassung ist das Weggehen vom Kind. Die Aussetzung ist hingegen die Verlassung durch Weglegen.“ 1203 RGSt 25, 321 [323]; Dieterich, S. 24; Sudhoff, S. 26; a. A. Albrecht, S. 26, 42, 44, der in diesen Fällen meist von einem Aussetzen durch Unterlassen ausging [vgl hierzu sogleich im 4. Teil: E. I. 2.]. 1204 Vgl. hierzu die Nachweise in diesem Kapitel in den Fn. 1190 bis 1203. 1205 Bei Geerds, Konkurrenz, S. 265 Fn. 126, findet man die Einordnung der ersten Tatalternative der Aussetzung als mehraktiges Delikt. Bei LK-StGB9-Lange [12/1971], § 221 Anm. 3, ist unklar, ob er vom Verhältnis einer Ausschließlichkeit ausgeht. In den Arbeiten, die sich in neuerer Zeit mit dem mehr- bzw. zweiaktigem Delikt befasst haben, findet sich die Aussetzung nicht einmal mehr in der Aufzählung der mehr-/zweiaktigen Delikte; vgl. Lund, S. 194, 207; Woelk, S. 26. 1206 Feloutzis, S. 118. 1207 Lackner/Kühl, StGB22, § 221 Rn. 2 [Hervorhebung vom Verfasser].

E. Verhältnis der beiden Tathandlungen zueinander und ihre Abgrenzung 343

a. F. zwei selbständige bzw. verschiedene Tatbestände enthalten sind, findet man jedoch noch gelegentlich1208. Auch der Begriff des „Mischgesetzes“ bzw. „Mischtatbestandes“ i. S. der Bedeutung, die Wertheimer ihm beigelegt hatte, wird seit Jahrzehnten in Deutschland nicht mehr verwendet1209. Ob damit die Ansicht, in jedem Aussetzen stecke immer ein Verlassen und die Tathandlungen schlössen sich gegenseitig aus, im Verlaufe der Jahrzehnte verloren gegangen ist oder ob man diese für offensichtlich und mithin nicht mehr erwähnenswert hielt, kann daher nicht geklärt werden. 2. Abgrenzung der beiden Tathandlungen a. F. Die Notwendigkeit der Abgrenzung der beiden Tathandlungen ergab sich früher aus dem beim Verlassen – im Vergleich zum Aussetzen – eingeschränkten Täterkreis und diente damit dem Ziel, die besonderen Voraussetzungen des Verlassens nicht zu umgehen1210. Die Abgrenzung der beiden Tathandlungen – die Frage also, ob ein bestimmtes Verhalten ein Aussetzen oder ein Verlassen darstellt, – ließ sich 1208 van Els, NJW 1967, 966; LK-StGB10-Jähnke [04/1981], § 221 Rn. 1; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 18, § 4 Rn. 4. 1209 Tsai, S. 142. In Österreich hingegen ist die Bezeichnung noch durchaus gebräuchlich; vgl. Triffterer, AT2, Kap. 3 Rn. 72 ff.; Kienapfel/Höpfel, AT8, Z 9 Rn. 39 ff. [weitere Nachweise bei Tsai, S. 142, dort Fn. 204]. Der Begriff des „Mischgesetzes“ scheint im Übrigen nahezu völlig untergegangen zu sein. Nur Küpper, NStZ 1986, 250, und Tsai, S. 142 ff., sprechen noch die Wurzeln und die ursprüngliche Bedeutung des Begriffs i. S. Wertheimers an. Die Bezeichnung „Mischtatbestand“ wird allerdings weiterhin in verschiedensten Zusammenhängen verwendet; z. B.: a) Im Bereich des Ordnungswidrigkeitenrechts für einen Tatbestand, der durch Hinzufügen eines weiteren Merkmals von einer Ordnungswidrigkeit zu einem Straftatbestand wird; sog. „unechter Mischtatbestand“; vgl. BGHSt 11, 263 [266]; BayObLG NJW 1971, 630; JR 1985, 470 [471], mit zustimmender Anmerkung Geerds, JR 1985, 471; OLG Stuttgart JR 1993, 328 [330]; OLG Frankfurt, Blutalkohol 39 [2002], 388 [389]; LK-StGB10-Tröndle [02/1978], § 12 Rn. 31; Göhler, OWiG14-König, Vor § 1 Rn. 33 ff.; Bohnert, OWiG2, § 1 Rn. 26, 28 f.; Lackner/ Kühl, StGB26, § 28 Rn. 12; Tröndle/Fischer, StGB54, § 28 Rn. 12. b) Für einen Tatbestand, der gleichzeitig ein Individual- und ein Kollektivrechtsgut schützt; vgl. OLG Celle JR 2002, 33. c) Für Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombinationen; vgl. OLG Oldenburg Nds. Rpfl. 1980, 226 [227]; Preisendanz, StGB30, § 12 Anm. 7; § 27 Anm. 6. d) Für die Frage, wann ein richterlicher Hinweis nach § 265 StPO erforderlich ist; vgl. Küpper, NStZ 1986, 250. e) Roxin, AT I4, § 10 Rn. 128, benutzt den Begriff „alternativer Mischtatbestand“ für gleichwertige Handlungsalternativen innerhalb eines Tatbestandes. 1210 Henning, S. 14; Zerling, S. 31; Redlich, S. 38; Feloutzis, S. 118.

344 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

nach überwiegender Meinung zur a. F. verhältnismäßig einfach klären: Sie konnte – wie schon im Rahmen der Tathandlungen dargelegt1211 – anhand der äußerlich erkennbaren Bewegungsvorgänge im Verhältnis von Täter und Opfer vorgenommen werden. Beim Aussetzen musste eine Bewegung des Opfers fort aus den bisherigen räumlich-örtlichen Verhältnissen vorliegen, beim Verlassen hingegen eine Bewegung des Täters weg vom Opfer1212. Der sich nach dem Gesetzestext a. F. eigentlich anbietende Weg, nach dem Entstehen der hilflosen Lage die Tatvarianten abzugrenzen, war hingegen verschlossen: Dies lag daran, dass man es – um den Anwendungsbereich der zweiten Tatvariante zu erweitern – entgegen dem Wortlaut der Norm beim Verlassen für hinreichend erachtete, wenn die hilflose Lage – verstanden als Taterfolg der Gefahr – erst gleichzeitig mit Vornahme dieser Tathandlung entstand1213. Somit blieb als einzige Möglichkeit, auf das rein äußerlich erkennbare Geschehen – das Wegbringen/Weggehen von Opfer und Täter – abzustellen. Dem widersprach nur Albrecht1214, der gerade das Entstehen bzw. Vorliegen der hilflosen Lage als entscheidendes Kriterium ansah: Beim Schaffen einer hilflosen Lage durch ein Weggehen des Täters lag nach ihm eine „Unterart der ‚Aussetzung‘ “ und kein Verlassen – von Albrecht als „Belassen in hilfloser Lage“ bezeichnet1215 – vor, weil der Täter durch sein Verhalten das Opfer aus einem Zustand der Gefahrlosigkeit in einen solchen der Gefahr bringe1216. Das Verhalten sei als Aussetzen durch Unterlassen zu deuten1217. Entscheidend für die Abgrenzung der Tathandlungen war für Albrecht danach, ob die hilflose Lage durch den Täter vorsätzlich geschaffen worden war – dann Aussetzen durch Tun bzw. Unterlassen – oder ob sie 1211

Vgl. oben im 4. Teil: C. I. 1. und im 4. Teil: C. II. 1. van Els, NJW 1967, 967; LK-StGB10-Jähnke [04/1981], § 221 Rn. 1, 15; Küper, Jura 1994, 516 ff.; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 18, § 4 Rn. 4; Küpper, BT I1, § 1 Rn. 87; Mitsch, JuS 1996, 408. Kann man diese Deutung zur a. F. als gesicherten Bestand ansehen, so war die Einordnung von Unterlassensverhaltensweisen unter die beiden Tathandlungen mitunter unklar: Stellte das – seitens des Täters geduldete – Weggehen des Opfers, durch das es in eine Gefahr geriet, ein Aussetzen durch Unterlassen dar, weil sich das Opfer ja aus den bisherigen örtlichen Verhältnissen entfernte, oder ein Verlassen durch Unterlassen, weil der Täter es unterließ, die räumliche Nähe zum Opfer aufrecht zu erhalten? Vgl. oben die Darstellung im 4. Teil: C. II. 5. c) aa) (2) [Belege dort in Fn. 587]; siehe auch Lackner/Kühl, StGB22, § 221 Rn. 3. 1213 RGSt 10, 183 [185]; Heilbrunn, S. 30; LK-StGB10-Jähnke [04/1981], § 221 Rn. 17;, Küper, Jura 1994, 518 f.; ders., ZStW 111 [1999], 53; vgl. schon im 4. Teil: D. II. 1. a) [Nachweise ebenda in Fn. 763]. 1214 Albrecht, S. 41 ff. 1215 Albrecht, S. 43. 1216 Albrecht, S. 41. 1217 Albrecht, S. 42. 1212

E. Verhältnis der beiden Tathandlungen zueinander und ihre Abgrenzung 345

schon vorlag, wenn der Täter zum Tatgeschehen hinzu kam, bzw. ob die Lage nur fahrlässig geschaffen worden war – dann Verlassen1218. Zu erwähnen sind noch zwei abweichende Abgrenzungskonzepte zur a. F.: Die einen gingen davon aus, das Aussetzen sei stets positives Tun, das Verlassen der entsprechende (unechte) Unterlassungstatbestand1219. Andererseits wurde auch die Meinung vertreten, die Abgrenzung habe auf der Ebene des subjektiven Tatbestandes zu erfolgen und entscheidend sei der Zeitpunkt der Vorsatzfassung mit Blick auf das Entstehen – dann Aussetzen – oder Vorliegen – dann Verlassen – der hilflosen Lage1220. Diese Konzepte konnten sich jedoch nicht gegen die auf die räumliche Bewegung abstellende Betrachtungsweise durchsetzen.

II. Verhältnis und Abgrenzung der beiden Tatvarianten in der n. F. Durch den Verzicht auf die räumlich – äußerlichen Kriterien beim Versetzen und Imstichlassen durch den Gesetzgeber in der Neufassung der Norm wurden die bis dahin noch recht klaren Konturen des Tatbestandes verwässert und unklar1221, so dass heute die Beurteilung von Verhältnis und Abgrenzung der Tathandlungen umstrittener als zuvor ist. Auch in der n. F. sind diese zwei Fragen zu trennen: – Kann eine Verhaltensweise gleichzeitig ein Versetzen und ein Imstichlassen sein oder kann einem Versetzen ein Imstichlassen nachfolgen oder schließt das Vorliegen eines Versetzens ein nachfolgendes Imstichlassen aus (Frage nach dem Verhältnis der beiden Tatvarianten)? – Wann stellt eine Verhaltensweise ein Imstichlassen, wann ein Versetzen dar (Frage nach der Abgrenzung der beiden Tathandlungen)? 1. Verhältnis der beiden Tathandlungen Auch zur Neufassung der Norm kommen explizite Äußerungen über das Verhältnis der beiden Tathandlungen nur sporadisch vor. Man findet zu die1218

Albrecht, S. 43 f. RG Warn B 11 [1917], 16; Henning, S. 14; H. Weber, S. 23. So auch die im 4. Teil: C. II. 3. a) bb) in Fn. 492 ff. zitierten Autoren. Auch W. Hassemer, JuS 1992, 526, scheint – nach seinem einleitenden Satz – zu dieser Ansicht zu tendieren. 1220 Teufel, S. 22. So schon Rubo, RStGB, § 221 Anm. 4 zu § 183 preuß. StGB 1851. 1221 LK-StGB11-Jähnke [07/1999], § 221 Rn. 1; Lucks, S. 50, 228 f. Kosloh, S. 64 f., hält den Tatbestand seit dem 6. StrRG für konturenlos. 1219

346 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

ser Fassung noch die Einschätzung, § 221 Abs. 1 StGB enthalte zwei eigenständige Tatbestände1222 oder die „Zweidimensionalität“ des Tatbestandes sei auch nach der Reform erhalten geblieben1223. Manchmal ist aber unklar, ob damit lediglich die Aufteilung des Tatbestandes in zwei Alternativen gemeint ist oder ob mit diesen Formulierungen mehr zum Verhältnis der beiden Varianten ausgesagt werden soll1224. Regelmäßig und bei fast allen Autoren findet man aber Ausführungen zum zeitlichen Verhältnis bzw. zur Möglichkeit des zeitlichen Nacheinanders der beiden Tathandlungen1225. Auffällig und überraschend ist jedoch, dass sich kaum jemand mit der Frage befasst, ob innerhalb eines Lebenssachverhaltes grundsätzlich nur eine Alternative des § 221 Abs. 1 StGB erfüllt sein kann oder ob eine Verhaltensweise gleichzeitig beide Tathandlungen verwirklichen kann. a) Möglichkeit der gleichzeitigen Verwirklichung beider Tathandlungen durch eine Verhaltensweise Die Annahme, eine gleichzeitige Verwirklichung beider Tathandlungen sei durch eine Verhaltensweise möglich, wird heute nur von Hardtung1226 und Kindhäuser1227 vertreten. Eigentlich müsste auch Ebel diese Einschätzung teilen, weil er zu denjenigen Autoren gehört, die den Täter als möglichen Helfer bei § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB einbeziehen wollen, bei § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB hingegen nicht1228. 1222

Hohmann/Sander, BT II, § 5 Rn. 2. Ebel, NStZ 2002, 404. Ähnlich NK-StGB2-Neumann, § 221 Rn. 3, nach dem das Delikt „zweistufig ausgestaltet ist“. 1224 So findet man folgende Formulierungen, die Raum für Interpretationen lassen: LK-StGB11-Jähnke [07/1999], § 221 Rn. 1, spricht von „zwei Tatbeständen“; Jäger, JuS 2000, 32, von „zwei Alternativen“, und Rengier, BT II8, § 10 Rn. 4, von „zwei Tatmodalitäten“ [ders., bis BT II7, § 10 Rn. 4, von „zwei Tatalternativen“]; Kindhäuser, LPK3, § 221 Rn. 2, von „zwei Tatvarianten“. 1225 Hierzu sogleich unter 4. Teil: E. II. 1. b). 1226 MüKo-StGB-Hardtung, § 221 Rn. 11, 16, 48. Auch Laue, S. 115, scheint dieser Ansicht beim Geschehenlassen der Selbstversetzung des Opfers durch einen Garanten zuzuneigen. Ders., S. 116, nimmt dann einen Vorrang des Imstichlassens auf Ebene der Konkurrenzen an. 1227 Kindhäuser, BT I3, § 5 Rn. 15 a. E., in einem gewissen Widerspruch hierzu stehen allerdings die Ausführungen Kindhäusers, ebenda, Rn. 2, 12; sowie ders., LPK3, § 221 Rn. 2, 10, wo anhand des Herbeiführens bzw. Vorliegens der hilflosen Lage differenziert wird. 1228 Ebel, NStZ 2002, 408. Bei MüKo-StGB-Hardtung ergibt sich diese Ansicht aus den § 221 Rn. 6, 11, 16, 48. Vgl. zu dieser Ansicht bereits oben im 4. Teil: D. II. 4. 1223

E. Verhältnis der beiden Tathandlungen zueinander und ihre Abgrenzung 347

Bei strenger Beachtung seines Definitionsansatzes zur hilflosen Lage ist das Einstellen von Hilfe durch den Täter nämlich einerseits ein Versetzen, weil der Täter bis zur Einstellung seiner Hilfe bei der ersten Tatvariante hinzugedacht werden muss, und andererseits gleichzeitig ein Imstichlassen, weil der Täter bei dieser Tatvariante als möglicher Helfer hinwegzudenken ist und damit eine hilflose Lage vorliegt. Man sieht an diesen wenigen Sätzen abermals1229, woran es bei dieser Ansicht – neben dem Verstoß gegen den eindeutigen Wortlaut der Aussetzung – krankt: Bei ein und derselben Verhaltensweise wäre das Opfer einerseits – im Hinblick auf das Versetzen – nicht in hilfloser Lage, andererseits – im Hinblick auf das Imstichlassen – aber wohl. Dieses Ergebnis kann nur als widersprüchlich bezeichnet werden. An dieser Kritik ist festzuhalten, auch wenn Hardtung meint, man handele sich bei seiner Betrachtung keine „innertatbestandlichen Systembrüche“ ein und die Antwort auf die Frage nach der Anwendbarkeit der Tathandlungen sei auf die Ebene der Konkurrenzen zu verlagern1230. b) Ablehnung der gleichzeitigen Verwirklichung der beiden Tathandlungen durch eine Verhaltensweise Überwiegend geht die Literatur1231 davon aus, eine Verhaltensweise könne niemals gleichzeitig ein Versetzen und ein Imstichlassen sein, dass allerdings einem Versetzen in aller Regel ein Imstichlassen zeitlich nachfolge. Die Ablehnung einer gleichzeitigen Verwirklichung beider Tatvarianten wird zwar so ausdrücklich nicht offengelegt; sie ergibt sich aber den1229 Zur Kritik dieser Ansicht bereits oben im 4. Teil: D. IV. 2. a) dd) sowie im 4. Teil: D. IV. 2. d) dd). 1230 MüKo-StGB-Hardtung, § 221 Rn. 11, wonach in einigen Fällen § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB gegenüber § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB spezieller sei. Hierzu nicht stimmig erscheint allerdings die Annahme, ein nachfolgendes Imstichlassen könne hinter dem Versetzen im Wege der Konsumtion zurücktreten; ders., ebenda, Rn. 48. 1231 DSNS-Struensee, 2. Teil Rn. 38; LK-StGB11-Jähnke [07/1999], § 221 Rn. 2 f.; Laue, S. 69; SK-StGB7-Horn/Wolters [03/2002], § 221 Rn. 3, 6; Pfleiderer/Schubert, MedR 2005, 594; Hacker/Lautner, Jura 2006, 278; Joecks, StGB7, § 221 Rn. 34; Tröndle/Fischer, StGB54, § 221 Rn. 8. So im Grundsatz auch Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 19, § 4 Rn. 5, der aber von dieser Prämisse abweicht; ders., ebenda, Rn. 9. Interessanterweise folgt dem auch Ebel, NStZ 2002, 408, der sich mit diesem Befund in Widerspruch zu seinen Ausführungen zur hilflosen Lage setzt, da er – wie im vorigen Abschnitt dargelegt – gerade ein Versetzen und Imstichlassen durch ein und dieselbe Handlung annehmen müsste. Diesen Widerspruch scheint Ebel im Folgenden übrigens selber zu erkennen: „Die unabhängig von der Person des Garanten vorgenommene Definition der hilflosen Lage in § 221 I Nr. 2 stellt eine Ausnahme von der Regel dar, dass derjenige, der von Dritten Hilfe erwarten darf, sich nicht in einer hilflosen Lage befindet.“

348 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

noch klar aus den Ausführungen dieser Autoren zum zeitlichen Verhältnis der beiden Tathandlungen. aa) Ausgangspunkt: Zeitliches Verhältnis der beiden Tathandlungen Das zeitliche Verhältnis von Versetzen und Imstichlassen ergibt sich aus dem Wortlaut „Versetzen in eine hilflose Lage“, „Imstichlassen in einer hilflosen Lage“ aus der Sicht dieser Autoren wie folgt: Bei § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB bestehe die hilflose Lage noch nicht, werde vielmehr durch die Tathandlung erst herbeigeführt, während sich bei § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB das Opfer bereits in hilfloser Lage befinde1232. Damit sei beim Versetzen die hilflose Lage das Ergebnis der Tathandlung; das Imstichlassen setze im Gegensatz hierzu das Bestehen einer hilflosen Lage für das Tatopfer vor der Tat voraus1233. Davon abweichend – obwohl er die Prämisse des zeitlichen Verhältnisses teilt1234 – sieht dies aber Schroeder: Bei § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB liege die hilflose Lage bereits vor oder werde gerade durch das Imstichlassen herbeigeführt1235. bb) Verwirklichung aufeinander folgender Tathandlungen Ausgehend von dem zeitlichen Verhältnis der beiden Tathandlungen bleibt für diese Autoren die Frage zu klären: Kann einem Versetzen ein Imstichlassen nachfolgen bzw. wird dies in der Regel der Fall sein oder schließt die Verwirklichung eines Versetzens die Anwendbarkeit der zweiten Tatvariante aus? 1232 LK-StGB11-Jähnke [07/1999], § 221 Rn. 2; Laue, S. 69; Hacker/Lautner, Jura 2006, 278; Rengier, BT II8, § 10 Rn. 4; Wessels/Hettinger, BT I31, Rn. 199, 203. 1233 DSNS-Struensee, 2. Teil Rn. 38; Laue, S. 69; SK-StGB7-Horn/Wolters [03/2002], § 221 Rn. 3, 6; Pfleiderer/Schubert, MedR 2005, 594; Küpper, BT I3, § 1 Rn. 84; Tröndle/Fischer, StGB54, § 221 Rn. 8; Wessels/Hettinger, BT I31, Rn. 203. So auch Küper, ZStW 111 [1999], 54, obwohl er einen unterschiedlichen Bedeutungsgehalt der hilflosen Lage je nach Tathandlung annimmt; vgl. oben 4. Teil: D. II. 4. 1234 Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 19, § 4 Rn. 5. 1235 Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 19, § 4 Rn. 9. War früher dieses weite Verständnis des Verlassens herrschend [Vgl. oben im 4. Teil: D. II. 1. a) (Nachweise ebenda, Fn. 763) und im 4. Teil: E. I. 1. (Nachweise ebenda, Fn. 1213)], so ist dies heute durch die Erweiterung der beiden Tathandlungen eigentlich nicht mehr erforderlich. Möglicherweise hat Schroeder also bei der Neufassung der Erläuterungen zur Aussetzung nur ein kleines Detail übersehen.

E. Verhältnis der beiden Tathandlungen zueinander und ihre Abgrenzung 349

(1) Möglichkeit der Aufeinanderfolge der beiden Tathandlungen Die größte Gruppe in der Literatur – die Rechtsprechung hat sich in den wenigen Entscheidungen zur Aussetzung seit Inkrafttreten des 6. StrRG nicht zu diesem Thema geäußert – geht davon aus, einem Versetzen folge in aller Regel schon deshalb ein Imstichlassen nach, weil das Versetzen für den Täter eine Garantenstellung aus Ingerenz entstehen lasse1236. Demzufolge wird vielfach betont, die erste Variante des Grundtatbestandes sei seit 1998 eigentlich überflüssig1237; man findet aber auch dieselbe Bewertung bezüglich der zweiten Tathandlung1238. Die Lösung der Frage, welcher der beiden Tatvarianten die Strafe des Täters zu entnehmen sei, wird bei Zugrundelegen des zeitlichen Nacheinanders ein Problem der Konkurrenzlehre. Die Antwort fällt unterschiedlich aus: Die Mehrzahl der Stimmen aus der Wissenschaft spricht sich für einen Vorrang der Anwendbarkeit des § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB aus, wenn ein Versetzen und ein Imstichlassen durch den Täter verwirklicht wurden1239. Hierbei wird teilweise von Konsumtion des Imstichlassens durch das Versetzen ausgegangen1240, vielfach aber einfach nur Gesetzeskonkurrenz ohne Festlegung auf eine bestimmte Art angenommen1241. 1236

Arzt/Weber, BT, § 36 Rn. 8; Jäger, JuS 2000, 33; Sträßner, PflR 2002, 97; Lucks, S. 221 ff.; MüKo-StGB-Hardtung, § 221 Rn. 48; Hacker/Lautner, Jura 2006, 278; Küpper, BT I3, § 1 Rn. 89a. 1237 LK-StGB11-Jähnke [07/1999], § 221 Rn. 3; Lucks, S. 222, 229; in diese Richtung auch Arzt/Weber, BT, § 36 Rn. 8, und Hacker/Lautner, Jura 2006, 279 [„Der Aussetzung gemäß § 221 I Nr. 1 kommt in fast keinem Fall eine eigenständige Bedeutung zu, . . .“]; ablehnend aber MüKo-StGB-Hardtung, § 221 Rn. 11, 48. 1238 DSNS-Struensee, 2. Teil Rn. 42; Küper, ZStW 111 [1999], 56 Fn. 104; ablehnend MüKo-StGB-Hardtung, § 221 Rn. 11, 48. 1239 Jäger, JuS 2000, 33; Ellbogen, JuS 2002, 155 Fn. 42; Sträßner, PflR 2002, 97; Lucks, S. 221 ff.; MüKo-StGB-Hardtung, § 221 Rn. 48 [unklar das Verhältnis dieser Aussage zu ders., ebenda, Rn. 11]; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 19, § 4 Rn. 9; Hacker/Lautner, Jura 2006, 279 f.; Joecks, StGB7, § 221 Rn. 34; Küpper, BT I3, § 1 Rn. 89a. Bei MüKo-StGB-Hardtung, § 221 Rn. 48 Fn. 101, sind mögliche, aber seltene Ausnahmefälle zu finden, in denen § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB trotz Verwirklichung von § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB nicht vorliegt, nämlich die Fälle, in denen der Täter nach dem Versetzen verunglückt und handlungsunfähig wird. 1240 MüKo-StGB-Hardtung, § 221 Rn. 48 [anders aber – Spezialität des Imstichlassens – ders., ebenda, Rn. 11 für den Fall der gleichzeitigen Verwirklichung von § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB und § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB; vgl. abermals unter 4. Teil: E. III. 2. a)]; auch für Konsumtion Hacker/Lautner, Jura 2006, 280; Joecks, StGB7, § 221 Rn. 34; Küpper, BT I3, § 1 Rn. 89a. 1241 Jäger, JuS 2000, 33; Ellbogen, JuS 2002, 155 Fn. 42; Maurach/Schroeder/ Maiwald, BT 19, § 4 Rn. 9.

350 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

Begründet wird die alleinige Anwendbarkeit von § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB mit dem Tatbestandstyp der ersten Tatvariante n. F. als Begehungsdelikt, das gegenüber dem Unterlassungsdelikt des § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB vorrangig sei1242 – mit dem Hinweis, das Verlassen des ausgesetzten Opfers sei „typische Begleiterscheinung“ des vorherigen Versetzens1243 – oder damit, bei vorsätzlicher Verwirklichung beider Tatvarianten genieße der § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB Vorrang, weil das Verhältnis von Versetzen und Imstichlassen dem einer aktiven Tötung und der Tötung durch Unterlassen entspreche1244. Außerdem wird angeführt, bei Verwirklichung von § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB bestehe „selbstverständlich kein kriminalpolitisches Bedürfnis einer Strafbarkeit aus beiden Normen“ und es erscheine „sachgerecht“, das Imstichlassen hinter das Versetzen zurücktreten zu lassen, weil das Herbeiführen der hilflosen Lage durch den Täter schwerer wiege als das Imstichlassen1245. Zudem verdränge § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB als die „grundsätzlich schwerere Begehungsform“ die stets mitverwirklichte zweite Tatvariante1246. Einige Autoren geben jedoch – bei einem dem Versetzen zeitlich nachfolgenden Imstichlassen – der zweiten Tathandlung den Vorrang und gehen davon aus, das Versetzen werde auf der Ebene der Konkurrenzen verdrängt1247. Arzt1248 leitet diese Einschätzung daraus her, dass im Verhältnis von Versetzen und Imstichlassen „einer der seltenen Fälle vorliegt, in denen der Unterlassenskonstruktion gegenüber der Begehungsalternative Priorität zukommt“. Letztlich gibt es noch zwei Autoren, die zu dieser Thematik eine differenzierende Ansicht vertreten: Nach Neumann1249 verläuft die Lösung der Frage, aus welcher Tathandlung zu bestrafen sei, parallel zur Abgrenzung von Tun und Unterlassen. Das Versetzen gehe gegenüber dem Imstichlassen vor, wenn der Täter die hilflose Lage durch aktives Tun bewirkt habe. Sei 1242

Ellbogen, JuS 2002, 155 Fn. 42; ähnlich Hacker/Lautner, Jura 2006, 279 f. Küpper, BT I3, § 1 Rn. 89a. 1244 Jäger, JuS 2000, 33 Fn. 14. 1245 Lucks, S. 224. 1246 Lucks, S. 225. Allerdings kommt dies., S. 229, zu dem Ergebnis, die erste Tatalternative sei überflüssig, was im Hinblick auf die Feststellung, dass diese die „grundsätzlich schwerere Begehungsform“ sei, überraschend anmutet. Naheliegender wäre es gewesen, die unrechtsgeringere Variante des Imstichlassens als überflüssig einzuordnen. 1247 Arzt/Weber, BT, § 36 Rn. 8; im Ergebnis ebenfalls Lackner/Kühl, StGB26, § 221 Rn. 3. 1248 Arzt/Weber, BT, § 36 Rn. 8; ablehnend Hacker/Lautner, Jura 2006, 279 Fn. 68. 1249 Zum Ganzen NK-StGB2-Neumann, § 221 Rn. 45. 1243

E. Verhältnis der beiden Tathandlungen zueinander und ihre Abgrenzung 351

hingegen die hilflose Lage durch Unterlassen geschaffen worden, sei das Imstichlassen im Hinblick auf die fehlende Möglichkeit der Strafrahmenmilderung nach § 13 Abs. 2 StGB gegenüber dem Versetzen vorrangig. Laue hingegen unterscheidet nach Fallgruppen1250: In der Fallgruppe des Geschehenlassens der Selbstversetzung des Opfers durch den Täter sei der § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB im Wege der Gesetzeskonkurrenz vorrangig, weil die zweite Tatvariante aufgrund des Ausschlusses von § 13 Abs. 2 StGB eine Spezialregelung gegenüber dem Allgemeinen Teil des StGB enthalte1251. Ansonsten würde die gesetzgeberische Entscheidung des Ausschlusses von § 13 Abs. 2 StGB und der „Grundsatz der Bestrafung des Täters aus dem schwereren Delikt“ umgangen1252. Bei der vorsätzlichen Gefahrschaffung durch den Täter hingegen nimmt Laue einen grundsätzlichen Vorrang des Versetzens gegenüber dem Imstichlassen aufgrund von Gesetzeskonkurrenz an1253. (2) Ausschluss eines nachfolgenden Imstichlassens bei Verwirklichung des Versetzens Eine Minderheitsmeinung geht davon aus, dass die (vorsätzliche) Verwirklichung des Versetzens immer ein nachfolgendes Imstichlassen ausschließt1254. 1250

Zum Ganzen Laue, S. 115 ff. Laue, S. 115. 1252 Laue, S. 116. 1253 Laue, S. 118. 1254 Baier, JA 2000, 306; Gössel/Dölling, BT 12, § 7 Rn. 34; Schroth, BT4, S. 80 [so auch schon ders., BT3, S. 64, wobei mit diesen Ausführungen der 3. Auflage die Anmerkungen Schroths, BT3, S. 279 f., kaum in Einklang gebracht werden können, wo er davon ausgeht, dass § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB und die zweite Tatvariante verwirklicht sind]. Interessanterweise geht von diesem Ergebnis inzwischen wohl auch Jäger, BT2, Rn. 66 – entgegen ders., JuS 2000, 33 – aus, wenn er schreibt, „dass die Nr. 2 StGB nur eingreift, wenn nicht schon die Nr. 1 einschlägig ist“. Ohne dass von einem der Vertreter dieser Gruppe Bezug darauf genommen wird, hat diese Meinung eine gewisse Ähnlichkeit mit der Ansicht zu § 221 StGB a. F., die davon ausging, jedem Aussetzen wohne ein Verlassen inne und damit könne bei Vorliegen eines Aussetzens niemals – zusätzlich und/oder nachfolgend – ein Verlassen tatbestandlich erfüllt sein; vgl. hierzu oben im 4. Teil: E. I. 1. auf S. 341. Bei einem fahrlässigen – und damit straflosen – Versetzen in eine hilflose Lage ist es übrigens unstreitig, dass eine Bestrafung nur aus dem nachfolgenden vorsätzlichen Imstichlassen möglich ist, soweit dessen Voraussetzungen erfüllt sind; Küper, ZStW 111 [1999], 55 Fn. 99; Baier, JA 2000, 306; Jäger, JuS 2000, 33; ders., BT2, Rn. 66; Laue, S. 118 f. Zu der Thematik der Ingerenzgarantenstellung im Rahmen der Aussetzung grundsätzlich später im 4. Teil: G. III. 2. und dort ausführlich ab S. 466. 1251

352 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

Gössel1255 leitet dieses Ergebnis aus dem Gesetzestext ab, der dafür spreche, dass sich ein Versetzen in eine hilflose Lage und ein Imstichlassen in einer solchen gegenseitig ausschließen und damit die beiden Grundtatbestände im Verhältnis der Exklusivität stehen würden. Unterstützend ergänzt Baier1256, für eine immer bestehende gleichzeitige Verwirklichung der beiden Tatvarianten gebe es kein kriminalpolitisches Bedürfnis. 2. Abgrenzung der beiden Tathandlungen n. F. Stand beim Verhältnis der Tathandlungen im Mittelpunkt, ob diese zeitgleich oder nacheinander verwirklicht werden können bzw. sich gegenseitig ausschließen, so geht es bei der Abgrenzung der beiden Tathandlungen um die Frage, ob eine bestimmte Verhaltensweise unter die Tathandlung von § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB oder § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB zu subsumieren ist. Hierzu existieren verschiedene Konzepte: Während die Mehrzahl der Autoren die Abgrenzung der beiden Tathandlungen auf der Ebene des objektiven Tatbestandes ansiedelt und damit im Rahmen der Definition der Tathandlungen oder der hilflosen Lage behandelt, gibt es eine kleine Zahl von Wissenschaftlern, die diese Frage auf der Ebene des subjektiven Tatbestandes klären will, in der Abgrenzung von Tun und Unterlassen die Antwort auf die Frage sucht oder mit dem Tatbestandstypus der beiden Tatvarianten argumentiert1257. Allerdings fällt auf, dass allgemeine, abstrakte Ausführungen zur Abgrenzung der beiden Tathandlungen – abgesehen von dem zuvor erläuterten, mehrheitlichen Verständnis zum zeitlichen Verhältnis der beiden Tathandlungen als „Nacheinander“1258 – selten zu finden sind1259. Vielmehr wird bei der Abgrenzung der Tathandlungen regelmäßig anhand von spezifischen Fällen und Fallgruppen argumentiert. Die in Rede stehenden Fälle bzw. Fallgruppen haben inzwischen als „Bergsteiger-“ bzw. „KrankenschwesterFall“ Eingang in die Literatur gefunden: • „Bergsteiger-Fall“1260: Der im Bergsteigen noch wenig bewanderte B sichert sich die Dienste des sehr erfahrenen Bergführers F, der ihn gegen Entlohnung zum Gipfel Gössel/Dölling, BT 12, § 7 Rn. 34. Baier, JA 2000, 306. 1257 Diese Ansichten sogleich im 4. Teil: E. II. 2. c). 1258 Vgl. soeben im 4. Teil: E. II. 1. b) aa). 1259 Diese werden unter 4. Teil: E. II. 2. b) nach den fallbezogenen Argumentationen dargestellt. 1260 Zuerst – die Diskussion um die Abgrenzung eröffnend – bei Wessels/Hettinger, BT I31, Rn. 197; später in gekürzter Form auch zu finden bei Jäger, JuS 2000, 1255 1256

E. Verhältnis der beiden Tathandlungen zueinander und ihre Abgrenzung 353

eines hohen, ohne kundige Hilfe nur von versierten Kletterern bezwingbaren Massivs bringen soll. Unterwegs geraten die beiden infolge eines Fehltritts des B in eine schwierige Lage und nach deren Bewältigung durch F in einen heftigen Disput, der in den Vorwurf des B mündet, F verstehe seine Sache nicht. Zutiefst in seiner Berufsehre gekränkt, seilt F sich ab. Dabei ist er sich darüber im Klaren, dass B mangels zureichender Ausrüstung die kommende kalte Nacht kaum wird überleben können, was ihn jedoch nicht zum Bleiben bewegt. Einen der vielen Hilferufe des B hört eine oberhalb biwakierende Seilschaft, die B in das Tal zurückbringt. Die Lungenentzündung, die er sich zugezogen hat, ist nach kurzer Zeit auskuriert. • „Krankenschwester-Fall“1261: O ist schwer krank und bedarf der ständigen Betreuung durch die Krankenschwester T. Diese geht zu ihrem Liebhaber und lässt O allein, wodurch O stirbt. Abwandlung: Wie der Ausgangsfall, aber T sieht ungerührt zu, wie O sich in Krämpfen windet. Aufgrund des zeitlichen Kontextes, in dem die Tathandlungen des Versetzens und des Imstichlassens stehen, und der Tatsache, dass die erste Tatvariante der Aussetzung als unechtes Unterlassungsdelikt gebildet werden kann1262, müsste eigentlich jedes (vorsätzliche) Neuschaffen einer hilflosen Lage unter die erste Tatvariante des Versetzens subsumiert werden, gleichgültig ob dies durch Tun oder Unterlassen geschieht. Überraschenderweise zieht die Mehrzahl der Autoren diesen Schluss aber nicht, sondern weicht von ihren eigenen Ansichten in den beiden Beispielen ab und nimmt mit unterschiedlichen Begründungen ein Imstichlassen an1263.

33, und Rengier, BT II8, § 10 Rn. 12. Eine Abwandlung des Falles auf einen NichtGaranten nimmt Hillenkamp, BT10, S. 15 f., vor. 1261 Haft, Fälle5, Fall 1003, 1005, S. 197. Ähnlich auch zu finden bei Jäger, JuS 2000, 33; ders., BT2, Rn. 67; Rengier, BT II8, § 10 Rn. 10. Fallabwandlungen mit einem Arzt bilden Haft, BT7, S. 101 [in Haft, BT II8, nicht mehr enthalten], und Gössel/Dölling, BT 12, § 7 Vor Rn. 1, sowie Arzt/Weber, BT, § 36 Rn. 7, mit einem Babysitter. 1262 Vgl. oben im 4. Teil: C. II. 3. b). 1263 Die Einordnung ist offengelassen von LK-StGB11-Jähnke [07/1999], § 221 Rn. 26, der betont, das Weggehen des Bergführers erfülle den objektiven Tatbestand, aber nicht darlegt, welche Tathandlung vorgenommen werde.

354 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

a) Abgrenzung der Tathandlungen am Beispiel von „Bergsteiger-“ und „Krankenschwester-Fall“ aa) Der „Bergsteiger-Fall“ bei Jäger Weitgehend Einigkeit besteht in der Literatur allerdings bezüglich eines Gesichtspunktes zu den genannten Fällen: Beim Führen in die Kletterpartie liegt kein täterschaftliches Versetzen des Bergführers vor, weil der Bergsteiger sich eigenverantwortlich selbst gefährdet bzw. weil der Kausalzusammenhang zwischen hilfloser Lage und Versetzen nicht besteht1264. Anders sieht dies allein Jäger, der meint, das Weggehen könne mangels Kausalität nur ein Unterlassen darstellen1265. Allerdings begründe das Weggehen kein Versetzen durch Unterlassen, weil die hilflose Lage schon vor diesem Unterlassen bestanden habe1266. Jäger sieht in der Annahme, der Täter versetze sein Opfer in eine hilflose Lage, indem er ihm nicht mehr hilft, einen Zirkelschluss, weil eine eventuelle Hilfe des Täters bei der Bestimmung der hilflosen Lage außer Betracht bleiben müsse; wenn sich das Opfer nach dem Weggehen des Täters nicht mehr helfen könne, so sei dieses Verlassen unter die zweite Tatvariante zu subsumieren1267. Überraschenderweise will Jäger aber den Fall des Bergführers, der tatenlos zusieht, wie sein Kunde sich in zu schweres Gelände und dadurch in eine Gefahr begibt, als Versetzen durch Unterlassen einordnen1268. 1264 LK-StGB11-Jähnke [07/1999], § 221 Rn. 16, 21, 27; Sternberg-Lieben/Fisch, Jura 1999, 46 Fn. 26; Ebel, NStZ 2002, 406; Laue, S. 75, 113; SK-StGB7-Horn/ Wolters [03/2002], § 221 Rn. 11; Lucks, S. 74, 172; Küper, BT6, S. 38; MüKoStGB-Hardtung, § 221 Rn. 6, 8; NK-StGB2-Neumann, § 221 Rn. 12 f.; Schönke/ Schröder-StGB27-Eser, § 221 Rn. 4; Schroth, BT4, S. 79; Lackner/Kühl, StGB26, § 221 Rn. 4; Rengier, BT II8, § 10 Rn. 12; Tröndle/Fischer, StGB54, § 221 Rn. 6; Wessels/Hettinger, BT I31, Rn. 199, 201. Ähnlich Schmidt/Priebe, BT I6, Rn. 251. Darüber hinaus liegt zu diesem Zeitpunkt auch kein Vorsatz für eine Aussetzung seitens des Bergführers vor. 1265 Jäger, JuS 2000, 34 Fn. 17, obwohl Jäger zugleich betont, beim Gang ins Gelände führe ein freiverantwortliches Verhalten des Opfers zu einem Ausschluss der Zurechnung. 1266 Jäger, JuS 2000, 33 f. Woraus sich ergibt – auch wenn Jäger dies nicht klar herausstellt –, dass der Kunde schon ab dem Zeitpunkt, in dem das Gelände für ihn zu schwer wurde, in hilfloser Lage war. Dem zustimmend Laue, S. 113 f. 1267 Jäger, JuS 2000, 34. 1268 Jäger, JuS 2000, 33; ders., BT2, Rn. 69. Ungeklärt bleibt, inwieweit es einen Unterschied begründen soll, dass der Bergführer von seinem Kunden – in für den Kunden zu anspruchsvollem Gelände – weggeht oder dass er den Bergsteiger – der beim Gehen in das für ihn zu schwere Gelände übrigens auch freiverantwortlich handelt, wenn er sich der Gefährlichkeit des Geländes bewusst ist – in ein solches Gelände tatenlos gehen lässt.

E. Verhältnis der beiden Tathandlungen zueinander und ihre Abgrenzung 355

bb) Fallbezogene Annahme des Imstichlassens Neben Jäger, der aufgrund seines Verständnisses der hilflosen Lage zur Annahme eines Imstichlassens im „Bergsteiger-Fall“ gelangt, teilen dieses Resultat in der Sache eine Vielzahl weiterer Autoren1269. Obwohl unter das Versetzen schon nach dem Wortlaut der Norm jegliche Veränderung der Opfersituation subsumiert werden könnte1270, sei ein Imstichlassen anzunehmen. Erstens erfasse § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB aufgrund der Systematik des Gesetzes gesondert die Verschlechterung der Lage des Opfers durch Verlassen, Unterlassen der Rückkehr oder Unterlassen des Aufsuchens1271. Zweitens würden bei der Subsumtion der Fälle unter § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB die engeren Voraussetzungen des Imstichlassens, also die Garantenstellung, umgangen1272 und es bliebe kaum noch Raum für eine Anwendung von § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB1273. Rengier ergänzt für die Annahme des Imstichlassens, das Opfer bedürfe beim Verlassen durch den Täter bereits der Hilfe und befinde sich damit schon in einer hilflosen Lage1274. Nach Laue liegt ein Imstichlassen vor1275, weil das Weggehen des Bergführers als Tathandlung nicht kausal für den Eintritt des Taterfolgs sei und daher beim Abseilen des Bergführers kein „Außenwelterfolg“ beim Opfer verursacht werde. Infolgedessen begründe nur der Entschluss des Bergführers, nicht mehr zu helfen, die Hilflosigkeit, was aber keine hinreichende Verhaltensweise i. S. der Tathandlung Versetzen sei. Auch Ebel1276 subsumiert den „Bergsteiger-Fall“ unter das Imstichlassen, weil er bei der zweiten Tathandlung den Täter aus der Betrachtung zur hilf1269 Ebel, NStZ 2002, 408; Laue, S. 113 f.; Lucks, S. 170 ff., 221; Hillenkamp, BT10, S. 15 f.; Marxen, BT, S. 21; Krey/Heinrich, BT I13, Rn. 134a, 138; Sonnen, BT, S. 20; Rengier, BT II8, § 10 Rn. 12 [Gewisse „Reibungspunkte“ zu diesem Resultat bestehen allerdings mit den Ausführungen in ders., BT II8, § 10 Rn. 5, wo es heißt, dass eine hilflose Lage auch dann entsteht, „wenn die Schutzfunktion des schutzbereiten Dritten beseitigt wird oder aus anderen Gründen entfällt, etwa weil der Dritte seine Hilfsbereitschaft aufgibt“.]. 1270 So ausdrücklich Marxen, BT, S. 21. 1271 Marxen, BT, S. 21. 1272 Hillenkamp, BT10, S. 16; Marxen, BT, S. 21; Krey/Heinrich, BT I13, Rn. 134 f.; Rengier, BT II8, § 10 Rn. 12 [vgl. die Anmerkung zu Rengiers Ansicht soeben in diesem Abschnitt in Fn. 1269]. 1273 Marxen, BT, S. 21. 1274 Rengier, BT II8, § 10 Rn. 12 [vgl. die Anmerkung zu Rengiers Ansicht soeben in diesem Abschnitt in Fn. 1269]; ähnlich auch Hillenkamp, BT10, S. 15; Krey/ Heinrich, BT I13, Rn. 134a. 1275 Zum Folgenden Laue, S. 113 f. 1276 Zum Folgenden Ebel, NStZ 2002, 408; hierzu schon oben 4. Teil: D. II. 4.

356 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

losen Lage grundsätzlich ausblenden will. Für diese Einordnung führt er an, der Täter, der einen ohne ihn in hilfloser Lage befindlichen Menschen im Stich lasse, versetze das Opfer nicht in eine hilflose Lage, sondern das Opfer habe sich schon vorher in einer solchen Lage befunden. Vor dem Weggehen habe bereits eine „potenziell“ hilflose Lage vorgelegen, deren Umwandlung in eine aktuell hilflose Lage kein Versetzen sei, weil die Tathandlung erstens nur in einer Verletzung der Pflichten des Täters als Schutzgarant bestehe und es zweitens am „Kausalnexus“ zwischen Versetzen und hilfloser Lage fehle. Den umfangreichsten Versuch, die Anwendbarkeit der zweiten Tatvariante aus dem „Bergsteiger-“ und „Krankenschwester-Fall“ herzuleiten, findet man bei Lucks1277, obwohl sie der Ansicht ist, angesichts der identischen Strafandrohung für die beiden Tatvarianten sei die genaue Einordnung lediglich von dogmatischem Interesse1278. Da sie eine eventuelle Hilfe des Täters bei der Bestimmung der hilflosen Lage außer Betracht lässt, ist für sie das Opfer beim Weggehen des Täters schon aus diesem Grund in hilfloser Lage1279. Aus den Materialien zum 6. StrRG ergebe sich zwar keine klare Zuordnung dieser Fallkonstellation, weil der „Bergsteiger-Fall“ dort einerseits als Beleg für die Erweiterung des Opferkreises hinsichtlich beider Tathandlungen angeführt, andererseits aber vom Gesetzgeber auch als Beispiel für eine Obhuts- oder Beistandspflicht i. S. der zweiten Tathandlung gewählt werde1280. Allerdings spreche ein historisches Argument für die Annahme eines Imstichlassens beim Weggehen des Bergführers: Diese Fälle wurden in der Vergangenheit im Rahmen der Reformversuche stets als Beispiele für die Erweiterung der zweiten Tatvariante diskutiert1281. Dieses Ergebnis stütze auch der Wortlaut, weil Verhaltensweisen, die ein Beenden von zuvor geleisteter Hilfe seitens des Täters darstellen, schon „begrifflich“ als Fälle des § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB wahrgenommen würden und schon äußerlich betrachtet solche seien, die vom Begriff des Imstichlassens erfasst würden1282. Außerdem würde bei Subsumtion dieser Fälle unter § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB die zweite Tatvariante weitgehend leerlaufen und eine Reihe der bisherigen Fälle würde von § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB in die erste Tatvariante „abwandern“1283. 1277

Lucks, S. 170 ff. Lucks, S. 221. 1279 Lucks, S. 173, 180; vgl. zu den Ansichten und Argumente ders., schon ausführlich ab S. 252 im 4. Teil: D. II. 3. b) bb). 1280 Lucks, S. 171. 1281 Lucks, S. 179. 1282 Lucks, S. 170, 179. 1278

E. Verhältnis der beiden Tathandlungen zueinander und ihre Abgrenzung 357

Besonderes Gewicht für die Einordnung des „Bergsteiger-Falles“ unter das Imstichlassen hat nach Lucks die Tatsache, dass das Verhalten nicht als aktives Tun, sondern als Unterlassen zu qualifizieren sei1284. Mithin müsse es sich – wenn überhaupt, dann – um ein Versetzen durch Unterlassen handeln; jedoch wirke „die Annahme eines Versetzens in hilflose Lage durch Unterlassen . . . in den Fällen dieser Art stark konstruiert.“ Ebenso könne es für die Subsumtion unter eine der Tathandlungen keinen Unterschied machen, ob die Krankenschwester das Zimmer betrete und gar nicht erst Rettungsmaßnahmen einleite oder ob sie diese nach einem Sinneswandel einstelle. Sieht man dies anders, so müsste – laut Lucks – im zweiten Fall der Täterin die Möglichkeit des § 13 Abs. 2 StGB zugute kommen, während die Anwendung der Milderungsmöglichkeit bei der schon von Anfang an bestehenden Hilfsverweigerung ausgeschlossen sei, was nicht widerspruchsfrei scheint. Dementsprechend lautet das Fazit von Lucks1285: „In diesem Fall wie auch bei einem Verlassen der Kinder durch die Mutter oder dem Zurücklassen des unerfahrenen Bergsteigers im pfadlosen, einsamen Hochgebirge seitens des Bergführers muß es sich also um Fälle des Imstichlassens in hilfloser Lage i. S. des § 221 Abs. 1 Nr. 2 handeln“. cc) Fallbezogene Annahme des Versetzens Dagegen nimmt Hettinger im „Bergsteiger-Fall“ ein Versetzen an1286, was sich aus seinen ablehnenden Ausführungen zur Ansicht Jägers1287 sowie seiner eigenen Deutung der hilflosen Lage ergibt. Während der Zeit, in der der Bergsteiger vom Bergführer begleitet und geführt werde, sei der Kunde zwar selber nicht in der Lage, sich zu helfen – mit den Worten von Hettinger „hilfsbedürftig“ –, aber wegen der durch den Bergführer geleisteten Hilfe eben nicht in hilfloser Lage. Erst durch 1283

Lucks, S. 179. Zum Folgenden Lucks, S. 179 f. 1285 Lucks, S. 180. Zu diesem Befund in einem gewissen Widerspruch stehen die Ausführungen von ders., S. 190, zur Thematik „Abbruch von Rettungshandlungen und Strafbarkeit nach § 221 StGB“. Hier geht sie davon aus, das Einstellen von Rettungshandlungen könne aufgrund des weiten Verständnisses der ersten Tathandlung ein Versetzen sein, wenn auch nur im Fall des Verlassens durch einen Garanten, weil durch das Verlassen des Garanten das Opfer in eine hilflose Lage gerate. Außerdem betont sie, das Berauben der Abwehrkräfte stelle bei einem erwachsenen, gesunden Menschen – und ein solcher ist letztlich der Bergsteiger im „BergsteigerFall“ – regelmäßig ein Versetzen dar. 1286 Zum Ganzen Wessels/Hettinger, BT I31, Rn. 201, 204. 1287 Vgl. soeben im 4. Teil: E. II. 2. a) aa). 1284

358 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

das Weggehen entstehe die hilflose Lage für den Bergsteiger und dies sei – wegen des Verursachens einer solchen – als ein Versetzen anzusehen. Hettinger bezeichnet dieses Verhalten als „aktives Zerbrechen des Schutzkreises des Opfers“1288 und beruft sich darauf, dass durch die Neufassung ein solches Verhalten vom Versetzen i. S. v. § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB erfasst werde. Entgegen Jäger sei der Täter als Beistandspflichtiger während der gesamten Zeit in die Betrachtung mit einzubeziehen, weil man von einer hilflosen Lage nicht sprechen könne, solange Hilfe geleistet werde. b) Abstrakte Abgrenzung der beiden Tathandlungen Zahlreiche Autoren behandeln die Abgrenzung ohne Anlehnung an den „Bergsteiger-“ oder „Krankenschwester-Fall“ abstrakt und äußern sich dabei auch zu der Frage, ob man ein Sich-Entfernen des Täters unter die erste oder die zweite Tathandlung einordnen muss. aa) Abstrakte Annahme des Imstichlassens Einige Autoren subsumieren den Fall des hilfsfähigen Täter-Garanten, der sich entfernt, unter § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB. Es komme bei solchen Verhaltensweisen „lediglich die Alternative des ‚Imstichlassens‘ in Betracht“1289. Das räumliche Verlassen sei weiterhin der „typische Fall“ bzw. der „verdeckte Ursprungstypus“ des Imstichlassens1290. In diesen typischen Fällen genieße das Imstichlassen wie bisher Vorrang vor dem Versetzen1291 und das Begründen der hilflosen Lage durch räumliches Verlassen „dürfte“ schon deshalb kein Versetzen, sondern müsse ein Imstichlassen sein, weil diese Alternative eine Garantenstellung voraussetze1292. Hardtung kommt – ausgehend von seinem differenzierenden Verständnis der hilflosen Lage je nach Tathandlung – zu dem Ergebnis einer gleichzeitigen Verwirklichung von Versetzen und Imstichlassen1293. Für ihn existiert nicht das Problem der Abgrenzung der Tathandlungen, sondern nur die 1288 Wessels/Hettinger, BT I31, Rn. 204, unter Berufung auf SK-StGB7, Horn/ Wolters [03/2002], § 221 Rn. 4. 1289 NK-StGB2-Neumann, § 221 Rn. 9; im Ergebnis zustimmend Hacker/Lautner, Jura 2006, 277. 1290 Küper, BT6, S. 36; Lackner/Kühl, StGB26, § 221 Rn. 3. 1291 Lackner/Kühl, StGB26, § 221 Rn. 3. 1292 Küper, BT6, S. 36. Restlos überzeugt scheint Küper also von der Feststellung nicht zu sein, wenn er von „dürfte“ spricht. 1293 MüKo-StGB-Hardtung, § 221 Rn. 11, 16, 48. Zu Hardtungs Deutung der hilflosen Lage oben im 4. Teil: D. II. 4. sowie zur gleichzeitigen Verwirklichung beider Tathandlungen bereits im 4. Teil: E. II. 1. a).

E. Verhältnis der beiden Tathandlungen zueinander und ihre Abgrenzung 359

Frage der Anwendbarkeit auf der Ebene der Konkurrenzen, wobei beim Verringern von Hilfsmöglichkeiten – wie z. B. beim Weggehen des Täters – das Imstichlassen „spezieller“ sei1294. bb) Abstrakte Annahme des Versetzens Gössel1295 und wohl auch Kindhäuser1296 folgen im Ergebnis der Ansicht von Hettinger1297. Ausgehend vom neuen, weiten Verständnis des Versetzens als Verursachung einer hilflosen Lage, die keine Aufenthaltsänderung des Täters mehr erfordere, könne die hilflose Lage auch durch das Verweigern des dem Opfer garantierten Beistandes seitens eines Beschützergaranten entstehen1298. Gössel führt für dieses Verständnis ergänzend an, ein solches Verhalten könne deshalb kein Imstichlassen darstellen, weil der Täter die hilflose Lage eben durch sein Fortgehen erst schaffe und vor diesem aktiven Tun des Täters eben noch keine solche bestanden habe1299. Hierzu nicht vollkommen konform, will er im „Krankenschwester-Fall“ ein Imstichlassen annehmen, was sich allerdings aus seiner stark einzelfallbezogenen Definition der hilflosen Lage ergibt, und für ihn weniger eine Frage der Abgrenzung der Tathandlungen ist1300. c) Abweichende Abgrenzungskonzepte Neben den bisher dargelegten Konzepten gibt es noch drei weitere Methoden, um die beiden Tathandlungen voneinander abzugrenzen. Erstens wird empfohlen, die beiden Tathandlungen auf der Ebene des subjektiven Tatbestandes zu unterscheiden. Zweitens orientiert man sich für die Abgrenzung der beiden Tatvarianten an ihren jeweiligen Tatbestandstypen. Das dritte Konzept versucht, sich an der Abgrenzung von Tun und Unterlassen in den Fällen des Abbruchs von Rettungshandlungen zu orientieren. 1294 MüKo-StGB-Hardtung, § 221 Rn. 11 [nicht stimmig hierzu aber ders., ebenda, Rn. 48]. 1295 Gössel/Dölling, BT 12, § 7 Rn. 15. 1296 So noch Kindhäuser, BT I2, § 5 Rn. 7; offener jetzt ders., BT I3, § 5 Rn. 7. 1297 Vgl. oben 4. Teil: E. II. 2. a) cc). 1298 Gössel/Dölling, BT 12, § 7 Rn. 8, 15; Kindhäuser, BT I2, § 5 Rn. 7, 10; offener, aber wohl noch dieser Ansicht folgend ders., BT I3, § 5 Rn. 7 a. E. 1299 Gössel/Dölling, BT 12, § 7 Rn. 15. 1300 Gössel/Dölling, BT 12, § 7 Rn. 10, 15. Nach seinem Verständnis der hilflosen Lage [vgl. oben im 4. Teil: D. II. 3. b) aa) am Ende] gibt es Personen, die schon allein aufgrund der körperlichen Gesamtsituation in hilfloser Lage sind, selbst wenn ihnen Hilfe geleistet wird.

360 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

aa) Abgrenzung über den subjektiven Tatbestand Jähnke1301 und Sträßner1302 wollen die Abgrenzungsfragen zwischen § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB und § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB über den Zeitpunkt, in dem der Tatentschluss gefasst wird, lösen. Einen anderen Weg auf der Ebene des subjektiven Tatbestandes beschreitet Joecks1303: Er meint, beim Versetzen müsse eine besondere subjektive Beziehung im Hinblick auf ein dem Versetzen innewohnendes „finales Moment“ vorliegen, und verlangt dolus directus 2. Grades für die erste Tathandlung. Mithin müsste er eigentlich die Fälle der Aussetzung, bei denen „nur“ dolus eventualis vorliegt, unter das Imstichlassen subsumieren. Ob es für Joecks auch Fälle des absichtlichen oder direkt vorsätzlichen Imstichlassens gibt, bleibt offen. bb) Abgrenzung über den Tatbestandstypus: § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB als Unterlassungsdelikt zu § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB Brodag und Struensee gehen davon aus, das Imstichlassen in hilfloser Lage sei der dem § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB entsprechende Unterlassungstatbestand1304. Dies ergibt sich für Struensee daraus, dass die unter Strafe gestellte Verweigerung des erforderlichen Beistands aus Gründen der Kausalität ein Unterlassungsdelikt darstelle1305 und dass die Tat nach § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB bei dem weiten Verständnis der Tathandlung unzutreffend als „ein allgemeines Delikt der Nichtbeseitigung von Gefahren für Garanten“ verstanden werde1306. Positives Tun wäre damit stets ein Fall des Versetzens, Unterlassen hingegen wäre unter § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB zu subsumieren. LK-StGB11-Jähnke [07/1999], § 221 Rn. 24. Sträßner, PflR 2002, 99. 1303 Joecks, StGB7, § 221 Rn. 21; ablehnend hierzu die herrschende Meinung vgl. BSG Nds.Rpfl. 2006, 286 [288]; SK-StGB7, Horn/Wolters [03/2002], § 221 Rn. 10; MüKo-StGB-Hardtung, § 221 Rn. 25; Hacker/Lautner, Jura 2006, 276, 278; Schönke/Schröder-StGB27-Eser, § 221 Rn. 12; Tröndle/Fischer, StGB54, § 221 Rn. 12. 1304 DSNS-Struensee, 2. Teil Rn. 35, 42; Brodag, StR8, Rn. 83 f. [unklar jetzt aber Brodag, StR9, 9. Teil Rn. 72, da er in Rn. 71 die erste Tatalternative als auch durch Unterlassen begehbar ansieht und in Rn. 73 das Imstichlassen als ein sowohl durch „aktives als auch passives Tun“ zu verwirklichendes Delikt deutet]. 1305 DSNS-Struensee, 2. Teil Rn. 35. So schon zu § 230 E 1925 Aschrott/Kohlrausch-Radbruch, S. 313 f., der allerdings an der Notwendigkeit des § 230 Abs. 2 E 1925 zweifelt, weil sich die Normierung der Unterlassung aus der Allgemeinnorm zum Unterlassen, § 14 E 1925, ergebe. 1306 DSNS-Struensee, 2. Teil Rn. 42. So schon zu § 230 E 1925 Teufel, S. 52. 1301 1302

E. Verhältnis der beiden Tathandlungen zueinander und ihre Abgrenzung 361

cc) Abgrenzung über die Unterscheidung von Tun und Unterlassen In eine ähnliche Richtung wie die Argumentation der beiden vorgenannten Autoren läuft die Begründung von Schroth1307: Er orientiert sich bei der Entscheidung, ob ein Verhalten ein Versetzen oder ein Imstichlassen ist, an der Abgrenzung von Tun und Unterlassen beim Abbruch von Rettungshandlungen1308. Schroth will die Fälle, in denen eine Hilfeleistung abgebrochen wird – also auch die Fälle des Bergführers und der Krankenschwester –, dann als Versetzen ansehen, wenn fremde Hilfe durch aktives Tun unterbunden werde, als Versetzen durch Unterlassen hingegen, wenn der zuvor Helfende die Hilfeleistung abbreche und Garant sei. Die verbleibenden Fälle sind nach ihm dann solche eines Imstichlassens. Beim Zurücklassen des ungeübten Bergsteigers durch den Bergführer sei daher von einem Versetzen durch Unterlassen auszugehen1309.

III. Eigene Auffassung zu Verhältnis und Abgrenzung der beiden Tatvarianten n. F. 1. Prämissen des Verhältnisses und der Abgrenzung sowie Ziel dieses Kapitels Bevor ein eigener Ansatz zum Verhältnis und zur Abgrenzung der beiden Tathandlungen hergeleitet wird, sind einige Vorbemerkungen zu den Prämissen erforderlich, die den folgenden Ausführungen zugrundeliegen. Vorausgesetzt werden im Folgenden insbesondere der zuvor erarbeitete Inhalt der hilflosen Lage1310, die weite Auslegung der beiden Tathandlungen unter Verzicht auf den örtlich – räumlich geprägten Handlungstypus der Tathandlungen a. F.1311 und die Tatbestandstypen beider Tathandlungen1312. Da die – auf räumliche Veränderungsvorgänge abhebende – Auslegung der Tathandlungen nach der a. F. heute abgelehnt wird, kann man die Tatvarianten der n. F. nicht mehr anhand räumlicher Vorgänge unterscheiden1313. 1307 Zum Ganzen Schroth, BT4, S. 78 f. Das erläuternde Fallbeispiel aus ders., BT3, S. 279 f., ist in der 4. Auflage nicht mehr enthalten. 1308 Zu diesem Themenbereich vgl. nur Roxin, AT II, § 31 Rn. 108 ff.; Schönke/ Schröder-StGB27-Stree, Vorbem §§ 13 ff. Rn. 160; Lackner/Kühl, StGB26, § 13 Rn. 3; Wessels/Beulke, AT37, Rn. 701 f.; alle m. w. N. 1309 Schroth, BT4, S. 78 f. 1310 Vgl. 4. Teil: D. V. 1311 Vgl. im 4. Teil: C. I. 6. und im 4. Teil: C. II. 5. f). 1312 Vgl. im 4. Teil: C. I. 5. e) ee) sowie im 4. Teil: C. II. 5. g) cc). 1313 Vgl. 4. Teil: E. I. 2.

362 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

Beide Tathandlungen können jedwedes Verhalten erfassen, verlangen keine bestimmte Bewegungsrichtung mehr. Der äußerlich erkennbare Vorgang kann also nicht mehr der primäre Aspekt zur Abgrenzung sein. Gerade der Wegfall dieses „einzig sicheren Unterscheidungskriteriums“ der Tathandlungen der a. F.1314 ist letztlich der Grund, warum heute die Frage von Abgrenzung und Verhältnis unklar und damit umstritten ist wie selten zuvor. Wie eingeräumt wird, führt – insbesondere – die Möglichkeit der Begehung von § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB durch Unterlassen zu „Wertungswidersprüchen“ zwischen beiden Alternativen des Tatbestandes1315, woraus auch die schon erwähnten Thesen resultieren, eine der beiden Tatvarianten sei überflüssig1316. Ob eine für die a. F. typische Begehungsweise heute weiterhin unter die entsprechenden Tatvarianten subsumiert werden muss, ist eine andere Frage, der ebenfalls nachgegangen wird1317. Ziel dieses Abschnittes ist es in erster Linie, eine widerspruchsfreie Bestimmung von Verhältnis und Abgrenzung der beiden Tathandlungen zu finden, die beiden Tatvarianten einen eigenen Anwendungsbereich ohne größere Schnittmengen zuweist. Wenn dies erreicht werden kann, ist keine der beiden heutigen Tathandlungen überflüssig. 2. Eigene Deutung zum Verhältnis der Tathandlungen Zu klären ist im folgenden Abschnitt einerseits die Frage, ob eine Verhaltensweise gleichzeitig beide Tatvarianten verwirklichen kann, und andererseits die, ob innerhalb eines Lebenssachverhaltes beide Tathandlungen volldeliktisch nacheinander verwirklicht werden können. a) (Un-)Möglichkeit der gleichzeitigen Verwirklichung beider Tathandlungen Aus dem in dieser Hinsicht eindeutigen Wortlaut der Aussetzungsnorm folgt: Während bei § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB die hilflose Lage das Ergebnis der Tathandlung Versetzen ist, bildet sie bei § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB die Ausgangssituation, in der das Opfer im Stich gelassen wird. Bei der Betrachtung einer Verhaltensweise auf ihre Tatbestandsmäßigkeit hin kann 1314

Hasenberg, S. 33; Teufel, S. 21. Lucks, S. 77. 1316 Vgl. im 4. Teil: E. II. 1. b) bb) (1), insbesondere die Nachweise dort in Fn. 1237 zur Annahme, dass die erste Tatvariante überflüssig ist, sowie ebenda in Fn. 1238 die Nachweise aus der Literatur, die die Entbehrlichkeit der zweiten Tatvariante bejahen. 1317 Vgl. 4. Teil: E. III. 3. f). 1315

E. Verhältnis der beiden Tathandlungen zueinander und ihre Abgrenzung 363

aber nicht gleichzeitig eine Situation bestehen, in der eine hilflose Lage noch nicht und doch schon vorliegt. Dies ist unlogisch und schon begrifflich ausgeschlossen. Mithin ist die Möglichkeit einer gleichzeitigen Verwirklichung abzulehnen; die Frage, wie in diesem Fall die Konkurrenzen zu beurteilen wären, stellt sich also gar nicht mehr. Die Möglichkeit der gleichzeitigen Verwirklichung beider Tathandlungen, wie sie nur von Hardtung vertreten wird1318, besteht nicht. Ob auch der Gesetzgeber des 6. StrRG bei der Neufassung der Norm vom Ausschluss der gleichzeitigen Verwirklichung ausging, ist unklar. Es gibt in der amtlichen Begründung aber Ausführungen zur Aussetzung und deren Tathandlungen, die diesen Schluss zulassen. So heißt es: „Absatz 1 unterscheidet deutlicher als der geltende § 221 Abs. 1 zwischen zwei Ausführungsarten, nämlich dem Versetzen in hilflose Lage (Nummer 1) und dem Imstichlassen in hilfloser Lage (Nummer 2). Zur Begründung der Neufassung im einzelnen kann auf den E 1962 (S. 276 f.) zurückgegriffen werden“1319. Betont der Gesetzgeber aber, dass es zwei Ausführungsarten des Tatbestandes der Aussetzung gibt, die sich unterscheiden – und zwar deutlicher als bisher –, so muss man davon ausgehen, dass die beiden Arten der Ausführung auch unterschiedlich sind. Damit kann aber – auch nach Ansicht des Gesetzgebers – ein und dieselbe Verhaltensweise nicht beide Tatvarianten erfüllen; andernfalls wären die Ausführungsarten nämlich nicht unterschiedlich, sondern – jedenfalls teilweise – identisch. Der zitierte Verweis auf den E 1962 ist zum Verhältnis der Tathandlungen nicht weiterführend; man findet dort nur die folgenden Sätze1320: „Der Entwurf begnügt sich jedoch nicht mit einer so allgemeinen Fassung der Gefährdungshandlung. Vielmehr beschreibt er die für den Tatbestand der Aussetzung typische Art und Weise, durch die der Täter das Leben des anderen gefährdet. Die Vorschrift führt im Anschluß an das geltende Recht und die früheren Entwürfe zwei Ausführungsarten an, die in der neuen Fassung nur äußerlich anders als im Entwurf 1960 geordnet werden, nämlich in Absatz 1 Nr. 1 das Versetzen in hilflose Lage und in Absatz 1 Nr. 2 das Imstichlassen in hilfloser Lage.“ Diese Ausführungen gehen aber nicht über das hinaus, was das 6. StrRG an Begründung bietet, helfen bei der Frage nach dem Verhältnis der beiden Tathandlungen bzw. nach ihrem Unterschied nicht weiter. Entgegen der Angabe in den Materialien des 6. StrRG 1318

Vgl. Darstellung und Nachweise im 4. Teil: E. II. 1. a). RefE, S. 123; BR-Drs. 164/97, S. 120; BT-Drs. 13/7164, S. 34; 13/8587, S. 34 [Hervorhebungen vom Verfasser]. 1320 E 1962, S. 276; im E 1960 war die Begründung identisch, die beiden Tathandlungen aber nicht in zwei Nummern, sondern in getrennten Absätzen normiert; vgl. E 1960, S. 260. 1319

364 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

ist im E 1962 nichts zur „Begründung der Neufassung im einzelnen“ zu finden1321. Möglicherweise wird nun der Einwand erhoben, bei der a. F. sei der Gesetzestext zur zweiten Tatvariante weiter als nur wörtlich verstanden worden und man habe es als hinreichend angesehen, wenn die hilflose Lage erst mit der Ausführung der zweiten Tathandlung entstand1322. Überträgt man diese Ansicht auf die heutige Fassung, wäre schon das Entstehen der hilflosen Lage erst mit dem Imstichlassen als tatbestandlich anzusehen und eine partiell gleichzeitige Verwirklichung beider Tathandlungen möglich1323. Diese früher vertretene, weite Auslegung der zweiten Alternative des Tatbestandes kann hier aber bei der Frage nach der Möglichkeit einer gleichzeitigen Verwirklichung zu keiner anderen Beurteilung führen: Damals diente diese Deutung dem Zweck, die als strafwürdig erachteten Fälle zu erfassen, in denen die hilflose Lage (= konkrete Gefahr) nicht vor dem Verlassen vorlag, aber unmittelbar mit diesem entstand1324. Dieser Konstruktion bedarf es aber heute nicht mehr, weil das tatbestandliche Erfordernis der Gefahr von der hilflosen Lage getrennt wurde und beide Merkmale eine eigenständige Bedeutung haben. Tathandlungen sind heute das Versetzen in hilflose und das Imstichlassen in hilfloser Lage. Die Frage, wann die Gefahr eintritt, ist für die Subsumtion unter eine der Tathandlungen nicht mehr von Bedeutung, sondern nach dem Wortlaut des Gesetzes nur das (Nicht-)Vorliegen der hilflosen Lage. Ob die Gefahr kurz nach Vornahme der Tathandlung oder erst später eintritt, spielt für das Verhältnis der Tathandlungen keine Rolle. Die früher empfundene Lücke im Wortlaut der Aussetzung ist durch das 6. StrRG geschlossen worden. Die vormals problematischen Fälle der Aussetzung werden nunmehr deutlich vom Tatbestand erfasst. Dies bestätigt im Übrigen auch ein Blick in § 8 StGB: „Eine Tat ist zu der Zeit begangen, zu welcher der Täter oder der Teilnehmer gehandelt hat oder im Falle des Unterlassens hätte handeln müssen. Wann der Erfolg eintritt, ist nicht maßgebend.“

1321 Wie hier auch Kosloh, S. 48, 56. Unter Betonung der fehlenden Begründung zum Versetzen auch Laue, S. 70, 72; Lucks, S. 53. 1322 Vgl. oben im 4. Teil: E. I. 2. und dort insbesondere die Ausführungen auf S. 344 sowie die Nachweise ebenda in Fn. 1213. 1323 Diese These wird allerdings bisher von niemandem vertreten; vielmehr lehnt Lucks, S. 127 f., sie sogar ausdrücklich ab. Zum Versetzen vertritt aber LKStGB11-Jähnke [07/1999], § 221 Rn. 14, eine ähnliche These. 1324 So auch Lucks, S. 25, 28.

E. Verhältnis der beiden Tathandlungen zueinander und ihre Abgrenzung 365

b) (Un-)Möglichkeit der aufeinanderfolgenden Verwirklichung der Tathandlungen Nachdem nun feststeht, dass ein und dieselbe Handlung niemals gleichzeitig beide Tatvarianten verwirklichen kann, ist die Anschlussfrage zu stellen, ob einer strafbaren Verwirklichung von § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB stets § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB nachfolgt, was ja häufig und von der Mehrheit der Autoren, die sich mit dem Verhältnis der Tathandlungen befassen, konstatiert wird1325. Der Gesetzgeber des 6. StrRG1326 hat sich in den Materialien nicht ausdrücklich mit dem Verhältnis der Tathandlungen befasst. Möglicherweise kann man aber durch Interpretation der Ausführungen zur Erweiterung des Opferkreises und zur Obhuts- oder Beistandspflicht hilfreiche Hinweise herleiten. Dort finden sich folgende Sätze1327: „Im geltenden Recht werden in beiden Fällen nur die wegen jugendlichen Alters, Gebrechlichkeit oder Krankheit hilflosen Personen geschützt. Diese Personengruppen sind zwar durch die Aussetzung besonders gefährdet. Jedoch bedürfen auch Erwachsene und gesunde Personen des Schutzes gegen Aussetzung, z. B. der bergunkundige Bergsteiger, den der Bergführer im einsamen, pfadlosen Hochgebirge zurückläßt. Deshalb schränkt der Entwurf den geschützten Personenkreis im Falle des Versetzens in hilflose Lage (Nummer 1) nicht ein, während er im Falle des Imstichlassens (Nummer 2) zwar den geschützten Personenkreis auf hilflose Person begrenzt, denen gegenüber der Täter ein Obhuts- oder Beistandspflicht hat, dabei aber keinen Unterschied macht, ob die Hilflosigkeit auf jugendlichem Alter, Gebrechlichkeit, Krankheit oder auf anderen Zuständen oder Umständen beruht. Dabei weist der Begriff der Obhut auf ein bereits tatsächlich bestehendes Schutz- und Betreuungsverhältnis hin, wie es z. B. zwischen dem Bergführer und dem mit ihm vertraglich verbundenen Bergsteiger während der Bergwanderung besteht.“

Aus Vorstehendem wird deutlich: Der Bergsteiger wird vom Gesetzgeber einerseits als gesunder, erwachsener Mensch und damit (potenzielles) Opfer i. S. v. § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB angesehen, andererseits wird die Beziehung zwischen ihm und dem Bergführer als Obhuts- oder Beistandspflicht i. S. v. 1325

Arzt/Weber, BT, § 36 Rn. 8; Jäger, JuS 2000, 33 [inzwischen wohl a. A. ders., BT2, Rn. 69]; Ellbogen, JuS 2002, 155 Fn. 42; Lucks, S. 221 ff.; Maurach/ Schroeder/Maiwald, BT 19, § 4 Rn. 9; MüKo-StGB-Hardtung, § 221 Rn. 11, 48; NK-StGB2-Neumann, § 221 Rn. 45; Lackner/Kühl, StGB26, § 221 Rn. 3. A. A. Baier, JA 2000, 306; Gössel/Dölling, BT 12, § 7 Rn. 34; Schroth, BT4, S. 80. Vgl. schon die Darstellung im 4. Teil: E. II. 1. b) bb) (1). 1326 Auch der des E 1960 und des E 1962. 1327 RefE, S. 123 f.; BR-Drs. 164/97, S. 120; BT-Drs.-13/7164, S. 34; 13/8587, S. 34 [Hervorhebungen vom Verfasser]. Auch im E 1960, S. 260, und im E 1962, S. 276, findet man diese Passage fast wortwörtlich wieder.

366 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

§ 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB qualifiziert und damit eine Subsumtion unter die zweite Tatvariante ermöglicht. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers müssten also grundsätzlich sowohl Verhaltensweisen des Bergführers gegenüber dem Bergsteiger existieren, die ein Versetzen darstellen, als auch solche, die unter das Imstichlassen zu subsumieren sind. Eine Auslegung, die im Ergebnis alle Verhaltensweisen des Bergführers gegenüber dem Bergsteiger ausschließlich unter § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB oder § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB subsumieren wollte, wäre mit diesem Willen des Gesetzgebers nicht zu vereinbaren1328. Hieraus lässt sich allerdings erstens keine Antwort auf die Frage herleiten, welcher Tatalternative bestimmte Verhaltensweisen – z. B. im „BergsteigerFall“ – zuzuordnen sind, und zweitens nicht klären, ob innerhalb eines Lebenssachverhaltes nur eine Tathandlung erfüllt sein kann oder ob dabei beide Tatvarianten nacheinander verwirklicht werden. Die Ausführungen in den Materialien zum 6. StrRG, zum E 1960 und E 1962 sind also bezüglich dieser Fragen in beide Richtungen offen. aa) Herleitung der mehrheitlich vertretenen Ansicht zum Verhältnis der beiden Tathandlungen Wie konstruiert nun das Schrifttum die mehrheitlich vertretene These, dass bei Annahme eines strafbaren Versetzens nachfolgend auch immer ein Imstichlassen verwirklicht wird und die Frage der Bestrafung nur eine der Konkurrenz darstellt? Erstens wird dieses Ergebnis durch den geänderten Normtext der n. F. nahegelegt. Es drängt sich auf, weil die erste Tatalternative das Entstehen einer hilflosen Lage als Zwischenerfolg auf dem Weg in die Gefahr ansieht, die zweite Tatalternative aber an das Bestehen einer solchen Lage anknüpft. Schafft ein Täter also zuerst eine hilflose Lage und hilft dem Opfer nachher in dieser nicht mehr, so scheint aufgrund des Wortlauts und der tatbestandlichen Systematik wirklich jedem Versetzen ein Imstichlassen nachzufolgen. Diese Annahme wird noch dadurch verstärkt, dass nach der Neufassung für ein Versetzen oder Imstichlassen kein bestimmtes Verhalten mehr vorgeschrieben ist. Zweitens hat wesentliche Bedeutung für die These der nachfolgenden Verwirklichung des Imstichlassens – neben Wortlaut und Systematik – das Verständnis der hilflosen Lage: Verlangt man für das Vorliegen einer solchen, dass Hilfe noch möglich ist, um die Momentgefahren aus dem Tat1328 Dieser Aspekt gilt im Übrigen auch für die Frage der Abgrenzung der beiden Tathandlungen.

E. Verhältnis der beiden Tathandlungen zueinander und ihre Abgrenzung 367

bestand auszuschließen1329, hat dies folgende Auswirkungen: Das Versetzen muss im Ergebnis zu einer hilflosen Lage für das Opfer führen; diese liegt aber nur vor, wenn nach Eintritt der hilflosen Lage noch eine Möglichkeit zur Hilfe vor Gefahreintritt vorhanden ist. Das Nichtnutzen dieser – für das Entstehen einer hilflosen Lage konstitutiven – Hilfsmöglichkeit ist aber ein Nichtleisten einer (möglichen) Hilfe und stellt daher für den Täter eine Tathandlung i. S. v. § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB dar. Drittens spricht für diese Deutung zum Verhältnis der Tathandlungen, dass die überwiegende Ansicht davon ausgeht, dass ein vorsätzliches Versetzen eine Garantenstellung aus Ingerenz begründet. Damit entsteht für jeden Täter, gleich ob er vor Begehung der Tat schon Garant für Leib und Leben des Opfers war oder nicht, eine Garantenstellung, die als Obhutsoder Beistandspflicht tatbestandliches Erfordernis von § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB ist. Damit ist die These, dass jedem Versetzen ein Imstichlassen nachfolgt, das (vordergründig) logische Resultat aus dem neuen, von der Mehrheit in der Literatur und auch vom Verfasser als zutreffend erachteten Verständnis der Tathandlungen und der hilflosen Lage. Ob diese Ansicht zum Verhältnis aber zutreffend ist, ist im Folgenden zu untersuchen. bb) Widerlegung der mehrheitlich vertretenen Ansicht und Begründung der Exklusivität der Tatvarianten Um die Schwächen dieser Ansicht aufzuzeigen, wird im Folgenden zwischen zwei verschiedenen Tätergruppen differenziert: einerseits denjenigen Tätern, die schon vor dem auf seine Strafbarkeit nach § 221 Abs. 1 StGB zu untersuchenden Lebenssachverhalt Garanten für das Leben und die körperliche Integrität des Opfers waren, andererseits denjenigen, die zum Zeitpunkt des Versetzens noch keine Garanten waren, sondern erst durch dieses Verhalten – so die Annahme der überwiegenden Ansicht – zu Garanten kraft Ingerenz werden. (1) Garanten als Täter eines Versetzens Bei denjenigen Tätern, die schon vor dem zu untersuchenden Lebenssachverhalt Garanten für Leben und Leib des Opfers waren, sind nun zwei Konstellationen denkbar: Sie versetzen das Opfer durch positives Tun oder unechtes Unterlassen in die hilflose Lage. 1329 Vgl. hierzu im 4. Teil: C. I. 2. [dort insbesondere die Nachweise in Fn. 130] und im 4. Teil: D. II. 3. b).

368 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

(a) Versetzen durch positives Tun Der Garant (z. B. ein Elternteil oder ein anderer Betreuer) versetzt das Opfer durch positives Tun in eine hilflose Lage und hilft dem Opfer dann nicht. Verwirklicht dieses Verhalten wirklich § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB und § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB? Die Antwort auf diese Frage ist ein klares „Nein“, der Grund liegt – kurz gesagt – in der Verkennung der bestehenden Situation durch die Gegenansicht. Betrachtet man nämlich die zu beurteilende Situation genauer, zeigt sich, dass es sich „in Wahrheit“ um einen beendeten Versuch des § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB handelt: Der Täter hat das Opfer in eine hilflose Lage versetzt. Der tatbestandliche Erfolg kann aber noch nicht eingetreten sein, weil es in dem Fall schon wegen tatbestandlicher Vollendung des § 221 Abs. 1 StGB nicht zu einer erneuten eigenständigen Verwirklichung von § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB kommen könnte. Nun handelt der Täter nach dem Versetzen in eine hilflose Lage nicht. Er lässt Hilfsmöglichkeiten ungenutzt verstreichen, gewährt – anders gesagt – dem Opfer keine Hilfe, die er ihm als Garant aber geschuldet hätte. Tut der Täter dies nun solange nicht, bis es zu einer konkreten Gefahr i. S. der Gefährdungsklausel kommt, so ist die Tat vollendet. Durch das Versetzen in die hilflose Lage hat der Täter das Opfer in eine Situation gebracht – so die (hier verkürzt dargestellte) Definition der hilflosen Lage1330 –, in der es sich selber nicht helfen kann, Hilfe aber noch möglich ist, die das Opfer aber nicht von anderen Personen erhält. D.h. über kurz oder lang kann es – wenn sich die Situation nicht ändert – zum Eintritt einer konkreten Gefahr kommen. Mit dem Versetzen in hilflose Lage hat der Täter demzufolge alles getan, was zur Herbeiführung des tatbestandlichen Erfolgs notwendig ist. Der Fachbegriff für eine Situation, in der der Täter aus seiner Sicht alles zur Verwirklichung des Tatbestandes Erforderliche getan hat, ist nun aber gerade „beendeter Versuch“ i. S. v. § 24 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 StGB1331. In der Situation des – bei § 221 Abs. 1 StGB im Übrigen sogar grundsätzlich nicht strafbaren1332 – beendeten Ver1330

Zur Definition siehe im 4. Teil: D. V. So herrschende Meinung; vgl. statt aller m. w. N. BGHSt 35, 90 [93]; 39, 221 [227 f.]; BGH NStZ 1993, 279 [279 f.]; 1999, 299; SK-StGB6-Rudolphi [06/1993], § 24 Rn. 15; Jescheck/Weigend, AT5, § 51 II 1; NK-StGB2-Zaczyk, § 24 Rn. 39; Schönke/Schröder-StGB27-Eser, § 24 Rn. 14, 18; Tröndle/Fischer, StGB54, § 24 Rn. 14; Wessels/Beulke, AT37, Rn. 631; ähnlich Roxin, AT II, § 30 Rn. 163 ff.; Lackner/Kühl, StGB27, § 24 Rn. 3 f.; kritisch zu den Begriffen unbeendeter und beendeter Versuch, MüKo-StGB-Herzberg, § 24 Rn. 63 ff. 1332 Kritisch zur fehlenden Anordnung der Versuchsstrafbarkeit bei § 221 Abs. 1 StGB Bussmann, GA 1999, 23. 1331

E. Verhältnis der beiden Tathandlungen zueinander und ihre Abgrenzung 369

suchs1333 muss der Täter, um erfolgreich von der versuchten Tat zurückzutreten, Gegenaktivitäten entfalten1334, und genau das ist auch hier bei einer Aussetzung nach § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB erforderlich: Der Täter darf die Hilfsmöglichkeiten nicht ungenutzt verstreichen lassen. Tut er dies, liegt aber kein eigenständiges Imstichlassen vor, sondern eben nur das Nichtnutzen der Möglichkeit, vom beendeten Versuch zurückzutreten. Dieses Nichtzurücktreten ist aber nicht geeignet, als Anknüpfungspunkt für ein selbständig strafbares Imstichlassen zu dienen, sondern ist ein Stadium der Tat auf dem Weg in die Vollendung des § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB. Dies ergibt sich daraus, dass die Nichtwahrnehmung der Möglichkeit zum strafbefreienden Rücktritt mit der Bestrafung für die (vorsätzliche und auch sonst strafbare) Haupttat abgegolten und nicht selbständig zu bestrafen ist1335. Dieser Aspekt findet sich auch im Bereich der Strafzumessung wieder, wonach das Nichtnutzen einer Möglichkeit zum Rücktritt nicht strafschärfend für die Beurteilung der Strafbarkeit aus dem vollendeten Delikt berücksichtigt werden darf, weil ansonsten ein Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot gegeben ist1336. Zu dieser Erkenntnis setzt sich die Gegenansicht aber in Widerspruch, wenn sie das Nichtnutzen der Hilfsmöglichkeit für selbständig strafbar erachtet. 1333

Ein unbeendeter Versuch läge bei § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB vor, wenn der Täter zwar schon die Tathandlung [gegebenenfalls nur teilweise] vorgenommen hätte, es aber noch nicht zum Eintritt der hilflosen Lage gekommen wäre. Denn in dieser Situation hätte der Täter nach seiner Vorstellung noch nicht alles zur Verwirklichung des Tatbestandes Erforderliche getan; sog. unbeendeter Versuch. Von diesem – wäre er mit Strafe bedroht – könnte der Täter durch schlichtes Aufgeben der Tat zurücktreten, § 24 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 StGB; Nachweise wie zuvor in Fn. 1331. 1334 BGHSt 31, 46 [49]; 33, 295 [301]; 48, 145 [149 f.]; NStZ 1986, 312; 1993, 279 [280]; SK-StGB6-Rudolphi [06/1993], § 24 Rn. 27 ff.; Jescheck/Weigend, AT5, § 51 IV 1 f.; Roxin, AT II, § 30 Rn. 211 ff.; NK-StGB2-Zaczyk, § 24 Rn. 54 f.; Schönke/Schröder-StGB27-Eser, § 24 Rn. 58 ff.; Wessels/Beulke, AT36 Rn. 644; Tröndle/Fischer, StGB54, § 54 Rn. 14, 30 ff.; alle m. z. N. 1335 BGHSt 6, 20 [25]; BGH, Urteil vom 12.12.1995 – 1 StR 571/95 [unter B 1 b]; Welp, S. 325; LK-StGB11-Jescheck [03/1992], Vor § 13 Rn. 90 [anders jetzt LKStGB12-Weigend (03/2007), § 13 Rn. 7, 10]; NK-StGB2-Wohlers, § 13 Rn. 7; Tröndle/Fischer, StGB54, Vor § 13 Rn. 11; wohl auch Roxin, ZStW 74 [1962], 415. Kritisch zur Aussetzung a. F. Schünemann, Dogmatik, S. 59 f.; a. A. die im 4. Teil: C. I. 5. e) aa) (3) (b) in Fn. 373 zitierten Autoren, die in jedem Tun gleichzeitig ein Unterlassen sehen und diese Frage als reines Konkurrenzproblem einstufen. Zu dem damit in enger Verbindung stehenden Problem, ob aus einem vorsätzlichen Schädigungsverhalten eine Strafbarkeit aufgrund Ingerenzunterlassen entstehen kann, sogleich unter 4. Teil: E. III. 2. b) bb) (2) (b). 1336 BGH NStZ 1983, 217 [217 f.]; 1984, 358 [359]; StV 1996, 259; NStZ-RR 2003, 41; StraFo 2007, 248; Fahl, S. 162 ff.; G. Schäfer, Strafzumessung3, Rn. 394; LK-StGB12-Theune [06/2006], § 46 Rn. 274.

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Unterstellt man die Richtigkeit der Gegenansicht und bedenkt nun ergänzend, dass nach der Rechtsprechung selbst Taten, die auf der Ebene der Konkurrenz zurücktreten, unter bestimmten Umständen strafschärfend berücksichtigt werden können1337, so verschärft sich das Problem in all den Fällen, in denen § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB tatbestandlich, rechtswidrig und schuldhaft verwirklicht ist und eine Bestrafung des Täters aus dieser Norm nur wegen deren Zurücktreten auf der Ebene der Konkurrenz ausscheidet. Anknüpfungspunkt für andere Folgen kann aber – nach dieser Judikatur – die Norm dennoch sein. Diesem Argument kann man auch nicht entgegenhalten, der Versuch des § 221 Abs. 1 StGB sei doch gar nicht mit Strafe bedroht und es gebe daher überhaupt keine Konstellation des unbeendeten oder beendeten Versuchs beim Grundtatbestand der Aussetzung. Der Grundtatbestand der Aussetzung beschreibt zwar ein Vergehen i. S. v. § 12 Abs. 2 StGB und es besteht – mangels ausdrücklicher Anordnung gem. § 23 Abs. 1 StGB – keine Strafbarkeit des Versuchs1338. Jedoch ist allgemein anerkannt, dass die Verwirklichung jedes Erfolgsdelikts verschiedene Phasen durchläuft: Planung bzw. Vorbereitung, Versuch, Vollendung sowie Beendigung1339. Diese Phasen existieren bei jedem Tatbestand eines Erfolgsdelikts und sind bei der Auslegung zu beachten1340. Eine Deutung, die eine dieser Phasen „auf Null“ reduziert, ist nicht zulässig. Jedes Erfolgsdelikt ist damit so auszulegen, dass es zwischen strafloser Vorbereitung und Vollendung der Tat einen Bereich des Versuchs aufweist, und zwar unabhängig davon, ob bei einem Vergehen die Strafbarkeit des Versuchs angeordnet ist oder nicht1341. 1337 Ständige Rechtsprechung: RGSt 26, 312 [313 f.]; 59, 147 [148]; 62, 61 [62 f.]; 63, 423 [424]; BGHSt 6, 25 [27]; 19, 188 [189]; 21, 183 [185]; 33, 142 [147]; BGH NStZ 1994, 430 [431]; BGHR § 46 Abs. 2 Tatumstände 7; so auch LK-StGB12-Theune [06/2006], § 46 Rn. 280; LK-StGB12-Rissing-van Saan [06/2006], Vor §§ 52 ff. Rn. 160; Lackner/Kühl, StGB26, Vor § 52 Rn. 29; Tröndle/ Fischer, StGB54, Vor § 52 Rn. 45 f.; Wessels/Beulke, AT37, Rn. 792. Diese Rechtsprechung teilweise einschränkend weite Teile der Literatur z. B. Bruns, Strafzumessung2, S. 465 ff.; Jakobs, AT2, 31. Abschn. Rn. 38; Jescheck/Weigend, AT5, § 69 III 3; Roxin, AT II, § 33 Rn. 241; MüKo-StGB-von Heintschel-Heinegg, Vor §§ 52 ff. Rn. 64.; Schönke/Schröder-StGB27-Stree/Sternberg-Lieben, Vorbem §§ 52 ff. Rn. 144. Diese Judikatur gänzlich ablehnend Geerds, Konkurrenz, S. 231 f.; NK-StGB2-Puppe, Vor § 52 Rn. 49 ff. 1338 Kritik zur fehlenden Anordnung der Versuchsstrafbarkeit bei § 221 Abs. 1 StGB bei Bussmann, GA 1999, 23. 1339 Jescheck/Weigend, AT5, Vor § 49; Gropp, AT3, § 9 Rn. 7; Kühl, AT5, § 14 Rn. 5 ff.; NK-StGB2-Zaczyk, § 22 Rn. 2; Schönke/Schröder-StGB27-Eser, Vorbem § 22 Rn. 1; Lackner/Kühl, StGB26, Vor § 22 Rn. 1 ff.; Wessels/Beulke, AT37, Rn. 591. 1340 Kühl, AT5, § 14 Rn. 2; MüKo-StGB-Herzberg, § 22 Rn. 2; NK-StGB2Zaczyk, § 22 Rn. 2.

E. Verhältnis der beiden Tathandlungen zueinander und ihre Abgrenzung 371

Neben diesen allgemeinen Erwägungen zur Notwendigkeit der Existenz einer Versuchsphase wird dieses Resultat auch durch einen Blick auf die Absätze 2 und 3 der Aussetzung bestätigt. § 221 Abs. 2 Nr. 1 StGB ist als Qualifikation von § 221 Abs. 1 StGB Verbrechen i. S. v. § 12 Abs. 1 StGB und damit der Versuch gem. § 23 Abs. 1 StGB immer strafbar1342. Das Gleiche gilt grundsätzlich1343 auch bei den Verbrechen der §§ 221 Abs. 2 Nr. 2, 221 Abs. 3 StGB, die erfolgsqualifizierte Delikte – mithin auch Qualifikationen – sind1344. Damit muss die Aussetzung ein Versuchsstadium für die Qualifikationen aufweisen, mithin auch im Grundtatbestand, selbst wenn dieses Stadium dort straflos ist. Für einen (nicht strafbaren, gleichwohl begrifflich denkbaren, sozusagen „hypothetischen“) Versuch des § 221 Abs. 1 StGB bzw. den möglichen Versuch von § 221 Abs. 2/3 StGB bedeutet das: Es muss ein zeitliches Stadium geben, in dem nach den normalen Regeln ein strafbefreiender RückGropp, AT3, § 9 Rn. 12. Letztlich insoweit nicht anders z. B. bei den Unternehmensdelikten, wo die Strafbarkeit „vorverlagert“ ist und Versuch und Vollendung gleichgestellt werden mit der Folge, dass die Strafbarkeit aus Vollendung deutlich früher eintritt und es kein Versuchsstadium gibt; vgl. Jescheck/Weigend, AT5, § 49 VIII; Baumann/Weber/Mitsch, AT11, § 26 Rn. 7; NK-StGB2-Lemke, § 11 Rn. 47 ff.; Lackner/Kühl, StGB26, § 11 Rn. 19; Tröndle/Fischer, StGB54, § 11 Rn. 28. 1342 Sternberg-Lieben/Fisch, Jura 1999, 50; Laue, S. 132; LK-StGB11-Jähnke [07/1999], § 221 Rn. 37; SK-StGB7-Horn/Wolters [03/2002], § 221 Rn. 14, 16; MüKo-StGB-Hardtung, § 221 Rn. 33; Gössel/Dölling, BT 12, § 7 Rn. 38; Haft, BT II8, S. 127; Lackner/Kühl, StGB26, § 221 Rn. 7. 1343 A. A. nur diejenigen, die die erfolgsqualifizierten Delikte in der Sache als fahrlässige Delikte ansehen und daher deren Versuchsstrafbarkeit grundsätzlich verneinen; so Gössel, FS Lampe, S. 238; Maurach/Gössel/Zipf, AT 27, § 43 Rn. 115 ff.; Miseré, S. 49 ff., 60. Mit Blick auf den eindeutigen Wortlaut von § 11 Abs. 2 StGB ist dieser Meinung – mit der überwiegend vertretenen Ansicht – aber zu widersprechen; vgl. NK-StGB2-Lemke, § 11 Rn. 60; Schönke/SchröderStGB27-Eser, § 11 Rn. 73 f., 76; Lackner/Kühl, StGB26, § 11 Rn. 24 f.; Tröndle/Fischer, StGB54, § 11 Rn. 32; differenzierend SK-StGB7-Rudolphi/Stein [02/2005], § 11 Rn. 53 ff.; alle m. z. N. 1344 Dies gilt jedenfalls für den sog. Versuch der Erfolgsqualifikation, bei dem die schwere Folge nur [vorsätzlich] versucht, das Grunddelikt aber vollendet ist; Sternberg-Lieben/Fisch, Jura 1999, 50; Laue, S. 138 f.; SK-StGB7-Horn/Wolters [03/2002], § 221 Rn. 16; MüKo-StGB-Hardtung, § 221 Rn. 44; NK-StGB2-Neumann, § 221 Rn. 42; Rengier, BT II8, § 10 Rn. 21. Ob der erfolgsqualifizierte Versuch, d.h. die Konstellation, in der aus dem Versuch des Grundtatbestands die schwere Folge entsteht, bei der Aussetzung auch strafbar ist, ist umstritten, soll und muss hier aber nicht weiter vertieft werden; zu dem Thema ausführlich: Die Strafbarkeit verneinend LK-StGB11-Jähnke [07/1999], § 221 Rn. 40; Laue, S. 136 ff.; MüKo-StGB-Hardtung, § 221 Rn. 45 f.; Haft, BT II8, S. 127 f.; NK-StGB2-Neumann, § 221 Rn. 42; Küpper, BT I3, § 1 Rn. 91; Tröndle/Fischer, StGB54, § 221 Rn. 15; a. A. SK-StGB7-Horn/Wolters [03/2002], § 221 Rn. 16; Rengier, BT II8, § 10 Rn. 22. 1341

372 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

tritt möglich ist. Bezogen auf die Aussetzung muss grundsätzlich – vor Vollendung des Tatbestandes durch Eintritt der Gefahr i. S. der Gefährdungsklausel – ein Rücktritt gem. § 24 StGB möglich sein. Für die erste Tatalternative bedeutet das, wie soeben dargestellt, dass der Täter, der eine hilflose Lage durch ein Versetzen herbeigeführt und damit durch Vornahme der gesamten Tathandlung unmittelbar zur Verwirklichung der Tat angesetzt hat1345, eine Hilfsmöglichkeit zu Gunsten des Opfers wahrnehmen muss, um dadurch die hilflose Lage wieder aufzuheben und den Eintritt des Taterfolgs der Gefahr auszuschließen. Letztlich ist also das Wahrnehmen einer Hilfsmöglichkeit die (einzige) Möglichkeit des Täters, vom beendeten Versuch der Tat zurückzutreten. (b) Versetzen durch unechtes Unterlassen Versetzt nun derjenige Täter, der schon vor der Tat Garant für das Opfer war, dieses durch unechtes Unterlassen in eine hilflose Lage und hilft dann dem Opfer nicht, so ist auch dieses spätere Nichthelfen (trotz Möglichkeit zu helfen) kein selbständig zu bestrafendes Imstichlassen. Erstens ist hier – wie schon im vorherigen Abschnitt – festzuhalten, dass dieses Verhalten gerade das Nichtergreifen der Möglichkeit des Rücktritts vom beendeten Versuch darstellt1346. Zweitens scheitert hier die Annahme eines eigenständigen Imstichlassens auch noch an Folgendem: Ein Unterlassen hat – wie schon mehrfach erwähnt1347 – normalerweise eine gewisse zeitliche Dimension. Versetzt der 1345

Vornahme der Tathandlung als unproblematischer und weitgehend unstreitiger Fall des unmittelbaren Ansetzens; vgl. nur BGHSt 37, 294 [296]; BGH NJW 2002, 1057; Jescheck/Weigend, AT5, § 49 IV 4; Kühl, AT5, § 15 Rn. 20, 55; Schönke/Schröder-StGB27-Eser, § 22 Rn. 38; Tröndle/Fischer, StGB54, § 22 Rn. 9; LK-StGB12-Hillenkamp [03/2007], § 22 Rn. 95; Wessels/Beulke, AT37, Rn. 599; kritisch Roxin, AT II, § 29 Rn. 110 ff.; ablehnend MüKo-StGB-Herzberg, § 22 Rn. 159. 1346 Beim unechten Unterlassungsdelikt ist höchst streitig, ob die Differenzierung zwischen unbeendetem und beendetem Versuch erforderlich [so Jescheck/Weigend, AT5, § 60 II 3; Schönke/Schröder-StGB27-Eser, § 24 Rn. 27 ff.; Lackner/Kühl, StGB27, § 24 Rn. 22; Wessels/Beulke, AT37, Rn. 743 ff.] oder nicht vielmehr entbehrlich ist, weil es in jedem Fall eines Tätigwerdens des Garanten zum erfolgreichen Rücktritt von der Tat bedürfe [so BGHSt 48, 145 (149); BGH NStZ 1997, 485; NJW 2000, 1730 (1732); SK-StGB7-Rudolphi (09/2000), Vor § 13 Rn. 56; Roxin, AT II, § 30 Rn. 138 ff.]. Der Streit spielt für die weitere Bearbeitung der Probleme des § 221 Abs. 1 StGB – wie auch allgemein [vgl. NK-StGB2-Zaczyk, § 24 Rn. 47; Tröndle/Fischer, StGB54, § 24 Rn. 14] – keine Rolle, weil mit Eintritt der hilflosen Lage immer ein Tätigwerden des Garanten erforderlich ist, um diese Lage wieder aufzuheben.

E. Verhältnis der beiden Tathandlungen zueinander und ihre Abgrenzung 373

Täter und Garant das Opfer durch Unterlassen in eine hilflose Lage, so ist das spätere Nichthelfen noch Teil dieses Unterlassens. Das Aufrechterhalten einer durch Unterlassen geschaffenen Situation ist kein „neues“, selbständiges Unterlassen, sondern das Fortbestehen des originären und ersten Unterlassens. Andernfalls müsste man die – kaum vertretbare – These befürworten, dass ein Unterlassenstäter in jedem Moment, in dem er seine Unterlassung nicht revidiert und handelt, die Straftat erneut verwirklicht1348. (2) Nicht-Garanten als Täter eines Versetzens Der Täter, der vor dem Lebenssachverhalt, der auf eine Strafbarkeit nach § 221 Abs. 1 StGB untersucht wird, noch kein Garant war, kann § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB nur durch positives Tun verwirklichen. Für §§ 221 Abs. 1 Nr. 1, 13 StGB fehlt es an einer Garantenstellung. Verwirklicht er nun nach diesem Versetzen in hilflose Lage § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB, indem er als Ingerenzgarant dem Opfer die erforderliche Hilfe nicht zuteil werden lässt? Die Antwort auf diese Frage lautet aus folgenden Gründen „nein“. (a) Umdeutung der Nichtvornahme einer Rücktrittshandlung als selbständig strafbares Imstichlassen Die Annahme eines selbständig strafbaren Imstichlassens durch den Nicht-Garanten scheitert schon an dem Argument, das im Falle eines Garanten, der durch positives Tun das Opfer in eine hilflose Lage versetzt, erörtert wurde1349 und hier entsprechend Geltung beansprucht: Das Verhalten des Täters, das dem Versetzen in eine hilflose Lage nachfolgt und diese nicht wieder aufhebt, stellt kein strafbares Imstichlassen i. S. v. § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB dar, sondern nur das Nichtnutzen der Möglichkeit des Rücktritts vom beendeten Versuch. Dieses „Nichtzurücktreten“ des Täters ist also noch „Bestandteil“ der Verwirklichung der ersten Tatvariante bzw. ein Schritt auf dem Weg zur Vollendung von § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB durch positives Tun. Sobald eine konkrete Gefahr i. S. der Gefährdungsklausel eingetreten, es mithin zur Vollendung der Tat gekommen ist, ist die Strafbarkeit aus § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB gegeben, aber nicht daneben und zusätzlich ein selbständig strafbares Imstichlassen. 1347

Vgl. zu der Thematik schon im 4. Teil: D. IV. 2. d) dd) (4), insbesondere die Ausführungen auf S. 335; sowie später im 4. Teil: E. III. 3. c) cc) die Bemerkungen auf S. 414. Des Weiteren Androulakis, S. 105 f.; Maiwald, Handlungseinheit, S. 106; Struensee, Konkurrenz, S. 37 f., 59 f.; Roxin, AT II, § 33 Rn. 61. 1348 Hierzu im 4. Teil: E. III. 2. b) cc) (1). 1349 Vgl. 4. Teil: E. III. 2. b) bb) (1) (a).

374 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

(b) Entstehung einer Ingerenzgarantenstellung bei vorsätzlichem Versetzen? Ein weiterer Grund, der gegen die Annahme spricht, der Nicht-Garant würde in der Phase nach dem Versetzen in hilflose Lage (ständig) ein Imstichlassen verwirklichen, ergibt sich aus dem Erfordernis einer Obhutsoder Beistandspflicht. Die überwiegende Ansicht geht allerdings davon aus, für den Täter entstehe aufgrund des vorsätzlichen Versetzens in eine hilflose Lage eine Ingerenzgarantenstellung1350. Das Bestehen dieser Garantenstellung begründe – in Verbindung mit dem Nichtleisten von Hilfe zu Gunsten des Opfers – ein selbständiges Imstichlassen gem. § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB. Die Frage, nach welcher der beiden Tatvarianten sich dann letztlich die Strafbarkeit des Täters bestimmt, wird damit zu einer Frage der Konkurrenzen, wobei überwiegend vom Zurücktreten der zweiten Tatvariante ausgegangen wird1351. Der Schluss, aus dem vorsätzlichen Versetzen in hilflose Lage erwachse eine Garantenstellung aus Ingerenz, erscheint auf den ersten Blick zwar bestechend, steht aber bei genauer Betrachtung „auf tönernen Füßen“1352: Garantenstellungen werden nach heute vorherrschender Ansicht nach Inhalt bzw. Ziel der Verpflichtung in Beschützer- und Überwachungsgarantenstellungen unterteilt1353. Einer der typischen Fälle der Garantenstellung kraft 1350 LK-StGB11-Jähnke [07/1999], § 221 Rn. 3, 32; Stein, JR 1999, 267 f.; Arzt/ Weber, BT, § 36 Rn. 8; Jäger, JuS 2000, 33; Sträßner, PflR 2002, 97; Lucks, S. 222; MüKo-StGB-Hardtung, § 221 Rn. 15, 18 Fn. 55, Rn. 48; Hacker/Lautner, Jura 2006, 278; Küpper, BT I3, § 1 Rn. 89a; Tröndle/Fischer, StGB54, § 221 Rn. 5, 12; im Ergebnis zustimmend wohl auch Küper, ZStW 111 [1999], 55 Fn. 99, der betont, dass einerseits die Gefahrschaffung als Grundlage eines Imstichlassens kraft Ingerenz in Betracht kommt, andererseits jedoch die Herbeiführung der Gefahr ein Anwendungsfall des Versetzens ist. A. A. aber BGH StV 1996, 131; Schönke/ Schröder-StGB27-Eser, § 221 Rn. 10; der letzten Ansicht neigte schon zur a. F. der Aussetzung Schünemann, Dogmatik, S. 59 f., zu. Die Frage wird offen gelassen von Lackner/Kühl, StGB26, § 221 Rn. 4. 1351 Stein, JR 1999, 267; Sträßner, PflR 2002, 97; Lucks, S. 224; MüKo-StGBHardtung, § 221 Rn. 48; Küpper, BT I3, § 1 Rn. 89a; a. A. Arzt/Weber, BT, § 36 Rn. 8; ähnlich Lackner/Kühl, StGB26, § 221 Rn. 3. Für einen Vorrang der zweiten Tatvariante bei Fällen des Unterlassens plädiert NK-StGB2-Neumann, § 221 Rn. 45. 1352 Eine umfangreiche Darstellung der wesentlichen Argumente pro und contra bietet in jüngster Zeit Hillenkamp, FS Otto, S. 287 ff. 1353 Im Wesentlichen wurde diese sog. „Funktionenlehre“ von Kaufmann, S. 283 ff., begründet. Zahllose Nachweise hierzu und zur überkommenen Aufteilung der Garantenstellungen nach Art der Entstehung bei Roxin, AT II, § 32 Rn. 1 ff., 6 ff.; NK-StGB2-Wohlers, § 13 Rn. 30 ff.; Schönke/Schröder-StGB27-Stree, § 13 Rn. 8, 9 ff.; leicht abweichend heute Kindhäuser, LPK3, § 13 Rn. 35 ff., der zwischen Garantenstellungen „kraft Risikoherrschaft und kraft institutioneller Fürsorge“ unterscheidet, sowie LK-StGB12-Weigend [03/2007], § 13 Rn. 24, der von einer „Trias der Garantenpflichten“ spricht. Die Unterscheidung wird teilweise auch von

E. Verhältnis der beiden Tathandlungen zueinander und ihre Abgrenzung 375

Überwachung ist nach fast einhelliger Ansicht der Literatur die sog. Ingerenzgarantenstellung1354. Ursache und Voraussetzung für eine strafrechtliche Verantwortlichkeit aus Ingerenz ist, dass ein pflichtwidriges Vorverhalten die nahe Gefahr des Eintritts des konkreten, tatbestandsmäßigen Erfolges verursacht; diesen zu verhindern, ist der Ingerenzgarant verpflichtet1355. Zur Klarstellung vorweg: Es geht bei der hier vorliegenden Konstellation allein um die Frage, ob aus einem vorsätzlichen und rechtswidrigen Versetzen eine Garantenstellung für ein Imstichlassen entsteht, das hinsichtlich Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit den gleichen Unrechtsgehalt aufweist, also in der „Unterlassensphase“ im Vergleich zum aktiven Handeln keine weiteren qualifizierenden oder privilegierenden Merkmale aufweist, und von derselben subjektiven Einstellung des Täters getragen wird1356. Unter diesem Aspekt ist die folgende Darstellung zu sehen. Die Frage nach den Voraussetzungen für die Entstehung einer Garantenstellung aus Ingerenz bei einem vorsätzlichen Vorverhalten wird bisher nicht vorrangig im Zusammenhang mit der Aussetzung diskutiert, vielmehr findet man sie – aufgrund einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 19951357 – in der jüngsten Zeit häufiger im Bereich der vorsätzlichen Tötungsdelikte1358. Das Besondere an diesen Fällen ist – und nur der Rechtsprechung übernommen; vgl. BGHSt 48, 77 [82 ff.]; OLG Karlsruhe NStZ-RR 2001, 112 [114]; meistens unterscheidet die Rechtsprechung aber eher nach pragmatischen Gesichtspunkten; so Tröndle/Fischer, StGB54, § 13 Rn. 6 ff. 1354 LK-StGB11-Jescheck [03/1992], § 13 Rn. 30 ff.; Schönke/Schröder-StGB27Stree, § 13 Rn. 11, 32 ff.; Tröndle/Fischer, StGB54, § 13 Rn. 5c, 11 ff.; Wessels/ Beulke, AT37, Rn. 716. Zu der Ansicht, die die Garantenstellung aus Ingerenz vollständig ablehnt, vgl. die Fundstellen sogleich in diesem Abschnitt in Fn. 1358. 1355 BGHSt 37, 106 [115]; BGH NStZ 1998, 83 [84]; NJW 1999, 69 [71]; LKStGB11-Jescheck [03/1992], § 13 Rn. 31 ff.; Lackner/Kühl, StGB26, § 13 Rn. 11; Tröndle/Fischer, StGB54, § 13 Rn. 11 ff.; alle m. z. N. 1356 Allgemein zu dieser Thematik schon Welp, S. 321 ff. Nicht in Frage gestellt werden soll die grundsätzliche Existenz der Garantenstellung aus Ingerenz sowie die Tatsache, dass sich aus unrechtsverschiedenen, vorhergehenden Verhaltensweisen – z. B. einem fahrlässigen Verhalten – eine Garantenstellung aus Ingerenz ergeben kann. Ebenso wird nicht der Fall in Frage gestellt, dass sich aus einer vorsätzlichen Körperverletzungshandlung eine Ingerenzgarantenstellung für Tötungsdelikte ergeben kann, weil dies auch ein Fall eines unrechtsungleichen Vorverhaltens ist. 1357 BGH StV 1996, 131; offen gelassen aber in BGH NStZ 2003, 312 [313]; 2004, 89 [91]; darstellend zu den drei Entscheidungen des Bundesgerichtshofs Hillenkamp, FS Otto, S. 298 f. 1358 Damit stellt sich das hier angesprochene Problem einerseits nicht für Schünemann, ZStW 96 [1984], 308, weil er [inzwischen] davon ausgeht, pflichtwidriges Vorverhalten bei der Ingerenz könne nur fahrlässiges Verhalten sein, andererseits nicht für Lampe, ZStW 72 [1960], 106 f.; Roxin, ZStW 83 [1971], 369, 403 [inzwischen aufgegeben; vgl. ders., AT II, § 32 Rn. 147 ff. m. z. N.]; Schünemann, Grund und Grenzen, S. 313 ff.; ders., GA 1974, 233 [damals noch die Garantenstellung aus Inge-

376 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

diese Konstellation steht hier im Fokus der Betrachtung1359 –, dass der aktiv handelnde Täter das Opfer zuerst mit Tötungsvorsatz angreift, der Taterfolg jedoch nicht umgehend eintritt, so dass sich in der Folgezeit dem Täter noch die Möglichkeit eröffnet, die möglichen Folgen seiner Tat wieder zu unterbinden, was er aber ebenfalls (tötungs-)vorsätzlich unterlässt1360. Eingebunden ist dieses Problem also regelmäßig in die Frage, ob der durch seine vorsätzliche Handlungsweise ohnehin – aus dem Tötungsdelikt – strafbare Täter neben dieser Strafbarkeit wegen des Begehungsdelikts ein unechtes Unterlassungsdelikt verwirklicht, wenn er die Möglichkeit außer Acht lässt, das Opfer noch zu retten1361. Das Schrifttum vertritt vertritt mehrheitlich die Ansicht, auch aus einem solchen vorsätzlichen Schädigungsverhalten könne sich eine Garantenstellung aus Ingerenz ergeben1362. Die Argumente für dieses Verständnis sind so vielfältig wie unterschiedlich: 1. Besonders häufig wird mit einem „Erst-recht-Schluss“ gearbeitet: Wenn schon die fahrlässige Gefahrschaffung zur (Unterlassens-)Haftung aus Ingerenz führe, dann „erst recht“ das unrechtsschwerere vorsätzliche Vorverhalten1363. renz komplett ablehnend], und Brammsen, Garantenpflichten, S. 392, die der Existenz einer Garantenstellung aus Ingerenz – gegen die absolut überwiegende Ansicht in Rechtsprechung und Literatur – gänzlich ablehnend gegenüber stehen bzw. standen. 1359 Zu den Fällen, in denen der Täter zu Beginn seiner Tat fahrlässig oder nur mit Körperverletzungsvorsatz handelt, dann die Schwere der zugefügten Verletzungen erkennt und dennoch vorsätzlich die erforderliche, lebensrettende Hilfe für das Opfer nicht leistet, später in diesem Abschnitt ab S. 386. 1360 Hillenkamp, FS Otto, S. 302, bezeichnet diese Konstellationen – leicht verkürzend, aber sehr prägnant – als „Vorsatz-Vorsatz-Kombination“. 1361 Dieses Problem sah auch Bockelmann, Ndschr. Bd. 12 [1959], S. 85, in der Großen Strafrechtskommission bei der Diskussion um das unechte Unterlassungsdelikt. Leider wurde es dort keiner abschließenden Klärung zugeführt. 1362 Grünwald, S. 21 f.; Böhm, S. 84; R. Busch, FS von Weber, S. 197; Welp, S. 117, 321 ff.; Herzberg, Unterlassung, S. 284 f.; ders., JuS 1996, 382; Schlüchter, JuS 1976, 797; Seelmann, JuS 1987, L 35; Stoffers, Schwerpunkt, S. 337; Dencker, FS Stree/Wessels, S. 167 ff.; Stein, JR 1999, 267 ff.; SK-StGB7-Rudolphi [09/2000], Vor § 13 Rn. 7, § 13 Rn. 42a; Jakobs, AT2, 28. Abschn. Rn. 4; Wilhelm, S. 30 ff.; Baumann/Weber/Mitsch, AT11, § 15 Rn. 27; Roxin, AT II, § 32 Rn. 193 f.; Sowada, Jura 2003, 245 f.; Freund, NStZ 2004, 124 f.; Schneider, NStZ 2004, 91 ff.; Walter, ZStW 116 [2004], 567; ders., NStZ 2005, 231; Grünewald, GA 2005, 509 ff.; Krack, ZStW 117 [2005], 569 ff.; Kühl, AT5, § 18 Rn. 105a; MüKo-StGB-Freund, § 13 Rn. 125; Kindhäuser, LPK3, § 13 Rn. 72, 74; Theile, JuS 2006, 110; Lackner/ Kühl, StGB26, § 13 Rn. 11; Tröndle/Fischer, StGB54, § 13 Rn. 11d, § 211 Rn. 30 [Diese Fundstellen stehen in einem gewissen Widerspruch zu ders., StGB54, Vor § 13 Rn. 11 a. E.]; LK-StGB12-Weigend [03/2007], § 13 Rn. 10; Wessels/Beulke, AT37, Rn. 725. So auch früher RGSt 57, 193 [197]. Die Frage wird von Schmidhäuser, AT2, Kap. 16 Rn. 109, offen gelassen.

E. Verhältnis der beiden Tathandlungen zueinander und ihre Abgrenzung 377

2. Ebenfalls großer Beliebtheit erfreut sich das Argument drohender Strafbarkeitslücken für Dritte bzw. Teilnehmer, die sich erst im Unterlassensstadium an der Tat beteiligen; diese müssten, ist die Unterlassensphase für den Täter nicht selbständig strafbar, straflos bleiben1364. 3. Auch könnten bei Nicht-Strafbarkeit in der Unterlassensphase dem Täter selbst die erst in diesem Stadium verwirklichten qualifizierenden Merkmale nicht angelastet werden1365. 4. Außerdem sei „das Verhaltensunrecht (nicht das Erfolgsunrecht!) größer . . ., wenn bei sonst gleichen Umständen zu der Verletzung des Handlungsverbots noch die anschließende Verletzung eines Handlungsgebots“ hinzukomme1366. Darüber hinaus könne eine „übermäßige Bestrafung“ des Täters auf der Ebene der Konkurrenzen vermieden werden1367. 5. Die Annahme einer Garantenstellung aus Ingerenz sei bei den hier in Rede stehenden Vorsatztaten auch mit dem Gleichstellungserfordernis in § 13 StGB zu vereinbaren, weil nicht der Täter mit sich selbst verglichen und gleichgestellt werde, vielmehr eine Gleichstellung des Untätigbleibens mit dem vorangegangenen Tun deshalb erfolge, weil „das Unterlassen der aktiven Erfolgsherbeiführung aus normativem Blickwinkel letztlich gleich kommt“ und sich der Grund für die Gleichstellung aus der Sonderverantwortlichkeit des Hilfeleistungspflichtigen ergebe1368. Im Ergebnis meinen die Befürworter der Ingerenzgarantenstellung aus vorsätzlichem Vorverhalten, dieses Vorverhalten begründe eine Rücktritts(handlungs)verpflichtung für den Täter1369. Der Täter habe durch die Verletzung der Verhaltensnorm seine mangelnde Bereitschaft, diese zu befolgen, erkennen lassen und das der Verhaltensnorm zugrundeliegende Handlungsverbot seinen Zweck verfehlt. Dieser Zweck sei aber noch erreichbar, wenn der Täter zusätzlich eine Handlung 1363

Roxin, AT II, § 32 Rn. 193; Freund, NStZ 2004, 124; Grünewald, GA 2005, 514; Krack, ZStW 117 [2005], 570; MüKo-StGB-Freund, § 13 Rn. 125; Theile, JuS 2006, 110; Wessels/Beulke, AT37, Rn. 725. 1364 Roxin, AT II, § 32 Rn. 194; Sowada, Jura 2003, 245 f.; Schneider, NStZ 2004, 92; Krack, ZStW 117 [2005], 576; Kühl, AT5, § 18 Rn. 105a; Walter, NStZ 2005, 242; Wessels/Beulke, AT37, Rn. 725. 1365 Welp, S. 336 f.; Wilhelm, S. 37; Stein, JR 1999, 268; Schneider, NStZ 2004, 92. 1366 Stein, JR 1999, 268 [Hervorhebungen im Original]; in diese Richtung auch schon Welp, S. 327. 1367 Theile, JuS 2006, 110. 1368 So Schneider, NStZ 2004, 92; ähnlich schon Stein, JR 1999, 271. 1369 Roxin, AT II, § 32 Rn. 193; Freund, NStZ 2004, 124; Schneider, NStZ 2004, 92; Grünewald, GA 2005, 514; Theile, JuS 2006, 110.

378 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

vornehme, die geeignet scheine, die von ihm geschaffene Gefahr wieder zu beseitigen, was als Legitimation für das Handlungsgebot hinreichend sei1370. Die Tatsache, dass diese Handlung gleichzeitig den Rücktritt vom beendeten Versuch bedeute und damit eine Pflicht zum Rücktritt vom Versuch für den Täter begründet werde, stehe der Annahme dieser Garantenstellung aus Ingerenz aber nicht entgegen, weil eine solche auch in anderen Konstellationen im Strafrecht bestehe1371. Der Täter sei sowieso kraft seiner qualifizierten Garantenpflicht in jeder Phase des Geschehens zum Rücktritt vom begonnenen Versuch verpflichtet, weil ansonsten die berechtigten Güterschutzbelange des Opfers missachtet würden1372. Eine „Sperrwirkung der Rücktrittsvorschriften“, wovon die Gegenansicht – also die Gegner dieser Ingerenzgarantenstellung aus vorsätzlichem Vorverhalten – ausgeht, sei einerseits nicht anzuerkennen und andererseits „normlogisch unausgewiesen“1373. Außerdem würde die Verneinung dieser Pflicht zu dem wenig überzeugenden Resultat führen, es dem Täter zu erlauben, sich nach Ausführung einer Tathandlung vom Geschehen zu distanzieren, als ginge es ihn nichts an, obwohl er die Situation selbst herbeigeführt habe1374. Als Konsequenz dieser Ansicht1375 ergibt sich, dass neben der Strafbarkeit der Tat durch Tun aus einem Begehungsdelikt eine solche aufgrund von Unterlassen aus dem unechten Unterlassungsdelikt desselben Tatbestandes angenommen wird. Die Frage der Bestrafung werde dann nur auf der Ebene der Konkurrenzen entschieden1376, bei der in der Regel1377 das vor1370

Stein, JR 1999, 270; Schneider, NStZ 2004, 92. Roxin, AT II, § 32 Rn. 193; Krack, ZStW 117 [2005], 571. 1372 Freund, NStZ 2004, 124; Schneider, NStZ 2004, 92. 1373 Roxin, AT II, § 32 Rn. 193; Schneider, NStZ 2004, 92. 1374 Grünewald, GA 2005, 514. 1375 Zur Lösung von Problemen im Rahmen der Teilnahmelehre, da die Annahme einer Garantenstellung aus vorsätzlicher Ingerenz zu einer Umdeutung von Teilnahmeverhalten in täterschaftliches Verhalten führen kann, vgl. die von der Gegenansicht angebotenen Lösungen bei Sowada, Jura 2003, 245 f.; Schneider, NStZ 2004, 92 f., und Krack, ZStW 117 [2005], 572 f., die diese aber selbst – wegen drohender „Aufrollung der Beteiligungslehre vom Unterlassungsdelikt“ her – als problematisch bewerten. Die Darstellung dieser Probleme der Teilnahme würde den Rahmen der vorliegenden Arbeit deutlich sprengen und muss einer eigenen Arbeit vorbehalten bleiben. 1376 In § 94 Abs. 4 öStGB wird dieses Problem vom Gesetzgeber auch als ein solches der Konkurrenzen eingeordnet. 1377 Anders nur, wenn in der Unterlassensphase Erschwerungsgründe verwirklicht werden; Herzberg, Unterlassung, S. 284 f.; ders., JZ 1986, 988; Freund, NStZ 2004, 125; Grünewald, GA 2005, 515; Krack, ZStW 117 [2005], 575; LK-StGB12-Weigend [03/2007], § 13 Rn. 10. 1371

E. Verhältnis der beiden Tathandlungen zueinander und ihre Abgrenzung 379

sätzliche unechte Unterlassungsdelikt hinter dem vorsätzlichen Begehungsdelikt zurücktrete1378. Demgegenüber gehen der Bundesgerichtshof in einer Entscheidung1379 und Teile der Literatur1380 davon aus, dass aus einem vorsätzlichen Tötungsverhalten keine Ingerenzgarantenstellung erwachse. Soweit ersichtlich, wurde diese These erstmals von Kaufmann vertreten1381: „Es ist schwer zu sagen, was an dieser Konstruktion am meisten befremdet: Das Bild vom Mörder, der dadurch, daß er auf ein Opfer lauert, zu dessen Garanten wird. Oder das Gebot: Wenn Du mit Tötungswillen alles zur Herbeiführung des Todes eines anderen Notwendige getan hast, dann wende diesen Erfolg ab! Oder die Tatsache, daß sich dieses Gebot gar nicht an diejenigen wendet, deren Tatplan gar keine Möglichkeit zur tätigen Reue einkalkuliert. Oder die Eilfertigkeit, mit der das mühsam konstruierte unechte Unterlassungsdelikt des Unterlassens der tätigen Reue im Wege der Konkurrenz seiner Bedeutung wieder beraubt wird!“

Folgende Argumente zur Ablehnung der Ingerenzgarantenstellung werden vorgebracht1382: Das Verhalten begründe zwar die Strafbarkeit des Täters wegen des Tötungsdelikts, nicht aber eine Rechtspflicht zur Abwendung des Erfolges; der Täter habe zwar die Möglichkeit, strafbefreiend von der Tat zurückzutreten, aber diese Möglichkeit begründe keine 1378 Die genaue Einordnung innerhalb der Gesetzeskonkurrenz ist uneinheitlich: Für die Annahme von Subsidiarität Seelmann, JuS 1987, L 35; Baumann/Weber/ Mitsch, AT11, § 15 Rn. 27; Walter, ZStW 116 [2004], 567; ders., NStZ 2005, 241; Kindhäuser, LPK3, § 13 Rn. 74; LK-StGB12-Weigend [03/2007], § 13 Rn. 7, 10. Für die Einordnung des Unterlassungsdelikts als straflose oder mitbestrafte Nachtat R. Busch, FS von Weber, S. 197; Schlüchter, JuS 1976, 797; Stoffers, Schwerpunkt, S. 337; Roxin, AT II, § 32 Rn. 193. Für Konsumtion Grünwald, S. 21 f.; Welp, S. 117, 325. Ohne genaue Festlegung auf die Form der Gesetzeskonkurrenz Jakobs, AT2, 28. Abschn. Rn. 4; Herzberg, JuS 1996, 382; Stein, JR 1999, 267 Fn. 24; SKStGB7-Rudolphi [09/2000], Vor § 13 Rn. 7, § 13 Rn. 42a; Freund, NStZ 2004, 125; Schneider, NStZ 2004, 92; Grünewald, GA 2005, 514; Krack, ZStW 117 [2005], 569; Kühl, AT5, § 18 Rn. 105a; Lackner/Kühl, StGB26, § 13 Rn. 11; Tröndle/Fischer, StGB54, § 13 Rn. 11d, § 211 Rn. 30; Wessels/Beulke, AT37, Rn. 725. 1379 BGH StV 1996, 131; offen gelassen aber in BGH NStZ 2003, 312 [313]; 2004, 89 [91]; StraFo 2007, 123 [124]. 1380 Kaufmann, S. 228 f. Fn. 301; zustimmend Wessels, JZ 1967, 450 f.; Tag, JR 1995, 136; M. Köhler, AT, S. 220; Otto, FS Hirsch, S. 305 f.; ders., FS Gössel, S. 100 ff.; ders., FS Lampe, S. 512; ders., Jura 2003, 621; Geppert, Jura 2004, 246; Schönke/Schröder-StGB27-Eser, § 221 Rn. 10; Hillenkamp, FS Otto, S. 306. So auch schon Frank, StGB18, § 1 Anm. IV.2. Zweifel am Bestehen einer Garantenstellung auch bei Baier, JA 2004, 433. Auch Brammsen, Garantenpflichten, S. 401 ff., nimmt nur eine Strafbarkeit aus Begehungsdelikt an; er lehnt aber – im Gegensatz zu den anderen soeben Genannten – die Ingerenzgarantenstellung vollständig ab. 1381 Kaufmann, S. 228 Fn. 301. 1382 Eine Zusammenfassung zahlreicher Argumente findet sich bei Hillenkamp, FS Otto, S. 292 ff.

380 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

Pflicht1383. Das Rettungsverhalten des Täters stelle zwar einen Rücktritt gem. § 24 StGB dar, aber zur Vornahme desselben ergebe sich aus dem StGB keine Verpflichtung, sondern dies sei eine freiwillige Leistung1384. Denjenigen, der schon vorsätzlich und mit Unrechtsbewusstsein einem Verletzungsverbot zuwider gehandelt habe, treffe daher keine weitere selbständige Verantwortlichkeit für die unterlassene Erfolgsabwendung bzw. keine Verpflichtung, den Erfolg abzuwenden1385. Insbesondere Otto hat sich mit der Thematik befasst und betont1386, das gegenteilige Verständnis widerspreche Sinn und Zweck des § 13 StGB. Nach § 13 StGB sei nämlich nur derjenige strafbar, dessen Unterlassen der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes durch Tun entspreche. Die Annahme, der Begehungstäter werde zugleich zum Unterlassungstäter kraft Ingerenz, führe zu einer Gleichstellung des Täters mit sich selbst und das vom Täter verwirklichte Unrecht werde gleichsam doppelt gesehen. Diese Doppelung sei aber sinnwidrig, weil der Täter in der Unterlassungssituation nicht ein tötungsgleiches Unrecht verwirkliche, sondern auf Grund seines Tuns nur weiterhin Täter eines Tötungsdelikts bleibe. Darüber hinaus führe die Konstruktion dieser Garantenstellung zu einer erheblichen Ausweitung der Strafbarkeit und begründe eine Möglichkeit, die Unterscheidung von Tun und Unterlassen durch Umdeutung der Begehungsdelikte in Unterlassungsdelikte zu unterlaufen1387. Diese drohende Umdeutung beanstanden auch diejenigen Autoren, die sich zwar nicht explizit mit der Frage des Vorliegens einer Garantenstellung befassen, aber meinen, in diesen Konstellationen liege nur ein Tun vor und das nachfolgende „strukturelle Unterlassen“ sei integraler Bestandteil des vorangegangenen Tuns und kein selbstständig strafrechtlich zu würdigendes – vielmehr nur ein „scheinbares“ – Unterlassen1388. Andernfalls würde nämlich jedes Begehungsdelikt von einem Unterlassungsdelikt begleitet bzw. könne man alle Begehungsdelikte in Unterlassungsdelikte umdeuten1389. 1383 Otto, FS Hirsch, S. 306; ders., FS Lampe, S. 512. In diese Richtung argumentierend schon Kaufmann, S. 228 Fn. 301. 1384 BGH StV 1996, 131; Schünemann, Dogmatik, 59; Kaufmann, S. 228 Fn. 301; Otto, FS Lampe, S. 512; ders., Jura 2003, 621. 1385 BGH StV 1996, 131; M. Köhler, AT, S. 220; Otto, Jura 2003, 621; Geppert, Jura 2004, 246. Dem sehr ähnlich sieht Tag, JR 1995, 136, in dem Täter schon nicht mehr den „Adressaten“ des entsprechenden Normappells. 1386 Zum Ganzen Otto, FS Hirsch, S. 305; ders., FS Gössel, S. 103 ff.; ders., FS Lampe, S. 512. 1387 Die Gefahr einer Umdeutung kritisierte schon Kaufmann, S. 228 Fn. 301. 1388 Wessels, JZ 1967, 450; Bloy, JuS 1987, 531; in diese Richtung schon Frank, StGB18, § 1 Anm. IV.2, und Androulakis, S. 218; darstellend Hillenkamp, FS Otto, S. 292 f.

E. Verhältnis der beiden Tathandlungen zueinander und ihre Abgrenzung 381

Gegen den „Erst-recht-Schluss“ der mehrheitlich vertretenen Ansicht zur Entstehung der Ingerenzgarantenstellung bezieht auch Hillenkamp Stellung1390. Dieser Schluss sei aus zwei Gründen unzutreffend und vielmehr ein Trugschluss: Erstens werde – wie jedoch bei einem „Erst-recht-Schluss“ erforderlich – „vom ‚Stärkeren‘ nicht – . . . – auf ein strukturell gleiches Schwächeres, sondern auf ein aliud“ zurückverwiesen1391. Zweitens findet Hillenkamp ein weiteres Gegenargument in einer vergleichenden Betrachtung zwischen der Kombination aus vorsätzlichem Tun und einem nachfolgenden vorsätzlichen Unterlassen des Täters mit der entsprechenden fahrlässigen Konstellation. Die Literatur, die sich mit der Abfolge von fahrlässigem Tun und fahrlässigem Unterlassen des Täters befasst, knüpft – so Hillenkamp – „trotz einer ‚Sukzession von Verhaltensformen‘ allein an das positive Tun an, und zwar nicht aus Konkurrenz-, sondern – . . . – bereits aus Tatbestandsgründen“1392, eine Garantenstellung aus Ingerenz entstehe in den Fällen einer Fahrlässigkeits-Fahrlässigkeits-Kombination also gerade nicht. Die Argumente, die für das Bestehen der Ingerenzgarantenstellung im Falle der vorsätzlichen, begehungsgleichen Verletzungshandlung angeführt werden, vermögen nicht zu überzeugen1393. Schon die Annahme von Strafbarkeitslücken in der Unterlassensphase für hinzukommende Teilnehmer und qualifizierende Merkmale erweist sich bei genauer Betrachtung eher als eine bloße Behauptung1394. Um das zu erkennen, muss man sich nur vor Augen führen, welches Stadium der Deliktsverwirklichung hier in Rede steht: Der Täter hat die erfolgsgeeignete Tathandlung vorgenommen, der Erfolg ist aber noch nicht eingetreten, d.h. es ist noch nicht zur Vollendung des Tatbestandes gekommen1395. In der Phase vor Vollendung eines Delik1389

Wessels, JZ 1967, 451; Bloy, JuS 1987, 531. Hillenkamp, FS Otto, S. 300 ff. 1391 Hillenkamp, FS Otto, S. 300. 1392 Hillenkamp, FS Otto, S. 302 [Hervorhebung im Original] mit Verweis auf Böhm, S. 18; Grünwald, S. 23; Stoffers, Schwerpunkt, S. 324, 330. 1393 Eine umfangreiche Kritik an der mehrheitlich vertretenen Ansicht zu diesem Themenkomplex bietet Hillenkamp, FS Otto, S. 300 ff. Das Problem gänzlich argumentativ aufzuarbeiten, würde den Umfang der vorliegenden Arbeit deutlich überschreiten und muss daher einer – sich nur diesem Thema widmenden – Arbeit überlassen bleiben; ähnlich auch Hillenkamp, FS Otto, S. 306. Gänzlich überzeugt scheinen übrigens auch nicht alle Vertreter der Gegenansicht von ihrem eigenen Ansatz zu sein: Krack, ZStW 117 [2005], 576, konstatiert zu seiner eigenen Argumentation: „Ein gewisses Unbehagen angesichts der Unterlassungskonstruktion bleibt auch bei mir bestehen“. 1394 Ähnlich Hillenkamp, FS Otto, S. 303 f. 1395 Zu Begriff und Inhalt der „Vollendung“ im strafrechtlicne Sinne vgl. im 4. Teil: E. III. 2. b) bb) (1) (a) insbesondere die Ausführungen auf S. 370 [Nachweise ebenda in Fn. 1339]. 1390

382 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

tes ist unstreitig1396, dass Teilnahme noch möglich ist und auch qualifizierende Merkmale verwirklicht werden können. Ein Grund, warum das bei den Tötungsdelikten anders beurteilt werden sollte, ist nicht ersichtlich. Von daher bleiben die Autoren, die eine Garantenstellung annehmen wollen, an dieser Stelle zumindest die Begründung für ihre These schuldig, denn die Notwendigkeit kann sich nicht aus den drohenden Strafbarkeitslücken für Teilnehmer ergeben. Außerdem ist das Bestehen von Strafbarkeitslücken für Teilnehmer schon an sich kein Argument, das für eine – den Täter belastende und den Tatbestand erweiternde – Auslegung spricht1397. Es handelt sich hierbei um mittelbare Auswirkungen, die zwar durch die Auslegung entstehen, die aber für die Frage, ob ein Tatbestand zutreffend ausgelegt ist, außer Betracht zu bleiben haben. Darüber hinaus muss das Argument, bei qualifizierenden Merkmalen in der Unterlassensphase sei eine „ausreichende“ Bestrafung des Täters nicht möglich, mit einem großen Fragezeichen versehen werden: Wenn das Ziel einer „ausreichenden“ Bestrafung ein ausschlaggebendes Argument im Rahmen der Auslegung von Tatbeständen sein soll, so müsste man immer diejenige Auslegung wählen, die am „bestrafungsfreundlichsten“ ist; zudem ist die Festlegung, welche Bestrafung „ausreichend“ ist, dermaßen subjektiv geprägt, dass sie kaum als handhabbares Kriterium zur Auslegung eines Tatbestandsmerkmals brauchbar scheint. Endziel einer solchen „Auslegungsmethodik“ wäre ein lückenloses StGB, was dem Gedanken des fragmentarischen Charakters des Strafrechts zuwiderlaufen würde1398. Auch der – auf den ersten Blick bestechende – „Erst-recht-Schluss“ der überwiegenden Ansicht kann nicht überzeugen1399. Ihm liegt anscheinend die Prämisse zugrunde, dass – anerkanntermaßen1400 – in jedem vorsätzlichen Tötungsdelikt auch die Voraussetzungen eines fahrlässigen mitenthal1396

Zum Problem der „sukzessiven Beihilfe und Mittäterschaft“ vgl. im 4. Teil: E. III. 2. b) dd) insbesondere die Darstellungen auf S. 393 sowie ebenda in Fn. 1436. 1397 Simon, S. 517 f. 1398 Ebenso Hillenkamp, FS Otto, S. 304. Zum fragmentarischen Charakter des Strafrechts vgl. schon oben im 4. Teil: A. [Nachweise dort in Fn. 20]. 1399 Ausführlich gegen diesen Schluss auch Hillenkamp, FS Otto, S. 300 ff. Allgemein zur Überzeugungskraft und zu Problemen von „Erst-recht-Schlüssen“ Simon, S. 391 ff. m. w. N. 1400 Rechtsprechung und herrschende Lehre nehmen ein sog. „normativ-ethisches Stufenverhältnis“ zwischen Fahrlässigkeit und Vorsatz an; vgl. BGHSt 32 S. 48 [57]; ähnlich BGHSt 4, 340 [341]; 17, 210 [212]; so auch Schönke/SchröderStGB27-Eser, § 212 Rn. 16. Die Literatur tendiert eher zu einem „Plus-Minus-Verhältnis“; vgl. Herzberg, JuS 1996, 378 ff.; MüKo-StGB-Freund, Vor §§ 13 ff. Rn. 269 ff.; NK-StGB2-Puppe, § 15 Rn. 4 f.; alle m. w. N. Gänzlich anders jedoch MüKo-StGB-Hardtung, § 222 Rn. 81, der entgegen der herrschenden Meinung [dar-

E. Verhältnis der beiden Tathandlungen zueinander und ihre Abgrenzung 383

ten sind bzw. dass ein Tötungsvorsatz auch die subjektiven Voraussetzungen der Fahrlässigkeit beinhaltet. Die Richtigkeit dieser These soll – und muss – hier gar nicht in Abrede gestellt werden, nur ist zu fragen, ob sie überhaupt auf die Entstehungsvoraussetzungen der Garantenstellung aus Ingerenz übertragbar ist. So setzt dieser Schluss schon die Vergleichbarkeit der Wertungsgrundlagen der beiden zu vergleichenden Aussagen voraus1401. Sicherlich ist vorsätzliches Handeln im Vergleich zur Fahrlässigkeit das unrechtsschwerere Verhalten, und der Täter, der einen Tatbestand durch ein bestimmtes Verhalten vorsätzlich verwirklicht, wird bei diesem Verhalten in aller Regel auch die Voraussetzungen der Strafbarkeit aus dem Fahrlässigkeitstatbestand – soweit existent; vgl. § 15 StGB – erfüllen1402. Aber das allein bedeutet keine Identität der Wertungsgrundlagen oder der Vergleichsebenen und reicht daher nicht aus für die Entstehung der Garantenstellung aus Ingerenz. Der Schluss wäre nur dann tragfähig, wenn begründbar wäre, wieso der mit Tötungsvorsatz handelnde Täter, der schon wegen dieser vorsätzlichen Tat strafrechtlich voll haftet, „erst recht“ mit dem Täter einer fahrlässigen Körperverletzung oder fahrlässigen Tötung1403, der nichts gegen die drohende Lebensgefährdung unternimmt und damit gem. § 13 StGB wegen dieses Unterlassens haftet, gleichgestellt werden soll. Hierzu bleiben die Autoren aber eine Antwort schuldig. Gegen die Annahme einer Garantenstellung aus dem vorsätzlichen und vom Unrechtsgehalt her gleichen Vorverhalten spricht auch die folgende Überlegung: Die Annahme eines voll verwirklichten unechten Unterlasstellend zu dieser ders., ebenda Rn. 1, 71] § 222 StGB als Grundtatbestand aller Tötungsdelikte einordnet. 1401 Diese Vergleichbarkeit verneint auch Hillenkamp, FS Otto, S. 300. Zu der Frage der Vergleichbarkeit der Wertungsgrundlagen allgemein Simon, S. 396. 1402 Nach überwiegender Ansicht verdrängt das vorsätzliche Delikt das fahrlässige im Wege der Gesetzeskonkurrenz [materielle Subsidiarität]; vgl. BGHSt 39, 195 [199]; SK-StGB6-Samson/Günther [03/1995], Vor § 52 Rn. 94; LK-StGB12-Rissingvan Saan, Vor § 52 Rn. 138; Schönke/Schröder-StGB27-Stree/Sternberg-Lieben, Vorbem §§ 52 ff. Rn. 119; Lackner/Kühl, StGB26, Vor § 52 Rn. 26; im Ergebnis zustimmend, aber mit einem abweichenden Begründungsansatz NK-StGB2-Puppe, Vor § 52 Rn. 10 ff., 21; alle m. w. N. Die problematische und umstrittene Frage, ob fahrlässiges Verhalten im Vergleich zum vorsätzlichen ein Aliud oder ein Minus darstellt, kann hier nicht weiter verfolgt werden; vgl. insoweit SK-StGB7-Rudolphi [10/1998], Anh. zu § 55 Rn. 20 ff.; NK-StGB2-Frister, nach § 2 Rn. 40 ff.; Schönke/SchröderStGB27-Eser, § 1 Rn. 91 f.; Tröndle/Fischer, StGB54, § 1 Rn. 22, 29; alle m. w. N. 1403 So auch Hillenkamp, FS Otto, S. 300 f. Außer Betracht bleiben soll hier der Punkt, inwieweit es möglich ist, dem – wegen seines fahrlässigen Verhaltens aus § 222 StGB zu bestrafenden – Täter ein weiteres Mal über §§ [211], 212, 13 StGB denselben Tötungserfolg zuzurechnen. Zu dieser Thematik Hettinger, GA 2006, 291 Fn. 19 m. w. N.

384 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

sungsdelikts hätte auch Auswirkungen auf die Strafzumessung, weil nach wohl überwiegender Ansicht die Berücksichtigung von Taten, die im Wege der Gesetzeskonkurrenz zurücktreten, in der Strafzumessung auch zu Lasten des Täters möglich sein soll1404. Von daher würde durch das Zurücktreten auf der Ebene der Konkurrenzen eine „übermäßige Bestrafung“ u. U. gerade nicht verhindert. Auch die Betrachtung des Erfolgs- und Handlungsunrechts bzw. -unwertes1405, die mit dem Begehungsdelikt und dem Unterlassungsdelikt verbunden sind, spricht dafür, dass hier nur eine tatbestandsmäßige Verhaltensweise angenommen werden kann: Der Täter hat durch positives Tun eine Tötung begangen und damit einen Taterfolg verwirklicht. Bleibt der Unrechtsgehalt gleich, kann ein Täter an ein und demselben Rechtsgut(träger) ein und denselben Taterfolg aber nur einmal verwirklichen1406. Die Befürworter einer Ingerenzgarantenstellung aus vorsätzlichem Tun rechnen dem Täter im Endergebnis zwei vorsätzliche Tötungen als tatbestandsmäßig zu, wenn sie das Unterlassen erst auf der Ebene der Konkurrenzen zurücktreten lassen. Der Einwand von Stein1407, es sei das durch die Unterlassensphase gesteigerte Verhaltensunrecht, nicht das Erfolgsunrecht, das dem Täter vor1404 Zu der Berücksichtigung von Taten im Rahmen der Strafzumessung, die im Wege der Gesetzeskonkurrenz zurücktreten, grundsätzlich schon im 4. Teil: E. III. 2. b) bb) (1) (a) sowie im Speziellen auf S. 370 [Nachweise ebenda in Fn. 1337]. Dieses Problem sieht auch Stein, JR 1999, 268, und verkennt Welp, S. 325, wenn dieser davon ausgeht, dass das Unterlassungsdelikt „nicht ins Gewicht fällt“. Stein [Fundstelle wie zuvor] zieht aber trotzdem nicht die Konsequenz, die Garantenstellung zu verneinen, weil es „auf der Hand liegt“, „dass das Verhaltensunrecht [Anmerkung des Verfassers: nicht das Erfolgsunrecht!] größer ist, wenn bei sonst gleichen Umständen zu der Verletzung des Handlungsverbots noch die anschließende Verletzung eines Handlungsgebots hinzukommt“ [Zum Aspekt von Erfolgs- und Handlungsunrecht sogleich auf den folgenden Seiten]. 1405 Zu Inhalt und Bedeutung sowie rechtshistorischen Hintergründen der begrifflichen Aufteilung des Unrechts in Erfolgs- und Handlungsunwert bzw. -unrecht vgl. Ebert/Kühl, Jura 1981, 227 ff. [mit graphischer Aufbereitung der verschiedenen Unrechtslehren auf S. 228 f., 233 ff.]; Maurach/Zipf, AT 18, § 17 Rn. 1 ff.; Jescheck/ Weigend, AT5, § 1 III, § 24 III; Roxin, AT I4, § 10 Rn. 88 ff.; Schönke/SchröderStGB27-Lenckner/Eisele, Vorbem §§ 13 ff. Rn. 52 ff.; alle m. z. N. Diese Unterteilung des Unrechts findet man auch in Entscheidungen der Rechtsprechung; vgl. nur BGH NStZ 1999, 32 [34]; 2006, 342. 1406 Außer Betracht bleiben sollen und müssen hier die Konstellationen einer Tatbegehung bei Vorliegen von Mittäterschaft oder Nebentäterschaft. Dort wird zwar ein Taterfolg zwei verschiedenen Tätern zugerechnet, aber diese Konstellation wird im Rahmen der Diskussion um die Entstehung einer Ingerenzgarantenstellung von keinem der Autoren betrachtet, sondern immer nur der Fall eines allein handelnden Täters. Insoweit beschränken sich die folgenden Ausführungen auch auf diese Fallgestaltung. 1407 Stein, JR 1999, 268.

E. Verhältnis der beiden Tathandlungen zueinander und ihre Abgrenzung 385

geworfen wird, ist nicht stichhaltig, weil Stein die Bedeutung von Erfolgsund Handlungsunrecht nicht zutreffend wertet. Das objektiv und subjektiv vollständig verwirklichte Begehungsdelikt zeichnet sich dadurch aus, dass der volle Erfolgs- und Handlungsunwert erfüllt ist1408. Genau darin besteht der Vorwurf an den Täter. Bei einem „Mangel“ an Erfolgs- oder Handlungsunwert ist eine Strafbarkeit aus vollendetem Delikt nicht möglich; vielmehr wird bei mangelndem Erfolgsunwert – wenn die weiteren Voraussetzungen vorliegen – ein versuchtes Delikt in Betracht kommen1409, bei gemindertem Handlungsunwert – bei Vorliegen der weiteren spezifischen Voraussetzungen – eine Strafbarkeit aus fahrlässigem Delikt1410. Die Befürworter, die von einem Zurücktreten eines Deliktes erst auf der Ebene der Konkurrenzen ausgehen, kommen zu der Annahme von zwei objektiv und subjektiv voll verwirklichten Delikten, d.h. es muss auch zweimal der volle Erfolgsunwert angenommen werden, sonst wären nicht beide Delikte volldeliktisch verwirklicht. Der Vorwurf eines zweifach vollständigen (Erfolgs- und Handlungs-)Unrechts zieht also den Vorwurf von zwei vollständig verwirklichten Tatbeständen, hier Tötungsdelikten, nach sich. Dies ist aber nicht möglich, weil der Erfolgsunwert der vorsätzlichen Tötung durch das positive Tun schon „voll abgegolten“ ist; einen Menschen kann man nur einmal töten. Wenn man – wie Stein – nur den zusätzlichen „Handlungsunwert“ des Auslassens der Rettungsmöglichkeit zutreffend in Ansatz bringen will, müsste man – wenn überhaupt – ein versuchtes vorsätzliches Begehungsdelikt und ein vollendetes, vorsätzliches unechtes Unterlassungsdelikt annehmen1411. Diese müssten dann, um den Taterfolg des Tötungsdelikts und das vorhergehende Tun im Schuldspruch zu berücksichtigen, aus Gründen der Klarstellung in Tateinheit gem. § 52 StGB stehen. Dieses Ergebnis wird nicht vertreten, sondern immer der zweifache Erfolgsunwert in Ansatz gebracht. Es liegt aber in diesen Fällen nur eine Tötung eines Menschen mit einem Erfolgsunrecht vor; dieses kann nicht Samson, FS Grünwald, S. 585; Roxin, AT I4, § 10 Rn. 97. Gallas, FS Bockelmann, S. 159, 161; Maurach/Zipf, AT 18, § 17 Rn. 7; Jescheck/Weigend, AT5, § 24 III 4 d, § 24 III 5; Roxin, AT I4, § 10 Rn. 98; Schönke/Schröder-StGB27-Lenckner/Eisele, Vorbem §§ 13 ff. Rn. 58; kritisch Samson, FS Grünwald, S. 588 ff. Zum „Erfolgsunwert“ des versuchten Delikts auch BGH, Urteil vom 04.08.2004 – 5 StR 134/04 [insoweit in NStZ 2005, 90 (92) nicht abgedruckt]. 1410 Jescheck/Weigend, AT5, § 24 III 4 c; Kühl, AT5, § 3 Rn. 5; Schönke/Schröder-StGB27-Lenckner/Eisele, Vorbem §§ 13 ff. Rn. 55. 1411 Ebenso Schünemann, Dogmatik, S. 59. Vgl. insoweit Schneider, NStZ 2004, 92, der durch Annahme der Garantenstellung „den Unterlassungsunwert neben dem zuvor verwirklichten Handlungsunwert gesondert in Ansatz“ bringen will, dabei aber durch Annahme von zwei voll verwirklichten Delikten den nur einmal vorliegenden Erfolgsunwert doppelt in Ansatz bringt. 1408 1409

386 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

durch die Konstruktion einer Garantenstellung „gedoppelt“ werden1412. Auch wenn man hier vom Vorliegen eines erhöhten Handlungsunrechts ausgeht, macht dies aus einer Tötung eben nicht zwei voll tatbestandsmäßige Delikte. Die Annahme eines selbständig strafbaren Unterlassens nach dem vorsätzlichen und erfolgskausalen Begehungsverhalten zerreißt im Endeffekt einen einheitlichen Lebenssachverhalt in Einzelteile. Dies trägt die Gefahr einer „Atomisierung“ der Verhaltensweisen in sich1413 und widerspricht der Ansicht des Bundesgerichtshofs1414: „Einheitliche Lebensvorgänge sind als Ganzes aufzufassen und dürfen nicht sinnwidrig in Tätigkeiten und Unterlassungen aufgespalten werden.“ Man wird das Problem der Ingerenzgarantenstellung durch ein vom Tötungsvorsatz getragenes Tun differenziert betrachten müssen: Es ist sorgfältig zu unterscheiden, ob das Vorverhalten mit Blick auf den Unrechtsgehalt mit dem nachfolgenden Unterlassen übereinstimmend ist oder nicht1415. Ist es nicht „unrechtsgehaltsgleich“, d.h. insbesondere nur fahrlässig, oder ist es „nur“ vom Körperverletzungsvorsatz getragen, so ist für eine nachfolgende Garantenstellung aus Ingerenz Raum. Diese Erkenntnis darf man im Übrigen als herrschende Meinung bezeichnen1416, soweit die Garantenstellung aus Ingerenz nicht vollständig abgelehnt wird1417. Ist das vorhergehende Tun hingegen unrechtsidentisch mit dem nachfolgenden Unterlassen, so liegt tatbestandsmäßig nur das positive Tun vor. Gestützt werden kann diese Annahme – neben dem soeben dargestellten „Doppelungsdilemma“ der Gegenansicht – auch auf die mit der Ingerenzgarantenstellung verbundenen Verhaltenserwartungen der Rechtsordnung: Der Garantenstellung aus Ingerenz liegt die Erwartung der Rechtsordnung zugrunde, dass eine Person, wenn sie bei Inanspruchnahme ihrer Freiheiten Gefahren für andere Menschen begründet, diese wieder rückgängig macht 1412

So auch Otto, JZ 2004, 365. Ähnlich Welp, S. 326, der aber dennoch die Garantenstellung bejaht. 1414 BGHSt 8, 9 [11 f.]; ähnlich Bloy, JuS 1987, 531. 1415 Dencker, FS Stree/Wessels, S. 168 f., spricht von einem „Manko im subjektiven Sachverhalt“. 1416 Dencker, FS Stree/Wessels, S. 166, 171; Stein, JR 1999, 266 Fn. 14; Grünewald, GA 2005, 513. Roxin, AT II, § 32 Rn. 191, bezeichnet die fahrlässige Gefahrschaffung als „Prototyp“ der Ingerenzgarantenstellung. Otto, JZ 2004, 365, nimmt nur im Bereich der fahrlässigen Verhaltensweisen die Zulässigkeit einer Garantenstellung aus Ingerenz zur Schließung von Strafbarkeitslücken an. 1417 Vgl. die Nachweise im 4. Teil: E. III. 2. b) bb) (2) (b) in Fn. 1358. Ähnlich Pfleiderer, S. 160 ff., der die Ingerenz teilweise anlehnt und die Fälle unter andere Garantenstellungen subsumieren will, sowie Brammsen, Garantenpflichten, S. 385 ff., 392, der die Lösung in der Erfassung des Vorverhaltens als strafbares Begehungsdelikt sieht. 1413

E. Verhältnis der beiden Tathandlungen zueinander und ihre Abgrenzung 387

bzw. die betroffenen Personen vor diesen Gefahren schützt oder rettet1418. Diese Erwartung auf ein Verhindern der Gefahrrealisierung hat seinen Ursprung in dem Vertrauen der Rechtsordnung auf den grundsätzlich rechtstreu handelnden Bürger. Diese Erwartung ist sicherlich für ein friedliches Zusammenleben zwingend erforderlich. Nur muss man sich fragen, bei welchen Personen man überhaupt von einer entsprechenden Verhaltenserwartung ausgehen kann. Beim zuvor fahrlässig oder mit Körperverletzungsvorsatz handelnden (Vorverhaltens-)Täter trifft folgende Erwartung zu: Dieser Täter hat den Willen, dessen es bedarf, um einen Menschen zu töten, noch nicht objektiv erkennbar an den Tag gelegt. Bisher hat er lediglich gezeigt, dass er bereit ist, sorgfaltswidrig Leib oder Leben des Opfers zu gefährden oder „rechtsbrüchig“ im Hinblick (nur) auf eine Verletzung der körperlichen Integrität eines anderen Menschen zu handeln. Von einem Täter dieser Art kann und muss die Rechtsordnung aber noch erwarten dürfen, dass er – mangels anderer Anhaltspunkte in seinem Verhalten – beim Erkennen der objektiv geschaffenen Situation diese umkehren und das Opfer retten wird1419. Gerade dies kann man aber bei einem Täter nicht behaupten, dessen vorhergehendes (Erst-)Handeln schon vorsätzlich war und im Unrechtsgehalt mit dem nachfolgenden Unterlassen übereinstimmt: Wer mit Tötungsvorsatz auf einen Menschen eingewirkt hat, von dem erwartet die Rechtsordnung nicht, dass er eine Rettung einleitet. Im Gegenteil: Durch die Vornahme dieser Handlung hat der Täter bereits deutlich gezeigt, dass er dem Verhaltensappell der Rechtsordnung bezüglich des Rechtsgutes Leben gegenüber taub ist1420, bzw. er 1418 Ähnlich Böhm, S. 83 f.; Hillenkamp, FS Otto, S. 301 f. Zum Erwartungshorizonts der Rechtsordnung, bei der Ingerenz die Gefahrrealisierung zu verhindern, vgl. auch Kaufmann, S. 283, 286; Rudolphi, Gleichstellungsproblematik, S. 111, 114, 123 f.; Stree, FS Mayer, S. 154 ff.; Herzberg, Unterlassung, S. 286; ders., JZ 1986, 988 f.; LK-StGB11-Jescheck [03/1992], § 13 Rn. 31; Jescheck/Weigend, AT5, § 59 IV 4; Stein, JR 1999, 271; SK-StGB7-Rudolphi [09/2000], § 13 Rn. 37a, 38; Roxin, AT II, § 32 Rn. 150 f.; Sowada, Jura 2003, 237; NK-StGB2-Wohlers, § 13 Rn. 43; Schönke/Schröder-StGB27-Stree, § 13 Rn. 32; Wessels/Beulke, AT37, Rn. 725; kritisch und diesen Erwartungshorizont als „moralische Evidenz“ bezeichnend LK-StGB12-Weigend [03/2007], § 13 Rn. 42. Diesen Erwartungshorizont sieht auch Brammsen, Garantenpflichten, S. 386 f., der die Figur der Ingerenz jedoch vollständig ablehnt; ders., S. 392. 1419 Die tatsächliche Vornahme dieser Hilfe würde den Täter dann zu einem Hilfsmittel für das Opfer werden lassen; vgl. zu der Thematik im 4. Teil: D. IV. 2. d) dd) (4) die Ausführungen auf S. 331 ff. Zu den Problemen der Ingerenzgarantenstellung in der n. F. der Aussetzung grundsätzlich im 4. Teil: G. III. 2., dort ausführlich ab S. 466. 1420 Hillenkamp, FS Otto, S. 301 f. Vgl. auch Schneider, NStZ 2004, 91: „Die Kreation eines solchen Pflichtenprogramms wirkt künstlich, weil von Vorsatztätern im Anschluss an ihr Vorverhalten faktisch selten die Befolgung entsprechender Normbefehle erwartet werden kann“.

388 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

hat bereits so viel kriminelle Energie an den Tag gelegt, dass er das grundsätzliche (pflichtenbegründende) Vertrauen der Rechtsordnung nicht mehr verdient1421. Diese Verhaltenserwartung1422 ist ein weiterer Grund, den oben behandelten „Erst-recht-Schluss“ vom fahrlässigen Ingerenzgaranten auf den vorsätzlichen (mit übereinstimmendem Unrechtsgehalt agierenden) abzulehnen: Mangels Vergleichbarkeit der Anforderungen, die die Rechtsordnung an den Täter stellt, ist schon die Wertungsgrundlage nicht identisch. Zusammenfassend ist somit das Entstehen einer Ingerenzgarantenstellung beim Vorliegen einer mit Tötungsvorsatz vorgenommenen Handlung abzulehnen, demzufolge ebenfalls das Vorliegen einer solchen Garantenstellung bei einem mit Gefährdungsvorsatz durchgeführten Imstichlassen in hilfloser Lage, wenn der Täter zuvor schon mit Gefährdungsvorsatz – also im Unrechtsgehalt übereinstimmend – dasselbe Opfer in ebendiese Lage versetzt hat. Würde man dies im Rahmen von § 221 Abs. 1 StGB anders beurteilen und die Entstehung einer Ingerenzgarantenstellung kraft des vorsätzlichen Versetzens des Täters bejahen, bestünde der Vorwurf gegenüber dem Täter in der volldeliktischen Verwirklichung von zwei Straftatbeständen. Ein Ergebnis, das sich darüber hinwegsetzen würde, dass hier nur – wenn überhaupt – ein zweifacher Handlungsunwert vorliegt, aber sicherlich kein zweifacher Erfolgsunwert: Es entsteht nämlich nur eine konkrete Gefahr für Leib oder Leben des Opfers. Wenn überhaupt müsste man also ein versuchtes vorsätzliches Begehungsdelikt und ein vollendetes, vorsätzliches unechtes Unterlassungsdelikt annehmen, eine Position, die aber niemand vertritt. Selbst wenn man vom Vorliegen eines erhöhten Handlungsunrechts ausgeht, macht dies allein aus einer Aussetzung eben nicht zwei voll tatbestandsmäßige Aussetzungen. Dafür bedürfte es auch eines zweifachen Erfolgsunrechts. An diesem Dilemma vermag auch die Tatsache nichts mehr zu ändern, dass eine der beiden Taten auf Ebene der Konkurrenzen zurücktreten würde: Das dem Täter angelastete Unrecht wird hierdurch nicht (mehr) berührt und die Berücksichtigung von Taten, die im Wege der Gesetzeskonkurrenz zurücktreten, ist – nach überwiegend vertretener Ansicht – in der Strafzumessung auch zu Lasten des Täters möglich. Solange dieses „Doppelungs-Dilemma“ besteht, kann die Ansicht, die die Entstehung einer Ingerenzgarantenstellung aufgrund vorsätzlichen Vorverhaltens bejaht, nicht überzeugen. 1421

Ähnlich Welp, S. 321; Hillenkamp, FS Otto, S. 301. Stree, FS Mayer, S. 154 f. spricht von der „Schaffung einer Vertrauenslage“ als [Teil-]Kriterium für das Entstehen einer Garantenstellung aus Ingerenz. Ausführlich zu der Thematik auch Brammsen, Garantenpflichten, S. 385 ff. 1422

E. Verhältnis der beiden Tathandlungen zueinander und ihre Abgrenzung 389

Die Annahme eines selbständig strafbaren Imstichlassens gem. § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB, das dem vorsätzlichen und erfolgskausalen Versetzen nachfolgt, zerreißt überdies im Endeffekt einen einheitlichen Lebenssachverhalt sinnwidrig in Einzelteile. Außerdem verkennt die das gegenteilige Ergebnis befürwortende Ansicht, dass die Verhaltenserwartung der Rechtsordnung gegenüber einem mit Vorsatz handelnden Täter des § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB gerade nicht dahin geht, dass er die geschaffene hilflose Lage wieder aufheben wird, weil dieser schon den gesamten negativen Willen, dessen es bedarf, um Täter einer Aussetzung durch positives Tun zu werden, an den Tag gelegt hat. Mag der fahrlässig handelnde Täter eines Versetzens in hilflose Lage Ingerenzgarant für das Opfer werden, so gilt dies für den Vorsatztäter aber noch lange nicht. Damit ist ein weiteres Argument gegen den „Automatismus: Jedem Versetzen folgt ein Imstichlassen nach“ gefunden. cc) Ergänzende Argumente für eine Exklusivität der beiden Tatalternativen Abschließend sollen noch Aspekte gegen den Automatismus einer Abfolge der beiden Tathandlungen bzw. für die Annahme einer Exklusivität der beiden aufgeführt werden. (1) Auswirkungen bei konsequenter Beachtung der Prämissen der Gegenansicht Die Ansicht, die davon ausgeht, dass jedem Versetzen immer ein selbständiges Imstichlassen nachfolgt, müsste eigentlich auch noch folgende Konsequenz in Kauf nehmen: Da ja das Nichtnutzen einer Hilfsmöglichkeit ein Imstichlassen sein soll, müsste bei Versäumen mehrerer Hilfsmöglichkeiten auch ein mehrfaches Imstichlassen angenommen werden; denn es ist kein Grund ersichtlich, warum das Versäumen einer weiteren Hilfsmöglichkeit anders behandelt werden sollte als das Versäumen der ersten Hilfsmöglichkeit. Dass die erneute Nichtnutzung einer Hilfsmöglichkeit kein weiteres Imstichlassen darstellt, ist aber zutreffend. Das gegenteilige Ergebnis wäre hingegen recht abwegig, weil es mit allgemeinen Strukturprinzipien zum echten bzw. unechten Unterlassungsdelikt unvereinbar ist: Es ist allgemein anerkannt, dass beim unechten Unterlassungsdelikt1423, wenn der tatbestandliche Erfolg nur einmal eingetreten ist, trotz Versäumung mehrerer 1423 Entsprechendes gilt bei echten Unterlassungsdelikten, wenn mehrere Handlungspflichten verletzt werden.

390 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

Rettungsmöglichkeiten nur eine Unterlassung vorliegt1424. Damit liegt nur ein Imstichlassen vor, selbst wenn mehrere Möglichkeiten zur Hilfe versäumt wurden. Darüber hinaus wäre es auch schlichtweg nicht möglich, die genaue Zahl der versäumten Hilfsmöglichkeiten und damit die Zahl der tatbestandlichen Verwirklichungen des Imstichlassens zu bestimmen1425. Es ist vielmehr ein Spezifikum des Unterlassens, dass es sich über einen gewissen Zeitraum erstreckt und gerade nicht punktuell als einmaliges Ereignis bestimmt werden kann1426. Ist die gerade dargelegte Fortbildung1427 der überwiegenden Ansicht1428 zum Verhältnis der beiden Tatalternativen zueinander nicht vertretbar, so wird aber auch die Grundthese, jedem Versetzen müsse ein selbständiges Imstichlassen nachfolgen, angreifbar. Wenn man nämlich die Grundthese für zutreffend erachtet, so müsste man auch die dargestellte Konsequenz für das mehrfache Imstichlassen ziehen und z. B. bei einem fünfmaligen Nichtnutzen einer Hilfsmöglichkeit von einer fünfmaligen Verwirklichung der zweiten Tatvariante ausgehen. Dieses kuriose Ergebnis vertritt aber niemand; schließlich wird auch nur ein Erfolg verursacht. Ergänzend ein weiterer Aspekt, der für das hier bevorzugte Verhältnis der beiden Tathandlungen spricht: Würde man die Ansicht der Mehrheit konsequent auf andere Delikte übertragen, gäbe es zahlreiche „Fehlurteile“. 1424 RGSt 76, 140 [143 f.]; BGHSt 18, 376 [379]; 37, 106 [134]; BGH NJW 1985, 1719 [1720]; BayObLG NJW 1960, 1730; OLG Frankfurt NStZ-RR 1999, 104 [104 f.]; Geerds, Konkurrenz, S. 291; Struensee, Konkurrenz, S. 37 ff.; Jescheck/Weigend, AT5, § 66 IV 2; Roxin, AT II, § 33 Rn. 61 ff.; Kühl, AT5, § 21 Rn. 9; MüKo-StGB-von Heintschel-Heinegg, § 52 Rn. 71; LK-StGB12-Rissing-van Saan [06/2006], Vor § 52 Rn. 85 f.; Schönke/Schröder-StGB27-Stree/Sternberg-Lieben, Vorbem §§ 52 ff. Rn. 28; Tröndle/Fischer, StGB54, Vor § 52 § Rn. 9; Wessels/ Beulke, AT37, Rn. 762; a. A. zum echten Unterlassungsdelikt Maiwald, Handlungseinheit, S. 108 f., und allgemein ablehnend Mitsch, JuS 1993, 387, der Tateinheit annimmt, sowie Puppe, JR 1985, 246 f., und SK-StGB6-Samson/Günther [03/1995], Vor § 52 Rn. 40, die für die Frage des Vorliegens einer „Unterlassenseinheit“ auf die [nahezu] zeitgleiche Verwirklichung der Handlungspflichten abstellen wollen. 1425 Struensee, Konkurrenz, S. 60. Vgl. in diesem Zusammenhang zu der Ansicht, das Unterlassen sei phänomenologisch ein „Nichts“, auch Puppe, JR 1985, 246, mit der ironischen Frage, „Wie viele Nichtse gibt es denn?“ [weitere Nachweise dies., ebenda, Fn. 13], und Walter, ZStW 116 [2004], 558, mit der Feststellung, jedes Verhalten enthalte „unzählige Unterlassungsmomente“. 1426 Androulakis, S. 105 f.; Maiwald, Handlungseinheit, S. 106; Struensee, Konkurrenz, S. 37 f., 59 f.; Roxin, AT II, § 33 Rn. 61; vgl. zu dem Themenkomplex schon oben im 4. Teil: D. IV. 2. d) dd) (4) die Darstellung ab S. 333. 1427 Einem Imstichlassen folgen stets – bei Versäumen weiterer Hilfsmöglichkeiten – weitere Fälle eines Imstichlassens nach. 1428 Nachweise im 4. Teil: E. II. 1. b) bb) (1) in Fn. 1236.

E. Verhältnis der beiden Tathandlungen zueinander und ihre Abgrenzung 391

So wäre jede Entscheidung der Gerichte zu Dauerdelikten1429 fehlerhaft; hier hätte in jedem Fall die Phase, in der die Aufhebung der tatbestandsmäßigen Situation noch möglich war, in die Beurteilung der Strafbarkeit des Täters als Unterlassen strafschärfend einbezogen werden müssen1430. Die Richtigkeit der Auffassung unterstellt, die von der zwingenden Abfolge von Versetzen und Imstichlassen ausgeht, müsste neben der Verurteilung wegen Tuns in jedem Moment, wo ein Täter den Rücktritt unterlassen hat1431, eine Strafbarkeit wegen unechten Unterlassens vorgelegen haben. Hier müsste sich die Rechtsprechung – wenn es sich wirklich um tatbestandsmäßiges Unterlassen handeln würde – auch mit dem Unterlassen befassen, da nach Ansicht der Rechtsprechung auch Taten, die auf der Ebene der Konkurrenzen zurücktreten, für die Strafzumessung von Belang sein können1432. 1429 Dauerdelikte zeichnen sich nach überwiegender Ansicht dadurch aus, dass der Täter den von ihm in deliktischer Weise geschaffenen rechtswidrigen Zustand willentlich aufrechterhält oder die deliktische Tätigkeit ununterbrochen fortsetzt, so dass sich der strafrechtliche Vorwurf sowohl auf die Herbeiführung als auch auf die Aufrechterhaltung des rechtswidrigen Zustandes bezieht. Vgl. BGHSt 36, 255 [257 f.]; 42, 215 [216]; Jescheck/Weigend, AT5, § 66 II 3; SK-StGB6-Samson/Günther [03/1995], Vor § 52 Rn. 49; Roxin, AT II, § 33 Rn. 22; MüKo-StGB-von Heintschel-Heinegg, § 52 Rn. 28; LK-StGB12-Rissing-van Saan [06/2006], Vor § 52 Rn. 22, 49; Schönke/Schröder-StGB27-Stree/Sternberg-Lieben, Vorbem §§ 52 ff. Rn. 27; Lackner/Kühl, StGB26, Vor § 52 Rn. 11; Tröndle/Fischer, StGB54, Vor § 52 Rn. 58; Wessels/Beulke, AT37, Rn. 32; differenzierend Struensee, Konkurrenz, S. 57 f. Die herrschende Meinung stellt Schmitz, S. 21 ff., 43 ff., dar und erarbeitet auf S. 64 f., 243, einen eigenen Definitionsansatz. Dem Dauerdelikt wird das sog. Zustandsdelikt gegenübergestellt, bei dem auch ein rechtswidriger Zustand herbeigeführt wird, aber mit der Herbeiführung desselben die Tat abgeschlossen ist; SKStGB6-Samson/Günther [03/1995], Vor § 52 Rn. 49; Schmitz, S. 21; Schönke/ Schröder-StGB27-Stree/Sternberg-Lieben, Vorbem §§ 52 ff. Rn. 82; Lackner/Kühl, StGB26, Vor § 52 Rn. 11; Tröndle/Fischer, StGB54, Vor § 52 Rn. 58; Wessels/ Beulke, AT37, Rn. 33. 1430 Ebenso wäre eine Vielzahl weiterer Entscheidungen fehlerhaft, in denen nicht sofort der Taterfolg eingetreten ist, sondern bis zur Vollendung noch eine gewisse Zeitspanne vergehen musste. Beispiele hierfür sind diejenigen Fälle, in denen der Taterfolg eines Tötungsdelikts nicht umgehend eingetreten ist, sondern eine Rettung des Opfers noch möglich gewesen wäre; vgl. beispielhaft nur BGHSt 37, 40 ff.; BGH StV 1986, 60 f.; NStZ 2001, 29 ff. Letztlich kann man hier sogar die „Rechtsprechungsklassiker“ der letzten Jahre wie „Giftfalle“ [BGHSt 43, 177 ff.], „Sprengfalle“ [BGH NStZ 1998, 294 f.] und „Stromfalle“ [BGH NStZ 2001, 475 ff.] heranziehen, weil auch dort vor Erfolgseintritt noch Hilfe möglich war. 1431 Auch hier abermals die Frage: Wie viele Unterlassenstaten sollen das sein? Vgl. zu dieser Frage schon soeben im 4. Teil: E. III. 2. b) cc) (1) die Darstellung auf S. 390 [Nachweise ebenda in Fn. 1425]. 1432 Zahlreiche Fundstellen zu der Thematik sind im 4. Teil: E. III. 2. b) bb) (1) (a) in Fn. 1337 zu finden.

392 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

Da solche Ausführungen in den Urteilen aber nicht zu finden sind, gibt es nun einerseits die Möglichkeit, dass die Rechtsprechung – seit Jahrzehnten – fehlerhaft ist, oder andererseits die Vermutung, dass der Ansicht, die aus dem aktiven Tatbeitrag eine Ingerenzgarantenstellung herleitet und vom Grundsatz einer zwingenden Abfolge von Versetzen und Imstichlassen ausgeht, ein Fehler bei dieser Konstruktion unterlaufen ist. (2) Eindeutigkeit und Klarheit der hier vertretenen Ansicht Abschließend kann noch ein weiteres Argument für das Exklusivitätsverhältnis der Tathandlungen vorgebracht werden: Durch die hier dargelegte Ansicht wird die Klärung des „Verhältnisses“ ein eindeutiger und einfacher Vorgang: Wenn man ein strafbares Versetzen bejaht hat, hat es damit sein Bewenden; das weitere Verhalten des Täters hat – jedenfalls für eine Strafbarkeit aus § 221 Abs. 1 StGB – keine Bedeutung mehr. Vor allem muss man sich aber – im Gegensatz zu der Ansicht, die jedem Versetzen ein Imstichlassen nachfolgen lassen will – auch nicht mehr mit der Frage befassen, wann welche Tatvariante vorrangig ist und wann nicht. So schafft man eine allgemeine Aussage zum Verhältnis und vermeidet das Arbeiten mit einem „Grundsatz“, von dem man in bestimmten Fällen – z. B. im „Bergsteiger-“ oder „Krankenschwester-Fall“ – Ausnahmen machen müsste. Vielmehr wird so eine Auslegung der Norm ermöglicht, die einen klaren Anwendungsbereich beider Tatvarianten eröffnet. dd) Einwände gegen das vom Verfasser hergeleitete Verständnis Nun könnte man möglicherweise gegen das hier bevorzugte Verständnis zum Verhältnis der beiden Tathandlungen einwenden, es würde zu Strafbarkeitslücken für Täter führen. Im Bereich täterschaftlichen Handelns werden aber genau dieselben Verhaltensweisen erfasst wie von der Ansicht, die ein Versetzen und ein nachfolgendes Imstichlassen annimmt – allerdings als Versetzen oder Imstichlassen, niemals aber als Versetzen und (nachfolgendes) Imstichlassen. Strafbar ist also das gesamte Verhalten des Täters, nur eben nicht zusätzlich ein Imstichlassen in der Phase der unterlassenen Hilfsmöglichkeiten. Straflos sind diese Verhaltensweisen also nicht, sie werden nur unter eine andere bzw. ausschließlich unter eine Tatvariante der Aussetzung subsumiert1433. 1433

Vgl. zum Argument drohender Strafbarkeitslücken allgemein Simon, S. 185, der darauf hinweist, dass „die Lücken in der Regel nicht schwer“ wiegen und es kaum jemals „um die Situation Strafbarkeit oder Freispruch“ geht.

E. Verhältnis der beiden Tathandlungen zueinander und ihre Abgrenzung 393

Es gibt nur eine Fallkonstellation, die nicht zu einer Strafbarkeit aus § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB führt: In den – wohl rein akademischen und – höchst seltenen Fällen, in denen ein schuldunfähiger Täter, der zuvor kein Garant war, das Opfer vorsätzlich in eine hilflose Lage versetzt, dann seine Schuldfähigkeit wieder erlangt und dennoch nicht handelt, entsteht nach diesem Konzept eine Strafbarkeitslücke, weil wegen des vorsätzlichen Handelns eben keine Garantenstellung anzunehmen ist1434. Daneben könnten lediglich im Bereich der Teilnahme kleinere Lücken bestehen: Da das Versetzen mit Eintritt der Gefahr vollendet ist und das nachfolgende Verhalten kein eigenständiges Imstichlassen darstellt1435, kann jedenfalls nach Eintritt der Gefahr keine erneute Verwirklichung der Aussetzung in der Variante des Imstichlassens erfolgen. Würde man nun die Figuren der „sukzessiven Beihilfe“ bzw. „sukzessiven Mittäterschaft“ in der Phase zwischen Vollendung und Beendigung ablehnen1436, hätte man in diesem Abschnitt der Tatbegehung keinen Anknüpfungspunkt mehr für eine Strafbarkeit des hinzukommenden Gehilfen oder Mittäters und es könnten wirklich gewisse Strafbarkeitslücken entstehen. Es wird zugegeben, dass durch die Verkürzung dieser „Nachphase“ der Aussetzung beim hier dargestellten Verhältnis der Tathandlungen möglicherweise Strafbarkeitslücken bei der Teilnahme entstehen, aber „Lücken“ bei der Teilnahme sind – wie zuvor betont – kein tragfähiges Argument, um die Strafbarkeit des Täters weiter auszulegen1437, sondern nur eine mittelbare Auswirkung, die zwar durch die Auslegung entsteht, die aber für die Frage, ob ein Tatbestand zutreffend ausgelegt ist, außer Betracht zu bleiben hat. Das Schließen von Strafbarkeitslücken ist Aufgabe des Gesetzgebers, nicht aber – auch wenn es vielfach als Argument angeführt wird – Ziel der Auslegung eines Tatbestandes oder eines Tatbestandsmerkmals1438. 1434 Ob hier eine Ausnahme vom dem erarbeiteten Grundsatz „Ausschluss einer Ingerenzgarantenstellung bei vorsätzlichem Vorverhalten“ gemacht werden kann oder ob sich hier nur zeigt, dass die gesamte Ingerenz-Dogmatik gerade nicht auf vorsätzliches Vorverhalten zugeschnitten ist, kann hier keiner Klärung zugeführt werden. 1435 Zu diesem Themenkomplex vgl. auch 4. Teil: G. III. 1436 Was die überwiegende Ansicht aber nicht einmal tut! Vgl. zur überwiegenden Ansicht BGHSt 6, 248 [251]; 19, 323 [325]; BGH NStZ 1999, 609 [610]; 2000, 31; 2003, 33; NStZ-RR 1999, 208; Jescheck/Weigend, AT5, § 64 III 2b; Schönke/ Schröder-StGB27-Cramer/Heine, § 27 Rn. 17; Tröndle/Fischer, StGB54, § 27 Rn. 4; Wessels/Beulke, AT37, Rn. 583; a. A. SK-StGB7-Hoyer [10/2000], § 27 Rn. 18; Roxin, AT II, § 25 Rn. 219 ff., § 26 Rn. 257 ff.; NK-StGB2-Schild, § 27 Rn. 17; differenzierend MüKo-StGB-Joecks, § 27 Rn. 17 ff. 1437 Simon, S. 517 f.; zu der Thematik schon im 4. Teil: E. III. 2. b) bb) (2) (b) die Ausführungen auf S. 382. 1438 Krey, ZStW 101 [1989], 871 f.; Simon, S. 467 ff., 516 f.

394 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

c) Vorrang von § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB nach Arzt für jegliches Unterlassen Abschließend ist kurz die These aufzugreifen, bei der neuformulierten Aussetzung liege einer „der seltenen Fälle vor, in denen der Unterlassenskonstruktion gegenüber der Begehungsalternative Priorität“ zukomme, d.h. die Ansicht, das Imstichlassen sei grundsätzlich vorrangig vor dem Versetzen1439. Es geht hier also nicht um die Frage, ob eine bestimmte Verhaltensweise ein Tun oder Unterlassen darstellt, sondern darum, an welches Verhalten man die strafrechtliche Verantwortlichkeit primär anknüpfen muss1440. Das vorrangige Anknüpfen an das Imstichlassen, wie von Arzt bevorzugt, scheint indes schwer durchführbar, läuft diese Ansicht doch dem Grundsatz zuwider, bei Vorliegen eines Tuns und nachfolgendem Unterlassen – sog. Sukzession von Verhaltensweisen1441 – für die Beurteilung der Strafbarkeit vorrangig auf das Tun abzustellen, soweit diese Handlung mit Blick auf den Unrechtsgehalt gleichwertig, rechtswidrig und schuldhaft ist1442. Hierbei wird das Unterlassen dann teils schon als nicht tatbestandsmäßig angesehen1443, meistens jedoch als nachrangig auf Konkurrenzebene1444. Die 1439 So wörtlich Arzt/Weber, BT, § 36 Rn. 8; ähnlich Lackner/Kühl, StGB26, § 221 Rn. 3. Für einen Vorrang der zweiten Tatvariante bei Fällen des Unterlassens ist NK-StGB2-Neumann, § 221 Rn. 45. 1440 Zur Trennung dieser Fragen vgl. Stoffers, Schwerpunkt, S. 125; SK-StGB7Rudolphi [09/2000], Vor § 13 Rn. 7; Gropp, Schlüchter-GedS, S. 176. 1441 Grünwald, S. 21; Engisch, FS Gallas, S. 165; Welp, S. 116 ff.; Volk, FS Tröndle, S. 222; Wilhelm, S. 27 ff.; Stoffers, GA 1993, 275; Roxin, FS Spinellis, S. 954 f. 1442 So ausdrücklich BGH, Urteil vom 12.12.1995 – 1 StR 571/95 – unter B.1.b [insoweit in BGHR StPO § 53 Schweigepflicht 1 (Gründe) nicht abgedruckt]: „Liegt eine Tatbegehung durch aktives Verhalten vor, so ist kein Raum für die Annahme einer Begehung der Tat durch Unterlassen“. Ähnlich auch SK-StGB7-Rudolphi [09/2000], Vor § 13 Rn. 7; Lackner/Kühl, StGB26, Vor § 13 Rn. 31a; Tröndle/Fischer, StGB54, Vor § 13 Rn. 11. 1443 Neben den soeben in Fn. 1442 Genannten auch noch Jescheck/Weigend, AT5, § 58 II 2; Gropp, AT3, § 11 Rn. 64, und wohl auch NK-StGB2-Wohlers, § 13 Rn. 7. 1444 So die wohl überwiegende Ansicht unter Annahme verschiedener Arten der Gesetzeskonkurrenz: für mitbestrafte Nachtat Schlüchter, JuS 1976, 797; Rudolphi, FS Jescheck, S. 566; für Subsidiarität LK-StGB10-Vogler [09/1978], Vor § 52 Rn. 126; Seelmann, JuS 1987, L 35; Walter, ZStW 116 [2004], 573, 583 f.; für Konsumtion Grünwald, S. 22; Welp, S. 117; differenzierend Stoffers, Schwerpunkt, S. 280 f., 324 ff., 337 ff.; für Gesetzeskonkurrenz [ohne weitere Festlegung] Schmidhäuser, AT2, Kap. 16 Rn. 109; Stein, JR 1999, 267 Fn. 24; SK-StGB7-Rudolphi [09/2000], Vor § 13 Rn. 7; Roxin, AT II, § 31 Rn. 78, 96 ff.; MüKo-StGBFreund, § 13 Rn. 279.

E. Verhältnis der beiden Tathandlungen zueinander und ihre Abgrenzung 395

Entscheidung zwischen diesen Ansichten spielt hier keine Rolle, weil nach beiden Ansichten jedenfalls die Strafbarkeit aus dem als vorrangig anzusehenden Tun zu erfolgen hat und deshalb auf dieses abzustellen ist1445. Da die These von Arzt – sogar nach seinen eigenen Worten – einen der „seltenen Fälle“ und daher eine ungewöhnliche Abweichung vom Normalfall darstellt1446, ist sie begründungsbedürftig. Eine Begründung bleibt Arzt jedoch schuldig. Ein allgemeiner Vorrang des Imstichlassens vor dem Versetzen kann aber – ohne Begründung – nicht einfach akzeptiert werden. d) Fazit und Folgen für das Verhältnis der beiden Tathandlungen n. F. Mithin bleibt als Endergebnis zum Verhältnis der beiden Tathandlungen festzuhalten: Innerhalb derselben Lebenssituation können die beiden Tatvarianten n. F. weder gleichzeitig noch aufeinander folgend verwirklicht werden. Die beiden Tathandlungen stehen im Verhältnis der tatbestandlichen Exklusivität. Liegt ein volldeliktisches Versetzen vor, so ist nur dieses strafbar. Ein nachfolgendes Imstichlassen i. S. des § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB gibt es dann gar nicht. Dem Imstichlassen der zweiten Tatalternative kommt damit eine Auffangfunktion zu: § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB ist nur dann zu prüfen, wenn kein Versetzen durch Tun oder Unterlassen gegeben ist. Sein Anwendungsbereich erfasst damit in erster Linie diejenigen Fälle, in denen Garanten, weil Tatbestand, Rechtswidrigkeit oder Schuld nicht vorliegen, nicht aus § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB bestraft werden können1447 1445 Umfassende Darstellung der verschiedenen Lösungsansätze für die strafrechtliche Behandlung mehrdeutiger Verhaltensweisen bei Stoffers, Schwerpunkt, S. 142 ff. 1446 Zum Ausweichen auf die Prüfung eines Unterlassens anstelle eines Tuns aufgrund „angeblicher vortatbestandlicher Gesichtspunkte“ vgl. auch Haas, S. 112. 1447 Beispiel: Im Rahmen eines verbalen Streites droht die Ehefrau ihrem Mann, dem Täter T, für diesen vollkommen überraschend mit Auszug und Mitnahme der gemeinsamen, von T „heiß geliebten“ Tochter. Aufgrund der psychischen Ausnahmesituation gerät T – für ihn unvorhersehbar und nicht verschuldet – in einen panikartigen, hochgradigen und asthenischen Affektzustand, der seine Schuldfähigkeit i. S. v. § 20 StGB ausschließt. In diesem Zustand ergreift er sein Kind, um es der Frau zu entziehen und bei sich zu behalten, und rennt in den neben dem Haus gelegenen Wald. Dort droht dem nur unzureichend bekleideten Kind aufgrund der winterlichen Witterung der Tod. Für die Herbeiführung dieser Lage ist T mangels Schuldfähigkeit strafrechtlich nicht verantwortlich und damit kann die Herbeiführung der Lage nicht geahndet werden. Endet jedoch der Zustand des – die Schuldfähigkeit ausschließenden – Affekts des T aber vor Realisierung der Gefahr für sein Kind, so greift seine Garantenpflicht aus elterlicher Sorge ein. Er ist verpflichtet, das Opfer wieder aus der hilflosen Lage zu befreien. Tut er dies nicht, so hat T das Opfer i. S. der weiten Auslegung des § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB im Stich gelassen, weil er durch sein Nichthandeln die bestehende Schutzverpflichtung verletzt hat.

396 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

oder – was „praktisch“ der Hauptanwendungsfall sein dürfte – in denen Garanten erst nach dem Eintritt der hilflosen Lage – entstanden durch das Verhalten des Opfers selber, durch dritte Personen oder durch Zufall – hinzukommen und dennoch nicht handeln. Ein Nicht-Garant kann eine Aussetzung gem. § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB nur durch positives, vorsätzliches Tun verwirklichen. Ausschließlich dieses Verhalten ist dann strafbar. Wird der Nicht-Garant aber durch fahrlässiges Versetzen in hilflose Lage, das § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB nicht verwirklicht, zum Ingerenzgaranten, so kann er eine Aussetzung aus § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB realisieren. Dann ist sein Verhalten jedoch auch nur nach dieser zweiten Tatvariante strafbar. Versetzt ein Garant ein Opfer durch Tun oder Unterlassen in hilflose Lage, so stellt das ungenutzte Verstreichenlassen von Hilfsmöglichkeiten kein strafbares Imstichlassen dar, sondern nur das Nichtnutzen der Möglichkeit, vom beendeten Versuch zurückzutreten. Damit haben § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB und § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB je eigene Anwendungsbereiche, die sich deutlich voneinander trennen lassen. Zuzugeben ist, dass damit Fälle der zweiten Tatalternative – möglicherweise auch solche, die man früher als „klassische Fälle des Verlassens“ bezeichnen konnte – in die erste Tatvariante „abwandern“. Dies ist aber in erster Linie eine Folge der Änderung der Norm durch das 6. StrRG und der damit verbundenen und erforderlichen Neuauslegung der Norm. Dieses Resultat deckt sich in der Sache übrigens mit der zuvor erörterten Ansicht1448 zu § 221 Abs. 1 StGB a. F., wonach sich das Aussetzen und das Verlassen deshalb ausschlossen, weil jedem Aussetzen auch ein Element des Verlassens innewohne; nur zusammen mit einem solchen „Verlassen“ liege tatbestandsmäßig ein Aussetzen vor. Das Verlassen war also „sinnlogischer Bestandteil“ des Aussetzens, beide Tathandlungen schlossen sich daDies ist dann Imstichlassen i. S. des § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB und nicht Versetzen durch Unterlassen, da die Lage ja im Zeitpunkt der Beendigung des – die Schuldfähigkeit ausschließenden – Affekts schon bestand. Zu Fragen und Problemen des Affekts als Anwendungsfall von § 20 StGB vgl. z. B. BGHSt 11, 20 [23 ff.]; BGH NStZ 1997, 232 [232 f.]; StV 2001, 228 [229 f.]. Ausführlichst zu der Thematik Theune, NStZ 1999, 273 ff., sowie ders. in seinen jährlichen Rechtsprechungsübersichten „Die Beurteilung der Schuldfähigkeit in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes“ in NStZ-RR 2003, 225 [227]; 2004, 161 [164]; 2005, 225 [228 ff.]; 2006, 329 [330 f.]; 2007, 161 [164 f.]. Aus der Kommentarliteratur statt aller MüKo-StGB-Streng, § 20 Rn. 75 ff.; Schönke/SchröderStGB27-Lenckner/Perron, § 20 Rn. 15 f.; Tröndle/Fischer, StGB54, § 20 Rn. 30 ff.; kritisch zum Ausschluss der Schuld bei Affekten NK-StGB2-Schild, § 20 Rn. 77 ff., 84. 1448 Vgl. die Darstellung im 4. Teil: E. I. 1.

E. Verhältnis der beiden Tathandlungen zueinander und ihre Abgrenzung 397

mit gegenseitig aus. Dieses Verhältnis der Exklusivität der beiden Tathandlungen besteht im Ergebnis zwar auch heute weiterhin. Jedoch beruht dieses Resultat nicht mehr auf der These, dass jedem Aussetzen ein „Verlassen“ inhärent ist, sondern auf der Tatsache, dass das einem Versetzen nachfolgende Verhalten des Täters keine eigenständige Strafbarkeit zu begründen vermag. Ergänzend sei noch darauf hingewiesen, dass dieses Konzept – mit der Annahme einer Auffangfunktion für die zweite Tatvariante – auch einer weiteren Tatsache gerecht wird: § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB ist speziell vertatbestandlichtes unechtes Unterlassungsdelikt; die Haftung wegen Unterlassens hat – unter beweisrechtlichen Aspekten – eine wichtige Auffangfunktion, wenn der Nachweis des Begehungsdelikts scheitert1449. 3. Die Abgrenzung der Tathandlungen: Der Unterschied zwischen Versetzen und Imstichlassen Einem vorsätzlichen und strafbaren Versetzen in eine hilflose Lage kann nach alledem niemals i. S. des § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB ein Imstichlassen in hilfloser Lage nachfolgen. Mit dieser Bestimmung zum Verhältnis der Tathandlungen ist eine erste Aussage zur Abgrenzung derselben verbunden: Liegt nämlich ein Versetzen der soeben beschriebenen Art vor, ist ein Imstichlassen nicht mehr zu prüfen; es kann schon tatbestandlich nicht mehr vorliegen. Noch offen und nunmehr zu klären ist jetzt die Frage: Welche Verhaltensweisen stellen ein Versetzen, welche ein Imstichlassen dar? Eines kann man bereits festhalten: Die Abgrenzung der Tathandlungen a. F. nach der Art der Bewegung des Täters bzw. Opfers ist nicht mehr durchführbar1450, weil die räumlichen Komponenten in den Tathandlungen weggefallen sind und die geänderte Norm keine Vorgaben für tatbestandsmäßiges Verhalten macht1451. Zudem kann und darf – wie schon oben gesagt1452 – das Ergebnis zur Abgrenzung nicht dazu führen, dass eine Tatvariante ohne jeden Anwendungsbereich verbleibt1453. 1449 NK-StGB1-Seelmann [07/1994], § 13 Rn. 9; MüKo-StGB-Freund, § 13 Rn. 294; beide m. z. N. 1450 Vgl. hierzu oben 4. Teil: E. I. 2. 1451 Vgl. 4. Teil: C. III. 1452 Vgl. 4. Teil: E. III. 1. 1453 Eine Befürchtung, die übrigens nicht neu ist. Prestel, S. 35, schrieb zu den Entwürfen der Aussetzung im E 1925 und E 1927: „Es besteht sohin die Befürchtung, daß der Gesetzgeber, in dem Bestreben, den manchmal unbefriedigenden Begriff des ‚Verlassens‘ zu verbessern, dahin kommt, daß der erste Tatbestand des Aussetzungsdeliktes als leere Formel im Gesetzbuche steht, und der zweite Tat-

398 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

a) Notwendigkeit einer Abgrenzung der beiden Tathandlungen Ist die Abgrenzung der beiden Tathandlungen aber überhaupt erforderlich? Wozu diese Frage klären, wenn „§ 221 I Nr. 1 normalerweise nicht vorliegen kann, ohne dass auch § 221 I Nr. 2 erfüllt ist“1454? Ist es dann nicht sinnvoller, den Autoren zu folgen, die eine der beiden Tatvarianten schlichtweg für überflüssig halten1455? Schließlich wurde ja auch in der eigenen Betrachtung zum Verhältnis festgestellt, dass nahezu keine Strafbarkeitslücken mehr auftreten und § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB eine Auffangfunktion in den Fällen hat, in denen die erste Tatvariante nicht volldeliktisch verwirklicht wird. Zudem spielt es in der täglichen Praxis keine wesentliche Rolle, ob die erste oder zweite Tatalternative angenommen wird; viel wichtiger ist hauptsächlich die Frage, ob dem Täter überhaupt die strafbare Handlung nachgewiesen werden kann. Trotzdem kann die Frage der Abgrenzung der beiden Tathandlungen nicht offen gelassen werden1456. Nur weil sich ein Problem heute in der Praxis selten stellt, kann dessen Klärung nicht unterbleiben, denn möglicherweise wird es sich in Zukunft stellen. Zusätzlich hat die Frage, welche der beiden Tatvarianten bejaht wird, auch für die Praxis durchaus Bedeutung: Die Frage, welche der beiden Tathandlungen anzunehmen ist, hat Auswirkungen auf die Beurteilung, wann das unmittelbare Ansetzen zum Versuch bei § 221 Abs. 2/3 StGB anzunehmen ist1457; und je nachdem welche Tathandlung einschlägig ist, sind Notrechte gegen den Angriff oder die Gefahr, die von der Tathandlung ausgeht, schon möglich oder eben noch nicht1458. Letztlich ist die Frage, welche Tatvariante angenommen wird, auch von Belang für die Strafzumessung: Während die überwiegende Meinung beim unechten Unterlassungsdelikt zu § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB dem Täter die fakultative Strafmilderung des § 13 Abs. 2 StGB gewähren will, versagt sie diese bei § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB1459.

bestand hauptsächlich nur dann erfüllt werden kann, wenn es sich um keinen Fall der ‚Aussetzung‘ handelt.“ 1454 Arzt/Weber, BT, § 36 Rn. 8. 1455 Vgl. die Nachweise in 4. Teil: E. II. 1. b) bb) (1) Fn. 1237 und 1238. 1456 Anders Lucks, S. 229, die eine klare Abgrenzung der beiden Tathandlungen für die Praxis als „unerheblich“ ansieht. 1457 Hierzu später ausführlicher im 4. Teil: F. II. 3. 1458 Hierzu schon im 4. Teil: C. II. 5. d) sowie im 4. Teil: D. IV. 1. b) bb) (1). 1459 Arzt/Weber, BT, § 36 Rn. 3; Laue, S. 110, 115 f.; SK-StGB7-Horn/Wolters [03/2002], § 221 Rn. 6 a. E.; Lucks, S. 180, 220; MüKo-StGB-Hardtung, § 221 Rn. 2, 30; NK-StGB2-Neumann, § 221 Rn. 4, 20, 27; a. A. Roxin, AT II, § 31

E. Verhältnis der beiden Tathandlungen zueinander und ihre Abgrenzung 399

b) Kritik an den bestehenden Abgrenzungskonzepten Die bisher vorgelegten Konzepte zur Abgrenzung der beiden Tathandlungen scheinen aufgrund von Unvereinbarkeiten mit den Grundregeln des Strafrechts, mit strafrechtlichen Argumentationsmustern und mit der Entstehungsgeschichte der Norm nicht überzeugend. Dies ergibt sich aus ihren Auswirkungen bei konsequenter Beachtung ihrer eigenen grundlegenden Annahmen. aa) Möglichkeit der Begehung eines Versetzens durch unechtes Unterlassen Bei konsequenter Umsetzung der Ansicht, die den „Bergsteiger-“ und den „Krankenschwester-Fall“ als Imstichlassen ansehen will, müsste man im Grunde jedes Unterlassen von Hilfe eines Garanten unter die zweite Tatvariante subsumieren. Die Lage von Bergsteiger und Patient zeichnet sich durch ein Angewiesensein auf Bergführer und Krankenschwester als Garanten aus1460. Diese Abhängigkeit vom Garanten besteht grundsätzlich aber bei jeder Garantenstellung: Gerade weil das Opfer entweder besonders schutzbedürftig ist oder aber die Umwelt gegenüber dem Opfer Schutz braucht und der Garant diesen gewähren soll, ist es – aufgrund welcher Ursachen auch immer – auf den Garanten angewiesen und gerade deshalb ist eine Person Garant. Will man daher diese beiden Fälle immer als Imstichlassen ansehen, so müsste man folgerichtig jedes Unterlassen eines Garanten unter § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB subsumieren. Damit würde dann jedes positive Tun unter § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB fallen, jedes Unterlassen aber unter § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB. Ein solches Verständnis des Tatbestandes erscheint aber aus mehreren Gründen nicht vertretbar und sogar widersprüchlich: widersprüchlich, weil auch die Ansicht, die die Tathandlung im „Bergsteiger-“ und im „Krankenschwester-Fall“ als Imstichlassen deuten will, davon ausgeht, die erste Tatalternative könne als unechtes Unterlassungsdelikt i. S. des § 13 StGB verwirklicht werden1461; nicht vertretbar, weil ein Delikt, dessen erste Tatvariante nur das positive Tun beschreibt, die zweite dann das entsprechende Unterlassungsdelikt, ein Novum im StGB wäre. Ein solches Delikt existiert bisher nicht, und sollte die Schaffung eines solchen – gänzlich neuen – Deliktes 1998 der Wille des Gesetzgebers gewesen sein, so Rn. 250. An der Richtigkeit dieser überwiegenden Meinung zweifelnd DSNSStruensee, 2. Teil Rn. 42, 56 f.; Tröndle/Fischer, StGB54, § 221 Rn. 9. 1460 So ausdrücklich auch Lucks, S. 183, 206, 210, 227 f. 1461 Vgl. 4. Teil: C. II. 3. b).

400 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

hätte es in den Materialien eines entsprechenden Hinweises bedurft1462. Eine derartige Äußerung gibt es aber nicht. bb) Widerlegung der Deutung des § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB als Unterlassungstatbestand zu § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB Die Annahme, § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB sei der normierte (unechte) Unterlassungstatbestand zu § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB, scheitert schon am Wortlaut der beiden Tatvarianten: Das (Unterlassens-)Gegenstück zum Versetzen in eine hilflose Lage ist nicht das Imstichlassen in einer hilflosen Lage, sondern das Versetzen in eine hilflose Lage durch Unterlassen1463. Während das Imstichlassen das Vorliegen einer hilflosen Lage verlangt, wird diese beim Versetzen erst geschaffen. Warum dies nicht durch Unterlassen möglich sein soll, bedürfte einer Begründung. Schon an dieser Stelle scheitert daher die These, das Imstichlassen sei der Unterlassungstatbestand zum Versetzen. Außerdem wäre – falls obige Annahme zuträfe – die Neuschaffung einer hilflosen Lage durch Unterlassen nicht möglich, somit nur das zeitlich spätere Imstichlassen unter Strafe gestellt. Alles Unterlassen wäre unter § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB zu subsumieren, der das Vorliegen einer hilflosen Lage erfordert1464. Daneben läuft diese Annahme auch allgemeinen Strukturprinzipien des deutschen Strafrechts zuwider: Grundsätzlich wird das unechte Unterlassungsdelikt nicht im Besonderen Teil des StGB gesondert als zweite Tatvariante normiert, sondern ergibt sich über § 13 StGB aus dem Tatbestand des Begehungsdeliktes selbst1465. Damit wäre dem Gesetzgeber, wenn § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB das „genaue Pendant“ zu §§ 221 Abs. 1 Nr. 1, 13 StGB darstellen würde, ein schwerwiegender Fehler unterlaufen: Es läge nämlich eine sinnlose Doppelnormierung des Unterlassenstatbestandes der Aussetzung vor. Der Gesetzgeber hätte ein nicht durchdachtes Konstrukt er1462 Zu diesem und ähnlichen Aspekten bei der Schaffung neuer Delikte auch Fischer, ZStW 112 [2000], 94 f. 1463 Ebenso Jäger, JuS 2000, 33. So schon zu verschiedenen Reformentwürfen von 1913–1930 Redlich, S. 48 f.; Lincke, S. 2, und Heilbrunn, S. 30. A. A. zu § 230 E 1925 aber Aschrott/Kohlrausch-Radbruch, S. 313 f. 1464 Dem – zu Recht – nicht zustimmend Jäger, JuS 2000, 33. Zum zeitlichen Verhältnis von Versetzen und Imstichlassen aufgrund des Wortlauts von § 221 Abs. 1 StGB im 4. Teil: C. II. 5. d) [Nachweise ebenda in Fn. 623]. 1465 Roxin, AT II, § 31 Rn. 16; Gropp, AT3, § 11 Rn. 8; Kühl, AT5, § 18 Rn. 2; NK-StGB2-Wohlers, § 13 Rn. 1; Schönke/Schröder-StGB27-Stree, Vorbem §§ 13 ff. Rn. 135.

E. Verhältnis der beiden Tathandlungen zueinander und ihre Abgrenzung 401

zeugt. Ein solches Verhalten zu unterstellen, erscheint unangemessen, da man nach aller Erfahrung davon ausgehen kann, dass der Gesetzgeber sinnvolle Normen schafft1466. Ein Fehler oder Irrtum des Gesetzgebers scheint zwar nicht gänzlich ausgeschlossen oder unmöglich. Bevor man aber hiervon ausgeht, sollte im Wege der Auslegung versucht werden, den vorhandenen Gesetzestext mit möglichst wenig „Reibungsverlusten“ in die Dogmatik und Systematik des StGB einzufügen. Und dies erscheint – wie sich noch zeigen wird – durchaus möglich, auch wenn man von der Möglichkeit der Begehung der ersten Tatvariante durch Unterlassen ausgeht. cc) Ausschluss der Milderungsmöglichkeit von § 13 Abs. 2 StGB Mit der Subsumtion der im vorhergehenden Abschnitt angesprochenen Fälle des Unterlassens unter § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB wird auch dessen Strafrahmen einschlägig. Die überwiegende Meinung lehnt für das Imstichlassen eine Milderungsmöglichkeit nach § 13 Abs. 2 StGB ab1467, d.h. das Verhalten des Täters wird dem Regelstrafrahmen des § 221 Abs. 1 StGB unterstellt – ohne Möglichkeit einer Milderung. Hingegen soll in den Fällen des Versetzens durch Unterlassen i. S. v. § 221 Abs. 1 Nr. 1, 13 StGB1468 diese fakultative Möglichkeit bestehen. Zwar ist die Milderung des § 13 Abs. 2 StGB nur fakultativ, die Annahme steht mithin im Ermessen des Tatrichters; aber der Täter, dem zumindest die Möglichkeit dieser Milderung eröffnet wird, steht zweifellos besser da als derjenige, dem sie verschlossen ist. Schließlich muss sich der Richter mit Annahme oder Ablehnung der Milderung in den Urteilsgründen befassen und auseinandersetzen1469. Von diesen Überlegungen ausgehend ergeben sich einige Fragen: Wieso soll der Bergführer, der seelenruhig nichts dagegen tut, dass sein Schützling 1466 „Denkbar“ wäre höchstens die – nicht vertretene – Annahme, dass es sich bei § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB um ein lex specialis zu § 13 StGB handeln könnte. Vgl. auch MüKo-StGB-Schäfer, § 123 Rn. 26, zu der beim Hausfriedensbruch vertretenen Ansicht, dass § 123 Abs. 1 Alt. 2 StGB das unechte Unterlassungsdelikt zu § 123 Abs. 1 Alt. 1 darstellt: „Diese Auslegung mag zwar um eine harmonische Auslegung des § 123 bemüht sein, sie lässt sich aber nur schwer mit der allgemeinen Dogmatik in Einklang bringen.“ 1467 Vgl. die Fundstellen im 4. Teil: E. III. 3. a) in Fn. 1459. 1468 Vgl. die Darstellung und Fallgruppen oben im 4. Teil: C. II. 3. b) bb) am Ende [Nachweise dort in Fn. 508]. 1469 BGH StV 1984, 205; NStZ 1985, 30; BGHR § 49 I Strafrahmenverschiebung 3; StGB § 49 Abs. 2 Ermessen 1; SK-StGB7-Horn [01/2001], § 46 Rn. 68; MüKoStGB-Franke, § 49 Rn. 8; NK-StGB2-Lemke, § 49 Rn. 9; LK-StGB12-Theune [06/2006], § 49 Rn. 25; Schönke/Schröder-StGB27-Stree, § 49 Rn. 7; Tröndle/ Fischer, StGB54, § 49 Rn. 2.

402 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

sich in eine für ihn zu gefährliche Felswand begibt1470, eine Milderungsmöglichkeit bekommen, während dem Bergführer, der den Kunden in dieser Felswand zurücklässt und weggeht, diese Möglichkeit versagt wird? Ein wesentlicher Unterschied zwischen den Verhaltensweisen ist nicht ersichtlich1471. Ebenso müsste der Krankenschwester, die tatenlos zuschaut, wie ihr Patient von Dritten in eine tatbestandliche Gefahr i. S. v. § 221 Abs. 1 StGB gebracht wird, die Möglichkeit der Milderung gewährt werden, wohingegen die Krankenschwester, die neben dem Bett sitzt und trotz eines sich verschlechternden Gesundheitszustands des Patienten nicht einschreitet, unter § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB ohne die Möglichkeit gem. § 13 Abs. 2 StGB fällt. Diese Unterscheidung scheint willkürlich und kaum nachvollziehbar: Ist das Nichthandeln beim sich verschlechternden Gesundheitszustand im Grunde nicht mit dem Gewährenlassen von Naturgewalten, Zufällen oder Dritten – obwohl man einschreiten kann – vergleichbar? Was genau sollen Naturgewalten und Zufälle sein, die zum Versetzen durch Unterlassen führen? Ist nicht das Nichteinschreiten dem Gewährenlassen des Zufalls gleichzusetzen? Auf den Punkt gebracht: Die (Nicht-)Gewährung der Möglichkeit des § 13 Abs. 2 StGB in einigen Fällen der Aussetzung (durch Unterlassen) scheint dogmatisch nicht konsequent, wenn nicht sogar willkürlich zu sein1472, zumal wenn man diese Fälle mit denen vergleicht, in denen die Milderungsmöglichkeit nach überwiegender Ansicht verschlossen ist1473. Drei Lösungsansätze für diesen Widerspruch sind auszumachen: Ein kompletter Ausschluss der Milderungsmöglichkeit für beide Tathandlungen, eine analoge Anwendung des § 13 Abs. 2 StGB auf § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB oder die (möglichst) flächendeckende Gewährung der Möglichkeit zur Milderung. Zum ersten Ausweg: Die Annahme, § 13 Abs. 2 StGB sei auf §§ 221 Abs. 1 Nr. 1, 13 StGB nicht anwendbar, ist fragwürdig. Sie wäre schlichtweg eine täterbelastende und insoweit gem. Art. 103 Abs. 2 GG unzulässige Analogie zu Lasten des Täters. Der komplette Ausschluss des § 13 Abs. 2 StGB ist daher bei Annahme der Begehbarkeit des § 221 Abs. 1 1470

Beispiel nach Jäger, JuS 2000, 33. Insoweit zustimmend Lucks, S. 220. 1472 Ähnlich NK-StGB2-Neumann, § 221 Rn. 27, wenn er von „sinnwidrig“ spricht. 1473 Ähnlich Lucks, S. 77, mit der Feststellung, die Anerkennung von §§ 221 Abs. 1 Nr. 1, 13 StGB könne zu „Wertungswidersprüchen zwischen beiden Alternativen des Tatbestandes“ führen. 1471

E. Verhältnis der beiden Tathandlungen zueinander und ihre Abgrenzung 403

Nr. 1 StGB als unechtes Unterlassungsdelikt nicht möglich, d.h. wer die Möglichkeit zur Milderung komplett ausschließen will, muss alle Fälle der Aussetzung durch Unterlassen unter die zweite Tatvariante subsumieren. Dies jedoch ist – wie nachgewiesen – nicht möglich1474. Der zweite Ausweg über eine – zulässige, weil den Täter begünstigende1475 – Analogie wäre u. U. gangbar1476. Allerdings ist fraglich, ob in Anbetracht der dritten Möglichkeit von einer Regelungslücke gesprochen werden kann, die Analogie also zulässig wäre. Die Annahme einer Gesetzeslücke erscheint jedoch höchst zweifelhaft, wenn das Gesetz eine weitere gang- und vertretbare Lösungsmöglichkeit für das Problem eröffnet, die man im Wege der – zulässigen – Auslegung1477 ohne Weiteres anwenden kann1478: Es besteht grundsätzlich ein Vorrang der Auslegung vor der – zulässigen, täterbegünstigenden – Analogie im Strafrecht1479. Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass die analoge Anwendung von § 13 Abs. 2 StGB für verschiedene Delikte höchst kontrovers diskutiert wird und eine einheitliche Linie in Rechtsprechung und Literatur nicht aus1474

Vgl. hierzu schon oben 4. Teil: C. II. 5. g). Zur Zulässigkeit der täterbegünstigenden Analogie im Strafrecht vgl. BGHSt 37, 227 [230]; SK-StGB6-Rudolphi [06/1997], § 1 Rn. 25; MüKo-StGB-Schmitz, § 1 Rn. 55; Roxin, AT I4, § 5 Rn. 44; Schönke/Schröder-StGB27-Eser, § 1 Rn. 24; Tröndle/Fischer, StGB54, § 1 Rn. 10a; LK-StGB12-Dannecker [03/2007], § 1 Rn. 282 ff.; Wessels/Beulke, AT37, Rn. 52, 54. Speziell zum Bereich der Rechtfertigungsgründe und mit möglichen Gegenargumenten gegen eine Analogie zu Gunsten des Täters: Suppert, S. 193 f., 293 ff.; H.J. Hirsch, Analogieverbot, S. 408 f. 1476 Die Anwendungsvoraussetzungen einer Analogie zu Gunsten des Täters werden meistens nicht ausdrücklich angesprochen; vgl. jedoch LK-StGB12-Dannecker [03/2007], § 1 Rn. 282 ff., und Schlehofer, JuS 1992, 664, im Rahmen eines Fallbeispiels. Die begünstigende Analogie setzt aber – wie die verbotene Analogie zu Lasten des Täters – das Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke und das Bestehen einer Vergleichbarkeit der Rechtslage voraus. Vgl. zu den Voraussetzungen der verbotenen Analogie zu Lasten des Täters Jescheck/Weigend, AT5, § 15 III 2; Roxin, AT I4, § 5 Rn. 8; Lackner/Kühl, StGB26, § 1 Rn. 5; Tröndle/Fischer, StGB54, § 1 Rn. 10. 1477 Vgl. allgemein zur Abgrenzung und zum Unterschied von Auslegung und Analogie: Krey, ZStW 101 [1989], 841 ff.; SK-StGB6-Rudolphi [06/1997], § 1 Rn. 22, 28, 35; MüKo-StGB-Schmitz, § 1 Rn. 56 ff.; Roxin, AT I4, § 5 Rn. 26 ff.; Schönke/Schröder-StGB27-Eser, § 1 Rn. 35 ff.; Lackner/Kühl, StGB26, § 1 Rn. 7; Tröndle/Fischer, StGB54, § 1 Rn. 11; LK-StGB12-Dannecker [03/2007], § 1 Rn. 291 ff. Die Abgrenzung der beiden Begriffe halten NK-StGB2-Hassemer/Kargl, § 1 Rn. 95 ff., für ausgeschlossen. 1478 So auch SK-StGB6-Rudolphi [06/1997], § 1 Rn. 35; Schönke/SchröderStGB27-Eser, § 1 Rn. 24; LK-StGB12-Dannecker [03/2007], § 1 Rn. 283. 1479 Vgl. Krey, ZStW 101 [1989], 861, mit einem Modell von „drei Stufen“ richterlicher Rechtsfortbildung: Gesetzesauslegung, gesetzesergänzende Lückenfüllung und – soweit erlaubt – Analogie [ders., ebenda, S. 839 Fn. 7, m. w. N.]. 1475

404 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

zumachen ist1480. Für diese Frage eine endgültige Lösung zu finden, würde den Umfang der vorliegenden Arbeit deutlich überschreiten und von der eigentlichen Thematik wegführen. Mithin erscheint der dritte Ansatz einer (möglichst) weitgehenden Gewährung der Anwendungsmöglichkeit von § 13 Abs. 2 StGB der dogmatisch sicherste und überzeugendste Ausweg. Die widersprüchliche Anwendung bzw. Ablehnung des § 13 Abs. 2 StGB durch die Gegenansicht, je nach Fallgestaltung, besteht dann nicht1481. Diese möglichst weitgehende Gewährung ist in erster Linie über die Annahme von §§ 221 Abs. 1 Nr. 1, 13 StGB zu erreichen, zumindest in den Fällen, in denen der Täter die hilflose Lage durch Tun oder Unterlassen selbst geschaffen hat. dd) Unzureichende Berücksichtigung der Neufassung der Norm Daneben lässt die Subsumtion der Unterlassensfälle unter § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB einen weiteren Punkt unberücksichtigt: Obwohl die erste Tathandlung nach der Änderung durch das 6. StrRG weiter als zuvor ausgelegt wird, werden seltsamerweise die Fälle wie bisher auf die Tathandlungen „verteilt“. Geht man mit der überwiegenden Meinung davon aus, die erste Tathandlung sei durch das 6. StrRG auch auf nicht-räumliche Verhaltensweisen erweitert worden1482, so muss dies auch für die Begehung dieser Tathandlung durch Unterlassen gelten. Will man aber bestimmte Verhaltensweisen, wie sie z. B. im „Bergsteiger-“ oder „Krankenschwester-Fall“ vorliegen, allein mit Blick auf die vor dem 6. StrRG geltende Einordnung unter die zweite Tathandlung subsumieren, wie dies einige Autoren machen1483, so geht man über eine zuvor als zutreffend erachtete Tatsache – die Erweiterung der ersten Tathandlung – einfach hinweg. Dieses Vorgehen ist in sich nicht konsistent. Wenn die erste Tathandlung durch das 6. StrRG erweitert wurde, dann ist dies für Tun und Unterlassen zu beachten und es nicht zulässig, im Wege eines Einzelfallrechts bestimmte Fälle unter eine andere Tatvariante zu subsumieren. Wer nur den Einzelfall löst, legt nicht die Norm aus. Geht man aber so vor, bleibt die Annahme der Erweiterung der ersten Tatalternative eine Behauptung, die nicht stimmig und konsequent umgesetzt wird. Vielmehr bleiben die Vertreter dieser Ansicht letztendlich der Einordnung bestimmter Fälle der a. F. verhaftet. 1480

Vgl. die Nachweise im 4. Teil: C. II. 5. c) aa) (2) in Fn. 582. Ob wirklich gemildert wird, ist damit nicht vorgegeben; es besteht nur eine fakultative Möglichkeit einer Milderung. 1482 Vgl. 4. Teil: C. II. 2. b). 1483 Vgl. hierzu im 4. Teil: E. II. 2. a) bb) und im 4. Teil: E. II. 2. b) aa). 1481

E. Verhältnis der beiden Tathandlungen zueinander und ihre Abgrenzung 405

Wenn der Gesetzgeber – wovon diese Stimmen ausgehen – diese Verhaltensweisen wie bisher unter § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB eingeordnet wissen wollte, gleichzeitig aber das Versetzen i. S. v. § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB weiter als das Aussetzen nach § 221 Abs. 1 StGB a. F. zu verstehen sein soll, müssten sich diese Autoren fragen lassen, warum dann die erste Tatvariante umformuliert wurde. Es hätte gar keiner Erweiterung derselben bedurft, wenn es dem Gesetzgeber nur darum gegangen wäre, einige zusätzliche Fälle unter § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB zu subsumieren. Dafür wäre eine Änderung der zweiten Tathandlung völlig ausreichend gewesen. ee) Versetzen als die „unrechtsschwerere“ Tathandlung der Aussetzung Die Begründung zur Abgrenzung, die bisher überwiegend vertreten wird, enthält weitere Unstimmigkeiten. Für den Vorrang von § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB gegenüber der zweiten Tatvariante1484 wird angeführt, dieser sei als „schwerere Begehungsform“ bzw. „wegen des höheren Handlungsunrechts“ vorrangig gegenüber dem Imstichlassen1485. Dies erscheint deshalb nicht stimmig, weil von diesen Autoren zur Begründung der weiten, nicht-räumlichen Deutung des Versetzens angeführt wird, diese weite Auslegung sei erforderlich, damit in beiden Alternativen gleiches Unrecht enthalten sei1486. Abgesehen von den Schwierigkeiten, die mit einer Gewichtung von „Unrecht“ verbunden sind1487, muss man feststellen, dass diese Argumentation hinkt: Zuerst wird das Versetzen weit ausgelegt, damit beide Tathandlungen mit einem gleichen Unrechtsgehalt belegt werden, um dann später dieses Verhalten für vorrangig zu erklären, weil es ein „größeres Unrecht“ beinhalten soll1488. 1484 Der Vorrang wird im Übrigen von den genannten Autoren beim „BergsteigerFall“ nicht beachtet, sondern eine Ausnahme gemacht; vgl. 4. Teil: E. II. 2. a). 1485 Lucks, S. 225; ähnlich Jäger, JuS 2000, 33; Ellbogen, JuS 2002, 155 Fn. 42; in diese Richtung – wenn auch in etwas anderem Zusammenhang – Roxin, AT II, § 31 Rn. 250 [Das Versetzen sei die „schwerere Tat“]. Ablehnend Arzt/Weber, BT, § 36 Rn. 8. 1486 Sternberg-Lieben/Fisch, Jura 1999, 46; Kosloh, S. 56 f.; Ellbogen, JuS 2002, 155; Lucks, S. 61. Vgl. zu der Thematik auch im 4. Teil: C. II. 2. b) die Darstellung auf S. 177. 1487 Vgl. zu dieser Thematik schon 4. Teil: C. II. 5. c) aa) (1). 1488 Im Übrigen: Wenn die These stimmt, dass der Täter eines Unterlassens – und damit auch der des Imstichlassens – oft bzw. vielfach eine geringere kriminelle Energie aufweist als der Täter eines positiven Tuns, so scheint es nicht nachvollziehbar, warum die Fälle der Krankenschwester und des Bergsteigers unter § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB subsumiert werden sollen. Die „weniger kriminellen Täter“ würden aus dem Regelstrafrahmen von § 221 Abs. 1 StGB bestraft, ohne die Möglich-

406 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

Ebenso wenig überzeugend ist die Annahme von Laue1489, der Täter sei deshalb vorrangig aus § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB zu bestrafen, weil dieser keine Milderung gem. § 13 Abs. 2 StGB enthalte und „der Täter grundsätzlich aus dem schwereren Delikt zu bestrafen“ sei. Ein „Grundsatz“ der genannten Art ist dem StGB fremd. Ansonsten dürfte es im StGB schon keine Privilegierungen geben, da deren geringerer Strafrahmen ja stets vom höheren des Grundtatbestands „verdrängt“ würde. Sicher ist der Strafrahmen des schwersten, verwirklichten – d.h. tatbestandsmäßig, rechtswidrig und schuldhaft begangenen und nicht auf der Ebene der Konkurrenzen verdrängten – Deliktes bei der Strafzumessung zugrundezulegen, aber der Strafrahmen kann kein Argument für oder gegen die vorrangige Annahme eines Deliktes auf der Ebene des Tatbestandes darstellen. Eines dürfte mit der vorhergehenden Kritik deutlich geworden sein: Die Ansicht, bestimmte Fälle der Schaffung einer hilflosen Lage seien als Imstichlassen anzusehen, stellt in erster Linie den Versuch dar, Fälle und Fallgruppen wie bisher nach der a. F. zu behandeln und unter dieselben Tatalternativen zu subsumieren wie früher, um sich dem Versuch einer konsequenten Neuauslegung des Tatbestandes nicht öffnen zu müssen1490. Bei genauer Lektüre der folgenden Textpassagen wird das Bemühen einiger Autoren um den Erhalt der altbekannten Strukturen auch recht deutlich: „Absatz 1 Nr. 1 tritt an die Stelle des bisherigen Tatbestandsmerkmals ‚Aussetzen‘ . . . Dies setzte eine Änderung der räumlichen Beziehung des Opfers zu seiner Umgebung, im Regelfall die Veränderung seines Aufenthaltsortes, voraus . . . Einer Ortsveränderung bedarf es nicht mehr; geschieht sie, muß es sich aber wie bisher um eine Änderung des Aufenthaltsortes des Opfers handeln . . .“1491. „Entfernt sich der zur Hilfe fähige Täter, so kommt lediglich die Alternative des ‚Imstichlassens‘ (Nr. 2) in Betracht“1492. keit der Milderung nach § 13 Abs. 2 StGB, also unter denselben Strafrahmen fallen und damit genauso [kriminell] beurteilt, wie der Täter eines Versetzens nach § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB. Wenn man die „geringere kriminelle Energie“ schon beachten will, müsste man, um diesem Aspekt zur Geltung zu verhelfen, die Annahme von §§ 221 Abs. 1 Nr. 1, 13 StGB befürworten, was aber gerade keiner der soeben angesprochenen Autoren tut. Allgemein zu der These, der Täter eines Unterlassens weise oft bzw. vielfach weniger „kriminelle Energie“ auf: Schünemann, ZStW 96 [1984], 317; Bruns, FS Tröndle, S. 126 f.; Güntge, Unterlassen, S. 59, 168; Jescheck/Weigend, AT5, § 58 V 1; SK-StGB7-Rudolphi [09/2000], § 13 Rn. 65; Roxin, AT II, § 31 Rn. 236 ff.; Schönke/Schröder-StGB27-Stree, § 13 Rn. 64; Tröndle/ Fischer, StGB54, § 13 Rn. 20; zweifelnd aber Jakobs, AT2, 29. Abschn. Rn. 123 ff.; ablehnend zu der These Timpe, S. 161 ff., 197. 1489 Laue, S. 116. 1490 So auch Baier, GA 1999, 276, der den Fall des Verlassens a. F. in BGHSt 38, 78 ff., nach Änderung der Aussetzungsnorm als Versetzen ansieht. 1491 LK-StGB11-Jähnke [07/1999], § 221 Rn. 12 [Hervorhebungen vom Verfasser].

E. Verhältnis der beiden Tathandlungen zueinander und ihre Abgrenzung 407 „. . . das räumliche Verbringen des Opfers an einen anderen Ort ist zwar nach wie vor die typische (. . .), nach der Gesetzesänderung aber nicht mehr die einzige nach Abs. 1 Nr. 1 tatbestandsmäßige Handlungsweise“1493. „Andererseits stellt sich der Abbruch einer zunächst gewährten Beistandsleistung äußerlich als eine Verhaltensweise dar, die gerade durch den Begriff des „Imstichlassens“ in § 221 Abs. 1 Nr. 2 umschrieben wird . . . Gerade das räumliche Verlassen des Schutzbedürftigen war bislang der klassische und typische Anwendungsfall der der zweiten Tatbestandsalternative“1494.

Der Versuch, eine altbekannte und bewährte Auslegung zu retten, ist zwar verständlich, aber schlichtweg kein geeignetes Argument, um eine komplett neugefasste Norm auszulegen. c) Ansatz für ein neues Abgrenzungskonzept Mit dieser Kritik an den bestehenden Abgrenzungskonzepten ist schon einiges für den Lösungsweg gewonnen. Im Folgenden dient eine strenge Beachtung des Wortlauts der Norm sowie der Regelungen von Kausalität und objektiver Zurechnung als Leitlinie für die Suche nach einer Lösung. Daneben gilt es, sich nicht mehr an den Fallgruppen der a. F. zu orientieren und die Subsumtion unter diejenige Tathandlung, die zur a. F. für einschlägig erachtet wurde, aufzugeben. aa) Wortlaut der Norm Einen ersten Anhaltspunkt für die Abgrenzung der beiden Tathandlungen liefert der Wortlaut. Wenn es in § 221 Abs. 1 StGB heißt, dass strafbar einerseits derjenige ist, der einen Menschen in eine hilflose Lage versetzt, andererseits derjenige, der das Opfer – als Garant – in einer hilflosen Lage im Stich lässt, so ist nach dem Wortlaut klar, dass bei der ersten Tatalternative die hilflose Lage das Ergebnis des Versetzens ist, bei der zweiten Tatvariante hingegen die Ausgangssituation. Da nun sinnlogisch niemand gleichzeitig in einer hilflosen Lage und nicht in einer solchen sein kann – jedenfalls bezogen auf dieselbe Situation –, ist die Abgrenzung der beiden Tatvarianten anhand des Wortlautes deutlich vorgezeichnet: Befand sich das Opfer vor der Tathandlung nicht in einer hilflosen Lage, wohl aber nach der – auf ihre Tatbestandsmäßigkeit zu untersuchenden – Verhaltensweise des Täters, so kann nur ein Versetzen – gegebenenfalls durch Unterlassen – vorliegen. War das Opfer schon vor der strafbarkeitsbegründenden Verhaltensweise 1492 1493 1494

NK-StGB2-Neumann, § 221 Rn. 9 [Hervorhebungen vom Verfasser]. NK-StGB2-Neumann, § 221 Rn. 11 [Hervorhebungen vom Verfasser]. Lucks, S. 179 [Hervorhebungen vom Verfasser].

408 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

des Täters in einer hilflosen Lage, so kommt nur noch die Variante des Imstichlassens in Betracht. Damit heißt die Folgerung für die Abgrenzung aus dem Wortlaut: Jedes Neuschaffen einer hilflosen Lage durch ein Verhalten ist ein Versetzen, beim Vorliegen einer hilflosen Lage kann es sich nur um ein Imstichlassen handeln1495. Dieser Ansatz „bricht“ also mit der früheren Abgrenzung nach räumlichen Aspekten, da eine hilflose Lage – aufgrund der Erweiterung der Tathandlungen – auch durch ein Weggehen oder gar durch völlige Passivität geschaffen werden kann. Dennoch drängt sich diese Abgrenzung anhand des eindeutigen Wortlauts der Norm auf und sie wird sich in den folgenden Abschnitten auch als zutreffend und weitgehend widerspruchsfrei erweisen. bb) Vorgaben des Gesetzgebers in historischer Hinsicht Möglicherweise ergibt die soeben aus dem Wortlaut hergeleitete Abgrenzung der beiden Tathandlungen nach dem (Nicht-)Vorliegen einer hilflosen Lage jedoch einen Widerspruch zu den Vorstellungen des Gesetzgebers bei der Änderung der Norm durch das 6. StrRG. Wie schon oben festgestellt, gibt es in den Materialien keine eindeutigen Ausführungen zum Verhältnis der beiden Tathandlungen1496. Das Gleiche gilt auch für die Abgrenzung der beiden Tathandlungen. Möglicherweise kann man aber einen anderen Aspekt nutzen: Der „Krankenschwester-Fall“ wurde in den Reformdiskussionen seit Beginn des 20. Jahrhunderts des öfteren als Beispiel für die Notwendigkeit der Erweiterung des Tatbestandes in der zweiten Tathandlung angeführt, um – über das Verlassen hinaus – die Fälle eines nichträumlichen Handelns des Täters in den Tatbestand mit einzubeziehen1497. Leider kann dieser Schluss so einfach nicht gezogen werden: Man findet das Beispiel der Krankenschwester nicht mehr in den Materialien zum 6. StrRG beim Imstichlassen1498, sondern nur noch den „Bergsteiger1495

Zum Sonderfall des Versetzens durch Intensivieren einer bestehenden hilflosen Lage später im 4. Teil: G. II. 1496 Vgl. zu den Materialien schon im 4. Teil: E. III. 2. a) und im 4. Teil: E. III. 2. b). 1497 Insbesondere findet man den Fall auch in den Materialien zu den Reformdiskussionen der 60er Jahre. So z. B. in einer Stellungnahme von Welzel, Ndschr. Bd. 7 [1959], S. 97, sowie in E 1960, S. 260, und E 1962, S. 277. Auch in einigen älteren Entwürfen war der Fall in den Materialien als Beispiel angeführt; siehe E 1925, Begründung, S. 119, und E 1927, Begründung, S. 130. Von Krey/Heinrich, BT I13, Rn. 138, wird er sogar als „Schulbeispiel“ der zweiten Tathandlung bezeichnet.

E. Verhältnis der beiden Tathandlungen zueinander und ihre Abgrenzung 409

Fall“1499. Die Gründe, die den Gesetzgeber zum Weglassen des „Krankenschwester-Falles“ bewogen haben, können nicht mehr nachvollzogen werden. Ob er unbeabsichtigt weggelassen wurde und dieser Fall weiterhin als Beispiel für die zweite Tatvariante gesehen werden sollte oder ob er absichtlich weggelassen wurde, um damit eine Subsumtion unter die erste Tatvariante zu ermöglichen, kann nicht mehr geklärt werden. In dieser Hinsicht führen die Materialien abermals nicht weiter1500. Näherliegend wäre – da der Gesetzgeber davon spricht, das Imstichlassen solle nicht nur durch räumliches Verlassen verwirklicht werden1501 – eine Subsumtion des „Krankenschwester-Falles“ unter § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB. Diese Deutung lässt sich aber nicht mit den Ausführungen desselben Gesetzgebers zum „Bergsteiger-Fall“ harmonisieren. Was kann man nun aus den Ausführungen eines Gesetzgebers herleiten, die in sich widersprüchlich und nicht konsistent erscheinen, die vor allem nicht mit dem Wortlaut der Norm übereinstimmen1502? Dass der Wortlaut die äußerste Grenze der Auslegung darstellt und der Wille des Gesetzgebers nicht geeignet ist, den Wortlaut des Gesetzes zu beugen, sollte nicht in Abrede gestellt werden (können)1503. Demzufolge können sich die Materialien zum 6. StrRG nicht über den Wortlaut der Norm hinwegsetzen und sie sind im Hinblick auf die Abgrenzung der Tathandlungen keine geeignete Interpretationshilfe1504.

1498

RefE, S. 124; BR-Drs. 164/97, S. 121; BT-Drs. 13/7164, S. 35; 13/8587,

S. 34. 1499 Der „Bergsteiger-Fall“ wird aber im Zusammenhang mit beiden Tathandlungen erörtert, wodurch unklar ist, unter welche Tatvariante er subsumiert werden soll; vgl. oben im 4. Teil: E. III. 2. b). 1500 So auch Lucks, S. 171, die die Materialien auch als „nicht eindeutig“ beurteilt. 1501 Fundstellen wie in diesem Kapitel in Fn. 1498. 1502 Ebenso schon zum dem Begriff der „hilflosen Person“, den man in den Drucksachen zur zweiten Tatvariante zum 6. StrRG findet [vgl. RefE, S. 123 f.; BR-Drs. 164/97, S. 120; BT-Drs. 13/7164, S. 34; 13/8587, S. 34], aber nicht im Normtext; vgl. hierzu oben 4. Teil: B. 1503 So jedenfalls die Rechtsprechung: BVerfGE 71, 108 [115]; 73, 206 [235]; 92, 1 [12]; BGHSt 8, 343 [345]; 37, 226 [230], und weite Teile der Literatur z. B. Bydlinski, Methodenlehre2, S. 467 f.; Larenz, Methodenlehre6, S. 322; Simon, S. 185 f.; anders aber manche Befürworter der „subjektiven Auslegungstheorie“, vgl. z. B. Rüthers/Höpfner, JZ 2005, 22, 24 f. Zweifelnd an der Bestimmbarkeit dieser Grenze Herzberg, JuS 2005, 2. 1504 Zu dem Ergebnis, die Materialien des Gesetzgebers könnten sich nicht über den Wortlaut „hinwegsetzen“ und seien kein beachtliches Interpretationsmittel, wenn der Wortlaut eine – gesetzgeberisch gewollte – Auslegung eindeutig nicht decke, kam der Bundesgerichtshofs im Übrigen bei der Auslegung der – durch das

410 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

Wollte der Gesetzgeber beide Tathandlungen wie bisher verstanden wissen und nur dem Imstichlassen einige weitere, zusätzliche Fälle unterstellen, so hätte er dies einerseits in den Materialien hervorheben und andererseits – und vor allem – im Wortlaut deutlich machen müssen. Ist ein Auslegungsergebnis mit dem Wortlaut nicht in Übereinstimmung zu bringen, so ist es Aufgabe des Gesetzgebers, den Normtext zu korrigieren, nicht Auftrag der Literatur, diesem Willen des Gesetzgebers1505 zur Verwirklichung zu verhelfen1506. Dies wäre keine Auslegung mehr, sondern unzulässige Rechtsfortbildung gegen den Wortlaut i. S. v. Art. 103 Abs. 2 GG1507. Darüber hinaus ist der Versuch, anhand der Materialien der Reformentwürfe vor dem 2. Weltkrieg den „Bergsteiger-Fall“ unter die zweite Tatvariante der Aussetzung n. F. einzuordnen, schwer möglich, weil zumindest im E 1925 und E 1927 nur die zweite Tatalternative geändert, die erste aber unverändert geblieben war1508. Dies war im 6. StrRG gerade nicht der Fall, weil in ihm ja beide Tathandlungen überarbeitet und geändert wurden. Der „Bergsteiger-Fall“ taucht nicht nur in den Materialien zum E 1960, E 1962 und 6. StrRG auf, sondern auch in den Diskussionen der Großen Strafrechtskommission. Während Voll den Fall der Bergsteigergruppe, die 6. StrRG [!] eingefügten – Subsidiaritätsklausel des § 246 StGB; vgl. BGH NStZ 2002, 480. 1505 Der hier mit Blick auf den „Bergsteiger-Fall“ nicht einmal wirklich zweifelsfrei ermittelt werden kann. 1506 Vgl. insoweit die instruktiven Sätze des Bundesverfassungsgerichts in BVerfGE 71, 108 [115]: „Führt erst eine über den erkennbaren Wortsinn der Vorschrift hinausgehende ‚Interpretation‘ zu dem Ergebnis der Strafbarkeit eines Verhaltens, so darf dies nicht zu Lasten des Bürgers gehen [BVerfGE 47, 109 (121)]. Die Gerichte müssen daher in Fällen, die vom Wortlaut einer Strafnorm nicht mehr erfaßt sind, zum Freispruch gelangen [BVerfGE 47, 109 (124); 64, 389 (393)]. Dies gilt auch dann, wenn als Folge der wegen des Bestimmtheitsgebots möglichst konkret abzugrenzenden Strafnorm besonders gelagerte Einzelfälle aus dem Anwendungsbereich eines Strafgesetzes herausfallen, mag auch das Verhalten in ähnlicher Weise strafwürdig erscheinen [BVerfGE 50, 142 (165)]. Insoweit muß sich der Gesetzgeber beim Wort nehmen lassen. Es ist seine Sache zu entscheiden, ob er die sich aus einer möglichen Strafbarkeitslücke ergebende Lage bestehen lassen oder eine neue Regelung schaffen will [BVerfGE 47, 109 (124)]. Den Gerichten jedenfalls ist es durch Art. 103 Abs. 2 GG verboten, dieser Entscheidung vorzugreifen.“ Kritik zu der Tendenz in der Literatur, Normen wegen Verstoßes gegen Art. 103 Abs. 2 GG für verfassungswidrig zu erklären, um so eigene rechtspolitische Entscheidungen an die des Gesetzgebers zu setzen, äußert Reichenbach, JR 2005, 408. 1507 BVerfGE 71, 108 [115]; 73, 206 [235]; 91, 1 [12]; BGHSt 8, 343 [345]; 37, 226 [230], sowie Renzikowski, GA 1992, 173; Simon, S. 100 ff. m. z. N.; hiervon leicht abweichend BGHSt 2, 317 [319]; a. A. Rüthers/Höpfner, JZ 2005, 25. 1508 Vgl. E 1925, S. 26, und E 1927, S. 28.

E. Verhältnis der beiden Tathandlungen zueinander und ihre Abgrenzung 411

sich in Kenntnis der Gefahren von einem Führer auf einer Tour begleiten lässt, unter das Versetzen in eine hilflose Lage subsumieren wollte, sah Schmidt hierin ein „Selbst-Versetzen“ der Bergsteiger; Welzel hingegen tendierte zu einem Imstichlassen1509. Wie man anhand dieser kurzen Übersicht erahnen kann, war selbst innerhalb der Großen Strafrechtskommission unklar und offen, unter welche der beiden Tatvarianten der „Bergsteiger-Fall“ subsumiert werden sollte; jedenfalls wurde diese Frage von der Kommission nicht abschließend geklärt. Von Voll, Schmidt und Welzel wurde der Fall aber immerhin als strafbar eingeordnet. Die Verwirrung hinsichtlich der Subsumtion des „Bergsteiger-Falles“ unter eine der Tatvariantes des § 221 Abs.1 StGB wird durch eine Passage in den Niederschriften, die sich mit der Ablehnung des allgemeinen Gefährdungsdelikts durch die Große Strafrechtskommission befasst, noch gesteigert1510: „Berücksichtigt man diese besonderen Tatbestände1511 und ihre etwa notwendigen Erweiterungen, dann bleiben nur noch wenige Strafbarkeitslücken, für deren Ausfüllung ein allgemeiner Lebensgefährdungstatbestand in Betracht kommt. Zu denken ist etwa an Fälle einer Lebensgefährdung: . . . 5. Durch Verbringen eines anderen, über den man Obhut hat, in eine lebensgefährliche Lage, z. B. durch Mitnahme auf eine Bergtour.“

Hiernach wäre – entgegen der Annahme von Strafbarkeit in diesem Fall durch Voll, Schmidt und Welzel – der „Bergsteiger-Fall“ nur ein Anwendungsfall für das allgemeine Lebensgefährdungsdelikt gewesen, das aber gerade abgelehnt und nicht eingeführt wurde. Mithin könnte man mit Blick auf diese historischen Materialien gar behaupten, der Bergführer müsse im „Bergsteiger-Fall“ eigentlich sogar straflos bleiben. Nach dieser Passage aus den Niederschriften ist entgegen den anderslautenden Ausführungen unklar, ob Fälle der „Hochgebirgskriminalität“1512 überhaupt unter die Aussetzung subsumiert werden sollten. Ein wirklich eindeutiger Wille des Gesetzgebers bezüglich der Abgrenzung der beiden Tathandlungen oder zur Einordnung des „Bergsteiger-“ oder „Krankenschwester-Falles“ lässt sich also weder aus den Materialien zum 6. StrRG noch aus denen der vorherigen Reformversuche, noch aus den Diskussionen der Großen Strafrechtskommission ermitteln.

1509

Die gesamten Äußerungen sind zu finden in Ndschr. Bd. 7 [1959], S. 97. Ndschr. Bd. 8 [1959], Anhang J 84, S. 664 [Hervorhebungen vom Verfasser]. 1511 Anmerkung des Verfassers: Wozu u. a. die Aussetzung zählte, wie sich aus Ndschr. Bd. 8 [1959], Anhang J 84, S. 663, ergibt. 1512 Der Begriff stammt von Küper, ZStW 111 [1999], 32. 1510

412 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

cc) Argumente aus der Systematik der Norm und den allgemeinen Regeln des Strafrechts In der ersten Tatalternative wird die hilflose Lage durch das Versetzen herbeigeführt. In der zweiten Tatvariante bildet die hilflose Lage den Anknüpfungspunkt für das Imstichlassen. Taterfolg der Aussetzung ist in beiden Fällen die in der Gefährdungsklausel genauer umschriebene konkrete Gefahr1513. Diese Reihenfolge darf nicht verändert werden: Geht die Gefahr der hilflosen Lage voraus oder tritt sie gleichzeitig ein, so erfüllt dies nicht den Tatbestand der Aussetzung1514. Diese Abfolge der Tatbestandsmerkmale ist für die Abgrenzung der Tathandlungen von ausschlaggebender Bedeutung, insbesondere wenn man neben dem Wortlaut die anerkannten Grundsätze zur Kausalität beachtet1515: Nach allgemeiner strafrechtlicher Dogmatik muss der Taterfolg – bei der Aussetzung also die konkrete Gefahr – beim Begehungsdelikt jedenfalls kausal i. S. der condicio-sine-qua-non-Formel aus der jeweiligen Tathandlung resultieren1516. Beim unechten Unterlassungsdelikt hingegen werden einige Modifikationen bei der Bestimmung von „Quasi-Kausalität“ (bzw. modifizierter condicio-sine-qua-non-Formel) vorgenommen1517. Für die Frage, ob eine Verhaltensweise ein Versetzen oder ein Imstichlassen darstellt, ist die Betrachtung der Kausalitätsverhältnisse richtungwei1513

Hierzu unten 4. Teil: F. Vgl. die entsprechenden Ausführungen von Mitsch, JuS 2000, 849. 1515 Ob daneben die objektive Zurechnung beim Vorsatzdelikt einen solchen Grundsatz darstellt, muss hier nicht erörtert werden, da – wie sich im Folgenden zeigen wird – schon das Abstellen auf Kausalitätserwägungen hinreichend ist. Die objektive Zurechnung sehen beim vorsätzlichen Delikt weite Teile des Schrifttums als wesentliche Kategorie des objektiven Tatbestandes an [statt vieler Jescheck/Weigend, AT5, § 28 IV; (insbesondere ausführlich auch der „Mitbegründer“ dieser Lehre) Roxin, AT I4, § 11 Rn. 44 ff.; Schönke/Schröder-StGB27-Lenckner/Eisele, Vorbem §§ 13 ff. Rn. 91 ff.; Lackner/Kühl, StGB26, Vor § 13 Rn. 14 ff.; alle m. w. N.], während Rechtsprechung und Teile der Literatur dies verneinen und die Lösung in den Vorsatzbereich verlegen; vgl. BGHSt 7, 325 [329]; 14, 193 [194]; 23, 133 [135 f.]; Kaufmann, FS Jescheck, S. 258 ff.; H.J. Hirsch, FS Lenckner, S. 129 f., 141 f.; ablehnend und das Problem in den Bereich der Rechtswidrigkeit verlagernd Hilgendorf, FS Weber, S. 45 ff., 48; zusammenfassend Tröndle/Fischer, StGB54, Vor § 13 Rn. 18. Das Pro und Contra zur Lehre von der objektiven Zurechnung bilanzierend darstellend und m. z. N. Frisch, FS Roxin, S. 213 ff. 1516 Bei § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB muss nach Vornahme der Tathandlung und vor der kausal verursachten konkreten Gefahr noch der „Zwischenerfolg“ der hilflosen Lage kausal verursacht worden sein. Allgemein zur condicio-sine-qua-non-Formel schon oben 4. Teil: C. I. 5. e) aa) (3) (b) [Nachweise dort in Fn. 366]. 1517 Zur modifizierten condicio-sine-qua-non-Formel siehe schon oben 4. Teil: C. I. 5. e) aa) (3) (b) [Nachweise dort in Fn. 369]. Ausführlich zur objektiven Zurechnung im Rahmen der unechten Unterlassungsdelikte Kölbel, JuS 2006, 309 ff. 1514

E. Verhältnis der beiden Tathandlungen zueinander und ihre Abgrenzung 413

send: Kommt das Opfer aufgrund einer (vorsätzlichen) Verhaltensweise des Täters in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung oder gar des Todes und besteht zwischen der zu prüfenden Verhaltensweise des Täters und dem Taterfolg eine „normale“ Kausalität i. S. der condicio-sine-quanon-Formel – entfällt also der Taterfolg, wenn man die Handlung wegdenkt –, so kann nur ein Versetzen durch Tun vorliegen. Ist dann zwischen Tathandlung und Eintritt der Gefahr noch infolge des Versetzens eine hilflose Lage entstanden, ist von der Erfüllung des objektiven Tatbestands von § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB auszugehen. Die zweite Tatvariante kann schon aufgrund ihres Tatbestandstyps als speziell vertatbestandlichtes unechtes Unterlassungsdelikt1518 niemals in der Form positiven Tuns auftreten; sie erfasst vielmehr nur solche Verhaltensweisen, die in der Sache als Unterlassen zu qualifizieren sind. Insoweit besteht bei einem Verhalten, das kausal eine hilflose Lage herbeiführt (und dadurch eine Gefahr entsteht), ein zwingender Vorrang für die Annahme eines Versetzens. Bei der Qualifizierung eines Verhaltens als Tun oder Unterlassen kommt – wie oben dargestellt1519 – der äußerlich wahrnehmbaren Erscheinungsform oder umgangssprachlichen Bezeichnung eines Verhaltens als „positives Tun“ nur eine indizielle Bedeutung zu. Selbst wenn der Täter phänomenologisch „etwas tut“ – z. B. vom Opfer weggeht – und das Opfer dadurch in eine hilflose Lage und eine Gefahr gerät, so ist diese Verhaltensweise nicht allein aufgrund dieser Aktivität zwingend ein Tun i. S. des § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB. Dies ist allgemein anerkannt und führt dazu, die Betrachtung der Kausalität als entscheidenden Fingerzeig für die Einordnung eines Verhaltens als Versetzen durch Tun oder als Versetzen durch Unterlassen bzw. Imstichlassen anzusehen1520. 1518

Vgl. oben 4. Teil: C. I. 5. e) cc). Zu der Thematik bereits oben in 4. Teil: C. I. 5. e) aa) (3) (c). 1520 Vgl. hierzu schon oben ausführlich im 4. Teil: C. I. 5. e) aa) (3) (b) die Ausführungen ab S. 154 f. Gerade dies verkennt aber Hillenkamp, BT10, S. 15 f. [hierzu schon im 4. Teil: D. IV. 2. d) dd) (3) die Darstellung auf S. 327], in seiner Variation des „Bergsteiger-Falles“, in der er versucht, das Weggehen des Nichtgaranten als Versetzen durch aktives Tun zu deuten. Den Fehler bei der Betrachtung deckt die Bildung eines Parallelbeispiels aus dem Bereich der Tötungsdelikte auf: Bergführer und Bergsteiger gehen auf eine Bergtour, bei der der Kunde in Bergnot gerät und weder vorwärts noch rückwärts weiterklettern kann. Der Bergführer sieht dies, weiß, dass sein Kunde ohne ihn sterben wird, klettert aber – obwohl er helfen könnte – weiter und geht später nach Hause. Der Kunde stirbt später am Berg infolge von Unterkühlung. Was würde man dem Bergführer nun im Hinblick auf §§ 211, 212 StGB vorwerfen? Tötung durch positives Tun durch das Weggehen? Dies würde sicherlich niemand behaupten, weil das Weggehen schon nicht kausal für den Tod[eserfolg] des Kunden war, sich – mit anderen Worten – nicht aktiv gegen das Leben des 1519

414 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

Verhaltensweisen, die durch positives, kausales Tun eine hilflose Lage bewirken, sind in der Regel problemlos als Versetzen einzuordnen. Schwieriger zu beurteilen sind jedoch die Verhaltensweisen, bei denen nicht die condicio-sine-qua-non-Formel zur Annahme von Kausalität führt, sondern deren modifizierte Variante, wenn also solche Verhaltensweisen zu beurteilen sind, die ein Unterlassen darstellen. Einerseits ist anerkannt und auch zutreffend, dass das Versetzen durch unechtes Unterlassen verwirklicht werden kann1521, andererseits ist § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB ein Unterlassungsdelikt1522. Somit könnten diejenigen Sachverhalte, bei denen die Betrachtung der Kausalitätsverhältnisse eine „Quasi-Kausalität“ zwischen Tathandlung und Taterfolg ergibt, grundsätzlich als ein Versetzen durch Unterlassen oder ein Imstichlassen zu qualifizieren sein. Wie ist nun das Versetzen durch Unterlassen vom Imstichlassen zu trennen? Der Wortlaut der Norm ist insoweit eindeutig: Das Vorliegen der hilflosen Lage ist das ausschlaggebende Kriterium. Daher ist es ausgesprochen wichtig festzustellen, ob und – wenn ja – ab wann eine hilflose Lage vorliegt. Das Problem bei dieser Bestimmung ist, dass ein Unterlassen keinen festen Zeitpunkt kennt, sondern eine Zeitspanne umfasst1523. Innerhalb dieses Zeitraumes liegt strafrechtlich ein Unterlassen vor und nicht eine Vielzahl strafbarer Unterlassungen1524. Kunden richtete. Es gibt vielmehr kaum Zweifel, dass hier ein Unterlassen angenommen würde: Vorgeworfen würde dem Bergführer das Nichtleisten der erforderlichen Hilfe und erst deren Hinzudenken – also die Anwendung der „modifizierten condicio-sine-qua-non-Formel“ – würde zur Annahme der „Quasi-Kausalität“ führen. Wenn man dies anders beurteilen wollte, müsste man die Abgrenzung von Tun und Unterlassen nach der Art des Vorsatzes treffen: Ein und dasselbe Verhalten wäre bei Vorliegen von [Aussetzungs-]Gefährdungsvorsatz ein Tun, bei Tötungsvorsatz ein Unterlassen. Dies wird nicht vertreten und wäre auch nicht in die Systematik des StGB einzugliedern. Der Wille mag Berge versetzen, aber er ist – in Theorie und Praxis – nicht geeignet, zur Abgrenzung von Tun und Unterlassen herangezogen zu werden. Zu der Thematik auch BGH NStZ 1999, 607, wo das Weggehen der Mutter explizit als fahrlässige Tötung durch Unterlassen angesehen wird. Hierzu auch Roxin, FS Spinellis, S. 952, mit kausalitätsbezogenen Erwägungen. 1521 Vgl. die Darstellung im 4. Teil: C. II. 3. b) bb) sowie die Ansicht des Verfassers im 4. Teil: C. II. 5. g). 1522 So die Auffassung der überwiegenden Meinung im 4. Teil: C. I. 3. b) und die des Verfassers; vgl. 4. Teil: C. I. 5. e) ee). 1523 Dies wird z. B. überdeutlich bei der Diskussion über das unmittelbare Ansetzen zum unechten Unterlassungsdelikt und über die verschiedenen Zeitpunkte, die dort für relevant gehalten werden [Zu der Thematik schon oben im 4. Teil: D. IV. 2. d) dd) (4) in Fn. 1181]. 1524 Vgl. die Nachweise im 4. Teil: E. III. 2. b) cc) (1) in Fn. 1426.

E. Verhältnis der beiden Tathandlungen zueinander und ihre Abgrenzung 415

Unproblematisch ist der Fall, dass der Garant seinen Schützling in hilfloser Lage vorfindet und ihm nicht hilft: Ein solches Verhalten kann nur ein Imstichlassen sein. Befindet sich der Garanten-Täter aber beim Opfer, während es in eine hilflose Lage gerät, und leistet er die erforderliche und mögliche Hilfe nicht, so ist dieses Verhalten als Versetzen durch Unterlassen anzusehen: Der Täter ist ja nicht nach Eintritt einer hilflosen Lage hinzugekommen, sondern hat diese vielmehr erst durch sein „Nichthandeln“ entstehen lassen. Zusammenfassend ist festzuhalten: Will man bestimmen, wie eine Verhaltensweise tatbestandlich in § 221 Abs. 1 StGB einzuordnen und zu bewerten ist, muss man zunächst die Kausalitätsverhältnisse klären. Belegen diese ein Tun, so kann nur ein Versetzen vorliegen. Ergibt die Begutachtung der Kausalität, dass tatbestandsmäßig ein Unterlassen vorliegt, so wird ganz entscheidend, ob eine hilflose Lage vor dem ersten möglichen Verhalten des Täters bestand. War die Lage schon eingetreten, so liegt ein Imstichlassen vor. Ist dies nicht der Fall, so ist von einem Versetzen durch Unterlassen auszugehen. Nun kann man den Irrtum, dem Hettinger, Kindhäuser und Gössel bei ihrer Beurteilung der Hilfeverweigerung durch den Garanten-Täter unterliegen, benennen1525: Zwar erkennen diese Autoren zutreffend, dass jedwedes Neuschaffen einer hilflosen Lage ein Versetzen darstellt, und ziehen damit die Konsequenzen aus der Neufassung der Norm. Dabei unterläuft ihnen aber ein Wertungsfehler: Sie sehen im Weggehen des Bergführers im „Bergsteiger-Fall“ – bzw. allgemeiner formuliert in der objektiv erkennbaren Aufgabe des Hilfswillens durch einen Garanten – ein positives Tun1526. Berücksichtigt man hingegen die Kausalität, so ist die Annahme eines aktiven Tuns ausgeschlossen. Denkt man sich i. S. der condicio-sine-qua-nonFormel das Weggehen weg, so entfällt der Taterfolg nicht, weil dieser auch beim untätigen Dableiben des Täters eintreten würde. Dem Bergsteiger hilft nicht das Dableiben, sondern nur das (Weiter-)Leisten der Hilfe durch den Bergführer1527. Zwar erscheint das tatbestandsmäßige Verhalten des Bergführers – das Weggehen – als ein aktives Verhalten; das bedeutet aber nicht, 1525

Darstellung oben im 4. Teil: E. II. 2. a) cc) und im 4. Teil: E. II. 2. b) bb). Gössel/Dölling, BT 12, § 7 Rn. 15; Kindhäuser, BT I2, § 5 Rn. 7, 10; Wessels/Hettinger, BT I31, Rn. 201, 204. Die neuen Ausführungen von Kindhäuser, BT I3, § 5 Rn. 15 a. E., weisen allerdings auf eine Entwicklung zur Annahme eines Versetzen durch Unterlassen hin. 1527 Den Kausalitätsmangel erkennen Jäger, JuS 2000, 34 Fn. 17; Ebel NStZ 2002, 408; Laue, S. 113, und Lucks, S. 66, 177, 179; ebenso zieht im Rahmen der Kommentierung zu § 13 StGB SK-StGB7-Rudolphi [09/2000], § 13 Rn. 59, den Schluss, das Verhalten müsse ein Imstichlassen sein; sie alle erwägen aber nicht, dass ein Versetzen durch Unterlassen in Betracht kommen könnte. 1526

416 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

dass es sich auch im strafrechtlichen Sinne um ein positives Tun handeln muss1528. Damit bleiben Hettinger, Kindhäuser und Gössel also auf halbem Weg stehen: Zutreffend wird erkannt, dass das Neuschaffen einer hilflosen Lage und damit ein Versetzen anzunehmen ist, verkannt wird jedoch, dass sich dieses Verhalten als Unterlassen darstellt, nicht als aktives Handeln. Der Einordnung von gewissen Verhaltensweisen – wie z. B. im „Bergsteiger-“ und „Krankenschwester-Fall“ – unter das Versetzen wird entgegengehalten, es komme dadurch zu einer Umgehung von „spezifischen Voraussetzungen“ der zweiten Tatvariante1529. Gemeint sind damit die Voraussetzungen der Obhuts- oder Beistandspflicht – sprich Garantenstellung. Umgangen würde die spezifische Voraussetzung der Garantenstellung in § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB allerdings nur dann, wenn in den Fällen das Verhalten als die Verwirklichung des § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB durch aktives Handeln zu qualifizieren wäre. Anders sieht es aber aus, wenn es sich um ein Versetzen durch Unterlassen handelt, weil bei der Annahme dieser Variante auch eine Garantenstellung erforderlich ist, da diese beim unechten Unterlassungsdelikt ein allgemeines, ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal darstellt1530. Sind nun „Krankenschwester-“ und „Bergsteiger-Fall“ oder allgemein die Fälle der Verweigerung von vorher geleisteter Hilfe ein Versetzen durch Tun oder Unterlassen? Die Antwort ergibt sich aus den oben formulierten Überlegungen: Aus der Betrachtung der Kausalität ergibt sich, dass es sich um ein Unterlassen handelt, weil nicht das Wegdenken des Weggehens oder der entsprechenden Verhaltensweise – mithin die Anwendung der condiciosine-qua-non-Formel – den Taterfolg entfallen lässt, sondern erst das Hinzudenken der erforderlichen Hilfe – mithin die Anwendung der für das unechte Unterlassungsdelikt modifizierten condicio-sine-qua-non-Formel – den tatbestandlichen Erfolg entfallen lässt. Die Fälle, um die es hier geht, sind also durchweg Fälle des Versetzens durch (unechtes) Unterlassen und erfordern als Tatbestandsmerkmal demzufolge genauso eine Garantenstellung wie das Imstichlassen mit der Obhuts- oder Beistandspflicht. Nochmals aus etwas anderer Sicht: Das Opfer ist in den fraglichen Fällen auf die Hilfe des Täters, gerade des Täters, angewiesen1531. Gewährt der Täter diese Hilfe nicht mehr, obwohl er dazu verpflichtet ist, bringt er das Opfer 1528

Zu der Unterscheidung von strafrechtlichem Tun und Unterlassen und der äußerlich erkennbaren Wirklichkeit schon oben unter 4. Teil: C. I. 5. e) aa) (3) (c). 1529 Vgl. oben im 4. Teil: E. II. 2. a) bb) [Nachweise ebenda in Fn. 1272]. 1530 Vgl. statt aller nur Roxin, AT II, § 31 Rn. 183; § 32 Rn. 1; NK-StGB2Puppe, § 13 Rn. 1 f.; Schönke/Schröder-StGB27-Stree, § 13 Rn. 1; Lackner/Kühl, StGB26, § 13 Rn. 6; alle m. w. N.

E. Verhältnis der beiden Tathandlungen zueinander und ihre Abgrenzung 417

in eine hilflose Lage. Das „nicht mehr Gewähren von Hilfe trotz Verpflichtung“ beschreibt treffend, worum es geht: um ein Nichthandeln bei Bestehen einer Pflicht zu handeln; im Strafrecht wird das allgemein als Garantenstellung bezeichnet. Hier findet man einen Aspekt wieder, der streng genommen schon für die a. F. der Norm galt: Nicht das Dableiben hilft dem Opfer, sondern nur das Leisten von Hilfe1532. Da die Verhaltensweisen, die hier in Rede stehen, ein Unterlassen darstellen, werden durch Subsumtion unter §§ 221 Abs. 1 Nr. 1, 13 StGB keine „spezifischen Voraussetzungen“, die bei § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB einschränkend vorliegen müssen, umgangen. Bezüglich der Obhuts- oder Beistandspflicht bzw. Garantenstellung sind die Voraussetzungen vielmehr identisch. In der – behaupteten – „drohenden Umgehung von spezifischen Voraussetzungen“ ist deshalb kein Grund für oder gegen die neue Auslegung zu finden, denn es werden gar keine einengenden Voraussetzungen umgangen. Außerdem beschreibt diese Auslegung das Versetzen als Schaffen einer hilflosen Lage in der Form des Entstehenlassens1533 und damit entspricht die Auslegung dem Wortlaut der neuformulierten Aussetzungsnorm. Was spricht jetzt noch dafür, diese Tathandlungen unbedingt unter dieselbe Tatvariante wie früher zu subsumieren? Allein der Hinweis, bisher typische Fälle des Verlassens a. F. würden nunmehr als Versetzen n. F. gewertet, ist zwar zutreffend, kann aber nicht ausschlaggebend sein1534. Darüber hinaus würde die Subsumtion der hier in Rede stehenden Fälle unter § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB dazu führen, dass für sie die Milderung nach § 13 Abs. 2 StGB nicht anwendbar ist. Die Norm des § 13 StGB ist vom Gesetzgeber aber gerade für Garanten geschaffen worden; nur für diese kommt – abgesehen von möglichen analogen Anwendungen1535 – die 1531 Siehe auch Lucks, S. 183 ff., 210, 227 f., die das Erfordernis einer Angewiesenheit aber als Bestandteil der hilflosen Lage ansieht. 1532 So Mitsch, StV 1992, 319. Ähnlich schon zur a. F. Dreher, JZ 1966, 581, und Küper, Jura 1994, 517 f., die den Grund der Bestrafung des räumlichen Verlassens darin sahen, dass der Täter sich durch das Weggehen die Möglichkeit zur Hilfe nahm, während bei Anwesenheit des Täters davon auszugehen sei, dass er helfen würde. 1533 Im Gegensatz zum Imstichlassen, das nach dem Wortlaut der Norm niemals eine hilflose Lage schaffen kann, sondern diese voraussetzt; so ausdrücklich auch die Anhänger der Auffassung, die ein Imstichlassen annehmen: vgl. LK-StGB11Jähnke [07/1999], § 221 Rn. 2; Laue, S. 69; Pfleiderer/Schubert, MedR 2005, 594; NK-StGB2-Neumann, § 221 Rn. 3; Küpper, BT I3, § 1 Rn. 84; Rengier, BT II8, § 10 Rn. 4; Tröndle/Fischer, StGB54, § 221 Rn. 8. Ebenso die Vertreter der a. A. Kindhäuser, LPK3, § 221 Rn. 2; ders., BT I3, § 5 Rn. 2 [leicht widersprüchlich hierzu aber ders., ebenda, Rn. 15 a. E.]; Wessels/Hettinger, BT I31, Rn. 199, 203. 1534 Vgl. zu diesem Aspekt schon soeben im 4. Teil: E. III. 3. b) die Ausführungen auf S. 406.

418 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

Milderungsmöglichkeit nach dem Wortlaut des Gesetzes in Betracht. Nun sind Krankenschwester und Bergführer unbestreitbar Garanten1536, und eine Auslegung, die ihnen nahezu grundsätzlich und in allen Fällen, in denen sie gegenüber ihrem Schützling die Hilfe verweigern, die Milderungsmöglichkeit vorenthält, kann nicht zutreffend sein. Auf diesem Wege wird die Entscheidung des Gesetzgebers, den Garanten diese Möglichkeit der Milderung zuzugestehen, im Rahmen der Aussetzung in Gänze umgangen und eine Norm, die für diese Personengruppe konzipiert und gedacht ist, durch die Subsumtion wichtiger Anwendungsfälle der Aussetzung unter eine „traditionelle“ Tatvariante sinnentleert. Bevor man dies tut, erscheint es doch stimmiger, die „Wohltat“ der Gewährung von § 13 Abs. 2 StGB mehr Tätern zuzugestehen und es dem Richter im Einzelfall zu überlassen, ob er die Milderungsmöglichkeit wahrnimmt, als mittels einer Auslegung einen häufigen Anwendungsfall der Garantenstellung vollständig aus dem Anwendungsbereich von § 13 Abs. 1 StGB herauszunehmen. Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass im Rahmen der hier dargelegten Argumentation nur der Vorwurf des sinnwidrigen Ausschlusses des § 13 Abs. 2 StGB ein Argument bildet. Nicht geeignet als Begründung für die vorrangige Annahme von §§ 221 Abs. 1 Nr. 1, 13 StGB wäre das Argument, dass man bei deren Anwendung den Täter – wegen der Möglichkeit des § 13 Abs. 2 StGB – besser stellen würde als bei Subsumtion unter § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB. Ein Argumentationsmuster, das als primäres Auswahlkriterium zwischen zwei vertretbaren Ansichten die Besserstellung des Täters als entscheidendes Kriterium in den Vordergrund stellt, würde nämlich auf einen „Grundsatz der täterfreundlichen Auslegung“ hinauslaufen – sog. Grundsatz „in dubio pro mitius“1537 – und ein solcher Auslegungsgrundsatz existiert im StGB nicht1538, kann daher nicht tragfähiges Argument für die vorrangige Annahme von §§ 221 Abs. 1 Nr. 1, 13 StGB sein.

1535

Hierzu schon oben ausführlich im 4. Teil: C. II. 5. c) aa) (2) in Fn. 582. Sie werden in der Literatur zur Garantenstellung stets als Fälle der Beschützergaranten kraft Übernahme einer Schutzfunktion angesehen; vgl. nur Brammsen, Garantenpflichten, S. 204, 213 f.; Jescheck/Weigend, AT5, § 59 IV 3 b, § 59 III c; SK-StGB7-Rudolphi [09/2000], § 13 Rn. 58 ff.; Roxin, AT II, § 32 Rn. 53 ff.; Schönke/Schröder-StGB27-Stree, § 13 Rn. 10. 1537 Jescheck/Weigend, AT5, § 17 III 2; Simon, S. 583; Schönke/Schröder-StGB27Eser, § 1 Rn. 52. 1538 Anwendungsfälle zu finden in RGSt 62, 369 [372 ff.]; BGHSt 6, 131 [133]; 14, 68 [73]; 28, 147 [148], sowie die Nachweise zuvor in Fn. 1537. Ähnlich auch G. Schäfer, Strafzumessung3, Rn. 515: „Der Richter ist nicht verpflichtet den jeweils günstigsten Strafrahmen seiner Strafzumessung zugrunde zu legen.“ 1536

E. Verhältnis der beiden Tathandlungen zueinander und ihre Abgrenzung 419

dd) Teleologischer Aspekt: Einheitliche Behandlung personeller und sächlicher Hilfsmittel Es gibt noch einen weiteren wesentlichen Aspekt, der für die hier bevorzugte Abgrenzung der beiden Tathandlungen spricht. Der Fall des Entziehens von sächlichen Hilfsmitteln – z. B. die Wegnahme von Nahrungsmitteln – wird in der Literatur durchgängig als ein Versetzen in eine hilflose Lage angesehen1539. Mithin müssten diese Autoren, wenn sie ihre Ansicht konsequent verfolgten, das Vorenthalten von sächlichen Hilfsmitteln durch den Täter als Versetzen durch Unterlassen ansehen und bestrafen, wenn dieser ein Garant ist. Entzieht eine Person dem Opfer ein Sachmittel, welches das Opfer braucht, um sich vor dem Eintritt einer hilflosen Lage und später vor einer Gefahr zu schützen, so ist dies ein Versetzen. Wenn der Täter dieses Sachmittel dem Opfer vorenthält, so stellt dies ein Versetzen (durch Unterlassen, soweit eine Garantenpflicht besteht) dar. Stellt nun aber diese Person selbst das „Hilfsmittel“ dar, auf dessen Einsatz das Opfer angewiesen ist, so soll der Entzug gerade dieses Hilfsmittels kein Versetzen, sondern ein Imstichlassen sein. Nach diesen Überlegungen muss man die Frage stellen: Welcher Unterschied zwischen einem personellen und einem sächlichen Hilfsmittel rechtfertigt eine Subsumtion unter verschiedene Tatvarianten? Wieso soll der Fall, dass der Bergführer dem Kunden das Seil wegnimmt, ein Versetzen sein, der Fall, dass er ihm das Seil nicht gibt, ein Versetzen durch Unterlassen und der Fall des weggehenden Bergführers, so dass der Kunde das Seil mangels Sicherung durch den Bergführer nicht mehr benutzen kann, ein Imstichlassen darstellen? Unterstellt, die Subsumtion des Entziehens sächlicher Hilfsmittel als Versetzen und des Entziehens personeller Hilfsmittel als Imstichlassen wäre zutreffend, scheint eine Fallkonstellation für die Vertreter der Gegenansicht nicht mehr lösbar: Der Fall, in dem der Täter unter Zuhilfenahme eines sächlichen Hilfsmittels dem Opfer persönlich Hilfe leisten muss1540. Was wird hier vorenthalten? Die Sache (dann nach der Gegenansicht Versetzen) oder die Leistung der Person (dann also Imstichlassen)? Stellt nicht vielmehr die Kombination aus personeller und sächlicher Hilfe den Regelfall von Hilfe dar, die geleistet werden muss? 1539 Vgl. die Darstellung im 4. Teil: D. IV. 2. d) dd) (2) [Nachweise dort insbesondere in Fn. 1147]. 1540 So z. B. der Bergführer, der das Seil nicht mehr einsetzt, oder die Krankenschwester, die dem Patienten eine Spritze, die sich der Patient nicht selber setzen kann, nicht verabreicht.

420 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

Jedenfalls muss man das Entziehen personeller und sächlicher Hilfsmittel einheitlich behandeln, weil ein grundlegender Unterschied nicht besteht. Beide stellen Hilfen dar, die das Entstehen einer hilflosen Lage verhindern können. Geht man aber bei den sächlichen Hilfen durchaus zutreffend von einem Versetzen (gegebenenfalls durch Unterlassen) aus, so ist dies auch bei helfenden bzw. nicht helfenden Personen zu beachten. Andernfalls gerät man in kaum lösbare Abgrenzungsschwierigkeiten bei den Fällen, in denen es eine Kombinationen der Hilfsmittel Sache/Person gibt. ee) Weitere Kritikpunkte an der vorrangigen Subsumtion unter das Imstichlassen Neben den – bereits widerlegten – Argumenten findet man noch ein drittes Argumentationsschema für die vorrangige Subsumtion unter das Imstichlassen: „Begründet der Täter die ‚hilflose Lage‘ des Opfers durch räumliches Verlassen, so dürfte freilich kein ‚Versetzen‘ iS des § 221 I Nr 1 StGB vorliegen, weil für dieses Verhalten die Alternative des ‚Im-Stich-Lassens‘ zuständig ist, . . .“1541. „Abs. 1 Nr. 1 StGB darf sich daher nicht auf jede Verursachung einer hilflosen Lage erstrecken“1542. „Gerade diese Verhaltensweisen1543 sind aber begrifflich durch das Imstichlassen im Sinne des § 221 Abs. 1 Nr. 2 erfaßt, . . .“1544. „Würde man Fälle dieser Art nunmehr dem Versetzen in eine hilflose Lage zuordnen, so liefe der Anwendungsbereich der zweiten Tatbestandsalternative weitgehend leer . . . Eine Reihe der Anwendungsfälle der bisherigen zweiten Tatbestandsalternative . . . würden dadurch in die erste Alternative ‚abwandern‘ “1545. „In diesem Fall1546 wie auch bei einem Verlassen der Kinder durch die Mutter oder dem Zurücklassen des unerfahrenen Bergsteigers im pfadlosen, einsamen Hochgebirge seitens des Bergführers muß es sich also um Fälle des Imstichlassens in hilfloser Lage i. S. d. § 221 Abs. 1 Nr. 2 handeln“1547.

Die Annahme, eine Tatalternative sei für gewisse Verhaltensweisen „zuständig“, etwas „müsse“ so oder „dürfe“ nicht anders sein, stellt keine geeignete Basis für eine stichhaltige Begründung dar. Sie ist schlichtweg eine Behauptung und kein Argument, mithin ungeeignet, irgendeinen Küper, BT6, S. 36 [Hervorhebung im Original]. Marxen, BT, S. 21. 1543 Erg.: gemeint sind Fälle eines räumlichen Verlassens. 1544 Lucks, S. 170. 1545 Lucks, S. 179. 1546 Erg.: Gemeint ist der Fall, dass eine Krankenschwester die erforderliche Hilfe zu Gunsten eines schwerkranken und auf Hilfe angewiesenen Patienten einstellt. 1547 Lucks, S. 180. 1541 1542

E. Verhältnis der beiden Tathandlungen zueinander und ihre Abgrenzung 421

Anhaltspunkt für die Frage der Abgrenzung der beiden Tathandlungen zu liefern. Ebenso wenig führt der Hinweis weiter, dass Fälle der bisherigen zweiten Tatalternative in die erste „abwandern“ und jene daher „leerläuft“. Dass dies nicht zutreffend ist, sondern sich nur der Anwendungsbereich der Tatalternativen durch die Neuauslegung verschoben hat, wurde bereits dargelegt1548. Und selbst wenn einige Fälle als Versetzen durch Unterlassen, nicht mehr als Imstichlassen, zu qualifizieren sind und damit die zweite Tatvariante weniger Anwendungsfälle als zuvor hat: Genau dasselbe Argument müsste man der anderen Auslegung auch entgegenhalten, denn nach ihr läuft die erste Tatalternative für Garanten weitgehend leer1549. Besser oder schlechter ist keine der beiden Ansichten; eine fundierte Argumentation, die sich auf diese stützen könnte, ist nicht möglich, weil sich die „Argumente“ – isoliert betrachtet – gegenseitig aufheben. d) Behandlung von „Hochgebirgskriminalität“ nach dem hier vertretenen Konzept Die Lösung des „Bergsteiger-Falles“1550 ergibt sich aus den Ausführungen zu Verhältnis und Abgrenzung der Tathandlungen: Das Weggehen des Bergführers stellt ein Versetzen – begangen durch Unterlassen – dar. Daher werden hier im Folgenden nur noch einige Aspekte vertiefend dargestellt; vor allem soll noch auf den von Hillenkamp1551 gebildeten Fall eingegangen werden. Das Verhalten des Bergführers im „Bergsteiger-Fall“ Hettingers stellt deshalb ein Versetzen dar, weil vor seinem Weggehen keine hilflose Lage für das Opfer bestand. Dem Bergsteiger wurde während des gesamten Aufstiegs – bis der Bergführer ihn verließ – geholfen. Dieser war also – im wahrsten Sinne des Wortes – eine Hilfe für den Kunden, der Bergsteiger eben nicht ohne Hilfe. Mithin war er weder hilflos noch in hilfloser Lage. Der „Täter“ ist – wie oben dargestellt1552 – solange als möglicher Helfer in die Bestimmung der hilflosen Lage einzubeziehen, bis er seinen mangelnden Hilfswillen kundgetan hat. Dieses Kundtun ist aber erst in der objektiv erkennbaren Hilfsverweigerung – im Weggehen – zu sehen. Vorher ist aufgrund der bisher geleisteten Hilfe davon auszugehen, der Bergführer werde 1548

Vgl. im 4. Teil: E. III. 2. d). Vgl. im 4. Teil: E. III. 3. b). 1550 Vgl. den Sachverhalt des „Bergsteiger-Falles“ auf S. 352 im 4. Teil: E. II. 2. 1551 Hillenkamp, BT10, S. 15 f. Die Darstellung seiner Fallabwandlung folgt in diesem Abschnitt auf S. 424. 1552 Vgl. im 4. Teil: D. IV. 2. d) dd) (4). 1549

422 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

auch weiterhin helfen. Somit ist der Bergführer bis zum Weggehen kein „Täter“; er hat keinen Anlass dafür gegeben, ihn als Helfer außer Betracht zu lassen. Infolgedessen liegt in dem Weggehen des Bergführers das Neuschaffen einer hilflosen Lage für das Opfer. Dieses Verhalten – Neuschaffen einer hilflosen Lage – erfüllt die Definition des Versetzens1553. Nachdem feststeht, dass das Verhalten des Bergführers unter § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB zu subsumieren ist, stellt sich die Frage, ob seine Verhaltensweise ein Versetzen durch Tun oder Unterlassen ist. Prüft man die Kausalität, kommt man zu dem Ergebnis, dass es sich um ein Versetzen durch Unterlassen handelt, weil das Weggehen des Bergführers – für sich genommen – nicht kausal i. S. der condicio-sine-qua-non-Formel für das Entstehen der Gefahr für den Bergsteiger ist1554. Denkt man sich das Weggehen des Bergführers weg, ist dieser zwar vor Ort, aber Hilfe wird dem Bergsteiger dadurch noch nicht zuteil. Erst das Hinzudenken der (vormals geleisteten) Hilfe beim Klettern führt zum Entfallen der hilflosen Lage und der daraus möglicherweise resultierenden Gefahr für den Kunden. Mithin hilft bei der Bestimmung der Rechtsnatur der Tathandlung die Anwendung der modifizierten condicio-sine-qua-non-Formel weiter, die diese Tathandlung als unechtes Unterlassungsdelikt klassifiziert1555. Die objektiv optische Erscheinungsform als „aktives Handeln“ spielt für die strafrechtliche Qualifizierung des Weggehens als Unterlassen keine Rolle und steht dem nicht entgegen1556. Damit wird auch der Blick dafür geöffnet, dass der Bergführer zwar (aktiv) weggeht, in der Sache aber nicht mehr das tut, wozu er kraft seiner Garantenstellung verpflichtet ist: dem Bergsteiger weiterhin Hilfe zukommen zu lassen, damit dieser unversehrt die Bergtour durchführen und beenden kann. Wenn der Bergführer diese Hilfe nicht mehr leistet, versetzt er den Bergsteiger in eine hilflose Lage, verwirklicht § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB durch Unterlassen. Warum im „Bergsteiger-Fall“ ein Unterlassen anzunehmen ist, ergibt sich letzten Endes aus der Beziehung zwischen Bergführer und Bergsteiger, also der Garantenstellung mit ihren Pflichten. Der Bergsteiger ist auf die Hilfe des Bergführers angewiesen, weil seine Fähigkeiten und Kräfte in dieser Situation nicht ausreichen, um sich vor Gefahren oder Schäden zu schützen. Solange diese Situation besteht, kann der Bergführer die „latent bestehende Hilfsbedürftigkeit“ des Bergsteigers jederzeit in eine hilflose Lage umwandeln, indem er die Hilfe einfach nur einstellt. Dieses Einstellen ist dann aber das Unterlassen der versprochenen 1553 1554 1555 1556

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

im 4. Teil: C. II. 6. oben im 4. Teil: C. I. 5. e) aa) (3) (b) [Nachweise ebenda in Fn. 366]. oben im 4. Teil: C. I. 5. e) aa) (3) (b) [Nachweise dort in Fn. 369]. oben im 4. Teil: C. I. 5. e) aa) (3) (c).

E. Verhältnis der beiden Tathandlungen zueinander und ihre Abgrenzung 423

und bisher geleisteten Hilfe und damit im Endeffekt – gleich in welcher objektiv äußerlichen Form – strafrechtlich ein Unterlassen. Der Bergführer stößt keinen Kausalverlauf an, sondern er lässt einen angelegten, dessen Verwirklichung zu verhindern er sich verpflichtet hat, fortlaufen. Die gegenteilige Annahme eines Imstichlassens im „Bergsteiger-Fall“ würde voraussetzen, dass die hilflose Lage im Zeitpunkt des Weggehens schon gegeben ist, d.h. sie müsste nach dem Wortlaut der zweiten Tatvariante zeitlich vor dem Verhalten liegen, das als Imstichlassen angesehen werden soll. Dies wäre nur dann möglich, wenn man entweder den Täter als möglichen Helfer aus der Betrachtung ausklammert oder das Fassen des Tatentschlusses zum Weggehen als Versetzen in hilflose Lage, somit das Weggehen als nachfolgendes Imstichlassen ansehen würde. Diese Ansätze lösen das Problem nicht: Wie schon ausführlich hergeleitet, ist der Täter als möglicher Helfer zu beachten, bis er objektiv das Gegenteil belegt hat1557. Bis zum Zeitpunkt des Weggehens besteht kein Grund, den „Täter“ wegzudenken, weil aufgrund der bisher geleisteten Hilfe davon auszugehen ist, dass diese auch weiterhin geleistet wird. Ab Vornahme des auf seine Tatbestandsmäßigkeit zu untersuchenden Verhaltens, das die Negation des bisherigen Hilfswillens objektiv manifestiert, ist der Täter als Helfer nicht mehr zu berücksichtigen, da er durch sein Handeln zeigt, dass er nicht mehr willens ist zu helfen. Damit kann eine hilflose Lage vor dem Zeitpunkt des Weggehens nicht angenommen werden. Auch die bloße Fassung des Tatentschlusses kann nicht als Versetzen in eine hilflose Lage angesehen werden, weil das eine Bestrafung der Gesinnung bedeuten würde. Zudem würde das Stadium des Versuchs zu weit in die straflose Vorbereitungszeit vorverlagert. Außerdem stellt die Entschlussfassung kein objektiv nachweisbares Verhalten dar, das eine Strafbarkeit begründen könnte1558. Darüber hinaus müsste man dann auch die heute als Versetzen durch positives Tun angesehenen Fälle anders beurteilen. So müsste – unterstellt, diese These wäre zutreffend – der Bergführer, der seinen Kunden aussetzt, indem er das beide verbindende Seil durchschneidet und dann weggeht, nicht erst wegen des Durchschneidens, sondern schon wegen des Gedankens zum Durchschneiden bestraft werden. Allgemein formuliert: Wenn man den Tatentschluss als Versetzen ansehen würde, müsste man das folgerichtig in allen Fällen tun, in denen der Garanten-Täter die einzige Hilfsmöglichkeit entzieht. Dies wird aber niemand ernsthaft als zutreffend ansehen können. 1557

Vgl. im 4. Teil: D. IV. 2. d) dd) (4). Zum Versuchsbeginn und dem Gesinnungsaspekt schon oben im 4. Teil: D. IV. 2. d) dd) (4) die Ausführungen ab S. 330. 1558

424 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

Hillenkamp1559 versucht mittels eines Fallbeispiels zu belegen, dass die Annahme eines Versetzens im „Bergsteiger-Fall“ – wie von Hettinger, Kindhäuser und Gössel vorgenommen – unzutreffend sei, weil es eine allzu große Erweiterung der ersten Tathandlung zur Folge hätte: „O begibt sich allein und schlecht ausgerüstet auf eine Bergtour. Unterwegs trifft er den ortskundigen Bergsteiger T. Dieser rät O dringend davon ab, mit seiner ungenügenden Ausrüstung weiter aufzusteigen. O läßt sich von der Warnung jedoch nicht überzeugen und schließt sich dem T gegen dessen Willen an. Die ersten Passagen kann O noch einigermaßen mithalten. Bald schon aber kann er nicht mehr weiter und bleibt an einer ungeschützten Stelle sitzen. T, der sieht, daß bald schlechtes Wetter aufziehen wird, und erkennt, daß O den Weg ins Tal allein nicht finden kann, möchte unbedingt den Gipfel erreichen, entfernt sich und überläßt den O seinem Schicksal. O verläuft sich und gerät – wie von T vorausgesehen – in akute Lebensgefahr. Durch Zufall wird er jedoch von anderen Bergsteigern entdeckt und gerettet.“

Im Hinblick auf die Autoren, die im „Bergsteiger-Fall“ ein Versetzen durch Tun erblicken, mag Hillenkamp recht haben, da die soeben Genannten das Verhalten im „Bergsteiger-Fall“ – unzutreffend – als positives Tun qualifizieren und dann, streng genommen, den Fall von Hillenkamp als Versetzen ansehen müssten. Damit ist Hillenkamp sicherlich insoweit Recht zu geben, dass in diesem Fallbeispiel kein Versetzen durch positives Tun des T vorliegt. Für die Subsumtion des Verhaltens des T unter eine der beiden Tathandlungen hilft das aber noch nicht wesentlich weiter, weil immer noch zwei – Versetzen durch Unterlassen und Imstichlassen – zur Auswahl stehen. Hillenkamp sieht das aber anders und folgert, da kein Versetzen durch positives Tun vorliege, dass dieser Fall – wenn überhaupt – nur als ein Imstichlassen angesehen werden könne. Andernfalls würden die Voraussetzungen der Garantenstellung umgangen1560. Ein Imstichlassen scheide aber aus, weil keine Garantenstellung des T gegeben sei. Letzteres ist zwar sicher zutreffend, aber die vorhergehende Schlussfolgerung von Hillenkamp nicht: Er übersieht nämlich die Möglichkeit der Begehung der ersten Tatvariante durch Unterlassen, unter die das Verhalten ja möglicherweise auch subsumiert werden könnte1561. Er konstruiert somit aus der Nicht-Aktivität des Verhaltens des T eine allgemeine Abgrenzung der beiden Tatvarianten, was nicht vereinbar ist mit der – durch Verzicht Hillenkamp, BT10, S. 15 f. Der Einwand wurde für die hier dargelegte Lösung schon in den Ausführungen auf S. 416 ff. im 4. Teil: E. III. 3. c) cc) behandelt und widerlegt. 1561 Wobei bei Subsumtion unter §§ 221 Abs. 1 Nr. 1, 13 StGB im Ergebnis keine Strafbarkeit des T besteht, weil es auch hier am Tatbestandsmerkmal der Garantenstellung fehlt. In Betracht käme daher nur eine Bestrafung aus § 323c StGB. 1559 1560

E. Verhältnis der beiden Tathandlungen zueinander und ihre Abgrenzung 425

auf räumliche Erfordernisse – neuen Reichweite der Tathandlungen in der Neufassung der Norm. e) Verallgemeinerung der Lösung im „Bergsteiger-Fall“ auf ähnlich gelagerte Fälle Nachdem nun das Verhalten des Bergführers im „Bergsteiger-Fall“ als Versetzen durch Unterlassen eingeordnet wurde, ist noch zu klären, welche anderen Fälle, Fallgruppen bzw. Verhaltensweisen – entsprechend den Ausführungen zum „Bergsteiger-Fall“ – als Versetzen durch Unterlassen anzusehen sind. Mit der Einordnung des „Bergsteiger-Falles“ als Versetzen durch Unterlassen sind sämtliche Fälle der Verweigerung von zuvor geleisteter Hilfe bzw. Fälle, in denen die Erwartung zur Hilfeleistung durch den Täter besteht und von diesem noch nicht objektiv erkennbar negiert wurde, als Versetzen durch Unterlassen zu beurteilen, wodurch eine neue hilflose Lage für das Opfer geschaffen wird. Zusammengefasst: Alle Fälle der Hilfeverweigerung bei zuvor geleisteter Hilfe sind nunmehr ein Versetzen durch Unterlassen. Damit wird z. B. auch der „Krankenschwester-Fall“1562 zu einem Versetzen durch Unterlassen; dabei ist es nicht einmal erforderlich, dass die Krankenschwester das Zimmer verlässt; auch das rein passive Verharren am Bett des Patienten stellt ein Versetzen durch Unterlassen dar, wenn bis dato Hilfe geleistet worden ist. f) Durch räumlich-örtliche Bewegungsvorgänge geprägte Verhaltensweisen als „typische“ Fälle des Versetzens und Imstichlassens Wie oben bereits ausgeführt1563, wird in der Literatur auch nach der Neufassung der Norm behauptet, die räumlichen Verhaltensweisen wie beim Aussetzen und Verlassen nach § 221 Abs. 1 StGB a. F. seien weiterhin die „typischen“ Erscheinungsformen der Tathandlungen in der n. F. Nach den vorgehenden Ausführungen zum Verhältnis und zur Abgrenzung der beiden Tathandlungen kann dieser Meinung in dieser Allgemeinheit nicht gefolgt werden. Wenn man, wie es die überwiegende Ansicht und auch der Verfasser befürworten, beide Tathandlungen – unter Verzicht auf ein räumliches Element – weit verstanden wissen will und auch dem Merkmal der hilflosen Lage einen von der a. F. abweichenden Inhalt zuweist, ist es nicht mehr möglich, bestimmte Fälle bzw. Fallgruppen zur 1562

Vgl. das Fallbeispiel oben auf S. 353 im 4. Teil: E. II. 2. Vgl. zum Imstichlassen im 4. Teil: C. I. 2. b) [Fundstellen dort in Fn. 110] sowie zum Versetzen im 4. Teil: C. II. 2. b) [Nachweise ebenda in Fn. 466]. 1563

426 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

a. F. oder „typische Tathandlungen“ wie bisher unter dieselbe Tatvariante zu subsumieren. Der Tatbestand der Aussetzung wurde – wie es der Wille des Gesetzgebers war – in mehrfacher Hinsicht erweitert und enthält heute immer noch die früher „typischen“ Fälle und Fallgruppen. Diese waren und sind tatbestandsmäßig eine Aussetzung. Damit ist allerdings nicht gesagt, dass weiterhin eine Subsumtion unter dieselbe Tatvariante vorzunehmen ist wie bisher, sondern vielmehr nur, dass diese weiterhin unter den Grundtatbestand des § 221 Abs. 1 StGB fallen. Der neue Aussetzungstatbestand enthält zwar die alten Fälle, erfasst daneben aber auch neue Fallgruppen. Die alten gesetzlichen Leitbilder – gemeint ist die Abgrenzung der Tathandlungen anhand der Bewegungen von Täter und Opfer – existieren aber nicht mehr; vielmehr sind im Wege der Interpretation der Norm neue Leitlinien der Aussetzung und der beiden Tatvarianten zu finden und entsprechend dieser Leitlinien bestimmte Verhaltensweisen unter die Alternativen des Grundtatbestandes zu subsumieren. Der umgekehrte Weg scheint weder möglich noch zulässig, weil er sich über die Fakten der Neuformulierung und Neufassung der Norm hinwegsetzt. Dies wurde schon am Beispiel des „Bergsteiger-Falles“ und der ähnlich gelagerten Fälle deutlich1564 und kann jetzt allgemein formuliert werden: Aufgrund der Änderung der Tathandlungen, die heute nur auf das Neuschaffen oder Vorliegen einer hilflosen Lage abstellen, ist das räumliche Element nicht mehr das Kriterium, das beide Tatvarianten unterscheidet, sondern das Bestehen oder Nichtbestehen einer hilflosen Lage1565. Hieran hat sich die Subsumtion der bisherigen Anwendungsfälle der Aussetzung unter die neuen Tathandlungen zu orientieren, nicht am überkommenen, alten Verständnis. Übertragen auf das früher für das Verlassen typische örtliche Weggehen des Täters bedeutet das: Schafft der Täter erst durch sein örtliches Entfernen eine hilflose Lage, so ist dies ein Versetzen durch Unterlassen und strafbar, soweit der Täter Garant ist1566. Findet der (Garanten-)Täter hingegen das Opfer in einer hilflosen Lage vor und entfernt sich, so liegt ein Imstichlassen vor. Es mag unbillig erscheinen, im ersten Fall eine Milderung nach § 13 Abs. 2 StGB zu gewähren, im zweiten aber nicht1567; letztlich geben der Wortlaut und die Auslegung der Norm diese Unterscheidung jedoch vor und man sollte sie nicht durch „Billigkeitsargumente“ aus 1564

Siehe im 4. Teil: E. III. 3. d) und im 4. Teil: E. III. 3. e). Vgl. 4. Teil: C. III. 1566 Dass mit dieser Deutung – wie behauptet – keine Umgehung der Voraussetzungen von § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB einhergeht, wurde bereits oben im 4. Teil: E. III. 3. c) cc) belegt. 1567 So der Einwand von Lucks, S. 77, 180. 1565

E. Verhältnis der beiden Tathandlungen zueinander und ihre Abgrenzung 427

den Angeln heben wollen. Außerdem ließen sich diese Unbilligkeiten gegebenenfalls durch eine analoge Anwendung von § 13 Abs. 2 StGB auf das Imstichlassen mildern1568. Bei Zugrundelegen der Gegenansicht zur Einordnung der Verhaltensweisen entstehen darüber hinaus weitergehende Ungereimtheiten als (nur) das soeben eingeräumte Problem bei § 13 Abs. 2 StGB der hier bevorzugten Ansicht1569. Anscheinend lässt sich der neugefasste Tatbestand der Aussetzung nicht ohne jeglichen inneren Konflikt auslegen. Das in diesem Kapitel entwickelte Konzept minimiert jedenfalls diese Widersprüche1570. g) Fazit zur Abgrenzung der Tathandlungen n. F. Die Abgrenzung der beiden durch das 6. StrRG neugefassten Tathandlungen Versetzen und Imstichlassen hat sich ausschließlich an der Frage zu orientieren, ob die hilflose Lage durch das Verhalten des Täters geschaffen wird – dann Versetzen – oder ob die hilflose Lage schon vorliegt, wenn der Täter-Garant erscheint, – dann Imstichlassen. Dieses Verständnis ergibt sich aus dem Wortlaut der Norm und der Tatsache, dass beide Tathandlungen seit dem 6. StrRG weit zu verstehen sind, und es vermeidet weitgehend die Unstimmigkeiten, die die Gegenansicht in Kauf nehmen muss. Nach der oben entwickelten Abgrenzung werden Fälle, die man bisher als Verlassen i. S. des § 221 Abs. 1 StGB a. F. ansah, jetzt als Versetzen durch Unterlassen qualifiziert. So ist das Weggehen eines Garanten, der zuvor Hilfe geleistet hat, nicht mehr ein Fall der zweiten Tatvariante, sondern als Versetzen durch Unterlassen zu qualifizieren. Zwar handelt der Täter beim Weggehen „aktiv“, dies stellt aber im strafrechtlichen Sinne ein Unterlassen dar. Die speziellen Voraussetzungen des § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB werden bei diesem Verständnis nicht umgegangen, weil das Versetzen durch Unterlassen als unechtes Unterlassungsdelikt auch eine Garantenstellung erfordert. § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB greift ausschließlich dort ein, wo der Täter-Garant nichts zum Entstehen der hilflosen Lage beigetragen hat. Damit wird – wie schon bei der Klärung des Verhältnisses der Tathandlungen angesprochen – § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB zu einer Art „Auffangtatbestand“ für alle die Fälle, in denen kein Schaffen einer hilflosen Lage vorliegt oder nachweisbar ist. 1568

Vgl. hierzu die Ausführungen im 4. Teil: C. II. 5. c) aa) (2) in Fn. 582. Vgl. die entsprechenden Ausführungen bei der Beurteilung des Entziehens sachlicher Hilfsmittel als Versetzen [vgl. im 4. Teil: D. IV. 2. d) dd) (2)]. 1570 Vgl. zu dem Aspekt einer widerspruchsfreien Auslegung auch Renzikowski, GA 1992, 159 ff.; insbesondere ders., ebenda, S. 172: „Als Auslegungsregel ergibt sich somit eine Vermutung zu Gunsten der Konformität der rechtlichen Wertungen für die dogmatische Lösung entsprechender Sachprobleme“. 1569

428 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

F. Die Gefährdungsklausel: Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung Das letzte zu untersuchende Tatbestandsmerkmal des § 221 Abs. 1 StGB ist in der sog. Gefährdungsklausel erfasst und wird dort, wie folgt, umschrieben: „und ihn (erg.: einen Menschen alias das Opfer der Tat) dadurch der Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung aussetzt“. Der folgende Abschnitt dient der Ermittlung der inhaltlichen Bedeutung dieser Klausel im Rahmen der Aussetzung und ihres Verhältnisses zum Tatbestandsmerkmal der hilflosen Lage.

I. Verständnis der Gefährdungsklausel in Rechtsprechung und Wissenschaft seit dem 6. StrRG Diese Klausel wurde durch das 6. StrRG neu in den Tatbestand der Aussetzung eingefügt1571, hat aber bisher – im Gegensatz zu den beiden Tathandlungen und der hilflosen Lage – für relativ wenig Diskussionsstoff gesorgt. Es ist einhellige Ansicht, in dieser Gefährdungsklausel sei seit dem 6. StrRG der Taterfolg einer konkreten Gefahr gesetzlich normiert und die Aussetzung daher als konkretes Gefährdungsdelikt anzusehen1572. Allerdings wird die Formulierung einer „Gefahr . . . aussetzen“ als im StGB unüblich und sprachlich ungewöhnlich kritisiert; der Gesetzgeber habe zur Beschreibung eines konkreten Gefährdungsdeliktes bzw. eines Gefahrenerfolges bisher stets andere Umschreibungen verwendet1573. Außerdem sei die Formulierung in der Gefährdungsklausel nicht ganz eindeutig und könne nach dem normalen Wortlaut auch Situationen im Vorfeld einer konkreten Gefahr erfassen, in denen es zwar zu einer Gefährdung kommen könne, aber noch keine konkrete Gefahr vorliege1574. Der Schluss auf den 1571

Zur Entstehung der Norm im 6. StrRG vgl. oben 3. Teil: B. II. 3. DSNS-Struensee, 2. Teil Rn. 11; Arzt/Weber, BT, § 36 Rn. 1; Laue, S. 3, 26; Lucks, S. 29; MüKo-StGB-Hardtung, § 221 Rn. 2, 19 f.; Gössel/Dölling, BT 12, § 7 Rn. 1 f.; Küper, BT6, S. 37 f.; Schönke/Schröder-StGB27-Eser, § 221 Rn. 8; Kindhäuser, BT I3, § 5 Rn. 3 ff.; Tröndle/Fischer, StGB54, § 221 Rn. 1. Die Existenz eines „Taterfolges“ der konkreten Gefahr bei den konkreten Gefährdungsdelikten grundsätzlich ablehnend Koriath, GA 2001, 58 ff., 74. 1573 Sternberg-Lieben/Fisch, Jura 1999, 48; Küper, ZStW 111 [1999], 46; Lucks, S. 30. 1574 Sternberg-Lieben/Fisch, Jura 1999, 48; Küper, ZStW 111 [1999], 46; Kosloh, S. 49; Laue, S. 26; Lucks, S. 31. Hacker/Lautner, Jura 2006, 279 nutzen das „Aussetzen“ in der Gefährdungsklausel aber für eine erweiternde Auslegung der Aussetzung in die andere Richtung und wollen jedes Weiterwirkenlassen einer Gefahr erfassen. 1572

F. Die Gefährdungsklausel

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Charakter der Aussetzung als konkretes Gefährdungsdelikt könne aus der neu formulierten Gefährdungsklausel mithin nicht zwingend gezogen werden1575, was aber die Aufgabe der Einordnung der Aussetzung als konkretes Gefährdungsdelikt bedeuten würde1576. Im Ergebnis erachten jedoch auch die Kritiker der Wortwahl der Gefährdungsklausel diesen Schluss als unzutreffend und halten an der Rechtsnatur der Aussetzung als konkretes Gefährdungsdelikt fest1577. Sie begründen ihre Ansicht in erster Linie damit, aus den Materialien und der Entstehungsgeschichte ergäben sich keine Anhaltspunkte für die Aufgabe des Gefährdungscharakters der Aussetzung, sondern nur für die Bestätigung des Taterfolges einer konkreten Gefahr1578. Bei einer anderen Einordnung der Gefährdungsklausel drohe zudem die Umgehung der fehlenden Anordnung der Versuchsstrafbarkeit des Grundtatbestandes1579.

II. Eigene Auffassung zur Gefährdungsklausel In Anbetracht der – im Strafrecht für eine Fragestellung fast überraschenden – Einhelligkeit, mit der die Gefährdungsklausel als Beschreibung des Taterfolgs i. S. einer konkreten Gefahr angesehen wird, gibt es zu diesem Punkt keinen Anlass, dieser Einschätzung grundsätzlich zu widersprechen. Deshalb soll im folgenden Abschnitt nur kurz dargelegt werden, wieso diese Einschätzung zutreffend ist, und warum die Annahme, eine erweiternde Auslegung der Gefährdungsklausel sei nach dem Wortlaut möglich, unzutreffend ist. 1. Wortlautauslegung der Gefährdungsklausel Die Formulierung einer „Gefahr . . . aussetzen“ mag sprachlich ungewöhnlich sein und der Gesetzgeber zur Umschreibung eines Gefährdungsdeliktes bzw. eines Gefahrenerfolges häufiger andere Wendungen gebrauchen1580. Jedoch ist das einer „Gefahr . . . aussetzen“ dem StGB auch nicht 1575

Sternberg-Lieben/Fisch, Jura 1999, 48. Lucks, S. 32. 1577 Sternberg-Lieben/Fisch, Jura 1999, 48; Küper, ZStW 111 [1999], 45; Laue, S. 26; Lucks, S. 32. 1578 Sternberg-Lieben/Fisch, Jura 1999, 48; Laue, S. 26; Lucks, S. 32. 1579 Lucks, S. 32; Hacker/Lautner, Jura 2006, 275 f. 1580 Wie z. B. „gefährdet“ in §§ 170 Abs. 1, 307 Abs. 1, 315a ff. StGB, „und dadurch die Gefahr . . . herbeiführt“ in §§ 80, 94 Abs. 1 StGB, „und dadurch . . . die Gefahr . . . verursacht“ in §§ 97 Abs. 1, 297 Abs. 1 StGB oder „in die Gefahr . . . bringt“ in §§ 113 Abs. 2 Nr. 2, 171, 225 Abs. 3, 250 Abs. 3 Nr. 3b, 306a Abs. 2 StGB. 1576

430 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

fremd und wird zur Beschreibung des Taterfolges einer konkreten Gefahr benutzt. Genau dieselbe Wendung findet man nämlich beim Menschenraub, § 234 StGB, und bei der politischen Verdächtigung, § 241a StGB. Beide Delikte werden von Literatur und Rechtsprechung einhellig als konkrete Gefährdungsdelikte eingeordnet, der Taterfolg mithin in einer konkreten Gefahr gesehen1581. Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass diese Passage in §§ 234, 241a StGB schon seit Einfügung der beiden Tatbestände in das StGB durch das „Gesetz zum Schutz der persönlichen Freiheit“ vom 15.07.1951 unverändert enthalten ist1582. Als neu kann diese Formulierung im StGB demnach nicht qualifiziert werden. Die Gleichsetzung dieser Formulierungen mit einer konkreten Gefahr besteht also schon weit länger als die Gefährdungsklausel bei der Aussetzung im 6. StrRG. Wieso diese aus anderen Normen bekannte und dort unstrittige Passage im Rahmen der Aussetzung jetzt anders ausgelegt und verstanden werden soll und kann, bleibt unklar. 2. Historische Aspekte zur Deutung der Gefährdungsklausel Schon zur a. F. war die Einordnung der Aussetzung als konkretes Gefährdungsdelikt nahezu einhellig anerkannt1583; sie wurde aus einer Inter1581 Zu § 234a StGB: LK-StGB11-Gribbohm [03/1999], § 234a Rn. 21 ff.; MüKo-StGB-Wieck-Noodt, § 234a Rn. 20; SK-StGB7-Horn/Wolters [10/2003], § 234a Rn. 5; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 19, § 15 Rn. 5; § 15 IV Rn. 11; NK-StGB2-Sonnen, § 234a Rn. 8; Schönke/Schröder-StGB27-Eser, § 234a Rn. 9a; Lackner/Kühl, StGB26, § 234a Rn. 1; Tröndle/Fischer, StGB54, § 234a Rn. 7. Zu § 241a StGB: BGHSt 20, 184 [185]; 32, 293 [294], BGH NStZ 1994, 426 [428]; 1995, 288 [289]; 1997, 435 [436]; LG Koblenz NStZ 1983, 508 [509]; Wassermann, NJW 1995, 931; LK-StGB11-Träger/Schluckebier [09/2001], § 241a Rn. 11 ff.; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 19, § 15 Rn. 5; § 15 IV Rn. 11; MüKo-StGB-Gropp/Sinn, § 241a Rn. 7; NK-StGB2-Toepel, § 241a Rn. 13; SKStGB7-Horn/Wolters [10/2003], § 241a Rn. 4; Schönke/Schröder-StGB27-Eser, § 241a Rn. 4; Lackner/Kühl, StGB26, § 241a Rn. 1 [i. V. m. § 234a Rn. 1]; Tröndle/ Fischer, StGB54, § 241a Rn. 4. 1582 BGBl. I, 448; vgl. auch BT-Drs. 1/2344. Zur Entstehungsgeschichte der Normen und des besagten Gesetzes Wassermann, NJW 1995, 931; Schroeder, NStZ 1997, 436; Koch, NJW 2005, 944. 1583 Fenner, S. 48; Albrecht, S. 36 f.; Redlich, S. 14; Ebermayer/Lobe/Rosenberg, RStGB4, § 221 Anm. 1; R. Schmidt, StR1, S. 196 f.; Gottschalk, S. 3 f.; Marfels, S. 55; Frank, StGB18, § 221 Anm. I; Gerland, StR2, S. 489; Heilbrunn, S. 24; Welzel, StR11, S. 296; Bockelmann, BT 2, S. 70; Preisendanz, StGB30, § 221 Anm. 1; Eser, StR III2, Fall 10 Anm. 22; LK-StGB10-Jähnke [04/1981], § 221 Rn. 2, 5; Schmidhäuser, BT2, Kap. 2 Rn. 41; Feloutzis, S. 30, 91, 245; SK-StGB5-Horn [05/1993], § 221 Rn. 3; Küper, JZ 1995, 168; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 18,

F. Die Gefährdungsklausel

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pretation des Merkmals der hilflosen Lage für beide Tatvarianten gewonnen1584. Insbesondere spricht gegen eine andere Auslegung der Wille des Gesetzgebers, der sich hinsichtlich des Inhalts der Gefährdungsklausel eindeutig aus der amtlichen Begründung herleiten lässt. Diesen Charakter der Aussetzung a. F. wollte der Gesetzgeber auch für die n. F. erhalten, wie man aus der amtlichen Begründung zum 6. StrRG entnehmen kann. Um die Struktur des Deliktes deutlicher zu gestalten, wurden die Tatbestandsmerkmale hilflose Lage und Gefahr getrennt normiert. Die Herkunft der Formulierung lässt sich – im Gegensatz zu vielen anderen Neuerungen bei der Aussetzung – eindeutig nachvollziehen1585: Lautete der zweite Halbsatz von § 221 Abs. 1 StGB im Referentenentwurf noch „und ihn dadurch in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung bringt“1586, so wurde diese Formulierung durch die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses in das heutige „und ihn dadurch der Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung aussetzt“ umgewandelt1587. Anlass für diese Änderung war die Kritik aus der Wissenschaft am Wortlaut der ursprünglichen Gefährdungsklausel: „§ 221 Abs. 1 Nr. 2 E enthält ferner einen sprachlichen und sachlichen Bruch, wenn es heißt: ‚. . . in einer hilflosen Lage im Stich läßt, . . . und ihn dadurch in die Gefahr . . . bringt, . . .‘. Sagen ließe sich wohl: ‚. . . im Stich läßt, . . . und ihn dadurch der Gefahr aussetzt, . . .‘ “1588. Man meinte also, für das passivisch formulierte Imstichlassen passe das aktiv ausgestaltete „in Gefahr Bringen“ § 4 Rn. 3, 11; Krey, BT I10, Rn. 132, 136a; Küpper, BT I1, § 1 Rn. 83; Haft, BT6, S. 100; Lackner/Kühl, StGB22, § 221 Rn. 1, 5; Schönke/Schröder-StGB25-Eser, § 221 Rn. 1, 8; Schroth, BT1, S. 51 f.; Tröndle, StGB48, § 221 Rn. 1, 7; Wessels, BT I21, Rn. 186. A. A. lediglich Henning, S. 32 f., der den Erfolg der Aussetzung in der Herbeiführung der hilflosen Lage sah, die aber nicht als Gefährdung zu verstehen sei. Die Gefährdung ist nach Henning lediglich Motiv des Gesetzgebers zur Schaffung des Tatbestandes. 1584 Vgl. zum Ganzen die Darstellung oben im 4. Teil: D. II. 1. a). 1585 Vgl. zur Entstehung der Gefährdungsklausel auch Küper, ZStW 111 [1999], 46; Sternberg-Lieben/Fisch, Jura 1999, 48; Kosloh, S. 49 f.; Laue, S. 16, 26; Lucks, S. 32. 1586 RefE, S. 12; dem folgend der Gesetzesentwurf der Bundesregierung im Bundesrat, in: BR-Drs. 164/97, S. 12, und der Entwurf der CDU/CSU- und FDP-Fraktionen im Bundestag, in: BT-Drs. 13/7164, S. 5. 1587 Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses des Bundestages, in: BT-Drs. 13/8991, S. 17, und Bericht des Rechtsausschusses des Bundestages, in: BT-Drs. 13/9064, S. 14. Diese Fassung wurde im Bundesrat, BR-Drs. 931/97, S. 20, angenommen. 1588 Freund, ZStW 109 [1997], 474 [Hervorhebungen im Original].

432 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

nicht1589. Aufgrund dieser – eindeutig nur auf die zweite Tatvariante bezogenen – Kritik änderte der Rechtsausschuss aber den gesamten Tatbestand1590. Demzufolge harmoniert heute die Gefährdungsklausel nicht mehr mit der ersten Variante1591. Die fehlerhafte Umsetzung des Einwands aus der Wissenschaft ist wohl die Erklärung dafür, dass der neue Wortlaut der Gefährdungsklausel bis heute kritisch betrachtet wird. Aufgrund der Entstehungsgeschichte der Gefährdungsklausel, soweit sie aus den Materialien nachvollziehbar ist, gibt es keinen Zweifel, dass die Neufassung nur einem Zweck dienen sollte: Der Taterfolg der konkreten Gefahr sollte ausdrücklich im Tatbestand erscheinen und der Charakter der Aussetzung als Gefährdungsdelikt festgelegt werden. Dies steht zwar nicht wörtlich in den Materialien, ergibt sich aber deutlich aus deren Interpretation. Es heißt dort, dass „der E 1962 den Schutzzweck der Norm auf die konkrete Lebensgefahr des Opfers beschränken“, der Entwurf zum 6. StrRG hingegen klarstellen wollte, dass „als geschütztes Rechtsgut auch die körperliche Unversehrtheit anzusehen ist“1592. Im Vergleich zum E 1962 sollte also der Kreis der geschützten Rechtsgüter über den Schutz des Lebens hinaus erweitert werden, wie das Wort „auch“ deutlich macht. Keine Änderung sehen diese Erläuterungen aber hinsichtlich des Taterfolges der konkreten Gefahr vor; der Gefährdungscharakter der Norm sollte vielmehr bestehen bleiben. Ergänzend sei auch darauf hingewiesen, dass seit dem Radbruchschen E 1922 alle Folgeentwürfe eine Gefährdungsklausel enthielten1593, um festzulegen, dass die Aussetzung ein konkretes Gefährdungsdelikt darstellen soll1594. Dafür, dass der Gesetzgeber von dieser „traditionellen“ Idee 1998 abweichen wollte, ist den Materialien nichts zu entnehmen. Im Gegenteil: Wie mehrfach betont, sieht der Gesetzgeber die Normierung der Aussetzung als Weiterentwicklung bzw. Vollendung der unvollendeten, vorherigen Reformen an1595.

1589

Sternberg-Lieben/Fisch, Jura 1999, 48; Kosloh, S. 49; Lucks, S. 30. Küper, ZStW 111 [1999], 45 [insbesondere Fn. 66]; Laue, S. 26; Lucks, S. 32. Zu diesem Aspekt der Entstehungsgeschichte vgl. schon oben auf S. 77 im 3. Teil: B. II. 3. 1591 Küper, ZStW 111 [1999], 46; Kosloh, S. 50; Lucks, S. 32. 1592 RefE, S. 123; BR-Drs. 164/97, S. 119; BT-Drs. 13/7164, S. 34 [Hervorhebungen vom Verfasser]. 1593 Vgl. die Ausführungen im historischen Teil unter 3. Teil: B. I. sowie die Textfassungen der in Rede stehenden Entwürfe im Anhang [7. Teil: B.]. 1594 Lucks, S. 29. 1595 Siehe schon oben im 1. Teil: A. sowie im 3. Teil: B. II. 3. 1590

F. Die Gefährdungsklausel

433

3. Auswirkungen auf die Systematik des StGB durch ein die Gefährdungsklausel erweiterndes Verständnis Bei einem erweiternden Verständnis der Gefährdungsklausel wäre der Taterfolg der Aussetzung „weniger“ als eine konkrete Gefahr. Damit würde der Taterfolg der hilflosen Lage n. F. angenähert, was aber – wie ausgeführt1596 – vermieden werden muss, um der Tatsache gerecht zu werden, dass nach dem Wortlaut die Aussetzung mit der hilflosen Lage und der Gefährdungsklausel zwei verschiedene Merkmalkomplexe enthält. Andernfalls würde die abzulehnende Interpretation der Aussetzung als allgemeines Gefährdungsdelikt drohen1597. Je weiter man die Tatbestandsmerkmale der hilflosen Lage bzw. die Merkmale der Gefährdungsklausel interpretiert, um so eher wird die Aussetzung zum allgemeinen Gefährdungsdelikt. Solange eine weite Interpretation also nicht zwingend erforderlich ist und sich eine enge Auslegung widerspruchsfrei und problemlos begründen lässt, ist diese vorzuziehen. Man kann sogar darüber hinausgehend sagen: Wenn es nicht einmal mehr einer konkreten Gefahr zur Vollendung des Tatbestandes bedürfte, sondern eine Situation im Vorfeld der Gefahr als tatbestandsmäßiger Erfolg hinreichend wäre, würde man mit der erweiternden Auslegung die Aussetzung als „allgemeines Gefährdungsunternehmensdelikt“ deuten. Die konkreten Gefährdungsdelikte verlangen als Taterfolg lediglich den Eintritt einer konkreten Gefahr, eine Verletzung wird also nicht vorausgesetzt. Insoweit ist bei diesen Delikten – im Vergleich zu den Verletzungsdelikten – die Vollendung des Tatbestandes schon vorverlagert, ein weiteres Vorverlegen der Tatvollendung auf die Aktivitäten, die erst der Schaffung von Gefahren dienen, würde die konkreten Gefährdungsdelikte in die Nähe von Unternehmensdelikten rücken1598. Und ein solches Delikt ist die Aussetzung sicher nicht: Es wäre dem Gesetzgeber zwar unbenommen, die Aussetzung als Unternehmensdelikt zu gestalten. Nur hat er dies nicht getan. In § 11 Abs. 1 Nr. 6 StGB ist legaldefiniert, dass das Unternehmen einer Tat Versuch und Vollendung erfasst. Mithin ist beim Unternehmensdelikt der Versuch der vollendeten Tat gleichgestellt und es liegt schon beim Unternehmen dieser Delikte eine vollendete, nicht rücktrittsfähige Tat vor1599. 1596

Vgl. oben 4. Teil: D. IV. 1. a). Vgl. ausführlich oben im 4. Teil: D. I. 1. 1598 Lackner, Gefährdungsdelikt, S. 7; Zieschang, S. 13, 42; Blöcker, S. 119; Wohlers, S. 283; ausführlich auch U. Weber, ZStW Beiheft 1987, 1 ff. Zu den Unternehmensdelikten auch Blöcker, S. 41 f.; MüKo-StGB-Radtke, § 11 Rn. 83 f.; SKStGB7-Rudolphi/Stein [02/2005], § 11 Rn. 40; Schönke/Schröder-StGB27-Eser, § 11 Rn. 46, Vorbem § 22 Rn. 15; Lackner/Kühl, StGB26, § 11 Rn. 19. 1597

434 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

Es gibt noch zwei weitere Gründe, die gegen die Klassifizierung der Aussetzung als Unternehmensdelikt sprechen: Erstens verwendet der Gesetzgeber zur Beschreibung der Tathandlung bei den „echten“ Unternehmensdelikten regelmäßig das Verb „unternehmen“ bzw. „unternimmt“1600. Zweitens muss bei der Aussetzung ein Versuchsstadium für die Verbrechen in den Absätzen 2 und 3 existieren1601. Wenn es für Qualifikationen des Grundtatbestandes in diesen Absätzen ein Versuchsstadium gibt, so muss dies – selbst wenn dieses Stadium straflos ist – auch für den Grundtatbestand gelten: Innerhalb der verschiedenen Absätze der Aussetzung kann die Beurteilung, ob ein Stadium noch Versuch ist oder schon die Vollendung darstellt, wohl kaum unterschiedlich ausfallen. Dies wird dadurch bestätigt, dass der Grundtatbestand der Anknüpfungspunkt für die Qualifikationen der Folgeabsätze ist. Da aber die Gefährdungsklausel in allen Absätzen gleich zu verstehen sein muss und es bei den Absätzen 2 und 3 ein Versuchsstadium gibt, muss es sinnlogisch auch beim Grundtatbestand einen Zeitraum geben, der als Versuchsstadium zu bezeichnen ist. Eine Auslegung, die das gegenteilige Ergebnis erreicht, wäre nicht vertretbar; dies wäre aber bei einem erweiternden Verständnis des „einer Gefahr Aussetzen“ hin zu einem Unternehmensdelikt der Fall. Die Kritik aus dem Schrifttum, dass mit dem erweiternden Verständnis der Gefährdungsklausel eine unzulässige Vorverlagerung des Taterfolgs verbunden sei, ist also zutreffend und spricht gegen diese Deutung. Ergänzend sei noch auf einen Gesichtspunkt hingewiesen, der grundsätzlich für eine enge Deutung der Gefährdungsklausel im Auge zu behalten ist: Wie dargestellt, existiert bei § 221 StGB – entgegen der Planung in den 60er Jahren – keine Regelung der tätigen Reue1602. BGHSt 5, 280 [281]; 33, 378 [381]; Jescheck/Weigend, AT5, § 49 VIII 1 f.; SK-StGB7-Rudolphi/Stein [02/2005], § 11 Rn. 40 f.; Schönke/Schröder-StGB27Eser, § 11 Rn. 46; Lackner/Kühl, StGB26, § 11 Rn. 19; Tröndle/Fischer, StGB54, § 11 Rn. 28; zweifelnd LK-StGB12-Hilgendorf [03/2007], § 11 Rn. 83; Wessels/ Beulke, AT37, Rn. 41; anders Wolters, Unternehmensdelikt, S. 101 ff. Die Möglichkeit des Versuchs eines Unternehmensdelikts ist im Schrifttum umstritten. Dies verneinen Jescheck/Weigend, AT5, § 49 VIII 2; Lackner/Kühl, StGB26, § 11 Rn. 19; Tröndle/Fischer, StGB54, § 11 Rn. 28; zweifelnd LK-StGB12-Hilgendorf [03/2007], § 11 Rn. 84; differenzierend SK-StGB7-Rudolphi/Stein [02/2005], § 11 Rn. 46; dies ablehnend Wolters, Unternehmensdelikt, S. 142 ff. 1600 Vgl. §§ 81 Abs. 1, 82 Abs. 1, 108e Abs. 1, 130 Abs. 1 Nr. 1d, 131 Abs. 1 Nr. 4, 184 Abs. 1 Nr. 4, 8, 9, 184a Nr. 3, 184b Abs. 1 Nr. 3, 184b Abs. 2, 184b Abs. 4, 275 Abs. 1 Hs. 2, 276 Abs. 1 Nr. 1, 307 Abs. 1, 309 Abs. 1/2, 316c Abs. 1 Nr. 2, 357 Abs. 1. Vgl. auch Jescheck/Weigend, AT5, § 49 VIII 1; LK-StGB12-Hilgendorf [03/2007], § 11 Rn. 82; SK-StGB7-Rudolphi/Stein [02/2005], § 11 Rn. 40; Schönke/Schröder-StGB27-Eser, § 11 Rn. 46, 52; Wessels/Beulke, AT37, Rn. 41. Ausführlichst zu der Thematik auch Wolters, Unternehmensdelikt, S. 42 ff. 1601 Vgl. im 4. Teil: E. III. 2. b) bb) (1) (a). 1599

F. Die Gefährdungsklausel

435

Ein weites Verständnis der Gefährdungsklausel würde zu einem früheren Vollendungszeitpunkt der Tat führen als ein enges Verständnis. Damit käme es aber auch „noch“ schneller zu einer Strafbarkeit des Täters gem. § 221 StGB, und zwar ohne die Möglichkeit, Strafbefreiung oder Milderung bei Vornahme einer „Reuehandlung“ zu bekommen1603. Schon aus Gründen des Opferschutzes wäre es aber wünschenswert, diese Möglichkeit offen zu halten1604. Damit führt ein enges Verständnis der Gefahr und der Gefährdungsklausel dazu, dass diese „Härten“ teilweise gemildert werden können. Es ist aus diesem Grund vorzuziehen. 4. Teleologische Aspekte: Schutzzweck der Norm Gegen die weite Auslegung der Gefährdungsklausel spricht auch der Schutzzweck der Norm: Seit § 183 preuß. StGB 1851 war die Gefährdung des Opfers das entscheidende, strafbegründende Moment und nicht mehr die Fürsorgeentledigungsabsicht1605. Der Schutz vor Gefahren war seitdem Sinn und Zweck des Tatbestandes und dies wird auch heute noch so gesehen1606. Zur Sicherung dieses Schutzzweckes ist aber eine erweiternde Vorverlagerung des Strafrechtsschutzes nicht erforderlich. Vielmehr dienen dem Schutz vor Gefahren gerade die konkreten Gefährdungsdelikte.

1602

Siehe im 4. Teil: D. I. 2. Die Auswirkungen des weiten Verständnisses lassen sich recht gut an folgendem Fall erkennen: Ein Schiffskapitän setzt einen Passagier grundlos auf einer einsamen Insel aus. Obwohl ohne Werkzeug, kann sich der gesunde Passagier problemlos einige Tage auf der Insel über Wasser halten. Im Moment der „Aussetzung“ ist der Passagier zwar in hilfloser Lage, weil er selber nicht von der Insel gelangen kann, aber nicht in Gefahr. Diese tritt später ein. Bereut der Kapitän nun später sein Verhalten und holt er zwei Tage später seinen Passagier wieder ab, so wäre nach dem engen Verständnis der Gefährdungsklausel der Tatbestand der Aussetzung zu verneinen. Das weite Verständnis hingegen müsste eine Strafbarkeit schon beim „Aussetzen“ auf der Insel bejahen. 1604 Vgl. zu der Argumentation hinsichtlich des Rücktritts vom Versuch und der in diesem Bereich täterfreundlichen – und damit gleichzeitig opferschützenden – Auslegung der Merkmale des Rücktritts oben im 4. Teil: C. II. 5. d) in Fn. 624. 1605 Vgl. hierzu oben 3. Teil: A. I. 5. 1606 DSNS-Struensee, 2. Teil Rn. 9; Küper, ZStW 111 [1999], 35 ff.; Arzt/Weber, BT, § 36 Rn. 1; Hohmann/Sander, BT II, § 5 Rn. 1; Lucks, S. 29 ff.; MüKo-StGBHardtung, § 221 Rn. 1; Gössel/Dölling, BT 12, § 7 Rn. 1; Haft, BT II8, S. 125; Küper, BT6, S. 35; NK-StGB2-Neumann, § 221 Rn. 3; Sonnen, BT, S. 19; Kindhäuser, LPK3, § 221 Rn. 1; Tröndle/Fischer, StGB54, § 221 Rn. 1. 1603

436 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

III. Der Begriff der konkreten Gefahr Aus den vorhergehenden Überlegungen folgt: Der Eintritt einer konkreten Gefahr als Taterfolg ist erforderlich, damit aus dem Versetzen eines Menschen in eine hilflose Lage bzw. aus dem Imstichlassen eines Menschen in einer solchen Situation eine tatbestandsmäßige Aussetzung wird. Was im Einzelnen eine konkrete Gefahr ist, kann im Rahmen der Arbeit, die sich mit den Merkmalen der Aussetzung und nicht schwerpunktmäßig mit dem Begriff und Inhalt der Gefahr befasst, nicht geklärt werden. Dieses Problem war aber bereits Thema zahlreicher Publikationen1607. Daher wird der Arbeit der heute überwiegend vertretene Begriff zur konkreten Gefahr zugrundegelegt: Gefahr ist danach ein ungewöhnlicher Zustand, in dem nach den konkreten Umständen die Wahrscheinlichkeit eines Schadens derart gesteigert ist, dass sein Eintritt naheliegt bzw. das Ausbleiben des Schadens nur noch vom unberechenbaren Zufall abhängt1608. Solange die a. F. der Aussetzung Gültigkeit hatte, wurde der Rechtsprechung – wohl nicht zu Unrecht – vorgeworfen, sie habe dazu tendiert, den Begriff der hilflosen Lage in § 221 StGB a. F. – also die Gefahr – weit auszulegen, um alle Fälle zu erfassen, die sie für strafwürdig erachtete1609. Hintergrund dieser Tendenz war – wie schon erwähnt1610 –, dass die hilflose Lage in der zweiten Tatvariante bei strenger Beachtung des Wortlauts eigentlich schon vor dem Verlassen vorliegen musste, es allerdings auch für hinreichend erachtet wurde, wenn die hilflose Lage a. F./Gefahr mit dem Verlassen eintrat. Damit ergab sich in den Fällen, in denen ein Verlassen vorlag, eine konkrete Gefahr aber erst später eintrat, theoretisch eine Strafbarkeitslücke, die die Rechtsprechung durch ein eher großzügiges Verständnis der hilflosen Lage schloss1611. 1607 Vgl. nur die umfangreichen Literaturangaben bei Zieschang, S. 394 ff.; MüKo-StGB-Barnickel, § 315 [Literaturnachweise zur Gefahr]; Küper, BT6, S. 149 f., oder Roxin, AT I4, § 11 Vor Rn. 146. 1608 So – mit kleineren Abweichungen – die ständige Rechtsprechung; vgl. nur BGHSt 22, 341 [343 ff.]; BGH NStZ 1996, 83; NStZ-RR 1997, 18 m. w. N. und weite Teile der Literatur, z. B. LK-StGB11-König [07/2000], § 315 Rn. 51 ff.; MüKo-StGB-Barnickel, § 315 Rn. 51 ff.; Küper, BT6, S. 149 ff.; Roxin, AT I4, § 11 Rn. 147 ff.; alle m. z. N., auch zu abweichenden Ansichten und den umstrittenen Einzelheiten des Gefahrbegriffs. 1609 Bassenge, S. 94 ff.; DSNS-Struensee, 2. Teil Rn. 23; Lucks, S. 26 ff. In diese Richtung auch Hacker/Lautner, Jura 2006, 275 f., und die Kritik von Küper, Jura 1994, 516, an RGSt 7, 111 [112], sowie an den weiteren – von Küper, ebenda, Fn. 31 – zitierten Entscheidungen. Darstellend zum teilweise weiten Verständnis einer konkreten Gefahr Zieschang, S. 36 ff. 1610 Vgl. die Darstellung im 4. Teil: D. II. 1. a) [Nachweise dort in Fn. 762 f.]. 1611 Küper, Jura 1994, 516, 518 Fn. 54; Lucks, S. 28 f.

F. Die Gefährdungsklausel

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Kritik an dieser Praxis zu üben oder diese Rechtsprechung einer genaueren Prüfung zu unterziehen, erübrigt sich heute1612: Nach dem eindeutigen Wortlaut der Aussetzung n. F. folgt die Gefahr sowohl in der ersten als auch in der zweiten Tatvariante den Tathandlungen zeitlich immer nach und hilflose Lage und Gefahr sind zwei zu trennende Tatbestandsmerkmale. Ob die Gefahr zeitnah zur Tathandlung oder erst zeitlich verzögert entsteht, spielt – mit Blick auf den Wortlaut der Aussetzung und auf § 8 StGB – keine Rolle mehr1613. Das weite Verständnis der Rechtsprechung zur zweiten Tathandlung und zum Begriff der Gefahr ist also nicht mehr erforderlich. Die Bemühungen der Rechtsprechung um das Erfassen der als strafwürdig erachteten Fälle sind durch das 6. StrRG Gesetz geworden und die früher problematischen Fälle sind heute strafbar.

IV. Die tatbestandsmäßigen Gefahren für Leben und Gesundheit i. S. der Aussetzung Vom Tatbestand der Aussetzung werden nach dem Wortlaut seit 1998 die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung erfasst. Früher war die Frage, ob die Aussetzung nur vor Lebensgefahren oder auch vor Gefahren für die körperliche Integrität schütze, äußerst umstritten1614. Die Rechtsprechung ging seit jeher davon aus, es seien Lebens- und Gesundheitsgefahren erfasst1615. Dem folgten weite Teile des Schrifttums1616. 1612

So auch Lucks, S. 30. Der Fall, dass hilflose Lage und Gefahr absolut zeitgleich eintreten, ist heute nicht tatbestandsmäßig, da die hilflose Lage das Vorliegen einer Hilfsmöglichkeit verlangt [vgl. 4. Teil: D. IV. 2. d) dd)] und die Aussetzung kein allgemeines Gefährdungsdelikt darstellt [siehe 4. Teil: D. I. 1. c)]. 1614 Die Argumente für und wider diesen Streitpunkt in der a. F. findet man bei: Urban, S. 18 ff.; LK-StGB10-Jähnke [04/1981], § 221 Rn. 3 f.; Gössel, BT 1, § 8 Rn. 2; Küper, JZ 1995, 168 ff.; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 18, § 4 Rn. 3; Krey, BT I10, Rn. 132, 141; Küpper, BT I1, § 1 Rn. 83; Haft, BT6, S. 99; Schönke/ Schröder-StGB25-Eser, § 221 Rn. 1; Wessels, BT 121, Rn. 187. 1615 RGSt 7, 111 [113]; 54, 273 [274]; 71, 200 [202]; RGR 7, 250 [252]; RG GA 45 [1897], 357; 54 [1907], 297; BGHSt 4, 113 [116]; 21, 44 [48]; BGH MDR/H 1982, 448; OLG Hamm VRS 19 [1960], 431 [432]; KG JR 1973, 72 [73]; OLG Zweibrücken NJW 1998, 841; offengelassen nur in RG JW 1931, 1482. 1616 Schwarze, GS 24 [1872], 53; Ziehm, S. 23; Binding, Lehrbuch BT I2, S. 62; H. Weber, S. 20; Olshausen, RStGB7, § 221 Anm. 2; Warmuth, S. 27; Wachenfeld, StR, S. 330; Zerling, S. 16; Redlich, S. 14; Urban, S. 18 ff.; LK-StGB8-Schaefer [1958], § 221 Anm. II.2.A; Dalcke/Fuhrmann/Schäfer, StGB37, § 221 Anm. 2; Welzel, StR11, S. 296; Bockelmann, BT 2, S. 70; LK-StGB10-Jähnke [04/1981], § 221 Rn. 3; Feloutzis, S. 245; SK-StGB5-Horn [05/1993], § 221 Rn. 3; Küper, JZ 1995, 172 ff.; Lackner/Kühl, StGB22, § 221 Rn. 1; Schroth, BT1, S. 51; Wessels, BT I21, Rn. 186; offengelassen von Marfels, S. 56. 1613

438 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

Allerdings wurden die Gesundheitsgefahren meistens auf schwere Gefahren für Leib und Gesundheit – häufig verstanden i. S. von § 224 StGB a. F. – beschränkt1617. Im Schrifttum gab es allerdings auch eine zahlenmäßig beachtliche Gruppe, die nur Lebensgefahren im Rahmen der Aussetzung als tatbestandsmäßig ansah1618. Dieser Streit hat sich durch die Neufassung der Norm von 1998 erledigt, weil nach Wortlaut und Willen des Gesetzgebers eindeutig auch die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung einzubeziehen ist1619. Die ehemals weitergehende Ansicht zur Frage des Taterfolgs bei der Aussetzung ist somit geltendes Recht geworden1620. Hinweisen sollte man aber darauf, dass die Einbeziehung von Gefahren für die Gesundheit in der Diskussion über die Reform der Aussetzung juristisches Neuland darstellt. Weder in den Entwürfen vor dem zweiten Weltkrieg noch im E 1960 oder E 1962 war die Gefährdung der Gesundheit für tatbestandsmäßig erachtet worden; diese sahen jeweils nur eine Lebensgefahr als Taterfolg an1621. Insoweit ist der Gesetzgeber des 6. StrRG über dieses enge Verständnis zum Taterfolg bei der Erweiterung der Norm sogar hinausgegangen. Eine Auseinandersetzung, ob es sinnvoll ist, auch den Eintritt konkreter Gesundheitsgefahren durch die Aussetzung zu erfassen, fand nicht statt. Vielmehr wurde auf die Begründung zum E 1962 verwiesen, die allerdings im Hinblick auf die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung keine Ausführungen enthält1622. 1617 Maurach4, BT, S. 46; LK-StGB10-Jähnke [04/1981], § 221 Rn. 3 f.; SKStGB5-Horn [05/1993], § 221 Rn. 3; Tröndle, StGB48, § 221 Rn. 1; zweifelnd Küper, JZ 1995, 175 f. 1618 Gönner, Anmerkungen II, S. 48; Hälschner, Strafrecht, S. 76; Ebermayer/ Lobe/Rosenberg, RStGB4, § 221 Anm. 1; R. Schmidt, StR1, S. 196 f., 222; Appel, S. 45 f.; Frank, StGB18, § 221 Anm. I.; Gerland, StR2, S. 489; Heilbrunn, S. 24; LK-StGB8-Schaefer [1958], § 221 Anm. I; LK-StGB9-Lange [12/1971], § 221 Rn. 1; Schmidhäuser, BT2, Kap. 2 Rn. 41; Ulsenheimer, StV 1986, 202 Fn. 2; Gössel, BT 1, § 8 Rn. 2, 8; Mitsch, JuS 1994, 559; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 18, § 4 Rn. 3; Krey, BT I10, Rn. 132, 141; Küpper, BT I1, § 1 Rn. 83; Haft, BT6, S. 99; Schönke/Schröder-StGB25-Eser, § 221 Rn. 1. 1619 RefE, S. 123; BR-Drs. 164/97, S. 119; BT-Drs. 13/7164, S. 23; 13/8587, S. 34. Dem folgend das gesamte Schrifttum statt aller nur: DSNS-Struensee, 2. Teil Rn. 11; LK-StGB11-Jähnke [07/1999], § 221 Rn. 5; Laue, S. 3, 16; SK-StGB7Horn/Wolters [03/2002], § 221 Rn. 2; Lucks, S. 33; MüKo-StGB-Hardtung, § 221 Rn. 1; Gössel/Dölling, BT 12, § 7 Rn. 1. 1620 Hörnle, Jura 1998, 177; Schlüchter-Nolte, § 221 Rn. 1; Arzt/Weber, BT, § 36 Rn. 1; Lucks, S. 35; Küper, BT6, S. 37 f.; Tröndle/Fischer, StGB54, § 221 Rn. 1. 1621 Vgl. die Fassungen der Normen im Anhang [7. Teil: B.], die Ausführungen im historischen Teil der Arbeit sowie Küper, ZStW 111 [1999], 36. 1622 Kritisch dazu Kosloh, S. 44.

F. Die Gefährdungsklausel

439

Neu ist durch das 6. StrRG im § 221 StGB – und auch in einigen weiteren Normen des StGB1623 – der Begriff der „schweren Gesundheitsschädigung“1624. Was inhaltlich genau unter diesem Begriff zu verstehen sein soll, konnte bisher noch keiner endgültigen Klärung zugeführt werden. Anknüpfend an die Vorgaben des Gesetzgebers1625 vertritt die Mehrzahl des Schrifttums die Ansicht, Verletzungen i. S. v. § 226 StGB seien in jedem Fall tatbestandlich erfasst und darüber hinaus auch ernste, langwierige Erkrankungen sowie erhebliche Beeinträchtigungen der körperlichen Fähigkeiten1626. Die Kriterien zur Bestimmung der Schwere der Gesundheitsschädigung im Einzelnen differieren aber deutlich1627. Da Gefahren einer schweren Gesundheitsschädigung aufgrund des Wortlauts seit 1998 ausdrücklich erfasst sind, ist hier vom Gesetzgeber eine, zwar noch – auf Gesundheitsgefahren jeder Art – erweiterbare, aber doch schon sehr weite Ausgestaltung des Tatbestandes gewählt worden. Die Auslegung des Erfordernisses der schweren Gesundheitsschädigung ist daher kaum geeignet, den Tatbestand einzuschränken; jedenfalls nicht, wenn es darum geht, das Entstehen eines allgemeinen Gefährdungsdelikts zu verhindern. Da dies auch für das Verständnis der hilflosen Lage und der Tathandlungen keinerlei Erkenntniswert hat, ist die Frage nach der Reichweite der schweren Gesundheitsschädigung für die vorliegende Arbeit ohne Belang. Darum wird dieser Frage nicht weiter nachgegangen. 1623

Vgl. die umfassende Aufzählung bei Windhorst, S. 21 Fn. 2 f. DSNS-Stein, 4. Teil Rn. 60; Schroth, NJW 1998, 2865; Küper, ZStW 111 [1999], 38; Jäger, JuS 2000, 33; Windhorst, S. 21, 27; Lucks, S. 37; Krey/Heinrich, BT I13, Rn. 132; Joecks, StGB7, § 221 Rn. 3, 15 f.; Rengier, BT II8, § 10 Rn. 16. 1625 BT-Drs. 13/8587, S. 27 f. 1626 Vgl. nur Jäger, JuS 2000, 33; NK-StGB2-Neumann, § 221 Rn. 33; Küpper, BT I3, § 1 Rn. 89; Küper, ZStW 111 [1999], 38; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 19, § 4 Rn. 13; Hacker/Lautner, Jura 2006, 275; offener formuliert von Arzt/Weber, BT, § 36 Rn. 5 [„massive Gesundheitsschäden“]; enger [beschränkt auf § 226 StGB und Verletzung/Krankheiten mit entsprechendem „Schweregrad“] MüKoStGB-Hardtung, § 221 Rn. 19; Rengier, BT II8, § 10 Rn. 16; noch enger [beschränkt nur auf § 226 StGB] DSNS-Stein, 4. Teil Rn. 62; weiter aber LKStGB11-Jähnke [07/1999], § 221 Rn. 10, der es auch als Gesundheitsschädigung ansieht, wenn eine Gefahr in eine Lebensgefahr umschlagen kann [ablehnend hierzu NK-StGB2-Neumann, § 221 Rn. 32]. An der Bestimmtheit des Begriffs i. S. v. Art. 103 Abs. 2 GG zweifelt Krey/Heinrich, BT I13, Rn. 132, die Kosloh, S. 65, komplett verneint. Zusammenfassend zum Ganzen Lucks, S. 38 ff., und Windhorst, S. 45 ff. 1627 Während die gerade zuvor in Fn. 1626 Genannten versuchen, allgemeingültige, abstrakte Kriterien für die Bestimmung zu erarbeiten, befürworten Schroth, NJW 1998, 2865, und Windhorst, S. 191, eine einzelfallbezogene Gesamtbetrachtung der Verletzungsfolgen. 1624

440 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

Das Merkmal der schweren Gesundheitsschädigung beschreibt letztlich nur die genauere Ausgestaltung des Taterfolges der tatbestandsmäßigen Gefahr.

V. Fazit zur Gefährdungsklausel In der Gefährdungsklausel wird seit dem 6. StrRG der Taterfolg der Aussetzung genauer umschrieben. Dieser ist in einer konkreten Gefahr zu sehen; die Aussetzung ist damit ein konkretes Gefährdungsdelikt. Mögliche tatbestandliche Erfolge sind dabei die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung.

VI. Das Verhältnis von hilfloser Lage und Gefährdungsklausel Wesentlicher als die Frage nach dem Inhalt der einzelnen Merkmale der Gefährdungsklausel ist für das Verständnis des Tatbestandes im Rahmen der Arbeit die Untersuchung, in welchem Verhältnis hilflose Lage und Gefährdungsklausel zueinander stehen. 1. Die Literatur zum Verhältnis hilflose Lage – Gefährdungsklausel Das Verhältnis von hilfloser Lage und Gefährdungsklausel wird in den Veröffentlichungen zur Aussetzung eher selten ausführlicher thematisiert. Regelmäßig findet man nur Folgendes: Die Relation zwischen hilfloser Lage und Gefährdungsklausel sei aufgrund der „dadurch-Wendung“ i. S. eines zeitlichen Nacheinanders der beiden Merkmalkomplexe zu verstehen; zwischen Tathandlung und Gefahr müsse zudem eine durch Kausalität und objektive Zurechnung vermittelte Beziehung bestehen1628. 1628 DSNS-Struensee, 2. Teil Rn. 41; Sternberg-Lieben/Fisch, Jura 1999, 49; Hohmann/Sander, BT II, § 5 Rn. 13; Laue, S. 87 f.; SK-StGB7-Horn/Wolters [03/2002], § 221 Rn. 3; MüKo-StGB-Hardtung, § 221 Rn. 23 f.; Gössel/Dölling, BT 12, § 7 Rn. 18; Haft, BT II8, S. 126; NK-StGB2-Neumann, § 221 Rn. 31; Sonnen, BT, S. 20; Hacker/Lautner, Jura 2006, 276, 278; Kindhäuser, LPK3, § 221 Rn. 14; ders., BT I3, § 5 Rn. 19 f.; Rengier, BT II8, § 10 Rn. 13. LKStGB11-Jähnke [07/1999], § 221 Rn. 8, meint, dass es einer kausalen Verknüpfung zwischen Tathandlung und Gefährdungserfolg bedürfe, wobei es aber wegen des Gefährdungscharakters der Aussetzung keine naturwissenschaftliche Kausalität gebe. Gleichwohl sollen nach Jähnke die Kausalitätskriterien insoweit gelten, als sich die Gefährdung gedanklich auf das Täterverhalten zurückführen lasse und die Gefahr als eine diesem Verhalten eigentümliche Folge erscheine.

F. Die Gefährdungsklausel

441

Auch wird festgestellt, die hilflose Lage sei als „Erfolg“ der Tat vom Taterfolg i. S. der Gefährdungsklausel zu unterscheiden und stelle einen „Zwischenerfolg“ auf dem Weg zur Gefahr dar1629 oder die Aussetzung weise mit dem Versetzen in hilflose Lage bzw. Imstichlassen in hilfloser Lage und der Gefährdungsklausel zwei eigenständige „Unrechtselemente“ auf1630. Die geringe Anzahl tiefergehender Ausführungen ist überraschend: Eigentlich müsste die Beurteilung des Verhältnisses von hilfloser Lage und Gefährdungsklausel viel stärker vom jeweiligen Verständnis des Inhalts der hilflosen Lage geprägt sein und dürfte sich nicht auf die Feststellungen zur Kausalität und zeitlichen Abfolge der hilflosen Lage und der Gefährdungsklausel beschränken. Nachvollziehbar ist jedoch die Knappheit der Ausführungen der Stimmen aus dem Schrifttum, die der hilflosen Lage n. F. den Bedeutungsgehalt der hilflosen Person i. S.v § 221 StGB a. F. beilegen und die hilflose Lage als lediglich subjektive Hilfsbedürftigkeit des Opfers deuten1631: Nach diesem Konzept hat die hilflose Lage geringere Voraussetzungen als für die Annahme einer konkreten Gefahr erforderlich; damit müsste in der Gefährdungsklausel einerseits die Beschreibung des tatbestandlichen Erfolgs als konkrete Gefahr und andererseits zugleich die Festlegung auf bestimmte Gefahren zu sehen sein1632. Ebenso müsste die Deutung für diejenigen ausfallen, die eine Neuauslegung der hilflosen Lage – abweichend von dem Verständnis von hilfloser Lage und hilfloser Person i. S. v. § 221 StGB a. F. – vornehmen und die hilflose Lage daher nicht mit der Gefahr gleichsetzen1633. Gerade nicht nachvollziehbar ist jedoch die Kürze bzw. die geringe Anzahl der Ausführungen zum Verhältnis von hilfloser Lage und Gefährdungsklausel bei den Vertretern der Ansicht, die hilflose Lage und Gefahr i. S. der Gefährdungsklausel gleichsetzen1634. Folgt man dieser Interpretation, kann eine von Kausalität und objektiver Zurechnung geprägte Beziehung nicht das die beiden Merkmalskomplexe verknüpfende Charakteristikum sein. Eigentlich dürfte die Gefährdungsklausel nämlich im Rahmen dieses Deutungskonzepts nur noch Grad und Umfang der Gefahr klarstellen, aber nicht DSNS-Struensee, 2. Teil Rn. 25; Haft, BT II8, S. 125; Sonnen, BT, S. 20. SK-StGB7-Horn/Wolters [03/2002], § 221 Rn. 3; ähnlich Hacker/Lautner, Jura 2006, 276; zweifelnd LK-StGB11-Jähnke [07/1999], § 221 Rn. 3, 7. 1631 Siehe im 4. Teil: D. II. 2. b). 1632 So zu § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB nur zu finden bei Küper, ZStW 111 [1999], 48. 1633 Dies ist sowohl bei den Ansichten aus dem 4. Teil: D. II. 3. als auch bei denen aus dem 4. Teil: D. II. 4. der Fall. 1634 Vgl. oben 4. Teil: D. II. 1. b). 1629 1630

442 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

das Erfordernis einer konkreten Gefahr als tatbestandsmäßigen Erfolg beschreiben1635. Dennoch beschäftigen sich nur wenige Autoren ausführlicher mit der Thematik: Ebel geht davon aus1636, das „Dadurch“ der Gefährdungsklausel beschreibe einen zeitlichen Bezug i. S. eines Nacheinanders von hilfloser Lage und Gefahr und habe nicht nur eine klarstellende Funktion. Der Grundtatbestand der Aussetzung enthalte mit hilfloser Lage und Gefährdungsklausel zwei Unrechtselemente, die bei der Auslegung auch als zwei getrennte, verschiedene Merkmale zu deuten seien, um einen „Gleichlauf“ von hilfloser Lage und Gefahr – Ebel bezeichnet diese Idee als ein „logische(s) Nullsummenspiel“ – zu verhindern. Für das zeitliche und die beiden Merkmale trennende Verständnis führt er in erster Linie an, man bekomme einen besseren Zugang zur Bestimmung des Vorsatzes und es eröffne eine realistische Möglichkeit des Rücktritts in den Fällen von § 221 Abs. 2 und Abs. 3 StGB, die bei einem „Gleichlauf“ von Gefahr und hilfloser Lage entfallen würde. Diesen Argumenten folgen weitgehend Hacker/Lautner, ergänzen aber noch, dass die Aussetzung durch die Umgestaltung – jedenfalls in der ersten Tatvariante – als ein „zweiaktiges Delikt“ zu verstehen sei1637. Mitsch betont1638, die hilflose Lage und die Gefahr seien verschiedene und zu trennende Merkmale, zwischen denen eine bestimmte Kausalbeziehung bestehe. In den Vordergrund stellt Mitsch dabei den Gedanken, die konkrete Gefahr müsse auf der hilflosen Lage beruhen und die Kausalbeziehung zwischen hilfloser Lage und konkreter Gefahr dürfe „nicht derart auf den Kopf gestellt“ sein, dass „die Hilflosigkeit des Opfers erst durch seine anderweitig verursachte Leibes- oder Lebensgefahr erzeugt“ werde. Die hilflose Lage müsse vielmehr in der „Ursachenkette“ zwischen Versetzen und Gefahr liegen und dürfe nicht synchron oder gar erst nach Eintritt der Gefahr entstehen. Mitsch stellt also neben der Kausalität besonders das Element der zeitlichen Abfolge der Tatbestandsmerkmale der Aussetzung in den Vordergrund. 1635 So zu finden für § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB aber nur bei Küper, ZStW 111 [1999], 54; in diese Richtung wohl auch LK-StGB11-Jähnke [07/1999], § 221 Rn. 7, 18, der die Merkmale der hilflosen Lage und der Gefahr als „untrennbar verzahnt“ bezeichnet. Die Beschränkung der Gefährdungsklausel auf eine Klarstellungsfunktion ablehnend Ebel, NStZ 2002, 405; Laue, S. 101, 105; Lucks, S. 84, 93, 123 ff., 183, 228; NK-StGB2-Neumann, § 221 Rn. 7. 1636 Zum Folgenden Ebel, NStZ 2002, 405 f. 1637 Hacker/Lautner, Jura 2006, 276. 1638 Mitsch, JuS 2000, 849.

F. Die Gefährdungsklausel

443

Die bisher ausführlichste Auseinandersetzung mit dem Inhalt der Gefährdungsklausel und deren Verhältnis zur hilflosen Lage hat Küper geleistet1639. Er geht dabei von einem doppelten Begriffsinhalt der hilflosen Lage aus und damit auch von einem – je nach Tathandlung – unterschiedlichen Verhältnis der hilflosen Lage zur Gefährdungsklausel1640. Bei § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB vertritt Küper die Ansicht, hilflose Lage und Gefährdungsklausel beschrieben zwei verschiedene Tatbestandsmerkmale, verknüpft durch ein Kausalitätserfordernis1641. Da bei der ersten Tatvariante wegen der drohenden Doppelung der Merkmale die hilflose Lage nicht mehr i. S. einer Gefahr verstanden werden könne, will Küper sie als einen Zustand der Hilfsbedürftigkeit verstehen, in dem sich das Opfer aus eigener Kraft nicht mehr zu schützen vermag, sondern auf fremde Hilfe angewiesen ist1642. Erst durch die Gefährdungsklausel werde der Eintritt der konkreten Gefahr – der mit der hilflosen Lage nicht identische und auch nicht notwendig verbundene Erfolg – als Auswirkung des Zustandes der Hilfsbedürftigkeit beschrieben1643. Bei dieser Deutung behielten die hilflose Lage sowie die Gefährdungsklausel einen eigenständigen Anwendungsbereich im Rahmen von § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB und das kausal formulierte Moment bei der Gefährdungsklausel habe auch wirklich eine kausale Bedeutung1644. Bei § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB hingegen hält Küper die zur ersten Tatvariante vertretene Trennung von hilfloser Lage und Gefährdungsklausel nicht für möglich, sondern setzt dort die hilflose Lage und die Gefahr i. S. der Gefährdungsklausel gleich1645. Nur das Vorliegen einer Gefahr sei geeignet, die Obhuts- oder Beistandspflicht des Täters auszulösen, der Täter sei andernfalls noch gar nicht zum Handeln verpflichtet. Nur eine hilflose Lage, die zugleich eine Gefahr sei, könne bei der zweiten Tatvariante, die Gefahrabwendungspflicht auslösen. Der Gefährdungsklausel komme bei § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB nur die Funktion einer Klarstellung zu, indem sie die Gefahren auf solche für Leben und schwere Gesundheitsschädigungen beschränke und den erforderlichen Taterfolg der konkreten Gefahr verdeutliche. Bezüglich der zweiten Tatvariante ist jedoch in der 6. Auflage von Küpers Buch zum Besonderen Teil des StGB eine neue Einschätzung zum 1639

Insbesondere Küper, ZStW 111 [1999], 30 ff. Inzwischen hat Küper, BT6, S. 34 ff., 205 ff., seine Ansicht zum Inhalt der hilflosen Lage teilweise geändert, geht aber weiterhin von einem unterschiedlichen Inhalt der hilflosen Lage je nach Tathandlung aus; vgl. ausführlich im 4. Teil: D. II. 4. die Darstellung ab S. 258. 1641 Küper, ZStW 111 [1999], 45; ders., BT6, S. 37 f. 1642 Küper, ZStW 111 [1999], 47 f.; ders., BT6, S. 37 f. 1643 Küper, ZStW 111 [1999], 48. 1644 Küper, ZStW 111 [1999], 48. 1645 Zum Folgenden Küper, ZStW 111 [1999], 52, 54; ders., BT5, S. 201. 1640

444 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

Verhältnis von hilfloser Lage und Gefahr zu finden1646: Die hilflose Lage solle innerhalb der zweiten Tatalternative nicht mehr grundsätzlich mit der Gefahr gleichzusetzen sein, sondern je nach dem Inhalt der Garantenpflicht einen unterschiedlichen Bedeutungsgehalt aufweisen. Richte sich die Garantenpflicht darauf, erst die entstandene Gefahr abzuwenden, so erfasse die hilflose Lage neben der individuellen Hilfsbedürftigkeit auch schon die Gefahrenlage; die Gefährdungsklausel habe – wie bisher von Küper vertreten – nur die Funktion einer Klarstellung. Sei die Garantenpflicht aber darauf ausgerichtet, in einer nur latent bedrohlichen Situation für den Fall später auftretender Gefahr eine Hilfeleistung zu garantieren, d.h. schon von vorneherein die Entstehung einer Gefahr abzuwenden, sei die hilflose Lage schon vor Eintritt einer Gefahr gegeben und so wie bei § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB zu verstehen. In diesem Fall habe die Gefährdungsklausel dieselbe Funktion wie bei der ersten Tathandlung. Auch bei Lucks ist die Beziehung zwischen hilfloser Lage und Gefährdungsklausel stark von der Definition der hilflosen Lage geprägt. Dabei meint sie – ähnlich wie Küper –, der Gefährdungsklausel komme eine doppelte Bedeutung zu: Beim Versetzen seien die Merkmale der hilflosen Lage und Gefahr zu trennen1647. Die Gefahr müsse als Resultat der hilflosen Lage in derselben angelegt sein. Für dieses Verständnis spreche, dass sonst mit der Gefährdungsklausel und der hilflosen Lage ein doppeltes Tatbestandsmerkmal bestehe und die Gefährdungsklausel weitgehend inhaltsleer wäre. Dem Gesetzgeber das Schaffen eines überflüssigen Tatbestandsmerkmals zu unterstellen, sei nicht zulässig. Hingegen könne in der zweiten Tatvariante das Opfer einerseits erst aufgrund des Imstichlassens in eine konkrete Gefahr geraten, andererseits sei aber auch der Fall erfasst, dass sich das Opfer bereits vor dem Imstichlassen in konkreter Gefahr befindet1648. In der letzten Konstellation habe die Gefährdungsklausel nur eine klarstellende Funktion. Lucks weist allerdings darauf hin, in einer derartigen Konstellation sei „die Gefährdungsklausel weitgehend funktionslos“ und stelle „nur den Grad der Gefahr klar“. 2. Eigene Ansicht zum Verhältnis von hilfloser Lage und Gefährdungsklausel Auch nach Ansicht des Verfassers ist das Verhältnis von hilfloser Lage und Gefährdungsklausel durch den Inhalt der hilflosen Lage geprägt und 1646 1647 1648

Zum Folgenden Küper, BT6, S. 209. Zum Folgenden Lucks, S. 84 f., 126. Zum Folgenden Lucks, S. 33, 162. Das Zitat ist zu finden bei ders., S. 126.

F. Die Gefährdungsklausel

445

damit durch die schon erarbeitete Definition dieses Begriffs weitgehend festgelegt1649. Für die Gefährdungsklausel ergeben sich aus dieser Festlegung drei Bedeutungen: Erstens beschreibt sie aufgrund des „Dadurch“ eine durch Kausalität und objektive Zurechnung geprägte Beziehung zwischen dem Versetzen in hilflose Lage bzw. dem Imstichlassen in hilfloser Lage und der konkreten Gefahr, da für beide Tatalternativen die hilflose Lage nicht mit der Gefahr gleichgesetzt werden kann1650. Bei § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB muss zwischen dem Imstichlassen in hilfloser Lage und der Gefahr lediglich eine „normale“ Kausalität bestehen, während bei § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB – streng genommen – eigentlich eine „doppelte Kausalität“ bestehen muss: Aus der Tathandlung muss – gleichsam als Zwischenerfolg – die hilflose Lage resultieren und daraus die tatbestandliche Gefahr für das Leben oder für eine schwere Gesundheitsschädigung. Zweitens verdeutlicht das „Dadurch“ den zeitlichen Aspekt der hilflosen Lage, der schon bei deren Auslegung gefunden und dargestellt wurde: Da die hilflose Lage immer die Möglichkeit einer Hilfe voraussetzt1651, muss vor dem Eintritt des Taterfolges – der konkreten Gefahr – ein zeitliches Element existieren, das verstreichen muss, bevor es zum Eintritt der Gefahr kommt1652. Dieses Element mag je nach Fallkonstellation kürzer oder länger sein, aber es muss vorliegen, um von einer hilflosen Lage sprechen zu können. Erst danach darf es zum Eintritt der tatbestandsmäßigen Gefahr kommen. Dieses zeitliche Nacheinander wird durch das „Dadurch“ betont, weil dieses Wort klarstellt, dass sich aufgrund des Versetzens in die hilflose Lage – bzw. des Imstichlassens in einer solchen – die Gefahr erst ergibt und realisiert. Drittens präzisiert die Gefährdungsklausel die tatbestandsmäßigen Gefahren als Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung. Die Beschränkung auf diese Gefahren ergibt sich nämlich nicht aus dem Begriff der hilflosen Lage, sondern erst aus der Gefährdungsklausel1653. Aus dem Vorstehenden folgt: Hilflose Lage und Gefährdungsklausel sind jeweils eigenständige Tatbestandsmerkmale und die „Dadurch“-Konstruktion der Aussetzung macht deutlich, dass das Verhältnis von Tathandlungen und Gefährdungsklausel kausal – temporal geprägt ist.

1649 1650 1651 1652 1653

Zur Definition vgl. 4. Teil: D. V. Vgl. 4. Teil: D. IV. 1. a). Hierzu oben 4. Teil: D. IV. 2. d) dd). Vgl. oben 4. Teil: D. IV. 2. d) bb). 4. Teil: D. IV. 2. a) cc).

446 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

G. Problematische Anwendungsfälle der Aussetzung Zum Schluss sollen problematische Fälle bzw. Fallgruppen betrachtet und die Frage geklärt werden, ob die ihnen zugrundeliegenden Verhaltensweisen unter den Tatbestand der Aussetzung zu subsumieren sind oder nicht.

I. Die unterlassene Schmerzlinderung bei einem unrettbar (tödlich) verletzten Opfer Die erste Fallgruppe, die hinsichtlich der Tatbestandsmäßigkeit als Aussetzung ein Problem darstellt, erfasst das unrettbar verletzte Opfer oder – anders formuliert – es geht um die Frage, ob auch das Unterlassen einer reinen Schmerzlinderung als Aussetzung angesehen werden kann. Gemeint sind also die Fälle, in denen das Opfer sterben wird und der Täter „nur“ die Linderung von Schmerzen unterlässt. 1. Meinungsspektrum zur a. F. und n. F. der Aussetzung Die Frage, ob ein solches Verhalten tatbestandsmäßig i. S. v. § 221 Abs. 1 StGB sein kann, war schon bei § 221 StGB a. F. umstritten. Einige Autoren gingen damals davon aus, das Unterlassen von Schmerzlinderung sei tatbestandsmäßig bzw. das bereits tödlich verletzte Opfer noch taugliches Tatobjekt der Aussetzung1654. Dem folgte auch die Rechtsprechung in zwei Entscheidungen, in denen betont wurde, selbst wenn das Opfer unabwendbar tödlich verletzt sei, werde durch die Aussetzung der zeitlich frühere Eintritt des Todes herbeigeführt und deshalb liege ein tauglicher Taterfolg i. S. v. § 221 StGB vor1655. Dagegen verneinten andere Autoren die Möglichkeit der Verwirklichung von § 221 StGB a. F. an einem tödlich verletzten Opfer1656. Das Verlassen des Opfers bedeute keine weitere Verschlechterung seiner Lage und sei daher nicht tatbestandsmäßig1657. Nur bei einer Hilfsmöglichkeit für das Opfer könne ein Verlassen tatbestandsmäßig sein, 1654 Dalcke/Fuhrmann/Schäfer, StGB37, § 221 Anm. 1. In diese Richtung auch Schönke/Schröder-StGB25-Eser, § 221 Rn. 8, der das unrettbar verlorene Opfer – mangels Bestehen einer Hilfsmöglichkeit – aus dem Anwendungsbereich der Aussetzung ausklammern will, das Nichtleisten einer Schmerzlinderung aber – wenig folgerichtig – für tatbestandsmäßig erachtet. 1655 RG JW 1931, 1482; BGH, Urteil vom 20.10.1965 – 2 StR 343/65 – S. 3 [unveröffentlicht]. 1656 Ulsenheimer, StV 1986, 202; SK-StGB5-Horn [05/1993], § 221 Rn. 5, 8; Jelitte/Rühland, JuS 1998, 966. 1657 Jelitte/Rühland, JuS 1998, 966.

G. Problematische Anwendungsfälle der Aussetzung

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diese Möglichkeit bestehe beim tödlich verletzten Opfer aber nicht mehr1658. Zudem mangele es beim Vorliegen einer tödlichen Verletzung an der Kausalität zwischen Handlung und Taterfolg1659. Diese beiden Einschätzungen werden auch heute noch vertreten. Teilweise wird das Nichtleisten der Schmerzlinderung für tatbestandsmäßig erachtet1660, häufiger jedoch verneint1661. Die engere Ansicht stellt in erster Linie darauf ab, eine Rettung des unrettbar verlorenen Opfers sei nicht mehr möglich und damit die Hilfeleistung auch unmöglich bzw. nicht erforderlich1662. Daneben sei der Täter zu einer Beistandsleistung, die den Erfolg nicht abwenden könne, nicht verpflichtet1663. Außerdem sei bei einem tödlich Verletzten der Gefahrenerfolg schon unabwendbar eingetreten und könne nicht abermals erreicht werden1664. Die weite, die Tatbestandsmäßigkeit bejahende Ansicht vertritt die Auffassung, dass die Überlegung, das Opfer wäre sowieso gestorben, der Problematik nicht gerecht werde, vielmehr begründe die Verlängerung von erheblichen Schmerzen den Gefahrerfolg der Aussetzung1665. 2. Eigene Stellungnahme zur Tatbestandsmäßigkeit der unterlassenen Schmerzlinderung Der Annahme, das Unterlassen einer Schmerzlinderung sei tatbestandsmäßig bzw. das unrettbar verlorene Opfer sei ein taugliches Tatobjekt, kann aus mehreren Gründen nicht gefolgt werden. SK-StGB5-Horn [05/1993], § 221 Rn. 8. Ulsenheimer, StV 1986, 202. 1660 LK-StGB11-Jähnke [07/1999], § 221 Rn. 9, 11; wobei aber Krey/Heinrich, BT I13, Rn. 137, und Schönke/Schröder-StGB27-Eser, § 221 Rn. 8 [wie schon zur a. F.; vgl. in diesem Abschnitt Fn. 1654], das unrettbar verlorene Opfer mangels Bestehen einer Hilfsmöglichkeit aus dem Tatbestand ausscheiden wollen, das Nichtleisten einer Schmerzlinderung aber – wenig folgerichtig – für tatbestandsmäßig erachten. 1661 OLG Zweibrücken NJW 1998, 841 [842]; Sternberg-Lieben/Fisch, Jura 1999, 48; Jäger, JuS 2000, 33; Küpper, JuS 2000, 229; Laue, S. 107; Rengier, BT II8, § 10 Rn. 15; offen gelassen von Küper, ZStW 111 [1999], 55; Lucks, S. 151, und [nur bezüglich der Schmerzlinderung] NK-StGB2-Neumann, § 221 Rn. 31. 1662 OLG Zweibrücken NJW 1998, 841 [842]; Küpper, JuS 2000, 229; Laue, S. 107. 1663 Laue, S. 108. 1664 Jäger, JuS 2000, 33; NK-StGB2-Neumann, § 221 Rn. 31; Rengier, BT II8, § 10 Rn. 15. 1665 LK-StGB11-Jähnke [07/1999], § 221 Rn. 9. 1658 1659

448 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

Erstens ergibt sich dies aus dem Verständnis der hilflosen Lage: Das Vorliegen einer solchen Lage setzt voraus, dass Hilfe noch möglich ist1666. Bei einer Person, bei der „nur“ noch Schmerzen gelindert werden können, eine Rettung aber unmöglich ist, kann auch keine – den Taterfolg verhindernde – Hilfe mehr geleistet werden. Sie ist daher nicht (mehr) in einer hilflosen Lage, sondern schon in einer ausweglosen Lage. Deshalb kann sie auch nicht mehr in einer hilflosen Lage im Stich gelassen werden; § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB scheidet aus. Sinnlogisch scheidet auch § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB aus, da dort die hilflose Lage erst durch das Versetzen geschaffen werden muss. Zweitens kann man in diesem Fall dem Täter auch nicht das Entstehen einer Gefahr anlasten, weil er dazu weder i. S. der condicio-sine-qua-nonFormel noch i. S. der für das Unterlassen modifizierten condicio-sine-quanon-Formel beigetragen hat1667: Ein Versetzen kann nicht mehr erfolgen und damit auch kein dem Täter zurechenbarer Taterfolg der Gefahr, weil in diesem Fall bereits eine Gefahr für das Rechtsgut Leben oder der körperlichen Integrität besteht, wenn nicht sogar schon dessen – irreparable – Verletzung. Selbst wenn man ein Unterlassen annehmen möchte und mit der modifizierten condicio-sine-qua-non-Formel arbeitet, kann dem Täter der Taterfolg nicht mehr zugerechnet werden; denn denkt man die zu leistende Hilfe hinzu, ändert das nichts an der Unrettbarkeit des Opfers. Der Eintritt des Taterfolgs der konkreten Gefahr – so er nicht schon gegeben ist – kann nicht mehr verhindert werden1668. Der Unterschied zwischen § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB und § 323c StGB besteht eben darin, dass die zweite Variante der Aussetzung mit der Gefahr einen konkreten Taterfolg verlangt, der bei § 323c StGB – als echtem Unterlassungsdelikt1669 – die Ausgangssituation der Tat ist1670. Das Unterlassen einer Schmerzlinderung kann daher eine unterlassene Hilfeleistung i. S. v. § 323c StGB darstellen1671, wobei selbst bei diesem Tatbestand um1666

Vgl. ausführlich oben im 4. Teil: D. IV. 2. d) dd). Zum Inhalt derselben vgl. oben im 4. Teil: C. I. 5. e) aa) (3) (b) [Belege dort in Fn. 366 und Fn. 369]. 1668 Zu den möglichen „Sonderfällen“ des Versetzens in eine neue hilflose Lage, des Versetzens durch Intensivieren einer bestehenden hilflosen Lage sowie des Intensivierens einer Gefahr sogleich in den folgenden Abschnitten [vgl. den 4. Teil: G. II. und den 4. Teil: G. III.]. 1669 Allgemeine Auffassung; vgl. nur Geilen, Jura 1983, 78; Geppert, Jura 2005, 40; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 29, § 55 Rn. 7; Schönke/Schröder-StGB27Cramer/Sternberg-Lieben, § 323c Rn. 1; Tröndle/Fischer, StGB54, § 323c Rn. 1; Wessels/Hettinger, BT I31, Rn. 1042; kritisch aber MüKo-StGB-Freund, § 323c Rn. 7 ff. 1670 Vgl. schon oben 4. Teil: C. I. 5. c) aa) (1). 1671 Gegebenenfalls können auch §§ 211 f., 223 ff., 13 StGB verwirklicht sein. 1667

G. Problematische Anwendungsfälle der Aussetzung

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stritten ist, ob solche Verhaltensweisen tatbestandlich § 323c StGB erfüllen können1672. Außerdem stellt die Aussetzung – wie die Gefährdungsklausel verdeutlicht – in erster Linie die Schaffung einer Gefahr unter Strafe. Besteht diese konkrete Gefahr aber schon, so kann der Garant in dieser Hinsicht nichts neu schaffen. Vielmehr ist es nicht tatbestandsmäßig i. S. v. § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB, wenn der Garant die Realisierung dieser Gefahr nicht einmal abwenden, sondern nur hinauszögern oder mildern kann, weil etwas Unmögliches vom Täter nicht verlangt werden kann. Auch unter § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB kann dieses Verhalten nicht subsumiert werden, denn die Milderung einer Gefahr ist nicht das Unterlassen der Schaffung einer Gefahr. Dass diese Fälle nicht von der Aussetzung erfasst werden sollten, zeigen im Übrigen die Materialien der Großen Strafrechtskommission1673. Schon in den beiden Ausgangsfassungen der zweiten Tathandlung findet man zwei unterschiedliche Positionen zu der „Aufgabe“ dieser Tatvariante: Während die erste Diskussionsalternative der zweiten Tatvariante lautete1674 (II) Ebenso wird bestraft, wer einen anderen, der sich in Lebensgefahr befindet, entgegen einer Pflicht zur Obhut in dieser Gefahr läßt.

und somit keine Gefahr als Taterfolg enthielt, war in der zweiten Diskussionsalternative ein Gefährdungserfordernis deutlich als Tatbestandsmerkmal formuliert: (II) Ebenso wird bestraft, wer einen Hilflosen, der unter seiner Obhut steht, im Stiche läßt und dadurch sein Leben gefährdet.

Den Ausgangsfassungen der zweiten Tathandlung entsprach das Meinungsspektrum innerhalb der Kommission: Es gab Stimmen, die die Schmerzlinderung als Fall der „unechten Aussetzung“ erfassen wollten1675, weil sie strafwürdig sei. Andere Mitglieder der Kommission hielten demgegenüber die Fälle, in denen keine Begründung oder Erhöhung der Le1672 So aber die überwiegende Ansicht BGHSt 14, 213 [217]; OLG Hamm NJW 1975, 604; OLG Karlsruhe NJW 1979, 2360; Geppert, Jura 2005, 45; Maurach/ Schroeder/Maiwald, BT 29, § 55 Rn. 18; MüKo-StGB-Freund, § 323c Rn. 81; Schönke/Schröder-StGB27-Cramer/Sternberg-Lieben, § 323c Rn. 14; Lackner/Kühl, StGB26, § 323c Rn. 5; Wessels/Hettinger, BT I31, Rn. 1046; a. A. jedoch Kreuzer, NJW 1967, 279; Geilen, Jura 1983, 141. 1673 Vgl. die Entwürfe der Normen im 7. Teil: B. III. 1. 1674 Dem entsprach auch – bis auf Änderungen, die aber die Rechtsnatur unberührt ließen – der Vorschlag der Sachbearbeiter des Bundesjustizministeriums in der 1. Lesung; siehe Anhang 7. Teil: B. III. 2. 1675 Ndschr. Bd. 7 [1959], S. 99, 101; Lackner, Ndschr. Bd. 7 [1959], S. 99, und Dreher, Ndschr. Bd. 7 [1959], S. 101.

450 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

bensgefahr gegeben sei, weder für strafbar noch für strafwürdig1676. Andernfalls würde man die Aussetzung von einem konkreten Gefährdungsdelikt zu einem reinen Tätigkeitsdelikt ohne Erfolg umwandeln und die Strafbarkeit deutlich erweitern1677. Zweck der Aussetzung sei aber nicht die Bestrafung von denjenigen Pflichtverletzungen, die sich nur aus Humanität und Anstand ergeben1678. Daraufhin wurde – auf Anregung von Schafheutle und Baldus1679 – das eindeutige Erfordernis einer Gefährdung in beide Alternativen des Tatbestandes aufgenommen und von der Kommission bestätigt1680. Damit folgte die Kommission der Annahme, die Aussetzung erfasse als Lebensgefährdungsdelikt nicht die Fälle der reinen Schmerzlinderung. Da sich die Fassungen der Aussetzung im E 1960, E 1962 und 6. StrRG an der Beschlussfassung der Großen Strafrechtskommission orientierten, ist damit auch ein letztes, gewichtiges Argument für das Ergebnis gefunden, dass das Unterlassen der Schmerzlinderung nicht tatbestandsmäßig sein sollte. 3. Fazit zur unterlassenen Schmerzlinderung Das Unterlassen einer Schmerzlinderung ist genauso wenig ein tatbestandsmäßiges Verhalten i. S. der Aussetzung wie das bereits unrettbar verletzte Opfer taugliches Tatobjekt ist.

II. Das Versetzen in eine „neue hilflose“ Lage und das Intensivieren einer bestehenden hilflosen Lage Die Frage, ob man eine Person, die sich schon in einer hilflosen Lage befindet, in eine „neue“ hilflose Lage versetzen kann oder ob man § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB durch das Intensivieren einer bestehenden hilflosen Lage verwirklichen kann, stellt sich erst seit der Neufassung der Norm1681. 1676 Jescheck, Ndschr. Bd. 7 [1959], S. 101; Welzel, Ndschr. Bd. 7 [1959], S. 101; Schafheutle, Ndschr. Bd. 7 [1959], S. 101. 1677 Jescheck, Ndschr. Bd. 7 [1959], S. 101. 1678 Welzel, Ndschr. Bd. 7 [1959], S. 101. 1679 Ndschr. Bd. 7 [1959], S. 101 f. 1680 Vgl. die Feststellung von Neumayer, Ndschr. Bd. 7 [1959], S. 102, die Äußerung von Schwalm, Ndschr. Bd. 7 [1959], S. 282, sowie das Ergebnis der Abstimmung, Ndschr. Bd. 7 [1959], Anhang J 68, S. 332, wo die zweite Ausgangsalternative – mit den Änderungen der Kommission – angenommen wurde, die aber eindeutig das Gefährdungserfordernis für beide Tatalternativen enthielt. 1681 Zur a. F. gab es diese Diskussion nicht, was sich daraus erklärt, dass damals die hilflose Lage den Taterfolg der Gefahr umschrieb [vgl. oben 4. Teil: D. II. 1. a)] und die Frage nach der Tatbestandsmäßigkeit des Schaffens einer „neuen“ hilf-

G. Problematische Anwendungsfälle der Aussetzung

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1. Meinungsspektrum zur n. F. der Aussetzung Die Mehrzahl der Stimmen in der Literatur – die Rechtsprechung musste sich mit dieser Frage noch nicht befassen – geht davon aus, ein Versetzen in eine „neue“ hilflose Lage bzw. das Intensivieren einer bestehenden hilflosen Lage könne den Tatbestand erfüllen1682. Hierfür spreche einerseits das neue – weite – Verständnis des Versetzens: Da eine Aufenthaltsveränderung nicht mehr erforderlich, vielmehr jedes Verhalten, das eine hilflose Lage für das Opfer schafft, als erste Tathandlung hinreichend sei, müsse es auch genügen, wenn der Täter das Opfer von einer bereits bestehenden hilflosen Lage in eine neue bringt1683. Ein Versetzen könne nach der n. F. im Prinzip entweder in einer Verringerung von Hilfsmöglichkeiten oder im Erhöhen der Hilfsbedürftigkeit bestehen1684. Daneben wird auch mit der Wandelbarkeit der hilflosen Lage argumentiert: Weil es ein hilflose Lage an sich nicht gebe, sondern sich diese immer auf bestimmte Gefährdungen beziehe, werde eine hilflose Lage auch dann geschaffen, wenn sie an die Stelle einer anderen, zuvor bestehenden hilflosen Lage trete1685. An der Richtigkeit dieser Einschätzung zweifeln wenige Autoren, die jedoch das Intensivieren einer bestehenden hilflosen Lage nicht vollständig ablehnen, sondern nur Differenzierungen oder Einschränkungen vornehmen1686. Gössel betont, es sei zwar tatbestandsmäßig, wenn der Täter das Opfer von einer hilflosen Lage nahtlos in eine neue überführe; es sei jedoch nicht hinreichend, wenn lediglich die Hilflosigkeit des Opfers in einer bereits bestehenden hilflosen Lage verstärkt werde. Dieser Position sehr nahe stehend vertritt Laue die Auffassung, eine „Steigerung der Schadensnähe“ bzw. eine „Vertiefung des bereits bestehenden Gefahrenpotenzials“ sei nicht tatbestandsmäßig, wohl aber die Verursachung einer andersartigen Hilfsbedürftigkeit, weil dabei ein neues Gefahrenpotenzial eröffnet werde. losen Lage bzw. des Intensivierens einer bestehenden hilflosen Lage gleichbedeutend mit der Frage nach der Strafbarkeit des Steigerns oder Neuschaffens einer Gefahr war; hierzu im folgenden 4. Teil: G. III. 1682 LK-StGB11-Jähnke [07/1999], § 221 Rn. 11; Stein, JR 1999, 265; Lucks, S. 72; MüKo-StGB-Hardtung, § 221 Rn. 9 ff.; Küper, BT6, S. 34; NK-StGB2-Neumann, § 221 Rn. 15; Pfleiderer/Schubert, MedR 2005, 594; Hacker/Lautner, Jura 2006, 275; Kindhäuser, LPK3, § 221 Rn. 8; ders., BT I3, § 5 Rn. 10; Rengier, BT II8, § 10 Rn. 6; zweifelnd an der Tatbestandsmäßigkeit solcher Verhaltensweisen Sternberg-Lieben/Fisch, Jura 1999, 46, insbsondere Fn. 32 f. 1683 Kindhäuser, LPK3, § 221 Rn. 8; ders., BT I3, § 5 Rn. 10; ähnlich Hacker/ Lautner, Jura 2006, 275. 1684 MüKo-StGB-Hardtung, § 221 Rn. 9, 12 f.; Pfleiderer/Schubert, MedR 2005, 594. 1685 NK-StGB2-Neumann, § 221 Rn. 15. 1686 Zum Folgenden Laue, S. 85 f.; Gössel/Dölling, BT 12, § 7 Rn. 11.

452 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

2. Eigene Stellungnahme zum Versetzen in eine „neue hilflose“ Lage und zum Intensivieren einer bestehenden hilflosen Lage Die grundsätzliche Möglichkeit eines Versetzens von einer hilflosen Lage in eine neue hilflose Lage ergibt sich schon daraus, dass die hilflose Lage keine Beschränkung nur auf solche hilflosen Situationen beinhaltet, in denen Gefahr für Leib und Leben droht, sondern dass eine hilflose Lage auch in Bezug auf ganz andere Rechtsgüter vorliegen kann1687. Eine Person, die sich in einer hilflosen Lage z. B. für ihr Vermögen befindet, kann jederzeit in eine hilflose Lage im Hinblick auf Leib und Leben versetzt werden. In diesen Fällen dürfte es aber zutreffender sein, nicht von einem Versetzen durch Intensivieren einer bestehenden hilflosen Lage, sondern von einem Versetzen in eine neue oder andere hilflose Lage zu sprechen. Diese Konstellation ist eindeutig lösbar und unproblematisch. Komplizierter sind die Fälle, bei denen die hilflosen Lagen zwei Situationen erfassen, die dasselbe Rechtsgut, insbesondere – im Hinblick auf den Taterfolg der Aussetzung – Leib und Leben, betreffen. Hier können zwei verschiedene Konstellationen auftreten: zum einen das Herbeiführen einer neuartigen hilflosen Lage, die neben die bisherige hilflose Lage tritt, zum anderen das Anknüpfen an die bestehende hilflose Lage und deren Verstärken. Den Unterschied zwischen diesen beiden möglichen Fällen kann man sich an folgenden anschaulichen, wenn auch kaum praxisrelevanten Beispielen vor Augen führen: Dem in einer Grube gefangenen – damit vom Verdursten bzw. Verhungern bedrohten – Opfer wird vom Täter als „zusätzlicher Begleiter“ eine Giftschlange in die Grube geworfen (Herbeiführen einer neuartigen hilflosen Lage). Der Täter nimmt dem – in einer einsamen Gegend befindlichen und wegen eines Beinbruchs nicht mehr fortbewegungsfähigen, damit vom Verdursten bzw. Verhungern bedrohten – Opfer dessen restliche Nahrung weg (Anknüpfen an die bestehende hilflose Lage und deren Verstärken).

Die erste Fallkonstellation ist eindeutig zu lösen: Hier geht es um das Versetzen in eine neue hilflose Lage, die zwar auch eine Gefahr für Leib und Leben begründet, aber die Gefahr des Verdurstens und Verhungerns ist eine anders geartete Gefahr als die eines Schlangenbisses. Ob man diesen Fall dann als Neuschaffen einer hilflosen Lage – und damit als „normales“ Versetzen – ansehen will oder – im Hinblick auf die schon vorher drohende Gefahr für Leib und Leben durch Verdursten/Verhungern – von einem Versetzen durch Intensivieren der schon bestehenden hilflosen Lage sprechen möchte, ist letztlich nur eine Frage der Bezeichnung der Fallkonstellation 1687

Vgl. 4. Teil: D. IV. 2. a) cc).

G. Problematische Anwendungsfälle der Aussetzung

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und nicht weiter von Belang. Jedenfalls kann dieser Fall des Schaffens einer anderen hilflosen Lage ein Versetzen i. S. v. § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB darstellen. Eine neue hilflose Lage ist jedenfalls beim Austausch der Art der Hilflosigkeit bzw. bei „Überlagerung“ der bisherigen durch eine neue hilflose Lage gegeben, wenn diese im Ergebnis ebenfalls zu einer Gefahr für Leib oder Leben führt. Schwieriger ist die zweite Fallkonstellation; das Anknüpfen an die bestehende hilflose Lage und deren Verstärken. Kann dies ein tatbestandsmäßiges Verhalten i. S. v. § 221 Abs. 1 StGB sein? Die Antwort auf die Frage fällt positiv aus; zur Begründung muss man etwas weiter ausholen. Die Bezeichnung als Schaffen einer neuen hilflosen Lage wird sich allerdings – auch hier – als die zutreffendere erweisen. Das Verhalten des Täters – nach dem Vorliegen einer schon bestehenden hilflosen Lage – schafft nur dann eine neue hilflose Lage bzw. intensiviert eine bestehende hilflose Lage, wenn auf die aktuellen Hilfsmittel, auf die Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines Schadens oder auf die „Nähe“ von geschütztem Rechtsgut und Schaden messbar eingewirkt wird. Eine neue hilflose Lage – man mag sie auch „hilflosere“ Lage nennen1688 – liegt demgemäß vor, wenn die Art oder Intensität der hilflosen Lage geändert oder die Hilflosigkeit der Lage derart gesteigert wird, dass die Wahrscheinlichkeit des Eintritts des tatbestandsmäßigen Erfolges messbar erhöht bzw. auf bestehende Hilfsmittel – personeller oder sächlicher Art – eingewirkt wird. Diese Folgerung ist das logische Ergebnis aus dem weiten Verständnis der Tathandlung Versetzen und der oben entwickelten Definition der hilflosen Lage: Jedes Neuschaffen einer hilflosen Lage ist ein Versetzen. Die hilflose Lage ist eine Situation, in der Hilfe noch möglich ist, aber die Kräfte des Opfers und die vorhandenen personellen und sächlichen Hilfsmittel zur Abwehr nicht ausreichen. Werden die noch bestehenden Hilfsmittel des Opfers im weiten Sinne – also eigene Kräfte, Sachmittel oder personelle Ressourcen – in ihrer Einsatzmöglichkeit limitiert oder ihr Einsatz sogar ganz ausgeschlossen, so entsteht eine neue Situation, mithin eine neue hilflose Lage. Damit drängt sich die Folgefrage auf: Wann kann man davon sprechen, dass Art oder Intensität der hilflosen Lage hinreichend geändert oder messbar gesteigert werden? Welche Kriterien sind zur Lösung der Frage heranzuziehen? Wie so häufig gibt es einerseits unproblematische, andererseits schwierige Fälle: Als weitgehend unproblematisch erweisen sich die Konstellatio1688

MüKo-StGB-Hardtung, § 221 Rn. 13.

454 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

nen, in denen ein positives Tun des Täters vorliegt. Etwas komplizierter ist hingegen die Beurteilung von Unterlassensfällen. Bei einem positiven Tun des Täters, mit dem er die schon bestehende hilflose Lage für das Opfer nachteilig modifiziert, handelt es sich um ein Verhalten, das steigernd oder intensivierend auf eine (eben schon) bestehende hilflose Lage Einfluss nimmt und an diese anknüpft und damit um eine Konstellation, die aus der allgemeinen Kausalitätslehre bekannt ist. Es geht im Grunde um den Fall, dass der Täter als „Zweithandelnder“ einen Kausalverlauf in Gang setzt, der an dem bestehenden Kausalverlauf des „Ersthandelnden“ bzw. des „Ersttäters“ – hier des Erstverursachers der bestehenden hilflosen Lage – anknüpft. Die Bezeichnung der Kausalitätskonstellationen, in denen ein Erst- und ein Zweitverursacher gemeinsam den Taterfolg verursachen, ist nicht ganz einheitlich. Meistens wird von „anknüpfendem Verhalten eines Dritten“, „Dazwischentreten eines Dritten“ oder „Beschleunigung des Erfolgseintritts“ gesprochen1689. Die Ursächlichkeit des Zweitverhaltens1690 für den Taterfolg wird dabei nicht in Frage gestellt1691. Damit ist vorgezeichnet, wann eine „messbare“ Intensivierung, Steigerung oder Erhöhung einer bestehenden hilflosen Lage bei Vorliegen eines positiven Tuns anzunehmen ist, nämlich dann, wenn das Zweitverhalten an die bestehende hilflose Lage anknüpft und für das Entstehen des Taterfolges – im Sinne einer beschleunigten Herbeiführung – (mit-)ursächlich ist. Fehlt es an dieser (Mit-)Ursächlichkeit, so hat es die bestehende Lage auch nicht intensiviert. Das Herbeiführen einer neuartigen hilflosen Lage kann man aber auch als Unterlassens-Fall bilden1692. Die früher wie heute als „klassisch“ beOLG Rostock NStZ 2001, 199; Kühl, AT5, § 4 Rn. 31 f.; MüKo-StGBFreund, Vor §§ 13 ff. Rn. 316; Roxin, AT I4, § 11 Rn. 28 f.; Schönke/SchröderStGB27-Lenckner/Eisele, Vorbem §§ 13 ff. Rn. 77; Tröndle/Fischer, StGB54, Vor § 13 Rn. 18a; Wessels/Beulke, AT37, Rn. 164. 1690 Zu Fragen der objektiven Zurechnung in dieser Konstellation siehe Kühl, AT5, § 4 Rn. 85, 98; Schönke/Schröder-StGB27-Lenckner/Eisele, Vorbem §§ 13 ff. Rn. 101 ff., 102; Wessels/Beulke, AT37, Rn. 192. 1691 Anders gegebenenfalls für die Ersthandlung, soweit ein Fall des Abbruchs der Kausalität durch die zweite Handlung gegeben ist oder ein Fall der sog. „überholenden Kausalität“ vorliegt; vgl. hierzu Kühl, AT5, § 4 Rn. 33; Roxin, AT I4, § 11 Rn. 30; Schönke/Schröder-StGB27-Lenckner/Eisele, Vorbem §§ 13 ff. Rn. 78; Tröndle/Fischer, StGB54, Vor § 13 Rn. 18c; Wessels/Beulke, AT37, Rn. 167. 1692 Man variiere den obigen Fall dahingehend, dass der – gegen das drohende Verdursten oder Verhungern seines Schützlings machtlose – Garant das Annähern der Giftschlange an das Opfer nicht unterbindet. Oder man nehme als Fallbeispiel das Nichteingreifen des Garanten gegen die Wegnahme der Nahrung durch einen Dritten zu Lasten des vom Verdursten oder Verhungern bedrohten Opfers. 1689

G. Problematische Anwendungsfälle der Aussetzung

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zeichneten Fallgruppen eines Aussetzens – respektive Versetzens – durch Unterlassen, also das Nichteinschreiten des Garanten gegen positives Tun Dritter, Naturkräfte, zufällige Ereignisse oder gegen ein Handeln des Opfers selber1693, sind hier denkbare Konstellationen, wenn der Garant – bei schon bestehender hilfloser Lage – gegen die Entstehung einer (neuen) hilflosen Lage nicht einschreitet. Insoweit liegt dann ein neues Versetzen in eine neue hilflose Lage durch Unterlassen vor, nicht etwa ein Intensivieren einer bestehenden hilflosen Lage. Das Nichteinschreiten gegen positives Tun anderer Personen bzw. des Opfers selber erhöht den Grad der Hilflosigkeit und der hilflosen Lage des Opfers ebenso wie das Nichteingreifen gegen sich entfaltende Naturkräfte oder zufällige Ereignisse. Insoweit liegt – bei Betrachtung der Intensität der hilflosen Lage vor und nach dem Verhalten Dritter/des Opfers oder nach Entstehung der Naturkräfte – eine messbare Erhöhung vor, weil dadurch bestehende Hilfsmöglichkeiten eingeschränkt oder existierende Hilfsmittel limitiert oder sogar „aus dem Verkehr gezogen“ worden sind und hiergegen nicht eingeschritten wurde1694. Die „Sicherheitslage“ des Opfers hat sich zu einem bestimmten Zeitpunkt – z. B. dem des Handelns der Dritten – verschlechtert. Wie sieht es aber mit dem Anknüpfen an eine schon bestehende hilflose Lage und deren Verstärken durch Unterlassen aus, wenn nur das bloße Nichteingreifen eines Garanten1695 in den Verlauf, der in der schon vorhandenen hilflosen Lage angelegt ist und sich aus ihr entwickelt, in Rede steht? Kann man in diesem Nichteinschreiten ein Intensivieren der bestehenden hilflosen Lage sehen? Gemeint sind also die Konstellationen, in denen sich – ohne Zutun eines Dritten, des Täters oder des Opfers – die hilflose Lage „in Richtung auf die Gefahr“ weiterentwickelt, weil dem Opfer die personellen oder sächlichen Hilfsmittel fehlen. Anders gesagt: Hier intensiviert oder steigert sich die hilflose Lage quasi „von selbst“, ohne dass es eines auslösenden Ereignisses oder des Eingreifens einer Person bedarf1696. 1693

Vgl. zur a. F. den 4. Teil: C. II. 3. a) bb) sowie zur n. F. den 4. Teil: C. II. 3.

b) bb). 1694 Die Frage, ob ein solches Verhalten überhaupt eine Strafbarkeit kraft Täterschaft darstellt oder doch nur Teilnahme an der Tat des Anderen, mag hier dahingestellt bleiben. Die Frage der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme im Rahmen der Unterlassungsdelikte ist umstritten und kann hier keiner Lösung zugeführt werden. Zu der Thematik vgl. nur SK-StGB7-Rudolphi [09/2000], Vor § 13 Rn. 26 ff.; Roxin, AT II, § 31 Rn. 124 ff.; Hillenkamp, AT12, S. 121 ff.; alle m. z. N. 1695 Ein Nicht-Garant wäre aber – bei Vorliegen der weiteren tatbestandlichen Voraussetzungen – aus § 323c StGB zu bestrafen. 1696 Hierin liegt der Unterschied zu den soeben angesprochenen Fällen des Versetzens [durch Unterlassen] in eine neue hilflose Lage oder des Versetzens [durch Unterlassen] durch Intensivieren einer bestehenden hilflosen Lage.

456 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

Damit könnte grundsätzlich ein Versetzen durch Intensivieren einer bestehenden hilflosen Lage in Betracht kommen. Allerdings liegt in diesen Fällen eine hilflose Lage schon vor, die sich nur „weiterentwickelt“. Diese Entwicklung ist zudem die in der bestehenden hilflosen Lage angelegte Konkretisierung hin zur Gefahr i. S. der Gefährdungsklausel. Zwar steigert sich diese hilflose Lage bis zur konkreten Gefahr, aber der Täter intensiviert im Verlauf dieses Vorgangs weder durch Tun noch durch Unterlassen etwas, er schreitet nur gegen den in der hilflosen Lage selbst – sozusagen „natürlich“ – angelegten Entwicklungsprozess nicht ein. Damit bewirkt er keine Intensivierung der hilflosen Lage wie in den Fällen des positiven Handelns oder des Nichteinschreitens gegen andere Einflüsse, wie z. B. Dritte, Naturkräfte usw. Insoweit ist es in den Fällen der „Selbststeigerung“ der schon vorliegenden hilflosen Lage nicht möglich, von einer messbaren Erhöhung einer bestehenden oder von einer neuen hilflosen Lage zu sprechen. Dieses Nichteinschreiten des Täters ist daher kein Anwendungsfall des § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB in der Erscheinungsform eines Intensivierens einer bestehenden hilflosen Lage, sondern des § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB. Die zweite Tatalternative setzt das Nichtleisten von Hilfe bei Bestehen einer hilflosen Lage als tatbestandliches Erfordernis voraus, und das entspricht genau der Konstellation, die – wenn es letztlich zu einer Gefahr kommt – beim Geschehenlassen des „natürlichen“ Ablaufvorgangs der hilflosen Lage gegeben ist1697. Hier mag zwar umgangssprachlich die Lage für das Opfer im Laufe der Zeit immer „hilfloser“ werden, eine Intensivierung durch den Täter ist darin allein deshalb aber noch nicht zu sehen. Infolgedessen gehören – allgemein gesagt – die Fälle, in denen eine hilflose Lage vorliegt, das Verhalten des Täters aber nicht zu einer messbaren Erhöhung derselben hilflosen Lage führt – mit Ausnahme der Fälle der Unrettbarkeit des Opfers1698 – zum Imstichlassen. Dieser Befund überrascht, weil man bei genauer Betrachtung feststellt, dass damit jedes Nichthelfen bei Vorliegen einer noch behebbaren hilflosen Lage tatbestandsmäßig i. S. v. § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB ist und folglich diese Norm – entgegen der Intention des Verfassers für den gesamten Tatbestand1699 – 1697 Anders jedoch, wenn der Täter zuvor Hilfe geleistet hat, die er im Folgenden verweigert. Dieses Verweigern der zuvor geleisteten Hilfe stellt ein Versetzen durch Unterlassen dar [vgl. oben die Ausführungen im 4. Teil: E. III. 3.], weil hier die vormals bestehende hilflose Lage zuerst aufgehoben wurde und dann eine hilflose Lage durch das Unterlassen weiterer Hilfe originär neu geschaffen wurde. 1698 Vgl. im 4. Teil: G. I. 1699 Vgl. oben im 4. Teil: D. I. Der einzige, die zweite Tatvariante vom allgemeinen Gefährdungsdelikt trennende Unterschied wäre noch im Erfordernis der Hilfsmöglichkeit innerhalb der hilflosen Lage vorhanden.

G. Problematische Anwendungsfälle der Aussetzung

457

stark an ein allgemeines Gefährdungsdelikt für Garanten angenähert wird1700 – ein Ergebnis, dass auch der Gesetzgeber nicht wollte. Das Problem liegt darin, dass es einen Ausweg aus dieser Einschätzung, gleichgültig wie man die hilflose Lage deutet, nicht gibt; es resultiert vielmehr aus dem weiten Verständnis des Imstichlassens. Dieses Verständnis war definitiv Wille des Gesetzgebers1701 und wird weitgehend von der Literatur geteilt1702. Zudem ist das „Imstichlassen in hilfloser Lage“ der eindeutige Wortlaut der Norm; mehr erfordert das tatbestandsmäßige Verhalten des Garanten in der zweiten Tatvariante nicht. In Verbindung mit der hilflosen Lage und der Gefährdungsklausel als zwei selbständigen Merkmalkomplexen führt dieses weite Verständnis aber dazu, dass jedes Unterlassen eines Garanten bei Vorliegen einer hilflosen Lage zu einer Strafbarkeit aus der zweiten Alternative der Aussetzung führt, wenn es später zu einer konkreten Gefahr für Leib oder Leben kommt1703. Eine einengende(re) Auslegung wäre zwar wünschenswert, scheitert aber am Wortlaut der Norm und am Willen des Gesetzgebers. Und sich über beides hinwegzusetzen, scheint nicht zulässig zu sein1704. Auf diesen Befund wird am Ende der Arbeit noch zurückzukommen sein1705. 3. Fazit zum Versetzen in eine „neue hilflose“ Lage und zum Intensivieren einer bestehenden hilflosen Lage Im Grundsatz ist also festzuhalten: Auch derjenige, der sich in einer hilflosen Lage befindet, die eine Gefahr für Leib und Leben zu werden droht, kann in dieser Situation noch schlechter gestellt werden. So MüKo-StGB-Hardtung, § 221 Rn. 1; Tröndle/Fischer, StGB54, § 221 Rn. 1, 9, 20; tendenziell auch Rengier, BT II8, § 10 Rn. 2, 14 [anders – ein allgemeines Gefährdungsdelikt ablehnend – noch ders., BT II4, § 10 Rn. 1], und Wessels/Hettinger, BT I31, Rn. 198. So bereits als Folge der weiten Auslegung der zweiten Tathandlung in der a. F. Güntge, Unterlassen, S. 148 [„allgemeiner Auffangtatbestand für garantenpflichtwidriges Unterlassen“]. 1701 Vgl. 4. Teil: C. I. 5. b). 1702 Vgl. 4. Teil: C. I. 2. b). 1703 Auch die Ansicht, die hilflose Lage und Gefahr gleichsetzt [vgl. 4. Teil: D. II. 1. b)] kommt zur Annahme eines allgemeinen Gefährdungsdelikts für Garanten, weil dort die Anforderungen an das Vorliegen eines tatbestandsmäßigen Verhaltens i. S. der zweiten Tathandlung noch niedriger sind: Eine Einschränkung des Tatbestandes über die hilflose Lage erfolgt gerade nicht und die Fälle des direkten Entstehens einer Gefahr – selbst bei Unmöglichkeit der Hilfeleistung – werden erfasst. 1704 Zumal systematische und teleologische Aspekte auch für das weite Verständnis der zweiten Tathandlung sprachen; vgl. den 4. Teil: C. II. 5. c) sowie den 4. Teil: C. II. 5. d). 1705 Vgl. 6. Teil: Annex: Die Zukunft der Aussetzung? 1700

458 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

Geschieht dies durch positives Tun, ist in der Regel eine neue hilflose Lage gegeben; damit liegt ein Versetzen vor. Ob man dieses Tun nun als Versetzen in eine neue hilflose Lage oder als Intensivieren einer bestehenden hilflosen Lage charakterisiert, ist nur eine Frage der Wortwahl. Als Versetzen durch Unterlassen in eine neue oder Intensivieren einer bestehenden hilflosen Lage sind die Fälle des Nichteinschreitens gegen aktives Verhalten Dritter sowie des Opfers, gegen Naturkräfte oder gegen andere zufällige Ereignisse anzusehen, da hier die „messbare“ Erhöhung der hilflosen Lage durch den Täter gegeben ist. Kein Versetzen durch Unterlassen ist hingegen das reine Weiterwirkenlassen des in der vorhandenen hilflosen Lage schon „natürlich“ angelegten und sich entwickelnden Geschehens. Diese Verhaltensweise wird von § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB erfasst. Ein Versetzen in eine neue hilflose Lage kommt demzufolge nur in Betracht, solange der Taterfolg der Gefahr noch nicht eingetreten ist. Spätestens in dem Augenblick, in dem die hilflose Lage in die Gefahr umschlägt, ist ein Versetzen durch Intensivieren einer bestehenden hilflosen Lage im Hinblick auf Leib und Leben nicht mehr möglich. Vielleicht kann sich dann aber ein Steigern oder Intensivieren einer Gefahr anschließen. Die Frage, ob auch ein solches Verhalten tatbestandsmäßig i. S. v. § 221 Abs. 1 StGB sein kann, soll im folgenden Abschnitt geklärt werden.

III. Das Steigern und Intensivieren einer bestehenden Gefahr Die letzte Fallgruppe, die problematischer ist als sie auf den ersten Blick erscheint, betrifft die Tatbestandsmäßigkeit des Steigerns oder Intensivierens einer bestehenden Gefahr und knüpft direkt an das ähnlich gelagerte Problem des Intensivierens einer bestehenden hilflosen Lage aus dem vorhergehenden Abschnitt an. 1. Meinungsspektrum zur a. F. und zur n. F. der Aussetzung Im Hinblick auf das Steigern oder Intensivieren einer bestehenden Gefahr ist die Einschätzung – und zwar zur a. F.1706 wie zur n. F. der RGSt 59, 387 [388]; LK-StGB8-Schaefer [1958], § 221 Anm. II.2.A.; Feloutzis, S. 141 f.; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 18, § 4 Rn. 6; anders Schwartz, RStGB, § 221 Anm. 3; Albrecht, S. 39. 1706

G. Problematische Anwendungsfälle der Aussetzung

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Norm1707 – nahezu einheitlich: Dieses Verhalten erfüllt den Tatbestand der Aussetzung. Die Erklärung für diese Zustimmung – speziell auf die Aussetzung bezogene Begründungen sind im Zusammenhang mit der a. F. nicht zu finden – ergibt sich wohl hauptsächlich daraus, dass es im Bereich der Delikte gegen Leib und Leben allgemein für zutreffend angesehen wird, dass das Steigern oder beschleunigte Herbeiführen des Taterfolges eine eigenständige Erfüllung des Tatbestandes darstellt1708. Zur n. F. wird als Begründung angeführt, die Steigerung einer Gefahr als tatbestandsmäßiges Verhalten sei Wille des Gesetzgebers des 6. StrRG gewesen1709. Die Intensivierung einer schon bestehenden Gefahr bewirke außerdem eine größere Annäherung an die Schadenswahrscheinlichkeit und weise daher mindestens dieselbe Strafwürdigkeit auf wie die Gefahrschaffung selber1710. Andernfalls wäre der Fall des Imstichlassens kurz vor Eintritt der konkreten Gefährdung strafbar, kurz nach deren Eintritt aber nicht, was nicht einzusehen sei1711. Zudem sei der Wortlaut des „einer Gefahr . . . aussetzen“ geeignet, auch das Steigern von schon bestehenden Gefahren zu erfassen und dieses weitere Verständnis OLG Zweibrücken NJW 1998, 841 [842]; LK-StGB11-Jähnke [07/1999], § 221 Rn. 19 [leicht widersprüchlich hierzu ders., ebenda, Rn. 14]; Küper, ZStW 111 [1999], 58; ders., BT6, S. 35, 205; Küpper, JuS 2000, 229; ders., BT I3, § 1 Rn. 89; Sträßner, PflR 2002, 98; Gössel/Dölling, BT 12, § 7 Rn. 18; Maurach/ Schroeder/Maiwald, BT 19, § 4 Rn. 6, 13; Hacker/Lautner, Jura 2006, 276; Kindhäuser, LPK3, § 221 Rn. 8; ders., BT I3, § 5 Rn. 10; Schönke/SchröderStGB27-Eser, § 221 Rn. 8; Rengier, BT II8, § 10 Rn. 6, 13; Lackner/Kühl, StGB26, § 221 Rn. 5; Tröndle/Fischer, StGB54, § 221 Rn. 10. Enger, weil eine erhebliche Verstärkung [so Krey/Heinrich, BT I13, Rn. 137] bzw. eine „messbare Erhöhung“ der Gefahr fordernd [so Wessels/Hettinger, BT I31, Rn. 199, 203]; ähnlich MüKoStGB-Hardtung, § 221 Rn. 24. Ablehnend zum Konstrukt des Verstärkens einer Gefahr Laue, S. 85 f.; NK-StGB2-Neumann, § 221 Rn. 16, 31; zweifelnd SternbergLieben/Fisch, Jura 1999, 46. 1708 So für den Bereich der Körperverletzungsdelikte: OLG Hamm NJW 1975, 604 [605]; OLG Düsseldorf NJW 1991, 2979; NK-StGB2-Paeffgen, § 223 Rn. 14, 22, § 229 Rn. 4; Schönke/Schröder-StGB27-Eser, § 223 Rn. 5. Für den Bereich der Tötungsdelikte: BGHSt 21, 59 [61]; MüKo-StGB-Schneider, § 212 Rn. 1, § 222 Rn. 4; Schönke/Schröder-StGB27-Eser, § 212 Rn. 3; Tröndle/Fischer, StGB54, § 212 Rn. 3. Dies gilt auch für Tötungsdelikte durch Unterlassen siehe BGH NStZ 1981, 218; 1985, 26 [27]; StV 1994, 425; NK-StGB2-Neumann, § 212 Rn. 2, 5; Lackner/Kühl, StGB26, § 212 Rn. 2, § 222 Rn. 2; alle m. z. N. 1709 So OLG Zweibrücken NJW 1998, 841 [842], und [unter Berufung auf BTDrs. 13/9064, S. 14] LK-StGB11-Jähnke [07/1999], § 221 Rn. 9; MüKo-StGBHardtung, § 221 Rn. 23; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 19, § 4 Rn. 13; Lackner/ Kühl, StGB26, § 221 Rn. 5; Tröndle/Fischer, StGB54, § 221 Rn. 10; zweifelnd Hörnle, Jura 1998, 177. 1710 Küpper, JuS 2000, 229; Hacker/Lautner, Jura 2006, 279, insbesondere dort in Fn. 66. 1711 Hacker/Lautner, Jura 2006, 279. 1707

460 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

diene dem Schutz des Opfers; Sinn und Zweck des § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB sei es, alle garantenpflichtwidrigen Unterlassungen zu bestrafen1712. Die Autoren, die das Steigern einer Gefahr – in gewissem Umfang – für nicht tatbestandsmäßig i. S. v. § 221 Abs. 1 StGB n. F. halten, leiten dies aus der Unvereinbarkeit der Gegenansicht mit dem Wortlaut der Norm her1713. Außerdem sei in § 221 Abs. 1 StGB n. F. ausschließlich die Herbeiführung einer neuartigen Hilfsbedürftigkeit unter Strafe gestellt, nicht aber nur die einer erhöhten Schadenswahrscheinlichkeit1714. 2. Eigene Stellungnahme zum Steigern und Intensivieren einer bestehenden Gefahr Auf den ersten Blick scheint die Berufung der überwiegenden Ansicht auf den Willen des Gesetzgebers des 6. StrRG durchaus zutreffend zu sein: Sowohl im 6. StrRG als auch in den Niederschriften der Großen Strafrechtskommission wird das Verstärken einer bestehenden Gefahr ausdrücklich als hinreichender Taterfolg für eine Aussetzung angesehen1715. Die Ausführungen des Rechtsausschusses zum Verstärken einer bestehenden Gefahr beziehen sich nach dem Gesamtzusammenhang dieser Materialien für das 6. StrRG grundsätzlich auf beide Tathandlungen, da es sich um allgemeine Ausführungen zur Umformulierung der Gefährdungsklausel und deren Inhalt handelt. Einige Mitglieder der Großen Strafrechtskommission sind sogar – noch weitergehend – der Ansicht gewesen, auch Fälle ohne Vergrößerung der Gefahr sollten wegen der Verletzung einer „Beistandspflicht besonderer Art“ erfasst werden1716. Allerdings entschied sich die Große Strafrechtskommission in ihren Beratungen ausdrücklich gegen dieses Verständnis der Aussetzung, das sich in einer Beistandspflichtverletzung ohne Gefahr erschöpft hätte, und wählte die andere Ausgangsfassung für die Aussetzungsnorm1717. Der Befund, das Steigern einer Gefahr i. S. der Aussetzung sei strafbar, stimmt mit der überwiegenden, zuvor schon erwähnten Ansicht aus dem Bereich der Tötungs- und Körperverletzungsdelikte (also Delikte, die – wie 1712

Hacker/Lautner, Jura 2006, 279. NK-StGB2-Neumann, § 221 Rn. 16, 31. 1714 Laue, S. 85 f., der jedoch betont, die Verursachung einer andersartigen Hilfsbedürftigkeit und damit einer anderen hilflosen Lage sei tatbestandsmäßig. 1715 BT-Drs. 13/9064, S. 14, und Ndschr. Bd. 7 [1959], Anhang J 68, S. 338; ebenso Jescheck, Ndschr. Bd. 7 [1959], S. 101. Hierzu abermals am Ende dieses Abschnitts auf S. 470. 1716 Ndschr. Bd. 7 [1959], Anhang J 68, S. 338, und Schwalm, Ndschr. Bd. 7 [1959], S. 96. 1717 Siehe oben im 3. Teil: B. II. 1. 1713

G. Problematische Anwendungsfälle der Aussetzung

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auch die Aussetzung – dem Schutz von Leib und Leben dienen) überein: Anerkanntermaßen ist dort ein tatbestandlicher Erfolg auch dann gegeben, wenn das Verhalten des Täters den Eintritt des Taterfolges schneller herbeiführt oder ihn intensiviert1718. Die Bedenken gegen die Annahme eines Steigerns der Gefahr als Taterfolg sind aber nicht von der Hand zu weisen und beginnen beim Wortlaut der Norm. Dieser verlangt als Taterfolg eine durch die Tathandlung („dadurch“) verursachte konkrete Gefahr. Liegt eine Gefahr schon vor, scheidet daher eine Verwirklichung des Tatbestandes aus, soweit keine völlig neue Gefahr geschaffen wird1719. Mit Vorliegen der Gefahr ist der Tatbestand der Aussetzung vollendet und der Taterfolg eines vollendeten Delikts kann grundsätzlich nicht mehr gesteigert werden1720. Hier liegt auch der fundamentale Unterschied zu den Fällen aus dem Bereich der Tötungsdelikte: Dort ist der (Todes-)Erfolg noch nicht eingetreten, sondern wird beschleunigt herbeigeführt1721. Der Vergleich des Steigerns der Gefahr bei der Aussetzung mit den Fällen des beschleunigten Erfolgseintritts bei den Tötungsdelikten ist daher kaum möglich und man muss auf andere Kriterien zurückgreifen. Damit steht man hier vor einem ganz ähnlichen Problem wie im vorherigen Abschnitt beim Versetzen in eine neue hilflose Lage bzw. beim Intensivieren der bestehenden hilflosen Lage als Anwendungsfall des Versetzens: Wann kann ein Steigern oder Verstärken einer Gefahr vorliegen, das nach Ansicht des Gesetzgebers den Aussetzungstatbestand erfüllt und strafbar sein sollte? Wie schon beim Intensivieren einer bestehenden hilflosen Lage wird man von einem Verstärken oder Steigern der Gefahr allenfalls sprechen können, wenn ein solches „messbar“ ist1722. Auch hier ist erneut zwischen positivem Tun bzw. Unterlassen zu trennen. 1718

Vgl. die Nachweise im 4. Teil: G. I. 1. in Fn. 1708. Z. B. im Wege einer Änderung der Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung in eine Todesgefahr; hierzu sogleich. 1720 Als Beispiele zur Verdeutlichung: Der erneute Diebstahl einer gestohlenen Sache ist ein neuer Diebstahl, nicht aber die tatbestandsmäßige Steigerung des ersten Diebstahles. Das zweite Zustechen mit einem Messer begründet – selbst wenn eine Handlung im strafrechtlichen Sinne vorliegt – einen neuen Körperverletzungserfolg und ist nicht die Steigerung des ersten Stiches. 1721 Zutreffend betont Schmitz, S. 68, dass bei den Lebensverletzungsdelikten der §§ 211 ff. StGB nach Eintritt der Rechtsgutsverletzung kein Raum mehr für eine Intensivierung derselben bleibe. 1722 Vgl. insoweit die Forderung von Jescheck, Ndschr. Bd. 7 [1959], S. 101, nach einer „Erhöhung einer Lebensgefahr“ als tatbestandliches Erfordernis für beide Tatvarianten, weil der Tatbestand sonst zu weit würde. 1719

462 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

Fälle aktiven Tuns sind beim Steigern einer Gefahr in zwei Erscheinungsformen denkbar: Erstens als Änderung der bestehenden in eine neue, andere Gefahr durch Handeln des Täters1723. Mit Blick auf die „neue“ Gefahr dürfte – wie schon beim Intensivieren einer bestehenden hilflosen Lage – auch hier „neu schaffen“ der präzisere Begriff sein als Steigern einer Gefahr. Es wird also in qualitativer Hinsicht eine andere „Gefahr“ geschaffen als zuvor bereits vorhanden. Dies kann z. B. dann der Fall sein, wenn der Täter durch sein Verhalten eine Gefahr für die körperliche Unversehrtheit des Opfers in eine Todesgefahr umwandelt1724. Als zweite Erscheinungsform ist das Erhöhen des „Gefahrengrades“ einer bestehenden Gefahr – gemeint ist damit das Erhöhen der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts – denkbar; man könnte zur Verdeutlichung auch von einem „quantitativen“ Steigern der Gefahr durch aktives Tun sprechen. Dies liegt z. B. vor, wenn der Täter bei bestehender Gefahr Dritte aktiv von Hilfsmaßnahmen gegen ebendiese Gefahr abhält oder Hilfsmittel vernichtet. Man kann also feststellen: Wie schon beim Versetzen durch Intensivieren der bestehenden hilflosen Lage ist ein Steigern einer Gefahr dann gegeben, wenn ein Täter durch aktives Handeln kausal und ihm objektiv zurechenbar die bestehende Gefahr (qualitativ) ändert oder (quantitativ) intensiviert. Ebenso wird man – entsprechend den Ausführungen im vorherigen Abschnitt1725 – bei den folgenden Unterlassungsfällen von einer tatbestandsmäßigen Verwirklichung einer Aussetzung ausgehen müssen: Liegt eine Gefahr für das Opfer schon vor und schreitet der Täter nunmehr nicht gegen aktives Verhalten Dritter oder des Opfers, gegen Naturkräfte oder gegen zufällige Ereignisse ein, die ihrerseits die Gefahr für das Opfer (quantitativ) intensivieren oder sie (qualitativ) in eine neue Gefahr ändern, so stellt dies ein Steigern einer Gefahr dar, wenn der Täter als Garant zum Handeln verpflichtet ist1726. Auch hier steigert sich der Grad der Gefahr für das Opfer 1723 Wobei diese „andere Gefahr“ wirklich anders i. S. v. neuartig sein muss und nicht nur einen geringeren Gefahrengrad der zuvor vorhandenen Gefahr darstellen darf, weil sonst der Fall einer straflosen Risikoverringerung vorliegt; vgl. zu diesem Themenkreis und den damit einhergehenden Streitpunkten Kühl, AT5, § 4 Rn. 53 ff., NK-StGB2-Puppe, Vor § 13 Rn. 76; Roxin, AT I4, § 11 Rn. 53 f.; Schönke/Schröder-StGB27-Lenckner/Eisele, Vorbem §§ 13 ff. Rn. 94; alle m. w. N. 1724 Da allerdings bei einem solchen Gefahrenaustausch regelmäßig auch eine neue hilflose Lage [im Hinblick auf das nun gefährdete Rechtsgut] geschaffen wird, wäre es hier – wie schon beim Steigern der hilflosen Lage – möglich, vom Neuschaffen einer hilflosen Lage zu sprechen. 1725 Vgl. die Ausführungen auf S. 454 im 4. Teil: G. II. 2. 1726 Zur Frage, ob dieses Verhalten des Täters als täterschaftlich einzuordnen ist oder nur Teilnahme am Delikt des handelnden Dritten darstellt, schon die Ausführungen soeben auf S. 455 im 4. Teil: G. II. 2. und dort insbesondere Fn. 1694.

G. Problematische Anwendungsfälle der Aussetzung

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messbar, weil nicht gegen das Verhalten anderer Personen bzw. gegen die zufälligen Ereignisse oder Naturkräfte eingeschritten wird. Deutlich schwieriger ist jedoch die Beurteilung derjenigen Unterlassungsfälle, in denen das Opfer schon in einer konkreten Gefahr schwebt und weder ein Fall des Nichteinschreitens des Täters gegen aktives Dritt- oder Opferverhalten noch gegen Naturkräfte und Zufall vorliegt, sondern nur ein „schlichtes“ Nichtstun des Täters gegen die Fortentwicklung der Gefahr gegeben ist. Zur Umschreibung dieser Fälle kann man von „Näherrücken der Gefahr(realisierung)“ sprechen bzw. das Täterverhalten als das schlichte Weiterwirkenlassen bzw. das „Sich weiter konkretisieren Lassen“ einer bestehenden Gefahr charakterisieren1727. Erfüllt ein solches Verhalten möglicherweise den Tatbestand der Aussetzung in der Erscheinungsform des Steigerns einer bestehenden Gefahr durch Unterlassen1728? Der Grund für die Schwierigkeiten bei der Beantwortung dieser Frage liegt in der Kombination der Definitionen von Gefahr und Unterlassen: Beide Begriffe beschreiben nicht einen festen Zeitpunkt oder einen bestehenden Zustand, sondern umfassen einen Zeitraum, in dem eine Entwick1727 Um diese Fallgruppe zu verdeutlichen: z. B. das „Weiterhungernlassen“ des bereits gesundheitlich gefährdeten Opfers, das nicht zur selbständigen Nahrungsaufnahme fähig ist. 1728 Diese Frage stellt sich in ähnlicher Art und Weise auch für die Frage der beschleunigten Erfolgsherbeiführung bei den Tötungsdelikten [vgl. schon im 4. Teil: G. III. 1. in Fn. 1708], die sich beim Unterlassen als Nichtverhindern einer Lebensverkürzung – d.h. als Nichtleisten von Hilfe zur Lebensverlängerung [so SK-StGB6Horn (04/2000), § 212 Rn. 22; Rengier, BT II8, § 3 Rn. 11] – äußert. Im Bereich der Tötungsdelikte durch Unterlassen ist dabei weitgehend anerkannt, dass nicht jeder Fall der Lebensverkürzung um Sekunden tatbestandsmäßig erfasst sein könne, sondern nur Verkürzungen „von Belang“ strafbares Unrecht verkörpern. Dies formuliert NK-StGB2-Neumann, § 212 Rn. 5, treffend: „Niemand hat das Recht, das Leben eines anderen auch nur um Sekunden zu verkürzen; dagegen ist helfendes Eingreifen nicht sinnvoll, wo es darum geht, verlöschendes Leben um Sekunden zu verlängern.“ Umstritten ist allerdings, wo die Grenze zwischen einer strafrechtlich irrelevanten und relevanten Lebensverkürzung durch Unterlassen zu ziehen ist. Die überwiegende Ansicht deutet eine unwesentliche Verkürzung schon als nicht tatbestandsmäßiges Verhalten; so LK-StGB11-Jähnke [11/2001], § 212 Rn. 4; MüKoStGB-Schneider, § 212 Rn. 3; NK-StGB2-Neumann, § 212 Rn. 5; Lackner/Kühl, StGB26, § 212 Rn. 2; Tröndle/Fischer, StGB54, § 212 Rn. 3; a. A. [Interessenabwägung im Rahmen der Rechtswidrigkeit] R. Merkel, S. 277 ff. Engere Voraussetzungen an die Ablehnung des Tatbestandes verlangt aber Frisch, S. 554 ff.; zweifelnd an der Richtigkeit des Kriteriums der „unwesentlichen“ zeitlichen Verkürzung bei Krümpelmann, GA 1984, 493 f., 509 f. Vgl. des Weiteren aus der Rechtsprechung BGH NStZ 1981, 218 [219] [unterlassene Lebensverlängerung um einen Tag], mit ablehnender Anmerkung Wolfslast, NStZ 1981, 219 f.; kritisch zu der Entscheidung Krümpelmann, GA 1984, 493 f.; BGH NStZ 1985, 26 [27] [unterlassene Lebensverlängerung um mehrere Stunden]; siehe zu der Thematik auch BGH GA 1988, 184; StV 1994, 425.

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lung vor sich geht. Hinsichtlich des Unterlassens wurde dies bereits mehrfach betont1729, bezüglich der Gefahr muss dies noch näher erläutert werden. Wie schon dargelegt, ist eine Gefahr ein außergewöhnlicher Zustand, in dem wegen der konkreten Umstände die Wahrscheinlichkeit eines Schadens derart erhöht ist, dass sein Eintritt nahe liegt bzw. das Ausbleiben des Schadens nur noch vom unberechenbaren Zufall abhängt1730. Der Gefahr ist damit ein dynamisches bzw. ein sich entwickelndes Element inhärent1731. Sie ist kein feststehender, statischer Zustand, sondern sie geht – wenn nicht der rettende Zufall oder ein Dritter eingreift – unaufhaltsam in eine Verletzung bzw. einen Schaden für ein Rechtsgut – im Bereich der Delikte gegen Leib und Leben: für das Opfer – über. Aus diesem Grund ist es – mit Blick auf die gängige Definition von Gefahr – problematisch, wenn man vom Verstärken oder Steigern einer Gefahr als Taterfolg spricht1732, denn dieser dynamische Aspekt der Gefahr führt für einen Garanten zu folgendem Problem: Der Garant, der seinen Schützling in einer hilflosen Lage, die bereits zu einer i. S. v. § 221 Abs. 1 Hs. 2 StGB tatbestandsmäßigen Gefahr geworden ist, antrifft und nicht gegen diese Gefahr für Leib und Leben seines Schützlings einschreitet, lässt die vorhandene Entwicklung ablaufen, unterlässt quasi „das Verhindern einer weiteren Steigerung der Gefahr“1733. Dieses Unterlassen bedeutet aber das Gewährenlassen der weiteren Entwicklung und damit eine Erhöhung der vorhandenen Gefahr, was – bei Zumutbarkeit und Möglichkeit einer Hilfe – einen hinreichenden Taterfolg für eine Aussetzung darstellen könnte. 1729 Vgl. oben auf S. 1176 im 4. Teil: D. IV. 2. d) dd) (4) [Nachweise dort in Fn. 1177], auf S. 1425 im 4. Teil: E. III. 2. b) cc) (1) [Nachweise ebenda in Fn. 1426] und auf S. 414 im 4. Teil: D. IV. 2. d) dd) (4). 1730 Vgl. die Nachweise in Fn. 1608 im 4. Teil: F. III. 1731 Bassenge, S. 24, 51; Demuth, S. 67 f., 204 ff.; SK-StGB8-Horn/Wolters [04/2006], Vor § 306 Rn. 5; ähnlich H.J. Hirsch, FS Kaufmann, S. 552, 555 [„zeitlich-räumliche Situation“ mit weiterem Verlauf], oder Arzt/Weber, BT, § 35 Rn. 66 [„Kausalverlauf hin zu einer möglichen Rechtsgutsverletzung“]. So auch zur Gefahr i. S. v. § 34 StGB Kretschmer, Jura 2005, 662 [Zur Frage, ob die Gefahr i. S. v. § 34 StGB dem Begriff der Gefahr im BT des StGB entspricht, vgl. die Nachweise bei H.J. Hirsch, FS Kaufmann, S. 545 f. Fn. 4 f.]. 1732 Dieses Problem sieht auch Lucks, S. 218, die das Imstichlassen allgemein als „Intensivierung der Ausgangsgefahr“ charakterisiert und betont, der Täter schaffe „durch das Imstichlassen vielmehr keine [neue] Gefahr“, das Verhalten aber trotzdem als tatbestandsmäßig einordnet. 1733 Ob man beim Vorliegen einer Gefahr und dem Nichtleisten von Hilfe überhaupt noch von einem Gefährdungsvorsatz seitens des Garanten sprechen kann oder ob nicht viel eher das Vorliegen eines Verletzungsvorsatzes naheliegender ist, kann an dieser Stelle nicht geklärt werden.

G. Problematische Anwendungsfälle der Aussetzung

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Aus einer anderen Perspektive betrachtet: Jeder Garant, der seinen Schützling in einer konkreten Gefahr antrifft und diesem nicht hilft, würde den Tatbestand der zweiten Alternative von § 221 Abs. 1 StGB verwirklichen und die zweite Tatvariante der Aussetzung wäre somit ein allgemeines Gefährdungsdelikt für Garanten. Dieser Befund ist – wie bereits im vorhergehenden Abschnitt gezeigt1734 – durchaus problematisch, war jedoch hinsichtlich des Versetzens durch Intensivieren einer bestehenden hilflosen Lage nicht (auf-)lösbar. Beim Steigern oder Intensivieren einer Gefahr muss dies aber anders beurteilt werden1735, weil hier1736 keine tatbestandsmäßige Verwirklichung einer Aussetzung (mehr) vorliegen kann. Voraussetzung eines Unterlassungsdelikts ist die Möglichkeit der Abwendung des tatbestandsmäßigen Erfolges1737: Ist dieser aber schon eingetreten – was der Fall ist, wenn bei der Aussetzung eine Gefahr gegeben ist – kann man nichts mehr abwenden. Man würde vom Garanten etwas schlichtweg Unmögliches verlangen. Hier liegt auch der Unterschied zum Steigern einer hilflosen Lage bzw. zum Versetzen durch Intensivieren einer bestehenden hilflosen Lage, wo der Taterfolg (noch) nicht eingetreten ist. Zwar werden im Rahmen der unechten Unterlassungsdelikte Verhaltensweisen, die den Erfolgseintritt verzögern oder ihn erschweren, grundsätzlich als geeignet angesehen, eine Strafbarkeit zu begründen1738. Eine Übertragung dieses Grundsatzes auf die hier zu beurteilende Situation innerhalb der Aussetzungsnorm kann aber schon deshalb nicht ohne weiteres erfolgen, weil der Erfolgseintritt – wenn er bereits vorliegt – eben nicht mehr erschwert oder verzögert werden kann. Kann aber der tatbestandliche Erfolg weder verzögert noch erschwert werden, bleiben – mit anderen Worten – die möglichen Verhaltensweisen mit Sicherheit erfolglos, so ist ebenfalls anerkannt, dass dann keine Strafbarkeit aus unechtem Unterlassungsdelikt gegeben ist1739.

1734

Vgl. zu der Thematik auf S. 457 f. im 4. Teil: G. II. 2. Eine Betrachtung der Kausalität kann hier nicht weiterhelfen, da beim unechten Unterlassungsdelikt nach dem Vorliegen einer „Quasi-Kausalität“ gefragt wird [Nachweise im 4. Teil: C. I. 5. e) aa) (3) (b) in Fn. 368] und das Nichteingreifen in einen angelegten Kausalverlauf stets quasi-kausal sein muss. 1736 Abgesehen von einer Ausnahme; hierzu sogleich. 1737 Vgl. zu diesem Aspekt oben im 4. Teil: C. I. 5. e) cc) (1) [Fundstellen ebenda in Fn. 413]. 1738 Jakobs, AT2, 22. Abschn. Rn. 37, 29. Abschn. Rn. 102a; NK-StGB2-Wohlers, § 13 Rn. 12; LK-StGB12-Weigend [03/2007], § 13 Rn. 63; a. A. Schönke/SchröderStGB27-Stree, Vorbem §§ 13 ff. Rn. 142, der engere Voraussetzungen fordert. 1739 BGHSt 48, 77 [92]; BGH NStZ 2000, 414 [415]; Baumann/Weber/Mitsch, AT11, § 15 Rn. 23; Roxin, AT II, § 31 Rn. 9 f.; NK-StGB2-Wohlers, § 13 Rn. 12. 1735

466 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

Man könnte letztlich auch anders formulieren: Hinsichtlich der bestehenden Ausgangsgefahr hat sich eine Anwendung von § 221 Abs. 1 StGB erledigt. Diese Gefahr kann nämlich nicht mehr verhindert werden1740. Problematisch ist jedoch an dem Befund aus dem letzten Absatz, dass – wenn man ihn streng und genau beachtet und umsetzt – das Unterlassen eines Ingerenzgaranten aus dem Anwendungsbereich der Aussetzung ausscheiden würde. Der Grund dafür liegt in den Entstehungsvoraussetzungen dieser Garantenstellung1741. Die Ingerenz setzt voraus, dass vom Täter eine nahe bzw. unmittelbare Gefahr für ein fremdes Rechtsgut geschaffen wird1742. Diese Gefahr abzuwenden, ist die Verpflichtung des Garanten1743. Liegt aber eine nahe bzw. unmittelbare Gefahr vor, ist der Grundtatbestand von § 221 StGB bereits vollendet; eine Strafbarkeit scheidet insoweit dann aus. Dieses Resultat kollidiert nun aber einerseits mit der weithin vertretenen Auffassung, dass Fälle eines Ingerenzgaranten – insbesondere bei Unfällen im Straßenverkehr – einen wichtigen Anwendungsbereich des § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB bilden1744, andererseits steht es im Widerspruch zum – bereits mehrfach erwähnten – Willen des Gesetzgebers, die Norm durch das 6. StrRG zu erweitern. Das Problem dieses Resultates wird überdeutlich, wenn man ergänzend bedenkt, dass der Fall des Sich-Entfernens eines Ingerenzgaranten bei Bestehen einer hilflosen Lage a. F. (= Gefahr) vor Inkraft1740 Abgewendet werden kann noch der Verletzungserfolg oder ein „Wandel“ einer Gefahr [nur] für die körperliche Integrität des Opfers in eine solche für dessen Leben; hierzu sogleich. 1741 Zu den historischen Ursprüngen der Ingerenz und zu den Begründungsversuchen dieser Garantenstellung vgl. Rudolphi, Gleichstellungsproblematik, S. 51 ff.; Brammsen, Garantenpflichten, S. 286 ff.; Seelmann, GA 1989, 244 ff. 1742 BGHSt 34, 82 [84]; Rudolphi, Gleichstellungsproblematik, S. 120 f., 123, 188; NK-StGB1-Seelmann [07/1994], § 13 Rn. 112; Jescheck/Weigend, AT5, § 59 IV 4 a; Otto, FS Gössel, S. 107; Sowada, Jura 2003, 238; NK-StGB2-Wohlers, § 13 Rn. 43; Schönke/Schröder-StGB27-Stree, § 13 Rn. 34; Lackner/Kühl, StGB26, § 13 Rn. 11; Wessels/Beulke, AT37, Rn. 725. 1743 BGHSt 25, 218 [220 ff.]; 34, 82 [84]; Rudolphi, Gleichstellungsproblematik, S. 65; Gallas, Studien, S. 86; Jescheck/Weigend, AT5, § 59 IV 4 a; Baumann/Weber/Mitsch, AT11, § 15 Rn. 63; Kühl, AT5, § 18 Rn. 91; NK-StGB2-Wohlers, § 13 Rn. 43; Kindhäuser, LPK3, § 13 Rn. 46; Wessels/Beulke, AT37, Rn. 725; a. A. Schünemann, GA 1974, 233 ff. 1744 Siehe auf S. 39 im 2. Teil sowie auf S. 84 f. im 4. Teil: A. II.; ablehnend Schünemann, Dogmatik, 60, der die Möglichkeit einer Begehung der Aussetzung a. F. durch Ingerenzunterlassen ablehnt. Verkehrsunfälle werden auch allgemein als klassische Ingerenzfälle angesehen [so Arzt, JA 1980, 715; Baumann/Weber/Mitsch, AT11, § 15 Rn. 64; Roxin, AT II, § 32 Rn. 143; Sowada, Jura 2003, 237; Kühl, AT5, § 18 Rn. 92], was ein Blick in die Rechtsprechung auch bestätigt; siehe nur BGHSt 7, 287; BGH VRS 13[1957], 120 [122 ff.], und insbesondere BGHSt 25, 218 [220 ff.]; 34, 82 [84], die sich ausführlich mit den Entstehungsvoraussetzungen der Ingerenz befassen.

G. Problematische Anwendungsfälle der Aussetzung

467

treten des 6. StrRG – schon vom Wortlaut her – ein zweifelsfreier Fall der zweiten Tathandlung § 221 Abs. 1 StGB a. F. war. Dennoch scheint es möglich, der Intention des Gesetzgebers (teilweise) gerecht zu werden. Einige Unterlassungsfälle des Ingerenzgaranten sind unter die Aussetzung zu subsumieren, andere hingegen nicht. Hierfür ist es erforderlich, sich Aufgabe und Bedeutung dieser Garantenstellung vor Augen zu führen: Die Existenz der Garantenstellung aus Ingerenz ist weitgehend anerkannt1745. Ihre Aufgabe liegt darin, eine Person, die eine Gefahr für ein Rechtsgut geschaffen hat, zu verpflichten, die Realisierung dieser Gefahr zu verhindern; diese Garantenstellung beruht also auf dem Verbot, andere Menschen zu verletzen („neminem laede!“)1746. Gerade dieser Gesichtspunkt ist für die Behandlung der Problemfälle – insbesondere der Verkehrsunfälle – wesentlich: Der Garant aus Ingerenz soll ein Rechtsgut vor Verletzungen schützen, nachdem er es in eine Gefahr gebracht hat. Die Ingerenz dient also grundsätzlich nicht der Verhinderung von bzw. dem Schutz vor Gefahren1747. Ein Verhalten, das sich lediglich im Aufrechthalten ein und derselben Gefahr durch einen Ingerenzgaranten erschöpft, begründet daher keine Strafbarkeit aus Ingerenz, fällt schon deshalb aus der zweiten Tatalternative heraus, obwohl die überwiegende Ansicht bei § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB das Gegenteil für zutreffend erachtet1748. Die zuletzt genannte These kollidiert bereits mit den Entstehungsvoraussetzungen und dem Zweck der Ingerenzgarantenstellung. Damit ist zugleich vorgezeichnet, welcher Fall eines Ingerenzunterlassens überhaupt als Aussetzung denkbar bleibt: nämlich der Fall, das aus einer (schweren) Gesundheitsgefahr durch das Unterlassen des Täters die Gefahr des Todes wird. Gesetzt den Fall der Täter fährt das Opfer fahrlässig an1749, 1745 5

Dencker, FS Stree/Wessels, S. 162 f.: Roxin, AT II, § 32 Rn. 143; Kühl, AT , § 18 Rn. 91; Schönke/Schröder-StGB27-Stree, § 13 Rn. 32; kritisch Welzel, StR11, S. 215; abweichend Schünemann, GA 1974, 231 [Die Anerkennung der Garantenstellung aus Ingerenz „bröckelt immer mehr ab“]; ablehnend zur Garantenstellung aus Ingerenz auch die im 4. Teil: E. III. 2. b) bb) (2) (b) in Fn. 1358 zitierten Autoren. 1746 Rudolphi, Gleichstellungsproblematik, S. 65; Schünemann, Grund und Grenzen, S. 283; Arzt, JA 1980, 714; Jescheck/Weigend, AT5, § 59 IV 4 a; Roxin, AT II, § 32 Rn. 146; Schönke/Schröder-StGB27-Stree, § 13 Rn. 32; LK-StGB12-Weigend [03/2007], § 13 Rn. 42. 1747 Das der Ingerenz zugrundeliegende Verbot lautet eben nicht allgemein: „Gefährde niemanden!“ bzw. „neminem infesta“! 1748 Vgl. die Nachweise im 4. Teil: G. III. 1. in Fn. 1707. 1749 Der Fall ist nicht nur für einen Ingerenten denkbar, sondern kann entsprechend für jeden anderen Garanten gebildet werden, der seinen Schützling in einer

468 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

wird dadurch zum Garanten kraft Ingerenz und erkennt beim Aussteigen aus seinem Kraftfahrzeug nun zutreffend, dass sich das Opfer schon in einer konkreten Gesundheitsgefahr befindet, die aber beim Nichtleisten der (erforderlichen und ihm möglichen) Hilfe zu einer konkreten Todesgefahr werden wird, so erfüllt dies den Tatbestand des § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB. Die Tatbestandsmerkmale dieser Tatvariante sind allesamt zu bejahen, denn aufgrund der konkreten Gesundheitsgefahr ist das Opfer in einer hilflosen Lage, weil seine eigenen Ressourcen nicht ausreichen und Helfer ihm nicht zur Seite stehen. Die Anwesenheit des (die Gefahr fahrlässig verursachenden) Täters vermag an der Hilflosigkeit der Lage nichts zu ändern, weil er nicht als personelles Hilfsmittel in die Bestimmung der hilflosen Lage einzubeziehen ist; er hat keine tatsächliche Hilfserwartung zu Gunsten des Opfers begründet1750. Daneben begründet das fahrlässige Verhalten des Täters aber die Erwartung der Rechtsordnung, die Realisierung der Gefahr zu verhindern1751, d.h. der Täter ist Ingerenzgarant; es besteht eine Obhuts- oder Beistandspflicht i. S. v. § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB. Nun leistet der Täter aber die erforderliche Hilfe nicht und es kommt dadurch („quasi-kausal“) zur Änderung der konkreten Gesundheitsgefahr in eine konkrete Todesgefahr. Dies ist als hinreichender Taterfolg anzusehen, da der Aussetzungstatbestand in der Gefährdungsklausel als Taterfolg zwei verschiedene Gefahren anführt, die kausal durch den Täter herbeigeführt werden müssen, und genau dies ist hier der Fall. Mithin ist diese – aber auch nur diese – Konstellation des Steigerns einer Gefahr eines Ingerenten vom Wortlaut des § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB gedeckt. Dieses Resultat bestätigt auch ein kurzer Blick auf den Zweck der Aussetzung n. F.: Sie dient dem Schutz des Opfers vor neuen (nicht schon vorhandenen) Gefahren1752! Anders wäre dieser Fall jedoch dann zu beurteilen, wenn der Täter beim Aussteigen aus dem Kraftfahrzeug zutreffend erkennt, dass das Opfer schon in konkreter Todesgefahr schwebt, und dennoch nicht eingreift1753. In diekonkreten Gesundheitsgefahr antrifft, erkennt, dass eine Todesgefahr droht, und dagegen nicht einschreitet. 1750 Hierzu im 4. Teil: D. IV. 2. d) dd) (4) die Ausführungen auf S. 333. 1751 Vgl. im 4. Teil: E. III. 2. b) bb) (2) (b) die Darstellung auf S. 387. 1752 Ähnlich NK-StGB2-Neumann, § 221 Rn. 3, 16, 31, und wohl auch MüKoStGB-Hardtung, § 221 Rn. 1, 24. 1753 Es liegt auf der Hand, dass bei der Abgrenzung von konkreter Gesundheitsgefahr und konkreter Todesgefahr naturgemäß beweisrechtliche Probleme in der Praxis auftreten werden, die in der Praxis gegebenfalls zu Schutzbehauptungen führen können. Diese sind aber nicht geeignet, den Ausführungen ihre Basis zu entzie-

G. Problematische Anwendungsfälle der Aussetzung

469

sem Moment kann er den Taterfolg des § 221 Abs. 1 Hs. 2 StGB nicht mehr verursachen; er ist schon eingetreten. Die strafrechtliche Haftung des Ingerenzgaranten für dieses Verhalten bestimmt sich nur noch aus dem vorsätzlichen (falls der Taterfolg ausbleibt: versuchten) Verletzungsunterlassensdelikt. Somit werden die – problematischen – Ingerenzfälle im Straßenverkehr bei Realisierung der Gefahr nur in einem Teilausschnitt vom hier erarbeiteten Konzept erfasst. Eine darüber hinausgehende Erfassung – wie es gerade für Verkehrsunfälle überwiegende Ansicht ist – ist weder vom Sinn der Ingerenzgarantenstellung noch von Wortlaut und Zweck der Aussetzungsnorm gedeckt. Auch wenn der Gesetzgeber jede Steigerung einer Gefahr unter § 221 Abs. 1 StGB subsumiert wissen wollte und ein solches Verhalten für strafwürdig erachtete: Das einfache „Weiterwirkenlassen“ ein und derselben Gefahr durch einen Garanten enthält keine Steigerung einer Gefahr und stellt keine tatbestandliche Verwirklichung des § 221 Abs. 1 StGB dar1754. Dies ist entweder – wenn der Verletzungserfolg ausbleibt, je nach Vorsatz – ein versuchtes Verletzungsdelikt bzw. eine unterlassene Hilfeleistung nach § 323c StGB oder ein Verletzungsdelikt durch Unterlassen, so es zum Eintritt der Verletzung kommt und der Garant mit dem entsprechenden Vorsatz handelt. Am Vorsatz dürfte eine Bestrafung des Garanten allerdings im Regelfall nicht scheitern: Der Garant, der seinen Schützling in einer Gefahr für Leib oder Leben sieht1755 und der dennoch nicht handelt, so dass es zu einer Realisierung dieser Gefahr kommt, wird vor Gericht kaum glaubhaft machen können, dass er den Erfolgseintritt nicht für möglich hielt und nicht billigend in Kauf genommen hat1756, sondern der Ansicht war: „Es wird schon gutgehen!“1757 hen, weil beweisrechtliche Fragen für die wissenschaftliche Aufarbeitung eines strafrechtlichen Problems kein relevantes Kriterium darstellen. 1754 Als untauglicher Versuch von §§ 221 Abs. 2, Abs. 3 StGB hingegen wäre diese Konstellation wohl denkbar, jedoch nur aus dem Grund, dass es in den Absätzen 2 und 3 – über die reine Gefährdung des Opfers hinaus – zu einem Verletzungserfolg kommen muss. 1755 Eine Situation also, in der es ja definitionsgemäß [vgl. oben 4. Teil: F. III.] nur noch vom Zufall abhängt, dass kein Schaden eintritt. 1756 So die Anforderungen der Rechtsprechung und eines Teils der Literatur zur Abgrenzung des dolus eventualis von der bewussten Fahrlässigkeit; vgl. nur RGSt 33, 4 [5 f.]; BGHSt 7, 363 [368 f.]; zuletzt BGH NStZ-RR 2006, 9 [9 f.], sowie Baumann/Weber/Mitsch, AT11, § 20 Rn. 53 ff.; Lackner/Kühl, StGB26, § 15 Rn. 24 f.; Tröndle/Fischer, StGB54, § 15 Rn. 9b; ähnlich LK-StGB11-Schroeder [04/1994], § 16 Rn. 93 a. E.; alle m. z. N. Zweifelnd an der Möglichkeit dieser Abgrenzung LK-StGB12-Vogel [03/2007], § 15 Rn. 126 f. Die Mehrzahl der anderen zu diesem Abgrenzungsproblem in der Literatur vertretenen Ansichten führen regel-

470 4. Teil: Grundtatbestand nach heutigem Verständnis von Rechtsprechung

Abschließend sei darauf hingewiesen, dass die Materialien, wie schon zu Beginn dieses Abschnitts angedeutet, nicht ganz eindeutig sind. Vielmehr ist dem Gesetzgeber ein Fehler unterlaufen: Die Ausführungen des Rechtsausschusses sind anscheinend noch von der Aussetzung a. F. geprägt; es wurde nicht beachtet, dass die Argumente nicht auf die n. F. und deren Wortlaut übertragbar sind. War früher die hilflose Lage gleichbedeutend mit der Gefahr und musste diese Gefahr auch beim Verlassen schon vorliegen oder – nach überwiegender Ansicht – zumindest gleichzeitig mit dem Verlassen entstehen1758, so gibt dies der geänderte neue Wortlaut von § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB eben nicht mehr her: Die zeitliche Abfolge im Text des Gesetzes lautet „Hilflose Lage – Imstichlassen – Gefahr (= Taterfolg)“. Gerade Letzteres wollte der Gesetzgeber durch die Einfügung der Gefährdungsklausel klarstellen und genau dies betont er selber in den Materialien1759. Insoweit ist die pauschale Annahme des Gesetzgebers, jedes Steigern einer Gefahr unter § 221 Abs. 1 StGB zu subsumieren, nicht nur mit dem Wortlaut der Norm und der Dogmatik unvereinbar, sondern deckt sich sogar mit anderen Passagen der Materialien nicht: Wenn die Gefahr den Taterfolg darstellt, ist damit das Delikt vollendet1760. Eine erneute Verwirklichung desselben Deliktes ist dann nur noch möglich, wenn es zu einer Neuverwirklichung kommt. Dass sich die Materialien und der Wille des Gesetzgebers über den eindeutigen Wortlaut und die Systematik nicht hinwegsetzen können, wurde bereits zuvor1761 angesprochen. An dieser Stelle ist die „neue“ Aussetzung mäßig zum gleichen Ergebnis wie der Ansatz der Rechtsprechung; vgl. Kühl, AT5, § 5Rn. 47; Schönke/Schröder-StGB27-Cramer/Sternberg-Lieben, § 15 Rn. 87b; Wessels/Beulke, AT37, Rn. 225. Die umfangreichste Übersicht anderer Ansichten und deren Argumente liefert Hillenkamp, AT12, S. 1 ff. 1757 Vgl. BGH NStZ 2000, 330 [331]; Wessels/Beulke, AT37, Rn. 225. Ähnlich die eingängigen kurzen Merksätze zur Abgrenzung von dolus eventualis [Der Täter denkt sich: „Na wenn schon!“] und bewusster Fahrlässigkeit [„Es wird schon gutgehen!“], die in Anlehnung an ähnliche Sätze von Frank [Bewusste Fahrlässigkeit, wenn der Täter denkt, „wüßte ich, daß es so sein oder so kommen sollte, so unterließe ich meine Handlung.“; Frank, StGB1, § 59 III, und bedingter Vorsatz beim Gedanken „mag es so sein oder anders sein, so oder anders werden, auf jeden Fall handle ich“; Frank, StGB18, § 59 V] als Zweite Franksche Formel bezeichnet werden; vgl. Schroth, JuS 1992, 2. 1758 Vgl. aber die Ausführungen im 4. Teil: D. II. 1. a). 1759 Vgl. 4. Teil: F. II. 2. 1760 Ob man ein zusätzliches Argument für die Ablehnung der Figur des Steigerns einer Gefahr durch Unterlassen dadurch gewinnen könnte, dass man der offiziellen amtlichen Begründung zum 6. StrRG eine höhere Begründungskraft zuspricht als den Äußerungen des Rechtsausschusses, soll an dieser Stelle offenbleiben. 1761 Vgl. im 4. Teil: E. III. 3. c) bb) [insbesondere dort Fn. 1504].

G. Problematische Anwendungsfälle der Aussetzung

471

daher insoweit „lückenhaft“, als die genannten Verhaltensweisen keine Aussetzung darstellen, wohl aber andere Tatbestände erfüllen können1762. 3. Fazit zum Steigern und Intensivieren einer bestehenden Gefahr Verhaltensweisen, die ein positives Tun darstellen, können – entsprechend dem Willen des Gesetzgebers und der überwiegenden Meinung im Schrifttum – als Steigern einer Gefahr tatbestandsmäßig von § 221 Abs. 1 StGB n. F. erfasst werden. Allerdings wird es sich in diesen Fällen eigentlich um das Neuschaffen einer hilflosen Lage und einer Gefahr handeln; die Bezeichnung „Steigern“ einer Gefahr ist also nicht ganz zutreffend. Eben dies gilt auch – allerdings in der Erscheinungsform des Unterlassens – für das Nichteinschreiten eines Garanten gegen das Steigern einer Gefahr durch andere Personen sowie durch das Opfer selbst oder gegen das Wirken von Naturkräften und von anderen zufälligen Ereignissen. Darüber hinaus sind Fälle des Steigerns einer Gefahr durch Unterlassen nur dann als Aussetzung strafbar, wenn eine Gesundheitsgefahr in eine Lebensgefahr umgewandelt wird. Wirkt die Ausgangsgefahr nur weiter und wandelt sie sich nicht im soeben beschriebenen Sinn, so ist dies nicht tatbestandsmäßig. Solche Verhaltensweisen können aus Gründen der allgemeinen strafrechtlichen Dogmatik sowie nach dem eindeutigen Wortlaut der Norm – entgegen dem Willen des Gesetzgebers – weitgehend nicht unter § 221 Abs. 1 StGB n. F. subsumiert werden.

1762 Sieht man das anders, würde auch eine Grenzziehung zwischen den Fällen einer – nicht strafbaren – Unterlassung der Schmerzlinderung des unrettbaren Opfers einerseits und dem Intensivieren einer bestehenden Gefahr durch Unterlassen andererseits kaum zu ziehen sein. Bei Zweifeln hinsichtlich der „Rettbarkeit“ des Opfers müsste man dann zu Gunsten des Täters von Unrettbarkeit ausgehen. Möglicherweise können konkrete Gefährdungsdelikte sogar grundsätzlich nicht durch unechtes Unterlassen i. S. v. § 13 StGB nach Eintritt einer Gefahr verwirklicht werden. Der Ausschluss dieser Verhaltensweisen wäre quasi der Preis, den man für die Erweiterung der Strafbarkeit durch Vorverlagerung des Vollendungszeitpunktes bezahlen müsste. Dies zu klären, würde den Umfang dieser Arbeit allerdings sprengen und von der eigentlichen Fragestellung fortführen, wäre aber nach Ansicht des Verfassers durchaus eine grundlegende und klärungsbedürftige Frage.

5. Teil

Zusammenfassung und Endergebnis Der Grundtatbestand der Aussetzung in § 221 Abs. 1 StGB war früher ein Delikt mit einem beschränkten Täter- und Opferkreis und einer spezifischen Tathandlung. Von dieser „klassischen Wurzel“ des Tatbestandes, namentlich der Aussetzung von Kleinkindern, ist im Verlauf der Zeit nicht mehr viel übrig geblieben. Seit Anfang des 19. Jahrhunderts ist die Tendenz zu einer ständigen Erweiterung des Tatbestandes zu beobachten, die sowohl Tathandlungen als auch Täter- und Opferkreis erfasste und den Anwendungsbereich der Norm immer weiter ausdehnte. Einen – vorläufigen – Abschluss hat diese Entwicklung durch das 6. StrRG gefunden, durch das nun jede Person Opfer einer Aussetzung sein kann. Der schon vorher weite Täterkreis blieb unverändert und erfasst bei der ersten Tatvariante jedermann. Die zweite Tatvariante hingegen blieb durch das Erfordernis der Obhuts- oder Beistandspflicht – wie bisher auch – auf Garanten beschränkt. Auch die Tathandlungen wurden durch das 6. StrRG erweitert. Beide Verhaltensweisen sind nunmehr – abweichend von der früher überwiegend vertretenen Ansicht – nicht mehr nur auf räumlich geprägte Bewegungsvorgänge beschränkt, sondern weiter auszulegen. Als Versetzen ist jetzt ein Verhalten anzusehen, das – durch Tun oder Unterlassen – zur Neuschaffung einer hilflosen Lage des Opfers führt, die vorher noch nicht bestand. Die erste Tatvariante ist dabei weiterhin „normales“ Begehungsdelikt geblieben. Ein Imstichlassen ist gegeben, wenn der Täter, der – wie das Merkmal der Obhuts- oder Beistandspflicht verdeutlicht – ein Garant sein muss, seinen Garantenpflichten nicht nachkommt, sondern sie verletzt. Auf die äußerlich objektive Erscheinungsform der Verhaltensweise kommt es hier nicht an. Außerdem führte die Neuformulierung der zweiten Tatalternative zu einer Änderung des Tatbestandstyps: § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB ist jetzt als ein speziell vertatbestandlichtes unechtes Unterlassungsdelikt anzusehen. Das Merkmal, das einerseits die beiden Tathandlungen verbindet, andererseits aber auch trennt, ist die hilflose Lage. Ihm kommt im Tatbestand der Aussetzung besondere Bedeutung zu, da es – nach der Erweiterung der

5. Teil: Zusammenfassung und Endergebnis

473

Tathandlungen und des Opferkreises – das einzig verbliebene und geeignete Tatbestandsmerkmal ist, das in der Lage ist, dem Delikt Konturen zu geben, es von anderen Gefährdungs- und Verletzungsdelikten abzugrenzen und die Strafbarkeit aus dem Tatbestand zu limitieren. Eine hilflose Lage erfasst nicht nur eine Lage der Hilflosigkeit für Leib und Leben, sondern kann grundsätzlich auch im Hinblick auf andere Rechtsgüter bestehen. Eine hilflose Lage ist gegeben, wenn sich das Opfer • in einer Situation befindet, die durch den Täter, eine dritte Person, das Opfer selbst oder ein zufälliges Ereignis herbeigeführt wurde, und • in der Hilfe zwar noch möglich ist, • in der aber – die eigenen Kräfte des Opfers nicht ausreichen oder nicht genügend geeignete Sachmittel (sächliche Hilfsmittel) als Hilfen vorhanden sind, um sich selber aus dieser Situation zu befreien, und – in der ihm auch keine Hilfe durch hilfswillige und hilfsfähige Personen („personelle Hilfsmittel“) zur Verfügung steht. Nach diesem Verständnis kann die hilflose Lage n. F. weder mit dem Tatbestandsmerkmal der Gefahr – i. S. der hilflosen Lage a. F. – gleichgesetzt werden, noch mit der hilflosen Person a. F. Die Neuformulierung der Aussetzung hat das Delikt von diesen überkommenen Ansichten vollständig gelöst. Die hilflose Lage bezeichnet als Lage keinen unbegrenzt dauernden Zustand und kein ständig feststehendes Merkmal des Opfers, sondern ist eine räumlich und zeitlich geprägte Situation von einer gewissen Dauerhaftigkeit mit der Möglichkeit der Aufhebung durch andere Personen. Die hilflose Lage ist somit ein Durchgangsstadium bzw. ein Zwischenerfolg auf dem Weg in einige Gefahren; keinesfalls aber ist sie mit der Gefahr selber gleichzusetzen. Allerdings können Täter, eine dritte Person oder zufällige Ereignisse beim Herbeiführen einer hilflosen Lage an Merkmale grundsätzlicher und dauerhafter Natur bzw. Dauerzustände des Opfers anknüpfen und daraus kann – in Verbindung mit anderen Faktoren – im Einzelfall eine hilflose Lage entstehen. Ergänzend ist mit Blick auf die Hilfsmittel, die eine hilflose Lage ausschließen können, festzuhalten, dass jeder – auch der Täter –, der tatsächlich Hilfe geleistet oder die – bis dahin unwiderlegte – Erwartung auf (noch) zukünftige Hilfeleistung begründet hat, bis zur objektiv erkennbaren Aufgabe des Hilfswillens eine solche Hilfe bleibt. Erst die Aufgabe des Hilfswillens ist geeignet, eine Person als Täter zu qualifizieren, und erst dieses Verhalten kann tatbestandsmäßig sein.

474

5. Teil: Zusammenfassung und Endergebnis

Dieses Verständnis der hilflosen Lage ist geeignet, den Tatbestand widerspruchsfrei und stimmig auszulegen und die typischen Fälle wie auch die Ausnahmefälle der neugefassten Aussetzung folgerichtig und logisch zu erfassen. Daneben wurde durch die Einfügung der Gefährdungsklausel in den Tatbestand die Rechtsnatur der Aussetzung als konkretes Gefährdungsdelikt verdeutlicht. Die Gefahren, die einen Taterfolg darstellen können, sind jetzt ausdrücklich und positivrechtlich als Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung normiert. Da die hilflose Lage aber nicht schon als konkrete Gefahr aufgefasst werden kann, ist eine Charakterisierung der Aussetzung als allgemeines Gefährdungsdelikt abzulehnen. Die Aussetzung stellt grundsätzlich nicht jedwedes Schaffen einer Gefahr unter Strafe. Im Anwendungsbereich der zweiten Tatvariante finden sich nun – neben den vom Wortlaut direkt erfassten Fällen der Gefahrschaffung durch Imstichlassen in einer (vorhandenen) hilflosen Lage – insbesondere auch die Fallkonstellationen des Intensivierens einer bestehenden hilflosen Lage durch Unterlassen. Mithin erfasst § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB nun eine Vielzahl von Verhaltensweisen eines Garanten, die zu einer konkreten Gefährdung des Opfers führen. In dieser Hinsicht ist die Aussetzung annäherungsweise ein allgemeines Garanten-Gefährdungsdelikt geworden; nur annäherungsweise, weil einerseits die Gefährdung des unrettbaren Opfers den Tatbestand der Aussetzung nicht erfüllen kann – gleichgültig ob der Täter ein Garant oder eine andere Person ist – und andererseits das Weiterwirkenlassen einer sich intensivierenden Gefahr durch Unterlassen nicht als tatbestandsmäßig angesehen werden kann. Letzteres widerspricht zwar dem Willen des Gesetzgebers, dieser Wille lässt sich aber nicht mit dem Wortlaut der Aussetzungsnorm und der grundlegenden Regeln des Strafrechts vereinbaren. Besondere Probleme bereitet dem Schrifttum seit dem 6. StrRG die Klärung von Abgrenzung und Verhältnis der beiden Tathandlungen. In konsequenter Anknüpfung an das neue weite Verständnis der Tathandlungen und die Neuauslegung der hilflosen Lage ist die Lösung dieser Fragen weitgehend vorgezeichnet: Die Abgrenzung der Tathandlungen hat danach zu erfolgen, ob der Täter durch sein Verhalten eine hilflose Lage schafft – dann Versetzen – oder ob er vor Beginn seines Verhaltens, das auf Tatbestandsmäßigkeit untersucht wird, eine hilflose Lage schon vorfindet – dann Imstichlassen. Dieses Verständnis gibt der Wortlaut der Norm weitgehend vor. Die Neufassung der Tathandlungen in Verbindung mit der neuen Inhaltsbestimmung der hilf-

5. Teil: Zusammenfassung und Endergebnis

475

losen Lage führt dazu, dass Fälle des Verlassens a. F. jetzt als Versetzen durch Unterlassen zu qualifizieren sind. Daher sind der sog. „BergsteigerFall“ und der „Krankenschwester-Fall“ heute Fälle des Versetzens in eine hilflose Lage durch Unterlassen, nicht ein Imstichlassen in einer solchen. Zum Verhältnis der Tathandlungen gilt: § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB und § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB stehen im Verhältnis der Exklusivität. Ein selbständig strafbares Imstichlassen, das dem Versetzen nachfolgt, existiert nicht. Deshalb kann auch nur das vorsätzliche Versetzen bestraft werden, eine Strafbarkeit aus einem nachfolgenden Imstichlassen besteht daneben – schon mangels Tatbestandsmäßigkeit – nicht. Dies galt bereits im Ergebnis für die a. F. der Aussetzung und daran hat die Reform des Tatbestandes nichts geändert. Der zweiten Tatalternative, dem Imstichlassen, kommt eine Auffangfunktion zu. Dadurch wird – verglichen mit der a. F. – der Anwendungsbereich dieser Tatalternative im Verhältnis zur ersten Tathandlung möglicherweise kleiner. Die hier vertretene Ansicht zum Tatbestand und seinen Merkmalen bietet Lösungsmöglichkeiten für die bestehenden Probleme. Ob es die einzig „richtigen“ sind? Zumindest wird man feststellen müssen, dass dieses Konzept – bis auf gewisse Einschränkungen beim Versetzen durch Intensivieren einer bestehenden hilflosen Lage – ein in sich stimmiges System bildet und – im Gegensatz zu den anderen Ansichten und Konzeptionen – weniger Systembrüche und keine Widersprüche enthält. Mit den hier vorgestellten Lösungen geht also eine größere Rechts(anwendungs)sicherheit einher. Als Antwort auf die Frage, ob die Ansichten die „richtigen“ sind, soll ein Zitat Temmes dienen: „Ob ich bei der hiernach vorgenommenen Prüfung des Entwurfs immer das Wahre erkannt habe? Wer kann es wagen, sich eine solche Frage bejahend zu beantworten?“1

1

Temme, Critik, S. VI.

6. Teil

Annex: Die Zukunft der Aussetzung? Im letzten Teil der Arbeit soll nicht mehr die derzeit geltende Aussetzungsnorm im Fokus der Betrachtung stehen, sondern es sollen Möglichkeiten für eine zukünftige Entwicklung und Gestaltung der Aussetzung aufgezeigt werden. Die Kritik aus der Wissenschaft am geltenden Tatbestand der Aussetzung ist deutlich vernehmbar1; die Rufe nach einer Nachbesserung oder sogar Abschaffung des Tatbestandes sind kaum überhörbar2. Auf die Kritik reagierte der Gesetzgeber seit Inkrafttreten des 6. StrRG bislang nicht3, was mit der „praktischen Bedeutung“ der Aussetzung zu erklären sein dürfte4. Aufgrund der geringen Zahl an Fällen aus der Praxis kann kaum beurteilt werden, ob der Gesetzgeber die Auswirkungen der Regelungen des 6. StrRG „offensichtlich selbst nicht immer überblickt hat“5. Möglicherweise hat die Praxis bisher auch die erweiterten Möglichkeiten der Aussetzung, zahlreiche Fälle der unterlassenen Hilfeleistung, der fahrlässigen Körperverletzung oder der fahrlässigen Tötung unter die – im Vergleich zu den genannten Delikten – höheren Strafandrohungen des § 221 StGB n. F. subsumieren zu können, nicht wahrgenommen oder nicht wahrnehmen wollen. Betrachtet man aber die Tatsache, dass bei der hier favorisierten Beachtung der Neuformulierung des Tatbestandes der „Krankenschwester-Fall“, 1 Heftige Kritik an der Neufassung wird von DSNS-Struensee, 2. Teil Rn. 58; Kosloh, S. 60, 66 f.; NK-StGB2-Neumann, § 221 Rn. 2; Sonnen, BT, S. 19, geübt. Gemäßigter hingegen LK-StGB11-Jähnke [07/1999], § 221 Rn. 3; Lucks, S. 229; Tröndle/Fischer, StGB54, § 221 Rn. 9. 2 DSNS-Struensee, 2. Teil Rn. 58; Kosloh, S. 67 ff. Allgemein zum 6. StrRG Freund, ZStW 109 [1997], 489. Vgl. auch von Bar, JbvRV 1905, 25, vor über hundert Jahren zur Idee einer Reformierung der Aussetzung: „Ist neues nicht evident besser, so sollte die bisherige Bestimmung beibehalten werden; man hat sie in Wissenschaft und Praxis doch schon besser ab- und ausgeschliffen; bei einer neuen müsste diese Arbeit von neuem beginnen, und unliebsame Überraschungen werden da nicht erspart bleiben“. 3 Und das obwohl seitdem 33 Änderungsgesetze zum StGB verabschiedet wurden; vgl. Tröndle/Fischer, StGB54, Tabelle der Änderungen des StGB S. XLVIIff. [Stand: 22. August 2006]. 4 Vgl. oben den 2. Teil. 5 Jäger, JuS 2000, 31 f.

6. Teil: Annex: Die Zukunft der Aussetzung?

477

der „Klassiker“ zur Begründung der Erweiterung der zweiten Tathandlung6, unter die erste Tatvariante durch Unterlassen subsumiert wird7 und dass hinsichtlich der Fälle des Steigerns einer Gefahr dem Willen des Gesetzgebers weithin nicht entsprochen werden konnte8, so bleibt zu klären, welche Norm diesem Willen des Gesetzgebers näher kommen könnte bzw. welche Norm weniger Subsumtionsprobleme mit sich brächte, sodass die Fälle unter die Tatvariante subsumiert werden könnten, unter die sie nach dem Rechtsgefühl der überwiegenden Meinung gehören9. In Anbetracht der geringen praktischen Relevanz des Tatbestandes und der niedrigen Verurteilungszahlen wegen Aussetzung10 wäre vielleicht die Abschaffung dieses Tatbestandes, der sich im Grunde in der heutigen Fassung kaum völlig widerspruchsfrei in das System der Straftatbestände des StGB einfügen lassen will und wird, in Betracht zu ziehen11. Das vom Gesetzgeber im 6. StrRG erblickte Bedürfnis, auch gesunden und erwachsenen Personen Schutz gegen Aussetzungen zu gewähren und damit die – ohne eine Normierung der Aussetzung bestehenden – Strafbarkeitslücken zu schließen12, dürfte eigentlich in der Praxis aufgrund der Bestrafungsmög6 Vgl. nur die Begründung zu E 1925, Begründung, S. 119; E 1927, Begründung, S. 130; E 1960, S. 260, und E 1962, S. 277, sowie Ndschr. Bd. 7 [1959], S. 96 f., 101; außerdem Jäger, JuS 2000, 33; Lucks, S. 219; Krey/Heinrich, BT I13, Rn. 138; Rengier, BT II8, § 10 Rn. 5. 7 Vgl. 4. Teil: E. III. 3. d). 8 4. Teil: G. III. 2. 9 Diese Norm einzuführen bzw. die existierende Aussetzungsnorm zu ändern, ist aber kein Auslegungsakt mehr und damit keine Aufgabe der Rechtsprechung oder Literatur, sondern Realisierung des Verfassungsauftrags aus Art. 97 GG für den Gesetzgeber; vgl. BVerfGE 71, 108 [115]; zuletzt BVerfG NJW 2006, 3050; alle m. w. N.; siehe auch BGH NStZ 1996, 42 [43]; Buschmann, RiA 1987, 5 f., 8. Allerdings scheint der Gesetzgeber in den letzten Jahren die Rechtsschöpfung, zu der er nach Art. 97, 20 Abs. 3 GG eigentlich berufen ist, zunehmend auf die Rechtsprechung und Literatur übertragen zu wollen, indem die Normen immer offener gestaltet werden und diese „ausgelegt“ werden müssen, teils sogar die genauere Ausgestaltung von Normen der Rechtsprechung „überlassen“ wird; vgl. hierzu Simon, S. 355 f. m. w. N. Damit entzieht sich der Gesetzgeber seinem verfassungsgemäßen Auftrag und überträgt der Rechtsprechung Aufgaben, die der dritten Gewalt nach der Verfassung nicht zukommen [dürfen]; ebenso Buschmann, RiA 1987, 5; Rüthers, JZ 2002, 1365 ff.; ders., NJW 2005, 2759 ff.; großzügiger im Hinblick auf die Verfassungsmäßigkeit eines Richterrechts G. Hirsch, Rechtsanwendung, S. 4 f., 10 ff.; ders., ZRP 2006, 161; Arenhövel, ZRP 2005, 69. 10 Vgl. bereits im 2. Teil der Arbeit. So allgemein zu den Gefährdungsdelikten Frehsee, NKP 1999, 17. 11 Ebenso Kosloh, S. 70. So schon Temme, Critik, S. 280; ablehnend aber Lifschitz, S. 62 f.; Teufel, S. 47. 12 RefE, S. 1, 63 ff., 123; BR-Drs. 164/97, S. 1, 63 ff., 120; BT-Drs. 13/7164, S. 1, 18 ff., 32; 13/8587, S. 1, 18 ff., 34.

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6. Teil: Annex: Die Zukunft der Aussetzung?

lichkeiten aus §§ 222, 223, 226, 229, 323c StGB – gegebenenfalls i. V. m. §§ 13, 22 StGB – befriedigt werden können, so dass so gut wie keine Lücken i. S. v. völliger Straflosigkeit bestehen würden13. Allerdings könnten möglicherweise, aufgrund des – im Vergleich zur Aussetzung – niedrigeren Mindestmaßes der Strafe in §§ 222, 223, 229, 323c StGB bzw. des geringeren Höchstmaßes in §§ 229, 323c StGB die Strafen teilweise geringer ausfallen. Dies sollte jedoch kein Hinderungsgrund für die Aufhebung der Norm sein, da das Höchstmaß der Strafrahmen kaum jemals ausgeschöpft wird14. Im Hinblick auf die in den letzten Jahren zu beobachtende Neigung des Gesetzgebers, bestehende Tatbestände zu erweitern, um Strafbarkeitslücken zu schließen15, erscheint es aber höchst unwahrscheinlich, dass der Gesetzgeber diesen Weg wählen wird16. Wenn man daher den Tatbestand der Aussetzung beibehalten möchte, könnte man nun versuchen, dem mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers von 1998 Geltung zu verschaffen. Man sollte dann, indem man sich dabei allein auf die Betrachtung der Materialien beschränkt, den Opferkreis – zumindest den der ersten Tatvariante17 – und die zweite Tatvariante auf nicht13 So auch Küper, ZStW 111 [1999], 32; Lucks, S. 41, 229; schon zur a. F. Geilen, JZ 1973, 324. Allgemein hierzu Simon, S. 185. 14 Götting, NStZ 1998, 546, 548 [mit einer statistischen Auswertung zu einigen Delikten]; Streng, Strafzumessung2, Rn. 408 ff., 604; NK-StGB2-Streng, § 46 Rn. 6 f., 200; Hettinger, FS Küper, S. 115 f. 15 So z. B. die Begründung der [erweiternden] Änderung zu § 303 StGB durch das „Graffiti-Bekämpfungsgesetz“ [39. StÄG vom 01.09.2005; BGBl. I S. 2674], in: BT-Drs. 15/5313, S. 1, 3; 15/5702, S. 2; zu dem Gesetz auch Eisenschmid, NJW 2005, 3033 ff. Ähnliche Begründungsansätze sind auch zu den [inzwischen kaum mehr überschaubaren] Änderungen des § 261 StGB seit dessen Einführung durch das OrgKG vom 15.07.1992 [BGBl. I S. 1302] – z. B. im „Gesetz zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität“ vom 04.05.1998 [BGBl. I S. 845], in: BR-Drs. 554/96, S. 1, 9; BT-Drs. 13/6620, S. 1, 6; 13/8651, S. 1, 9; 13/9644, S. 2 – zu finden; komplette Aufstellung der Gesetze und der dazugehörigen Materialien bei Tröndle/Fischer, StGB54, § 261 Rn. 1. Auch mit dem Schließen von Strafbarkeitslücken wird die Erweiterung der §§ 299, 332, 334 StGB im [unveröffentlichten] „Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Bekämpfung der Korruption“ des BMJ vom 19.09.2006 [dort S. 2, 14 ff.] begründet. Kritisch zu dieser Begründung schon Knauer/Kaspar, GA 2005, 404 f., zum „Gesetz zur Bekämpfung der Korruption“ vom 13.08.1997 [BGBl. I S. 2038]. 16 Ablehnend zum Schließen von Strafbarkeitslücken als Begründung gesetzgeberischer Aktivität allgemein Bussmann, StV 1999, 621; Frehsee, NKP 1999, 17 f.; so auch im Rahmen des 6. StrRG allgemein Laue, S. 3 f. Fn. 10; kritisch zu diesem Vorgehen mit Blick auf die Aussetzung auch LK-StGB11-Jähnke [07/1999], § 221 Entstehungsgeschichte vor Rn. 1; Kosloh, S. 66. 17 Gegen die Erweiterung auch bei der zweiten Tatvariante spricht der Hinweis des Gesetzgebers auf „hilflose Personen“ als Opfer von § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB in

6. Teil: Annex: Die Zukunft der Aussetzung?

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räumliche Verhaltensweisen erweitern sowie das Steigern einer Gefahr als tatbestandlichen Erfolg erfassen. Diesem mutmaßlichen Willen würde wohl folgender Wortlaut entsprechen: (I) Wer 1. einen Menschen in eine hilflose Lage versetzt und ihn dadurch in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung bringt oder 2. eine hilflose Person im Stich lässt, obwohl er sie in seiner Obhut hat oder ihr sonst beizustehen verpflichtet ist, und dadurch eine solche Gefahr bestehen lässt oder steigert, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

Wesentlich überzeugender als die aktuelle Norm scheint dieser Vorschlag allerdings nicht zu sein: Zwar sind die Tathandlungen unter Verzicht auf ein räumliches Entfernungsmoment formuliert, jedermann kann Täter und Opfer der ersten Tatalternative sein, und von der zweiten Tathandlung wird schon dem Wortlaut nach das Steigern und Bestehenlassen der Gefahr erfasst; eine Erweiterung des Tatbestandes wäre also deutlich vorhanden. Abweichend vom Wortlaut des 6. StrRG – und angelehnt an die Ausführungen des Gesetzgebers in seiner amtlichen Begründung – ist hingegen bei der zweiten Handlungsform der Opferkreis auf hilflose Personen beschränkt. Jedoch bliebe auch bei diesem Delikt die Frage bestehen, wie sich die zweite Tatalternative zur ersten verhält. Da die hilflose Person der zweiten Tatvariante zweifellos auch ein Mensch i. S. der ersten Alternative ist, bestünden die Probleme hinsichtlich Verhältnis und Abgrenzung weiterhin18. Zudem wäre die zweite Tatvariante – durch das Erfassen von Bestehenlassen und Steigern der Gefahr – endgültig ein allgemeines Leibes- und Lebensgefährdungsdelikt für Garanten. Die Probleme und Unstimmigkeiten, die mit der Einführung dieses Delikts einhergehen, wurden bereits erläutert. Würde man hingegen die Tathandlung der ersten Variante mit „Wer einen Menschen aussetzt“ umschreiben, wären die nichträumlichen Fälle nur noch unter die zweite Ziffer subsumierbar, weil für die erste wieder ein RefE, S. 123 f.; BR-Drs. 164/97, S. 120; BT-Drs. 13/7164, S. 34; 13/8587, S. 34; vgl. dazu schon oben im 4. Teil: B. am Ende. 18 Dieser Vorschlag weist deutliche Ähnlichkeiten mit der ersten der beiden Ausgangsalternativen auf, die bei den Beratungen der Großen Strafrechtskommission für die Aussetzung vorlagen; vgl. im 3. Teil: B. II. 1. in Fn. 160. Auch diese stellt also eine mögliche neue Textfassung für § 221 StGB dar. Bei Übernahme dieser Textfassung wäre zwar der Personenkreis in den Absätzen unterschiedlich, aber es bestünde dennoch das Problem der Abgrenzung von hilfloser Lage und Gefahr sowie des Verhältnisses der beiden Absätze. Zudem würde diese Textfassung der großen Strafrechtskommission im Endeffekt die Einführung eines allgemeinen Gefährdungsdelikts bedeuten.

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6. Teil: Annex: Die Zukunft der Aussetzung?

räumliches Verhalten erforderlich wäre. Allerdings ist ein Fall, in dem ein gesunder erwachsener Mensch ohne Zwang oder vorhergehende Beeinträchtigung seiner körperlichen Integrität ausgesetzt – also räumlich fortbewegt – wird, kaum denkbar19. Hier würde die erste Tatvariante wirklich inhaltsleer und könnte auch nicht durch eine Auslegung „mit Leben gefüllt“ werden. Zudem bestünden in den Fällen mit räumlich-örtlicher Veränderung weiterhin mit Blick auf Abgrenzung und Verhältnis Reibungspunkte zwischen den beiden Tathandlungen. Wenn man also den Tatbestand der Aussetzung beibehalten möchte, müsste man sich fragen, ob er nicht sinnvollerweise nur noch entweder aus der ersten oder aus der zweiten Tatvariante bestehen sollte. Beide Lösungen würden nahezu alle bisherigen Fälle der Aussetzung erfassen; für den „Rest“ würden die weiter oben zitierten Paragraphen ausreichen. Mit dem Entfallen einer Tatvariante würden auch sämtliche Probleme in Bezug auf Abgrenzung und Verhältnis der Varianten verschwinden. Ein ähnlicher Ansatz bestünde darin, die zweite Tatvariante aus dem Tatbestand auszugliedern, sie als einen – um Garantenstellung und Gefahrengrad qualifizierten – Fall der unterlassenen Hilfeleistung20 zu normieren und die „Aussetzung“ nur mit der Tathandlung des Versetzens weiterbestehen zu lassen. § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB – die „unechte“ Aussetzung21 – würde damit letztlich dort eingeordnet, wo man sie teilweise auch schon in der Großen Strafrechtskommission eingeordnet wissen wollte22. § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB würde hingegen stets vorrangig vor dem echten Unterlassungsdelikt des § 323c StGB aufgrund materieller Subsidiarität des letzteren23 zu prüfen sein. Die Frage der Abgrenzung der Tatbestände hätte sich weitgehend erledigt und vor allem würde durch die Löschung des Merkmals der hilflosen Lage aus der zweiten Tatvariante verdeutlicht, dass die hilflose Lage etwas anderes darstellt als die Gefahr. Alternativ könnte man die Norm auch entsprechend § 82 öStGB gestalten und damit jedes positive Tun unter die erste Tatvariante, sämtliches Unter19

Vgl. Lucks, S. 51, 70, 190, und bereits oben im 4. Teil: C. II. 5. c) aa) (3). So schon die Charakterisierung von § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB durch Küper, ZStW 111 [1999], 55. 21 Zu dieser Bezeichnung vgl. 4. Teil: C. II. 5. g) aa) [insbesondere dort Fn. 634]. 22 Vgl. oben die Darstellung auf S. 449 im 4. Teil: G. I. 2. 23 So die überwiegende Meinung zu § 323c StGB im Verhältnis sowohl zum Begehungsdelikt als auch zum unechten Unterlassungsdelikt, die auf denselben Erfolg ausgerichtet sind; vgl. nur LK-StGB11-Spendel [10/1995], § 323c Rn. 199 ff.; NKStGB2-Wohlers, § 323c Rn. 16; Schönke/Schröder-StGB27-Cramer/Sternberg-Lieben, § 323c Rn. 34/35; a. A. Lackner/Kühl, StGB26, § 323c Rn. 8, der davon ausgeht, dass regelmäßig schon die Tatbestandsmäßigkeit zu verneinen ist. 20

6. Teil: Annex: Die Zukunft der Aussetzung?

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lassen unter die zweite Tatvariante subsumieren. Die Einführung eines solchen Deliktes wäre allerdings im deutschen StGB ein absolutes Novum und hinsichtlich der Notwendigkeit begründungsbedürftig seitens des Gesetzgebers. Schließlich könnte man – der Tendenz zur Schließung von Strafbarkeitslücken folgend – erwägen, die Aussetzung zu einem allgemeinen Gefährdungsdelikt, ähnlich Art. 129 schwStGB, auszugestalten. Diese Norm wäre dann zur Bestrafung jeglicher Gefährdungen im Hinblick auf Leben und schwere Gesundheitsschädigungen geeignet24, würde aber auch alle Fälle der weiteren im StGB normierten Gefährdungsdelikte erfassen, womit neue Abgrenzungsfragen und -probleme unvermeidbar wären. Der Verfasser würde es durchaus verstehen, wenn der Gesetzgeber – aufgrund der Probleme, die dem Tatbestand der Aussetzung trotz, teils aber auch wegen der Neufassung durch das 6. StrRG anhaften – den Tatbestand der Aussetzung aufheben würde. Selbst wenn dadurch eine – im wahrsten Sinne des Wortes – Handvoll Lebenssachverhalte straflos blieben, würde dies letztlich dem sich aus der Verfassung ergebenden fragmentarischen Charakter des Strafrechts gerecht werden25. Eine Äußerung von Dreher zur Aussetzung soll deshalb am Schluss dieser Arbeit stehen26: „Ein prominenter ausländischer Strafrechtler hat mir einmal gesagt, Ausländern, die deutsche Kommentare des Strafrechts läsen, falle auf, daß sie dort immer wieder auf die Wendung stießen ‚strafbar ist auch . . .‘, aber nur selten auf die Wendung ‚strafbar ist nicht . . .‘. Diese Bemerkung hat mich tief beeindruckt. Sie sollte uns zu denken geben.“

24

Zum Anwendungsbereich und zur praktischen Bedeutung dieser Norm in der Schweiz C. Meier, S. 3, 14 f., 19 ff. 25 Vgl. schon oben die Darstellung im 4. Teil: A. [Nachweise dort in Fn. 20]. 26 Dreher, JZ 1966, 581.

7. Teil

Anhang Hinweis: Die ausführlichen Quellenangaben findet man im Quellenverzeichnis, S. 536 ff.

A. Gesetzliche Fassungen der Aussetzung I. Gesetzbücher bis zum Preußischen StGB 1851 1. Corpus Iuris Canonici von 1136 (Decretalia Gregorii Lib. V Tit. XI c. I.//cap. un. X. 5, 11): „De infantibus et languidis expositis“ Infans expositus à patre vel alio eo consentione, vel ratum habente, hoc ipso à patria potestate liberatur. Idem in feruo et liberto, qui ob praedictam causam liberantur a dominica potestate. Et idem iuris est in praedictis languidis ouiuscunque aetatis hic expositis vel sic eis alimenta denegantur. Hi tamen, qui praedictis alimenta praestiterint nullum ius in eius acquirunt. Quelle: CIC, S. 321.

2. Art. 132 Constitutio Criminalis Carolina von 1532 132. Straff der Weiber, so jre kinder, vmb das sy der abkomen, jn geferlickheit von jnen legen, die allso gefunden vnnd ernert werdenn. Jtem so ein weip jr kind, vmb das sy des abkomme, von jr legt, vnnd das kindt wirdt funden vnd ernert, dieselbig Mutter soll, wo sy des vberwunden vnnd betretten wurdet, nach gelegenheit der sache vnnd Rate der verstenndigen gestrafft wer1

Übersetzung des Verfassers: „Über ausgesetzte Kinder und Gebrechliche: Ein [erg.: kleines] Kind, ausgesetzt vom Vater oder von einem anderen mit dessen Übereinstimmung oder weil er einen Grund hat, wird durch diese Tat aus der väterlichen [erg.: Verfügungs-]Gewalt befreit. Dasselbe [erg.: gilt] für den Unfreien und den Freigelassenen, die wegen des vorher erwähnten Grundes aus der [erg.: Verfügungs-]Gewalt ihres Herrn befreit werden. Und dasselbe gilt für die zuvor erwähnten Gebrechlichen, wenn sie in welchem Alter auch immer ausgesetzt worden sind oder wenn ihnen Lebensmittel verweigert werden. Diejenigen jedoch, die den Vorerwähnten Lebensmittel gewährt haben mögen, erwerben kein Recht an ihnen“.

A. Gesetzliche Fassungen der Aussetzung

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den. Sturbe aber dasselbig kindt von sollichem hinlegen, so soll man die mutter nach gelegenheit des geferlichen hinlegens am leip oder leben straffen. Quelle: CCC, S. 69.

3. Teil II Titel 20 §§ 969–971 PrALR von 1794 §.969. Hat die Mutter ein lebendiges Kind an einem Orte, wo es nicht leicht gefunden werden kann, ausgesetzt, oder aussetzen lassen: so hat sie, wenn der Tod des Kindes dadurch verursacht worden, die Strafe des Schwerdts verwirkt. §.970. Bleibt das solchergestalt ausgesetzte Kind dennoch am Leben: so soll die Mutter sechs- bis zehnjährige Zuchthausstrafe leiden. §.971. Ist die Aussetzung an einem von Menschen gewöhnlich besuchten Orte, und mit solchen Anstalten geschehen, woraus der Vorsatz, das Leben des Kindes erhalten zu wollen, erhellet: so findet, je nachdem das Kind leben bleibt, oder umkommt, sechsmonatliche bis dreyjährige Zuchthausstrafe statt. Quelle: PrALR, S. 705.

4. Art. 174–177, 370 Strafgesetzbuch für das Königreich Bayern, 1813 Art. 174. Aeltern, welche ihr Kind, das, wegen jugendlichen Alters, Krankheit oder Gebrechlichkeit, sich selbst zu helfen unvermögend ist, von sich thun und in hülflosen Zustand versezen, imgleichen andere Personen, welche an Kindern, Kranken oder Gebrechlichen, zu deren Verpflegung sie verbunden sind eine solche Handlung begehen, diese machen sich in folgenden Fällen des Verbrechens der Aussezung schuldig. Art. 175. Ist die Aussezung auf eine solche Art, an einem solchen Orte, und unter solchen Umständen geschehen, daß durchaus keine Gefahr für das Leben des Ausgesezten befürchtet werden konnte, so hat der Verbrecher, wenn dem ungeachtet der Ausgesezte dabei um das Leben gekommen, ein- bis vierjähriges Arbeitshaus verwirkt. Art. 176. Geschah die Aussezung auf eine dem Leben des Ausgesezten zwar nicht ungefährliche Art; jedoch dergestalt, an einem solchen Orte, und unter solchen Umständen, daß dessen baldige Rettung, wenn nicht mit Gewißheit, doch mit Wahrscheinlichkeit vorauszusehen war; so ist der Verbrecher zu ein- bis vierjährigem Arbeitshause, und wenn der Ausgesezte sein Leben dabei verloren, zu vier- bis achtjährigem Arbeitshause zu verurtheilen. Art. 177. Wenn die Aussezung auf solche Art, an einem solchen Orte, oder unter solchen Umständen geschehen ist, wo die Rettung des Ausgesezten mit Wahrscheinlichkeit nicht erwartet werden konnte, so sind, je nachdem der Tod des Ausgesezten erfolgte oder nicht, die Geseze wider vollbrachte oder versuchte Tödtung anzuwenden. Art. 370. Die Aussezung hülfloser Personen (Art. 174.) ist ein Vergehen, wenn dieselbe an einem solche Orte und unter solchen Umständen geschehen ist, daß

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7. Teil: Anhang

durchaus keine Gefahr für das Leben des Ausgesezten befürchtet werden konnte, derselbe auch wirklich unverlezt beim Leben erhalten worden ist, wesfalls der Uebertreter sechsmonatliche bis einjährige Gefängnißstrafe verwirkt hat. Quellen: bayer. StGB 1813, S. 71 f., 144.

5. Art. 131 Königlich Sächsisches Criminalgesetzbuch von 1838 Art. 131. Wenn Personen, welche wegen jugendlichen Alters, Krankheit oder Gebrechlichkeit sich selbst zu helfen unvermögend sind, von ihren Eltern oder anderen Personen, in deren Obhut sie sich befinden, vorsätzlich, jedoch nicht in der Absicht, sie um das Leben zu bringen, ausgesetzt, oder in einem hülflosen Zustande verlassen werden, so sind die Thäter, 1) wenn die Rettung der ausgesetzten Person nach den Umständen, unter welchen die Aussetzung geschah, mit Wahrscheinlichkeit nicht erwartet werden konnte, mit vier- bis zehnjähriger Zuchthausstrafe zweiten Grades, 2) wenn bei der Aussetzung die Rettung der ausgesetzten Person mit Wahrscheinlichkeit zu erwarten war, mit Gefängniß von vier Monaten bis zu zwei Jahren oder mit Arbeitshausstrafe von einem Jahre bis zu vier Jahren, 3) wenn nach der Art der Aussetzung gar keine Gefahr für das Leben oder die Gesundheit der ausgesetzten Person zu befürchten war, mit Gefängnißstrafe von einem Monat bis zu drei Monaten zu belegen. Quelle: sächs. CrimGB 1838, S. 81 f.

6. § 183 Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten von 1851 § 183. Wer ein Kind unter sieben Jahren oder eine wegen Gebrechlichkeit oder Krankheit hülflose Person aussetzt, oder ein solches Kind oder eine solche Person, wenn sie unter seiner Obhut stehen, in hülfloser Lage vorsätzlich verläßt, wird mit Gefängniß nicht unter drei Monaten bestraft. Ist in Folge der Handlung der Tod der ausgesetzten oder verlassenen Person eingetreten, so trifft den Schuldigen Zuchthaus bis zu zehn Jahren. Ist die Handlung mit dem Vorsatze zu tödten verübt, so kommen die Strafen des Mordes oder des Kindesmordes, oder des Versuches dieser Verbrechen zur Anwendung. Quelle: preuß. StGB 1851, S. 52.

A. Gesetzliche Fassungen der Aussetzung

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II. Gesetzbücher bis zum Inkrafttreten des RStGB 1871 1. Strafgesetzbuch für das Königreich Sachsen vom 13. August 1855 Art. 163. Wenn Personen, welche wegen jugendlichen Alters, Krankheit oder Gebrechlichkeit sich selbst zu helfen unvermögend sind, von ihren Eltern oder anderen Personen, in deren Obhut sie sich befinden, oder denen ihre Ernährung, Verpflegung, Fortschaffung oder Aufnahme obliegt, vorsätzlich, jedoch nicht in der Absicht, sie um das Leben zu bringen, ausgesetzt, oder in einem hülflosen Zustande gelassen werden, so sind die Thäter, 1) wenn die Rettung der ausgesetzten Person nach den Umständen, unter welchen die Aussetzung geschah, mit Wahrscheinlichkeit nicht erwartet werden konnte, mit Zuchthaus von vier bis zu zehn Jahren, 2) wenn bei der Aussetzung die Rettung der ausgesetzten Person mit Wahrscheinlichkeit zu erwarten war, mit Gefängniß bis zu zwei Jahren oder Arbeitshaus bis zu vier Jahren, 3) wenn nach der Art der Aussetzung gar keine Gefahr für das Leben oder die Gesundheit der ausgesetzten Person zu befürchten war, mit Gefängniß bis zu vier Monaten zu bestrafen. Quelle: sächs. StGB 1855, S. 81 f.

2. Art. 129 Criminalgesetzbuch der freien und Hansestadt Hamburg von 1869 Art. 129. 5. Aussetzung Wer das eigene Kind oder sonst eine Person, zu deren Ernährung, Verpflegung, Fortschaffung oder Aufnahme er rechtlich verpflichtet ist, in hülfloser Lage vorsätzlich aussetzt oder verläßt, soll 1) wenn er die Rettung des Ausgesetzten oder Verlassenen mit Wahrscheinlichkeit nicht erwarten konnte, Zuchthaus bis zu acht Jahren; 2) wenn er sie mit Wahrscheinlichkeit erwarten konnte, Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren; 3) wenn gar keine Gefahr zu befürchten war, Gefängniß bis zu sechs Monaten erleiden. Ist ein neugeborenes Kind durch die uneheliche Mutter ausgesetzt worden, so kann, wenn die Voraussetzungen des Art. 122 vorliegen, auch in dem ersten der obigen Fälle bis auf Gefängniß von sechs Monaten herabgegangen werden. Quelle: CrimGB Hamburg 1869, S. 164 f.

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7. Teil: Anhang

3. § 193 Strafgesetzbuch des Norddeutschen Bundes von 1869 § 193 Wer ein Kind unter sieben Jahren oder eine wegen Gebrechlichkeit oder Krankheit hülflose Person aussetzt, oder ein solches Kind oder eine solche Person, wenn sie unter seiner Obhut stehen, in hülfloser Lage vorsätzlich verläßt, wird mit Gefängniß nicht unter drei Monaten bestraft. Ist in Folge der Handlung der Tod der ausgesetzten oder verlassenen Person eingetreten, so trifft den Schuldigen Zuchthaus bis zu zehn Jahren. Ist die Handlung mit dem Vorsatze zu tödten verübt, so kommen die Strafen des Mordes oder Kindesmordes oder des Versuches dieser Verbrechen zur Anwendung. Quelle: StGB E Norddt. Bund 1869, S. 53.

4. § 216 Strafgesetzbuch des Norddeutschen Bundes von 1870 § 216 Wer eine wegen jugendlichen Alters, Gebrechlichkeit oder Krankheit hülflose Person aussetzt, oder wer eine solche Person, wenn dieselbe unter seiner Obhut steht, oder wenn er für die Unterbringung, Fortschaffung oder Aufnahme derselben zu sorgen hat, in hülfloser Lage vorsätzlich verläßt, wird mit Gefängniß nicht unter drei Monaten bestraft. Wird die Handlung von leiblichen Eltern gegen ihr Kind begangen, so tritt Gefängnißstrafe nicht unter sechs Monaten ein. Ist durch die Handlung ein erheblicher Nachtheil für die Gesundheit der ausgesetzten oder verlassenen Person verursacht worden, so tritt Zuchthausstrafe bis zu zehn Jahren und, wenn durch die Handlung der Tod verursacht worden ist, Zuchthausstrafe nicht unter drei Jahren ein. Quelle: StGB E Norddt. Bund 1870, S. 15.

III. Gesetzbücher nach Inkrafttreten des RStGB 1871 1. § 221 RStGB von 1871 § 221 (I) Wer eine wegen jugendlichen Alters, Gebrechlichkeit oder Krankheit hülflose Person aussetzt, oder wer eine solche Person, wenn dieselbe unter seiner Obhut steht oder wenn er für ihre Unterbringung, Fortschaffung oder Aufnahme zu sorgen hat, in hülfloser Lage vorsätzlich verläßt, wird mit Gefängniß nicht unter drei Monaten bestraft. (II) Wird die Handlung von leiblichen Eltern gegen ihr Kind begangen, so tritt Gefängnißstrafe nicht unter sechs Monaten ein.

A. Gesetzliche Fassungen der Aussetzung

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(III) Ist durch die Handlung eine schwere Körperverletzung der ausgesetzten oder verlassenen Person verursacht worden, so tritt Zuchthausstrafe bis zu zehn Jahren und, wenn durch die Handlung der Tod verursacht worden ist, Zuchthausstrafe nicht unter drei Jahren ein. Quelle: RStGB, S. 49.

2. § 221 StGB a. F. bis 1998 § 221 Aussetzung (I) Wer eine wegen jugendlichen Alters, Gebrechlichkeit oder Krankheit hilflose Person aussetzt, oder wer eine solche Person, wenn sie unter seiner Obhut steht oder wenn er für ihre Unterbringung, Fortschaffung oder Aufnahme zu sorgen hat, in hilfloser Lage verläßt, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. (II) Wird die Handlung von Eltern gegen ihr Kind begangen, so tritt Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren ein. (III) Ist durch die Handlung eine schwere Körperverletzung (§ 224) der ausgesetzten oder verlassenen Person verursacht worden, so tritt Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren und, wenn durch die Handlung der Tod verursacht worden ist, Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren ein. Quelle: BGBl. I 1987, S. 1003.

3. § 221 StGB n. F. ab 1998 § 221 Aussetzung (I) Wer einen Menschen 1. in eine hilflose Lage versetzt oder 2. in einer hilflosen Lage im Stich läßt, obwohl er ihn in seiner Obhut hat oder ihm sonst beizustehen verpflichtet ist, und ihn dadurch der Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung aussetzt, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. (II) Auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter 1. die Tat gegen sein Kind oder eine Person begeht, die ihm zur Erziehung oder zur Betreuung in der Lebensführung anvertraut ist, oder 2. durch die Tat eine schwere Gesundheitsschädigung des Opfers verursacht. (III) Verursacht der Täter durch die Tat den Tod des Opfers, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren. (IV) In minder schweren Fällen des Absatzes 2 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 3 auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen. Quelle: BGBl. I 1998, S. 174 f.

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7. Teil: Anhang

B. Übersicht über die Reformvorschläge der Aussetzung von 1909 bis 1998 I. Entwürfe vor dem 1. Weltkrieg 1. Vorentwurf zu einem deutschen Strafgesetzbuch 1909 § 218 Aussetzung Hilfloser (I) Wer ein hilflose Person aussetzt oder wer eine solche Person, die unter seiner Obhut steht oder für deren Unterbringung, Fortschaffung oder Aufnahme er zu sorgen hat, in hilfloser Lage vorsätzlich verläßt, wird mit Gefängnis nicht unter drei Monaten bestraft. (II) Ist durch die Handlung eine schwere Körperverletzung der ausgesetzten oder verlassenen Person verursacht worden, so tritt Zuchthausstrafe bis zu zehn Jahren und, wenn durch die Handlung der Tod der Person verursacht worden ist, Zuchthausstrafe nicht unter drei Jahren ein. Quelle: VE 1909, S. 44.

2. Gegenentwurf zum Vorentwurf zu einem Deutschen Strafgesetzbuch (1911) § 272 Aussetzung (I) Wer eine hilflose Person aussetzt, oder wer eine Person, die unter seiner Obhut steht, oder für deren Unterbringung, Fortschaffung oder Aufnahme er zu sorgen hat, oder eine Person, die er schuldhaft verletzt hat, hilflos läßt, wird mit Gefängnis bestraft. (II) Ist durch die Handlung der Tod oder eine schwere Körperverletzung (§ 268) der ausgesetzten oder hilflos gelassenen Person verursacht worden, so ist die Strafe Zuchthaus bis zu zehn Jahren. Quelle: GE 1911, S. 76.

3. Entwürfe der Strafrechtskommission zu einem Deutschen Strafgesetzbuch und zu einem Einführungsgesetz – Beschlüsse 1. Lesung, 1913 § 264 Aussetzung (I) Wer vorsätzlich einen anderen durch Aussetzung in hilflose Lage bringt oder eine hilfslose Person, die unter seiner Obhut steht oder für deren Unterbringung, Fortschaffung oder Aufnahme er zu sorgen hat, hilflos läßt, wird mit Gefängnis bestraft. (II) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Zuchthaus. Quelle: Strafrechtskommission (1911–1914), Entwürfe, S. 76.

B. Übersicht über die Reformvorschläge der Aussetzung

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4. Entwürfe der Strafrechtskommission zu einem Deutschen Strafgesetzbuch und zu einem Einführungsgesetz – Vorläufige redigierte Beschlüsse 2. Lesung, 1913 § 264 Aussetzung (I) Wer einen anderen aussetzt und dadurch in hilflose Lage bringt, wird mit Gefängnis bestraft. (II) Ebenso wird bestraft, wer einen Hilflosen, der unter seiner Obhut steht oder für dessen Unterbringung, Fortschaffung oder Aufnahme er zu sorgen hat, in hilfloser Lage läßt. (III) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Zuchthaus. Quelle: Strafrechtskommission (1911–1914), Entwürfe, S. 211.

5. Entwurf der Strafrechtskommission 1913 § 285 Aussetzung (I) Wer einen anderen aussetzt und dadurch in hilflose Lage bringt, wird mit Gefängnis bestraft. (II) Ebenso wird bestraft, wer einen Hilflosen, der unter seiner Obhut steht oder für dessen Unterbringung, Fortschaffung oder Aufnahme er zu sorgen hat, in hilfloser Lage läßt. (III) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Zuchthaus. Quelle: E 1913, S. 69.

II. Entwürfe aus der Weimarer Republik 1. Entwurf von 1919 § 289 Aussetzung (I) Wer einen anderen aussetzt und dadurch in hilflose Lage bringt, wird mit Gefängnis bestraft. (II) Ebenso wird bestraft, wer einen Hilflosen, der unter seiner Obhut steht oder für dessen Unterbringung, Fortschaffung oder Aufnahme er zu sorgen hat, in hilfloser Lage läßt. (III) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Zuchthaus. Quelle: E 1919, S. 66

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7. Teil: Anhang

2. Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuches 1922 (Entwurf Radbruch) § 227 Aussetzung (I) Wer einen anderen aussetzt und dadurch in eine hilflose Lage bringt, die sein Leben gefährdet, wird mit Gefängnis bestraft. (II) Ebenso wird bestraft, wer einen Hilflosen, der unter seiner Obhut steht oder für dessen Unterbringung, Fortschaffung oder Aufnahme er zu sorgen hat, in einer hilflosen Lage läßt, die sein Leben gefährdet. (III) In besonders schweren Fällen ist die Strafe strenges Gefängnis. § 228 Lebensgefährdung Wer wissentlich und gewissenlos einen anderen in unmittelbare Lebensgefahr bringt, wird mit strengem Gefängnis bestraft. Quelle: E 1922, S. 29.

3. Amtlicher Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuchs 1925 – Reichsratsvorlage § 230 Aussetzung (I) Wer einen anderen aussetzt und dadurch in eine hilflose Lage bringt, die sein Leben gefährdet, wird mit Gefängnis bestraft. (II) Ebenso wird bestraft, wer einen Hilflosen, der unter seiner Obhut steht oder für dessen Unterbringung, Fortschaffung oder Aufnahme er zu sorgen hat, in einer hilflosen Lage läßt, die sein Leben gefährdet. (III) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Zuchthaus. § 231 Lebensgefährdung Wer wissentlich und gewissenlos einen anderen in unmittelbare Lebensgefahr bringt, wird mit Zuchthaus bestraft. Quelle: E 1925, S. 26.

4. Amtlicher Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuchs 1927 – Reichstagsvorlage § 243 Lebensgefährdung Wer, abgesehen von den Fällen der §§ 225 bis 235, 238, 239, 241, 242, wissentlich und gewissenlos eine unmittelbare Gefahr für Menschenleben herbeiführt, wird mit Gefängnis bestraft. In besonders schweren Fällen ist die Strafe Zuchthaus. § 257 Aussetzung (I) Wer einen anderen aussetzt und dadurch in eine hilflose Lage bringt, die sein Leben gefährdet, wird mit Gefängnis bestraft.

B. Übersicht über die Reformvorschläge der Aussetzung

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(II) Ebenso wird bestraft, wer einen Hilflosen, der unter seiner Obhut steht oder für dessen Unterbringung, Fortschaffung oder Aufnahme er zu sorgen hat, in einer hilflosen Lage läßt, die sein Leben gefährdet. (III) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Zuchthaus. § 315 Verlassen eines Kindes Wer ein Kind, für dessen Person er zu sorgen hat, in der Absicht verläßt, sich seiner zu entledigen, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft. Quellen: E 1927, S. 27, 28, 33.

5. Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuchs 1930 (Entwurf Kahl) § 243 Lebensgefährdung Wer, abgesehen von den Fällen der §§ 225 bis 235, 238, 239, 241, 242, wissentlich und gewissenlos eine unmittelbare Gefahr für Menschenleben herbeiführt, wird mit Gefängnis bestraft. § 257 Aussetzung (I) Wer einen anderen aussetzt und dadurch in eine hilflose Lage bringt, die sein Leben gefährdet, wird mit Gefängnis bestraft. (II) Ebenso wird bestraft, wer einen Hilflosen, der unter seiner Obhut steht oder für dessen Unterbringung, Fortschaffung oder Aufnahme er zu sorgen hat, in einer hilflosen Lage läßt, die sein Leben gefährdet. (III) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Zuchthaus. § 315 Verlassen eines Kindes Wer ein Kind, für dessen Person er zu sorgen hat, in der Absicht verläßt, sich seiner zu entledigen, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft. Quellen: E 1930, S. 24, 25, 30.

III. Entwürfe nach dem 2. Weltkrieg bis zum 6. StrRG 1. Große Strafrechtskommission 1958 § 324 Lebensgefährdung 1. Alternative: (1) Wer gewissenlos das Leben eines anderen gefährdet, wird, soweit nicht in anderen Vorschriften eine schwerere Strafe angedroht ist, mit Gefängnis bis zu drei Jahren und, wenn die Tat den Tod eines Menschen zur Folge hat, mit Gefängnis nicht unter einem Jahre bestraft. (2) Das Gericht kann Sicherungsaufsicht anordnen. 2. Alternative: Eine Vorschrift im Sinne der 1. Alternative wird nicht angenommen.

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7. Teil: Anhang

§ 325 Aussetzung 1. Alternative: (I) Wer einen anderen dadurch in Lebensgefahr bringt, daß er ihn in eine hilflose Lage versetzt oder entgegen einer Pflicht zur Obhut in hilfloser Lage läßt, wird mit Gefängnis bis zu fünf Jahren bestraft. (II) Ebenso wird bestraft, wer einen anderen, der sich in Lebensgefahr befindet, entgegen einer Pflicht zur Obhut in dieser Gefahr läßt. (III) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Gefängnis nicht unter sechs Monaten. 2. Alternative (I) Wer einen anderen in eine hilflose Lage bringt und dadurch sein Leben gefährdet, wird mit Gefängnis bis zu fünf Jahren bestraft. (II) Ebenso wird bestraft, wer einen Hilflosen, der unter seiner Obhut steht, im Stiche läßt und dadurch sein Leben gefährdet. (III) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Gefängnis nicht unter sechs Monaten. Quelle: Ndschr. Bd. 5 (1959), Anhang B, S. 298.

2. Große Strafrechtskommission – 1. Lesung 1958 – Vorschlag der Sachbearbeiter des Bundesjustizministeriums § 323 (324) Lebensgefährdung (Die Vorschrift wird wegen des Zusammenhangs mit den gemeingefährlichen Delikten zurückgestellt.) § 324 (325) Aussetzung (I) Wer einen anderen in eine hilflose Lage versetzt und dadurch sein Leben gefährdet, wird mit Gefängnis bis zu fünf Jahren bestraft. (II) Ebenso wird bestraft, wer einen anderen in einer hilflosen Lage, die sein Leben gefährdet, im Stiche läßt, obwohl er ihn in seiner Obhut hat oder ihm, unabhängig von § 304, beizustehen verpflichtet ist. (III) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Gefängnis nicht unter einem Jahr. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter 1. aus Selbstsucht handelt, 2. die Tat an seinem Kinde begeht oder 3. durch die Tat leichtfertig den Tod oder eine schwere Schädigung des anderen an Körper oder Gesundheit (§ 332 Abs. 2) verursacht. Quelle: Ndschr. Bd. 7 (1959), Anhang J 68, S. 331.

B. Übersicht über die Reformvorschläge der Aussetzung

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3. Große Strafrechtskommission – 1. Lesung 1958 – Vorschlag der Unterkommission § 323 (324) Lebensgefährdung (Die Vorschrift wird wegen des Zusammenhangs mit den gemeingefährlichen Delikten zurückgestellt.) § 324 (325) Aussetzung (I) Wer einen anderen in eine hilflose Lage versetzt und dadurch sein Leben gefährdet, wird mit Gefängnis bis zu fünf Jahren bestraft. (II) Ebenso wird bestraft, wer einen anderen in einer hilflosen Lage im Stiche läßt und dadurch sein Leben gefährdet, obwohl er ihn in seiner Obhut hat oder ihm, unabhängig von § 304, beizustehen verpflichtet ist. (III) Begeht der Täter die Tat an seinem Kinde oder liegt sonst ein besonders schwerer Fall vor, so ist die Strafe Gefängnis nicht unter einem Jahr Quelle: Ndschr. Bd. 7 (1959), Anhang U 53, S. 350.

4. Große Strafrechtskommission – 1. Lesung 1958 – Beschlüsse der Großen Strafrechtskommission § 319 (324) Lebensgefährdung (Die Vorschrift wird wegen des Zusammenhangs mit den gemeingefährlichen Delikten zurückgestellt.) § 320 (325) Aussetzung (I) Wer einen anderen in eine hilflose Lage versetzt und dadurch sein Leben gefährdet, wird mit Gefängnis bis zu fünf Jahren bestraft. (II) Ebenso wird bestraft, wer einen anderen in einer hilflosen Lage im Stiche läßt und dadurch sein Leben gefährdet, obwohl er ihn in seiner Obhut hat oder ihm, unabhängig von § 304, beizustehen verpflichtet ist. (III) Begeht der Täter die Tat an seinem Kinde oder liegt sonst ein besonders schwerer Fall vor, so ist die Strafe Gefängnis nicht unter einem Jahr. Quelle: Ndschr. Bd. 7 (1959), Anhang K 53, S. 351.

5. Große Strafrechtskommission – 2. Lesung 1959 § 145 Aussetzung (I) Wer einen anderen in eine hilflose Lage versetzt und dadurch sein Leben gefährdet, wird mit Gefängnis bis zu fünf Jahren bestraft. (II) Ebenso wird bestraft, wer einen anderen in einer hilflosen Lage im Stiche läßt und dadurch sein Leben gefährdet, obwohl er ihn in seiner Obhut hat oder ihm, unabhängig von § 238, beizustehen verpflichtet ist.

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7. Teil: Anhang

(III) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Gefängnis nicht unter einem Jahr. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter die Tat an seinem Kind begeht. Quelle: Ndschr. Bd. 12 (1959), Anhang B, S. 593.

6. E 1960 § 139 Aussetzung (I) Wer einen anderen in eine hilflose Lage versetzt und dadurch dessen Leben gefährdet, wird mit Gefängnis bis zu fünf Jahren bestraft. (II) Ebenso wird bestraft, wer einen anderen in einer hilflosen Lage im Stiche läßt und dadurch dessen Leben gefährdet, obwohl er ihn in seiner Obhut hat oder ihm, unabhängig von § 232, beizustehen verpflichtet ist. (III) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Gefängnis nicht unter einem Jahr. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter 1. durch die Tat leichtfertig den Tod des anderen verursacht oder 2. die Tat an seinem Kinde begeht. Quelle: E 1960, S. 35.

7. E 1962 § 139 Aussetzung (I) Wer einen anderen 1. in eine hilflose Lage versetzt oder 2. in einer hilflosen Lage im Stiche läßt, obwohl er ihn in seiner Obhut hat oder ihm sonst, unabhängig von einer durch § 232 begründeten Hilfspflicht, beizustehen verpflichtet ist, und dadurch dessen Leben gefährdet, wird mit Gefängnis bis zu fünf Jahren bestraft. (II) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Gefängnis nicht unter einem Jahr. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter 1. die Tat an seinem Kinde begeht oder 2. durch die Tat leichtfertig den Tod des anderen verursacht. (III) Das Gericht kann die in den Absätzen 1 und 2 angedrohte Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 64 Abs. 2) oder von Strafe absehen, wenn der Täter freiwillig die Gefahr abwendet, bevor ein erheblicher Schaden entsteht. Wird ohne Zutun des Täters die Gefahr abgewendet, so genügt sein freiwilliges und ernsthaftes Bemühen, dieses Ziel zu erreichen. Quelle: E 1962, S. 35.

B. Übersicht über die Reformvorschläge der Aussetzung

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IV. Entwürfe im Verlauf des 6. StrRG 1. Unveröffentlichter Referentenentwurf vom 15. Juli 1996 § 221 Aussetzung (I) Wer einen Menschen 1. in eine hilflose Lage versetzt oder 2. in einer hilflosen Lage im Stich läßt, obwohl er ihn in seiner Obhut hat oder ihm sonst, unabhängig von einer durch § 323 c begründeten Hilfspflicht, beizustehen verpflichtet ist, und ihn dadurch in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung bringt, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. (II) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter 1. die Tat gegen sein Kind begeht oder 2. durch die Tat leichtfertig eine schwere Gesundheitsschädigung des Opfers verursacht. (III) Verursacht der Täter durch die Tat leichtfertig den Tod des Opfers, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren, in minder schweren Fällen Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren. Quelle: RefE, S. 12 f.

2. Entwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP § 221 Aussetzung (I) Wer einen Menschen 1. in eine hilflose Lage versetzt oder 2. in einer hilflosen Lage im Stich läßt, obwohl er ihn in seiner Obhut hat oder ihm sonst, unabhängig von einer durch § 323c begründeten Hilfspflicht, beizustehen verpflichtet ist, und ihn dadurch in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung bringt, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. (II) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter 1. die Tat gegen sein Kind begeht oder 2. durch die Tat leichtfertig eine schwere Gesundheitsschädigung des Opfers verursacht. (III) Verursacht der Täter durch die Tat leichtfertig den Tod des Opfers, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren, in minder schweren Fällen Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren. Quelle: BT-Drs. 13/7164, S. 5.

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7. Teil: Anhang

3. Entwurf eines Sechsten Gesetzes zur Reform des Strafrechts (6. StrRG) der Bundesregierung § 221 Aussetzung (I) Wer einen Menschen 1. in eine hilflose Lage versetzt oder 2. in einer hilflosen Lage im Stich läßt, obwohl er ihn in seiner Obhut hat oder ihm sonst, unabhängig von einer durch § 323 c begründeten Hilfspflicht, beizustehen verpflichtet ist, und ihn dadurch in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung bringt, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. (II) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter 1. die Tat gegen sein Kind begeht oder 2. durch die Tat leichtfertig eine schwere Gesundheitsschädigung des Opfers verursacht.

(III) Verursacht der Täter durch die Tat leichtfertig den Tod des Opfers, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren, in minder schweren Fällen Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren. Quelle: BT-Drs. 13/8587, S. 6 sowie auch BR-Drs. 164/97, S. 11 f.

4. Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses § 221 Aussetzung (I) Wer einen Menschen 1. in eine hilflose Lage versetzt oder 2. in einer hilflosen Lage im Stich läßt, obwohl er ihn in seiner Obhut hat oder ihm sonst beizustehen verpflichtet ist, und ihn dadurch der Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung aussetzt, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. (II) Auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter 1. die Tat gegen sein Kind oder eine Person begeht, die ihm zur Erziehung oder zur Betreuung in der Lebensführung anvertraut ist, oder 2. durch die Tat leichtfertig eine schwere Gesundheitsschädigung des Opfers verursacht. (III) Verursacht der Täter durch die Tat den Tod des Opfers, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren. (IV) In minder schweren Fällen des Absatzes 2 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 3 auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen. Quelle: BT-Drs. 13/8991, S. 17.

C. Normen des ausländischen Rechts

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5. Gesetzesbeschluss des Deutschen Bundestages vom 14. November 1997 § 221 Aussetzung (I) Wer einen Menschen 1. in eine hilflose Lage versetzt oder 2. in einer hilflosen Lage im Stich läßt, obwohl er ihn in seiner Obhut hat oder ihm sonst beizustehen verpflichtet ist, und ihn dadurch der Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung aussetzt, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. (II) Auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter 1. die Tat gegen sein Kind oder eine Person begeht, die ihm zur Erziehung oder zur Betreuung in der Lebensführung anvertraut ist, oder 2. durch die Tat eine schwere Gesundheitsschädigung des Opfers verursacht. (III) Verursacht der Täter durch die Tat den Tod des Opfers, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren. (IV) In minder schweren Fällen des Absatzes 2 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 3 auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen. Quelle: BR-Drs. 931/97, S. 20.

C. Normen des ausländischen Rechts I. Strafgesetzbuch von Österreich § 81 Fahrlässige Tötung unter besonders gefährlichen Verhältnissen (1) Wer fahrlässig den Tod eines anderen herbeiführt 1. unter besonders gefährlichen Verhältnissen, 2. nachdem er sich vor der Tat, wenn auch nur fahrlässig, durch Genuss von Alkohol oder den Gebrauch eines anderen berauschenden Mittels in einen die Zurechnungsfähigkeit nicht ausschließenden Rauschzustand versetzt hat, obwohl er vorhergesehen hat oder hätte vorhersehen können, dass ihm eine Tätigkeit bevorstehe, deren Vornahme in diesem Zustand eine Gefahr für das Leben, die Gesundheit oder die körperliche Sicherheit eines anderen herbeizuführen oder zu vergrößern geeignet sei, oder 3. dadurch, dass er, wenn auch nur fahrlässig, ein gefährliches Tier entgegen einer Rechtsvorschrift oder einem behördlichen Auftrag hält, verwahrt oder führt, ist mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren zu bestrafen. (2) Der Täter ist nach Abs. 1 Z 3 auch zu bestrafen, wenn er sich mit einer Rechtsvorschrift oder einem behördlichen Auftrag nicht bekannt gemacht hat, obwohl er seinem Beruf, seiner Beschäftigung oder sonst den Umständen nach dazu

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7. Teil: Anhang

verpflichtet gewesen wäre, oder wenn ihm der Irrtum über die Rechtsvorschrift oder dem behördlichen Auftrag sonst vorzuwerfen ist. § 82 Aussetzung (1) Wer das Leben eines anderen dadurch gefährdet, daß er ihn in eine hilflose Lage bringt und in dieser Lage im Stich läßt, ist mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu bestrafen. (2) Ebenso ist zu bestrafen, wer das Leben eines anderen, der unter seiner Obhut steht oder dem er sonst beizustehen verpflichtet ist (§ 2), dadurch gefährdet, daß er ihn in einer hilflosen Lage im Stich läßt. (3) Hat die Tat den Tod des Gefährdeten zur Folge, so ist der Täter mit Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren zu bestrafen. § 89 Gefährdung der körperlichen Sicherheit Wer in den im § 81 Abs. 1 Z 1 bis 3 bezeichneten Fällen, wenn auch nur fahrlässig, eine Gefahr für das Leben, die Gesundheit oder die körperliche Sicherheit eines anderen herbeiführt, ist mit Freiheitsstrafe bis zu drei Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 180 Tagessätzen zu bestrafen. § 94 Imstichlassen eines Verletzten (1) Wer es unterläßt, einem anderen, dessen Verletzung am Körper (§ 83) er, wenn auch nicht widerrechtlich, verursacht hat, die erforderliche Hilfe zu leisten, ist mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen. (2) Hat das Imstichlassen eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs. 1) des Verletzten zur Folge, so ist der Täter mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren, hat es seinen Tod zur Folge, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren zu bestrafen. (3) Der Täter ist entschuldigt, wenn ihm die Hilfeleistung nicht zuzumuten ist. Die Hilfeleistung ist insbesondere dann nicht zuzumuten, wenn sie nur unter der Gefahr des Todes oder einer beträchtlichen Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung oder unter Verletzung anderer überwiegender Interessen möglich wäre. (4) Der Täter ist nach Abs. 1 und 2 nicht zu bestrafen, wenn er schon wegen der Verletzung mit der gleichen oder einer strengeren Strafe bedroht ist. § 95 Unterlassung der Hilfeleistung (1) Wer es bei einem Unglücksfall oder einer Gemeingefahr (§ 176) unterläßt, die zur Rettung eines Menschen aus der Gefahr des Todes oder einer beträchtlichen Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung offensichtlich erforderliche Hilfe zu leisten, ist mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen, wenn die Unterlassung der Hilfeleistung jedoch den Tod eines Menschen zur Folge hat, mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen, es sei denn, daß die Hilfeleistung dem Täter nicht zuzumuten ist. (2) Die Hilfeleistung ist insbesondere dann nicht zuzumuten, wenn sie nur unter Gefahr für Leib oder Leben oder unter Verletzung anderer ins Gewicht fallender Interessen möglich wäre. Quellen: BGBl. 1974/60, S. 655–657, i. d. F. BGBl. I 2006/56, S. 1 ff.

C. Normen des ausländischen Rechts

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II. Entwürfe und Strafgesetzbuch der Schweiz 1. Entwürfe aus der Schweiz a) Schweizerisches Strafgesetzbuch – Vorentwurf mit Motiven, 1893 Art. 55. Aussetzung Wer einen Hülflosen vorsätzlich einer Gefahr für Leib oder Leben aussetzt; wer einen Hülflosen, für den er zu sorgen verpflichtet war, in einer Gefahr für Leib oder Leben im Stiche lässt, wird mit Zuchthaus bis zu 10 Jahren bestraft. Erliegt der Hülflose der Gefahr, so ist die Strafe Zuchthaus nicht unter 3 Jahren. Art. 58. Lebensgefährdung Wer das Leben eines Menschen vorsätzlich gefährdet, wird, wenn die Gefahr keine gemeine ist (Art. 152), mit Zuchthaus oder Gefängnis von 1 bis zu 3 Jahren, und wenn der Tod des Menschen verursacht wurde, mit Zuchthaus oder Gefängnis von 2 bis 5 Jahren bestraft. Quelle: VE 1893, S. 40/42

b) Vorentwurf zu einem Schweizerischen Strafgesetzbuch und zu einem Bundesgesetz betreffend Einführung des Schweizerischen Strafgesetzbuches, 1903 Art. 65. Aussetzung Wer einen Hülflosen vorsätzlich aussetzt und ihn dadurch einer Gefahr für das Leben oder einer schweren Gefahr für die Gesundheit preisgibt; wer einen Hülflosen, für den er zu sorgen verpflichtet war, vorsätzlich in einer Gefahr für das Leben oder einer schweren Gefahr für die Gesundheit im Stiche lässt, wird mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren oder mit Gefängnis nicht unter sechs Monaten bestraft. Hat die Aussetzung den Tod des Hülflosen zur Folge und konnte der Täter diesen Ausgang voraussehen, so ist die Strafe Zuchthaus. Art. 68. Gefährdung von Leben und Gesundheit Wer einen Menschen wissentlich und gewissenlos in unmittelbare Gefahr für das Leben oder in schwere Gefahr für die Gesundheit bringt, wird mit Zuchthaus bis zu drei Jahren oder mit Gefängnis bestraft; wird der Tod des Menschen verursacht, so ist die Strafe Zuchthaus bis zu fünf Jahren oder Gefängnis nicht unter einem Jahre. Hat der Täter aus Gewinnsucht gehandelt, so ist mit der Freiheitsstrafe Busse bis zu 10,000 Franken zu verbinden. Quelle: VE 1903 S. 27 ff.

500

7. Teil: Anhang

2. Schweizerisches Strafgesetzbuch Art. 127 Aussetzung Wer einen Hilflosen, der unter seiner Obhut steht oder für den er zu sorgen hat, einer Gefahr für das Leben oder einer schweren unmittelbaren Gefahr für die Gesundheit aussetzt oder in einer solchen Gefahr im Stiche lässt, wird mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren oder mit Gefängnis bestraft. Art. 128 Unterlassung der Nothilfe Wer einem Menschen, den er verletzt hat, oder einem Menschen, der in unmittelbarer Lebensgefahr schwebt, nicht hilft, obwohl es ihm den Umständen nach zugemutet werden könnte, wer andere davon abhält, Nothilfe zu leisten, oder sie dabei behindert, wird mit Gefängnis oder mit Busse bestraft. Art. 129 Gefährdung des Lebens Wer einen Menschen in skrupelloser Weise in unmittelbare Lebensgefahr bringt, wird mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren oder mit Gefängnis bestraft. Quelle: BBl. 52/1937, S. 663 f.; i. d. F. seit BBl. 26/1989, S. 923, zuletzt geändert BBl. 40/2003, S. 6619 f. (unter Einbeziehung der Reform des Allgemeinen Teils des Schweizerischen StGB, in Kraft getreten am 01.01.2007, i. d. F. von AS 2006, S. 3459 ff. und AS 2006, S. 3539 ff.). Anmerkung: Vor dem 01.01.1990 lautete Art. 129 schwStGB: Art. 129 Gefährdung des Lebens Wer einen Menschen wissentlich und gewissenlos in unmittelbare Lebensgefahr bringt, wird mit Zuchthaus bis zu drei Jahren oder mit Gefängnis nicht unter einem Monat bestraft. Handelt der Täter aus Gewinnsucht, so wird mit der Freiheitsstrafe Busse verbunden. Hat die Tat den Tod zur Folge gehabt, so wird der Täter mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren bestraft. Quelle: BBl. 52/1937, S. 663 f., i. d. F. von BBl. 1/1988.

D. Rechtsprechung zur Aussetzung

D. Rechtsprechung zur Aussetzung Datum

Gericht

Aktenzeichen

Fundstellen

04.03.1857

Preußisches Obertribunal

Nr. 297 I

GA 5 [1857], 421

22.11.1873

Königliches Oberappellationsgericht

OAG II, 140

Rspr. Preuß. OT 14 [1873], 748 ZfGR III [1874], 194

21.04.1880

RG

III 518/80

RGSt 2, 15 RGR 1, 639

09.01.1882

RG

I 3101/81

RGSt 5, 393

27.01.1882

RG

II 3124/81

RGR 4, 78

23.10.1882

RG

I 2103/82

RGSt 7, 111 RGR 4, 755

17.04.1883

RG

II 6651/83

RGSt 8, 205 RGR 5, 260

12.06.1883

RG

II 1196/83

RGSt 8, 343

21.02.1884

RG

I 249/84

RGSt 10, 183

24.04.1885

RG

II 861/85

RGR 7, 250

19.09.1887

RG

III 1562/87

RGR 9, 436

16.02.1892

RG

IV 158/92

JW 1892, 196

26.04.1894

RG

III 1096/94

RGSt 25, 312

27.04.1894

RG

II 1128/94

RGSt 25, 321

21.09.1894

RG

IV 2180/94

JW 1894, 536

01.07.1897

RG

III 2092/97

GA 45 [1897], 357 DJZ 1898, 62

20.05.1898

RG

IV 1718/98

RGSt 31, 165

20.03.1906

RG

IV 875/05

RGSt 38, 377

23.02.1907

RG

4 D 1275/06

GA 54 [1907], 297

23.07.1907

RG

ohne Angabe

RG Warn B 3 [1909], 66

26.05.1911

RG

IV 286/11

DJZ 1911, 1392

08.11.1915

RG

I 643/15

LZ 1916, 330

501

502

7. Teil: Anhang

Datum

Gericht

Aktenzeichen

Fundstellen

22.11.1915

RG

I 694/15

RG Warn B 11 [1917], 16 LZ 1916, 151

03.12.1917

RG

III 407/17

LZ 1918, 572

12.03.1920

RG

IV 874/19

RGSt 54, 273

22.11.1922

RG

IV 361/22

LZ 1923, 172

30.10.1925

RG

I 478/25

RGSt 59, 387

16.01.1928

RG

II 1120/27

RGSt 62, 8 JW 1928, 2227

16.02.1928

RG

II 1135/27

JW 1928, 2983

03.07.1930

RG

III 466/30

JW 1931, 1482

04.01.1932

RG

II 1389/31

RGSt 66, 71 JW 1932, 2720

15.11.1934

RG

2 D 83/34

RGSt 68, 407 JW 1935, 939

19.10.1936

RG

2 D 447/36

JW 1936, 3472

26.04.1937

RG

2 D 846/36

RGSt 71, 200

07.07.1938

RG

2 D 326/38

JW 1938, 2334 DJ 1938, 2041

17.10.1940

RG

5 D 537/40

DR 1941, 193

02.12.1940

RG

2 D 455/40

HRR 1941 Nr. 366

05.12.1940

RG

2 D 465/40

HRR 1941 Nr. 367

19.12.1940

RG

2 D 445/40

RGSt 75, 68

08.10.1942

RG

2 D 340/42

JW 1942, 1646 DR 1942, 1646

11.03.1943

RG

2 D 41/43

RGSt 76, 371

25.05.1943

RG

1 D 192/43

RGSt 77, 68

09.12.1952

BayObLG

2 St 176a–b/51

NJW 1953, 556

27.03.1953

BGH

1 StR 689/52

BGHSt 4, 113 NJW 1953, 1070 JZ 1953, 510

D. Rechtsprechung zur Aussetzung Datum

Gericht

Aktenzeichen

Fundstellen

31.03.1960

OLG Hamm

2 Ss 15/60

VRS 19 [1960], 431

20.10.1965

BGH

2 StR 343/65

unveröffentlicht

24.02.1966

BGH

1 StR 587/65

BGHSt 21, 44 JZ 1966, 576

27.09.1966

LG Berlin

500-9/66

MDR 1967, 57

11.07.1972

BGH

5 StR 288/72

unveröffentlicht

31.08.1972

KG

2 Ss 70/72 [27/72]

JR 1973, 72

19.07.1973

BGH

4 StR 284/73

BGHSt 25, 218 NJW 1973, 1706 VRS 45 [1973], 354 u. a.

05.12.1974

BGH

4 StR 529/74

BGHSt 26, 35 NJW 1975, 1173 DAR 1975, 130 u. a.

13.04.1976

BGH

1 StR 13/76

unveröffentlicht

22.12.1981

BGH

1 StR 698/81

MDR/H 1982, 448

03.05.1983

BGH

4 StR 210/83

NStZ 1983, 424 StV 1983, 445 MDR/H 1983, 797 u. a.

27.05.1983

BGH

3 StR 153/83

NStZ 1983, 454

22.07.1983

LG Traunstein

5 Ks 31 Js 15731/82

unveröffentlicht

10.07.1985

BGH

3 StR 104/85

NStZ 1985, 501 StV 1986, 201 MDR/H 1985, 979 u. a.

06.05.1986

BGH

4 StR 150/86

BGHSt 34, 82 NJW 1986, 2516 NStZ 1986, 452 u. a.

30.09.1991

BGH

1 StR 339/91

BGHSt 38, 78 NJW 1992, 581 NStZ 1992, 128 u. a.

24.09.1992

BSG

9a RVg 5/91

NJW 1993, 880

22.06.1993

BGH

1 StR 264/93

NJW 1993, 2628 NStZ 1994, 84 MDR 1993, 1103 u. a.

503

504

7. Teil: Anhang

Datum

Gericht

Aktenzeichen

Fundstellen

20.07.1993

BGH

1 StR 321/93

BGHR StrEG § 5 Abs. 2 S. 1 Fahrlässigkeit, grobe 4 [Gründe]

24.10.1995

BGH

1 StR 465/95

StV 1996, 131 NStZ-RR 1996, 131 u. a.

12.06.1996

BGH

2 StR 202/96

NStZ-RR 1996, 289

18.08.1997

OLG Zweibrücken

1 Ss 159/97

NJW 1998, 841 NStZ 1997, 601 PflR 198, 164 u. a.

24.09.1998

BGH

4 StR 272/98

BGHSt 44, 196 NJW 1999, 69 NStZ 1999, 30 u. a.

24.08.1999

BGH

5 StR 81/99

unveröffentlicht

12.01.2000

LG Zweibrücken

4047 Js 2448/99

VRS 98 [2000], 284 DAR 2000, 226

03.03.2000

BGH

2 StR 388/99

unveröffentlicht

09.11.2001

LG Köln

102 – 57/01

NJW 2002, 909 NStZ 2002, 332 JR 2002, 171

22.03.2002

BGH

2 StR 517/01

NStZ 2002, 432 NStZ-RR 2002, 207

12.07.2002

LG Offenburg

1 Ks 10 Js 3709/00

unveröffentlicht

02.06.2003

LG Kiel

VIII Ks 2/03

NStZ 04, 157

16.12.2003

BGH

4 StR 482/03

Polizei 2004, 53

14.12.2005

LSG NiedersachsenBremen

L 5 VG 1/03

Nds.Rpfl. 2006, 286

Literaturverzeichnis Anmerkung: Zitiert wird, soweit nicht anders angegeben, nach Autor und Seite bzw. Autor, Zeitschrift und Seite. Ahlers-Grzibek, Ute: Der normative Normalfall in der Strafzumessung, 2003, Hamburg. Albrecht, Adolf: Das Wesen der Deliktshandlungen in § 221 StGB, 1917, Greifswald. Allfeld, Philipp/Meyer, Hugo: Lehrbuch des Deutschen Strafrechts, 8. Aufl. 1922, Leipzig [zit.: Allfeld/Meyer, Lehrbuch8, nach Seite]. Androulakis, Nikolaos: Studien zur Problematik der unechten Unterlassungsdelikte, 1963, München/Berlin. Appel, Heinz: Die Verbrechen der Gefährdung von Leib und Leben nach deutschem Recht – Ein Beitrag zur Dogmatik und Geschichte der Gefährdungsdelikte, 1930 Köln. Arenhövel, Wolfgang: Wichtige Urteile sollten in der Öffentlichkeit vorbereitet werden – Die Kommunikation der Justiz mit den Medien ist besser geworden, aber noch nicht gut, in: ZRP 2005 S. 69–70. Arzt, Gunther: Zur Garantenstellung beim unechten Unterlassungsdelikt, in: JA 1980 S. 553–561 (1. Teil), S. 712–717 (3. Teil). – Wissenschaftsbedarf nach dem 6. StrRG, in: ZStW 111 [1999] S. 757–784. Arzt, Gunther/Weber, Ulrich: Strafrecht Besonderer Teil – LH 2: Delikte gegen die Person, Schwerpunkt: Gefährdungsdelikte, 1. Aufl. 1983, Bielefeld [zit.: Arzt/ Weber, BT LH 2, nach Randnummer]. – Strafrecht Besonderer Teil, 2000, Bielefeld [zit.: Arzt/Weber, BT, nach Kapitel und Randnummer]. Baier, Helmut: Unterlassungsstrafbarkeit trotz fehlender Handlungs- oder Schuldfähigkeit – Zugleich ein Beitrag zur Rechtsfigur der omissio libera in causa, in: GA 1999 S. 272–284. – Tod nach Aussetzung, in: JA 2000 S. 300–308. – Entscheidungsanmerkung zu BGH, Urteil vom 15.10.2003 – 2 StR 283/03 (= BGHSt 48, 365), in: JA 2004 S. 431–433. Bar, Ludwig von: Die Reform des Strafrechts, in: Jahrbuch der internationalen Vereinigung für vergleichende Rechtswissenschaft und Volkswirtschaftslehre 8. Band – I. Abteilung (1905) S. 1–27. Bassenge, Peter: Der allgemeine strafrechtliche Gefahrbegriff und seine Anwendung im zweiten Teil des Strafgesetzbuches und in den strafrechtlichen Nebengesetzen, 1961, Bonn.

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Im Nachdruck wird als Bearbeiter der Anmerkungen Feuerbach angeführt. Dies ist jedoch unzutreffend, da gerade nicht Feuerbach, sondern dessen Gegenspieler von Gönner die dreibändigen „Anmerkungen zum Strafgesetzbuche für das Königreich Baiern“ verfasste; vgl. E. Schmidt, Geschichte3, S. 266 f. sowie zu den Hintergründen der Feindschaft der beiden zuvor Genannten, E. Schmidt, Geschichte3, S. 233 f.

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Quellenverzeichnis

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Motive zu dem Entwurf eines Strafgesetzbuches für die Preußischen Staaten, Berlin 1851, Reprint Frankfurt am Main 1991 [zit.: preuß. StGB E 1851, Motive, nach Seite]. Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten und Gesetz über die Einführung desselben vom 14. April 1851, Mainz 1851 [zit.: preuß. StGB 1851, nach Seite]. Goltdammer, Theodor: Die Materialien zum Strafgesetzbuche für die Preußischen Staaten aus den amtlichen Quellen nach den Paragraphen des Gesetzbuches zusammengestellt und in einem Kommentar erörtert – Theil II – Den besonderen Theil enthaltend, Berlin 1852, in: Schubert, Werner/Regge, Jürgen/Schmid, Werner/Schröder, Rainer (Hrsg.): Kodifikationsgeschichte Strafrecht, Neudruck 1991, Frankfurt am Main [zit.: Goltdammer, Materialien II, nach Seite]. Strafgesetzbuch für das Königreich Sachsen vom 13. August 1855, zitiert nach Stenglein, Melchior (Hrsg.): Sammlung der deutschen Strafgesetzbücher Band 3, Ordnungsziffer XIII, München 1858 [zit.: sächs. StGB 1855, nach Seite]. Criminalgesetzbuch der Freien und Hansestadt Hamburg vom 30. April 1869, in Gesetzsammlung der freien und Hansestadt Hamburg – Amtliche Ausgabe, 5. Band, Jahrgang 1869, 1. Abtheilung, No.10, Hamburg 1869 [Zit.: CrimGB Hamburg 1869, nach Seite]. Entwurf eines Strafgesetzbuches für den Norddeutschen Bund, Berlin 1869, Reprint 1992, in: Schubert, Werner (Hrsg.): Quellen zum Strafgesetzbuch von 1870, Band 1: Entwurf eines Strafgesetzbuches für den Norddeutschen Bund vom Juli 1869 und Motive zu diesem Entwurf [zit.: StGB E Norddt. Bund 1869, nach Seite]. Motive zu dem Entwurfe eines Strafgesetzbuches für den Norddeutschen Bund, Berlin 1869, Reprint 1992, in: Schubert, Werner (Hrsg.): Quellen zum Strafgesetzbuch von 1870, Band 1: Entwurf eines Strafgesetzbuches für den Norddeutschen Bund vom Juli 1869 und Motive zu diesem Entwurf [zit.: StGB E Norddt. Bund 1869, Motive, nach Seite]. Strafgesetzbuch für den Norddeutschen Bund – Entwurf vom 14.2.1870 [Reichstagsvorlage], in: Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages des Norddeutschen Bundes. I. Legislaturperiode – Session 1870. Dritter Band. Aktenstück Nr. 5, S. 2 ff., Reprint 1992, in: Schubert, Werner (Hrsg.): Quellen zum Strafgesetzbuch von 1870, Band 2 [zit.: StGB E Norddt. Bund 1870, nach Seite]. Motive zum Strafgesetzbuch für den Norddeutschen Bund – Entwurf vom 14.2.1870 [Reichstagsvorlage], in: Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages des Norddeutschen Bundes. I. Legislaturperiode – Session 1870. Dritter Band. Aktenstück Nr. 5, S. 26 ff., Reprint 1992, in: Schubert, Werner (Hrsg.): Quellen zum Strafgesetzbuch von 1870, Band 2 [zit.: StGB E Norddt. Bund 1870, Motive, nach Seite]. Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich vom 15. Mai 1871, zitiert nach Vormbaum, Thomas/Welp, Jürgen (Hrsg.): Das Strafgesetzbuch – Sammlung der Änderungsgesetze und Neubekanntmachungen. Band 1: 1870–1953, Baden-Baden [zit.: RStGB, nach Seite].

538

Quellenverzeichnis 3. Fassungen des Strafgesetzbuchs nach dem 2. Weltkrieg

Strafgesetzbuch vom 15. Mai 1871 in der Fassung der Bekanntmachung vom 10. März 1987, BGBl. I, S. 945 [zuletzt geändert durch Gesetz vom 17. Dezember 1997, BGBl. I, S. 3108]. Strafgesetzbuch vom 15. Mai 1871 in der Fassung der Neubekanntmachung vom 13. November 1998, BGBl. I, S. 3322 [zuletzt geändert durch Gesetz vom 07.08.2007, BGBl. I 1786]. 4. Strafgesetzbücher aus dem Ausland a) StGB von Österreich Bundesgesetz vom 23. Jänner 1974 über die mit gerichtlicher Strafe bedrohten Handlungen [Strafgesetzbuch – StGB], BGBl. 1974/60, S. 641 ff. i. d. F. BGBl. I 2006/56, S. 1 ff. b) StGB der Schweiz Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937, BBl. 52/1937, S. 625 ff., i. d. F. von BBl. 1/1988 S. 3 f. Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937, BBl. 52/1937, S. 625 ff., i. d. F. seit BBl. 26/1989 S. 921 ff., zuletzt geändert BBl.40/2003, S. 6619 f. [unter Einbeziehung der Reform des Allgemeinen Teils des Schweizerischen StGB, in Kraft getreten am 01.01.2007, i. d. F. von AS 2006, S. 3459 ff. und AS 2006, S. 3539 ff.].

II. Quellen zu den Reformversuchen in Deutschland von 1909 bis 1971 1. Entwürfe vor dem 1. Weltkrieg Vorentwurf zu einem Deutschen Strafgesetzbuch 1909 Vorentwurf zu einem Deutschen Strafgesetzbuch, bearbeitet von der hierzu bestellten Sachverständigen-Kommission, veröffentlicht auf Anordnung des Reichs-Justizamtes, Berlin 1909 [zit.: VE 1909 nach Seite]. Vorentwurf zu einem Deutschen Strafgesetzbuch – Begründung Allgemeiner Teil, bearbeitet von der hierzu bestellten Sachverständigenkommission, veröffentlicht auf Anordnung des Reichs-Justizamtes, Berlin 1909 [zit.: VE 1909, Begründung AT, nach Seite]. Vorentwurf zu einem Deutschen Strafgesetzbuch – Begründung Besonderer Teil, bearbeitet von der hierzu bestellten Sachverständigenkommission, veröffentlicht auf Anordnung des Reichs-Justizamtes, Berlin 1909 [zit.: VE 1909, Begründung BT, nach Seite].

Quellenverzeichnis

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Gegenentwurf zum Vorentwurf eines deutschen Strafgesetzbuchs 1911 Gegenentwurf zum Vorentwurf eines deutschen Strafgesetzbuches, aufgestellt von D. Dr. W. Kahl, Dr. K. von Lilienthal, Dr. F. von Liszt und Dr. J. Goldschmidt – Begründung. (Nebst einer Denkschrift, betreffend die Einarbeitung der Nebengesetze, von Privatdozent Dr. N. H. Kriegsmann, Kiel), Berlin 1911 [zit.: GE 1911, Begründung, nach Seite].

Entwurf der Strafrechtskommission (1913) Protokolle der Kommission für die Reform des Strafgesetzbuches [1911–1913], herausgegeben und eingeleitet von Werner Schubert, Frankfurt am Main 1990. – Band 1: Allgemeiner Teil des Vorentwurfs in 1. Lesung, Protokolle 1–70. – Band 2: Schlußberatungen des Allgemeinen Teils, 1. Lesung des Besonderen Teils §§ 100–211 des Vorentwurfs, Protokolle 71–140. – Band 3: Besonderer Teil des Vorentwurfs in 1. Lesung §§ 212–310 des Vorentwurfs, Protokolle 141–207. – Band 4: Zweite Lesung und Schlußredaktion des Entwurfs, Protokolle 208–292. [zit.: Reformkommission (1911–1913), Protokolle, nach Band und Seite]. Entwürfe der Strafrechtskommission zu einem Deutschen Strafgesetzbuch und zu einem Einführungsgesetz [1911–1914], Reprint Frankfurt am Main 1990 [zit.: Strafrechtskommission (1911–1914), Entwürfe, nach Seite]. Entwurf der Strafrechtskommission (1913), in: Entwürfe zu einem Deutschen Strafgesetzbuch. Veröffentlicht auf Anordnung des Reichs-Justizministeriums. Erster Teil: Entwurf der Strafrechtskommission (1913), Berlin 1921 [zit.: KE 1913, nach Seite].

2. Entwürfe aus der Weimarer Republik Entwurf von 1919 Entwurf von 1919, in: Entwürfe zu einem Deutschen Strafgesetzbuch. Veröffentlicht auf Anordnung des Reichs-Justizministeriums. Zweiter Teil: Entwurf von 1919, Berlin 1920 [zit.: E 1919, nach Seite]. Entwürfe zu einem Deutschen Strafgesetzbuch. Veröffentlicht auf Anordnung des Reichs-Justizministeriums. Dritter Teil: Denkschrift zum Entwurf von 1919, Berlin 1920 [zit.: E 1919, Denkschrift, nach Seite]. Entwürfe zu einem Strafgesetzbuch [1919, 1922, 1924/25 und 1927], in: Schubert, Werner/Regge, Jürgen: Quellen zur Reform des Straf- und Strafprozeßrechts – I. Abteilung, Weimarer Republik [1918–1932] Band 1, Berlin/New York 1995 [zit.: Entwürfe (1919–1927), nach Band und Seite].

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Quellenverzeichnis

Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuches (1922) Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuches, zitiert nach: Dehler, Thomas (Hrsg.): Gustav Radbruchs Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuches (1922) – Mit einem Geleitwort von Bundesjustizminister Dr. Thomas Dehler und einer Einleitung von Professor Dr. Eberhard Schmidt, Tübingen 1952 [zit.: E 1922, nach Seite]. Entwürfe zu einem Strafgesetzbuch [1919, 1922, 1924/25 und 1927], vgl. schon oben beim Entwurf von 1919 auf S. 539. Amtlicher Entwurf eines allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuchs 1925 Amtlicher Entwurf eines allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuchs nebst Begründung 1925 (Reichsratsvorlage) [Nachdruck], zitiert nach: Materialien zur Strafrechtsreform: 3. Band, Bonn 1954 [zit.: E 1925 bzw. E 1925, Begründung, nach Seite]. Entwürfe zu einem Strafgesetzbuch [1919, 1922, 1924/25 und 1927], vgl. schon oben beim Entwurf von 1919 auf S. 539. Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuchs 1927 Beratungen des Entwurfs eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuches von 1924/25 im Reichsrat (1926/27), in: Schubert, Werner/Regge, Jürgen: Quellen zur Reform des Straf- und Strafprozeßrechts – I. Abteilung, Weimarer Republik [1918–1932] Band 2, Berlin/New York 1998 [zit.: Beratungen Reichsrat (1926/27), nach Band und Seite]. Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuchs 1927 mit Begründung und 2 Anlagen (Reichstagsvorlage) [Nachdruck], zitiert nach: Materialien zur Strafrechtsreform: 4. Band, Bonn 1954 [zit.: E 1927 bzw. E 1927, Begründung, nach Seite]. Entwürfe zu einem Strafgesetzbuch [1919, 1922, 1924/25 und 1927], vgl. schon oben beim Entwurf von 1919 auf S. 539. Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuchs 1930 (Entwurf Kahl) Protokolle der Strafrechtsausschüsse des Reichstags, in: Schubert, Werner: Quellen zur Reform des Straf- und Strafprozeßrechts – I. Abteilung, Weimarer Republik [1918–1932], Berlin/New York. – Band 3/1 [1995]: Sitzungen vom Juli 1927–März 1928, Sitzungen der deutschen und österreichischen parlamentarischen Strafrechtskonferenzen [1927–1930]. – Band 3/2 [1996]: Sitzungen vom Juli 1928–September 1929. – Band 3/3 [1997]: Sitzungen vom Oktober 1929–Juni 1930 [Abschluß der Beratungen in erster Lesung und der §§ 86 ff. in zweiter Lesung. Gesetzentwurf zum Schutze der Republik und zur Befriedung des politischen Lebens].

Quellenverzeichnis

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– Band 3/4 [1997]: Sitzungen vom Dezember 1930–März 1932, Zusammenstellung der Beschlüsse. [zit.: Beratungen Reichsrat (1926/27), nach Band und Seite]. Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuchs 1930 (Entwurf Kahl) [Nachdruck], zitiert nach: Materialien zur Strafrechtsreform: 5. Band, Bonn 1954 [zit.: E 1930, nach Seite]. 3. Entwürfe nach dem 2. Weltkrieg bis zum 6. StrRG Niederschriften über die Sitzungen der Großen Strafrechtskommission, Bonn 1956 ff. [zit.: Ndschr. nach Band, Jahr und Seite]. Entwurf eines Strafgesetzbuches (StGB) E 1960 mit Begründung, BR-Drs. 270/60, Bonn 1960 [zit.: E 1960, nach Seite]. Entwurf eines Strafgesetzbuches (StGB) E 1962 mit Begründung – Bundestagsvorlage, BT-Drs. IV/650, Bonn 1962 [zit.: E 1962, nach Seite]. Alternativ-Entwurf eines Strafgesetzbuches, vorgelegt von Baumann, Jürgen u. a.: Besonderer Teil: Straftaten gegen die Person – Erster Halbband, Tübingen 1970, Zweiter Halbband, Tübingen 1971 [zit.: AE, BT nach Halbband und Seite].

III. Quellen zum 6. StrRG Entwurf eines Sechsten Gesetzes zur Reform des Strafrechts (6. StrRG) des Bundesministeriums der Justiz vom 15.07.1996 [unveröffentlicht] [zit.: RefE, nach Seite].

IV. Entwürfe aus Österreich und der Schweiz 1. Österreich Regierungsvorlage zum Entwurf eines Strafgesetzbuches nebst erläuternden Bemerkungen vom 16.11.1971, Nr. 30 der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des Nationalrates, XIII. GP zum Strafgesetzbuch vom 8.11.1973 [BGBl. Nr. 577]. 2. Schweiz Schweizerisches Strafgesetzbuch – Vorentwurf mit Motiven im Auftrage des schweizerischen Bundesrates ausgearbeitet von Carl Stooss und französische Übersetzung von Alfred Gautier, Basel/Genf 1894 [zit.: VE 1893, nach Seite]. Vorentwurf zu einem Schweizerischen Strafgesetzbuch und zu einem Bundesgesetz betreffend Einführung des Schweizerischen Strafgesetzbuches. Nach den Beschlüssen der von dem eidgenössischen Justizdepartement mit der Durchsicht des Vorentwurfes von 1896 beauftragten Expertenkommission – Juni 1903, Bern 1903 [zit.: VE 1903, nach Seite].

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Quellenverzeichnis

V. Sonstige Quellen [Muster-]Berufsordnung für die deutschen Ärztinnen und Ärzte – MBO-Ä 1997 – in der Fassung der Beschlüsse des 100. Deutschen Ärztetages 1997 in Eisenach, geändert durch die Beschlüsse des 103. Deutschen Ärztetages 2000 in Köln, geändert durch die Beschlüsse des 105. Deutschen Ärztetages 2002 in Rostock, geändert durch die Beschlüsse des 106. Deutschen Ärztetages 2003 in Köln, geändert durch die Beschlüsse des 107. Deutschen Ärztetages 2004 in Bremen, geändert durch den Beschluss des Vorstands der Bundesärztekammer in der Sitzung vom 24.11.2006, in der Fassung des Sonderdrucks des Deutschen Ärzteblattes, Deutscher Ärzte-Verlag 2004, ergänzt um die Bekanntmachung im Deutschen Ärzteblatt vom 1. Juni 2007 [104 Jahrgang, Heft 22], S. 1613.

Stichwortverzeichnis Häufig auftauchende Begriffe sind nur für die wichtigeren Passagen nachgewiesen. Kursiv gesetzte Seitenzahlen verweisen auf den Fußnotentext. Abgrenzung – der Aussetzung vom allgemeinen Gefährdungsdelikt 216, 283, 313 – der Tathandlungen a. F. 170, 199, 343 – der Tathandlungen n. F. – abstrakte Argumentationen 358 – Auffassung des Verfassers 407, 427, 474 – eigene Prämissen 361 – entsprechend der Abgrenzung Tun – Unterlassen 361 – fallbezogene Argumentationen 355 – Grundsätzliches 340, 352 – historische Auslegung 356, 408 – Kritik an den bestehenden Konzepten 399 – Notwendigkeit 398 – räumliches Element beim Versetzen 173, 199 – systematische Aspekte 412 – teleologische Auslegung 419 – über den subjektiven Tatbestand 360 – über den Tatbestandstyp 360 – Unterlassen 199 – Wortlautauslegung 407, 427 – echtes – unechtes Unterlassungsdelikt – Kriterium der Begehungsgleichheit 165 – Parallelbetrachtung zu Erfolgsund Tätigkeitsdelikten 165

– spezialgesetzliche Normierung als Kriterium 164 – von Tun und Unterlassen – Energieentfaltung 156 – Kausalitätsverhältnisse 154 – Körperbewegungskriterium 155 – Phänomenologie des Verhaltens 114, 160, 413 – Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit 156 Abkommen siehe Bezeichnung der Aussetzung, historische, Abkommen Aburteilungen nach § 221 StGB 40 Alter, jugendliches 34, 244, 253, 271–272, 283 Alternativentwurf 72 Analogie – zu Gunsten des Täters 403 – zu Lasten des Täters 402 Anwendung, analoge des § 13 Abs. 2 StGB 402, 417, 427 Äquivalenztheorie siehe condicio-sinequa-non-Formel Auffangfunktion – der Aussetzung insgesamt 39, 97 – der zweiten Tatvariante n. F. 395, 427, 475 – des § 323c StGB 124 – des Art. 129 schwStGB 218 Aufhebung nicht mehr zeitgemäßer Bestimmungen siehe 6. StrRG, Ziele des Gesetzgebers Augenblicksgefahren 250, 260, 289, 314–315

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Stichwortverzeichnis

Ausnutzen – i. S. v. § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB 301 – i. S. v. § 243 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 StGB 298 – i. S. v. §§ 182 Abs. 1, 232 Abs. 1, 233 Abs. 1 StGB 307 – i. S. v. §§ 239a Abs. 1, 239b Abs. 1 StGB 307 Aussetzen – als „Änderung der räumlichen Beziehungen“ 171 – einer Gefahr – § 221 Abs. 1 Hs. 2 StGB n. F. 225, 428–429, 434 – § 234 StGB 429 – § 234a StGB 205 – § 241a StGB 205, 429 – in Art. 127 schwStGB 207 – historische Auslegung 170 – i. S. v. § 234 Abs. 1 StGB 292 – Notwendigkeit einer räumlichen Entfernung 170 – teleologische Auslegung 171 – und hilflose Lage a. F. 238 – und hilflose Person 243 – Verzicht auf die räumliche Entfernung 170 – Wortlautauslegung 171 Aussetzung – als „Vorfeldtatbestand“ der vollendeten Tötung 231 – als „zweiaktiges“ Delikt 442 – Bedeutung für die Wissenschaft 41 – Bedeutung in der Rechtsprechung siehe Kriminalstatistik, polizeiliche; siehe auch Strafverfolgungsstatistik – echte siehe Aussetzung i. e. S. – Entbehrlichkeit des gesamten Tatbestandes 41, 72 – Entbehrlichkeit einer Tatvariante 349, 362, 398 – Erfolgsqualifikation 232, 371 – i. e. S. 49, 179, 213 – i. w. S. 49, 213, 449

– Normappell 135, 158, siehe auch Grundgedanke, historischer der Aussetzung – unechte siehe Aussetzung i. w. S. bayer. StGB 1813, Art. 174-177, 370 47, 254, 288 Beendigung – als Phase der Deliktsverwirklichung 370 – der Aussetzung 393 Beihilfe, sukzessive 393 Bereitschaftsarzt 140 Bereitschaftsdienst, ärztlicher 141 Bergsteiger-Fall – Ausgangsfall 36, 352 – in den Materialien – der Großen Strafrechtskommission 410 – des 6. StrRG 92, 201, 365, 409–410 – des E 1925 201, 410 – des E 1927 63, 201, 410 – des E 1960 201, 365, 410 – des E 1962 201, 365, 410 – rechtliche Würdigung – des Verfassers 366, 392, 399, 401, 404, 415, 419, 421, 475 – durch die Literatur 327, 354–355, 357, 361, 420, 424 – Übertragung auf andere Fallkonstellationen 425–426 – vor dem 6. StrRG 127 – Variante des Ausgangsfalls 413, 424 Berufsretter 82, 137 Bewegungsfreiheit, Einschränkung der 56, 221 Bezeichnung der Aussetzung, historische – Abkommen 47 – Preisgebung Hilfloser 49, 186 – Verlassung 49 – Weglegung 47

Stichwortverzeichnis Charakter, fragmentarischer des Strafrechts 84, 382, 481 condicio-sine-qua-non-Formel 153, 412, 416, 422, 448 condicio-sine-qua–non-Formel, modifizierte 153, 412, 414, 416, 422, 448 Constitutio criminalis Carolina von 1532 44, 46 Corpus Iuris Canonici von 1136 44 CrimGB von Hamburg 1869 51 Dauer bzw. Stabilität als Kriterium der Bestimmung der hilflosen Lage n. F. siehe Lage, hilflose n. F., als Zustand mit einer gewissen Dauer bzw. Stabilität Dauerdelikt 391 Dazwischentreten eines Dritten siehe Ursächlichkeit eines Zweitverhaltens delictum sui generis 115, 166–167 Delikte – eigenhändige 212 – verhaltensgebundene 151, 212–213 dolus directus 2. Grades siehe Wissentlichkeit, im StGB dolus eventualis 220, 360, 470 Doppelung – der konkreten Gefahr in § 221 Abs. 1 StGB n. F. 124, 241, 252, 257, 264, 443 – des Unrechts bei vorsätzlicher Ingerenz 380 Doppelverwertungsverbot 198, 369 E 1919 58, 60, 62–63, 90, 120, 289 E 1922 61, 63, 220, 432 E 1925 63–64, 66, 90, 201, 274, 289–290, 410 E 1927 64–65, 90, 201, 274, 289, 410 E 1930 (Entwurf Kahl) 66, 190 E 1960 – allgemeines Gefährdungsdelikt 223, 226

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– amtliche Begründung 90, 120, 175, 186, 188, 201, 262, 274, 289, 366, 410 – Aussetzung und tätige Reue 236 – Entstehung 68 – Entwurf der Aussetzungsnorm 91, 168, 263, 438 – Gründe für die Neufassung der Aussetzung 187 – Verknüpfung mit dem 6. StrRG 53, 119 – Verknüpfung mit den Reformversuchen vor 1930 189, 274 E 1962 – allgemeines Gefährdungsdelikt 223, 226, 250 – amtliche Begründung 76, 78, 90, 120, 175, 186, 201, 262, 274, 289, 363, 366, 410 – Aussetzung und tätige Reue 78, 236 – Auswirkungen auf das geltende Recht 72 – Entstehung 68 – Entwurf der Aussetzungsnorm 69, 74, 91, 168, 263, 438 – Gründe für die Neufassung der Aussetzung 187, 432 – Verknüpfung mit dem 6. StrRG 119, siehe auch 6. StrRG, Fortführung der vorhergehenden Reformversuche – Verknüpfung mit den Reformversuchen vor 1930 189, 274 Einfluss – bestimmender 176, 211 – hemmungsloser 294 – ungehemmter 294, 302, 304, 310 Eingriff, verkehrsspezifischer 320 Entführen i. S. v. §§ 239a Abs. 1, 239b Abs. 1 StGB 309 Erfolgsunrecht 377, 384 Erneuerung von Tatbeständen siehe 6. StrRG, Ziele des Gesetzgebers Erst-recht-Schluss 376, 381, 388

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Stichwortverzeichnis

Eventualvorsatz siehe dolus eventualis Exklusivität – der beiden Tatvarianten der Aussetzung n. F. 278, 352, 367, 389, 395, 475 – von Tötungs- und Aussetzungsvorsatz 229 Fahrlässigkeit, bewusste 470 Franksche Formel 470 Garantenpflicht – „Aktualisierung“ 241, 257, 265, 336, 443 – und Auslegung der hilflosen Lage n. F. 258, 444 – und Handlungspflicht 251, 258, 264 – und Rücktritt vom Versuch 378 Garantenstellung – Anforderungen an den Garanten 86, 266 – Beschützer- 84, 265 – „Funktionenlehre“ 374 – Normierung und Tatbestandstyp 149 – Überwachungs- 84, 265 – und Art. 127 schwStGB 131 – und Gleichstellung von Tun und Unterlassen 151 – und Ingerenz 214, 270, 467 – und Möglichkeit der Hilfsverweigerung 336, 339 – und verhaltensgebundene Delikte 151 – und Vertragsverhältnisse 145 GE 1911 94, 119 Gebrechlichkeit 34, 244, 253, 271–272, 283 Gefahr – abstrakte 320 – des Todes 77, 124, 258, 284, 318, 428, 431, 437, 440, 462, 468 – für die Gesundheit 191, 312, 438, 467, 471

– konkrete – als Taterfolg bei Gefährungsdelikten allgemein 217, 228–229 – Begriff im Allgemeinen 436 – i. S. v. § 234 StGB 293 – i. S. v. § 237 StGB a. F. 295 – i. S. v. § 315b StGB 319–320 – Taterfolg des § 221 Abs. 1 StGB n. F. 71, 79, 153, 171, 412, 428, 461, 463 – und deren Abwendung 86, 115, 448 – und hilflose Lage a. F. siehe Lage, hilflose a. F., konkrete Gefahr – und hilflose Lage n. F. 250, 257, 267, 288, 314, 323, 335, 338, 412, 441, 445, 456–457, 474 – und Ingerenz 388 – Unglücksfall i. S. v. § 323c StGB 124 – Schaffen einer anderen 462 – unmittelbare – bei § 323c StGB 124 – im Tatbestand der „Lebensgefährdung“ 64, 222 – in Art. 127 schwStGB 312 – in Art. 129 schwStGB 218 – und Ingerenz 466 Gefährdungsdelikt – abstraktes 217 – allgemeines siehe auch Leibes- und Lebensgefährdungdelikt, allgemeines – Auswirkungen im System des StGB 226, 229, 232 – Begriff 217 – Historische Aspekte zu § 221 Abs. 1 StGB n. F. 226 – im 6. StrRG 74, 224 – im E 1930 66 – im öStGB 219 – im schwStGB 218, 220, 223 – im StGB vor dem 6. StrRG 224 – in den Reformentwürfen zum StGB 217, 219, 226

Stichwortverzeichnis – in der Vergleichenden Darstellung 55 – und Auslegung der hilflosen Lage n. F. 247, 250, 261, 283, 313 – und Aussetzung n. F. 36, 216, 234, 237, 321, 338, 433, 457, 465, 474 – und Große Strafrechtskommission 72, 222 – und Wortlaut von § 221 Abs. 1 StGB n. F. 225 – konkretes 49, 217, 227, 235, 239, 320, 428, 440, 474 – als „Verbrechen mit gesetzlich geschlossenen Mitteln“ 221, 224, 227 – Motiv für Normierung 233 – Tatbestände 217 – und Unterlassen 471 – Umfang des Rechtsgüterschutzes 235 Gefährdungsklausel – Grundsätzliches 428 – historische Auslegung 430 – im 6. StrRG 76–77 – in der Großen Strafrechtskommission 263 – teleologische Auslegung 435 – Umfang der erfassten Gefahren 240 – und hilflose Lage n. F. 124, 241, 245, 250, 253, 257, 284, 314, 317, 339, 440, 445 – und Steigern einer Gefahr 460, 470 – und Taterfolg 34, 71, 90, 166, 368, 412, 440, 474 – und Vollendung der Aussetzung 372–373, 449 – Vorfeld einer Gefahr 428, 433 – Wortlautauslegung 429 Gefahrengrad, Erhöhen 462 Gehässigkeitsanzeigen 223 Gesundheitsschädigung, schwere 46, 77, 79, 124, 153, 229–230, 258,

547

284–285, 413, 428, 431, 437, 443, 445, 474, 481 Gewissenlosigkeit – im Tatbestand der „Lebensgefährdung“ 64–65, 222 – in Art. 129 schwStGB 218 Gleichklang siehe Harmonisierung der Tathandlungen Große Strafrechtskommission 53, 68, 74, 91, 101, 186, 188, 222, 225, 236, 263, 274, 410–411, 449, 460 Grundgedanke, historischer der Aussetzung 79, 101, 135, 215, 472 Grundtatbestand der Aussetzung – als Diskussionsthema i.R. d. 6. StrRG 78 – Anlehnung an § 139 E 1962 74 – Erweiterung durch das 6. StrRG 191 – im öStGB 129 – im schwStGB 131 – Straflosigkeit des Versuchs 370, 429 – Strafrahmen 122 – Verhältnis des § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB zu § 323c StGB 123 – Verhältnis zu den konkreten Gefährdungsdelikten 217, 229 – Verweis in § 234 StGB 205 Handlungsgebot 144, 377–378 Handlungsunrecht 151, 384, 405 Handlungsverbot 377 Harmonisierung siehe Strafrahmen, Harmonisierung durch das 6. StrRG Harmonisierung der Tathandlungen n. F. 175, 191, 199 Hilfeleistung, unterlassene – allgemein 122, 204, 328, 448, 476 – Verhältnis zum Imstichlassen 122, 132, 149, 480 Hilflosigkeit – auslandsspezifische i. S. v. §§ 232 Abs. 1, 233 Abs. 1 StGB 295

548

Stichwortverzeichnis

– Gründe in der a. F. 34, 87, 244, 253 – i. S. v. § 243 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 StGB 298 Hilfsbedürftigkeit – als Tatbestandsmerkmal weiterer Tatbestände 295 – Erhöhen als tatbestandsmäßiges Verhalten 451 – i. S. v. § 174a Abs. 2 StGB 297 – Wortsinn 269 Hilfsbedürftigkeit, individuelle siehe Person, hilflose – als Ausgangspunkt der hilflosen Lage n. F. 246, 261, 338 – und Einbeziehung von Hilfe durch Dritte und den Täter 256 – und fehlende Hilfe durch Dritte sowie weiteren Kriterien 249 – und mangelnde Hilfe Dritter 247 Hilfsmittel – Abschneiden des Zugangs 97, 202 – eigene Fähigkeiten des Opfers 322 – einheitliche Behandlung sächlicher wie personeller 419 – Entziehen von 174 – personelle – der „Täter“ 328, 468 – Dritte Personen 325 – und hilflose Lage n. F. 339, 453, 473 – sächliche 324, 339, 453, 473 Hilfsmöglichkeit – Nichtnutzen als tatbestandsmäßiges Verhalten 270, 367–368, 389, 392 – Verringern als tatbestandsmäßiges Verhalten 359, 451 Hilfswillen – Aufgabe – Bestimmung des Zeitpunkts 333, 339, 473 – durch den Täter 256, 260, 330, 333, 415, 421, 473 – Existenz und Ausübung 326

Hochgebirgskriminalität 36, 146, 411, 421 Imstichlassen – historische Auslegung 100, 118 – systematische Auslegung 122, 132 – teleologische Auslegung 101, 133, 162 – Wortlautauslegung 100, 104, 116 in dubio pro mitius 418 in dubio pro reo 330, 334 Ingerenz – Anwendungsbereich für die Aussetzung 466 – Entstehensvoraussetzungen 214, 375, 466 – fahrlässiges Vorverhalten 396 – grundsätzliche Anerkennung 467 – Reichweite des Rechtsgüterschutzes 467 – Überwachungsgarantenstellung 84, 375 – und § 94 öStGB 131 – und § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB 85, 213 – und § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB 349 – und Unfälle im Straßenverkehr 466, 469 – Verhaltenserwartung bei der 386 – vorsätzliches Vorverhalten 85, 214, 367, 374 Intensivieren – einer bestehenden Gefahr 458, 474 – einer bestehenden hilflosen Lage 450, 474 Jedermanndelikt 79, 83, 123, 126 Jedermannpflicht 125, 327 Jedermannsolidarität 144 KE 1913 58, 60, 119, 139, 189 Kindesweglegung 62–63, 65, 94, 134 Kommissivdelikt 110, 179

Stichwortverzeichnis Konkurrenz – des vorsätzlichen Begehungs- und unechten Unterlassungsdelikts 378, 394 – Verhältnis der Tatvarianten des § 221 Abs. 1 StGB 278, 349, 359 – von Tötungs- und Aussetzungsvorsatz 230 – Zurücktreten von Taten und strafschärfende Berücksichtigung 370, 384, 391 Krankenschwester-Fall – Ausgangsfall 353 – in den Materialien – der Großen Strafrechtskommission 408 – des 6. StrRG 408 – des E 1925 408 – des E 1927 408 – des E 1960 408 – des E 1962 408 – rechtliche Würdigung – des Verfassers 140, 168, 392, 399, 402, 404, 416, 425, 475 – durch die Literatur 113, 253, 356, 359, 361 – vor dem 6. StrRG 127 – und zukünftige Gestaltung der Aussetzungsnorm 476 Krankheit – i. S. v. § 174a Abs. 2 StGB 297 – i. S. v. § 221 Abs. 1 StGB a. F. 34, 244, 253, 271–272, 283 – und §§ 232 Abs. 1, 233 Abs. 1 StGB 296 Kriminalstatistik, Polizeiliche 39 Lage – als Tatbestandsmerkmal in weiteren Tatbeständen 300 – aussichtslose 284, 316 – ausweglose 284, 316, 448 – hilflose – i. S. v. § 234 Abs. 1 StGB 291

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– i. S. v. § 237 StGB a. F. 293 – hilflose der Aussetzung a. F. – historische Auslegung 239 – konkrete Gefahr 238, 247, 267, 364, 436, 466, 473 – systematische Auslegung 239 – teleologische Auslegung 238 – Wortlautauslegung 238 – hilflose der Aussetzung n. F. – abweichende Definition je nach Tatvariante 256, 276 – als Vorfeld der Gefahr 260, 333 – als Zustand mit einer gewissen Dauer bzw. Stabilität 247, 249–250, 254, 279, 284, 316 – als Zwischenerfolg zur Gefahr 245, 318, 339, 366, 441, 445, 473 – Auffassung des Verfassers 339, 473 – Bedeutung für die Aussetzung n. F. 280 – bei Betreuung des Opfers 268, 281, 287, 325 – Fähigkeit zur Hilfe 249, 259, 326, 339, 473 – Hilfswilligkeit 251, 259, 326, 339, 473 – historische Auslegung 241, 254, 262, 288 – konkrete Gefahr 279 – Möglichkeit der Hilfeleistung 314, 319 – systematische Auslegung 240, 269, 291, 310 – teleologische Auslegung 260, 313 – überflüssiges Tatbestandsmerkmal 241, 245, 248, 250, 444 – Wortlautauslegung 241, 245, 249, 267, 269, 280 – i. S. v. §§ 239a Abs. 1, 239b Abs. 1 StGB 308 – schutzlose i. S. v. § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB 301

550

Stichwortverzeichnis

Leibes- und Lebensgefährdungsdelikt, allgemeines 56, 61, 72, 136, 216–217, 317, 321 Menschenraub 205, 291, 430 Milderung gem. § 13 Abs. 2 StGB 113, 163, 200, 204, 255, 351, 357, 398, 401, 406, 417, 426 Mischgesetz 340, 343 Mischtatbestand 341, 343 Mittäterschaft, sukzessive 393 Nähe als Voraussetzung der zweiten Tathandlung – Ablehnung des Kriteriums 137 – normative 107, 137 – räumliche 104 – soziale 106 Obhuts- oder Beistandspflicht – Auslegung des Verfassers 83 – Auslegungskonzepte zur n. F. 80 – und § 221 Abs. 1 Alt. 2 StGB a. F. 81 – und § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB 81, 84, 102, 123, 144, 147, 203, 266, 327 – und § 323c StGB 76, 83, 123, 327 – und Garantenstellung 76, 81, 84, 106, 240, 326, 367, 416, 472 – und Ingerenz 374, 468 – und Tatbestandstyp 149, 152–153, 163, 166 – und Verstoß gegen ebendiese als Imstichlassen 135, 152, 168, 472 – weitergehendes Verständnis (über die Garantenstellung hinaus) 83, 86 omissio libera in causa 158 Omissivdelikt 110, 179 Opferkreis – der Aussetzung im PrALR 46 – des § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB 87–88 – des § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB 87, 89

– Erweiterung durch das 6. StrRG 75, 134, 191, 201, 272, 316, 356, 472 – historische Auslegung 89 – im KE 1913 58 – im VE 1909 56 – in der Vergleichenden Darstellung 55 – und Große Strafrechtskommission 69 – Wortlautauslegung 87–88 Opferschutz als Auslegungsargument 210, 271, 435 öStGB – § 2 162 – § 81 218 – § 82 129–130, 162, 176, 207, 312, 480 – § 89 218 – § 94 129–130 Person, hilflose – im 6. StrRG 89, 273–274 – und Aussetzung a. F. 242, 267, 269 – und Neufassung der Aussetzung 134, 241, 244, 247–248, 253, 259, 267, 270, 272, 275, 279, 317, 338, 473 Pleonasmus im Tatbestand der Aussetzung 89, 244, 250 PrALR, Teil II Titel 20 §§ 969-971 46 Preisgebung Hilfloser siehe Bezeichnung der Aussetzung, historische, Preisgebung Hilfloser preuß. StGB von 1851, § 183 49, 51, 79, 239, 435 Retterfälle 103, 107, 115 Reue, tätige 71, 78, 233, 235, 322, 435 RStGB von 1871, § 221 43, 51, 55, 94, 171, 179 Rücktritt, Pflicht zum 378, 380

Stichwortverzeichnis Sachmittel siehe Hilfsmittel, sächliche sächs. CrimGB 1838, Art. 131 48, 94, 121, 186, 198 sächs. StGB 1855, Art.163 49 Schiffskapitän 93, 274, 435 Schiffspassagier 63, 93, 274, 435 Schließen von Strafbarkeitslücken siehe 6. StrRG, Ziele des Gesetzgebers Schweigen des Gesetzgebers als Auslegungsprinzip 138 schwStGB – Art. 127 131, 161, 207, 218, 311 – Art. 128 131 – Art. 129 218, 220, 223, 226, 481 – Reform vom 1990 132, 218 – Vorentwürfe zum 55, 220 Sechstes Strafrechtsreformgesetz (6. StrRG) – allgemeines Gefährdungsdelikt 224, 236, 241, 321 – amtliche Begründung 113, 118, 175, 182, 187–188, 190, 201, 226, 255, 274, 288, 327, 356, 363, 365, 408, 431, 459 – Entstehung der Aussetzung n. F. 76 – Fortführung der vorhergehenden Reformversuche 34, 53, 68, 74, 79, 289, 438, 450 – Gründe für die Neufassung der Aussetzung 38, 133, 432, 477 – Grundsätzliches 33, 72 – „handwerkliche Schwächen“ 35, 92, 120, 172, 241, 476, 481 – Neufassung der Aussetzung 33, 57, 79, 83, 87, 89–90, 94, 118, 120, 168, 172, 247, 321, 338, 364, 396, 404, 428, 438, 440, 472, 474 – Referentenentwurf 73, 431 – Textversionen der Aussetzung 75 – und „Reform“ des § 234 StGB 205, 252, 292 – Würdigung durch die Wissenschaft 34, 74, 98, 176, 192, 476 – Ziele des Gesetzgebers 73, 93, 208

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Selbstgefährdung 176 Sich-Bemächtigen i. S. v. §§ 239a Abs. 1, 239b Abs. 1 StGB 309 Skrupellosigkeit in Art. 129 schwStGB 218 Sperrwirkung der Rücktrittsvorschriften 378 Steigern einer bestehenden Gefahr 458 Strafbarkeitslücken als Auslegungsprinzip 133, 208, 234, 377, 382, 393 Strafrahmen – als Auslegungsargument 406 – Bildung eines „Normalfalls“ 198 – „denkbar leichtester Fall“ 193 – „denkbar schwerster Fall“ 193 – „grobe Dimensionen“ des Unrechts 194 – Grobschema 193 – Harmonisierung durch das 6. StrRG 73, 192, 208 – identischer – allgemeine Folgerungen für verschiedene Tatvarianten 195 – der Tatvarianten der Aussetzung 176, 191 – Nichtausschöpfen des Höchstmaßes 478 – normierte Möglichkeit zur Bestrafung 194 – Schwereskala der Straftaten 193 – System im StGB 192 – Vergleich § 323c StGB–§ 221 Abs. 1 StGB 122, 137 Strafrechtskommission, Große siehe Große Strafrechtskommission Strafverfolgungsstatistik 39 Tatbestandstyp – § 221 Abs. 1 Alt. 1 StGB a. F. – Literatur 179 – Rechtsprechung 178 – Begriff 108

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Stichwortverzeichnis

– des § 221 Abs. 1 Alt. 2 StGB a. F. 108 – des § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB – eigene Auffassung 212, 215 – „normales“ Erfolgsdelikt 181 – nur aktives Tun 180 – systematische Auslegung 181 – des § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB 112 – Begehungsdelikt 114 – echtes Unterlassungsdelikt 112 – eigene Auffassung 147 – historische Auslegung 149 – speziell vertatbestandlichtes unechtes 114 – systematische Auslegung 113, 149, 150 – Wortlautauslegung 148 Täterkreis – Ausschluss der „Berufsretter“ 82, 137 – der Aussetzung in der Vergleichenden Darstellung 55 – des § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB 80, 83 – des § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB 80, 83, 123, 137 – des Art. 127 schwStGB 208 – Erweiterung durch das 6. StrRG 472 – historische Auslegung 84 – Wortlautauslegung 81, 83 – Zusammenfassung der historischen Entwicklung 79 Tathandlung – räumlich-örtlich geprägte Bewegungsvorgänge als Handlungstypus der a. F. 103, 110, 169, 341, 344 – räumlich-örtlich geprägter Handlungstypus und Tatbestandstyp n. F. 112, 115, 151 – Subsumtion räumlich-örtlich geprägter Bewegungsvorgänge – im öStGB 129, 207 – im schwStGB 132, 207

– unter § 221 Abs. 1 StGB n. F. 98, 100, 115, 118, 135, 168, 172, 182, 191, 199, 215, 397, 425, 472 – Verzicht auf räumlich-örtlich geprägten Handlungstypus – E 1919 61 – E 1925 63 – E 1927 65 – E 1930 67 – GE 1911 57 – im 6. StrRG 76, 98, 404 – in der Großen Strafrechtskommission 70 – in der Vergleichenden Darstellung 55, 119 – KE 1913 59 Tätigkeitsdelikt 165, 450 Überschrift als Auslegungshilfe 134, 175, 185 Umgehung der Voraussetzungen der zweiten Tatvariante 173, 177, 202, 330, 416 Unglücksfall i. S. v. § 323c StGB 122, 142 Unrecht – abstrakte Bewertung durch Strafrahmen 193 – geringeres in den „Retterfällen“ 103, 107 Unrechtsgehalt – der Tatvarianten der Aussetzung 176, 191, 197, 405 – von Privilegierungen und Qualifikationen 194 – vorsätzlichen und fahrlässigen Verhaltens 194, 383 Unterlassen – der Schmerzlinderung als mögliche Tathandlung – bei § 221 Abs. 1 StGB 446 – bei § 323c StGB 126 – durch Begehung siehe omissio libera in causa

Stichwortverzeichnis – durch Tun siehe omissio libera in causa – kriminelle Energie 405 Unterlassungsdelikt – Abgrenzung echtes – unechtes 164 – speziell vertatbestandlichtes unechtes 114, 168, 397 – und Tatbestandstyp des § 221 Abs. 1 Alt. 1 StGB a. F. 180 – und Tatbestandstyp des § 221 Abs. 1 Alt. 2 StGB a. F. 108 – und Tatbestandstyp des § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB 180 – und Tatbestandstyp des § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB 112 Unternehmensdelikt 235, 433–434 Ursächlichkeit eines Zweitverhaltens 454 Ursprungstypus, verdeckter – des Imstichlassens 100, 358 – des Versetzens 173 VE 1909 59, 61, 119 Vergleichende Darstellung 54, 119 Verhältnis – Begehungs- und unechtes Unterlassungsdelikt 376 – der Aussetzung zu anderen Gefährdungsdelikten 229 – der Aussetzung zu vorsätzlichen Verletzungsdelikten 229 – der Gefahr zur Verletzung 230 – der Tathandlungen a. F. zueinander 340 – der Tathandlungen n. F. zueinander – Ablehnung der gleichzeitigen Verwirklichung 347 – Auffassung des Verfassers 395 – eigene Prämissen 361 – Exklusivität 367, 395, 475 – Gleichzeitige Verwirklichung 346 – Kritik 362 – Grundsätzliches 340, 345 – Materialien 76

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– Möglichkeit der Aufeinanderfolge 349, 366 – Kritik 365 – Unmöglichkeit der Aufeinanderfolge 351 – zeitliche Exklusivität 278, 348 – des § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB zu § 323c StGB 123, 132 – von Gefährdungsvorsatz und Verletzungsvorsatz 230 – von hilfloser Lage und Gefahr 314, 440 Verlassen – als räumliches Sich-Entfernen des Täters 94 – als Verweigerung des Beistandes 94 – Auslegung vor dem 6. StrRG 94, 115, 150 – im VE 1909 57, 119 – in § 183 preuß. StGB 50 – in Art. 129 CrimGB von Hamburg 51 – in Art. 131 sächs. CrimGB 48, 121, 198 – und 6. StrRG 76, 118, 120, 137, 255, 259 – und Abgrenzung der Tathandlungen n. F. 354–355, 358, 408, 417, 425, 427, 475 – und hilflose Lage a. F. 238, 344 – und hilflose Person 243 – Wortlautauslegung 96 Verlassung siehe Bezeichnung der Aussetzung, historische, Verlassung Versetzen – historische Auslegung 172, 174, 186, 272 – in eine „neue hilflose“ Lage 450 – systematische Auslegung 172, 175, 191, 215 – teleologische Auslegung 176, 208, 215 – Wortlautauslegung 174, 183, 215

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Stichwortverzeichnis

Versuch – beendeter, des § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB 368, 373 – Rücktritt – bei § 221 Abs. 2/3 StGB 372, 442 – vom Tötungsdelikt und Anwendbarkeit der Aussetzung 232 – unbeendeter 369 – unmittelbares Ansetzen – und § 177 StGB 338 – und § 221 Abs. 1 StGB 336, 372 – und § 221 Abs. 2/3 StGB 398 Verurteilungen nach § 221 StGB 40 Vollendung – als Phase der Deliktsverwirklichung 370 – der Aussetzung 319, 323, 368, 372, 461 – des § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB 369, 373, 393 – des Gefährdungsdelikts 235, 433 – des Unternehmensdelikts 235 – des Verletzungsdelikts 235, 433 Vorsatz – Aussetzungs- 230 – Gefährdungs- 64, 157, 230, 232, 313, 388 – Körperverletzungs- 230, 386 – Tötungs- 157, 230, 376, 383, 387 – Verletzungs- 230, 232

Vorsatz, bedingter siehe dolus eventualis Weggehen – des Opfers (Dulden des Täters als Tathandlung) 180 – des Täters – als Tathandlung 173, 203, 328, 333, 344, 354–355, 358–359, 408, 415, 421, 426–427 – Tatbestandstyp des § 221 Abs. 1 Alt. 2 StGB a. F. 109, 111 – Tatbestandstyp des § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB 113–114, 158 Weglegung siehe Kindesweglegung, siehe auch Bezeichnung der Aussetzung, historische, Weglegung Wissentlichkeit – im StGB 360 – im Tatbestand der „Lebensgefährdung“ 64, 222 – in Art. 129 schwStGB 218 Wortlaut als äußerste Grenze der Auslegung 84, 283, 409 Zueignungsdelikte 212 Zwangslage i. S. v. §§ 182 Abs. 1, 232 Abs. 1, 233 Abs. 1 StGB 307 Zwei-Personen-Verhältnis und §§ 239a, 239b StGB 309