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German Pages 332 Year 2023
Gabriela Denk Die Architektur der Inszenierung
Architekturen Band 76
Gabriela Denk, geb. 1990, ist Kunsthistorikerin. Sie promovierte am Institut für Europäische Kunstgeschichte der Universität Heidelberg, wofür sie ein Promotionsstipendium der Gerda Henkel Stiftung erhielt.
Gabriela Denk
Die Architektur der Inszenierung Hans Holleins Ausstellungen 1960-1987
Die vorliegende Arbeit wurde an der Philosophischen Fakultät der Universität Heidelberg im Jahr 2022 als Dissertation mit dem Titel Hans Holleins Ausstellungen 19601987. Szenografisch-künstlerische Inszenierungen im Spiegel von Werk und Ausstellungsgeschichte zur Erlangung des akademischen Grades eines Doktors der Philosophie (Dr. Phil.) angenommen. Trotz intensiver Recherche war es nicht in allen Fällen möglich, alle Rechteinhaberinnen und-inhaber der gezeigten Abbildungen ausfindig zu machen. Personen und Institutionen, die nicht erreicht wurden und Rechte an den verwendeten Abbildungen beanspruchen, werden gebeten, sich mit der Autorin in Verbindung zu setzen. Gedruckt mit Unterstützung der Gerda Henkel Stiftung, Düsseldorf
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© 2023 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Maria Arndt, Bielefeld Umschlagabbildung: Hans Hollein mit der Österreich-Brille, Fotograf: Christian Skrein/brandstaetter images/picturedesk.com/Privatarchiv Hollein Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar https://doi.org/10.14361/9783839468067 Print-ISBN: 978-3-8376-6806-3 PDF-ISBN: 978-3-8394-6806-7 Buchreihen-ISSN: 2702-8070 Buchreihen-eISSN: 2702-8089 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Unsere aktuelle Vorschau finden Sie unter https://www.transcript-verlag.de/vorschaudownload
Inhalt
Vorwort und Dank .........................................................................7 I I.I I.II I.III
Einleitung: Hans Hollein als Architekt und Ausstellungsgestalter ................. 9 Ausstellungsforschung ..............................................................13 Ausstellungsrekonstruktion .......................................................... 17 Ausstellungsanalyse und Kontextualisierung ........................................ 20
II. II.I II.II II.III II.IV
Entwicklungen im Ausstellungswesen ............................................ 23 Formen musealer Ausstellungsgestaltung ........................................... 24 Vorreiter der Ausstellungsinszenierung .............................................. 31 Installation und Environment ....................................................... 37 Szenografie ........................................................................ 40
III. III.I III.II III.III III.IV
Frühe Ausstellungen und Architekturtheorie ..................................... 43 Space in Space in Space 1960 ....................................................... 44 Architektur 1963 .................................................................... 47 Installative »enclosed environments« 1965–1969 .................................... 52 Alles ist Architektur 1968............................................................ 54
IV. Szenografisch-künstlerische Ausstellungsinszenierungen ....................... 57 IV.I Auftragsausstellungen.............................................................. 58 IV.I.I Selection 66 1966 ........................................................... 60 IV.I.II Austriennale 1968 .......................................................... 80 IV.I.III Papier 1972 ................................................................ 97 IV.I.IV MAN transFORMS 1976.......................................................107 IV.I.V Die Türken vor Wien 1983 ................................................... 131 IV.I.VI Traum und Wirklichkeit 1985 ................................................146 IV.I.VII Hans Hollein als Ausstellungsgestalter ......................................167 IV.II Künstlerische Ausstellungen und Rauminstallationen ................................176 IV.II.I Alles ist Architektur. Eine Ausstellung zum Thema Tod 1970 ...................178 IV.II.II Werk und Verhalten, Leben und Tod 1972 .....................................194
IV.II.III Humanismus – Dishumanismus 1980........................................ 204 IV.II.IV Das letzte Abendmahl 1984................................................. 207 IV.II.V Die Turnstunde 1984 ........................................................210 IV.II.VI Idealmuseum 1987 ..........................................................216 IV.II.VII Hans Hollein als Ausstellungskünstler ...................................... 220 IV.III Werkpräsentationen ............................................................... 224 IV.III.I Beitrag zur Strada Novissima 1980 ......................................... 225 IV.III.II Metaphern und Metamorphosen 1987........................................ 229 Die Ausstellungen im Spiegel seines Werkes .................................... 235 Prinzipien der Ausstellungspraxis ................................................. 236 V.I.I Montage und Spiel mit Assoziationen ...................................... 237 V.I.II Temporärer Charakter..................................................... 242 V.II Stellenwert und Bedeutung im Gesamtwerk ........................................ 245 V.II.I Ausstellungen als Manifestation und Multiplikator .......................... 246 V.II.II Ausstellungen und Architekturtheorie...................................... 249 V.II.III Ende der szenografisch-künstlerischen Ausstellungen...................... 255 V.III Vernetztes Denken und multidisziplinäres Schaffen ................................ 258 V.III.I Design, Shops, Warenwelten ................................................261 V.III.II Museale Ausstellungsräume ............................................... 264 V.III.III Theatrale Inszenierung .....................................................271 V V.I
VI. VI.I VI.II VI.III
Kontextualisierung im Ausstellungswesen....................................... 275 Postmoderne Ausstellungsgestaltung .............................................. 276 Vorangegangene und zeitgenössische Ausstellungsgestaltung ...................... 283 Nachwirkungen ....................................................................291
VII. Fazit: Grenzgänger zwischen den Disziplinen .................................... 295 Abkürzungen ........................................................................... 301 Quellen- und Literaturverzeichnis ..................................................... 303 Archivdokumente ....................................................................... 303 Digitale Archive ......................................................................... 306 Film- und Tondokumente ................................................................ 307 Interviews .............................................................................. 308 Literatur, Internetdokumente, Zeitungsartikel ............................................ 309
Vorwort und Dank
Das Interesse für Hans Hollein geht auf meine Beschäftigung mit Museumsarchitektur für meine Abschlussprüfung im Bachelorstudium der Kunstgeschichte zurück. Davon angeregt entschied ich mich während meines Masterstudiums dazu, die von Hollein gestaltete Ausstellung Traum und Wirklichkeit in meiner Abschlussarbeit an der École du Louvre zu betrachten. Mein Dank für diesen Themenvorschlag gilt meiner Betreuerin Alice Thomine-Berrada vom Musée d’Orsay. In meiner von Henry Keazor betreuten Heidelberger Masterarbeit thematisierte ich Holleins Designausstellungen Austriennale, Papier und MAN transFORMS. Aufgrund dieser vorangegangenen Arbeiten über Hans Hollein entschloss ich mich dazu, in meiner Dissertation seine Ausstellungen ausführlich zu untersuchen. Mein besonderer Dank gilt meinem Betreuer Henry Keazor und meiner Zweitbetreuerin Alexandra Vinzenz, die stets ein offenes Ohr für mich hatten und mich mit konstruktiven Vorschlägen unterstützten. Ich danke ebenso der Gerda Henkel Stiftung für die Förderung meiner Arbeit durch ein Promotionsstipendium. Mein Dank gilt weiterhin Lilli und Max Hollein sowie Dorothea Apovnik, die mir Zugang zu dem in Familienbesitz verbliebenen Teil des Nachlasses von Hans Hollein ermöglichten, außerdem Mechthild Ebert und Katharina Hövelmann, die zur Zeit meiner Recherchen das Hollein-Archiv im Architekturzentrum Wien (Az W) betreuten. Außerdem danke ich Hermann Czech, Lilli Hollein, Max Hollein, Katarina Noever, Peter Noever, Erich Pedevilla und Peter Weibel für persönliche Gespräche und schriftliche Interviews. Ebenso danke ich Sylvia Mattl-Wurm, Regina Karner, Günter Düriegl und nochmals Erich Pedevilla, mit denen ich für meine Masterarbeit zu Traum und Wirklichkeit sprach. Für Einblicke in Archivmaterial zu Hans Holleins Ausstellungsgestaltungen von institutioneller Seite danke ich im Besonderen Peter Klinger vom Museum für angewandte Kunst in Wien (MAK), Felicia Rappe vom Museum Abteiberg und Andreas Nierhaus vom Wien Museum, der bereits meine Pariser Arbeit mitbetreute. Für zusätzliche Hilfe bei meinen Recherchen möchte ich allen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, Archiv- und Bibliotheksmitarbeiterinnen und -mitarbeitern danken. Schließlich gilt mein Dank meinem Ehemann Markus, meinen Eltern, meiner Familie und meinen Freundinnen und Freunden, besonders Elisabeth, Isabel, Tamina und Sarah.
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Einleitung: Hans Hollein als Architekt und Ausstellungsgestalter
Der Wiener Gestalter Hans Hollein (1934–2014) war ein Grenzgänger zwischen Architektur, Design und Kunst. Obwohl sein Werk so vielfältig ist, wird er bis heute vor allem als Architekt wahrgenommen. Das von ihm entworfene Museum Abteiberg in Mönchengladbach gilt als Ikone der Postmoderne. Unter den bekannten Bauten des Pritzker-Preisträgers befinden sich auch das Museum für Moderne Kunst in Frankfurt a.M., das Museum für Vulkanismus in der Auvergne und das umstrittene HaasHaus gegenüber dem Stephansdom in Wien.1 Sein großer Erfolg als Architekt, insbesondere im Kontext der architektonischen Postmoderne, überstrahlte bisher seine Arbeit als Künstler, Designer, Kurator, Publizist, Architekturtheoretiker, Hochschullehrer und Ausstellungsgestalter. Dabei konnte er in jeder dieser Disziplinen beachtliche Erfolge vorweisen und schuf Werke von hoher Qualität. Eine umfassende wissenschaftliche Werkbetrachtung und Analyse von Hans Holleins gesamtheitlichem Schaffen, die den Zeitraum vom Ende der 1950er Jahre bis zu seinem Tod 2014 umfasst, steht bisher noch aus. Seine Architekturtheorie, subsumiert unter dem Leitsatz »Alles ist Architektur«, wird jedoch bis heute weltweit rezipiert. Seine Architekturauffassung präsentierte Hans Hollein nicht nur durch Sprache, sondern vor allem visuell und nutzte dafür auch das Medium Ausstellung. Ausstellungen waren in den 1960er bis 1980er Jahren ein wichtiger Bestandteil von Hans Holleins Arbeit und eng mit seinem Schaffen in anderen Sparten verbunden. So waren Designausstellungen für ihn auch ein Mittel zur Entwicklung architektonischer Ideen und zur Theoriebildung. Mehrfach folgten auf Ausstellungsgestaltungen Aufträge für Architektur. Seine Ausstellungskonzepte und -gestaltungen, die er im Auftrag und als freier Künstler ausführte, sowie seine Werkpräsentationen wurden bisher wenig beachtet und noch nicht systematisch und detailliert erforscht. Daher ist es Ziel dieser Publikation, Hans Holleins Tätigkeit im Ausstellungsbereich aufzuarbeiten und
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Da das Haas-Haus mit seinem verspiegelten Erker einen starken Kontrast zum gegenüberliegenden Stephansdom und den umgebenden Häusern bildet, war es zur Zeit der Errichtung umstritten.
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Die Architektur der Inszenierung
Prinzipien seiner Ausstellungspraxis zu identifizieren. In den Blick genommen werden seine zwischen 1966 und 1987 entstandenen szenografisch-künstlerischen Ausstellungsinszenierungen, die trotz der Vielfalt der Themen und Anlässe gemeinsamen Gestaltungsprinzipien folgten. Der Begriff der Ausstellung beinhaltet dabei sowohl von Hollein konzipierte und gestaltete Ausstellungen als auch seine Rauminstallationen und Environments als Ausstellungen »en miniature«. Zugleich werden diese Ausstellungen im Spiegel von Holleins Werk und der Ausstellungsgeschichte betrachtet. Hans Holleins Ausstellungsgestaltungen werden mit seinem Schaffen in den übrigen Sparten seines Werkes in Kontext gesetzt, da eine isolierte Betrachtung seinem gesamtheitlichen Gestaltungsanspruch nicht gerecht werden würde. Nicht nur als Teil seines Gesamtwerkes haben Holleins Ausstellungen besondere Bedeutung, sondern auch als Beitrag zur allgemeinen Ausstellungsgeschichte: Hans Hollein arbeitete sehr früh, als dies in der museologischen Praxis allgemein noch nicht üblich war, mit inszenierenden, szenografischen und künstlerischen Ausstellungstechniken und schuf dadurch visuell-räumliche Publikumserlebnisse. Daher geht diese Publikation auch der Frage nach, ob Hans Hollein als einer der Vorreiter dieser neuen Ausstellungsmethoden gelten kann. Hans Holleins Ausstellungen und Rauminstallationen waren zahlreich und vielseitig und reichten von Themenausstellungen über Design sowie Kunst- und Kulturgeschichte bis hin zu künstlerischen Installationen über gesellschaftliche Phänomene: Hans Holleins erste Ausstellung war die Abschlusspräsentation Space in Space in Space zu seiner Masterthesis an der Universität Berkeley, Kalifornien. Hier zeigte sich bereits sein multidisziplinärer Ansatz, der sein Werk auszeichnet. Seine Abschlussarbeit bestand neben Tuschezeichnungen und konkreter Poesie aus Skulpturen, die er zu einer Ausstellung im Außenraum arrangierte. Nach Ende seines Studiums präsentierte er 1963 erstmals eigene architektonisch-künstlerische Modelle und Zeichnungen sowie erste Gedanken zu seiner Architekturtheorie. Dies geschah in der viel beachteten und kontrovers diskutierten Ausstellung Architektur in der Galerie St. Stephan in Wien gemeinsam mit Walter Pichler.2 Bald nach Eröffnung seines Architekturbüros 1964 erhielt er seinen ersten Auftrag als Ausstellungsgestalter. Für die Ausstellung Selection 66, die 1966 im Österreichischen Museum für angewandte Kunst in Wien gezeigt wurde, entwarf er ein außergewöhnliches Ausstellungsdisplay zur Präsentation von Möbeln.3 Zwei Jahre später gestaltete er die Austriennale, den österreichischen Beitrag zur XIV. Triennale in Mailand, mit kafkaesken Gängen, die dem Publikum die Besonderheiten von Österreich mit allen Sin-
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Hollein, Hans; Pichler, Walter (Hg.): Architektur. Work in Progress, Galerie St. Stephan Ausst.Kat., Wien 1963. Erben, Tino; Noever, Peter (Hg.): Selection 66. Ausstellung aus dem Programm R. Svoboda & Co., MAK Ausst.-Kat., Wien 1966.
I Einleitung: Hans Hollein als Architekt und Ausstellungsgestalter
nen näherbringen sollten.4 Bereits bei diesen ersten Projekten inszenierte Hollein die Objekte im Gesamtkontext der Ausstellung. Sowohl die Ausstellungsarchitektur als auch das Publikum wurden integraler Bestandteil seiner spektakulären Präsentationen. 1970 und 1972 zeigte er die beiden eng miteinander verbundenen künstlerischen Ausstellungen Alles ist Architektur. Eine Ausstellung zum Thema Tod im städtischen Museum Mönchengladbach und Werk und Verhalten, Leben und Tod, Alltägliche Situationen auf der Kunstbiennale in Venedig.5 Hollein arrangierte dafür symbolhafte Objekte und Alltagsgegenstände zu Installationen über die Themen Leben und Tod. Besonders spektakulär war ein inszeniertes archäologisches Grabungsfeld in Mönchengladbach, in dem das Publikum selbst aktiv werden und nach alltäglichen Gegenständen wie Coca-Cola-Flaschen und Golfschlägern graben konnte. Neben den künstlerischen Ausstellungen nahm Hollein weiterhin thematische Ausstellungsaufträge an. 1972 konzipierte er die Industrieausstellung Papier im Design-Center Wien, die den Werkstoff Papier mit allen Sinnen erfahrbar machte. Sein erster großer Auftrag für eine Themenausstellung war die Konzeption und Gestaltung der Eröffnungsausstellung MAN transFORMS des Cooper-Hewitt Museum 1976.6 Die Ausstellung thematisierte die Kulturgeschichte des Designs, die Hollein durch assoziative Arrangements anschaulich machte. 1980 beteiligte er sich an der ersten Architekturbiennale in Venedig mit einer Fassadengestaltung, welche die Geschichte der Säule mit dem eigenen Werk verwob. In den 1980er Jahren sorgte er außerdem für die spektakuläre Inszenierung zweier großer kulturhistorischer Ausstellungen im Wiener Künstlerhaus: Die Türken vor Wien, Europa und die Entscheidung an der Donau 1683–1983 und Traum und Wirklichkeit, Wien 1870–1930 thematisierten wichtige historische Momente der österreichischen Hauptstadt.7 Für erstere Ausstellung verwandelte er die Fassade des Künstlerhauses passend zum Thema der Türkenschlacht in ein riesiges osmanisches Zelt. Die
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Hollein, Hans (Hg.): Austriennale. Die große Zahl, XIV. Triennale Mailand Ausst.-Kat., Wien 1968. Cladders, Johannes; Hollein, Hans (Hg.): Hans Hollein. Alles ist Architektur. Eine Ausstellung zum Thema Tod, Städtisches Museum Mönchengladbach Ausst.-Kat., Mönchengladbach 1970; Hollein, Hans; Skreiner, Wilfried (Hg.): Hans Hollein. Werk und Verhalten, Leben und Tod, Alltägliche Situationen, XXXVI. Biennale Venedig, Österreichischer Pavillon Ausst.Kat., Wien 1972. Nelson, George; Hollein, Hans (Hg.): MAN transFORMS. An International Exhibition on Aspects of Design, Cooper-Hewitt Smithsonian Design Museum Ausst.-Kat., New York 1976. Waissenberger, Robert (Hg.): Die Türken vor Wien. Europa und die Entscheidung an der Donau 1683, Historisches Museum der Stadt Wien Ausst.-Kat., Wien 2 1983; Waissenberger, Robert (Hg.): Traum und Wirklichkeit. Wien 1870–1930, Historisches Museum der Stadt Wien Ausst.-Kat., Wien 2 1985.
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Die Architektur der Inszenierung
Innenräume gestaltete er bei beiden Ausstellungen prunkvoll und ließ die Geschichte insbesondere durch atmosphärische Szenerien aufleben. Bei Traum und Wirklichkeit war er nicht nur für die Gestaltung verantwortlich, sondern auch für die Auswahl und das Arrangement einiger der spektakulärsten Objekte wie dem frisch restaurierten Beethovenfries von Gustav Klimt. Außerdem entwarf er in dieser Zeit künstlerische Rauminstallationen wie Humanismus – Dishumanismus im Innenhof des Palazzo Pazzi in Florenz 1980, Das letzte Abendmahl für die Kunstbiennale in Venedig 1981 und die Turnstunde im von ihm gebauten Museum Abteiberg in Mönchengladbach 1984.8 Mit einer rezeptionskritischen Installation zur Kunstgeschichte war er 1987 an der documenta 8 beteiligt.9 1985 hatte Hollein den renommierten PritzkerArchitekturpreis gewonnen und bekam daraufhin die Gelegenheit, die erste große Einzelausstellung seines Werkes zu konzipieren. Die Ausstellung mit dem Titel Metaphern und Metamorphosen wanderte 1987 vom Centre Pompidou in Paris, wo zum ersten Mal einem Architekten eine Retrospektive gewidmet wurde, weiter in die Nationalgalerie in Berlin und ins Museum des 20. Jahrhunderts in Wien.10 Diese Publikation stellt die erste umfassende, vergleichende und auf größtenteils unveröffentlichtem Archivmaterial basierende Untersuchung zu Hans Holleins Ausstellungen im Zeitraum von 1960 bis 1987 dar.11 Der bisher vor allem architekturhistorisch-orientierten Hollein-Forschung fügt sie eine kunsthistorisch geprägte Untersuchung hinzu. Sie ist in sieben Kapitel aufgeteilt: Nach der Einführung in das Thema in diesem ersten Kapitel legen die Unterkapitel die Forschungssituation sowie die Methodik der Arbeit dar. In Kapitel II werden Entwicklungen im Ausstellungswesen dargestellt, die im Kontext von Holleins Schaffen im Ausstellungsbereich relevant sind. Es wird auf Inszenierungsmethoden, Methoden künstlerischer Installation und szenografischer Gestaltung eingegangen, welche die Grundlage für die Analyse von Hans Holleins Ausstellungen in Kapitel IV bilden. Kapitel III gibt eine Einführung in Hans Holleins Frühwerk mit besonderem Fokus auf seine ersten Ausstellungen. Außerdem wird seine Architekturtheorie, welche die Grundlage für sein Schaffen bildete und in seinen Ausstellungen immer wieder implizit und explizit thematisiert wurde, zusammenfassend vorgestellt. Kapitel IV bil8
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Masini, Lara-Vinca (Hg.): Umanesimo Disumanesimo nell’arte europea 1890/1980. Palagio di Parte Guelfa Florenz Ausst.-Kat., Mailand 1980; Flemming, Klaus; Hollein, Hans (Hg.): Die Turnstunde. Eine Rauminstallation von Hans Hollein, Städtisches Museum Abteiberg Mönchengladbach Ausst.-Kat., Mönchengladbach 1984. Schneckenburger, Manfred (Hg.): Documenta 8. Band 2, Ausst.-Kat., Kassel 1987. Burkhardt, François; Eveno, Claude; et al. (Hg.): Hans Hollein. Métaphores et Métamorphoses, Centre Georges Pompidou Ausst.-Kat., Paris 1987. Vorarbeiten sind die beiden Masterarbeiten der Verfasserin: Autour de l’exposition Traum und Wirklichkeit, Histoire d’une exposition et de sa réception, École du Louvre Paris 2014 und Alles ist Design, Hans Holleins Design-Ausstellungen 1968, 1972, 1976, Universität Heidelberg 2015.
I Einleitung: Hans Hollein als Architekt und Ausstellungsgestalter
det den Hauptteil der Arbeit. Insgesamt werden sechs Auftragsausstellungen, zwei künstlerische Ausstellungen, vier Rauminstallationen und zwei Werkpräsentationen rekonstruiert und analysiert mit dem Ziel, die Charakteristika von Hans Holleins Ausstellungspraxis herauszuarbeiten. Kapitel V betrachtet die thematisierten Ausstellungsgestaltungen im Spiegel seines Werkes und untersucht deren Relevanz für sein Gesamtwerk. Die Betrachtung seines Werkes unter dem Aspekt der Ausstellungsgestaltung soll auch neue Perspektiven auf sein interdisziplinäres Schaffen ermöglichen. Kapitel VI situiert Holleins Ausstellungspraxis in der Ausstellungsgeschichte. Das abschließende Kapitel VII fasst die Ergebnisse der Arbeit zusammen und gibt einen Ausblick auf weitere Forschungsfelder.
I.I
Ausstellungsforschung
Die Forschung interessiert sich zunehmend für Ausstellungsgestaltungen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und in diesem Feld involvierte Personen. Dies lässt sich an den ab den 2010er Jahren erschienenen Publikationen zu diesem Thema ablesen.12 Auch die verstärkten Bemühungen von Museen und Institutionen, Ausstellungsdokumentationen zu digitalisieren, sind ein Indiz für das gesteigerte Interesse am Erscheinungsbild von Ausstellungen.13 In der Ausstellungspraxis ist außerdem ein Trend zur Reinszenierung display-relevanter Ausstellungen und zu Ausstellungsprojekten, die vergangene Ausstellungen zum Thema haben, zu beobachten. So wurden auch einige Ausstellungen, an denen Hans Hollein mitwirkte, neu betrachtet oder reinszeniert.14 Die noch junge Ausstellungsforschung der Kunst-, Architektur- und Designsparten sowie der Szenografie beschäftigte sich ab den 1990er Jahren mit Holleins Ausstellungsgestaltungen und maß ihnen besondere Bedeutung bei: Der deutsche Architekturhistoriker Frank Rolf Werner und der spanische Architekt Joan Roig skizzierten in ihren Aufsätzen neue Prinzipien
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Z.B. Pelkonen, Eeva-Liisa (Hg.): Exhibit A. Exhibitions That Transformed Architecture 1948–2000, London; New York 2018; Schulze, Mario: Wie die Dinge sprechen lernten. Eine Geschichte des Museumsobjektes 1968–2000, Bielefeld 2017; Szacka, Léa-Catherine: Exhibiting the Postmodern. The 1980 Venice Architecture Biennale, Venedig 2016; Eisenbrand, Jochen: George Nelson – ein Designer im Kalten Krieg. Ausstellungen für die United States Information Agency 1957–1972, Zürich 2014; Hölz, Christoph (Hg.): Formen des Zeigens. Der Ausstellungsgestalter Klaus-Jürgen Sembach, Berlin 2013. Z.B. MoMA: Exhibition history. (Digitalisierte Ausstellungsdokumentationen), MoMA Archive (1929-heute) (Webadresse s. digitale Archive im Quellenverzeichnis). Dentro la Strada Novissima, 07.12.2018-28.04.2019, Fondazione MAXXI, Rom; Umanesimo Disumanesimo 1980/2017. Lara-Vinca Masini e il censo della crisi nellꞌarte europea, 09.11.-15.12.2017, Villa Romana, Florenz; MAN transFORMS: Die Dokumente, 03.11.-09.12.2016, ETH Zürich, gta exhibitions.
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der Ausstellungsgestaltung der 1960er bis 1990er Jahre. Sie brachten darin Holleins Schaffen erstmals in Zusammenhang mit Inszenierungstendenzen und dem Begriff der Szenografie.15 Seitdem wurden Hans Holleins Ausstellungsgestaltungen, vor allem die bekanntesten Austriennale, MAN transFORMS, Die Türken vor Wien und Traum und Wirklichkeit, in Überblickswerken zur Ausstellungsgeschichte zu den bedeutendsten des 20. Jahrhunderts gezählt und kursorisch vorgestellt. Jedoch ohne ausführlicher auf deren inhaltliche oder gestalterische Merkmale einzugehen und damit zu begründen, warum diese Ausstellungen im Ausstellungskontext bedeutend waren.16 Auch in der Museumsforschung wurden Ausstellungen Holleins betrachtet. Die umfangreichste Studie legte die amerikanische Architekturhistorikerin Elizabeth Keslacy in ihrer Dissertation zum Cooper-Hewitt Museum mit der Untersuchung der Konzeption von MAN transFORMS vor.17 Allerdings thematisierten diese Texte Holleins Gestaltungen nur am Rande oder sehr kurz. In der Literatur zu Holleins Werk wurden seine Ausstellungen zu seinen Lebzeiten als ein der Architektur untergeordneter Teil seines Schaffens gesehen. Sie wurden in reich bebilderten Ausstellungskatalogen zu seinen Personalausstellungen sowie seinem Werk gewidmeten Ausgaben von Architekturzeitschriften gezeigt.18
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Werner, Frank R.: Raum-Zeiten und Zeit-Räume. Ephemere Architektur im Spiegel der Geschichte, in: Werner (Hg.): Hans Dieter Schaal, Stuttgart; London 1999, S. 25–27; Roig, Joan: Objekt und Subjekt in der heutigen Ausstellungsarchitektur, in: Azara; Harth (Hg.): Bühnenund Ausstellungsarchitektur, Stuttgart; München 2000, S. 34–36. Kiedaisch, Petra; Marinescu, Sabine; et al. (Hg.): Szenografie. Das Kompendium zur vernetzten Gestaltungsdisziplin, Stuttgart 2020, S. 38, 41; Pelkonen 2018, S. 72, 96–105, 138–143, 174, 194, 257, 265; Ryan, Zoë (Hg.): As seen. Exhibitions that made architecture and design history, New Haven; London 2017, S. 52–55; Müller, Anna; Möhlmann, Frauke: Neue Ausstellungsgestaltung 1900–2000, Ludwigsburg 2011, S. 81–82; Feireiss, Kristin: The art of architecture exhibitions, Rotterdam 2001, S. 133. Keslacy, Elizabeth: The Architecture of Design. The Cooper Hewitt, Smithsonian Museum of Design (1896–1976) (Dissertation), Universität Michigan 2016, S. 253–309; darüber hinaus gibt es weitere Aufsätze über Ausstellungen von Hollein im Kontext von Ausstellungs- und Museumsforschung: Die Doktorandin Arianna Fantuzzi analysierte im Kontext musealer Expografie Holleins Beitrag zur documenta 8 1987: Fantuzzi, Arianna: Changing Places. The Imaginary Museum of Hans Hollein, in: Antelmi; Logaldo (Hg.): Testi brevi di accompagnamento, Mantua 2019, S. 219–222; der Architekt und Kurator Aurélien Lemonier betrachtete Ausstellungen des Centre Pompidou, darunter Metaphern und Metamorphosen: Lemonier, Aurélien: L’écart à l’œuvre. Quatre experiences de design scénographique pour le Centre de création industrielle, Cahiers du Musée National d’Art Moderne, Nr. 123 (2013), S. 87–89; die Kunsthistorikerin Susanne Wischermann untersuchte Johannes Cladders Ausstellungen und damit auch Holleins Tod 1970 in Mönchengladbach: Wischermann, Susanne: Johannes Cladders. Museumsmann und Künstler, Frankfurt a.M. 1997, S. 42–43, 77, 86, 330–342. Hauptsächlich: Weibel, Peter (Hg.): Hans Hollein. Neue Galerie Graz Ausst.-Kat., Ostfildern 2011; Düriegl, Günter; Steiner, Dietmar; et al. (Hg.): Hans Hollein. Eine Ausstellung, Historisches Museum der Stadt Wien Ausst.-Kat., Wien 1995; Pettena, Gianni (Hg.): Hans Hollein.
I Einleitung: Hans Hollein als Architekt und Ausstellungsgestalter
Dabei enthielt der von Peter Weibel herausgegebene Katalog zur Holleinschau 2011 in Graz die zeitlich umfangreichste und ausführlichste visuelle Materialsammlung seiner Ausstellungsgestaltungen. Mit Ausnahme des Ausstellungskataloges, der anlässlich der Werkpräsentation Holleins in Florenz 1988 erschien, wurden seine Ausstellungsgestaltungen in diesen Publikationen über die visuelle Dokumentation hinaus jedoch kaum thematisiert.19 Im Katalog von 1988 beschrieb der italienische Architekturhistoriker Gianni Pettena einzelne Ausstellungen und Installationen Holleins kurz. Seinen zwischen 1973 und 1987 entstandenen Ausstellungsgestaltungen und künstlerischen Rauminstallationen widmete er jeweils sogar kursorische Kapitel.20 Dies stellt die umfangreichste überblicksartige Betrachtung von Holleins Ausstellungen dar, die bisher erschienen ist. Die Ausstellung MAN transFORMS von 1976 wurde unter Holleins Regie in Zusammenarbeit mit der Hochschule für angewandte Kunst Wien nach deren Ende in einer Publikation in ihrer Konzeption und Gestaltung ausführlich dokumentiert und aufgearbeitet.21 Die genannten Publikationen entstanden alle unter intensiver Mitarbeit Holleins und mit Bildund Textmaterial aus seinem Architekturbüro. Eine von der Person Hans Hollein losgelöste Betrachtung konnte erst nach seinem Tod 2014 erfolgen: Vermutlich angeregt durch das verstärkte Interesse an Ausstellungsgestaltungen, erschienen Publikationen zu Holleins Schaffen, die auch seine Ausstellungen in den Blick nahmen.22 Für die Ausstellungen anlässlich des 80. Geburtstages des Architekten im Museum Abteiberg Mönchengladbach und im MAK Wien, die durch dessen Tod im April 2014 ungewollt zu Retrospektiven
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Works 1960–1988, Accademia delle Arti del Disegno Florenz Ausst.-Kat., Mailand; New York 1988; Cooke, Catherine; Hollein, Hans (Hg.): Vienna, dream and reality, A celebration of the Hollein installations for the exhibition ›Traum und Wirklichkeit Wien 1870–1930‹ in the Künstlerhaus Vienna, Architectural Design, Nr. 11–12, London 1986; Nakamura, Toshio (Hg.): Hans Hollein, (Sonderheft), a+u Architecture and Urbanism, Nr. 2, Tokio 1985; Hollein, Hans; Isozaki, Arata; et al.: Recent Works of Hans Hollein. a+u Architecture and Urbanism, Nr. 160 (1984), S. 27–72; Hasegawa, Aiko (Hg.): SD Space Design, Nr. 5, Tokio 1973. V.a. inhaltlich setzten sich Arata Isozaki und Yusuke Nakahara mit Holleins künstlerischen Ausstellungen der 1970er auseinander; allerdings erschienen die Texte nur auf Japanisch: Isozaki, Arata: The Feast of Death. Hollein of Vienna, Space Design, Nr. 5 (1973), S. 5–8; Nakahara, Yusuke: Hollein and the Concept of Death. Space Design, Nr. 5 (1973), S. 62–69. Pettena 1988, S. 88–95, 99–102. Der Katalog enthält eine ausführliche, aber in den Angaben nicht immer korrekte, Auflistung der zu seinen Ausstellungen erschienenen Texte und Presseberichte. Der Katalog ist in vielen Bibliotheken nur in der italienischen Version verfügbar und die englische Übersetzung ist an einigen Stellen nicht klar verständlich. Hollein, Hans (Hg.): MAN transFORMS. Konzepte einer Ausstellung, Wien 1989. Der Kunsthistoriker Heiko Weiß untersuchte in seiner Dissertation das Motiv der Baumsäule in der Architektur und bezog dabei neben architektonischen Projekten Holleins auch seine Installation zur ersten Architekturbiennale mit ein. Weiß, Heiko: Die Baumsäule in Architekturtheorie und -praxis. Von Alberti bis Hans Hollein, Petersberg 2015, S. 289–292.
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Die Architektur der Inszenierung
wurden, erhielt das kuratorische Team erstmals die Möglichkeit, das umfangreiche Archiv des Architekten eigenständig einer ersten Sichtung zu unterziehen und bisher nicht bekanntes Material zu präsentieren.23 Vor allem in der Publikation zum 2014 in Mönchengladbach veranstalteten Symposium Hans Hollein in retrospect wurde die Bedeutung seines Schaffens im Ausstellungsbereich hervorgehoben:24 Der Architekt Wilfried Kuehn und der Architekturtheoretiker Samuel Korn stellten in ihren Aufsätzen den besonderen Stellenwert der Ausstellungen sowie der Displayund Präsentationsbegriffe für Holleins architektonisches Denken heraus.25 Im Zuge der Neubetrachtung von Holleins Werk, welche durch die Ausstellungen und das Symposium angestoßen wurden, erschienen auch Aufsätze, die sich spezifischer mit einzelnen Ausstellungen Holleins beschäftigten: Die österreichisch-amerikanische Architekturhistorikerin Eva Branscome analysierte in ihrem Beitrag zum Symposium Holleins Installation Die Turnstunde in Bezug auf das von ihm entworfene Museum Abteiberg in Mönchengladbach.26 In einem weiteren Aufsatz beschäftigte sie sich 2015 aus kulturhistorischer Perspektive mit seiner Ausstellung Tod.27 Ebenfalls 2015 veröffentlichte die kanadisch-österreichische Architekturhistorikerin Liane Lefaivre im Zuge ihrer Forschungen zur Wiener Architektur des 20. Jahrhunderts einen kurzen Aufsatz, der sich überblicksartig mit Holleins frühen Ausstellungen bis MAN transFORMS und der damit verbundenen kuratorischen Praxis beschäftigte.28 Samuel Korn forschte im Anschluss an das
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Kuehn, Wilfried; Thun-Hohenstein, Christoph; et al. (Hg.): Hans Hollein. Fotografiert von Aglaia Konrad und Armin Linke, Städtisches Museum Abteiberg; MAK Ausst.-Kat., London; Mailand 2014; zum Konzept der Ausstellungen: Korn, Samuel; Kuehn, Wilfried; et al. (Hg.): Alles ist Architektur? Ausstellen und Forschen: Hans Hollein und das Museum Abteiberg, Mönchengladbach 2015, S. 3–4. Korn, Samuel; Kuehn, Wilfried; et al. (Hg.): Alles ist Architektur? Ausstellen und Forschen: Hans Hollein und das Museum Abteiberg, Mönchengladbach 2015. Kuehn, Wilfried: Architektur ist Ausstellen. Hans Holleins kuratorischer Entwurf, in: Korn; Kuehn; et al. (Hg.): Alles ist Architektur?, Mönchengladbach 2015, S. 10–19. Kuehn hielt am 27.03.2014 im Wien Museum auch einen Vortrag mit dem Titel Hans Hollein als Ausstellungsmacher, zu dem es jedoch keine Aufnahme oder Textversion gibt; Korn, Samuel: Raum und Zeichen. Konzepte in Hans Holleins Frühwerk und dem Museum Abteiberg, in: Korn; Kuehn; et al. (Hg.): Alles ist Architektur?, Mönchengladbach 2015, S. 90–115. Branscome, Eva: Die Turnstunde, in: Korn; Kuehn; et al. (Hg.): Alles ist Architektur?, Mönchengladbach 2015a, S. 56–77. Branscome, Eva: Triptych for an Ideal Museum. Hollein, Beuys and Cladders, AA files, Nr. 71 (2015), S. 92–103; in ihrer Dissertation zu Hans Holleins Schaffen im Kontext der Postmoderne thematisierte sie auch seinen Beitrag zur Strada Novissima sowie die Ausstellungen Austriennale und Selection 66: Branscome, Eva: Hans Hollein and Postmodernism. Art and Architecture in Austria, 1958–1985, New York; Abingdon 2018, S. 24–31, 169–181, 196. Lefaivre, Liane: Hans Hollein as »Everythingizer«, Hans Hollein as Curator, in: Pelkonen (Hg.): Exhibiting Architecture, New Haven Connecticut 2015, S. 147–157.
I Einleitung: Hans Hollein als Architekt und Ausstellungsgestalter
Symposium in Mönchengladbach in Zusammenarbeit mit dem Schweizer Architekten Laurent Stalder an der ETH Zürich ausführlicher zu Holleins Ausstellung MAN transFORMS und sichtete dazu Archivmaterial im Nachlass Holleins und im Archiv des Cooper-Hewitt Museum.29 Wie der vorangegangene Überblick zeigt, wurde die besondere Qualität von Holleins Ausstellungsgestaltungen zunehmend erkannt und als wichtiger Beitrag zur Ausstellungsgeschichte gewürdigt. Die vorgestellten Publikationen lieferten jedoch bisher nur erste und zumeist kurze Betrachtungen oder kursorische Überblicke zu seinen bekanntesten Ausstellungen. Der Fokus der Forschung lag insbesondere auf den durch die Ausstellungen vermittelten Design- und Architekturkonzepten und auf ihrer kulturhistorischen Bedeutung. Mit Abstand am meisten Aufmerksamkeit erhielt die Ausstellung MAN transFORMS. Holleins frühe Ausstellungen Selection 66 und Papier sowie seine künstlerischen Rauminstallationen der 1980er Jahre wurden dagegen bislang kaum beachtet.30
I.II
Ausstellungsrekonstruktion
Für die Erforschung von Hans Holleins Ausstellungsgestaltungen können die vorgestellten bisherigen Forschungen und die Kataloge zu den jeweiligen Ausstellungen, die in unterschiedlichem Umfang deren Konzepte und räumliches Arrangement dokumentierten, nur einen ersten Überblick geben.31 Die reduzierte Darstellung der komplexen Ausstellungen von Hollein durch wenige Ansichten, Skizzen und Pläne ermöglicht es nicht, deren besondere Raumwirkungen nachzuvollziehen. Auch tragen sie kaum zum Verständnis von Konzeption und Inhalten der Ausstellungsdisplays bei. Die Grundlage der vorliegenden Arbeit ist daher die ausführliche Rekonstruktion und Beschreibung von Hans Holleins Ausstellungen im Zeitraum 1966–1987, dargestellt in Kapitel IV. Die Erforschung historischer Ausstellungsgestaltungen ist bisher noch wenig ausgeprägt. Somit ist auch die gewählte Vorgehensweise, diese ausführlich zu beschreiben, in der Forschung selten und wurde
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Diese Forschungen mündeten in einem Ausstellungsprojekt: MAN transFORMS: Die Dokumente, 03.11.-09.12.2016, ETH Zürich, gta exhibitions; s.a. Korn, Samuel: An Environment of Environments: MAN transFORMS. Curatorial Modes, Designs, Structures, Architectural Theory Review, Nr. 1 (2019), S. 59–89. Ein Grund dafür ist, dass zu diesen Ausstellungen keine dokumentarischen Kataloge erschienen und außer wenigen Fotos auf Holleins Webseite (s. digitale Archive im Quellenverzeichnis) kaum Informationen dazu verfügbar waren. Auch die Webseite von Hans Hollein, auf der die meisten seiner Ausstellungen und Installationen mit Eckdaten, wenigen Fotos und teilweise kurzen Texten aufgeführt sind, bietet nur einen ersten Überblick. Die Inhalte der Webseite sind größtenteils deckungsgleich mit Weibel 2011a.
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Die Architektur der Inszenierung
bisher hauptsächlich für aktuelle Ausstellungen verwendet.32 Um Holleins Ausstellungspraxis analysieren zu können, ist es jedoch notwendig ein möglichst genaues Bild der Planung und räumlichen Manifestation der Ausstellungen zu zeichnen. Daher war es für die Rekonstruktion der Ausstellungen unerlässlich, die Hollein-Archive sowie die Archive der an den Ausstellungen beteiligten Institutionen zu konsultieren, deren Materialien auszuwerten und einzubeziehen.33 In Publikationen zur Ausstellungsgeschichte wird häufig die unzureichende Dokumentation des Erscheinungsbildes von Ausstellungen bis in die 1990er Jahre hinein beklagt und als eines der großen Hindernisse für deren Erforschung verantwortlich gemacht.34 Die Quellenlage zu Hans Holleins Ausstellungsprojekten und Displays kann dagegen als gut beurteilt werden.35 Ihr Erscheinungsbild wurde im Gegensatz zu vielen anderen Ausstellungen der Zeit umfassend dokumentiert. Als studierter Architekt behandelte Hollein Ausstellungen und Installationen seinen Architekturprojekten ähnlich. Neben Ideen-, Planungs- und Konstruktionsskizzen zeichnete er genaue Grundrisse und Isometriepläne, die den Aufbau nachvollziehbar machen. Nach der Fertigstellung der Ausstellung ließ er diese zudem ausführlich fotografisch dokumentieren. Dabei zeigen die Fotos nicht nur wie oft bei Ausstellungsdokumentationen dieser Zeit üblich, die Exponate, sondern vor allem die räumliche Gestaltung sowie Blickachsen zwischen Räumen und einzelnen Installationen. Schon in den 1960er Jahren sind auch farbige Abbildungen
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Einen umfassenden, aktuellen Überblick über Methoden der Ausstellungsanalyse bietet: Piontek, Anja: Museum und Partizipation. Theorie und Praxis kooperativer Ausstellungsprojekte und Beteiligungsangebote, Bielefeld 2017. Zu Analysemethoden historischer Ausstellungsgestaltungen vgl. insbesondere S. 53–57; eines der frühesten Beispiele einer umfassenden Ausstellungsanalyse: Heinich, Nathalie; Pollak, Michaël: Vienne à Paris. Portrait d’une exposition, Paris 1989. Ein Großteil der Unterlagen zur Ausstellungsgestaltung befindet sich im umfangreichen Archiv Hans Hollein, das seit 2015 vom Az W gesichtet und archivarisch aufbereitet wird. Ein Teil des Nachlasses, insbesondere Fotografien, Architekturmodelle und Bücher, ist zudem im Privatarchiv Hollein ebenfalls in Wien. Weiteres Material wurde in den Archiven der jeweiligen Ausstellungsinstitutionen, v.a. MAK, Wien Museum, Künstlerhaus Wien, Museum Abteiberg und Biennale Archiv Austria, gesichtet. Vgl. z.B. Obrist, Hans U. (Hg.): A Brief History of Curating, Dijon 2011, S. 8, 244, 263; Szacka 2016, S. 25. Dennoch ist die Quellenlage je nach Ausstellung unterschiedlich, z.B. ist bei der Ausstellung Selection 66 in Anbetracht der übersichtlichen Größe der Schau ein umfangreicher Pressespiegel vorhanden, wohingegen es nur wenige Unterlagen zur Ausstellungskonzeption gibt. Bei der Austriennale und bei MAN transFORMS ist die Ausstellungskonzeption dagegen intensiv dokumentiert. Die Unterschiede stehen in Zusammenhang mit dem jeweiligen Projekt, dem Auftrag, dem Ausstellungsort und ggfs. Lücken in den Archiven. Die künstlerischen Ausstellungen sind insgesamt weniger gut dokumentiert als die Auftragsausstellungen und Werkpräsentationen.
I Einleitung: Hans Hollein als Architekt und Ausstellungsgestalter
vorhanden.36 Auf den Fotos sind auch Personen zu sehen, die Orientierung für die räumlichen Dimensionen der Ausstellungen bieten. Zusätzlich zu den genannten Materialien konnte für die Rekonstruktion der räumlichen Manifestation der jeweiligen Ausstellung teilweise auf Ausstellungsmodelle sowie filmische Aufnahmen zurückgegriffen werden. Die konzeptuellen und gestalterischen Intentionen von Hans Hollein konnten durch Konzepttexte und Interviews von ihm sowie Aufnahmen von seinen Vorträgen herausgearbeitet werden.37 Außerdem waren Korrespondenzen und Planungsprotokolle zu den Ausstellungsaufträgen weitere wichtige Informationsquellen. Rechnungen, Kostenaufstellungen, Leihverträge und Objektlisten belegen zudem die umfassende organisatorische Arbeit, die Hans Hollein und das Team seines Architekturbüros leisteten, und geben Hinweise auf die Herstellung und den Einbezug bestimmter Objekte. Presseberichte und Ausstellungskritiken lieferten einen Überblick über die Rezeption der Ausstellungen.38 Dennoch erlaubt es die Rekonstruktion von Ausstellungen auf Grundlage der genannten Quellen nur ansatzweise, die spezifische Atmosphäre und das sinnliche Potenzial der Schauen sowie deren Raum- und Lichtwirkungen, wie sie damals erlebt wurden, nachzuvollziehen.39 Um Eindrücke zu erhalten, welchen Effekt die Ausstellungen auf das damalige Publikum hatten, wurden ebenfalls die Ausstellungsrezensionen sowie zeitgenössische statistische Publikumsbefragungen herangezogen. Ergänzend zur Quellenforschung wurden Gespräche mit Personen, die in die Gestaltung oder Genese der Ausstellungen von Hans Hollein involviert waren, geführt.40 Die historische Quellenforschung und Gespräche mit beteiligten
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Die Farbfotos sind in Form von Dias im Archiv Hans Hollein, Az W einsehbar. Diese sind größtenteils nicht digitalisiert. Zu den Ausstellungen sind v.a. folgende Interviews von Bedeutung: Obrist, Hans U.: In Conversation with Hans Hollein. (Internetdokument), e-flux Nr. 66 (2015); Hollein, Lilli: Hans Hollein im Gespräch mit Lilli Hollein, in: Matt, Gerald (Hg.): Österreichs Kunst der 60er-Jahre, Nürnberg 2011, S. 169–183. Zu den Auftragsausstellungen und zu den Mönchengladbacher Ausstellungen gibt es Sammlungen von Presseausschnitten. Anregungen zu Methoden der Quellenkritik im Ausstellungsbereich lieferte: Thiemeyer, Thomas: Geschichtswissenschaft: Das Museum als Quelle, in: Baur (Hg.): Museumsanalyse, Bielefeld 2010, S. 73–94. Die Interviews wurden mit allgemeinen Fragen anhand eines jeweils individuell erarbeiteten Fragenkatalogs begonnen. Anschließend wurden noch offengebliebene Fragen durch gezieltere Nachfragen geklärt. Da viele der Ausstellungen zeitlich weit zurücklagen, habe ich mir mit den Gesprächspartnern oft Fotografien angesehen, um die Detailfragen einzuleiten. Gesprochen habe ich mit Hermann Czech, Lilli Hollein, Katarina Noever, Peter Noever, Erich Pedevilla (2019), Max Hollein (2020), außerdem wurden für meine Masterarbeit zu Traum und Wirklichkeit Gespräche mit Günter Düriegl, Sylvia Mattl-Wurm, Regina Karner, Erich Pedevilla (2014) geführt. Die Gespräche von 2019–2020 wurden per Diktiergerät aufgenommen und ganz oder teilweise transkribiert, die Gespräche von 2014 wurden protokolliert.
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Die Architektur der Inszenierung
Personen sowie die Berücksichtigung der bereits erschienenen Forschungen und Dokumentationen von Holleins Ausstellungen erlauben es, sowohl die Konzeption als auch das Erscheinungsbild und die Rezeption der thematisierten Ausstellungen nachzuvollziehen.
I.III Ausstellungsanalyse und Kontextualisierung Neben der Rekonstruktion der Konzepte und des räumlichen Arrangements der Ausstellungen ist es Ziel der Publikation, diese in Hinblick auf ihre Gestaltung zu analysieren und zu kontextualisieren. Die Analyse von Hans Holleins Ausstellungsgestaltungen wird jedoch durch verschiedene Aspekte erschwert: Erstens wiesen sie eine große Vielfalt auf. Zweitens kombinierten sie Methoden aus verschiedenen Gestaltungsbereichen miteinander. Drittens fehlt es an differenzierten und strukturierten Analyseinstrumenten, die es ermöglichen, alle Aspekte von Hans Holleins Ausstellungsgestaltungen zu berücksichtigen. In Kapitel II wird daher auch das verwendete begriffliche Instrumentarium zur Beschreibung und Differenzierung von Ausstellungsgestaltungen dargelegt und an Beispielen verdeutlicht. Die Studie leistet damit einen Beitrag zur Erforschung von historischen Ausstellungsgestaltungen, denn nur ein geringer Teil der Literatur aus dem noch jungen Feld der Ausstellungs- und Museumsforschung setzt sich bisher dezidiert und ausführlich mit Fragen nach den Charakteristika und Formen von Ausstellungsgestaltungen auseinander.41 Da in den einschlägigen Publikationen zumeist herausragende Ausstellungsergebnisse und deren historische Bedeutung jedoch weniger die Gestaltungsprozesse thematisiert werden, sind Untersuchungen zu Konzeptionen eines Ausstellungsgestalters, wie es Ziel dieser Publikation ist, bisher ebenfalls rar.42 Vor allem Studien, die einen Überblick zu Entwicklungen von Ausstellungsgestaltungen im Untersuchungszeitraum 1960–1990 geben, stellen aktuell noch eine Seltenheit dar:43 Wie bereits in Zusammenhang mit Holleins Ausstellungen er-
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Vgl. Schulze 2017, S. 29–31. Rinker; Schmid 2018, S. 18; Beispiele, die jedoch mehr die Dokumentation als die Analyse der Ausstellungen von Gestaltern fokussieren, sind: Hölz 2013b; Werner, Frank R. (Hg.): Hans Dieter Schaal. In-Between, Stuttgart; London 1999; Albertini, Bianca; Bagnoli, Sandro: Scarpa. Museen und Ausstellungen, Tübingen; Berlin 1992. Zu Messe- und Repräsentationsausstellungen der 1950er/60er gibt es kommentierte Bildwerke von Gestaltern, allerdings ohne Analyse übergeordneter Prinzipien: Neuburg, Hans; Burtin, Will; et al.: Internationale Ausstellungsgestaltung, Zürich 1969; Clasen, Wolfgang: Ausstellungen und Messestände, Stuttgart 1968; Döhnert, Horst: Messe- und Ausstellungsbauten, München 1961; Franck, Klaus: Ausstellungen. Exhibitions, Stuttgart 1961; Lohse, Richard P.: Neue Ausstellungsgestaltung. 75 Beispiele neuer Ausstellungsformen, Erlenbach-Zürich 1953.
I Einleitung: Hans Hollein als Architekt und Ausstellungsgestalter
wähnt, skizzierten Frank Rolf Werner und Joan Roig in den 1990er Jahren kursorisch Entwicklungen in der Ausstellungsgestaltung des zu untersuchenden Zeitraumes.44 1998 legte die amerikanische Kunsthistorikerin Mary Ann Staniszewski ihre umfassende Studie zu Ausstellungsgestaltungen des MoMA im Zeitraum 1929–1990 vor.45 Seit der Jahrtausendwende erschienen weitere ausführlichere Studien zu Gestaltungen im deutschen Ausstellungswesen. Besonders relevant in Bezug auf Holleins Ausstellungspraxis ist die Untersuchung der Kunstwissenschaftlerin und Museologin Brigitte Kaiser zu Inszenierungen in kulturhistorischen Ausstellungen aus kunstpädagogischer Perspektive von 2006. Ebenfalls von hoher Relevanz ist die Studie des Kulturwissenschaftlers Mario Schulze von 2017, welche die Geschichte des Museumsobjektes im Zeitraum 1968–2000 anhand von Ausstellungsgestaltungen im Historischen Museum Frankfurt a.M. und im Werkbund Archiv Berlin untersucht.46 Vergleichbare Studien zu Gestaltungen im österreichischen Ausstellungswesen in den 1960er bis 1980er Jahren liegen bisher nicht vor.47 Auch stellen überblicksartige und vergleichende Forschungen zu Gestaltungsformen von Designausstellungen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bisher weitestgehend ein Desiderat dar.48 Die Überblickswerke zur Ausstellungsgeschichte des 20. Jahrhunderts, die in den vergangenen Jahren erschienen, sind für die Forschung zu Ausstellungsgestaltungen nur bedingt hilfreich, da die einzelnen Ausstellungen darin nur knapp dargestellt werden, ohne auf Einzelheiten und Besonderheiten der Gestaltung näher einzugehen.49
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Werner 1999, S. 13–35; Roig 2000, S. 30–37. Staniszewski, Mary A.: The Power of Display. A History of Exhibition Installations at the Museum of Modern Art, Cambridge; London 1998. Schulze, Mario: Wie die Dinge sprechen lernten. Eine Geschichte des Museumsobjektes 1968–2000, Bielefeld 2017; Kaiser, Brigitte: Inszenierung und Erlebnis in kulturhistorischen Ausstellungen. Museale Kommunikation in kunstpädagogischer Perspektive, Bielefeld 2006. Regina Stein legt in ihrer Untersuchung der Österreichischen Landesausstellungen in der 2. Hälfte des 20. Jh. nahe, dass die Entwicklung der Ausstellungsgestaltung in den 60er-80er Jahren in Österreich ähnlich verlief wie in der BRD, vgl. Stein, Regina: Österreichische Landesausstellungen. Entstehung, Funktion & regionale Bedeutung, Frankfurt a.M. 2016, S. 196–217; s.a. Fliedl, Gottfried; Muttenthaler, Roswitha; et al. (Hg.): Museumsraum – Museumszeit. Zur Geschichte des österreichischen Museums- und Ausstellungswesens, Wien 1992. Vgl. Rinker; Schmid 2018, S. 53–59; Ansätze z.B. bei Sturm, Hermann: Designgeschichte ausstellen? oder Gerleit, Annegret: Die Möblierung der Kunst, in: Sturm, Hermann (Hg.): DESIGN retour. Ansichten zur Designgeschichte, Essen 2000, S. 77–90, 99–106; exemplarische monografische Studie zu Designausstellungen im MoMA: Staniszewski 1998, S. 160–194. Pelkonen, Eeva-Liisa (Hg.): Exhibit A. Exhibitions That Transformed Architecture 1948–2000, London; New York 2018; Ryan, Zoë (Hg.): As seen. Exhibitions that made architecture and design history, New Haven; London 2017; Müller, Anna; Möhlmann, Frauke: Neue Ausstellungsgestaltung 1900–2000, Ludwigsburg 2011; Feireiss, Kristin: The art of architecture exhibitions, Rotterdam 2001.
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Die Architektur der Inszenierung
Neben der Analyse ist ein wichtiger Teil der Untersuchung von Hans Holleins Ausstellungsgestaltungen deren Kontextualisierung in der Ausstellungsgeschichte. Diese ist in Hinblick auf den Untersuchungszeitraum und das Thema der Ausstellungsgestaltung, wie eben dargestellt, unzureichend erforscht. Die für die Kontextualisierung wichtige Frage, mit welchen ausstellungsgestaltenden Personen und ausstellungstheoretischen Schriften sich Hollein intensiver befasst hat, ist aus den Archivquellen kaum beantwortbar. Er selbst gab selten Hinweise darauf. Auch existiert kein Verzeichnis seiner umfangreichen Bibliothek, das Aufschlüsse geben könnte.50 Somit wird in der Analyse hauptsächlich auf stilistische Vergleiche mit anderen bereits erforschten Präsentationen oder auf visuelle Vergleiche auf Grundlage von Bildmaterial aus Büchern und Archiven zurückgegriffen.51
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Laut Lilli Hollein besaß ihr Vater mehrere 1000 Bücher. Nur ein kleiner Teil davon (v.a. Kataloge neueren Datums) wurde dem Az W übergeben. Hollein, Lilli: Interview 06.11.2019. Dabei erwies sich als hilfreich, dass immer mehr Museen und Institutionen die Ansichten ihrer vergangenen Ausstellungen und teilw. weiteres Begleitmaterial v.a. Pressemitteilungen online zur Verfügung stellen. Zu den im Folgenden thematisierten Ausstellungen s.a. folgende digitale Archive: MoMA (1929-heute); Centre Georges Pompidou; Bibliothèque Kandinsky: Expositions du Centre Pompidou: reportages photographiques en argentique. (1953–2003); Triennale Mailand: Archivio Fotografico. (1933–1996) (Webadressen s. Digitale Archive im Quellenverzeichnis).
II. Entwicklungen im Ausstellungswesen
Hans Holleins Architekturverständnis ging stark vom Raum und dessen Definition durch den Menschen aus. Auch seine Auffassung von Ausstellungen war dreidimensional und publikumsorientiert, denn er schrieb: »Ausstellung ist nicht aufgefaßt als an die Wand gehängte, vergrößerte Katalogseite, sondern als spezifisches – nur erfahrbares – Erlebnis.«1 Zentral waren für seine Ausstellungsgestaltungen daher Verfahren des räumlichen Zeigens. Um Hans Holleins Ausstellungen im Laufe der Arbeit zu kontextualisieren, wird in diesem Kapitel zunächst die museale Ausstellungspraxis der Zeit zwischen 1960 und 1987 thematisiert, die er in seinen Ausstellungen teilweise kritisch hinterfragte, teilweise ironisch aufgriff, aber auch adaptierte. Daran anschließend wird in Zusammenhang mit der Ausstellungsästhetik der Inszenierung ein breiterer außermusealer Kontext aufgespannt, in den Hans Holleins Ausstellungen einzuschreiben sind: Dieser wird anhand von Gestaltern, die im Kontext von Holleins Ausstellungen relevant waren, sowie exemplarisch ausgewählten Ausstellungen, die neben räumlicher Inszenierung auch durch den Einbezug des Publikums gekennzeichnet waren, aufgezeigt. Das dritte Unterkapitel beschäftigt sich mit den in den 1960er Jahren aufkommenden Kunstformen der Installation und des Environments, welche für Holleins Ausstellungspraxis zentral waren. Abschließend wird auf die Gestaltungsdisziplin der Szenografie eingegangen, die sich erst ab den 1990er Jahren etablierte, in Hans Holleins Ausstellungen, so eine These dieser Publikation, jedoch präfiguriert wurde. Dieses Kapitel zu Entwicklungen im Ausstellungswesen ist auch in Hinblick auf viele ungenaue oder unterschiedlich definierte Begriffe aus dem Ausstellungsbereich notwendig. Die Erläuterungen, wie diese Begriffe in der vorliegenden Arbeit verwendet werden, bilden die Grundlage für die weiteren Kapitel. Grundlegend für die Gestaltung von Ausstellungen ist das Verfahren, wie etwas zur Anschauung gebracht wird. Dieses Verfahren des Zeigens und Präsentierens wird als »Ausstellungsgestaltung« bezeichnet. Die Mittel mithilfe derer Ausstellungsobjekte in Museen präsentiert und vermittelt werden, werden unter dem
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Hollein, Hans: HH Ausstellungen. Dortmunder Architekturheft, Nr. 3 (1976), o. S.
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Die Architektur der Inszenierung
Begriff »museografische Präsentationsmedien« gefasst. Sie umfassen architektonische Mittel wie Stellwände, Sockel und Vitrinen sowie Licht und grafische Materialien, beispielsweise Objektbeschriftungen.2 Sämtliche Präsentationsmedien, die Raumarchitektur und weitere Elemente wie die Positionierung der Objekte, die Wegeführung und sogar Gerüche und Geräusche im Ausstellungsraum sind Teil des Ausstellungsdisplays und bilden zusammen den Präsentationskontext einer Ausstellung.3 Der aus dem Angloamerikanischen entlehnte Begriff des Displays beschreibt die formale, funktionale, aber auch ästhetische Gestaltung und die Ordnungsprinzipien von Ausstellungen und geht mit Bedeutungsproduktion einher.4
II.I
Formen musealer Ausstellungsgestaltung
Bevor auf die Entwicklung des musealen Ausstellens im Untersuchungszeitraum eingegangen wird, soll zunächst ein kurzer Blick auf die Geschichte des Ausstellens in Museen geworfen werden, um zu verstehen, wie sich die Präsentation von Objekten veränderte. Mario Schulze legte in seiner objektzentrierten historischen Museumsstudie schlüssig dar, dass es in Museen bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts in der Regel zwei Gründe gab, Objekte in Ausstellungen zu zeigen.5 Die Objekte wurden entweder aufgrund ihrer Einzigartigkeit ausgestellt oder aufgrund ihrer Bedeutung als Quelle des Wissens.6 Diese Unterscheidung bestimmte deren Display. Ende der 1920er Jahre etablierte sich zuerst im MoMA der Standard, vereinzelte Kunstwerke in möglichst neutral wirkenden, hell gestrichenen Räumen zu zeigen. Dies diente vielerorts als Vorbild für die Ausstellung einzigartiger Objekte.7 Dies galt nicht nur für Kunstmuseen, sondern auch für andere Ausstellungshäuser. Objekte als Wissensquellen wurden laut Schulze im Gegensatz zu den Kunstwerken nicht einzeln, sondern in Kombination mit anderen Objekten als Relikte der Geschichte präsentiert. Dabei unterschied Schulze zwei
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Vgl. Ziese, Maren: Kuratoren und Besucher. Modelle kuratorischer Praxis in Kunstausstellungen, Bielefeld 2010, S. 10. John, Jennifer; Richter, Dorothee; et al. (Hg.): Re-Visionen des Displays. Ausstellungs-Szenarien, ihre Lektüren und ihr Publikum, Zürich 2008, S. 18. Zum allg. Begriff des Displays: McGovern, Fiona: Display, in: Butin (Hg.): DuMonts Begriffslexikon zur zeitgenössischen Kunst, Köln 2014, S. 69–72; John; Richter; et al. 2008, S. 18–19. Schulze, Mario: Wie die Dinge sprechen lernten. Eine Geschichte des Museumsobjektes 1968–2000, Bielefeld 2017. Ebd., S. 55–56. Staniszewski 1998, S. 61–70; Foerster, Cornelia: Zwischen malerischer Präsentation und historischer Dokumentation. Darbietungsformen in Geschichtsmuseen des 20. Jahrhunderts, Museumskunde, Nr. 1–3 (1995), S. 92.
II. Entwicklungen im Ausstellungswesen
grundsätzliche Kombinationsarten: Erstens eine Präsentation in Serie und Reihen in Vitrinen und Schränken, um Entwicklungen aufzuzeigen. Zweitens eine Präsentation als rekonstruktives Gesamtbild, um den historischen Kontext der Relikte zu vermitteln. Diese atmosphärischen und oft illusionistischen Zusammenstellungen von Objekten sind aus Naturkundemuseen in Form von Dioramen bekannt und aus Kunstmuseen als Epochenräume.8 Unter naturwissenschaftlichen Dioramen werden Schaukästen verstanden, die Lebensräume mithilfe von präparierten Tieren und Pflanzen sowie einem gemalten Hintergrund illusionistisch nachstellen, um die Objekte für den Betrachtenden zu kontextualisieren und zu emotionalisieren.9 Epochenräume präsentieren Objekte verschiedener Gattungen wie Möbel, Gemälde und Teppiche in einem Ambiente, das einer Räumlichkeit aus einer bestimmten Zeit nachempfunden ist, um dem Betrachtenden einen Eindruck der Vergangenheit zu vermitteln.10 Schulze zufolge wurden Objekte in Ausstellungen bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein in Museen aller Art in der Regel entweder als Einzelstück, als Serie oder als Bild präsentiert.11 In der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg existierten die damit verbundenen Varianten des Ausstellungsdisplays nebeneinander. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts fand eine verstärkte Differenzierung von Museumstypen und damit von Formen der Ausstellungsgestaltung statt, die mit Schulzes Modell nicht mehr erfassbar sind. Zur Kategorisierung von Gestaltungstypen in Museen nach dem Zweiten Weltkrieg wird daher in dieser Arbeit auf die vier Ausstellungssprachen – ästhetisch, didaktisch, assoziativ und theatralisch – nach dem Schweizer Kunsthistoriker und Museologen Martin Schärer zurückgegriffen.12 Er nahm wie Schulze den Umgang mit dem Objekt als Einteilungskriterium. Bei der ästhetischen Ausstellungssprache werde die Form der Objekte in den Vordergrund gestellt, so Schärer. Die Gestaltung diene der Präsentation der einzigartigen Objekte. Dies betrifft vor allem Ausstellungen mit Originalen in Kunstmuseen. Dem Betrachtenden wird eine kontemplativ-bewundernde Rezeptionshaltung zugedacht. Da der Begriff der Ästhetik jedoch vielfältig besetzt ist, wird im Folgenden von »auratischer« statt wie von Schärer vorgeschlagen »ästhetischer« Ausstellungssprache gesprochen, denn die Aura der Objekte steht bei dieser Ausstellungssprache im Vordergrund.13 Die didaktische Ausstellungssprache verweist auf die Bedeutung von 8 9 10 11 12 13
Schulze 2017, S. 56–57. Gall, Alexander; Trischler, Helmuth: Szenerien und Illusion. Geschichte, Varianten und Potenziale von Museumsdioramen, Göttingen 2016, S. 10–11. Vgl. Sparke, Penny; Martin, Brenda; et al. (Hg.): The Modern Period Room. The construction of the exhibited interior 1870 to 1950, London; New York 2006. Schulze 2017, S. 57. Schärer, Martin R.: Die Ausstellung. Theorie und Exempel, München 2003. Auch andere Fachleute sprechen von auratischer Präsentation von Objekten z.B. Walz, Markus (Hg.): Handbuch Museum. Geschichte, Aufgaben, Perspektiven, Stuttgart 2016,
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Die Architektur der Inszenierung
Objekten und hat den Anspruch Wissen zu vermitteln. Diese Art von Präsentation ist in der Regel durch den Einsatz didaktischer Mittel wie Texte und Grafiken gekennzeichnet. Die assoziative Ausstellungssprache kombiniert nach Schärer Objekte in ungewohnter Weise zu Ensembles, um Denkprozesse auszulösen. Diese Ausstellungssprache neigt zur Abstraktion und kann in sämtlichen Museumsarten vorkommen. Die theatrale Ausstellungsprache schafft durch Objektensembles stimmige Gesamtbilder, die situativ und emotional ansprechen sollen, so Schärer. Diese Art von Ausstellungssprache kommt besonders häufig in historischen und kunstgewerblichen Museen sowie in Themenparks vor. Der Informationsgehalt ist bei auratischer und theatraler Ausstellungssprache tendenziell geringer. Schärer betonte jedoch, dass die von ihm erarbeiteten Typisierungen keine trennscharfen Kategorien, sondern in der Realität oft miteinander verwoben seien.14 Im folgenden historischen Überblick zur Entwicklung von Ausstellungen im Museumsbereich in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg werden die Eigenschaften und die praktische Anwendung dieser Ausstellungssprachen verdeutlicht. Die Zeit zwischen 1960 und 1990 war von großen Umbrüchen im Ausstellungswesen gekennzeichnet.15 Diese gingen hauptsächlich mit drei Veränderungen einher, die grundlegende Auswirkungen auf das Display hatten und Holleins Arbeit im Ausstellungsbereich prägten: Die erste Veränderung betraf den Wandel von objektorientierten zu ideen- beziehungsweise thesenbasierten Ausstellungen, die zweite die verstärkte Aufmerksamkeit auf das Publikum und die dritte die zunehmende Bedeutung des Raumes für die Gestaltung von Ausstellungen. In der Nachkriegszeit zeigten viele westliche Museen zurückhaltende Präsentationen, die an auratische Zurschaustellungen aus der Vorkriegszeit anknüpften.16 Werke wurden in den
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S. 263–264; Hauser, Andrea: Staunen – Lernen – Erleben. Bedeutungsebenen gesammelter Objekte und ihrer musealen Präsentationen im Wandel, in: Ecker (Hg.): Sammeln, ausstellen, wegwerfen, Königstein 2001, S. 40; Schober, Anna: Montierte Geschichten. Programmatisch inszenierte historische Ausstellungen, Wien 1994, S. 15–16; s.a. Benjamin, Walter: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, Frankfurt a.M. 1935 2007. Schärer 2003, S. 118–128. Die im Folgenden dargestellten Entwicklungen im Ausstellungswesen waren eng verbunden mit Entwicklungen im Architektur-, Kunst- und Wissenschaftsbereich sowie umfassenden gesellschaftlichen Veränderungen, s. hierzu z.B. Schulze, Mario: Wie die Dinge sprechen lernten. Eine Geschichte des Museumsobjektes 1968–2000, Bielefeld 2017; Barthelmes, Christian: Prolog. Szenografie – Universaldisziplin der Raumgestaltung, in: Atelier Brückner (Hg.): Szenografie, Ludwigsburg 2011, S. 11–23; Staniszewski, Mary A.: The Power of Display. A History of Exhibition Installations at the Museum of Modern Art, Cambridge; London 1998; Biermann, Alfons W. (Hg.): Vom Elfenbeinturm zur Fussgängerzone. Drei Jahrzehnte deutsche Museumsentwicklung, Opladen 1996; Schober, Anna: Montierte Geschichten. Programmatisch inszenierte historische Ausstellungen, Wien 1994. Zu nationalsozialistischen Propagandaausstellungen in Deutschland und Italien sowie auratisch-orientierten Präsentationen nach dem Zweiten Weltkrieg s. Werner 1999, S. 15–19.
II. Entwicklungen im Ausstellungswesen
1950er und 1960er Jahren in der Regel so objektiv und neutral wie möglich präsentiert, um aus sich selbst heraus wirken zu können. Die Ausstellungen wurden um die Exponate herum konzipiert. Die Präsentation hatte eine den Werken dienende Funktion und sollte möglichst wenig von diesen ablenken, damit die Kunstwerke ihre Bedeutung unter rein ästhetischen Bedingungen vermitteln konnten.17 Daher waren die Präsentationsmedien wie Vitrinen und Sockel zumeist zurückhaltend, fast minimalistisch gestaltet und die Objektbeschriftungen sowie Wandtexte beschränkten sich auf die wesentlichen Angaben. Diese auratische Präsentation von Objekten unterstützte hauptsächlich die Rezeption der formalen und funktionalen Qualitäten der Werke.18 Sie ging von einem kontemplativen, passiven Betrachtenden aus, der im Museum ästhetischen Genuss finden sollte. Im Zuge der 1968er-Bewegung wurde dieses elitäre Publikumsmodell kritisiert. Dies führte zu einer institutionellen Krise, in der die Museen ihr Selbstverständnis und ihre Konzepte in Hinblick auf ihre Bildungsfunktion überdachten.19 Auf die Forderung nach einer Öffnung der Museen für breitere Gesellschaftsschichten reagierten viele Institutionen mit mehr Vermittlung der gezeigten Objekte, um über die bloße Präsentation der Objektgestalt hinaus einen Informationsmehrwert zu schaffen und spezifisches Wissen zu vermitteln. Der auratische Musentempel sollte zum Lernort werden.20 Dies wurde vor allem durch pädagogisierende Elemente wie Texte und Schaubilder erreicht. In vielen Fällen wurde die Nüchternheit der Objektpräsentation jedoch nicht aufgegeben, wodurch Ausstellungen Hollein und anderen kritischen Stimmen zufolge an die Wand gehängten Katalogseiten ähnelten, da die Objekte wie Belege der Texte wirkten.21 Von solchen didaktischen Präsentationen grenzte sich Hollein klar ab. Mit den durch die Museumskrise ausgelösten Reflexionen zum Museum und seinen Objekten ging nicht nur eine verstärkte Publikumsorientierung einher, sondern auch eine für das Ausstellungswesen der folgenden Jahrzehnte prägende Entwicklung: Eine neue Generation von freien Ausstellungsschaffenden begann
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Filipovic, Elena: Der globale White Cube, in: John; Richter; et al. (Hg.): Re-Visionen des Displays, Zürich 2008, S. 27–28. Vgl. »Ästhetische Ausstellungssprache«: Schärer 2003, S. 123–124. S. Schulze 2017, S. 81–87. S. Biermann, Alfons W. (Hg.): Vom Elfenbeinturm zur Fussgängerzone. Drei Jahrzehnte deutsche Museumsentwicklung, Opladen 1996. Cladders, Johannes: Kunstmuseumsarchitektur als Vermittlungsform. Studien zur Geschichte der Innenraumgestaltung von Museen unter besonderer Berücksichtigung der Kunstmuseumsneubauten in der Bundesrepublik Deutschland, Osnabrück 1988, S. 94. Vorreiter und Extrembeispiel war das Historische Museum in Frankfurt, das in seiner 1972 neu gestalteten Dauerausstellung an vielen Stellen ganz auf die Präsentation von Objekten verzichtete und stattdessen eine auf Texten und Grafik basierende didaktische Schau einrichtete. S. Schulze 2017, S. 61–81.
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Die Architektur der Inszenierung
Ausstellungen nicht mehr von den Objekten ausgehend zu konzipieren. Stattdessen entwickelten sie die Ausstellung einem Thema oder einer Idee folgend, die durch die Auswahl der Objekte sowie durch museografische Mittel dargestellt wurden. Einer der ersten und bekanntesten ideen- und projektbasiert arbeitenden Ausstellungsmacher war Harald Szeemann.22 Als freier Ausstellungsmacher vereinte er die Aufgaben der Konzeption, Organisation und visuellen Präsentation einer Sonderausstellung mit einer künstlerischen Haltung.23 Das inhaltliche Konzept, das durch das Zusammenspiel aus Objekten und Display visualisiert wurde, kennzeichnete von da an vor allem Sonderausstellungen. Ende der 1970er Jahre wurde als Reaktion und Abgrenzung zur didaktischen Präsentation im Museumsbereich eine räumlich-visuelle Präsentationsweise populär: Objekte wurden durch räumliche Inszenierung in Schauzusammenhängen präsentiert und deren Botschaften und Bedeutungen so nonverbal vermittelt.24 Durch diese spektakuläre visuelle Präsentationsmethode wurden Ausstellungen für breitere Publikumsschichten geöffnet, als dies mit textorientierten Präsentationskonzepten möglich war. Der Begriff der Inszenierung geht dabei mit seiner vom Theater abgeleiteten Bedeutung von Dramaturgie und Unterhaltung einher.25 Seitdem wird er genutzt, um das räumliche Arrangement von Schauzusammenhängen mithilfe verschiedener Präsentationsmedien zu beschreiben. Der deutsche Kulturwissenschaftler und Kurator Gottfried Korff definierte im Katalog zu der im Zusammenhang mit Inszenierung wegweisenden Ausstellung Preußen – Versuch einer Bilanz den Inszenierungsbegriff 1981 erstmals für das Museum:26 Bei dieser Präsentationsmethode bilden weniger Einzelobjekte in ihrer ästhetischen Eigenwertigkeit die Bausteine der Ausstellung, als vielmehr thematisch bestimmte Ensembles und Arrangements, die durch die Art ihrer Zusammenstellung die Einzelobjekte wirken und »sprechen« lassen.27
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S. Kurzmeyer, Roman: Zeit des Zeigens. Harald Szeemann, Ausstellungsmacher, Zürich 2019; Heinich, Nathalie: Harald Szeemann. Un cas singulier, Paris 2015. Bätschmann, Oskar: Ausstellungskünstler. Kult und Karriere im modernen Kunstsystem, Köln 1997, S. 222–223. Museale Vorläufer dieser Inszenierungsmethode waren analytische Objektkombinationen und Environments, wie sie z.B. in Frankreich Georges Henri Rivière bereits Anfang der 1970er zeigte oder Peter Schirmbeck 1976 in Rüsselsheim. Schulze 2017, S. 171–172, 183–185. Thiemeyer, Thomas: Inszenierung und Szenografie. Auf den Spuren eines Grundbegriffs des Museums und seines Herausforderers, Zeitschrift für Volkskunde, Nr. 2 (2012), S. 206–207. Korff etablierte sich in der Folge zu einer der führenden Personen für Formen der Ausstellungsinszenierung in Praxis und Forschung. Korff, Gottfried: Zur Ausstellung, in: Korff (Hg.): Preußen. Martin-Gropius-Bau Berlin Ausstellungsführer, Reinbek 1981, S. 27.
II. Entwicklungen im Ausstellungswesen
Die so entstandenen Raumbilder sprachen das Publikum durch ihr visuelles und räumliches Arrangement an. Auf Texte, welche die Interpretation einschränkten, wurde so weit wie möglich verzichtet.28 Der Betrachtende sollte durch die Gestaltung des Ausstellungsdisplays in die Lage versetzt werden, das Ausgestellte eigenständig zu verstehen und zu bewerten und dadurch eine aktivere Rolle einnehmen.29 Die Wiener Kunsthistorikerin Anna Schober untersuchte 1994 als eine der Ersten in der Kunstgeschichte programmatisch inszenierte historische Ausstellungen als eigenes Genre der Ausstellungsgestaltung und grenzte diese damit von der allgemeinen Nutzung von Inszenierungsformen bei der Zurschaustellung in Ausstellungen ab.30 Programmatisch inszenierte Ausstellungen wollen laut Schober »das Publikum mit bildhaften Arrangements und einem künstlerischen Umgang mit den Objekten, der vom einfachen Zusammenkomponieren bis zu allegorischen Darstellungen reichen kann, ansprechen und verführen«.31 Weiter führte sie aus: Die Mittel der Inszenierung – Raum und Architektur, Licht, Farbe, Ton und Geräusche sowie Filme, Videos und »rhetorische« Kunstgriffe – werden bewußt und experimentell eingesetzt. Dabei wird die Grenzlinie gegenüber Inszenierungsformen der bildenden und darstellenden Kunst verwischt.32 Die Inszenierung, aber auch bereits die didaktische Präsentation standen in Zusammenhang mit einem neuen semiotischen Objektverständnis, das Objekte nicht mehr als auratische Meisterwerke oder bloße Dokumente der Geschichte ansah, sondern als vieldeutige Zeichenträger auffasste, die durch räumliche Arrangements oder Texte zum »Sprechen« gebracht werden sollten, wie Korff es im oben genannten Zitat formulierte.33 Hauptsächlich Museen mit historischer und kulturhistorischer Ausrichtung begannen in der Bundesrepublik Deutschland ab Ende der 1970er Jahre die programmatische Inszenierung zu nutzen, um neue Publikumsgruppen
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Thiemeyer 2012, S. 206. Wurde Inszenierung zu Beginn der 1980er Jahre noch als Differenzierungsbegriff für den deutenden Umgang mit Objekten im Raum im Gegensatz zu auratischen und didaktischen Präsentationweisen verwendet, wird Inszenierung inzwischen in vielen Zusammenhängen gebraucht und hat sich zu einem umfassenden und undeutlichen Begriff entwickelt. Zur breiten Definition des Begriffes s. z.B. Seel, Martin: Inszenieren als Erscheinenlassen, in: Hemken (Hg.): Kritische Szenografie, Bielefeld 2015, S. 125–138; Willems, Herbert; Jurga, Martin: Inszenierungsgesellschaft. Ein einführendes Handbuch, Wiesbaden 1998. Schober, Anna: Montierte Geschichten. Programmatisch inszenierte historische Ausstellungen, Wien 1994. Ebd., S. 16. Ebd., S. 16; vgl. a. Baur, Joachim: Mit Räumen sichtbar machen: inszenatorisch-szenografischer Ansatz, in: Walz (Hg.): Handbuch Museum, Stuttgart 2016, S. 261–263. Vgl. hierzu insb. Schulze 2017, S. 165, 185–195.
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Die Architektur der Inszenierung
zu erschließen.34 Die inszenierende Präsentationsmethode bot sich für diese Museumstypen besonders an, da im Zusammenhang mit der Erweiterung des Kulturbegriffes in den 1970er Jahren verstärkt auch Alltagsobjekte in Ausstellungen gezeigt wurden, welche der Inszenierung bedurften, um ihre Wirkung zu entfalten.35 Vor allem mit den großen kulturhistorischen Ausstellungen, die in den 1980er Jahren eine Vielzahl von Exponaten in assoziativen und theatralen Ausstellungsdisplays zeigten und diese dadurch für das Publikum sinnlich erlebbar machten, wurde die Methode der Ausstellungsinszenierung für das Museum adaptiert und populär gemacht.36 Die Anschaulichkeit der durch Inszenierung geschaffenen Bildwelten ermöglichte es, vielschichtige Ausstellungsthemen zu behandeln, die oft die Grenzen der Fachwissenschaften überschritten. Die assoziativen Inszenierungen zeichneten sich durch ungewöhnliche Nebeneinander- und Gegenüberstellungen von Originalen und häufig auch durch Verfremdungen und Ironisierungen aus. Dabei ging die Konzeption und Gestaltung von den aus ihren ursprünglichen Funktionszusammenhängen herausgelösten originalen Objekten aus und verband diese zu neuen Ideenzusammenhängen. Die so entstandenen abstrahierten Bilder mussten vom Betrachtenden decodiert werden. Bei den theatralen Inszenierungen wurden dagegen architektonische Erlebnisräume geschaffen, in welchen Objekte zu Ensembles zusammengestellt wurden, um ein Gesamtbild zu erzeugen.37 Vor allem die situative Erlebnishaftigkeit spielte eine wichtige Rolle. Häufig wurden Originale mit Kopien und Rekonstruktionen kombiniert, um stimmungsvolle Bilder hervorzurufen, durch die das Publikum emotional angesprochen und involviert wurde. Die Gestaltung dominierte dabei
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Baur 2016, S. 261. Thiemeyer 2012, S. 205. Inszenierungen erwiesen sich als besonders gut geeignet, übergreifende und ganzheitliche Thematiken kulturhistorischer Ausstellungen zu erschließen. Daher wurde das Thema der programmatischen Inszenierung von Ausstellungen seit den 1980er Jahren vornehmlich im kulturhistorischen Museumsbereich diskutiert und exemplarisch untersucht. U. a. Kaiser, Brigitte: Inszenierung und Erlebnis in kulturhistorischen Ausstellungen. Museale Kommunikation in kunstpädagogischer Perspektive, Bielefeld 2006; Schober, Anna: Montierte Geschichten. Programmatisch inszenierte historische Ausstellungen, Wien 1994; Paatsch, Ulrich (Hg.): Konzept Inszenierung. Inszenierte Ausstellungen – ein neuer Zugang für Bildung im Museum?, Heidelberg 1990; Klein, Hans-Joachim; Wüsthoff-Schäfer, Barbara (Hg.): Inszenierung an Museen und ihre Wirkung auf Besucher, Materialien aus dem Institut für Museumskunde Berlin, Nr. 32, Berlin 1990; Godau, Sigrid: Inszenierung oder Rekonstruktion? Zur Darstellung von Geschichte im Museum, in: Fehr; Grohé (Hg.): Geschichte, Bild, Museum, Köln 1989, S. 199–211. Auch wenn bei den inszenierten kulturhistorischen Ausstellungen der 1980er der theatrale und assoziative Typus vorherrschend waren, können sich programmatische Inszenierungen grundsätzlich aller vier Ausstellungssprachen nach Schärer bedienen und diese auch kombinieren.
II. Entwicklungen im Ausstellungswesen
häufig die Objekte und das Einzelobjekt ging zuweilen im Arrangement unter. Mit der theatralen Ausstellungssprache wurde oft eine nostalgisch-verklärende Vergangenheitssicht verbunden.38 Kennzeichnend war darüber hinaus eine verstärkte Orientierung an Inszenierungsstrategien aus dem Theater und eine Zusammenarbeit mit Personen, die Bühnenbilder gestalteten.39
II.II Vorreiter der Ausstellungsinszenierung Hans Hollein gestaltete seit Ende der 1960er Jahre, früher als die Museen, Ausstellungen, die mit Inszenierungsstrategien arbeiteten. Daher wird im Folgenden auf vom Museum weitgehend unabhängige frühere Inszenierungstendenzen und die damit verbundenen Strategien der Involvierung des Publikums in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eingegangen. In diesem Zusammenhang wird die Ausstellungsarbeit der fünf für Hollein wichtigen Gestalter und Künstler betrachtet: Josef Hoffmann, El Lissitzky, Herbert Bayer, Friedrich Kiesler und Marcel Duchamp.40 Gemeinsam war den im Folgenden vorgestellten Ausstellungsgestaltungen nicht nur eine Inszenierung von Objekten, sondern auch eine verstärkte Fokussierung auf das Publikum und dessen räumliches Erleben sowie ein Verständnis von Ausstellung als künstlerischem Medium. Vor allem letzteres unterscheidet sie von anderen Vorläufern programmatischer Inszenierung, den museologischen kontextualisierenden Raumbildern: Dioramen und Epochenräume. Außerdem spielte bei diesen Gestaltern Farbe als gliederndes und atmosphärisches Element eine wichtige Rolle.41
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Schärer 2003, S. 125–126. Schulze 2017, S. 174. Eine intensive Auseinandersetzung Holleins mit dem Werk von Lissitzky und Kiesler, letzteren lernte er in den USA noch persönlich kennen, wird angenommen, wurde aber in der Forschung noch nicht im Detail untersucht. Die besondere Bedeutung von Kiesler und der russischen Konstruktivisten El Lissitzky und Konstantin Melnikov mit ihren räumlich-grafischen Gesamtkonzeptionen für ihren Vater unterstrich Lilli Hollein. Hollein, Lilli: Interview 06.11.2019; Überlegungen zur Bedeutung von Kiesler für Hollein s. Schmidt-Felber, Blanka M.: Vom Solitär zur artifiziellen Welt-Landschaft »Städte« 1958–1966. Frühwerke von Hans Hollein, Walter Pichler und Raimund Abraham als Beiträge zur nationalen und internationalen Städtebau-Debatte (Dissertation), Universität Wien 2002. s. v.a. S. 88–106. (Ein Exemplar der Dissertation befindet sich in der Österreichischen Nationalbibliothek.). Dies ist heute in den Schwarz-Weiß-Fotografien der Ausstellungen kaum nachvollziehbar.
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Die Architektur der Inszenierung
Josef Hoffmann Frühe Tendenzen architektonisch-räumlicher Gesamtinszenierungen waren die Ausstellungen der Wiener Secession ab 1898.42 In den von den Künstlern selbst inszenierten Präsentationen waren die einzelnen Kunstwerke Teil des ästhetischen Gesamterlebnisses.43 Ein bekanntes Beispiel war die XIV. Secessionsausstellung 1902, die Ludwig van Beethoven gewidmet war. Der Architekt und Universalgestalter Josef Hoffmann war für die künstlerische Gesamtleitung und die Gestaltung der Räume verantwortlich. Er konzipierte eine von der Architektur des Secessionsgebäudes weitgehend unabhängige dreigliedrige Raumfolge, durch die man über den Beethovenfries von Gustav Klimt im linken Seitenschiff ins Zentrum zu Max Klingers Beethovenskulptur und über das rechte Seitenschiff mit weiteren Werken wieder hinaus geführt wurde.44 Das Bodenniveau der den Hauptsaal flankierenden Seitensäle hatte Hoffmann für die Ausstellung angehoben, um durch drei große Wandöffnungen einen erhöhten Blick auf den Mittelsaal zu erreichen, der besonders hell erleuchtet war. Die gesamte Raumstruktur und -gestaltung war auf Klingers Beethovenskulptur ausgerichtet, die durch Lichtführung und Raumstruktur als Objekt kultisch religiöser Verehrung inszeniert wurde.45 Über seine dreigliedrige, an Tempelarchitektur erinnernde Raumaufteilung und sein strenges Dekorationssystem erreichte Hoffmann einen einheitlichen Gesamteindruck der ausgestellten Vielfalt der Wandreliefs, Malereien und Skulpturen, die von verschiedenen Künstlern der Secession gestaltet worden waren. Der Wechsel von Wänden mit glattem, hellem Putz und Wänden mit der körnigen Struktur des leicht gelblichen Rohputzes verstärkte die architektonische Gliederung der Räume. Zeitgenössische Beschreibungen schilderten die Theatralik der Inszenierung und die damit verbundenen Farb- und Lichteffekte.46 Trotz ihrer Monumentalität blieb die Ausstellungsarchitektur zurückhaltend und verband sich mit den ausgestellten Kunstwerken zu einer Einheit. Ohne Unterscheidung zwischen freier und angewandter Kunst gestalteten die ausgestellten Werke den Raum und wurden zugleich durch diesen inszeniert.47 Der multidisziplinäre Raumkunstcharakter wurde bei 42
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Die Raumgestaltung wurde in der Forschung jedoch nur am Rande thematisiert. Für einen kursorischen Überblick zur Gestaltung von Ausstellungen und Raumbehandlung s. Felderer, Brigitte; Louis, Eleonora: Die Beständigkeit des Ephemeren. Zur Selbstdarstellung der Kunst in der Wiener Secession, in: Louis (Hg.): Secession, Ostfildern 1997, S. 109–157. Ebd., S. 133. Sekler, Eduard F.: Josef Hoffmann – Das architektonische Werk. Monographie und Werkverzeichnis, Salzburg; Wien 1982, S. 275. Felderer; Louis 1997, S. 124. Z.B. Hevesi, Ludwig; Breicha, Otto: Acht Jahre Sezession (März 1897-Juni 1905). Kritik, Polemik, Chronik, Klagenfurt 1906 1984, S. 390–394. Felderer; Louis 1997, S. 128.
II. Entwicklungen im Ausstellungswesen
der Eröffnung durch eine Aufführung von Beethovens neunter Sinfonie in den Ausstellungsräumen weitergeführt. Die XIV. Secessionausstellung war der bis dahin umfassendste Entwurf einer Kunstausstellung als gesamtheitliches ästhetisches Erlebnis.48 Nach diesem Erfolg gestaltete Josef Hoffmann teilweise zusammen mit Koloman Moser weiterhin viele innovative Secessions- und Werkbundausstellungen sowie internationale Präsentationen Österreichs.49 Hans Hollein beschäftigte sich bereits Anfang der 1960er mit dem damals in Wien nahezu in Vergessenheit geratenen Universalgestalter Hoffmann. Spätestens für das Arrangement der Ausstellung Traum und Wirklichkeit 1985 befasste er sich auch intensiv mit dessen Ausstellungsgestaltungen, speziell mit der Inszenierung des Beethovenfrieses bei der Secessionsausstellung 1902.50
El Lissitzky Ab den 1920er Jahren gab es weitere Vorreiter experimentellerer Ausstellungskonzepte, welche die Idee einer dynamischen Beziehung zwischen Raum, Publikum und Objekten durch Inszenierung in den Vordergrund stellten. Dabei sind vor allem drei wegweisende Ausstellungsgestalter zu nennen, die wie Hoffmann und Hollein spartenübergreifend arbeiteten: El Lissitzky, Herbert Bayer und Friedrich Kiesler. Der russische Avantgardist El Lissitzky etablierte Ausstellungsgestaltung als neue Disziplin der visuellen Kommunikation und als künstlerische Praxis mit. Er dachte als einer der Ersten den Ausstellungsraum neu und konzipierte ihn mithilfe grafischer Mittel als räumliches Arrangement, das die Interaktion zwischen Publikum und Objekten ermöglichte. Exemplarisch hierfür sind sein für die Große Berliner Kunstausstellung 1923 entworfener Prounen-Raum, der Raum für konstruktive Kunst auf der internationalen Kunstausstellung in Dresden 1926 und das im Provinzialmuseum Hannover 1927 eingerichtete Kabinett der Abstrakten.51 Die Lithografie der Isometrie des Prounen-Raumes zeigte Hollein als Referenz in seinem 1968 in der Zeit48 49
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Mai, Ekkehard: Wiener Sezession 1902. Die Ausstellung als Gesamtkunstwerk, in: Klüser; Hegewisch (Hg.): Die Kunst der Ausstellung, Frankfurt a.M. 1991, S. 25. In Eduard Seklers Buch, das sich dem architektonischen Werk Hoffmanns widmet, sind einige Abb. und kurze Beschreibungen seiner Ausstellungsgestaltungen zu finden: Sekler, Eduard F.: Josef Hoffmann – Das architektonische Werk. Monographie und Werkverzeichnis, Salzburg; Wien 1982. Hollein, Hans: Die Rekonstruktion des Raumes von Josef Hoffmann für Klimts Beethovenfries, in: Waissenberger (Hg.): Traum und Wirklichkeit. Historisches Museum der Stadt Wien Ausst.-Kat., Wien 1985b, S. 558–566. S. hierzu Barry, Judith: Dissenting Spaces, in: Greenberg; Ferguson; et al. (Hg.): Thinking about exhibitions, London 1996, S. 307–311; Nobis, Beatrix: El Lissitzky: Der »Raum der Abstrakten« für das Provinzialmuseum Hannover 1927/28, in: Klüser; Hegewisch (Hg.): Die Kunst der Ausstellung, Frankfurt a.M. 1991, S. 76–83; Hemken, Kai-Uwe: El Lissitzky. Revolution und Avantgarde, Köln 1990, S. 30–39, 99–112.
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Die Architektur der Inszenierung
schrift Bau erschienen Manifest Alles ist Architektur.52 Auch außerhalb des Kunstkontextes setzte El Lissitzky im Bereich von Repräsentations- und Propagandaausstellungen mit seinen Gestaltungen neue Maßstäbe:53 Wegweisend war die Gestaltung des sowjetischen Beitrags Pressa zur Internationalen Presseausstellung 1928 in Köln über die Geschichte und die aktuelle Bedeutung des Pressewesens für die Sowjetunion.54 Statt einer didaktischen Präsentation mittels dokumentarischer Schautafeln wie in anderen Pavillons entwarf er ein neuartiges visuelles Ausstellungsdesign, indem er verschiedenste Medien und Materialien, dreidimensionale Objekte und riesige Fotografien installativ im Raum anordnete und die Ausstellung durch Filme, leuchtende Buchstaben und sich bewegende Modelle zusätzlich dynamisierte. Inhalt und Form der Ausstellung bildeten eine Einheit, um die Dynamik der sowjetischen Staatsentwicklung darzustellen. Das Publikum, das aufgefordert war einzelne Objekte zu betätigen, wurde Teil des Ausstellungsspektakels.
Herbert Bayer El Lissitzkys Ausstellungen beeindruckten den österreichischen Ausstellungsarchitekten Herbert Bayer stark. Er war wie Lissitzky ein wichtiger Wegbereiter dynamisch-räumlicher Ausstellungen, die das Publikum zum Teil des Displays werden ließen. In diesem Zusammenhang ist vor allem das 1930 von ihm entwickelte Konzept des »Field of Vision« von Bedeutung.55 Es sah vor, das Blickfeld über die Betrachtung von Bildern an vertikalen Wänden hinaus auszuweiten und den gesamten Raum vom Boden bis zur Decke einzubeziehen, beispielsweise durch schräg von der Decke abgehängte Bildtafeln. Darüber hinaus wollte Bayer das Blickfeld erweitern, indem er die Möglichkeit eröffnete, Bilder von einem erhöhten Standpunkt aus zu betrachten. Präzise geplante Wege- und Blickführung kennzeichneten Bayers Gestaltungsansatz, der bei seiner Einrichtung der Sektion Baugewerkschaft der Bauausstellung 1931 in Berlin gemeinsam mit Walter Gropius, László Moholy-Nagy und Marcel Breuer sichtbar wurde.56 Diese Ausstellung enthielt erhöhte Rampen, über welche man den Ausstellungsparcours erkunden konnte. Durch die Sicht von oben wurden neue visuelle Eindrücke geboten. Zum Thema der Ausstellung gab es wenig anschauliches Material. Daher wurde das Publikum durch Effekte wie Animationen, Gucklöcher, riesige Bilder, die teilweise schräg an den Wänden oder von
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Hollein, Hans: Alles ist Architektur. Bau, Nr. 1–2 (1968a), S. 11. Hemken 1990, S. 114–165. Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, Pressa Köln, Mai-Oktober 1928, Sowjetischer Pavillon. S. Staniszewski 1998, S. 45–50; Hemken 1990, S. 117–150. S. Bayer, Herbert: Fundamentals of Exhibition Design. PM, Nr. 12 (1939), S. 17–25. Finkel Chanzit, Gwen: Herbert Bayer and Modernist Design in America, Ann Arbor; London 1987, S. 112–117; Lohse 1953, S. 142–143.
II. Entwicklungen im Ausstellungswesen
der Decke hingen, und manipulierbare, bewegliche Vorrichtungen zur aktiven Betrachtung angeregt. Das Display und nicht die architektonische Abfolge von Räumen, wie es in Ausstellungen zuvor meist der Fall gewesen war, bestimmte den Ausstellungsrundgang. Bayer brachte seine neuartigen Gestaltungsideen mit großen Ausstellungen wie Bauhaus 1919–1928 und Road to Victory, beide 1938 im MoMA, auch in die USA.57 Sein Ziel war es, Ausstellungen als kalkulierte, räumliche Inszenierungen zu gestalten, die mit den Ausstellungsgästen kommunizieren sollten.58
Friedrich Kiesler Der dritte für Holleins Ausstellungen wichtige Gestalter war Friedrich Kiesler. Dieser experimentiere ebenfalls mit räumlichen Ausstellungskonzepten, in denen das Publikum eine zentrale Rolle spielte.59 Sein Werk hatte Wurzeln im Wiener Gesamtkunstwerk der Zeit um 1900 und war von seiner Nähe zum Theater geprägt. Sichtbar wurde dies in seiner Gestaltung von Peggy Guggenheims Galerie Art of This Century in New York 1942, deren Räume er durch die Verbindung von Kunst, Design und Architektur zum Erlebnis für die Gäste machte.60 In der surrealistischen Galerie veränderte Kiesler die vorhandene Architektur und schuf eine plastische, fließende Raumgestaltung. Im schwarz gestrichenen Raum waren hölzerne, konkav geformte Seitenwände angebracht. An ihnen hingen dynamisch verteilt surrealistische Bilder, die aus ihren ursprünglichen Rahmen genommen waren. An Holzarmen befestigt schienen sie im Raum zu schweben. Skulpturen waren auf biomorph-geformten, einfarbigen Sockeln im Raum ausgestellt, die Kiesler selbst entworfen hatte. Sie waren multifunktional und dienten zugleich als Sitzmöbel. Zusätzliche Dynamik erhielt der Raum durch eine Lichtregie, die vorsah, dass die Seiten des Raumes jeweils abwechselnd beleuchtet und dabei jeweils bestimmte Arbeiten hervorgehoben werden sollten. Untermalt wurde die Szenerie durch das Abspielen der Tonaufnahme eines einfahrenden Zuges. In der kinetischen Galerie gab es darüber hinaus automatisierte Objekte zur Kunstbetrachtung, die man durch die Betätigung von Rädern oder Hebeln in Gang setzen konnte. Bei Art of This Century hatte Kiesler dem Publikum eine aktive Rolle zugewiesen, in der es den Raum erkunden, erleben 57 58 59
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Finkel Chanzit 1987, S. 111–112, 121–132; Lohse 1953, S. 76–77, 166–167, 230–233. Finkel Chanzit 1987, S. 142–144. Zillner, Gerd; Bogner, Peter; et al.: Friedrich Kiesler. Architekt, Künstler Visionär, München 2017, S. 11; s.a. Bogner, Dieter: Staging Works of Art: Frederick Kiesler’s Exhibition Design 1924–1957, in: Davidson; Bogner (Hg.): Peggy Guggenheim & Frederick Kiesler. Fondazione Peggy Guggenheim Venedig Ausst.-Kat., Ostfildern 2004, S. 34–49. Ausführl. Beschreibungen, Fotos und Zeichnungen der Galerie: Quaintance, Don; Sonzogni, Valentina: Frederick Kiesler’s Designs for Art of This Century, in: Davidson; Bogner (Hg.): Peggy Guggenheim & Frederick Kiesler. Fondazione Peggy Guggenheim Venedig Ausst.-Kat., Ostfildern 2004, S. 218–273.
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Die Architektur der Inszenierung
und mit ihm interagieren konnte.61 Außerdem hatte er die Barrieren zwischen den Kunstwerken, dem Betrachtenden und der Architektur, die traditionell durch Rahmen geschaffen wurden, durchbrochen und stattdessen ein Arrangement geschaffen, in dem diese sich gleichberechtigt ergänzten. Die aufsehenerregende Gestaltung wurde jedoch nicht nur positiv aufgenommen: Es wurde kritisiert, dass durch sie die ausgestellte Kunst in den Hintergrund gedrängt werde.62
Marcel Duchamp Nicht nur architektonisch geschulte Gestalter entwarfen raum- und publikumsorientierte Ausstellungen, sondern auch Kunstschaffende wie die Surrealisten, die mit ihren Expositions Internationales du Surréalisme ähnliche Konzepte der Rauminszenierung und der sinnlichen Erlebnisausstellung erprobten. Exemplarisch hierfür ist Marcel Duchamps Gestaltung des Hauptraumes der Exposition Internationale du Surréalisme in Paris 1938.63 Im surrealistischen Montageprinzip wurde man dort verschiedensten Sinnesreizen ausgesetzt: An der Decke waren dicht an dicht Kohlesäcke aufgehängt, aus denen Kohlestaub auf den Boden rieselte, der mit Laub bedeckt war. In der Mitte stand ein Glutbecken, das den Raum nur spärlich erhellte, sodass man bereitgestellte Taschenlampen benutzen musste, um die ausgestellten surrealistischen Gemälde zu betrachten. Durch die Röstung von Kaffee in der Ausstellung und durch Lautsprecher verbreitete beklemmende Geräusche wurden weitere Sinne angesprochen. Die Ausstellung wurde dadurch zum multisensuellen Erlebnis und brach mit herkömmlichen Methoden der Kunstpräsentation. Duchamp war neben Bayer einer der ersten Gestalter, der die Ausstellung über die Wände hinaus auf den Boden und die Decke ausweitete und so den gesamten Galerieraum zu einer totalen Präsentation ausgestaltete.64 Duchamp war eine wichtige Referenz für nachfolgende Generationen von Kunstschaffenden – so auch für Hollein, der eines seiner Werke in Alles ist Architektur zeigte und in seinen Ausstellungen assoziativ auf Duchamps Kunst verwies.65
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Bogner, Dieter (Hg.): Friedrich Kiesler. Architekt, Maler, Bildhauer; 1890–1965, Museum des 20. Jahrhunderts Wien Ausst.-Kat., Wien 1988, S. 223. Goodman, Cynthia: Die Kunst revolutionärer Ausstellungstechniken, in: Bogner (Hg.): Friedrich Kiesler. Museum des 20. Jahrhunderts Wien Ausst.-Kat., Wien 1988, S. 278. Exposition Internationale du Surréalisme, 17.01.-24.02.1938, Galerie Beaux-Arts, Paris. S. Kilian, Alina: Die Ausstellung als Kunstwerk. Historische Fallbeispiele einer künstlerischen Entmachtung des Kurators, in: Hemken (Hg.): Kritische Szenografie, Bielefeld 2015, S. 388–390; Schneede, Uwe M.: Exposition Internationale du Surréalisme, Paris 1938, in: Klüser; Hegewisch (Hg.): Die Kunst der Ausstellung, Frankfurt a.M. 1991, S. 94–101. O’Doherty, Brian: Inside the White Cube. The Ideology of the Gallery Space, Santa Monica; San Francisco 1976 1986, S. 67–69. Hollein 1968a, S. 11. S. Kap. IV.I.IV und IV.II.I.
II. Entwicklungen im Ausstellungswesen
II.III Installation und Environment An die vorgestellten experimentellen Ansätze der Ausstellungsgestaltung der historischen Avantgarden wurde im musealen Ausstellungwesen in der Nachkriegszeit zunächst nicht angeknüpft.66 Im Bereich der zeitgenössischen Kunst fanden sie jedoch ihre Weiterentwicklung: Die verstärkte Involvierung des Publikums und die Arbeit mit dem dreidimensionalen Raum war ab Ende der 1950er in der Kunst der zeitgenössischen Avantgarden von den New Yorker Happening-Artists über Fluxus bis zu den Wiener Aktionisten ein zentrales Thema. Hans Hollein war in diesen Szenen auch außerhalb von Wien vernetzt. In den 1960ern bewegte er sich sowohl in der rheinischen als auch in der New Yorker Kunstszene. Er war eng mit Joseph Beuys befreundet, schloss in New York unter anderem Freundschaft mit Claes Oldenburg und sah frühe Happenings von Allan Kaprow, den er ebenfalls persönlich kennenlernte.67 Hollein war demnach mit neuesten Entwicklungen der Kunst vertraut. Wie zu sehen sein wird, artikulierte er sich zeitgleich mit diesen Neoavantgarden der bildenden Kunst und adaptierte deren künstlerische Ausdrucksmittel in Bezug auf Raum, Objekte und Publikum für seine Ausstellungen.68 Besonderen Stellenwert für seine Konzeptionen hatten die raumgreifenden Kunstgattungen des Environments und der Installation, weshalb diese im Folgenden näher betrachtet werden. Unter dem Begriff des »Environments« werden heute vor allem die installativen Arbeiten der 1960er Jahre aus dem Umfeld von Allan Kaprow verstanden, die sich durch symbolische und psychologische, multimediale Arrangements auszeichneten und eng mit der Kunstform des Happenings verknüpft waren.69 Diese Environments waren zumeist geschlossene, illusionistische Raumgestaltungen, die ihre Wurzeln zum Beispiel in psychoanalytischen Überlegungen Sigmund Freuds und Carl Gustav Jungs sowie in den Totalinstallationen der Surrealisten hatten und auf das sinnliche Erlebnis des Publikums abzielten.70 Den verwendeten Materialien wurden dabei symbolische und narrative Bedeutungen zugeschrieben. Zu den Environment-Künstlern wurden neben Kaprow unter anderem Holleins Freund Claes Oldenburg und George Segal gezählt.71 Auch einige Arbeiten von Beuys wurden
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Schulze 2017, S. 69; Scholze, Jana: Medium Ausstellung. Lektüren musealer Gestaltung in Oxford, Leipzig, Amsterdam und Berlin, Bielefeld 2004, S. 153. Laut Lefaivre sah Hollein Kaprows 18 Happenings in 6 Parts 1959 bei der Eröffnung der Reuben Gallery in New York. Lefaivre 2015, S. 149. Weibel, Peter: Hans Hollein. Ein Universalkünstler, in: Weibel 2011a, S. 18–19. Bishop, Claire: Installation art. A critical history, London 2005, S. 54–56. Stahl, Johannes: Installation, in: Butin (Hg.): DuMonts Begriffslexikon zur zeitgenössischen Kunst, Köln 2014, S. 134; vgl. a. »Dream Scene«-Type of Installation Art: Bishop 2005, S. 14–47. Zur New Yorker Szene der Environment-Künstler s. Reiss, Julie H.: From Margin to Center. The Spaces of Installation Art, Cambridge; London 2001, S. 3–46.
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Die Architektur der Inszenierung
als Environments bezeichnet.72 Manche Kunstschaffende nutzten Environments auch, um ganze Ausstellungen im Museum zu gestalten. Eines der bekanntesten und frühesten Beispiele war die Ausstellung Dylaby, die 1962 im Stedelijk Museum in Amsterdam stattfand und zugleich als einer der Prototypen erlebnisreicher Ausstellungen gilt.73 Die experimentelle Ausstellung, unter anderem von Niki de Saint Phalle und Daniel Spoerri entworfen, war eine Wiederaufnahme und Weiterentwicklung der surrealistischen Totalinstallation. Die Environments, die hauptsächlich aus alltäglichen Materialien und gefundenen Objekten bestanden, waren als individuelle Erlebnisräume gestaltet. So konnte man sich durch ein dunkles Labyrinth tasten oder fand sich in einem um 90 Grad gekippten nachgebauten Museumsraum wieder. Bei Dylaby verschwammen die Grenzen zwischen künstlerischem Environment und Ausstellungsgestaltung. Dies ist auch bei einigen von Holleins Ausstellungen zu beobachten, wie in den folgenden Kapiteln deutlich werden wird. Ihre Fortsetzung fand Dylaby in dem skulptural-architektonischen Environment HON, das 1966 im Moderna Museet in Stockholm gezeigt und in Holleins Alles ist Architektur als Referenz abgebildet wurde.74 Im Gegensatz zu diesen zumeist illusionistischen Arrangements, die sich oft durch eine große Materialfülle auszeichneten, bevorzugte die Minimal Art reduzierte und einfache Formen. Daher wurde für diese Arbeiten mit räumlichem Bezug der neutralere und technischere Begriff »Installation« verwendet.75 Installationen der Minimal Art wollten die Aufmerksamkeit des Betrachtenden auf den Umraum und die eigene Körperlichkeit lenken.76 Bei diesem Typus der Installationskunst war das Kunstwerk ohne die aktive Beteiligung des Publikums unvollständig, dessen alltägliche Wahrnehmungen infrage gestellt wurden. Die verwendeten Materialien und
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McGovern, Fiona: Die Kunst zu zeigen. Künstlerische Ausstellungsdisplays bei Joseph Beuys, Martin Kippenberger, Mike Kelley und Manfred Pernice, Bielefeld 2016, S. 40–42; Stahl 2014, S. 134. Jean Tinguely, Daniel Spoerri, Robert Rauschenberg, Martial Raysse, Niki de Saint Phalle, Per Olof Ultvedt: Dylaby, ein dynamisches Labyrinth, 30.08.-30.11.1962, Stedelijk Museum, Amsterdam; s. Schriefers, Thomas: Ausstellungsarchitektur. Geschichte, wiederkehrende Themen, Strategien, Bramsche 2004, S. 74–77; Peterson, Ad: Dylaby, ein dynamisches Labyrinth im Stedelijk Museum 1962, in: Klüser; Hegewisch (Hg.): Die Kunst der Ausstellung, Frankfurt a.M. 1991, S. 156–165. Hollein 1968a, S. 12; Jean Tinguely, Niki de Saint Phalle, Per Olof Ultvedt: HON: a Cathedral, 03.06.-08.09.1966, Moderna Museet, Stockholm; s. Fischer, Tanja: Von der Gegenkunst zur Gegenwelt. Die gestalteten Orte Niki de Saint Phalles im Kontext postmoderner Subjektkulturen (Dissertation), Universität Heidelberg 2014, S. 81–88. 1967 bezeichnete der amerikanische Künstler Dan Flavin seine Neonarbeiten als Installation und grenzte sie damit von dem in den 1960er Jahren gebräuchlichen Begriff des Environments ab. Zu den Installationen der Minimal Art vgl. Reiss 2001, S. 49–66. Vgl. »Heightened Perception«-Type of Installation Art: Bishop 2005, S. 48–81.
II. Entwicklungen im Ausstellungswesen
Objekte wurden im Gegensatz zum Environment nicht symbolisch, sondern im Sinne von Frank Stellas Ausspruch »what you see is what you see« präsentiert.77 Aus diesen Wurzeln der Installation als ästhetischer Terminus in kunsttheoretischen Diskussionen der 1960er Jahre entwickelten sich verschiedenste Formen der Installationskunst, die mit dieser engen Definition nicht beschreibbar sind.78 Dennoch können einige grundlegende Charakteristika von Installationen definiert werden, die ebenso auf Environments zutreffen: Der Raum und alle Elemente des Displays werden als Teil des Kunstwerkes angesehen und schaffen eine räumliche Situation für ein Publikum.79 Diese Kunstwerke zielen darauf ab, situative Erfahrungen zu gestalten.80 Räumliche Installationen sind außerdem laut Johannes Stahl in der Regel begehbar und setzen eine Betrachtung aus verschiedenen Blickwinkeln voraus. Die Rezeption der Installation ist daher zeit- und bewegungsabhängig. Johannes Stahl stellte außerdem den Einbezug verschiedenster Materialien und Medien als weitere Charakteristik heraus.81 Insbesondere Holleins frühe Ausstellungen der 1960er und 1970er Jahre wurden oft als Environments bezeichnet.82 Später wurde vor allem der Begriff der Installation verwendet, um seine raumgreifenden und kontextbezogenen Beiträge für Kunstausstellungen zu beschreiben.83 Der Terminus der Installation wird in dieser Arbeit im Sinne der oben beschriebenen allgemeinen Charakteristika verwendet.84 »Environment« wird dagegen in der engen historischen Definition mit den genannten spezifischen Eigenschaften im Sinne Julie Reiss’ verstanden, die in ihrem Standardwerk zur Installation schrieb: »All Environments (according to Kaprow’s conception of the term) could also be described as installations, but the reverse is not true.«85
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Ebd., S. 55. Rebentisch, Juliane: Ästhetik der Installation, Frankfurt a.M. 2003, S. 15; zu verschiedenen Typen der Installationskunst vgl. z.B. Bishop, Claire: Installation art. A critical history, London 2005. Bishop, Claire: Installation art. A critical history, London 2005, S. 6. Situative Erfahrungsgestaltung s. Bätschmann 1997, S. 232–244. Zugleich wies Stahl darauf hin, dass der Begriff der Installationskunst aufgrund der Vielfältigkeit der künstlerischen Formen bisher noch nicht in einer zusammenhängenden Theorie definiert wurde. Stahl 2014, S. 136–138; allgemeine Kennzeichen installativer Kunst erarbeitete z.B. Rebentisch, Juliane: Ästhetik der Installation, Frankfurt a.M. 2003. Z.B. Korn 2019, S. 59–89; Weibel 2011b, S. 18–19; Brix, Michael: Hans Hollein. Architekturdesign, in: Hofmann; Warnke (Hg.): IDEA, Hamburg 1984, S. 180, 190. McGovern 2016, S. 40–42. Die Begriffe »Installationskunst« und »Environment« wurden bis in die 1990er Jahre oft synonym verwendet und werden bis heute in der Literatur uneinheitlich genutzt. Reiss 2001, S. XI.
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Die Architektur der Inszenierung
II.IV Szenografie Auch die Szenografie, die sich im deutschsprachigen Raum aus und mit den programmatischen Inszenierungen der 1980er Jahre entwickelte, ist eine Ausstellungspraxis, die auf räumliche Erlebnisse abzielt.86 Mit der Schaffung von Gesamtinszenierungen, in denen Exponate und Präsentationskontexte miteinander verschmelzen, rückt sie in die Nähe künstlerisch-räumlicher Präsentationsstrategien. Im Ausstellungswesen wurde der Begriff »Szenografie« erst in den 1990er Jahren als Terminus gefasst und wird seitdem insbesondere im deutschen und französischen Sprachraum als eigenständige Gestaltungsdisziplin angesehen. Der Begriff »Szenografie«, der wie »Inszenierung« ebenfalls ursprünglich aus dem Theater stammt und die Weiterentwicklung des klassischen Bühnenbildes meint, wurde für den Ausstellungsbereich in Deutschland insbesondere von den Gestaltungsteams des Themenparks der Expo 2000 in Hannover geprägt.87 Eine strukturierte, aus der Begriffsgeschichte hergeleitete Definition und Unterscheidung zwischen Inszenierung und Szenografie erarbeitete 2012 der Historiker Thomas Thiemeyer.88 Er machte die Differenzierung zwischen Inszenierung und Szenografie im Ausstellungsbereich am Umgang mit den Exponaten fest: Bei der Szenografie werden die Exponate gleichberechtigt mit anderen Präsentationsmedien kombiniert. Die Exponate sind Thiemeyer zufolge nicht mehr die vorrangigen Objekte, sondern nur eines der Mittel der gattungsübergreifenden Gestaltungsidee. Sie fungieren als Zeichen für die Botschaften der Ausstellung. Weiter führte er aus, dass bei der Szenografie der Unterhaltungswert von Ausstellungen noch stärker als bei der Inszenierung in den Vordergrund rücke.89 Neben der gleichberechtigten Behandlung von Objekten und Display ist ein weiterer wesentlicher Unterschied zur Inszenierung die Integration und Kombination
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Schulze wies szenografische Tendenzen anhand der Ausstellungsgestaltungen des Werkbundarchives Berlin bereits Anfang der 1980er Jahre nach. Schulze 2017, S. 215–229. Zum Bereich der Szenografie erschienen mit dieser Weltausstellung wissenschaftliche Studien und Texte unter anderem vom Leiter des Themenparks der Expo Martin Roth und der Kulturwissenschaftlerin Nina Gorgus. Gorgus, Nina: Scenographische Ausstellungen in Frankreich. Museumskunde, Nr. 2 (2002), S. 135–142; Roth, Martin: Scenographie. Zur Entstehung von neuen Bildwelten im Themenpark der Expo 2000, Museumskunde, Nr. 1 (2001), S. 25–32; Roth, Martin (Hg.): Der Themenpark der EXPO 2000. Die Entdeckung einer neuen Welt, Wien; New York 2000. Thiemeyer 2012, S. 199–214. Zuvor fehlte eine klare Begriffsdefinition und eine Abgrenzung zur Inszenierung. Ebenso wie beim Begriff der Inszenierung wurde »Szenografie« oft je nach Gestalter oder Gestalterin unterschiedlich definiert und der Begriff inflationär gebraucht. Oft wurden und werden die Begriffe auch synonym verwendet. Ebd., S. 210–214.
II. Entwicklungen im Ausstellungswesen
von Techniken und Mitteln aus verschiedenen Gestaltungsdisziplinen wie der Architektur, der bildenden Kunst und der Dramaturgie sowie Elementen aus Unterhaltung und Wissenschaft, so die Architektin Bernadette Fülscher in ihrer exemplarischen Studie der szenografischen Expo.02 in der Schweiz.90 Szenografie setze die Mittel, Techniken und Objekte aus den verschiedenen Disziplinen zeichenhaft – das heißt assoziativ und sinnbildlich – ein und ziele auf Erlebbarkeit ab.91 Form und Inhalt sind dabei Fülscher zufolge stark miteinander verknüpft.92 Der Ausstellungsraum und seine funktionalen Elemente wie zum Beispiel Sockel werden als Teil des Szenarios gestaltet und mit weiteren Medien wie Tonaufnahmen oder Filmen zu ganzheitlichen Bildwelten kombiniert.93 Licht, Klang und sogar Düfte werden als atmosphärische Zusätze miteinbezogen, um das Publikum mit allen Sinnen anzusprechen.94 Personen, die szenografisch gestalten, bedienen sich demnach künstlerischer Mittel aus verschiedenen Disziplinen. Sie sind jedoch im Unterschied zu freien Kunstschaffenden immer der im Auftrag festgelegten, zu transportierenden Botschaft verpflichtet, wie der Szenograf Christian Barthelmes sein Berufsfeld beschrieb.95 Die Szenografie wird häufig eingesetzt, um abstrakte Themen und komplexe Inhalte anschaulich zu präsentieren, jedoch zumeist ohne konkrete didaktische Absichten.96 Es geht vielmehr darum, über Gefühle und Assoziationen zum Nachdenken anzuregen.97 Szenografische Verfahren werden daher insbesondere bei Großausstellungen wie Weltausstellungen oder umfangreichen kulturhistorischen Ausstellungen angewandt, um ein breites Publikum anzusprechen, das aufgrund der Menge an Informationen und Eindrücken nicht durch komplizierte Darstellungen überfordert werden soll. Szenografie wird in der vorliegenden Arbeit zusammenfassend als eine gattungsübergreifende, multimediale und multidisziplinäre, am sinnlich-emotionalen Erlebnis orientierte Gestaltungsmethode verstanden, deren Ziel die Darstellung von Themen und nicht die Präsentation einzelner Objekte oder Objektarrangements ist. Insbesondere der Aspekt der räumlich-sinnlichen Erlebbarkeit und der Multimedialität bringt Hans Holleins Ausstellungsgestaltungen in die Nähe szenografischer Ausstellungspraktiken, wie im Folgenden gezeigt werden wird. 90 91 92 93 94 95 96
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Fülscher, Bernadette: Gebaute Bilder – künstliche Welten. Szenografie und Inszenierung an der Expo.02, Baden 2009, S. 24–25. Ebd., S. 201. Ebd., S. 141, 168. Vgl. ebd., S. 125. Ebd., S. 24–25. Barthelmes 2011, S. 18. Gorgus legte dar, dass in Frankreich auch naturwissenschaftliche Museen szenografische Methoden nutzten, dabei jedoch einen didaktisch-pädagischen Ansatz verfolgten. Gorgus 2002, S. 137–140. Ebd., S. 137; Barthelmes 2011, S. 18.
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III. Frühe Ausstellungen und Architekturtheorie
Der Schlüssel, um Hans Holleins Werk zu verstehen, liegt in den 1960er Jahren und in den Ausbildungsjahren zuvor. In dieser Zeit setzte er sich intensiv mit Architektur und deren Geschichte sowie mit aktuellen künstlerischen und gesellschaftlichen Tendenzen auseinander und entwickelte seine erweiterte Architekturtheorie, welche die Grundlage seines gesamten Werkes bildete. Außerdem bot ihm diese Zeit die Chance, zwanglos mit Gestaltungsformen in verschiedensten Medien zu experimentieren. Bereits während seiner Studienjahre erarbeitete sich Hollein Gedanken, Motive und ein weitgreifendes Architekturverständnis, die sein Werk begleiten sollten. Er studierte 1953–1956 Architektur an der Akademie der bildenden Künste in Wien bei dem Architekten, Ausstellungsgestalter und Bühnenbildner Clemens Holzmeister, der seinen Schülern eine Sicht von Architektur als Kunst vermittelte.1 Neben seiner architekturtechnischen Ausbildung prägte ihn in Wien die künstlerisch-architektonische Kritik an der funktionalistischen Nachkriegsarchitektur.2 1958–1960 setzte Hollein seine Studien am Illinois Institute of Technology in Chicago und an der University of California in Berkeley fort und schloss sie mit dem Master of Architecture ab.3 In den USA kam er mit der dortigen Popkultur und neuen künstlerischen Konzepten wie Environment, Happening oder Land Art in Berührung. Daneben beschäftigte er sich intensiv mit Architekturgeschichte. Unter anderem faszinierte ihn die organisch-sakrale, komplexe Bauweise der mexikanischen Pueblos. Außerdem interessierte er sich für die Ideen des bereits in Kapitel II.II in 1 2
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Zu Holzmeister und seinen Schülern: Achleitner, Friedrich: Einem inneren Gesetz folgend…, in: Peichl (Hg.): Sechs Architekten vom Schillerplatz, Wien 1977, S. 8–9. Diese fand v.a. in den Kunstgesprächen in Seckau 1958 mit folgenden Manifesten ihren Ausdruck: Arnulf Rainer, Markus Prachenksy: Architektur mit den Händen; Friedensreich Hundertwasser: Verschimmelungsmanifest gegen den Rationalismus in der Architektur; Günther Feuerstein: Thesen zu einer inzidenten Architektur, alle 1958. Schmidt-Felber 2002, S. 114. Zu Holleins USA-Aufenthalt s. Polman, Bart-Jan: List of things stolen from car parked on 169 Columbia Heights, between midnight and 9 a.m., June 23, 1960, in: Lavin (Hg.): Architecture Itself and Other Postmodernization Effects, Leipzig; Montreal 2020, S. 173–176; Branscome 2018, S. 110–136; Maniaque, Caroline: The Amercian Travels of European Architects, 1958–1973, in: Traganou; Mitrašinović (Hg.): Travel, space, architecture, London; New York 2016, S. 189–198.
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Die Architektur der Inszenierung
Zusammenhang mit Ausstellungsinszenierungen erwähnten, multidisziplinär arbeitenden Gestalters Friedrich Kiesler, der aus Österreich stammte.4 Dieses Kapitel gibt eine Einführung in Holleins avantgardistische Ideen und Projekte der 1960er Jahre sowie in seine Architekturtheorie. Sie legten das Fundament, aus dem sich das Werk und die Ausstellungen entwickelten und auf die er während seines gesamten Schaffens immer wieder zurückgriff und aufbaute. Dabei wird ein besonderer Schwerpunkt auf Holleins erste Ausstellungen Space in Space in Space 1960 und Architektur 1963 gelegt, die Vorläufer der in Kapitel IV behandelten Ausstellungen und Installationen darstellten. Außerdem werden weitere installative Projekte der 1960er Jahre vorgestellt und schließlich auf Holleins Manifest Alles ist Architektur und seine darin artikulierte Auffassung von Architektur eingegangen. Das Frühwerk Holleins ab Ende der 1950er bis in die zweite Hälfte der 1960er Jahre hinein war bereits seit den 1980er Jahren Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen und erfuhr ab Ende der 2010er Jahre eine Wiederentdeckung.5 Die Ausstellung Architektur war eines der zentralen Themen dieser Forschungen und spielte ebenfalls eine wichtige Rolle in der Literatur zur Wiener Szene der 1960er Jahre.6 Dieses Ausstellungsereignis wurde bisher jedoch überwiegend inhaltlich in Bezug auf seine provokative Architekturauffassung besprochen. Welche Werke genau in der Ausstellung zu sehen waren und vor allem wie sie präsentiert wurden, geht aus der Literatur und zeitgenössischen Berichten dagegen nur ungenau hervor. Auch die anderen frühen Ausstellungen und installativen Projekte wurden bislang nicht aus ausstellungsgestalterischer Perspektive betrachtet.
III.I Space in Space in Space 1960 Holleins erste Ausstellungen fanden zwischen 1959 und 1960 in Zusammenhang mit seiner Masterthesis in Berkeley statt. Die Abschlussarbeit des damals 26-jährigen Studenten trug den Titel Plastic Space und bestand aus einem Aufsatz über Raum, der aus freien Versen und konkreter Poesie zusammengesetzt war und von einer Zusammenstellung aus abstrakt-architektonischen, mit Bleistift, Tusche und Aqua-
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Schmidt-Felber 2002, S. 102–106. Einen besonderen Fokus auf Holleins Frühwerk legten: Buckley, Craig: Graphic assembly. Montage, media, and experimental architecture in the 1960s, Minneapolis 2019, S. 125–184; Branscome 2018; Lefaivre, Liane: Rebel modernists. Viennese architecture since Otto Wagner, London 2017, S. 187–239; Schmidt-Felber 2002; Thomsen, Christian W.: Hans Holleins Frühwerk. Eine Retrospektive, Parnass, Nr. 5 (1987), S. 44–51; Brix 1984, S. 167–196. U.a. Matt, Gerald (Hg.): Österreichs Kunst der 60er-Jahre. Gespräche, Nürnberg 2011; Porsch, Johannes: The Austrian Phenomenon. Architektur Avantgarde Österreich: 1956–1973, Basel 2009; Feuerstein, Günther: Visionäre Architektur. Wien 1958–1988, Berlin 1988.
III. Frühe Ausstellungen und Architekturtheorie
rellfarben ausgeführten Zeichnungen illustriert wurde.7 Außerdem hatte Hollein in der Zeit in Berkeley amorphe, grob bearbeitete Tonskulpturen als Stadtarchitekturen gestaltet, deren Fotografien er zu Collagen verarbeitete und ebenfalls beifügte.8 Das zentrale Motiv des Textes war die durch Bauen erzeugte räumliche Spannung: Spannung zwischen Natur und menschengemachten Gebilden, zwischen Leere und Raum, zwischen Universum und Mikrokosmos. Zur plastischen Demonstration seiner Thesen schuf Hollein geometrische und amorphe Gebilde – »large-scale structures«, wie er sie bezeichnete – aus geschweißten Drahtgittern.9 Diese waren ganz oder teilweise mit Gips überzogen. Zuerst fertigte Hollein Skulpturen, bei denen das Modelliergewebe unter dem Gips faserig war und in Fäden herunterhing. Die Bekannteste ist die amorph geformte Hängeskulptur Potemkin, die 1959 entstand.10 Diese und andere Skulpturen zeigte Hollein in einer nicht näher spezifizierten Ausstellung, in der er sie in einem kleinen Innenraum verteilt auf Sockeln, aber auch einfach auf dem Boden stehend oder von der Decke hängend ausstellte.11 Daran anknüpfend fand Holleins Abschlussausstellung zu seiner Thesis mit dem Titel Space in Space in Space im Mai 1960 statt. Ort der Präsentation war ein Garten mit Rosen, Efeu, kleineren Bäumen und Sträuchern auf dem Gelände der Universität. Die auf einer Fläche von rund 180 Quadratmetern präsentierten Skulpturen waren ähnlich wie die Skulpturen der Potemkin-Ausstellung gefertigt, allerdings wurde der Gips entweder direkt auf das Gitter aufgetragen oder über dem Modelliergewebe verstrichen. Manche der Skulpturen waren geometrisch würfel- oder röhrenförmig, andere wiesen amorphe Formen in Kombination mit geometrischen Elementen wie Kugel, Würfel und Röhre auf.12 Die 10 bis 15 Objekte, wovon das größte fast fünf Meter lang war, präsentierte Hollein auf Holzstäben in unterschiedlicher Höhe schwebend oder auf dem Boden stehend und locker verteilt, teilweise zu Gruppen arrangiert. Eines der Objekte war wie ein Insektenkokon von einem Baum abhängt.13 In einer halbkreisförmigen Struktur konnte außerdem eine Person sitzen.14 7 8 9 10 11
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Abb. s. Weibel 2011a, S. 36–45. Ebd., S. 36–41. Hollein, Hans: Plastic Space 1960, in: Weibel 2011b, S. 34. Abb. s. Weibel 2011a, S. 33. Abb. s. ebd. Im Interview mit Hans U. Obrist erinnerte sich Hollein: »In 1959, I’d done a modest show of work related to my thesis and other pieces I’d created during my time in the US.« Obrist 2015, o. S. Die wenigen Fotos zu dieser Ausstellung, zwei von der Hängeskulptur Potemkin und eine Raumansicht, lassen jedoch wenig Schlüsse zum Ausstellungsdisplay, außer der beschriebenen auffallenden Varianz der Präsentationsweisen, zu. Ein Beispiel für letzteres stellt die Skulptur City dar, s. Abb. (links unten): Weibel 2011a, S. 35. Abb. s. ebd., S. 33. Hollein, Hans: Aufnahmen der Ausstellung Space in Space in Space, 1960 (Farb-Dia), Fotosammlung, Archiv Hans Hollein, Az W, Wien. Die Dias Nr. 7 und 22 zeigen Peter Voulkos in der Struktur sitzen. Voulkos war Holleins Lehrer in der Keramikwerkstatt am Department of Decorative Art der Universität Berkeley. Die fotografische Dokumentation der Ausstellung
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Die Architektur der Inszenierung
Abb. 1: Space in Space in Space, Garten mit Skulpturen
Quelle: Privatarchiv Hollein
Mit ihrer weißen Farbe hoben sich die Arbeiten stark von der natürlichen Umgebung ab. Da die Gitterstruktur meist nicht gänzlich mit Gips überzogen war, wirkten die Objekte improvisiert und ermöglichten zugleich Durchblicke zum Garten. Die Plastiken dienten als Raumkörper, von Hollein als »spaceradiators« bezeichnet, welche die Umgebung bestimmen sollten.15 Die Ausstellung stellte damit die Übersetzung seiner Thesis in den dreidimensionalen Raum dar. Für Hollein war die Ausstellung sogar ein vierdimensionales Erlebnis, da sie erst durch die Bewegung des Betrachtenden auf dem Gelände erlebt werden könne.16 So wurde der Raum Teil der Installation und dessen Begehung ermöglichte ein physisches Erlebnis, das bei seinen späteren Ausstellungen eine wichtige Rolle spielen sollte.
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ist nicht so systematisch wie bei seinen späteren Ausstellungen. Manche Fotos wirken wie Schnappschüsse. Hollein, Hans 2011, S. 34. Ebd., S. 32.
III. Frühe Ausstellungen und Architekturtheorie
Diese Ausstellung war die erste Manifestation von Holleins räumlich orientierten Ausstellungsgestaltungen. Allerdings wurde sie in der Rezeption lange kaum beachtet. Auch Hans Hollein selbst schien ihr wenig Bedeutung beizumessen, da er sie bei Aufzählungen seiner bisherigen Ausstellungen zumeist nicht aufführte. Erstmals schrieb Liane Lefaivre 2003 über die Ausstellung und sah sie in Verbindung mit der Masterarbeit als wichtigen Ausgangspunkt für Holleins spartenübergreifenden Ansatz, der die Grenzen zwischen Architektur, bildender Kunst, Kuratieren, Stadtplanung und Dichtung aufhob.17 Die von Hollein entworfenen Objekte waren Hybride aus künstlerischen Skulpturen und abstrakten Architekturmodellen. In ihrer amorphen, geschwungenen Form und ihrer Machart aus Hühnerdraht mit Gips überzogen ähnelten Holleins Objekte Kieslers amorph-skulpturalen Entwürfen des Endless House.18 Ihre Präsentation war jedoch hauptsächlich von Ausstellungstechniken der zeitgenössischen Kunst beeinflusst: Die Präsentation der Objekte im Innenraum, auf dem Boden stehend und von der Decke hängend bei der ersten Ausstellung 1959, rekurrierte auf neue Präsentationsprinzipien, die insbesondere von Künstlerinnen und Künstlern der Minimal Art genutzt wurden, die den Sockel als Distanzhalter zwischen Publikum und Werk infrage stellten. Die ortsspezifische, öffentliche Präsentation im Außenraum der zweiten Ausstellung zeigte Anklänge an Environmental Art und Land Art. Ebenso ist bei Space in Space in Space schon erkennbar, dass Hollein dem Publikum besonderen Wert beimaß, indem er es durch die Begehung des Gartens und die Entdeckung der Skulpturen zwischen den Bäumen sowie durch die Sitzgelegenheit in einer Skulptur, ähnlich wie bei einem Happening, miteinbezog.
III.II Architektur 1963 Nach seinem Studium in den USA kehrte Hollein in seine Heimatstadt zurück. Für junge, avantgardistisch denkende Architekten wie ihn war es jedoch schwer, dort Aufträge zu bekommen.19 Daher übernahm er mit seinem 1964 in Wien gegründeten
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Lefaivre 2015, S. 149; Lefaivre, Liane: Everything is Architecture. Multiple Hans Hollein and the Art of Crossing Over, Harvard Design Magazine, Nr. 18 (2003), S. 4. Kiesler arbeitete 1959 am Modell des Endless House für die Ausstellung Visionary Architecture, 29.09.-04.12.1960, MoMA. Sonzogni, Valentina; Krejci, Harald (Hg.): Friedrich Kiesler. Endless House [1947–1961], Museum für Moderne Kunst Frankfurt a.M. Ausst.-Kat., Ostfildern-Ruit 2003. Zur Bedeutung von Kieslers Architektur für Hollein s.a. Buckley 2019, S. 131; SchmidtFelber 2002, S. 89. Steiner, Dietmar: Tradition und Internationalität der österreichischen Architektur, in: Hollein (Hg.): Austrian Contemporary Art, Architecture and Design. Shanghai Art Museum Ausst.Kat., Wien 2001, S. 60.
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Architekturbüro, genannt »Atelier Hans Hollein«, vornehmlich Projekte als Gestalter von Ausstellungen und Läden. Sein erster realisierter Entwurf war die Gestaltung der Fassade und der Innenräume des Kerzengeschäftes Retti am Kohlmarkt in Wien 1966.20 Der kleine Laden war mit seiner Aluminiumfassade und sichtbaren Lüftungsschlitzen sowohl von Weltraumkapseln als auch von Industrieästhetik inspiriert. Hans Hollein wurde dafür mit dem renommierten Reynolds Memorial Award, einem hoch dotieren amerikanischen Architekturpreis, ausgezeichnet. Vor diesem ersten realisierten Entwurf, der sogleich viel Aufmerksamkeit erhielt, hatte Hans Hollein die wenigen verfügbaren Möglichkeiten im Wien der späten Nachkriegszeit genutzt, um seine Gedanken zur Architektur zu entwickeln und zu präsentieren. Rasch etablierte er sich zu einem der führenden Protagonisten der neuen Wiener Avantgardearchitektur.21 Ein wichtiger Treffpunkt und ein Forum der jungen Wiener Kunstszene war die Galerie St. Stephan, zu der Hollein ab 1956 Kontakte pflegte.22 Die von dem katholischen Prediger Monsignore Otto Mauer 1954 gegründete und geführte Galerie war einer der wenigen Orte im konservativen Wien, wo sich die Avantgarde präsentieren konnte.23 Als Ort der Manifestation war die Galerie auch für die zeitgenössische Avantgardearchitektur wichtig, da ohne bauliche Realisierungsmöglichkeiten Ausstellungen eine der wenigen Möglichkeiten boten, Konzepte und Ideen der Öffentlichkeit zu präsentieren. Die avantgardistische Wiener Kulturszene war klein, gut vernetzt und von einer Durchmischung der Sparten geprägt. Hollein erinnerte sich an dieses für sein Werk und Denken inspirierende Umfeld folgendermaßen: In den sechziger Jahren gab es kein »Kastl-Denken«. Es gab in Wien maximal 30 Avantgardeleute, zwischen denen anfangs kaum Barrieren bestanden, da hat sich viel gemischt. Peter Kubelka stand zwischen bildender Kunst und Film, Friedrich Achleitner war Architekt, hat aber gedichtet und Kabarett gemacht, Gerhard Rühm war Dichter und Musiker. Ich selber wurde bereits als Kind von meiner
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S. Weibel 2011a, S. 162–167. Einen Überblick über die Wiener Kunst- und Architekturszene der 1960er liefern: Feuerstein 1988, S. 22–116; Porsch, Johannes: The Austrian Phenomenon. Architektur Avantgarde Österreich: 1956–1973, Basel 2009. Die Galerie hieß Galerie St. Stephan und wurde 1963 aufgrund innerkatholischer Proteste in Galerie nächst St. Stephan umbenannt, s.a.: Fleck, Robert: Avantgarde in Wien. Die Geschichte der Galerie nächst St. Stephan Wien 1954–1982, Wien 1982. Zu Otto Mauer s. Böhler, Bernhard A. (Hg.): Reflexionen – Otto Mauer. Entdecker und Förderer der österreichischen Avantgarde nach 1945, Erzbischöfliches Dom- und Diözesanmuseum Wien Ausst.-Kat., Wien 1999; Fleck 1982, S. 43. Hollein war eng mit Mauer verbunden, der unter anderem 1966 die Trauung Holleins mit Helene Jenewein vorgenommen hatte.
III. Frühe Ausstellungen und Architekturtheorie
Mutter in die von Franz Čižek begründete Jugendkunstklasse geschickt, in der die Durchlässigkeit der Kunstdisziplinen vertreten wurde.24 Hollein war einer der wenigen, bei dem sich dieses interdisziplinäre Schaffen durch das gesamte Werk zog. Die Vermittlung seiner erweiterten Architekturtheorie geschah insbesondere in drei wichtigen Manifestationen und wurde mit dem Vortrag Zurück zur Architektur, gehalten am 1. Februar 1962 in der Galerie St. Stephan, eingeleitet. Mit der Einladung zum Vortrag bot Otto Mauer dem gerade aus den USA zurückgekehrten Hollein erstmals die Möglichkeit, seine Arbeiten und Ideen der Wiener Öffentlichkeit vorzustellen. Mittels Diaprojektionen präsentierte Hollein Konzepte und Projektentwürfe der vergangenen Jahre. Im Vortrag wandte er sich gegen den seiner Meinung nach ideenlosen, pragmatischen und sterilen Funktionalismus, der zu dieser Zeit in der Architekturszene praktiziert und an den Hochschulen gelehrt wurde. Er plädierte stattdessen für eine zweckfreie, absolute Architektur und bezog sich dabei auf die Anfänge des Bauens: Der Ursprung der Architektur ist sakral. Das Bedürfnis des Menschen zu bauen manifestiert sich zuerst in der Errichtung von Gebilden sakraler Bestimmung, magischer, sakral-sexueller Bedeutung. Der erste Pfahl, ein Steinhaufen, ein aus dem Fels gehauener Opferblock sind die ersten Gebilde, menschengemachte Gebilde mit einer spirituellen Bedeutung, Bestimmung, sind Architektur. Ihre Funktion ist eine rein geistige, magische. Materielle Funktionen haben sie nicht. Sie sind reine Architektur, zwecklos.25 Gemäß seinem Verständnis war der Ursprung der Architektur sakral-archaischerotischer Natur und hatte keine zweckmäßigen Gründe. Außerdem vertrat er in diesem Vortrag bereits die These, dass Architektur Gestaltung im erweiterten Sinne sei. Daher konstatierte er mit Blick auf die Zukunft, dass die klassischen Unterscheidungen der Künste nicht mehr gültig seien, da sie ineinander aufgehen würden.26 Als Folge dieses sehr gut besuchten Vortrages nahmen ähnlich denkende Personen Kontakt zu Hollein auf, darunter Walter Pichler, mit dem er im Mai des darauffolgenden Jahres seine Überlegungen zur Architektur in einer Ausstellung in der Galerie St. Stephan vorstellte. Die kleine Ausstellung mit dem Titel Architektur – Work in 24
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Christoph, Horst; Grzonka, Patricia: »Man müsste jede Woche das Denkmalamt alarmieren«. Stararchitekt Hollein im großen Interview, Profil, Nr. 13 (2009), S. 106; s.a. Laven, Rolf: Franz Čižek und die Wiener Jugendkunst, Wien 2006, S. 124–126, 208–209. Der Vortrag wurde in Teilen abgedruckt in: Hollein, Hans: Zurück zur Architektur. Bau, Nr. 2–3 (1969), S. 5. Hollein 1969, S. 5–6.
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Die Architektur der Inszenierung
progress dauerte nur wenige Tage und war Holleins und Pichlers erste institutionelle Präsentation.27 Zugleich stellte sie die zweite wichtige Manifestation von Holleins Architekturverständnis dar. Die zur Ausstellung publizierte Broschüre war eine wesentliche Komponente der Schau und enthielt unter anderem zwei kurze Manifeste der Ausstellenden.28 In den Texten plädierten sie, wie Hollein es bereits in seinem Vortrag 1962 getan hatte, für eine von den Zwängen des Funktionalismus befreite absolute Architektur, die nicht durch Zweck oder Verwendungsmöglichkeiten beschränkt sei. Ihre schriftlichen Thesen illustrierten die beiden durch Abbildungen ihrer in der Ausstellung gezeigten Arbeiten und durch eine zweiseitige assoziative Zusammenstellung von Fotos: Tempel vergangener Kulturen wurden technischen Bauten wie Bohrinseln und Flugzeugträgern und weiteren technischen Errungenschaften wie Rennautos, Raketen und Bomben gegenübergestellt. Diese Zusammenstellung verdeutlichte Holleins These, dass der Ursprung des Bauens kultisch sei und zeigte zugleich seine Faszination für Technik, die er als Vorbild für die Architektur ansah. Nicht nur inhaltlich, sondern auch durch das unkonventionelle, plakative Layout war der Katalog bahnbrechend.29 Solche als Künstlerbücher gestaltete, die Ausstellung begleitende und ergänzende Kataloge waren ein wichtiger Teil vieler späterer Präsentationen Holleins. In der Ausstellung zeigte Hollein unter anderem zwei 1962 bis 1963 entstandene technoide und streng symmetrische Metall-Beton-Skulpturen als Modelle städtischer Vernetzungen.30 Diese wurden auf Sockeln präsentiert und mit dazugehörigen Zeichnungen ausgestellt, die zeigten wie sich die Modelle in Landschaften einfügten.31 Neben den technoiden Stadtgebilden aus Röhren und angedeuteten Gebäuden präsentierte er amorphe Zeichnungen und Collagen mit Modellen von Stadtstrukturen aus Ton, die eng mit seinen Studien der südamerikanischen Pueblo-Architektur verbunden und bereits Teil seiner Masterthesis waren.32 Außerdem waren erste Fotomontagen aus der Werkgruppe der Transformationen zu sehen,
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Die Schau kam spontan zustande und nutzte eine Terminlücke zwischen zwei Galerieausstellungen. Boeckl, Matthias: Komprimierte Weltanschauung. Ein motivgeschichtlicher Versuch über das Werk des Plastikers, Zeichners und Architekten Walter Pichler (Dissertation), Universität Wien 1987, S. 131. Hollein; Pichler 1963. o. S. Boeckl 1987, S. 131–132. Abb. s. Weibel 2011a, S. 49–51. Pettena 1988, S. 21. Die Änderung der Formensprache zw. 1960 und 1962 führt Schmidt-Felber auf die Zusammenarbeit mit Pichler zurück, der Holleins Interesse weg von den organischen Formen der Pueblos hin zu der symmetriebetonten, strengen Formensprache mesoamerikanischer Tempel und Kunst lenkte. Schmidt-Felber 2002, S. 248–249; Hollein hatte sich bereits während seines Studienaufenthalts in den USA mit präkolumbianischer Architektur beschäftigt. Maniaque 2016, S. 195.
III. Frühe Ausstellungen und Architekturtheorie
die ab 1963 entstanden und in welchen Maschinen und technische Elemente wie Flugzeugträger oder Rolls-Royce-Kühlergrills zu Architektur erhoben wurden.33 Die Collagen zeugten von Holleins Vergnügen am Spiel mit Maßstäben und ließen eine ästhetische und gedankliche Nähe zu Werken der amerikanischen PopArt erkennen. Die gezeigten Arbeiten waren typisch für die Themen, mit welchen sich Hollein in dieser Zeit auseinandersetzte: einerseits moderne Technik und andererseits Archaik und Kult als Ursprung der Architektur. Walter Pichler zeigte sehr ähnliche Skulpturen und Skizzen von Städten und Häusern, die entweder unterirdisch gebaut oder in Landschaften integriert waren. Der Wiener Architekturhistoriker Matthias Boeckl berichtete in seiner Dissertation über Walter Pichler außerdem von einem unkonventionellen Element im Raumarrangement: In der Mitte der Räumlichkeiten der Galerie nächst St. Stephan bauten Hollein und Pichler eine Art von Flügelaltar auf, auf dem in Fotomontagen die Vorbilder der »Neuen Architektur« gezeigt wurden. In der Mitteltafel des Flügelaltars bildete eine aufragende Rakete das Zentralmotiv.34 Diese flügelaltar-ähnliche Ausstellungsarchitektur zeigte vermutlich ähnlich wie im Katalog eine Foto- und Bilddokumentation zum erweiterten Architekturbegriff.35 Diese Konstruktion scheint jedoch der einzige Einfall gewesen zu sein, der die Ausstellung formal vom etablierten Schema der Architekturpräsentation unterschied, bei dem architektonische Modelle wie Skulpturen auratisch auf Sockeln oder in Vitrinen begleitet von Fotografien präsentiert wurden und Pläne und Skizzen wie Gemälde ausgestellt wurden.36 Dass das Raumarrangement der Objekte nicht wie bei Holleins und Pichlers späteren Ausstellungen essentieller Bestandteil der Präsentation war, war vermutlich der kurzfristigen Zusage und der kurzen Aufbauzeit geschuldet und hatte mit Sicherheit auch finanzielle Gründe. Es verdeutlicht den spontanen Charakter der Schau. Mit ihrer Präsentation von skulpturalen Architekturmodellen und -zeichnungen als reine Form ohne Aussage zu Funktion oder Gebrauch lösten Hollein und Pichler kontroverse Diskussionen aus und wurden zu »enfants terribles« der Wiener
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Für ausführlichere Betrachtungen der Collagen s. Buckley 2019, S. 125–184; Branscome, Eva: Ship to Shore. AA files, Nr. 73 (2016), S. 58–72; Thomsen 1987, S. 44–51; Brix 1984, S. 175–176. Boeckl 1987, S. 131. Es wurde keine Fotografie davon gefunden. Die einzigen Ausstellungsansichten stammen aus diesem Beitrag: ORF: Nachrichtenjournal Zeit im Bild. Wien: Architektur-Ausstellung, 09.05.1963, (Filmaufnahme), Z-IX/381306, ORF Videoservice, Wien. Dauer: 00:02:37h. Darüber hinaus gab es in keinem der infrage kommenden Archive Bildmaterial zur Ausstellung. Ruhl, Carsten; Dähne, Chris: Architektur ausstellen. Zur mobilen Anordnung des Immobilen, Berlin 2015, S. 30.
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Die Architektur der Inszenierung
Architekturszene erklärt.37 Vor allem die Texte brachten ihnen den Vorwurf einer faschistoiden und elitären Architekturauffassung ein, die von den akademischen Architekturkreisen abgelehnt wurde.38 Dennoch oder gerade deswegen war die Ausstellung gut besucht und der Diskurs wurde in öffentlichen Diskussionen während und nach der Ausstellungslaufzeit fortgesetzt.39 Obwohl nur wenige Tage zu sehen, wurde die Ausstellung zu einem wichtigen und legendären Ereignis, da sie den Beginn einer neuen Architekturauffassung in Österreich einläutete. Aus dieser ersten Zusammenarbeit zwischen Hollein und Pichler entwickelte sich eine lebenslange Freundschaft und ein intensiver Gedankenaustausch, der immer wieder zu Ähnlichkeiten im künstlerischen Werk der beiden führte, wie vor allem in Kapitel IV.II.II noch deutlich werden wird.
III.III Installative »enclosed environments« 1965–1969 Holleins Zeichnungen, Collagen und skulpturale Arbeiten, die in Berkeley und in der Galerie St. Stephan ausgestellt wurden, zeigten zwei gestalterische und thematische Pole in seinem Schaffen – einerseits Neofuturismus und andererseits Archaik. Gegensätze bestimmten weiterhin sein Werk: Kontraste wie amorph und symmetrisch, natürlich und künstlich, Vergangenheit und Zukunft thematisierte er in der Folge immer wieder auch in seinen Ausstellungen. Ab Mitte der 1960er begann Hollein, sich neben seiner Beschäftigung mit Makrostrukturen und Städten auch für deren Gegenteil autarke sogenannte »enclosed environments« zu interessieren.40 Diese Minimalräume und deren Erweiterung durch Telekommunikation thematisierte er im Entwurf einer Telefonzelle als minimale Behausung für die Biennale junger Künstler 1965 in Paris.41 In der Telefonzelle sollte auf kleinstem Raum die Ausstattung für die Befriedigung der grundlegenden physischen und psychischen
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Branscome 2015b, S. 95. Hollein berichtete, dass einige Professoren ihren Studierenden verboten, sich die Ausstellung anzusehen und darüber zu sprechen. Hollein, Hans: Alles ist Architecture. Architectural Design, Nr. 2 (1970), S. 61. Feuerstein 1988, S. 76. Die provokativen Stellen lauteten: Pichler: »Architektur wird geboren aus den stärksten Gedanken. Für die Menschen wird sie Zwang sein, sie werden darin ersticken oder sie werden leben – leben, wie ich es meine.« Hollein: »Ein Bauwerk ist es selbst. Architektur ist zwecklos. Was wir bauen wird seine Verwendung finden […]. Heute ist der Mensch Herr über den unendlichen Raum. […] Architektur ist eine Angelegenheit der Eliten.« Hollein; Pichler 1963. o. S. Hollein, Hans: Rückblick auf Ausstellung Architektur. Bau, Nr. 2–3 (1969), S. 7. Hollein, Hans: Zukunft der Architektur. Bau, Nr. 1 (1965), S. 11. Beitrag gemeinsam mit Walter Pichler und Ernst Graf. S. Branscome 2018, S. 165–166; Abb. s. Weibel 2011a, S. 66–67.
III. Frühe Ausstellungen und Architekturtheorie
Bedürfnisse eines Menschen zur Verfügung gestellt werden. Hollein sah unter anderem den Einbau eines Fernsehers, von Licht, sanitärer Anlagen sowie die Einrichtung konstanter Klimabedingungen vor. Diese konzeptuelle Arbeit mit dem Titel Minimal Environment konnte jedoch aus organisatorischen und finanziellen Gründen nicht realisiert werden.42 Auch Holleins Pneumatische Strukturen von 1967 griffen das Thema der minimalen Wohneinheit auf und ergänzten es durch den Aspekt der Mobilität. Er präsentierte sie auf den Kapfenberger Kulturtagen der österreichischen Bildhauer der Gegenwart in der Steiermark in einem Park: Drei zylindrische Plastikstelen, die mit Luft aufgeblasen wurden, standen auf einem kleinen Hügel eng nebeneinander.43 Mit dieser Mischung aus Skulptur und architektonischem Vorschlag einer transportablen Behausung wolle er, so erklärte Hollein es damals in einem Interview, einerseits demonstrieren, dass die traditionellen Grenzen der Disziplinen überholt seien und eine Vermischung zwischen Architektur, Bildhauerei und Malerei stattfinde. Andererseits wolle er zeigen, dass Architektur mehr sei als nur traditionelle Gebäude aus Stein.44 Ähnliches demonstrierte er 1969 in einem dritten Projekt mit dem Titel Mobiles Büro, das er anlässlich von Filmaufnahmen für die bekannte ORF-Sendung Das österreichische Portrait realisierte.45 In dem halbstündigen Beitrag wurde das mobile Büro in einer rund zweiminütigen Sequenz präsentiert. Hollein inszenierte sich darin als international arbeitender Architekt, der sein Büro in Form einer aufblasbaren durchsichtigen PVC-Hülle auf einem Rollfeld aufschlägt und darin, ausgestattet mit Zeichenbrett, Schreibmaschine und Telefon, Häuser plant und Verkaufsgespräche führt.46 In diesem performativen Beitrag präsentierte er mit viel Ironie seine visionäre Idee des nomadisch arbeitenden Individuums im Zeitalter der Kommunikation und demonstrierte die Weiterentwicklung von Architektur durch neue Medien. Hollein nutzte diese installativen Projekte, um nationale und internationale Kontakte zu knüpfen sowie um sich als Architekt und Künstler zu positionieren und zu vermarkten. Gleichzeitig dienten diese künstlerischen Projekte der Entwicklung und visuellen Verdeutlichung seiner Architekturtheorie, deren wichtigste Thesen im Folgenden zusammengefasst werden.
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Hollein, Lilli 2011, S. 180. Abb. s. Weibel 2011a, S. 69. Interview mit Hollein, in: ORF; Preiner, Hans: 10. Kapfenberger Kulturtage, 17.08.1967, 00:24:05h (Filmaufnahme), ORF Archiv, Wien. 00:10:10–00:12:04h. S. a. Rumpfhuber, Andreas: Architektur immaterieller Arbeit, Wien 2013, S. 139–166. Abb. s. Weibel 2011a, S. 67.
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Die Architektur der Inszenierung
III.IV Alles ist Architektur 1968 Nach seinem Manifest Architektur im gleichnamigen Ausstellungskatalog veröffentlichte Hollein ab 1963 weitere architekturtheoretische Texte in der Zeitschrift Der Aufbau – Fachschrift für Planen, Bauen und Wohnen des Wiener Stadtbauamtes und ab 1965 in der Zeitschrift Bau – Schrift für Architektur und Städtebau. Bau, offizielles Organ der Zentralvereinigung österreichischer Architekten, gestaltete er als deren Herausgeber von 1964 bis 1970 mit neuen Ideen um und machte das Magazin zu einem der wesentlichen Architekturmedien dieser Zeit.47 In seinen theoretischen Texten setzte er sich, an Vortrag und Ausstellungen anknüpfend, mit dem Wesen und den Ursprüngen der Architektur sowie mit Urbanismus und Städtebau auseinander und lieferte kritische Betrachtungen aktueller Bautendenzen.48 Außerdem thematisierte er neue Möglichkeiten, die sich für die Architektur durch Telekommunikation, Technik und Weltraumtechnologie ergeben würden. Architektur wollte er nicht nur als Bauaufgabe verstanden wissen, sondern als Mittel der Umweltgestaltung, als physischen und psychischen Zustand. Sein Anliegen war es, Architektur und Design mit künstlerischen Mitteln zu erweitern und neu zu denken. Diese Auffassung eines erweiterten Architekturbegriffes subsummierte er schließlich in der dritten wichtigen Manifestation, nach seinem Vortrag und der Ausstellung Architektur in der Galerie St. Stephan, dem Manifest Alles ist Architektur. Diesen von einer Bilderstrecke begleiteten Text veröffentlichte er 1968 in Bau.49 Alles ist Architektur basierte laut Hollein auf zwei Thesen: Erstens, dass es keine Trennung verschiedener Gestaltungsbereiche wie Möbelgestaltung, Stadtplanung oder Bühnenbildnerei gebe, sondern diese wieder als Teil der Architektur aufgefasst werden sollten und zweitens, dass es neue Medien gebe, um gebaute Architektur zu ersetzen.50 Hollein sprach sich demnach für eine Neudefinition der Architektur und eine Erweiterung von deren Mitteln aus. Jahrtausende lang sei Architektur seiner Meinung nach das primäre Medium für die Bestimmung des Raumes gewesen. Heute gebe es jedoch neue Medien der Umweltbestimmung wie Telefon, Radio und
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Das Magazin stieß in jüngerer Zeit zunehmend auf Interesse der Forschung: Buckley 2019, S. 125–184; Keslacy, Elizabeth: Alles ist Design? Hans Hollein, MANtransFORMS, and the Cooper-Hewitt, ACSA conferences: Between the Autonomous & Contingent Object: Paper Proceedings (2015), S. 239–241; Branscome 2018, S. 189–2018; Colomina, Beatriz; Buckley, Craig: Clip stamp fold. The radical architecture of little magazines 196X to 197X, Barcelona 2010; Buckley, Craig: From Absolute to Everything. Taking Possession in »Alles ist Architektur«, Grey Room, Nr. 28 (2007), S. 108–122; Lefaivre 2003, S. 1–5. Auswahl der wichtigsten Schriften Holleins: Burkhardt, François; Manker, Paulus (Hg.): Hans Hollein. Schriften & Manifeste, Wien 2002. Hollein 1968a, S. 2–27; als Nachdruck in: Weibel 2011a, S. 79–109; Beschreibung und Interpretation des Inhalts: Keslacy 2015, S. 239–241; Buckley 2007, S. 108–122; Lefaivre 2003, S. 1–5. Interview Hans Hollein mit Craig Buckley 2006, in: Colomina; Buckley 2010, S. 380.
III. Frühe Ausstellungen und Architekturtheorie
Fernsehen, die das Erleben von Raum und Zeit verändern und dadurch Architektur ersetzen oder simulieren könnten. Deshalb sollten Architekten aufhören, nur in Bauwerken und Materialien zu denken und nach Wegen suchen, die Mittel der Architektur zu erweitern. Heute sei laut Hollein alles Architektur und alle seien Architekten. Seine These unterstrich er auf rund 30 bebilderten Seiten, auf denen er eigene Collagen, Fotos von Kunstwerken und Reklamefotos zusammenstellte und diese als Architektur im erweiterten Sinne deklarierte. Im Text definierte er die Architektur im engeren Sinne und deren Rollen so: Architektur ist kultisch, sie ist Mal, Symbol, Zeichen, Expression. Architektur ist die Kontrolle der Körperwärme – schützende Behausung. Architektur ist Bestimmung – Festlegung – des Raumes, Umwelt. Architektur ist Konditionierung eines psychologischen Zustandes.51 Insbesondere die erste und zweite Definition baute er im Laufe der Zeit weiter aus und wiederholte sie immer wieder. Demnach diente Bauen originär der Befriedigung von zwei grundsätzlichen Bedürfnissen des Menschen: Architektur ist – in einer vereinfachenden, doch als Argumentationsgrundlage adäquaten Definition primär zweierlei, leitet sich von zwei polaren Wurzeln ab. Sie ist sakral, kultisch, rituell – ein Medium der Mitteilung, der Kommunikation. Und sie ist ein Mittel zur Erhaltung der Körperwärme.52 Demzufolge baue der Mensch nach Holleins Verständnis einerseits um zu überleben – zum Schutz vor Kälte und Witterung, andererseits baue er aus rituellen und kultischen Gründen, um das Überleben nach dem Tod zu sichern. Jeder Vorgang des Entwerfens war für Hollein demnach mit den fundamentalen psychologischen wie physikalischen Bedürfnissen des Menschen und kulturellen Traditionen verbunden. Diese Auffassung von Architektur als geistige Ordnung, welche das Verhältnis von Menschen, Raum und Natur bestimmt, ebenso wie seine Faszination für Technik und neue Medien sowie das Spiel mit Gegensätzen und die Manipulation von Maßstäben zogen sich als Themen wie ein roter Faden durch sein transdisziplinäres Schaffen. Mit seinen visionären Schriften, Zeichnungen, Collagen und Skulpturen wurde Hans Hollein zu einem der wichtigsten Vertreter der Avantgarde der 1960er Jahre. Auch im Ausstellungsbereich gelangen ihm ab 1966 bahnbrechende Manifestationen, die im folgenden Kapitel ausführlich vorgestellt werden.
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Hollein 1968a, S. 2. Hollein, Hans: Erotische Architektur. Wie könnte sie aussehen? 1967, Der Architekt, Nr. 6 (1977), S. 231–232. (Text von 1967, abgedruckt 1977); s.a. Burkhardt; Manker 2002, S. 73–74. Hier widersprach Hollein früheren Thesen. 1963 sah er den Ursprung der Architektur noch ausschließlich im Sakralen und nicht im Funktionalen.
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IV. Szenografisch-künstlerische Ausstellungsinszenierungen
In Kapitel II wurden Ausstellungsgestaltungstechniken der Inszenierung und Szenografie sowie künstlerische Praktiken der Installation und des Environments thematisiert. Im Spannungsfeld dieser Praktiken sind die Ausstellungen von Hans Hollein anzusiedeln. Dabei korrespondierten sie mit raumgreifenden und publikumsorientierten Tendenzen der Avantgarde und Neoavantgarde und standen im Kontrast zu zeitgenössischen musealen Ausstellungspraktiken. Zugleich basierten sie auf seinem im Kapitel zuvor erläuterten Architekturverständnis. Die vorgestellten frühen Ausstellungen und Environments waren zudem eine Grundlage für die im Folgenden thematisierten Ausstellungsgestaltungen. Die Beschreibung und Analyse beginnt zeitlich mit seiner ersten Ausstellungsgestaltung Selection 66 im MAK Wien 1966 und endet mit Holleins Retrospektive Metaphern und Metamorphosen im Pariser Centre Pompidou 1987. Danach nahm seine Tätigkeit im Ausstellungsbereich ab und er gestaltete keine derartigen szenografisch-künstlerischen Ausstellungsinszenierungen mehr.1 Für die Analyse werden die Ausstellungsprojekte in drei Gruppen eingeteilt, innerhalb derer sie chronologisch behandelt werden: Erstens Auftragsausstellungen, zweitens künstlerische Ausstellungen und Rauminstallationen sowie drittens Werkpräsentationen. Die erste Gruppe sind Ausstellungsgestaltungen, die Hans Hollein als Auftragsarbeiten ausführte. Ihnen ist Kapitel IV.I gewidmet. Hans Hollein erhielt einen Auftrag von staatlicher oder institutioneller Seite, in einem Fall von einer Firma, für das Präsentationskonzept und die Gestaltung einer temporären Ausstellung. Unter Berücksichtigung der Auftragsvorgaben entwickelte Hollein ein Konzept und setzte dieses in Abstimmung mit der auftraggebenden Institution gestalterisch um. Die Auftragsausstellungen werden von künstlerischen Ausstellungsdisplays abgegrenzt, bei denen er in der Konzeption viel freier war. Diese zweite Gruppe wird in Kapitel IV.II untersucht. Bei den künstlerischen Ausstellungen wurde Hans Hollein als Künstler eingeladen, eine Schau beziehungsweise eine räumliche
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Die Gründe hierfür werden in Kap. V.II.III untersucht.
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Die Architektur der Inszenierung
Installation zu entwerfen. Entweder konzipierte er eigene Ausstellungen, bei welchen er das Thema selbst wählte, oder er gestaltete Beiträge für Gruppenausstellungen unter Berücksichtigung des kuratorischen Gesamtkonzepts und -themas. Die Aufgabe der künstlerischen Präsentation war für Hollein demnach mit geringeren Beschränkungen verbunden als bei den Auftragsausstellungen, da weniger Vorgaben berücksichtigt werden mussten. Hans Hollein verdeutlichte den Unterschied zwischen diesen beiden Arten von Ausstellungen in einem Interview: In meinen Kunst-Ausstellungen (ich bestehe auf die Mehrdeutigkeit dieses Begriffes) bin ich nur mir selbst gegenüber verantwortlich, ich mache was ich möchte, und realisiere eine einfache und klare persönliche Aussage. Demgegenüber haben die Triennale oder die Ausstellung über Papier ein von mir losgelöstes Ziel: es gibt einen Auftraggeber mit eigenen klar definierten Absichten. Natürlich kann es Analogien bei den Methoden in beiden Fällen geben.2 Am Ende der Hauptkapitel IV.I und IV.II findet jeweils eine Analyse statt, in welcher die Charakteristika, Analogien und Unterschiede der beiden Gruppen aufgezeigt werden. Hans Hollein wird als Ausstellungsgestalter beziehungsweise als Ausstellungskünstler porträtiert. Daran anschließend werden in Kapitel IV.III Holleins Werkpräsentationen als eine dritte Gruppe thematisiert, die mit den zuvor behandelten Ausstellungen zwar korrespondierte, jedoch aufgrund ihrer Besonderheit der Präsentation von Holleins eigenem Werk mit starkem Bezug zu architektonischen Kontexten eine eigenständige Kategorie darstellt. In den drei Kapiteln werden insgesamt zehn Ausstellungen und vier Rauminstallationen mit dem Ziel analysiert, die Charakteristika von Hans Holleins Ausstellungspraxis herauszuarbeiten.
IV.I
Auftragsausstellungen
Hans Hollein führte ab 1966 regelmäßig Auftragsausstellungen aus. Die Bandbreite dieser Ausstellungen war groß: Die drei kleinen Ausstellungen Selection 66, Austriennale und Papier umfassten jeweils nur einen Raum; die großen Ausstellungen MAN transFORMS, Die Türken vor Wien und Traum und Wirklichkeit bespielten ein ganzes Ausstellungshaus. Vier der Ausstellungen fanden in Wien statt, jeweils eine in
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»En mis exposiciones de arte (insisto en la ambigüedad de la expresión) soy sólo responsable ante mí mismo, hago lo que quiero, y realizo una simple y clara afirmación personal. En cambio la Trienal o la exposición del papel tienen una finalidad ajena a mí: hay un cliente con intenciones suyas definidas. Claro que puede siempre haber analogías de métodos en ambos casos.« (Übersetzung durch die Verfasserin). Correa, Frederico: Hans Hollein. Una entrevista biográfica, Arquitecturas bis, Nr. 10 (1975), S. 9.
IV. Szenografisch-künstlerische Ausstellungsinszenierungen
Mailand und New York. Auch inhaltlich waren die Ausstellungen vielfältig: Selection 66 und MAN transFORMS waren Designausstellungen im weiteren Sinne, die im musealen Kontext stattfanden, während Austriennale und Papier themenorientierte Repräsentationsausstellungen von Design im Zusammenhang mit industriellen Leistungsschauen waren. Die Türken vor Wien und Traum und Wirklichkeit waren kulturhistorische Ausstellungen, die von einem Museum organisiert und in musealen Räumen präsentiert wurden. Die Kontexte, die sich durch die unterschiedlichen Typen der ausstellenden Institutionen und die Ausstellungsarten ergaben, werden jeweils zu Beginn der Ausstellungskapitel dargelegt und in der Analyse vertieft. Die folgenden Kapitel beginnen jeweils mit einer Einführung zum Kontext der Ausstellung. Darauf folgt eine Darstellung der Konzeption. Danach wird deren Gestaltung ausführlich beschrieben. Die Beschreibung konzentriert sich auf das Ausstellungsdisplay, also die räumliche Erscheinung und den Schauzusammenhang. Auf einzelne Objekte und Kunstwerke wird nur in Bezug auf deren Bedeutung für das räumliche Szenario und das inhaltliche Konzept eingegangen. Bei den ersten drei kleineren Ausstellungen erfolgt die Beschreibung anhand eines Rundgangs durch die Schau, um wiederzugeben, wie der Weg durch die Ausstellung erlebt werden konnte. Bei der Gruppenausstellung MAN transFORMS konzentriert sich die Beschreibung auf die von Hollein gestalteten Räume der Ausstellung. Bei den Ausstellungen Die Türken vor Wien und Traum und Wirklichkeit wird aufgrund ihrer Größe das Gestaltungskonzept subsumierend anhand von Beispielen erläutert und nur auf ausgewählte Ausstellungsdisplays näher eingegangen. Die Begleitmaterialien zur Ausstellung, damit sind insbesondere Ausstellungskataloge und Plakate gemeint, deren Konzeption Hollein meist übernahm, werden in der Betrachtung ebenfalls berücksichtigt, da auch sie zur Aussage der Ausstellungen beitrugen und ihnen ein besonderer Stellenwert zukam. Nach der ausführlichen Beschreibung der Ausstellungen werden daraus resultierende Gestaltungsprinzipien herausgearbeitet und zusammengefasst. Dies erfolgt immer nach derselben Systematik: Zuerst wird auf die formale Gestaltung des Raumes und des Ausstellungsdisplays eingegangen, dann das Arrangement und die Bedeutung der ausgestellten Objekte im Ausstellungskontext untersucht. Danach wird die Vermittlung der Inhalte an das Publikum thematisiert. Anschließend werden die verwendeten interdisziplinären Gestaltungsprinzipien in einen Kontext mit ähnlichen Präsentationspraktiken gesetzt. Abschließend wird ein Überblick zur Rezeption der behandelten Schau gegeben und auf spezifische Kritik an Holleins Gestaltungen näher eingegangen.3
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Bei Selection 66 und den drei Großausstellungen wurde die ausführliche Dokumentation der nationalen und internationalen Presseberichterstattung systematisch ausgewertet. Die Auswertung orientierte sich an Methoden der qualitativen Inhaltsanalyse. Vgl. Kuckartz, Udo: Qualitative Inhaltsanalyse. Methoden, Praxis, Computerunterstützung, Weinheim; Basel 4 2018.
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Die Architektur der Inszenierung
IV.I.I
Selection 66 1966
Die Möbelschau Selection 66 war Hans Holleins erster Auftrag als Ausstellungsgestalter, mit dem er sogleich für Aufmerksamkeit sorgte, indem er die museale Präsentation von Designobjekten neu dachte. Wichtiger Impulsgeber und Vorbild für das Ausstellen von zeitgenössischer angewandter Kunst war das MoMA, das ab Ende der 1930er Jahre wegweisende Ausstellungen zu diesem Thema veranstaltete und damit für lange Zeit Standards der modernen Designpräsentation setzte.4 Zwei dieser Ausstellungen sind im Kontext von Selection 66 besonders interessant: Machine Art 1934 und Organic Design in Home Furnishings 1941. Bei Machine Art wurden Industrieprodukte wie Propeller oder Metallfedern mit denselben museografischen Präsentationsmitteln wie Kunstwerke in einem ästhetisierenden Display gezeigt.5 Bei Organic Design waren wie bei Selection 66 käuflich erwerbbare Stühle Gegenstand der Ausstellung.6 Im Hauptteil dieser Ausstellung wurden in einem Wettbewerb ausgewählte Stühle mit weiteren Einrichtungsgegenständen wie Teppichen und Lampen zu Sitzgruppen arrangiert und so ein Wohnzimmerambiente – sozusagen ein moderner Epochenraum – geschaffen. Diese atmosphärische Präsentation, ähnlich wie in Möbelgeschäften, wurde durch einen Bereich mit Erklärungen ergänzt: Es gab einen didaktisch präsentierten Überblick über die Geschichte des modernen Stuhldesigns, in dem einzelne Stühle, unter anderem von Marcel Breuer und Le Corbusier, in chronologischer Reihung mit Texttafeln und weiteren Stuhlfotos kombiniert ausgestellt wurden.7 Bei der Auswahl der Produkte standen ästhetische und funktionale Aspekte im Vordergrund. Entscheidend war die »gute Form« und Qualität der Einrichtungsgegenstände. Die ausgewählten formschönen Produkte wurden mit Namen des Entwerfenden und der produzierenden Firma ausgestellt. Dies galt sowohl für Machine Art, die Designgegenstände wie Kunstwerke inszenierte, als auch für Organic Design, welche die Objekte als Raumbilder oder in Reihung zeigte. Auch das Museum für angewandte Kunst in Wien, in dem Selection 66 stattfand, orientierte sich in den 1960er und 1970er Jahren noch an diesen Arten der Präsentation und sah sich in seinen Ausstellungen der Schulung des Publikums für »gutes« Design verpflichtet.8 Dies wurde bei Ausstellungen deutlich, in denen wie bei Selection 66 hauptsächlich zeitgenössische Möbelentwürfe gezeigt wurden: 1962 fand im 4 5 6 7 8
Rinker; Schmid 2018, S. 54; Staniszewski 1998, S. 141–194. Barr, Alfred H. (Hg.): Machine Art. MoMA Ausst.-Kat., New York 1934; s.a. Staniszewski 1998, S. 152–160. Abb. vgl. a. MoMA Photographic Archive, IN34.2. Noyes, Eliot F. (Hg.): Organic Design in Home Furnishings. MoMA Ausst.-Kat., New York 1941; s.a. Staniszewski 1998, S. 160–176. Abb. vgl. a. MoMA Photographic Archive, IN148.11. Abb. vgl. MoMA Photographic Archive, IN148.18. Um einen Eindruck von der Ausstellungspräsentation zu bekommen, wurden Pressematerial, Ausstellungsansichten und Eröffnungsfotos aus dem Zeitraum 1961–1975 im Archiv des MAK gesichtet.
IV. Szenografisch-künstlerische Ausstellungsinszenierungen
MAK eine Ausstellung über moderne dänische Wohnkultur statt.9 Die Möbel waren in dieser Ausstellung in abgetrennten Bereichen zu Sitzgruppen mit Wohnzimmeratmosphäre arrangiert und sollten so »einen Eindruck geben von der Formgebung und der modernen dänischen Wohnausstattung«.10 Ein späteres Beispiel ist die Ausstellung Sitzen ’69 von 1969 über hochwertige zeitgenössische Tischlerstuhlentwürfe.11 Die Stühle wurden im Säulenhof des Museums aufgereiht vor Stellwänden mit Informationen und Entwurfszeichnung präsentiert. Die Ausstellung sollte dem Direktor des Museums Wilhelm Mrazek zufolge Qualität begreiflich machen und die Bildung von Bewertungsmaßstäben sowohl bei Fachleuten als auch bei Konsumierenden anregen.12 Auch Hans Hollein zeigte in seiner Ausstellung im MAK eine selektive Auswahl von modernem Design. Er brach jedoch mit den Standards der an Form, Funktion und Qualität orientierten und in ihrer Gestaltung zurückhaltenden Möbelpräsentationen im MAK und anderen Museen und integrierte stattdessen Möbel in theatral-assoziative räumliche Inszenierungen. Selection 66 fand als Sonderausstellung des Österreichischen Museum für angewandte Kunst in Wien statt, die vom 30. September bis 20. November 1966 eine Auswahl von Möbeln, Organisationsbüromöbeln und Leuchtkörpern aus dem Programm der Firma R. Svoboda & Co. aus St. Pölten bei Wien zeigte. Die Firma Svoboda besaß zur damaligen Zeit die größte Möbelfabrik in Österreich und vertrieb neben eigenen Entwürfen auch Möbel anderer Firmen. Initiiert wurde die Ausstellung von Peter Noever, dem damaligen Juniorchef der Möbelfirma.13 Er hatte Designklassiker der Moderne, darunter Sitzmöbelentwürfe von Marcel Breuer und Le Corbusier, ins Firmenportfolio aufgenommen, die zuvor in Österreich wenig bekannt und nicht erhältlich waren. Sie bildeten den Ausgangspunkt für die Ausstellungsidee, mit der Noever 1965 an Wilhelm Mrazek, den damaligen Kustos der Möbelabteilung des Kunstgewerbemuseums, herantrat.14 Nach einigen Treffen und Gesprächen lud der Museumsdirektor Viktor Griessmaier Noever dazu ein, die Ausstellung in den
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Neue Wohnkultur aus Dänemark, 04.06.-15.07.1962, MAK. Ohne Verfasser: Neue Wohnkultur aus Dänemark. Alte und Moderne Kunst, Nr. 60–61 (1962), S. 50. Ausstellungsansichten sind im Archiv des MAK vorhanden. Windisch-Graetz, Franz (Hg.): Sitzen 69. Moderne Tischlersessel und ihre Werkzeichnungen, MAK Ausst.-Kat., Wien 1969; s.a. Hackenschmidt, Sebastian: »Sitzen 69« revisited, in: Etzlstorfer (Hg.): Die 60er. Schallaburg Ausst.-Kat., Schallaburg 2010, S. 116–125. Ausstellungsansichten sind im Archiv des MAK vorhanden. Vorwort zum Katalog: Windisch-Graetz 1969. o. S. Mit Selection 66 begann Peter Noevers kuratorische Laufbahn, 1986–2011 war er Direktor des MAK. Noever, Peter: Brief an Viktor Griessmaier, 19.11.1965 (Typoskript), Selection 66, Vorakte: 898–65, Archiv MAK, Wien, S. 1.
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Die Architektur der Inszenierung
Räumen des Museums zu veranstalten.15 Die Firma Svoboda übernahm weitgehend die Kosten. Das Museum stellte im Gegenzug die Räume und das Museumspersonal für Aufbau und Aufsicht zur Verfügung.16 Durch den musealen Ausstellungsort bekam die Ausstellung eine besondere Legitimation und Prestige.17 Dem 25-jährigen Peter Noever wurde bei der Ausstellung größtenteils freie Hand gelassen. Gemeinsam mit Hans Hollein konzipierte er die Schau und betraute ihn mit deren Gestaltung.18 Außerdem übernahm Noever die Organisation der Ausstellung und die Konzeption des Kataloges. Die beiden waren seit der Ausstellung Architektur 1963, die Noever stark beeindruckt hatte, befreundet. Er wollte mit Hollein zusammenarbeiten, weil ihn dessen Ideen, die über das in Wien Übliche und Bekannte hinausgingen, interessierten und faszinierten. Die Museumsleitung brachte den beiden großes Vertrauen entgegen, denn das Projekt entwickelte sich erst nach und nach. Zu Beginn gab es keinen konkreten Ausstellungsplan, wie sich Noever erinnerte.19 Obwohl Hans Hollein zuvor noch keine Ausstellungen gestaltet hatte und es auch Peter Noevers erste Ausstellung war, zeigten sich die Verantwortlichen für dieses Experiment offen und hielten sich aus der Konzeption weitgehend heraus. Dennoch verstanden die Verantwortlichen die Ausstellung nicht als bloße Überlassung ihrer Ausstellungsräume an den externen Kooperationspartner, sondern als eine Angelegenheit des Hauses und ließen sich regelmäßig über den Fortschritt des Projektes unterrichten.20 Griessmaier lieferte zudem einen Katalogbeitrag und erbat Änderungen am Plakattext.21
Konzeption Bevor auf die Gestaltung der Ausstellung eingegangen wird, sollen zunächst deren Zielsetzung und Konzeption näher beleuchtet werden. Ausgangspunkt waren Sitzmöbel von Architekten, die für Hollein und Noever zugleich Manifeste zur Architektur der Zeit darstellten.22 Sie wollten mit ihrer Produktpräsentation Begeisterung 15 16 17 18
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Noever, Peter: Brief an Viktor Griessmaier, 07.02.1966 (Typoskript), Selection 66, Mappe: 96–66, Archiv MAK, Wien, S. 1. Präsentationen von Designobjekten österreichischer Firmen gab es in dieser Zeit im MAK mehrfach, z.B. zu Riedel Glas und 150 Jahre Firma Lobmayr. Noever, Peter: Interview 05.11.2019. Hollein stand zuvor bereits mit dem Möbelwerk Svoboda bzgl. der Gestaltung eines Geschäftslokals in der Schultergasse in Wien in Kontakt. Beschr. und Abb. dieses nicht realisierten Projektes: Pettena 1988, S. 29, 116. Noever, Peter: Interview 05.11.2019. Mrazek, Wilhelm: Brief an Peter Noever, 05.08.1966 (Typoskript), Selection 66, Mappe: 96–66, Archiv MAK, Wien, S. 1. Weitere Änderungswünsche oder Anpassung von Seiten des Museums zum Projekt sind nicht schriftlich belegt. In Briefen im Archiv des MAK ist jedoch von Telefongesprächen und persönlichen Treffen die Rede. Noever, Peter: Interview 05.11.2019.
IV. Szenografisch-künstlerische Ausstellungsinszenierungen
für die ästhetischen Qualitäten dieser Entwürfe vermitteln und ihre Bedeutung als architektonische Idee herausstellen. Die Möbel wollte Hollein daher in der Ausstellung als Teil einer Umwelt oder als Ausgangspunkt einer Idee über die Umwelt darstellen und die in den Objekten liegenden Möglichkeiten der räumlichen Entwicklung und Eigenart sichtbar machen.23 Unter dem zu dieser Zeit populären Schlagwort »environment« sollte die Bedeutung der bewussten Gestaltung der Umwelt, in diesem Fall der Büroumgebung, des »office-environment«, in der Ausstellung demonstriert werden, wie es die Beteiligten im Ausstellungskatalog formulierten.24 Die Gestaltung von Umwelt durch Architektur und Technik war eines der wichtigen Themen von Hollein in den 1960er Jahren – wie seine in Kapitel III.III vorgestellten Projekte zeigen. Insbesondere in der nur projektierten Installation Minimal Environment wie auch in seinen Zeichnungen mit dem Titel Schnitt durch einen Teil der Stadt, verschiedene physiologische und psychologische Zustände werden ermöglicht von 1960 beschäftigte er sich bereits mit ähnlichen Thematiken der Raumgestaltung.25 In diesen schematischen Zeichnungen schuf er in unterschiedlich geformten Kammern durch Licht, Architektur und Einrichtungsgegenstände räumliche Situationen. Dieses Prinzip wendete er auch auf die Ausstellungsgestaltung für Selection 66 an. Holleins Konzept sah vor, die Möbel in skulpturale Szenerien und räumliche Situationen einzubinden und durch verschiedenste Mittel wie Licht, Ton und farbliche Gestaltung ein ganzheitliches »environment« zu schaffen, um den Einfluss der Umgebung auf den Menschen zu demonstrieren.26 Daher bezeichneten Noever und Hollein die Ausstellung auch als »first environment exhibition«.27 Für die Ausstellung wählten die beiden Möbel und Lampen aus dem Programm der Firma Svoboda aus und Hollein entwarf Ausstellungsdisplays für diese. Die Möbel sollten nicht unter Hervorhebung ihrer Funktion gezeigt werden, stattdessen sollten deren ästhetische Qualitäten im Vordergrund stehen.28 Die recht kleine Zusammenstellung von etwa 25 verschiedenen Möbeltypen, Organisationsbüromöbeln und Leuchtkörpern – manche wurden mehrfach und in verschiedenen Ausführungen gezeigt – bot einen eklektischen Überblick über Design: Einerseits wurden Stühle von den Bauhausentwerfern Le Corbusier und Marcel Breuer gezeigt. Insbesondere Breuers Stuhl Wassily bekam mehrere spektakuläre Auftritte. Andererseits wurden aktuelle Entwürfe italienischer Designer präsentiert, vor allem von Marco Zanuso, Tobia Scarpa und den Brüdern Achille und Pier Giacomo
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Erben; Noever 1966. o. S. Ebd. Dieser »environment«-Begriff ist nicht deckungsgleich mit dem Gattungsbegriff des künstlerischen Environments, korrespondiert jedoch mit diesem. Text und Abb. s. Weibel 2011a, S. 36–37, 66–67. Hollein, Hans: Mobili nel Museo. Exhibition in Vienna, Domus, Nr. 448 (1967), S. 24. Noever, Peter: Interview 05.11.2019. Ebd.
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Castiglioni. Daneben wurden Büromöbel aus dem Svoboda-Produktionsprogramm und ein Prototyp des futuristischen Aluminiumsessel Galaxy 1 von Walter Pichler in die Ausstellung inkludiert. Noever hatte Pichler im Jahr der Ausstellung dazu ermutigt und ihn unterstützt, diesen Sessel zu entwerfen. Daher war es ihm ein besonderes Anliegen, ihn in die Ausstellung zu integrieren.29 Die Objekte standen repräsentativ für das neue Programm der Firma Svoboda, die sich gleichzeitig traditionsbewusst mit Klassikern der Moderne und wegweisend mit Entwürfen junger angesagter Designer zeigte. Durch das Thema der modernen Raumgestaltung war die Schau für ein breites Publikum angelegt. Insbesondere sollten Menschen, die in Büros arbeiteten, angesprochen werden. Daher hatte Noever auf Kosten der Firma die Öffnungszeiten der Ausstellung an Wochentagen bis 21 Uhr verlängern lassen, sodass sie nach der Arbeit bei freiem Eintritt besucht werden konnte.30 Außerdem wurde die Wiener Avantgardeszene in die Ausstellung eingebunden. So stammte in der Ausstellung gezeigte Mode von einer Wiener Entwerferin und die Gestaltung von Katalog und Plakat von dem jungen Grafikdesigner Tino Erben.31 Für die grafische Gestaltung der Printmedien seiner Ausstellungen arbeitete Hollein in der Folge immer wieder mit dem fast gleichaltrigen Erben zusammen, mit dem ihn die interdisziplinäre Prägung der Wiener Avantgarde verband. Erben führte Gestaltungsaufträge für alle wichtigen Wiener Museen und Institutionen aus und entwarf an Holleins Gestaltung lose angelehnte, dennoch eigenständige Printprodukte zu den Ausstellungen.
Gestaltung Die Ausstellung fand im Foyer und in der zentralen Ausstellungshalle des Museums für angewandte Kunst im Erdgeschoss des Gebäudes an der Weiskirchnerstraße 2 in Wien statt.32 Eine Holzkonstruktion in der Mitte der steinernen Treppe, die vom Eingangsbereich ins Foyer führte, wies den Weg in die Ausstellung.33 Die Vorderseite der Stufen war mit roten Brettchen versehen, welche in der Mitte mit einem langen Steg verbunden waren. Der Steg mündete am oberen Ende der Treppe in eine gelbe Pfeilspitze.
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Noever, Peter: Interview 05.11.2019. Noever, Peter: Brief an Viktor Griessmaier, 18.08.1966 (Typoskript), Selection 66, Mappe: 96–66, Archiv MAK, Wien, S. 1. In die Herstellung von Pichlers Galaxy-Prototyp für die Ausstellung waren ebenfalls verschiedene Personen aus dieser Szene involviert. Zu Erben s. Erben, Tino (Hg.): Sooderauchanders. Tino Erben Grafik-Design 2000–1960, Wien; Köln; et al. 2001. Ausstellungsfläche Foyer 130 m², Ausstellunghalle rd. 600 m2 . Abb. s. Hollein 1967, S. 24.
IV. Szenografisch-künstlerische Ausstellungsinszenierungen
Abb. 2: Selection 66, Ausstellungsplan
Quelle: Privatarchiv Hollein
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Die Architektur der Inszenierung
Die Z-förmige Konstruktion aus gelbem Pfeil und rotem Steg, der auf dem Boden von querstehenden Brettern abgestützt wurde, endete an einer roten Stele am Eingang zur Ausstellungshalle. Diese von Hollein entworfene zackige, immer wieder abrupt abgehackte Form teilte die Treppe und das Foyer in zwei Teile, einen Eingangs- und Ausgangsbereich. Der Ausstellungsplan mit Nummerierung der Exponate schlug einen Rundgang durch die Ausstellung vor: Das erste Exponat befand sich im Foyer. Um dorthin zu gelangen, musste man vom Eingangsbereich aus links an der eben beschriebenen Konstruktion vorbei die Treppe nach oben steigen und das mit weißen Vorhängen vom Eingangsbereich abgetrennte Foyer betreten. Auf der linken Seite des Foyers waren Stahlrohrtische und -stühle von Marcel Breuer auf einem niedrigen Podest ineinander und übereinander zu einer turmartigen Skulptur mit schwarzen und weißen Farbflächen gestapelt. Gegenüber in einer Nische standen weitere fünf Breuer-Stühle.
Abb. 3: Selection 66, Foyer, Turm aus Stahlrohrmöbeln
Quelle: Privatarchiv Hollein, Foto: Joseph Tandl
An Holleins roter Stele aus Holz vorbeigehend, betrat man die Ausstellungshalle.34 Den großen Raum hatte der Ausstellungsgestalter durch temporäre weiße Seitenwände unterteilt, in die Öffnungen eingeschnitten waren, welche Blicke in kleinere Nebenräume gestatteten. Das Oberlicht hatte er freigelegt, sodass die Glasplatten der Decke sichtbar waren und die maximale Höhe des Raumes genutzt werden konnte. Der hintere Mittelteil der Ausstellungshalle wurde durch einen großen
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Abb. s. Nakamura 1985, S. 147.
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treppenartigen Aufbau dominiert. Der Blick darauf wurde aber zunächst durch ein rundes Auditorium mit hohen Wänden aus Stoffbahnen, das Hollein vorne im Raum platziert hatte, teilweise verstellt. Darin waren seriell hergestellte Drehsessel mit schwarzen Plastiksitzschalen wie in einem Amphitheater auf mehreren Stufen um einen schrägen Durchgang in der Mitte angeordnet.35 Die Sitzflächen der Sessel der letzten zwei Reihen waren weiß lackiert. Der Wiener Kunsthistoriker Otto Breicha sah hier das Spannungsverhältnis von Designobjekt und Massenprodukt betont.36 Die Wände im Innenraum waren schwarz und blaue UV-Scheinwerfer trugen zur Raumatmosphäre bei, indem sie die weißen Sitzschalen zum Leuchten brachten. Mehrere Journalisten beschrieben den Raumeindruck als gespenstisch.37
Abb. 4: Selection 66, Ausstellungshalle, Besucherin blickt Abb. 5: Selection 66, Ausstellungshalle, Schauöffnungen und durch Auge mit Kaleidoskop Gang
Quelle: Privatarchiv Hollein, Foto: Joseph Tandl
Quelle: Privatarchiv Hollein, Foto: Franz Hubmann
Durchquerte man diesen dunklen, atmosphärisch aufgeladenen Raum, stand man wieder im offenen hellen Hauptraum. An der Wand war ein schematisches Bild eines Auges mit gelber Umrandung angebracht.38 Durch die Glaspupille des Auges blickte man in ein Kaleidoskop, welches ein sich drehendes und fragmentarisch gespiegeltes Bild von Breuers Wassily-Fauteuil zeigte, der sich im dahinterliegenden
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Abb. s. ebd., S. 147. Breicha, Otto: Die Zukunft hat schon begonnen. Kurier, 12.10.1966, S. 15. Graf, Otto A.: Selection 66. Bau, Nr. 1 (1967), S. 19; Spalt, Johannes: Eine Apotheose des Sitzmöbels. Kärtner Tageszeitung, 11.11.1966, S. 6. Abb. s. Nakamura 1985, S. 147.
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Die Architektur der Inszenierung
Raum befand. Das nächste Ausstellungsstück, Zanusos knallroter Lambda-Metallsessel von 1962, stand am Ende eines sehr schmalen und etwa fünf Meter hohen Ganges, der schräg in die Wand des Hauptraumes eingelassen war. Dieser Gang, der nur so breit war, dass ein Mensch hineintreten konnte, wurde von einem Deckenstrahler hell ausgeleuchtet. Die räumliche Anordnung erzeugte den Eindruck einer »alptraumartige[n] Verfremdung des wie eingeschüchtert dastehenden Sessels«, wie der damalige Student und spätere Wiener Kunsthistoriker Otto Antonia Graf es beschrieb.39 An derselben Wand befand sich auf Augenhöhe eine dritte gelb umrandete Schauöffnung, die in ihrer Form an einen abstrahierten Pilz erinnerte. Hier zitierte Hollein die Form des Eingangs seines im Jahr zuvor vollendeten Kerzengeschäftes Retti, die meist als Schlüsselloch oder Zangenform interpretiert wurde.40 Dahinter konnte man in einen komplett weißen Raum blicken, in dem eine Liege und nochmals ein Modell von Breuers Wassily sowie eine Stehlampe und ein Metallsessel ausgestellt waren. Folgte man der Nummerierung der Exponate im Ausstellungsplan, wandte man sich als Nächstes der bereits erwähnten zentralen Installation von Hans Hollein zu, einer brückenartigen Gangway. Sie bestand aus rot bemaltem Holz mit rotem und gelbem Geländer und blauen Details, stand mittig schräg im Raum und vereinnahmte den hinteren Bereich des Ausstellungsraumes. Auf der vom Eingang der Ausstellung abgewandten Seite war unter der Brücke eine gelb gestrichene, rechteckige Holzplatte aufgehängt.41 Diese war im Inneren mit einem roten Kreis versehen, der eine kugelförmige Leuchte in der Mitte rahmte. Davor stand der von Walter Pichler gerade erst entworfene Prototyp des Galaxy 1 mit gelb-rotem Stoffbezug. Abgeschirmt wurde er durch zwei schräge Holzkonstruktionen, die einen kleinen Raum um den Stuhl bildeten, der auf einem gelben, quadratischen Podest stand. Dasselbe Podest stand noch einmal links neben der schrägen Wand, allerdings ohne Exponat. Die Ausstellungsarchitektur war hier farblich so sehr auf den ausgestellten Stuhl abgestimmt, dass dieser mit dem Display verschmolz und der Architekturkritiker Friedrich Achleitner in seinem Bericht anmerkte, der Sessel von Pichler sei schwer zu finden gewesen.42 Zwei rechteckige Türöffnungen in der Stirnwand der Ausstellungshalle führten in einen dunklen, niedrigen Raum. Auch hier setzte Hollein sein Spiel mit den Deckenhöhen fort: Betrug die Raumhöhe in der Ausstellungshalle neun Meter, in den Nischenräumen jedoch weniger, so hatte er in diesem Raum die Deckenhöhe mittels eines Velums auf vier Meter verringert. Im Raum konnte man sich auf Sofas von Tobia Scarpa und Marcel Breuer setzen und sich über Eck projizierte Diapositive
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Graf 1967, S. 19. Abb. s. Weibel 2011a, S. 163. Abb. s. Hollein 1967, S. 26. Achleitner, Friedrich: Ausstellung als Selbstzweck? Die Presse, 24.10.1966, S. 6.
IV. Szenografisch-künstlerische Ausstellungsinszenierungen
ansehen. Die 170 zur Projektion genutzten Dias präsentierten moderne Architekturentwürfe wie das Empire State Building oder das Seagram Building, Planstädte wie Chandigarh und Brasília, aber auch die Wiener Postsparkasse von Otto Wagner und eine Innenaufnahme des Kerzengeschäftes Retti. Außerdem waren Aufnahmen von Autos, Flugzeugen, Sattelitenschüsseln und Raumanzügen zu sehen und Fotografien der in der Ausstellung gezeigten Möbel.43 Derartige assoziative Bildzusammenstellungen hatte Hollein zuvor im Katalog zur Ausstellung Architektur 1963 und in Bau als Illustrationen zu seinem Aufsatz Technik 1965 gezeigt und übertrug dieses Vorgehen in eine Zweikanal-Diainstallation mit musikalischer Untermalung.44 Die Bildzusammenstellung folgte seinen Vorstellungen von moderner Architektur und Design und spiegelte zugleich sein Interesse für Popkultur, Raumfahrt und seine Faszination für Technik wieder. Die akustische Beschallung bestand aus einer Mischung aus Schlagern und Jazz, unter anderem war Yellow Submarine, der BeatlesHit des Jahres 1966, zu hören. Ein Journalist der Kärtner Tageszeitung beschrieb ausführlich seinen Raumeindruck: Man kann aus überaus bequemen Ledersitzbänken, die ebenfalls einen wesentlichen Bestandteil dieser Ausstellung bilden, dem Ablauf der Dias folgen. Man sieht Beispiele angewandter und reiner moderner Kunst, Indizien der Zukunft: Astronauten in Raumanzügen, Frauen in Schönheitsmasken, New York im Abendlicht, Brücken, Straßenkreuzungen, Mannequins, das Guggenheim-Museum, Bilder aus dem köstlichen Film »Das zehnte Opfer«, Büromöbel, Hotelhallen, Plastiken, Naturphänomene mit demselben Stimmungsgehalt. Die Dias in den Trommeln der Projektionsmaschinen kreisen mit verschiedener Geschwindigkeit, es stört überhaupt nicht, zwei Bildabfolgen zu gleicher Zeit zu sehen.45 Friedrich Achleitner kritisierte jedoch, dass die Kluft zwischen den von Hollein eröffneten Bildwelten und den ebenfalls in den Projektionen gezeigten Produkten des Svoboda-Möbelprogrammes zu groß sei.46 Günther Feuerstein schrieb lediglich: »Zwei Projektoren werfen ein (Hollein-)Image unserer Gegenwart an die Wand, natürlich unterschwellig mit den anzupreisenden Möbeln gemischt.«47 Auf der anderen Seite des Raumes standen drei weiße weibliche Schaufensterpuppen mit futuristischen Minikleidern, Capes und Kopfbedeckungen bekleidet, die mit Armgesten dazu einluden, auf zwei sich gegenüberstehenden Sesseln italienischer Designer Platz zu nehmen. Hängelampen der Brüder Castiglioni beleuch-
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Atelier Hans Hollein: Zusammenstellung Dias (Ausstellungsobjekte), 1966 (Farb-Dia; SW-Dia), HN-017-003-D, Archiv Hans Hollein, Az W, Wien. Hollein, Hans: Technik. Bau, Nr. 2 (1965), S. 40–54; Hollein; Pichler 1963. o. S. Spalt 11.11.1966, S. 6. Achleitner 24.10.1966, S. 6. Feuerstein, Günther: Sessel als Städtebaumodell. Neues Österreich, 11.10.1966, S. 9.
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teten die Szene in diesem sonst dunklen Raum. Der österreichische Kulturjournalist Harald Sterk kommentierte das Ensemble mit den Worten »Schaufensterpuppen, die Bewohntheit suggerieren« und verwies auf Ähnlichkeiten zu Entwürfen des französischen Modedesigners André Courrèges, der in den 1960er Jahren futuristische von der Raumfahrt inspirierte Kleidung entwarf.48
Abb. 6: Selection 66, Ausstellungshalle, Blick von oben auf »Brücke« und Hängeobjekt Wassily
Quelle: Privatarchiv Hollein, Foto: Franz Hubmann
Der Rundgang durch die Ausstellung führte aus diesem Raum hinaus wieder zum Hauptsaal, wo die bereits erwähnte begehbare Brücke zu einer Raumbetrachtung von oben einlud. Man konnte aber auch am gelben Ende des Brückengeländers vorbei gehen. Wolkenförmige und in unterschiedlicher Höhe von der Decke herabhängende Kokonlampen führten zu einer in die künstlichen Wände eingelassenen
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Sterk, Harald: Wirklichkeit und Utopie des Möbels. Neue Zeit Graz, 30.10.1966, S. 4. Auf manchen Ausstellungsfotos sind die Schaufensterpuppen auch an anderen Orten in der Ausstellung zu sehen. Das futuristische Ausstellungsdisplay wurde auch für Modeaufnahmen genutzt.
IV. Szenografisch-künstlerische Ausstellungsinszenierungen
Nische an der anderen Längsseite des Raumes.49 In dieser kreisförmigen Nische, die aus dunkelblauen Vorhängen gebildet wurde, beleuchteten Stehlampen zwei weitere rote Metallsessel. Trat man wieder hinaus und blickte zur Decke, sah man zwischen den Hängelampen einen der kühnsten Entwürfe der Ausstellung: Hans Hollein hatte zwei Wassily-Stühle durch vier durchsichtige Plexiglasrohre und einen gelb-grünen Plexiglasbalken miteinander verbunden und die so entstandene Skulptur oberhalb der Brücke wie einen Flugkörper von der Decke abgehängt. Die runden ausgestanzten Löcher im Plexiglasbalken korrespondierten mit ebensolchen Löchern in Pichlers Galaxy 1, wo sie an die Leichtbauweise in der Luftfahrt erinnern sollten. Vor der Brücke stand eine auf einem runden roten Podest angeordnete Gruppe von Svoboda-Organisationsbüromöbeln, bestehend aus Regalen und einem Schreibtisch mit Drehsessel und Schreibmaschine. Auf dieser Längsseite der Wand befand sich noch eine weitere kreisförmige Schauöffnung:50 Das große Loch in der Wand war von zwei Kreisen in den Ausstellungsfarben Rot und Gelb umschlossen und gab den Blick frei auf einen White Cube mit einem Stuhl, einer Liege und einem Sessel nach Entwürfen von Le Corbusier sowie die Reproduktion seiner Zeichnung eines Stadtentwurfs aus der Serie Ville contemporaine de trois millions d’habitants von 1922. Die in eine Wandnische eingefügte kolorierte Zeichnung wurde mit Leuchtstoffröhren von oben beleuchtet, sodass die goldene Farbe im oberen Bereich erstrahlte. Die Integration der Zeichnung von Le Corbusier in die Ausstellung sollte laut Noever den gedanklichen Zusammenhang zwischen Le Corbusiers Architekturutopien und dessen Möbelentwürfen aufzeigen.51 Auf der Zeichnung war eine Coca-Cola-Flasche abgebildet, die auf einem Tisch stand. Hollein stellte eine echte Cola-Flasche gleichsam als reale Bekräftigung daneben. Insgesamt machte dieser Raum einen edlen und zugleich sterilen Eindruck. Ging man am bereits erwähnten Amphitheater-Raum links vorbei, öffnete sich auf dieser Längsseite ein weiterer spärlich beleuchteter Raum mit einer von Spotlichtern dramatisch inszenierten Installation Holleins.52 Auf einer Konstruktion aus gelbem Holz mit roten Röhren standen sich zwei Bastiano-Sessel von Tobia Scarpa mit schwarzem Leder und rotem Gestell gegenüber. Daneben war an beiden Seiten der Stühle jeweils eine Tischlampe, die Taccia der Castiglionis, platziert. Die Konstruktion wurde über ein dünnes Stahlrohr getragen, das an einer vorgebauten Wand an der Stirnseite des Raumes befestigt war, wodurch sie von vorne den Eindruck erweckte, frei über dem Boden zu schweben.
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Abb. s. Hollein 1967, S. 26. Abb. s. ebd., S. 27. Noever, Peter: Interview 05.11.2019. Abb. s. Hollein 1967, S. 27.
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Abb. 7: Selection 66, Ausstellungshalle, Installation mit Fauteuils von Tobia Scarpa
Quelle: Privatarchiv Hollein, Foto: Otto Breicha
Hans Holleins Ausstellungsgestell korrespondierte farblich und formal mit der Installation am Treppenaufgang und bestand aus einem gelben Holzsteg, der in einer Art nach oben zeigendem Ruder endete, an dem im rechten Winkel herausstehende ebenfalls gelbe Bretter angebracht waren. Darauf standen die Stühle. Vorne war das lange Brett abgerundet und mit fünf kreisförmigen Löchern versehen, durch die drei rote Pappröhren gesteckt waren. Diese Röhren und das längliche Brett mit runden Löchern waren in ähnlicher Form in Holleins Deckeninstallation mit den Wassily-Stühlen zu sehen. Solche abstrakten, von Röhren durchstoßenen Konstruktionen, die über dem Boden schweben, zeigte Hans Hollein bereits bei seiner Ausstellung Architektur 1963 als kleine Metall-Beton-Modelle und Zeichnungen von utopischen Stadtgebilden.53 In dieser Ausstellung waren sie jedoch stark vergrößert und farbig gefasst. Durch die Verwendung der knalligen Farben und durch den Wechsel des Materials verloren die Konstruktionen ihren archaischen, monumentalen Charakter, der die Modelle aus den Jahren 1962–1963 kennzeichnete. Sie wirkten vielmehr verspielt und wie eine Pop-Art-Version von Holleins Metallmodellen. Zugleich führten sie seine These des Möbels als Stadtmodell vor Augen. An der Wand konnte man sich auf drei Wassily-Stühlen niederlassen und die Szenerie betrachten. Über das Foyer verließ man die Ausstellung wieder. Dort
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S. a. Kap. III.II. Weibel 2011a, S. 49–51.
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waren, gegenüber des Breuer-Möbelturmes auf der anderen Seite von Holleins zackigem Raumtrenner, noch zwei Arco-Stehlampen so aufgestellt, dass sie einen skulpturalen Bogen bildeten.54 Der Ausstellungskatalog, der von Noever und Tino Erben entworfen wurde, enthielt neben Texten von Griessmaier, Noever und Hollein Fotos der in der Ausstellung gezeigten Möbel und stellte diese vor.55 Er fungierte als Werbemittel für die Firma Svoboda und war nicht wie bei späteren Ausstellungen von Hollein integraler Bestandteil und Erweiterung der Schau. Das Ausstellungsplakat zeigte den WassilyChair in frontaler Ansicht mit schwarzer Druckfarbe auf grünem Hintergrund.56 Umrandet wurde der Stuhl von einem Quadrat aus weißen und schwarzen Linien, die eine optische Tiefenwirkung erzeugten. Dieses Motiv, allerdings ohne Stuhl, zierte auch das Cover des Kataloges. Die von Pop- und Op-Art inspirierte Ausstellungsgrafik hatte jedoch wenig mit der Ausstellungsgestaltung Holleins zu tun. Die Farbe Grün spielte darin keine Rolle und die geometrische Abstraktion war nicht derart präsent. Es ist anzunehmen, dass Tino Erben das Plakat entwarf, bevor das gestalterische Konzept der Ausstellung feststand.
Analyse »Raumpsychologisch ist die Ausstellung eine höchst komplex modulierte Falle, die allenthalben Aufregendes bietet.«57 Mit diesem Satz wies Otto Antonia Graf auf Hans Holleins durchdachtes Raum- und Farbkonzept hin. Mit verhältnismäßig einfachen architektonischen Mitteln und Materialien sowie durch Beleuchtung und Farbakzente gestaltete der Architekt den Ausstellungssaal und seine Nebenräume als Display für die wenigen, aber bewusst eingesetzten Exponate, die dadurch in ihren ästhetischen Eigenschaften zur Geltung kommen sollten. Zwei verschiedene Arten von Raum- und Farbkompositionen durchzogen als formale Leitthemen die Ausstellung. Sie traten am offensichtlichsten im Hauptraum in den zwei dominierenden Gebilden auf: Die brückenartige Gangway in den knallig bunten Primärfarben Rot, Blau und Gelb im Stil geometrischer Abstraktionen stand der rundplastischen Arena mit Drehstühlen, die von einem strengen schwarz-weißen Farbkonzept bestimmt wurde, gegenüber. Die Arena hatte ihr axiales Pendant in der runden schwarzen Wandnische mit den Kokonlampen, während der Gangway längs die rot-gelbe Bastiano-Installation gegenübergestellt war. Holleins drei Holzkonstruktionen, die Gangway, die Bastiano-Installation und die Treppenstruktur am Eingang in kräftigem Gelb und Rot, setzten starke Farb- und Formakzente in
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Abb. s. Hollein 1967, S. 24. Erben; Noever 1966. Erben, Tino: Plakat Selection 66, 1966 (Flachdruck auf Papier), PI 9652, Sammlung MAK, Wien. Graf 1967, S. 19.
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den schlicht gehaltenen Räumen mit weißen Wänden und hellbraunem Boden. Einige Möbelstücke wie Walter Pichlers Galaxy 1 mit rot-gelber Polsterung oder die roten Lambda-Metallstühle von Marco Zanuso im schmalen Wandschlitz und in der kreisrunden Nische spiegelten dieses Farbkonzept ebenso wider wie die farbigen Umrandungen der Schauöffnungen. Die übrigen Möbel trugen die neutralen Töne Schwarz und Weiß, ergänzt durch das Silber der Metallrohre. Die massiven, kantigen Formen der Holzkonstruktionen mit einigen runden Elementen bildeten einen starken Kontrast zu den größtenteils im Vergleich dazu filigranen Möbeln. Sowohl in der Farb- und Formgestaltung als auch in den Raumachsen ergaben sich Bezüge zwischen den Exponaten und Installationen, die zum räumlichen Gesamteindruck beitrugen. Liane Lefaivre sah die Ausstellung, wie viele andere auch, als bahnbrechend an und unterstrich ihre Nähe zur Kunstausstellung: »Hollein transferred the concept of installation from art curation and applied it to the exhibition of chairs […], with design objects set like art works in specially made architectural environments.«58 Hans Hollein präsentierte einige Objekte auratisch inszeniert wie den roten Lamda-Sessel im schmalen Gang. Diese Art der Inszenierung von Alltagsgegenständen durch das Display erinnert an die Ausstellung Machine Art im MoMA. Bei einigen Arrangements ging Hollein jedoch darüber hinaus, die Designobjekte wie Kunstwerke zu präsentieren: Er verband Ausstellungsstücke und Ausstellungsdisplays zu eigenen, installativen Kunstwerken oder, wie er es formulierte, »transformierte eine Auswahl wohlbekannter Möbel in überlebensgroße Skulpturen«.59 So benutzte er die Stühle, um Skulpturen wie den Turm aus Breuer-Möbeln im Foyer, das hängende Wassily-Objekt und die Holzkonstruktion mit darin integrierten Bastiano-Sesseln zu bauen. Auch arrangierte er Möbel zu theatral-atmosphärischen Ensembles wie bei den Drehstühlen im runden, einem Amphitheater ähnlichen Raum. Angesichts der spektakulären Raumsituationen wurden die Möbel als Ausstellungsobjekte dort zu Statisten. Bei diesen Präsentationen standen nicht die ästhetischen Qualitäten einzelner Objekte im Vordergrund, sondern der Gesamteindruck. Friedrich Achleitner fasste dies treffend mit den Worten zusammen: »Wenn man sich aber nach dem Besuch der Ausstellung fragt, welche Stühle man gesehen hat, muß man im Katalog nachblättern.«60 Nicht nur die Gestaltung des Displays und die Präsentation der Möbel waren für eine Museumspräsentation ungewöhnlich, auch die damit verbundene veränderte Rezeptionshaltung machte die Ausstellung im Wien der 1960er Jahre besonders: »Selection 66 nun ist sicherlich die ungewöhnlichste Möbelausstellung, die Wien in
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Lefaivre 2017, S. 230. Hollein, Hans: Webseite Hans Hollein. (Digitalisierte Fotografien und Texte) (1956–2014), ht tps://www.hollein.com/ger/Ausstellungen/Selection-66, (abgerufen am 13.11.2020). Achleitner 24.10.1966, S. 6.
IV. Szenografisch-künstlerische Ausstellungsinszenierungen
den letzten Jahren gesehen hat, so ungewöhnlich, daß man zögert, von einer Möbelausstellung zu sprechen.«61 Dieser Kommentar des Wiener Kulturjournalisten Harald Sterk belegt die große Überraschung, welche die Schau für Museumsgäste gewesen sein muss, die eine museale Präsentation von Designobjekten erwartet hatten. Hollein entwarf einen Erlebnisparcours aus Erfahrungsräumen und ließ das Publikum die Möbel in unterschiedlichen Kontexten entdecken und wahrnehmen. Mit den vielen Durchgängen und den Schauöffnungen weckte er deren Neugier, die titelgebende Designauswahl von 1966 zu erkunden. Durch die unterschiedlichen Größen, Breiten und Höhen der Räume schuf er immer wieder neue Situationen und Empfindungen. Der Betrachtende musste sich die Ausstellung erarbeiten, sie aktiv erkunden. Der Unterhaltungswert und die Schaulust spielten dabei eine wichtige Rolle. Peter Noever sprach davon, dass die Ausstellung auch ein Raum sein sollte, in dem man sich wohlfühlen sollte und Begierden geweckt werden sollten.62 Die didaktische Wissensvermittlung war kein Anliegen der Ausstellung. Dies zeigte sich unter anderem daran, dass die Objekte nicht beschriftet waren und der Ausstellungsplan nur die Eckdaten zu den Objekten wie Titel, Entwerfer und Objekttyp enthielt. Stattdessen standen ästhetische Anschauung und ein Lifestyle-Gefühl im Vordergrund. Dennoch war die Ausstellung insofern museal, da die Möbel bis auf einige Sitzgelegenheiten nicht berührt werden durften.63 Die in der Ausstellung dominierenden Farben Rot und Gelb waren damals, wie Noever erklärte, die Farben der Zukunft.64 Tatsächlich hatte Hans Hollein sie auch für seine Bauverkleidung des Kerzengeschäftes Retti, auf der eine Frau im Raumanzug zu sehen war, verwendet.65 Auch der Stoffbezug von Pichlers futuristischem Galaxy I in der Ausstellung war in diesen Farben gestaltet. Die ausschließliche Verwendung der Grundfarben Gelb, Rot und Blau sowie der Nichtfarben Schwarz und Weiß, wie auch der Rückgriff auf geometrische Grundformen wie Kreis, Quadrat und Dreieck, beispielsweise bei den Ausstellungspodesten, erinnern an grafische Entwürfe von El Lissitzky sowie an Wassily Kandinskys Gemälde und dessen Farbenlehre.66 So war es nicht verwunderlich, dass die nach Letzterem benannten Wassily-Stühle immer wieder in der Ausstellung auftauchten und wie ein Leitmotiv von der Decke herab über der Ausstellung schwebten. Die sehr durchdachte Weg- und Blickführung hatte Bezüge zu Ausstellungsgestaltungen von Herbert Bayer, der ein
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Sterk 30.10.1966, S. 4. Noever, Peter: Interview 05.11.2019. Ebd. Ebd. S. Abb. (links oben), in: Weibel 2011a, S. 162. Vgl. Hemken 1990, S. 54–67; Poling, Clark V.: Kandinsky-Unterricht am Bauhaus. Farbenseminar und analytisches Zeichnen dargestellt am Beispiel der Sammlung des Bauhaus-Archivs Berlin, Weingarten 1982, S. 45–106.
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Schüler Kandinskys war und wie dieser später am Bauhaus lehrte. Durch geschickten Einsatz des Displays wurde man durch die Ausstellung geleitet: Die Holzkonstruktion auf der Eingangstreppe zeigte mit ihrem gelben Pfeil den Beginn der Ausstellung an und fungierte zugleich als Raumtrenner. Der runde Raum mit den Drehsesseln lief schräg auf das Kaleidoskop zu und setzte dieses so in Szene. Die Wolkenlampen an der Decke wiesen den Weg zur Wandnische. Die brückenartige Gangway eröffnete die Möglichkeit die Ausstellung von oben zu betrachten und das »Field of Vision«, wie Bayer es nannte, zu erweitern. Die Idee, Objekte auf Peepshow-ähnliche Weise auszustellen, das heißt, dass sie nur durch ein Loch in der Wand betrachtet werden konnten, findet sich sowohl bei Herbert Bayer als auch bei Friedrich Kiesler, zum Beispiel bei Art of This Century.67 Bei Bayers Ausstellung Bauhaus 1919–1928, die 1938 im MoMA stattfand, gab es zudem einen Sehschlitz, der durch ein Auge und eine Hand gekennzeichnet war.68 Bei Hollein wurde das Auge selbst zum Guckloch. Die damals in österreichischen Museen ungewöhnliche Integration von Medien wie Musik und Dias ebenso wie die Präsentation von Mode machten die Schau zudem zu einer multimedialen Präsentation.69 Die Einbindung von Werken in einen künstlich geschaffenen architektonischen Raum verbunden mit einer Ton- und Lichtregie erinnern ebenfalls an Kieslers Art of This Century.70 Eine andere Parallele zu Gestaltungen der Vorkriegszeit ist, dass Josef Hoffmann bei der Ausstellung des Österreichischen Werkbundes 1930 für die Präsentation von Mode und Sport, die vermutlich im selben Museumsraum stattfand, die Wände mit der zeltartigen Konstruktion eines gefältelten weißen Velums verhüllte, das wie bei Selection 66 quadratische Öffnungen als Durchgänge aufwies.71 Diese diversen Bezüge und Parallelen zu Gestaltungen der Avantgarden, mit denen sich Hollein, wie in Kapitel II.II erläutert, beschäftigt hat, sind auffällig. Er hinterließ jedoch keine Aufzeichnungen über Inspirationsquellen für die Ausstellung. Die Besonderheit von Hans Holleins Selection 66 im Vergleich mit anderen musealen Designausstellungen wie den angesprochenen Schauen im MoMA und im MAK war das multimediale Display, in dem die Objekte mithilfe unterschiedlicher Präsentationsstrategien als ganzheitliches Raumerlebnis gezeigt wurden, sodass das Publikum aktiv in die Schau integriert wurde. Durch das farbliche Design und die Gestaltung des Displays ergab sich eine künstlerisch-architektonische 67 68
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Bogner 1988, S. 275. Eine Ausstellungsansicht mit einem Mann, der durch den Sehschlitz blickt, tauchte in diversen Publikationen zur Ausstellungsgestaltung der Zeit auf und könnte Hollein durchaus bekannt gewesen sein. Z.B. in: Franck 1961, S. 23; 1955 erschien auch die dt. Fassung des Ausstellungskatalogs: Bayer, Herbert; Gropius, Walter; et al. (Hg.): Bauhaus 1919–1928. MoMA Ausst.-Kat., Stuttgart 1938 1955. Abb. s.a. MoMA Photographic Archive, IN82.13. Noever, Peter: Interview 05.11.2019. S. Bogner 1988, S. 276–278. Abb. WV 324/I Sekler 1982, S. 421.
IV. Szenografisch-künstlerische Ausstellungsinszenierungen
Gesamtkomposition. Holleins Ausstellungsgestaltung ist daher nur bedingt mit Museumsausstellungen vergleichbar. Neben den aufgezeigten Bezügen zu inszenierten Ausstellungen der Avantgarden ähnelte sie vielmehr modernen Messe- und Großausstellungspräsentationen, wie sie zu dieser Zeit zum Beispiel auf den Mailänder Triennalen oder den Weltausstellungen zu sehen waren.72 Gestalter dieser Schauen wie der Designer Achille Castiglioni schufen kurzweilige, stark inszenierte Erlebnisausstellungen, die ein breites Publikum ansprechen und vor allem unterhalten sollten.73 Im Bereich der internationalen Messegestaltung zeichnete sich in den 1960ern der Trend ab, Ausstellungen zu intensivieren, zu dramatisieren, zu dynamisieren und dadurch das Publikum zur aktiveren Teilnahme zu bewegen, wie Wolfgang Clasen in seiner kommentierten Materialsammlung zu Ausstellungsgestaltungen der 1960er feststellte.74 Diese Ausstellungen waren Clasen zufolge publikumsorientiert ausgerichtet und die Tendenz ging in die Richtung, dass der Gast nicht durch zu viel Informationen überfordert werden dürfe. Stattdessen sollte das Publikum gezielt durch die Präsentation gelenkt werden. Komplexe Informationen und abstrakte Themen sollten anschaulich präsentiert werden. Die bei Selection 66 praktizierte Einbindungen von Projektionen war zu dieser Zeit in der Messegestaltung bereits verbreitet, wie Clasen darlegte. Schon bei der Expo 1964 in Lausanne wurde das Medium Film verstärkt eingesetzt. Bei der Weltausstellung in Montreal 1967 gab es dann kaum eine Ausstellung ohne Filme oder filmähnliche Projektionen. Multimediale Installationen waren im Trend. Gewöhnliche Filme und die bisher bekannten Simultanprojektionsverfahren, wie bei Selection 66 verwendet, galten im Messebereich schon als konventionell, wie Clasen schrieb. Auch die Einbindung von Elementen der Pop- und Op-Art sowie von kinetischen Attraktionen sei zu dieser Zeit bei Präsentationen für Firmen und auf Messen modern gewesen.75 Die poppig bunte Farbgebung in der Ausstellung und Details wie die CocaCola-Flasche im Le Corbusier-Raum können in Holleins Ausstellung als Verweise auf die Pop-Art gesehen werden. Die Verwendung geometrischer Formen und die Einbindung des Kaleidoskops wiesen zudem eine Nähe zur Op-Art auf. Tino Erbens Ausstellungsgrafik trug mit dazu bei, dass einige der Ausstellungsbesprechungen der Schau Anleihen bei der Pop- und Op-Art bescheinigten.76 Holleins Ausstellung war vor allem deshalb ungewöhnlich, weil sie Präsentationsprinzipien aus Erlebnis- und Warenwelten für eine museale Ausstellung adap-
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S. Clasen 1968, S. 62–155. Vgl. z.B. die Ausstellung Vie d’acqua da Milano al mare 1963 im Palazzo Reale, Mailand, die von Achille Castiglioni gestaltet wurde; in: Ferrari, Paolo: Achille Castiglioni, Paris 1985, S. 82–87. Clasen, Wolfgang: Ausstellungen und Messestände, Stuttgart 1968. Clasen 1968. S. 16–20. Feuerstein 11.10.1966, S. 9; Prader, Herbert: Architekt Hans Hollein zeigt in Wien Ausstellung Selection 66. Kleine Zeitung Graz, 06.11.1966, S. 13.
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tierte und durch das Display verschiedene Präsentationstypen zu einer Gesamtdramaturgie verband. Die Ausstellungsobjekte wurden in ein raumgreifendes, gestalterisch durchkomponiertes Szenario eingebunden, in das er subtile Anspielungen und Verweise auf vergangene, aktuelle und eigene Werke einfügte. Durch seine Orientierung an Trends der populären und kommerziellen Ausstellungsgestaltung, der zeitgenössischen Kunst und der Kunst der historischen Avantgarden sowie der Populär- und Musikkultur präsentierte sich Hollein in Wien als Gestalter einer modern inszenierten Schau in einem renommierten Museum.
Rezeption Die Ausstellung war ein Erfolg und wurde aufgrund des großen Interesses um einen Monat verlängert. Bis Ende November 1966 sahen über 12.000 Personen die Schau – ein für das Museum ungewöhnlicher Besuchsrekord.77 Dazu trug die positive und in ihrer Besprechung erstaunlich präzise Berichterstattung der Wiener und österreichischen Zeitungen sowie des Radios und Fernsehens bei.78 Die Ausstellung erzeugte so viel Aufmerksamkeit, dass auch in deutschsprachigen Design- und Möbelzeitschriften im In- und Ausland lobende Besprechungen erschienen. Das Konzept eine kurzweilige und unterhaltsame Ausstellung zu machen, ging auf: So urteilte ein Journalist der Kärtner Zeitung: »Seine [Holleins] Ausstellung kann man gemächlich in einer Stunde ansehen und man verläßt sie erfrischt […] mit dem Gefühl, informiert und unterhalten worden zu sein.«79 Friedrich Achleitner kommentierte die Stimmung so: »Die Mittel der Ausstellung erzeugen ein eigenes ›Image‹, es ist großzügig, heiter, auf wienerisch: sehr positiv.«80 Otto Antonia Grafs Bericht war euphorisch: Er verglich die Ausstellung mit den bahnbrechenden Ausstellungen der Wiener Sezession, deren Gesamtkunstwerkcharakter er in Holleins Ausstellung widergespiegelt sah.81 Der Wiener Kunstkritiker Peter Baum äußerte sich ebenfalls sehr lobend zur Ausstellung: Die […] Exposition kann als die seit Jahren exklusivste und einprägsamste Ausstellung dieser Art in Österreich bezeichnet werden. Sie beeindruckte in gleicher Weise durch ihre architektonische Kühnheit, ihren Experimentiercharakter und den der räumlichen Gestaltung und Aufteilung zugrunde liegenden Ideenreichtum.82
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Ohne Verfasser: Selection 66: Riesenerfolg. Kronenzeitung, 23.11.1966, S. 7. Es wurden Sammlungen von Presseartikeln zu Selection 66 aus dem Archiv Hans Hollein, Az W und dem Archiv des MAK ausgewertet sowie weitere Artikel recherchiert; insges. rd. 35 relevante Artikel. Spalt 11.11.1966, S. 6. Achleitner 24.10.1966, S. 6. Graf 1967, S. 19. Baum, Peter: Selection 66. Möbel im Stil unserer Zeit, Alte und Moderne Kunst, Nr. 90 (1967), S. 51.
IV. Szenografisch-künstlerische Ausstellungsinszenierungen
Auch andere Rezensionen beschrieben die Ausstellung wegen ihres Raumcharakters als eine der innovativsten Schauen der letzten Jahre in Österreich und gebrauchten dafür Begriffe wie »revolutionär«, »völlig neuartig«, »ungemein formschön«, »sensationell«, »vorbildlich«, »zeitgemäß«, »gelungenes Experiment«. Vielfach wurde Hollein, der kurz zuvor bereits mit der Gestaltung des Kerzengeschäftes Retti für Aufmerksamkeit gesorgte hatte, großes Talent bescheinigt und die Ausstellung als sehr sehenswert empfohlen. Im Gegensatz zu internationalen Messetrends scheint die objektbezogene Art der Ausstellungspräsentation in Österreich zu dieser Zeit sowohl in Museen als auch bei Messen noch sehr verbreitet gewesen zu sein, da viele Besprechungen der Ausstellung mit einer Kritik des österreichischen Ausstellungswesens verbunden waren. So schrieb der Wiener Architekt Herbert Prader in seiner Rezension: »Der Besuch müßte allen jenen zur Pflicht gemacht werden, die über die fade, pseudorepräsentative Art, in der Österreich inner- und außerhalb seiner Grenzen auszustellen pflegt, zu befinden haben.«83 Feuerstein ergänzte: Der Besucher kommt nicht direkt zur Betrachtung eines isolierten Einzelstücks, sondern erst über das Erfassen eines komplexen räumlichen Zusammenhangs entdeckt er den gemeinten Gegenstand. Dieses scheinbare Hindernis der Mitteilung erweist sich […] als wertvolles Mittel, um letztlich zu einer intensiveren Aufnahme des Gegenstands zu kommen. Für Österreich vielleicht ein Impuls, um aus dem konventionellen Messe- und Ausstellungswesen herauszufinden.84 Holleins Ausstellung überzeugte das Publikum und die Kritik durch ihr innovatives Konzept. 1968 wurde ihm der Preis für Ausstellungsgestaltung bei der III. Grafikund Ausstellungsdesign-Biennale in Brünn trotz großer Konkurrenz durch Beiträge zur Weltausstellung in Montreal verliehen. Die international zusammengesetzte Jury zeichnete von Einsendungen aus der ganzen Welt jene herausragenden Beiträge aus, die mit »einfachsten optischen Mitteln, geistiger Prägnanz und geringem Materialaufwand einfache Themen überzeugend darstellten«.85 Hans Hollein, der durch Studium und Lehraufträge viel Zeit in den USA verbracht hatte und allgemein sehr gut über neueste Trends informiert war, brachte moderne Gestaltungstechniken aus dem Bereich kommerzieller und populärer Schauen in seine Heimatstadt, die in den 1960ern nur langsam den Anschluss an internationale Entwicklungen fand. Trotz des großen Erfolgs knüpfte das MAK nicht daran an und zeigte im Anschluss wieder hauptsächlich institutionelle Schauen, die vom Museumspersonal, je nach Anforderungen in technischer Hinsicht unterstützt von einem Architekturschaffenden, arrangiert wurden. Holleins Ausstellungsinszenierung blieb im Museum für angewandte Kunst in den 1960er Jahren einzigartig. Eine vergleichbare 83 84 85
Prader 06.11.1966, S. 13. Feuerstein 11.10.1966, S. 9. Neuburg; Burtin; et al. 1969, S. 23.
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Inszenierung von Möbeln hat es dort in der Zeit davor und danach nicht gegeben. Die Ausstellung stellte somit eine Besonderheit in der ansonsten an Prinzipien der »guten Form« orientierten Ausstellungspolitik des Museums in dieser Zeit dar.86 Mit dieser Schau qualifizierte sich Hans Hollein für den Auftrag der österreichischen Regierung, den nationalen Beitrag auf der Mailänder Triennale zu gestalten.
IV.I.II
Austriennale 1968
Die Austriennale war der österreichische Beitrag zur XIV. Triennale in Mailand, die vom 30. Mai bis 28. Juli 1968 stattfinden sollte. Die 1933 gegründete Mailänder Triennale war eine alle drei Jahre veranstaltete Design- und Architekturausstellung mit Länderbeiträgen. In den 1950er und 1960er Jahren war sie die wichtigste europäische Schau für angewandte Kunst, moderne Industrieprodukte und Architektur und zeigte dabei auch neueste Tendenzen der Ausstellungsgestaltung.87 Der italienische Architekt und Leiter der XIV. Triennale Giancarlo de Carlo hatte den Anspruch, die Schau zu modernisieren.88 Sein Plan war es, die Designavantgarde stärker einzubinden und sich damit von den reinen Produktausstellungen in Vitrinen und Leistungsschauen moderner Formgebung der früheren Triennalen zu distanzieren. In den 1950er Jahren war die auratische Präsentation von Design bei der Mailänder Triennale vorherrschend. Oft wurden beleuchtete Vitrinen für die Präsentation der Gegenstände verwendet. Kleinere Objekte wie Geschirr wurden auf langen Tischen nebeneinandergestellt. Die Displaygestaltung war zurückhaltend und hatte eine den Objekten dienende Funktion. Erst ab 1964 wurden assoziative Inszenierungstendenzen sichtbar, die jedoch inhaltlich immer noch stark mit dem Gedanken von nationalen Leistungsschauen und der bereits im Kontext der Designpräsentationen des MoMA erläuterten Idee der »guten Form« verbunden waren.89 Statt nur aktuelle Tendenzen des Designs aufzuzeigen, stellte de Carlo die Ausstellung unter ein soziologisches Leitthema: Das Motto Die große 86
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Ähnlich visionär zeigte sich das Museum nur, als sie 1969 Coop Himmelblau die Möglichkeit gaben eigene pneumatische Apparate und Prototypen zu zeigen: Bau Cooperative Himmelblau, Prix, Holzer, SWI. Architekturmaschinen. Countdown. Testgeräte, 20.06.-29.06.1969, MAK. Als Peter Noever 1986 Direktor des MAK wurde, konzipierte er die Schausammlung neu und ließ Kunstschaffende und Kuratierende in Kooperation die Säle inszenieren. Die entstandenen szenografisch-künstlerischen Inszenierungen standen in der Tradition von Selection 66. Vgl. dazu Düchting, Susanne: Künstlerintervention im Museum für Angewandte Kunst, Wien, in: Sturm (Hg.): DESIGN retour, Essen 2000, S. 91–98. S. a. Hauffe, Thomas: Geschichte des Designs, Köln 2014, S. 198–201. Zum Konzept der Schau s. Vannucchi, Frederica: The Contested Subject: The Greater Number at the 1968 XIV. Triennale of Milano, in: Pelkonen (Hg.): Exhibiting Architecture, New Haven Connecticut 2015, S. 109–119. Diese Einschätzungen beruhen auf der Sichtung der Ausstellungsansichten der Triennalen X.-XIV. im digitalen fotografischen Archiv (s. Digitale Archive im Quellenverzeichnis): Trien-
IV. Szenografisch-künstlerische Ausstellungsinszenierungen
Zahl sollte Herausforderungen der modernen Massengesellschaft thematisieren. Die von de Carlo kuratierte internationale Hauptausstellung lieferte das konzeptuelle Gerüst zum Thema und beschäftigte sich vornehmlich mit Architektur und Urbanismus. Rund 15 Persönlichkeiten aus dem Architekturbereich, darunter Yona Friedmann und Arata Isozaki sowie Architekturgruppen wie Archigram und Team 10, waren eingeladen, ihre Auffassung des Themas durch eine Komposition aus eigenen oder fremden Werken darzustellen.90 Rund um diese avantgardistische Hauptausstellung wurden 14 Länderbeiträge gezeigt. Den teilnehmenden Nationen wurde die Einhaltung des Themas freigestellt, aber sehr empfohlen.91 Das österreichische Triennalekomitee war zunächst wenig angetan von diesem Ausstellungskonzept, bei dem ein Thema und nicht die Qualität und Formgebung der Produkte im Vordergrund stand.92 Vier Jahre zuvor war Österreichs Beitrag noch ganz auf die Präsentation formschöner Produkte ausgerichtet, die auf eigens dafür entworfenen runden Tischen auratisch präsentiert wurden.93 Aus grundsätzlichen Überlegungen politischer und wirtschaftlicher Natur entschied man sich dennoch zur Teilnahme.94 Zum österreichischen Regierungskommissär wurde, wie bereits 1964, Generalkonsul Franz Joseph Haslinger ernannt.
Konzeption Haslinger ersuchte Hans Hollein bei einer Besprechung am 14.11.1967, einen Vorschlag für die österreichische Sektion zu machen. Etwa zehn Tage später reichte Hollein ein Exposé mit grundsätzlichen Ausführungsvorschlägen ein.95 In diesem
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nale Mailand 1933–1996; vgl. a. Blauensteiner, Charlotte: Mailand: XIII. Triennale 1964. Überfluß und Mangel, Alte und Moderne Kunst, Nr. 77 (1964), S. 47. Zu den Beiträgen der Hauptausstellung s.a. Wieder, Axel J.: Verhandlungsräume. Zur Rolle von Architektur in Ausstellungen, in: John; Richter; et al. (Hg.): Re-Visionen des Displays, Zürich 2008, S. 170–176. Triennale Mailand: Programm und Satzung Vierzehnte Triennale di Milano, 1968 (Druck), HN-031-001-Dok, Archiv Hans Hollein, Az W, Wien. o. S. Vertreterinnen und Vertreter der vier Träger der Ausstellung (Bundesministerium für Handel, Gewerbe und Industrie, Bundesministerium für Unterricht, Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft, Stadt Wien) stellten das Triennalekomitee. Blauensteiner 1964, S. 46; Abb. s. digitales fotografisches Archiv der XIII. Triennale Mailand 1964, Austria: Triennale Mailand 1933–1996, (TRN_XIII_FF_0007). Bundesministerium für Handel, Gewerbe und Industrie: Resumé-Protokoll der 13. Sitzung des Vorbereitenden Triennale-Komitees am 06.02.1968, 21.03.1968 (Typoskript), HN-031-013Dok, Archiv Hans Hollein, Az W, Wien, S. 1–7. Zur Chronologie der Ereignisse: Hollein, Hans: Bericht des Architekten an den Regierungskommissär über die geleisteten Arbeiten, 12.09.1968 (Typoskript), HN-031-013-Dok, Archiv Hans Hollein, Az W, Wien, S. 1–11.
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Vorkonzept stellt er erste Überlegungen zum Thema an.96 Er merkte zunächst an, dass das Thema Die große Zahl vom Veranstalter nicht klar definiert worden sei. Voraussichtlich würden die naheliegenden Assoziationen dazu bereits in der Hauptausstellung, von der Hollein eine hohe Qualität erwartete, abgehandelt werden. Er beurteilte die Lage der rund 170 Quadratmeter großen Ausstellungsfläche von Österreich als günstig, da sie am Rand der Hauptausstellung am Übergang zu den nationalen Sektionen lag. Als grundsätzliche Ziele der österreichischen Beteiligung, die ihm vermutlich bei seinem Treffen mit Haslinger erläutert worden waren, nannte er Anwesenheit, Aufmerksamkeit, den Wunsch einer Prämierung und die Abkehr von einer Schau formschöner Produkte. Dennoch sollten österreichische Produkte integriert werden. Nach Holleins Idee sollte Österreichs Beitrag keine Fortsetzung der Hauptausstellung sein, sondern unabhängig und auf sich selbst bezogen. In diesem Vorkonzept formulierte der Ausstellungsgestalter bereits die grundsätzliche Idee der Ausstellung: »Der Raum ist Ausstellungsobjekt an sich. […] in so einem Raumobjekt [könnten] eben verschiedene, assoziative Aspekte der Thematik angeschnitten werden.«97 Das Publikum solle diese Aspekte in psychischen und physischen Situationen erleben. Dabei schien ihm eine leichte Ironisierung wünschenswert, da er glaubte, dass die anderen Beiträge das Thema sehr ernst behandeln würden. Er stellte im Vorkonzept auch bereits einige konkrete Ideen wie die Darstellung Österreichs als Supermarkt mit einem symbolischen Massenprodukt vor, die in der Ausstellung später umgesetzt wurden. Am 05.12.1967 teilte Haslinger Hollein mündlich mit, dass sein Vorkonzept aus drei Vorschlägen ausgewählt worden sei. Anfang Februar 1968 präsentierte Hollein Haslinger daraufhin mehrere räumliche Vorschläge: Er hatte sieben verschiedene Varianten skizziert, darunter Ideen den Raum als Tribüne, Labyrinth oder mit Gängen zu gestalten.98 Hollein und Haslinger entschieden sich für eine Variante mit parallelen Gängen und stellten die Idee am 06.02.1968 dem Triennalekomitee vor. Hollein erklärte: »Gedacht sei an ein Raumbild, das – in gewisser Anlehnung an österreichische Literatur (Kafka) – durch endlose Gänge und viele Türen die Gleichförmigkeit der großen Zahl und die Einsamkeit des Individuums in diesem Rahmen ausdrückt.«99 Für die Einbindung von österreichischen Produkten präsentier96 97 98
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Hollein, Hans: Konzept einer österreichischen Beteiligung an der 14. Triennale von Mailand, 24.11.1967 (Typoskript), HN-031-013-Dok, Archiv Hans Hollein, Az W, Wien, S. 1–5. Ebd., S. 3. Atelier Hans Hollein: Skizzen und Pläne Varianten »Tribüne«; »Labyrinth«; »Kreisräume«; »Gänge zu Räumen«; »Gänge zu zentralem Raum«; »Parallele Gänge«; »mit Scheiben«, JanFeb 1968 (Bleistift; Buntstift; Filzstift; auf Transparentpapier), HN-031-005-P–HN-031-011-P, Archiv Hans Hollein, Az W, Wien. Bundesministerium für Handel, Gewerbe und Industrie: Resumé-Protokoll der 13. Sitzung des Vorbereitenden Triennale-Komitees am 06.02.1968 (Typoskript), Archiv Hans Hollein, Az W, S. 2.
IV. Szenografisch-künstlerische Ausstellungsinszenierungen
te er zwei Vorschläge, die auch kombinierbar seien: zum einen die Erzeugung eines Produktes vor Ort durch einen Extruder, zum anderen die Idee eines Supermarktes mit österreichischen Produkten. Außerdem schlug Hollein vor, Informationen über Produkte in einem außergewöhnlich gestalteten Katalog unterzubringen. Das Triennalekomitee zeigte sich mit diesen Vorschlägen einverstanden und ließ dem Kommissär und dem Ausstellungsarchitekten freie Hand. Hans Hollein wurde Mitte März von der Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft offiziell mit der Gestaltung der Ausstellung beauftragt und begann mit der detaillierten Planung der Schau.100 Sein Ziel war es, die Gäste auf amüsante Weise zum Nachdenken über die Probleme der großen Zahl anzuregen. Diese konzeptuelle Entscheidung traf er vor allem aufgrund der Lage der österreichischen Ausstellungsfläche am Ende des Rundgangs, nachdem man das meiste schon gesehen hatte, und der bei einer Messe zu erwartenden Heterogenität des Publikums. Holleins ironisch-humorvolle Behandlung des Themas mit Anspielungen auf Österreichklischees unterschied seinen Beitrag von vielen anderen: In der Hauptausstellung wurden sowohl utopische Ideen als auch konkrete Lösungsansätze für die Stadt der Zukunft gezeigt. Andere Beiträge beschäftigten sich mit ernsten Themen wie den Folgen des Atombombenabwurfs auf Nagasaki bei Arata Isozaki, der Konsumgesellschaft bei UFO oder der Bevölkerungszunahme bei Shadrach Woods.101 Ernste Themen wie Bevölkerungsexplosion oder Entsorgungsprobleme klangen bei der Austriennale zwar auch an, wurden aber durch die unterhaltsame und vereinfachte Darstellung abgeschwächt. Gemäß Holleins Konzept sollten sowohl bei einem flüchtigen Durchgang Phänomene der großen Zahl mit wenigen Blicken erfasst werden können, als auch bei eingehenderer Betrachtung immer wieder neue und vertiefende Blickwinkel auf das Thema ermöglicht werden.102 Man sollte sich die Ausstellung beim Hindurchgehen selbst erarbeiten und dabei physisch und psychisch mit dem Thema konfrontiert werden.103 Die Ausstellung richtete sich demnach an ein Massenpublikum mit ganz unterschiedlichen Hintergründen und Interessen. Die Unterhaltung eines von Eindrücken bereits gesättigten, vielleicht erschöpften Publikums stand im Fokus der
100 Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft: Vertrag Hans Hollein, 14.03.1968 (Typoskript), HN-031-013-Dok, Archiv Hans Hollein, Az W, Wien, S. 1–4. 101 S. Nicolin, Paola: Beyond the Failure. Notes on the XIVth Triennale, Log, Nr. 13–14 (2008), S. 88–90. 102 Ohne Verfasser: Presseinformation: Vorschau auf die XIV. Triennale in Mailand 1968, 1968 (Typoskript), Projekt Nr. 31, bei Skizzen in orangefarbener Mappe, Privatarchiv Hollein, Wien, S. 2. 103 Konzepttext zur Ausstellung: Hollein 1968b, o. S.
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Schau.104 Das Raumerlebnis war Holleins Konzept zufolge ein Bestandteil der Aussage zum Thema, dem die einzelnen Exponate untergeordnet waren.105
Gestaltung Die im Vergleich zu anderen Beiträgen kleine österreichische Sektion befand sich im ersten Stock des Palazzo dell’Arte am Rande der Hauptausstellung.106 Sie war von drei Seiten zugänglich und grenzte an die tschechoslowakische und italienische Sektion sowie einen Beitrag zur internationalen Hauptausstellung an. Von der italienischen Sektion aus sah man einen gelb leuchtenden »Austria«-Schriftzug über weißen Eingangstüren, die mit einem schräg nach oben verlaufenden dekorativen Balken in roter Farbe versehen waren.107 Betrat man die Austriennale über den Haupteingang von der internationalen Ausstellung aus, sah man sich mit einem langen, schräg zulaufenden Gang konfrontiert, von welchem eine lange Reihe gleicher Aluminiumtüren abging. Aluminium hatte Hollein bereits für die Gestaltung der Fassade seines Kerzengeschäftes Retti verwendet. Hinter den Türen befanden sich Gänge, die an ihrem Ende von weiteren Türen verschlossen wurden. Diese bildeten den Durchgang zur italienischen Sektion. Die räumliche Gestaltung mit 18 Türen an jeder Seite bot bereits beim Betreten der Ausstellung die erste Konfrontation mit vielfältigen Aspekten des Themas Die große Zahl wie Monotonie und Massenproduktion. Zugleich wurde man vor die Wahl gestellt, welche Tür man öffnen wollte. In den 17 nach hinten länger werdenden Gängen sollten verschiedene Aspekte des Themas Masse und Individuum, teilweise in Zusammenhang mit spezifischen österreichischen Phänomenen, erfahrbar werden. Vom österreichischen Ausstellungsbereich aus konnte man sich über je zwei brillenartige Gucklöcher in den Türen zunächst von außen einen Eindruck vom Inhalt der Gänge verschaffen. Die ersten sechs Gänge vom Eingang aus gesehen waren leer und dienten als Passage zur italienischen Sektion und als Mittel der Vereinzelung der Gäste, die jedoch durch kreisförmige Öffnungen in den Zwischenwänden in die anderen Gänge blicken und einen schlichten »Austriennale«-Schriftzug in roten Großbuchstaben lesen konnten. Im siebten Gang wurden die Themen Isolation und Individualisierung dargestellt. Der Gang mit dunklen Wänden war eine Sackgasse und wurde nur am Ende von einem kleinen runden Blinklicht an der Wand beleuchtet. Der Journalist Kurt Jirasko interpretierte das Licht am Ende des Ganges als Todesdarstellung.108
104 Konzepttext zur Ausstellung Hollein 1968b, o. S. 105 Ohne Verfasser: Presseinformation: Vorschau auf die XIV. Triennale in Mailand 1968 (Typoskript), Privatarchiv Hollein, S. 2. 106 S. Ausstellungsplan in: Nicolin 2008, S. 89. 107 Viele Ausstellungsansichten in: Hollein 1968b, o. S. 108 Jirasko, Kurt: Triennale Mailand. Bauforum, Nr. 9–10 (1968), S. 11.
IV. Szenografisch-künstlerische Ausstellungsinszenierungen
Abb. 8: Austriennale, Axonometrie
Quelle: Privatarchiv Hollein
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Die Architektur der Inszenierung
Abb. 9: Austriennale, Mittelgang mit Türen und Gucklöchern
Quelle: Privatarchiv Hollein, Foto: Franz Hubmann
Damit demonstrierte Hollein, wie mit den einfachen Mitteln Licht und Farbe räumliche Atmosphären geschaffen werden können, die Emotionen auslösen. Ähnliches hatte er bereits bei Selection 66 vorgeführt. Wenn man die Tür von der italienischen Sektion aus öffnete, waren dort vermutlich Fotos von Personen mit dem Nachnamen »Österreicher« zu sehen, welche die österreichische Bevölkerung stellvertretend repräsentieren sollten. Dafür hatte Hollein mithilfe der Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft Landsleute mit diesem Namen angeschrieben und um die Erlaubnis gebeten, ein Foto von ihnen anfertigen lassen zu dürfen.109 Im nächsten Gang ging es sinnbildhaft um die wissenschaftliche Erforschung der Großen Zahl: Man konnte einen Blick durch ein Mikroskop werfen und dadurch Die große Zahl im Mikrokosmos erfahren. Vermutlich waren unter dem Mikroskop Schneekristalle zu sehen, die auch im Katalog abgebildet waren.110 Ein über dem Mikroskop stehender Fernseher zeigte wahrscheinlich ebenfalls die Kristalle, sodass mehrere Personen gleichzeitig etwas sehen konnten. Auf der anderen Seite des Ganges führte eine Treppe als Sackgasse zur Decke und ließ das Thema der Ausweglosigkeit spürbar werden. Im neunten Gang demonstrierte Hollein das aktuelle Thema der Bevölkerungszunahme in Österreich vom damaligen Zeitpunkt bis zur Jahrtausendwende: Der breite Gang verengte sich entsprechend einer Wachstumskurve.
109 Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft: Brief an »Österreicher«, 12.04.1968 (Typoskript), HN-031-013-Dok, Archiv Hans Hollein, Az W, Wien; von diesem Teil gibt es keine Fotos, allerdings legt folgender Bericht nahe, dass dieses Thema in der Ausstellung zu sehen war: Dittert, Karl: Wie weiter? XIV. Triennale Mailand, Md Möbel Interior Design, Nr. 10 (1968), S. 46. 110 Vgl. ebd., S. 46.
IV. Szenografisch-künstlerische Ausstellungsinszenierungen
In der Mitte verjüngten sich die Wände so stark, dass man sich hindurchzwängen musste und die Auswirkungen des Wachstums körperlich spüren konnte. Darauf folgte eine leere Passage, die gleichzeitig den Notausgang für den darauffolgenden Korridor bildete.111 In diesem elften Gang befanden sich drei Türen. Die erste und letzte ließen sich jeweils nur in eine Richtung öffnen. Um seinen Weg fortsetzen zu können, war man gezwungen die sogenannte »Frustrationstüre« zu passieren.112 Diese surrealistische Holztüre war an beiden Seiten von oben bis unten mit je drei Reihen von Türgriffen besetzt, von welchen aber nur einer die Tür öffnete. Verlor man die Geduld, bestand die Möglichkeit, durch den eben erwähnten Notausgang in Form einer abstrakten menschlichen Silhouette in die danebenliegende zehnte Passage zu treten.113
Abb. 10: Austriennale, Gang mit »Schneesturm«
Abb. 11: Austriennale, Gang mit Akten
Quellen: Privatarchiv Hollein, Foto: Franz Hubmann
Im zwölften Gang sollte man das Thema Gedränge und Raumverknappung körperlich wahrnehmen. Hollein verschmälerte den Gang, indem er ihn mit Ausbuchtungen aus grünen Schaumgummirollen versah, durch die man sich hindurchzwängen musste. In den nächsten drei Gängen beschäftige sich Hans Hollein ironisch
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Konzepttext zur Ausstellung, in: Hollein 1968b. o. S. Ebd., o. S. Abb. in Farbe s.a. Weibel 2011a, S. 140.
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mit »Schnee als österreichisches Massenprodukt« – wie die Beschriftung in goldenen Lettern an der Glaswand im mittleren Gang lautete. Ein mittels eines Klimagerätes gekühlter Korridor war zu beiden Seiten mit Glasscheiben versehen, durch die man in die daneben liegenden Gänge blicken konnte, in denen ein Schneesturm aus Styroporkügelchen tobte. Durch einen weißen Teppich auf dem Boden, der auf weichem Untergrund verlegt war, sollte die Illusion, über Schnee zu gehen und darin einzusinken, gesteigert werden. Die Gänge mit dem Schneegestöber waren nicht passierbar. Vielleicht konnte man seinen Kopf durch eine Öffnung stecken und sich, wie im Konzepttext erwähnt, einen Schneesturm um die Ohren wirbeln lassen.114 Dieser technisch äußerst aufwendige 14. Raum bot das stärkste physische Erlebnis der Ausstellung, das sowohl über das haptische Bodengefühl als auch die Temperatur vermittelt wurde. Wenn man die Tür des 13. Ganges, in dem das Schneegestöber tobte, öffnete, wurde der Weg von einem Spiegel versperrt und man wurde plötzlich mit dem eigenen Spiegelbild konfrontiert. Hinter der Tür des 15. Ganges hingen vor einer weißen Wand, die den Gang verschloss, zwei Spraydosen mit Schnüren von der Decke. Es handelte sich um Svobodair-Spray, das Hollein gemeinsam mit Peter Noever entwickelt hatte.115 Das von der Möbelfirma Svoboda gesponserte Raumspray mit Duft wurde als »revolutionary and new way to change and improve office environment« beworben und auf der Austriennale erstmals präsentiert.116 Es führte Holleins und Noevers Gedanken zur Bedeutung der Büroumgebung aus der Ausstellung Selection 66 fort. Nach dem Schneegang beschäftigte sich auch der vorletzte Gang mit einem österreichischen Massenphänomen, der Bürokratie. Dieser Gang war mit sieben Metern deutlich höher als die anderen. In Regalen standen vom Boden bis zur Decke Aktenordner des österreichischen Herstellers Bene. Hier wurde nach dem ersten Erlebnis der Vielzahl von gleichen Aluminiumtüren eine weitere kafkaeske Erfahrung geboten, die in der Zeitschrift The Architectural Review als »albtraumartiger Tunnel« beschrieben wurde.117 Der letzte Gang war schließlich doppelt so breit wie die anderen und verfügte über jeweils zwei Türen an beiden Enden. Er war als Supermarkt mit einem Drehkreuz und Regalen gestaltet, in denen schematisierte Produkte standen. Dahinter wurde das Thema der Entsorgung dieser Produkte dargestellt, indem ein großer runder Abfallbehälter mit leeren Dosen gezeigt wurde – ein Beispiel für die Nachteile des Massenkonsums.
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Konzepttext zur Ausstellung, in: Hollein 1968b, o. S. Ob diese Idee realisiert wurde, konnte anhand der Fotografien und Zeichnungen nicht festgestellt werden. S. Branscome 2018, S. 199–203. Werbeanzeige in: Hollein 1968a, zw. S. 18 und 19. Ohne Verfasser: Austriennale. The Architectural Review, Nr. 860 (1968), S. 304.
IV. Szenografisch-künstlerische Ausstellungsinszenierungen
Neben diesem Erlebnisparcours bestand die Ausstellung noch aus zwei weiteren Teilen: einem Produktraum und einem Raum mit Spritzgussmaschine. In der den Aluminiumtüren gegenüberliegenden Wand befand sich ein pillenförmiger Durchgang, der in einen weiteren Raum führte. Dort wurde eine Auswahl österreichischer Produkte wie Brillen, Besteck und Radios präsentiert. Die gezeigten Produkte dienten zur Visualisierung des Themas der Warenvielfalt, waren aber zugleich exemplarische Exponate österreichischer Firmen. Die Selektion der Produkte traf Hollein unterstützt vom österreichischen Institut für Formgebung. Auswahlkriterien waren sowohl Qualität als auch Vielfalt.118 Nur eine Person konnte den halbkreisförmigen Raum betreten und stand dann in einer Plexiglaskuppel, welche die auf ansteigenden Stufen platzierten Produkte vor unerlaubten Zugriffen schützte.119 Die gelben blumenförmigen Stufen wurden von silbernen Skiern bekrönt, die in einer langen Reihe nebeneinander aufgestellt waren. Sie waren Ausstellungsobjekte und Dekoration zugleich. In diesem gelben Amphitheater war man von Produkten umgeben. Das Motiv des Amphitheaters verwendete Hollein bereits bei Selection 66. Dort war man von Drehstühlen umstellt. Ging man den mit blauem Teppichboden ausgelegten Hauptgang zurück in Richtung des Haupteinganges der österreichischen Sektion, befand sich links neben diesem Eingang noch ein Raum mit dunkelblauen Wänden. Dieser Raum konnte auch direkt über einen Durchgang zur sowjetischen Sektion betreten werden. Dort wurde erneut das Thema der Massenproduktion aufgegriffen: Hinter einer orange-roten Sitzbank stand eine blaue Spritzgussmaschine, die alle 15 Sekunden eine rot-transparent-rote Österreichbrille aus Polystyrol erzeugte.120 Jeder konnte sich als Lohn für die Absolvierung des Parcours eine in durchsichtigen Plexiglasschalen dargebotene Brille mitnehmen. Hollein entwickelte damit ein Werbegeschenk für sein Land. Die Brille hatte die Besonderheit, dass die Bügel nicht klappbar waren und man daher gezwungen war, sie entweder aufzusetzen, in der Hand zu halten oder wegzuwerfen. Dadurch sollte sich die Österreichwerbung über die gesamte Triennale ausbreiten und andere Gäste neugierig machen. Schon zur Selection 66 sprach Hollein davon, dass seine Ausstellung durch andere Medien wie Fernsehberichte über den Ausstellungsraum hinaus erweitert werden sollte.121 Die Extension setzte er diesmal materiell um. Er hatte diese besondere Werbemaßnahme entwickelt, als er bei einer Sitzung des internationalen Arbeitskomitees in Mailand erfuhr, dass die Hauptausstellung im Fokus stehe und die nationalen Bei-
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Atelier Hans Hollein: Information für Hostessen, 1968 (Typoskript), HN-031-008-Dok, Archiv Hans Hollein, Az W, Wien, S. 2. 119 Abb. s. Weibel 2011a, S. 140. 120 Abb. Brille s. ebd., S. 138. 121 Hollein 1967, S. 24.
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träge sowohl räumlich als auch faktisch an den Rand gedrängt und nicht beworben werden würden.122 Eine weitere Werbemaßnahme und integraler Bestandteil der Ausstellung war der dreisprachige, kleinformatige, von Hollein gemeinsam mit Tino Erben entworfene Ausstellungskatalog, der kostenlos an Interessierte ausgegeben wurde. Der Katalog enthielt Holleins Konzepttext, Ausstellungspläne und -ansichten sowie weiterführende Texte zum Thema von zwei Wissenschaftlern und einem Journalisten. Außerdem zeigte er von Hollein zusammengestellte Bilder zur Großen Zahl und zu Österreich. Der Katalog war wie ein Künstlerbuch gestaltet und erinnerte mit seinen assoziativen Bildzusammenstellungen an Holleins Manifest Alles ist Architektur, das kurz zuvor erschienen war. Der Katalog griff Themen und Motive aus der Ausstellung auf. Es gab Seiten mit Varianten von Schneeflocken auf blauem Grund, ein ausklappbares Alpenpanorama, Fotos von Menschenansammlungen und von Menschen mit dem Nachnamen »Österreicher«, deren Gesichter durch Seiten mit Löchern nach und nach sichtbar wurden.123 Über mehrere Seiten widmete Hollein sich mittels Collagen dem Thema des Verbrauchs eines Produktes anhand der österreichischen Zigarettenmarke Golden Smart. Auf den aufeinander folgenden Seiten wurde mit Fotos gezeigt, wie eine Zigarette dieser Marke immer weiter herunterbrennt. Danach war ein Foto von Varianten von Messern zu sehen, ergänzt durch comicartige Zeichnungen zu deren Anwendungsmöglichkeiten. Außerdem zeigte Hollein die Transformierung eines Produktes anhand einer Zeitung als Papierflieger, Fliegenklatsche und so weiter durch Fotos. Von Hollein selbst waren mehrere fotografische Porträts zu sehen. Das Buch war sehr aufwendig mit verschiedenen Papiertypen und -farben gestaltet. Immer wieder waren kreisrunde Löcher in das Papier gestanzt, die das Lochmotiv der Türen aufgriffen. Wie die Ausstellung spielte es mit Humor und Ironie auf Österreichklischees an und bot viele Assoziationsmöglichkeiten und weiterführende Denkanstöße. Der Katalog stellte somit eine Erweiterung und Vertiefung der Ausstellung im Printmedium dar.
Analyse Das Raumdesign beschränkte sich auf klare Formen, insbesondere Kreis und Pille. Wie bei Selection 66 verwendete Hollein für die Farbgestaltung wieder die Primärfarben Rot, Gelb und Blau sowie Weiß und den silber-grauen Ton der Aluminiumtüren. Ergänzend zur neutralen weißen Grundfarbe der Gänge und Passagen sorgte der blaue Teppichboden für eine angenehme Raumatmosphäre und die optische
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Bundesministerium für Handel, Gewerbe und Industrie: Resumé-Protokoll der 14. Sitzung des Vorbereitenden Triennale-Komitees am 01.03.1968, 21.03.1968 (Typoskript), HN-031-013Dok, Archiv Hans Hollein, Az W, Wien, S. 4. Abb. s. Erben 2001, S. 61–66.
IV. Szenografisch-künstlerische Ausstellungsinszenierungen
Verbindung der Ausstellungsbereiche. Mit Rot und Gelb setzte Hollein Farbakzente durch Umrandungen und Schriftzüge. Zum Beispiel war der pillenförmige Eingang zum Produktraum rot umrandet und über dem Eingang leuchtete ein gelber »Austria«-Schriftzug. Da sich die Ausstellung vor allem über ihr Raumkonzept darstellte, kam den Objekten nur eine dekorativ-sinnbildliche Bedeutung zu. Die wenigen exemplarischen Ausstellungsstücke wie die Aktenordner in den Gängen fungierten als Hilfsmittel, um die Aussagen zum Thema zu visualisieren. Nicht mehr einzelne Objekte, sondern der Raum selbst wurde zum Schaustück. Einzig die Produkte im Amphitheater-Raum waren nicht nur metaphorisch als Präsentation der Vielfalt der österreichischen Produktion ausgestellt, sondern auch aufgrund ihrer Designqualitäten. Diesen Bruch in der ansonsten modernen und innovativen Präsentation kritisierte Hollein selbst in der Deutschen Bauzeitung: »Vom Geldgeber als notwendig erachtet – nichtsdestoweniger überflüssig, der gestorbenen Triennale zugehörig: das Schaufenster österreichischen Industriefleißes.«124 In der Tat war dieser Teil eine an Schaufensterdisplays erinnernde Produktpräsentation, die wie ein Anhängsel an die sonst spektakuläre Gestaltung der Ausstellung wirkte. Dieser Bereich entsprach auch nicht Holleins ursprünglichem Konzept. Er hatte vorgesehen, österreichische Produkte im Supermarktgang zu zeigen, wurde aber von den Auftraggebern im späteren Verlauf der Planungen noch gebeten, dieses Konzept in Hinblick auf eine umfangreichere Produktpräsentation zu überarbeiten.125 Ein weiterer wichtiger Aspekt der Ausstellung – und der gesamten Triennale – war die Publikumsorientierung. Abgesehen von einigen Länderbeiträgen wie von Japan, Finnland oder Kuba, die weiterhin auratische Produktpräsentationen zeigten, war die Mailänder Triennale 1968 eine Schau moderner Ausstellungsgestaltungstechniken, die sich auf die Einbeziehung und Teilhabe des Publikums konzentrierten.126 Insbesondere die Beiträge der internationalen Ausstellung beispielsweise von Archigram oder Arata Isozaki, aber auch viele Länderbeiträge waren wie Holleins Austriennale spektakuläre Rauminstallationen oder assoziative Environments. Produkte, Texte und Schaubilder wurden durch Ausstellungsarchitektur, Licht und Projektionen inszeniert. Durch bewegliche Architekturen und benutzbare Gegenstände wurde das Publikum direkt angesprochen.127 Ein Beispiel war das 124 Hollein, Hans: Die Triennale 1968. Deutsche Bauzeitung, Nr. 10 (1968c), S. 802. Hollein wird nicht explizit als Autor des Textes angegeben, war aber der Wiener Korrespondent der Zeitung. 125 Bundesministerium für Handel, Gewerbe und Industrie: Resumé-Protokoll der 13. Sitzung des Vorbereitenden Triennale-Komitees am 06.02.1968 (Typoskript), Archiv Hans Hollein, Az W, S. 1–7. 126 Wieder 2008, S. 172. 127 Ausstellungsansichten s. digitales fotografisches Archiv der XIV. Triennale Mailand 1968, Mostra del Grande Numero: Triennale Mailand 1933–1996, https://archivi.triennale.org/en/ar
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in der Hauptausstellung gezeigte Ausstellungsdisplay der Amerikaner Saul Bass und Herb Rosenthal, das thematische und formale Ähnlichkeiten zu Holleins Bürokratiegang aufwies: Das Designer-Architekten-Duo zeigte vier riesige Schränke mit Schubladen, die geöffnet werden konnten, um darin verschiedene unerwartete Gegenstände zu finden.128 Die hohen Schränke bildeten einen Raum, in dem ein Film über Kreativität vorgeführt wurde. Sowohl das kafkaeske Motiv der riesigen Schränke beziehungsweise Regale, die einschüchternd gewirkt haben müssen, als auch die Möglichkeit durch das Öffnen von Schubladen beziehungsweise Türen in direkte Interaktion zu treten, zeichneten beide Installationen aus. Auch futuristische Multimediainstallationen aus Ton und Projektionen waren häufig zu sehen. Somit kam den Ausstellungsverantwortlichen, die hauptsächlich aus dem Architektur- und Designbereich kamen, eine wichtige Rolle bei der Entwicklung neuer Präsentationsformen jenseits statischer Produktpräsentationen zu. Ideenorientierte Konzeptionen, der Einsatz von Multimedia, installative Rauminszenierungen und der aktive Einbezug des Publikums durch assoziative Bilder und Raumerlebnisse waren die wichtigen Neuerungen der Ausstellungsgestaltung, die bei der Triennale 1968 verstärkt zu sehen waren. Dabei ging Hans Hollein jedoch weniger didaktisch vor als viele andere Beiträge und verzichtete auf Schaubilder, Texte oder Projektionen. Der Raum selbst sollte das Thema Die große Zahl soziologisch und psychologisch bewusst machen. Hollein schuf leicht verständliche, eingängige Bilder, die sich assoziativ erschließen sollten und keine Erklärung benötigten. Durch die vielen Türen und die Gucklöcher lud die Ausstellung dazu ein, erkundet und entdeckt zu werden. Dabei musste man keinem vorgegebenen Parcours folgen und nicht alle Gänge beschreiten, um die dargestellten Themen zu erfassen. Das Thema der Ausstellung sollte erfahrbar werden und man sollte in verschiedene Stimmungen versetzt werden. Im Aspekt der Involvierung und Aktivierung des Publikums korrespondierten Holleins Erlebniskorridore mit künstlerischen Tendenzen der Zeit. Alois Vogel schrieb in der Zeitschrift Alte und Moderne Kunst über die Austriennale, dass das Publikum »geradezu durch das Beschreiten der Ausstellung in ein Happening verwickelt« werde.129 Ähnliches formulierte Hollein in seinem Katalogtext: »Diese Ausstellung ist keine passive Dokumentation, sondern eine aktive Schau, welche Besucher als integrierenden Teil miteinbezieht, ihn zu Aktionen und Reaktionen veranlaßt.«130 Dabei lassen sich zwei Typen von Erfahrungen unterscheiden: Einige
chive-results?archiveId=archivio-fotografico&expoId=14&freeText=; Hollein, Hans: Die große Zahl. 14. Triennale di Milano 1968, Bau, Nr. 4 (1968), S. 68–78. 128 Beschr. und Abb. s. Vannucchi 2015, S. 111–116. 129 Vogel, Alois: Hans Hollein in Wien – Brünn – Mailand. Alte und Moderne Kunst, Nr. 101 (1968), S. 52. 130 Hollein 1968b. o. S.
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Gänge wie der dunkle Raum, der Raum mit Schaumstoff oder der Gang mit dem Spiegel waren als Installationen im Sinne der Minimal Art gestaltet, welche die Aufmerksamkeit auf die eigene körperliche Wahrnehmung lenkten, indem sie Gefühle wie Orientierungslosigkeit oder Platzangst hervorriefen. Dieser Ansatz stellt sie in Zusammenhang mit Robert Morris Installation Passageway von 1961 und Bruce Naumans um 1968 begonnene Serie der Corridor-Installationen, die mittels minimalistisch gestalteter Gänge die Wahrnehmung des Publikums zu irritieren suchten.131 Eine Referenz auf ein Objekt von Morris in Alles ist Architektur belegt Holleins Interesse für das Schaffen des amerikanischen Konzeptkünstlers.132 Andere Gänge wie der Schneeraum oder der Raum mit den Aktenordnern waren dagegen als illusionistische Environments gestaltet, die an (alb-)traumartige Szenerien erinnerten und über diese Eindrücke Assoziationen auslösen sollten. Eine ähnlich illusionistische Gestaltung entwarf Daniel Spoerri für die Ausstellung Dylaby, indem er einen um 90 Grad gekippten, ansonsten jedoch realistisch wirkenden Museumsraum nachbaute.133 Neben der verstärkten Orientierung an künstlerischen Tendenzen bei der Gestaltung der Gänge griff Hollein für die gesamtheitliche Gestaltung des Displays wieder auf Konzepte aus dem Messe- und Werbebereich zurück: Prinzipien des Corporate Design folgend entwarf er für sein Heimatland und dessen Produkte ein einheitliches und positives Erscheinungsbild. Er entwickelte ein Markenimage für den österreichischen Auftritt, welches sich bereits im schlagkräftigen und eingängigen Titel Austriennale manifestierte, der die Gäste beim Betreten der österreichischen Sektion empfing. Passend dazu hatte Hollein als Logo den Schriftzug »Austria« entworfen, der als Leuchtschrift über den Eingängen auf der Seite der italienischen Sektion und als Plexiglasschild über dem Eingang zum Produktraum hing. Mit der Austriennale-Brille designte Hollein einen Werbeartikel für Österreich, der zu einem angesagten Modeaccessoire wurde.134 Auch die Kleidung des Ausstellungspersonals sollte das »corporate image« verdeutlichen: Hierfür hatte Holleins Ehefrau Helene, eine Modedesignerin, einen weiß-roten Austriennale-Einteiler entworfen, der von den Messehostessen, die Brillen und Kataloge verteilten, getragen wurde.135 Dieses gesamtheitliche Konzept spiegelte sich auch in der einheitlichen Raumgestaltung
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Vgl. Bätschmann 1997, S. 237–239; Halbreich, Kathy; Friedli, Isabel; et al. (Hg.): Bruce Nauman. Disappearing Acts, Schaulager Basel; MoMA Ausst.-Kat., New York 2018, S. 46–54; Reiss 2001, S. 63–65. Hollein 1968a, S. 9. S. Peterson 1991, S. 161–163. Die Brillen waren sehr gefragt und tauchten im Nachgang in verschieden Printmedien auf u.a. Cover von Bau Nr. 4 (1968) und Buchumschlag der ital. Ausgabe von Vladimir Nabokovs Roman Lolita 1968. Abb. s. Weibel 2011a, S. 138. Heute haben die Brillen Sammlerwert. Abb. s. ebd., S. 141.
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sowohl von den Farben als auch von den Formen her wider, die wiederum im Katalog aufgegriffen wurden. Hans Holleins Austriennale war demnach als ganzheitlich durchgestaltetes Raumbild angelegt, das vor Ort und durch Katalog und Brille auch darüber hinaus für Österreich warb. Durch den weitgehenden Verzicht auf Ausstellungsobjekte, die Veranschaulichung eines abstrakten Themas über die Ausstellungsarchitektur und die transdisziplinäre und multimediale Gestaltung war die Austriennale sehr nah an szenografischen Präsentationsprinzipien.
Rezeption Die Triennale in Mailand rückte nicht wegen Giancarlo de Carlos innovativem Ausstellungskonzept, das statt Formen gesellschaftliche Entwicklungen in den Vordergrund stellte, in den Fokus der Öffentlichkeit, sondern weil sie noch am Eröffnungsabend durch Protestierende besetzt wurde. So wurde sie ähnlich wie die Biennale in Venedig zu einem Symbol der 68er-Bewegung.136 Die Besetzung führte dazu, dass die Ausstellung erst mehrere Wochen später, am 23. Juni, der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden konnte. Für Österreich und die anderen teilnehmenden Nationen bedeutete dies vor allem Mehrkosten durch Reparatur- und Wiederaufbauarbeiten zur zweiten Eröffnung und einen ideellen Schaden, da die Presse vornehmlich über die Proteste und nicht über den Inhalt der Ausstellung berichtete. Zudem konnte die Ausstellung von weniger Menschen gesehen werden.137 Angesichts der Ereignisse wurde auch auf eine von Österreich angestrebte Jurierung der besten Beiträge verzichtet. Dennoch war die Bilanz des eigenen Auftrittes für das österreichische Triennalekomitee positiv: Das Presseecho habe bewiesen, dass Holleins Ausstellungskonzept richtig gewesen sei.138 Auch der Regierungskommissär Haslinger zog ein zufriedenes Resümee: Zusammenfassend darf festgestellt werden, daß der vornehmlich erwartete Erfolg einer hochqualifizierten Repräsentation Österreichs für das Images unseres Landes trotz aller Irregularitäten erzielt wurde. Statistiken über den gesamten Besuch sind auch diesmal nicht verfügbar. […] Eindeutig ist aber, daß der österreichische Sektor die relativ höchste Besucherzahl aufwies, vor allem dann, wenn die Brillenproduktion lief. Soweit man das internationale Echo in der Presse schon
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Zu den Hintergründen und Abläufen der Proteste s. Nicolin 2008, S. 87–100. Haslinger, Franz Joseph: Kurzbericht über den Verlauf der XIV. Triennale in Mailand (Konzept), 1968 (Typoskript, Kopie), HN-031-013-Dok, Archiv Hans Hollein, Az W, Wien, S. 4–5. Bundesministerium für Handel, Gewerbe und Industrie: Resumé-Protokoll der 16. Sitzung des Vorbereitenden Triennale-Komitees am 04.12.1969, Dez 1969 (Typoskript), HN-031-013Dok, Archiv Hans Hollein, Az W, Wien, S. 6–7.
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abschließend überschauen kann, war dieses einhellig positiv zum Teil enthusiastisch.139 Er führte den internationalen Erfolg der Austriennale auch auf den Ausstellungskatalog zurück und bezeichnete ihn als »Bravourleistung des Architekten, die dieser sozusagen im Alleingang zustandebrachte [sic!]«.140 Tatsächlich wurde der Katalog in der Presseberichterstattung vielfach gelobt.141 Eine damalige Auswertung der Presseberichte ergab, dass die Austriennale von der Mehrzahl der internationalen Presse erwähnt oder hervorgehoben wurde.142 In der Fachpresse wurden mehrfach illustrierte Exklusivberichte zum österreichischen Beitrag veröffentlicht. Das amerikanische Architekturmagazin Architectural Forum druckte sogar eine Ausstellungsansicht der Austriennale aufs Cover und bezeichnete sie als großen Spaß.143 Dass Hollein das Thema Die große Zahl positiv und ironisch darstellte, trug zum Unterhaltungswert und Erfolg der Austriennale bei, wie diverse Presseberichte belegen, die die Ironie und den Witz der Ausstellung lobten.144 Die Besprechung der Konzeption und Gestaltung blieb in der Presse jedoch im Vergleich mit Selection 66 oberflächlich. Dies war hauptsächlich der Größe der Gesamtausstellung geschuldet, könnte jedoch ebenfalls ein Hinweis darauf sein, dass der Beitrag vor allem als originell und unterhaltsam empfunden wurde und die darin artikulierte künstlerisch-architektonische Manifestation weniger wahrgenommen wurde. Wie Selection 66 wurde auch diese Ausstellung mit Preisen geehrt: Hollein wurde für seinen Entwurf der neu geschaffene Österreichische Preis für Umweltgestaltung verliehen. Haslinger erhielt von der Stadt Wien eine Bauherrenehrung für sein Engagement und die gute Zusammenarbeit mit Hollein. Die Proteste von 1968 führten auch im Museumsbereich zu einem Reformklima, wie in Kapitel II.I bereits erwähnt wurde.145 Um breitere Publikumsschichten zu erreichen, begannen die Museen ihre Ausstellungen unterhaltsamer zu gestalten und ihr Publikum stärker miteinzubeziehen. Orientierung für neue Strategien der Involvierung des Publikums kamen, wie in Kapitel II dargestellt, aus der zeitgenössischen Kunst, aber auch aus dem Bereich von Messen und Designausstellungen. Die Triennale 1968 war mit ihrem soziologischen Thema und den installativen
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Haslinger: Kurzbericht über den Verlauf der XIV. Triennale in Mailand (Konzept) (Typoskript, Kopie), Archiv Hans Hollein, Az W, S. 6. 140 Ebd., S. 7. 141 Vgl. z.B. Ohne Verfasser 1968; Hollein 1968c, S. 802. 142 Atelier Hans Hollein: Presseauszüge zu Austriennale und Hollein, Rückgabe durch Bundesministerium für Handel, Gewerbe und Industrie am 10.12.1969 (Typoskript), HN-031-017-Dok, Archiv Hans Hollein, Az W, Wien. 143 Ohne Verfasser: Austriennale. Architectural Forum, Nr. 129 (1968), S. 42. 144 Z.B. Sack, Manfred: Triennale. Tod auf italienisch, Die Zeit, 07.06.1968, S. 42. 145 Vgl. z.B. Barthelmes 2011, S. 21.
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und multimedialen Beiträgen vieler Teilnehmender ein wichtiges Vorbild. Mit der Ausstellung von 1968 hatte sich die Mailänder Triennale endgültig von einem ästhetischen Präsentationsraum von Kunsthandwerk zu einem Medium entwickelt, mit dessen Hilfe Fragen gestellt und Diskussionen angeregt werden konnten. Zugleich wurde das Publikum erlebnishaft miteinbezogen.
Expo Osaka 1970 Aus den Ideenskizzen zur Austriennale ging Holleins Beitrag zur Weltausstellung 1970 in Osaka hervor. Es handelte sich um die Anfang 1968 projektierte Idee einer Tribüne: Auf verschiedenen Stufen stehend konnten Personen ihre Köpfe durch Gucklöcher in der Decke stecken.146 Hans Hollein und sechs Architekturkollegen waren von der Gruppe der japanischen Metabolisten eingeladen worden, in Ausstellungskapseln unter dem Dach des von Kenzō Tange entworfenen zentralen japanischen Themenpavillons der Expo einen Beitrag zu Städtebau, Wohnen und Leben in der Zukunft zu gestalten.147 Holleins Entwurfszeichnungen für seinen Beitrag Stadt und Leben in der Zukunft beziehungsweise im Englischen Vision of Tomorrow’s City zeigen seine Idee, in die rund sieben Meter hohen pyramidenförmigen Raumsegmente seines Ausstellungsbereiches auf halber Höhe eine Decke einzuziehen und so eine zweite Ebene zu schaffen.148 In der unteren Ebene sollten Stahlzylinder mit vierstufigen Wendeltreppen aufgestellt werden, über welche die Gäste mit dem Kopf in die darüber liegende Ebene blicken konnten, in der eine Licht-Ton-Projektion gezeigt wurde, die in einer Endlosschleife auf die schrägen Wände projiziert wurde.149 Hollein plante dafür einen einminütigen Film mit Soundtrack und einer Erzählung auf Japanisch zu produzieren. Er folgte damit dem Trend der Expo 1970 zu multimedialen und audiovisuellen Präsentationen.150 Außerdem sollte es eine runde Außenkapsel geben, die nach Holleins Idee mit Klimaanlage und Gerüchen ausgestattet werden sollte. Des Weiteren sollten
146 Atelier Hans Hollein: Skizzen und Pläne Variante »Tribüne«, Jan 1968 (Bleistift; Buntstift; Filzstift; auf Transparentpapier), HN-031-005-P, Archiv Hans Hollein, Az W, Wien; s.a. Sketch for an early scheme, 1967 for the Triennale: Hollein, Hans (Hg.): Hollein. Richard Feigen Gallery, Ausst.-Kat., Neudörfl 1969. o. S. 147 Die eingeladenen Architekten waren Archigram, Christopher Alexander, Giancarlo de Carlo, Yona Friedman, Alexei Gutnov, Mosche Safdie; s. hierzu: Koolhaas, Rem; Obrist, Hans U. (Hg.): Project Japan. Metabolism Talks…, Köln 2011, S. 515–519; Schriefers 2004, S. 34–35. 148 Atelier Hans Hollein: Gesamtstruktur – Axonometrie, 1969–1970 (Bleistift; auf Transparentpapier), HN-034-001-P/01, Archiv Hans Hollein, Az W, Wien; Abb. s. Weibel 2011a, S. 143. 149 Pettena 1988, S. 40, 117. 150 Vgl. Kretschmer, Winfried: Geschichte der Weltausstellungen, Frankfurt a.M.; New York 1999, S. 229, 253; Clasen 1968, S. 17.
IV. Szenografisch-künstlerische Ausstellungsinszenierungen
nicht näher spezifizierte große Bilder gezeigt werden.151 Die Außenkapsel war als freischwebende Plexiglaskugel gedacht, deren Zugang von zwei Schaumgummiwülsten versperrt sein sollte, durch die man sich ähnlich wie bei der Austriennale durchzwängen sollte. Nach dem dadurch erzeugten Gefühl der Enge sollte man in der Kapsel, die 60 Meter über der Bodenplattform im Dach des Pavillons befestigt war, die Weite wahrnehmen und den Platz überblicken können. Allerdings musste Holleins Konzept aus Kostengründen und wegen Raumverschiebungen mehrfach stark geändert werden, sodass die vorhandenen Zeichnungen nicht der tatsächlich realisierten Installation entsprachen. Beispielsweise wurde die Zahl der Röhren von ursprünglich geplanten 15 auf nur 4 reduziert.152 Obwohl Hans Hollein zum Aufbau nach Osaka reiste, fehlen fotografische Ausstellungsansichten, die den realisierten Beitrag zeigen.153 Dennoch legt das vorhandene Material nahe, dass Hollein hier ein spektakuläres und ganzheitliches Raumkonzept projektiert hatte: Das Publikum sollte mit allen Sinnen eingebunden werden und audiovisuelle Medien sollten eine wichtige Rolle. Zugleich ist das Projekt ein exemplarisches Beispiel für Holleins Praxis, nicht realisierte Ideen aus früheren Projekten wiederaufzugreifen und für andere Projekte weiterzuentwickeln.
IV.I.III Papier 1972 Nach der Austriennale konzipierte Hans Hollein eine weitere themenorientierte Ausstellung, die in Zusammenhang mit Produkten stand. 1972 war in Wien eine kleine von ihm gestaltete Schau zum Thema Papier zu sehen. Sie fand vom 4. bis 20. Mai statt und wurde vom Österreichischen Institut für Formgebung, kurz ÖIF, initiiert. Mit dem ÖIF hatte Hollein bereits bei der Auswahl der österreichischen Produkte für die Austriennale zusammengearbeitet. Es wurde 1958 als Serviceeinrichtung gegründet. Seine Aufgabe war es, die Industrie in Hinblick auf Design zu beraten, um die Produktqualität und die Wettbewerbsfähigkeit zu steigern. Zu diesem Zweck wurden Publikationen herausgegeben, Fachausstellungen organisiert und ab 1962 jährlich der Staatspreis für gute Form vergeben. Die Ausstellung fand in Kooperation mit dem Österreichischen Bauzentrum statt, einer 1957 gegründeten Vereinigung von Verbänden der Baustoffindustrie und des Baugewerbes mit dem Ziel, Informationen über den Baumarkt zu vermitteln sowie die Wiener Baugeschichte zu 151 152 153
Hollein, Hans: Brief an Noriaki Kurokawa, 09.06.1969 (Typoskript), HN-034-002-Dok, Archiv Hans Hollein, Az W, Wien, S. 2–3. Okamoto, Taro: Brief an Hans Hollein, 07.11.1969 (Typoskript), HN-034-002-Dok, Archiv Hans Hollein, Az W, Wien. In keinem der infrage kommenden Archive konnte Bildmaterial gefunden werden. Institutionen in Osaka, z.B. der Expo ’70 Commemorative Park, könnten noch über Materialien verfügen. Hierfür sind Kenntnisse des Japanischen und ausführliche Recherchen vor Ort notwendig.
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dokumentieren und darüber zu informieren. Das Bauzentrum hatte seine Räumlichkeiten im barocken Palais Liechtenstein an der Fürstengasse im neunten Wiener Bezirk. Als Schauraum für die Präsentation von österreichischen Produkten, die nach ästhetischen und qualitativen Gesichtspunkten ausgewählt worden waren, entstand dort 1965 das Zentrum für Produktform auch »Design-Centre Wien« genannt. Der temporäre Pavillon mit 400 Quadratmetern Ausstellungsfläche wurde von dem österreichischen Designer und Architekten Carl Auböck im Garten des Palais Liechtenstein aufgestellt.154 Der Ort war in den 1960er und 1970er Jahren einer der wenigen Treffpunkte des jungen kunstinteressierten Publikums in Wien.155 Neben den Ausstellungen österreichischer Produkte fanden dort zweimal im Jahr einmonatige thematische Sonderausstellungen des ÖIF statt. Hans Hollein entwarf die Ausstellung mit dem schlichten Titel Papier als eine dieser Sonderausstellung. Vermutlich vom Erfolg der Austriennale inspiriert wollte das ÖIF ein Experiment wagen und keine Produktschau im üblichen Sinne veranstalten, sondern eine ImageSchau zeigen, »die das Publikum zum grundsätzlichen Nachdenken über den Werkstoff Papier anregt«, um damit über sachliche Informationen hinaus größere Publikumskreise zu erreichen.156 Ziel war es »die Umwelt im weitesten Sinn und die Aufgaben des Designers bei der Gestaltung dieser Umwelt an einem Werkstoff darzustellen, der kulturell und wirtschaftlich von gleich großer Bedeutung ist«.157 Die Präsentation wurde vom Bundesministerium für Handel, Gewerbe und Industrie sowie Fachverbänden und Vereinigungen der Papierindustrie gefördert. Ursprünglich sollte die Schau bereits im November 1971 gezeigt werden, wurde aber aus finanziellen und terminlichen Gründen erst im Frühjahr 1972 eröffnet.
Konzeption Für sein Ausstellungskonzept näherte sich Hans Hollein zunächst über Assoziationen dem Thema an, indem er Redewendungen zu Papier, Produkten aus Papier und Nicht-Papier sowie Eigenschaften von Papier auflistete.158 In seinem Konzepttext erläuterte er seine Ideen: Da bereits in den Jahren zuvor zwei große Ausstellungen über Papier und dessen Verwendung stattgefunden hätten und er sowohl vom Budget als auch von den Räumlichkeiten her beschränkt sei, habe er sich in Absprache mit dem ÖIF dazu entschieden, keine didaktische Ausstellung zu machen, sondern 154 155 156 157 158
Weitere Informationen zum Pavillon und Abb.: Kuzmany, Marion (Hg.): Carl Auböck, Architekt. (1924–1993); Gestalten der Modernen Welt, Salzburg 2009, S. 119. Noever, Katarina: Interview 17.05.2019. Blauensteiner, Charlotte: Leihgesuch an Österreichische Nationalbibliothek, 22.03.1972 (Typoskript), HN-058-001-Dok, Archiv Hans Hollein, Az W, Wien, S. 1. Österreichisches Zentrum Produktform: Presseinformation Ausstellung Papier, 03.05.1972 (Typoskript), HN-058-001-Dok, Archiv Hans Hollein, Az W, Wien, S. 1. Hollein, Hans: Listen »Papier«; »Produkte aus Papier – Nichtpapier«; »Papier ist…«, 1971–1972 (Typoskript), HN-058-001-Dok, Archiv Hans Hollein, Az W, Wien.
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Papier sowohl »durch assoziative Prozesse oder durch Hervorrufung ambivalenter Reaktionen als auch durch kontrastierende Gegenüberstellungen« als Phänomen zu behandeln. Er wolle so die Ambivalenz der Wertigkeit von Papier, dessen Transformationsmöglichkeiten und die Historie und Zukunft von Papier zur Diskussion stellen. Als Ziel der Ausstellung formulierte er: »So soll ein gedanklicher Prozess angeregt und auf diese Weise die Wichtigkeit von Papier bewußt werden. Die Ausstellung versucht, Papier in das Bewußtsein des Beschauers zu rücken.«159 Im Gegensatz zu den vorangegangenen Ausstellungen in New York und Zürich, die sich vor allem mit der Vielfalt von Papier und dem Design aktueller Papierprodukte auseinandersetzten, sah Hans Holleins Ausstellungskonzept eine Gegenüberstellung der Welt des Papieres und der Zeit davor vor.160
Gestaltung Für die Präsentation verkleinerte Hollein die Ausstellungsfläche des Pavillons, der einer langgezogenen Industriehalle glich und aus Betonfertigteilen gebaut war, um rund ein Drittel. Die westliche Längsseite des Pavillons, die linke Seite vom Eingang ausgehend betrachtet, war verglast und bot einen Ausblick auf den Garten. Diese Aussicht verstellte Hollein durch temporäre Wände. Auf der östlichen Längsseite, der rechten Seite vom Eingang ausgehend gesehen, hatte Hollein das hochliegende Fensterband mit Wänden ebenfalls verstellt, sodass ein geschlossener Ausstellungsraum entstand. Verschiedene Verwendungs- und Transformationsmöglichkeiten von Papier spiegelten sich bereits in der Wandgestaltung wider: Die temporären Wände auf der linken Seite des Ausstellungsraumes bestanden aus Rahmen, die mit zerknittertem braunem Papier bespannt waren. Auch im hinteren Teil auf der rechten Seite waren die Wände in dieser Art gestaltet. Die Rückwand des Raumes wurde durch zwei V-förmig gespannte braune Papierbahnen verdeckt. Die Stirnwand am Eingang war mit gefaltetem Papier bespannt.161 Die Wände, die nicht mit Papier bespannt waren, und die Decke des Ausstellungsraumes hatte Hollein mit dunkler Farbe streichen lassen. Für die Gegenüberstellung hatte er den Ausstellungsraum zweigeteilt: Auf der linken Seite zeigte er die Vergangenheit, natürliche Rohstoffe und die Welt vor der industriellen Papierherstellung und auf der rechten Seite die Gegenwart und ihre Papierprodukte. Visuell setzte Hollein die thematische Trennung des Raumes durch eine Wand aus Holzrahmen in der Mitte der Längsseite um.
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Hollein, Hans: Ausstellung »Papier«, 1971–1972 (Typoskript), HN-058-001-Dok, Archiv Hans Hollein, Az W, Wien, S. 1. 160 Gemeint sind die Ausstellungen Made with Paper, 17.11.1967-01.01.1968, Museum of Contemporary Crafts, New York und Magie des Papiers, 29.11.1969-25.01.1970, Kunstgewerbemuseum Zürich. 161 Abb. s. Nakamura 1985, S. 156.
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Abb. 12: Papier, Axonometrie
Quelle: Privatarchiv Hollein
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Auch die Beleuchtung und die gezeigten Objekte veranschaulichten das Konzept der Gegenüberstellung der von Hollein entworfenen Nichtpapier- und Papierwelten. Die Seite der Gegenwart des Papieres war heller beleuchtet als die gegenüberliegende Seite.
Abb. 13: Papier, Ausstellungshalle, Blick nach Norden mit Skulptur »Papier«
Quelle: Privatarchiv Hollein, Foto: Franz Hubmann
Bevor man in den Ausstellungsraum eintrat, wurden als Einstieg an einer Wand in einem Vorraum anschauliche Statistiken und Grafiken zum Thema Papier präsentiert. Im Ausstellungsraum sollten rechts und links neben dem Eingang aufgestellte Baumstämme suggerieren, dass man sich in einem Wald befände, durch den man die Schau betrat. Im vorderen Bereich der Ausstellung hatte Hollein das Raumbild in Form einer Rotunde angelegt: Auf der linken Seite waren etwa 25 Fichtenstämme, die bis zur Decke reichten, in lockerer Halbkreisform aufgestellt. Der Boden bestand auf dieser Seite aus echtem Gras. Durch die Baumstämme und das Gras sowie die spärliche Beleuchtung wurde die Illusion eines dunklen Waldes erzeugt. Auf der gegenüberliegenden rechten Seite des Raumes waren als Entsprechung ähnlich viele Kartonröhren in einem akkuraten Halbkreis eng nebeneinander aufgestellt, sodass sie eine Wand bildeten. Der Boden war hier braun. Die Aufstellung der
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Baumstämme und der Pappröhren verdeutlichte die Gegenüberstellung von natürlicher und künstlicher Welt. In der Mitte, von den Baumstämmen und den Pappröhren kreisförmig gerahmt, stand genau in der Sichtachse der dahinter beginnenden Trennwand die von Hans Hollein entworfene Skulptur Papier. Sie war auf der linken Hälfte aus einem Marmorblock gefertigt, der in der Mitte schräg abgebrochen war und auf der rechten Seite durch eine Tafel aus Papier vervollständigt wurde. Die darauf befindliche Inschrift »Papier« wurde so zweigeteilt. Die Skulptur verdeutlichte die Entwicklung von frühen Inschriften auf Stein und damaliger Kommunikation auf Papier und unterstrich die visuelle Raumtrennung.
Abb. 14: Papier, Ausstellungshalle, Blick nach Abb. 15: Papier, Ausstellungshalle mit BaumNorden zur Stirnwand stamm und »Nische im Freien«
Quellen: Privatarchiv Hollein, Foto: Franz Hubmann
Ging man links an der Marmorskulptur vorbei und zwischen den aufgestellten Baumstämmen hindurch, war der Blick zur rechten Seite zunächst durch den Raumtrenner aus mit Papier bespannten Rahmen versperrt. Im zweiten Rahmen war das Papier jedoch in der Mitte durchschlagen und man konnte einen Blick auf die Welt des Papiers auf der anderen Seite werfen. Die weiteren vier Rahmen waren verglast und ermöglichten die direkte visuelle Gegenüberstellung der beiden Welten, die zunächst durch einen schräg im Raum aufgestellten, vier Meter langen Baumstamm symbolisiert wurde. Jenseits der Trennwand wurde diese horizontale Achse durch eine entsprechende Pappkartonröhre fortgesetzt. Hinter dem Baumstamm erhob sich der Rasen mit echten Blumen zu einem kleinen Hügel, der auf der anderen Seite seine Entsprechung in einem Hügel aus künstlichem Gras bestehend aus grüner Papierwolle mit bunten Krepppapierblumen fand. Sowohl das echte als
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auch das künstliche Gras waren über Schaumstoff verlegt worden, sodass man beim Begehen wie in der Natur leicht einsank. Im rechten Ausstellungsbereich waren an der Wand weitere bunte Papierblumen in unregelmäßiger Form verteilt. Beide Installationen unterstrichen den schon zuvor thematisierten Kontrast zwischen Natürlichkeit und Künstlichkeit sowie Rohmaterial und Verarbeitung. Gegenüber dem Hügel fehlte in der linken Längswand ein Segment, wodurch sich ein Gang öffnete, der zur verglasten Außenwand des Gebäudes führte. Von außen hatte Hollein durch Wände einen kleinen Bereich des Gartens abgetrennt und einen Freiluftbereich geschaffen. Dort standen Sträucher. Durch diese Öffnung fiel Tageslicht in den ansonsten relativ dunklen Ausstellungraum. Mit diesem Freiluftbereich wurde der Gegensatz zwischen der künstlich geschaffenen Welt des Ausstellungsraumes und der realen Natur der Außenwelt verdeutlicht. In dem Gang, der zum Außenbereich führte, standen auf der Rasenfläche an der Wand eine aus der Antikensammlung des Kunsthistorischen Museum in Wien entliehene römische Amphore und weitere kleinere antike Gefäße, die als Symbole für die Historie der Verpackung fungierten. Im hinteren Teil der Ausstellung zeigte Hans Hollein Beispiele von Produkten, die eigentlich aus anderen Materialien hergestellt werden, aber auch aus Papier gefertigt werden können. Dies demonstrierte er, indem er im sechsten verglasten Rahmensegment auf der linken Seite einen halben Porzellanteller angebracht hatte, der auf der anderen Seite des Glases in einen Pappteller überging. Dasselbe hatte er mit einem Trinkglas und einem Pappbecher gemacht. Außerdem hingen von der Decke auf beiden Seiten jeweils Damenkleider herab, links eines aus Stoff und rechts zwei aus Papier. Auf der linken Seite des Raumes standen im hinteren Teil vor der schräg gespannten Rückwand aus Packpapier zwei Holzkisten und geflochtene Körbe als Beispiele für Nicht-Papier-Verpackungen. Zusätzlich hing ein gestreiftes Tuch von der Decke. Als moderne Verpackungen wurden auf der rechten Seite des Raumes große Pappkartons und von der Decke hängende, bunt bedruckte Kartonverpackungen gezeigt. Auf diese Seite gelangte man, wenn man durch das siebte Wandsegment trat, das mit Papier bespannt war. Es war an der Vernissage vom Bundesminister für Handel, Gewerbe und Industrie feierlich durchstoßen worden und ermöglichte den Durchgang zur anderen Seite. Durch diesen Durchbruch gelangte man auf die rechte Seite der Trennwand in die Welt des Papiers. Den Pappkartons als Beispiele für moderne Verpackungen standen drei weiße Sockel, auf denen verchromte Vitrinen platziert waren, gegenüber. Darin wurde ein Papyrus, ein Vertrag und eine 1000-Schilling-Note präsentiert. Mithilfe der Wandbeschriftung konnte man diese als Beispiele für wertvolles Papier identifizieren. Im letzten Raumsegment dahinter war der Boden mit zerknülltem Papier bedeckt, durch das man laut Beschreibung waten konnte. In einem Regal und an der Wand wurde Papier als Kommunikationsträger in Form von Büchern, Magazinen und Zeitungen ausgestellt. Der Rundgang führte an den
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bereits beschriebenen Vitrinen und dem Hügel aus künstlichem Gras vorbei zurück in Richtung des Eingangs, der zugleich der Ausgang war. In der Welt des Papiers kam man auf dieser Seite der Trennwand noch an mehreren Papierstapeln und Bündeln aus verschiedenen Papiersorten, die auf dem Boden lagen, vorbei. Diese sollten Papier als Massenware symbolisieren und standen im Gegensatz zu den wertvollen Schriftstücken in den Vitrinen. Schließlich konnte man an den beschriebenen halbkreisförmigen Pappröhren vorbeigehen und eine verchromte Vitrine vor drei dickeren Pappröhren betrachten, in der dramatisch beleuchtet ein Stück zerknülltes Papier auf rotem Samt ausgestellt war.162 Durch diese Aufwertung eines einfachen Stückes Papier stellte Hollein dessen Wert ironisch zur Diskussion und zeigte zugleich das Transformationspotenzial von Papier auf. Auch das wieder von Tino Erben entworfene schlichte Ausstellungsplakat zeigte zerknülltes Papier.163 An der Stirnwand mit gefaltetem Papier vorbei gehend, konnte man die Ausstellung wieder verlassen. Zu dieser Ausstellung erschien, vermutlich aus Kostengründen, kein Katalog.
Analyse Dem Display kam bei dieser Ausstellung besondere Bedeutung zu, da über die räumliche Gestaltung und die Präsentationstechniken die Inhalte der Ausstellung vermittelt wurden. Diese Vermittlung wurde zum Beispiel durch die Trennung des Raumes in zwei Hälften und durch die direkte Gegenüberstellung von Objekten aus Papier und anderen Werkstoffen erreicht. Dadurch wurde man visuell angeregt, die beiden eröffneten Welten zu vergleichen. Auch in dieser Ausstellung waren die entworfenen Raumbilder und die wenigen gezeigten Objekte bewusst einfach gehalten, sodass sie leicht erfassbar und verständlich waren. Zugleich waren sie als Beispiele so universell gewählt, dass damit viele verschiedene Themenkomplexe rund um den Werkstoff Papier angesprochen werden konnten und die Interpretation einzelner Arrangements bewusst vieldeutig blieb. Sowohl Gedanken zur Historie des Papiers als auch zu dessen Produktion und Bedeutung für die Gesellschaft wurden durch den Raum und die Objekte angeregt. Sogar die funktionalen Wandelemente wurden gestalterisch in das Raumbild miteinbezogen, indem sie ebenfalls aus Papier hergestellt waren. Auch bei dieser Ausstellung waren die Objekte nur ein Teil der Präsentation und nicht die Grundlage der Konzeption. Durch den Rückgriff auf museografische auratische Ausstellungsmethoden vermittelte Hollein die Bedeutung einiger der gezeigten Objekte über das Display: Wertvolle Objekte wie der Papyrus wurden auf Sockeln in Vitrinen gezeigt und durch Lichtspots von oben beleuchtet. Dies führte Hollein 162 163
Abb. s. Nakamura 1985, S. 156. Erben, Tino: Plakat Ausstellung Papier. Design Centre – Palais Liechtenstein, 1972 (Druck), Erben 72/3/Pl, Sammlung Universität für angewandte Kunst, Wien.
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am Ende des Rundgangs ad absurdum, indem er zerknülltes Papier wie ein wertvolles Objekt präsentierte – eines der vielen Beispiele für die ironischen Details in seinen Ausstellungen. Die anderen weniger wertvollen Objekte des alltäglichen Gebrauchs hatte Hollein auf dem Boden abgestellt oder sie von der Decke abgehängt. So vermittelte er durch das Display die vermeintliche Wertigkeit und die Bedeutung der Objekte. Nur wenige der Exponate wie der in einer der drei Vitrinen gezeigte Papyrus und die römische Amphore nahe des Freiluftbereiches waren Leihgaben aus Sammlungen. Die anderen Objekte waren frei verkäufliche Produkte und dienten Hans Hollein zur Demonstration seiner Ideen. Wie die Leiterin des ÖIF Charlotte Blauensteiner in einem Leihgesuch für einen Papyrus an die Österreichische Nationalbibliothek schrieb, war für Hans Hollein nur die anschauliche Wirkung des Exponates wichtig. Es ging nicht um die Ausleihe eines speziellen Papyrus und auch dessen Alter war nicht relevant.164 Die kleine Ausstellung bot eine Fülle von Assoziationsmöglichkeiten und regte dadurch zum Nachdenken über den Themenkomplex Papier an. Bis auf die Statistiken im Vorraum und wenige Überschriften an den Wänden wurden die Inhalte durch die Raumbilder vermittelt, wodurch in der Ausstellung fast gänzlich auf Text verzichtet werden konnte. Möglicherweise bekam man jedoch den beschrifteten Ausstellungsplan zur Orientierung an die Hand. Mit dieser artifiziellen Ausstellungslandschaft sprach Hollein das Publikum visuell an und entwarf ein umfassendes Raumerlebnis. Wie bei anderen Ausstellungen zuvor wurde man spielerisch in die Ausstellung involviert. So gab es wie bei Selection 66 Gucklöcher und Durchblicke in andere Ausstellungsteile und wie beim Schneeraum der Austriennale spielte Hans Hollein mit der Gestaltung des Bodens, um das Publikum auch haptisch teilhaben zu lassen. Vermutlich waren das frisch geschlagene Holz und der Rasen auch olfaktorisch wahrzunehmen. Dadurch wurde das Publikum noch stärker in die von Hollein geschaffene Szenerie versetzt. In den ersten Entwürfen war zudem eine akustische Komponente geplant. Neben den Papierstapeln sollte zu hören sein, wie Papier zerrissen wird.165 Bei dieser Ausstellung schuf Hollein wieder ein Gesamtszenario aus Ausstellungsarchitektur, zeichenhaften Exponaten und atmosphärischen Zusätzen wie Geruch und vermutlich Ton, um das Thema darzustellen. In ihrem Erlebnischarakter mit allen Sinnen erinnert Papier an Marcel Duchamps Gestaltung des Hauptraumes der Exposition Internationale du Surréalisme 1938 mit dem von Blättern bedeckten Boden und olfaktorischen und akustischen Reizen. In der Gestaltung war Holleins Ausstellung jedoch weniger düster und
164 Blauensteiner, Charlotte: Leihgesuch an Österreichische Nationalbibliothek, 22.03.1972 (Typoskript), HN-058-001-Dok, Archiv Hans Hollein, Az W, Wien. 165 Atelier Hans Hollein: Axonometrie Papierausstellung Konzept, Nov 1971 (Bleistift; auf Transparentpapier), HN-058-001-P, Archiv Hans Hollein, Az W, Wien. Ob diese Idee einer Geräuschkulisse umgesetzt wurde, konnte nicht geklärt werden.
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chaotisch-surrealistisch. Die Idee, Natur im Ausstellungsraum nachzubilden, erinnert darüber hinaus an das naturwissenschaftliche Diorama, das jedoch in der Regel nicht begehbar war. Verbindungen zu gebauten Welten in Erlebnisparks liegen ebenfalls nicht fern. Allerdings waren diese in der Regel illusionistischer als Hans Holleins Ausstellung, die Assoziationen zur Natur zeigte, jedoch keine detailgetreue Nachbildung war. Wie die Austriennale war diese Ausstellung ein sinnliches Erlebnis und hatte ebenfalls eine besondere Nähe zu szenografischen Ausstellungsstrategien. Hollein vermittelte seine Ideen über das gleichberechtigte Zusammenspiel von Objekten, der Ausstellungsgestaltung und -architektur sowie atmosphärischen Zusätzen. Mit der Beauftragung von Hans Hollein gingen das ÖIF und das Bauzentrum neue Wege der Präsentation von Design. In der Ausstellung wurden nicht wie dort sonst üblich formschöne Produkte gezeigt, sondern Design als Idee. Wie bei der Austriennale konnten sich die Auftraggeber allerdings nur schwer von der Idee einer Produktpräsentation lösen: Eine zusätzlich geplante Produktschau scheiterte jedoch an geringem Interesse der papierverarbeitenden Industrie.166 Bei der Ausstellungseröffnung bekräftigten die Auftraggeber, dass man die Ausstellung als Experiment zukunftsträchtiger Präsentationen gesehen habe: Wir haben bewußt Herrn Prof. Hollein gebeten, die Gestaltung dieser Ausstellung zu übernehmen, weil wir glauben, daß Design, wie es heute aufgefaßt wird, sich nicht bloß auf das Produkt bezieht, sondern auch dessen Präsentation in zeitgemäßer Form und sogar noch einiges mehr einschließt. Damit meine ich die geistige Vorbereitung, die sowohl beim Produzenten wie beim Konsumenten notwendig ist, und die eine Voraussetzung ist für die Gestaltung der Umwelt.167 Obwohl Hans Hollein im Vorfeld nicht mit hohen Besuchszahlen gerechnet hatte, sorgte die Ausstellung wegen der Art ihrer Präsentation für Aufsehen.168 Der Szenenbildner und Architekt Otto Niedermoser aus Wien bezeichnete die Ausstellung als »bemerkenswert gestaltet« und schrieb, dass sie einen »starken Eindruck«
166 Wirtschaftsförderungsinstitut: Brief an Charlotte Blauensteiner, 08.03.1972 (Typoskript), HN-058-001-Dok, Archiv Hans Hollein, Az W, Wien. 167 Österreichisches Institut für Formgebung: Eröffnungsrede, 1972 (Typoskript), HN-058-002-P, Archiv Hans Hollein, Az W, Wien, S. 1. 168 »Es ist dies eine Schau, die auf verhältnismäßig engem Raum durchgeführt werden muß und auch nicht mit einem besonderen Zuschauerstrom rechnet.« Hollein, Hans: Ausstellung »Papier« (Abschrift), Nov 1971 (Typoskript), HN-058-001-Dok, Archiv Hans Hollein, Az W, Wien, S. 1.
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hinterlassen habe.169 Personen, welche die Ausstellung damals sahen, sprechen noch heute von einer gelungenen und überraschenden Präsentation.170
IV.I.IV MAN transFORMS 1976 Nach diesen kleineren Aufträgen als Ausstellunggestalter erhielt Hans Hollein 1974 die Möglichkeit, eine große und prestigeträchtige Ausstellung zu konzipieren und zu gestalten, die Eröffnungsausstellung des neu gegründeten Cooper-Hewitt Smithsonian Design Museum in New York. Das Museum mit einer der größten und vielfältigsten Sammlungen meist anonymer Werke aus 3000 Jahren war das erste in den USA, das sich ausschließlich der Präsentation von Design widmete.171 Dessen Direktorin Lisa Taylor zählte zu den innovativen Museumsleuten der Zeit und entwickelte schon vor der Eröffnung des Museums neuartige Konzepte zur Publikumsbeteiligung, indem sie beispielsweise Ausstellungen im Stadtraum organisierte und dabei die gebaute Umwelt thematisierte.172 Mit der Ausstellung zur Eröffnung 1976 stand Taylor vor der Herausforderung, sowohl die von ihr gewonnenen geldgebenden Institutionen und Personen vom neuen Museum zu überzeugen als auch das Interesse der Öffentlichkeit zu wecken und es einem breiteren Publikum bekannt zu machen.173 Die gezielte Ansprache eines Laienpublikums war eines ihrer großen Anliegen, da die Sammlung, die den Grundstock des Museums bildete, zuvor hauptsächlich von Studierenden des Cooper Union College und De-
169 Niedermoser, Otto: Ansehen, nachdenken. Ausstellung »Papier« im Österreichischen Bauzentrum, Kurier, 11.05.1972, S. 11. Da sich im Archiv Hans Hollein, Az W nur wenige, dokumentarische Presseartikel zur Ausstellung befanden und das schriftliche Archiv des ÖIF verschollen ist, kann hier keine weitergehende Darstellung der Rezeption vorgenommen werden. Die Sammlung der Universität für angewandte Kunst Wien verfügt über das Fotoarchiv des ÖIF. Mehrere Hinweise deuteten darauf hin, dass sich der schriftliche Nachlass des ÖIF im Archiv der Wirtschaftskammer Österreich in Wien befindet, dort konnten die Unterlagen jedoch nicht gefunden werden. 170 Vgl. z.B. Kommentar Katarina Noever, in: Universität für angewandte Kunst Wien: Talk about Hollein!, Gesprächsrunde, 24.06.2014, Filmaufnahme. 00:44:00–00:46:00h. 171 Zur Geschichte des Museums s. Keslacy 2016; Ewing, Heather P.: Life of a mansion. The story of Cooper Hewitt, Smithsonian Design Museum, New York 2014. 172 Die Ausstellungsserie Immovable Objects, welche 1975 mit einer »walking tour« durch Lower Manhattan begann und den urbanen Raum als »outdoor gallery« nutzte, stellte Taylors radikalsten Versuch der Öffnung von Museen dar; s. Pelkonen 2018, S. 16–18, 166–173; Keslacy 2016, S. 245–253. 173 Hollein 1989, S. 10. 1967 kaufte die Smithsonian Institution die in finanzielle Schwierigkeiten geratene Sammlung des Museum for Arts & Decoration am Cooper Union College, die den Grundstock für das neue Museum bildete.
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signschaffenden genutzt worden war.174 Um das Museum zu positionieren, plante Taylor eine unkonventionelle Ausstellung. Design sollte nicht unter funktionalen und ästhetischen Gesichtspunkten betrachtet werden, sondern in einen größeren Zusammenhang mit dessen Bedeutung für den Menschen und seine Umwelt gestellt werden.175 Das Museum sollte als Forum für Diskussionen über alltägliches Design etabliert werden und sich so von anderen Institutionen wie dem MoMA abgrenzen.
Konzeption Für die Konzeption der Ausstellung bat Lisa Taylor unter anderem Charles und Ray Eames, George Nelson und Robert Venturi um Vorschläge. Durch eine Empfehlung wurde sie auf den ihr bis dahin unbekannten Hans Hollein aufmerksam und fragte auch ihn nach einem Konzeptvorschlag. Zu Taylors Vorgaben zählte unter anderem, dass die Schau zu einer Reflexion über Design anregen und dadurch als Brücke zwischen der realen Alltagswelt und der preziösen Welt der Sammlung fungieren sollte.176 In Bezug auf das Publikum wurde von Taylor Wert auf eine Ansprache der breiten Masse gelegt, wie Hollein später ihre Vorgaben zusammenfasste: Design […] sollte einem möglichst breiten vielschichtigen Publikum nahegebracht werden, einem Publikum, das aus Manhattans Standardbesuchern der Museen – der Intelligenzia – aber auch aus den Bewohnern der Bronx oder Harlems bestehen sollte. Es war also eine Ausstellung zu konzipieren, die in vielschichtiger Weise sowohl das Kind und den Analphabeten wie auch den »sophisticated« Intellektuellen ansprach, und zwar mit den selben Präsentationen.177 Außerdem sollte sich die Ausstellung laut Taylor nicht an Namen von Gestaltenden, einzelnen Produkten oder Vorstellungen von gutem oder schlechtem Design abarbeiten. Stattdessen sollte sie ein Bewusstsein für Design schaffen, Stimmungen erzeugen und zum Nachdenken anregen.178 Auf Taylors Maßgaben basierend legte Hollein im Juni 1974 ein Grundkonzept vor, das allerdings noch kein konkretes Ausstellungskonzept beinhaltete, sondern festlegte, welche Auffassung von De-
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Zur Veränderung der Ausrichtung des Museums s. Keslacy, Elizabeth: A Question of Category. Translations between the Decorative Arts, Architecture, and Design at the birth of the Cooper-Hewitt (1963–76), SAHANZ and Unitec ePress, 31 (2014), S. 485–494. Ebd., S. 491. Für eine ausführliche Darstellung der vom Museum definierten Ziele und Vorgaben zur Eröffnungsausstellung s. Keslacy 2016, S. 259–264. Hollein, Hans: MAN transFORMS. Deutsche Bauzeitung, Nr. 3 (1979), S. 35. Taylor, Lisa: National Museum of Design, Opening Exhibition, General Guidelines, 27.02.1974 (Typoskript), Projekt Nr. 87, Auswahl für MAN transFORMS: Die Dokumente, Mappe »Museum«, Privatarchiv Hollein, Wien.
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sign vermittelt und wie das Publikum angesprochen werden sollte.179 Die Ausstellung sollte dabei nicht didaktisch oder historisch konzipiert sein, sondern das Publikum mit direkten Erlebnissen konfrontieren, die es ihm ermöglichten, Assoziationen zu finden und Beziehungen herzustellen.180 Die Ausstellung solle Leben und Lebenssituationen des Menschen thematisieren, so Hollein.181 Nachdem Taylor Dokumentationen seiner Ausstellungen Papier und Austriennale gesehen hatte, die seine im Grundkonzept formulierte Herangehensweise an Ausstellungen verdeutlichten, war sie sich sicher, den richtigen Designer für ihr Vorhaben gefunden zu haben: »Es waren seine besondere Art und Weise, Dinge wahrzunehmen, und seine Fähigkeit, im Betrachter Assoziationen hervorzurufen, die mich bewogen, ihn mit der Gestaltung der Ausstellung zu betrauen.«182 Tatsächlich enthielt der Katalog zur Austriennale bereits konkrete Ideen wie die Formenvielfalt und vielseitige Anwendung eines Produkttyps, die dann in der New Yorker Ausstellung thematisiert wurden.183 In Holleins vorangegangenen Ausstellungen wurde Design bereits als Idee vorgestellt. Nicht einzelne Objekte standen im Fokus, sondern Designkonzepte. Er adaptierte dieses Konzept für die Eröffnungsausstellung des Cooper-Hewitt Museum und erweiterte es auf die gesamte Bandbreite des Designs. Nachdem sein Grundkonzept Taylor überzeugt hatte – beide hatten erstaunlich ähnliche Vorstellungen –, konkretisierte Hollein in seinem Exposé von September 1974 sein Ausstellungskonzept.184 Inhaltlich standen der Mensch als Gestaltender und die Bedeutung von Design in der Kulturgeschichte im Zentrum der Schau. Die Ausstellung sollte aufeinander bezogene Themen und Gegenstände in Zusammenhängen zeigen, die sich dem Publikum unmittelbar erschließen. Die ausgestellten Gegenstände sollten aus der Sammlung des Museums stammen, mit der Hollein sich 1974 vor Ort beschäftigt hatte, aber auch aus anderen Sammlungen der Smithsonian Institution sowie aus externen Kollektionen. Zusätzlich sollten Exponate angefertigt werden.185 Sowohl Hollein als auch Taylor hatten von Beginn an keine Ausstellung im Sinn, die allein die Museumssammlung in den Fokus
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Hans Hollein: General Concept for an Exhibition on »DESIGN«, Juni 1974, in Auszügen veröffentlicht in: Hollein 1989, S. 16. 180 Damit kam Holleins Konzept den Vorstellungen von Taylor zur Ausstellung nach, s. Keslacy 2016, S. 263. 181 Nelson; Hollein 1976, S. 16. 182 Hollein 1989, S. 11. 183 Hollein 1968b. o. S; Abb. s.a. Erben 2001, S. 64. Hollein präsentierte auf einer Seite Messer in ihrer Formenvielfalt und zeigte deren vielfältige Anwendungsmöglichkeiten. Bei MAN transFORMS zeigte er ein ähnliches Display mit Hämmern und Fotos der Nutzungsmöglichkeiten eines Stücks Stoff. 184 Exposé abgedruckt in: Hollein 1989, S. 17–21. 185 Ebd., S. 19–20.
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stellte.186 Die bereits in anderen Ausstellungen bewährte Praxis der Einbeziehung des Publikums mit allen Sinnen war auch bei dieser Schau wichtiger Bestandteil der Konzeption. Die Ausstellung sollte interdisziplinär angelegt sein und Design als Phänomen präsentieren. Das Museum übertrug Hans Hollein die Aufgabe eines so genannten »Conzeptualizers«, der in Absprache mit Taylor die Verantwortung für die Auswahl anderer Teilnehmender, die Einbindung von deren Beiträgen in das Ausstellungskonzept sowie das Gesamtdesign der Schau hatte. Neben den Konzepttexten zeigen zahlreiche Skizzen, Stichwortlisten, Fotostudien, Mindmaps und Matrizen aus der Zeit von Sommer 1974 bis Frühjahr 1975 Holleins intensive Beschäftigung mit der Grundkonzeption der Ausstellung. Sie zeugen von seinen Bemühungen, eine Struktur für die vorgesehene Zusammenarbeit mit den anderen Mitwirkenden und für die Darstellung der verschiedenen Aspekte der Ausstellung zu finden.187 Seine grundlegende Idee war es, die Ausstellung mithilfe einer Matrix zu strukturieren, wodurch jedes Objekt und Thema sowie jeder Beitrag auf unterschiedlichen Ebenen Bezüge zu anderen Themen haben konnte.188 Zeitgleich begann er eine internationale Auswahl von Designern, Künstlern, Theoretikern und Architekten zusammenzustellen. Die ausschließlich männlichen Teilnehmer, die größtenteils aus der gleichen Generation wie Hollein stammten und ähnliche grundsätzliche Ideen wie er selbst vertraten, sollten ihre Vorstellungen von Design durch einen installativen Beitrag in der Ausstellung präsentieren.189 Bereits 1972 hatte das MoMA für die Ausstellung Italy: The new domestic landscape in ähnlicher Weise Gestaltende eingeladen, in Environments ihre Auffassung von Design darzustellen.190 Mit einigen der von Hollein eingeladenen Architekten und Designer wie Arata Isozaki oder Ettore Sottsass hatte er bei verschiedenen Projekten bereits zusammengearbeitet und war mit ihnen befreundet. Abgesehen vom amerikanischen Architekten und Visionär Richard Buckminster Fuller waren die weiteren Beteiligten, obwohl renommierte Vertreter ihrer Professionen, in den USA bis dahin wenig bekannt. Unter ihnen waren die Vertreter des in Teheran angesiedelten Mandala Kollektivs Nadar Ardalan und Karl Schlamminger, der deutsche Designkritiker Peter Mathis Bode, die Architekten Oswald Matthias Ungers und Richard Meier sowie der Filmemacher Murray Grigor und der Designer George Nelson. Taylor hatte die Gesamtaussage der Ausstellung im Blick und fand Holleins Vorschläge zur Umsetzung und Übersetzung seiner grundlegenden
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Korn 2019, S. 63; Keslacy 2016, S. 264. Abb. s. Hollein 1989, S. 21–23, 30. Ebd., S. 21. Obwohl von Taylor gewünscht, wurde keine Frau eingeladen. Italy: The new domestic landscape, 26.05.-11.11.1972, MoMA; s. Ryan 2017, S. 21–22; Keslacy 2016, S. 294–309.
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Konzepte in das Medium der Ausstellung noch nicht konkret genug. Daher initiierte sie zwei mehrtägige Treffen mit allen Beteiligten, um deren Verständnis des Ausstellungsthemas zu schärfen und eine gemeinsame Definition von Design für die Ausstellung zu finden.191 Die Entwicklung der Ausstellung war demnach prozessual: Nachdem Hollein basierend auf Taylors Grundkonzept zunächst über ein Jahr Inhalte und Ideen gesammelt und strukturiert hatte – vieles wurde wieder verworfen –, wurden anschließend auf Grundlage kollaborativer Diskussionen konkrete Inhalte gefunden und daran anschließend individuelle räumliche Präsentationen entworfen.192 Hans Hollein hatte dabei eine Doppelrolle: Er war für das Gesamtkonzept und die Struktur der Ausstellung verantwortlich und entwickelte zugleich eigene Beiträge. In seinem Vorwort beschrieb der mit der Katalogkonzeption und -gestaltung beauftragte Designer, Architekt und Ausstellungsgestalter George Nelson den neuen Ansatz der Präsentation von Design, den die Gruppe erarbeitet hatte: MAN transFORMS stelle sich bewusst gegen die Präsentation von Konsumgütern und Materialismus. Jegliche Kategorisierungen wie Wert und Qualität sollten keine Rolle spielen. Auf eine Einteilung nach Ländern wurde ebenfalls verzichtet. Damit wolle man einen Kontrapunkt zur »good design«-Bewegung, die vor allem durch das MoMA etabliert worden war, setzen. Die internationalen Ausstellungsbeteiligten sahen sich damit als Wegbereitende einer neuen Art von Präsentation und der Vermittlung eines neuen Verständnisses von Design, wie Nelson schrieb: »With this opening, the National Museum of Design could well become the spearhead of an international movement to bring design back to the spiritual dimension of Man.«193 Die Ausstellung präsentierte demnach ein erweitertes philosophischkulturhistorisches Verständnis von Design, jenseits von reiner Funktionalität und Ästhetik, wie Taylor dies als Konzept des neuen Museums vorgesehen hatte. Design wurde als Prozess und grundlegende menschliche Aktivität der Umweltgestaltung vorgestellt. So waren bereits in der Konzeption verschiedene neue Herangehensweisen an Ausstellungen angelegt: Erstens gab es eine neue inhaltliche Setzung, da ein erweitertes Verständnis von Design präsentiert wurde. Zweitens wurde dieses Designverständnis in einem experimentellen und kollaborativen Prozess gefunden. Drittens standen bei der Präsentation nicht die Objekte aus der Museumssamm-
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Keslacy 2016, S. 273. Das 1. »Contributors Meeting« fand im Juli 1975 in Paris, das 2. im Oktober 1975 in Racine, dem Firmensitz des amerikanischen Hauptsponsors der Ausstellung, statt. Hollein 1989, S. 10. Im Buch wurden auch einige der nicht realisierte Ideen dokumentiert. Nelson, George: Introduction, in: Nelson; Hollein (Hg.): MAN transFORMS. Cooper-Hewitt Smithsonian Design Museum Ausst.-Kat., New York 1976, S. 7.
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lung im Vordergrund, sondern waren in Kombination mit anderen Medien in Installationen und Environments eingebunden.194 Nach der mehrjährigen Konzeptions- und Planungsphase fand die Ausstellung MAN transFORMS von 7. Oktober 1976 bis 7. Februar 1977 statt. Die Schau, die mit ihrem Titel den Menschen als handelnde, verändernde, transformierende Person in den Mittelpunkt stellte, bestand zum einen aus von Hans Hollein entworfenen Rauminstallationen, welche die Leitthemen Alltägliche Situationen, Die vier Elemente, Variationen eines Gegenstandes und Produktformen behandelten. Diese allgemeinen Ausstellungsteile wurden zum anderen durch die individuellen Beiträge der weiteren Teilnehmer ergänzt, die deren Auffassung von Design widerspiegelten. Diese Installationen wurden in separaten Räumen innerhalb der Ausstellung gezeigt und waren überwiegend speziell dafür entwickelt worden. Da die Ausstellung als Wanderausstellung geplant war, war jeder Raum als geschlossene Einheit aufgebaut. Diese Einheiten standen zwar untereinander in Zusammenhang, konnten aber unabhängig voneinander verstanden werden und mussten nicht in einer bestimmten Reihenfolge begangen werden.195 Die Ausstellung war durch die Einbindung von Beiträgen anderer Gestalter nicht wie bei den vorherigen Ausstellungen als geschlossenes, gesamtheitliches Raumkonzept angelegt, sondern, wie Samuel Korn es formulierte, als »Environment of Environments«.196 Da die Beiträge der anderen Teilnehmer als Statements für sich standen, konzentriert sich die folgende Beschreibung auf die von Hans Hollein gestalteten Teile der Ausstellung.
Gestaltung Eine Herausforderung für die Präsentation stellte das prunkvolle Ausstellungsgebäude dar: Das 1902 mit ursprünglich 64 Zimmern im neogregorianischen Landhausstil erbaute herrschaftliche Wohnhaus mit Garten auf der 5th Avenue in Manhattan war zwar an die Bedürfnisse eines Museums angepasst worden, einige Räume wurden dabei jedoch in ihrer Originalausstattung mit Kaminen, Gemälden, Leuchtern und Stuckdecken bewahrt. Auch in anderen Räumen zeugten dunkle Holzdecken und -böden, Wandvertäfelungen und Säulen weiterhin von der Geschichte des Hauses. Lisa Taylor und der Kurator David McFadden hielten es für schwierig, in diesem Gebäude Objekte auszustellen, da die Räume eine starke Präsenz ausübten.197 Zudem gaben die bestehenden Räumlichkeiten des ehemaligen Wohnhauses mit vielen Zimmern der Ausstellung eine lineare Struktur vor.
194 Korn 2019, S. 60; Teile der Sammlung wurden unter Motto »Salutes to the New Museum« in anderen Museen der Stadt ausgestellt; Ewing 2014, S. 134. 195 Hollein 1989, S. 18. 196 Korn 2019, S. 78. 197 Ewing 2014, S. 134–135.
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Die Ausstellung erstreckte sich über das Erdgeschoss sowie über das Ober- und das Untergeschoss. Um auf die Ausstellung aufmerksam zu machen und vorbeigehende Personen in das neue Museum zu locken, hatte Hans Hollein am Zaun, der das Gebäude umgab, bunte kreisförmige Banner aus Stoff mit Motiven aus der Ausstellung wie einem Zelt, einem Kleid oder einer Palme angebracht.198 Neben dem Eingang stand außerdem ein mehrere Meter hoher Baumstamm, der oben zu einem Balken gehobelt war, unten jedoch noch seine Rinde trug, also naturbelassen war.199 Der Stamm symbolisierte, ähnlich wie bei der Papierausstellung vier Jahre zuvor, die für die Ausstellung wichtigen Gegensatzpaare natürlich – menschengemacht und amorph – geometrisch.
Erdgeschoss Im Flur des Erdgeschosses markierten links neben dem Eingang hintereinander aufgestellte Türen und Türrahmen den Beginn der Ausstellung.200 Diese sogenannten »Erlebnistüren« erstreckten sich vom Foyer über den Flur bis in den angrenzenden Ausstellungsraum und konnten durchschritten werden. Jeder der Türrahmen sollte ein anderes Designprinzip verdeutlichen: Ein Rahmen mit Ketten versinnbildlichte Transparenz, ein Rahmen mit Vorhang Flexibilität. Türen mit mehreren Knäufen sollten spielerisch zur Beteiligung anregen – eine ähnliche Frustrationstüre mit europäischen Türdrückern hatte Hollein bereits für die Austriennale entwickelt. Vor dem sehr hohen Durchgang zum ersten Ausstellungsraum forderte Hollein die Raumwahrnehmung heraus, indem er die Maßstäbe veränderte: Die Türrahmen wurden immer größer und ebenso die danebenstehenden Stühle. Ein Schachbrettmuster erschwerte zudem die Größenwahrnehmung.201 Nach diesem erlebnishaften Einstieg in die Ausstellung mithilfe von Produktformen und Maßstabsveränderungen präsentierte Hollein im folgenden Raum eine Installation mit dem Titel Menschliche Situationen. Diese griff verschiedene in der Konzeption verworfene Ideen auf und stand den Themen, mit denen er sich als Künstler beschäftigte, sehr nahe.202 Im Raum standen neben einem schematisierten schmalen Bett vier Holzstühle um einen einfachen Tisch mit weißer Decke.203 Dahinter lehnte eine Holzleiter an der Wand und von der Decke hing ein Fahrradreifen. An der Wand, die in der Ecke eine längliche Öffnung mit amorph-geformten Rändern aufwies, hingen außerdem noch ein Regalbrett aus Holz und eine graue Latzhose.
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Abb. s. Hollein 1989, S. 89. Abb. s. Weibel 2011a, S. 148. Abb. s. Nakamura 1985, S. 166. Abb. s. Hollein 1989, S. 101. S. Kap. IV.II. Abb. s. Nakamura 1985, S. 166.
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Abb. 16: MAN transFORMS, Isometrie Erdgeschoss
Quelle: Privatarchiv Hollein
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Ein naturbelassender Baumstamm mit Ästen stand neben dem Eingang auf dem Boden. Die Möbelstücke und Gegenstände in surrealistisch wirkender Zusammenstellung versinnbildlichten die alltäglichen menschlichen Situationen Arbeiten, Essen und Schlafen. Zugleich konnten diese Objekte als Anspielungen auf Kunst- und Kulturgeschichte verstanden werden, die Hollein in seinen künstlerischen Ausstellungen häufiger einsetzte: Das Chaiselongue-artige Bett erinnerte in der Formgebung an Holleins Entwürfe von Sigmund Freuds Behandlungsliege und der Fahrradreifen an Marcel Duchamps Readymade Fahrrad-Rad. Zunächst hatte Hollein spezifische Räume unter anderem zu Duchamp, Magritte, Beuys und Freud projektiert.204 Die Leiter brachte Hollein in seiner späteren Installation Die Turnstunde mit Diego Velázquez Gemälde Las Hilanderas 1644–1648 und Andrea Mantegnas Radierung der Kreuzabnahme um 1475 in Zusammenhang – eine weitere kunsthistorische Anspielung.205 Diese metaphorische Installation mit verschiedenen Bedeutungsebenen war die komplexeste und rätselhafteste Installation der Schau. Die genannten tieferen Bedeutungsschichten wurden vom Publikum der Ausstellung vermutlich nicht erkannt, da hierfür sehr genaue Kenntnisse von Holleins Werk nötig waren. Ein riesiges von der Decke hängendes Foto des japanischen Zen-Gartens im Tempel Ryōan-ji in Kyoto teilte den Raum und bot den Einstieg zur Thematisierung der vier Elemente, die laut Hollein zur Herstellung von Objekten von zentraler Bedeutung seien. Bei dem Bild des Steingartens handelte es sich um eine Fotocollage Holleins. Über das Foto des Zen-Gartens hatte er im Vordergrund und an der linken Seite weiße rechteckige Fliesen collagiert, die zusammen mit einer ebenfalls collagierten Einstiegsleiter den Eindruck eines Pools erweckten.206 Die Collage zeigte die Ambivalenz zwischen Erde und Wasser. Diesem ironisierten Sinnbild der Entwicklung von Ritualen, in diesem Fall dem meditativen Rechen von Steingärten, stellte er entsprechend seiner Architekturtheorie Design zum Überleben gegenüber: Hinter der Fotografie wurde das Element Wasser durch eine Installation aus Blecheimern und einen Film dargestellt.207 Die in akkuraten Reihen auf dem Boden stehenden Eimer waren mit der Wassermenge gefüllt, die für den Bau eines Iglus benötigt wird, welcher im Film gezeigt wurde. Ursprünglich wollte Hollein seine Idee des Schneeraumes aus der Austriennale aufgreifen und den Ausstellungsraum kühlen, um darin einen echten Iglu zu bauen.208 Das Thema der Luft wurde durch einen Beitrag des japanischen Architekten Arata Isozaki zur Gravitation dargestellt, der sich neben der Installation Menschliche Situationen befand.
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Hollein 1989, S. 108. Flemming; Hollein 1984. o. S., vgl. Kap. IV.II.V. Abb. s. Hollein 1989, S. 90–91. Abb. s. Weibel 2011a, S. 145. Hollein 1989, S. 92–93.
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Im noch intakten ursprünglichen Wintergarten des Hauses, der mit Palmen und anderen exotischen Pflanzen bestückt war, thematisierte Hollein nochmals die Elemente. Zwischen den Pflanzen war ein künstlicher Sandhügel angelegt, in dem eine amorph geformte Fläche eingebettet war, auf welcher der Trickfilm Oasis als Rückprojektion gezeigt wurde.209 Dieser handelte von der Dualität von Sand und Wasser. Um diesen und andere Aspekte in der Ausstellung zu verdeutlichen und zu vertiefen, hatte Hans Hollein gemeinsam mit dem schottischen Filmemacher Murray Grigor zehn Kurzfilme entwickelt. Diese Filme zu verschiedenen Themen wie Kleidung und Farbe wurden sowohl direkt in den Räumen als auch in kleinen abgetrennten Kammern gezeigt. Die Filme dauerten nicht viel länger als ein Werbespot und sollten unterschiedliche Aspekte in Kurzform darlegen.210 Durch ein Fenster im Wintergarten war das Element Feuer zu sehen: Hollein präsentierte es in Form einer Nachbildung der Hand der Freiheitsstatue mit Fackel im Maßstab 1:4 und echtem Feuer im Park des Museums.211
Abb. 17: MAN transFORMS, Erdgeschoss, »Bread«
Quelle: Privatarchiv Hollein, Foto: Franz Hubmann
209 Abb. und Filmstills s. ebd., S. 94–95. 210 Hollein, Hans: Discussion with students, Southern California Institute of Architecture Los Angeles, 12.10.1987, Filmaufnahme. 00:41:27–00:42:43h. 211 In dieser Form wurde der rechte Arm der Freiheitsstatue mit der Fackel bei der Centennial Exhibition 1876 in Philadelphia erstmals der Öffentlichkeit präsentiert. Von Holleins Hand mit Fackel konnten keine Außenaufnahmen gefunden werden. Im Hintergrund ist sie durch ein Fenster zu sehen, in: Hollein 1989, S. 40, 96.
IV. Szenografisch-künstlerische Ausstellungsinszenierungen
Die nächsten drei Räume waren dem Thema Variationen eines Gegenstandes gewidmet. Durch dieses Leitthema sollte vermittelt werden, dass der Mensch im Alltag überall von Produkten umgeben und dass die Produktwelt vom Thema Typus und Variation bestimmt sei.212 Hollein griff hierfür auf allgemein bekannte Gegenstände zurück, um zu demonstrieren, wie deren Form aus funktionalen, kulturellen und dekorativen Gründen entstanden sei. Damit stellte er die modernistische Theorie, dass die Form der Funktion folge, infrage. Im holzvertäfelten ehemaligen Frühstücksraum präsentierte er an den Wänden auf rechteckigen Tafeln montierte Varianten von Hämmern aus verschiedenen Ländern und für verschiedene Zwecke. In der Mitte lagen in einer Schale paläolithische Hammersteine, welche die Urform des Hammers symbolisieren sollten. Die Hämmer fungierten als Beispiel für die Formfindung aus funktionellen Gründen. Im ebenfalls holzvertäfelten Speisezimmer hatte Hollein auf einer weißen Marmorplatte einen Tisch installiert, der von einer Vitrine umschlossen und von einem wellenförmigen Baldachin bekrönt war.213 Das Glas hatte einen Spiegeleffekt, wodurch sich der spektakulär beleuchtete Tisch im dunklen Raum optisch ins Unendliche erweiterte. Auf ihm lagen über 100 Varianten von echtem Brot aus verschiedenen Kulturkreisen, die mit Klarlack überzogen waren. Diese Vielfalt der Backwaren sollte demonstrieren, dass die Formfindung von Brot nicht nur funktionelle Gründe habe, sondern auch sexuelle und religiöse Symboliken Eingang in die Gestaltung fänden.214 Der religiöse Aspekt kam auch durch die Gestaltung zum Ausdruck, da Hollein den langen Tisch durch die Verwendung der charakteristischen V-förmigen Tischbeine an die Ikonografie von Leonardo da Vincis Wandgemälde Das Abendmahl 1494–1497 anlehnte. Durch die Nutzung des edlen Materials Marmor wurden diese alltäglichen Waren zusätzlich nobilitiert. Das Brot fungierte als Symbol für die Formfindung aus kulturellen Gründen. In einem von Hollein entworfenen blauen Kuppelraum, der in der Formgebung an ein Planetarium erinnerte, zeigte er Sterne. Diese Himmelskörper nahm Hollein als Beispiel, da deren Form der Fantasie entspringt: Kein Stern am Himmel ist sternförmig. In der Kuppel hingen Varianten von Sternen entweder punktuell beleuchtet oder als Lampe selbstleuchtend. In die Wände des runden Raumes waren kleine Gucklöcher eingelassen, durch die man in dahinterliegende Vitrinen blicken konnte, in denen Arrangements mit Sternen verschiedenster Formen ausgestellt waren: Medaillen in Sternform, Sheriffsterne, jüdische Sterne und Mercedes-
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Ebd., S. 26. Ging man nicht durch Holleins Türeninstallation im Foyer, sondern trat zuerst geradeaus in diesen, dem Treppenhaus gegenübergelegenen Raum ein, war das die erste Installation, die man sah. 214 Hollein 1989, S. 34.
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Sterne sowie kaleidoskopische Ansichten von Fotos von Filmstars wie Marilyn Monroe konnten entdeckt werden.215 Weitere Fotos von Sternen wurden mit Projektoren auf die Wände geworfen. Die Sterne stammten dabei teilweise aus den Beständen des Museums und anderer Smithsonian-Sammlungen oder wurden für die Ausstellung entliehen beziehungsweise angekauft.216 Außerdem wurde in einem weiteren Raum des Erdgeschosses eine Helix-Installation des iranischen Architekten Nader Ardalan und des deutschen Künstlers Karl Schlamminger präsentiert, die das Thema des sakralen Raumes aufgriff.217 Richard Buckminster Fuller zeigte in zwei Räumen Varianten seiner geodätischen Kuppeln und einen Film.218
Abb. 18: MAN transFORMS, Erdgeschoss, »Stars«
Abb. 19: MAN transFORMS, Erdgeschoss, »Hammers«
Quellen: Privatarchiv Hollein, Foto: Norman McGrath
Obergeschoss Im Obergeschoss wurde das Thema Varianten eines Gegenstandes am Beispiel der Metamorphose eines Stücks Stoff weitergeführt. Hollein griff dabei den textilen Sammlungsschwerpunkt des Museums auf und versuchte in diesem größten Teilbereich der Schau zu zeigen, wie aus dem Grundmaterial Stoff verschiedenste, teilweise komplexe menschliche Errungenschaften entstehen können. Im
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Weitere Ansichten der Gucklöcher s. ebd., S. 50–51. Korn 2019, S. 66. Abb. s. Hollein 1989, S. 153. Abb. s. ebd., S. 154–155.
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langgezogenen Flur stellte er zunächst das Ausgangsmaterial aus: Ein einfaches quadratisches Stück Stoff wurde hängend zwischen vier Holzbalken präsentiert. Daneben standen zwei Flaggen, die zunächst irritierten, da sie in entgegengesetzte Richtungen wehten.219 Die eine Flagge war aus Seide und wurde durch einen künstlichen Luftstrom bewegt. Die andere Flagge war aus Marmor und zeigte die erstarrte Gestalt einer der unzähligen möglichen Formen der wehenden Flagge. Dahinter waren zwischen Holzbalken über den Köpfen des Publikums vier Stoffquadrate aufgehängt, die je einmal zusammengenäht, gefaltet, geknöpft und mit einem Reißverschluss versehen waren und so eine weitere Spielart der Metamorphose eines Stücks Stoff vorführten.220 Im Raum neben dem Treppenhaus wurde das Stück Stoff durch verschiedene Farben zu Flaggen transformiert: Nationalund Signalflaggen hingen halbkreisförmig von der Decke – womit auch auf den internationalen Charakter der Ausstellung angespielt wurde.221 In großen im Raum und an den Wänden verteilten Holzrahmen zeigte Hollein in einem weiteren Zimmer sowohl bedruckte und bemalte Tücher aus der umfangreichen Textilsammlung des Museums als auch bedruckte Tücher des alltäglichen Gebrauchs.222 Auffallend war dabei eine Vitrine, die wie ein Tisch gestaltet war. Sie bestand aus vier großen Holzrahmen, die jeweils in kleinere Segmente unterteilt waren. In der Draufsicht waren darin alltägliche Stofftücher zu sehen, die mit Tüchern aus der Sammlung kombiniert wurden. Einer der vier Rahmen war so gestaltet, dass eine Ecke eine amorphe Bruchstelle aufwies. Das vermeintlich abgebrochene Stück mit Tüchern lag auf dem Boden. Das organisch aufgebrochene Raster verwendete Hollein immer wieder als Motiv. Außerdem spielte Hollein mit Wertzuschreibungen, indem er ein Leinwandgemälde des Malers Winslow Homer – ein Sammlungsschwerpunkt des Museums – in eine von beiden Seiten zugängliche Ausstellungswand eingelassen hatte, sodass es von vorne und von hinten betrachtet werden konnte.223 Auf der Rückseite stand ironisch an der Wand: »This simple piece of cloth becomes extremely valuable…«. Im hinteren Teil des Zimmers gab es außerdem eine kleine durch durchsichtiges Plastik abgegrenzte Ecke, in der sich Hollein der fugenlosen Oberfläche als Produktform widmete.224 Die Plastikumhüllung erinnerte an sein pneumatisches Mobiles Büro von 1969. Darin zeigte er auf runden Sockeln verschiedene fugenlose Gefäße, um die Herstellung eines Objekts aus einem einzigen Stück Material zu verdeutlichen. Außerhalb der Plastikhülle hatte er einen Stuhl aus
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Abb. s. Hollein 1989, S. 57. Abb. s. ebd., S. 54. Abb. s. ebd., S. 59. Abb. s. Nakamura 1985, S. 168. Abb. s. Hollein 1989, S. 67–68. Abb. s. ebd., S. 130.
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Holz neben einen Panton Chair aus Kunststoff gestellt und präsentierte diese assoziativ als Gegensatzpaar. Ein Beispiel für humorvolle Details seiner Ausstellungsgestaltung war die Nachbildung einer Hand, die mit einem Tuch das Fenster neben den Stühlen putzte.225 Neben dem Fenster und im nächsten großen, lang gezogenen Saal zeigte Hollein diverse Produkte aus Stoff. Die Hälfte der weißen Längswand hatte er mit dunkelblauen Vorhängen verhüllt. Davor hatte er unterschiedliche Verwendungsmöglichkeiten von Stoff drapiert:226 Auf ebenfalls blauen Sockeln standen drei Variationen von Stoffzelten aus verschiedenen Kulturkreisen in Form von kleinen Modellen. Auf einem weiteren Sockel war das Modell einer Windmühle mit Segeln aus Stoff ausgestellt. Davor waren ein Campingstuhl, ein Hocker mit Stoffbezug und ein einfacher Tisch mit Tischdecke, auf der eine Landkarte aufgedruckt war, aufgebaut. Zwischen den Sockeln und an der Wand dahinter waren weitere Produkte aus Stoff wie ein Stoffdrachen und ein Regenschirm platziert. Auf der gegenüberliegenden Wand waren in einer langen Reihe Schwarz-Weiß-Fotografien angebracht, auf denen eine Person verschiedene Verwendungsmöglichkeiten von Stoff beispielsweise als Turban am eigenen Körper vorführte.227 Diese Fotos waren für die Ausstellung in Auftrag gegeben worden.228 Stoff als Segel stellte Hollein symbolisch in Form einer riesenhaft vergrößerten knapp zwei Meter langen Buddelschiffflasche aus Plexiglas dar, die das Modell eines Segelschiffs beherbergte.229 Dies war ein Beispiel für Holleins Prinzip der Transformation durch Veränderung des Maßstabes und ein besonders spektakuläres Präsentationsmöbel der Schau, das ebenfalls zur Demonstration seiner Ideen für die Ausstellung extra angefertigt worden war.230 Der übrige Teil des Raumes beschäftigte sich mit Stoff in Form von Kleidung. Hollein unterschied dabei zwischen Kleidungsstücken wie der Toga, die aus einem viereckigen Stück Stoff besteht und anthropomorphen Kleidungsstücken, die passgenau zusammengenäht sind und den menschlichen Körperformen folgen. Letztere moderne Kleidung präsentierte er vor dem dunklen Vorhang an Körperpuppen und durch Schnittmuster.231 Die Toga wurde in Form einer kleinen griechischen Marmorstatue auf einem Sockel vor einem weißen Vorhang und einem von der Decke herabhängenden gefalteten Stück Stoff präsentiert.232 In Vitrinen an der Wand, von der Decke hängend und auf einer im Raum stehenden halbkreisförmigen Holzkonstruktion
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Abb. s. Hollein 1989, S. 62. Abb. s. ebd., S. 77. Abb. s. Hollein 1989, S. 63. Czech, Hermann: Interview 03.11.2019. Abb. s. Weibel 2011a, S. 147. Czech, Hermann: Interview 03.11.2019. Abb. s. Nakamura 1985, S. 168. Abb. s. Hollein 1989, S. 80.
IV. Szenografisch-künstlerische Ausstellungsinszenierungen
wurden rituelle Kleidungstücke aus verschiedenen Kulturkreisen sowie zeitgenössische Haute Couture präsentiert.233 Neben körperbezogenen und geometrischen Kleidungsformen symbolisierten die Kleidungsstücke für Hollein die von ihm definierten zwei Grundbedürfnisse des Menschen: Erhaltung von Körperwärme und Entwicklung von Ritualen.234 Die Entwicklung von Ritualen stellte er auch durch das Exponat einer ägyptischen Krokodilmumie dar.235 Für diese hatte er einen geschwungenen Schaukasten entworfen, der in abstrahierter Form auf die Gestalt ägyptischer Palmensäulen rekurrierte und innen mit blauem Stoff ausgeschlagen war.236 Das kuriose Ausstellungstück hatte er unter einer Glashaube auf einem weißen Sockel platziert und in einem separaten, leeren Raum mit dunkel gestrichenen Wänden aufgestellt. Damit und durch punktuelle Beleuchtung von oben schuf er eine kontemplative Atmosphäre für die Betrachtung des rituellen Gegenstandes. Dieser Raum bildete einen Gegensatz zur sehr dichten Präsentation – sowohl räumlich als auch gedanklich – in den zuvor beschriebenen Räumen. Die Ausstellungsarchitektur und die assoziative Anordnung der Objekte ermöglichten es, dass die Ausstellung fast ohne erklärende Texte auskam. Ein Beispiel hierfür war ein assoziatives Bild-Objekt-Arrangement in einer Ecke zwischen dem Flur und dem Raum mit den Kleidungsstücken, mit dem Hollein geometrische und organisch-anthropomorphe Gestaltungsprinzipien als die zwei wesentlichen Designmethoden gegenüberstellte: An der Wand hingen zwei fotografische Luftaufnahmen von geschwungenen Reisterrassen in Asien und rektangulär angeordneten Anbaufeldern in Iowa, die durch eine Beschriftung identifiziert werden konnten.237 Unter den Reisterrassen war ein schwarzer Stiefel als Symbol der anthropomorphen westlichen Fußbekleidung angebracht. Unter dem anderen Bild hingen nach geometrischen Prinzipien geformte japanische Holzsandalen. Hollein verwendete die Bilder und Objekte als Zeichen, um zu zeigen, dass diese Gestaltungsprinzipien weder einer Kultur noch einer bestimmten Zeit zuordenbar seien, jedoch das Design als gegensätzliche Pole von jeher bestimmten.238
233 Abb. s. Nakamura 1985, S. 168. 234 Hollein 1989, S. 85. 235 Im alten Ägypten wurden Krokodile als heilige Tiere verehrt. Sie wurden oft durch Mumifizierung konserviert und in religiösen Zeremonien dem Krokodilgott Sobek als Geschenk dargeboten. 236 Abb.s. Weibel 2011a, S. 147. 237 Abb. s. ebd., S. 150. 238 Hollein 1989, S. 136.
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Abb. 20: MAN transFORMS, Isometrie Obergeschoss
Quelle: Privatarchiv Hollein
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Nach diesem Einblick in die Kulturgeschichte von Kleidung beschäftigte sich Hollein im letzten Raum unter dem Titel Daily Routine mit alltäglichen Produkten in Form eines Tagesablaufes. Eine großformatige Fotografie eines Waschbeckens symbolisierte den Morgen, eine von der Decke herabhängende Autotür die Fahrt zum Job, das Foto einer an einem Schreibtisch sitzenden Person in einem Büro die Arbeit an sich und Fotos eines Supermarktregals den Einkauf nach Feierabend.239 Das Foto dieses Regals ging in eine Aufnahme eines Bücherregals über, das zusammen mit einer Wohnzimmereinrichtung den Abend symbolisieren sollte. Ausgestattet war das Wohnzimmer mit einer einfachen Barka-Liege und einem hochwertigen EamesSessel, die vor einem Kamin standen, der bereits zuvor Teil des Raumes war. Darin befand sich ein Fernseher, der einen Film über Feuer und seine Zerstörungskraft abspielte. Statt einer Uhr stand auf dem Kaminsims ein Bildschirm, der eine Uhr zeigte. Hier spielte Hollein auch auf einen der Leitgedanken seiner Arbeiten aus den 1960er Jahren an: der Bildschirm als Erweiterung und Substitut der Wirklichkeit. Auf diesem Stockwerk waren noch je ein Themenraum des amerikanischen Architekten Richard Meier und von Arata Isozaki untergebracht. Meier lud das Publikum in seiner Installation dazu ein, Anagramme des Wortes »metamorphosis« zu bilden. Isozaki thematisierte die Sammlung von Vogelkäfigen des Museums.240 Das Untergeschoss bestand aus vier Ausstellungsräumen mit Beiträgen von Ettore Sottsass, Peter Mathis Bode und Oswald Mathias Ungers.241 Im aufwendig gestalteten Ausstellungskatalog stellten die beteiligten Architekten und Designer in eigenen Texten, Zeichnungen und Bildern ihre Assoziationen zum Ausstellungsthema vor.242 Der Katalog sollte die Ausstellung jedoch nicht dokumentieren oder erklären, sondern die dort präsentierten Gedanken erweitern und enthielt zudem Aspekte, die in der räumlichen Präsentation nicht umsetzbar waren.243
Analyse Diese Ausstellung war mit der Gestaltung von elf Räumen die bis dahin größte Schau, die Hollein entworfen hatte. Einzelne Räume gestaltete er als geschlossene atmosphärische Installationen, darunter die Räume mit Broten und Sternen sowie der Wintergarten im Untergeschoss und der Raum der alltäglichen Situationen im Obergeschoss. Eine Besonderheit stellte dabei der Einbezug der historischen Räume dar. Hollein integrierte ihr Erscheinungsbild in einige der Installationen. Dies wurde vor allem im Erdgeschoss deutlich, im Wintergarten ebenso wie im Speisesaal, wo er der ursprünglichen Nutzung entsprechende Installationen platzierte. Im
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Abb. s. ebd., S. 30–33. Abb. s. ebd., S. 146–148. Abb. s. ebd., S. 138–140. Nelson; Hollein 1976. Hollein 1989, S. 20.
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Obergeschoss schuf er eine Wohnzimmeratmosphäre um den historischen Kamin herum. Hollein entwarf aber auch metaphorische Environments ohne Raumbezug wie den Raum der menschlichen Situationen und die Iglu-Installation. Die Türeninstallation war ein Beispiel dafür, wie ein Thema allein über Ausstellungsarchitektur vermittelt werden konnte und wies dadurch eine Nähe zu szenografischen Gestaltungen ohne Objekte auf. Die Räume im Obergeschoss zum Thema Stoff, wo Objekte aus der Sammlung Teil der Präsentation waren, gestaltete Hollein, wie er es bei Selection 66 und Papier getan hatte, mit Vorhängen, Farbe und temporären Wänden um. Diese Räume waren im Vergleich zu den installativen Beiträgen konventionell arrangiert, da die Objekte museografischen Prinzipien entsprechend auf Sockeln und Podesten sowie in Vitrinen gezeigt wurden. Diese eigens für die Schau entworfenen Präsentationsmöbel waren jedoch keineswegs neutral, sondern hatten eigene ästhetische Qualitäten und unterstützten die Interpretation der Objekte. Ein Beispiel hierfür ist die an ägyptische Säulenformen erinnernde Vitrine für die Krokodilmumie. Diese Art der über funktionelle Prinzipien hinausgehenden, vielmehr interpretativ-ästhetischen Gestaltung von Präsentationsmöbeln ist zum Beispiel auch bei Friedrich Kieslers amorphen Sockeln für Art of This Century zu beobachten.244 Das Design der Ausstellungsmöbel wurde dem Ausstellungsthema und der Ästhetik der gezeigten Werke angepasst. Zur Gliederung und zur Unterstreichung der Raumatmosphären arbeitete Hollein mit verschiedenen Farben wie blauen Wänden im Sterneraum oder einheitlich blauen Vorhängen und Sockeln zur Präsentation der Verwendung von Stoff. Außerdem bezog er durch die Aufstellung der Hand der Freiheitsstatue im Garten und die Banner am Zaun auch den Außenraum wie schon bei Papier in die Präsentation mit ein. Die räumlichen Displays waren ästhetisch, atmosphärisch und kontextualisierend gestaltet und ebenso Teil der Schau wie die gezeigten Objekte. In diesen verschiedenen Raumsituationen kombinierte Hollein einige wenige ausgewählte Ausstellungsobjekte aus der Museumssammlung mit für die Ausstellung hergestellten Objekten und einfachen Alltagsgegenständen zur Demonstration universeller Aspekte von Design. Sein Vorgehen, Alltagsgegenstände jenseits der Konzentration auf funktionelle oder formschöne Gestaltung assoziativ als Zeichen und Metaphern zu zeigen, wurde in künstlerischen Environments und in der Pop-Art bereits praktiziert. Für Ausstellungen in musealen Institutionen mit historischen Sammlungen war dies jedoch neuartig. Exemplarisch für diese eng an künstlerische Prinzipien angelehnte Gestaltungsweise waren der Raum der menschlichen Situationen und das Iglu-Environment im Untergeschoss, in denen Hollein Alltagsobjekte durch ihr Arrangement mit Bedeutung auflud. 244 Vgl. Davidson, Susan; Bogner, Dieter (Hg.): Peggy Guggenheim & Frederick Kiesler. The Story of Art of this Century, Fondazione Peggy Guggenheim Venedig Ausst.-Kat., Ostfildern 2004, S. 250–253.
IV. Szenografisch-künstlerische Ausstellungsinszenierungen
Ungewöhnlich war auch, dass Hollein bestimmte spektakuläre Objekte wie die Buddelschiffflasche oder die Hand der Freiheitsstatue extra für die Ausstellung herstellen ließ. Die Fertigung dieser Objekte erfolgte über spezialisierte Firmen aus dem Film- und Theaterbereich. Diese Praxis unterstreicht ebenfalls die Nähe zu szenografischen Gestaltungen. Neben der großen Vielfalt der Raumsituationen und Objekte ist auch eine Vielfalt der verwendeten Präsentationssprachen erkennbar. Viele der Objekte wurden assoziativ nebeneinander und gegenübergestellt. Für die Präsentation der Hämmer, Brote und Flaggen griff Hollein auf die museale Präsentationstechnik der typologischen Reihung zurück, die häufig in anthropologischen Museen angewandt wurde.245 In auratischer Vereinzelung wurden dagegen nur wenige Objekte wie die Krokodilmumie präsentiert. Die Stühle im Wohnzimmerraum waren theatral in einem räumlich erlebbaren Gesamtbild inszeniert. In einigen Räumen wurde auf Objekte im musealen Sinn verzichtet und wie bei der Türeninstallation nur mit Ausstellungsarchitektur gearbeitet oder wie im Wintergarten mit einer Kombination aus Pflanzen und Filminstallation. Auffallend war darüber hinaus die Bandbreite an Objekten, sowohl zeitlich als auch kulturell, womit Hollein seine Auffassung von Design als überzeitliches und transkulturelles Phänomen unterstrich.246 Vertieft wurde diese visuelle Präsentation durch den Einsatz des bewegten Bildes. Durch die Verwendung vorhandener und speziell für die Ausstellung entwickelter prägnanter Kurzfilme wurde eine Demokratisierung erreicht, da diese auch von Kindern und Personen aller Nationalitäten einfacher als Texte verstanden werden konnten. Die Ausstellung sollte sich dem Publikum hauptsächlich visuell erschließen: Wie bei der Ausstellung Papier arbeitete Hollein wieder mit Gegenüberstellungen und Gegensatzpaaren wie anthropomorph – geometrisch, natürlich – künstlich, westlich – östlich sowie zusätzlich mit Vergleichen von ähnlichen Formen und Materialien. Mit seiner Sammlung von Ideen, Anregungen und Assoziationen zum Thema wollte der Ausstellungsgestalter das Publikum über assoziatives und vergleichendes Sehen zum Nachdenken anregen, wobei die Wissensvermittlung aus individuellen Erfahrungen gespeist wurde. Daher wurde die Ausstellung auch als »Learning-toSee-Show« bezeichnet.247 Durch das Konzept der geschlossenen Raumeinheiten, in dem sowohl Holleins Installationen als auch die Beiträge der anderen Teilnehmer nur lose aufeinander bezogen wirkten, wurde es dem Publikum selbst überlassen, gedankliche Bezüge zu finden und Bedeutungen zu erkennen.248 Holleins matrixar-
245 Vgl. hierzu Clarke, Alison J.: The Anthropological Object in Design. From Victor Papanek to Superstudio, in: Clarke (Hg.): Design anthropology, London; Oxford; et al. 2018, S. 38–39. 246 Vgl. hierzu Clarke 2018, S. 38–39. 247 Diamonstein-Spielvogel, Barbaralee: Inside New York’s Art World, Interview Lisa Taylor, Cooper-Hewitt Museum, 1976, Filmaufnahme. 00:15:27–00:15:30h. 248 Korn 2019, S. 80.
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tiges kuratorisches Konzept der vielfältigen Bezüge der Themen und Installationen untereinander wurde in der Ausstellung nicht offensichtlich dargelegt oder durch einen roten Faden strukturiert. So stand in Holleins Konzept die wehende Flagge im Obergeschoss in gedanklichem Zusammenhang mit dem Thema der vier Elemente im Untergeschoss und die Marmorflagge wiederum in visueller Analogie zur Toga tragenden Marmorskulptur im Nebenraum. Zugunsten von Ambivalenz und Vieldeutigkeit verzichtete er jedoch darauf, die von ihm intendierten gedanklichen Zusammenhänge aufzuzeigen.249 Vor allem im Obergeschoss waren die von Hollein behandelten Themen sehr dicht und vielfältig. Zum Beispiel wirkte der Bereich zur fugenlosen Oberfläche im Ausstellungsteil, der eigentlich Stoff behandelte, auf den ersten Blick für das Publikum vermutlich kontextlos. Das Thema der vier Elemente im Untergeschoss könnte sich dem Publikum ebenfalls nicht sofort erschlossen haben, da die Darstellung des Elements Luft durch Arata Isozakis Installation zur Gravitation weit hergeholt scheint. Dennoch wurde versucht, möglichst oft einfach verständliche Themen, Bilder und Vergleiche zu zeigen, die jedoch zumeist neben der vordergründigen und offensichtlichen Thematik noch weitere Interpretationsschichten enthielten. Die Vieldeutigkeit der Präsentation wurde beispielsweise bei der Installation zu den menschlichen Situationen im Untergeschoss deutlich, die durch die Verwendung mehrdeutiger Objekte je nach individuellem Wissen unterschiedlich interpretiert werden konnte. Um die Vielfalt der möglichen Deutungsansätze nicht einzuschränken, waren ursprünglich nur sehr kurze Überschriften als Stichworte zur Interpretation der Räume vorgesehen – wie »Metamorphosis of a Piece of Cloth« oder »Hammers – Variations of a basic item: function«.250 Allerdings wurden nach der Eröffnung weitere erklärende Texte hinzugefügt, um Verwirrungen zu vermeiden. Diese Maßnahme unterstreicht die Vermutung, dass die Ideen hinter den Inszenierungen über rein visuelle Vermittlung nicht immer verständlich wurden. Neben dieser assoziativ-visuellen Vermittlung war der sinnliche und physische Einbezug des Publikums ein weiteres Prinzip der Ausstellung, das zu ihrer Popularität beitrug. Dies wurde durch räumliche Situationen, spielerische Elemente sowie den Einsatz von Ton und Filmen erreicht. Nicht nur die Installationen von Hollein wie der Türenparcours, sondern auch die der anderen Beteiligten zeichneten sich durch den direkten oder durch sinnliche Erlebnisse hervorgerufenen Einbezug des Publikums aus. So ließ Arata Isozaki das Publikum das Gefühl erleben, in einem Vogelkäfig gefangen zu sein und bei Peter Mathis Bode sollte man einen Parcours aus verschiedenen Räumen absolvieren, deren Durchgänge sich nur öffneten, wenn man den richtigen Türgriff fand.251 Lisa Taylor sprach davon, dass die Ausstellung 249 Hollein 1989, S. 18. 250 Raumüberschriften s. Hollein 1989, S. 162–163. 251 Abb. s. ebd., S. 138. Holleins Frustrationstüre bei der Austriennale hatte ein ähnliches Prinzip.
IV. Szenografisch-künstlerische Ausstellungsinszenierungen
dafür konzipiert sei, das Kind im Besuchenden zu wecken.252 So erschienen 1989 in der Rückschau zur Ausstellung auch Ausstellungsfotos, die Personen, insbesondere Kinder, in Interaktion mit den Installationen zeigten.253 Diese aktive Teilnahme des Publikums erreichte Hollein durch die räumliche Präsentation, die durch ihre Offenheit in der Struktur und Wegeführung, atmosphärische Räume und erlebnishafte Ausstellungsarchitekturen zum Staunen und Entdecken anregen sollte. Außerdem wurde man durch die assoziative Zusammenstellung und Inszenierung der Objekte zum Nachdenken angeregt, ohne klare Leserichtungen oder Deutungsweisen vorgegeben zu bekommen. Zum Unterhaltungswert der Schau trugen ferner die spielerischen Elemente und ironische oder humorvolle Details bei. Vorbilder für solche unterhaltsamen und partizipativen Schauen für breite Publikumsschichten waren Institutionen wie Science Center. Im Exploratorium in San Francisco gab es beispielsweise einen Ames-Raum, der mit seinem Schachbrettmuster-Boden und der optischen Täuschung der Größenverhältnisse an Holleins Stuhl-Tür-Installation erinnerte.254 Auch dort wurden anschauliche Demonstrationsobjekte extra für die Ausstellung angefertigt. Einige Bereiche wie die Türeninstallation erinnerten an kommerzielle Erlebnispräsentationen, wie sie in Vergnügungsparks und auf Jahrmärkten zu sehen waren. Daher verwundert es nicht, dass es in der Planungsphase die Idee gab, zu MAN transFORMS Walt Disney Enterprises als Teilnehmer einzuladen.255
Rezeption Da die unkonventionelle Ausstellung nur einen sehr kleinen Teil der Sammlung und zusätzlich viele banale Alltagsgegenstände präsentierte, war sie Lisa Taylor zufolge höchst umstritten.256 In der Kritik zeigte man sich enttäuscht, dass die Sammlung für eine internationale Ausstellung an den Rand gedrängt wurde, die ihrer Meinung nach überall in der Welt hätte stattfinden können. Kritisiert wurde auch, dass die neu renovierten Museumsräume durch die Installationen verstellt würden und nicht zur Geltung kämen. Neben Lob und Kritik für die grundsätzliche Konzeption der Ausstellung gingen die Meinungen der Presse über die Inhalte und Gestaltungen der einzelnen Räume weit auseinander: Einigen lobenden
252 Mayer, Barbara: Decorative arts museum gets new home. The Herald Statesman (Yonkers, NY), 08.10.1976, S. 15. 253 Abb. s. Hollein 1989, S. 158–159. 254 Hein, Hilde: Naturwissenschaft, Kunst und Wahrnehmung. Der neue Museumstyp aus San Francisco, Stuttgart 1993. Abb. 12. 255 Ohne Verfasser: Liste der Namen potenzieller weiterer Ausstellungsteilnehmer, zw. 06.08.07.1975 (Manuskript), Mappe »Contributors’ meeting, Paris 1975«, Privatarchiv Hollein, Wien. 256 Hollein 1989, S. 11.
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Berichten standen detaillierte negative Kritiken gegenüber.257 Die ausführlichen Ausstellungsbesprechungen des Architekturkritikers Paul Goldenberger der New York Times und der Architekturhistorikerin Suzanne Stephens in Art Forum führten die wichtigsten Kritikpunkte auf, die auch von anderen geäußert wurden:258 Goldenberger stellte zunächst Inkohärenzen und Qualitätsunterschiede innerhalb der Ausstellung fest: »The sections range from stimulating and original to unattractive and boring.« Dem schlossen sich die meisten Kritiken an. Manche Ideen der Ausstellung wurden als »experimentell«, »anregend« und »durchdacht« gelobt. Andere Einfälle als »banal«, »irrelevant«, »abgedroschen« und sogar als »ärgerlich« bezeichnet. Stephens bemängelte, dass die Botschaft der Räume mit den Varianten eines Gegenstandes zu eindimensional und entgegen Holleins Bestreben zu didaktisch sei. Negativ wurde in dieser Hinsicht vor allem der Raum mit dem Tagesablauf im Obergeschoss beurteilt. Außerdem herrschte der Tenor vor, dass gute Ideen gestalterisch nicht immer gut umgesetzt worden seien.259 Laut Stephens seien die Präsentationsmedien teilweise unpassend gewählt worden. So seien die großen Holzrahmen für die Präsentation der fragilen bedruckten Tücher im Obergeschoss ungeeignet.260 Auch andere Kritiken schätzten Holleins unkonventionell designte Präsentationsmöbel nicht und bemängelten zugleich, dass der Bereich zur Kleidung zu sehr an musealen Präsentationsprinzipien angelehnt sei.261 Lobend erwähnt wurden vor allem experimentellere Entwürfe wie die Gestaltung der Türeninstallation. Auch Arata Isozakis birdcage-Installation wurde immer wieder als gelungen hervorgehoben.262 Den Räumen mit metaphorischen Botschaften wie dem Raum der menschlichen Situationen wurde ein klischeehafter Bezug zur Environment- und Konzeptkunst vorgeworfen. Dem Vergleich mit Environments anderer Künstlerinnen und Künstler würden sie jedoch nach Meinung von Stephens nicht standhalten.263 Goldenberger fällte ein ähnliches Urteil und schrieb: »Hollein sinks to some tired ideas and makes one yearn for the more effective sculptures on the same theme done by Pop artists fully a decade ago.« Tatsächlich sind die Installationen in MAN transFORMS im Vergleich zu Holleins künstlerischen Ausstellungen, wie in Kapitel IV.II deutlich werden wird, in der Ausführung einfach und im Bedeutungsgehalt eindimensional. Stephens Gesamturteil fiel daher 257 Es wurden Sammlungen von Presseartikeln zu MAN transFORMS aus dem Archiv Hans Hollein, Az W ausgewertet sowie weitere Artikel recherchiert, insges. rd. 50 relevante Artikel. 258 Stephens, Suzanne: Design Deformed. Artforum, Nr. 1 (1977), S. 44–47; Goldenberger, Paul: Cooper-Hewitt Gamble. The New York Times, 08.10.1976, S. 71. 259 Am explizitesten bei Hine, Thomas: New Cooper-Hewitt tries to stimulate greater sensivity. Philadelphia Inquirer, 24.10.1976, S. 195. 260 Stephens 1977, S. 47. 261 Goldenberger 08.10.1976, S. 71. 262 Ebd. 263 Stephens 1977, S. 45.
IV. Szenografisch-künstlerische Ausstellungsinszenierungen
negativ aus: »The exhibit ›topics‹ seem quite confusing. […] What was selected for the show is astonishing incoherent.«264 Ihrer Meinung nach war die Ausstellung ein Misserfolg, da sie es nicht geschafft habe, die Komplexität von Design darzustellen und stattdessen eine willkürliche Auswahl von Unterhaltungselementen zeigte. So sprach sie in Zusammenhang mit der Türeninstallation sogar von einer »Jahrmarktatmosphäre«.265 Obwohl an der Ausstellung federführende Architekten der Zeit beteiligt waren und ihre individuellen theoretischen Ansätze in die Ausstellung einbrachten, fand sie in der Architekturpresse im Gegensatz zu Zeitungen und Kunstzeitschriften kaum Resonanz. Im Unterschied zur kritischen Haltung der amerikanischen Presse kam die Ausstellung beim Publikum gut an. Einer durchgeführten Befragung zufolge äußerten sich 86 Prozent des Publikums positiv und nur 11 Prozent negativ über die Schau.266 Mit 20.000 Gästen in vier Monaten, die Schlange standen, um die Ausstellung zu sehen, war sie für das kleine Museum ein großer Erfolg. Wie erhofft gelang es, durch die Ausstellung große Aufmerksamkeit auf das Museum zu lenken und es zu einer relevanten Institution zu machen. Zwölf Jahre nach Ende der Schau kam Hollein in Zusammenarbeit mit der Hochschule für angewandte Kunst in Wien mit dem Buch MAN transFORMS – Konzepte einer Ausstellung der wiederholten Aufforderung nach, die Ausstellung zu dokumentieren, da der neue Ansatz auf großes Interesse stieß.267 Im Buch, dessen Erstellung Hollein und sein Team über mehrere Jahre beschäftigt hatte, wurden im Gegensatz zum damaligen Ausstellungskatalog der Aufbau und die Erscheinung der Ausstellung anhand von Ausstellungsplänen und -ansichten dokumentiert. Daneben wurden die hinter der Ausstellung stehenden Ideen und Konzepte durch Texte, Skizzen und Bildmaterial aus dem Ausstellungsarchiv vorgestellt und auch nicht verwirklichte Einfälle gezeigt. Eine solch ausführliche Aufarbeitung einer Ausstellung war damals und ist heute noch ungewöhnlich. Dieses Buch bildete die Grundlage für spätere Forschungen zu dieser Ausstellung: Im November 2016 organisierte der Schweizer Architekt und Hochschullehrer Laurent Stalder gemeinsam mit Samuel Korn im Rahmen eines Forschungsprojektes an der Architekturfakultät der ETH Zürich zum 40-jährigen Jubiläum der Schau die Ausstellung MAN transFORMS: Die Dokumente. Diese zeichnete mit Originaldokumenten, vornehmlich Briefe, Skizzen, Fotografien, Modelle und Filme, die Entwicklung der Ausstellung von 1976 nach.
264 Ebd., S. 44. 265 Ebd., S. 46. 266 Die Publikumsbefragung wird zitiert in: RB: Cooper-Hewitt Opening Draws Mixed Reactions, Dez 1976 (Kopie von Presseartikel o. S., mit handschriftlicher Notiz »DESIGNER, 12/76«), HN-087-001-Per, Archiv Hans Hollein, Az W, Wien. Das Original dieses Presseausschnittes bzw. die zit. Befragung wurden nicht gefunden. 267 Hollein 1989, S. 13.
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Nicht nur Stalder und Korn würdigten MAN transFORMS in jüngerer Zeit als bahnbrechend: Zoë Ryan, Kuratorin für Architektur und Design am Art Institute Chicago, stellte MAN transFORMS in ihrer 2017 erschienenen Publikation als eine von elf Ausstellungen vor, die zwischen 1956 und 2006 Architektur- und Designgeschichte schrieben. Ryan unterstrich den wichtigen Punkt, dass die Ausstellung eine herausragende Bedeutung für die Entwicklung eines neuen philosophisch-kulturhistorischen Designverständnisses hatte, da die intensive Konzeptionsphase eine breit angelegte Auseinandersetzung mit grundlegenden Architektur- und Designfragen von Hollein und den anderen beteiligten Experten darstellte. Durch das Medium der Ausstellung sei laut Ryan versucht worden, das Verständnis von Design zu verändern.268 Die Ausstellung war jedoch nicht nur in ihrer themenorientierten Konzeption und ihrem kulturhistorischen Designverständnis bahnbrechend und hatte nachhaltigen Einfluss auf die Architekturtheorie der 1980er Jahre, sondern adaptierte auch neue Konzepte der Gestaltung für das Museum. Samuel Korn stellte diesen Aspekt in Zusammenhang mit den allgemeinen Anstrengungen der Museen, sich für breitere Bevölkerungsgruppen zu öffnen. Er führte weiter aus, dass Taylors Mut zum Experiment es Hollein ermöglicht habe, die Grenzen des Formats Ausstellung zu verwischen: In der Ausstellung habe es keine klare Trennung zwischen Einzelobjekt und Ausstellungsraum gegeben. Darüber hinaus sei die Ausstellung eine Mischung aus auktorialer Konzeption und kollaborativem Prozess gewesen. Er sah die Besonderheit der Ausstellung vor allem darin, dass sie in ihrem Konzept und ihrer räumlichen Gestaltung als Laboratorium angelegt war und dem Publikum dadurch keine fertigen Thesen und keine Leserichtungen vorgegeben wurden, sondern es aktiv am Rezeptionsprozess beteiligt wurde. Holleins kuratorisches Prinzip der Montage und der Gegenüberstellung von Themen und Inhalten in der Ausstellung verstand er als Vorschlag für eine neue Art von Vermittlungsstrategie, jenseits der damals konkurrierenden auratischen oder didaktischen Präsentationskonzepte in Museen.269 Abgesehen von Ausnahmen wie Italy: the new domestic landscape wurde Design in Museen wie dem MoMA in den 1970er Jahren zurückhaltend und auratisch präsentiert.270 Bei MAN transFORMS wurde die museale Präsentation originaler Objekte durch eine assoziative Zusammenstellung in multimedialen Inszenierungen abgelöst. Nicht einzelne Objekte, sondern Ideen standen im Vordergrund und das persönliche Erlebnis sowie die eigene Erkenntnis ersetzten didaktische, textgebundene Vermittlungsstrategien. Die von der Museumsreformbewegung geforderte Entauratisierung von Ausstellungen und die Demokratisierung und Öff-
268 Ryan 2017, S. 52. 269 Korn 2019, S. 80–83. 270 Vgl. z.B. Recent Acquisitions: Design Collection, 01.12.1970-31.01.1971; Furniture from the Design Collection: Thonet, Guimard, Wright, and Rietveld, 07.02.-29.04.1975, beide MoMA.
IV. Szenografisch-künstlerische Ausstellungsinszenierungen
nung der Institution Museum spiegelte sich in der Ausstellungsgestaltung wider. Sowohl die assoziative als auch die theatrale Ausstellungssprache, verbunden mit inszenierender und szenografischer Gestaltung wurden von Hollein für ein Museum adaptiert und weiterentwickelt. Mit MAN transFORMS wurde Holleins Ausstellungspraxis erstmals für ein großes Publikum sichtbar. Die Ausstellung stellte den End- und Höhepunkt von Holleins Designausstellungen dar und war zugleich sein bisher größter Erfolg als Ausstellungsgestalter. Die ursprüngliche Idee einer weltweiten Wanderausstellung wurde jedoch nicht realisiert.
IV.I.V
Die Türken vor Wien 1983
Nach dem großen Erfolg von MAN transFORMS bekam Hans Hollein in den 1980er Jahren im Zuge der sich öffnenden Wiener Kulturpolitik unter Stadtrat Helmut Zilk die Gelegenheit, in seiner Heimatstadt großformatig zu gestalten. Der Direktor des Historischen Museum der Stadt Wien Robert Waissenberger lud ihn im Februar 1980 ein, das Präsentationskonzept und die Ausstellungsgestaltung einer großangelegten kulturhistorischen Ausstellung zu verantworten.271 Von 5. Mai bis 30. Oktober 1983 fand die 82. Sonderausstellung des Museums mit dem Titel Die Türken vor Wien. Europa und die Entscheidung an der Donau 1683 statt. Anlass war das 300-jährige Jubiläum der zweiten Türkenbelagerung Wiens. Hauptaustragungsort dieser Jubiläumsfeierlichkeiten, die als Thema der Wiener Festwochen auf die ganze Stadt verteilt waren, waren die Räumlichkeiten des Wiener Künstlerhauses der Gesellschaft bildender Künstler Österreichs.272 Die Ausstellung Die Türken vor Wien beschäftigte sich sowohl mit dem historischen Ereignis selbst als auch mit dem kulturhistorischen und gesellschaftlichen Kontext anhand von rund 1500 hochkarätigen Exponaten aus dem In- und Ausland. Derartig großangelegte kulturhistorische Ausstellungsevents mit einer großen Materialfülle und entsprechend hohen Budgets waren zu dieser Zeit im Trend. Bei diesen Ausstellungen wurden die Objekte – Kunstwerke, historische Dokumente und Alltagsgegenstände – nebeneinander ausgestellt, um kulturhistorische Zusammenhänge aufzuzeigen. Vorreiter dieser Kulturblockbuster waren in Deutschland Ausstellungen wie die dynastische Landesausstellung Die Zeit der Staufer 1977 in Stuttgart, die als eine der ersten Geschichtspräsentationen in der Bundesrepublik
271
Hollein, Hans: Brief an Robert Waissenberger, 20.10.1980 (Typoskript), MA 10/1/83, Kiste »Diverses«, Mappe »Arch. Hollein, Stadtrat«, Archiv Wien Museum, Wien. 272 Die Räumlichkeiten des Historischen Museums der Stadt bildeten einen Nebenschauplatz. Zur Geschichte des Künstlerhauses s. Aichelburg, Wladimir: Das Wiener Künstlerhaus 1861–1986. 125 Jahre in Bilddokumenten, Wien 1986.
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Die Architektur der Inszenierung
in ihrer Konzeption und Gestaltung auf ein Massenpublikum ausgelegt war.273 In Frankreich waren es die Ausstellungen des Centre Pompidou wie die Serie Paris – Berlin 1978, Paris – Moscou 1979 und Paris – Paris 1981.274 Trotz der neuen narrativen Konzeption dieser Historienschauen war ihnen in der Gestaltung eine Konzentration auf die Objekte und deren vornehmlich auratisch-didaktische und textlastige Präsentation gemeinsam.275 Auch in Österreich fanden solche Ausstellungen statt: In Niederösterreich wurde 1980 eine Landesausstellung zu Kaiser Joseph II. im Stift Melk gezeigt und im selben Jahr eine große Maria Theresia-Ausstellung im Schloss Schönbrunn.276 Allerdings wurden diese österreichischen Ausstellungen für ihre Konzeptlosigkeit und die damit verbundene fehlende Gliederung der Vielzahl der ausgestellten Objekte kritisiert und erreichten nicht die erwarteten Besuchszahlen.277 Umso wichtiger war es für die Stadt Wien, die mit ihren Ausstellungen in Konkurrenz zu den niederösterreichischen Landesausstellungen stand, mit Hans Hollein einen erfahrenen Gestalter populärer Ausstellungen für Die Türken vor Wien zu verpflichten und mit ihm gestalterisch neue Wege zu gehen. Außerdem wurde während der Vorbereitung der Ausstellung im Juni 1982 Holleins Museum Abteiberg eröffnet. Er erhielt dadurch sehr viel mediale Aufmerksamkeit, wovon die Ausstellung zusätzlich profitierte. Einer der wenigen Anhaltspunkte, mit wem sich Hollein im kulturhistorischen Ausstellungswesen auseinandergesetzt hat und woher er Anregungen für seine Konzeption bekam, ist ein Hinweis auf einen Text des Ausstellungsgestalters Klaus-Jürgen Sembach zur Thematik der nichtwissenschaftlichen Ausstellung, den Hollein für interessant hielt und daher an den Ausstellungsleiter Günter Düriegl weitergab.278 Der fast gleichaltrige Kurator und Ausstellungsarchitekt Sembach, 273 Die Zeit der Staufer, 26.03.-05.06.1977, Württembergisches Landesmuseum, Altes Schloss und Kunstgebäude Stuttgart. S. a. Große Burlage, Martin: Große historische Ausstellungen in der Bundesrepublik Deutschland. 1960–2000, Münster 2005, S. 39–50; Schober 1994, S. 20. 274 Paris – Berlin, 12.07.-06.11.1978; Paris – Moscou, 31.05.-05.11.1979; Paris – Paris, 27.05.-02.11. 1981; alle im Centre Pompidou. S. a. Celant, Germano: A visual machine, in: Greenberg; Ferguson; et al. (Hg.): Thinking about exhibitions, London 1996, S. 386. 275 Schulze 2017, S. 81. 276 Österreich zur Zeit Kaiser Josephs II. Mitregent Kaiserin Maria Theresias, Kaiser und Landesfürst, 29.03.-02.11.1980, Stift Melk; Maria Theresia und ihre Zeit. Zur 200. Wiederkehr des Todestages, 13.05.-26.10.1980, Schloss Schönbrunn. 277 Löffler, Sigrid: Auf Integration spielen. Profil, Nr. 43 (1982), S. 82–83. 278 Hollein, Hans: Brief an Günter Düriegl, 30.03.1982 (Typoskript), MA 10/1/83, Kiste »Akt Hofrat Düriegl«, Mappe »Korrespondenz Prof. Hollein«, Archiv Wien Museum, Wien; Hollein spezifiziert den Text nicht weiter und die Beilage fehlt, es könnte gemeint sein: Sembach, KlausJürgen: Entwurf für eine Ausstellung, in: Buddensieg; Rogge (Hg.): Die nützlichen Künste. Verein Deutscher Ingenieure Ausst.-Kat., Berlin 1981, S. 13–14. Sembach erläutert in dem Text sein inszenierendes Ausstellungskonzept für die Berliner Ausstellung Die nützlichen Künste, das Ähnlichkeiten mit Holleins Vorstellungen von Ausstellungsgestaltung aufweist.
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damals Leiter des Centrums Industriekultur in Nürnberg, hatte 1981 die Ausstellung Die nützlichen Künste über das Wechselspiel zwischen bildender Kunst und Technik seit der industriellen Revolution auf dem Messegelände am Funkturm in Berlin gestaltet, welche eine der ersten inszenierten und publikumsorientierten Schauen im deutschsprachigen Museumswesen war.279 Sie zog eine Lehre aus der Überfülle an Exponaten anderer Ausstellungen, die auch bei den zuvor erwähnten österreichischen Schauen beklagt worden war. Bei dieser Ausstellung hielt sich das wissenschaftliche Team zurück und überließ es Sembach, eine anschauliche und schlüssige Inszenierung zu entwerfen, die er anhand einer Dramaturgie anordnete.280 Dieses Vorgehen war bisher aus dem Theater oder Film bekannt.281 Sembach schuf spektakuläre kulissenartige Raumbilder, indem er den ausgestellten Objekten durch narrative architektonische Elemente einen »jeweils zeittypischen Umraum« gab.282 Diese neuartige Form programmatisch inszenierter Ausstellungen floss vermutlich in Holleins Konzeption ein oder deckte sich zumindest mit seinen Vorstellungen der Ausstellungsgestaltung.
Konzeption Holleins Aufgabe war es, die Ausstellung, die während einer Zeit von drei Jahren von Robert Waissenberger und seinem Team wissenschaftlich erarbeitet worden war, publikumswirksam zu präsentieren. Diese Ausstellung war sein erster Auftrag, bei dem er das inhaltliche Konzept nicht selbst entwickelte, sondern ein vorhandenes wissenschaftliches Konzept in ein Präsentationskonzept übersetzte und gestalterisch umsetzte. Das Thema der Einflüsse der türkischen Kultur auf Wien durch die Türkenkriege interessierte und beschäftigte Hans Hollein seit seiner Kindheit.283 Daraus entwickelte sich bei ihm eine generelle Faszination für die Kultur und Architektur des islamischen Raumes.284 Daher war dieser Auftrag mit einem starken persönlichen Interesse und einem grundsätzlichen Vorwissen verbunden, das er durch intensive eigene Forschungen in Vorbereitung auf die Ausstellung ausbaute.285 Laut
279 Jehle, Manfred: Die Sichtbarmachung des Unscheinbaren, in: Hölz (Hg.): Formen des Zeigens, Berlin 2013, S. 48–49. Die nützlichen Künste, 15.05.-21.06.1981, Messegelände am Funkturm, Berlin. 280 Abb. s. Hölz 2013b, S. 50–53. 281 Jehle 2013, S. 48–49. 282 Sembach 1981, S. 14. 283 Hollein, Hans: Das Belvedere. Spielplatz meiner Kindheit, in: Kraeutler (Hg.): Das Museum. Spiegel und Motor kulturpolitischer Visionen. Österreichische Galerie Belvedere Tagungsband, Wien 2004, S. 63–73. 284 Hollein, Lilli: Interview 06.11.2019. 285 Hollein las Quellentexte und in großem Umfang einschlägige Fachliteratur zum Thema und reiste nach Istanbul.
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Hollein verfolgte die Ausstellung zwei konträre Ziele: die Darstellung wissenschaftlicher Erkenntnisse zu Aspekten der Türkenbelagerung und die Schaffung einer populären Ausstellung für Urlaubsgäste, denen das Thema wenig oder gar nicht vertraut war.286 Hollein musste demnach in der Gestaltung eine Balance zwischen wissenschaftlicher Präsentation und publikumsorientierter Vermittlung finden. Seine Idee lautete daher: »Der didaktische Gehalt der Ausstellung soll unterschwellig sein und es wird vorgeschlagen, stark exponatbezogen zu arbeiten, wobei das Exponat (womöglich ein Original) ohne wesentliche zusätzliche Erläuterung Träger gewünschter Mitteilungen werden kann.«287 Er entwickelte das Präsentationskonzept auf Basis dieser grundsätzlichen Überlegungen und eigener intensiver Recherchen zum Thema. Grundlage war auch eine vom Historischen Museum zusammengestellte Karteikartensammlung der ausgewählten Objekte, mit deren Hilfe er in Zusammenarbeit mit dem Museumsteam die Ausstellung strukturierte. Hollein wählte aufgrund des heterogenen Themas und der Unterschiedlichkeit der Exponate – Werke der bildenden Kunst neben kunsthandwerklichen Objekten, militärischer Ausrüstung und Erinnerungsstücken – seine bereits mehrfach erprobte assoziativ-kontextualisierende Präsentationsmethode: Die Objekte sollten sich, unterstützt durch ihre räumliche Anordnung und die Ausstellungsarchitektur, hauptsächlich selbst erklären.288 Stärker als zuvor stand bei dieser Ausstellung jedoch die Ästhetik der Objekte im Fokus. Die Ausstellung basierte auf zwei grundlegenden Strukturen, der chronologischen Darstellung der historischen Entwicklungen und der für Holleins Ausstellungen charakteristischen Präsentation von Gegensätzen.289 Im Erdgeschoss wurde die Chronologie der Ereignisse dargestellt: die Belagerung, die Kämpfe und die Befreiung der Stadt.290 Diese wurden durch einen kontextualisierenden Teil in den ersten vier Ausstellungsräumen ergänzt, der die politische Situation in Europa thematisierte und damit die Vorgeschichte erzählte. Die Einführung konnte jedoch übersprungen werden, indem man den dafür angelegten kurzen Weg durch die Ausstellung wählte. Damit wurden die unterschiedlichen Bildungshintergründe
286 Hollein, Hans: 300 Years Commemorative Exhibition of the Turkish Siege of Vienna 1683–1983. Concept of Exhibition, a+u Architecture and Urbanism, Nr. 160 (1984a), S. 67. 287 Hollein, Hans: Vorschläge für eine alternative Strukturierung für die Türkenausstellung 1983, 02.03.1982 (Typoskript), MA 10/1/83, Kiste »Diverses«, Mappe »Arch. Hollein, Stadtrat«, Archiv Wien Museum, Wien, S. 2. Mit dieser Äußerung umschreibt Hans Hollein, was der Historiker Krzysztof Pomian wenige Jahre später mit dem Begriff des »Semiophor« beschrieb – historische Gegenstände, die ihrer ursprünglicher Funktion beraubt, im Museum als Zeichenträger fungieren. Ihre Bedeutung entsteht erst durch deren Präsentation im Museumskontext. S. Pomian, Krzysztof: Der Ursprung des Museums. Vom Sammeln, Berlin 1988. 288 Hollein 1984a, S. 67. 289 Ebd. 290 Ausstellungspläne s. Nakamura 1985, S. 186–187; Waissenberger 1983. o. S.
IV. Szenografisch-künstlerische Ausstellungsinszenierungen
und die zeitliche Verfügbarkeit des Publikums berücksichtigt. Im Obergeschoss wurde die tatsächliche kulturelle Situation der beiden Gegner mit der gesellschaftlich-künstlerischen Rezeption der Ereignisse verglichen.291 In den Seitengalerien fand eine Gegenüberstellung des Alltags in Wien und Istanbul im Jahr der Schlacht statt. Zuerst wurde die jeweilige Stadt durch Karten und Ansichten präsentiert, dann wurde osmanische und österreichische Handwerkskunst vorgestellt. Den Abschluss bildete auf der linken österreichischen Seite die Darstellung des Triumphs und auf der rechten türkischen Seite eine Darstellung des Islam. In einem großen Raum in der Mitte mit dem Titel Erinnerungen an 1683 wurde die populäre Historisierung der Ereignisse und das kulturelle Erbe dieser Begegnung, das so bezeichnete »Nachleben«, durch metaphorische Gegenüberstellungen erlebbar gemacht. Da Hans Hollein sich intensiv in die Thematik eingearbeitet hatte, sah er sich nicht bloß als Arrangeur, sondern zumindest als Mitbeteiligter an der Konzeption, wenn nicht als Kurator der Ausstellung.292 Dies führte immer wieder zu Konflikten mit Waissenberger, der diese Auffassung nicht teilte. So schrieb er an Zilk in Bezug auf Hollein: »Die Architekten dürfen nicht glauben, wenn man ihnen eine solche Aufgabe anvertraut, daß man damit ein Denkmal für ihre Größe meint. Man meint, man hat jemand an der Hand, der den Dingen eine ansprechende optische Form gibt, aber nicht mehr.«293 Unter anderem griff Hollein in Waissenbergers kuratorisches Konzept ein, indem er sich gegen dessen ursprüngliches Vorhaben einer dezentralisierten Ausstellung an mehreren Standorten aussprach und stattdessen eine Konzentration auf das Künstlerhaus vorschlug. An anderen Standorten sollten nach Holleins Meinung nur klar separierbare Sonderausstellungen stattfinden.294 Holleins Vorschlag wurde umgesetzt. Außerdem brachte er vor allem populäre Themen wie die Geschichte des Kaffeehauses in die Ausstellung ein und forderte die Integration zusätzlicher Exponate wie des Sattel- und Zaumzeugs des osmanischen Heerführers Kara Mustafa, die er wichtig für die anschauliche Darstellung des Themas hielt.295 Waissenberger schrieb im Ausstellungskatalog schließlich diplomatisch: Zuletzt, aber mit besonderer Hervorhebung, erlaubt sich der Unterzeichnete [sic!] schließlich Herrn Professor Hans Hollein zu danken, welcher der Ausstellung die
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Die politische und kulturelle Rezeption des Ereignisses wurde in einer kleinen Ausstellung in den Räumen des Historischen Museums der Stadt Wien dargestellt. Hollein, Hans: Brief an Robert Waissenberger, 22.04.1981 (Typoskript), MA 10/1/83, Kiste »Diverses«, Mappe »Arch. Hollein, Stadtrat«, Archiv Wien Museum, Wien. Waissenberger, Robert: Brief an Helmut Zilk, 11.02.1981 (Typoskript), MA 10/1/83, Kiste »Diverses«, Mappe »Arch. Hollein, Stadtrat«, Archiv Wien Museum, Wien, S. 1. Hollein: Vorschläge für eine alternative Strukturierung für die Türkenausstellung 1983 (Typoskript), Archiv Wien Museum, S. 2. Hollein, Hans: Brief an Robert Waissenberger, 07.08.1982 (Typoskript), MA 10/1/83, Kiste »Akt Hofrat Düriegl«, Mappe »Korrespondenz Prof. Hollein«, Archiv Wien Museum, Wien, S. 2.
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Die Architektur der Inszenierung
Gestalt gegeben hat, indem er sie mit Phantasie beflügelte und ihr den tierischen Ernst nahm, mit dem die Betrachtung der Geschichte im Sinne humaner Gesinnung nicht unbedingt befrachtet werden sollte.296 Dieses Zitat spiegelt wohlwollend die Konflikte wider, welche durch die Diskrepanz zwischen der konservatorisch-wissenschaftlichen Herangehensweise des Museumsteams und Holleins populär-publikumsorientiertem Vermittlungsansatz entstanden.
Gestaltung Der Ausstellungsort, das im 19. Jahrhundert im Stil einer italienischen RenaissanceVilla erbaute Künstlerhaus, befand sich in renommierter Lage an der Ringstraße gegenüber vom Karlsplatz.297 Aufgrund seiner großen Ausstellungsfläche von rund 2000 Quadratmetern wurde es von der Stadt für die Sonderausstellung zur Türkenbelagerung gemietet. Die Ausstellung erstreckte sich über das Erdgeschoss und das Obergeschoss. Die rund 20 Ausstellungsräume waren unterschiedlich groß und verfügten zumeist über Holzböden und gläserne Lichtdecken. Besonders prunkvoll war der Eingangsbereich mit einer freistehenden Treppe, die das Erdgeschoss mit dem Obergeschoss verband. Über diesen sich über beide Stockwerke erstreckenden Raum mit gläserner Lichtdecke, der mit Säulen, Bögen und Stuck im Stil der Renaissance verziert war, konnten die Ausstellungsräume erreicht werden. Vom Obergeschoss aus konnte man über zwei Galerien auf diesen Lichthof blicken. Im Mittelteil des Erdgeschosses waren zwei Räume über einen breiten Durchgang mit wenigen Stufen miteinander verbunden. Diese bildeten den zentralen Ausstellungsbereich. Aufgrund ihres renovierungsbedürftigen Zustandes mussten alle Ausstellungsräume während des Ausstellungsaufbaus neu gestrichen werden, wodurch sich für Hollein Möglichkeiten zur farblichen Gestaltung boten.298 Das inhaltliche Ausstellungskonzept übersetzte Hollein in eine spektakulär und aufwendig inszenierte Gestaltung. Für die Fassade ließ er sich eine neuartige Form der Außenwirkung einfallen: Statt wie gewöhnlich mit Plakaten oder Fahnen auf eine Ausstellung aufmerksam zu machen, gestaltete er die Fassade selbst als Werbeträger. Durch je zwei vom Dachgesims des Mittelrisalits schräg nach vorne und zur Seite gespannte Stoffplanen, die mit rot-blauen Verzierungen im osmanischen Stil versehen waren, wurde das Gebäude in ein türkisches Zelt verwandelt.
296 Waissenberger 1983, S. 14. 297 In unmittelbarer Nähe, schräg gegenüber an der südöstlichen Seite des Karlsplatzes, befand sich das für die Ausstellung verantwortliche Historische Museum der Stadt Wien. Heute ist das Museum, unter dem Namen Wien Museum, Teil der Museen der Stadt Wien. 298 Pedevilla, Erich: Interview 07.11.2019.
IV. Szenografisch-künstlerische Ausstellungsinszenierungen
Abb. 21: Die Türken vor Wien, Fassade des Künstlerhauses als Türkenzelt
Quelle: Wien Museum
Auf das Dach des Künstlerhauses setzte Hollein ein zweites Zelt in Originalgröße und stellte überlebensgroße Türkenfiguren aus Kunststoff mit aufwendigen Kostümen hinter der Balustrade auf, die so die temporäre Einnahme des Künstlerhauses signalisierten. Über dem Eingang war auf einer bogenförmigen weißen Platte in blau leuchtenden Neonbuchstaben der Titel der Ausstellung zu lesen. Skulpturen, die normalerweise auf Sockeln neben den Eingängen standen, hatte Hollein durch vergrößerte Nachbildungen türkischer Rossschweif-Lanzen ersetzen lassen. Weitere Lanzen ließ er im Grünstreifen vor dem Gebäude und als Werbeträger in der ganzen Stadt platzieren. Die Werbewirksamkeit der Fassade war dem Architekten wichtig, wie er in einem Radiointerview betonte: Ich habe versucht, aufbauend auf dem Konzept, das vom historischen Museum erarbeitet wurde, eine Ausstellung zu machen, die schon sozusagen im Stadtbild beginnt und die einfach attraktiv und anziehend auf das Publikum wirkt, bevor sie überhaupt den Entschluss gefasst haben, in die Ausstellung hineinzugehen. Und deswegen erschien es mir wichtig, ausnützend die besondere Lage des Künstlerhauses, hier am Karlsplatz einen Akzent mit diesem türkischen Zelt, das ja für jeden Wiener zumindestens [sic!] durchaus schon ein Symbol dann für die Türkenbelagerung ist, zu setzen.299
299 Hollein in: Hofer, Brigitte: Mittagsjournal – Kulturbeitrag, Türkenausstellungen in Wien, Niederösterreich und Burgenland, 14.05.1985, Tonaufnahme. 00:48:31–00:49:20h (Transkript durch die Verfasserin).
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Die Architektur der Inszenierung
Das Gebäude ließ er damit zum Sockel beziehungsweise zur Präsentationsfläche seines auf den Außenraum erweiterten Ausstellungskonzepts werden, das dadurch auch mit der Umgebung in Dialog trat.300 In den Innenräumen setzte Hollein ebenfalls effektvolle Inszenierungen ein.301 Das Ausstellungsdisplay war bis hin zu kleinen Details atmosphärisch gestaltet: Die Räume, welche die Vorgeschichte und die Zeit nach der Schlacht zeigten, waren in hellen Farbtönen gestrichen und gleichmäßig ausgeleuchtet. Die Räume im Erdgeschoss, die sich dokumentarisch mit Aspekten des Kampfes etwa der Bewaffnung und Ausrüstung beschäftigten, waren dagegen in dunklen Farben gestrichen und mit einzelnen Strahlern beleuchtet. Für die Lichtregie wurde mit einer auf Lichtdesign spezialisierten Firma aus Köln zusammengearbeitet, welche die Beleuchtung der Räume und der Fassade den gestalterischen Wünschen und den konservatorischen Bedürfnissen entsprechend entwarf.302 Die vorhandene Lichtdecke im Treppenhaus wurde mit blauem Glas und roten Akzenten bestückt, sodass ein geometrisches Muster entstand, das den Lichthof in geheimnisvolles bläuliches Licht tauchte.303 In den Arkaden des imposanten Treppenhauses hatte Hollein originale osmanische Banner aufgehängt. Über dem Durchgang von der Treppe ins Obergeschoss hing eine Mondsichel mit Stern aus Messing aus dem 16. Jahrhundert. Auch das Foyer wurde in die Gestaltung miteinbezogen: Die Decke war mit roten Stoffbahnen als Pendant zur Fassadengestaltung verhüllt und die Ticketverkaufsschalter waren mit thematisch passenden geometrischen Mustern verziert. Die allumfassende Gestaltung des Gebäudes und seiner Innenräume vom Boden bis zur Lichtdecke zeigte sich in weiteren Details wie ornamentalen Bordüren, welche die Wände einiger Räume zierten, sowie im Design der Präsentationsmöbel. Die Präsentationsmöbel wie Vitrinen und Podeste ebenso wie die Rahmen für die Präsentation von Grafiken hatte Hollein extra für die Ausstellung entworfen. Viele der Objekte wurden in auffälligen quadratischen Vitrinen ausgestellt, deren Sockel aus vier abgestuften Beinen bestanden, die je nach Raum eine unterschiedliche farbliche Gestaltung aufwiesen. Für einige besondere Ausstellungsstücke wie eine Urkunde des Schreibens von Sultan Süleyman I. an König Ferdinand I. hatte Hollein den Ausstel-
300 Z.B. mit der von Johann Bernhard Fischer von Erlach Anfang des 18. Jh. erbauten, schräg gegenüber gelegenen barocken Karlskirche. Die markanten Säulen der Hauptfassade erinnern laut Hollein an das Erscheinungsbild der Hagia Sophia und sind somit ein Beispiel für die Einflüsse türkischer Baukunst in Wien. Obrist 2015, o. S. 301 Ausstellungsansichten s.a. Nakamura 1985, S. 184–188; Hollein 1984a, S. 66–72. 302 Die Firma hieß Lichtdesign Ingenieursgesellschaft Köln. Für eine ausführliche Beschreibung der Lichtgestaltung mit vielen Ausstellungsansichten s. Maltoki, Hans T. von: 300 Jahre. Die Türken vor Wien – Europa und die Entscheidung an der Donau 1683, Erco Lichtbericht, Nr. 17 (1983), S. 14–21. 303 Abb. s. Hollein 1984a, S. 69.
IV. Szenografisch-künstlerische Ausstellungsinszenierungen
lungsstücken entsprechend geformte Vitrinen und Sockel entworfen.304 Die Rahmen für Grafiken waren aus Birnenholz und so gekurvt, dass sie bei entsprechender Beleuchtung keine Schatten warfen.305 Die Hängung der meisten Gemälde, Teppiche und Papierarbeiten entsprach musealen Konventionen. In manchen Räumen wie im Einführungsteil im Erdgeschoss war sie sehr dicht, teilweise in zwei Reihen übereinander. In anderen Räumen war die Hängung dagegen locker. Größere Objekte wie Möbel standen oft ähnlich wie bei Selection 66 auf leicht erhöhten farbigen Podesten. Da die einzelnen Objekte, abgesehen von kleinen Identifikationstafeln, nicht weiter textlich erklärt wurden, wurden die Botschaften der Ausstellung über die assoziative Zusammenstellung und Hängung der Objekte und die räumliche Gestaltung transportiert. Ausführliche Informationen zu jedem Ausstellungsstück bot der Katalog. Besonders stark war die assoziative Zusammenstellung der Objekte im Raum mit dem Titel Die Erinnerung an das Jahr 1683, der den Nachwirkungen des historischen Ereignisses in der österreichischen Kultur gewidmet war. Diese wurden durch Gemälde, die das Ereignis adaptierten, und durch profane Gegenstände wie ein Straßenschild mit dem Namen Türkenschanzstraße und durch echte Fliederbüsche und Rosskastaniensträucher dargestellt. Weitere Elemente waren ein Wandfries aus mit Lack überzogenen Kipferln und ein barockes Prunkbett mit geschnitzten Türkenfiguren.306 So entstand eine präzise kalkulierte vielschichtige Objektlandschaft. Zusätzlich waren vermutlich thematisch passende Musikstücke zu hören.307 Neben der assoziativen Zusammenstellung unterschiedlichster Exponate in übersichtlichen Gruppen wurden in den Räumen auch Schaubilder, Grafiken und neue Medien zur unterhaltsamen und anschaulichen Vermittlung der Ausstellungsthematiken genutzt. Dafür waren zwei schlicht gehaltene Videoräume im Erdgeschoss eingerichtet worden und in einigen Ausstellungräumen standen Bildschirme. Auch das Café des Künstlerhauses gegenüber vom Treppenaufgang im ersten Stock wurde in die Präsentation miteinbezogen: Dort wurde die Geschichte des Kaffeehauses dargestellt und türkischer Kaffee und Gebäck serviert, was zum Freizeitwert der Ausstellung beitrug.
304 Abb. s. ebd., S. 72. 305 Pedevilla, Erich: Interview 07.11.2019. 306 Ein Kipferl ist eine längliche, gebogene Backware. Im Deutschen wird es auch als Hörnchen bezeichnet. Hollein ließ die in einer Bäckerei bestellten Kipferl mit Lack überziehen, um sie haltbar zu machen. Anschließend wurden sie an die Wand geklebt. Angeblich ist das Kipferl in Wien in Zusammenhang mit der zweiten Türkenbelagerung entstanden und bezieht sich von der Formgebung auf den türkischen Halbmond. 307 U.a. war der Schlager Im Prater blüh’n wieder die Bäume von Robert Stolz zu hören. Historisches Museum der Stadt Wien; Portisch, Hugo: Türkenbote. Information und Unterhaltung (Besucherheft zur Ausstellung, Druck), Kiste Nr. 322, Archiv Künstlerhaus, Wien, S. 25. Weitere Informationen zu den Musikstücken konnten nicht gefunden werden.
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Die Architektur der Inszenierung
Abb. 22: Die Türken vor Wien, Obergeschoss, »Erinnerungen an 1683«
Quelle: Wien Museum
Den inhaltlichen wie gestalterischen Höhepunkt bildete im zentralen Raum des Erdgeschosses die Darstellung des Zusammentreffens der beiden Heere und des Triumphs der westlichen Alliierten in der finalen Schlacht am 12. September 1683, die mit der Befreiung Wiens endete. Hans Hollein hatte diese Schlacht als Diorama-artiges Szenario gestaltet: Auf einem mit grünem Stoff ausgelegten halbkreisförmigen Podest waren auf der linken Seite fünf lebensgroße Plastikmodelle von weißen Pferden mit originalem Sattelzeug positioniert. Auf deren Rücken symbolisierten Rüstungen der polnischen Flügelhusaren der westlichen Alliierten das berittene Heer. Im Hintergrund waren auf einem keilförmigen Sockel originale Lanzen und Rüstungen so platziert, dass sie das aufmarschierende Bürgerheer symbolisch darstellten. Weitere Waffen und Ausrüstungsgegenstände waren auf dem Boden, wie zufällig im Schlachtengetümmel verloren, verteilt. Vorne in der Mitte lag die Figur eines gestürzten türkischen Pferdes mit verdrehten Gliedmaßen. Dahinter stand eine Feldkanone. Als zentrales Element im Hintergrund und historische Bekräftigung zeigte ein Gobelin die Schlachtenszene. Auf der rechten Seite stand hinter zwei sich aufbäumenden Pferden mit historischen Sätteln ohne Reiter ein originales türkisches Zelt. Banner und Fahnen hingen von der Decke. Die Szenerie wurde wechselnd beleuchtet und mit Geräuschen und Musik akustisch untermalt. Festliche Barockfanfaren, türkische Schlachtenmusik, Kampfgeräusche und Siegesgeläut waren zu hören. Theaterscheinwerfer mit Farbfiltern sorgten für dynamische Lichteffekte, welche die Protagonisten der Schlacht und deren Relikte in
IV. Szenografisch-künstlerische Ausstellungsinszenierungen
der Reihenfolge ihres Auftretens beleuchteten.308 Diese in Zusammenarbeit mit einem spezialisierten Licht- und Tontechniker kurz vor Beginn der Ausstellung noch eilig erstellte, etwa 10-minütige Multimediaschau kontextualisierte die originalen Relikte und sollte das Publikum ins Geschehen eintauchen lassen.309 Im Raum davor war außerdem ein acht Meter langes osmanisches Oval-Zelt aus dem 17. Jahrhundert mit Einrichtungsgegenständen aufgebaut, das auf das nachfolgende Szenario einstimmen sollte und einen anschaulichen räumlichen Eindruck der Behausungen während der Belagerung bot.310
Abb. 23: Die Türken vor Wien, Erdgeschoss, »Scenario«
Quelle: Privatarchiv Hollein, Foto: Luc Bernard
Analyse Die Ausstellung Die Türken vor Wien war eine gesamtheitliche Inszenierung eines Themas. Dennoch können auch hier unterschiedliche Arten der Rauminszenierung unterschieden werden: Vorherrschend war eine dekorative Inszenierung, die sich durch einen Einsatz dramaturgischer Mittel und Ästhetisierung auszeichnete.311 Durch die Kombination aus Lichtregie und Farbgestaltung der Räume sowie dekorativen Elementen wie Wandbordüren oder speziell entworfenen Vitrinen wurden
308 Maltoki 1983, S. 20. 309 Stadtrat Helmut Zilk hatte sich persönlich für die Ausführung eingesetzt, obwohl das Szenario das Ausstellungsbudget überschritt. Zilk, Helmut: Brief an Robert Waissenberger, 22.04.1983 (Typoskript), MA 10/1/83, Kiste »OAR Schertler 2. Teil«, Archiv Wien Museum, Wien. 310 Abb. s. Maltoki 1983, S. 21. 311 Vgl. Dekorativer Inszenierungstypus, in: Klein; Wüsthoff-Schäfer 1990, S. 21–22.
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stimmungsvolle Raumsituationen erzeugt. Ein Bericht in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung beschrieb diese Raumeindrücke anschaulich: Zu betörender Harmonie ergänzen sich die delikaten Farben der Schaukästensockel, des Fußbodenbelages und der Wandtönung. Eine wohlüberlegte Lichtregie verhindert, daß sich die überraschenden Zeugnisse kunstgewerblichen Eifers im Osmanischen Reich unvornehm-vorlaut vordrängen, die dezente Pracht beeinträchtigen. Die Ausstellungsstücke sind vielmehr eine Farbnuance mehr in einer exquisiten Symphonie feiner Valeurs raffinierter Modulationen türkesquer Motive. Das hat Charme, genialen Chic, das ist ein entzückendes Ballett der Palette, atmosphärisch ausgestattet, und wie jede gelungene Inszenierung von selbstständig-bezauberndem Wert als reine Farb- und Bildkonstruktion auch ohne Rücksicht auf den möglichen Inhalt des Stücks.312 Entscheidend war der räumliche Gesamteindruck aus farblicher Wandgestaltung, passend entworfenen Präsentationsmöbeln und teilweise assoziativen Werkzusammenstellungen. In vielen Räumen hatte das Display demnach eine atmosphärischunterstützende dekorative Funktion für die auratische, assoziative oder theatrale Inszenierung der Objekte. Einige wenige Inszenierungen wie das Oval-Zelt im Vorraum zum Schlachtenszenario waren dagegen als möglichst authentisch rekonstruierte Raumbilder angelegt. Aufgrund ihrer multimedialen und assoziativen Gestaltung und des Fehlens von Ausstellungsstücken tendierte Holleins Fassadenbild in Richtung Szenografie. Ähnliches trifft auch auf das Schlachtenszenario zu, welches verschiedenste Medien wie Ton, Licht, Ausstellungsarchitektur und die Objekte zu einem Gesamtbild kombinierte. Dass dekorative Rauminszenierungen vorherrschend waren, war der Tatsache geschuldet, dass in dieser Ausstellung viele wertvolle und empfindliche Originale präsentiert wurden und restauratorische Vorgaben beachtet werden mussten. Daher erfolgte die Zurschaustellung größtenteils mittels museografischer Präsentationsmedien auf Sockeln und in Vitrinen sowie in musealer Hängung von Gemälden. Ähnliches war bereits bei der Ausstellung MAN transFORMS zu beobachten, bei der die Räume mit Originalen im Obergeschoss ebenfalls museografischen Prinzipien folgend, oder, wie Hollein es in Bezug auf die Türken vor WienAusstellung nannte, »seriös« gestaltet waren.313 Das oben genannte Zitat des Journalisten Eberhard Straub bestätigt den Eindruck, dass die Ausstellungsgestaltung die Objekte teilweise in den Hintergrund treten oder zu bloßer Dekoration werden ließ. Ein Beispiel hierfür waren die historischen Fahnen aus dem 17. Jahrhundert,
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Straub, Eberhard: Der schicke Glanz vergossenen Blutes Widerschein. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20.06.1983, S. 21. Historisches Museum der Stadt Wien; Portisch: Türkenbote. Information und Unterhaltung (Besucherheft zur Ausstellung, Druck), Archiv Künstlerhaus, S. 22.
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die das Treppenhaus schmückten und zur Atmosphäre beitrugen, durch ihre Aufhängung jedoch nicht aus der Nähe betrachtet werden konnten. Besonders im Schlachtenszenario fungierten die Objekte als assoziative Zeichen für das Thema des Raumes. Auch im Raum mit dem Titel Erinnerungen an 1683 herrschte diese assoziative Ausstellungssprache vor, die durch ein Spiel mit symbolhaft eingesetzten Objekten in überraschenden Gegenüberstellungen gekennzeichnet war. Die Originale wurden dabei durch echte Pflanzen sowie Musik ergänzt, um ein besonderes Erlebnis zu schaffen. Die Objekte in Die Türken vor Wien wurden demnach mit Raum, Licht und Ausstellungsarchitektur zu einem alle Sinne ansprechenden ästhetisch-atmosphärischen Gesamterlebnis verbunden. Mit der Ausstellung wurde versucht, breiten Publikumsschichten das Thema möglichst unterhaltsam und kurzweilig zu präsentieren und zugleich eine vertiefende Betrachtung zu ermöglichen. Holleins Ausstellungsgestaltung war daher zunächst auf Atmosphäre, Ästhetik und Erlebnis ausgerichtet. Durch seine Ausstellungsdisplays förderte er die Schaulust des Publikums. Alles, was ermüdend wirken konnte wie lange Ausstellungstexte, wurde in den Katalog verlagert oder ganz vermieden. Stattdessen sollte man durch die Vielzahl der prunkvoll präsentierten Exponate überwältig werden. Zudem sollte man durch die Erzeugung ästhetischer Stimmungen und Atmosphären visuell angesprochen und in die damalige Zeit versetzt werden. Außerdem sollten die Gäste durch die multimedialen Präsentationen unterhalten werden. Insbesondere für das Wiener Publikum und für an den Objekten interessierte Personen bot die Ausstellung verschiedene Ebenen. Waissenberger riet daher, sich die Ausstellung zweimal anzusehen, da sie eine wissenschaftliche und eine künstlerische Seite habe: »Man sollte sich beim ersten Besuch einfach einmal beeindrucken lassen, Stimmung einfangen, sich umsehen.«314 Erst beim zweiten Besuch solle man die Ausstellung dann systematisch begehen und auch die zur Verfügung gestellten Hilfsmittel wie den Katalog konsultieren. Bereits 1981 während der Vorbereitung zu Die Türken vor Wien war die Einbindung von Objekten in »Stimmungsarchitekturen« bei der erwähnten Ausstellung Die Nützlichen Künste sowie bei der Ausstellung Preußen – Versuch einer Bilanz im Martin-Gropius-Bau in Berlin zu sehen. Diese Ausstellungen setzten damit neue Standards der Inszenierung historischer Objekte und gelten als Vorläufer szenografisch gestalteter Ausstellungen.315 Letztere Ausstellung, an deren Gestaltung unter anderem der von der Schaubühne am Halleschen Ufer in Berlin bekannte Bühnenbild-
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Historisches Museum der Stadt Wien; Portisch: Türkenbote. Information und Unterhaltung (Besucherheft zur Ausstellung, Druck), Archiv Künstlerhaus, S. 3. Baumunk, Bodo-Michael: Abschied vom Event, in: Kilger (Hg.): Szenografie in Ausstellungen und Museen I, Essen 2004, S. 11. Preußen – Versuch einer Bilanz, 15.08.-15.11.1981, Martin-Gropius-Bau Berlin, s.a. Korff, Gottfried (Hg.): Preußen. Versuch einer Bilanz, Martin-Gropius-Bau Berlin Ausstellungsführer, Reinbek 1981.
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gestalter Karl-Ernst Herrmann beteiligt war, führte drei neue Prinzipien in die Gestaltung kulturhistorischer Ausstellungen ein: die Präsentation von Originalen und Alltagsobjekten als gleichberechtigte Ensembles, die durch Inszenierung akzentuiert wurden, räumliche Erlebnisse und ironische Brechungen.316 Für Hollein waren diese Konzepte jedoch nicht neu. Sie entsprachen seiner bisherigen Ausstellungspraxis, die er an kulturhistorische Ausstellungen anpasste. Besonders die monumentale Gestaltung des Lichthofes des Martin-Gropius-Baus mit dem Arrangement eines riesigen Stahlturmes, der Replik einer Kanone, einem an einem Ballon schwebenden Reiterstandbild und weiteren Elementen kann in Zusammenhang mit Hans Holleins ebenfalls monumentaler Fassadengestaltung des Künstlerhauses gesehen werden.317 Wie bei der Ausstellung in Berlin traten auch bei der Wiener Schau Einflüsse aus der theatralen Bühneninszenierung zu Tage. Drei Jahre zuvor hatte Hollein selbst opulente Bühnenbilder für das Theaterstück Komödie der Verführung am Burgtheater in Wien entworfen.318 Die ganze Ausstellung war in ihrer Struktur wie eine Erzählung oder ein Theaterstück angelegt, durch das man flanieren und Geschichte erleben konnte. Das Schlachtenszenario stellte den Höhe- und Wendepunkt der Dramaturgie dar. Ausgehend von der Präsentationsform des Dioramas als museale Installation mit illusionistischer Wirkung steigerte Hollein die Illusion und den Erlebnischarakter beim Schlachtenszenario zusätzlich durch den Einsatz von Ton und wechselnder Beleuchtung zu einer szenografischen Multimediaschau. Ebenso wie die Fassadengestaltung bekam das Schlachtenszenario auch dadurch bühnenbildhaften Charakter, dass die Inhalte wie auf einer Bühne präsentiert wurden. Man war nicht wie bei früheren Ausstellungen Teil der räumlichen Präsentation und konnte diese betreten. Auch die Staffagefiguren, Pferde oder im türkischen Stil gekleidete Puppen, erinnerten an illusionistische Bühneninszenierungen sowie an Themenwelten, wie beispielsweise die seit 1967 im Disneyland Anaheim eingerichtete Attraktion Pirates of the Caribbean mit Audio-Animatronik-Figuren. Darüber hinaus kann die Fassadengestaltung in die Wiener Tradition temporärer historischer Festarchitekturen seit dem Barock gestellt werden.319 Neben der dekorativen atmosphärisch-assoziativen Gestaltung wurde die Ausstellung durch ihre effektorientierten theatralen Momente geprägt. 316
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Korff, Gottfried: Zielpunkt: Neue Prächtigkeit? Notizen zur Geschichte kulturhistorischer Ausstellungen in der »alten Bundesrepublik«, in: Biermann (Hg.): Vom Elfenbeinturm zur Fussgängerzone, Opladen 1996, S. 73; vgl. hierzu auch Schulze 2017, S. 177–180. Ausführliche Bilddokumentation sowie Erläuterungen zum Ausstellungs- und Gestaltungskonzept (Korff S. 14–17) s. Eckhardt, Ulrich (Hg.): Preussen. Versuch einer Bilanz. Bilder und Texte einer Ausstellung der Berliner Festspiele GmbH., Berlin 1982. S. Kap. V.III.III. Oechslin, Werner; Buschow, Anja: Festarchitektur. Der Architekt als Inszenierungskünstler, Stuttgart 1984, S. 14–17.
IV. Szenografisch-künstlerische Ausstellungsinszenierungen
Rezeption Die deutschsprachige und internationale Presse berichtete größtenteils sehr positiv über die Ausstellung und lobte insbesondere Holleins Gestaltung.320 Diese wurde unter anderem als »neugierig machend«, »unkonventionell«, »anschaulich«, »einfallsreich«, »modern« und »ansprechend« beschrieben. Das inhaltliche Konzept hielten die meisten für wissenschaftlich gründlich recherchiert und informativ. Der Feuilletonredakteur der Neuen Zürcher Zeitung Hansres Jacobi schrieb über die Ausstellung, dass »sich das Didaktische mit dem Aesthetischen vorzüglich« verbinde.321 Der Architekturkritiker Christian W. Thomsen lobte: »[…] eine der zweifellos schönsten, kurzweiligsten Information, wissenschaftlichen Anspruch und Unterhaltung miteinander verbindenden Ausstellungen der letzten Jahre.«322 Ähnliches formulierte Claudio Magris in der Süddeutschen Zeitung, indem er die Schau als »einzigartig schöne, reichdokumentierte und erfinderisch-phantasievoll arrangierte Ausstellung« beschrieb.323 Alfred Pfoser sprach in den Salzburger Nachrichten gar davon, dass Holleins Türken vor Wien-Ausstellung neue Maßstäbe der Geschichtspräsentation gesetzt habe und sah die Ausstellung als Weichenstellung und Maß für zukünftige Präsentationen im österreichischen Ausstellungswesen: »Geschichte wird im Künstlerhaus zum instruktiven Spektakel aufgelöst, die Objektwelt wird dynamisiert zu einem Gesamterlebnis, in das Raum, Präsentation und erst dann der einzelne Gegenstand hineinspielen.«324 Besonders lobte Pfoser den Einbezug des Publikums und dessen Wahrnehmungsebenen. Andere Ausstellungsrezensionen hoben das anschauliche Arrangement der Objekte und die didaktische Aufbereitung der Ausstellung positiv hervor.325 Der dekorative Umgang mit einzelnen Objekten im Zusammenspiel mit der starken Inszenierung, insbesondere an der Fassade, im Erinnerungsraum und am großen Kampfszenario, wurde in manchen Texten vorsichtig hinterfragt. So schrieb der Wiener Kritiker Franz Endler über den Raum der Erinnerung, dass »Holleins revuehafter Verschnitt aus barockem Türkenbett und Flieder und Kipferlgirlande zwar sehr attraktiv ist, jedoch den Besucher etwas
320 Es wurden Sammlungen von Presseartikeln zu Die Türken vor Wien aus dem Archiv Hans Hollein, Az W; dem Wien Museum (Karton »Diverse Zeitungsausschnitte Buch HR. Waissenberger«) und dem Künstlerhaus Wien (Box Nr. 323, 324, 325) ausgewertet, insges. rd. 35 relevante Artikel. 321 Jacobi, Hansres: Die Türken vor Wien. Neue Zürcher Zeitung, 25.05.1983, S. 39. 322 Thomsen, Christian W.: Tendenzen der Architektur. Eine Tagung von Kunstakademie und Akademie der Architekten in Düsseldorf, Parnass, Nr. 1–2 (1984), S. 16. 323 Magris, Claudio: Die Türken vor Wien Ausstellungen zum 300. Jahrestag der Belagerung in der österreichischen Hauptstadt. Süddeutsche Zeitung, 21./22.08.1983, S. 83. 324 Pfoser, Alfred: Die Türkenbelagerung als Gesamtkunstwerk. Salzburger Nachrichten, 25.05.1983, S. 9. 325 Z.B. Frankfurter, Johannes: Die Auswirkungen eines Krieges. Neue Zeit Graz, 17.05.1983, S. 4.
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ratlos werden läßt.«326 Dennoch war der Tenor einer gelungenen, modernen, für Wien höchst ungewöhnlichen und vorbildlichen Ausstellungsgestaltung für das breite Publikum vorherrschend. Im Vergleich mit MAN transFORMS war die journalistische Besprechung der Ausstellungsgestaltung jedoch allgemeiner und weniger detailliert. Mit der Rekordzahl von rund 413.500 Gästen – ursprünglich war nur mit 100.000 gerechnet worden – war die Schau, wie Holleins Ausstellungen zuvor, beim Publikum äußerst erfolgreich. Interessanterweise schrieb der Journalist Franz Endler in seiner Ausstellungsbilanz, dass Personen, die zu ihrem Ausstellungsbesuch befragt wurden, nicht explizit auf Holleins Gestaltung eingingen, sondern die Ausstellung ganz allgemein gut fanden und vor allem wegen des Themas gekommen seien. Dies könnte ein Hinweis darauf sein, dass Holleins dekorative Inszenierungen eher indirekt als Beitrag zum Ausstellungserlebnis wahrgenommen wurden. Ausschlaggebend für den Besuch seien, so Endler, neben dem Thema, die umfangreiche Werbung und positive Rezensionen in der Presse gewesen. Wenige Befragte ließen sich dagegen nur durch Holleins Fassadengestaltung in die Ausstellung locken.327 Mit dieser großzügig budgetierten Großausstellung ging das Kulturamt der Stadt neue Wege und setzte Maßstäbe:328 Die Türken vor Wien war die erste große inszenierte Ausstellung von einem renommierten Architekten in der österreichischen Hauptstadt. Die Stadt orientierte sich mit der Beauftragung Hans Holleins, der sich mit seinen publikumsbezogenen Ausstellungen bereits einen Namen gemacht hatte, erfolgreich an aktuellen Tendenzen der verstärkten Publikumsorientierung und Inszenierung von Ausstellungen.329 1985 knüpfte das städtische Museum mit der ebenso populären Großausstellung Traum und Wirklichkeit direkt an seinen ersten großen Erfolg an und übertraf ihn sogar noch.
IV.I.VI Traum und Wirklichkeit 1985 Im November 1983 direkt nach dem Ende von Die Türken vor Wien fiel die Entscheidung eine Ausstellung über eine weitere bedeutende Phase in der Wiener Historie – die Zeit um 1900 – zu machen. Das Historische Museum der Stadt Wien brachte für dieses Projekt gute Voraussetzungen mit, denn es besaß eine große Samm326 Endler, Franz: Die Dame an der Kasse nickt. »Die Türken vor Wien« entpuppt sich als erfolgreichste Ausstellung seit langem, Die Presse, 09.06.1983, S. 3. 327 Ebd. Endler geht nicht näher darauf ein, auf welche Publikumsbefragung er sich bezieht. 328 Die Ausstellung hatte ein geplantes Gesamtbudget von rd. 15 Mio. Schilling. Das darin enthaltene Herstellungsbudget von rd. 8 Mio. wurde überschritten. Hollein erhielt ein Honorar von rd. 2,5 Mio. 329 Zum Erfolg kulturhistorischer Ausstellungen seit den 1980er Jahren und den veränderten Wahrnehmungsbedingungen vgl. Kaiser 2006, S. 11–12. Schober, Anna: Montierte Geschichten. Programmatisch inszenierte historische Ausstellungen, Wien 1994.
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lung von Werken des Jugendstils und insbesondere von Gustav Klimt.330 Für die Entwicklung einer solch großen Ausstellung blieb den Verantwortlichen des Museums jedoch nur wenig Zeit, denn die Eröffnung sollte bereits im März 1985 stattfinden. Hans Hollein wurde nach der erfolgreichen Zusammenarbeit bei Die Türken vor Wien gleich zu Beginn ein zweites Mal für das Präsentationskonzept und die Gestaltung engagiert. Das Thema der Ausstellung interessierte ihn persönlich sehr, da er sich seit den 1960er Jahren mit Architekten der Zeit wie Adolf Loos, Otto Wagner und Josef Hoffmann beschäftigte und sich in seinen Projekten immer wieder auf diese bezog.331 Auch die enge Verbindung von Architektur, Kunst und Design dieser Zeit stellte ein wichtiges Thema in seiner eigenen Arbeit dar. Da im Gebäude der Wiener Secession Renovierungsarbeiten stattfanden und große Ausstellungsflächen benötigt wurden, wurden für die Ausstellung erneut die Räume des Wiener Künstlerhaus angemietet. Innerhalb von 17 Monaten erarbeitete Robert Waissenberger mit seinem neunköpfigen Team das wissenschaftliche Konzept der Ausstellung und konnte hochkarätige nationale und internationale Leihgaben für die Ausstellung gewinnen.
Konzeption Die großangelegte kulturhistorische Schau sollte die Kontraste der Zeit darstellen und trug daher den Titel Traum und Wirklichkeit – Wien 1870–1930. Unter diesem Leitmotiv der Gegensätze zwischen künstlerischen Träumen und soziokultureller Realität sollte die Zeit rund um die Jahrhundertwende präsentiert werden. Diese weit gefasste Zeitspanne von rund 60 Jahren hatte ihren Ausgangspunkt im Jahr des Börsencrashs 1873 und endete mit der zweiten großen Finanzkrise 1929. Beispielhaft wurden 24 sogenannte »Momente des Aufbruchs« in der bildenden Kunst, der Architektur, dem Theater und dem Kino, der Musik und der Literatur, den Wissenschaften sowie der Politik und Gesellschaft ausgewählt, anhand derer die Kulturgeschichte der Zeit in ihrer Gegensätzlichkeit erzählt werden sollte. Visuell sollten diese Gegensätze durch Werke der bildenden und angewandten Kunst, historische Zeugnisse wie Fotografien, Pläne und Plakate und durch die Ausstellungsgestaltung dargestellt werden.332 Bei dieser Ausstellung war Hollein bereits von Anfang an in
330 Zu den kulturpolitischen Strategien der Ausstellung s. Mayran, Tiphaine: Un corpus, deux expositions: Traum und Wirklichkeit, Wien 1870–1930; Vienne, naissance d’un siècle, 1880–1938. Exemple de l’impact de la politique culturelle sur le sens conféré aux artefacts (Masterarbeit), Ecole du Louvre Paris 2014. 331 Bei Holleins Beitrag zur Architekturbiennale 1980 war eine der Säulen als Modell von Adolf Loos’ Chicago Tribune Tower gestaltet (s. Kap. IV.III.I). Bei den Österreichischen Verkehrsbüros zitierte Hollein Otto Wagners Postsparkasse etc. 332 Hollein, Hans: Das Konzept zur Präsentation der Ausstellung »Traum und Wirklichkeit Wien 1870–1930«, in: Waissenberger (Hg.): Traum und Wirklichkeit. Historisches Museum der Stadt Wien Ausst.-Kat., Wien 1985a, S. 36.
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die Konzeption eingebunden und übersetzte wie bei Die Türken vor Wien ein wissenschaftlich erarbeitetes Konzept in das Medium der Ausstellung. Durch die vorgegebene Struktur der Räumlichkeiten konnte die Chronologie der Ereignisse nicht immer eingehalten werden, daher wurden die einzelnen Themen so präsentiert, dass sie unabhängig voneinander verstanden werden konnten. Der Ausstellungsparcours war ähnlich wie bei Die Türken vor Wien so organisiert, dass man je nach zeitlicher Verfügbarkeit und Interesse bestimmte Themen auslassen konnte. Pfeile im Orientierungsplan schlugen einen Rundgang durch die Ausstellung vor.333 Die Schau war wieder für ein breites Publikum angelegt und verfügte über eine große Spanne unterschiedlichster Ausstellungsobjekte. Hans Holleins Aufgabe bestand darin, die große Anzahl und Vielfalt der rund 2200 Exponate in Szene zu setzen und gleichzeitig so zu strukturieren, dass das Publikum nicht überfordert wurde. Darüber hinaus musste er ein Präsentationskonzept finden, das diese lange Zeitspanne sowie das breite Themenspektrum, darunter sehr theoretische Themen wie die Finanzkrise oder die wissenschaftliche Arbeit Ludwig Wittgensteins, einem heterogenen Publikum anschaulich vermittelte. Durch die Mitarbeit Holleins am Projekt standen bestimmte Themen wie die Architektur und die Wiener Werkstätte im Fokus. Hans Hollein fasste sein Konzept für die Ausstellung in wenigen Sätzen zusammen: Obwohl wissenschaftlich genau, soll sie auch populär und erlebnishaft sein. Didaktik und Dokumentation baut auf Material auf, das in sich ein Potential der Mitteilsamkeit besitzt. Die Aura des Originals wird nicht nur wegen der Authentizität der Konfrontation eingesetzt, sondern auch zur Provokation von Assoziationen, zur Mitteilung komplexer Konstellationen und Zusammenhänge durch die Symbolkraft der Ikone. Rationalität und Emotionalität stehen gleichrangig nebeneinander. Diese Ausstellung soll nicht nur Information, sondern auch Stimmung vermitteln. […] Der manichäische Titel der Ausstellung »Traum und Wirklichkeit« fordert zu einer komplexen Dialektik, zu einer fast collagehaften Konfrontation und Kollision der Bedeutungsträger heraus. […] Eine Ausstellung konkreter Objekte, die gleichzeitig Metaphern sind.334 Wie bei den Ausstellungen zuvor war demnach das Ausstellungserlebnis ein wichtiges Anliegen für Hollein. Die Präsentation der Objekte sollte seinem bereits mehrfach in Ausstellungen erprobten Konzept der metaphorischen Zusammenstellung und Konfrontation folgen, um Assoziationen auszulösen und Denkanstöße zu geben. Um die Wirkung der Präsentation zu steigern, beeinflusste Hollein kuratorische Entscheidungen. Dies zeigte sich vor allem in der Auswahl und Präsentation einiger sprechender Objekte. Unter anderem plädierte er dafür, die blutbefleckte 333 Ausstellungspläne s. Waissenberger 1985, S. 796–797. 334 Hollein 1985a, S. 36–37.
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Uniform, welche der österreichische Thronfolger Franz Ferdinand bei seiner Ermordung in Sarajevo trug, zu zeigen, was Ausstellungsleiter Günter Düriegl ursprünglich nicht vorgesehen hatte.335 Für Hollein war die Uniform »einfach eine Ikone, die schon ein so […] assoziatives Potential hat, dass damit schon viel gesagt ist.«336 Holleins Anliegen war es, dass »mit der Aura des Originals – Dinge vermittelt werden – Erlebnisse«.337 Weiter führte er aus: »Es geht auch für mich sehr darum, zum Beispiel ganz gewisse Leihgaben zu bekommen, mit denen ich gewisse Ideen transportieren kann, […] die dieses metaphorische Potential haben, damit Dinge zum Ausdruck gebracht werden können, die nicht ohne weiteres direkt visuell vermittelbar sind.«338 Auch die Idee, den Beethovenfries, eine der Hauptattraktionen der Ausstellung, zu restaurieren und in einer Rekonstruktion seiner ehemaligen Präsentationssituation seit 1902 erstmals wieder zu zeigen, stammte von Hans Hollein.339 In einem späteren Interview bejahte er die Frage, ob er zugleich als Kurator und Gestalter der Ausstellung fungiert habe und betonte, dass Robert Waissenberger und er das Konzept gemeinsam entwickelt hätten.340 Die fünfmonatige Vorbereitungsund sechswöchige Aufbauzeit in Zusammenarbeit mit über 60 Firmen zeugen vom enormen Aufwand, den das Atelier Hollein bei diesem Projekt betrieb. Hans Hollein hatte dafür wieder entsprechend hohe Honorare und Produktionsbudgets ausgehandelt und sein ganzes Team eingebunden.341
Gestaltung Die Ausstellung wurde erneut im Erdgeschoss und Obergeschoss des Künstlerhauses präsentiert. Im Untergeschoss wurden zudem Möbel der Zeit gezeigt. Seit der Ausstellung Die Türken vor Wien war das Treppenhaus restauriert und in seiner ursprünglichen Renaissancebemalung wiederhergestellt worden. In die Gestaltung bezog Hollein abermals das ganze Gebäude ein.
335 Düriegl, Günter: Interview 22.01.2014. 336 Parschalk, Volkmar: Von Tag zu Tag, Gespräch mit Hans Hollein, 14.03.1985, Tonaufnahme. 00:07:08–00:07:20h (Transkript durch die Verfasserin). 337 Ebd., 00:07:33–00:07:49h. 338 Ebd., 00:20:20–00:20:46h. 339 Pedevilla, Erich: Interview 22.01.2014. 340 Obrist 2015, o. S. 341 Gesamtkosten der Ausstellung waren fast 60 Mio. Schilling. Das vorgesehene Herstellungsbudget von 12,5 Mio. Schilling wurde wg. der vielen Modelle und Rekonstruktionen überschritten.
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Abb. 24: Traum und Wirklichkeit, Ausstellungsplan, Obergeschoss
Quelle: Privatarchiv Hollein
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Abb. 25: Traum und Wirklichkeit, Fassadengestaltung Künstlerhaus
Quelle: Privatarchiv Hollein, Foto: Georg Riha
Erneut dekorierte er die Frontseite des Künstlerhauses: Den linken Seitenflügel hatte Hollein mit Schlagmetall vergolden lassen und auf das Dach eine goldene Skulptur gesetzt, die einer Figur aus dem zerstörten Gemälde Die Medizin von Gustav Klimt nachempfunden war.342 Diese nackte Frauenfigur war circa sieben Meter hoch und symbolisierte den Traum. Die Wirklichkeit wurde auf dem rechten grau gestrichenen Seitenflügel durch ein zehn Meter hohes Turmsegment des KarlMarx-Hofes mit wehenden roten Fahnen dargestellt.343 Die beiden Aufbauten wurden durch den Neonlicht-Schriftzug »Traum und Wirklichkeit« über dem Dachgiebel des Mittelrisalits visuell verbunden. Die Typografie verdeutlichte die Gegensätze: So war das Wort »Traum« in einer verspielten geschwungenen Schrift gestaltet, während »Wirklichkeit« in nüchternen Großbuchstaben geschrieben war. Bei Nacht wurde der Gegensatz zusätzlich durch die Lichtregie deutlich gemacht, da die goldene Seite angestrahlt wurde, während die Seite der Realität im Dunklen blieb. Mit 342 Hollein wählte hier ein Bild mit wechselvoller, umstrittener Geschichte: Das Gemälde Die Medizin von Gustav Klimt, das ursprünglich für den Schmuck der Decke des Großen Festsaals der Universität Wien vorgesehen war, sorgte bei seiner Erstpräsentation für einen Eklat. Die naturalistische Darstellung des nackten Körpers und die pessimistische und kritische Sicht der Disziplin Medizin wurden kritisiert. Die Universität wies dieses und zwei weitere Fakultätsbilder Klimts daher zurück. Das Gemälde wurde privat angekauft, die Besitzer jedoch von den Nationalsozialisten enteignet. Die Medizin gilt seit dem Zweiten Weltkrieg als verschollen. Vermutlich verbrannte das Gemälde. 343 Der Karl-Marx-Hof ist einer der bekanntesten Gemeindebauten Wiens und gilt als Ikone des Roten Wien, der Zeit der sozialdemokratischen Kommunalpolitik zwischen 1919–1934.
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der Vergoldung des gerade frisch gestrichenen Gebäudes und der nackten Frau auf dem Dach war Hollein die Aufmerksamkeit in Wien sicher.344 Hollein entwickelte ein Gestaltungskonzept für die Innenräume, um die besonderen Atmosphären der Zeit zu vermitteln. Das Dekorationskonzept wurde je nach Thema variiert. Es reichte von subtilen Hervorhebungen der Exponate bis zu allumfassenden Inszenierungen der Räume. Von den Bodenbelägen bis zur Wandverkleidung, von der Deckengestaltung bis zur Beleuchtung wurde alles bis ins Detail von Hollein arrangiert. Ziel der Gestaltung war es, jedes einzelne Kapitel der Schau mit einem eigenständigen Dekorationskonzept zu unterlegen, das dessen Bedeutung und Atmosphäre in visuelle Eindrücke und Stimmungen umsetzte, so Franz Madl, Projektleiter der Ausstellung im Atelier Hollein.345 Die Räume waren demzufolge dem jeweiligen Thema entsprechend farblich passend gestaltet: Die Wände im Raum der Sozialdemokratie waren rot gestrichen und graue Wände unterstrichen die Stimmung im Raum zum Ersten Weltkrieg. Auch die bei Die Türken vor Wien bereits verwendeten aufgemalten oder plastischen Bordüren am Wandabschluss unterstützten in vielen Räumen die thematische Gestaltung. So war der Raum zu Gustav Mahler mit einem Fries aus Schattenbildern verziert, die den Komponisten beim Dirigieren zeigten.346 Eine Wandbemalung mit einem Turm des Karl-Marx-Hofes in stilisierter Form umgab den Raum zum Thema Das rote Wien.347 Im roten Teppichboden dieses Raumes war zudem der Grundriss einer Arbeiterwohnung in besagtem Komplex eingewebt worden. Für die Räume zur Wiener Werkstätte und zu Josef Hoffmann hatte Hollein einen Teppichboden nach einem von Hoffman entworfenen Muster anfertigen lassen.348 Der Titel des Raumes war in jeweils passender Typografie an der Wand angebracht. Für die Wandbeschriftung zur Wiener Werkstätte wurde zum Beispiel eine dort entwickelte Schriftart genutzt. Im Raum zu Adolf Loos wurden Sockel und Bodenleisten in Marmoroptik verwendet, um Loos’ Vorliebe für dieses Material zu unterstreichen.349 Das Publikum wurde auch durch unterschiedliche Lichtsituationen in die jeweilige Stimmung des Raumthemas versetzt. Bei der Lichtregie wurde wieder mit derselben Firma wie bei Die Türken vor Wien zusammengearbeitet. Die Beleuchtung zum Ersten Weltkrieg war schummrig, während der Raum davor zur Wiener Secession hell erleuchtet war. Der Einsatz von Ton und Filmen war ebenfalls Teil von Holleins atmosphärischem Ausstellungskonzept, in vielen Räumen waren Musik-
344 345 346 347 348 349
Düriegl, Günter: Interview 22.01.2014. Almhofer, Edith: Traum und Wirklichkeit. Wir und unsere Welt, Nr. 7–8 (1985), S. 16–17. Abb. s. Waissenberger 1985, S. 174. Abb. s. ebd., S. 657. Abb. s. ebd., S. 728. Abb. s. ebd., S. 458.
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stücke oder Lesungen zu hören.350 Daneben konnte man sich frühe Stummfilme, Dokumentationen und Statistiken auf Bildschirmen ansehen. Innerhalb dieser von Hollein geschaffenen atmosphärischen Ausstellungssituationen war die Aufstellung und Hängung der Objekte in vielen Räumen, beispielsweise zum Komponisten Arnold Schönberg und Wiens Bürgermeister Karl Lueger, konventionell-museal und wurde von den Museumsleuten verantwortet.351 In den Räumen mit besonders bedeutsamen Exponaten und Themen wurden die Objekte dagegen von Hollein spektakulär inszeniert. Wie bei Die Türken vor Wien hatte er wieder interpretierende Präsentationsmöbel entworfen, zum Beispiel eine sargähnliche schwarze Vitrine für die Uniform Franz Ferdinands. Um die Lage der Kirche am Steinhof von Otto Wagner auf einem Hügel nachzuempfinden, setzte Hollein deren Modell auf einen hohen abgestuften Sockel, sodass man dazu hinaufblicken musste.352
Abb. 26: Traum und Wirklichkeit, Obergeschoss, Lichthof, »Makart Festzug«
Quelle: Privatarchiv Hollein, Foto: Georg Riha
350 Z.B. Dreivierteltakte aus der Operette Die Fledermaus von Johann Strauss und ein Walzer aus der Oper Der Rosenkavalier von Richard Strauss, der Kaiserwalzer von Johann Strauss beim Festzug im Treppenhaus, Zwölftonmusik von Arnold Schönberg, Musikstücke von Gustav Mahler, eine Lesung von Karl Kraus sowie gesprochene Sätze aus der Biografie von Sigmund Freud. Christ, Richard: Wien – Traum und Wirklichkeit. Die Weltbühne, 30.07.1985, S. 974. 351 Cooke; Hollein 1986, S. 51. Abb. s. Waissenberger 1985, S. 727, 731. 352 Abb. s. Weibel 2011a, S. 155.
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Die Farbe Gold spielte in der Ausstellung in Wandbordüren, goldenen Kugeln und Säulen als Hommage an Klimt und seine Zeitgenossen sowie als visuelle und gedankliche Verbindung zu ihnen eine wichtige Rolle.353 Weitere visuelle Verbindungen zwischen verwandten oder kontrastierenden Themen wurden durch kalkulierte Blickachsen aufgezeigt. Besonders stark wirkte der Kontrast zwischen dem opulenten Makart-Festzug im Treppenhaus und dem dahinter liegenden Otto-WagnerRaum mit seiner nüchternen, strengen Atmosphäre. Von den Räumen des linken Flügels im Obergeschoss aus konnte man das bläuliche Licht sehen, das den FreudRaum erhellte. Damit sollte deutlich gemacht werden, dass Freuds Ideen unter anderem die Gruppe Jung-Wien, deren Wirken in einem Raum auf dieser Achse ausgestellt war, beeinflusst hatten.354 Ein anderes Beispiel stellte der Raum dar, in dem Gemälde von Gustav Klimt ausgestellt wurden: Der Durchgang zum angrenzenden Raum war mit einer goldenen Umrahmung versehen, die in der Blickachse zugleich Klimts dort ausgestelltes Gemälde Der Kuss rahmte.355 Um das Publikum in die Zeit eintauchen zu lassen, arbeitete Hollein neben der Gestaltung atmosphärischer Räume und der Inszenierung von Objekten mit Rekonstruktionen oder Nachstellungen historischer Räume. Zum Beispiel empfand er im Raum, der dem Schriftsteller Peter Altenberg gewidmet war, die originale Präsentation von dessen Postkartensammlung im Grabenhotel nach, indem er auf einer blumigen Wandbespannung Postkarten im Stil der originalen Hängung verteilte.356 Das Interieur des von Adolf Loos eingerichteten Raucherzimmers der Wohnung Turnowsky wurde vollständig mit originalen Gegenständen nachgestellt.357 Die spektakulärste Rekonstruktion war die der historischen Ausstellungssituation des Beethovenfrieses in der Wiener Secession, die Hollein mit einem wissenschaftlichen Team so originalgetreu wie möglich nachbildete.358 Neben Atmosphäre und Erlebnis war Anschaulichkeit, insbesondere im Bereich der Architektur und Stadtplanung, im Konzept Holleins sehr wichtig. Wo Originale nicht verfügbar waren, wurden Modelle, Rekonstruktionen und Reproduktionen genutzt. Hollein rechtfertigte deren Einsatz folgendermaßen: Vielfach sind Objekte verschwunden, wurden Originalmodelle nie angefertigt oder sind Standortveränderungen des Originals nicht möglich. Hier ist der Einsatz solcher Mittel sinnvoll, insbesondere auch in Bereichen und bei Objekten, wo die Aura des Originals nicht im Vordergrund steht, sondern Sichtbarmachungen
353 354 355 356 357 358
Hollein 1985a, S. 37. Abb. s. Waissenberger 1985, S. 731. Abb. s. Cooke; Hollein 1986, S. 53. Original und Umsetzung in der Ausstellung s. Waissenberger 1985, S. 313, 731. Abb. s. Cooke; Hollein 1986, S. 48. Zur Rekonstruktion s. Hollein 1985b, S. 558–566.
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von Sachverhalten, bildmäßige Verdeutlichung, visuelle statt verbaler Erklärung, Erlebnis der dritten Dimension.359 Die Herstellung der modellhaften Darstellungen und Rekonstruktionen wurde von Holleins Atelier geleitet und überwacht. Neben Abgüssen von Standbildern und Grabmählern, beispielsweise von Gustav Mahler und Josef Hoffmann, wurden Rekonstruktionen von Architektur in Originalgröße angefertigt. Am spektakulärsten war die Rekonstruktion zweier Portale, des Depeschenbüros der Wiener Zeitung Die Zeit von Otto Wagner und der Kärtner Bar von Adolf Loos.360 Für die Erarbeitung dieser Rekonstruktionen, welche meist auf spärlichem Quellenmaterial fußten, wurden Fachleute hinzugezogen und damit auch ein Beitrag zur Architekturforschung geleistet. Daneben wurden Architekturmodelle wie von der Kirche am Steinhof und der Postsparkasse meist im Maßstab 1:50 hergestellt.361 Außerdem wurden im Auftrag des Ateliers Hollein Fotografien noch existierender Gebäude angefertigt. Diese wurden in der Ausstellung als große hinterleuchtete Bilder inszeniert und dienten dort sowie im Katalog der weiteren Veranschaulichung.362
Abb. 27: Traum und Wirklichkeit, Obergeschoss, Raum zu Sigmund Freud
Abb. 28: Traum und Wirklichkeit, Erdgeschoss, Raum zur Wiener Werkstätte
Quellen: Privatarchiv Hollein, Foto: Georg Riha
Besonders stark war Holleins inszenierende Ausstellungsgestaltung in bestimmten Räumen, zum Beispiel im Lichthof: Neben der eigentlichen Treppe hatte
359 Hollein, Hans: Rekonstruktionen und Modelle in der Ausstellung, in: Waissenberger (Hg.): Traum und Wirklichkeit. Historisches Museum der Stadt Wien Ausst.-Kat., Wien 1985, S. 721. 360 Abb. s. Waissenberger 1985, S. 129–128, 445. 361 Abb. s. Waissenberger 1985, S. 109, 131. 362 Innenaufnahme der Kirche am Steinhof auf Ausstellungswand links im Bild, s. ebd., S. 129.
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er eine künstliche Treppe aufbauen lassen, auf der goldene Figuren in historischen Kostümen mit im Ventilatorwind wehenden Fahnen den Makart-Festzug zur Silberhochzeit des Kaiserpaares nachstellten. An der Decke hing eine Zusammenstellung imposanter Kronleuchter, die aus verschiedenen Sammlungen stammten und die Szene beleuchteten. Ein roter Vorhang, der von der Decke hing, und musikalische Beschallung mit dem Kaiserwalzer von Johann Straus unterstrichen die theaterhafte Szenerie. Der doppelköpfige Adler als Symbol des Kaiserreiches war auf den Bannern des Festzuges ebenso zu sehen wie als Schild über dem Treppenaufgang und an den Wandspiegeln. Ein Beispiel, wie die Raumatmosphäre fast nur durch die Gestaltung transportiert wurde, war der Raum zur Traumdeutung von Sigmund Freud. Der kleine Raum war im Vergleich zu anderen Räumen fast leer. Nur einige wenige Fotos sowie zwei Schaukästen mit Objekten hingen an den Wänden. Als Ersatz für das originale Interieur von Freuds Behandlungszimmer, dessen Ausleihe nicht möglich war, hatte Hollein eine Miniatur der Patientencouch und des Lehnstuhls des Psychoanalytikers als reduziertes abstrahiertes Modell aus vergoldetem Kunststoff entworfen, welches auf einem hohen Sockel in einer Raumecke platziert wurde.363 Die Besonderheit des Raumes war, dass dieser durch die Deckenbeleuchtung in traumhaft blaues Licht getaucht wurde und der Boden aus mosaikartig zusammengesetzten, unregelmäßigen Platten bestand. Der Raumeindruck durch das Licht wurde von der Architektin Catherine Cooke als hypnotisierend beschrieben und deutete in Kombination mit dem Boden ein bruchstückhaftes, diffuses und geheimnisvolles Bild der Psychoanalyse an.364 Bei der Gestaltung des großen Raumes365 und der zwei kleinen Nebenräume mit Objekten der Wiener Werkstätte lehnte Hollein die Präsentation an Raumgestaltungen von Josef Hoffmann an: Die Decke verhüllte er mit einem Velum. Den Boden zierte, wie bereits erwähnt, ein Teppichboden mit geometrischem Muster von Hoffmann. Entlang der Wände waren eigens entworfene Präsentationsschränke angebracht. Im Raum standen dazu passende Vitrinen mit perforierten Stahlelementen, die Objekten der Wiener Werkstätte nachempfunden waren.366 Ebenso wie die Möbel der Wiener Werkstätte im Raum auf Podesten standen, wurden die Objekte in den Präsentationsschränken auf filzbezogenen Podesten präsentiert.367 In zwei halbrund gestalteten intimen Räumen, die an den größeren Raum angegliedert waren, wurden kleinere Objekte wie Schmuck in Schaukästen gezeigt. Diese erinnerten durch die Beleuchtung mit Spotlights und das Arrangement ebenfalls an Schau-
363 364 365 366 367
Abb. s. Weibel 2011a, S. 157. Cooke; Hollein 1986, S. 26. Abb. s. ebd., S. 36–41, 728. Objekte vgl. Waissenberger 1985, S. 342, 357. Abb. s. Cooke; Hollein 1986, S. 38–39.
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fensterauslagen. Durch die durchgängige Verwendung eines blau-grauen Farbtons am Boden, an den Wänden und den Präsentationsmöbeln wurde eine edle Atmosphäre erzeugt. Wie bei Die Türken vor Wien bildeten die zwei mittleren großen Räume des Erdgeschosses das Herzstück der Ausstellung. Im hinteren Raum war Klimts Beethovenfries in der Rekonstruktion seiner ursprünglichen Ausstellungssituation in der Wiener Secession zu sehen. Davor standen sich eine Beethovenskulptur Max Klingers und Gustav Klimts Gemälde Der Kuss gegenüber.368 Dazu ertönte Beethovens neunte Sinfonie, die Klimt inspiriert hatte. Der Kuss war auf einer frei im Raum stehenden altarähnlichen Präsentationswand angebracht. Ein Podest mit vier Pfeilern, die ein rotes Absperrseil trugen und mit goldenen Kugeln verziert waren, sollte den ikonenhaften Charakter dieses für Klimts Kunst zentralen Werkes unterstreichen. Diesem der Kunst der Zeit gewidmetem Saal war im daran anschließenden vorderen Raum die Realität des Ersten Weltkrieges gegenübergestellt. Hollein hatte hier Kunstwerke und Präsentationsmöbel zu einer assoziativen und stimmungsvollen Collage arrangiert: Zwischen den zwei Ausgängen hing in der Mitte der Wand das Gemälde Die Namenlosen von Albin Egger-Lienz, das kämpfende Soldaten in der Schlacht zeigte. Darüber war ein vergoldeter Lorbeerkranz aufgehängt, der von einem Spotlight angestrahlt wurde. Davor war die besagte Uniform Franz Ferdinands aufgebahrt. Ihr zur Seite gestellt waren wie zur Totenwache jeweils vier von Hollein entworfene säulenförmige Lampen. Auf einem kleinen Fernseher lief ein historischer Schwarz-Weiß-Film, der die Monotonie der Waffenproduktion zeigte. Rechts der Lampen war auf einer freistehenden Präsentationswand eine Kopie des Porträts der Kaiserin Elisabeth nach Franz Xaver Winterhalter zu sehen. Hans Hollein kommentierte seine Idee der Zusammenstellung der Objekte im Rückblick so: »I wanted to show the instance of conflict between systems, generations, and countries. In an exhibition you must also have exhibits that tell you a big story in a nutshell.«369 Links von diesem Arrangement, welches im Kleinen viele Gedanken über die Geschichte des Ersten Weltkrieges evozierte, stand eine von Hollein entworfene graue Meditationszelle, die man betreten konnte, um im goldenen Innenraum eine Seite von Ludwig Wittgensteins Tractatus logico-philosophicus zu betrachten und sein Zitat »Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.« an der Wand zu lesen. In diesem Raum wurden die Objekte als Symbole präsentiert. So verband Hollein in dieser Szenerie assoziativ das Philosophische mit der ausgehenden prunkvollen Kaiserzeit und dem Schrecken des Krieges in der modernen Welt.
368 Abb. s. ebd., S. 55. 369 Interview mit Hollein, in: Capezzuto, Rita; Obrist, Hans U.; et al.: Hollein vs. Biennale. Biennale vs. Fuksas. Domus, Nr. 874 (2004), S. 47.
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Abb. 29: Traum und Wirklichkeit, Erdgeschoss, Raum zum Ersten Weltkrieg
Quelle: Privatarchiv Hollein, Foto: Georg Riha
Zur Ausstellung erschien wie bei Die Türken vor Wien ein umfangreicher wissenschaftlicher Ausstellungskatalog, der durch Aufsätze von Fachleuten und detaillierte Beschreibungen sowie Abbildungen der Exponate die Vertiefung des Gesehenen ermöglichte. In einem ebenfalls im Katalog enthaltenen Text erläuterte Hollein die Grundprinzipien seines Präsentationskonzeptes und in zwei weiteren Texten sein Vorgehen bei der Rekonstruktion des Raumes von Josef Hoffmann für Klimts Beethovenfries sowie bei den Rekonstruktionen und Modellen von Architektur in der Ausstellung.370 Die zweite Auflage des Kataloges enthielt zudem einige Ausstellungsansichten.
Analyse Holleins Gestaltungskonzept für die Ausstellung war umfassend und kontextualisierend. Die Farben, Formen und passend gestalteten Präsentationsmöbel wurden mit den Objekten so in Beziehung gesetzt, dass sie ein einheitliches Bild und damit einen stimmungsvollen Raumeindruck ergaben, der das jeweilige Raumthema unmittelbar wahrnehmbar machte. Wiederkehrende Elemente wie Wandbordüren und Vergoldung, um einzelne Objekte hervorzuheben, fungierten als visueller Leitfaden durch die Ausstellung. Raumatmosphären, Inszenierungen, Rekonstruktionen und Modelle sollten das Publikum in sehr bildlicher und sprechender Form da-
370 Waissenberger 1985, S. 36–37, 558–565, 721–723.
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bei unterstützen, in die Zeit einzutauchen. Das ganze Präsentationskonzept fußte dem Ausstellungsthema entsprechend auf Anschaulichkeit und Ästhetisierung. Außerdem wurde das Thema der Gegensätze über das Display vermittelt. Während bei Die Türken vor Wien dekorative Inszenierungen vorherrschten, die weniger differenziert auf einzelne Themen ausgerichtet waren, war bei Traum und Wirklichkeit die Bandbreite der Arten der räumlichen Inszenierung größer. Jeder Raum war individuell dem Thema entsprechend gestaltet. Es wurde auf verschiedene Arten der räumlichen Inszenierung zurückgegriffen, die oft miteinander verwoben wurden. Die dekorative Inszenierung bestimmte die gesamte Ausstellung, indem durch ästhetisierende und dramaturgische Mittel ein stimmungsvoller Rahmen für die Präsentation geschaffen wurde. Die Räume wurden ähnlich wie bei Die Türken vor Wien mittels Farbe, Licht und Stoffen dekorativ-atmosphärisch gestaltet. Außerdem wurden Räume oder Rauminstallationen in enger Anlehnung an historische Vorlagen authentisch rekonstruiert. Das aufwendigste Beispiel hierfür war die Rekonstruktion der Ausstellungssituation des Beethovenfrieses. Darüber hinaus gab es Räume und Displays, die weniger rekonstruktiv oder atmosphärisch als abstrahierendsymbolisch gestaltet waren. Exemplarisch ist der Freud-Raum anzuführen, bei dem das blaue Licht als Zeichen für das Thema des Raumes fungierte.371 Für die Einrichtung der Räume mussten sich Hollein und das 16-köpfige Team seines Ateliers sehr genau mit den Inhalten der Ausstellung auseinandersetzen, um durch die Gestaltung das Thema der jeweiligen Räume zu transportieren. Die Gestaltung der einzelnen Räume war demnach bei dieser Ausstellung differenzierter und noch aufwendiger als bei der vorangegangenen Schau. Ähnlich wie bei Die Türken vor Wien wurden innerhalb der beschriebenen Rauminszenierungen unterschiedlichste Objekte und Ausstellungssprachen miteinander kombiniert. Grob können folgende drei Arten der Präsentation von Objekten bei dieser Ausstellung unterschieden werden: Erstens wurden Werke aufgrund ihrer ästhetischen Qualitäten ausgestellt. Dies traf auf die Gemälde von Klimt und seinem Kreis zu, die als Meisterwerke innerhalb der dekorativen Gestaltung museal-auratisch präsentiert wurden. Zweitens wurden Objekte zur Illustration bestimmter Sachverhalte ausgestellt wie Porträtgemälde von berühmten Persönlichkeiten oder Büsten. Diese wurden mit anderen Objekten zu theatralen Objektensembles kombiniert. Drittens wurden Objekte durch ihre Inszenierung zu Symbolen, die das Leitthema der Gegensätze assoziativ sichtbar machen sollten. Solche assoziativen und mehrfach codierten Inszenierungen, die sich durch sinnbildliche Zeichen und ein Spiel mit Symbolen auszeichneten, waren unter anderem im Raum zum Ersten Weltkrieg zu sehen. Die Verwendung von Rekonstruktionen, Modellen und Nachbildungen war einer der wesentlichen Unterschiede zu Die Türken vor Wien, wo mit wenigen Ausnahmen nur Originale gezeigt wurden. 371
Vgl. »Symbolisierender Typus« in: Klein; Wüsthoff-Schäfer 1990, S. 21–22.
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Außerdem wurden bei Traum und Wirklichkeit im Gegensatz zu Die Türken vor Wien und ebenso MAN transFORMS bekannte Meisterwerke der bildenden Kunst wie Der Kuss von Gustav Klimt gezeigt. Die Besonderheit der Schau war daher die Dualität der Präsentation von Meisterwerken der bildenden und angewandten Kunst als ästhetische Schauobjekte und gleichzeitig deren assoziative Zusammenstellung als Metaphern für die Kontraste der Zeit.372 Wie Die Türken vor Wien war die Ausstellung als Spektakel für ein breites Publikum konzipiert. Holleins Inszenierung wurde bei dieser Ausstellung durch kurze erklärende Raumtexte unterstützt. Dennoch sollte sich die Ausstellung vor allem über das Visuelle erklären, wie Hollein ausführte: Die Ausstellung ist so gestaltet, dass ich eigentlich vom Betrachten der Objekte und den Texten, die diesen Objekten beigegeben sind, das Wesentliche verstehe. Und dass ich jetzt nicht in einer Ausstellung stundenlang vor langen Texten stehen muss, die mir das noch weiter erläutern. Wenn ich spezifischer und intensiver an irgendeinem Detailproblem interessiert bin, schaue ich im Katalog nach, nicht nur zu Hause, sondern direkt in der Ausstellung.373 Da der Ausstellungsgestalter jedoch bewusst Originale mit Rekonstruktionen kombinierte, kam den Objektbeschriftungen in der Ausstellung eine besondere Bedeutung zu. Zur Klärung der Frage, ob die ausgestellten Objekte original oder eine anschauliche Nachbildung waren, mussten die Beschriftungen oder der Katalog konsultiert werden. Auch bei dieser Ausstellung fand eine Staffelung der inhaltlichen Ebenen statt. Zunächst konnte man das Thema des jeweiligen Raumes durch den Gesamteindruck und die transportierte Atmosphäre wahrnehmen. Musik spielte als atmosphärischer Zusatz zudem eine wichtige Rolle. Wie bei früheren Ausstellungen waren an die künstlerische Praxis der Installation angelehnte räumliche Erfahrungen vorhanden. Am deutlichsten wurde dies im Freud-Raum, in dem das Publikum durch die Beleuchtung in eine traumähnliche Stimmung versetzt werden sollte. Die emotionale Ansprache des Publikums durch die geschaffenen Raumatmosphären und die sprechende Auswahl und Präsentation der Objekte waren Ziel der Ausstellung. Durch die Studie der einzelnen Objekte und des Kataloges konnte man seine ersten Eindrücke vertiefen und differenzieren. So sollte dem internationalen Publikum der Reichtum und die Bedeutung der Wiener Kultur um 1900 anschaulich vermittelt werden und zudem sollte eine Identifikation des Wiener Publikums mit diesem Kapitel der jüngeren Geschichte erreicht werden.
372 Hollein 1985a, S. 37. 373 Parschalk, Volkmar: Von Tag zu Tag, Gespräch mit Hans Hollein, 14.03.1985, Tonaufnahme. 00:22:46–00:23:19h (Transkript durch die Verfasserin).
IV. Szenografisch-künstlerische Ausstellungsinszenierungen
In der Gestaltung wies die Schau noch mehr als Die Türken vor Wien ein bis in die Details durchdachtes, ästhetisierendes und die Zeit glorifizierendes Gestaltungsprogramm auf. Als Inspiration dienten dabei unter anderem die Ausstellungsgestaltungen der Wiener Secession wie die XII. Secessionsausstellung 1901.374 Auch die von Josef Hoffmann und Koloman Moser gestaltete Einrichtung der Läden der Wiener Werkstätte, zum Beispiel der Verkaufsräume von 1907 am Graben, waren Inspirationsquellen.375 Dabei zeigte Holleins Gestaltung keine unmittelbaren Zitate, vielmehr präsentierte sie sich als ein Stildestillat, wobei Reminiszenzen nur angedeutet wurden. So verwendete er im Raum der Wiener Werkstätte ein Velum zu Verhüllung der Decke wie bei der XII. Secessionsausstellung und griff für das Gesamtkonzept die secessionistische Tradition der Raumgestaltung durch florale oder ornamentale Wandfriese auf.376 Holleins Wandfriese, die auch bei Die Türken vor Wien zu sehen waren, zeigten jedoch zumeist gegenständliche Motive, die im Bezug zum inhaltlichen Thema des Raumes standen. Außerdem verwendete Hollein an der Fassade und im Treppenhaus erneut an kommerzielle Themenparks und Theatergestaltung erinnernde Elemente wie die Aufbauten auf dem Dach des Künstlerhauses oder die goldenen Puppen des Makart-Festzuges mit im Wind wehenden Flaggen. Allerdings verzichtete er dieses Mal auf detailliert ausgearbeitete künstliche Menschen- und Tierfiguren. Noch stärker als bei Die Türken vor Wien waren bei Traum und Wirklichkeit Parallelen zur bereits angesprochenen Ausstellung zu Preußen 1981 in Berlin zu erkennen, die eine der frühesten und spektakulärsten kulturhistorischen Inszenierungsschauen war. Auch dort war jeder Raum individuell nach Maßgabe des zu vermittelnden Themas gestaltet. Außerdem spielten Sichtachsen, Raumatmosphären und wiederkehrende optische Verbindungen eine wichtige Rolle.377 Einer der Unterschiede zu dieser Berliner Ausstellung und ein besonderes Kennzeichen von Traum und Wirklichkeit war jedoch die Erstellung und Einbindung vieler detailgetreuer Rekonstruktionen. Im Vergleich zur Preußenausstellungen trat Hans Holleins ästhetisierendes und dekoratives Gesamtkonzept noch deutlicher hervor. Holleins Schau war weitaus prunkvoller und farbenprächtiger als die Preußenschau. Diese wirkte wegen des noch nicht vollständig restaurierten Martin-Gropius-Baus provisorisch und transportierte stärker Brechungen und Irritationen durch die Ausstellungsgestaltung – denn die Geschichte Preußens und deren idealisierende Selbstdarstellung zu hinterfragen, war eines der Ziele der Macher.378 Gemeinsam
374 375 376 377
S. Abb. WV 56 in: Sekler 1982, S. 271. Cooke; Hollein 1986, S. 36; vgl. a. Sekler 1982, S. 320. Vgl. Felderer; Louis 1997, S. 125–126. Korff, Gottfried: Zur Einführung, in: Eckhardt (Hg.): Preussen. Versuch einer Bilanz, Berlin 1982, S. 15. 378 Ebd., S. 14.
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mit der Preußenschau war Holleins kulturhistorischen Ausstellungen vor allem das Verständnis der Ausstellung als sinnliches Medium, die durch ihre inszenierende Gestaltung dem Publikum Erfahrungs- und Erkenntnismöglichkeiten bieten sollte.379 Die Gestaltung der Räume als ganzheitlich-atmosphärische Einheiten, die Vermischung von hoher Kunst mit Rekonstruktionen und die glorifizierende ästhetisierende Gesamtinszenierung bildeten die Charakteristika von Traum und Wirklichkeit. Durch den starken Einbezug von Rekonstruktionen und sinnbildlichen Modellen anstelle von Originalen und durch die Schaffung sinnlich-emotionaler Erlebnisse für das Publikum wiesen die von Hollein federführend gestalteten Teile der Ausstellung erneut eine besondere Nähe zur Szenografie auf.
Rezeption Die nationale und internationale Presseresonanz auf die Ausstellung war sehr groß und zeigte eine gemischte Beurteilung der Schau.380 Vor allem die österreichische Presse missbilligte den hohen Aufwand und die Kosten der Ausstellung. Daneben wurde häufig Kritik am wissenschaftlichen Konzept und der damit verbundenen inhaltlichen und zeitlichen Schwerpunktsetzung, dem Künstlerhaus als Ausstellungsort sowie der Selbstinszenierung Wiens durch die Ausstellung geäußert.381 Die Meinungen der Presse zur Ausstellungsgestaltung waren ebenfalls geteilt. Dabei waren die Gestaltungskritiken differenzierter und detaillierter als bei Die Türken vor Wien: In der deutschsprachigen Tages- und Wochenpresse wurde vor allem die starke Inszenierung kritisiert, insbesondere die Fassadengestaltung und der Makart-Festzug wurden als kitschig empfunden.382 Die deutsche Presse äußerte sich mit Bezeichnungen wie »k. u. k. Disneyland« sogar spöttisch über die Gestaltung.383 Dabei stellte Holleins intensiver Gebrauch von Modellen und Rekonstruktionen als Ersatz für Originale einen der oft genannten Kritikpunkte dar. Der Vorwurf, dass die Inszenierung der Ausstellung deren Thematik überlagere und die Gegensätze der Zeit durch die Ästhetisierung an Schärfe verlieren würden, wurde ebenfalls mehrfach geäußert.384 Einige Kritiken beschrieben die Geräuschkulisse durch die Besuchsmassen in Kombination mit Holleins akustischer Beschallung von Räumen als stö-
379 Vgl. Korff 1982, S. 15. 380 Es wurden Sammlungen von Presseartikeln zu Traum und Wirklichkeit aus dem Archiv Hans Hollein, Az W, dem Wien Museum (Nr. 10/1/85) und dem Künstlerhaus Wien (Box Nr. 353, 354, 356) ausgewertet, sowie weitere Artikel recherchiert, insges. rd. 50 relevante Artikel. 381 Vgl. Tabor, Jan: Warum ein Erfolg so ein Defizit brachte. Kurier, 08.10.1985, S. 5. 382 Vgl. z.B. Löffler, Sigrid: Tanz um die goldenen Kälber. Profil, Nr. 14 (1985), S. 66–69. 383 Ohne Verfasser: k. u. k. Disneyland. Der Spiegel, Nr. 14 (1985), S. 231–234. 384 Vgl. z.B. Löffler 01.04.1985, S. 66–69; Weinzierl, Ulrich: Das Ende Österreichs als charmantes Spektakel. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 09.04.1985, S. 25; Sotriffer, Kristian: Klimt im Disneyland. Die Presse, 03.04.1985, S. 3.
IV. Szenografisch-künstlerische Ausstellungsinszenierungen
rend.385 Insbesondere die Gestaltung der Räume zu den Architekten Wagner, Hoffmann und Loos und zur Wiener Werkstätte wurde als gelungen empfunden, während die Darstellung abstrakterer Themen wie der Literatur und Wissenschaft öfter bemängelt wurde.386 Die Inszenierung von Wittgenstein in einer »Betonkiste« wurde vielfach als unverständlich beanstandet.387 Die Meinungen zu Hans Holleins goldener Freud-Couch waren geteilt und reichten von »nächstbester Gag«388 bis zu einer Beurteilung als herrlicher Einfall.389 Die Fachpresse aus den Bereichen Kunst und Architektur beurteilte die Ausstellungsgestaltung mehrheitlich sehr positiv: Die Herausgeberin des Architectural Record Mildred Schmertz schrieb: »Rarely has an installation been so brilliant in its fundamental ordering, its juxtaposition and contexts.«390 Michael Spens fand in The Architectural Review ebenfalls viele lobende Worte für Holleins Ausstellungsgestaltung. Besonders hob er die Behandlung der Raumsituation des Künstlerhauses hervor. Das Raumarrangement im Saal mit dem Beethovenfries bezeichnete er als »masterly control of spatial priorities, which few curators can achieve.«391 Auch die ehemalige Leiterin des ÖIF Charlotte Blauensteiner bezeichnete die Inszenierung als »aufregend« und lobte Holleins Sinn für Details in der Raumgestaltung. Als Höhepunkt der Ausstellung sah sie den Raum zu Otto Wagner an. Außerdem bezeichnete sie Holleins teils aggressive, teils spielerisch-ironische Inszenierung einiger Arrangements wie das der Freud-Couch oder des Raumes zum Ersten Weltkrieg, als wichtigen Aspekt der Ausstellung. Die Fassadengestaltung überzeugte sie jedoch nicht restlos.392 Alois Vogel, der für die Wiener Zeitschrift Alte und moderne Kunst schrieb, empfand vor allem die Rekonstruktionen der beiden Portale und des Raumes für den Beethovenfries als »Glanzleistungen der Ausstellungsgestaltung«.393 In einer Jahresbilanz des deutschen Kunstmagazins Art wählten zwei der vier befragten Fachleute die Ausstellung zur wichtigsten des Jahres.394 Margit Ulama kritisierte in der österreichischen Architekturzeitschrift Um Bau als eine der wenigen Expertinnen
385 386 387 388 389 390 391 392 393 394
Vgl. z.B. Christ 30.07.1985, S. 974–977. Vgl. z.B. Sotriffer 03.04.1985, S. 3. Ronte, Dieter: Mythos Vergangenheit. Kronenzeitung, 20.09.1985, S. 3. Löffler 01.04.1985, S. 68. Blauensteiner, Charlotte: Traum und Wirklichkeit. Wien 1870–1930, Kunst und Handwerk, Nr. 9–10 (1985), S. 295. Schmertz, Mildred: An exhibition: »Dream and Reality«, Vienna. Presentation and design by Hans Hollein, Architect, Architectural Record, Nr. 9 (1985), S. 106. Spens, Michael: Hollein’s Vienna. The Architectural Review, Nr. 11 (1985), S. 60–63. Blauensteiner 1985, S. 295. Vogel, Alois: Aktuelles Kunstgeschehen Österreich. Wiener Künstlerhaus – Traum und Wirklichkeit, Alte und Moderne Kunst, Nr. 203 (1985), S. 38. Nemeczek, Alfred; Sotriffer, Kristian; et al.: Kritiker-Umfrage. Welche Ausstellung des Jahres 1985 war für Sie die wichtigste und warum?, Art, Nr. 1 (1986), S. 8.
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der Fachpresse Holleins ästhetisierendes Ausstellungskonzept. Ihrer Meinung nach würde die kritische Rezeption der Objekte durch die gestalterisch erzeugten Raumstimmungen verhindert werden.395 Auch hinterfragte sie Holleins Konzept der Kollision der Bedeutungsträger, welches durch die Präsentation einzelner Themen in abgeschlossenen Räumen nur bedingt funktioniere. Während sich die Fachzeitschriften überwiegend wohlwollend zur Ausstellungsgestaltung äußerten, wurde sie von Personen aus der Wissenschaft und aus dem musealen Bereich scharf kritisiert und als negatives Beispiel einer historischen Großausstellung angeführt. Manfred Wagner, damals Professor und Vizerektor der Universität für angewandte Kunst in Wien, konzentrierte sich in seiner ausführlichen Kritik vornehmlich auf vier Punkte:396 Er warf Hollein erstens die Verwischung von Original und Rekonstruktion vor und kritisierte in diesem Zusammenhang, dass Modelle nur bedingt dazu geeignet seien, Originale adäquat wiederzugeben. Zweitens beanstandete er an Holleins Fassadengestaltung die seiner Meinung nach »zusammenhanglose Ornamentalität«.397 Drittens kritisierte er die Vernachlässigung des Inhalts zugunsten von Ästhetik und Stimmung sowie eine Reduktion auf gut darstellbare Ausstellungsthemen. Viertens unterstellte er Hollein eine zynisch-ironische Behandlung einzelner Themen, beispielsweise bei Freuds Psychoanalyse. Die Ausstellung sei symptomatisch für die seiner Meinung nach missverstandene Rezeption der Zeit um 1900. Ähnliche Kritikpunkte brachte der Kunsthistoriker Detlef Hoffmann an, der Traum und Wirklichkeit als missglückte Kooperation zwischen einem Künstler und einem wissenschaftlichen Team bei kulturhistorischen Ausstellungen ansah.398 Der Wiener Kunsthistoriker Gottfried Fliedl sah die Schau als negatives Beispiel einer Ausstellungsinszenierung, die massenmediale Verhaltens- und Wahrnehmungsweisen provoziere, indem die Objekte nicht als historische Quellen sondern kontextlos ästhetisierend und fetischisierend präsentiert würden.399 Der deutsche Kunsthistoriker und Kurator Ekkehard Mai warf Hollein vor, dass dieser die Epoche als Theaterrequisite inszeniere und dabei nur Staunen, aber kein tieferes Verständnis der Zeit ermöglichen würde.400 In seine Kritik schloss er Die Türken vor Wien mit ein. Bei solchen Ausstellungen würde ein 395 Ulama, Margit: Ästhetisierung und Reduktion. UmBau, Nr. 9 (1985), S. 113–118. 396 Wagner, Manfred: Wien und sein Fin de Siècle in der Gegenwart. Was bleibt, ist OrnamentAll, in: Pfabigan (Hg.): Ornament und Askese im Zeitgeist des Wien der Jahrhundertwende Tagungsband, Wien 1985, S. 297–312. 397 Ebd., S. 297. 398 Hoffmann, Detlef: Künstler und Wissenschaftler als Produzenten kulturhistorischer Ausstellungen?, in: Rüsen; Ernst; et al. (Hg.): Geschichte sehen, Pfaffenweiler 1988, S. 143. 399 Fliedl, Gottfried: Ausstellungen als populistisches Massenmedium. Ästhetik und Kommunikation, Nr. 67–68 (1987), S. 48. 400 Mai, Ekkehard: Expositionen. Geschichte und Kritik des Ausstellungswesens, München; Berlin 1986, S. 88–89.
IV. Szenografisch-künstlerische Ausstellungsinszenierungen
»Kult der Ästhetik« betrieben, so Mai. Der Kunsthistoriker forderte daher Grenzen der Inszenierung, insbesondere wenn illustrierende Kopien gezeigt würden, denn dies führe zu einer Verfälschung der Geschichte. Wagner, Hoffmann, Fliedl und Mai stellten sich wie andere Fachleute zu dieser Zeit auch der durch solche Ausstellungen geförderten Kultur des Spektakels und der Annährung von Ausstellungen an die Freizeitindustrie entgegen. Die Preußenausstellung in Berlin 1981 war bereits ähnlicher Kritik und Vorwürfen der »Effekthascherei« ausgesetzt gewesen.401 Deren Kurator Gottfried Korff formulierte eine differenziertere Kritik als die zuvor genannten Autoren:402 Er sah die Inszenierung von Traum und Wirklichkeit ebenfalls als stark ästhetisierend und prätentiös an, was insbesondere im Bereich sozialgeschichtlicher Themen zu einer eindimensionalen Darstellung geführt habe. Im Vergleich mit anderen Historienausstellungen desselben Jahres sah er sie dennoch »als wichtigen Markstein in der Geschichte historischer Ausstellungen […], weil sie voll die Möglichkeiten ihres Mediums ausreizte.« Seiner Meinung nach habe es bisher keine Ausstellung gegeben, die »so deutlich die Chancen und die Gefahren der objektbezogenen Geschichtsinszenierung« aufzeige.403 1986 brachte die britische Zeitschrift Architectural Design ein von Hollein und der britischen Architektin Catherine Cooke zusammengestelltes Sonderheft zur Ausstellung heraus.404 Dieser Band präsentierte die Gestaltung der Räume mit Fokus auf die Themen der Architektur und der bildenden Kunst einem internationalen Publikum. Diese Publikation kann ebenso wie die Thematisierung der Schau bei fachwissenschaftlichen Tagungen und in museumsbezogenen Texten als Beleg für ein über die Ausstellungsdauer hinausgehendes Interesse an der Ausstellungsgestaltung Holleins gewertet werden, die jedoch vor allem im museumswissenschaftlichen Bereich kritisch gesehen wurde. Die Kritik verdeutlicht die Kluft zwischen wissenschaftlichen Ansprüchen an die Ausstellungskonzeption und den zunehmend wirtschaftlich-publikumsorientierten Anforderungen an Ausstellungen, die auch in den Konflikten zwischen Hollein und Waissenberger sichtbar wurde. Trotz kontroverser Diskussionen in der Presse und unter Fachleuten kam die Ausstellung beim Publikum wieder sehr gut an: Während der Laufzeit vom 28. März bis zum 6. Oktober sahen über 620.000 Personen die Schau, die damit einen neuen Besuchsrekord für Wiener Ausstellungen aufstellte. Eine vom Marktforschungsinstitut Fessel und GFK im Auftrag der Stadt durchgeführte Befragung von rund 1000
401 Schulze 2017, S. 182. 402 Korff, Gottfried: Bildung durch Bilder? Zu einigen neueren historischen Ausstellungen. Historische Zeitschrift, Nr. 244 (1987), S. 93–113. 403 Ebd., S. 103. 404 Cooke, Catherine; Hollein, Hans (Hg.): Vienna, dream and reality, A celebration of the Hollein installations for the exhibition ›Traum und Wirklichkeit Wien 1870–1930‹ in the Künstlerhaus Vienna, Architectural Design, Nr. 11–12, London 1986.
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Personen in der Ausstellung kam zu erstaunlich guten Ergebnissen:405 95 Prozent beurteilten die Ausstellung positiv, für 70 Prozent erfüllte sie deren Erwartung sogar sehr gut. Fast 40 Prozent waren außerdem unter 30 Jahre alt, was die Attraktivität der Ausstellung für junge Leute bewies. Diese Zahlen belegen die Begeisterung und Euphorie, die die Ausstellung damals auslöste. Somit polarisierte die Ausstellungsgestaltung auch bei dieser dritten großen Schau von Hans Hollein: Sie begeisterte die große Mehrheit des Laienpublikums, war aber unter Fachleuten umstritten. Für die Stadt Wien erwies sich diese prestigeträchtige und international beachtete Ausstellung ebenso wie Die Türken vor Wien als imagepolitisch sehr erfolgreich. Das hatte wesentlich mit Holleins erlebnis- und publikumsorientierter Ausstellungsgestaltung zu tun. Die Großausstellung als Wirtschaftsfaktor geriet durch diese Schauen verstärkt in den öffentlichen Fokus und der Schub für den Wiener Tourismus war enorm.406 Für das städtische Museum war die Zusammenarbeit mit Hans Hollein so gelungen, dass sie eine Tradition der Kooperation mit Architekturschaffenden in der Ausstellungsgestaltung begründete.407 Es war außerdem geplant, dass Hollein und Waissenberger noch eine dritte gemeinsame Ausstellung zum Biedermeier machen sollten. Das Atelier Hollein bereitete diese Ausstellung vor, allerdings kam es immer wieder zu Spannungen und Meinungsverschiedenheiten zwischen Waissenberger und Hollein.408 Hollein trat schließlich von diesem Projekt zurück. Die Gestaltung wurde daraufhin von Boris Podrecca ausgeführt.409 Traum und Wirklichkeit und der dazugehörige sehr umfangreiche Ausstellungskatalog trugen zur Wiederentdeckung und Erforschung dieser Zeit bei und lösten eine große Begeisterung für das Thema Wien um 1900 aus.410 Die Ausstellung wurde in Form und Umfang verändert im Centre Pompidou in Paris, im MoMA in New York und im Sezon Museum of Art in Tokio gezeigt.411 Für die Ausstellung in Paris wurden ganze von Hollein entworfene Räume, so zum Beispiel zum Roten Wien und zur Wiener Werkstätte, und einzelne Objekte wie die Freud-Couch übernommen.412 405 Darstellung der Umfrageergebnisse: Gabriel, Martin: Rathauskorrespondenz Publikumshit »Traum und Wirklichkeit«, 09.07.1985 (Presseservice Rathaus Wien, Typoskript), 10/1/85, Archiv Wien Museum, Wien. 406 Vgl. Ohne Verfasser: Ein wahrer Traum. Tourist Aktuell, 10.09.1985, S. 5. 407 U.a. gestalteten unter der Leitung von Günter Düriegl Boris Podrecca und Gae Aulenti Ausstellungen für das Wien Museum. 408 Pedevilla, Erich: Interview 07.11.2019. 409 Die Ausstellung Bürgersinn und Aufbegehren. Biedermeier und Vormärz in Wien 1815-1848, 17.12.1987-12.06.1988 im Künstlerhaus Wien wurde von Günter Düriegl (Waissenberger verstarb überraschend im März 1987) konzipiert und von Boris Podrecca gestaltet. 410 Waissenberger 1985, S. 10. 411 Vienne 1880-1938. Naissance d’un siècle, 13.02.-15.05.1986, Centre Georges Pompidou Paris, Vienna 1900. Art, Architecture & Design, 03.07.-26.10.1986, MoMA; Vienna 1900, The Birth of Modernism, Its Unfinished Dream, 07.10.-23.11.1989, The Sezon Museum of Art Tokio. 412 S. a. Heinich; Pollak 1989, S. 32–33.
IV. Szenografisch-künstlerische Ausstellungsinszenierungen
In der Folgezeit verstärkte sich die Tendenz zu spektakulären Großausstellungen im musealen Ausstellungsbetrieb.413 Traum und Wirklichkeit war ein frühes Beispiel dieser Ausstellungsblockbuster.414
IV.I.VII Hans Hollein als Ausstellungsgestalter Trotz der Vielfalt dieser sechs betrachteten Auftragsausstellungen, die sowohl thematisch als auch im Umfang und gezeigten Ausstellungsstücken große Unterschiede aufwiesen, bediente sich Hans Hollein bei allen Schauen ähnlicher Konzepte und Präsentationstrategien. Seine Ausstellungen waren ideen- und publikumsorientiert und verbanden Inhalt und Form zu einer gesamtheitlichen, raumbezogenen Präsentation. Sein grundsätzliches Verständnis davon Ausstellungen zu machen, wird auch in Holleins Konzepttexten und Aussagen deutlich. Immer wieder verwendete er ähnliche Formulierungen und Schlagworte, die seinen Ansatz charakterisierten.415 Unter Berücksichtigung der Konzepttexte werden in diesem Kapitel die charakteristischen Merkmale von Holleins Auftragsausstellungen zusammengefasst, die übergreifend immer wieder auftraten. Zunächst werden seine Ausstellungskonzeptionen untersucht. Es wird vor allem Holleins Zusammenführung normalerweise getrennter Aufgabenfelder betrachtet. Veränderungen dieser Aufgaben werden ebenso thematisiert wie inhaltliche Verschiebungen. Anschließend wird auf die Gestaltung eingegangen. Dabei wird die Vielfältigkeit der Raumkonzepte, die Präsentation der Objekte sowie die Veränderung in der Einbindung des Publikums untersucht. Letzteres wird daran anschließend in Zusammenhang mit Überlegungen zur Rezeption von Holleins Ausstellungen gestellt.
Konzeption Alle betrachteten Ausstellungen bildeten eine Einheit aus Form und Inhalt und gingen daher weit über rein dekorativ-architektonische Ausstellungsinszenierungen hinaus. In einem Statement von 2004 machte Hollein deutlich, dass er bereits bei seinen ersten Ausstellungen in den 1960ern mehr als nur Gestalter sein wollte: »I didn’t want to be an exhibition designer but be in charge of the whole: the message, the ideas, sometimes the research, and of course the allestimento or design.«416 Hol413
Einige Trends der historischen Großausstellungen in den 1980er Jahren in Österreich wurden prägnant aufgezeigt und hinterfragt von Mattl, Siegfried; Pfoser, Alfred: Identitätsbildung durch historische Großausstellungen. schulheft, Nr. 58 (1990), S. 169–190. 414 Vgl. Lüddemann, Stefan: Blockbuster. Besichtigung eines Ausstellungsformats, Ostfildern 2011. 415 Außer zu Selection 66 existieren in Zeitschriften oder Katalogen publizierte oder im Archiv befindliche Konzepttexte zu den Auftragsausstellungen, oft in mehreren Varianten und Sprachen. 416 Interview mit Hollein, in: Capezzuto; Obrist; et al. 2004, S. 46.
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leins interdisziplinärer Ansatz erlaubte es ihm, verschiedene Rollen und Aufgaben zu vereinen und als Ausstellungsgestalter im erweiterten Sinne zu agieren. Während bei Selection 66 Peter Noever noch in die Konzeption der Ausstellung eingebunden war, übernahmen die ihm zur Seite gestellten Verantwortlichen der nachfolgenden Ausstellungen hauptsächlich organisatorische Aufgaben wie die Beschaffung von Objekten, die Hollein benötigte, oder die Pressearbeit. Bei MAN transFORMS intensivierte sich dann die inhaltliche Zusammenarbeit mit der Kuratorin wieder. Hollein entwickelte im Rahmen der von Lisa Taylor definierten kuratorischen Vorgaben federführend das Präsentationskonzept und war zugleich für dessen gestalterische Umsetzung zuständig. Er wählte in Absprache mit Taylor die anderen Teilnehmer der Ausstellung aus und entwickelte eigene Installationen. Aufgrund der langen Planungs- und Konzeptionsphase und der kollaborativen Herangehensweise ist es jedoch schwer auszumachen, wer in dieser Zusammenarbeit welchen Anteil hatte. Bei den Großausstellungen der 1980er war die Trennung zwischen wissenschaftlichem Konzept und gestalterisch-populärer Umsetzung auf den ersten Blick klarer: Der Inhalt der Schauen wurde vom Museumsteam erarbeitet und Hans Hollein entwickelte in enger Zusammenarbeit mit diesem ein Präsentationskonzept, das er gestalterisch umsetzte. Hollein befasste sich bei den kulturhistorischen Ausstellungen jedoch intensiv mit der jeweiligen Thematik und griff in inhaltliche Konzepte ein beziehungsweise entwickelte diese federführend mit. Er setzte sich für die Integration bestimmter Themen und Objekte ein, die seiner Meinung nach die Botschaft der Ausstellung anschaulich machten und sah sich selbst in der Doppelrolle des Kurators und Gestalters. Die französische Soziologin Nathalie Heinich, die eine Studie zur Folgeausstellung von Traum und Wirklichkeit im Centre Pompidou veröffentlichte, verglich die Aufgabenverteilung zwischen Waissenberger und Hollein mit der zwischen Produzenten und Regisseur beim amerikanischen Film. So sei Waissenberger laut Heinich für die Konzeption und das Ausstellungsmanagement verantwortlich gewesen und Hollein für die Inszenierung, die Zusammenstellung und die Kulissen, wobei bei dieser fast osmotischen Zusammenarbeit der genaue Beitrag des einen oder anderen gar nicht mehr exakt festgestellt werden könne.417 Diese Sichtweise idealisiert jedoch die Konflikte, die Hans Holleins Auffassung von Ausstellungsmachen als Verbindung von Form und Inhalt in der Zusammenarbeit mit den Fachleuten des historischen Museums auslöste. Inhaltlich bewegten sich die von ihm angenommenen Ausstellungsaufträge von gegenständlichem Design bei Selection 66 immer weiter hin zu umfassenden kulturhistorischen Betrachtungen. Hans Holleins Konzeptionen waren von drei wiederkehrenden Prinzipien gekennzeichnet: Erstens orientierte er sich an Ideen. Dies wurde daran deutlich, dass nicht die Objekte Ausgangspunkt des Präsentationskonzepts waren, sondern eine Idee, die mittels verschiedener Medien in der Ausstellung 417
Heinich; Pollak 1989, S. 41–42.
IV. Szenografisch-künstlerische Ausstellungsinszenierungen
visualisiert wurde. Zweitens stand das Publikum im Zentrum von Holleins Schauen. Die Ausstellungen waren dabei so angelegt, dass sie sich an ein Fachpublikum ebenso wandten wie an eine breite Öffentlichkeit. Die Vorgabe und das Anliegen, dass sich seine Ausstellungen an ein vielschichtiges Publikum richten sollten, kommt in Holleins Konzepttexten immer wieder und meist als einer der ersten Punkte vor.418 Dabei sollten sie nicht belehrend sein, sondern luden dazu ein, das Thema durch die Präsentation zu entdecken. Die Formulierung »nicht didaktisch« tauchte dabei in seinen Konzepttexten oft auf ebenso wie der bildliche Ausdruck »keine an die Wand gehängte Katalogseite«, der sich direkt gegen die didaktisch konzipierten Ausstellungen der 1970er Jahre in Museen richtete.419 Die Intention seiner Ausstellungen beschrieb Hollein daher wie folgt: Eine Ausstellung »macht weniger direkte, vorgefaßte Mitteilung, sondern soll Assoziationen auslösen, Stellungnahmen, Nachdenken«.420 Drittens war Holleins Herangehensweise in der Interpretation des vorgegebenen Themas subjektiv-künstlerisch geprägt. Dies wurde in Heinichs Vergleich Holleins mit einem Filmregisseur verdeutlicht und vor allem in der gestalterischen Umsetzung sichtbar.
Gestaltung Neben der Interpretation eines vorgegebenen Themas und der Erarbeitung eines Präsentationskonzeptes lagen der Fokus und Hauptteil der Arbeit des Ateliers Hollein auf der Gestaltung der Ausstellungen, der visuell-räumlichen Darstellung. Vor allem dabei wurde Hollein von seinem Team unterstützt. Die Angestellten zeichneten Konstruktions-, Hänge- und Stellpläne und fertigten Papiermodelle in verkleinertem Maßstab von den Ausstellungsräumen an. Das Atelier Hollein übernahm dabei auch die Organisation des Auf- und Abbaus und die Anfrage und Beauftragung verschiedener Handwerksbetriebe und Firmen. Bei größeren Projekten gab es einen Projektleitenden aus dem Atelier, der den technischen Aufbau vor Ort koordinierte.421 Die Arbeitsweise von Hans Hollein zeigt jedoch, dass sowohl Konzeptions- als auch Gestaltungsentscheidungen bis in die Details von ihm selbst getroffen wurden. Wichtig bei der Gestaltung war zunächst die spezifische Konzeption der Ausstellung für die jeweiligen Präsentationsräume, wozu Hollein schrieb: »Ich liebte nicht Ausstellungen von akkumulierten Kunstwerken, die von Museum zu Museum zu Museum, von Ausstellungshalle zu Ausstellungshalle wanderten.«422 Bei den 418 Hollein 1989, S. 17–18; Hollein 1985a, S. 36; Hollein 1984a, S. 67; Hollein 1968b. o. S. 419 Hollein 1989, S. 16; Hollein, Hans: On Paper a Vienna. Domus, Nr. 561 (1976), S. 28; Hollein 1976, o. S. 420 Hollein 1976, o. S. 421 Projektleiter waren u.a. Franz Madl für die Austriennale und Die Türken vor Wien, Hermann Czech für MAN transFORMS, Madl und Erich Pedevilla für Traum und Wirklichkeit. 422 Hollein, Hans: Zu Johannes Cladders, in: Flemming; Hoffmann (Hg.): Hommage à Cladders, Mönchengladbach 1984b, S. 19.
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kleineren Ausstellungen, die nur einen Raum umfassten, war das Raumkonzept eine geschlossene Einheit. Der architektonische Raum bildete zusammen mit den Exponaten, den Präsentationsmitteln und atmosphärischen Zusätzen ein geschlossenes Ganzes. Dies war bei MAN transFORMS aufgrund der Konzeption als Wanderausstellung weniger feststellbar. Dies wird im Vergleich mit den Ausstellungen im Künstlerhaus deutlich, welchen wieder ein klar erkennbares gestalterisches Gesamtkonzept zugrunde lag. In Holleins Gestaltungen waren alle Teile der Ausstellung, der Raum, die Präsentationsmittel und die Exponate gleichberechtigte Elemente des Szenarios. Innerhalb der Räume gab es jedoch unterschiedliche Gestaltungsformen, die von museografisch orientierten Inszenierungen über an künstlerische Prinzipien angelehnte Installationen bis hin zu szenografischen Gestaltungen reichten. Brigitte Kaiser schlug im Zusammenhang mit kulturhistorischen Ausstellungen und in Bezug auf Holleins Gestaltungen eine Unterscheidung zwischen Ausstellungsdesigner und Ausstellungskünstler anhand der Interpretation des Materials vor.423 Je nach Anforderung des darzustellenden Themas, des Raumes selbst und der Objekte nahm Hollein innerhalb seines ganzheitlichen Präsentationskonzeptes verstärkt die Rolle des vermittelnden Ausstellungsgestalters an und schuf der Präsentation dienliche Räume, die sich an den kuratorisch-wissenschaftlichen Vorgaben orientierten. Diese entsprechen dem von Kaiser dargelegten narrativen Ansatz, der darauf abzielt auf fachwissenschaftlicher Basis publikumsorientierte Präsentationen zu gestalten. Dabei stehe zwar noch die fachwissenschaftliche Darstellung von Geschichte im Vordergrund, jedoch unter Rückgriff auf eine dramaturgisch-orientierte Erzählung, so Kaiser. Diese Art von Präsentation solle vor allem ein Laienpublikum durch illustrierende Kontextualisierung der Geschichte mit emotionalen Komponenten ansprechen.424 Ein Beispiel hierfür wäre Holleins Schlachtendiorama bei Die Türken vor Wien. Beim künstlerischen Ansatz wird hingegen laut Kaiser die wissenschaftliche Perspektive zu Gunsten einer künstlerisch-subjektiven Darstellung historischer Themen aufgegeben, um Denkprozesse auszulösen.425 Dadurch sollten neuartige Sichtweisen außerhalb fachwissenschaftlicher Kontexte eröffnet werden.426 In anderen Räumen trat Hans Hollein in diesem Sinne als Ausstellungskünstler auf und schuf eigene Interpretationen des Ausstellungsthemas wie im Freud-Raum bei Traum und Wirklichkeit. Für diese künstlerischen Interpretationen nutzte Hollein häufig an die Werkform der Installation angelehnte Displays. Gemeinsam war Holleins Ausstellungsgestaltungen die Schaffung spektakulärer Beleuchtungssituationen und die Berücksichtigung von Blickachsen. Außerdem
423 424 425 426
Kaiser 2006, S. 46–49. Ebd., S. 140–149. Ebd., S. 150–172. Ebd., S. 46–49, 150–168.
IV. Szenografisch-künstlerische Ausstellungsinszenierungen
zeichneten sie sich durch eine bis ins Detail gehende starke ästhetische Form- und Materialwirkung aus. Die eingesetzten Architekturen und Präsentationsmedien waren im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten möglichst perfekt verarbeitet. Ein designorientierter charakteristischer Teil des Displays war die aufwendige Gestaltung der Präsentationsmöbel und Ausstellungsarchitekturen, die Hollein für die Ausstellungen und speziell für die Präsentation einzelner Exponate entwarf. Vor allem bei MAN transFORMS, Die Türken vor Wien sowie Traum und Wirklichkeit spielten die von Hollein selbst entworfenen Ausstellungsmöbel eine wichtige Rolle bei der Präsentation der Objekte: Abgestimmt auf das Ausstellungskonzept waren die Vitrinen dekorative Statements und trugen zugleich durch ihre Form- und Farbgebung zur Interpretation des Gezeigten bei. Neben diesen Gemeinsamkeiten der Gestaltung lassen sich grundsätzliche formale Entwicklungen erkennen: Selection 66 und Austriennale waren in der räumlichen Gestaltung schlichter und stärker von grafischer Abstraktion und Designkonzepten geprägt. Bei der Austriennale zeigten einige Räume wie der Raum mit den Akten vom Boden bis zur Decke oder der Schneeraum illusionistische Raumbilder, die versuchten, Realität im Ausstellungsraum nachzuempfinden. Mit Papier erprobte Hans Hollein noch stärker als bei den vorangegangenen Ausstellungen diese Art von Präsentation: Die Schaffung von wirklichkeitsnahen Raumbildern, die das Publikum zum Teil einer kontextualisierten Ideenwelt werden und es mit allen Sinnen teilhaben ließen. Dies setzte sich bei MAN transFORMS fort. In den 1980er Jahren nahm dabei die Tendenz zu theatral-pompösen Raumgestaltungen zu. Die Ausstellungen der 1980er lassen im Vergleich zur New Yorker Ausstellung eine Steigerung der Monumentalität und Opulenz erkennen, wie bei der Fassadengestaltung des Künstlerhauses besonders deutlich wird. Da Hollein bei der Gestaltung immer vom Inhalt ausging, kann die prunkvoll-theatrale Darstellung teilweise auf die Themen der beiden historischen Ausstellungen, das Schlachtenjubiläum und die Zeit um 1900, zurückgeführt werden. Darüber hinaus standen ihm für diese Ausstellungen deutlich größere finanzielle Mittel und dadurch umfangreichere und spektakulärere Möglichkeiten der Präsentation zur Verfügung als bei den kleineren Ausstellungen. Zusätzlich zur Vermittlung des Themas über Displays und zu räumlichen Atmosphären waren unterschiedlichste Objekte Teil der Präsentationen: Bei Selection 66 wurden Designprodukte ausgestellt. Bei der Austriennale verzichtete Hans Hollein im Rahmen der Vorgaben soweit wie möglich darauf, Objekte zu zeigen. Hier wurde das Display zum Ausstellungstück. Bei Papier arrangierte Hans Hollein Alltagsgegenstände zusammen mit einigen wenigen Leihgaben, die jedoch keinen besonderen Wert hatten und austauschbar waren. In den späteren drei Ausstellungen kombinierte er Alltagsgegenstände mit wertvollen Werken sowie für die Ausstellung hergestellten symbolischen Objekten. Charakteristisch für Traum und Wirklichkeit war darüber hinaus der umfangreiche Einbezug von Rekonstruktionen. Immer wieder schuf Hollein eigene Kunstwerke wie die Papier-Marmor-Skulptur bei Papier oder
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Die Architektur der Inszenierung
das goldene Sofa für Traum und Wirklichkeit, die seine Ideen verdeutlichen sollten. Die ausgestellten Objekte hatten vor allem bei den frühen Ausstellungen exemplarischen Charakter und dienten als Metaphern für die dargestellten Ideen. Sie waren nur ein Bestandteil der multimedialen Präsentation. Ihre Bedeutung wurde erst durch ihr Arrangement im Raum anschaulich. Assoziative Zusammenstellungen, in denen Objekte als Symbole und Metaphern verwendet wurden, wurden daher in Holleins Konzepttexten immer wieder als Präsentationsstrategie genannt.427 Den Einbezug des Publikums setzte Hollein durch assoziative Ausstellungsdisplays, durch Angebote zum vergleichenden Sehen und durch die Schaffung atmosphärischer Stimmungen mit Zusätzen wie Ton, Licht oder Duft um. Die Ansprache des Publikums mit allen Sinnen formulierte er als Anliegen immer wieder.428 Durch seine visuell-räumliche und assoziative Herangehensweise spielten Texte in den von ihm gestalteten Ausstellungen eine untergeordnete Rolle, denn die Offenheit der Interpretation war Hollein ein weiteres wichtiges Anliegen. Das Erlebnis war ein zentraler Aspekt in seinen Präsentationen, daher taucht dieser Begriff in fast allen Konzepttexten auf.429 Die Ausstellungen boten aber auch über das bloße Erlebnis hinausgehende Möglichkeiten der Vertiefung der Ausstellungsinhalte. Dies wurde über eine Staffelung der Rezeptionsebenen erreicht, die ebenfalls der Ansprache eines vielschichtigen Publikums diente: Zunächst wurden räumlich-visuelle Großeindrücke geboten, die das Publikum in Staunen versetzen sollten. Auf der zweiten Ebene konnte man sich mit den einzelnen ausgestellten Exponaten und Objektensembles beschäftigen, welche die Raumeindrücke konkretisierten. Eine dritte Informationsebene boten die aufwendig gestalteten Ausstellungskataloge und oftmals auch Filme oder Diaprojektionen, die eine tiefer gehende Beschäftigung mit den Inhalten ermöglichten und weiterführende Ideen zeigten, jedoch zugleich fester Bestandteil der Schauen waren. Durch diese Staffelung war es möglich, sowohl ein nicht museumsaffines Publikum beim einmaligen Besuch durch die Erlebnishaftigkeit anzusprechen als auch Mehrfachgäste und ein Fachpublikum zu fesseln, die in der Lage waren, die verschiedenen Ebenen seiner Ausstellungsdisplays zu entschlüsseln und so immer wieder Neues entdecken konnten.430 Ironische Details sowie humorvolle und irritierende Einfälle erhöhten zusätzlich den Unterhaltungswert der Schauen und kennzeichneten seine Gestaltungen. Der Einbezug des Publikums war in den 1960er Jahren bis MAN transFORMS sehr spielerisch: Je nach Ausstellungssituation durften Objekte angefasst oder manipuliert werden und die Entdeckungslust wurde
427 Hollein 1989, S. 17; Hollein 1985a, S. 37; Hollein: Ausstellung »Papier« (Typoskript), Archiv Hans Hollein, Az W, S. 1. 428 Hollein 1976, o. S. 429 Hollein 1989, S. 16; Hollein 1985a, S. 36. 430 Vgl. Kaiser 2006, S. 133–137.
IV. Szenografisch-künstlerische Ausstellungsinszenierungen
durch Gucklöcher und ähnliche Vorrichtungen angeregt. Man wurde mit allen Sinnen angesprochen. Ton, Gerüche und haptisch-taktile Erlebnisse kennzeichneten das Ausstellungsdisplay. Bei den Großausstellungen der 1980er Jahre war der multisensuelle Einbezug des Publikums und dessen direkte interaktive Involvierung aufgrund der wertvollen Objekte, der Größe der Ausstellung und der hohen Personenzahlen nur noch bedingt möglich, beispielsweise durch die Einbindung von Musik. Hans Hollein überwand nicht nur die übliche Trennung von Ausstellungskonzeption und -gestaltung, sondern durchbrach innerhalb seiner Gestaltungen auch die Gattungsgrenzen und vereinte Mittel und Techniken verschiedener Gestaltungsdisziplinen für seine multimedialen Ausstellungen. Er verband je nach Ausstellung Strategien des Designs, der bildenden Kunst, der Architektur, des Theaters und des Marketings miteinander. Indem Hans Hollein Praktiken aus der bildenden Kunst ebenso wie Strategien aus weiteren Disziplinen sinnbildlich und assoziativ einsetzte, um anschauliche und zugleich erlebnishafte Ausstellungen für breite und heterogene Publikumsschichten zu schaffen, wiesen die von ihm gestalteten Auftragsausstellungen eine starke Nähe zu szenografischen Gestaltungspraktiken auf. Die Nähe zur Szenografie wird auch deutlich, da Holleins Ausstellungen inhaltlich zumeist abstrakte Themen oder schwer greifbare und umfangreiche kulturhistorische Fragestellungen behandelten und durch das Ausstellungsdisplay und zeichenhaft eingesetzte Objekte anschaulich vermittelten.
Rezeption Die Presse zeigte sich zunächst sehr angetan von Holleins Ausstellungen. Bei MAN transFORMS war erstmals eine Teilung der Beurteilung seiner Ausstellungsgestaltungen in Zustimmung und Kritik zu beobachten. Dies kann unter anderem darauf zurückgeführt werden, dass Holleins Ansatz bei den kleinen Schauen weniger Angriffspunkte bot, da dort keine wertvollen Originale gezeigt wurden und experimentelle Ansätze auf mehr Akzeptanz stießen als bei großen institutionellen Schauen. Besonders MAN transFORMS, die einzige der Großausstellungen bei der Hollein die Verantwortung für Konzeption und Inhalte trug und das einzige der vorgestellten Projekte, bei dem andere lebende Künstler und Architekten mit eigenen Werken beteiligt waren, wurde in der Presse inhaltlich und gestalterisch kritisiert. Die kritischen Stimmen, die Holleins Ausstellungen mit traditionellen Museumsausstellungen verglichen, bemängelten bei seinen großen Schauen vor allem die Jahrmarktbeziehungsweise Freizeitparkatmosphäre und den damit verbundenen undefinierten Unterhaltungswert. Wie bereits festgestellt, fand in den 1980er Jahren eine Intensivierung der theatral-pompösen Raumgestaltungen bei Hollein statt und damit eine Nähe zum Kitsch und profanen Vergnügen. Aus der verstärkten Verwendung der Farbe Gold, menschlicher und tierischer Modellfiguren, dramatischer Lichtsituationen, Musik und weiterer theatraler Elemente ergaben sich diese Vergleiche zu Disneyland und anderen Vergnügungsinstitutionen. Außerdem sahen vor allem
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Personen aus dem Museumsbereich die Vermischung von Originalen mit Modellen und Alltagsgegenständen ebenso kritisch wie die Ästhetisierung der Gestaltung zu Lasten der Inhalte. Holleins visuell-atmosphärische Darstellung von Themen durch Raum und Zeichen mit weitestgehendem Verzicht auf Texte führte zu einer Vieldeutigkeit der Interpretationen, die didaktischen Anforderungen nach einer klaren und verständlichen Darstellung von Inhalten zuwiderliefen. Je komplexer die Themen der Ausstellungen, desto lauter waren die Stimmen der Kritik, insbesondere wenn Kunstwerke ausgestellt wurden. Durch die kontextualisierende und assoziative Präsentation von Kunst, am deutlichsten beim Kuss von Klimt in der Ausstellung Traum und Wirklichkeit, bestand die Gefahr, dass das Kunstwerk lediglich als Illustration von Thesen verwendet wurde und damit seines Autonomiestatus beraubt wurde. Durch die Präsentation von austauschbaren Alltags- und Designobjekten sowie eigenen Kreationen war diese Problematik bei den früheren Ausstellungen weniger vorhanden. Die Frage, wie sehr Ausstellungen eventisiert werden sollten, um neue Zielgruppen anzusprechen und damit hohe Besuchszahlen zu erreichen, wurde Ende der 1970er und Anfang der 1980er Jahre intensiv diskutiert.431 Hans Holleins spektakulär gestaltete Ausstellungen boten traditionell eingestellten Museumsschaffenden, welche die Inszenierung von Originalen in Ausstellungen kritisch sahen, eine Angriffsfläche. Zumal er bei der Gestaltung seiner Ausstellungen auch auf szenografische Prinzipien aus dem Bereich kommerzieller und populärer Präsentationen zurückgriff, die nicht den traditionellen Anforderungen an Museumsausstellungen entsprachen. Vor dem Hintergrund dieser Diskussionen muss die Kritik an Holleins späteren Ausstellungen gelesen werden, wobei Die Türken vor Wien weniger kritisiert wurde als Traum und Wirklichkeit. Dies könnte daran liegen, dass sich die Anwendung szenografischer Inszenierungsprinzipien bei der ersten Ausstellung weitgehend auf die Fassade und das Schlachtenszenario beschränkte und andere Räume musealen Ansprüchen der Präsentation eher entsprachen.432 Im Gegensatz zur gemischten Beurteilung der Presse und von Fachleuten kam Holleins populär- und publikumsorientierter Ansatz bei den Ausstellungsbesuchenden gut an. Alle behandelten Ausstellungen waren von den Besuchszahlen her erfolgreich und vorhandene Befragungen belegen die sehr positive Aufnahme der Ausstellungen durch das Publikum. Dabei wurde jedoch nicht gezielt nach der Wirkung der Ausstellungsgestaltung gefragt. In ihrer Studie zu vier Ausstellungsinszenierungen in deutschen Museen in den 1980er Jahren, in der das Publikum explizit nach Eindrücken zur Ausstellungsgestaltung befragt wurde, konnten Hans-Joachim Klein und Barbara Wüsthoff-Schäfer eine klare Präferenz für Inszenierungen in Ausstellungen feststellen. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass Inszenierungen bei der Mehrheit des Publikums aufgrund größerer Lebendigkeit 431 Schulze 2017, S. 182. 432 Zur Kritik programmatisch inszenierter Ausstellungen s.a. Kaiser 2006, S. 14–18.
IV. Szenografisch-künstlerische Ausstellungsinszenierungen
und Anschaulichkeit sehr beliebt waren.433 Aus ihren Ergebnissen schlossen sie, dass die programmatische Inszenierung eine besonders geeignete Darstellungsform sei, um Publikumserlebnisse zu vermitteln, die nachhaltig im Gedächtnis blieben.434 Es kann daher angenommen werden, dass die frühen Ausstellungen Selection 66 und Papier von Hans Hollein auf das damalige Publikum aufgrund ihres neuen Ansatzes einen starken Eindruck hinterlassen haben müssen. Aber auch die Ausstellung Traum und Wirklichkeit scheint vielen nachhaltig im Gedächtnis geblieben zu sein, wie in den durchgeführten Interviews und Gesprächen mit Personen aus Wien immer wieder deutlich wurde.435 Ob die Denkanstöße, die über die Raumerfahrungen vermittelt werden sollten, beim Publikum wirkten oder ob Unterhaltungswert und Spaßfaktor überwogen, lässt sich dagegen nicht mehr feststellen. Dass die von Hollein intendierte Bedeutung verstanden wurde, hing stark vom Kenntnisstand und der Fantasie des Einzelnen ab. Um die oft collagenhaften, assoziativen Präsentationen zu decodieren, musste eine Vorbildung und die Bereitschaft sich auf die Ausstellung einzulassen, vorhanden sein. Diese Vermutungen decken sich ebenfalls mit den Ergebnissen der Publikumsstudien von Klein und WüsthoffSchäfer. Sie wiesen nach, dass viele Personen bei der Entschlüsselung mehrfach codierter, symbolhafter Inszenierungen überfordert waren und diese daher Unverständnis, Ratlosigkeit oder Verdrängung ausgelöst haben, statt Zugänge zu erleichtern und zum Nachdenken anzuregen. Am ehesten würden solche assoziativen Inszenierungen von einem jüngeren Publikum mit akademischer Bildung als intellektuelle Herausforderung wahr- und angenommen.436 Brigitte Kaiser teilte diese Auffassung und sah die Probleme der künstlerisch-assoziativen Interpretation historischer Themen ebenfalls darin, dass diese gegebenenfalls zu Verständnislosigkeit führen könne, da auf klassische Interpretationsformen verzichtet werde und persönliche Assoziationen des Gestalters einen undefinierten Unterhaltungswert hätten, der oft nur von kundigen Personen verstanden werden könne.437 Zu den Gestaltenden, die solche abstrahierenden subjektiven Inszenierungseinheiten in ihren Ausstellungen schufen, welche der Gefahr der missverständlichen Interpretation ausgesetzt seien, zählte Kaiser explizit auch Hans Hollein.438
433 Klein; Wüsthoff-Schäfer 1990, S. 77, 97. 434 Ebd., S. 112–113. 435 So sprach z.B. Lilli Hollein davon, dass sie die Ausstellung als Kind gesehen habe, und sie noch sehr präsent bei ihr sei. Hollein, Lilli: Interview 06.11.2019. 436 Klein; Wüsthoff-Schäfer 1990, S. 107–111. 437 Kaiser 2006, S. 168. 438 Ebd., S. 46–47.
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Die Architektur der Inszenierung
IV.II Künstlerische Ausstellungen und Rauminstallationen Insbesondere die künstlerischen Aspekte von Hans Holleins multidisziplinärer Ausstellungspraxis werden durch die Betrachtungen der Ausstellungen, die er in der Rolle des Künstlers entwickelte, verdeutlicht. Die folgenden Kapitel thematisieren Holleins künstlerische Ausstellungen und Rauminstallationen, die zwischen 1970 und 1987 entstanden, und neben der Verwendung installativer Praktiken auch thematisch enge Gemeinsamkeiten aufwiesen: Bei den drei ersten Ausstellungen bis 1980 befasste sich Hans Hollein inhaltlich zunächst spezifisch mit dem Thema Tod und damit in Zusammenhang stehenden rituellen Handlungen. Danach fand eine Erweiterung der Thematik statt: Die folgenden drei Rauminstallationen der 1980er hinterfragten im weiteren Sinne Rituale beim Essen, beim Sport und bei der Kunstbetrachtung. Die Beschäftigung mit dem Thema Tod und mit Ritualen stand in vielfältigen Zusammenhängen mit Holleins Biografie, seiner Architekturtheorie und seinem Werk.439 Es gab mehrere persönliche Erlebnisse, die sein Verhältnis zum Tod prägten: Dies war erstens der frühe Tod seines Vaters, der nach langem Aufenthalt im Krankenhaus verstarb, als der Sohn erst sieben Jahre alt war. Zweitens waren es Holleins Erfahrungen als Kind während und nach dem Zweiten Weltkrieg. Drittens musste er selbst aufgrund gesundheitlicher Beschwerden mehrfach ins Krankenhaus.440 Arata Isozaki brachte Holleins Beschäftigung mit Tod und Ritualen darüber hinaus mit seiner Herkunft aus Wien in Verbindung, denn der Tod sei in dieser Stadt, beispielsweise durch das Morbide in der barocken Architektur, sehr präsent. Zudem sei Wien stark von den Ritualen und Prozessionen des Katholizismus geprägt.441 Nicht nur Hollein, sondern auch andere Künstlerinnen und Künstler aus Wien und ganz Europa beschäftigten sich in den 1960er und 1970er Jahren verstärkt mit den Themen Tod, Rituale, Mystik und Religion.442 Neben biografischen, künst439 Bereits 1973 wurde Holleins Beschäftigung mit dem Thema Tod in zwei Artikeln in einer Hollein gewidmeten Ausgabe der japanischen Zeitschrift Space Design thematisiert: Isozaki 1973, S. 5–8; Nakahara 1973, S. 62–69. (Die Texte sind auf Japanisch erschienen. Englische Übersetzungen befinden sich im Archiv Hans Hollein, Az W.). 440 Deutscher Werkbund: Redaktionsgespräch mit Hans Hollein. Ausstellung und Seminar zum Thema Tod, Werk und Zeit, Nr. 3 (1979), S. 32; Isozaki berichtet, dass Hollein unter Herzanfällen litt und deshalb einige Male ins Krankenhaus musste. Isozaki 1973, S. 5. 441 Ebd; zitiert nach: Pettena 1988, S. 105; s.a. Feuerstein, Günther; Feuerstein, Christiane (Hg.): Visionary architecture in Austria in the sixties and seventies. VI. Architekturbiennale Venedig, Österreichischer Pavillon Ausst.-Kat., Klagenfurt 1996, S. 52–56. 442 Werkner, Patrick: Kunst seit 1940. Von Jackson Pollock bis Joseph Beuys, Wien 2007, S. 208–209; einen guten Überblick über die Eigenarten der österreichischen Kunstszene der 60er liefern: Mayer, Gerhard: Aufforderung zum Träumen. Eine Bestandsaufnahme der österreichischen Kunstszene in den sechziger Jahren, Alte und Moderne Kunst, Nr. 132 (1974), S. 27–35; Winter, Peter: Magische Dinglandschaften oder die Negative Utopie. Zu einem
IV. Szenografisch-künstlerische Ausstellungsinszenierungen
lerischen und kulturellen Bezügen waren Rituale eine der Grundlagen von Holleins Architekturtheorie, wie in Kapitel III.IV erläutert wurde. Bereits während seiner Studienzeit interessierte er sich in diesem Zusammenhang für sakrale Orte verschiedenster Kulturen und deren Begräbnisstätten. Dieses Interesse blieb während seines ganzen Lebens erhalten.443 Außerdem beschäftigte sich Hollein mit dem Thema Tod ausgehend von einer praktisch-gestalterischen Seite: In einem Seminar seiner Meisterklasse für Industriedesign an der Hochschule für angewandte Kunst in Wien 1978 wurde die Konstruktion von Urnen und Särgen ebenso behandelt wie städteplanerische Gestaltungen von Friedhöfen und die Berücksichtigung des Sterbens bei der Planung von Häusern.444 Holleins Beschäftigung mit Ritualen und Tod war demzufolge sehr breit gefasst. Mit diesen rituellen Ausstellungen und Installationen, die Hans Hollein als Künstler konzipierte und gestaltete, beschäftigen sich die folgenden Kapitel. Als Erstes werden Holleins Einzelausstellungen Tod. Alles ist Architektur in Mönchengladbach von 1970 und Werk und Verhalten, Leben und Tod als Beitrag zur Kunstbiennale in Venedig 1972 betrachtet. Auf die in gedanklichem Zusammenhang mit diesen Ausstellungen entstandenen Installationen Grab eines Rennfahrers und Kriemhilds Rache wird ebenfalls kurz eingegangen. Danach werden die vier Installationen Humanismus – Dishumanismus 1980, Das letzte Abendmahl 1984, Die Turnstunde 1984 und Holleins Installation zur documenta 8 von 1987 als Beiträge zu Gruppenausstellungen vorgestellt und analysiert.445 Das Archivmaterial zu Holleins künstlerischen Ausstellungsdisplays ist weniger umfangreich als bei den Auftragsausstellungen. Da erstere nicht auf geregelten Vertragsverhältnissen beruhten, fehlen oft Erläuterungen der Konzeption, schriftliche Absprachen mit den Kuratierenden und Raumpläne, denn Hollein traf viele Entscheidungen des Arrangements direkt vor Ort im Ausstellungsraum und besprach sich mündlich mit den Verantwortlichen.446 Bei seinen künstlerischen Ausstellungen verzichtete er auch weitgehend auf die Erläuterung seiner Motive und Intentionen: »Vieles erklärt sich selbst oder soll keine Erklärung haben«, so Hollein.447 Ebenso ist das vorhandene Pressematerial im Umfang deutlich geringer, da es sich bei Holleins künstlerischen Präsentationen
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Aspekt der österreichischen Kunstszene, Das Kunstwerk, Nr. 4 (1974), S. 3–27. Es können z.B. inhaltliche Parallelen zum Schaffen der Wiener Aktionisten gezogen werden, die sich in ihren Happenings kritisch mit Ritualen und Praktiken des in Wien dominierenden Katholizismus auseinandersetzten. Vgl. Branscome 2018, S. 157. Hollein, Lilli: Interview 06.11.2019. S. Deutscher Werkbund 1979, S. 34–35. Die Beschreibung und Analyse der Ausstellungsdisplays folgen dem Vorgehen aus Kap. IV.I. In Briefwechseln z.B. mit Johannes Cladders wird auf persönliche Treffen und Telefongespräche verwiesen. Winter 1974, S. 4.
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bis auf die Ausstellungen in Mönchengladbach um Beiträge für große Gruppenausstellungen handelte. Dort waren sie nur ein Beitrag unter vielen und wurden daher in der Presseberichterstattung, wenn überhaupt nur erwähnt und nicht ausführlich analysiert. Die aus der Analyse resultierenden Erkenntnisse werden in Kapitel IV.II.VII zusammengefasst und in Kontext gesetzt mit seinen Auftragsausstellungen. Dieser Vergleich soll dazu beitragen, beide Ausstellungstypen durch Gemeinsamkeiten und Unterschiede in Konzeption und Gestaltung zu definieren und Holleins spezifische Handschrift herauszuarbeiten.
IV.II.I
Alles ist Architektur. Eine Ausstellung zum Thema Tod 1970
Nachdem Hans Hollein in den 1960er Jahren bereits zwei repräsentative Auftragsausstellungen entwickelt hatte, fand 1970 seine erste museale Einzelausstellung als Künstler statt. Der Direktor des Städtischen Museums Mönchengladbach Johannes Cladders hatte ihn dazu eingeladen. Hollein erinnerte sich im Rückblick daran: Mein erster Kontakt mit Cladders war eine Einladung, ihn zu treffen und eventuell eine Ausstellung mit ihm zu machen. Er hatte gerade das Museum Mönchengladbach übernommen. Es freute mich, daß Cladders so viel über meine Arbeit wußte und ich die Möglichkeit bekam, eine Ausstellung meiner Arbeit in meinem Sinne zu machen.448 Cladders realisierte seit September 1967 ein viel beachtetes internationales Ausstellungsprogramm in Mönchengladbach und zeigte junge zeitgenössische Kunstschaffende wie Carl Andre, Hanne Darboven oder Panamarenko, die Ausstellungen speziell für die Museumsräume konzipierten. Hollein war seit 1967 regelmäßig im Rheinland, da er zum Professor für Architektur an der Kunstakademie Düsseldorf ernannt worden war. Holleins Ruf dorthin ging auf die Initiative von Joseph Beuys zurück, mit dessen erster umfassender Einzelausstellung Johannes Cladders sein Ausstellungsprogramm in Mönchengladbach eröffnet hatte.449 Bei dieser sehr erfolgreichen Ausstellung, die Beuys’ Werk erstmals einem großen Publikum vorstellte, hielt der Wiener Galerist Otto Mauer die Eröffnungsrede.450 Über Otto Mauer lernten sich Beuys, Cladders und Hollein kennen. Als Cladders Hollein im August 1968 einlud, eine Ausstellung in Mönchengladbach zu machen, tat er dies nicht ohne Hintergedanken, denn seit seiner Ernennung zum Direktor setzte er
448 Hollein 1984b, S. 19. 449 Beuys, 13.09.-29.10.1967, Städtisches Museum Mönchengladbach. Zu den Beziehungen zw. Cladders, Beuys und Hollein s. Branscome 2015b, S. 92–103. 450 Mauer hatte zuvor bereits zwei Manifestationen von Beuys in der Galerie nächst St. Stephan in Wien gezeigt: Ausstellung mit Zeichnungen von Beuys 02.11.-23.11.1966 und die Aufführung der Performance Eurasienstab 82 min fluxorum organum, 02.07.1967.
IV. Szenografisch-künstlerische Ausstellungsinszenierungen
sich für den Bau eines neuen Museumsgebäudes ein.451 Von Beginn an wurde die Sammlung des Städtischen Museums in provisorischen Gebäuden gezeigt. Ab dem Zweiten Weltkrieg war sie in einem Bürgerhaus an der Bismarckstraße 37 untergebracht, das jedoch für die vielfältige Sammlung zu klein war und musealen Bedürfnissen kaum entsprach.452 Mit dem Ausstellungsprojekt verfolgte Cladders daher das Ziel, den in Deutschland bislang wenig bekannten 36-jährigen Architekten »ins Gespräch zu bringen für einen Museumsneubau«, wie er in einem Brief an Hollein im März 1969 schrieb.453 Holleins Werk hielt er »für richtungsweisend auf dem Gebiet der Architektur, ihrer Grenzgebiete und auch darüber hinaus«.454 Auf die Frage, ob Cladders Hollein als Künstler oder als Architekten eingeladen habe, antwortete der Museumsdirektor, dass er in dieser Zeit nicht so genau zwischen den Sparten unterschieden habe und ihn vor allem Holleins neue Ideen zu einem erweiterten Architekturbegriff interessierten.455 Aus terminlichen und krankheitsbedingten Gründen kam die Ausstellung allerdings erst im Sommer 1970, zwei Jahre nach der ersten Einladung, zustande.
Konzeption Von 27. Mai bis 5. Juli 1970 wurde Holleins Ausstellung mit dem Titel Hans Hollein. Alles ist Architektur im Mönchengladbacher Museum gezeigt. Von Anfang an war Hollein klar, dass er nicht einfach eine Ausstellung seiner architektonischen Projekte machen wollte, die überall gezeigt werden könne.456 Stattdessen wollte er eine Schau speziell für die Räume des Museums konzipieren, in der er seine Architekturauffassung präsentieren konnte. Ursprünglich plante er eine Ausstellung, die an Themen mit denen er sich in den 1960er Jahren auseinandergesetzt hatte, anknüpfte. Die Ausstellung sollte »neue Medien der Umweltgestaltung, Einsatz von Technologie, Holographen und andere Laserarchitekturen, Kommunikation, sonstige zukunftsträchtige Projekte« thematisieren.457 Dann ließ er sich jedoch bei seinem ersten Be-
451 452 453 454 455
456 457
Cladders, Johannes: Brief an Hans Hollein, 12.08.1968 (Typoskript), Ordner Ausstellungen 1970-A, Archiv Museum Abteiberg, Mönchengladbach. Museumsgeschichte s. Celant, Germano; Sailer, John (Hg.): Städtisches Museum Abteiberg Mönchengladbach. Galerie Ulysses Wien Ausst.-Kat., Wien 1979. o. S. Cladders, Johannes: Brief an Hans Hollein, 18.03.1969 (Typoskript), Ordner Ausstellungen 1970-A, Archiv Museum Abteiberg, Mönchengladbach, S. 1. Cladders, Johannes: Brief an Hans Hollein, 29.01.1970 (Typoskript), Ordner Ausstellungen 1970-A, Archiv Museum Abteiberg, Mönchengladbach, S. 1. Titz, Susanne: Interview mit Johannes Cladders und Hans Hollein, in: Stevenson (Hg.): Art of the Eighties and Seventies. Museum Abteiberg Mönchengladbach Ausst.-Kat., Frankfurt a.M. 2006, S. 37. Hollein 1984b, S. 19. In seiner Einführungsrede zur Ausstellungseröffnung zitiert Cladders einen Text von Hollein zur Entstehung der Ausstellung, abgedruckt in: Wischermann 1997, S. 334.
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such 1969 von der Atmosphäre der Stadt und dem »merkwürdigen« Ausstellungsgebäude, wie er schrieb, zu einem anderen Thema inspirieren: Doch schon die Fahrt nach Mönchengladbach ließ andere Gedanken aufkommen. Die Landschaft erschien mir von ungeheurer Traurigkeit. Und diese Stadt. Es war Sonntag. Wie ausgestorben. Tödliche Stille. […] Eine muntere Jugend, die sich langweilt. Und dieses Museum. […] Dieses alte Bürgerhaus hatte etwas von der Atmosphäre meiner Volksschule. Die dunkle Holztreppe. Eine schwere Düsterkeit. Ich fühlte mich fremd.458 In der Tat war das damalige Mönchengladbacher Ausstellungshaus ungewöhnlich: Das zweistöckige neogotische Wohngebäude war Teil einer Häuserzeile und von außen nicht als Museum erkennbar, weshalb Hollein Schwierigkeiten hatte, es zu finden.459 Es bot eine überschaubare Ausstellungsfläche von 250 Quadratmetern, welche sich auf die unterschiedlich großen ehemaligen Wohnräume mit Parkettböden und Stuckdecken verteilte. In diesem antiquierten Gebäude im provinziellen Mönchengladbach fanden Cladders’ viel beachtete Ausstellungen zeitgenössischer Kunst statt. Über die Notwendigkeit und die Anforderungen eines neuen Museums tauschten sich Hollein und Cladders im Zuge der Planung des Ausstellungsprojektes, die sich über mehrere Jahre zog, aus. Das Generalthema Alles ist Architektur bezog Hollein, beeinflusst von der von ihm wahrgenommenen spezifischen Atmosphäre der Stadt und des Gebäudes, auf das Thema des Sterbens, wie er im Untertitel Eine Ausstellung zum Thema Tod ergänzte. Aufgrund des langen und umständlichen Titels wurde die Ausstellung im Kurztitel oft einfach Tod genannt. Die in Zusammenhang mit Tod und Gedenken stehenden Bauten wie Gräber und Mausoleen sowie die damit verbundenen geistigen Räume mit Ritualen und Zeremonien waren Thema der Schau. Dies basierte auf grundsätzlichen Ideen seiner erweiterten Architekturtheorie. Holleins Auffassung folgend formulierte Cladders das Konzept der Ausstellung so: Sinnliche Wahrnehmung als primäres und potentielles Architekturmedium bedarf nicht vorerst der Ausschau nach […] materieller »Verlängerung«, um in Architektur umzuschlagen. Sie bedarf ihrer eigenen Vertiefung […]. Ein bestimmter, sinnlich und mit allen psychischen und intellektuellen Antennen erfahrbarer Bereich, soll in einigen seiner prototypischen Manifestationen abgetastet werden.460 458 Wischermann 1997, S. 334. 459 Zur Geschichte des Hauses s. Brües, Eva: Das Haus Bismarckstrasse 97 und die gotische Architektur in Mönchengladbach, in: Flemming; Hoffmann (Hg.): Hommage à Cladders, Mönchengladbach 1984, S. 21–31. 460 Einführungsrede von Cladders anlässlich der Ausstellungseröffnung, 27.05.1970, abgedruckt in: Wischermann 1997, S. 332.
IV. Szenografisch-künstlerische Ausstellungsinszenierungen
Dieses theoretische Konzept einer erweiterten Architektur wollte Hollein am Beispiel des Todes in seiner Ausstellung anschaulich darstellen. Zu diesem Zweck zeigte er wie auf dem Plakat zur Ausstellung angekündigt: »Archäologische Felder, Funde, Heimgräber, Grabbeigaben, Altäre, Totenkulte, Leichentücher, Sterbebetten sowie einige Fragmente zu früheren Arbeiten«.461 Rituale des Sterbens und deren architektonische Räume spielten in der Ausstellung ebenso eine Rolle wie Fragen der Erinnerungskultur und der Aufbewahrung und Musealisierung von Relikten. Die Vergänglichkeit von Dingen und Menschen sollte in Holleins Installationen anschaulich werden.
Gestaltung
Abb. 30: Tod, Erdgeschoss, Grabungsfeld
Quelle: Archiv Museum Abteiberg Mönchengladbach, Foto: Ruth Kaiser
Hans Hollein bespielte mit seiner Ausstellung nicht das ganze Museum, sondern nur den zentralen Ausstellungsraum im Erdgeschoss, das Treppenhaus und vier Räume im ersten Stock.462 Den großen länglichen Ausstellungsraum im Erd-
461 S. a. Titel Katalog: Cladders; Hollein 1970. o. S. 462 Laut Hollein gab es eine festgelegte Wegeführung für die Ausstellung. Die Räume konnten aber auch in anderer Reihenfolge begangen werden. Deutscher Werkbund 1979, S. 32. Die festgelegte Wegeführung wurde nicht überliefert, da es zur Ausstellung keinen Raumplan gab. Die Beschreibung folgt daher dem durch die Anordnung der Räume wahrscheinlichsten Rundgang.
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geschoss gestaltete er als begehbares archäologisch anmutendes Grabungsfeld, das einen, wie er es formulierte »unverbindlichen Einstieg in das Thema« ermöglichen sollte.463 Der Zugang zum Raum erfolgte über einen Durchgang an der Längsseite, der von einem Vorhang verhüllt war. Ähnlich wie bei Selection 66 schirmte Hollein seine Installation durch rundherum verlaufende weiße bodenlange Vorhänge vom Ausstellungsraum und der Außenwelt ab. Schlug man den Vorhang zurück und betrat den Raum, blickte man auf das Grabungsfeld: Der Boden war 50–80 Zentimeter hoch mit hellem Sand bedeckt, der an einigen seitlichen Stellen von Gras bewachsen war. Darüber erhoben sich an Ruinen erinnernde Ziegelsteinmauern in unterschiedlicher Höhe und Tiefe, die parallel zueinander und schräg zu den Raumwänden verliefen. Rechts vom Eingang befand sich eine kniehohe L-förmig verlaufende Mauer, an der Spaten lehnten. An der gegenüberliegenden Wand stand eine an beiden Seiten abgestufte Mauer mit einer Öffnung in der Mitte. Eine Zeichnung im Katalog zeigte das Grabungsfeld von oben, in dem die Mauern durch verschiedene Schraffierungen wie bei einer archäologischen Dokumentation gekennzeichnet waren.464 Die Wände des Gebäudes wurden in einer beigefügten Legende auf die Erbauungszeit um 1890 datiert, die von Hollein gebauten Mauern im Inneren und der Sand auf 1970. Daneben waren weitere gestrichelte Mauern angedeutet, die in der Ausstellung nicht zu sehen waren und sich unter dem Sand hätten befinden können. Diese waren in der Legende nur mit einem Fragezeichen versehen und wiesen auf hypothetische zukünftige, noch zu bauende oder historische, noch nicht entdeckte Mauern hin. Die bereitgestellten Spaten sollten dazu einladen, im Sand zu graben. Durch das Suchen nach Überresten der Vergangenheit im Boden sollte man spielerisch an das Ausstellungsthema herangeführt werden. Zu finden gab es alltägliche Gegenstände aus Plastik wie Salzstreuer, Flaschenöffner und Kleiderbügel sowie als zusätzlichen Anreiz ein paar echte Münzen. Cladders sprach von einer Goldgräbermentalität, welche die Ausstellung hervorrief.465 In der Mitte des Grabungsfeldes, wo der Sand zu einem Plateau aufgeschichtet war, wurde eine vermeintliche archäologische Freilegung mit dem Titel Grab eines Kriegers präsentiert.466 Geschützt durch eine Glasscheibe waren in einem gemauerten Schacht diverse Alltagsgegenstände wie Grabbeigaben arrangiert: ein gelber Schutzhelm aus Plastik, ein Golfschläger, ein Paar Steigeisen, Münzen und die Scherben einer Coca-Cola-Flasche. Ironisch zeigte Hollein damit die Überreste eines »modernen Kriegers«, als der er möglicher-
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Deutscher Werkbund 1979, S. 32. Cladders; Hollein 1970. o. S. Titz 2006, S. 33. Ansichten der Ausstellung s. Cladders; Hollein 1970, o. S.
IV. Szenografisch-künstlerische Ausstellungsinszenierungen
weise in einer fernen Zukunft bei archäologischen Ausgrabungen fehlinterpretiert werden könnte.467 Ging man am Grab vorbei, konnte man entweder über gemauerte Stufen oder einen Durchgang in einer kniehohen Mauer auf ein weiteres Plateau gelangen, auf welchem sich eine L-förmige, abgestufte Mauer befand, die bis auf Schulterhöhe reichte. Daneben kennzeichnete ein schwarzer Vorhang den Durchgang zu einem weiteren Raum. Dort stand auf einem Sockel eine würfelförmige Vitrine mit verstärkten goldfarbigen Metallkanten. Darin war inszeniert wie ein kostbarer Fund eine zerbrochene und wieder zusammengesetzte Coca-Cola-Flasche mit dem Titel Versuch einer Rekonstruktion ausgestellt. In seinen so bezeichneten »Fragmentarischen Notizen« lieferte Hollein einige Stichworte zur Interpretation der Grabungsinstallation: Archäologische Felder. Grabungsstätten. Funde. Scherben. Schätze. Bild einer Zivilisation aus Müll. […] Wegwerfkultur Finden Beim Graben soll es immer etwas zu finden geben. Schatzgräber. Falsche Rekonstruktionen. Transformationen. Irreführung. Missdeutung. Verfall. Ruinen.468 Mit seinem künstlichen Grabungsfeld öffnete Hollein ein Assoziationsfeld der eben genannten und weiterer Gedanken zu den einzelnen Thematiken. Über das Treppenhaus, welches mit seinen knarrenden hölzernen Stiegen und dem reich verzierten Geländer bereits eine eindrückliche räumliche Situation bot, gelangte man in den ersten Stock. Im Treppenhausschacht waren drei Totenhemden von der Decke abgehängt, die den Weg nach oben wiesen.469 Die von Hollein entworfenen Gewänder in den Farben Weiß, Schwarz und Goldgelb waren in geringem Abstand hintereinander aufgehängt.470 Durch ihre Symmetrie erinnerten sie an Kreuze. In der linken Ecke des Flurs im Treppenhaus des ersten Obergeschosses 467 Einführungsrede von Cladders anlässlich der Ausstellungseröffnung, 27.05.1970, abgedruckt in: Wischermann 1997, S. 331. 468 Cladders; Hollein 1970. o. S; s.a. Weibel 2011a, S. 112. 469 Ein Totenhemd ist ein weißes Hemd, mit dem Tote bekleidet werden. Es wird auch als Talar bezeichnet (lat. »talare« für »bis zu den Knöcheln reichendes Gewand«). Hans Hollein fand die Praxis, Menschen in ihrem Sonntagsanzug zu bestatten, skurril. Für den Tod sollte es seiner Meinung nach ein eigenes Gewand, das Totenhemd, geben – ebenso wie es Räume zum Sterben geben sollte. Hollein, Lilli: Interview 06.11.2019; Deutscher Werkbund 1979, S. 32. 470 Abb. der Hemden in Farbe s.a. Korn; Kuehn; et al. 2015, S. 38.
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stand ein durch einen Paravent abgeschirmtes Krankenhausbett. Auf dem dazugehörigen Nachttisch befanden sich, wie zur letzten Mahlzeit arrangiert, ein Löffel, ein Teller und ein Glas. Mit diesen aus der örtlichen Lungenheilstätte geliehenen Objekten wollte Hollein zeigen, wie der Tod in der westlichen Gesellschaft versteckt und ausgeklammert werde.471 Für ihn hatte das Krankenbett auch eine persönliche Bedeutung, da er durch häufigere Krankenhausaufenthalte sowohl als Patient als auch als Besucher damit konfrontiert wurde, auf welche Weise Menschen in Kliniken sterben. Er hielt die Praxis, eine kranke Person von zu Hause aus in ein Krankenhaus zu bringen und sie dort hinter einem Wandschirm womöglich noch auf dem Flur sterben zu lassen, für würdelos.472
Abb. 31: Tod, Totenhemden im Treppenhaus
Abb. 32: Tod, 1. Stock, Grab
Quellen: Archiv Museum Abteiberg Mönchengladbach, Foto: Ruth Kaiser
Im ersten Raum im Obergeschoss griff Hollein die bereits im Erdgeschoss gezeigte Thematik der Überlieferung historischer Zeugnisse auf. Alltägliche Gegenstände waren wie archäologische oder historische Artefakte in drei großen länglichen Museumsvitrinen ausgestellt. Sie waren ironisch mit falschen Zuschreibungen versehen: In einer Vitrine lag ein Duschkopf mit Schlauch. Er wurde als »Säuberungsinstrument zur Erhaltung der Rassenreinheit« bezeichnet und verwies auf Konzentrationslager. In einer anderen Vitrine waren sechs verschiedene Kopfbedeckungen, darunter eine Kochmütze, ein Zylinder und ein Bauhelm, nebeneinander
471 Deutscher Werkbund 1979, S. 32. 472 Ebd.
IV. Szenografisch-künstlerische Ausstellungsinszenierungen
aufgereiht und mit falschen Titeln versehen. So wurde die Narrenkappe dem König und die Pickelhaube dem Medizinmann zugeordnet. Der Zylinder wurde als Schutzhelm deklariert. In der dazwischenstehenden Vitrine konnte man eigene Fundstücke aus dem Grabungsfeld einstellen und sich auch hier aktiv an der Ausstellung beteiligen. Nachdem er bereits mit dem Krankenhausbett den Prozess des Sterbens thematisiert hatte, zeigte Hollein in zwei aufeinanderfolgenden, atmosphärisch stark aufgeladenen Räumen weitere Todesmotive. Im ersten mit dunklen Vorhängen verhüllten Raum stand auf dem Boden ein weißer Sarg, der üppig mit Blumen und Fichtenzweigen bedeckt und umstellt war. Während der Laufzeit der Ausstellung begannen die Blumen zu welken und machten optisch und olfaktorisch das Vergehen wahrnehmbar. Im oberen Teil des Sarges war ein quadratisches Loch ausgesägt. Blickte man hinein, wurde man durch einen Spiegel mit seinem eigenen Antlitz und damit seiner Sterblichkeit konfrontiert. Vom Thema Beerdigung gelangte man durch einen Durchgang hinter den Vorhängen in den nächsten Raum zum Thema Erinnerung und Totenverehrung. Der dunkle Raum wurde nur von wenigen Deckenspots und Kerzenlicht erhellt. Über 100 schlanke weiße Kerzen standen auf den fünf Stufen eines schwarzen pyramidenähnlichen Podestes. Die Stufenpyramide mit Kerzen symbolisierte die Totenverehrung. Darauf stand statt einer Reliquie ein Kubus aus Messing. Durch die von den brennenden Kerzen ausgehende Wärme und deren Geruch wurde man wie im Raum zuvor sinnlich angesprochen. Um dieses altarähnliche Gebilde herum war in einigem Abstand an allen Seiten ein Vorhang aus dünnen Eisenketten aufgehängt, der von der Decke bis zum Boden reichte. Der Vorhang sollte als Metapher für das Hinüberschreiten von der Welt der Lebenden in die Welt der Toten stehen. Wie ein Geist konnte man durch die durchlässigen Wände gehen.473 Zusätzlich wurde in einem weiteren Raum das bisherige Schaffen von Hollein präsentiert. Dieser Raum war mit klassischen museografischen Mitteln wie eine Galerieausstellung gestaltet. Gezeigt wurden eng nebeneinander gehängte gerahmte Zeichnungen und Collagen, darunter die bekannten Skyscraper und Transformationen, von denen einige schon 1963 in der Ausstellung Architektur zu sehen waren.474 Daneben wurden Zeichnungen von konkreten Entwürfen wie des Sparkassengebäudes in Floridsdorf ausgestellt und Hollein als Person mit Lebenslauf an der Wand vorgestellt. Die Zeichnungen und Collagen wurden auf Holleins Wunsch hin nicht von erläuternden Texten begleitet.475 In einer Tischvitrine wurden weitere Projekte von Hollein durch Zeitschriften, darunter Domus und Bau, sowie Kataloge präsen-
473 Ebd. 474 Abb. s. Weibel 2011a, S. 25, 59–61, 64–65. 475 Cladders, Johannes: Brief an Helmut Ochocki, 15.06.1970, abgedruckt in: Wischermann 1997, S. 342.
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tiert, die collagenartig neben- und übereinander gelegt und auf den betreffenden Seiten aufgeschlagen waren.
Abb. 33: : Tod, 1. Stock, Kerzenpyramide und Kettenvorhang
Quelle: Archiv Museum Abteiberg Mönchengladbach, Foto: Ruth Kaiser
Wie bei Holleins anderen Ausstellungen war der Katalog erneut ein wichtiger Bestandteil der Schau.476 Ursprünglich aus Geldmangel hatte Cladders für die Mönchengladbacher Ausstellungen eine spezielle Art von Katalog, der aus einer Pappschachtel mit Heftchen und verschiedenen Beigaben bestand, etabliert. Diese so genannten »Kassettenkataloge« wurden von den Ausstellenden zu fast jeder Schau im Museum an der Bismarckstraße individuell gestaltet und in limitierter Stückzahl produziert.477 Holleins Katalogschachtel hatte einen schwarzglänzenden Papierüberzug, der ähnlich wie der Sarg im ersten Stockwerk des Museums im oberen Bereich eine quadratische Ausstanzung aufwies. Dahinter war ein grauer Pappkarton eingelegt, auf dem in schwarzen Großbuchstaben »HOLLEIN« stand. Tiefenwirkung wurde dadurch erzielt, dass die Kassette nur halb gefüllt war. Außerdem befanden sich in jeder der 550 nummerierten Schachteln getrocknete und gepresste Blumen oder Blätter in Anspielung auf die verwelkenden Blumen in der Ausstellung und als Hinweis auf die Vergänglichkeit des Lebens. Der graue 476 Cladders; Hollein 1970. 477 Der Kassettenkatalog von Hollein, der heute als Multiple hohen Sammlerwert hat, wurde damals für 10 Deutsche Mark verkauft; s.a. Wischermann 1997, S. 83, 334; Rennert, Susanne; Titz, Susanne (Hg.): Die Kassettenkataloge des Städtischen Museums Mönchengladbach 1967–1978, Köln 2020.
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Pappkarton diente als Deckblatt. Auf ihm lagen die getrockneten Pflanzen, die sich je nach Box unterschieden. Dahinter waren drei dünne Heftchen eingelegt: Im ersten war die Künstler- und Architektenbiografie von Hollein sowie die Einführungsrede zur Ausstellung von Cladders abgedruckt. Das zweite enthielt vor allem Fotos von der Ausstellungseröffnung, die Hollein, Beuys und andere Personen mit Spaten im Grabungsfeld zeigten.478 Außerdem waren darin der bereits zitierte fragmentarische Text von Hollein zur Ausstellung sowie die ebenfalls erwähnte Zeichnung des Grabungsfeldes enthalten. Das dritte Heft zeigte »Fragmente zu früheren Arbeiten«, darunter Zeichnungen, Collagen und sein Manifest Alles ist Architektur. Auf der Rückseite des Heftes mit Cladders’ Einführungstext war das Motiv des Ausstellungsplakates abgebildet. Das Plakat zeigte die Röntgenaufnahme eines Schädels, der durch eine Inschrift am oberen Rand als Holleins eigener identifizierbar wurde.479 Der Katalog bot sowohl Anhaltspunkte zur Interpretation der Ausstellung, beispielsweise durch die Zeichnung des Grabungsfeldes, als auch weiterführende Ideen, die Hollein in seinen »Fragmentarischen Notizen« ansprach: Er führte unter anderem stichwortartig »Wohnstätten mit Sterbemöglichkeit« und »TV-Schreine« als Konzepte an. Der Katalog war eigenständiges Werk wie auch Relikt und Dokumentation der ephemeren Ausstellung zugleich.
Analyse Tod war Holleins erste Ausstellung, die nicht nur speziell für die Ausstellungsräume konzipiert war, sondern auch inhaltlich auf die von ihm wahrgenommene Atmosphäre des Ortes reagierte. Die vorgefundenen räumlichen Situationen der antiquierten Ausstellungsräume nutzte er für seine Installationen. So bildeten die streng stilisierten Leichenhemden einen Gegensatz zum neogotischen Treppenhaus und die Aufstellung des Krankenhausbettes in einer Ecke des Flurs verdeutlichte das Fehlen von Räumen zum Sterben. Beim Grabungsfeld und dem Raum mit dem Sarg blendete Hollein die Wände mit Vorhängen dagegen weitgehend aus und schuf raumunabhängige Installationen. Mit seinen räumlich getrennten Installationen thematisierte er heterogene Aspekte des Themas Tod, die dennoch miteinander in Zusammenhang standen und über die verschiedenen Stationen in der Ausstellung nach und nach zu komplexen Eindrücken verwoben wurden. Der Ausstellungsparcours folgte einer inszenierten Dramaturgie, beginnend mit dem heiteren Einstieg durch das eventhafte Grabungsfeld im Erdgeschoss. Darauf folgte der Weg nach oben, vorbei an den Totenhemden. Als starken Schockmoment stellte sich das Krankenbett in der Ecke dar. Danach wurde mit den Vitrinen nochmals das Thema der Überlieferung und Musealisierung von Relikten aus dem Erdgeschoss 478 Aufgrund der Verwendung dieser Fotos war der Katalog erst ab Mitte Juni 1970 erhältlich. Abb. s. Weibel 2011a, S. 112. 479 Hollein hatte hierfür eine frühere ärztliche Röntgenaufnahme seines Schädels verwendet.
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aufgegriffen, das wieder für Erheiterung sorgen sollte, aber durch die Duschbrause auch für Empörung. Die beiden darauffolgenden Räume mit dem Grab und dem Altar waren atmosphärisch inszenierte Räume, die das Publikum mit der eigenen Sterblichkeit konfrontierten. Der Raum mit Holleins Projekten bot den nüchternen Schluss, Ausblick und Anknüpfungspunkt zu seiner alle Lebensbereiche umfassenden Architekturtheorie. Auffallend waren die Brüche zwischen ernsten Themen mit teilweise expliziten Todesdarstellungen und der dadurch vermittelten düsteren Stimmung und den humorvoll-ironischen Elementen wie dem Spiel mit falschen Interpretationen und Zuschreibungen der Objekte. Um das Publikum unmittelbar mit dem Thema zu konfrontieren, wählte Hollein bewusst einfache Alltagsobjekte wie das Krankenhausbett aus und lud diese durch ihr Arrangement im Schauzusammenhang mit Bedeutung und oft vordergründiger Metaphorik auf.480 Diese Aufladung erfolgte über deren Einbindung in das architektonische und gestalterische Raumarrangement. Eine besondere Rolle kam in dieser Ausstellung der klassischen Museumsvitrine zu, die – ähnlich wie bei der Ausstellung Papier – dazu diente, vermeintlich wertvolle Objekte zu kennzeichnen. Hollein spielte hier mit der Bedeutungsverschiebung eines Alltagsobjektes wie eines Huts oder eines Stückes Papier, wenn es im musealen Kontext ausgestellt wird. Die einzigen Objekte, die nicht aus gekauften oder geliehenen Alltagsobjekten bestanden, waren die von Hollein entworfenen Totenhemden und die Stufenpyramide. Wie mit dem Wald bei der Ausstellung Papier, die zwei Jahre nach dieser Ausstellung stattfand, hatte Hollein mit dem Grabungsfeld die Außenwelt als künstliche Landschaft im Ausstellungsraum nachgebaut und schuf damit eine realitätsnahe Raumsituation. Das Ziel der Schau war eine Aktivierung und sinnlich-emotionale Ansprache des Publikums. Es wurde durch die Gestaltung der Ausstellung und das Thema der Schau emotional involviert. Das Thema der Endlichkeit des Lebens, das teilweise sehr explizit dargestellt wurde, sollte persönliche Betroffenheit auslösen und dadurch zu einer Beschäftigung mit dem Thema anregen. Diese emotionale Involvierung wurde durch mehrere Maßnahmen gesteigert: erstens durch die bereits angesprochene räumliche Dramaturgie, zweitens durch die Ansprache mehrerer Sinne und drittens durch den metaphorischen Einsatz der gezeigten Objekte. Die Ausstellung war viertens als interaktive Installation angelegt. Beim Grabungsfeld korrespondierte die Publikumsinteraktion mit der Kunstform des Happenings. Insbesondere die fotografischen Aufnahmen im Katalog, die Hollein, Beuys und andere Teilnehmende an der Eröffnung im Sand grabend zeigten, unterstrichen den Happening-Charakter des Grabungsfeldes. Durch die Integration sinnlicher Erlebnisse wie Gerüchen oder Wärme und die körperliche Beteiligung durch das Graben oder
480 Deutscher Werkbund 1979, S. 32–33.
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das Durchschreiten einer vermeintlichen Wand wurde man unmittelbar einbezogen. Der menschliche Körper wurde dabei nur angedeutet und nicht explizit dargestellt. Erst durch die Interaktion des Publikums wurde dieser zum Beispiel bei der Sarginstallation ergänzt. Johannes Cladders sprach im Rückblick davon, dass durch die Ausstellung »Urerfahrungen« geweckt werden sollten und dass sie auf ein »inneres Erlebnis« ausgerichtet gewesen sei.481 Hollein versuchte durch die sinnlichvisuelle Ansprache des Publikums Erinnerungen wachzurufen und es dadurch zu weitergehenden Gedanken zum Thema anzuregen.482 Die Bilder, die Hollein schuf, waren dabei offen und vielfältig in ihren Assoziationsmöglichkeiten, sodass sie je nach individueller Erfahrung unterschiedliche Bedeutungen erhalten konnten. Mit seiner psychologischen Ausstellung trug Hollein das alte Museum symbolisch zu Grabe und empfahl sich als Baumeister einer neuen Art von Museum.483 Im Kontext der Institutionskritik formulierte Cladders bereits 1968 Gedanken dazu in seinem Text Das Anti-Museum.484 Darin entwickelte er den Begriff des Anti-Museums analog zum Begriff der Anti-Kunst, die sich gegen die Institutionalisierung von Kultur und die Zweckgebundenheit von Kunst richtete. Er hielt den Museumsbegriff des Historismus in Anbetracht neuer Kunstformen wie des Environments für überkommen. Neben dem Museumsbegriff selbst hinterfragte er die Musealisierung von Kunst. Er thematisierte die von Museen und der Wissenschaft im Nachhinein vorgenommene Zuschreibung von historischen Objekten als Kunst am Beispiel von Bodenfunden aus der Vor- und Frühgeschichte. Diesen Aspekt griff Hollein in seiner Ausstellung mit dem Grabungsfeld und den dazugehörigen »musealisierten« Objekten in den Vitrinen auf. Speziell lassen sich in dieser Schau Bezüge und Wechselwirkungen zum künstlerischen Schaffen von Joseph Beuys erkennen. In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung wurde Hollein in Zusammenhang mit dieser Ausstellung gar als »Beuys der Architektur« bezeichnet.485 Gemeinsam war beiden Universalkünstlern die Beschäftigung mit den Themen Rituale, Schmerzen, Krankheit und Tod und die intensive Auseinandersetzung mit der künstlerischen Präsentation von Objekten im Raum, worüber die beiden im Austausch standen.486 So erinnert Beuys’ Installation Zeige deine Wunde von 1974–1975 mit den beiden in die Ecke gedrängten Leichenbahren an Holleins Sterbebett in einer Ecke des Mönchengladbacher Museums. Auch deutete Beuys in seiner 1967 in Mönchengladbach gezeigten Ausstellung Alltagsge-
481 482 483 484
Titz 2006, S. 34. Deutscher Werkbund 1979, S. 33. Vgl. Branscome 2015b, S. 100. Cladders, Johannes: Das Antimuseum. Gedanken zur Kunstpflege, in: Cladders (Hg.): Beleg I. Städtisches Museum Mönchengladbach Ausst.-Kat., Mönchengladbach 1968, o. S. 485 Jappe, Georg: Architektur – psychisch. Hans Hollein Mönchengladbach, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 03.07.1970, S. 28. 486 Hollein, Max: Interview 03.09.2020; vgl. a. McGovern 2016, S. 27–107.
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genstände zu Kunst um, indem er sie in Vitrinen ausstellte.487 Die damit verbundene Hinterfragung der Bedeutung von Objekten wurde in Holleins Vitrineninstallation in ähnlicher Weise thematisiert. Umfassender hinterfragte Marcel Broodthaers zwei Jahre später mit seiner Ausstellung Der Adler vom Oligozän bis heute in der Kunsthalle Düsseldorf die Mechanismen der Musealisierung, indem er Alltagsgegenstände und museale Leihgaben ebenfalls in Vitrinen anordnete.488 Hollein, Beuys und Broodthaers übten damit Kritik an der Institutionalisierung von Kunst und der linearen Darstellung von Geschichte. Auch weitere Künstlerinnen und Künstler, die Cladders im alten Mönchengladbacher Museum bis 1978 ausstellte, darunter Daniel Buren, setzten sich in ihren Ausstellungen und Aktionen mit dem Museum als Institution kritisch auseinander. In einem Brief an Cladders im Februar 1971 lobte Hollein explizit Burens Streifenmanifestation als »sehr wichtige Aktion der Ausweitung eines Museums mit simplen Mitteln, ähnlich wie ich sie mit meiner Triennale-Brille versucht habe.«489 Diese Auseinandersetzungen bildeten die Grundlage und den Kontext für die Entwicklung eines neuen Museumstypus, in dem Hollein in enger Zusammenarbeit mit Johannes Cladders versuchte, neue zeitgemäße Präsentationsformen für zeitgenössische Kunst zu finden, wie in Kapitel V.III.II näher erläutert wird.
Rezeption In zeitgenössischen Berichten wird beschrieben, dass die Ausstellung eine sehr starke Wirkung auf das Publikum hatte, es aufwühlte und verängstigte.490 In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung stand, dass der Effekt der von Hollein geschaffenen psychischen Räume so stark war, dass es bei der Eröffnung kaum jemand wagte, durch den Kettenvorhang zu gehen.491 Das Krankenhausbett hinter dem Paravent und das Grab hatten eine schockierende Wirkung auf das Publikum, das betroffen oder sogar verärgert reagierte.492 Auch wenn Hollein einige Jahre später behauptete, dass 487 Zu Beuys’ Vitrinen s. McGovern 2016, S. 44–48. 488 Broodthaers, Marcel: Der Adler vom Oligozän bis heute. Musée d’Art Moderne, Département des Aigles, Section des Figures, 16.05.-09.07.1972, Städtische Kunsthalle Düsseldorf; s. Snauwaert, Dirk: Marcel Broodthaers, Musée d’Art Moderne, Département des Aigles, Section des Figures, 1972, in: Filipovic (Hg.): The artist as curator, London; Mailand 2017, S. 123–136. 489 Gemeint ist die Manifestation von Daniel Buren mit senkrechten farbigen und weißen Streifen, 28.01.-07.03.1971, gleichzeitig zu sehen in mehreren deutschen Städten. Hollein, Hans: Brief an Johannes Cladders, 15.02.1971 (Typoskript), Ordner Ausstellungen 1970-A, Archiv Museum Abteiberg, Mönchengladbach, S. 1. 490 Es wurden Sammlungen von Presseartikeln zu Tod aus dem Archiv Hans Hollein, Az W und dem Museum Abteiberg ausgewertet sowie weitere Artikel recherchiert. Insges. 13 relevante Artikel. 491 Jappe 03.07.1970, S. 28. 492 Vgl. z.B. Pieper, Emil: Brief an Johannes Cladders, 27.05.1970, abgedruckt in: Wischermann 1997, S. 340–341.
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ihm gar nicht bewusst gewesen sei, welche schockierende Wirkung die Ausstellung auf das Publikum haben würde, war sie doch eine gezielte Provokation.493 Dabei wagte er sich nicht nur an das Tabuthema Tod heran, sondern thematisierte darüber hinaus am Rande, ähnlich wie Beuys zu dieser Zeit, als einer der ersten Kunstschaffenden im deutschsprachigen Raum die nationalsozialistische Vergangenheit des Landes.494 Neben der ausgestellten Duschbrause zeigte er auch seine Transformations-Collage Monument for the Victims of the Holocaust von 1967 im Raum mit seinen Werken.495 Neben der vordergründigen und teilweise provokanten Thematik des Todes war die Präsentation eine Darstellung von Holleins erweitertem Architekturverständnis. Ob dieses jedoch außerhalb von Fachkreisen vom Publikum verstanden wurde, bleibt zu bezweifeln. Die Ausstellung war bis zum Erscheinen des Kataloges Mitte Juni 1970 ohne Erläuterungen zu sehen und daher für diejenigen, denen Holleins Schaffen bisher unbekannt war, in ihrer übergeordneten Interpretationsebene der Erweiterung der Architektur mit psychischen Mitteln vermutlich schwer nachvollziehbar.496 Mit dieser Ausstellung, die nicht nur thematisch, sondern auch durch die starke physische und psychische Einbindung des Publikums für Aufsehen sorgte, brachte Hollein sich über die Grenzen der Stadt hinweg ins Gespräch. Der Großteil der Medien zeigte sich begeistert und es erschienen überregional teils enthusiastische Berichte. Manche Journalistinnen und Journalisten taten sich jedoch schwer mit Holleins interdisziplinärem Schaffen und waren unentschieden, ob sie die Ausstellung nach architektonischen oder künstlerischen Gesichtspunkten beurteilen sollten. Mit dieser Ausstellung schaffte Cladders es, Hollein genauso wie Beuys drei Jahre zuvor in Deutschland bekannter zu machen und deren künstlerische Karrieren voranzutreiben.
Grab eines Rennfahrers 1971 und Kriemhilds Rache 1972 Gianni Pettena bezeichnete die Ausstellung in Mönchengladbach als Manifest Holleins zum Thema Tod.497 Die Ausstellung markierte demnach den Beginn einer verstärkten Beschäftigung mit dieser Thematik bei Hollein in den 1970er Jahren. Für ihn war sie eine wesentliche Ausstellung, die direkt zu weiteren Installationen führte.498 1971 zeigte er beim Steirischen Herbst in Graz die Installation Grab eines Renn493 Deutscher Werkbund 1979, S. 32. 494 Lefaivre 2017, S. 232. 495 Die Collage zeigt einen riesenhaft vergrößerten Waggon, ähnlich den Viehwaggons, die zum Transport von Menschen in die Konzentrationslager genutzt wurden, als Monument oder Kultbau auf einer Anhöhe. Abb. s. Weibel 2011a, S. 55. 496 Vgl. hierzu auch die Beschwerde des Besuchers Helmut Ochocki vom 08.06.1970 und die Antwort von Cladders, abgedruckt in: Wischermann 1997, S. 341–342. 497 Pettena 1988, S. 50. 498 Hollein 1984b, S. 19.
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fahrers, die dem Grab eines Kriegers aus der Ausstellung in Mönchengladbach ähnelte.499 Für die Installation war im Park von Schloss Eggenberg auf einer Wiese neben einem Baum ein rechteckiges Loch ausgehoben worden, dessen Boden mit einer Sandschicht bedeckt wurde. Darauf lag zwischen vier halb im Sand vergrabenen Fahrradreifen ein weißer Schutzhelm. Damit spielte Hollein wieder ironisch auf das Thema Tod und Erinnerung an. Daneben weckte die Installation vieldeutige Assoziationen zur Kunst- und Zeitgeschichte. Die Fahrradreifen erinnerten an Marcel Duchamps Readymade Fahrrad-Rad. Hans Hollein selbst sagte, er habe die Trauer um den im September 1970 in Monza tödlich verunglückten Grazer Formel-1-Fahrer Karl Jochen Rindt zum Anlass für seine Installation genommen.500
Abb. 34: Grab eines Rennfahrers, Park Schloss Eggenberg, Graz
Abb. 35: Kriemhilds Rache, Gruga-Halle 8, Essen
Quelle: Privatarchiv Hollein, Foto: Otto Breicha
Quelle: Privatarchiv Hollein, Foto: Jerzy Surwillo
1972 entstand außerdem für die Ausstellung Szene Rhein-Ruhr ’72 des Museums Folkwang in Essen eine weitere Installation, die das Thema der Mönchengladbacher Ausstellung aufgriff und weiterführte. Im Ausstellungsteil Sage und Gegeben-
499 Hans Hollein: Grab eines Rennfahrers, Installation, 08.10.-26.10.1971, Steirischer Herbst Graz. 500 Baur, Joachim; Holler-Schuster, Günter: Jochen Rindt. Memorial (DVD), Werkstadt Graz 2008. Auschnitt Hans Hollein, »Grab des Rennfahrers 1970«, 2005, 00:01:12h.
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heit in der Gruga-Halle 8 wurde Holleins Installation Kriemhilds Rache gezeigt.501 Sie bestand aus einem weißen Totenhemd aus dicht gewebtem Leinen, das in der Kreuzform den Totenhemden im Treppenhaus in Mönchengladbach glich.502 Auf dem Hemd waren quadratische Aluminiumplatten einzeln mit weißen Bändern befestigt. Auf Höhe des Herzens fehlte eine Platte. Die Bänder hingen dort lose herab. Auf dem freigelegten, leicht zerstörten Stoff war ein kleiner Blutfleck zu sehen. Hollein spielte hier auf Siegfried, den unbesiegbaren Helden aus der Nibelungensage, an, dessen einziger wunder Punkt von seiner Frau Kriemhild verraten wurde. In diesem Sinne kann die Installation auch als Auseinandersetzung Holleins mit weiblicher Macht und Erotik verstanden werden. Dieses Totenhemd wurde später unter anderem auf der Art Basel 1976 auf einer mit schwarzem Stoff bespannten Trägerplatte gezeigt.503 Im Kontext der Ausstellungsgestaltung ist jedoch die ursprüngliche installative Präsentation in Essen interessant: Hollein hängte das Totengewand vor der schwarzen Stirnwand eines schmalen, langen Korridors mit weißen Wänden auf. Das über zwei Meter lange Gewand war am oberen Abschluss der Wand befestigt. Auf dem ebenfalls dunklen Boden des Ganges wurde der Weg zum Gewand durch einen liegenden Körper versperrt. Um sich die Rüstung genauer anzusehen, musste man über oder auf den vermeintlichen Torso, bestehend aus Schaumstoff mit weißem und schwarzem Stoff überzogen, steigen. Der Kopf und die Beine der Stofffigur schienen sich in den Wänden fortzusetzen beziehungsweise von diesen abgetrennt und ummauert zu sein. Durch den angedeuteten Körper auf dem Boden wurde man in das Geschehen involviert. Die Präsenz des Todes wurde durch das Überwinden des Hindernisses verdeutlicht. Der Journalist Georg Jappe, der auch die Ausstellung Tod kommentiert hatte und diese Installation als »hervorragendes Beispiel« für konzentrierte Kunst bezeichnete, schrieb, dass es große Mühe koste über die angedeutete Leiche zu steigen.504 So schuf Hollein wie bei seiner Ausstellung in Mönchengladbach mit diesem Bild in Kombination mit der körperlichen Erfahrung ein emotionales Raumerlebnis. Eine Zeichnung der Installation im Ausstellungskatalog zeigt zudem, dass Hollein überlegt hatte, abermals Anspielungen auf den Nationalsozialismus zu integrieren: Auf der Zeichnung war eine Duschbrause zu sehen, die hinter dem Hemd auf dem Boden lag, außerdem war das Hemd auf Brusthöhe mit einem Judenstern versehen. Der Torso wirkte auf der Zeichnung
501 Hans Hollein: Kriemhilds Rache, Installation, Szene Rhein-Ruhr ’72, 09.07.-03.09.1972, Museum Folkwang Essen, Gruga-Hallen. Honisch, Dieter (Hg.): Szene Rhein-Ruhr 72. Museum Folkwang Ausst.-Kat., Essen 1972. 502 Es existiert eine weitere Variante der Totenhemden: Jagdkleid, 1976, versch. Materialien. Abb. s. Pettena 1988, S. 49. 503 Abb. s. Catoir, Barbara: Art Basel 7/76. Das Kunstwerk, Nr. 5 (1976), S. 68. 504 Jappe, Georg: Der Märchenwald: verhext und hell. »Szene Rhein-Ruhr ’72« im Grugapark in Essen, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21.07.1972, S. 24.
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realistischer als in seiner tatsächlichen Ausführung. Holleins im selben Jahr gezeigte Ausstellung im Österreichischen Pavillon auf der Venedig-Biennale beschäftigte sich ebenfalls mit dem Thema Tod.
IV.II.II Werk und Verhalten, Leben und Tod 1972 Nach dem Erfolg seiner Einzelausstellung in Mönchengladbach und der Präsentation seiner Collagen, Zeichnungen und Skulpturen in großen Museen wie 1970 in einer Gruppenausstellung im MoMA wurde Hans Hollein eingeladen, als Künstler Österreich bei der XXXVI. Kunstbiennale von Venedig zu vertreten.505 Die renommierte internationale Kunstausstellung fand von 11. Juni bis 1. Oktober 1972 statt. Unter der Führung des künstlerischen Direktors Mario Penelope wurde erstmals ein übergeordnetes Thema für die Ausstellung eingeführt, das übersetzt Werk und Verhalten lautete. Zum österreichischen Regierungskommissär wurde Wilfried Skreiner ernannt. Der Grazer Jurist und Kunsthistoriker war seit 1966 Leiter der Neuen Galerie am Landesmuseum Joanneum in Graz. Außerdem war er Mitglied des Kuratoriums des Steirischen Herbstes und verantwortete die Dreiländer-Biennale Trigon. Hollein war bei der Trigon 1967 und 1969 mit Arbeiten vertreten und stellte beim Steirischen Herbst 1971 seine Installation Grab eines Rennfahrers aus. Skreiner nominierte als österreichische Vertreter Hans Hollein und den Maler und Bildhauer Oswald Oberhuber.506 Oberhuber rückte für Walter Pichler nach, der zunächst vorgesehen war mit Hans Hollein gemeinsam auszustellen, aber wegen der kurzen Vorbereitungszeit absagte.507 Oswald Oberhuber unterstellte in einem Interview jedoch, Pichler habe befürchtet, dass sein Werk von der Dominanz Holleins beeinträchtigt werde.508 So kam es nicht zu einer weiteren gemeinsamen Hollein-Pichler-Ausstellung. Dennoch könnte die ursprünglich geplante Teilnahme von Pichler Hans Holleins Wahl des Ausstellungsthemas beeinflusst haben, denn beiden war die Beschäftigung mit einem kultischen Verständnis von Architektur und Kunst gemeinsam. Pichler entwarf um 1970 skulpturale Altäre, Schreine und andere Objekte, die in Zusammenhang mit Tod und Totenverehrung standen. Sie waren den Objekten, die Hollein für seine Ausstellung in Mönchengladbach und für die daran anknüpfende Ausstellung 505 Information, 02.07.-20.09.1970, MoMA. Von Hollein wurden in dieser Ausstellung vier Fotografien mit dem Titel Sites von 1964 gezeigt. 506 Oberhuber und Hollein waren auf professioneller und privater Ebene eng verbunden. Oberhuber arbeitete neben seiner künstlerischen Tätigkeit seit 1965 als Berater für die Galerie nächst St. Stephan und war 1964–1968 als Redakteur für die von Hollein herausgegebene Architekturzeitschrift Bau tätig. Er war auch der Taufpate von Holleins erstem Kind Max. 507 Sharp, Jasper; Boesch, Katharina (Hg.): Österreich und die Biennale Venedig 1895–2013, Nürnberg 2013, S. 366. 508 Husslein-Arco, Agnes; Weidinger, Alfred; et al. (Hg.): Oswald Oberhuber. 21er Haus Wien Ausst.-Kat., Wien 2016, S. 287.
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auf der Biennale in Venedig entwarf, nicht nur inhaltlich, sondern auch formal sehr ähnlich.509 So baute Pichler 1971 beispielsweise einen Reliquienschrein, der ein Totenhemd mit Blutfleck auf Brusthöhe wie bei Kriemhilds Rache enthielt.510
Konzeption Die Einladung zur Biennale in Venedig war für Hans Hollein die zweite Möglichkeit, sich als Installationskünstler zu präsentieren. Für seinen Beitrag zur Biennale entwickelte er das Thema der Mönchengladbacher Ausstellung weiter. Sein Beitrag griff das Biennale-Thema auf und trug den Titel Werk und Verhalten, Leben und Tod, Alltägliche Situationen. Auch diese Ausstellung beschäftigte sich mit Ritualen rund um das Thema Geburt und Tod. Über zehn Jahre später äußerte sich Hollein in einem Vortrag zum Konzept der Ausstellung. Er sprach zuerst vom rituellen Aspekt der Architektur und deren Zwecklosigkeit und fuhr dann fort: I tried to develop these thoughts also in other terms […] of what I would say everyday living and common object, and in areas which you would traditionally call the fine arts. An example of this is the installations I made at the Biennale in Venice in 1972, within the pavilion and outside in the gardens and the canals where I was creating a human situation: where you are born, where you live, and where you die; where you pray, and where you eat; where you come by one vehicle on land, and leave by another vehicle on water; where you have the four elements; and where you have life and death, and where you have blood.511 Grundsätzliche menschliche Situationen und die damit verbundenen Rituale waren demnach das Thema der Installation. Im Gegensatz zu den recht vordergründigen und einfach zu verstehenden Assoziationen und Metaphern in der Ausstellung in Mönchengladbach waren die Anspielungen in Holleins Biennale-Ausstellung vieldeutiger und komplexer.
Gestaltung Der von Josef Hoffmann entworfene Österreichische Pavillon beherbergte damals wie heute vier Ausstellungsräume: Von einem offenen Mittelgang, der vom Eingang zu einem Innenhof hinter dem Pavillon führte, gingen zwei große längliche Hauptgalerien ab. Diese wurden lediglich durch jeweils drei Säulenbögen vom Mittelgang getrennt, wodurch sich eine offene Raumgestaltung mit Durchblick zur anderen Hauptgalerie ergab. Die zwei Haupträume, die sich links und rechts
509 Vgl. Abb. in: Pichler, Walter: Skulpturen, Gebäude, Projekte, Salzburg 1983, S. 86–107. 510 Abb. s. ebd., S. 95. 511 Hollein, Hans: Ritual & Transformation, Vortrag, 1986, Tonaufnahme. Transkript S. 5. Was er mit den vier Elementen meinte, wird jedoch nicht klar, da zumindest das Element Feuer nicht vorkam.
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an den Eingangsbereich anschlossen, bestanden aus einer U-förmigen Mauer mit einem durchgängigen Fensterband als Oberlicht. Vom Innenhof aus hatte man außerdem Zugang zu zwei kleineren Seitengalerien, deren Eingangsseite verglast war. Oswald Oberhuber bespielte die östliche Seite des Pavillons und zeigte dort Arbeiten auf Leinwand sowie eine Holzinstallation im Innenhof.512 Hans Holleins Ausstellung erstreckte sich nicht nur über die westliche Haupt- und Seitengalerie sowie den Innenhof, sondern dehnte sich auch auf den Außenbereich um den Pavillon herum aus.513 Für seine Installation veränderte Hollein die vorgefundene Raumsituation in der westlichen Hauptgalerie: Er ließ eine weiße Zwischendecke aus lichtdurchlässigen Stoffbahnen installieren, sodass das charakteristische hohe Fensterband von Hoffmann nicht zu sehen war, aber indirektes Licht von dort den Raum erhellte. Zugleich verringerte er damit die Raumhöhe und schuf so eine intimere Atmosphäre. Auch die anderen Wände des Raumes waren durch weißen Stoff verdeckt. Zusätzlich schloss er den Raum, indem er die drei Bögen, die den Durchgang zum Mittelgang bildeten, ebenfalls mit weißen Stoffbahnen verhüllte. Der Zugang zu dem nunmehr bis auf den schwarzen Boden gänzlich weißen Raum erfolgte stattdessen über einen viel kleineren rechteckigen Durchgang, den Hollein in der Mitte der verhüllten Bögen installiert hatte. In der gegenüberliegenden Stirnwand hatte er analog dazu mittig einen schmalen Durchbruch zum Garten machen lassen und den Raum damit nach außen hin geöffnet. Innerhalb des Raumes zeigte Hollein sechs weiß geflieste und geometrisch geformte Objekte, die direkt auf dem Boden standen. Im Ausstellungskatalog bezeichnete er die Installation als »Raum mit gewöhnlichen Objekten«.514 Betrat man den Raum durch den Mittelgang des Pavillons, lag rechter Hand ein quadratisches Objekt auf dem Boden. Es war so hoch wie eine Fliesenkachel, die ungefähr 15 Zentimeter maß. Die geflieste Oberfläche wurde durch eine mäandernde schmale Rinne im Mittelteil aufgebrochen. Die vertiefte Form war mit goldglänzender Farbe ausgemalt. Auf der rechten Seite des Raumes standen außerdem ein schmaler Pfeiler, ein stilisiertes Bett und ein Stuhl versetzt hintereinander. Alle waren ebenfalls weiß gefliest. Auf der linken Seite des Raumes befand sich vom Eingang aus gesehen vorne eine weitere geflieste rechteckige Bodenarbeit, welche in der Mitte ein Becken beherbergte, das mit einer roten Flüssigkeit gefüllt oder rot ausgemalt war. In der hinteren linken Ecke stand zudem noch ein quadratischer niedriger Fliesentisch. Die Objekte waren so angeordnet, dass ein Durchgang in der Mitte des Raumes blieb, der zur Stirnwand führte, in welche Hollein den Durchgang nach außen eingefügt hatte. Durch diesen Türschlitz, der ebenfalls von weißen Fliesen umrandet
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Husslein-Arco; Weidinger; et al. 2016, S. 287; Installationsansichten s. Sharp; Boesch 2013, S. 372–373. Abb. s. Nakamura 1985, S. 159. Hollein; Skreiner 1972. o. S.
IV. Szenografisch-künstlerische Ausstellungsinszenierungen
war, konnte man auf den Garten und Holleins Installationen im Außenbereich blicken. Er war jedoch zu schmal, um bequem nach außen zu gelangen. Eine Öffnung des Ausstellungsraumes zur Natur hin zeigte Hollein auch bei seiner Ausstellung Papier, die im selben Jahr stattfand.
Abb. 36: Werk und Verhalten, Raum mit gewöhnlichen Objekten
Quelle: Privatarchiv Hollein, Foto: Franz Hubmann
Die weißen Fliesen der Skulpturen waren etwas kleiner, aber ebenso quadratisch wie die schwarzen Bodenfliesen des Pavillons und korrespondierten mit diesen. Mit der Verwendung der geometrischen Grundform des Quadrates reagierte Hollein auf den Raum und dessen Erbauer Josef Hoffmann. Hoffmanns architektonische Entwürfe waren durch geometrische Einfachheit und kubische Formen gekennzeichnet. Die Verwendung des Quadrats in vielen seiner Entwürfe, so auch bei den Bodenfliesen des Österreichischen Pavillons, trug ihm den Spitznamen »Quadratl-Hoffmann« ein. Insbesondere die erste Bodenarbeit, die quadratische Struktur, welche in amorpher Form aufgebrochen wurde, kann in diesem architektonischen Kontext als symbolischer Bruch mit der Moderne und insbesondere mit dem
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Vorbild Josef Hoffmann verstanden werden. Dieses Motiv findet sich in vielen Arbeiten Holleins aus dieser Zeit.515 Die Hinterfragung moderner Architektur war jedoch nur einer der Aspekte der Schau. In einem zur Ausstellung erschienen Text sprach Hans Hollein sich gegen eindeutige Erklärungen der Installation aus, bot jedoch verschiedene weitere Aspekte zur Deutung des Raumes an.516 Wichtig war das Blut, das durch die rote Farbe im Bassin dargestellt wurde. Es symbolisierte für ihn sowohl Leben als auch Tod. Mit der quadratischen Bodenskulptur assoziierte er Rinnen, die das Blut ableiteten. Solche Rinnen hatte er an Opferaltären von Tempeln auf einer Reise nach Mexiko gesehen. Außerdem fertigte Hollein Collagen an, die als Motiv fotografische Ansichten des Ausstellungsraumes zeigten, auf welche er nackte Frauen in aufreizenden Posen auf den Stuhl, den Tisch und das Bett geklebt oder gezeichnet hatte. Sie verdeutlichen, dass der Raum für ihn auch einen erotischen Moment symbolisierte. Der schmale Durchgang nach außen kann dieser Interpretation folgend als Geburtserlebnis verstanden werden. Die wissenschaftlichen Interpretationen waren vielfältig und orientierten sich hauptsächlich an der Raumatmosphäre: Durch die weißen Wände und die weiß gefliesten Objekte bekam der Raum einen »zwanghaften Charakter«, wie der Kunsthistoriker Michael Brix es beschrieb.517 Gianni Pettena und Peter Mathis Bode bezeichneten die Raumatmosphäre als steril und klinisch.518 Bode interpretierte den Raum daher als Geburtsraum, Wolfgang Brix sprach von einer »Bildwelt der Obsessionen«, während Liane Lefaivre den Raum als Leichenschauhaus in autobiografischer Verbindung mit dem frühen Tod von Holleins Vater deutete.519 Der Raum stellte demnach ein ambivalentes Assoziationsfeld dar, das je nach individuellem Kenntnisstand und Erfahrungen verschiedenste Interpretationsmöglichkeiten zuließ. Von dem Durchbruch in der Wand führte ein hölzerner Steg bis zum Wasserkanal, der durch die Gärten des Ausstellungsgeländes floss. Der Steg mündete in eine Plattform, die wie ein zu hoher Bootsanleger auf Holzstützen über dem Wasser stand. Die Plattform war von einem weißen Zeltdach überspannt. Der Übergang vom Steg zur Plattform war rechts und links von zwei Holzstäben flankiert, an die Äste mit Blättern gebunden waren.
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S. Kap. V.I.I. Hollein, Hans: Work and behaviour – life and death – everyday situations. Studio International, Nr. 949 (1972), S. 192–193. Brix 1984, S. 178. Pettena 1988, S. 53; Bode, Peter M.: Ein Star der daheim lange nichts galt. Porträt des Architekten, Plastikers und Designers Hans Hollein, Art, Nr. 2 (1986), S. 109. Bode 1986, S. 109; Brix 1984, S. 179; Lefaivre 2017, S. 233.
IV. Szenografisch-künstlerische Ausstellungsinszenierungen
Abb. 37: Werk und Verhalten, Außenbereich, Zelt, Steg, Floß, Grab
Abb. 38: Werk und Verhalten, Außenbereich, Sezierwagen
Quelle: Privatarchiv Hollein
Quelle: Privatarchiv Hollein, Foto: Gino Molin-Bradl
Unter dem abgespannten Zelt stand eine Tragbahre aus Holz mit gefliester Oberseite. Darauf lag ein in Stoff eingeschnürtes längliches Objekt, das einem mumifizierten Körper ähnelte. Rechts neben der Plattform schwamm ein Holzfloss, auf dem derselbe weiß-geflieste Stuhl wie in der Hauptgalerie stand. Dieser wurde von zwei dahinterstehenden viereckigen Holzlatten flankiert, an die oben ebenfalls Zweige mit Blättern gebunden waren. Hollein brachte das Todessymbol des Floßes mit autobiografischen Erinnerungen in Zusammenhang.520 Im Ausstellungskatalog war neben einer Abbildung des Floßes mit Stuhl eine kleine SchwarzWeiß-Fotografie abgebildet, die ein Erlebnis aus seiner Kindheit darstellte.521 Auf dem Bild war ein ähnliches Floß auf einem See zu sehen, auf dem sich ein Mann und ein Junge, laut Hollein er selbst und sein früh verstorbener Vater, auf Stühlen gegenübersaßen.522 Peter Mathis Bode interpretierte die Schau als »Installation der Stationen eines (seines) Lebens vom klinisch weiß gekachelten Geburtsraum bis zum verschnürten Leichnam auf einem Zelt-Podest«.523 Der hölzerne Steg verband seiner Interpretation folgend die Geburt mit dem Tod. Eva Branscome interpretierte die Holzstäbe mit Blättern auf dem Floß als Palmen und damit als Symbol für die Erinnerung an den Urlaub mit dem Vater und die weißen Fliesen des Stuhls als Zeichen für Krankenhäuser oder Leichenhallen. Zugleich würden die Palmen den
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Hollein 1972, S. 193. Hollein; Skreiner 1972. o. S. Abb. s. ebd., o. S. Bode 1986, S. 109.
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Stuhl wie einen Thron flankieren.524 Germano Celant machte auf die Dualität der Installation aufmerksam: Er interpretierte den Innenraum als Raum des Lebens mit alltäglichen Situationen. Allerdings seien die verwendeten Materialien und Formen darin leblos, während der Pavillon des Todes im Außenbereich aus organischen Materialien wie Holz oder Stoff bestehe.525 Neben diesen beiden miteinander verbundenen Installationen zeigte Hollein weitere Installationen und Objekte, die sich mit dem Tod und Sterberitualen auseinandersetzten: Wenn man auf dem Steg vom Gebäude Richtung Kanal lief, sah man auf der rechten Seite ein gefliestes rechteckiges Becken, das in die Wiese eingelassen war. Dieses wurde in der Ausstellungszeichnung als »Grab« betitelt und korrespondierte mit dem Fliesenobjekt mit roter Flüssigkeit in der Hauptgalerie.526 Gleichzeitig wies die Installation Parallelen zur Installation Grab eines Rennfahrers auf, die auch in einer Wiese eingegraben war. Ebenfalls an das Grab eines Rennfahrers erinnerte der auf der Sockelzone vor dem Österreichischen Pavillon aufgestellte Sezierwagen links neben dem Eingang – eine Symbiose aus Rennwagen und Leichenbahre. An einem vier Meter langen Eisengestell, das von der Formgebung her einer Bahre ähnelte, war das Ende jedes Tragegriffes mit einem Fahrradreifen versehen. Im Mittelteil war eine Seziertischplatte aus weißem Porzellan eingelassen, an deren Ende ein aufgestellter kantiger Metallkiel angebracht war, der Ähnlichkeiten mit der Klinge eines Skalpells aufwies. Zurückzuführen ist dies darauf, dass Hollein davon fasziniert war, wie das Blut in den Rillen der Sezierplatte in stilisierter Form abgeleitet wurde.527 Dieses Gefährt symbolisierte ebenso wie das Floß den alltäglichen Transport und zugleich die letzte Reise ins Jenseits. In der Seitengalerie griff Hollein ein Thema auf, das er bereits in der Ausstellung in Mönchengladbach gezeigt hatte: den Übergang zwischen Leben und Tod symbolisiert durch durchlässige Wände. Hollein hatte einen großen weißen Stofftrichter von der Decke abgehängt, von dessen quadratischer Öffnung an allen Seiten Metallketten herunterhingen, die einen Raum um ein auf dem Boden stehendes Objekt formten. Das Objekt war ein goldener Würfel mit verzogenen Kanten, der an einer der oberen Ecken einen quaderförmigen Einschnitt aufwies. Durch den goldenen Anstrich der Wände und die Beleuchtung des Objektes über den Trichter bekam der Raum eine sakrale Atmosphäre, die sich auf das nicht näher spezifizierte Kultobjekt in der Mitte des Raumes zentrierte.
524 Branscome 2018, S. 68. 525 Celant, Germano: Rites + Sites. Artforum International, Nr. 8 (1990), S. 124–125. 526 Hollein, Hans: Axonometrie »situazione quotidiane«, 1972 (Lichtpause), HN-066-001-P, Archiv Hans Hollein, Az W, Wien. 527 Hollein 1972, S. 192.
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Abb. 39: Werk und Verhalten, Seitengalerie, Raum mit durchschreitbaren Wänden
Abb. 40: Werk und Verhalten, Außenbereich, Wanddurchbruch mit Blick auf »Naturheiligtum«
Quelle: Privatarchiv Hollein
Quelle: Privatarchiv Hollein
Wie bei Space in Space in Space weitete Hollein die Ausstellung auf die Natur aus: Im Innenhof hatte er auf der westlichen Seite die Begrenzungsmauer durch herausgenommene Ziegelsteine durchbrochen. So sah man die sonst von der Mauer versperrte bewaldete Grünfläche hinter dem Pavillon. Dort hatte Hollein einen weiteren Fliesenstuhl im Unterholz platziert und ihm gegenüber ein so bezeichnetes »Naturheiligtum« aus Zweigen und Ästen aufgebaut.528 In diesem grob gezimmerten Holzschrein lag ein toter Fasan, der laut dem Architekturhistoriker Joseph Rykwert als Ersatz für ein gerupftes weißes Huhn dienen sollte, das in Venedig nicht zu bekommen war.529 Hans Hollein spielte damit auf Voodoo-Rituale an, bei denen Hühner als Opfertiere verwendet wurden.530 Kurz vor der Eröffnung kam es noch zu Veränderungen der Ausstellungsgestaltung, denn die im Katalog gezeigte Axonometrie-Zeichnung wich von der tatsäch-
528 Abb. s. Weibel 2011a, S. 122. 529 Rykwert, Joseph: Irony. Hollein’s General Approach, in: Nakamura (Hg.): Hans Hollein. (Sonderheft), Tokio 1985, S. 196. 530 In der Axonometrie-Zeichnung einer nicht realisierten Ausstellungsvariante bezeichnete Hollein das Naturheiligtum auch als »Voodoo-Altar«. Hollein, Hans: Axonometrie »Hollein Biennale Venezia 1972«, 1972 (Lichtpause), HN-066-001-P, Archiv Hans Hollein, Az W, Wien.
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lichen räumlichen Gestaltung leicht ab.531 Ursprünglich wollte Hans Hollein im Innenhof noch ein Zelt und ein Holzgestell zeigen. Der dünne und einfach gehaltene Ausstellungskatalog mit einer Einführung von Wilfried Skreiner, die Holleins spartenübergreifenden Alles ist Architektur-Ansatz skizzierte, dokumentierte die Schau und zeigte einen visuellen Überblick über Holleins bisherige Projekte, die »in einem engeren Zusammenhang mit dem Anliegen der Ausstellung« standen.532
Analyse Die Ausstellung wurde speziell für diesen Ort konzipiert. Die vorgefundenen örtlichen Begebenheiten, die Natur, das Wasser und der Österreichische Pavillon, waren für Hollein integraler Bestandteil der Schau.533 Während er bei Tod auf die Stimmung des Ortes reagiert hatte, ging er in dieser Ausstellung explizit auf die räumlichen Situationen des Österreichischen Pavillon ein und bezog erstmals in größerem Umfang den Außenraum in seine Installationen mit ein. Im Gegensatz zur Mönchengladbacher Ausstellung stellte Hollein seine Installationen nicht aus Alltagsgegenständen zusammen, sondern entwarf und baute hauptsächlich aus einfachen Materialien wie Holz, Stoff und Keramikfliesen eigene Objekte, die im Falle der Möbel wiederum an Alltagsgegenstände erinnerten. Erst im Zusammenspiel mit dem Ausstellungsdisplay und der räumlichen Abfolge konnte die Bedeutung dieser Objekte erfasst werden. Durch die Präsentation der Mumie, des verwesenden Vogels und des vermeintlichen Blutes wurde der Tod stärker körperlich dargestellt als in Mönchengladbach. Hollein schrieb in seinem Konzepttext, dass die Ausstellung vor allem eine Stimmung und Atmosphäre transportieren solle, die durch eigenes Erleben einsichtig werden müsse.534 Durch das Erlebnis dieses Szenarios wurde das Publikum in Situationen versetzt, die individuelle Erfahrungen auslösen sollten. Demnach stand auch bei dieser Ausstellung das Raumerlebnis im Vordergrund. Dabei spielte Hollein mit der Entdeckungslust des Publikums, das durch seine Ausstellung nicht nur den Pavillon, sondern auch dessen Umgebung bewusst erkunden konnte. Auf spielerische Elemente wie die Grabungsstätte bei Tod, welche die aktive Beteiligung des Publikums erforderten, verzichtete er jedoch. Mittels der Darstellung von Gegensätzen wie Innen – Außen, Natur – Kultur, Mythos – Rationalität regte Hollein das Publikum dazu an, über Grundsituationen des Lebens nachzudenken. Da bei der Biennale mit einem kunstverständigen Publikum mit hoher Bildung zu rechnen war, ging Hollein davon aus, dass man seine Anspielungen auf Kultur- und
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Hollein; Skreiner 1972. o. S. Ebd. o. S. Hollein 1972, S. 192. Ebd.
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Kunstgeschichte verstehen würde und verzichtete im Katalog und im Ausstellungsraum auf schriftliche Erläuterungen der einzelnen Objekte. In der Presse erschien jedoch ein kurzer Text von Hollein zur Ausstellung, in dem er teilweise in ganzen Sätzen, teilweise stichwortartig seine vielfältigen Assoziationen zu Aspekten des Themas Tod darlegte und auf diesbezüglich prägende Eindrücke aus seinem Leben verwies.535 Die Ausstellung war mit ihren biografischen, kulturgeschichtlichen, philosophischen und historischen Bezügen im Vergleich zu früheren Ausstellungen inhaltlich komplexer und anspruchsvoller. Ebenso war die Behandlung des Themas ernster als bei der Mönchengladbacher Ausstellung. Hollein verzichtete weitgehend auf humorvolle oder ironische Details und konfrontierte das Publikum stattdessen ungewohnt ernst und schonungslos mit diesem Thema.
Rezeption Der Österreichische Pavillon wurde in der internationalen Resonanz positiv aufgenommen.536 Oberhubers und Holleins experimentelle Beiträge reüssierten in der Kunstkritik. Der deutsche Kunstkritiker Willi Bongard bezeichnete Holleins Beitrag zusammen mit dem konzeptuellen Beitrag des holländischen Künstlers Jan Dibbets als stärksten Beitrag der Biennale.537 Ähnlich sah dies der Tübinger Kunsthistoriker Werner Spies, der die sprechende Inszenierung für diese Anerkennung verantwortlich machte.538 Oswald Oberhuber führte den Erfolg der österreichischen Schau auf die Verwendung neuer Raumkonzepte im Gegensatz zur konventionellen Präsentation an der Wand hängender Bilder in anderen Länderpavillons zurück. Außerdem sah er in der reduzierten Gestalt der Arbeiten eine weitere Besonderheit der Schau.539 Durch die Ausstellung wurde Hans Hollein in Österreich erstmals über die Grenzen der Wiener Kulturszene hinaus als Künstler wahrgenommen. Sein Beitrag zur Biennale 1972 bildete den Auftakt für viele weitere Projekte und Aufgaben in Zusammenhang mit den Biennalen von Venedig.540
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Ebd; Hasegawa 1973, S. 58; Nakamura 1985, S. 161. Einige Passagen des Textes sind sehr ähnlich zu Holleins Stichworten zur Mönchengladbacher Ausstellung, die Johannes Cladders in seiner Eröffnungsrede 1970 verlas. Dies unterstreicht die enge gedankliche Verbindung der beiden Ausstellungen. Vgl. Wischermann 1997, S. 333. Sharp; Boesch 2013, S. 366. Bongard, Willi: Vorwort. Art aktuell, Nr. 11 (1972), o. S. Spies, Werner: Was, wo, wie, wer, wann ist Kunst? Streifzug durch die 36. Biennale in Venedig, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13.06.1972, S. 20. Husslein-Arco; Weidinger; et al. 2016, S. 287. S. Kap. V.II.
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IV.II.III Humanismus – Dishumanismus 1980 Nach diesen beiden eng miteinander verbundenen Ausstellungen Anfang der 1970er Jahre setzte Hollein seine künstlerische Ausstellungstätigkeit erst zu Beginn des folgenden Jahrzehnts fort.541 1980 wurde er eingeladen für die Ausstellung Umanesimo Disumanesimo nell’arte europea 1890/1980, die von September bis November in Florenz stattfand, eine Installation zu entwerfen. Die von der Kuratorin Lara-Vinca Masini entwickelte komplexe Ausstellung setzte sich kritisch mit dem Begriff des Humanismus in Europa auseinander. Sie bestand aus mehreren Teilen: Im Palazzo di Parte Guelfa wurde ein historischer Teil mit Werken über das Negative in der Kunst vom Symbolismus bis zum neuen Realismus gezeigt, der eine neue Lesart der klassischen Moderne vorschlug. Für den zweiten Teil der Ausstellung waren zehn europäische Kunstschaffende und Architekten eingeladen, künstlerisch auf die Stadt zu reagieren. Die Kuratorin hatte hierfür Innenhöfe von in Privatbesitz befindlichen Palästen ausgewählt und diese den Teilnehmenden für Interventionen zur Verfügung gestellt. Die über die ganze Stadt verteilten Orte wurden entweder wegen ihres Verfallszustands oder ihrer Verbindung mit dunklen Seiten der Florentiner Historie ausgesucht. Neben Hollein waren Hermann Nitsch und Haus-Rucker-Co aus Österreich eingeladen; des Weiteren nahmen fünf italienische Künstler sowie Wolf Vostell und Rebecca Horn aus Deutschland teil. Hans Hollein entwarf eine Installation für den Innenhof des Palazzo PazziQuaratesi. Der Renaissance-Palast wurde Mitte des 15. Jahrhunderts im Auftrag der Familie Pazzi erbaut und befindet sich im Stadtviertel Santa Croce im Zentrum von Florenz. Der Hof war und ist bis heute von der Straße aus über einen Durchgang erreichbar. Er war an drei Seiten von einem Arkadengang mit reich verzierten Säulenkapitellen umgeben.542 Nur an der östlichen Wand gegenüber vom Eingang waren die Arkaden als Relief aus Pilastern und Bögen lediglich angedeutet. An dieser Seite war der ansonsten dreistöckige Palazzo eingeschossig und schloss über dem Kranzgesims flach ab. Dort befand sich eine schmale Terrasse, die einen Blick über den Hof bot. Für seine Installation musste Hollein zunächst den Hof und die Arkadengänge freiräumen lassen, da diese als Lager für Pakete und ähnliches genutzt worden waren. Außerdem standen dort Pflanzenkübel. Insgesamt machte der Innenhof einen renovierungsbedürftigen Eindruck. Die Bodenplatten waren ausgewaschen und teilweise zerbrochen. Dennoch stand der Palazzo unter Denkmalschutz, was die Möglichkeiten für Interventionen einschränkte.543 Ursprünglich
541 1972–1980 war er v.a. mit der Konzeption des Museums Abteiberg beschäftigt. 542 Grundriss Palazzo Pazzi und Ansicht Innenhof s. Masini 1980, S. 146. 543 Pedevilla, Erich: Interview 07.11.2019.
IV. Szenografisch-künstlerische Ausstellungsinszenierungen
hatte Hollein eine sehr viel aufwendigere Installation vorgesehen.544 Holleins an den Titel der Hauptausstellung angelehnte realisierte Installation setzte sich mit der wechselvollen Geschichte des Palazzos, mit der Historie der Stadt sowie im weiteren Sinne mit Krieg, Krankheit und Tod auseinander. Da Hans Hollein die Bedeutung der Installation nicht näher erläuterte, werden hier nach der Beschreibung zwei unterschiedliche Interpretationsansätze vorgestellt, die vermutlich miteinander verwoben waren: Einer bezieht sich auf die Geschichte der Stadt und des Palazzo, der andere schlägt allgemeinere Lesarten vor.
Abb. 41: Humanismus – Dishumanismus, Innenhof Palazzo Pazzi, Betten, Holzbalken, Sandsäcke
Quelle: Privatarchiv Hollein
Im leeren Innenhof hatte Hollein sieben Metallbetten gegenüber von drei aufrechtstehenden Holzbalken aufbauen lassen. Zwischen den Betten und Balken hatte er einen zentralen Gang frei gelassen, der zu einem Durchgang in der Wand führte. Um die Balken herum lagen am Boden Seile. In die Bodenplatten vor den Balken war jeweils ein Loch gebohrt worden, das mit Humus gefüllt wurde, in den Grassamen eingestreut wurden.545 Durch den Regen verteilte sich der Humus auf der Platte,
544 Abb. s. Masini 1980, S. 146–147. Er plante, den eingeschossigen Teil des Gebäudes durch eine riesige schräge Treppe nach oben hin zu erweitern und so die durch die fehlenden Geschosse vorhandene Lücke zu schließen. Auf der steilen Treppe sollte ein Kinderwagen stehen – eine Hommage an die Treppenszene aus Sergei Eisensteins Film Panzerkreuzer Potemkin von 1925, wo diese als Schauplatz für die blutige Niederschlagung eines Aufstands diente. Diese nicht realisierte Idee der Treppe griff Hollein für den Entwurf eines Merkzeichens für das FilmFestival Barcelona 1988 wieder auf. Abb. s. Weibel 2011a, S. 130. 545 Pedevilla, Erich: Interview 07.11.2019.
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sodass rote Flecken entstanden, welche an Blutlachen erinnerten.546 Am mittleren Balken hatte Hollein seitlich links einen kleinen Lorbeerzweig aus Bronze mit vier Blättern anbringen lassen. Dieser wurde von dem Wiener Bildhauer Gero Schwanberg gestaltet, mit dem Hollein immer wieder zusammenarbeitete.547 Hinter den Holzbalken waren Sandsäcke zwischen den Säulen des südlichen Arkadenganges zu einer Mauer gestapelt. Die drei Bögen waren bis zu einer Höhe von zwei Metern, also etwa bis zur Hälfte damit gefüllt. Alle Elemente der Installation waren um den Durchgang gruppiert, der sich an der Stirnwand des Hofes gegenüber vom Eingang befand. Die Türe, die diesen normalerweise verschloss, hatte Hollein entfernen lassen, um einen direkten Durchblick zu ermöglichen. In dem dunklen Raum dahinter brannte ein Feuer in einer Schale. Oberhalb des Kranzgesimses dieser östlichen Mauer hatte Hollein an der Dachterrasse in runden Schlaufen mit Gold bemalten Stacheldraht anbringen lassen.548 Die Todesmetaphern können vor dem Hintergrund der Geschichte des Gebäudes als Anspielung auf das Schicksal des Bauherren Jacopo de’ Pazzi und seiner Familie verstanden werden: Nach dem Scheitern der Pazzi-Verschwörung 1478, bei der Lorenzo de’ Medici ermordet werden sollte, wurde Jacopo de’ Pazzi, einer der Verschwörer, zur Strafe getötet. Der Palazzo wurde von Lorenzo de’ Medici beschlagnahmt. Der Zweig an einem der Exekutionsbalken kann in diesem Kontext als Verweis auf den Triumph Lorenzos, dessen Attribut der Lorbeer war, mit dem er häufig dargestellt wurde, gelesen werden. Zugleich können diese Teile der Installation auch allgemeiner verstanden werden: Die Balken der Exekutionsszenerie können als Hinweise auf Erschießungen und die Todesstrafe verstanden werden. Der Lorbeerzweig kann als Zeichen der Hoffnung gedeutet werden, da aus dem toten Holzbalken neues Grün erwächst. Ebenso wuchs in den Blutlachen grünes Gras. Die übrigen Teile der Installation können als weitere Hinweise auf menschliche Katastrophen und Tragödien, von welchen Florenz heimgesucht worden war, gelesen werden: Die kahlen und altmodisch wirkenden Bettgestelle aus Metall, das an einigen Stellen rostete, ließen allgemein an Krankenhäuser und Lazarette denken, spezifischer an Pestepidemien, von denen die Stadt betroffen war. Die Sandsäcke erinnerten sowohl an Überschwemmungen, die in Florenz regelmäßig vorkamen, als auch an Schützengräben. Oberhalb der Sandsäcke konnte man im mittleren Bogensegment der hinteren Wand das Fresko eines aus einem Sarg auferstehenden Lazarus sehen. Dieses vorgefundene Bild unterstrich die Thematik der mit Todesmetaphern
546 Ob der Humus eingefärbt war, um die rote Farbe zu erzeugen, wusste Erich Pedevilla nicht mehr. 547 Z.B. wurden die Türkenfiguren und Pferde aus der Ausstellung Die Türken vor Wien ebenfalls von Schwanberg hergestellt. 548 Da der Stacheldraht sehr dünn war, ist er auf den Fotografien nicht so gut erkennbar.
IV. Szenografisch-künstlerische Ausstellungsinszenierungen
angefüllten Installation und erhielt durch die Sandsäcke eine Hervorhebung. Sowohl die Sandsäcke als auch die Metallbetten sowie der Stacheldraht stammten aus italienischen Militärbeständen, was die Kriegsthematik und die negative, gewaltvolle Atmosphäre der Installation unterstrich.549 Die Schale mit dem Feuer war ein Symbol der Pazzi-Familie, das auch auf den Kapitellen der Säulen im Innenhof dargestellt war.550 Diese Schale mit der Flamme kann aber auch allgemein als Symbol der Erinnerung und der Hoffnung verstanden werden. Noch stärker als die Ausstellung im Österreichischen Pavillon auf der Biennale 1972 war diese Installation ortsspezifisch angelegt, indem sie auf die Geschichte des Ortes anspielte und die örtlichen Begebenheiten einbezog und hervorhob. Wie bei seinen künstlerischen Ausstellungen zuvor verwendete Hollein größtenteils alltägliche Gegenstände, die durch ihre Anordnung und den Raum selbst mit Bedeutung aufgeladen wurden. Diese assoziative und in ihrer Form reduzierte Installation, die Aspekte von Tod und Katastrophen darstellte, knüpfte formal und inhaltlich an die Ausstellungen zum Thema Tod in Mönchengladbach und auf der Biennale 1972 an. Die strenge minimalistische Gestaltung, frei von der sonst für Hollein typischen Ironie war insbesondere der Präsentation in Venedig sehr nahe. Um die Verweise auf die Stadtgeschichte verstehen zu können, musste ein historisches Vorwissen vorhanden sein, denn im Ausstellungskatalog fanden sich nur vorbereitende Skizzen und Modelle, jedoch keine Erklärung der Installation.551 Aber auch ohne Interpretationshinweise konnte man die dargestellten Assoziationen zu den Themen Krankheit, Krieg, Katastrophe, Gewalt und Tod intuitiv erfassen und die dadurch erzeugte Atmosphäre wahrnehmen. Durch kleine Details wie den bronzenen Zweig wurde die negative Thematik aufgebrochen und das Thema Humanismus und Antihumanismus in seiner Ambiguität dargestellt. Diese Installation markierte den Endpunkt von Holleins intensiver Beschäftigung mit dem Thema Tod in seinen Ausstellungen.
IV.II.IV Das letzte Abendmahl 1984 Das Thema Essen und damit verbundene Rituale, die Hollein bereits bei MAN transFORMS am Rande thematisiert hatte, beschäftigten ihn weiterhin: 1981 nahm er an einer vom Schweizer Architektur- und Designtheoretiker François Burkhardt initiierten und von der Firma Alessi organisierten Entwurfswoche zum Thema Essen und Ritual im Internationalen Design Zentrum Berlin teil. In seinem anlässlich der Veranstaltung publizierten Text Das Abendmahl schrieb er, dass Essen Ähnlichkeit
549 Pedevilla, Erich: Interview 07.11.2019. 550 Ein Mitglied der Familie hatte vom ersten Kreuzzug drei Feuersteine vom Grab Jesu mitgebracht. 551 Masini 1980, S. 146–147.
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Die Architektur der Inszenierung
mit der Architektur aufweise. Es befände sich zwischen zwei Polen – der Lebenserhaltung und dem sinnlichen Kult.552 Seine Ideen zum Thema Essen als rituelle Versammlung bildeten die Grundlage für eine Installation, die er 1984 auf der XLI. Venedig-Biennale zeigte.553 Hollein war als Künstler eingeladen worden, einen Beitrag zur Ausstellung Arte, Ambiente, Scena zu entwerfen.554 Diese Ausstellung war eine der beiden Hauptschauen im Zentralpavillon der Biennale und wurde von Maurizio Calvesi kuratiert. Calvesi zeigte anhand der drei Kapitel Kunst und Medium, Kunst und Schauspiel, Kunst und Architektur zeitgenössische Positionen, die sich mit dem Gesamtkunstwerk nach Richard Wagner und dem Stilpluralismus auseinandersetzten. Hans Hollein passte als spartenübergreifend arbeitender Künstler, Architekt und Designer in Calvesis Konzept.
Abb. 42: Das letzte Abendmahl, Zentralpavillon XLI. Biennale Venedig
Quelle: Privatarchiv Hollein, Foto: Anna Blau
Holleins Das letzte Abendmahl zitierte Das Abendmahl von Leonardo da Vinci. Das Environment war in einer an drei Seiten geschlossenen, hellgrau gestrichenen Ausstellungskoje arrangiert, die durch eine Stufe erhöht wurde und dadurch vom Boden des Ausstellungsraums getrennt war.555 Darin standen vier Holzböcke nebeneinan552 Hollein, Hans: Das Abendmahl, in: Burkhardt (Hg.): Essen und Ritual. Internationales Design Zentrum Berlin Entwurfswoche, Crusinallo 1981, S. 32. 553 Gervasoni, Marie-George (Hg.): Esposizone Internazionale d’Arte. Visual Arts General Catalogue, XLI. Biennale Venedig Ausst.-Kat., Mailand 1984. 554 Zugleich war Hollein im Österreichischen Pavillon als Regierungskommissär tätig und stellte das Werk von Christian Ludwig Attersee aus. 555 Raummaße: 8 Meter lang und 4,5 Meter breit.
IV. Szenografisch-künstlerische Ausstellungsinszenierungen
der, die Tischbeine andeuten sollten. Darüber war ein weißes Stück Stoff gespannt, das Tischdecke und Tischplatte zugleich symbolisierte und die ganze Breite des Raumes überspannte. Über dem so versinnbildlichten Tisch hingen zwölf Glühbirnen mit langen Kabeln von der Decke, welche an die Köpfe der Jünger Jesu erinnerten. Ein leuchtender Kreis in der Mitte symbolisierte das Haupt beziehungsweise den Heiligenschein von Jesus. Die fünfte Lampe von links hing etwas tiefer und verwies auf Judas. Im Hintergrund hatte Hollein drei Fenster, die im Gemälde Leonardos zu sehen waren, durch Umrandungen mit bläulich-weißem Neonlicht angedeutet. Einen im Bild über dem mittleren Fenster befindlichen Zierbogen hatte Hollein mittels Holzleisten ebenfalls dargestellt. Auf den seitlichen Wänden deuteten breite Streifen mit blauer Farbe die Wandteppiche an, die im Gemälde zu sehen waren. Vor dem Präsentationsraum hatte Hollein eine graue Holzplatte anbringen lassen. Sie markierte den Durchgang, über den Leonardo sein Werk gemalt hatte und der Teil des Bildes geworden war. Der italienische Titel der Installation L’Ultima Scena rekurrierte wie bei der Biennale 1972 auf den Ausstellungstitel Arte, Ambiente, Scena und war ein Wortspiel, das die Nähe der Installation zum Theater unterstrich: l’Ultima Scena – die letzte Szene, l’Ultima Cena – das letzte Abendmahl. In der Tat wirkte die Installation durch die räumliche Gestaltung wie ein Bühnenbild ohne Akteure. Hollein inszenierte das Abendmahl als architektonisches Szenario und dreidimensionales Bild mit theatralem Effekt. Eva Branscome interpretierte die Installation als Hinterfragung von Religion als Inszenierung und in Bezug auf Leonardos Gemälde als Bloßstellung »der Kunst als Inszenierung der Religion«.556 Wie bei früheren Installationen verwendete Hollein einfache Mittel und stellte nur durch den Raum, das Neonlicht, eine Stoffbahn und vier Holzböcke Leonardos Gemälde nach. Trotz dieser Minimaldarstellung konnte man das Meisterwerk der Kunstgeschichte sofort erkennen. Das Motiv des Tisches hatte er bereits mit seiner Installation von Broten aus aller Welt bei MAN transFORMS aufgegriffen und sich auch in Zeichnungen bei der Entwurfswoche für Alessi damit beschäftigt.557 Allerdings fehlte diesem Environment die Vieldeutigkeit früherer Arbeiten. Eine Ausstellungskritik in der Zeitschrift Kunstforum International sah Holleins Beitrag als zu sehr ins Design abgeglitten an.558 Das letzte Abendmahl stellte den Auftakt einer intensivierten Beschäftigung mit der Kunstgeschichte und deren Meisterwerken dar, die ihren Ausdruck in zwei weiteren Installationen fand. Noch im selben Jahr zeigte Hollein Die Turnstunde, für die er auf eine eigene, aus der
556 Branscome 2015a, S. 64. 557 Abb. s. Burkhardt, François (Hg.): Essen und Ritual. Internationales Design Zentrum Berlin Entwurfswoche, Crusinallo 1981, S. 35. 558 Pohlen, Annelie: Fällt die Gegenwart der Tradition oder dem Salon zum Opfer? »Arte allo Specchio«, »Arte, Ambiente, Scena« – Die Hauptausstellung der 41. Biennale in Venedig, Kunstforum International, Nr. 5–6 (1984), S. 148.
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Die Architektur der Inszenierung
Kunstgeschichte abgeleitete Ikonografie zurückgriff. Drei Jahre später war er auf der documenta 8 mit einer Installation vertreten, die sich mit der Konsumhaltung des Publikums in Bezug auf Meisterwerke der Kunstgeschichte beschäftigte.
IV.II.V Die Turnstunde 1984 Zwei Jahre nach der Eröffnung des von ihm entworfenen Museum Abteiberg in Mönchengladbach wurde Hans Hollein eingeladen, dort eine Installation zu realisieren. Die damit verbundene Ausstellung mit dem Titel Die Turnstunde fand von 23. September bis 18. November 1984 statt. Anlass war der 60. Geburtstag des Direktors Johannes Cladders und dessen Abschied vom Museum. Die Idee zur Installation beschäftigte Hollein schon einige Zeit; erste Ideenskizzen sind im Katalog auf 1979 datiert. Das Konzept für Die Turnstunde war ursprünglich ein Vorschlag für die Biennale 1984, wo er stattdessen Das letzte Abendmahl zeigte, das formal und inhaltlich Parallelen zur Installation in Mönchengladbach aufwies. Die Ausstellung bestand aus drei räumlichen Teilen und dem Katalog als mediale Erweiterung: Erstens zeigte Hollein unter dem Titel Eros-ion eine Auswahl von rund 40 eigenen Zeichnungen, Aquarellen und Collagen des weiblichen Körpers, die zwischen 1958 und 1984 entstanden waren.559 Zweitens war seine frühere Arbeit Kriemhilds Rache ausgestellt und drittens entwarf er die temporäre Installation Die Turnstunde. Der ebenfalls von Hollein konzipierte und gestaltete Katalog, der Bezüge zu Ideen der Ausstellung, zur Kunstgeschichte und früheren Arbeiten als »Affinitätsund Assoziationsketten« andeutete, war als weiterer Bestandteil der Schau zu verstehen.560 Die Ausstellung beschäftigte sich mit der Sinnlichkeit und Erotik des weiblichen Körpers, dem Hollein ähnlich wie dem Tod in seiner ersten Ausstellung in Mönchengladbach kultische und rituelle Bedeutung zuschrieb. Das Thema des Erotischen, des Sinnlichen und Sexuellen im Gegensatz zur Sterilität der Moderne zog sich als eines der Leitmotive durch sein Werk. Die Zeichnungen, Kriemhilds Rache und die Darstellung früherer Projekte im Katalog dienten in der Ausstellung als Belege dieser kontinuierlichen Beschäftigung mit den Themen Erotik und Ritual im Werk Holleins. Kriemhilds Rache wurde als Wandarbeit im Eingangsbereich des Museums ausgestellt und die Zeichnungen in musealer Hängung im grafischen Kabinett. Die titelgebende Installation Die Turnstunde war als räumliche Situation konzipiert, die als Motiv die Ertüchtigung des weiblichen Körpers zeigte. Hollein ging es jedoch nicht vorrangig um das Turnen, sondern vielmehr um den Menschen und seinen Körper
559 Von diesem Teil der Ausstellung konnten in den Archiven keine Fotografien gefunden werden. 560 Flemming; Hollein 1984.
IV. Szenografisch-künstlerische Ausstellungsinszenierungen
im Raum. Auch diese Ausstellung beschäftigte sich wieder mit menschlichen Situationen und bestand aus einem Geflecht von Assoziationsebenen, wie Hollein im Katalogtext verdeutlichte: Wie meine anderen Installationen stellt auch die Turnstunde ein metaphorisches Welt- und Lebensbild dar. […] Anspielungen und Assoziationen beziehen sich auf grundlegende Situationen des Menschen aber auch auf manifeste Äußerungen unserer kultischen und kulturellen Herkunft. Rückbezüge auf das eigene Werk und autobiographische Notizen sind ebenso enthalten wie Erinnerungen an »Bilder« und »Orte«, Erlebnisse und Geträumtes.561 Johannes Cladders bezeichnete in seinem Katalogtext die Interpretation der Ausstellung daher treffend als »geistige Gymnastik«.562
Gestaltung
Abb. 43: Die Turnstunde, Blick vom Raumeingang
Quelle: Privatarchiv Hollein, Foto: Marlies Darsow
Der rechteckige Ausstellungsraum für Wechselausstellungen auf der Eingangsebene des Museums war mit einem Parkettboden, neutralen weißen Wänden sowie
561 Hollein: Die Turnstunde, in: ebd. o. S. 562 Cladders: Ohne Titel, in: ebd. o. S.
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einer Lichtdecke ausgestattet. Die Decke war in ihrer Form mit gekreuzten Stahlträgern an das Erscheinungsbild einer Kassettendecke angelehnt. In den durch die Stahlträger gebildeten Quadraten waren je vier Neonröhren kreuzförmig installiert. In diesem Raum hatte Hollein drei Figuren von Turnerinnen und weitere Objekte, die Turngeräte darstellten, platziert. In der linken vorderen Ecke vom Eingang aus gesehen stand ein überdimensionaler Sprungbock, der durch seine sehr langen Beine zwei Drittel der Raumhöhe erreichte und dadurch zugleich an einen Turm erinnerte. Ebenfalls auf der linken Seite standen sich im Raum zwei lebensgroße Figuren von Turnerinnen auf Zehenspitzen in nach vorn gebeugter Pose gegenüber. Sie hatten die Arme zur Seite ausgestreckt und blickten zu Boden. Zwischen den beiden Sportlerinnen befand sich eine von der Decke herabgehängte Neonröhre, welche mit Draht am Boden verankert war und eine Reckstange darstellte. An der gegenüberliegenden rechten Wand waren vier Pauschenpferde nebeneinander platziert. Über ihnen hing in der Mitte ein Basketballkorb ohne Netz. An der schmalen Seite des Raumes, der Stirnwand, sah man eine Kletterleiter aus Aluminium lehnen, die bis zur Decke reichte und deren Sprossen aus Neonröhren bestanden. Rechts neben der Leiter befand sich noch ein verschlossener Durchgang in der Wand, der zur Anlieferung von Kunstwerken diente. Dieser wurde so belassen und nicht weiter gestaltet. An der linken Seitenwand war eine Sprossenwand in Raumhöhe angebracht, die ebenfalls aus Aluminium und Neonröhren zusammengesetzt war. Leiter und Sprossenwand schufen eine visuelle Verbindung vom Boden zur Lichtdecke. Zwischen Leiter und Sprossenwand stand im Raum eine dritte Figur einer Turnerin mit ausgebreiteten Armen. Sie betrachtete mit erhobenem Kopf zwei vor ihr von der Decke herabhängende Turnringe. Um das Neonlicht wirken zu lassen, waren die Lichtkuppeln der Decke, die normalerweise Tageslicht in den Raum ließen, abgedeckt worden, sodass dieser nur von den vorhandenen Neonlichtkreuzen an der Decke und den Neonröhren der Installation beleuchtet wurde.563 Die Hautpartien der weiblichen Figuren, die Lederteile des Bockes und der Pferde sowie die Platte des Basketballkorbes waren entweder mit Blattgold oder Schlagmetall überzogen. Alle Geräteteile – Griffe, Sprossen, Stangen, Ringe –, die beim Turnen mit der Hand oder den Füßen berühren werden, waren aus Neonröhren mit weißem Licht gefertigt. Die Beine des Bockes und der Pferde waren wie der Boden aus Holz. Die Turnerinnen ließ Hollein von dem Künstler Gero Schwanberg an einem lebenden Modell abformen, wie der Katalog mit Fotos dokumentierte. Diese Abformungen wurden dann in Kunststoff gegossen. Zusätzlich zur Vergoldung der Hautpartien hatten die Figuren ärmellose weiße Leotards aufgemalt, die mit dem Weiß der Wände korrespondierten. Das Buch zur Ausstellung enthielt Texte, vorbereitende und assoziative Skizzen sowie Abbildungen und Collagen von Hollein zur Ausstellung. Da es Installations563 Pedevilla, Erich: Interview 07.11.2019.
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ansichten zeigte, war es zur Eröffnung noch nicht fertig.564 Es war aufwendig produziert, denn es verfügte über eine besondere Buchbindung und manche Bereiche der Zeichnungen waren mit golden glänzender Farbe gedruckt. Es wurde als Künstlerbuch in limitierter und nummerierter Auflage verkauft. Im Gegensatz zu anderen künstlerischen Schauen Holleins, bei denen er Erklärungen ablehnte, erläuterte Hollein das Konzept seiner Ausstellung in einem kurzen Katalogbeitrag und Johannes Cladders steuerte zudem die erste kunstwissenschaftliche Analyse einer Installation Holleins für den Katalog bei.565
Abb. 44: Die Turnstunde, Turnerinnen, Reckstange, Bock
Quelle: Privatarchiv Hollein, Foto: Ruth Kaiser
Analyse Wie bei den zuvor thematisierten Installationen bot Die Turnstunde eine spezifische räumliche Situation, die nur durch Bewegung im Raum vollständig erfasst werden konnte. Zugleich reagierte die Rauminstallation auf das sie umgebende Gebäude. Die Raumatmosphäre wurde vor allem durch den Kontrast zwischen kühlen und 564 Der Katalog erschien erst Anfang Februar 1985 statt wie geplant während der Ausstellungslaufzeit. 565 Hollein: Die Turnstunde/Cladders: Ohne Titel, in: Flemming; Hollein 1984. o. S.
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warmen Farbtönen und Materialien bestimmt. Dem grellen Neonlicht, den silbernen Aluminiumfassungen und dem Weiß der Wände stand der Goldton der Objekte und das braune Holz des Bodens sowie der Beine der Turngeräte gegenüber. Die ausschließliche Beleuchtung mit kaltem Neonlicht verlieh der Raumsituation Sterilität und ließ sie zugleich mystisch wirken. Hollein bezeichnete die Rauminstallation in seinem Konzepttext daher als »Traum-Raum«.566 Johannes Cladders interpretierte die Farbe Gold im Kontext der Ausstellung inhaltlich als Symbol für Wärme und Verweis »in die Wirklichkeit metaphysischer Existenz«.567 Gleichzeitig sah er deren Verwendung in Holleins Wiener Herkunft begründet und stellte sie in Bezug zum byzantinischen Erbe, zu christlichen Ikonen und Gustav Klimt. In der Betonung der Bedeutung der Farbe Gold im sakralen Kontext schrieb Cladders der Installation rituelle Aspekte zu. Das kalte, silberne Licht der Neonröhren verstand er als Gegenpol. Vermutlich begeisterten Neonröhren Hollein auch wegen ihrer Verwendung als Leuchtreklame und Symbol des Zeitgeistes. Zugleich waren sie räumliche Vergegenwärtigung einer abstrakten und gestaltlosen Materie. Bei der Gestaltung des Baus des Museums Abteiberg hatte Hollein ebenfalls Gold und Neonlicht verwendet: Vor dem Eingangspavillon auf der Dachterrasse hatte er einen Marmorblock mit der vergoldeten Inschrift »Museum« aufstellen lassen.568 Die linke obere Ecke ließ er abschlagen, seine Signatur einmeißeln und ebenfalls vergolden. Die Decken im Untergeschoss des Museums waren ebenso wie der Raum, in dem die Installation gezeigt wurde, mit einem Netz aus Neonröhren versehen, die Beleuchtung und dekoratives Element zugleich waren.569 So stand die Installation durch die Farbgestaltung und die verwendeten Materialien in Zusammenhang mit dem sie umgebenden Museumsraum. Ein weiterer zentraler Bezug zum Gebäude und das Hauptmotiv der Ausstellung war die Kreuzform. Ausgehend von der kreuzförmigen Beleuchtung des Raumes spiegelten die Figuren mit ihren eng zusammenstehenden Beinen und weit ausgebreiteten Armen diese Kreuzform wider. Eine Besonderheit dieser Ausstellung stellten die Objekte dar, die nicht wie bei anderen Installationen aus vorgefundenen Alltagsgegenständen und einfachen Materialien bestanden, sondern speziell für die Ausstellung in aufwendigen Verfahren hergestellt wurden. Der Abguss an lebenden Modellen, die Vergoldung durch Schlagmetall ebenso wie die teilweise speziell geformten Neonröhren waren zeitintensive und teure Produktionsprozesse. Durch diese künstlerische Nachahmung von Figuren und Alltagsgegenständen, ihre materielle Verschiedenheit und formale Vereinfachung sowie die übersteigerte Größe des turmartigen Bocks signalisierte
566 567 568 569
Hollein: Die Turnstunde, in: Flemming; Hollein 1984. o. S. Cladders, in: ebd. o. S. Abb. s. Weibel 2011a, S. 189. S. Abb. links unten, in: ebd., S. 198.
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Hollein dem Publikum die Distanz zur Alltagswelt und legte ihm eine metaphorische Interpretation des Gezeigten nahe. Eva Branscome und Gianni Pettena sahen Die Turnstunde als eine der komplexesten künstlerischen Installationen Holleins an, deren Interpretation insbesondere im Hinblick auf die Verflechtung mit dem Museumsbau kompliziert sei.570 Die Installation zeichnete sich vor allem durch diese Schichtung von Bedeutungsebenen aus, welche durch die formale Gestaltung der Objekte, deren Anordnung im Raum und visuelle Analogien zur Umgebung erreicht wurde. Wie Branscome treffend feststellte, war Die Turnstunde »eine einzigartige Situation, in welcher der Künstler Hollein und seine Kunst einen Dialog mit dem Architekten Hollein und seinem Museumsbau führten.«571 Sie schlug vor, die Installation nicht nur in Bezug zum Museumsbau und als Hommage an die Zusammenarbeit mit Cladders zu sehen, sondern sie auch als Reaktion auf die Museumssammlung zu verstehen. Hierbei verglich sie die Skulpturen der Turnerinnen unter anderem mit George Segals Figur in seiner Installation Man Seated at Table, die Ähnlichkeiten in der Machart aufwiesen, und wies auf einen möglichen Zusammenhang zu einem Werk Yves Kleins mit Blattgold hin.572 Daneben machte sie auf die Nähe der Arbeit zu Aktionskunst und Pop-Art aufmerksam.573 Weitere assoziative Bedeutungsebenen wurden durch visuelle Analogien im Katalog generiert, welcher die Ausstellung in den Kontext einer Suche nach archetypischen Formen stellte. Der Körper der Frau war das Motiv des Ausstellungsplakates und des Katalogcovers. Beide zeigten ähnliche Zeichnungen einer Frau in nach vorne gebeugter Pose mit ausgestreckten Armen, die sich mit beiden Händen an Ringen festhielt. Die Zeichnung hatte mehrere Bedeutungsebenen, die in der Ausstellung manifest wurden: In der ersten Ebene konnte die Haltung der Frau als sportliche Pose angesehen und dadurch als Teil der Populärkultur der Zeit gelesen werden. Diesen Aspekt verdeutlichte Hollein im Katalog durch eine Werbefotografie, die Sydne Rome, eine der Vorreiterinnen der Aerobic-Bewegung der 1980er Jahre, in nach vorne gebeugter Pose zeigte. Die zweite Ebene, die Erotik des Frauenkörpers, wurde durch die Darstellung des Pos der Frau als Mittelpunkt der Zeichnung betont. Der weibliche Körper war auch das Thema der Zeichnungen Holleins, die zeitgleich im grafischen Kabinett zu sehen waren. Drittens wurde durch die formale Ähnlichkeit dieser Pose zur Form des Kreuzes auf sakrale Bedeutungen verwiesen. Dies kam auch bei Kriemhilds Rache zum Ausdruck. Die visuelle Analogie wurde in einer Ausstellungsansicht deutlich, welche die Eingangssituation zum Raum
570 571 572 573
Branscome 2015a, S. 77; Pettena 1988, S. 100. Branscome 2015a, S. 58. Abb. Segal-Figur s. Weibel 2011a, S. 199. Branscome 2015a, S. 70–76. Sie führte allerdings keine Belege an, welche eine tatsächliche Intention Holleins bewiesen.
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zeigte: Im Vordergrund war an der linken Wand Kriemhilds Rache zu sehen, an der Wand neben dem Eingang das Ausstellungsplakat und dahinter im Ausstellungsraum die Figur der stehenden Turnerin mit ausgebreiteten Armen. Das Motiv des Kreuzes wurde im Katalog verstärkt thematisiert: So wurde die Installation assoziativ mit Kreuzigungsbildern und mit einer Skulptur am Museumsbau, die diese Kreuzform zeigte, verglichen.574 Außerdem verwies Hollein auf weitere Archetypen der Kunstgeschichte, die er der Installation zu Grunde legte: Neben einer Installationsansicht der Turnerin mit Leiter zeigte er als ikonografische Verknüpfung den Kupferstich Kreuzabnahme von Andrea Mantegna, auf dem Christus mit langen Leitern vom Kreuz genommen wird. Die vor dem Kreuz stehende trauernde Maria Magdalena spiegelt die Pose der Turnerin mit ausgebreiteten Armen und aufwärtsgewandtem Blick. Die Turnerpferde verglich Hollein im Katalog mit den vier Pferden über dem Portal des Markusdom in Venedig und deren Beine mit den Tischbeinen in Das Abendmahl von Leonardo da Vinci. Letzteres Motiv hatte er bereits mehrfach aufgegriffen, auch im selben Jahr in der Installation Das letzte Abendmahl. Neben den Tischbeinen fand sich die Kassettendecke des Wandgemäldes in der vorhandenen Deckeninstallation wieder. So zitierte Hollein Bilder von Leonardo da Vinci und Andrea Mantegna sowie weitere Kunstwerke als räumliche und konzeptuelle Referenzen. Durch Fotografien von früheren Installationen wurde Die Turnstunde außerdem in den Kontext zu Holleins Werk und seiner Beschäftigung mit menschlichen Situationen gesetzt. Viele der Bezüge und Assoziationen Holleins wurden erst durch den Katalog aufgezeigt, sodass man die Installation zuerst räumlich erleben konnte, aber erst durch die Lektüre des Kataloges eine tiefgründigere Erschließung möglich wurde. Dadurch stellte der Katalog, der jedoch erst einige Monate nach Ende der Ausstellung erschien, eine weitere Bedeutungsebene der Schau und zugleich deren Dokumentation und Relikt dar. Die damalige Wirkung dieser anspruchsvollen Installation auf das Publikum kann nicht mehr nachvollzogen werden, da die Presseberichterstattung neutral beschreibend blieb und sich an Holleins und Cladders’ Texten orientierte.
IV.II.VI Idealmuseum 1987 Hans Holleins Sezierwagen, der zuvor auf der Biennale 1972 gezeigt worden war, war auch auf der documenta 6 1977 zu sehen. Zehn Jahre später wurde Hollein 1987 erneut zur documenta eingeladen. Auf der documenta 8 wurde jedoch keine bereits
574 Die von Hollein entworfene Skulptur befindet sich an einem außenliegenden Balkon seitlich vom Eingangsbereich. Dort hatte Hollein über einem parallelen rot lackierten Stützenpaar mit Querstrebe einen nach hinten ziehenden Bogen angebracht, der in seiner Form das Balkongeländer nachzeichnete.
IV. Szenografisch-künstlerische Ausstellungsinszenierungen
vorhandene Skulptur von ihm ausgestellt, sondern er sollte zusammen mit elf weiteren internationalen Architekturschaffenden Beiträge zum Thema Das ideale Museum präsentieren. Im Hinblick auf kürzlich fertiggestellte Museumsneu- und Umbauten wie dem Musée d’Orsay in Paris, der Staatsgalerie Stuttgart oder Holleins Museum Abteiberg hatte der Kurator der Kasseler Orangerie Heinrich Klotz damit ein aktuelles Thema gewählt. Klotz war selbst Direktor des 1984 neu eröffneten Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt und schrieb wichtige Texte zur Theorie der Postmoderne. Daher verwundert es nicht, dass er für seine Präsentation auf der documenta insbesondere Architekturschaffende auswählte, die mit dieser Architekturströmung assoziiert wurden. In der Orangerie, die einer der Hauptausstellungsorte der documenta 8 war, wurden aber nicht nur architektonische Beiträge gezeigt. Durch die Gegenüberstellung mit Designobjekten und Kunstwerken wurde vom Kurator eine Präsentation des aktuellen Stilpluralismus angestrebt. Jedem Entwerfenden stand ein vier mal vier Meter großer Bereich für seine Präsentation zur Verfügung. Die Architekturbeiträge wurden in geschlossenen Räumen gezeigt.575 Nur im architektonischen Teil der Ausstellung war das Thema Museum vorgegeben. Laut Einladung sollte es möglichst so dargestellt werden, dass die Art der Präsentation die Idee eines Museums bereits in sich trägt.576 Mit Arata Isozaki, Oswald Matthias Ungers und Ettore Sottsass waren drei Entwerfer eingeladen, die auch an der Ausstellung MAN transFORMS beteiligt waren. Während einige ihren Ausstellungsraum zur Präsentation eigener Museumsprojekte nutzten, entwarfen andere Installationen, in denen sie sich in abstrakter Form mit der Bauaufgabe des Museums auseinandersetzten, wieder andere zeigten rezeptionskritische Installationen.577 Unter letzteren kann Holleins vielmehr künstlerischer als architektonischer Beitrag eingeordnet werden. Die Installation war ein ironischer Kommentar zu einem Museumspublikum, »dem der Vollzug der Konfrontation mit einem – möglichst berühmten – Objekt im Vordergrund seines Interesses und Verlangens steht«, so Hollein.578 Er spielte darauf an, dass das Publikum mehr Zeit für das Lesen der Identifikationstafeln aufwenden würde als für die Betrachtung des Kunstwerkes selbst. Seine Rauminstallation trug den Projekttitel Idealmuseum. Im Katalog wurde sie schlicht als Museumsraum
575
Schneckenburger 1987, S. 160–161. Der kroatisch-deutsche Architekt Vladimir Lalo Nikolić hatte das Ausstellungsdisplay entworfen. 576 Schneckenburger, Manfred: Brief an Hans Hollein, Offizielle Einladung zur documenta 8, 02.02.1987 (Typoskript), AA_08_V0057-066, documenta archiv, Kassel, S. 1. Die Eingeladenen aus dem Kunst- und Designbereich präsentierten dagegen frei gewählte Arbeiten. 577 Marquart, Christian: Die tollkühnen Männer in ihren quadratischen Kisten. Über die Bruchlandung des Architekten-Jetsets auf der documenta 8, Kunstforum International, Nr. 90 (1987), S. 200–202. 578 Schneckenburger 1987, S. 100.
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documenta bezeichnet und später von Hollein, vermutlich in Bezug auf André Malraux, auch als Imaginäres Museum betitelt. Sie stellte die Identifikationstafeln in den Vordergrund und ließ die Kunstwerke zur Randnotiz werden.
Abb. 45: Idealmuseum, Bildtafeln Gerhard Richter und Diego Velázquez
Quelle: documenta archiv, Foto: Frank Mihm
Die Installation wurde in einem Ausstellungsraum im westlichen Seitenflügel des Obergeschosses der Orangerie gezeigt.579 Der temporäre Raum mit vier Wänden und einer Decke aus Holz war rund 25 Quadratmeter groß. Er war in neutralem Grau gestrichen. Nur der Eingang, der sich in der Mitte der längeren, leicht schrägen Wand des rechteckigen Raumes befand, war an der Innenseite des Rahmens ziegelrot gestrichen.580 Hollein zeigte an den Wänden weiße Erläuterungstafeln von der Größe der Originalgemälde und hängte kleine Reproduktionen der auf den Texttafeln beschriebenen Meisterwerke in goldenen Rahmen links darunter. Der Text auf den Erläuterungstafeln war dabei auf die minimalen Angaben reduziert: Künstler, Lebensdaten, Titel, Jahr, Technik und Maße. Die schwarze Schrift auf weißem Grund war sehr groß, wodurch der Text fast mit einem Blick erfasst werden konnte. Hollein hatte sechs berühmte Gemälde der Kunstgeschichte für diese umgekehrte Präsentation ausgewählt. Gegen den Uhrzeigersinn waren im Raum zu sehen: Das Pelzchen von Peter Paul Rubens an der Eingangswand rechts, Graues Bild von Gerhard Richter an der Seitenwand, Las Hilanderas von Diego Velázques und La Gioconda (Mona Lisa) von Leonardo da Vinci an der Stirnwand sowie Porträt eines jungen Mannes 579 S. Grundriss Orangerie Obergeschoss, in: ebd. o. S. 580 Abb. s. Marquart 1987, S. 242.
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von Agnolo Bronzino und Geißelung von Piero della Francesca an der linken Seitenwand.581 Die Bilder wurden wie in Ausstellungen üblich mit Spotlights beleuchtet. Um die Reproduktionen der Werke zu betrachten, musste man in die Knie gehen oder sich hinunterbeugen. Dieses bei Texttafeln häufig vorkommende Phänomen, wurde von Hollein überspitzt, indem er die Reproduktionen besonderes tief, teilweise nur knapp über den Boden hängte. In seinem Katalogtext, der auch in der Ausstellung an der Wand zu lesen war, schrieb er in ironischem Ton über die Betrachtung seiner Darstellung der Meisterwerke: Man hat das Erlebnis »abgehakt« und kann zum nächsten Täfelchen fortschreiten. Konsequenterweise wird daher das mühsame Herantreten und Bücken ausgeschaltet. Die Namen und Titel sind perzeptionsgerecht versammelt. Sollte penetrierendes Interesse vorhanden sein, so befindet sich links unten ein kleines Identifikationsbild, das Gemälde darstellend.582 Als Ergänzung dieser konzeptuellen Installation zeigte Hollein einen Matrix-basierten Museumsentwurf als quadratisches Wandbild auf weißem Grund an der Eingangswand.583 Dieses Konzept hatte er für das Deutsche Energiezentrum in Essen 1981 vorgeschlagen.584 Er erläuterte es in einem neben der Zeichnung und im Katalog abgedruckten Text passend zum Thema als »Idealmuseum, das auf einer kreisförmigen, dreidimensionalen Matrix aufbaut und unterschiedlichste Wege, Erlebnisse, Verweildauer und vielschichtiges Eindringen erlaubt.«585 Durch die Matrixstruktur könne das Museum im Gegensatz zur klassischen linearen Raumflucht zugleich chronologisch und nach Schulen aufgebaut sein und ermögliche durch diese vielschichtige Struktur sowohl eine Kurzerfassung als auch das Vertiefen unterschiedlicher Informationsebenen. Eine Matrix war auch Ausgangspunkt für die Planung der Ausstellung MAN transFORMS. Mit dieser Institutions- oder vielmehr Publikumskritik entlarvte Hollein mit Witz und Ironie aktuelle und alltägliche Phänomene des Umgangs mit Kunst. Er kommentierte die durch den Museumsboom ausgelösten veränderten Erwartungen des Publikums, das im Museum statt Kunstgenuss, Unterhaltung und Erlebnisse suchte, die auch Hollein in seinen Ausstellungsinszenierungen bediente. Diese Überspitzung stand in Zusammenhang mit Hans Holleins und Johannes Cladders’ neuem Museumstypus, den sie im Neubau des Museums Abteiberg
581 582 583 584 585
Die Gemälde von Piero della Francesca und Diego Velázquez waren auch im Ausstellungskatalog der Installation Die Turnstunde als Referenz gezeigt worden. Schneckenburger 1987, S. 100. Abb. s. Marquart 1987, S. 242. Abb. s. Weibel 2011a, S. 228. Schneckenburger 1987, S. 100.
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in Mönchengladbach realisiert hatten.586 Cladders vertrat die Auffassung, dass Kunstwerke nicht verbal, sondern durch inszenierte Konfrontationen vermittelt werden sollten. Wandtexte, Erklärungstafeln und sogar Türen wurden von ihm als störende Konkurrenz zum Kunstwerk betrachtet.587 Hans Hollein war ebenfalls der Meinung, dass Kunst sich durch ihre Präsentation erklären sollte. Er setzte diese Auffassung in seinen Ausstellungsgestaltungen um, indem er soweit wie möglich auf Wandtexte und Identifikationstafeln verzichtete und die Objekte durch das Ausstellungsdisplay zum Sprechen brachte. Wie ein Bruch mit seinen eigenen Prinzipien wirkte jedoch, dass er seiner Installation für die documenta einen erläuternden Text beifügte. Es handelte sich dabei um den zitierten ironischen Text an der Wand. Peter Weibel bezeichnete die Installation der Bildtafeln als »eines der bedeutendsten konzeptuellen Werke« Holleins und als frühen »Beitrag zum Genre ›Institutionskritik‹ beziehungsweise ›Kontext Kunst‹«.588 Gleichzeitig hatte sie durch den Einbezug des Publikums, das zur Kunstbetrachtung in eine unbequeme Haltung gezwungen wurde, partizipativen Charakter. Erst durch die Interaktion mit der Installation wurde sie vervollständigt.589 Holleins Streifzug durch die Kunstgeschichte knüpfte im weiteren Sinne an die Thematik früherer künstlerischer Ausstellungen an. So behandelte die Installation menschliche Situation der Kunstbetrachtung im Museum und die damit verbundenen Rituale. Ihr fehlte jedoch das MythischSakrale der früheren Arbeiten, da sie in der Gestaltung sehr nüchtern war. Ähnlich wie Das letzte Abendmahl stieß sie unterschiedliche Gedanken zur Kunstgeschichte und -betrachtung an und konnte auch im Kontext von Holleins Museumskonzepten verstanden werden. Allerdings blieb sie auf diese Themen beschränkt und zeigte weniger assoziative Vielschichtigkeit als die anderen künstlerischen Installationen.
IV.II.VII Hans Hollein als Ausstellungskünstler In diesem Kapitel wird Hans Holleins Wirken als unabhängiger Ausstellungskünstler zusammenfassend betrachtet und mit seinen Auftragsausstellungen verglichen. Hans Holleins künstlerische Ausstellungen und Installationen der 1970er und 1980er Jahre sind in ihrer Herangehensweise und den grundlegenden Gestaltungsprinzipien denjenigen der Auftragsausstellungen ähnlich. Auch sie bilden ein gesamtheitliches Konzept aus Form und Inhalt. Im Gegensatz zu den bei den Aufträgen vorgegebenen Themen, die hauptsächlich positiven Inhalts waren und eine große Vielfalt
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S. Kap. V.III.II. Vgl. Branscome 2015a, S. 65–69. Weibel 2011b, S. 16. Es ist daher verwunderlich, dass die Installationsansichten keine Personen zeigen.
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aufwiesen, waren Holleins künstlerische Beschäftigungen mit dem Medium Ausstellung vom Themenkosmos Rituale geprägt. Hans Hollein inszenierte sowohl bei eigenen als auch bei beauftragten Ausstellungen Themen, die ihn entweder aus architekturtheoretischer, biografischer oder historischer Sicht persönlich interessierten. Die Titel seiner Ausstellungen waren zumeist recht schlicht und beschreibend wie Papier, Die Turnstunde oder Museumsraum documenta. Bei Gruppenausstellungen spielten sie öfter auf den Haupttitel der Schau an wie Austriennale und Humanismus – Dishumanismus. Teilweise waren sie etwas lang und dadurch sperrig wie Werk und Verhalten, Leben und Tod, menschliche Situationen. Andere wie MAN transFORMS oder L’Ultima Scena waren amüsante Wortspiele. Inhaltlich waren seine Auftragsausstellungen heitere und unterhaltsame Schauen, während bei den künstlerischen Ausstellungen ernstere Themen angesprochen wurden. Insbesondere die drei ersten Ausstellungen hatten das Leben und Sterben zum Inhalt und waren daher in ihrer Atmosphäre zuweilen düster und beklemmend. Einzelne Räume wie die Kettenräume in Mönchengladbach und Venedig hatten dagegen eine sakrale, feierliche Atmosphäre. Diese sakrale Anmutung der Ausstellungen setzte sich bei der Installation Das letzte Abendmahl und bei Die Turnstunde fort. Das Thema des Todes war nur noch implizit präsent. In seinem Beitrag zur documenta 8 setzte Hollein die Beschäftigung mit menschlichen Ritualen dagegen in einen heiter-ironischen Kontext. In der Raumgestaltung war der Einsatz von Farbe im Vergleich zu den Auftragsausstellungen sehr reduziert. Die künstlerischen Ausstellungen zeichneten sich alle durch eine gedeckte, den dargestellten Themen entsprechende Farbgestaltung aus. Folgende Farben und Materialien dominierten das Ausstellungsdisplay: Schwarz, Weiß und Grau in Form von anorganischen Materialien wie Fliesen, Neonlicht und Aluminium und die Farbe Braun in Form von organischen Materialien wie zum Beispiel Erde und Holz. In Details und Akzentuierungen wurde dieses Farbspektrum durch die Farbe Rot als Symbol für Blut und die Farbe Gold als Hinweis auf sakrale Bezüge ergänzt. Sowohl die Auftragsausstellungen als auch die künstlerischen Ausstellungen waren speziell für den Ausstellungsort konzipiert worden. Allerdings zeichneten sich Holleins Beitrag zur Biennale 1972, Humanismus – Dishumanismus und Die Turnstunde darüberhinausgehend dadurch aus, dass sie auch noch den sie umgebenden Raum und seine Geschichte explizit miteinbezogen. Diese Kontextreflexivität fand bei Tod und Museumsraum documenta nicht raumbezogen, sondern in Form von Institutionskritik statt, indem sie Mechanismen der Kunstbetrachtung und -präsentation hinterfragten. Nur die Installation Das letzte Abendmahl zeigte keine Bezüge zum Raum oder zur Institution. Sie war wie eine geschlossene Bühnensituation konzipiert und erinnerte in diesem Bezug zum Theater an Holleins Schlachtenszenario für die Ausstellung Die Türken vor Wien, die ein Jahr zuvor stattfand. Auch bei den künstlerischen Ausstellungen standen nicht einzelne Objekte im Fokus, sondern deren Präsentation im Display. Oft verwendete Hollein Alltagsge-
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genstände oder entwarf Objekte aus einfachen Materialien. Nur bei Die Turnstunde war deren Herstellung aufwendiger. Die von ihm entworfenen Objekte wie die Totenhemden, die Fliesenmöbel und der Sezierwagen waren schlicht und mit Fokus auf die Gesamtform gestaltet. Es gab keine kleinteiligen plastischen Differenzierungen. Sie waren aus frei verkäuflichen Materialien wie Stoff, Fliesen oder Metall hergestellt. Ähnlich wie Industrieprodukte waren diese Objekte in der Material- und Formwirkung möglichst perfekt gemacht und wiesen einen hohen Grad an Sorgfalt in der Herstellung auf; Verarbeitungsspuren sollten dabei nicht sichtbar werden.590 Vermeintliche Zerstörungen waren kalkuliert und wirkten sauber und glattpoliert wie bei der zerbrochenen und wieder zusammengesetzten Coca-Cola-Flasche bei Tod. Dasselbe gilt für seine künstlerischen Entwürfe bei Auftragsausstellungen wie der Papier-Marmor-Skulptur in der Ausstellung Papier oder der goldenen Miniaturcouch in der Ausstellung Traum und Wirklichkeit. All diese Objekte waren nicht als eigenständige Kunstwerke konzipiert, sondern erfüllten eine zeichenhafte Funktion im von Hollein entworfenen gesamtheitlichen Szenario. Insgesamt waren die künstlerischen Ausstellungen in ihrer Formensprache reduzierter als die Auftragsausstellungen. Die Objekte wurden singulär präsentiert und nicht in großer Fülle oder gar Reihung wie bei MAN transFORMS. Außerdem verzichtete Hollein bei seinen künstlerischen Ausstellungen auf atmosphärische Zusätze wie Ton und, außer bei Tod, auch auf Gerüche. Während bei den Auftragsausstellungen Filme und Diaprojektionen zur Vermittlung und Erweiterung der gezeigten Themen zum Einsatz kamen, wurden bei den künstlerischen Ausstellungen keine solchen visuellen Medien verwendet. Eine Erweiterung fanden Holleins Einzelpräsentationen in den dazu erschienenen Katalogen beziehungsweise künstlerischen Büchern sowie in der Präsentation von Zeichnungen, Collagen und Fotografien zu weiteren Projekten von Hollein in separaten Räumen. Bei den Ausstellungen Austriennale, Tod, MAN transFORMS und Die Turnstunde bediente sich Hans Hollein der Werkform des Künstlerbuches, das in aufwendigen Gestaltungen über die Ausstellung hinausgehende und ergänzende Ideen in Form von Zeichnungen, Bildern, Texten und Collagen bot.591 Ebenso wie die Auftragsausstellungen waren auch Holleins künstlerische Ausstellungen publikumsorientiert, indem sie es physisch und psychisch miteinbezogen. Beide zeichneten sich durch Erlebnishaftigkeit in Form von ungewöhnlichen Raumsituationen und Displays aus. Bei Tod wurde man ähnlich wie bei den Auftragsausstellungen der 1960er und 1970er Jahre mit allen Sinnen angesprochen und spielerisch in die Ausstellung integriert. Bei den späteren Ausstellungen wurde das
590 Vgl. hierzu Schober 1994, S. 43. 591 Für eine Def. und einen Überblick zum Phänomen des Künstlerbuches s. Diers, Michael: Künstlerbuch, in: Butin (Hg.): DuMonts Begriffslexikon zur zeitgenössischen Kunst, Köln 2014, S. 226–230.
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Publikum hauptsächlich durch das Begehen der von Hollein geschaffenen räumlichen Situationen involviert. Die durch die Thematik, das Display und die gezeigten Objekte erzeugten Atmosphären sollten das Publikum in emotionale Stimmungen versetzen. Wie schon bei den Gängen der Austriennale trat Hollein als Gestalter von Erfahrungen beim Publikum auf. Der Kunstkritiker Peter Winter bezeichnete Holleins Installationen treffend als »psychische Kraftfelder, Grabungsorte für die Fantasie nach verschütteten oder verdrängten Erlebnissen«.592 Die künstlerischen Ausstellungen waren stärker von psychisch-kontemplativen Momenten und emotionaler Involvierung geprägt als die heiter-spielerischen Auftragsausstellungen. Die Auftragsausstellungen sollten sich an ein breites, heterogenes Publikum ansprechen. Im Unterschied dazu waren die künstlerischen Ausstellungen für eine kunstaffine, gebildete und internationale Öffentlichkeit konzipiert. Die einzige Ausnahme bildete die Ausstellung Tod, die in ihren dargestellten Metaphern plakativer und vordergründiger war. Die Staffelung der Interpretationsebenen, die bei den Auftragsausstellungen zu beobachten war, wurde bei den künstlerischen Ausstellungen noch gesteigert. Je nach Wissen und Prägungen sah man unterschiedlichste Bezüge. Welche davon von Hollein ursprünglich intendiert waren, lässt sich häufig nicht mehr feststellen, da er weitestgehend darauf verzichtete, die Intentionen seiner Installationen näher zu erläutern. Die stichwort- und thesenartigen Texte zu seinen künstlerischen Ausstellungen lieferten keine konkreten Anhaltspunkte zur Interpretation einzelner Arrangements.593 Die Offenheit der Interpretation gehörte zu Holleins Intentionen. Die Ausstellungen verfügten über ein von ihm bewusst angelegtes umfassendes Assoziationspotenzial und boten Bezüge zu seiner eigenen Biografie, zur Architekturtheorie, eigenen Werken, zur Kunstund Kulturgeschichte, zur umgebenden Architektur und zur Populärkultur. Ihren mystischen Charakter erhielten seine künstlerischen Ausstellungen auch durch die Unmöglichkeit einer vollständigen Entschlüsselung aller darin enthaltenen Aspekte. Bei den vorgestellten künstlerischen Ausstellungen und Rauminstallationen nutzte Hollein die Ausstellung als künstlerisches Medium und trat als Ausstellungskünstler auf. Die assoziative Ausstellungssprache, sein inhaltlicher Fokus auf das Thema der Rituale und sein spartenübergreifender Gestaltungsansatz, der Kunst, Design und Architektur im Medium der Ausstellung verband, waren charakteristisch für Hans Holleins künstlerische Ausstellungspraxis. Bevor die Ausstellungspraxis von Hollein zusammenfassend dargestellt wird, werden noch seine Werkpräsentationen thematisiert. Denn nicht nur bei den thematischen Ausstellungen im Auftrag und bei seinen künstlerischen Manifestationen wandte Hans
592 Winter 1974, S. 4. 593 Zu Humanismus – Dishumanismus und Das letzte Abendmahl erschienen keine Texte.
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Hollein szenografisch-künstlerische Präsentationsstrategien an, sondern auch bei Ausstellungen, die sein eigenes Schaffen thematisierten.
IV.III Werkpräsentationen Bei der Ausstellung Architektur 1963 ebenso wie bei der Präsentation seiner Arbeiten auf Papier in einem separaten Raum der Ausstellung Tod griff Hans Hollein auf auratische Präsentationsformen, die dem etablierten Schema der Architekturpräsentation folgten, zurück.594 Auch bei seiner Kabinettausstellung mit erotischen Zeichnungen als Teil von Die Turnstunde präsentierte er seine einzeln gerahmten Zeichnungen in klassischer Hängung nebeneinander. Ebenso wurden die späteren Ausstellungen zu Holleins Gesamtwerk, an denen er selbst mitwirkte – 1995 im Historischen Museum der Stadt Wien und in der Neuen Galerie des Universalmuseum Joanneum in Graz 2011 – von der Ausstellungsgestaltung her nüchterner präsentiert. Eine Rezension zur Ausstellung in Graz brachte die Diskrepanz zu früheren Ausstellungsgestaltungen von Hans Hollein treffend auf den Punkt: Die Objekte sind auf grauen Sockeln ruhig im Raum verteilt. Gerahmte Bilder strukturieren die weißen Wände. Wer sich an Projekte wie »Traum und Wirklichkeit« […] erinnert, mit denen Hans Hollein das Genre der Themenausstellung prägte, wird leicht irritiert sein. Hier werden die Sinne nicht von immersiven Atmosphären umfangen, nicht von opulenten Interieurs überwältigt. Alles präsentiert sich nüchtern und geordnet. Schnell wird klar: Das ist keine Ausstellung von Hans Hollein, sondern eine über Hans Hollein. Die Kuratoren Peter Weibel und Günther Holler-Schuster haben sich entschlossen, die überbordende Fülle des Universalkünstlers Hollein in den neobarocken Raumfluchten der Neuen Galerie Graz nicht zum Gesamtkunstwerk zu verschmelzen. Stattdessen setzen sie auf die analytische Kraft des Formats Ausstellung.595 Für die Präsentation seines eigenen Werkes im musealen Kontext sahen Hollein und ihm folgend die Kuratoren der späteren Ausstellungen Günter Düriegl und Peter Weibel szenografisch-künstlerische und inszenierende Gestaltungsprinzipien als weniger geeignet an. Daher wurden museal-auratische Präsentationsstrategien gewählt, immer mit dem Anspruch einer anschaulichen Darstellung seines Schaffens. »Nicht nur der Fachmann, sondern der Laie soll angesprochen und ihm Zugang ermöglicht werden.«, wie Hollein zur Ausstellung 1995 in Wien betonte.596
594 Vgl. Ruhl; Dähne 2015, S. 30. 595 Fitz, Angelika: Das Hollein-Universum. Retrospektive in der Neuen Galerie Graz, Bauwelt, Nr. 9 (2012), S. 2. 596 Düriegl; Steiner; et al. 1995, S. 26.
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Die Vermittlung an ein breites Publikum spielte demnach auch bei diesen Ausstellungen eine wichtige Rolle. Daher zeigte Hollein nicht nur realisierte Projekte, sondern auch deren Entstehungsprozess durch Skizzen und Modelle. Außerdem nutzte er bei den späteren Architektur- und Personalausstellungen oft großformatige Fotodrucke, um die thematisierten Gebäude anschaulich zu präsentieren und die Räume zu strukturieren. Im Folgenden sollen zwei Ausstellungen näher betrachtet werden, bei denen Hans Hollein von dieser Praxis der an musealen Prinzipien orientierten Ausstellung des eigenen Werkes abwich und stattdessen inszenierende Strategien anwendete. Besondere Nähe zu den zuvor thematisierten szenografisch-künstlerischen Ausstellungsinszenierungen wies die Präsentation seines Werkes auf der ersten Architekturbiennale 1980 in Venedig auf, die im ersten Unterkapitel thematisiert wird. Auch bei der von ihm konzipierten und gestalteten ersten großen Präsentation seines Gesamtwerkes in der Ausstellung Metaphern und Metamorphosen im Centre Pompidou 1987 setzte er Inszenierungen und szenografische Elemente ein.
IV.III.I Beitrag zur Strada Novissima 1980 Von Juli bis Oktober 1980 fand in Venedig zeitgleich zur etablierten Kunstbiennale die erste eigenständige Architekturbiennale unter dem Titel La presenza del passato statt.597 Kuratorisch verantwortet wurde die Schau vom Architekten und Historiker Paolo Portoghesi. Er wollte die Architekturausstellung revolutionieren und popularisieren, indem er es dem Publikum ermöglichte, architektonische Entwürfe unter realen Bedingungen zu erleben.598 In der langgezogenen dreischiffigen Halle der für diesen Zweck restaurierten Seilerei, der sogenannten »Corderia dell’Arsenale«, wurde die Hauptattraktion der Ausstellung präsentiert: Temporäre Gebäudefassaden in Originalgröße standen sich in zwei Reihen in den Seitenschiffen gegenüber, sodass eine rund 70 Meter lange Straße, die Strada Novissima, entstand. 20 internationale Architekten, darunter Hans Hollein, waren eingeladen worden, eine Fassade in Bezug zum Ausstellungsthema Gegenwart der Vergangenheit zu entwerfen und ihr architektonisches Werk in Ausstellungsräumen hinter den Fassaden zu präsentieren.599 Jede Fassade und der dahinter befindliche Raum sollten demnach stellvertretend für das Werk des jeweiligen Architekten stehen. Holleins Einladung zur Ausstellung verdankte er Charles Jencks, der ihn vorgeschlagen hatte.600 Die Beteiligung des bekannten amerikanischen Architekturtheoretikers der Postmoderne an
597 Borsano, Gabriella (Hg.): The Presence of the Past. First International Exhibition of Architecture, I. Architekturbiennale Venedig Ausst.-Kat., London 1980. 598 Szacka 2016, S. 112–113. 599 Vorgaben s. Borsano 1980, S. 38. Es waren nur männliche Architekten eingeladen. 600 Branscome 2018, S. 8.
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der Auswahlkommission der Ausstellung trug zur Interpretation der Schau als erste große Manifestation postmoderner Architektur bei.601 Die Entwürfe der eingeladenen Architekten basierten neben der im Titel der Ausstellung geforderten Historizität auf weiteren Ideen der Postmoderne wie Kommunikation, Narration und Stilpluralismus.602 Hans Hollein widmete sich in seinem Beitrag zur Strada Novissima dem Thema der Säule, das ihn selbst und ebenso die Architekturgeschichte schon lange beschäftigte.603 Im Gegensatz zu den meist flachen und geschlossenen Fassaden der anderen Architekten entwarf er einen offenen Portikus, in den er die vorgefundene Architektur des Ausstellungsortes integrierte. Die Basis des von Hollein zu gestaltenden Interkolumniums bildeten zwei massive dorische Säulen, die als vorhandene Stützen jede Fassade begrenzten. Laut Vorgaben des Ausstellungskomitees sollten diese verdeckt werden.604 Dies ignorierte Hollein jedoch und ließ sich stattdessen von den Säulen zu seiner Installation inspirieren.
Gestaltung Die Säulen trugen einen historischen Laufgang, der es ermöglichte die gegenüberliegenden Fassaden von oben zu betrachten. Den Trägerbalken des Laufganges ließ Hollein ebenso sichtbar wie die begrenzenden Säulen. Den Laufgang selbst hatte er mit einer weißen Platte verschalt. Darauf hatte er einen Bogen aus blauem Neonlicht über einem ebenfalls mit blauer Beleuchtung umrandeten Oculus als Durchblick angebracht. Unter diesem damit angedeuteten runden Tympanon hatte der Architekt zwischen den vorhandenen dorischen Säulen vier weitere künstliche Säulen platziert. Diese waren in Größe und Form den rahmenden Säulen nachempfunden. Mittels der Schäfte stellte Hollein seine individuelle Geschichte der (Säulen-)Architektur dar: Die erste Säule auf der rechten Seite hatte er mit künstlichen Blättern als in Säulenform geschnittenen Baum gestaltet. Er begründete dies mit seiner Vorliebe für barocke Gartenkunst.605 Die zweite Säule von rechts spielte auf Holleins schon in der Ausstellung in Mönchengladbach 1970 angeklungenes Interesse an Archäologie und auf die Antike an. Sie hing als marmornes Säulenfragment in der Hälfte schräg abgebrochen von der Decke und fungierte zugleich als Eingang zum dahinterliegenden Ausstellungsraum. Diese Säule, die ihrer tragenden Funktion beraubt war, hatte laut Hollein ein konkretes Vorbild im Foto einer abgebroche601 Levy, Aaron; Menking, William: Architecture on display. On the history of the Venice biennale of architecture, London 2010, S. 38. 602 Szacka, Léa-Catherine: Historicism versus communication. The basic debate of the 1980 Biennale, Architectural Design, Nr. 5 (2011), S. 99. 603 Zur Bedeutung der Säule bei Hollein s. Weiß 2015, S. 287–301. Zur Strada Novissima s. S. 289–292. 604 Borsano 1980, S. 38. 605 Ebd., S. 189.
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nen Säule in der jordanischen Felsenstadt Petra.606 Der dritte Säulenschaft bestand aus einem grau gestrichenen Modell von Adolf Loos’ Entwurf für den Chicago Tribune Tower von 1922, den dieser als Hochhaus in Form einer dorischen Säule entworfen hatte. Das Modell von Loos tauchte später in kleinerer Form auch bei der Ausstellung Traum und Wirklichkeit wieder auf. Die vierte braun gestrichene Säule folgte in der Formgebung der daneben befindlichen vorhandenen Säule, allerdings war der Schaft mit Astansätzen bestückt und verwies so auf den Ursprung der Säule als Baum. Zugleich wurde die Säulengestaltung des Renaissancearchitekten Donato Bramante am Portikus des Gebäudes der Kanoniker im Mailänder Kloster Sant’Ambrogio zitiert.
Abb. 46: Hans Holleins Fassade für die Strada Novissima, Corderia dell’Arsenale
Quelle: Privatarchiv Hollein
An den Wänden im rund 40 Quadratmeter großen Ausstellungsraum hinter dem Portal zeigte Hollein eine Zusammenstellung von Bildtafeln mit Fotos und Zeichnungen einiger Projekte aus Wien, Mönchengladbach und New York. In dieser Dokumentation seines Schaffens stellte er dar, wie die Säule sich als durchgehendes, aber sich immer wieder wandelndes Element – als eigenständiges
606 Interview mit Hollein, in: Levy; Menking 2010, S. 75.
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Symbol oder struktureller Bestandteil von Gebäuden – durch sein Werk zog. Eine Tafel, auf die man beim Eintreten direkt zulief, verdeutlichte seine Ideen für die Fassade.607 Darauf war die Skizze seiner Installation zu sehen, begleitet von Fotografien der Säule von Bramante, der leeren Corderia, des Loos-Towers und einiger von Holleins Säulenentwürfen, unter anderem aus einem der Österreichischen Verkehrsbüros. Dieser Innenraum war wie bei seinen Werkpräsentationen üblich sehr schlicht gestaltet. Die Schwarz-Weiß-Fotografien auf dunklem Grund waren als umlaufendes Band auf den hellen Stellwänden installiert. Als Ganzes betrachtet erinnerte Holleins Installation mit Rundgiebel und Säulen an einen Portikus – der Eingang zu einem Tempel hinter dem sich sein Werk wie eine Rechtfertigung der Fassade verbarg. Seine nicht chronologische Geschichte der Architektur spannte sich von der Antike über Renaissance, Barock und Moderne bis hin zur heutigen Architektur symbolisiert durch den Neonbogen und sein eigenes Werk.
Analyse Mit seiner architektonischen Installation sensibilisierte Hollein das Publikum für die Vielfalt und Transformationsmöglichkeiten der Säule. Auch dieser Beitrag stellte ein Assoziationsfeld dar, das je nach Bildungsstand und Kenntnissen unterschiedlich verstanden werden konnte, was Hollein wie folgt kommentierte: »It is an architecture of memories, memories not only in the sense of architectural history, but memories of one’s cultural heritage and of one’s personal past – manifesting themselves in quotations, transformations and metaphors.«608 Durch die eklektische und persönliche Auswahl der Säulen forderte Hollein das Publikum auf, sich mit der Geschichte der Säule zu beschäftigen und über die Installation hinaus weiterzudenken. Er selbst hätte genug Ideen zur Transformation von Säulen gehabt, um die ganze Halle zu füllen, schrieb er im Katalog.609 Für die körperliche Involvierung des Publikums sorgte das Erlebnis unter dem Säulenfragment hindurchzugehen, das drohend über dem Eingang zum Ausstellungsbereich hing. Die Ausstellungsarchitektur, die wie die anderen kulissenhaften Fassaden der Strada Novissima mithilfe von Handwerkern der Cinecittà Film Studios in Rom aufgebaut worden war, stellte Medium und Manifestation zugleich dar. Zur Visualisierung seiner Ideen hatte Hollein schon früher mit Firmen zusammengearbeitet, die solche anschaulichen Modelle herstellten.610 Sprechende Fassaden zogen sich von seinen Geschäftslokalen der 1960er und 1970er in Wien bis zu seinen Gestaltungen des Künstlerhaus Wien
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Abb. s. Branscome 2018, S. 31. Borsano 1980, S. 189. Ebd. Z.B. bei der Hand der Freiheitsstatue bei MAN transFORMS. Czech, Hermann: Interview 03.11.2019.
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für die Ausstellungen der 1980er und darüber hinaus durch sein Werk. Die szenografische Präsentation seines eigenen Gesamtwerkes blieb jedoch die Ausnahme. Die erste Architekturbiennale wurde von über 40.000 Gästen besucht und trug nicht nur zur Verbreitung der postmodernen Architektur bei, sondern veränderte auch das Genre der Architekturausstellung und deren Bedeutung nachhaltig.611 Dieses theatral inszenierte Ausstellungserlebnis brach mit der zurückhaltenden Ausstellungsgestaltung und machte Architektur erlebbar. Die Strada Novissima polarisierte stark und wurde von Publikum und Kritik kontrovers diskutiert.612 Dennoch fungierte diese erste Architekturbiennale als Vorbild für darauffolgende Architekturausstellungen. Das Ausstellungsdisplay der Strada Novissima trug dazu bei, die Architekturpräsentation interdisziplinärer und internationaler auszurichten und den Fokus von Formen und Materialien verstärkt auf Medien, Bilder und Repräsentationen hin zu verschieben.613 Die Strada Novissima wurde in veränderter Form noch in Paris und San Francisco gezeigt und war ein wichtiger Meilenstein für die weltweite Popularisierung von Architekturausstellungen.614 Ähnlich wie kulturhistorische Ausstellungen Ende der 1980er Jahre war auch diese Ausstellung mit ihren spektakulären und zeichenhaften Ausstellungsdisplays wichtig für die Entwicklung szenografischer Ausstellungspräsentationen.615
IV.III.II Metaphern und Metamorphosen 1987 Neue anschaulichere Formen der Architekturpräsentation, die auch durch die Biennale 1980 etabliert wurden, führten dazu, dass Werke von Architekturschaffenden verstärkt in Ausstellungen gezeigt wurden. Holleins Retrospektive Métaphores et Métamorphoses war von 18. März bis 8. Juni 1987 im Centre Pompidou in Paris zu sehen. Anschließend wurde sie in räumlich und thematisch angepasster Form im Museum des 20. Jahrhunderts in Wien 1987 sowie 1988 in der Nationalgalerie in Berlin gezeigt. Sie sollte erstmals einen umfassenden Überblick über Holleins Schaffen von 1950 bis zum Zeitpunkt der Ausstellung liefern. François Burkhardt, damals Direktor der Abteilung für Architektur und Design, hatte Hollein als ersten lebenden Architekturschaffenden eingeladen, eine Schau seines Werkes im Centre 611
Ausführliche Studie zur I. Architekturbiennale und deren Bedeutung: Szacka, Léa-Catherine: Exhibiting the Postmodern. The 1980 Venice Architecture Biennale, Venedig 2016. 612 Zur Rezeption von Holleins Beitrag zur Strada Novissima im Kontext der Postmoderne s. Kap. VI.I. 613 Szacka, Léa-Catherine: Biennale di Architettura di Venezia 1980, in: Pelkonen (Hg.): Exhibit A, London; New York 2018, S. 233. 614 La Présence de l’Histoire: l’Après-Modernisme, 15.10.-20.12.1981, Chapelle Saint-Louis de la Salpêtrière Paris; Architecture 1980: The Presence of the Past, 20.05.-29.07.1982, Fort Mason Art Center San Francisco. 615 Vgl. Kiedaisch; Marinescu; et al. 2020, S. 41.
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Pompidou zu präsentieren.616 Anhand von Zeichnungen, Skizzen, Plänen sowie Modellen, Fotografien und Objekten, ergänzt durch dokumentarische Filme, stellte Hollein in der von ihm entworfenen Ausstellung sein spartenübergreifendes Schaffen vor. Insgesamt waren über 200 Projekte zu sehen. Die Auswahl der Objekte und die Einrichtung der Ausstellung waren ihm selbst überlassen.
Abb. 47: Metaphern und Metamorphosen, drei Ausstellungspavillons, Blick auf das Untergeschoss
Quelle: Privatarchiv Hollein, Foto: Alexandra Pawloff
Die Schau fand im Forum des Museums auf der Eingangsebene und im Untergeschoss statt. Dieser offene Bereich in der Mitte der Eingangshalle war damals für spektakuläre, das Publikum anziehende Sonderausstellungen gedacht.617 Allerdings galt dieses fensterlose »Loch« in der unruhigen Informations- und Durchgangszone als schwierig bespielbar.618 Im Eingangsbereich im Erdgeschoss empfing eine Ausstellungsarchitektur das Publikum, die Hollein ursprünglich für den Stand der Firma Alessi auf der Triennale Mailand 1979 entworfen hatte.619 Sie bestand aus weißen
616 Burkhardt; Eveno; et al. 1987. 617 Fils, Alexander: Das Centre Pompidou in Paris. Idee, Baugeschichte, Funktion, München 1980, S. 24. 618 Vgl. z.B. Trappschuh, Elke: Ritus und Dekor. Erste Hollein-Retrospektive in Paris, Handelsblatt, 25.05.1987, S. 3; Kruntorad, Paul: Die Welt ist ein Rätsel. Nürnberger Nachrichten, 31.03.1987, S. 21. 619 Abb. s. Nakamura 1985, S. 177.
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Arkaden, die mit blauem Neonlicht beleuchtet waren. In der Mitte wurde die Bogenreihe durch einen größeren Durchgang durchbrochen über dem Hans Holleins Namensschriftzug – ebenfalls aus blauem Neonlicht – hing. Durch diesen Durchgang gelangte man zur Treppe ins Untergeschoss. In dieses Untergeschoss hatte Hollein drei würfelförmige Pavillons hineingebaut, die den drei Sparten seines Werkes gewidmet waren – der Architektur, dem Design und der Kunst. Die Dächer der temporären Pavillons, die in Grau- und Brauntönen gestrichen waren, nutzte Hollein als Präsentationsfläche und schuf damit eine zweite auf Fernwirkung und Aufmerksamkeit ausgerichtete Ausstellungsebene.620 Vom Erdgeschoss und den Seitengalerien aus konnte man auf das offene Tiefgeschoss blicken und so Holleins Ausstellung von oben betrachten. Auf dem Pavillon links vom Eingang standen verschiedene von ihm entworfene Möbel: ein Schminktisch, ein Bett, ein Sofa, eine Liege und Stehlampen. Diese waren mithilfe eines überhohen Sockels auf zwei Ebenen zu einer collagenartigen Komposition zusammengefügt. Neben dem Pavillon stand ein sehr hoher schiefer Turm aus goldener Pappe, der vom Tiefgeschoss bis zur Decke des Erdgeschosses reichte.621 Auf dem mittleren Pavillon mit Säulen vor dem Eingang standen sich zwei Skulpturen aus der Installation Die Turnstunde getrennt durch einen von der Decke abgehängten roten Samtvorhang gegenüber. Auf dem rechten Pavillon der Kunst hatte Hollein weitere Teile seiner Turnstundeninstallation reinszeniert. Die dekorierten Pavillons und der goldene Turm sollten als Blickfänger fungieren und das Publikum neugierig machen.622 Im Tiefgeschoss war die Ausstellungsgestaltung zurückhaltender und stärker auf die Wirkung einzelner Exponate ausgerichtet. Strukturiert wurde der Raum durch die Ausstellungspavillons: Durch deren Anordnung – die Pavillons waren jeweils vor den Raumwänden mittig platziert – entstanden ähnlich einer urbanen Situation ein großer freier Platz im Zentrum sowie kleinere Plätze in den Zwischenräumen. Das Innere der Pavillons bot zudem die Möglichkeit für ruhige thematisch orientierte Werkpräsentationen. Sowohl in den Pavillons als auch im umgebenden Raum wurde Holleins Schaffen anhand verschiedener Themenkomplexe wie begehbare Gebäude oder Wohnbau ausgestellt. Es gab keine vorgegebenen Laufwege. Durch die offene räumliche Anordnung sollten die verschiedenen Projekte in Dialog miteinander treten. Nur die Pavillons hatten Kabinettcharakter und umschlossen 620 Zum Ausstellungskonzept vgl. die Ausführungen von Hans Hollein, in: Wächter-Böhm, Liesbeth: Mittagsjournal – Kulturbeitrag, Eröffnung der Hollein-Ausstellung im Centre Pompidou, 17.03.1987, Tonaufnahme. 00:49:37–00:50:21h. 621 Der Turm war in der Formgebung an einen silbernen Tafelaufsatz, den Hollein 1980 designt hatte, angelehnt. Den Abschluss des Turmes bildete eine hundertfache Vergrößerung eines von Hollein entworfenen Ringes. 622 Solche großen Ausstellungsarchitekturen wurden auch bei anderen Sonderausstellungen als optische Anziehungspunkte verwendet, vgl. z.B. Abb. Dali-Ausstellung 1979–80, in: Fils 1980, S. 25.
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die Themen Museumsbauten und Design sowie Visionen und Ideen der 1960er Jahre. Architekturmodelle wurden auf Sockeln mit Haube präsentiert. Skizzen und Zeichnungen hingen gerahmt an den Wänden. Die Vitrinen und Sockel waren im Vergleich zu Entwürfen bei Die Türken vor Wien oder Selection 66 schlicht gehalten. Ausnahmen stellten drei pyramidenförmige Vitrinen,623 in welchen Hollein seine Schmuckentwürfe zeigte, und zwei gezackte Ausstellungswände, an denen gerahmte Zeichnungen hingen, dar.
Abb. 48: Metaphern und Metamorphosen, Untergeschoss mit goldenem Turm und Architekturpavillon
Quelle: Privatarchiv Hollein
Diese offene Anordnung, die Entwicklungen und Ähnlichkeiten zwischen den Sparten seines Werkes aufzeigen sollte und damit das vergleichende Betrachten und assoziative Sehen förderte, stellte einen Unterschied zu klassischen chronologischen und projektbezogenen Werkausstellungen von Architekturschaffenden dar.624 Die Ausstellung sollte laut Hollein nicht nur eine Architekturschau, sondern selbst eine Architekturinstallation sein.625 Dieses Vorgehen entsprach Holleins spartenübergreifender Werkauffassung. Bei Metaphern und Metamorphosen ergab sich jedoch keine Gesamtkomposition aus Ausstellungsarchitektur, Beleuchtung 623 Abb. s. Christoph, Horst: Zelebrierte Lust. Profil, Nr. 12 (1987), S. 65. 624 Burkhardt; Eveno; et al. 1987. o. S. 625 Einblendung Hans Hollein, in: Wächter-Böhm, Liesbeth: Mittagsjournal – Kulturbeitrag, Eröffnung der Hollein-Ausstellung im Centre Pompidou, 17.03.1987, Tonaufnahme. 00:49:37–00:49:53h.
IV. Szenografisch-künstlerische Ausstellungsinszenierungen
und Objekten, die Hollein bei früheren Ausstellungen inszeniert hatte, stattdessen standen vor allem im Untergeschoss die Objekte im Vordergrund. Dort wirkten sowohl die Ausstellungsarchitektur als auch die Präsentationsmedien unterstützend und gliedernd auf die Schau. Sie generierten keine eigene Bedeutung und waren in ihrer Form schlicht. Auch die farbliche Gestaltung der Wände und Sockel war zurückhaltend in Grau-, Braun- und Weißtönen gehalten. Im Untergeschoss war diese Ausstellung eine dokumentarische Werkretrospektive, bei der Hollein bestrebt war, sein eigenes Werk durch die Ausstellungsgestaltung zu musealisieren. Die Gestaltung der Pavillondächer und der goldene Turm waren die Elemente, die am stärksten an aufsehenerregende Inszenierungen erinnerten. In der Presse wurde die Ausstellungsgestaltung als sehr gelungen angesehen:626 Sowohl die klare Gliederung als auch die Lösung, dem schwierigen Ausstellungsort durch die Ausstellungsarchitektur eine zweite Ebene hinzuzufügen, wurden gelobt.627 Diese frühe Wanderretrospektive des damals erst 53-Jährigen trug dazu bei, Hans Hollein nach der Ehrung durch den Pritzker-Preis noch bekannter zu machen. Außerdem zeigte sie dem französischen und deutschsprachigen Publikum die Vielfalt seines Schaffens auf. Metaphern und Metamorphosen markierte den Übergang von szenografisch-künstlerischen zu museal gestalteten, weniger interpretierenden als dokumentarischen Architekturausstellungen, die Hollein in der Folge kuratierte. Der in diesem Kapitel aufgezeigte Unterschied von Holleins Auftragsausstellungen und seinen künstlerischen Präsentationen zu den dokumentarischen Präsentationen seines eigenen Werkes verdeutlichte die Besonderheiten seiner szenografischkünstlerischen Ausstellungspraxis, die im Folgenden zusammengefasst und in Kontext mit seinem Gesamtwerk gesetzt werden.
626 Es wurde die Sammlung von Presseartikeln zu Metaphern und Metamorphosen aus dem Archiv Hans Hollein, Az W ausgewertet sowie weitere Artikel recherchiert, insges. rd. 15 relevante Artikel. 627 Z.B. Trappschuh 25.05.1987, S. 3; Smonig, Reinhold: Hollein inszeniert Hollein. Eine Retrospektive im Pariser Centre Pompidou, Die Presse, 19.03.1987, S. 5.
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V
Die Ausstellungen im Spiegel seines Werkes
Die in Kapitel IV vorgestellten ephemeren Ausstellungen bieten einen zusätzlichen Schlüssel zum vertiefenden Verständnis von Holleins Gestaltungspraxis, die stets über die traditionellen Grenzen der Gattungen ausgriff. Im Vorangegangenen wurden Hans Holleins Ausstellungen als ein Aspekt seines Werkes aus Gründen der Übersichtlichkeit hauptsächlich isoliert betrachtet, jedoch ergibt sich erst durch deren Einordnung in sein multidisziplinäres Gesamtwerk ein vollständiges Bild. Wie an verschiedenen Stellen dieser Arbeit bereits angedeutet, steht die vorgestellte Ausstellungspraxis von Hans Hollein in Wechselwirkung mit und engem Bezug zu seinem Gesamtwerk. So sind die in Kapitel IV herausgearbeiteten Charakteristika wie Publikumsorientierung, Inszenierung, zeichenhafte und assoziative Darstellung, mehrschichtige Codierung, das Spiel mit Gegensätzen und Ironie, sein spartenübergreifender Ansatz und sein Denken in Bildern und Referenzen als Grundlage der Konzeption nicht nur kennzeichnend für Hans Holleins Ausstellungspraxis, sondern für seinen gesamten gestalterischen Ansatz. Seinem spartenübergreifenden Schaffen lagen ähnliche Entwurfsprinzipien und grundsätzliche Vorstellungen zugrunde, die seine Projekte miteinander verbanden – dabei waren das Medium und die Dimension eines Projektes zweitrangig. Sein Œuvre war ein Kosmos aus Ideen und Bezügen. Nicht umgesetzte Ideen wurden für andere Projekte verwendet, nicht nur innerhalb der Sparten, sondern im ganzen Werk. Grundlage war das Frühwerk der 1960er Jahre, auf das er sich bis zu seinen letzten Arbeiten immer wieder berief. Diese Zusammenhänge werden in den folgenden Kapiteln beleuchtet. Es wird aufgezeigt, wie Hans Holleins Ausstellungsgestaltungen mit seinem übrigen Werk in Zusammenhang standen und in welcher Weise bestimmte Gestaltungsprinzipien werkübergreifend und wiederkehrend auftraten. Kapitel V.I setzt seine Ausstellungspraxis in Kontext mit seinem Werk in Hinblick auf Konzeption und Gestaltung sowie Relikte seiner Ausstellungen. Kapitel V.II ordnet die Ausstellungen in sein Gesamtwerk ein. Kapitel V.III zeigt auf, dass die identifizierten Entwurfsmethoden des Ausstellens und Inszenierens auch in anderen Bereichen Anwendung fanden und untersucht die Zusammenhänge dieser Methoden in den unterschiedlichen Disziplinen. Ziel von Kapitel V ist es, die analysierten Ausstellungsdisplays mit anderen Projekten Holleins in Kontext
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Die Architektur der Inszenierung
zu setzen, um das Verständnis seiner Ausstellungsgestaltungen ausgehend von seinem Werk zu erweitern.
V.I
Prinzipien der Ausstellungspraxis
Die Rolle von Hans Hollein in den behandelten szenografisch-künstlerischen Ausstellungsinszenierungen war sehr vielseitig. Er vereinte die Aufgaben des Kurators, Ausstellungsgestalters, Szenografen und Installationskünstlers in seiner Person und oszillierte zwischen diesen Funktionen, ohne jedoch treffend mit nur einem dieser Begriffe erfasst werden zu können.1 Wie gezeigt werden konnte, arbeitete Hans Hollein bei den thematisierten Ausstellungen mit sehr ähnlichen Gestaltungsstrategien und Konzepten. Für seine Ausstellungen bediente er sich seiner Kenntnisse und Erfahrungen aus verschiedenen Sparten seines multidisziplinären Werkes – dem Design, der Architektur, der bildenden Kunst und der Bühnenbildgestaltung. Darüber hinaus verfügte er über hohe Allgemeinbildung und ein umfassendes Wissen zu vielen Themenbereichen. Dieses erlangte und erweiterte er kontinuierlich sowohl durch Reisen als auch durch die intensive Lektüre von Büchern und Zeitschriften sowie durch den Besuch von Vorträgen und Ausstellungen. Eine weitere wichtige Informationsquelle zu aktuellen Tendenzen war sein internationales Netzwerk aus Kunst- und Architekturschaffenden.2 Durch dieses stets abrufbare Wissen hatte er meist schon zu Beginn der Ausstellungskonzeption Vorstellungen von bestimmten Bildern und spezifischen Objekten im Kopf, die er zeigen wollte. Auf Grundlage des gewählten Ausstellungsthemas griff er zunächst auf diesen Grundstock aus Referenzen, konkreten Kunstwerken oder ikonischen Objekten zurück und konstruierte dann mithilfe weiterer Recherchen bei den Auftragsausstellungen unterstützt durch das Museumspersonal die Ausstellung.3 Oft näherte er sich abstrakten Themen über Stichwortlisten und Mindmaps. Dieses Wissen und sein Denken in Bildern und Referenzen erlaubten ihm einen spielerischen Umgang mit dem Medium Ausstellung. Kennzeichnend für Holleins Gestaltungspraxis war, dass bestimmte Themen und Motive immer
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Der Begriff des Kurators war zu Beginn von Holleins Schaffen im deutschsprachigen Raum noch nicht gebräuchlich. Als »Kuratoren« wurden ab Ende des 20. Jh. sowohl Sammlungsverantwortliche als auch Personen, die den Beruf des freien, diskursorientierten Kurators oder der Kuratorin ausübten, bezeichnet. Im Sinne der zweiten Bedeutung wird der Begriff hier retrospektiv genutzt. Vgl. Kurzmeyer 2019, S. 12–13. Hollein, Lilli: Interview 06.11.2019. Ebd.
V Die Ausstellungen im Spiegel seines Werkes
wieder auftraten.4 Sein Perfektionismus und die Herausarbeitung eines Projektes aus vielen Ideen und Entwürfen können bei seinen architektonischen Projekten wie auch bei seinen Ausstellungen beobachtet werden: Er konnte sich schwer entscheiden und entwickelte seine Projekte aus einer Vielfalt von Ideen und verworfenen Varianten.5 Nicht nur konkrete, bereits projektierte Ideen tauchten später wieder auf, sondern auch lose Ideen. Zum Beispiel sprach Hollein bei der Biennale 1972 in seinem assoziativen Ausstellungstext von der blutigen Uniform Franz Ferdinands als Symbol und setzte sich dann bei der Ausstellung Traum und Wirklichkeit für deren Präsentation ein.6 Witz und Ironie teilweise mit einem Hang zum Zynismus waren oftmals Bestandteil seiner Displays. Die ironische Darstellung von Sachverhalten war bei vielen Ausstellungen zu beobachten, beispielsweise bei Papier, Tod, MAN transFORMS und am stärksten bei seinem Beitrag zur documenta 8. Die Analyse von Holleins Ausstellungen zeigte jedoch, dass Ironie zwar ein Bestandteil seines Schaffens war, jedoch zumeist nur in Details hervortrat und bei Installationen wie zur Biennale 1972 oder den kulturhistorischen Ausstellungen in den Hintergrund trat. Daher war sie entgegen der Argumentation von Joseph Rykwert nicht grundlegend für den Entwurfsprozess.7 Vielmehr trifft hier Gianni Pettenas Auffassung zu, der in Bezug auf Holleins Schaffen schrieb: »Irony […] is not a basic element but only an ingredient, a method of interpretation.«8
V.I.I
Montage und Spiel mit Assoziationen
Hans Holleins Präsentationen waren ein Kosmos aus heterogenen Ideen, Bezügen und Assoziationen, die sowohl über Symbole als auch über Materialien und Formen in räumliche Arrangements transportiert wurden. Hollein arbeitete häufig mit Metamorphosen und Transformationen sowie Gegensätzen und Konfrontationen. Letzteres war bei den Ausstellungen Papier und Werk und Verhalten sehr deutlich, die
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Oftmals griff er nicht realisierte Ideen bei späteren Projekten wieder auf wie bei seinem Beitrag zur Expo in Osaka, den er aus einer verworfenen Idee für die Austriennale entwickelte, vgl. Kap. IV.I.II. Interview Cladders, in: Grasskamp, Walter: Energien/Synergien I. Johannes Cladders, Köln 2004, S. 76; so existierten in der Planung des Museums Abteiberg lange zwei verschiedene Varianten (Reisterrassen und Flugzeugträger); s. Pehnt, Wolfgang: Hans Hollein, Museum in Mönchengladbach. Architektur als Collage, Frankfurt a.M. 1986, S. 19–27; bei der Feigen Gallery projektierte Hollein ebenfalls zwei komplett unterschiedliche Designs bevor er zum finalen Entwurf gelangte; s. Margolies, John: Art Machine for the 70's. The Architectural Forum, Nr. 1–2 (1970), S. 98. Hollein 1972, S. 192. Vgl. Rykwert 1985, S. 194–196. Pettena 1988, S. 53.
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Die Architektur der Inszenierung
als räumliche Gegenüberstellung angelegt waren, wurde aber auch bei den Raumformen und Farben von Selection 66 und in der Fassadengestaltung des Künstlerhaus bei Traum und Wirklichkeit sichtbar. Gegensätze wie amorph – geometrisch, natürlich und künstlich, wertvoll und wertlos, Leben und Tod spielten in ihrer Ambivalenz in seinem Schaffen eine wichtige Rolle. Dies wird auch bei seinem zentralen Werk, dem Museum Abteiberg, sichtbar. Der Turm zeigt dabei eines der Lieblingsmotive Holleins: das aufgebrochene Raster als Symbol der Gegensätze zwischen Natur und Kultur – ebenfalls sichtbar bei der Fassade des Juweliergeschäfts Schullin I in Wien, aber auch prominent dargestellt auf der Biennale 1972 im Fliesenquader mit mäandernder Rille oder einem Brunnen als Teil der Media-Linien in München, seinem Leitsystem für den Olympiapark.9 Ebenso waren Transformationen im Sinne von Maßstabssprüngen wie zum Beispiel Vergrößerungen präsent. Exemplarisch sind die vergrößerte Buddelschiffflasche in MAN transFORMS, der übergroße Bock in Die Turnstunde und das türkische Zelt an der Fassade des Künstlerhauses. Ähnliches tat Hollein zum Beispiel in seinem Entwurf eines Kaffee- und Teesets in Form eines verkleinerten Flugzeugträgers für Alessi 1980. Metamorphosen zeigte Hollein bei Selection 66, indem er Möbel zu Skulpturen werden ließ. Bei seiner Ausstellung Tod in Mönchengladbach und bei der Biennale 1972 stellte er die Zersetzung von Pflanzen und toten Tieren aus. Bei der Architekturbiennale 1980 präsentierte er Säulen in verschiedenen Stadien der Metamorphose. Einige der Materialien mit metaphorischen Bedeutungen, die in den Ausstellungen vorkamen, waren auch charakteristische und wiederkehrende Bestandteile von Hans Holleins Architekturen. Dies ist unter anderem bei der Verwendung edler Metalle und insbesondere der Farbe Gold der Fall. Oft nutzte Hollein edle Metalle zur Gestaltung seiner Fassaden und Innenräume wie beim Laden Schullin I, den Österreichischen Verkehrsbüros, dem Glas- und Keramikmuseum Teheran, Holleins Vulkan-Museum in Frankreich oder auch beim Museum Abteiberg. Neben der Verwendung von Gold war Neonlicht ein wiederkehrendes Element in Holleins spartenübergreifendem Schaffen. Er verwendete entweder blaues oder weißes Neonlicht. Mit einem Bogen weißen Neonlichtes schmückte er seine Fassade der Strada Novissima ebenso wie die Fassade des Juweliergeschäfts Schullin II in Wien. Hollein setzte Neonlicht als gestalterisches Element auch bei den Media-Linien in München, dem Museum Abteiberg und dem Atrium des Haas-Hauses ein. Bei Metaphern und Metamorphosen und auf der zentralen Informationsausstellung der Internationalen Bauausstellung in Berlin 1987 präsentierte Hollein sich weithin sichtbar durch einen blauen Neon-Schriftzug seines Namens und machte das Neonlicht so zu seiner Signatur. Gegenüberstellungen dieser beiden Materialien, Blattgold als Zeichen des Archaischen und Neonlicht als Symbol für die Moderne, praktizierte Hollein immer wieder – zentral bei Die Turnstunde. 9
Abb. Brunnen s. Nakamura 1985, S. 55.
V Die Ausstellungen im Spiegel seines Werkes
Nicht nur über Symbole, Gegensätze, Metaphern und Materialien, sondern auch über archetypische Formen baute Hans Hollein seine assoziativen Gestaltungen auf. Er studierte die illustrierte Geschichte der Architektur von Johann Fischer von Erlach mit Abbildungen architektonischer Archetypen und ebenso die Archetypenlehre Carl Gustav Jungs mit der Idee von kollektiven Urerfahrungen der Menschheit wie Geburt und Tod.10 Wie er bei der Turnstundeninstallation auf die Kreuzform rekurrierte, griff Hollein in seinen Gestaltungen immer wieder auf eine auf architektonischen Archetypen basierende eigene Ikonografie zurück: Die Form der Rotunde als archaisches Motiv des Amphitheaters durchzog sein Werk. Es trat unter anderem im runden Raum mit den Drehstühlen bei Selection 66, in der Produktpräsentation der Austriennale ebenso wie dem Vulkankegel des Vulcania-Museums, den Innenhöfen des Haas-Hauses und der Banco Santander in Madrid auf. Dass die antike Form der Säule und ihre Abwandlung als Baumsäule beziehungsweise Palme sein Werk begleiteten, demonstrierte Hollein selbst bei der Architekturbiennale 1980.11 Auch die viel zu schmale Türöffnung war eine der wiederkehrenden Lieblingsformen Holleins: Sie wurde sichtbar in den hohen schlitzartigen Portalen seiner Ladengeschäfte oder in den schlauchartigen Korridoren des Museums Abteiberg ebenso wie im Wanddurchbruch bei der Biennale 72, als Korridor zur Aufstellung eines roten Stuhls bei Selection 66 sowie bei der Erstpräsentation von Kriemhilds Rache. Sie kann als Motiv in Richtung Geburt, Sexualität, aber auch Klaustrophobie interpretiert werden. Die Tatsache, dass Hans Hollein das reiche assoziative Potenzial seiner Displays bewusst anlegte, sich jedoch wenig über Inspirationsquellen äußerte, macht die Analyse äußerst komplex und birgt das Risiko, über die Herleitung von Einzelelementen das übergeordnete Gesamtbild aus dem Blick zu verlieren. Die oft universalen Bilder und nur implizit angedeuteten Verweise in Kombination mit fehlenden Belegen begünstigen die Gefahr, zufällige parallele Formerscheinungen als Vergleich heranzuziehen oder spekulative Verbindungen zu ziehen.12 In der Beschreibung und Analyse der Ausstellungen wurden daher nur belegbare oder sehr
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Fischer von Erlach, Johann B.: Entwurf einer historischen Architektur, Dortmund 1721 1978; Verweis von Hollein auf Fischer von Erlach, in: Hollein, Hans: Tehran Museum of Glass and Ceramics, in: Safran (Hg.): Places of Public Gathering in Islam, Philadelphia 1980, S. 93; zu Carl Gustav Jung vgl. Jung, Lorenz (Hg.): C. G. Jung Archetypen. Urbilder und Wirkkräfte des kollektiven Unbewussten (Schriftensammlung), Ostfildern 2018; im Interview mit François Burkhardt spricht Hollein auch über die Psychoanalyse und den Bezug zu Jung: »[…] il est vrai que l’on peut relever dans mon œuvre un certain nombre d’éléments qui s’inspirent assez de la pensée de Jung et de son cercle.« s. Burkhardt; Eveno; et al. 1987. o. S. S. Weiß 2015, S. 287–301. Steffen Krämer hat diese Problematik anhand des Museums Abteiberg ebenfalls aufgezeigt, vgl. Krämer, Steffen: Die postmoderne Architekturlandschaft. Museumsprojekte von James Stirling und Hans Hollein, Hildesheim 1998, S. 231–260.
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Die Architektur der Inszenierung
naheliegende Assoziationen und Verweise zu ausgewählten Elementen des Displays beispielhaft angeführt, da eine erschöpfende Analyse der Herkunft einzelner Elemente aus den komplexen Bezugswelten Holleins für das übergeordnete Thema der Ausstellungsgestaltung nicht zielführend wäre. Um ein Beispiel zu nennen, könnten in Holleins Installation auf der Biennale 1972 Anspielungen auf Sigmund Freud herausgelesen werden: Die Form des Bettes im Fliesenraum erinnert an Freuds Behandlungscouch. Die Themen der Sexualität und des Verlustes des Vaters könnten dahingehend psychologisch interpretiert werden.13 Diese Deutung liegt nahe, da Hollein sich nachweislich mit Freud beschäftigt hat, konnte aber in Bezug zu dieser Ausstellung nicht hinreichend belegt werden.14 Außerdem entwickelte das italienische Designkollektiv Superstudio etwa zeitgleich für ihre Möbelkollektion Quaderna Series auffallend ähnliche, streng geometrische Stühle, Tische und Hocker, überzogen mit einem kleinteiligen weiß-schwarzen, quadratischen Gitternetzmuster.15 Dies unterstreicht Holleins Affinität zu Warenwelten und Design.16 Das assoziative Potenzial der von Hollein verwendeten Bilder und Metaphern fungierte für ihn als Entwurfskonzept. Die Anerkennung dieses Entwurfsprinzips und weniger die Entschlüsselung der dadurch erzeugten einzelnen Bilder, Bezüge und Wechselwirkungen bilden eine der wichtigen Grundlagen für das Verständnis seiner Arbeiten.17 Hans Holleins Gestaltungspraxis beruhte demnach auf dem Prinzip der visuellen Montage scheinbar unzusammenhängender oder gegensätzlicher Objekte, die durch ihr assoziatives Zusammenspiel eine Idee vermittelten. Dieses Montageprinzip, im Sinne einer inszenierten Zusammenstellung von bisher getrennt Gedachtem, trat auch in Holleins editorischen Arbeiten und künstlerischen Collagen auf. Die Ausstellungen können als Erweiterung dieser bereits im Frühwerk erprobten Collagen ins Dreidimensionale gelesen werden. Bildzusammenstellungen, die moderne Technik und archaische Tempelarchitekturen gegenüberstellten, tauchten bereits im Katalog der Ausstellung Architektur 1963 auf.18 Ebenso wurden
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Isozaki 1973, S. 6–7. Mit Freuds Forschungen zur menschlichen Psyche setzte sich Hollein spätestens ab 1969 auseinander, als er den Auftrag bekam, eine Ausstellung zu Freud in der Berggasse 19 einzurichten. Nicht realisierter Entwurf im Auftrag der Sigmund Freud Gesellschaft 1969, s. Nakamura 1985, S. 151. Abb. s. Klotz, Heinrich: Moderne und Postmoderne. Architektur der Gegenwart 1960–1980, Braunschweig; Wiesbaden 1984 1987, S. 286. Ein direkter Verweis Holleins auf Superstudios Entwürfe konnte nicht nachgewiesen werden. Zur Bedeutung des Rasternetzes bei Superstudio s. ebd., S. 285–286. Vgl. Kapfinger, Otto; Krischanitz, Adolf: Schöne Kollisionen. Versuch über die Semantik in der Architektur von Hans Hollein am Beispiel Mönchengladbach, UmBau, Nr. 8 (1984), S. 6. Vermutlich war eine Collage dort auch als altarartige Stellwand zu sehen, vgl. Kap. III.II.
V Die Ausstellungen im Spiegel seines Werkes
dort Hans Holleins Transformations-Collagen gezeigt, die durch Redimensionierung und Montage technische Objekte zu architektonischen Gebilden umdeuteten und damit zu ironisch-ambivalenten Denkbildern machten. Bilderstrecken kennzeichneten auch Holleins Beiträge im Bau-Magazin. Dort publizierte er zur Visualisierung und Unterstreichung seiner schriftlichen Thesen auf den ersten Blick scheinbar unzusammenhängende Fotos. Die Bilderstrecke bei Alles ist Architektur wirkte wie eine von der Pop-Art inspirierte Ausstellung auf Papier.19 Die Bilder erhielten unter der Überschrift Alles ist Architektur durch ihre Gegenüberstellung und Abfolge eine Umdeutung. Ähnlich wie Kunstobjekte in den Ausstellungen wurden sie unter Holleins Idee – seinem kuratorischen Konzept – geordnet und stellten seine These visuell dar. Nicht nur in seinem Frühwerk spielten Collagen und Bildzusammenstellungen eine wichtige Rolle, sie begleiteten auch sein weiteres Schaffen und kennzeichneten seinen assoziativ-visuellen Gestaltungsansatz. So waren Bildzusammenstellungen als Erweiterung der Ideen seiner Ausstellungen sein bevorzugtes Darstellungsmittel in den von ihm selbst gestalteten Katalogen zu den Schauen Austriennale und Die Turnstunde. Zur Ausstellung Werk und Verhalten in Venedig fertigte Hans Hollein Collagen an, die Ausstellungsansichten mit Bildausschnitten von Andrea Mantegnas Gemälde Beweinung Christi kombinierten.20 Außerdem präsentierte er sein eigenes Werk gerne mittels Bildzusammenstellungen, zum Beispiel in einem der Hefte aus dem Kassettenkatalog zu Tod oder im Katalog der Biennale 1972, die ebenfalls seinem Prinzip der assoziativen Form- und Sinnanalogie von Bildern folgten. Die Bilderstrecken wiesen dabei zumeist eine ähnliche formale Struktur auf.21 Die Verbindung unterschiedlicher Assoziationen zu einem Gesamtbild setzte Hans Hollein nicht nur visuell um, auch einige seiner Texte wirkten zuweilen collagiert. Das Prinzip »Fragmentarische Notizen«, wie Hollein seinen Text im Katalog der Mönchengladbacher Ausstellung 1970 überschrieb, war hierfür bezeichnend. Darin eröffnete er teils in ganzen Sätzen, teils in Stichworten Assoziationen zu in den Ausstellungen Gezeigtem und darüber hinaus. Die Textfragmente erhielten ihren Zusammenhang dabei durch das übergeordnete Thema und rückten in die Nähe der Poesie. Die Texte zu seiner Masterthesis in Berkeley und zur Biennale 1972 waren ebenfalls nach diesem Prinzip aufgebaut.22 19 20 21
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Zur Interpretation der Bildstrecke in Alles ist Architektur s. Buckley 2019, S. 170–171; Keslacy 2015, S. 239–241. Hollein zeigte Mantegnas Christus im Fliesenraum und sich selbst in Christus-Pose auf dem Sezierwagen von den trauernden Frauen aus dem Gemälde begleitet. Die Fotografien waren meist Schwarz-Weiß und wurden auf weißem Grund gezeigt. Sie waren in unterschiedlicher Anordnung platziert, sodass die Abfolge eine Dynamik erhielt. Ganzseitige Bilder folgten auf ein an den Rand der Seite versetztes Bild. Waren mehrere Bilder auf einer Seite zu sehen, wurden diese von Balken getrennt, die durch weiße Zwischenräume geformt wurden. So ergab sich eine Gitterstruktur. Hollein, Hans 2011, S. 32–34; Hollein 1972, S. 192–193.
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Die Architektur der Inszenierung
Das Montageprinzip war auch ein wichtiger Ansatz für seine Architektur. Ebenso wie MAN transFORMS als Montage verschiedenster Themen und Aspekte aufgebaut war, die sich nur lose um das Thema Design als menschlicher Gestaltungsanspruch gruppierten, war auch Holleins Museum Abteiberg als vielfältig interpretierbare Montage verschiedenster Baustile und Zitate aufgebaut. Das Ausstellen im Sinne einer kuratierten Zusammenstellung von teilweise nicht zusammenhängenden Ideen, Formen und Bildern unter einem bestimmten Gesichtspunkt kennzeichnete demnach Holleins Ansatz der assoziativen Inszenierung. In seinem Denken schöpfte er aus einem imaginären Museum von Bildern und Referenzen, die von ihm unter verschiedensten Thesen immer wieder neu kombiniert und aufbereitet wurden.
V.I.II
Temporärer Charakter
Ein Merkmal aller Präsentationen und zugleich ein großer Unterschied zu seinen architektonischen Projekten war deren temporärer Charakter. Gemeinsam war allen Projekten die spezifische Konzeption für den jeweiligen Ort. Bei seinen künstlerischen Ausstellungen bot der Raum oft die Inspiration für das Thema. Bei den Auftragsausstelllungen stand zunächst die Konzeption im Vordergrund, die dann für die räumlichen Gegebenheiten adaptiert wurde. Von diesem Prozess der Übersetzung des Konzeptes in den Raum zeugen diverse Papiermodelle von Ausstellungsräumen, beispielsweise für Selection 66 oder Metaphern und Metamorphosen. Im Gegensatz zu architektonischen Projekten existierte aber zumeist kein fester Plan zur Einrichtung der Ausstellungen. Es wurden zwar Entwürfe von Vitrinen und Raumkonzeptionen gezeichnet, die finale Einrichtung der Ausstellung geschah jedoch erst in der Aufbauphase vor Ort.23 Sowohl sein langjähriger Mitarbeiter Erich Pedevilla als auch Günter Düriegl berichteten von Diskussionen über die Platzierung einzelner Werke während des Aufbaus, die immer wieder umgestellt wurden, bis die perfekte Positionierung gefunden war.24 Diese Arbeitsweise war für die institutionellen Kuratierenden schwierig, da sie Planungen wie die Reihenfolge der Objekte im Katalog erschwerten oder gar unmöglich machten. Grundrisse und Isometriepläne der Ausstellungen wurden häufig erst nach deren Einrichtung gezeichnet, sodass die Ausstellungskataloge erst nach der Eröffnung oder nach Ende der Ausstellung verfügbar waren. Hans Hollein konnte bei den Ausstellungen demnach viel freier als bei Architekturprojekten agieren und testete die Grenzen der Möglichkeiten der Inszenierung aus. Er war kompromisslos in der Umsetzung seiner Ideen. Um seine Vorstellungen zu realisieren, arbeitete er eng mit verschiedensten Handwerksbetrieben und spezialisierten Firmen zusammen. 23 24
Pedevilla, Erich: Interview 07.11.2019. Düriegl, Günter: Interview 22.01.2014; Pedevilla, Erich: Interview 07.11.2019.
V Die Ausstellungen im Spiegel seines Werkes
Sowohl bei der Recherche als auch bei Konzeption und Umsetzung ging er akribisch und gründlich vor und hatte hohe Ansprüche an Qualität und Perfektion.25 Das Neudenken der Konzeption und vor allem der Präsentation von Ausstellungen und die Erweiterung von deren Möglichkeiten standen im Zentrum seiner Ausstellungspraxis. Wenn Hollein seine Präsentationen räumlich über das Ausstellungsgebäude hinaus ausweitete, wurde diese Erweiterung auf den ersten Blick sichtbar. Aufgrund des temporären Charakters der Ausstellungen wurde ein Großteil der jeweiligen Ausstattung nach deren Ende entsorgt oder zur Wiederverwendung weiterverkauft. Nur wenige der von Hollein für die Ausstellungen entworfenen Objekte und Architekturen blieben erhalten. Einige dieser Objekte wurden als Kunstwerke in Museumssammlungen aufgenommen: Die Frustrationstüre mit den vielen Griffen aus der Austriennale befindet sich heute im Centre Pompidou in Paris, die goldene Miniatur der Freud-Couch aus Traum und Wirklichkeit verblieb in der Sammlung des Wien Museum und wurde als Dauerleihgabe an das Wiener Sigmund Freud Museum gegeben. Die Papier-Marmor-Skulptur aus der Ausstellung Papier ist Teil der Sammlung des mumok in Wien. Auch bei den künstlerischen Ausstellungen wurden Relikte als Kunstobjekte bewahrt. So wurden zwei der von Hollein für die Ausstellung Tod entworfenen Werke, die Leichenhemden und die zerbrochene und wieder zusammengesetzte Coca-Cola-Flasche, nach der Ausstellung vom Städtischen Museum Abteiberg angekauft. Der Kassettenkatalog besitzt als Multiple ebenfalls Sammlerwert. Auch wenn einige Objekte aus Holleins Ausstellungen Eingang in museale Sammlungen fanden, kann aufgrund von Holleins ideenbasierten und räumlich orientierten Ansatzes ihre ursprünglich intendierte Bedeutung nur im spezifischen Kontext der Ausstellung, für die sie gemacht wurden, verstanden werden. Außerhalb dieses Kontexts verlieren die Werke ihre originäre Bedeutung. Deutlich wird dies am Beispiel des Sezierwagens aus der Ausstellung auf der Venedig-Biennale 1972, der auf der documenta 6, ergänzt durch Entwurfszeichnungen und Collagen, zusammen mit anderen Kunstautos in der Sparte Utopisches Design ausgestellt wurde.26 Der Kurator Michael Maek-Gérard schrieb im Katalog dazu: Auf das Automobil als statistisch vorrangigstes Tötungsinstrument weist der »Wagen« des Wiener Künstler-Designers und Architekten Hans Hollein hin. […] Erst durch die thematische Eingliederung des bestürzenden Objektes in ein Konzept, das sich ausschließlich mit dem Automobil beschäftigt, kommt seine »ikonographische« Wirkung voll zur Geltung. In Venedig war es isoliert und betonte ledig-
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Hollein, Max: Interview 03.09.2020; auch z.B. Cladders sprach von Hollein als »Perfektionisten« vgl. Grasskamp 2004, S. 76. Schneckenburger, Manfred (Hg.): Documenta 6. Band 3, Ausst.-Kat., Kassel 1977, S. 286.
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Die Architektur der Inszenierung
lich den makaberen Aspekt der Arbeiten Holleins. Der denkmalhafte Charakter des Objekts kommt jetzt erst richtig zur Geltung.27 Maek-Gérard verdeutlichte mit diesem Statement, dass die einzelnen Werke und ihre ästhetischen Qualitäten in der Biennale-Ausstellung 1972 der Gesamtidee untergeordnet waren. Seine Meinung, dass das Werk ohne seinen ursprünglichen Ausstellungskontext besser zur Geltung kommen würde, ist jedoch subjektiv. Es fand eine Umdeutung durch den Kontext des Automobils statt, der in der Präsentation in Venedig nicht thematisiert wurde. Dort stand der Sezierwagen als Symbol für ein Transportmittel zur letzten Ruhestätte. Noch deutlicher wurde dieser Aspekt beim Fliesenstuhl, der ohne seine repetitive Aufstellung und Einbettung in die unterschiedlichen räumlichen Situationen der Biennale 1972 auf seine Form reduziert wurde. Eine Präsentation der Fliesenmöbel in der Hollein-Ausstellung 2014 im Museum Abteiberg in Mönchengladbach zeigte den Stuhl, den Tisch, das Bett und das Rechteck mit rotem Inhalt in einem der Ausstellungsräume, jedoch nicht in der ursprünglichen Anordnung. Auf sich selbst zurückgeworfen ohne die spezifische Atmosphäre, die durch die räumliche Anordnung und die Wechselwirkungen der Objekte mit der Architektur des Österreichischen Pavillons erzeugt wurde, wurden diese Relikte der Ausstellungen zu abstrakten Designobjekten, die wenig zur Rekonstruktion der Ausstellungen beitragen können. Nur in Kombination mit fotografischen Ausstellungsansichten können diese Relikte einen Eindruck der damaligen Präsentationssituationen geben. Wie auch für seine Architekturprojekte ließ Hans Hollein fast immer professionelle fotografische Dokumentationen der Ausstellungen durchführen. Auch bei MAN transFORMS war es ihm ein Anliegen, dass seine Ausstellung adäquat fotografisch dokumentiert wurde. Da Hollein die vom Cooper-Hewitt Museum beauftragte Dokumentation der Ausstellungsräume und Werke für ungenügend erachtete, beauftragte er eine weitere Fotodokumentation, für die er exakte Vorgaben zur Position und Ausrichtung der Kamera machte. Es war ihm auch wichtig, Installationsansichten und gezeichnete Pläne in die Ausstellungskataloge und Künstlerbücher zu integrieren. Die Fotografien unterstrichen zusammen mit den Künstlerbüchern den Werkcharakter der Schauen und ermöglichten die von Hans Hollein gewünschte Erweiterung der Ausstellung über den temporären Ausstellungsraum hinaus. Die Ausstellungskataloge für die Dokumentation der Ausstellungsgestaltung zu nutzen und diese dadurch als Werk festzuhalten, gelang jedoch nicht immer: Die Kataloge zu Selection 66 und Die Türken vor Wien geben keine Aufschlüsse über die räumliche Präsentation der Ausstellung und zu Papier erschien kein Katalog. Dies ist sicherlich auch ein Grund dafür, dass diese Ausstellungen bisher in der Forschung weniger thematisiert wurden.
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Maek-Gérard, Michael: Einführung in die Abteilung utopisches Design, in: Schneckenburger (Hg.): Documenta 6 Ausst.-Kat., Kassel 1977, S. 275.
V Die Ausstellungen im Spiegel seines Werkes
V.II
Stellenwert und Bedeutung im Gesamtwerk
In diesem Kapitel werden die Entwicklung des Stellenwertes und die Bedeutung der Ausstellungen für Hollein und sein Atelier im Zeitraum von 1960 bis in die 1980er Jahre aufgezeigt. Sein Schaffen im Ausstellungsbereich in dieser Zeit war ungewöhnlich vielfältig und umfasste neben den thematisierten Ausstellungen auch seine Tätigkeit als Regierungskommissär für die Venedig-Biennale. Er verantwortete von 1978 bis 1990 die Auswahl und Präsentation von Künstlerinnen und Künstlern im Österreichischen Pavillon.28 Im weiteren Sinne zählte zu seiner Tätigkeit im Ausstellungsbereich auch die Gestaltung von Messeständen und Firmenpräsentationen. Darüber hinaus wurde sein eigenes architektonisches und künstlerisches Schaffen in Ausstellungen weltweit gezeigt. Es existieren jedoch nur wenige allgemeine Äußerungen von Hans Hollein selbst, warum er sich so für Ausstellungen interessierte und derart intensiv im Ausstellungsbereich tätig war. In der Zeit, in der er Ausstellungen gestaltete, war es noch nicht üblich, über die Gestaltungskonzepte hinter der Ausstellungspräsentation zu sprechen. Während er in Interviews, Texten und Gesprächen ausführlich die Konzepte seiner Architektur erläuterte, wurde er erst mit zunehmendem Interesse an Ausstellungsgestaltung zu seinen Ausstellungen befragt.29 Im Interview mit seiner Tochter resümierte er 2009: »Zunächst einmal hat mich das Thema Ausstellung an sich interessiert, und ob das nun in den Bereich des Architekten fällt oder nicht, war für meinen Architekturbegriff uninteressant. Das hat einfach zu einem übergreifenden Denken geführt.«30 Schon früher sprach er davon, dass Ausstellungen für ihn als Experimentierfeld interessant seien, da es im Vergleich zu gebauter Architektur weniger Vorschriften und Einschränkungen gebe.31 Ausstellungen waren für ihn eine »Gelegenheit zur Demonstration komplexer, vielschichtiger Zusammenhänge, zum Experiment mit neuen Medien, zur Auseinandersetzung mit kurzlebigen Bauten und zur Konfrontation mit Menschen auf vielen Ebenen«.32 Wichtig war ihm der Kontakt zum Publikum über das Medium Ausstellung, das er auf unterschiedlichen Ebenen anzusprechen versuchte: »Ausstellungen sind für mich eben Arbeiten mit unterschiedlichen Medien, mit unterschiedlichen Vermittlungen, mit Themengruppen. Es geht darum, einen Dialog zwischen Besuchern und Ausstellung herzustellen und zu vertiefen.«33 Er war persönlich sehr an Ausstellungen und Kunst interessiert
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S. Sharp; Boesch 2013, S. 392–439. Obrist 2015; Hollein, Lilli 2011, S. 176–180. Hollein, Lilli 2011, S. 176. Hollein, Hans: The Rally 12/23 Celebrating the Art and Wit of Architecture, Vortrag Art Net London, 09.07.1976, Filmaufnahme. 01:51:14–01:51:41h. Hollein 1976,. o. S. Hollein, Lilli 2011, S. 178.
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Die Architektur der Inszenierung
und besuchte zeit seines Lebens häufig Museen und Ausstellungen im In- und Ausland. So gehörten die documenta und die Venedig-Biennale auch außerhalb von offiziellen Einladungen zum Pflichtprogramm.34 Über diese grundsätzliche Begeisterung für Ausstellungen hinaus hatte Hollein auch Gründe sich mit Ausstellungsgestaltungen zu beschäftigen, die mit der Entwicklung seines Werkes in Zusammenhang standen: In den 1960er und 1970er Jahren nutzte er Ausstellungen zunächst auch als Multiplikator und Möglichkeit der Manifestation. Außerdem etablierte er sich damit in den 1970er Jahren als Künstler. Ausstellungen waren vor allem in der Zeit vor seinen großen Erfolgen als Architekt ein wichtiger Bestandteil seines Schaffens. Auch wenn er lange nicht danach gefragt wurde, war ihm selbst die innovative Bedeutung seiner Ausstellungsgestaltungen bewusst: Selection 66 war für ihn ein Aufbruch, »eine neue Art über Ausstellungen zu denken« und der Katalog zur Austriennale war seiner Meinung nach aufgrund seines neuen Vermittlungsansatzes wichtig.35 MAN transFORMS hielt er wegen ihrer Erlebnishaftigkeit für neuartig.36 Die nachträgliche Dokumentation von MAN transFORMS und Traum und Wirklichkeit in Publikationen zeigt ebenfalls, dass Ausstellungen für ihn Projekte waren, denen er besondere Bedeutung zumaß. Letztere Ausstellung und Die Türken vor Wien waren für Hollein ebenfalls wesentliche Werke.37 Die Ausstellungen waren Plattform, experimentelles Feld und zugleich eine Möglichkeit Einkünfte zu erzielen. Diese Zusammenhänge werden in Kapitel V.II.I näher betrachtet. Kapitel V.II.II untersucht, wie Hollein Ausstellungen als Mittel der Demonstration seiner Architekturtheorie nutzte. Abschließend wird in Kapitel V.II.III erörtert, warum Hans Hollein seine Tätigkeit als szenografisch-künstlerischer Ausstellungsgestalter nach 1987 nicht mehr fortführte.
V.II.I
Ausstellungen als Manifestation und Multiplikator
Es wurde in Kapitel III.II bereits erwähnt, dass die Auftragslage für junge avantgardistische Architekturschaffende in Wien in den 1960er Jahren schwierig war. Daher kam Ausstellungssaufträgen besondere Bedeutung zu. Sie boten finanzielle Einkünfte sowie die Möglichkeit der Akquise von Folgeaufträgen und der visuellen Manifestation vor Publikum. So war auch Holleins finanzielle Situation zeitweise sehr angespannt, besonders vor der Verleihung des Reynolds Memorial Award für das Kerzengeschäft Retti:38 Dennoch übernahm er Aufträge häufig aus Interesse und war nicht allein darauf fokussiert, wie einträglich diese Projekte waren und ob sich
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Hollein, Lilli: Interview 06.11.2019. Hollein, Lilli 2011, S. 177. Ebd., S. 178. Hollein, Lilli: Interview 06.11.2019. Hollein, Lilli 2011, S. 172.
V Die Ausstellungen im Spiegel seines Werkes
der investierte Aufwand rechnete.39 In den 1960er Jahren waren die Gestaltung des Kerzengeschäftes Retti, der Boutique von Christa Metek in Wien und der Feigen Gallery in New York Holleins einzige Architekturaufträge. Auch in den 1970er Jahren führte er hauptsächlich kleinere Fassaden- und Innenraumgestaltungen für Shops und Repräsentationsräume aus. Erst seit Mitte der 1970er erhielt er umfangreichere Aufträge, darunter die Gestaltung des Museums für Glas- und Keramik in Teheran und der Österreichischen Verkehrsbüros in Wien. Wegen dieser schwierigen Auftragslage waren Ausstellungsaufträge von Firmen und staatlichen Einrichtungen für Hollein vor allem in den 1960er und 1970er Jahren zusätzliche Einkommensquellen. Zugleich wurde er ein sehr geschickter Netzwerker und Inszenator seiner Person und seines Werkes. Ausstellungen nutzte er als Möglichkeit, einem breiten Publikum bekannt zu werden. Besondere Bedeutung kam dabei den von ihm mit großer Sorgfalt gestalteten Ausstellungskatalogen zu, worüber er sagte: »I’ve always seen the medium of writing about exhibitions and catalogues as an important multiplier.«40 Erstaunlicherweise führten besonders Holleins künstlerische Manifestationen zu Folgeaufträgen in verschiedenen Bereichen: Seine erste Ausstellung Architektur 1963 hatte gleich mehrere positive Folgen für ihn: So erhielt er durch Vermittlung von Oswald Oberhuber den Auftrag das Kerzengeschäft Retti zu bauen.41 Den Katalog zur Ausstellung schickte Hollein an seine Kontakte in den USA. Dies führte unter anderem zum Ankauf einiger der Zeichnungen, Collagen und skulpturalen Arbeiten Holleins durch das MoMA, die 1967 in einer Ausstellung gezeigt wurden.42 Verbunden mit dem Katalog und über die Vermittlung von Joseph Esherick, seinem Lehrer in Berkeley, erhielt Hollein außerdem noch im selben Jahr seinen ersten Lehrauftrag an der Washington University in Saint Louis. Peter Noever berichtete, dass ihn die Architekturausstellung 1963 so beeindruckt habe, dass er zusammen mit Hollein Selection 66 machen wollte.43 Die zunehmende Bekanntheit von Holleins Transformations-Collagen in den USA führte auch zu einer Einladung zur Gruppenausstellung Macrostructures 1967 in der Feigen Gallery New York.44 Dort knüpfte Hollein wiederum den Kontakt zu deren Inhaber Richard Feigen, der ihn daraufhin mit der
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Hollein, Max: Interview 03.09.2020; Steiner, Dietmar: HOLLEIN – Die Skizze eines Namens, in: Düriegl; Steiner; et al. (Hg.): Hans Hollein. Historisches Museum der Stadt Wien Ausst.Kat., Wien 1995, S. 22. Obrist 2015, o. S. Hollein, Lilli 2011, S. 172. Raimund Abraham, Hans Hollein, Walter Pichler: Architectural Fantasies: Drawings from the Museum Collection, 27.07.1967-12.02.1968, MoMA. Noever, Peter: Interview 05.11.2019. Macrostructures/Visionary Architecture, Gruppenausstellung u.a. mit Christo, Frei Otto, Buckminster Fuller, Claes Oldenburg, 1967, Richard Feigen Gallery New York.
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Die Architektur der Inszenierung
Gestaltung seiner neuen Galerie beauftragte.45 Die Konzeptausstellung Tod kann außerdem im Kontext der weiteren historischen Entwicklungen als seine Bewerbung für den Entwurf des neuen Museums in Mönchengladbach verstanden werden. Das Museum Abteiberg war Holleins erstes Bauprojekt. Auch Auftragsausstellungen hatten weitere Aufträge zur Folge: Die von Hollein für die Austriennale entworfene Österreich-Brille war ein solcher Erfolg, dass sich die amerikanische Warenhauskette Macy’s interessiert zeigte, die Brille in Serie zu produzieren und zu vertreiben.46 Anschließend an die Österreich-Show wurde Hollein auch mehrfach beauftragt Unternehmenserscheinungsbilder zu entwickeln. Kunden waren die Kreditinstitute IOS 1969 und Deutsche Bank 1973 sowie die Österreichischen Verkehrsbüros 1976–1979.47 Diese ausgewählten Beispiele zeigen, dass die Ausstellungen selbst und auch die dazugehörigen Kataloge und die Presseberichterstattung wichtige Möglichkeiten für Hollein darstellten, um bekannter zu werden und weitere Aufträge zu generieren. Zunächst hatte er im Ausstellungsbereich mit MAN transFORMS, über die vor allem im deutsch- und englischsprachigen Raum berichtet wurde, früher größere Erfolge denn als bauender Architekt. Auch in seiner Heimatstadt Wien wurde er der breiten Öffentlichkeit mit den Ausstellungen Die Türken vor Wien und Traum und Wirklichkeit bekannt, bevor er in den 1990er Jahren das Haas-Haus im Stadtzentrum bauen durfte. Wie bei Traum und Wirklichkeit gezeigt wurde, wurden Holleins Projekte oft kontrovers diskutiert und bestimmten vor allem in den 1980er Jahren viele Wiener Kulturdebatten. In der Kunst konnte er ebenfalls schnell beachtliche Erfolge aufweisen. Nachdem er Ende der 1950er und Anfang der 1960er mit klassischen Medien wie Skulptur, Zeichnung und Collage experimentiert hatte, die schon in seinen jungen Jahren im MoMA gezeigt wurden, wandte er sich in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre verstärkt ausstellungs- und installationsbasierter Kunst zu und etablierte sich in diesem Bereich in den 1970er Jahren. So wurde er als bildender Künstler zu renommierten Ausstellungen im In- und Ausland eingeladen. Mit 37 Jahren hatte er seine erste Einzelausstellung in Mönchengladbach und nur zwei Jahre später vertrat er Österreich als Künstler auf der Biennale in Venedig. Außerdem war er, noch bevor er in den 1980er als Architekt sehr bekannt wurde, 1977 an der documenta 6 beteiligt.
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Obrist 2015, o. S. Neumann, Fritz; R.H. Macy & Co.: Brief an Hans Hollein, 01.08.1968 (Typoskript), HN-031015-Dok, Archiv Hans Hollein, Az W, Wien; Hollein, Hans: Brief an Paul. J. Smith, Museum of Contemporary Crafts New York, 25.03.1969 (Typoskript; Buntstift), HN-031-013-Dok, Archiv Hans Hollein, Az W, Wien. Abb. Deutsche Bank s. Nakamura 1985, S. 212–213; Korn; Kuehn; et al. 2015, S. 134–135.
V Die Ausstellungen im Spiegel seines Werkes
V.II.II
Ausstellungen und Architekturtheorie
Vor allem in den 1960er Jahren und Anfang der 1970er Jahre, in denen Hans Hollein als Architekt nur Aufträge für kleine Läden und Präsentationsräume erhielt, waren Ausstellungen eine Plattform, die er geschickt nutzte. Ausstellungen waren ihm nicht nur, wie im vorangegangenen Kapitel dargelegt, dienlich, um Aufmerksamkeit und Aufträge zu generieren, sondern auch um Überlegungen seines Architekturkonzeptes zu visualisieren. So stellte schon seine erste Ausstellung in Berkeley 1960 für ihn eine Ausweitung dar, die demonstrieren sollte, »dass Kunst und Architektur ineinander übergehen.«48 Daran anknüpfend plädierte Hans Hollein ab Anfang der 60er Jahre für eine Erweiterung der Handlungsfelder der Architektur und setzte diese in seinem Werk um, indem er sich sowohl als Künstler als auch als Architekt und Designer einen Namen machte. Für seine Ausstellungen nutzte er nicht nur seine Erfahrungen aus verschiedenen Sparten und verband sie zu einer gesamtheitlichen Konzeption und Gestaltung, sondern brachte darin auch konkretere Überlegungen seines Architekturverständnisses zur Anschauung. Wie Hollein mithilfe der frühen Ausstellungen Space in Space in Space und Architektur seine Theorie zur Architektur darlegte, wurde bereits in Kapitel III erläutert. Auch Holleins nicht primär auf Architektur bezogene Ausstellungen hatten Bezüge zu seiner Architekturtheorie. Mit dem Gestaltungsauftrag für Selection 66 bot sich für Hollein die Gelegenheit eigene theoretische Überlegungen visuell umzusetzen. Hollein beschäftigte sich Ende der 1950er und Anfang der 1960er intensiv mit dem Thema Städtebau und sah die Inneneinrichtung als Teil der Stadtgestaltung an.49 Im Katalog zur Ausstellung schrieb er, dass er in der Schau zeigen wolle, dass Möbel »Ausgangspunkt einer Idee über Umwelt« und Stühle zugleich städtebauliche Konzepte seien, also eine über ihre Funktion weit hinausgehende Bedeutung hätten.50 Ähnliche Gedanken zum Stuhl als Leitbild einer neuen Stadt äußerte er bereits 1965 in seinem Text Zukunft der Architektur, in dem er schrieb, dass ein Großteil der Architekten blind sei und die Verheißung der Stadt der Zukunft nicht erkannt habe: Sie [die Architekten] hätten auch gesehen, daß Städtebau und städtebauliche Vision und Idee schon beim Stuhl beginnt, daß in den Stühlen und Häusern einiger großer Architekten bereits Leitbilder einer neuen Stadt vorhanden sind, einer Stadt der Zukunft, die eigentlich die Stadt von heute sein sollte.51 In Selection 66 präsentierte er, an frühere Überlegungen anknüpfend, die Stühle auch als metaphorische Stadtmodelle. Sie ähnelten formal seinen vernetzten Stadtmo-
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Hollein, Lilli 2011, S. 178. Vgl. hierzu auch: Schmidt-Felber 2002. Hollein, in: Erben; Noever 1966. o. S. Hollein 1965, S. 10.
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Die Architektur der Inszenierung
dellen aus der Ausstellung Architektur, die Städte als dreidimensionale und dynamische Kommunikationsmaschinen darstellten.52 Mit der Kombination zweier funktionaler Stühle von Marcel Breuer mit bunten Plexiglaselementen zu einer schwebenden Skulptur schien er zugleich eine Aktualisierung oder ironische Hinterfragung der Moderne vorzunehmen. Am deutlichsten wurde der Bezug zwischen Architektur und Möbeln bei der Diaschau in der Ausstellung, die anhand der assoziativen Bildzusammenstellung die Vielfalt architektonischer Äußerungen im Sinne von »Alles ist Architektur« zeigte: Neben Möbeln waren moderne Städte, aber auch Autos und Raumanzüge zu sehen. Bei der Austriennale demonstrierte Hollein unter anderem die Idee der Schaffung künstlicher Realität mittels Raumgestaltung und physischen Mitteln wie Temperatur, Licht und Gerüchen. Dies stand ebenfalls in engem Zusammenhang mit Alles ist Architektur, worin er im selben Jahr schrieb: Wenig Versuche wurden jedoch gemacht, mit anderen als physischen Mitteln (etwa Licht, Temperatur, Geruch) unsere Umwelt zu definieren, Raum zu bestimmen. […] Schließlich sind praktisch überhaupt keine Untersuchungen für die gezielte Verwendung von Chemikalien und Drogen sowohl zur Kontrolle der Körpertemperaturen und Körperfunktionen, als auch zur artifiziellen Schaffung einer Umwelt angestellt worden. Architekten müssen aufhören, nur in Materialien zu denken.53 Parallel zu seinen in Kapitel III.III dargestellten medialen Erweiterungskonzepten von Architektur entwickelte Hollein um 1968 Ideen, um gebaute Architektur gänzlich abzuschaffen. Durch Gerüche oder Medikamente sollten virtuelle Räume im Kopf entstehen. Zwei in der Bildstrecke von Alles ist Architektur gezeigte Ideen, welche die Erweiterung der Architektur auf die Spitze trieben, tauchten auch in der Austriennale auf:54 das Svobodair-Raumspray und die im Katalog abgebildete rotschwarze Architekturpille aus dem Nonphysical Environmental Control Kit, durch den Hollein die Idee beschrieb, mit Medikamenten die Raumwahrnehmung zu verändern.55 Bei den Kunstausstellungen der frühen 1970er Jahre zeigte er vor allem Zusammenhänge zwischen Architektur und Ritual auf. Die von ihm dafür geschaffenen Werke waren zugleich singuläre Kunstobjekte und räumlich-bauliche Konzeptionen.56 Neben den rituellen Aspekten von Architektur wollte er in der Ausstellung
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Hollein 1965, S. 9. Hollein 1968a, S. 2. Ebd., S. 16. Das Svobodair-Spray taucht im Werbeteil ohne Seitenzahlen auf. Die Form der Pille griff Hollein auch in seiner Gestaltung wieder auf und ließ die Gäste durch einen Durchgang in dieser Form den Raum mit Produkten betreten. Hollein, Lilli 2011, S. 180.
V Die Ausstellungen im Spiegel seines Werkes
Tod, die den Untertitel Alles ist Architektur trug, zeigen, so Cladders in seiner Eröffnungsrede, dass Architektur nicht nur materiell Gebautes sein müsse, sondern dass auch geistige Räume bereits Architektur seien.57 Cladders zitierte Hollein mit den Worten: »Der Mensch hat ein Gehirn. Seine Sinne sind die Grundlage zur Wahrnehmung der Umwelt. Medien der Definition, der Festlegung einer (jeweils gewünschten) Umwelt beruhen auf der Verlängerung dieser Sinne.«58 Nur aus dieser sinnlichen Wahrnehmung der Umwelt heraus konnte nach Holleins Meinung materielle Gestaltung erwachsen. Durch die Todesmetaphern versuchte Hollein, dieses Konzept der erweiterten, sinnlich wahrnehmbaren Architektur erlebbar zu machen. Auf einer Fotografie ist außerdem zu sehen, dass auf dem Tisch neben dem Krankenbett im Flur eine Flasche Svobodair-Raumspray stand59 , womit Hollein wie bei der Austriennale die Definition von Räumen durch Gerüche thematisierte. Auch in Holleins Ausstellung auf der Biennale 1972 manifestierte sich seine Beschäftigung mit essentiellen menschlichen Themen als Grundlage seines Architekturverständnisses, bei dem die erotisch-sinnliche und rituelle Komponente von Architektur im Gegensatz zum sterilen Funktionalismus eine wichtige Rolle spielte.60 Durch den Ausstellungskatalog wurde die Nähe der Schau zu Holleins Architekturverständnis verdeutlicht. In seinem Text im Katalog setzte der Regierungskommissär Wilfried Skreiner die Ausstellung in Bezug zu Holleins Manifest Alles ist Architektur und unterstrich damit die enge Verbindung der Ausstellung zu Holleins Architekturtheorie, was durch die Bildstrecke mit ausgewählten Ausstellungs- und Architekturprojekten illustriert wurde. Neben der Bedeutung der Rituale für den Menschen hob Skreiner den zuvor bereits thematisierten Aspekt hervor, dass Hollein keine Trennlinie zwischen Kunst und Architektur ziehe, weshalb in seinem Werk beide Disziplinen miteinander verflochten seien: »So ist alles Architektur im weiten und Kunst im engen Sinn«.61 Hollein selbst schrieb über den Zusammenhang der Ausstellung mit seiner Architekturtheorie: »The performance of sacrificial rites and the erection or nomination of sacred places are one of the prime occupations of man.«62 Einzelne Arrangements wie der in beiden Ausstellungen vorkommende Kettenraum können auch im Kontext der Architekturtheorie verstanden werden: Der Kettenraum erinnerte formal an die Urhütte, die ursprünglichste Form der Architektur. Indem Hollein darin eine abstrakte Reli-
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Cladders, in: Cladders; Hollein 1970. o. S. Hollein 1968a, S. 2. Kaiser, Ruth: Aufnahmen der Ausstellung Tod, 1970 (S-W-Fotografie), 810–1, Archiv Museum Abteiberg, Mönchengladbach. Hollein 1977, S. 231–233. Hollein; Skreiner 1972. o. S. Hollein 1972, S. 192.
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Die Architektur der Inszenierung
quie platzierte, versinnbildlichte er seine These, dass der Ursprung der Architektur sakral sei.63 Bei MAN transFORMS erweiterte Hollein seine Thesen aus Alles ist Architektur auf Design in Form von Umweltgestaltung. Design begriff er dabei wie Architektur als menschliches Grundbedürfnis: »Design, the process, and design, the product, encompass practically any aspect of life. Design can be urban design or architectural design or product design or dressmaking, but it can also be cooking or singing or making war or making love.«64 In der Ausstellung demonstrierte er an verschiedenen Stellen seine daraus abgeleitete These, dass alle menschlichen Tätigkeiten zwei Zielrichtungen haben: Sicherung des physischen Lebens und Vorsorge für ein Weiterleben nach dem Tod.65 Hans Hollein erläuterte dies in verschiedenen Zusammenhängen an zwei Extrembeispielen – er schrieb über ein Südseevolk: Given an environmental condition, where man has not to make any effort to procure food and to maintain his body temperature, all he does is to keep his body – and its parts – mobile. His further concerns will be primarily sociological rather than technological. His manifestations will be procreative and cultic, ritual.66 Am Beispiel der Inuit erläuterte er: On the other hand, in conditions where survival is the prime concern, design measures will have a definite emphasis on specific technologies and techniques; social and religious concerns will be only taken into account as far as the human being regards them important for his survival.67 Die Lebensweise der Inuit war für ihn das Beispiel par excellence für die Nutzung von Design zum Überleben, was er in der Ausstellung durch die Iglu-Installation darstellte. Das Thema der Rituale präsentierte er ebenfalls an verschiedenen Stellen. Unter anderem indem er einen eigenen Raum für die Präsentation der Krokodilmumie wählte, die das Überleben nach dem Tod symbolisierte, und dieses Thema dadurch hervorhob. Mit der Ausstellung wollte er zeigen, »daß Design der menschlichen Tätigkeit und Kreativität zugrundeliegt [sic!], daß alle unsere Bestrebungen von ›Design‹ bestimmt werden.«68 Die amerikanische Architekturhistorikerin Elizabeth Keslacy kam in ihrem Vergleich der in Alles ist Architektur und
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Hollein 1969, S. 6; vgl. a. Schmidt-Felber 2002, S. 236–237. Hollein, Hans: General Concept for an Exhibition »DESIGN«, 17.06.1974 (Typoskript), Projekt Nr. 87, Auswahl für MAN transFORMS: Die Dokumente, Mappe »Raum 1 Konzept«, Privatarchiv Hollein, Wien, S. 1. Nelson; Hollein 1976, S. 12. Ebd. Ebd. Hollein 1989, S. 17.
V Die Ausstellungen im Spiegel seines Werkes
MAN transFORMS dargelegten Theorien zu dem Schluss, dass Hollein die Ausstellung nutzte, um seine Thesen der 1960er zu überdenken.69 Ihrer Ansicht nach gab er in der Ausstellung seine Forderung nach einem autonomen Universalitätsanspruch der Architektur auf und ordnete sie dem Design als eine der Formen von Gestaltung unter.70 Zugleich stellte er das »form follows function«-Prinzip der Moderne in der Installation von Broten und Sternen infrage, deren Formgebung laut Hollein nicht durch Funktion, sondern von rituellen Aspekten oder gar der menschlichen Fantasie bestimmt sei.71 Bei MAN transFORMS war demnach ein verstärkter Fokus auf Designtheorien zu beobachten, die durch die Ausstellung vermittelt werden sollten. Laut Keslacy hob Hollein in der Ausstellung die Gemeinsamkeiten und Kontinuitäten von Architektur und anderen Formen von Gestaltung hervor, um dem nicht fachkundigen Publikum näherzubringen, dass jeder auch im Alltag Design schaffe. Zugleich wollte er dem breiten Publikum Architektur zugänglicher machen, denn trotz des Hauptthemas des Designs waren die Installationen, die in der Mehrzahl von Architekten entworfen wurden, von deren architektonischem Raum- und Formverständnis durchdrungen.72 Die Übergänge zwischen Design und Architektur wurden in der Ausstellung verwischt, unter anderem indem Hollein Modelle von Zelten als einfache Behausungen mit alltäglichen Gegenständen aus Stoff kombinierte. Während sich Alles ist Architektur vornehmlich an Architekturschaffende und Fachleute richtete, war die Botschaft von MAN transFORMS für ein breites Publikum gedacht.73 Gianni Pettena wies außerdem darauf hin, dass diese Designausstellung Holleins letzte große grundlegende Theoretisierung war.74 In der Tat handelten die darauffolgenden kulturhistorischen Auftragsausstellungen und die wenigen Texte, die nach 1976 erschienen, nicht mehr von allumfassenden Bestimmungen von Design und Architektur. Dennoch wiesen auch die späteren Ausstellungen Bezüge zu seiner Architekturtheorie auf. So projektierte Hollein in seiner Zeichnung IBM Skyscraper über dem Künstlerhaus von 1964 bereits die Erweiterung des Künstlerhausgebäudes durch ein aufgesetztes Hochhaus.75 In einem 2003 gehaltenen Vortrag brachte Hollein seine Intervention am Künstlerhaus außerdem in Zusammenhang mit seiner seit Kindertagen vorhandenen Faszination für das Wiener Schloss Belvedere:
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Keslacy 2015, S. 242. Ebd., S. 244–245. Hollein 1989, S. 44–46. Keslacy 2015, S. 243. Ebd., S. 245. Pettena 1988, S. 65. Die Zeichnung ist Teil der Sammlung der Generali Foundation und befindet sich als Dauerleihgabe im Museum der Moderne Salzburg.
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Ich habe oben auf das Künstlerhaus ein Türkenzelt gesetzt. Aber dann habe ich dieses noch einmal, sozusagen mit einem urbanen Maßstab-Sprung, wieder zu einem noch größeren Zelt gemacht, sodass das eigentliche Zelt nur noch die Krönung eines größeren Zeltes war. Das ist eine urbane Intervention, wie sie schon im Belvedere angeklungen war.76 Hollein spielte darauf an, dass die Dächer des von Lucas von Hildebrandt Anfang des 18. Jahrhunderts errichteten Belvedere als Verweis auf türkische Zelte verstanden werden konnten, da dessen Erbauer Prinz Eugen von Savoyen ein großer Feldherr in den Türkenkriegen war. Für Hollein war das Belvedere ein Beispiel für die von Robert Venturi geführte Diskussion des »decorated shed«, einem funktionalistisch entworfenen Gebäude, dem zusätzliches Ornament angefügt wurde. In Anlehnung daran verwandelte er das Wiener Künstlerhaus in einen solchen dekorierten Schuppen.77 Der Architekturhistoriker Kenneth Frampton hatte schon 1985 auf den Bezug der gestalteten Fassade zur auf der anderen Seite befindlichen Straßenbahnstation am Karlsplatz aus dem Jahr 1899 von Otto Wagner hingewiesen.78 Die Kunsthistorikerin Ruth Hanisch sah darin wiederum einen Zusammenhang zu Gottfried Sempers Bekleidungstheorie. Sie vertrat den Standpunkt, dass Holleins ihrer Meinung nach vordergründig zirkushafte Kulisse in gedanklichem Zusammenhang mit österreichischen und internationalen Architekturfragen vom Barock bis in die Postmoderne und der städtebaulichen Gestaltung des Karlsplatzes stehe.79 Auch in den Rauminstallationen der 1980er beschäftigte sich Hollein mit Architekturtheorie, besonders deutlich erkennbar bei Die Turnstunde, die ihren Fokus auf die erotisch-sinnliche Komponente von Architektur legte. 1967 schrieb er in seinem Text Erotische Architektur: »Erotische Architektur sollte aber gar nicht ›aussehen‹ – sie müsste erfahren werden mit allen Sinnen – wie eine Frau.«80 Auch die Bilder zu seinem Manifest Alles ist Architektur zeigten mehrere der Werbung entlehnte Fotografien von attraktiven Frauen in erotischen Posen.81 Erotik führte er auf menschliche Grundbedürfnisse zurück und sah sie zugleich als Teil der Populärkultur. Die Turnstunde stellte eine Auseinandersetzung mit allgemeinen menschlichen Situationen
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Hollein 2004, S. 67. Ebd; vgl. Venturi, Robert; Scott Brown, Denise; et al.: Learning from Las Vegas: the forgotten symbolism of architectural form, Cambridge 1977. Frampton, Kenneth: Meditations on an Aircraft Carrier: Holleins Mönchengladbach, in: Nakamura 1985, S. 142. Hanisch, Ruth: »Keep Your Hands Off Modern Architecture«: Hans Hollein and History as Critique in Cold War Vienna, in: Moravánszky; Lange (Hg.): Re-Framing Identities, Basel 2017, S. 218–219. Hollein 1977, S. 233. (Text von 1967, gedruckt 1977). Hollein 1968a, S. 6–7, 17.
V Die Ausstellungen im Spiegel seines Werkes
und kulturellen und kultischen Archetypen dar. Zugleich war sie eine spezifische Beschäftigung mit Holleins eigenem Werk und seiner Architekturtheorie. So schrieb er im Ausstellungskatalog: Die menschliche Figur wird Vehikel grundlegender Haltungen, die Symmetrie des Körpers kultische und rituelle Mitteilung. Erotik und Sinnlichkeit werden (auch in den begleitenden Zeichnungen der Ausstellung), auf grundsätzlichen Präsenzen und Präsentationen des weiblichen Körpers aufgebaut, zu sakralen Dimensionen.82 Holleins Installation Das letzte Abendmahl stand ebenfalls mit seiner Architekturtheorie in Zusammenhang: Meine Kurzdefinition von Architektur lautet: Architektur muß sich zwischen zwei Polen ansiedeln. Auf der einen Seite dient sie der Erhaltung der Körperwärme, auf der anderen Seite ist sie eine rituelle, kultische Angelegenheit. Ich glaube, daß auch das Essen in ähnlich verdichteter Form […] dieses Prinzip beinhaltet, das eigentlich zu jeder menschlichen, zivilisatorischen und kulturellen Manifestation gehört.83 Die kultische Dimension des Essens demonstrierte Hollein mit dem Sinnbild des letzten Abendmahls, das die Idee des Lebens und Überlebens gleichermaßen beinhaltet. Die vorangegangenen Beispiele zeigen, dass insbesondere die Ausstellungen der 1960er und 1970er Jahre und die künstlerischen Ausstellungen in Zusammenhang mit Holleins Architekturtheorie standen. Neben dem spartenübergreifenden Ansatz, den Hollein in allen Ausstellungen umsetzte, stellte er den Funktionalismus in Architektur und Design infrage. Außerdem zeigte er die sakralen und erotischen Dimensionen von Umweltgestaltung auf, wie er es in seinen Texten der 1960er getan hatte und in Alles ist Architektur zusammenfasste. Hans Hollein nutzte die Ausstellungen somit auch als Werkzeug und Medium der Theoriebildung sowie -demonstration, auch wenn dies vermutlich für die Mehrzahl des Publikums nicht offensichtlich wurde. Um diese Assoziationsebene zu erfassen, waren Kenntnisse von Holleins übrigem Werk oder von seinen Schriften notwendig.
V.II.III Ende der szenografisch-künstlerischen Ausstellungen Wie in den Kapiteln zuvor dargelegt, hatten Ausstellungen für Hans Hollein in den 1960er und 1970er Jahren sowie in den frühen 1980ern wirtschaftliche Bedeutung als
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Hollein: Die Turnstunde, in: Flemming; Hollein 1984. o. S. Hollein 1981, S. 32.
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Die Architektur der Inszenierung
monetäres Projekt und Visitenkarte für neue Aufträge. Zudem waren sie eine Plattform für die implizite Darstellung seiner Architekturtheorie. Neben diesen praktischen Überlegungen hatte Hollein ein großes Interesse an Ausstellungen und war ein begeisterter Ausstellungsmacher. Mit zunehmendem Erfolg in der Architektur wurde es jedoch schwieriger für ihn, Ausstellungen in der bisherigen Art und Weise weiterhin zu realisieren. Nachdem er bereits als Kurator, Ausstellungsgestalter und Künstler beachtliche Erfolge erzielt hatte, wurde Hans Hollein in den 1980er Jahren als Architekt national und international bekannt. Sein 1982 eingeweihtes Museum Abteiberg in Mönchengladbach erhielt große Aufmerksamkeit. Nach Fertigstellung dieses Museums folgten weitere große Bauaufträge wie das Museum für moderne Kunst in Frankfurt. In den 1980er Jahren nahm Holleins Erfolg und der Umfang seiner Aufträge als Architekt immer stärker zu, während zunächst auch die Ausstellungsprojekte immer noch größer und arbeitsintensiver wurden. Traum und Wirklichkeit beanspruchte zeitweise das gesamte Team seines Ateliers.84 Dass Hans Hollein danach kaum noch im Bereich der Ausstellungsgestaltung tätig war, ist hauptsächlich dem zunehmenden Ruhm und den damit verbundenen großen Bauaufträgen zuzuschreiben. Durch die Verleihung des Pritzker-Preises erhielt Holleins Atelier einen großen Internationalisierungsschub. In den 1990ern wurden neben dem Haas-Haus vier weitere Bauten unter anderem in Deutschland und Spanien fertiggestellt. Viele Gebäude, die in den 2000er Jahren vollendet wurden, wie das Vulcania-Museum in Frankreich waren in dieser Zeit in Planung. Eine solch hohe Anzahl an Bauprojekten hatte es zuvor nicht gegeben. Die vermehrte Bauaktivität ließ die Ausstellungstätigkeit in den Hintergrund treten – zumal Hollein in einem Interview erklärte, dass die Konzeption und Gestaltung einer Ausstellung, wie er sie realisierte, sehr aufwendig seien: Setting up an exhibition takes more effort than doing a skyscraper! If you just divide and delegate all the tasks, it’s difficult to have a compact and convincing atmosphere. But if – even though with great difficulty – you intertwine everything, you produce a further and more innovative experience.85 Den großen Aufwand für die Konzeption, Organisation und Gestaltung von Ausstellungen, konnte er, der gerne alle Details eines Projektes selbst überwachen und bestimmen wollte, neben den Bauprojekten nicht mehr aufbringen.86 Außerdem waren Bauaufträge einträglicher und eine bleibende Manifestation im Gegensatz zu temporären Ausstellungen. Auch die künstlerischen Rauminstallationen wurden ab Ende der 1980er zunächst nicht mehr fortgeführt. Erst in den 2000er Jahren entwarf er nochmals 84 85 86
Pedevilla, Erich: Interview 07.11.2019. Interview Hollein, in: Capezzuto; Obrist; et al. 2004, S. 47. Feuerstein 1988, S. 239.
V Die Ausstellungen im Spiegel seines Werkes
fünf weitere raumgreifende Arbeiten als Beiträge zur Venedig-Biennale oder thematischen Gruppenausstellungen: eine schwimmende Plattform mit dem Titel Zen Garden – Rio Anji, ein Beitrag zur Ausstellung Absolut Originals in Form einer riesigen aufblasbaren Vodka-Flasche mit venezianischer Gondel, ein vergoldeter Waggon betitelt Das goldene Kalb, ein dreidimensionaler Flugzeugträger sowie aufeinander gestapelte VW-Käfer als Car Sculpture.87 Diese späten skulpturalen Installationen griffen hauptsächlich Ideen von Zeichnungen und Collagen aus den 1960er Jahren wieder auf und entwickelten sie im großen Maßstab dreidimensional weiter. Die Gesamtinszenierung und die dadurch entstandene besondere räumliche Atmosphäre, die eines der wichtigsten Kennzeichen der künstlerischen Rauminstallationen der 1970er und 1980er Jahre war, fehlte diesen monumentalen Spätwerken, die im Feld der Skulptur im öffentlichen Raum einzuordnen sind und in ihrer Konzeption und Gestaltung eine besondere Nähe zur Pop-Art aufwiesen. Im Bereich der künstlerischen Installationen und Ausstellungsgestaltungen markierte das Jahr 1987 mit Metaphern und Metamorphosen einen Endpunkt. Danach erfolgte bei Hollein eine stärkere Fokussierung auf gebaute Architektur. 1990 gab er auch seine seit 1978 andauernde Tätigkeit als Regierungskommissär bei der Kunstbiennale in Venedig auf und trat dafür im Kontext der Architekturbiennale vermehrt in Erscheinung. 1991 und 2000 war er Regierungskommissär des Österreichischen Pavillons auf der Architekturbiennale in Venedig.88 Außerdem verantwortete er 1996 die 6. Architekturbiennale mit dem Titel Sensing the Future – The Architect as Seismograph als erster nicht-italienischer Direktor und konzipierte und gestaltete die Hauptausstellung.89 Darüber hinaus kuratierte Hans Hollein zwei Ausstellungen über das österreichische Kunst-, Architektur- und Kulturschaffen 2001 in Shanghai und über skulpturale Architektur aus Österreich 2006 in Peking.90 Ebenso war er eng beteiligt an den Präsentationen seines eigenen Werkes 1995 in Wien und 2011 in Graz. Obwohl auch diesen Ausstellungen Holleins Gefühl für räumliche
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Abb. s. Weibel 2011a, S. 131–137. Hollein, Hans (Hg.): 13 Austrian Positions. International Exhibition of Architecture, V. Architekturbiennale Venedig, Österreichischer Pavillon Ausst.-Kat., Klagenfurt 1991; Hollein, Hans (Hg.): Area of tolerance. For peace and freedom of the arts, against racism and xenophobia, VII. Architekturbiennale Venedig, Österreichischer Pavillon Ausst.-Kat., Klagenfurt 2001. Hollein, Hans; Prandi, Alberto (Hg.): Sensing the future. The architect as seismograph, VI. Architekturbiennale Venedig Ausst.-Kat., Venedig; Mailand 1996; s.a. Steiner, Dietmar: What is an Architecture Biennale? Dietmar Steiner talks to Hans Hollein, Domus, Nr. 788 (1996), S. 4–7; Abb. s. Weibel 2011a, S. 158. Hollein, Hans (Hg.): Austrian Contemporary Art, Architecture and Design. Shanghai Art Museum Ausst.-Kat., Wien 2001. Hollein, Hans; Jussel, Eva (Hg.): Sculptural architecture in Austria. National Art Museum of China Peking; Guangdong Museum of Art Guangzhou Ausst.Kat., Salzburg 2006.
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Die Architektur der Inszenierung
Strukturierungen und Inszenierungen sowie ästhetische und anschauliche Präsentationen, die bis in die Details durchkomponiert waren, zu eigen war, verzichtete er weitgehend auf szenografisch-künstlerische Inszenierungen der gezeigten Werke. Weniger die Gestaltung als das kuratorische Konzept stand bei diesen Schauen im Vordergrund.91 Wie es für die Präsentationen seines eigenen Werkes bereits festgestellt wurde, griff Hans Hollein auch für Ausstellungen der Werke zeitgenössischer Kunst- und Architekturschaffender auf klassischere museale Präsentationsstrategien zurück. Im Vergleich zu den szenografisch-künstlerischen Ausstellungen waren diese daher nüchterner und zurückhaltender gestaltet. Stattdessen trat Hans Hollein hier als Experte für die zeitgenössische Kunst- und Architekturszene hervor und bot vor allem der jüngeren Generation eine Plattform. Neben seiner verstärkten Bautätigkeit ist auch denkbar, dass Veränderungen im Ausstellungswesen wie die vermehrte Kritik an inszenierten Ausstellungen und die Kürzung finanzieller Mittel nach dem Museumsboom in den 1980ern ebenfalls eine Rolle dabei spielten, dass Hans Hollein die szenografisch-künstlerischen Ausstellungsinszenierungen danach nicht fortführte. Während Hollein 1968 in Alles ist Architektur gefordert hatte, »Architekten müssen aufhören, nur in Bauwerken zu denken.«, bestimmten Bauwerke ab den 1980er Jahren weitgehend sein Schaffen.92 Projekte im Ausstellungsbereich, in der Kunst und im Design gingen zurück, weil er sich auf seine Architekturprojekte konzentrierte und in den anderen Bereichen weniger Aufträge annahm.
V.III Vernetztes Denken und multidisziplinäres Schaffen Prägendes Kennzeichen von Holleins Schaffen war sein spartenübergreifender Ansatz, in dem Architektur, Kunst, Design und Ausstellungen vernetzt gedacht wurden: To my way of thinking, to the way I work […] it is very important that I do these different things, […] one activity is sort of an impetus to come to new approaches
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Vgl. hierzu insbesondere Philipp Bloms Analyse von Holleins Zeit als Regierungskommissär: Blom, Philipp: Austria in Venezia, in: Sharp; Boesch (Hg.): Österreich und die Biennale Venedig 1895–2013, Nürnberg 2013, S. 55–57; zu Holleins Biennale 1996 s. Liefooghe, Maarten: The 1996 Architecture Biennale. The Unfulfilled Promise of Hans Hollein’s Exhibition Concept, Oase (Delft), Nr. 88 (2012), S. 54–60; Interview mit Hans Hollein dazu, in: Levy; Menking 2010, S. 65–77. Hollein 1968a, S. 2.
V Die Ausstellungen im Spiegel seines Werkes
in the other areas. I think they are related, and it is a sort of sliding border and not a clear-cut division between these areas.93 Mit seinem Leitsatz »Alles ist Architektur« wies Hollein die Architektur als ein Medium aus, das viele weitere Disziplinen miteinbeziehen könne.94 Die Entwurfsprozesse der Ausstellungen waren daher von seiner architektonischen Ausbildung geprägt: Er zeichnete oder ließ zu seinen Auftragsausstellungen Grundrisse, Aufrisse und Isometrien zeichnen und ließ Modelle der Ausstellungsräume bauen. Die fertigen Ausstellungen ließ er ähnlich einer Architekturdokumentation aus verschiedenen Blickwinkeln fotografisch festhalten. Ein Zitat Holleins aus seiner Kunstkritik der documenta 4 in Kassel 1968 verdeutlicht darüber hinaus die Affinität, die er als Architekt zur künstlerischen Installation sah: Die Maler und Bildhauer […] haben neuerdings den großen Maßstab und den Umraum entdeckt und bieten nun Erzeugnisse in dieser Richtung an, die sich etwa environment oder ambiente nennen. Für den Architekten, der sich […] mit absoluter Architektur auseinandersetzt[,] bieten viele dieser Konzepte nichts Neues und selten Aufregendes, insbesondere wenn so oft die neue, ungewohnte Dimension vom Künstler nicht beherrscht wird.95 Hollein legte hier nahe, dass Architekturschaffende besonders geschult seien, raumbezogen zu gestalten. »Alles ist Architektur« war für ihn demnach nicht nur eine Auffassung von Gestaltung, sondern wurde auch praktiziert: Sowohl seine Auftragsausstellungen als auch seine künstlerischen Ausstellungen und Installationen führte er in der Projektliste seines Ateliers neben der Architektur als gleichwertige Projekte auf. Ausstellungen entsprachen demnach Hans Holleins Auffassung von Architektur als umfassende Gestaltung der Umwelt. Dass Hollein in der Architektur und der Ausstellungsgestaltung mit ähnlichen Entwurfsmethoden arbeitete, unterstreicht die Vernetzung seiner Projekte und veranschaulicht die Multidisziplinarität seines Schaffens. Holleins spartenübergreifender Ansatz und sein vernetztes Denken können seine Nähe zur Szenografie in der Ausstellungsgestaltung erklären, denn diese war in Holleins interdisziplinärer Arbeitsweise bereits angelegt. Er verband klar abgegrenzte berufliche Bereiche und Aufgabenstellungen miteinander und war Architekt, Künstler, Kurator, Ausstellungsgestalter und Designer zugleich. Dadurch wurden in seinen Ausstellungen Elemente aus verschiedenen Disziplinen zu einem gesamtheitlichen Werk verbunden. Somit kann sein Schaffen im Ausstellungsbereich als praktische Umsetzung seiner Begriffserweiterung der 93 94 95
Hollein, Hans: Discussion with students, Southern California Institute of Architecture Los Angeles, 12.10.1987, Filmaufnahme. 00:11:07–00:11:58h (Transkript durch die Verfasserin). Korn; Kuehn; et al. 2015, S. 5. Hollein, Hans: Die schlaffen Ausstellungen. Zur 4. Documenta in Kassel, Bau, Nr. 4 (1968), S. 67.
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Die Architektur der Inszenierung
Architektur verstanden werden, welche seiner Meinung nach, künstlerische, geschichtliche, anthropologische und weitere Aspekte beinhalte.96 Die Ausstellungen waren eine Übersetzung seiner spartenübergreifenden Architekturtheorie in den temporären dreidimensionalen Raum. In ihnen setzte er seinen universellen, alles umfassenden Gestaltungsansatz, den er in Alles ist Architektur artikuliert hatte, um: Er verband Produktdesign mit Ausstellungsinszenierung und künstlerische Installation mit Architektur zu szenografischen Ausstellungen. Die Idee des Ausstellens und Präsentierens, im Sinne einer Inszenierung und Bedeutungsvermittlung durch Gestaltung, zog sich durch Hans Holleins gesamtes Werk. Wilfried Kuehn und Samuel Korn hoben nach einer ersten Sichtung des Archivs für die Vorbereitung der Schauen über Hollein 2014 die besondere Bedeutung des Ausstellens für sein Schaffen hervor.97 Wie Samuel Korn skizzierte, finden sich Konzepte des Ausstellens und Aspekte inszenierender Gestaltung bereits in Holleins frühen Arbeiten der 1960er Jahre. Sie werden zum Beispiel in seinen Collagen, Beiträgen für Zeitschriften und frühen Schaufensterfassaden sichtbar und lassen sich auch beim Museum Abteiberg beobachten.98 Kuehn sah es als Besonderheit von Holleins Werk an, dass Architektur und Ausstellen in seiner Praxis typologisch miteinander verschränkt seien und dadurch Display und Exponat miteinander verschmelzen:99 Er unterbindet die übliche Trennung zwischen inhaltlicher und formaler Ebene in der Ausstellungskonzeption und schafft durch diese Überwindung der professionellen Grenze zwischen kunstgeschichtlichem Sammeln und räumlichem Ausstellen einen Prototyp kuratorischen Designs. […] Der kuratorische Ansatz in Holleins Praxis als Architekt weist in die Richtung einer Verschränkung und Hybridisierung von Sammeln und Ausstellen, von inhaltlichem Kuratieren und räumlichem Zeigen.100 Der von Kuehn entwickelte Begriff des »curatorial design« meint die Verbindung des Kuratorischen mit Design im Sinne eines architektonischen Entwurfs, die seiner Meinung nach in Holleins Arbeit sichtbar wird.101 96 97 98 99 100 101
Burkhardt; Manker 2002, S. 7. Korn; Kuehn; et al. 2015, S. 6. Korn 2015, S. 90–108. Kuehn 2015, S. 11. Ebd. , S. 19. »Curatorial design« begreift Ausstellungen als Synthese der Zusammenarbeit zwischen Kuratierenden, Architekturschaffenden und Kunstschaffenden. Kuratierende sieht Kuehn in diesem Modell als Sammlungsverantwortliche, die wissenschaftlich geschult sind. Den Architekturschaffenden, den er auch als »Ausstellungsdesigner« bezeichnet, sieht er als Person aus der Praxis, der Räume konzipiert. Durch die Ergänzung der Disziplinen mit Kunst, kann laut Kuehn »curatorial design« entstehen. Vgl. Kuehn, Wilfried: Curatorial Design, in: Brinkmeyer
V Die Ausstellungen im Spiegel seines Werkes
Im Folgenden wird Holleins gattungsübergreifende Praxis des Ausstellens und Inszenierens näher betrachtet und mit seinem Schaffen im Ausstellungsbereich in Kontext gesetzt. In Kapitel V.III.I wird seine Auseinandersetzung mit Warenästhetik und Displaydesign in Läden, Messeständen und Repräsentationsräumen untersucht. In Kapitel V.III.II wird erörtert, auf welche Weise Holleins Ausstellungspraxis mit der Gestaltung von Museen in Verbindung stand. Abschließend wird in Kapitel V.III.III auf Holleins Tendenz zu theatraler Inszenierung eingegangen. Diese drei Kapitel zeigen, wie verschiedene Aspekte seiner Ausstellungspraxis wichtige Bestandteile von Holleins Schaffen in anderen Sparten bildeten, aber auch wie Ideen und Prinzipien aus anderen Projekten in seine Ausstellungsgestaltungen einflossen.
V.III.I
Design, Shops, Warenwelten
Bei der Betrachtung von Holleins Architektur- und Designprojekten können Wechselwirkungen und Parallelen zu seinen Ausstellungsgestaltungen beobachtet werden.102 Hollein war im untersuchten Zeitraum zwischen 1966 und 1987 als Architekt und Innenraumgestalter von Präsentations- und Repräsentationsräumen, von Museen, Galerien und Shops tätig. Seine mit diesen Projekten in Zusammenhang stehende Beschäftigung mit Waren und Display, mit Präsentation und Repräsentation, hatte großen Einfluss auf sein gesamtes Schaffen. Es schloss die Konstruktion oder Dekoration der Gebäudefassade wie auch die Gestaltung und Ausstattung der Innenräume ein. Hollein sorgte in Wien mit den exklusiven und ungewöhnlichen Fassadengestaltungen der kleinen Läden Retti, Metek und Schullin für Aufsehen und gestaltete auch für die Ausstellungen im Künstlerhaus wieder spektakuläre sprechende Fassaden. Zum größten Teil verwendete Hollein sowohl für die Präsentation von Waren als auch von Kunst inszenierende Gestaltungskonzepte. Er setzte Kunstwerke und Waren durch Licht, Raumwirkung und Möbel in Szene und machte deren Betrachtung so zu einem Erlebnis. Die arrangierten Waren sollten auf die Kundschaft gleichermaßen anziehend wirken wie die in einer Galerie oder in einem Museum installierten Kunstwerke auf das Publikum. Bereits bei seinem ersten Auftrag, dem Kerzengeschäft Retti, inszenierte er einzelne Kerzen oder Ensembles auf Aluminiumsockeln, in Schaukästen und -fenstern sowie in Hängekonstruktionen.103 Durch dieses räumliche Arrangement, die Farbgestaltung und dramatische Beleuchtung
(Hg.): Beyond the White Cube?, Berlin 2011, S. 32. Der ursprünglich am Beispiel von Ausstellungen erläuterte Begriff wurde in einem von 2017–2020 laufenden Forschungsprojekt an der TU Graz unter Leitung von Kuehn als Zwischenraum von kuratorischer Praxis und architektonischen Entwurfsprozessen untersucht. 102 Vgl. hierzu auch Roig 2000, S. 36. 103 Abb. s. Weibel 2011a, S. 165.
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Die Architektur der Inszenierung
von oben wirkten die Kerzen wie Skulpturen oder Reliquien. Die so erzeugte sakrale Atmosphäre war den künstlerischen Ausstellungen der frühen 1970er Jahre ähnlich. Weitere Innenraumgestaltungen und -einrichtungen für Firmen und öffentliche Einrichtungen folgten. Für die Firmen Hirsch, Rosenthal und Ludwig Beck entwickelte er außerdem Regal- und Displaysysteme.104 Von Hans Hollein entworfene freistehende Vitrinen und in die Wand integrierte Ausstellungskästen waren auch das zentrale Element der Gestaltung der Sammlungspräsentation des Museums für Glas und Keramik in Teheran.105 Viele dieser Vitrinen wurden speziell für einzelne Kunstwerke entworfen. Es gab rund 120 verschiedene Typen von Schaukästen. Bei diesem Museum intensivierte Hollein demnach seine Beschäftigung mit Präsentationsmöbeln, welche bereits bei MAN transFORMS, die ein Jahr zuvor stattfand, eine wichtige Rolle spielten. Die Glas- und Keramikobjekte wurden in Vitrinen aus edlen Materialien mit hohem ästhetischem Eigenwert präsentiert. Die Formenvielfalt war groß; oft war die Form auf die in den Vitrinen ausgestellten Objekte bezogen und unterstütze dadurch deren Interpretation. Aufgrund dieser Gestaltung wirkten die gezeigten kunsthandwerklichen Objekte weniger als Musealia denn als edle Waren. Dies wurde unter anderem durch die Verwendung von Spotlights noch unterstützt. Michael Brix sah daher in diesem Museum »die Perfektion des luxurierenden Designs auf die Spitze getrieben.«106 Wilfried Kuehn und Marlies Wirth sprachen davon, dass das Museum wie »ein Katalog von Displaylösungen« wirke.107 Das Wechselverhältnis zwischen edlen Waren und Museumsobjekten kam im Museum für Glas und Keramik in Teheran besonders deutlich zum Ausdruck. Ein weiterer Aspekt von Holleins Beschäftigung mit der Inszenierung von Waren ist seine Gestaltung von kommerziellen Ausstellungsdisplays für Messen sowie Verkaufs- und Repräsentationsschauen in den 1960er bis 1980er Jahren. Er war früh mit Konzepten des Messedesigns vertraut: 1967 entwarf er unter dem Titel Unipap einen Messestand für die Papier-Treuhand GmbH und 1967–1969 ein Ausstellungssystem für einen transportablen Messestand für Retti.108 Das Design der Ausstellung Selection 66 verwendete er außerdem für einen nicht ausgeführten Entwurf eines Messestandes für die Firma Retti von 1967 mit X-förmigen, gezackten Holzkonstruktionen in Rot und Gelb.109 Eine der umfangreichsten Warenpräsentatio104 Abb. Ludwig Beck/Rosenthal s. Nakamura 1985, S. 130–136, 165. Der Verkaufsautomat für Uhrenarmbänder für die Firma Hirsch, 1969 von Hollein gemeinsam mit Ernst Graf entworfen, wurde auch im MoMA gezeigt. 105 S. Hollein 1980, S. 93–99. 106 Brix 1984, S. 187. 107 Kuehn; Thun-Hohenstein; et al. 2014, S. 128. 108 Zu Retti II vgl. Hollein, Hans: Ausstellungs-System. Bauwelt, Nr. 17 (1970), S. 645; Abb. in Farbe s. Nakamura 1985, S. 148. Der Messestand Unipap, Projekt Nr. 23, wurde nicht realisiert. 109 Messestand Retti I, Projekt Nr. 26, Abb. s. Graf 1967, S. 19.
V Die Ausstellungen im Spiegel seines Werkes
nen, die Hollein für eine Firma gestaltete, war die Präsentation für die Eternit-Werke Vöcklabruck auf dem Internationalen Wasserwirtschaftskongress in der Wiener Hofburg 1969.110 Hollein wurde die Aufgabe gestellt, verschiedene Typen von Wasserrohren und deren Kupplungen zu präsentieren. Es ging weniger darum, Fachinformationen oder eine vordergründige Produktschau zu präsentieren, sondern den Namen und das Image der Firma mit wenigen einprägsamen Mitteln möglichst eindrucksvoll darzustellen.111 Im Außenbereich baute Hollein aus den Rohren Skulpturen. Die spektakulärste war eine sieben Meter hohe Dreieckspyramide aus Rohren im Bibliothekshof. Im Präsentationsbereich von Eternit im Eingangsfoyer der Hofburg war das zentrale Element ein erhöhter Informationsstand. In dessen verglasten Boden waren Rohrverbindungen eingelegt, sodass man frei über den Exponaten stehend diese betrachten konnte. Gegenüber vom Informationsstand wurden hinterleuchtete Bilder sowie eine Diaprojektion in übereinandergestapelten Rohren gezeigt. Für einen Besprechungsraum griff Hollein die Idee der Minimalbehausung auf und entwarf einen Sitzbereich in einem zwei Meter dicken Rohr. Aufgrund der spezifischen räumlichen Situation in der Hofburg, strengen denkmalpflegerischen Bestimmungen und den von den Eternit-Werken gestellten Anforderungen hatte Hollein in der Gestaltung jedoch nur wenig Spielraum.112 Dennoch bot die Schau besondere und unerwartete Erlebnisse: Sowohl die Verdeutlichung der Dimensionen der Rohre durch die Pyramide und durch weitere aufgestellte Rohre im Außenbereich als auch der begehbare Schaukasten und die Sitzgelegenheit im Rohr waren Elemente, welche die Gäste einluden, die spröden Produkte der Firma zu entdecken und sinnlich wahrzunehmen. Wie bei Selection 66 wurden die Produkte mit Licht, Diaprojektionen und Platzierung im Raum inszeniert. Die Waren wurden zu Skulpturen transformiert und es wurde ein besonderes Ambiente um sie herum geschaffen. Da es sich hier um einen erweiterten Messestand handelte und das Firmenimage im Vordergrund stand, fiel die Gestaltung dem Thema und den Vorgaben entsprechend zurückhaltender aus. In den 1970er und 1980er Jahren entwarf Hollein weitere Messestände und Präsentationen für Firmen wie die italienische Designfabrik Alessi, Wittmann Möbel, den Schmuckhersteller Cleto Munari oder den Medienkonzern Bertelsmann, dessen Jubiläumsfeier er inszenierte. Diese sind jedoch bisher wenig bekannt und wurden nur bei Pettena kurz thematisiert.113 Es kann festgestellt werden, dass Hollein Präsentationsprinzipien aus dem Bereich der Kunst auf Waren übertrug und Strategien aus dem Messe- und Produktdesign für seine Ausstellungen verwendete. Dabei kam ihm zugute, dass
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Abb. s. Weibel 2011a, S. 142. Atelier Hans Hollein: Ausstellung Eternit Beschreibung, 15.07.1969 (Typoskript), HN-037-001Dok, Archiv Hans Hollein, Az W, Wien, S. 1. Ebd., S. 3. Pettena 1988, S. 94, 119–123; Abb. s. Nakamura 1985, S. 164, 176.
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Produktdesign seit Beginn seiner Karriere ein integraler Teil seines Werkes war: Er entwarf während seiner ganzen Schaffensphase Produkte wie Lampen, Möbel und Schmuckstücke entweder für Firmen oder als Teil der Gestaltung von Innenräumen. Als Designer arbeitete Hollein mit bekannten Firmen wie dem Schmuckhersteller Köchert und den italienischen Designlabels Cleto Munari und Alessi sowie dem Designkollektiv Memphis zusammen und schuf Designklassiker, die auch heute noch gefragt sind. An der Universität für angewandte Kunst in Wien war er 1976–1979 Leiter der Meisterklasse für Industriedesign und des Instituts für Design. Auch wenn Holleins Arbeit als Designer bisher in der Forschung wenig Berücksichtigung fand, ist festzustellen, dass sein Wissen über Design und Warenästhetik seine Ausstellungsgestaltungen prägte.114 Seine Kenntnisse als Designer ermöglichten es ihm, die Ausstellungsmöbel, Vitrinen und Rahmen für seine Ausstellungen selbst zu entwerfen; ebenso wie er Ausstellungsschränke und Vitrinen für Waren in seinen Läden selbst designte. Ziel war es, ein Display zu schaffen, das möglichst perfekt auf die zu präsentierenden Objekte abgestimmt war. Diese Nähe und Kombination von Konsum- und Hochkultur sind prägende Aspekte in Holleins Schaffen. Sie kennzeichnen seine Ausstellungen ebenso wie die Architektur seiner Shops, Warenhäuser und Museen.115 Präsentation und Repräsentation war demnach eine der grundlegenden Aufgaben seiner frühen Projekte, wie in der folgenden Betrachtung der von ihm gestalteten Museen ebenfalls deutlich werden wird.
V.III.II Museale Ausstellungsräume Inszenierungen bestimmten nicht nur Ausstellungsgestaltungen und Warenpräsentationen, sondern auch Holleins Museumsbauten. Nachdem er 1969 bei der Feigen Gallery in New York erste Erfahrungen in der Gestaltung von Ausstellungsräumen gesammelt hatte, bekam Hollein wenig später die Gelegenheit, seine Kenntnisse als Ausstellungsgestalter und -künstler architektonisch in einem Museumsbau umzusetzen. 1972 erhielt er seinen ersten Bauauftrag für das Museum
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Abb. seiner Designprojekte s. Weibel 2011a, S. 384–411; Nakamura 1985, S. 180–183; Texte zu Holleins Design: Zukowsky, John; Wardropper, Ian: Austrian Architecture and Design. Beyond Tradition in the 1990s, Berlin 1991, S. 52–56; Pettena 1988, S. 95–98, 116–123; Collins, Michael: Post-Modern Design. AD Art & Design, Nr. 3–4 (1987), S. 19–22; Cumming, Hugh: The designed object. An international survey, AD Art & Design, Nr. 3–4 (1987), S. 34–35; Radice, Barbara: Jewelry by Architects. From the collection of Cleto Munari, New York 1987, S. 33–44. Vgl. Naredi-Rainer, Paul: Konsum im Musentempel – Musen im Konsumtempel. Zu Hans Holleins Museums- und Kaufhausarchitektur, in: Kleindorfer-Marx; Löffler (Hg.): Museum und Kaufhaus, Regensburg 2000, S. 119–146; Müller, Michael: Das Warenhaus als Museum. Gedanken zu Hans Holleins »Haas-Haus« in Wien, Wissenschaftliche Zeitschrift/Hochschule für Architektur und Bauwesen Weimar, Nr. 5–6 (1992), S. 233–236.
V Die Ausstellungen im Spiegel seines Werkes
Abteiberg in Mönchengladbach.116 Dieser Gebäudekomplex gilt als Schlüsselwerk seines Schaffens und erhielt zu seiner Entstehungszeit sehr große Aufmerksamkeit.117 Das Display, die Bezugnahme von Architektur und Kunst, war damals jedoch nur ein am Rande thematisierter Aspekt. Ebenso wurden die Publikumsorientierung des Baus und die dahinterliegenden Ausstellungskonzepte von der damaligen Architekturkritik weniger beachtet. Aktuell beginnt jedoch die neue Generation von Hollein-Forschenden diese Aspekte in den Blick zu nehmen.118 Das Präsentations- und Gestaltungskonzept des Museums Abteiberg soll im Folgenden näher betrachtet und in Kontext mit Holleins Ausstellungspraxis gesetzt werden.119 Einer der Schlüssel zum Verständnis des Mönchengladbacher Ausstellungsbaus liegt in Holleins und Cladders’ Suche nach alternativen populär-orientierten Ausstellungsformen außerhalb musealer Ausstellungspraxis. Den Ausgangspunkt bildete Holleins Ausstellung Tod im alten Mönchengladbacher Museum. Die mehrfache Verschiebung des Ausstellungstermins ermöglichte, dass sich Cladders und Hollein längere Zeit über allgemeine Fragen zu den Problemen historischer und zeitgenössischer Museumskonzeptionen austauschten.120 Dabei stellte sich heraus, dass beide sehr ähnliche Gedanken und Vorstellungen zu diesem Thema hatten. Eine aus der Kunst kommende Museumskritik war die Grundlage für die Auseinandersetzung mit den Funktionen eines Museums sowie die Suche nach neuen Präsentationsformen und Organisationsprinzipien von Ausstellungshäusern, für die es zur damaligen Zeit kaum Vorbilder gab.121 Die Wurzeln dieses Baus liegen daher ebenso in Cladders’ bisheriger kuratorischer Arbeit wie in Hans Holleins Architekturtheorie und seinen Erfahrungen als Künstler und Ausstellungsgestalter. Hollein und Cladders stimmten darin überein, dass das Erlebnis von Kunst nicht nur ein geistiges, sondern auch ein räumliches sei und somit Architektur Möglichkeiten zur Inszenierung und dadurch Vermittlung von Kunst biete.122 Sie sahen das Museum weder als Musentempel noch als Lernort, wie es die museologischen
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Die intensive Planungsphase dieses Baus dauerte bis 1976. Fertiggestellt wurde das Gebäude 1982. 117 Das Hauptaugenmerk der Fachkritik lag damals auf den urbanistischen Aspekten des Außenbaus und der Interpretation von möglichen Bedeutungen und Vorbildern einzelner Elemente, wie Steffen Krämer in seiner ausführlichen Analyse des Museums und der Auswertung der damaligen Artikel dazu feststellte: Krämer 1998, S. 107–115. 118 Korn 2015, S. 90–115. Branscome 2015a, S. 64–70. Smidt, Thorsten: Hans Holleins Museum Abteiberg. Ein Museumskonzept aus Stadtmodell und Bergwerk, Wallraf-Richartz-Jahrbuch, 62 (2001), S. 293–308. 119 Abb. zum Museum Abteiberg s. Weibel 2011a, S. 188–201. 120 Interview mit Cladders, in: Grasskamp 2004, S. 72. 121 Titz 2006, S. 31–32. 122 Interview mit Cladders, in: Grasskamp 2004, S. 72.
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Diskussionen der 1970er Jahre taten, stattdessen versuchten sie, Publikums- und Kunstinteressen in ihrem Bau zu vereinen.123 Cladders und Hollein waren sich einig, dass das klassische Museum keine optimalen Voraussetzungen für die Präsentation neuer Formen der zeitgenössischen Kunst wie Installationen oder Land Art bot. Zugleich lehnten sie die Forderung der Kunstschaffenden nach weißen, quadratischen Räumen mit maximaler Neutralität ab. Beide waren davon überzeugt, dass es den neutralen Raum nicht gäbe.124 Die Ausstellungsräume in Mönchengladbach waren zwar farblich in Weiß und von den Materialien her möglichst neutral gehalten, boten jedoch verschiedenste Raumsituationen an, für die passende Kunstwerke ausgewählt werden konnten.125 Durch die Schaffung unterschiedlicher Raum- und Lichtsituationen konnten an die neuen Herausforderungen der zeitgenössischen Kunst angepasste Präsentationen realisiert werden. Holleins Angebot an Raumtypologien, die sich durch Größe, Form und Lichtsituation unterschieden, funktionierte so gut, dass man glauben konnte, dass die Räume speziell für einzelne Kunstwerke entworfen worden seien.126 Mit der Verwendung edler Materialien wie Marmor und durch die Raumwirkungen, die bei Hollein wie bei seinen künstlerischen Ausstellungen oft sakralen Charakter hatten, inszenierte, nobilitierte und legitimierte er die zeitgenössische Kunst, die zu dieser Zeit noch keine breite Zustimmung in der Bevölkerung fand.127 Die Präsentation der Kunst folgte nicht wie im klassischen Museum üblich zeitlichen Chronologien oder anderen wissenschaftlichen Kriterien wie Stilrichtungen. Dem Museumsdirektor und seinem Architekten ging es darum, Kunstgeschichte anders darzustellen.128 Das vernetzte Konzept trug der Pluralität und Formenvielfalt der zeitgenössischen Kunst Rechnung, die oft nicht mehr mit klaren Gattungsbezeichnungen und Stilkriterien erfassbar war. Dieser Gedanke einer ahistorischen Erschließung war auch wesentlicher Bestandteil von MAN transFORMS, bei der Aspekte der Kulturgeschichte des Designs anhand bestimmter Ideen und nicht als zeitlicher Ablauf präsentiert wurden.
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Hollein, Hans: Zum Konzept des Museums Abteiberg, in: Celant; Sailer (Hg.): Städtisches Museum Abteiberg Mönchengladbach. Galerie Ulysses Wien Ausst.-Kat., Wien 1979b, o. S. 124 Interview mit Hollein, in: Meyhöfer, Dirk (Hg.): Kein Abschied von der Moderne. Architekten und ihre Visionen, Hamburg 2000, S. 32; Cladders, Johannes: Inszenierung von Kunst durch Ausstellungsarchitektur. Gedanken zur Kunstinterpretation, in: Preiß (Hg.): Das Museum, München 1990, S. 389. 125 Ausführliche Beschreibung und Analyse der Innenraumgestaltung s. Krämer 1998, S. 140–164. 126 Hollein, in: Meyhöfer 2000, S. 32. 127 Smidt 2001, S. 300–301. 128 Interview mit Hollein, in: Burgard, Roland: Das Museumsufer Frankfurt. Architekten und Bauten, Basel; Berlin; et al. 2020, S. 82; Titz 2006, S. 36–37.
V Die Ausstellungen im Spiegel seines Werkes
Neben der spezifischen Gestaltung von Räumen für die Kunst der Zeit stand das Publikum im Fokus der Konzeption. So wurde Tageslicht nicht nur zur Schaffung von perfekten Lichtsituationen für die Kunst, sondern auch aus psychologischen Erwägungen in Hinblick auf den Betrachtenden verwendet.129 Raumstimmungen, die durch die Architektur und durch differenzierte Lichtsituationen hervorgerufen wurden, spielten wie bei den Ausstellungsgestaltungen eine große Rolle in der Planung des Museums.130 Durch diese Stimmungen und die erlebnisreichen Parcours sollte die Aufmerksamkeit gesteigert und einer Ermüdung entgegengewirkt werden. Die verschiedenen Raumsituationen sollten Erlebnisse bieten und zu Entdeckungen stimulieren.131 Diese Idee ist bereits bei der Raumgestaltung von Selection 66 zu beobachten: Die durch Vorhänge geschaffenen temporären Räume, die in Größe, Form und Deckenhöhe stark variierten, boten verschiedenste räumliche Situationen für das Publikum und die ausgestellten Stühle. Ein wesentliches Gestaltungskriterium der Innenräume des Museums Abteiberg waren ebensolche unterschiedlichen Raumformen, Deckenhöhen, Blickachsen und Ansichten. Wie bei Selection 66 durch die Gangway ein Blick von oben ermöglicht wurde, gab es auch im Museum Abteiberg Treppen, Brücken und Galerien, die durch den Höhenwechsel andere Perspektiven boten. Ein weiteres wichtiges und damit in Zusammenhang stehendes Prinzip war, dass wie auch bei fast allen anderen Ausstellungen von Hans Hollein kein fester Rundgang vorgegeben wurde. Stattdessen gab es verschiedene Möglichkeiten für einen Parcours durch das Museum. Cladders wollte ein demokratisches Museum mit Entscheidungsfreiheiten, welche die klassische museale Enfilade nicht bot.132 Daher war die Raumfolge als »dreidimensionale Matrix« beziehungsweise »Labyrinth« oder »Dschungel«, wie Cladders es nannte, entworfen.133 Über Treppenpodeste und Zwischenräume verknüpfte Säle und Kabinette boten die Kunstwerke ohne präferierte Abfolge dar. Das »Durchwandern«, das räumliche Erleben, spielte die zentrale Rolle.134 Ähnlich wie in Holleins Ausstellungen sollte man im Museum Abteiberg nicht belehrt, sondern angeregt und unterhalten werden. Durch selbstständiges Entdecken und Erleben sollte man zu einem eigenen Verständnis der Kunst kommen. Durch die verschiedenen Begehungsmöglichkeiten wurde den individuellen Bedürfnissen, Interessen und der zeitlichen Verfügbarkeit des Publikums Rechnung getragen – ähnliches formulierte Hollein in Konzepttexten seiner Ausstellun-
129 Hollein 1979b, o. S. 130 Schmidt-Grohe, Johanna; Hollein, Hans; et al.: Architektur für Kunst. Städtisches Museum Abteiberg Mönchengladbach, Werk, Bauen + Wohnen, Nr. 10 (1982), S. 41–42. 131 Hollein 1979b, o. S. 132 Interview mit Cladders, in: Grasskamp 2004, S. 71. 133 Interview mit Cladders, in: ebd., S. 70–71; Matrix-Begriff s. z.B.: Correa 1975, S. 6. 134 Hollein 1979b, o. S.
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Die Architektur der Inszenierung
gen.135 Es gab es eine Vielzahl möglicher Routen durch das Museum. So sollte gewährleistet werden, dass es auch bei mehrmaligen Besuchen immer wieder Neues zu entdecken gibt.136 Dies wurde durch die Vielschichtigkeit der räumlichen Situationen und durch ein Erschließungssystem, bei dem man permanent entscheiden konnte, welchen Raum man als Nächstes betreten wollte, erreicht. Auch bei Holleins kulturhistorischen Ausstellungen wurde zu mehreren Besuchen geraten, um alle Ebenen zu erfassen. Wie Hollein, der in seinen Ausstellungsgestaltungen soweit wie möglich auf Texte verzichtete, lehnte auch Cladders Texte im Museum ab, da sie von der direkten Auseinandersetzung mit der Kunst ablenken würden.137 Beiden schwebte für ihr Museum somit ein neues Vermittlungskonzept vor: Das Publikum sollte weder in passiver Bewunderung vor auratischen Kunstwerken verharren, noch didaktisch belehrt werden, sondern sich selbst aktiv Kunst erschließen. Die Vermittlung der Kunstwerke sollte durch Inszenierung erfolgen. Cladders beschrieb sein daraus resultierendes Konzept der assoziativen Konfrontationen so: »Wenn ich eine Sache sehe, muss ich im Blickwinkel – nicht direkt daneben, das wäre viel zu didaktisch – unter Umständen das Gegenteil sehen, damit ich die Sache, vor der ich direkt stehe, in ihrer Besonderheit erkennen kann.«138 Für diese Vermittlung durch vergleichendes Sehen, die auch bei Holleins Ausstellungsgestaltungen eines der zentralen Konzepte war, spielten Blickachsen und Verbindungen zwischen den Räumen eine wichtige Rolle. Hierfür wurde das sogenannte »Kleeblatt-Prinzip« der Raumanordnung entwickelt. Durch diese diagonale Erschließung von Räumen über Eck wurden Sichtbezüge gefördert und die von Cladders intendierten Konfrontationen ermöglicht.139 In der räumlichen Inszenierung sahen Cladders und Hollein auch Potenzial zur Öffnung des Museums für verschiedene Publikumsschichten. Der Besuch solle »sowohl für den uneingeführten Laien als auch für den Fachmann gleicherweise interessant und stimulierend sein«, so lautete der Anspruch Holleins – eine Formulierung, die auch in seinen Konzepttexten zu Auftragsausstellungen regelmäßig wiederkehrte.140 Hollein 1979b, o. S. Die Türken vor Wien war als einzige von Holleins Ausstellungen weitgehend chronologisch aufgebaut, aber auch bei dieser Schau war ein Schnelldurchgang für Gäste mit weniger Zeit vorgesehen. 136 Ebd; zur Erschließung des Innenraums vgl. auch: Krämer 1998, S. 158–161. 137 Cladders 1990, S. 388–389; Zitat Cladders, in: Schmertz, Mildred: Building for the art of the 20th century. Architectural Record, Nr. 2 (1983), S. 88. 138 Titz 2006, S. 37; s. dazu auch Branscome 2015a, S. 64–70. 139 Zu den Kleeblatträumen s. z.B. Branscome 2015a, S. 70–71; Krämer 1998, S. 147–148; Schmertz 1983, S. 86. 140 Hollein 1979b, o. S; Formulierung in Texten zu Auftragsausstellungen z.B. Hollein 1989, S. 17–18; Hollein 1985a, S. 36. 135
V Die Ausstellungen im Spiegel seines Werkes
Nicht nur in den einzelnen Räumen, sondern auch am Außenbau und in der gesamten Disposition wurde versucht, das Museum für neue Publikumsschichten zu öffnen: Der Außenbau war durch seine Zergliederung kein respekteinflößender Monumentalbau, sondern sollte durch seine Begehbarkeit und Anbindung an die Stadt Schwellenängste senken, so Hollein. Es sollte nach seinem Wunsch ein Bestandteil der Stadt werden und auch ein nicht museumsaffines Publikum neugierig machen.141 Die Architekturkritiker Otto Kapfinger und Adolf Krischanitz sahen daher den Außenbau mit seiner Dachlandschaft und den installierten Skulpturen im öffentlichen Raum als eine Ausstellung vor der Ausstellung an.142 Dieses Konzept des einladenden Museums hatte Parallelen zu Holleins publikumsorientierten Ausstellungskonzeptionen und insbesondere den Fassadengestaltungen für seine kulturhistorischen Ausstellungen. Steffen Krämer identifizierte in seiner Dissertation die Auseinandersetzung mit dem vorgefundenen räumlichen Kontext als einen der wichtigsten Aspekte des Museums Abteiberg. In Holleins früheren architektonischen Entwürfen konnte er eine solche Ortsspezifität jedoch nicht nachweisen. In Holleins künstlerischen Ausstellungen vor Beginn der Planung des Museums Abteiberg war diese jedoch ein wichtiges Entwurfsprinzip, so zum Beispiel bei seinem Beitrag zur Venedig-Biennale 1972.143 Auch die Öffnung des Ausstellungsraumes zur natürlichen Umgebung hin kam bereits bei Papier und der Venedig-Biennale 1972 vor und wurde im Museum Abteiberg durch Fenster und Oberlichter gelöst. Darüber hinaus fand Holleins bereits in der Ausstellung Tod angeklungene Hinterfragung der Institution Museum – seine ironischen Reflexionen über Kunst und deren Präsentation – ihre Umsetzung im Museumsbau. Diese wurde in Details wie Treppenabsätzen sichtbar, die wie leere Sockel wirkten und damit indirekt das Publikum ausstellten. Auch dem Beitrag zur Biennale 1972 und der Ausstellung Papier, die beide auf formaler wie inhaltlicher Ebene auf Gegensätzen basierten, merkt man die zeitliche Nähe zur Planung des Museums Abteiberg an: Der charakteristischste Zug des Mönchengladbacher Museums sind seine vielgestaltigen, gegensätzlichen Baukörper.144 Der publikumsbezogene Charakter von Holleins Ausstellungs- und Museumsprojekten, die Erlebnishaftigkeit der Räume und die in den frühen Ausstellungen erprobte Präsentation von abstrakten Phänomenen waren wichtige Grundlagen für die Realisierung von zwei weiteren populären Museen: Vulcania, das Vulkan-Museum in der Auvergne, und das Niederösterreichische Landesmuseum in St. Pölten.145 141 142 143 144 145
Hollein 1979b, o. S. Kapfinger; Krischanitz 1984, S. 9. Vgl. Krämer 1998, S. 250–260. Vgl. ebd., S. 125–130. Zu St. Pölten s. Grassegger, Friedrich; Hauenfels, Theresia (Hg.): Bau[t]en für die Künste. Zeitgenössische Architektur in Niederösterreich, Wien 2010, S. 118–121; zu Vulcania s. z.B. Confurius, Gerrit: Im Inneren des Vulkans. Hans Holleins Vulkan-Museum in der Auvergne, Daida-
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Die Architektur der Inszenierung
Beide wurden Anfang der 1990er Jahre begonnen und 2002 fertiggestellt. In diesen Museen sollten alle Sinne angesprochen werden und der Entdeckungsdrang des Publikums gefördert werden. Sie stehen in einer Reihe mit Holleins publikums- und erlebnisorientierten Ausstellungsideen seit den 1960er Jahren, die eine besondere Nähe zu populären Präsentationen im Sinne einer Verbindung von Wissensvermittlung und Unterhaltung hatten. Vor allem Vulcania stellte die permanente Manifestation vieler Aspekte seiner Ausstellungspraxis dar.146 Die Inszenierung von Räumen und Exponaten zu einem gesamtheitlichen Erlebnis kennzeichnete demnach Hans Holleins Museumsprojekte. Dennoch wiesen diese, wie seine Ausstellungsgestaltungen je nach Projektanforderungen eine große Vielfalt auf. Diese Konzepte fanden erst nach und nach Aufnahme sowohl in die Ausstellungsgestaltung als auch in die Museumsarchitektur.147 Ebenso wie Hollein in der Ausstellungsgestaltung progressiv war, war er dies auch im modernen Museumsbau, in den seine Ausstellungserfahrungen mit einflossen.148 Festzuhalten ist, dass Holleins Museumsbauten ähnliche Konzepte wie seinen Ausstellungen zu Grunde lagen. Die Orientierung am Publikum, die sich durch die raumbezogene und assoziative Vermittlung über Erfahrungen und Raumerlebnisse sowie vergleichendes Sehen ausdrückte, war der Versuch einer Demokratisierung des Museumsbesuches. Außerdem spielte die ideenbasierte, visuelle Inszenierung von Ausstellungsstücken durch Architektur und Display eine große Rolle.149 Das Ausstellen, im Sinne von Präsentation und zur Schau stellen, und damit in Zusammenhang stehend die Inszenierung von Objekten mithilfe von Architektur und Display können demnach als eine der grundlegenden Strategien von Holleins Entwürfen gesehen werden. Diese reichten von einfacheren Vorrichtungen zur funktionalen aber dennoch repräsentativen Organisation bei Laden- oder Messedisplays bis hin zu theatral und narrativ inszenierten Gestaltungen von Ausstellungsräumen. Nicht nur seine kommerziellen, sondern auch seine Museums- und Ausstellungsprojekte einte sein vom Design inspirierter gesamtheitlicher Gestaltungsanspruch. Er inszenierte dadurch kostbare Produkte ebenso wie Kunstwerke.
los, Nr. 63 (1997), S. 86–89; Hollein, Hans: Vulcania. Europäisches Vulkanmuseum, Archithese, Nr. 2 (1996), S. 26–27. 146 Hollein, Max: Interview 03.09.2020. 147 Vgl. Montaner, Josep; Oliveras, Jordi: Die Museumsbauten der neuen Generation, Stuttgart; Zürich 1987, S. 12–29. 148 Ebd., S. 90–91. 149 Vgl. dazu a. Cladders 1990, S. 387–392.
V Die Ausstellungen im Spiegel seines Werkes
V.III.III Theatrale Inszenierung Gianni Pettena sah den Zeitraum von Mitte der 1970er bis Mitte der 1980er Jahre als Holleins Phase des theatralen Ausstellungs- und Bühnendesigns an.150 Die Steigerung der Theatralik in Holleins Schaffen ist in seinen Ausstellungsgestaltungen zu Beginn der 1980er Jahre zu beobachten. Holleins Faszination für das Theater ähnlich wie für das Museum war jedoch bereits in den 1960er Jahren ausgeprägt.151 Der deutlichste Entwurf theatraler Inszenierung, der in besonderer Relation zu seinen Ausstellungsgestaltungen stand, war Holleins Gestaltungsauftrag für die Österreichischen Verkehrsbüros. 1976 wurde er gebeten, ein Corporate Design für Filialen dieses österreichischen Tourismuskonzerns zu entwerfen. Statt eines einheitlichen Gesamtbildes sah er ein neuartiges variierbares Szenario vor: Innerhalb einer modularen, zurückhaltenden Struktur sollten heterogene und austauschbare Elemente, die Träger von Botschaften zum Thema Reisen waren, platziert werden.152 Leitmotivische Formen wie Pavillons, Palmen und Pyramiden sollten immer wieder unterschiedliche Gestalt annehmen und dennoch inhaltlich wiedererkennbar sein. Er gestaltete vier Filialen in Wien, welche die Variationsmöglichkeiten seines übergeordneten Designkonzeptes aufzeigten.153 Das bekannteste und größte Projekt war der Hauptverkaufssitz am Opernringhof. Dessen Verkaufsbereich mit Schaltern für Theater- und Reisebuchungen hatte Hollein durch figurale Elemente als Entree in die Welt der Reisen gestaltet. Diese Elemente dienten der Bestimmung von Funktionsbereichen innerhalb der großen Schalterhalle und bildeten zugleich einen Erlebniskosmos für die Kundschaft. So wurde der Verkaufsstand für Theaterkarten auf einem einfachen Sockel aus Fichtenholz platziert, der an den Bretterboden im Theater erinnerte.154 Über dem Stand war ein metallener Vorhang drapiert und im Hintergrund war eine Szene aus einem bekannten Bühnenbild als Kulisse angebracht. Diese Zitate sollten die Funktion des Standes signalisieren und die Kundschaft nonverbal dorthin leiten. Weitere sprechende Symbole zum Themenkosmos Transport wie eine Reling mit Rettungsring für Schiffsreisen und von der Decke hängende ausgestopfte Adler für Flugreisen kennzeichneten die unterschiedlichen Schalter. Andere zweckfreie Elemente aus der Bildwelt ferner Länder wie Palmen oder ein Säulenfragment ergänzten Holleins semantische Gestaltung. Die Schalterhalle war eine Montage aus Zitaten und 150 Vgl. Pettena 1988, S. 88–95. 151 Hollein, Lilli 2011, S. 171. 152 Hollein, Hans: Arbeiten von Hans Hollein. Werk, Bauen + Wohnen, Nr. 1–2 (1982), S. 60–61; Hollein, Hans: Österreichisches Verkehrsbüro, Wien. Deutsche Bauzeitung, Nr. 3 (1979), S. 26–30. 153 Fotos und Pläne s. Nakamura 1985, S. 100–111; Beschreibung und Analyse s. z.B. Weiß 2015, S. 292–296; Brix 1984, S. 187–189. 154 Abb. s. Pettena 1988, S. 70.
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Bildfragmenten, die in ihrem Bedeutungsgehalt alle auf Kultur und Reisen verwiesen und damit auf die dem Projekt zugrundeliegende Bauaufgabe. Nicht nur thematisch hatte das Österreichische Verkehrsbüro am Opernringhof eine besondere Nähe zum Theater, sondern auch dadurch, dass es sich bei den Zitaten ausschließlich um architektonische Attrappen handelte, die durch Material-, Form- und Farbunterschiede als Kopien identifiziert werden konnten. Joan Roig schrieb, dass »die Reise als Idee in Bühnenbilder umgesetzt« worden sei, »wie bei einer für das Theater inszenierten Erzählung«.155 Die Aneinanderreihung von Motiven als räumliche Abfolge trug zu den szenischen Qualitäten dieser Gestaltung bei. Verstärkt wurde der kulissenhafte Charakter durch illusionistische Elemente wie eines an die Stirnwand der Halle gemalten Himmels mit weißen Wolken. Zugleich war der Raum wie eine Ausstellung zum Thema Reisen gestaltet. Die theatrale Inszenierung und die narrative Gestaltung der Innenräume erprobte Hollein zuvor in seinen Ausstellungsprojekten der 1970er Jahre. Ebenso wie in der theatralen Ausstellungssprache wurden in diesem Raum durch Objektensembles stimmige Gesamtbilder und räumliche Situationen erzeugt, welche die Gäste emotional involvieren sollten. Hans Hollein platzierte nicht nur die bereits erwähnten semantischen Elemente, sondern gestaltete den ganzen Raum inklusive der Decke, die durch ihre kassettierte Lichttonne an Bahnhöfe erinnerte. Verschiedene Bodenbeläge und Beleuchtungskörper fungierten neben den Zeichen ebenfalls als zonierende Mittel der Raumorganisation.156 Wie bei seinen Ausstellungen handelte es sich somit um eine gesamtheitliche Raumgestaltung. Er verwendete auch Elemente aus den Ausstellungsgestaltungen wie eine im Wind wehende Marmorflagge aus MAN transFORMS, die in Abwandlung als gläserne Österreich-Flagge wieder auftauchte.157 Darüber hinaus nutzte er mehrfach codierte Elemente, die unterschiedlich interpretiert werden konnten: Ein zentral platzierter Pavillon mit goldenem Dach fungierte als Wartebereich und rief beim Großteil des Publikums durch seine Formgebung vermutlich vage Assoziationen zur Architektur exotischer Länder hervor. Architekturkundige sahen darin konkrete Zitate: Paul Naredi-Rainer interpretierte den goldenen Pavillon als Verweis auf den goldenen Baldachin im vierten Hof des Topkapi-Palasts in Istanbul, während Heiko Weiß südostasiatische Pagoden assoziierte und Charles Jencks auf von Edwin Lutyens erbaute Pavillons in Neu Delhi als Vorbild verwies.158 Hollein selbst sprach in einem Text von einem indischen, in
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Roig 2000, S. 36. Brix 1984, S. 188. Abb. s. Weibel 2011a, S. 213; Hollein 1989, S. 57. Naredi-Rainer, Paul: Zur Ikonologie moderner Museumsarchitektur. Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte, Nr. 44 (1991), S. 194–195; Weiß 2015, S. 293; Hollein, Hans; Jencks, Charles: Österreichische Verkehrsbüro. Architectural Design, Nr. 5–6 (1980), S. 60.
V Die Ausstellungen im Spiegel seines Werkes
einem anderen von einem orientalischen Pavillon und sah ihn hauptsächlich als typologisches Element, dessen genaue Herkunft nicht relevant sei.159 Vieldeutig war auch die Zuordnung der stilisierten goldenen Palmen, die halbkreisförmig angeordnet vom Eingangsbereich in die Halle führten.160 Hollein spannte hier ähnlich wie in seinen Ausstellungen eine Welt der Illusionen und der vieldeutig interpretierbaren Assoziationen auf, die mit ironischen Referenzen zu Reiseklischees versehen waren. Friedrich Achleitner warf in seiner Kritik die Frage auf, ob dieses Prinzip der assoziativen und theatralen Inszenierung sich beim regelmäßigen Besuch dieses Geschäfts nicht abnutzen würde.161 Er sollte Recht behalten: Obwohl die Verkehrsbüros in Holleins Konzeption veränderbar gedacht waren, indem die nicht funktionalen Elemente ausgetauscht werden konnten, wurde die Schalterhalle am Opernringhof kaum zehn Jahre nach ihrer Vollendung komplett umgestaltet. Holleins Design wurde damit zerstört. Die Reisebüros waren neben Holleins Museen die architektonischen Beispiele, die am stärksten mit seinen Ausstellungsgestaltungen verknüpft waren: In ihnen verband er kommerzielle Repräsentation mit theatraler Inszenierung, um Erlebnisse zu schaffen. Allerdings scheint dieses Prinzip, das beim ein- oder zweimaligen Besuch von Ausstellungen zumeist sehr gut ankam, für die dauerhafte Gestaltung eines Geschäfts in diesem Fall nicht funktioniert zu haben. Nachdem dieser Entwurf bereits große Affinität zu Theaterszenerien aufwies, übernahm Hans Hollein 1979 bis 1980 seinen ersten Theaterauftrag. Er gestaltete die Bühnenbilder für Arthur Schnitzlers Stück Komödie der Verführung. Horst Zankls Inszenierung am Burgtheater, die am 30. Januar 1980 Premiere feierte, war als großes Ereignis geplant. Karl Lagerfeld designte die Kostüme und die Premiere wurde im österreichischen Fernsehen übertragen. Hollein entwarf für die fünf Szenen drei Bühnenbilder mit dazugehörigen Requisiten: eine minimalistische Szenerie mit Zeltdach als zentrales Motiv für den ersten Akt, eine Variation verschiedener häuslicher Szenen, darunter eine Tischgesellschaft – in formaler Anlehnung an da Vincis Abendmahl – für den zweiten Akt und schließlich eine Strandszenerie mit Palmenwald für den dritten Akt.162 Seine Bühnenbilder waren dabei nicht nur dekora159
Hollein, Hans: Ritual & Transformation, Vortrag, 1986, Tonaufnahme. Transkript S. 23; Hollein; Jencks 1980, S. 60; Zitat Hollein, in: Mack, Mark: Extracting and recombining elements. Interior design: Austrian Travel Agency, Vienna, and Townhall, Perchtholdsdorf, Austria, Progressive Architecture, Nr. 12 (1979), S. 78. 160 Zur Interpretation von Symbolik und Assoziationen einzelner Elemente des Verkehrsbüros am Opernringhof vgl. z.B. Weiß 2015, S. 292–296; Paczowski, Bohdan: Hans Hollein’s »Architecture Parlante«. Three travel agencies in Vienna, The Architectural Review, Nr. 1004 (1980), S. 223–226; Hollein; Jencks 1980, S. 60. 161 Achleitner, Friedrich: Viennese positions. with particular reference to the problem of the transformation of historic environments, Lotus International, Nr. 29 (1981), S. 21. 162 Abb. s. Weibel 2011a, S. 159; Nakamura 1985, S. 173–176.
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tiver Hintergrund, sondern fügten dem Stück weitere Interpretationsebenen hinzu. So bezeichnete er sein Bühnenbild als »setting of metaphors, of quotations of objects of memory«.163 Ähnlich wie seine Ausstellungsgestaltungen war seine Bühnenbildgestaltung eine Kombination aus präzise kalkulierten Raumwirkungen und einem Geflecht aus vorder- und hintergründigen Anspielungen. Die freie und moderne Interpretation von Schnitzlers Stück führte jedoch zu negativen Kritiken und die Macher wurden am Premierenabend ausgebuht.164 Auch Holleins Gestaltung wurde kritisiert. Helmut Schädel schrieb in der Zeit, dass sie sich stark am Design orientiere und dadurch nicht für das Theater geeignet und zu sehr auf Holleins eigenes Werk bezogen sei.165 Letztere Kritik bezog sich vermutlich auf die Selbstzitate vorangegangener Projekte wie den Palmen der Verkehrsbüros, einer Telefonzelle als Tempel oder des Abendmahltisches, der bereits bei MAN transFORMS zu sehen war. Hilde Spiel schrieb in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, dass der »optische Manierismus« dem Stück nicht gutgetan habe.166 Dieses Theaterprojekt kennzeichnete eine Zeit, in der er noch stärker als zuvor bühnenbildartige Szenerien innerhalb seiner Ausstellungsgestaltungen schuf: Für die Errichtung der Strada Novissima waren italienische Kulissenbauer einer Filmfirma engagiert worden und Hans Holleins Säulenreigen hätte durchaus auch als Kulisse antiker Theaterszenerien fungieren können. Der Hang zu theatralen Inszenierungen war besonders ausgeprägt bei den bühnenbildartigen Installationen der Schlachtenszene von Die Türken vor Wien und Das letzte Abendmahl. Der Theatervorhang tauchte als Motiv in dieser Zeit ebenfalls häufiger auf: als metallene Illusion beim Theaterkartenverkauf in den Österreichischen Verkehrsbüros, in rotem Stoff zwischen Kronleuchtern in der Deckengestaltung zu Makarts Umzug bei Traum und Wirklichkeit und bei Metaphern und Metamorphosen als trennendes, von der Decke abgehängtes Element zwischen zwei Turnerinnen-Figuren. Während seinen Ausstellungsgestaltungen und architektonischen Entwürfen oft eine Nähe zum Theatralen bescheinigt wurde, blieb der Bühnenbildentwurf zur Komödie der Verführung Holleins einziger Auftrag im Theaterbereich.
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Hollein, Hans: Stage Set: Comedy of Seduction, 1979, in: Nakamura (Hg.): Hans Hollein. (Sonderheft), Tokio 1985, S. 174. 164 Vgl. z.B. Schädel, Helmut: Lemuren im Domino. Schnitzler in Wien. Die Zeit Nr. 7, 08.02.1980, S. 32; vgl. a. Kritik: Premierentheater: Zu Horst Zankls Inszenierung von Schnitzlers »Komödie der Verführung«, in: Schuh, Franz: Das Widersetzliche der Literatur. Kritische Kritiken, Wien 1981, S. 108–110. 165 Schädel 08.02.1980, S. 32. 166 Spiel, Hilde: Todschicker Untergang. Horst Zankl scheitert in Wien an Schnitzler, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 01.02.1980, S. 23.
VI. Kontextualisierung im Ausstellungswesen
Die in Kapitel V skizzierte gattungsübergreifende Gestaltungspraxis weist auffallende Ähnlichkeiten zum heutigen Verständnis der szenografischen Gestaltung auf. Im Kompendium der Szenografie von 2020 heißt es dazu: Szenografie ist interdisziplinär. Mit ihr werden Architektur, Design, Licht, Grafik, Film, Medien, Sound, Performance und Dramaturgie integriert gedacht und Inhalte immersiv inszeniert, um ein unmittelbares, räumliches Erlebnis mit allen Sinnen zu gewährleisten.1 Mit ihren interdisziplinären Fähigkeiten schaffen Szenografinnen und Szenografen narrative Räume und entwickeln mit ihren Kenntnissen »Museen und Ausstellungen, Bühnen und Sets, Shops, Pop-up-Stores, Messen und Events, Inszenierungen im öffentlichen und im virtuellen Raum als kommunikative Systeme […], um Inhalte plausibel zu vermitteln.«2 Dieses interdisziplinäre, multimediale, publikums- und raumorientierte, inszenierende Schaffen zeichnete auch Holleins Arbeit aus. Dieses Kapitel kontextualisiert Holleins Ausstellungsgestaltungen, die, wie zuvor gezeigt wurde, eng mit seinem übrigen Schaffen verknüpft sind, im Ausstellungswesen. Ob Einflüsse der Postmoderne bei Hans Holleins Ausstellungen ab Ende der 1970er Jahre feststellbar sind und inwiefern überhaupt von postmoderner Ausstellungsgestaltung gesprochen werden kann, soll in Kapitel VI.I diskutiert werden. Anschließend werden in Kapitel VI.II Holleins Gestaltungen im Ausstellungskontext situiert, der in Kapitel II aufgespannt wurde. Hierbei wird sowohl auf ausgewählte Gestalter eingegangen, die als Vorgänger von Holleins Ausstellungen gelten können, als auch auf Personen der Zeit aus dem gestalterischen, kuratorischen, künstlerischen und architektonischen Bereich. Ziel ist es, den neuartigen Charakter von Hans Holleins szenografisch-künstlerischen Ausstellungsinszenierungen zu untersuchen. Abschließend wird der Frage nachgegangen, welche
1 2
Dornhege, Pablo; Poesch, Janina: Szenografie ist… Ein Überblick, in: Kiedaisch; Marinescu; et al. (Hg.): Szenografie, Stuttgart 2020, S. 30. Ebd., S. 30/33.
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Nachwirkungen Hans Holleins Ausstellungspraxis hatte, ob sie das Schaffen nachfolgender Generationen beeinflusste und welche Bedeutung sein Ausstellungswerk für die Szenografie hatte.
VI.I Postmoderne Ausstellungsgestaltung Entgegen der hier aufgezeigten Kontinuität in Holleins Ausstellungsgestaltungen sahen Frank Rolf Werner und Liane Lefaivre die Ausstellung MAN transFORMS als Einschnitt. Bei den Ausstellungen der 1980er Jahre machten die beiden Forschenden verstärkte Einflüsse der Postmoderne aus. Werner schrieb dazu: »Die Ausstellung ›MANtransFORMS‹ […] bedeutete dann aber eine Zäsur, weil Hollein wohl Geschmack an der Gestaltung von Panoramen bzw. Bühnenbildern gefunden hatte.«3 Brigitte Kaiser schloss sich Werners Auffassung an, dass Hollein seine kulturhistorischen Ausstellungen der 1980er Jahre unter Einfluss der Postmoderne entwickelt habe.4 Liane Lefaivre konstatierte, dass MAN transFORMS das Ende der ersten Phase von Holleins kuratorischer Arbeit darstelle und sein Schaffen danach in eine neue postmoderne Phase übergegangen sei.5 Der Begriff der Postmoderne ist bis heute vielfältig interpretierbar und nicht klar definiert. Zentrale Aspekte sind eine kritische Auseinandersetzung mit der Moderne und die Akzeptanz eines Pluralismus in Stil, Formen und Konzepten.6 Postmoderne Architektur und postmodernes Design stellen zugleich eine Theorie und eine Ästhetik dar, für die jedoch jeweils kohärente Definitionen fehlen. Grundlegend war, dass sich postmoderne Designtheorie gegen den Internationalen Stil der Moderne wandte und sich postmoderne Gestaltung gegen Formalismus und Funktionalismus stellte, indem alltägliche Materialien, historische Referenzen und eine Vielfalt von Farben und Mustern miteinander kombiniert wurden.7 Ob Hans Holleins Schaffen der architektonischen Postmoderne zugeordnet werden kann, wurde seit den 1980er Jahren von Fachleuten aus dem Bereich der Architektur diskutiert, deren Argumentation jedoch von der jeweiligen Definition der Postmoderne abhängig war.8 Als die Postmoderne Ende der 1980er Jahre zunehmend unpopulärer wurde, versuchte Hollein sein Schaffen von einer Zuordnung zur Postmoderne zu distanzieren, obwohl er zuvor in viele der wichtigen Architektur3 4 5 6 7 8
Werner 1999, S. 25. Kaiser 2006, S. 153. Lefaivre 2015, S. 155. Vgl. Zimmermann, Anja: Postmoderne, in: Pfisterer (Hg.): Metzler Lexikon Kunstwissenschaft, Stuttgart; Weimar 2011, S. 352–354. Vgl. Gura, Judith: Postmodern design complete, London 2017, S. 12; Collins 1987, S. 11–23. Vgl. Branscome 2018; Lefaivre 2017, S. 187–239; Gura 2017, S. 98–101; Weibel 2011b, S. 14–17; Brix 1984, S. 167–168; Klotz 1987, S. 359.
VI. Kontextualisierung im Ausstellungswesen
und Designprojekte sowie Ausstellungen, die mit der Postmoderne assoziiert wurden, involviert war.9 Dazu äußerte er sich in einem Interview im Jahr 2000, als ihm folgende Frage zu MAN transFORMS gestellt wurde: »Alle Teilnehmer arbeiteten bei der Ausstellung mit Metaphern, also Bildern. War dies nicht eine frühe Sternstunde der Postmoderne?«. Holleins Antwort fiel klar aus: »Die Ausstellung konzipierte ich in den Jahren 1974–1976. Die Thesen, mit denen Charles Jencks in den 1980er Jahren die Postmoderne definierte, decken sich mit meinen Positionen in keiner Weise. Mit seinem Begriff der Postmoderne habe ich nichts zu tun.«10 Der Ausstellung MAN transFORMS wurden hauptsächlich aus konzeptuellen Gründen postmoderne Tendenzen zugeschrieben.11 So waren an der Ausstellung Architekten und Designer wie Ettore Sottsass beteiligt, die später zu wichtigen Vertretern der Postmoderne gezählt wurden. Diese präsentierten in der Ausstellung pluralistische Designkonzepte. Außerdem zeichnete sich diese Ausstellung inhaltlich durch eine fragmentierte, nicht lineare Konzeption, also durch einen ahistorischen Umgang mit Designgeschichte aus und richtete sich an ein breites Publikum, den Laien und den »Intellektuellen«, wie Hollein es formulierte.12 Sie war auch ein Versuch, die funktionalistische Idee der »guten Form« zu widerlegen und damit eines der bestimmenden Konzepte der Moderne infrage zu stellen. In ihrer Untersuchung der Ausstellungskonzepte der Strada Novissima, die als eine der ersten und zentralen Ausstellungen der Postmoderne gilt, stellte die Architekturhistorikerin Léa-Catherine Szacka fest, dass die Schau nicht nur postmoderne Theorie und Inhalte präsentierte, sondern auch postmoderne Formen des Displays von Architektur etablierte. Als theoretische Konzepte sah sie Pluralität und Mehrdeutigkeit, die Bedeutung von Sprache und Massenkommunikation, Konsum, Nachbildungen und Historizismus an. Das Display basiere ihrer Auffassung nach auf der Macht der Bilder, Individualismus und Inszenierung. Dem Direktor der Biennale Paolo Portoghesi sei es laut Szacka um eine Spektakularisierung des Displays gegangen.13 Er und sein Team wollten ein massentaugliches Event für ein breites Publikum ausrichten und nutzten dabei die postmoderne Strategie
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Vgl. Interview mit Hollein, in: Meyhöfer 2000, S. 29; Spiegel-Redakteure: Auch ein Bau kann tanzen. Der Architekt Hans Hollein über Schloß-Rekonstruktionen, seine Arbeit und die Postmoderne, Der Spiegel, Nr. 38 (1993), S. 228–234; Interview Hollein mit Burkhardt, in: Burkhardt; Eveno; et al. 1987. o. S. Interview mit Hans Hollein vom 14.02.2000, in: Burgard 2020, S. 84. Vgl. z.B. Korn 2019, S. 60; Gura 2017, S. 100. Hollein 1979a, S. 35; zur Dekonstruktion linearer Geschichtsbilder als Kennzeichen postmoderner Ausstellungen vgl. Ernst, Wolfgang: Entstellung der Historie? Museale Spuren(t)sicherung zwischen déjà vu und Wahrnehmungsschock, in: Rüsen; Ernst; et al. (Hg.): Geschichte sehen, Pfaffenweiler 1988, S. 21–34. Szacka 2016, S. 110–111.
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der Kombination von Hoch- und Massenkultur.14 Dies hatte Hollein in kleinerem Umfang bereits bei MAN transFORMS getan, indem er wertvolle Objekte mit Alltagsgegenständen kombinierte. Auch die Zusammenarbeit mit einer spezialisierten Kulissenbaufirma bei der Strada Novissima tauchte im Kleinen schon bei Holleins New Yorker Ausstellung auf. Neben der Präsentation von Architektur in der Strada Novissima gab es eine Ausstellung über Design mit dem Titel L’oggetto banale, kuratiert von Alessandro Mendini und Studio Alchimia, welche die Vielfalt postmoderner Displaymöglichkeiten verdeutlicht: In dieser Schau sollte Design konzeptuell ähnlich wie bei MAN transFORMS als Teil der Populärkultur dargestellt werden. Während Hollein zur Darstellung dieses Anliegens vielfältige Displaystrategien kombinierte, wählten die Kuratierenden in Venedig eine klassische Präsentationsweise der Moderne, die sie ironisch hinterfragten: Alltagsgegenstände wurden im Stil der »good design«-Schauen des MoMA präsentiert, jedoch mit dekorativen Elementen modifiziert.15 Viele der von Szacka als postmodern identifizierten Konzepte und Displaystrategien wie Pluralität, Inszenierung, Spektakularisierung, Verbindung von Hoch- und Alltagskultur ähnelten demnach stark den Strategien bei MAN transFORMS, die Hollein auch für seinen Beitrag zur ersten Architekturbiennale aufgriff. Nach Meinung vieler Kritiken drückte Hans Holleins Fassadengestaltung in der Strada Novissima die postmodernen Ideen der Ausstellung am besten aus.16 So zitierte er auf theatrale und gleichzeitig ironische Weise verschiedene Architekturstile und bezog zugleich die vorhandene Architektur mit ein. Seine sprechende Fassade generierte durch die Transformation der architektonischen Zitate neue Bedeutungen und stellte dadurch die kommunikativen Aspekte der Architektur in den Vordergrund.17 Zugleich nutzte er für die Gestaltung der Fassade Elemente, die im Rückblick kennzeichnend für postmoderne Architektur waren: Bogen, Säule und Neonlicht. Wie Eva Branscome ausführlich darlegte, hatte diese Installation daher maßgeblichen Anteil an Holleins Zuordnung zur Postmoderne.18 Nachdem Hollein durch diese Installation in Venedig zu einem der wichtigsten Vertreter der Postmoderne erklärt worden war, wurde später auch seine Installation Die Turnstunde in einer der Postmoderne gewidmeten Ausgabe der Zeitschrift AD ausführlich vorgestellt und als »Post-Modern Performance Art« bezeichnet.19 In die14 15 16 17 18 19
Szacka 2016, S. 136. Ebd., S. 120–121. Branscome 2018, S. 24. Szacka 2018, S. 232. Zur Zuordnung Holleins zur Postmoderne und der Bedeutung der Architekturbiennale dafür vgl. Branscome 2018, S. 24–76. Hollein, Hans; Papadakis, Andreas: Post-Modern Performance Art. AD Art & Design, Nr. 3–4 (1987), S. 78–79. Als Autor des Textes wird in AD Hans Hollein angegeben, dies scheint jedoch nicht ganz plausibel, da von ihm in der dritten Person gesprochen wird. Pettena gibt als Autor Andreas Papadakis, den Hg. des Magazins, an.
VI. Kontextualisierung im Ausstellungswesen
sem Fall wurden vor allem der mehrdeutige Symbolismus der Formen und Materialien sowie deren ornamentale Verwendung als postmoderne Gestaltungsprinzipien identifiziert. Ähnlich wie bei der Strada Novissima wurde außerdem der Bezug zur Umgebung als Kennzeichen postmoderner Displays ausgemacht. Im Rückblick auf Holleins frühere szenografisch-künstlerische Ausstellungen lässt sich eine Tradition der anschaulichen, assoziativen und zugleich spektakulären Präsentation von Themen erkennen. So sind als postmodern identifizierte Kennzeichen wie Ortsspezifik, assoziative und metaphorische Präsentationen mit mehreren Bedeutungsebenen, eine symbolische Verwendung von Formen und Materialien und szenografische Inszenierungen mit ironischen Details sowie die Ansprache eines breiten Publikums auch für Holleins frühere Ausstellungen charakteristisch. Somit basieren MAN transFORMS, Holleins Fassade für die Biennale 1980 und Die Turnstunde auf seinen vorangegangenen Erfahrungen als Ausstellungsgestalter, die mit postmodernen Prinzipien korrespondierten. Im Zusammenhang mit Holleins Wiener Großausstellungen der 1980er sind Überlegungen der österreichischen Historikerin und Bildwissenschaftlerin Anna Schober zu inszenierten kulturhistorischen Ausstellungen relevant: Sie sieht postmoderne Ausstellungsgestaltung weniger als ästhetisch definierbares Konzept, sondern macht sie vielmehr an einem postmodernen, ahistorischen Umgang mit den Objekten sowie an einer Kommerzialisierung und Eventisierung des Kulturbetriebes fest.20 Dieser postmoderne Umgang mit Objekten kann in weiten Teilen von Schobers Argumentation mit Martin Schärers Ausstellungssprache der theatralen Präsentation gleichgesetzt werden, bei der nicht das Einzelobjekt, sondern sein Arrangement im Gesamtbild im Vordergrund stehe und oft eine »nostalgisch-verklärende Vergangenheitssicht« dargestellt werde.21 Darüber hinaus werden die Objekte Schober zufolge von der Gestaltung dominiert.22 Als besondere Kennzeichen dieser Inszenierungen machte sie eine Orientierung an Warenästhetik, also Verfahren wie sie in der Produktwerbung genutzt werden, sowie eine Doppelcodierung dieser kommerziellen Zeichensysteme aus.23 Den Begriff der Doppelcodierung verwendete Schober im Sinne von Charles Jencks Auffassung der postmodernen Architektur, bei der die verwendeten Metaphern von Architekturkundigen und Laien unterschiedlich verstanden werden sollten.24 Diese Verwendung einer populären Sprache in der Inszenierung von Ausstellungen erfolgte bei den inszenierten kulturhistorischen Ausstellungen der 1980er Jahre laut
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Vgl. Schober 1994, S. 42–69. Vgl. Schärer 2003, S. 125–126. Schober 1994, S. 19–20. Ebd., S. 48. Vgl. Jencks, Charles: Die Sprache der postmodernen Architektur. Die Entstehung einer alternativen Tradition, Stuttgart 1977 1978, S. 6.
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Schober in sinnlicher und bildhafter Weise. Die Verwendung von Bildsymbolen und Metaphern in der Ausstellungsgestaltung anstelle von Text sah sie ebenfalls als gemeinsames Merkmal postmodern inszenierter Ausstellungen an.25 Als ein Beispiel einer solchen Ausstellungsinszenierung führte sie Hans Holleins Fassadengestaltung bei der Ausstellung Traum und Wirklichkeit an. Diese sprechende Gestaltung sah sie in der Nähe von Produktwerbung angesiedelt. Gleichzeitig identifizierte sie verschiedene Assoziationsmöglichkeiten der Fassadenbilder. Allerdings verwendete Hollein laut Schober die gezeigten Symbole in ahistorischer und zitathafter Weise, ohne deren ursprünglichen historischen Kontext zu thematisieren.26 Schober machte demnach drei postmoderne Strategien in kulturhistorischen Ausstellungsinszenierung der 1980er aus: zum Ersten theatrale Inszenierung, zum Zweiten Orientierung an Werbestrategien in der Gestaltung sowie zum Dritten mehrfache Codierung in populärer und bildhafter Weise. Allerdings stützte Schober ihre Auffassung vor allem auf Ausstellungstheorien und weniger auf Analysen konkreter Ausstellungsgestaltungen. Auch bei Traum und Wirklichkeit beschränkte sie sich auf die Anschauung der Fassadengestaltung. Der Philosoph Peter Mahr, der Traum und Wirklichkeit als Kulmination von Holleins postmoderner Kunst ansah, machte als postmoderne Kennzeichen dieser Ausstellung ebenfalls das Theatrale in der Inszenierung sowie die Verwendung von Ironie, Metapher, Erzählung und Zitat aus. Er sah dies konkret in der farbigen Gestaltung der Räume und der dekorativ verwendeten Ornamentik der Displays exemplifiziert.27 Die von Schober identifizierten allgemeinen Merkmale postmoderner Inszenierungen bei kulturhistorischen Ausstellungen und Mahrs Beobachtungen korrespondieren mit den Erkenntnissen zu Hans Holleins Ausstellungsgestaltungen: Die Steigerung der theatralen Inszenierung, vor allem bei den Auftragsausstellungsgestaltungen ab Mitte der 1970er Jahre, wurde in der Analyse bereits ausgemacht. Ebenso wurde Holleins Orientierung an Warenästhetiken in der Ausstellungsgestaltung nachgewiesen. Dies allerdings schon bei Ausstellungen der 1960er Jahre. Auch die mehrfache Codierung durch vielschichtige Assoziationsebenen und die von Mahr identifizierte Verwendung von Ironie, Zitaten und Metaphern waren wichtige Merkmale aller thematisierten Ausstellungen von Hans Hollein. Eine Nähe zu postmodernem Design kann außerdem in der Gestaltung einzelner Ausstellungsmöbel beobachtet werden. Dies steht in Zusammenhang mit Hol-
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Schober 1994, S. 48–49. Ebd., S. 43–44. Vgl. Abschnitt HOLLEIN, in: Mahr, Peter: L’art philosophique. Hollein mit Lyotard. Annäherung an die Erzählung der Architektur. mahr’svierteljahrsschriftfürästhetik Nr. 2 (2000), o. S.
VI. Kontextualisierung im Ausstellungswesen
leins Involvierung in verschiedene Designprojekte im Kontext der Postmoderne.28 Beispielhaft dafür sind die massiven Präsentationsrahmen für filigrane Tücher bei MAN transFORMS mit amorph abgebrochener Ecke. Ein anderes Beispiel stellen die Varianten von Vitrinen mit abgestuften Beinen bei Die Türken vor Wien dar. Sie weisen formale Ähnlichkeiten zu Holleins Tisch Schwarzenberg auf, den er 1981 für das eng mit der Postmoderne verknüpfte Designkollektiv Memphis entwarf.29 Die Gestaltung der Vitrinen war entweder von starken farbigen Kontrasten oder ornamentalem Golddekor geprägt. Diese expressiven Ausstellungsmöbel mit ornamentalen Applikationen widersprachen dem dienenden Zweck, den funktional gestaltete Vitrinen in auratischen Ausstellungen der Moderne erfüllen sollten. Dies gilt auch für den Präsentationsaltar und die mit goldenen Kugeln geschmückte Absperrung von Klimts Gemälde Der Kuss bei Traum und Wirklichkeit. Ebenso können die an Designs der Wiener Werkstätte angelehnten Vitrinen bei dieser Ausstellung, die auf ihre Vorbilder in abstrahierter Form verwiesen, in einem postmodernen Designkontext gesehen werden – zumal gerade das Schaffen der Wiener Werkstätte und von Gestaltern wie Josef Hoffmann und Adolf Loos zu dieser Zeit und auch in dieser Ausstellung wiederentdeckt und gefeiert wurde und eine wichtige Inspirationsquelle für das Design der Postmoderne darstellte.30 Die Präsentationsmöbel waren eigenständige Designstatements und bestimmten den Raum. Allerdings muss für den Aspekt der Präsentationsmöbel auf die Einschränkung der Vergleichbarkeit hingewiesen werden. Bei den früheren kleinen Ausstellungen von Hollein wurden erstens wenig Vitrinen benötigt und zweitens fehlte Budget für das Design von Ausstellungsmöbeln. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass Hollein, wenn er mehr Geld zur Verfügung gehabt hätte, schon in den 1960er Jahren mehr expressive Ausstellungsmöbel entworfen hätte. Er hatte dies bei der Brücke für Selection 66, die durch ihre Form und Farbigkeit ebenfalls ein Designstatement darstellte, bereits umgesetzt. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass es eine Bandbreite an Kennzeichen postmoderner Ausstellungsgestaltungen gibt, die von verschiedenen Forschenden identifiziert wurden. Anhand der Betrachtung von Hans Holleins Ausstellungsgestaltungen kann jedoch keine klare Veränderung oder gar ein harter Bruch in der Formensprache und der Konzeption ab Ende der 1970er Jahre identifiziert werden. Hier wird die bereits erläuterte Meinung vertreten, dass bei Hans Holleins Ausstellungsgestaltungen der 1960er bis 1980er Jahre eine Kontinuität zu beobachten ist. Viele der genannten Prinzipien, die mit der Postmoderne assoziiert wurden,
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Ab 1980 war Hans Hollein in Designprojekte und Wettbewerbe u.a. der Firmen Alessi, Cleto Munari, Memphis, Disney und Swid Powell involviert, die in Kontext mit postmodernem Design standen, vgl. Gura 2017, S. 98–101, 328–337; Collins 1987, S. 19–22. Beschr. Tisch Schwarzenberg: Collins 1987, S. 20; Abb. s. Weibel 2011a, S. 392. Collins 1987, S. 15.
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sind bereits zu Beginn seiner Ausstellungstätigkeit zu beobachten. Auch die Dekonstruktion narrativ-linearer Geschichtsvermittlung wurde bei frühen Ausstellungen wie Tod bereits sichtbar. Jedoch kann die festgestellte gesteigerte Theatralik in der Ausstellungssprache und Spektakularisierung der Ästhetik der Displays unter anderem mit postmodernen Einflüssen in Verbindung gebracht werden. Die von Lefaivre, Kaiser und Werner konstatierten Einflüsse der Postmoderne ab Ende der 1970er Jahre können demnach in Bezug auf diesen Punkt bestätigt werden. So sprach Werner im zu Beginn des Kapitels genannten Zitat auch davon, dass Holleins Gestaltungen an »Panoramen bzw. Bühnenbilder« erinnerten.31 Hans Hollein passte das Erscheinungsbild seiner Ausstellungen dem aktuellen ästhetischen Zeitgeschmack an. So orientierte er sich bei Selection 66 an Gestaltungsprinzipien der Pop Art und aktuell angesagten Farben und bei den großen Ausstellungen der 1980er Jahre verwendete er Elemente postmoderner Gestaltung. Die Zuordnung der Ausstellungen zur Postmoderne korrespondiert mit Holleins Einordnung zur architektonischen Postmoderne und hat in der neueren Forschung zuweilen einen abwertenden Ton. Lefaivre schrieb über die Ausstellungen, die nach MAN transFORMS folgten: »a postmodernist retrenchment replaced a rebellious modernizing spirit of experimentation.«, um in Bezug auf Traum und Wirklichkeit einschränkend hinzuzufügen »in spite of the Strada Novissima, he never completely abandoned the ambitions he had nurtured in the previous phase.«32 Auch Schober beurteilte den von ihr festgestellten Einfluss der Postmoderne auf die kulturhistorischen Ausstellungen negativ und stellte sie in die Nähe von Ereigniskultur und Kommerzialisierung.33 Eine Instrumentalisierung von Holleins Ausstellungsgestaltung zur Argumentation für oder gegen seine Zuordnung zur Postmoderne erscheint jedoch nicht angebracht solange keine Untersuchungen vorliegen, wie sich Einflüsse der Postmoderne auf Ausstellungen konzeptionell und vor allem in der Formensprache des Displays konkret niederschlugen. Um gemeinsame Merkmale herauszuarbeiten, wären vergleichende Analysen von Ausstellungsgestaltungen, die im Kontext der Postmoderne entstanden, notwendig. Dies stellt in der Forschung abgesehen von ersten Überlegungen in den diskutierten Studien von Szacka und Schober jedoch ein Desiderat dar. Holleins Ausstellungsgestaltungen wiesen eine Nähe zu postmodernen Ideen und Gestaltungsprinzipien auf und können in diesem Kontext gelesen werden. Es gab jedoch auch andere Bezüge zu Entwicklungen im Ausstellungswesen, in welche sie im Folgenden eingeordnet werden.
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Werner 1999, S. 25. Lefaivre 2015, S. 155. Schober 1994, S. 42–44.
VI. Kontextualisierung im Ausstellungswesen
VI.II Vorangegangene und zeitgenössische Ausstellungsgestaltung Als Hans Hollein in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre anfing Ausstellungen zu gestalten, begann, wie in Kapitel II.I erläutert, zeitgleich eine Entwicklung von objektzentrierten hin zu ideenbasierten und publikumsorientierten Ausstellungen, die ab den 1970er Jahren verstärkt im Museumswesen erkennbar wurde. Diese Entwicklung hatte grundlegenden Einfluss auf die Präsentation von Objekten, welche von da an als Zeichenträger verstanden wurden, die durch das Display eine Deutung erfuhren.34 Das Zusammenspiel von Display und Objekten zur Darstellung einer Botschaft und nicht die Objekte selbst waren Ausgangspunkt der Inszenierungen. Ansätze zur verstärkten Einbindung des Publikums kamen nach dem Zweiten Weltkrieg aus dem Bereich populär-orientierter Ausstellungen und der Freizeitindustrie. Sie spielten aber auch in den in Kapitel II.III angesprochenen Strömungen der zeitgenössischen Kunst eine wichtige Rolle. Im Rückblick auf die in Kapitel II.I dargelegten Entwicklungen im Ausstellungswesen lässt sich feststellen, dass Holleins frühe Ausstellungen wenig von der damaligen Ausstellungspraxis der Museen geprägt waren. Insbesondere die Ausstellungen Selection 66 und MAN transFORMS waren ihrer Zeit voraus. Sie adaptierten kuratorische Strategien, inszenierende und szenografische Gestaltungsprinzipien sowie künstlerische Praktiken für Museen, in denen zu dieser Zeit in der Regel objektorientierte – auratische oder didaktische – Schauen zu sehen waren. Der Großteil der Museen begann erst Ende der 1970er Jahre ihre Präsentationen neu zu denken und Strategien, die Hans Hollein bereits in den 1960er Jahren angewandt hatte, einzusetzen. Daher sind erst Holleins kulturhistorische Ausstellungsinszenierungen der 1980er mit anderen Ausstellungen aus dem musealen Bereich vergleichbar. Seine Ausstellungen im Wiener Künstlerhaus setzten in ihrer Opulenz und Breitenwirkung gemeinsam mit anderen kulturhistorischen Ausstellungen wie Die nützlichen Künste und Preußen – Versuch einer Bilanz neue Maßstäbe der dynamischen, szenisch-narrativen Ausstellungsgestaltung in Museen und Ausstellungshäusern. Dies gilt im Besonderen für Österreich und seine Hauptstadt, deren Museumslandschaft bis in die 1980er Jahre von konservativer Sammlungsbewahrung statt publikumsorientierter Präsentation geprägt gewesen zu sein scheint.35 Die Archivmaterialien geben nur wenig Auskunft darüber, mit welchen zeitgenössischen Ausstellungsgestaltenden sich Hans Hollein näher beschäftigte und welche Ausstellungen er sich ansah. Eine Ausnahme ist sein in Kapitel IV.I.V thematisierter Verweis auf Klaus-Jürgen Sembach. Wie Hollein schuf Sembach narrati-
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Vgl. Begriff des »Semiophor« bei Pomian, Krzysztof: Der Ursprung des Museums. Vom Sammeln, Berlin 1988. Vgl. z.B. Beschreibung der Kuratoren bei Heinich; Pollak 1989, S. 27. Darüber hinaus konnte keine relevante Literatur zur österreichischen Museumspolitik 1960–1990 gefunden werden.
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Die Architektur der Inszenierung
ve und publikumsorientierte Ausstellungsinszenierungen. Diese hatten ihren Ausgangspunkt jedoch in den Objekten selbst und nicht in der darzustellenden Idee.36 Sembach war ebenfalls studierter Architekt. Er konzipierte und gestaltete bereits ab Mitte der 1960er als kuratorischer Mitarbeiter in der Neuen Sammlung in München Ausstellungen. Seine dort bis 1980 realisierten Schauen waren aufgrund ihrer modernen, architektonisch-räumlich orientierten Gestaltung über die Grenzen der Stadt hinaus bekannt. Sie hatten jedoch in der Präsentation der Objekte noch auratisch-musealen Charakter und wenig mit seinen späteren spektakulären Inszenierungen wie von Die nützlichen Künste von 1981 gemein.37 In den 1960er und 1970er Jahren wurden im musealen Ausstellungswesen sowohl die inhaltliche Konzeption als auch die räumliche Präsentation in der Regel von fachwissenschaftlichen Mitarbeitenden übernommen. Sembachs Tätigkeit in der Neuen Sammlung war ungewöhnlich, da er kein studierter Kunstwissenschaftler war. Zu dieser Zeit zog man architektonisch geschulte Personen in der Regel bei Museumsausstellungen nur für deren Einrichtung und Gestaltung unter funktionalen Gesichtspunkten hinzu. Diese setzten meist die Vorgaben des Kuratierenden zur Gestaltung um und berieten ihn in technischen Fragen wie dem Bau von Stellwänden.38 Auch als ab den 1980er Jahren verstärkt mit Fachleuten aus der Architektur und aus dem Bereich des Bühnenbildes zusammengearbeitet wurde, um spektakulärere Inszenierungen zu schaffen, blieb die klare hierarchische Trennung zwischen wissenschaftlich arbeitendem Museumspersonal und praktisch gestaltenden Personen bestehen. Dies stellte Sembach in seiner Arbeit als freier Ausstellungsgestalter ab den 1980er Jahren ebenfalls fest: Er sah seine gestalterische Umsetzung gegenüber den kuratorischen Konzepten als nachranging an und sprach von einem latenten Misstrauen der Museumsleute gegenüber Ausstellungsgestaltenden.39 Dass Hans Hollein diese Aufgabentrennung aufhob beziehungsweise unterwanderte und bereits viel früher als kuratierender Ausstellungsgestalter auftrat, hebt ihn von vielen anderen ab.
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Hölz, Christoph: Ausstellungsgestaltung ist Verführung und Aufklärung zugleich, in: Hölz (Hg.): Formen des Zeigens, Berlin 2013a, S. 8. Nerdinger, Winfried: Klaus-Jürgen Sembach Intelligenz der Gestaltung, in: Hölz 2013b, S. 270. Abb. s. ebd. S. 32–41. Wie es dazu kam, dass Sembachs erste externe Ausstellungsgestaltung von Die nützlichen Künste 1981 in Berlin v.a. im Vergleich zu den vorangegangenen Ausstellungen in München so eine spektakuläre Inszenierung wurde, scheint mit dem Hinweis auf erhöhte Budgets allein nicht erklärbar und erschließt sich im Buch nicht. Vgl. dazu Selle, Kerstin: Szenographie als neues Gestaltungskonzept in Ausstellungen und Museen am Beispiel des Historischen Museums Hannover (Magisterarbeit), Universität Hannover 2002, S. 71–73. Sembach, Klaus-Jürgen: Arbeit für Museen, in: Hölz (Hg.): Formen des Zeigens, Berlin 2013, S. 18; Sembach, Klaus-Jürgen: Arbeit mit Museen, in: Hölz (Hg.): Formen des Zeigens, Berlin 2013, S. 23.
VI. Kontextualisierung im Ausstellungswesen
Durch seine ideenbasierten Ausstellungskonzeptionen kann er auch mit dem ab Ende der 1960er Jahre aufkommenden neuen Typus des Ausstellungsmachers in Zusammenhang gebracht werden. Ausstellungsmacher wie Harald Szeemann waren selbstständig tätig und entwickelten temporäre Ausstellungen für verschiedene auftraggebende Institutionen. Die Ausstellungsmachenden der Generation von Hollein arbeiteten projektbezogen und konzipierten, organisierten und gestalteten Ausstellungen ab Ende der 1960er Jahre in eigenem Namen. Sie waren von den künstlerischen Praktiken dieser Zeit geprägt, in denen das gesamtheitliche Raumerlebnis im Zentrum stand, und erhoben die Ausstellung selbst zur Kunstform.40 Hollein war mit Szeemann befreundet und stand mit ihm in Austausch.41 Beide verband eine künstlerische, ideenbasierte und assoziative Herangehensweise an Ausstellungen. Zu Szeemanns kulturhistorischen Ausstellungsprojekten bestand eine Verwandtschaft im Geiste. Im Gegensatz zu Hans Hollein nutzten Ausstellungsmachende der 1970er und 1980er wie Sembach und Szeemann jedoch in der Regel Objekte als Grundlage der visuellen Vermittlung. In Kapitel II.II wurde dargelegt, dass das den Betrachtenden und die Architektur verbindende Raumverständnis eine Grundlage für die Entfaltung von Ausstellungsinszenierungen und Installationen nach dem Zweiten Weltkrieg bildete. Hans Holleins szenografisch-künstlerischen Ausstellungsinszenierungen wurzelten in der secessionistischen Tradition sakraler Raumgestaltungen, in denen die ausgestellten Werke mit der Architektur verschmolzen und zu einem Schauzusammenhang beziehungsweise einem Raumkunstwerk wurden. Bei Traum und Wirklichkeit rekonstruierte und zitierte Hollein sogar direkt Josef Hoffmanns Displays. Seine Ausstellungen können auch in ihrer ästhetischen Komposition bis in die kleinsten Details in Zusammenhang mit Ausstellungsgestaltungen in der Wiener Secession gebracht werden. Darüber hinaus stehen Holleins Ausstellungen in der ebenfalls in Kapitel II.II dargestellten Tradition von Ausstellungsinszenierungen der historischen Avantgarden der 1920er bis 1940er Jahre. Mit ihren ganzheitlichen, transdisziplinären Gestaltungskonzepten, bei denen weniger einzelne Ausstellungsobjekte als deren Zusammenspiel mit dem Raum und die Interaktion mit dem Publikum eine zentrale Rolle spielten, waren Gestaltende wie El Lissitzky, Herbert Bayer, Friedrich Kiesler und Marcel Duchamp wichtige Anknüpfungspersonen.42 Besonders die Rauminszenierungen des multidisziplinär arbeiteten Kiesler, der von seiner Arbeit im Theater und als Schaufensterdekorateur geprägt war, sind mit der Ausstellungspraxis
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Kurzmeyer 2019, S. 14–19. Hollein, Max: Interview 03.09.2020. Im Gegensatz zu den anderen Gestaltern konnten keine Belege für eine Auseinandersetzung Holleins mit Herbert Bayer gefunden werden.
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Die Architektur der Inszenierung
Holleins vergleichbar.43 Ähnlichkeiten zu den Entwürfen der genannten Gestalter lassen sich allenfalls in Details wie bei der Verwendung von Gucklöchern oder im Design von Präsentationsmöbeln nachweisen. Im Verständnis von Ausstellungsgestaltungen als Kunstwerke sind sie Holleins Praxis jedoch sehr nah. Immer wieder griff Hans Hollein auch auf eng mit dem Surrealismus verbundene Gestaltungsformen wie Collage oder visuelle Montage zurück. Bei ihm lief es jedoch weniger auf das surrealistische Spiel der Zusammenstellung von Sinnlosem oder Absurden häufig mit banalen Objekten hinaus. Vielmehr ging es ihm um die Umdeutung von Objekten, deren Rand- oder Nebenbedeutungen durch ihre Zusammenstellung sichtbar wurden. Alltagsobjekte erhielten einen hintergründigen Sinn im neuen Kontext. Dies wurde zum Beispiel im Raum Menschliche Situationen bei MAN transFORMS deutlich. Statt mit musealen Ausstellungen korrespondierten Holleins Schauen vielmehr mit Inszenierungsstrategien, die vor dem Zweiten Weltkrieg entwickelt wurden und bei großen Ausstellungen wie Weltausstellungen, kommerziellen Messen und anderen populären Waren- und Erlebnispräsentationen zu sehen waren.44 Diese populär-orientierten Inszenierungsstrategien wurden unter anderem von kommerziellen Themen- und Freizeitparks aufgegriffen. Diese inszenierten interaktive, multimediale und fiktive Welten, um das Publikum zu unterhalten.45 Ein Wegbereiter war das 1955 eröffnete Disneyland Anaheim.46 Didaktisch orientiert waren interaktiv angelegte Lern- und Mitmachausstellungen, die ihre Gäste erlebnispädagogisch miteinbezogen, indem sie ebenfalls Inszenierungsstrategien anwandten. Beispiele für Vorreiter dieses Trends waren die 1967 auf der Expo Montreal präsentierten »Spielmaschinen« des Künstlers und Pädagogen Hugo Kükelhaus und die ab Ende der 1960er in den USA neu gegründeten Science Center.47 Diese populär-orientierte Art der Wissensvermittlung war eng mit dem Begriff »edutainment« verbunden, der eine Verbindung von Wissensvermittlung und Unterhaltung meint. Mit diesen Ideen und Präsentationsstrategien standen Hans Holleins Ausstellungen in engem Zusammenhang. Die sprechende Fassadengestaltung in Kombination mit Neonschrift der beiden kulturhistorischen Ausstellungen in Wien zeigte Bezüge zu au43 44
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Vgl. Bogner 2004, S. 34–49. Vgl. Neuburg, Hans; Burtin, Will; et al.: Internationale Ausstellungsgestaltung, Zürich 1969; Clasen, Wolfgang: Ausstellungen und Messestände, Stuttgart 1968; Franck, Klaus: Ausstellungen. Exhibitions, Stuttgart 1961; Lohse, Richard P.: Neue Ausstellungsgestaltung. 75 Beispiele neuer Ausstellungsformen, Erlenbach-Zürich 1953. Zur Unterscheidung zw. musealen Inszenierungen und kommerziellen Erlebnisparks s. Kaiser 2006, S. 40–41, 223–227. Vgl. Dunlop, Beth: Building a dream. The art of Disney architecture, New York 1996. Zu Kükelhaus: Müller; Möhlmann 2011, S. 160–166; zu Science Centern: Hein, Hilde: Naturwissenschaft, Kunst und Wahrnehmung. Der neue Museumstyp aus San Francisco, Stuttgart 1993.
VI. Kontextualisierung im Ausstellungswesen
ßergewöhnlichen Werbestrategien, wie sie in Freizeitparks zu sehen sind.48 Von den gängigen Freizeitpark- und Messepräsentationen der Zeit unterschieden sich Holleins Gestaltungen jedoch wiederum durch ihre explizit künstlerische Haltung und ihren Assoziations- und Bedeutungsreichtum. Ähnlich wie bei vielen Ausstellungsmachenden dieser Zeit waren Hans Holleins Gestaltungen geprägt von den Ausstellungspraktiken in der Kunst der 1960er Jahre. Mehrere Ideen der damaligen zeitgenössischen Kunst spielten eine Rolle in Holleins Ausstellungspraxis: Erstens die unter anderem durch das Happening eingeführte Publikumseinbindung. Zweitens die vor allem durch die Pop-Art eingeleitete Einebnung der Unterscheidung zwischen Hoch- und Alltagskultur. Drittens konzeptuelle Kunstpraktiken, die den Status des Kunstwerkes hinterfragten. Die Kunst der New Yorker Szene war ein wichtiger Orientierungspunkt für sein künstlerisches Schaffen, wie in Zusammenhang mit Selection 66 und deren Nähe zu Praktiken und Ästhetiken der Pop- und Op-Art dargelegt wurde.49 Auch weitere von Hollein häufig angewandte Praktiken können vor dem Hintergrund seiner Begegnung mit der New Yorker Kunstszene der 1960er Jahre gelesen werden und mit deren Environments und Happenings in Kontext gesetzt werden: der Einbezug des Publikums mit allen Sinnen durch die interdisziplinäre Erweiterung der ästhetischen Erfahrung, die Einbindung einfacher und alltäglicher Materialien sowie die Verbindung aller Bestandteile zu einem gesamtheitlichen Arrangement. Besonders mit Claes Oldenburg stand Hans Hollein in enger Beziehung und in Austausch über die künstlerisch-installative Präsentation von Kunstwerken.50 Wie in Kapitel III angedeutet wurde, war auch die multidisziplinär geprägte Wiener Avantgardeszene ein wichtiger Bezug für Hollein. Robert Fleck, Experte für die Wiener Kunstszene der 1960er und 1970er, vertrat die Auffassung, dass sich in Österreich eine spezifische Form des Environments herausbildete. Dieses wollte im Gegensatz zu den Environments der New Yorker Kunstszene keine Realräume nachbilden, sondern vielmehr architektonische Räume mit kultischer und ritueller Bedeutung schaffen. Als einen der Vertreter dieser Art von Environments sah er Hans Hollein an.51 Die Schaffung mystisch-sakraler Räume war vor allem bei seinen künstlerischen Ausstellungen zentral. Stark waren in dieser Hinsicht die Parallelen zum Werk von Walter Pichler – laut Hollein war Pichlers kultischer Ansatz zum Leben und zur Kunst der wesentlichste Aspekt von dessen Arbeit und
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Vgl. Fliedl 1987, S. 47–48. S. Kap. IV.I.I. Hollein, Max: Interview 03.09.2020. Das österreichische Environment habe seine Wurzeln laut Fleck in den Wiener Architekturdiskussionen und in der skulpturalen Objektkunst von Künstlern wie Alberto Giacometti und Fritz Wotruba. Vgl. Fleck 1982, S. 222–223; für eine Analyse weiterer Charakteristika der Wiener Kunstszene der 1960er vgl. Mayer 1974, S. 27–35.
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Die Architektur der Inszenierung
der Anknüpfungspunkt zu seinem eigenen Werk.52 Pichler arbeitete als Künstler im Grenzbereich zwischen Architektur und Skulptur. Er schuf seit den 1970ern an seinem Wohnort im Burgenland Skulpturen und dazugehörige räumliche Situationen.53 Für Hollein war es neben der New Yorker und Wiener Kunstszene etwas später auch die Rheinländische Kunstszene, die einen wichtigen Referenzpunkt für seine künstlerische Arbeit darstellte. Hierbei kann sein installatives Werk vor allem mit Szeemanns Konzept der individuellen Mythologien sowie der Museums- beziehungsweise Institutionskritik in Zusammenhang gestellt werden. Besondere Bezüge gab es dabei zum Werk von Beuys.54 Im Unterschied zu Beuys und Pichler gingen Holleins Installationen und Ausstellungen jedoch nicht von Objekten oder Skulpturen als Grundlage der Präsentation aus. Die Idee der Ausstellung bildete stattdessen den Ausgangspunkt für die Auswahl und Schaffung von Objekten. Die gesamte Ausstellungsgestaltung inklusive des Raumes und der davon ausgehenden Objektauswahl – das Display – wurde zum Kunstwerk. Auch im Hinblick auf den Umgang mit den Relikten temporärer Ausstellungen gibt es Parallelen zwischen dem Schaffen von Hollein und Beuys.55 Aus ihrem ursprünglichen Präsentationskontext oder der Performance herausgelöst, verlieren die Objekte ihre ursprüngliche Bedeutung, werden zu Relikten, die im besten Falle als Symbole für die vergangene Ausstellung fungieren können oder aber durch eine Präsentation in anderem Kontext umgedeutet werden. Das künstlerische Ausstellungsdisplay, das von Hollein oder Beuys persönlich zusammengestellt wurde, konnte nur während der Laufzeit dieser Ausstellung erlebt werden.56 Vor allem im Aspekt der Gestaltung von ganzheitlichen Erfahrungs- und Erlebnisräumen, oftmals unter Rückgriff auf einfache und alltägliche Objekte und Materialien, waren Holleins Ausstellungen auch mit den surrealistischen Totalausstellungen sowie der Dylaby-Schau und anderen künstlerischen Environments und Installationen vergleichbar. Allerdings war die Ästhetik seiner Ausstellungen weniger an diesen künstlerischen Installationen als wiederum an Prinzipien orientiert, die aus dem Bereich kommerzieller und repräsentativer Ausstellungen stammten.57 Die Nähe zu künstlerischen Praktiken prägte nicht nur Holleins 52 53
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Hollein, Hans (Hg.): Walter Pichler. Austria, XL. Biennale Venedig, Österreichischer Pavillon Ausst.-Kat., Salzburg; Wien 1982, S. 6. Vgl. Gallwitz, Klaus (Hg.): Walter Pichler. Skulpturen, Zeichnungen, Modelle, Städel Museum Ausst.-Kat., Salzburg; Wien 1987; Pichler, Walter: Skulpturen, Gebäude, Projekte, Salzburg 1983. Vgl. Werkner 2007, S. 227. Vgl. Kap. V.I.II. Vgl. McGovern 2016, S. 90ff. Das von Hollein geknüpfte Netz aus Anspielungen und Assoziationen aus verschiedensten Bereichen sowie fehlende Äußerungen zu seinen Quellen erschwert es konkrete Vergleiche zu anderen Kunstschaffenden zu ziehen. In Bezug auf Parallelen zum Werk anderer Künstler
VI. Kontextualisierung im Ausstellungswesen
Schaffen als Ausstellungskünstler, sondern auch seine Auftragsgestaltungen. Dass er mithilfe künstlerischer Praktiken Auftragsausstellungen vor allem in Museen gestaltete, ist als Ansatz insbesondere in den 1960er und 1970er Jahren ungewöhnlich. Unter den Architekturschaffenden war Hollein in der Beschäftigung mit Ausstellungen als künstlerisches Medium in den 1960er und 1970er Jahren kein Einzelfall.58 Wie in Kapitel IV.I.II zur Triennale Mailand 1968 erläutert wurde, setzten sich viele Personen aus der avantgardistischen Architekturszene der 1960er, mit denen Hollein im Austausch stand, mit räumlichen Inszenierungen auseinander. Diese präsentierten wie Hans Hollein ihre Ideen einer neuen Architektur ab Mitte der 1960er Jahre durch die Inszenierung eigener Projekte in Ausstellungen, Happenings und Events. Zu sehen gab es dabei weniger konkrete Bauprojekte, stattdessen wurden Ausstellungen als Foren genutzt, um Architektur und Raumwahrnehmung zu hinterfragen.59 Im Fokus stand hierbei die Interaktion des Menschen mit dem Raum. Zentrale Figuren waren unter anderem Archigram, Superstudio und Wiener Gruppierungen wie Coop Himmelb(l)au und Haus-Rucker-Co.60 Allerdings traten die meisten dieser Architekturschaffenden und Architekturgruppen in der Folge vor allem im Bereich von Architekturausstellungen mit Inszenierungen des eigenen Werkes auf und nur vereinzelt mit künstlerischen Ausstellungsinszenierungen. Ein Beispiel für Ausstellungsinszenierungen von Architekten ist die mythisch-sakrale Schau Archéologie de la Ville, die Haus-Rucker-Co in Kooperation mit François Confino 1977 im Forum des Centre Pompidou gestalteten.61 Diese Schau wurde wie bei der Austriennale durch Gänge strukturiert und wies Ähnlichkeiten zu Holleins Idee des Grabungsfeldes bei Tod auf. Auch Holleins Freund Arata Isozaki konzipierte und entwarf in den 1960er und 1970er Jahren einige künstlerisch-orientierte Installationen: Auf der Triennale Mailand 1968 zeigte er die Installation Electric Labyrinth und bei MAN transFORMS war er mit zwei Installationen beteiligt.62 Ähnlich wie bei Hol-
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wurde daher in dieser Arbeit entweder auf enge Freunde Holleins wie Walter Pichler, Claes Oldenburg oder Joseph Beuys verwiesen, mit deren Werk er vertraut war, oder die Bezugnahme erfolgte in Verweis auf Holleins Manifest Alles ist Architektur. Dort zitierte er Werke von Künstlerinnen und Künstlern. Es wird davon ausgegangen, dass er sich mit deren Werken beschäftigt hat. Weitere Bezugnahmen zum Schaffen anderer Künstlerinnen und Künstler konnten aus dem vorhandenen Material nicht belegt werden und wurden daher nicht thematisiert. Peter Weibel zeigte exemplarisch Bezüge zwischen Holleins Schaffen und zeitgenössischer Kunstpraxis auf: Weibel 2011b, S. 18–19. Pelkonen 2018, S. 6; vgl. hierzu auch: Werner 1999, S. 21–23. Vgl. Pelkonen 2018, S. 16–20. Werner 1999, S. 21–25; s.a. Burns, Jim: Arthropods. New design futures, New York; Washington 1972. Archéologie de la Ville, 02.02.-08.03.1977, Centre Pompidou, Paris; s. Lemonier 2013, S. 90–93. S. Futagawa, Yukio (Hg.): Arata Isozaki, Vol. 1 1959–1978 (Sonderheft GA Architects), Global Architecture, Nr. 6, Tokio 1991, S. 86–95, 218–219; zu Isozakis Beitrag zu MAN transFORMS s.a. Hollein 1989, S. 144–148. Dieser Aspekt von Isozakis Werk ist bisher noch wenig erforscht.
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Die Architektur der Inszenierung
lein stand bei Isozakis Installationen die körperliche Erfahrung im Raum im Mittelpunkt. Allerdings arbeitete nach aktuellem Forschungsstand, der in Bezug auf das Ausstellungswerk der genannten Personen wenig Informationen bietet, keiner dieser bekannten Architekturschaffenden und Architekturgruppen über die lange Zeitspanne von mehreren Jahrzehnten und in dem Ausmaß im Ausstellungsbereich wie Hans Hollein. Wie festgestellt werden konnte, korrespondierten Holleins Gestaltungen mit Ideen der genannten Gestaltenden, Architektur- und Kunstschaffenden. Die Beschäftigung mit deren Werk bot Orientierungsmöglichkeiten für sein Schaffen im Ausstellungsbereich. Stilübernahmen oder direkte Zitate sind jedoch, und dies ist typisch für ihn, selten und kaum eindeutig nachweisbar.63 Nur wenige namhafte Architekturschaffende und Gestaltende beschäftigten sich in den 1960er und 1970er Jahren so intensiv mit Ausstellungen und Präsentationsräumen wie Hans Hollein. In Umfang und Bandbreite ist sein Schaffen im Ausstellungsbereich in dieser Zeit mit der Ausstellungstätigkeit italienischer Gestalter wie Carlo Scarpa vergleichbar, der jedoch einen anderen gestalterischen Ansatz verfolgte und vor allem dekorativ inszenierte Kunstausstellungen und Sammlungspräsentationen konzipierte.64 Auch große amerikanische Designbüros von Charles und Ray Eames oder George Nelson organisierten und gestalteten bereits ab Ende der 1950er Jahre eine Vielzahl von Auftragsausstellungen. Das Ehepaar Eames hatte jedoch seinen Fokus auf multimedialen Filminstallationen und Nelson gestaltete insgesamt dezentere Displays mit einem Schwerpunkt auf variierbaren, repräsentativen Wanderausstellungen.65 Hans Holleins Ausstellungen griffen vorangegangene Entwicklungen auf und korrespondierten und spielten mit zeitgenössischen Gestaltungspraktiken. Nach aktuellem Kenntnisstand der Ausstellungsforschung waren sie unkonventionell, da er inszenierende und szenografische Strategien sehr früh und umfangreich anwandte. Dabei entwickelte er eine charakteristische künstlerische und zugleich designorientierte Handschrift. Hervorzuheben ist, dass er die Ausstellungen nicht nur gestaltete, sondern auch inhaltlich konzipierte. Das Ausmaß seiner Beschäftigung mit dem Themenkomplex Ausstellen und die Kombination aus Konzeption und szenografisch-künstlerischer Inszenierung von Ausstellungen machen sein Ausstellungswerk sowohl im Vergleich mit Ausstellungsmachern und Kuratierenden als auch mit Ausstellungsgestaltenden besonders. 63
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Für detaillierte Vergleiche fehlen bisher übergreifende Analysen zu Ausstellungsgestaltungen dieser Zeit und Forschungen, die sich intensiver mit den Präsentationen der genannten Gestaltenden mit spezifischem Fokus auf deren Ausstellungspraxis beschäftigen. Vgl. Albertini, Bianca; Bagnoli, Sandro: Scarpa. Museen und Ausstellungen, Tübingen; Berlin 1992. S. Eisenbrand, Jochen: George Nelson – ein Designer im Kalten Krieg. Ausstellungen für die United States Information Agency 1957–1972, Zürich 2014; Schramke, Sandra: Kybernetische Szenografie. Charles und Ray Eames – Ausstellungsarchitektur 1959 bis 1965, Bielefeld 2010.
VI. Kontextualisierung im Ausstellungswesen
VI.III Nachwirkungen In den 1980er Jahren zählten Hans Hollein und Klaus-Jürgen Sembach neben anderen Gestaltenden zu den international renommierten Fachleuten im Bereich der Ausstellungsarchitektur, die sich in dieser Zeit als Berufsbild etablierte.66 Mit Beginn des Ausstellungsbooms in den 1980er Jahren waren Architekturschaffende und Gestaltende verstärkt im Ausstellungsbereich tätig und inszenierten Auftragsausstellungen oder künstlerische Installationen. Darunter waren auch Personen, die eine Zeit lang im Umfeld Holleins gearbeitet hatten, wie Hermann Czech, Mario Terzic oder Boris Podrecca. Als Holleins Assistent am Institut für Design an der Universität für angewandte Kunst in Wien und Projektleiter von MAN transFORMS sammelte Czech erste Erfahrung mit Großausstellungen und war federführend an der Erarbeitung der Dokumentationspublikation zur Ausstellung beteiligt.67 Später entwickelte er die innovative Ausstellungsarchitektur zur Kunstschau Von hier aus in Düsseldorf 1984.68 Der Zeichner, Objektkünstler und Landschaftsdesigner Mario Terzic arbeitete von 1974–1979 ebenfalls am Institut für Design der Universität für angewandte Kunst.69 Er war Lehrbeauftragter in Holleins Meisterklasse für Industriedesign. In dieser Zeit konzipierte er die künstlerische Ausstellungsinszenierung Historissimus anlässlich der Hundertjahrfeier des Historischen Museum der Stadt Frankfurt. Holleins Ausstellungspraxis ähnlich verknüpfte Terzic in dieser Schau Sammlungsobjekte mit Alltagsobjekten und eigenen Zeichnungen zu einer ganzheitlichen barocken Inszenierung. Mit seinen assoziativen und teilweise ironischen Environments stellte er das Museumsobjekt zur Diskussion.70 Frank Rolf Werner schrieb über Hollein, dass er »Architektur bis hin zur Ausstellungsgestaltung als ›integriertes Ganzes‹« begriffen habe und »viele jüngere Architekten zu ähnlich ›wildem Denken‹ bei Ausstellungsprojekten animiert« habe. Als Beispiele nannte er Boris Podrecca und Mario Botta.71 Beide Architekten arbeiteten ab den 1980er Jahren vielfach als Ausstellungsgestalter.72 Werner sah Botta jedoch in der dekorativen und objektorientierten Inszenierungstradition Carlo Scarpas.73 Podrecca, der Mitte der 1960er im Atelier Hollein an architektonischen Projekten mitarbeitete, 66 67 68 69 70 71 72 73
Hölz 2013a, S. 6. Kuß, Eva: Hermann Czech. Architekt in Wien, Zürich 2018, S. 270–271; Hollein 1989. Von hier aus – Zwei Monate neue deutsche Kunst in Düsseldorf, 29.09.-02.12.1984, Stadt Düsseldorf, Gesellschaft für aktuelle Kunst Düsseldorf; s. Kuß 2018, S. 273. Überblick zu Terzics Projekten: Terzic, Mario: Humus, Wien 2012. Terzic, Mario (Hg.): Historissimus. Fünf Feste zum hundertjährigen Jubiläum des Historischen Museums Frankfurt, Ausst.-Kat., Frankfurt a.M. 1978; s.a. Schulze 2017, S. 168–170. Werner 1999, S. 27. S. Podrecca, Boris; Zschokke, Walter: Boris Podrecca. Arbeiten 1980–1995, Basel; Boston; et al. 1996, S. 178–206; Albertini; Bagnoli 1992, S. 185–248. Werner 1999, S. 27.
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Die Architektur der Inszenierung
übernahm 1987 von Hollein die Gestaltung der Nachfolgeausstellung von Traum und Wirklichkeit im Künstlerhaus mit dem Titel Bürgersinn und Aufbegehren. Biedermeier und Vormärz in Wien.74 In dieser farbenfrohen Schau bezog sich Podrecca weniger bühnenbildhaft als spielerisch-assoziativ auf das Lebensgefühl der Zeit und stellte die Objekte mittels individueller Präsentationsmöbel und pavillonartiger Einbauten zur Schau.75 Diese massiven farbigen Vitrinen, Podeste und architektonischgeprägten Pavillons waren die zentralen Elemente der Ausstellung. Sie sollten gemeinsam mit den Wandfarben die Atmosphäre der damaligen Zeit transportieren. Als Blickfang am Bau diente in Anknüpfung an Holleins außergewöhnliche Gestaltungen der Künstlerhausfassade eine überdimensionale Spirale, die auf dem Dach stehende Soldatenfiguren Richtung Boden führte. Wie Holleins Inszenierungen im Künstlerhaus war diese Schau ein großzügig budgetierter, erlebnisreicher Blockbuster für breite Publikumsschichten. Auch im Schaffen der genannten Gestaltenden lag der Fokus der Forschung bisher auf der Betrachtung ihrer Architektur. Ausstellungsgestaltungen wurden dagegen nur am Rande thematisiert. Daher fehlen bisher die Voraussetzungen für tiefergehende Vergleiche. Hans Hollein zählte zu den Gestaltenden, die die Grundlagen der modernen Szenografie legten und dazu beitrugen, diese als eigenständige raumgestalterische Disziplin zu etablieren.76 Mit dieser Etablierung der Szenografie ab den 1990er Jahren vollzog sich auch eine Aufwertung der Stellung des Gestaltenden im Ausstellungsbereich. Andere Gestaltende wie Sembach, Podrecca, Hans Dieter Schaal, François Confino oder Uwe Brückner beteiligten sich an der Weiterentwicklung der Inszenierung und der Szenografie und entwarfen eine Vielzahl derartiger Ausstellungen. Holleins Phase der programmatisch inszenierten, szenografischen Ausstellungsgestaltungen endete dagegen bereits Ende der 1980er Jahre, noch bevor diese Art der Präsentation sehr populär wurde.77 Die Szenografie wurde in den 1990er und 2000er Jahren vor allem durch den verstärkten Einsatz moderner Medien weiterentwickelt. Dazu gehörten Video- und Klanginstallationen. Es gab auch interaktive Ideen wie die Integration lebender Akteurinnen und Akteure in Ausstellungen. Audiovisuelle, computergestützte Inszenierungen kennzeichnen diese szenografischen Gestaltungen oft. So war die Expo 2000 vor allem von Szenografien bestimmt, die multimediale Video- und Soundinstallationen nutzten, um
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S. Podrecca; Zschokke 1996, S. 186–191; Düriegl, Günter (Hg.): Bürgersinn und Aufbegehren. Biedermeier und Vormärz in Wien 1815–1848, Historisches Museum der Stadt Wien Ausst.Kat., Wien 1988, S. 10–12. Podrecca; Zschokke 1996, S. 186–187. Vgl. z.B. Kiedaisch; Marinescu; et al. 2020, S. 38–41. Vgl. Kap. V.II.III.
VI. Kontextualisierung im Ausstellungswesen
virtuelle Welten zu schaffen.78 Obwohl Hollein in den 1960er Jahren zukunftsweisende technische Ideen projektiert hatte, war die Nutzung elektronischer Medien nur ein untergeordneter Aspekt in seinen Ausstellungen. Vielmehr war Holleins szenografischer Ansatz von Interdisziplinarität und immersivem Erlebnis für das Publikum geprägt. Die Kombination von Techniken aus verschiedenen Sparten wie Architektur, Kunst, Theater und Design in Zusammenspiel mit einer ideenbasierten Konzeption unter besonderer Berücksichtigung des Publikumserlebnisses griffen über das Feld der objektorientierten Ausstellungsinszenierung hinaus. Diese Ansätze machen Hollein zu einer wichtigen Referenz für die heutige Szenografie.79 Wie sehr die verschiedenen Disziplinen in Holleins Schaffen ineinander verwoben waren und wie stark szenografische Prinzipien wie Publikumserlebnis und immersive, assoziative Bildwelten auch sein übriges Schaffen prägten, wurde in Kapitel V aufgezeigt. Heute gibt es weltweit eine feste Szene von Personen, die in der Ausstellungsgestaltung, -architektur und -szenografie tätig sind, und zugleich eine unüberschaubare Zahl von Ausstellungskonzeptionen und -gestaltungen.80 Programmatische Inszenierung und szenografische Gestaltung sind weiterhin wichtige Ansätze, besonders für Sonder- und Großausstellungen. Bei der Inszenierung und szenografischen Gestaltung von Ausstellungen arbeiten heute häufig Teams aus verschiedenen Disziplinen gemeinsam an einem Konzept. Ganze Architekturbüros haben sich auf die Gestaltung von immer größeren und spektakuläreren Ausstellungen spezialisiert. Konzepte wie Ideen- und Publikumsorientierung sowie Interdisziplinarität sind heute Standard in vielen Ausstellungsgestaltungen. Die Szenografie als eigenständige Disziplin ist weiterhin umstritten und stößt aufgrund der schwierigen Abgrenzung zwischen Hoch- und Populärkultur bei den etablierten Disziplinen und im Museum immer noch auf Skepsis, wenn auch weit weniger heftig als noch in den Jahrzehnten zuvor.81 Vorwürfe der Spektakelhaftigkeit, der Ästhetisierung und Dekoration, der bloßen Erlebnisorientierung und Überwältigung des Publikums sowie der Instrumentalisierung von Museumsobjekten, denen bereits Holleins Ausstellungen der 1970er und 1980er ausgesetzt waren, zählen immer noch zu den häufigsten Kritikpunkten, so der Kurator Joachim Baur. Zugleich biete der inszenatorisch-szenografische Gestaltungsansatz laut Baur viele 78
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Den Weg für multimediale Ausstellungsszenografien bereiteten z.B. Le Corbusier oder Charles und Ray Eames, vgl. dazu Kiedaisch; Marinescu; et al. 2020,, S. 34–43; Schramke, Sandra: Kybernetische Szenografie. Charles und Ray Eames – Ausstellungsarchitektur 1959 bis 1965, Bielefeld 2010. Zu weiteren wichtigen Wegmarken der Szenografie vgl. Kiedaisch; Marinescu; et al. 2020, S. 34–43. Für einen Überblick zu aktuellen Tendenzen der Szenografie s. Kiedaisch; Marinescu; et al. 2020., Fülscher 2009, S. 29; Baur 2016, S. 265.
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Die Architektur der Inszenierung
Vorteile: Objekte können »zum Sprechen« gebracht werden, das Publikum könne spielerisch angeregt und dessen Aufmerksamkeit gesteigert werden. Außerdem können objektarme und abstrakte Themen anschaulich vermittelt werden.82 Hans Hollein war mit seinem multimedialen und interdisziplinären Ansatz einer der Wegbereiter dieser modernen Szenografie. Seine Ausstellungsgestaltungen in ihren vielfältigen Dimensionen wurden aber bisher nur unzureichend publiziert und waren daher nur den wenigen Personen bekannt, die sich sehr gut mit seinem Werk auskannten sowie ausstellungsgestalterisch interessiert waren. Seine Begeisterung für Ausstellungen gab Hans Hollein auch an seine Kinder weiter: Lilli Hollein hat bei späteren Ausstellungen ihres Vaters mitgearbeitet und ist ebenso wie ihr Bruder Max Hollein heute erfolgreich im Ausstellungsbereich tätig.
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Baur 2016, S. 265–266.
VII. Fazit: Grenzgänger zwischen den Disziplinen
Die vorliegende Arbeit untersuchte einen Aspekt von Holleins Werk, der bisher wenig beachtet wurde. Ziel war es, Hans Holleins szenografisch-künstlerische Ausstellungsinszenierungen, die zwischen 1966 und 1987 realisiert wurden, zu analysieren und die Charakteristika seiner Ausstellungspraxis herauszuarbeiten. Außerdem sollten sie in Kontext gestellt werden mit seinem Gesamtwerk und der Ausstellungsgeschichte. In Kapitel I fand eine Heranführung an die Thematik statt und die Methodik der Arbeit wurde dargelegt. In Kapitel II wurden zunächst Entwicklungen im Ausstellungswesen aufgezeigt, die in Zusammenhang mit Holleins Schaffen relevant waren. Die aufgrund von thematischen und gestalterischen Bezügen getroffene Auswahl der Vergleichsausstellungen warf Schlaglichter auf einige der Wegmarken, die in der Ausstellungsgeschichte neue Konzepte ins Spiel brachten oder wertvolle Impulse setzten. In Kapitel III wurden Holleins Frühwerk und seine Architekturtheorie als Grundlage seines Schaffens vorgestellt. Zwei seiner frühen Ausstellungen und mehrere installative Arbeiten wurden als Vorläufer der in Kapitel IV untersuchten Ausstellungsinszenierungen näher betrachtet. In Kapitel IV, dem Hauptteil der Arbeit, wurden sechs Auftragsausstellungen, zwei künstlerische Ausstellungen, vier Rauminstallationen und zwei Werkpräsentationen von Hans Hollein erstmals ausführlich beschrieben, analysiert und kontextualisiert. Der Fokus lag dabei auf der Analyse der Gestaltung der Ausstellungen. Es zeigte sich, dass Hans Holleins Schaffen im Ausstellungsbereich sich durch seine intensive und vielseitige Beschäftigung mit dem Medium Ausstellung auszeichnete. Seine kombinierte Herangehensweise als Ausstellungsmacher, Ausstellungsgestalter, Ausstellungskünstler und Ausstellungsszenograf – die Verbindung von inhaltlichem Kuratieren und räumlicher Gestaltung – kennzeichnen sein Ausstellungswerk. Vier Merkmale sind darüber hinaus besonders charakteristisch für Hans Holleins Ausstellungspraxis: Erstens, die Ideenorientierung: Sie zeigte sich darin, dass es ihm nicht primär darum ging, spezifische Kunstwerke oder Produkte auszustellen, sondern Ideen darzustellen. Für einige Arrangements verzichtete er sogar vollständig auf Expona-
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Die Architektur der Inszenierung
te und vermittelte Ideen durch Rauminszenierungen und Ausstellungsarchitektur. Inhaltlich waren Gegensätze und Rituale wichtige Themen und zugleich Motive seiner Ausstellungen. Abstrakte Themen wie Tod wurden durch Holleins individuelle Gestaltung anschaulich. Zweitens, die Publikumsorientierung: Seine Ausstellungen waren als atmosphärische Erlebnisse gestaltet, die das Publikum sinnlich involvierten, statt es zu belehren. Assoziative und erlebnishafte Displays ersetzten daher den geschriebenen Text so weit wie möglich. Holleins Ausstellungen sollten zum Entdecken und zum selbstständigen Nachdenken anregen. Drittens, die Raumorientierung: Sein Schaffen kennzeichnete der Bezug zum Raum und der installative Umgang mit diesem. Durch die Gestaltung verschmolzen der Raum und seine Architektur mit dem Exponat zu einer gesamtheitlichen künstlerischen Inszenierung. So schuf Hollein häufig ortsspezifische sowie assoziative, theatrale und monumentale Inszenierungen. Die Gesamtgestaltung und nicht einzelne Objekte standen im Fokus. Sie wurden als Symbole oder Zeichen genutzt, um Assoziationen auszulösen. Viertens, der spartenübergreifende Ansatz: Er führte Prinzipien aus Architektur, Kunst, Design, Theater und weiteren Sparten zu gesamtheitlichen Gestaltungen zusammen. Auch die Nutzung verschiedenster Medien wie Ton und Film sowie Sinneseinwirkungen wie Geruch und Raumtemperaturen war hier kennzeichnend. In Kapitel V wurde Hans Holleins Tätigkeit im Ausstellungsbereich in sein Gesamtwerk eingeordnet und dabei die Vernetzung seines interdisziplinären Schaffens aufgezeigt. Die Betrachtung einiger mit Holleins Ausstellungen in Zusammenhang stehender Projekte zeigte, dass sein gattungsübergreifender Gestaltungsansatz, den er unter dem programmatischen Leitsatz »Alles ist Architektur« zusammenfasste, für sein gesamtes Schaffen grundlegend war. Hervorzuheben ist, dass er noch bevor er als Architekt weltbekannt wurde, als Künstler und Ausstellungsgestalter große Erfolge feierte. Er nutzte Ausstellungen als Medium der Kommunikation und um sich und seine Ideen bekannter zu machen. Mit zunehmendem Erfolg als Architekt war es ihm jedoch nicht mehr möglich seine Ausstellungsaktivitäten in dem Maße wie in den 1960er bis 1980er Jahren fortzusetzen. Holleins spartenübergreifendes Denken ermöglichte ihm parallele und miteinander verbundene Tätigkeiten in verschiedenen Gattungen. Er nutzte die Erfahrungen aus den jeweiligen Bereichen auch für Projekte aus den anderen Sparten. So flossen beispielsweise seine Erkenntnisse aus der Warenästhetik bei der Gestaltung von Läden in die Präsentation von Ausstellungsobjekten ein. Auch bisher kaum betrachtete Aspekte seines Schaffens wie zum Beispiel die Gestaltung seiner Messestände oder seine Tätigkeit als Möbeldesigner, die es ihm ermöglichte, Ausstellungsmöbel selbst zu entwerfen und als Inszenierungsmittel einzusetzen, wurden in der vorliegenden Arbeit auf-
VII. Fazit: Grenzgänger zwischen den Disziplinen
gegriffen.1 Am Beispiel des Museums Abteiberg wurde der enge Zusammenhang mit Hans Holleins Ausstellungspraxis aufgezeigt. Es konnte dargelegt werden, dass Konzepte des Ausstellens und der inszenierenden Gestaltung wichtige Grundlagen für Holleins Schaffen sowohl in der Architektur als auch im Design, im Theaterbereich und in seinen editorischen Arbeiten bildeten. Holleins Gesamtwerk wurde in seiner Interdisziplinarität noch nicht ausführlich dargestellt und erforscht. Die Schwerpunkte der Forschung lagen bisher auf seinem Frühwerk der 1960er Jahre und seiner damit verbundenen Architekturtheorie, außerdem auf einzelnen Bauten, hauptsächlich der Zeit der 1960er bis 1980er, sowie auf seiner Einordnung in die Postmoderne.2 Große, insbesondere architektonische Aufmerksamkeit erfuhr Holleins Schaffen erstmals in den 1980er Jahren in Zusammenhang mit der Vollendung des Museums Abteiberg in Mönchengladbach und der Verleihung des Pritzker-Preises.3 Durch die Zuordnung seiner Architektur zur Postmoderne und deren abnehmender Popularität geriet sein Werk danach jedoch aus dem Fokus des Interesses. Ab den 2000er Jahren und vor allem in den 2010er Jahren wurde es nach und nach wiederentdeckt. Nur wenige Fachleute unternahmen jedoch bisher den Versuch, Überlegungen zu Entwicklungen und Kennzeichen von Holleins Gesamtwerk anzustellen, das durch diesen spartenübergreifenden Gestaltungsansatz und die Vielzahl und Vielfalt seiner aufeinander referierenden Projekte nur schwer fassbar ist.4 Sein Wirken als Designer wurde bisher ebenfalls kaum thematisiert. Auch weitere Projekte wie seine im Ausstellungskontext interessante Gestaltung des Museums Teheran oder seine Bühnenbildgestaltung wurden bislang bei Werkbetrachtungen nur am Rande erwähnt. Durch die Untersuchung der Ausstellungen im Kontext mit Holleins Gesamtwerk liefert die vorliegende Arbeit auch neue Perspektiven für eine zukünftige Werkmonografie.5 In Kapitel VI wurde, im Anschluss an die Analyse von Holleins Ausstellungspraxis und der Einordnung der Ausstellungen in sein Werk, seine Ausstellungspraxis
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Zu seinen Messeständen gibt es umfangreiches unbearbeitetes Material im Archiv Hans Hollein, Az W. V.a. Branscome 2018; Lefaivre 2017, S. 187–239; Schmidt-Felber 2002. Es erschienen monografische Studien: Pehnt, Wolfgang: Hans Hollein, Museum in Mönchengladbach. Architektur als Collage, Frankfurt a.M. 1986; Burgard, Roland; Nieswandt, Karin; et al. (Hg.): Hans Hollein. Museum für Moderne Kunst Frankfurt a.M., Frankfurt a.M. 1991. Weibel 2011b, S. 9–19; Pettena 1988; Brix 1984, S. 167–196. Hans Hollein verhinderte zu seinen Lebzeiten, dass andere eine Monografie seines Werkes zusammenstellten, da er das Gefühl hatte, dies selbst tun zu müssen. Um seinem Werk gerecht zu werden, wünschte er sich, dass es als digitale und vernetzte Matrix erfasst würde, in der die vielen zeitlichen, formalen und inhaltlichen Querverweise darstellbar wären und in der mit multiplen Kategorisierungen gearbeitet werden könnte. Hollein, Lilli: Interview 06.11.2019.
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Die Architektur der Inszenierung
im Ausstellungswesen kontextualisiert. Nachdem das Visionäre in Holleins Schriften und Arbeiten der 1960er Jahre in der Wissenschaft bereits wiederentdeckt und gewürdigt wurde, wurde in diesem Kapitel abschließend der zentralen Frage nachgegangen, ob auch Hans Holleins Ausstellungsgestaltungen den gängigen Ausstellungskonzeptionen und -konventionen der Zeit voraus waren. Die besondere Herausforderung der Beurteilung der Innovativität von Holleins Ausstellungen im Spiegel der Ausstellungsgeschichte bestand in folgenden Faktoren: Erstens, die Vielfalt seiner Ausstellungsprojekte, die im musealen Bereich, aber auch als Repräsentationsschauen stattfanden. Zweitens, die Behandlung unterschiedlicher Themengebiete wie Architektur, Design, Kunst- und Kulturgeschichte in den Ausstellungen. Drittens, der lange Untersuchungszeitraum, der sich über drei Jahrzehnte erstreckte. Viertens, die spärliche Forschungslage zu Ausstellungsgestaltenden und Ausstellungen in dieser Zeit. Wie zu Beginn dieser Arbeit dargelegt, wurden Hans Holleins Ausstellungen von Fachleuten ab den 1990er Jahren zu den bedeutendsten Ausstellungen des 20. Jahrhunderts gezählt. Dies wurde in der vorliegenden Arbeit durch die vorgenommene ausführliche Analyse bestätigt. Die These, dass seine Ausstellungspraxis wegweisend für moderne Ausstellungsgestaltungen war, konnte anhand vieler Vergleiche ebenfalls belegt werden. Zunächst wurden seine Ausstellungen im Hinblick auf Prinzipien der Postmoderne betrachtet. Das Thema Ausstellungen ist bisher im Kontext der Postmoderne nur theoretisch untersucht worden, ohne die Kennzeichen postmoderner Ausstellungspraxis zu definieren. Eine klare Zuschreibung von Holleins Ausstellungen zur Postmoderne konnte daher nicht bestätigt werden – auch wenn Aspekte seiner Ausstellungspraxis mit Prinzipien, die im Allgemeinen als postmodern definiert wurden, korrespondierten. Anschließend wurde gezeigt, dass Hans Hollein an vorangegangene Entwicklungen im Ausstellungswesen, vor allem an Gestaltungen der historischen Avantgarden anknüpfte. Auf Grundlage des vorhandenen Materials konnte kein anderer Gestaltender identifiziert werden, der im untersuchten Zeitraum im Ausstellungsbereich ähnlich gearbeitet hat und dessen Schaffen so interdisziplinär und aufgabentechnisch derart breit gefächert war wie von Hans Hollein. Er beschäftigte sich nach dem Zweiten Weltkrieg früher und umfangreicher als viele andere mit dem Bereich der Ausstellungskonzeption und -gestaltung. Dabei antizipierte er seit den 1960er Jahren Ausstellungstrends wie Publikumsorientierung, Spektakularisierung und Popularisierung sowie das Verständnis von Ausstellungen als Kunstwerk und Kommunikationsmedium. Diese traten erst ab den 1980ern vermehrt auf. Vor allem im Vergleich zu üblichen Museumsausstellungen der 1960er und 1970er Jahre wurde sein neuartiger Ansatz, Ausstellungen zu machen, anschaulich. Es konnte somit gezeigt werden, dass seine szenografisch-künstlerischen Ausstellungsinszenierungen in ihrer Konzeption und Gestaltung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts außergewöhnlich waren und einen besonderen Beitrag zur Ausstellungsgeschich-
VII. Fazit: Grenzgänger zwischen den Disziplinen
te leisteten. Auch kann Hans Hollein als einer der Vorreiter der Ausstellungsszenografie gelten. Bisher wurden seine Ausstellungen jedoch zu wenig publiziert und erforscht, um außerhalb eines engen Kreises seiner Vertrauten Nachwirkungen zu finden. Die gewonnenen Erkenntnisse zur Originalität von Holleins Ausstellungsgestaltungen können nur der Beginn der Betrachtung sein. Viele in dieser Arbeit erwähnte Projekte und Forschungsarbeiten stellen ebenso wie die vorliegende Studie wichtige Beiträge zur Erforschung von Ausstellungsgestaltungen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts dar. Dieses Feld hält jedoch noch viele weitere Themen bereit, deren Untersuchung dazu beitragen kann, ein klareres Bild der Ausstellungsgestaltung der 1960er bis 1980er Jahre zu bekommen. Es gilt noch viele Forschungslücken zur Geschichte der Ausstellungsgestaltung in diesem Zeitraum zu schließen. Besonders zu Ausstellungen in Wien und zu vielen der thematisierten Gestaltenden wären Studien wünschenswert. Außerdem wäre eine weitergehende Untersuchung der Beziehungen und Verbindungen von Hans Hollein zu Kunstschaffenden wie Friedrich Kiesler, Claes Oldenburg, Joseph Beuys oder Walter Pichler aufschlussreich, um deren Bedeutung für sein Ausstellungswerk beurteilen zu können. Auch seine Freundschaft und der Austausch mit Kuratoren wie Harald Szeemann, Kirk Varnedoe und Germano Celant wären interessante Themen, die näher betrachtet werden sollten. Ebenso sind Studien zu weiteren möglicherweise vergleichbaren Personen, die im Ausstellungsbereich tätig waren, wünschenswert. Als Synthese dieser Arbeit wird festgehalten, dass Hans Hollein nicht nur als Architekt in Erinnerung bleiben sollte, sondern auch als inszenierender und szenografischer Gestalter mit einer besonderen Herangehensweise an Displays.6 Die intensive und vielseitige Beschäftigung mit dem Medium Ausstellung und seine besondere multimodale Herangehensweise an Ausstellungen zeichneten Hans Holleins Schaffen in diesem Bereich aus. Als Abschluss möge Hans Hollein selbst mit einem Zitat zu Wort kommen, in dem er 1976 in wenigen Sätzen seine Auffassung moderner Ausstellungen, die heute Standard bei vielen Präsentation ist, beschreibt: »Ausstellungen sind Gelegenheit zur Demonstration komplexer, vielschichtiger Zusammenhänge, zum Experiment mit neuen Medien, zur Auseinandersetzung mit kurzlebigen Bauten und zur Konfrontation mit Menschen auf vielen Ebenen. Ausstellung ist nicht aufgefaßt als an die Wand gehängte, vergrößerte Katalogseite, sondern als spezifisches – nur erfahrbares – Erlebnis. Sie spricht alle Sinne an, arbeitet mit optischen, haptischen, olfaktorischen, akustischen Komponenten und macht weniger direkte, vorgefaßte Mitteilung, sondern soll Assoziationen auslösen, Stellungnahmen, Nachdenken.«7 6 7
S. a. Wiesenberger, Robert: Hans Hollein. The Showroom Master. 25.04.2014, 032c Nr. 25 (2013/2014). Hollein 1976, o. S.
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Abkürzungen
Az W MAK MoMA Mumok ÖIF ORF ETH Zürich
Architekturzentrum Wien Österreichisches Museum für angewandte Kunst Wien Museum of Modern Art New York Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien Österreichisches Institut für Formgebung Österreichischer Rundfunk Eidgenössische Technische Hochschule Zürich
Quellen- und Literaturverzeichnis
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Architektur und Design Pierre Smolarski
Designrhetorik Zur Theorie wirkungsvollen Designs 2022, 416 S., kart., 134 SW-Abbildungen, durchgängig zweifarbig 29,00 € (DE), 978-3-8376-5933-7 E-Book: kostenlos erhältlich als Open-Access-Publikation PDF: ISBN 978-3-8394-5933-1
Bianca Herlo, Daniel Irrgang, Gesche Joost, Andreas Unteidig (eds.)
Practicing Sovereignty Digital Involvement in Times of Crises 2022, 430 p., pb., col. ill. 35,00 € (DE), 978-3-8376-5760-9 E-Book: available as free open access publication PDF: ISBN 978-3-8394-5760-3
Christoph Rodatz, Pierre Smolarski (Hg.)
Wie können wir den Schaden maximieren? Gestaltung trotz Komplexität. Beiträge zu einem Public Interest Design 2021, 234 S., kart. 29,00 € (DE), 978-3-8376-5784-5 E-Book: kostenlos erhältlich als Open-Access-Publikation PDF: ISBN 978-3-8394-5784-9
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Architektur und Design Tim Kammasch (Hg.)
Betrachtungen der Architektur Versuche in Ekphrasis 2020, 326 S., kart., 63 SW-Abbildungen 30,00 € (DE), 978-3-8376-4994-9 E-Book: PDF: 29,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4994-3
Thomas Hecken, Moritz Baßler, Elena Beregow, Robin Curtis, Heinz Drügh, Mascha Jacobs, Annekathrin Kohout, Nicolas Pethes, Miriam Zeh (Hg.)
POP Kultur und Kritik (Jg. 11, 2/2022) 2022, 180 S., kart. 16,80 € (DE), 978-3-8376-5897-2 E-Book: PDF: 16,80 € (DE), ISBN 978-3-8394-5897-6
Christophe Barlieb, Lidia Gasperoni (Hg.)
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