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German Pages 213 Year 1982
Die aufienpolitische Lage Deutschlands am Beginn der achtziger Jahre
STUDIEN ZUR DEUTSCHLANDFRAGE Herausgegeben vom Göttinger Arbeitskreis BAND 5
Die au.fienpolitische Lage Deutschlands am Beginn der achtziger Jahre
Mit Beiträgen von Wilhelm Grewe • Jens Hacker Boris Meissner • Wolfram von Raven Karl C. Thaiheim • Gottfried Zieger
DUNCKER
&
HUMBLOT
I
BERLIN
Die in dieser Reihe veröffentlichten Beiträge geben ausschlie&lich die Ansichten der Verfasser wieder.
Der Göttinger Arbeitskreis: Veröffentlichung Nr. 428 Alle Rechte vorbehalten
@ 1982 Duncker & Humblot, Berlln 41
Gedruckt 1982 bei Buchdruckerei A. Sayffaerth - E. L. Krohn, Berlln 61 Prtnted in Germany ISBN S 428 05186 S
INHALT Das geteilte Deutschland und die weltpolitische Lage Von Botschafter a. D. Prof. Dr. Wilhelm Grewe, Königswinter . . . . . . . .
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Die Stellung der beiden Teile Deutschlands in der Weltwirtschaft Von Prof. Dr. Karl C. Thalheim, Berlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Die ungelöste deutsche Frage und ihre Rolle in den Ost-West-Beziehungen Von Prof. Dr. Gott/ried Zieger, Göttingen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 Stand und Perspektiven der deutsch-deutschen Beziehungen Von Dr. Jens Hacker, Köln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Bundesrepublik Deutschland und die Sowjetunion Stand und Perspektiven ihrer Beziehungen
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Entwicklung,
Von Prof. Dr. Boris Meissner, Köln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 Die politischen Beziehungen zwischen der DDR und der UdSSR Von Dr. Jens Hacker, Köln ......... . ......... ... .................... 137 Sicherheit zwischen Entspannung und Eindämmung Von Wolfram von Raven, Bonn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191
Die Beiträge dieses Bandes fußen auf Vorträgen, die auf der Wissenschaftlichen Jahrestagung des Göttinger Arbeitskreises am 17. und 18. April 1980 in Mainz gehalten wurden.
DAS GETEILTE DEUTSCHLAND UND DIE WELTPOLITISCHE LAGE Von Wilhelm Grewe Die Erklärung, mit der der Bundeskanzler am 20. März 1980 die Bundestagsdebatte "zur Lage der Nation" eröffnete, begann mit dem Satz: "Die Lage unserer geteilten Nation und die weltpolitische Entwicklung sind unlösbar miteinander verbunden." Dieser Satz läßt sich nach zwei Richtungen hin interpretieren. Man kann ihn einmal dahin verstehen, daß die Überwindung der deutschen Teilung nur im Zuge einer weltpolitischen Entwicklung denkbar ist, die dafür entsprechend günstige Voraussetzungen schaffen müßte; oder negativ ausgedrückt: daß sie ausgeschlossen bleibt, solange die gegenwärtige weltpolitische Konstellation (d. h. vor allem der Ost-WestGegensatz mit allen seinen Konsequenzen) fortbesteht. Dementsprechend endete die Erklärung des Bundeskanzlers mit der Feststellung: "Was die Zukunft der deutschen Nation betrifft, so müssen wir nüchtern feststellen, daß die politischen Konstellationen in der Gegenwart keine Möglichkeiten bieten, die Teilung Deutschlands in zwei Staaten zu überwinden." Niemand kann dem widersprechen. Man kann den Anfangssatz aber auch so verstehen, daß er besagen will: Die weltpolitische Entwicklung wird wesentlich von der Lage unserer geteilten Nation bestimmt (oder wenigstens beeinflußt). Diese Deutung enthielt einmal eine zutreffende Feststellung; heute trifft sie nicht mehr zu. 25 Jahre lang war das geteilte Deutschland ein für die weltpolitische Lage bestimmender Faktor. Das galt selbst im Augenblick unserer größten und vollständigsten Macht- und Hilflosigkeit: Das Kernstück des Potsdamer Abkommens von 1945 war die provisorische Regelung aller Deutschland betreffenden Angelegenheiten in einem von vier Besatzungsmächten regierten Restgebiet des Reiches. Marshall-Plan, Berlin-Blockade, Gründung der Bundesrepublik und der DDR bezeichnen Höhepunkte des kalten Krieges in den Jahren 1947-1949, die sich aus den Problemen des geteilten Deutschlands ergaben. 1954/55 standen diese Probleme auf der Tagesordnung der
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großen Viererkonferenzen von Berlin und Genf. 1958/61 beherrschten sie die jahrelange Krise, die mit Chruschtschows Ultimatum begann und in dem Bau der Berliner Mauer gipfelte. Als nach der Kuba-Krise von 1962 die allmähliche Wendung zur Entspannungspolitik begann, spielten auch dabei die deutschen Probleme eine entscheidende Rolle: Die in Reykjavik 1968 vom Westen vorgeschlagenen Verhandlungen über einen beiderseitigen ausgewogenen Truppenabbau zielten in erster Linie auf Deutschland- nicht anders als der Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen oder der sowjetische Vorschlag für eine europäische Sicherheitskonferenz. Anfang der siebziger Jahre noch beherrschten die deutschen Probleme den Verlauf der weltpolitischen Entwicklung: Ost-Verträge, BerlinAbkommen, Grundvertrag und KSZE waren entscheidende Elemente der Entspannungspolitik, die damals ihren Höhepunkt erreichte. Als diese Karten ausgespielt waren, wandelte sich die Szene sehr rasch: In der ersten Hälfte der siebziger Jahre, besonders ab 1975 (Helsinki) verschwand das geteilte Deutschland aus dem Sturmzentrum der weltpolitischen Entwicklung. Ich will damit nicht sagen, daß das politische Gewicht Deutschlands abgenommen hätte. Im Gegenteil, das Gewicht der Bundesrepublik hat zugenommen, aber es wirkt sich bei Problemen aus, die jenseits der deutschen Frage liegen: bei der Ordnung der Weltwirtschaft, beim Nord-Süd-Konflikt, in Namibia, in der atlantischen Rüstungspolitik In den Vordergrund der weltpolitischen Entwicklung rückten zunehmend andere Fragen: Vietnam, der Nahe Osten, Afrika, neuerdings Zentralasien. Dieser Abwendung des allgemeinen öffentlichen Interesses von den deutschen Fragen entspricht natürlich auch - und das ist der positive Aspekt dieser Entwicklung - eine Verlagerung der Krisenherde: sie liegen im Augenblick nicht mehr in Mitteleuropa, und diese für uns sicher erfreuliche Entwicklung hat viele deutsche Politiker dazu verführt, die in anderen Teilen der Welt existierenden Krisenherde weniger wichtig zu nehmen und sie für Störfaktoren zu halten, die uns nur sehr entfernt und mittelbar angehen. Darauf bauen sich politische Konzepte auf, die Afghanistan für einen Konflikt der Sowjetunion mit der Dritten Welt halten (oder zu halten vorgeben), der die Entspannung in Europa nicht berühren dürfe. Über Afghanistan später. Die augenblickliche Konzentration des Interesses der Weltöffentlichkeit auf Zentral-Asien (Iran, Afghanistan) darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß es eine Reihe anderer, gefährlicher Krisenherde auf der Welt gibt: Die Eroberung Kambod-
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schas durch die Vietnamesen ist keineswegs vollendet; die chinesischvietnamesische Spannung besteht fort (noch vor einigen Wochen hat der chinesische Staats- und Parteichef Hua Guo Feng den Vietnamesen mit einer neuen "Lektion" gedroht). Die weitere Konsolidierung der AseanGruppe ist das hoffnungsvollste Entwicklungselement in dieser Region. Außenminister Genscher hat das frühzeitig erkannt und sich ein großes Verdienst damit erworben, die Asean-Gruppe an die EG heranzuführen (Konferenz in Kuala Lumpur im März 1980). Kein akutes Krisengebiet ist gegenwärtig der Ferne Osten. Das Wort "akut" soll andeuten, daß ein latentes Krisenpotential auch in dieser Region nicht fehlt. Es ist vor allem in der nach wie vor spannungs- und konflikt-trächtigen Beziehung zwischen Nord- und Südkorea zu finden, deren undurchsichtige und mehrfach unterbrochene Wiedervereinigungs- und Ausgleichs-Gespräche kürzlich (am 1. April 1980) unter gegenseitigen Beschuldigungen betr. Grenzprovokationen wieder abgebrochen und vertagt wurden. Zwar hat die Ermordung des Diktators Park zu keinen innenpolitischen Erschütterungen geführt, die Nordkorea in Versuchung hätten führen können, im südlichen Nachbarland im Trüben zu fischen. Aber die innere Lage in Südkorea ist noch nicht konsolidiert und bleibt ungewiß. Der Abzug der amerikanischen Truppen ist gestoppt worden und dürfte nach den Ereignissen dieser Jahreswende kaum fortgesetzt werden. Es ist jedoch symptomatisch für die heutige Weltlage, daß die im Verlauf der Afghanistan-Krise vorgenommene amerikanische Flottenkonzentration im Indischen Ozean dazu geführt hat, daß es jetzt zum ersten Male seit dem Ende des Krieges keinen US-Flugzeugträger im Pazifik gibt. Sollte es in näherer Zukunft zu einem neuen Korea-Konflikt kommen, so wird nur der sowjetische Flugzeugträger "Minsk" in den Gewässern jener Region kreuzen. Die J apaner haben unter dem Eindruck des amerikanischen Disengagements nach dem Vietnam-Debakel zwar angefangen, in Verteidigungsfragen etwas realistischer zu denken als in vergangeneo Jahren, in denen sie glaubten, sich ohne jede Gegenleistung auf den militärischen Schutz der Vereinigten Staaten verlassen zu können und alle ihre Kräfte auf ihre wirtschaftliche Expansion konzentrieren zu können. Die Einstellung der japanischen Öffentlichkeit zu den eigenen (häufig als verfassungswidrig angesehenen) Streitkräften hat sich verändert, ist positiver geworden, die Verteidigungsanstrengungen sind intensiviert worden- aber sie sind immer noch weit davon entfernt, die Verminderung der amerikanischen militärischen Präsenz auch nur teilweise kompensieren zu können. Der japanische Verteidigungshaushalt steht immer noch bei 0,9 Ofo des BSP, mit Abstand der niedrigste Anteil weit
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und breit, wenngleich in absoluten Ziffern immerhin an 8. Stelle in der Welt dastehend. Die Ungeduld der Amerikaner, bei fortdauernden Handelsbilanzdefiziten im Verkehr mit dem asiatischen Wirtschaftsriesen den unzulänglichen Verteidigungsanstrengungen dieses Landes zuzusehen, dessen wirtschaftliche Existenz von seinen Seeverbindungen abhängt und dessen Energieversorgung zu 53 °/o auf Oleinfuhren aus der Golfregion beruht, ist deutlich im Wachsen. Wenn es im Gefolge der Afghanistan-Krise zu einer sinnvollen und langfristigen westlichen Gesamtstrategie kommen soll, so wird Japan dazu einen wesentlichen Beitrag leisten müssen. Ob sich die J apaner dazu ohne den Zwang eines regionalen Katastrophenfalles (wie z. B. eines neuen Koreakrieges oder eines sowjetisch-chinesischen Konflikts) durchringen werden, ist eine Frage, die sich noch immer nicht eindeutig beantworten läßt. Auch die bevorstehenden Unterhauswahlen, bei denen sich erneut entscheiden muß, ob sich die seit 25 Jahren regierende LDP allein am Ruder halten kann oder zu einer Koalition gezwungen sein wird, werden diese Frage nicht klären. Ungleich explosiver als im Fernen Osten ist und bleibt die Lage im Nahen Osten. Die neuerliche Reise von Sadat und Beginnach Washington zeigt deutlich, daß die vor 1112 Jahren in Camp David erzielte ägyptisch-israelische Verständigung nicht einmal im bilateralen Verhältnis zwischen beiden Partnern, geschweige denn im Verhältnis zur übrigen arabischen Welt, tragfähige Lösungen erbracht hat. Die Revolution im Iran hat sich auch auf die Chancen der Verbreiterung des ägyptisch-israelischen Separatfriedens negativ ausgewirkt: Khomeini hat nicht lange gezögert, Arafat einzuladen und für die Sache der Palästinenser und der arabischen Verweigerungsfront Partei zu ergreifen. Eines allerdings wird man festhalten dürfen: Wie schwierig auch immer die weiteren Verhandlungen zwischen Ägypten und Israel sein mögen - der Abschluß des Friedensvertrages, die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen und der inzwischen erreichte Stand der Annäherung zwischen beiden Staaten läßt praktisch die Möglichkeit eines neuen Krieges im Stile von 1967 oder 1973 als ausgeschlossen erscheinen - und damit auch das Risiko eines direkten sowjetischamerikanischen Zusammenstoßes, wie es damals in beiden Fällen bestanden hatte. Auch eine Rückkehr der Sowjets und ihres Einflusses nach Ägypten ist höchst unwahrscheinlich. Sadat ist auf sowjetische Waffen nicht mehr angewiesen und hat sich langfristig nach Amerika und West-Europa orientiert.
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Die arabische Welt um ihn herum bietet jedoch, aus westlicher Sicht, ein weniger günstiges Bild: In der Demokratischen Volksrepublik Jemen (Süd-Jemen, Aden) hat sich die Sowjetunion eine feste Plattform für vielfältige Zwecke geschaffen: für die Kontrolle des Roten Meeres, für die Einschüchterung der Republik Jemen und des Scheichturns Oman, für subversive Aktionen in Saudi-Arabien (wo die Besetzung der Moschee von Mekka höchstwahrscheinlich von Aden aus unterstützt, wenn nicht organisiert worden ist). Nicht ganz so folgsam wie die kommunistische Regierung in Aden, aber doch von Sowjet-Waffen abhängig, in ihrer Ideologie antiamerikanisch und daher aufgeschlossen für sowjetische Führung sind die halbsozialistischen Regime in Algerien, Libyen und Syrien. Der Irak, früher auf ähnlicher Linie liegend, befindet sich im Zustand einer allmählichen Lockerung seiner Bindungen an Moskau. Die früher überwiegend pro-westlichen oder ausgesprochen proamerikanischen arabischen Monarchien und Scheichtümer, vor allem Saudi-Arabien, Oman, die Vereinigten Emirate, Kuweit, aber auch Jordanien - sie alle leben im Schatten des Palästinenser-Problems, innerer sozialer Instabilität und schwindenden Vertrauens in die Verläßlichkeit und Effizienz amerikanischer Unterstützung. Für eine Festigung der westlichen Position in der Region des Persischen Golfes ist eine Bereinigung, zum mindesten Beruhigung der Palästinenser-Frage von größter Bedeutung und Tragweite. Die Politik des Westens steht daher vor dem Dilemma: Wie kann man, ohne Israel preiszugeben, einer Lösung dieser Frage näher kommen und damit das feindselig-skeptische Mißtrauen der arabischislamischen Völker dieser Region überwinden? Auch in anderen Weltgegenden sehen sich die Amerikaner - und z. T. wir mit ihnen- in einer ähnlichen Dilemma-Situation: Wie kann man, besonders nach der jüngsten Entwicklung in Zimbabwe-Rhodesien, den friedlichen Übergang zu schwarzen Mehrheitsregierungen fördern und das Eingreifen kuhaniseher und anderer kommunistischer Söldner verhüten, ohne zugleich den Untergang eines weißen Südafrika zu beschleunigen? Ein drittes Dilemma stellt sich den Vereinigten Staaten in Lateinamerika: Wie kann man die in ihrer sozialen Struktur dringend reformbedürftigen diktatorisch regierten Länder Mittel- und Südamerikas sanieren, ohne sie dem Kommunismus kuhaniseher Prägung in die Arme zu treiben? In Nicaragua ist diese Aufgabe verfehlt worden. San Salvador mag folgen. In den großen, unter Militärregimen lebenden Staaten des südamerikanischen Kontinents, in Brasilien, Argentinien,
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Chile, Peru - mögen die Fragestellungen differenzierter und komplexer sein - immer aber steht man vor dem Problem der unvermeidbaren Kooperation mit Regimen, die den demokratischen Überzeugungen der amerikanischen Öffentlichkeit zuwider sind. Ich kann hier nicht näher auf die Probleme Afrikas und Lateinamerikas eingehen, sondern werde mich jenen Ereignissen zuwenden, die im letzten Vierteljahr der weltpolitischen Entwicklung eine neue Wendung gegeben haben-d. h. der Krise um Afghanistan. Ich will mich nicht lange mit der Deutung der sowjetischen Motive für diesen Schritt aufhalten. Überwiegend ist man sich wohl einig darüber, daß diese Motive für die Beurteilung des Vorgangs nur von untergeordneter Bedeutung sind. Es spielt keine entscheidende Rolle, ob man die sowjetische Aktion als unausweichliche Konsequenz einer Zwangslage ansieht, in die der Kreml durch die akute Gefährdung des von ihm seit zwei Jahren unterstützten kommunistischen Regimes in Kabul geraten war - oder um einen planmäßigen Schritt auf dem Wege der Expansion zum Indischen Ozean hin und zur Beherrschung der Ölquellen der Golfregion. Auch wenn man die erste Deutung für wirklichkeitsnäher hält, bleibt die Tatsache unbestreitbar, daß die Besetzung Afghanistans objektiv auch weitreichenden Expansionszielen dienlich ist. Die inzwischen durchgeführte Dislozierung der sowjetischen Besatzungstruppen (die mehr an der relativ friedlichen WestGrenze zum Iran hin als in der umkämpften Ostregion zwischen Kabul und der pakistanischen Grenze am Kyber-Pass konzentriert sind) spricht dafür, daß man in Moskau diese Bedeutung des afghanischen Unternehmens nicht vernachlässigt. Der Westen steht jedenfalls (vgl. W. Wagner, Europa-Archiv 5/1980, S. 143) vor drei neuen Tatsachen: 1. Durch die Besetzung Afghanistans ist die Sowjetunion in den Besitz von Flughäfen gelangt, von denen aus ihre Kampfflugzeuge zu der für die Ölversorgung der westlichen Welt entscheidenden Straße von Hormuz nur noch die Hälfte des Weges zurücklegen müßten, den sie von Flugplätzen auf Sowjet-Territorium gehabt hätten. 2. Sowjetische Truppen stehen zum ersten Mal an der Grenze Pakistans. 3. Während Sowjettruppen bisher nur nördlich des Iran standen, können sie dieses Land künftig auch von Osten bedrohen.
Vor mehr als 70 Jahren, 1907, als England und Rußland ihren Vertrag über die Abgrenzung der beiderseitigen Einflußsphären in Persien schlossen und Afghanistan der britischen Einflußsphäre zugerechnet wurde, ging es um die Sicherheit Indiens. Nur unter diesem Gesichtspunkt war Afghanistan politisch für die Großmächte interessant. Heute ist es wegen seiner Bedeutung für die Kontrolle der Golfregion wieder
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wichtig geworden. Es läßt sich nicht leugnen, daß Moskau einer Kontrolle dieser Region und ihrer für die Energieversorgung der westlichen Welt entscheidend wichtigen Ölquellen einen erheblichen Schritt näher gekommen ist. Sollte es diese Kontrolle ganz in seine Hände bekommen, so wäre die wirtschaftliche Existenz der westlichen Welt von Moskau abhängig. Und da eine moderne Kriegsmaschine nicht ohne Öl funktioniert, könnte auch diese von Moskau aus gelähmt werden. Eine solche Situation, in der der Westen ohne jeden direkten Schußwechsel mit der Sowjetunion in seinem Lebensnerv getroffen und wehrlos gemacht werden könnte, hat es bisher noch nie gegeben. Es war zwar übertrieben, wenn Präsident Carter den Einfall der Russen in Afghanistan das gefährlichste Ereignis seit dem 2. Weltkrieg nannte; aber es war nicht übertrieben, wenn er etwas später, sich selbst korrigierend, sagte, aus der Afghanistan-Krise könne sich die gefährlichste Situation seit 1945 entwickeln. Eine der bedenklichsten Nebenfolgen dieser die Lebenslinie des Westens bedrohenden Krise ist ihre die Solidarität und politische Geschlossenheit des Atlantischen Bündnisses zersetzende Wirkung. Amerika ist enttäuscht über die mangelhafte Solidarität der europäischen Verbündeten. Soweit sie wenigstens verbal die Position der Vereinigten Staaten unterstützt hätten, hätten sie doch keine Bereitschaft gezeigt, ihren Worten entsprechende Taten folgen zu lassen. Viele Europäer andererseits glauben, daß die Amerikaner einer Überreaktion anheimgefallen seien; daß die Ereignisse in Afghanistan eine bewußte Preisgabe der Entspannungspolitik und eine Gefährdung ihrer Errungenschaften nicht rechtfertigten; daß die amerikanische Regierung es wieder einmal an Unterrichtung und Konsultation der verbündeten Regierungen habe fehlen lassen und daß sie es bisher nicht vermocht habe, diese davon zu überzeugen, daß hinter ihren Worten und Maßnahmen eine wohldurchdachte und erfolgversprechende langfristige Strategie stehe. Diese gegenseitige Kritik ist beiderseits nicht unbegründet. Was die Solidarität der Europäer anlangt, so bemühte sich unter den europäischen Regierungen Margaret Thatchers konservative Regierung am stärksten, sich der amerikanischen Politik anzupassen, insbesondere mit ihrer raschen und dezidierten Zustimmung zum Boykott der Olympischen Spiele in Moskau. Die stärkste Distanz zu Washington wahrte die französische Regierung, die sich nicht scheute, den Plan eines informellen europäisch-amerikanischen Außenminister-Treffens in Bonn zu Fall zu bringen, nachdem dieser Plan von Washington vorzeitig bekannt gegeben worden war, noch dazu in einer Form, die den
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französischen Vorstellungen von dem Charakter dieses Treffens nicht entsprach. Die Banner Regierung bewegte sich auf einer mittleren Linie, wich einer frühzeitigen Festlegung auf den Olympia-Boykott aus, erklärte sich zwar entschlossen, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um zu verhindern, daß deutsche Lieferungen die Lücken ausfüllten, die durch amerikanische Wirtschaftssanktionen verursacht würden, begrenzte jedoch zugleich die Bereitschaft, sich an solchen Sanktionen zu beteiligen (Maßnahmen nur im Rahmen der Cocom-Vereinbarungen, keine Verletzung laufender Verträge, keine Einstellung der HermesBürgschaften). Auf nachdrückliches Insistieren Washingtons beschloß die Bundesregierung schließlich, die schon vor Jahren von allen NATOStaaten zugesagte Erhöhung der Verteidigungsausgaben um 3 Ofo durchzuführen, ließ jedoch zugleich durchblicken, daß sie die für die Türkei bestimmte Finanzhilfe auf ihren Verteidigungsbeitrag anzurechnen gedenke. Alles dieses war kein besonders eindrucksvolles Lehrstück an Bündnissolidarität. Andererseits müssen sich die Amerikaner sagen lassen, daß sie keinen Grund hatten, sich von Moskau getäuscht, betrogen und hinterlistig mit einem Überraschungscoup übertölpelt zu fühlen. Seit fast 2 Jahren war in Kabul ein von Moskau gestütztes kommunistisches Revolutionsregime an der Macht. Jedermann konnte im Laufe des Jahres 1979 erkennen, daß es sich aus eigener Kraft nicht mehr lange gegen den Widerstand der islamisch gesinnten Bevölkerungsmehrheit und ihrer kampferprobten Partisanen würde halten können. Kein sowjetischer Führer hat je auf das Prinzip des proletarischen Internationalismus und der damit implizierten "brüderlichen Hilfe" für bedrohte kommunistische Regierungen verzichtet. Keiner hat sich darauf festgelegt, daß die Breschnew-Doktrin nicht auch außerhalb des Ost~ blocksAnwendungfinden könnte. Jugoslawien und Chinesen haben das stets befürchtet. Der Versuch der von Nixon und Kissinger betriebenen Entspannungspolitik, die Sowjets zu zügeln, zu mäßigen, sie an gewisse Spielregeln zu binden, blieb ein einseitiger Versuch, der keinen Erfolg hatte: Moskau hat diese Spielregeln nie akzeptiert. Es gab also keinen Grund, sich wegen eines Verstoßes dagegen überrascht oder getäuscht zu fühlen. Wenn Carter in den ersten Tagen des Schocks sagte, seine Ansichten über die Russen hätten sich in einer Woche mehr geändert als in der gesamten voraufgegangenen Zeit seiner Präsidentschaft, so war das nichts anderes als das Eingeständnis einer jahrelangen Fehleinschätzung von bestürzendem Ausmaß. Die unangenehme Wahrheit ist, sagt Prof. Robert W. Tucker (Johns Hopkins University) im letzten Heft von "Foreign Affairs", Vol. 58,
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No. 3, p. 481), "daß wir uns selbst betrogen haben, und das ist einer der Gründe, vielleicht der tiefste, für unsere Empörung". Daß aus einer solchen Desillusionierung leicht eine Überreaktion folgt, ist die Befürchtung vieler Europäer. Die Konsultation und Unterrichtung der Verbündeten über geplante und öffentlich verkündete Maßnahmen war unzulänglich, wie von den meisten amerikanischen Beobachtern (soweit sie nicht selbst der Administration angehören) zugegeben wird. Der Tatbestand als solcher ist nicht neu. Schon in den fünfziger Jahren hatten wir immer wieder Grund, uns über Konsultationsmängel zu beklagen. Jeder neue Präsident gelobte Besserung und verfiel nach kurzer Zeit in die alten Gewohnheiten - nicht aus Willkür oder Arroganz, sondern infolge einer Zwangsläufigkeit, die sich aus den Besonderheiten des political process und des decision making in den USA ergeben. Aber diese Zwangsläufigkeit macht die Sache für die Verbündeten nicht besser. Noch gewichtiger als dieser prozedurale Mangel ist naturgemäß der auf die Substanz der amerikanischen Politik bezogene Zweifel am Bestehen eines durchdachten, langfristigen, realisierbaren Konzepts, einer überzeugenden Strategie. Eine solche ist in der Tat bisher in den amerikanischen Reaktionen nicht sichtbar geworden. Die Schwäche dieser Kritik besteht nur darin, daß auch von europäischer Seite nichts Überzeugendes geboten worden ist. Daß die Entspannungspolitik fortgesetzt werden müsse, daß ihre Errungenschaften nicht gefährdet werden dürften, daß man Spannungen aus anderen Regionen nicht nach Europa importieren solle - das sind alles ziemlich nichtssagende und Hilflosigkeit verratende Redensarten, solange man nicht genauer zu sagen vermag, was "Entspannung" künftig noch bedeuten kann - angesichts eines Gegenspielers, der seine forcierte Rüstungspolitik ungehemmt fortsetzt; der die Fortsetzung von Rüstungskontrollgesprächen verweigert; der jede Gelegenheit benutzt, das globale Gleichgewicht der Macht zu verändern und dabei auch militärische Mittel einzusetzen, soweit sie nicht zum direkten Zusammenstoß mit der anderen Supermacht führen; der möglicherweise zu der Überzeugung gelangt ist, daß sie ihm bereits einen beträchtlichen Vorsprung verschafft hat; und dem der Abbruch der Entspannungspolitik möglicherweise sogar erwünscht ist, um freie Hand für eine straffere politische Disziplinierung im Inneren und im Bereiche des osteuropäischen Hegemonialverbandes zu gewinnen. Eine kohärente und sinnvolle, zwischen US und den europäischen Verbündeten abgestimmte Strategie müßte eine konkrete Zielvorstel-
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lung entwickeln. Sie sollte die in den Bereich des Utopischen gehörende Vorstellung beiseite lassen, man könne die Rote Armee aus Afghanistan wieder herausmanövrieren. Dafür gibt es keine reale Möglichkeit und es heißt die Intelligenz der Öffentlichkeit beleidigen, wenn man ihr den Olympia-Boykott als denkbares Instrument zur Erreichung dieses Zieles hinstellte. Auch Neutralisierungs- und ähnliche Projekte sind nicht geeignet, die Sowjets zum Rückzug zu veranlassen. Ich will damit nicht sagen, daß es sinnlos sei, solche Forderungen zu erheben. Aber sie stehen etwa auf der gleichen Ebene wie die Forderung nach Beseitigung der Berliner Mauer: jeder, der die Funktionsgesetze kommunistischer Herrschaft kennt, wußte, daß die Mauer bleiben werde; ebenso weiß er, daß auch die sowjetische Besatzungsarmee in Afghanistan bleiben wird. Es kann also nur darum gehen, sich Gedanken darüber zu machen, wie man eine weitere Expansion der Sowjetmacht in dieser Region verhüten kann. Was man die "Carter-Doktrin" genannt hat (der vom Präsidenten in seiner State of the Union-Message vom 23. Januar verkündete Grundsatz, daß jeder Versuch einer auswärtigen Macht, die Kontrolle über die Region des Persischen Golfes zu erlangen, als ein Angriff auf die lebenswichtigen Interessen der Vereinigten Staaten betrachtet und daß er unter Einsatz aller notwendigen Mittel einschließlich militärischer Macht, zurückgewiesen werden wird) ist einstweilen nur eine leere Deklamation, denn es ist nicht zu erkennen, wie die Vereinigten Staaten ihr militärisch Nachdruck verleihen könnten. Der dafür erforderliche mobile Eingreifverband, den man seit langem projektiert, existiert vorerst nur in Ansätzen; die für eine Auseinandersetzung über tausende von Kilometern Entfernung erforderlichen Lufttransportkapazitäten sind nicht vorhanden; eine ausreichende landgestützte Flottenpräsenz im Indischen Ozean ist nicht gegeben. Daß die NATO-Verbündeten bisher keine Neigung zeigten, sich außerhalb des NATO-Vertragsgebietes militärisch zu engagieren, haben sie überdeutlich zum Ausdruck gebracht. Welche Konsequenzen ergeben sich daraus- etwa die, daß man sich auf eine politisch-wirtschaftliche Gegenstrategie beschränken müsse? Das hieße wohl das Kind mit dem Bade ausschütten. Wenn es eine Lehre gibt, die aus der afghaniseben Krise zu ziehen ist, dann ist es die, daß es für militärische Machtmittel keinen Ersatz gibt und daß es von Anfang an ein verhängnisvolles Gebrechen der westlichen Entspannungspolitik war, daß sie die im Harmel-Bericht von 1967 als Grundprinzip aller Entspannung proklamierte Gleichrangigkeit und Gleichzeitigkeit von detente und defense nicht ernst nahm, sondern die Verteidigung vernachlässigte. Worauf es ankommt, ist also eine Wiederher-
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stellung des im Augenblick gestörten militärischen Gleichgewichts und die Herstellung militärischer Aktionsfähigkeit des Westens in allen Krisengebieten von weltpolitischer Bedeutung. Dieses Ziel müßte gerade auch dann verfolgt werden, wenn man eine Wiederaufnahme der Entspannungspolitik (in geläuterter Form) für wünschenswert hält. Äußerungen des Bundeskanzlers (auf dem Rückflug von Washington Mitte März 1980) über den Verlust des globalen Gleichgewichts und die dadurch bewirkte Gefährdung der Entspannungspolitik deuten in diese Richtung. Indessen kann es sich bei der Korrektur dieser Fehlentwicklung nur um einen Prozeß von längerer Dauer handeln, der vor (etwa) 1985 kaum greifbare Resultate erwarten läßt. Deshalb werden in der unmittelbar vor uns liegenden Zukunft politische und wirtschaftliche Gegenzüge im Vordergrund stehen müssen und man wird gut daran tun, mit der Androhung militärischer Machtmittel sehr vorsichtig und sparsam umzugehen. Es würde zu weit führen, hier auf die Wirksamkeit und den Wert von Wirtschaftssanktionen oder eines Olympia-Boykotts einzugehen, oder zu prüfen, was für Pakistan oder die Türkei oder andere Länder der gefährdeten Region geschehen sollte, um eine weitere Ausdehnung sowjetischen Einflusses einzudämmen. Entscheidend ist, daß die Europäer erkennen und anerkennen, daß in der Region des Persischen Golfes auch und gerade ihre eigenen Lebensinteressen auf dem Spiele stehen; daß sich alle, aber vor allem die Amerikaner bemühen, durch eine konsequente und rigorose Energiepolitik die Abhängigkeit der westlichen Industrienationen vom nahöstlichen Öl abzubauen; daß man zu einer gemeinsamen politischen Planung gelangt, die von allen Verbündeten mitgetragen wird und die geeignet ist, die lädierte Bündnissolidarität wiederherzustellen, ohne die keine Eindämmungspolitik möglich ist. Damit komme ich auf den Ausgangspunkt dieses Referats zurück, nunmehr konkretisiert in der Fragestellung: Welche Zusammenhänge gibt es zwischen der Afghanistan-Krise und der Lage des geteilten Deutschland? Wenn schon seit dem Abschluß der Ost-Verträge das Thema "Wiedervereinigung" praktisch von der Bildfläche verschwunden war, so ist es durch die jüngste Verschärfung des Ost-West-Gegensatzes noch weiter in den Hintergrund getreten. Im gegenwärtigen weltpolitischen Klima ist eine Überwindung der deutschen Teilung mehr denn je unvorstellbar. Überraschend war, daß die Afghanistan-Krise nicht rascher und gründlicher auf das Verhältnis Bundesrepublik/DDR durchgeschlagen 2 Grewe u. a.
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hat. Zwar wurde die vorgesehene Begegnung Schmidt-Honecker aufgeschoben. Indessen geschah dies in einer Form, die das Interesse beider Seiten erkennen ließ, nichts zu verschütten. Bemühungen um den Abschluß der Verhandlungen über eine Verbesserung der Transitverkehrswege und des Gewässerschutzes und Begegnungen und Äußerungen auf der Leipziger Messe (9. März) verstärkten diesen Eindruck. Man wird daraus nicht folgern dürfen, daß die deutsch-deutschen Beziehungen von den Auswirkungen der Krise unberührt bleiben könnten. Überwiegend wird denn auch angenommen, daß spätestens init der Entscheidung über den Olympiaboykott der Zeitpunkt kommen wird, an dem das Krisenklima auf diese Beziehungen durchschlägt. Wie auch immer diese Entwicklung verlaufen mag - das gegenwärtige Zwischenspiel beleuchtet einen neuartigen weltpolitischen Aspekt der deutschen Frage: das vitale Interesse der Bundesrepublik an der Aufrechterhaltung des Geflechts der Beziehungen mit der DDR und der Regelungen des Berlin-Verkehrs nach dem Viermächte-Abkommen spielt in allen Überlegungen und Argumentationen jener regierungsnahen Politiker und Publizisten eine entscheidende Rolle, die uns und den Amerikanern zu erklären versuchen, inwiefern deutsche und amerikanische Interessen infolge der Entwicklungen des letzten Jahrzehnts nicht mehr identisch seien und weshalb es der deutschen Außenpolitik nicht möglich sei, bei der Preisgabe der Entspannungspolitik der amerikanischen zu folgen. Am Ende dieser Argumenten-Kette steht meist der Satz: zur Entspannungspolitik gebe es keine Alternative. Gelegentlich ist sogar das Argument zu hören: Nicht nur die Amerikaner hätten auf ihre 50 Geiseln in der USA-Botschaft in Teheran Rücksicht zu nehmen - auch wir hätten das Schicksal von Geiseln zu bedenken, nämlich von Millionen von Geiseln in der DDR. Wenn uns die deutsch-deutschen Beziehungen und das Berlin-Abkommen tatsächlich in einen Zwang zur Entspannungspolitik ohne Alternative geführt haben, dann hätte uns auch diese neue Deutschland-Politik wieder in eine Lage gebracht, die man mit der Preisgabe der früheren Deutschlandpolitik gerade hatte überwinden wollen. Sie werden sich daran erinnern, daß man ein Kernstück der früheren Deutschlandpolitik, die Hallstein-Doktrin, gerade auch deswegen kritisiert hatte, weil sie die Bewegungsfreiheit der deutschen Außenpolitik zu sehr eingeengt habe: Bonn habe sich damit der Möglichkeit beraubt, in den Hauptstädten Osteuropas diplomatisch präsent zu sein und habe sich in der dritten Welt ständiger Erpressbarkeit ausgesetzt. Die Drohung mit der Aufnahme diplomatischer Beziehung zur DDR habe genügt, um es zweifelhaften Wünschen gefügig zu machen. Diese Kritik war nicht unbegründet; sie traf ohne Zweifel den schwächsten Punkt
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der damaligen Deutschlandpolitik. Aber man wird sich die Frage stellen müssen, ob wir uns eigentlich in einer besseren Lage befinden, wenn wir die Verkehrsverbesserungen mit der DDR und Berlin so hoch bewerten, daß man uns jeden Tag mit der Drohung erpressen kann, sie wieder einzuschränken. Daß die Erpressung jetzt nicht von Staaten der dritten Welt, sondern von Ost-Berlin oder Moskau ausgehen würde, macht sie sicher nicht harmloser. Noch weniger ist es ein Trost, daß wir für diese Verkehrsverbesserungen mit politischen Preisen bezahlt haben, die sich nicht wieder zurückfordern lassen, wenn die andere Seite ihre vertraglichen Leistungen einstellt oder drosselt. Es ist nicht das Ziel und die Absicht dieser Bemerkungen, die Gewinne und Vorteile zu leugnen, die durch den Grundvertrag und das Berlin-Abkommen für den innerdeutschen Verkehr erzielt worden sind. Es scheint mir nur notwendig, genauer den Stellenwert zu definieren, den sie haben- und den sie nicht haben dürfen. Abgesehen davon, daß eine Politik fragwürdig ist, die sich mit Geiseln erpressen läßt (was manche Amerikaner immer noch nicht begriffen haben), sollte vor allem die völlig schiefe und unangebrachte Analogie mit den "Millionen Geiseln" in der DDR verschwinden. Keine dieser angeblichen Geiseln befindet sich in Lebensgefahr. Was passieren kann, ist, daß weniger Rentner nach Westdeutschland und weniger Westdeutsche aller Altersstufen in die DDR reisen können und daß der Zugang nach und von Berlin wieder beschwerlicher wird. Das alles wäre bedauerlich, aber keine Katastrophe, und auch der Fortbestand der deutschen Nation hängt davon nicht ab. Es ist an der Zeit, diese Dinge in den richtigen Proportionen zu sehen und sie von dem sentimentalen Schwulst zu befreien, mit dem sie in unserer Publizistik hochgespielt werden. Es mag sehr wohl sein, daß die Afghanistan-Krise eine Entwicklung eröffnet, in der es um die künftige Kontrolle der wichtigsten Erdölregion der Welt und damit um die wirtschaftliche Lebensfähigkeit der westlichen Industrie-Nationen einschließlich der Bundesrepublik Deutschland geht. In einer Auseinandersetzung dieser Dimension wären Reiseerleichterungen im innerdeutschen Verkehr eine inkommensurable Größe. Wer ihre Bewahrung nur als Vorwand benutzt, um sich von einer unglaubwürdig gewordenen amerikanischen Führung abzukoppeln, treibt ein gefährliches Spiel. Abkoppelung ist immer noch etwas, was die Europäer und vor allem die Deutschen mehr zu fürchten haben als die Amerikaner. Wir stehen an einem kritischen Wendepunkt der weltpolitischen Entwicklung: Amerika hat das Vietnam-Watergate-Syndrom ausgeheilt; es ist nüchterner, illusionsloser, aktionsbereiter geworden. Aber seine 2•
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politische Führung ist auf einen Tiefpunkt gesunken und ist zudem bis Anfang 1981 wahlpolitisch fixiert. Die Europäer sehen nur diese Führungsschwäche und haben es noch nicht vermocht, sich auf die Regeneration des nationalen Selbstbewußtseins und des politischen Geltungswillens der Amerikaner einzustellen und die Möglichkeiten zu nutzen, die sich daraus ergeben. Die Entwicklung kann sich rasch beschleunigen. Sie kann auf zwei Gefahrenpunkte zulaufen: Entweder der Westen läßt die Dinge treiben, d. h. er läßt die inneratlantischen Differenzen weiter wuchern und das militärische Kräfteverhältnis sich weiter verschlechtern. Dann werden wir in Kürze weitere Afghanistans und einen rapiden Machtverfall des Westens erleben. Oder es rafft sich zu politischer Geschlossenheit und energischer Stärkung seiner militärischen Machtmittel auf. Falls die Sowjets eine solche Wendung befürchten müßten, wäre die Gefahr am größten, weil sie versucht sein könnten, ihr zuvorzukommen.
DIE STELLUNG DER BEIDEN TEILE DEUTSCHLANDS IN DER WELTWIRTSCHAFT Von Karl C. Thaiheim Die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands im 19. und 20. Jahrhundert war ohne ein erhebliches Maß weltwirtschaftlicher Verflechtung nicht denkbar. Vor Beginn der großen Weltwirtschaftskrise, im Jahre 1928, betrug der Gesamtumsatz des deutschen Außenhandels rd. 26 Milliarden Reichsmark. Damit stand das Deutsche Reich im Welthandel an 3. Stelle hinter den USA (38 Milliarden) und Großbritannien (37 Milliarden)!. Vor dem Ersten Weltkrieg nahm Deutschland ebenfalls die dritte Stelle bei den langfristigen Kapitalinvestitionen im Ausland hinter Großbritannien und Frankreich ein, damals noch vor den USA. An vierter Stelle stand es hinter den USA, Großbritannien und Japan bei dem Raumgehalt der Handelsflotte in BRT2 • Die weltwirtschaftliche Bedeutung des damaligen Deutschen Reiches war entscheidend dadurch begründet, daß es zu der Spitzengruppe der entwickelten Industrieländer gehörte. Inwieweit die Intensität der weltwirtschaftliehen Verflechtung in den einzelnen Teilen Deutschlands unterschiedlich war, ist mangels entsprechender statistischer Unterlagen nicht feststellbar. Es ist jedoch sehr wahrscheinlich, daß diese in der Zwischenkriegszeit bei den Teilen des ehemaligen Deutschen Reiches, die heute zur DDR gehören, nicht geringer war als bei den Gebieten der heutigen Bundesrepublik. Sachsen und Thüringen sind alte Industriegebiete und waren schon frühzeitig auch exportorientiert, außerdem für die Versorgung mit vielen Rohstoffen, z. B. für die Textilindustrie, auf Importe angewiesen. Nach der industriellen Produktionsstatistik von 1936 waren die Länder Sachsen, Thüringen und die preußische Provinz Sachsen zusammen am Nettoproduktionswert der Industrie des Reiches mit 19,4 v. H., am Wert der Industrieausfuhr mit 19,7 v. H. beteiligt3 • Diese Feststellung einer damals mindestens gleichmäßigen Außenhandelsintensität ist wichtig für die Beurteilung der Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg und des heutigen Standes; diese sind gleichQuelle: Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1929, 8.186, 81*, 84*. Ebd., S. 72*. a Quelle: Die deutsche Industrie. Gesamtergebnisse der amtlichen Produktionsstatistik. Berlin 1939. S. 114 und 123. t
1
22
Karl C. Thaiheim
zeitig auch wichtige Indizien für die ökonomische Effizienz der Wirtschaftssysteme in den beiden Teilen Deutschlands. Der hohe Grad weltwirtschaftlicher Verflechtung vor dem Zweiten Weltkrieg bzw. dem Dritten Reich war hauptsächlich durch 5 Ursachen bestimmt: 1. Die Versorgung mit Rohstoffen und Energieträgern war nur in beschränktem Umfange aus dem eigenen Land möglich.
2. Dasselbe galt- teilweise- für die Ernährung der Bevölkerung. 3. Da Einfuhr von Energieträgern, Rohstoffen und Nahrungsmitteln bezahlt werden muß, war eine entsprechende Ausfuhr notwendig, die bei den strukturellen Voraussetzungen in Deutschland im wesentlichen nur Ausfuhr von Industrieerzeugnissen sein konnte. Außerdem war diese Ausfuhr auch notwendig für den Absatz des die einheimische Nachfrage übersteigenden Teils der Produktion (vor allem der industriellen) und zur Sicherung der mit dem Export verbundenen Arbeitsplätze. 4. Weltwirtschaftliche Verflechtung bedeutete Ausnutzung der Vorteile der internationalen Arbeitsteilung (z. B. Spezialisierung im Maschinenbau). 5. Der hohe Entwicklungsstand der deutschen Volkswirtschaft führte zur Nachfrage nach ausländischen "Luxus"-Erzeugnissen (z. B. auch Südfrüchte, Weine) sowie infolge des reichlichen Kapitalangebotes zu Kapitalausfuhr. Nach der - im wesentlichen gescheiterten - Autarkiepolitik des Nationalsozialismus, dem Zweiten Weltkrieg und den Demontagen der ersten Nachkriegsjahre, die besonders in der sowjetischen Besatzungszone und in Berlin große Teile des industriellen Produktionsapparates aus Deutschland entfernten, vollzog sich die Wiedereingliederung der Bundesrepublik und der DDR in außenwirtschaftliche Beziehungen zunächst langsam. Drei Punkte waren für die unterschiedliche Entwicklung wesentlich: 1. Das Bundesgebiet ging 1948 zur "sozialen Marktwirtschaft" über, während in der SZB/DDR das sowjetische System der "sozialistischen Planwirtschaft" übernommen wurde. Zur letzteren gehört das staatliche Außenwirtschaftsmonopol, das nicht nur Außenhandelsmonopol ist, sondern grundsätzlich alle außenwirtschaftliehen Beziehungen umfaßt. Dieses schaltet zwar auf der Exportseite den u. U. preisdrückenden Wettbewerb aus, macht aber den Exportapparat sehr viel schwerer beweglich und sehr viel weniger anpassungsfähig, als es ein privatwirtschaftlicher Außenhandel ist.
Die Stellung der beiden Teile Deutschlands in der Weltwirtschaft
23
2. Durch die Entstehung zweier Staaten in Deutschland (abgesehen von den an die Sowjetunion gefallenen bzw. unter polnische Verwaltung gestellten deutschen Ostgebieten, die Überschußgebiete für Agrarerzeugnisse und durch die Steinkohle in Oberschlesien auch für Energieträger waren) wurden die Entwicklungsvoraussetzungen in der SBZ/DDR ungünstiger als in Westdeutschland. An eigenen Energieträgern hat die DDR nur Braunkohle und etwas Erdgas, die Bundesrepublik immerhin neben Braunkohle auch beträchtliche Steinkohlenvorräte sowie Erdgas und etwas Erdöl. Im Hinblick auf die Importe von Energieträgern und Rohstoffen sowie auf die für deren Bezahlung notwendigen Exporte müßte also eigentlich der Außenhandelsumsatz je Kopf in der DDR größer sein als in der Bundesrepublik, was aber, wie zu zeigen sein wird, keineswegs der Fall ist. 3. Beide Teile Deutschlands wurden verhältnismäßig bald in multinationale Zusammenschlüsse einbezogen: die Bundesrepublik 1951 in die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (Montanunion), 1957 in die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), die DDR 1950 in den Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW). Beide Zusammenschlüsse sind jedoch recht unterschiedlich: der RGW ist keineswegs ein "gemeinsamer Markt" der Ostblockstaaten, wenn auch eines seiner Hauptziele eine möglichst weitgehende Orientierung seiner Mitgliedsländer auf den Intrablockhandel ist. Außerdem strebt er die Koordinierung der einzelstaatlichen Volkswirtschaftspläne sowie eine "internationale sozialistische Integration" an. Der RGW ist zwar keine supranationale Organisation, steht jedoch unter dem überragenden Einfluß der Führungsmacht Sowjetunion. Dagegen ist das Ziel der EWG ein "gemeinsamer Markt"; in seinen Grenzen sind Integration und Arbeitsteilung das Ergebnis marktwirtschaftlicher Vorgänge. Er ist auch z. T. eine supranationale Institution insofern, als Abkommen, die die Handelsbeziehungen der Mitgliedsländer mit Drittländern regeln, nur durch die Gemeinschaftsorgane verhandelt und abgeschlossen werden. Die verschiedenen Etappen der Entwicklung seit Kriegsende gesondert darzustellen, ist an dieser Stelle weder beabsichtigt noch möglich; ich muß mich auf die gegenwärtigen Ergebnisse beschränken. Deren Ermittlung und Analyse wird dadurch erheblich erschwert. daß die statistischen Schwierigkeiten bei der DDR unvergleichlich viel größer sind als bei der Bundesrepublik, und zwar aus folgenden Gründen: 1. Die DDR veröffentlicht über weit weniger Gebiete überhaupt offi~ zielle Statistiken. Die Zahlungsbilanz, die monetäre Zusammenfassung aller außenwirtschaftliehen Vorgänge, ist in der DDR absolute Geheimsache; ebensowenig werden durch die Staatliche Zentralverwaltung für
Karl C. Thaiheim Statistik oder die Staatsbank Angaben über den Umfang ausländischer Kredite veröffentlicht. 2. Sehr spärlich sind die Angaben über den Außenhandel. Es ist besonders charakteristisch, daß seit 1976 (zuerst bezogen auf die Außenhandelszahlen 1975), also nachdem 1975 auf der KSZE in Helsinki eine Verbesserung des Informationsaustausches über den Außenhandel beschlossen worden war, die Außenhandelsstatistik der DDR nur noch Umsatzzahlen veröffentlicht, die nicht mehr nach Ein- und Ausfuhr getrennt sind. Offenbar soll dadurch die Passivität des Außenhandels der DDR vor allem gegenüber den entwickelten westlichen Industrieländern verschleiert werden. 3. Auch diese spärlichen Angaben werden nicht in tatsächlichen Preisen, sondern in einer künstlichen Recheneinheit, der Valutamark (VM) angegeben. Es ist unbekannt, wie diese intern verrechnet wird. Ich rechne im folgenden mit einem Verhältnis der Valutamark zur DM von 1 : 1, was jedoch mit Sicherheit zu günstig für die DDR ist. 4. Die DDR rechnet den Innerdeutschen Handel in den Außenhandel ein, obwohl nach dem Zusatzprotokoll zum Vertrag von Rom über die Gründung der EWG der Handel zwischen DDR und Bundesrepublik keinen besonderen Bestimmungen unterliegt, d. h. also nicht als Außenhandel behandelt wird. Es ist kennzeichnend, daß die DDR hier - und nur hier - stillschweigend die Existenz "besonderer Beziehungen" zwischen der DDR und der Bundesrepublik anerkennt, weil sie davon wirtschaftliche Vorteile hat. Auf der Basis der DDR-Statistik ist seine Ausgliederung nur beim Gesamtumsatz möglich. Der Außenhandelsumsatz in beiden Teilen Deutschland hat sich folgendermaßen entwickelt4 : DDR (VM) Bundesrepublik (DM) in Millionen 1949 1978
2 702 96 879
11982 528 614
Er ist also in der DDR auf das 36fache, in der Bundesrepublik auf das 44fache gestiegen (was natürlich zum nicht geringen Teil als Ergebnis der Preissteigerungen in diesen 30 Jahren anzusehen ist). Die wesentlich günstigere Entwicklung für die Bundesrepublik zeigen die Prokopfquoten 1978: ' Quelle für 1949: Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland 1952, S. 235; Statistisches Jahrbuch der Deutschen Demokratischen Republik 1979, S. 232.
Die Stellung der beiden Teile Deutschlands in der Weltwirtschaft
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DDR (VM)
Bundesrepublik (DM)
5 783 2 756 3 027
8 618 4645 3 973
Außenhandelsumsatz .. .... . . . ... .... . . Ausfuhr Einfuhr ............................. .
Die Prokopfquote des Außenhandelsumsatzes in der DDR machte also 67,2 v. H. der Bundesrepublik aus, die der Ausfuhr 59,3 v. H., die der Einfuhr 76,2 v. H. (Diese Rechnung ist, wie oben gesagt, für die DDR zu günstig, weil dabei 1 VM = 1 DM gesetzt ist.) Dieses Verhältnis entspricht, wie oben ausgeführt wurde, nicht den tatsächlichen Notwendigkeiten der DDR. Nach den im Statistischen Jahrbuch Polens bzw. im (russischen) Statistischen Jahrbuch der Mitgliedsländer des RGW gemachten Angaben verteilte sich der Außenhandelsumsatz der DDR in den Jahren 1977 u nd 1978 folgendermaßen (einschließlich Innerdeutscher Handel, in Milliarden VM):
Export . . .... ............... .... ............ . Import . . .. ....... ... ...... .. .. ... . . .. ... .. . .
1977
1978
41,84 49,88
46,17 50,71
Die folgenden Zahlen zeigen die weltwirtschaftliche Position der DDR bei Einfuhr und Ausfuhr der weltwirtschaftlich führenden Länder im Jahre 1977 (in Milliarden DM, für die DDR in Milliarden Valutamark)5: Ausfuhr
Einfuhr 1. USA 2. Bundesrepublik •••
3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11.
•••••••
•••
0
•••
0
Deutschland ..... ... . . . . Japan . .. ..... ... ... . ... Frankreich ... ... . ... . . Großbritannien Italien • ••••••• •• • • •• 0. Niederlande Sowjetunion ... . .. . . . . Belgien-Luxemburg . ... Kanada . ... .. .... ..... DDR •
••
•
••
•
•
0
0
•
••
•
•
•
•
0
•
•
•
•
0
•
•
0
•
••
.
••
•
•••
•
••
343,0 235,2 164,3 163,5 147,8 110,3 105,8 94,7 93,4 91,7 50,7
........... .......
278,8
Deutschland ...... . .... . Japan . ............. .... Frankreich . .......... . Großbritannien Sowjetunion ... . ........ Italien Niederlande . ........... Saudi-Arabien .......... Kanada . ... ............ 11. Belgien-Luxemburg . ... 12. Iran . ... ........ . ....... 13. DDR
273,6 186,7 147,3 133,4 104,8 104,5 101,3 100,8 96,4 87,0 56,2 46,2
1. USA 2. Bundesrepublik
3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10.
•
•
••••
•••
••
0
••
•
•
••
0
0
••••••
•••••••
••••
•
•
•••
26
Kar! C. Thaiheim
Im Jahr 1977 stand danach im Weltexport die Bundesrepublik an 2. Stelle aller Länder ganz knapp hinter den USA, die DDR an 13. Stelle. Im Weltimport stand die Bundesrepublik ebenfalls an 2. Stelle, die DDR an 11. Stelle8 • Vom gesamten Weltexport entfielen 1977 auf die Bundesrepublik 10,5 v. H., auf die DDR 1,8 v. H., vom gesamten Weltimport auf die Bundesrepublik 8,8 v. H., auf die DDR 1,9 v. H. Bei Zusammenrechnung des Außenhandels beider deutscher Staaten nähme Deutschland (in den Grenzen von Bundesrepublik und DDR) im Weltexport die erste Stelle vor den USA ein. Die Statistik gibt aber auch einen weiteren sehr wichtigen Aufschluß: seit 1973 war der Außenhandel der DDR ständig passiv. Der kumulierte Passivsaldo der Jahre 1973-1978 betrug 27J,I2 Milliarden VM. Dabei ist wesentlich, daß das jährliche Passivum ab 1973 ständig wuchs und 1977 mit rd. 8 Milliarden VM ein Maximum erreichte; 1978 wurde es durch die Bemühungen der DDR um Einfuhrbeschränkung auf 4J,t2 Milliarden herabgedrückt. Wesentlich anders verlief die Außenhandelsentwicklung in der Bundesrepublik. Bereits seit 1952 war ihr Außenhandel ständig aktiv; der höchste Ausfuhrüberschuß wurde im Jahr 1974 mit 50,8 Milliarden DM erzielt. Allein von 1973 - 1978 betrug der kumuliePte Ausfuhrüberschuß 235 Milliarden DM - ein deutlicher Beweis für die starke Position, die sich die Bundesrepublik vor allem auf dem Weltmarkt für Industrieerzeugnisse erworben hat. Allerdings ist dabei zu berücksichtigen, daß die Zahlungsbilanz (die von der westdeutschen amtlichen Statistik sehr genau veröffentlicht wird, im Gegensatz zur DDR, die, wie gesagt, die Zahlungsbilanz als Geheime Staatssache behandelt) durch einige hohe Passivposten belastet ist. Als Beispiel mögen die hauptsächlichen Aktiva und Passiva der Zahlungsbilanz der Bundesrepublik im Jahre 1978 dienen7 : 5 Quellen: Statistisches Jahrbuch 1979 für die Bundesrepublik Deutschland, S. 645- 650; für die DDR: Statistisches Jahrbuch der Mitgliedsländer des RGW (Moskau 1978), berechnet auf Basis 1 transferabler Rubel = 4,67 VM. In den Zahlen der DDR sind die Lieferungen und Bezüge im Innerdeutschen Handel enthalten, in denen der Bundesrepublik nicht. • Die angegebenen Positionen der DDR gelten jedoch nur unter der Voraussetzung, daß der Wert einer Valutamark mit einer DM gleichgesetzt wird. Das Statistische Bundesamt kommt durch eine sehr komplizierte Umrechnungsmethode in DM gerechnet zu wesentlich niedrigeren Außenhandelswerten der DDR, allerdings ohne den Innerdeutschen Handel. Danach betrug im Jahre 1977 die Ausfuhr der DDR 24,26 Milliarden DM, ihre Einfuhr 29,29 Milliarden. Die DDR würde dann sowohl in der Weltausfuhr als auch in der Welteinfuhr erst an 20. Stelle stehen.
Die Stellung der beiden Teile Deutschlands in der Weltwirtschaft
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Aktiva:
Oberschuß der Ausfuhr Oberschuß der Kapitalerträge
50,5 Mrd. DM 4,5 Mrd. DM
Passiva:
Überschuß der Ausgaben im Reiseverkehr (Gesamtausgaben dafür 28,9 Milliarden, denen Einnahmen aus dem Reiseverkehr von 9,7 Milliarden gegenüberstanden) Lizenzen und Patente
19,2 Mrd. DM
Überweisungen ausländischer Gastarbeiter (Maximum 1975 mit 7,4 Milliarden) Zahlungen an die Europäischen Gemeinschaften und sonstige internationale Organisationen (Saldo)
4,8 Mrd. DM (Saldo) 5,7 Mrd. DM
3,2 Mrd. DM
1979 entstand - erstmals seit Anfang der 70er Jahre - ein Defizit der Leistungsbilanz in Höhe von 9,6 Milliarden DM. 1980 stieg dieses Defizit sogar auf 29 Milliarden DM. Bei diesem Defizit war natürlich in erster Linie die Erdölverteuerung maßgebend, aber auch die sonstige Verschlechterung der Terms of Trade sowie die infolge der verbesserten Konjunkturlage gesteigerte Nachfrage nach lmporterzeugnissen. Der Import stieg 1979 um rd. 20 v. H. = 48 Milliarden Mark; davon entfielen 26 Milliarden auf den Ausgleich höherer Preise8 • Im Januar 1980 lagen die Einfuhrpreise im Durchschnitt um 26,6 v. H. höher als ein Jahr zuvor, die Ausfuhrpreise dagegen nur um 8,1 v. H.0 • Für 1980 wird mit einem Gesamtaufwand für die Erdöleinfuhr von 60 - 70 Milliarden DM gerechnet; 1978 wurden für Erdöl und Erdölerzeugnisse erst 32,3 Milliarden DM ausgegeben, auch damals schon nicht viel weniger als der Wert der Gesamtausfuhr an Maschinenbauerzeugnissen (rd. 35 Milliarden DM). Die Einfuhr von Rohöl und Erzeugnissen daraus machte 1979 16 v . H. der Gesamteinfuhren gegenüber 10 v. H. vor dem ersten "Erdölschock" aus. Die Ursache der Verschlechterung der Zahlungsbilanz war nicht Exportschwäche der deutschen Wirtschaft; im Gegenteil hat der Export kräftig zugenommen10. Die Kehrseite bilden natürlich die exorbitant hohen Einnahmen der Erdölländer, vor allem der Opec-Länder. Deren Einnahmen aus ErdölExporten betrugen: 1
Quelle: Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland 1979,
s. 532.
"Der Tagesspiegel" vom 13. 4. 1980. "Die Welt" vom 20. 3. 1980. 1° Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 25. 3. 1980.
8 1
28
Karl C. Thaiheim 1978 ............ 144
~rd.$
1979 ............ 236
~rd.
$ (etwa 64 v. H. mehr als 1978)11
Für die Bundesrepublik entsteht dadurch zweifellos eine ernste Lage. Diese wäre akut gefährlich, wenn nicht die Überschüsse der Leistungsbilanz in den vorhergehenden Jahren eine beträchtliche Zunahme der Währungsreserven der Bundesbank, vor allem in Devisen, ermöglicht hätten. Diese erhöhten sich zwischen 1973 und 1978 von 92lf2 Milliarden auf 107 Milliarden12. Die beträchtlichen Reserven der Bundesbank bedeuten einen recht wirksamen Stabilitätsfaktor: für einige Zeit wäre die Finanzierung von Defiziten der Leistungsbilanz möglich, was auch einen Stabilitätsfaktor für die Lieferländer der Bundesrepublik bedeutet, da diese ihre Importe nicht wegen Devisenknappheit einzuschränken braucht. Auch der Auslandstourismus, für den ein so beträchtlicher Teil der Exportüberschüsse aufgewendet wird, braucht - jedenfalls zunächst - nicht eingeschränkt zu werden. Natürlich können auch die hohen Reserven der Bundesbank einen Ausgleich nicht für die Dauer ermöglichen. Um so wichtiger ist die Frage der Ersetzung des Öls (besonders als Heizöl) durch andere Energiequellen; die Frage des Einsatzes der Atomenergie muß auch unter diesem Aspekt gesehen werden. Die Kreditaufnahme des Bundes im Ausland, z. B. in Saudiarabien, ist aber nicht durch die Zahlungsbilanzsituation erzwungen, sondern Konsequenz der Haushaltslage und der niedrigeren Zinssätze, zu denen der Bund solche Kredite im Ausland aufnehmen konnte. Solche Ausgleichsmöglichkeiten wie die Bundesrepublik hat die DDR nicht. Die Verschlechterung der Terms of Trade - d. h. der Relation zwischen Einfuhr- und Ausfuhrpreisen - trifft zwar beide Teile Deutschlands hart, seit die Rohstoffpreise, ganz besonders die Erdölpreise, so stark in die Höhe gegangen sind. Die DDR verfügt aber offenbar über keine nennenswerten Reserven an Devisen. Sie steht daher vor der Notwendigkeit, entweder einen Ausgleich der Zahlungsbilanz durch Einschränkung der Importe herbeizuführen. Bei ihrem relativ niedrigen Importvolumen kann jedoch .die Einfuhr an Rohstoffen und Energieträgern schwerlich eingeschränkt werden, da sonst die Aufrechterhaltung der Produktion in Frage gestellt wäre. Das gilt z. B. auch für die Erhaltung der Viehbestände, da die eigene Futterbasis zu u Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 25. 1. 1980. u Dabei sind die Goldbestände der Bundesbank erheblich unter dem gegenwärtigen Weltmarktpreis für Gold bewertet.
Die Stellung der beiden Teile Deutschlands in der Weltwirtschaft
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schmal ist, also Futtermittel importiert werden müssen. Demnach müssen entweder die ohnehin niedrigen Konsumgüterimporte oder die Einfuhr von Investitionsgütern eingeschränkt werden; die letztere Methode muß aber wachstumshemmend wirken. Die andere Möglichkeit ist die Steigerung der Ausfuhr. Diese war im Volkswirtschaftsplan 1979 vorprogrammiert, da für den Außenhandelsumsatz mit + 9,8 v. H. die weitaus höchste Steigerungsrate vorgesehen war, und zwar sicherlich vor allem für den Export. Tatsächlich wurde nach dem Bericht über die Erfüllung des Volkswirtschaftsplanes sogar eine Steigerung um 12 v. H. erreicht. Allerdings ist damit schwer vereinbar, daß nach der kürzlich veröffentlichten sowjetischen Statistik der Umsatz mit der Sowjetunion als dem weitaus wichtigsten Handelspartner nur um 5,7 v. H. gestiegen ist, der Umsatz in dem (von der DDR zum Außenhandel gezählten) Innerdeutschen Handel, der nach der DDR-Statistik an 4. Stelle steht (hinter Sowjetunion, Tschechoslowakei und Polen) um 8,3 v. H., allerdings hauptsächlich durch Zunahme der Lieferungen der DDR, die um 14,5 v. H. zunahmen, während die Lieferungen des Bundesgebietes sich nur um 3 v. H. erhöhten13• Demnach müßte sich vor allem der Umsatz mit den nichtsozialistischen Ländern erheblich vergrößert haben. In den letzten Jahren war die DDR sehr bemüht, den Handel mit einigen "kapitalistischen" Ländern auszudehnen, wobei besonders Frankreich eine wichtige Rolle spielt. Wesentlich verstärkte sich das Streben der DDR (wie auch der übrigen Ostblockländer) nach Kompensationsgeschäften, ebenfalls mit dem Ziel der Verringerung des Passivsaldos. Eine andere Möglichkeit wurde von der DDR längere Zeit reichlich genutzt: Ausgleich durch Kreditaufnahme. Das war relativ leicht möglich, da die DDR im internationalen Kreditgeschäft als eine "gute Adresse" galt. Offenbar ist aber nach Meinung der SED-Führung die Grenze der Kreditverschuldung jetzt erreicht, vor allem im Hinblick auf die wachsende Zinsbelastung. Das Streben nach Ausgleich durch Importbeschränkung und Exportsteigerung ist infolgedessen deutlich erkennbar. Auch im Volkswirtschaftsplan für 1980 ist eine Steigerung des Außenhandelsumsatzes um 12 v. H. vorgesehen, während das 18 Quelle: Statistisches Bundesamt, Fachserie 6, Reihe 6: Warenverkehr mit der Deutschen Demokratischen Republik und Berlin (Ost), Februarheft 1980. Dagegen weist die vom Bundeswirtschaftsministerium veröffentlichte Statistik des Innerdeutschen Handels für 1979 einen wertmäßigen Zuwachs von 12,1 v. H. auf. Diese schließt jedoch im Unterschied zu der Statistik des Statistischen Bundesamtes auch den Dienstleistungsverkehr (z. B. die Verrechnung der Verkehrseinnahmen und Betriebskosten der Verkehrsträger sowie die Zinszahlungen der DDR aus langfristigen Finanzkrediten für Großanlagenlieferungen) ein. In diesem Bereich erhöhte sich die Aktivseite der Bundesrepublik um 27,7 v. H. Quelle: Informationen des Bundesministeriums für Innerdeutsche Beziehungen, Nr. 5/1980.
so
Karl C. Thaiheim
"produzierte Nationaleinkommen" nur um 4,8 v. H., die industrielle Warenproduktion um 4,7 v. H. wachsen soll. Als wesentliche Konsequenz ergibt sich, daß für die "materiellen Investitionen" im Jahre 1980 im Vergleich zu 1979 überhaupt keine Steigerung vorgesehen ist. Das ist offenbar daraus zu erklären, daß ein größerer Teil der produzierten Investitionsgüter exportiert werden soll. Im Gegensatz zur Bundesrepublik sind infolge der Passivität des Außenhandels der DDR Passiva bei anderen Posten der Zahlungsbilanz nur in ganz geringem Umfange möglich. Ganz besonders gilt das für den Auslandstourismus, abgesehen von Auslandsreisen in einige RGW-Länder. Die Warenstruktur des Außenhandels ist zwischen den beiden Staaten in Deutschland nur bedingt vergleichbar, da die Gliederung in der DDR-Statistik z. T. anders ist als in der Statistik der Bundesrepublik. Bei der Einfuhr war im Jahre 1978 der Anteil industrieller Fertigerzeugnisse insgesamt zwar ziemlich gleich groß: in der Bundesrepublik 41 v. H. gegenüber 39 v. H. in der DDR. Aber im Vergleich zur Bundesrepublik lag in der DDR der Anteil der industriellen Konsumgüter sehr niedrig: 5,1 v. H. gegen 16,4 v. H. Dagegen war der Anteil von Maschinen, Ausrüstungen und Transportmitteln an der Einfuhr der DDR recht hoch: 34 v. H. gegen 25 v. H. in der Bundesrepublik. Bei der warenmäßigen Gliederung der Ausfuhr sind die Unterschiede wesentlich geringer. Die großen Gruppen waren an der Ausfuhr im Jahre 1978 folgendermaßen beteiligt (in v. H.):
Investitionsgüter ....... . ...... . ....... . ........ . Industrielle Konsumgüter .... .. . . ............... . Industrielle Fertigerzeugnisse insgesamt
DDR
Bundesrepublik
55
54 11
15 70
65
Der hohe Anteil der Industrieerzeugnisse am Export zeigt, daß es sich bei beiden Staaten in Deutschland um hochentwickelte Industrieländer handelt. Während also die Warenstruktur der Ausfuhr bei beiden deutschen Staaten hinsichtlich der großen Gruppen ziemlich ähnlich ist, ergeben sich erhebliche Unterschiede hinsichtlich der Regionalstruktur. In der Zwischenkriegszeit dürfte diese beim Außenhandel der Gebiete, die heute zur Bundesrepublik bzw. zur DDR gehören, nicht sehr unterschiedlich gewesen sein; der Anteil des "Osthandels", bezogen auf die heutigen Mitgliedsländer des RGW, war nicht sehr hoch. Möglicher-
Die Stellung der beiden Teile Deutschlands in der Weltwirtschaft
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weise war infolge der räumlichen Nähe Sachsens zu Böhmen der Anteil der Tschechoslowakei am Außenhandel Mitteldeutschlands größer als am Außenhandel Westdeutschlands, doch kann insgesamt die Differenz nicht beträchtlich gewesen sein. Die 6 europäischen Mitgliedsländer des RGW (einschließlich der folgenden nach dem Kriege dazugekommenen Gebiete: Danzig und die 3 baltischen Staaten) waren am Außenhandel des damaligen Deutschen Reiches folgendermaßen beteiligt:
an der Einfuhr mit an der Ausfuhr mit
1928
1937
12,4v. H. 17,2 v. H.
13,5v. H. 12,7v.H.
In der Gegenwart wird die Regionalstruktur des Außenhandels beider deutschen Staaten durch ihre Zugehörigkeit zu den überregionalen Zusammenschlüssen erheblich beeinflußt - allerdings bei der DDR wesentlich stärker als bei der Bundesrepublik. An der Einfuhr der Bundesrepublik im Jahre 1978 waren die EG-Länder (einschließlich Großbritannien, Irland, Dänemark) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . die europäischen Ostblockländer (ohne Innerdeutschen Handel) .................. .... ....... . beteiligt, an der Ausfuhr die EG-Lllnder ............. .. .......................... . die europäischen Ostblockländer (ohne Innerdeutschen Handel) ... .. ........ . ..... . ........ . .
mit 4Y v. H., mit 4,8v.H. mit 46 v.H., mit 5,4 V . H.14
Der Anteil des "Intra-Blockhandels" liegt für die Bundesrepublik also bei knapp der Hälfte, bei der DDR dagegen weit höher; zwischen 1970 und 1978 schwankten am gesamten Außenhandelsumsatz der DDR (einschließlich Innerdeutscher Handel) die Anteile der RGWLänder zwischen 61 v. H. im Jahre 1974 und 71,6 v . H. im Jahre 1968. Der relativ niedrige Anteil im Jahre 1974 war vor allem durch unterschiedliche Preisveränderungen im Handel mit den Ostblockländern einerseits, der übrigen Welt andererseits verursacht. Der Anteil der Sowjetunion allein lag in den letzten Jahren zwischen 31,2 und 36 v . H. 14 Die Einfuhr- und Ausfuhranteile sind für die Bundesrepublik auf Basis Herstellungs- und Verbrauchsland berechnet, für die DDR auf Basis Käuferund Verkäuferland.
32
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Bereits oben wurde darauf hingewiesen, daß längere Zeit hindurch Hauptziel des RGW die Intrablockorientierung des Außenhandels der Mitgliedsstaaten war. Sie ist es auch heute noch, ergänzt (und z. T. verstärkt) durch das Streben nach Arbeitsteilung, vor allem bei der industriellen Produktion. Die DDR ist auch in dieser Beziehung ein besonders zuverlässiger Partner der Sowjetunion; sie hat nach Bulgarien von allen europäischen Mitgliedsstaaten den höchsten RGW-Anteil. Diese starke Blockgebundenheit des Außenhandels der DDR hat beträchtliche Wirkungen: 1. Da die DDR hinsichtlich der Versorgung mit Rohstoffen und Energieträgern weitgehend auf die Lieferungen der Sowjetunion angewiesen ist, ergibt sich eine erhebliche Abhängigkeit, die auch von politischer Bedeutung ist. Die Importe aus der Sowjetunion decken den Importbedarf der DDR: bei Erdgas zu 100 v. H., bei Erdöl, Holz und Baumwolle zu über 90 v. H., bei Eisenerz und den wichtigsten Buntmetallen zu 60-70 v. H.
2. Das Exportpotential der DDR wird besonders bei Investitionsgütern zum großen Teil durch die Lieferverpflichtungen gegenüber der Sowjetunion und den übrigen RGW-Ländern beansprucht. Infolgedessen bleibt für den Westhandel gerade bei Maschinen, Apparaturen, elektrotechnischen Erzeugnissen zu wenig übrig. 1973 verteilte sich der Export von Erzeugnissen des Maschinenbaus, der Elektrotechnik/Elektronik und des Fahrzeugbaus in Millionen VM folgendermaßen15 : Insgesamt
12 860 = 100 v.H.
davon in RGW-Länder darunter Sowjetunion In "übrige sozialistische Länder" ................. . In Entwicklungsländer .... ........ ............... . In "kapitalistische Industrieländer" (einschließlich Innerdeutscher Handel) ........... .
10 816 5950 440 643
84,1 V. H. 46,3v.H. 3,4v.H. 5,0v.H.
962
7,5v.H.
(Für spätere Jahre ist diese aufschlußreiche Statistik leider nicht mehr veröffentlicht worden.) 3. Eine positive Wirkung der RGW-Verflechtung ist eine weitgehende Sicherheit des Absatzes. Besonders deutlich zeigte sich das bei der Werftindustrie, deren Neuproduktion in der Bundesrepublik infolge der internationalen Krise des Schiffbaus von 2,5 Millionen BRT im Jahre 1975 auf 437 000 BRT im Jahre 1979 zurückging, während u Quelle: Statistisches Jahrbuch 1975 der Deutschen Demokratischen Republik, S. 279.
Die Stellung der beiden Teile Deutschlands in der Weltwirtschaft
SS
1979 auf den Werften der DDR 381 000 BRT gebaut wurden16• Ein erheblicher Teil der Schiffbauproduktion geht in die Sowjetunion, die infolgedessen ihre eigene Werftkapazität vorwiegend für den Bau von Kriegsfahrzeugen verwenden kann. 4. Auch hinsichtlich der Preise fand die DDR bis zum "Erdölschock" (Oktober 1973) im Intrablockhandel des RGW größere Sicherheit als auf dem "freien Weltmarkt". Nach dem auf der IX. Ratstagung 1958 beschlossenen sogenannten "Bukarester Prinzip" sollten für die jeweilige Fünfjahrplanperiode die durchschnittlichen Weltmarktpreise der vorhergehenden 5 Jahre maßgebend sein, jedoch bereinigt von "spekulativen Faktoren" und konjunkturellen Einflüssen. Nach der starken Preissteigerung für Erdöl durch die OPEC sowie dem Preisanstieg auch für viele andere Rohstoffe erwies sich dieses Prinzip für die Sowjetunion als ungünstig, da an der sowjetischen Ausfuhr Erdöl, Erdölerzeugnisse und andere Rohstoffe einen hohen Anteil haben. Bei Anwendung des "Bukarester Prinzips" wäre die Sowjetunion erst ab 1976 bei ihren Lieferungen an die kleineren RGW-Länder in den Genuß höherer Preise gekommen. Daher wurde auf sowjetisches Drängen auf der 70. Sitzung des Exekutivkomitees des RGW im Januar 1975 beschlossen: Die RGW-Vertragspreise werden alljährlich auf Basis der durchschnittlichen Weltmarktpreise der jeweils vorausgegangenen 5 Jahre gebildet ("Prinzip der gleitenden Durchschnitte"). Kennzeichnend war die Art der Mitteilung im Kommunique über diese Sitzung: "Mit dem Abschluß der langfristigen Handelsabkommen und Lieferverträge für den Zeitraum 1976 - 1980 nahm das Exekutivkomitee Empfehlungen zu den Fragen der Vertragspreise im gegenseitigen Handel der Mitgliedsländer des RGW für den bevorstehenden Fünfjahreszeitraum an. Sie sollen günstige Voraussetzungen für die Entwicklung des Warenaustausches schaffen." "Günstige Voraussetzungen" wurden durch diese Neuregelung offensichtlich nur für die Sowjetunion geschaffen, während die rohstoffarmen Mitgliedsländer des RGW, ganz besonders die DDR, sich erheblichen neuen Belastungen gegenübersahen. Immerhin blieben die Preissteigerungen nicht so abrupt wie auf dem "kapitalistischen" Weltmarkt, und auch gegenwärtig liegen die RGW-Vertragspreise - mindestens für Erdöl - noch etwas unter den Weltmarktpreisen. Jedenfalls aber muß die DDR ebenso wie die anderen kleineren RGW-Länder für die gleiche Menge an sowjetischem Erdöl und anderen Rohstoffen wesentlich mehr an eigenen Industriegütern liefern als vor der "Preisrevolution" auf dem Weltmarkt.
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"Der Tagesspiegel" vom 12. 4. 1980.
3 Greweu. a.
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Das gilt, wie vorher dargelegt, auch für die Bundesrepublik; aus den oben genannten Gründen wird die DDR dadurch jedoch wesentlich härter getroffen. Die lange Zeit der Außenhandelsüberschüsse ermöglichte der Bundesrepublik nicht nur die schon behandelte erhebliche Vergrößerung der Devisenreserven der Bundesbank, sondern auch eine ansehnliche Kapitalausfuhr- großenteils in Form von ausländischen Filialbetrieben, z. B. des Volkswagenwerks, oder von Beteiligungen an ausländischen Unternehmungen. Besonders ab 1974 verstärkte sich die Allslandsaktivität deutscher Investoren. Die Gesamtsumme der Kapitalausfuhr im Jahre 1978 betrug 6,1 Milliarden DM, denen Auslandsanlagen in der Bundesrepublik von 4,1 Milliarden gegenüberstanden (davon 72 v. H. aus den Industrieländern, rd. 22 v. H. aus den Erdölländern)17. Erstmalig 1978 war der Bestand der deutschen Direktinvestitionen im Ausland mit 55 Milliarden DM größer als die ausländischen Investitionen in der Bundesrepublik mit 53,5 Milliarden. Als Zielländer dieser Kapitalausfuhr spielten die USA, die EG-Länder sowie die Schweiz, Kanada und Österreich eine überragende Rolle. Entwicklungsländer waren mit 27 v. H. beteiligt, unter ihnen vor allem Brasilien. Ende 1979 waren die westdeutschen langfristigen Kapitalanlagen im Ausland auf 66 Milliarden DM gestiegen1s. Zum Vergleich: die Bundesbank bezifferte für Ende 1976 die direkten Kapitalanlagen der USA im Ausland auf 320 Milliarden DM, die britischen Anlagen auf 75 Milliarden DM18• Die Bundesrepublik stand also an 3. Stelle, was bemerkenswert ist, weil durch den Zweiten Weltkrieg nahezu das gesamte damals vorhandene deutsche Auslandskapital verloren gegangen war, die Bundesrepublik also fast bei Null anfangen mußte. Abgesehen von den betriebswirtschaftliehen Vorteilen bilden volkswirtschaftlich die Erträge dieses Auslandskapitals einen beachtlichen Aktivposten der Zahlungsbilanz (siehe die oben genannte Zahl für 1978). Die DDR hat derartige Möglichkeiten nicht gehabt - mit einer Ausnahme: ihre Beteiligung an der Finanzierung von Investitionen in der Sowjetunion (in sehr beschränktem Umfang auch in anderen RGWStaaten, z. B. Mongolei und Kuba). Solche Beteiligungen erfolgten erstmalig- zuerst noch mit sehr bescheidenen Summen- in den Jahren 1966 - 1969, erreichten aber bereits 1970 den (bei der damaligen recht schwierigen Wirtschaftslage der DDR durchaus ins Gewicht fallenden) Betrag von 857 Millionen VM. Der Fünfjahrplan 1976- 1980 sah "für 17
Informationsdienst des Instituts der deutschen Wirtschaft (iwd) vom
24. 5.1979. 18 19
Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 11. 4. 1980. "Handelsblatt" vom 19. 4. 1979.
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die Beteiligung an gemeinsamen Investitionsvorhaben mit der UdSSR und den anderen sozialistischen Ländern insbesondere zur gemeinsamen Erschließung und Nutzung von Rohstoffvorkommen" 8 Milliarden Mark (von insgesamt 242 Milliarden Mark geplanter Investitionen) vor. Nach der DDR-Statistik betrug der tatsächliche Umfang in den Jahren 1976- 1978 insgesamt 4,467 Milliarden Mark, allein 1978 1,7 Milliarden. Es handelt sich dabei hauptsächlich um Neuanlagen im Grundstoffbereich. Jedoch werden dadurch keine "multinationalen" Unternehmungen geschaffen; die DDR erwirbt kein Eigentum, sondern Anspruch auf Rückerstattung der eingesetzten Beträge (die z. T. in Sachlieferungen und Arbeitsleistungen bestehen) durch Lieferungen der Erzeugnisse der entsprechenden Betriebe (so z. B. Zelluloselieferungen des großen Zellulosekombinats Ust-Ilimsk in Sibirien). Diese Beteiligungen haben also gewissermaßen den Charakter von Kompensationsgeschäften mit time-lag für die Sowjetunion. Hinsichtlich der zwischenstaatlichen Kapitalbewegungen ist die DDR also nur in dem genannten beschränkten Umfang Kapitalexporteur; wesentlich größer ist die Passivseite, d. h. die beträchtliche Kreditaufnahme zum Ausgleich der Zahlungsbilanz, vor allem bei den westlichen Außenhandelspartnern einschließlich des Euromarktes. Für die DDR ist in diesem Zusammenhang auch die Kreditgewährung im Innerdeutschen Handel wichtig, besonders der jetzt maximal auf 850 Millionen DM angesetzte "Swing", der schon seit langem einseitig von der DDR in Anspruch genommen wird; faktisch handelt es sich bei ihm also um zinslose Kreditgewährung an die DDR durch die Bundesbank. Sehr wichtig ist auch, daß der DDR außerhalb des Innerdeutschen Handels jährlich mindestens 2 Milliarden konvertibler DM zufließen, zum großen Teil durch verschiedene Zahlungen aus den Öffentlichen Haushalten der Bundesrepublik und von Berlin (West), ferner durch den Zwangsumtausch der Besucher aus Westdeutschland und Berlin (West) sowie durch private Spenden. Es ist eine ungelöste Frage, wofür diese beträchtlichen Summen in konvertibler Währung verwendet werden. Wahrscheinlich benutzt die DDR einen Teil davon zum Umtausch in andere Westwährungen, um Außenhandelsdefizite mit den betreffenden Ländern mindestens partiell auszugleichen. Teilbeträge werden auch für politische Zwecke verwendet, z. B. finanzielle Unterstützung der DKP in der Bundesrepublik und der SEW in Berlin (West); doch ist damit nur die Verwendung eines Teils der Gesamtsumme zu erklären.Als Folge der dargestellten Regionalstruktur des Außenhandels der DDR spielt die Seeschiffahrt für sie eine wesentlich geringere Rolle als 3•
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für die Bundesrepublik mit der Vielzahl ihrer überseeischen Verbindungen. Der Außenhandel innerhalb des RGW wird überwiegend mit Binnenverkehrsmitteln oder durch die Ostseeschiffahrt mit ihren relativ kurzen Transportwegen abgewickelt. Die DDR hat zwar auf sowjetischen Befehl bereits frühzeitig eine bedeutende Werftindustrie entwickelt, deren Produkte jedoch großenteils exportiert werden. Die sowjetische Flotte erhielt bis 1976 2950 Schiffe mit insgesamt 3,5 Millionen BRT20 • Im Jahre 1978 betrug der Bestand der Handelsflotte der DDR 1,28 Millionen BRT gegen 9,74 Millionen in der Bundesrepublik; besonders groß war die Differenz bei Tankern (235 000 gegen 3,4 Millionen). Die Seeschiffahrt transportierte im gleichen Jahre in der Bundesrepublik 144 Millionen t, in der DDR 16,7 Millionen t (1979: 17,5 Millionen = + 4,8 v. H.). Früher gingen die Seetransporte aus dem Gebiet der heutigen DDR überwiegend über Hamburg, Bremen und Stettin; an dem zur DDR gehörigen Teil der Ostseeküste gab es nur unbedeutende Häfen. Mit erheblichem Kapitalaufwand ist in Rostock ein leistungsfähiger Überseehafen geschaffen worden; 75 v. H. aller Umschlagleistungen der Seeschiffahrt in der DDR entfallen auf diesen. Auch Wanderungen von Arbeitskräften spielen in der Bundesrepublik eine unvergleichlich viel größere Rolle als in der DDR. Die Rolle der Bundesrepublik als Aufnahmeland für Gastarbeiter ist bekannt genug. Am 30. 6. 1972 betrug die Zahl der in ihr beschäftigten ausländischen Arbeitnehmer 2,32 Millionen; sie ging bis zum 30. 6. 1978 auf 1,87 Millionen zurück. Von diesen kamen aus damaligen EG-Ländem . . . . • . . . . . . . . . . . . . 415 000 Griechenland . • • . • • • . . . • . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 000 Jugoslawien . .. . . .. . .. . .. . . .. . . . . . . . . . . . . . 366 000 Spanien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 000 der Türkei . . . . . • . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 515 000.
Für einige der Herkunftsländer, die selbst eine größere Arbeitslosigkeit haben (z. B. die Türkei, aber auch Jugoslawien) bedeutet das eine beträchtliche Entlastung. Hinsichtlich der Gesamtzahl der ausländischen Arbeitnehmer steht die Bundesrepublik in Europa an der Spitze: sie betrug im Jahre 1977 1,89 Millionen, es folgten Frankreich mit 1,58 Millionen und die Schweiz mit 0,59 Millionen. Der Anteil der Ausländer an den abhängig Beschäftigten war am höchsten in der Schweiz mit 16,4 v. H. sowie in Belgien mit 10,2 v . H.; die Bundesrepublik stand an 3. Stelle mit 9,5 v. H. vor Frankreich mit 7,3 v. H. 20
"Außenhandel UdSSR" 1980/3, S. 4.
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Obwohl in der DDR Arbeitskräfteknappheit besteht, ist dort die Zahl der beschäftigten ausländischen Arbeitnehmer ganz gering. Eine genaue Zahl ist nicht bekannt; Schätzungen belaufen sich auf etwa 50 000. Eine immer wichtigere weltwirtschaftliche Rolle spielt der Auslandstourismus. Auch dabei ist die Differenz zwischen der Bundesrepublik und der DDR beträchtlich. Der Direktor im Reisebüro der DDR, Enkelmann, teilte mit, daß im Jahre 1979 1,13 Millionen Touristen aus der DDR durch Vermittlung des Büros "sozialistische Bruderländer" besuchen würden, davon 190 000 die Sowjetunion. Die DDR erwarte rd. 800 000 ausländische Touristen, vornehmlich aus sozialistischen Ländern (dabei sind offenbar die Besucher aus der Bundesrepublik nicht mitgezählt)21. Dem standen in der Bundesrepublik in der Zeit vom April 1976 bis März 1977 nach einer Mikrozensusbefragung 18,6 Millionen Auslandsreisen gegenüber. Daß im Jahre 1978 der Überschuß der Ausgaben im Reiseverkehr 19 Milliarden DM betrug, wurde oben bereits erwähnt; 1979 stieg er auf rd. 222 Milliarden DM, bei Gesamtausgaben im Auslandstourismus von fast 33 Milliarden DM. 1978 stand an der Spitze Italien mit Ausgaben deutscher Touristen von 5,9 Milliarden; es folgten Österreich (5,6), die Schweiz (2,9), Frankreich (2,6), Spanien (2,2) 22 . Die Zahl der Ausländerbesuche in der Bundesrepublik betrug im Winterhalbjahr 1977/78 2,77 Millionen, im Sommerhalbjahr 1978 5,85 Millionen, zusammen also 8,6 Millionen. Im Rahmen der heutigen Weltwirtschaft spielen Lage und Entwicklungsmöglichkeiten der Länder der "Dritten Welt" eine sehr wichtige Rolle. Die Propaganda der DDR bemüht sich, diese als besonders wichtigen Helfer und Freund der Entwicklungsländer auszuweisen; die Wirklichkeit sieht freilich anders aus. Am Außenhandel der DDR sind die Entwicklungsländer mit einer nur sehr geringen Quote beteiligt. Zwischen 1970 und 1978 schwankten die Anteile der Entwicklungsländer am Außenhandel der DDR (in jeweiligen Preisen) zwischen 3,2 und 5,2 v. H.; im Jahre 1978, das den bisher höchsten Anteil der Entwicklungsländer brachte, betrug dieser beim Export der DDR 5,8 v. H., bei ihrem Import 4,7 v. H. Dagegen waren die Entwicklungsländer am Außenhandel der Bundesrepublik im gleichen Jahre beim Export mit 16,7 v. H., beim Import mit 17,9 v. H. beteiligt23. Durch "Aid by trade" "Neues Deutschland" vom 12. 6. 1979. "Die Zeit" vom 11. 5. 1979. n Allerdings ist zu berücksichtigen, daß die Statistik der Bundesrepublik Herstellungs- und Verbrauchsländer zugrundelegt, die der DDR Einkaufsund Käuferländer. Der Unterschied liegt darin, daß im ersteren Falle auch diejenigen Käufe und Verkäufe erfaßt werden, die über Drittländer (z. B. die Niederlande) vorgenommen werden. Bei der Bundesrepublik ist der Unter21
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hilft also die Wirtschaft der Bundesrepublik den Entwicklungsländern erheblich mehr als die DDR. Geht man von der Gleichsetzung von DM und VM aus, so setzten die Entwicklungsländer im Jahre 1978 an Waren ab: 43,7 Milliarden in der Bundesrepublik für in der DDR für . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2,4 Milliarden. Die Bundesrepublik kaufte in Entwicklungsländern ungefähr achtzehnmal so viel wie die DDR. Auch in der Kapitalhilfe für Entwicklungsländer hat die Bundesrepublik einen beträchtlichen Vorsprung. Bekanntermaßen lehnen die Sowjetunion und die übrigen RGW-Länder eine Verpflichtung zur Kapitalhilfe mit der durchsichtigen Begründung ab, daß die Verantwortung für die Unterentwicklung der "Dritten Welt" ausschließlich bei den ehemaligen Kolonialmächten läge. Dabei wird freilich unterschlagen, daß die Sowjetunion mit ihren asiatischen Gebieten heute die einzige übriggebliebene wirkliche Kolonialmacht ist. Der wichtigste Teil der DDR-Entwicklungshilfe ist die technische und die Bildungshilfe. Auch diese wird jedoch vorzugsweise unter politischen Aspekten gewährt, zur Unterstützung des "Sieges des Sozialismus". Besonders wichtig ist dabei die Rolle der DDR in Afrika (Mo~ambique, Angola, Äthiopien), z. T. auch in Südostasien (Südjemen und Vietnam). Letzteres ist jetzt Mitglied des RGW; wie weit dadurch eine materielle Belastung der DDR im Hinblick auf das Ziel der Angleichung des materiellen Niveaus der Mitgliedsländer entsteht (Vietnam hat mit über 50 Millionen Einwohnern die dreifache Bevölkerungszahl der DDR!), muß die Zukunft zeigen. Die Aktivität der DDR in Asien erstreckt sich jetzt auch auf Kambodscha und Laos. Im März 1980 besuchte eine kambodschanische Delegation unter Führung des Partei- und Staatschefs Heng Samrin Ostberlin. Dabei wurde ein "Vertrag über Freundschaft und Zusammenarbeit" sowie ein Abkommen über Gewährung von Wirtschaftshilfe an Kambodscha im Jahre 1980 unterzeichnet. Einigermaßen exakte Zahlenangaben über die Höhe der finanziellen Aufwendungen der DDR für Entwicklungshilfe sind nicht verfügbar. Soweit diese überhaupt ökonomische Motive hat, geht es dabei vor allem um die Sicherung von Rohstoffbezügen. Die Bundesregierung hat im Jahre 1979 mit 6,033 Milliarden DM die bisher höchsten Leistungen der öffentlichen Entwicklungshilfe erbracht. Ihr Anteil am Bruttosozialprodukt stieg damit von 0,37 v. H. im Jahre schied beträchtlich; er wäre bei der DDR wahrscheinlich geringer, wenn Zahlen verfügbar wären. Immerhin würden die Anteile der Entwicklungsländer · dann höher liegen.
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1978 auf 0,43 v. H. Er liegt zwar immer noch unter dem proklamierten und auch von der Bundesrepublik akzeptierten Ziel von 0,7 v. H., aber auch relativ, d. h. im Verhältnis zum Bruttosozialprodukt, weit über den Leistungen der DDR.Als Ergebnis unserer vergleichenden Betrachtung können wir feststellen: in allen weltwirtschaftlich wichtigen Bereichen ist die Rolle und Stellung der Bundesrepublik nicht nur absolut (was wegen der Größe der Bevölkerung und des Wirtschaftspotentials selbstverständlich ist), sondern auch relativ wesentlich bedeutsamer als die der DDR. Die entscheidende Ursache dafür ist die höhere Effizienz der Wirtschaft der Bundesrepublik im Vergleich zur "sozialistischen Planwirtschaft" der DDR. Hinzu kommen die stärkere Einbindung der DDR in den RGW und der unterschiedliche Charakter der beiden Blöcke. Die gegenwärtige Lage der Weltwirtschaft, besonders die Entwicklung der Preise und die ungelösten Währungsprobleme2', bedeutet für beide Staaten in Deutschland eine schwere Belastung. Daß dies auch von der SED-Führung deutlich gesehen wird, läßt sich aus zahlreichen Reden, Erklärungen und Maßnahmen der letzten Jahre entnehmen. So hieß es in dem von Erich Honecker erstatteten Bericht des Politbüros auf der 11. Tagung des Zentralkomitees der SED am 12./13. Dezember 1979: die "Meisterung der außenwirtschaftliehen Aufgaben" spiele für die Erfüllung des Volkswirtschaftsplanes 1980 eine ausschlaggebende Rolle; dafür sei "eine grundlegende Verbesserung der gesamten Außenwirtschaftstätigkeit" erforderlich. Z. B. habe sich der Anteil von Maschinen und Ausrüstungen am Export der DDR, der zur Bezahlung der Erdölimporte erforderlich sei, seit 1970 mehr als verdreifacht. Entscheidend würde sein, wie die Exportproduktion, die Arbeit auf den Auslandsmärkten mit dem internationalen Entwicklungstempo, mit den Anforderungen der internationalen Märkte Schritt hielte. "Wir müssen zur Kenntnis nehmen, daß sich die Entwicklung von Wissenschaft und Technik, die Einführung neuer Erzeugnisse, Verfahren und Technologien, die Veränderungen der volkswirtschaftlichen Strukturen im Weltmaßstab in bisher ungekanntem Tempo vollziehen. Wir sind gezwungen, uns an diesen objektiven Maßstäben des wissenschaftlich-technischen Fortschritts, der Effektivität, der Qualität, des intensiven Wirtschattens zu messen. Auf dem Weltmarkt wird uns nicht das vergütet, was wir im nationalen Maßstab aufwenden müssen, sondern nur das, was dem international erreichten Niveau der Aufwendungen entspricht." Honecker wies nachdrücklich darauf hin, daß das, "was zum Ausgleich der gestiegenen Rohstoffpreise exportiert werden muß, im lnland nicht ein zweites Mal verteilt werden kann". " Auf diese ebenso wichtige wie schwierige Währungsproblematik konnte aus räumlichen Gründen nicht eingegangen werden.
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Auch für uns in der Bundesrepublik ergeben sich durch die tiefgreifenden Veränderungen im Gefüge der Weltwirtschaft schwere Belastungen. Wir können jedoch- nicht zuletzt wegen der großen Devisenreserven der Bundesbank - annehmen, daß die Bundesrepublik diesen Belastungen besser gewachsen sein wird als die DDR. Dabei spielt auch die Tatsache eine wesentliche Rolle, daß unser im Grundsatz marktwirtschaftliches System sich solchen Veränderungen wesentlich elastischer anzupassen vermag als die "sozialistische Planwirtschaft" der DDR.
DIE UNGELÖSTE DEUTSCHE FRAGE UND IHRE ROLLE IN DEN OST-WEST-BEZIEHUNGEN Von Gottfried Zieger Über das Selbstbestimmungsrecht ist in letzter Zeit oft von Mitgliedern der Bundesregierung gesprochen worden, und zwar in einem nachdrücklichen Sinne, der dem Selbstbestimmungsrecht für die internationalen Beziehungen einen hohen Stellenwert zuweist. Diese Bekenntnisse zur konstitutiven Kraft des Selbstbestimmungsrechts bezogen sich allerdings auf das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser1 , nicht des deutschen Volkes oder der geteilten deutschen Nation. Bei diesen Aussagen ist die Palästinenserfrage auch nicht etwa aufgegriffen worden, um damit zugleich in der Weltöffentlichkeit auf die ungelöste deutsche Frage aufmerksam zu machen, das Selbstbestimmungsrecht im Nahen Osten also gewissermaßen mit dem Selbstbestimmungsrecht im Herzen Europas zu verkoppeln, m. a. W. den politisch aktuellen Anlaß dazu zu benutzen, auf die offene deutsche Frage hinzuweisen2 • Soweit überhaupt offizielle Aussagen zum Selbstbestimmungsrecht in Deutschland abgegeben werden, zeigen sie gegenüber den Erklärungen zur Nahost-Situation einen auffallenden Temperaturunterschied. Amtliche Äußerungen in der Bundesrepublik Deutschland behandeln das Selbstbestimmungsrecht für das eigene Volk, die eigene Nation, in einer stark zurückgenommenen, fast schon formelhaften Weise3 , wie wir dies in anderen Bereichen kaum kennen. 1 Beispielsweise in dem Interview mit dem Bundesminister des Auswärtigen, Genscher, am 10. März 1980 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, ferner in seiner Rede anläßlich des Besuchs des Außenministers von Syrien am 27. August 1979, veröffentlicht vom Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (BPA). 2 So hat der Minister des Auswärtigen am 26. September 1978 vor der 33. Generalversammlung der Vereinten Nationen im Namen der EG eine Lösung der Nahostfrage anband von Grundsätzen gefordert, in denen "das legitime Recht des palästinensischen Volkes" berücksichtigt werden müsse. In dieser Rede wird zum Selbstbestimmungsrecht des deutschen Volkes vorsichtig formuliert: "Wir wollen die Entspannung im alltäglichen Leben der Menschen fühlbar machen und vor allem auch die Möglichkeiten vergrößern, daß die Peutschen auf beiden Seiten der Grenze zueinander kommen können." Hinzugefügt wird die bekannte Formulierung, daß es das Ziel der Politik der Bundesregierung bleibe, "auf einen Zustand des Friedens in Europa hinzuwirken, in dem das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiedererlangt", Bulletin des BPA, 1978, S. 1001 (1003, 1006).
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"Die Bundesregierung hält an dem Ziel fest, einen Zustand des Friedens in Europa zu erreichen, in dem das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiedererlangt", lautet die StandardFormel, die sich regelmäßig in Regierungserklärungen zur Deutschlandpolitik findet 4 • Ähnlich klingen die fast wortgleich sich wiederholenden Erklärungen, die von der Bundesregierung alljährlich bei der Eröffnung der Sitzungsperiode der Vereinten Nationen in New York abgegeben werdens. Dieser Unterschied ist gewiß nicht auf Zufälligkeiten bei der Formulierung der abgegebenen Erklärungen zurückzuführen. Die Aktualität des Selbstbestimmungsrechts für unser Volk wird offenbar nicht sehr hoch eingeschätzt. Dies erweist sich vornehmlich darin, daß in den offiziellen Äußerungen dem Selbstbestimmungsrecht zumeist ein erheblicher Dämpfer beigegeben wird, etwa durch den Hinweis, die deutsche Situation "nüchtern zu beurteilen"&, oder durch die Empfehlung einer "realistischen Einschätzung der Machtverhältnisse" 7 • Häufig findet sich auch die Bemerkung, daß man in der Vergangenheit "die Probleme ... der Deutschlandpolitik" nicht "mit dem notwendigen Maß an Realismus" gesehen habe8 • Bei der nachdrücklichen Betonung des Selbstbestimmungsrechts der Palästinenser sind derartige Begrenzungen und Implikationen des Selbstbestimmungsrechts bemerkenswerterweise nicht anzutreffen9 • 3
Beispielsweise Bundeskanzler Schmidt im Bericht zur Lage der Nation
im Bundestag am 9. März 1978: "Die Bundesregierung hält ... unbeirrt an
dem Ziele fest, einen Zustand des Friedens in Europa zu erreichen, in dem das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiedererlangt.", Verhandlungen des Deutschen Bundestages, Bd. 105, S. 6110. Zum Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser führte Bundeskanzler Schmidt in seiner Rede zum XIII. Deutschen Banktagam 26. März 1979 in Bonn sehr viel schärfer aus: "Ich will ganz deutlich sagen, daß nach unserer Auffassung dazu in erster Linie erforderlich ist, die legitimen Rechte der Palästinenser einschließlich ihres Selbstbestimmungsrechtes zu berücksichtigen.", veröffentlicht vom BPA, Nachrichtenabteilung. ' Vgl. die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Fraktion der CDU/CSU am 4. April 1977 in: 10 Jahre Deutschlandpolitik. Die Entwicklung der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik 1969 - 1979. Bericht und Dokumentation. 1980, S. 315. I Vgl. die Rede vom Bundesminister des Auswärtigen, Genscher, am 29. September 1977 vor der 32. Generalversammlung der Vereinten Nationen sowie am 26. September 1978 vor der 33. und am 27. September 1979 vor der 34. Generalversammlung der Vereinten Nationen, Bulletin des BPA 1977, S. 861; 1978, S. 1001 und 1979, S. 1057. 'Vgl. Fn.4. 7
8
a..a.O. a.a.O.
. • ..z..B. auch Wischnewski zum Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser vor der euro-arabischen Parlamentarier-Konferenz der Friedrich-Ebert-Stif-
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Sollte man seitens der verantwortlichen Staatsmänner in Westdeutschland in der eigenen Sache mehr zur Vorsicht neigen als bei Ratschlägen, Empfehlungen und politischen Stellungnahmen in der nahöstlichen Situation? Sind die Realitäten dort nicht ähnlich komplex und in die Machtverhältnisse eingebunden wie bei uns? Müßte man sich bei Deklarationen über das Selbstbestimmungsrecht für den Raum Palästina also in einer fremden Sache - nicht eigentlich mehr zurückhalten als in der eigenen? Ist nicht auch dort nur eine Gesamtlösung im Rahmen einer übergreifenden Ordnung vorstellbar? Der Unterschied in der Diktion, in der Terminologie, gewissermaßen in der Intensität, in der man das Selbstbestimmungsrecht einmal so und einmal so in die Hand nimmt, beruht wohl auf einer jeweils unterschiedlichen Einschätzung der Kraft des Selbstbestimmungsrechts. Im Nahen Osten verbindet man mit diesem Grundsatz Glauben und Hoffnung in die den Status quo umgestaltende Kraft des Selbstbestimmungsprinzips. In der deutschen Situation mangelt es vielfach an dieser Überzeugung; darum flüchtet man zu Formeln, die wie eine Pflichtübung klingen. In der Tat zeigt der Sprachgebrauch in der Deutschlandpolitik einen klaren Trend, der vom Selbstbestimmungsrecht als dem zentralen Instrument zur Lösung der deutschen Frage hinweg in unverbindlichere Bereiche geführt hat10 • Die klassische Entfaltung des Selbstbestimmungsrechts durch die plebiszitäre Entscheidung der betroffenen Bevölkerung ist nach dem Ersten Weltkrieg allseits als das konstituierende völkerrechtliche Ordnungsprinzip anerkannt gewesen11 • Bis zur Genfer Gipfelkonferenz im Juli 1955 hat zwischen allen vier Hauptsiegermächten in Ost und West ein jedenfalls nach außen dokumentierter Konsens bestanden12, daß die Lösung der deutschen Frage auch nur auf diesem Wege erfolgen könne. Dissens bestand über die Modalitäten zur Erreichung dieses Zieles. Es sollte in unsere Erinnerung zurückgerufen werden, daß Bultung am 19. September 1975, Bundesminister des Auswärtigen, Genscher, am 12. März 1980 zur Friedenssicherung im Nahen Osten im Deutschland-Funk, beides veröffentlicht vom BPA, Nachrichtenabteilung. 10 Vgl. Bundesminister Franke am 10. Februar 1977 in der aktuellen Fragestunde des Bundestages: " ... niemand wird es gelingen, die Bundesregierung davon abzubringen, die Politik des partiellen Interessenausgleichs ... weiterzuführen", Verhandlungen des Deutschen Bundestages, Bd. 100, S. 679. Derselbe am 15. November 1979: " ... Um es rundheraus zu sagen: Auch durch noch so prinzipientreue oder prinzipientreu erscheinende Begründungen lassen wir uns von dem pragmatischen Weg und Ansatz (dem des Interessenausgleichs) nicht abbringen ...", Verhandlungen des Deutschen Bundestages, Bd. 112, S. 14664. 11 Vgl. Lansing, Die Versailler Friedensverhandlungen. 1921, S. 70. 11 Vgl. den sowjetischen Friedensvertragsentwurf vom 10. März 1952 und den sich anschließenden Notenwechsel, Weber I Jahn, Synopse zur Deutschlandpolitik 1941 - 1973. 1973, S. 146.
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ganin damals die Wiedervereinigung in einen elementaren Zusammenhang mit dem Abschluß eines Vertrages über die Schaffung eines kollektiven Sicherheitssystems in Europa gestellt hat1 3 • Die Verschiebung der politischen Gewichte läßt sich am besten daran erkennen, daß nach der Verabschiedung der KSZE-Schlußakte am 1. August 197514 weniger denn je in Europa von einer ungelösten deutschen Frage gesprochen worden ist, geschweige denn, daß der Delegationsleiter der Bundesrepublik Deutschland bei dieser Gelegenheit das Stichwort der Wiedervereinigung durch freie Wahlenaufgrund des im Prinzipienkatalog15 Ziffer 8 der Schlußakte - beschworenen Selbstbestimmungsrechts überhaupt nur in den Mund genommen hätte. In der Erklärung des Bundeskanzlers vom 30. Juli 1975 vor der Unterzeichnung der Schlußakte in Helsinki begegnet uns abermals nur die Standardformel: "Unser Ziel bleibt es, auf einen Zustand des Friedens in Europa hinzuwirken, in dem das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiedererlangt16." Im übrigen wird auf die intensiven Bemühungen der Bundesregierung verwiesen, die "seit Jahren aktiv zu diesem Prozeß der weltweiten Entspannung und der Sicherung des Friedens beigetragen" habe17• Genannt werden in diesem Zusammenhang die Ostverträge von 1970 und der Grundvertrag von 1972 zwischen beiden Staaten in Deutschland. In der von Werner Weber zusammen mit Werner Jahn 1973 herausgegebenen Synopse zur Deutschlandpolitik 1941 -197318 finden sich bei der Dokumentation der Verhandlungen der Bundesregierung mit der Sowjetregierung im September 1955 in aufschlußreicher Weise Erklärungen der Bundesregierung, der Opposition sowie der Sowjetregierung nebeneinandergestellt19 • In der seinerzeitigen Erklärung vor dem Bundestag wird auf ein "Anerkenntnis der Sowjetregierung, auf Grund der Vier-Mächte-Vereinbarungen zur Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands verpflichtet zu sein" hingewiesen20; gewissermaßen eine östliche Ergänzung zu § 7 des Deutschlandvertrages mit den Westmächten21 • Eine deutsch-sowjetische Erklärung in Form eines Briefwechsels zwischen beiden Regierungschefs22 enthält übereinstimn Vgl. seine Eröffnungsrede zur Konferenz der Regierungschefs in Genf am 18. Juli 1955, in: Dokumente zur Deutschlandpolitik. 111. Reihe, Bd. 1, 1961, 1'
u 18 17 18 18 20
tt 22
s. 166 (170).
Bulletin des BPA vom 15. August 1975, S. 985. Teil A. Fragen der Sicherheit in Europa. 1. Prinzipien der Beziehungen. a.a.O., S. 922.
Europa Archiv (EA) 1975/2, D 549. Vgl. Fn. 12. a.a.O., S . 238. a.a.O., S. 240.
BGBI. 1955 II S. 305. Weber j Jahn (Fn. 12), S. 239.
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mend die Feststellung, "daß die Herstellung und Entwicklung normaler Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sowjetunion zur Lösung der ungeklärten Fragen, die das ganze Deutschland betreffen, beitragen wird und damit auch zur Lösung des gesamten nationalen Hauptproblems des deutschen Volkes - der Wiederherstellung der Einheit eines demokratischen Staates - verhelfen wird" 23. In einer TASS-Erklärung ist damals festgehalten worden, "daß sowohl die Bundesrepublik als auch die DDR Teile Deutschlands seien" 24. Der Sprecher der Opposition hat damals vor dem Deutschen Bundestag zu dieser Regierungserklärung geäußert, er warne "vor einer Verlagerung der Diskussion über die Wiedervereinigung auf die Ebene direkter Verhandlungen zwischen Bann und Ost-Berlin", er plädiere "für die schnelle Herbeiführung von Viermächtevereinbarungen"25. Diese Warnung Erich Ollenhauers hat nicht vorgehalten. Der jetzige Sprecher seiner Fraktion weigert sich, noch von Wiedervereinigung zu sprechen26. Der Minister für innerdeutsche Beziehungen hat am 16. Juni 1979 auf einer Sitzung des Kuratoriums Unteilbares Deutschland in Berlin erklärt: "Wenn man genau hinsieht, wird man erkennen, daß die außenpolitische Revision von 1969 ganz wesentlich mitveranlaßt war durch die Notwendigkeit, uns und unsere Bündnispartner von bestimmten Positionen und Dogmen zu entlasten. Und zwar - ich sage das mit Betonung und habe dabei besonders den Artikel 7 des Deutschland-Vertrages im Auge - im Interesse der Glaubwürdigkeit unserer Zugehörigkeit zum westlichen Bündnis, das heißt in unserem eigenen Interesse27." In Art. 7 Abs. 2 des DeutschlandVertrages ist zwischen den westlichen Alliierten und der Bundesrepublik Deutschland völkervertraglich festgelegt worden: "Bis zum Abschluß der friedensvertragliehen Regelung werden die Unterzeichnerstaaten zusammenwirken, um mit friedlichen Mitteln ihr gemeinsames Ziel zu verwirklichen: Ein wiedervereinigtes Deutschland, das eine freiheitlich-demokratische Verfassung, ähnlich wie die Bundesrepublik Deutschland, besitzt und das in die europäische Gemeinschaft integriert ist." Diese Festlegung läßt sich nicht als das Augenblicksresultat einer Absprache mit den drei Westmächten im Jahre 1952/54 verstehen, sondern als die in völkerrechtliche Formen gegossene Quintessenz der Politik der Bundesregierung zur Lösung der deutschen Frage mit ihrer Einbettung in die politische Landschaft Europas. 23 14
a.a.O. Vom 15. September 1955, a.a.O., S. 240.
n a.a.O., S. 240. ts Vgl hvp Nr. 7/80, S. 2. 27 Bulletin des BPA vom 19. Juni 1979, S. 738 (740).
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Das Bundesverfassungsgericht hat im Grundvertragsurteil vom 31. Juli 197328 die Ableitung des Wiedervereinigungsgebotes aus dem Grundgesetz bekräftigt und ausgesprochen: "Es darf keine Rechtsposition aus dem Grundgesetz, die der Wiedervereinigung auf der Grundlage der freien Selbstbestimmung des deutschen Volkes dienlich ist, aufgegeben werden29 ." Das ist eine kontinuierliche Bestätigung der elementaren Basis für die Lösung der Deutschlandfrage, nämlich durch Ausübung des Selbstbestimmungsrechts auch für das staatlich geteilte deutsche Volk. Dieses Ziel sollte unverrückbar im öffentlichen Bewußtsein gehalten werden. Ein Meinungswettbewerb kann sich nur auf die Frage erstrekken, wie, auf welchem Wege und mit welchen politischen Mitteln dieses Ziel angesteuert werden soll. Hier besteht für die jeweils politisch verantwortliche Regierung ein Ermessensspielraum30• Die politische Neukonstellation der Bundesregierung im Oktober 1969 hat einen solchen neuen politischen Impetus freigesetzt. Das ist das gute Recht der politischen Parteien, und neue Kräfte können auch neue Ideen und damit politische Fortschritte bringen. Freilich dafür den Ausdruck "außenpolitische Revision" zu gebrauchen, wie er sich in dem obigen Zitat findet 31, ist geeignet, Unbehagen zu wecken. Denn um eine außenpolitische "Revision" i. S. veränderter Zielsetzungen kann und darf es sich dabei nicht handeln, sondern lediglich um das Suchen nach neuen Ansätzen und Wegen. Dieser leicht mißverständliche Ausdruck von der "außenpolitischen Revision" sollte darum nur im ursprünglichen, lateinischen Sinne des revisere, d. h. nachsehen, prüfen i. S. von überprüfen, verstanden werden. Die SPD-FDP-Koalition hat in der Tat Ende 1969 eine neue Seite der Deutschlandpolitik aufgeschlagen32 • Da fast 25jährige Bemühungen um die Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts auf dem Wege einer plebiszitären Entscheidung des deutschen Volkes nicht zum Erfolg geführt hatten und die Verhärtung der sowjetischen Position in Ja BVerfGE 36, 1. n a.a.O., S. 24. ao " •• • Die Bundesregierung verliert durch den Vertrag nicht den Rechtstitel, überall im internationalen Verkehr, auch gegenüber der Deutschen Demokratischen Republik, nach wie vor die staatliche Einheit des deutschen Volkes im Wege seiner freien Selbstbestimmung fordern zu können und in ihrer Politik dieses Ziel mit friedlichen Mitteln und in Übereinstimmung mit den allgemeinen Grundsätzen des Völkerrechts anzustreben. Der Vertrag ist kein Teilungsvertrag, sondern ein Vertrag, der weder heute noch für die Zukunft ausschließt, daß die Bundesregierung jederzeit alles ihr Mögliche dafür tut, daß das deutsche Volk seine staatliche Einheit wieder organisieren kann." 11 Vgl. Fn. 27. 31 Vgl. die Veröffentlichung 10 Jahre Deutschlandpolitik (Fn. 4), S. 119.
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der Deutschlandfrage kein greifbares Ergebnis aufgrund des bisherigen Konzeptes zu versprechen schien33, ist man auf ein anderes völkerrechtliches Gleis übergewechselt, um damit eher zum Ziele zu kommen. Diese andere völkerrechtliche Möglichkeit besteht in Vereinbarungen auf der Ebene der Staaten. Während das Selbstbestimmungsrecht als eine neue Entwicklung im Völkerrecht unmittelbar den Angehörigen eines Volkes oder einer Nation das Recht zugesteht, sich in einer Willensentscheidung verbindlich zu konstituieren34, greift das Instrument der Vereinbarung zwischen Staaten auf ein ganz traditionelles völkerrechtliches Mittel zurück35 . Auch durch einen Staatsvertrag läßt sich dem Anliegen des Selbstbestimmungsrechtes nachkommen. Es mag paradox anmuten: die sich dem Fortschritt näher wähnenden politischen Kräfte der Bundesrepublik Deutschland haben mehr Vertrauen zu den traditionellen, konservativen Instrumenten als zu der Kraft neuer, junger und progressiver Entwicklungen im Völkerrecht. Auf dem Wege staatlicher Vereinbarungen ist beispielsweise das Bismarcksche Reich durch den vertragsmäßigen Eintritt der süddeutschen Staaten in den Norddeutschen Bund zur Entstehung gelangt36• Das Beschreiten dieser Ebene setzt voraus, daß man den Vertragspartner als Subjekt einer solchen Vereinbarung zur Kenntnis nimmt37. Das Auswechseln der Gleise in der Deutschlandpolitik 1969 kommt darum am nachhaltigsten in der Formel der "Zwei Staaten in Deutschland" zum Ausdruck38. Durch diese Erklärung wurde die Politik der bewußten Nichtanerkennung eines zweiten deutschen Staates verlassen und nur insofern eine Besonderheit gesetzt, als man die Deutsche Demokratische Republik nicht als fremden, ausländischen Staat, sondern als einen zweiten "Staat in Deutschland" bezeichnet und zugleich hinzugesetzt hat: "... auch wenn zwei Staaten in Deutschland existieren, sind sie doch füreinander nicht Ausland; ihre Beziehungen zueinander können nur besonderer Art sein". Hinter diesem Konzept steht die Hoffnung, die Frontstellung, auf die die Geltendmachung des Selbstbestimmungsrechts gegenüber einer nicht von der Bevölkerung legitimierten Regierung hinausläuft, durch Verhandlungen mit eben dieser Regierung abzubauen und den Versuch 38
Vgl. Fritsch-Bournazel, Die Sowjetunion und die deutsche Teilung. 1979,
s. 75.
Verdross I Simma, Universelles Völkerrecht. 1976, S. 254. Berber, Lehrbuch des Völkerrechts. 1. Bd. 2. Aufl. 1975, S. 22. ae Schweitzer, Die Deutsche Nation. Aussagen von Bismarck bis Honecker.
34
as
1976, 8.43.
n Menzel I Ipsen, Völkerrecht. 2. Aufl. 1979, S. 4. Vgl. Regierungserklärung von Bundeskanzler Brandt am 28. Oktober 1969, Texte zur Deutschlandpolitik Bd. IV (1970), S. 9 (12). as
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zu unternehmen, sie sogar für die Wiedervereinigung als nationales deutsches Anliegen zu gewinnen. Der in diesem Zusammenhang regelmäßig anzutreffende Begriff der "Entspannung" bezieht sich in dieser Perspektive auch auf das Spannungsverhältnis, in das sich die DDRRegierung als Repräsentant eines von seinen Bürgern nicht anerkannten separatstaatlichen Machtapparates versetzt sehen muß. In dieser politischen Kursänderung wird gewissermaßen der Blick vom Ziel des Selbstbestimmungsrechts, dem Nationalstaat, zurückgenommen auf das Subjekt dieses Rechtes, die Nation. Diese Deutschlandpolitik auf dem Gleis der förmlichen Diplomatie ist nicht ohne Erfolg geblieben und hat die Ost-West-Kontroverse um einiges entschärft. Die Zahl der Deutschen, die über die Trennungslinie hinweg persönliche Verbindung hat aufnehmen und vertiefen können, ist seit dem Abschluß der Verträge mit dem anderen deutschen Staat sprunghaft angestiegen39. Auch wenn sich der Schwerpunkt der Begegnungen im anderen Teile Deutschlands abspielt, ist das Band persönlicher Verbundenheit und das Bewußtsein nationaler Zusammengehörigkeit dadurch stärker geworden. Als extremes Beispiel für eine entgegengesetzte Situation sollte man sich vergegenwärtigen, daß zwischen Nord- und Südkorea nicht einmal postalischer Verkehr stattfindet. Es besteht eine hermetische Abschließung Nordkoreas, ungeachtet aller verwandtschaftlichen Beziehungen, die man in Asien oft viel intensiver empfindet; dort wird also die nationale Zusammengehörigkeit seit Jahrzehnten regelrecht stranguliert40 • Auch die intensiv gebliebenen wirtschaftlichen Bindungenu zwischen beiden Staaten in Deutschland aufgrund des Sonderbandes des innerdeutschen Handels mit einer gezielten Vorzugsbehandlung von Waren und Dienstleistungen aus der DDR42 haben eine wirtschaftliche Verzahnung im gewerblichen Sektor aufrechterhalten. Zu erwähnen wären auch die ähnlich gebliebenen Konsumgewohnheiten diesseits und jenseits der innerdeutschen Grenze, nicht zuletzt wegen der im Osten empfangenen Fernsehprogramme Westdeutschlands. Was alles sonst at So steigerte sich die Zahl der Reisen in die DDR nach lokrafttreten des Verkehrsvertrages mit der DDR im Jahre 1972 innerhalb von 6 Jahren auf über das Doppelte gegenüber dem gleichen Zeitraum vor Abschluß des Vertrages: 1967- 1972: 7,8 Mill.; 1973 - 1978: 16,6 Mill.; vgl. in DDR-Handbuch, 2. Aufl. 1979, S. 201. Vgl. aber den Zusammenbruch dieser Politik nach der drastischen Heraufsetzung des Mindestumtauschbetrages am 8. Oktober 1980. 'o Zur Situation in Korea vgl. Chong-Sik Lee, Korea in der Sackgasse, in: EA 1976/1, S. 663 (665). 41 Vgl. DDR-Handbuch (Fn. 39), S. 208. u Vgl. Interzonenhandel, Loseblatt; Sieben, Innerdeutscher Handel mit Sonderabschnitt Berlin-Verkehr, Loseblatt; Lambrecht, Die Entwicklung des Interzonenhandels von seinen Anfängen bis zur Gegenwart. 1965; Kleindienst, Aktuelle Rechtsfragen des innerdeutschen Handels. 1974.
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auf dieser Habenseite an Bilanzposten aufzuzählen wäre, kann nicht Gegenstand dieser Betrachtung sein. In dieser Bilanz am Beginn der 80er Jahre fehlt es indes nicht an Posten auf der Soll-Seite. Triebkraft für die seit 1969 beschrittenen Wege in der Deutschlandpolitik sollte die Wahrung der Nation43 sein. Der Begriff der Nation schien einen günstigen Anknüpfungspunkt zu bieten. Denn die DDR hatte sich gerade ein Jahr zuvor, im April 1968, im Eingangsartikel einer neuen Verfassung auf das Bekenntnis zur deutschen Nation festgelegt 44 ("Die Deutsche Demokratische Republik ist ein sozialistischer Staat deutscher Nation"). Hier schien sich also eine Übereinstimmung, ein gemeinsamer Nenner für beide deutschen Staaten abzuzeichnen, der um so größere Anziehungskraft entfalten mußte, als sich auch nach östlicher Ansicht das Selbstbestimmungsrecht auf die Nation bezieht. Dieser westdeutsche Versuch, die DDR-Regierung am nationalen Portepee zu fassen, hat sich jedoch in das Gegenteil verkehrt. Die modifizierte Deutschlandpolitik der Bundesregierung hat zu einer Fluchtbewegung der DDR-Staatsführung aus der deutschen Nation und zu einer Verfassungsänderung im Jahre 197445 geführt, durch die alle Hinweise auf eine nationale Verklammerung zwischen beiden Teilen Deutschlands ausradiert worden sind. Es ist hier nicht der Ort, der Frage nachzugehen, ob diese Auswirkung der nationalen Umarmungsstrategie hätte vorausgesehen werden können oder nicht. Diese Flucht zeigt jedenfalls symptomatisch die im Osten nach wie vor empfundene Virulenz der ungelösten deutschen Frage bis zur Gegenwart. Das ist eine gewichtige Feststellung, die man nicht aus den Augen verlieren sollte. In der westdeutschen und westeuropäischen Öffentlichkeit ist es kaum voll zur Kenntnis genommen worden, daß diese Defensivreaktion der DDR-Staatsführung mehr war als eine aus Verlegenheit und Überraschung geborene Antwort. Durch die Verfassungsänderung vom 7. Oktober 1974 ist die Aussage in Art. 1: "Die Deutsche Demokratische Republik ist ein sozialistischer Staat deutscher Nation" 46 formell ersetzt worden durch die Formulierung: "Die Deutsche Demokratische Republik ist ein sozialistischer Staat der Arbeiter und Bauern." Doch die eigentliche Antwort auf das Ausstreichen der deutschen Nation in jenem Art. 1 und das Tilgen der Aussage in Art. 8 Abs. 2 über die der Staatsführung aufgegebene "Überwindung der vom Imperialismus der 48 Vgl. die Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969, Fn. 38. " GBl. DDR I, 1968, S. 205. 45 Vom 7. Oktober 1974, GBI. DDR I, 1974, S. 425. 48 a.a.O.
4 Greweu. a.
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deutschen Nation aufgezwungenen Spaltung Deutschlands" ist das unterwürfige Bekenntnis in dem neu gefaßten Art. 6: "Die Deutsche Demokratische Republik ist für immer und unwiderruflich mit der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken verbündet." Auch der folgende übernächste Satz: "Die Deutsche Demokratische Republik ist untrennbarer Bestandteil der sozialistischen Staatengemeinschaft" bringt diese geänderte Sicht klar zum Ausdruck. Der genau ein Jahr später abgeschlossene Vertrag über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand mit der UdSSR47 hat diese einseitigen Bekundungen der Staatsführung der DDR in die Formen eines verbindlichen völkerrechtlichen Vertrages gegossen. In ihm lesen wir jetzt etwas von der "weiteren Annäherung der sozialistischen Nationen" 48 und von der "ewigen und unverbrüchlichen Freundschaft" sowie der Festigung "der brüderlichen Hilfe auf allen Gebieten" 49 • "Sie werden die allseitige Zusammenarbeit planmäßig und unentwegt entwickeln und vertiefen" heißt es an anderer Stelle. Gesprochen wird davon, "ein immer engeres Zusammenwirken der nationalen Wirtschaften beider Staaten" zu sichern50. Zugespitzt formuliert bedeutet dies, daß das unverbrüchliche und immerwährende Streben nach der deutschen nationalen Einheit, wie wir es noch über die Zeit der Verfassungsänderung hinaus im SEDParteiprogramm51 nachlesen konnten, ersetzt worden ist durch das unwiderrufliche Verankertsein im Sowjetblock. Die Formulierungen in dem Bündnisvertrag von 1975 lassen sich - wenn man sie zum vollen Nennwert nimmt - als "schrittweise Annäherung der beiden Staaten bis zu ihrer Vereinigung auf der Grundlage der Demokratie und des Sozialismus" deuten, d. h. genau mit den Worten, die bis zur Verfassungsänderung 1974 der Annäherung der "beiden deutschen Staaten" 62 gegolten hatten, nur tritt jetzt die Sowjetunion an die Stelle der Bundesrepublik Deutschland. Wir wissen es aus den Büchern von Djilas, daß Stalin nach 1945 mit dem Gedanken der Einverleibung der osteuropäischen Staaten in das Sowjetreich gespielt hat53 • Auch aus Bulgarien sind derartige Überlegungen bekannt geworden54, und es steht zu vermuten, daß man auch in der DDR-Staatsführung Erwägungen in dieser Richtung angestellt u GBI. DDR li, 1975, S. 237. u Vgl. die Präambel des Vertrages. •• Art.l. 50 Art.2. &t Vgl. das Programm der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Neues Deutschland vom 25. Januar 1963; Riklin I Westen, Selbstz_e ugnisse des SED Regimes. 1968, S. 80 (105). 61 Art. 8, Abs. 2, Fn. 44. u Djilas, Gespräche mit Stalin. 1962, S. 255. &4 Vgl. auch: Dedijer, Stalins verlorene Schlacht. 1970.
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hat. Eine Entwicklung dieser Art mag derzeit, zumal nach den jetzigen Erfahrungen der Sowjetunion mit Afghanistan, nicht aktuell sein. Immerhin müßte es der östlichen Seite signalisiert werden, daß ein solches politisches Konzept in Deutschland gegen die Vier-Mächte-Verantwortung verstoßen und darüber hinaus die gesamte politische Landschaft in Europa zwischen Ost und West aus den Angeln heben würde. Vor allem wäre es eine Verletzung des Selbstbestimmungsrechts des deutschen Volkes und der übrigen im sowjetischen Machtbereich befindlichen Nationen. Diese äußerste Konsequenz würde auf dem 1969 eingeschlagenen Wege der Bundesregierung den Vertragspartner entrücken und alle Absprachen generell in Frage stellen. Eine solche Aufhebung der ungelösten deutschen Frage durch Umwandlung zu einer "inneren Angelegenheit" der UdSSR sollte im politischen Kalkül der westlichen Mächte nicht gänzlich außer Betracht bleiben. Es wäre der Grabstein für die "außenpolitische Revision" in dem eingangs zitierten Sinne. Auch dieser Aspekt gehört zu unserem Thema. Ein vorbeugend wirksames Gegengewicht läßt sich nur darin sehen, die Deutschlandpolitik wieder fester auf zwei Gleise zu stellen55 : die Gesprächsebene zwischen den Regierungen zu ergänzen durch die ursprünglich für die Deutschlandpolitik maßgebend gewesene elementare Ebene der Menschen und des ihnen zustehenden Selbstbestimmungsrechtes56. Nur eine solche Ergänzung der Eindimensionalität durch die zusätzliche Dimension der Einbeziehung des deutschen Volkes, der deutschen Nation, als Subjekt des Selbstbestimmungsrechts kann für Beständigkeit und Stabilität der ungelösten deutschen Frage in den Ost-West-Beziehungen auch in Zukunft sorgen. Bei der Abgrenzungspolitik der DDR-Staatsführung und ihrer starken Hinwendung zum "großen Bruder" in Moskau sollte man nicht nur an diese äußerste, letzte Möglichkeit einer solchen sowjetischen "Verstaatlichung" denken. Bei dem Abwägen der Soll- und Habenposten der außenpolitischen Lage Deutschlands am Beginn der 80er Jahre muß vielmehr auch in Rechnung gestellt werden, daß diese Flucht der DDR-Staatsführung vor dem westdeutschen Appell an deutsche nationale Gemeinsamkeiten von der Absicht getragen wird, das nationale Zusammengehörigkeitsgefühl der DDR-Deutschen sukzessive zum Verblassen zu bringen. Die von der Bundesregierung 1969 als Grundlage für die Zweistaatlichkeit in Deutschland beschworenen Son66
Ähnlich auch Uacker, Deutsche unter sich. 1977, S. 153.
5• In diesem Zusammenhang kann auf eine Erklärung eines Mitgliedes der
Bundesregierung aufmerksam gemacht werden: "Die Bundesregierung hat sich zu keinem Zeitpunkt seit 1969 eingebildet oder gar versprochen, ihre Politik führe zwangsläufig zur Wiedervereinigung oder zur Durchsetzung der Selbstbestimmung der Deutschen, die in den beiden deutschen Staaten leben.", Texte zur Deutschlandpolitik, Reihe II, Bd. 5, 1979, S. 324 (330).
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derbeziehungen51 beschränken sich bereits heute - wie bemerkt im wesentlichen auf den Bereich des innerdeutschen Handels, weil die DDR-Staatsführung davon beträchtlich profitiert. Bei der Behandlung der Westdeutschen seitens der DDR hingegen gibt es in vielen Positionen Diskriminierung statt (privilegierende) Sonderbeziehung. Westdeutsche werden in die teuersten Hotels der Spitzenklasse, in die Interhotels, vermittelt, nicht in Privatquartiere oder übliche Mittelklasse-Hotels. Das geschieht nicht nur, um ihnen Devisen abzunehmen58 - sie müssen ohnehin verdoppelte Zimmerpreise bezahlen -, sondern nicht zuletzt auch aus der Erwartung heraus, sie damit den Menschen in der DDR zu entfremden und von ihnen fernzuhalten. Der westdeutsche "Kapitalist" soll bei seinem Besuch in der DDR deutlich als Klassengegner gezeichnet werden. Der vor einigen Jahren59 zwischen DDR, Polen und der CSSR eingeführte - freilich nicht lange durchgehaltene - visafreie Tourismus und verschiedene Liberalisierungen beim Wareneinkauf waren umgekehrt darauf angelegt, dem DDR-Bürger Polen und Tschechen, also Ausländer, näherzubringen als Deutsche aus der Bundesrepublik Deutschland. Für die Einreise Westdeutscher in die DDR und die polizeiliche Anmeldung bestehen zeit- und nervenaufreibende Formalitäten, die gegenüber Polen und Tschechen weithin entfallen59a.. Diese Umstände lassen sich als Gegenmittel der DDR begreifen, die den von uns immer rein zahlenmäßig in den Vordergrund gestellten westlichen Besucherstrom nach Mitteldeutschland wohl nicht entscheidend, aber immerhin doch auch nicht unwesentlich in seinem positiven Vorzeichen relativieren. Im wirtschaftlichen Bereich gehört das Verlangen nach Meistbegünstigung zu den Standard-Forderungen des Ostens60 • Von westlicher Seite ist noch nicht der Gedanke vorgebracht worden, ein entsprechendes Verlangen nach Gewährung von Meistbegünstigung bei der Behandlung von Touristen zu fordern, obschon man sich insoweit auf die 57 Dazu Brandt anläßlich des Treffens in Erfurt am 19. März 1970, Bulletin des BPA vom 20. März 1970, S. 378; vgl. auch Mahnke, Die besonderen Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten, in: Fünf Jahre Grundvertragsurteil des Bundesverfassungsgerichts. Symposium 2. - 4. Oktober 1978. 1979, s. 145. 58 Die Einnahme von Devisen aus dem Tourismus ist für die DDR wichtig, weil die passive Handelsbilanz gegenüber westlichen Industriestaaten dadurch ausgeglichen werden soll; vgl. DDR-Handbuch (Fn. 39), S. 1086. 69 Archiv der Gegenwart (AdG) 1972, S. 16822 C, 17505 B, 17543 A. 59a. Die Freiheitsregungen in Polen haben rasch zu einer Beendigung dieses Experimentes geführt und den Personenverkehr fast ganz zum Erliegen gebracht. 10 Vgl. Usenko, Das Regime der Meistbegünstigung in den sowjetischamerikanischen Handelsbeziehungen, in: Sowjetstaat und Recht Nr. 9, 1974, S. 84 (russ.).
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KSZE-Schlußakte beziehen könnte, die nicht nur die Wechselbeziehungen und Zusammenhänge zwischen Wirtschaft und Tourismus betont, sondern die Förderung und Erleichterung des Tourismus zum Ziele hat61 • Vor allem aber wird die deutschlandpolitische Bilanz erheblich durch das Mißverständnis belastet, das sich aus der Ost- und Deutschlandpolitik der 70er Jahre im Ausland und in der deutschen Öffentlichkeit ergeben hat, durch den Eindruck nämlich, als hätten die Verantwortlichen in der Bundesrepublik Deutschland mit der Anerkennung der DDR als zweiten Staat in Deutschland sowie durch die ausdrückliche Respektierung der mitteldeutschen und der ostdeutschen Grenzziehungen die Teilung Deutschlands als vollzogene Tatsache akzeptiert und diesen Rückzug allenfalls mit einigen juristischen Vorbehaltsfloskeln verbrämt62 • Das zeigt, wie leicht eine Politik falsch verstanden werden kann, die sich auf die traditionelle Ebene des rein staatlichen Verkehrs zurückgezogen hat. Durch die Formel der ungelösten oder der offenen deutschen Frage muß diesem Eindruck entgegengewirkt werden. Die deutsche Frage bewegt am Beginn der 80er Jahre nicht mehr das europäische Mächtekonzert, wie noch in den 50er und 60er Jahren. Darum muß verstärkt und beharrlich auf den Fortbestand der Deutschland-Frage aufmerksam gemacht werden. Das mag derzeit keine unmittelbare Verbesserung der Ausgangslage oder gar der Chancen zur Überwindung der deutschen Teilung versprechen; darin liegt jedoch eine Möglichkeit, vorhandene Positionen wachzuhalten. In eine negative Richtung wirkt es nicht minder, wenn man die Entfaltung der Deutschland- und Ostpolitik mit dem Begriff der "Normalisierung" verbindet, was seitens der Regierung in zunehmendem Maße geschieht. Beispielsweise wird in dem Bericht des Bundesministeriums für innerdeutsche Beziehungen "Zehn Jahre Deutschlandpolitik. Die Entwicklung der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR 1969- 1979" 63 von der "Normalisierung der internationalen Präsenz beider Staaten" gesprochen64• Etwas differenzierter heißt es an anderer Stelle: "Für die Bundesrepublik Deutschland darf ... durch das Anstreben von normalen Beziehungen nicht verschüttet 81
EA 1975/2, D 463 (469).
Diese Bedenken wurden anläßlich der Diskussion zum Grundvertrag im Bundestag geäußert, vgl. Verhandlungen des Deutschen Bundestages, Bd. 81, S. 551; vgl. auch Kewenig, Die Bedeutung des Grundvertrages für das Verhältnis der beiden deutschen Staaten, in: EA 1973/1, S. 37 (46). 83 Vgl. Fn. 4. M a.a.O., S. 10. sz
Gottfried Zieger werden, daß die deutsche Frage als nationales Problem nach wie vor prinzipiell offen bleibt85 ." Von Normalität und Normalisierung sollte besser in diesem Zusammenhang nicht gesprochen werden. Denn die ungelöste deutsche Frage selbst wird immer Ausdruck der Anomalität der Rechtslage Deutschlands sein68. Normalisierung bedeutet Rückkehr zur Norm, zum Normalen. Davon kann aber solange nicht gesprochen werden, als dem deutschen Volk die Selbstbestimmung von der östlichen Seite verweigert wird. Auch gegenüber den osteuropäischen Ländern im sowjetischen Machtbereich kann nicht von Normalisierung gesprochen werden, solange dort gleichfalls keine freie politische Selbstbestimmung möglich ist. Wenn das anders wäre, hieße Normalisierung Anerkennung der sowjetischen Vorherrschaft als normal, als normgerecht. Das zeigt die Unüberlegtheit, mit der dieser Begriff bei uns gebraucht wird. Auch das Wort von der "Entspannung" trägt die Gefahr in sich, nachhaltig mißverstanden zu werden87. Denn die Politik, die unter diesem Etikett betrieben wird, bezieht sich nur auf das äußerliche Glätten von Symptomen, nicht aber auf den Abbau der Ursachen der Spannung, nämlich die Vorenthaltung des Selbstbestimmungsrechts für die Menschen und Nationen im östlichen Herrschaftsbereich der UdSSR88 . Gewiß muß unser Streben auf Normalisierung und Entspannung gerichtet sein, doch muß dabei deutlich bleiben, daß die Spannung in Europa durch Machtpolitik und völkerrechtswidrige Gewalt geschaffen worden ist89• Ein echter Spannungsabbau setzte voraus, daß die verfügbaren internationalen Ordnungsregeln, nämlich die Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten, Selbstbestimmung und Achtung der Souveränität wieder in Kraft gesetzt werden, daß die okkupierende Machtpolitik demgegenüber zurückzuweichen haF0 • Nur das kann als Normalisierung, als Rückkehr zum Normgerechten, verstanden werden. Dies a.a.O., S. 22. Gerade deshalb findet man den Begriff der Normalisierung der Beziehungen häufig in den Ausführungen der DDR-Vertreter, vgl.: das Interview von Stoph in: Texte zur Deutschlandpolitik Bd. 1, 1968, S. 147; Honecker auf einer Konferenz am 20. Oktober 1972; Texte zur Deutschlandpolitik Bd. 11, 1973, S. 251 ff.; vgl. hierzu Zieger, Staats- und völkerrechtliche Überlegungen zur "offenen deutschen Frage", in: Die offene deutsche Frage. Deutschlandpolitisches Symposium, Bonn, 20. November 1979. 1979, S. 72 (74). 87 Zur Vieldeutigkeit des Begriffs Entspannungspolitik: Nerlich, Detente und Westpolitik, in: EA 1976/1, S. 105. · 88 Vgl. dazu etwa die Rede von Bundesminister Franke am 24. November 1972 vor dem Kuratorium Untenbares Deutschland, Texte zur Deutschlandpolitik Bd. 11, 1973, S. 343 (347). 89 Jüttner, Die deutsche Frage. 1971, S. 138. 1o Diese Machtpolitik deckt Nerlich sogar als Grundlage für die Entspannungspolitik der Sowjetunion auf, a.a.O., S. 108. 85
88
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mahnend im Bewußtsein zu halten, ist wesentlich und elementar für die Lösung der offenen deutschen Frage, die einen Teil der Anomalität im östlichen Teile Europas darstellt. Ungeachtet der Möglichkeit des Verhandeins und Kontrahierens der Staaten zwischen den verschiedenen Teilen Europas, vor allem auch zwischen den beiden Staaten in Deutschland, muß deshalb das Fundament: das Recht auf Selbstbestimmung und die volle Respektierung der in Ausübung des Selbstbestimmungsrechts erworbenen Souveränität wieder stärker sichtbar gemacht werden. Im Falle der deutschen Situation tritt die Verantwortlichkeit und Präsenz der Vier Mächte hinzu71 • Dem Osten haben wir es zu verdanken, daß der Weltöffentlichkeit durch die Berlinfrage auch zehn Jahre nach Abschluß des Vier-MächteAbkommens vom 3. September 1971 72 das Ungelöstsein der deutschen Frage immer wieder nahegebracht worden ist. Die Situation Berlins steht stellvertretend für die Rechtslage des ganzen Deutschland. Die Rolle, welche die Deutschlandfrage in den Ost-West-Beziehungen spielt, kommt gerade bei Berlin markant :lUm Ausdruck. Im Zusammenhang mit Überlegungen, Handelsrestriktionen gegenüber der UdSSR betreffend, ist kürzlich von einem namhaften Vertreter die Sorge geäußert worden, die Nichteinhaltung von Handelsverträgen mit der Sowjetunion könne Auswirkungen auf die Einhaltung des BerlinAbkommens seitens der östlichen Macht haben. - Auf der Grundlage solcher Überlegungen würde sich die Bundesrepublik Deutschland selbst ihres außenpolitischen Handlungsspielraumes berauben. Bei diesen Erwägungen ist zunächst auf eines aufmerksam zu machen: die Bundesrepublik Deutschland selbst ist gar nicht Signatar des VierMächte-Abkommens über Berlin. Das sind allein die Vier Mächte. Zum anderen stellt das politische Äquivalent für den Abschluß des BerlinAbkommens nicht der deutsch-sowjetische Handelsvertrag oder ein sonstiges Wirtschaftsabkommen dar. Das politische Junktim bestand vielmehr mit dem Inkrafttreten der Ostverträge73 • Wenn von der östlichen Seite das Berlin-Abkommen ins Spiel gebracht wird, müßten auf westlicher Seite die Ostverträge diskutiert werden. Die gemeinsame Bundestagsentschließung vom 17. Mai 197274, der Brief zur deutschen 71 Blech, Die Prinzipienerklärung der KSZE-Schlußakte, in: EA 1976/1, S. 257 (269); Tomuschat, Die rechtliche Bedeutung der Vier-Mächte-Verantwor-
tung, in: Fünf Jahre Grundvertragsurteil des Bundesverfassungsgerichts. Symposium 2. - 4. Oktober 1978. 1979, S. 71. 71 Beilage BAnz. Nr. 174 vom 15. September 1972, S. 44. n Zur Bedeutung dieses Junktims vgl. Birnbaum, Gesamteuropäische Perspektiven nach dem Berlin-Abkommen, in: EA 1972/1, S. 1 (5). 74 Vom 10. Mai 1972 zu den Verträgen von Moskau und Warschau, Verhandlungen des Deutschen Bundestages, Bd. 80, S. 10960; Verhandlungen des Deutschen Bundestages, Anlage Bd. 158, Drs. VI 3156, Fn. 4, S. 181 f.
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Einheit75 , bedürften als Reaktion dann der verstärkten Heraushebung - immer nur verstanden als vorbeugende Abwehrreaktion zur Sicherung der beiderseitigen Vertragstreue. Argumente haben wir nicht zuletzt auch dem Bundesverfassungsgericht78 zu verdanken, nämlich seiner Feststellung von der Nichtendgültigkeit der Regelung, insbesondere der territorialen Aussagen. Ebenso gehört die innerdeutsche Diskussion, etwa um die Grenzziehung in Schulatlanten und sonstigen politischen Karten Europas, in diesen Zusammenhang77• Die östliche Reaktion auf die kürzlich durch die Presse gegangene Nachricht, daß NATO-Einheiten, vor allem wohl der Amerikaner, auf ihren Karten von Europa noch die Grenzen von 1937, insbesondere auch die Grenzen der drei baltischen Staaten, als Staatsgrenze verzeichnen, zeigt die hohe Empfindlichkeit und Wirksamkeit solcher Signale im Osten; die USA haben bis heute die Annexion der baltischen Staaten nicht anerkannt und bringen dies in ihren Karten zum Ausdruck78 • Auch die Bekräftigung der Fortexistenz des Völkerrechtssubjektes Deutschland zählt zu einem solchen fundamentalen Element möglicher Abwehrreaktionen, weil gerade darin die ungelöste deutsche Frage verdeutlicht wird. Insofern stellen die deutschlandpolitischen Bemühungen der Opposition Argumentationsmaterial auch für die Politik der Bundesregierung dar79• Darüber wäre ein Konsens aller politischen Parteien höchst wünschenswert. Die augenblickliche Zunahme der Ost-West-Spannung im Zusammenhang mit den Ereignissen im Mittleren Osten und in Polen haben die hohe Gefährdung der Ergebnisse der Deutschland- und Ostpolitik der letzten zehn Jahre sichtbar werden lassen. Hier liegt die Gefahr der politischen Selbstlähmung nahe. Die Kunst diplomatischer Verhandlung erweist sich darin, politische Schlechtwetterperioden mit einzukalkulieren. Neben dem politisch wirksamen Instrument des Selbstbestimmungsrechts und der Menschenrechte - über die man in diesem Zusammenhang manches bemerken könnte - stellt die Wirtschaftskraft der Bundesrepublik Deutschland einen der stärksten Faktoren im poli75 Vgl. Brief zur deutschen Einheit zum Moskauer Vertrag, 7. August 1970, BGBI. 1972 11 S. 357 sowie zum Grundvertrag am 21. Dezember 1972, Zehn Jahre Deutschlandpolitik (Fn. 4), S. 206. 78 Fn. 28. 77 Blumenwitz, Die Darstellung der Grenzen Deutschlands in kartographischen Werken. 1980, S. 33. 78 Meissner, Die Sowjetunion, die baltischen Staaten und das Völkerrecht.
1956, s. 291.
78 z. B. deutschlandpolitisches Grundsatzpapier der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag, in: Texte zur Deutschlandpolitik, Reihe II, Bd. 6, 1979,
s. 93 (96).
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tischen Spiel zwischen Ost und West dar. Man müßte es lernen, dieses Instrument so dosiert und differenziert einzusetzen, wie es in der gesamten Außenwirtschaftspolitik des Sowjetblocks bis hin zur Entwicklungshilfe praktiziert wird. Der Ostblock war 1979 mit mehr als 100 Mrd. DM bei den Ländern der westlichen Welt verschuldet80 • Dies stellt eine gigantische Entwicklungshilfe des Westens gegenüber der Sowjetunion und ihren Gefolgschaftsstaaten dar, eine Hilfeleistung in einem Volumen, das sich mit dem Marshallplan der Jahre nach 1947 nicht einmal vergleichen läßt. Die Amerikaner haben ihre Hilfeleistung damals mit ganz empfindlichen Auflagen verbunden, Auflagen zur Liberalisierung der westeuropäischen Wirtschaft81 • Aus zeitlichen Gründen können in diesem Zusammenhang nur das Stichwort der OEEC (der Organisation for European Economic Cooperation) mit ihrem Liberalisierungskodex und der Europäischen Zahlungsunion genannt werden, der wir seit 1958 die Konvertibilität der westeuropäischen Währungen verdanken82 . Die Riesenkredite der letzten zehn Jahre sind dem Osten ohne jede Auflage gegeben worden. Man stelle sich einmal theoretisch umgekehrt die Situation vor, der Osten wäre gegenüber einem in der Wirtschaftskrise befindlichen Westeuropa mit einer solchen Summe in der Gläubigerposition. Es bedarf nicht großer Phantasie, sich auszudenken, mit welchen politischen Preisen dies verknüpft wäre, wahrscheinlich bis hin zu Forderungen nach Eintritt kommunistischer Parteien in Koalitionsregierungen in den romanischen Ländern. Für Westdeutschland stellt der Swing von derzeit 850 Mill. Verrechnungseinheiten83 eine der geeignetsten Reaktionsinstrumente dar, um die Balance im Geben und Nehmen zwischen den beiden deutschen Staaten zu bewahren. Wie anders will man reagieren, wenn etwa nach der Bundestagswahl die Grenzabfertigung wesentlich unfreundlicher wird, der Zwangsumtauschsatz - wie schon einmal geschehen84 - einseitig angehoben und damit die ganzen Erfolge der menschlichen Begegnungen im Gebiet der DDR über Nacht gedrosselt werden, ganz abgesehen davon, daß die 50 Mill. Straßenbenutzungsgebühr85 jährlich in voller Höhe weitergezahlt würden, auch wenn die tatsächliche Benutzung auf einen Bruchteil zurückgehen würde? Dieser Tage hieß es, 80 Vgl. hierzu Finanzierungs- und Währungsprobleme des Ost-West-Wirtschaftsverkehrs. Internationales Symposium 1. - 3. Juli 1977 in Göttingen. 1979. 81 Vgl. Erler, Marshall-Plan, in: Strupp-Schlochauer, Wörterbuch des Völkerrechts. 2. Aufl. Bd. 2 (1961), S. 480. 82 Zur Wiederherstellung der Konvertibilität 1958 vgl. Boesch, Der internationale Geldmarkt seit der Wiederherstellung der Konvertibilität der Währungen, Diss. Zürich 1969, S. 49. 83 AdG vom 15. Oktober 1980, S. 23975 A . 84 GBI. DDR I, 1980, S. 291. 86 AdG vom 31. Oktober 1979, S. 23023 B.
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daß der Bundeswirtschaftsminister der DDR gegenüber schon angedeutet hätte, daß man den Swing in bisheriger Höhe wie gewünscht verlängern werde, ohne daß eine entsprechende Festschreibung der östlichen Leistungen als eine Art Geschäftsgrundlage ersichtlich damit verknüpft worden wäre86 • Vor allem dürften solche Entscheidungen nur für kürzere Zeiträume getroffen werden, um den Swing als Abwehrdispositiv einsatzfähig zu halten. Die Rolle der ungelösten deutschen Frage in den Ost-West-Beziehungen wird aber auch in den spekulativen Überlegungen klar, die vor kurzem die Runde gemacht haben: das Winken mit einer Herabsetzung des Rentneralters, wenn sich die Bundesrepublik Deutschland dafür von dem sog. Nachrüstungsbeschluß der NATO distanziere87 • Was wäre -muß man mit allem Ernst und Nachdruck fragen-, wenn man der Bundesregierung eine Konföderation beider deutscher Staaten zu Bedingungen eigener Wahl anbieten würde? Mit dem winkenden Hinweis, daß daraus durchaus eine Wiedervereinigung hervorgehen könne? Wenn man im Osten Bereitschaft durchblicken ließe, sagen wir, die DM als zweite Währung in der DDR einzuführen (was sie heute in gewissem Sinne schon ist)? Wenn man westlichen Unternehmen wieder eine Betätigung im anderen deutschen Staate gestattete, etwa in Form gemischter Gesellschaften mit einem Anteil von 49 °/o für den westdeutschen Partner, um damit westdeutsches Kapital und westdeutsche Lieferungen embargosicher ins eigene Land hereinzuholen? Modelle dieser Art gibt es längst in osteuropäischen Ländern. Der Kreml wird manches in dieser Richtung in seinen Schubladen halten. Das von Breschnew betriebene Werben um den Ausbau der deutsch-sowjetischen Beziehungen88 mit seinen Stimulierungen durch die Stichworte "Rüstungsbeschränkung" und "wirtschaftliche Kooperation" stellt ein erhebliches politisches Potential dar, störend und lockend in die westliche Solidaritätsfront einzugreifen. Die Vorgänge um den Olympia-Boykott und ein mögliches Ostembargo werfen Schlaglichter. Die politische Resonanz dieses östlichen Werbens wird im Ausland sorgsam beobachtet. Die Sowjetunion besitzt damit eine geradezu unvorstellbare Möglichkeit der Einflußnahme auf den Handlungsspielraum und die Entschließungsmöglichkeiten der Bundesregierung. Das wäre nicht mit dem Begriff einer Finnlandisierung zu vergleichen, der durch innenpolitische Einflußnahme aus der Distanz gekennzeichnet werden kann. In der deutschen Situation würde dies vielmehr auf einen direkten Zugriff auf unsere Innen- und Außenpolitik hinauslaufen. 86
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AdG vom 15. Oktober 1980, S. 23975 A. AdG vom 13. Oktober 1980, S. 23971 B. Vgl. Breschnew-Rede vom 30. Juni 1980, AdG vom 4. Juli 1980, S. 23683 B.
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Sind wir auf diese Möglichkeiten der Auswirkungen der ungelösten deutschen Frage überhaupt innerlich gerüstet? Gibt es in den Planungsgruppen der Bundesregierung und bei den Westmächten, innerhalb der Europäischen Gemeinschaften, Planspiele in dieser Richtung? Oder nur Resignation, wenn das so ist, dann doch lieber auf die Wiedervereinigung zu verzichten, wegen dieser möglichen Versuchungen die Akten der offenen deutschen Frage selbst zu schließen? Die ungelöste deutsche Frage darf nicht dazu führen, die wieder gewonnene deutsche Handlungsfreiheit zu lähmen. Vielmehr bedarf es aller Aktivitäten, um das Petitum der offenen deutschen Frage allen Staaten in Europa und in der Dritten Welt, insbesondere aber der östlichen Großmacht, als ein rechtlich begründetes und politisch unverzichtbares Anliegen der Deutschen lebendig zu erhalten. Solange der Osten sich strikt weigert, die ideologische Offensive einzustellen, bedarf es einer um so Überlegteren aktiven Politik in den Positionen, die man im Osten als Schwachstellen empfindet: dem Selbstbestimmungsrecht und den individuellen Menschen- und Bürgerrechten89 . Dabei versteht es sich, daß derartige Aktivitäten immer strikt und glaubwürdig eingebunden bleiben müssen in eine Politik ohne Gewalt, auf dem Boden des Völkerrechts und gestützt auf die westliche Staatengemeinschaft90. Trotz der ungelösten deutschen Frage darf an der Friedensliebe der Deutschen auch in den westlichen Ländern kein Zweifel aufkommen, um die dort sitzenden Vorbehalte und Bedenken gegen die Zusammenführung beider deutscher Staaten abzubauen. Dem dienen die Einbettung der Bundesrepublik Deutschland in das westliche Integrationssystem sowie die Verbundenheit und Solidarität mit den Amerikanern. Die Vier-Mächte-Verantwortung für die deutsche Frage darf nicht als Last auf der sog. Souveränität Westdeutschlands, sondern muß als eine Chance begriffen werden, das deutsche nationale Anliegen wach und die Ungelöstheit der deutschen Frage sichtbar zu halten. Durch diese Vier-Mächte-Verantwortung sitzen die vier Siegermächte bei allen deutsch-deutschen Absprachen stets mit am Verhandlungstisch. Da die deutsche Frage in unmittelbarem Kontext mit der osteuropäischen Frage steht, sollte das Selbstbestimmungsrecht als ein zweiter Weg neben den Verhandlungen und Abmachungen zwischen den Staaes Hierzu: Die Ausübung staatlicher Gewalt in Ost und West nach Inkrafttreten der UN-Konvention über zivile und politische Rechte. Juristenkonferenz vom 23.- 25. September 1977 in Ludwigshafen am Rhein. 1978; Kriele, Die Menschenrechte zwischen Ost und West. 1977, S. 46. 110 Höhmann, Europäische Faktoren bei den innerdeutschen Beziehungen, Texte zur Deutschlandpolitik, Reihe U, Bd. 6, 1979, S. 240.
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ten in Ost und West auch für die osteuropäischen Völker mitbedacht werden. Die KSZE-Schlußakte hat einen vorzüglichen Gedanken zum Ausdruck gebracht: den des Junktims zwischen politischen Forderungen, wirtschaftlichen Leistungen und Gewährungen auf dem Sektor des Humanitären (das Verknüpftsein der sog. drei Körbe). Das bedarf der Transformation auf unser Thema91 • In einer Demokratie bestimmen letztlich die politischen Überzeugungen und der politische Standort der Bürger die Politik der Regierung. Damit die offene deutsche Frage in der von uns gewünschten Richtung Einfluß auf die Ost-West-Beziehungen nehmen kann, muß es unsere Aufgabe sein, das Bewußtsein der ungelösten deutschen Frage in Westdeutschland und nicht zuletzt in der DDR lebendig zu halten und den Mitgliedern der internationalen Staatenfamilie klarzumachen, daß das Selbstbestimmungsrecht um das Herzgebiet Europas keinen Bogen schlagen kann.
81 So bemängelte Abeilen (CDU/CSU} in einem Interview mit dem Rheinischen Merkur am 10. Februar 1978, daß die Bundesregierung "ihre wirtschaftlichen Hilfen und Zahlungen an die DDR vertraglich von politischen Bereichen abkoppelte", Texte zur Deutschlandpolitik, Reihe II, Bd. 6, 1979, S. 48.
STAND UND PERSPEKTIVEN DER DEUTSCH-DEUTSCHEN BEZIEHUNGEN Von Jens Hacker I. Vorbemerkung Die zehnjährige Wiederkehr der Zusammentreffen des damaligen Bundeskanzlers Willy Brandt mit dem damaligen und heutigen Vorsitzenden des Ministerrats der DDR, Willi Stoph, am 19. März in Erfurt und am 21. Mai 1970 in Kassel gab dem Deutschen Bundestag Gelegenheit, die Diskussion über die "Lage der geteilten Nation" am 20. März 1980 mit einer Rückschau auf zehn Jahre Deutschland-Politik zu verbinden. Zweifellos markieren die ersten beiden Begegnungen der Regierungschefs der beiden Staaten in Deutschland einen neuen Abschnitt in der Nachkriegsgeschichte des gespaltenen Landes. Allerdings sollte man sich davor hüten, das, was damals seinen Anfang nahm, nämlich die Politik der Verträge zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR, als Deutschland-Politik "schlechthin zu begreifen und so zu tun, als habe es eine Deutschlandpolitik der Bundesregierung vor Erfurt und Kassel nicht gegeben" 1 . Mit Recht hat Peter Jochen Winters, der Berliner Korrespondent der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" und einer der besten Kenner der innerdeutschen Szenerie, in einer instruktiven deutschlandpolitischen Bilanz an das Berliner Abkommen über den Handel zwischen den Währungsgebieten der DM-West und der Mark der Deutschen Notenbank der DDR vom 20. September 1951 erinnert. Dieses zwischen der Treuhandstelle für den Interzonenhandel und dem DDR-Ministerium für Außenhandel und innerdeutschen Handel geschlossene Abkommen, das Berlin (West) einbezieht, bildet in der Neufassung vom 16. August 1960 noch heute die vertragliche Grundlage für den innerdeutschen Handel, der für die beiden Staaten in Deutschland immer eine zentrale Rolle gespielt hat2 • Die zeithistorische Forschung hat inzwischen nachgewiesen, daß ,.die Vorstellung einer phantasielos-starren, auf juristische Formalien fixierten und auf Negation beschränkten Deutschland-Politik Konrad Adenauers ... ein Zerrbild" 3 war und ist. Die Bundesregierung der aus 1 So P. J . Winters: Was brachten die Verträge? Deutschlandpolitik gestern und morgen, in: Die politische Meinung 1980, H. 190, S. 36 - 44 (36). 1 Vgl. P. J . Winters, ebenda.
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CDU/CSU und SPD gebildeten Großen Koalition hat von Ende 1966 bis zum Sommer 1969 zahlreiche konkrete Vorschläge unterbreitet, "um die Not der Spaltung unseres Volkes zu erleichtern und dadurch die Voraussetzungen für eine Entspannung innerhalb Deutschlands zu schaffen". Angesichts der kompromißlosen Haltung der sowjetischen Regierung in der Deutschland-Frage, wie sie sich im deutsch-sowjetischen Notenwechsel 1967/68 über die Möglichkeit dokumentierte, Erklärungen über den gegenseitigen Gewaltverzicht auszutauschen\ konnte kein Zweifel darüber bestehen, daß es der Bundesregierung der Großen Koalition nicht vergönnt sein werde, einen produktiven "innerdeutschen Dialog" einzuleiten. Die Bundesregierung unter Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger hatte ihre Bereitschaft, mit der DDR Verhandlungen aufzunehmen, um das Leben im gespaltenen Deutschland erträglicher zu machen, auch in ihren Schreiben an den Vorsitzenden des Ministerrats der DDR, Stoph, vom 13. Juni und 28. September 1967 bekundet. Während es der Bundesregierung darum ging, "die Beziehungen der Deutschen in ihrem geteilten Vaterland zu erleichtern", forderte die DDR-Regierung in ihrem zweiten Brief vom 18. September 1967 an Bundeskanzler Kiesinger die "Aufnahme und Pflege normaler Beziehungen zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland", die immerhin als "souveräne Staaten deutscher Nation" apostrophiert worden sind. Das zweite Schreiben Kiesingers vom 28. September 1967 ließ die Regierung der DDR unbeantwortet5.
II. Deutschlandpolitisclle Ausgangspositionen 1969/70 1. der Bundesrepublik Deutschland
Mit dem Antritt der SPD/FDP-Bundesregierung mit Bundeskanzler Brandt und Außenminister Walter Scheel im Oktober 1969 wurde eine neue und entscheidende Phase der Bonner Deutschland-Politik eingea So K. Gotto: Adenauers Deutschland- und Ostpolitik 1954 - 1963, in: Untersuchungen und Dokumente zur Ostpolitik und Biographie. Adenauer-Studien 111. Hrsg. von R. Morsey und K. Repgen. Mainz 1974, S. 3 - 91 (90). Vgl. dazu mit weiteren Nachweisen J. Hacker: Deutsche unter sich- Politik mit dem Grundvertrag. Stuttgart 1977, S. 15- 32. • Vgl. dazu im einzelnen "Die Politik des Gewaltverzichts. Eine Dokumentation der deutschen und sowjetischen Erklärungen zum Gewaltverzicht 1949 bis Juli 1968." Veröffentlicht durch das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung. Bonn 1968; D. Frenzke, J. Hacker, A. Uschakow: Die Feindstaatenartikel und das Problem des Gewaltverzichts der Sowjetunion im Vertrag vom 12. 8. 1970. Berlin 1971. 1 Vgl. dazu mit weiteren Nachweisen J. Hacker, a.a.O. (Anm. 3), S. 36-40.
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leitet. Die Kernthesen der "neuen Deutschland-Politik" hat Bundeskanzler Brandt in seiner ersten Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969 so umrissen: "Unsere und unserer Freunde Einstellung zu den internationalen Beziehungen der DDR hängt nicht zuletzt von der Haltung Ostberlins selbst ab. Im übrigen wollen wir unseren Landsleuten die Vorteile des internationalen Handels und Kulturaustausches nicht schmälern. Die Bundesregierung setzt die im Dezember 1966 durch Bundeskanzler Kiesirrger und seine Regierung eingeleitete Politik fort und bietet dem Ministerrat der DDR erneut Verhandlungen beiderseits ohne Diskriminierung auf der Ebene der Regierungen an, die zu vertraglich vereinbarter Zusammenarbeit führen sollen. Eine völkerrechtliche Anerkennung der DDR durch die Bundesregierung kann nicht in Betracht kommen. Auch wenn zwei Staaten in Deutschland existieren, sind sie doch füreinander nicht Ausland; ihre Beziehungen zueinander können nur von besonderer Art sein. Anknüpfend an die Politik ihrer Vorgängerirr erklärt die Bundesregierung, daß die Bereitschaft zu verbindlichen Abkommen über den gegenseitigen Verzicht auf Anwendung oder Androhung von Gewalt auch gegenüber der DDR gilt6 ." Während die Bundesregierungen unter den Bundeskanzlern Adenauer, Ludwig Erhard und Kiesirrger es abgelehnt hatten, die DDR völkerrechtlich anzuerkennen oder ihr die Staatsqualität zuzusprechen, bejahte die Bundesregierung Brandt/Scheel erstmals den Staatscharakter der DDR. Während die Bundesregierung der Großen Koalition an dem von ihr auf die Allein-Sprecher-Berechtigung reduzierten Alleinvertretungsanspruch der Bundesrepublik Deutschland festhielt, schloß Brandt eine Modifizierung oder gar Aufgabe der "Hallstein-Doktrin" mit dem Hinweis nicht aus, daß die Haltung der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Verbündeten zur internationalen Position der DDR von der Einstellung Ost-Berlins abhänge. Wichtig waren Brandts Feststellungen, daß die beiden Staaten in Deutschland füreinander nicht Ausland seien und ihre Beziehungen zueinander nur von "besonderer Art" sein könnten7 • 8 Über die Deutschland-Politik der Bundesregierung seit Herbst 1969 informieren zahlreiche Dokumentationen. Diesem Beitrag ist der umfangreiche Band "Zehn Jahre Deutschlandpolitik. Die Entwicklung der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik - 1969 - 1970. Bericht und Dokumentation", hrsg. vom Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen. Bonn Februar 1980, zugrunde gelegt (im folgenden zitiert: Deutschlandpolitik). Die Einführung informiert über die Entwicklung und den Stand der innerdeutschen Beziehungen in den Jahren 1969- 1979. Text des deutschlandpolitischen Passus aus der Regierungserklärung Bundeskanzler Brandts vom 28. Oktober 1969, ebenda, S. 119.
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Einige zentrale Aussagen hat Bundeskanzler Brandt in seinem ersten Bericht zur Lage der Nation am 14. Januar 1970 vor dem Bundestag und in den "Vorstellungen über Grundsätze und Vertragselemente für die Regelung gleichberechtigter Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik" konkretisiert, die er in seinem zweiten Gespräch mit Ministerpräsident Stoph am 21. Mai 1970 in Kassel vorgetragen hat. Nachdem Brandt am 19. März 1970 in Erfurt den Alleinvertretungsanspruch aufgegeben hatte, lautete Punkt 6 des Kasseler 20-Punkte-Katalogs: "Keiner der beiden deutschen Staaten kann für den anderen handeln oder ihn vertreten." Besonderen Wert legte Brandt in Kassel auf die Feststellung, daß der mit der DDR angestrebte Vertrag von der besonderen Lage Deutschlands und der Deutschen ausgehen müsse, "die in zwei Staaten leben und sich dennoch als Angehörige einer Nation verstehen" . Außerdem forderte die Bundesregierung, daß die jeweiligen Verpflichtungen gegenüber den drei Westmächten und der UdSSR, "die auf den besonderen Rechten und Vereinbarungen dieser Mächte über Berlin und Deutschland als Ganzes beruhen", unberührt bleiben. Und in Punkt 12 des Kasseler 20-Punkte-Katalogs hieß es: "Die Vier-Mächte-Vereinbarungen über Berlin und Deutschland werden respektiert. Das gleiche gilt für die Bindungen, die zwischen West-Berlin und der Bundesrepublik Deutschland entstanden sind." Ferner sollte der innerdeutsche Vertrag Maßnahmen vorsehen, die den gegenseitigen Reiseverkehr erweitern und das Ziel der Freizügigkeit anstreben. Die Probleme, die sich aus der Trennung von Familien ergeben, sollten einer Lösung zugeführt werden. Schließlich sollten beide Seiten ihre Bereitschaft bekräftigen, "die Zusammenarbeit unter anderem auf den Gebieten des Verkehrs, des Post- und Fernmeldewesens, des Informationsaustauschs, der Wissenschaft, der Erziehung, der Kultur, der Umweltfragen und des Sport im Interesse des gegenseitigen Vorteils zu intensivieren und zu erweitern sowie Verhandlungen über die Einzelheiten aufzunehmen". In den letzten beiden Punkten des Kasseler 20-Punkte-Katalogs schlug Brandt vor, daß beide Regierungen Bevollmächtigte im Ministerrang und Dienststellen für die ständigen Beauftragten der Bevollmächtigten am Sitz der jeweiligen Regierung ernennen und daß beide Seiten auf der Grundlage des zwischen ihnen zu vereinbarenden Vertrags die notwendigen Vorkehrungen treffen, um ihre Mitgliedschaft und Mitarbeit in internationalen Organisationen zu regeln. Faßt man die Vorstellungen der Bundesregierung im Hinblick auf die angestrebten vertraglichen Vereinbarungen mit der DDR vor Be7 Vgl. zu den deutschlandpolitischen Ausgangspositionen der Bundesregierung Brandt I Scheel ausführlicher J. Hacker, a.a.O. (Anm. 3), S. 41- 51.
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ginn des "innerdeutschen Dialogs" thesenartig zusammen, so läßt sich feststellen: Der Grundvertrag sollte die besondere Lage in Deutschland berücksichtigen, vom Fortbestehen der Einheit der deutschen Nation und der Vier-Mächte-Rechte und -Verantwortung für Deutschland als Ganzes und Berlin ausgehen und die Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands nicht verhindern. Der Kasseler 20-Punkte-Katalog enthielt bereits wesentliche Abstriche an der Bonner These, nach der die Beziehungen zwischen den beiden Staaten in Deutschland nur von "besonderer Art" sein könnten. Konsequent blieb die Bundesregierung bei ihrer Auffassung, daß eine völkerrechtliche Anerkennung der DDR durch die Bundesrepublik Deutschland nicht in Frage kommen könne8 • 2. derDDR
Die von der Bundesregierung der SPD/FDP-Koalition Ende Oktober 1969 eingeleitete "neue Deutschland-Politik" brachte die SED-Führung in einige Verlegenheit. Es sollte sechs Wochen nach der Regierungserklärung Bundeskanzler Brandts dauern, bis das Zentralkomitee der SED auf seiner 12. Tagung am 12. und 13. Dezember 1969 zum ersten Mal offiziell und verbindlich zum deutschlandpolitischen Programm der SPD/FDP-Koalition Stellung genommen hat. Besonders erbost war die SED-Führung über zwei zentrale Aussagen der Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969: die Feststellung Brandts, eine völkerrechtliche Anerkennung der DDR durch die Bundesregierung könne nicht in Betracht kommen, und die neue These, nach der die Beziehungen zwischen den beiden Staaten in Deutschland nur von "besonderer Art" sein könnten. Um jegliche Illusionen über eine mögliche "Vereinigung" der beiden Staaten in Deutschland restlos auszuräumen, betonte Ulbricht vor dem 12. Plenum des SED-Zentralkomitees: "Eine Vereinigung des sozialistischen deutschen Staates mit dem noch unter Herrschaft des Monopolkapitals befindlichen westdeutschen Staat ist unmöglich9." Die SED-Führung wußte jedoch von Anfang an, daß sie sich nicht damit begnügen konnte, dem Angebot Brandts vom 28. Oktober 1969, 8 Eine ausführliche Analyse des Kasseler 20-Punkte-Katalogs hat Bundeskanzler Schmidt an den Anfang seines Berichts zur Lage der Nation vom 20. März 1980 gestellt. Text in: Bulletin des Presse- und Informationsamts der Bundesregierung vom 21. März 1980. Vgl. dazu auch die auszugsweise wiedergegebene Bundestags-Debatte, in: Das Parlament, Nr. 13 und 14 vom 29. März und 5. April 1980. ' Text des Referats W. Ulbrichts in: Neues Deutschland vom 14. Dezember 1969 und Auszug in: Deutschland-Archiv 1970, S. 66- 75 (71 f.). Vgl. dazu I. Spittmann: Die 12. ZK-Tagung und der Vertragsentwurf der DDR, in: Deutschland-Archiv 1970, S. 101 - 105.
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in dem er erneut dem Ministerrat der DDR Verhandlungen vorgeschlagen hatte, mit harten und kompromißlosen Formeln zu begegnen. OstBerlin mußte sich vor allem deshalb dieses Mal etwas mehr einfallen lassen, weil die SPD/FDP-Bundesregierung eine der Hauptforderungen der DDR, endlich dem zweiten Staat in Deutschland die staatliche Qualität zuzusprechen, erfüllt hatte. Ihr deutschlandpolitisches Maximalprogramm unterbreitete Ulbricht in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Staatsrats der DDR mit dem Entwurf eines "Vertrages über die Aufnahme gleichberechtigter Beziehungen zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland" vom 17. Dezember 1969. Ulbrichts Vertragsentwurf verdeutlichte, wie sehr sich die Haltung Ost-Berlins nach dem Antritt der SPD/FDP-Bundesregierung verhärtet hatte. Von der vagen Formel "Herstellung normaler Beziehungen zwischen beiden deutschen Staaten", wie sie die DDR bis 1968 vorgeschlagen hatte, war jetzt nicht mehr die Rede. In ihrem Vertragsentwurf vom 17. Dezember 1969 forderte die DDR "die Aufnahme normaler gleichberechtigter Beziehungen ... auf der Grundlage der allgemein anerkannten Prinzipien und Normen des Völkerrechts". In welcher Form diese Beziehungen aufgenommen werden sollten, stellte Artikel V klar: "Die Deutsche Demokratische Republik und die Bundesrepublik Deutschland nehmen miteinander diplomatische Beziehungen auf. Sie lassen sich gegenseitig in den Hauptstädten Berlin und Bann durch Botschaften vertreten10." Diese Vorschläge offenbarten, wie sehr die SED-Führung bestrebt war, die von der Bundesregierung gewünschten "besonderen Beziehungen" zwischen den beiden Staaten in Deutschland zu negieren. In Ulbrichts Vertragsentwurf war von der "Wiedervereinigung" Deutschlands oder der "Vereinigung" der "beiden deutschen Staaten" überhaupt nicht mehr die Rede. Auch sollte die Bundesregierung nicht nur -was bereits zuvor immer wieder gefordert worden war- die Grenze zwischen den beiden Staaten Deutschlands anerkennen, sondern auch "die Grenze an Oder und Neiße zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und der Volksrepublik Polen" (Artikel II). Hart und kompromißlos war ebenfalls Artikel VII formuliert, nach dem sich beide Staaten in Deutschland verpflichten sollten, "den Status WestberUns als selbständige politische Einheit zu achten und unter Berücksichtigung dieses Status' ihre Beziehungen zu Westberlin zu regeln". Nachdem die DDR-Regierung bereits 1966 realistisch genug gewesen war, in ihrem ersten Antrag auf Aufnahme der DDR in die Vereinten Nationen (UNO) gleichzeitig die Aufnahme der Bundesrepublik 10 Text des Vertragsentwurfs und des Schreibens W. Ulbrichts an Bundespräsident G. Heinemann in: Deutschlandpolitik, a.a.O. (Anm. 6), S. 119- 121.
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Deutschland zu empfehlen, und der damals unternommene Beitrittsversuch am Widerstand der Westmächte gescheitert war, suchte sie jetzt die Bundesregierung zu einem gemeinsamen Vorstoß in Richtung Doppelmitgliedschaft beider Staaten in der UNO zu bewegen. Gemäß Artikel VIII des Vertragsentwurfs vom 17. Dezember 1969 sollten beide Staaten in Deutschland ohne Verzögerung die Aufnahme als vollberechtigte Mitglieder in der UNO beantragen11 • Bemerkenswert ist schließlich, daß Ulbrichts Vertragsentwurf vom 17. Dezember 1969 keinerlei Hinweise auf die fortbestehenden Vier-Mächte-Rechte und -Verantwortlichkeiten für Deutschland als Ganzes und Berlin enthielt. Die deutschlandpolitischen Vorstellungen der DDR vor Beginn des entscheidenden "innerdeutschen Dialogs", der zur Paraphierung des Grundvertrags am 8. November 1972 geführt hat, lassen sich so zusammenfassen: Die DDR war bestrebt- das ging auch aus den Erklärungen Ministerpräsident Stophs auf seinen beiden Treffen mit Bundeskanzler Brandt am 19. März und 21. Mai 1970 klar hervor - , gleichberechtigte, nicht-diskriminierende, auf den Prinzipien des Völkerrechts beruhende Beziehungen zur Bundesrepublik Deutschland aufzunehmen. Eng war damit die These verknüpft, daß es keine "besonderen innerdeutschen Beziehungen" geben könne. Brandts These vom Fortbestand der "Einheit der Nation" begegnete man mit der Gegenthese, daß die bereits nach 1945 verschuldete und vollzogene Zerstörung der Einheit der Nation "durch keinerlei Begriffskonstruktionen, die eine fiktive Weiterexistenz der ,Einheit der Nation' vorgeben, ungeschehen gemacht werden kann" 12• Die Auffassung der Bundesregierung von der Fortexistenz der Vier-Mächte-Rechte für Deutschland als Ganzes und Berlin bezeichnete man auf seiten der DDR als "unhaltbar". Der DDR ging es zunächst darum, die mehrfache Teilung Deutschlands völkerrechtlich zu sanktionieren und die "deutsche Frage" als "gelöst" und "erledigt" zu erklären. Während für die Bundesregierung menschliche Erleichterungen und Abmachungen auf verschiedenen Bereichen einen wesentlichen Bestandteil der angestrebten vertraglichen Beziehungen zur DDR bildeu Vgl. dazu J. Hacker: Der Rechtsstatus Deutschlands aus der Sicht der DDR. Köln 1974, S. 370 - 379; ders.: Zur Aufnahme Deutschlands in die Vereinten Nationen, in: Vereinte Nationen 1970, S. 101 - 106, 121 - 124. 12 So W. Stoph in seinen Ausführungen in Kassel vom 21. Mai 1970. Text in: Deutschlandpolitik, a.a.O. (Anm. 6), S. 142. Scharf wandte sich Stoph auch gegen die Banner These von den innerdeutschen "Sonderbeziehungen": "Ich muß ... nochmals ganz entschieden erklären, daß die Formel von ,besonderen innerdeutschen Beziehungen' - oder welche Bezeichnung dafür auch immer gefunden werden mag - für das Verhältnis zwischen unseren beiden Staaten absolut unannehmbar ist. Bei der DDR und der BRD handelt es sich um zwei voneinander unabhängige Staaten. Das allein schon schließt die Formel ,innerdeutsch' aus." 5*
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ten, ließen die Ausführungen Stophs vom 19. März in Erfurt und vom 21. Mai 1970 in Kassel jegliche Bereitschaft vermissen, zu vertraglichen Regelungen zu gelangen, um das Leben in Deutschland normaler und menschlicher zu machen. In Artikel VI des Vertragsentwurfs der DDR vom 17. Dezember 1969 hatte es dazu nur geheißen, daß "Beziehungen auf Teilgebieten ... gesondert vertraglich vereinbart" würden.
ßl. Die innerdeutschen Abmachungen bis zur Paraphierung des Grundvertrags (Herbst 1970 bis Herbst 1972) Nachdem sich sowohl die westliche als auch die östliche Seite 1969 bereit erklärt hatten, Gespräche über Berlin zu beginnen13, wurden nach mehreren vorbereitenden Schriftwechseln die Vier-Mächte-Verhandlungen über Berlin am 26. März 1970 im ehemaligen Alliierten Kontrollratsgebäude im amerikanischen Sektor von Berlin eröffnet. Nach einem intensiven und zähen Ringen einigten sich die Vier Mächte darauf, das Berlin-Abkommen am 3. September 1971 zu unterzeichnen. Von vornherein stand fest: Die Vier Mächte werden übereinkommen, daß die zuständigen Behörden in beiden Staaten Deutschlands gewisse Vereinbarungen und Regelungen zur "Ausfüllung" des Berlin-Abkommens treffen werden. Am 12. August 1970 wurde in Moskau der Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sowjetunion unterzeichnet. Der Abschluß des Moskauer Vertrags und die daraus resultierenden möglichen Folgen für die Beziehungen zwischen der UdSSR und der Bundesrepublik Deutschland dürften neben den Vier-Mächte-Verhandlungen über Berlin dazu beigetragen haben, daß sich die DDR - trotz ihrer immer wieder erhobenen Forderung nach Aufnahme völkerrechtlicher Beziehungen zur Bundesrepublik Deutschland und der scharfen Zurückweisung der Banner Thesen von den "innerdeutschen Beziehungen" und der "Einheit der Nation" -im Oktober 1970 zu einem Meinungsaustausch mit der Bundesregierung bereitfand. Am 27. November 1970 nahmen die Delegationen unter Leitung von Egon Bahr, Staatssekretär im Bundeskanzleramt, und Michael Kohl, Staatssekretär beim Ministerrat der DDR, den Meinungsaustausch auf, der im September 1971 in formelle Verhandlungen über eine Durchführungsvereinbarung zu dem am 3. September 1971 ausgehandelten VierMächte-Abkommen über Berlin und über einen Verkehrsvertrag zwischen den beiden Staaten in Deutschland mündete. ta Vgl. zum Ursprung und zur Entwicklung der Berlin-Verhandlungen der Vier Mächte die Darstellung in: Das Viermächte-Abkomrnen über Berlin vom 3. September 1971. Hrsg. vom Presse- und Informationsamt der Bundesregierung. Bann 1971, S. 157- 163.
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Am 17. Dezember 1971 wurde das "Abkommen zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Deutsechn Demokratischen Republik über den Transitverkehr von zivilen Personen und Gütern zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Berlin (West)" unterzeichnet14. Die Präambel des Abkommens nimmt auf das Vier-Mächte-Abkommen über Berlin vom 3. September 1971 Bezug. Es folgten die Vereinbarungen zwischen dem Senat von Berlin und der Regierung der DDR über Erleichterungen und Verbesserungen des Reise- und Besucherverkehrs und über die Regelung der Frage von Enklaven durch Gebietsaustausch vom 20. Dezember 1971 16 • Am 26. Mai 1972 wurde der Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über Fragen des Verkehrs unterzeichnet. Gegenstand des Verkehrsvertrags ist wie Artikel 1 festlegt- der gegenseitige Wechsel- und Transitverkehr auf Straßen, Schienen- und Wasserwegen mit Transportmitteln, die im Geltungsbereich dieses Vertrages zugelassen oder registriert sind. Beide Vertragsstaaten verpflichten sich, "den Verkehr in und durch ihre Hoheitsgebiete entsprechend der üblichen internationalen Praxis auf der Grundlage der Gegenseitigkeit und Nichtdiskriminierung in größtmöglichem Umfang zu gewähren, zu erleichtern und möglichst zweckmäßig zu gestalten"18, Zieht man ein Fazit der im Vier-Mächte-Abkommen über Berlin vom 3. September 1971 getroffenen Regelung über den Transit-Verkehr und des innerdeutschen Transit-Abkommens vom 17. Dezember 1971, so sind die praktischen Vorteile für jedermann jeden Tag sichtbar. Die Regelungen über den Transit- und Besucherverkehr funktionieren weitgehend reibungslos. Der Reiseverkehr von und nach West-Berlin hat in den letzten Jahren stetig und beträchtlich zugenommen17. Es war von vornherein klar, daß es nicht leicht sein konnte, im Transit-Abkommen eine für beide Seiten befriedigende Regelung eines möglichen "Mißbrauchs" der Transitwege zu treffen. Die Bundesregierung hat von Anfang an genau und sorgfältig darüber gewacht, daß die DDR die auslegbare Mißbrauchs-Klausel des Transit-Abkommens nicht mißbraucht. 14 Text in: Deutschlandpolitik, a.a.O. (Anm. 6), Dok. 31. Am 30. September 1971 war bereits das "Protokoll über Verhandlungen zwischen einer Dele-
gation des Bundesministeriums für das Post- und Fernmeldewesen der Bundesrepublik Deutschland und einer Delegation des Ministeriums für Postund Fernmeldewesen der DDR" unterzeichnet worden. Text, ebenda, Dok. 26. 15 Text, ebenda, Dok. 33 und 34. 1a Text, ebenda, Dok. 38. 17 Vgl. dazu im einzelnen die übersieht "Der Verkehr von und nach Berlin(West)", ebenda, S. 45-48 (mit Statistik für die Jahre 1965- 1978).
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Die großen praktischen Vorteile des Verkehrsvertrags und seiner Begleitdokumente sind ebenfalls für jedermann jeden Tag sichtbar. Eine nüchterne Analyse dieser Regelungen darf aber nicht übersehen, daß sie- bedauerlicherweise- vornehmlich nur Bürgern der Bundesrepublik Deutschland die Möglichkeit eröffnen, in die DDR zu reisen. Die Anordnung über Regelungen im Reiseverkehr von Bürgern der DDR vom 17. Oktober 1972 beschränkt die Reise-Möglichkeit auf einen eng begrenzten Personenkreis: einmal auf Bürger, die auf Einladung von Verwandten aus der Bundesrepublik Deutschland in dringenden Familien-Angelegenheiten reisen möchten, wobei die Formel "dringende Familien-Angelegenheiten" genau umschrieben wird, sowie auf Bürger, die das gesetzliche Rentenalter erreicht haben oder Invaliden sind und ebenfalls ihre Verwandten besuchen wollen; als Personen im Rentenalter gelten Frauen nach Vollendung des 60. und Männer nach Vollendung des 65. Lebensjahres18• In seiner Anordnung Nr. 2 über Regelungen im Reiseverkehr von Bürgern der DDR, mit der die Anordnung vom 17. Oktober 1972 geändert wurde, erweiterte Ost-Berlin die Fälle der "dringenden FamilienAngelegenheiten". Während in der Anordnung vom 17. Oktober 1972 nur Geburten, Eheschließungen, lebensgefährliche Erkrankungen und Sterbefälle genannt werden, hat sich Ost-Berlin in seiner Anordnung Nr. 2 über Regelungen im Reiseverkehr von Bürgern der DDR vom 14. Juni 1973 "großzügigerweise" bereit erklärt, als "dringende Familien-Angelegenheiten" auch silberne und goldene Hochzeiten sowie 60-, 65- und 70jährige Ehejubiläen zu werten. Während gemäß der Anordnung vom 17. Oktober 1972 Genehmigungen zur Ausreise in dringenden Familien-Angelegenheiten den in der DDR wohnhaften Großeltern, Eltern, Kindern und Geschwistern erteilt werden können, hat die Anordnung vom 14. Juni 1973 diesen Personenkreis auch auf Halbgeschwister erweitert19 • IV. Der innerdeutsche Grundvertrag vom 21. Dezember 1972 Nachdem die DDR in ihrem Vertragsentwurf vom 17. Dezember 1969 ihr deutschlandpolitisches Maximalprogramm unterbreitet und der VIII. Parteitag der SED Mitte Juni 1971 nochmals die "Herstellung gleichberechtigter Beziehungen zur Bundesrepublik Deutschland auf der Grundlage des Völkerrechts" gefordert, die Banner These von den "besonderen innerdeutschen Beziehungen" strikt abgelehnt sowie Boneckers Formel vom "gesetzmäßigen Prozeß der Abgrenzung" zwi18 18
Text der Anordnung vom 17. Oktober 1972, ebenda, Dok. 46. Text, eberida, Dok. 66.
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sehen den beiden Staaten in Deutschland wiederholt hatten20 , benötigte man einige Phantasie bei der Vorstellung, wie sich die politischen Führungen in Bonn und Ost-Berlin über die vertragliche Regelung des Grundverhältnisses zwischen beiden Staaten einigen könnten. SEDChef Bonecker wußte, daß nach der bevorstehenden Ratifizierung der Verträge von Moskau und Warschau im Deutschen Bundestag einer vertraglichen Regelung des Grundverhältnisses zwischen den beiden Staaten in Deutschland nur schwerlich auszuweichen gewesen wäre. Ebenso konnte er davon ausgehen, daß die Bundesregierung auch in diesem Stadium ihrer Deutschland-Politik zu einer völkerrechtlichen Anerkennung der DDR nicht bereit war. Nach der Annahme der Verträge von Moskau und Warschau durch den Deutschen Bundestag am 17. Mai 1972 und der Unterzeichnung des Verkehrsvertrags am 26. Mai 1972 und des Schlußprotokolls zum VierMächte-Abkommen über Berlin am 3. Juni 1972- an diesem Tag sind das Berlin-Abkommen sowie der deutsch-sowjetische Vertrag und der deutsch-oolnische Vertrag in Kraft getreten - konnte dar innerdeutsche Meinungsaustausch am 15. Juni 1972 beginnen. Am 9. August 1972 beschloß die Bundesregierung Richtlinien für offizielle Gespräche über die Regelung des vertraglichen Grundverhältnisses zwischen den beiden Staaten in Deutschland und erteilte Staatssekretär Egon Bahr den formellen Auftrag zu Verhandlungen21 • Der "Vertrag über die Grundlagen der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik" wurde am 8. November in Bonn paraphiert und am 21. Dezember 1972 in Ost-Berlin unterzeichnet. Das Vertragswerk, das aus dem Text des Grundvertrags, einem Zusatzprotokoll, Erklärungen zu Protokoll, Briefwechseln und Erläuterungen besteht, ist Gegenstand zahlreicher rechtswissenschaftlicher und politischer Analysen, die hier nicht rekapituliert werden sollen22 • Bereits bei der Paraphierung des Vertrages 20 Text der Entschließung des VIII. Parteitags der SED, in: Neues Deutschland vom 21. Juni 1971 und Deutschland-Archiv 1971, S. 877- 892 (880). Vgl. über die Anfänge und Entwicklung der "Abgrenzungs"-These die Nachweise bei J. Hacker, a.a.O. (Anm. 3), S. 73 f. mit Anm. 141. 21 Vgl. J. Hacker, ebenda, S. 75 mit Anm. 145. 22 Die beste, umfassendste und abgewogenste Darstellung der staats- und völkerrechtlichen Problematik hat Georg Ress mit seiner Habilitationsschrift "Die Rechtslage Deutschlands nach dem Grundlagenvertrag vom 21. Dezember 1972" geliefert. Berlin I Heidelberg I New York 1978. Vgl. aus dem umfangreichen Schrifttum außerdem: A. Mattfeld: Modelle einer Normalisierung zwischen den beiden deutschen Staaten. Eine rechtliche Betrachtung. Düsseldorf 1973; J. Hacker, a.a.O. (Anm. 11). Rechtliche und politische Aspekte der innerdeutschen Beziehungen hat Benno . Zündorf in seiner Schrift "Die Ostverträge-DieVerträge von Moaskau, Warschau, Prag, das BerlinAbkommen und die Verträge mit der DDR" untersucht. München 1979. Vgl. aus dem umfangreichen politologischen und politischen Schrifttum P. C.
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haben die Unterhändler Egon Bahr und Michael Kohl am 8. November 1972 klargestellt, daß alle Dokumente zusammen den Vertrag bilden und als Bestandteile des Vertrags voll verbindlich sind, obwohl ausdrücklich nur das Zusatzprotokoll in Artikel 7 des Grundvertrags genannt ist23 • Es würde den Rahmen dieser Untersuchung sprengen, alle Aussagen des Grundvertrags und seiner Begleitdokumente im einzelnen zu analysieren. Da die Präambel eines Vertrags zwischen zwei Staaten selten mehr Anlaß zu Mißverständnissen und unterschiedlichen Interpretationen gegeben hat und sie "einen der Schlüssel zum Verständnis des gesamten Vertrages birgt" 24 , liegt eines der besonderen Verdienste Georg Ress' darin, alle Aussagen der Präambel kommentiert zu haben. Dazu gehören: der Grundvertrag als Instrument zur "Erhaltung des Friedens" und als "Beitrag zur Entspannung und Sicherheit in Europa", die "Unverletzlichkeit der Grenzen" als "grundlegende Bedingung für den Frieden", das Gewaltverbot, der Konsens über den Dissens "zu grundsätzlichen Fragen, darunter zur nationalen Frage" und die bilaterale Zusammenarbeit sowie das "Wohl der Menschen in den beiden deutschen Staaten" 25. Gemäß Artikel 1 entwickeln die Bundesrepublik Deutschland und die DDR "normale gutnachbarliche Beziehungen zueinander auf der Grundlage der Gleichberechtigung" 28 • In Artikel 2 haben beide Seiten festgelegt, daß sie sich von den Zielen und Prinzipien leiten lassen, die in der Charta der Vereinten Nationen niedergelegt sind, insbesondere der souveränen Gleichheit aller Staaten, der Achtung der Unabhängigkeit, Selbständigkeit und territorialen Integrität, dem Selbstbestimmungsrecht, der Wahrung der Menschenrechte und der Nichtdiskriminierung. In Artikel 3 haben sich die Bundesrepublik Deutschland und Ludz: Deutschlands doppelte Zukunft - Bundesrepublik und DDR in der Welt von morgen. Ein politischer Essay. München 1974; D. Cramer: Deutschland nach dem Grundvertrag. Stuttgart 1973; W. Bruns: Deutsch-deutsche Beziehungen- Prämissen, Probleme, Perspektiven. Opladen 1978; J. Hacker, a.a.O. (Anm. 3). Wichtige Aspekte der innerdeutschen Beziehungen standen im Mittelpunkt der Öffentlichen Anhörungen des Ausschusses für innerdeutsche Beziehungen des Deutschen Bundestages vom 26. bis zum 28. September 1977 in Bann. Text in: Zur Sache, Nr. 4/1977: Deutschlandpolitik. Hrsg. vom Deutschen Bundestag - Presse- und Informationszentrum. Bonn 1977.
23 Vgl. dazu mit Nachweisen K.-M. Wilke: Bundesrepublik Deutschland und Deutsche Demokratische Republik. Grundlagen und ausgewählte Probleme des gegenseitigen Verhältnisses der beiden deutschen Staaten. Berlin 1976, S. 121 mit den Anm. 98 f. 24 So G. Ress, a.a.O. (Anm. 22), S. 52. 15 Vgl. G. Ress, ebenda, Kap. I. 16 Vgl. über die unterschiedliche Interpretation des völkerrechtlichen Grundsatzes der "guten Nachbarschaft" G. Ress, ebenda, Kap. IV.
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die DDR verpflichtet, entsprechend der UNO-Charta ihre Streitfragen ausschließlich mit friedlichen Mitteln zu lösen und sich der Drohung mit Gewalt oder Anwendung von Gewalt zu enthalten. In Artikel 3 Absatz 2 bekräftigen beide Seiten "die Unverletzlichkeit der zwischen ihnen bestehenden Grenze jetzt und in der Zukunft und verpflichten sich zur uneingeschränkten Achtung ihrer territorialen Integrität". Im Zusatzprotokoll I zum Grundvertrag, das den Artikel 3 betrifft, sind beide Seiten übereingekommen, eine Kommission aus Beauftragten der Regierungen beider Staaten zu bilden: "Sie wird die Markierung der zwischen den beiden Staaten bestehenden Grenze überprüfen und, soweit erforderlich, erneuern oder ergänzen sowie die erforderlichen Dokumentationen über den Grenzverlauf erarbeiten27 ." In einer Erklärung zu Protokoll werden die Aufgaben der Grenzkommission durch die beiden Delegationsleiter erläutert28 • Gemäß Artikel 4 gehen die Bundesrepublik Deutschland und die DDR davon aus, "daß keiner der beiden Staaten den anderen international vertreten oder in seinem Namen handeln kann". In einem engen Zusammenhang damit steht Artikel 6, in dem sich beide Seiten zu dem Grundsatz bekennen, "daß die Hoheitsgewalt jedes der beiden Staaten sich auf sein Staatsgebiet beschränkt. Sie respektieren die Unabhängigkeit und Selbständigkeit jedes der beiden Staaten in seinen inneren und äußeren Angelegenheiten" 29 • In Artikel 5 - "Abrüstung und Rüstungskontrolle als Ausdruck friedlicher Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und der DDR" 30 -haben die Bundesrepublik Deutschland und die DDR vereinbart, das Ziel einer allgemeinen und vollständigen Abrüstung unter wirksamer internationaler Kontrolle der internationalen Sicherheit dienende Bemühungen um Rüstungsbegrenzung und Abrüstung zu unterstützen, so daß diese Bestimmung keine Rechte und Pflichten, sondern nur Absichtserklärungen der Vertragsparteien begründet. Mit Recht hat Otto Kimminich in seinem Kommentar zum Grundvertrag betont, daß sich die Bundesrepublik Deutschland darin nicht auf bestimmte Maßnahmen festgelegt hat: "Auch eine Abstimmung ihrer diesbezüglichen Politik mit der DDR ist nicht vereinbart worden. Die Tatsache, daß die Text in: Deutschlandpolitik, a.a.O. (Anm. 6), Dok. 53, S. 207. Text, ebenda, S. 211. Vgl. auch "Die Grenzkommission. Eine Dokumentation über Grundlagen und Tätigkeit". Hrsg. vom Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen. Bonn 1978. · 29 Vgl. dazu die ausführliche Darstellung bei G. Ress, a.a.O. (Anm. 22), Kap. IV. ao So G. Ress' Überschrift zu seiner Analyse des Art. 5 des Grundvertrags, ebenda, Kap. VII. 27 28
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DDR im Grundvertrag die gleichen Absichtserklärungen abgegeben hat wie die BRD, ist hierfür ohne Belang31 ." In Artikel 7 erklären die beiden Staaten in Deutschland ihre Bereitschaft, "im Zuge der Normalisierung ihrer Beziehungen praktische und humanitäre Fragen zu regeln". Sodann werden die einzelnen Themenbereiche aufgezählt; Einzelheiten sind in dem Zusatzprotokoll zu Artikel 7 geregelt. Während gemäß Artikel 8 die Bundesrepublik Deutschland und die DDR Ständige Vertretungen am Sitz der jeweiligen Regierung austauschen werden32 , ist in Artikel 9 die Nichtberührungsklausel verankert: Beide Seiten stimmen darin überein, "daß durch diesen Vertrag die von ihnen früher abgeschlossenen oder sie betreffenden zweiseitigen und mehrseitigen internationalen Verträge und Vereinbarungen nicht berührt werden". Zu den wichtigsten Begleitdokumenten des Grundvertrags gehören neben dem Zusatzprotokoll zu den Artikeln 3 und 7 der Protokollvermerk, daß wegen der unterschiedlichen Rechtspositionen zu Vermögensfragen diese durch den Vertrag nicht geregelt werden konnten, und die Erklärungen zu Protokoll über die Fragen der Staatsangehörigkeit. Weiterhin seien genannt: der Brief der Bundesregierung zur deutschen Einheit an die Regierung der DDR33, der Briefwechsel zum Antrag auf Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen und Erklärungen zu Protokoll zu diesem Antrag, der Briefwechsel mit dem Wortlaut der Noten der Bundesregierung an die Drei Westmächte und der DDR an die UdSSR zu Artikel 9 des Vertrags, Erklärungen beider Seiten in bezug auf Berlin (West), der Briefwechsel über Arbeitsmöglichkeiten für Journalisten, der Briefwechsel zur Familien-Zusammenführung, zu Reise-Erleichterungen und Verbesserungen des nichtkommerziellen Warenverkehrs und der Briefwechsel zur Öffnung weiterer Grenzübergangsstellen34. Der innerdeutsche Grundvertrag markiert einen der wichtigsten Einschnitte in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, da er "den rechtlich und politisch komplizierten Prozeß einer sich über mehr als zwei Jahrzehnte erstreckenden Deutschlandpolitik der Bundesrepublik Deutschland gegenüber der DDR zu einem weitgehenden Abschluß" 35 31 0. Kimminich: Grundvertrag. Anhang zum "Kommentar zum Banner Grundgesetz {Banner Kommentar)". Harnburg 1974, S. 43 - 45 {44). 32 Vgl. dazu ausführlicher G. Ress, a.a.O. {Anm. 22), Kap. V; D. Blumenwitz: Die Errichtung Ständiger Vertretungen im Lichte des Staats- und Völkerrechts. Baden-Baden 1975. 33 Vgl. dazu vor allem die umfangreiche Darstellung bei G. Ress, ebenda, Kap. li. 84 Texte aller Dokumente in: ·Del.ltschlandpolitik, a.a.O. {Anm. 6).
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gebracht hat. Nach Auffassung der Bundesregierung und der parlamentarischen Opposition soll der Grundvertrag die Beziehungen zwischen den beiden Staaten in Deutschland lediglich vorübergehend im Sinne eines Modus vivendi regeln, so daß er sich damit in die Verträge einfügt, die die Bundesrepublik Deutschland am 12. August mit der Sowjetunion und am 7. Dezember 1970 mit Polen geschlossen hat. Der enge Zusammenhang zwischen den Ostverträgen und den innerdeutschen Abmachungen ergibt sich auch daraus, daß die Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der UdSSR im "Bahr-Papier", das dem Moskauer Vertrag als politische Absichtserklärung beigefügt ist, ihr Einvernehmen darüber festgestellt haben, daß die später geschlossenen Verträge der Bundesrepublik Deutschland mit anderen "sozialistischen Ländern", vor allem mit der DDR, Polen und der Tschechoslowakei, "ein einheitliches Ganzes bilden". Eine Analyse des Grundvertrags hat aber nicht nur die Ostverträge, sondern auch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 31. Juli 1973 einzubeziehen, das einstimmig das Gesetz zum Grundvertrag "in der sich aus den Gründen ergebenden Auslegung mit dem Grundgesetz" für vereinbar erklärt und gleichzeitig den Rahmen abgesteckt hat, in dem die Rechtsbeziehungen zwischen den beiden Staaten in Deutschland weiter ausgestaltet werden können38 • Die Bedeutung des Karlsruher Urteils, das alle Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie alle Gerichte und Behörden bindet, für den gesamten Staat und alle seine Bürger wird - wie Otto Kimminich zutreffend bemerkt hat - durch keine andere Entscheidung seit der Errichtung der Bundesrepublik Deutschland übertroffen37 • Auch wenn einzelne Aussagen des Grundvertragsurteils teilweise heftig kritisiert worden sind, dürfen die positiven Auswirkungen nicht übersehen werden: Es hat eine starke Integrationskraft sowohl in der Politik als auch in der Wissenschaft entfaltet, da in den Jahren ab Ende 1969, als die SPD/FDP-Bundesregierung die "neue Ost- und Deutschland-Politik" proklamierte, harte Auseinandersetzungen nicht nur zwischen der Bundesregierung und der sie tragenden Parteien auf der einen und der Opposition auf der anderen Seite, sondern auch So G. Ress, a.a.O. (Anm. 22), S. 1. Text in: Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts. 36. Band. Tübingen 1974, S. 1 - 37. 37 0. Kimminich: Das Urteil über die Grundlagen der staatsrechtlichen Konstruktion der Bundesrepublik Deutschland, in: Deutsches Verwaltungsblatt 1973, S. 657 - 662 (659). Die umfangreiche Literatur zum GrundvertragsUrteil kann hier nicht rekapituliert werden. Vgl. dazu die Nachweise in den in der Anm. 22 genannten Studien. s. außerdem 0. Kimminich: Die Rechts• Iage Deutschlands nach Grundgesetz und Grundvertrag, in: Politische Studien 1980, H. 252, S. 367 - 378. 35
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innerhalb der Staats- und Völkerrechtswissenschaft ausgetragen wurden. Mit Recht hat der Politikwissenschaftler Hans-Peter Schwarz von dem "großen Kompromiß" gesprochen, den das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 31. Juli 1973 rechtlich festgeschrieben und der zu einer, weitgehend auch von der Opposition mitgetragenen "neuen Deutschland-Doktrin der Bundesrepublik Deutschland" 38 geführt hat. V. Der Grundvertrag und der verfassungsrechtliche Rahmen jeder Bonner Deutschland-Politik Zahlreiche staats- und völkerrechtliche Studien und Stellungnahmen von politischer Seite haben in den letzten Jahren immer wieder offenbart, wie sehr die Rechtslage Deutschlands auch nach Abschluß des Grundvertrags in zahlreichen wichtigen Fragen umstritten und der Klärung bedürftig ist, da viele Stellen im Vertragstext selbst und in den Begleitdokumenten in ihrer rechtlichen und politischen Tragweite auslegungsbedürftig sind. Die Fragen nach der Interpretation des Grundvertrags (und seiner Begleitdokumente) sowie des Karlsruher Urteils vom 31. Juli 1973 sind nicht nur von theoretischer Natur, sondern auch von eminent politischer und praktischer Bedeutung, da der Vertrag mit dem Ziel geschlossen worden ist, ein weiteres Auseinanderleben der deutschen Nation zu verhindern, und auch den Rahmen für Folgeverträge absteckt, die das "geregelte Nebeneinander" der beiden Staaten näher ausgestalten sollen. Dabei geht es vor allem um den Begriff "Deutschland", die Identitätsthese und -praxis, den Gebietsstand Deutschlands, "Deutschland" als alliierten Vorbehalt, den Status Berlins und den Fortbestand der "deutschen Staatsangehörigkeit". 1. Der Begriff "Deutschland"
Bereits in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre, wesentlich verstärkt jedoch mit der im Herbst 1969 eingeleiteten "neuen Ost- und Deutschland-Politik" wurde immer wieder die Frage gestellt, was "Deutschland" begrifflich darstellt und welcher "Deutschland"-Begriff dem Grundgesetz zugrunde liegt. In einigen staats- und völkerrechtlichen Abhandlungen machte sich die Tendenz bemerkbar, die beiden 38 H.-P. Schwarz: Brauchen wir ein neues deutschlandpolitisches Konzept?, in: Europa-Archiv 1977, S. 327-338 (329); ders.: Deutschlandpolitik im europäischen Kräftefeld. Referat und Diskussionsbeitrag für die Offentliehen Anhörungen des Ausschusses für innerdeutsche Beziehungen des Deutschen Bundestages 1977. Text in: Zur Sache: Deutschlandpolitik, a.a.O. (Anm. 22),
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Ostverträge nicht an den Geboten des Grundgesetzes, sondern dieses an den Aussagen der Ostverträge zu messen. Der "Deutschland"-Begriff, der sich im Laufe der Zeit gewandelt habe, könne im Grundgesetz auch weiterhin gebraucht werden, nur habe sich seine Deutung den gewandelten Verhältnissen anzupassen. In ein neues Stadium trat die Diskussion über den "Deutschland"-Begriff mit der Paraphierung des Grundvertrags, da in ihm der Begriff "Deutschland" nur noch als Namensteil der Bundesrepublik erscheint. Es blieb dem Bundesverfassungsgericht überlassen, in seinem Grundvertragsurteil dem zuvor ins Schwimmen geratenen "Deutschland"-Begriff des Grundgesetzes wieder mit Konturen versehen zu haben.
2. Die Identitätsthese und -praxis Die Bundesregierung der SPD/FDP-Koalition hat sich von Anfang an sehr vorsichtig und zurückhaltend über das staats- und völkerrechtliche Selbstverständnis der Bundesrepublik Deutschland und deren "Rolle im Verhältnis zum Deutschen Reich" geäußert, als sie ihre "neue Deutschland-Politik" mit der zentralen These von den "zwei Staaten in Deutschland" am 28. Oktober 1969 einleitete. Bis in das Jahr 1972 gab es keine verbindliche Aussage der Bundesregierung darüber, ob und inwieweit sie noch an der Identitätsthese und -praxis festzuhalten gewillt war. Die Bundesrepublik Deutschland verstand sich nicht als die Neugründung eines Staates, sondern als die - wie Otto Kimminich zutreffend betont hat - "rechtliche Neuorganisierung Deutschlands auf einem Teil von dessen Gebiet: Diese staatsrechtliche Grundkonstruktion der Bundesrepublik Deutschland ist völkerrechtlich abgesichert ... Die Schöpfer des Grundgesetzes . . . bezeichneten die Bundesrepublik als ,Deutschland' und durften dies vom Völkerrecht her gesehen tun, da dadurch die Rechte dritter Staaten nicht berührt wurden. Die völkerrechtlichen Konsequenzen aus dieser staats- und völkerrechtlichen Kontinuität in deren stärksten Form, der rechtlichen Identität, sind in der Staatenpraxis der Bundesrepublik Deutschland stets gezogen worden, auch dort, wo diese Konsequenzen nachteilig waren" 39• Entscheidend ist - und darauf beruhen zahlreiche Mißverständnisse-, daß sich die Bundesrepublik Deutschland in rechtlicher, nicht ae 0. Kimminich: Die Rechtspositionen. Referat und Diskussionsbeiträge für die Offentliehen Anhörungen des Ausschusses für innerdeutsche Beziehungen des Deutschen Bundestages 1977, in: Zur Sache: Deutschlandpolitik, a.a.O. (Anm. 22), S. 146 f. Vgl. zur Haltung der Bundesregierung gegenüber der Identitätsthese und -praxis J. Hacker, a.a.O. (Anm. 11), S. 423-429 mit weiteren Nachweisen.
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in territorialer Hinsicht mit dem 1945 und später nicht untergegangenen, aber handlungsunfähigen Deutschen Reich als identisch betrachtet. Weder die Ostverträge noch der innerdeutsche Grundvertrag haben an dieser staatsrechtlichen Grundkonstruktion der Bundesrepublik Deutschland etwas geändert. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Grundvertragsurteil noch einmal unmißverständlich die Identitätsthese unterstrichen.
3. Der Gebietsstand Deutschlands Die Frage, welche Bedeutung Artikel 23 des Grundgesetzes, der den Geltungsbereich der Verfassung umschreibt, heute noch zukommt, wird im verfassungsrechtlichen Schrifttum seit langem unterschiedlich beantwortet. Bereits in der Diskussion um die Verfassungsmäßigkeit der Verträge von Moskau und Warschau spielte die Auslegung des Artikels 23 des Grundgesetzes eine, wenn nicht sogar die zentrale Rolle. Der Streit ging um die Frage, ob sich die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet hat, "jetzt und in der Zukunft" den Beitritt von "anderen Teilen Deutschlands", die von den beiden Verträgen betroffen sind, rechtlich nicht zuzulassen. Die Auffassung der Bundesregierung und der im Bundestag vertretenen Parteien hat in der vom Bundestag nahezu einstimmig angenommenen Entschließung vom 17. Mai 1972 ihren Ausdruck gefunden: "Die Verpflichtungen, die die Bundesrepublik Deutschland in den Verträgen eingegangen ist, hat sie im eigenen Namen auf sich genommen. Dabei gehen die Verträge von den heute tatsächlich bestehenden Grenzen aus, deren einseitige Änderung sie ausschließen40." Mit neuer Schärfe entbrannte die Diskussion um den Gebietsstand Deutschlands bei der Interpretation des Artikels 3 Absatz 2 des Grundvertrags. Das Bundesverfassungsgericht ist jenen Verfassungs-Interpreten, die Artikel 23 für "obsolet" und damit das Territorium der DDR nicht mehr zu den "anderen Teilen Deutschlands" rechnen, energisch entgegengetreten. Nach Ansicht des Gerichts, das in diesem Zusammenhang vom "rechtlichen Offensein" spricht, gehört diese Bestimmung "nach ihrem Inhalt zu den zentralen Vorschriften, die dem Grundgesetz sein besonderes Gepräge geben: Artikel 23 des Grundgesetzes ist weder durch die politische Entwicklung überholt, noch sonst aus irgendeinem Grund rechtlich obsolet geworden". Das Bundesverfassungsgericht ist sich der Problematik des Artikels
23 hinsichtlich der in der DDR entwickelten Staatlichkeit durchaus
40 Text in: Bulletin des Presse- und Informationsamts der Bundesregierung, Nr. 72 vom 18. Mai 1972, S. 1047.
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bewußt. Indem das Gericht in seine Interpretation des Artikels 23 die Bestimmung des Artikels 146 - "Geltungsdauer des Grundgesetzes" einbezieht, will es andeuten, daß die unmittelbare Anwendung des Artikels 23 für eine Wiedervereinigung Deutschlands durch den Grundvertrag ausgeschlossen worden ist: Der Grundvertrag verbaut jedoch nicht die Möglichkeit, daß beide Staaten im Wege einer völkerrechtlichen Vereinbarung die Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands beschließen, das eine Verfassung besitzen muß, "die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist" (so Artikel 146 des Grundgesetzes) 41 • Das Bundesverfassungsgericht hat sich in seinem Urteil vom 31. Juli 1973 auch mit der innerdeutschen Grenze befaßt, die bis zum Herbst 1969 zumeist als Demarkationslinie bezeichnet worden ist. Seit die Bundesrepublik Deutschland die Staatsqualität der DDR am 28. Oktober 1969 bejaht hat, ist aus der Demarkationslinie eine Grenze zwischen den beiden Staaten in Deutschland geworden42 • Artikel 3 Absatz 2 des Grundvertrags hat das Bundesverfassungsgericht so interpretiert: "Für die Frage, ob die Anerkennung der Grenze zwischen den beiden Staaten als Staatsgrenze mit dem Grundgesetz vereinbar ist, ist entscheidend die Qualifizierung als staatsrechtliche Grenze zwischen zwei Staaten, deren ,Besonderheit' ist, daß sie auf dem Fundament des noch existierenden Staates ,Deutschland als Ganzes' existieren, daß es sich also um eine staatsrechtliche Grenze handelt ähnlich denen, die zwischen den Ländern der Bundesrepublik Deutschland verlaufen43 ." Bei der Kritik an dieser Formulierung44 wird zumeist übersehen, "daß das Bundesverfassungsgericht die innerdeutsche Grenze nicht einer Grenzlinie zwischen den Bundesländern gleichgestellt hat, sondern nur von einer Ahnliehkeil spricht. Wesentlich scheint .. . in dieser Formulierung die rechtliche Stabilisierung zu sein, die das Bundesverfassungsgericht in seiner Beurteilung des Grundvertrages dieser Grenze zulegt: sie ist nicht mehr eine bloße Demarkationslinie zwischen Besatzungsgebieten, keine lediglich den Zuständigkeitsbereich der einzelnen Besatzungszonen kennzeichnende Verwaltungsgrenze. Die vom Gericht festgestellte Qualifizierung als staatsrechtliche Grenze bedeutet gegenüber der früheren Qualifikation eine rechtlich höherwertige Klassifikation" 45. Vgl. dazu 0. Kimminich, a.a.O. (Anm. 39), S. 153- 157. Vgl. dazu im einzelnen G. Zieger: Rechtsfragen zum Regierungsprotokoll über die innerdeutsche Grenze, in: Deutschland-Archiv 1980, H. 1, S. 29-39. n Text, a.a.O. (Anm. 36), S. 26. 44 Vgl. dazu im einzelnen E. Klein: Die rechtliche Qualifizierung der innerdeutschen Grenze, in: Fünf Jahre Grundvertragsurteil des Bundesverfassungsgerichts. Symposium 2.- 4. Oktober 1978. Hrsg. von G. Zieger. Köln u. a. 1979, s. 95- 112. 41
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Die innerdeutsche Grenz-Kommission zur Überprüfung des Verlaufs der Grenze zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR unterzeichnete am 20. September 1973 die Vereinbarung zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik über Grundsätze zur Schadensbekämpfung an der Grenze zwischen beiden Staaten und die Vereinbarung zwischen beiden über Grundsätze zur Instandhaltung und zum Ausbau der Grenzgewässer sowie der dazugehörigen wasserwirtschaftliehen Anlagen46 • Am 29. Juni 1974 traf sie Regelungen zum Komplex Lübecker Bucht, die vor allem die Grenz-Feststellung und den Fischfang der Lübecker Stadtfischer betreffen47 • Die Grenz-Kommission konnte vor allem deshalb bisher ihre Arbeit nicht abschließen, da man sich bei der Grenz-Feststellung an der Elbe nicht zu einigen vermochte. Das am 29. November 1978 unterzeichnete Protokoll "über die Überprüfung, Erneuerung und Ergänzung der Markierung der zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik bestehenden Grenze, die Grenzdokumentation und die Regelung sonstiger mit dem Grenzverlauf im Zusammenhang stehender Probleme" 48 stellt ausdrücklich fest, daß die Markierung der Grenze an der Eibe (Grenzabschnitte 7- 9) und an einem Teil des Grenzabschnitts 24 (Warme Bode) noch aussteht und Verhandlungen zur Markierung dieser restlichen Grenzgebiete fortgesetzt werden4s. 4. "Deutschland" als alliierteT Vorbehalt
Die Schöpfer des Grundgesetzes konnten von der Kontinuität des deutschen Staates über das Jahr 1945 hinaus ausgehen, da die Siegermächte weder die Absicht hatten, Deutschland zu teilen noch als Völkerrechtssubjekt auszulöschen. Die Alliierten sind in ihren entscheidenden Abmachungen über den Status Deutschlands in der Nachkriegszeit vom Gebietsstand Deutschlands in den Grenzen vom 31. Dezember 1937 ausgegangen, ohne ihn ausdrücklich garantieren zu wollen. In wichtigen Vereinbarungen haben die Hauptsiegermächte auch die Formel "Deutschland als Ganzes" verwandt. Die drei Westmächte und die Bundesrepublik Deutschland gebrauchten die Formel "Deutschland als Ganzes" auch in dem am 5. Mai 1955 in Kraft getretenen DeutschSo G. Zieger, a.a.O. (Anm. 42), S. 30. Hervorhebungen im Text. Text in: Deutschlandpolitik, a.a.O. (Anm. 6), Dok. 70 f. 47 Text, ebenda, Dok. 87. In den folgenden Jahren hat die innerdeutsche Grenz-Kommission weitere Dokumente erarbeitet. Texte, ebenda. 48 Text des Protokolls und des Zusatzprotokolls, ebenda, Dok. 158. Vgl. dazu G. Zieger, a.a.O. (Anm. 42). 45
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land-Vertrag, mit dem die Bundesrepublik Deutschland die Souveränität gewann und in dem die drei Westmächte ihre Vorbehaltsrechte spezifiziert haben. Als die UdSSR am 20. September 1955 der DDR zum zweitenmal-dieses Mal in einem zweiseitigen Vertrag- die Souveränität verlieh, machte sie ebenfalls Vorbehaltsrechte geltend und sprach von den Verpflichtungen, die sich für sie und die DDR aus den "internationalen Abkommen, die Deutschland als Ganzes betreffen", ergeben. Die Sowjetunion hat sich auch später in wichtigen bilateralen Abmachungen - wie in den Bündnispakten vom 12. Juni 1964 und 7. Oktober 1975 - ihre Rechte gegenüber der DDR vorbehalten, ohne allerdings das Bezugsobjekt "Deutschland als Ganzes" ausdrücklich zu bezeichnen. Durch die in den Verträgen von Moskau und Warschau sowie in Artikel 9 des Grundvertrags verankerten Nichtberührungsklauseln ist sichergestellt, daß die Vorbehaltsrechte der Alliierten unberührt bleiben. Entgegen einer gelegentlich geäußerten Ansicht, nach der der Deutschland-Vertrag zu einer "reinen Formalität" herabgesunken sei, ist festzustellen, daß er als Ganzes voll gültig bleibt; das Bundesverfassungsgericht hat hervorgehoben, daß vor allem auch Artikel 7 des Deutschland-Vertrags unberührt bleibe, "nach dem die Bundesrepublik und die Drei Mächte nach wie vor vertraglich verpflichtet bleiben (Abs. 2), zusammenzuwirken, ,um mit friedlichen Mitteln ihr gemeinsames Ziel zu verwirklichen: ein wiedervereinigtes Deutschland, das eine freiheitlich-demokratische Verfassung ähnlich wie die Bundesrepublik besitzt'". Auch wenn weder in den Nichtberührungsklauseln der Verträge von Moskau und Warschau sowie des Grundvertrags noch in den Begleitdokumenten das Bezugsobjekt der Vier-Mächte-Rechte und -Verantwortung genannt wird, bedeutet das nicht, daß es und damit der Rechtsbegriff "Deutschland" oder "Deutschland als Ganzes" zu existieren aufgehört haben. Wer so argumentiert, übersieht, daß die Vier Mächte kein neues Bezugsobjekt an die Stelle des alten gesetzt haben. Würde das Bezugsobjekt nicht mehr bestehen, dann wäre der Hinweis auf die früher geschlossenen Abmachungen der Alliierten - vor allem aus den Jahren 1944/45, 1952/54, 1955 und später- ohne Sinn. Ebenso kann nicht der These zugestimmt werden, daß von den Rechten der Vier Mächte nur noch ein "Bündel Interventionsrechte" übriggeblieben sei. Wer so die Nichtberührungsklausel des Grundvertrags interpretiert49, verkennt, daß auch das Abkommen der Vier Mächte über Berlin 48 Vgl. zu den Rechten und Verantwortlichkeiten der Vier Mächte aus der Sicht der DDR, der UdSSR, der Bundesrepublik Deutschland und der drei Westmächte J. Hacker, a.a.O. (Anm. 11), S. 416- 444; G. Ress, a.a.O. (Anm. 22), S. 26 - 51, 223- 228; B. Zündorf, a.a.O. (Anm. 22).
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vom 3. September 1971 auf den nach wie vor gültigen Vereinbarungen der Alliierten von 1944/45 basiert. Festzuhalten gilt auch, daß das Bundesverfassungsgericht dieser Argumentation und Interpretation, für die die Rechte und Verantwortlichkeiten der Vier Mächte entweder ohne Objekt oder nur noch Fiktion sind, nicht gefolgt ist; es apostrophiert die Vier-Mächte-Verantwortung für Gesamtdeutschland als eine "rechtliche Klammer für die Fortexistenz Gesamtdeutschlands". Georg Ress hat klar herausgearbeitet, daß das Selbstverständnis der Bundesrepublik Deutschland, die "Besonderheiten" in den innerdeutschen Beziehungen und der Fortbestand der deutschen Staatsangehörigkeit60 für die Nichtabgeschlossenheit des Teilungsvorganges und des Sezessions- oder Dismembrations-Prozesses, also der Auflösung des Deutschen Reiches in mehrere Völkerrechtssubjekte, nicht ausreichend sind, um objektiv angesichts der effektiven Trennung der Hoheitsbereiche und der Regelungen in den Artikeln 4 und 6 des Grundvertrags diesen Prozeß länger in der Schwebe zu halten. Der Sezessionsprozeß sei deshalb noch nicht abgeschlossen, da ihm ein entscheidendes normatives Element entgegenstehe: die Nichtendgültigkeit aller Verfügungen in bezug auf Deutschland als Ganzes, gewährleistet durch die Rechte und Verantwortlichkeiten der Vier Mächte, die in Artikel 9 des Grundlagenvertrages ausdrücklich vom Regelungsbereich des Vertrages ausgenommen worden sind51 • Die gelegentlich vertretene These, mit dem lnkrafttreten des Grundvertrags sei das Deutsche Reich untergegangen, ist deshalb verfehlt, da die beiden Staaten in Deutschland aufgrund der fortbestehenden Gesamtverantwortung der Vier Mächte für Deutschland gar keine Befugnis hatten (und haben), über den rechtlichen und territorialen Status Deutschlands zu verfügen62. Besonders klar und überzeugend hat Benno Zündorf in seiner Studie "Die Ostverträge - Die Verträge von Moskau, Warschau, Prag, das Berlin-Abkommen und die Verträge mit der DDR" diese Problematik hinsichtlich der Nichtberührungsklausel im Grundvertrag analysiert. Auch wenn die DDR - ebenso wie die Bundesrepublik Deutschland über die fortbestehenden Vier-Mächte-Rechte und -Verantwortlichkeiten nicht zu disponieren vermag, suchte sie - entgegen der sowjetiVgl. speziell zur deutschen Staatsangehörigkeit dieses Kap., Ziffer 6. Vgl. dazu ausführlicher G. Ress, a.a.O. (Anm. 22), S. 199 - 228 (223). u Dies übersieht J. Bücking in seiner materialreichen Schrift "Des Rechtsstatus des Deutschen Reiches". Berlin 1979, in der er den Nachweis führen möchte, daß das Deutsche Reich als Völkerrechtssubjekt am 21. Juni 1973, dem Tag des Inkrafttretens des Grundvertrags, untergegangen ist. Vgl. dazu die instruktive Rezension von E.-R. Zivier: Zur Rechtslage Deutschlands nach dem Grundvertrag, in: Recht und Politik 1979, S. 188 - 195. 60
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sehen Rechtsposition - in den letzten Jahren häufig den Eindruck zu erwecken, als gäbe es solche Rechte nur noch über West-Berlin und allenfalls über die Bundesrepublik Deutschland53• Zu ihrer eigenen Auffassung hat sich die DDR aufgrund des Briefwechsels mit der Bundesregierung und ihrer Note an die UdSSR zu Artikel 9 des Grundvertrags in Widerspruch gesetzt. In seinem Schreiben vom 21. Dezember 1972 an Staatssekretär Bahr teilte Michael Kohl mit, daß das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten dem Botschafter der UdSSR in der DDR folgenden Text in einer Note übermitteln werde: "Die Deutsche Demokratische Republik und die Bundesrepublik Deutschland stellen unter Bezugnahme auf Artikel 9 des Vertrages über die Grundlagen der Beziehungen vom 21. Dezember 1972 fest, daß die Rechte und Verantwortlichkeiten der Vier Mächte und die entsprechenden diesbezüglichen vierseitigen Vereinbarungen, Beschlüsse und Praktiken durch diesen Vertrag nicht berührt werden können54 ." Damit hat die DDR zugegeben, daß auch sie Gegenstand von VierMächte-Rechten ist, da andernfalls die Note an die Sowjetunion keinen Sinn hätte. Hinzu kommt die Erklärung der Vier Mächte vom 9. November 1972, die am gleichen Tag durch die drei Westmächte der Bundesrepublik Deutschland und durch die UdSSR der DDR förmlich notifiziert und schließlich auch auf Veranlassung der Vier Mächte in der UNO als Dokument des UNO-Sicherheitsrats zirkuliert wurde (18. Juni 1973), bevor dieser und später die Vollversammlung die Aufnahme der beiden Staaten in Deutschland in die Weltorganisation beschlossen55• In der Erklärung vom 9. November 1972 stimmen die Vier Mächte darin überein, "daß sie die Anträge auf Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen, wenn diese durch die Bundesrepublik Deutschland und die Demokratische Republik gestellt werden, unterstützen werden, und stellen in diesem Zusammenhang fest, daß diese Mitgliedschaft die Rechte und Verantwortlichkeiten der Vier Mächte und die bestehenden diesbezüglichen vierseitigen Regelungen, Beschlüsse und Praktiken in keiner Weise berührt"58. Die DDR hat die Erklärung der Vier Mächte vom 9. November 1972 widerspruchslos hingenommen: "Wollte sie die Existenz von VierMächte-Rechten im Hinblick auf sich, die DDR, bestreiten, so hätte sie Vgl. die Nachweise bei B. Zündorf, a.a.O. (Anm. 22), S. 269 mit Anm. 835. u Text in: Deutschlandpolitik, a.a.O. (Anm. 6), Dok. 53, S. 211. In einem gleichlautenden Schreiben teilte E. Bahr M. Kohl mit, daß das Auswärtige Amt der Bundesrepublik Deutschland den drei westlichen Botschaftern "folgende Note" übermitteln werde. Text, ebenda, S. 210 f. 55 Vgl. mit Nachweisen B. Zündorf, a.a.O. (Anm. 22), S. 287 f. 58 Text in: Deutschlandpolitik, a.a.O. (Anm. 6), Dok. 52. 63
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dies spätestens anläßlich ihres VN-Beitritts tun müssen. Sie hat es aber nicht getan57." Benno Zündorf wertet die Verknüpfung der Erklärung der Bundesrepublik Deutschland und der DDR zu den Vier-MächteRechten mit Artikel 9 des Grundvertrags zutreffend als eines der wichtigsten Ergebnisse der innerdeutschen Verhandlungen: "Die DDR hat hier erstmals der Bundesrepublik Deutschland gegenüber in rechtsverbindlicher Weise die Existenz von auch sie einschränkungslos betreffenden Viermächte-Rechten eingeräumt. Es darf zwar angenommen werden, daß auch vorher der Sowjetunion gegenüber die DDR sowjetischerseits reklamierte ,Viermächte-Rechte' niemals mit Erfolg hat bestreiten können; aber das ist nie an die große Glocke gehängt worden. Durch den Notenwechsel mit der Sowjetunion und dem entsprechenden Briefwechsel mit der Bundesrepublik hat die DDR in Richtung auf die Anerkennung der Viermächte-Rechte einen Schritt getan, der noch zur Zeit des Berlin-Abkommens der Vier Mächte nicht möglich erschien. Die Einwendung, es gebe für sie keine ViermächteRechte (mehr), ist ihr künftig abgeschnitten; sie kann nur noch behaupten, ein bestimmter Anspruch sei durch die - bestehenden - Viermächte-Rechte nicht gedecktss." Benno Zündorf, der "die Ostvertragspolitik aus der Nähe verfolgt" 59 hat, ist zu dem richtigen Schluß gelangt, daß sich die DDR aufgrurid des Brief- und Notenwechsels mit der Bundesrepublik Deutschland zu Artikel 9 auf den Boden der von Bonn vertretenen Rechtsauffassung begeben hat, nach der "eine Rechtshandlung der beiden Staaten, die den Vier Mächten das Substrat ihrer entsprechenden Rechte und Verantwortlichkeiten, nämlich Deutschland als Ganzes, entzöge, ultra vires sei, d. h. über die ihr rechtliches Vermögen gehe" 60 •
5. Der Status Berlins Nach dem Abschluß des Vier-Mächte-Abkommens über Berlin vom 3. September 1971 ist in der Bundesrepublik Deutschland die Frage diskutiert worden, ob das Bundesverfassungsgericht weiterhin an seiner Auffassung festhalten kann, nach der Berlin - trotz der Vorbehalte der drei Westmächte- ein Land der Bundesrepublik Deutschland ist. Dazu heißt es im Grundvertragsurteil vom 31. Juli 1973: "Derzeit besteht die Bundesrepublik aus den in Art. 23 GG genannten LänSo B. Zündorf, a.a.O. (Anm. 22), S. 271. B. Zündorf, ebenda. 68 So der Verlag im Klappentext. Hinter dem Namen "Benno Zündorf" verbirgt sich ein Pseudonym. 80 B. Zündorf, a.a.O. (Anm. 22), S. 271. 67
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dern einschließlich Berlin; der Status des Landes Berlin der Bundesrepublik Deutschland ist nur gemindert und belastet durch den sog. Vorbehalt der Gouverneure der Westmächte." Nicht nur von politischer, sondern auch von wissenschaftlicher Seite ist diese Formel mit dem Hinweis kritisiert worden, daß sie die im Vier-Mächte-Abkommen getroffenen Regelungen außer acht lasse. Das Bundesverfassungsgericht hat im Sinne des Vier-Mächte-Abkommens sodann klar und unmißverständlich dargelegt, daß es die "grundgesetzliehe Pflicht der für die Bundesrepublik Deutschland handelnden Organe ist, bei jedem Abkommen und bei jeder Vereinbarung mit der DDR, die ihrem Inhalt nach auf das Land Berlin und seine Bürger ausgedehnt werden können, auf der Ausdehnung auf Berlin zu bestehen und nur abzuschließen, wenn der Rechtsstand Berlins und seiner Bürger gegenüber dem für den Geltungsbereich des Grundgesetzes geltenden Rechtsstand - vorbehaltlich des für Berlin geltenden alliierten Vorbehalts und ,in Übereinstimmung mit dem Viermächteabkommen vom 3. September 1971' -nicht verürzt wird". Damit hat das Bundesverfassungsgericht die "Kann"-Formel aus den Erklärungen zum Grundvertrag vom 21. Dezember 197261 sehr restriktiv interpretiert. Es ist nicht bereit zuzulassen, daß am Status Berlins (West) Abstriche vorgenommen werden, die über die klar umrissenen Vorbehalte der drei Westmächte hinausgehen. Berlin (West) muß in alle Folgeverträge der Bundesrepublik Deutschland einbezogen werden, soweit - wie es im Vier-Mächte-Abkommen formuliert ist - nicht Fragen des Status und der Sicherheit der Stadt berührt werden62 • Auch wenn die DDR, der selbst jeglicher Gedanke an eine Verfassungsgerichtsbarkeit völlig fremd ist, das Grundvertragsurteil des Bundesverfassungsgericht wiederholt in äußerst scharfer und polemischer Weise angegriffen hat, mußte sie doch bald zur Kenntnis nehmen, daß die Bundesregierung auch an den Berlin-Passus des höchsten deutschen Gerichts gebunden ist. Dabei wird allzugern auch in westdeutschen Publikationen übersehen, daß das Bundesverfassungsgericht nur 81 Darin heißt es: "Es besteht Einvernehmen, daß die Ausdehnung von Abkommen und Regelungen, die im Zusatzprotokoll zu Artikel 7 vorgesehen sind, in Obereinstimmung mit dem Viermächte-Abkommen vom 3. September 1971 auf Berlin (West) im jeweiligen Fall vereinbart werden kann." Text in: Deutschlandpolitik, a.a.O. (Anm. 6), Dok. 53, S. 211. 82 Vgl. aus der umfangreichen Berlin-Literatur vor allem E. R. Zivier: Der Rechtsstatus des Landes Berlin. Eine Untersuchung nach dem ViermächteAbkommen vom 3. September 1971. Dritte, stark überarbeitete und erweiterte Auflage. Berlin 1977; H. Schiedermair: Der völkerrechtliche Status Berlins nach dem Viermächte-Abkommen vom 3. September 1971. Berlin I Heidelberg I New York 1975. Vgl. speziell zur Problematik der Bundespräsenz 0. Hennig: Die Bundespräsenz in Westberlin. Entwicklung und Rechtscharakter. Köln 1976.
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die im Vier-Mächte-Abkommen über Berlin vom 3. September 1971 getroffenen Regelungen bestätigt hat. Daher blieb der DDR gar nichts anderes übrig, als der Einbeziehung Berlins (West) in innerdeutsche Abmachungen zuzustimmen63 • Während sich die UdSSR beharrlich weigert, der Einbeziehung Berlins (West) in die seit Mai 1973 ausgearbeiteten deutsch-sowjetischen Abkommen über den Kulturaustausch und die wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit zuzustimmen6•, konnte dieses Problem in den innerdeutschen Kultur-Verhandlungen noch nicht auftreten, da die DDR mit ihrer Forderung auf Herausgabe des Preußischen Kulturbesitzes seit dem Frühjahr 1975 den "innerdeutschen Dialog" auf diesem wichtigen Gebiet blockiert hat65 • Auch auf dem Gebiet der Wissenschaft und Technik konnten noch keine innerdeutschen Vereinbarungen getroffen werden, da wichtige Fragen, zu denen auch die Einbeziehung von Berlin (West) gehört, noch offen sind66 •
6. Der Fortbestand der "deutschen Staatsangehörigkeit" Beim Abschluß des Grundvertrags war die Bundesregierung bestrebt, mögliche Konsequenzen aus den in den beiden Staaten in Deutschland unterschiedlich geregelten Staatsangehörigkeitsfragen durch dissentierende Vorbehalte beider Seiten einzugrenzen. So erklärte die Bundesrepublik Deutschland: "Staatsangehörigkeitsfragen sind durch den Vertrag nicht geregelt worden." Die DDR hingegen erklärte, sie gehe davon aus, "daß der Vertrag eine Regelung der Staatsangehörigkeitsfrage erleichtern wird" 67 • 83 Vgl. dazu J. Hacker: Der umstrittene Status Berlins, in: Partnerschaft mit dem Osten. 10 Beiträge zur Lage Deutschlands nach den Verträgen. München 1976, s. 257 - 282. 114 Vgl. dazu vor allem G. van Weil: Die Teilnahme Berlins am internationalen Geschehen: ein dringender Punkt auf der Ost-West-Tagungsordnung, in: Europa-Archiv 1976, S. 647- 656; D. Stobbe: Bindungen. Das Verhältnis Berlins zum Bund und das Viermächte-Abkommen, in: Europa-Archiv 1977, S. 477- 486. Vgl. speziell aus der Sicht der DDR H. Kröger: Stt:ikte Einhaltung des Westberlin-Abkommens - ein Gebot der Vernunft und des Rechts, in: Deutsche Außenpolitik 1977, S. 57-65 und "Das Vierseitige Abkommen über Westberlin und seine Realisierung. Dokumente 1971- 1977."). Hrsg. vom Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der UdSSR und des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten der DDR. Berlin (Ost) 1977. Vgl. dazu die Rezension von J . Hellmann in: Deutsche Außenpolitik 1978, H. 2, S. 31 - 36 und J. Hacker: Berlin als ständiger Streitpunkt. Über die Interpretation von Dokumenten, in: Die politische Meinung 1978, H. 179, S. 5 - 14. 83 Vgl. dazu unten Kap. VII, Ziff. 3. 88 Vgl. dazu die Einleitung zu: Deutschlandpolitik, a.a.O. (Anm. 6), S. 50 f. e1 Text, ebenda, Dok. 53, S. 207; Vgl. dazu aus der Sicht der DDR G. Riege: Staatliche Souveränität und Staatsbürgerschaft, in: Neue Justiz 1978, S. 98 bis 101.
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Das Grundgesetz macht in seinen Artikeln 16 und 116 klare Aussagen zur deutschen Staatsangehörigkeit, die das Bundesverfassungsgericht in seinem Grundvertragsurteil noch einmal unmißverständlich verdeutlicht hat. Das Gericht hat dafür Sorge getragen, daß jeder Gedanke an eine Reduzierung der deutschen Staatsangehörigkeit auf die Bewohner der Bundesrepublik Deutschland - wie es die DDR-Führung gern hätte - mit dem Grundgesetz unvereinbar ist68• Das bedeutet: Die deutschen Bewohner der DDR sind und bleiben Deutsche im Sinne des Grundgesetzes und können daraus Rechte gegenüber der Bundesrepublik Deutschland herleiten, wenn sie in den Geltungsbereich des Grundgesetzes gelangt sind. Aus dem Grundrecht auf Freizügigkeit gemäß Artikel 11 des Grundgesetzes ergibt sich das Recht auf Einreise in die Bundesrepublik Deutschland69 • An dieser rechtlichen Situation hat sich auch nichts geändert, seit die Bundesrepublik Deutschland am 28. Oktober 1969 der DDR die Staatsqualität und damit notwendigerweise auch die eigene Personalhoheit attestiert hat und verpflichtet ist, das Staatsbürgerschaftsgesetz der DDR vom 20. Februar 1967 zu respektieren. Wenn von politischer und auch wissenschaftlicher Seite der DDR immer wieder behauptet wird, die Bundesrepublik Deutschland spreche der DDR das ihr zustehende Recht ab, ihr Staatsangehörigkeitsrecht selbst zu regeln, so ist das eine böswillige Unterstellung. Das Festhalten an der deutschen Staatsangehörigkeit ist noch unter einem weiteren Aspekt von zentraler Bedeutung: für die These, daß der Sezessionsvorgang in Deutschland noch nicht abgeschlossen ist. Dafür führt Georg Ress einmal das auch in der internationalen Praxis manifestierte Selbstverständnis der Bundesrepublik Deutschland an, die sich zwar als personengleich mit dem Deutschen Reich betrachtet, aber besondere Beziehungen zur DDR aufrechterhalten möchte, "mit anderen Worten von sich aus keinen .. . Akt es Vgl. dazu aus der neueren DDR-Literatur vor allem G. Riege: Die Staatsangehörigkeitsdoktrin der BRD - Interpretation und Konsequenzen, in: Neue Justiz 1979, S. 68- 71; G. Riege und H.-J. Kulke: Nationalität: deutsch - Staatsbürgerschaft: DDR. Berlin (Ost) 1979. • 9 Vgl. dazu aus der umfangreichen Literatur 0. Kimminich, a.a.O. (Anm. 39), S. 159- 161; G. Zieger: Das Problem der deutschen Staatsangehörigkeit, in: Fünf Jahre Grundvertragsurteil des Bundesverfassungsgerichts, a.a.O. (Anm. 44), S. 189 - 221. Sehr instruktiv dazu auch die Diskussion, die sich an das Referat G. Ziegers anschloß. Text, ebenda, S. 223- 239. Vgl. neuerdings H. von Mangoldt: Deutsche Staatsangehörigkeit und Abgrenzungspolitik die Entwicklung des deutschen Staatsangehörigkeitsrechts seit den 60er Jahren, in: Politik und Kultur 1981, H. 4, S. 27-46, der auch sehr detailliert die Konsularverträge der DDR im Hinblick auf die Regelungen über die "Staatsbürgerschaft" analysiert hat: "Wie sehr bei manchem inzwischen das deutsche Identitätsbewußtsein geschrumpft sein muß, zeigt die Überraschung und Kritik, mit der die für ein Verfassungsgericht wohl selbstverständliche erneuerte Bestätigung dieser grundgesetzliehen Positionen im Grundvertragsurteil aufgenommen worden ist."
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gesetzt hat, mit dem das völlige Ausscheiden der DDR aus dem Reich anerkannt wurde. Darin liegt auch der Sinn der bislang verweigerten ausdrücklichen völkerrechtlichen Anerkennung der DDR. Der DDR soll die Stellung als Völkerrechtssubjekt und Staat zwar nicht verwehrt, jedoch sollen die Restelemente eines ... dennoch möglichen staatsrechtlichen Verbandes aufrechterhalten bleiben" 70 • Mit Recht verweist Ress darauf, daß sich die noch nicht vollständige Emanzipation der DDR vor allem in der Situation des Staatsangehörigkeitsrechts zeige. Durch ihren Vorbehalt zum Grundvertrag hat die Bundesrepublik Deutschland bewirkt, daß keine seiner Vorschriften, auch nicht Artikel 6 ... so ausgelegt werden dürfe, .,als habe die Bundesrepublik einer Trennung der Personalhoheit zwischen beiden deutschen Staaten mit der Wirkung zugestimmt, daß sie gehalten wäre, ihre eigene Personalhoheit (als Personalhoheit des Deutschen Reiches) auf die Bewohner der Bundesrepublik zu reduzieren. Da die DDR als Staat notwendigerweise auch eigene Personalhoheit hat, kann die Bundesrepublik ihr diese Regelungskompetenz in Zukunft nicht bestreiten; eine vollständige ,Entlassung' der DDR aus der Personalhoheit des Reiches hat jedoch ausdrücklich nicht stattgefunden" 71 • Diese Feststellung ist nicht nur aus rechtlichen, sondern auch aus politischen Erwägungen von eminenter Bedeutung. Für die Bundesrepublik Deutschland ist der Fortbestand der deutschen Staatsangehörigkeit eine der letzten und wichtigsten rechtlichen Klammern um Deutschland. Ress' Darlegungen sind deshalb so wichtig, da einige Staats- und Völkerrechtler in Verkennung der innerdeutschen Abmachungen die Ansicht vertreten haben, daß die Bundesrepublik Deutschland nach dem lokrafttreten des Grundvertrags dem Problem einer gesetzlichen Neuregelung der deutschen Staatsangehörigkeit nicht länger ausweichen könne und sie sich in einem .,gewissen Zugzwang" befinde72 • Dabei dürfen neben den juristischen nicht die politischen und psychologischen Aspekte übersehen werden: Die weitaus meisten Bürger der DDR empfinden sich auch heute noch als Deutsche und Angehörige der ungeteilten deutschen Nation und nicht- darauf wird noch zurückzu70 G. Ress, a.a.O. (Anm. 22), S. 220. Vgl. dazu auch D. Blumenwitz: Zwei deutsche Staatsangehörigkeiten?, in: Politische Studien 1981, H. 258, S. 393 bis 404. 71 G. Ress, ebenda, S. 220 f. 1: Vgl. dazu die Nachweise bei C. Tomuschat: Die rechtliche Bedeutung der Vier-Mächte-Verantwortung, in: Fünf Jahre Grundvertragsurteil des Bundesverfassungsgerichts, a.a.O. (Anm. 44), S. 71 - 93 (87 f .); 0. Kimminich, a.a.O. (Anm. 31), S. 99- 104; U. Scheuner: Die deutsche einheitliche Staatsangehörigkeit: ein fortdauerndes Problem der deutschen Teilung, in: EuropaArchiv 1979, S. 345 - 356.
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kommen sein - der von der SED-Führung verordneten separaten sozialistischen Nation der DDR. Das ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, daß sie nach dem Recht der Bundesrepublik Deutschland deutsche Staatsangehörige sind.
VI. Deutschlandpolitische Grundpositionen der DDR Ihre deutschlandpolitischen Vorstellungen hat die Partei- und Staatsführung in Ost-Berlin in drei wichtigen Dokumenten formuliert: in der revidierten und ergänzten Verfassung vom 7. Oktober 1974, im neuen Bündnisvertrag der DDR mit der UdSSR vom 7. Oktober 1975 und im neuen vom IX. Parteitag der SED am 22. Mai 1976 angenommenen Programm der SED. Diese wegweisenden Dokumente - vor allem das neue Programm der SED - veranschaulichen eindringlich, wie sehr es dem Generalsekretär des Zentralkomitees der Einheitspartei, Erich Honecker, in den Jahren nach dem Rücktritt Walter Ulbrichts als Erster Sekretär des Zentralkomitees der SED am 3. Mai 1971 gelungen ist, sich vom Erbe Ulbrichts zu trennen, soweit ihm das nötig und opportun erschien. Die Deutschland-Politik der SED seit Abschluß des Grundvertrags kann nur analysiert werden, wenn man sich gleichzeitig die totale Ostorientierung der Außenpolitik Ost-Berlins vergegenwärtigt. Nachdem die Entschließung des VIII. Parteitags der SED vom Juni 1971, also wenige Wochen nach der Ablösung Ulbrichts, festgestellt hatte, das Verhältnis zur Sowjetunion sei der "entscheidende Prüfstein für die Treue zum Marxismus-Leninismus, zum proletarischen Internationalismus"73, konnte es nicht überraschen, daß der UdSSR in der revidierten Fassung der DDR-Verfassung vom 7. Oktober 1974 eine klare und eindeutige Priorität eingeräumt wurde: "Die DDR ist für immer '\lUd unwiderruflich mit der UdSSR verbündet ... Die DDR ist untrennbarer Bestandteil der sozialistischen Staatengemeinschaft ...". Ebensowenig konnte es überraschen, daß in dem am 7. Oktober 1975 in Moskau unterzeichneten neuen Bündnisvertrag der Sowjetunion mit der DDR die "ewige und unverbrüchliche Freundschaft" postuliert worden ist. Auch im neuen Programm und Statut der SED genießt das Verhältnis der Einheitspartei zur KPdSU Vorrang vor der internationalen Position der SED. Während im Parteiprogramm die SED als eine "Abteilung der internationalen kommunistischen Bewegung" bezeichnet wird, vertieft die SED - gemäß ihrem Statut - "unablässig die unverbrüchliche Freundschaft und das brüderliche Bündnis mit der KPdSU, der Vorhut der kommunistischen Weltbewegung". Jetzt ist die 73
Text in: Neues Deutschland vom 21. Juni 1971 und Deutschland-Archiv
1971,
s. 877- 892 (878).
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SED nicht mehr nur ein "fester", sondern ein "untrennbarer Bestandteil der internationalen kommunistischen Arbeiterbewegung". Die zitierten Dokumente verdeutlichen unmißverständlich, daß es die DDR mit ihrer Aussage, seit dem Abschluß des Grundvertrags mit der Bundesrepublik Deutschland gebe es keine "offene deutsche Frage" mehr, ernst meint. So war es bereits konsequent, daß der Änderung des Artikels 8 der Verfassung vom 6. April 1968 auch jener Passus zum Opfer fiel, in dem noch von der "Vereinigung Deutschlands auf der Grundlage der Demokratie und des Sozialismus", also unter kommunistischem Vorzeichen, die Rede war. Das bedeutet: Am 7. Oktober 1974 hat sich der "sozialistische Staat der Arbeiter und Bauern" - diese Formel ist in der revidierten Fassung der Verfassung an die Stelle der alten getreten: "Die DDR ist ein sozialistischer Staat deutscher Nation" - des Verfassungsauftrags zur "Vereinigung" der beiden Staaten in Deutschland begeben. Damals meinten einige Beobachter der innerdeutschen oder deutschdeutschen Szenerie, man sollte die Tilgung des gesamtdeutschen Anspruchs aus der DDR-Verfassung und die Streichung der nationalen Formeln nicht überbewerten und erst einmal abwarten, ob die SED auch in ihrem neuen Programm auf jegliche zukünftige Vision eines "sozialistischen Deutschland" verzichten werde. Die "Realisten" von damals, die die sich bereits deutlich abzeichnende totale Ostorientierung der DDR richtig eingeschätzt hatten, sollten recht behalten. Am 12. Dezember 1974 beschränkte sich SED-Chef Honecker in seiner Rede vor dem Zentralkomitee der SED, in der er erstmals zwischen der Staatsbürgerschaft und der Nationalität differenzierte, auf die Feststellung, die DDR "repräsentiert" das "sozialistische Deutschland ... Im übrigen sind wir nach wie vor der Ansicht, daß beim Fortschreiten des revolutionären Weltprozesses der Sozialismus auch um die Bundesrepublik Deutschland keinen Bogen machen wird. Dies ist jedoch eine Sache der Zukunft"74 • Beide Aussagen wurden nicht in das neue SED-Programm vom 22. Mai 1976 aufgenommen. Das Programm der SED ist - ebenso wie die revidierte Verfassung - ohne jede gesamtdeutsche Perspektive oder gar Mission. Es besagt nur, "daß alle Länder der Erde unausweichlich zum Sozialismus und Kommunismus gelangen werden". Damit hat sich die SED eine Tür offengelassen, um eines Tages, wenn es ihr opportun erscheinen sollte, wieder eine gesamtdeutsche Perspektive zu formulieren 75 . 14 Text der Rede in: Neues Deutschland vom 13. Dezember 1974. Vgl. dazu auch J. Hacker: Neue Chancen für die nationale Frage?, in: Die politische Meinung 1978, H. 177, S. 41-53.
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Wenn die DDR in ihrer Verfassung und die SED in ihrem Programm sowie Statut das Bündnis mit der UdSSR in einem Grad umschreiben, wie er in keinem Dokument der "Bruderstaaten" eine Parallele hat, dann ist das Sache der Staats- und Parteiführung in Ost-Berlin. Hingegen erwachsen der DDR aus dem Bündnispakt mit der UdSSR völkerrechtliche Verpflichtungen, die kaum ein Gebiet der Kooperation unerwähnt lassen. In dem Vertrag vom 7. Oktober 1975, der auf den Prinzipien des sozialistischen Internationalismus basiert, ist die sogenannte Breschnew- oder Moskauer Doktrin verankert: Beide Seiten erklären ihre Bereitschaft, "die notwendigen Maßnahmen zum Schutz und zur Verteidigung der historischen Errungenschaften des Sozialismus, der Sicherheit und der Unabhängigkeit beider Länder zu treffen" (Artikel 4). Und in der Präambel ist von der "Unterstützung, Festigung und dem Schutz der sozialistischen Errungenschaften" die Rede76 •
VII. Einige wichtige Einzelprobleme Ein Blick auf die deutschlandpolitische Szenerie zeigt, daß sie durch weitere und zahlreiche rechtliche und politische Probleme gekennzeichnert ist, die hier nicht im einzelnen erläutert werden können. Prüft 75 Vgl. dazu auch die Rede E. Boneckers vor den 1. Sekretären der Kreisleitungen der SED vom 17. Februar 1978. Text in: Neues Deutschland vom 18./19. Februar 1978. In einem Interview mit der "Saarbrücker Zeitung" vom 6. Juli 1978 führte Honecker aus: "Ich habe bis jetzt nicht gehört, daß die Bundesrepublik Deutschland für den Sozialismus ist. Wenn dies so wäre, gäbe es bestimmt auch in dieser Frage eine Gesprächsmöglichkeit." Der Abdruck des Interviews im "Neuen Deutschland" vom 7. Juli 1978 stimmte mit dem Text der "Saarbrücker Zeitung" nicht überein. Vgl. dazu die Vorbemerkung der Redaktion des "Deutschland-Archivs" zum Abdruck des Interviews aus dem "Neuen Deutschland" vom 7. Juli 1978 in: DeutschlandArchiv 1978, S. 881. Vgl. auch Boneckers Rede auf der Bezirksdelegiertenkonferenz Berlin, Text in: Neues Deutschland vom 16. Februar 1981, S. 3 - 4 (3): "Und wenn heute bestimmte Leute im Westen großdeutsche Sprüche klopfen und so tun, als ob ihnen die Vereinigung beider deutscher Staaten mehr am Herzen liegen würde als ihre Brieftasche, dann möchten wir ihnen sagen: Seid vorsichtig! Der Sozialismus klopft eines Tages auch an Eure Tür (Starker Beifall), und wenn der Tag kommt, an dem die Werktätigen der Bundesrepublik an die sozialistische Umgestaltung der Bundesrepublik Deutschland gehen, dann steht die Frage der Vereinigung beider deutscher Staaten vollkommen neu (Starker Beifall). Wie wir uns dann entscheiden, daran dürfte wohl kein Zweifel bestehen (Anhaltender starker Beifall)." 78 Vgl. zur Problematik des Rechtsverhältnisses zwischen der DDR und der UdSSR D. Frenzke: Die Rechtsnatur des Sowjetblocks - eine juristische Entschleierung. Berlin 1981; J . Hacker: Der neue Bündnisvertrag der Sowjetunion mit der DDR, in: Königsteiner Kreis 1975, Nr. 1- 12, S. 7- 19; B. Meiss-, ner: Die Bündnisverträge zwischen der DDR und der Sowjetunion, in: Aus Politik und Zeitgeschichte. Beilage zur Wochenzeitung "Das Parlament", B. 43 vom 27. Oktober 1979, S. 11-25. Vgl. dazu auch J. Hacker: Die politischen Beziehungen zwischen der DDR und der UdSSR. Vortrag auf der Jahrestagung 1980 des Göttinger Arbeitskreises. Im Druck.
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man den gegenwärtigen Stand der innerdeutschen Beziehungen, dann gilt es, vor allem das Zusatzprotokoll mit seinen elf Punkten zu Artikel 7 des Grundvertrags zu prüfen, ohne die in der Zwischenzeit getroffenen Vereinbarungen hier aufzuzählen. Das Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen hat in seiner umfangreichen Schrift "Zehn Jahre Deutschlandpolitik" die Entwicklung der Beziehungen zwischen den beiden Staaten in Deutschland in den Jahren von 1969 bis 1979 detailliert dargestellt und dokumentiert. In der Tat wurden seit dem Inkrafttreten des Grundvertrags am 21. Juni 1973 auf zahlreichen Gebieten zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR Vereinbarungen getroffen. Das gilt für die Bereiche des Gesundheitswesens, des nichtkommerziellen Zahlungsverkehrs, der Sport-Beziehungen und des Post- und Fernmeldeverkehrs; 1979 wurden Abkommen über die Befreiung von Straßenfahrzeugen von Steuern und Gebühren und auf dem Gebiet des Veterinärwesens unterzeichnet. Am 30. April 1980 traf die Bundesregierung die vierte Verkehrsvereinbarung mit der DDR seit dem lnkrafttreten des Grundvertrags77 : "Sie alle gelten der Verbesserung der Verkehrsverbindungen zwischen Berlin und dem Bundesgebiet und bedeuten für die DDR neben der Einnahme von beträchtlichen Devisenbeträgen eine deutliche Verbesserung ihres Verkehrsnetzes78." In einer Analyse der innerdeutschen Probleme verdienen vier Aspekte besondere Beachtung: das Verhältnis der DDR-Führung zur eigenen Bevölkerung, die Haltung Ost-Berlins gegenüber den Menschenrechten, die Blockierung der Kultur-Verhandlungen und die Frage nach dem Fortbestand der deutschen Nation. 1. Das Verhältnis der DDR-Führung zur eigenen Bevölkerung
Auch wenn es bis heute nicht möglich ist, aufgrund empirischer Untersuchungen die Einstellung der Bevölkerung in der DDR gegenüber der Führung genauer zu bestimmen, sind sich die ernsthaften Beobachter der innerdeutschen Szenerie darüber einig, daß sich die Staatsund Parteiführung in Ost-Berlin der Tatsache bewußt ist, daß "sie sich ihrer Bevölkerung nie sicher ist. Im dreißigsten Jahr der DDR ist das Verhältnis zwischen Führung und Bevölkerung nicht anders als in den 71 Text der Abmachungen in: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, Nr. 46 vom 30. April 1980. 78 So P. J. Winters: Der Anspruch ist höher, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 30. April 1980; ders., a.a.O. (Anm. 1); ders.: "Ein Beitrag zur Entwicklung normaler Beziehungen der friedlichen Koexistenz", in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 2. Mai 1980. Vgl. dazu auch den Kommentar "Weiterer Ausbau der Berlin-Verbindungen", in: Neue Zürcher Zeitung, Fernausgabe Nr. 102 vom 4.- 5. Mai 1980.
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Anfangsjahren kommunistischer Herrschaft im anderen Teil Deutschlands"79. Die Führung in Ost-Berlin weiß um das hohe LegitimitätsDefizit, das auf zahlreiche Ursachen zurückzuführen ist. Der Staatsund Parteiführung fehlt es nicht nur an politisch begründeter Legitimität, sondern auch - und darin unterscheidet sie sich vor allem von den Führungen in den anderen "Bruderstaaten" der "sozialistischen Gemeinschaft"- an nationaler Identität80• Solange die Spaltung Deutschlands fortbesteht und sich die DDR mit der sich der politischen Legitimität erfreuenden Bundesrepublik Deutschland konfrontiert sieht, dürfte sich an dieser Situation wenig ändern. Die forcierte Gängelung von Schriftstellern, Künstlern und Wissenschaftlern, die "Kriminalisierung menschlicher Kontakte" aufgrund des am 1. August 1979 in Kraft getretenen 3. Strafrechtsänderungsgesetzes81 sowie die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen für Journalisten in der DDR82 zeigen auf drastische Weise, wie wenig die Führung in Ost-Berlin die eigene Bevölkerung hinter sich weiß.
2. Die Achtung der Menschenrechte in Deutschland Während die Bundesregierung mit Recht mehrfach darauf hingewiesen hat, daß in der Bundesrepublik Deutschland ein umfassender Schutz der Menschenrechte existiert83, besteht zwischen der Verfassungsurkunde und -Wirklichkeit auf der einen und den völkerrechtlichen Verpflichtungen auf der anderen Seite, die die DDR mit ihrer Unterschrift unter die 1976 in Kraft getretenen Menschenrechtspakte der Vereinten Nationen übernommen hat, eine beachtliche Diskrepanz. Mit den beiden Internationalen Konventionen über politische und bür79 So P. J. Winters: Angst vor der eigenen Courage, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 23. April 1979. Vgl. dazu auch J. Nawrocki: Der ängstliche Nachbar, in: Die Zeit vom 5. Oktober 1979. so Vgl. dazu vor allem P. C. Ludz, a.a.O. (Anm. 22), S. 80-86. st Text in: Gesetzblatt der DDR 1979, Teil I, S. 139. J. Nawrocki sprach zutreffend in der .,Zeit" vom 6. Juli 1979 von einem .,Maulkorb für das Volk der DDR". Vgl. dazu auch den instruktiven Kommentar P. J. Winters': So wird Kritik an der SED fast unmöglich, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 2. Juli 1979. 82 Vgl. die Durchführungsbestimmung zur Verordnung vom 21. Februar 1973 über die Tätigkeit von Publikationsorganen anderer Staaten und deren Korrespondenten in der DDR vom 11. April 1979. Text in: Neues Deutschland vom 14. April 1979 und .,Deutschlandpolitik" a.a.O. (Anm. 6), Dok. 162. über eine .,kritische Berichterstattung" hat sich E. Honecker in seinem zweiten Interview mit der .,Saarbrücker Zeitung" vom 6. Juli 1978 geäußert; Text auch in: Deutschland-Archiv 1978, S. 884. 83 Vgl. dazu .,Der Schutz der Menschenrechte in der Bundesrepublik Deutschland. Ein Bericht der Bundesregierung". Hrsg. vom Bundesminister der Justiz. Bonn 1978.
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gerliehe Rechte sowie über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte wurde erstmals eine allgemein anerkannte, völkerrechtlich verbindliche Grundlage für die Durchsetzung der Menschenrechte geschaffen. Das wird auch von der DDR anerkannt. Aus rechtlichen Gründen kann sich die DDR nicht mehr einer Diskussion entziehen, ob und inwieweit auf ihrem Gebiet die Bestimmungen der beiden UNOPakte eingehalten werden. Seit die DDR ihrer Verpflichtung aus dem Pakt über politische und bürgerliche Rechte wenigstens insoweit nachgekommen ist, als sie dem Ausschuß für Menschenrechte in Genf Ende Juni 1977 ihren Bericht über die Verwirklichung der Menschenrechte auf ihrem Gebiet gegeben und den sie Ende Januar 1978 mündlich ergänzt hat, kann sie sich nicht mehr auf das zuvor vorgebrachte Argument zurückziehen, derartige Fragen unterlägen allein ihrer Zuständigkeit. Es ist das große Verdienst Siegfried Mampels, alle wichtigen Verstöße der DDR gegen den Bürgerrechtspakt der UNO zusammengestellt zu haben. Er hat klar herausgearbeitet, daß die DDR die meisten der im Bürgerrechtspakt verankerten Grundrechte in einer Weise einschränkt, die weit über die zulässigen Vorbehalte hinausgeht. Mit Recht weist Mampel darauf hin, daß die im Bürgerrechtspakt formulierten Beschränkungen stets die Ausnahme sein müssen: "Die Gewährung der Freiheiten hat die Regel zu sein." Die DDR schränkt zahlreiche Grundrechte - wie das Recht der Meinungsäußerung, Ausreise, Versammlungsfreiheit und Vereinigungsfreiheit - so stark ein, daß man von Verboten mit Erlaubnisvorbehalt sprechen kann, die der Bürgerrechtspakt nicht zuläßt84 • 3. Ost-Berlins Blockierung der innerdeutschen Kultur-Verhandlungen
In Ziffer 7 des Zusatzprotokolls zu Artikel 7 des Grundvertrags sind die Bundesrepublik Deutschland und die DDR übereingekommen, die kulturelle Zusammenarbeit zu entwickeln und zu diesem Zweck Verhandlungen über Regierungsabkommen zu führen. Die Ende November 1973 aufgenommenen Verhandlungen sind seit März 1975 blockiert, als 84 S. Mampel: Bemerkungen zum Bericht der DDR an das Menschenrechtskomitee der Vereinten Nationen, in: Recht in Ost und West 1978, S. 150- 157 mit zahlreichen Nachweisen; J. Hacker: Die allgemeinen Menschenrechte in den TIN-Menschenrechtskonventionen und in der KSZE-Schlußakte, in: Die KSZE und die Menschenrechte. Politische und rechtliche Überlegungen zur zweiten Etappe. Berlin 1977, S. 73- 94; ders.: Praktische Politik mit den Menschenrechtspakten der Vereinten Nationen, in: Menschenrechte und Selbstbestimmung unter Berücksichtigung der Ostdeutschen. Hrsg. von der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen. Bonn 1980, S. 37- 53; F.-C. Zeitler: Die Menschenrechte im geteilten Deutschland, in: Partnerschaft mit dem Osten, a.a.O. (Anm. 63), S. 191 - 215.
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die Forderung der DDR auf Herausgabe des Preußischen Kulturbesitzes "durch eine Indiskretion der amtlichen DDR-Nachrichtenagentur ADN zum Diskussionsthema in der Öffentlichkeit"85 wurde. Die Frage, welchem der beiden Staaten in Deutschland die Nofretete und Rembrandts "Mann mit dem Goldhelm" gehören, ist klar zu beantworten. Daran können auch die am 12. April 1978 erlassene Verordnung über den Staatlichen Museumsfonds der DDR und das Gesetz zum Schutz des Kulturgutes der DDR vom 3. Juli 1980 nichts ändern. Mit beiden gesetzgeberischen Maßnahmen reklamiert die DDR die Kunstschätze der "Stiftung Preußischer Kulturbesitz" als ihr Volkseigentum, die sich in den 14 Staatlichen Museen der Stiftung in West-Berlin befinden und die vor dem Krieg ihren Standort auf der Museums-Insel im heutigen Ost-Berlin hatten. Die musealen Objekte und Sammlungen des ehemaligen Preußischen Kulturbesitzes waren während des Zweiten Weltkriegs aus Berlin ausgelagert worden und befanden sich nach der Kapitulation Deutschlands in den von den drei Westmächten besetzten Territorien. Nach der Auflösung des Landes Preußen durch das Gesetz Nr. 46 des Alliierten Kontrollrats vom 25. Februar 194786 sind sie in das Eigentum der Nachfolgeländer übergegangen. Am 25. Juli 1957 wurde durch Bundesgesetz eine bundesunmittelbare Stiftung des öffentlichen Rechts87 - die "Stiftung Preußischer Kulturbesitz" - mit dem Sitz in Berlin errichtet, die finanziell gemeinsam von der Bundesrepublik Deutschland und allen Bundesländern getragen wird. Die Stiftung hat die Aufgabe, diesen Kulturbesitz für das deutsche Volk zu bewahren, zu pflegen und zu ergänzen. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 14. Juli 1959 diese Regelung für rechtens und verfassungsmäßig erklärt88• Die DDR hat gut daran getan, sich in ihrer Verordnung vom 12. April 197889 nicht auf das Raager Abkommen für den Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten vom 14. Mai 1954 zu berufen, wie es Günter Kertzscher in seinem Kommentar "Der Mann mit dem Goldhelm" Ende Juni 1975 getan hatte. Mit Recht wies er darauf hin, daß die BundesSo die Einleitung zu "Deutschlandpolitik", a.a.O. (Anm. 6), S. 50. Text in: Amtsblatt des Kontrollrats, Nr. 14 vom 31. März 1947, S. 262. 87 Text in: Bundesgesetzblatt 1957, Teil I, S. 841. Sehr instruktiv dazu P. J. Winters: Nofretete soll sozialistisch werden. DDR erklärt Pharaonin zu Volkseigentum, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 12. Juni 1978. Zum Preußischen Kulturbesitz gehören neben den Kunstgegenständen auch die Altbestände der früheren Preußischen Staatsbibliothek. 88 Text des Urteils in: Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts. 10. Band. Tübingen 1960, S. 20- 55. 89 Text in: Gesetzblatt der DDR 1978, Teil I, S. 165. 85
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republik Deutschland dieser Konvention 1967 beigetreten ist90 • In seinem Beitrag schoß Kertzscher gleich mehrere Eigentore: "Das Völkerrecht sieht für den gegebenen Fall eine ganz klare Regelung vor. Es gilt seit langem, daß Kulturgüter, die durch Kriegsereignisse oder ihre Folgen von ihrem ursprünglichen Standort entfernt wurden, wieder dorthin zurückgebracht werden müssen, wo sie herkamen. Napoleon hatte Schadows Quadriga vom Brandenburger Tor nach Frankreich verschleppt. Nach dem Ende der Napoleonischen Kriege mußte sie wieder an ihren ursprünglichen Ort zurückgebracht werden, nämlich auf das Brandenburger Tor in Berlin91 .'' Kertzscher hatte nur einen wichtigen Aspekt geflissentlich übersehen: Sowohl das Abkommen für den Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten vom 14. Mai 1954 als auch die von ihm angeführten historischen Beispiele beziehen sich auf die Entfernung von Kulturgütern einer kriegsführenden Partei durch den militärischen Gegner. Bei Nofretete und ihren Schicksalsgefährten geht es - wie der Heidelberger Staatsrechtier Klaus Vogel festgestellt hat - "dagegen darum, daß der zuständige Berechtigte, der preußische Staat, sie selbst, um sie vor den Kriegswirren zu schützen, von ihrem ursprünglichen Standort entfernt hatte. Nach der Verlagerung ist dann dieser Berechtigte aufgelöst worden, so daß sich nunmehr die Frage nach seiner Rechtsnachfolge stellt ... Die Begründung der DDR mit ihrer Bezugnahme auf die Konvention von 1954 ist daher unhaltbar. Einen begründeten Anspruch auf den früheren preußischen Kulturbesitz könnte die DDR natürlich dann geltend machen, wenn sie sich als mit dem früheren Staat Preußen identisch verstehen würde und dürfte (also gewissermaßen als ,Volksrepublik Preußen'). Geopolitisch ebenso wie kulturell wäre das durchaus nicht so abwegig. Die DDR hat sicherlich innerhalb der deutschen Nation gewisse Züge übernommen, die früher als spezifisch preußische galten ... Es ist ja auch immer wieder frappierend, wie weitgehend heute die deutsche Landkarte den Vorstellungen gleicht, die seinerzeit Napoleon III. über die Neuordnung Deutschlands hatte. Eine derartige Identität mit dem preußischen Staat wird jedoch von der DDR nicht geltend gemacht, und sie wäre im Hinblick auf das Kontrollratsgesetz Nr. 46 wohl auch nicht vertretbar"D2 • uo Für die DDR ist die Konvention seit dem 16. April 1974 in Kraft. Vgl. den Nachweis in Anm. 1 zum "Kulturgutschutzgesetz" vom 3. Juli 1980, in: Gesetzblatt der DDR 1980, Teil I, S. 191. Text des Haager Abkommens vom 14. Mai 1954 bei F. Berber (Hrsg.): Völkerrecht. Dokumentensammlung. Band II: Konfliktsrecht. München und Berlin 1967, S. 2159-2172. 91 G. Kertzscher: Der Mann mit dem Goldhelm, in: Neues Deutschland vom 28./29. Juni 1975. 92 K. Vogel: Wem gehört die Nofretete?, in: Finis Germaniae? Zur Lage Deutschlands nach den Ostverträgen und Helsinki. Symposion aus Anlaß des
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Mit dem Erlaß des "Kulturgutschutzgesetzes" vom 3. Juli 198093 hat sich die DDR nun zum zweitenmal Eigentumsrechte an den Beständen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz angemaßt. Dazu heißt es in § 2 des Gesetzes: "Die Zugehörigkeit zum Kulturgut der DDR wird durch die Verlagerung von Kulturgut im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg oder durch rechtswidrige Ausfuhr, Entwendung oder Verbringung von Kulturgut nicht berührt." Mit dieser neuen gesetzlichen Regelung möchte Ost-Berlin seinen "Anspruch" auf "Rückgabe" des ehemals preußischen Kulturgutes untermauern und ihm "den Anschein der Rechtmäßigkeit geben. Damit erschwert die DDR zwar die Verhandlungen über den Abschluß eines Kulturabkommens zwischen den beiden Staaten in Deutschland zusätzlich, bewirkt aber keine Änderung der Rechtslage hinsichtlich der Stiftung Preußischer Kulturbesitz" 94 •
4. Die Frage nach dem Fortbestand der deutschen Nation Der in der Präambel zum Grundvertrag festgeschriebene Konsens über den Dissens in der "nationalen Frage" erlaubt es beiden Staaten in Deutschland, an ihren unterschiedlichen nationalen Positionen festzuhalten. In diesem wichtigen Punkt hat sich die DDR bei den Verhandlungen über den Grundvertrag insoweit durchgesetzt, als es der Bundesregierung nicht gelungen ist, ihre auch im Kasseler 20-Punkte-Katalog vom 21. Mai 1970 vorgetragene These von der "Einheit der Nation" im Grundvertrag zu verankern. Daher ist es auch nicht erstaunlich, daß das Selbstbestimmungsrecht nur allgemein im Rahmen des Katalogs der Prinzipien der UNO-Charta in Artikel 2 des Grundvertrags und ohne ausdrückliche Bezeichnung seines Trägers in Deutschland aufgeführt wird. Zur Interpretation des Rechts auf Selbstbestimmung sind die beiden völkerrechtlich verbindlichen Menschenrechtspakte der UNO von 1966 heranzuziehen, deren Artikel 1 jeweils bestimmt: "Alle Völker haben das Recht auf Selbstbestimmung." Wenn es noch eines Beweises für die offene deutsche Frage bedürfte, dann liefert sie die SED-Führung seit Jahren mit ihrem Spiel mit der 70. Geburtstages von Herbert Krüger vom 11.- 13. Dezember 1975 in Kassel. Hrsg. von I. von Münch I Th. Oppermann IR. Stödter. Frankfurt M. 1977, S. 106 - 109 (107 f.). Vgl. zur Gesamtproblematik auch R. Mußgnug: Wem gehört Nofretete? Anmerkungen zu dem deutsch-deutschen Streit um den ehemals preußischen Kulturbesitz. Berlin I New York 1977. es Vgl. den Nachweis oben in Anm. 90. 84 So P. J. Winters in seinem instruktiven Kommentar "DDR macht durch Gesetz Eigentumsrecht an Beständen der Preußen-Stiftung geltend", in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 4. Juli 1980; die DDR besteht auf "Rückgabe" von Kunstschätzen, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 24. Oktober 1980. 7 Greweu. a.
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"nationalen Frage". Als sich Ost-Berlin entschloß, in der revidierten Verfassung vom 7. Oktober 1974 alle nationalen Bezüge rigoros zu streichen, mußte die SED-Führung bald einsehen, daß sie die Fortexistenz der deutschen Nation nicht in Frage stellen kann. Am 12. Dezember 1974 sah sich SED-Chef Honecker vor dem Zentralkomitee seiner Partei bemüßigt, erstmals zwischen der Staatsbürgerschaft und der Nationalität der Bürger der DDR zu differenzieren. Er sagte, daß die Staatsbürger der DDR "der Nationalität nach in der übergroßen Mehrheit" Deutsche seien: "Es gibt also keinen Platz für irgendwelche Unklarheiten beim Ausfüllen von Fragebogen, die hier und dort benötigt werden. Die Antwort auf diesbezügliche Fragen lautet schlicht und klar und ohne jede Zweideutigkeiten: Staatsbürgerschaft - DDR, Nationalität- deutschos." Honecker überließ es seinen Partei-Ideologen, in den folgenden Jahren die Begriffe der Nation und Nationalität zu definieren. Seit der dreißigjährigen Wiederkehr der Errichtung der DDR am 7. Oktober 1979 steht endgültig fest, daß sich auch die deutschen Bewohner der Bundesrepublik Deutschland in den Augen der DDR des Attributs "deutscher Nationalität" erfreuen dürfen. In ihrem Beitrag "Geburt und Gedeihen der sozialistischen deutschen Nation", der in der theoretischen Zeitschrift der SED, "Einheit" 96 erschienen ist, haben der prominenteste Nation-Experte der DDR, Alfred Kosing, und sein Kollege Walter Schmidt festgestellt: "Die Nation in der DDR ist ihrem sozialhistorischen Typ nach sozialistisch und ihrer Nationalität nach deutsch, 8• Vgl. zur Entwicklung der "nationalen Frage" in der DDR seit 1949 im einzelnen J. Hacker: Das nationale Dilemma der DDR, in: B. Meissner und J. Hacker: Die Nation in östlicher Sicht. Berlin 1977, S. 40- 68; ders.: "Im großen und ganzen die gleichen ethnischen Merkmale", in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 15. April 1980. Vgl. aus der Banner Sicht die Regierungserklärung und Debatte vom 17. Juni 1980, dem Tag der deutschen Einheit, im Bundestag; geringfügig gekürzte Wiedergabe in: Das Parlament vom 28. Juni 1980. Vgl. dazu auch die Große Anfrage der parlamentarischen Opposition und die Antwort der Bundesregierung zum "Beitrag der Bundesregierung zur Stärkung des Bewußtseins von der Einheit der Deutschen Nation in Unterricht und Bildung". Text in: Deutscher Bundestag, 8. Wahlperiode. Drucksache 8/3841 und 8/4159 vom 11. Juni 1980. es In Heft 9 - 10/1979, S. 1068- 1075. Besonders. erbost sind die beiden Autoren auch darüber, daß in dem gemeinsamen Beschluß der Kultusminister und -senatoren der Bundesländer über die Behandlung der deutschen Frage im Unterricht nicht nur die Einheit der ungeteilten deutschen Nation beschworen, sondern darüber hinaus im Anschluß an das Grundvertragsurteil des Bundesverfassungsgerichts vom 31. Juli 1973 festgestellt wird: "Die deutsche Nation existiert auch als Staatsvolk weiter, das keinen gemeinsamen Staat hat, dessen Angehörige aber - unbeschadet separater Regelungen der DDR - die einheitliche deutsche Staatsangehörigkeit besitzen." Text in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 6. Februar 1979. Vgl. zur Problematik "Die nationale Frage als Rechtsbegriff" auch G. Ress, a.a.O.
(Anm. 22),
s. 88- 103, 221.
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während die Nation in der BRD ihrem sozial-historischen Typ nach kapitalistisch und ihrer Nationalität nach ebenfalls deutsch ist." Die SED-Führung dürfte wissen, daß alle Versuche, die staatliche Teilung Deutschlands auch auf die nationale Ebene zu transponieren, untauglich sind. Anders ist es nicht zu erklären, warum man bis Ende 1974 ohne den Begriff der Nationalität ausgekommen ist. Das permanente Spiel der SED mit der "nationalen Frage" ist deshalb so fragwürdig, da die Nichtexistenz einer ungeteilten deutschen Nation nicht von oben verordnet werden kann. Ebenso unsinnig ist es, wenn es im gültigen Programm der SED heißt: "Die SED leitet planmäßig den Prozeß der weiteren Entwicklung der sozialistischen Nation in der DDR, ihres Aufblühens auf den gesellschaftlichen Grundlagen des Sozialismus und ihrer Annäherung an die anderen sozialistischen Nationen." Bis jetzt ist die Staats- und Parteiführung in Ost-Berlin den Nachweis schuldig geblieben, daß die Mehrheit der in der DDR lebenden Deutschen die These akzeptiert, in den beiden Staaten in Deutschland seien "aus der früher einheitlichen kapitalistischen Nation ... zwei deutsche Natiox:ten von entgegengesetztem sozial-historischem Typ entstanden". Vßl. Perspektiven Auch wenn seit dem Inkrafttreten des Grundvertrages auf zahlreichen Gebieten innerdeutsche Vereinbarungen getroffen worden sind, dürfen die Rückschläge, Hemmnisse und Schwierigkeiten nicht übersehen werden. So hat sich die Banner Vertragspolitik mit der DDR seit 1975- von wenigen Ausnahmen abgesehen- auf Verkehrsvereinbarungen beschränkt, die die Zugangswege nach Berlin betreffen. Es ist unzulässig, die Vorteile gering zu achten, die durch die Verkehrsvereinbarungen mit der DDR für den Berlin-Verkehr und die Lebensqualität der Berliner erreicht worden sind: "Doch bei aller Zufriedenheit über das für Berlin Erreichte: Zehn Jahre nach den Treffen von Erfurt und Kassel muß man feststellen, daß sich die so hoffnungsvoll begonnene Vertragspolitik der Regierungen der SPD/FDP-Koalition in Bann zumindest in den letzten fünf Jahren fast ausnahmslos auf eine bloße Berlin-Sicherungspolitik reduziert hat97 ." Selbst der frühere Regierende Bürgermeister von Berlin, Dietrich Stobbe, hat Anfang 1979 warnend darauf hingewiesen, daß die Politik zwischen den beiden Staaten in Deutschland "nicht allein zu einer Berlin-Sicherungspolitik gerinnen" dürfe. Ihr Anspruch sei weit höher, 97
So P. J. Winters: Der Anspruch ist höher, a.a.O. (Anm. 78).
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sie sei letztlich eine Politik, "die auf der Basis der Respektierung der Lage konkret etwas für die Menschen in der DDR bewirken muß, indem sie eine Vergrößerung ihres Freiheitsspielraums erreicht"98. Peter Jochen Winters hat dazu bemerkt: "Gelegentlich hat man den Eindruck, daß dieser auch von der Bundesregierung selbst formulierte Anspruch der Deutschlandpolitik in Bann etwas in Vergessenheit geraten ist. Das mag nicht zuletzt damit zusammenhängen, daß es in der Bundesregierung niemanden gibt, der eine langfristige Planung der Deutschlandpolitik mit der Festlegung von Prioritäten unter Berücksichtigung möglicher Widerstände betreibt. Das Ministerium für innerdeutsche Beziehungen bleibt untätig, und im Bundeskanzleramt scheint man sich allzusehr auf den ansonsten immer besser sein Amt ausübenden Ständigen Vertreter in Ost-Berlin und die jeweiligen Verhandlungsangebote der DDR zu verlassen. Hier müßte angesetzt werden, wenn Aktion und nicht Reaktion die Deutschlandpolitik bestimmen soll99." Angesichts der ökonomischen Situation der DDR ist Ost-Berlin an weiteren langfristigen Vereinbarungen mit der Bundesrepublik Deutschland brennend interessiert. Die Bundesregierung sollte sich aber in Zukunft mehr als bisher überlegen, ob es nicht angebracht ist, ihre Bereitschaft zu weiteren wirtschaftlichen Abmachungen mit der DDR mit der Forderung nach weiteren menschlichen Erleichterungen zu verbinden. Utopisch erscheint es, von der DDR eine generelle Senkung des Reisealters zu verlangen. Eine "Abkoppelung des Reisealters vom Rentenalter kann sich die DDR, zumal in der immer schwieriger werdenden wirtschaftlichen Situation des Landes, einfach nicht leisten. Vielmehr sollte die Bundesregierung energische Anstrengungen unternehmen, die DDR zur Ausweitung der Möglichkeiten für Reisen in dringenden Familienangelegenheiten zu bewegen" 100• Auch sollte sich die Bundesregierung schärfer als bisher gegen die Einengung der journalistischen Arbeitsmöglichkeiten und die Verschärfung des politischen Strafrechts der DDR wenden. Die im Zusatzprotokoll zum Grundvertrag vorgesehenen Vereinbarungen auf dem Gebiet des Rechtsverkehrs, vor allem in den Bereichen des Zivil- und des Strafrechts, sind nicht zu erreichen, solange die DDR an ihrer Position in der Staatsangehörigkeitsfrage festhält. Auf dem Gebiet der Wissenschaft und Technik dürften vertragliche Abmachungen insofern schwierig sein, als die DDR sich hier kaum über den Standpunkt der Zit. bei P. J. Winters, a.a.O. (Anm. 1), S. 42. So P. J. Winters, ebenda. 1oo So P. J. Winters, ebenda. es
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UdSSR hinwegsetzen und der Einbeziehung Berlins (West) in ein solches Abkommen zustimmen dürfte. Die Entwicklung des deutsch-deutschen Verhältnisses seit der zweiten Hälfte des Jahres 1980 läßt keine optimistische Prognose zu. Während die Bundesregierung bestrebt war, die deutsch-deutschen Beziehungen nicht in den Sog der polnischen Krise und des sich verschlechternden Ost-West-Klimas geraten zu lassen, versetzte die SED-Führung im Oktober 1980 ihrer auf "Normalisierung" gerichteten Politik gegenüber der Bundesrepublik Deutschland mehrere Keulenschläge. Nachdem Bundeskanzler Schmidt unter Hinweis auf die Ereignisse in Polen sein Treffen mit SED-Chef Honecker abgesagt hatte, erließ die DDR am 9. Oktober 1980 die "Anordnung über die Durchführung eines verbindlichen Mindestumtausches von Zahlungsmitteln" 101, mit der die Zwangsumtauschsätze für westliche Besucher drastisch erhöht wurden und die zu einem erheblichen Rückgang des Reiseverkehrs aus der Bundesrepublik in die DDR und von Berlin (West) nach Ost-Berlin geführt hat102 • Mit dieser rigorosen Maßnahme mußte die Bevölkerung der DDR alle Hoffnungen begraben, "der deutsch-deutsche Dialog könne ihr vielleicht doch eine Ausweitung der Westreise-Möglichkeiten bringen, mit der Erhöhung der Zwangsumtauschsätze mußte sich die DDR-Bevölkerung nun auch noch eine kräftige Reduzierung menschlicher Kontakte mit Verwandten und Freunden aus dem Westen gefallen lassen" 103• Doch nicht genug damit: Vier Tage später, am 13. Oktober 1980, jenem Tag, an dem die Anordnung vom 9. Oktober, die ein eindeutiger 1o1 Text der Anordnung in: Neues Deutschland vom 10. Oktober 1980 und Deutschland-Archiv 1980, S. 1214 f. Vgl. zur Reaktion Bonns "Scharfer Bonner Protest gegen die Erhöhung des Zwangsumtauschs", in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 11. Oktober 1980; E.-0. Maetzke: Zerbrochener Modus vivendi, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 15. Oktober 1980. Am 22. August 1980 hatte Bundeskanzler Schmidt das für den 28. und 29. August geplante Treffen mit SED-Generalsekretär Bonecker wegen der "jüngsten Entwicklungen in Europa" abgesagt. 102 Vgl. dazu "Starker Rückgang im Reiseverkehr in die DDR". Pressemitteilung des Bundesministeriums für innerdeutsche Beziehungen vom 19. Januar 1981; Mitteilung des Senats von Berlin über Durchführung des Vier-Mächte-Abkommens und der ergänzenden Vereinbarungen zwischen dem 1. Juni 1980 und dem 31. Mai 1981. Abgeordnetenhaus von Berlin. 9. Wahlperiode. Drucksache vom 7. Juni 1981. Im Jahre 1981 ist der Reiseverkehr von der Bundesrepublik Deutschland in die DDR um mehr als ein Viertel zurückgegangen. Nach Angaben des Bundesministeriums für inner.,. deutsche Beziehungen vom 20. Januar 1982 verringerte sich 1981 die Zahl der Reisen von Bundesbürgern in die DDR und nach Ost-Berlin von 6,7 Millionen im Jahr zuvor auf rund fünf Millionen. toa So P. J . Winters: Die SED spielt mit hohem Einsatz, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 29. Oktober 1980; J. Nawrocki: Zusammenstoß statt Zusammenarbeit, in: Die Zeit vom 17. Oktober 1980.
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Verstoß gegen die Geschäftsgrundlage der Reise- und Besuchsregelung ist10', in Kraft trat, verdeutlichte Honecker in seiner Rede in Gera, wie sehr Ost-Berlin gegenüber Bonn auf eine radikale und kompromißlose Abgrenzungspolitik umgeschaltet hat. Honecker verlangte nicht nur, daß sich "die BRD in der Frage der DDR-Staatsbürgerschaft endlich auf die Realitäten besinnt, was ihr auf die Dauer ohnehin nicht erspart bleibt" 105. Er fügte hinzu: "Schluß gemacht werden muß mit der Ausstellung vorläufiger Reiseausweise der BRD für Bürger der DDR bei deren zeitweiligem Aufenthalt in der BRD, ebenso mit der Ausstellung von ERD-Pässen für Bürger der DDR durch Botschaften der BRD in dritten Staaten." Außerdem forderte der SED-Chef die Umwandlung der Ständigen Vertretungen in Botschaften und die Hinnahme der DDR-Position beim Streit um die Eibe-Grenze. Mit dieser Rede machte Honecker den massiven Versuch, die innerdeutschen Beziehungen uneingeschränkt auf die völkerrechtliche Ebene zu heben und sie - mit Ausnahme des Gebiets des Handelsverkehrs von allen noch fortbestehenden Besonderheiten zu befreien. Die Frage, ob allein das Polen-Trauma Moskaus und Ost-Berlins der Grund für den abrupten Kurswechsel in der deutsch-deutschen Politik der DDR war oder ob der SED-Chef für künftige innerdeutsche Verhandlungen neue Faustpfänder schaffen wollte1oe, ließ sich auch in den folgenden Monaten nicht klar beantworten. Auf jeden Fall hat der im Herbst 1980 von der SED-Führung eingeleitete brutale Abgrenzungskurs deutlich gemacht, daß für Ost-Berlin die innere Sicherheit und Stabilität immer Vorrang vor den Wünschen und Erwartungen der eigenen Bevölkerung haben. Außerdem war es eine Illusion zu glauben, die Beziehungen zwischen Bonn und Ost-Berlin von der Entwicklung des Ost-WestKlimas isoliert betrachten zu können. Unsinnig ist es natürlich, wenn der SED-Chef seine Feststellung in seiner Rede auf dem X. Parteitag der SED am 11. April1981, daß "die Beziehungen zwischen beiden deutschen Staaten" sich "von der internationalen Situation nicht abkoppeln"107 ließen, mit dem Hinweis auf den Doppelbeschluß der NATO zu So die Mitteilung des Senats von Berlin, a.a.O. (Anm. 102), S. 3. Text der Rede in: Neues Deutschland vom 14. Oktober 1980 und Auszüge in: Deutschland-Archiv 1980, S. 1220 - 1226 (1225 f.). Außerdem bezeichnete Bonecker "die Auflösung der sogenannten ,Zentralen Erfassungsstelle' Salzgitter" als "überfällig". Vgl. dazu auch "Bundesrepublikanische Doktrinen, die Frieden und Entspannung in Europa stören", in: Neues Deutschland vom 4. November 1980. 108 Vgl. dazu J. Nawrocki, a.a.O. (Anm. 103); C. Gennrich: Ost-Berlin stellt seine Forderungen im Windschutz der Polen-Krise, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 7. Januar 1981; P. J. Winters, a.a.O. (Anm. 103); ders.: Zur Reaktion der DDR auf die Ereignisse in Polen (I), in: DeutschlandArchiv 1980, S. 1013 - 1018; Teil II, ebenda, 1981, S. 4- 8; Teil 111, ebenda, 104
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begründen suchte. Bei ihrer Abgrenzungspolitik nimmt die SED-Führung bewußt in Kauf, daß sie es der Bundesregierung immer schwerer macht, innerdeutsche Abmachungen mit weitreichenden finanziellen Zugeständnissen zu treffentos. Für realistische Beobachter der deutsch-deutschen Szenerie stand immer fest, daß Ost-Berlin Deutschland-Politik nur im engsten Einvernehmen mit dem Kreml treibt. Besonders eindrucksvoll hat der Botschafter der UdSSR in der DDR, Pjotr Abrassimow, diesen Sachverhalt kürzlich in seinem Aufsatz "Der Bruderbund zwischen der KPdSU und der SED- Kern des Bündnisses der Völker der UdSSR und der DDR" im Zentralorgan der SED umschrieben. Im vergangeneo Jahrzehnt sei die Zusammenarbeit zwischen der KPdSU und der SED dynamisch gewachsen und bilde nach wie vor das Kernstück des gesamten Komplexes der bilateralen Beziehungen. Weiter meinte Abrassimow: "Den zentralen Platz in der Zusammenarbeit zwischen der KPdSU und der SED nahmen der Meinungsaustausch, die Ausarbeitung des gemeinsamen Herangehens und die Abstimmung von Schritten zu aktuellen Fragen, das gegenseitige Kennenlernen der Arbeitserfahrungen der zentralen und örtlichen Parteiorgane, die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Ideologie und der Ausbildung von Kadern ein. Besonders große Bedeutung für die Vertiefung und Vervollkommnung der Beziehungen zwischen beiden Parteien hatte das Treffen zwischen Leonid Iljitsch Breschnew und Erich Honecker im August 1980 auf der Krim. Die dabei getroffenen Vereinbarungen drückten der darauffolgenden praktischen Tätigkeit in Fragen der bilateralen Zusammenarbeit sowie hinsichtlich grundlegender internationaler Probleme ihren Stempel auftos." Diese Feststellung ließ den Schluß zu, "daß der jähe Wechsel von der Kooperation zur Abgrenzung gegenüber der Bundesrepublik, den 107 Text der Rede in: Neues Deutschland vom 12. April 1981, S. 3 - 13 (4- 5). Seine dezidierten, in seiner Rede in Gera am 13. Oktober 1980 vorgetragenen Forderungen hat der SED-Chef auf dem X. Parteitag der Einheitspartei nicht wiederholt. Vgl. dazu auch P. J . Winters: Pause in der DeutschlandPolitik, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 16. April1981. 108 Vgl. zum Umfang der Zahlungen der Bundesrepublik Deutschland an die DDR in den Jahren von 1970 bis 1980 die Antwort der Bundesregierung vom 5. Juni 1981 auf die Kleine Anfrage der CDU/CSU-Bundestagsfraktion vom 14. Mai 1981. Deutscher Bundestag, 9. Wahlperiode, Drucksache 9/425 und 9/553. Vgl. dazu und zu anderen innerdeutschen Fragen die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der CDU/CSU-Bundestagsfraktion "Umfassende Bestandsaufnahme in der Deutschlandpolitik" vom 20. Juli 1981. Deutsche Bundestag, 9. Wahlperiode, Drucksache 9/678 vom 20. Juli 1981. 10D Text in: Neues Deutschland vom 7. Mai 1981.
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Honecker öffentlich mit seiner Geraer Rede und der drastischen Erhöhung der Mindestumtauschsätze im Oktober vollzog, bereits im August mit Breschnew auf der Krim verabredet worden ist" 11o. Angesichts der starren und kompromißlosen Haltung der SED-Führung in der "deutschen Frage" mutete der Anfang 1981 entflammte Disput über die Haltung der Bundesrepublik Deutschland gegenüber der DDR-Staatsbürgerschaft111, dem bald eine Diskussion darüber folgte, ob es noch opportun sei, am Begriff der Nation festzuhalten, zumindest realitätsfremd an. Die Position der Bundesregierung in diesen beiden zentralen Fragen hat Bundeskanzler Schmidt in der Erklärung der Bundesregierung zur Lage der Nation vor dem Deutschen Bundestag am 9. April 1981 klar zum Ausdruck gebracht. Zum Begriff der Nation führte er aus: "Einigen erscheint der Begriff Nation sogar unhandlich und sperrig. Aber das ist kein Anlaß, diesen Begriff oder gar die Sache selbst beiseite zu stellen. Wer dies täte, nähme die Gefahr späterer nationalistischer Reaktion in Kauf. Ich sehe umgekehrt keinerlei Gefahr, daß wir etwa als Nationalisten mißverstanden werden, wenn wir hier im Bundestag von der Nation reden. Wir haben unsere Lektionen in diesem Kapitel gelernt. Wir würden uns jedoch unsicher machen, geschichtslos machen, gesichtslos machen, wollten wir aus der Nation aussteigen. Und wir handelten sehr selbstsüchtig und sehr unsolidarisch gegenüber den Landsleuten in der DDR, für die die Selbstidentifikation mit der einen Nation in höherem Maße als hier eine Lebensnotwendigkeit ist ... Nation hängt allein vom Willen derjenigen ab, die Nation sein wollen. Insofern ist Nation ein fortwährendes Plebiszit. Oder anders gesagt: Die deutsche Nation wird weiterbestehen, solange die Menschen in beiden Teilen Deutschlands dies wollen112." 110 So P. J . Winters: Die Freundschaft zwischen KPdSU und SED, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 8. Mai 1981. 111 Ausgelöst wurde die Diskussion durch Äußerungen des Vorsitzenden des Bundestags-Ausschusses für innerdeutsche Beziehungen, Uwe Ronneburger. Vgl. dazu "CDU/CSU kritisiert Ronneburger. Opposition hält Diskussion über DDR-Staatsbürgerschaft für schädlich", in: Süddeutsche Zeitung vom 5./6. Januar 1980. 112 Text in: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, Nr. 36 vom 10. April 1981 und in: Das Parlament, Nr. 18 vom 2. Mai 1981, wo auch die anschließende Diskussion wiedergegeben ist. Die Diskussion über den Begriff der deutschen Nation hatte Günter Gaus, der frühere Ständige Vertreter der Bundesrepublik Deutschland bei der DDR, mit einem Interview ausgelöst. Vgl. "Die Eibe - ein deutscher Strom, nicht Deutschlands Grenze", in: Die Zeit vom 13. Januar 1981. Darin hatte Gaus ausgeführt: "Wir müssen unseren Dünkel gegenüber den DDR-Bemühungen ablegen, ihre- für uns nicht akzeptable- Definition einer DDR-Nation zu entwickeln. Der Dünkel ist gänzlich unangebracht. Er verstellt uns den Blick darauf, daß auch unser Nation-Begriff historisch und bürgerlich-klassenmäßig entstanden ist. Wir sollten es uns - und der DDR - schwer machen,
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Zur Frage der Staatsangehörigkeit sagte Schmidt, daß sie durch den Grundlagenvertrag bekanntlich nicht berührt worden sei: ,.Die Bunindem wir nötigenfalls diese Fragen auf sich beruhen lassen und von den Fakten ausgehen." Gaus plädierte außerdem für eine ,.ernsthafte Diskussion dessen, was über Vertragsabschlüsse hinaus, über ein bißeben mehr Respektierung der DDR-Staatsbürgerschaft hinaus und grundlegender Stabilisierung des europäischen Zustands möglich ist". Besonders kritisiert wurde seine Feststellung: ,.Im Grunde haben wir bei uns die DDR innerlich noch nicht anerkannt." Vgl. dazu beispielsweise H. A. Winkler: Nation - ja, Nationalstaat - nein, in: Die Zeit vom 13. Februar 1981: .,Die nationale Solidarität mit den Deutschen in der DDR verlangt von den Bundesdeutschen, daß sie sich einsetzen für Verhältnisse, die es ihren Landsleuten jenseits der Elbe erlauben, ihren Staat innerlich zu akzeptieren. Die innerliche Anerkennung der DDR, die Günter Gaus und Hans Mommsen von der Bundesrepublik fordern, kann erst erfolgen, wenn die Deutschen in der DDR uns darin vorausgegangen sind." H. Rudolph: Zwischen Trennen und Verbundensein, in: Die Zeit vom 17. April 1981: .,Die Bundesrepublik hat die DDR als Staat anerkannt. Aber so wenig das heißen kann, daß sie deren Vorstellungen von Staatsangehörigkeit übernimmt, so wenig bindet sie diese Anerkennung an die Staatsraison, welche die DDR ihren Bürgern verordnet hat." Vgl. zum Begriff der Nation auch H. Rudolphs Analyse: Wovor wir nicht fortlaufen können, in: Die Zeit vom 6. März 1981: .,Günter Gaus gab in seinem Zeit-Interview zu erwägen, auf den Begriff Nation gegenüber der DDR zu verzichten. Aber was er beschrieb, las sich wie der Niederschlag eines Damaskus-Erlebnisses. Mit der Intensität eines vom Saulus zum Paulus Gewordenen, bestätigte es nichts so nachdrücklich wie das Fortwirken der Nation." Vgl. dazu auch R. Leicht: Turbulenz um den Begriff: Zwei Staaten einer Nation: Der Grundlagenvertrag entschärft eine problematische Kategorie, in: Süddeutsche Zeitung vom 3. April 1981. Günter Gaus, inzwischen zum deutschland- und außenpolitischen Berater des SPD-Vorstands ernannt, hat im Laufe des Jahres 1981 mehrfach zur .,nationalen Frage" Stellung bezogen. Vgl. vor allem die Auszüge aus seinen Reden auf einem Wahlkongreß der Jusos (.,Berlin im Jahre 2001") Ende April und auf dem Landesparteitag der SPD in Berlin Anfang November 1981: .,Wir haben einen schier unerträglichen Dünkel gegenüber der DDR", in: Die Welt vom 27. April 1981; Gaus in Berlin: Analyse und Schlußfolgerung, ebenda, Ausgabe vom 9. November 1981; Gaus fordert die Rückkehr zur Doktrin der totalen Vergeltung, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 9. November 1981: .,Gaus plädierte dafür, den Begriff der deutschen Nation von seiner Bindung an den Einheitsstaat zu befreien, weil man nur so anknüpfen könne an einen Nationenbegriff aus der Zeit vor 1866." In seiner Partei fand er für seine These zumindest von prominenter Seite bisher keine ausdrückliche Zustimmung. Vgl. dazu vor allem Egon Bahrs .,Offenen Brief an die französischen Freunde", den er unter dem Titel .,Fürchtet Euch nicht, mes chers amis francais!" in Nr. 47 des .,Vorwärts" vom 12. November 1981 veröffentlicht hat. Darin schreibt er: .,Der unvergessene, langjährige Botschafter Francais Seydoux erzählt in seinen Erinnerungen, ich hätte ihn vor Deutschen gewarnt, die sagen, daß die Einheit der Deutschen eine tote Idee sei; wer das sage, sei entweder dumm oder er lüge, und solchen solle man nicht trauen. Das stimmt heute noch immer. Natürlich ist die deutsche Nation nicht tot. Herr Honecker hat das kürzlich auf seine Weise bestätigt. Es gibt auch keinen Grund, daß ausgerechnet die Deutschen in einer Zeit, in der die Idee der Selbstbestimmung einen unaufhaltsamen Siegeszug um die Welt angetreten hat, ihre Wünsche und Hoffnungen unterdrücken oder vergessen sollten." Vgl. F. Seydoux: Botschafter in Deutschland - Meine zweite Mission 1965 bis 1970. Frankfurt/M. 1978, S. 207 f.; Kontroverse deutschlandpolitische Denkspiele. Variationen zum Thema von Gaus und Bahr, in: Neue Zürcher Zeitung, Fernausgabe Nr. 265 vom 15./16. November 1981.
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desregierung hält unverändert und klar an der deutschen Staatsangehörigkeit fest. Überall in der Welt gehört es zu den Rechten des Staates, die Bedingungen des Erwerbs, des Besitzes und des Verlustes der Staatsangehörigkeit zu bestimmen. Dementsprechend lassen wir uns nicht das Recht bestreiten, an der deutschen Staatsangehörigkeit festzuhalten, wie sie uns durch das Grundgesetz vorgegeben ist. Wir beeinträchtigen damit keine Rechte anderer Staaten, insbesondere keine Rechte der DDR. Es bleibt dabei, daß alle Deutschen, die - woher auch immer in der Welt - zu uns kommen, die Grundrechtsgarantien des Grundgesetzes und den Schutz der Gerichte der Bundesrepublik Deutschland erhalten sollen." Es stand von vornherein fest, daß Bundeskanzler Schmidt in den beiden zentralen Fragen der deutschen Staatsangehörigkeit und des Fortbestands der deutschen Nation auch bei seinem Treffen mit dem Vorsitzenden des Staatsrats der DDR und Generalsekretär des Zentralkomitees der SED, Erich Honecker, keine Konzessionen machen würde. Nach dem Besuch des Generalsekretärs des Zentralkomitees der KPdSU und des Vorsitzenden des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR, Leonid Breschnew, in Bonn vom 22. bis zum 25. November 1981 113 waren auch die Voraussetzungen für eine Begegnung Schmidts mit Honecker gegeben. Um von vornherein die Erwartungen an die möglichen Ergebnisse des Besuches des Bundeskanzlers in der DDR vom 11. bis zum 13. Dezember 1981 soweit wie möglich zu dämpfen, legte Schmidt in seiner Regierungserklärung vom 3. Dezember 1981 vor dem Bundestag großen Wert auf die Feststellung, daß das Gespräch mit Honecker "ohne Vorbedingungen" stattfinde: "Es liegt mir daran, daß es nicht im Vorfelde durch Spekulationen oder durch öffentlich geäußerte Erwartungen und hochgehängte Meßlatten unnötig erschwert wird114 ." Wichtig war auch Schmidts Feststellung, daß es "bei dieser Gelegenheit k eine Unterzeichnung von neuen Abmachungen geben" werde. In seiner Tischrede bei dem von Honecker gegebenen Mittagessen im Gästehaus des Staatsrats der DDR am Döllnsee am 12. Dezember 1981 hat sich Schmidt noch einmal zur Frage der Nation geäußert. Er führte dazu aus: 113 Text des Gemeinsamen Kommuniques und weiterer wichtiger Dokumente in: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, Nr. 112 vom 26. November 1981 und in der Beilage der Zeitschrift "Sowjetunion heute", Nr. 12, Dezember 1981. Am 2. Dezember 1981 teilte das Presseund Informationsamt der Bundesregierung mit, daß die DDR Bundeskanzler Schmidt zu dem Treffen vom 11. bis zum 13. Dezember 1981 eingeladen habe. Vgl. Bulletin ..., ebenda, Nr. 116 vom 4. Dezember 1981, S. 1000. 114 Text (Auszüge) in: Das Parlament, Nr. 51 vom 19. Dezember 1981. Vgl. dazu auch die Antwort des Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Helmut Kohl, auf die Regierungserklärung; Text (Auszüge), ebenda.
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"Wir werden uns über die Grundsatzfrage der Nation nicht verständigen. Aber wir haben schon 1972 in der Präambel des Grundlagenvertrages beiderseits festgestellt, daß die nationale Frage besteht und die Parlamente beider Seiten haben dem zugestimmt. Sie kennen meine aus Amtseid wie aus Überzeugung bestehende Verpflichtung auf das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. Aber wenn ich dies so sage, so will ich damit keineswegs die Eigenstaatlichkeit und keineswegs die Souveränität der Deutschen Demokratischen Republik in Zweifel ziehen115." SED-Chef Honecker hat in seiner Tischrede die "nationale Frage" nicht angesprochen. Ihm kam es vor allem darauf an zu betonen, daß es "zwischen der DDR und der BRD nur solche Beziehungen geben" könne, wie sie zwischen souveränen, unabhängigen, gleichberechtigten Staaten international üblich sind. Das verlangt die strikte gegenseitige Achtung der Souveränität, der Unabhängigkeit." Honecker wiederholte seine Feststellung aus seiner Rede auf dem X. Parteitag der SED vom 11. April 1981, daß "wir ... uns von der Weltpolitik nicht abkoppeln" könnten, "aber wir können, jeder auf seine Weise, einen wesentlichen Beitrag leisten zur Verbesserung des internationalen Klimas, vor allem zur Stabilisierung des Friedens in Europa"tt8 • 115 Texte der Tischrede des Bundeskanzlers, des Gemeinsamen Kommuniques über das Treffen mit SED-Chef Honecker, der Pressekonferenz des Bundeskanzlers mit den Erklärungen der Bundesminister Francke und Graf Lambsdorff und der Ansprachen im Dom in Güstrow in: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, Nr. 121 vom 15. Dezember 1981. Darin heißt es auch: "Ich habe mehrfach - zuletzt vor dem Deutschen Bundestag in Bonn - gesagt: Sie, Herr Generalsekretär, und ich wollen unser Gespräch ohne Vorbedingungen führen." Als Bundeskanzler Schmidt am 18. Dezember 1981 im Deutschen Bundestag eine Regierungserklärung abgab, in der er sich auch ausführlich zu den Ergebnissen seiner DDR-Reise äußerte, hielt ihm Oppositionsführer Kohl vor, daß für ihn früher eine solche Gipfelbegegnung mit Honecker nur dann einen Sinn gehabt habe, "wenn - so wörtlich - ,substantielle Ergebnisse' möglich seien. Einige Zeit später erklärten Sie plötzlich, ein solches Treffen sei ,ein Wert an sich'." Text (Auszüge) der Regierungserklärung und der anschließenden Debatte im Bundestag am 18. Dezember 1981 in: Das Parlament, Nr. 52 - 53 vom 26. Dezember 1981. 118 Text in: Außenpolitische Korrespondenz, Nr. 50 vom 18. Dezember 1981. Hier zeigt sich, wie sehr die SED-Führung innerhalb eines Jahres ihre nach der Intervention der Sowjetunion in Afghanistan im Dezember 1979 vertretene These von der "Teilbarkeit der Entspannung" modifiziert hat. So sagte SED-Chef Honecker in seiner Rede auf der 12. Tagung des Zentralkomitees der SED am 21. Mai 1980, in der er sich auf die Begegnung mit Bundeskanzler Schmidt anläßlich der Trauerfeierlichkeiten für Marschall Tito in Belgrad am 8. Mai 1980 bezog: "Das Treffen ... unterstrich die Verantwortung der beiden deutschen Staaten für den Frieden gerade in einer Zeit, in der die internationale Lage komplizierter geworden ist. Dies wird in der Welt auch richtig verstanden. Europa muß in der Tat ein Zentrum des Friedens bleiben." Text in: Neues Deutschland vom 22. Mai 1980, S. 3. Dieser Passus aus der Rede Honeckers wurde auch in dem Grundsatzartikel "Dem
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Aus dem Gemeinsamen Kommunique über das Treffen von Bundeskanzler Helmut Schmidt mit dem Vorsitzenden des Staatsrates der DDR und Generalsekretär des ZK der SED Erich Honecker geht hervor, daß es auch in Zukunft schwierig sein wird, mit der DDR zu Übereinkünften in strittigen Fragen zu gelangen. Das Kommunique vermerkt, daß Schmidt und Honecker u. a. Fragen der Familienzusammenführung, des Reise- und Besucherverkehrs einschließlich Fragen des Tourismus erörtert und "in diesem Zusammenhang ihre unterschiedlichen Auffassungen über die am 9. Oktober 1980 erfolgte Erhöhung des Mindestumtausches"117 dargelegt haben. Weitere Themen der Beratungen waren die Arbeit der Grenzkommission, Fragen des Umweltschutzes, der Zusammenarbeit im Bereich von Wissenschaft und Technik sowie des Bildungswesens und die Möglichkeiten für die weitere Entwicklung der kulturellen Zusammenarbeit sowie des Austausches in anderen Bereichen. Auch führten sie einen Meinungsaustausch über die Arbeitsmöglichkeiten der Journalisten. Nicht übersehen werden sollte, daß in dem Kommunique von der "strikten Einhaltung und vollen Anwendung" des Vier-Mächte-Abkommens vom 3. September 1971 die Rede ist. Die DDR hat in den vergangeneu Jahren gern die wesentlich verkürzte Formel "strikte Einhaltung" benutzt, um mit der Weglassung der Worte "volle Anwendung" ihre restriktive Interpretation des VierMächte-Abkommens über Berlin zu dokumentieren118• Aus dem offiziellen Bericht der DDR über die Eröffnungserklärung des SED-Chefs Honecker bei den offiziellen Gesprächen mit Bundeskanzler Schmidt geht hervor, daß er die in seiner Rede in Gera am 13. Oktober 1980 formulierten Grundsatzforderungen wiederholt hat. X. Parteitag der SED entgegen - Die 12. Tagung des ZK der SED", in: Neues Deutschland vom 24./25. Mai 1980, S. 2, wiederholt. 117 Text in: Bulletin, ..., a.a.O. (Anm. 115), S. 1034. Auch in der "Außenpolitischen Korrespondenz", ebenda, ist das Gemeinsame Kommunique abgedruckt. 118 Vgl. zur Berlin-Frage auch die Entschließung des Deutschen Bundestages zu den Wahlen zur Volkskammer der DDR am 2. Dezember 1981. Text in: Deutscher Bundestag, 9. Wahlperiode, Drucksache 9/1054 vom 2. Dezember 1981. In der Ziffer 2 der Entschließung heißt es: "Der deutsche Bundestag bekräftigt die in Übereinstimmung mit der Bundesregierung in der Protestnote der Drei Westmächte getroffene Feststellung, daß ,der Status des besonderen Gebiets von Berlin nicht einseitig verändert werden kann' und daß die auf der Grundlage des Wohlgesetzes der DDR vom 28. Juni 1978 vollzogene Direktwahl der Ostberliner Abgeordneten im Widerspruch zum Viermächte-Abkommen vom 3. September 1971 steht." Und die Ziffer 3 lautet: "Der Deutsche Bundestag unterstreicht die Erklärung der Bundesregierung, daß die Aufrechterhaltung des Viermächte-Status von Berlin sowie die strikte Einhaltung und volle Anwendung des Viermächte-Abkommens die Voraussetzungen für eine ruhige und friedliche Entwicklung Berlins darstellen, und wendet sich gegen Versuche, den Status von Berlin einseitig zu verändern."
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Wiederum verlangte er von der Bundesrepublik Deutschland, die Staatsbürgerschaft der DDR "vorbehaltlos" zu respektieren. Auch halte die DDR die Zeit für gekommen, "die Ständigen Vertretungen in Botschaften umzuwandeln und Botschafter auszutauschen". "Die Frage des Grenzverlaufs auf der Elbe sei in einem für beide Seiten vorteilhaften Sinne zu regeln. Der Staatsratsvorsitzende habe darauf verwiesen, daß durch die Regelung des Grenzverlaufs auf dem Eibeabschnitt der Weg frei würde für den Abschluß anderer Vereinbarungen, die bereits weitgehend ausgehandelt seien". Auf Fragen von Journalisten ergänzte der DDR-Sprecher Botschafter Wolfgang Meyer, zur "Staatsbürgerschaftsfrage" sei es "notwendig, daß die BRD den Begriff Bürger der DDR im Rechtshilfeverkehr akzeptiert, das Prinzip der Gegenseitigkeit bei der Rückführung von Minderjährigen anerkennt und die sogenannte Zentrale Erfassungsstelle Salzgitter auflöst" 119• In seiner Regierungserklärung vom 18. Dezember 1981 im Deutschen Bundestag sagte Bundeskanzler Schmidt zum Verlauf seines Besuches in der DDR, im "nächsten Jahr können - so ist meine begründete Hoffnung - Bewegungen für die weitere Entwicklung der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik in verschiedenen Bereichen erkennbar werden" 120• Er wies darauf hin, daß die DDR-Führung ihre Grundsatzforderungen aufrechterhalten habe; er wolle sie jedoch nicht nochmals aufzählen. Schmidt betonte, daß sich die Bundesregierung strikt an das Grundgesetz und an die Bestimmungen des Grundlagenvertrages halte und halten werde: "Eine Änderung dieser Grundlagen kommt nicht in Betracht." Die DDR habe verstanden, "daß für uns die deutsche Staatsangehörigkeit unabdingbar ist, wie sie durch das Grundgesetz vorgegeben wird. Uns ist bewußt, daß die DDR 1967 ein eigenes Staatsbürgerschaftsgesetz erlassen hat. Wir sollten aber nicht aus dem Auge verlieren, daß nicht alle Bürger der Deutschen Demokratischen Republik - ich verwende hier die Terminologie des Bundesverfassungsgerichts! - , die zu uns kommen, bei uns Rechte in Anspruch nehmen wollen, die jedem Deutschen zustehen. Ich denke hier z. B. an Vertreter von Institutionen, von Betrieben oder Medien der DDR, die vorübergehend in der Bundesrepublik Deutschland arbeiten." Text in: Außenpolitische Korrespondenz, a.a.O. (Anm. 116), S. 416. Text, a.a.O. (Anm. 115). Vgl. dazu auch die Darlegungen H. Kohls, ebenda. Kohl bemängelte beispielsweise, daß in dem Gemeinsamen Kommunique der Amtstitel von Bundesminister Franke nicht aufgeführt worden sei - dagegen die vollständigen Amtstitel seiner Kollegen aus der DDR: "Das ist nicht irgendeine verseheutliehe Unterlassung; dahinter steckt eine klare politische Linie." Während auch das Ressort von Bundesminister Graf Lambsdorff nicht genannt wird, werden die Gesprächsteilnehmer auf seiten der DDR, Günter Mittag und Oskar Fischer, mit ihren korrekten beruflichen Positionen aufgeführt. 119
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Schmidt fügte hinzu, daß ihm beispielsweise nicht einleuchte, "warum sie zu allgemeinen Wahlen Wahlbenachrichtigungen erhalten oder von Wehrersatzämtern erfaßt werden. Wenn wir in diesem Sinne die tatsächlich existierende DDR-Staatsbürgerschaft respektieren - in diesem Sinne - , so wird der von uns vom Gesetz und Grundgesetz vorgegebene Rahmen sicherlich nicht angetastet 121." Schmidt betonte, daß die gegensätzlichen Auffassungen in zentralen Fragen in den Gesprächen mit der DDR-Führung nicht vertuscht worden seien: "Und es hat sich keiner der Illusion hingegeben, er könne den anderen zwingen, seine Überzeugungen aufzugeben. Wir haben unsere Positionen in aller Offenheit deutlich gemacht. Das gilt auch und gerade für die nationale Frage; denn - und dies ist meine tiefe Überzeugung - der Gedanke der Nation, die Identität der Nation, ist bei uns Deutschen unverändert lebendig und gegenwärtig." Auf die übrigen von Honecker zuerst in seiner Rede in Gera formulierten Grundsatzforderungen ist Schmidt nicht näher eingegangen. Die Umwandlung der Ständigen Vertretungen in Botschaften steht außerhalb jeder Diskussion. Die in Artikel 8 des Grundvertrags getroffene Vereinbarung bildet einen wichtigen Bestandteil der fortbestehenden innerdeutschen Beziehungen. Der Forderung der DDR, die bestehende Grenze am Nordostufer der Elbe auf die "Mitte Strom" zu verlegen, hat sich die Bundesregierung bisher widersetzt122• In ein neues Stadium trat die Diskussion um den Verlauf der Eibe-Grenze, als der Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen Egon Franke am 8. Oktober 1981 vor dem Deutschen Bundestag zu dieser Frage Stellung bezog. Franke sagte dazu: "Ob dieses Problem objektiv zu lösen ist, stehe dahin. Aber ich bin ziemlich sicher, daß das Problem nicht gelöst werden kann, wenn auf unserer Seite verdrängt oder vergessen wird, daß jenseits der Eibe ebenso Deutschland ist wie diesseits. Ich sage: Wenn eine vernünftige 121 Die Diskussion über die "Respektierung von DDR-Reisepapieren" hatten Uwe Renneburger (FDP), der Vorsitzende des innerdeutschen Ausschusses im Bundestag, und Hans-Jürgen Wischnewski, stellvertretender Vorsitzender der SPD, ausgelöst. Vgl. dazu "Für Respektierung von DDRReisepapieren", in: Süddeutsche Zeitung vom 21. Dezember 1981. H. Kohl sagte dazu am 18. Dezember vor dem Bundestag: "Wir halten an der Einheit der deutschen Nation ohne Wenn und Aber kompromißlos fest. Das ist Leitlinie unserer Politik. Daraus folgt für uns, daß das Staatsangehörigkeitsrecht in gar keiner Weise zur Diskussion gestellt werden kann. Die Ausstellung von vorläufigen Reiseausweisen der Bundesrepublik Deutschland an Bewohner der DDR darf nicht eingestellt werden. Wir wollen die Bewohner der DDR nicht gegen ihren Willen in Anspruch nehmen. Wir respektieren ihre persönliche Entscheidung, ob sie einen Ausweis der Bundesrepublik Deutschland nutzen wollen oder nicht." 122 Vgl. dazu oben mit den Nachweisen in Anm. 48.
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Aussicht besteht, praktische Verbesserungen auf Dauer für die Anwohner, aber auch für den Verkehr, zu erzielen, dann ist es unsere Pflicht - eben weil dort drüben auch Deutsche leben - , so lange und intensiv nach Wegen zur Lösung zu suchen, bis wir sie gefunden haben. Stures Prinzipienreiten ist zuwenig der Anstrengung, die von uns gefordert istt23." Da diese Äußerung Frankes vor allem bei der parlamentarischen Opposition Kritik ausgelöst hatte, sah er sich genötigt, wenige Tage später seine Aussage "klarzustellen": "Die Bundesregierung hält unverrückbar daran fest, daß Grundlage einer Grenzfeststellung in dem streitigen Eibe-Abschnitt ausschließlich die Vereinbarungen, Entscheidungen und Praktiken der Besatzungsmächte sind und bleiben, d. h., daß für die Bundesregierung eine Grenzfestlegung nach eigenem deutschen Ermessen nicht in Betracht kommen wirdt24." Der Opposition warf Franke vor, sie erkläre "ein einziges Gutachten, das für eine ganz bestimmte Grenze spricht, nämlich die am Nordostufer der Elbe, zur reinen Wahrheit. Alternative Lösungsmöglichkeiten, auch auf der Grundlage alliierter Dokumente, werden nicht zur Kenntnis genommen oder kaum ernsthaft erwogen." Franke vermied es, den Autor des von ihm genannten Gutachtens zu nennen. Der Göttinger Staats- und Völkerrechtler Dietrich Rauschning hat für die CDU-Fraktion im Niedersächsischen Landtag ein 1975 veröffentlichtes Gutachten angefertigt, in dem er zu dem klaren Ergebnis gelangte, daß der Rechtsstandpunkt der DDR unhaltbar ist1 25. Dies ist nach wie vor die Auffassung der niedersächsischen Landesregierung und CDU-Landtagsfraktion. Die niedersächsische CDU-Landtagsfraktion sah sich Mitte Oktober 1981 genötigt, noch einmal ihre Position zu einer etwaigen Neubestimmung des Verlaufs der Eibe-Grenze im Abschnitt Schnackenburg-Lauenburg zu verdeutlichen und die Bundesregierung vor "Illusionen" über ihren Verhandlungsspielraum bei künftigen innerdeutschen Verhandlungen zu warnen. Die Fraktion verwies darauf, "daß im Abschnitt des Landes Niedersachsen das Nord123 Text in: Deutscher Bundestag, 9. Wahlperiode, 56. Sitzung vom 8. Oktober 1981. 124 E. Franke: "Einladung zur Gemeinsamkeit", in: SPD-Pressedienst vom 16. Oktober 1981; nachgedruckt in: Pressemitteilung des Bundesministeriums für innerdeutsche Beziehungen vom 16. Oktober 1981. 125 D. Rauschning hat diese wichtige Thematik in einem weiteren Beitrag behandelt. Vgl. "Die Grenzlinie im Verlauf der Eibe", in: Recht im Dienst des Friedens. Festschrift für Eberhard Menzel zum 65. Geburtstag am 21. Januar 1976. Hrsg. von J. Delbrück, K. Ipsen, D. Rauschning. Berlin 1975, S. 429-449. Vgl. dazu mit weiteren Nachweisen J. Hacker, a.a.O. (Anm. 3), S. 86- 90 mit Anm. 167. Vgl. dazu auch "Vor neuem Streit um die EibeGrenze?", in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 14. Oktober 1981.
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beziehungsweise das Ostufer des Stromes die Grenze zwischen Niedersachsen und der DDR bilde. Das gleiche gelte entsprechend für Schleswig-Holstein. Eine Änderung dieser Grenzlinie würde der Abtretung niedersächsischen Gebietes an die DDR gleichkommen. Dem werde und könne das Land Niedersachsen niemals zustimmen. Im übrigen habe die zwischen der DDR und der Bundesrepublik vereinbarte Grenzkommission keine Befugnis, die Grenze festzulegen oder eine Änderung des Grenzverlaufs zu erörtern, sondern nur die Aufgabe, den Grenzverlauf dort zu markieren, wo er unstreitig seP 26." Auf Kritik der parlamentarischen Opposition waren auch die Aussagen des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen Franke über die Zentrale Erfassungsstelle in Salzgitter gestoßen, die er gleichfalls am 8. Oktober 1981 vor dem Deutschen Bundestag gemacht hat127 • Auch in dieser Frage sah sich die niedersächsische CDU-Landtagsfraktion gehalten, die Bundesregierung daran zu erinnern, daß die Erfassungsstelle "eine Einrichtung des Landes Niedersachsen" ist. Sie "sei errichtet worden aufgrund eines einmütigen Beschlusses aller Justizminister der Bundesrepublik, die das Land Niedersachsen vor zwanzig Jahren darum ersucht gehabt hätten. Aufgabe der Erfassungsstelle sei es, gemäß dem Erlaß des niedersächsischen Justizministers vom 15. November 1961 ,in Ost-Berlin und in der DDR begangene Gewaltakte festzuhalten'." Für Niedersachsen bestehe kein Anlaß, "über eine Auflösung oder eingeschränkte Tätigkeit der Erfassungsstelle auch nur zu debattieren" 128• Abschließend sei noch darauf hingewiesen, daß seit dem Treffen Bundeskanzler Schmidts mit SED-Chef Honecker Mitte Dezember 1981 in der DDR eine neue Formel in der Banner Deutschland-Politik benutzt wird, um die wirtschaftlichen und übrigen Fragen der innerdeutschen Beziehungen nicht voneinander zu trennen: Man spricht vom "Gesamtzusammenhang" oder vom "politischen Gesamtzusammenhang". In seiner Erklärung auf einer Pressekonferenz des Bundeskanzlers in der "Jugendhochschule Wilhelm Pieck", Biesenthai/Bagensee am 13. Dezember 1981 wies Bundesminister Graf Lambsdorff darauf , hin, daß auch über den Swing gesprochen worden sei und man vereinbart habe, daß sich am 17. Dezember beide Seiten in der "Treuhandstelle für Industrie und Handel" zusammenfinden werden, um die Ver12' Text in: Gegen Verhandlungen über die Eibe-Grenze, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 21. Oktober 1981. 127 Vgl. den Nachweis, a.a.O. (Amn. 123). Vgl. dazu auch den Leserbrief von Hans Hotter, Leiter des Pressereferats im Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen, Bonn, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 21. Oktober 1981. 12s Zit. a.a.O. (Amn. 126).
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einbarung zu unterzeichnen, die die Verlängerung des Swing bis zum 30. Juni 1982 festhält. Über die weitere Verlängerung des Swing müsse in diesen sechs Monaten, also bis zum 30. Juni 1982, dann eine Einigung, eine Verständigung herbeigeführt werden. Unmißverständlich fügte der Bundesminister für Wirtschaft hinzu: "Wir haben sehr deutlich darauf aufmerksam gemacht, daß wir erstens hierfür die Zustimmung des Zentralbankrates, also der Deutschen Bundesbank, brauchen, daß wir zweitens - und dies gilt auch für die Bundesbank - eine Swingverlängerung nicht nur als eine rein ökonomische und kommerzielle Frage ansehen, sondern daß sie im politischen Gesamtzusammenhang gesehen werden muß. Herr Dr. Mittag hat erklärt, es würde sicherlich auf der Seite der DDR kein Verständnis finden, wenn im Zuge der derzeit jetzt beginnenden neuen Entwicklungen ausgerechnet der Swing wegfiele129." Am 17. Dezember 1981 wurde die Vereinbarung über eine sechsmonatige Verlängerung der Swing-Regelung getroffen, die am 31. Dezember 1981 ausgelaufen war. Auch Bundeskanzler Schmidt betonte in seiner Regierungserklärung vom 18. Dezember 1981, es gebe keinen Zweifel, "daß wirtschaftliche und finanzielle Beziehungen nicht aus dem Gesamtzusammenhang der Beziehungen herausgelöst werden können. Wir haben der anderen Seite auch bei diesem Treffen deutlich gemacht, daß vor allem der Mindestumtausch, die Fragen des Reise- und Besucherverkehrs in beiderlei Richtung sowie die humanitären Fragen in den gleichen politischen Zusammenhang gehören, wenn auch einzelne Entscheidungen nur souverän getroffen werden können." Daß die ökonomischen und finanziellen Aspekte der innerdeutschen Beziehungen von den anderen Fragen, vor allem von denen des Reise129 Die Umbenennung der "Treuhandstelle für den Interzonenhandel" in "Treuhandstelle für Industrie und Handel" begründete Lambsdorff so: "Wir sind uns beide einig darüber gewesen, daß das eigentlich keine sehr aktuelle Beschreibung des Zustandes unserer Handels- und unserer politischen Beziehungen ist. Wir werden den Langnamen ändern in ,Treuhandstelle für Industrie und Handel'. Die Abkürzung bleibt TSI." Die Umbenennung der "Treuhandstelle für den Interzonenhandel" kommentierte H. Kohl vor dem Bundestag am 18. Dezember 1981 so: "Warum eigentlich nicht in ,Treuhandstelle für den innerdeutschen Handel', Herr Bundeskanzler?" Vgl. zur Problematik der Swing-Regelung und zur Frage, ob es opportun sei, die seit 1951 bestehenden Abmachungen über den "innerdeutschen Handel" nach dem Vorbild des deutsch-sowjetischen Vertrags durch ein langfristiges Rahmenabkommen zu ergänzen, P. Hort: Wie aus einem Warenabkommen ein Dauerkredit für die DDR wurde, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 5. Dezember 1981. Er hält mit Recht eine Vereinbarung über ein langfristiges Rahmenabkommen deshalb für gefährlich, weil "dies leicht als Übergang zu ,normalen' Außenwirtschaftsbeziehungen gedeutet werden" könnte: "Das Sonderverhältnis würde damit unterlaufen." Vgl. dazu auch "Wird die Obergrenze gesenkt? Der ,Swing' und der innerdeutsche Handel" , in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 10. Oktober 1980.
8 Greweu. a.
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und Besucher-Verkehrs nicht getrennt werden können, war und ist auch die Auffassung der parlamentarischen Opposition. Dennoch dürften sich Auseinandersetzungen über die richtige Deutschland-Politik Banns auch in Zukunft gerade an der Frage entzünden, in welchem Umfang die Bundesrepublik Deutschland finanzielle Leistungen gegenüber Ost-Berlin von adäquaten Gegenleistungen abhängig machen soll, die den Menschen in der DDR zugute kommen. Dabei muß die Bundesregierung immer den deutschlandpolitischen Spielraum der DDR ausloten.
DIE BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND UND DIE SOWJETUNION Entwicklung, Stand und Perspektiven ihrer Beziehungen
Von Boris Meissner In den zeitgeschichtlichen Betrachtungen der Nachkriegszeit pflegt man die Periode des "Kalten Krieges" von der Periode der "Entspannung" zu unterscheiden. Tatsächlich ist es immer wieder zu Ereignissen gekommen, die hauptsächlich durch die expansive Politik der Sowjetunion in Europa oder anderen Teilen der Welt bestimmt waren, die einen bestimmten Zustand der Hochspannung bewirkt haben. Dieser Zustand, der bei einem bestimmten Spannungsgrad den Charakter eines "Kalten Krieges" annehmen konnte, ist bisher immer von kürzeren oder längeren Phasen der Entspannung gefolgt worden. Die letzte Entspannungsphase, die nach der Beilegung der Kuba-Krise begann und zeitweilig durch die bewaffnete Intervention der Sowjetunion in der Tschechoslowakei unterbrochen wurde, war im Verhältnis zu früher von längerer Dauer. Sie zeichnete sich ferner durch eine verstärkte Kommunikation zwischen Ost und West auf der Grundlage des territorialen Status quo und durch die Einigung über bestimmte Spielregeln im gegenseitigen Verhalten aus. Militärische Konfrontationen sollten vermieden, Krisen gemeinsam bewältigt werden und vor allem keine Versuche unternommen, um "sich auf Kosten der anderen Seite direkt oder indirekt gegenseitige Vorteile zu verschaffen" 1• Die Sowjetunion hat mit ihrer bewaffneten Intervention in Afghanistan gegen alle diese Spielregeln verstoßen und erneut einen Zustand der Hochspannung erzeugt, der auch auf ihr Verhältnis zu Westeuropa und damit vor allem auch auf die Bundesrepublik Deutschland nicht ohne Auswirkungen bleiben kann. Die sowjetische Intervention hat erneut gezeigt, daß sich trotz aller Veränderungen in der weltpolitischen Lage die sowjetische Außenpolitik nicht entscheidend gewandelt hat und daß der Ost-West-KonDem vorliegenden Beitrag liegt die erweiterte und aktualisierte Fassung des Referats zugrunde, das vom Verfasser auf der Jahrestagung des Göttinger Arbeitskreises am 18. April 1980 in Mainz gehalten wurde. 1 Vgl. den Wortlaut der Vereinbarung über die "Grundlagen der Beziehungen zwischen der Union der Sozialistischen Republiken und den Vereinigten Staaten von Amerika" vom 29. Mai 1972 in: Völkerrecht. Dokumente. Teil 3, Berlin (Ost) 1973 ff. 8*
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flikt und mit ihm die bipolare Mächtekonstellation weiter erhalten geblieben ist. Diese Feststellung ist für das deutsch-sowjetische Verhältnis von besonderer Bedeutung, da es bisher trotz der längeren Dauer der Entspannung nicht gelungen ist, den bestehenden unvollkommenen Frieden sicherer zu machen und zugleich wesentlich zu einer Überwindung der Teilung Deutschlands und Europas beizutragen. Die Entwicklung der deutsch-sowjetischen Beziehungen seit dem Zweiten Weltkrieg ist in Verbindung mit einer sowjetischen Außenpolitik zu sehen, die seit Stalin eine Verschmelzung von imperialer Machtpolitik und weltrevolutionärem Expansionsstreben darstellte. Sie hat sowohl bei der Schaffung des Satellitensystems in Osteuropa, als auch bei den ultimativen Forderungen an die Türkei, der Einmischung in den griechischen Bürgerkrieg und dem Versuch, sich im Norden Irans festzusetzen, eine Rolle gespielt. Sie ist in der Berliner Blockade (1948) und dem Korea-Krieg (1950) zum Ausdruck gekommen. Sie war mit der Ausbreitung der kommunistischen Herrschaft auf große Teile Europas und Asiens verbunden. Sie hatte auf der einen Seite die Teilung Deutschlands, auf der anderen Seite Koreas und Vietnams zur Folge. Durch diese außenpolitische Offensive, die zum Ost-West-Konflikt, dem Engagement der Vereinigten Staaten in Europa und zur Einbeziehung der Bundesrepublik Deutschland in das westliche Bündnissystem führte, ist das deutsch-sowjetische Verhältnis in der Stalin-Ära wesentlich beeinflußt worden. Das außenpolitische Denken Adenauers ist durch die Sorge, daß es der Sowjetunion bei einem weiteren Vordringen gelingen könnte, mit der Kontrolle und damit der Verfügungsgewalt über die Wirtschaftskraft Westeuropas das Übergewicht gegenüber den Vereinigten Staaten und damit die Weltherrschaft zu erringen, entscheidend bestimmt worden2 • Als Stalin den Übergang zu der ersten Entspannungsphase, die mit der Vorstellung von einer langfristigen friedlichen Koexistenz verbunden war, vollzog, fehlte das notwendige Vertrauen in diesen Kurswechsel. Infolgedessen ließ sich sein Plan einer neutralen Staatenzone in der Mitte Europas unter Einschluß eines wiedervereinigten neutralen Deutschland, bei dem er von Berija und Malenkow unterstützt wurde, nicht verwirklichen3 • Nach seinem Tode zeigte sich, daß diese konstruktivere Deutschlandpolitik zu wenig innenpolitischen Rückhalt in der Sowjetunion besaß, 1 Vgl. A. Poppinga: Konrad Adenauer. Geschichtsverständnis, Weltanschauung und politische Praxis, 2. Aufl., Stuttgart 1975, S. 90 ff. B . Meissner: Adenauer und die Sowjetunion von 1955 bis 1959, in: Konrad Adenauer und seine Zeit, Bd. II: Beiträge der Wissenschaft, Stuttgart 1976, S. 192 ff. 3 Vgl. B. Meissner: Die Sowjetunion und die deutsche Frage 1949 - 1955, in: D. Geyer (Hrsg.): Sowjetunion. Außenpolitik 1917- 1955 (Osteuropa-Handbuch), Köln I Wien 1972, S. 478 ff.
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um verwirklicht zu werden. Auch das von Molotow im Einvernehmen mit Malenkow entwickelte Modell eines gesamteuropäischen Sicherheitspakts unter Einschluß eines wiedervereinigten neutralen Deutschland war für die Westmächte nicht annehmbar und wies vom Standpunkt Adenauers ein zu großes Risiko für die Freiheit und Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland auf. Diese konnten nach seiner Auffassung nur durch ein enges Bündnis mit den Westmächten und einer wirtschaftlichen und politischen Integration Westeuropas gewährleistet werden. Nur in einem solchen Fall bestand nach Adenauer die Chance, auch die Frage der Wiedervereinigung Deutschlands, die von ihm auf der Grundlage des Selbstbestimmungsrecht der deutschen Gesamtnation angestrebt wurde, in zähen Verhandlungen zu lösen. Er schloß innere Wandlungen der Sowjetunion, die zu einer Abkehr vom Totalitarismus und damit von der imperialistischen Außenpolitik führen konnten, nicht aus. Er hoffte offenbar, daß die Sowjetunion mit der Zeit der Wiedervereinigung Deutschlands zustimmen könnte, ohne auf einer Neutralisierung zu bestehen. Mit dem am 5. Mai 1955 in Kraft getretenen Deutschlandvertrag und dem Beitritt zur westlichen Allianz errang die Bundesrepublik unter bestimmten Vorbehalten der Westmächte die Souveränität und damit die außenpolitische Handlungsfähigkeit. Wichtig war, daß die Westalliierten sich verpflichteten, nicht nur für die Sicherheit des freien Teiles Deutschlands (einschließlich West-Berlins) einzustehen, sondern sich auch für die Wiedervereinigung Deutschlands gegenüber der Sowjetunion einzusetzen. Mit dieser engen Bindung an den Westen hatte Adenauer den einen Schlüssel zur Lösung der deutschen Frage gewonnen. Daß der zweite Schlüssel in Moskau lag und daß es großer Anstrengungen und eines völlig veränderten Verhältnisses zwischen Ost und West bedurfte, um ihn zu erringen, war ihm immer bewußt. Infolgedessen kam in der von ihm betriebenen Ostpolitik der Sowjetunion, die für ihn die Verkörperung Rußlands darstellte, die unbedingte Priorität zu. In der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sowjetunion, die er nach dramatischen Verhandlungen in Moskau im September 1955 erreichen konnte4 , sah er den Beginn eines langwierigen Normalisierungsprozesses, der über die Herstellung der Freiheit der Deutschen im anderen Teil Deutschlands zu einer späteren Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands führen sollte. Daß er der Freiheit im Verhältnis zur Wiedervereinigung 4 Vgl. B. Meissner: Moskau- Bann. Die Beziehungen zwischen der Sowjetunion und der Bundesrepublik Deutschland 1955 - 1973, Bd. I, Köln 1975, S. 14 ff.; K. Gotto: Adenauers Deutschland- und Ostpolitik 1954- 1963, in: R. Morsey, K. Reppen (Hrsg.): Adenauer-Studien 111, Mainz 1974, S. 14 ff.
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den Vorrang einräumte, hat er mit seiner Propagierung des ÖsterreichModells für die DDR 1958 und seines Burgfriedens-Vorschlags 1962 zum Ausdruck gebracht. Einen wesentlichen Schritt in diesem Normalisierungsprozeß bildete der erfolgreiche Abschluß der fast zehn Monate währenden Verhandlungen zwischen der Sowjetunion und der Bundesrepublik Deutschland l.n Moskau 1957/586 , welche die vertragliche Basis für den Ausbau der gegenseitigen Wirtschaftsbeziehungen unter Einschluß West-Berlins, schufen. Durch ihren erfolgreichen Ausgang wurde außerdem nach der 1955 erreichten Rückkehr der deutschen Kriegsgefangenen auch eine schrittweise Repatriierung der in der Sowjetunion zurückgehaltenen deutschen Staatsangehörigen ermöglicht. Wenn am Ende der Regierungszeit Adenauers und auch unter Bundeskanzler Professor Ludwig Erhard keine weiteren Fortschritte in den deutsch-sowjetischen Beziehungen zu erreichen waren, so lag dieses vor allem an der erneuten Interventions- und Expansionspolitik der Sowjetunion unter Chruschtschow und den von diesem veranlaßten Maßnahmen zur Zementierung der Teilung Deutschlands auf der Grundlage der "Zwei-Staaten-Theorie". Ausdruck dieser imperialistischen Politik waren die Ereignisse in Polen und Ungarn 1956, das BerlinUltimatum 1958, der Friedensdiktatsentwurf für ein geteiltes Deutschland 1959, die Errichtung der Berliner Mauer 1961 und die Kuba-Krise 1962, welche die Welt vor den Abgrund eines Kernwaffenkrieges führen sollte8 • Eine Änderung in der Grundeinstellung Adenauers zur Sowjetunion läßt sich nach den Erfahrungen, die er mit Chruschtschow gesammelt hatte, nicht feststellen. Sie kann auch nicht aus seiner Bemerkung als Ehrenvorsitzender der CDU auf dem CDU-Parteitag am 23. März 1966 entnommen werden, als er den Anteil der Sowjetunion am Friedensschluß zwischen Indien und Pakistan lobend hervorhob. Die von ihm bei dieser Gelegenheit getroffene Feststellung, "daß die Sowjetunion in die Reihe der Völker eingetreten ist, die den Frieden wollen", bedeutete nicht, daß sich seine Besorgnis vor der Machtentfaltung der Sowjetunion verringert hatte. Wie der bekannte Schweizer Historiker Jean von Salis mitteilt, hat Adenauer in Gesprächen mit ihm 1964 und 1966 wiederholt erklärt?: "Die Russen werden nicht militärisch vorgehen. Rußland ist mächtig, es kann warten. Es wartet bis Deutschland und Frankreich schwach Vgl. Meissner, Moskau- Bonn, Bd. I, a.a.O., S. 25 ff.; Gotto, a.a.O., S. 30 ff. • Vgl. Meissner, Moskau- Bonn, Bd. II, Köln 1975, S. 745 ff.; Gotte, a.a.O.,
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s. 40 ff.
7 Vgl. R. von Salis: Der Fortgang der Entspannung zwischen West und Ost, in: Internationale Politik 1966- 1967, München I Wien 1973, S. 92.
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sind, dann kann es sie beherrschen: nicht als Satelliten, sondern als intakte Länder, die Rußland helfen, seine Wirtschaft aufzubauen." Nur unter der Voraussetzung, daß der Westen einig und stark ist und die früher geschilderten Faktoren sich auswirken, findet sich bei Adenauer eine optimistischere Perspektive. In seinen Aufzeichnungen für ein Gespräch mit dem ihm eng befreundeten amerikanischen Außenminister John Foster Dulles vom 30. Januar 1959, also kurz nach dem Berlin-Ultimatum Chruschtschows, heißt es8 : ,.Wenn die SU sieht, daß sie mit ihrem Streben nach Weltherrschaft nicht weiterkommt, wenn man ihr durch kontrollierte Abrüstung auf dem Gebiete der nuklearen und konventionellen Waffen ihre Furcht vor einem Angriff nimmt und sie gleichzeitig auf die Möglichkeit einer ungestörten und durch eine weitgehende Abrüstung erleichterten wirtschaftlichen Entwick:lung in ihrem eigenen Land hinweist, wird wahrscheinlich eine Entspannung in der Welt eintreten. In einer entspannten Atmosphäre könnten auch andere Fragen, zum Beispiel die Wiedervereinigung Deutschlands, mit Aussicht auf Erfolg gelöst werden." Bei Chruschtschow hat man den Eindruck, daß er in seinen letzten Jahren bestrebt gewesen ist, den inneren wirtschaftlichen Aufbau der Sowjetunion zu Lasten weiterer Rüstungsanstrengungen zu fördern. Aus diesem Grunde scheint er auch an einem besseren Verhältnis zur Bundesrepublik interessiert gewesen zu sein. Eine entsprechende Wendung in der sowjetischen Deutschlandpolitik kam bei dem geplanten Besuch Chruschtschows in der Bundesrepublik nicht zustande, da er im Oktober 1964 gestürzt wurde. Die ,.neue Ostpolitik" der Regierung der ,.Großen Koalition" schien nach dem vorausgegangenen Führungswechsel im Kreml neue Möglichkeiten für eine Verbesserung der deutsch-sowjetischen Beziehungen zu eröffnen, nachdem bereits unter Bundesaußenminister Gerhard Sehröder der Übergang zu einer flexibleren Ostpolitik vollzogen worden war. Von Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger wurde in seiner Regierungserklärung vom 13. Dezember 1966 die Priorität der deutsch-sowjetischen Beziehungen im Rahmen der neuen deutschen Ostpolitik, welche die DDR in den Normalisierungsprozeß einbezog, besonders betont9 • Er wiederholte die bereits im Memorandum vom 2. September 1956 unter Adenauer und in der Friedensnote vom 25. März 1966 unter Erhard enthaltene Bereitschaft der Bundesrepublik, Gewaltverzichtserklärungen nicht nur mit der Sowjetunion, sondern auch mit den anderen osteuropäischen Staaten auszutauschen. Eine solche Gewaltverzichtsvereinbarung sollte auch mit der DDR getroffen werden. 8 9
K. Adenauer: Erinnerungen 1955- 1959, Stuttgart 1967, S. 466 f. Vgl. Meissner: Moskau- Bonn, Bd. II, a.a.O., S. 766 ff.
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Von Kiesinger wurde mehrfach darauf hingewiesen, daß eine Lösung der deutschen Frage nur bei der Überwindung des Ost-West-Konflikts und der Schaffung einer gesamteuropäischen Friedensordnung erreicht werden könnte. In einer Rede zum "Tag der deutschen Einheit" am 17. Juni 1967 sagte er10 : "Deutschland, ein wiedervereinigtes Deutschland, hat eine kritische Größenordnung. Es ist zu groß, um in dem Balance der Kräfte keine Rolle zu spielen, und zu klein, um die Kräfte um sich herum selbst im Gleichgewicht zu halten. Es ist daher nur schwer vorstellbar, daß sich ganz Deutschland bei einer Fortdauer der gegenwärtigen politischen Struktur in Europa der einen oder anderen Seite ohne weiteres zugesellen könnte. Ebendarum kann man das Zusammenwachsen der getrennten Teile Deutschlands nur eingebettet sehen in den Prozell der Überwindung des Ost-West-Konflikts in Europa." Kiesinger sprach sich für eine "weitschauende Entspannungspolitik" aus, betonte aber gleichzeitig, daß die Bundesrepublik Deutschland diese nur im Rahmen des westlichen Bündnisses und "auf der Grundlage der eigenen Freiheit und Sicherheit" führen könne. Wieder war es ein sowjetischer Gewaltakt - die bewaffnete Intervention der Sowjetunion und ihrer Gefolgsstaaten in der Tschechoslowakei- der die Aufnahme von Vorverhandlungen über einen zweiseitigen Gewaltverzichtsvertrag erschwerte. Zu diesen Verhandlungen kam es erst nach der Bildung der sozial-liberalen Koalition im Oktober 1969, welche durch eine wesentliche Modifizierung der "neuen Ostpolitik" den sowjetischen Wünschen weit entgegenkam11 • Aus dem innenpolitischen Interesse an einem schnellen Erfolg wurden Vorleistungen erbracht, denen die Leistungen der Gegenseite in keiner Weise entsprachen. Das Ergebnis der entscheidenden Vorverhandlungen, die vom Staatssekretär Egon Bahr, einem engen Berater von Bundeskanzler Willy Brandt geführt wurden, war der Entwurf eines unausgeglichenen Vertrages, an dem das Auswärtige Amt unter Außenminister Scheel nur wenig ändern konnte. Daher ist nicht nur von der CDU/CSU-Opposition, sondern auch einer Reihe von Experten, darunter Botschafter Helmut Allardt12 , die Vieldeutigkeit der im Vertragstext verwendeten Begriffe, die zu weitgehende Preisgabe von Rechtspositionen, und das fehlende Eingehen auf einige für das gegenseitige Verhältnis wichtige Grundsätze und Probleme beanstandet worden. Ebenda, S. 1089. Vgl. Meissner, Moskau- Bonn, Bd. II, a.a.O., S. 775 ff. 12 Vgl. H. Allardt: Moskauer Tagebuch, Düsseldorf I Wien 1973, S. 265 ff.; Derselbe: Politik vor und hinter den Kulissen, Düsseldorf I Wien 1979, s. 259 ff. 10
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Insgesamt stellt der "Moskauer Vertrag" 13, der am 12. August 1970 von Bundeskanzler Brandt und Ministerpräsident Kossygin in Gegenwart des Generalsekretärs Breschnew unterzeichnet wurde, einen bemerkenswerten Erfolg der Sowjetdiplomatie dar. Mit den Grenzbestimmungen des Vertrages ist der Besitzstand der Sowjetunion, der 1955 von Adenauer nicht anerkannt worden war, besser abgesichert und der Status quo in Europa verfestigt worden. In den Nebenabreden ist den Vorstellungen der sowjetischen Außenpolitik, soweit sie Osteuropa, die DDR und die Europäische Sicherheitskonferenz betrafen, weit entgegengekommen worden. Auf der anderen Seite ist nicht zu übersehen, daß der Moskauer Vertrag aufgrund seiner Gewaltverzichtsbestimmungen und der "Unberührtheitsklausel" des Art. 4 in Verbindung mit dem "Brief zur deutschen Einheit" den Charakter eines modus vivendi Vertrages aufweist, der der deutschen Seite die Möglichkeit gibt, ihn in erster Linie als einen Gewaltverzichtsvertrag auszulegen. Dies hat aufgrund der gemeinsamen Bundestagsentschließung vom 17. Mai 1972 nach einer heftigen Auseinandersetzung über die Ostverträge die Ratifizierung des Moskauer Vertrages unter weitgehender Stimmenthaltung der Opposition ermöglicht14 • Die gemeinsame Entschließung ist zusammen mit den Bemerkungen der Bundesregierung der Sowjetregierung notifiziert worden. Ihr kommt damit völkerrechtlich der Charakter eines Interpretationsvorbehalts zu. Die entscheidende Voraussetzung für die Ratifizierung bildete der Abschluß des Viermächte-Abkommens über West-Berlin vom 3. September 1971, der in der Kreml-Führung besonders umstritten war. Anschließend ist mit dem "Grundvertrag" vom 21. Dezember 1972 das Verhältnis der Bundesrepublik Deutschland und der DDR auf eine vertragliche Grundlage gestellt worden. Gegen den Inhalt dieses Vertrages sind eine Reihe von berechtigten Bedenken erhoben worden, da er ebenso wie die Ostverträge die östliche Seite zu sehr begünstigte. Es fiel daher dem Bundesverfassungsgericht nicht leicht aufgrund einer Klage des Landes Bayern die Vereinbarung dieses Vertrages mit dem Grundgesetz unter bestimmten Voraussetzungen festzustellen. Sein Urteil vom 31. Juli 1973 ist in innerstaatlicher Hinsicht auch für die Auslegung der Ostverträge von Bedeutung16 • Zusammen mit dem Be18 Vgl. 0. Kimminich: Der Moskauer Vertrag vom 12. August 1970, 2 Bde., Harnburg 1973. 14 Vgl. Chr. Hocke: Die Ost- und Deutschlandpolitik der CDU, Köln 1975. 16 Vgl. G. Ress: Die Rechtslage Deutschlands nach dem Grundlagenvertrag vom 21. Dezember 1972, Berlin I Heidelberg I New York 1978; G. Zieger (Hrsg.): Fünf Jahre Grundvertragsurteil des Bundesverfassungsgerichts. Symposium 2. - 4. Oktober 1976, Köln u. a. 1979.
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schluß des Bundesverfassungsgerichts vom 7. Juli 1975 bildet es gleichsam eine Ergänzung der Gemeinsamen Bundestagsentschließung vom 17. Mai 1972. Positiv ist an dem Moskauer Vertrag zu vermerken, daß er politische Grundlage für einen weiteren Ausbau der wirtschaftlichen, wissenschaftlich-technischen und kulturellen Beziehungen zwischen der Sowjetunion und der Bundesrepublik bildete und damit es erlaubte, den Normalisierungsprozeß weiter voranzutreiben. Dazu trugen auch die Besuche der führenden Persönlichkeiten der beiden Seiten, so vor allem Breschnews 1973, 1978 und 1981 in Bonn, beil6 • Auf der anderen Seite hat eine anfängliche romantische Verklärung der Entspannungspolitik und die damit verbundene Euphorie Hoffnungen geweckt, die sich im erwarteten Umfange nicht erfüllen ließen. Erst unter der Regierung Schmidt-Genscher machte sich allmählich eine realistischere Beurteilung der Entspannung bemerkbar. Die Auseinandersetzungen über die Auslegung des Berlin-Abkommens haben sehr bald die Schwierigkeiten erkennen lassen, die mit den Beziehungen zur sowjetischen Supermacht verbunden sind17 • So ist es bisher nicht möglich gewesen, West-Berlin in drei bereits seit längerer Zeit ausgearbeitete Verträge einzubeziehen. Auch die Hoffnung, daß sich in den humanitären Fragen, vor allem nach der Unterzeichnung der Schlußakte der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Helsinki am 1. August 1975 größere Fortschritte erzielen lassen könnten, hat sich nicht erfüllt. Die Entspannung nach 1969 ist sicher für beide Seiten von Vorteil gewesen, insbesondere auf wirtschaftlichem Gebiet, für die Sowjetunion jedoch in einem sehr viel stärkeren Maße als für die Bundesregierung Deutschland. Die Sowjetunion hat nicht nur mit Hilfe der fortschrittlichen Technik, die sie vor allem dem Ausbau der wirtschaftlichen Beziehungen mit den westlichen Industriestaaten verdankt, die Modernisierung ihrer Wirtschaft fördern können. Die Entspannung hat es ihr vor allem erlaubt, die 1965 begonnene umfassende Aufrüstung beschleunigt fortzusetzen. Es ist ihr damit gelungen, nicht nur die Parität mit den Vereinigten Staaten auf dem Gebiet der interkontinentalen Raketenwaffen, sondern auch das eurostrategische Übergewicht durch den Ausbau der Mittelstreckenraketen zu gewinnen. Für die Bundesrepublik Deutschland sind vor allem die verbesserten Kontaktmöglichkeiten mit dem anderen Teil Deutschlands von besonderer Bedeutung gewesen, da sie sich günstig auf den Zusammenhalt 11 Vgl. Meissner, Moskau- Bonn, Bd. Il, a.a .O., S. 815 ff.; F. Oldenburg, Chr. Meier: Die deutsch-sowjetischen Beziehungen im Zeichen des Breschnew-Besuchs, Osteuropa, 28. Jg., S. 855 ff. 17 J. Hacker: Berlin-Status und Berlin-Wirklichkeit, Die politische Meinung, 1974, Heft 153, S. 63 ff.
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der deutschen Nation ausgewirkt haben. Dagegen ist weder die Sperrmauer abgebaut, noch der Schießbefehl aufgegeben worden. Die "Abgrenzung" ist auf bestimmten Gebieten, teilweise auf Veranlassung der Sowjetunion noch verschärft worden. Wesentliche Fortschritte auf dem Wege der Überwindung der Teilung Deutschlands sind nicht erzielt worden. Dafür ist die militärische Sicherheit aufgrunddes verstärkten regionalen Übergewichts der Sowjetunion vermindert und damit ihre Erpressungsfähigkeit gewachsen. In der Reaktion auf den Nachrüstungsbeschluß der NATO sind die drohenden Untertöne gegenüber der Bundesrepublik Deutschland bereits deutlich zu hören gewesen18. Mit der Einmischung in den Bürgerkrieg in Angola mit Hilfe der Kubaner 197519 hat die Sowjetunion die dritte außenpolitische Offensive begonnen, die mit der bewaffneten Intervention in Afghanistan20 den bisherigen Höhepunkt erreicht hat. Der völkerrechtswidrige Charakter der Intervention hat vielen, die es bisher nicht wahrhaben wollten, gezeigt, daß sich die sowjetische Auffassung von Entspannung wesentlich von den Auffassungen unterscheidet, wie sie im Westen anzutreffen sind. Im Unterschied zum Westen verfügt die Sowjetunion über eine geschlossene Entspannungskonzeption, die sich aus einer ganz bestimmten Auffassung von einer "friedlichen Koexistenz" ergibt, bei der die klassenkämpferisch-revolutionären und imperialistischen Züge überwiegen21. Die Sowjets gehen erstens von einer längeren, aber befristeten Dauer der "friedlichen Koexistenz" aus, deren Grundsätze sie nur bereit sind, auf Beziehungen zwischen Staaten mit entgegengesetzter oder unterschiedlicher Gesellschaftsordnung anzuwenden. Sie fassen sie letzten Endes als einen Waffenstillstand, als einen "Frieden auf Zeit" auf, dessen Dauer je nach dem Kräfteverhältnis in einer bestimmten Region verschieden sein kann. Dabei wird im Zeichen eines "Kampfes für den Frieden" auch die Anwendung von kriegerischer und nichtkriegerischer Gewalt unterhalb der Ebene internationaler Kriege als zulässig angesehen, um über einen "Umbau der internationalen Beziehungen" ein Übergewicht des "sozialistischen Weltsystems" unter 18 Vgl. J. Joffe (Hrsg.): Friede ohne Waffen? Der Streit um die Nachrüstung, München 1981. 19 Vgl. W. Berner: Kubaner-Interventionen in Afrika und Arabien, Außenpolitik, 27. Jg., 1976, S. 325 ff. to Vgl. H . Vogel (Hrsg.): Die sowjetische Intervention in Afghanistan, Baden-Baden 1980. 11 Vgl. B. Meissner: Das Entspannungskonzept der Hegemonialmacht: Entspannungsbegriff und Entspannungspolitik aus der Sicht der Sowjetunion, in: H .-D. Schwarz, B. Meissner (Hrsg.): Entspannungspolitik in Ost und West, Köln u . a. 1979, S. 15 ff.
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Führung der Sowjetunion herbeizuführen. Im Hinblick auf das deutschsowjetische Verhältnis bedeutet diese Grundeinstellung, daß die Sowjetunion zwar im gesamteuropäischen Rahmen, wie die KSZE gezeigt hat, zu einer langfristigen Koexistenz bereit ist, aber damit ihre weitgesteckten Expansionsziele in Europa, zu denen auch die Eingliederung West-Berlins in die DDR gehört, nicht aufgegeben hat. Die Sowjets erblicken zweitens im "ideologischen Kampf", der sich nach ihrer derzeitigen Auffassung mit den Fortschritten der Entspannung verschärft, ein Mittel um den weltrevolutionären Prozeß voranzutreiben und zur gleichen Zeit das eigene staatssozialistische System besser zu schützen. Dieses bedeutet konkret auf die Bundesrepublik Deutschland bezogen, daß die ideologische Konfrontation bestehen bleibt und daß die sowjetischen Bestrebungen, einen inneren Strukturwandel in der Bundesrepublik nach dem Vorbild der DDR herbeizuführen, nicht aufgegeben worden sind. Andererseits wird der Ausbau der gegenseitigen kulturellen Beziehungen, insbesondere auf wissenschaftlichem Gebiet, durch diese ideologische Konfrontation behindert. Drittens beanspruchen die Sowjets für ihren engeren Macht- und Einflußbereich die Anwendung der Grundsätze des "proletarisch-sozialistischen Internationalismus", der eine ideologische Umschreibung des sowjetischen Hegemoniestrebens darstellt. Die Verschärfung, die dieses Prinzip in Gestalt der "Breschnew-Doktrin" 1968 erfahren hat, erschwert nicht nur die Verwirklichung der KSZE-Beschlüsse, sondern auch den AnnäherungsprozeR zwischen den beiden Teilen Deutschlands. Außerdem ist die sowjetische Tendenz gewachsen, die Geltung dieses Prinzips auch bei Staaten "mit sozialistischer Orientierung", die dem Sowjetblock nicht angehören, zu beanspruchen. Insgesamt läßt die sowjetische Entspannungskonzeption nur eine selektive Form der Entspannung zu, d. h. sie geht von einer Teilbarkeit der Entspannung aus. Sie ist damit der im Westen bestehenden Vorstellung von der Unteilbarkeit der Entspannung diametral entgegengesetzt. Selektiv ist die Entspannung in räumlicher Hinsicht und damit in der Vertikale, da sie die "sozialistische Gemeinschaft", d. h. den sowjetischen Hegemonialverband, einem Sonderrecht unterwirft, das die Sowjetunion auf ihren Einflußbereich in der "Dritten Welt" auszudehnen versucht. Selektiv ist die Entspannung auch im stärkeren oder schwächeren Maße auf den einzelnen Ebenen und damit in der Horizontale, je nachdem, ob es sich um den politischen, ideologischen oder wirtschaftlichen Bereich handelt. Auf der ideologischen Ebene überwiegen die klassenkämpferisch-revolutionären, auf der wirtschaftlichen Ebene die konkurrierenden und kooperativen Züge der friedlichen Koexistenz, während der Mischungsgrad zwischen den beiden Aspekten auf
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der politischen Ebene je nach dem Kräfteverhältnis oder taktischen Erwägungen verschieden ist. Der Abschirmung des eigenen engeren Macht- und Interessenbereichs stehen die Bemühungen der Sowjets gegenüber, den eigenen Einfluß mit unterschiedlichen Schwerpunkten auf die übrige Welt auszudehnen. In bestimmten Regionen, wie zum Beispiel Europa, wird aus den früher erwähnten Erwägungen von dem bestehenden Status quo im Sinne eines Waffenstillstandes von langer Dauer ausgegangen, in anderen wird die Expansion zielbewußt fortgesetzt. Dies gilt vor allem für die Dritte Welt. Dabei werden trotz des völkerrechtlich verbindlichen allgemeinen Gewaltverbots und eines sehr weitgefaßten Interventionsverbots die Unterstützung von "nationalen Befreiungskriegen" und "Bürger-Befreiungskriegen" sowie verschiedene Formen der nichtkriegerischen Gewaltanwendung, darunter auch die bewaffnete, d. h. militärische Intervention, als zulässige Mittel angesehen, um weitere Veränderungen im weltpolitischen Kräfteverhältnis zu Gunsten des "Sozialismus" und damit der Sowjetmacht zu bewirken. Die Entspannungskonzeption der Sowjetunion in Verbindung mit ihrer außenpolitischen Praxis läßt erkennen, daß ihr Expansionsdrang trotz ihrer zunehmenden weltpolitischen und wirtschaftlichen Verflechtung nicht nachgelassen hat. Aus der Entwicklung der letzten Jahre ist zu ersehen, daß die friedensgefährdenden Taten der Sowjetunion weiterhin in einem klaren Widerspruch zu ihren entspannungsfreundlichen Worten stehen. Die Bedrohung, die von ihnen ausgeht, hat sich als eine Realität und nicht als ein "Mythos", wie von sowjetischer Seite immer wieder behauptet wird, erwiesen. Der sowjetische Generalstabschef Marschall Ogarkow wandte sich noch im August 1979 gegen "das Märchen von der sowjetischen militärischen Bedrohung" und erklärte, "daß die Sowjetunion niemals irgendjemand mit Krieg bedroht oder irgendjemand überfallen hat" 22• Bereits kurz danach begann die Vorbereitung der bewaffneten Intervention gegen das neutrale und blockfreie Afghanistan, die von der überwiegenden Mehrheit der Vereinten Nationen im Einklang mit der Angriffsdefinition von 1974 als "Aggression" verurteilt worden ist. Der massive Einsatz der sowjetischen Streitkräfte, ohne ausreichende völkerrechtliche Legitimation, läßt sich auch unter Berufung auf den sowjetisch-afghaniseben politischen Kooperationsvertrag vom 5. Dezember 1978, der kein Beistandspakt ist, noch auf den Artikel 51 der Sat22 Vgl. N. Ogarkow: Das Märchen von der "sowjetischen militärischen Bedrohung" und die Realität, Prawda vom 2. 8. 1979, deutsche Übersetzung, Neues Deutschland V()m 4./5. 8. 1979.
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zung der Vereinten Nationen rechtfertigen28• Ohne Rücksicht auf die Weltmeinung und die eindeutige Rechtslage behauptete der sowjetische Außenminister Marschall Ustinow im Februar 1980 erneut, daß die Sowjetarmee "niemals für Eroberungszwecke benutzt" würde24 • Tatsächlich hat die Sowjetunion allein in Europa - unabhängig vom Geschehen im Bürgerkrieg - außer Finnland 1939 noch die drei baltischen Staaten Estland, Lettland, Litauen 1940 überfallen und diese anschließend annektiert. Sie hat in ähnlicher Weise wie in Afghanistan bewaffnete Interventionen in Ungarn 1956 und der Tschecheslowakei 1968 durchgeführt. Das besondere an dem Fall Afghanistan ist vor allem darin zu sehen, daß es sich bei der bewaffneten Intervention um den unmittelbaren Einsatz starker sowjetischer Streitkräfte außerhalb des engeren sowjetischen Hegemonialbereichs ohne Rücksicht auf die übernommenen völkerrechtlichen Verpflichtungen handelt. Die Intervention gilt einem ungebundenen, blockfreien Land, das zwar zum weiteren Einflußbereich der Sowjetunion gehörte, aber nicht als Bestandteil einer anerkannten sowjetischen Interessensphäre anzusehen war. Die Sowjetunion ist mit ihrer völkerrechtswidrigen Intervention in eine "Grauzone" 'in Asien vorgestoßen. Sie hat damit auch für das Schicksal der "Grauzone" in Europa, zu der Jugoslawien, Albanien und Finnland gehören, ernste Befürchtungen geweckt. Die Vorgeschichte der sowjetischen Interventionsentscheidung und eine abwägende Betrachtung der ihr zugrunde liegenden Motive läßt im Unterschied etwa zur Intervention in der CSSR 1968 erkennen, daß im Fall Afghanistan außenpolitische und militärische Gesichtspunkte im Verhältnis zu innenpolitischen Beweggründen weit überwogen haben. Bei der Entscheidung mögen auch Positionskämpfe in Verbindung mit der Nachfolge Breschnews eine bestimmte Bedeutung gehabt haben. Das gleiche ist im Hinblick auf die Befürchtung, daß die islamische Erneuerungsbewegung auf die moslemischen Völker der Sowjetunion übergreifen könnte, kaum anzunehmen. Erstens liegt eine solche akute Ansteckungsgefahr, da die sowjetischen Moslems überwiegend Sunniten sind, nicht vor. Zweitens wäre sie vor allem vom Iran und nicht von Afghanistan aus zu befürchten. Wesentlich größere Bedeutung ist nach eigener sowjetischer Aussage, dem Bestreben zugekommen, mit der za Vgl. Meissner, Die Stellung der Sowjetunion zur Intervention und der Fall Afghanistan, Beiträge zur Konfliktforschung, 1980, Heft 2. u Prawda vom 22. 2. 1980; Auszug in deutscher Übersetzung, Neues Deutschland vom 23./24. 2. 1980.
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Erhaltung eines prosowjetischen Regimes in Afghanistan die Sicherheit der Sowjetunion in einem wichtigen südlichen Grenzabschnitt besser zu gewährleisten. Eine bestimmte Einkreisungsangst wird ebenfalls eine Rolle gespielt haben25. Den Ausschlag dürfte jedoch die Überlegung gegeben haben, daß Afghanistan eine geopolitische Drehscheibe darstellt, die Optionen für eine expansive Politik nach verschiedenen Seiten ermöglicht26 • Die Beherrschung Afghanistans erleichtert die Einmischung in die iranischen Wirren, verstärkt die Umklammerung Sinkiangs und bildet eine ideale Ausgangsbasis für einen Vorstoß bis zum Persischen Golf, dem sich die Sowjetunion bis auf 500 km genähert hat, und zum Indischen Ozean. Mit der sowjetischen Intervention in Afghanistan hat sich nicht nur das regionale Kräfteverhältnis im Mittleren Osten wesentlich verändert. Damit hat sich die Sowjetunion auch die Möglichkeit geschaffen, durch eine schrittweise Ausdehnung ihres Einflusses auf die Golfregion, die für die westliche Welt von lebenswichtiger Bedeutung ist, auch ohne unmittelbare Beherrschung Westeuropas ihrem Ziel einer weltweiten Hegemonie näher zu kommen. Die Entwicklung in der Zeit der Entspannungsphase seit 1969, die durch die sowjetische Intervention in Afghanistan unterbrochen worden ist, läßt erkennen, daß die sowjetische Entspannungskonzeption trotz ihrer ideologischen Geschlossenheit wesentliche Unterschiede in den anzuwendenden Strategien aufweist. In der gegenwärtigen sowjetischen Außenpolitik sind zwei außenpolitische Strategien festzustellen, die sich aus unterschiedlichen mittelfristigen Zielvorstellungen ergeben27. Sie werden seit einiger Zeit parallel angewandt, führen aber zu Widersprüchen, die sich zunehmend verstärkt haben. Einer kontinentalen eurasischen Großraumpolitik steht eine in ferne Räume ausgreifende Weltpolitik, die gleichsam ein weltrevolutionäres Unterfutter aufweist, gegenüber. Die eine Strategie geht von einer bestimmten räumlichen Beschränkung aus und konzentriert sich auf die Sowjetunion und ihr Glacis in Osteuropa und Ostasien. Sie strebt eine Konsolidierung und Stärkung der Sowjetmacht durch eine beschleunigte Integration des engeren sowjetischen Macht- und Einflußbereichs an. Die andere Strategie ist durch das Weltmachtstreben der Sowjetunion bestimmt. Sie dient dazu, die Voraussetzungen für eine weltweite Machtpolitik zu schaffen, die über eine staatliche und nationale Interessenpolitik, die begrenzte Ziele verfolgt, hinausführt. es Vgl. das Interview von Prof. M. Voslensky in "Die Welt" vom 19. 2. 80. Vgl. Die Analyse von Botschafter Dr. R. Pauls "Die NATO und die
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Mittelostkrise" im Rissener Rundbrief vom April 1980. 17 Vgl. B. Meissner: Faktoren und Triebkräfte sowjetischer Außenpolitik, Informationsdienst des katholischen Arbeitskreises für zeitgeschichtliche Fragen, 1980, Nr. 100, S. 32 ff.
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Bei der sowjetischen Interventionsentscheidung haben sich die Vertreter einer solchen globalen "Politik der Stärke" im Kreml gegenüber den Befürwortern einer regional begrenzten großräumigen Integrationspolitik, die der wirtschaftlichen Entwicklung des engeren sowjetischen Hegemonialbereichs den Vorrang einräumen, bis auf weiteres durchgesetzt. Die Interventionsentscheidung ist ohne Beteiligung des inzwischen verstorbenen Ministerpräsidenten Kossygin, der als ein Repräsentant der ersten Richtung und zugleich als ein Befürworter eines Interessenausgleichs zwischen Ost und West anzusehen war, getroffen worden. Die unterschiedliche Haltung Breschnews und Kossygins in der afghanischeu Frage daraus zu ersehen, daß Kossygin nur die Glückwunschtelegramme an Castro und Indira Ghandi im Januar 1980 zusammen unterzeichnet hat28, nicht aber das Glückwunschtelegramm, das Breschnew kurz vorher im Namen der "Sowjetführung" nach dem am 27. Dezember 1979 erfolgten Einmarsch der Sowjetarmee an Babrak Karmal als den neuen afghanischeu Machthaber richtete, wobei er dessen Vor- und Nachnamen interessanterweise verwechselte29 • Dem militär-strategischen Gewinn, den die Vertreter einer "Politik der Stärke", denen sich Breschnew voll und ganz angeschlossen hat30 , mit Afghanistan erreicht haben, steht nicht nur eine Verstärkung der Ost-West-Spannungen, sondern auch ein gewaltiger Vertrauensverlust für die Sowjetunion in der gesamten Welt gegenüber. Durch Afghanistan wird nicht nur das Wettrüsten angeheizt, das die Rüstungslast, an der die Sowjetunion zu tragen hat, wesentlich vermehrt, sondern auch die Spannungen innerhalb des engeren sowjetischen Macht- und Einflußbereichs vergrößert. Außerdem wird damit einem Projekt, an dem der Kreml-Führung bisher besonders gelegen war, nämlich dem Plan einer Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Asien (KSA), der Boden entzogen. Da Afghanistan gleichsam an der Schnittlinie beider Strategien liegt, ist es nicht auszuschließen, daß sich die Belastung, die mit der Okkupation des Landes verbunden ist, für die Sowjetunion mit der Zeit als zu schwer erweisen wird. Eine solche Entwicklung würde den Kräften in der Kreml-Führung, die aus wirtschaftlichen Überlegungen an einer geregelten Ost-West-Entspannung interessiert sind und daher bereit wären, dafür einen bestimmten Preis zu zahlen, wieder Auftrieb Vgl. Prawda vom 1. und 11. 1. 1980. Vgl. Prawda vom 29.12.1979. Die Verwechslung des Vor- und Nachnamens durch Breschnew hatte die Folge, daß die Sowjetunion noch mehrere Tage lang, sich veranlaßt sah, den neuen afghaniseben Machthaber als Karmal Babrak und nicht als Babrak Karmal zu bezeichnen. 30 Das ist aus dem Interview Breschnews in der Prawda vom 13. 1. 1980 (deutsche Obersetzung: Neues Deutschland vom 14.1. 1980) deutlich zu ersehen. 28
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geben31 • Dadurch könnten die Voraussetzungen für eine einvernehmliche Lösung des Afghanistan-Konflikts geschaffen werden, die der Sowjetunion, ebenso wie dieses schon zweimal beim Iran der Fall war, den Rückzug ihrer Truppen ermöglichen könnte. Von einem deutschen Standpunkt sind die Vertreter einer begrenzten großräumigen Integrationsspolitik, obgleich durch sie eine stärkere Bindung der DDR an die Sowjetunion erfolgt, das geringere Übel gegenüber den Anhängern einer globalen "Politik der Stärke", die bei einem weiteren Vormarsch die Welt erneut vor den Abgrund eines Kernwaffenkrieges führen könnten. Um der kooperativen Richtung in der Kreml-Führung eine Chance zu bieten, dürfte es daher auch aus politischen Gründen im Interesse der Bundesrepublik sein, die wirtschaftlichen Beziehungen zur Sowjetunion, abgesehen von den Beschränkungen, die sich notwendigerweise aus einer Ausweitung des Embargos für Rüstungsgüter und Kreditrestriktionen im Falle verstärkter Interventionsmaßnahmen gegen Polen ergeben, weiter zu erhalten32 • Auf der anderen Seite müßte die Bundesregierung der militanten Richtung in der Kreml-Führung klarer als bisher zu erkennen geben, daß sie im Rahmen des westlichen Bündnisses alles tun wird, um einer sowjetischen Interventions- und Expansionspolitik Einhalt zu gebieten. Die bisherige Erfahrung hat gezeigt, daß die Sicherheit eines Landes gegenüber dem Sowjetimperialismus nur dort gewährleistet ist, wo ein militärisches Gleichgewicht und ein klar erkennbarer Verteidigungswille dem Expansionsdrang der Sowjetunion Grenzen setzt. Die Doppelkrise, die durch die völkerrechtswidrige Intervention der Sowjetunion in Afghanistan und durch die Ereignisse in Polen ausgelöst worden ist, bedeutet eine Gefährdung des Weltfriedens. Sie sollte aber nicht dramatisiert und mit der sehr viel ernsteren Lage vor dem Ersten Weltkrieg verglichen werden. Beide Vorgänge haben deutlich gezeigt, daß die Sowjetmacht ihren imperialistischen Charakter nicht eingebüßt hat. Aus dieser Einsicht sollte sich eine wesentlich realistischere Einschätzung der Entspannungspolitik ergeben als dies bisher der Fall gewesen ist. Als realistisch ist nur eine Entspannungspolitik anzusehen, die sich als Teil eines weiter fortbestehenden OstWest-Konflikts begreift und daher eine Beschwichtigungspolitik ebenso 31 Mit diesem wachsenden sowjetischen Interesse wird bei den zunehmenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Sowjetunion zu rechnen sein. Zur schwierigen wirtschaftlichen Lage der Sowjetunion vgl. Joint Economic Committee of the 96th Congress: Soviet Economy in a Time of Change, Vol. 1, 2, October 10, 1979; A. Bergson: Soviet Economic Slowdown and the 1981 - 85 Plan, Problems of Communism, May- June 1981, S. 24 ff. 32 Die gleiche Auffassung ist hauptsächlich aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten von Prof. M. Schmitt nach Afghanistan in seinem Artikel "Wirtschaftssanktionen", Der Tagesspiegel vom 16. 3. 1980 vertreten worden.
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ablehnt, wie eine Schaukelpölitik, die nur zur Abkopplung der Vereinigten Staaten von ihren westeuropäischen Verbündeten und damit zur Ausdehnung der sowjetischen Hegemonie auf ganz Europa führen würde. Die entscheidende Aufgabe im Rahmen einer realistischen und zugleich friedensstiftenden Entspannungspolitik ist vor allem darin zu sehen, ein annäherndes militärisches Gleichgewicht in Europa unter Wiederherstellung des gestörten militärischen und politischen Gleichgewichts in der Welt zu erreichen. Dabei ist die besondere sowjetische Auffassung von Sicherheit und Rüstungskontrolle immer zu bedenken33• Nur auf einer solchen festen Grundlage ist eine fühlbare Verminderung der zur Zeit bestehenden Hochspannung, der Übergang zu einer Phase geregelter Entspannung und zugleich eine erfolgreiche Fortsetzung des Normalisierungsprozesses zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sowjetunion denkbar. In der Ostpolitik der Bundesrepublik Deutschland wird der Sowjetunion auch in der Zukunft aus zwei Gründen die Priorität zufallen. Erstens ist die Sowjetunion als Führungsmacht des östlichen Bündnisses und als eine der beiden Weltmächte Träger des bipolaren Mächtesystems. Dieses weist zwar Zufallserscheinungen auf, ist aber für die gegenwärtige Weltpolitik, wie die Entwicklung der letzten Zeit gezeigt hat, weiterhin bestimmend. Es gilt somit nicht nur den Expansionsdrang der Sowjetunion einzudämmen, sondern auch durch vertrauensbildende Maßnahmen ihr Interesse an einem Abbau der Ost-WestSpannungen und einer verstärkten Zusammenarbeit zwischen West und Ost zu wecken. Die Beschränkungen, denen die friedliche Koexistenz in Verbindung mit der sowjetischen Entspannungskonzeption unterworfen ist und die sowjetischen Bemühungen, das Kräfteverhältnis in Europa weiter zu ihren Gunsten zu verschieben, bedeuten in keiner Weise, daß ein weiterer Ausbau der bilateralen Beziehungen zwischen der Sowjetunion und der Bundesrepublik Deutschland nicht möglich ist. Die deutsche Seite sollte durch eine stetige und zugleich flexible Politik, die sich um die Feststellung gemeinsamer und paralleler Interessen bemüht, zu diesem Ausbau beitragen. Sie müßte sich aber zugleich -im klaren darüber sein, daß die MögliChkeiten zur Fortentwicklung dieser Beziehungen begrenzt sind und daß die sowjetische Entspannungskonzeption nur eine "antagonistische Kooperation" zuläßt. Bei allen Bemühungen im Verhältnis der beiden Staaten durch eine ausgewogene und bereaa Vgl. A. Mertes: Sowjetische Kriterien der Sicherheit und Rüstungskontrolle - Konzeptionelle Gegensätze und Unterschiede zum Westen, in: Rüstungskontrolle und Sicherheit in Europa, Bonn 1979, S. 257 ff.
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ehenbare Politik, die von den bestehenden Verträgen ausgeht, schrittweise Fortschritte zu erreichen, sollten die bestehenden Interessengegensätze, die teils ideologischer Natur sind, teils aber das Ergebnis einer bestimmten historischen Entwicklung darstellen, nicht verharmlost worden. Zweitens bildet die Sowjetunion diejenige Macht, die nicht nur Deutschland sondern auch Europa geteilt hat, zugleich aber als eine der vier Siegermächte eine besondere Verantwortung für ganz Deutschland übernommen hat. Auf der einen Seite hat sie die Teilung Deutschlands im Verlauf der Entwicklung vertieft. Auf der anderen Seite hat sie an ihren Rechten und Verantwortlichkeiten als Siegermacht festgehalten. Diese Viermächteverantwortung ist vor allem für den Status Berlins von Bedeutung. Aus dieser Viermächteverantwortung ergibt sich die Verpflichtung der Sowjetunion, auch von ihrer Seite zu einer Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands beizutragen. In den Briefen, die anläßlich der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Regierungschefs am 13. September 1955 ausgetauscht wurden, ist nachdrücklich betont worden, daß die Beziehungsaufnahme "zur Lösung der ungeklärten Fragen, die ganz Deutschland betreffen, beitragen und damit auch zur Lösung des Hauptproblems des deutschen Volkes, der Wiederherstellung eines deutschen demokratischen Staates verhelfen soll" 34 • Diese Vereinbarung bildete nicht nur die Geschäftsgrundlage für die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sowjetunion. Sie bezeichnete auch das von der Sowjetregierung akzeptierte deutsche Ziel des Normalisierungsprozesses, der von dieser Grundlage seinen Ausgang nahm. Die fehlende Bereitschaft der gegenwärtigen Kreml-Führung, die fortbestehende Einheit der deutschen Nation als Realität anzuerkennen und die Bestrebungen der Bundesrepublik Deutschland zur Schaffung besonderer Beziehungen zwischen den beiden deutschen Teilstaaten zu fördern, steht in einem Gegensatz zu den Verpflichtungen der Sowjetunion, die sich aus dem Viermächte-Status und dieser Vereinbarung ergeben. Es wird die Aufgabe der deutschen Seite sein, unentwegt darauf hinzuweisen, daß die deutsche Nation auch vom Standpunkt des traditionellen sowjetischen Nationsbegriffs einen konkreten und nicht nur abstrakten Charakter aufweist und daß ihr daher aufgrund des Selbstbestimmungsrecht der Völker der Anspruch auf eine Wiederherstellung der staatlichen Einheit zusteht35 • Der Sowjetunion müßte noch deutMeissner, Moskau- Bann, Bd. I, a.a.O., S. 122 f. Vgl. B. Meissner: Der sowjetische Nationsbegriff und seine politische und rechtliche Bedeutung,.in: B. Meissner, J. Hacker: Die Nation in östlicher 84
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lieber als es in den letzten Jahren geschehen ist, bewußt gemacht werden, daß die Bundesrepublik Deutschland an dem Ziel der Schaffung einer dauerhaften Friedensordnung in Europa, in der auch die offene deutsche Frage ihre gerechte Lösung finden kann, unentwegt festhält. Die Errichtung einer solchen Friedensordnung setzt eine schrittweise Beseitigung der Spannungsursachen und damit eine Überwindung des Ost-West-Konflikts voraus, was ohne tätige Mitwirkung der Sowjetunion nicht gelingen kann. Eine solche kann unter der gegenwärtigen Kreml-Führung nicht erwartet werden. Andererseits besteht nur dann die Chance, daß dieses Ziel in der Zukunft erreicht wird, wenn das deutsche Volk sich der immer wieder vorgebrachten sowjetischen Forderung nach einer Verewigung der Teilung Deutschlands und Europas durch völkerrechtliche Legitimierung der Grenzziehung zwischen den beiden deutschen Teilstaaten nicht beugt. Als Sprecher gesamtdeutscher Interessen sollte eine Bundesregierung, die an der gesamtdeutschen Zielsetzung festhält, alles tun, um die Sowjetregierung allmählich zum Umdenken und damit zu neuen Einsichten in der deutschen Frage zu veranlassen. Mit einer solchen Wendung wird in der sowjetischen Außenpolitik nur zu rechnen sein, wenn sich ein tiefgehender innerer Wandlungsprozeß in der Sowjetunion vollzieht, der dem inneren Aufbau den Vorrang vor einer imperialistischen Zielsetzung zuweist. Um den Möglichkeiten einer solchen Entwicklung gerecht zu werden, ist es notwendig, dem sowjetischen Entspannungskonzept ein eigenes realistisches Konzept entgegenzustellen. Die Entspannung vollzieht sich nicht nur auf einer zwischenstaatlichen, sondern auch auf einer gesellschaftlichen und damit zwischenmenschlichen Ebene. Wenn die Sowjets im Westen gesellschaftspolitische Veränderungen durch ein "klassenmäßiges Herangehen" an die friedliche Koexistenz anstreben, dann müssen sie nach den Regeln eines Wettbewerbs auch der anderen Seite dieses zugestehen. Schließlich ist es der Sinn eines Ideenkampfes auf der Grundlage einer konkurrierenden Koexistenz, daß durch ihn eine Veränderung des bestehenden politischen und sozialen Status quo mit Hilfe friedlicher Mittel im Rahmen der vom allgemeinen Völkerrecht gesetzten Schranken angestrebt wird. Das Prinzip des "friedlichen Wandels" wird im modernen Völkerrecht, das auf dem allgemeinen Gewaltverbot beruht, ausdrücklich bejaht. Sicht, Berlin 1977, S. 7 ff.; Derselbe: Das Selbstbestimmungsrecht der Völker nach Helsinki und die sowjetische Selbstbestimmungskonzeption, in: Die KSZE und die Menschenrechte, Berlin 1977, S. 139 ff.
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Auch wenn in Ost und West verschiedene Vorstellungen über die mit der Entspannung zu erreichenden Fernziele bestehen, dürfte beiden Seiten die Auffassung eigen sein, daß es sich bei der Entspannung um einen Prozeß handelt, der im Endergebnis zur Beseitigung der Spannungsursachen führen soll. Die Bundesrepublik Deutschland sollte im Einklang mit ihren westlichen Verbündeten klarstellen, daß das Fortschreiten dieses Entspannungsprozesses - abgesehen von der Einhaltung bestimmter Spielregeln im Sinne einer völkerrechtsmäßigen Auffassung von der friedlichen Koexistenz - von einer bestimmten Stufe an, eine bessere Gewährleistung der allgemeinen Menschenrechte und des Selbstbestimmungsrechts der Völker voraussetzt. Nur wenn dies erreicht werden kann, besteht die Möglichkeit, die Entspannung über den Zustand der Begrenzung eines fortbestehenden Grundkonflikts, verbunden mit einer teilweisen Milderung der Spannungen, der den Rückfall in einen Zustand der Hochspannung jederzeit offen läßt, wesentlich hinauszuführen. Der Modifizierung der neuen Ostpolitik 1969 lag die von Egon Bahr entwickelte Formel vom "Wandel durch Annäherung" zugrunde. Diese Formel, die im Sinne der Konvergenztheorie aufgefaßt worden ist, war aus zwei Gründen unrealistisch. Erstens kann die Annäherung auf der staatlichen Ebene einen Anstoß geben, aber niemals einen gesellschaftlichen Wandel bewirken. Zweitens muß die Annäherung zwischen einem freiheitlich-demokratischen und einem totalitären System sehr bald auf unüberschreitbare Schranken stoßen. Diese Formel hat nur dazu geführt, daß der totalitäre Charakter des sowjetischen Einparteisystems unterschätzt und damit der Wille zur geistig-ideologischen Auseinandersetzung mit dem Sowjetkommunismus geschwächt worden ist. In Wirklichkeit hängt die gesellschaftliche Entwicklung in Ost und West von dem Wirken eigenständiger gesellschaftlicher Kräfte und den Ideen und Wertvorstellungen, die sie bestimmen, ab. Die Schaffung einer dauerhaften Friedensordnung in Europa und damit auch die Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands erscheint nur denkbar, wenn sich im Osten Europas ein tiefgehender Wandel vollzieht, der durch eigenständige Reformkräfte bewirkt wird, welche die Ideen von Freiheit und sozialer Gerechtigkeit im Sinne westlicher Wertvorstellungen vertreten. Das Auftreten einer starken Menschenrechtsbewegung in Osteuropa, einschließlich der Sowjetunion38 , und die brisante Nationalitätenproble38 Vgl. H. Brahm: Die sowjetische Dissidenten, in: Beilage zur Wochenzeitung "Das Parlament" vom 18.11.1978, Nr. 46; Derselbe: Sowjetische Dissidenten über Bürokratie und Reform, in: B. Meissner, G. Brunner, R. Lö-
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matik im sowjetischen Vielvölkerstaat lassen erkennen, daß solche gesellschaftlichen Kräfte, die eine Annäherung an den Westen durch eine Systemänderung erreichen wollen, vorhanden sind und trotz aller Rückschläge zunehmend an Bedeutung gewinnen werden. Durch das Eintreten für die freie Bewegung von Menschen, Ideen und Meinungen kann der Westen diesen Prozeß, der langwieriger Natur ist, fördern. Infolgedessen kommt im Hinblick auf das deutsch-sowjetische Verhältnis der Entwicklung der Beziehungen auf der gesellschaftlichen Ebene im Grunde eine größere Bedeutung zu als zwischenstaatlichen Regelungen, die nur einen bestimmten Rahmen abgeben können. Vor allem ist es die Bereitschaft, für die eigenen Wertvorstellungen einzutreten und das Vorbild einer rechtsstaatliehen und sozial gerechten demokratischen Ordnung, die entscheidende Impulse für diesen Wandlungsprozeß vermitteln kann. Somit dürfte "Entspannung durch Wandel" die richtige Formel für eine realistische Entspannungspolitik sein, für die das militärische Gleichgewicht die Ausgangsbasis für die schrittweise Errichtung einer gerechten und daher dauerhaften Friedensordnung in Europa bedeutet. Die deutsche Außenpolitik ist seit Adenauer eine Friedenspolitik gewesen, die auf den Gewaltverzicht beruhte37 • Eine Entspannungspolitik, welche die Gewaltanwendung als Mittel der Politik ausschließt, ist im Zeichen des weiter andauernden Ost-West-Konflikts nur als ein Wettbewerb der gegensätzlichen Systeme, der beiden Parteien die gleichen Chancen einräumt, denkbar. Die Sowjetunion kann nicht für sich allein das Recht zur Einflußnahme in Anspruch nehmen und zugleich ihren eigenen Macht- und Interessenbereich von der Einflußnahme der westlichen Seite ausnehmen. Infolgedessen berechtigt die moralische Unterstützung von gesellschaftlichen Kräften, die in der Sowjetunion und ihrem Hegemonialbereich für eine bessere Gewährleistung der Menschenrechte und des Selbstbestimmungsrechts eintreten, die Sowjets nicht, von einem "entspannungsfeindlichen Verhalten" zu sprechen, so lange dabei die vom allgemeinen Völkerrecht gesetzten Grenzen eingehalten werden. Die Möglichkeit, daß die Reformkräfte in der Sowjetunion nach einem Führungswechsel im Kreml, der sich aus rein biologischen Gründen bald ergeben wird, an Macht gewinnen werden, bildet die eine Möglichkeit, die vom Standpunkt der deutschen Ostpolitik eine hoffnungsvolle Perspektive bedeutet. Es gibt aber auch! wie die bewaffnete wenthal (Hrsg.): Einparteisystem und bürokratische Herrschaft in -der Sowjetunion, Köln 1979, S. 283 ff. _ n Vgl. Die Auswärtige Politik der Bundesrepublik Deutschland, herausgegeben vom Auswärtigen Amt, Köln 1972.
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Intervention in Afghanistan gezeigt hat, militante Kräfte, die vorläufig ein weitaus größeres politisches Gewicht besitzen. Die Möglichkeit, daß diese Kräfte, die wesentlich risikofreudiger sind als die gegenwärtige Kreml-Führung beim kommenden Führungswechsel die Macht erringen könnten, ist nicht völlig auszuschließen. Die deutsche Seite wäre gut beraten, wenn sie auch diese Möglichkeit und die Gefahren, die mit einer solchen Perspektive verbunden sind, zeitig in ihre Überlegungen über die weitere Gestaltung des Verhältnisses zur Sowjetunion einbeziehen würde.
DIE POLITISCHEN BEZIEHUNGEN ZWISCHEN DER DDR UND DER UdSSR* Von Jens Hacker I. Vorbemerkung Als die Staats- und Parteiführung in Ost-Berlin am 7. Oktober 1979 mit großem propagandistischem Aufwand die 30jährige Wiederkehr der Errichtung der DDR feierte, le.gte sie besonderen Wert auf die Feststellung, daß die "erfolgreiche Entwicklung der DDR . . . ohne die Existenz der Sowjetunion und ihre politisdle, ökonomische und militärische Hilfe für unseren Staat nicht denkbar" 1 sei. Wie sehr die DDR der UdSSR und der KPdSU in ihrer gesamten Politik absolute Priorität einräumt, formulierte die Zeitschrift "Deutsche Außenpolitik" so: .,Die Freundschaft mit dem Sowjetvolk ständig zu vertiefen, war und bleibt Kernstück der internationalen Tätigkeit der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands und der Außenpolitik der Deutschen Demokratischen Republikz." Da Ost-Berlin diesem Ziel alle anderen Interessen unterordnet, ist die Außenpolitik der DDR "weitgehend ein Ergebnis und ein Instrument sowjetischer Außenpolitik" 3 • Die richtige Einsicht, daß die Entstehung und Entwicklung der DDR ohne die Hilfe der UdSSR undenkbar ist, verdeutlicht eindringlich die Sonderstellung des "ersten Arbeiter- und Bauern-Staates auf deutschem Boden": "Kein anderer Staat kann dies so von sich behaupten. Sowjetische Einflüsse, politischen Druck oder militärische Intervention hat es zwar in vielen Ostblockländern gegeben, aber nur die DDR verdankt einer solchen Intervention ihre Existenz'." Die politischen Beziehungen zwischen der UdSSR und der DDR sind Gegenstand zahlreicher Untel"SIUchungen über die Außenpolitik beider Länder'l. Darüber hinaus ist 1975 ein von einem Autoren-Kollektiv ver• Das Manuskript erlaßt das Thema bis zum Frühjahr 1980. So Ho Ziebart: Bilanz einer Freundsdlaft, in: Deutsche Außenpolitik 1979, H. 12, S. 5-12 (5). 2 So H. Ziebart, ebenda, S. 12. Vgl. dazu audl 0. Fischer: Dreißig Jahre sozialistische Außenpolitik, in: Deutsche Außenpolitik 1979, H. 10, S. 5-14. 8 So zutreffend J. Nawrocki: Im Schlepptau Moskaus. Eine eigene Außenpolitik kann die DDR nidlt führen, in: Die Zeit vom 8. Februar 1980. ~ So J. Nawrocki, ebenda. 1
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faßter umfangreicher Band über "Deutsch-sowjetische FreundschaftEin historischer Abriß von 1917 bis zur Gegenwart" erschienen8 • Und 1979 brachten anläßlich des 30. Jahrestags der DDR das Institut für Internationale Beziehungen der DDR und die Akademie für Diplomatie des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten der UdSSR gemeinsam eine Studie mit dem Titel "DDR-UdSSR - Zusammenarbeit und Annäherung" heraus7 • Ergänzend sei vermerkt, daß auch zahlreiche Dokumentationen Aufschluß über die Entwicklung der Beziehungen zwischen Ost-Berlin und Moskau vermitteln8 • Angesichts des vielschichtigen Themas muß sich die folgende Analyse darauf beschränken, die wichtigsten Etappen in den Beziehungen zwischen der DDR und der UdSSR in den vergangeneo drei Jahrzehnten herauszuarbeiten. Dabei wird die Periodisierung zugrunde gelegt, die die Grundlage der einschlägigen Monographien der DDR bildet. Sowohl 5 Vgl. vor allem "Geschichte der sowjetischen Außenpolitik 1945 bis 1976". Redaktion: A. A. Gromyko, B. N. Ponomarjow. Der in der 2. Auflage in der DDR erschienene Band basiert auf der 3. erweiterten Auflage der sowjetischen Ausgabe. Berlin (Ost) 1978; Geschichte der Außenpolitik der Deutschen Demokratischen Republik. Abriß. Berlin (Ost) 1968; W. Hänisch: Außenpolitik und internationale Beziehungen der DDR. Band 1: 1945 bis 1955. Berlin (Ost) 1972. Band 2 ist bisher nicht erschienen. W. Hänisch hat 1979 in der Zeitschrift "Deutsche Außenpolitik" eine mehrteilige Analyse zu diesem Thema publiziert: Die Außenpolitik und die internationalen Beziehungen der DDR in den Hauptetappen ihrer Entwicklung. Teil I in: Deutsche Außenpolitik 1979, H . 3, S. 20-39; Teil II (1955-1961), ebenda, H. 4, S. 37-54; Teil III (Die sechziger Jahre), ebenda, H . 5, S. 33-53; Teil IV und Schluß (Vom VIII. zum IX. Parteitag der SED), ebenda, H. 6, S. 27--45; Außenpolitik der DDR - für Sozialismus und Frieden. Hrsg. vom Institut für Internationale Beziehungen an der Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft der DDR. Berlin (Ost) 1974. Breiter Raum wird den Beziehungen zwischen der UdSSR und der DDR auch gewidmet bei 0 . Winzer: Deutsche Außenpolitik des Friedens und des Sozialismus, Berlin (Ost) 1969, P. Florin: Zur Außenpolitik der souveränen sozialistischen Deutschen Demokratischen Republik. Berlin (Ost) 1967. Einzelne Aspekte des Themas werden bis Mai 1964 berücksichtigt in: Zur Außenpolitik der Deutschen Demokratischen Republik. Beiträge von einem Kollektiv des Instituts für Internationale Beziehungen an der Deutschen Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft "Walter Ulbricht". Gesamtredaktion: H. Kröger I W. Hänisch. Berlin (Ost) 1964; 50 Jahre deutsch-sowjetische Beziehungen- 19171967. Sonderheft der "Deutschen Außenpolitik". 1967. 8 Von einem Autoren-Kollektiv . Berlin (Ost) 1975. 7 "Zum 30. Jahrestag der DDR" lautet der weitere Untertitel des Bandes. Berlin (Ost) und Moskau 1979. Die einzelnen Beiträge sind von bekannten Autoren der DDR und der UdSSR verfaßt und auch gezeichnet. 8 Seitens der UdSSR: Dokumente zur Deutschlandpolitik der Sowjetunion. Berlin (Ost), Band I. 1957; Band II. 1963; Band III. 1968. Die Bände erfassen die Zeit von 1945 bis 1965 und sind nicht fortgeführt worden. Seitens der DDR: Beziehungen DDR-UdSSR - 1949 bis 1955. Dokumentensammlung 1. und 2. Halbband. Berlin (Ost) 1975; Dokumente zur Außenpolitik der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik. Berlin (Ost). 1954 ff., ab Band XI (1965) unter dem Titel "Dokumente zur Außenpolitik der Deutschen Demokratischen Republik" fortgeführt.
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für die Arbeiten über die Außenpolitik der DDR als auch die speziellen Schriften über die Beziehungen zwischen Ost-Berlin und Moskau gilt, daß die Jahre von der Errichtung der DDR am 7. Oktober 1949 bis zum Abschluß des "Souveränitäts"-Vertrags vom 20. September 1955 eine Entwicklungsetappe bilden. Während allgemeine Darstellungen über die Außenpolitik der DDR als zweite Entwicklungsphase die Zeit von 1955 bis 1961 umreißen9, bezeichnen die beiden Abrisse über die Beziehungen zwischen der DDR und der UdSSR die Jahre von 1955 bis zum Abschluß des bilateralen Bündnispakts vom 12. Juni 1964 als einen neuen Entwicklungsabschnitt. In Arbeiten, die vor dem 7. Oktober 1979 erschienen sind, wird als dritter entscheidender Einsclmitt das Jahr 1971 mit dem XXIV. Kongreß der KPdSU im März/April und dem VIII. Parteitag der SED Mitte Juni gewertetl0 • Hingegen bezeichnet die von Wissenschaftlern der DDR und der Sowjetunion gemeinsam verfaßte Studie "DDR-UdSSR" die Zeit vom 12. Juni 1964 bis zum erneuerten Bündnispakt vom 7. Oktober 1975 als "neue Etappe in der Zusammenarbeit", der sich die vierte Phase der Beziehungen zwischen der DDR und der UdSSR bis in die Gegenwart anschließt. Für Werner Hänisch bilden die Jahre von 1971 bis zum IX. Parteitag der SED im Mai 1976, der auch das neue Programm der Einheitspartei verabschiedet hat, die vierte Etappe in den Beziehungen zwischen der DDR und der UdSSR11•
9 Vgl. beispielsweise W. Hänisch: Die Außenpolitik ..., (Anm. 5) Teil Il, der den Bau der Mauer in Berlin am 13. August 1961 als Endpunkt der 2. Phase wertet. Das gilt gleichfalls für den Abriß "Geschichte der Außenpolitik der DDR", (Anm. 5). 10 Vgl. "Deutsch-sowjetische Freundschaft", (Anm. 6). Kap. IX: Der Freundschaftsvertrag in Aktion. 11 W. Hänisch: Die Außenpolitik ..., (Anm. 5): Teil IV und Schluß. Eine von den genannten Analysen abweichende Periodisierung hat V. N. Belezki seiner Studie "Die Politik der Sowjetunion in den deutschen Angelegenheiten - 1945-1976". Berlin (Ost) 1977 zugrunde gelegt. Er unterscheidet folgende Phasen: Statt Frieden kalter Krieg (1945-1949); Von der "Berlinktise" bis zum Abschluß der Pariser Verträge (1950--1955); Die Verstärkung des Kampfes der UdSSR, der DDR und der anderen sozialistischen Bruderländer gegen die Gefahr des westdeutschen Militarismus, für den Abschluß der deutschen Friedensregelung und für die Normalisierung der Lage in und um Westberlin (1956-1965); Vom kalten Krieg und der Konfrontation zur Normalisierung der Lage in Europa und zur Errichtung eines wirksamen Systems der Sicherheit und der Zusammenarbeit (1966-1976). Gute Überblicke über die einzelnen Aspekte der Außenpolitik der DDR vermitteln das "DDR-Handbuch". Wiss. Leitung: P. C. Ludz unter Mitwirkung von J. Kuppe. 2., völlig überarb. und erw. Auflage, Köln 1979, S. 91-105 und P. J. Winters: Die Außenpolitik der DDR. in: H.-P. Schwarz (Hrsg.): Handbuch der deutschen Außenpolitik. München I Zürich 1975, S.
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ß. Die Errichtung der DDR im Jahre 1949 Da die drei Westmächte auf der einen und die Sowjetunion auf der anderen Seite sehr unterschiedliche Vorstellungen über die auf der Potsdamer Konferenz vom 17. Juli bis zum 2. August 1945 vereinbarten Ziele der Besetzung Deutschlands hatten, sollte sich in der zweiten Hälfte der vierzi.ger Jahre bald herausstellen, daß eine einheitliche Behandlung Deutschlands nicht möglich war. Die Gegensätze zwischen den Vorstellungen der Westmächte und der UdSSR zeigten sich nicht nur in der Arbeit des Kontrollrats, sondern auch im Rat der Außenminister, der auf der Potsdamer Konferenz beschlossen worden war und eine "friedliche Regelung für Deutschland" vorbereiten sollte. Mit ihrer Politik der Gleichschaltung, der totalen politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Umstrukturierung und der wirtschaftlichen Aus>beutung ihrer Satellitenstaaten und auch der SBZ bereits während der beiden ersten Nachkriegsjahre hat die UdSSR vor allem auf amerikanischer Seite Reaktionen pmvoziert, die 1947 in das ContainmentKonzept, die Politik der Eindämmung des expansiven Sowjetkommunismus, mündeten; Ausdruck dieser neuen Europa-Politik der USA bildeten die Truman-Doktrin, mit der Griechenland und der Türkei geholfen wurde, sowie das breit und großzügig angelegte Programm der Wirtschaftshilfe für Europa, das als Marshall-Plan in die Geschichte eingegangen ist. Spätestens im Frühjahr 1948 waren die drei Westmächte und die UdSSR endgültig zu der Einsicht gelangt, daß ihre Vorstellungen über ein einheitliches Deutschland nicht auf einen einheitlichen Nenner zu bringen waren. Der 20. März 1948 - an jenem Tag verließ die sowjetische Delegation den Alliierten Kontrollrat in Berlin- markiert das Ende der Vier-Mächte-Verwaltung für Deutschland. Stalin wußte das Verhältnis zu den drei Westmächten noch dadurch erheblich zu belasten, daß er im Juni 1948 die vollständige Blockade der drei Westsektoren Berlins anordnete- mit dem Ziel, die drei westlichen Alliierten aus der Stadt zu vertreiben. Stalin hat die entschiedene Haltung der drei Westmächte, vor allem der USA, und den Selbstbehauptungswillen der Berliner Bevölkerung falsch eingeschätzt, so daß er im Mai 1949 die Blockade aufhob. Nicht nur für die vier Besatzungsmächte, sondern auch für die damals in den einzelnen Besatzungszonen maßgeblichen Politiker stand nun fest, daß man aus der Spaltung Deutschlands Konsequenzen ziehen müsse. Obwohl die UdSSR schon vor dem spektakulären Schritt, die Arbeit des Kontrollrats lahmzulegen, entscheidende Vorbereitungen getroffen hatte, auf ihrem Besatzungsgebiet die "DDR" zu errichten, vermochite sie damals den Eindruck zu erwecken, als sei sie nur den Intentionen
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der drei westlichen Alliierten gefolgt, auf dem Territorium ihrer Besatzungszonen einen westdeutschen Staat zu schaffen. Man darf der sowjetischen Führung belcheinigen, daß sie 1948/49 zumindest psychologisch nicht ungeschickt operiert hat. Ernst Deuerlein hat dazu be-merkt: "Die Sowjetunion ließ bei den En1scheidungen der Jahre 1948/49 den Westmächten den Vortritt. Diese führten als erste die Währungsreform durch. Die Sowjetunion zog wenige Tage später nach. Die Westmächte kündigten als erste die Gründung eines westdeutschen Staates an. Die Sowjetunion überließ Vorbereitung und Propagierung eines staatlichen Regimes in Mitteldeutschland dem von der SED bestimmten Block antifaschistisch-demokratischer Parteien. Diese bemühten sich, den Anschein zu erwecken, die Gründung der DDR entspringe spontanem Volkswillen. Die Konstituierung der DDR erfolgte erst vier Wochen nach der Konstituierung der Bundesrepublik Deutschland - ein Umstand, der nicht nur östliche Autoren zu der Behauptung veranlaßt, die Sowjetunion habe niemals an die Schaffung einer staatlichen Organisation in Mitteldeutschland gedacht, sie sei durch das Vorgehen der Westmächte dazu gezwungen worden. Der Termin der späteren Durch,.führung der Währungsreform und der späteren Konstituierung der DDR spricht für diese Ansicht. Diese läßt jedoch die Zielstrebigkeit der seit dem Tage des Selbstmords von Hitler vorgenonunenen Neuordnung unberücksichtigt12." Wenn auch die Errichtung der DDR am 7. Oktober 1949 äußerlich ein "Nachvollzug" war, ihrem Wesen nach war sie "jedoch eine vorgeplante Etappe in der revolutionären Umgestaltung DeutschJands oder wenigstens eines Teiles dieses Landes: Sie war ein Glied in der Entscheidungskette der sowjetischen Deutschlandpolitik" 13• Die Vorgänge der Jahre 1948/49 machen deutlich, daß die sowjetische Führung sehr frühzeitig die Bildung einer separaten staatlichen Organisation auf ihrem Besatzungsgebiet ins Auge gefaßt hat. Aus einem Vergleich der Entstehung der DDR-Verfassung vom 7. Oktober 1949 und des Bonner Grundgesetzes vom 23. Mai 1949 geht hervor, daß entscheidende Schritte nicht in Ost-Berlin, sondern in Bonn "nachvollzogen" wurden. Zwar sprach man in der Sowjetzone im Frühjahr 1948 lauthals von der Einheit Deutschlands, doch waren dies- wie Hans--Peter Schwarz anhand einschlägiger Quellen nachgewiesen hat14 - nur noch "Schein12 E. Deuerlein (Hrsg.): DDR Geschichte und Bestandsaufnahme. München 1966, S. 18 f. 13 So Th. Vogelsang: Das geteilte Deutschland. 5. Auflage. München 1973,
s. 114-119 (119).
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gefechte", da man bereits damals hinter den Kulissen die Gründung eines Separatstaates vorbereitete. Milovan Djilas hat in diesem Zusammenhang eine wichtige Aussage überliefert, die J osef Stalin bereits im Januar 1948 gegenüber einer bulgarischen und einer jugoslawischen Delegation in Moskau gemacht hat. Stalin beschränkte sich nicht auf die Feststellung, daß Deutschland geteilt bleiben würde: "Der Westen wird sich Westdeutschland zu eigen machen, und wir werden aus Ostdeutschland unseren eigenen Staat machen15." In der SBZ wurde schon im März 1948 mit den Verfassungsarbeiten begonnen, während die Länderchefs der Westzonen erst mit der Übergabe der sogenannten Frankfurter Dokumente am 1. Juli 1948 mit der Funktion betraut wurden, eine Verfassung für die spätere Bund~ republik Deutschland auszuarbeiten. Auch die nächsten entscheidenden Schritte zur Konstituierung der DDR erfolgten lange vor ähnlichen Entscheidungen in den drei westlichen Besatzungszonen: Schon Anfang August 1948 wurden die Richtlinien für die Verfassung der späteren DDR, die den Charakter eines Entwurfs hatten, verabschiedet, während der Parlamentarische Rat in Bonn mit seinen Verfassungsarbeiten überhaupt erst am 1. September 1948 begann. Nachdem bis Mitte März 1949 alle Vorbereitungen für die Errichtung der DDR getroffen waren, trat nun - ziemlich unerwartet - eine Pause ein. Lediglich den letzten Schritt wollte man eindeutig im "Nachvollzug" vornehmen. Nun wartete man - vornehmlich aus psychologischen und optischen Gründen - die Entwicklung in den westlichen Besatzungszonen, im Gebiet der entstehenden Bundesrepublik Deutschland, ab. Nachdem sich die Bundesrepublik Deutschland im September 1949 konstituiert hatte, folgte die Errichtung der DDR am 7. Oktober- ein Vorgang, den Stalin seinerzeit bezeichnenderweise als einen "Wendepunkt in der Geschichte Europas" apostrophiert hat: "Wenn Sie so den Grundstein für ein einheitliches, demokratisches und friedliebendes Deutschland legen, vollbringen Sie gleichzeitig ein großes Werk für ganz Europa, indem Sie ihm einen festen Frieden gewährleisten18. " So hat im Herbst 1949 der Ost-West-Konflikt auch seinen staats-und verfassungsrechtlichen Ausdruck in Deutschland gefunden. Aufgrund ihres gesamtdeutschen Anspruchs brachte die Verfassung der DDR vom 7. Oktobrer 1949- im Gegensatz zum Bonner Grundgesetz- an kei14 H.-P. Schwarz: Vom Reich zur Bundesrepublik. Deutschland im Widerstreit der außenpolitischen Konzeptionen in den Jahren der Besatzungsherrschaft 1945-1949. Neuwied und Berlin 1966, S. 275. 1$ M. Djilas: Gespräche mit Stalin. Frankfurt/M. 1962, S. 195. 18 In: Beziehungen DDR-UdSSR. 1. Halb band, (Anm. 8), S. 129. Vgl. im einzelnen über die Entstehung der beiden Gemeinwesen auf deutschem Boden 1949 J. Hacker: Der Rechtsstatus Deutschlands aus der Sicht der DDR. Köln 1974.
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ner Stelle zum Ausdruck, daß sie nur für eine übergangszeit bis zur Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands gelten sollte. Gemäß Artikel 146 verliert das Grundgesetz "seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volk in freier Entscheidung beschlossen worden ist". Eine vergleichbare Bestimmung, in der die Vorläufigkeit der Verfassung postuliert worden wäre, enthielt die erste DDR-Verfassung nicht, da sie den Eindruck eines Defenitivums erwecken wollte. Wenn Autoren in der DDR immer wieder betonen, die DDR sei auf demokratischem Wege und ohne Einflußnahme der sowjetischen Besatzungsmacht entstanden, so verkennen sie gründlich die rechtliche Situation. Aufgrund des 1944/45 von den Alliierten geschaffenen Status Deutschlands nach dessen militärischer Niederringung und der Übernahme der obersten Gewalt durch die vier Mächte konnte auch der Teil des in der SBZ lebenden deutschen Volkes die Bildung einerneuen staatlichen Organisation nicht in eigener Machtvollkommenheit in die Hand nehmen. Zwar ist über den "Auftrag" oder die "Weisung" der sowjetischen Besatzungsmacht an deutsche Stellen in der SBZ nichts bekannt, die Gründung eines staatlichen Gemeinwesens vorzubereiten. Entscheidend ist jedoch, daß die Verfassung der DDR vom 7. Oktober 1949 - ebenso wie das Grundgesetz - durch einen ausdrücklichen Rechtsakt der sowjetischen Besatzungsmacht genehmigt worden ist. Die Genehmigung, die der Oberste Chef der sowjetischen Militärverwaltung in Deutschland, Armeegeneral Tschuikow, am 10. Oktober 1949 dem Verfassungswerk der DDR erteilte, ist eine "rechtlich unerläßliche Bedingung im Erzeugungszusammenhang des Rechtswerkes gewesen'm. Ohne diese Genehmigung durch die sowjetische Besatzungsmacht, die ebenso wie die drei Westmächteaufgrund der Berliner Erklärung vom 5. Juni 1945 Träger der obersten Gewalt in Deutschland war, hätte die erste Verfassung der DDR nicht rechtswirksam werden können.
Am 10. Oktober 1949 sagte Tschuikow, daß ihn die Sowjetregierung beauftragt habe, "im Zusammenhang mit den am 7. Oktober 1949 vom Deutschen Volksrat gefaßten Beschlüssen über die Inkraftsetzung der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik und über die Bildung einer Provisorischen Regierung der Deutschen Demokratischen Republik" in Berlin folgende Erklärung abzugeben: "Angesichts der erwähnten Beschlüsse des Deutschen Volksrats hat die Sowjetregierung beschlossen, der Provisorischen Regierung der Deutschen Demokratischen Republik die Verwaltungsfunktionen zu 17 So F. Ermacora: Berlin Relikt der Einheit Deutschlands?, in: Gedächtnisschrift Hans Peters. Berlin, Heidelberg, New York 1967, S. 490.
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übergeben. die bisher der Sowjetischen Militärverwaltung zustanden. An Stelle der Sowjetischen Militärverwaltung in DeUtschland wird eine Sowjetische Kontrollkommission geschaffen, die die Kontrolle über die Erfüllung der Potsdamer und der anderen Deutschland betreffenden gemeinsamen Viermächtebeschlüsse zur Aufgabe hat18." Daß diese Erklärung der UdSSR unerläßliche Voraussetzung für die Errichtung der DDR ist, hat Ministerpräsident Otto Gratewohl im Anschluß an die Ausführungen Tschuikows offen zugegeben: "Sie gestatten mir, daß ich die Stellungnalune der Regierung zu Ihrer Erklärung, die uns die Möglichkeit zu unserer Arbeit überhaupt erst gibt, in meiner Regierungserklärung darlege .. ;ns. Gratewohl dankte der Regierung der UdSSR "für die befreiende Tat, die dem deutschen Volke wieder eine ei:gene staatliche Entwicklung gewährleistet ... Die befreiende Tat der Sowjetunion, die uns die Bildung einer eigenen deutschen Regierung ermöglichte, verpflichtet uns, in Zukunft noch mehr als bisher für die Freundschaft mit der Sowjetunion einzutreten:eo." Bereits am 15. Oktober 1949 teilte die sowjetische Regierung ihren Beschluß mit, diplomatische Missionen mit der Provisorischen Regierung der Deutschen Demokratischen Republik auszutauschen; zum Chef der Diplomatischen Mission der UdSSR wurde G. M. Puschkin ernannt;!1 • Diesem Schritt der Sowjetunion schlossen sich bis zum April 1950 alle europäischen und asiatischen "Volksdemokratien" an. In einem wichtigen Punkt unterschieden sich die Erklärungen dieser Länder: Einige teilten den Beschluß mit, diplomatische Missionen mit der DDR auszutauschen und die DDR oder die Provisorische Regierung der DDR anzuerkennen. Andere beschränkten sich - wie die UdSSR auf die Feststellung, diplomatische Missionen auszutauschen21• Am 18 Text in: Dokumente zur Außenpolitik der Regierung der DDR (Anm. 8). Band I, S. 229-231 (231). 19 Text, ebenda. 20 Text, ebenda, S. 28 f. Vgl. zum Echo auf die Gründung der DDR und außenpolitischen Programm der Regierung Grotewohl A. Fischer: Außenpolitische Aktivität bei ungewisser sowjetischer Deutschland-Politik (bis 1955), in: Drei Jahrzehnte Außenpolitik der DDR. Bestimmungsfaktoren, Instrumente, A.ktionsfelder. Hrsg. von H.-A. Jacobsen, G. Leptin, U. Scheuner, E. Schulz. München I Wien 1979, S. 51-84 (51-56) mit zahlreichen instruktiven Nachweisen. Aus der Sicht der DDR W. Hänisch: Außenpolitik und internationale Beziehungen der DDR (Anm. 5), S. 32-34. 21 Text des Beschlusses der Sowjetregierung in: Dokumente zur Außenpolitik der Regierung der DDR, ebenda, S. 234. • Vgl. dazu die genauen Nachweise bei J. Hacker (Anm. 16), S. 142 mit den Anm. 65-67. Dazu bemerkt A. Fischer (Anm. 20), S. 53 f.: "Die Allerkennungsbotschaften . . . enthielten keine Anzeichen dafür, daß die DDR als Fortsetzung des Deutschen Reiches und damit als Vertretung Gesamtdeutschlands anerkannt werden sollte. Die Herstellung der Beziehungen
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16. Oktober 1949 erkannte die Sowjetregierung die Ernennung Rudolf Appelts zum Chef der Diplomatischen Mission der DDR in der UdSSR an; Appelt war früher ein führendes Mitglied der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei und in den Jahren 1939 bis 1943 Leiter der Verlagsabteilung der Kommunistischen Internationale (Komintern) und außerdem an der Zusammenstellung deutschsprachiger Sendungen für den Moskauer Rundfunk beteiligF. Auch wenn das Verhältnis der DDR zur UdSSR in den Jahren von 1949 bis zum Abschluß des "Staatsvertrags" vom 20. September 1955 ein besatzungsrechtliches war, neigen neuere Darstellungen über diese erste Phase der Beziehungen zwischen Ost-Berlin und Moskau dazu, den Status der DDR auf eine Ebene zu heben, der weder den rechtlichen noch den politischen Realitäten entsprach. So meint Werner Hänisch, daß mit dem Austausch diplomatischer Missionen "schon wenige Tage nach der Gründung der DDR auch der völkerrechtliche Rahmen für die Entwicklung freundschaftlicher Bemehungen und einer engen Zusammenarbeit zwischen der DDR und der UdSSR als zwei gleichberechtigten Partnern geschaffen" 24 worden sei. Noch einen Schritt auf der Ebene diplomatischer Missionen deutet eher auf die noch distanzierte Form dieser Verbindungen hin." Diese Aussage ist insofern zu undifferenziert, als sich die DDR selbst vom Zeitpunkt ihrer Errichtung an bis 1951 mit dem auch nach ihrer Auffassung nicht untergegangenen Deutschen Reich als identisch betrachtet hat. Erst ab 1951 bildete sich in der DDR die These von der Diskontinuität des deutschen Staates bei Verneinung der Teilrechtsnachfolge des Deutschen Reiches durch die DDR heraus. Vgl. dazu ausführlicher J. Hacker, ebenda, Kap. 5 und 6. 23 Text der Mitteilung der Präsidialkanzlei beim Präsidenten der DDR über die Ernennung von R. Appelt zum Chef der Diplomatischen Mission der DDR in der UdSSR in: Beziehungen DDR-UdSSR (Anm. 8), 1. Halbband, S. 134. Vgl. zur Biographie Appelts J . Radde: Der Diplomatische Dienst der DDR - Namen und Daten. Köln 1977, S. 8; A. Fischer, ebenda, s. 59. N W. Hänisch: Außenpolitik und internationale Beziehungen der DDR, (Anm. 5, S. 39-43 (43). In seiner neuen Untersuchung "Die Außenpolitik ..." (Anm. 5), Teil I, S. 22, konstruiert Hänisch einen engen Zusammenhang von Innen- und Außenpolitik in dieser 1. Phase: "Diese Politik hatte ihre objektive Basis in Gesetzmäßigkeiten und grundlegenden Gemeinsamkeiten des sozialistischen Aufbaus, die die DDR mit der Sowjetunion und den anderen sozialistischen Ländern verbinden. Sie war die entscheidende außen.,. politische Komponente für die Sicherung und Weiterführung der revolutionären Umwälzung und den Aufbau der sozialistischen Gesellschaft und die wichtigste internationale Bedingung dafür, daß die DDR ihren Beitrag zur Gewährleistung von Frieden und Sicherheit in Europa leisten konnte." Vgl. dazu auch "Geschichte und Außenpolitik der DDR - Abriß" (Anm. 5), S. 152; 0. Fischer: Sicherung der günstigsten internationalen Bedingungen für den sozialistischen Aufbau - Grundaufgabe der Außenpolitik der DDR, in: Deutsche Außenpolitik 1980, H. 1, S. 5-22 (6 f.): "Sozialistische Innen- und Außenpolitik bilden eine unlösliche Einheit .. . Die dialektische Einheit von Innen- und Außenpolitik wahren, heißt die neuen und wachsenden Anforderungen des sozialistischen Aufbaus wie der internationalen Klassenauseinandersetzungen meistern. Diese Aufgabe ist ebenso konkret wie aktuell." 10 Grewe u. a.
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weiter geht die von einem Autoren-Kollektiv verfaßte Studie "Deutschsowjetische Freundschaft", in der es heißt: "Die völkerrechtliche Anerkennung der DDR durch zehn sozialistische Staaten Europas und Asiens, in denen über 1 Milliarde Menschen lebten, war eine echte Freundestat. Sie war der erste Schlag gegen die Alleinvertretungsanmaßung der imperialistischen Machthaber der BRD, sicherte dem deutschen Arbeiter- und Bauern-Staat einen machtvollen internationalen Rückhalt und leitete seine feste Einbeziehung in das sozialistische Weltsystem ein25." Beide Aussagen bedürfen der Korrektur: Von einer "gleichberechtigten Partnerschaft" konnte in der ersten Phase der Beziehungen zwischen der DDR und der UdSSR überhaupt keine Rede sein, und wenn man unterstellt, daß Stalin schon ab Mitte Oktober 1949 die "feste Einbeziehung" der SBZ/DDR in das "soziialistische Weltsystem" eingeleitet hat, dann impliziert das die Feststellung, daß der Kreml im Zeitpunkt der Errichtung der beiden Gemeinwesen in Deutschland die politische Spaltung des Landes bereits als "vollendet" angesehen hat. Dann würden die von der UdSSR in der ersten Hälfte der fünfziger Jahre unterbreiteten Vorschläge, die staatliche Einheit Deutschlands wiederherzustellen, zur Makulatur. Mit Recht hat Alexander Fischer dazu bemerkt, daß allem Anschein nach durch drie Einrichtung der diplomatischen Missionen im Jahre 1949 "keine entscheidende Veränderung der bisher schon bestehenden politischen, wirtschaftlichen, kulturellen, wissenschaftlichen und sportlichen Beziehungen" eingetreten sei: "Aus den im weiteren Verlauf der zwischenstaatlichen Kontakte getroffenen vertraglichen Regelungen ergibt sich für die Phase bis 1955 eine eindeutige Priorität der wirtschaftlichen Beziehungen16."
Vgl. auch die Stichwörter "Außenpolitik" und "Außenpolitik der DDR", in: Wörterbuch der Außenpolitik und des Völkerrechts. Berlin (Ost) 1980, S . 64-68. 25 Deutsch-sowjetische Freundschaft (Anm. 6), S. 224. In dem Band "DDRUdSSR (Anm. 7), S. 27, heißt es, daß die DDR und die UdSSR "ihre Zusammenarbeit auf neuer, sozialistischer Grundlage" gestaltet hätten. 16 A. Fischer (Anm. 20), S . 59 f. (60): "Dafür spricht die Entsendung Rudolf Appelts als Missionschef der DDR nach Moskau, der in leitender Funktion der Deutschen Verwaltung für Interzonen- und Außenhandel, einer Abteilung der Deutschen Wirtschaftskommission (DWK), seit dem Frühjahr 1948 Erfahrungen auf dem Gebiet des Außenhandels gesammelt hatte." Vgl. auch die Nachweise bei A . Fischer, ebenda, S . 60, Anm. 47, und J . Radde: Die außenpolitische Führungselite der DDR. Veränderungen der sozialen Struktur außenpolitischer Führungsgruppen. Köln 1976, S. 87.
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ßl. Die 1. Phase der politischen Beziehungen zwischen der DDR und der UdSSR (1949-1955) Die politischen Beziehungen zwischen der DDR und der UdSSR in der Zeit von Mitte Oktober 1949 bis zum 20. September 1955 sollen im folgenden unter drei Teilaspekten analysiert werden: Vorrang gebührt der "Liquidierung des sowjetischen Besatzungsregimes"; der zweite Teilaspekt ergibt sich aus der Problematik der Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands, während der dritte die Anfänge und Ausgestaltung der Zwei-Staaten-These (1953-1955) betrifft.
1. Die "Liquidierung des sowjetischen Besatzungs-regimes" Da gerade in politischen und wissenschaftlichen Darstellungen der DDR der Prozeß der "Liquidierung des sowjetischen Besatzungsregimes" nicht immer korrekt aufgezeigt worden ist, erscheint es angebracht und notwendig, die einzelnen Stadien dieser Entwicklung bis zum 20. September 1955 genau zu untersuchen. Die UdSSR war in jeder Phase dieser Entwicklung, in der sie-nach eigener Ansicht-schrittweise der DDR immer mehr Souveränitätsrechte verlieh, bemüht, einerseits die DDR auf die Einhaltung der Deutschland betreffenden gemeinsamen Vier-Mächte-Beschlüsse, vornehmlich des Potsdamer Abkommens zu verpflichten und andererseits ihre Vorbehaltsrechte selbst beizubehalten. Eng verknüpft ist damit die im staats- und völkerrechtlichen Schrifttum der DDR sehr unterschiedlich beantwortete Frage, seit wann die DDR ein souveräner Staat ist; auch von offizieller Seite liegen dazu sehr unterschiedliche Aussagen vor. Übereinstimmung besteht nur darüber, daß die DDR spätestens mit dem am 6. Oktober 1955 in Kraft getretenen Vertrag über die Beziehungen zwischen der DDR und der UdSSR vom 20. September 1955 den Status eines souveränen Staates besitzt. Am 10. Oktober 1949 übertrug - wie bereits erwähnt - der Oberste Chef der Sowjetischen Militärverwaltung in Deutschland, Anneegeneral Ts.chuikow- der Provisorischen Regierung der DDR die Verwaltungsfunktionen, die bis dahin der Sowjetischen Militärverwaltung zugestanden hatten. Zuvor hatte Ministerpräsident Grotewohl erklärt, "die Arbeit der Regierung wird sich in völliger Übereinstimmung mit den sich auf Deutschland beziehenden Bestimmungen des Potsdamer Abkommens und anderen Deklarationen der Alliierten bewegen"11• Gleichzeitig nahm die sowjetische Regierung am 10. Oktober 1949 zur 27 Text in: Dokumente zur Außenpolitik der Regierung der DDR (Anm. 8). Band 1, S. 228.
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Kenntnis, "daß die Provisorische Regierung der DDR auf dem Boden der Potsdamer Konferenz steht und die Verpflichtungen erfüllen wird, die sich aus den gemeinsam gefaßten Viermächtebeschlüssen ergeben"16. Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch die Erklärung Tschuikows, die er bereits einen Tag später, am 11. November 1949, zur Bildung der sowjetischen Kontrollkommission in Deutschland (SKK) gegeben und die im Schrifttum der DDR nur selten herangezogen oder gar kommentiert worden ist: "Die Aufgabe der Sowjetischen Kontrollkommission besteht in der Kontrolle der Durchführung der Potsdamer Beschlüsse und der anderen von den vier Mächten gemeinsam getroffenen Entscheidungen über Deutschland. Dies bedeutet, daß die Provisorische Regierung der Deutschen Demokratischen Republik ihre Tätigkeit auf Grund der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik in Freiheit ausüben kann, soweit diese Tätigkeit nicht den Potsdamer Beschlüssen und den Verpflichtungen zuwiderläuft, die sich aus den gemeinsamen Beschlüssen der vier Mächte ergeben29." Die Sowjetregierung nahm nochmals die Erklärung der Provisorischen Regierung der DDR zur Kenntnis, "daß sie ihre Regierungstätigkeit auf der Grundlage der Beschlüsse der Potsdamer Konferenz durchführen und die Verpflichtungen erfüllen wird, die sich aus den gemeinsamen Beschlüssen der vier Mächte ergeben." Aus diesen Verlautbarungen ergibt sich die unterschiedliche Entstehungsgeschichte der DDR und der Bundesrepublik Deutschland, die seitens der drei Westmächte 1949 nicht auf die Potsdamer Beschlüsse vom 2. August 1945 verpflichtet worden ist. Noch in einem anderen wichtigen Punkt wird der Unterschied deutlich: Während Tschuikow am 11. November 1949 erklärte, die Sowjetregierung gehe davon aus, "daß die auswärtigen Beziehungen der Deutschen Demokratischen Republik . . . in den Zuständigkeitsbereich der deutschen Behörden fallen"30, behielten sich die drei Westmächte in dem gleichzeitig mit dem Grundgesetz in Kraft getretenen Besatzungsstatut am 10. April 1949 die Befugnisse auf dem Gebiet der auswärtigen Gewalt der Bundesrepublik Deutschland vor1• Nachdem die Außenminister der Westmächte auf ihrer New Yorker Konferenz im September 1950 eine Änderung des Besatzungsstatuts- "unter Beibehaltung der legalen Basis der Besetzung" - und die Ermächtigung der Bundesregierung, ein 18 29 3o
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Text, ebenda, S. 231. Text, ebenda, S. 236. Text, ebenda, S. 237. Text des Besatzungsstatuts in: Europa-Archiv 1949, S. 2074 f.
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Außenministerium zu errichten, angekündigt hattenu, wurde das Besatzungsstatut vom 10. April 1949 erstmals am 6. März 1951 geändert. Auch jetzt behielten sich die drei westlichen Alliierten die Befugnisse auf dem Gebiet "Auswärtige Angelegenheiten einschließlich der von Deutschland oder in seinem Namen geschloosenen internationalen Abkommen"33 vor. Sie gestatteten jedoch der Bundesrepublik Deutschland, die "Pflege der Beziehungen mit anderen Ländern in vollem Umfang" insoweit zu ennöglichen, "als dies mit den Erfordernissen der Sicherheit, mit den anderen vorbehaltenen Befugnissen und den Verpflichtungen der Besatzungsmächte in bezug auf Deutschland vereinbar ist". Mit der "kleinen Revision" des Besatzungsstatuts beschränkten die drei westlichen Besatzungsmächte die Kontrolle und Wahrnehmung der auswärtigen Angelegenheiten auf bestimmte Tatbestände und Ausnahmefälle". Am 15. März 1951 übernahm Bundeskanzler Konrad Adenauer das Außenministerium, das er nach dem Inkrafttreten des Deutschland-Vertragsam 5. Mai 1955 wenige Wochen später, am 7. Juni, Heinrich von Brentano übertrug. Nachdem das Petersberg-Abkommen vom 22. November 1949 zwischen der Alliierten Hohen Kommission und dem Bundeskanzler der Bundesregierung "die schrittweise Wiederaufnahme von konsularischen und Handelsbeziehungen" zugesichert hatte, nahm die Bundesrepublik Deutschland nach dem 6. März 1951 mit zahlreichen Staaten die diplomatischen Beziehungen auf und schloß völkerrechtliche Verträge in eigener Zuständigkeit. Außerdem trat sie einer Reihe internationaler Organisationen bei, vor allem den Sonderorganisationen der Vereinten Nationen (UNO). Zur Weltorganisation entsandte die Bundesrepublik Deutschland einen Botschafter und Ständigen Beobachter5 • In seiner Botschaft vom 13. Oktober 1949 an den Präsidenten der DDR, Wilhelm Pieck, und den Ministerpräsidenten der Provisorischen
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Text in: Europa-Archiv 1950, S. 3406 f. 33 Text in: Europa-Archiv 1951, S. 3829 f. (3829). Vgl. zur Gesamtproblematik G. v. Schmoller: Die Revision des Besatzungsstatutes, in: Europa-Archiv 1951, s. 3919-3927. 34 Vgl. dazu G. Boehmer und H. Walter: Völkerrechtliche Praxis der Bundesrepublik Deutschland 1949 bis 1955, in: Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Bd. 23/1963, S. 175-328 (290 f.). 35 Vgl. die Nachweise ebenda, S. 291 mit Anm. 9. Vgl. über die Errichtung diplomatischer und konsularischer Vertretungen der Bundesrepublik Deutschland im Ausland bis November 1971 die übersieht mit Datums-Angaben in: Die Auswärtige Politik der Bundesrepublik Deutschland. Hrsg. vom Auswärtigen Amt unter Mitwirkung eines wissenschaftlichen Beirats. Köln 1972, S. 929-940; eine übersieht über die Vertretungen bei zwischenund überstaatlichen Organisationen und die Mitgliedschaft der Bundesrepublik Deutschland in internationalen Organisationen, ebenda, S. 94~943. 82
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Regierung der DDR, Otto Grotewohl, anläßlich der Gründung der DDR hatte Stalin die Hoffnung gehegt, die DDR werde "große Sympathie und aktive Unterstützung aller Völker der Welt finden" 36 • Diese Erwartung erwies sich als trügerisch. Da weder die drei westlichen Besatzungsmächte noch die Bundesregierung oder andere Staaten außerhalb des sowjetischen Machtbereichs die Vorgänge auf dem Gebiet Ost-Berlins und der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands als Bildung eines neuen Staates oder einer neuen Regierung anerkannten, blieb der SBZ/DDR - im Gegensatz zur Bundesrepublik Deutschlandüber viele Jahre eine weltweite Anerkennung versagt;37 • Während die drei westlichen Hochkommissare bereits am 10. Oktober 1949 gemeinsam erklärt hatten, die vom Volksrat eingesetzte Regierung der DDR sei ein "künstliches Gebilde", und der Volksrat habe "keinerlei Mandat zur Einsetzung einer Regierung"38, proklamierte Bundeskanzler Adenauer am 21. Oktober 1949 vor dem Bundestag den Alleinvertretungsanspruch, der zu den Kernpunkten der Außen- und DeutschlandPolitik der Bundesrepublik Deutschland gehörte: "Die Bundesrepublik Deutschland ist . . . bis zur Erreichung der deutschen Einheit insgesamt die alleinige legitimierte staatliche Organisation des deutschen Volkes. Hieraus ergeben sich innenpolitische und außenpolitische Folgerungen . . . Die Bundesrepublik Deutschland ist allein befugt, für das deutsche Volk zu sprechen. Sie erkennt Erklärungen der Sowjetzonen nicht als verbindlich für das deutsche Volk an38." Bis Ende Juni 1950 anerkannte oder bestätigte die Sowjetische Kontroll-Kommission "die Ausübung einzelner und spezieller Hoheitsrechte durch die Regierung der DDR" 40, die jedoch von keiner politischen Tragweite waren. Wesentlich gravierender war die Tatsache, daß "die Sowjetunion durcll die SKK auf dem Gebiet der DDR vorerst noch bestimmte Kontroll- und überwachungsfunktionen innehatte, daß wesentliche Festlegungen des Besatzungsrechts zunächst noch weiter in Kraft und daß sowjetische Truppen vorerst weiter als Besatzungstruppen in der DDR blieben" 41 • as Text in: Beziehungen DDR-UdSSR (Anm. 8), 1. Halbband, S. 129. Vgl. dazu ausführlicher A . Fischer (Anm. 20), S. 52 f. 38 Vgl. die Nachweise bei W. G. Grewe: Deutsche Außenpolitik der Nachkriegszeit. Stuttgart 1960, S. 138. Dort zitiert er auch eine Erklärung des Staatssekretärs der Vereinigten Staaten, Dean Acheson, vom 12. Oktober 1949. 38 Text in: Verhandlungen des Deutschen Bundestags. Stenographischer Bericht, 1. Wahlperiode 1949, S. 308. 40 Vgl. die Nachweise bei W. Hänisch: Außenpolitik und internationale Beziehungen der DDR (Anm. 5), S. 290, Anm. 26. 41 So W. Hänisch, ebenda, S. 41. Vgl. dazu auch A. Fischer (Anm. 20), s. 57. 37
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Eine - wie es in DDR-Publikationen heißt- "Lockerung der sowjetischen Besatzungsgewalt" trat knapp drei Monate nach Stalins Tod am 5. Män: 1953 ein. Am 29. Mai 1953 beschloß der Ministerrat der UdSSR, "die Sowjetische Kontrollkommission in Deutschland aufzu'lösen sowie den Oberkommandierenden der sowjetischen Truppen von der Ausübung der Kontrollfunktion in der DDR zu entbinden und seine Tätigkeit auf das Kommando über die sowjetischen Truppen in Deutschland zu beschränken"". Ferner beschloß der Ministerrat der UdSSR, "das Amt eines Hohen Kommissars der UdSSR in Deutschland mit dem Sitz in Berlin zu schaffen und den Hohen Kommissar mit der Vertretung der Interessen der Sowjetunion in Deutschland und der Überwachung der Tätigkeit der staatlichen Organe der DDR im Hinblick auf die Erfüllung der Verpflichtungen, die sich aus den Potsdamer Beschlüssen der alliierten Mächte über Deutschland ergeben, zu betrauen sowie mit der Aufrechterhaltung der entsprechenden Verbindungen mit den Vertretern der Besatzungsbehörden der USA, Großbritanniens und Frankreichs in den Fragen gesamtdeutschen Charakters, die sich aus den vereinbarten Beschlüssen der vier Mächte über Deutschland ergeben" 43 • In DDR-Publikationen wird besonderer Wert auf die Feststellung gelegt, daß die Maßnahmen der Sowjetunion vom Mai 1953 die völkerrechtliche Stellung der DDR weiter gefestigt hätten: "Die Schutzfunktion der sowjetischen Truppen gegenüber der DDR blieb voll aufrechterhalten, was angesichts des verschärften kalten Krieges des Imperialismus gegen die DDR von besonderer Wichtigkeit war. Die Sowjetunion machte auch damit den illusionären Charakter der z. B. von Churchill ausgedrückten imperialistischen Spekulation auf eine ,Preisgabe' der DDR offensichtlich"." 411 Text in: Dokumente zur Deutschlandpolitik der Sowjetunion (Anm. 8), Band I, S. 319. 43 Text, ebenda, S. 319 f.; Text auch in: Beziehungen DDR-UdSSR (Anm. 8), 1. Halbband, S. 433 f. 44 So W. Hänisch: Außenpolitik und internationale Beziehungen der DDR (Anm. 5), S. 184. In den Verhandlungen der Regierungen der DDR und der UdSSR vom 20. bis zum 22. August 1953 wurde auch die Vereinbarung getroffen, die Diplomatische Mission der UdSSR in Berlin und die Diplomatische Mission der DDR in Moskau in Botschaften umzuwandeln und Botschafter auszutauschen. Text in: Dokumente zur Außenpolitik der Regierung der DDR (Anm. 8), S. 283-286 (286). Vgl. dazu auch W. Hänisch, ebenda, S. 192. Am 12. Juni 1954 stimmte die Regierung der DDR der Öffnung von sechs Konsulaten der UdSSR auf ihrem Territorium - und zwar in den Städten Rostock, Frankfurt (Oder), Magdeburg, Chemnitz (Karl-Marx-Stadt), Leipzig und Erfurt - zu. Am 5. Oktober 1954 teilte das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der DDR die Errichtung dieser Konsulate der UdSSR in der DDR mit. Texte in: Beziehungen DDR-UdSSR (Anm. 8), 2. Halbband, S. 674, 709. Mit Recht spricht A. Fischer (Anm. 20), S. 59, Anm. 46, davon, daß es .,im Zuge der neuen Qualität der zwischenstaatlichen Be-
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Einen "entscheidenden Schritt zur Aufhebung ihres Besatzungsvollzog die sowjetische Regierung ein Jahr später mit ihrer Erklärung vom 25. März 1954 über die "Herstellung der vollen Souveränität der Deutschen Demokratischen Republik", in der es hieß: "Die UdSSR nimmt mit der Deutschen Demokratischen Republik die gleichen Beziehungen auf wie mit anderen souveränen Staaten"46 • Die Sowjetregierung umriß ihre Vorbehaltsrechte so: regimes"~
"Die UdSSR behält in der Deutschen Demokratischen Republik die Funktionen, die mit der Gewährleistung der Sicherheit in Zusammenhang stehen und sich aus den Verpflichtungen ergeben, die der UdSSR aus den Viermächteabkommen erwachsen ... Die überwachung der Tätigkeit der staatlichen Organe der Deutschen Demokratischen Republik, die bisher vom Hohen Kommissar der UdSSR in Deutschland wahrgenommen wurde, wird aufgehoben. In übereinstimmung damit werden die Funktionen des Hohen Kommissars der UdSSR in Deutschland auf den Kreis der Fragen beschränkt, die mit der obengenannten Gewährleistung der Sicherheit und mit der Aufrechrt:erhaltung der entsprechenden Verbindungen mit den Vertretern der Besatzungsbehörden der USA, Großbritanniens und Frankreichs in den Fragen gesamtdeutschen Charakters in Zusammenhang stehen und die sich aus den vereinbarten Beschlüssen der vier Mächte über Deutschland ergeben•7 ." Auch jetzt betonte die sowjetische Regierung wiederum, sie habe die Erklärung der Regierung der DDR zur Kenntnis genommen, "daß sie die Verpflichtungen einhalten wird, die sich für die Deutsche Demokratische Republik aus dem Potsdamer Abkommen über die Ent..:. wicklung Deutschlands als eines demokratischen und friedliebenden ziehungen ... zu einer einseitigen Regelung der konsularischen Beziehungen" gekommen sei. ' 5 So E. Oeser und B. Graefrath: Potsdamer Abkommen und deutscher Friedensvertrag, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Humboldt-Universität zu Berlin. Gesellschafts- und Sprachwissenschaftliche Reihe 1966, S. 91-120 (105). " Text in: Dokumente zur Außenpolitik der Regierung der DDR (Anm. 8), Band I, S. 305 und in: Beziehungen DDR-UdSSR (Anm. 8), 2. Halbband, S. 639. Daran schließt sich die Feststellung an: "Die Deutsche Demokratische Republik wird die Freiheit besitzen, nach eigenem Ermessen über ihre inneren und äußeren Angelegenheiten einschließlich der Frage der Beziehungen zu Westdeutschland zu entscheiden." . ' 7 Text in: Dokumente zur Außenpolitik, ebenda, S. 303 f. und in: Beziehungen DDR-UdSSR, ebenda, S. 640. Zu dieser Frage ist in der DDR ein umfangreiches Schrifttum erschienen, das hier nicht rekapituliert werden kann. Vgl. vor allem W. Hänisch: Außenpolitik und internationale Beziehungen der DDR (Anm. 5), S. 228-230; ders. : Die Außenpolitik .. . (Anm. 5), Teil I, S. 36 f.; DDR-UdSSR (Amn. 7), S. 35 f. Vgl. dazu mit zahlreichen weiteren Nachweisen aus der DDR-Literatur J . Hacker (Anm. 16), Kap. 11.
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Staa~ ergeben, sowie die Verpflichtungen, die mit dem zeitweiligen Aufenthalt sowjetischer Truppen auf dem Gebiet der DDR in Zusammenhang stehen" 48 • Die Regierung der DDR bestätigte in ihrer Erklärung vom 27. März 1954 mit den gleichen oder weitgehend übereinstimmenden Wendungen den Rechtsstandpunkt der Sowjetregierung und damit die Vorbehaltsrechte der UdSSR49 •
Im Zusammenhang mit der Erklärung der Sowjetregierung vom 25. März 1954 "reorganisierte" die UdSSR am 19. Juni den Apparat des Hohen Kommissars in Deutschland und reduzierte die Zahl seiner Mitarbeiter um zwei Drittel; gleichzeitig löste sie die Vertretungen des Hohen Kommissars in allen Bezirken der DDR und in Berlin auf'0 • Am 6. August 1954 beschloß die Sowjetregierung, alle Befehle und Anordnungen aufzuheben, die von der Sowjetischen Militär-Administration (SMAD) und von der Sowjetischen Kontroll-Kommission in Deutschland in den Jahren 1945 bis 1953 über Fragen erlassen worden waren, die das politische, wirtschaftliche und kulturelle Leben der DDR betreffen. Auch darin nahm die sowjetische Regierung die Erklärung der Regierung der DDR zur Kenntnis, daß die DDR "die Verpflichtungen einhalten wird, die sich für sie aus dem Viermächteabkommen über die friedliche Entwicklung Deutschlands ergeben"51•
Die Tatsache, daß sich die sowjetische Regierung nach Verhandlungen mit der Regierung der DDR am 22. August 1953 im Einvernehmen mit der polnischen Regierung bereit erklärt hatte, ab 1. Januar 1954 die Erhebung der Reparations-Zahlungen der DDR "sowohl in Form von Warenlieferungen als auch in jeder anderen Form"58 völlig ein48 Text in: Dokumente zur Außenpolitik, ebenda, S. 303 und in: Beziehungen DDR-UdSSR, ebenda, S. 639 f. 49 Text in: Dokumente zur Außenpolitik, ebenda, S. 304-306 und in: Beziehungen DDR-UdSSR, ebenda, S. 641-643. 50 Text in: Dokumente zur Außenpolitik der Regierung der DDR. Band li, Berlin (Ost) 1965, S. 271 und in: Beziehungen DDR-UdSSR, ebenda,
s. 677.
61 Text in: Dokumente zur Außenpolitik, ebenda, S. 274 und in: Beziehungen DDR-UdSSR, ebenda, S. 703 f. 62 Texte des sowjetisch-deutschen Kommuniques und des "Protokolls über den Erlaß der deutschen Reparationsleistungen und über andere Maßnahmen zur Erleichterung der finanziellen und wirtsdlaftlichen Verpflichtungen der DDR, die mit den Folgen des Krieges verbunden sind", in: Beziehungen DDR-UdSSR (Anm. 8), 1. Halbband, S. 462--467. Nicht nur die Frage der Reparationen, sondern auch der als Sowjetisdle Aktiengesellsdlaften (SAG) geführten Betriebe hatten "für eine bestimmte Zeit das Verhältnis bestimmter Teile der Bevölkerung zur Sowjetunion überhaupt und zur sowjetischen Besatzungsmacht insbesondere belastet". So W . Hänisch: Außenpolitik und internationale Beziehungen der DDR (Anm. 5), S. 90. Hinzu kam noch das Problem der Kriegsgefangenen. Vgl. dazu und zu den anderen Kriegsfolgelasten ausführlich A. Fischer (Anm. 20), S. 63-65 mit zahlreichen Nachweisen.
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zustellen, und der Beschluß vom 6. August 1954 veranlaßten Werner Hänisch zu der kühnen Behauptung, damit habe die sowjetische Regierung zum Ausdruck gebracht, "daß die Zeit längst herangereUt war, um die Nachkriegszeit für die DDR auch in rechtlicher Hinsicht zu beenden"53• Als das Präsidium des Obersten Sowjets der UdSSR am 25. Januar 1955 den Erlaß über die Beendigung des Kriegszustandes zwischen der Sowjetunion und Deutschland bekanntgab, betonte es, die Verkündung der Beendigung des Kriegszustandes mit Deutschland ändere nichts an seinen internationalen Verpflichtungen und berühre nicht die Rechte und Pflichten der Sowjetunion, "die sich aus den bestehenden, Deutschland als Ganzes betreffenden internationalen Abkommen der vier Mächte ergeben""· Die Rechte, die sich die UdSSR in ihrer einseitigen Erklärung vom 25. März 1954 vorbehalten hatte, wirkten sich auch auf die Stellung der DDR im Warschauer Pakt aus, der am 14. Mai 1955 als multilaterale Militärorganisation des Ostblocks errichtet worden ist. Da die UdSSR in der DDR die Funktionen behielt, "die mit der Gewährleistung der Sicherheit in Zusammenhang stehen und sich aus den Verpflichtungen ergeben, die der UdSSR aus den Viermächteabkommen erwachsen", blieb die Teilnahme der DDR am Warschauer Pakt in den Grenzen der sowjetischen Erklärung vom 25. März 1954. In Übereinstimmung mit dem Beschluß über die Bildung des Vereinten Kommandos des Warschauer Pakts "stand die DDR unter dem Schutz der Sowjetunion. Nicht nur faktisch, sondern auch rechtlich stellte deshalb der Warschauer Vertrag vom 14. 5. 1955 für die DDR einen ungleichen Vertrag dar. Auf dem Gebiet einer Allianz, nämlich in der Frage der Entscheidung über ihre Sicherheit war die DDR im Zeitpunkt der Gründung der Militärorganisation nicht vollsouverän55." W. Hänisch, ebenda, S. 230. Text in: Dokumente zur Außenpolitik der DDR (Anm. 50), S. 313 f. (314) und in: Beziehungen DDR-UdSSR (Anm. 8), 2. Halbband., S. 825 f. Auch die anderen kommunistischen Staaten haben den Kriegszustand mit "Deutschland" ohne Beschränkung auf die DDR zwischen Februar und Mai 1955 für beendet erklärt; alle haben dabei den Begriff "Deutschland" verwandt. Vgl. mit Nachweisen J . Hacker (Anm. 16), S. 141-143. 55 So A. Uschakow in seiner instruktiven Analyse "Die Sonderstellung der DDR im osteuropäischen Bündnissystem", in: G. Leptin (Hrsg.): Die Rolle der DDR in Osteuropa. Berlin 1974, S. 35-54 (40 f.). Festzuhalten verdient, daß die Regierung der DDR im Zeitpunkt der Errichtung des Warschauer Pakts eine klare gesamtdeutsche Option ausgesprochen hat. Vgl. dazu im einzelnen J. Hacker: Die Vertragsorganisation des Warschauer Pakts und die Rolle der DDR, in: Die Nationale Volksarmee der DDR. München 1980. Erinnert sei auch an das Schreiben des Ministerpräsidenten der DDR an die Regierung der UdSSR mit dem Ersuchen der DDR um Aufnahme der DDR in den Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) vom 26. August 1950, dessen Adressat nicht der im Januar 1949 gebildete RGW, 53
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Es ist daher kein Zufall, daß sich der Warschauer Vertrag, der sich auf die Ziele und Grundsätze der Satzung der Vereinten Nationen bezieht, zwar auf die Prinzipien der Achtung der Unabhängigkeit und der Souveränität der Staaten sowie der Nichteimnischung in ihre inneren Angelegenheiten, nichrt; jedoch auf den Grundsatz der Gleichberechtigung der Staaten beruft. Im Verhältnis zur UdSSR brachte erst der Vertrag über die Beziehungen zwischen der DDR und der Sowjetunion vom 20. September 1955, der den Endpunkt der 1. Phase der politischen Beziehungen zwischen der DDR und der UdSSR und zugleich den Beginn der 2. Entwicklungsetappe bildet, dieses Prinzip zur Geltung. Darin b€stätigten beiden Seiten, "daß die Beziehungen zwischen ihnen auf völliger Gleichberechtigung, gegenseitiger Achtung der Souveränität und der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten beruhen"56• Außerdem wird darin der Passus aus der sowjetischen Erklärung vom 25. März 1954 wiederholt, daß die DDR frei in der Entscheidung über Fragen ihrer Innenpolitik und Außenpolitik, einschließlich der Beziehungen zur Deutschen Bundesrepublik, sowie der Entwicklung der Beziehungen zu anderen Staaten sei. Da der Bereich der Sicherheit im Vertrag vom 20. September 1955 nicht ausdrücklich erwähnt wird, ist nach allgemeinen Grundsätzen zu folgern, daß die Sicherheit weiterhin in die ausschließliche Kompetenz der UdSSR fällt. Diese Auslegung kann sich auf Artikel 2 des Vertrags stützen, in dem beide Seiten vereinbart haben, sich gegenseitig über alle wichtigen internationalen Fragen, also auch und gerade über die der Sicherheit in Europa, zu b€raten57• Auch in dem "Souveränitäts"-Vertrag vom 20. September 1955 behielt sich die Sowjetunion ihre aus den gemeinsamen Abmachungen der Alliierten stammenden Rechte ausdrücklich vor. So heißt es in der Präambel: " ... Unter Berücksichtigung der Verpflichtungen, die die Deutsche Demokratische Republik und die Sowjetunion gemäß den internationalen Abkommen, die Deutschland als Ganzes betreffen, haben ..." sondern die UdSSR war. Darin heißt es: "Wir bitten, bei der Stellungnahme zu unserem Antrag über die Aufnahme in den Rat zur Kenntnis zu nehmen, daß die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik ihre Wirtschaftspolitik mit Blick auf ganz Deutschland durchführt, also auch die wirtschaftlichen Interessen Westdeutschlands bei ihrer Außenhandelspolitik mit berücksichtigt." Text in: Beziehungen DDR-UdSSR (Anm. 8), 1. Halbband, S. 231-234 (233 f.). Vgl. dazu A. Uschakow: Institutionelle Formen der Wirtschaftsbeziehungen zwischen der DDR und der UdSSR, in: Deutschland-Archiv 1980, H. 5, S. 518-529 (519 f .). 56 Text in: Dokumente zur Außenpolitik der Regierung der DDR. Band III. Berlin (Ost) 1956, S. 281. 57 Vgl. dazu A. Uschakow (Anm. 55), S. 41 f.
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Am selben Tage beschloß die Sowjetregierung, die Hohe Kommission in Deutschland aufzulösen: "Dem Botschafter der UdSSR in der Deutschen Demokratischen Republik sind die Funktionen der Aufrechterhaltung der entsprechenden Verbindungen zu den Vertretern der USA, Großbritanniens und Frankreichs in der Deutschen Bundesrepublik, die sich aus den Beschlüssen der vier Mächte über Gesamtdeutschland ergeben, übertragen worden ...18• Außerdem wird in dem Beschluß festgestellt, daß in der DDR die Beschlüsse des Kontrollrats für Deutschland "bezüglich der Umgestaltung des gesellschaftlichen Lebens auf friedlicher und demokratischer Grundlage verwirklicht worden sind"; unter Berücksichtigung der in der DDR "bestehenden Gesetzlichkeit, die ein weiteres Inkraftbleiben der erwähnten Beschlüsse überflüssig macht, hat der Ministerrat der UdSSR beschlossen, daß die in den Jahren 1945 bis 1948 in Ausübung der Besatzungsrechte der vier Mächte vom Kontrollrat in Deutschland erlassenen Gesetze, Direktiven, Befehle und anderen Verordnungen auf dem Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik ihre Gültigkeit verlieren". Auch hier behielt sich jedoch die UdSSR ihre Rechte ausdrücklich vor: "Die Außerkraftsetzung der erwähnten Verordnungen des Kontrollrates auf dem Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik berührt nicht die Rechte und Verpflichtungen der Sowjetunion gegenüber Gesamtdeutschland, die sich aus den entsprechenden Beschlüssen der vier Mächte ergeben." Daß es die Sowjetunion auch nach dem Abschluß des "Souveränitäts"-Vertrags mit der DDR mit der Aufrechterhaltung ihrer Vorbehaltsrechte in der Deutschland-Frage ernst meinte, geht auch aus ihrer Antwortnote vom 18. Oktober 1955 auf den Protest der drei Westmächte gegen die 'Übertragung von Hoheitsrechten auf die DDR hervor. Darin heißt es: "Es versteht sich von selbst, daß die Regierungen der Sowjetunion und der Deutschen Demokratischen Republik beim Abschluß des ... Vertrags (vom 20. September 1955, J. H.) die Verpflichtungen in Betracht zogen, die beide Seiten gemäß den gültigen internationalen Abkommen haben, die Deutschland als Ganzes betreffen69." überblickt man den Prozeß der "Liquidierung des sowjetischen Besatzungsregimes", dann stellt sich die Frage, wann die DDR nach ihrem eigenen Selbstverständnis in der Zeit von Mitte Oktober 1949 bis zum 20. September 1955 souverän geworden ist. Marschall von Eiebersteins Text (Anm. 56), S. 284 f . 69 Text in: Europa-Archiv 1955, S. 8361 f. (8362). Vgl. dazu mit zahlreicmon Stellungnahmen aus der DDR-Literatur J. Hacker (Anm. 16), S. 241-249. 58
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Feststellung, "wohl die einhellige Meinung in der DDR"80 werte als maßgeblichen Akt der Herstellung der Souveränität der DDR die Erklärung der Sowjetregierung vom 25. März 1954, ist nicht richtig. Es sind drei Gruppen von Autoren zu unterscheiden, die quantitativ ungefähr gleich stark sind. Die erste Gruppe geht davon aus, die DDR sei bereits mit dem Zeitpunkt ihrer Konstituierung am 7. OktOber 1949 souverän geworden; nur in der Ausübung ihrer Souveränität sei sie beschränkt gewesen. Alle von diesen Verfassern zur Begründung herangezogenen Argumente vermögen nicht zu überzeugen. Sie sind allein mit dem Hinweis zu entkräften, daß in der "Souveränitäts"-Erklärung vom 25. März 1954 nicht davon gesprochen wird, von jetzt an sei die DDR in der Ausübung ihrer Souveränität nicht mehr beschränkt. Hingegen hieß es darin - um es noch einmal zu wiederholen - , daß die UdSSR die "gleichen Beziehungen aufnimmt wie mit anderen soveränen Staaten". Die zweite Meinungsgruppe sieht in der Erklärung der sowjetischen Regierung vom 25. März 1954 den entscheidenden Rechtsakt für die Herstellung der Souveränität der DDR. Wenn die DDRaufgrund dieser Verlautbarung souverän geworden ist, stellt sich die Frage, zu welchem Zweck dann noch die Souveränität der DDR im Vertrag vom 20. September 1955 "bestätigt" worden ist. Die einzige logische Antwort müßte lauten: Der erste Rechtsakt war eine einseitige Erklärung, mit welcher der DDR die Souveränität "verliehen" wurde; die "Bestätigung" der Souveränität im zweiseitigen Vertrag vom 20. September 1955 sollte keine neuen Rechtswirkungen erzeugen, sondern nur den Rechtsakt vom 25. März 1954 von der einseitigen auf die zweiseitige Ebene transponieren. Diese Begründung liest man im DDR-Schrifttum jedoch nicht. Die dritte Meinungsgruppe bedient sich einer modifizierten Form der vornehmlich von Joachim Peck, einem bekannten Staats-und Völkerrechtler der DDR, entwickelten These vom "historischen Prozeß", indem sie die Akte vom 25. März 1954 und 20. September 1955 als stufenweise Übertragung der Souveränität auf die DDR wertet81• Was den völkerrechtlichen Status der DDR betrifft, so sind die gelegentlich im Schrifttum der Bundesrepublik Deutschland vertretenen eo W. Marschall von Bieberstein: Zum Problem der völkerrechtlichen Anerkennung der beiden deutschen Regierungen. Ein Beitrag zur Diskussion über die Rechtslage Deutschlands. Berlin 1959, S. 85, Anm. 72. Unzutreffend auch D. Blumenwitz: Grundlagen eines Friedensvertrages mit Deutschland. Ein völkerrechtlicher Beitrag zur künftigen Deutschlandpolitik. Berlin 1966, S. 113, Anm. 78, der von der "weit überwiegenden Meinung in der DDR" spricht. 61 Vgl. dazu die genauen Nachweise für alle Meinungsgruppen bei J. Hakker (Anm.16), S. 228-265.
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Auffassungen verfehlt, nach denen die Vorbehaltsrechte der UdSSR durch den Vertrag vom 20. September 1955 weggefallen seien oder daß die Bundesrepublik Deutschland größeren Einschränkungen unterworfen sei als die DDR; eb€nsowenig kann der These zugestimmt werden, nach der die UdSSR am 20. September 1955 die Souveränität auf die DDR vorbehaltlos übertragen habe, da der Vorbehalt nur in der Präambel des Vertrags enthalten sei. Wer so argumentiert und sich dabei nur auf Artikel! des Vertrags bezieht, übersieht die in der Präambel klar verankerten Vorbehaltsrechte. Über den rechtlichen Wert von Präamb€ln heißt es in Artikel 31, Ziffer 2 der Wiener Konvention üb€r das Vertragsrecht vom 23. Mai 1969: "Der Zusammenhang für die Auslegung eines Vertrages umiaßt neben dem Text einschließlich seiner Präambel und seiner Annexe ..."61• Außerdem muß der Vertrag vom 20. Septemb€r 1955 in engem Zusammenhang mit den anderen Dokumenten des gleichen Tages, vor allem mit dem Beschluß der sowjetischen Regierung über die Auflösung der Hohen Kommission, gewertet werden, in dem noclunals unmißverständlich die Vorbehaltsrechte der UdSSR formuliert worden sind. Ein Vergleich zwischen den Vorbehaltsrechten der UdSSR gegenüber der DDR und der drei Westmächte gegenüber der Bundesrepublik Deutschland führt zu dem Ergebnis, daß die USA, Großbritannien und Frankreich - im Gegensatz zur sowjetischen Seite - in dem am 5. Mai 1955 in Kraft getretenen Deutschland-Vertrag ihre Vorbehaltsrechte definiert und präzisiert haben. Die Vorbehalte des Deutschrland-Vertrags beziehen sich gemäß Artikel2 auf die bisher von den Westmächten "ausgeübten oder innegehabten Rechte und Verantwortlichkeiten in bezug auf Berlin und auf Deutschland als Ganzes einschließlich der WiederveTeinigung Deutschlands und einer friedensvertraglichen Regelung". Die in der Erklärung der Sowjetregierung vom 25. März 1954 enthaltenen Vorbehaltsrechte stehen nicht unabhängig und gleichrangig nebeneinander, sondern sind - wie Wilhelm Grewe ausgeführt hat- in einer schwer überschaubaren Weise miteinander verknüpft und ineinander verschachteJt63 • Die im DeutschlandVertrag genau umschriebenen Vorbehaltsrechte sind teilweise auch im Moskauer Vertrag vom 20. September 1955 berücksichtigt worden, "jedoch in charakteristisch verschwommenen Formulierungen" 64 • Die im Vertrag vom 20. September 1955 verwandte Formel - die "Deutschland als Ganzes" betreffenden Verpflichtungen - bedarf der u Vgl. dazu J. Hacker, ebenda. S. 270--272. 83 So W. G. Grewe (Anm. 38), S. 129-136 (129). 64 So W. G. Grewe, ebenda, S . 134. Vgl. zur Frage der Stationierung westlicher Streitkräfte in der Bundesrepublik Deutschland und der sowjetischer Truppen in der DDR mit Nachweisen J. Hacker (Anm. 16), S. 267-279.
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Auslegung. Diese Interpretation kann nur die Sowjetunion vornehmen, da es gemäß dem Vertrag kein unparteiisches Schiedsgericht gibt, wie es der Deutschland-Vertrag in Artikel9 kennt. Zwar ist auch nach dem Deutschland-Vertrag der Inhalt der Vorbehaltsrechte der drei Westmächte nicht justiziabel. Wohl aber entscheidet das Schiedsgericht selbst darüber, ob eine bestimmte Maßnahme in das Gebiet der Vorbehaltsrechte fällt, "so daß einer uferlosen Ausweitung der Vorbehaltsrechte vorgebeugt wird"~~&. Hier liegt ein wesentlicher Unterschied zwischen den Vorbehaltsrechten der UdSSR und den drei Westmächten, da erstere - im Gegensatz zu letzteren - praktisch ein "ausschließliches Auslegungsmonopol" 66 besitzt.
2. Die Problematik der Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands Eine Analyse der politischen Beziehungen zwischen der DDR und der UdSSR darf nicht außer acht lassen, daß mit der Konstituierung der Bundesrepublik Deutschland und der Gründung der DDR im Jahre 1949 die "deutsche Frage" nichts von ihrer internationalen Dimension verlor. Für die Wiedervereinigung der beiden nicht-souveränen Staaten in Deutschland blieben auch ab 1949 die Vier Mächte verantwortlich, die auch in der Folgezeit immer wieder proklamiert haben, daß die staatliche Einheit Deutschlands wiederhergestellt werden müsse. Die von den Alliierten unternommenen Versuche waren jedoch auch jetzt zum Scheitern verurteilt, da beide Seiten nach wie vor von sehr unterschiedlichen Grundpositionen ausgingen: Die drei Westmächte, uie von Anfang an in der Bundesrepublik Deutschland die allein legitimierte staatliche Organisation des deutschen Volkes sahen und den Anspruch der Bundesregierung, als Vertreterin des deutschen Volkes für Deutschland auch international zu sprechen, anerkannt haben, konnte die Wiedervereinigung nur durch eine freie gesamtdeutsche Willensentscheidung eingeleitet werden. Die UdSSR hingegen vertrat - dabei von der DDR-Regierung unterstützt - die Auffassung, daß zunächst ein gesamtdeutsches Gremium gebildet werden müsse und daß Wahlen in Deutschland erst später stattfinden sollten67• Ein weiterer wichtiger Streitpunkt bildete die Frage, in welchem Zeitpunkt ein Friedensvertrag mit Deutschland beschlossen und wie es daran beteiligt werden sollte68 • Die dritte, immer wieder erörterte Streitfrage So W. G. Grewe, ebenda, S. 132. So W. G. Grewe, ebenda. 61 Das dazu von westlicher und östlicher Seite vorliegende umfangreiche Schrifttum kann hier nicht rekapituliert werden. Sehr nützlich ist dazu vor allem die umfassende synoptische übersieht bei W. Weber und W. Jahn: Synopse zur Deutschlandpolitik 1941 bis 1973. Göttingen 1973. 65
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bezog sich auf den politischen und militärischen Status eines wiedervereinigten Deutschland69 • Hier soll die Diskussion über diese vielschichtige Problematik nicht rekapituliert, sondern nur die Ergebnisse der neueren zeithistorischen Forschung wiedergegeben werden, die mit einigen Legenden schonungslos aufräumt, die lange Zeit immer wieder unkritisch in zahlreichen Studien übernommen worden sind. Ob in der ersten Hälfte der fünfziger Jahre - vor allem 1952 und in der kurzen Phase nach Stalins Tod am 5. März 1953 bis Mitte Juni 1953 - wirklich eine Chance vertan worden ist, ein wiedervereinigtes Deutschland mit dem Status einer bewaffneten Neutralität zu erreichen, wird noch für lange Zeit die zeitgeschichtliche Forschung beschäftigen. Nicht zu verkennen ist, daß in mehreren, in den letzten Jahren verfaßten Analysen der Haltung der drei Westmächte, Stalins "Angebot" nicht zu prüfen, wesentlich mehr Verständnis entgegengebracht wird als in der Zeit, in der man Adenauers klaren und unmißverständlichen Standpunkt mit dem Schlagwort "Politik der verpaßten Chancen" zu diffamieren versucht hat. Zunächst ist mit Nachdruck darauf hinzuweisen, daß nicht der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland, sondern die drei Westmächte Adressat der Noten Stalins aus dem Frühjahr 1952 gewesen sind. Wenn früher Adenauer immer wieder wegen seiner entschieden negativen Haltung gegenüber Stalins "Angebot" getadelt worden ist, dann wurde immer übersehen, daß er gegenüber den drei westlichen Besatzungsmächten nur eine beratende Funktion ausüben konnte. Es ist das Verdienst Hermann Gramls, daß er in seiner ausführlichen und ausgewogenen Studie "Nationalstaat oder westdeutscher Teilstaat" Stalins Noten aus dem Jahre 1952 und die öffentliche Meinung in der Bundesrepublik Deutschland analysiert und, soweit wie möglich, alle relevanten Äußerungen herangezogen hat. Graml hat auf einen Aspekt hingewiesen, der in vielen, in der Bundesrepublik Deutschland verfaßten Untersuchungen gar nicht oder viel zu wenig beachtet worden ist: 68 Diese Problematik stand im Mittelpunkt der Jahrestagung des Göttinger Arbeitskreises 1973. Vgl. dazu vor allem B. Meissner: Die Frage des Friedensvertrages mit Deutschland seit Potsdam; J. Hacker: Die Vorstellungen der DDR über die friedensvertragliche Regelung mit Deutschland. In: Jahrbuch der Albertus-Universität zu Königsberg/Pr. Band XXIII/1973. Berlin 1973. 69 Diese Problematik behandelte der Göttinger Arbeitskreis auf seiner Jahrestagung 1971. Vgl. dazu die Beiträge von B. Meissner: Die Stellung der Sowjetunion zu einer europäischen Friedens- und Sicherheitsordnung; J. Hacker: Die Vorstellungen der DDR über eine europäische Sicherheitsund Friedensordnung. In: Jahrbuch der Albertus-Universität zu Königsberg/Pr. Band XXI/1971. Berlin 1971.
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" ... ist evident, daß die amerikanische Regierung nicht einen Augenblick daran dachte, die Organisierung der westeuropäischen Verteidigung zu unterbrechen und auf die Einbeziehung der Bundesrepublik in die Verteidigungsgemeinschaft zu verzichten. Nach den Erfahrungen, die sie in der Vergangenheit mit sowjetischen Verhandlungsmethoden gemacht hatte und gerade eben bei den Waffenstillstandsbesprechungen in Korea wie bei den Auseinandersetzungen um den Österreichischen Staatsvertrag abermals machte, war es auch begreiflich, daß die amerikanische Regierung das sowjetische Angebot als durchsichtiges Manöver wertete, mit dem nur eine ausgedehnte und höchstwahrscheinlich völlig ergebnislose Verhandlungsrunde eingeleitet werden sollte; ob bis zum vorhersehbaren Scheitern einer langen Konferenz die mühsam erreichte Zustimmung der westeuropäischen Länder, namentlich Frankreichs, und die Zustimmung der Westdeutschen selbst zur Wiederbewaffnung der Bundesrepublik zu konservieren sein würde, konnte in der gegebenen Situation immerhin bezweifelt werden70." Graml hat sich dabei mit Recht auf die Erinnerungen des damaligen amerikanischen Außenministers Dean Acheson "Present at the Creation"71 berufen. Auch Andreas Hillgruber hat in seinem instruktiven Beitrag "Adenauer und die Stalin-Note vom 10. März 1952" nachdrücklich betont, daß die Ablehnung der Stalin-Note durch die USA- völlig unabhängig von der Stellungnahme Adenauers oder auch der beiden europäischen Westmächte- von vornherein festgestanden habe72. Hinzuzufügen bleibt nur, daß aufgrund ihrer Erfahrungen mit der UdSSR in den Jahren bis Anfang 1952 die Haltung der USA mehr als verständ"70 H. Graml: Nationalstaat oder westdeutscher Teilstaat. Die sowjetischen Noten vom Jahre 1952 und die öffentliche Meinung in der Bund~srepublik Deutschland, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 1977, S. 821-864 (842 f.). (842 f.).
71 D. Acheson: Present at the Creation. My Years in the State Department. New York 1969, S. 630. 72 A. Hillgruber: Adenauer und die Stalin-Note vom 10. März 1952, in: Konrad Adenauer und seine Zeit. Politik und Persönlichkeit des ersten Bundeskanzlers. Band II: Beiträge der Wissenschaft. Stuttgart 1976, S. 111130 (126 f.): "So wie die Interessenlage der weltpolitischen Kontrahenten USA und Sowjetunion 1952 in Europa nun einmal war, hätte auch eine andere Haltung Adenauers, die auf einer weniger vertrauensvollen Einstellung gegenüber Amerika und den Westmächten insgesamt beruht und den Versuch unternommen hätte, diese auf einen Kurs des Arrangements mit Stalin auf eine Art ,mittleren' Linie in Gestalt eines von den Vier Mächten garantierten Status eines wiedervereinigten Deutschland zu drängen, die USA nicht zum Rückzug aus der Bundesrepublik bewegen können. Das Verhältnis zu den Westmächten wäre dadurch nur belastet worden, die Bundesrepublik bei Beharren auf dieser Alternative mit großer Wahrscheinlichkeit weiter unter Besatzungsstatut gehalten worden. Sie wäre in die Rolle eines einseitig abhängigen Satelliten versetzt worden, statt - mit zunehmender Tendenz - in die auf wechselseitige Abhängigkeit beruhende Stellung eines gleichberechtigten Verbündeten hineinzuwachsen."
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lieh war. Die Amerikaner waren 1952 nicht mehr bereit, sich die Eingliederung der Bundesrepublik Deutschland in das westliche Verteidigungssystem durch eine Verzögerungstaktik Stalins kaputtmachen zu lassen. Wenn man auch darüber streiten kann, ob Bundeskanzler Adenauer damals die Noten Stalins immer verbal geschickt behandelt hat, so entsprach sein Votum völlig dem der wichtigsten westlichen Macht. Da die negative Haltung der Vereinigten Staaten gegenüber dem "Angebot" Stalins von vornherein feststand und sie nicht bereit waren, um eine treffende Formel Wilhelm Grewes zu übernehmen, zu prüfen, ob die Noten der UdSSR überhaupt einen "seriösen KernM3 besessen haben, sind zahlreiche, in der Bundesrepublik Deutschland seit 1952 erschienene Analysen und auch Stellungnahmen führender Politiker, vor allem aus dem Jahre 1958, zur Makulatur geworden. Bundeskanzler Adenauer handelte- wie Waldemar Besson in seiner Studie "Die Außenpolitik der Bundesrepublik" zutreffend bemerkt hat - "im Sakro egeoismo der Staatsräson der Bundesrepublik, weil er für die Zukunft von 50 Millionen Westdeutschen den schlüpfrigen Weg der Neutralisierung fürchtete" 74• Nur sollte sich Adenauers Hoffnung, mit dem Abschluß der Westverträge und einer "Politik der Stärke" die Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands zu erreichen, nicht erfüllen. Er konnte 1952 nicht ahnen, "wie kurz angesichts des Rüstungswettlaufs zwischen West und Ost die Zeitspanne war, die für die machtpolitische Möglichkeit einer so grundlegenden Veränderung der europäischen Landkarte, wie sie ihm vorschwebte, noch verblieb" 76• Was die sowjetische Deutschland-Politik in der kurzen Phase nach Stalins Tod am 5. März 1953 bis Mitte Juni 1953 angeht, so erscheint auch bei der Interpretation dieser Vorgänge höchste Vorsicht geboten. Soviel steht fest: Im Kreml hat man damals ernsthaft überlegt, ob es sinnvoll sei, mit der bisherigen Politik gegenüber und in der DDR fortzufahren. Es gibt eine Reihe glaubwürdiger Zeugen, die in jenen Mona18 So W. G. Grewe in seinem Korreferat zu dem Referat von H.-P. Schwarz: Die deutschlandpolitischen Vorstellungen Konrad Adenauers 1955-1958, in: Rhöndorfer Gespräche. Band 2: Entspannung und Wiedervereinigung Deutschlandpolitische Vorstellungen Konrad Adenauers 1955-1958. Hrsg. von H.-P. Schwarz, Stuttgart 1979, S . 41-54 (41). 74 W. Besson: Die Außenpolitik der Bundesrepublik. Erfahrungen und Maßstäbe. München 1970, S. 122-134 (129). 75 So A. Hillgruber (Anm. 72), S. 127. Weitere Nachweise bei J. Hacker: Deutsche unter sich. Politik mit dem Grundvertrag. Stuttgart 1977, S. 27-29 mit Anm. 51. Der SED-Führung schien die sowjetisdle Deutschland-Politik im Frühjahr 1952 zu elastisch gewesen zu sein, was aus den damaligen Stellungnahmen Ost-Berlins und aus einem Aufsatz W. Ulbrichts in der "Prawda" vom 6. August 1967 hervorgeht. Vgl. dazu J. Hacker: Reminiszenzen an 1952, in: SBZ-Archiv 1967, S. 257 f.
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ten verantwortungsvolle Positionen in Ost-Berlin innehatten und nach ihrem überwechseln in die Bundesrepublik Deutschland berichtet haben, daß vor allem Lawrenti P. Berija und Georgij Malenkow damals weitreichende Konzessionen in der Deutschland-Politik erwogen nahen und da:bei von dem neuen sowjetischen Hochkommissar Semjonow sowie von wichtigen Mitgliedern der SED-Führung - wie dem Staatssicherheitsminister Wilhelm Zaisser und dem Chefredakteur des "Neuen Deutschland", Rudolf Herrnstadt - unterstützt worden Slin.d. Sie sollen bereit gewesen sein, Ulbricht als "Repräsentanten der stalinistischen Fraktion in der SED 7JU entmachten und eine Wiedervereinigung Deutschlands ins Auge zu fassen, die den westlichen Vorstellungen weit, wenngleich nicht vollständig entgegengekommen wäre"70• Nach einer weit verbreiteten Auffassung haben die miserable ökonomische Situation der DDR und die durch Stagnation geprägte Politik Stalins gegenüber den drei Westinächten diese Richtung im Kreml vornehmlich veranlaßt, in der deutschen Frage einen flexibleren Kurs zu steuern. Die von den Nachfolgern Stalins eingeleitete Politik des "Neuen Kurses" hatte nicht nur weitreichende innen-, sondern auch außen{>Olitische Auswirkungen, auf die weder die Führung noch die Bevölkerung der DDR vorbereitet waren. So kollidierte mit dem "Neuen Kurs" die am 28. Mai 1953 für die DDR verfügte Erhöhung der Arbeitsnormen: Die Empörung über die ausbeuterische Maßnahme veranlaßte Bauarbeiter in Ost-Berlin am 16. Juni 1953 zu einer Demonstration, die am 17. Juni in den allgemeinen Aufstand gegen das SED-Regime mündete. Nikita S. Chruschtschow hat in seiner Rede vom 8. März 1963 sowohl Berija als auch Malenkow vorgeworfen, daß sie im Frühjahr 1953 bereit gewesen seien, "die DDR als sozialistischen Staat zu liquidieren und der SED zu empfehlen, auf die Losung des Kampfes für den Aufbau des Sozialismus zu verzichten'077• Es erscheint höchste Vorsicht geboten, dieser Interpretation der Vorgänge im Jwli 1953 vorbehaltlos und kritiklos zu folgen. Da der Aufstand in der SBZ am 17. Juni Berijas Sturz unmittelbar vorausgegangen war, lag es nahe, "diesen Prestigeverlust einer verfehlten Politik des Gestürzten zuzuschreiben"78• Ob 76 So A. Fischer (Anm. 20), S. 58, unter Berufung auf E. Nolte: Deutschland und der Kalte Krieg. München I Zürich 1974, S. 346. Vgl. dazu auch M. Croan: Entwicklung der politischen Beziehungen zur Sowjetunion seit 1955, in: Drei Jahrzehnte Außenpolitik der DDR (Anm. 20), S. 347-379 (351 f.). Die umfangreiche Literatur, die inzwischen zur Vorgeschichte und zum Verlauf des 17. Juni 1953 in der DDR vorliegt, kann hier nicht rekapituliert werden. Vgl. dazu vor allem C. Stern: Ulbricht - Eine politische Biographie. Köln I Berlin 1963, S. 165-185; A. Baring: Der 17. Juni 1953. Mit einem Vorwort von Richard Löwenthal. Köln I Berlin 1965. 77 Text der Rede in: Prawda vom 10. März 1963; dt. Obersetzung (Auszug) in: Ost-Probleme 1963, S. 294.
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dies wirklich die Absicht Berijas und auch Malenkows gewesen ist, läßt sich keinesfalls aus den bis heute vorliegenden Quellen mit Sicherheit schließen. Die Rolle, die der im Juli 1953 seiner Ämter enthobene, dann verhaftete und im Dezember physisch liquidierte Berija bei der Formulierung der sowjetischen Außenpolitik Anfang der fün.fzrl.ger Jahre gespielt hat, ist bis heute keinesfalls geklärt. Es erscheint nicht ausgeschlossen, daß er möglicherweise die Verwirklichung der Politik des "Neuen Kurses" U1bricht nicht zugetraut und deshalb dafür Spitzenfunktionäre wie Zaisser und Herrnstadt vorgesehen hat. Auf jeden Fall ist es recht spekulativ, wenn Richard Löwenthai meint, der 17. Juni 1953 habe nicht nur eine "Krise der sowjetischen, sondern eine verpaßte Chance der westlichen Politik"78 bezeichnet. Die nach dem Tod Stalins höchst unübersichtlichen Machtverhältnisse im Kreml waren nicht dazu angetan, die Westmächte zu einer diplomatischen Initiative mit dem Vorschlag zu veranlassen, die UdSSR möge ihre Besatzungszone in Deutschland aufgeben und die Wiederherstellung der staatlichen Einheit des Landes unter westLichem Vorzeichen zulassen. Seitens der UdSSR lag bis Mitte Juni 1953 keine diplomatische Initiative in dieser Richtung vor. Doch selbst wenn Berija und möglicherweise auch Malenkow zu einem grundlegenden politischen Kurswechsel bereit gewesen sein sollten, stellt sich zumindest die Frage, inwiefern diese weitreichende Entscheidung in dem knappen Zeitraum realisiert werden sollte. Auf jeden Fall ist das Ulbricht-Regime durch das Eingreifen der sowjetischen Besatzungsmacht am 17. Juni 1953 gerettet worden80• Auch die Diskussion, ob in der Zeit seit Mitte 1953 bis zum Frühjahr 1955 eine Chance verpaßt worden ist, Deutschland unter dem Status einer bewaffneten Neutralität wiederzuvereinigen, ist nur noch theoretischer Natur. Um einen interessanten Aspekt hat Gerd Bucerius die Diskussion um die "verpaßten Gelegenheiten" oder "die Chance, die keine war", bereichert. In seinem Buch "Der Adenauer- Subjektive Beobachtungen eines unbequemen Weggenossen" hat er festgehalten: 78 So G. Stökl: Russische Geschichte- Von den Anfängen bis zur Gegenwart. 3. erw. Auflage. Stuttgart 1973, S. 762 f. 7D R. Löwenthai in seinem Vorwort zu A. Baring: Der 17. Juni (Anm. 76), S.16. 80 Vgl. dazu auch H. Brandt: Ein Traum, der nicht entführbar ist. Mein Weg zwischen Ost und West. München 1967, S. 207-247; ders.: Die sowjetische Deutschlandpolitik im Frühsommer 1953 aus der Sicht fortschrittlicher Kräfte in der SED, in: Osteuropa 1965, S. 369-377; W. Leonhard: Kreml ohne Stalin. Köln 1959, S.109-112; W. Osten: Die Deutschlandpolitik der Sowjetunion in den Jahren 1952/53, in: Osteuropa 1964, S. 1-13; B. Meissner: Die Sowjetunion und die deutsche Frage, 1949-1955, in: Dietrich Geyer (Hrsg.): Osteuropa-Handbudl: Sowjetunion Außenpolitik 1917-1955. Köln I Wien 1972, S. 473-501 (484 f.) mit den Nachweisen in den Anm. 64-67.
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"Einen gibt es, der nicht zu vermuten, sondern zu wissen meint, Stalin sei es mit der Wiedervereinigung nicht ernst gewesen. Bruno Kreisky, damals Staatssekretär im Österreichischen Außenministerium und Architekt des ,Staatsvertrages', der Osterreich aus der Besatzung entließ, hat 1954 seinen sowjetischen Verhandlrungspartner Molotow gefragt, ob nicht für Deutschland eine ähnliche Lösung wie für Österreich möglich sei. Molotow, erzählte Kreisky mir vor kurzem, hat abgelehnt: ,Die Deutschen waren zweimal mit Waffengewalt in unserem Lande, die Neutralität Osterreichs läßt sich mit einem Papier sichern. Die Neutralität Deutschlands nicht'81."
3. Anfänge und Ausgestaltung der Zwei-Staaten-These (1953-1955) Während die Zwei-Staaten-These in der sowjetischen DeutschlandPolitik in ihrer heutigen Form erst 1955 entwickelt word~m ist, gibt es maßgebliche Politiker der DDR, die bereits 1953 von zwei Staaten in Deutschland gesprochen haben. SED-Chef Ulbricht benutzte - soweit ersichtlich - diese Formel zum ersten Mal in seiner Rede auf der 16. Tagung des Zentralkomitees der SED am 17. September 1953, um sie dann vor der Volkskammer am 25. November 1953 zu wiederholen. Doch fällt auf, daß in jenen Jahren noch nicht konsequent diese Auffassung vertreten worden ist. In wichtigen Dokumenten bis in die erste Jahreshälfte 1955 hinein wurde auch die Formel "beide Teile Deutschlands" verwandt. Erst nach der Gipfelkonferenz der Regierungschefs der vier Mächte vom Juli 1955 gab die DDR die Formel von den "beiden Teilen Deutschlands" endgültig au:F. Die Auffassung, nach der in Deutschland zwei souveräne, voneinander tmabhängige, gleichwertige tmd gleichgewichtige Staaten existierten, wird von sowjetischer Seite in der seitdem gültigen tmd kompromißlosen Form erst seit der Genfer Gipfelkonferenz vom Juli 1955 vertreten. Dennoch lassen sich bereits auf der Berliner Konferenz der vier Außenminister von Januar/Februar 1954 die ersten Ansätze dieser Konzeption feststellen, auch wenn dort noch nicht ausdrücklich von "zwei Staaten" gesprochen worden ist. Bis zu diesem Zeitptmkt sprach die UdSSR rumeist von "Ost- tmd Westdeutschland". Festruhalten gilt vor allem, daß die UdSSR am 25. Januar 1955 den Kriegszustand zwischen der Sowjetunion und Deutschland für beendet erklärt hat. In dem Erlaß des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR ist von den "Interessen der Bevölkerung sowohl Ost- als auch Westdeutschlands" die Rede; und an anderer Stelle wird ausgeführt, "deutsche Staatsbürger" seien nicht mehr als "Bürger eines feindlichen Staates·" zu st 82
Harnburg 1975. S. 70. Vgl. dazu im einzelnen mit Nachweisen J. Hacker (Arun.16), S. 133-136.
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betrachten. Auch die anderen kommunistischen Staaten haben den Kriegs7JUStand mit "Deutschland" ohne Beschränkung auf die DDR zwischen Februar und Mai 1955 für beendet erklärt83• Während Ministerpräsident Bulganin am 23. Juli 1955 in Genf von "ZJWei Deutschland" und der "beiden Teile Deutschlands" gesprochen hatte, stellte Chruschtschow erstmals die These von der Existenz "zweier Staaten" auf dem Territorimn Deutschlands auf der Rückfahrt von der Genfer Gipfelkonferenz am 26. Juli 1955 in Ost-Berlin auf84• Wie sehr jedoch die UdSSR am Deutschland-Begriff festhielt, verdeutlichte die offizielle TASS-Erklärung vom 15. September 1955, in der die sowjetische Regierung zu den von deutscher Seite vorgebrachten Vorbehalten bei der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Bonn und Moskau Stellung bezog. Wichtig und neu war die Feststellung, daß die Sowjetregierung die Bundesrepublik als einen "Teil Deutschlands" und die DDR als "einen anderen Teil Deutschlands" bezeichnet hatN. IV. Die 2. Phase: Vom "Staatsvertrag" bis zum Abschluß des ersten Bündnispakts der DDR (1955-1964) In der offiziellen Propaganda Ost-Berlins wird der Beginn der 2. Phase der Außenpolitik und der internationalen Beziehungen der DDR für die Jahre von 1955 bis 1961 so umschrieben: "Die Mitgliedschaft der DDR im Warschauer Vertrag und der Vertrag vom 20. September 1955 mit der UdSSR waren Ausdruck der festen Verankerung der DDR in der Gemeinschaft der sozialistischen Staaten88." Diese Interpretation erscheint zumindest verkürzt, da die UdSSR und die DDR im Vertrag vom 20. September 1955 als ihr "Hauptziel" erklärt haben, "auf dem Wege entsprechender Verhandlungen eine friedliche Regelung für ganz Deutschland herbeizuführen. In Übereinstimmung hiermit werden sie die erforderlichen Anstrengungen für eine friedensvertragliche Regelung und die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands auf friedlicher und demokratischer Grundlage unternehmen". 81 Texte und Erläuterungen bei H. Mosler und K . Doehring: Die Beendigung des Kriegszustands mit Deutschland nach dem zweiten Weltkrieg. Köln I Berlin 1963, S. 402-419. Vgl. dazu auch oben die Angaben in Anm. 54. 84 Vgl. dazu die Nachweise bei J . Hacker (Anm. 16), S . 136-139 mit den Anm. 39-41. 85 Text der Erklärung in: Europa- Archiv 1955, S. 8279. Vgl. dazu ausführlicher J. Hacker, ebenda. 80 So W . Hänisch: Die Außenpolitik und die internationalen Beziehungen der DDR (Anm. 5), Teil II, S. 40. Vgl. über die Entwicklung der Beziehungen zwischen der DDR und der UdSSR in dieser Phase auch "DDR-UdSSR" (Anm. 7), S. 40-55; Deutsch-sowjetische Freundschaft (Anm. 6), Kap. VIII.
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Schon im Zeitpunkt der Errichtung des Warschauer Paktsam 14. Mai 1955 hatte die DDR-Führung großen Wert auf die Feststellung gelegt, "die Stimme ganz Deutschlands vor der Welt Zlll erheben. Die Delegation der DDR hat darum vor der Konferenz in Warschau die Bedeutung des Problems der Wiedervereinigung Deutschlands behandelt" und dort folgende Erklärung abgegeben: "Im Hinblick auf das Ziel des Vertrages, den Frieden und die Sicherheit in Europa zu gewährleisten, sieht die Regierung der DDR in dem Vertrag eine große Unterstützung des deutschen Volkes in seinem Streben nach friedlicher und demokratischer Wiedervereinigung Deutschlands. Die DDR sieht nach wie vor die Wiedervereinigung Deutschlands auf friedlicher und demokratischer Grundlage als ihre und des ganzen deutschen Volkes Hauptaufgabe an und wird alles tun, um die Wiedervereinigung Deutschlands zu beschleunigen. Bei der Unterzeichnung des vorliegenden Vertrages über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand geht die Regierung der DDR davon aus, daß das wiedervereinigte Deutschland von den Verpflichtungen frei sein wird, die ein Teil Deutschlands in militärpolitischen Verträgen und Abkommen, die vor der Wiedervereinigung abgeschlossen wurden, eingegangen isfl7." In seinem Bericht über den Abschluß des Warschauer Vertrags vor der Volkskammer am 20. Mai 1955 fügte Ministerpräsident Grotewohl ausdrücklich hinzu, daß diese Erklärung durch Aufnahme in das Schlußkommunique der Warschauer Konferenz "unter Zustimmung aller Vertragschließenden anerkannt" 88 worden sei. Auch wenn sich Gratewohls Hinweis anhand des Schlußkommuniques der Warschauer Konferenz vom 14. Mai 1955 nicht verifizieren läßt89, verdient die klare gesamtdeutsche Option der DDR im Zeitpunkt der Errichtung der Warschauer Allianz Beachtung8°. 81 So Ministerpräsident 0. Gratewohl in seinem Bericht über den Warschauer Vertrag vor der Volkskammer am 20. Mai 1955. Text in: Dokumente zur Außenpolitik der Regierung der DDR (Anm. 50), Band Il, S. 246. Vgl. dazu und zur gesamtdeutschen Option, die die DDR im Zeitpunkt ihrer Aufnahme in den RGW geltend gemacht hat, oben die Angaben in Anm. 55. 88 Text in: Dokumente ..., ebenda, S. 246 f. 88 Text des Schlußkommuniques in: Neue Zeit (Moskau), Nr. 21 vom 21. Mai 1955, S. 61 f.; Dokumente zum Warschauer Vertrag (1954-1961). 2. ergänzte Auflage. Berlin (Ost) 1962, S. 56-58; Die Organisation des Warschauer Vertrages- 1955-1975. Dokumente und Materialien. Hrsg. vom Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der Deutschen Demokratischen Republik. Berlin (Ost) 1975, S. 21. 80 Vgl. zur Stellung der DDR im Warschauer Pakt im einzelnen J . Hacker: Die Vertragsorganisation des Warschauer Pakts und die Rolle der DDR, in: Die Nationale Volksarmee der DDR. München 1980.
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Die zweite Phase der politischen Beziehungen zwischen der DDR und der UdSSR wird vornehmlich durch die Folgen des XX. Parteikongresses der KPdSU vom Februar 1956, der durch die Zertrümmerung des "Stalin-Mythos" durch Chruschtschow gekennzeichnet ist, den Abschluß des Vertrags über die zeitweilige Stationierung sowjetischer Truppen in der DDR vom 12. März 1957, durch die von Chruschtschow Ende 1958 provozierte zweite Berlin-Krise, den am 10. Januar 1959 vom Kreml vorgelegten Entwurf eines Friedensvertrags mit Deutschland und die Drohung, mit der DDR notfalls eine separate Friedensregelung zu treffen, sowie durch den Bau der Mauer in Berlin im August 1961 markiert". Während sich die Führungen der einzelnen Volksdemokratien veranlaßt sahen, aus den Ergebnissen des XX. Parteitages der KPdSU unterschiedliche Konsequenzen für die eigene Partei zu ziehen, brachte es Ulbricht, der von allen Spitzenfunktionären am meisten mögliche Folgen der Zerstörung des Stalin-Mythos durch Chruschtschow fürchten mußte, fertig, verbal am schärfsten zu "entstalinisieren", ohne in der Praxis Entstalinisierung zu treiben. Ulbricht bewies, wie sehr er aus seiner ersten schweren Krise nach Stalins Tod im Frühjahr 1953 gelernt hatte. Dieses Mal entschied er sich, die "neue Linie" selber sofort bekanntzugeben, "seinen Vorgesetzten im Kreml notwendigen Tribut zu zollen und erst danach geschickt, klug und vorsichtig eine Entstalinisierung in der DDR soweit wie möglich zu verhindern"u. Das neue Bild, das Ulbricht nun im März 1956 über Stalin vermittelte, war ein Meisterstück seiner Flexibilität und Anpassungsfähigkeit. Ulbricht, für den Stalin einst "der größte lebende Theoretiker des wissenschaftlichen Sozialismus" und der "größte Wissenschaftler der Gegenwart" war, dessen Lebenswerk noch "Jahrhunderte die Entwicklung des Weltgeschehens" 93 beeinflussen werde, bescheinigte Stalin zwar nach dem TodeLenins "bedeutende Verdienste beim Aufbau des Sozialismus": "Als sich Stalin jedoch später über die Partei stellte und den Personenkult pflegte, erwuchsen der KPdSU und dem Sowjetstaat daraus bedeutende Schäden94." 91 Vgl. dazu aus der Sicht der DDR und der UdSSR ausführlich "Deutschsowjetische Freundschaft" (Anm. 6), Kap. VIII; DDR-UdSSR (Anm. 7), Kap. III; W. Hänisch: Die Außenpolitik und die internationalen Beziehungen der DDR . . . (Anm. 5), Teil II und III, S. 33-36. Die Problematik der europäischen Sicherheits- und Friedensordnung bleibt im folgenden unberücksichtigt. Vgl. dazu näher J. Hacker (Anm. 69), S. 157-167. 82 So zutreffend C. Stern (Anm. 76), S. 185-187 (187). 83 Zit. bei C. Stern, ebenda, S. 188. 94 W. Ulbricht: über den XX. Parteitag der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, in: Neues Deutschland vom 4. März 1956 und SBZ-Archiv 1956, s. 76---78 (77).
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Ulbrichts Opportunismus und Zynismus sowie seine Art, die StalinÄra neu zu "interpretieren" und mit dem Versuch zu verbinden, die eigene stalinistische Vergangenheit völlig zu verdrängen, und sch.Ueßlich seine mangelnde Bereitschaft, aus seiner verbalen Verdammung Stalins praktische Folgen für die Politik zu ziehen, waren nicht geeignet, die in Funktionärskreisen der SED ausgelöste Unsicherheit und Verwirrung zu besänftigen. Die in breiten Kreisen der Bevölkerung gehegten Hoffnungen auf positive Maßnahmen im Zeichen der Entstalinisierung wurden bitter enttäuscht. Dabei darf allerdings nicht übersehen werden, daß keine Volksdemokratie von der UdSSR so abhängig war wie Walter Ulbrichts "Deutsche Demokratische Republik". Die SED-Führung konnte sich gar keine Politik im Innem leisten, die das von sowjetischen Truppen gestützte Regime auch nur im geringsten hätte gefährden oder in Frage stellen können. So seblr Chruschtschow auch die Staats- und Parteiführung in Ost-Berlin in ein Dilemma gestürzt hat, so sehr konnte er sich darauf verlassen, daß die "Genossen" in Ost-Berlin nichts unternehmen würden, was die Bindungen an die UdSSR hätte lockern können. Schließlich trug auch die frische Erinnerung an den fehlgeschlagenen Aufstand vom Juni 1953 entscheidend dazu bei, den Gedanken an irgendeine gewaltsame Veränderung von vomherein auszuschließen. Als die UdSSR im Herbst 1956 nach dem politischen Umschwung in Polen und der Niederschlagung der Volkserhebung in Ungarn durch sowjetische Truppen daran ging, ihren Führungsanspruch durchzusetzen und die Einheit des "sozialistischen Lagers" wiederherzustellen, erwies sich die DDR als ein zuverlässiger Verbündeter. Die sowjetische Regierung hatte in ihrer programmatischen Erklärung vom 30. Oktober 1956 über die Beziehungen der UdSSR zu den anderen "sozialistischen" Staaten einen Rahmen abzustecken versucht, in dem sich die künftigen Beziehungen bewegen sollten. Dieses Dokument wurde wenige Tage nach dem "polnischen Oktober" und unmittelbar vor der zweiten und entscheidenden Intervention der Sowjetunion in Ungarn veröffentlicht. Die Erklärung vom 30. Oktober 1956 war nicht nur unter ökonomischen, sondern auch und gerade unter militärischen Aspekten von großer Tragweite. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte die UdSSR Truppen in Polen, Rumänien, der DDR und Ungarn stationiert. In ihrer Erklärung vom 30. Oktober 1956 hatte die sowjetische Regierung ausgeführt, daß sich in übereinstimmung mit dem Warschauer Vertrag vom 14. Mai 1955 und mit Regierungsabkommen sowjetische Einheiten in Ungarn und Rumänien befänden. In Polen seien sowjetische Trup-
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peneinheiten aufgrund des Potsdamer Abkommens vom 2. August 1945 und des Warschauer Vertrags vom 14. Mai 1955 stationiert: ,.In den anderen Ländern der Volksdemokratie befinden sich keine sowjetischen Truppenteile'~."
Obwohl sich in der SBZ/DDR immer starke sowjetische Truppeneinheiten befunden haben, wurde sie hier in das ,.Angebot" nicht mit einbezogen - wohl deshalb, da für den Kreml die DDR auch nach dem ,.Souveränitäts"-Vertrag vom 20. September 1955 einem Sonderstatus unterlag. In Artikel 4 des Vertrags vom 20. September 1955 hatten die UdSSR und die DDR ausdrücklich festgelegt: ,.Die zum gegenwärtigen Zeitpunkt in Übereinstimmung mit den bestehenden internationalen Abkommen auf dem Gebiet der DDR stationierten sowjetischen Truppen verbleiben zeitweilig in der DDR mit Zustimmung der Regierung der DDR zu Bedingungen, die durch eine zusätzliche Vereinbarung zwischen der Regierung der DDR und der Regierung der UdSSR festgelegt werden." Bis zum Abschluß des Warschauer Vertrags bildeten das Potsdamer Abkommen und die ihm zugrunde liegenden Vereinbarungen der Alliierten aus den Jahren 1944/45 die einzige Rechtsgrundlage für die Stationierung sowjetischer Streitkräfte in der SBZ/DDR. Der Warschauer Pakt ist dann als weitere Rechtsgrundlage hinzugekommen. Nach Verhandlungen zwischen der Sowjetunion und der DDR vom 4. bis zum 7. Januar 195798 schlossen die Regierungen beider Staaten am 12. März 1957 ein Abkommen "über Fragen, die mit der zeitweiligen Stationierung sowjetischer Streitkräfte auf dem Territorium der Deutschen Demokratischen Republik zusammenhängen". Während in den Truppen-Verträgen der UdSSR mit Polen vom 17. Dezember 1956, Rumänien vom 15. April 1957 und Ungarn vom 27. Mai 1957 die Bestimmungen über die zahlenmäßige Stärke, die Bewegungen und die Übungen sowie Manöver sowjetischer Truppen außerhalb ihrer Standorte auf dem jeweiligen Territorium nur wenig voneinander abweichen und der jeweiligen Regierung ein weitreichendes Mitspracherecht gewähren, ist dies bei der DDR nicht der Fall, da ihr kein Recht auf Mitsprache, sondern nur auf vage Beratung konzediert worden ist91• Dies zeigt, daß die UdSSR auch nach der von ihr verkündeten und am 20. September 1955 vollzogenen Liquidierung des Besatzungsregimes die DDR gesondert behandelt hat. u Text in: Europa-Archiv 1956, S. 9388 f . (9388). 98 Text der gemeinsamen Erklärung in: Neues Deutschland vom 8. Januar 1957 und SBZ-Archiv 1957, S. 24-26. 97 Texte und eine vergleichende Analyse der Truppen-Verträge bei B. Meissner (Hrsg.): Der Warschauer Pakt. Dokumentensammlung. Köln 1962.
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Der Tschechoslowakei und Bulgarien blieben diese Probleme erspart. Aus der Tschechoslowakei hatte Stalin auf Vorschlag des amerikanischen Präsidenten Truman die sowjetischen Streitkräfte gleichzeitig mit den amerikanischen bereits Anfang Dezember 1945 zurückgezogen. Aus Bulgarien zog sich die Rote Armee 1947 zurück. Der zwischen der UdSSR und Rumänien geschlossene Truppen-Vertrag wurde hinfällig, als der Politische Beratende Ausschuß des Warschauer Pakts, das politische Führungsorgan, am 24. August 1958 in Moskau den in seinen Auswirkungen weitreichenden Beschluß faßte, die in Rumänien befindlichen sowjetischen Truppen in der allernächsten Zeit abzuziehen. Es sollte die Führung der DDR nicht mit Stolz erfüllen, daß im "Bruderland" Tschechoslowakei nach der gewaltsamen Beendigung des "Prager Frühlings" durch fünf Mitgliedstaaten des Warschauer Pakts sowjetische Truppen aufgrund des Vertrages vom 16. Oktober 1968 stationiert sind98, dessen Bedingungen noch härter sind als die im Vertrag der UdSSR mit der DDR vom 12. März 1957. Auch in der Zeit bis Anfang der sechziger Jahre verliefen die Beziehungen zwischen Moskau und Ost-Berlin reibungslos. Die Führung der DDR wußte der Kreml auf seiner Seite, als er im November 1958 mit seinem außerordentlich scharf und kompromißlos formulierten Berlin-Ultimatum den Versuch unternahm, die drei Westmächte aus Berlin zu vertreiben und aus West-Berlin eine "Freie Stadt" zu machen. Ebenso durfte sich die sowjetische Führung des vorbehaltlosen Beifalls der SED-Führung sicher sein, als sie am 10. Januar 1959 den bisher letzten Entwurf eines Friedensvertrags mit Deutschland unterbreitete, da dieser auf der mehrfachen Teilung Deutschlands basierte und den Vorschlag wiederholte, Berlin (West) den Status einer entmilitarisierten freien Stadt zu geben••. Prüft man die Beziehungen der UdSSR zur DDR von Ende 1960 bis zum XXII. Kongreß der KPdSU im Oktober 1961, dann schien es, daß SED-Chef Walter Ulbricht mit der außen- und innenpolitischen Linie des Kreml weitgehend zufrieden war. In einem zentralen Punkt jedoch hat Chruschtschow die SED-Führung bitter enttäuscht, da er sein im November 1958 erstmals formuliertes Berlin-Ultimatum immer wieder verlängerte und sich auch nicht zu den ebenfalls mehrfach angekündigten Abschluß eines separaten Friedensvertrages mit der DDR bereitfand. Schließlich konnte sich die Hoffnung Ost-Berlins darauf 08 Dt. Text in: Dokumentation der Zeit 1968, H. 419, S. 25-28 und in: Europa-Archiv 1968, S. D 589-594. 99 Text in: Die Sowjetunion heute, Beilage zu Nr. 3 vom 20. Januar 1959 und Europa-Archiv 1959, S. D 21-33. über die Ende 1958 einsetzende aggressive Phase der sowjetischen Deutschland-Politik und speziell den Entwurf eines Friedensvertrages liegt eine umfangreiche Literatur vor. Vgl. dazu die Nachweise bei J. Hacker (Anm. 16), S. 380-393; ders.: (Anm. 68).
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gründen, daß in dem im "Neuen Deutschland" vom 6. Dezember 1960 veröffentlichten Dokument des kommunistischen "Weltkonzils" ausdrücklich die Forderung enthalten war, einen Friedensvertrag mit Deutschland zu schließen und West-Berlin in eine entmilitarisierte freie Stadt zu verwandeln100• Mit der "Lösung der Westberlinfrage" hatte es die sowjetische Führung nach dem Bau der Mauer im August 1961 nicht mehr eilig. Erinnert sei noch einmal daran, daß die Regierungen der Warschauer Pakt-Mächte nach ihrer Tagung am 5. August 1961 eine Erklärung abgaben, in der sie sich an die Volkskammer, die Regierung und an alle Werktätigen der DDR mit dem Vorschlag wandten, "an der Westberliner Grenze eine solche Ordnung einzuführen, durch die der Wühltätigkeit gegen die Länder des sozialistischen Lagers zuverlässig der Weg verlegt und rings um das ganze Gebiet West-Berlins einschließlich seiner Grenze mit dem demokratischen Berlin, eine verläßliche Bewachung und eine wirksame Kontrolle gewährleistet wird" 101 • Diese Verlautbarung wurde erst am 14. August 1961, also einen Tag nach dem Beginn des Baus der Mauer quer durch Berlin, veröffentlicht. Gleichzeitig wurde die innerdeutsche Demarkationslinie in eine weitgehend unüberwindliche Grenze zwischen dem "sozialistischen Lager" und dem "imperialistischen Staatenblock" umgewandelt. Am 15. Juni 1961 hatte SED-Chef ffibricht auf einer internationalen Pressekonferenz in Ost-Berlin noch auf eine Frage geantwortet: "Ich verstehe Ihre Frage so, daß es in Westdeutschland Menschen gibt, die wünschen, daß wir die Bauarbeiter der Hauptstadt der DDR dazu mobilisieren, eine Mauer aufzurichten. Mir ist nicht bekannt, daß eine solche Absicht besteht1011." Chruschtschow schreckte jedoch nicht davor zurück, die SED-Führung noch einmal im Stich zu lassen: Auf dem XXII. Kongreß der KPdSU zog der sowjetische Parteichef das ffitimatum, mit der DDR noch im Jahre 1961 eine separate Friedensregelung zu treffen, zurück, ohne jedoch in der Sache zu Konzessionen bereit zu sein103• Als sich Ulbricht vor dem 14. Plenum des Zentralkomitees der SED vom 23. bis zum 26. November 1961 über die Ergebnisse des XXII. Kongresses der Text in: SBZ-Archiv 1961, S. 12. Text in: Neues Deutschland vom 14. August 1961 und bei B. Meissner (Hrsg.) (Anm. 97), S. 203 f. (204). 10% Text in: Neues Deutschland vom 16. Juni 1961 und SBZ-Archiv 1961, S.196. Vgl. dazu H. Schimanski: Ulbricht riegelt Berlin ab, in: SBZ-Archiv too
101
1961,
s. 249-251.
Dt. Text der Rede Chruschtschows in: Ost-Probleme 1961, S. 732 f. Vgl. dazu H. Schimanski: Der XXII. Parteitag, in: SBZ-Archiv 1961, S. 345347; I. Spittmann: Ulbricht zwischen StaUn und Chruschtschow, ebenda, 103
8.361-364.
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KPdSU äußerte, legte er wiederum einen Beweis seiner Flexibilität und Anpassungsfähigkeit ab, als er zum Friedensvertrag und zur "Lösung der Westberlinfrage" Stellung bezog und Chruschtschows harte Linie noch "auszuschmücken" wußte. In seinem Bericht verwandte Ulbricht einige Formeln, die man bis dahin noch nicht vernehmen konnte. So meinte er, daß sich "die freundschaftlichen Beziehungen zwischen der DDR und der Sowjetunion auf einer höheren Ebene" entwickelten. Auch nahm er für die DDR in Anspruch, "aktiver Bundesgenosse der Sowjetunion" zu sein, um hinzuzufügen: "Die sowjetische Politik der Achtung der nationalen Souveränität und der nationalen Eigenarten aller Völker und Staaten ist in den Beziehungen zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und der Sowjetunion verankert104." Dies waren erstaunliche Wendungen, wenn man bedenkt, wie sehr auch SED-Chef Ulbricht um die Abhängigkeit der DDR von der UdSSR wußte. In westlichen Analysen sprach man damals von einem "Emanzipationsprozeß" und davon, daß Ulbricht - im Gegensatz zur StalinÄra - "kein Vasall" mehr sei, "der sich bedingungslos den russischen Interessen unterordnet. Er ist heute offenbar in der Lage, Forderungen anzumelden und auch durchzusetzen105." Ulbrichts Politik während der letzten drei Jahre der Herrschaft Chruschtschows zeigte jedoch, daß er sich auch weiterhin in den zentralen Fragen den Interessen der UdSSR untergeordnet hat. So heißt es in dem vom VI. Parteitag im Januar 1963 beschlossenen Programm der SED: "Die Deutsche Demokratische Republik steht seit dem Tage ihrer Gründung fest im Lager der sozialistischen Staaten. Die brüderliche Freundschaft mit der Sowjetunion ist ein Grundpfeiler ihrer Außenpolitik106."
V. 3. Phase: Die "neue Etappe in der Zusammenarbeit" (1964-1975)
Der Abschluß des Vertrags über Freundschaft, gegenseitigen Beistand und Zusammenarbeit zwischen der UdSSR und der DDR vom 12. Juni 1964 markiert den Beginn der 3. Phase der politischen BeText in: Neues Deutschland vom 26. November 1961 und SBZ-Archiv s. 386. 1os So I. Spittmann (Anm. 103), S. 363. 108 Text des Programms bei A. Riklin 1 K. Westen: Selbstzeugnisse des SED-Regimes. Köln 1963, S. 107. Vgl. dazu auch das Statut, Text, ebenda, S. 190, mit dem das vom IV. SED-Parteitag im April 1954 beschlossene 3. Statut der SED abgelöst worden ist. 104
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ziehungen zwischen beiden Staaten. Der Pakt, mit dem die DDR als westlicher Vorposten des "sozialistischen Lagers" in das bilaterale Ostpakt-System einbezogen wurde, verdeutlichte, daß Chruschtschow nicht bereit war, Ulbrichts so sehnlichen Wunsch zu erfüllen, sich über die Interessen der drei Westmächte und der Bundesrepublik Deutschland hinwegzusetzen und mit der DDR einen separaten Friedensvertrag zu schließen. Für Ulbricht dürfte es die bitterste Enttäuschung gewesen sein, da mit dem Abschluß des Bündnispakts der Kreml endgültig jeden Gedanken an eine separate Friedensregelung mit dem zweiten Staat in Deutschland ausschloß. Auch wenn die Unterzeichnung des Vertrags vom 12. Juni 1964 in der DDR gefeiert worden ist, darf nicht übersehen werden, daß die sowjetische Führung auch insoweit ihr offensives Deutschland-Konzept aufgegeben hatte, das durch das mehrfach erneuerte Berlin-Ultimatum vom 27. November 1958 geprägt war. Aufseiten der DDR legte man besonderen Wert auf die Feststellung, daß der Vertrag vom 12. Juni 1964 keinen Ersatz für einen "deutschen Friedensvertrag" bilde; auch mehrere Staats- und Völkerrechtler der DDR betonten, der Pakt vom 12. Juni 1964 könne einen "deutschen Friedensvertrag" nicht ersetzen101• Die Führung der SED paßte sich der neuen Lage schnell an. Bereits wenige Tage nach der Unterzeichnung des Bündnispakts in Moskau bestritt Walter Ulbricht am 20. Juni 1964 in einer Rede in Gera, daß die DDR von der UdSSR einen separaten Friedensvertrag gewollt habe108• Der endgültige Verzicht der UdSSR, mit der DDR eine separate Friedensregelung zu treffen, dürfte auf mehrere Gründe zurückzuführen gewesen sein. Einmal wäre der Separatvertrag mit der DDR nicht geeignet gewesen, die Autorität der DDR-Führung zu heben. Vor allem hätte dieser Akt der DDR ebensowenig wie die vorhergegangenen "Souveränitäts"-Erklärungen zur völkerrechtlichen Anerkennung verhelfen können. Schließlich dürfte die entschiedene Haltung der drei Westmächte eine Rolle gespielt haben; sie hatten mehrfach betont, daß sie die einseitige Aufhebung der 1944/45 unbefristet geschlossenen alliierten Abkommen nicht hingenommen hätten. Es gab noch einen weiteren Grund für die Sowjetunion, die Ausarbeitung und Unterzeichnung eines Separatvertrags zu scheuen: "Sobald sie auf einer internationalen Konferenz daran ginge, den Vertrag mit der ,DDR' zu formulieren, müßte sie enthüllen, daß dieser Vertrag von Grund auf von jenem verschieden wäre, den sie als Friedensvertrag für Deutschland vorgeschlagen hat1011." Hinzu kommt - worauf vor1°7 106
Vgl. dazu die Nachweise bei J. Hacker (Anm. 68), S. 160 f., Anm. 95 f. Vgl. die Nachweise, ebenda, S. 161, Anm. 97-99.
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nelunlich Ulrich Scheuner hingewiesen hat -, daß der sowjetische Entwurf eines Friedensvertrags mit Deutschland vom 10. Januar 1959 bei partiellem Abschluß mit der DDR keine sinnvolle Regelung ergeben hätte110• Immerhin schien es den Führungen der UdSSR und der DDR Mitte 1964 geboten, eine künftige Friedensregelung mit Deutschland nicht auszuschließen. So war vom Abschluß eines "deutschen Friedensvertrages" nicht nur in der Präambel, sondern auch in Artikel2 des Vertrags vom 12. Juni 1964 die Rede, und Artikel7 Absatz 2 enthielt eine Revisionsklausel: Im "Falle der Schaffung eines einheitlichen, demokratischen und friedliebenden deutschen Staates oder des Abschlusses eines deutschen Friedensvertrags" vor Ablauf der Frist von 20 Jahren kann der Vertrag auf Wunsch jeder der hohen vertragschließenden Seiten überprüft werden. Der Bündnispakt vom 12. Juni 1964 hat den "Souveränitäts"-Vertrag zwischen der UdSSR und der DDR vom 20. September 1955 nicht ersetzt, sondern setzt ihn - auf diese Feststellung legte die DDR besonderen Wert - voraus. In Artikel9 war eine "Nichtberührungsklausel" verankert, in der- im Gegensatz zum Vertrag vom 20. September 1955 - ausdrücklich das Potsdamer Abkommen genannt wurde, während die Formel "Deutschland als Ganzes" unerwähnt blieb. In Artikel 4 erklärten beide Seiten angesichts der bestehenden Gefahr eines Aggressionskrieges seitens militärischer und revanchistischer Kräfte, "daß die Unantastbarkeit der Staatsgrenzen der Deutschen Demokratischen Republik einer der Grundfaktoren der europäischen Sicherheit ist. Sie bekräftigen ihre feste Entschlossenheit, in Übereinstimmung mit dem Warschauer Vertrag über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand die Unantastbarkeit dieser Grenzen gemeinsam zu gewährleisten". Festzuhalten gilt vor allem, daß hier nicht von der "Unverletzlichkeit", sondern von der "Unantastbarkeit" der Grenzen gesprochen wurde. Die Beistandsklausel des Artikels 5, die auf die Bestimmung des Warschauer Vertrags verwies, hob ausdrücklich hervor, daß es sich um einen bewaffneten Überfall "in Europa" handeln muß. Der Pakt vom 12. Juni 1964 ist der einzige zweiseitige Bündnisvertrag, dessen Titel sich nicht an das herkömmliche Schema gehalten hat, da er die drei Kriterien in der Reihenfolge Freundschaft, gegenseitigen Beistand und Zusammenarbeit aufführt111• Alle zuvor und später geschlossenen Bündnispakte spra1oa So W. Wagner: Die sowjetische Drohung mit dem Separatvertrag, in: Europa,Archiv 1962, S. 693-702 (698). 110 U. Scheuner: Der sowjetische Friedensvertragsentwurf vom 10. 1 1959, in: Recht in Ost und West 1959, S. 89-101 (101); J. Hacker (Anm. 16), S. 38Q-393 (385-390).
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chen und sprechen von der Freundschaft, der Zusammenarbeit und dem gegenseitigen Beistand. Für die Führungen in Ost-Berlin und Moskau bedeuteten der Bau der Mauer in Berlin im August 1961 und die Umwandlung der innerdeutschen Demarkationslinie in eine nahezu unüberwindliche Grenze sowie die Einbeziehung der DDR in das bilaterale Ostpakt-System mit dem Abschluß des Vertrags vom 12. Juni 1964 eine wesentliche Konsolidierung der Westflanke des "sozialistischen Lagers". Nicht nur Nikita S. Chruschtschows doppelter Verzicht, es in der Berlin-Frage nicht zum Äußersten zu treiben und mit der DDR eine separate Friedensregelung zu treffen, war für die SED-Führung eine herbe Enttäuschung. Darüber hinaus gelang es Ost-Berlin nicht, die Anfang der sechziger Jahre von der Bundesregierung eingeleiteten Bemühungen abzuwehren, die politische Präsenz der Bundesrepublik Deutschland in mehreren Ländern des "sozialistischen Lagers" zu verstärken. Die Führungen der übrigen Mitglieder des "Lagers" wollten die Bonner Avancen aufgrund der eigenen Interessen beantworten; dies führte :lU Konflikten mit der DDR-Führung, die eine erfolgreiche Ostpolitik Bonns an der DDR vorbei soweit wie möglich zu unterbinden suchte. Angesichts der fortdauernden ökonomischen Schwierigkeiten Polens, Rumäniens, Ungarns und Bulgariens und der Unfähigkeit Moskaus, die Investitions-Bedürfnisse dieser Länder zu befriedigen, räumten sie den wirtschaftlichen Interessen Priorität vor den Warnungen OstBerlins ein. Handelsverträge, deren Kernstück die Errichtung beiderseitiger amtlicher Handelsvertretungen vorsah, schloß die Bundesrepublik Deutschland am 7. März 1963 mit Polen, am 17. Oktober 1963 mit Rumänien, am 9. November 1963 mit Ungarn und am 6. März 1964 mit Bulgarien. SED-Chef Ulbricht war besonders erbost darüber, daß sich Warschau, Bukarest, Budapest und Sofia über die seitens der UdSSR und der DDR propagierte "Drei-Staaten-These" hinwegsetzten und nach anfänglichem Zögern der Forderung Bonns stattgaben, Berlin (West) formell in den jeweiligen Vertrag einzubeziehen11s. 111 Text des Vertrags vom 12. Juni 1964 in: Gesetzblatt der DDR 1964, Teil I, S. 131; Texte der zwischen 1943 und bis zum 14. Juni 1968 geschlossenen bilateralen Pakte in: Freundschaft - Zusammenarbeit - Beistand. Grundsatzverträge zwischen den sozialistischen Staaten. Berlin (Ost) 1968. Seltsamerweise fehlen in der Dokumentation zwei bilaterale Verträge: die Pakte zwischen der UdSSR und Finnland vom 6. April 1948 und zwischen Polen und Bulgarien vom 6. April 1967. Text des sowjetisch-finnischen Pakts vom 6. April 1948, der erstmals am 19. September 1955 um 20 Jahre verlängert worden ist, und des Protokolls über die Verlängerung um weitere 20 Jahre vom 20. Juli 1970 in: Dokumentation der Zeit, H. 21/1970, S. 41 f.; Text des polnisch-bulgarischen Pakts vom 6. April 1967, ebenda, H. 382/1967,
s. 35f.
112 Vgl. dazu "Die Auswärtige Politik der Bundesrepublik Deutschland" (Anm. 35), S. 63-65, die auch die Texte der AbmachWlgen wiedergibt; Z. K.
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Den Sturz Nikita S. Chruschtschows am 14. Oktober 1964, von dem die Führungen aller Bündnispartner der UdSSR im Warschauer PaktBereich überrascht wurden, kommentierte die SED-Führung auf eine höchst bemerkenswerte Weise. Die Stellungnahme des Politbüros der SED war ein "Meisterstück vieldeutiger Distanz, das alle Wege nach Moskau offenläßt, zugleich aber die eigenen Interessen nachdrücklich fixiert" 111• Die Nachricht von der Entbindung Chruschtschows von seinen Funktionen habe "tiefe Bewegung in unserer Partei und in unserem Volke ausgelöst. Es ist bekannt, daß auch Genosse N. S. Chruschtschow bei der Durchführung der vom Zentralkomitee der Kommunistischen Partei der Sowjetunion ausgearbeiteten marxistisch-leninistischen Politik Verdienste hat" 114• Das Politbüro der SED fügte hinzu, daß das Zentralkomitee der KPdSU die Beschlüsse über die Absetzung Chruschtschows "offensichtlich" deshalb gefaßt habe, da er sich "seinen Aufgaben nicht mehr gewachsen gezeigt hat". In ihrer Stellungnahme versprach die SED, daß der mit der UdSSR am 12. Juni 1964 geschlossene Bündnisvertrag "in Ehren erfüllt" werde. Für die SED-Führung war es gut zu wissen, daß die Nachfolger Chruschtschows von Anfang an keinen Zweifel darüber ließen, daß sie größten Wert auf die Koordinierung der Außenpolitik der Warschauer Pakt-Mächte legten. Nachdem es Ost-Berlin 1963/64 nicht gelungen war, Polen, Rumänien, Ungarn und Bulgarien davon abzuhalten, Handelsverträge mit der Bundesrepublik Deutschland unter Einschluß Berlins (West) zu schließen, verwandte die DDR-Führung auch in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre viel Energie darauf, die "Bruderländer" auf einen harten Kurs in der Deutschland-Politik festzulegen. Ost-Berlin mußte von nun an besonders auf der Hut sein, da die am 1. Dezember 1966 gebildete Große Koalition mit Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger und Bundesaußenminister Willy Brandt die von ihren Vorgängern, Bundeskanzler Ludwig Erhard und Bundesaußenminister Gerhard Schröder, formulierte Ostpolitik übernommen, fortentwickelt und in ihr Gewaltverzichtsangebot ausdrücklich Brzezinski: Alternative zur Teilung. Neue Möglichkeiten für eine gesamteuropäische Politik. Köln I Berlin 1966, S. 48 f. Vgl. zur Haltung Ost-Berlins H. Sindermanns Bericht des Politbüros an die 5. ZK-Tagung der SED, Text in: Neues Deutschland vom 13. Februar 1964 und Auszug in: SBZ-Archiv 1964, S. 78--80 (78); G. Bühring I G. Liebig: Neue Methoden - alte Ziele. Das Doppelgesicht westdeutscher "Ostpolitik", in: Einheit 1964, H. 3, S. 7284, Auszug in: SBZ-Archiv 1964, S. 127 f.; dazu I. Spittmann: Gefahr der Isolierung, ebenda, S. 82 f. 113 So I. Spittmann: Warten auf Moskau, in: SBZ-Archiv 1964, S. 321 f. (321). 114
Text in: Neues Deutschland vom 18. Oktober 1964 und SBZ-Archiv 1964,
s. 308 f.
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nun auch das ungelöste Problem der Teilung Deutschlands einbezogen hatte116• Wie wenig Rumänien bereit war, seine nationalen Interessen der "Block"-Solidarität auch in der Deutschland-Frage unterzuordnen, zeigte sich, als die Bundesrepublik Deutschland und Rumänien am 31. Januar 1967 die Aufnahme diplomatischer Beziehungen vereinbarten. Die SED schreckte nicht vor einem öffentlichen Angriff auf die rumänische Regierung zurück116, die mit einer energischen Zurückweisung reagierte111 • Die Kontroverse zwischen der DDR und Rumänien war auch Gegenstand der Warschauer Konferenz der Außenminister des Warschauer Pakts vom 8. bis zum 10. Februar 1967, auf der Bukarest als einziges Land nur durch einen stellvertretenden Außenminister vertreten war. Der Text des Kommuniques, den die SED veröffentlichte und in dieser Form ständig zitierte, wich in einem zentralen Punkte von der in Warschau verbreiteten Version ab: Während die SED im Schlußsatz von einer Atmosphäre "völligen Einvernehmens" sprach, war in den übrigen Fassungen vom "vollen gegenseitigen Verständnis"118 die Rede. Nachdem Ost-Berlin nervös und undiplomatisch auf die Herstellung diplomatischer Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Rumänien reagiert hatte, suchte es nun der möglichen Gefahr einer Isolierung innerhalb des "sozialistischen Lagers" zuvorzukommen. Mit der aktiven Unterstützung Moskaus bemühte sich die DDRFührung, ein Ausscheren anderer "Bruderländer" aus der vom Kreml und der DDR-Führung gewünschten Einheitsfront gegen die Bundesrepublik Deutschland zu verhindern. Dank der Hilfe Moskaus konnte SED-Chef Ulbricht insofern einige beachtliche Erfolge erzielen, als die DDR, die bis dahin nur mit der UdSSR durch den bilateralen Bündnispakt vom 12. Juni 1964 verbunden war, nacheinander am 15. März mit Polen119, am 17. März mit der TschechoslowakeP10, am 18. Mai mit Ungarn1~1 und am 7. September 1967 mit Bulgarien121 jeweils einen Bündnisvertrag schloß. us Vgl. dazu "Die Auswärtige Politik der Bundesrepublik Deutschland
(Anm. 35), S . 63-69 (68). 116
Vgl. "Europäische Sicherheit erfordert Verzicht auf Revanchpolitik",
in: Neues Deutschland vom 3. Februar 1967 und SBZ-Archiv 1967, S. 76. 117 Vgl. "Ein positiver Schritt in der Entwicklung der intereuropäischen Beziehungen", in: Neuer Weg vom 5. Februar 1967; nachgedruckt in SBZArchiv 1967, S. 76--78. 118 Text der DDR-Version in: Neues Deutschland vom 11. Februar 1967 und SBZ-Archiv 1967, S. 74; Text der übrigen Fassungen in: Europa-Archiv 1967, S. D 123 f. (124). us Text in: Gesetzblatt der DDR 1967, Teil I, S. 49-52. 120 Text, ebenda, S. 53-56. 111 Text, ebenda, S. 119--122.
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Wesentliche Bestimmungen aller Verträge lagen auf der gleichen Linie wie der mit der UdSSR am 12. Juni 1964 geschlossene Bündnispakt. Gemeinsam ist allen das Bestreben, den Status quo, das heißt die politische Teilung Deutschlands zu legalisieren und zu zementieren123. Das schlechte Verhältnis zwischen Ost-Berlin und Bukarest zeigte sich auch und gerade darin, daß sich die DDR bis zum 12. Mai 1972 gedulden mußte, bis Rumänien zur Unterzeichnung eines bilateralen Bündnisvertrags bereit war124• Seit dem 12. Mai 1972 ist das bilaterale Vertragssystem der engeren "sozialistischen Gemeinschaft" komplett. Obwohl Ulbricht Mitte März 1967 verärgert reagierte, als westliche Beobachter den Abschluß der Bündnispakte der DDR mit Polen und der Tschechoslowakei dahingehend interpretierten, daß diese drei Länder die "Nordflanke", den harten Kern des Warschauer Pakts, bildeten125, hielt das den SED-Chef nicht davon ab, auf dem VII. Parteitag der Einheitspartei am 17. April 1967 darzulegen, wie hierarchisch die "sozialistische Staatengemeinschaft" in seinen Vorstellungen strukturiert war: "Für uns ... ist das besonders enge und vertrauensvolle Zusammengehen mit der Sowjetunion und zugleich mit unseren unmittelbaren sozialistischen Nachbarstaaten, der Volksrepublik Polen und der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik, von erstrangiger Bedeutung126." Daran schloß Ulbricht die Feststellung, daß die "Zusammenarbeit und Arbeitsteilung mit allen sozialistischen Bruderstaaten, die im Rahmen des Rates für Gegenseitige Wirtschaftshilfe und des Warschauer Vertrages eine gute Entwicklung nimmt", auf "allen Gebieten neue große Potenzen" freisetzten. In den folgenden Monaten ließ die SED-Führung keine Gelegenheit aus, die Führungsrolle der UdSSR und der KPdSU sowie die Notwendigkeit zu betonen, eine allgemein verbindliche Generallinie für alle Mitgliedsländer des "Lagers" auszuarbeiten. Daß die SED-Führung 1964/65 wenigstens einige zaghafte Versuche gemacht hat, sich ein wenig von der Moskauer Vormundschaft zu emanzipieren, war ab 1966 wieder vergessen. Dazu dürften m Text, ebenda, S. 123-126. Vgl. dazu J. Hacker: Beistandspakte mit Warschau und Prag, in SBZArchiv 1967, S. 81 f.; ders.: Neue Beistandsklausel im Pakt mit Ungarn, ebenda, S . 153 f.; Beistandspakt mit Bulgarien, ebenda, S. 290 f.; Texte der von der DDR 1967 geschlossenen Bündnispakte auch in: Grundsatzverträge. Vgl. zur DDR-Sicht W. Hänisch I W. Müller I S. Quilitzsch: Sozialistische Freundschafts- und Beistandsverträge. Berlin (Ost) 1968. 124 Text in: Gesetzblatt der DDR 1972, Teil I, 5.155-157. 125 Vgl. W. Ulbrichts Rede vom 12. März 1967 vor der BezirksdelegiertenKonferenz in Ost-Berlin; Text in: Neues Deutschland vom 13. März 1967. 126 Text der Rede W. Ulbrichts in: Neues Deutschland vom 18. April 1967; Auszug in: SBZ-Archiv 1967, 5.123-128 (123). 123
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nicht nur die ost- und deutschlandpolitischen Initiativen der Bundesregierung, sondern in erster Linie auch die Einsicht der SED-Führung beigetragen haben, von der UdSSR nach wie vor abhängig zu sein. An diesem Faktum hat sich auch in der Folgezeit nichts geändert. So war es kein Zufall, daß Ulbricht die Entwicklung in der Tschechoslowakei nach der Ablösung Antonin Novotnys durch Alexander Dubcek Anfang Januar 1968 mit größtem Mißtrauen verfolgte, da er um die möglichen Auswirkungen des "Prager Frühlings" auf die DDR fürchtete. Die starke Anlehnung des zweiten Staates in Deutschland an die CSSR resultierte vornehmlich aus dem Wunsch der SED-Führung nach Sicherheit und innerer Stabilität. Der Kreml konnte sich darüber freuen, daß in diesem zentralen Punkt die Interessen der UdSSR mit denen der DDR identisch waren. Diese Politik Ost-Berlins fand auch ihren Ausdruck in der neuen Verfassung der DDR vom 6. April 1968. Die verfassungsrechtliche Verankerung außenpolitischer Maximen war der deutschen Verfassungsgeschichte bis 1968 unbekannt. Artikel 5 Absatz 2 der Verfassung der DDR vom 7. Oktober 1949 hatte sich auf die Feststellung beschränkt, die Aufrechterhaltung und Wahrung freundschaftlicher Beziehungen zu allen Völkern sei die Pflicht der StaatsgewaW27• In Artikel 6 Absatz 2 der zweiten DDR-Verfassung, die Walter Ulbrichts Handschrift trägt, heißt es nun unmißverständlich: "Die Deutsche Demokratische Republik pflegt und entwickelt entsprechend den Prinzipien des sozialistischen Internationalismus die allseitige Zusammenarbeit und Freundschaft mit der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken und den anderen sozialistischen Staaten." In der DDR wies man in den Jahren zuvor bereits gern und mit Stolz darauf hin, daß die Formel vom "sozialistischen Internationalismus" im Rahmen des bilateralen Bündnissystems zum erstenmal in dem Bündnispakt mit der UdSSR vom 12. Juni 1964 verankert worden ist. Alle seitdem erneuerten bilateralen Bündnispakte innerhalb des Ostblocks - noch einmal sei daran erinnert, daß dieses zweiseitige Vertragsnetz lückenlos ist, da jeder Staat mit jedem durch einen solchen Vertrag verbunden ist - enthalten die Formel vom "sozialistischen Internationalismus". Das gilt daher auch für die Bündnisverträge, die die DDR 1967 mit Polen, der Tschechoslowakei, Ungarn und Bulgarien sowie im Mai 1972 mit Rumänien geschlossen hat; auch findet sich die Formel in dem Vertrag über Freundschaft und Zusammenarbeit nicht gegenseitigen Beistand - zwischen der DDR und der Mongolischen Volksrepublik vom 12. September 1968128• 127 Vgl. dazu ausführlicher S. Mampel: Die sozialistische Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik. Text und Kommentar. Frankfurt/M. 1972, 11!8
s. 201.
Text in: Gesetzblatt der DDR 1968, Teil I, S. 347-349.
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Im Schrifttum der DDR wird in diesem Zusammenhang betont, daß die auf dem "sozialistischen Internationalismus" beruhenden Grundsätze für die Entwicklung der Beziehungen zwischen den "sozialistisc.lten" Staaten vor allem die ständige Festigung der Freundschaft, die gegenseitige Hilfe und allseitige enge Zusammenarbeit und die gemeinsame Verteidigung der sozialistischen Errungenschaften, Interessen und Ziele umfaßten129• Man verweist dabei auch auf Artikel 7 Absatz 2 Satz 3 der DDR-Verfassung vom 6. April1968, in dem festgestellt wird, daß die Nationale Volksarmee "im Interesse der Wahrung des Friedens und der Sicherheit des sozialistischen Staates enge Waffenbrüderschaft mit den Armeen der Sowjetunion und anderer sozialistischer Staaten" pflegt. Diese Feststellung beruhe auf der in Artikel 6 verankerten allseitigen Zusammenarbeit und Freundschaft mit der UdSSR und den anderen "sozialistischen" Staaten entsprechend den Prinzipien des "sozialistischen Internationalismus" 130• In den politischen Beziehungen zwischen der DDR und der UdSSR im Jahre 1968 bildete nicht der 6. April, sondern der 21. August das wichtigste Datum: die militärische Intervention der UdSSR, der DDR, Polens, Ungarns und Bulgariens in der Tschechoslowakei, mit der dem "Prager Frühling" ein jähes Ende bereitet wurde. Die Führung der DDR darf den zweifelhaften Ruhm für sich in Anspruch nehmen, nach der UdSSR die Prager Reformer am feindseligsten behandelt zu haben. SED-Chef Ulbricht fehlte jegliches Verständnis für Alexander Dubceks Versuch, den "Sozialismus mit menschlichem Antlitz" zu etablieren; außerdem dürfte Ulbricht von allen Parteiführern der Warschauer PaktStaaten am stärksten ein übergreifen der Prager Reform-Bewegung auf die DDR gefürchtet haben. Schließlich operierte Ost-Berlin mit dem Argument des westdeutschen Militarismus, Imperialismus und Nazismus in einer abstoßenden Weise, um die forcierte Ostpolitik der Bonner Großen Koalition soweit wie möglich zu diskreditieren131• Westliche Beobachter stimmen darin überein, daß die Führung der SED 1968 zu den ersten und entscheidendsten Befürwortern der militärischen Intervention in der CSSR gehörte. Der "Demokratisierungsprozeß der KPC, der Verzicht auf die Diktatur der Partei, die Uminter129 Vgl. dazu mit weiteren Nachweisen J. Hacker: Die Prinzipien des proletarischen und sozialistischen Internationalismus in der Sicht der DDR, in: Recht in Ost und West 1973, S. 185-201 (188 mit Anm. 26). 130 Vgl. dazu die Nachweise bei J. Hacker, ebenda, Anm. 27. 131 Vgl. dazu M. Cran: Czechoslovakia, Ulbricht and the German Problem, in: Problems of Communism, Vol. 18/1969, No. 1, S. 1-7 mit weiterführenden Nachweisen; H. Gordon Skilling: Czechoslovakia's Interrupted Revolution. Princeton, New Jersey 1976, S. 740--742; F. Fetjö: Moscow and Its Allies, in: Problems of Communism, Vol. 17/1968, No. 6, S. 29-37 (36 f.). Sehr instruktiv dazu auch die Dokumentation "Die SED im Konflikt mit Prag", in: Deutschland-Archiv 1968, S. 724-752.
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pretation ihrer führenden Rolle als einer stets neu zu erwerbenden, auf Überzeugung statt auf Zwang beruhenden Autorität bedeutete in den Augen der SED-Führung Preisgeben der Macht, Wegbereitung für die Konterrevolution, die Konterrevolution selbst" 1n. Mit dem 21. August 1968 war Ost-Berlin endgültig der Sorge um ein mögliches Übergreüen des "Frager Frühlings" auf die DDR enthoben. Ulbricht brachte das gestärkte Selbstbewußtsein und Selbstvertrauen darin zum Ausdruck, daß er in einer penetranten Weise die "Abirrungen" der Frager Reformer geißelte und die DDR als das Modell ökonomischer Effizienz und politischer Stabilität darstellte. Es schien, daß der SED-Chef, der das bilaterale Bündnis mit der UdSSR beschwor, gegenüber den anderen "Bruderländern" für die DDR eine herausgehobene Position im "Lager" anstrebte133• Auch wenn die SED-Führung nach dem 21. August 1968 aufgrund der ökonomischen Potenzen und Leistungen der DDR ein gesteigertes Selbstbewußtsein an den Tag legte, änderte das nichts an ihrer Einsicht in die Abhängigkeit vom "großen Bruder" in Moskau. Die Freude OstBerlins darüber, daß mit dem gewaltsamen Ende des "Frager Frühlings" auch der Bonner Ostpolitik ein schwerer Schlag versetzt worden war, ermangelte nicht der grotesken Züge. Ulbricht trat auch nach dem 21. August 1968 für eine uneingeschränkte "Block"-Solidarität und die außenpolitische Koordinierung im Warschauer Pakt-Bereich vornehmlich deshalb ein, um die Einheitsfront gegen die Bundesrepublik Deutschland aufrechtzuerhalten und zu verhindern, daß ein Land dem Beispiel Rumäniens folgen könnte, den nationalen Interessen Priorität vor den Interessen der DDR einzuräumen. Mit dem Antritt der SPD/FDP-Bundesregierung im Oktober 1969 wandelte sich auch die politische Szenerie für die DDR-Führung insofern, als der Kreml nun bereit war, auf die neuen Bonner ostpolitischen Avancen einzugehen und mit der Bundesrepublik Deutschland Verhand132 So I. Spittmann: Die SED im Konflikt mit der CSSR, in: DeutschlandArchiv 1968, S. 663-669 (664), die mit Recht davor warnt, Ulbricht als Hauptschuldigen für den Überfall auf die CSSR hinzustellen, da eine solche Interpretation die "Interessenlage der Moskauer Führung oder jedenfalls ihres orthodoxen Kerns ... " verkenne. Sehr instruktiv dazu auch M. Croan, ebenda; P. Probst: Nach der Invasion, in: Deutschland-Archiv 1968, S. 669-671; J. Hacker: Die SED und die Breschnew-Doktrin, in: Deutschland-Archiv 1970, S.198-203. Über das Verhalten der SED-Führung und vor allem W. Ulbrichts in der Auseinandersetzung mit den Prager Reformen vor dem 21. August 1968 informiert auch vorzüglich Z. Mlynai': Nachtfrost. Erfahrungen auf dem Weg vom realen zum menschlichen Sozialismus. Köln I Frankfurt/M. 1978. 133 Vgl. dazu vor allem W. Ulbrichts programmatisches Referat "Die weitere Gestaltung des gesellschaftlichen Systems des Sozialismus" auf der 9. Tagung des Zentralkomitees der SED. Text in: Neues Deutschland vom 25. Oktober 1968. · ·
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lungen aufzunehmen, die in dem Abschluß eines bilateralen Vertrags über den qualifizierten Gewaltverzicht münden sollten. Nach dem Abschluß des deutsch-sowjetischen Vertrags am 7. August 1970 folgte am 12. Dezember 1970 die Unterzeichnung des deutsch-polnischen Vertrags. Obwohl die von der SPD/FDP-Koalition Ende Oktober 1969 eingeleitete "neue Deutschland-Politik", die der DDR zum ersten Mal offi.iziell die Staatsqualität zusprach und eine völkerrechtliche Anerkennung der DDR nach wie vor ablehnte, die SED-Führung in einige Verlegenheit brachte, blieb ihr nichts anderes übrig, auf die deutschlandpolitischen Initiativen der neuen Bundesregierung einzugehen. So war es die SPD/ FDP-Bundesregierung, die die DDR von der Furcht befreit hat, sie könnte sich aus deutschlandpolitischen Erwägungen heraus in der "sozialistischen Gemeinschaft" isolieren134• Die sowjetische Führung konnte sich auch in den folgenden Jahren auf die "Block"-Solidarität der DDR verlassen. Am 3. Mai 1971 trat Walter Ulbricht als Erster Sekretär des Zentralkomitees der SED zurück, und Erich Honecker wurde sein Nach:folger135• So sehr auch rnbricht den "großen Bruder" in Moskau respektiert und die Einbindung der DDR in die "sozialistische Gemeinschaft" befürwortet hat, ging er nie so weit, die nationale deutsche Substanz des von ihm wesentlich mitgeprägten zweiten Staates in Deutschland gänzlich zu verleugnen. In Ulbrichts Bild von der Einheit der "sozialistischen Staatengemeinschaft" übersah der frühere SED-Chef nie die spezifischen Entwicklungskriterien und -bedingungen der DDR. In Ulbrichts Konzept von der "historischen Mission der DDR" hatte die "ungelöste deutsche Frage" ihren festen Platz. Ulbrichts nationales Credo, wie er es in seiner Rede zur Vorbereitung des 25. Jahrestages der SED am 17. Dezember 1970 formuliert hatte, lautete: "Die DDR ist der sozialistische deutsche Nationalstaat, in der sich der Prozeß der Herausbildung einer sozialistischen Nation vollzieht136 ." Ulbricht hatte, "bei aller Unterordnung der DDR unter die Wünsche und Interessen der Sowjetunion, das staatlich-nationale Element, den eigenen Weg zum Sozialismus, der für andere Länder des Ostblocks 134 Vgl. dazu aus der umfangreichen Literatur vor allem R. A. Remington: The Warsaw P act. Case Studies in Communist Conflict Resolution. Cambridge/Mass., London 1971, S. 113-164 mit zahlreichen weiterführenden Nachweisen. 135 Vgl. dazu I. Spittmann: Warum Ulbricht stürzte, in: DeutschlandArchiv 1971, S. 568 f. 136 Die Rede W. Ulbricht wurde interessanterweise - erst im "Neuen Deutschland" vom 14. Januar 1971 veröffentlicht; Auszug in: DeutschlandArchiv 1971, S. 308-312 (310). Vgl. über die Entwicklung der "nationalen Frage" in der DDR J. Hacker: Das nationale Dilemma der DDR, in: Boris Meissner und Jens Hacker: Die Nation in östlicher Sicht. Berlin 1977, S.
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sogar ein gewisses Vorbild sein könnte, vor allem im Laufe der sechziger Jahre zunehmend hervorgehoben" 137• Besonders unmißverständlich hat der frühere SED-Chef diese Position auf der 5. Tagung des Zentralkomitees der SED Anfang Februar 1964 formuliert: "Unser neues ökonomisches System ist keine Erfindung, die aus heiterem Himmel kommt. Man könnte es als die konkrete Anwendung und Weiterentwicklung der Leninschen Prinzipien der sozialistischen Wirtschaftsführung auf unsere Bedingungen in der Deutschen Demokratischen Republik, in einem hochentwickelten Industrieland, bezeichnen. Wir sind uns bewußt, daß wir in der Deutschen Demokratischen Republik den Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus entsprechend unseren nationalen Bedingungen durchgeführt haben und durchführen. Diese Bedingungen unterscheiden sich von denen, die die Sowjetmacht hatte, als sie den übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus vollzog. Das Charakteristische in der Deutschen Demokratischen Republik war der Übergang auf friedlichem und demokratischem Wege, dem Kampf zwischen den zwei gesellschaftlichen Systemen in einem Land bei offener Grenze138." Und es ist auch kein Zufall, daß Ulbrichts Nachfolger nicht an dessen in den Konturen noch unscharfen Modell von der "sozialistischen Menschengemeinschaft" angeknüpft hat einer Formel, die Eingang in Artikel18 der DDR-Verfassung vom 6. April 1968 gefunden hatte1' 8 • Nicht nur der Abschluß der Verträge der Bundesrepublik Deutschland mit der UdSSR vom 12. August 1970 und mit Polen vom 7. Dezember 1970, sondern auch die Vier-Mächte-Verhandlungen über Berlin, die im Februar/März 1971 in ihr entscheidendes Stadium traten und im Abschluß des Hertin-Abkommens vom 3. September 1971 mün137 So P. C. Ludz: Deutschlands doppelte Zukunft. Bundesrepublik und DDR in der Welt von morgen. München 1974. S. 58. 138 Text der Rede in W. Ulbricht: Zum neuen ökonomischen System der Planung und der Leitung. Berlin (Ost) 1967, S. 398 f.; zit. auch bei P. C. Ludz, ebenda, S. 58 f. 139 Die Wendung "sozialistische Menschengemeinschaft" hat W. Ulbricht - soweit ersichtlich - erstmals in seiner programmatischen Erklärung gebraucht, die er als Vorsitzender des Staatsrats der DDR am 4. Oktober 1960 vor der Volkskammer abgegeben hat. Text in: Neues Deutschland vom 5. Oktober 1960 und Dokumentation der Zeit 1960, H. 225 (S. 21-25), H. 227, S. 30-43 (42). Vgl. auch Ulbrichts Rede vom 31. Januar 1968, in der er den Entwurf der neuen DDR-Verfassung vom 6. April 1968 begründet hat. Vgl. dazu S. Mampel (Anm. 127), S. 172 f., 458 f., 493 f. In seinem Nachtrag (vgl. S. 1143) weist S. Mampel darauf hin, daß die SED bereits auf ihrem VIII. Parteitag im Juni 1971, also wenige Wochen nach der Ablösung W. Ulbrichts, "aus guten Gründen auf den früher recht oft verwendeten Begriff der Menschengemeinschaft verzichtet" hat (So K. Hager: Die entwickelte sozialistische Gesellschaft. Aufgaben der Gesellschaftswissenschaften nach dem VIII. Parteitag der SED, in: Einheit 1971, S. 1203-1242 (1212).
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deten, ließen der SED-Führung nach der Ablösung Walter Ulbrichts gar keine Wahl, sich allmählich auf einen vertraglichen Modus vivendi mit der Bundesrepublik Deutschland einzustellen. Die politischen Beziehungen zwischen der DDR und der UdSSR sind im Verlauf der siebziger Jahre nur zu analysieren, wenn man dabei auch das Dilemma Ost-Berlins in die Betrachtung einbezieht, einerseits mit der Bundesrepublik Deutschland kooperieren und andererseits sich von ihr soweit wie möglich "abgrenzen" zu müssen. Wie sehr sich noch Walter Ulbricht dieser Problematik bewußt war, zeigt die Tatsache, daß die unlogische und auch unsinnige These vom "objektiven Prozeß der Abgrenzung" der DDR von der "imperialistischen BRD" erstmals von Ministerpräsident Willi Stoph anläßtich des 21. Jahrestags der Errichtung der DDR am 7. Oktober 1970 vorgetragen worden ist140• Dabei muß man einen weiteren wichtigen Faktor im Auge behalten: "Die Haltung der SED-Führung in der Innenpolitik wie in der Außenpolitik - einerseits gegenüber der Sowjetunion, andererseits gegenüber der Bundesrepublik - ist kaum zu verstehen, wenn nicht das Grundmotiv der Ostberliner Politik berücksichtigt wird: das Bedürfnis nach Sicherheit ... Sicherheit ist jedoch nicht nur im militärisch-strategischen Kategorien zu denken; Sicherheit ist deshalb nicht nur die Bewahrung vor Annexionen durch den Feind, die Bewahrung vor Krieg. Sicherheit bedeutet, jedenfalls für die DDR, sehr viel mehr: nämlich die Erhaltung der politisch-staatlichen und damit auch der persönlichen Machtposition der SED-Führung; die Aufrechterhaltung des Machtmonopols der einen politisch maßgeblichen Partei; den weiteren Ausbau der Gesellschaft der DDR nach den Richtlinien der SED; den Schutz vor ideologischer ,Diversion' und ,Subversion' aus dem Westen wie aus dem Osten1'u." Erich Honecker hat seine Vorstellungen von der Position der DDR in der "sozialistischen Staatengemeinschaft" bereits auf dem VIII. Parteitag der SED im Juni 1971, also wenige Wochen nach der Ablösung Walter Ulbrichts, entwickelt. In der Entschließung des VIII. Parteitags heißt es dazu: "Die wichtigste außenpolitische Aufgabe besteht darin, die DDR durch die allseitige Vertiefung des Bündnisses mit der Sowjetunion sowie mit den anderen Bruderländern immer fester in der sozialistischen Staatengemeinschaft zu verankern ... Das Verhältnis zur Sowjetunion ist der entscheidende Prüfstein für die Treue zum Marxismus-Leninismus, zum proletarischen Internationalismus142." 140 Vgl. die Nachweise über die Entstehung und Entwicklung der "Abgrenzungs"-These J . Hacker: Deutsche unter sich. Politik mit dem Grundvertrag. Stuttgart 1977, S. 73 mit Anm. 141. 141 So P. C. Ludz (Anm. 137), S. 66--70 (66--68).
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Und an anderer Stelle der Entschließung wird das Verhältnis der DDR zu UdSSR so umrissen: "Entscheidend für die gesamte Entwicklung der DDR ist das ständig enger werdende Bündnis mit der Sowjetunion. Die Beschlüsse des XXIV. Parteitages der KPdSU, die eine neue wichtige Etappe der Sowjetunion auf dem Wege zum Kommunismus einleiten, sind auch für uns von richtungsweisender Bedeutung." Dieser außenpolitischen Zielsetzung trägt auch die ergänzte und revidierte Verfassung der DDR vom 7. Oktober 1974 Rechnung. In der DDR-Verfassung vom 6. April 1968 war- wie dargelegt- das Verhältnis der DDR zur UdSSR mit den anderen "Bruderstaaten" auf eine qualitativ gleiche Stufe gestellt worden. Die Heraushebung der Sowjetunion bestand einzig und allein darin, daß sie als einziges "Bruderland" mit dem Namen genannt wurde, während sich die anderen Staaten des Ostblocks mit einer pauschalen Erwähnung begnügen mußten. In der revidierten Fassung der DDR-Verfassung vom 7. Oktober 1974 wird der UdSSR eine klare und eindeutige Priorität eingeräumt: "Die DDR ist für immer und unwiderruflich mit der UdSSR verbündet ... Die DDR ist untrennbarer Bestandteil der sozialistischen Staatengemeinschaft ...143." VI. Die 4. Phase: Die "ewige und unverbrüchliche Freundschaft" zwischen der DDR und der UdSSR (ab 1975) Nachdem die SED-Führung in der geänderten Verfassung der DDR vom 7. Oktober 1974 dem Verhältnis zur UdSSR einen Vorrang eingeräumt hatte, der weit über die verbalen Manifestationen der Ulbricht-Ära hinausging, konnte es nicht überraschen, daß in dem am 7. Oktober 1975 in Moskau unterzeichneten neuen Bündnispakt zwischen der UdSSR und der DDR - der in zahlreichen bundesdeutschen Kommentaren immer fälschlicherweise verkürzt als "Freundschaftsvertrag" apostrophiert wird144 die "ewige und unverbrüchliche Freundschaft" postuliert worden ist146• Der Vertrag über Freundschaft, Text in: Neues Deutschland vom 21. Juni 1971 und Deutschland-Archiv s. 877-892 (878). 143 Vgl. dazu im einzelnen J. Hacker: Der neue Bündnisvertrag der Sowjetunion mit der DDR, in : Königsteiner Kreis 1975, Nr.1-12, S. 7-19 141
1971,
(7 f.). 1u
Vgl. dazu die Nachweise bei J. Hacker (Anm. 140), S.144 mit Anm. 246. Text in: Gesetzblatt der DDR, Teil li, S. 237-240. Vgl. zur Problematik der Weitergeltung der Verträge der DDR mit der UdSSR vom 20. September 1955 und 12. Juni 1964, der "Vereinigung" Deutschlands, zur Beistands- und Konsultationsklausel und zum Berlin-Passus J. Hacker (Anm.143). 145
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Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand vom 7. Oktober 1975 unterscheidet sich noch in anderen zentralen Punkten vom Bündnispakt der UdSSR mit der DDR vom 12. Juni 1964. Während im Vertrag vom 12. Juni 1964 die Prinzipien des allgemeinen Völkerrechts gleichberechtigt neben denen des "sozialistischen lntemationalismus" aufgeführt werden, genießen im Pakt vom 7. Oktober 1975 die Prinzipien des "sozialistischen Internationalismus" insoweit Priorität, als sie den allgemeinen Grundsätzen des Völkerrechts vorangestellt sind 148• Wichtig ist vor allem, daß nach Auffassung Moskaus und Ost-Berlins "die Unterstützung, die Festigung und der Schutz der sozialistischen Errungenschaften ... gemeinsame intemationalistische Pflicht der sozialistischen Länder" sind. Und in Artikel4 des Pakts vom 7. Oktober 1975 erklären beide Seiten ihre Bereitschaft, "die notwendigen Maßnahmen zum Schutz und zur Verteidigung der historischen Errungenschaften des Sozialismus ... zu treffen" 147• Wie sehr die SED-Führung der UdSSR und der KPdSU in der "sozialistischen Gemeinschaft" einen Führungsanspruch zuweist, geht auch aus dem neuen Programm hervor, das der IX. Parteitag der SED am 22. Mai 1976 verabschiedet hat. Darin wird die SED als eine "Abteilung der intemationalen kommunistischen Bewegung" bezeichnet: "In ihrer gesamten außenpolitischen Tätigkeit läßt sich die SED von der historischen Wahrheit leiten, daß die Lebensinteressen der DDR als sozialistischer Staat der Arbeiter und Bauem mit den Interessen der Sowjetunion und der sozialistischen Staatengemeinschaft übereinstim148 Vgl. dazu J. Hacker, ebenda, mit weiteren Nachweisen. Vgl. zur Problematik der "lnternationalismus"-Formeln aus der Sicht der DDR neuerdings "Sozialistische Staatengemeinschaft und Völkerrecht". Berlin (Ost) 1979 mit den Beiträgen von H. Kröger und K. Becher. Die Haltung von Politik und Wissenschaft der DDR gegenüber den Prinzipien des "sozialistischen Internationalismus" ist deshalb so problematisch, da sie sie zu "verrechtlichen" suchen. Diesen wichtigen Aspekt wird W. Bruns in seiner Analyse "Sozialistische Außenpolitik der DDR? Zu einigen Grundfragen der DDR-Außenpolitik", in: Aus Politik und Zeitgeschichte. Beilage zur Wochenzeitung "Das Parlament", B.19 vom 14. Mai 1977, S. 3-31 (14-17) in keiner Weise gerecht, da er auf einer viel zu schmalen Quellenbasis gearbeitet hat. Die Prinzipien des "sozialistischen Internationalismus" haben auch Eingang in die von der DDR im Laufe des Jahres 1977 mit vier "Bruderstaaten" erneuerten Bündnisverträge gefunden: am 24. März mit Ungarn (Text in: Gesetzblatt der DDR 1977, Teil II, S. 189-191), am 28. Mai mit Polen (Text, ebenda, S. 198-201), am 14. September mit Bulgarien (Text, ebenda, 1978, Teil Il, S. 1-3) und am 3. Oktober mit der Tschechoslowakei (Text, ebenda, S. 5-7). Vgl. zur Interpretation dieser Verträge aus der DDR-Sicht H. Kröger i F. Seidel: Freundschaftsverträge - Verträge des Sozialismus. Berlin (Ost) 1979; Sozialistische Staatengemeinsdlaft und Völkerrecht. Autorenkollektiv. Leitung H. Kröger, ebenda. 147 Vgl. dazu J. Hacker, ebenda, S.10-12; ders. (Anm.132); B. Meissner: Die Bündnisverträge zwischen der DDR und der Sowjetunion, in: Aus Politik und Zeitgeschichte. Beilage zur Wochenzeitung "Das Parlament", B. 43 vom 27. Oktober 1979, S. 11-25.
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men. Sie geht davon aus, daß die DDR ihre historischen Aufgaben nur im Zusammenwirken mit der Sowjetunion und mit anderen sozialistischen Bruderländern lösen kann148." Im neuen, gleichfalls vom IX. Parteitag der SED angenommenen Statut der Einheitspartei genießt das Verhältnis der SED zur KPdSU Vorrang vor der internationalen Position der SED: "Die SED vertieft unablässig die unverbrüchliche Freundschaft und das brüderliche Bündnis mit der KPdSU, der Vorhut der kommunistischen Weltbewegunguo." Jetzt ist die SED nicht mehr nur ein "fester", sondern ein "untrennbarer Bestandteil der internationalen kommunistischen und Arbeiterbewegung". Hinzu kommt: Der "Abteilungsleiter" Honeelter wäre wie Peter Jochen Winters in seinem lesenswerten Porträt "Der Nachfolger stellt den Staatsgründer in den Schatten" festgestellt hat "ein schlechter Deutscher, wenn er nicht danach strebte, der beste Abteilungsleiter des jeweiligen Prinzipals in Moskau zu sein" 160• Wie sich die SED die "Erweiterung und Vertiefung der brüderlichen Zusammenarbeit" mit den Ländern der "sozialistischen Staatengemeinschaft" auf lange Sicht vorstellt, wird noch durch einen anderen Vorgang erhellt: Schon im Bündnispakt der UdSSR mit der DDR vom 7. Oktober 1975 war festgelegt worden, daß die "allseitige Festigung der Einheit und Freundschaft" zwischen beiden Staaten "den Grundinteressen der Völker beider Länder und der gesamten sozialistischen Staatengemeinschaft entspricht und der weiteren Annäherung der sozialistischen Nationen dient". Und im neuen Programm der SED ist von den "Gesetzmäßigkeiten des Aufblühens und der Annäherung sozialistischer Nationen" die Rede. Die SED verbindet mit ihrer These der "Annäherung der sozialistischen Nationen" eine bestimmte Absicht, die ihr permanentes deutschlandpolitisches Dilemma offenbart: Das neue Programm der Einheitspartei verdeutlicht unmißverständlich, daß es die DDR mit ihrer Aus149 Text in: Programm und Statut der SED vom 22. Mai 1976. Mit einem einleitenden Kommentar von K. W. Fricke. Köln 1976, S. 45, 92 f.: ,.Sie (die SED) sieht ihre wichtigste Aufgabe in der Entwicklung der allseitigen brüderlichen Beziehungen zwischen der DDR und der UdSSR, deren feste und dauerhafte Grundlage der Vertrag über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand vom 7. Oktober 1975 bildet." 149 Text, ebenda, S. 109. Wichtige Aufschlüsse für die Beziehungen der KPdSU zur SED vermitteln auch die Vorworte zu den "Dokumenten und Materialien der Zusammenarbeit zwischen der SED und der KPdSU", hrsg. vom Institut für Marxismus-Leninismus beim Zentralkomitee der SED. Berlin (Ost): 1971 bis 1974. 1975; 1975 und 1976. 1977. Vgl. dazu K. W. Fricke: Zusammenwirken SED/KPdSU immer enger, in: Deutschland:..Archiv 1975, S.1315-1317. 150 In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 29. Mai 1976.
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sage, seit dem Abschluß des Grundvertrags mit der Bundesrepublik Deutschland gebe es keine "offene deutsche Frage" mehr, ernst meint. So war es schon konsequent, daß der Änderung des Artikels 8 der Verfassung vom 6. April 1968 auch jener Passuns zum Opfer fiel, in dem noch von der "Vereinigung Deutschlands auf der Grundlage der Demokratie und des Sozialismus" die Rede war. Das bedeutet: Am 7. Oktober 1974 hat sich der "sozialistische Staat der Arbeiter und Bauern" - dieses Formel ist in der revidierten Fassung der Verfassung an die Stelle der alten getreten: "Die DDR ist ein sozialistischer Staat deutscher Nation" -, des Verfassungsauftrags zur "Vereinigung" der beiden Staaten in Deutschland begeben. Im neuen SED-Programm wird die seit Jahren immer wieder vorgetragene Formel, in der DDR entwickele sich die "sozialistische deutsche Nation", stark herausgestellt. Diese These Ulbrichts hatte Honekker bereits auf dem VIII. Parteitag der SED im Juni 1971 wiederholt. Bezeichnend ist aber, daß Ulbrichts Formel, die DDR sei der "sozialistische deutsche Nationalstaat" zwar in die Entschließung des VIII. Parteitags der SED aufgenommen161 und auch in Honeckers Bericht des Zentralkomitees der SED an den IX. Parteitag übernommen worden war152, ohne sich jedoch im neuen Programm der Einheitspartei niederzuschlagen. Darin wird die DDR als "sozialistischer Nationalstaat", nicht aber als "sozialistischer deutscher Nationalstaat" apostrophiert. Nach der ab 1974/75 seitens der DDR vollzogenen totalen Ostorientierung ihrer Außenpolitik stellt sich abschließend die Frage, welchen Stellenwert das "Deutschland"-Problem in den politischen Beziehungen zwischen Moskau und Ost-Berlin noch einnimmt. Nach dem von Bundesregierung und parlamentarischen Opposition gemeinsam getragenen Postulat der Bonner Deutschland-Politik ist die "deutsche Frage" auch nach dem Abschluß des innerdeutschen Grundvertrags politisch und auch rechtlich nach wie vor offen. Wenn die DDR stereotyp das Gegenteil behauptet, muß sie sich darüber im klaren sein, daß die UdSSR nie einen Zweifel daran gelassen hat, in der "deutschen Frage" auch nach der Unterzeichnung der Ostverträge und des Grundvertrags ein gehöriges Wort mitzusprechen. Daher ist auch die Nichtberührungsklausei des Artikels 10 des Bündnispakts zwischen der UdSSR und der DDR vom 7. Oktober 1975 wieder sehr weit gefaßt: Text in: Deutschland-Archiv 1971, S. 878. m Text des Berichts vom 18. Mai 1976, in: Neues Deutschland vom 19. Mai 1976, S. 3-13 (13). Vgl. dazu ausführlicher J. Hacker (Anm. 136). Vgl. über die Entwicklung der "nationalen Frage" aus der Sicht der DDR bis Anfang 1980 J. Hacker: "Im großen und ganzen die gleichen ethnischen Merkmale". Das nationale Dilemma der DDR, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 15. April 1980. 151
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"Dieser Vertrag berührt nicht die Rechte und Pflichten der hohen vertragschließenden Seiten aus gültigen zwei- und mehrseitigen Abkommen." Damit hat die sowjetische Führung noch einmal unmißverständlich klargestellt, daß sie sich jederzeit auch auf Abmachungen mit den Alliierten aus der Kriegs- und Nachkriegszeit berufen kann, an denen Deutschland nicht beteiligt war. Das gilt auch und gerade für eine wie auch immer geartete Lösung der "deutschen Frage". In diesem zentralen Punkt entbehrt die Deutschland-Politik der DDR als Teil ihrer Außenpolitik der Klarheit. Am 12. Dezember 1974 beschränkte sich SED-Chef Honecker in seiner Rede vor dem Zentralkomitee seiner Partei, in der er erstmals meinte, daß die Staatsbürger der DDR "der Nationalität nach in der übergroßen Mehrheit" Deutsche seien, auf die Feststellung, die DDR "repräsentiert" das sozialistische Deutschland ... " Im übrigen sind wir nach wie vor der Ansicht, daß beim Fortschreiten des revolutionären Weltprozesses der Sozialismus auch um die Bundesrepublik Deutschland keinen Bogen machen wird. Dies ist jedoch eine Sache der Zukunft163." Beide Aussagen wurden nicht in das neue SED-Programm vom 22. Mai 1976 aufgenommen. Das Programm der SED ist - ebenso wie die revidierte Verfassung - ohne jede gesamtdeutsche Perspektive oder gar Mission. Es besagt nur, "daß alle Länder der Erde unausweichlich zum Sozialismus und Kommunismus gelangen werden". Damit hat sich die SED eine Tür offen gelassen, um eines Tages, wenn es ihr opportun erscheinen sollte, wieder eine gesamtdeutsche Perspektive zu formulieren. Die SED-Führung weiß, daß sie eine solche Schwenkung ihrer Deutschland-Politik nur vornehmen kann, wenn das im Interesse des "großen Bruders" in Moskau liegt.
1u Text in: Neues Deutschland vom 13. Dezember 1974. Vgl. dazu auch die Rede E. Honeckers vor den ersten Sekretären der Kreisleitungen der SED vom 17. Februar 1978. Text in: Neues Deutschland vom 18./19. Februar 1978.
SICHERHEIT ZWISCHEN ENTSPANNUNG UND EINDÄMMUNG Von Wolfram von Raven Vor e1mgen Tagen ist mir das Manuskript einer Rede zugespielt worden, die der Generalsekretär des Nordatlantikpaktes - offenbar hinter verschlossenen Türen - vor den Partnern gehalten hat. Ich zitiere wörtlich, was er sagte: "Wenn Sie hören, daß Leonid Breschnew Truppen nach Prag marschieren läßt, stimmen Sie für einen Protest gegen die Besetzung der Tschechoslowakei; wenn seine Streitkräfte in Kabul einziehen, stimmen Sie für einen Protest gegen die Besetzung Afghanistans. Ist seine Armee sonstwo, so halten Ihre Proteste mit ihr Schritt- immer nur hin und her. Sie haben nie eine Strategie selbst geplant, nie ein Ereignis vorausgesehen, bis Sie erfuhren, daß etwas geschehen war oder geschah ... Es ist nicht mein Geschäft zu raten, was die Zukunft bringen könnte; wir dürfen sicher sein, daß sie uns Unheil bringt, wenn Sie den Tatsachen nicht in die Augen schauen ...". Soweit das Zitat. Das Erstaunen, das ich auf Ihren Gesichtern lese, zeigt mir, daß es mir gelang, Sie zu verblüffen, weshalb ich mich beeile, Sie um Verzeihung zu bitten, daß ich mich einer Fälschung schuldig machte. Die zitierte Rede wurde zwar tatsächlich gehalten, aber nicht von J oseph Luns, sondern- vor 2300 Jahren- von Demosthenes, der vergeblich versuchte, die Athener zum Widerstand gegen Philipp von Makedonien aufzurütteln. Ich habe nur Orts- und Eigennamen geändert, bin sonst jedoch beim Urtext geblieben, da mir - trotz aller Unterschiede zwischen Breschnew und Philipp, der modernen und der antiken WeltÄhnlichkeiten immerhin aufzufallen scheinen. Wenden wir uns von jener fernen zur nahen Vergangenheit: Im Westen hatten die siebziger Jahre weithin mit der Hoffnung begonnen, durch Entspannung einen Gewinn an Sicherheit zu erreichen, die Gefahren, die durch die Konfrontation mit dem Osten während der vierzigerund fünfziger Jahre entstanden waren, durch Kooperation zu überwinden, gar die Aufrüstung in Abrüstung umzukehren. Das alles hat sich - noch ehe das Dezennium endete - als fataler Irrtum herausgestellt, so daß die westliche Welt - wenn sie sich von dem Pathos ihrer autosuggestiven Propaganda löst- gezwungen ist, einen Verlust an Sicherheit zu konstatieren, also ein Anwachsen der östlichen Dro-
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hung, die nicht fürderhin negiert werden kann, sondern konventionell maritim und atomar eine Nachrüstung veranlassen muß, die der Vorrüstung der Gegenseite die Waage hält. Am Anfang der achtziger Jahre steht somit die bittere Notwendigkeit, beträchtliche Anstrengungen in die amerikanischen und westeuropäischen Streitkräfte zu investieren, damit das Gleichgewicht mit den sowjetischen und osteuropäischen Streitkräften bis zum Abschluß dieser achtziger Jahre gewährleistet wird. Widmen wir uns zunächst dem Ort der aktuellen Krise, die uns wenn wir Sichtbares überhaupt noch zu sehen vermögen - derartige Lehren erteilen sollte: Afghanistan ist mit rund 650 000 Quadratkilometern etwa zweieinhalb mal so groß wie die Bundesrepublik, aber nur von 15 - 20 Millionen Menschen unterschiedlicher Stammeszugehörigkeit bewohnt: Afghanern, Tadschiken, Usbeken, Belutschen, Turkmenen, Kirgisen, Kasachen und Persern. Es hat durch seine geographische Lage stets das strategische Interesse der Mächte erregt. Der britische und der russische Drang zur imperialen Ausweitung waren zeitlich und räumlich ungefähr parallel verlaufen, der britische auf den See-, der russische auf dem Landwege. Die beiden Imperien hatten sich in Afghanistan berührt und danach immer wieder gerieben, so daß Britannien drei afghanisehe Feldzüge - 1838 bis 1842, 1878 bis 1860 sowie 1919 - vornehmlich von dem Motiv herrührten, die Suprematie Rußland auf diesem Terrain zu verhindern. Nur scheinbar lag das Land hernach im Windschatten der Weltereignisse, die zunächst - soweit sie sich in einem west-östlichen Kampf um Einfluß in Asien äußerten - anderswo kumulierten. Im Ergebnis der Entwicklungen und Konflikte eines Vierteljahrhunderts leerte sich der asiatische Raum Zug um Zug von westlicher, zumal amerikanischer Macht, was der östlichen, also sowjetischen Macht Gelegenheit bot, ihn zu füllen. Wie überall folgten die roten den Spuren der weißen Zaren. Seit dem kommunistischen Staatsstreich des Jahres 1978, der dem monarchischem Regime den Garaus machte, glaubte der Kreml, Afghanistan, das formell wohl noch blockfrei blieb, fest in der Faust zu halten. Er mußte indessen feststellen, daß sein Satrap in Kabul die Herrschaft aus eigener Kraft nicht wahren konnte. Moskau erkannte die Gefahr, die just gewonnene Position wieder zu verlieren, handelte daher am 27. Dezember 1979 - nach sorgsamer Vorbereitung - in Form der Aggression, wohl in der Annahme, daß Washington dem nichts entgegenzusetzen vermöchte.
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Moskaus Stoß, auf den Washington mit ungewohnter Heftigkeit reagierte, erklärte sich gleichermaßen aus "defensiven" wie aus offensiven Erwägungen. Der Kreml dürfte die Revitalisierung des Islam ja mit Sorge sehen, da die mohammedanischen Völkerschaften, die seiner Diktatur unterworfen sind, immerhin 50 Millionen Menschen haben. Vor der Revolution hat es im Petersburger Reich immerhin 24 000 Moscheen gegeben, von denen im Resultat brutaler Unterdrückung jeder Religion bloß ein karger Rest von 300 geblieben ist. Diesseits und jenseits der Grenze leben zudem Stämme gleicher Sprache, gleicher Kultur, gleicher Tradition, was die Befürchtung rechtfertigen mag, daß nationalistischer Sprengstoff von Außen nach Innen getragen wird. Es galt daher, die Zündschnur auszutreten, ehe sie die Detonation auslöste. Das defensive verbindet sich mit dem offensiven Motiv, denn Afghanistan bildet das Sprungbrett zum indischen Subkontinent und zum Indischen Ozean, zu den persischen Ölquellen und zum Persischen Golf, der mit 700 Kilometern Luftlinie nun näher, wenn auch noch nicht in Griffweite liegt. Vielleicht strebt die Sowjetunion an, die Staatenstruktur jener Region zu zerstören, womöglich ein Land Belutschistan - aus afghanisehen, pakistanischen und iranischen Teilen - zu schöpfen. Das würde ihre Suprematie vollends sichern, den Ring um die Ölgebiete ganz und gar schließen. Die Vereinigten Staaten müssen sich-angesichtssolcher Tendenzen - auf den Plan gerufen fühlen, weil sie die Strangulation ihrer Wirtschaft auch nicht als bloße Gefahr akzeptieren können. Washington hat die bereits vorhandenen Stützpunkte Moskaus im Auge, ist gezwungen, die eigenen Basen zu festigen, eine ständige Präsenz aufzubauen, zu der ihm bisher noch die Mittel mangeln. Die Erklärung des Golfs zum amerikanischen Interessengebiet setzt bereits die Absicht der Eindämmung gegen den sowjetischen Anspruch der Ausdehnung. Ob und Wie dieses Ringen im Laufe dieses Dezenniums entschieden wird, dürfte auch das Schicksal Europas bestimmen. Nordamerika bezieht 46 Prozent seines Öls aus diesem Gebiet, Westeuropa 66 Prozent und Japan 75 Prozent. Aber begreifen wir, was passiert? Nehmen wir- beim Blick auf die Tatsachen - Abschied von Träumen? Wissen wir, daß es darauf ankommt, Konsequenzen zu ziehen? Der sowjetische Sturm, der Afghanistan traf, hat das Wolkenkuckucksheim, das während des vergangeneo Jahrzehnts von der amerikanischen wie von der europäischen Politik aufgebaut worden ist, jäh zum Einsturz gebracht. Hatte es nicht in den Vereinigten Staaten wie 13 Grewe u. a.
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auf unserem Kontinent geheißen, die Sowjetunion strebe - obwohl auf hysterisch übertriebene Weise- lediglich nach der Sicherung ihres bisherigen Blocks, werde also zwar politische Seitensprünge ihrer Satelliten mit militärischer Macht zu verhindern wissen, nicht aber mit Streitkräften über die Grenzen ihres Imperiums hinausgreifen? War diese Annahme, die sich weithin allmählich zum Dogma verdichtete, nicht die Basis für die Behauptung gewesen, daß es - eben um einen Wandel des west-östlichen Verhältnisses von der Konfrontation zur Kooperation, von der Aufrüstung zur Abrüstung zu erreichen - genüge, dem Kreml die Unantastbarkeit seines "Besitzstandes" zu verbürgen? Weil Warnungen und Widerstände zum Glück weiterhin wirkten, war die Politik der Eindämmung, durch die der Westen bis dahin die Politik der Ausdehnung des Ostens konterkariert hatte, in der Konsequenz aus solchen Hypothesen wohl nicht vollends einer Euphorie der Entspannung gewichen; doch waren die Bemühungen um die Wahrung des Gleichgewichts der Kräfte in zunehmendem Maße auf Schwierigkeiten gestoßen, weil die Regierungen in den Sog von Illusionen gerieten, die sie - der Popularität zuliebe - selbst erzeugt hatten. Der Konflikt, der aus der sowjetischen Expansion erwachsen war, hatte aus amerikanischer wie aus europäischer Sicht - nur noch den Charakter der Konkurrenz, die sich Zug um Zug durch Kartellabsprachen regeln ließe. Das Bild der Wirklichkeit war - obwohl der Ablauf der Ereignisse das Auge immer wieder geöffnet hatte - überdies durch Wunschdenken verschleiert. - John F. Kennedy meinte, daß es zwischen den USA und der UdSSR eigentlich gar keine Gegensätze gebe, nur die Probleme der Bundesgenossen Lösungen verlangten; er wurde durch die Kuba-Krise in drastischer Manier belehrt. - Lyndon B. Johnson nannte unsere Zeiten "die hoffnungsvollsten in den gesamten Jahren seit Christi Geburt in Bethlehem"; er wurde durch die Verstrickung in Vietnam in eine Notlage gebracht, aus der er sich nicht zu befreien vermochte. - Richard Nixon versprach "Frieden für Generationen"; er mußte dann während des Krieges in Israel eine Situation bestehen, die nur durch die Bereitschaft zum militärischen Engagement politisch einigermaßen bewältigt werden konnte. - Gerald Ford feierte die SALT-Absprache von Wladiwostok, die er mit Leonid Breschnew traf, als einen "Durchbruch", der - wie es sich bald danach erwies - freilich nicht weiter, sondern bloß von einer Sackgassein die nächste führte.
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- Jimmy Carter tauschte vor einigen Monaten in Wien gar Küsse mit dem Kontrahenten; er zeigt sich jetzt getäuscht und enttäuscht, weil Moskau Kriegslust demonstriert, sich also von Washington nicht zur Friedfertigkeit bekehren ließ. Die Irrtümer der amerikanischen Weltmacht - hier zweifellos in einer allzu groben Skizze dargestellt - entsprachen genau denen ihrer europäischen Alliierten, weil das, was sich Zeitgeist nennt, eben beiderseits des Ozeans gleichermaßen waltet, die Sehnsucht nach Ruhe daher - trotz gefährlicher Explosionen - immer wieder zu Wunschvorstellungen wird, die den Wirklichkeitssinn narkotisieren. Die Neigung, nach Strohfeuern der Empörung mit dem sowjetischen Gegner Nachsicht zu üben, trug wesentlich dazu bei, daß die Vorsicht verkümmerte. Daß der Westen Abrüstung begehrte und dafür Vorleistungen erbrachte, sah der Osten nicht etwa als Anlaß, diesem Verfahren durch Nachleistungen zu folgen, sondern als Gelegenheit, seine Macht durch Aufrüstung zu steigern. Weil die Sowjetunion erfahren konnte, daß die Vereinigten Staaten der Ausdehnung ihres Einflusses in Asien und Afrika, an den Rohstoffquellen und auf den Rohstoffstraßen, allenfalls verbal widersprachen, doch faktisch nicht widerstanden, mußte sie glauben, daß der Einsatz ihrer eigenen Truppen ebenso ohne Konsequenzen bleiben würde wie der Einsatz fremder Truppen. Eine Entspannung, die auf Kosten der Eindämmung gegangen ist, hat uns demgemäß nicht Sicherheit, sondern Unsicherheit eingetragen. Das Bemühen darum sollte deshalb durchaus nicht aufgegeben, aber von Ideologie befreit und nach dem ursprünglichen Vobild des Bogenschützen betrieben werden. Das heißt: Der Schütze, der den Pfeil in Zielrichtung festhält, darf die Sehne des Bogens erst lockern, wenn es der Gegner ebenso tut, den Pfeil erst in den Köcher stecken, wenn es der Gegner gleichfalls macht, den Köcher erst ganz oder teilweise leeren, wenn der Gegner dasselbe leistet. Die "Politik des guten Beispiels", die der Westen allzu oft durch vorzeitige Verzichte vollzogen hat, ist zweifellos mitschuldig an jener Politik der schlechten Sitten, die der Osten vollstreckt. Der "kalte Krieg" braucht nicht - wie es manche lauthals befürchten wieder anzufangen, weil er nie in einer der drei einzig möglichen Formen, also durch Sieg, Niederlage oder Kompromiß, abgeschlossen, sondern als "heißer Frieden" fortgesetzt wurde. Mit dem Wechsel des Wortes verband sich daher kein Wandel der Sache. wie es zu westlichem Nachteil und zu östlichem Vorteil weithin propagiert wird. Daß sich Moskaus Offensive in Europa mit einer Strategie der drohenden Waffen begnügt, während es in Asien und Afrika eine Strategie der schießenden Waffen exekutiert, erklärt sich aus den Unterschieden in 13°
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den Maßen der gegensätzlichen Mächte. Anders als auf afrikanischen und asiatischem Boden wird die Defensive auf europäischem Terrain ja durch ein massives Engagement Washingtons unterstützt. Die These von der Teilbarkeit der Entspannung scheint sich mithin zu bestätigen, sollte indessen- was ihre Verfechter leider nicht wissen wollten- als Folge des Faktums verstanden werden, daß die Unteilbarkeit der Eindämmung nicht durchgehalten wurde. In Afghanistan konnte die UdSSR erwarten, daß der Preis, den sie für die Eroberung zahlen mußte, weit unter dem Wert dieser Eroberung liegen würde, weil ja die Aggression nicht auf konventionellen Truppen oder gar atomare Kampfmittel der USA träfe. Es ist nun nötig, dem Kreml zu zeigen, daß er sich dennoch verrechnet hat. Der Gigant des Ostens sollte nicht annehmen dürfen, daß sich der Westen bald wieder anschickt, das zertrümmerte Luft- und Lustschloß seiner Illusionen sozusagen unter Denkmalschutz zu stellen und zu restaurieren, also die Festigung seiner defensiven Stellung zu vernachlässigen und - allen Beweisen des Gegenteils zum Trotz - starrsinnig zu leugnen, daß es offensive Ambitionen des Gegners zu parieren gilt. In der Tat sind ja die Anstrengungen der Sowjetunion, die jene der Vereinigten Staaten und ihrer Bundesgenossen erheblich überragen, nicht allein mit defensiven Absichten und mit dem Bemühen zu begründen, die latent aufsässigen Völker der Satellitenländer in Räson zu halten. Sie haben- wie es die Struktur der Streitkräfte und der Stand ihrer Ausstattung dokumentieren- das Motiv offensiven Ehrgeizes. Damit wird nicht gesagt, daß es der östlichen Führung heute oder morgen darum gehe, die Dampfwalze gegen die westliche Gemeinschaft in Europa und Amerika zu starten. Der Osten, der den Waffengang weiterhin wahrscheinlich scheut, wenn auch nicht ganz und gar ausschließt, will den Westen vermutlich nicht in einem Krieg niederstrecken, seine Streitmacht also nicht a priori zu einer physischen Operation, sondern vornehmlich psychologisch zum Zweck der Drohung verwenden, um derart früher oder später den Frieden nach seinem Gusto zu diktieren. Er benutzt seine militärischen Werkzeuge mithin als Instrumente zu politischem Druck, wobei es ihm hilft, daß sich das westliche Denken dagegen sperrt, dies als Sinn des östlichen Handeins in Rechnung zu stellen. Demokratien bereitet es meist Mühe, die Eigenart von Diktaturen zu erfassen, die sich ohne Rücksicht auf das Konsumbedürfnis der Nationen auf die Machterhaltung und Machtentfaltung der Staaten konzentrieren. Liberales Denken folgt dem natürlichen Drang nach Wohlstand, weshalb es stets der Beobachtung mißtraut, daß totalitäres Handeln den krampfhaften Zwang eines ständigen Notstandes braucht.
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Das Verkennen der Differenzen - des Umstands, daß diktatorische Regime die Hierarchie der Dinge ziemlich genau umgekehrt sehen wie demokratische Regierungen- verleitet immer wieder zu Irrtümern in der Einschätzung der Motive des Gegenüber, verführt daher zu den geschilderten Irrwegen im Verkehr mit ihm. Phrasen vernebeln zudem die Hirne und blenden den Blick, dem so die Erkenntnis und die Einsicht versagt werden, daß der Krieg seine Rolle als Fortsetzung der Politik mit Einmischung anderer Mittel bei uns mehr oder minder nur insoweit ausgespielt hat, wie es geglückt ist, jene anderen Mittel - vor allem eben die Kernwaffen- in den Frieden einzufügen. Wir verdanken den Frieden somit nicht eigentlich dem Wachstum der Vernunft, sondern dem Wissen, daß der Krieg das Maß unserer Unvernunft überstiege. Die direkten Strategien, die sich durch die brutale Anwendung der Gewalt in Angriff oder Verteidigung äußern, wurden zwar nicht völlig aus dem Kaleidoskop der Eventualitäten gelöscht, doch von den indirekten Strategien überlagert, die mit der subtilen Androhung von Gewalt arbeiten, indem sie zeigen, was geschehen könnte, damit die gewünschte Wirkung erzielt wird, ohne daß es geschehen müßte. Die Offensive stellt sich dabei in dem Versuch der Einschüchterung, die Defensive in dem Vermögen zur Abschreckung dar, so daß die alten Methoden des Eroberns und des Abwehrens in neuen Formen wechselseitiger Einflußnahme ihre Gültigkeit wahren. Die Strategie änderte sich somit nicht zu einer Veranstaltung der Moral, sondern sie blieb ein Unternehmen der Macht, die zwar nie nur eine Summe aus militärischen Zahlen, sondern stets ein Produkt aus politischen Faktoren ist, aber im Maße ihrer Möglichkeiten mit der Stärke oder der Schwäche der Streitkräfte und Kampfmittel zu .tun hat. Darum stehen die Aufrüstung, die gemeinhin als Ursache der Spannungen beklagt, und die Abrüstung, die gewöhnlich als Mittel der Entspannung begrüßt wird, in so komplizierter Wechselwirkung zueinander, daß die Bewertung der ersteren als böse und der letzteren als gut die Beurteilung von Vorgängen und Vorhaben im west-östlichen Kräftespiel verzerrt. Da sich die Aufrüstung des Ostens nicht am Gleichgewicht orientiert, steigert sie die Spannung, während eine Abrüstung des Westens - sofern sie ebenfalls zur Mißachtung der Balance tendiert - die Entspannung hindert. Es verwundert nicht, daß die östliche Seite zum einen in Verhandlungen versucht, psychologische Effekte zu erzielen, die den Verteidigungsanstrengungen der westlichen Seite Hemmungen auferlegen, zum anderen in der Rüstung fortfährt, ihr Waffenarsenal auf atomarem, konventionellen und maritimem Gebiet quantitativ zu erweitern und qualitativ anzureichern. Die bisweilen anscheinend konziliante Ver-
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handlungstaktik und die offensichtlich konsequente Rüstungsstrategie ergänzen sich gegenseitig zu einer Politik, die darauf hinausläuft, das Kräfteverhältnis so umzugestalten, daß einer Expansion des sowjetischen Einflusses, die bisher durch die amerikanische Macht eingedämmt wird, sozusagen Gelegenheiten geöffnet werden. Folglich bedarf es des Kunststücks nicht, die westliche Parabel von den "Falken" und den "Tauben" auf die östliche Führung zu übertragen, um zu erläutern, warum der Osten einerseits Entspannungspolitik mit dem Westen, andererseits Rüstungspolitik gegen ihn betreibt. Im Kreml gibt es zwar vielleicht Meinungsverschiedenheiten über die taktischen Methoden, die von Fall zu Fall benutzt werden können, nicht aber gewiß über die strategischen Resultate, die erreicht werden müssen. Bei seinen Begegnungen mit dem Osten kann der Westen im übrigen eine Sentenz des Dichters Ignazio Silane bestätigt finden, wonach sich internationale Verhandlungen vor allem darum als ungemein schwierig erweisen, weil dabei nicht bloß von einer Sprache in die andere, sondern auch von einer Ideologie in die andere übersetzt werden muß. Identische Worte haben meist keinen identischen Sinn, sind darum oft Ursache für Fehleinschätzungen und Fehlentscheidungen. Die Erfahrung lehrt zudem, daß die östliche Seite allenfalls den Buchstaben von Verträgen Treue schwört, den "Geist" von Abkommen, auf dessen Wirksamkeit die westliche Seite immer wieder vertraut, indessen gar nicht wahrzunehmen vermag. Mit ambivalenten Texten Probleme in der Hoffnung überkleistern zu wollen, daß sich ihre Lösung im Verlauf der Entwicklung beinahe automatisch ergeben werde, widerspricht dem Charakter dieses Kontrahenten, der sich derart keinesfalls von der dynamischen Ausdehnung seiner Machtsphäre zu einem statischen Selbstschutz bekehren läßt. Wennangesichtsall dessen von Gleichgewicht die Rede ist, so hat das nichts mit einer politischen Balance zu tun, die - wie einst die Staatenordnung Europas auf der Gleichheit oder Ähnlichkeit der Gesellschaftsordnungen und Weltanschauungen beruhte. Es muß- damit die Auseinandersetzung nicht zum Waffengang entarten kann- um ein militärisches Gleichgewicht gehen, nicht um eine symmetrische, sondern um eine asymmetrische Balance, die bedingt, daß der Westen die Schwächen, die ihm gegenüber dem Osten unvermeidbar anhaften, durch Stärken auszugleichen versucht, die seinen natürlichen Fähigkeiten entsprechen. Da die östliche Weltmacht vornehmlich ihre Quantität die Menge ihrer Mittel und Menschen - auf die Wagschale wirft, hat es die westliche Weltmacht, die dazu nicht in der Lage ist, in jedem Fall nötig, ihre Qualität - die Überlegenheit ihrer Technologie und ihrer Technik, die sie ihrem Wirtschafts- und Gesellschaftssystem verdankt
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-ins Spiel zu bringen. Wenn es auch gilt, dem wilden Wuchern der Waffen zu wehren, kommt es doch ebenso - ja, gerade deshalb darauf an, mit "arms control" nicht schlechthin die Fesselung der Rüstung, sondern deren rationale Lenkung zu meinen. Kann der Westen wirklich noch die Erfüllung seiner Hoffnung erwarten, daß sich sein Verhältnis zum Osten im nächsten Jahrzehnt grundlegend verbessert? Muß nicht eher mit der Fortsetzung einer Entwicklung gerechnet werden, in der sich die west-östlichen Beziehungen weiter verschlechtern? Die Brüsseler Dezember-Konferenzen der Allianz, in denen der harte Rhythmus der Rüstung die sanfte Melodie der Entspannung übertönte, haben ja dargetan, daß für das Bündnis beträchtliche Anstrengungen nötig sind, um das Gleichgewicht der Kräfte mit dem Gegner zu halten. Diese Bemühungen aber - dringend geboten und daher gegen massiven Widerwillen beschlossen - zwingen den Westen in eine Bewährungsprobe, da es darauf ankommt, heftigen Widerstand zu überwinden, den der Osten mobilisieren wird, um die Verwirklichung der Pläne zu hemmen. Mit Mühe und Not hat die NATO ja die Entscheidung zustandegebracht, amerikanische Mittelstreckenwaffen auf europäischem Felde zu stationieren und dem sowjetischen Kontrahenten zugleich ein Angebot zu präsentieren, das Verhandlungen über eine Begrenzung solcher Kampfmittel bezweckt. Die Solidarität des Bündnisses ist somit nach außen hin einigermaßen gewahrt geblieben, was vor allem dem überzeugten Engagement der Amerikaner, der Briten und der Deutschen gedankt werden darf. Durch die Vorbehalte der Niederländer und der Belgier, die das Programm bloß mit allerlei Wenns und Abers akzeptierten, zeigt diese Solidarität indessen von innen her allzu deutlich bedenkliche Risse, was die Sowjets zu der Annahme ermutigen mag, daß sich durch propagandistische Trommelfeuer - durch Lockung und Drohung- die Atomspaltung der Allianz doch noch erreichen läßt. Denn die demoskopischen Demokratien des westlichen Lagers büßen ihre Immunität gegen die demagogische Agitation des östlichen Blocks mitunter rasch ein, wenn es darum geht, Maßnahmen einer dosierten Aufrüstung gegen Stimmungen durchzuhalten, die beinahe um jeden Preis zur Abrüstung drängen. Noch wird nicht überall begriffen, daß die Nachrüstung der NATO, die in drei bis vier Jahren durch die USA in Gang gesetzt werden soll, durch die Vorrüstung der UdSSR, die vor etwa drei bis vier Jahren zweifelsfrei erkennbar wurde, eine unabwendbare Notwendigkeit bedeutet. Noch wird auch nicht überall verstanden, daß Moskaus Versuch, eine Hetzkampagne gegen Washington zu entfesseln, nach der Methode "Haltet den Dieb!" von der eignen Verantwortung ablenken will.
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Wie es das Sicherheitsweissbuch der Bundesrepublik ausweist, stehen der Sowjetunion insgesamt 1370 Kernwaffen jener Kategorien, die nicht die Vereinigten Staaten, sondern allein unseren Kontinent bedrohen, einsatzbereit zur Verfügung. Unter den 620 Raketensystemen, die dazu gehören, spielt das System des Typs SS-20 eine besondere Rolle, dessen Flugkörper jeweils drei Ladungen unabhängig voneinander treffsicher in verschiedene Ziele tragen und das bald nach dem Start der Geschosse von den 100 beweglichen Werfern, die bisher in den Dienst gestellt wurden, eine weitere Serie in gleicher Menge abzufeuern vermag. Ebenso sind in der Armada von 750 Bombern die 80 Flugzeuge des Modells "Backfire" von besonderem Gewicht, da sie als Schwenkflügler die Fähigkeit haben, die Abwehr zu überfordern. Gegen dieses Aufgebot des Ostens, das der UdSSR die Möglichkeit zur Einschüchterung des Westens auf unserem Erdteil verleiht, setzt das Bündnis lediglich ein bescheidenes Instrumentarium von ähnlicher Art ein- nämlich 386 Waffensysteme der USA, Großbritanniens und Frankreichs. Nicht jedoch nur quantitativ, sondern auch - an technischen, organisatorischen, militärischen und politischen Kriterien gemessen- qualitativ können die westlichen Werkzeuge der geschilderten Sorten den östlichen nicht entsprechen, so daß sie ergänzt und modernisiert werden müssen, damit eine Balance gewährleistet wird. Dazu werden 464 "cruise missiles" des Typs "Tomahawk" (Reichweite 2500 km) und 108 ballistische Raketen des Modells "Pershing II XR" (Reichweite 1800 km) vorgesehen. Die Amerikaner, die momentan bloß mit 150 Mittelstreckenbombern aufwarten, wollen mit diesen Kampfmitteln ihre Atombindung an Europa betonen, so daß die Sowjets ihre hegemonialen Ambitionen aufgeben sollen. Denn in dem seihen Maße, in dem die USA ihre Fähigkeit verloren, mehr als jene Langstreckenwaffen der UdSSR zu neutralisieren, die sich gegen amerikanisches Territorium richten, gewannen die sowjetischen Mittelstreckenwaffen, die sich gegen europäisches Territorium wenden, die Wucht drastischer Wirksamkeit. Die Nachrüstung des Westens, die der Vorrüstung des Ostens in diesem Bereich nun folgen soll, dient freilich nicht bloß dem politisch-psychologischen Zweck, die "Atomgarantie" der atlantischen Weltmacht zu retten. Sie gilt gleichermaßen dem militärisch-strategischen Ziel, die Konzeption der NATO, in der bedenkliche Lücken klaffen, mit der erforderlichen Substanz zu füllen. Im Rahmen ihres Dispositivs, das unter dem Titel "flexible response" firmiert, will die Allianz einem Angriff zunächst mit konventioneller Verteidigung begegnen, dann aber nicht sofort auf die atomare Massenvernichtung umschalten. Die amerikanischen Kernwaffen auf dem
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westeuropäischen Felde sind somit nicht Mittel einer totalen Vergeltung, sondern sie haben die Aufgabe, im selektiven Einsatz Einzelobjekte sowohl in den osteuropäischen Ländern als auch im sowjetischen Raum zu bekämpfen, um den Agressor auf schmwerzhafte Weise zu warnen, damit er seine Agression einstellt. Das derzeitige Potential reicht dazu aber nicht aus, da es zwar Europa vom Atlantik bis zur Weichsel verwüsten könnte, den Urheber der Auseinandersetzung jedoch mehr oder minder verschonen müßte. Das Bündnis braucht folglich Kapazitäten, die es aus dieser Situation befreien. Würden die europäischen Bundesgenossen ihre Zustimmung zu dem Rüstungsplan verweigert haben, so wäre der amerikanische Alliierte faktisch aus der Verantwortung für die Abschreckung entlassen worden, so daß der sowjetische Gegner die Möglichkeit erworben hätte, mit seiner Strategie der Einschüchterung erfolgreich zu sein. Denn die NATO kann von den USA keine Eskalation der großen Sprünge erwarten, die in der Schlacht um Europa vorzeitig Langstreckenwaffen für den Schlagabtausch mit der UdSSR erfordern würde; aus eigenen Interesse muß die Gemeinschaft dafür Sorge tragen, daß der maßgebliche Partner des Paktes das Vermögen zu einer Eskalation der kleinen Schübe mit Mittelstreckenwaffen entwickelt, die den Erfordernissen der Strategie Rechnung tragen. Geschähe das nicht, so stünde der Westen früher oder später vor der Wahl, entweder eine Verteidigung zu akzeptieren, die sich als "Vietnamisierung" bezeichnen ließe, oder in eine Politik gegenüber dem Osten auszuweichen, die aus der Angst vor dem Angriff die "Finnlandisierung" bewirkte. Als Maßnahme der Modernisierung, die den Abzug von 1000 Stück Kernmunition möglich macht, erlöst die atomare Nachrüstung des Nordatlantikpaktes nicht von der Pflicht, auch der konventionellen Vorrüstung des Warschauer Paktes mit adäquaten Anstrengungen Paroli zu bieten. Im abgelaufenen Dezennium hat der Osten sein Potential an herkömmlichen Kampftruppen und Kampfmitteln qualitativ um 65 Prozent verbessert und quantitativ um 22 Prozent vermehrt, während der Westen seine Kapazitäten in der Qualität nur um 10 Prozent, in der Quantität gar bloß um 2 Prozent wachsen ließ. Nach den Berechnungen der USA wird der Militäraufwand der UdSSR im Jahresdurchschnitt um reale Raten von 3 - 4 Prozent gesteigert, so daß diese Ausgaben etwa 11-13 Prozent des Volkseinkommens betragen. Trotz der immensen Investitionen der östlichen Weltmacht versäumten es die westlichen Länder zu einem erheblichen Teil, ihr Versprechen vom vorigen Jahr zu halten, also ihre Wehrbudgets um rund 3 Prozent durchschnittlich je Jahr über die Inflationsquoten hinaus aufzustocken. Um ein Signal für die Sowjets zu setzen, wollen die Amerikaner im
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Durchschnitt der nächsten fünf Jahre ihre Wehrbudgets jeweils um echte 4,5 Prozent erhöhen. Sie werden ihre Leistungen für das Bündnis dabei jedoch an den Beiträgen der Bundesgenossen bemessen, so daß ihnen die Europäer - im Sinne der eigenen Sicherheit - folgen sollen. Es war nützlich, die Aufrüstungsbeschlüsse, denen sich die Allianz konkret mit Ja oder Nein zu stellen hatte, mit Abrüstungsvorschlägen zu kombinieren, die den Prozeß der Entspannung fördern mögen. Begründet mit der Absicht, außenpolitisch nicht in die Defensive gedrängt zu werden, sondern die Initiative zu behalten, dienen sie den Alliierten zugleich zur innenpolitischen Abdeckung ihres Kurses. Freilich empfiehlt sich Nüchternheit, da kein Zeichen die Annahme rechtfertigt, daß sich die Rüstungsprogramme des Westens durch Vereinbarungen mit dem Osten zur Rüstungsbegrenzung erübrigen werden. Wir müßten an Wunder glauben, damit wir das meinen könnten. Ob, wann und wie das Gespräch über die Beschränkung der atomaren Kampfmittel kontinentalstrategischen Charakters zwischen Washington und Moskau anfängt, hängt wohl wesentlich von den Antworten auf die Fragen ab, ob, wann und wie das SALT-Arrangement über die interkontinentalstrategischen Waffen durch Ratifikation abgeschlossen wird. Darum plädieren die Europäer für diese Übereinkünfte, die wie jeder Kundige weiß - den Amerikanern nennenswerte Nachteile bringen und den Sowjets demgemäß nennenswerte Vorteile einräumen. Die Abmachungen lassen jedenfalls einen "Bodensatz", in dem beträchtliche Gefahren schlummern- insbesondere die Gefahr, daß Moskau in eine Position aufrückt, in der es die "gesicherte Zerstörungskapazität" von Washingtons Vergeltungspotential bedroht. Denn ein wesentlicher Mangel des Vertrages, der bis zum 31. Dezember 1985 laufen sollte, besteht gerade in der Tatsache, daß die Vereinbarung des Sowjets weiterhin Gelegenheit bietet, ihr "Counter Military Potential" - auch als "Hard Target Kill Capacity" bezeichnet - zu einer massiven Drohung gegen die verbunkerten Flugkörper der Amerikaner auszubauen. Das Vermögen der Sowjetunion, nicht nur "weiche", sondern ebenso "harte" Ziele zu vernichten, betrug 1977 nur etwa 60 Prozent von dem der Vereinigten Staaten; es wird aus dieser Unterlegenheit bis 1982 zu einer Überlegenheit um 109 Prozent aufsteigen, die sich bis 1986 nur um eine unzureichende Quote - auf knapp 48 Prozent - reduzieren läßt, weil bis dahin der schwache "Mari-12"-Gefechtskopf der MINUTEMAN-3-Raketen durch den starken "Mark-12A-"Gefechtskopf ausgewechselt wird.
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Die Debatte, die bisher über die Ratifikation des SALT II-Arrangements geführt wurde, machte vor allem im Hinblick auf diese Situation deutlich, daß die USA durch Versäumnisse und Verzögerungen bei der Gestaltung ihrer Rüstung gegenüber der UdSSR in ein Dilemma gerieten. Die "Geschäftsgrundlage", die nach den amerikanischen Vorstellungen für die Übereinkünfte gelten sollte, wurde - wie sich nun ziemlich zweifelsfrei dartut - von dem sowjetischen Kontrahenten nicht akzeptiert. Nach der Doktrin, die Washington als Basis für die "Strategie Arms Limitation Talks" diente, sollte die "Patt"-Stellung mit Moskau dauerhaft gehalten, der Zustand der beiderseitigen Lähmung also als Basis der beiderseitigen Sicherheit gefestigt werden. Für keine der beiden Weltmächte sollte es somit denkbar erscheinen, die andere durch die Drohung mit dem ersten Schlag so einzuschüchtern, daß deren Drohung mit dem zweiten Schlag unglaubhaft, die Vergeltung folglich abgeschreckt würde. Das hätte den Verzicht beider Mächte auf das Vermögen verlangt, die Vergeltungswaffen des Gegners, die geschützt für den zweiten Schlag bereitstünden, mit dem ersten Schlag in nennenswertem Maße zu dezimieren. Demgemäß wäre das "Gleichgewicht des Schreckens" für jede der beiden Seiten durch die Unmöglichkeit gesichert gewesen, eine "counter-force" -Strategie zu realisieren, die auf die Zertrümmerung von Kampfmitteln der anderen in wesentlicher Menge abzielte. Die Möglichkeit einer "counter-city"-Strategie, die auf der Fähigkeit zur Zerstörung der Wohn- und Wirtschaftszentren- sozusagen als Rache für die Aggression - beruhte, sollte beiden Seiten verbleiben. Die USA richteten sich nach diesen Regeln, die - in der Sprache der Verhaltensforschung beschrieben- auf eine Kombination aus Demutsgebärden und Drohgesten hinausliefen. Sie begnügten sich mit einem "counter-city"-Potential von hinlänglichem Ausmaß und begrenzten ihre "counter-force"-Kapazität auf die Fähigkeit zu "selective strikes", das heißt: zu präzisen Einzelschlägen gegen wichtige Ziele. Hingegen rüstete sich die UdSSR für die Fähigkeit aus, mit dem ersten Schlag so erhebliche Vorteile zu erringen, daß es der anderen Seite zum Nachteil gereiche, den zweiten Schlag der Vergeltung zu führen. Das hat sich insbesondere darin gezeigt, daß die Sowjetunion bald in der Lage ist, mehr als neun Zehntel aller Landraketen (ICRM) der Vereinigten Staaten sowie gleichsam nebenbei zehn Millionen Menschen zu vernichten und dafür weniger als die Hälfte ihrer Waffen gleicher Art zu benötigen. Zwar könnten die Amerikaner dann noch ihre Seegeschosse (SLBM) und ihre Bomber für die Vergeltung verwenden, was die Sowjets etwa sechs bis zehn Millionen Menschen kosten würde. Doch
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müßten die USA danach erwarten, daß etwa 100 bis 150 Millionen ihrer Bürger durch einen weiteren Hieb der UdSSR umgebracht würden. Der zweite Schlag der Vereinigten Staaten, der dem ersten Schlag der Sowjetunion folgen sollte, würde daher womöglich unterlassen, weil er den dritten Schlag Moskaus auslösen könnte, durch den Washington unerträgliche Verluste erleiden müßte. Daraus erklärte es sich, warum sich die USA - ob das Arrangement ratifiziert wurde oder nicht - gezwungen fühlen, Rüstung mit dem Ziel zu betreiben, die Balance mit der UdSSR wieder, wenn auch nach anderen Kriterien, herzustellen. Das kündigte sich mit der Entwicklung von landgebundenen Raketen, die unter der Code "MX" firmieren, und mit der Entwicklung von seegebundenen Geschossen des Modells "TRIDENT 2", das über eine ähnliche Treffgenauigkeit verfügen soll, in der Öffentlichkeit schon an. Die Vereinbarungen mit den Sowjets sollten den Amerikanern offenbar helfen, die "Durststrecke" am Anfang des nächsten Jahrzehnts einigermaßen zu überwinden, da die beschriebenen Waffensysteme kaum vor dem Ende des Dezenniums einsatzreif werden. Dann aber würde im Resultat des Prozesses das Gleichgewicht nicht wieder in der Parität der Unmöglichkeit für jede der beiden Mächte bestehen können, die Vergeltungskapazität der anderen mehr oder minder auszuschalten, sondern gerade auf der Parität der Möglichkeit dafür beruhen müssen. Die Möglichkeiten einer Fortsetzung der SALT-Politik im bisherigen Stil werden von Fachleuten der NATO inoffiziell überaus skeptisch beurteilt, wenn auch offiziell weiterhin die These vertreten wird, daß die sowjetisch-amerikanischen Vereinbarungen über die Begrenzung der Fernwaffen nach einem befriedigenden Abschluß der AfghanistanKrise schleunigst ratifiziert werden sollten. Die Übereinkünfte sind in den USA ja nicht allein unter dem Eindruck des aktuellen Verhaltens der UdSSR, sondern vor allem wegen ihrer eigenen Mängel, die ihre Ratifikation ohnehin ziemlich aussichtslos erscheinen ließen, durch die Entscheidung von Jimmy Carter eingefroren worden. Die Amerikaner haben in einem Jahr, wenn die nächste Administration ins Amt gelangt ist und sich etabliert hat, wahrscheinlich keine Gelegenheit, dieses Arrangement mit den Sowjets einfach wieder aufzutauen. Denn selbst wenn sich Moskau freiwillig an die Regeln hielte, die sich aus dem Vertrag und dem Protokoll ergeben, wird sein Potential an Kernwaffen der erfaßten Kategorie gerade im Jahre 1982 ein Volumen erreichen, das zum Umfang der Kapazitäten Washingtons in einem krassen Mißverhältnis steht. Angesichts dessen ist es relativ sicher, daß sich die Amerikaner dann schon gar nicht bereitfinden werden, ein Rüstungs-
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reglement zu akzeptieren, das eine derartige Entwicklung den Sowjets gestattet hat. Die NATO-Partner müssen in der Konsequenz daraus erkennen, daß die SALT-II-Vereinbarungen fast schon gestorben sind und wahrscheinlich nicht wieder belebt werden können, was zugleich bedeutet, daß SALT-Ili-Verhandlungen kaum Aussicht haben, bald geboren zu werden. Die Annahme, daß sich west-östliche Verhandlungen über einen Ausgleich auf dem Gebiet der Mittelstreckenwaffen auch dann führen ließen, wenn die amerikanisch-sowjetischen Vereinbarungen über Langstreckenwaffen zunächst ausgesetzt blieben, widerspricht den Möglichkeiten, die nach Maßgabe der Vernunft ins Auge gefaßt werden sollten. Nach den momentanen Forderungen der Sowjets würde das den Verzicht auf die Nachrüstung des Bündnisses bedingen, während die Vorrüstung des Gegners zunächst ungehemmt weiterliefe. Damit aber würde dem Angebot der Amerikaner, die Atomgarantie für die Europäer glaubhaft zu erhalten, eine jähe Absage erteilt, was die Basis der Allianz zerstörte. Es wäre freilich auch denkbar, daß die Sowjets worauf schon manche Anzeichen hindeuten - früher oder später versuchten, mit den Europäern separat ins Gespräch zu kommen, die Amerikaner also auszuschalten. Ein Eingehen darauf hätte die Spaltung der NATO zur Folge, würde daher den Anfang vom Ende der Gemeinschaft bewirken. Analytiker in Brüssel leugnen nicht die Notwendigkeit, die Kernwaffen-Rüstung zu bremsen, sagen allerdings das völlige Scheitern der SALT voraus, wenn mit dem Bemühen, die "Strategie Arms Limitation Talks" wiederaufzunehmen, nicht eine Kursänderung verbunden wird. Es gelte folglich, für etwaige Verhandlungen der Zukunft einen anderen Ansatz zu entwickeln, bei dem vermieden wird, daß sich die Irrtümer der Vergangenheit wiederholen. Im düsteren Schatten der Afghanistan-Krise hat sich die Wiener Verhandlung über einen Truppenabbau in Mitteleuropa die MBFR (Mutal Balanced Force Reductions), festgesetzt. Das ist gewiß ein Zeichen für die Bereitschaft von Ost und West, den Faden der Entspannung trotz der aktuellen Spannung nicht abreißen zu lassen. Wie dieser Prozeß, der im Zentrum unseres Kontinents eine beiderseits gleichwertige Rüstungsbegrenzung bewirken soll, in der nächsten Zeit fortgeführt werden kann, muß angesichts der Ereignisse und ihrer Folgen indessen ziemlich zweifelhaft bleiben. Die Hoffnung bleibt jedenfalls gering, daß die west-östliche Begegnung in der Österreichischen Hauptstadt bald irgendein befriedigendes Ergebnis zeitigen werde.
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Längst vorher schon wurde das Gespräch, das seit neun Jahren läuft, von Kennern der Szene in bitterer Ironie mit dem Ringelspiel im Prater verglichen, mit einem Karussel also, das sich zwar ständig um seine Achse dreht, aber nicht von der Stelle bewegt. Der Osten weigert sich ja beharrlich, die Prinzipien anzuerkennen, die der Westen für die Herstellung der Parität in der zentraleuropäischen Region mit Fug und Recht als unerläßliche Bedingung für eine Vereinbarung betrachtet. Mit taktischen Winkelzügen strebt der Kontrahent kontinuierlich und konsequent zu dem strategischen Ziel, sich die Disparitäten vertraglich bestätigen zu lassen, die zu seinen Gunsten bestehen. Das zeigt sich deutlich in der sogenannten Datendiskussion, in der west-östlichen Debatte über die Menge der Heeressoldaten, die in der Verdünnungszene hüben und drüben bereitstehen. Die Angaben des Westens über die östlichen Streitkräfte in jenem Raum liegen um rund 150 000 Mann höher, als es der Osten zugeben will, was es der westlichen Seite bisher unmöglich machte, konkret über das Wie und Was einer Reduktion zu verhandeln. Ehe ja keine Einigung über das derzeitige Volumen der Militärapparate diesseits und jenseits der Demarkationslinie erfolgt, gibt es keine Basis für ein Arrangement, das die Bodentruppen in der Bundesrepublik und den Benelux-Ländern einerseits sowie in der DDR, in Polen und der Tschecheslowakei anderseits auf jeweils 700 000 Mann begrenzen würde. Von der NATO wurde nach der Dezember-Tagung ein Angebot präsentiert, das ein Interimsabkommen mit dem Zweck empfiehlt, zunächst den Rückzug von etwa 30 000 sowjetischen und 13 000 amerikanischen Soldaten aus Mitteleuropa zu vereinbaren. Damit würde schon ein kleiner Teil des gesamten Vorhabens realisiert und für den großen Teil, der die kollektive Kürzung des einheimischen und des ausländischen Personals in der Mitte des Erdteils vielleicht ein Anstoß gegeben. Das westliche Bündnis war mit seinem bescheidenen Vorschlag an die östliche Allianz von folgenden Überlegungen ausgegangen: Da die Sowjets ihre Streitmacht in dem beschriebenen Raum einseitig um 20 000 Mann nebst 1000 Panzern verdünnen und die Amerikaner das ebenso einseitig mit der Wegnahme von 1000 Stück Atommunition honorieren wollen, schienen die beiden Weltmächte gleichsam Gesten auszutauschen, die womöglich Symptome für die Erreichbarkeit des gewünschten Zwischenvertrages bedeuten mochten. Eine Dateneinigung - das heißt: ein west-östlicher Konsensus über das Maß der Kontingente Washingtons und Moskaus - müßte freilich die Grundlage des ersten Abkommens bilden, weil der Verzicht darauf den zweiten Vertrag auf mißliche Weise präjudizieren würde. Überdies setzte eine
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Übereinkunft des geschilderten Inhalts Regelungen zu ihrer Überwachung durch Luft- und Bodeninspektionen sowie Maßnahmen zur Förderung des Vertrauens voraus, die über den Raum der Reduktionen hinausreichen sollten. Auf diese Offerte des Westens, die sofort nach den Brüsseler Beschlüssen auf den Verhandlungstisch gelegt worden ist, hat der Osten bis dato nicht reagiert, weshalb es abzuwarten gilt, ob er in der momentanen Situation überhaupt darauf eingeht. In dieser vornehmlich dunklen Szene wirkten die Resultate der KSZE der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa wie ein helles Licht, da immerhin ,.vertrauenbildende Maßnahmen" Manöveranmeldung und Manöverbeobachtung - akzeptiert und realisiert wurden, ja, eine Ausdehnung solcher Vereinbarungen auf Gegenseitigkeit in absehbarer Zeit denkbar erschiene. Das darf zwar nicht gering geschätzt, sollte aber ebenso nicht allzu hoch bewertet werden, da das alles für die Sicherheit bloß marginale Bedeutung hat, nicht daher geeignet ist, die ,.mißtrauenbildenden Maßnahmen", die in der Überrüstung des Ostenstrotz Unterrüstung des Westens bestehen, vergessen zu machen. Der Silberstreifen am Horizont der Unsicherheit wurde nach den Begegnungen in Helsinki und Belgrad nicht breiter, sondern schmaler, weil die östliche Hegemonialmacht nicht aufhört, ihre Stärke zu steigern, während die westliche Führungsmacht bei der Anstrengung, ihre Schwäche zu überwinden, Hemmungen unterworfen bleibt. Im Zusammenhang mit dieser Konferenz, die sich im Herbst in Madrid fortsetzen soll, steht ein anderer Vorschlag: Da das Territorium der Truppenverminderung - angesichts der geografischen Unterschiede zwischen West und Ost - eigentlich von vornherein zu eng ist, hat sich das Bündnis vor allem auf deutsches Drängen entschlossen, die französische Idee einer Abrüstungskonferenz in Europa (AKE) zu unterstützen. Versehen mit einen KSZE-Mandat und gebunden daran müßte diese Veranstaltung aus westlichen, östlichen und neutralen Teilnehmern in ihrer ersten Phase versuchen, vom Atlantik bis zum Ural vertrauenbildende Maßnahmen gegen die mißtrauenbildenden Maßnahmen des Aufrüstungsgeschehens zu setzen, also das Klima zu verändern. Die zweite Phase des Unternehmens könnte sich dann der Demontage von Streitkräften und Kampfmitteln auf unserem Kontinent widmen. Damit wird - bei Lichte betrachtet - ein wahrhaft gigantisches, fast monströses Projekt angesteuert, das visionäre Vorstellungen und utopische Sehnsüchte anregt. Skepsis erscheint mithin ratsam, obwohl
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die Kohärenz des Nordatlantikpaktes auch dessen psychologische Fähigkeit bedingt, sich nicht allein als militärische Koalition, sondern ebenso als politische Gemeinschaft darzubieten, die Abrüstung anstrebt, obwohl derzeit eher wie Aufrüstung nottut - auch für die Bundesrepublik. Es sollte sich nicht der Eindruck festigen, daß sie sich mehr oder minder auf wirtschaftliche Hilfen an die Türkei beschränken, die militärischen Maßnahmen jedoch den Vereinigten Staaten im wesentlichen allein überlassen will. Nach Ansicht von NATO-Experten besteht nicht nur die Möglichkeit, sondern auch die Notwendigkeit, die Bundeswehr in vernünftigem Maße zu stärken. Dazu bedürfte es freilich der Bereitschaft, über die bisherige Planung hinauszugehen, also den Beitrag zum langfristigen Verteidigungsprogramm der NATO zu erweitern und nicht lediglich an kurzfristige Aktionen von spektakulärer Wirkung zu denken. Die erforderlichen Maßnahmen hätten sich gleichermaßen auf den personellen Umfang der Streitkräfte wie auf deren materiellen Bestand zu erstrecken. Dazu wären auf jeden Fall jährliche Steigerungen der Wehrbudgets um drei Prozent über die Inflationsraten hinaus angebracht, wie sie dem Bündnis versprochen, doch nicht eingehalten wurden. Für die Gesamtstreitkräfte erscheinen vor allem folgende Entscheidungen geboten, die bald getroffen werden müßten, da sie zum Teil auch ohne die Afghanistan-Krise nicht vermieden werden könnten: 1. Auf personellem Gebiet braucht die Bundeswehr vor allem eine Verlängerung des Grundwehrdienstes von 15 Monaten auf 18 Monate. Angesichts karger Geburtsjahrgänge, die in der Mitte des Jahrzehnts den Rekrutenbedarf der Armee nicht mehr zu decken vermögen, würde sich deren Umfang sonst nicht halten lassen. Nicht aber bloß die Quantität, sondern auch die Qualität bliebe - angesichts komplizierter Waffen um Geräte hinter den Erfordernissen zurück. Darüber hinaus sollte eine Erweiterung des Friedensumfanges der Streitkräfte von 495 000 auf 508 000 Mann erwogen werden, was ihrer Struktur eigentlich entsprechen würde.
2. Auf materiellem Gebiet kommt es insbesondere auf die Aufstokkung der Depotbestände an, da den Streitkräften nicht nur Munitionsreserven in erheblichem Umfange, sondern auch andere Nachschubgüter - zum Beispiel ABC-Schutzkleidung - in beträchtlichen Mengen mangeln. Ferner fehlt es an infrastrukturellen und logistischen Einrichtungen für Verstärkungstruppen aus Übersee, die im Krisenfalle rasch aus den Vereinigten Staaten in die Bundesrepublik geschafft werden müßten, aber derzeit nicht in dem geplanten Volumen aufge-
Sicherheit zwischen Entspannung und Eindämmung nommen werden könnten, weil die Kapazitäten, die bisher zur gung stehen, nicht genügen.
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Für die drei Teilstreitkräfte ergibt sich in einer groben Skizze folgendes Bild des Nachhol- und Neubedarfs: - Das Heer sollte vor allem die Aufstellung der sechs Heimatschutzkommandos beschleunigt vorantreiben, da damit kampfstrake Reserveverbände für die Feldtruppe entstehen. Außerdem bedarf die territoriale Verteidigung zur Sicherung der Operationsfreiheit im rückwärtigen Kampfgebiet dringend des Ausbaus, da besonders hier zwischen dem Auftrag und den Mitteln eine bedenkliche Lücke klafft. - Die Luftwaffe muß sich um die Erweiterung und Modernisierung der Luftverteidigung kümmern, was ein umfangreiches Programm für elektronische Anlagen und Waffensysteme bedingt, also einen erheblichen Aufwand an Geld voraussetzt. Diese Notwendigkeiten resultieren zumal aus der Tatsache, daß die östlichen Luftstreitkräfte vermehrt und verbessert worden sind, die westlichen Abwehrmittel aber nicht Schritt gehalten haben. - Die Marine muß sich in ihrer Ausrüstung darauf einstellen, daß die maritime Kraft der Amerikaner nicht mehr in gleicher Weise wie bisher auf den Atlantik konzentriert bleiben kann, sondern die FlottenPräsenz im Indik gesteigert werden dürfte. Das verlangt von den Deutschen eine Stärkung zumal in der Nordsee, wird also wohl zwangsläufig zu einer Aufstockung des Fregattenprogramms führen. Darüber hinaus benöt~gen wir einen Ausbau der Zivilverteidigung, der von der Anlage von Rohstoffreserven bis zum Bevölkerungsschutz reicht. Sonst wird die strategische Rechnung ohne den Wirt gemacht, da der Widerstand moralisch unglaubwürdig würde, wenn dieses Gebiet weiterhin sträflich vernachlässigt bliebe. Die Wahrheit, die uns durch die Ereignisse nun allmählich bewußt wird, sollte uns - um Heinrich Heine zu zitieren - nicht erhitzen, sondern erleichtern. Das gilt ebenso in anderer Hinsicht: Die Afghanistan-Krise hat die Erkenntnis gefördert, daß der sogenannte Nord-Süd-Dialog in zunehmendem Maße in den Bannkreis des West-Ost-Konfliktes geraten wird, ja, dazu bestimmt ist, sich in eine Art Schlachtfeld der Auseinandersetzungen zwischen den beiden Lagern zu verwandeln. Obwohl wirtschaftliche und strategische Interessen im Hinblick auf die Rohstoff- und Energiequellen sowie auf die Transportwege für derartige Güter längst die Hauptrolle spielen, wird das Problem noch immer vornehmlich unter moralistisch-ideologischem Aspekt gesehen, 14 Grewe u. a.
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was seine Lösung eher erschwert als erleichtert. Es geht aber nicht einfach darum, einen Ausgleich zwischen Arm und Reich zu erwirken, und es kommt schon gar nicht darauf an, die Gesellschaften in den tropischen Regionen Amerikas, Asiens und Afrikas nach dem Muster irgendwelcher Doktrinen umzugestalten, sondern es gilt, partnerschaftliehe Beziehungen mit Ländern zu knüpfen, die für die Strategie und die Wirtschaft bedeutsam erscheinen. Die Fachleute, die solche Thesen vertreten, verkennen nicht die Schwierigkeiten, die darin liegen. Sie bezeichnen es als den wichtigsten Fehler der Entwicklungspolitik, daß die "Dritte Welt" gleichsam als Einheit betrachtet und demgemäß "nach Schema F" behandelt wurde, so daß die morphologischen, ethnischen und historischen Unterschiede der Völker meist unberücksichtigt blieben. Die sozialen Verhältnisse in Afrika zum Beispiel werden in Ursache und Wirkung oft starrsinnig denen in Europa während des Zeitalters der Industrialisierung gleichgesetzt, obwohl sie aus völlig anderen Ursachen herrühren. Die Wissenschaft von den afrikanischen Sprachen und Kulturen, die auf dem europäischen Kontinent noch im ersten Drittel dieses Jahrhunderts in voller Blüte stand, wurde - weil sie von dem Odium Kolonialistischen Geistes umgeben schien - kaum zu Rate gezogen, degenerierte folglich, so daß sie nun, angereichert mit frischen Erfahrungen, der belebt werden sollte. In der Konsequenz aus diesen Erwägungen wird vor der Einbildung gewarnt, daß eine quantitative Erweiterung der Entwicklungshilfe des Westens, die nicht mit einer qualitativen Änderung einhergeht, die Einflüsse des Ostens zurückzudrängen vermöchte. Eine solche Erwartung wird bereits durch das Geschehen des letzten Dezenniums widerlegt: Die westliche Entwicklungshilfe betrug im Zeitraum von 1970 bis 1978 rund 100 Milliarden Dollar, die östliche aber nur etwa 1 Milliarde Dollar. Der Osten, dessen Entwicklungsaufwand in der Relation zu den Militärausgaben 1 zu 417 beträgt - gegenüber einem Verhältnis von 1 zu 9 im Westen - konnte dennoch seinen Einflußbereich in erheblichem Maße ausdehnen, wohingegen die westliche Welt unter dem Druck östlicher Macht Positionen räumen mußte. Die Nationen und Stämme Asiens und vor allem Afrikas sind von ihrer Mentalität her zumeist nicht fähig, Kommunisten oder Demokraten zu werden, sie haben wohl aber Gefühl für Macht. Mithin verdanken die Sowjets ihre Erfolge der Tatsache, daß sie für sie Stärkeren gehalten werden, wohingegen die Amerikaner als die Schwächeren erscheinen. Die Abneigung der "Blockfreien", die in der AfghanistanResolution der UNO gegen die Politik der UdSSR demonstrativ zum Ausdruck kam, sollte darum nicht überschätzt werden, da sie nur dann
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eine Hinwendung zu den USA zeitigen dürfte, wenn Washingtons Macht sichtbar und spürbar das Vermögen steigert, Moskaus Macht auszuwiegen. Der Rückzug aus Vietnam - unvermeidlich die richtige Folgerung aus den Effekten einer falschen Strategie - hat die USA Prestige gekostet, ist mithin dem Vormarsch der UdSSR in Asien und Afrika direkt und vor allem indirekt förderlich gewesen, wenngleich es den Amerikanern durch geschickte Diplomatie glückte, ihre Stellung im Nahen und im Fernen Osten zu festigen. Obwohl die Impulse für das Arrangement zwischen Ägypten und Israel und die Aufnahme von Beziehungen zur Volksrepublik China als Aktivposten in der Bilanz erscheinen, werden dadurch doch nicht die Passivposten ausgewogen, die sich in der Tatsache ausdrücken, daß es den Sowjets gelang, ihre Fähigkeiten zur Einflußnahme auf die Quellen und Wege wichtiger Rohstoffe und Energieträger zu entfalten. Das hat einerseits mit dem energischen Vorgehen Moskaus unmittelbar zu tun und ist andererseits als mittelbare Folge des Umstandes zu verstehen, daß die Überschätzung der Macht Washingtons ihrer Unterschätzung wich. Denn die Politik gehorcht Gesetzen, die sich zwar nicht nach modischer Manier in mathematische Formeln fassen, doch in ihren psychologischen Kategorien mit physikalischen Methapern erklären lassen. Wie die Bahn des Mondes von der Erde bestimmt wird, weil die größere Masse die kleinere anzieht, so muß im Verhältnis zwischen Staaten die tatsächlich oder vermeintlich schwächere Macht das Faktum hinnehmen, daß die stärkere Macht Trabanten um sich schart. Großes mag dabei durch allmähliche oder schockartige Einwirkungen von Größerem relativ kleiner, Starkes durch revolutionäre oder evolutionäre Eingriffe von Stärkerem schwächer werden, was die Struktur der Systeme verändert. Nähe oder Ferne vom Mittelpunkt der dominierenden Masse oder der herrschenden Macht sprechen bei solchen Entwicklungen und Verwicklungen natürlich wesentlich mit, so daß die Verschiebung der Bannkreise von gegensätzlichen Energiezentren immer zunächst an den Rändern ihrer Magnetfelder spürbar und sichtbar wird. Die Sprunghaftigkeit der amerikanischen Politik - angesichts der Stetigkeit der sowjetischen Politik - stört uns, läßt die europäischen Alliierten oft zögern, dem Bundesgenossen jenseits des Ozeans zu folgen. Der - vielleicht - pubertäre Moralismus Amerikas, von dem solche Irritationen herrühren, verrät immerhin das Vermögen zur Stärke, während Europa, das teils laut, teils leise nörgelt, ohne zu handeln, einen senilen Zynismus zeigte, hinter dem sich dekadente Schwäche zu verbergen scheint. 14°
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Meinungsuntersuchungen an der Jahreswende, also vor der Afghanistan-Krise, haben dargetan, daß die Amerikaner realistischer gewesen sind als etwa die Deutschen. Bei ihnen glaubten 56 Prozent, daß die Sowjets ihre Macht ausweiten wollten, bei uns nur noch 28 Prozent. Demgemäß hielten im Dezember 1979 nur 2 Prozent der Bundesbürger den Krieg für wahrscheinlich und 17 Prozent für möglich, während im Januar 1980, also nach der Afghanistan-Aggression, einen Waffengang 10 Prozent für wahrscheinlich und 48 Prozent für möglich erachteten. Das ist der ärgste Meinungsumschwung, den die Bundesrepublik je erlebt hat. Ich denke, daß es in diesem Jahrzehnt nicht vornehmlich um das Ob des Krieges, sondern um das Wie des Friedens geht: Bleibt uns die Pax americana gewahrt, in der sich leben läßt, oder wechseln wir durch eine Politik präventiven Wohlverhaltens, die allmählich zur prophylaktischen Kapitulation führen würde, in eine Pax sowjetica, in der unsere Existenz jener der Blattläuse im Ameisenhaufen gliche, die ja auch nicht gefressen, sondern sozusagen gemolken werden.