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German Pages 234 Year 1973
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 218
Die Arbeitskampfschutzklausel des Art. 9 Abs. 3 Satz 3 Grundgesetz Zugleich ein Beitrag zum Thema „Arbeitskampf und Notstandsverfassung“
Von
Jürgen Glückert
Duncker & Humblot · Berlin
JÜRGEN GLÜCKERT
Die Arbeitskampfschutzklausel des Art. 9 Abs. 3 Satz 3 Grundgesetz
S c h r i f t e n zum Öff e n t l i c h e n Band 218
Recht
Die Arbeitskampfschutzklausel des Art. 9 Abs. 3 Satz 3 Grundgesetz Zugleich ein Beitrag zum Thema „Arbeitskampf und Notstandsverfassung 64
Von
Dr. Jürgen Glückert
D U N C K E R
&
H U M B L O T / B E R L I N
Alle Rechte vorbehalten © 1973 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1973 bei Buchdruckerei Bruno Luck, Berlin 65 Printed in Germany ISBN 3 428 02936 4
Vorwort Die Frage, i n welcher Weise der Fragenkreis „Arbeitskampf und Notstandsverfassung" zu regeln sei, gehörte zu den Problemen, die i n der langjährigen Diskussion u m eine verfassungsändernde Notstandsgesetzgebung i n Parlament und Öffentlichkeit besonders umstritten war. Hier standen sich mehrere Legislaturperioden hindurch unvereinbare Auffassungen gegenüber. Erst dem 5. Bundestag gelang es, einen Kompromiß zu finden, dessen wesentlicher Teil die Einfügung einer Arbeitskampfschutzklausel i n Art. 9 GG bildete. I n der vorliegenden Studie w i r d der Versuch unternommen, die politisch wie juristisch interessante Entstehung der Arbeitskampfschutzklausel zu schildern und die aktuelle verfassungsrechtliche Bedeutung dieser neuen Bestimmung herauszuarbeiten. Außerdem soll untersucht werden, wie die i m Parlament nach langem Bemühen gefundene Kompromißlösung zu bewerten ist — als eine taugliche und politisch vernünftige oder, wie K r i t i k e r unterschiedlichster Couleur meinen, unzulängliche und gefährliche Regelung des Problemkreises „Arbeitskampf und Notstandsverfassung". I n die Untersuchung sind Kenntnisse und Erfahrungen eingeflossen, die der Verfasser während seiner Tätigkeit als wiss. Assistent der SPD-Fraktion i m Deutschen Bundestag gerade i n der letzten Phase der Notstandsdiskussion (1965 - 1968) gewinnen konnte. Die Arbeit hat i m Wintersemester 1970/71 der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Freiburg i. Br. als Dissertation vorgelegen. Das Manuskript wurde i m August 1970 abgeschlossen und für die Drucklegung nochmals überarbeitet und ergänzt. Literatur und Rechtsprechung sind bis Mitte 1972 nachgetragen. Danken möchte ich an dieser Stelle meinen Freiburger Lehrern Prof. Dr. Horst Ehmke und Prof. Dr. Konrad Hesse, letzterem auch für die Annahme und Betreuung der Arbeit. Dank schulde ich auch Herrn Prof. Dr. Manfred Löwisch für einige wertvolle Hinweise aus arbeitsrechtlicher Sicht. Schließlich danke ich Herrn Ministerialrat a. D. Dr. Johannes Broermann für die Aufnahme der Schrift i n sein Verlagsprogramm. Essen, i m Dezember 1972 Jürgen Gluckert
Inhaltsverzeichnis Einleitung
11
1.
Gegenstand u n d Zielsetzung der Untersuchung
11
2.
Gang der Untersuchung i m einzelnen
18
Erster Teil
Erster Abschnitt:
Die Entstehung des Art. 9 Abs. 3 Satz 3 GG
21
Vorgeschichte
21
1.
Beginn der Diskussion i n der 2. Legislaturperiode (1953 - 1957)
21
2.
Die Bemühungen i n der 3. Legislaturperiode (1957 - 1961)
22
3.
Die Bemühungen i n der 4. Legislaturperiode (1961 - 1965)
31
Zweiter
Abschnitt:
Entstehungs-
und Textgeschichte
Zweiter
(1965 - 1968)
Teil
Inhalt und Auswirkungen des Art. 9 Abs. 3 Satz 3 GG Erster Abschnitt:
Zur Auslegung
58
des neuen Art. 9 Abs. 3 Satz 3 GG
105 105
1. 1.1. 1.1.1. 1.1.2. 1.1.3. 1.1.4. 1.1.5. 1.1.6. 1.2. 1.3. 1.4. 1.5.
Die Maßnahmen, v o r denen Arbeitskämpfe geschützt werden 105 Maßnahmen nach A r t . 12 a GG 105 Maßnahmen nach A r t . 12 a Abs. 1 106 Maßnahmen nach A r t . 12 a Abs. 2 108 Maßnahmen nach A r t . 12 a Abs. 3 109 Maßnahmen nach A r t . 12 a Abs. 4 112 Maßnahmen nach A r t . 12 a Abs. 5 113 Maßnahmen nach A r t . 12 a Abs. 6 113 Maßnahmen nach A r t . 35 Abs. 2 u n d 3 GG 118 Maßnahmen nach A r t . 87 a Abs. 4 GG 119 Maßnahmen nach A r t . 91 GG 121 Zusammenfassende Betrachtung der i n A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG aufgeführten Maßnahmen 123
2.
Z u m Begriff des Arbeitskampfes
3.
Streik u n d Aussperrung — verfassungsgesetzliche Anerkennung der Gleichrangigkeit beider Arbeitskampf arten? 131
125
Inhaltsverzeichnis
8 4.
Beschränkung des Schutzes auf arbeitsrechtliche Arbeitskämpfe
140 143
5.
A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 G G u n d der politische Streik
6.
Arbeitsrechtliche Streiks i n Notsituationen. Z u r Problematik des „Umschlagens" arbeitsrechtlicher i n politische Streiks 149
7.
Beschränkung des Schutzes auf Arbeitskämpfe der Koalitionen nach A r t . 9 Abs. 3 Satz 1 G G 157 Schutz n u r f ü r rechtmäßige Arbeitskämpfe? 162
8. 9. 9.1. 9.2. 9.3. 10.
Reichweite u n d Grad des Schutzes Schutz n u r v o r gezielten Beeinträchtigungen Schutz f ü r Arbeitskämpfe i m Durchführungs- u n d Vorbereitungsstadium Keine Abstufungen des Schutzes je nach der inneren u n d äußeren Lage
165 165
Die Adressaten der Schutzklausel
170
Zweiter 1.
Abschnitt:
Folgerungen
aus Art
9 Abs. 3 Satz 3 GG
168 169
171
Verfassungsgesetzliche Grundentscheidung f ü r die Schutzwürdigkeit v o n Arbeitskämpfen 171
2.
Institutionelle Garantie der Arbeitskampffreiheit
3.
Anerkennung eines subjektiven Rechts zum Streik u n d zur Aussperrung? 177
173
Dritter
Abschnitt: Individuelle Streikfreiheit und Arbeitskräftelenkungsmaßnahmen nach Art. 12 a Abs. 3, 4 und 6 GG
182 182
1.
Problem u n d gesetzgeberische Absicht
2. 3.
Streikrecht u n d Dienstverpflichtungen gemäß A r t . 12 a Abs. 3 185 Streikrecht u n d Dienstverpflichtungen gemäß A r t . 12 a Abs. 4 . . . . 193
4.
Streikrecht u n d Berufs- bzw. Arbeitsplatzaufgabeverbote A r t . 12 a Abs. 6
5.
Zusammenfassung
Vierter
Abschnitt: Kritik und zusammenfassende schutzklausel des Art. 9 Abs. 3 Satz 3 GG
gemäß
195 196
Würdigung
der Arbeits-
197
1.
Die K r i t i k an der Verwendung des Begriffs „Arbeitskämpfe"
2.
Die K r i t i k wegen angeblich möglicher Rückschlüsse auf w i l d e und politische Streiks 199
3.
Die K r i t i k wegen angeblicher Beseitigung des Streikrechts
4.
Die K r i t i k wegen einer angeblich einseitigen Belastung der A r b e i t nehmer u n d der Gewerkschaften 201
5.
A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG — eine unzulängliche u n d gefährliche Regelung des Problemkomplexes „Arbeitskampf u n d Notstandsverfassung"? Versuch einer zusammenfassenden Würdigung 206
Literaturverzeichnis
197
199
220
Verzeichnis der Abkürzungen a. A . AcP a. E. ao. AöR AP ArbA ArbuR ASG BAB1. BAG BAGE BayVBl. BB BDA Beschl. BGB BGBl. BGH BGHZ Blätter BR BReg. BSG Bspr. BT BT-Drs. BullBReg. BVerfG BVerfGE d. DAG DB DGB DÖV Drs. DVB1. E FAZ FS G GG GMH
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anderer Ansicht A r c h i v für die civilistische Praxis (Zeitschrift) am Ende außerordentlich A r c h i v des öffentlichen Rechts (Zeitschrift) Arbeitsrechtliche Praxis. Nachschlagewerk des Bundesarbeitsgerichts Ausschuß f ü r A r b e i t (des 4. u n d 5. Bundestages) A r b e i t u n d Recht (Zeitschrift) Arbeitssicherstellungsgesetz v o m 7. 7.1968 (BGBl. I S. 787) Bundesarbeitsblatt (Zeitschrift) Bundesarbeitsgericht Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts Bayerische Verwaltungsblätter (Zeitschrift) Betriebs-Berater (Zeitschrift) Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände Beschluß Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs i n Zivilsachen Blätter f ü r deutsche u n d internationale P o l i t i k (Zeitschrift) Bundesrat Bundesregierung Bundessozialgericht Besprechung Bundestag Bundestags-Drucksache (zitiert nach Wahlperiode und Nr.) B u l l e t i n des Presse- u n d Informationsamtes der Bundesregierung Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts des Deutsche Angestellten-Gewerkschaft Der Betrieb (Zeitschrift) Deutscher Gewerkschaftsbund Die öffentliche V e r w a l t u n g (Zeitschrift) Drucksache Deutsches Verwaltungsblatt (Zeitschrift) Entwurf Frankfurter Allgemeine Zeitung Festschrift Gesetz Grundgesetz Gewerkschaftliche Monatshefte (Zeitschrift)
Abkürzungsverzeichnis
10 GS hess., Hess. hL hM IA
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Großer Senat hessisch, Hessisch(e) herrschende Lehre herrschende Meinung Ausschuß f ü r Inneres (des 3. u n d 4. Bundestages), Innenausschuß (des 5. Bundestages); Ausschuß f ü r Innere Angelegenheiten (des Bundesrates) = Industriegewerkschaft
IG Informationssitzg.
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i. V. m. J. JöR JR JuS JZ KJ LAG lit. maW m. w. H i n w . n. F. NJW NPL ÖTV ÖZöffR Prot. PStS PVS RA RdA RegE RGBl. Rspr. Sehr. Schriftl. Ber. Sten. Ber.
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StS TVG VO VVDStRL
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WP. ZBR ZgesStW ZRP ZSozRef
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öffentliche Informationssitzung des Rechts- und Innenausschusses des 5. Bundestages i n Verbindung m i t Jahr Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart Juristische Rundschau (Zeitschrift) Juristische Schulung (Zeitschrift) Juristenzeitung (Zeitschrift) Kritische Justiz (Zeitschrift) Landesarbeitsgericht Buchstabe m i t anderen Worten m i t weiteren Hinweisen neue Folge Neue Juristische Wochenschrift (Zeitschrift) Neue Politische L i t e r a t u r (Zeitschrift) Gewerkschaft öffentliche Dienste, Transport u n d Verkehr österreichische Zeitschrift f ü r öffentliches Recht Protokoll Parlamentarischer Staatssekretär Politische Vierteljahresschrift (Zeitschrift) Rechtsausschuß Recht der A r b e i t (Zeitschrift) Regierungsentwurf Reichsgesetzblatt Rechtsprechung Schreiben Schriftlicher Bericht (eines Ausschusses des Bundestages) Stenographische Berichte (der Verhandlungen des Deutschen Bundestages u n d des Bundesrates) Staatssekretär Tarifvertragsgesetz Verordnung Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Wahlperiode (des Deutschen Bundestages) Zeitschrift f ü r Beamtenrecht Zeitschrift f ü r die gesamte Staatswissenschaft Zeitschrift f ü r Rechtspolitik Zeitschrift f ü r Sozialreform
Einleitung 1. Gegenstand und Zielsetzung der Untersuchung Wohl kaum jemals ist Ferdinand Lassalles berühmtes Wort, daß Verfassungsfragen Machtfragen seien 1 , so häufig zitiert worden 2 wie i n der jahrelangen öffentlichen Diskussion um die Notstands Verfassung 3. So richtig und so ernst zu nehmen der Hinweis Lassalles ist, daß es bei der Verfassung eines Staates u m die Macht geht und die geschriebene Rechtsverfassung allein noch keineswegs über die Macht i m Staat entscheidet, sondern die bestehenden tatsächlichen Machtverhältnisse — Lassalle nennt beispielhaft die Kanonen des Königs, den Einfluß des Adels, die großen Industriellen und Bankiers — eine wesentliche Rolle spielen, so falsch wäre es, der geschriebenen Verfassung jede Bedeutung abzusprechen. Als normativer Gesamtordnung für das Zusammenleben der einzelnen i n einem Staat, als Zuständigkeitsverteilung zwischen Individuum, Gruppe und Gesamtheit, als Regelung der Bildung, Verteilung und Begrenzung der Macht, kommt einer geschriebenen Rechtsverfassung wie dem Grundgesetz eine erhebliche Bedeutung zu 4 — und sei es i m ungünstigsten Fall auch nur die, jedem Staatsbürger die Feststellung einer Diskrepanz zwischen Verfassungsrecht und der durch die tatsächlichen Machtverhältnisse geschaffenen Verfassungswirklichkeit zu ermöglichen 5 . Daß das Grundgesetz nicht bloß ein „ B l a t t Papier" 6 darstellt, haben auch die Gegner einer verfassungsändernden Notstandsgesetzgebung an1 F. Lassalle , Über Verfassungswesen. E i n Vortrag, gehalten am 16. A p r i l 1862 i n einem Berliner Bürger-Bezirks-Verein. Abgedruckt i n : Lassalle , Gesammelte Reden u n d Schriften I I (1919), S. 25 ff. u n d i n : Lassalle , Ausgewählte Texte, S. 58 ff. 2 s. etwa J. Seifert , G M H 1963, S. 551; Ruttel, G M H 1967, S. 526. 3 Sie ist geltendes Verfassungsrecht geworden durch das Siebzehnte Gesetz zur Ergänzung des Grundgesetzes v. 24. 6.1968, BGBl. I S. 709, i n K r a f t getreten am 28. 6.1968. 4 Grundlegend dazu Hesse, Normative K r a f t (1959). 5 So auch Ramm, Arbeitskampf u n d Gesellschaftsordnung, S. 62 f. Fußn. 14, der zutreffend darauf hinweist, daß die geschriebene Verfassung keineswegs n u r unter dem Aspekt der Verschleierung der wirklichen Machtlage gesehen werden darf, wie das Lassalle (besonders i n seinem zweiten Vortrag über V e r fassungswesen „Was nun?", Gesammelte Reden u n d Schriften I I , S. 77 ff. = Ausgewählte Texte, S. 84 ff.) getan habe. 6 Diese Bezeichnung solle man, so schlug Lassalle i n seinen beiden Verfas-
12
Einleitung
erkannt; denn vom Boden der Auffassung aus, die geschriebene Verfassung sei nichts, die tatsächlichen Machtverhältnisse dagegen alles, ließe sich der engagierte Widerstand und die oft erbitterte K r i t i k an der lang diskutierten Verfassungsänderung nicht erklären. Umso widersprüchlicher mutet es an, daß die Diskussion u m die Notstandsverfassung gerade von den Gegnern einer Verfassungsänderung großenteils unter Verzicht auf exakte juristische Argumentation geführt wurde, wobei sie sich häufig — freilich i n ganz anderem Zusammenhang als Lassalle — darauf beriefen, hier handele es sich eben nicht u m Rechts-, sondern u m Machtfragen 7 . Die jeweils vorliegenden Entwurfstexte wurden weniger mit den Mitteln juristischer Auslegung, insbesondere der Verfassungsinterpretation, analysiert, sondern zu einem großen Teil unter Außerachtlassung wesentlicher verfassungsrechtlicher Zusammenhänge und Erkenntnisse rein soziologisch oder noch öfter rein politisch gedeutet und als Beleg für eine vom jeweiligen Betrachter behauptete oder vorhergesagte politische Entwicklung angeführt 8 . A u f die Ermittlung dessen, was w i r k lich i n den Entwurfstexten stand, auf die Erkenntnis des Inhalts der geplanten Normen — ungeachtet der politischen oder ideologischen Einstellung des Betrachters eine Aufgabe juristischer Interpretation —, wurde allzu häufig wenig oder gar kein Wert gelegt, obwohl solche Juristenarbeit doch erst die Grundlage für politische, soziologische oder ideologische Wertung und K r i t i k hätte schaffen müssen. Was unter der anspruchsvollen Bezeichnung „gesamtgesellschaftliche Analyse" dargeboten wurde, waren deshalb nicht selten globale und spekulativ gefärbte politische Deutungen, die m i t der fehlenden Exaktheit i m (juristischen) Detail zugleich auf eine zutreffende Ausgangsbasis für die eigene politische, politologische oder soziologische Argumentation verzichtet hatten. Das Ergebnis derartiger Betrachtungsweisen waren dann Behauptungen wie etwa die, daß an der Notstandsverfassung der Prozeß sungsreden vor, der geschriebenen Verfassung i m Unterschied zur wirklichen Verfassung (den „realen tatsächlichen Machtverhältnissen") geben. 7 Als Aufforderung zur Mißachtung juristischer Erkenntnismethoden bei der Auslegung von Gesetzestexten hat Lassalle sein W o r t nicht gedacht. I h m ging es 1862 darum, die Bedeutung der tatsächlichen Machtverhältnisse ins B l i c k feld zu rücken — wozu während des preuß. Verfassungskonfliktes aller Anlaß bestand — u n d die Abhängigkeit der geschriebenen Rechtsverfassung v o n den tatsächlichen Machtverhältnissen aufzuzeigen. Wenn Lassalle die Bedeutung der Rechtsverfassung solcherart relativierte, dann heißt das noch keineswegs, daß er der Abschaffung der Rechtswissenschaft (etwa zugunsten der Soziologie) das W o r t redete. — Z u r Bedeutung der Staatsrechtswissenschaft als einer von Soziologie, Politikwissenschaft u n d anderen Wirklichkeitswissenschaften beeinflußten Normwissenschaft s. Hesse, Normative K r a f t , S. 8 f., 18 f. u n d passim. 8 Beispielhaft die meisten der Referate u n d Diskussionsbeiträge auf dem Frankfurter Kongreß „Notstand der Demokratie" am 30. 10. 1966. Die Referate u n d sonstigen Materialien sind veröffentlicht i n : Notstand der Demokratie, Frankfurt a. M . 1967.
Einleitung
einer zunehmenden „Refaschisierung der Bundesrepublik" manifest werde, daß es sich hier u m die Vorbereitung des „Staatsstreichs von oben", um die „Legalisierung des Übergangs i n die Diktatur" oder u m die „ A b sicherung der Klassenherrschaft der herrschenden Gruppen" handele und anderes mehr 9 . U m Mißverständnisse zu vermeiden, sei betont, daß hier weder die (übrigens wechselseitige) Abhängigkeit der Rechtsverfassung von der politischen, ökonomischen und sozialen Wirklichkeit noch die Berechtigung politischer, politologischer oder soziologischer Analysen einer Verfassung (oder eine Verfassungsänderung) i n Abrede gestellt werden soll. Eine über das „rein Juristische" hinausfragende gesamtgesellschaftliche Betrachtungsweise ist, wenn es um Fragen der staatlichen Ordnung geht, nicht nur wünschenswert, sondern sogar geboten. Nur dürfte bei solchen Bemühungen dann nicht viel Sinnvolles herauskommen, wenn man auf die Ermittlung von Inhalt und Tragweite einer Norm, deren gesamtgesellschaftliche Bedeutung und Auswirkungen man feststellen w i l l , von vornherein keinen Wert legt 1 0 . Bis zur Verabschiedung der Notstandsverfassung mag die Vernachlässigung der juristischen zugunsten einer vorwiegend politischen Argumentation dennoch nicht ohne jede Berechtigung gewesen sein. Vielleicht war es sinnvoll (legitim war es auf jeden Fall!), durch extreme, wenn auch juristisch abwegige Auslegungen jede auch nur entfernt denkbare Mißbrauchsgefahr überdeutlich vor das Auge des Zeitgenossen zu projizieren, u m dadurch die Parlamentarier zu beeinflussen und sie zu klareren Formulierungen oder gar zum Verzicht auf die Verfassungsänderung zu veranlassen. Das galt jedoch nur bis zur Verabschiedung des Gesetzesvorhabens. Nachdem die Verfassungsänderung i n Kraft getreten ist, sind politisch motivierte Prophezeiungen über die Auswirkungen der Not9 A l s ein Musterbeispiel sei genannt: Hannover , Notstandsverfassung: Legalisierung des Transformationsprozesses von der Formaldemokratie zur totalitären Klassenherrschaft, Blätter 1968, S. 658 ff. Eine Zusammenstellung von Argumenten der Gegner einer verfassungsändernden Notstandsgesetzgebung findet sich bei Waldman, Notstand u n d Demokratie, S. 169 ff., 218 ff. 10 Dies wäre z. B. Kullmann entgegenzuhalten, der i n einer Bspr. (Blätter 1969, S. 660 ff.) des von Sterzel hrsgg. Buches „ K r i t i k der Notstandsgesetze", die angeblich verengte nur-juristische Sicht der Autoren der einzelnen (sehr kritischen) Beiträge kritisiert. Der Soziologe K u l l m a n n übersieht dabei, daß sich die Juristen m i t juristisch interpretierenden u n d kommentierenden Arbeiten (wie etwa die i n dem v o n Sterzel herausgegebenen Sammelband) bewußt auf i h r Metier beschränken u n d sie den Soziologen damit nicht vorgreifen wollen. Umgekehrt scheint allerdings unter Soziologen die Auffassung verbreitet zu sein, m i t ihrer Disziplin lasse sich jedes gesellschaftliche Phänomen schlüssig, umfassend, unter allen Aspekten u n d ohne Zuhilfenahme der Erkenntnismittel anderer Wissenschaften erklären. Z u den Aufgaben der Staatsrechtwissenschaft als einer Normwissenschaft i m Vergleich zur Soziologie u n d der Politikwissenschaft vgl. Hesse, Normative K r a f t , S. 5 f., 18 ff.
14
Einleitung
standsverfassung fehl am Platze. Nun ist es Aufgabe des Juristen, möglichst exakt und unter Verwendung anerkannter Methoden der Verfassungsinterpretation 11 , den Inhalt der neu geschaffenen Verfassungsbestimmungen zu ermitteln und zum Nutzen aller, der einzelnen Staatsbürger, der gesellschaftlichen Gruppen und der Staatsorgane, kommentierend darzustellen. A n dieser Aufgabe muß gerade dem Juristen gelegen sein, der sich der freiheitlichen Ordnung des Grundgesetzes verpflichtet fühlt; i h m muß es darum gehen, die Notstandsverfassung i m Lichte der Grundsätze des freiheitlichen, demokratischen und sozialen Rechtsstaates auszulegen. Wer dagegen — u m den Widerstand gegen die verfassungsändernde Notstandsgesetzgebung noch nachträglich zu legitimieren oder aus welchen Gründen auch immer — fortfährt, durch juristisch unhaltbare Konstruktionen die Notstandsverfassung als ein M i t t e l zur Beseitigung der freiheitlichen und sozialstaatlichen Demokratie „zu entlarven", der sollte sich vor Augen halten, daß derartige „Beweisführungen" unter Umständen eine ganz andere als die beabsichtigte Wirkung haben können: sie könnten nämlich gerade demjenigen Argumente liefern, der die Bestimmungen mißbräuchlich anwenden w i l l . Was daher not tut, ist eine juristische exakte Darstellung und Auslegung, die für jedermann klar macht, was die Notstandsvorschriften besagen und was nicht, was m i t h i n legal ist und was nicht. I n der vorliegenden Arbeit w i r d der Versuch unternommen, einen Teilkomplex der Notstands Verfassung, nämlich den Themenkreis „Arbeitskampf und Notstandsverfassung", m i t den Mitteln der Verfassungsinterpretation zu beleuchten. Dabei geht es i n erster Linie u m die Darstellung und Auslegung des neuen A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG, der sog. Arbeitskampfschutzklausel. Eine Untersuchung dieser Vorschrift erscheint schon deshalb angebracht, w e i l die Frage, wie der Arbeitskampf i m Rahmen einer verfassungsgesetzlichen Notstandsregelung zu behandeln sei, i n der öffentlichen und i n der parlamentarischen Diskussion über die Notstandsver11 Den Vorzug verdient dabei die Methode der „konkretisierenden Interpretation" (Hesse) — ein topisches Verfahren, das v o m konkreten Problem ausgehend bestimmte, f ü r die Lösung dieses Problems relevante (sachbezogene) Gesichtspunkte zusammenträgt. Welche dieser Gesichtspunkte bei der Problemlösung die entscheidende Rolle spielen, bestimmt sich nach Maßstäben, Prinzipien, die ihrerseits der Verfassung u n d — unvermeidlich — dem verfassungstheoretischen Vorverständnis des Interpreten zu entnehmen sind (Prinzipien der Verfassungsinterpretation). Die herkömmlichen Auslegungsmethoden (grammatische, systematische, historisch-genetische usw. Auslegung) sind nicht etwa ganz zu verwerfen. Sie tragen bestimmte allgemeine Gesichtspunkte, die f ü r die Problemlösung relevant sein können, zusammen. Als partielle Interpretationsgesichtspunkte sind sie aber weder die einzigen zu berücksichtigenden Gesichtspunkte, noch k a n n zwischen ihnen eine Rangfolge aufgestellt werden, s. zu allem Ehmke , W D S t R L 20 (1963), S. 53 ff. (dazu den Bericht von Bullinger , JZ 1961, S. 709 f.); Hesse, Grundzüge, S. 20 ff.; F. Müller , N o r m s t r u k t u r u n d Normativität, passim, alle m. w. Nachw.
Einleitung fassung eine z e n t r a l e R o l l e spielte — durchaus z u Recht, b i l d e t doch, w i e R ü t h e r s f e s t s t e l l t 1 2 , die B e h a n d l u n g des A r b e i t s k a m p f e s e i n w i c h t i g e s K r i t e r i u m f ü r die F r e i h e i t l i c h k e i t oder U n f r e i h e i t l i c h k e i t der r e a l e n Verfassungslage eines Staates. A n d e r e r s e i t s scheint festzustehen, daß eine N o t s t a n d s r e g e l u n g a u f die z e i t w e i l i g e E i n s c h r ä n k b a r k e i t v e r f a s sungsmäßiger G r u n d r e c h t e u n d G r u n d f r e i h e i t e n n i c h t v e r z i c h t e n k a n n , j a , daß die S c h a f f u n g n o r m a l e r w e i s e n i c h t bestehender E i n s c h r ä n k u n g s m ö g l i c h k e i t e n z u m Z w e c k e der Ü b e r w i n d u n g der N o t s t a n d s s i t u a t i o n z u m entscheidenden B e s t a n d t e i l e i n e r N o t s t a n d s v e r f a s s u n g g e h ö r t . O b diese theoretische P o s i t i o n w i r k l i c h ganz so z w i n g e n d ist, w i e w e i t h i n angen o m m e n w i r d 1 3 , ob d e n G r u n d r e c h t s b e s c h r ä n k u n g e n i m R a h m e n e i n e r N o t s t a n d s r e g e l u n g tatsächlich die ü b e r r a g e n d e B e d e u t u n g z u k o m m t , die i h n e n v o n G e g n e r n u n d B e f ü r w o r t e r n e i n e r deutschen N o t s t a n d s v e r fassung — i n s o w e i t ü b e r e i n s t i m m e n d — beigemessen w u r d e , m u ß a l l e r d i n g s b e z w e i f e l t w e r d e n 1 4 . E i n e b i s w e i l e n z u einseitige F i x i e r u n g a u f die 12
D B 1968, S. 1948. Vgl. etwa Benda, Notstandsverfassung u n d Arbeitskampf, S. 4 f.; Bettermann, i n : Fraenkel (Hrsg.), Staatsnotstand, S. 217 ff.; Rüthers , D B 1968, S. 1948; ff. Schäfer , BullBReg. Nr. 78 v. 14. 5.1964, S. 706; ders. t AöR 93 (1968), S. 72 ff.; vgl. ferner J. Seifert , Gefahr i m Verzuge, S. 55 (sowie die Einl. v. F. Bauer, S. 12). 14 Schon 1949 hatte Carlo Schmid i n den Beratungen des parlamentarischen Rates über die — später gestrichene — Notstandsregelung i n A r t . 111 erklärt, er sei der Meinung, „daß das Recht, Grundrechte zu suspendieren, nicht n u r nicht gegeben werden sollte, sondern auch nicht gegeben zu werden braucht", Pari. Rat., 36. Sitzg. des Hauptausschusses v. 12. 1. 1949, Sten. Prot, (gedruckt) S. 458; zweifelnd auch schon i n der 2. Sitzg. des Pari. Rates v. 8. 9. 1948, Sten. Ber. S. 14. Auch ein so entschiedener Befürworter weitgehender Notstandsregelungen w i e M. Freund stellte fest, die Aufhebung der Grundrechte als ein notwendiges Requisit des Ausnahmezustandes werde „ w e i t überschätzt", M. Freund, i n : Arndt!Freund, Notstandsgesetz — aber wie?, S. 152; unbedingt erforderlich sei allerdings eine Beschränkung des Streikrechts i n Notstandssituationen, ebd. 5. 153 ff. Gegen letzteres m i t Nachdruck Ad. Arndt, ebd., S. 49 ff.; seine g r u n d sätzliche Auffassung umriß der langjährige SPD-Bundestagsabg. Arndt w i e folgt (S. 54): „Eine außerordentliche Notlage ist nicht zu überstehen, ohne daß jedermann i n einige bestimmte Grundrechte Eingriffe hinnehmen muß, die verhältnismäßig weiterreichen, als es normalerweise geduldet werden muß. Darüber ist kein Wort zu v e r l i e r e n . . . Unmöglich ist es dagegen, die G r u n d rechte der Meinungs- u n d Pressefreiheit, der Koalitionsfreiheit u n d der (nur durch Richterspruch beschränkbaren) Freiheit der Person ohne feststellbare Grenze dem Notverordnungsrecht n u r der Exekutive zu u n t e r w e r f e n . . . " Das dürfte zugleich auch die Generallinie der SPD gewesen sein, v o n der sie sich i n den parlamentarischen Beratungen von 1960 bis 1968 leiten ließ; vgl. F. Schäfer , Notstandsgesetze, S. 91 ff. Stellt m a n die i m RegE von 1960 (Schröder-Entwurf) vorgesehenen Möglichkeiten v o n Grundrechtsbeschränkungen denen des endgültigen Textes gegenüber, dann w i r d deutlich, daß sich die Zweifel an der Unumgänglichkeit zahlreicher (und pauschaler) Beschränkungen i m Parlament schließlich durchgesetzt haben; vgl. die vorzügliche Synopse aller Texte v o n E. LohseiContag, Beilage z. Bundesanzeiger Nr. 228 v. 6. 12. 1968. Selbst ein sonst sehr kritischer Betrachter wie Hesse konnte daher feststellen, daß die Notstandsverfassung die politisch bedeutsamsten G r u n d rechte ungeschmälert gelassen hat, Hesse, Grundzüge, S. 297. 13
16
Einleitung
Grundrechtsproblematik hat die Wichtigkeit des Organisationsteils einer Notstandsverfassung 15 — des Teils, i n dem das Funktionieren der drei staatlichen Gewalten i n Notstandslagen sichergestellt, aber auch für den Einbau machtverteilender und -kontrollierender Elemente 16 Sorge getragen werden soll —, i n den Hintergrund treten lassen 17 . Dennoch ist nicht zu verkennen, daß die Frage, ob und i n welchem Umfang die zeitweilige Einschränkbarkeit von Grundrechten und Grundfreiheiten erfolgen soll, eine der größten Schwierigkeiten und auch Gefahren der Notstandsregelung i n einem freiheitlichen Rechtsstaat darstellt. Der Behandlung des Arbeitskampfes, insbesondere des Streiks, kommt dabei eine spezielle Relevanz zu. Schon deshalb erscheint eine nähere Beschäftigung m i t A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG lohnend. Zu einer Untersuchung der neuen Arbeitskampfschutzklausel besteht jedoch auch aus einem zweiten Grunde Anlaß: Es ist zu prüfen, ob der neue Satz 3 des A r t . 9 Abs. 3 GG über die Regelung des Verhältnisses zwischen Notstandsregelung und Arbeitskampf hinaus neue Feststellungen über den Arbeitskampf unter dem Grundgesetz, also zur allgemeinen Verfassungsrechtslage des Arbeitskampfes, ermöglicht. Bislang fehlt es nicht an widersprüchlichen Äußerungen dazu: Während beispielsweise E. Stein feststellt 18 , es sei bisher umstritten gewesen, ob A r t . 9 Abs. 3 das Streikrecht garantiere, jedoch enthalte der neue Satz 3 nunmehr eine indirekte Anerkennung des Streikrechts, hält Rüthers 1 9 die Ergänzung für überflüssig, w e i l die herrschende Lehre das Bestehen einer Einrichtungsgarantie des rechtmäßigen Arbeitskampfes bereits anerkannt habe; m i t der neuen Bestimmung, die nur deklaratorische Bedeutung habe, werde nur der trügerische Schein eines unbegrenzten Arbeitskampfprivilegs geschaffen. Ramm wiederum ist der Meinung 2 0 , die Notstandsgesetzgebung habe das Streikrecht i m Notstandsfall ganz beseit i g t 2 1 , dies aber w i r k e sich auch auf die Normalsituation und auf die 15
Aus grundsätzlicher Sicht dazu Hesse, DÖV 1955, S. 742 ff. Evers , AöR 91 (1966), S. 3 f., hat eine Typologie von fünf Gefahren aufgestellt, die ein Ausnahmezustand f ü r die rechtsstaatl. Sekurität m i t sich bringe. Eine rechtsstaatl. Notstandsverfassung muß, so Evers m i t Recht, gegen diese Gefahren organisatorisch-institutionelle Sicherungen vorsehen. Ä h n l i c h Hesse, Grundzüge, S. 282 f. u n d JZ 1960, S. 105 ff. 17 Dies hat später auch Benda bemängelt, i n : Hof mann/Maus (Hrsg.), N o t standsordnung, S. 82, 91; Die Notstandsverfassung, 2. Aufl. 1966, S. 97. — v . Simson, DVB1. 1966, S. 653, hat i n anderem Zusammenhang festgestellt, daß erst der funktionierende Staat überhaupt Rechte garantieren könne. Den Rechtsverbürgungen u n d dem Rechtsschutz stehe das Erfordernis der Lebensu n d Handlungsfähigkeit des Staates gegenüber. 18 E. Stein, Lehrbuch des Staatsrechts, S. 188. 19 D B 1968, S. 1952. 20 K J 1968, S. 117. 21 Diese Prämisse w i r d ebenfalls zu untersuchen sein. 16
Einleitung
allgemeine Diskussion u m das Streikrecht aus; Ramm befürchtet also offenbar neue Einengungen und Beschränkungen des Streikrechts auch i n der verfassungsrechtlichen Normalsituation. Genug Anlaß für eine Untersuchung dieses Fragenkreises! Die Themenstellung der Untersuchung ist indessen beschränkt. I n die Fülle der ungeklärten Streitfragen des Arbeitskampfrechts soll nur dort eingegriffen werden, wo vom Boden einer verfassungsrechtlichen Interpretation der neuen Grundgesetzbestimmungen aus neue Aussagen über die rechtliche Behandlung des Arbeitskampfes gerechtfertigt erscheinen. Eine Auseinandersetzung m i t arbeitsrechtlichen, deliktsrechtlichen oder verfassungsrechtlichen Thesen und Auffassungen, die schon vor und unabhängig von den Verfassungsänderungen, die das Siebzehnte Gesetz zur Ergänzung des Grundgesetzes gebracht hat, vertreten wurden, muß unterbleiben. Ziel der Untersuchung ist es ausschließlich, die Auswirkungen der neuen Notstandsbestimmungen, insbesondere des Art. 9 Abs. 3 Satz 3 GG, auf das Arbeitskampfrecht fest- und darzustellen. Wo schon bisher unterschiedliche Meinungen bestanden — infolge der gesetzgeberischen Abstinenz auf dem Gebiete des Arbeitskampfrechts gibt es fast keine Einzelfrage, über die nicht unterschiedliche Meinungen vertreten werden —, soll nur untersucht werden, ob und gegebenenfalls wie der Diskussionsstand durch die Verfassungsänderungen berührt worden ist. Fällt diese Prüfung negativ aus, w i r d den Streitfragen nicht weiter nachgegangen, also nicht der Versuch einer eigenen Stellungnahme zu „alten Problemen" unternommen. I n ihrer beschränkten, am positiven Verfassungsrecht ausgerichteten Zielsetzung unterscheidet sich die vorliegende Arbeit auch von der großangelegten Untersuchung über das Thema „Streik und Staatsnotstand", die V. H. Lohse kürzlich vorgelegt hat 2 2 . Lohse behandelt „die Fragen der Einwirkung des Staatsnotstandes auf den Streik und des Streiks auf den Staatsnotstand" 23 aus allgemeiner und grundsätzlicher Sicht, wobei er von historischen und begrifflichen Überlegungen zu den beiden Themen „Streik" und „Staatsnotstand" ausgeht sowie rechtsvergleichende H i n weise hinzufügt. A u f die Arbeitskampfschutzklausel des A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG geht er nur verhältnismäßig kurz ein. Der Vorgeschichte und Entstehung der neuen Bestimmung w i r d innerhalb der recht ausführlich Darstellung 2 4 der verschiedenen Entwürfe und des schließlich verabschiedeten Textes überraschend wenig Platz eingeräumt 25 . Abgesehen von der Feststellung, daß A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG lückenhaft sei und de lege 22 V . H . Lohse, Streik u n d Staatsnotstand (unter Berücksichtigung der Rechtslage i n der Schweiz), B e r l i n 1969. 23 Ebd., S. 22. 24 Ebd., S. 123 - 169. 25 Ebd., S. 159 - 169.
2 Gltlckert
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ferenda einer Ergänzung bedürfe — ein Ergebnis, m i t dem sich die vorliegende Arbeit i m IV. Abschnitt des zweiten Teils auseinandersetzt 26 —, unternimmt Lohse auch keine Untersuchung des Inhalts und der Auswirkungen der neuen Norm 2 7 . I n einer Erörterung dieser Fragen soll — neben der Schilderung der Entstehung der Arbeitskampfschutzklausel — der Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit liegen. 2. Gang der Untersuchung im einzelnen I m ersten Teil soll zunächst die Entstehung der Arbeitskampfschutzklausel dargestellt werden, wobei auch auf die Vorläufer der neuen Bestimmung i n früheren Entwürfen eingegangen wird. Auf eine genaue Schilderung der Entstehungsgeschichte des A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG w i r d nicht nur Wert gelegt, u m ein tragfähiges Fundament für die historische und genetische Auslegung 2 8 der neuen Vorschrift zu gewinnen, sondern auch, u m die verschiedenen Standpunkte, Ziele und Interessenlagen unter den Beteiligten des Gesetzgebungsprozesses und den dahinter stehenden gesellschaftlichen Gruppen und Kräften deutlich werden zu lassen. Das scheint wesentlich, u m den nötigen Hintergrund für das Verständnis und die Beurteilung der gesetzgeberischen Entscheidung zu schaffen. M i t der Herausarbeitung dieses Hintergrundes soll zugleich auch generell der Anteil des Parlaments am Zustandekommen eines wichtigen Teilkomplexes der Notstandsverfassung deutlich gemacht werden. Die Rolle des Bundestages bei der Entstehung einer bedeutsamen und politisch umstrittenen Gesetzesbestimmung deutlich zu machen, erscheint dem Verfasser umso wichtiger, als oberflächliche politikwissenschaftliche Fragestellungen oftmals zu unzutreffenden Bewertungen der Arbeit des Parlaments führen. Der Funktionsverlust des Bundestages habe, so hört man nicht selten, von der Legislativfunktion des Parlaments nicht mehr übrig gelassen als die Befugnis, die von der Ministerialbürokratie vorbereiteten und zwischen ihr und den gesellschaftlich mächtigen Gruppen ausgehandelten Gesetzentwürfe rein formal zu „ratifizieren", d. h. von 26
s. unten Zweiter Teil, I V . Abschnitt, Kap. 5. Dies dürfte u. a. darauf zurückzuführen sein, daß die Arbeit — w i e Lohse, ebd., S. 58 Fußn. 69 m i t t e i l t — schon am 13. 1. 1967, als lange von I n k r a f t t r e t e n der Notstandsverfassung am 28. 6. 1968, abgeschlossen w a r u n d erst durch spätere Ergänzungen auf den i m V o r w o r t genannten Stand v o m 30. 6. 1968 gebracht wurde. 28 Der Stellenwert dieser Auslegungsmethode darf freilich nicht überschätzt werden. I m Verfahren der „konkretisierenden Interpretation" (s. oben Fußn. 11) hat die historische u n d genetische Auslegung wie andere der herkömmlichen Auslegungstechniken n u r die (relative) Bedeutung, zur Problemlösung geeignete Gesichtspunkte ans Tageslicht zu fördern. Auch i m Rahmen der herkömmlichen Auslegungsmethoden w i r d der historisch-genetischen Auslegung n u r eine sekundäre Bedeutung zugebilligt, vgl. BVerfGE 1, 299 (312). 27
Einleitung
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u n w e s e n t l i c h e n R a n d k o r r e k t u r e n abgesehen ohne die M ö g l i c h k e i t i n h a l t l i c h e r Ä n d e r u n g e n z u ü b e r n e h m e n 2 9 . E i n spezielles C h a r a k t e r i s t i k u m der N o t s t a n d s d i s k u s s i o n w a r e n die z a h l r e i c h e n B e r i c h t e d a r ü b e r , w i e B u n d e s r e g i e r u n g u n d M i n i s t e r i a l b ü r o k r a t i e die P a r l a m e n t a r i e r m i t H i l f e v o n „ F o r m u l i e r u n g s h i l f e n " z u täuschen u n d ü b e r t ö l p e l n v e r s u c h t e n 3 0 . W e n n g l e i c h es n i c h t A u f g a b e d e r v o r l i e g e n d e n (juristischen) A r b e i t sein k a n n , eine W i d e r l e g u n g d e r a r t i g e r K l i s c h e e v o r s t e l l u n g e n , die sich s t a t t a m p a r l a m e n t a r i s c h e n R e g i e r u n g s s y s t e m des Grundgesetzes h ä u f i g a m P a r l a m e n t a r i s m u s d e r k o n s t i t u t i o n e l l e n M o n a r c h i e des 19. J a h r h u n d e r t s o r i e n t i e r e n 3 1 , z u versuchen, so s o l l doch die E n t s t e h u n g der A r b e i t s k a m p f k l a u s e l des A r t . 9 A b s . 3 Satz 3 G G n i c h t n u r u n t e r v e r fassungsrechtlichen, s o n d e r n z u e i n e m gewissen T e i l auch u n t e r p o l i t i k wissenschaftlichen A s p e k t e n geschildert w e r d e n 3 2 . Das b e d i n g t , daß u. a. auch a u f die D i s k u s s i o n e n u n d E n t s c h l i e ß u n g e n v o n G e w e r k s c h a f t s - u n d P a r t e i t a g e n e i n z u g e h e n ist, w a s i n e i n e r j u r i s t i s c h e n U n t e r s u c h u n g u n g e w ö h n l i c h sein m a g , w a s jedoch n u r d e m engen Z u s a m m e n h a n g u n d der gegenseitigen A b h ä n g i g k e i t v o n Verfassungsrecht u n d p o l i t i s c h e r W i r k l i c h k e i t , v o n Staatsrechtswissenschaft u n d P o l i t i k w i s s e n s c h a f t R e c h n u n g t r ä g t . V o r a l l e m aus d e n B u n d e s p a r t e i t a g e n u n d B u n d e s k o n f e r e n z e n der
29 I n diesem Sinne etwa Hannover , Blätter 1968, S. 570; J. Hirsch , Blätter 1969, S. 161 ff.; Jaeggi , Macht u n d Herrschaft, S. 97 ff.; 102 ff.; Leibholz , S t r u k turprobleme, S. 295; Wahsner , i n : Sterzel (Hrsg.), K r i t i k , S. 50; ähnlich auch Nevermann, i n : Sozialdemokratie u n d Sozialismus heute, S. 217 f. 30 Vgl. etwa J. Seifert , Gefahr i m Verzuge, S. 81 f. u n d insbes. G M H 1968, S. 367 f. Unkritisch Seiferts Behauptungen übernehmend Sterzel, i n : Sterzel (Hrsg.), K r i t i k , S. 19, u n d Wahsner, ebd., S. 50; ebenso Ramm, A r b u R 1971, S. 78. — Aus seiner eigenen unmittelbaren Anschauung heraus vermag der Verf. weder Seiferts Tatsachenfeststellungen i m Zusammenhang m i t ministeriellen Formulierungshilfen noch die Bewertung u n d K r i t i k dieser E i n richtung zu teilen. M a n w i r d Seifert allerdings zugute halten müssen, daß für einen Außenstehenden, der das Gesetzgebungsverfahren nicht selbst aus nächster Nähe beobachten kann, die Dinge schwer zu durchschauen sind. D a r i n mag man einen bedenklichen Mangel an Öffentlichkeit sehen, sollte die Formulierungshilfen jedoch nicht zu mystischen Wunderwaffen der Ministerialbürokratie hochstilisieren. Dazu besteht kein Anlaß. — Treffend zur Notwendigkeit u n d zu den Gefahren von Formulierungshilfen C. Arndt, Die V e r w a l t u n g 2 (1969), S. 270 ff. 31 Hennis hat jüngst erst wieder auf die „ungeheuere Belastung unserer Begriffe . . . durch die überholten Maßstäbe der konstitutionellen Monarchie" hingewiesen, i n : Der Spiegel Nr. 40/1969, S. 204; ähnlich auch i n : P o l i t i k als praktische Wissenschaft, S. 106. Hier liegt i n der Tat ein höchst k r i t i k b e d ü r f tiges Element eines Teils der heutigen l i n k e n Parlamentarismuskritik. 32 Dabei k o m m t dem Verf. zugute, daß er als wiss. Assistent bei der SPDBundestagsfraktion die Entstehung der Notstandsverfassung aus nächster Nähe beobachten konnte u n d i h m neben den Protokollen der Bundesrats- u n d Bundestagsausschüsse — aus denen oft nicht alle wesentlichen Aspekte hervorgehen (vgl. Chr. Böckenförde, JZ 1970, S. 168) — auch interne Materialien der Fraktionen, insbesondere der SPD-Fraktion, zur Verfügung standen.
2*
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SPD 3 3 lassen sich wichtige Erkenntnisse für die Entstehung der Notstandsverfassung gewinnen, einmal deswegen, w e i l die anwesenden parlamentarischen Experten bei dieser Gelegenheit oft unverblümter als i m Parlament über ihre gesetzgeberischen Absichten und über den Beratungsstand berichteten, zum anderen deshalb, w e i l die auf den Parteitagen gefaßten Entschließungen Auftrag und Richtschnur (manchmal auch nachträgliche Bestätigung) für die Haltung der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion i n den parlamentarischen Beratungen bildeten 3 4 . Inhalt und Auswirkungen der Arbeitskampfschutzklausel sind Gegenstand des zweiten Teils der Arbeit. Der I. Abschnitt dieses Teils befaßt sich m i t der Auslegung des neuen Satzes 3 des A r t . 9 Abs. 3 GG. Ausgehend von den einzelnen Tatbestandselementen soll möglichst anhand konkreter Fragen und Probleme versucht werden, Inhalt und Tragweite der neuen Norm zu ermitteln 3 5 ; gleichzeitig soll deutlich gemacht werden, wo der neuen Klausel trotz gegenteiliger Befürchtungen oder Behauptungen keine Aussagen entnommen werden können — wie etwa zur Problematik des „wilden" oder des politischen Streiks. Daran schließt sich i m II. Abschnitt eine Darstellung der Folgerungen an, die sich aus A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG für die allgemeine Beurteilung des Arbeitskampfes nach dem Grundgesetz ergeben. Hier geht es nicht u m die Behandlung des Arbeitskampfes i m Rahmen einer Notstandsregelung, sondern u m die Frage möglicher neuer Aspekte zum allgemeinen Thema „Arbeitskampf und Verfassung". Darauf folgt — als eine A r t Exkurs, w e i l über A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG hinausgehend — i m I I I . Abschnitt des zweiten Teils eine Untersuchung der Frage, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen Personen, die gemäß A r t . 12 a GG dienstverpflichtet worden sind oder am Arbeitsplatz bzw. i m Beruf festgehalten werden, ein Streikrecht i n A n spruch nehmen können. Hier also geht es u m die individuelle Arbeitskampffreiheit und ihr Verhältnis zu den Arbeitskräftelenkungsmaßnahmen des Art. 12 a Abs. 3,4 und 6 GG. I m IV. und letzten Abschnitt w i r d eine Auseinandersetzung m i t der K r i t i k an der Arbeitskampfschutzklausel und eine zusammenfassende Würdigung der neuen Regelung versucht werden.
33 Da sich n u r diese Partei auf zahlreichen Parteitagen (von 1960 -1968) detailliert m i t Fragen der Notstandsgesetzgebung beschäftigte (in den übrigen i m B T vertretenen Parteien w a r das Thema k a u m jemals Gegenstand innerparteilicher Auseinandersetzungen), läßt sich bei der Darstellung der E n t stehung des A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG ein gewisses Übergewicht sozialdemokratischer Äußerungen nicht vermeiden. 34 Aufschlußreich dazu Soell, PVS 1969, S. 605 ff. 35 s. oben Fußn. 11.
ERSTER T E I L
Die Entstehung des Art. 9 Abs. 3 Satz 3 GG Erster Abschnitt
Vorgeschichte 1. Beginn der Diskussion in der 2. Legislaturperiode (1953 -1957) Der Frage, ob und i n welcher Weise eine Notstandsverfassung die Koalitionsfreiheit berühren und sich auf Streiks auswirken würde, wurde seit Beginn der Diskussion über eine verfassungsändernde Notstandsgesetzgebung eine zentrale Bedeutung zugemessen1. Als nach Unterzeichnung des Pariser Protokolls über die Beendigung des Besatzungsregimes i n der Bundesrepublik Deutschland 2 der damalige Staatssekretär i m Auswärtigen Amt, Prof. Dr. Hallstein, am 26. 10. 1954 die Öffentlichkeit von der Absicht der Bundesregierung unterrichtete, durch Ergänzung des Grundgesetzes deutsche Notstandsregelungen zu schaffen, äußerte die oppositionelle SPD sogleich Befürchtungen und Bedenken. Unter anderem sah die SPD die Gefahr voraus, daß auf Grund einer deutschen Notstandsregelung die Bundesregierung „jeden Streik als Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung" ansehe3. 1 Der Themenstellung entsprechend w i r d i m folgenden i n erster L i n i e die V o r - u n d Entstehungsgeschichte des A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG skizziert. Eine vollständige Darstellung der Vorgeschichte u n d des Zustandekommens der gesamten Notstandsverfassung ist nicht angestrebt; auf diese allgemeine Geschichte w i r d n u r insoweit eingegangen, als dies zur Herstellung eines Bezugsrahmens f ü r die spezielle Frage der Arbeitskampfschutzklausel erforderlich ist. Z u r allgemeinen Geschichte vgl. V. H. Lohse, ZgesStW 124 (1968), S. 369 ff.; ders., Streik u n d Staatsnotstand, S. 123 ff.; Waldman, Notstand u n d Demokratie, S. 37 ff., 113 ff., sowie Sterzel, i n : Sterzel (Hrsg.), K r i t i k , S. 7 ff. (mit einer Reihe von höchst diskussionsbedürftigen Bewertungen). 2 V o m 23.10.1954 (BGBl. I I S. 215). 3 SPD-Pressedienst P IX/243 v. 26. 10. 1954, S. 4; vgl. die Zusammenstellung weiterer kritischer Stimmen aus der damaligen Zeit i n der v o m Bundesministerium des I n n e r n herausgegebenen Dokumentation „Das Gesetz f ü r die Stunde der Not", S. 17 f. (März 1961).
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1. T e i l : Entstehung des A r t . 9 I I I 3 GG
Nachdem die Pariser Verträge am 5. 5. 1955 i n K r a f t getreten waren 4 , wies der SPD-Bundestagsabg. und Vizepräsident des Deutschen Bundestages, Prof. Dr. Carlo Schmid, öffentlich darauf hin 5 , daß das i n der Bundesrepublik geltende Notstandsrecht weiterhin Besatzungsrecht sei. Schmid sprach sich dafür aus, dieses Besatzungsrecht durch deutsches Recht abzulösen und zu diesem Zweck das Grundgesetz entsprechend zu ändern. Dabei seien sieben Maximen zu beachten. Eine davon — nur sie interessiert hier — lautete: „ V o n der Verhängung des Notstandes darf nicht Gebrauch gemacht werden, u m Streiks, die v o n den Gewerkschaften ordnungsgemäß ausgerufen worden sind, abzuwürgen oder zu beschränken 6 ."
Noch 1955 begannen i m Bundesinnenministerium die Vorarbeiten für den Entwurf einer Grundgesetzänderung. Bis zum Ende der 2. Legislaturperiode führten diese Vorarbeiten indessen zu keinem Ergebnis.
2. Die Bemühungen in der 3. Legislaturperiode (1957 - 1961) I m Januar 1958 kündigte der damalige Bundesinnenminister Dr. Schröder (CDU) öffentlich 7 und i m Innenausschuß des Bundestages 8 an, er werde den Entwurf einer Grundgesetzänderung für den Notstandsfall noch i n der 3. Legislaturperiode einbringen. Wie groß die Empfindlichkeit der sozialdemokratischen Opposition vor allem i n der Frage des Streikrechts war, mag aus der Tatsache zu ersehen sein, daß eine juristische Abhandlung, die ein Regierungsrat i m Bundesverteidigungsministerium unter seinem Namen Anfang März i n einer Fachzeitschrift veröffentlichte 9 , zu scharfen öffentlichen Reaktionen der SPD-Bundestagsfraktion führte. I n der fraglichen Abhandlung wurde u. a. die Auffassung vertreten, das „kommende Ausnahmerecht" müsse „u. U. auch bei Streiks in lebenswichtigen Wirtschaftszweigen" die Anwendung außerordentlicher Vollmachten (einschließlich des Einsatzes der Bundeswehr) ermöglichen 10 . Der damalige parlamentarische Geschäftsführer und Rechtsexperte der 4
Bekanntmachung v. 5. 5.1955 (BGBl. I I S. 628). Vortrag i n der Sendereihe „Probleme der P o l i t i k " des Hessischen Rundfunks am 30. 6. 1955. Auszugsweise abgedruckt i n : Sozialdemokratische Stimmen zum Notstandsproblem, S. 8 f. Vgl. auch die Zitate i n der 175. Sitzg. d. 5. B T v. 16. 5.1968, Sten. Ber. S. 9463 (A, B). 6 Sozialdemokratische Stimmen zum Notstandsproblem, S. 9. 7 Vgl. die Dokumentation des Bundeministeriums des I n n e r n (Fußn. 3), S. 24. 8 I A des 3. BT, 2. Sitzg. v. 17.1.1958. 9 Flor, DVB1.1958, S. 149 ff. 10 DVB1. 1958, S. 152. Kritisch dazu — der Hinweis auf Streiks i n lebenswichtigen Versorgungsbetrieben könne die Notwendigkeit eines verfassungsändernden Staatsnotstandsrechts nicht begründen — Hamann, DVB1. 1958, S. 406. 5
I. Abschn.: Vorgeschichte
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SPD-Bundestagsfraktion Dr. Adolf A r n d t kritisierte i m Pressedienst seiner Partei unter anderem diese Äußerung, die er als „wahres Prachtexemplar eines Pferdefußes" bezeichnete, nachdrücklich und erklärte, die gewissenhafte Erörterung der ernsten Frage nach der Erforderlichkeit eines Notstandsrechts werde durch solche Spekulationen vergiftet oder von vornherein unmöglich gemacht 11 . Bundesinnenminister Dr. Schröder betonte dann i n einer öffentlichen Rede vor dem Delegiertenkongreß der Gewerkschaft der Polizei am 30. 10. 1958 i n Stuttgart 1 2 , daß eine verfassungsändernde Notstandsregelung erforderlich sei. A u f Verlangen des Innenausschusses des Bundestages, der sich vom Bundesinnenminister übergangen fühlte, fand am 26. und 27. 11. 1958 i m Ausschuß 13 eine eingehende Aussprache über die Stuttgarter Rede des Ministers statt, i n deren Verlauf Dr. Schröder auch einige Hinweise auf den Inhalt der beabsichtigten Notstandsregelungen gab. Schröder befaßte sich dabei u. a. m i t dem Fragenkreis „Streiks und innerer Notstand" und wies insbesondere darauf hin, daß i n „ostzonalen Planspielen" der Generalstreik i n der Bundesrepublik eine große Rolle spiele 14 . Kurze Zeit später stellte das Bundesinnenministerium einen ersten, zehn A r t i k e l umfassenden Entwurf fertig, der am 18. 12. 1958 Gegenstand von Besprechungen zwischen dem Bundeskanzler und den Ministerpräsidenten der Länder war. A m 23.1.1959 fand eine Konferenz des Bundesinnenministers und der Innenminister bzw. -Senatoren der Länder statt, i n der über den Entwurf des Bundesinnenministeriums beraten wurde; der Entwurf stieß dabei auf Ablehnung 1 5 . Bereits nach der Stuttgarter Rede des Bundesinnenministers am 30. 10. 1958 setzte eine lebhafte öffentliche Diskussion über das Für und Wider einer deutschen Notstandsregelung ein 1 8 . Einen Höhepunkt er11
SPD-Pressedienst P / X I I I / 8 2 v. 11. 4.1958, S. 2. Abgedruckt i n BullBReg. Nr. 203 v. 31.10.1958, S. 2017 ff.; vgl. auch die Dokumentation des Bundesministeriums des I n n e r n (Fußn. 3), S. 26. 13 I A des 3. BT, 24. u. 25. Sitzg. 14 I A des 3. BT, 24. Sitzg. v. 26.11.1958, Prot. S. 16 f. 15 Vgl. die Bemerkungen v o n Ministerpräsident Dr. Zinn (Hessen) u n d Bundesinnenminister Dr. Schröder i n der 215. Sitzg. des BR v. 26. 2. 1960, Sten. Ber. S. 310 (B), 312 (A). 16 Vgl. etwa die programmatischen A r t i k e l des pari. Geschäftsführers und Rechtsexperten der SPD-Bundestagsfraktion Dr. Ad. Arndt, Z u r Frage der Notstandsrechte, i n : Vorwärts v. 21. 11. 1958. A r n d t erklärte i n diesem A r t i k e l , der eine A n t w o r t auf Schröders Stuttgarter Rede darstellte, die Sozialdemokratie sei grundsätzlich bereit, die Frage einer verfassungsändernden N o t standsregelung zu durchdenken u n d i n ernsthaften Gesprächen m i t der Bundesregierung u n d den sie tragenden Parteien zu erörtern. Vgl. auch die Ausführungen Arndts i n der 124. Sitzg. d. 3. B T v. 28. 9. 1960, Sten. Ber. S. 7196 (D) f. — Anzumerken ist an dieser Stelle freilich, daß die Haltung der SPD i n den Jahren bis 1960 nicht i m m e r ganz eindeutig war. Sprechern, die eine verfassungsändernde Notstandsgesetzgebung f ü r erforderlich hielten, standen andere 12
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1. T e i l : Entstehung des A r t . 9 I I I 3 GG
reichte die Diskussion i n der Öffentlichkeit und vor allem innerhalb der SPD, nachdem sich der damalige Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, Dr. Katz, anläßlich einer Tagung der Deutschen Sektion der Internationalen Juristen-Kommission am 21. 11. 1959 i n Bad Godesberg m i t Nachdruck für eine verfassungsändernde Notstandsregelung ausgesprochen hatte 1 7 . Die Äußerungen von Katz — eines prominenten sozialdemokratischen Rechtspolitikers 18 — stießen i n der SPD unter anderem deshalb auf Widerstand und scharfe K r i t i k 1 9 , weil Katz die Auffassung vertrat, auch arbeitsrechtliche Streiks könnten, sofern sie ein größeres Ausmaß annähmen, „einen Zustand der inneren Krise und des inneren Notstandes" hervorrufen 2 0 . Anfang Dezember 1959 schlug der Vorsitzende des Rechtsausschusses des Bundestages, der Abg. Hoogen (CDU/CSU), i m Auftrag seiner Fraktion dem Abg. Dr. A r n d t (SPD) brieflich die Aufnahme interfraktioneller Gespräche über die Notstandsgesetzgebung vor. Die SPD-Fraktion reagierte positiv auf dieses Angebot. Noch bevor es jedoch zu Gesprächen zwischen CDU/CSU und SPD kam, legte Bundesinnenminister Dr. Schröder dem Kabinett den Entwurf einer Notstandsverfassung vor. Die Bundesregierung verabschiedete diesen ersten Regierungsentwurf („Schröder-Entwurf") am 13. 1. i960 2 1 . Dieser „ E n t w u r f eines Gesetzes zur Ergänzung des Grundgesetzes" 22 sah i n A r t . 115 a Abs. 4 Nr. 2 lit. a für die Dauer des Ausnahmezustandes die Möglichkeit einer Einschränkung des gesamten A r t . 9 GG durch gesetzesvertretende Verordnung der Bundesregierung v o r 2 3 ; Abs. 3 des A r t . 9 — sedes materiae für die KoaSprecher gegenüber, die — w i e etwa der pari. Geschäftsführer Dr. Menzel — die Notwendigkeit einer Verfassungsänderung verneinten. Zutreffend dazu J. Seifert, Gefahr i m Verzuge, S. 36 ff. A u c h i n späteren Jahren gab es, obwohl ab 1960 insgesamt 6 Parteitage die Notwendigkeit einer Verfassungsänderung bejahten, stets eine parteiinterne Opposition gegen die Verabschiedung der Notstandsverfassung, vgl. Waldman, Notstand u n d Demokratie, S. 184 ff. 17 Katz, i n : Rechtsstaat u n d Staatsnotrecht, S. 27. 18 Der Sozialdemokrat Katz w a r M i t g l i e d des Parlamentarischen Rates u n d von 1947 -1950 Justizminister i n zwei sozialdemokratisch geführten Landesregierungen v o n Schleswig-Holstein. 19 Der Parteivorstand der SPD stellte i n einer Pressemitteilung v o m 16. 12. 1959 ausdrücklich fest, daß „die Auffassungen, die . . . H e r r Katz als P r i v a t m a n n " geäußert habe, nicht m i t der Meinung i n Übereinstimmung stünden, „die Partei u n d Bundestagsfraktion der SPD zum Notstandsrecht haben". 20 Katz, i n : Rechtsstaat u n d Staatsnotrecht, S. 31. 21 Vgl. BullBReg. Nr. 12 v. 20.1.1960, S. 97 (mit dem Text des RegE). 22 BR-Drs. 25/60 u n d BT-Drs. 1800 (3. WP.). 23 A r t . 115a Abs. 4 lautete: „Während des Ausnahmezustandes ist die Bundesregierung ermächtigt, 1. gesetzesvertretende Verordnungen zu erlassen,... 2. i n solchen Verordnungen a) f ü r die Dauer des Ausnahmezustandes die Grundrechte aus A r t i k e l 5, 8, 9, 11 u n d 12 über das sonst vorgesehene Maß einzuschränken . . . " , BT-Drs. 1800 (3. WP.), S. 2.
I. Abschn.: Vorgeschichte
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litionsfreiheit und das Recht des Arbeitskampfes — war von der Einschränkbarkeit nicht ausgenommen, obwohl i n der Begründung des Regierungsentwurfs nur von u. U. notwendigen Einschränkungen der Vereinsfreiheit und möglicherweise erforderlichen Zwangsverbänden die Rede w a r 2 4 — eine Begründung, die allenfalls den Vorschlag einer Einschränkbarkeit des Absatzes 1 des A r t . 9 GG gerechtfertigt hätte. A u f einer Pressekonferenz am 18. 1. 1960, i n der er den vom Kabinett verabschiedeten Regierungsentwurf erläuterte, beantwortete Dr. Schröder eine Frage zum Verhältnis zwischen Streik und Notstand m i t der Feststellung: „ A l l e legalen Arbeitskämpfe fallen selbstverständlich nicht unter dieses Gesetz 25 ." M i t dem sehr weitgehenden Wortlaut des A r t . 115 a Abs. 4 Nr. 2 lit. a des Entwurfs war diese Feststellung allerdings kaum i n Einklang zu bringen, es sei denn, man sieht i n ihr nicht mehr als eine Absichtserklärung des damaligen Bundesinnenministers. I m Bundesrat, dem die Bundesregierung den Entwurf am 5. 2. 1960 zuleitete und der am 26. 2. 1960 i m ersten Durchgang darüber beriet, stieß die unbegrenzte Eingriffsmöglichkeit des Notverordnungsgebers i n den gesamten A r t . 9 GG auf erhebliche K r i t i k 2 6 , und zwar nicht nur bei den Bundesratsmitgliedern aus Landesregierungen, die von der SPD gestellt wurden, sondern auch bei Bundesratsmitgliedern aus CDU-regierten Ländern. I n seiner Stellungnahme zum Regierungsentwurf schlug der Bundesrat daher eine auf A r t . 9 Abs. 1 GG (Vereinsfreiheit) begrenzte Einschränkbarkeit vor 2 7 . Darüber hinaus verlangte der Bundesrat eine ausdrückliche Klarstellung, daß Vorschriften über den Ausnahmezustand auf Arbeitskämpfe der nach A r t . 9 Abs. 3 GG gebildeten Vereinigungen nicht anwendbar seien 28 . Bundesinnenminister Dr. Schröder äußerte sich i m Bundesrat zu diesem Vorschlag nicht. I n einer Stellungnahme zu den Beratungen des Bundesrates rügte denn auch der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion Dr. Menzel, daß Schröder i m Bundesrat „kein Wort über die wichtige Rolle der Gewerkschaften i n einem Notfall gesagt" und auch keine klare Stellungnahme zur Streikfrage abgegeben habe 29 . Erst i n ihrer (schriftlichen) 24
BT-Drs. 1800 (3. WP.), S. 4. Dokumentation des Bundesministeriums des I n n e r n (Fußn. 3), S. 44. 26 Vgl. Innenminister Wolters (Rheinland-Pfalz) als Berichterstatter des I A des BR, 215. Sitzg. d. BR v. 26. 2. 1960, Sten. Ber. S. 304 (C); Ministerpräsident Dr. Zinn (Hessen), ebd., S. 307; Ministerpräsident Dr. Ehard (Bayern), ebd., S. 311 (B) — allerdings m i t Einwänden gegen die v o m I A empfohlene Ausnahmevorschrift f ü r Arbeitskämpfe. 27 BT-Drs. 1800 (3. WP), S. 6. 28 Der BR schlug — entsprechend einem Vorschlag seines I A — folgenden A r t . 115a Abs. 8 v o r : „Die Vorschriften über den Ausnahmezustand finden keine Anwendung auf Arbeitskämpfe, die v o n nach A r t i k e l 9 Abs. 3 gebildeten Vereinigungen gef ü h r t werden", BT-Drs. 1800 (3. WP), S. 7. 29 Pressemitteilung der SPD-Bundestagsfraktion Nr. 63/60 v. 26. 2.1960. 25
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Gegenäußerung 30 zu den Beschlüssen des Bundesrates, stellte die Bundesregierung fest, daß „Arbeitskämpfe als solche" die Voraussetzungen für die Ausrufung des Ausnahmezustandes nicht erfüllten. A u f der anderen Seite betonte die Bundesregierung indessen, daß i m Einzelfall Arbeitskämpfe doch zu Gefährdung des Bestandes oder der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, also zum Ausnahmezustand, führen könnten; deshalb müsse die „Möglichkeit zu staatlichem Einschreiten" bestehen. Die Bundesregierung sei bereit, „eine Formulierung zu erwägen, die einerseits der Möglichkeit einer Anwendung des Ausnahmezustandes bei reinen Arbeitskämpfen vorbeugt, andererseits die Exekutive bei der Abwehr von Gefahren i m Sinne des A r t . 115 a Abs. 1 nicht hemmt" 3 1 . Diese Äußerung der Bundesregierung war zu unbestimmt, u m die zahlreichen Zweifel und Befürchtungen ausräumen und die Rechtsauffassung der Bundesregierung offen zu legen. Unklar blieb sowohl, was unter „ A r beitskampf als solchem" oder „reinem Arbeitskampf" zu verstehen sei, als auch, ob und gegebenenfalls unter welchen Bedingungen auch ein arbeitsrechtlicher Arbeitskampf eine Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung darstellen könnte. Eine klarere Stellungnahme der Bundesregierung wäre auch schon deshalb angezeigt gewesen, w e i l i m Bundesrat der Bayerische Ministerpräsident Dr. Ehard ausdrücklich erklärt hatte, nach Auffassung der Bayerischen Staatsregierung könnten auch „Arbeitskämpfe m i t an sich verfassungsmäßiger Zielsetzung", sofern sie bestimmte Ausmaße und Auswirkungen annähmen, die Anordnung des Ausnahmezustandes erforderlich machen 32 . A m 20. 4.1960 brachte die Bundesregierung den Regierungsentwurf beim Bundestag ein. I n der ersten Beratung, die am 28. 9.1960 stattfand, wandte sich der Abg. Dr. Friedrich Schäfer (SPD) als Sprecher der Opposition nachdrücklich gegen die Auffassung, ein Arbeitskampf könne als ein Fall des inneren Notstandes angesehen werden 3 3 . Schäfer k r i t i sierte eine Äußerung, die Bundesinnenminister Dr. Schröder i m Innenausschuß des Bundestages zum Problem des inneren Notstandes getan hatte 3 4 , und hob hervor, daß Arbeitskämpfe ein zulässiges M i t t e l der 30
BT-Drs. 1800 (3. WP), S. 9 f. Ebd., S. 10. 32 215. Sitzg. d. BR v. 26. 2. 1960, Sten. Ber. S. 311 (B). — Auch W. Weber, Koalitionsfreiheit u n d T a r i f au tonomie, S. 9 Fußn. 5 (1965), konstatierte später, die Bundesregierung habe sich n u r „ i n sehr allgemeiner F o r m " zu der v o m BR angeschnittenen Frage geäußert. 33 124. Sitzg. d. 3. B T v. 28. 9.1960, Sten. Ber. S. 7182 (B-D). 34 Der Bundesinnenminister habe auf die Frage, so teilte Schäfer m i t , was er unter „innerem Notstand" verstehe, n u r m i t dem Hinweis auf eine Rede des Vors. der I G Metall, Otto Brenner, antworten können. — Es handelte sich u m die Rede, die Brenner auf dem 5. ordentl. Gewerkschaftstag der I G M e t a l l am 18. 9. 1959 i n Nürnberg gehalten hatte. Brenner hatte i n dieser Rede u. a. 31
I. Abschn.: Vorgeschichte
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A u s e i n a n d e r s e t z u n g zwischen d e n S o z i a l p a r t n e r n seien. D e r A b g e o r d nete s t e l l t e f e r n e r die B e d e u t u n g d e r G e w e r k s c h a f t e n b e i der V e r t e i d i g u n g der d e m o k r a t i s c h e n G r u n d o r d n u n g heraus; deshalb müsse m a n sie zu M i t v e r a n t w o r t l i c h e n f ü r diese G r u n d o r d n u n g m a c h e n u n d d ü r f e sie nicht z u m selbstverständlichen Gegner einer Notstandsregelung stempeln. Daß die G e w e r k s c h a f t e n i h r e V e r a n t w o r t u n g sähen u n d ernst n ä h m e n , gehe aus der Tatsache h e r v o r , daß sie seit j e h e r i n i h r e i n t e r n e n B e s t i m m u n g e n ü b e r A r b e i t s k ä m p f e die V e r p f l i c h t u n g a u f g e n o m m e n hätten, w ä h r e n d Streiks Notstandsarbeiten auszuführen 35. F ü r die F r a k t i o n d e r C D U / C S U legte der A b g . D r . K a n k a u n t e r ander e m dar, daß v o m O s t e n gesteuerte „ F ü n f t e K o l o n n e n " politische G e n e r a l s t r e i k s gegen die a l l g e m e i n e n V e r s o r g u n g s b e t r i e b e a n z e t t e l n k ö n n t e n 3 6 . D r . K a n k a r ä u m t e ein, „ d a ß nach d e r R e g i e r u n g s v o r l a g e i m F a l l e des A u s n a h m e z u s t a n d e s u n t e r U m s t ä n d e n auch das S t r e i k r e c h t einges c h r ä n k t w e r d e n " k ö n n e 3 7 . A n die Adresse der S P D g e r i c h t e t w i e s K a n k a d a r a u f h i n , daß auch der V i z e p r ä s i d e n t des Bundesverfassungsgerichts, betont, daß Gewerkschaften u n d Streikrecht zur Demokratie gehörten. Gegen jede Entwicklung i n Richtung auf eine Ausschaltung der Gewerkschaften oder Abschaffung des Streikrechts werde m a n sich zu wehren wissen. Z u r Verteidigung der Demokratie — Brenner erinnerte an die Zeit v o r 1933 — werde m a n auch v o r A n w e n d u n g politischer Streiks nicht zurückschrecken, 5. ordentl. Gewerkschaftstag der I G Metall, Protokoll, S. 198. — Bundesinnenminister Dr. Schröder erklärte i m weiteren Verlauf der Bundestagsdebatte v o m 28. 9. 1960, die fragliche Rede Brenners habe i h m zu allergrößten Bedenken Anlaß gegeben; er habe die Rede i m I A i n dem damals angeschnittenen „Bereich von spannungsgeladenen Auseinandersetzungen" erwähnt. Keiner weiteren Ausführungen bedürfe, daß er den IG-Metall-Vors. persönlich nicht als N o t standsfall habe hinstellen w o l l e n (sie!), 124. Sitzg. d. 3. BT, Sten. Ber. S. 7216 (C, D). 35 Schäfer erwähnte die §§6 u n d 7 der Richtlinien des D G B zur Führung von Arbeitskämpfen (abgedruckt i n : R d A 1950, S. 71 f. u n d Grote, Der Streik, S. 193 ff.). §6 der Richtlinien verpflichtet die Hauptvorstände der einzelnen Gewerkschaften, „ v o r Einleitung v o n Arbeitskämpfen i n lebenswichtigen Betrieben, w i e Lebensmittel-Erzeugungsbetrieben, solchen der K r a f t - , Gas- oder Wasserversorgung, der Kanalisation, des öffentlichen Gesundheitswesens, der Bestattung, des Verkehrs, des Kohlenbergbaues u. a. dem Bundesvorstand von diesem Vorhaben M i t t e i l u n g . . . zu machen" u n d zugleich anzugeben, „welche Notstandsarbeiten i m Falle der Arbeitsniederlegung verrichtet werden sollen". Nach § 7 hat jede Gewerkschaft i n ihre Satzung eine Vorschrift aufzunehmen, „daß die v o m Hauptvorstand bezeichneten bzw. i m Einzelfall angeordneten Notstandsarbeiten auszuführen sind". Ihre Verweigerung „ist als grobe Schädigung gewerkschaftlicher Interessen zu behandeln" u n d f ü h r t zum Verlust des Anspruchs auf Streikunterstützung. — Die Einzelgewerkschaften haben sich entsprechende Richtlinien u n d Satzungsbestimmungen gegeben. Die Selbstverpflichtung zur Leistung v o n Notstandsarbeiten i n lebenswichtigen Betrieben ist von den Gewerkschaften stets außerordentlich ernst genommen worden (vgl. etwa Grote, ebd., S. 84 ff., 177), während jeder Eingriff von staatlicher Seite i n Arbeitskämpfe seit jeher m i t Entschiedenheit abgelehnt wurde (vgl. Grote, ebd., S. 86). 36 124. Sitzg. des 3. B T v o m 28. 9.1960, Sten. Ber. S. 7186 (C). 37 Ebd., S. 7188 (D).
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1. Teil: Entstehung des A r t . 9 I I I 3 GG
Dr. Katz, i n seiner Bad Godesberger Rede die Notwendigkeit einer solchen Regelung bejaht habe. Hinsichtlich der Koalitionsfreiheit meinte der Abg. Dr. Kanka, daß sich „die Ermächtigung, für die Dauer des Ausnahmezustandes auch das Grundrecht des A r t . 9 Abs. 3 des Grundgesetzes einzuschränken", nur dann gegen eine Gewerkschaftsführung richten werde, „wenn sie heillos kommunistisch unterwandert i s t . . ." 3 7 . Der Abg. Dr. Adolf A r n d t (SPD) kritisierte die Äußerungen des Abg. Dr. Kanka (CDU/CSU) zum Generalstreik 3 8 . A r n d t hob hervor, daß ein politischer Generalstreik nicht ohne die Mehrheit der Arbeiterschaft und der Angestellten geführt werden könne. Der Arbeiter- und Angestelltenschaft die Anfälligkeit für einen gegen die Demokratie gerichteten politischen Generalstreik zu unterstellen, sei eine Beleidigung. Solche Beispiele seien auch schon deshalb unangebracht, w e i l der Demokratie von der deutschen Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung her i n den letzten 40 Jahren keine Gefahr gedroht habe, während es vor 1933 politische Aussperrungen gegeben habe, die gegen die damalige Ordnung gerichtet gewesen seien 39 . I m weiteren Verlauf der Debatte erklärte der Abg. Dr. Werber (CDU/CSU) zum „heißen Eisen" einer Einschränkung des A r t . 9 Abs. 3 GG, daß er den Änderungsantrag, den der Bundesrat zu dieser Frage gestellt habe, für diskussionswürdig halte; er — Werber — stehe auf dem Standpunkt, „daß diese Notstandsgesetzgebung i n keiner Weise an die Freiheit der Sozialpartner rütteln darf" 4 0 . Bundesinnenminister Dr. Schröder erklärte abschließend, i h m sei klar, daß hinter der negativen Haltung der SPD die Besorgnisse der Gewerkschaften stünden. Demgegenüber müsse er zum wiederholten Male feststellen, daß der „normale Arbeits- und Lohnkampf für uns überhaupt nicht unter der Perspektive des Notstandes und eines Ausnahmezustandes gewertet werden kann" 4 1 . K e i n Mensch habe die Absicht, „die Gewerkschaft i n ihren Arbeits- und Lohnkämpfen zu behindern" 4 2 . Andererseits könne er, so fuhr Dr. Schröder fort, die Auffassung nicht akzeptieren, daß die Gewerkschaften die eigentlichen Garanten der Verfassung seien. Es sei keineswegs ausgeschlossen, daß die Gewerkschaften — wie das vom Abg. Dr. Kanka zutreffend gesagt worden sei — kommunistisch unterwandert würden. Schließlich sei es auch nicht ausreichend, auf das Statut der Gewerkschaften und die dort vorgesehene Verpflichtung zu Notstandsarbeiten zu verweisen. Er — Schröder — höre diesen Hinweis ständig gegenüber dem Technischen Hilfswerk 4 3 . Eine verantwortungs38 39 40 41 42
Ebd., Ebd., Ebd., Ebd., Ebd.,
S. 7194 (C). S. 7194 (D). S. 7201, 7202 (A). S. 7216 (D). S. 7217 (A).
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bewußte Regierung könne sich nicht auf das verlassen, was i m Statut einer privaten Vereinigung vorgesehen sei, sondern müsse eigene Vorkehrungen treffen 4 4 . A m Schluß der ersten Beratung überwies der Bundestag den Regierungsentwurf gegen die Stimmen der SPD 4 5 an den Rechtsausschuß (federführend) und zur Mitberatung an die Ausschüsse für Inneres und für Verteidigung 4 6 . Es kam jedoch i n den Ausschüssen nicht mehr zu Beratungen. Ebensowenig fanden interfraktionelle Gespräche und Verständigungsversuche statt, obwohl von Seiten der Bundesregierung und der CDU/CSU die Notstandsregelung als ernstes und dringliches A n liegen bezeichnet worden w a r 4 7 , und andererseits die Opposition als Vorbedingung für weitere parlamentarische Beratungen interfraktionelle Verhandlungen über einen neu zu erstellenden Entwurf — der SchröderEntwurf wurde als indiskutabel angesehen — verlangt hatte 4 8 . M i t dem Ende der 3. Legislaturperiode war der Schröder-Entwurf deshalb gegenstandslos. Die Frage, wer die NichtVerabschiedung der Notstandsverfassung politisch zu verantworten habe, führte i m Frühjahr und Sommer 1961 — vor allem i m Hinblick auf die Bundestagswahl i m Herbst 1961 — zu heftigen öffentlichen Kontroversen zwischen der CDU/CSU und der von ihr getragenen Bundesregierung einerseits und der SPD andererseits 49 . 43 I n Einrichtungen w i e dem Technischen Hilfswerk haben die Gewerkschaften stets eine potentielle Streikbrecherorganisation u n d eine Bedrohung des Streikrechts gesehen. Deshalb gab es seit den 20er Jahren immer starken Widerstand gegen den A u f b a u derartiger Organisationen; die Gewerkschaften nahmen seit jeher f ü r sich i n Anspruch, selbst f ü r Notstandsarbeiten i n lebenswichtigen Betrieben sorgen zu können. Vgl. Fußn. 35 u n d Lauschke, Notarbeiten, S. 13 ff. (mit aufschlußreichen Angaben über Einsätze der nach dem 1. Weltkrieg gegründeten Organisation „Technische Nothilfe" bei Streiks). 44 124. Sitzg. d. 3. B T v. 28. 9.1960, Sten. Ber. S. 7217 (B, C). 45 Die SPD wünschte eine Unterbrechung u n d Vertagung der Beratung, u m i n interfraktionellen Gesprächen nach einer neuen Diskussionsgrundlage zu suchen; vgl. Abg. Dr. Schäfer, ebd., S. 7185 (A), Abg. Jahn, ebd., S. 7724 (D, C). 46 Ebd., S. 7227 (C). 47 Vgl. Abg. Dr. Kanka, 124. Sitzg. d. 3. B T v. 28. 9. 1960, Sten. Ber. S. 7186 ff.; Bundesinnenminister Dr. Schröder, ebd., S. 7222 (B). 48 Vgl. die i m März 1961 vorgelegte Dokumentation der SPD-Bundestagsfraktion „Sozialdemokratische Stimmen zum Notstandsproblem", Pressestelle der SPD-Fraktion (1. A u f l . als Pressemitteilung der SPD-Fraktion, Maschinenschr.). M i t dieser Dokumentation sollte die sozialdemokratische Position begründet u n d zugleich der V o r w u r f Bundesinnenminister Dr. Schröders u n d der CDU/CSU widerlegt werden, wegen des grundsätzlichen Widerstandes der SPD gegen jede Notstandsregelung habe der E n t w u r f nicht verabschiedet werden können. Das Bundesministerium des I n n e r n versuchte i n seiner zur gleichen Zeit (21. 3. 1961) veröffentlichten Dokumentation „Das Gesetz für die Stunde der N o t " (vgl. Fußn. 3) das Gegenteil zu beweisen. 49 Vgl. die beiden i n Fußn. 48 genannten Dokumentationen, passim, sowie Jahrbuch der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, 1960/61, S. 43 f.
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Daß auch i n dieser Diskussion dem Problemkreis „Notstandsregelung und Arbeitskampf" eine erhebliche Bedeutung beigemessen wurde, ist aus der Tatsache ersichtlich, daß Bundesinnenminister Dr. Schröder erklärte, die SPD versage sich einer Lösung des Notstandsproblems „vor allem wohl aus Rücksicht auf die Einstellung radikaler Gewerkschaftsführer, die auch i m Falle eines Staatsnotstandes ihr vermeintliches Recht auf politischen Streik nicht beschränkt sehen wollen" 5 0 . I n der Tat war der Schröder-Entwurf bei den Gewerkschaften vor allem — aber nicht nur — wegen der vorgesehenen Einschränkbarkeit des gesamten A r t . 9 GG auf scharfe K r i t i k gestoßen. Der DGB-Bundesvorstand hatte bereits am 2. 2.1960 — noch bevor die Bundesregierung den Regierungsentwurf dem Bundesrat zugeleitet hatte — folgenden Beschluß gefaßt: „Der Bundesvorstand des deutschen Gewerkschaftsbundes hat m i t ernster Sorge v o n dem E n t w u r f eines Notstandsgesetzes Kenntnis genommen, den das Bundeskabinett beschlossen hat. Der Gesetzentwurf w i l l die Möglichkeit vorbereiten, i m Falle eines Ausnahmezustandes, der nicht näher bestimmt w i r d , die wesentlichsten G r u n d rechte außer K r a f t zu setzen. V o r allem sollen die Vereinigungs- u n d V e r sammlungsfreiheit, die Redefreiheit u n d das Streikrecht eingeengt oder aufgehoben werden. Damit w ü r d e zugleich die gewerkschaftliche Tätigkeit l a h m gelegt. Die Gewerkschaften sind die stärksten Träger u n d Wahrer unserer demokratischen O r d n u n g . . . Die Gewerkschaften werden auch i n Z u k u n f t ihre Aufgaben darin sehen, unsere demokratische Verfassung i m Falle der Gefahr zu verteidigen. Der Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes m i ß b i l l i g t daher den Plan, die demokratischen K r ä f t e der Gewerkschaften beim E i n t r i t t u n normaler Ereignisse i n ihrer Entfaltung u n d Wirksamkeit zu beschränken und widerspricht nachdrücklich dem vorliegenden Gesetzentwurf." (Hervorhebungen v o m Verf.)
I n ähnlicher Weise nahm i n den Jahren 1960 und 1961 die Mehrheit der i m DGB zusammengeschlossenen Einzelgewerkschaften — von der I G Metall bis zur Deutschen Postgewerkschaft — auf ihren Gewerkschaftstagen und Generalversammlungen Stellung 5 1 . Wenngleich zwischen den Gewerkschaften und der SPD-Bundestagsfraktion weitgehend Übereinstimmung darüber bestand, daß die i m Schröder-Entwurf vorgesehene Einschränkbarkeit des gesamten A r t . 9 GG abzulehnen sei — eine Auffassung, die wie dargestellt auch vom Bundesrat und von Bundestagsabgeordneten anderer Parteien geteilt w u r de —, läßt sich doch aus dieser partiellen Identität der Auffassungen 50 V o r w o r t zu der Dokumentation des Bundesministeriums des I n n e r n (Fußnote 3), S. 7; abgedruckt auch i n : BullBReg. Nr. 56 v. 22. 3. 1961, S. 541 f. Dagegen scharf Ad. Arndt, i n : Arndt/Freund, Notstandsgesetz — aber wie?, S. 49 f. (Anfang 1962). 51 s. die Hinweise bei J. Seifert, G M H 1963, S. 555 Fußn. 18.
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nicht folgern, die SPD habe eine Regelung der Notstandsfrage deshalb verweigert, w e i l die Gewerkschaften die Notstandsgesetzgebung grundsätzlich ablehnten. Daß die von Bundesinnenminister Dr. Schröder aufgestellte Behauptung, die SPD blockiere eine Lösung des Notstandsproblems aus Rücksicht auf radikale Gewerkschaftsführer 52 , unzutreffend war, ist schon daraus ersichtlich, daß der Parteitag der SPD vom 21. bis 25.11.1960 i n Hannover die grundsätzliche Notwendigkeit einer Notstandsgesetzgebung bejahte. Den damals vorliegenden Regierungsentw u r f (Schröder-Entwurf) lehnte der SPD-Parteitag freilich ab, u. a. deshalb, w e i l — wie es der damalige Vorsitzende der SPD und der SPDBundestagsfraktion, Ollenhauer, formulierte — der Entwurf ein System von Maßnahmen entwickle, das „wichtige staatsbürgerliche Grundrechte, z. B. das Koalitions- und Streikrecht der Gewerkschaften aufheben kann" 5 3 . I n der vom SPD-Parteitag i n Hannover angenommenen Entschließung zur Notstandsgesetzgebung heißt es: „Soweit zur A b w e h r drohender Gefahren u n d zur Ablösung alliierter V o r behaltsrechte Notstandsmaßnahmen erforderlich werden, bedürfen sie einer breiten Grundlage i m Parlament, müssen sie v o m Parlament kontrolliert werden u n d jeder Zeit aufgehoben werden können u n d dürfen sie die u n abänderlichen Grundsätze der Gewaltenteilung u n d der bundesstaatlichen Gliederung der Bundesrepublik Deutschland nicht verletzen. I h r Mißbrauch i n innerpolitischen Auseinandersetzungen zwischen Regierung u n d demokratischer Opposition sowie bei Arbeitskämpfen muß eindeutig ausgeschlossen sein. (Hervorhebung v o m Verf.) Der Parteitag stellt fest, daß die Bundesregierung durch i h r Beharren auf einer unannehmbaren Vorlage die Verantwortung dafür trägt, daß die alliierten Vorbehaltsrechte fortbestehen u n d eine m i t unserer freiheitlichen G r u n d ordnung vereinbare angemessene Regelung f ü r bestimmte Notfälle nicht zustande k o m m t 5 4 . "
3. Die Bemühungen in der 4. Legislaturperiode (1961 - 1965) Nach der Bundestagswahl vom September 1961 unternahm Bundesinnenminister Höcherl (CSU), der das Bundesministerium des Innern von Dr. Schröder übernommen hatte, einen neuen Anlauf. Höcherl übernahm den Entwurf seines Vorgängers nicht, sondern versuchte zunächst i n Gesprächen m i t der oppositionellen SPD und den Gewerkschaften 55 zu erkunden, ob und wie i n umstrittenen Sachkomplexen eine Übereinstim52
Vgl. Fußn. 50. SPD-Parteitag Hannover 1960, Protokoll, S. 80. 54 Ebd., S. 694 f.; abgedruckt auch i n : F. Schäfer, Notstandsgesetze, S. 151. 55 A m 17.1. 1962 führte Bundesinnenminister Höcherl sowohl m i t Vertretern des Christlichen Gewerkschaftsbundes als auch m i t Vertretern des D G B je ein Gespräch über das Notstandsproblem. A n der Besprechung m i t dem D G B nahmen der damalige DGB-Vors. Richter sowie seine Stellvertreter Rosenberg u n d Tacke teil; vgl. BullBReg. Nr. 13 v. 19.1.1962, S. 108. 53
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mung m i t der SPD erreicht und die Bedenken der Gewerkschaften ausgeräumt werden könnten. Bei den insgesamt drei Gesprächen, die am 24.1., 21. und 28. 3.1962 m i t den Beauftragten der SPD-Bundestagsfraktion 5 6 stattfanden, spielte die Frage der Sicherung der Koalitions- und Streikfreiheit i n Notstandsfällen eine wichtige Rolle. Die SPD-Abgeordneten erhoben die Forderung, auf eine Einschränkung des A r t . 9 Abs. 3 GG ganz zu verzichten und außerdem i m Text ausdrücklich festzustellen, daß Arbeitskämpfe der Gewerkschaften keine Fälle des (inneren) Notstands seien; die SPD-Beauftragten bezogen sich dabei auf den Vorschlag, den der Bundesrat schon 1960 zum Schröder-Entwurf gemacht hatte 5 7 , und verlangten die Aufnahme dieser oder einer ähnlichen Formulierung i n den Entwurf. Bundesinnenminister Höcherl, der den SPD-Abgeordneten schon nach dem ersten Gespräch am 24.1.1962 einen neuen Referentenentwurf übersandt hatte, i n dem keine Einschränkbarkeit des A r t . 9 Abs. 3 GG vorgesehen war, stellte i m Verlauf der Gespräche die Aufnahme einer Arbeitskampfklausel gemäß dem Vorschlag des Bundesrates i n Aussicht 58 , wenn auch — wie den Vertretern der SPD bekannt war — vorbehaltlich der Billigung seiner Auffassung durch die Bundesregierung. Immerhin betrachteten es die SPD-Beauftragten als Erfolg, daß es ihnen i n den Gesprächen m i t dem Bundesinnenminister gelungen sei, die früher von diesem gebrauchten Beispiele für das Versagen des gewerkschaftlichen Notdienstes und die deshalb bestehende Notwendigkeit staatlicher Eingriffe i n Arbeitskämpfe zu widerlegen 5 9 . I m Verlauf der Gespräche zwischen dem Bundesinnenminister und den Vertretern der SPD-Bundestagsfraktion befaßten sich auch verschiedene Parteigremien der SPD m i t der Frage der Notstandsverfassung. Parteivorstand, Parteirat und Kontrollkommission der SPD verabschiedeten auf einer gemeinsamen Sitzung am 17. 3.1962 i n Berlin eine Entschließung, i n der die Auffassung der SPD zu den Fragen der Notstandsgesetzgebung i n sieben Punkten zusammengefaßt wurde. Die Punkte 3 und 4 — nur sie interessieren hier — lauteten: „3. Es ist zu sichern, daß Notstandsbefugnisse ausschließlich zur Meisterung des Notstandes u n d nicht zur Drosselung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, vor allem nicht der Freiheit der Presse, des Rundfunks, des Fernsehens u n d der freien Meinungsäußerung, eingesetzt werden können. 56 Den Abg. Dr. Adolf Arndt, Dr. Friedrich Schäfer u n d Hermann SchmittVockenhausen. A u f dem SPD-Parteitag v o m 26. - 30. 5. 1962 i n K ö l n gab Schäfer einen Bericht über Form, I n h a l t u n d Verlauf der Gespräche, vgl. SPDParteitag K ö l n 1962, Protokoll, S. 220 ff. 57 s. Fußn. 28. 58 M i t t e i l u n g des Abg. Dr. F. Schäfer i n einem informatorischen Rundschreiben an alle Mitglieder der SPD-Bundestagsfraktion v. 4. 4. 1962, vervielf., S. 4. Ebenso Schäfer i n seinem Bericht auf dem SPD-Parteitag K ö l n 1962, Protokoll, S. 223. 59 Dr. F. Schäfer, Rundschreiben, S. 4.
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4. Es ist auszuschließen, daß eine Einschränkung oder Drosselung der demokratischen Grundrechte i m gewerkschaftlichen u n d betrieblichen Bereich unter dem V o r w a n d des Notstandes praktiziert werden k a n n 6 0 . " D e r v o m 26. - 30. 5.1962 i n K ö l n s t a t t f i n d e n d e P a r t e i t a g der S P D b e k r ä f t i g t e die E n t s c h l i e ß u n g v o n P a r t e i v o r s t a n d , P a r t e i r a t u n d K o n t r o l l k o m m i s s i o n v o m 17. 3.1962 u n d w i e d e r h o l t e die i n d e n sieben P u n k t e n zusammengefaßte S t e l l u n g n a h m e der S P D z u r N o t s t a n d s f r a g e 8 1 . D i e sog. K ö l n e r P u n k t e b i l d e t e n f o r t a n f ü r die S P D die maßgebliche R i c h t l i n i e u n d die B e d i n g u n g e n f ü r d i e Z u s t i m m u n g z u e i n e r Verfassungsänder u n g , die ohne die S t i m m e n der S P D i m B u n d e s t a g n i c h t verabschiedet w e r d e n konnte. I m V e r l a u f der weiteren Diskussion i n u n d außerhalb des P a r l a m e n t s sollte sich f r e i l i c h zeigen, daß einige der P u n k t e n i c h t detailliert genug waren, u m auf alle Fragen u n d Meinungsverschiedenh e i t e n — e t w a i n d e r Frage, w i e das K o a l i t i o n s - u n d S t r e i k r e c h t gesichert w e r d e n müsse — eine e i n d e u t i g e A n t w o r t z u geben. W e n i g e Tage b e v o r die B u n d e s r e g i e r u n g e i n e n neuen, v o n B u n d e s i n n e n m i n i s t e r H ö c h e r l v o r g e l e g t e n E n t w u r f f ü r eine N o t s t a n d s v e r f a s s u n g verabschiedete, l e h n t e der 6. O r d e n t l i c h e B u n d e s k o n g r e ß des D G B , der v o m 22. - 27.10.1962 i n H a n n o v e r s t a t t f a n d , a m 24.10.1962 nach e i n gehender D i s k u s s i o n j e d e N o t s t a n d s r e g e l u n g a b 0 2 . I n d e r v o m D G B Bundeskongreß angenommenen Entschließung zum Notstand u n d N o t dienst h e i ß t es u . a.: „Die Pläne der Bundesregierung über Notstands- u n d Zivildienstgesetze erfüllen den Bundeskongreß m i t größter Sorge. A l s demokratische Organisationen der Arbeitnehmer sind die Gewerkschaften Garanten der demokratischen Staats- u n d Gesellschaftsordnung. Sie bekennen sich zum sozialen u n d demokratischen Rechtsstaat... Der Bundeskongreß lehnt jede zusätzliche gesetzliche Regelung des N o t stands u n d Notdienstes ab, w e i l beide Vorhaben geeignet sind, elementare Grundrechte, insbesondere das Koalitions- u n d Streikrecht sowie das Recht auf freie Meinungsäußerung, einzuschränken u n d die demokratischen K r ä f t e i n der Bundesrepublik zu schwächen . . . Auch die militärische Erfassung der Arbeitnehmer i m Arbeitsprozeß durch ihre Zwangsverpflichtung ist f ü r die Verteidigung unserer demokratischen Freiheit nicht erforderlich u n d f ü r die Gewerkschaften untragbar...«»." 60 Pressemitteilung des Parteivorstandes der SPD Nr. 63/62 v. 17. 3. 1962; abgedruckt auch i n : Jahrbuch der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands 1962/63, S. 504. 81 Entschließung zur Notsitandsgesetzgebung, SPD-Parteitag K ö l n 1962, Protokoll, S. 582, 562; abgedruckt auch i n : F. Schäfer, Notstandsgesetze, S. 151 f. I n den Beratungen des Parteitages w a r mehrfach betont worden, daß die Rechte der Arbeitnehmer u n d ihrer Gewerkschaften (vor allem das Streikrecht) auf keinen F a l l angetastet werden dürften, s. Protokoll, S. 223, 551 ff., 559 f. 62 Vgl. 6. Ordentlicher Bundeskongreß des DGB, Protokoll, S. 205 - 256. 63 Protokoll, S. 960 ff.; abgedruckt auch i n : F. Schäfer, Notstandsgesetze, S. 199.
3 Glückert
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1. Teil: Entstehung des A r t . 9 I I I 3 GG
I n einer Stellungnahme zur Entschließung des DGB-Bundeskongresses erklärte der Stellv. SPD-Vorsitzende Wehner, das Mißtrauen vieler Gewerkschaftsdelegierter gegen die m i t einem Notstandsgesetz verbundenen Absichten sei leider allzu verständlich. „Der Schröder-Entwurf aus dem Jahre 1960 und zahlreiche Äußerungen, aus denen Gewerkschafter entnehmen mußten, ein Notstandsgesetz solle sich gegen Grundrechte der Arbeitnehmer richten, haben das Mißtrauen genährt." Die Bundesregierung habe den Eindruck nicht verwischen können, „als komme es ihr bei einer Notstandsregelung eigentlich darauf an, den Staat gegen die Gewerkschaften zu schützen, statt den demokratischen Staat m i t den demokratischen Gewerkschaften zu stützen" 6 4 . A m 31.10.1962 verabschiedete die Bundesregierung den zweiten Regierungsentwurf einer Notstandsverfassung („Höcherl-Entwurf"). Der gegenüber dem Schröder-Entwurf wesentlich veränderte neue „Entwurf eines Gesetzes zur Ergänzung des Grundgesetzes" 65 , sah i n A r t . 115 b Abs. 2 lit. a nur noch die Möglichkeit einer Einschränkung der Absätze 1 und 2 des A r t . 9 GG vor, überdies begrenzt auf die Dauer des Zustandes der äußeren Gefahr 6 6 ; ebenfalls für die Dauer der äußeren Gefahr sollten nach A r t . 115 b Abs. 2 lit. b für Männer und Frauen Dienstverpflichtungen möglich sein 67 . I n der Begründung des Regierungsentwurfs wurde ausdrücklich hervorgehoben, daß die i n A r t . 9 Abs. 3 GG garantierte Koalitionsfreiheit nicht eingeschränkt werden solle; wohl aber müsse das 64
Pressemitteilung des Parteivorstandes der SPD Nr. 285/62 v. 24.10.1962. BR-Drs. 345/62 u n d BT-Drs. IV/891. 60 A r t . 115b Abs. 2 lautete: „Durch Bundesgesetz können a) f ü r die Dauer des Zustandes der äußeren Gefahr die Grundrechte aus A r t i k e l 5, 8, 9 Abs. 1 u n d 2 u n d A r t i k e l 11 über das sonst zulässige Maß eingeschränkt werden, b) f ü r die Dauer des Zustandes der äußeren Gefahr die Bewohner der Bundesrepublik Deutschland über das nach A r t i k e l 12 Abs. 2 u n d Abs. 3 Satz 1 zulässige Maß hinaus zu Dienst- u n d Werkleistungen verpflichtet w e r d e n , . . . " , BT-Drs. IV/891, S. 2. 67 Schon Ende März 1962 hatte die Bundesregierung den E n t w u r f eines Gesetzes über den Zivildienst i m Verteidigungsfall (Zivildienstgesetz) v o r gelegt, der nähere Regelungen zur Frage der Dienstverpflichtung enthielt (BTDrs. IV/405). Wie auch schon bei dem i n der 3. WP. vorgelegten E eines Notdienstgesetzes (BT-Drs. 1806) w a r zwischen Bundesregierung u n d SPD streitig, ob die verfassungsrechtl. Grundlagen f ü r die vorgesehenen Dienstverpflichtungen i m nichtmilitärischen Bereich, die auch außerhalb des V e r teidigungsfalles möglich sein sollten, gegeben seien. I m Gegensatz zur B u n desregierung verneinte die SPD dies u n d hielt vorherige Änderungen des A r t . 12 GG f ü r erforderlich; vgl. Abg. Schmitt-VOckenhausen (SPD), 124. Sitzg. d. 3. B T v. 28. 9. 1960, Sten. Ber. S. 7204 (A, B); Abg. Lünenstraß (SPD), 56. Sitzg. d. 4. B T v. 24. 1. 1963, Sten. Ber. S. 2538 (C); ebenso Gutachten (ohne Verf.angabe) B B 1960, S. 1023ff.; Hamann, A r b u R 1961, S. 321 ff.; 1962, S. 362ff.; Ridderl Stein, Memorandum der V D W , S. 44 ff.; J. Seifert, G M H 1963, S. 81 u n d S. 551 f. — Andererseits Bundesministerium des Innern, G M H 1963, S. 549 f. u n d BT-Drs. IV/450, S. 19 (Begründung zum RegE des Zivildienstgesetzes). 65
I. Abschn.: Vorgeschichte
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Grundrecht der Vereinigungsfreiheit nach A r t . 9 Abs. 1 GG für zusätzlich einschränkbar erklärt werden, w e i l es sich i m Zustand äußerer Gefahr u . U . als notwendig erweisen könne, auch solchen Vereinigungen, die nicht unter A r t . 9 Abs. 2 GG fielen, gewisse Beschränkungen aufzuerlegen. Auch könne es i n solchen Lagen u. U. erforderlich werden, Kleinund Mittelbetriebe, z. B. auf dem Gebiete der Ernährungs- und Verkehrswirtschaft, zur Erfüllung bestimmter Aufgaben auch i n anderer Form als i n der öffentlich-rechtlicher Körperschaften zwangsweise zusammenzuschließen 68 . Die von der sozialdemokratischen Opposition i n den Vorverhandlungen geforderte ausdrückliche Feststellung, daß Arbeitskämpfe der Gewerkschaften keinen inneren Notstand — oder i n der Terminologie des Höcherl-Entwurfs: keinen Zustand der inneren Gefahr gemäß Art. 115 i — darstellen können, war nicht i n den Entwurf aufgenommen worden. A m 8.11.1962 leitete die Bundesregierung den Entwurf dem Bundesrat zu. Noch vor der Behandlung der Vorlage i m Plenum des Bundesrates befaßte sich die SPD-Bundestagsfraktion — parallel zu den vorbereitenden Beratungen der Bundesratsausschüsse — intensiv m i t dem Regierungsentwurf, der i m Gegensatz zum Schröder-Entwurf von Anfang an als eine brauchbare Diskussionsgrundlage betrachtet wurde 6 9 . I n einer Konferenz der SPD-Bundestagsfraktion m i t Vertretern von SPD-Landesregierungen und der SPD-Landtagsfraktionen am 22.11.1962 und i n einer Sitzung der SPD-Bundestagsfraktion am 27.11.1962 wurde — auch i m Hinblick auf die bevorstehende Beratung des Entwurfs i m Bundesrat — eine einheitliche Stellungnahme der SPD zum Regierungsentwurf erarbeitet. Dabei wurde begrüßt, daß der Höcherl-Entwurf auf eine Einschränkbarkeit des A r t . 9 Abs. 3 GG verzichtet habe, andererseits jedoch bemängelt, daß bei der vorgeschlagenen Regelung des Zustandes der inneren Gefahr (Art. 115 i) die von der SPD geforderte ausdrückliche Feststellung, wonach Arbeitskämpfe der Vereinigungen nach A r t . 9 Abs. 3 GG keine Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung darstellen, nicht aufgenommen worden sei. Skepsis und K r i t i k wurde auch gegenüber der i m Entwurf vorgesehenen Einschränkbarkeit des A r t . 9 Abs. 1 GG, also des Grundrechts der Vereinigungsfreiheit, laut. Die Begründung des Regierungsentwurfs überzeuge i n diesem Punkt nicht; weder sei ersichtlich, aus welchem Grund über die Verbotsnormen des A r t . 9 Abs. 2 GG und die Möglichkeiten des Vereinsrechts hinaus noch zusätzliche Beschränkungen für Vereinigungen erforderlich sein sollten, noch werde klar, was es m i t den i n der Begründung erwähnten Zwangsmitgliedschaften auf sich habe. Kritisiert wurde auch die nach A r t . 115 b 68
BT-Drs. IV/891, S. 10. Vgl. die E r k l ä r u n g des Partei- u n d Fraktionsvors. Ollenhauer v. 31. 10. 1962, Pressemitteilung der SPD-Bundestagsfraktion Nr. 289/62 v. 31.10.1962. 69
3*
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1. Teil: Entstehung des A r t . 9 I I I 3 GG
Abs. 2 lit. b i m Zustand äußerer Gefahr mögliche Einschränkung des A r t . 12 GG; danach seien so weitgehende Dienstverpflichtungen möglich, daß praktisch jeder Arbeitsplatz zum Zwangsarbeitsplatz werden könne. Die Rechte der Arbeitnehmer seien damit ungenügend gesichert. Der Bundesrat befaßte sich am 29.11.1962 i m ersten Durchgang mit dem Regierungsentwurf 70 . I n der Grundsatzaussprache begrüßte der Hessische Ministerpräsident Dr. Zinn, daß der neue Entwurf zahlreiche Einwendungen berücksichtige, die sein Land gegen den Schröder-Entw u r f vorgebracht habe; noch immer bestünden jedoch Bedenken gegen manche Einzelregelungen. So sei etwa die vorgeschlagene Einschränkung der Vereinigungsfreiheit (Art. 9 Abs. 1 GG) überflüssig, w e i l schon vorhandene Gesetze für unerläßliche Eingriffe ausreichten, so daß es weiterer Einschränkungen nicht bedürfe 71 . Nach Ansicht der Hessischen Landesregierung müsse außerdem durch eine positive Verfassungsbestimmung klargestellt werden, „daß der legale Streik niemals die Anwendung der Notstandsbefugnisse begründen kann". Diese wesentliche Frage dürfe „nicht den Ungewißheiten einer ausdehnenden oder einschränkenden Interpretation . . . überlassen bleiben" 7 2 . Bundesinnenminister Höcherl erklärte dazu, man werde über eine „ausdrückliche Erwähnung der Legalität des Arbeitskampfes... sprechen können" 7 3 . Höcherl hob hervor, daß die Bundesregierung auf jede Einschränkung des Koalitionsrechtes „ u n d alle(r) Rechtskonsequenzen, die sich nach der Rechtsprechung aus dem Koalitionsrecht ergeben", selbst beim äußeren Notstand verzichtet habe, und zeigte sich verwundert, daß diese „sehr großzügige und sehr verständnisvolle Haltung" keine Worte der Anerkennung gefunden habe 74 . Mittelbar sei die Legalität des Arbeitskampfes anerkannt; denn die Rechtsprechung erkenne den Arbeitskampf als Ausfluß des Koalitionsrechts an und es sei weder erforderlich noch zweckmäßig, i n der Verfassung zu wiederholen, was die Rechtsprechung ganz eindeutig festgelegt habe 75 . I n der anschließenden Einzelberatung des Regierungsentwurfs legte Justizminister Westenberger (RheinlandPfalz) als Berichterstatter des Rechtsausschusses des Bundesrates dar, daß bei der Aufzählung der einschränkbaren Grundrechte nicht mehr A r t . 9 GG als Ganzes angesprochen sei, sondern nur noch seine Absätze 1 und 2. Die durch A r t . 9 Abs. 3 GG gewährleisteten Rechte würden also durch den neuen Entwurf nicht berührt 7 6 . Als Mitberichterstatter erläu70 71 72 73 74 75 78
251. Sitzg. d. BR v. 29./30.11.1962. Ebd., Sten. Ber. S. 220 (C). Ebd., S. 221 (B). Ebd., S. 225 (B). Ebd., S. 225 (A). Ebd., S. 225 (B). Ebd., S. 230 (B).
I. Abschn.: Vorgeschichte
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terte Innenminister Dr. Lemke (Schleswig-Holstein) die Vorschläge des Innenausschusses des Bundesrates, der dem Plenum eine Entschließung empfahl, i n der u. a. gefordert wurde, es solle bei der Regelung des inneren Notstandes ausdrücklich gesagt werden, „daß die Vorschriften über den Zustand der inneren Gefahr keine Anwendung auf Arbeitskämpfe finden, die von Vereinigungen geführt werden, die nach A r t . 9 Abs. 3 GG gebildet worden sind" 7 7 . Der Bundesrat übernahm diese Empfehlung 7 8 . I n ihrer Gegenäußerung zur Stellungnahme des Bundesrates erklärte sich die Bundesregierung — entsprechend der vom Bundesinnenminister gegebenen Zusage 79 — bereit, diese Anregung i n den weiteren Beratungen zu prüfen 8 0 . Für die i n A r t . 115 b Abs. 2 lit. a des Regierungsentwurfs vorgesehene Beschränkung des A r t . 9 Abs. 1 und 2 G G 8 1 schlug der Bundesrat eine Neufassung vor, i n der die mißverständliche Erwähnung des A r t . 9 Abs. 2 GG — der ja bereits eine Verbotsnorm enthält — ganz entfiel 82 . A m 11.1.1963 brachte die Bundesregierung den Regierungsentwurf beim Bundestag ein. Bereits am 24.1.1963 fand die erste Beratung statt 8 8 , die m i t der ersten Beratung des Entwurfs eines Zivildienstgesetzes 84 und weiterer sieben Entwürfe für sog. einfache Notstandsgesetze verbunden wurde. M i t dem Fragenkreis „Gewerkschaften, Streikrecht und Notstandsverfassung" beschäftigten sich mehrere Sprecher. Bundesinnenminister Höcherl begründete zunächst, weshalb die Möglichkeit der zwangsweisen Heranziehung zu bestimmten Dienstleistungen geschaffen werden müsse, betonte jedoch, daß diese Möglichkeit nicht zur Beeinträchtigung oder „gar zur Unterbindung von Arbeitskämpfen i m Sinne der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts" mißbraucht werden könne, wie dies mancherorts befürchtet werde 8 5 . Die ferner vorgesehene Einschränkung des A r t . 9 Abs. 1 GG sei erforderlich, u m bestimmte Betriebe, etwa der Ernährungswirtschaft, zum Zwecke besserer Funktionsfähigkeit zu Arbeitsgemeinschaften zusammenschließen zu können, ohne 77
Ebd., S. 232 (A). Vgl. BT-Drs. IV/891, S. 21 (Ziff. 17): „Die Vorschriften über den Zustand der inneren Gefahr finden keine A n w e n d u n g auf Arbeitskämpfe, die von nach A r t . 9 Abs. 3 gebildeten Vereinigungen geführt werden." 79 Vgl. Fußn. 73 u n d den T e x t dazu. 80 Vgl. BT-Drs. IV/891, S. 26 (Ziff. 17). 81 Vgl. Fußn. 66. 82 Die v o m BR vorgeschlagene Fassung des A r t . 115 b Abs. 2 lautete: „Durch Bundesgesetz können a) f ü r die Dauer des Zustandes der äußeren G e f a h r . . . abweichend von A r t i kel 9 Abs. 1 für die Vereinigungsfreiheit beschränkt oder Vereinigungen bestimmter A r t verboten w e r d e n , . . . BT-Drs. IV/891, S. 18 (Ziff. 6a). ter A r t verboten w e r d e n , . . . " BT-Drs. IV/891, S. 18 (Ziff. 6a). 83 56. Sitzg. des 4. BT. 84 BT-Drs. IV/450. 85 56. Sitzg. des 4. B T v. 24. 1.1963, Sten. Ber. S. 2479. 78
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1. Teil: Entstehung des A r t . 9 I I I 3 GG
dabei auf die vielfach nicht geeigneten Formen öffentlich-rechtlicher Körperschaften angewiesen zu sein; da A r t . 9 Abs. 1 GG auch die negative Koalitionsfreiheit garantiere, bedürfe es dieser Sonderregelung für Kriegszeiten 86 . Dabei sei, so fügte Höcherl „zur Vermeidung von Mißverständnissen und Mißdeutungen" sogleich hinzu, i n keiner Weise an eine Einschränkung der Koalitionsfreiheit gedacht; Bestand und Betätigungsfreiheit der Gewerkschaften sollten unangetastet bleiben. Der Regierungsentwurf sehe daher nicht einmal für den Zustand der äußeren Gefahr eine zusätzliche Einschränkbarkeit des A r t . 9 Abs. 3 GG vor. Dies gelte auch „für die Freiheit zum legitimen arbeitsrechtlichen Streik i m Sinne der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts" 87 . Für die oppositionelle SPD-Fraktion nahmen die Abgeordneten Dr. F. Schäfer 88 und Leber 8 9 zu der Regierungsvorlage Stellung. Schäfer bezweifelte die Notwendigkeit einer Einschränkung des A r t . 9 Abs. 1 GG; die dafür gegebene Begründung, man müsse eventuell gewerbliche Betriebe zur Gemeinschaftsproduktion zusammenschließen können, sei angesichts der Tatsache, daß man mittels des Wirtschaftssicherstellungsgesetzes Produktionsauflagen und -Verteilungsanweisungen erteilen könne, nicht einleuchtend 00 . Dagegen begrüßte Schäfer den Verzicht auf eine Einschränkbarkeit des A r t . 9 Abs. 3 GG. Die i m Schröder-Entwurf enthaltene Möglichkeit des Verbots der Gewerkschaften habe sehr viel Vergiftung geschaffen 91 . Schließlich verlangte der Abgeordnete die vom Bundesrat schon I960 9 2 und inzwischen wieder 9 3 vorgeschlagene Legaldefinition, daß Arbeitskämpfe der Gewerkschaften keine Störung der demokratischen Grundordnung seien, ausdrücklich i n die Verfassung aufzunehmen 94 . Der Abg. Leber 9 5 setzte sich als zweiter Sprecher der Opposition ausführlich m i t einem vom Bundesinnenminister Höcherl gebrachten Beispiel 9 6 auseinander, wonach ein Streik i n der Kindernahrungsmittelfabrik 86
Ebd., S. 2484 (D), 2485 (A). Ebd., S. 2485 (A). Ebd., S. 2495 ff. 89 Ebd., S. 2507 ff. 90 Ebd., S. 2500 (C, D). 91 Ebd., S. 2500 (C), 2501 (A). 92 Vgl. Fußn. 28. 93 Vgl. Fußn. 78. 94 Ebd., S. 2502 (D). 95 Leber w a r damals Vorsitzender der I G Bau, Steine, Erden. I n seinem lesenswerten Debattenbeitrag befaßte sich Leber v o r allem m i t dem V e r h ä l t nis der Arbeitnehmer u n d der Gewerkschaften zur Notstandsgesetzgebung. Er umriß dabei nicht n u r eine gewichtige Gewerkschaftsmeinung, sondern stellte auch wesentliche sozialdemokratische Grundsatzpositionen dar. 96 Das i n einem Fernsehinterview am 22. 1. 1962 gebrachte Beispiel Höcherls hatte innerhalb der SPD u n d den Gewerkschaften beträchtliches Aufsehen und Unruhe hervorgerufen. Vgl. J. Seifert, Gefahr i m Verzuge, S. 34 f. 87
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I. Abschn.: Vorgeschichte
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Alete einen Notstand verursache 97 . Leber wies derartige Überlegungen zurück und betonte die Bedeutung des Streikrechts, das ein Wesensmerkmal des freien demokratischen Staates darstelle 98 . Angesichts der gewerkschaftlichen Selbstverpflichtungen, i m Falle von Streiks Notdienste zur Versorgung der Bevölkerung m i t lebensnotwendigen M i t t e l n aufrechtzuerhalten, und angesichts der Tatsache, daß die Gewerkschaften i n ihrer hundertjährigen Geschichte durch einen Arbeitskampf noch nie irgendeinen Notstand ausgelöst hätten, sei die Suche nach Sicherungen gegen gewerkschaftliche Arbeitskämpfe überflüssig 99 . I m Zusammenhang mit seiner Forderung nach klaren und mißbrauchsicheren Gesetzesformulierungen zum Schutz der Rechte der Gewerkschaften erinnerte Leber an eine Äußerung des BDA-Präsidenten Dr. Paulssen am 18. 6.1962 i n Kiel, wonach die Arbeitgeber den Lohnforderungen der Gewerkschaften so lange nicht Widerstand leisten könnten, als das Notstandsgesetz nicht i n K r a f t getreten sei 1 0 0 . Erfreulicherweise habe das Bundesinnenminister i u m von sich aus sofort erklärt, daß man sich m i t der Frage des Eingriffs i n Arbeitskämpfe i m Zusammenhang m i t den geplanten Verfassungsänderungen nicht befasse, jedoch müsse sich an derartigen Beispielen das Mißtrauen der arbeitenden Bevölkerung entzünden 101 . Der Abg. Dr. Güde (CDU/CSU) erklärte, man müsse Leber i m entscheidenden Punkte recht geben, nämlich „daß das Notstandsrecht nicht gegen die Koalitionsfreiheit verwendet werden darf" 1 0 2 . Wenn man auch darüber reden müsse, ob die Ausübung des Streikrechts i n jeder Stunde und unter jeden Umständen möglich sei, dürfe doch das Notstandsrecht „kein Kampfmittel gegen die Gewerkschaften und ihr allgemeines Streikrecht s e i n . . ." 1 0 3 . Als Sprecher der FDP-Fraktion, die damals mit der CDU/CSU eine Regierungskoalition bildete, führte der Abg. Dorn aus, man werde über das „sehr umstrittene Kapitel" des Streikrechts offen reden müssen 104 . Zwar sei die FDP der Auffassung, daß für den Fall des inneren Notstands keine Probleme bestünden, jedoch solle man den M u t haben, gesetzlich klar zu regeln, daß i m äußeren Notstand keine Streiks wegen sozialpolitischer Fragen geführt werden könnten 1 0 5 . Bundesinnenminister Höcherl räumte i n seinem Schlußwort ein, daß sein Alete-Milch-Beispiel schlecht gewählt gewesen sei 1 0 6 . Er habe das 97
56. Sitzg. des 4. B T v. 24.1.1963, Sten. Ber. 2509 f. Ebd., S. 2510. 99 Ebd., S. 2511. 100 Ebd., S. 2512 (A, B). Vgl. zu der Äußerung Paulssens F A Z v. 20. 6.1962. 101 Ebd., S. 2512 (C). 102 Ebd., S. 2525 (D). 103 Ebd., S. 2526 (A). 104 Ebd., S. 2505 (D). 105 Ebd., S. 2506 (A). 106 Ebd., S. 2531 (A).
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Beispiel jedoch keineswegs gebraucht, u m darzutun, daß Streiks verboten werden müßten, sondern es sei i h m darum gegangen, die Erforderlichkeit von Notdienstbestimmungen klarzumachen. Die Gewerkschaften hätten i n ihrem Bereich diese Fragen durch die §§ 6 und 7 ihrer Kampfbestimmungen 1 0 7 gelöst; aber auch die Regierung müsse sich dieser entscheidenden Frage stellen 1 0 8 . Die dann folgende Erklärung des Ministers — an die Adresse des Abg. Leber — war nicht ganz eindeutig: „Sie werden m i t m i r einig gehen, daß die Unberührtheit des Arbeitskampfes... die Ergänzung finden muß i n den Notstandsbestimmungen, die sie sich freiw i l l i g gegeben haben 1 0 9 ." Diese Aussage konnte einmal so verstanden werden, daß Höcherl das Vorhandensein innergewerkschaftlicher Verpflichtungen zur Ausführung von Notdienstarbeiten für erforderlich, aber auch für ausreichend hielt, womit er haargenau der Auffassung der Gewerkschaften entsprochen hätte 1 1 0 , sie konnte aber auch — vor allem angesichts des vorangegangenen Hinweises auf die Regierung — so verstanden werden, daß die gewerkschaftlichen Richtlinien über Notdienstarbeiten allein nicht ausreichten, sondern die Regierung ihrerseits geeignete Vorkehrungen zur Bekämpfung der Auswirkungen von Streiks (etwa durch die Möglichkeit der Dienstverpflichtung streikender Arbeitnehmer oder dritter Personen) treffen müsse. Eine derartige Auffassung, die seit jeher auf den erbitterten Widerstand der Gewerkschaften stieß 110 , hatte 1962 der damalige Innenminister Dr. Schröder vertreten 1 1 1 . A m Ende der ersten Beratung überwies der Bundestag den Entwurf eines Gesetzes zur Ergänzung des Grundgesetzes (Höcherl-Entwurf) ohne Gegenstimmen an den Rechtsausschuß (federführend) und an die Ausschüsse für Inneres und für Verteidigung (mitberatend) 112 . Der CDU-Abgeordnete Benda, der sich i n der ersten Lesung nicht an der Debatte beteiligt hatte, der sich i m Laufe der weiteren parlamentarischen Beratungen jedoch als einer der Experten der CDU/CSU-Fraktion Ansehen erwarb 1 1 3 , befaßte sich i m Mai 1963 i n einem vielbeachteten Vortrag mit dem Thema „Arbeitskampf und Notstandsverfassung" 114 . Benda begrüßte den Verzicht auf eine Einschränkung der i n A r t . 9 Abs. 3 107 V
g L Fußn. 35 56. Sitzg. des 4. B T v. 24.1.1963, Sten. Ber. S. 2531 (B). 109 Ebd., S. 2531 (C). 110 Vgl. Fußn. 35, 43. 111 Vgl. Fußn. 43, 44 u n d den T e x t dazu. 112 56. Sitzg. des 4. B T v. 24.1.1963, Sten. Ber. S. 2557 (D). 113 Der R A des B T bestellte zunächst den Abg. Hoogen (CDU/CSU) zum Berichterstatter f ü r den Höcherl-Entwurf, nach Hoogens Ausscheiden aus dem B T i m Dezember 1964 den Abg. Benda (CDU CSU); Mitberichterstatter wurde der Abg. Dr. F. Schäfer (SPD). 114 Unter dem gleichen T i t e l wurde der Vortrag kurze Zeit später veröffentlicht. 108
I. Abschn.: Vorgeschichte
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GG garantierten Koalitionsfreiheit, bemängelte an der ersten Beratung i m Bundestag jedoch, daß der Verlauf der Debatte den unzutreffenden Eindruck nahelege, die Gewährleistung des A r t . 9 Abs. 3 GG auch für den Notstandsfall bedeute, daß es keine legale gesetzgeberische Möglichkeit zur Einschränkung von Arbeitskämpfen gebe 115 . I n der Tat war die ebenso umstrittene wie rechtlich schwierige Frage nach der Zulässigkeit gesetzgeberischer Eingriffe i n das Streikrecht i n der Bundestagsdebatte vom 24.1.1963 nicht angeschnitten worden; sicherlich war es auch irreführend, wenn Bundesinnenminister Höcherl i n seinem Schlußwort erklärte, der Arbeitskampf sei selbst i m äußeren Notstand durch A r t . 9 Abs. 3 GG „absolut geschützt" 116 . Indessen fragt sich, ob eine Erörterung der allgemeinen Frage, ob und unter welchen Bedingungen der einfache Gesetzgeber Beschränkungen für Arbeitskämpfe vorsehen kann, w i r k lich erforderlich gewesen wäre, oder ob es nicht doch richtig war, i n einer politischen Debatte auf abstrakt-juristische Ausführungen zu diesem komplexen Problem zu verzichten, zumal man allseits von der Überzeugung ausging, daß — wie auch Benda annahm 1 1 7 — das Problem i n einer echten Notstandssituation nicht akut werde, w e i l die Gewerkschaften dann keine Arbeitskämpfe führen würden. Der Schilderung der ausführlichen Aussprache über den Problemkreis „Gewerkschaften, Streikrecht und Notstandsverfassung" i n der ersten Lesung des Höcherl-Entwurfs sind nur i n zwei Punkten ergänzende Bemerkungen hinzuzufügen, die zum Verständnis der vertretenen Positionen und der weiteren Entwicklung notwendig erscheinen: Hinter der ablehnenden Haltung der SPD gegenüber einer Einschränkung des A r t . 9 Abs. 1 GG und der K r i t i k an der Begründung der Bundesregierung, i m Zustand äußerer Gefahr könnten Zusammenschlüsse notwendig sein 1 1 8 , steckte die Befürchtung, durch Bildung von Zwangsvereinigungen (etwa Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Syndikaten) könnten Stellung und Unabhängigkeit der Gewerkschaften ausgetastet werden 1 1 9 . Nicht wenige SPD-Politiker und Gewerkschafter sahen die Gefahr einer Neuauflage der NS-Einrichtung „Deutsche Arbeitsfront". Freilich wurde dabei die Frage nicht geprüft, ob sich aus A r t . 9 Abs. 3 GG, der nach dem Höcherl-Entwurf ja unberührt bleiben sollte, nicht ein verfassungsrechtlicher Schutz der Koalitionen vor Zwangszusammenschlüssen zu korporativen Arbeitergeber-Arbeitnehmer-Organisationen ergibt 1 2 0 . 115
Benda, Notstandsverfassung u n d Arbeitskampf, S. 7 ff. 56. Sitzg. des 4. B T v. 24.1.1963, Sten. Ber. S. 2531 (D). 117 Notstandsverfassung u n d Arbeitskampf, S. 31. 118 s. T e x t zu Fußn. 68. 119 Das wurde aus den Worten des Abg. Leber i n der ersten Lesung deutlich, 56. Sitzg. des 4. B T v. 24. 1. 1963, Sten. Ber. S. 2515 (C); vgl. auch Jahrbuch der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands 1960/61, S. 43. 120 w ä r e diese Frage gesehen worden, dann hätte sie bejaht werden müssen, und zwar einmal aus dem Gesichtspunkt, daß die Koalitionen frei gebildet, 116
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1. Teil: Entstehung des A r t . 9 I I I 3 GG
Nur sehr knapp wurde i n der Bundestagsdebatte vom 24.1.1963 ein zweiter Punkt gestreift, der i n der öffentlichen Diskussion, vor allem unter den Gegnern einer verfassungsändernden Notstandsgesetzgebung und i n den Gewerkschaften, eine immer stärkere Rolle spielte. Es handelte sich u m die Frage, ob das Instrument der Dienstverpflichtung 121 nicht dazu benutzt werden könne, Streiks, auch solche m i t arbeitsrechtlicher Zielsetzung, zu beeinträchtigen oder sogar ganz unmöglich zu machen. Das könne zum Beispiel, so wurde argumentiert, dadurch geschehen, daß man die streikenden Arbeitnehmer dienstverpflichte (wodurch das Streikrecht aufgehoben werde) 1 2 2 , oder auch dadurch, daß man m i t Hilfe von Dienstverpflichtungen die Arbeitsplätze streikender A r beitnehmer m i t anderen geeigneten Personen besetze, wodurch ein Streik oder schon die Streikbereitschaft empfindlich beeinträchtigt würde. Bundesinnenminister Höcherl waren derartige Befürchtungen offensichtlich bekannt, denn er wies i n der ersten Lesung ausdrücklich darauf hin, es sei „wiederholt der Verdacht geäußert worden, daß hier vielleicht Arbeitskämpfe beeinträchtigt" werden sollten 1 2 3 . Höcherl tat jedoch wenig, u m diesen Verdacht zu widerlegen, beschränkte sich vielmehr auf die Versicherung, der vorliegende Entwurf des Zivildienstgesetzes 124 sei so gefaßt, daß ein Mißbrauch des Gesetzes zur Unterbindung von „Arbeitskämpfen i m Sinne der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts" ausgeschlossen sei 1 2 3 . Es mag überraschen, daß die Frage i m weiteren Verlauf der Debatte nicht näher erörtert wurde. Als Sprecher der Opposition übten die SPD-Abg. Leber 1 2 5 und Lünenstraß 1 2 6 zwar scharfe K r i t i k an der Grundkonzeption und an manchen Einzelregelungen des vorgelegten Entwurfs eines Zivildienstgesetzes, gingen jedoch ebensowenig wie andere Abgeordnete auf die spezielle Frage ein, ob das Streikrecht durch Dienstverpflichtungen „unterlaufen" werden könne und dürfe. Möglicherweise behandelten die SPD-Abgeordneten diese Frage deshalb nicht gesondert, w e i l die SPD das gesamte i m Entwurf vorgesehene System der unabhängig u n d gegnerfrei sein müssen (vgl. BVerfGE 18, 18 [28]), zum andern wegen des Verbotes, die Tariffähigkeit der Koalitionen dadurch auszuhöhlen, daß der Gesetzgeber ihre Aufgaben andersartigen Zusammenschlüssen zuweist (vgl. BVerfGE 20, 312 [317 ff.]). W o h l i n Erkenntnis dieser Rechtslage hat der SPD-Notstandsexperte Dr. F. Schäfer später — 1963 lagen die beiden zit. Entscheidungen des B V e r f G noch nicht v o r — den Widerstand gegen eine Änderung des A r t . 9 Abs. 1 GG aufgegeben, siehe F. Schäfer, Notstandsgesetze, S. 94 (1966). 121 Vgl. Fußn. 67. 122 Vgl. etwa Hannover, Blätter 1962, S. 846; J. Seifert, G M H 1963, S. 81 f.; ders., Gefahr i m Verzuge, S. 60 ff., 64 (ebenso schon i n der 1. A u f l . 1963, S. 57 ff.,
61).
123
56. Sitzg. des 4. B T v. 24.1.1963, Sten. Ber. S. 2479 (D). 124 BT-Drs. IV/450. 125 126
56. Sitzg. des 4. B T v. 24.1.1963, Sten. Ber. S. 2515 (D). Ebd., S. 2537 ff.
I. Abschn.: Vorgeschichte
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Erfassung und zwangsweisen Heranziehung zu Dienstleistungen nicht für akzeptabel hielt 1 2 7 . Unerörtert blieb infolgedessen auch, ob sich etwa aus dem unangetastet bleibenden A r t . 9 Abs. 3 GG Schranken für die Dienstverpflichtung streikender Arbeitnehmer ergeben könnten. Ungeachtet dessen muß jedoch festgestellt werden, daß die Befürchtungen hinsichtlich möglicher Beeinträchtigungen von Arbeitskämpfen nicht ganz abwegig waren. Bei Heranziehung zu Dienstleistungen i n einem Hilfsdienstverhältnis gemäß § 36 des Entwurfs eines Zivildienstgesetzes wäre ein öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis besonderer A r t begründet worden, i n dessen Rahmen Streiks unzulässig gewesen wären 1 2 8 ; darüber hinaus enthielt § 63 des Entwurfs weitgefaßte Strafnormen für Dienstpflichtige jeder A r t , die ihre Dienst- oder Arbeitsstelle verließen oder ihr fernblieben oder die Erfüllung von Dienstleistungen verweigerten. Auch die Bemerkung von Bundesinnenminister Höcherl, die Unberührtheit des Arbeitskampfes müsse ihre Ergänzung i n Notdienstbestimmungen finden 129, konnte durchaus so verstanden werden, daß er die Verhängung von Dienstverpflichtungen i m Falle von Streiks für zulässig und erforderlich hielt 1 3 0 . I n einer offiziellen Stellungnahme, die das Bundesministerium des Innern i m September 1963 zu einem i m Februar desselben Jahres veröffentlichten A r t i k e l von J. Seifert 1 3 1 abgab, wurde offen eingeräumt, daß „bei einer Heranziehung aufgrund des Zivildienstgesetzes keine Streikmöglichkeit besteht" 1 3 2 . Die von Seifert behauptete 127 I n der 3. WP. hatte der Abg. Schmitt-Vockenhausen (SPD) gegen den 1960 vorgelegten RegE eines Notdienstgesetzes (BT-Drs. 1806) u n d die darin vorgesehene Verpflichtung v o n Arbeitnehmern zu Arbeitsleistungen außerhalb der Zivilverteidigung sowie gegen den geplanten öffentl.-rechtl. Status dieser Arbeitnehmer Widerspruch eingelegt; i n den U S A habe es selbst w ä h rend des 2. Weltkrieges Streiks u n d Streikankündigungen gegeben, ohne daß jemand an gesetzliche Arbeitsverpflichtungen gedacht habe, 124. Sitzg. des 3. B T v. 28. 9.1960, Sten. Ber. S. 7205 (B). 128 Freilich darf nicht übersehen werden, daß Zivildienst i n einem Hilfsdienstverhältnis nach § 12 Abs. 2 des Entwurfs n u r v o m Bund, den Ländern, Gemeinden oder anderen jurist. Personen des öffentl. Rechts gefordert w e r den konnte. N u r sie waren „Zivildienstberechtigte" i m Rahmen eines öffentl.rechtl. Hilfsdienstverhältnisses, nicht dagegen private Arbeitgeber (wie v i e l fach unzutreffend behauptet wurde, vgl. etwa Abendroth, i n : Der totale N o t standsstaat I I , S. 23; u n k l a r i n dieser Frage Hannover, ebd., S. 50 ff.; ders., Der totale Notstandsstaat I, S. 4 ff.). 129 56. Sitzg. des 4. B T v. 24.1.1963. Sten. Ber. S. 2531 (C). Vgl. Text zu Fußn. 109. 130 F ü r die Richtigkeit dieser V e r m u t u n g spricht eine Äußerung des F D P Abg. D o m , v o n der J. Seifert, Gefahr i m Verzuge, S. 80, berichtet: Bundesinnenminister Höcherl habe ihm, so teilte D o r n m i t , nach der Bundestagsdebatte v. 24. 1. 1963 i n einem Gespräch i n kleinerem Kreis gesagt, es sei nicht erforderlich, Beschränkungen des Streikrechts f ü r den F a l l des äußeren N o t standes — Dorn w a r dafür eingetreten — vorzusehen: „ W i r dienstverpflichten dann einfach." 131 G M H 1963, S. 75 ff. 132 Ebd., S. 550.
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1. Teil: Entstehung des A r t . 9 I I I 3 GG
„Tendenz zur Ausschaltung der Gewerkschaften" bestehe jedoch nicht, da das Zivildienstgesetz Dienstverpflichtungen nur unter bestimmten Kautelen zulasse. Auch für den inneren Notstand seien, so hob das Bundesministerium des Innern hervor, keine Einschränkungen des Streikrechts beabsichtigt 133 . Die Nichterwähnung des A r t . 9 Abs. 3 GG i m Katalog der einschränkbaren Grundrechte reiche, u m die Gewerkschaftsbewegung und das Streikrecht zu schützen 134 . Die K r i t i k e r ließen sich indessen weder durch den Hinweis auf den unangetastet bleibenden A r t . 9 Abs. 3 GG noch durch die von der SPD geforderte Arbeitskampfschutzklausel i m Rahmen der Regelungen über den inneren Notstand von ihrem Mißtrauen und ihren Befürchtungen abbringen. Für die K r i t i k e r blieb entscheidend, daß es nach dem Wortlaut der geplanten Verfassungsbestimmungen und des geplanten Zivildienstgesetzes nicht eindeutig ausgeschlossen war, daß gegen Streiks m i t dem Instrument der Dienstverpflichtung vorgegangen werde. I n dem Verzicht auf eine Einschränkbarkeit des A r t . 9 Abs. 3 GG wurde gerade angesichts der geplanten Dienstverpflichtungsmöglichkeit eine nur unzureichende Sicherung der Rechte der Arbeitnehmer und der Gewerkschaften gesehen 135 . Aus der Sicht des späteren Betrachters ist hier ein interessanter Wandel i n der öffentlichen Diskussion feststellbar: Während i n den Jahren vor 1962, bis zur Vorlage des Höcherl-Entwurfs, i m Rahmen des Problemkreises „Gewerkschaften, Streikrecht und Notstandsverfassung" die Einschränkbarkeit oder Nichteinschränkbarkeit des A r t . 9 Abs. 3 GG eine zentrale Rolle spielte, verlagerte sich die Diskussion i n den Jahren nach 1962 zu einem erheblichen Teil auf die Frage des Verhältnisses zwischen Streikrecht und Dienstverpflichtungen — eine Frage, die den Bundestag und die Öffentlichkeit bis zur Verabschiedung der Notstandsverfassung i m Jahre 1968 beschäftigen sollte. Weitaus geringere Beachtung fand dagegen i n der außerparlamentarischen Öffentlichkeit die Forderung des Bundesrates 136 und der SPD 1 3 7 , i m Rahmen der Regelungen über den inneren Notstand eine klarstellende Arbeitskampfschutzklausel i n die Verfassung aufzunehmen. Dieses Bemühen mußte i n den Augen der Gegner und K r i t i k e r der Notstandsgesetzgebung deshalb ein geringeres Gewicht haben, w e i l eine Arbeitskampfschutzklausel inmitten der Vorschriften über den inneren Notstand für das Thema „Streikrecht und Dienstver-
133
Ebd., S. 549 (II. 1). Ebd., S. 549 ( I I I . 2). 135 Vgl. J. Seifert, G M H 1963, S. 557; ders., Gefahr i m Verzuge, S. 62 ff.; Hannover, Der totale Notstandsstaat I, S. 6 (1964). iss v gL F u ß n . 78. 134
137
Vgl. Text nach Fußn. 69 u n d 91.
I. Abschn.: Vorgeschichte
45
pflichtung" — also für die Frage, m i t der die meisten Bedenken und Befürchtungen verbunden wurden — nichts hergegeben hätte. Nach der ersten Lesung des Höcherl-Entwurfs am 24.1.1963 begannen am 2. 5.1963 die Beratungen i m Rechtsausschuß des Bundestages. M i t zeitweiligen Intervallen erstreckten sich die sehr eingehenden Erörterungen i m Rechtsausschuß und i n den mitberatenden Ausschüssen über einen Zeitraum von zwei Jahren 1 3 8 . Die Ergebnisse der Beratungen w u r den dem Bundestag vom federführenden Rechtsausschuß am 31. 5.1965 vorgelegt 1 3 9 . Zwei Wochen später, am 14. 6.1965, lag auch der vom Abg. Benda (CDU/CSU) erstattete ausführliche Bericht, i n dem die Beschlüsse des Rechtsausschusses erläutert wurden, den Bundestagsabgeordneten vor 1 4 0 . Die Vorschläge des Rechtsausschusses wichen i n so zahlreichen und entscheidenden Punkten von der Regierungsvorlage ab, daß i n der späteren Diskussion zu Recht von einem neuen Entwurf gesprochen wurde („Benda-Entwurf" — nach dem Berichterstatter des Rechtsausschusses). Die i n Art. 115 b Abs. 2 lit. a des Regierungsentwurfs (Höcherl-Entwurf) vorgesehene Einschränkbarkeit der (positiven und negativen) Vereinigungsfreiheit 1 4 1 übernahm der Rechtsausschuß i n einer neuen präziseren Fassung als A r t . 115 d Abs. 2 lit. a i n seinen E n t w u r f 1 4 2 . Der Unterschied zum Regierungsentwurf bestand darin, daß der Rechtsausschuß — i n Fortentwicklung eines Vorschlags des Bundesrates 143 — ausdrücklich 138 Die oppositionelle SPD hatte i n der Zwischenzeit auf ihrem Karlsruher Parteitag v. 23. - 27. 11. 1964 die 1962 i n K ö l n gefaßten Beschlüsse zur N o t standsfrage (vgl. Fußn. 61) bestätigt. Der Vors. der SPD-Bundestagsfraktion, Erler, präzisierte die Kölner Punkte durch 10 konkrete Forderungen, die bei den Beratungen i m B T zu beachten seien. Bei der Regelung des inneren N o t standes sei v o m geltenden A r t . 91 GG auszugehen u n d dabei klarzustellen, „daß Arbeitskämpfe nicht unter eine Notstandsregelung fallen können". Vgl. SPDParteitag Karlsruhe 1964, Protokoll, S. 90, 211, 937 ff. Erlers Referat ist auszugsweise abgedruckt i n : F. Schäfer, Notstandsgesetze, S. 152 f. 139 Schriftl. Ber. des R A des 4. B T (Antrag des Ausschusses), BT-Drs. IV/3494. 140 zu BT-Drs. IV/3494 (Bericht des Abg. Benda). Das i m Bericht angegebene Datum v. 4. 6. 1965 bezeichnet den Zeitpunkt, i n dem der Berichterstatter den Bericht unterzeichnete, nicht den Zeitpunkt der Verteilung der Drucksache; vgl. die spätere Kontroverse dazu i n der 190. Sitzg. des 4. B T v. 16. 6. 1965, Sten. Ber. S. 9526 (A, B), 9544 (A) u n d 192. Sitzg. v. 24. 6. 1965, Sten. Ber. S. 9695 (A, B), 9714 f. 141 Vgl. Fußn. 66. 142 A r t i k e l 115d Abs. 2 i n der Fassung des R A lautete: „Durch Bundesgesetz können a) . . . abweichend von A r t i k e l 9 Abs. 1 der B e i t r i t t oder der Zusammenschluß zu Vereinigungen auch nicht öffentlich-rechtlicher A r t angeordnet, sowie abgesehen von A r t i k e l 9 Abs. 2, auch solche Vereinigungen, die die innere oder äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder deren Beziehungen zu einem verbündeten Staat gefährden, verboten oder i n ihrer Betätigungsfreiheit beschränkt werden, . . . " BT-Drs. IV/3494, S. 5. na V g l F u ß n 8 2 >
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1. T e i l : Entstehung des A r t . 9 I I I 3 GG
i m Text der Vorschrift festlegen wollte, i n welcher Hinsicht Einschränkungen der i n A r t . 9 Abs. 1 GG gewährleisteten Vereinigungsfreiheit möglich sein sollten. Freilich bedeutete dies nicht nur — wie der Rechtsausschuß meinte 1 4 4 — eine einschränkende Konkretisierung der Bestimmung; die neue Formulierung warf vielmehr — worauf gleich noch einzugehen sein w i r d — neue Fragen auf. Die SPD war bei ihren Zweifeln an der Notwendigkeit einer Einschränkung des A r t . 9 Abs. 1 GG geblieben und hatte auch die über A r t . 9 Abs. 2 GG hinausgehende Beschränkungsund Verbotsmöglichkeiten für überflüssig e r k l ä r t 1 4 5 ; einen förmlichen Streichungsantrag hatten die SPD-Abgeordneten i m Rechtsausschuß jedoch nicht gestellt. Immerhin wurde i m Hinblick auf die bei der SPD und bei den Gewerkschaften bestehenden Befürchtungen 1 4 6 i m Ausschußbericht nochmals ausdrücklich festgestellt, daß die vorgesehene Einschränkbarkeit der negativen Vereinigungsfreiheit nicht zugleich auch eine Einschränkbarkeit des A r t . 9 Abs. 3 GG bedeute. Eingriffe i n „die normalen Befugnisse vor allem der nach A r t i k e l 9 Abs. 3 gebildeten Koalition" seien nicht zulässig. Die Rechte der Gewerkschaften und der Arbeitgeberverbände blieben damit, so der Ausschußbericht, v o l l gewährleistet 1 4 7 . Eine Begründung für die außerdem i n A r t . 115 d Abs. 2 lit. a vorgesehene Ermächtigung, auch abgesehen von der Verbotsnorm des A r t . 9 Abs. 2 GG bestimmte Vereinigungen zu verbieten oder ihnen Beschränkungen aufzuerlegen, gab der Bericht des Rechtsausschusses überraschenderweise nicht. Der Bericht beschränkte sich hier auf die Feststellung, daß die Möglichkeit einer Beschränkung der Betätigung oder Überwachung solcher Vereinigungen, die die äußere oder innere Sicherheit der Bundesrepublik oder ihre Beziehungen zu den Verbündeten beeinträchtigen, bereits nach A r t . 9 Abs. 2 GG bestehe 147 . U m so mehr mußte sich die Frage aufdrängen, wozu dann eine so weitgehende Ermächtigung zum Vorgehen gegen Vereinigungen überhaupt erforderlich sei. Für manche K r i t i k e r der Notstandsgesetzgebung lag der Verdacht nahe, auf diesem Wege solle oder könne i m Zustand äußerer Gefahr dann doch gegen Gewerkschaften, die Vorbereitungen für einen Arbeitskampf erwägen oder treffen, vorgegangen werden. Daß derartige Befürchtungen auch aus juristischer Sicht nicht abwegig waren, beweist die Tatsache, daß 1966 Evers i n seiner eingehenden Analyse des Entwurfs des Rechtsausschusses148 feststellte, der Zweck dieser Grundrechtsverkürzung sei 144 R A des 4. BT, 99. Sitzg. v. 8.10.1964, Prot. S. 42 ff.; 111. Sitzg. v. 14. 1.1965, Prot. S. 23. 145 Vgl. die Diskussion i m R A des 4. BT, 99. Sitzg., Prot. S. 42 ff.; 111. Sitzg., Prot. S. 23 ff. 146 Vgl. Fußn. 90, 119 u n d den Text dazu. 147 Sohriftl. Ber. des R A des 4. BT, zu BT-Drs. IV/3494, S. 21. 148 Evers, AöR 91 (1966), S. 1 ff., 193 ff.
I. Abschn.: Vorgeschichte
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angesichts des vorhandenen Systems strafrechtlicher Staats- und Verfassungsschutzbestimmungen, die gemäß A r t . 9 Abs. 2 GG alle als Verbotstatbestände gegen Vereinigungen verwendet werden könnten, nur schwer zu erkennen 1 4 9 . I m Zustand äußerer Gefahr gestattete „ A r t . 115 d Abs. 2 lit. a anscheinend, kollektives Handeln auch dann zu verbieten, wenn das Grundgesetz es ausdrücklich gestattet, vorausgesetzt nur, daß die Handlung des Vereins die innere oder äußere Sicherheit der Bundesrepublik oder die Beziehungen zu verbündeten Staaten gefährdet" 1 4 9 . Die äußere Sicherheit werde aber auch durch einen Streik gefährdet, der Rüstungsbetriebe oder die Versorgung der Streitkräfte nur am Rande berühre; die innere Sicherheit werde gefährdet, wenn der Streik Unruhe auslösen könnte. Die Gewerkschaft, die einen Streik organisieren, sei jedenfalls gefährlich i m Sinne des A r t . 115 d Abs. 2 lit. a und könne — sofern man die Vorschrift für sich allein betrachte — verboten oder in der Betätigung beschränkt werden 1 5 0 . Bezüglich des A r t . 9 Abs. 3 GG blieb der Rechtsausschuß bei den Vorschlägen des Höcherl-Entwurfs: Eine Einschränkbarkeit des A r t . 9 Abs. 3 und der dort garantierten Koalitions- und Streikfreiheit wurde auch für den Zustand äußerer Gefahr nicht vorgesehen. Die dagegen erhobenen Bedenken der FDP-Fraktion 1 5 1 spielten i n den Beratungen des Rechtsausschusses keine Rolle. Sehr eingehende Erörterungen gab es dagegen über die Forderung des Bundesrates und der SPD, positiv-rechtlich festzustellen, daß Arbeitskämpfe kein Fall des inneren Notstandes seien. M i t Mehrheit beschloß der Rechtsausschuß schließlich, der Regelung des inneren Notstandes i n den Absätzen 1 bis 5 des A r t . 91 folgenden Absatz 6 hinzuzufügen: „Die Absätze 1 bis 5 finden keine A n w e n d u n g auf Arbeitskämpfe, die zur Wahrung u n d Förderung der Arbeits- u n d Wirtschaftsbedingungen von V e r einigungen i m Sinne des A r t i k e l s 9 Abs. 3 geführt w e r d e n 1 5 2 . "
Diese Fassung der Arbeitskampfschutzklausel wurde i m Rechtsausschuß gegen die Stimmen einer aus den SPD-Abgeordneten bestehenden Minderheit beschlossen. Zutreffend wies der Ausschußbericht allerdings darauf hin, daß die Meinungsverschiedenheiten „weniger i n der Sache als mehr hinsichtlich der Frage der zweckmäßigsten Formulierung" be149
Ebd., S. 194. Ebd., S. 195. Evers ließ dabei allerdings offen, ob sich aus A r t . 9 Abs. 3 GG nicht Schranken f ü r derartige Eingriffe ergeben könnten. I n extremen Situationen der äußeren Gefahr hätten i n diese Richtung gehende historische oder systematische Argumente möglicherweise aber n u r geringes Gewicht; deshalb müsse der Gesetzgeber prüfen, ob A r t . 115d Abs. 2 lit. a diese Eingriffe t a t sächlich ermöglichen solle, zumal der Höcherl-Entwurf die Koalitionen des A r t . 9 Abs. 3 förmlich verschont habe, indem er n u r die Absätze 1 u n d 2 des A r t . 9 GG als einschränkbar genannt habe. 151 Vgl. Fußn. 105 u n d den Text dazu. 152 Schriftl. Ber. des R A des 4. BT, BT-Drs. IV/3494, S. 4. 160
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1. T e i l : Entstehung des A r t . 9 I I I 3 GG
standen 153 . Einig war sich der Rechtsausschuß darin, daß legale Arbeitskämpfe der Koalitionen i m Sinne des A r t . 9 Abs. 3 GG weder die freiheitliche demokratische Grundordnung noch den Bestand des Bundes oder eines Landes gefährden, also kein Fall des inneren Notstandes seien. Meinungsverschiedenheiten gab es dagegen i n der Frage, ob die ausdrückliche Aufnahme dieser „Selbstverständlichkeit" 1 5 4 i n die Verfassung zweckmäßig sei, und wie die Formulierung i m einzelnen aussehen solle. I n der Formulierungsfrage war eine Einigung deshalb nicht möglich, weil Regierungsparteien und Opposition ungeachtet der Übereinstimmung i n der zugrundeliegenden Sachfrage doch sehr verschiedenartige Vorstellungen über Tragweite und Auswirkungen der erwogenen Schutzklausel hatten: Während die sozialdemokratischen Abgeordneten einen möglichst weitgehenden Schutz des Streikrechts vor Eingriffen und Beeinträchtigungen durch die Exekutive anstrebten, ging es den Vertretern der Fraktion der CDU/CSU und der Bundesregierung darum, i n der Schutzklausel zugleich auch die Grenzen der Arbeitskampffreiheit deutlich werden zu lassen; auf keinen Fall dürfe die Formulierung besagen, daß Begrenzungen der Arbeitskampffreiheit durch den einfachen Gesetzgeber verfassungsrechtlich ausgeschlossen seien und zudem dürfe nicht schlechthin jede Form eines Arbeitskampfes ohne Rücksicht auf Ziel und Auswirkungen — also z. B. auch ein verfassungswidriger politischer Streik — vor den i n A r t . 91 vorgesehenen polizeilich-exekutiven Maßnahmen geschützt werden 1 5 5 . Die Ausschlußminderheit (SPD) war zwar ebenfalls der Auffassung, daß die Problematik des politischen Streiks hier nicht geregelt werden solle, hielt jedoch den Zusatz, daß es sich u m Arbeitskämpfe „zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und W i r t schaftsbedingungen" handeln müsse, von der Sache her nicht für erforderlich und überdies für gefährlich, da sie zu Mißverständnissen über den Begriff Arbeitskampf und über die verfassungsrechtliche Bewertung politischer Streiks — die nicht generell verfassungswidrig seien 156 — führen könne 1 5 7 . Gegen Ende der Beratungen i m Rechtsausschuß waren von Seiten der sozialdemokratischen Opposition überdies Bedenken gegen 153
zu BT-Drs. IV/3494, S. 16. R A des 4. BT, 123. Sitzg. v. 17. 3.1965, Prot. S. 12 f., 16. 155 Ausführliche Diskussion i m R A des 4. BT, 71. Sitzg. v. 28. 11. 1963, Prot. S. 42ff.; 118. Sitzg. v. 10. 2. 1965, Prot. S. 3 ff.; 120. Sitzg. v. 25. 2. 1965, Prot. S. 27; 121. Sitzg. v. 11. 3. 1965, Prot. S. 7 ff. u n d 123. Sitzg. v. 17. 3. 1965, Prot. S. 11 ff. iss Verfassungsrechtlich zulässig sei z . B . ein Streik zur Verteidigung der freiheitlichen demokratischen Ordnung (Widerstandsrecht) oder ein politischer Streik i n der Form des Demonstrationsstreiks, der durch das Recht auf M e i nungsäußerung gedeckt sei; vgl. R A des 4. BT, 118. Sitzg. v. 10. 2. 1965, Prot. S. 16 ff. 154
157 Vgl. R A des 4. BT, 136. Sitzg. v. 26. 5.1965, Prot. S. 6 f.; ferner Schriftl. Ber. des R A des 4. BT, zu BT-Drs. IV/3494, S. 16; F. Schäfer, Notstandsgesetze, S. 125 f.
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die systematische Angliederung der Schutzklausel an A r t . 91 erhoben worden. Die Regelung i m Rahmen der Vorschriften über den inneren Notstand könne zu falschen Schlußfolgerungen führen; vorzuziehen sei deshalb eine Anfügung an A r t . 9, der das Grundrecht der Koalitionsfreiheit garantiere 1 5 8 . Der Rechtsausschuß beschloß die Schutzklausel des A r t . 91 Abs. 6 daher gegen die Stimmen der SPD-Abgeordneten 159 . A n dieser Stelle mag der Hinweis interessieren, daß die Diskussion, die i m Rechtsausschuß des 4. Bundestages über die Arbeitskampfschutzklausel stattfand, starke Ähnlichkeit mit den Beratungen des Parlamentarischen Rates über die Aufnahme oder Nichtaufnahme des Streikrechts i n das Grundgesetz hatte. Auch i m Parlamentarischen Rat waren sich die Vertreter der CDU/CSU, SPD und FDP einig darüber gewesen, daß arbeitsrechtliche Streiks grundsätzlich zulässig seien. Die Aufnahme einer entsprechenden Bestimmung i n das Grundgesetz war jedoch daran gescheitert, daß man sich trotz der Übereinstimmung i m Grundsätzlichen nicht auf eine Formulierung einigen konnte 1 6 0 . Die CDU/CSU legte schon damals Wert darauf, i n einer etwaigen positiv-rechtlichen Streikregelung zugleich auch die Grenzen dieses Rechts mitaufzuführen. Die SPD stimmte zwar m i t der CDU und FDP darin überein, daß der politische Streik nicht gewährleistet werden solle — auch dies eine Parallele zu den Beratungen des Rechtsausschusses des 4. Bundestages — und, daß das Streikrecht für Beamte abzulehnen sei, sprach sich jedoch gegen die Aufnahme zahlreicher Einschränkungen i n die geplante Vorschrift über das Streikrecht aus; man gerate i n eine zu große Kasuistik, wenn man eine Reihe von Beschränkungen des Streikrechts einfüge. Die geplante Streikregelung war schließlich auf Antrag der SPD wegen eben dieser Meinungsverschiedenheit gestrichen worden 1 6 1 . Festzuhalten bleibt, daß sowohl i m Parlamentarischen Rat als auch i m Rechtsausschuß des 4. Bundestages die CDU/CSU es für erforderlich hielt, i n einer etwaigen verfassungsgesetzlichen Streikregelung zugleich auch die Schranken und Grenzen des Streikrechts zu statuieren 1 6 2 , 158 Vgl. R A des 4. B T , 123. Sitzg. v. 17. 3. 1965, Prot. S. 11 f., 15; ferner F. Schäfer, Notstandsgesetze, S. 126. 159 R A des 4. BT, 136. Sitzg. v. 26. 5.1965, Prot. S. 8. 160 Y g i Darstellung der Entstehungsgeschichte bei Rüthers, Streik und Verfassung, S. 22 ff.; Lohse, Streik u n d Staatsnotstand, S. 55 ff. u n d vor allem v. Doemming/FüßleinlMatz, JöR N.F. 1 (1951), S. 116 ff. 161 Wie Rüthers, ebd., S. 24 f., nachgewiesen hat, w a r die Frage des gewerkschaftlichen Streikmonopols nicht (oder zumindest nicht der einzige) G r u n d f ü r die Streichung, obwohl dies oft behauptet w i r d . Zweifelnd Lohse, ebd., S. 58. Wie Rüthers R A des 4. B T , 118. Sitzg. v. 10. 2.1965, Prot. S. 7 f.; Brecht, Arbeitskampf u n d Verfassung, S. 54; Groß, G M H 1963, S. 561; Wedler, Das Grundrecht auf Streik, S. 128 f. Vgl. ferner v. Doemming/Füßlein/Matz, JöR N.F. 1 (1951), 5. 120 ff., insbes. 123. 162 Schon v o r Beginn der Einzelberatungen i m R A hatte der Abg. Benda (CDU/CSU) i n seinem Vortrag „Notstandsverfassung u n d Arbeitskampf" v o m
4 Gltlckert
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während die SPD dafür eintrat, die Frage der Schranken offenzulassen und nur den Grundsatz, über den Einigkeit bestand, nämlich die Anerkennung bzw. den Schutz arbeitsrechtlicher Streiks, ins Grundgesetz aufzunehmen. Aus dieser unterschiedlichen Einschätzung der Prioritäten heraus konnten sich CDU und SPD i n beiden Fällen nicht über eine Formulierung einigen, so daß der Parlamentarische Rat auf die Aufnahme einer Streikvorschrift ganz verzichtete und der Rechtsausschuß des 4. Bundestages die Arbeitskampfschutzklausel des A r t . 91 Abs. 6 seines Entwurfs gegen die Stimmen der SPD beschloß. I n der Frage des Verhältnisses zwischen Streiks und Dienstverpflichtungen konnte i m Rechtsausschuß des Bundestages ebenfalls keine Übereinstimmung zwischen den Regierungsparteien (CDU/CSU, FDP) und der oppositionellen SPD erzielt werden. M i t Mehrheit (gegen die Stimmen der SPD) beschloß der Rechtsausschuß am 26. 5. 1965 nach vorausgegangenen interfraktionellen Verhandlungen, dem bisherigen Art. 12 Abs. 2 folgende Sätze 2 und 3 anzufügen: „ ( 2 ) . . . F ü r Zwecke der Verteidigung ist auch eine darüber hinausgehende Verpflichtung zu zivilen Dienstleistungen außerhalb des Wehrdienstes i m Bereich der öffentlichen V e r w a l t u n g u n d der Streitkräfte zulässig. I m nichtöffentlichen Bereich können außer Ausbildungsveranstaltungen derartige Dienstleistungen n u r während des Zustandes der äußeren Gefahr oder dann gefordert werden, w e n n die Bundesregierung... feststellt, daß dies zur Herstellung oder Aufrechterhaltung der Verteidigungsbereitschaft oder zum Schutze oder zur Versorgung der Zivilbevölkerung erforderlich i s t 1 6 3 . "
M i t der Unterscheidung zwischen Dienstverpflichtungen i m Bereich der öffentlichen Verwaltung einerseits und Dienstverpflichtungen i m nichtöffentlichen Bereich andererseits sollte den Bedenken der SPD Rechnung getragen werden. Vor allem i n der Möglichkeit, Personen i m nichtöffentlichen Bereich, also i m Bereich der privaten Wirtschaft, zu zivilen Dienstleistungen heranzuziehen, sah die sozialdemokratische Bundestagsfraktion erhebliche Gefahren für die Rechte der Arbeitnehmer und der Gewerkschaften. Deshalb wurden für diesen Bereich besondere Sicherungen verlangt. Die sozialdemokratischen Bedenken waren erst gegen Ende der Ausschußberatungen vorgebracht worden. Zunächst hatte der RechtsausM a i 1963 (vgl. Fußn. 114, 115) nachdrücklich gegen jede verfassungsrechtliche Regelung der Streikfrage Stellung genommen, i n der nicht zugleich auch die Grenzen festgelegt würden. Diese Position vertrat Benda als Wortführer der CDU/CSU dann auch i m R A u n d i n den späteren Diskussionen, wobei er (zutreffend) darauf hinwies, daß der Pari. Rat gerade an dem Versuch, die Grenzen des Streikrechts festzulegen, gescheitert sei; vgl. R A des 4. BT, 118. Sitzg. v. 10.2.1905, Prot. S. 5 ff.; 123. Sitzg. v. 17.3.1965, Prot. S. 11 ff. sowie die Zitate i n der 192. Sitzg. des 4. B T v. 24. 6.1965, Sten. Ber. S. 9699 (A, B). 168 R A des 4. BT, 136. Sitzg. v. 26. 5. 1965, Prot. S. 4; Schriftl. Ber. des R A des 4. BT, BT-Drs. IV/3494, S. 2.
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schuß (am 15. 1. 1965) e i n s t i m m i g , also m i t d e n S t i m m e n der S P D - A b g e o r d n e t e n , beschlossen, d e m b i s h e r i g e n A r t . 12 A b s . 2 f o l g e n d e n Satz 2 a n zufügen: „ F ü r Zwecke der Verteidigung ist auch eine Verpflichtung zu zivilen Dienstleistungen außerhalb des Wehrdienstes zulässig 1 « 4 ." D i e e i n s t i m m i g e A n n a h m e dieser F o r m u l i e r u n g h a t t e bedeutet, daß sich die S P D m i t i h r e r A u f f a s s u n g durchgesetzt h a t t e , die H e r a n z i e h u n g z u D i e n s t l e i s t u n g e n f ü r Z w e c k e d e r V e r t e i d i g u n g a u ß e r h a l b des W e h r dienstes f a l l e n i c h t u n t e r d e n B e g r i f f „ h e r k ö m m l i c h e , a l l g e m e i n e , f ü r a l l e gleiche ö f f e n t l i c h e D i e n s t l e i s t u n g s p f l i c h t " i m g e l t e n d e n A r t . 12 A b s . 2 Satz 1 G G , s o n d e r n es sei eine E r g ä n z u n g des A r t . 12 A b s . 2 G G e r f o r d e r lich165. I m V e r l a u f der weiteren Diskussion i n der Öffentlichkeit 166, i n den A u s s c h ü s s e n 1 6 7 u n d d e n F r a k t i o n e n des Bundestages w a r die soziald e m o k r a t i s c h e F r a k t i o n d a n n aber z u r Ü b e r z e u g u n g g e k o m m e n , daß es m i t der S c h a f f u n g e i n e r verfassungsrechtlich e i n w a n d f r e i e n G r u n d l a g e f ü r D i e n s t v e r p f l i c h t u n g e n i n A r t . 12 A b s . 2 G G a l l e i n noch n i c h t g e t a n sei. I n s B l i c k f e l d r ü c k t e n u n m e h r die Frage, v o n w e l c h e n V o r a u s s e t z u n g e n u n d B e d i n g u n g e n D i e n s t v e r p f l i c h t u n g e n a b h ä n g i g gemacht w e r d e n m ü ß ten, u m u n z u m u t b a r e E i n s c h r ä n k u n g e n d e r Rechte der A r b e i t n e h m e r u n d der G e w e r k s c h a f t e n s o w i e m i ß b r ä u c h l i c h e A n w e n d u n g e n der v e r fassungsrechtlichen E r m ä c h t i g u n g z u v e r h i n d e r n . A u c h i m B u n d e s t a g befaßte m a n sich j e t z t m i t d e m P r o b l e m „ S t r e i k u n d D i e n s t v e r p f l i c h -
164 R A des 4. BT, 112. Sitzg. v. 15. 1. 1965, Prot. S. 6 ff.; vgl. auch Schriftl. Ber. des R A des 4. BT, zu BT-Drs. IV/3494, S. 6. 165 Die Bundesregierung hatte zunächst den entgegengesetzten Standpunkt vertreten (vgl. oben Fußn. 67), dann aber dem R A m i t Sehr. v. 27. 1. 1964 eine Formulierungshilfe vorgelegt, i n der eine Ergänzung des A r t . 12 Abs. 2 v o r geschlagen wurde. Vgl. ferner Schriftl. Ber. des R A des 4. BT, zu BT-Drs. IV/3494, S. 6 f. 166 D e r vors, der I G Metall, Brenner, faßte die gewerkschaftlichen Bedenken gegen die Möglichkeit zu Dienstverpflichtungen Ende Januar 1965 i n einem Aufsatz i m Gewerkschaftsorgan „ M e t a l l " wie folgt zusammen: „ B e i der gegenwärtigen Diskussion geht es den Gewerkschaften v o r allem u m die Erhaltung des A r t i k e l s 12 des Grundgesetzes . . . Es nützt auch nichts, w e n n m a n uns versichert, das gewerkschaftliche Streikrecht könne eigens i n der Verfassung verankert werden, denn wozu ist ein Streikrecht gut, das gegebenenfalls durch die Zwangsverpflichtung der Arbeitnehmer u n d die Beschränkung des V e r sammlungsrechts praktisch u n w i r k s a m gemacht werden kann. Trotz aller gegenteiligen Versicherungen wäre die gesetzliche Möglichkeit zur Dienstverpflichtung ein Schlag gegen die Arbeitnehmer u n d ihre Gewerkschaften . . . Deshalb heißt unsere Forderung: Keine Abänderung oder Einschränkung des Grundgesetz-Artikels 12, keine allgemeine Dienstverpflichtung." (Metall Nr. 2/65 v. 26. 1. 1965). — I n der Argumentation ähnlich Holz/Neuhöffer, Griff nach der D i k t a t u r , S. 97 ff., 119 (Frühjahr 1965). 167 I m R A wurde durch Sprecher der CDU/CSU — unter Zitierung der Äußerungen Brenners — ausdrücklich bestätigt, daß das Streikrecht durch Dienstverpflichtungen aufgehoben würde; R A des 4. BT, 118. Sitzg. v. 10. 2.1965, Prot. S. 8 f.; ebenso schon 112. Sitzg. v. 15.1.1965, Prot. S. 3.
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tungen" — der Frage, die i n der außerparlamentarischen Diskussion schon seit längerem eine zentrale Rolle spielte 1 6 8 . Das Thema gehörte zu den strittig gebliebenen Punkten, die vom 11.-25.5.1965 außerhalb der Ausschüsse i n interfraktionellen Besprechungen zwischen CDU/CSU, FDP und SPD erörtert wurden. Zwischen den Koalitionsfraktionen und der Opposition bestand Ubereinstimmung, daß Dienstverpflichtungen nicht zulässig sein sollten, u m etwa wirtschaftliche Störungen, die durch Arbeitskämpfe verursacht werden könnten, m i t Hilfe eines gelenkten staatlichen Arbeitskräfteeinsatzes zu beheben 169 . Strittig war dagegen, wie dieser Übereinstimmung i m Gesetzestext Rechnung zu tragen sei. Die i m ursprünglichen (am 15. 1. 1965) beschlossenen A r t . 12 Abs. 2 Satz 2 enthaltene Einschränkung, daß die Heranziehung zu zivilen Dienstleistungen nur „für Zwecke der Verteidigung" zulässig sein solle, erschien der SPD angesichts der Weite und Auslegbarkeit der Formulierung als eine unzureichende Sicherung. A u f der Suche nach Kompromißmöglichkeiten schlug der Abg. Benda (CDU/CSU) i n der letzten Sitzung des Rechtsausschusses vor der zweiten und dritten Beratung des Entwurfs die bereits zitierte 1 7 0 umfangreichere Ergänzung des A r t . 12 Abs. 2 vor, in der zwischen Dienstleistungen i m Bereich der Streitkräfte und der öffentlichen Verwaltung einerseits und Dienstleistungen i m nichtöffentlichen Bereich andererseits unterschieden w u r de 1 7 1 . Die Mehrheit des Rechtsausschusses stimmte diesem Vorschlag zu 1 7 1 , die SPD-Abgeordneten lehnten i h n ab, w e i l die für Dienstverpflichtungen i m nichtöffentlichen Bereich zusätzlich vorgesehenen Voraussetzungen und Bedingungen noch immer ungenügend seien 172 , insbesondere i m Verfassungstext selbst nicht festgelegt werde, daß Dienstleistungen i m nichtöffentlichen Bereich i m Rahmen eines arbeitsrechtlichen Verhältnisses (und nicht eines öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnisses) zu erbringen seien 173 . Noch vor der letzten Beratung des Rechtsausschusses am 26. 5. 1965 und vor Vorlage des Ausschußberichtes hatte sich der Bundesvor168 y
g L F u ß n < 1 2 i f 122 u n d den T e x t dazu. So ausdrücklich Schriftl. Ber. des R A des 4. BT, zu BT-Drs. IV/3494, S.6. 170 s. Fußn. 163 u n d den Text dazu. 171 R A des 4. BT, 136. Sitzg. v. 26. 5.1965, Prot. S. 4. 172 Die neuen Kautelen waren nicht materieller, sondern zeitlicher u n d verfahrensmäßiger N a t u r : Die Heranziehung zu Dienstleistungen i m nichtöffentlichen Bereich sollte n u r i m Zustand äußerer Gefahr möglich sein oder auf Grund einer Feststellung der Bundesregierung, an der der Gemeinsame Ausschuß gemäß A r t . 53a Abs. 3 des Entwurfs m i t g e w i r k t hatte. A r t . 53a Abs. 3 freilich enthielt seinerseits zwei schwerwiegende Ausnahmen, so daß von den Schranken f ü r Dienstverpflichtungen i m nichtöffentlichen Bereich faktisch nicht mehr allzu v i e l ü b r i g blieb. na y g l Pressemitteilung der SPD-Bundestagsfraktion Nr. 196/65 v. 25. 5. 1965, S. 6. 169
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stand des DGB m i t Schreiben von 18. 5. 1965 174 an alle Mitglieder des Bundestages gewandt, u m „noch einmal m i t Nachdruck auf die heute noch gegebenen schweren Bedenken gegen die Notstandsgesetze, insbesondere die geplante Verfassungsänderung hinzuweisen, die seine (des DGB) ablehnende Haltung begründen". I n dem Schreiben wurde begrüßt, daß entsprechend einer Forderung des DGB i n A r t . 91 ausdrücklich klargestellt werden solle, daß Arbeitskämpfe von Vereinigungen i m Sinne des A r t . 9 Abs. 3 GG keine Störung der freiheitlichen Grundordnung des Bundes oder eines Landes seien. I m übrigen übte der DGB-Bundesvorstand an dem zum damaligen Zeitpunkt vorliegenden Ausschußbeschlüssen jedoch harte K r i t i k , so u. a. an der vorgesehenen Einschränkung des A r t . 9 Abs. 1 GG und der Änderung des Art. 12 Abs. 2 GG. Durch die Einschränkung des A r t . 9 Abs. 1 GG werde „ein m i t dem Wesen des Grundrechtes nicht zu vereinbarender Vereinigungs- und Beitrittszwang, insbesondere zu öffentlichen oder zivilen ,Selbsthilfeorganisationen' ermöglicht" 1 7 5 . Die i n A r t . 12 Abs. 2 Satz 3 vorgesehene Möglichkeit der Verpflichtung zu zivilen Dienstleistungen außerhalb der Verteidigung bedeute „eine nicht hinnehmbare Einschränkung" der Freiheit der Arbeitsplatzwahl. „Die obrigkeitliche Erfassung der Arbeitnehmer i m Arbeitsprozeß durch Zwangsverpflichtung ist", so hieß es i m Schreiben des DGB weiter, „für die Verteidigung unserer demokratischen Freiheit nicht erforderlich und für die Gewerkschaften untragbar, w e i l insbesondere die Streikfreiheit gefährdet wird." Bundesausschuß und Bundesvostand des DGB bestätigten i n einer außerordentlichen Sitzung am 1. 6. 1965 die i m zitierten Schreiben des DGB-Bundesvorstandes zum Ausdruck gebrachten sachlichen Bedenken und stellten fest, daß der DGB und die i n i h m zusammengeschlossenen Gewerkschaften weiterhin an ihrem auf dem 6. Ordentlichen Bundeskongreß i n Hannover gefaßten Beschluß zum Notstand und Notdienst festhielten, wonach jede zusätzliche gesetzliche Regelung des Notstandes und Notdienstes eindeutig abgelehnt werde. Der DGB und seine Gewerkschaften erwarteten, „daß ihre schwerwiegenden Einwände bei der Entscheidung des Parlaments über die Notstandsgesetzgebung beachtet werden" 1 7 0 . Die Spitzengremien der SPD hatten sich am 29. 5. 1965, zwei Tage bevor der Schriftliche Bericht des Rechtsausschusses (Antrag des Ausschusses) als Drucksache vorlag, auf einer Sitzung i n Saarbrücken mit 174 Abgedruckt i n : Material zur Notstandsfrage, hrsg. v. DGB-Bundesvorstand, S. 27 ff. 175 Z u diesem Argument s. Fußn. 120 u n d T e x t dazu. 176 Die v o m Bundesausschuß u n d Bundesvorstand des D G B am 1. 6. 1965 verabschiedete E r k l ä r u n g wurde allen Bundestagsabgeordneten m i t Sehr, des DGB-Bundesvorstandes v. 3. 6.1965 (unveröff.) mitgeteilt.
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den Ergebnissen der Ausschußberatungen befaßt. I n einer einstimmig verabschiedeten „Entschließung zum Notstandsrecht" 177 stellten Parteivorstand, Parteirat und Kontrollkommission der SPD fest, i n welchen der bisher umstrittenen Punkte die Bedingungen der SPD erfüllt seien und i n welchen nicht. Hinsichtlich der hier interessierenden Fragen wurde begrüßt, daß m i t den anderen Fraktionen des Bundestages Einigkeit darüber erzielt werden konnte, „daß Arbeitskämpfe kein Fall des inneren Notstandes sind" 1 7 8 . I n der Frage der Dienstverpflichtungen i m zivilen Bereich und möglicher Beeinträchtigungen des Streikrechts wurde festgestellt: „Einigkeit zwischen den Fraktionen bestand darüber, daß i m Falle des äußeren Notstandes Dienstleistungen f ü r die Sicherung der Verteidigung auch außerhalb der Bundeswehr erforderlich sind; dabei müssen auch die Rechte der Arbeitnehmer gesichert werden. Über die rechtliche Sicherung dieses A n spruches konnte keine Einigung erzielt werden. P u n k t 4 der Kölner Entschließung ist damit nicht erfüllt*?»."
Die Entschließung konstatierte noch i n drei weiteren Punkten die Nichterfüllung der Beschlüsse des Kölner SPD-Parteitages von 1962; i m Hinblick auf die noch offenen Fragen und die Kürze der noch zur Verfügung stehenden Zeit sei, so stellten die Führungsgremien der Oppositionspartei fest, eine Verabschiedung der Grundgesetzänderung i n der 4. Wahlperiode nicht mehr möglich. Obwohl damit feststand, daß die sozialdemokratische Bundestagsfraktion der Verfassungsänderung nicht zustimmen würde, fand am 16. und 24. Juni 1965 i m Bundestag die zweite und dritte Beratung des Höcherl-Entwurfs (der de facto durch einen neuen Entwurf des Rechtsausschusses ersetzt worden war) statt 1 8 0 . Als Berichterstatter des Rechtsausschusses wiederholte der Abg. Benda (CDU/CSU) zu Beginn der zweiten Beratung noch einmal, daß zu den i m Ausschuß strittig gebliebenen Fragen u. a. auch die vorgeschlagene Ermächtigung zu Dienstverpflichtungen gehöre. Nachdem die zunächst beschlossene Änderung des A r t . 12 von der SPD nicht mehr akzeptiert worden sei, habe die Mehrheit des Ausschusses die Möglichkeit zu Dienstverpflichtungen i m nichtöffentlichen Bereich noch weiter beschränkt; die Minderheit habe indessen weiterhin Bedenken geltend gemacht, w e i l die Rechte der Arbeitnehmer und ihrer Koalitionen mehr als zumutbar beschränkt würden 1 8 1 . Einigkeit habe darüber erzielt werden können, daß A r t . 9 Abs. 3 GG nicht be177
Abgedruckt i n : F. Schäfer, Notstandsgesetze, S. 154 ff. Entschließung zum Notstandsrecht v. 29. 5. 1965, Ziff. 11g (abgedruckt ebd., S. 157). 179 Entschließung zum Notstandsrecht v. 29. 5. 1965, Ziff. 6 (abgedruckt ebd., 5. 155). 180 190. Sitzg. des 4. B T v. 16. 6. 1965 (2. Beratung), 192. Sitzg. v. 24. 6. 1965 (Forts, der 2. Beratung u n d 3. Beratung). 181 190. Sitzg. des 4. B T v. 19. 6.1965, Sten. Ber. S. 9529 (C, D). 178
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schränkt werde 1 8 2 . Z u einer zwar nicht vollständigen, aber doch sehr weitgehenden Einigung sei es über die Stellung der Koalitionen und die Befugnisse zur Führung von Arbeitskämpfen i m Zustand der inneren Gefahr gekommen; lediglich über die Formulierung des vom Rechtsausschuß vorgeschlagenen A r t . 91 Abs. 6 habe keine volle Übereinstimmung erzielt werden können 1 8 3 . Die sehr ausführliche Debatte i m weiteren Verlauf der zweiten Lesung bewegte sich bei der Behandlung des Problemkreises „Arbeitskampf und Notstandsverfassung" i m wesentlichen innerhalb des von Ausschußberichterstatter Benda gesteckten Rahmens. Dabei wurden die am Ende der 4. Legislaturperiode vertretenen Positionen recht deutlich: Bundesregierung, CDU/CSU-Bundestagsfraktion und sozialdemokratische Opposition waren sich darin einig 1 8 4 , daß A r t . 9 Abs. 3 GG nicht eingeschränkt werden solle. 185 Die FDP-Fraktion, die m i t der CDU/CSU die Regierungskoalition bildete, befürwortete als einzige eine ausdrückliche Suspendierung des Streikrechts i m Zustand äußerer Gefahr 1 8 6 . Der i n A r t . 91 Abs. 6 des Benda-Entwurfs vorgesehenen Arbeitskampfschutzklausel stimmten der Sache nach sowohl die Regierungsparteien (CDU/CSU und FDP) als auch die Opposition zu 1 8 7 , jedoch lehnte die SPD die Einschränkung, daß es sich u m Arbeitskämpfe „zur Wahrung und Förderung der Arbeitsund Wirtschaftsbedingungen" handeln müsse, ab 1 8 8 . Indessen maß die SPD diesem streitig gebliebenen Teilaspekt ersichtlich weit weniger Gewicht bei als der Frage des Verhältnisses zwischen Streiks und Dienstverpflichtungen. Die von K r i t i k e r n der Notstandsgesetzgebung und vor allem von den Gewerkschaften gehegte Befürchtung, m i t dem Instrument der Dienstverpflichtung könnten Streiks behindert oder eingeschränkt werden, bestimmte zuletzt auch die Haltung der parlamentarischen Opposition. Deshalb war die SPD-Fraktion von der i m Rechtsausschuß zunächst m i t Zustimmung der SPD-Abgeordneten beschlossenen Ergänzung des A r t . 12 Abs. 2 GG wieder abgerückt 1 8 9 ; i n der zweiten Lesung führten 182
Ebd., S. 9530 (B). Ebd., S. 9531 (C, D). 184 Wenn auch sicherlich nicht aus identischen Beweggründen. 185 Vgl. Bundesinnenminister Höcherl, 190. Sitzg. des 4. B T v. 16. 6. 1965, Sten. Ber. S. 9556 (A, B); 192. Sitzg. v. 24. 6.1965, Sten. Ber. S. 9709 (C). 186 Abg. Dorn, 190. Sitzg. des 4. B T v o m 16. 6. 1965, Sten. Ber. S. 9550 (D); ähnlich Abg. Busse (FDP), 192. Sitzg. v. 24. 6.1965, Sten. Ber. S. 9723 (C, D). 187 Vgl. SPD-Fraktionsvorsitzender Erler, 190. Sitzg. des 4. B T v. 16. 6. 1965, Sten. Ber. S. 9542 (D); Bundesinnenminister Höcherl, ebd., S. 9556 (A, B) u n d 192. Sitzg. v. 24. 6. 1965, Sten. Ber. S. 9709 (C); Abg. Busse (FDP), ebd., S. 9723 (B, C). 188 Abg. Frier, 192. Sitzg. des 4. B T v. 24. 6. 1965, Sten. Ber. S. 9712 (D) u n d S. 9733 (D), 9734 (A); Abg. Schmitt-Vockenhausen (SPD), ebd., S. 9731 (A, B). iss Y g i d i e Schilderung v o n Bundesinnenminister Höcherl, 192. Sitzg. des 4. B T v. 24. 6. 1965, Sten. Ber. S. 9710 (A, B) u n d Abg. Benda (CDU/CSU), ebd., 5. 9715 f. 183
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die Sprecher der SPD aus, i n der Frage der Dienstverpflichtung seien noch keine ausreichenden Sicherungen zum Schutze der Rechte der Arbeitnehmer gefunden worden 1 9 0 . Bemängelt wurde insbesondere, daß die von der Mehrheit des Rechtsausschusses beschlossene Neufassung des A r t . 12 Abs. 2 GG nicht sicherstelle, daß bei Dienstverpflichtungen i m Bereich der privaten Wirtschaft arbeitsrechtliche (und nicht etwa öffentlichrechtliche) Dienstverhältnisse begründet werden 1 9 1 . I n den Augen der Opposition war dies ein entscheidender Mangel, fehlte damit doch eine Garantie dafür, daß kollektive Maßnahmen zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen grundsätzlich auch von denjenigen Arbeitnehmern ergriffen werden konnten, die i n ein privates Unternehmen dienstverpflichtet worden sind. Bundesminister Höcherl hatte sich zwar i m Verlauf der Debatte bereit erklärt, bei den Überlegungen zum Thema Dienstverpflichtung „noch einen Schritt weiter" als der Rechtsausschuß zu gehen und nach Formulierungen für A r t . 12 Abs. 2 zu suchen, m i t denen alle Befürchtungen wegen mittelbarer Einschränkungen des Arbeitskampfes ausgeräumt werden könnten 1 9 2 ; jedoch kam diese Erklärung zu spät, u m den Gang der Dinge i n diesem Stadium noch beeinflussen zu können. Z u m Abschluß der zweiten Beratung erklärten der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Dr. Barzel 1 9 3 und der FDP-Abg. Dorn 1 9 4 , ihre Fraktionen seien bereit, der Vorlage des Rechtsausschusses zuzustimmen. Ein vom Abg. Dr. F. Schäfer (SPD) gestellter Antrag, den Entwurf zur weiteren Beratung an den Rechtsausschuß zurückzuverweisen, wurde von der Mehrheit abgelehnt 1 9 5 . I n der unmittelbar anschließenden dritten Lesung wurde ohne weitere Debatte die Schlußabstimmung durchge190 Vgl. Abg. Erler (SPD), 190. Sitzg. des 4. B T v. 16. 6. 1965, Sten. Ber. S. 9543 (D) u n d 192. Sitzg. v. 24. 6.1965, Sten. Ber. S. 9734 (A). 191 Abg. Dr. F. Schäfer (SPD), 192. Sitzg. des 4. B T v. 24. 6. 1965, Sten. Ber. S. 9699 (D), 9716 (B); Abg. Jahn (SPD), ebd., S. 9727; Abg. Schmitt-Vockenhausen (SPD), ebd., S. 9731 (B). Dagegen Abg. Benda (CDU/CSU), ebd., S. 9716, Abg. Busse (FDP), ebd., S. 9723 (C, D). 192 192. Sitzg. des 4. B T v. 24. 6.1965, Sten. Ber. S. 9710 (A, B). 193 Ebd., S. 9733 (A). 194 Ebd., S. 9737 (A, B). 195 Ebd., S. 9737 (B, C). Schäfer hatte zuvor i m Verlauf der Debatte erklärt, seine F r a k t i o n habe sich überlegt, ob sie i n der 2. Lesung nicht Änderungsanträge stellen solle, sei jedoch davon abgekommen, da die i n einigen wichtigen Fragenkomplexen — z. B. i n der Frage des Streikrechts und der Dienstverpflichtung — bestehenden Lücken zu groß seien, u m sie durch Änderungsanträge i m Plenum schließen zu können. I n den bereits vorbereiteten Ä n d e rungsanträgen, die nicht gestellt wurden, w a r u. a. vorgesehen, die Ermächtigung zu Dienstverpflichtungen i n A r t . 12 Abs. 2 Satz 2 u n d 3 des Ausschußentwurfs ersatzlos zu streichen. I n der Arbeitskampfschutzklausel des A r t . 91 Abs. 6 sollte der Zusatz, daß es sich u m Arbeitskämpfe „zur Wahrung u n d Förderung der Arbeits- u n d Wirtschaftsbedingungen" handeln müsse, entfallen.
I. Abschn.: Vorgeschichte
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führt. Dabei stimmten i n namentlicher Abstimmung alle Abgeordneten der SPD-Fraktion und zwei FDP-Abgeordnete gegen den Entwurf, so daß die erforderliche Zweidrittelmehrheit nicht zustande k a m 1 9 6 . Auch der zweite Anlauf zur Schaffung einer Notstandsverfassung war damit gescheitert.
196
Ebd., S. 9737 ff.
Zweiter
Abschnitt
Entstehungs- und Textgeschichte (1965 -1968) M i t dem Ablauf der 4. Legislaturperiode waren der Regierungsentw u r f von 1962 (Höcherl-Entwurf) und die daraus entstandene Vorlage des Rechtsausschusses (Benda-Entwurf) gegenstandslos geworden. Nach der Bundestagswahl vom September 1965 und der Neubildung der von CDU/CSU und FDP getragenen Bundesregierung suchte der neue Bundesinnenminister Lücke (CDU) i n Verhandlungen m i t den i m Bundestag vertretenen Parteien, den Ländern und den Gewerkschaften 1 zu erkunden, ob i n den umstritten gebliebenen Fragen eine Annäherung der Standpunkte möglich erscheine. Lücke ließ sich deshalb m i t der Vorlage eines neuen Entwurfs Zeit. I n mehreren Gesprächen, die i m Frühjahr 1966 zunächst m i t Partei- und Fraktionsvorsitzenden und daran anschließend — i m Rahmen der sog. Zwölfer-Kommission — m i t Vertretern der drei Bundestagsfraktionen und des Bundesrates stattfanden 2 , wurden die verschiedenen Standpunkte nochmals vorgetragen und gemeinsam erörtert; Bundesinnenminister Lücke war bestrebt, i n dem neu zu erstellenden Regierungsentwurf nur solche Regelungen vorzuschlagen, die sowohl i m Bundestag als auch i m Bundesrat als brauchbare Diskussionsgrundlage akzeptiert würden, bei denen also das Zustandekommen der notwendigen Zweidrittelmehrheit nicht von vornherein aussichtslos erschien. Die Vertreter der oppositionellen SPD-Bundestagsfraktion wiederholten i n den Gesprächen u. a. die Forderung nach einer ausreichenden Siche1 Bundesinnenminister Lücke führte m i t einer Reihe von Gewerkschaftsvertretern Gespräche, so am 3.2.1966 m i t dem ÖTV-Vors. Kluncker (vgl. BullBReg. Nr. 17 v. 8. 2. 1966, S. 129), am 4. 2. 1966 m i t Vertretern der Christlichen Gewerkschaften, am 7. 2. 1966 m i t dem DAG-Vors. Spaethen u n d dem DAG-Vorstandsmitglied Grotheguth (vgl. BullBReg. Nr. 18 v. 9. 2.1966, S. 136), am 8. 2. 1966 m i t dem geschäftsführenden Vorstand der Gewerkschaft der Polizei (vgl. BullBReg. Nr. 19 v. 11. 2. 1966, S. 145) u n d — politisch am bedeutsamsten — am 28. 2. 1966 m i t einer Kommission des D G B ; an letzterem Gespräch nahmen auf Seiten des D G B der Vors. Rosenberg , sein Stellv. Tacke u n d die Mitglieder des DGB-Vorstandes Brenner (Vors. der I G Metall), Kluncker (Vors. der ÖTV) u n d Gefeller (Vors. der I G Chemie) t e i l (vgl. BullBReg. Nr. 29 v. 2. 3.1966, S. 224). 2 Der Zwölfer-Kommission gehörten 4 Vertreter der CDU/CSU-Fraktion, je 3 Vertreter der SPD- u n d der F D P - F r a k t i o n sowie zwei Landesminister als Beauftragte des BR an (vgl. BullBReg. Nr. 31 v. 5. 3. 1966, S. 248). Die K o m mission traf sich insgesamt v i e r m a l (am 2. u n d 22. März, 3. u n d 24. M a i 1966) zu Gesprächen m i t Bundesminister Lücke. Vgl. die Mitteilungen Lückes i n der 44. Sitzung des 5. B T v. 26. 5.1966, Sten. Ber. S. 2081 (C).
I I . Abschn.: Entstehungs- und Textgeschichte
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rung der Rechte der Arbeitnehmer einschließlich des Streikrechts; bei Dienstverpflichtungen i m zivilen Bereich müsse die arbeitsrechtliche Stellung der Arbeitnehmer, also auch die Möglichkeit des Arbeitskampfes zur Verbesserung der Lohn- und Arbeitsbedingungen, erhalten bleiben. Außerdem wiederholten die SPD-Vertreter ihre alte Forderung, i n der Arbeitskampfschutzplausel des A r t . 91 auf die Einschränkung, daß es sich u m Arbeitskämpfe „zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen" handeln müsse, zu verzichten. Dem wurde von seiten der CDU/CSU m i t dem Argument widersprochen, politische Streiks seien unbestrittenermaßen nicht durch A r t . 9 Abs. 3 GG geschützt, so daß auch i n der Streikschutzklausel des A r t . 91 zwischen arbeitsrechtlichen und politischen Streiks unterschieden werden müsse. Abschließende Ergebnisse, insbesondere Einigungen über konkrete Formulierungen des neu vorzulegenden Regierungsentwurfs, wurden i n den Verhandlungen der Zwölfer-Kommission nicht angestrebt und nicht erreicht. Immerhin konnte Bundesminister Lücke anläßlich einer Haushaltsdebatte am 26. 5.1966 vor dem Bundestag 3 feststellen, die Gespräche der Zwölfer-Kommission hätten gezeigt, daß i n wesentlichen Grundfragen Übereinstimmung zwischen den Parteien des Bundestages, dem Bundesrat und der Bundesregierung bestehe; insbesondere sei man sich darin einig, daß „die Rechte der Arbeitnehmer ebenso wie aller Bürger auch i m Notstandsfall i n angemessener Weise gesichert bleiben" 4 . Wenig erfolgreich waren dagegen Lückes Versuche, den DGB und die i n i h m zusammengeschlossenen Einzelgewerkschaften von der Notwendigkeit einer verfassungsändernden Notstandsgesetzgebung zu überzeugen oder doch zumindest einige gewerkschaftliche Befürchtungen auszuräumen. I n einer ausführlichen Denkschrift „ Z u r Frage des Personalbedarfs und der Rechtsstellung der Arbeitnehmer i m äußeren Notstand" 5 , die Bundesinnenminister Lücke am 7. A p r i l 1966 dem DGB übersandte 8 , wurde dargelegt, aus welchen Gründen die Bundesregierung Maßnahmen zur Deckung eines i m Verteidigungsfall (und i m vorausgehenden Spannungsfall) eintretenden erhöhten Arbeitskräftebedarfs für erforderlich hielt. Die geplanten Maßnahmen wurden zugleich detailliert erläutert. Zur Frage des Verhältnisses zwischen Dienstverpflichtungen und Streiks stellte die Denkschrift fest: „ E i n Recht des Beamten zur Unterbrechung der Dienstleistung als M i t t e l des Arbeitskampfes — abgesehen von dem Widerstandsrecht eines jeden Staats3 44. Sitzg. des 5. B T v. 26. 5. 1966 (Beratung über den Einzelplan des B u n desinnenministeriums) . 4 Ebd., Sten. Ber. S. 2082 (B). 5 Die i m Bundesministerium des I n n e r n erarbeitete u n d m i t den anderen Ressorts abgestimmte Denkschrift ist abgedruckt i n : R d A 1966, S. 215 ff. 6 Vgl. BullBReg. Nr. 57 v. 30. 4.1966, S. 449.
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1. Teil: Entstehung des A r t . 9 I I I 3 GG
bürgers . . . — besteht schon nach geltendem Verfassungsrecht nicht einmal i n Normalzeiten u n d daher auch nicht i m äußeren Notstand. Die Freiheit des Angestellten u n d Arbeiters zur Arbeitsniederlegung als M i t t e l des Arbeitskampfes zur Wahrung u n d Förderung der Arbeits- u n d Wirtschaftsbedingungen ist nach Ansicht der Bundesregierung gemäß Art. 9 Abs. 3 GG gewährleistet. Einschränkungen der Arbeitskampffreiheit sind nach geltendem Verfassungsrecht lediglich durch Gesetz oder auf G r u n d eines Gesetzes, ausschließlich aus Gründen des Gemeinwohls u n d äußerstenfalls insow e i t zulässig, als der Wesensgehalt i m Sinne des A r t . 19 Abs. 2 GG dabei nicht angetastet w i r d . An diesem für Normalzeiten geltenden verfassungsrechtlichen Zustand soll auch im äußeren Notstand nichts geändert werden. Art. 9 Abs. 3 GG soll daher auch durch die Notstandsverfassung völlig unangetastet bleiben 7 ." (Hervorhebungen i m Original) A u f d e m 7. O r d e n t l i c h e n B u n d e s k o n g r e ß des D G B v o m 9. - 14. 5. 1966 i n B e r l i n b e k r ä f t i g t e n d i e G e w e r k s c h a f t e n i h r e a b l e h n e n d e H a l t u n g geg e n ü b e r der Notstandsgesetzgebung. I n e i n e r n a c h leidenschaftlicher D i s k u s s i o n m i t 251 gegen 182 S t i m m e n gefaßten E n t s c h l i e ß u n g 8 , die auf e i n e n A n t r a g der I G M e t a l l z u r ü c k g i n g , w u r d e festgestellt: „Der 7. Ordentliche Bundeskongreß bekräftigt die 1962 auf dem D G B Kongreß i n Hannover gefaßten Beschlüsse zur Notstands- u n d Notdienstgesetzgebung . . . Die Gewerkschaften lehnen auch w e i t e r h i n jede Notstandsgesetzgebung ab, welche die demokratischen Grundrechte einschränkt u n d besonders das Versammlungs-, Koalitions- u n d Streikrecht der Arbeitnehmer u n d ihrer gewerkschaftlichen Organisationen bedroht. Nach w i e vor wenden sie sich vor allem gegen eine allgemeine Dienstverpflichtung u n d die dafür erforderliche Abänderung des A r t . 12 Abs. 2 des Grundgesetzes, der eine allgemeine Zwangsarbeit v e r b i e t e t . . . 9 " D i e v o m 7. O r d e n t l i c h e n B u n d e s k o n g r e ß des D G B gefaßte E n t s c h l i e ß u n g w i d e r s p r a c h d e n E r g e b n i s s e n z w e i e r G u t a c h t e n , d i e der D G B B u n d e s v o r s t a n d z u r F r a g e des ä u ß e r e n N o t s t a n d e s v o n d e n Staatsrechtsl e h r e r n H a n s - U l r i c h E v e r s (Braunschweig) u n d W e r n e r W e b e r ( G ö t t i n gen) h a t t e e r s t e l l e n lassen u n d die a l l e n D e l e g i e r t e n des B u n d e s k o n g r e s ses z u g e l e i t e t w o r d e n w a r e n 1 0 . I n b e i d e n G u t a c h t e n w u r d e die A u f f a s s u n g v e r t r e t e n , f ü r d e n F a l l des ä u ß e r e n Notstandes seien — entgegen der E n t s c h l i e ß u n g des 6. O r d e n t l i c h e n D G B - B u n d e s k o n g r e s s e s (1962) — Ä n d e r u n g e n des Grundgesetzes e r f o r d e r l i c h . B e i d e G u t a c h t e r b e j a h t e n die N o t w e n d i g k e i t e i n e r Ä n d e r u n g des A r t . 12 G G ; es k ö n n e — auch u n d gerade z u m Schutz u n d z u r V e r s o r g u n g der Z i v i l b e v ö l k e r u n g — e r f o r d e r l i c h sein, d e n i m Z u s t a n d äußerer G e f a h r e i n t r e t e n d e n e r h ö h t e n Arbeitskräftebedarf m i t H i l f e v o n Dienstverpflichtungen zu decken11. 7
R d A 1966, S. 217. 7. Ordentl. Bundeskongreß des DGB, Protokoll, S. 269 - 343. 9 Ebd., Anträge u n d Entschließungen, S. 12 f.; abgedruckt i n : F. Schäfer, Notstandsgesetze, S. 200. 10 I n der Broschüre „Material zur Notstandsfrage", hrsg. v. DGB-Bundesvorstand (Mai 1966). 11 W. Weber, i n : Material zur Notstandsfrage, S. 43 f.; Evers, ebd., S. 54 ff. 8
I I . Abschn.: Entstehungs- und Textgeschichte
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Weber hob außerdem hervor, daß für die i n A r t . 9 Abs. 3 GG geschützte Koalitionsfreiheit i n den Entwürfen der 4. Wahlperiode keine Beschränkungsmöglichkeiten vorgesehen seien. A n der individuellen Koalitionsfreiheit sowie an der Bestandsgarantie der Koalitionen und an ihrer Verbandsautonomie ändere sich damit also nichts; die Betätigungsfreiheit der Koalitionen könne dagegen ohnehin i n gewissen Grenzen durch den Gesetzgeber reguliert werden 1 2 . Eine Ergänzung des A r t . 9 Abs. 2 — wie i m Höcherl- und i m Benda-Entwurf vorgeschlagen 13 — berühre die gewerkschaftlichen Rechte nicht 1 4 . I n recht plastischer Weise legte Evers dar, daß auch bei einem Verzicht auf die verfassungsändernde Notstandsgesetzgebung auf Grund der noch bestehenden Rechte der Drei Mächte u. U. sehr weitgehende Dienstverpflichtungen (einschließlich des A u f baues eines Arbeitsdienstes) angeordnet werden könnten, ohne daß ein wirksamer Rechtsschutz oder andere wirksame Abhilfemöglichkeiten bestünden 15 . Nur zwei Wochen nach dem 7. Ordentlichen Bundeskongreß des DGB i n Berlin fand vom 1. - 5. Juni 1966 i n Dortmund ein ordentlicher Parteitag der SPD, die i m Bundestag die Opposition bildete, statt. I m Gegensatz zu der ablehnenden Entschließung des DGB-Bundeskongresses bejahte der SPD-Parteitag die Notwendigkeit einer verfassungsändernden Notstandsgesetzgebung und bestätigte die dazu gefaßten früheren Parteitagsbeschlüsse 16 . Der Fragenkreis „Streikrecht, Gewerkschaften und Dienstverpflichtung" wurde i n den insgesamt sehr breiten Notstandsdebatten des Parteitags nur gestreift: Die Bundestagsabg. Erler und Schmitt-Vockenhausen betonten, es sei — schon i m Interesse der Versorgung der Bevölkerung — erforderlich, für bestimmte Bereiche und Tätigkeiten Dienstverpflichtungen zu ermöglichen 17 . Ein Delegierter erklärte, i n der Frage der Arbeitskämpfe, insbesondere i m Verhältnis zwischen Arbeitskampffreiheit und Dienstverpflichtungen, sei eine befriedigende Lösung bislang noch nicht erkennbar 1 8 . Der Bundestagsabg. Gerhard Jahn, einer der Notstandsexperten seiner Fraktion, wies darauf hin, daß i n der Frage, ob A r t . 9 Abs. 3 GG das Streikrecht verbürge, sehr unterschiedliche Auffassungen vertreten würden. Es müsse geprüft werden, ob SPD und Gewerkschaften nicht versuchen sollten, i m Rahmen 12 Ebd., S. 42. Weber bezog sich dabei auf seine Schrift „Koalitionsfreiheit und Tarifautonomie als Verfassungsproblem", 1965. 13 Siehe oben I. Abschnitt, Fußn. 66 u n d 142. 14 W. Weber, i n : Material zur Notstandsfrage, S. 42 f. 15 Ebd., S. 81 f. 16 Entschließung „Notstandsrecht", SPD-Parteitag D o r t m u n d 1966, Protokoll, S. 989, 762. Die Entschließung ist auch abgedruckt i n : F. Schäfer, N o t standsgesetze, S. 153. 17 SPD-Parteitag 1966, Dortmund, Protokoll, S. 424,429. 18 Ebd., S. 383 (Beer).
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1. Teil: Entstehung des A r t . 9 I I I 3 GG
d e r N o t s t a n d s d i s k u s s i o n eine e i n d e u t i g e S i c h e r u n g des S t r e i k r e c h t s d u r c h zusetzen 1 9 . D i e A r b e i t s k a m p f s c h u t z k l a u s e l , d i e d e r Rechtsausschuß i n d e r v e r g a n g e n e n L e g i s l a t u r p e r i o d e vorgeschlagen habe, b e d e u t e e i n e n e r s t e n S c h r i t t z u r A n e r k e n n u n g des S t r e i k r e c h t s , jedoch k ö n n e die S P D d e r g e f u n d e n e n F o r m u l i e r u n g n i c h t z u s t i m m e n , „ w e i l sie j e d e r m i ß b r ä u c h l i c h e n A u s l e g u n g gegen die G e w e r k s c h a f t e n z u g ä n g l i c h i s t " 2 0 . B i s z u m B r u c h d e r aus C D U / C S U u n d F D P bestehenden R e g i e r u n g s k o a l i t i o n i m N o v e m b e r 1966 h a t t e B u n d e s m i n i s t e r L ü c k e k e i n e n n e u e n Regierungsentwurf vorgelegt. Nach dem Zustandekommen der Großen K o a l i t i o n zwischen C D U / C S U u n d S P D u n d N e u b i l d u n g der Bundesr e g i e r u n g i m D e z e m b e r 1969 t r a t e n d i e B e m ü h u n g e n u m die N o t s t a n d s v e r f a s s u n g i n e i n neues S t a d i u m 2 1 . D i e S P D , n u n m e h r R e g i e r u n g s p a r t e i g e w o r d e n , g i n g zunächst d a r a n , i h r e V o r s t e l l u n g i n e i n e m eigenen E n t w u r f niederzulegen, über den d a n n m i t der C D U / C S U u n d Bundesinnenm i n i s t e r L ü c k e v e r h a n d e l t w e r d e n sollte. A u f d e r G r u n d l a g e v o n V o r arbeiten, die der H a m b u r g e r Innensenator R u h n a u Ende 1966/Anfang 1967 i n seiner B e h ö r d e h a t t e a n s t e l l e n lassen, beschäftigte sich i m J a n u a r u n d F e b r u a r 1967 e i n S P D - i n t e r n e s E x p e r t e n g r e m i u m 2 2 m i t d e r E r a r b e i t u n g eines E n t w u r f s . D a b e i s p i e l t e die Frage, w i e d i e Rechte d e r A r b e i t 19 Ebd., S. 416. Jahn hatte diese Auffassung schon früher innerhalb der SPDBundestagsfraktion u n d i n den Beratungen m i t der CDU/CSU vertreten. Jahns Forderung stand i n diametralem Gegensatz zur Auffassung des CDU/CSUExperten Benda, der sich m i t Nachdruck gegen den Versuch wandte, die v e r fassungsrechtlich umstrittene Frage nach Umfang u n d Grenzen des Streikrechts „auf dem U m w e g über die Notstandsverfassung" abschließend zu erledigen; Benda, Notstandsverfassung u n d Arbeitskampf, S. 8, 30 f. S. auch oben I. Abschnitt, Fußn. 162 sowie 192. Sitzung des 4. B T v. 24. 6. 1965, Sten. Ber. S. 9699 (A, B). 20 Jahn spielte damit auf die v o n der SPD abgelehnte Beschränkung der Schutzklausel auf Arbeitskämpfe „ z u r Förderung u n d Wahrung der Arbeitsu n d Wirtschaftsbedingungen" an. Vgl. oben I. Abschnitt, T e x t zu Fußn. 157 u n d 188. 21 Entgegen einer weitverbreiteten andersartigen Meinung w a r die N o t standsverfassung nicht Gegenstand einer Koalitionsvereinbarung zwischen CDU/CSU u n d SPD. Daß diese Frage bei Zustandekommen der Großen K o a l i t i o n keine Rolle spielte, mag daran gelegen haben, daß die gegenseitigen Standpunkte, insbesondere die Bedingungen der SPD, seit langem bekannt waren u n d Anfang 1966 i n der Zwölfer-Kommission (s. Fußn. 2) bereits eingehend erörtert worden waren. F ü r den Versuch, Gesetzesformulierungen zu finden, die den beiderseitigen Positionen Rechnung trugen, waren die Verhandlungen über die B i l d u n g einer neuen K o a l i t i o n ersichtlich nicht der rechte Ort. Vgl. auch Soell, PVS 1969, S. 613 f. 22 I h m gehörten u. a. die Bundestagsabg. Gscheidle, Hirsch, Jahn, Helmut Schmidt u n d Schmitt-Vockenhausen an, ferner der damalige StS i m Bundesjustizministerium Prof. Dr. Ehmke, der Hamburger Innensenator Ruhnau sowie einige prominente Gewerkschafter. Die Sekretariatsarbeiten lagen i n der H a n d des damaligen Leiters des Verfassungsreferats der Hamburger Innenbehörde (und späteren SPD-Bundestagsabg.) Dr. Claus Arndt, der auch schon f ü r die Vorarbeiten verantwortlich zeichnete. Vgl. Claus Arndt, Die V e r w a l t u n g 2 (1969), S. 272 f.
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nehmer und der Gewerkschaften, vor allem das Streikrecht, gesichert werden könnten, wiederum eine zentrale Rolle. Der noch i m Februar 1967 fertiggestellte SPD-interne Entwurf verzichtete nicht nur auf jede Einschränkung des A r t . 9 Abs. 3 GG, sondern — insoweit über die Entwürfe der 4. Legislaturperiode hinausgehend — auch auf eine Erweiterung der Verbotsnorm des A r t . 9 Abs. 2 GG. Die Arbeitskampfschutzklausel des Benda-Entwurfs (Art. 91 Abs. 6) wurde — ungeachtet der früher von der SPD daran geübten K r i t i k — unverändert i n die SPD-internen Formulierungen übernommen. Dienstverpflichtungen sollten nur für Wehrpflichtige zulässig sein und außerdem auf den Bereich der Streitkräfte, der öffentlichen Verwaltung und der öffentlichen Versorgungsbetriebe beschränkt bleiben; eine Verpflichtung zu Dienstleistungen i m Bereich der privaten Wirtschaft sollte — und das bedeutete eine wichtige Einschränkung — nach A r t . 12 Abs. 2 Satz 2 des SPD-internen Entwurfs ausgeschlossen sein 23 . Die Beschränkung der Dienstverpflichtungsmöglichkeit auf Wehrpflichtige erfolgte vor allem angesichts des Widerstandes der Gewerkschaften gegen jede A r t von Dienstverpflichtungen. Sachlich bedeutete die Beschränkung auf Wehrpflichtige nicht mehr, als daß Männer unter 18 Jahren sowie Frauen nicht zu Dienstleistungen herangezogen werden konnten; i m übrigen blieben alle Männer erfaßbar, so daß keine wesentliche Beschränkung des Personenkreises eintrat. Wenn trotzdem auf die Wehrpflicht abgestellt wurde, so i n erster Linie deshalb, w e i l — gerade gegenüber den Gegnern jeder Möglichkeit der Dienstverpflichtung — deutlich gemacht werden sollte, daß Männer über 18 Jahren ohnehin bereits nach geltendem Verfassungsrecht via Wehrdienst jederzeit herangezogen werden konnten, die verfassungsrechtlich neue Möglichkeit der Dienstverpflichtung also jedenfalls hinsichtlich der Erfaßbarkeit nichts Neues bringen würde 2 4 . Den Kritikern, die i n der Dienstverpflichtung eine aktuelle Gefahr für die Rechte der Arbeitnehmer und der Gewerkschaften, insbesondere für das Streikrecht, sahen, sollte vor Augen geführt werden, daß die von ihnen beschworenen Gefahren und Mißbrauchsmöglichkeiten auch schon nach geltendem Verfassungsrecht bestanden: Eine mißbräuchlich handelnde Bundesregierung werde, so wurde den K r i t i k e r n entgegengehalten, schon 23 Der SPD-Bundestagsabg. u n d Vors. des I A Schmitt-Vockenhausen hatte bereits i m A p r i l 1966 i n einer Stellungnahme zur Denkschrift des Bundesministeriums des I n n e r n erklärt, es bedürfe keiner Dienstpflicht f ü r den Bereich der privaten Wirtschaft; soweit i n diesem Bereich Betriebe i m I n t e r esse der Versorgung der Bevölkerung aufrecht erhalten bleiben müßten, seien andere Wege zu suchen; Pressemitteilung der SPD-Bundestagsfraktion Nr. 168/66 v. 28. 4.1966. 24 Vgl. etwa das I n t e r v i e w des damaligen SPD-Fraktionsvors. Helmut Schmidt i m D G B - O r g a n „ W e l t der A r b e i t " Nr. 8/67 v o m 24. 2. 1967; veröffentlicht auch i n : Pressemitteilung der SPD-Bundestagsfraktion Nr. 87/67 v o m 21. 2.1967.
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1. Teil: Entstehung des A r t . 9 I I I 3 GG
nach geltendem Verfassungsrecht durch keine Vorschrift daran gehindert, unter dem Etikett „Heranziehung zum Wehrdienst" streikende A r beitnehmer oder wichtige Gewerkschaftsfunktionäre einzuziehen und sie als Soldaten zu Arbeitsleistungen u. U. auch i n Betriebe „abzukommandieren". Nach vorausgegangenen Verhandlungen zwischen den Vorsitzenden und Experten der beiden Koalitionsfraktionen (CDU/CSU und SPD) sowie Bundesinnenminister Lücke verabschiedete das Bundeskabinett am 10. 3. 1967 einen neuen Regierungsentwurf („Koalitions-Entwurf") 2 5 . Dieser dritte Regierungsentwurf einer Notstandsverfassung 26 verzichtete auf jede Einschränkung des A r t . 9 GG; weder war für A r t . 9 Abs. 3 GG eine Einschränkungsmöglichkeit vorgesehen, noch sollte — und dies war gegenüber den Entwürfen der 4. Legislaturperiode neu — die i n A r t . 9 Abs. 1 GG garantierte (positive und negative) Vereinigungsfreiheit i n irgend einer Weise einschränkbar gemacht, noch die Verbotsnorm des A r t . 9 Abs. 2 GG erweitert werden. A r t . 91 Abs. 4 des Regierungsentwurfs enthielt die i n der 4. Legislaturperiode vom Rechtsausschuß vorgeschlagene Schutzklausel 27 . I n der Begründung des Regierungsentwurfs wurde ausgeführt, daß es i m übrigen bei der geltenden Verfassungsrechtslage verbleibe, die „nach Auffassung der Bundesregierung i n A r t . 9 Abs. 3 GG grundsätzlich die Freiheit des Arbeitskampfes zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und W i r t schaftsbedingungen mitgewährleistet". M i t Rücksicht darauf, daß i m arbeitsrechtlichen Schrifttum der Inhalt des Begriffs „Arbeitskampf" umstritten sei, solle durch den Zusatz „die zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen von Vereinigungen i m Sinne des A r t . 9 Abs. 3 geführt werden" klargestellt werden, daß sich die Schutzklausel nur auf den arbeitsrechtlichen Arbeitskampf, nicht auf den Arbeitskampf zur Durchsetzung politischer Ziele beziehe. Damit werde jedoch die Frage, ob und i n welchen Grenzen der politische Streik rechtlichen Schutz genießt oder unzulässig ist, nicht entschieden 28 . I n der Frage der Dienstverpflichtung hatte sich die SPD m i t ihren Vorstellungen 29 nur teilweise durchsetzen können: Zwar beschränkte der vorgeschlagene neue Satz 2 des A r t . 12 Abs. 2 die Heranziehung zu zivilen Dienstleistungen auf Wehrpflichtige, jedoch sollten derartige Dienstver25 Vgl. BullBReg. Nr. 24 v. 7. 3. 1967, S. 190 u n d Nr. 26 v. 14. 3. 1967, S. 209 f. (mit einer kurzen Darstellung des Entwurfs). 26 „ E n t w u r f eines Gesetzes zur Ergänzung des Grundgesetzes", BR-Drs. 162/67 u n d BT-Drs. V/1879. 27 s. oben I. Abschnitt, Fußn. 152 und den T e x t dazu. 28 BT-Drs. V/1879, S. 24. Es folgte noch ein Hinweis auf das Widerstandsrecht u n d auf BVerfGE 5, 86. 29 Vgl. Fußn. 23 u n d den T e x t dazu.
I I . Abschn.: Entstehungs- u n d Textgeschichte
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pflichtungen nicht nur i m Bereich der öffentlichen Verwaltung, der Streitkräfte und der öffentlichen Versorgungsbetriebe (so der SPD-Vorschlag) möglich sein, sondern i m gesamten Bereich der Versorgung der Bevölkerung und der Streitkräfte 3 0 . Damit waren Dienstverpflichtungen i m Bereich der privaten Wirtschaft (bei privaten Arbeitgebern) nicht ausgeschlossen, einer der bisherigen Hauptangriffspunkte vieler gewerkschaftlicher und sonstiger Kritiker, die i n der Dienstverpflichtung ein gegen Streiks gerichtetes Instrument sahen, nicht ausgeräumt. I n der Begründung zum Regierungsentwurf wurde dazu u. a. ausgeführt, die abschließende Aufzählung von Sachbereichen, i n denen Dienstverpflichtungen zulässig seien, stelle sicher, daß Dienstverpflichtungen nicht zu einer bei Störungen des normalen Wirtschaftsablaufs zweckmäßig erscheinenden Lenkung des Arbeitskräfteeinsatzes benutzt würden 3 1 . Grundsätzlich seien die Dienstleistungen i n einem privatrechtlichen Dienst- oder A r beitsverhältnis zu erbringen, „das sich nicht von einem normalen Arbeitsverhältnis unterscheidet, abgesehen davon, daß es nicht durch übereinstimmende Willenserklärungen der Vertragspartner, sondern durch staatlichen Hoheitsakt begründet w i r d " 3 1 . Neu war auch die i n A r t . 12 Abs. 3 des Regierungsentwurfs vorgesehene Ermächtigung, i n bestimmten Bereichen das Aufgeben des innegehabten Arbeitsplatzes oder des ausgeübten Berufs zu untersagen 32 . M i t dieser Bestimmung sollte es ermöglicht werden, bestimmte Personen (keineswegs nur Wehrpflichtige) an ihren Arbeitplätzen oder i n ihren Berufen festzuhalten. Abgesehen vom Verbot der Kündigung sollten weder Inhalt noch Rechtsnatur des jeweiligen Dienst- oder Arbeitsverhältnisses berührt werden. M i t diesem i m Verhältnis zur Dienstverpflichtung — der zwangsweisen Heranziehung zu einer bisher nicht ausgeübten Tätigkeit — milderen M i t t e l hoffte die Bundesregierung, sowohl das Funktionieren bestimmter lebens- und verteidigungswichtiger Tätigkeiten i n Notsituationen zu sichern, als auch die m i t der Dienstverpflichtung verbundenen Schwierigkeiten (Widerstand der Gewerkschaften!) zu vermeiden. 30
Der vorgeschlagene A r t . 12 Abs. 2 Satz 2 lautete: „ F ü r Zwecke der Verteidigung ist durch Gesetz oder auf G r u n d eines Gesetzes f ü r Wehrpflichtige auch eine darüber hinausgehende Verpflichtung zu zivilen Dienstleistungen außerhalb des Wehrdienstes i m Bereich der öffentlichen Verwaltung, der Streitkräfte sowie der Versorgung der Bevölkerung u n d der Streitkräfte, ferner zu Dienstleistungen i m Bundesgrenzschutz zulässig." BT-Drs. V/1879, S. 2. 31 BT-Drs. V/1879, S. 19. 32 Der vorgeschlagene A r t . 12 Abs. 3 lautete: „ F ü r Zwecke der Verteidigung k a n n i m Bereich der öffentlichen Verwaltung, der Streitkräfte u n d der Versorgung der Bevölkerung u n d der Streitkräfte durch Gesetz oder auf G r u n d eines Gesetzes die Freiheit, die Ausübung des Berufs oder den Arbeitsplatz aufzugeben, eingeschränkt werden, w e n n die Bundesregierung m i t Zustimmung des Gemeinsamen Ausschusses feststellt, daß dies zur Herstellung der erhöhten Verteidigungsbereitschaft oder zum Schutz der Zivilbevölkerung unerläßlich i s t . . . " BT-Drs. V/1879, S. 2. 5 Glückert
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1. Teil: Entstehung des A r t . 9 I I I 3 GG
Während die SPD den Koalitionsentwurf begrüßte 33 , und insbesondere die Rechte der Arbeitnehmer und der Gewerkschaften i n ausreichendem Maße als gesichert ansah 34 , setzte i m außerparlamentarischen Raum schon bald scharfe K r i t i k ein 3 5 . Das Frankfurter Kuratorium „Notstand der Demokratie", dem neben Professoren — unter ihnen der Gießener Staatsrechtslehrer Ridder —, Schriftstellern und sonstigen Persönlichkeiten auch zahlreiche Gewerkschafter angehörten, bezeichnete i n einer ersten Stellungnahme vom 3. 4.1967 die neue Vorlage „ungeachtet einiger oberflächlicher Korrekturen i m K e r n unverändert demokratiewidrig" 3 8 . Besonders scharf kritisierte das Kuratorium die vorgesehene Ermächtigung zu Dienstverpflichtungen i n A r t . 12 Abs. 2 Satz 2; es sei eine „Verhöhnung der arbeitenden Bevölkerung", wenn man angesichts des völlig unzureichenden A r t . 91 Abs. 4 (der Arbeitskampfschutzklausel) und der vorgesehenen Dienstverpflichtungsmöglichkeit von einem Schutz des Streikrechts spreche 37 . A m 6. 4. 1&67 leitete die Bundesregierung den Regierungsentwurf dem Bundesrat zu, der sich am 28. 4. 1967 i m ersten Durchgang m i t der Vorlage befaßte 38 . I n der Debatte begrüßte der Hessische Minister für Justiz und Bundesangelegenheiten, Dr. Strelitz, die i n A r t . 91 Abs. 4 des Entwurfs vorgesehene Regelung; durch sie werde ausdrücklich klargestellt, daß gegen Arbeitskämpfe, die zur Wahrung und Förderung der Arbeitsund Wirtschaftbedigungen von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden geführt werden, nicht m i t Hilfe der Exekutivbefugnisse für den Zustand der inneren Gefahr eingeschritten werden könne 3 9 . Die Hessische Landesregierung sehe i n dieser Regelung eine grundsätzliche Anerkennung des Streikrechts. Allerdings sei es m i t der Bedeutung des Streikrechts für die freiheitliche Ordnung nicht vereinbar, dieses „wesentliche kollektive Grundrecht gewissermaßen nur durch die Hintertür i n die Verfassung hereinzulassen und beim Notstand zu erörtern" 3 9 . Die Regelung des Streikrechts solle i n A r t . 9 GG erfolgen. Darüber hinaus gebe die Hessische Landesregierung zu erwägen, zugleich auch die grundsätzliche Zulässigkeit des politischen Streiks, soweit er zur Wahrung und Sicherung des Bestandes der freiheitlichen demokratischen Grundordnung des 88 Entschließung v o n Parteivorstand, Parteirat u n d Kontrollkommission der SPD v. 17. 3. 1967, abgedruckt i n : Tatsachen u n d Argumente Nr. 228/67, hrsg. v o m Vorstand der SPD, 1967, S. 10. 34 Vgl. Tatsachen-Argumente Nr. 228/67, S. 6 ff.; Pressemitteilung des Parteivorstandes der SPD Nr. 94/67 v. 17. 3.1967. 85 Vgl. etwa T. Schiller, Blätter 1967, S. 326 ff., 334; Hannover, Blätter 1967, S. 335 ff. 38 Abgedruckt i n : Blätter 1967, S. 422. 37 Ebd., S. 421. 88 308. Sitzg. des BR. 39 308. Sitzg. des BR v. 28. 4.1967, Sten. Ber. S. 58 (D), 59 (A).
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Bundes und der Länder erforderlich ist, also den politischen Streik als Ausdruck des Widerstandsrechts, ausdrücklich i n der Verfassung zu regeln 4 0 . Ohne förmlichen Antrag stellte Strelitz für die weiteren Beratungen folgenden neuen Absatz für A r t . 9 GG zur Diskussion: „Das Streikrecht w i r d f ü r Vereinigungen i m Sinne des Absatzes 3 anerkannt; dies gilt auch f ü r den Streik, der der Aufrechterhaltung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung d i e n t 4 1 . "
Während der Bundesrat zur Arbeitskampfschutzklausel des A r t . 91 Abs. 4 des Regierungsentwurfs keinerlei Änderungen beschloß — es waren zu dieser Frage auch keine Anträge gestellt worden —, wurden zu den i n A r t . 12 Abs. 2 und 3 vorgesehenen Maßnahmen zur Arbeitskräftelenkung (Dienstverpflichtung, Festhalten i m Beruf oder am A r beitsplatz) mehrere Änderungsvorschläge der Bundesratsausschüsse angenommen 42 . Die Vorschläge waren i m wesentlichen redaktioneller A r t und betrafen das Verhältnis zwischen Streiks und Dienstverpflichtungen nicht, so daß auf sie hier nicht näher einzugehen ist. I m außerparlamentarischen Bereich formierte und verstärkte sich inzwischen die K r i t i k an der Vorlage der Großen Koalition. Die aus dem DGB und den Einzelgewerkschaften kommende K r i t i k war — wie schon immer seit 196243 — vor allem gegen die vorgesehene Ermächtigung zu Dienstverpflichtungen (Art. 12 Abs. 2 Satz 2) gerichtet: Dienstverpflichtungen sowie das Festhalten am Arbeitsplatz (Art. 12 Abs. 3) stellten eine Gefährdung oder gar Beseitigung des Koalitions- und Streikrechts dar, woran auch die i n A r t . 91 Abs. 4 vorgesehene Arbeitskampfklausel, die nur für den inneren Notstand gelte, nichts ändere 44 . A n A r t . 91 Abs. 4 des Regierungsentwurfs wurde ferner kritisiert, daß er nicht jede kollektive Arbeitsniederlegung, sondern nur den „rechtmäßigen" oder 40
Ebd., S. 59 (A). Ebd., S. 59 (B). 42 Ebd., S. 62 (Ziff. 4 - 6 ) ; die Änderungsvorschläge sind abgedruckt als Stellungnahme des BR i n BT-Drs. V/1879, S. 32 f. 43 Vgl. oben I. Abschnitt, Fußn. 122 u n d Text dazu, Fußn. 166, 174, 176 sowie I I . Abschnitt, Fußn. 9 u n d Text dazu. 44 Vgl. etwa den A r t i k e l von Dr. Fritz Opel, einem der Notstandsexperten der I G Metall, i n : Welt der A r b e i t Nr. 17 v. 28. 4. 1968; I n t e r v i e w m i t Alois Wöhrle, 2. Vors. der I G Metall, i n : N R Z v. 22. 6. 1967. Besonders scharf, w e n n auch nicht immer zutreffend „Notstandsentwurf '67", hrsg. v. Vorstand der I G Metall, S. 19 (Juli 1967): „Durch die Möglichkeit der Dienstverpflichtung w i r d das Streikrecht praktisch beseitigt, denn es ist jederzeit möglich, Streikende . . . durch Dienstverpflichtung zur A r b e i t zu zwingen." S. 20: „Danach ist die den Gewerkschaften als Lockmittel hingehaltene Garantie des »Arbeitskampfes' (also nicht bloß des Streikrechts!) i n A r t . 91 Abs. 4 der neuen Vorlage bedeutungslos . . . Der neue A r t . 12 k a n n so gehandhabt werden, daß sich der f ü r Streiks verbliebene Raum beliebig verkleinern läßt." (Klammerzusatz i m Original). — Ä h n l i c h auch eine Entschließung des DGB-Bundesvorstandes v. 26. 6.1967, DGB-Nachrichtendienst Nr. 166/67 v. 26. 6.1967. 41
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1. Teil: Entstehung des A r t . 9 I I I 3 GG
„ l e g i t i m e n " S t r e i k schütze 4 5 , daß er die a b z u l e h n e n d e L e h r e v o m soziala d ä q u a t e n S t r e i k z e m e n t i e r e 4 6 , daß er die a b z u l e h n e n d e A u f a s s u n g , w o nach das S t r e i k r e c h t k e i n v o m K o a l i t i o n s r e c h t des A r t . 9 A b s . 3 G G m i t g a r a n t i e r t e s Recht sei, s t ä r k e 4 7 u n d daß er die „ w i l d e n " , n i c h t v o n Gew e r k s c h a f t e n ausgerufenen S t r e i k s n i c h t u m f a s s e 4 8 . D e r m i t der A r b e i t s k a m p f schutzklausel des A r t . 91 A b s . 4 angestrebte Z w e c k k ö n n e n u r d u r c h eine ausdrückliche A n e r k e n n u n g des S t r e i k r e c h t s „ i n A r t . 9 G G als verfassungsmäßiges R e c h t " e r r e i c h t w e r d e n 4 9 . D i e a u ß e r p a r l a m e n t a r i s c h e K r i t i k a m R e g i e r u n g s e n t w u r f der G r o ß e n K o a l i t i o n b l i e b b e i der o p p o s i t i o n e l l e n F D P u n d b e i d e r s o z i a l d e m o k r a tischen B u n d e s t a g s f r a k t i o n n i c h t ohne R e s o n a n z 5 0 . U n t e r d e n z a h l r e i c h e n V o r b e h a l t e n u n d B e d e n k e n , d i e v o n der p a r l a m e n t a r i s c h e n O p p o s i t i o n gegen d e n K o a l i t i o n s e n t w u r f a n g e m e l d e t w u r d e n , b e f a n d e n sich a l l e r dings k e i n e Ä u ß e r u n g e n z u m F r a g e n k r e i s „ A r b e i t s k a m p f u n d N o t s t a n d s v e r f a s s u n g " 5 1 ; i n diesem speziellen B e r e i c h h a t t e die F D P o f f e n b a r k e i n e g r u n d s ä t z l i c h andere A u f f a s s u n g als die B u n d e s r e g i e r u n g . 45 Notstandsentwurf '67, hrsg. v o m Vorstand der I G Metall, S. 32. Unzutreffend die Behauptung auf S. 21, die amtliche Begründung des Entwurfs sage selbst, „daß der Arbeitskampf zur Durchsetzung politischer Ziele i n keinem F a l l geschützt werden soll". Die Begründung zum RegE stellte ganz i m Gegent e i l fest, daß „die Frage, ob u n d i n welchen Grenzen der politische Streik rechtlichen Schutz genießt oder unzulässig ist, nicht entschieden" werde; zudem wies die Begründung auf das Widerstandsrecht hin, BT-Drs. V/1879, S. 24. Vgl. Fußn. 28 u n d den T e x t dazu. 46 Notstandsentwurf '67, S. 34. 47 Ebd., S. 33. Dieser V o r w u r f wurde auf den keineswegs zwingenden Schluß gestützt, einer Sonderregelung f ü r den Arbeitskampf, w i e sie i n A r t . 91 Abs. 4 vorgesehen sei, könne es „ n u r dann bedürfen, wenn der Arbeitskampf nicht bereits ein allgemein verfassungsmäßig gewährleistetes Recht ist". Daß auch ein allgemein gewährleistetes Recht Grenzen haben u n d die klarstellende Regelung möglicher „Grenzkonflikte" — nichts anderes enthielt A r t . 91 Abs. 4 — auch bei allgemein garantierten Rechten sinnvoll sein kann, wurde bei dieser Argumentation übersehen. 48 Notstandsentwurf '67, S. 34. 49 Ebd., S. 33 f. Die I G M e t a l l berief sich dabei auf Äußerungen des SPDNotstandsexperten Dr. F. Schäfer, der — ähnlich w i e der Abg. Jahn u n d andere SPD-Experten — i n früheren Beratungen f ü r eine ausdrückliche Anerkennung des Streikrechts i n A r t . 9 GG eingetreten w a r ; vgl. oben I. Abschnitt, Fußn. 158 u n d I I . Abschnitt, Fußn. 19. 50 Aus der CDU/CSU-Fraktion w u r d e keine spezifizierte K r i t i k laut, w e n n es auch Stimmen gab, die v o r einer „verwässerten" Notstandsregelung warnten. 51 Die Erklärung i m Aktionsprogramm der F D P (verabschiedet v o m 18. B u n desparteitag der F D P am 5. 4. 1967 i n Hannover), m a n kämpfe „gegen die ungerechtfertigte Einschränkung der Grundrechte i m Rahmen der Notstands gesetzgebung", k a n n w o h l nicht als Stellungnahme zur Frage des Verhältnisses zwischen Arbeitskampf u n d Notstandsverfassung angesehen werden, wenngleich damit sicherlich auch die vorgesehenen Änderungen des A r t . 12 GG (Dienstverpflichtung, Festhalten i m Beruf oder am Arbeitsplatz) angesprochen werden sollten. Weitergehend Allerbeck i m FDP-Organ „ L i b e r a l " 1967, S. 351, der allerdings unzutreffend unterstellte, ein Arbeitsplatzwechselverbot
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Umso größer war die Diskussion, die — wohl i n erster Linie unter dem Einfluß der gewerkschaftlichen K r i t i k — i n der SPD und i n der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion über die Frage geführt wurde, ob die i m Koalitionsentwurf vorgesehenen Regelungen eine ausreichende Sicherung der Rechte der Arbeitnehmer und der Gewerkschaften, insbesondere des Streikrechts, darstellten. I n den die erste Lesung vorbereitenden Beratungen der SPD-Fraktion und ihrer zuständigen Arbeitsgremien (Arbeitskreise „Rechtswesen" und „Innenpolitik" sowie Fraktionsvorstand) wurde — i n Wiederanknüpfung an schon früher vertretene Auffassungen 52 — vor allem die i n Art. 91 Abs. 4 des Koalitionsentwurfs vorgesehene Arbeitskampfschutzklausel kritisiert: Der Begriff „Arbeitskämpfe" sei zu eng definiert und überdies sei die Angliederung der Vorschrift an Art. 91 GG nicht akzeptabel, w e i l damit die Schlußfolgerung nahegelegt werde, Streiks seien grundsätzlich doch eine Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung; der systematisch richtige Ort für eine Arbeitskampfschutzklausel sei A r t . 9 GG, wobei eine ausdrückliche A n erkennung des Streikrechts — etwa i n der von Hessen i m Bundesrat angeregten Form 5 3 — erstrebenswert sei. Auch die i n A r t . 12 vorgesehenen Arbeitskräftelenkungsmaßnahmen stießen innerhalb der SPD-Fraktion auf erhebliche K r i t i k . Zwar wurde — entsprechend der bisherigen Haltung der SPD und i m Unterschied zu den gewerkschaftlichen Stellungnahmen — die Notwendigkeit der Ermächtigung zu Dienstverpflichtungen weitgehend bejaht, jedoch seien die A r t . 12 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 enthaltenen sachlichen, zeitlichen und verfahrensmäßigen Voraussetzungen völlig unzureichend. Vor allem wurde an A r t . 12 Abs. 2 Satz 2 — auch dies i n Anknüpfung an früher vertretene Auffassungen — beanstandet, daß der Text der Verfassungsbestimmung selbst nichts über die Natur der durch Dienstverpflichtung begründeten Rechtsverhältnisse aussage. Parallel zu den die erste Lesung vorbereitenden Beratungen der zuständigen Arbeitskreise der SPD-Fraktion arbeiteten die vier SPDBundestagsabg. Gscheidle, Kaffka, Lenders und Matthöfer 5 4 für die fraktionsinterne Diskussion Änderungsvorschläge zum Regierungsentgemäß A r t . 12 Abs. 3 RegE beseitige die Möglichkeit des Streiks und der von daher den Beschluß des FDP-Bundesparteitags (wohl zu Unrecht) auch auf das Streikrecht bezog. 52 Vgl. oben I. Abschnitt, Fußn. 157,158,188 u n d den Text dazu. 53 Vgl. Fußn. 41 u n d den T e x t dazu. 54 Obwohl 3 der 4 Abgeordneten höhere Gewerkschaftsfunktionäre waren (Gscheidle w a r 2. Vors. der Deutschen Postgewerkschaft, Lenders Vors. des DGB-Bezirks Düsseldorf u n d Matthöfer Leiter der Abt. B i l d u n g i n der I G Metall), w u r d e n die Änderungsvorschläge aus eigener Initiative, nicht etwa i m A u f t r a g irgendeines gewerkschaftl. Vertretungsorgans erarbeitet. Die I n i t i a tive zur Ausarbeitung konkreter Änderungsvorschläge ging v o m Abg. Matthöfer aus.
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1. Teil: Entstehung des A r t . 9 I I I 3 GG
w u r f a u s 5 5 . D i e Ä n d e r u n g s v o r s c h l ä g e w u r d e n d e n M i t g l i e d e r n der S P D B u n d e s t a g s f r a k t i o n i n F o r m a u s f o r m u l i e r t e r A n t r ä g e a m 26. 6.1967, d r e i Tage v o r d e r ersten L e s u n g , v o r g e l e g t 5 6 . I m Ä n d e r u n g s a n t r a g Z i f f . 1 w u r d e vorgeschlagen, anstelle der A r b e i t s k a m p f s c h u t z k l a u s e l des A r t . 91 A b s . 4 des R e g i e r u n g s e n t w u r f s f o l g e n d e n n e u e n A b s a t z 4 a n A r t . 9 G G anzufügen: „Das Streikrecht w i r d f ü r Vereinigungen i m Sinne des Absatzes 3 anerkannt; dies g i l t auch f ü r den Streik, der der Aufrechterhaltung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung dient. I n die von Vereinigungen i m Sinne des Absatzes 3 geführten Arbeitskämpfe darf nicht durch Maßnahmen nach A r t . 12 Abs. 2 u n d 3 u n d A r t . 91 eingegriffen werden." D i e diesem Ä n d e r u n g s v o r s c h l a g beigegebene B e g r ü n d u n g w i e d e r h o l t e w e i t g e h e n d A r g u m e n t e , die b e r e i t s i n der 4. L e g i s l a t u r p e r i o d e v o n der S P D (damals als O p p o s i t i o n ) v o r g e t r a g e n w o r d e n w a r e n : „Die i n A r t . 91 Abs. 4 des Entwurfs der Bundesregierung vorgesehene K l a u sel f ü h r t zu einer Unterscheidung zwischen Arbeitskämpfen, die zur Wahrung u n d Förderung der Arbeits- u n d Wirtschaftsbedingungen geführt werden, und sonstigen Streiks; sie würde damit die Rechtsgrundlage dafür liefern, daß die Bundeswehr gegen einen von den Gewerkschaften ausgerufenen politischen Verteidigungsstreik eingesetzt werden k a n n ; die i n A r t . 91 Abs. 4 vorgesehene Formulierung bedeutet auch eine verfassungsrechtliche Anerkennung der Aussperrung. Rechtssystematisch gehört die Anerkennung des Streikrechts, u m die es — w i e es heißt — i n A r t . 91 Abs. 4 gehen soll, zu A r t . 9. Die F o r m u lierung entspricht dem Vorschlag des Landes Hessen i m Bundesrat (308. Sitzung, 28. 4. 1967, S. 59). Gegen die i n A r t . 91 Abs. 4 vorgesehene Formulierung hat sich auch Friedrich Schäfer g e w a n d t . . . " 5 7 „Die Einfügung des Hinweises auf A r t . 12 Abs. 2 Satz 1 u n d Abs. 3 dient der Klarstellung. Wenn die Maßnahmen — w i e von der Regierung i m m e r wieder dargelegt — nicht zur Einschränkung des Streikrechts gedacht sind, dann ist nicht ersichtlich, w a r u m dies nicht ausdrücklich niedergelegt werden soll. Andernfalls werden aus der Nichterwähnung i m A r t . 12 (jetzt i n A r t . 91 Abs. 4) falsche Schlüsse gezogen." F ü r d e n F a l l d e r A b l e h n u n g des Vorschlags, a n A r t . 9 G G e i n e n n e u e n A b s a t z 4 anzufügen, s t e l l t e n die A b g . Gscheidle, K a f f k a , L e n d e r s u n d M a t t h ö f e r d e n H i l f s a n t r a g ( Z i f f . 7 d), d i e A r b e i t s k a m p f s c h u t z k l a u s e l i n A r t . 91 A b s . 4 des R e g i e r u n g s e n t w u r f s w i e f o l g t z u fassen: „Die Absätze 1 bis 2 sowie Artikel dung
12 Abs. 2 und 3 finden keine A n w e n -
55 Wesentliche Unterstützung leistete dabei der damalige Akad. Rat an der T H Darmstadt Dr. Jürgen Seifert, der m i t zahlreichen Publikationen zu Fragen der Notstandsverfassung hervorgetreten ist. 56 Die Änderungsanträge v. 26. 6. 1967 sind veröffentlicht in: Vorgänge 1967, S. 315 ff. u n d Blätter 1967, S. 786 ff. 57 Es folgten Hinweise auf frühere Äußerungen der SPD-Experten Dr. F. Schäfer (vgl. oben I. Abschnitt, Fußn. 158) u n d Jahn (vgl. oben I I . Abschnitt, Fußn. 20).
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Die Begründung dazu wiederholte, daß die Einfügung des Hinweises auf A r t . 12 Abs. 2 und 3 der Klarstellung diene; wenn diese Maßnahmen nicht zur Einschränkung des Streikrechts gedacht seien, sei nicht ersichtlich, warum dies nicht ausdrücklich i n der Arbeitskampfschutzklausel gesagt werde. Zu den i m Regierungsentwurf vorgesehenen Änderungen des A r t . 12 unterbreiteten die Abg. Gscheidle, Kaffka, Lenders und Matthöfer keine Änderungsvorschläge, die für das Verhältnis zwischen Streik und Dienstverpflichtung (bzw. Festhalten am Arbeitsplatz) von Belang gewesen wären 5 8 . Die zur fraktionsinternen Meinungsbildung vorgelegten Änderungsanträge der Abg. Gscheidle, Kaffka, Lenders und Matthöfer sowie die — sich teilweise damit deckenden — Vorbehalte und Änderungswünsche, die von den zuständigen Arbeitskreisen der SPD-Fraktion gegenüber der Regierungsvorlage angemeldet wurden, führten i n Fraktionsvorstand und Gesamtfraktion der SPD zu lebhaften Diskussionen 59 , i n denen es — neben Erörterungen i n der Sache — auch u m die Frage ging, ob die SPD-Fraktion i n der ersten Lesung öffentlich Vorbehalte und K r i t i k gegenüber einer Vorlage anmelden könne, die das Ergebnis eines mühsam erreichten Kompromisses m i t der CDU/CSU war und die das Kabinett der Großen Koalition m i t Zustimmung der sozialdemokratischen Bundesminister verabschiedet hatte. Die fraktionsinternen Diskussionen endeten — zur Überraschung vor allem des Koalitionspartners (CDU/CSU) — damit, daß die SPD-Fraktion am 27. 6. 1967 beschloß, der Regierungsentwurf sei i n den vorgeschlagenen Einzelregelungen nicht als bindend zu betrachten 60 . Der Abg. M a r t i n Hirsch 6 1 wurde beauftragt, i n der bevorstehenden ersten Beratung i m Plenum des Bundestages die abweichenden Vorstellungen, Bedenken und Änderungswünsche der SPDFraktion vorzutragen.
58 Eine ausdrückl. Aussage i m T e x t des A r t . 12 Abs. 2, daß durch Dienstverpflichtungen i n der Regel privatrechtliche Arbeitsverhältnisse begründet w e r den, w u r d e offenbar deshalb nicht f ü r nötig erachtet, w e i l der vorgeschlagene neue A r t . 9 Abs. 4 (bzw. der hilfsweise f ü r A r t . 91 Abs. 4 gemachte Vorschlag) es ausdrücklich untersagte, m i t Maßnahmen nach A r t . 12 Abs. 2 u n d 3 i n A r beitskämpfe einzugreifen. 59 V o n den 216 Abg. der SPD-Fraktion gaben 96 spontan dem Abg. Matthöfer ihre schriftl. Zustimmung zu den vorgelegten Alternativvorschlägen, o b w o h l Matthöfer weder darum ersuchte noch i n den fraktionsinternen Diskussionen jemals m i t irgendwelchen Zahlen operierte. 60 Vgl. den anschaulichen Bericht über die SPD-interne Behandlung des Koalitionsentwurfs bei M . Hirsch, i n : Hübner u. a. (Hrsg.), Der Bundestag v o n innen gesehen, S. 88 ff.; ferner: Dokumente zur parteipolitischen Entwicklung, hrsg. v. Flechtheim, Bd. 7, S. 415. 61 Hirsch w a r Stellv. Vors. der SPD-Fraktion u n d Vors. des innerhalb der F r a k t i o n federführenden Arbeitskreises Rechtswesen.
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1. Teil: Entstehung des A r t . 9 I I I 3 GG
A m 13. 6. 1967 brachte die Bundesregierung den Regierungsentwurf beim Bundestag ein, am 29. 6. 1967 fand die erste Beratung 6 2 statt. I n seiner Begründungsrede erklärte Bundesminister Lücke, Art. 9 Abs. 3 GG gewährleiste „ i m K e r n auch die Tarif autonomie und Streikfreiheit" 6 3 . Der Regierungsentwurf schlage weder vor, „die Streikfreiheit i m Zustand äußerer Gefahr ausdrücklich verfassungsrechtlich zu garantieren, noch hat er einen Vorschlag 64 aus der Beratung der Notstandsverfassung i m vergangenen Bundestag aufgegriffen, zu bestimmen, daß die Streikfreiheit während des Zustandes äußerer Gefahr suspendiert w i r d " 6 3 . Zu der aus dem Benda-Entwurf übernommenen Arbeitskampf schutzklausel (Art. 91 Abs. 4 des Koalitionsentwurfs) stellte der Minister fest 65 , die Bestimmung sei neuerdings von gegensätzlichen Standpunkten aus kritisiert worden. So sei behauptet worden — von wem, sagte Lücke nicht —, die Vorschrift gewährleiste den Gewerkschaften ein Recht zum bewaffneten Aufstand und zur Gefährdung der Freiheit und der Demokratie. Der Bundesinnenminister unternahm keinen Versuch, diese (durchaus abwegige) Behauptung juristisch zu widerlegen, beschränkte sich vielmehr auf das politische Argument, er weigere sich, den Gewerkschaften eine solche Einstellung zu unterstellen. Lücke erklärte, er würde keinen Entw u r f einer Notstandsverfassung vorlegen, der gegen die Gewerkschaften oder die Arbeitnehmerschaft gerichtet wäre 6 5 . Auf die verschiedentlich — insbesondere von gewerkschaftlicher Seite — geäußerte gegensätzliche K r i t i k , A r t . 91 Abs. 4 des Koalitionsentwurfs bedeute keine ausreichende Sicherung des Streikrechts 66 , ging der Bundesinnenminister nicht ein. I n der anschließenden Debatte griff der Abg. Dorn (FDP) als Sprecher der parlamentarischen Opposition den Regierungsentwurf scharf an. Unter Berufung auf frühere SPD-Entschließungen und auf Äußerungen von SPD-Politikern versuchte er, den Nachweis zu führen, daß der Entw u r f der Großen Koalition zahlreiche sozialdemokratische Forderungen nicht erfülle 6 7 . So sei die von SPD-Experten früher verlangte verfassungsrechtliche Garantie des Streikrechts i m Regierungsentwurf nicht vorgesehen; von dem, was die SPD gefordert habe, sei nichts mehr übrig geblieben, seit sie i n der Regierung sei 68 . Welche Auffassung seine eigene Fraktion i n der Frage „Streikrecht und Notstandsverfassung" vertrat, gab Dorn erst i m späteren Verlauf seiner Ausführungen zu erkennen — und dabei zeigte sich, daß zwischen der Haltung der oppositionellen 62 63 64 65 66 67 68
117. Sitzg. des 5. B T . 117. Sitzg. des 5. B T v. 29. 6.1967, Sten. Ber. S. 5860 (A). Der FDP, vgl. oben I. Abschnitt, T e x t zu Fußn. 105,186. 117. Sitzg. des 5. B T , Sten. Ber. S. 5861 (C). Vgl. Fußn. 44. 117. Sitzg. des 5. BT, Sten. Ber. S. 5866 ff. Ebd., S. 5867 (D), 5868 (B).
I I . Abschn.: Entstehungs- und Textgeschichte
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FDP-Fraktion und der SPD nach wie vor erhebliche Unterschiede bestanden, auch wenn die Rede des FDP-Sprechers zu einem guten Teil aus der Wiedergabe sozialdemokratischer Äußerungen bestand. Dorn wiederholte, was die FDP schon i n der vorherigen Legislaturperiode erklärt hatte: keine Einschränkung des Streikrechts für den inneren Notstand oder für die Spannungszeit; „aber w i r haben genauso deutlich gesagt — und dazu bekennen w i r uns auch heute —, daß für den Zustand des Verteidigungsfalles, für den Zeitpunkt der militärischen Auseinandersetzung das Streikrecht suspendiert werden sollte 69 . Für die CDU/CSU wies der Abg. Dr. Even nochmals darauf hin, daß der legale Streik weder i m inneren noch i m äußeren Notstand angetastet werden solle 70 . Unter den legalen Streik falle jedoch nicht der sogenannte wilde Streik. Was den politischen Streik betreffe, so müsse unterschieden werden: ein Streik, der nicht zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen von Vereinigungen i m Sinne des Art. 9 Abs. 3 GG geführt werde, sondern zur Nötigung des Parlaments oder anderer Staatsorgane, sei i m Rechtsstaat illegal 7 1 . Dagegen könne ein politischer Streik i m Rahmen des Widerstandsrechts gerechtfertigt sein 71 . Als Sprecher der sozialdemokratischen Fraktion erklärte der Abg. Hirsch, der Regierungsentwurf entspreche i n allen wesentlichen Punkten den Parteitagsbeschlüssen der SPD; die SPD-Fraktion begrüße daher die neue Vorlage „ i m Grundsatz" 7 2 . Dies bedeute jedoch keineswegs, „daß w i r den dort vorgesehenen Einzelregelungen hinsichtlich jedes Punktes und jedes Kommas bedingungslos zustimmen" 7 3 . Als verbesserungsbedürftig bezeichnete Hirsch die i n A r t . 12 Abs. 2 vorgesehene Regelung der Dienstverpflichtung für Wehrpflichtige; hier solle man die Aussage i n der Begründung des Regierungsentwurfs, daß bei Dienstverpflichtungen i n der Regel privatrechtliche Arbeitsverhältnisse begründet würden, i n den Text der Verfassung selbst aufnehmen. Denn was nur i n der Begründung stehe, sei für die spätere Auslegung nicht bindend 7 4 . Darüber hinaus sprach sich Hirsch für weitere Überlegungen aus, u m Formulierungen zu finden, m i t denen die — wie Hirsch meinte: begründete — Angst der Gewerkschaften beseitigt werden könne, daß gerade über die Bestimmungen des A r t . 12 das Streikrecht unterwandert werden solle 74 . Schließlich begrüßte der Abg. Hirsch, daß die Bundesregierung durch die vorgelegte Fassung des A r t . 91 Abs. 4 und durch die (schriftliche) Begrün09 70 71 72 73 74
Ebd., Ebd., Ebd., Ebd., Ebd., Ebd.,
S. 5870 S. 5875 S. 5875 S. 5880 S. 5880 S. 5883
(D). (B). (C). (B). (C). (B).
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1. T e i l : Entstehung des A r t . 9 I I I 3 GG
dung zum Regierungsentwurf das „Streikrecht i m Sinne des A r t . 9 Abs. 3 GG ausdrücklich" anerkenne 76 — eine nicht ganz überzeugende Interpretation, wurde doch i n der Begründung des Regierungsentwurfs nicht mehr erklärt, als daß A r t . 91 Abs. 4 die geltende Rechtslage unberührt lasse, die nach Auffassung der Bundesregierung grundsätzlich die A r beitskampffreiheit i n A r t . 9 Abs. 3 GG gewährleiste 76 . I m weiteren Verlauf der Debatte präzisierte der FDP-Abg. Busse nochmals die Haltung seiner Fraktion zum Streikrecht 77 . Die FDP habe das Streikrecht für normale Zeiten stets bejaht, andererseits jedoch klargemacht, daß es i m Falle des äußeren Notstandes „zum Ruhen gebracht werden müsse" 78 . Bei den Beratungen i n der vergangenen Legislaturperiode habe die FDP davon abgesehen, diese ihre Auffassung weiter zu verfechten, w e i l angesichts der Zusammensetzung des Bundestages keine Möglichkeit bestanden habe, diese Vorstellung gesetzlich zu realisieren. Damit habe die FDP ihren grundsätzlichen Standpunkt jedoch nicht aufgegeben 78 . A m Ende der ersten Beratung überwies der Bundestag die Vorlage ohne Gegenstimmen an den Rechtsausschuß (federführend) und an den Innenausschuß (mitberatend) 79 . Wenige Tage nach der ersten Lesung i m Bundestag befaßte sich der Bundesausschuß des DGB i n einer Sondersitzung vom 5. 7. 1967 m i t dem Koalitionsentwurf. I n einer einstimmig angenommenen Entschließung 80 nahm der Bundesausschuß zum neuen Entwurf Stellung. Nach der Feststellung, daß die Entscheidung des 7. Ordentlichen DGB-Bundeskongresses 81 nach wie vor uneingeschränkt gelte 82 , beschäftigte sich die Entschließung des Bundesausschusses m i t Einzelheiten des Entwurfs und kam zu dem Ergebnis, auch die neue Vorlage müsse trotz Berücksichtigung einiger Bedenken des DGB wegen der erheblichen Grundrechtseinschränkungen und weitreichenden Eingriffe i n die Verfassungsstruktur abgelehnt werden 8 3 . Zum Verhältnis zwischen Streikrecht und Notstandsverfassung führte die Entschließung aus 84 :
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Ebd., S. 5584 (B). Vgl. B T - D r s . V/1879, S. 24. 77 117. Sitzg. des 5. BT, Sten. Ber. S. 5587 (D) f. 78 Ebd., S. 5888 (A). 79 Ebd., S. 5902 (C). 80 Veröffentlicht i n : A r b u R 1967, S. 273 ff.; G M H 1967, S. 513 ff., sowie i n der Broschüre „Notstand", hrsg. v o m DGB-Bundesvorstand, S. 3 ff. (August 1967). 81 Vgl. T e x t zu Fußn. 9. 82 A r b u R 1967, S. 273 (I.). 83 A r b u R 1967, S. 275 (VII.). 84 A r b u R 1967, S. 274 ( I I I . 4). 76
I I . Abschn.: Entstehungs- u n d Textgeschichte
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„Das Koalitions- u n d Streikrecht der Arbeitnehmer u n d ihrer Gewerkschaften w i r d i m E n t w u r f nicht garantiert. Der E n t w u r f stellt i n A r t . 91 Abs. 4 n u r klar, daß Arbeitskämpfe v o n Vereinigungen i m Sinne des A r t . 9 Abs. 3 GG nicht die Folgen auslösen, die A r t . 91 Abs. 1 - 3 . . . vorsehen. Diese Regelung ist wegen der vielfältigen Möglichkeiten unmittelbarer oder mittelbarer Eingriffe u n d Beschränkungen des Koalitions- u n d Streikrechts i n den bereits verkündeten einfachen Notstandsgesetzen u n d der Möglichkeiten, Dienstverpflichtungen u n d Arbeitsplatzwechselverbote auszusprechen, völlig unzureichend. Es finden vielmehr die gesamten Vorschriften des bisherigen u n d künftigen Notstandsrechts auf Arbeitskämpfe der Arbeitnehmer und der Gewerkschaften Anwendung. Da auch nach der deutschen höchstrichterlichen Rechtsprechung die Rechtmäßigkeit von Arbeitskämpfen sich nach den wandelbaren Maßstäben der sogenannten „Sozialadäquanz", also i m Grunde nach Richterrecht, richtet, k a n n nicht ausgeschlossen werden, daß i n Z u k u n f t jeder Arbeitskampf i n einer Notstandssituation von den Gerichten als rechtswidrig qualifiziert w i r d 8 6 . " I n e i n e r g l e i c h z e i t i g m i t d e r E n t s c h l i e ß u n g des DGB-Bundesausschusses v e r ö f f e n t l i c h t e n 8 6 a u s f ü h r l i c h e n S t e l l u n g n a h m e z u m E n t w u r f der N o t standsverfassung w u r d e n d i e T h e s e n d e r E n t s c h l i e ß u n g d u r c h einige w e i t e r e A r g u m e n t e u n t e r m a u e r t . U . a. w u r d e e r l ä u t e r t , w o r i n der D G B die b e f ü r c h t e t e n „ v i e l f ä l t i g e n M ö g l i c h k e i t e n u n m i t t e l b a r e r oder m i t t e l b a r e r E i n g r i f f e u n d B e s c h r ä n k u n g e n des K o a l i t i o n s - u n d S t r e i k r e c h t s " sah87: N a c h d e m E n t w u r f k ö n n t e n d u r c h einfaches Gesetz oder a u f G r u n d eines solchen Gesetzes S t r e i k e n d e j e d e r z e i t d i e n s t v e r p f l i c h t e t w e r d e n 8 8 , k ö n n t e n i n F r i e d e n s z e i t e n nach d e m Z i v i l s c h u t z k o r p s g e s e t z b e i d r o h e n 85 Die Befürchtung, die Rspr. werde — m i t Hilfe des Beurteilungskriteriums der Sozialadäquanz — i n einer Notstandssituation verschärfte Anforderungen an die Rechtmäßigkeit eines Arbeitskampfes stellen oder Streiks generell f ü r rechtswidrig erklären, w a r sicherlich nicht unbegründet. N u r ist nicht einzusehen, wieso der D G B i n dieser — bereits nach geltendem Recht bestehenden — Problematik ein Argument gegen die Schaffung einer Notstandsverfassung sah. Denn Anlaß und G r u n d f ü r die Anlegung verschärfter Maßstäbe an die Rechtmäßigkeit eines Streiks wäre der tatsächliche E i n t r i t t einer N o t standssituation (wie der DGB-Bundesausschuß ganz richtig formulierte), nicht jedoch das Vorhandensein einer verfassungsgesetzlichen Notstandsregelung. M a W : Die Sozialadäquanzproblematik besteht m i t oder ohne Notstandsverfassung. 86 I n der Broschüre „Notstand", hrsg. v o m DGB-Bundesvorstand (August 1967). 87 Ebd., S. 12 f. 88 Der T e x t des vorgesehenen A r t . 12 Abs. 2 Satz 2 hätte eine Dienstverpflichtung streikender Arbeitnehmer i n der T a t dann erlaubt, wenn es sich u m einen der i n A r t . 12 Abs. 2 Satz 2 genannten Bereiche (etwa die Versorgung der Bevölkerung) gehandelt hätte u n d auch die Voraussetzung „ f ü r Zwecke der Verteidigung" erfüllt gewesen wäre. Sicherlich wären diese Voraussetzungen nicht bei jedem Streik gegeben gewesen; dennoch w i r d m a n die gewerkschaftl. Bedenken gegen eine so w e i t gefaßte verfassungsrechtl. Ermächtigung verstehen können.
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1. Teil: Entstehung des A r t . 9 I I I 3 GG
d e m A r b e i t s k a m p f oder nach A u s b r u c h eines S t r e i k s f ü r D i e n s t p f l i c h t i g e „ B e r e i t s c h a f t " (u. U . k a s e r n i e r t e B e r e i t h a l t u n g ) a n g e o r d n e t 8 9 oder i m F a l l e eines S t r e i k s m i t e r h e b l i c h e n A u s w i r k u n g e n (z. B . V e r k e h r s s t r e i k ) eine K a t a s t r o p h e i m S i n n e v o n § 4 A b s . 3 Z i v i l s c h u t z k o r p s g e s e t z oder eine V e r s o r g u n g s k r i s e i m S i n n e d e r §§ 1 u n d 3 V e r k e h r s s i c h e r s t e l l u n g s g e s e t z 9 0 a n g e n o m m e n u n d die i n d e n f r a g l i c h e n Gesetzen vorgesehenen M a ß n a h m e n z u r B e h e b u n g der K r i s e g e t r o f f e n w e r d e n 9 1 . A u c h sei n i c h t auszuschließen, daß der z u b e s t r e i k e n d e A r b e i t g e b e r als Betriebsselbstschutzl e i t e r b e i A u s b r u c h eines S t r e i k s B e t r i e b s s e l b s t s c h u t z ü b u n g e n der s t r e i k e n d e n Belegschaft a n o r d n e 9 2 . Schließlich w u r d e i n der S t e l l u n g n a h m e e t w a s n ä h e r p r ä z i s i e r t , w e s h a l b der D G B befürchte, daß das v o n der Rechtsprechung e n t w i c k e l t e K r i t e r i u m der Sozialadäquanz gerade i m Z u s a m m e n h a n g m i t der g e p l a n t e n N o t s t a n d s v e r f a s s u n g z u e r h ö h t e n A n -
89 Diese Befürchtung w a r deswegen nicht schlüssig, w e i l die §§ 6 u n d 7 des Zivilschutzkorpsgesetzes v. 12. 8. 1965 (BGBl. I S. 782) die Möglichkeit der zwangsweisen Heranziehung zum Dienst i m Zivilschutzkorps n u r f ü r Wehrpflichtige vorsahen, also n u r f ü r einen Personenkreis, der bereits nach geltendem Recht erfaßt werden konnte. Die befürchteten Beeinträchtigungen von Streiks durch Heranziehung zum Zivilschutzkorps hätten — eine mißbräuchlich handelnde Exekutive i m m e r vorausgesetzt — genauso gut mittels der schon nach geltendem Recht möglichen Einberufung zum Wehrdienst erfolgen können. 90 Verkehrssicherstellungsgesetz v. 24. 8. 1965 (BGBl. I S. 927). Die Ermächtigungen zu Eingriffen bei bloßen Versorgungskrisen sind inzwischen durch das Gesetz zur Änderung des Verkehrssicherstellungsgesetzes v. 9. 2. 1968 (BGBl. I S. 784) gestrichen worden. 91 Die beiden letzten Beispiele f ü r mögliche Beeinträchtigungen des Streikrechts hatten m i t der geplanten Notstandsverfassung nichts zu tun. Hier wurde das allgemeine Problem berührt, ob bei einem Streik m i t schweren Folgen f ü r die Versorgung der Allgemeinheit v o n Staats wegen bestimmte, sachlich geeignete Maßnahmen zur Minderung der Auswirkungen getroffen werden dürfen, auch w e n n der K a m p f erfolg des Streiks dadurch gefährdet würde. Verfassungsrechtl. handelt es sich u m die schwierige Frage, ob das Streikrecht (bzw. die Arbeitskampffreiheit) unter dem Gesichtspunkt des Allgemeinwohls — was i m m e r m a n darunter verstehen mag — Grenzen hat. Würde allerdings eine mißbräuchlich handelnde Exekutive — sie spielte i n den gewerkschaftlichen Überlegungen stets eine besondere Rolle — ohne sachliche Notwendigkeit Maßnahmen nach dem Zivilschutzkorpsgesetz oder dem V e r kehrssicherstellungsgesetz durchführen, n u r u m damit einen unerwünschten Streik zu verhindern oder zu beendigen, dann müßte das auf jeden F a l l als unzulässiger Eingriff i n das v o n A r t . 9 Abs. 3 GG mitumfaßte Streikrecht angesehen werden; die Frage, ob u n d wo dem Streikrecht unter dem Gesichtsp u n k t des Allgemeinwohls Grenzen gesetzt sind, würde sich bei einer derartigen Konstellation gar nicht stellen. 92 Diese Befürchtung w a r freilich wenig überzeugend, da nach dem (inzwischen aufgeh.) Selbstschutzgesetz v. 9. 9. 1965 (BGBl. I S. 1240, aufgeh. durch das Gesetz über die Erweiterung des Katastrophenschutzes v. 9. 7. 1968, BGBl. I S. 776) keine Verpflichtung der Betriebsangehörigen zur Teilnahme an Betriebsselbstschutzübungen bestand; §36 sah f ü r die Angehörigen eines Betriebes lediglich eine einmalige Ausbildung i m Betriebsselbstschutz von höchstens 10 Stunden u n d nach A b l a u f von 3 Jahren einen Wiederholungslehrgang v o n höchstens 5 Stunden vor.
I I . Abschn.: Entstehungs- und Textgeschichte
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f o r d e r u n g e n a n die R e c h t m ä ß i g k e i t v o n S t r e i k s f ü h r e n w e r d e : Es k ö n n e , so die S t e l l u n g n a h m e 9 3 , n i c h t ausgeschlossen w e r d e n , daß dann, w e n n entsprechend d e n V o r s c h l ä g e n des K o a l i t i o n s e n t w u r f s e i n N o t s t a n d s f a l l festgestellt w o r d e n s e i 9 4 , die V o r r a n g i g k e i t des G e m e i n w o h l s g e n e r e l l angenommen w e r d e u n d jeder A r b e i t s k a m p f i n einer derartigen Situat i o n v o n d e n G e r i c h t e n als r e c h t s w i d r i g q u a l i f i z i e r t w e r d e 9 5 . N a c h d e r ersten B e r a t u n g i m B u n d e s t a g w u r d e i n n e r h a l b der S P D B u n d e s t a g s f r a k t i o n die D i s k u s s i o n ü b e r m ö g l i c h e oder f ü r n o t w e n d i g erachtete Ä n d e r u n g des R e g i e r u n g s e n t w u r f s fortgesetzt. D a b e i g i n g es e i n m a l d a r u m , die v o m Stellv. F r a k t i o n s v o r s i t z e n d e n H i r s c h i n der ersten L e s u n g bereits v o r g e t r a g e n e n V o r b e h a l t e k o n k r e t z u f o r m u l i e r e n , z u m a n d e r e n m u ß t e ü b e r einiges w e i t e r e , i n F r a k t i o n u n d G e s a m t p a r t e i der S P D u m s t r i t t e n e P u n k t e erst noch Ü b e r e i n s t i m m u n g e r a r b e i t e t w e r d e n , u m eine A u s g a n g s g r u n d l a g e f ü r die b e v o r s t e h e n d e n A u s s c h u ß b e r a t u n g e n u n d f ü r die e r f o r d e r l i c h w e r d e n d e n V e r h a n d l u n g e n m i t d e m K o a l i t i o n s p a r t n e r , der C D U / C S U - F r a k t i o n , z u haben. D e r F r a g e n k r e i s „ A r b e i t s k a m p f u n d N o t s t a n d s v e r f a s s u n g " gehörte, n i c h t z u l e t z t w e g e n der a n h a l t e n d e n g e w e r k s c h a f t l i c h e n K r i t i k a m K o a l i t i o n s e n t w u r f , w e i t e r h i n zu d e n i m V o r d e r g r u n d stehenden T h e m e n . 93
I n der Broschüre „Notstand", hrsg. v. DGB-Bundesvorstand, S. 13. Gemeint w a r offensichtlich die Feststellung des Zustandes äußerer Gefahr gem. A r t . 115a Abs. 1 oder die m i t Zustimmung des Gemeinsamen Ausschusses zu treffende Feststellung der BReg gem. A r t . 12 Abs. 3 RegE, zur Herstellung der erhöhten Verteidigungsbereitschaft oder zum Schutz der Bevölkerung sei ein Festhalten i m Beruf oder am Arbeitsplatz erforderlich. 95 Auch nach dieser Erl. muß die oben Fußn. 85 getroffene Feststellung aufrecht erhalten bleiben, daß die Sozialadäquanzproblematik m i t der geplanten Notstandsverfassung nichts zu t u n hatte, daraus jedenfalls — auch wenn m a n die Sozialadäquanztheorie ablehnt — k e i n Argument gegen die Notstandsverfassung hergeleitet werden konnte. Denn der RegE verband m i t den Feststellungen nach A r t . 12 Abs. 3 oder 115a Abs. 1 keinerlei Einschränkungen des Streikrechts. Wenn ein Gericht etwa nach Feststellung des Zustandes äußerer Gefahr unter A n w e n d u n g des Maßstabs der Sozialadäquanz zum E r gebnis gekommen wäre, ein arbeitsrechtl. Streik sei wegen der Vorrangigkeit des Gemeinwohls als rechtswidrig zu betrachten, dann wäre das m i t Rücksicht auf die bestehenden tatsächlichen Umstände geschehen, nicht aber als z w i n gende Folge der i n der Notstandsverfassung vorgesehenen förmlichen Feststellungsbeschlüsse. Einer vorangegangenen Feststellung des Zustandes äußerer Gefahr hätte allenfalls die W i r k u n g eines Indizes f ü r das wirkliche V o r handensein einer Notstandslage zukommen können, jedoch wäre kein Gericht an dieses Indiz rechtlich gebunden gewesen. Einem mißbräuchlich, d. h. ohne äußeren Anlaß u n d ohne Berechtigung herbeigeführten Feststellungsbeschluß hätte kein Gericht, das über die Rechtmäßigkeit eines Arbeitskampfes zu befinden gehabt hätte, eine Bedeutung beimessen müssen. (Dies festzuhalten ist wichtig, w e i l i n der gewerkschaftl. Argumentation die Gefahr des innenpolitischen Mißbrauchs v o n Notstandsbefugnissen durch die Exekutive stets als besonders groß erachtet wurde.) Daraus ergibt sich, daß die Befürchtung des DGB, die vorgesehenen Notstandsregelungen w ü r d e n angesichts des von der Rspr. angewandten K r i t e r i u m s der Sozialadäquanz zu einer Einengung des Streikrechts führen, unbegründet war. 94
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1. T e i l : Entstehung des A r t . 9 I I I 3 GG
Schon r e l a t i v b a l d ergab sich i n d e n B e r a t u n g e n der S P D - F r a k t i o n , die w ä h r e n d der g e s a m t e n z w e i t e n H ä l f t e des J a h r e s 1967 s t a t t f a n d e n , eine w e i t g e h e n d e Ü b e r e i n s t i m m u n g d a r ü b e r , daß A r t . 91 A b s . 4 des K o a l i t i o n s e n t w u r f s eine u n g e n ü g e n d e S i c h e r u n g des S t r e i k r e c h t s d a r s t e l l e u n d deshalb n i c h t a k z e p t i e r t w e r d e n k ö n n e , z u m a l auch I n h a l t u n d s y s t e m a tische S t e l l u n g der V o r s c h r i f t z u M i ß v e r s t ä n d n i s s e n A n l a ß gäben. Ü b e r e i n s t i m m u n g w u r d e auch b a l d d a r ü b e r e r z i e l t , daß eine bessere S i c h e r u n g des S t r e i k r e c h t s i m R a h m e n des g e l t e n d e n A r t . 9 G G e r f o l g e n müsse; h i n g e g e n b e s t a n d e n M e i n u n g s v e r s c h i e d e n h e i t e n ü b e r die Frage, wie diese S i c h e r u n g aussehen solle. V e r t r e t e r der w e i t e r g e h e n d e n M e i n u n g i n n e r h a l b d e r S P D - F r a k t i o n setzten sich d a f ü r ein, i n A r t . 9 G G das S t r e i k r e c h t a u s d r ü c k l i c h z u g a r a n t i e r e n , w o b e i verschiedene F o r m u l i e r u n g e n d i s k u t i e r t w u r d e n , so u. a. d e r V o r s c h l a g Hessens i m B u n d e s r a t 9 6 , die F o r m u l i e r u n g d e r A b g . Gscheidle, K a f f k a , L e n d e r s u n d M a t t h ö f e r v o m 26. 6. 1967 9 7 s o w i e e i n S P D - i n t e r n e r V o r s c h l a g des Hessischen M i n i s t e r p r ä s i d e n t e n Z i n n 9 8 . Z i n n schlug f o l g e n d e n n e u e n A r t i k e l 9 A b s . 4 G G vor: „Das Recht, zur Wahrung u n d Förderung der Arbeits- u n d Wirtschaftsbedingungen zu streiken, w i r d gewährleistet. Der Streik w i r d als M i t t e l zur A b w e h r einer drohenden Gefahr f ü r die freiheitliche demokratische G r u n d ordnung des Bundes oder eines Landes anerkannt. Das Nähere regeln Bundesgesetze, f ü r die A r t i k e l 79 Absatz 2 gilt." I n der b e i g e f ü g t e n B e g r ü n d u n g w u r d e a u s g e f ü h r t : „Die Ermächtigungen i n dem neuen A r t . 12 Abs. 2 Satz 2 u n d Abs. 3 gestatten tiefgreifende Eingriffe i n das Grundrecht der Berufsfreiheit u n d damit i n die Rechtsstellung der Arbeitnehmer. Diese Eingriffe sind — von anderen Kautelen abgesehen — n u r vertretbar, w e n n sichergestellt ist, daß die k o l l e k t i v e n Rechte der Arbeitnehmer grundsätzlich unberührt bleiben u n d dem Z u g r i f f der E x e k u t i v e u n d des einfachen Gesetzgebers entzogen sind. Das Verhältnis des neuen A r t . 12 Abs. 2 Satz 2 u n d Abs. 3 zu A r t . 9 GG ist jedoch nicht eindeutig; die Rechtslage w i r d noch dadurch kompliziert, daß i n Lehre u n d Rechtsprechung erhebliche Meinungsverschiedenheiten über die verfassungsrechtliche Garantie des Streikrechts u n d seinen Umfang bestehen. M i t Rücksicht auf die Bedeutung des Streikrechts f ü r die Arbeitnehmerschaft u n d die freiheitliche demokratische Grundordnung erscheint es deswegen nicht ausreichend, das Streikrecht lediglich gegen Maßnahmen der E x e k u t i v e i m 96
s . T e x t zu Fußn. 41. s. T e x t nach Fußn. 56. 98 Zinn, der selbst M i t g l i e d des SPD-Parteivorstandes war, hatte dem Parteivorstand der SPD m i t Sehr, v o m 15. 8. 1967 als „hessischen Beitrag zur parteiinternen Diskussion" detaillierte „Änderungs- u n d Ergänzungsvorschläge zum Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Ergänzung des G r u n d gesetzes (Notstandsverfassungsrecht)" übermittelt. Die (leider nicht veröff.) Vorschläge Zinns, die den gewerkschaftl. u n d SPD-internen Bedenken Rechnung zu tragen versuchten, ohne dabei die Erfordernisse eines sachgerechten Notstandsverfassungsrechts zu vernachlässigen, w u r d e n i n die Beratungen der SPD-Bundestagsfraktion eingeführt. 97
I I . Abschn.: Entstehungs- u n d Textgeschichte
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Zustand innerer Gefahr verfassungsrechtlich abzusichern, w i e dies i n dem neuen A r t . 91 Abs. 4 vorgesehen ist. Das Streikrecht sollte vielmehr f ü r den Frieden, den Spannungsfall u n d f ü r die Zustände innerer u n d äußerer Gefahr ausdrücklich erkannt, d. h. institutionell gewährleistet werden. Wie allen Grundrechten u n d institutionellen Garantien des GG sind allerdings auch dem Streikrecht immanente Schranken gezogen. Der Bundesgesetzgeber sollte die Möglichkeit haben, diese Schranken gegebenenfalls zu konkretisieren, wobei unter anderem A r t . 19 Abs. 2 GG eine äußerste Grenze bildet. Wegen der Bedeutung des Streikrechts erscheint es jedoch geboten, f ü r derartige Bundesgesetze die Erfordernisse des A r t . 79 Abs. 2 G G zu v e r l a n g e n " . . . " N e b e n d e n j e n i g e n , d i e f ü r eine ausdrückliche V e r a n k e r u n g des S t r e i k rechts i n A r t . 9 G G — i n e i n e r noch n ä h e r festzulegenden F o r m u l i e r u n g — e i n t r a t e n , gab es i n n e r h a l b der S P D - B u n d e s t a g s f r a k t i o n V e r t r e t e r einer z w e i t e n , w e n i g e r w e i t g e h e n d e n A u f f a s s u n g 1 0 0 , die — t e i l w e i s e u n t e r H i n w e i s d a r a u f , daß sich f ü r eine p o s i t i v e V e r a n k e r u n g des S t r e i k rechts i n A r t . 9 G G die n o t w e n d i g e verfassungsändernde M e h r h e i t a u f keinen F a l l erreichen lasse101 — dafür plädierten, i n A r t . 9 Abs. 3 G G eine n e g a t i v e F o r m u l i e r u n g a u f z u n e h m e n , d u r c h die festgelegt w e r d e , daß w e d e r m i t d e n A r b e i t s k r ä f t e l e n k u n g s m a ß n a h m e n nach A r t . 12 A b s . 2 u n d 3 noch m i t M a ß n a h m e n nach A r t . 91 des R e g i e r u n g s e n t w u r f s i n das S t r e i k r e c h t e i n g e g r i f f e n w e r d e n d ü r f e 1 0 2 . Das w a r die K o n z e p t i o n 1 0 3 , die sich i n d e n w e i t e r e n p a r l a m e n t a r i s c h e n B e r a t u n g e n d a n n durchsetzen sollte. A m 2. 10. 1967 b r a c h t e die o p p o s i t i o n e l l e F D P - F r a k t i o n i h r e n seit l ä n g e r e r Z e i t a n g e k ü n d i g t e n eigenen E n t w u r f e i n e r N o t s t a n d s v e r f a s s u n g 99 Es folgten Ausführungen darüber, daß gerade i m Zuge der Regelung des Notstandsverfassungsrechts eine ausdrückliche Anerkennung des Widerstandsstreiks zweckmäßig sei. 100 U n t e r den Anhängern der erstgenannten Auffassung wurde der weniger weitgehende zweite Vorschlag zum T e i l zumindest als Hilfslösung f ü r den F a l l der Nichtdurchsetzbarkeit der ersten Auffassung akzeptiert. 101 Die ablehnende H a l t u n g der CDU/CSU gegen eine ausdrückl. Garantie des Streikrechts hatte sich schon i n der 4. Legislaturperiode gezeigt, als von Seiten der SPD verschiedentlich der Versuch unternommen wurde, i m Zusammenhang m i t der Notstandsverfassung eine eindeutigere verfassungsrechtl. Absicherung des Streikrechts zu erreichen; vgl. oben I. Abschnitt, Fußn. 162 u n d I I . Abschnitt, Fußn. 19. Der PStS i m Bundesinnenministerium u n d N o t standsexperte der CDU/CSU Benda hatte erst wieder i n einer i m J u l i 1967 erschienenen Veröffentlichung betont, es bestehe keine Aussicht, daß sich f ü r den Vorschlag, i n A r t . 9 GG das Streikrecht ausdrücklich anzuerkennen, eine verfassungsändernde Mehrheit finden werde, Benda, Der Arbeitgeber 1967, S. 387. 102 So auch Satz 2 des von den Abg. Gscheidle u n d Genossen am 26. 6. 1967 vorgeschlagenen A r t . 9 Abs. 4 (vgl. T e x t nach Fußn. 56); i n Satz 1 dieses V o r schlages wurde freilich außerdem eine ausdrückl. Anerkennung des Streikrechts gefordert. 108 Formulierungen f ü r diese Konzeption einer „negativen" Schutzklausel wurden innerhalb der SPD-Fraktion schon i m September/Oktober 1967 erörtert.
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1. Teil: Entstehung des A r t . 9 I I I 3 GG
i m Bundestag ein 1 0 4 . Der Entwurf enthielt zu der vieldiskutierten Problematik „Arbeitskampf und Notstandsverfassung" keinerlei Regelungen. Da keine Änderung und Ergänzung des damals geltenden A r t . 91 GG vorgesehen war, also für den inneren Notstand keine zusätzliche Regelung getroffen werden sollte, entfiel die i n A r t . 91 Abs. 4 des Regierungsentwurfs vorgesehene Arbeitskampf schutzklausel. Ebensowenig war eine Änderung oder Ergänzung des A r t . 9 GG vorgesehen — weder i m Sinne der bislang von der FDP stets erhobenen Forderung nach einer Suspendierung des Streikrechts i m Verteidigungsfall 1 0 5 , noch umgekehrt i m Sinne der von zahlreichen K r i t i k e r n der Regierungsvorlage, insbesondere den Gewerkschaften, geforderten besseren Sicherung des Streikrechts. I n einer Stellungnahme der SPD-Fraktion zum FDP-Entwurf stellte der Abg. Hirsch (SPD) fest, daß die von Gewerkschaftsseite erhobene Forderung nach einer grundgesetzlichen Fundierung des Streiks nicht nur nicht erfüllt, sondern die Lage gegenüber dem Regierungsentwurf verschlechtert werde, w e i l m i t dem Wegfall des vorgesehenen A r t . 91 Abs. 4 auch die Möglichkeit entfalle, i n dieser auf A r t . 9 Abs. 3 GG bezugnehmenden Vorschrift eine Stärkung der Auffassung zu sehen, das Streikrecht sei schon jetzt i n A r t . 9 Abs. 3 GG mitgarantiert 1 0 6 . I n A r t . 12 Abs. 3 Satz 3 des FDP-Entwurfs war für Wehrpflichtige die Möglichkeit der Dienstverpflichtung vorgesehen, allerdings — i m Gegensatz zum Regierungsentwurf — beschränkt auf den Verteidigungsfall; auch die Möglichkeit des Festhaltens i m Beruf oder am Arbeitsplatz (Art. 12 Abs. 3 des FDP-Entwurfs) war auf den Verteidigungsfall beschränkt. Eine Aussage über die Rechtsnatur der durch Dienstverpflichtungen begründeten Rechtsverhältnisse war i n A r t . 12 des FDP-Entwurfs nicht gemacht. I n der bereits erwähnten Stellungnahme der SPD-Fraktion bemerkte der Abg. Hirsch dazu, ein Schutz gegen Aushöhlungen des Streikrechts mittels des Instruments der Dienstverpflichtung könne nur erreicht werden, wenn 104 „Gesetz zur Sicherung der rechtsstaatlichen Ordnung i m Verteidigungsfall", BT-Drs. V/2130. 105 Vgl. oben I. Abschnitt, Text zu Fußn. 105, 186; I I . Abschnitt, T e x t zu Fußn. 69, 78. — A u f einer Pressekonferenz der F D P - F r a k t i o n am 3. 10. 1967, i n der die FDP ihren E erläuterte (Verf. w a r anwesend), erklärte der F D P Experte Dorn auf Anfrage, die F D P vertrete nach w i e v o r die Auffassung, daß das Streikrecht i m Verteidigungsfall suspendiert werden müsse; m a n habe jedoch darauf verzichtet, dies i n den E aufzunehmen, da sich f ü r diese A u f fassung doch keine Mehrheit i m B T finden lasse (eine wenig überzeugende Erklärung, ließ der E der Opposition doch — legitimerweise — i n seinen sonstigen Vorschlägen die Frage der Realisierbarkeit auch außer Betracht). I m Verlauf der späteren pari. Beratungen identifizierte sich der Abg. D o r n dann so weitgehend m i t der außerparlamentarischen K r i t i k , daß er seine bisherige H a l t u n g i n der Streikfrage nicht mehr wahrhaben wollte, vgl. die Äußerungen Dorns i n den Notstandshearings, 2. Informationssitzg. v. 16. 11. 1967, Prot. S. 54 u n d 5. Informationssitzg. v. 14. 12. 1967, Prot. S. 24 f., 30, sowie die E n t gegnungen dazu ebd., S. 26, 30. 106 Information der SPD-Bundestagsfraktion, Tagesdienst 459 v. 3. 10. 1967.
I I . Abschn.: Entstehungs- u n d Textgeschichte
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— wie von der SPD-Fraktion gefordert — i m Verfassungstext selbst festgelegt werde, daß die Dienstleistungen i m Rahmen eines privatrechtlichen Dienst- oder Arbeitsverhältnisses zu erbringen sind; der FDPEntwurf biete diesen Schutz nicht 1 0 6 . Der Bundestag überwies den FDPentwurf am 4. 10. 1967 i n erster Lesung ohne Aussprache an die Ausschüsse 107 . Z u sehr eingehenden Erörterungen des Fragenkreises „Arbeitskampf und Notstandsverfassung" kam es bei den öffentlichen Sachverständigenanhörungen (Informationssitzungen), die i m November/Dezember 1967 vor dem Rechts- und Innenausschuß des Bundestages stattfinden. I n der 2. Informationssitzung vom 16. 11. 1967 108 , i n der das allgemeine Thema „Die Notwendigkeit und der Umfang einer Grundgesetzänderung für den Notstandsfall" behandelt wurde, nahmen — neben Staatsrechtslehrern und anderen Experten — der DGB-Vorsitzende L u d w i g Rosenberg und der Vorsitzende der I G Metall, Otto Brenner, zu den vorliegenden Entwürfen einer Notstandsverfassung Stellung. Rosenberg 109 und Brenner 1 1 0 begründeten die ablehnende Haltung des DGB und der i n i h m zusammengeschlossenen Gewerkschaften i n erster Linie m i t dem Argument, die Rechte der Arbeitnehmer und der Gewerkschaften würden durch die geplanten Grundgesetzänderungen gefährdet; abgelehnt und kritisiert — sowohl dem Grunde als auch der Ausgestaltung nach — wurden insbesondere die i n A r t . 12 des Regierungsentwurfs vorgesehenen Maßnahmen zur Arbeitskräftelenkung (Dienstverpflichtung, Festhalten am Arbeitsplatz). Die 5. Informationssitzung am 14. 12. 1967 111 war dem speziellen Thema der „Sicherstellung des Arbeitskräftebedarfs zur Versorgung der Bevölkerung und der Streitkräfte für den Zustand der äußeren Gefahr" gewidmet; unter den sechs Fragen, zu denen die geladenen Vertreter der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberorganisationen, Wissenschaftler und sonstigen Experten Stellung nehmen sollten, befand sich auch die Frage, ob „die i m Grundgesetz i m Kern gewährleistete Tarifautonomie und Streikfreiheit durch den Regierungsentwurf" ausreichend gesichert sei 1 1 2 . Die i n A r t . 91 Abs. 4 des Regierungsentwurfs vorgesehene Arbeitskampfschutzklausel wurde vor allem von den Gewerkschaftsvertretern als unzureichende Sicherung bezeichnet, da sie — wie Rosenberg unter 107
121. Sitzg. des 5. B T v. 4.10.1967, Sten. Ber. S. 6152 (B). 57. Sitzg. des R A , 73. Sitzg. des I A des BT. (Die Protokolle sämtlicher 5 Informationssitzungen liegen gedruckt vor.) 109 I n einer brillanten u n d ao. eindrucksvollen A r t u n d Weise der A r g u m e n tation, siehe 2. Informationssitzg., Prot. S. 16 - 41. 110 Ebd., S. 41 - 56. 111 62. Sitzg. des R A , 77. Stzg. des I A des BT. 112 Vgl. 5. Informationssitzg., Prot. S. 1. 108
6 Glückert
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1. Teil: Entstehung des A r t . 9 I I I 3 GG
Verwendung der Entschließung des DGB-Bundesausschusses vom 5. 7. 1967 113 formulierte — „die vielfältigen Möglichkeiten unmittelbarer oder mittelbarer Eingriffe und Beschränkungen des Koalitions- und Streikrechts" durch bereits geltende Gesetze, durch die i n A r t . 12 vorgesehenen Dienstverpflichtungen und Arbeitsplatzwechselverbote und durch die Gerichte nicht ausschließe 114 . DGB-Vorstandsmitglied Reuter konkretisierte anhand des Entwurfs eines Arbeitssicherstellungsgesetzes 115 die Bedenken und Befürchtungen, die von gewerkschaftlicher Seite schon seit langem gegenüber den i n A r t . 12 vorgesehenen Arbeitskräftelenkungsmaßnahmen, insbesondere der Dienstverpflichtung, geäußert wurden 1 1 6 : Es bestehe die Gefahr, daß gegen Arbeitnehmer, die auf Grund des neuen A r t . 12 i. V. m. den Vorschriften des Arbeitssicherstellungsgesetzes i n ein Arbeitsverhältnis verpflichtet worden seien oder die einem Arbeitsplatzwechselverbot unterlägen, Geld- oder Freiheitsstrafen verhängt würden, wenn sie an Streiks teilnähmen 1 1 7 . Zwar sei i m Gesetzentwurf (§ 32) eine Bestrafung nur dann vorgesehen, wenn der Arbeitnehmer die Arbeitsstelle „ohne anerkennenswerten Grund" verlasse oder ihr fernbleibe 1 1 8 , jedoch werde nicht klargestellt, daß die Beteiligung an einem Arbeitskampf i n jedem Fall als „anerkennenswerter Grund" anzusehen sei. Wenn es — wie verschiedentlich behauptet — eine Selbstverständlichkeit sei, daß bei Beteiligung an legitimen Arbeitskämpfen ein „anerkennenswerter Grund" vorliege, bleibe die Frage, na v g i # Fußn. 80 u n d Text nach Fußn. 84. 2. Informationssitzg., Prot. S. 18 f.; ähnlich Brenner, ebd., S. 42, 44, 54; DGB-Vorstandsmitglied Reuter, 5. Informationssitzg., Prot. S. 16 f.; Dr. Seifert, ebd., S. 68, 79 f. 115 Der RegE eines „Gesetzes zur Sicherstellung von Arbeitsleistungen f ü r Zwecke der Verteidigung einschließlich des Schutzes der Zivilbevölkerung (Arbeitssicherstellungsgesetz)" w a r — nach vorheriger Beratung i m BR (erster Durchgang) — am 6. 12. 1967 dem B T zugeleitet worden u n d lag als BT-Drs. V/2362 bei der 5. Informationssitzg. v. 14.12.1967 vor. 116 5. Informationssitzg., Prot. S. 16 f. 117 Diese Befürchtung w a r auch innerhalb der SPD u n d der SPD-Bundestagsfraktion w e i t verbreitet, vgl. die Diskussion auf der Bundeskonferenz der SPD v. 13. - 15.11.1967 i n Bad Godesberg, Protokoll, S. C 89, 92 f. na D e r i g Metall-Vors. Brenner hatte i n seiner Stellungnahme ebenfalls betont, die i n § 32 des RegE eines Arbeitssicherstellungsgesetzes vorgesehene Strafvorschrift bedeute praktisch, daß der Streik unter Strafe gestellt werde, 2. Informationssitzg., Prot. S. 44. Brenner hatte dabei jedoch das einschränkende Tatbestandsmerkmal „ohne anerkennenswerten G r u n d " übersehen bzw. daraus „ohne erkennbaren G r u n d " gemacht (so auch die vorbereitete Pressem i t t e i l u n g der I G Metall, die während des Hearings verteilt wurde). Das T a t bestandsmerkmal „ohne anerkennenswerten Grund" unterschlägt auch Römer, Blätter 1967, S. 1153. So sehr sich darüber streiten läßt, ob die Formulierung „ohne anerkennenswerten G r u n d " i n ausreichender Weise sicherstellt, daß die Teilnahme an einem Streik nicht als strafbares Verlassen des Arbeitsplatzes angesehen w i r d , so k l a r ist auf der anderen Seite, daß die völlige Nichtberücksichtigung dieses Tatbestandsmerkmals ein gänzlich falsches B i l d ergibt. 114
I I . Abschn.: Entstehungs- u n d Textgeschichte
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warum dies ausdrücklich nicht i m Gesetz festgelegt worden sei 1 1 9 . Als weitere Möglichkeiten, Streiks zu beeinträchtigen, nannte Reuter die auch i m Frieden mögliche Heranziehung Wehrpflichtiger zu Ausbildungsveranstaltungen, womit die durch Streiks freigewordenen Arbeitsplätze aufgefüllt werden könnten, ferner die Heranziehung streikender Arbeitnehmer zu Ausbildungsveranstaltungen, die dann — innerhalb eines öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnisses, also ohne Streikrecht — u. U. sogar i m bestreikten Bereich selbst eingesetzt werden könnten, ferner die Dienstverpflichtung bestimmter Personen (oder ihre Verpflichtung zu Ausbildungsveranstaltungen) bereits i m Stadium der Vorbereitung von Arbeitskampf maßnahmen; damit könne die Einleitung eines Streiks von vornherein erschwert oder überhaupt verhindert werden. Schließlich sei es auch möglich, nach dem Zivilschutzkorpsgesetz bei einem drohenden oder bereits ausgebrochenen Streik für den Pflichtigen Personenkreis kasernierte Bereithaltung anzuordnen 120 oder bei einem Streik m i t weitgreifenden Auswirkungen eine Katastrophe i m Sinne dieses Gesetzes anzunehmen und bestimmte Maßnahmen dagegen einzuleiten 1 2 1 . Als letztes wies Reuter auf die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze über die Rechtmäßigkeit nur des sozialadäquaten Streiks hin; es sei nicht auszuschließen, daß die Rechtsprechung unter Hinweis auf das gefährdete Gemeinwohl erschwerende Voraussetzungen an die Rechtmäßigkeit eines Streiks stellen werde, der i n einem wichtigen Betrieb geführt w i r d 1 2 2 . I n einer Entgegnung zu Reuters detaillierter K r i t i k erklärte der StS i m Bundesjustizministerium, Prof. Dr. Ehmke, es sei der Wille der Bundesregierung, das Streikrecht durch die Notstandsverfassung nicht einzuschränken; deshalb sei A r t . 9 GG — nach der Grundrechtssystematik die Stelle, an der eine etwaige Einschränkung erfolgen müßte — unberührt geblieben. Zuzugeben sei allerdings, daß die neu zu schaffende Möglichkeit der Heranziehung zu Dienstleistungen dahin führen könne, daß u. U. jemand herangezogen und i n ein Arbeitsverhältnis verpflichtet 119 I n Beantwortung dieser Frage erklärte der damalige StS i m Bundes justizministerium Prof. Dr. Ehmke, das Streikrecht sei deswegen nicht i n § 32 des E eines Arbeitssicherstellungsgesetzes aufgenommen worden, w e i l sich während der Ressortberatungen die Vertreter der Gewerkschaften dagegen ausgesprochen hätten, u n d zwar m i t dem Argument, m a n könnte sonst den Schluß ziehen, das Streikrecht sei n u r durch einfaches Gesetz gewährleistet, nicht aber durch die Verfassung, 5. Informationssitzg., Prot. S. 18. 120 Z u diesem Argument s. oben Fußn. 89. 121 Z u diesem Argument s. oben Fußn. 91. 122 Daß der vorliegende RegE der Notstandsverfassung f ü r die Beurteilung der Rechtmäßigkeit eines Streiks nach dem K r i t e r i u m der Sozialadäquanz irrelevant war, die insofern gegen den E n t w u r f vorgebrachten Bedenken des D G B also nicht schlüssig erscheinen, wurde bereits oben Fußn. 85, 95 angedeutet.
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1. Teil: Entstehung des A r t . 9 I I I 3 GG
werde, während er an seinem bisherigen Arbeitsplatz gerade streike. Dies aber sei keine Änderung der bestehenden Rechtslage, weil nur Wehrpflichtige erfaßt werden könnten und die Einziehung zum Wehrdienst auch nicht etwa daran scheitere, daß sich der Wehrpflichtige gerade an seinem Arbeitsplatz i m Streik befinde 123 . Wichtig sei, daß dem Herangezogenen auch an seinem Arbeitsplatz das Streikrecht zustehe, w e i l durch die Dienstverpflichtung ein Arbeitsverhältnis begründet werde 1 2 3 . A u f eine Frage des Abg. Helmut Schmidt, des damaligen Vorsitzenden der SPD-Fraktion, räumte DGB-Vorstandsmitglied Reuter ein, daß eine Kollision zwischen A r t . 9 GG und dem vorgesehenen neuen A r t . 12 nicht bestehe, daß also das i n A r t . 9 GG garantierte Streikrecht (bzw. die dort garantierte Streikfreiheit 1 2 4 ) durch die Maßnahmen nach A r t . 12 des Koalitionsentwurfs nicht förmlich eingeschränkt werde 1 2 5 . A r t . 9 GG und die Streikfreiheit könnten jedoch — wie er (Reuter) dargelegt habe — i n der Praxis ohne weiteres durch bestimmte Maßnahmen „unterlaufen" werden 1 2 5 . Gewissermaßen als „Gegengewicht" zu den für möglich gehaltenen Eingriffen i n das Streikrecht wurde von einigen Sachverständigen eine ausdrückliche Garantie des Streikrechts i n A r t . 9 GG befürwortet 1 2 6 . Ob mit einer ausdrücklichen Verankerung des Streikrechts i n A r t . 9 GG gerade i m Hinblick auf die m i t Arbeitskräftelenkungsmaßnahmen verbundenen Befürchtungen viel gewonnen worden wäre, muß allerdings bezweifelt 123
5. Informationssitzg., Prot. S. 18. I m Rahmen der Hearings stellte sich eine interessante, w e n n auch i n der Sache nicht überraschende Meinungsverschiedenheit auf Seiten der Bundesregierung heraus: Während der PStS i m Bundesinnenministerium Benda (CDU) erklärte, nach Auffassung der Bundesregierung sei i n A r t . 9 Abs. 3 GG die Arbeitskampffreiheit als I n s t i t u t i o n mitgewährleistet (2. Informationssitzg., Prot. S. 19, u n d 5. Informationssitzg., Prot. S. 5) bezeichnete es der StS i m Bundesjustizministerium Prof. Dr. Ehmke (SPD) als Meinung der Bundesregierung, daß A r t . 9 das Streikrecht garantiere (5. Informationssitzg., Prot. S. 18). A n späterer Stelle bemerkte Benda, daß darin „natürlich ein sachlicher Unterschied" stecke (5. Informationssitzg., Prot. S. 21). Zwischen CDU/CSU u n d SPD bestand innerhalb der Bundesregierung offenbar n u r ein limitierter Konsens, nämlich über den Ort der Garantie des Streikrechts bzw. der Arbeitskampffreiheit — eine i n der Rechtslehre keineswegs unumstrittene Frage —, nicht dagegen über den sachlichen I n h a l t der Garantie. 125 5. Informationssitzg., Prot. S. 19. 126 Rosenberg auf eine Frage des Abg. Bauer (SPD), 2. Informationssitzg., Prot. S. 25, ebenso S. 28; Dr. Seifert, 5. Informationssitzg., Prot. S. 68; ebenso — w e n n auch nicht aus materiell-rechtl., sondern aus psychologisch-politischen Gründen — Stellv. DAG-Vors. Apel, ebd., S. 34 f., 37. Zurückhaltender D G B Bundesvorstandsmitglied Reuter, ebd., S. 19 ff. (eine besondere Festlegung sei nicht nötig, da das Streikrecht bzw. die Streikfreiheit der Koalitionsfreiheit immanent sei u n d A r t . 9 daher ausreiche). Auch innerhalb der SPD-Bundestagsf r a k t i o n u n d darüber hinaus i n der gesamten SPD hatte die Forderung nach Aufnahme einer ausdrückl. Streikrechtsgarantie zahlreiche Anhänger, vgl. Bundeskonferenz der SPD v. 13. - 15. 11. 1967, Prot., S. C 10, 92, 96, 100. Siehe auch Fußn. 19, 96 - 99 u n d den Text dazu. 124
I I . Abschn.: Entstehungs- und Textgeschichte
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werden. Denn die Gefahr, daß Streiks „faktisch unterlaufen" werden — und nur diese Gefahr bestand, da weder i n A r t . 12 noch an anderer Stelle des Koalitionsentwurfs noch i n den einfachen Notstandsgesetzen rechtliche Beschränkungen des Streikrechts (bzw. der Arbeitskampffreiheit) für Notstandssituationen vorgesehen waren —, wäre nicht einfach dadurch entfallen, daß i n A r t . 9 GG eine ausdrückliche Garantie des Streikrechts aufgenommen worden wäre 1 2 7 . Allenfalls hätte eine förmliche Garantie des Streikrechts i n erhöhtem Maß Anlaß zu der Frage gegeben, ob nicht auch dem bloß „faktischen Unterlaufen" eines Streiks von den Schutzwirkungen der neuen Rechtsgarantie her gewisse Grenzen gesetzt sind; indessen darf nicht übersehen werden, daß sich diese Frage auch ohne eine ausdrückliche Streikrechtsgarantie bereits unter dem geltenden Art. 9 Abs. 3 GG, der ja durch die Notstandsverfassung nicht berührt werden sollte, stellte 1 2 8 . Da eine ausdrückliche Verankerung des Streikrechts also gerade an dem befürchteten „faktischen Unterlaufen" von Streiks nichts Grundlegendes geändert hätte, war es folgerichtiger, für die Aufnahme einer Klausel zu plädieren, i n der bestimmt werden sollte, daß m i t den i n Art. 12 vorgesehenen Arbeitskräftelenkungsmaßnahmen nicht i n Streiks eingegriffen werden dürfe 1 2 9 . Der Sachverständige Dr. Seifert betonte, er würde i n diesem Vorschlag, der bereits i n den fraktionsinternen A n trägen der SPD-Abg. Gscheidle, Kaffka, Lenders und Matthöfer vom 26. 6. 1967 enthalten 1 3 0 und i n der SPD-Fraktion eingehend diskutiert worden w a r 1 3 1 , „die entscheidende Sicherung" sehen 132 . Offen blieb i n den Sachverständigenanhörungen allerdings, wo diese negative Arbeitskampfschutzklausel ihren Platz haben solle 1 3 3 , i n Art. 91, i n A r t . 12 oder — wie innerhalb der SPD-Fraktion für richtig gehalten 1 3 4 — i n Art. 9 GG. Angesichts der von manchen Sachverständigen und auch von SPDAbgeordneten befürworteten Aufnahme einer ausdrücklichen Garantie 127 A . A . offensichtlich — w e n n auch ohne Begründung — Rosenberg, 2. Informationssitzg., Prot. S. 28. 128 Überraschenderweise wurde die Frage, ob sich aus dem unangetastet bleibenden A r t . 9 Abs. 3 GG Schranken f ü r die Anwendung der Arbeitskräftelenkungsmaßnahmen ergeben, i n der 5. Legislaturperiode ebensowenig wie vorher untersucht; eine Bemerkung i n dieser Richtung findet sich lediglich bei Event, AöR 91 (1966), S. 195. 129 So v o r allem Dr. Seifert, 5. Informationssitzg., Prot. S. 69, 79, 83; i n ähnlicher Richtung Reuter, ebd., S. 19 f. 130 s. Text nach Fußn. 56. I n dem von ihnen vorgeschlagenen neuen A r t . 9 Abs. 4 w a r freilich noch zusätzlich (in Satz 1) die Aufnahme einer Streikrechtsgarantie vorgesehen. 131 V g L X e x t z u F u ß r l ! 9 6 _ 9 9 > 132 183
57. 134
5. Informationssitzg., Prot. S. 79. Vgl. die Fragen u n d A n t w o r t e n i n der 5. Informationssitzg., Prot. S. 19 f., V g l >
T e x t
z u
Yußn. 102.
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1. T e i l : Entstehung des A r t . 9 I I I 3 GG
des Streikrechts i n A r t . 9 GG vertraten andere Sachverständige die Auffassung, daß man dann für den Verteidigungsfall Einschränkungen vorsehen 135 oder den Arbeitskampf i m Verteidigungsfall sogar eindeutig für unzulässig erklären müsse 136 . Der Abg. Picard (CDU/CSU) bemerkte, daß bei einer ausdrücklichen Verankerung des Streikrechts i m Grundgesetz „auch das Pendant dazu, nämlich das Recht auf Aussperrung" verankert werden müsse 137 . Schließlich wies der Abg. Gscheidle (SPD) i n einer Frage an DGB-Vorstandsmitglied Reuter darauf hin, daß i n den Gewerkschaften diskutiert werde, ob es nicht besser sei, keinen Antrag auf ausdrückliche Verankerung des Streikrechts i m Grundgesetz zu stellen — es also beim bestehenden Zustand zu belassen —, als i m Bundestag einen förmlichen Antrag zu stellen und damit das Risiko einer Ablehnung einzugehen 138 . Reuter stimmte der Auffassung zu, die Ablehnung des A n trages sei schlechter als der bestehende Zustand — durchaus folgerichtig, hatte Reuter doch zuvor schon dargelegt, daß seiner Meinung nach das Streikrecht von der Garantie der Koalitionsfreiheit mitumfaßt werde und A r t . 9 GG deshalb keiner Ergänzung bedürfe 1 3 9 ; es leuchtet ein, daß schon die Stellung, mehr aber noch die Ablehnung eines Antrages auf Aufnahme einer ausdrücklichen Streikrechtsgarantie i n Art. 9 GG von denjenigen als eine Schwächung ihrer Position betrachtet wurde, die — wie der DGB und die SPD 1 4 0 — bereits i m geltenden Art. 9 Abs. 3 GG eine verfassungsrechtliche Garantie auch des Streikrechts sahen 141 . 135 p r o f . Dr. Bettermann, 2. Informationssitzg., Prot. S. 3, 7. iss p r o f . Dr. Nipperdey (in seiner schriftl. Stellungnahme), 5. Informationssitzg., Prot. S. 96. 137 5. Informationssitzg., Prot. S. 37; die Parität der beiden K a m p f m i t t e l Streik u n d Aussperrung betonte auch der Vertreter der Arbeitgeberverbände, Dr. Kley, ebd., S. 42. 138 Ebd., S. 20. Auch i n den Beratungen der SPD-Fraktion vor der 1. Lesung, i n denen über Änderungen u n d Ergänzungen des RegE der Notstandsverfassung diskutiert wurde, spielte diese Frage eine beträchtliche Rolle. 139 Vgl. Fußn. 126. 140 Vgl. die v o m Vorstand der SPD hrsg. Schrift „ Z u r Sache", S. 163 (Okt. 1967). Vgl. ferner Fußn. 124. 141 Deutlich die SPD-Schrift „ Z u r Sache", S. 163 f.: „Durch diese Forderung (nach einer ausdrückl. Garantie des Streikrechts) würde der herrschenden Lehre ein wesentliches A r g u m e n t f ü r ihre Auffassung gegeben. Denn eine ausdrückliche Erwähnung des Streikrechts i n A r t . 9 k a n n n u r dann notwendig sein, w e n n es nicht bereits ein verfassungsmäßig gewährleistetes Recht ist." Ä h n l i c h auch der CDU/CSU-Experte Benda, der zum Vorschlag des Landes Hessen, i n einem neuen A r t . 9 Abs. 4 GG das Streikrecht zu garantieren, feststellte: „ I m m e r h i n ergibt sich aus ihm, daß auch das L a n d Hessen f ü r die gegenwärtige Verfassungslage nicht v o n einer verfassungsmäßigen Gewährleistung des Streikrechts ausgeht, da sonst die vorgeschlagene Vorschrift überflüssig wäre", Benda, Der Arbeitgeber 1967, S. 387. Ganz zwingend w a r diese Argumentation freilich nicht. Die Forderung nach einer ausdrückl. Garantie des Streikrechts könnte auch f ü r den, der dieses Recht bereits nach A r t . 9 Abs. 3 GG mitgewährleistet ansieht, sinnvoll sein, w e i l die Aufnahme einer
I I . Abschn.: Entstehungs- und Textgeschichte
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Außer von den Gewerkschaftsvertretern, die Art. 91 Abs. 4 des Koalitionsentwurfs als unzureichende Sicherung des Streikrechts bezeichneten, wurde diese Vorschrift i m Verlauf der Sachverständigenanhörungen auch noch von anderer Seite und m i t anderer Zielrichtung kritisiert. Prof. Dr. Nipperdey bemängelte i n seiner schriftlichen Stellungnahme, daß rechtmäßige wie rechtswidrige Arbeitskämpfe gleichermaßen von den Exekutivmaßnahmen des A r t . 91 Abs. 1 - 3 ausgenommen werden sollten. Die generelle Ausnahme auch rechtswidriger Arbeitskämpfe der Verbände sei rechtspolitisch verfehlt 1 4 2 , ja bei grob rechtswidrigen Streiks „staatspolitisch unbegreifbar" 1 4 3 . Ebenso unbefriedigend wie die Regelung des Arbeitskampfes i m inneren Notstand sei die Regelung bzw. Nichtregelung i m äußeren Notstand. I m Zustand äußerer Gefahr solle der Arbeitskampf klar für unzulässig erklärt werden 1 4 4 . Schließlich plädierte Nipperdey für eine „längst überfällige legislative Grundsatzklärung", durch die die bestehenden fundamentalen Unklarheiten über das Verhältnis des A r beitskampfes zur Friedensverfassung endlich beseitigt würden. Das Verhältnis zwischen Arbeitskampf und Notstandsverfassung lasse sich nur befriedigend regeln, wenn diese Grundsatzklärung vorgenommen werde. Sie sei jetzt leichter zu vollziehen als 1949 bei den Beratungen des Parlamentarischen Rates, da durch die Rechtsprechung des B A G inzwischen feststehe, unter welchen Grundsätzen die Berufsverbände rechtmäßigerweise Arbeitskämpfe gegeneinander führen könnten. Nipperdey empfahl, an A r t . 9 GG folgenden neuen Absatz 4 anzufügen: „Der v o n Vereinigungen i m Sinne des vorstehenden Absatzes u m tariflich regelbare Ziele fair geführte Arbeitskampf ist erlaubt. I m Zustand äußerer Gefahr (Art. 115 a) sind Arbeitskampf maßnahmen unzulässig 1 4 4 ."
Aus ganz anderer Sicht hatte Prof. Dr. Zweigert A r t . 91 Abs. 4 des Koalitionsentwurfs kritisiert. Diese Bestimmung sei „ganz indiskutabel", weil sie „per argumentum e contrario den politischen Streik als . . . inneren Notstandsfall geradezu proklamiert" 1 4 5 . Es gebe Situationen, i n denen der politische Streik gerechtfertigt sei; deshalb sei es gefährlich, durch Art. 91 Abs. 4 den juristischen Schluß nahezulegen, der politische Streik sei immer verwerflich 1 4 5 . I m Gegensatz dazu betonte später der Politikwissenschaftler Prof. Dr. Sontheimer, daß er die von Zweigert befürchausdrückl. Garantie die bislang umstrittene Rechtslage eindeutig und allseits verbindlich klarstellen würde. So w o h l auch der damalige Bundesjustizminister Dr. Heinemann, Bundeskonferenz der SPD v. 13. - 15. 11. 1967, Protokoll, S. C 10. 142 5. Informationssitzg., Prot. S. 95. 143 Ebd., S. 96. Da Nipperdey krankheitshalber nicht zur Anhörung kommen u n d er daher n u r schriftl. auf die i h m übermittelten Fragen antworten konnte, unterblieb eine öffentl. Diskussion dieser Thesen. 144 Ebd., S. 96. 145 2. Informationssitzg., Prot. S. 96.
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1. Teil: Entstehung des A r t . 9 I I I 3 GG
tete Gefahr eines Umkehrschlusses aus A r t . 91 Abs. 4 des Koalitionsentwurfs nicht sehe; die Bestimmung scheine i h m trotz der gewerkschaftlichen Einwände sinnvoll, w e i l durch die Bezugnahme auf Arbeitskämpfe und auf A r t . 9 Abs. 3 GG „zum erstenmal i n einer deutschen Verfassung das Streikrecht deutlicher als bisher garantiert i s t 1 4 6 . . . " Zur Frage des Verhältnisses zwischen Dienstverpflichtungen und Streiks wurde i m Verlauf der Hearings begrüßt, daß der Entwurf des Arbeitssicherstellungsgesetzes die Begründung privatrechtlicher Arbeitsverhältnisse für Dienstpflichtige vorsehe 147 . Verschiedentlich wurde darauf hingewiesen, daß i m Rahmen eines derartigen Arbeitsverhältnisses das Koalitions- und Streikrecht des Dienstpflichtigen erhalten bleibe 1 4 8 . Zu der Forderung, die grundsätzliche arbeitsrechtliche Ausgestaltung der Dienstverhältnisse ausdrücklich i m Text der Verfassung und nicht nur i m jederzeit m i t einfacher Mehrheit abänderbaren Arbeitssicherstellungsgesetz zu verankern 1 4 9 , erklärte StS Prof. Dr. Ehmke, die Bundesregierung sei bereit, dies näher zu erörtern 1 5 0 . Interessanterweise stimmten zahlreiche Sachverständige darin überein, daß die Wahrscheinlichkeit eines Arbeitskampfes, insbesondere eines Streiks, i m Verteidigungsfall sehr gering sei 1 5 1 . Daß trotzdem für die rechtliche Reglung des Verhältnisses zwischen Arbeitskampf und Notstandsverfassung sehr unterschiedliche Positionen bezogen werden konnten, läßt sich an der Auffassung Prof. Dr. Nipperdeys und der Meinung des Abg. Matthöf er (SPD) zeigen: Während Nipperdey sich dafür aussprach, man solle das, was nach allgemeiner Überzeugung i m Zustand äußerer Gefahr von den Berufsverbänden, insbesondere von den Gewerkschaften, erwartet werde, nämlich ein Verzicht auf Arbeitskampfmaßnahmen, auch legislativ fordern 1 5 2 , 146 5. Informationssitzg., Prot. S. 56. I n ähnlicher Weise bezeichnete StS Prof. Dr. Ehmke A r t . 91 Abs. 4 RegE als eine „authentische Verfassungsinterpretation dahin, daß A r t . 9 Abs. 3 schon jetzt das Streikrecht umschließt", ebd., S. 18. 147 DGB-Vorstandsmitglied Reuter, 5. Informationssitzg., Prot. S. 15 (ungeachtet seiner grundsätzlichen Vorbehalte gegen jede Dienstverpflichtung); Stellv. DAG-Vors. Apel, ebd., S. 33; Prof. Dr. Nipperdey, ebd., S. 94 f. 148 p r o f . Dr. Scheuner, 5. Informationssitzg., Prot. S. 7; Abg. Schmitt-VOckenhausen (SPD), ebd., S. 13; StS Prof. Dr. Ehmke, ebd., S. 18; Abg. Hirsch (SPD), ebd., S. 83. 149 Eine Forderung, die v o r allem von der SPD-Bundestagsfraktion erhoben wurde u n d die der Abg. Hirsch (SPD) schon i n der 1. Lesung angemeldet hatte, vgl. Text zu Fußn. 74. 150 5. Informationssitzg., Prot. S. 17. 151 Prof. Dr. Scheuner, 5. Informationssitzg., Prot. S. 9; DGB-Vorstandsmitglied Reuter, ebd., S. 23f.; Stellv. DAG-Vors. Apel, ebd., S. 34 f.; Dr. Kley (Mitglied des Präsidiums des BDA), ebd., S. 42; ebenso PStS Benda, ebd., S. 35. 152
5. Informationssitzg., Prot. S. 96.
I I . Abschn.: Entstehungs- und Textgeschichte
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vertrat Matthöfer die Auffassung, i m Verteidigungs- und Spannungsfall seien nur Arbeitskämpfe zur Förderung der Arbeitsbedingungen mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auszuschließen; die Möglichkeit des Arbeitskampfes zur Wahrung der Arbeitsbedingungen müsse dagegen erhalten bleiben, w e i l auch der weiterhin für privaten Gewinn produzierende Arbeitgeber die rechtliche Möglichkeit behalte, durch innerbetriebliche Maßnahmen (Beschleunigung des Arbeitstempos, Verkürzung der Pausen usw.) eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen herbeizuführen; die Möglichkeit der Abwehr solcher Verschlechterungen dürfe dem Arbeitnehmer nicht genommen werden 1 5 3 . I m Januar 1968 legten die SPD-Abg. Gscheidle, Kaffka, Lenders und Matthöfer 1 5 4 ihrer Fraktion zur internen Meinungs- und Willensbildung zum zweiten M a l detaillierte Änderungsanträge zum Regierungsentwurf der Notstandsverfassung vor. Diese zweite Fassung der Änderungsanträge (vom 9. 1. 1968) 155 versuchte die Ergebnisse der Hearings und der zwischenzeitlichen Diskussion i n der Öffentlichkeit sowie i n Partei und Bundestagsfraktion der SPD zu berücksichtigen und kritischen Stellungnahmen zur ersten Fassung der Änderungsanträge vom 26. 6. 1967 Rechnung zu tragen. Zur Regelung des Fragenkreises „Streikrecht und Notstandsverfassung" wurde nunmehr (als Antrag Ziff. 1) die folgende Neufassung des A r t . 9 Abs. 3 GG — bei gleichzeitiger Streichung des A r t . 91 Abs. 4 des Koalitionsentwurfs — vorgeschlagen: „Das Recht zur Wahrung u n d Förderung der Arbeits- u n d Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist f ü r jedermann u n d f ü r alle Berufe unverletzlich. Das Streikrecht zur Wahrung u n d Förderung der Arbeits- u n d Wirtschaftsbedingungen w i r d , w e n n eine Gewerkschaft den Streik erklärt, gewährleistet. Abreden, die diese Rechte einschränken oder zu behindern suchen, sind unbeschadet des Rechtes zur Vereinbarung von Friedenspflichten für die E r k l ä r u n g eines Streiks nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig."
Die dazu gegebene ausführliche Begründung enthielt zahlreiche A r gumente, die innerhalb der SPD und der SPD-Bundestagsfraktion seit längerem diskutiert wurden, darunter allerdings auch solche, die insbesondere von den Juristen der SPD-Bundestagsfraktion als unzutreffend abgelehnt wurden: „Das Streikrecht der Arbeitnehmer ist nach richtiger u n d überwiegender Meinung der Rechtslehre bereits nach dem geltenden Text des Grundgesetzes durch A r t . 9 Abs. 3 geschützt. Gleichwohl ist eine ausdrückliche Verankerung des Streikrechts i m Grundgesetz erforderlich, u n d zwar aus folgenden Gründen: 1. Schon die beabsichtigte Notstandsverfassung als solche u n d erst recht die dort vorgesehene Regelung der Dienstleistungsverpflichtungen u n d des inneren Notstands ermöglichen Eingriffe i n das Streikrecht. Durch Äußerungen maß153 154 155
Ebd., S. 12. Der Abg. Porzner w a r inzwischen noch hinzugekommen. Teilweise veröffentlicht i n : Vorgänge 1968, S. 60 ff.
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1. Teil: Entstehung des A r t . 9 I I I 3 GG
genbender Regierungsvertreter zur Notstandsverfassung und zum Streikrecht w u r d e n bestehende Befürchtungen n u r verstärkt. Insbesondere ist auf den sogenannten „Notstandsbrief" des Bundesinnenministers v o m A p r i l 1966 an den Bundesvorstand des D G B hinzuweisen. Dort w i r d zwar gesagt, das Streikrecht sei durch A r t i k e l 9 Absatz 3 GG gewährleistet, i m Anschluß hieran j e doch hervorgehoben, „daß aus Gründen des Gemeinwohls" Einschränkungen der Streikfreiheit „durch Gesetz oder auf G r u n d eines Gesetzes" zulässig seien. Diese Auslegung ist zwar keinesfalls durch den Wortlaut des geltenden A r t i kels 9 Absatz 3 gedeckt (der ausdrücklich jedwede Maßnahme verbietet, die „dieses Recht" — also auch das i m Koalitionsrecht mitenthaltene Streikrecht — „einschränkt oder zu behindern sucht"), zeigt aber deutlich, w i e durch w i l l kürliche Auslegungen beliebige Beschränkungen des Streikrechts vorgenommen werden können. 2. Die ausschließlich auf den sogenannten inneren Notstand zugeschnittene Streikklausel des A r t i k e l s 91 Abs. 4 des Reg. Entw. ist unannehmbar. Damit w i r d zum Ausdruck gebracht, das Streikrecht sei eben nicht i m A r t i k e l 9 Abs. 3 GG mitenthalten, so daß Eingriffe aufgrund anderer Bestimmungen — so durch Dienstleistungsverpflichtungen nach A r t . 12 des Reg. E n t w . — möglich wären. Darüber hinaus w i r d durch die Streikklausel des A r t i k e l s 91 Abs. 4 des Reg. Entw. n u r eine negative Aussage dahingehend getroffen, welche V o r schriften auf das Streikrecht keine A n w e n d u n g finden. Es ist eine regelrechte Z u m u t u n g f ü r Arbeitnehmer u n d Gewerkschaften, das Streikrecht überhaupt i n A r t i k e l 91 zu regeln, w o von der „ A b w e h r einer drohenden Gefahr f ü r die freiheitliche demokratische Grundordnung" die Rede ist; damit w i r d nämlich unterstellt, daß an sich ein Streik als eine solche Gefahr anzusehen sei. A l l e diese Unklarheiten u n d Zwielichtigkeiten — die hier n u r teilweise aufgeführt werden — machen eine ausdrückliche positive Verankerung des Streikrechts i m Grundgesetz unabweisbar. 3. Bei den Sachverständigenanhörungen haben Gewerkschaftsvertreter sich f ü r eine Verankerung des Streikrechts als Grundrecht ausgesprochen: angesichts der Mißbrauchsgefahren der Regierungsvorlagen zur Notstandsverfassung und zum Arbeitssicherstellungsgesetz sei dies nicht nur wünschenswert, sondern auch geeignet, erhebliche Bedenken der Arbeitnehmerschaft gegen die Notstandsverfassung wenigstens teilweise abzubauen. Deshalb besteht auch f ü r diejenigen, die das Streikrecht schon i m geltenden Text des Grundgesetzes „ausreichend" geschützt sehen, nicht n u r kein triftiger Grund, sich einer ausdrücklichen Verankerung dieses Rechts zu verschließen, sie müßten vielmehr — angesichts der n u n einmal bestehenden Befürchtungen — geradezu fordern, daß eine solche ausdrückliche Klarstellung erfolgt. 4. Auch der v o n den SPD-Parteitagen i m Zusammenhang m i t der Notstandsverfassung wiederholt geforderte wirksame Schutz der Arbeitnehmerrechte i m betrieblichen u n d gewerkschaftlichen Bereich gebietet eine Verankerung des Streikrechts i m Grundgesetz. Die systematisch richtige Stelle dafür ist der A r t i k e l 9 Abs. 3 GG. Deshalb w i r d eine Formulierung dieses Absatzes vorgeschlagen, die das Streikrecht als Grundrecht gewährleistet . . . Dadurch . . . w i r d sichergestellt, daß alle möglichen Maßnahmen, die das Streikrecht (ebenso w i e das Koalitionsrecht) „einschränken oder zu behindern suchen", rechtswidrig sind. Andererseits w i r d durch die neu hinzugefügten Worte i m Satz 2 „unbeschadet des Rechtes zur
I I . Abschn.: Entstehungs- u n d Textgeschichte
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Vereinbarung von Friedenspflichten f ü r die E r k l ä r u n g eines Streiks" sichergestellt, daß solche tarifvertraglichen Verpflichtungen keine nichtigen A b reden sind. Keine sachliche, sondern eine redaktionelle Änderung bedeutet die Auswechslung des Wortes „gewährleistet" i n „unverletzlich" beim Koalitionsrecht i n Satz 1. Dies geschah aus sprachlichen Gründen, u m das W o r t „gewährleistet" nicht zweimal hintereinander zu verwenden. M i t der vorgeschlagenen Formulierung des neuen Satzes 2 des A r t i k e l s 9 Abs. 3 GG w i r d die grundrechtliche Gewährleistung des Streikrechts i n zweierlei Hinsicht beschränkt: es w i r d i n Anlehnung an A r t i k e l 29 Abs. 4 der Hess. Verfassung n u r der gewerkschaftliche (also nicht auch der sog. „ w i l d e " ) Streik und n u r der arbeitsrechtliche, nicht auch der politische Streik geschützt. E i n politischer Streik zur Aufrechterhaltung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ist n u r ein U n t e r f a l l des allgemeinen Widerstandsrechts, allerdings das w o h l wirksamste Widerstandsmittel. Hierzu ist i m A r t i k e l 18 die ausdrückliche verfassungsrechtliche Verankerung des Widerstandsrechts — insbesondere auch des k o l l e k t i v e n Widerstands — vorgesehen 1 5 6 ." I n e i n e m H i l f s a n t r a g ( Z i f f . 1 a) schlugen die A b g . Gscheidle, K a f f k a , Lenders, M a t t h ö f e r u n d P o r z n e r f ü r d e n F a l l , daß „ t r o t z n a c h d r ü c k l i c h e n B e m ü h e n s der H a u p t a n t r a g z u m S t r e i k r e c h t n i c h t durchsetzbar i s t u n d der A r t i k e l 12 g e ä n d e r t w e r d e n s o l l t e " 1 5 7 , v o r , d e m g e l t e n d e n A r t . 9 A b s . 3 Satz 2 d e n f o l g e n d e n n e u e n H a l b s a t z a n z u f ü g e n : „insbesondere darf nicht durch Maßnahmen nach A r t i k e l 12 u n d A r t i k e l 91 ein Streik behindert werden." D e r H i l f s a n t r a g e n t h i e l t d i e i n n e r h a l b der S P D - B u n d e s t a g s f r a k t i o n schon seit l ä n g e r e r Z e i t d i s k u t i e r t e „ n e g a t i v e S c h u t z k l a u s e l " 1 5 8 . N u r sie befaßte sich a u s d r ü c k l i c h m i t der b e f ü r c h t e t e n K o l l i s i o n zwischen A r t . 9 u n d e i n e m g e ä n d e r t e n A r t . 12 G G , d. h. d e r K o l l i s i o n z w i s c h e n d e m S t r e i k r e c h t u n d d e n i n A r t . 12 v o r z u s e h e n d e n A r b e i t s k r ä f t e l e n k u n g s m a ß n a h m e n . D e r H a u p t a n t r a g ( Z i f f . 1) der A b g . Gscheidle, L e n d e r s , K a f f k a , M a t t h ö f e r u n d P o r z n e r u n t e r s t e l l t e dagegen s t i l l s c h w e i g e n d , daß m i t e i n e r a u s d r ü c k l i c h e n S t r e i k g a r a n t i e die G e f a h r des „ f a k t i s c h e n U n t e r l a u f e n s " v o n S t r e i k s e i n d e u t i g ausgeschlossen sei — eine A n n a h m e , die ( w i e bereits d a r g e l e g t ) 1 5 9 z u m i n d e s t m i t e i n e m Fragezeichen v e r sehen w e r d e n m u ß . I n einer dem T h e m a „Notstandsgesetzgebung" gewidmeten zweitägig e n S i t z u n g der S P D - B u n d e s t a g s f r a k t i o n a m 15. u n d 16. 1. 1968 1 6 0 , i n der 156 I n der Begründung zur vorgeschlagenen Verankerung des Widerstandsrechts i n einem neuen A r t . 18 Abs. 1 GG (Antrag Ziff. 4) wurde u. a. ausgeführt, m a n sähe bewußt davon ab, das Widerstandsrecht i n A r t . 9 beim Streikrecht zu verankern, w e i l der Widerstand gegen Verfassungsbruch ein allen Staatsbürgern — nicht n u r den Arbeitnehmern u n d ihren Gewerkschaften — zustehendes Recht sei. 157 So die Begründung des Hilfsantrags. 158 Vgl. Fußn. 103 u n d den T e x t dazu. 159 Siehe Text nach Fußn. 126. 160 A n i h r nahmen Mitglieder sozialdemokratischer Landesregierungen teil, außerdem Vertreter des Bundesvorstandes des D G B u n d der D A G .
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1. Teil: Entstehung des A r t . 9 I I I 3 GG
für die bevorstehenden Beratungen i n den Ausschüssen und Verhandlungen m i t dem Koalitionspartner Grundsätze und Verhandlungsrichtlinien festgelegt wurden, beschloß die SPD-Fraktion, der CDU/CSU-Fraktion gegenüber die Forderung nach einer ausdrücklichen Verankerung des Streikrechts i n A r t . 9 GG zu erheben; dabei sollte die von den Abg. Gscheidle, Kaffka, Lenders, Matthöfer und Porzner am 9. 1. 1968 vorgelegte Formulierung für einen neuen A r t . 9 Abs. 3 G G 1 6 1 vorgeschlagen werden, also der politische Streik ausgeklammert bleiben 1 6 2 . Da man sich von vornherein darüber klar war, daß die Forderung nach einer ausdrücklichen Streikrechtsgarantie bei den anderen Fraktionen wenig Gegenliebe finden würde, wurden auch Hilfslösungen erörtert; auf keinen Fall annehmbar sei allerdings die Arbeitskampfschutzklausel des A r t . 91 Abs. 4 des Regierungsentwurfs. Abzulehnen sei auch jede Formulierung, die das Recht auf Aussperrung ausdrücklich i m Grundgesetz garantiere. A m 18.1.1968 begannen i m federführenden Rechtsausschuß und am 24. 1. 1968 i m mitberatenden Innenausschuß die Beratungen. Der Innenausschuß nahm zu A r t . 91 Abs. 4 des Regierungsentwurfs und zur Frage einer Streikrechtsgarantie zuächst nicht Stellung, sondern bat den federführenden Rechtsausschuß u m Prüfung, „ob und inwieweit unter Berücksichtigung der derzeitigen grundgesetzlichen Ordnung das Streikrecht ausdrücklich i m Grundgesetz verankert werden solle" 1 6 3 . I m Rechtsausschuß wurde der Fragenkreis — wegen der stark divergierenden A u f fassungen von CDU/CSU und SPD — zunächst ausgeklammert, u m i n direkten Koalitionsverhandlungen zwischen den Regierungsfraktionen erörtert zu werden. I n einem ersten Koalitionsgespräch am 23. 1. 1968 und i n einem weiteren Gespräch am 6. 2. 1968 erläuterten die SPDVertreter ihre Vorstellungen und stießen dabei — nicht unerwartet — vor allem m i t der Forderung nach einer ausdrücklichen Streikrechtsgarantie bei den Vertretern der CDU/CSU auf Widerstand 1 6 4 . Wie i m 161
s. oben S. 89. Ohne Festlegung i m einzelnen wurde ferner — gegen den Widerstand der Juristen — eine Kodifizierung des Widerstandsrechts i n der Verfassung befürwortet. Vgl. dazu Chr. Böckenförde, JZ 1970,170. 163 I A des BT, 79. Sitzg. v. 24. 1. 1968, Prot. S. 5 ff.; Sehr, des Vors. des I A an den Vors. des R A v. 25.1.1968 (Ausschußdrucksache V/75 des RA). 164 Der Notstandexperte der CDU/CSU Benda erläuterte am 27. 1. 1968 i n einem Rundfunkinterview auf die Frage, w i e er zu dieser Forderung der SPD stehe, seine Auffassung w i e folgt: Nicht das Streikrecht, w o h l aber die Arbeitskampffreiheit, die Streiks u n d Aussperrungen umfasse, sei i n A r t . 9 Abs. 3 GG m i t gewährleistet. Dies könne m a n ausdrücklich i n das Grundgesetz aufnehmen, „ w e n n m a n sich zugleich über die notwendigen Grenzen eines solchen Grundrechts k l a r w i r d u n d über die Frage, w e r diese Grenzen i m Einzelfall zu bestimmen hat. Diese Frage ist sehr v i e l schwieriger als die Grundfrage, ob die Arbeitskampffreiheit an sich verfassungsrechtlich geschützt ist". NDR/ 27. 1. 1968/18.20/ — Das I n t e r v i e w — (Nachschrift des Presse- u n d Informationsamtes der BReg.). 162
I I . Abschn.: Entstehungs- u n d Textgeschichte
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Gespräch vom 6. 2. 1968 vereinbart, legte der Stellv. Vorsitzende und Notstandsexperte der SPD-Fraktion Hirsch i n einem an Bundesinnenminister Lücke gerichteten Schreiben vom 7. 2. 1968 die Änderungswünsche seiner Fraktion i n Form konkreter Formulierungen vor; entsprechend dem Beschluß der SPD-Fraktion vom 15./16. 1. 1968 forderte Hirsch die Streichung des A r t . 91 Abs. 4 des Regierungsentwurfs und eine Neufassung des A r t . 9 Abs. 3 GG i n der Formulierung der Änderungsanträge der Abg. Gscheidle, Kaffka, Lenders, Matthöfer und Porzner vom 9. 1. 1968 165 . I m Gegenzug legte daraufhin der PStS i m Bundesinnenministerium Benda (CDU) dem Abg. Hirsch (SPD) am 2. 3. 1968 zur Vorbereitung eines weiteren Koalitionsgesprächs zwischen CDU/CSU und SPD seinerseits Formulierungsvorschläge für die strittigen Punkte vor; Benda schlug u. a. vor, A r t . 91 Abs. 4 des Regierungsentwurfs zu streichen und an A r t . 9 Abs. 3 GG folgenden neuen Satz anzufügen: „Maßnahmen nach den A r t i k e l n 12 a Abs. 3 bis 6, 35 Abs. 2 u n d 3, 87 a Abs. 3, 91 u n d (143) dürfen sich nicht gegen Arbeitskämpfe richten, die zur Wahrung u n d Förderung der Arbeits- u n d Wirtschaftsbedingungen von Vereinigungen i m Sinne des Satzes 1 geführt werden 1 ® 6 ."
Da sich inzwischen schon gezeigt hatte, daß für die von der SPDFraktion i n erster Linie erhobene Forderung nach einer ausdrücklichen Verankerung des Streikrechts i n A r t . 9 GG die Zustimmung der CDU/ CSU-Fraktion—und m i t h i n die erforderliche verfassungsändernde Mehrheit — auf keinen Fall zu erreichen war, fand die von Benda vorgelegte „negative Schutzklausel" i m federführenden Arbeitskreis Rechtswesen der SPD-Fraktion am 4. 3. 1968 als grundsätzlich möglicher Lösungsweg Zustimmung, zumal dort ähnliche Überlegungen schon früher angestellt worden waren 1 6 7 . Starke Bedenken wurden allerdings gegen die Verwendung des Begriffs „Arbeitskämpfe" m i t der Begründung erhoben, es sei nicht auszuschließen, daß jemand aus der Erwähnung des Wortes „Arbeitskämpfe" eine grundgesetzliche Anerkennung auch der Aussperrung herauslese; das aber müsse unter allen Umständen vermieden werden. I m Hinblick auf diese Bedenken beschloß der Arbeitskreis Rechtswesen der SPD-Bundestagsfraktion am 4. 3. 1968, der CDU/CSU als Kompromiß vorzuschlagen, i n einer etwaigen negativen Schutzklausel 165
s. oben S. 89. I n den v o n Benda vorgelegten Formulierungsvorschlägen w a r gleichzeitig vorgesehen, sämtliche Beschränkungen der Berufsfreiheit (angefangen von der bislang n u r i n A r t . 73 Ziff. 1 GG geregelten Wehrpflicht bis zur Möglichkeit der Dienstverpflichtung) i n einen besonderen A r t . 12a zu übernehmen, den Katastrophenfall — einem Vorschlag der SPD entsprechend — i n A r t . 35 u n d den Einsatz der Bundeswehr i m I n n e r n i n einem neu zu schaffenden A r t . 87a Abs. 3 oder einem geänderten A r t . 143 GG zu regeln. Daraus erklären sich die angezogenen A r t i k e l i n der vorgeschlagenen Arbeitskampfschutzklausel. 167 Vgl. Fußn. 102,103 u n d den T e x t dazu. 166
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1. Teil: Entstehung des A r t . 9 I I I 3 GG
den Begriff „Arbeitskämpfe" durch „Streiks" zu ersetzen, dafür aber lediglich auf Maßnahmen nach A r t . 12 a Abs. 3 bis 6 Bezug zu nehmen 1 6 8 . M i t einer derartigen Beschränkung der Schutzklausel nur auf die A r beitskräftelenkungsmaßnahmen des A r t . 12 a, d. h. auf diejenigen Maßnahmen, von denen nach verbreiteter Aufassung eine besonders große Gefahr für Streiks ausging, m i t denen aber andererseits eine Aussperrung kaum beeinträchtigt werden könnte, suchten die sozialdemokratischen Abgeordneten — ohne das eigene Anliegen aufzugeben — dem Standpunkt der CDU/CSU Rechnung zu tragen, die sich gegen jede Regelung wandte, aus der man eine verfassungsrechtliche Anerkennung des Streiks und ein allgemeines verfassungsrechtliches Votum gegen die Aussperrung herauslesen könne. I n einem weiteren Koalitionsgespräch zwischen CDU/CSU und SPD vom 6. 3. 1968 160 stieß dieser Kompromißvorschlag — ebenso wie alle weitergehenden Forderungen der SPD — jedoch auf die entschiedene Ablehnung der Vertreter der CDU/CSU, die keinerlei Bereitschaft zeigten, über den vom PStS Benda vorgelegten Vorschlag hinauszugehen. Insbesondere lehnten die Vertreter der CDU/CSU die Aufnahme des Wortes „Streik" i n das Grundgesetz — an welcher Stelle auch i m m e r 1 7 0 — ab. Dem Verlauf der Koalitionsgespräche zwischen CDU/CSU und SPD 1 7 1 entsprechend enthielten die Formulierungshilfen des Bundesministeriums des Innern vom 21. 3.1968, die dem Rechtsausschuß des Bundestages am 23. 3. 1968 zugingen, einen A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 i n der vom PStS Benda vorgeschlagenen Fassung. I n einer weiteren Formulierungshilfe des Bundesministeriums des Innern vom 28. 3. 1968 war der neue Satz 3 dahingehend geändert, daß nicht nur auf A r t . 12 a Abs. 3 bis 6, sondern 168 Außerdem sollte nach dem Kompromißvorschlag des Arbeitskreises Rechtswesen die Arbeitskampfschutzklausel des A r t . 91 Abs. 4, die gegen mögliche Beeinträchtigungen durch Exekutivmaßnahmen nach A r t . 91 schützen sollte, unverändert beibehalten werden. 169 A n i h m nehmen neben den Notstandsexperten der beiden Koalitionsfraktionen die Fraktionsvors. Dr. Barzel u n d Helmut Schmidt teil, außerdem Bundesinnenminister Lücke u n d PStS Benda. 170 V o n Seiten der SPD w a r auch zur Diskussion gestellt worden, eine spezielle Schutzvorschrift f ü r Streiks i n A r t . 12a einzufügen. 171 A u f dem ordentl. Parteitag der SPD v o m 17. - 21. 3. 1968 i n Nürnberg wurde eine Entschließung verabschiedet, i n der die SPD-Bundestagsfraktion aufgefordert wurde, bei den abschließenden Beratungen über die Notstandsverfassung eine Reihe v o n „Grundsätzen zu verfolgen", darunter auch den folgenden: „Das i n A r t i k e l 9 GG enthaltene Streikrecht darf durch Notstandsregelungen weder i m äußeren Notstand noch i m Spannungszustand noch i m inneren Notstand beeinträchtigt werden", Protokoll, S. 1096 ff., 921 f.; die mehrfach erhobene Forderung nach einer ausdrückl. Streikrechtsgarantie i n A r t . 9 Abs. 3 GG wurde v o m Parteitag — i n richtiger Einschätzung der Nichtdurchsetzbarkeit dieser an sich f ü r wünschenswert erachteten Forderung — nicht übernommen, vgl. Protokoll, S. 585, 888, 913,919.
I I . Abschn.: Entstehungs- u n d Textgeschichte
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auf den gesamten A r t . 12 a Bezug genommen wurde; das lief auf eine (nicht unerhebliche) Erweiterung des Schutzes auch gegenüber den i n Art. 12 a Abs. 1 und 2 vorgesehenen Maßnahmen (darunter die Heranziehung zum Wehrdienst) hinaus. Der Rechtsausschuß befaßte sich erst am 1. 4. 1968 m i t der Frage der Arbeitskampfschutzklausel 172 ; er beschloß, dem Vorschlag der Formulierungshilfe vom 28. 3.1968 zu folgen und A r t . 9 Abs. 3 GG den folgenden neuen Satz anzufügen: „Maßnahmen nach den A r t i k e l n 12 a, 35 Abs. 2 u n d 3, A r t i k e l 87 a Abs. 4 und A r t i k e l 91 dürfen sich nicht gegen Arbeitskämpfe richten, die zur Wahrung und Förderung der Arbeits- u n d Wirtschaftsbedingungen von Vereinigungen i m Sinne des Satzes 1 geführt w e r d e n ^ . "
Auf die — von den Regierungsvertretern bejahte — Frage des Abg. Matthöfer (SPD) hin, ob unter den Begriff „Arbeitskämpfe" auch die Aussperrung falle, kam es i m Ausschuß zu einer Diskussion darüber, ob und wie Aussperrungen — Arbeitskampfmittel der Arbeitgeber — durch Dienstverpflichtungen, d. h. durch an die Adresse von Arbeit nehmern gerichtete Maßnahmen, überhaupt beeinträchtigt werden könnten. Matthöfer zeigte sich durch die gegebenen Beispiele denkbarer Beeinträchtigungen von Aussperrungen nicht überzeugt und beantragte daher, das Wort „Arbeitskämpfe" i n der bereits beschlossenen Fassung durch „Streiks" zu ersetzen, zumal i m Rahmen der Notstandsverfassung nicht die Frage der Gültigkeit des Aussperrungsverbots der Hessischen Landesverfassung entschieden werden dürfe. Der Antrag wurde von der Mehrheit des Rechtsausschusses abgelehnt 1 7 3 . Ein weiteres Koalitionsgespräch zwischen CDU/CSU und der SPD am 4. 4. 1968 brachte i n der Frage der Arbeitskampf schutzklausel keine Ä n derung mehr, so daß der Rechtausschuß i n einer Sitzung am Nachmittag des gleichen Tages den am 1. 4. 1968 gefaßten Beschluß mehrheitlich bestätigte 1 7 4 . Auch der Innenausschuß akzeptierte den vom Rechtsausschuß beschlossenen neuen Satz 3 des A r t . 9 Abs. 3, wobei vom Berichterstatter, dem Abg. Dr. Even (CDU/CSU), hervorgehoben wurde, daß die neue Klausel nicht ausschließe, i m Rahmen allgemeiner Maßnahmen auch einen solchen Reservisten zu erfassen, der sich gerade i m Streik befindet 1 7 5 . Die von den Ausschüssen beschlossene Arbeitskampfschutzklausel des A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 wurde i n den weiteren Beratungen nicht mehr geändert. Zu keinen Kontroversen zwischen CDU/CSU und SPD kam es über die Forderung der SPD, i m Verfassungstext selbst festzulegen, daß durch 172 178 174 175
Bespr. v. 1. 4.1968, A n l . zum Protokoll Nr. 79 des RA, S. 6 f. Ebd., S. 7. R A des BT, 79. Sitzg. v. 4. 4.1968, Prot. S. 14. I A des BT, 93. Sitzg. v. 4. 4.1968, Prot. S. 10.
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1. Teil: Entstehung des A r t . 9 I I I 3 GG
Dienstverpflichtungen grundsätzlich privatrechtliche Arbeitsverhältnisse begründet werden. Bereits i m Koalitionsgespräch vom 6. 2. 1968 wurde über diesen Punkt Übereinstimmung erzielt. Als schwierig erwies sich lediglich die Umschreibung derjenigen Tätigkeiten, i n denen von der Sache her öffentlich-rechtliche Dienstverhältnisse angebracht schienen 176 . Der Abg. Hirsch (SPD) schlug i n seinem Schreiben vom 7. 2. 1968 an Bundesinnenminister Lücke vor, an A r t . 12 Abs. 2 des Regierungsentwurfs folgenden Satz 3 anzufügen: „Das Dienstverhältnis hat privatrechtlichen Charakter, soweit nicht polizeiliche Befugnisse wahrzunehmen sind."
Demgegenüber schlug PStS Benda i n seinen Formulierungsvorschlägen vom 2. 3. 1968 einen A r t . 12 a Abs. 3 vor, i n dem zwischen „Arbeitsverhältnissen" und „öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnissen" (für polizeiliche und hoheitliche Aufgaben der öffentlichen Verwaltung) unterschieden wurde. Bendas Vorschlag, der auch i n den Formulierungshilfen des Bundesministeriums des Innern vom 21. 3. 1968 enthalten war, wurde vom Rechtsausschuß am 28. 3. 1968 unverändert übernommen 1 7 7 und ist i n dieser Fassung Gesetz geworden. A m 9. 5. 1968 lag der vom Abg. Dr. Lenz (CDU/CSU) erstattete Schriftliche Bericht des Rechtsausschusses178 vor. I n der Erläuterung zur Arbeitskampfschutzklausel des A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 wurde ausgeführt 179 , daß der neue Satz 3 Arbeitskämpfe vor einer Beeinträchtigung durch mißbräuchliche Anwendung von Notstandssondervollmachten schützen solle; es sei darüber hinaus nicht beabsichtigt, hinsichtlich der allgemeinen verfassungsrechtlichen Beurteilung der Zulässigkeit von Arbeitskämpfen an dem geltenden Rechtszustand irgend etwas zu ändern. Der Ausschuß habe geprüft, ob die Schutzklausel nur Streiks oder Arbeitskämpfe allgemein gewährleisten solle, habe jedoch eine Anregung abgelehnt, statt des Wortes „Arbeitskampf" das Wort „Streik" aufzunehmen. Denn Zweck der neuen Bestimmung sei die Gewährleistung des bisherigen Zustandes auch i m Rahmen der Notstandsverfassung und dieses Ziel könne nur durch eine gleichmäßige Behandlung beider Tarifparteien i n der neuen GewährleistungsVorschrift erreicht werden 1 7 9 . I n der Erläuterung zu A r t . 12 a Abs. 3 1 8 0 — der verfassungsrechtlichen Ermächtigung für Dienstverpflichtungen — hob der Bericht hervor, 176 M a n w a r sich k l a r darüber, daß aus verfassungsrechtl. Sicht die Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse nicht unbedingt an die Voraussetzung „öffentlich-rechtliche Dienstverhältnisse" geknüpft ist; A r t . 33 Abs. 4 GG läßt Ausnahmen zu. Vgl. Schriftl. Ber. des R A des BT, BT-Drs. V/2873, S. 6. 177 R A des BT, 78. Sitzg. v. 28. 3.1968, Prot. S. 5,14 f. 178 B T - D r s . V/2873. 179 Schriftl. Ber. des R A des BT, BT-Drs. V/2873, S. 3. 180 Ebd., S. 5 f.
I I . Abschn.: Entstehungs- u n d Textgeschichte
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daß Rechts- und Innenausschuß i m Interesse einer weitestmöglichen Sicherung der Rechte der Arbeitnehmer i m Verfassungstext selbst festlegen wollten, daß eine Verpflichtung grundsätzlich nur „ i n Arbeitsverhältnisse" zulässig sei. Das bedeute, daß insoweit die Dienstleistungen in einem Rechtsverhältnis zu erbringen seien, das sich — abgesehen von der Begründung und Beendigung — nicht von einem normalen Arbeitsverhältnis unterscheide 181 . Noch vor der Fertigstellung des Ausschußberichtes hatten die SPDAbg. Gscheidle, Kaffka, Lenders, Matthöfer und Porzner ihrer Fraktion zum dritten M a l Änderungsanträge vorgelegt. Diese Änderungsanträge vom 2. 5.1968 182 bezogen sich auf die am 4.4.1968 vorliegenden Beschlüsse des Rechtsausschusses183, der seine Beratungen „vorbehaltlich der Beschlüsse des Innenausschusses" zu diesem Zeitpunkt vorläufig beendet hatte 1 8 4 . I n einer Vorbemerkung zu den Änderungsanträgen vom 2. 5.1968 betonte der Abg. Matthöfer, daß die zwischen CDU/CSU und SPD bereits ausgehandelten Kompromisse der SPD-Fraktion bei ihrer endgültigen Entscheidung nur noch begrenzten Spielraum ließen. Deshalb würden diejenigen Anträge nicht mehr gestellt, bei denen — wie z. B. bei der Forderung nach einer ausdrücklichen Verankerung des Streikrechts in der Verfassung — keinerlei Aussicht auf eine Verwirklichung bestehe. I m Antrag Ziff. 1 beantragten die Abg. Gscheidle, Kaffka, Lenders, Matthöfer und Porzner, den Satzteil „dürfen sich nicht gegen Arbeitskämpfe richten" des vom Rechtsausschuß beschlossenen Art. 9 Abs. 3 wie folgt abzuändern: 1. das W o r t „Arbeitskämpfe" w i r d durch „Streiks" und 2. die Wörter „sich . . . richten" durch das W o r t „beeinträchtigen" ersetzt.
I n der dazu gegebenen Begründung wurde ausgeführt: „Eine Schutzklausel sollte n u r dann i n das Grundgesetz aufgenommen w e r den, w e n n sie i n der Rechtswirkung auch bedeutsam ist. Die i n der Ausschußvorlage vorgesehene Klausel konstatiert jedoch n u r etwas, was nach dem V e r fassungstext selbstverständlich ist. Z w a r w i r d durch die vorgesehene Fassung der Begriff „Arbeitskampf" ausdrücklich i n das Grundgesetz aufgenommen, jedoch i n einer Form, aus der herausgelesen werden könnte, daß Streik u n d Aussperrung v o m Verfassungsgeber gleichgestellt werden. Da die Streikfreiheit heute ernstlich nicht mehr bestritten w i r d , b i r g t die Ausschußvorlage die Gefahr i n sich, daß die einzige konkrete Rechtswirkung dieser Klausel darin besteht, daß die Aussperrung i n Z u k u n f t als rechtens angesehen w i r d . Es ist aber nicht ersichtlich u n d wurde v o n der Regierung auch nicht schlüssig dargestellt, daß sich die zitierten Maßnahmen überhaupt i n irgendeiner 181
Ebd., S. 6. Nicht veröffentlicht. 183 Zusammengestellt i n der Ausschußdrucksache V/90 des RA. 184 w e g e n verschiedener Änderungsvorschläge des mitberatenden I A beriet der R A am 9. 5.1968 nochmals (abschließend) über die Notstandsverfassung. 182
7 Glückert
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1. Teil: Entstehung des A r t . 9 I I I 3 GG
Weise gegen Aussperrungen richten können. Ganz offensichtlich ist das beim A r t i k e l 12 a. Wenn die CDU/CSU gleichwohl auf der M i t e r w ä h n u n g der Aussperrung besteht, so nicht aus rechtlichen oder gesetzestechnischen Gründen, sondern ausschließlich aus „klassenpolitischen". M a n möchte durch die H i n t e r t ü r auch die Aussperrung i n die Verfassung einführen oder doch jedenfalls den Streik nicht „privilegieren". W i r können dem nicht zustimmen, w e i l es beim jetzigen Zustand bleiben muß. Diese Frage k a n n nicht hier gewissermaßen nebenbei mitgeregelt werden. Rechtlich relevant w i r d die Schutzklausel n u r dann, w e n n festgelegt w i r d , daß Streiks nicht beeinträchtigt (es könnte auch heißen: nicht behindert) werden dürfen. Der Einwand, eine solche Formulierung schließe möglicherweise aus, daß während eines Streiks Maßnahmen zur beschleunigten Herstellung der Verteidigungsbereitschaft getroffen werden können, schlägt nicht durch. Auch das Wort „beeinträchtigt" schließt nicht jede Dienstverpflichtung während eines Streiks aus. W o h l aber w i r d ausgeschlossen, daß gerade die Streikführer durch eine Dienstverpflichtung „ f ü r Zwecke der Verteidigung" erfaßt werden. A u f diese Sicherung aber k o m m t es a n ! . . . " D i e Ä n d e r u n g s a n t r ä g e der A b g . Gscheidle, K a f f k a , Lenders, M a t t h ö f e r u n d P o r z n e r v o m 2. 5.1968 w u r d e n — m i t m e h r e r e n a n d e r e n Ä n d e r u n g s anträgen — i n den außerordentlich eingehenden u n d langwierigen Ber a t u n g e n der S P D - F r a k t i o n v o r der z w e i t e n u n d d r i t t e n L e s u n g d i s k u t i e r t ; die M e h r h e i t der F r a k t i o n b i l l i g t e die v o m Rechtsausschuß v o r g e schlagene Fassung des n e u e n A r t . 9 A b s . 3 Satz 3 1 8 5 , so daß dieser P u n k t n i c h t m e h r i n die w e g e n a n d e r e r S t r e i t f r a g e n e r f o r d e r l i c h w e r d e n d e n K o a l i t i o n s v e r h a n d l u n g e n zwischen C D U / C S U u n d S P D , die u n m i t t e l b a r v o r d e n P l e n a r b e r a t u n g e n s t a t t f a n d e n , einbezogen w u r d e . I n der z w e i t e n B e r a t u n g des R e g i e r u n g s e n t w u r f s d e r N o t s t a n d s v e r fassung a m 15. u n d 16. 5. 1968 i m P l e n u m des Bundestages w i e s d e r A b g . D r . L e n z ( C D U / C S U ) als B e r i c h t e r s t a t t e r des Rechtsausschusses i m R a h m e n e i n i g e r a l l g e m e i n e r B e m e r k u n g e n z u r A u s s c h u ß v o r l a g e die B e h a u p t u n g z u r ü c k , g e w e r k s c h a f t l i c h e n R e c h t e n w e r d e der B o d e n e n t zogen. D e r E n t w u r f v e r a n k e r e i m G e g e n t e i l das bestehende A r b e i t s kampfrecht ausdrücklich i n der Verfassung 186. I n der u n m i t t e l b a r anschließenden E i n z e l b e r a t u n g k a m es z u e i n e r k u r z e n D e b a t t e ü b e r d e n v o m Rechtsausschuß vorgeschlagenen n e u e n Satz 3 des A r t . 9 A b s . 3 G G , w o b e i die schon i m Rechtsausschuß zutage g e t r e t e n e n P o s i t i o n e n noch-
185 Angesichts der Tatsache, daß die CDU/CSU nicht bereit war, n u r das Wort „ S t r e i k " i n die Verfassung aufzunehmen, wurde A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 als akzeptabel erachtet, da diese Klausel dem seit langem bestehenden Anliegen der SPD, nämlich der Sicherung des Streikrechts v o r mißbräuchlicher Beeinträchtigung durch Dienstverpflichtungen u n d durch Maßnahmen nach A r t . 91 GG, jedenfalls eindeutig Rechnung trage. Die Befürchtung, aus dem neuen Satz 3 könne eine verfassungsrechtl. Garantie auch der Aussperrung herausgelesen werden, wurde angesichts des rein „negativen" Inhalts der Schutzklausel nicht als zwingend angesehen. 186 174. Sitzg. des 5. B T v. 15. 5.1968, Sten. Ber. S. 9313 (C).
I I . Abschn.: Entstehungs- u n d Textgeschichte
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mals deutlich wurden: Der Abg. Matthöf er (SPD) 187 wiederholte seine Bedenken gegen die Aufnahme des Wortes „Arbeitskämpfe" i n A r t . 9 Abs. 3 Satz 3: Unbestrittenermaßen umfasse der Begriff „Arbeitskämpfe" die beiden Kampfmittel Streik und Aussperrung. Es sei nicht ersichtlich, warum auch die Aussperrung i n den Schutz vor den aufgeführten Notstandsmaßnahmen einbezogen werden solle, da keine der fraglichen Maßnahmen überhaupt gegen eine Aussperrung gerichtet sein könne. Wie unsinnig die Einbeziehung der Aussperrung sei, lasse sich auch daran zeigen, daß nach dem Wortlaut des neuen Satzes 3 nur die Aussperrung einer Koalition, nicht aber die eines einzelnen Arbeitgebers geschützt sei. „Wenn also das Volkswagenwerk, das keinem Arbeitgeberverband angehört, aussperrte, könnte — falls so etwas überhaupt möglich wäre — gegen diese Aussperrung eines einzelnen Arbeitgebers vorgegangen werden 1 8 8 ." Hier zeige sich, so stellte der Abg. Matthöf er fest, daß man nicht ungestraft ungleiche Tatbestände gleich behandeln könne; denn der einzelne Arbeitgeber sei tariffähig, der einzelne Arbeitnehmer nicht. Matthöfer fügte hinzu, er bedaure außerordentlich, daß man m i t der A u f nahme des Wortes „Arbeitskämpfe" i n das Grundgesetz i n eine noch immer ungeklärte Diskussion eingreife und eine umstrittene Regelung treffe, die überdies dazu beitrage, daß „ w i r uns i m Arbeitsrecht der EWG weiter auseinanderleben" 189 . Das Arbeitsrecht und das Verfassungsrecht Italiens und Frankreichs würden nämlich die legale Aussperrung nicht kennen. Der Abgeordnete belegte diese Behauptung m i t einigen Zitaten aus einem Bericht über das Arbeitsrecht i n den einzelnen EWG-Ländern 1 9 0 ; i n den zitierten Sätzen 1 9 1 wurde allerdings nur gesagt, daß i n Frankreich und Italien Streik und Aussperrung rechtlich unterschiedlich behandelt werden, nicht dagegen, daß es i n beiden Ländern keine legale Aussperrung gebe 192 . Ohne einen Änderungsantrag zu stellen, kündigte Matthöfer an, er werde nicht für den neuen Satz 3 des A r t . 9 Abs. 3 GG 187
Ebd., S. 9314 (D) f. Ebd., S. 9315 (A). 189 Ebd., S. 9315 (B). 190 Gemeint w a r das Sammelwerk „Streik u n d Aussperrung", Bd. V der Sammlung des Arbeitsrechts, 2. — Das Arbeitsrecht i n der Gemeinschaft, der Europäischen Gemeinschaft f ü r Kohle u n d Stahl, Hohe Behörde, L u x e m b u r g 1961. 191 Sie entstammten sämtlich dem zusammenfassenden Bericht von Horton, ebd., S. 71, stehen dort indessen bezeichnenderweise unter dem T i t e l „Die moralischen Aspekte der Aussperrung" u n d liefern n u r die Begründung dafür, daß — w i e Horion anschließend ausführt — Streik u n d Aussperrung i n F r a n k reich u n d I t a l i e n nicht gleich behandelt werden. 192 F ü r diese Behauptung mußte der Abg. Matthöfer den Beweis schuldig bleiben. I n dem genannten Sammelwerk (Fußn. 190) wurde auch keineswegs gesagt, daß es i n Frankreich u n d I t a l i e n keine legale Aussperrung gebe, sondern n u r auf gewisse Unterschiede i n Bewertung u n d Behandlung von Streik u n d Aussperrung hingewiesen, vgl. Horion, ebd., S. 71 f.; Durand, ebd., S. 232 f.; Mengoni, ebd., S. 305 ff. (insbes. A n m . 131 bis). 188
7*
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1. Teil: Entstehung des A r t . 9 I I I 3 GG
stimmen, w e i l er die Einfügung des Wortes „Arbeitskämpfe" für schädlich und für überflüssig halte 1 9 3 . Dagegen erklärte der Abg. Dorn (FDP) als Sprecher der Opposition, seine Fraktion sei m i t diesem Punkt der Ausschußvorlage einverstanden und werde ihr zustimmen 1 9 4 . Für die SPD-Fraktion bemerkte der Abg. Hirsch (SPD), man könne darüber streiten, ob die derzeitige Verfassungsregelung über Arbeitskämpfe i n Friedenszeiten ausreiche oder ob sie ergänzt werden müsse 194 . Er stimme m i t seinem Fraktionskollegen Matthöfer darin überein, daß insofern Verbesserungen nötig seien. Jetzt gehe es aber nicht u m die Frage, wie die für Friedenszeiten geltende Regelung aussehen solle, sondern u m die Sicherung des augenblicklichen Zustandes „ i n Ausnahmesituationen bis zum Krieg hinein" 1 9 4 . Hirsch betonte namens seiner Fraktion, daß die vorgesehene Regelung „auf jeden Fall die heutigen Rechte der Arbeitnehmer sogar für die Kriegszeit sicherstellt" 1 9 5 . Deshalb empfehle die SPD-Fraktion Zustimmung 1 9 5 . Schließlich erläuterte der Abg. Lenz (CDU/CSU) m i t den Worten des Ausschußberichts nochmals, weshalb sich der Rechtsausschuß für die vorgelegte Fassung des neuen Rechtssatzes 3 entschieden habe 1 9 5 . Man habe nach Prüfung den Vorschlag abgelehnt, an Stelle von „Arbeitskampf" das Wort „Streik" i n die Verfassung hineinzuschreiben. Zweck der neuen Bestimmung sei die Gewährleistung des bisherigen Rechtszustandes auch i m Rahmen der Notstandsverfassung. Dieses Ziel könne nur durch eine gleichmäßige Behandlung beider Tarifparteien i n der neuen Gewährleistungsvorschrift erreicht werden. Man könne nicht differenzieren, sonst werde der Rechtszustand verändert 1 9 5 . M i t großer Mehrheit (bei nur 11 Nein-Stimmen und 4 Enthaltungen) wurde der vom Rechtsausschuß vorgeschlagene neue A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 danach i n zweiter Lesung angenommen 196 . A m 30. 5.1968, zwei Wochen nach der zweiten Beratung, fand die dritte Beratung der Notstandsverfassung statt. Da zu dem i n zweiter Lesung beschlossenen neuen Satz 3 des A r t . 9 Abs. 3 kein Änderungsantrag gestellt wurde, kam es über diesen Punkt nicht nochmals zu einer Einzelberatung. I n den Abschlußreden wurde die Arbeitskampfschutzklausel jedoch zweimal ausführlich behandelt. Der Abg. Matthöfer (SPD) legte dar, warum er der Notstandsverfassung trotz der erreichten Verbesserungen nicht zustimmen könne 1 9 7 und begründete dies u. a. damit, daß A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 nicht eindeutig jede Beeinträchtigung von Streiks durch bestimmte 193 194 195 196 197
174. Sitzg. des 5. BT, Sten. Ber. S. 9315 (C). Ebd., S. 9315 (D). Ebd., S. 9316 (A). Ebd., S. 9316 (B). 178. Stzg. des 5. B T v. 30. 5.1968, Sten. Ber. S. 9631 (B) ff.
I I . Abschn.: Entstehungs- und Textgeschichte
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Maßnahmen, insbesondere durch die Arbeitskräftelenkungsmaßnahmen nach A r t . 12 a, ausschließe 198 . Außerdem führe die vorgesehene Schutzklausel durch die Verwendung des Wortes „Arbeitskämpfe" i m Gegensatz zu der Lage i n den anderen großen EWG-Ländern 1 9 9 „Aussperrung und Streik gleichermaßen i n unser Grundgesetz ein, allerdings ohne die faktische, ökonomische, moralische und politisch-ethische Verschiedenheit der beiden Kampfmaßnahmen schon dadurch zu einer rechtlichen Gleichrangigkeit machen zu w o l l e n " 2 0 0 . Der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, der Abg. Helmut Schmidt, erklärte u. a., die Ergänzung des A r t . 9 Abs. 3 wäre dann, wenn die SPD allein die Zweidrittelmehrheit besäße, so erfolgt, daß nicht von „Arbeitskämpfen", sondern vom „Streikrecht" gesprochen worden wäre 2 0 1 . Allerdings verbiete auch die jetzt gefundene Fassung „ohne jeden Zweifel, daß Notstandsrecht gegen einen Streik angewendet wird, der von einer Gewerkschaft zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftbedingungen geführt w i r d " 2 0 1 . Die SPD-Fraktion hätte gern darauf verzichtet, durch die Benutzung des Begriffs „Arbeitskampf" auch der Aussperrung den gleichen Schutz vor Notstandsmaßnahmen zu ermöglichen. Faktisch erscheine diese Frage allerdings ohne große Bedeutung, denn eine Notstandsmaßnahme gegen aussperrende Arbeitgeber sei ohnehin schwer vorstellbar. Der Haupteinwand mancher seiner Fraktionskollegen richte sich, so Schmidt, „denn auch dagegen, daß die Benutzung des Begriffs ,Arbeitskampf ein gewisses Maß an A n erkennung der Aussperrung zu enthalten scheint" 2 0 1 . Insoweit sei jedoch eine Klarstellung erforderlich: „Die jetzt gefundene Fassung des A r t . 9 Abs. 3, der w i r zustimmen wollen, verändert oder verschiebt die Bewertung nicht, die das Grundgesetz bisher gegenüber Streik und Aussperrung zu erkennen gegeben hat 2 0 2 ." Schmidt wies sodann darauf hin, daß das Grundgesetz bisher weder die Worte „Streik" oder „Streikrecht" noch das Wort „Arbeitskampf" enthalte. Das Recht des Arbeitskampfes sei i m wesentlichen von der Rechtsprechung entwickelt worden. Er — Schmidt — habe keinen Zweifel daran, daß die bisherige Rechtsprechung überprüft werden müsse. „Denn schließlich", so stellte der SPD-Fraktionsvorsitzende fest, 198
Ebd., S. 9632 (C). Eine eindeutige Sicherung wäre nach Auffassung M a t t höfers dann erreicht worden, w e n n die Worte „dürfen sich nicht . . . richten" i m neuen Satz 3 durch „dürfen . . . nicht beeinträchtigen" ersetzt worden wären, w i e das i n den Änderungsanträgen der Abg. Gscheidle, Kaffka, Lenders, Matthöf er u n d Porzner v o m 2. 5.1968 vorgeschlagen worden war. 199 Vgl. dazu jedoch Fußn. 192. 200 178. Sitzg. des 5. BT, Sten. Ber. S. 9632 (C). 201 Ebd., S. 9644 (B). 202 Ebd., S. 9644 (C).
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1. Teil: Entstehung des A r t . 9 I I I 3 GG
„ k a n n k e i n Gericht daran vorbeigehen, daß der Verfassungsgesetzgeber ab heute ausdrücklich auch f ü r ganz normale Zeiten verbietet, daß etwa das Wehrpflichtgesetz zu Maßnahmen gegen Streikende verwendet werden kann. Da ergibt sich doch die Frage, ob danach immer noch ein Gericht zunächst den Streik grundsätzlich als unzulässig ansehen u n d erst unter dem Gesichtsp u n k t der sogenannten Sozialadäquanz als gerechtfertigt betrachten darf. W i r Sozialdemokraten haben die grundsätzliche Zulässigkeit des Streiks immer bejaht, u n d w i r haben die ausgetüftelte Lehre von der Sozialadäquanz immer f ü r v ö l l i g überflüssig gehalten 2 0 8 . . . "
A m Ende der dritten Beratung nahm der Bundestag i n namentlicher Abstimmung den Entwurf der Notstandsverfassung (Siebzehntes Gesetz zur Ergänzung des Grundgesetzes) mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit (384 gegen 100 Stimmen bei 1 Enthaltung 2 0 4 ) an 2 0 5 . Der Bundesrat befaßte sich am 14. 6.1968 206 i m zweiten Durchgang mit der vom Bundestag verabschiedeten Vorlage. Als Berichterstatter des Rechtsausschusses des Bundesrates stellte Senator Dr. Heinsen (Hamburg) u. a. eine Verstärkung der Rechte der Arbeitnehmer fest, so etwa durch die „negative Arbeitskampfgarantie", die der Regierungsentwurf nur für den inneren Notstand vorgesehen habe, die aber jetzt auf alle Notstandsmaßnahmen ausgedehnt worden sei 2 0 7 . Damit habe das Grundgesetz zum erstenmal „das Recht auf Arbeitskämpfe ausdrücklich erwähnt und damit über den Notstand hinaus ganz allgemein institutionell garantiert, soweit es sich u m Arbeitskämpfe zwischen Tarifpartnern zur Verbesserung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen handelt" 2 0 7 . I m weiteren Verlauf der Debatte begründete der hessische Minister Dr. Strelitz, weshalb die Hessische Landesregierung die Anrufung des Vermittlungsausschusses begehre 208 . Strelitz bezeichnete es i n diesem Zusammenhang zunächst als einen der besonderen Vorzüge der vom Bundestag verabschiedeten Notstandsverfassung, daß gem. A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG das Streikrecht auch gegen Maßnahmen der Exekutive i m Notstand geschützt sein solle 2 0 9 . Auch das M i t t e l der Dienstverpflichtung könne damit kraft ausdrücklicher Regelung nicht als Waffe gegen gewerkschaftlich ausgerufene Streiks mißbraucht werden. Diese Regelung sei auch i m Vergleich zu anderen demokratischen Ländern beispielhaft 2 0 9 . A n der neuen Regelung müsse jedoch befremden, „daß nicht n u r das Streikrecht, sondern auch die Aussperrung gegen Eingriffe der Notstandsgewalt geschützt werden soll. Diese Regelung könnte als eine 208 Ebd., S. 9644 (D, C). Ä h n l i c h auch schon Abg. Hirsch (SPD) am Schluß der 2. Lesung, 175. Sitzg. des 5. B T v. 16. 5.1968, Sten. Ber. S. 9468 (C). 204 Ohne Berliner Abgeordnete. 205 178. Sitzg. des 5. B T v. 30. 5.1968, Sten. Ber. S. 9652 (D) ff. 206 326. Sitzg. des BR. 207 326. Sitzg. des BR v. 14. 6.1968, Sten. Ber. S. 139 (A). 208 Ebd., S. 141 (C) f. 209 Ebd., S. 141 (C).
I I . Abschn.: Entstehungs- u n d Textgeschichte
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Aussage dahin mißverstanden werden, daß Streik u n d Aussperrung verfassungsrechtlich als M i t t e l des Arbeitskampfes auf der gleichen Stufe stehen. Eine solche Auffassung erscheint der Hessischen Landesregierung verfassungsrechtlich nicht haltbar. Wegen der unterschiedlichen sozialen Stellung v o n Arbeitnehmern u n d Arbeitgebern sind Streikrecht u n d Aussperrung nicht gleichwertig. Dementsprechend w i r d i n anderen westeuropäischen Ländern die Streikfreiheit anerkannt, das Recht zur Aussperrung dagegen nicht. I n Übereinstimmung damit erklärt der vielbefehdete, aber i n seiner rechtlichen Tragweite n u r v o n wenigen richtig gedeutete A r t . 29 Abs. 5 der Hessischen Verfassung die Aussperrung f ü r rechtswidrig. U m diese Rechtslage klarzustellen u n d u m zu vermeiden, daß i m Zuge der Notstandsverfassung Anhaltspunkte f ü r eine gegenteilige Entwicklung geschaffen werden, hält es die Hessische Landesregierung f ü r geboten, die Schutzvorschrift des A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 auf Streiks zu beschränken 2 1 0 ."
Für die von Hessen, Bremen und Nordrhein-Westfalen (aus mehreren und verschiedenen Gründen) beantragte Anrufung des Vermittlungsausschusses fand sich i m Bundesrat jedoch keine Mehrheit 2 1 1 , so daß es bei der vom Bundestag beschlossenen Fassung des Siebzehnten Gesetzes zur Ergänzung des Grundgesetzes blieb 2 1 2 . Überblickt man insgesamt die Diskussion i n der 5. Legislaturperiode, also die eigentliche Entstehungsgeschichte des Art. 9 Abs. 3 Satz 3 GG, so lassen sich i m Vergleich zur Diskussion i n den Jahren zuvor i m Grunde nur zwei bedeutsame neue Aspekte feststellen: Neu war der Gedanke, i m Rahmen der Notstandsverfassung i n A r t . 9 GG eine negative Arbeitskampfschutzklausel zu schaffen, d. h. eine Bestimmung, i n der ausdrücklich festgelegt werden sollte, daß m i t bestimmten, für besonders gefährlich erachteten Notstandsmaßnahmen nicht i n Arbeitskämpfe eingegriffen werden dürfe. Dieser Gedanke erwies sich als so überzeugend, daß er die Grundlage des Kompromisses bildete, auf den sich die beiden großen Parteien (CDU/CSU und SPD) i n der höchst umstrittenen Frage „Arbeitskampf und Notstandsverfassung" einigten. Über die konkrete Formulierung einer negativen Schutzklausel kam es allerdings zu erheblichen Meinungsverschiedenheiten, die — und dies stellt den zweiten neuen Aspekt der Diskussion i n der 5. Legislaturperiode dar — das Arbeitskampfmittel „Aussperrung" bestrafen. I n dieser erst relativ spät i n den Vordergrund gerückten Frage standen sich zwei nur schwer zu vereinbarende Standpunkte gegenüber: Die SPD lehnte jede Formulierung ab, die eine ausdrückliche verfassungsrechtliche Garantie der Aussperrung und die Zerstörung landesverfassungsrechtlicher Aussperrungsverbote (Art. 29 Abs. 5 Hessische Verfassung) bedeutet hätte. Andererseits be210
Ebd., S. 141 (D). Vgl. ebd., S. 147 (C). 212 I n der Schlußabstimmung enthielt sich lediglich B e r l i n der Stimme, alle anderen Länder stimmten zu, so daß die verfassungsändernde Z w e i d r i t t e l mehrheit des BR erreicht war, vgl. ebd., S. 149 (D), S. 150 (A). 211
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1. Teil: Entstehung des A r t . 9 I I I 3 GG
stand die CDU/CSU auf einer Erhaltung der insoweit bereits bestehenden (wenn auch umstrittene) Verfassungslage und lehnte daher jede Formulierung ab, aus der zu schließen wäre, daß die Aussperrung nach dem Grundgesetz als unzulässig anzusehen ist.
ZWEITER T E I L
Inhalt und Auswirkungen des Art. 9 Abs. 3 Satz 3 GG Erster
Abschnitt
Zur Auslegung des neuen Art. 9 Abs. 3 Satz 3 GG 1. Die Maßnahmen, vor denen Arbeitskämpfe geschützt werden Der neue Satz 3 des A r t . 9 Abs. 3 GG zählt diejenigen Maßnahmen, die sich nicht gegen Arbeitskämpfe der gekennzeichneten A r t richten dürfen, abschließend auf. Es handelt sich u m Maßnahmen nach den A r t . 12 a, 35 Abs. 2 und 3, A r t . 87 a Abs. 4 und A r t . 91 GG. Sie sollen i m folgenden zunächst einzeln dargestellt und dann zusammenfassend betrachtet werden. 1.1 Maßnahmen nach Art. 12 a GG Gegen Arbeitskämpfe, die zur Wahrung und Förderung der Arbeitsund Wirtschaftsbedingungen von Koalitionen nach A r t . 9 Abs. 3 Satz 1 GG geführt werden, dürfen sich Maßnahmen nach A r t . 12 a GG nicht richten. I n dem i m Zuge der Notstandsverfassung neu geschaffenen Art. 12 a GG sind alle vom Grundgesetz selbst ausdrücklich vorgesehenen Einschränkungen der Berufsfreiheit m i t Bezug auf den Verteidigungsfall enthalten. Der Rechtsausschuß des Bundestages ist dem Vorschlag einer Formulierungshilfe des Bundesministeriums vom 21. 3. 19681 gefolgt und hat alle diese Einschränkungen der Freiheit der Berufs- und Arbeitsplatzwahl i n einem besonderen A r t . 12 a GG zusammengefaßt 2 .
1
Vgl. oben S. 94. Angefangen v o n der vorher n u r i n A r t . 73 Nr. 1 GG verankerten Wehrpflicht über die bisher i n A r t . 12 Abs. 2 GG enthaltenen Verpflichtung zur Leistung von Ersatzdienst bis h i n zu den neuen Arbeitskräftelenkungsmaßnahmen. Durch die Zusammenfassung der Einschränkungsmöglichkeiten i n einem neuen A r t . 12a GG erhielt übrigens A r t . 12 GG die Fassung zurück, i n der er 1949 i n K r a f t trat. 2
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2. Teil: I n h a l t und Auswirkungen des A r t . 9 I I I 3 GG
Da Art. 9 Abs. 3 Satz 3 GG auf den gesamten A r t . 12 a und nicht nur auf einzelne Absätze Bezug nimmt 3 , werden unterschiedslos sämtliche der nach A r t . 12 a zulässigen Maßnahmen erfaßt. Es sind dies: 1.1.1 Maßnahmennach
Art. 12 a Abs. 1
A r t . 12 a Abs. 1 GG enthält die verfassungsrechtliche Ermächtigung, Männer vom vollendeten 18. Lebensjahr an zum Dienst i n den Streitkräften, i m Bundesgrenzschutz oder i n einem Zivilschutzverband zu verpflichten. Unter Maßnahmen nach A r t . 12 a Abs. 1 GG sind daher Einberufungen zur Bundeswehr i m Rahmen der Wehrpflicht 4 , zum Dienst i m Bundesgrenzschutz 5 oder zum Dienst i n einem Zivilschutzverband 6 zu verstehen. Die Heranziehung zu diesen Diensten darf sich nicht gegen Arbeitskämpfe der gekennzeichneten A r t richten. Die Einbeziehung dieser Maßnahmen i n die Arbeitskampfschutzklausel wurde zuerst i n einer Fomulierungshilfe des Bundesinnenministeriums vom 28. 3. 1968 vorgeschlagen 7 . Der Rechtsausschuß des Bundestages übernahm diesen Vorschlag 8 und dehnte damit die Schutzklausel, die sich zunächst und vor allem auf die geplanten Arbeitskräftelenkungsmaßnahmen beziehen sollte, folgerichtig auf weitere Maßnahmen aus, die eine Einschränkung der Berufs- und Arbeitsplatzfreiheit darstellen und die u. U. auch dazu benutzt werden könnten, Arbeitskämpfe, insbesondere Streiks, „faktisch zu unterlaufen" 9 . 3 So die ausdrückl. Feststellung i m R A des BT, 78. Sitzg. v. 28. 3. 1968, Prot. S. 4. 4 Gemäß den Vorschriften des Wehrpflichtgesetzes i. d. F. der Bekanntmachung v. 28. 9. 1969 (BGBl. I S. 1773). Einberufungen können zum Grundwehrdienst, zu Wehrübungen oder i m Verteidigungsfall zu unbefristetem Wehr dienst erfolgen, vgl. § § 4 - 6 , 21, 23 WehrpflichtG. 5 Gemäß den Vorschriften des Gesetzes über den Bundesgrenzschutz und die Errichtung v o n Bundesgrenzschutzbehörden v. 16. 3. 1951 (BGBl. I S. 201) i. d. F. v. 11. 7. 1965 (BGBl. I S. 603) u n d dem die Grenzschutzdienstpflicht regelnden § 42a WehrpflichtG. 6 Gemäß den Vorschriften des Zivilschutzkorpsgesetzes v. 12. 8.1965 (BGBl. I S. 782). Unter Zivilschutzverband i m Sinne des A r t . 12a Abs. 1 GG ist jedoch nicht n u r das Zivilschutzkorps zu verstehen; der Begriff „Zivilschutzverband" ist v o m verfassungsändernden Gesetzgeber bewußt gewählt worden, u m auch andere Organisationsformen des zivilen Bevölkerungsschutzes zu ermöglichen; vgl. Schriftl. Ber. des R A des BT, BT-Drs. V/2873, S. 5; ferner Maunz, i n : Maunz/Dürig/Herzog, GG, A n m . 5 - 9 zu A r t . 12a. 7 s. oben S. 94/95. 8 R A des B T , Bespr. v. 1. 4. 1968, A n l . 1 zum Prot. Nr. 79 des RA, S. 6 f.; 79. Sitzg. v. 4. 4.1968, Prot. S. 14. 9 Etwa durch Einberufung streikender Arbeitnehmer oder maßgeblicher Gewerkschaftsfunktionäre zum Wehrdienst (Grundwehrdienst oder Wehrübungen), zum Grenzschutzdienst oder zum Dienst i m Zivilschutzkorps.
I. Abschn.: Z u r Auslegung des neuen A r t . 9 I I I 3 GG
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M i t der Entscheidung, daß sich auch die Heranziehung zum Wehrdienst und zum Dienst i m Bundesgrenzschutz nicht gegen Arbeitskämpfe der gekennzeichneten A r t richten dürfe, ging der Rechtsausschuß bezüglich des Schutzes von Arbeitskämpfen weiter, als dies von den außerparlamentarischen K r i t i k e r n gefordert wurde: lediglich die Möglichkeit der Heranziehung zum Zivilschutzkorps war wegen befürchteter Beeinträchtigungen des Streikrechts auf Bedenken und K r i t i k — vor allem bei den Gewerkschaften — gestoßen 10 . Dagegen spielte die Wehrpflicht i n der außerparlamentarischen Diskussion über Gefährdungen des Streikrechts überraschenderweise keine Rolle, was daran gelegen haben mag, daß die Wehrpflicht schon bisher verfassungsgesetzlich vorgesehen war, also nicht erst durch die Notstandsverfassung eingefügt werden sollte, und daher auch nicht ins Blickfeld geriet. Jedenfalls ist es interessant festzustellen, daß die Gewerkschaften die Heranziehung zum Zivilschutzkorps als eine Gefährdung für das Streikrecht ansahen, nicht dagegen die Heranziehung zum Wehrdienst, obwohl doch die i m Rahmen der Wehrpflicht jederzeit mögliche Heranziehung zum Grundwehrdienst oder zu Wehrübungen ein mindestens ebenso geeignetes Instrument zur Beeinträchtigung von Streiks darstellt wie die Heranziehung zum Zivilschutzkorps. Er war deshalb nur folgerichtig, daß der verfassungsändernde Gesetzgeber sowohl den Dienst i n einem Z i v i l schutzverband als auch den Wehrdienst und den Bundesgrenzschutzdienst unterschiedslos i n die Arbeitsschutzklausel des A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG einbezog. Die Erstreckung des Schutzbereichs des A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG auf die Heranziehung zum Wehrdienst, zum Bundesgrenzschutzdienst und zum Dienst i n einem Zivilschutzverband bedeutet sowohl i n zeitlicher als auch i n materieller Hinsicht eine Erweiterung des Schutzes für Arbeitskämpfe: Sie sollen nicht nur vor Notstandsmaßnahmen der Exekutive, die lediglich i n Situationen außenpolitischer Spannungen (Spannungsfall i m Sinne d. A r t . 80 a Abs. 1 GG) oder i m Verteidiungsfall (Art. 115 a Abs. 1 GG) zulässig sind, geschützt sein, sondern auch schon i m inneren und äußeren „Normalzustand", also zu einer Zeit, i n der von Notstandsbefugnissen (wie etwa der Möglichkeit der Dienstverpflichtung nach A r t . 12 a Abs. 3 GG) kein Gebrauch gemacht werden darf. Die Heranziehung zum Wehrdienst, zum Grenzschutzdienst und auch zum Dienst i n einem Zivilschutzverband kann und soll auch schon i m „Normalzustand" erfolgen, so daß man bei derartigen Maßnahmen eigentlich nicht von Notstandsbefugnissen oder „Notstandssondervollmachten" 11 sprechen kann. Wenn A r t . 9 10 Vgl. etwa die Schrift „Notstand", hrsg. v. DGB-Bundesvorstand, S. 12; DGB-Vorstandsmitglied Reuter, 5. Informationssitzg. v. 14. 12. 1967, Prot. S. 16 (s. oben Erster Teil, I I . Abschnitt, Fußn. 120,121 u n d den T e x t dazu). 11 So der Schriftl. Ber. des R A des BT, BT-Drs. V/2873, S. 3, f ü r alle i n A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG aufgeführten Maßnahmen.
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2. Teil: I n h a l t u n d A u s w i r k u n g e n des A r t . 9 I I I 3 GG
Abs. 3 Satz 3 GG dennoch auch diese Maßnahmen i n das Beeinträchtigungsverbot einbezieht, dann bedeutet das eine Ausdehnung des Schutzes für Arbeitskämpfe, die über die Notstandsproblematik hinausgeht. Zugleich ist der Schutz für Arbeitskämpfe i m Vergleich zur vorherigen verfassungsrechtlichen Situation nicht unerheblich verbessert worden. Denn bereits vor Einfügung der Notstandsverfassung i n das Grundgesetz war die Heranziehung zum Wehrdienst verfassungsrechtlich zulässig, ohne daß es eine Verfassungsbestimmung gab, die eine Beeinträchtigung von Arbeitskämpfen durch gezielte Einberufungen (etwa gewerkschaftlicher Vertrauensleute i n den Betrieben oder anderer wichtiger Gewerkschaftsfunktionäre) untersagt hätte. Die (wenn auch nur potentielle) Gefahr einer Beeinträchtigung von Arbeitskämpfen durch Einberufung zum Wehrdienst ist nunmehr durch eine Verfassungsbestimmung ausdrücklich und eindeutig beseitigt worden 1 2 . Insoweit ist m i t der Arbeitskampfschutzklausel des A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG eine Änderung der früheren Verfassungsrechtslage eingetreten, die — betrachtet man die Dinge von der faktischen Seite her — vor allem auf einen verstärkten Schutz von Streiks hinausläuft 1 3 .
1.12 Maßnahmen nach Art 12 a Abs. 2 A r t . 12 a Abs. 2 GG enthält die verfassungsrechtliche Ermächtigung, Kriegsdienstverweigerer zur Leistung eines Ersatzdienstes heranzuziehen 14 . Unter Maßnahmen nach A r t . 12 a Abs. 2 GG sind daher Einberufungen zum zivilen Ersatzdienst 15 zu verstehen. Derartige Einberufungen dürfen sich nicht gegen Arbeitskämpfe der gekennzeichneten A r t richten. Die Erstreckung des Schutzbereichs des A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG auf die Heranziehung zum Ersatzdienst bedeutet — ebenso wie die Erstreckung auf die Einberufung zum Wehrdienst (vgl. oben 1.1.1) — eine erhebliche 12 Bereits Ende 1962, zu Beginn der Notstandsberatungen i n der 4. WP., hatte der SPD-Abg. Merten i n einer internen Konferenz der SPD-Bundestagsf r a k t i o n m i t Vertretern v o n SPD-Landesregierungen u n d SPD-Landtagsfraktionen (vgl. oben S. 35) darauf hingewiesen, daß auch die Wehrpflicht Beschränkungen des Streikrechts zur Folge haben könne; die Frage des Schutzes des Streikrechts v o r Maßnahmen nach dem Wehrpflichtgesetz müsse i m weiteren Verlauf der Diskussionen über die Notstandsverfassung m i t beraten w e r den, Prot, der Konferenz v. 22.11.1962, S. 7, vervielf., unveröff. 13 So auch SPD-Fraktionsvors. Helmut Schmidt, 178. Sitzg. des 5. B T v o m 30. 5. 1968, Sten. Ber. S. 9644 (C), 9646 (D). I m Ergebnis ebenso Wahsner, i n : Sterzel (Hrsg.), K r i t i k , S. 62. 14 V o r Einfügung der Notstandsverfassung i n das GG w a r diese Regelung i n A r t . 12 Abs. 2 Satz 2 u n d 3 enthalten. 15 Nach den Vorschriften des Gesetzes über den zivilen Ersatzdienst v o m 16. 7.1965 (BGBl. I S. 984).
I. Abschn.: Z u r Auslegung des neuen A r t . 9 I I I 3 GG
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Ausdehnung des Schutzes für Arbeitskämpfe. Auch hier werden Arbeitskämpfe über die neu geschaffenen Notstandsbefugnisse hinaus ganz allgemein i n stärkerem Maße geschützt, als das vor Inkrafttreten der Notstandsverfassung der Fall war. Denn auch die Heranziehung zum zivilen Ersatzdienst war schon vorher zulässig, ohne daß eine Verfassungsbestimmung vorhanden gewesen wäre, die Einberufungen m i t dem Ziel der Beeinträchtigung eines Arbeitskampfes, insbesondere eines Streiks, verboten hätte. Insoweit ist ebenfalls m i t A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG eine Änderung der früheren Verfassungsrechtslage eingetreten, die auf einen verbesserten Schutz von Streiks hinausläuft. 1.1.3 Maßnahmen nach Art. 12 a Abs. 3 A r t . 12 a Abs. 3 GG enthält die verfassungsrechtliche Ermächtigung, Wehrpflichtige ( = Männer vom vollendeten 18. Lebensjahr an) zu zivilen Dienstleistungen heranzuziehen, wobei eine Verpflichtung i n ein (privatrechtliches) Arbeitverhältnis oder i n ein öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis erfolgen kann. Unter Maßnahmen nach A r t . 12 a Abs. 3 GG sind daher Dienstverpflichtungen i n Arbeitsverhältnisse 10 oder i n öffentlich-rechtliche Dienstverhältnisse 17 zu verstehen. Derartige Dienstverpflichtungen dürfen sich nicht gegen Arbeitskämpfe der gekennzeichneten A r t richten. Die Dienstverpflichtung (oder genauer: die Schaffung einer verfassungsrechtlichen Ermächtigung zur Anordnung von Dienstverpflichtungen) bildete den eigentlichen Anlaß für das Zustandekommen der Arbeitskampfschutzklausel des A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG. I n der Möglichkeit, Arbeitnehmer zwangsweise zu zivilen Dienstleistungen i m Bereich der öffentlichen Verwaltung und — hier lag der größte Stein des Anstoßes — i m Bereich der Privatwirtschaft (also bei privaten Arbeitgebern) heranzuziehen, sahen die Gewerkschaften und viele andere K r i t i k e r der Notstandsgesetzgebung eine akute Gefahr für das Streikrecht. Die Befürchtung, das neu zu schaffende Instrument der Dienstverpflichtung solle oder könne zur Beeinträchtigung unerwünschter Streiks, auch solchen m i t rein arbeitsrechtlicher Zielsetzung, benutzt werden, 16 Gemäß den §§ 2 Nr. 2 u n d 1 0 - 2 3 des Arbeitssicherstellungsgesetzes (ASG) v. 9. 7.1968 (BGBl. I S. 787). 17 Die Verpflichtung i n öffentl.-rechtl. Dienstverhältnisse regelt sich, wie § 37 A S G i n wenig klarer Weise bestimmt, nach den Vorschriften der Gesetze, die f ü r den jeweiligen Bereich gelten. Die danach erforderlichen Vorschriften liegen bislang noch nicht vor, sondern müssen durch Ergänzung der einschlägigen Gesetze (insbes. der Beamtengesetze) oder durch Verabschiedung besonderer neuer Gesetze erst noch geschaffen werden; vgl. Wilhelm, ZBR 1968, S. 382 f.
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2. T e i l : I n h a l t u n d Auswirkungen des A r t . 9 I I I 3 GG
zieht sich ab 196218 wie ein roter Faden durch die parlamentarische und außerparlamentarische Diskussion über die Notstandsgesetzgebung 19 . Angesichts bestimmter historischer Erfahrungen m i t Dienstverpflichtungen 2 0 , angesichts der i n manchen westeuropäischen Staaten auch heute noch bestehenden Möglichkeit, bei Arbeitskämpfen unter bestimmten Voraussetzungen Streikteilnehmer und andere Personen durch Dienstverpflichtungen und daran geknüpfte Strafdrohungen zu Arbeitsleistungen zu zwingen 2 1 , und nicht zuletzt angesichts der von der Bundesregie18
Vorher konzentrierte sich die K r i t i k auf die i m Schröder-Entwurf (1960) vorgesehene Einschränkbarkeit auch des A r t . 9 Abs. 3 GG, die es dem einfachen Gesetzgeber erlaubt hätte, das i n A r t . 9 Abs. 3 GG gewährleistete Streikrecht (bzw. — je nach Standpunkt — die Arbeitskampffreiheit) ganz oder teilweise zu beseitigen; vgl. oben S. 24 ff., 30, 33. Nachdem der HöcherlE n t w u r f (1962) auf eine Einschränkung des A r t . 9 Abs. 3 GG verzichtet hatte, verlagerte sich die Diskussion auf die Frage des Verhältnisses zwischen Streiks u n d Dienstverpflichtungen; nunmehr w u r d e i n der Dienstverpflichtung die entscheidende Gefahr f ü r das Streikrecht gesehen; vgl. oben S. 44. 19 Aus der unübbersehbaren Fülle der i n diese Richtung gehenden lit. u n d sonstigen Äußerungen seien n u r hervorgehoben: Hannover, Blätter 1962, S. 846; J. Seifert, G M H 1963, S. 81 f.; ders., Gefahr i m Verzuge, 1. A u f l . 1963, S. 56 f. (ebenso 3. A u f l . 1965, S. 60 ff.); I G Metall-Vors. Brenner, i n : M e t a l l Nr. 2/65 v. 26. 1. 1965 (s. oben Erster Teil, I . Abschnitt, Fußn. 166); Hannover, i n : Der totale Notstandsstaat I I , 1965, S. 48 ff.; Holz/Neuhöf fer, G r i f f nach der D i k t a tur?, 1965, S. 85 ff.; Abendroth, i n : Hof mann/Maus (Hrsg.), Notstandsordnung, S. 115; Ramm, A r b u R 1967, S. 41 f.; Abg. Hirsch (SPD), 117. Sitzung des 5. B T v o m 19. 6. 1967, Sten. Ber. S. 5883 (B); Abg. Zink (CDU CSU), ebenda, S. 5893 (A); Stellv. DGB-Vorsitzender Beermann bei der Kundgebung des D G B gegen die Notstandsgesetzgebung am 2. 11. 1967 i n Bonn, Bericht i n : A r b u R 1967, S. 369; DGB-Vorsitzender Rosenberg, 2. Informationssitzung v o m 16. 11. 1967, S. 18 f.; DGB-Vorstandsmitglied Reuter, 5. Informationssitzg. v. 14.12.1967, S. 16 f.; Hall, JZ 1968, S. 166. Vgl. ferner oben Erster Teil, I. u n d I I . Abschnitt, passim). 20 Der ehemalige preuß. Innenminister Carl Severing beschreibt i n seinen Erinnerungen „1919/1920 i m Wetter- u n d W a t t e r w i n k e l " (Bielefeld 1927), S. 31 ff., 57 f., w i e er 1919 als Reichs- u n d Staatskommissar i m Ruhrgebiet Streikbewegungen durch eine Dienstverpflichtungsverordnung zum Erliegen brachte. Die V O ermächtigte die Gemeindebehörden, männliche Einwohner zur Leistung v o n Notstandsarbeiten heranzuziehen. Wer der Heranziehungsanordn u n g nicht Folge leistete, konnte zu Geld- oder Freiheitsstrafen verurteilt werden. — Wenngleich m a n Severings Vorgehen f ü r gerechtfertigt halten mag, handelte es sich damals doch u m eine v o n terroristischen Gewaltaktionen begleitete u n d ohne oder sogar gegen die Gewerkschaften eingeleitete Streikbewegung m i t k l a r politischer Zielsetzung, die sowohl die Versorgung der Zivilbevölkerung m i t lebenswichtigen Gütern u n d Leistungen als auch die Erhaltung der Betriebsanlagen (Absaufen v o n Kohlengruben!) aufs schwerste gefährdete, so zeigte das historische Beispiel doch jedenfalls klar, daß u n d wie mittels Dienstverpflichtungen gegen Streiks vorgegangen werden kann. 21 So i n Belgien, Frankreich u n d Luxemburg, s. Horion, i n : Streik u n d A u s sperrung, S. 38 f.; 157 ff.; Durand, ebd., S. 205 f.; Kayser, ebd., S. 329 f.; Lagasse, i n : Kahn-Freund (Hrsg.), Labour Relations and the L a w , S. 183 f.; Brun, ebd., S. 192 f.; ferner Folz, Staatsnotstand, S. 99 f., 68 f. u n d Kaiser, Der politische Streik, S. 39 (mit interessanten Beispielen f ü r Dienstverpflichtungen durch „réquisitions" i n Frankreich). — I n der jüngeren L i t . w i r d allerdings darauf aufmerksam gemacht, daß eine allgemeine Dienstverpflichtung streikender
I. Abschn.: Z u r Auslegung des neuen A r t . 9 I I I 3 GG r u n g 1960 u n d 1962 v o r g e l e g t e n E n t w ü r f e f ü r „ D i e n s t v e r p f l i c h t u n g s gesetze" 2 2 w a r die w e i t v e r b r e i t e t e B e f ü r c h t u n g , m i t der D i e n s t v e r p f l i c h t u n g w e r d e e i n gegen S t r e i k s v e r w e n d b a r e s I n s t r u m e n t geschaffen, sicherlich n i c h t u n b e g r ü n d e t , z u m i n d e s t n i c h t u n v e r s t ä n d l i c h 2 3 . D e n n o c h ü b e r r a s c h t es, daß gerade v o n d e n j e n i g e n , die i n der D i e n s t v e r p f l i c h t u n g eine G e f ä h r d u n g des S t r e i k r e c h t s sahen, n i e m a n d a u f die F r a g e e i n g i n g , ob sich aus d e m — w i e seit d e m H ö c h e r l - E n t w u r f feststand — unangetastet bleibenden A r t . 9 Abs. 3 G G u n d der dort m i t g e w ä h r l e i s t e t e n S t r e i k f r e i h e i t n i c h t e i n Schutz v o n S t r e i k s gegen gezielte B e e i n t r ä c h t i g u n g e n m i t t e l s D i e n s t v e r p f l i c h t u n g e n ergeben k ö n n t e 2 4 . A n Arbeitnehmer i m Ernstfall n u r theoretischen Wert habe, da sie voraussetze, daß die Arbeitnehmer der Dienstverpflichtungsanordnung Folge leisten. Sind sie dazu nicht f r e i w i l l i g bereit, dann dürften auch Strafdrohungen ohne W i r kung bleiben, da einer Strafverfolgung schon von der Z a h l der Betroffenen her Grenzen gesetzt sind; vgl. Lauschke, Notarbeiten, S. 111; Wedler, Das Grundrecht auf Streik, S. 166 f. I n Frankreich ist 1963 der Versuch gescheitert, einen wirtschaftspolitisch unerwünschten Streik i n den verstaatlichten Kohlebergwerken durch eine „réquisition collective" aller Bergbauarbeiter zu verhindern. Die allgemeine Dienstverpflichtung hatte geradezu das Gegenteil der erwarteten W i r k u n g : Der Streik wurde über die ursprünglich beabsichtigte Frist hinaus fortgesetzt u n d wurde zu einem „Streik u m das Streikrecht", der i n der Bevölkerung breite Zustimmung fand u n d zu zahlreichen Sympathiestreiks führte; s. Wedler, ebd.; ferner Brun, i n : Kahn-Freund (Hrsg.), Labour Relations and the L a w , S. 193; G. Stern, G M H 1963, S. 324 f. 22 E eines Notdienstgesetzes (BT-Drs. 1806, 3. WP.) und E eines Zivildienstgesetzes (BT-Drs. IV/450). Beide Entwürfe enthielten u. a. weitgefaßte Strafdrohungen (§61 bzw. § 63) f ü r den F a l l des Verlassens oder Fernbleibens v o n der Dienst- oder Arbeitsstelle, ohne daß die Möglichkeit eines Streiks t a t bestandlich berücksichtigt war. Vgl. oben Erster Teil, I. Abschnitt, Fußn. 128 bis 132 u n d den T e x t dazu. 23 Z u m a l es selbst Staatsrechtslehrer gab, die die Bedenken f ü r berechtigt erklärten. So stellte Prof. Ridder (Gießen) i n einem an die Mitglieder des Bundestages gerichteten Sehr. v. 21. 5. 1965 (vervielf.) zu den Beschlüssen des R A des 4. B T fest: „ O b w o h l Arbeitskämpfe formell anerkannt werden . . . , gibt der E n t w u r f durch die Einführung einer allgemeinen Zivildienstpflicht, die nicht v o m Eintreten des Verteidigungsfalles abhängig gemacht w i r d , der Bundesregierung die Möglichkeit, jeden Streik durch zivile Dienstverpflichtungen zu brechen u n d damit die Gewerkschaften ihres Kampfmittels zu berauben . . . " — Auch Prof. Evers (Braunschweig) vertrat i n seiner eingehenden Analyse des E des R A (Benda-Entwurf) die Auffassung, die vorgeschlagene Änderung des A r t . 12 G G erlaube es i n Verbindung m i t dem E des Zivildienstgesetzes (BT-Drs. IV/450), ggf. auch Streikende zu Dienstleistungen zu v e r pflichten, AöR 91 (1966), S. 195 f. — Andererseits gab es auch Stimmen, die es ausdrücklich f ü r notwendig erklärten, i m Rahmen der geplanten Notstandsregelung die Möglichkeit der Dienstverpflichtung von Arbeitnehmern bei Streiks i n lebenswichtigen Betrieben zu schaffen, vgl. etwa P.-J. Stein, Die rechtliche Beurteilung, S. 45 ff. 24 Unabhängig von der Diskussion u m die Notstandsverfassung hat Lauschke, Notarbeiten, S. 110 ff. (1966), dargelegt, daß sich aus dem Grundsatz der K o a l i tions- u n d Arbeitskampffreiheit, aus der kollektivrechtlichen N a t u r des A r beitskampfes, aus dem Gebot der Verhältnismäßigkeit u n d aus dem Verbot der Zwangsarbeit enge Schranken f ü r die staatliche Erzwingung v o n Arbeitsleistungen während eines Streiks ergeben. Vorrang hätten solche Maßnahmen,
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2. Teil: I n h a l t u n d A u s w i r k u n g e n des A r t . 9 I I I 3 GG
dererseits darf auch nicht übersehen werden, daß — u m ein Wort von Evers 25 zu gebrauchen — i n extremen Situationen denkbare historische und systematische Argumente nur geringes Gewicht haben. Deshalb mag es richtig gewesen sein, der befürchteten Gefährdung des Streikrechts nicht lediglich den Hinweis auf den unangetastet bleibenden A r t . 9 Abs. 3 GG und etwaige daraus abzuleitende Schranken entgegen zu setzen, sondern eine ausdrückliche verfassungsrechtliche Regelung des Verhältnisses zwischen Arbeitskampf und Dienstverpflichtung anzustreben. Nachdem der Versuch der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion, die befürchteten Gefährdungen des Streikrechts durch eine ausdrückliche verfassungsrechtliche Garantie dieses Rechts i n A r t . 9 GG zu beseitigen 26 , wegen des Widerstandes der CDU/CSU-Fraktion erfolglos blieb 2 7 , war es folgerichtig, daß sich die beiden großen Parteien i m Bundestag schließlich auf eine Kompromißlösung einigten, die i n lediglich negativer Weise festlegt, daß m i t Dienstverpflichtungen nicht gezielt i n Arbeitskämpfe eingegriffen werden darf. M i t dieser negativen Schutzklausel 28 war erreicht, daß Arbeitskämpfe, insbesondere Streiks, i n genau demselben Umfang zulässig und geschützt waren, wie die vor Einführung des Instruments der Dienstverpflichtung i n das Grundgesetz der Fall w a r 2 9 . Insoweit blieb bei Arbeitskämpfen und auf dem Gebiet des Arbeitskampfrechts der bisher bestehende Zustand erhalten; die bisherige „Balance" der sozialen Gegenspieler untereinander und i n ihrer Beziehung zum Staat hat sich mit der verfassungsrechtlichen Ermächtigung zur Anordnung von Dienstverpflichtungen nicht etwa zuungunsten des Streiks verschoben.
1.1A Maßnahmen nach Art. 12 a Abs. 4 A r t . 12 a Abs. 4 GG enthält die verfassungsrechtliche Ermächtigung, Frauen vom vollendeten 18. bis zum vollendeten 55. Lebensjahr zu zivilen die nicht i n einem Eingriff i n den Arbeitskampf selbst beständen (etwa Schlichtungs- u n d Zwangsschlichtungsregelungen oder eine Minderung der A u s w i r kungen eines Streiks durch Ersatzvornahme). Die direkte Inpflichtnahme v o n Streikteilnehmern könne n u r dort i n Betracht kommen, wo eine Ersatzvornahme nicht möglich sei u n d lebenswichtige Interessen der Allgemeinheit auf dem Spiele stünden. 25 AöR 91 (1966), S. 195. 26 Ob damit eine bessere Sicherung des Streikrechts gegenüber Dienstverpflichtungen erreicht worden wäre, muß freilich bezweifelt werden, vgl. oben Erster Teil, I I . Abschnitt, T e x t nach Fußn. 126. 27 Vgl. oben Erster Teil, I I . Abschnitt, Fußn. 19, 101, 164, 167 und Text dazu. 28 A l s erster hat w o h l Heinrich Hannover 1964 eine derartige negative Streikschutzklausel vorgeschlagen. Nach seinem Vorschlag sollten alle Maßnahmen unzulässig sein, „die zur Unterdrückung oder Verhinderung eines gewerkschaftlichen Streiks geeignet sind", Gegenentwurf zum Notstandsverfassungsgesetz, 1964, S. 7 (IV. 5). 29 So auch Schriftl. Ber. des R A des BT, BT-Drs. V/2873, S. 3.
I. Abschn.: Z u r Auslegung des neuen A r t . 9 I I I 3 GG
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Dienstleistungen i m zivilen Sanitäts- und Heilwesen sowie i n der ortsfesten militärischen Lazarettorganisation zu verpflichten. Unter Maßnahmen nach A r t . 12 a Abs. 4 GG ist daher die Heranziehung von Frauen zu derartigen Tätigkeiten 3 0 zu verstehen. Die Heranziehung hat jeweils so zu erfolgen, daß sie sich nicht gegen Arbeitskämpfe der gekennzeichneten A r t richtet. 1.1.5 Maßnahmen nach Art. 12 a Abs. 5 A r t . 12 a Abs. 5 GG legt i n Satz 1 zunächst lediglich fest, daß außerhalb des Verteidigungsfalles Dienstverpflichtungen für Männer (gemäß Abs. 3) nur nach Maßgabe des A r t . 80 a Abs. 1 GG, also nur nach einem vom Bundestag m i t Zweidrittelmehrheit gefaßten Beschluß vorgenommen werden dürfen. Insofern erhält A r t . 12 a Abs. 5 GG also keine neue oder selbständige Maßnahme, handelt es sich vielmehr u m die schon i n Abs. 3 enthaltene Maßnahme. Satz 2 des A r t . 12 a Abs. 5 GG sieht jedoch vor, daß zur Vorbereitung auf bestimmte Dienstleistungen, die i m Ernstfall von dienstverpflichteten Männern übernommen werden sollen, Ausbildungsveranstaltungen m i t Teilnahmepflicht abgehalten werden können. Insoweit erhält A r t . 12 a Abs. 5 GG gegenüber Abs. 3 doch etwas Neues. Unter Maßnahmen nach A r t . 12 a Abs. 5 GG wäre also die Heranziehung zu Ausbildungsveranstaltungen 31 zu verstehen. Die Anordnung zur Teilnahme an derartigen Ausbildungsveranstaltungen darf sich nicht gegen Arbeitskämpfe der gekennzeichneten A r t richten. 1.1.6 Maßnahmen nach Art. 12 a Abs. 6 Art. 12 a Abs. 6 GG enthält die verfassungsrechtliche Ermächtigung, Männern und Frauen das Aufgeben des ausgeübten Berufs oder des innegehabten Arbeitsplatzes zu untersagen. Männer und Frauen können demnach i m Beruf oder am Arbeitsplatz „festgehalten" werden, indem ihnen der Wechsel des Berufs oder Arbeitsplatzes oder das Aufgeben jeder Berufstätigkeit überhaupt untersagt wird. Unter „Aufgabe des Arbeitsplatzes" i m Sinne des A r t . 12 a Abs. 6 GG ist allein die (rechtliche) Beendigung des konkreten Arbeitsverhältnisses gemeint, nicht etwa das faktische Verlassen des Arbeitsplatzes 32 . Dementsprechend bestimmt 30
Gemäß den §§ 2 Nr. 2 u n d 10 - 23 ASG. Geregelt i n § 28 ASG. Gemäß § 28 A S G Abs. 1 Satz 3 darf die Erstausbildung 28 Tage, Wiederholungsveranstaltungen dürfen 14 Tage nicht überschreiten. 32 So jedoch Wahsner, A r b u R 1967, S. 293 (für A r t . 12 Abs. 3 Satz 1 RegE 1967); ähnlich später — w e n n auch etwas zurückhaltender — i n : Sterzel (Hrsg.), K r i t i k , S. 59. 31
8 Gltlckert
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2. Teil: I n h a l t und Auswirkungen des A r t . 9 I I I 3 GG
§ 2 Nr. 1 des Arbeitssicherstellungsgesetzes (ASG), das unter Ausnutzung der verfassungsrechtlichen Ermächtigung des A r t . 12 a Abs. 6 GG ergangen ist, daß das Hecht zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses beschränkt werden kann 3 3 . Das Verbot, den Arbeitsplatz aufzugeben, bedeutet daher nichts anderes als ein Kündigungsverbot. Daß i n A r t . 12 a Abs. 6 GG nicht die klarere Ausdrucksweise „Kündigung des Arbeitsverhältnisses" gebraucht, vielmehr von „Aufgeben des Arbeitsplatzes" gesprochen wird, hat — entgegen den Vermutungen Wahsners 34 — allein sprachliche Gründe: Man wollte die Beschränkung des Rechts, das A r beitsverhältnis zu kündigen, und die Beschränkung des Rechts, die Ausübung des Berufs aufzugeben, sprachlich zusammenfassen und gebrauchte deshalb die beide Möglichkeiten zusammenziehende Wendung „die Ausübung eines Berufs oder den Arbeitsplatz auf(zu)geben". Unter einer Maßnahme nach A r t . 12 a Abs. 6 GG ist also das von Staats wegen angeordnete und erzwungene Verbleiben i n einem ausgeübten Beruf oder i n einem bestehenden Arbeitsverhältnis 3 5 zu verstehen. Derartige Anordnungen dürfen sich nicht gegen Arbeitskämpfe der gekennzeichneten A r t richten. Allerdings ist praktisch nicht vorstellbar, wie sich ein Verbot, den Beruf oder den Arbeitsplatz aufzugeben, überhaupt gegen Arbeitskämpfe richten könnte. Was zunächst die Arbeitskampfform „Streik" betrifft, ist nicht ersichtlich, wie durch die Untersagung der Berufsaufgabe oder durch die Untersagung der Kündigung des Arbeitsverhältnisses ein Streik beeinträchtigt werden könnte. Denn weder das Berufsaufgabeverbot noch das Kündigungsverbot ändern etwas an Inhalt und Natur des jeweils bestehenden konkreten Beschäftigungs- oder Arbeitsverhältnisses; lediglich dessen Beendigung w i r d untersagt 36 . Handelte es sich u m ein Arbeitsverhältnis, i n dem — was die Regel sein w i r d — die Beteiligung an einem gewerkschaftlichen Streik m i t arbeitsrechtlicher Zielsetzung zulässig war, dann besteht diese Lage auch nach Wirksamwerden eines Kündigungsverbotes weiter. Handelte es sich dagegen um ein Arbeitsverhältnis i n einem lebenswichtigen Betrieb, i n dem nach einer verbreiteten arbeits-
33 Vgl. ferner die § § 7 - 9 A S G (im Zweiten Abschnitt: „Beschränkung der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses i m Verteidigungsfall oder i n Spannungszeiten"). 34 s. Fußn. 32. 35 Das Verbleiben i n einem Arbeitsverhältnis w i r d juristisch-technisch dadurch erreicht, daß die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses zwischen A r b e i t nehmer u n d privatem Arbeitgeber n u r m i t Zustimmung des Arbeitsamtes erfolgen kann, § § 7 - 9 ASG. 36 Schriftl. Ber. des R A des BT, BT-Drs. V/2873, S. 8: „Liegt der Berufstätigkeit ein Beschäftigungsverhältnis zugrunde, so bleibt dessen rechtlicher Charakter, abgesehen von dem Ausschluß der Freiheit seiner Beendigung, unverändert."
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r e c h t l i c h e n M e i n u n g S t r e i k s u . U . u n z u l ä s s i g s i n d 3 7 , d a n n ä n d e r t auch h i e r e i n A r b e i t s p l a t z w e c h s e l v e r b o t i m S i n n e des A r t . 12 a A b s . 6 G G nichts a n der v o r h e r bestehenden Rechtslage; die A n n a h m e der U n z u l ä s s i g k e i t eines S t r e i k s w ä r e i n e i n e m solchen F a l l j e d e n f a l l s n i c h t F o l g e des A r b e i t s p l a t z w e c h s e l v e r b o t s 3 8 . E n t g e g e n e i n e r w ä h r e n d der N o t s t a n d s d i s k u s s i o n o f t g e h ö r t e n B e h a u p t u n g 3 9 b e d e u t e t e i n A r b e i t s p l a t z a u f g a b e v e r b o t also keineswegs, daß die S t r e i k f r e i h e i t des b e t r o f f e n e n A r b e i t n e h m e r s b e s e i t i g t w i r d . Diese u n z u t r e f f e n d e A n s i c h t w u r d e a u f z w e i e r l e i Weise b e g r ü n d e t : E i n m a l d a m i t , daß u n t e r „ A u f g e b e n des A r b e i t s p l a t z e s " das faktische Verlassen des A r b e i t s p l a t z e s g e m e i n t s e i 4 0 — eine A u f f a s s u n g , d e r e n U n r i c h t i g k e i t bereits d a r g e l e g t w o r d e n i s t — , z u m a n d e r n m i t d e r schlichten B e h a u p t u n g , daß selbst d a n n , w e n n m a n u n t e r A r b e i t s p l a t z a u f g a b e v e r b o t das V e r b o t der rechtlichen Beendigung des A r b e i t s v e r h ä l t n i s s e s verstehe, e i n S t r e i k u n z u l ä s s i g sei. A u c h dies i s t u n h a l t b a r . D i e T e i l n a h m e a n e i n e m S t r e i k h a t nach h e u t e herrschender A u f f a s s u n g k e i n e B e e n d i g u n g , sond e r n n u r die S u s p e n d i e r u n g des A r b e i t s v e r h ä l t n i s s e s z u r F o l g e 4 1 . Desh a l b k a n n die T e i l n a h m e a n e i n e m S t r e i k n i c h t als e i n A u f g e b e n des 37
Vgl. dazu unten I I I . Abschnitt, Fußn. 22 u n d den T e x t dazu. Zutreffend Franz Bauer, D B 1968, S. 1535 f. u n d Nipperdey/Säcker, in: Hueck/Nipperdey, Lehrbuch II/2, S. 1668 (Nachtrag zu S. 977). 39 Vgl. etwa die Schrift „Notstandsentwurf '67", hrsg. v. Vorstand der I G Metall, S. 19 f.; Allerbeck, L i b e r a l 1967, S. 351. A u c h schon Abendroth, i n : Hofmann/Maus (Hrsg.), Notstandsordnung, S. 115 (1966/67). 40 Vgl. Wahsner, A r b u R 1967, S. 293 u n d später auch i n : Sterzel (Hrsg.), K r i t i k , S. 59. 41 Vgl. B A G (GS) v. 28. 1. 1955, A P A r t . 9 GG Arbeitskampf Nr. 1 = B A G 1, 291 (300 ff.); B A G A P A r t . 9 GG Arbeitskampf Nr. 4, 16 u n d 43; BSG A P A r t . 9 G G Arbeitskampf Nr. 30; ferner Brox-Rüthers, Arbeitskampfrecht, S. 218 ff. u n d Nipperdey/Säcker, i n : Hueck/Nipperdey, Lehrbuch II/2, S. 893 f., 930 ff., beide m. zahlr. w . H i n w . — Nipperdey u n d Säcker (ebd., S. 935 ff. sowie i n A n m . zu B A G A P A r t . 9 GG Arbeitskampf Nr. 39) vertreten freilich die Auffassung, daß Streiks nicht n u r m i t suspendierender, sondern unter bestimmten Umständen auch m i t lösender (d. h. das Arbeitsverhältnis beendigender) W i r k u n g geführt werden können, nämlich dann, w e n n der Streik die Reaktion auf eine i m Betrieb zuvor durchgeführte Aussperrung darstellt (Abwehrstreik). Nach der v o n Nipperdey u n d Säcker entwickelten umfassenden Systematik der Arbeitskampfmittel sollen Angriffsstreiks u n d Angriffsaussperrungen stets n u r m i t suspendierender W i r k u n g , Abwehrstreiks u n d Abwehraussperrungen dagegen auch m i t lösender W i r k u n g geführt werden können (wobei der lösende Streik u n d die lösende Aussperrung keine K ü n d i g u n g erfordern, sondern Beendigungsgründe sui generis darstellen). Z u der i m Arbeitsrecht umstr. Frage, ob Arbeitskämpfe n u r m i t suspendierender oder auch m i t lösender W i r k u n g geführt werden können, ist hier nicht Stellung zu nehmen. Hier interessiert nur, daß Angriffsaussperrungen (mit dem Z i e l der Veränderung der Arbeitsbedingungen zuungunsten der Arbeitnehmer) praktisch k a u m u n d gegen sie gerichtete Abwehrstreiks noch weniger v o r kommen. Schon deshalb k a n n der lösend geführte (Abwehr-) Streik f ü r die vorl. Untersuchung außer Betracht bleiben. 38
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2. Teil: I n h a l t u n d A u s w i r k u n g e n des A r t . 9 I I I 3 GG
Arbeitsplatzes i m Sinne des A r t . 12 a Abs. 6 GG angesehen werden 4 2 . Es w i r d zwar auch heute noch gelegentlich die Meinung vertreten, daß die streikwilligen Arbeitnehmer vor dem Streik das Arbeitsverhältnis kündigen können 4 3 , jedoch ist dieses Verfahren nach der grundlegenden Entscheidung des B A G v. 28. 1. 1955 inzwischen rein theoretisch und völlig ungebräuchlich geworden 44 . Entscheidend ist, daß eine vorherige K ü n d i gung des Arbeitsverhältnisses nicht notwendige Voraussetzung der arbeitsrechtlichen Zulässigkeit des Streiks ist; rechtmäßige Streiks können auch ohne vorherige Kündigung geführt werden. Ein Kündigungsverbot hat also keineswegs die Folge, daß auch Streiks verboten sind 4 5 . Es ist demnach i n der Tat nicht ersichtlich, wie Streiks durch Verbote, den Beruf oder Arbeitsplatz aufzugeben, überhaupt beeinträchtigt werden können 4 6 . Ähnliches gilt für die Arbeitskampf form „ A u s s p e r r u n g A u c h hier ist es kaum vorstellbar, daß sich ein Verbot, den Beruf oder Arbeitsplatz aufzugeben, gegen eine Aussperrung, d. h. gegen eine planmäßige Ausschließung der Arbeitnehmer durch den Arbeitgeber, richten könnte. Zwar hat die Aussperrung (in der praktisch allein vorkommenden Form der Abwehraussperrung) nach einer — freilich höchst umstrittenen — Ansicht 4 7 , die früher auch vom B A G 4 8 vertreten wurde, eine Lösung (d. h. 42 So ausdrücklich Sachverst. Prof. Dr. Nipperdey, 5. Informationssitzg. v. 14.12.1967, Prot. S. 96 (Schriftl. Stellungnahme). 43 So insbes. Nipperdey, D B 1963, S. 1614. 44 Reuß, JZ 1965, S. 348: „Daß heute Streiks nicht auf G r u n d von K ü n d i g u n gen oder i n Gestalt von Kündigungen geführt werden, ist bekannt." I n der neuesten (7.) A u f l . des Lehrbuchs v o n Hueck/Nipperdey, Bd. I I / 2 (1970), S. 893 f., w i r d die Möglichkeit der K ü n d i g u n g bezeichnenderweise gar nicht mehr erwähnt. 45 Abwegig Wahsner, A r b u R 1967, S. 293 (r. Sp.), der meint, aus der (theoretischen) Möglichkeit, daß die Arbeitnehmer v o r dem Streik kündigen — dies würde m i t einem Arbeitsplatzaufgabeverbot kollidieren — lasse sich nach dem Schluß a maiore ad minus auch ein Verbot des ohne K ü n d i g u n g begonnenen Streiks herleiten. Dieser Schluß geht fehl, w e i l eine Kündigung, die v o r einem Streik ausgesprochen w i r d , trotz der finalen Verklammerung m i t dem geplanten Streik rechtlich einen selbständigen A k t darstellt; dieser selbständige A k t ist i m Vergleich zum ohne K ü n d i g u n g begonnenen Streik kein maius, sondern ein rechtliches aliud. 46 Eine (wenn auch n u r theoretische) Möglichkeit der Beeinträchtigung eines Streiks durch Arbeitsplatzaufgabeverbote bestünde allenfalls dann, w e n n m a n sich der Ansicht Nipperdeys u n d Säckers (s. Fußn. 41) anschlösse, daß (Abwehr-) Streiks gegen Betriebe, die zuvor ausgesperrt haben, auch m i t lösender W i r k u n g geführt werden können. 47 V o r allem Nipperdey/Säcker, i n : Hueck/Nipperdey, Lehrbuch II/2, S. 935 ff. u n d i n A n m . zu B A G A P A r t . 9 GG Arbeitskampf Nr. 39 (jeweils m i t eingehender Begründung u n d umfassender Dokumentation des Meinungs- u n d Streitstandes). 48 B A G A P A r t . 9 GG Arbeitskampf Nr. 1 = B A G 1, 291 (309 ff.); B A G A P A r t . 9 GG Arbeitskampf Nr. 6, 11, 24. Eine entscheidende Modifizierung erfolgte durch den Beschluß des GS v. 21. 4. 1971, A P A r t . 9 GG Arbeitskampf
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Beendigung) der Arbeitsverhältnisse zur Folge, es sei denn, der Arbeitgeber bringt zum Ausdruck, er wolle nur m i t suspendierender Wirkung aussperren 49 . Auch bleibt es einem Arbeitgeber unbenommen, vor der Aussperrung die Arbeitsverhältnisse der auszusperrenden Arbeitnehmer zu kündigen 5 0 . Unter beiden Aspekten — Möglichkeit der Lösung der Arbeitsverhältnisse und Möglichkeit der vorherigen Kündigung — erscheint es prima facie vorstellbar, daß die Arbeitskampfform Aussperrung m i t einem Arbeitsplatzaufgabeverbot nach A r t . 12 a Abs. 6 GG kollidieren könnte. Jedoch zeigt sich bei näherer Prüfung, daß der erste Eindruck täuscht und ein Vorgehen gegen eine Aussperrung m i t Maßnahmen nach A r t . 12 a Abs. 6 GG praktisch doch nicht möglich erscheint. Denn das i n A r t . 12 a Abs. 6 GG vorgesehene Verbot, den Arbeitsplatz aufzugeben, richtet sich allein an die Adresse der Arbeitnehmer. Nur sie, nicht etwa der Arbeitgeber, werden durch Maßnahmen nach Art. 12 a Abs. 6 GG betroffen. Es wäre ebenso widersinnig wie ineffektiv, wenn der Staat i n der Weise gegen eine Aussperrung vorgehen würde, daß den ausgesperrten (also vom Arbeitsplatz bereits ausgeschlossenen) Arbeitnehmern verboten würde, den Arbeitsplatz aufzugeben. Selbst wenn es um die Verhinderung einer erst bevorstehenden oder befürchteten Aussperrung ginge, wäre ein Arbeitsplatzaufgabeverbot nach A r t . 12 a Abs. 6 GG keine geeignete Präventivmaßnahme, w e i l sich dieses Verbot an die Arbeit nehmer und m i t h i n an die falsche Adresse richten würde. Wie die vorstehenden Überlegungen gezeigt haben, ist weder für die Arbeitskampfform „Streik" noch für die Arbeitskampfform „Aussperrung" ersichtlich, inwiefern durch Maßnahmen nach A r t . 12 a Abs. 6 GG überhaupt eine Beeinträchtigung erfolgen könnte 5 1 . Wenn die Arbeitskampfschutzklausel des A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG dennoch auf den gesamten Art. 12 a GG Bezug nimmt und deshalb i n den Katalog der Maßnahmen, die sich nicht gegen Arbeitskämpfe der gekennzeichneten A r t richten dürfen, auch die Maßnahmen nach A r t . 12 a Abs. 6 GG aufgenommen sind, dann ist dies darauf zurückzuführen, daß der verfassungsändernde Gesetzgeber demonstrativ deutlich machen wollte, daß keine der neu ins Grundgesetz aufgenommenen Notstandsvollmachten gegen gewerkschaftliche Arbeitskämpfe zur Wahrung und Förderung der Arbeitsund Wirtschaftsbedingungen gerichtet ist. Der starke gewerkschaftliche Nr. 43 = N J W 1971, 1668, nach dem auch Aussperrungen „ i m allgemeinen n u r suspendierende W i r k u n g " haben. 49 W o m i t das Arbeitsverhältnis nicht beendet, sondern lediglich zum Ruhen gebracht würde. 50 Was seit dem Beschluß des B A G v. 28. 1. 1955 (Fußn. 41) freilich weder üblich noch erforderlich ist. NipperdeylSäcker, i n : HuecklNipperdey, Lehrbuch II/2, S. 901 f., erwähnen die Möglichkeit der K ü n d i g u n g zum Zwecke späterer Aussperrung gar nicht mehr. 51 So auch G. Müller, i n : Juristen-Jahrbuch 10 (1969/70), S. 127 Fußn. 4.
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2. T e i l : I n h a l t u n d A u s w i r k u n g e n des A r t . 9 I I I 3 GG
Widerstand gegen die Grundgesetzänderungen und die oft geäußerte (falsche) Behauptung, durch ein Arbeitsplatzaufgabeverbot werde die Streikfreiheit beseitigt 6 1 3 , legten eine derartige demonstrative Verdeutlichung der gesetzgeberischen Absichten auch dort nahe, wo von der Sache her gar kein Anlaß für Befürchtungen und somit keine Notwendigkeit für eine Regelung i n der Arbeitskampfschutzklausel bestand. 1.2 Maßnahmen nach Art. 35 Abs. 2 und 3 GG Die i m Rahmen der Notstandsverfassung neu i n das Grundgesetz eingefügten Absätze 2 und 3 des A r t . 35 enthalten Regelungen für den Fall einer Naturkatastrophe oder eines besonders schweren Unglücks. Abs. 2 sieht vor, daß ein Land bei einer Naturkatastrophe oder einem besonders schweren Unglücksfall Polizeikräfte anderer Länder, Kräfte und Einrichtungen anderer (Bundes- und Landes-) Verwaltungen einschließlich des Bundesgrenzschutzes und der Streitkräfte anfordern kann. Abs. 3 gibt für den F a l l einer Naturkatastrophe oder eines Unglücksfalles, der über das Gebiet eines Landes hinausgeht, der Bundesregierung die Befugnis, die Landesregierungen anzuweisen, landeseigene Polizeikräfte anderen Ländern zur Verfügung zu stellen; außerdem ist die Bundesregierung i n diesem Falle befugt, zur Unterstützung der zuständigen Polizeikräfte Einheiten des Bundesgrenzschutzes und der Streitkräfte einzusetzen. Wie schon die systematische Eingliederung zeigt, werden i n A r t . 35 Abs. 2 und 3 GG Regelungen zwischen den Ländern und i m Bund-LänderVerhältnis getroffen. M a n kann sich schlecht vorstellen, wie durch A n wendung dieser Amtshilfevorschriften Arbeitskämpfe beeinträchtigt werden könnten. Aber auch insoweit, als A r t . 35 Abs. 3 GG den Einsatz von Einheiten des Bundesgrenzschutzes und der Bundeswehr für zulässig erklärt — und damit über eine interne Amtshilferegelung hinausgeht —, ist eine Beeinträchtigungsmöglichkeit nicht erkennbar. Denn die i n A r t . 35 Abs. 2 und 3 GG vorgesehenen Befugnisse sind generell von der Voraussetzung abhängig, daß eine Naturkatastrophe oder ein besonders schwerer Unglücksfall vorliegt. Ein Arbeitskampf ist demgegenüber etwas völlig anderes und es scheint ausgeschlossen, daß eine zum Mißbrauch entschlossene Bundes- oder Landesregierung einen Arbeitskampf zur Naturkatastrophe oder zu einem besonders schweren Unglücksfall „umdeklariert", u m gegen den unerwünschten Arbeitskampf vorgehen zu können. Es ist demnach nicht ersichtlich, daß durch Maßnahmen, die nach A r t . 35 Abs. 2 und 3 GG zulässig sind, Arbeitskämpfe beeinträchtigt wer51a
s. Fußn. 39, 40.
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den könnten. Die Erwähnung des A r t . 35 Abs. 2 und 3 GG i m Katalog der i n A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG aufgeführten Maßnahmen ist — ähnlich wie bei A r t . 12 a Abs. 6 GG — damit zu erklären, daß der verfassungsändernde Gesetzgeber demonstrativ deutlich machen wollte, daß keine der neu ins Grundgesetz eingefügten Notstandsbefugnisse der (Bundesund Landes-) Exekutive ein potentielles Instrument zur Beeinträchtigung von arbeitsrechtlichen Arbeitskämpfen darstellen soll. 1.3 Maßnahmen nach Art. 87 a Abs. 4 GG A r t . 87 a Abs. 4 GG regelt den Einsatz von Streitkräften i m Falle eines inneren Notstandes, wobei die Voraussetzungen, der Umfang, das Ziel, der Gegenstand und die A r t und Weise des Einsatzes der Bundeswehr genau umrissen werden. A u f die Einzelheiten des problematischen und i n den parlamentarischen Beratungen höchst umstrittenen A r t . 87 a Abs. 4 GG ist i m Rahmen dieser Untersuchung, die sich mit der Arbeitskampfschutzklausel befaßt, nicht näher einzugehen 52 . Hier interessiert nur die Feststellung, daß unter einer Maßnahme nach A r t . 87 a Abs. 4 GG der Einsatz der Bundeswehr i m Innern zu verstehen ist. Ein derartiger Einsatz darf sich nach ausdrücklicher Normierung i n A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG nicht gegen Arbeitskämpfe der gekennzeichneten A r t richten. Von den beiden i n A r t . 87 a Abs. 4 GG vorgesehenen und gegenständlich festgelegten A r t e n des Einsatzes von Streitkräften, nämlich (1) der M i t w i r k u n g beim Schutz ziviler Objekte und (2) der M i t w i r k u n g bei der Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer, könnte allem Anschein nach nur die erste Alternative eine potentielle Gefahr für Arbeitskämpfe darstellen. Soweit es sich u m die zweite Einsatzform, die M i t w i r k u n g bei der Bekämpfung organisierter und m i l i tärisch bewaffneter Aufständischer, handelt, ist die Möglichkeit einer Beeinträchtigung von Arbeitskämpfen kaum vorstellbar 5 3 . Arbeitskämpfe der Koalitionen nach A r t . 9 Abs. 3 Satz 1 GG, die zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen durchgeführt werden, sind m i t Aktionen „organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer" i. S. des A r t . 87 a Abs. 4 GG nicht i m entferntesten vergleichbar 5 4 . Das gilt für beide der üblichen Arbeitskampfformen, für den Streik 52 Vgl. zu A r t . 87a Abs. 4 GG: Schriftl. Ber. des R A des BT, BT-Drs. V/2873, S. 14, sowie die materialreiche u n d höchst sachkundige Untersuchung v o n Hoff mann, i n : Sterzel (Hrsg.), K r i t i k , S. 86 ff., insbes. S. 97 ff. 53 So auch A. Hueck, R d A 1968, S. 431 (Ii. Sp.); G. Müller, i n : Juristen-Jahrbuch 10 (1969/70), S. 126 f. Fußn. 4. 54 Vgl. Senator Dr. Heinsen (Hamburg), 326. Sitzg. des BR v. 14. 6. 1968, Sten. Ber. S. 139 (C).
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2. T e i l : I n h a l t u n d A u s w i r k u n g e n des A r t . 9 I I I 3 GG
wie für die Aussperrung. Ein organisierter und militärisch bewaffneter Aufstand würde i m übrigen selbst dann nicht vorliegen, wenn es i m Laufe eines Streiks zu gewalttätigen Ausschreitungen und strafbaren Handlungen einzelner Streikteilnehmer oder Streikposten käme oder wenn sich i m Laufe einer Aussperrung die ausgeschlossenen Arbeitnehmer oder Angehörige der Arbeitgeberseite zu derartigen Aktionen hinreißen ließen. Ebensowenig wäre ein organisierter und militärisch bewaffneter Aufstand dann gegeben, wenn einzelne Streikende, die Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen ausüben, Stöcke, Messer oder andere gefährliche Werkzeuge i m Sinne des § 223 a StGB gebrauchten 5 5 . Selbst wenn einzelne Personen Revolver m i t sich führten, würde das nicht ausreichen, u m einen militärisch bewaffneten Aufstand i m Sinne des A r t . 87 a Abs. 4 GG anzunehmen. Soweit die Bundeswehr zur Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer eingesetzt werden kann, handelt es sich also offensichtlich u m eine Maßnahme, die kaum zur Beeinträchtigung von Arbeitskämpfen führen könnte. Anders ist die Lage bei der ersten i n A r t . 87 a Abs. 4 GG vorgesehenen A r t des Bundeswehreinsatzes i m Innern, der M i t w i r k u n g beim Schutz ziviler Objekte. Hier ist eine Beeinträchtigung von Arbeitskämpfen, sei es i n der Form des Streiks oder der Aussperrung, zumindest nicht von vornherein unvorstellbar. Ein Streik könnte beispielsweise dadurch beeinträchtigt werden, daß die zum „Objektschutz" abkommandierten Soldaten an Stelle der ferngebliebenen Arbeitnehmer bestimmte Arbeiten i m bestreikten Betrieb verrichten („Streikbrecherarbeit") und auf diese Weise — zusammen m i t streikunwilligen Betriebsangehörigen und dritten Personen — dazu beitragen, daß der Streik wirkungslos bleibt. Weiter wäre denkbar, daß unter dem Vorwand des Objektschutzes gegen streikende Arbeitnehmer, die das Betriebsgelände nicht verlassen (Sitzstreik!), vorgegangen, oder daß das Aufstellen von Streikposten durch die Gewerkschaften verhindert w i r d 5 6 . Andererseits lassen sich auch bei Aus65 I n der außerparlamentarischen Diskussion u m die Notstandsgesetzgebung spielte die Behauptung eine große Rolle, die Bundeswehr könne schon dann gegen streikende Arbeitnehmer eingesetzt werden, w e n n einzelne Streikteilnehmer Messer, Stöcke oder andere gefährliche Werkzeuge m i t sich führten. Diese Behauptung ist aus mehreren Gründen gänzlich unhaltbar, u. a. deshalb, w e i l der weite Waffenbegriff des § 223a StGB (Waffe i n untechnischem Sinn) nicht einfach m i t dem Waffenbegriff des A r t . 87a Abs. 4 i m GG gleichgesetzt werden kann. 56 Der Abg. Matthöfer (SPD) meinte i n der 3. Lesung der Notstandsverfassung, A r t . 87a Abs. 4 GG schließe es „bei w e i t hergeholter Auslegung" nicht aus, daß die Bundeswehr Einsätze zum Betriebsschutz i n einer Form probe, die eine Beschränkung v o n Streiks zur Folge haben könne, 178. Sitzg. des 5. B T v. 30. 5. 1968, Sten. Ber. S. 9632 (D). Ob A r t . 87a Abs. 4 GG derartige Übungen zulassen würde, erscheint allerdings höchst zweifelhaft; auf jeden F a l l würde A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG sie untersagen. So auch Hoff mann, i n : Sterzel (Hrsg.), K r i t i k , S. 112.
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Sperrungen Beeinträchtigungen vorstellen: Bei einer drohenden Aussperrung könnte ein angeblich erforderlicher Objektschutz i n einer Weise durchgeführt werden, daß die faktische Ausschließung der Arbeitnehmer nicht vorgenommen werden kann, oder bei einer bereits durchgeführten Aussperrung faktisch wieder rückgängig gemacht wird. A l l diese Beispiele dafür, wie Arbeitskämpfe durch einen Einsatz der Bundeswehr i n der Alternative „ M i t w i r k u n g beim Schutz ziviler Objekte" beeinträchtigt werden könnte, erscheinen freilich konstruiert und wenig wahrscheinlich. Wenn A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG dennoch bestimmt, daß sich Maßnahmen nach A r t . 87 a Abs. 4 GG nicht gegen Arbeitskämpfe der gekennzeichneten A r t richten dürfen, dann ist das darauf zurückzuführen, daß der verfassungsändernde Gesetzgeber jede, wenn auch noch so unwahrscheinliche Möglichkeit der Beeinträchtigung von Arbeitskämpfen ausschließen wollte. Gerade bei Art. 87 a Abs. 4 GG, der schwerwiegenden und bis zuletzt außerordentlich umstrittenen Regelung des Einsatzes der Bundeswehr i m Innern, lag es nahe, über jeden Zweifel hinaus für jedermann deutlich zu machen, daß m i t der neuen Regelung keinesfalls ein Instrument zur Bekämpfung oder Behinderung von Arbeitskämpfen der gekennzeichneten A r t geschaffen werden sollte und geschaffen worden ist 5 7 . 1.4 Maßnahmen nach Art. 91 GG A r t . 91 GG enthält i n seinen beiden Absätzen Regelungen für den Fall eines inneren Notstandes, d. h. einer Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes. A r t . 91 Abs. 1 GG wurde durch die Notstandsverfassung geringfügig geändert und bestimmt jetzt, daß i m Falle eines regionalen Notstandes ein Land nicht nur Polizeikräfte anderer Länder anfordern kann (so die vorherige Regelung), sondern auch Kräfte und Einrichtungen anderer Bundes- und Landesverwaltungen sowie des Bundesgrenzschutzes. Unter Maßnahmen nach A r t . 91 Abs. 1 GG sind daher derartige Anforderungen eines Landes an andere Länder oder den Bund zu verstehen. Diese A n forderungen dürfen sich gemäß A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG nicht gegen A r beitskämpfe der gekennzeichneten A r t richten. Da weder die Anforderung noch die Zurverfügungstellung nach außen h i n wirkende neue Befugnisse begründet 58 , es sich vielmehr nur u m interne Maßnahmen zwi57 Ä h n l i c h A. Hueck, R d A 1968, S. 431 (Ii. Sp.); vgl. ferner G. Müller, in: Juristen-Jahrbuch 10 (1969/70), S. 126 f. Fußn. 4. 58 Die angeforderten Polizeikräfte u n d der Bundesgrenzschutz unterstehen dem Polizeirecht des anfordernden Landes; f ü r die K r ä f t e u n d Einrichtungen anderer Verwaltungen sind die jeweils geltenden allgemeinen Bestimmungen anzuwenden; vgl. Schriftl. Ber. des R A des BT, BT-Drs. V/2873, S. 15.
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2. Teil: I n h a l t u n d A u s w i r k u n g e n des A r t . 9 I I I 3 GG
sehen den Ländern und i m Verhältnis Bund-Länder handelt, ist freilich nicht ersichtlich, wie Anforderungen eines Landes an andere Länder oder an den Bund Arbeitskämpfe überhaupt beeinträchtigen könnten 5 8 3 . Dagegen ist eine Beeinträchtigung von Arbeitskämpfen durch Maßnahmen nach A r t . 91 Abs. 2 GG vorstellbar. Diese Bestimmung wurde durch die Notstandsverfassung ebenfalls erweitert. Nach Abs. 2 Satz 1 kann die Bundesregierung, wenn ein Land nicht zur Bekämpfung der Gefahr bereit oder i n der Lage ist, nicht nur wie vorher die Polizei dieses Landes und die Polizeikräfte anderer Länder ihren Weisungen unterstellen, sondern auch Einheiten des Bundesgrenzschutzes einsetzen. I n Abs. 2 Satz 3 ist außerdem für den Fall einer überregionalen Gefahr vorgesehen, daß die Bundesregierung den Landesregierungen Weisungen erteilen kann. Unter Maßnahmen nach A r t . 91 Abs. 2 GG sind daher zu verstehen: Einmal die Unterstellung der Polizei eines Landes oder der Polizeikräfte mehrerer Länder unter die Weisungsbefugnis der Bundesregierung, zum andern aber w o h l auch die innerhalb dieses Unterstellungsverhältnisses ergehenden einzelnen Weisungen, ferner Weisungen der Bundesregierung an die Landesregierungen und schließlich der direkte Einsatz des Bundesgrenzschutzes durch die Bundesregierung. Von all diesen Maßnahmen ist lediglich bei dem organisatorisch-internen A k t der Unterstellung der Polizei unter die allgemeine Weisungsbefugnis der Bundesregierung nicht ersichtlich, wie eine Beeinträchtigung von A r beitskämpfen möglich sein soll. Die übrigen Maßnahmen — Einzelweisungen der Bundesregierung an Polizeikräfte und an Landesregierungen, Einsatz des Bundesgrenzschutzes — haben eine direkte oder wenigstens eine indirekte Außenwirkung. Bei ihnen ist es zumindest vorstellbar, daß Arbeitskämpfe betroffen werden: etwa durch Weisungen der Bundesregierung an die örtlich zuständige Polizei, einen unerwünschten Streik durch polizeiliche Maßnahmen i n dieser oder jener Weise zu behindern (ein durchschlagendes M i t t e l wäre etwa die Festnahme von einzelnen Streikteilnehmern, Streikposten oder Gewerkschaftsfunktionären wegen des Verdachtes irgendeiner Straftat); oder durch die Weisung, den i m Rahmen einer Aussperrung vom Betrieb ausgeschlossenen Arbeitnehmern wieder Z u t r i t t zu den Arbeitsplätzen zu verschaffen; oder durch einen Einsatz des Bundesgrenzschutzes als Streikbrecherorganisation usw. A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG erklärt alle derartigen Maßnahmen, die gegen Arbeitskämpfe der gekennzeichneten A r t gerichtet sind, für unzulässig. 58a Allenfalls könnte m a n noch an den (wohl k a u m realistischen) F a l l denken, daß Angehörige des öffentl. Dienstes eines Landes streiken u n d dieses L a n d daher K r ä f t e u n d Einrichtungen des Bundes oder anderer Länder anfordert. Auch hier w ü r d e n jedoch keine neuen nach außen wirkenden Befugnisse begründet.
I. Abschn.: Z u r Auslegung des neuen A r t . 9 I I I 3 GG
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1.5 Zusammenfassende Betrachtung der in Art. 9 Abs. 3 Satz 3 GG aufgeführten Maßnahmen Bei einer zusammenfassenden Betrachtung der i n A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG aufgeführten und vorstehend (unter 1.1-1.4) dargestellten Maßnahmen erscheint zunächst bemerkenswert, daß sämtliche Maßnahmen i m Grundgesetz selbst vorgesehen sind oder zumindest für zulässig erklärt werden. Dennoch dürfen sie sich kraft ausdrücklicher Normierung nicht gegen Arbeitskämpfe richten, die zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen von Vereinigungen i. S. des A r t . 9 Abs. 3 Satz 1 geführt werden. Es w i r d noch zu prüfen sein, ob und ggf. welche Folgerungen aus dieser Tatsache für die allgemeine verfassungsrechtliche Bewertung und Einordnung des Arbeitskampfes gezogen werden können 5 9 . Hervorzuheben ist ferner, daß durch die Einbeziehung der Maßnahmen nach A r t . 12 a Abs. 1 und 2 GG i n die Schutzklausel des A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG ein i m Vergleich zur früheren Verfassungsrechtslage nicht unerheblich verstärkter Schutz von Arbeitskämpfen erzielt worden ist 6 0 . Vor Inkrafttreten der Notstandsverfassung enthielt das Grundgesetz keine Bestimmung, die es ausdrücklich untersagt hätte, Arbeitskämpfe gezielt durch Einberufungen zum Wehrdienst oder zum Ersatzdienst zu beeinträchtigen, obwohl diese Maßnahmen als solche schon vorher i m Grundgesetz vorgesehen waren. M i t der Erstreckung der Schutzklausel auch auf diese Maßnahmen hat der verfassungsändernde Gesetzgeber mehr getan, als erforderlich gewesen wäre, u m die neugeschaffenen Notstandsbefugnisse der Exekutive „aufzuwiegen" und somit die bisherige „Machtbalance" zwischen den sozialen Gegenspielern untereinander und i n ihren Beziehungen zum Staat aufrecht zu erhalten. Schließlich ist i m Rahmen der zusammenfassenden Betrachtung auf die Frage einzugehen, ob — von den Maßnahmen her gesehen — die Verwendung des Wortes „Arbeitskämpfe" überhaupt einen Sinn hat oder ob es von der Sache her nicht richtiger gewesen wäre, den Begriff „Streik" einzuführen. Die Frage liegt deshalb nahe, w e i l es die befürchteten Gefährdungen des Streikrechts — und nicht etwa irgendwelche Überlegungen zur Aussperrung — waren, die Anlaß und Grund für die Schaffung einer Schutzklausel bildeten 6 1 . I n den parlamentarischen Beratungen spielte speziell die Frage, ob i n der geplanten Schutzklausel das Wort „Streiks" oder das Wort „Arbeitskämpfe" gebraucht werden solle, eine sehr erhebliche Rolle 6 2 . Aus der Befürchtung heraus, der Gebrauch des 59 60 61 62
Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.
unten I I . Abschnitt. oben S. 107/108. Fußn. 18 - 23 u n d den Text dazu. oben S. 93 - 104.
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2. Teil: I n h a l t und Auswirkungen des A r t . 9 I I I 3 GG
Wortes „Arbeitskämpfe" könne zu einer unbeabsichtigten und für die SPD unerwünschten Änderung der verfassungsrechtlichen Bewertung der Aussperrung führen, setzten sich sozialdemokratische Abgeordnete — freilich vergeblich — für die Ersetzung des Begriffs „Arbeitskämpfe" durch „Streiks" ein; dabei beriefen sie sich zusätzlich auf das Sachargument, keine der i m vorgesehenen A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG aufgeführten Maßnahmen könne „überhaupt gegen eine Aussperrung gerichtet sein" 6 3 . Dies t r i f f t i n dieser Allgemeinheit jedoch keineswegs zu. Wie dargelegt wurde, ist lediglich bei den Maßnahmen nach A r t . 12 a Abs. 6 (Berufs- und Arbeitsplatzaufgabeverbot), A r t . 35 Abs. 2 und 3 (Katastrophenhilfeeinsatz des Bundesgrenzschutzes und der Streitkräfte) und Art. 91 Abs. 1 GG (Recht eines Landes, Polizeikräfte anderer Länder sowie Kräfte und Einrichtungen anderer Verwaltungen anzufordern) nicht vorstellbar, wie Aussperrungen — i n gleicher Weise aber auch Streiks — überhaupt beeinträchtigt werden könnten. Bei allen anderen Maßnahmen, nämlich den Maßnahmen nach den Absätzen 1 - 5 des A r t . 12 a GG und den Maßnahmen nach A r t . 87 a Abs. 4 und A r t . 91 Abs. 2 GG ist dagegen eine Beeinträchtigung von Aussperrungen durchaus vorstellbar. Zwar wäre es — u m ein vom Abg. Matthöfer (SPD) gebildetes Beispiel anzuführen 63 — absurd und unsinnig, i m Falle einer Aussperrung dieselben Arbeitnehmer, die durch den Arbeitgeber vom Arbeitsplatz ausgeschlossen worden sind, mittels Dienstverpflichtungen nach A r t . 12 a Abs. 3 GG zur A r beitsleistung heranzuziehen. (Daß von seiten des Staates auf eine derartige Weise gegen Aussperrungen vorgegangen würde, erscheint schon deshalb unmöglich, w e i l Dienstverpflichtungen der ausgesperrten Arbeitnehmer ja den falschen Adressaten treffen würden 6 4 .) Vorstellbar ist jedoch, daß eine Aussperrung dadurch beeinträchtigt wird, daß Maßnahmen nach A r t . 12 a Abs. 1 - 5 gegen den „richtigen Adressaten" gerichtet werden, nämlich gegen diejenigen, die für die Aussperrung i n der einen oder anderen Weise verantwortlich oder maßgeblich an ihr beteiligt sind. Ebenso wie ein Streik dadurch behindert oder gar unmöglich gemacht werden könnte, daß maßgebliche Gewerkschaftsfunktionäre zur Bundeswehr einberufen (Maßnahmen nach A r t . 12 a Abs. 1 GG) oder zur Teilnahme an einer Ausbildungsveranstaltung verpflichtet werden (Maßnahmen nach A r t . 12 a Abs. 5 GG) 6 5 , könnte umgekehrt auch eine Aus63 Abg. Matthöfer (SPD) i n der 2. Lesung, 174. Sitzg. des 5. B T v. 25. 5.1968, Sten. Ber. S. 9315 (A); ebenso schon vorher i m R A des BT, vgl. Bespr. des R A v. 1. 4. 1968, A n l . 1 zum Prot. Nr. 78 des R A , S. 7, sowie die fraktionsinternen Änderungsanträge der SPD-Abg. Gscheidle u n d Genossen v. 2. 5.1968, Begründung zu A n t r a g Ziff. 1. 64 Zutreffend stellt Wahsner, i n : Sterzel (Hrsg.), K r i t i k , S. 60, fest, daß Aussperrungen nicht durch Dienstverpflichtungen der Arbeit nehmer, sondern n u r durch Zwangsmittel aufgehoben werden können, deren Adressat der A r beitgeber ist. 65 Solche u n d ähnliche Beispiele spielten gerade bei den K r i t i k e r n der N o t standsverfassung eine sehr erhebliche Rolle.
I. Abschn.: Z u r Auslegung des neuen A r t . 9 I I I 3 GG
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Sperrung dadurch erschwert oder unmöglich gemacht werden, daß maßgebliche Personen auf der Arbeitgeberseite durch gezielte Anwendung der nach A r t . 12 a Abs. 1 - 5 GG möglichen Maßnahmen „ausgeschaltet" werden 6 6 . Theoretisch vorstellbar ist ferner, daß mit polizeilich-exekutivischen Maßnahmen nach A r t . 87 a Abs. 4 und A r t . 91 Abs. 2 GG gegen Aussperrungen vorgegangen werden könnte, etwa indem aussperrende Arbeitgeber durch Polizeikräfte oder Kräfte des Bundesgrenzschutzes zur Öffnung ihrer Betriebe gezwungen würden. Zuzugeben ist freilich, daß derartige Möglichkeiten einer Beeinträchtigung sehr theoretisch, überdies i n hohem Maße unwahrscheinlich sind. Aus politisch-soziologischer Sicht mag man dabei die Möglichkeit, daß Aussperrungen auf die angedeutete Weise beeinträchtigt werden könnten, für noch weit unwahrscheinlicher halten, als die ebenfalls unwahrscheinliche Gefahr einer Beeinträchtigung von Streiks. Immerhin ist es jedoch — entgegen der Ansicht des SPD-Abg. Matthöf er 6 7 — denkbar, daß sich einige der i n A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG aufgeführten Maßnahmen auch gegen Aussperrungen richten. Von den Maßnahmen her gesehen ist es daher nicht von vornherein sinnlos 68 , daß i n der Arbeitskampfschutzklausel der Oberbegriff „Arbeitskämpfe", der nach allgemeiner Auffassung neben dem Streik auch die Aussperrung umfaßt, verwendet wird. 2. Zum Begriff des Arbeitskampfes Die i n A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG aufgeführten Maßnahmen dürfen sich nicht gegen Arbeitskämpfe der gekennzeichneten A r t richten. Der Begriff „Arbeitskämpfe", den das Grundgesetz erstmals und nur an dieser Stelle verwendet, w i r d nicht näher definiert 69 . Weder erfolgt eine abstrakte Bestimmung des Begriffs noch eine beispielhafte Umschreibung. Auszugehen ist daher von der Begriffsbestimmung, die von Wissenschaft und Rechtsprechung entwickelt worden ist. Nach einhelliger Auffassung müssen die folgenden beiden Voraussetzungen gegeben sein, wenn ein Arbeitskampf vorliegen soll: a) kollektive Maßnahmen zur Störung des Arbeitsfriedens, die b) von einem der sozialen Gegenspieler, also von Arbeitgeber- oder A r beitnehmerseite, ergriffen werden. 66 Daß es auch solche bloß m i t t e l b a r wirkende Beeinträchtigungsversuche geben könnte, übersehen Wahsner (Fußn. 64) u n d Säcker, Grundprobleme, S. 83. 67 s. Fußn. 63. 88 Wie auch Säcker, Grundprobleme, S. 83, anzunehmen scheint. 69 Vgl. A. Hueck, R d A 1968, S. 431.
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2. T e i l : I n h a l t u n d A u s w i r k u n g e n des A r t . 9 I I I 3 GG
Streitig ist, ob der Begriff des Arbeitskampfes noch eine dritte Komponente umfaßt, nämlich c) ein Kampfziel auf dem Gebiete des Arbeitslebens. Hier handelt es sich u m die seit langem umstrittene Frage, ob von einem weiten (formellen) oder einem engen (materiellen) Arbeitskampfbegriff auszugehen sei 70 . Die Vertreter des engen Arbeitskampfbegriffs 7 1 verlangen, daß ein Kampfziel auf dem Gebiet des Arbeitslebens vorliegt oder das Ziel sogar i n der kollektivvertraglichen Beilegung einer arbeitsrechtlichen Gesamtstreitigkeit besteht, die Verteter des weiten Arbeitskampfbegriffs 72 lehnen dies ab. Eine Stellungnahme zu dieser arbeitsrechtlichen Streitfrage kann i m Rahmen der vorliegenden (verfassungsrechtlich orientierten) Darstellung schon deshalb unterbleiben, w e i l A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG kraft ausdrücklicher Bestimmung nur Arbeitskämpfe zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen erfaßt. Damit steht fest, daß die i n Satz 3 angeordneten Folgen nur für solche Arbeitskämpfe gelten, mit denen ein Kampfziel auf dem Gebiete des Arbeitslebens verfolgt w i r d 7 3 . Die ausdrückliche Aufnahme eines derartigen einschränkenden Zusatzes könnte freilich zu dem Schluß verleiten, daß Satz 3 bei der Verwendung des Wortes „Arbeitskämpfe" von einem weitgefaßten Begriff des Arbeitskampfes ausgeht, also Ziele auf dem Gebiete des Arbeitslebens offenbar nicht zu den notwendigen Voraussetzungen des Arbeits70 Z u m Problem u n d zum Streitstand vgl. Bötticher, R d A 1955, S. 81 f.; Brox/Rüthers, Arbeitskampf recht, S. 23 ff.; Ramm, A c P 160 (1961), S. 336 ff.; Tillmann, Politischer Streik, S. 26 ff.; Söllner, Arbeitsrecht, S. 63 f.; Zöllner, R d A 1969, S. 251 f. 71 Vgl. etwa Ramm, A c P 160 (1961), S. 336 ff., 365 m. w . H i n w . ; Tomandl, Streik u n d Aussperrung, S. 7 ff.; Tillmann, Politischer Streik, S. 30 f.; zuletzt auch wieder Nipperdey, i n : Hueck/Nipperdey, Grundriß, 4. A u f l . 1968, S. 277 ff. (im Gegensatz zur 3. A u f l . 1965, S. 271) u n d Nipperdey/Säcker, i n : Hueckl Nipperdey, Lehrbuch II/2, 7. A u f l . 1970, S. 878 ff. (im Gegensatz zu Lehrbuch I I , 6. Aufl. 1957, S. 604, 608 Fußn. 11); B G H Z 14, 347 (354) = A P § 2 A r b G G Nr. 2. Das B A G hat zur Frage des engen oder weiten Arbeitskampfbegriffs bisher nicht Stellung genommen. 72 Vgl. Bötticher, R d A 1955, S. 81 f.; Nikisch, Arbeitsrecht I I , S. 82 ff.; Dietz, JuS 1968, S. 2; Reuß, A r b u R 1969, 242 f.; Zöllner, R d A 1969, S. 251 f. — A n z u merken ist freilich, daß einige der Vertreter des weiten Arbeitskampfbegriffs ausdrücklich verlangen, es müsse ein bestimmtes Ziel verfolgt werden, u m dessentwillen Druck ausgeübt werde (ohne daß dieses Z i e l auf dem Gebiete des Arbeitslebens liegen müsse); so etwa Nikisich, ebd., S. 80 f.; Nipperdey, i n : Hueck/Nipperdey, Lehrbuch I I , 6. A u f l . 1957, S. 608, 611 f.; A. Hueck, FS H e r schel, S. 30 f. Da sich ein bestimmter Zweck etwa einer Arbeitsniederlegung w o h l i m m e r feststellen lassen w i r d (vgl. die Beispiele bei Nikisch, ebd., S. 81), dürfte diesem Begriffsbestandteil praktisch keine große Bedeutung zukommen. Wichtiger ist die Frage, ob das verfolgte Kampfziel auf einem bestimmten Gebiete liegen muß oder nicht. 73 Vgl. dazu unten I. Abschnitt, Kap. 4.
I. Abschn.: Z u r Auslegung des neuen A r t . 9 I I I 3 GG
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kampfbegriffes rechnet 74 . Denn es hätte, so könnte man folgern, des einschränkenden Zusatzes „zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen" nicht bedurft, wenn darüber Einigkeit bestanden hätte, daß schon vom Begriff her Arbeitskämpfe nur dann vorliegen, wenn Kampfziele auf dem Gebiete des Arbeitslebens verfolgt werden (enger Arbeitskampf begriff); die Tatsache, daß man die zusätzliche Qualifizierung hinzufügte, spricht — so scheint es — dafür, daß man vom weiten Arbeitskampfbegriff ausging. Wenngleich dieser Schluß naheliegt, ist er nicht völlig zwingend. Denn die Hinzufügung der einschränkenden Qualifizierung „zur Wahrung und Förderung der Arbeitsund Wirtschaftsbedingungen" könnte auch umgekehrt gerade eine Reaktion auf den Streit sein, ob der weite oder enge Arbeitskampfbegriff der richtige sei. Die Qualifizierung kann auch als eine bloße Klarstellung interpretiert werden, die — ohne Entscheidung i m Streit u m den A r beitskampfbegriff — jedenfalls sicherstellt, daß die Norm sachlich nur so weit geht, wie der Gesetzgeber das wünschte. Eine derartige Interpretation entspräche auch der Entstehungsgeschichte. Der Zusatz, daß es sich u m Arbeitskämpfe „zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen" handeln müsse, wurde i n den Beratungen des Rechtsausschusses des 4. Bundestages von den Abgeordneten der Fraktionen der CDU/CSU und FDP gegen den Widerstand der sozialdemokratischen Opposition ausdrücklich zum Zwekke der Klarstellung i n die damals vorgesehene Arbeitskampfschutzklausel des A r t . 91 Abs. 6 eingefügt. I n dem vom Abg. Benda (CDU/CSU) erstatteten Bericht des Rechtsausschusses wurde festgestellt, daß der Ausschuß während der Beratungen zwar einhellig der Meinung gewesen sei, der Begriff des Arbeitskampfes solle nur den arbeitsrechtlichen Arbeitskampf umfassen (enger Arbeitskampf begriff); jedoch habe die Mehrheit die ausdrückliche Hinzufügung der Worte „zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen" deshalb für zweckmäßig gehalten, w e i l i n der arbeitsrechtlichen Literatur keine Einhelligkeit bestehe, wobei teilweise sogar die Verteter der Meinung, die den politischen Arbeitskampf für nicht verfassungsgemäß halte, diesen unter den Begriff Arbeitskampf einbezögen 75 . Die Ausschußmehrheit wolle m i t der für zweckmäßig gehaltenen Klarstellung allerdings nicht anerkennen, daß auch der politische Arbeitskampf unter den verfassungsrechtlichen A r beitskampfbegriff falle 7 6 .
74
M i t der Folge, daß auch ein politischer Streik als Arbeitskampf anzusehen wäre. 75 Schriftl. Ber. des R A des 4. BT, zu BT-Drs. IV/3494, S. 16 m i t ausdrücklichem Hinweis auf Hueck/Nipperdey, Lehrbuch I I , 6. Aufl. 1957, S. 608 und Anm. 11. 78 Schriftl. Ber., ebd.
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2. T e i l : I n h a l t u n d A u s w i r k u n g e n des A r t . 9 I I I 3 GG
I n den Beratungen des 5. Bundestages spielte die Begriffsfrage keine Rolle und wurde nicht mehr erörtert. Sieht man i n dem Zusatz „zur Wahrung und Förderung der Arbeitsund Wirtschaftsbedingungen" also gewissermaßen nur den „Ausgleich" dafür, daß die umstrittene Frage des Arbeitskampf begriff s nicht i m einen oder anderen Sinne gesetzgeberisch entschieden wurde — eine Auslegung, die von der Entstehungsgeschichte und vom Wortlaut des Satzes 3 her möglich ist —, dann läßt sich aus der zusätzlichen Kennzeichnung kein Rückschluß für die Frage ziehen, ob das Grundgesetz hinsichtlich des Kampfzieles von einem engeren oder weiteren Arbeitskampfbegriff ausgeht. Die Frage bleibt aus verfassungsrechtlicher Sicht vielmehr auch nach Ergänzung des A r t . 9 Abs. 3 GG offen — und kann es ohne Gefahr auch bleiben, da gerade durch die zusätzliche Qualifizierung „zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen" eindeutig feststeht, wie weit die i n A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG enthaltene sachliche Regelung gehen soll. Über die beiden zuerst genannten Merkmale des Arbeitskampfbegriffs, nämlich a) die M i t t e l und b) die Parteien des Arbeitskampfes, herrscht i n Wissenschaft und Rechtsprechung dagegen Übereinstimmung. Was die Kampfmittel betrifft, so muß es sich u m kollektive Maßnahmen zur Störung des Arbeitsfriedens handeln 7 7 . Was die Kampfparteien anbelangt, so liegt ein Arbeitskampf vor, wenn sich die sozialen Gegenspieler des Arbeitslebens gegenüberstehen. A u f Arbeitnehmerseite sind das die Gewerkschaften oder — bei wilden Streiks — unorganisierte Arbeitnehmer, auf Arbeitgeberseite die Arbeitgeberverbände sowie ein oder mehrere Arbeitgeber 7 8 . Diese einhellig akzeptierten Elemente des Arbeitskampfbegriffs dürften i n ihrer abstrakten Form auch Bestandteile des verfassungsrechtlichen Begriffs „Arbeitskämpfe" i n A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG sein. Da das Grundgesetz den Begriff selbst nicht näher definiert, kann allerdings nicht davon ausgegangen werden, daß der Inhalt des Begriffs verfassungsrechtlich ein für allemal auf das fixiert worden ist, was nach dem heutigen Stand der Meinungen unstreitig Bestandteil des Arbeitskampf-
77 Vgl. Brox/Rüthers, Arbeitskampf recht, S. 24 f.; Dietz, JuS 1968, S. l f . ; Nikisch, Arbeitsrecht I I , S. 78ff.; Lerche, Zentralfragen, S. 14 ff.; Nipperdey/ Säcker, i n : Hueck/Nipperdey, Lehrbuch II/2, S. 872 ff. — Ramm, Arbeitsrecht u n d Gesellschaftsordnung, S. 184, wendet sich gegen die Verwendung des Begriffs Arbeitsfrieden bei der Definition des Begriffs Arbeitskampf, da ein Begriff nicht durch den Begriffsgegensatz definiert werden könne. Ramm spricht demgemäß n u r v o n kollektiven Arbeitsniederlegungen bzw. Verweigerung der Arbeitsmöglichkeit. 78 Vgl. dazu die i n Fußn. 77 genannten Autoren.
I. Abschn.: Z u r Auslegung des neuen A r t . 9 I I I 3 GG
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begriffs ist. Die Verfassung t r i f f t keine abschließende Entscheidung und läßt somit Raum für künftige Entwicklungen. Der neue Satz 3 des A r t . 9 Abs. 3 GG t r i f f t auch keinerlei abschließende Entscheidung hinsichtlich der verschiedenen Arten oder Formen des A r beitskampfes. Als A r t e n des Arbeitskampfes werden angesehen a) der Streik ( = die Arbeitseinstellung ohne Einverständnis des Arbeitgebers), b) die Aussperrung ( = planmäßige Ausschließung durch den Arbeitgeber) und c) der Boykott ( = die von Arbeitnehmer- oder Arbeitgeberseite planmäßig durchgeführte Ächtung und Absperrung des Gegners vom geschäftlichen Verkehr) 7 9 . Es besteht Einigkeit, daß es sich bei diesen drei Erscheinungsformen des sozialen Lebens u m Arbeitskämpfe handelt. Dagegen besteht weder Klarheit noch Übereinstimmung i n der Frage, ob es außer Streik, Aussperrung und Boykott noch andere Formen des Arbeitskampfes gibt. So stellt beispielsweise Dietz 8 0 fest, es werde meist nur an Streiks und Aussperrungen gedacht, wenn vom Arbeitskampf die Rede sei; unter Arbeitskampf sei jedoch jede Maßnahme zur Störung des Arbeitsfriedens auf kollektiver Ebene zu verstehen, durch die ein Druck ausgeübt werden solle. Als weitere Maßnahme der Arbeitnehmer erwähnt Dietz 8 0 allerdings auch nur den Boykott sowie — unter Bezugnahme auf das Urteil des B A G vom 31. 10. 1958 81 — den verlautbarten Beschluß einer Gewerkschaft, eine Urabstimmung über den Streik durchzuführen, verbunden m i t der Empfehlung, für den Streik zu stimmen. Jedoch hat weder diese Entscheidung des B A G noch die daran knüpfende lebhafte arbeitsrechtliche Diskussion zu einer Übereinstimmung darüber geführt, welche Handlungen der sozialen Gegenspieler als Kampfmaßnahme zu betrachten sind 8 2 ; offen blieb bislang auch, ob die Begriffe „Kampfmaßnahme" und „Arbeitskampf" identisch oder teilweise identisch sind 8 3 . Die Einfügung des Wortes „Arbeitskämpfe" i n das Grundgesetz hat an dieser Situation nichts geändert. Nach wie vor sagt die Verfassung nichts darüber aus, ob und ggf. welche weiteren Formen des Arbeitskampfes 79 Vgl. Brox/Rüthers, Arbeitskampf recht, S. 29 ff.; Dietz, JuS 1968, S. 1; Nikisch, Lehrbuch I I , S. 84 ff.; Nipperdey/Säcker, i n : Hueck/Nipperdey, Lehrbuch II/2, S. 892 ff. 80 JuS 1968, S. 1. Ebenso Nipperdey!Säcker, i n : Hueck/Nipperdey, Lehrbuch II/2, S. 874. 81 B A G E 6, 321 = A P § 1 T V G Friedenspflicht Nr. 2. 82 Vgl. etwa Ramm, Kampfmaßnahme, passim; Bulla, D B 1959, S. 542 ff. u n d 570 ff.; Nipperdey/Säcker, i n : Hueck/Nipperdey, Lehrbuch II/2, S. 875 ff., alle m. w . Nachw. 83 Dazu eingehend Ramm, Kampfmaßnahme, S. 23 ff.
9 Glückert
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2. Teil: I n h a l t u n d A u s w i r k u n g e n des A r t . 9 I I I 3 GG
es außer den bislang einhellig anerkannten Formen des Streiks, der Aussperrung und des Boykotts 8 4 gibt. Schließlich ist zu betonen, daß die drei herkömmlicherweise unter den Oberbegriff Arbeitskampf subsumierten Arbeitskampfformen Streik, Aussperrung und Boykott nicht etwa i n dem Sinne garantiert werden, daß jede dieser Formen, die sich durch das Kampfmittel und hinsichtlich der Parteirolle unterscheiden, für alle Zukunft i n ihrem jetzigen Bestand gesichert seien. Eine derartige Festlegung auf diejenigen Kampfformen, die bei der Ergänzung des A r t . 9 Abs. 3 GG übereinstimmend als Unterformen des Oberbegriffs Arbeitskampf angesehen wurden, ist dem neuen Satz 3 nicht zu entnehmen. Auch nach Einfügung des Wortes „Arbeitskämpfe" i n das Grundgesetz t r i f f t Lerches Feststellung 85 zu, daß — mögen i m rechtlichen Erscheinungsbild des Arbeitskampfes auch einige besondere Kampfformen dominieren — das Begriffsbild sich einer „institutionellen Verfestigung und Verengung" entziehe. Von der Verfassung her besteht demnach auch i m Lichte des neuen A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG kein Hindernis, etwa den Boykott, der herkömmlicherweise noch als selbständige Arbeitskampfform aufgeführt w i r d 8 6 , der aber i m Laufe der Entwicklung immer bedeutungsloser geworden ist 8 7 , nur noch als unselbständigen Teilakt bei Streik und Aussperrung 88 oder sogar als gegenstandslos und für die Begriffsbildung irrelevant zu betrachten 8 9 . Auch insoweit ist m i t der Einführung des Wortes „Arbeitskämpfe" i n die Verfassung keine abschließende Entscheidung getroffen, sondern Raum für künftige Entwicklungen gelassen 90 . 84 Ramm, Kampfmaßnahme, S. 55 f., 84, ist der Auffassung, der Boykott sei so bedeutungslos geworden, daß er bei der Begriffsbildung unberücksichtigt bleiben könne. 85 Zentralfragen, S. 13 (m. w . Hinw.). 86 Vgl. Brox! Rüthers, Arbeitskampf recht, S. 36 ff.; Nikisch, Arbeitsrecht I I , S. 80, 99 ff.; Nipperdey/Säcker, i n : Hueck/Nipperdey, Lehrbuch II/2, S. 908 ff.; Dietz, JuS 1968, S. 1; Boldt, i n : Streik u n d Aussperrung, S. 99 f. 87 Das w i r d öfters betont, vgl. etwa G. Hueck, Ev. Staatslexikon, A r t . A r beitskampf (I. D.), Sp. 66; Ramm, Kampfmaßnahmen, S. 55 f.; Nikisch, Arbeitsrecht I I , S. 101. 88 Nikisch, ebd.; Nipperdey/Säcker, ebd., S. 911 f.; ähnlich auch Dietz, JuS 1968, S. 1; B A G A P A r t . 9 GG Arbeitskampf Nr. 34 = B A G E 15, 211 (213). 89 Ramm, Kampfmaßnahme, S. 55 f., 84. Zutreffend macht Ramm, ebd., S. 84 darauf aufmerksam, daß das B A G i n seiner grundlegenden Entscheidung v. 28.1.1955 (AP A r t . 9 GG Arbeitskampf Nr. 1 = B A G E 1, 291 [300]) den Boykott unberücksichtigt gelassen habe, indem es Arbeitskampf n u r m i t Streik und Aussperrung gleichsetze. 90 Würde sich z. B. irgendwann einmal i m Arbeitsrecht die Auffassung durchsetzen, Aussperrung u n d Boykott seien beide gänzlich obsolet geworden u n d deshalb sei unter Arbeitskampf allein der Streik zu verstehen, so stünde dem von der Verfassung her nichts entgegen. Schon heute werden i n der arbeitsrechtlichen L i t e r a t u r Arbeitskampf u n d Streik nicht selten synon y m gebracht, vgl. etwa Boldt, i n : Streik u n d Aussperrung, S. 99 ff.
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3. Streik und Aussperrung — verfassungsgesetzliche Anerkennung der Gleichrangigkeit beider Arbeitskampf arten? I n Satz 3 des A r t . 9 Abs. 3 GG ist nicht von „Streiks", sondern von „Arbeitskämpfen" die Rede. Die Verwendung des Begriffs „Arbeitskämpfe", also des herkömmlichen Oberbegriffs für alle kollektiven A r beitskampfmittel und -formen der sozialen Gegenspieler, scheint Schlüsse der A r t nahezulegen, daß nunmehr die Arbeitskampfform „Aussperrung" vom Grundgesetz eindeutig als verfassungsrechtlich anerkannt werde, daß die beiden Arbeitskampfformen „Streik" und „Aussperrung" von der Verfassung auf die gleiche Stufe gestellt würden oder daß die Aussperrung sogar vom Grundgesetz eigens garantiert werde. Eine dieser Schlußfolgerungen hat kurze Zeit nach Inkrafttreten des Siebzehnten Gesetzes zur Ergänzung des Grundgesetzes bereits A. Hueck 9 1 gezogen: Der Gesetzgeber stelle i n der neuen Vorschrift die Aussperrung dem Streik gleich; daraus folge, daß der aus A r t . 9 Abs. 3 GG herzuleitende verfassungsmäßige Schutz der Streikfreiheit i n derselben Weise auch für die Aussperrung gelten müsse; ein generelles Aussperrungsverbot i n einer Landesverfassung, wie es sich i n A r t . 29 Abs. 5 der Hessischen Verfassung finde, sei daher unzulässig und diese Bestimmung nichtig 9 2 . Schon i m Laufe der parlamentarischen Beratungen über die Notstandsverfassung waren, als über den Vorschlag einer negativen Schutzklausel i n A r t . 9 Abs. 3 GG diskutiert wurde 9 3 , von SPD-Abgeordneten Bedenken gegen die Verwendung des Begriffs „Arbeitskämpfe" erhoben worden. Wenngleich die oft gehörte Behauptung, m i t der Verwendung des Wortes „Arbeitskämpfe" werde die Aussperrung dem Streik verfassungsrechtlich gleichgestellt und etwaige landesverfassungsrechtliche Aussperrungsverbote zerstört 94 , innerhalb der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion keineswegs allgemeine Zustimmung fand, fürchteten zahlreiche Abgeordnete doch, daß derartige Thesen auch nach Inkrafttreten der
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R d A 1968, S. 432. Ebd.; ebenso G. Müller, i n : Juristen-Jahrbuch 10 (1969/70), S. 154; auch J. Seifert, K J 1968, S. 16, meint, der Begriff „Arbeitskampf" sei i n einer Form i n das Grundgesetz aufgenommen, die die Möglichkeit offen lasse, „daß i n Z u k u n f t Streik u n d Aussperrung v o n Verfassungsgerichten als Gleiches behandelt werden". Diese Folgerung (dagegen nicht die betr. die Nichtigkeit des hess. Aussperrungsverbotes) ist inzwischen auch v o n Säcker, Grundprobleme, S. 83 u n d Niperdey/Säcker, i n : Hueck/Nipperdey, Lehrbuch II/2, S. 916 ff., gezogen worden. 92
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Vgl. oben S. 93 ff. Diese Behauptung wurde i n der öffentl. Diskussion v o r allem von Gegnern der Notstandsverfassung erhoben, die sich politisch-taktisch daraus ein w e i teres Anwachsen des pari, u n d außerparl. Widerstandes gegen die Verabschiedung der Verfassungsänderung erhofften. 94
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2. T e i l : I n h a l t u n d A u s w i r k u n g e n des A r t . 9 I I I 3 GG
Notstandsverfassung vertreten würden 9 5 . Man hielt diese Auslegung zwar nicht für zutreffend oder gar zwingend, sah jedoch die Gefahr 96 , daß diejenigen, die schon nach bisherigem Recht die Aussperrungsfreiheit verfassungsrechtlich geschützt und ein Aussperrungsverbot für nichtig hielten, aus der Verwendung des Wortes „Arbeitskämpfe" eine Bestätigung ihrer Auffassung herauslesen würden 9 7 . Indessen hat Lerche 98 m i t Recht bemerkt, daß bloße Befürchtungen, die während des Gesetzgebungsverfahrens i m Parlament hinsichtlich einer bestimmten, für unerwünscht erachteten Auslegung geäußert werden, noch nicht ausreichen, u m die Rechtslage selbst zu verändern. Die Untersuchung der Frage, was aus A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG für die rechtliche Beurteilung der Aussperrung zu entnehmen ist, muß zunächst bei einer Analyse des Textes der neuen Vorschrift ansetzen. Satz 3 besagt, daß sich bestimmte näher bezeichnete Maßnahmen 99 nicht gegen Arbeitskämpfe richten dürfen. Der neu i n das Grundgesetz aufgenommene und nur an dieser Stelle erscheinende Begriff „Arbeitskämpfe" w i r d — wie i m vorhergehenden Kapitel 2 dargelegt — nicht definiert; ebenso wenig werden einzelne A r t e n des Arbeitskampfes aufgezählt. Schon daraus ergibt sich, daß die Verfassung die nach dem bisherigen Meinungsstand i n Wissenschaft und Rechtsprechung anerkannten drei Hauptformen des Arbeitskampfes, nämlich Streik, Aussperrung und Boykott, keineswegs abschließend und für alle Zukunft als einzig mögliche Arten festlegt, bzw. jede dieser Arten garantiert. So steht beispielsweise A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG nicht der Auffassung entgegen, die Arbeitskampfform Boykott sei inzwischen so bedeutungslos geworden, daß sie bei der Bestimmung des Begriffs Arbeitskampf außer Betracht zu bleiben habe 1 0 0 . Mangels einer Festlegung oder Garantie der einzelnen A r t e n des Arbeitskampfes läßt sich dem neuen Satz 3 des A r t . 9 Abs. 3 GG auch keine Aussage darüber entnehmen, wie die drei Arten i m Vergleich zueinander zu bewerten sind. Aus A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG läßt sich weder ablesen, daß verfassungsrechtlich der Streik dem Boykott gleichstehe,
95 Vgl. die fraktionsinternen Anträge der SPD-Abg. Gscheidle u n d Genossen v. 2.5.1968, Begründung zu A n t r a g Ziff. 1 (s. oben S. 97 f.); vgl. ferner oben S. 93. 98 Vgl. Abg. Matthöfer (SPD), 178. Sitzg. des 5. B T v. 30. 5. 1968, Sten. Ber. S. 9632 (C); Minister Dr. Strelitz (Hessen), 326. Sitzg. des B R v. 14. 6. 1968, Sten. Ber. S. 141 (C, D); s. oben S. 99,102 f. Ä h n l i c h auch Bahlmann, Recht u n d P o l i t i k 1968, S. 123. 97 Zutreffend die Situationsschilderung u n d die Beurteilung der Interessenlage der „gewerkschaftsfreundlichen" Abgeordneten bei Lerche, Zentralfragen, S. 96 f. 98 Ebd., S. 96 f. 99 Vgl. dazu oben Kap. 1. 100 Vgl. Fußn. 89 u n d den Text dazu.
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noch läßt sich sagen, die Aussperrung stehe dem Streik oder der Boykott der Aussperrung gleich. Zu diesem Ergebnis gelangt man auch dann, wenn man einmal — entgegen der eben getroffenen Feststellung — unterstellt, daß m i t der Einfügung des Begriffs „Arbeitskämpfe" der Streik, die Aussperrung und der Boykott vom Grundgesetz jeweils als eine A r t des Arbeitskampfes anerkannt und i n dem Sinne festgelegt werden, daß das Grundgesetz die herkömmliche Unterteilung des Begriffs „Arbeitskämpfe" verfestigen w i l l . Auch bei Annahme einer derartigen Fixierung würde dem neuen Satz 3 noch keineswegs zu entnehmen sein, daß von der Verfassung her die drei Arten untereinander, insbesondere Streik und Aussperrung, als generell gleichrangig und gleichwertig betrachtet werden müssen. Die Frage würde vielmehr offen bleiben und je nach der schon vor Ergänzung des A r t . 9 Abs. 3 GG vertretenen Auffassung verschieden beantwortet werden können: Wer schon bisher unter dem Stichwort „Kampfparität" eine Gleichbehandlung der Kampfmittel der sozialen Gegenspieler verlangte und deshalb eine generelle Gleichrangigkeit und Gleichwertigkeit von Streik und Aussperrung bejahte, w i r d sich durch den neuen Satz 3 des A r t . 9 Abs. 3 GG i n seiner Ansicht bestätigt oder mindestens nicht widerlegt fühlen 1 0 1 . Wer dagegen eine Gleichbehandlung von Streik und Aussperrung schon unter dem früheren Recht wegen der vielfachen Verschiedenheiten dieser beiden Arbeitskampfformen ablehnte und/oder die Aussperrung wegen Unvereinbarkeit m i t der Sozialstaatsklausel oder aus anderen verfassungsrechtlichen Gründen für unzulässig hielt, w i r d sich durch den neuen Satz 3 ebenfalls nicht widerlegt sehen 102 . Unberührt bleibt schließlich auch die jüngst von Lerche entwickelte Mittelmeinung, die Aussperrung werde vom Grundgesetz nicht garantiert, sondern lediglich zugelassen, so daß einem bundes- oder landesgesetzlichen Aussperrungsverbot nichts entgegenstehe 103 . Zu keiner dieser Auffassungen t r i f f t der neue Satz 3 des A r t . 9 Abs. 3 GG eine klärende Entscheidung. Denn die neue Klausel beschränkt sich auf die rein negative Aussage, daß sich gewisse Maßnahmen nicht gegen Streiks, Aussperrungen und Boykotts — die verfassungsrechtliche Verfestigung dieser herkömmlichen Unterteilung immer noch unterstellt — richten dürfen. Über diese negative Aussage hinaus ist der Vorschrift zur allgemeinen verfassungsrechtlichen Bewertung der einzelnen Arbeitskampfarten untereinander, insbesondere zur Bewertung der Aussperrung,
101 So etwa Merker, D B 1968, S. 1404f.; A. Hueck, R d A 1968, S. 432; G. Müller, i n : Juristen-Jahrbuch 10 (1969/70), S. 154; Nipperdeyl Säcker, i n : Hueck/Nipperdey, Lehrbuch II/2, S. 916 f.; Säcker, Grundprobleme, S. 83. 102 Vgl. dazu Glückert, D B 1968, S. 2279 ff. 103 Lerche, Zentralfragen, S. 55ff. (insbes. 88f., 91 f.); ähnlich auch Evers, Arbeitskampffreiheit, S. 19 ff., 101 f. u n d Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 266, 354.
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nichts zu entnehmen 1 0 4 . Nur i n einer ganz speziellen Hinsicht sieht A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG die Gleichbehandlung von Streik und Aussperrung vor, nämlich insoweit, als beide Arbeitskampfarten i n gleicher Weise vor bestimmten, i m einzelnen aufgeführten Maßnahmen geschützt sind 1 0 5 . Das aber bedeutet noch keineswegs — und dies übersehen A. Hueck, Seifert, Nipperdey und Säcker 106 —, daß nunmehr durch den neuen Satz 3 eine allgemeine Gleichbehandlung von Streik und Aussperrung verfassungsrechtlich zwingend gefordert w i r d 1 0 7 . Das bislang gewonnene Ergebnis, daß A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG die Frage nach der allgemeinen verfassungsrechtlichen Bewertung der Aussperrung offen läßt, steht auch m i t der Entstehungsgeschichte der Arbeitskampf schutzklausel i m Einklang: Die Befürchtung, m i t den neu zu schaffenen Notstandsbefugnissen, insbesondere mit dem Instrument der Dienstverpflichtung, könnten gewerkschaftliche Streiks beeinträchtigt werden, spielte innerhalb der Gewerkschaften und innerhalb der SPD eine entscheidende Rolle 1 0 8 . Deshalb einigten sich die Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD i n der Schlußphase der Notstandsberatungen i m Frühjahr 1968 schließlich auf eine Schutzklausel, i n der festgelegt werden sollte, daß sich die neu ins Grundgesetz einzufügenden Notstandsvollmachten nicht gegen Arbeitskämpfe der näher bezeichneten A r t richten dürfen. I m übrigen sollte jedoch der bisherige Rechtszustand, über den CDU/CSU und SPD jeweils unterschiedliche Auffassungen vertraten, nicht verändert werden. Die Formulierung des Kompromisses erwies sich als nicht ganz einfach, sollte und mußte doch ein Gesetzestext gefunden werden, der gerade hinsichtlich der Aussperrung beiden Seiten die Aufrechterhaltung ihrer unterschiedlichen Positionen ermög104 So auch Wahsner, i n : Sterzel (Hrsg.), K r i t i k , S. 62; Lerche, Zentralfragen, S. 90 ff., insbes. 95; Evers, Arbeitskampffreiheit, S. 104. — Interessant die Differenzierung bei G. Müller, i n : Juristen-Jahrbuch 10 (1969/70), S. 154 f.: Der neue Satz 3 garantiere auch die Aussperrung u n d bestätige damit die Unzulässigkeit des hess. Aussperrungsverbotes (anders die hier vertretene Auffassung), jedoch führe die Anerkennung der Aussperrung als Institution nicht dazu, sie gegenüber dem Streik v o n vornherein als gleichwertig u n d gleichrangig zu behandeln! 105 Entgegen der Auffassung Säckers, Grundprobleme, S. 83, ist es ohne Schwierigkeiten vorstellbar, daß sich die i n A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 aufgeführten Maßnahmen auch gegen Aussperrungen richten, vgl. oben Kap. 1, sub 1.5. V o n der zu regelnden Materie her w a r es daher durchaus sinnvoll, die Schutzklausel nicht n u r auf „Streiks", sondern generell auf „Arbeitskämpfe" zu beziehen. M i t dieser Erkenntnis w i r d die Prämisse der Auffassung Säckers hinfällig, die Formulierung „Arbeitskämpfe" i m neuen Satz 3 sei verfassungsteleologisch n u r verständlich, w e n n durch A r t . 9 Abs. 3 Satz 1 GG die Arbeitskämpfe beider Seiten allgemein geschützt seien. 106 s. Fußn. 91, 92. 107 U n k l a r insoweit auch Merker, D B 1968, S. 1405. Vgl. Glückert, D B 1968, 2279 f. 108 Vgl. oben Erster Teil, I. u n d I I . Abschnitt, passim.
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lichte: der CDU/CSU die Auffassung, die Aussperrung stehe verfassungsrechtlich dem Streik i n jeder Hinsicht gleich, und ein Aussperrungsverbot wie das des A r t . 29 Abs. 5 Hess. Verfassung sei unzulässig, der SPD hingegen die Auffassung, Streik und Aussperrung stünden nicht auf der gleichen Stufe, seien verfassungsrechtlich nicht als gleichrangig und gleichwertig anzusehen und ein landesverfassungsrechtliches Aussperrungsverbot verstoße auch nicht gegen das Grundgesetz. U m die Gefahr nicht gewollter Rückschlüsse auf die verfassungsrechtliche Beurteilung der Aussperrung auszuschließen, war die sozialdemokratische Bundestagsfraktion dann dafür eingetreten, i n der an A r t . 9 Abs. 3 GG anzufügenden Schutzklausel nicht von „Arbeitskämpfen" sondern nur von „Streiks" zu reden 1 0 9 . Diese Forderung wurde von der Sache her m i t dem Argument untermauert, es sei nicht vorstellbar, i n welcher Weise eine Aussperrung durch Dienstverpflichtungen oder durch andere der i n Satz 3 genannten Notstandsmaßnahmen überhaupt beeinträchtigt werden könne 1 1 0 . Die CDU/CSU wandte sich jedoch strikt gegen die Aufnahme des Wortes „Streik" i n die Verfassung — an welcher Stelle auch immer — und bestand auf der Verwendung des Oberbegriffs „Arbeitskämpfe" 1 1 1 . Ein i m Rechtsausschuß gestellter Antrag des Abg. Matthöfer (SPD), das Wort „Arbeitskämpfe" durch „Streiks" zu ersetzen, wurde m i t Mehrheit abgelehnt 1 1 2 . Die Ablehnung erfolgte — wie aus den Ausführungen des Abg. Dr. Lenz (CDU/CSU) i n der zweiten Lesung der Notstandsverfassung zu entnehmen i s t 1 1 3 — deshalb, w e i l nach A n sicht der CDU/CSU die Verwendung des Wortes „Streiks" statt „Arbeitskämpfe" den bisherigen Rechtszustand i n einer anderen Richtung verändert hätte, nämlich i n Richtung auf eine ausdrückliche Anerkennung nur des Streiks durch die Verfassung. Ein derartiges Ergebnis war für die CDU/CSU unannehmbar. Infolgedessen blieb es beim Wort „Arbeitskämpfe" und damit bei einer Formulierung des neuen Satzes 3, die einerseits keine ausdrückliche Anerkennung der Aussperrung als eine dem Streik verfassungsrechtlich gleichwertige Form des Arbeitskampfes und auch keine Garantie dieses Arbeitskampfmittels darstellen sollte, andererseits aber auch keine verfassungsrechtliche Diskriminierung der Aussperrung. Demgemäß wurde i m Bericht des Rechtsausschusses auch ausdrücklich betont, daß der Ausschuß mit der neuen Klausel nichts an der bisherigen Rechtslage ändern wolle 1 1 4 . 109
Vgl. oben S. 93 ff., 97. E i n i n dieser Form nicht zutreffendes Argument, vgl. oben Kap. 1, sub 1.5. 111 Vgl. oben S. 94. 112 R A des BT, Bespr. v. 1. 4. 1968, A n l . 1 zum Prot. Nr. 79 des RA, S. 7; 79. Sitzg. v. 4. 4.1968, Prot. S. 14. 113 174. Sitzg. des 5. B T v. 15. 5.1968, Sten. Ber. S. 9316 (A, B). 114 Schriftl. Ber. des R A des BT, BT-Drs. V/2873, S. 3. 110
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2. Teil: I n h a l t u n d A u s w i r k u n g e n des A r t . 9 I I I 3 GG
I n der abschließenden dritten Beratung der Notstandsverfassung i m Bundestag wurde von den Sprechern der SPD nochmals hervogehoben, daß der neue Satz 3 des A r t . 9 Abs. 3 GG keine generelle verfassungsrechtliche Anerkennung oder gar Garantie der Aussperrung bedeute. Der Abg. Matthöfer (SPD), der sich m i t seinem Anliegen, das Wort „Arbeitskämpfe" durch „Streiks" zu ersetzen, nicht hatte durchsetzen können, bemerkte, die vorgesehene Schutzklausel führe „Aussperrung und Streik gleicherweise i n unser Grundgesetz ein, allerdings ohne die faktische, ökonomische, moralische und politisch-ethische Verschiedenheit der beiden Kampfmaßnahmen schon dadurch zu einer rechtlichen Gleichrangigkeit machen zu w o l l e n " 1 1 5 . I n ähnlicher Weise führte der SPDFraktionsvorsitzende Helmut Schmidt aus, daß die SPD gern darauf verzichtet hätte, durch Benutzung des Begriffs „Arbeitskampf" auch der Aussperrung den gleichen Schutz vor Notstandsmaßnahmen wie dem Streik zu ermöglichen 116 . Schmidt machte damit zutreffend darauf aufmerksam, daß Streik und Aussperrung lediglich hinsichtlich des Schutzes vor den i n A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG aufgeführten Maßnahmen gleich behandelt werden, anerkannte jedoch ganz und gar nicht eine darüber hinausgehende allgemeine verfassungsrechtliche Gleichrangigkeit von Streik und Aussperrung. Eine derartige Interpretation der Schutzklausel wies der SPD-Fraktionsvorsitzende i m Gegenteil sogar ausdrücklich zurück, indem er erklärte, der Haupteinwand mancher seiner Fraktionskollegen gegen den neuen Satz 3 richte sich dagegen, daß die Benutzung des Begriffs „Arbeitskampf" ein gewisses Maß an Anerkennung der Aussperrung zu enthalten scheine 116 . Insoweit bedürfe es jedoch, fuhr Schmidt fort, einer Klarstellung: „Die jetzt gefundene Fassung des A r t . 9 Abs. 3, der w i r zustimmen wollen, verändert oder verschiebt die Bewertung nicht, die das Grundgesetz bisher gegenüber Streik und Aussperrung zu erkennen gegeben hat 1 1 7 ." Auch der vom Land Hessen anläßlich des zweiten Durchgangs der Notstandsverfassung i m Bundesrat unternommene (vergebliche) Versuch, das Wort „Arbeitskämpfe" i n der Arbeitskampfschutzklausel durch „Streiks" zu ersetzen 118 , erfolgte nicht etwa deshalb, w e i l Hessen i n dem neuen Satz 3 des A r t . 9 Abs. 3 GG eine verfassungsrechtliche Anerkennung der Gleichrangigkeit von Streik und Aussperrung oder gar eine verfassungsrechtliche Garantie der Aussperrung sah 1 1 9 . Hessen ging es vielmehr 115
178. Sitzg. des 5. B T v. 30. 5.1968, Sten. Ber. S. 9632 (C). Ebd., S. 9644 (B), 117 Ebd., S. 9644 (C). Die v o n Merker, D B 1968, S. 1405, getroffene Feststellung, Helmut Schmidt habe die „rechtliche Gleichbehandlung beider Formen des Arbeitskampfes" anerkannt, ist daher i n dieser undifferenzierten Form unzutreffend. 118 326. Sitzg. des BR v. 14. 6.1968, Sten. Ber. S. 141. 119 Beides hätte die Zerstörung des Aussperrungsverbots i n A r t . 29 Abs. 5 Hess. Verfassung bedeutet. 116
I. Abschn.: Z u r Auslegung des neuen A r t . 9 I I I 3 GG
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nur darum, eine derartige als unzutreffend erachtete Interpretation nach Möglichkeit von vornherein auszuschließen. Demgemäß erklärte der hessische Minister Dr. Strelitz i m Bundesrat: „Diese Regelung könnte als eine Aussage dahin mißverstanden werden, daß Streik u n d Aussperrung verfassungsrechtlich als M i t t e l des Arbeitskampfes auf der gleichen Stufe stehen. Eine solche Auffassung erscheint der Hessischen Landesregierung verfassungsrechtlich nicht haltbar . . . U m diese Rechtslage klarzustellen u n d u m zu vermeiden, daß . . . Ansatzpunkte f ü r eine gegenteilige E n t w i c k l u n g geschaffen werden, hält es die Hessische Landesregierung f ü r geboten, die Schutzvorschrift des A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 auf Streiks zu beschränken 1 2 0 ." (Hervorhebungen v o m Verf.)
Hessen sah also nur die Gefahr einer Fehlinterpretation des neuen Satzes 3 und wollte diese Gefahr vorsorglich ausschließen, war jedoch nicht der Ansicht, das Grundgesetz stelle durch die Arbeitskampfschutzklausel ganz allgemein die Aussperrung verfassungsrechtlich dem Streik gleich oder garantiere die Aussperrung (mit der Folge der Außerkraftsetzung des A r t . 29 Abs. 5 Hess. Verfassung). Die Entstehungsgeschichte zeigt m i t h i n deutlich, daß der verfassungsändernde Gesetzgeber Streik und Aussperrung nur hinsichtlich des Schutzes vor bestimmten Notstandsmaßnahmen gleich behandelt wissen wollte, ohne damit gleichzeitig zur allgemeinen verfassungsrechtlichen Bewertung der Aussperrung irgend etwas Neues zu sagen. Insoweit sollte i n die bisherige Rechtslage und den bisherigen Meinungsstand nicht eingegriffen werden. Schließlich spricht neben der grammatischen, logischen und systematischen Auslegung des A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG sowie der Entstehungsgeschichte auch noch eine weitere Überlegung für die hier vertretene A u f fassung, daß der neuen Vorschrift zur allgemeinen verfassungsrechtlichen Bewertung der Aussperrung nichts zu entnehmen ist. Würde man nämlich i m Gebrauch des Wortes „Arbeitskämpfe" eine Anerkennung der allgemeinen verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Aussperrung oder gar eine Garantie dieses Arbeitskampfmittels sehen, und zwar i n dem Sinne, daß i n beiden Fällen die Zulassung der Aussperrung vom Grundgesetz gewissermaßen „erzwungen w i r d " (Lerche 121 ), womit ein bundesoder landesgesetzliches Aussperrungsverbot als unzulässig anzusehen wäre, dann würde man zu dem Ergebnis kommen, daß nur die von einem Arbeitgeberverband getragenen Aussperrungen zugelassen oder garantiert werden. Keine verfassungsrechtliche Anerkennung bzw. Garantie i n dem skizzierten Sinne würde dagegen für diejenigen Aussperrungen bestehen, die von Arbeitgebern ohne Einschaltung des Arbeitgeberverbandes durchgeführt werden. Denn der neue Satz 3 spricht eindeutig nur 120 121
326. Sitzg. des BR v. 14. 6.1968, Sten. Ber. S. 141 (D). Zentralfragen, S. 91.
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2. Teil: I n h a l t u n d Auswirkungen des A r t . 9 I I I 3 GG
von Arbeitskämpfen der Vereinigungen des A r t . 9 Abs. 3 Satz 1 GG 1 2 2 . Es geht keinesfalls an, diesen eindeutigen Wortlaut i m Wege einer „berichtigenden Interpretation" dahin auszulegen, daß lediglich auf der Arbeitnehmerseite — dagegen nicht auf der Arbeitgeberseite — eine Koalition i m Sinne des A r t . 9 Abs. 3 Satz 1 GG Träger der Kampfmaßnahmen sein muß 1 2 3 . Eine derartige Auslegung stände nicht nur zum Wortlaut des A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG i n eklatantem Widerspruch, sondern wäre auch m i t der Entstehungsgeschichte nicht i n Einklang zu bringen. I n den parlamentarischen Beratungen wurde sehr w o h l erkannt, daß die vorgesehene Formulierung des neuen Satzes 3 auch auf der Arbeitgeberseite nur solche Arbeitskämpfe erfassen würde, die von einem Arbeitgeberverband getragen werden, während Aussperrungen, die von Unternehmern ohne Absprache m i t dem Arbeitgeberverband unternommen werden, nicht unter die Schutzklausel fallen würden 1 2 4 . I n ausdrücklicher Kenntnis dieser Auswirkung wurde Satz 3 des A r t . 9 Abs. 3 GG unverändert beibehalten. Für irgendeine „berichtigende Interpretation" ist daher kein Raum. Für Arbeitgeber, die keinem Arbeitgeberverband m i t dem Ziel der Wahrung und Förderung von Arbeitsund Wirtschaftsbedingungen angehören oder die ohne Absprache m i t ihrem Arbeitgeberverband einen Arbeitskampf führen, wäre die Aussperrung daher kein verfassungsrechtlich zulässiges oder garantiertes Arbeitskampfmittel 1 2 5 , obwohl auch solche Arbeitgeber nach einhelliger Ansicht Partei eines Arbeitskampfes sein können 1 2 6 . Dieses Ergebnis ist so ungereimt, daß die Ausgangsposition, nämlich die Annahme, A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG enthalte eine bislang nicht vorhandene verfassungsrechtliche Anerkennung oder gar Garantie der Aussperrung, nicht richtig sein kann. Zusammenfassend ist somit festzustellen, daß die Verwendung des Begriffs „Arbeitskämpfe" i n A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG die bisherige Rechtslage nicht verändert und insbesondere i m Streit der Meinungen über die 122 Das betonen auch A. Hueck, RdA 1968, S. 430 u n d Nipperdey/Säcker, in: HuecklNipperdey, Lehrbuch II/2, S. 916 f. 123 So aber Rüthers, D B 1968, S. 1950; Lenz, Notstandsverfassung, A n m . 10 zu A r t . 9 Abs. 3 (unter unzutreffender Bezugnahme auf den Verf.) u n d G. Müller, i n : Juristen-Jahrbuch 10 (1969/70), S. 156. Müllers Argumentation, der Sinn des Arbeitskampfes als Ordnungsmittel i n der wirtschaftl. Auseinandersetzung zwischen Arbeitnehmerschaft u n d der Arbeitgeberseite verlange es, auch die Aussperrung des einzelnen Arbeitgebers i n die „Verfassungsgarantie des Arbeitskampfes" einzubeziehen, ist angesichts des eindeutigen Wortlauts des neuen Satzes 3 des A r t . 9 Abs. 3 GG wenig überzeugend. Insoweit a. A . als M ü l l e r auch A. Hueck u n d Nipperdey/Säcker (Fußn. 122). 124 Vgl. Abg. Matthöfer (SPD), 174. Sitzg. des B T v. 15. 5. 1968, Sten. Ber. S. 9315 (A); s. oben Erster Teil, I I . Abschnitt, T e x t zu Fußn. 188. 125 So i n der Tat Nipperdey/Säcker, i n : Hueck/Nipperdey, Lehrbuch II/2, S. 906, 916 f. 126 y g i Brox/Rüthers, Arbeitskampf recht, S. 24; Nikisch, Arbeitsrecht I I , S. 129; Nipperdey/Säcker, ebd., S. 906.
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verfassungsrechtliche B e w e r t u n g der A u s s p e r r u n g k e i n e k l ä r e n d e E n t scheidung g e t r o f f e n h a t . D e r neue Satz 3 n i m m t w e d e r p o s i t i v noch n e g a t i v zu der M i n d e r h e i t s m e i n u n g S t e l l u n g , die A u s s p e r r u n g sei e i n unzulässiges A r b e i t s k a m p f m i t t e l 1 2 7 . E b e n s o w e n i g e r f o l g t eine p o s i t i v e oder n e g a t i v e S t e l l u n g n a h m e z u der ganz ü b e r w i e g e n d , w e n n auch m i t recht u n t e r s c h i e d l i c h e n B e g r ü n d u n g e n 1 2 8 v e r t r e t e n e n M e h r h e i t s a u f f a s sung, die A u s s p e r r u n g sei e i n zulässiges A r b e i t s k a m p f m i t t e l , A u s s p e r r u n g u n d S t r e i k seien g l e i c h z u b e h a n d e l n u n d das A u s s p e r r u n g s v e r b o t des A r t . 29 A b s . 5 Hess. V e r f a s s u n g sei d a h e r u n w i r k s a m 1 2 9 ; entgegen der M e i n u n g A . H u e c k s 1 3 0 k a n n i n A r t . 9 A b s . 3 Satz 3 G G k e i n e Bestätigung der A u f f a s s u n g gesehen w e r d e n , A r t . 29 A b s . 5 Hess. V e r f a s s u n g sei n i c h t i g 1 3 1 . Schließlich ist auch z u der j ü n g s t v o n Lerche e n t w i c k e l t e n M i t 127 So etwa Abendroth, G M H 1954, S. 634; Schnorr v. Carolsfeld, Arbeitsrecht, S. 241; DGB-Vors. Richter, Informationsdienst des D G B v. 22. 1. 1962, abgedruckt i n : R d A 1962, S. 108; Radke, Der Gewerkschafter 1963, S. 204 ff.; 1966, S. 35 f. u n d i n : FS Brenner, S. 144 f.; R. Schmidt, G M H 1964, S. 326; Frey, A r b u R 1963, S. 304 ff.; Hoff mann, AöR 91 (1966), S. 189 Fußn. 247; Minister Dr. Strelitz f ü r die Hess. Landesregierung, 326. Sitzg. des BR v o m 14. 6. 1968, Sten. Ber. S. 141; Groß, G M H 1966, S. 434 m. w . H i n w . zur Rechtslage i n Hessen; w o h l auch Bahlmann, Recht u n d P o l i t i k 1968, S. 121 ff. 128 Darauf macht Lerche, Zentralfragen, S. 10, m i t Recht aufmerksam. 129 ygi n u r e t w a Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, S. 45, 49; Nikisch, A r beitsrecht I I , S. 109; Nipperdey, D B 1963, S. 1613 und i n : Hueck/Nipperdey, Lehrbuch I I , 6. A u f l . 57, S. 30, sowie 7. Aufl. 1967, Bd. I I / l , S. 38, jeweils m i t zahlr. w . Nachw.; Benda, Notstandsverfassung u n d Arbeitsrecht, S. 10; Jürging, D B 1966, S. 190 ff.; Merker, D B 1965, S. 326 u n d D B 1968, S. 1404; B D A , i n : R d A 1962, S. 109; B A G A P A r t . 9 GG Arbeitskampf Nr. 1 = B A G E 1, 291 (308 ff.). 130 R d A 1968, S. 342. Hueck folgend G. Müller, in: Juristen-Jahrbuch 10 (1969/70), S. 154. 131 A. Hueck geht zunächst zu Unrecht davon aus, A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG stelle Streik u n d Aussperrung generell gleich u n d deshalb sei die Aussperrung ebenso zulässig w i e der Streik; vgl. dazu oben den Text zu Fußn. 104. Selbst wenn dieser Ausgangspunkt zutreffend wäre, ließe sich Huecks (und G. Müllers) Schlußfolgerung, ein Aussperrungsverbot i n einer Landesverfassung sei unzulässig, nicht halten. Denn w i e Lerche, Zentralfragen, S. 91 u n d passim, herausgearbeitet hat, bedeutet eine verfassungsrechtl. Zulässigkeitserklärung noch nicht, daß das GG die Aussperrung „erzwinge"; es k a n n sich auch bloß u m eine Zulassung nach Maßgabe der sonstigen (verfassungsgemäßen) Rechtsordnung handeln, die Raum f ü r ein bundes- oder landesrechtl. Aussperrungsverbot läßt. — Interessanterweise stützt auch Säcker, Grundprobleme, S. 85 f., seine Auffassung, das Aussperrungsverbot der Hess. Verfassung sei nichtig, keineswegs auf A r t . 9 Abs. 3 Satz 3, sondern — unter treffender Z u rückweisung der bisher üblichen Argumentationsformeln („nur den bereits Überzeugten überzeugend") — allein darauf, daß Bundes(richter)recht Landesrecht breche; i m Ergebnis ebenso Nipperdey/Säcker, i n : Hueck/Nipperdey, Lehrbuch II/2, S. 925 ff. Eine Auseinandersetzung m i t dieser Begründung k a n n hier nicht erfolgen (a. A . als Säcker Evers, Arbeitskampffreiheit, S. 85 ff. u n d Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 354 Fußn. 102); i m m e r h i n ist festzustellen, daß Säckers Argumentation zur Nichtigkeit des hess. Aussperrungsverbots durchaus i m Einklang steht m i t der hier vertretenen Auffassung, dem neuen Satz 3 des A r t . 9 Abs. 3 GG sei zur Frage der Gültigkeit des A r t . 29 Abs. 5 Hess. Verfassung nichts zu entnehmen.
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2. T e i l : I n h a l t und A u s w i r k u n g e n des A r t . 9 I I I 3 GG
telmeinung 1 3 2 , das Grundgesetz lasse die Aussperrung nur nach Maßgabe der sonstigen verfassungsmäßigen Rechtsordnung zu, so daß einem bundesoder landesgesetzlichen Aussperrungsverbot vom Grundgesetz her nichts entgegenstehe 133 , dem neuen Satz 3 des A r t . 9 Abs. 3 GG weder eine positive noch eine negative Stellungnahme zu entnehmen 1 3 4 . Die Ergänzung des A r t . 9 Abs. 3 GG durch einen neuen Satz 3 und die dabei erfolgte Einfügung des Begriffs „Arbeitskämpfe" i n das Grundgesetz hat am Streit der Meinungen über die verfassungsrechtliche Bewertung der Aussperrung und über die Zulässigkeit bzw. Unzulässigkeit des Aussperrungsverbotes i n A r t . 29 Abs. 5 Hess. Verfassung nichts geändert. 4. Beschränkung des Schutzes auf arbeitsrechtliche Arbeitskämpfe Der neue Satz 3 des A r t . 9 Abs. 3 GG sieht einen Schutz nur für diejenigen Arbeitskämpfe vor, die zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen geführt werden. Damit ist klargestellt, daß das jeweils verfolgte Kampfziel auf dem Gebiet des Arbeitslebens 135 liegen muß (arbeitsrechtlicher Arbeitskampf). Bereits i m 4. Bundestag war zwischen den Regierungsparteien (CDU/ CSU, FDP) und der sozialdemokratischen Opposition darüber Übereinstimmung erzielt worden, daß nur arbeitsrechtliche Arbeitskämpfe durch eine besondere Schutzklausel gesichert werden sollten; die Problematik politischer Arbeitskämpfe sollte nach Ansicht aller Fraktionen i n diesem Zusammenhang nicht geregelt werden 1 3 6 . Streitig war gegen Ende der 4. Legislaturperiode nur noch, ob es erforderlich oder auch nur zweckmäßig sei, zur näheren Kennzeichnung der zu schützenden Arbeitskämpfe die Worte „zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und W i r t schaftsbedingungen" einzufügen. Die aus Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP bestehende Mehrheit des Rechtsausschusses des 4. Bundestages hielt eine derartige ausdrückliche Klarstellung für zweckmäßig, 132
Lerche, Zentralfragen, S. 55 ff., 87 f., 91 ff. u n d passim. Ebenso Evers, Arbeitskampffreiheit, S. 19 ff., 101 f. u n d Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 266, 354. 134 So auch Lerche, Zentralfragen, S. 90: „ . . . die neue Ergänzung des A r t . 9 I I I GG . . . steht . . . den Thesen u n d Ergebnissen des Gutachtens nicht entgegen (ohne diese insoweit selbständig zu unterstützen)"; ähnlich S. 91 ff. (Hervorhebungen u n d K l a m m e r n i m Original). Ebenso Evers, Arbeitskampffreiheit, S. 104. 135 Bei Verwendung dieser gängigen arbeitsrechtl. Umschreibung muß man sich freilich davor hüten, n u r auf die „Arbeitsbedingungen" i m Sinne von Lohnregelungen abzustellen u n d die weitergehenden „Wirtschaftsbedingungen" stillschweigend zu eliminieren. Vgl. Hoffmann, A r b u R 1969, S. 78. 136 Vgl. oben Erster Teil, I. Abschnitt, T e x t zu Fußn. 153 - 157. 133
I. Abschn.: Z u r Auslegung des neuen A r t . 9 I I I 3 GG
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da der Begriff Arbeitskampf i m Schrifttum nicht einheitlich gebraucht werde, sondern Streit darüber bestehe, ob ein Arbeitskampf nur danr. vorliege, wenn das verfolgte Kampfziel auf dem Gebiet des Arbeitslebens liegt (enger Arbeitskampf begriff), oder auch dann, wenn andere Ziele verfolgt werden (weiter Arbeitskampf begriff) 1 8 7 . Die SPD-Abgeordneten i m Rechtsausschuß des 4. Bundestages vertraten demgegenüber die Auffassung, die Hinzufügung des Zusatzes „zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen" sei überflüssig, da i m Ausschuß Einigkeit darüber bestanden habe, daß der Begriff des A r beitskampfes i n der geplanten Schutzklausel eng auszulegen sei 1 3 8 ; die von den Abgeordneten der Regierungsparteien zum Zwecke der K l a r stellung gewünschte zusätzliche Qualifizierung verwische diese Übereinstimmung wieder, w e i l sie praktisch auf eine verfassungsrechtliche A n erkennung verschiedener Formen des Arbeitskampfes hinauslaufe 139 . Die Mehrheit des Rechtsausschusses hielt die zusätzliche Qualifizierung dennoch für zweckmäßig und nahm sie deshalb i n A r t . 91 Abs. 6 der Ausschußvorlage (Benda-Entwurf) auf 1 4 0 . Auch i n den Beratungen des 5. Bundestages blieb die Argumentation bestimmend, eine Hinzufügung der Worte „zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen" sei, da über den Arbeitskampfbegriff keine Übereinstimmung bestehe, aus Gründen der Klarstellung zweckmäßig 141 . Die vom Land Hessen i m Bundesrat (erster Durchgang) unternommenen Versuche, eine Streichung der „überflüssigen" Kennzeichnung zu erreichen 142 , blieben ebenso ergebnislos wie einige m i t gleichem Ziel unternommene Vorstöße der sozialdemokratischen Frakt i o n 1 4 3 und einzelner SPD-Abgeordneter 144 . 137 Vgl. Schriftl. Ber. des R A des 4. BT, zu BT-Drs. IV/3494, S. 16, sowie oben Kap. 2. 138 I n der Tat enthielt der v o m Abg. Benda (CDU/CSU) erstattete Ausschußbericht die Feststellung, der R A habe während der Beratungen einhellig zum Ausdruck gebracht, daß nach seiner Auffassung der Begriff des Arbeitskampfes n u r den arbeitsrechtlichen Arbeitskampf, d. h. den zur Wahrung und Förderung der Arbeits- u n d Wirtschaftsbedingungen geführten Arbeitskampf, umfaßt. Z u BT-Drs. IV/3494, S. 16. 189 Vgl. F. Schäfer, Notstandsgesetze, S. 126 (zu A r t . 91 Abs. 6 des BendaE n t w u r f s). 140 Vgl. Schriftl. Ber. des R A des 4. BT, zu B T - D r s . IV/3494, S. 16. 141 Vgl. die Begründung des RegE 1967 zu A r t . 91 Abs. 4, BT-Drs. V/1879, S. 24. 142 Unterausschuß des R A des BR, Sitzg. v. 12. 4. 1967, Prot. S. 13; vgl. ferner Justizminister Dr. Strelitz (Hessen), 308. Sitzg. des BR v. 28. 4. 1967, Sten. Ber. S. 59 (B) u n d seinen namens der Hess. Landesregierung vorgelegten Vorschlag f ü r einen neuen Abs. 4 des A r t . 9 GG (s. oben Erster Teil, I I . Abschnitt, T e x t zu Fußn. 41). 148 Vgl. oben S. 59,69. 144 Vgl. Änderungsanträge der SPD-Abg. Gscheidle u n d Genossen v. 26. 6. 1967, A n t r a g Ziff. 1 u n d Begründung dazu (s. oben S. 69/70) sowie die Bemer-
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Unter den Schutz des A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG fallen damit nur diejenigen Arbeitskämpfe, die m i t der Zielsetzung „Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen" geführt werden. Diese Wortverbindung i m neuen Satz 3 wurde aus dem schon bisher geltenden Satz 1 des A r t . 9 Abs. 3 GG übernommen. Zur Auslegung dieser Begriffe kann daher auf das zurückgegriffen werden, was bereits als Interpretation zu A r t . 9 Abs. 3 Satz 1 GG vorliegt. Unter Arbeitsbedingungen sind i n Satz 3 wie i n Satz 1 all diejenigen Umstände zu verstehen, die unmittelbar das einzelne Arbeitsverhältnis betreffen; Wirtschaftsbedingungen umfassen darüber hinaus auch allgemeine wirtschafts- und sozialpolitische Verhältnisse 1 4 5 . Während jedoch A r t . 9 Abs. 3 Satz 1 GG „Vereinigungen zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen" betrifft, w i r d i n Satz 3 eine Regelung für „Arbeitskämpfe zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen" getroffen. Dieser Unterschied ist von einer gewissen Bedeutung. Satz 1 ist nach ganz überwiegender und zutreffender Auffassung so auszulegen, daß durch i h n nur solche Vereinigungen gewährleistet werden, denen es kumulativ (und nicht bloß alternativ) u m die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen geht 1 4 6 . Bloße Wirtschaftsvereinigungen ohne arbeitsrechtliche Zielsetzungen wie etwa Unternehmervereinigungen, Kartelle oder Syndikate genießen deshalb nicht den Schutz des A r t . 9 Abs. 3 Satz 1 GG 1 4 7 . Dagegen muß der neue Satz 3 so ausgelegt werden, daß auch solche Arbeitskämpfe geschützt sind, deren Ziel nur alternativ die Wahrung oder Förderung der Arbeits- oder Wirtschaftsbedingungen ist. Denn i m Unterschied zu Vereinigungen, deren genereller und abstrakter „Vereins"-Zweck ohne Schwierigkeiten mehrere Ziele umfassen kann und sinnvollerweise auch umfassen soll, ist es bei Arbeitskämpfen, also beim konkreten Tätigwerden der Vereinigungen, leicht möglich, daß nur eines der i n Satz 1 und 3 genannten Ziele verfolgt wird, etwa die Verbesserung nur der Arbeitsbedingungen i n Form einer Erhöhung des Tariflohns. Häufig w i r d sich i n den Verhandlungen u m den Abschluß eines neuen Tarifvertrags der Streit zwischen den Tarif partnern gerade auf einen Punkt zuspitzen, u m den es dann auch i n dem nach Scheitern der Tarifverhandlungen ausbrechenden Arbeitsk u n g des Abg. Matthöfer (SPD) i n der 3. Lesung, die vorgesehene Schutzklausel enthalte eine „sehr enge Auslegung des Streikbegriffs", 178. Sitzg. des 5. B T v. 30. 5.1968, Sten. Ber. S. 9632 (C). 145 v. Münch, Bonner Kommentar, Zweitbearbeitung, Rdnr. 122, 123 zu A r t . 9; Nipperdey, i n : HuecklNipperdey, Lehrbuch I I / l , S. 102 ff. Vgl. neuerdings auch Hoff mann, A r b u R 1969, S. 78 u n d G. Müller, i n : Juristen-Jahrbuch 10 (1969/70), S. 130 ff. 146 Nipperdey, ebd., S. 103; v. Münch, ebd., Rdnr. 123, beide m. w. Nachw. 147 Nipperdey, ebd., S. 104; v. Münch, ebd.; Schnorr, Vereinsrecht, Erl. 3 zu § 16 VcreinsG, S. 237; v. MangoldtlKlein, GG I, A r t . 9 V 9, S. 329; G. Müller, ebd., S. 131 ff.
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kämpf geht. Daher dürfte es zu eng sein, für jeden einzelnen Arbeitskampf die kumulative Erfüllung aller Ziele, nämlich der Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen, zu fordern. Satz 3 des A r t . 9 Abs. 3 GG muß vielmehr — i m Gegensatz zu Satz 1 — so gelesen werden, als ob die Formulierung lauten würde: „zur Wahrung und/ oder Förderung der Arbeits- und/oder Wirtschaftsbedingungen". Objekt des durch A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 statuierten Schutzes ist jeder Arbeitskampf, bei dem eines dieser Ziele gegeben ist 1 4 8 . 5. Art. 9 Abs. 3 Satz 3 GG und der politische Streik Die Beschränkung des i n A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG statuierten Schutzes auf solche Arbeitskämpfe, die zur Wahrung und Förderung der Arbeitsund Wirtschaftsbedingungen geführt werden, stellt keinerlei Aussage über die verfassungsrechtliche Bewertung des politischen Streiks 149 dar. Dies muß deshalb m i t Nachdruck hervorgehoben werden, weil i n der außerparlamentarischen Diskussion über die Notstandsverfassung sehr oft die Behauptung aufgestellt wurde, die Beschränkung auf Arbeitskämpfe zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen bedeute, daß jeder politische Streik, auch wenn er als letztes Mittel zur Aufrechterhaltung der freiheitlichen, demokratischen Grundordnung unternommen werde, unzulässig sei und einen Fall des inneren Notstands darstelle. Diese Behauptung ist unzutreffend. Es war vielleicht naheliegend, aus A r t . 91 Abs. 4 des Regierungsentwurfs 1967 150 , der m i t A r t . 91 Abs. 6 des Benda-Entwurfs (1965) 151 identisch war, wegen der systematischen Stellung der Vorschrift herauszulesen, daß nicht-arbeitsrechtliche (politische) Streiks eine Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche Grundordnung des Bundes oder eines Landes i m Sinne des A r t . 91 GG darstellten, m i t h i n Fälle des inneren Not148 v g l . dazu auch die Fragen des Abg. Matthöfer (SPD) an den Sachverst. Prof. Dr. Scheuner, i n denen Matthöfer darauf aufmerksam machte, daß es von den allgemeinen Verhältnissen abhänge, ob zur Förderung oder n u r zur Wahrung der Arbeits- u n d Wirtschaftsbedingungen gestreikt werde; 5. I n f o r mationssitzg. v. 14.12.1967, Prot. S. 12. 149 Unter „politischem Streik" soll hier der „nichtarbeitsrechtliche Streik" verstanden werden, dessen Ziele nicht i n einer Gestaltung der Arbeits- u n d Wirtschaftsbedingungen liegen und der sich nicht gegen den sozialen Gegenspieler richtet. A u f die allgemeine Problematik der Begriffbildung k a n n i n diesem Zusammenhang nicht näher eingegangen werden; vgl. dazu Reuß, A r b u R 1966, S. 264 ff.; Lochow, Problematik, S. 23 ff.; U. Baur, Der politische Streik, S. 28 ff., alle m. w . H i n w . 150 „Die Absätze 1 bis 3 finden keine Anwendung auf Arbeitskämpfe, die zur Wahrung u n d Förderung der Arbeits- u n d Wirtschaftsbedingungen von V e r einigungen i m Sinne des A r t . 9 Abs. 3 geführt werden." B T - D r s . V/1879. 151 BT-Drs. V/3494 (s. oben Erster Teil, I. Abschnitt, Text zu Fußn. 152).
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stands seien 152 . Bei exakter juristischer Betrachtung erwies sich ein derartiger Umkehrschluß allerdings als unhaltbar, und zwar aus mehrfachen Gründen: Einmal wurde i n der Begründung zu A r t . 91 Abs. 4 des Regierungsentwurfs 1967 ausdrücklich betont, die Frage, ob und i n welchen Grenzen der politische Streik rechtlichen Schutz genieße oder unzulässig sei, werde m i t der vorgeschlagenen Klausel nicht entschieden 163 . Wer diese Feststellung i n der Begründung des Entwurfs als nicht ausreichend (weil für die spätere Interpretation nicht bindend) ansah, hätte sich als zweites vor Augen halten müssen, daß die vorgeschlagene A r beitskampfschutzklausel des A r t . 91 Abs. 4 nicht etwa besagte, Arbeitskämpfe der gekennzeichneten A r t seien keine inneren Notstände — eine derartige Formulierung hätte noch am ehesten einen Umkehrschluß nahegelegt —, sondern nur vorsah, daß die vorhergehenden Absätze 1 - 3 des A r t . 91 keine Anwendung auf Arbeitskämpfe zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen finden. Ein Umkehrschluß dahingehend, daß politische Streiks einen inneren Notstand oder eine Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung darstellen, hätte also von vornherein gar nicht gezogen werden können. Allenfalls hätte ein Umkehrschluß prima vista so aussehen können, daß bei politischen Streiks die Absätze 1 - 3 des A r t . 91 Anwendung finden — eine Aussage, die keinerlei neuen oder selbständigen Gehalt gehabt hätte, da die i n A r t . 91 Abs. 1 - 3 vorgesehenen Maßnahmen ihrerseits an spezielle Voraussetzungen gebunden waren, ohne deren Erfüllung die Maßnahmen nicht hätten i n die Wege geleitet werden dürfen. Der Umkehrschluß hätte also nichts über das hinaus erbracht, was sich ohnehin schon aus A r t . 91 Abs. 1 - 3 ergab. Indessen zeigt sich bei genauerer Prüfung, daß aus logischen Gründen überhaupt kein Umkehrschluß aus A r t . 91 Abs. 4 des Regierungsentwurfs 1967 gezogen werden konnte. Logisch setzt — und das w i r d häufig übersehen — das argumentum e contrario voraus, daß die „Wenn-so"-Beziehung i n der fraglichen Rechtsnorm einen ganz bestimmten Charakter hat: Die tatbestandlichen Voraussetzungen („wenn") müssen notwendige — und nicht nur hinreichende — Bedingung der Rechtsfolgen („so") sein; die Voraussetzungen müssen die Folgen intensiv implizieren 1 5 4 . I n die 152 So der Sachverst. Prof. Dr. Zweigert, 2. Informationssitzg. v. 16. 11. 1967, Prot. S. 96; Ramm, i n : Hof mann/Maus (Hrsg.), Notstandsordnung, S. 96 f.; ders., A r b u R 1967, S. 40 f.; a. A. — gegen Zweigert — Prof. Dr. Sontheimer, 5. Informationssitzg. v. 14. 12. 1967, Prot. S. 56; sowie Evers, AöR 91 (1966), S. 201 u n d Benda, Die Notstandsverfassung, 2. A u f l . 1966, S. 103 (die beiden letzteren zu A r t . 91 Abs. 6 des Benda-Entwurfs). 153 BT-Drs. V/1879, S. 24; ähnlich auch die Erl. zum Benda-Entwurf, zu B T Drs. IV/3494, S. 16 f. Unzutreffend deshalb die Behauptung bei Ver, Requiem, S. 35 (zu A r t . 91 Abs. 4 RegE 1967), der „politische Streik i n jeder F o r m . . . (werde) von vornherein illegalisiert". 154
Klug, Juristische Logik, S. 124 ff.
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juristische Alltagssprache übersetzt heißt dies, daß die „Wenn-So"Relation i n dem fraglichen Rechtssatz so geartet sein muß, daß sie sich liest: „Nur wenn die Voraussetzungen vorliegen, treten die Rechtsfolgen ein 1 5 5 ." U m einen Umkehrschluß zu erlauben, muß die Norm also einen ausschließenden oder Ausnahmecharakter („nur wenn") haben 1 5 6 . Welcherart die „Wenn-So"-Beziehung i m Einzelfall ist, muß durch Interpretation der betreffenden Norm ermittelt werden 1 5 6 . Versucht man das bei A r t . 91 Abs. 4 des Regierungsentwurfs 1967 157 , dann gewinnt zunächst wiederum die Feststellung i n der Begründung des Regierungsentwurfs an Bedeutung, die Frage der Zulässigkeit oder Unzulässigkeit des politischen Streiks solle nicht entschieden werden. Unabhängig davon ergibt sich auch aus der weiter zurückliegenden Entstehungsgeschichte und aus dem systematischen Zusammenhang, i n dem A r t . 91 Abs. 4 stand, daß es sich keineswegs u m eine Ausnahme Vorschrift handeln sollte, sondern i m Gegenteil u m eine zusätzliche K l a r stellung, um die Wiederholung und Bestätigung einer „Selbstverständlichkeit" 1 5 8 . Die Vorschrift ist damit logisch so zu lesen: „Immer wenn Arbeitskämpfe zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und W i r t schaftsbedingungen vorliegen, dann sind die Absätze 1 - 3 des A r t . 91 nicht anzuwenden." Die Voraussetzungen sind daher bloß hinreichende Bedingung der Rechtsfolge, die „Wenn-so"-Beziehung ist extensiv. Aus logischen Gründen war damit ein Umkehrschluß auf Arbeitskämpfe, die nicht zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen geführt werden, unmöglich. Daher war es unzulässig, aus der i n A r t . 91 Abs. 4 des Regierungsentwurfs 1967 (und A r t . 91 Abs. 6 des Benda-Entwurfs) enthaltenen Schutzklausel herauszulesen, politische Streiks stellten Fälle des inneren Notstands dar; über den politischen Streik und seine verfassungsrechtliche Bewertung wurde nichts gesagt 159 . Nachdem i n den Beratungen des 5. Bundestages die Arbeitskampfschutzklausel aus dem Bereich der Regelung des inneren Notstandes (Art. 91 GG) herausgenommen und als neuer Satz 3 an A r t . 9 Abs. 3 GG angefügt wurde, so daß sie jetzt i n einem ganz anderen systematischen Zusammenhang steht, besteht auch bei oberflächlicher Betrachtung kein Anlaß, aus der Beschränkung des Schutzes auf arbeitsrechtliche Arbeits155 Gegensatz: „ I m m e r w e n n die Voraussetzungen vorliegen, treten die Rechtsfolgen ein" (extensive Implikation). 156 Klug, Juristische Logik, S. 129; Larenz, Methodenlehre, S. 295. 157 s. Fußn. 150. 158 Diese Kennzeichnung wurde i m R A des 4. B T mehrfach verwendet, siehe oben Erster Teil, I. Abschnitt, Fußn. 154 u n d den Text dazu. Ebenso Evers, AöR 91 (1966), S. 201 f.; Ramm, A r b u R 1967, S. 40. 159 So auch Evers, ebd., S. 201; Benda, die Notstandsverfassung, 2. A u f l . 1966, S. 138; H. Schäfer, AöR 93 (1968), S. 78.
10 Glückert
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2. T e i l : I n h a l t u n d A u s w i r k u n g e n des A r t . 9 I I I 3 GG
kämpfe den Umkehrschluß zu ziehen, politische Arbeitskämpfe würden zu inneren Notständen erklärt. Wiederum ließe sich allenfalls fragen, ob aus dem neuen Satz 3 per argumentum e contrario entnommen werden kann, daß gegen politische Streiks Maßnahmen nach den A r t . 12 a, 35 Abs. 2 und 3, 87 a Abs. 4 und 91 GG angewandt werden dürfen 1 8 0 . Auch diesem Umkehrschluß — seine logische Zulässigkeit zunächst einmal unterstellt — käme allerdings als Aussage über den politischen Streik keinerlei neue oder eigenständige Bedeutung zu, da sämtliche der in A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG aufgeführten Maßnahmen nur dann gegen politische Streiks eingesetzt werden dürften, wenn die i n den jeweiligen Bestimmungen statuierten Voraussetzungen erfüllt sind 1 6 1 . Indessen ist auch hier festzustellen, daß aus logischen Gründen ein Umkehrschluß überhaupt ausgeschlossen ist. A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG hat ebensowenig wie A r t . 91 Abs. 4 des Regierungsentwurfs 1967 einen ausschließenden Charakter 1 6 2 . Der neue Satz 3 ist logisch nicht etwa zu lesen: „ N u r wenn Arbeitskämpfe zur Wahrung und Förderung der A r beits- und Wirtschaftsbedingungen vorliegen, dürfen Maßnahmen nach A r t . 12 a, 35 Abs. 2 und 3, 87 a Abs. 4 und 91 GG sich nicht gegen sie richten", sondern i m Gegenteil: „Immer wenn Arbeitskämpfe . . . " Auch hier ist die Voraussetzung („Arbeitskämpfe zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen") also hinreichende Bedingung für die Rechtsfolge („Maßnahmen dürfen sich nicht richten"); es liegt eine extensive Implikation vor. Ein Umkehrschluß auf den Arbeitskampf, der nicht zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen geführt wird, ist damit aus logischen Gründen unzulässig 163 . Entgegen einer vor und nach Verabschiedung der Notstandsverfassung weit verbreiteten Behauptung 1 6 4 , die auch i n der juristischen Literatur Anhänger fand 1 6 5 , ist demnach A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG keineswegs per argumentum e contrario zu entnehmen, gegen politische Streiks könne m i t Maßnahmen nach A r t . 12 a, 35 Abs. 2 und 3, 87 a Abs. 4 und 91 G G 1 6 6 vorgegangen werden. Ein derartiger Umkehrschluß ist unzulässig 167 . 160 Dieser Ansicht sind Hannover, Blätter 1968, S. 571 f.; Wahsner, i n : Sterzel (Hrsg.), K r i t i k , S. 61; v. Barby, A r b u R 1968, S. 270. 161 Darauf weisen zutreffend h i n A. Hueck, R d A 1968, S. 430; H. Klein, Der Staat 8 (1968), S. 373 Fußn. 54; van Gelder/Leinemann, A r b u R 1970, S. 5 (Ii. Sp.); U. Baur t Der politische Streik, S. 153 f. 162 Lerche, Zentralfragen, S. 95, sagt m i t Recht, der neue Satz 3 habe nicht „Ausnahme-, sondern Zusatzcharakter". 163 v g l . Klug, Juristische Logik, S. 124; Larenz, Methodenlehre, S. 295. 164
S. 81.
Vgl. Hannover,
Blätter, 1968, S. 571 f.; Rajewsky,
Arbeitskampfrecht,
165 Wahsner, i n : Sterzel (Hrsg.), K r i t i k , S. 61; v. Barby, A r b u R 1968, S. 270; w o h l auch E. Stein, Lehrbuch, S. 268. 168 I n der Diskussion spielte v o r allem die Dienstverpflichtung (Art. 12a Abs. 3) u n d der Einsatz der Bundeswehr (Art. 87a Abs. 4) als bei politischen
I. Abschn.: Z u r Auslegung des neuen A r t . 9 I I I 3 G G
147
A l l e s , w a s b e z ü g l i c h des p o l i t i s c h e n S t r e i k s aus A r t . 9 A b s . 3 Satz 3 G G herausgelesen w e r d e n k a n n , ist die F e s t s t e l l u n g , daß politische S t r e i k s n i c h t e r f a ß t w e r d e n , also n i c h t d e n besonderen Schutz v o r d e n a u f g e f ü h r t e n M a ß n a h m e n g e n i e ß e n 1 6 8 . Ü b e r diese n e g a t i v e F e s t s t e l l u n g 1 6 9 h i n a u s ist der A r b e i t s k a m p f s c h u t z k l a u s e l nichts z u e n t n e h m e n , insbesondere nichts z u der Frage, ob u n d ggf. u n t e r w e l c h e n V o r a u s s e t z u n g e n m i t M a ß n a h m e n nach A r t . 12 a, 87 a A b s . 4 oder 91 G G gegen politische S t r e i k s v o r g e g a n g e n w e r d e n d ü r f t e . A u c h i n sonstiger H i n s i c h t e n t h ä l t A r t . 9 A b s . 3 Satz 3 G G k e i n e r l e i Aussage z u m p o l i t i s c h e n S t r e i k 1 7 0 . D e r v e r fassungsändernde Gesetzgeber h a t m i t der n e u e n K l a u s e l w e d e r i n posit i v e r noch i n n e g a t i v e r Weise z u der F r a g e S t e l l u n g g e n o m m e n , w i e der politische S t r e i k i n verfassungsrechtlicher H i n s i c h t z u b e w e r t e n s e i 1 7 1 ; e b e n s o w e n i g ist der n e u e n V o r s c h r i f t z u r a r b e i t s - u n d d e l i k t s r e c h t l i c h e n B e u r t e i l u n g e t w a s z u e n t n e h m e n 1 7 2 . I h r I n h a l t b e s c h r ä n k t sich a u f die Streiks zu befürchtende Maßnahmen eine Rolle. Hannover, Blätter, 1968, S. 572, formuliert nicht eben zimperlich die Sache so: „Der politische Streik und der ,wilde' Streik dürfen v o m M i l i t ä r zusammengeschlossen oder durch Dienstverpflichtungen der Streikleitungen zum Erliegen gebracht werden. Als .politischer Streik' würde . . . schon ein Streik gelten, bei dem die M i t w i r k u n g östlicher Agenten behauptet werden könnte." Ä h n l i c h Pinkall, i n : Sozialdemokratie u n d Sozialismus heute, S. 97. Dagegen Senator Dr. Heinsen, 326. Sitzg. des BR v. 14. 6.1968, Sten. Ber. S. 139 (C). 167 So auch Hoffmann, i n : Sterzel (Hrsg.), K r i t i k , S. 102. Gegen einen U m kehrschluß aus A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG auch U. Baur, Der politische Streik, S. 140 ff. 168 So auch Benda, Die Notstandsverfassung, 10. Aufl. 1968, S. 142; Evers, Arbeitskampffreiheit, S. 103; Nipper dey! Säcker, i n : Hueck/Nipperdey, Lehrbuch II/2, S. 917. 169 Diese Feststellung ist — was von den Fußn. 164, 165 genannten Autoren offenbar übersehen w i r d — keineswegs m i t dem (als unzulässig befundenen) Umkehrschluß identisch, die i n A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG aufgeführten Maßnahmen seien gegen politische Streiks anzuwenden. Der Umkehrschluß stellt — ebenso übrigens w i e sein Gegenteil, der Analogieschluß, der logisch gesehen m i t gleichem Recht zu prüfen wäre — gegenüber der Feststellung, daß p o l i t i sche Streiks von der Schutzklausel nicht umfaßt werden, einen weiteren logischen Schritt dar, der einer neuen u n d eigenständigen Begründung bedarf. Anders ausgedrückt: Wenn A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 die Verwendung bestimmter Maßnahmen gegen politische Streiks auch nicht untersagt, so sind sie damit keineswegs eo ipso erlaubt. Das allzu schnelle Hantieren m i t dem U m k e h r schluß bei den zit. Autoren weckt den Verdacht, m a n habe n u r nach Bestätigung einer vorgefaßten Meinung gesucht. 170 So auch Benda, Die Notstandsverfassung, 10. A u f l . 1968, S. 97, 143; Reichel, D B 1968, S. 1314; Lenz, Notstandsverfassung, A n m . 8 zu A r t . 9 Abs. 3. 171 Unzutreffend v. Barby, A r b u R 1968, S. 270, der meint, der Gesetzgeber habe den politischen Arbeitskampf „besonders mißbilligt", w e i l „gerade dieses Vorgehen i h m als besonders gefährlich erschien". 172 A. Hueck, R d A 1968, S. 432, meint dagegen, A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG „bestätige" die h L , wonach der politische Streik einen rechtswidrigen Eingriff i n das Recht am eingerichteten u n d ausgeübten Gewerbebetrieb darstelle und deshalb zum Schadensersatz verpflichte. Es ist nicht ersichtlich, w o r i n diese „Bestätigung" liegen soll. Freilich enthält der neue Satz 3 auch keine negative Stellungnahme zu der von A . Hueck zitierten Auffassung, aber das k a n n nicht einfach i n eine „Bestätigung" umgedeutet werden. 1
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2. Teil: I n h a l t u n d Auswirkungen des A r t . 9 I I I 3 GG
Aussage, daß sich gewisse M a ß n a h m e n n i c h t gegen arbeitsrechtliche A r beitskämpfe richten dürfen. D a m i t b l e i b t es b e i m b i s h e r i g e n Rechtszustand. W i e b i s h e r i s t der p o l i tische S t r e i k i n F o r m des D e m o n s t r a t i o n s s t r e i k s als verfassungsrechtlich zulässig a n z u s e h e n 1 7 3 . D e r politische S t r e i k i s t f e r n e r d a n n verfassungsgemäß, w e n n er i n A u s ü b u n g des W i d e r s t a n d s r e c h t s z u r A u f r e c h t e r h a l t u n g der f r e i h e i t l i c h e n d e m o k r a t i s c h e n G r u n d o r d n u n g g e f ü h r t w i r d . D a r ü b e r b e s t a n d schon b i s h e r w e i t g e h e n d e Ü b e r e i n s t i m m u n g 1 7 4 . M i t der ausd r ü c k l i c h e n G a r a n t i e eines Rechtes z u m W i d e r s t a n d i m n e u e n A r t . 20 A b s . 4 G G i s t n u n m e h r auch p o s i t i v - r e c h t l i c h a n e r k a n n t , daß der p o l i tische ( G e n e r a l - ) S t r e i k , der als letztes v e r b l i e b e n e s M i t t e l z u r B e w a h r u n g oder W i e d e r h e r s t e l l u n g der V e r f a s s u n g s o r d n u n g des demokratischen u n d sozialen Rechtsstaates u n t e r n o m m e n w i r d , verfassungsrechtlich zulässig i s t 1 7 5 . 173
Vgl. XJ. Baur, Der politische Streik, S. 91 ff.; Benda, Industrielle H e r r schaft, S. 301 ff.; Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, S. 61; Nipperdey/Säcker, i n : Hueck/Nipperdey, Lehrbuch II/2, S. 887, 897 f., 1024 Fußn. 68b; Reuß, A r b u R 1966, S. 265 f. u n d A r b u R 1969, S. 353 f., alle m. w. Nachw.; Hamann/Lenz, GG, A n m . B 8 b) bb) zu A r t . 9 u n d A n m . B 4 zu A r t . 21; Lochow, Problematik, S. 99 ff.; Schnorr, Vereinsrecht, Erl. 17 a. E. zu §16 VereinsG, S. 256; Söllner, Arbeitsrecht, S. 73; a. A . Tillmann, Politischer Streik, S. 67 f. — Z u r umstr. arbeits- u n d deliktsrechtlichen Bewertung vgl. A. Hueck, in: FS Herschel, 38 f.,42 f.; Brox/Rüthers, S. 136, 143, 150; Nipperdey!Säcker, ebd.; Reuß, A r b u R 1966, 266. 174 Vgl. Brox/Rüthers, ebd., S. 62 m. w. H i n w . ; Lochow, ebd., S. 179 ff.; Tillmann, ebd., S. 67 ff.; ferner Begründung zum RegE 1967, BT-Drs. V/1879, S. 24; Minister Dr. Strelitz (Hessen), 308. Sitzg. des BR v. 24. 4. 1967, Sten. Ber. S. 59 (A, B); Abg. Dr. Even (CDU/CSU), 117. Sitzg. des 5. B T v. 29. 5. 1967, Sten. Ber. S. 5875 f.; Abg. Hirsch (SPD), ebd., S. 5884. — Die Frage spielte i n der pari. Diskussion u m die Notstandsverfassung v o n Anfang an eine beträchtliche Rolle, w e i l v o n Seiten der Gewerkschaften bei vielerlei Gelegenheit immer wieder erklärt wurde, der politische (General-)Streik als M i t t e l zur Verteidigung der Demokratie sei eine legitime gewerkschaftliche Waffe, die durch eine Notstandsverfassung nicht n u r nicht angetastet werden dürfe, sondern wegen der m i t Notstandsregelungen verbundenen Mißbrauchsgefahren sogar noch erhöhte Bedeutung gewinne; vgl. etwa den Beschluß des DGB-Bundesausschusses v. 24. 7. 1962, R d A 1962, S. 433. Derartige gewerkschaftl. Äußerungen w u r d e n — insbes. i n den Jahren 1958 bis 1962 — von der CDU/CSU u n d den von i h r getragenen Bundesregierungen teilweise so interpretiert, als ob die Gewerkschaften generell ein Recht auf politischen Streik i n Anspruch nehmen w o l l t e n — eine Interpretation, die bei der sozialdemokratischen Opposit i o n auf scharfe K r i t i k stieß. Vgl. oben Erster Teil, I. Abschnitt, Fußn. 36, 38, 39, 50 u n d den Text dazu; ferner Ad. Arndt, i n : Arndt!Freund, Notstandsgesetz — aber wie?, S. 49 f. (Anfang 1962); SPD-Abg. Lohmar, i n : Nemitz (Hrsg.), Notstandsrecht u n d Demokratie, S. 46 (Anfang 1963); Abg. Leber (SPD), 56. Sitzg. des 4. B T v. 24. 1. 1963, Sten. Ber. S. 2513 (C) f.; ähnlich auch Abg. Dorn (FDP), ebd., S. 2506 (B). 175 Vgl. A. Hueck, R d A 1968, S. 430; Kempen, i n : Sterzel (Hrsg.), K r i t i k , S. 83; Reichel, D B 1968, S. 1313 f.; Abg. Helmut Schmidt (SPD), 178. Sitzg. des 5. B T v. 30. 5. 1968, Sten. Ber. S. 9644 (A); Minister Dr. Strelitz (Hessen), 326. Sitzg. des BR v. 14. 6. 1968, Sten. Ber. S. 143 (B). — Z u r Entstehung des A r t . 20 Abs. 4 GG unter dem speziellen Aspekt des politischen Streiks zur Verteidigung
I. Abschn.: Z u r Auslegung des neuen A r t . 9 I I I 3 GG
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I m übrigen bleibt der — i n vielem unterschiedliche — Meinungsstand über Begriff und verfassungsrechtliche (wie auch über die arbeitsund deliktsrechtliche) Bewertung des politischen Streiks unberührt 1 7 6 . 6. Arbeitsrechtliche Streiks in Notsituationen. Zur Problematik des „Umschlagens" arbeitsrechtlicher in politische Streiks I m Anschluß an die Erörterung des Verhältnisses zwischen A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG und dem politischen Streik ist auf ein weiteres damit zusammenhängendes Problem einzugehen, nämlich auf das sog. „ U m schlagen" arbeitsrechtlicher i n politische Streiks. I m Schrifttum w i r d verschiedentlich die Frage gestellt, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen arbeitsrechtliche Arbeitskämpfe (gemeint sind immer Streiks) ohne Änderung ihrer auf dem Gebiete des Arbeitslebens liegenden Zielsetzung und ohne Änderung des Adressaten (des sozialen Gegenspielers) zu verfassungswidrigen politischen Arbeitskämpfen werden können, w e i l sie objektiv eine Gefahr für den Bestand der Bundesrepublik Deutschland oder für die freiheitliche demokratische Ordnung darstellen 1 7 7 . Nach den i n der Literatur angestellten Erwägungen könnten derartige Gefährdungen etwa dadurch ausgelöst werden, daß ein arbeitsrechtlicher A r beitskampf einen so großen Umfang annimmt, daß er — ohne Hinzutreten weiterer Umstände — allein schon wegen seines Umfangs eine akute Gefahr für den Bestand der Bundesrepublik darstellt 1 7 8 ; oder ein arbeitsrechtlicher Arbeitskampf könne — vorausgesetzt, er hat einen gewissen Umfang — dadurch zu einer Gefahr für den Bestand der Bundesrepublik oder für die freiheitlich demokratische Ordnung werden, daß ver-
der freiheitlichen demokratischen Ordnung vgl. Chr. Böckenförde, JZ 1970, S. 168 ff.; Neidert, N P L 1969, S. 232, 236 ff., 250 ff.; sowie Isensee, Widerstandsrecht, S. 64 ff., alle m. w . L i t . h i n w . 176 Vgl. zur allgemeinen Problematik sowie zum Stand der Meinungen vor allem Kaiser, Der politische Streik, passim; U. Baur, Der politische Streik, S. 87 ff.; Benda f Industrielle Herrschaft, S. 280-304; Reuß, A r b u R 1966, S. 264 ff.; Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, S. 56 ff.; Hamann/Lenz, GG A n m . B 4 zu A r t . 21; Lochow, Problematik, S. 179ff.; Tillmann, Politischer Streik, S. 67 ff.; Schnorr, Vereinsrecht, Erl. 17 zu § 16 VereinsG, S. 255 f.; ferner Fritz Bauer, JZ 1953, S. 649 ff.; Däubler, Der Streik i m öffentlichen Dienst, S. 165; Ramm, i n : Hof mann! Maus (Hrsg.), Notstandsordnung, S. 96 f.; Hoff mann, Rechtsfortschritt, S. 110; Neidert, N P L 1969, S. 238 f. 177 Vgl. Brox/Rüthers, Arbeitskampf recht, S. 33, 59 f. m. w. H i n w . ; Evers, AöR 91 (1966), S. 201 f.; Kaiser, Der politische Streik, S. 32 f.; V. H. Lohse, Streik u n d Staatsnotstand, S. 42 ff.; Rüthers, Streik u n d Verfassung, S. 84 ff., 127 ff.; ders., D B 1968, S. 1950; ferner auch Benda, Die Notstandsverfassung, 10. A u f l . 1968, S. 97,152, u n d F. Schäfer, Notstandsgesetze, S. 125. 178 Einen Beispielsfall konstruiert Rüthers, D B 1968, S. 1951 (Beispiel 3); ähnlich V. H. Lohse, ebd., S. 179.
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2. T e i l : I n h a l t u n d A u s w i r k u n g e n des A r t . 9 I I I 3 GG
fassungsfeindliche Kräfte die Streiksituation ausnützen 170 . Beide Fallkonstruktionen laufen darauf hinaus, daß Arbeitskämpfe ungeachtet ihrer arbeitsrechtlichen Zielsetzung und ihres Ausgerichtetseins auf den sozialen Gegenspieler eine Gefahr i m Sinne des Art. 91 GG, m i t h i n einen inneren Notstand darstellen. Neben diesen beiden Fallgruppen 1 8 0 w i r d schließlich noch auf eine dritte Gruppe von Fällen hingewiesen: Ein arbeitsrechtlicher Arbeitskampf könne, so w i r d erwogen, auch dann eine Gefahr der bezeichneten A r t darstellen, wenn er i n einer bereits bestehenden (inneren oder äußeren) Notstandssituation oder einem Katastrophenfall durchgeführt w i r d 1 8 1 . I n derartigen Konstellationen würde der Arbeitskampf eine bereits bestehende Gefahr für den Bestand der Bundesrepublik oder die freiheitliche demokratische Ordnung erhöhen 182. Insgesamt lassen sich diese meist nur recht vage und abstrakt umrissenen Fallgestaltungen, die hinsichtlich der tatsächlichen Umstände und ihrer Wahrscheinlichkeit nicht näher konkretisiert werden 1 8 3 , auf die politisch wie rechtlich höchst kontroverse Frage zurückführen, wo die Grenzen des Streikrechts bzw. der Arbeitskampffreiheit liegen 1 8 4 . Es empfiehlt sich, i m Auge zu behalten, daß dies die eigentliche Frage ist — gewiß eine Frage von erheblicher praktischer Bedeutung. Dagegen erscheint es weder erforderlich noch nutzbringend, die Problematik der Grenzen des Streikrechts (bzw. der Arbeitskampffreiheit) unter der Fragestellung zu untersuchen, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen ein Arbeitskampf, insbesondere ein Streik, trotz arbeitsrechtlicher Zielsetzung und Ausgerichtetseins auf den sozialen Gegenspieler wegen seiner objektiven Auswirkungen i n einen politischen Arbeitskampf umschlage. Eine derartige terminologisch-begriffliche Fragestellung, für die i n letzter Zeit vor allem Rüthers eingetreten ist 1 8 5 , verleitet allzu leicht dazu, das eigentliche Problem — wo verlaufen etwaige Grenzen des 179
Vgl. Evers, AöR 91 (1966), S. 201. Rüthers, D B 1968, S. 1951, verwendet f ü r sie die Sammelbezeichnung „notstandsverursachende Arbeitskämpfe" oder „Notstand durch Arbeitskampf". 181 Beispielsfälle dafür bilden Rüthers, D B 1968, S. 1951 (Beispiele 1 u n d 2) u n d V. H. Lohse, Streik u n d Staatsnotstand, S. 173 f., 177 f. 182 Rüthers, D B 1968, S. 1951, spricht hier von „notstandsverschärfenden Arbeitskämpfen" oder „Arbeitskämpfen i m Notstand". 183 Eine Ausnahme stellen n u r Rüthers, D B 1968, S. 1951, u n d V. H. Lohse, ebd., S. 173 ff., dar, die konkrete Beispiele bilden, dabei allerdings nicht auf die Frage der Wahrscheinlichkeit der geschilderten Arbeitskämpfe eingehen. 184 Vgl. dazu v o r allem W. Weber, Koalitionsfreiheit, S. 22 ff. u n d passim; weiterhin Benda, Notstandsverfassung u n d Arbeitskampf, S. 8 ff., 27 ff.; Evers, AöR 91 (1966), S. 201 ff.; Brox! Rüthers, Arbeitskampf recht, S. 59 f. 185 Streik u n d Verfassung, S. 83 ff.; G M H 1960, S. 33 ff.; D B 1968, S. 1951. Rüthers weitgehend folgend V. H. Lohse, Streik u n d Staatsnotstand, S. 42 ff., 171 ff. 180
I. Abschn.: Z u r Auslegung des neuen A r t . 9 I I I 3 GG
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Streikrechts? — aus dem Blickfeld zu verlieren. Ganz abgesehen davon wäre m i t der Einordnung eines „umgeschlagenen" arbeitsrechtlichen Streiks i n die Rubrik „politischer Streik" rechtlich, insbesondere verfassungsrechtlich, noch nichts gewonnen. Da die Verfassung kein ausdrückliches Verbot des politischen Streiks enthält und über die Begriffsbestimmung sowie die verfassungsrechtliche, arbeits- und deliktsrechtliche Bewertung des politischen Streiks zahlreiche und tiefgehende Meinungsverschiedenheiten bestehen 186 , wäre es gänzlich verfehlt, allein schon aus der begrifflichen Einordnung des Arbeitskampfes in die Kategorie „politisch" automatisch irgendwelche Rechtsfolgen ableiten zu wollen 1 8 7 . A n gesichts der unklaren und umstrittenen Rechtslage bleibt nichts anderes übrig, als auch den als „politisch" bezeichneten Streik i n jedem Einzelfall sorgfältig auf seine Zulässigkeit oder Unzulässigkeit i n verfassungs-, arbeits- und deliktsrechtlicher Hinsicht zu untersuchen 188 . Durchaus zu Recht ist daher die Lehre vom „Umschlagen" arbeitsrechtlicher Arbeitskämpfe i n politische, für die neben Rüthers 1 8 9 auch Kaiser 1 9 0 und einige andere Autoren 1 9 1 eingetreten sind, überwiegend auf Widerstand gestoßen 192 . Der neue Satz 3 des A r t . 9 Abs. 3 GG nimmt zu der Frage nach den Grenzen des Streikrechts bzw. der Arbeitskampffreiheit ebensowenig Stellung wie zu der „Umschlags"-Theorie. Beide Problemkreise bleiben unberührt so bestehen, wie sie schon vor der Einfügung der Arbeitskampfschutzklausel i n das Grundgesetz bestanden. Dem neuen Satz 3 ist lediglich zu entnehmen, daß die zur Förderung und Wahrung der A r beits« und Wirtschaftsbedingungen unternommenen Arbeitskämpfe auch dann vor gezielter Beeinträchtigung durch die aufgezählten Maßnahmen geschützt sind, wenn sie ohne Änderung ihrer Zielsetzung und ohne 186
Vgl. die Lit.hinweise Fußn. 173,176. So auch Benda, Industrielle Herrschaft, S. 296; Däubler, Der Streik i m öffentlichen Dienst, S. 163; auch schon Abendroth, G M H 1954, S. 259. 188 Wie hier Däubler, ebd.; Neidert, N P L 1969, S. 238; Maunz, i n : Maunz/ Dürig/Herzog, GG, A r t . 9 Rdnr. 116. Beispielhaft f ü r die gebotene sorgfältige Abwägung Benda, ebd., S. 296 ff., insbes. 300; U. Baur, Der politische Streik, S. 87 ff. 189 Streik und Verfassung, S. 84 ff., 127 ff.; G M H 1960, S. 33 ff.; Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, S. 33, 59 ff. 190 Der politische Streik, S. 32 f. 191 Evers, AöR 91 (1966), S. 201; V. H. Lohse, Streik u n d Staatsnotstand, S. 42 ff., 171 ff. 192 Gegen die „Umschlags"-Theorie: U. Baur, Der politische Streik, S. 35 ff.; Brecht, Arbeitskampf u n d Verfassung, S. 107 f.; Reuß, A r b u R 1966, S. 267; Lochow, Problematik, S. 29 ff.; Nipperdey/Säcker, i n : HuecklNipperdey, Lehrbuch II/2, S. 884 f. Fußn. 10a u n d S. 917; Säcker, Grundprobleme, S. 57 f. Fußn. 100 u n d S. 87 f.; Tillmann, Politischer Streik, S. 36; dem Ergebnis nach auch Benda, Industrielle Herrschaft, S. 296 ff.; Gester, A r b u R 1969, S. 149; Söllner, Arbeitsrecht, S. 72 f. 187
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Änderung des Adressaten ( = des sozialen Gegenspielers) infolge sonstiger (innen- oder außenpolitischer) Umstände eine Gefahr i m Sinne des A r t . 91 GG darstellen. Eine gegenteilige Auffassung vertreten Rüthers 1 9 3 und Evers 1 9 4 , letzterer allerdings noch zu A r t . 91 Abs. 6 des Benda-Entwurfs 1 9 5 . Beide gehen von der bereits dargestellten These aus, ein arbeitsrechtlicher Arbeitskampf, der ungeachtet seiner auf dem Gebiete des Arbeitslebens liegenden Zielsetzung und seines Ausgerichtetseins gegen den sozialen Gegenspieler objektiv eine verfassungsgefährdende Wirkung habe, schlage i n einen politischen Arbeitskampf u m und werde damit unzulässig. Von diesem Standpunkt aus kommen beide zu dem Ergebnis, die Arbeitskampfschutzklausel des A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG (bzw. des A r t . 91 Abs. 6 des Benda-Entwurfs) schütze „umgeschlagene" arbeitsrechtliche Arbeitskämpfe nicht. Praktisch bedeutet dies, daß m i t Maßnahmen nach A r t . 12 a (etwa Einberufungen zu Wehrübungen oder Dienstverpflichtungen), m i t Maßnahmen nach A r t . 87 a Abs. 4 (Einsatz der Bundeswehr i n Gestalt eines den Streik oder die Aussperrung behindernden Objektschutzes) oder m i t polizeilich-exekutivischen Maßnahmen nach A r t . 91 (Einsatz von Polizei oder Bundesgrenzschutz durch die Bundesregierung) gegen derartige Arbeitskämpfe vorgegangen werden dürfte. Diese Auffassung ist indessen weder m i t der Entstehungsgeschichte noch m i t dem Text der Arbeitskampfschutzklausel des A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG vereinbar. I n den parlamentarischen Beratungen war seit der 3. Legislaturperiode (1957 -1961) vor allem innerhalb der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion immer wieder die Befürchtung geäußert worden, die neu zu schaffenden Notstandsbefugnisse der Exekutive könnten von einer Bundesregierung dazu gebraucht werden, unerwünschte arbeitsrechtliche Streiks zu beeinträchtigen; dabei sah man die Gefahr gerade darin, daß derartige Streiks wegen ihrer Auswirkungen zu politischen Streiks deklariert werden könnten, u m dann m i t „Notstandsmaßnahmen" gegen sie vorgehen zu können. Es war diese Gefahr, die durch eine Arbeitskampfschutzklausel, für die sich die SPD schon als Opposition stark einsetzte und die dann i n der 5. Legislaturperiode zwischen den beiden Regierungsparteien CDU/CSU und SPD ausgehandelt wurde, ausgeräumt werden sollte. Demgemäß erfaßt Art. 9 Abs. 3 Satz 3 GG nach seinem eindeutigen Wortlaut unterschiedslos alle Arbeitskämpfe, die zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen geführt werden; es ist nicht zulässig, sog. „umgeschlagene" arbeitsrechtliche
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D B 1968, S. 1951 (Ii. Sp.). AöR 91 (1966), S. 201 f. iss BT-Drs. VI/3494. 194
I. Abschn.: Z u r Auslegung des neuen A r t . 9 I I I 3 GG
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Arbeitskämpfe von der Schutzklausel auszunehmen 196 . Dies muß u m so mehr gelten, als — was übrigens auch Hüthers 1 9 7 einräumt — jeder größere Arbeitskampf politische Wirkungen hat. Die hier vertretene Auffassung, wonach die Arbeitskampfschutzklausel des A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG ausnahmslos für alle zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen geführten Arbeitskämpfe gilt, bedeutet nicht, daß Arbeitskämpfe, die trotz ihrer arbeitsrechtlichen Zielsetzung und trotz des Ausgerichtetseins gegen den sozialen Gegenspieler eine Gefahr für die Versorgung der Allgemeinheit mit lebensnotwendigen Gütern, eine Gefährdung der Verfassungsordnung oder eine Gefährdung der staatlichen Existenz darstellen, von der staatlichen Gemeinschaft unter allen Umständen uneingeschränkt und unbeschränkbar hingenommen werden müssen. Auch das Streikrecht (bzw. die Arbeitskampffreiheit) besteht innerhalb der Verfassungsordnung nicht völlig absolut, sondern ist wie alle anderen Grundrechte und -freiheiten an gewisse Schranken gebunden. Der Gebrauch von Grundrechten darf — sehr vergröbernd gesagt — nicht die Existenz der staatlichen Gemeinschaft, durch die die Grundrechte und -freiheiten erst gewährleistet und effektiv gemacht werden 1 9 8 , i n Frage stellen. Schwierig und kontrovers ist allerdings — wie schon angedeutet wurde — die Frage, wo i m einzelnen die Schranken des Streikrechts verlaufen. Diese Frage soll und kann i m vorliegenden Zusammenhang jedoch dahingestellt bleiben, da sie schon vor und unabhängig von der Einfügung der Arbeitskampfschutzklausel i n das Grundgesetz bestand und weiter besteht. Hier genügt die Feststellung, daß vor allem der Gesetzgeber die Möglichkeit hat, unter Beachtung eines unantastbaren Bereichs Regelungen über Arbeitskämpfe zu treffen. Darüber herrscht weitgehend Übereinstimmung 1 9 9 , 196 So auch Hoffmann, i n : Sterzel (Hrsg.), K r i t i k , S. 102, unter Zurückweisung des „gekünstelten Beispiels" v o n Evers, AöR 91 (1966), S. 201 (kritisch zu Evers auch schon Ramm, A r b u R 1967, S. 41, insbes. Fußn. 55); wie hier — unter Zurückweisung der Argumentation v o n Rüthers u n d Evers — auch Nipperdey/Säcker, i n : Hueck/Nipperdey, Lehrbuch II/2, S. 884 Fußn. 10a u n d S. 917,1668; Säcker, Grundprobleme, S. 57 f. Fußn. 100 u n d S. 87 f. 197 Streik u n d Verfassung, S. 128 u n d G M H 1960, S. 32; ebenso Brox/Rüthers, Arbeitskampf recht, S. 59. 198 Vgl. v. Simson, DVB1. 1966, S. 653; grundlegend zur Notwendigkeit der gesetzgeberischen Ausgestaltung u n d Konkretisierung der Grundrechte Häberle, Wesensgehaltgarantie, passim (insbes. S. 56 ff., 116ff.; 180ff., 222ff.); ferner Hesse, Grundzüge, S. 127 f.; Säcker, Grundprobleme, S. 100 ff., 124 f. 199 v g l v o r allem W. Weber, Koalitionsfreiheit, S. 36 ff. u n d passim; ferner Benda, Industrielle Herrschaft, S. 266 ff. sowie Notstandsverfassung u n d A r beitskampf, passim; Brecht, Arbeitskampf, S. 97 ff.; Brox! Rüthers, Arbeitskampfrecht, S. 46; Bundesminister des Innern, Denkschrift v. 7. A p r i l 1966 (s. oben S. 59); Dommack, Streikrecht, S. 110ff.; Evers, Arbeitskampffreiheit, S. 16 ff. u n d AöR 91 (1966), S. 201 ff.; Lerche, Zentralfragen, S. 45 ff.; Maunz, i n : Maunz/DüriglHerzog, GG, A r t . 9 Rdnr. 129, 136; Menzel, D Ö V 1968, S. 302; Nipperdey, i n : Hueck/Nipperdey, Lehrbuch I I / l , S. 46 f. u n d Nipperdey/Säcker,
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2. T e i l : I n h a l t u n d A u s w i r k u n g e n des A r t . 9 I I I 3 GG
auch w e n n i m e i n z e l n e n s t r e i t i g ist, w o der u n a n t a s t b a r e K e r n b e r e i c h des A r b e i t s k a m p f r e c h t s , insbesondere des S t r e i k r e c h t s , b e g i n n t . Jedenfalls ist es keineswegs so, daß A r b e i t s k ä m p f e d e m Z u g r i f f des Gesetzgebers v ö l l i g u n d u n t e r a l l e n U m s t ä n d e n entzogen s i n d ; vielmehr können g r u n d s ä t z l i c h auch A r b e i t s k ä m p f e , die v o n d e n K o a l i t i o n e n m i t a r b e i t s rechtlicher Z i e l s e t z u n g g e f ü h r t w e r d e n , ausgestaltenden u n d b e g r e n zenden R e g e l u n g e n d u r c h d e n (einfachen) Gesetzgeber u n t e r w o r f e n w e r den. O h n e daß dieser a l l g e m e i n e n F r a g e h i e r i m e i n z e l n e n nachgegangen w e r d e n k a n n , ist festzuhalten, daß gesetzliche R e g e l u n g e n w i e e t w a die E i n f ü h r u n g einer e r z w u n g e n e n „ A b k ü h l u n g s p e r i o d e " nach A r t des a m e r i k a n i s c h e n T a f t - H a r t l e y - G e s e t z e s oder gewisser Schlichtungsprozed u r e n oder a n d e r e r p a r t i e l l e r B e s c h r ä n k u n g e n der A r b e i t s k a m p f f r e i h e i t d a n n zulässig sein k ö n n e n , w e n n A r b e i t s k ä m p f e i n f o l g e der k o n k r e t bestehenden i n n e r e n oder äußeren U m s t ä n d e eine a k u t e G e f a h r f ü r die V e r s o r g u n g der A l l g e m e i n h e i t m i t l e b e n s w i c h t i g e n G ü t e r n u n d L e i s t u n gen oder eine a k u t e G e f ä h r d u n g der f r e i h e i t l i c h e n d e m o k r a t i s c h e n O r d n u n g oder des Bestandes der B u n d e s r e p u b l i k d a r s t e l l e n 2 0 0 . F a l l s i m V e r t e i d i g u n g s f a l l e i n e m r e c h t z e i t i g e n Z u s a m m e n t r i t t des Bundestages u n -
Lehrbuch II/2, S. 918; Reuß, i n : Das Arbeitsrecht der Gegenwart, Bd. 1, S. 162 f. u n d i n : Recht i m Wandel, S. 268 f.; Rüthers, D B 1968, S. 1949; Säcker, Grundprobleme, S. 84 ff.; Söllner, Arbeitsrecht, S. 71. — Gegen jede Regelungsbefugnis des Gesetzgebers dagegen Hoff mann, A r b u R 1968, S. 42 ff. (Inhalt und Grenzen von Tarifautonomie u n d Streikrecht könnten angesichts der u m fassenden Autonomie, die das GG den sozialen Koalitionen einräume, allein von den Tarifparteien bestimmt werden); ähnlich G M H 1966, S. 158. Ebenso Ver, Requiem, S. 36 f.; DGB-Vorstandsmitglied Reuter, 5. Informationssitzg. v. 14. 12. 1967, S. 21 f., 25; Änderungsanträge der SPD-Abg. Gscheidle und Genossen v. 9.1.1968, Begründung zu A n t r a g Ziff. 1 (s. oben S. 89 ff.). Gegen Hoffmann Isensee, Beamtenstreik, S. 29, 113 f.; Zeuner, R d A 1971, S. 3 (re. Sp.). 200 Vgl. W. Weber, ebd.; Benda, Industrielle Herrschaft, S. 267 f., sowie Notstandsverfassung u n d Arbeitskampf, S. 8 ff., 27 ff.; Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, S. 46, 59 f.; Evers, AöR 91 (1966), S. 201 ff.; Hall, JZ 1968, S. 166; Menzel, DÖV 1968, S. 302; Reuß, A r b u R 1966, S. 267; H. Schäfer, BullBReg. Nr. 78 v. 14. 5. 1964, S. 706, u n d AöR 93 (1968), S. 78 Fußn. 98. — Die Zulässigkeit staatl. Zwangsschlichtung i n Notstandslagen haben neuerdings allerdings bezweifelt Nipperdey/Säcker, i n : Hueck/Nipperdey, Lehrbuch II/2, S. 1625 f. (Nachtrag zu S. 45) u n d Säcker, Grundprobleme, S. 81 (die Zwangsschlichtung bedeute einen Eingriff i n den unantastbaren Kernbereich verbandsmäßiger Lohngestaltung; ohne verfassungsrechtl. Ermächtigung dürfe auch i n N o t standssituationen nicht i n diesen Kernbereich eingegriffen werden). Hiergegen Isensee, Beamtenstreik, S. 28 Fußn. 6; f ü r die Zulässigkeit einer Zwangsschlichtung i n Notstandssituationen ferner W. Weber, ebd., S. 44 f.; Dommack, Streikrecht, S. 133; V. H. Lohse, Streik u n d Staatsnotstand, S. 197 f.; Nipperdey, i n : Hueck! Nipperdey, Lehrbuch I I / l , S. 45, 734 ff.; Reuß, i n : Recht i m Wandel, S. 269. — Die Möglichkeit gesetzlicher Beschränkungen des Streikrechts auch i n Notstandssituationen generell verneinend DGB-Vorstandsmitglied Reuter (Fußn. 199); Änderungsanträge der SPD-Abg. Gscheidle u n d Genossen v. 9. 1. 1968, Begründung zu A n t r a g Ziff. 1; Ver (Fußn. 199); w o h l auch Farthmann, A r b u R 1966, S. 311; Gester, A r b u R 1969, S. 148 f.; J. Seifert, i n : FS Brenner, S. 80 ff., 92.
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überwindliche Hindernisse entgegenstehen und gemäß A r t . 115 e Abs. 1 GG die Gesetzgebungskompetenz auf den Gemeinsamen Ausschuß übergeht, würde dem Gemeinsamen Ausschuß als „Notgesetzgeber" die Gesetzgebungsbefugnis zum Erlaß derartiger gesetzlicher Regelungen über Arbeitskämpfe zustehen 201 . A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG läßt die Möglichkeit einschränkender Regelungen durch den Gesetzgeber bestehen. Denn die neue Klausel schließt lediglich aus, daß gegen Arbeitskämpfe m i t bestimmten, einzeln aufgeführten Maßnahmen gezielt vorgegangen w i r d 2 0 2 . Es wäre demnach unzulässig, mit polizeilicher und militärischer Gewalt gemäß Art. 91 und 87 a Abs. 4 GG gezielt gegen arbeitsrechtliche Arbeitskämpfe einzuschreiten; ebenso dürfen die Maßnahmen nach Art. 12 a (Einziehung zur Bundeswehr, Dienstverpflichtungen usw.) nicht dazu verwendet werden, die Durchführung eines Arbeitskampfes unmöglich zu machen. Der Ausschluß dieser Mittel, deren gezielte Verwendung wegen ihrer „Durchschlagskraft" besonders nahezuliegen scheint, ist vernünftig, und zwar — was überraschen mag — aus zwei teilweise gegensätzlichen Erwägungen heraus: Soweit es sich um Dienstverpflichtungen für Männer (gemäß A r t . 12 a Abs. 3) und Frauen (gemäß A r t . 12 a Abs. 4 GG) handelt, muß i n Betracht gezogen werden, daß eine allgemeine Dienstverpfiichtung streikender Arbeitnehmer sinnlos, w e i l praktisch nicht erzwingbar, wäre. Es wäre bei einem größeren Streik, an dem sich einige tausend Arbeitnehmer beteiligen, weder möglich, die Befolgung ausgegebener Dienstverpflichtungsbescheide durch behördlichen oder polizeilichen Zwang herbeizuführen, noch verspräche eine anschließende Ahndung als Ordnungswidrigkeit oder eine Strafverfolgung Erfolg. Die 1963 i n Frankreich ge201 So zutreffend Rüthers, D B 1968, S. 1950 u n d Maunz, i n : Maunz/Dürigi Herzog, GG, A r t . 9 Rdnr. 136. Auch dann wäre freilich der unantastbare K e r n bereich der Arbeitskampffreiheit (insbes. des Streikrechts) zu beachten; vgl. A. Hueck, R d A 1968, S. 430, Fußn. 1; Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, S. 46. Siehe aber auch W. Weber, Koalitionsfreiheit, S. 50 f., der i n extremen Situationen selbst eine faktische oder rechtl. Stillegung der Tarifautonomie u n d der K a m p f freiheit f ü r zulässig hält. Erforderlich sei jedoch eine zeitl. und gegenständl. Begrenzung der extraordinären Maßnahmen auf die Notstandslage; unter diesen Voraussetzungen werde der unantastbare Kampfbereich v e r bandsmäßiger Lohngestaltung nicht berührt. Kritisch hierzu Farthmann, A r b u R 1966, S. 311 u n d J. Seifert, i n : FS Brenner, S. 83. 202 Diese L i m i t i e r t h e i t des Inhalts des neuen Satzes 3 scheinen Nipperdey! Säcker, i n : Hueck/Nipperdey, Lehrbuch II/2, S. 1625 f. (Nachtrag zu S. 45) u n d Säcker, Grundprobleme S. 81, zu übersehen, w e n n sie i n der neuen N o r m ganz generell eine „verfassungsrechtliche Gewährleistung der Arbeitskampffreiheit auch im Notstandsfall" sehen. Ob u n d ggf. m i t welchen anderen als den i n Satz 3 ausdrücklich ausgeschlossenen Maßnahmen i n Notstandssituationen gegen Arbeitskämpfe vorgegangen werden darf, ist der N o r m gerade nicht zu entnehmen. Wie hier Isensee, Beamtenstreik, S. 28 Fußn. 6.
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2. Teil: I n h a l t u n d Auswirkungen des A r t . 9 I I I 3 GG
machten Erfahrungen m i t einer „réquisition collective" zeigen sehr k l a r 2 0 3 , wie wenig m i t einer allgemeinen Dienstverpflichtung erreicht werden kann, wenn die betroffenen Arbeitnehmer sie nicht befolgen wollen. Infolgedessen ist es sinnvoll und vernünftig, wenn A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG die gegen einen Streik gezielte Verhängung allgemeiner Dienstverpflichtungen von vornherein unterbindet. Von der Sache her würden allgemeine Dienstverpflichtungen ungeeignete Maßnahmen darstellen, die außerdem auch noch den Nachteil hätten, i n politisch-psychologischer Hinsicht höchst ungünstig auf die Streikenden, auf die Gewerkschaften und auf den aus Arbeitnehmern bestehenden Teil der Gesamtbevölkerung zu w i r k e n 2 0 4 . I m Gegensatz zur allgemeinen Dienstverpflichtung könnten selektive Dienstverpflichtungen, die nur einzelne Personen (etwa wichtige Gewerkschaftsfunktionäre oder betriebliche Vertrauensleute) erfassen, von großer „Durchschlagskraft" sein und zur Beeinträchtigung von Streiks führen. Dasselbe gilt für die (allgemeine oder selektive) Einziehung von Streikteilnehmern oder anderen wichtigen Personen zur Bundeswehr, zum Bundesgrenzschutz (Art. 12 a Abs. 1) oder zum Ersatzdienst (Art. 12 a Abs. 2) wie auch für den Einsatz polizeilicher oder militärischer Gewalt gemäß A r t . 87 a Abs. 4, 91 GG. Wenn trotz der offensichtlichen „ W i r k samkeit", die derartige Maßnahmen bei einer gezielten Verwendung gegen Streiks haben könnten, ein gezielter Einsatz gegen arbeitsrechtliche Arbeitskämpfe durch die Arbeitskampfschutzklausel ausdrücklich untersagt w i r d — und zwar ohne Rücksicht auf die objektiven Auswirkungen des arbeitsrechtlichen Arbeitskampfes —, dann bedeutet dies eine Beschränkung staatlicher Machtmittel, die dem freiheitlichen, demokratischen und sozialen Rechtsstaat angemessen ist. I n Anwendung eines Wortes von Evers 2 0 5 läßt sich sagen, das Grundgesetz gehe mit einem gewissen „resignierenden Gleichmut und Optimismus" davon aus, daß bei Arbeitskämpfen, m i t denen die sozialen Gegenspieler Ziele auf dem Gebiete des Arbeitslebens verfolgen, eine Lösung der streitigen Fragen auch ohne Einsatz der „wirksamsten" M i t t e l staatlicher Gewalt erzielt werden kann.
203 V
g L F u ß n . 21. Die „réquisition collective" der französischen Bergbauarbeiter i m Jahre 1963 führte statt zu einer Wiederaufnahme der Arbeit zu einer Verlängerung des ursprünglich kürzer geplanten Ausstandes u n d zu zahlreichen Sympathiestreiks. S. Fußn. 21. 205 AöR 91 (1966), S. 28 f. Evers gebraucht dieses Wort allerdings nicht i m Zusammenhang m i t der Arbeitskampfproblematik, sondern bei der U n t e r suchung der i n A r t . 91, 91a des Benda-Entwurfs vorgesehenen allgemeinen Regelung des Einsatzes v o n Polizei u n d Streitkräften. 204
I. Abschn.: Z u r Auslegung des neuen A r t . 9 I I I 3 GG
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7. Beschränkung des Schutzes auf Arbeitskämpfe der Koalitionen nach Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG Der neue Satz 3 des Art. 9 Abs. 3 GG schützt nur diejenigen Arbeitskämpfe vor den aufgezählten Maßnahmen, die von Vereinigungen im Sinne des Satzes 1 geführt werden. Damit beschränkt sich der Schutz auf die von Koalitionen organisierten Arbeitskämpfe. I n den parlamentarischen Beratungen war diese Beschränkung der Schutzklausel von Anfang an fast unstreitig. Bereits der erste Vorschlag einer Arbeitskampfschutzklausel, den der Bundesrat i n seiner Stellungnahme zum Schröder-Entwurf (1960) machte, sah einen Schutz nur derjenigen Arbeitskämpfe vor, die von Vereinigungen i m Sinne des A r t . 9 Abs. 3 GG geführt werden 2 0 6 . Ohne größere Diskussionen wurde diese Beschränkung auch i n den späteren Beratungen akzeptiert. Alle i m Bundestag vertretenen Parteien richteten ihr Augenmerk speziell darauf, den gewerkschaftlichen Streik zu schützen; eine Einbeziehung auch des nicht-gewerkschaftlichen Streiks i n eine etwaige Schutzklausel wurde — je nach Standpunkt — entweder als unzweckmäßig oder zumindest als nicht notwedig erachtet. I n der 3. und 4. Legislaturperiode hatte vor allem die sozialdemokratische Opposition nachdrücklich gefordert, von jeder Möglichkeit der Beschränkung gewerkschaftlicher Streiks 2 0 7 abzusehen; dabei betonte die SPD stets, Einschränkungen des Streikrechts für Notstandssituationen und auch Vorkehrungen gegen einen etwaigen Mißbrauch des Streikrechts seien gerade deshalb sachlich entbehrlich, w e i l die Gewerkschaften Garanten dafür seien, daß vom Streikrecht nicht i n einer Weise Gebrauch gemacht werde, die zu einer Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Ordnung führen würde 2 0 8 . Diese Argumentation 2 0 9 fand i m Laufe der 4. Wahlperiode auch bei den anderen Fraktionen Zustimmung und blieb auch i n den Beratungen des 5. Bundestages bestimmend 2 1 0 . 206 BT-Drs. 1800 (3. WP.), S. 7; s. oben Erster Teil, I. Abschnitt, Fußn. 28. 207
Wie sie gemäß A r t . 115a Abs. 4 des Schröder-Entwurfs möglich gewesen wäre, vgl. oben Erster Teil, I. Abschnitt, Fußn. 23 - 25 u n d den T e x t dazu. 208 Vgl. etwa Abg. Dr. F. Schäfer (SPD), 124. Sitzg. des 3. B T v. 28. 9. 1960, Sten. Ber. S. 7182 (C, D); Abg. Dr. Ad. Arndt, ebd., S. 7194 (C, D); Stellv. SPDVors. Wehner i n einer E r k l ä r u n g v. 24.10.1962 (s. oben Erster Teil, I. Abschnitt, Fußn. 64 u n d den T e x t dazu); Abg. Leber, 56. Sitzg. des 4. B T v. 24. 1. 1963, Sten. Ber. S. 2511, 2513; ferner SPD-Abg. Lohmar, i n : Nemitz (Hrsg.), N o t standsrecht u n d Demokratie, S. 49; F. Schäfer, Notstandsgesetze, S. 125. 209 Sie entspricht der Überlegung, die das B A G i n seiner Grundsatzentscheidung zum w i l d e n Streik angestellt hat: Wilde Streiks seien u. a. deshalb nicht sozialadäquat u n d rechtswidrig, w e i l allein unter der Kontrolle der Gewerkschaften die Gewähr bestehe, daß v o n Streiks n u r i n vertretbarem U m fang Gebrauch gemacht w i r d , B A G E 15, 174 (194) = A P A r t . 9 GG Arbeitskampf Nr. 32. 210 Innerhalb der S P D - F r a k t i o n w u r d e n auch v o n denjenigen Abgeordneten, die gegen die Notstandsverfassung stimmten, keinerlei Bedenken gegen die
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2. T e i l : I n h a l t u n d A u s w i r k u n g e n des A r t . 9 I I I 3 GG
A u c h w e n n der verfassungsändernde Gesetzgeber m i t der Beschränk u n g der S c h u t z k l a u s e l a u f A r b e i t s k ä m p f e der V e r e i n i g u n g e n i m S i n n e des A r t . 9 A b s . 3 Satz 1 G G v o r a l l e m die n i c h t - g e w e r k s c h a f t l i c h e n oder „ w i l d e n " 2 1 1 S t r e i k s a u s z u n e h m e n beabsichtigte, so ist doch eine e i n d e u t i g e F i x i e r u n g dieser A b s i c h t i m W o r t l a u t des Satzes 3 n i c h t e r f o l g t . D e r n i c h t - g e w e r k s c h a f t l i c h e S t r e i k ist n u r d a n n v o m Schutz des Satzes 3 ausg e n o m m e n , w e n n m a n a l l e i n die dauerhafte K o a l i t i o n , i m F a l l e des S t r e i k s also die G e w e r k s c h a f t , als eine V e r e i n i g u n g i m S i n n e des A r t . 9 A b s . 3 Satz 1 G G ansieht, dagegen d e n n i c h t a u f D a u e r a n g e l e g t e n Z u s a m menschluß (die V e r a b r e d u n g ) v o n A r b e i t n e h m e r n z u m Z w e c k e eines S t r e i k s n i c h t u n t e r d e n verfassungsrechtlichen B e g r i f f „ V e r e i n i g u n g " s u b s u m i e r t . Dies i s t z w a r die h e u t e w o h l herrschende L e h r e 2 1 2 . Jedoch s t a n d u n d s t e h t dieser herrschenden A u f f a s s u n g eine G e g e n m e i n u n g geg e n ü b e r , die auch solche Zusammenschlüsse oder V e r a b r e d u n g e n v o n A r b e i t n e h m e r n als V e r e i n i g u n g e n i m S i n n e des A r t . 9 A b s . 3 Satz 1 G G ansieht, die l e d i g l i c h z u r D u r c h f ü h r u n g eines S t r e i k s oder e i n e r a n d e r e n E i n z e l a k t i o n e r f o l g e n 2 1 3 . V o m S t a n d p u n k t dieser z w e i t e n A u f f a s s u n g aus Beschränkung der Schutzklausel auf gewerkschaftliche Streiks (und den damit beabsichtigten Ausschluß w i l d e r Streiks) vorgebracht. 211 Die Begriffe „nicht-gewerkschaftlich" u n d „ w i l d " werden hier — der üblichen Terminologie entsprechend — synonym gebraucht; irgend eine zusätzliche Kennzeichnung oder eine Wertung soll m i t dem Gebrauch des Wortes „ w i l d " nicht verbunden werden. — U m einen vermuteten negativen Beigeschmack zu vermeiden u n d angesichts der Tatsache, daß die letzten größeren w i l d e n Streiks i m Herbst 1969 dem äußeren Erscheinungsbild nach keineswegs „ w i l d " waren, w i r d neuerdings oft von „spontanen Arbeitsniederlegungen" statt von „ w i l d e n Streiks" gesprochen. F ü r die Beibehaltung der „eingebürgerten" Bezeichnung w i l d e r Streik Löwisch/Hart je, R d A 1970, S. 321 Fußn. 2. Hiergegen Ramm, A r b u R 1971, S. 65 Fußn. 1. 212 Vgl. etwa Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, S. 129; G. Müller, i n : J u risten-Jahrbuch 10 (1969/70), S. 128 ff.; Nipperdey, i n : Hueck/Nipperdey, Lehrbuch I I / l , S. 82 f. (unter Aufgabe der i n der 6. A u f l . vertretenen gegenteiligen Ansicht); v. Münch, Bonner Kommentar, Zweitbearbeitung, Rdnr. 121, 155 zu A r t . 9; Schnorr, Vereinsrecht, Erl. 4, 15 zu §16 VereinsG, S. 238 f., 254. Dietz, i n : Die Grundrechte I I I / l , S. 427, ist zwar der Meinung, Vereinigungen i. S. des A r t . 9 Abs. 3 GG müßten nicht dauerhaft sein, läßt aber die Teilnahme an einem w i l d e n Streik nicht genügen; gemeinschaftliches Handeln allein begründe noch keine Koalition, dazu sei vielmehr der Zusammenschluß zu einem irgendwie einheitlichen Verband erforderlich. Verfassungsrechtlich nicht eindeutig, aber doch i n Richtung der h M B A G A P A r t . 9 GG Arbeitskampf Nr. 32 = B A G E 15,174 (193 f.). 213 So v o r allem Ramm, Arbeitskampf u n d Gesellschaftsordnung, S. 188 f.; ders., A r b u R 1964, S. 361; R d A 1968, S. 413 ff., 416 (mit einer ausf. Schilderung der historischen Entwicklung, die gegen die Gleichsetzung des verfassungsrechtl. Begriffs der Vereinigung m i t dauerhafter K o a l i t i o n spricht); sowie A r b u R 1971, S. 97 ff.; ferner Nikisch, Arbeitsrecht I I , S. 2, 119 f.; Radke, Der Gewerkschafter 1965, S. 35; Reuß, i n : Arbeitsrecht der Gegenwart, Bd. 1, S. 146, 149 f. u n d i n : Juristen-Jahrbuch 4 (1963/64), S. 172; Weller, A r b u R 1967, S. 80; auch noch Nipperdey, i n : Hueck/Nipperdey, Lehrbuch I I , 6. Aufl. 1967, S. 57 (anders i n der 7. A u f l . 1967, Bd. I I / l , S. 82 f.). Auch Kaiser, Der politische Streik, S. 16 ff., 24, lehnt aus verfassungsrechtl. Sicht ein Streikmonopol der Gewerkschaften u n d die Illegalisierung des w i l d e n Streiks ab.
I. Abschn.: Z u r Auslegung des neuen A r t . 9 I I I 3 G G
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fallen auch wilde Streiks unter den Schutz des neuen Satzes 3. Da der verfassungsändernde Gesetzesgeber keine Entscheidung für die Richtigkeit der einen oder anderen Auffassung getroffen hat, erstreckt sich diese schon bisher bestehende Streitfrage nunmehr auch auf den Inhalt des neu eingefügten Satzes 3 2 1 4 . Während bezüglich der Arbeitskampfform „Streik" auch nach der Ergänzung des A r t . 9 Abs. 3 GG durch einen neuen Satz 3 offen bleibt, ob der verfassungsrechtliche Begriff „Vereinigungen" eng (nur dauerhafte Koalitionen) oder weit (auch ad-hoc-Zusammenschlüsse der Arbeitnehmer zu einem Streik) auszulegen ist, und folglich auch offen bleibt, ob die Schutzklausel nicht-gewerkschaftliche Streiks mit umfaßt oder nicht, besteht für die Arbeitskampfform „Aussperrung" insoweit keine Unklarheit. Der neue Satz 3 sieht nur für diejenigen Aussperrungen einen Schutz vor den aufgeführten Maßnahmen vor, die von einem Arbeitgeberverband organisiert werden. Dabei ist es gleichgültig, ob es sich u m eine von vornherein geplante und abgesprochene Aussperrung oder um eine „ad-hoc"-Beteiligung des Arbeitgeberverbandes handelt. Wichtig ist nur, daß der Verband überhaupt i n die Führung des Arbeitskampfes eingeschaltet ist. Die ohne Beteiligung eines Arbeitgeberverbandes durchgeführte Aussperrung durch einen oder mehrere Arbeitgeber w i r d dagegen nicht von der Schutzklausel erfaßt 2 1 5 . Der i n Satz 3 verwendete Begriff „Vereinigungen i m Sinne des Satzes 1" ist identisch mit dem schon bisher i n A r t . 9 Abs. 3 Satz 1 GG enthaltenen Begriff „Vereinigungen zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen" 216 . Insoweit ergeben sich aus der Ergänzung des A r t . 9 Abs. 3 GG keine neuen Aspekte. Der rein negativen Aussage des A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG, wonach sich bestimmte Maßnahmen nicht gegen Arbeitskämpfe der Vereinigungen i m 214 So auch v. Barby, A r b u R 1968, S. 269 f. (sub 3 d bb); Zeuner, RdA 1971, S. 4; treffend Mayer-Maly, B B 1967, S. 1127, der — f ü r den insoweit gleichliegenden A r t . 91 Abs. 4 RegE 1967 — feststellte, die N o r m über den Arbeitskampf i m Notstand sei auch i m Hinblick auf den Streit über den verfassungsrechtl. Begriff der Vereinigung m i t allen Unklarheiten belastet, die derzeit dem Arbeitskampfrecht anhafteten. 215 So auch A. Hueck, R d A 1968, S. 430; Nipperdey/Säcker, i n : Hueck/Nipperdey, Lehrbuch II/2, S. 916 f.; a. A . — trotz des eindeutigen Wortlauts des Satzes 3 — G. Müller, i n : Juristen-Jahrbuch 10 (1969/70), S. 126 u n d Rüthers, D B 1968, S. 1950; letzter weist allerdings m i t Recht darauf hin, daß die Frage deshalb ohne große praktische Bedeutung ist, w e i l einmal Aussperrungen u m Firmentarife selten vorkommen u n d zum andern auch die auf ein einziges Unternehmen beschränkte Aussperrung von einem Arbeitsgeberverband geführt werden kann; es ist lediglich erforderlich, daß der betreffende A r b e i t geber M i t g l i e d des zuständigen Arbeitgeberverbandes ist oder w i r d , der dann die auf dieses Unternehmen beschränkte Aussperrung trägt. 216 Z u r Auslegung s. v. Münch, Bonner Kommentar, Zweitbearbeitung, Rdnr. 119 - 135 zu A r t . 9 m. w. H i n w . ; vgl. ferner Text zu Fußn. 145.
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2. T e i l : I n h a l t u n d Auswirkungen des A r t . 9 I I I 3 GG
Sinne des Satzes 1 richten dürfen, ist i m übrigen zur allgemeinen verfassungsrechtlichen, arbeits- und deliktsrechtlichen Bewertung des wilden Streiks nichts zu entnehmen. Insoweit bleiben der bisherige Rechtszustand und die dazu vertretenen unterschiedlicher Auffassungen 217 unberührt, insbesondere auch die praktisch bedeutsame Streitfrage, ob der wilde Streik eo ipso i n arbeits- und deliktsrechtlicher Hinsicht rechtsw i d r i g ist oder nicht 2 1 8 . I n verfassungsrechtlicher Sicht ist es ferner unzulässig, aus Satz 3 i m Wege des Umkehrschlusses herauslesen zu wollen, wilde Streiks seien verfassungswidrig oder stellten einen Fall des inneren Notstandes dar. Derartige Thesen 219 sind — ebenso wie die bereits geschilderten unzutreffenden Umkehrschlüsse zum politischen Streik 2 2 0 — bereits zu A r t . 91 Abs. 4 des Regierungsentwurfs 1967 221 (und dem gleichlautenden A r t . 91 Abs. 6 des Benda-Entwurfs) 2 2 2 erhoben worden 2 2 3 . Indessen ließ schon die damalige Schutzklausel weder den Umkehrschluß zu, wilde Streiks seien ein Fall des inneren Notstandes 224 , noch den etwas anders liegenden Umkehrschluß, die Absätze 1 - 3 des damals vorgesehenen A r t . 91 seien bei wilden Streiks anzuwenden. Logisch gesehen stellte die Schutzklausel des A r t . 91 Abs. 4 des Regierungsentwurfs 1967 keine Ausnahme-, son217 Vgl. dazu v o r allem Ramm, A r b u R 1964, S. 353 ff. (zur verfassungsrechtl. Wertung S. 360ff.); ders., Arbeitskampf u n d Gesellschaftsordnung, S. 187ff. u n d A r b u R 1971, S. 65 ff., 97 ff.; Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, S. 129 ff.; Kaiser, Der politische Streik, S. 16 f.; Bydlinski, ÖZöffR 9 (1958/59), S. 546ff.; Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 365 ff. (mit dem interessanten Versuch einer verfassungsrechtl. Neuorientierung). 218 Vgl. dazu außer den i n Fußn. 217 Genannten B A G v. 20. 10. 1963, B A G E 15, 174 (191 ff.) = A P A r t . 9 GG Arbeitskampf Nr. 32 m i t zust. A n m . MayerMaly; B A G v o m 21. 10. 1969, N J W 1970, S. 486 f. = A P A r t . 9 GG Arbeitskampf Nr. 41; Löwisch/Hart je, R d A 1970, S. 321 ff.; Neumann-Duesberg, B B 1963, S. 1444 f.; Weitnauer, D B 1970, S. 1639 ff., 1687 ff. A n der v o n Rspr. u n d h L angenommenen Rechtswidrigkeit jedes w i l d e n Streiks jüngst zweifelnd Rüthers, i n : Die Zeit Nr. 39/1969 v. 26. 9. 1969, S. 28 sowie i n zwei eindringenden u n d differenzierenden Untersuchungen D B 1970, S. 2120 ff. u n d JZ 1970, S. 625 ff. 219 Sie spielten i n der außerparlamentarischen Diskussion u m die Notstandsverfassung bis zuletzt eine erhebliche Rolle. 220 Vgl. oben Kap. 5. 22 * BT-Drs. V/1879 (s. Fußn. 150). 222 BT-Drs. IV/3494 (s. oben Erster Teil, I. Abschnitt, Text zu Fußn. 152). 223 Vgl. etwa Ramm, A r b u R 1967, S. 40, der — unter insoweit unzutreffender Berufung auf Evers, AöR 91 (1966), S. 201 — behauptete, die Schutzklausel des A r t . 91 Abs. 6 des Benda-Entwurfs lasse den Umkehrschluß zu, jeder nichtgewerkschaftliche Streik sei als innerer Notstandsfall anzusehen; ebenso i n : Hofmann/Maus (Hrsg.), Notstandsordnung, S. 96; dagegen m i t Recht Benda, ebd., S. 102. 224 Denn A r t . 91 Abs. 4 des RegE bestimmte nicht etwa, daß Arbeitskämpfe der gekennzeichneten A r t k e i n F a l l des inneren Notstandes seien, sondern erklärte n u r die Absätze 1 - 3 f ü r unanwendbar. Unzutreffend daher auch die Behauptung bei Ver, Requiem, S. 35, der w i l d e Streik werde „ v o n vornherein illegalisiert".
I. Abschn.: Z u r Auslegung des neuen A r t . 9 I I I 3 GG
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dern eine „Bestätigungs-" oder „Bestärkungsnorm" dar, i n der die Voraussetzungen („Arbeitskämpfe der Vereinigungen i m Sinne des A r t . 9 Abs. 3 GG") nicht notwendige, sondern nur hinreichende Bedingung der Rechtsfolgen („die Absätze 1 - 3 des A r t . 91 finden keine Anwendung") waren 2 2 5 . Aus logischen Gründen waren die erwähnten Umkehrschlüsse auf den wilden Streik daher unzulässig. Dieses Ergebnis gilt auch für die schließlich Gesetz gewordene A r beitskampfschutzklausel des A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG. Durch die Herausnahme der Klausel aus den Regeln betreffend den inneren Notstand ist die früher vielleicht naheliegende, wenn auch logisch nicht haltbare Argumentation gegenstandslos geworden, schon aus dem systematischen Zusammenhang ergebe sich, daß der Gesetzgeber wilde Streiks als einen Fall des inneren Notstands ansehe. Auch andersartige Umkehrschlüsse, nämlich auf die Verfassungswidrigkeit des wilden Streiks oder auf die Anwendbarkeit der i n A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG aufgeführten Maßnahmen 2 2 6 , sind nicht möglich. Denn auch der neue Satz 3 hat keinen Ausnahmecharakter, die Voraussetzungen („Arbeitskämpfe der Vereinigungen i m Sinne des Satzes 1") sind nicht notwendige, sondern hinreichende Bedingungen der Rechtsfolge („Maßnahmen dürfen sich nicht richten"), so daß ein Umkehrschluß auf nicht-gewerkschaftliche Streiks unzulässig ist. Aus A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG kann weder geschlossen werden, daß wilde Streiks verfassungswidrig seien 227 , noch, daß gegen sie die i n Satz 3 aufgeführten Maßnahmen anzuwenden seien. A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG ist bezüglich des wilden Streiks nicht mehr zu entnehmen, als daß wilde Streiks nicht von der Schutzklausel erfaßt werden, also nicht den besonderen Schutz vor den aufgeführten Maßnahmen genießen 228 — und auch dies kann nur derjenige entnehmen, der als „Vereinigungen i m Sinne des Satzes 1" lediglich die auf Dauer angelegten Koalitionen, also die Gewerkschaften, gelten lassen w i l l . Über die nega225 v g l z u r logischen Seite oben S. 144/145. So v. Barby, A r b u R 1968, S. 270; Wahsner, i n : Sterzel (Hrsg.), K r i t i k , S. 61; Rajewsky, Arbeitskampfrecht, S. 81; besonders massiv Hannover, B l ä t ter 1968, S. 571 f. (s. Fußn. 166); w o h l auch E. Stein, Lehrbuch, S. 268. 227 Insoweit ist die Lage vergleichbar m i t der schon seit langem bestehenden Rechtslage i n den Bundesländern, deren Verfassung ein Streikrecht der Gewerkschaften anerkennt (Art. 29 Abs. 4 Hess. Verfassung, A r t . 66 Abs. 3 V e r fassung v o n Rheinland-Pfalz). M i t Recht ist darin n u r eine zusätzliche P r i v i legierung, ein besonderer Schutz des gewerkschaftlichen Streiks gesehen u n d der unhaltbare Umkehrschluß abgelehnt worden, w i l d e Streiks seien rechtsw i d r i g ; vgl. L A G Frankfurt, R d A 1950, S. 429; Bydlinski, ÖZoffR 9 (1958/59), S. 546; Ramm, A r b u R 1964, S. 353 m. w . Nachw.; i m Ergebnis allerdings a. A . B A G A P A r t . 9 GG Arbeitskampf Nr. 32 = B A G E 15,174 (193 f.). 228 Diese Feststellung ist nicht m i t dem (abgelehnten) Umkehrschluß, die i n A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG aufgeführten Maßnahmen seien gegen w i l d e Streiks anzuwenden, gleichzusetzen. E i n derartiger Umkehrschluß w ü r d e eine neue u n d selbständige logische Operation darstellen, vgl. Fußn. 169. 226
11 Glückert
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2. Teil: I n h a l t u n d A u s w i r k u n g e n des A r t . 9 I I I 3 GG
tive Feststellung, daß wilde Streiks nicht erfaßt werden, hinaus besagt die neue Klausel zum Problem des wilden Streiks nichts 2 2 9 . Offen bleibt insbesondere, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen mit Maßnahmen nach A r t . 12 a (etwa Dienstverpflichtungen) oder nach A r t . 87 a Abs. 4, 91 GG gegen wilde Streiks vorgegangen werden darf; Art. 9 Abs. 3 Satz 3 GG untersagt zwar die Verwendung derartiger Maßnahmen gegen wilde Streiks nicht, jedoch ist damit — und das ist entscheidend — noch lange nicht gesagt, daß der Einsatz dieser M i t t e l zulässig sei. Auch sonst ist dem neuen Satz 3 per argumentum e contrario zur allgemeinen verfassungsrechtlichen, arbeits- und deliktsrechtlichen Problematik des wilden Streiks nicht zu entnehmen 2 3 0 . Die Verfassungsänderung hat an der bisher bestehenden Rechtslage nichts geändert und nicht i n den Streit der Meinungen eingegriffen. 8. Schutz nur für rechtmäßige Arbeitskämpfe? A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG schützt nach seinem Wortlaut alle Arbeitskämpfe, die zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen von Vereinigungen i m Sinne des Satzes 1 geführt werden, vor gezielter Beeinträchtigung durch die aufgezählten Maßnahmen. Obw o h l die Arbeitskampfschutzklausel keinerlei Differenzierung zwischen „rechtmäßigen" und „rechtswidrigen" 2 3 1 Arbeitskämpfen enthält, ist Rüthers 2 3 2 der Ansicht, A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG gewährleiste nur rechtmäßige Arbeitskämpfe; Arbeitskämpfe, die nicht den i n Wissenschaft und Praxis entwickelten Rechtmäßigkeitskriterien entsprechen, würden da-
229 Unzutreffend A. Hueck, R d A 1968, S. 432, der i n A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG eine „Bestätigung" der Ansicht sieht, unter Vereinigungen i. S. d. A r t . 9 Abs. 3 GG seien n u r Arbeitgeberverbände u n d Gewerkschaften, nicht dagegen bloße Verabredungen zum Zwecke der Arbeitsniederlegung zu verstehen; damit sei es ausgeschlossen, w i l d e Streiks als durch A r t . 9 Abs. 3 gerechtfertigt anzusehen. — Es ist nicht ersichtlich, w o r i n die von Hueck konstatierte „Bestätigung" — das müßte doch w o h l eine positive Aussage oder Stellungnahme sein — liegen soll. Wie Hueck auch Löwischl Hart je, R d A 1970, S. 324 Fußn. 26 (ohne Begründung) u n d Weitnauer, D B 1970, S. 1640 (unter Berufung auf die — v o n i h m nicht näher dargelegte — Entstehungsgeschichte, die jedoch zur Auslegung des verfassungsrechtl. Begriffs „Vereinigungen" i n A r t . 9 Abs. 3 GG gerade nichts hergibt). 230 So auch Zeuner, R d A 1971, S. 4; Ramm, A r b u R 1971, S. 78 u n d B A G , Beschl. v. 9. 7. 1968, B B 1968, S. 1119 f. = D B 1968, S. 1715 f. Anders A. Hueck, R d A 1968, S. 432, u n d Weitnauer, D B 1970, S. 1640. Gegen beide Zeuner, R d A 1971, S. 4. — Unzutreffend die Feststellung v. Barbys, A r b u R 1968, S. 270, der Gesetzgeber habe den w i l d e n Streik „besonders m i ß b i l l i g t " , da i h m gerade dieses Vorgehen „als besonders gefährlich" erschienen sei. 231 Z u m Begriffspaar „rechtmäßig — rechtswidrig" u n d zur Terminologie der Begriffe „ l e g i t i m — illegitim", „legal — illegal" s. Brox!Rüthers, Arbeitskampfrecht, S. 51 ff.
I. Abschn.: Z u r Auslegung des neuen A r t . 9 I I I 3 GG
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gegen nicht unter die Schutzklausel fallen 2 3 2 . Diese Auffassung ist jedoch weder mit der Entstehungsgeschichte noch m i t dem Wortlaut des neuen Satzes 3 vereinbar. I n den parlamentarischen Beratungen hat man sich sehr wohl m i t der Frage befaßt, ob die vorgesehene Schutzklausel allein solche Arbeitskämpfe erfassen solle, die zusätzlich zu den beiden Kriterien „Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen" und „Arbeitskämpfe der Vereinigungen nach A r t . 9 Abs. 3 Satz 1" auch noch die übrigen von der herrschenden arbeitsrechtlichen Lehre und Rechtsprechung entwickelten Rechtmäßigkeitskriterien erfüllen, oder ob auch sozialinadäquate oder aus sonstigen Gründen rechtswidrige Arbeitskämpfe geschützt werden sollten. A n der Arbeitskampfschutzklausel des A r t . 91 Abs. 4 des Regierungsentwurfs 1967 war von gewerkschaftlicher Seite und von anderen Gegnern der Notstandsverfassung kritisiert worden, daß diese Klausel nur den „rechtmäßigen" oder „legitimen" Streik erfasse, nicht dagegen den sozialinadäquaten und deshalb rechtswidrigen Streik; damit sei die Schutzklausel entwertet 2 3 3 . Andererseits vertrat auch ein Fachmann aus dem Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung, Regierungsdirektor Dr. Leder, i n einem Aufsatz i m regierungsamtlichen Bulletin die Ansicht, A r t . 91 Abs. 4 des Regierungsentwurfs 1967 schütze solche Streiks nicht, die verfassungswidrig, strafbar oder sonst rechtswidrig seien 234 . Innerhalb der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion stieß die Auffassung Leders, strafbare oder sonst rechtswidrige Streiks würden von der Schutzklausel nicht umfaßt, auf erheblichen Widerspruch 2 3 5 ; auch die gewerkschaftliche Befürchtung, der nichtsozialadäquate Streik sei von der Schutzklausel ausgenommen, wurde als unzutreffend erachtet 236 . Immerhin bestand zwischen den gewerkschaftlichen K r i t i k e r n und der SPD-Bundestagsfraktion eine tendenzielle Übereinstimmung darüber, daß eine Schutzklausel, die sich nur auf sozialadäquate Streiks beziehe, unzureichend sei. Angesichts der Tatsache, daß der von Rechtsprechung und herrschender Lehre entwickelte Maßstab der Sozialadäquanz innerhalb der SPD seit jeher auf Ablehnung oder zumindest auf erhebliche Vorbehalte stieß 237 , bildete die Ausklam232 D B 1968, S. 1951 f. Ebenso H. Klein, Der Staat 8 (1969), S. 373 Fußn. 54 und Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 38. 233 So etwa die Schrift „Notstandsentwurf '67", hrsg. v. Vorstand der I G Metall, S. 32; vgl. ferner oben Erster Teil, I I . Abschnitt, Fußn. 85, 95, 122 und den Text dazu. 234 BullBReg. Nr. 67 v. 27.6.1967, S. 577; auch i n : BAB1. 1967, S. 256 und RdA 1967, S. 322. 235 Kritisch zu Leder auch Mayer-Maly, B B 1967, S. 1127. 236 Vgl. die SPD-Schrift „ Z u r Sache", hrsg. v. Vorstand der SPD, S. 161 ff. (1967). 237 Vgl. die Feststellung des SPD-Fraktionsvors. Helmut Schmidt i n der 178. Sitzg. des 5. B T v. 30. 5. 1968, Sten. Ber. S. 9644 (D): „ . . . w i r (Sozialdemokra-
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2. Teil: I n h a l t u n d Auswirkungen des A r t . 9 I I I 3 GG
merung der Sozialadäquanzproblematik aus der geplanten verfassungsrechtlichen Arbeitskampfschutzklausel einen wichtigen Bestandteil des Kompromisses, der i m Problemkreis „Streik und Notstandsverfassung" schließlich zwischen den Regierungsfraktionen (CDU/CSU und SPD) zustande kam. Die i m einzelnen schwierig zu beurteilenden und i n der Wissenschaft umstrittenen Fragen der arbeits- und deliktsrechtlichen Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit von Arbeitskämpfen sollten ausgeklammert bleiben und die auf dem Gebiete des Verfassungsrechts zu treffende eigenständige Regelung über den Schutz von Arbeitskämpfen vor bestimmten Maßnahmen i n keiner Weise berühren. Diese gesetzgeberische Absicht hat voll und ganz ihren Niederschlag i m neuen Satz 3 des Art. 9 Abs. 3 GG gefunden. Der Wortlaut der Vorschrift läßt keinen Raum für die Annahme, nicht-sozialadäquate oder aus sonstigen Gründen rechtswidrige Streiks fielen nicht unter die Schutzklausel 238 . I m übrigen haben die geschilderten Überlegungen, die während der Entstehung der Schutzklausel eine wesentliche Rolle spielten, auch nach Inkrafttreten der Vorschrift ihre Berechtigung behalten: Gerade w e i l die Fragen der arbeitsrechtlichen Rechtmäßigkeit von Streiks i n Rechtsprechung und Wissenschaft umstritten sind und die Grenze zwischen rechtmäßigem und rechtswidrigem arbeitsrechtlichen Streik nur schwer zu ziehen ist, muß die Schutzklausel auch rechtswidrige arbeitsrechtliche Streiks umfassen. Denn sonst bestünde die Gefahr, daß die Exekutive zunächst einmal m i t den i n Satz 3 aufgeführten Maßnahmen gegen unerwünschte Streiks vorgeht und dabei dann auch solche Streiks beeinträchtigt oder unterbindet, die i m Nachhinein bei genauerer Betrachtung nicht mehr als arbeitsrechtlich rechtswidrig bezeichnet werden können oder bei denen die arbeitsrechtliche Beurteilung doch mindestens umstritten b l e i b t 2 3 8 a . A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG schützt also, sofern nur die beiden i n der Vorschrift statuierten Voraussetzungen „Arbeitskampf zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen" sowie „Arbeitskampf einer Vereinigung i m Sinne des Satzes 1" erfüllt sind, auch tarifvertragswidrige, betriebsverfassungswidrige, nichtsozialadäquate und strafbare Arbeitskämpfe 2 3 9 . Auch amtswidrige, d. h. gegen das Beamtenten) haben die ausgetüftelte Lehre von der Sozialadäquanz immer für völlig überflüssig gehalten." 238
Wie hier v. Barby, A r b u R 1966, S. 270 (sub b cc); Nipperdey/Säcker, in: Hueck/Nipperdey, Lehrbuch II/2, S. 917, 1668 (Nachtrag zu S. 977); Säcker, Grundprobleme, S. 87. 238a Die Problematik ist ähnlich w i e bei der Frage einsweiliger Verfügungen gegen Streiks; vgl. dazu Zeuner, R d A 1971, S. 1 ff., insbes. 8. 239 So auch Hoffmann, i n : Sterzel, (Hrsg.), K r i t i k , S. 102, der zutreffend bemerkt, selbst grob rechtswidrige Arbeitskämpfe sowie solche, die gegen einstweilige Verfügungen verstießen, stellten keinen Anwendungsfall der A r t . 87 a Abs. 4, 91 GG dar.
I. Abschn.: Z u r Auslegung des neuen A r t . 9 I I I 3 GG
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recht verstoßende Streiks fallen unter den Schutz des A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 G G 2 4 0 . M i t der Feststellung, daß auch derartige rechtswidrige Streiks unter die Arbeitskampfschutzklausel fallen, ist allerdings — dies sei zur Vermeidung von Mißverständnissen nochmals betont — nur gesagt, daß gegen diese Streiks nicht gezielt m i t Maßnahmen nach A r t . 12 a, 35 Abs. 2 und 3, 87 a Abs. 4 und 91 GG vorgegangen werden darf. Mehr als diese Beschränkung staatlicher Machtmittel ergibt sich aus der Arbeitskampfschutzklausel zunächst nicht 2 4 1 ; insbesondere beseitigt sie nicht die Rechtswidrigkeit eines Streiks, die sich aus einem Verstoß gegen das Betriebsverfassungsgesetz, das Beamtenrecht, das Strafrecht, gegen den Tarifvertrag oder aus sonstigen arbeitsrechtlichen Gesichtspunkten 242 ergibt. 9. Reichweite und Grad des Schutzes Die i n Satz 3 des A r t . 9 Abs. 3 GG aufgeführten Maßnahmen dürfen sich nicht gegen Arbeitskämpfe der bezeichneten A r t richten. M i t den Worten „dürfen sich n i c h t . . . richten" w i r d eine Regelung über die Reichweite und den Grad des Schutzes, den Arbeitskämpfe der gekennzeichneten A r t genießen sollen, getroffen. 9.1 Schutz nur vor gezielten Beeinträchtigungen Der Gebrauch der finalen Wendung „dürfen sich nicht . . . richten" läßt erkennen, daß A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG nicht jede Beeinträchtigung von Arbeitskämpfen durch die aufgeführten Maßnahmen untersagt, sondern offenbar einen Unterschied zwischen den gezielten und den bloß indirekten Beinträchtigungen macht. Diese Frage soll i m folgenden untersucht werden. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hatte sich i n der Schlußphase der Beratungen i m 5. Bundestag zunächst dafür eingesetzt, statt der Formulierung „dürfen sich nicht gegen Arbeitskämpfe richten" die Worte „dürfen Arbeitskämpfe (bzw. Streiks) nicht behindern" oder
240 Darauf machte f ü r A r t . 91 Abs. 4 RegE 1967 schon Mayer-Maly, B B 1967, S. 1127, aufmerksam. 241 Zutreffend B A G Beschl. v. 9. 7. 1968, B B 1968, S. 1119 f. = D B 1968, S. 1715 f. 242 Allerdings ist bei A n w e n d u n g der unterhalb der Verfassung stehenden Normen des Beamten-, Straf- u n d Arbeitsrechts auf Streiks stets zu prüfen, ob diese Normen ihrerseits m i t der Verfassung, insbesondere m i t der i n A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG garantierten Streikfreiheit, i m Einklang stehen.
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2. T e i l : I n h a l t u n d A u s w i r k u n g e n des A r t . 9 I I I 3 GG
„ . . . nicht beeinträchtigen" zu verwenden 2 4 3 . Diese Forderung stieß jedoch bei der CDU/CSU auf Widerstand; die Unionsparteien hielten die Formulierung für zu eng, da sie jede, auch die bloß mittelbare — nicht gegen einen Arbeitskampf gezielte, aber i h n unbeabsichtigterweise berührende — Maßnahme untersage. Es könne, so wurde von Seiten der CDU/CSUFraktion argumentiert, unter Umständen notwendig sein, i n einem Spannungsfall i m Rahmen allgemeiner Maßnahmen zur Erhöhung der Verteidigungsbereitschaft auch solche Arbeitnehmer zum Wehrdienst einzuberufen oder zu zivilen Dienstleistungen heranzuziehen, die sich gerade i n einem arbeitsrechtlichen Streik befänden 244 . Obwohl die sozialdemokratische Fraktion eine so enge Auslegung der von ihr befürworteten Formulierung „dürfen . . . nicht beeinträchtigen" nicht für zwingend hielt 2 4 5 , akzeptierte sie schließlich die Wendung „dürfen sich nicht . . . richten", da es ihr i n erster Linie darauf ankam, gezielte Beeinträchtigungen auszuschließen. Die Formulierung „dürfen sich nicht . . . richten" i m neuen Satz 3 des Art. 9 Abs. 3 GG entspricht i n der Wortwahl den schon bisher i n Art. 9 Abs. 2 und i n Abs. 3 Satz 2 enthaltenen Formulierungen; auch dort w i r d das Verb „sich richten" gebraucht 246 . M i t dieser Formulierung untersagt die Arbeitskampfschutzklausel nur solche Beeinträchtigungen, die bewußt gegen Arbeitskämpfe der gekennzeichneten A r t gezielt sind. Es muß also eine bestimmte finale Steuerung, nämlich die Absicht der Beeinträchtigung eines Arbeitskampfes der gekennzeichneten A r t , vorliegen. Dabei kann sich die Absicht einmal darauf erstrecken, den A r beitskampf gänzlich unmöglich zu machen (etwa durch Einziehung eines Großteils der Streikteilnehmer oder — bei einem erst bevorstehenden Streik — der streikwilligen Arbeitnehmer zur Bundeswehr oder einem Zivilschutzverband). Es genügt aber auch schon die Absicht der Erschwerung oder einer sonstigen Beeinträchtigung des Arbeitskampfes, sofern diese Beeinträchtigung nicht so unerheblich ist, daß sie für Organisation und Ablauf des Arbeitskampfes ohne jede Bedeutung bleibt. Die Anwendung der i n A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG aufgeführten Maßnahmen ist dann unzulässig, wenn sie gezielt mit der Absicht der Beeinträch-
243 Vgl. die fraktionsinternen Änderungsanträge der SPD-Abg. Gscheidle und Genossen v. 9. 1. 1968 (Hilfsantrag Ziff. 1 a) sowie v. 2. 5. 1968 (Antrag Ziff. 1), s. oben S. 91,97. 244 Vgl. Abg. Dr. Even (CDU/CSU), I A des BT, 93. Sitzg. v. 4. 4. 1968, Prot. S. 10. 245 Vgl. die fraktionsinternen Änderungsanträge der Abg. Gscheidle u n d Genossen v o m 2. 5.1968, Begründung zu A n t r a g Ziff. 1 (s. oben S. 98). 246 Z u r Auslegung des Begriffs „hierauf gerichtete Maßnahmen" i n Abs. 3 Satz 2 vgl. v. Münch, Bonner Kommentar, Zweitbearbeitung, Rdnr. 166 - 168 zu A r t . 9 m. w. H i n w . ; ferner Lerche, Zentralfragen, S. 94.
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tigung eines Arbeitskampfes der gekennzeichneten A r t unternommen wird. Dagegen ist eine unbeabsichtigte Behinderung von Arbeitskämpfen, die nur „bei Gelegenheit" der Durchführung der fraglichen Maßnahmen eintritt, bei der es aber an der Beeinträchtigungsabsicht (im Sinne einer motivierenden Erfolgsvorstellung) fehlt, nicht untersagt. Da es bei der Frage, ob eine Beeinträchtigung beabsichtigt ist oder nicht, u m die Feststellung einer „inneren" Tatsache geht — es kommt darauf an, was die verantwortlichen Personen innerhalb der Exekutive dabei geplant und gedacht haben —, w i r d man, sofern die Absicht der Behinderung des Arbeitskampfes nach den gegebenen Umständen nicht für jedermann offensichtlich ist, die Beantwortung i n der Regel etwa von folgenden K r i terien abhängig machen müssen: Werden die den Arbeitskampf objektiv beeinträchtigenden Maßnahmen allgemein durchgeführt (z. B. Einziehung von Wehrpflichtigen oder Dienstverpflichtungen i m gesamten Bundesgebiet oder zumindest i n einem größeren Bereich)? W i r d von offizieller Seite eine öffentliche Begründung für die Durchführung der Maßnahmen gegeben? Stellt die fragliche Maßnahme das geeignete und erforderliche M i t t e l zur Erreichung des angegebenen Ziels dar? Würde die Maßnahme auch ohne Bestehen des i m konkreten Fall objektiv beeinträchtigten Arbeitskampfes durchgeführt werden 2 4 7 ? Falls die A n t w o r t auf alle diese Fragen negativ ausfällt, kann daraus geschlossen werden, daß die i m konkreten Fall vorliegende Beeinträchtigung eines Arbeitskampfes beabsichtigt ist und somit unter das Verbot des A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG fällt. Nicht erforderlich ist, daß die Beeinträchtigung eines Arbeitskampfes das einzige Ziel ist, das m i t der Maßnahme verfolgt wird. Zwar ist Wahsner 248 der Ansicht, die Schutzklausel untersage nur solche Maßnahmen, deren alleiniges Ziel die Beeinträchtigung sei, jedoch spricht nichts für eine derartige Verengung des Wortlauts des Satzes 3. Gegen Arbeitskämpfe gerichtet (und damit unzulässig) ist eine Maßnahme auch dann, wenn — i m Sinne der strafrechtlichen Erkenntnis, daß es selten nur ein einziges Motiv, häufiger dagegen ein ganzes „Motivbündel" gibt — die Beeinträchtigung eines bestimmten arbeitsrechtlichen Arbeitskampfes nur ein Ziel neben anderen „unverdächtigen" Zielen ist. A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG untersagt die Beeinträchtigung von Arbeitskämpfen der gekennzeichneten A r t auch dann, wenn die Beeinträchtigung nur ein Nebenziel darstellt. Anders ist die Lage nur unter der Voraussetzung, daß die „unverdächtigen" Ziele, die i n A r t . 12 a, 35 Abs. 2 und 3, 87 a Abs. 4 und 91 GG 247
Vgl. A. Hueck, R d A 1968, S. 431 (Ii. Sp.). I n : Sterzel (Hrsg), K r i t i k , S. 61 f. Ebenso — unter Berufung auf WahsnerLenz, Notstandsverfassung, A n m . 11 zu A r t . 9 Abs. 3 u n d A n m . 37 zu A r t . 12 a. 248
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übrigens jeweils abschließend umrissen sind, nicht erreicht werden können, ohne daß zwangsläufig und unvermeidlich Arbeitskämpfe beeinträchtigt werden. I n diesem Falle würde sich die betreffende Maßnahme nicht gegen Arbeitskämpfe richten. Ist i m konkreten Fall zweifelhaft, ob etwa die Heranziehung zu Dienstleistungen gemäß A r t . 12 a Abs. 3 oder polizeiliche Maßnahmen nach Art. 91 GG auf die Behinderung eines A r beitskampfes abzielen (und damit unzulässig sind) oder ob die Behinderung nur eine unvermeidliche und unbeabsichtigte Nebenfolge ist, dann muß geprüft werden, ob die fragliche Maßnahme zur Erreichung des i n A r t . 12 a Abs. 3 bzw. A r t . 91 GG festgelegten Ziels erforderlich ist oder ob das Ziel nicht auch ohne Beeinträchtigung des Arbeitskampfes auf anderem Wege erreicht werden kann. Es genügt nicht, daß die Maßnahme geeignet ist, sie muß auch erforderlich sein. Nur wenn dies der Fall ist, muß die Beeinträchtigung des Arbeitskampfes als unvermeidliche Nebenfolge angesehen werden, die vom Verbot des A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG nicht getroffen wird. 9.2 Schutz für Arbeitskampfe im Durchführung^ - und Vorbereitungsstadium Dem Schutz des Satzes 3 unterliegen i n erster Linie Arbeitskämpfe der gekennzeichneten A r t , die bereits stattfinden, die sich also i m Stadium der Durchführung befinden. Geschützt werden darüber hinaus aber auch solche Arbeitskämpfe, die sich erst i m Vorbereitungsstadium befinden. Allerdings w i r d zu fordern sein, daß die Vorbereitungen für den A r beitskampf nach außen h i n erkennbar sind, wie das z. B. bei der Urabstimmung über einen Streik regelmäßig der Fall ist. Teilweise w i r d schon die Urabstimmung über einen Streik oder sogar die Verlautbarung des Beschlusses einer Gewerkschaft, eine Urabstimmung durchzuführen, verbunden m i t der Empfehlung, für den Streik zu stimmen, als eine Maßnahme des Arbeitskampfes angesehen 249 . Folgt man dieser Auffassung, dann gilt die Schutzklausel des Satzes 3 unmittelbar auch für die Vorbereitungen eines Streiks oder sogar schon für entsprechende Verlautbarungen. Aber selbst wenn man Kampfhandlungen außerhalb eines Streiks oder einer Aussperrung nicht i n den Begriff „Arbeitskampf" aufnehmen w i l l , ergibt sich aus Sinn und Zweck der Schutzklausel, daß ein zielgerichteter Einsatz der i n A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG aufgezählten Maßnahmen gegen einen unmittelbar bevorstehenden Streik ebenfalls untersagt ist. Gerade w e i l ein prophylaktischer Einsatz u. U. besonders w i r k sam und bequem wäre, muß davon ausgegangen werden, daß die Schutzklausel, soll sie nicht ihren Sinn verfehlen, Arbeitskämpfe nicht erst i m 249
Vgl. dazu oben Zweiter Teil, I. Abschnitt, Fußn. 81 - 83 u n d den T e x t dazu.
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Durchführungsstadium, sondern schon vorher erfaßt. Dies ist vor allem für arbeitsrechtliche Streiks wichtig, denen i n aller Kegel umfangreiche und zeitraubende Vorbereitungen vorangehen 250 . 9.3 Keine Abstufungen des Schutzes je nach der inneren und äußeren Lage A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG enthält schließlich keine Abstufung des Schutzes je nach A r t und Grad der jeweils gegebenen innerstaatlichen oder außenpolitischen Lage. Das ist einerseits für diejenigen der i n Satz 3 aufgeführten Maßnahmen von Bedeutung, deren Anwendung nicht erst i m Verteidigungsfall oder i m inneren Notstand (Art. 91 GG), sondern bereits i n der inneren und äußeren Normallage möglich ist: vor allem die Maßnahmen nach A r t . 12 a Abs. 1 und 2 (Heranziehung zur Bundeswehr, zum Bundesgrenzschutz oder zum Ersatzdienst) sowie nach A r t . 12 a Abs. 5 GG (Ausbildungsveranstaltungen) können und sollen bereits i n der Normallage durchgeführt werden 2 5 1 . Eine gezielte Behinderung von Arbeitskämpfen etwa durch Einziehung maßgeblicher Personen zur Bundeswehr ist i n der innerstaatlichen und außenpolitischen „Normalsituation" genauso verboten wie i m inneren Notstand, i m Spannungsfall oder i m Verteidigungsfall. Andererseits ist hervorzuheben, daß der i n Satz 3 vorgesehene Schutz für Arbeitskämpfe auch nicht geringer wird, je intensiver die durch äußere oder innere Ereignisse hervorgerufene Gefahr für die staatliche Existenz oder die Verfassungsordnung w i r d 2 5 2 . Auch i m Verteidigungsfall bleibt der Schutz des Satzes 3 bestehen, wobei allerdings offen ist, ob es i m Verteidigungsfall überhaupt zu arbeitsrechtlichen Arbeitskämpfen käme 2 5 3 . 250 Beschluß der Gewerkschaft zur Einleitung des Streiks; Beschluß der Gewerkschaft zur Durchführung der Streik-Urabstimmung ihrer Mitglieder; A u f forderung an die Mitglieder, zu bestimmten Terminen zur Urabstimmung zu kommen; Genehmigung des Streikbeschlusses durch den Hauptvorstand der Gewerkschaft; Streikbefehl an die Mitglieder; vgl. Bulla, D B 1959, S. 545; Söllner, Arbeitsrecht, S. 67. 251 Vgl. oben Zweiter Teil, I. Abschnitt, Kap. 1 (sub 1.1.1,1.1.2 u n d 1.1.5). 252 Dies bedeutet freilich nicht, daß Arbeitskämpfe überhaupt keinen Regelungen oder auch Einschränkungen unterworfen werden könnten, vgl. Fußn. 199, 200 u n d den Text dazu. „Absoluten" Schutz genießen arbeitsrechtl. A r beitskämpfe lediglich v o r den i n A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG aufgeführten Maßnahmen. 253 I n den Hearings zur geplanten Notstandsverfassung bestand eine w e i t gehende Übereinstimmung darüber, daß i m Verteidigungsfall m i t Arbeitskämpfen, insbesondere m i t Streiks, nach aller Wahrscheinlichkeit nicht zu rechnen sei, s. oben Erster Teil, I I . Abschnitt, Fußn. 151 u n d den Text dazu. Bedenkenswert allerdings der Hinweis des Abg. Matthöf er (SPD), 5. Informationssitzg., v. 14. 12. 1967, Prot. S. 12, daß i m Verteidigungsfall Streiks zur Förderung der Arbeits- u n d Wirtschaftsbedingungen unwahrscheinlich seien,
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2. Teil: I n h a l t und Auswirkungen des A r t . 9 I I I 3 GG
10. Die Adressaten der Schutzklausel Die Arbeitskampfschutzklausel des A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG richtet sich i n erster Linie an die Exekutive. Gebunden sind all diejenigen Exekutivorgane des Bundes und der Länder, die je nach den einschlägigen Vorschriften des Bundes- u n d Landesrechts für die Durchführung der Maßnahmen nach A r t . 12 a, 35 Abs. 2 und 3, 87 a Abs. 4 und 91 GG zuständig sind. Die Arbeitskampfschutzklausel richtet sich ferner an die Exekutive i n ihrer Eigenschaft als Verordnungsgeber. Wenn und soweit der (einfache) Gesetzgeber — i n Frage käme vor allem der Bundesgesetzgeber — nähere Regelungen über die i n A r t . 12 a, 35 Abs. 2 u n d 3, 87 a Abs. 4 und 91 GG vorgesehenen Maßnahmen treffen und dabei für bestimmte Einzelfragen eine Ermächtigung zum Erlaß von Rechtsverordnungen i n das Gesetz aufnehmen würde, müßte der jeweils bezeichnete Verordnungsgeber die Arbeitskampfschutzklausel beachten 254 . Unzulässig wären Rechtsverordnungen, die die Beeinträchtigung von Arbeitskämpfen der gekennzeichneten A r t zum Ziel hätten (z. B. eine RechtsverOrdnung, die zur Bekämpfung eines zwar arbeitsrechtlichen, aber dennoch unerwünschten Streiks für die Streikteilnehmer oder betriebsfremde Dritte Dienstverpflichtungen gemäß A r t . 12 a Abs. 3 GG vorsehen 2 5 5 oder diesen Personenkreis zu Ausbildungsveranstaltungen nach A r t . 12 a Abs. 5 GG verpflichten würde). Die Schutzvorschrift des A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG richtet sich schließlich auch an den (Bundes- und Landes-)Gesetzgeber. Soweit zur näheren Regelung der i n A r t . 12 a, 35 Abs. 2 und 3, 87 a Abs. 4 und 91 GG vorgesehenen Maßnahmen Ausführungsgesetze notwendig oder möglich sind, hat der (einfache) Gesetzgeber die Unzulässigkeit der gezielten Beeinträchtigungen von Arbeitskämpfen der gekennzeichneten A r t zu beachten. Unzulässig wäre — u m ein theoretisches Beispiel zu bilden — eine Bestimmung i m Wehrpflichtgesetz, wonach i m Falle eines größeren arbeitsrechtlichen Streiks alle streikenden Arbeitnehmer, soweit sie der Wehrpflicht unterliegen, zu Wehrübungen heranzuziehen seien. Entsprechendes gilt für das Gesetz über den zivilen Ersatzdienst, das Arbeitssicherstellungsgesetz und andere Gesetze, i n denen die i n A r t . 12 a GG für zulässig erklärten Beschränkungen der Berufsfreiheit geregelt werden.
nicht unbedingt auch Streiks zur Wahrung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen, da ein privater Arbeitgeber u. U. versuchen könnte, durch Verschlechterung der Arbeitsbedingungen seine Gewinnsituation zu verbessern. 254 Vgl. Wilke, DVB1.1969, S. 919. 255 Die Dienstverpflichtung i n ein Arbeitsverhältnis würde als solche das Streikrecht freilich nicht berühren, vgl. unten I I I . Abschnitt.
Zweiter
Abschnitt
Folgerungen aus Art. 9 Abs. 3 Satz 3 GG 1. Verfassungsgesetzliche Grundentscheidung für die Schutzwürdigkeit von Arbeitskämpfen Der neue Satz 3 des A r t . 9 Abs. 3 GG stellt eine verfassungsgesetzliche Grundentscheidung für die Schutzwürdigkeit bestimmter Arbeitskämpfe dar. Arbeitskämpfe, die zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen von Vereinigungen i m Sinne von A r t . 9 Abs. 3 Satz 1 geführt werden, sind vor gezielter Beeinträchtigung durch bestimmte Exekutivmaßnahmen verfassungsrechtlich geschützt. Bei den in Frage stehenden Exekutivmaßnahmen handelt es sich u m Maßnahmen, die vom Grundgesetz selbst an anderer Stelle für zulässig erklärt werden 1 . Indem die Verfassung die gezielte Anwendung derartiger Maßnahmen gegen Arbeitskämpfe der gekennzeichneten A r t ausschließt, t r i f f t sie — über die rein negative Aussage hinaus — eine wichtige Entscheidung zugunsten dieser Arbeitskämpfe: Sie werden als schutzwürdig und damit gleichzeitig auch als verfassungsrechtlich zulässig anerkannt. Denn der i n A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG vorgesehene Schutz könnte nicht ausgesprochen werden, wenn Arbeitskämpfe der gekennzeichneten A r t verfassungswidrig wären oder ihre verfassungsrechtliche Qualifikation auch nur zweifelhaft wäre. Das Anerkenntnis der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit arbeitsrechtlicher Arbeitskämpfe der Koalitionen ist — logisch gesehen — Voraussetzung des i n Satz 3 ausgesprochenen Schutzes vor Maßnahmen, die vom Grundgesetz selbst an anderer Stelle vorgesehen sind. Das Grundgesetz geht nunmehr i n klar erkennbarer Weise davon aus, daß es die gesellschaftliche und rechtliche Einrichtung „Arbeitskämpfe" gibt. Durch den neuen Satz 3 des A r t . 9 Abs. 3 GG w i r d diese Einrichtung i m positiven Sinne anerkannt und gewährleistet 2 . 1
Vgl. dazu oben Zweiter Teil, I. Abschnitt, Kap. 1 (sub 1.5). Lerche , Zentralfragen, S. 89, meint, durch A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG werde implizite gesagt, Arbeitskämpfe seien „prinzipiell verfassungsrelevant". Ä h n lich V. H. Lohse, Streik u n d Staatsnotstand, S. 64: „Die Ergänzung geht . . . von einem bestehenden, verfassungsrechtlich garantierten Streikrecht aus." Bayer, DÖV 1970, S. 117: „Durch die . . . Verfassungsnovelle . . . ist die alte Streitfrage, ob die Vereinigungsfreiheit das Streikrecht i n sich schließt, bekanntlich endgültig zu Gunsten derer entschieden worden, die seit eh u n d je für seine ver2
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2. Teil: I n h a l t u n d A u s w i r k u n g e n des A r t . 9 I I I 3 GG
A n dieser Stelle ist freilich eine Differenzierung erforderlich. Lerche 3 hat jüngst darauf aufmerksam gemacht, daß das Anerkenntnis der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit von Arbeitskämpfen noch nicht gleichzusetzen ist m i t einer verfassungsrechtlichen Garantie des Arbeitskampfes i n dem Sinne, daß die Zulassung von Arbeitskämpfen vom Grundgesetz „gewissermaßen erzwungen w i r d " 4 und entgegenstehende Normen der sonstigen Rechtsordnung (etwa ein generelles Aussperrungsverbot wie i n A r t . 29 Abs. 5 der Hessischen Verfassung) verfassungsw i d r i g und nichtig sind. Wenn die Verfassung Arbeitskämpfe als zulässig anerkennt, dann kann das auch nur eine „einfache" Zulassung i n dem Sinne sein, daß Arbeitskämpfe nach Maßgabe der sonstigen verfassungsmäßigen Rechtsordnung zugelassen sind 5 . Es ist Lerche 6 darin zuzustimmen, daß sich der Schutzbereich des neuen Satzes 3 des A r t . 9 Abs. 3 GG nicht nur auf jenen Teil der Arbeitskämpfe erstreckt, die vom Grundgesetz garantiert (im Sinne von „erzwungen") werden, sondern auch auf die bloß legalen, d. h. durch die sonstige Rechtsordnung „zugelassenen" Arbeitskämpfe. Schutzobjekt des A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG ist sowohl der verfassungsgarantierte als auch der bloß legale Arbeitskampf, ohne daß die neue Vorschrift etwas darüber aussagt, ob und inwieweit der bloß legale Arbeitskampf zugleich ein verfassungsgesetzlich garantierter (d. h. erzwungener) Arbeitskampf ist. Man w i r d deshalb nicht i m Wege des Rückschlusses folgern können, der neue Satz 3 des A r t . 3 Abs. 3 GG enthalte eine Garantie des Arbeitskampfes i n dem Sinne, daß der Arbeitskampf vom Grundgesetz „erzwungen" w i r d und entgegenstehende Vorschriften der sonstigen Rechtsordnung (z. B. ein generelles Aussperrungsverbot) nichtig sind; zumindest wäre ein solcher Schluß allein aus dem neuen Satz 3 nicht zwingend 7 . Z w i n g e n d i s t dagegen die S c h l u ß f o l g e r u n g , daß m i t der i n A r t . 9 A b s . 3 Satz 3 G G g e t r o f f e n e n E n t s c h e i d u n g f ü r die S c h u t z w ü r d i g k e i t b e s t i m m t e r A r b e i t s k ä m p f e m i n d e s t e n s die Zulässigkeit dieser A r b e i t s k ä m p f e v e r fassungsrechtliche Anerkennung eingetreten sind." Ä h n l i c h auch Däubler, Der Streik i m öffentlichen Dienst, S. 72: Echterhölter, B B 1969, S. 242; van Gelderl Leinemann, A r b u R 1970, S. 5; Maunz, i n : Maunz/DüriglHerzog, GG A r t . 9 Rdnr. 136; G. Müller, i n : Juristen-Jahrbuch 10 (1969/70), S. 151 f.; Nipperdey/ Säcker, i n : Hueck/Nipperdey, Lehrbuch II/2, S. 916 f.; Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 38 f. — Dagegen w o l l e n 17. Baur, Der politische Streik, S. 63 f. und Ramm, Koalitions- u n d Streikrecht, S. 20 ff.; A r b u R 1971, S. 77 f., aus dem neuen Satz 3 keinerlei Folgerungen auf die allgemeine Beurteilung des A r 3 Zentralfragen, S. 91, 93. beitskampfes ziehen. 4 Zentralfragen, S. 91. 5 Dies verkennen G. Müller, ebd., u n d Nipperdey/Säcker, ebd. 6 Zentralfragen, S. 91. Wie Lerche neuerdings Isensee, Beamtenstreik, S. 29. 7 Lerche, Zentralfragen, S. 93, m e r k t allerdings richtig an, daß sich eine Garantie bestimmter Teile des Arbeitskampfes aus anderen Vorschriften des GG ergeben könnte.
I I . Abschn.: Folgerungen aus A r t . 9 I I I 3 GG
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fassungsrechtlich anerkannt ist. Stellt dieses Anerkenntnis der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit auch keine Garantie i m oben beschriebenen Sinne dar, so handelt es sich doch u m mehr als ein Anerkenntnis des bloßen „Nicht-Verboten-Seins" von Arbeitskämpfen. Wenn A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG Arbeitskämpfe, die zur Wahrung und Förderung der Arbeitsund Wirtschaftsbedingungen von Koalitionen durchgeführt werden, ausdrücklich gegen gezielte Beeinträchtigungen durch bestimmte, i m Grundgesetz selbst vorgesehene Maßnahmen schützt, dann w i r d damit zum Ausdruck gebracht, daß diese Arbeitskämpfe nicht nur nicht verboten sind, die Verfassung ihnen auch nicht „neutral" gegenüber steht 8 , sondern daß es sich u m einen gesellschaftlichen und rechtlichen Sachverhalt handelt, den das Grundgesetz als schutzwürdig ansieht und dem es daher positiv gegenüber steht. I n diesem Sinne mag es doch gerechtfertigt sein, von einer grundsätzlichen Gewährleistung der Einrichtung „arbeitsrechtlicher Arbeitskämpfe der Koalitionen" zu sprechen. Arbeitskämpfe dieser A r t werden von der Verfassung positiv anerkannt und i n prinzipieller Weise gewährleistet 9 .
2. Institutionelle Garantie der Arbeitskampffreiheit Die Erklärung der Schutzwürdigkeit bestimmter Arbeitskämpfe i n A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG ist eine i n dieser Form neue Grundentscheidung des Grundgesetzes. I m folgenden soll geprüft werden, ob und ggf. welche Auswirkungen diese Grundentscheidung auf bisher umstrittene verfassungsrechtliche Fragen hat. A m neuen Satz des A r t . 9 Abs. 3 GG ist zunächst die früher herrschende und auch heute noch weit verbreitete Auffassung zu messen, Arbeitskämpfe, auch solche arbeitsrechtlichen Charakters, seien vom Grundgesetz weder geschützt noch als Einrichtung gewährleistet, sondern als Ausfluß der allgemeinen Handlungsfreiheit des A r t . 2 Abs. 1 GG oder auch nur als Folge des Fehlens eines verfassungsgesetzlichen Verbots allenfalls zulässig 10 . Diese Auffassung, die man ungeachtet zahlreicher 8 E t w a w i e Bulla, R d A 1962, S. 8 formulierte: „Es g i l t K a m p f freiheit, die auch v o m Grundgesetz i n neutraler Anerkennung der soziologischen Gegebenheiten respektiert w i r d . . . " (Hervorhebung v. Verf.). 9 Offen bleibt dabei freilich, ob alle herkömmlichen Formen des Arbeitskampfes — Streik, Aussperrung u n d Boykott — als gleichrangig anerkannt werden oder i n gleicher Weise als zulässig anzusehen sind, vgl. oben Zweiter Teil, I. Abschnitt, Kap. 3. 10 Vgl. etwa Bulla, R d A 1962, S. 8 f.; Dietz, i n : Grundrechte I I I / l , S. 460, 463, u n d i n : Weber/Scheuner/Dietz, Koalitionsfreiheit, S. 100 f., 106 f.; JuS 1968, S. 3 f.; Kaiser, Der politische Streik, S. 15; Löffler, N J W 1962, S. 1601; Lochow, Problematik, S. 68 ff.; v. Mangoldt/Klein, G G I , A n m . V I I 2 zu A r t . 9, S. 333; Neumann-Duesberg, JR 1954, S. 443 u n d A n m . zu B A G A P § 2 T V G Nr. 13, Bl. 68; Richardi, R d A 1966, S. 247; Scheuner, i n : Weber! Scheunerl Dietz, K o a l i -
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2. T e i l : I n h a l t u n d A u s w i r k u n g e n des A r t . 9 I I I 3 GG
M e i n u n g s u n t e r s c h i e d e d e r e i n z e l n e n A u t o r e n 1 1 d a h i n zusammenfassen k ö n n t e , daß A r b e i t s k ä m p f e , insbesondere S t r e i k s , v o n der V e r f a s s u n g l e d i g l i c h nicht verboten seien, w u r d e schon v o r der E r g ä n z u n g des A r t . 9 A b s . 3 G G b e s t r i t t e n ; nach e i n e r v o n z a h l r e i c h e n A u t o r e n v e r t r e t e n e n n e u e r e n G e g e n m e i n u n g e n t h i e l t das G r u n d g e s e t z schon b i s h e r eine i n stitutionelle Gewährleistung der A r b e i t s k a m p f - u n d der Streikfreiheit, d e r e n K e r n b e r e i c h f ü r d e n Gesetzgeber u n a n t a s t b a r s e i 1 2 . F r e i l i c h w a r e n sich auch die V e r t r e t e r dieser G e g e n m e i n u n g n i c h t i n a l l e n P u n k t e n e i n i g ; M e i n u n g s v e r s c h i e d e n h e i t e n b e s t a n d e n insbesondere i n der Frage, ob die i n s t i t u t i o n e l l e G a r a n t i e der A r b e i t s k a m p f f r e i h e i t d e m G r u n d r e c h t der K o a l i t i o n s f r e i h e i t ( A r t . 9 A b s . 3 GG), d e m S o z i a l s t a a t s p r i n z i p ( A r t . 20 A b s . 1, 28 A b s . 1 Satz 1 GG) oder e i n e r V e r b i n d u n g b e i d e r z u e n t n e h m e n sei — eine Frage, a u f die sogleich noch n ä h e r e i n z u g e h e n sein w i r d . tionsfreiheit, S. 69 f.; Wernicke, Bonner Kommentar, Erstbearbeitung, A n m . I I 3 zu A r t . 9. — Nicht ganz klar, jedoch w o h l auch i n dieser Richtung Benda, Notstandsverfassung und Arbeitskampf, S. 9 ff., 15 ff.; Nikisch, Arbeitsrecht I I , S. 104 f.; Promberger, Arbeitskampf u n d Einzelarbeitsvertrag, S. 14 f. — Das B A G hat i n seiner grundlegenden Entscheidung v. 28. 1. 1955, A P A r t . 9 GG Arbeitskampf Nr. 1 = B A G E 1, 291 (298 f.) die Auffassung vertreten, A r t . 9 Abs. 3 GG schütze n u r die Koalitionsabrede, nicht die Koalitionsmittel u n d garantiere deshalb das Streikrecht nicht; an späterer Stelle läßt das Gericht aber ausdrücklich offen, „ob ein verfassungsmäßiges Streikrecht, insbesondere i m Hinblick auf A r t . 2 Abs. 1 GG, oder ein subjektives Recht zum Streik überhaupt zu bejahen ist oder nicht. I m U r t . v. 20.12.1963, A P A r t . 9 GG Arbeitskampf Nr. 32 = B A G E 15, 174 (193) meint das Gericht, das Streikrecht sei i m GG zwar nicht ausdrücklich anerkannt, gleichwohl sei sein Bestehen nicht bestritten. 11 Recht unterschiedliche Meinungen bestehen z. B. über die praktisch hoch bedeutsame Frage, w i e w e i t der Gesetzgeber die Arbeitskampffreiheit einschränken darf. F ü r ein beliebiges Einschränkungsrecht des Gesetzgebers (bis h i n zum generellen Streikverbot) sind etwa eingetreten: Dietz, i n : Die G r u n d rechte I I I / l , S. 463 (anders später i n : Weberl Scheunerl Dietz, Koalitionsfreiheit, S. 106f.); v. MangoldtlKlein, ebd. (Fußn. 10); Neumann-Duesberg, JR 1954, S. 443 u n d A n m . zu B A G A P § 2 Nr. 13, Bl. 68. Die übrigen i n Fußn. 10 genannten Autoren w o l l e n die gesetzgeberischen Eingriffe ihrerseits an gewisse Grenzen binden u n d halten v o r allem ein generelles Streikverbot f ü r unzulässig. Die Vertreter dieser Variante nähern sich i m Ergebnis der Gegenmeinung, die dem GG eine institutionelle Garantie der Arbeitskampffreiheit entn i m m t (wie Dietz, JuS 1968, S. 4, ausdrücklich bemerkt). 12 Vgl. etwa Brecht, Arbeitskampf u n d Verfassung, S. 82 ff.; Brox, i n : FS Nipperdey (1965), Bd. I I , S. 63; BroxlRüthers, Arbeitskampfrecht, S. 41 ff.; Dommack, Streikrecht, S. 107; Evers, Arbeitskampffreiheit, S. 17; Lauschke, Notarbeiten, S. 26 f.; Lerche, Zentralfragen, S. 34 (insbes. Fußn. 119), 42 ff.; V. H. Lohse, Streik u n d Staatsnotstand, S. 72 ff., 81; Nipperdey, i n : Hueckl Nipperdey, Lehrbuch I I , 6. Aufl. 1957, S. 37, 615 u n d Lehrbuch I I / l , 7. Aufl. 1967, S. 46, 140 ff.; Reuß, i n : Arbeitsrecht der Gegenwart, Bd. 1, S. 160 f. u n d Juristen-Jahrbuch 4 (1963/64), S. 165; Rüthers, Streik u n d Verfassung, S. 72 f.; Schnorr, Vereinsrecht, Erl. 8 zu § 16 VereinsG, S. 245 f.; W. Weber, Koalitionsfreiheit, S. 35 f.; Wedler, Das Grundrecht auf Streik, S. 122 f., 133; ferner PStS Benda namens der Bundesregierung, 2. Informationssitzg. v. 16. 11. 1967, Prot. S. 19; vgl. auch die Diskussion i n der 5. Informationssitzg. v. 14. 12. 1967, Prot. S. 21 f. Ä h n l i c h auch Löwisch, R d A 1962, 315 (Ii. Sp.) u n d 1966, S. 45; v. Münch, Bonner Kommentar, Zweitbearbeitung, Rdnr. 155 zu A r t . 9 GG.
I I . Abschn.: Folgerungen aus A r t . 9 I I I 3 G G
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Zunächst ist festzustellen, daß m i t der Aufnahme der Arbeitskampfschutzklausel i n die Verfassung diejenige Auffassung eine Bestätigung erfahren hat, die davon ausgeht, das Grundgesetz enthalte eine institutionelle Garantie der Arbeitskampffreiheit (Einrichtungsgarantie) 13 . Die i m neuen Satz 3 des A r t . 9 Abs. 3 GG enthaltene Entscheidung für die Schutzwürdigkeit arbeitsrechtlicher Arbeitskämpfe der Koalitionen unterstützt deutlich die Annahme, daß der Arbeitskampf als rechtlich relevante und zu schützende Einrichtung von der Verfassung grundsätzlich anerkannt und garantiert w i r d 1 4 . Damit bleibt allerdings die schwierige und praktisch wichtige Frage offen, wo die Grenzen der Arbeitskampffreiheit liegen oder — andersherum ausgedrückt — wie weit der für den Gesetzgeber unantastbare Kernbereich geht 1 5 . Zu der weiteren Frage, ob mit der institutionellen Garantie der Arbeitskampffreiheit auch ein (subjektives) Recht zum Streik und zur Aussperrung gewährleistet wird, soll i m folgenden Kapitel Stellung genommen werden 1 6 . Die Aufnahme des neuen Satzes 3 i n A r t . 9 Abs. 3 GG berührt auch noch einen weiteren verfassungsrechtlich umstrittenen Punkt, nämlich die Frage, wo die Garantie der Arbeitskampffreiheit ihren Sitz hat — i n A r t . 9 Abs. 3, i n A r t . 2 Abs. 1 (allgemeine Handlungsfreiheit), i n A r t . 20 Abs. 1 und 28 Abs. 1 GG (Sozialstaatsklausel) oder i n einer Verbindung dieser und anderer Vorschriften des Grundgesetzes. Nachdem nunmehr i n A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG das Wort „Arbeitskämpfe" ausdrücklich gebraucht und i n der neuen Vorschrift eine Entscheidung für die Schutzwürdigkeit bestimmter Arbeitskämpfe getroffen wird, spricht alles dafür, die Garantie der Arbeitskampffreiheit i n A r t . 9 Abs. 3 GG zu lokali13 F. Klein, i n : v. Mangoldt/Klein, G G I , Vorbem. A V I 3 b, plädiert unter Aufgabe früherer Auffassungen f ü r die V e r w e n d u n g des (Ober-)Begriffs „ E i n richtungsgarantie", da die U n t e r t e i l u n g i n „institutionelle Garantien" (Gewährleistung öffentl.-rechtl. Einrichtungen) u n d „ I n s t i t u t s g a r a n t i e n " (Gewährleistung privatrechtlicher Rechtsinstitute) wegen der i h r zugrunde liegenden anfechtbaren Unterscheidung v o n öffentlichem u n d p r i v a t e m Recht u n d aus anderen Gründen fragwürdig, überdies auch ohne Nutzeffekt sei. Z u s t i m m e n d Wedler, Das Grundrecht auf Streik, S. 60 f. 14 So ausdrücklich Senator Dr. Heinsen (Hamburg) als Berichterstatter des R A des BR, 326. Sitzg. des B R v. 14. 6.1967, Sten.Ber. S. 139 (A); ebenso Rüthers, D B 1968, S. 1950, 1952; Maunz, i n : MaunzlDüriglHerzog, GG, A r t . 9 Rdnr. 112, 136; G. Müller, i n : Juristen-Jahrbuch 10 (1969/70), S. 15 ff.; NipperdeylSäcker, i n : Hueck/Nipperdey, Lehrbuch II/2, S. 916; w o h l auch A. Hueck, R d A 1968, S. 431; Echterhölter D B 1969, S. 242; vgl. ferner Fußn. 2. — A . A . Säcker, G r u n d probleme, S. 82 u n d v. Barby, A r b u R 1968, S. 269 (Ii. Sp.). v. Barbys Berufung auf die Entstehungsgeschichte ist m . E. unzutreffend. 15 So auch Unterausschuß des R A des BR, Sitzg. v. 28./29. 5.1968, Prot. S. 4. Z u m Sachproblem s. insbes. W. Weber, Koalitionsfreiheit, S. 34 ff. u n d passim; Benda, Notstandsverfassung u n d Arbeitskampf, S. 8 ff., 27 ff.; Säcker, G r u n d probleme, S. 55 ff., 91 ff.; auch oben Z w e i t e r Teil, I. Abschnitt, Fußn. 199, 200 u n d den T e x t dazu. 16 s. unten Kap. 3.
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2. Teil: I n h a l t u n d A u s w i r k u n g e n des A r t . 9 I I I 3 GG
sieren, die A r b e i t s k a m p f f r e i h e i t also T e i l des i n A r t . 9 A b s . 3 Satz 1 G G g a r a n t i e r t e n K o a l i t i o n s r e c h t s z u b e t r a c h t e n 1 7 — eine A u f f a s s u n g , die auch schon v o r E i n f ü g u n g d e r A r b e i t s k a m p f s c h u t z k l a u s e l i n das Grundgesetz v e r t r e t e n w u r d e 1 8 u n d z u der sich v o r a l l e m das B V e r f G 1 9 b e k a n n t h a t . D i e G e g e n m e i n u n g , n a c h d e r die A r b e i t s k a m p f f r e i h e i t n u r e i n e n T e i l d e r allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) darstellt 20, hat m i t der E r g ä n z u n g des A r t . 9 A b s . 3 G G a n Ü b e r z e u g u n g s k r a f t v e r l o r e n . N u n m e h r i s t i n v e r s t ä r k t e m M a ß e d e r schon v o r I n k r a f t t r e t e n des n e u e n Satzes 3 g e t r o f f e n e n F e s t s t e l l u n g L e r c h e s 2 1 z u z u s t i m m e n , d e r R ü c k g r i f f a u f die a l l g e m e i n e H a n d l u n g s f r e i h e i t sei n i c h t n u r überflüssig, s o n d e r n angesichts der verfassungsgesetzlichen S u b s i d i a r i t ä t des A r t . 2 A b s . 1 G G durchaus u n z u l ä s s i g 2 2 . A u c h die v o n V . H . L o h s e 2 3 v e r t r e t e n e A u f f a s s u n g , die i n s t i t u t i o n e l l e G a r a n t i e des A r b e i t s k a m p f e s sei z w a r n i c h t i n A r t . 2 A b s . 1, aber auch n i c h t i n A r t . 9 A b s . 3 G G , s o n d e r n i m S o z i a l s t a a t s p r i n z i p ( A r t . 20 A b s . 1, 28 A b s . 1 Satz 2 G G ) e n t h a l t e n 2 4 , h a t nach d e r A u f n a h m e des n e u e n 17
So auch Bayer, D Ö V 1970, S. 117; Däubler, Der Streik i m öffentlichen Dienst, S. 73; A. Hueck, R d A 1968, S. 431; Isensee, Widerstandsrecht, S. 67 Fußn. 146; ders., Beamtenstreik, S. 23 f., 30; Maunz, i n : MaunzlDürigl Herzog, GG, A r t . 9 A n m . 112; Mayer-Maly, R d A 1970, S. 334 (Ii. Sp.); G. Müller, i n : Juristen-Jahrbuch 10 (1969/70), S. 152; Söllner, Arbeitsrecht, S. 70 f. 18 Vgl. etwa BroxlRüthers, Arbeitskampfrecht, S. 43 u n d Rüthers, Streik u n d Verfassung, S. 66 ff. (die allerdings auch noch die Sozialstaatsklausel m i t heranziehen); ferner Dommack, Streikrecht, S. 81 ff., 107; Evers, Arbeitskampffreiheit, S. 16 f.; Lauschke, Notarbeiten, S. 26 f.; Lerche, Zentralfragen, S. 42 ff.; Steindorff, J Z 1960, S. 582 f. Nicht k l a r Nipperdey, i n : Hueck/Nipperdey, Lehrbuch I I / l , 7. Aufl. 1967, S. 142 ff., u n d Grundriß, 4. Aufl. 1968, S. 282. Nipperdey geht zwar ebenfalls davon aus, daß die Arbeitskampffreiheit aus A r t . 9 Abs. 3 GG herzuleiten u n d als T e i l der Koalitionsfreiheit mitgeschützt sei, zieht jedoch daneben auch noch A r t . 2 Abs. 1 G G heran. Anders nunmehr — die Arbeitskampfgarantie allein aus A r t . 9 Abs. 3 GG herleitend — Nipperdey/ Säcker, Lehrbuch II/2, 7. Aufl. 1970, S. 914 ff. 19 BVerfGE 19, 303 (314). Z u r E n t w i c k l u n g der Rspr. des BVerfG vgl. Lauschke, Notarbeiten, S. 22 ff., u n d Säcker, Grundprobleme, S. 33 - 94. 20 So etwa Brecht, Arbeitskampf, S. 75 ff.; Dietz, i n : Die Grundrechte I I I / l , S. 463 u n d i n : Weberl Scheuner ¡Dietz, Koalitionsfreiheit, S. 106; Galperin, i n : FS Nipperdey (1965), B d . I I , S. 197; Löffler, N J W 1962, S.1601; Scheuner, i n : Weberl Scheunerl Dietz, Koalitionsfreiheit, S. 69 f.; Tillmann, Politischer Streik, S. 47 f. Nicht k l a r u n d uneinheitlich das B A G , vgl. B A G E 1, 291 (298 f.) = A P A r t . 9 GG Arbeitskampf Nr. 1; B A G E 15,174 (193 f. = A P A r t . 9 Arbeitskampf Nr. 32. 21 Zentralfragen, S. 45. 22 Wie Lerche auch BVerfGE 19, 303 (314); W. Weber, Koalitionsfreiheit, S. 35; Isensee, Beamtenstreik, S. 31. 23 Streik u n d Staatsnotstand, S. 50 ff., 62 ff., 81. 24 Z u r Begründung stützt sich Lohse (ebd., S. 54 ff.) — neben anderen A r g u menten — stark darauf, daß der Pari. Rat trotz eingehender Erörterung das Streikrecht nicht i n A r t . 9 GG aufnahm. W. Weber, Koalitionsfreiheit, S. 35 f., hat diese oft zu hörende Argumentation als „vordergründig" u n d „nicht stichhaltig" bezeichnet; Streik- u n d Aussperrungsfreiheit seien „historisch u n d aktuell so eng m i t der Tarifautonomie verbunden, daß es den Verhält-
I I . Abschn.: Folgerungen aus A r t . 9 I I I 3 GG
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Satzes 3 i n A r t . 9 Abs. 3 GG wenig für sich. Gerade die Tatsache, daß die Arbeitskampfschutzklausel nicht — wie ursprünglich vorgesehen — an Art. 91 (der Regelung des inneren Notstandes), sondern sehr bewußt an A r t . 9 Abs. 3 GG angefügt wurde, spricht dafür, die Einrichtungsgarantie des Arbeitskampfes i n der „zentralen Strukturnorm des Arbeits- und Wirtschaftslebens" 25 , nämlich i n A r t . 9 Abs. 3 GG, zu lokalisieren 26 . Zusammenfassend ist festzustellen: Die i m neuen Satz 3 des A r t . 9 Abs. 3 GG getroffene Grundentscheidung für die Schutzwürdigkeit arbeitsrechtlicher Arbeitskämpfe der Koalitionen stellt zugleich ein prinzipielles Anerkenntnis des Arbeitskampfes als einer gesellschaftlich vorhandenen und rechtlich relevanten (und zu schützenden) Erscheinung dar. I n grundrechtsdogmatischer Sicht ist damit die Auffassung bestätigt worden, A r t . 9 Abs. 3 GG enthalte eine institutionelle (oder Einrichtungs-) Garantie desjenigen Arbeitskampfes, der zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen von Koalitionen geführt wird. Derartige Arbeitskämpfe gehören zu den Betätigungen einer Koalition, die als Einrichtung verfassungsrechtlichen Schutz genießen und nicht dem beliebigen und unbeschränkten Zugriff des Gesetzgebers unterliegen. Damit ist freilich nichts zu der umstrittenen Frage gesagt, ob die Bereitschaft zum Arbeitskampf ein notwendiger Bestandteil des Koalitionsbegriffs oder Voraussetzung der Tariffähigkeit einer Koalition ist. Der neue Satz 3 des A r t . 9 Abs. 3 GG enthält zu diesem Problemkreis keine Aussage 27 . 3. Anerkennung eines subjektiven Rechts zum Streik und zur Aussperrung? I n Satz 3 des A r t . 9 Abs. 3 GG werden arbeitsrechtliche Arbeitskämpfe der Koalitionen ausdrücklich vor bestimmten Maßnahmen geschützt, nissen Gewalt antäte, sie aus dem Zusammenhang der Tarifautonomie (und der Koalitionsfreiheit) herauszulösen u n d sie i n ein anderes Grundrecht, n ä m lich A r t . 2 Abs. 1 GG zu verweisen". 25 Rüthers, Streik u n d Verfassung, S. 56. Ebenso BVerfGE 19, 303 (314). 26 Wie hier Däubler, Der Streik i m öffentlichen Dienst, S. 73 u n d Isensee, Beamtenstreik, S. 23 f. Überraschenderweise geht Lohse (Fußn. 23) i n seiner Untersuchung nicht auf die Frage ein, ob nicht gerade aus der Ergänzung des A r t . 9 Abs. 3 GG Folgerungen f ü r die Frage des Sitzes der Einrichtungsgarantie gezogen werden können. Lohse beschränkt sich auf die Feststellung (ebd., S. 64), daß die Ergänzung zwar „ v o n einem bestehenden, verfassungsrechtlich garantierten Streikrecht" ausgehe, daß sie jedoch nicht angebe, w e l chem Grundgesetzartikel dieses Streikrecht zu entnehmen sei. Offenbar m i ß t Lohse also dem systematischen Zusammenhang, i n dem die neue Arbeitskampfschutzklausel steht, keinerlei Bedeutung zu. Dies w i l l nicht recht überzeugen. 27 Vgl. zur Frage, ob die Arbeitskampfbereitschaft Voraussetzung der T a r i f fähigkeit ist, BVerfGE 18, 18 (verneinend); B A G E 12, 184 (bejahend); ferner Ramm, JuS 1966, S. 233ff.; Nipperdey, i n : Hueck/Nipperdey, Lehrbuch I I / l , S. 109,435, jeweils m. w . H i n w . zum Streitstand. 1
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2. T e i l : I n h a l t u n d A u s w i r k u n g e n des A r t . 9 I I I 3 GG
was — wie i m vorigen Kapitel dargelegt — eine eindeutige Garantie der Einrichtung „Arbeitskampf" darstellt. Dagegen enthält die Arbeitskampfschutzklausel ihrem Wortlaut nach keine Garantie eines Rechts zum Streik oder zur Aussperrung, weder i m Sinne eines subjektiv-öffentlichen Rechts des einzelnen, noch i m Sinne eines Gruppen-Grundrechts der Koalitionen. Der verfassungsändernde Gesetzgeber wollte die umstrittene Frage, ob — und ggf. welchen Trägern — ein subjektives Recht auf Arbeitskampf zustehe, bewußt offen lassen. I m Bericht des Rechtsausschusses w i r d ausdrücklich betont, der Ausschuß habe nicht die A b sicht, „hinsichtlich der allgemeinen verfassungsrechtlichen Beurteilung der Zulässigkeit von Arbeitskämpfen an dem geltenden Rechtszustand irgend etwas zu ändern" 2 8 . Dem Wortlaut des neuen Satzes 3 des A r t . 9 Abs. 3 ist daher weder etwas zu der Streitfrage zu entnehmen, ob das Streikrecht als subjektives öffentliches Recht des einzelnen und/oder als Gruppen-Grundrecht der Gewerkschaft verfassungsrechtlich garantiert ist 2 9 , noch zu den — ebenfalls streitigen — Fragen, ob die Verfassung ein Recht zur Aussperrung gewährleiste oder Aussperrungen zumindest zulasse 30 . Eine verfassungsgesetzliche Klärung dieser Fragen wurde zwar innerhalb und außerhalb des Parlaments verschiedentlich befürwortet, insbesondere wurde von Seiten der SPD die Aufnahme einer ausdrücklichen Garantie des Streikrechts i n A r t . 9 GG gefordert 31 , jedoch kam es wegen unüberbrückbarer Meinungsverschiedenheiten zwischen den beiden großen i m Bundestag vertretenen Parteien (CDU/CSU und SPD) zu keiner Einigung. Deshalb klammerte man alle offenen Fragen zum allgemeinen Verhältnis zwischen Arbeitskampf und Grundgesetz aus und beschränkte sich auf eine Regelung der m i t der Notstandsverfassung unmittelbar zusammenhängenden Fragen. Das Ergebnis dieses Kompromisses — die 28 BT-Drs. V/2873, S. 3; ebenso Abg. Dr. Lenz (CDU/CSU), 174. Sitzg. d. 5. B T v. 15. 5. 1968, Sten. Ber. S. 9316 (A); ähnlich auch Unterausschuß des R A des BR, Sitzg. v. 28./29. 5.1968, Prot. S. 4. 29 So auch Söllner, Arbeitsrecht, S. 70; Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 39. — Dagegen sind Maunz, Staatsrecht, § 20 I I 1, S. 160, u n d E. Stein, Lehrbuch, S. 188, der Auffassung, durch den neuen Satz 3 werde indirekt auch das Streikrecht anerkannt. Auch Bayer, DÖV 1970, S. 117, u n d GieselSchunck, GG, A r t . 9 A n m . 10, sprechen v o n einer Anerkennung des Streikrechts. Freilich bleibt unklar, ob die genannten A r t o r e n unter Streikrecht ein subjektives öffentl. Recht oder — was nach einem verbreiteten ungenauen Wortgebrauch ebenfalls möglich wäre — bloß eine institutionelle Garantie verstehen. Mindestens letztere kann A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG m i t Sicherheit entnommen werden, vgl. das vorangehende K a p i t e l sowie unten i m unmittelbar folgenden Text. 80 Vgl. dazu oben Zweiter Teil, I. Abschnitt, Kap. 3. 31 Vgl. oben Erster Teil, I. Abschnitt, Fußn. 162 u n d den Text dazu, I I . A b schnitt, Fußn. 19, 41, 56, 96 - 99, 101, 161, 164 u. den T e x t dazu; ferner Bundeskonferenz der SPD v. 13. - 15. Nov. 1967 i n Bad Godesberg, Prot., S. C 10 f., 92 f., 96,103.
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Arbeitskampfschutzklausel des A r t . 9 Abs. 3 GG — berührt zwar die allgemeine verfassungsrechtliche Einordnung und Bewertung des A r beitskampfes insofern, als nunmehr die Auffassung, das Grundgesetz enthalte eine institutionelle Garantie der Arbeitskampffreiheit, eine eindeutige verfassungsgesetzliche Bestätigung erfahren hat. Jedoch ist damit nichts zu der weitergehenden Frage gesagt, ob aus A r t . 9 Abs. 3 — allein oder i n Verbindung m i t der Sozialstaatsklausel — etwa ein Grundrecht auf Streik i m Sinne eines subjektiven öffentlichen Rechts abgeleitet werden kann. Dem neuen Satz 3 des A r t . 9 Abs. 3 GG ist i n dieser Hinsicht weder positiv noch negativ etwas zu entnehmen; der verfassungsändernde Gesetzgeber hat insofern die (umstrittene) Rechtslage nicht berührt und nicht i n den Streit der Meinungen 3 2 eingegriffen. Anzumerken ist an dieser Stelle freilich, daß die Berechtigung und Zweckmäßigkeit der allgemein akzeptierten Unterscheidung zwischen Streik recht als einem subjektiven Recht und einer bloß ob jektiven Streikfreiheit (im Sinne einer institutionellen Garantie) neuerdings — unabhängig vom neuen Satz 3 des A r t . 9 Abs. 3 GG — i n Zweifel gezogen worden ist. Däubler 3 3 hält die Annahme einer institutionellen Garantie für fragwürdig und entbehrlich, da sie nichts zu erklären vermöge, was sich nicht schon m i t Hilfe des Interpretationsprinzips der Grundrechtseffek-
32 Eine verfassungsrechtliche Garantie des Streikrechts bejahen etwa: Abendroth, G M H 1951, S. 57; 1954, S. 259; R. Schmid, ebd., S. 4; Schnorr v. Carolsfeld, Arbeitsrecht, S. 322; Meissinger, N J W 1955, S. 972 f.; Hoff mann, AöR 91 (1966), S. 169 ff. u n d A r b u R 1968, S. 37 f.; StS Prof. Dr. Ehmke, 5. I n f o r mationssitzg. v. 14.12.1967, Prot. S. 18. A . A . — kein Streikrecht, sondern n u r Arbeitskampf/reiheit — PStS Benda, 2. Informationssitzg. v. 16. 11. 1967, Prot. S. 19; 5. Informationssitzg. v. 14. 12. 1967, Prot. S. 21 (s. oben Erster Teil, I I . Abschnitt, Fußn. 124). Die Auffassung Bendas entspricht der überwiegenden Meinung, die — bei mannigfaltigen Unterschieden i m einzelnen — ein Streikrecht als v o m Grundgesetz nicht gewährleistet ansieht. Vgl. etwa Benda, Notstandsverfassung u n d Arbeitskampf, S. 12 ff. u n d Industrielle Herrschaft, S. 259 ff. m. zahlr. w. H i n w . ; Brox! Rüthers, Arbeitskampf recht, S. 41 f.; Dietz, i n : Weberl Scheuner/Dietz, Koalitionsfreiheit, S. 100 ff.; W. Weber, Koalitionsfreiheit, S. 36; Nipperdey, i n : Hueck/Nipperdey, Lehrbuch I I / l , S. 140 ff. u n d Grundriß, 5. Aufl. 1970, S. 290; ferner die oben Fußn. 10, 12 gen. Autoren. — Das B A G hat i n seiner grundlegenden Entscheidung v. 28. 1. 1955, A P A r t . 9 GG Arbeitskampf Nr. 1 = B A G E 1, 291 (298 f.) ausdrücklich offen gelassen, „ob ein verfassungsmäßiges Streikrecht . . . oder ein subjektives Recht zum Streik überhaupt zu bejahen ist oder nicht". I n B A G E 6, 321 (358) = A P § 1 T V G Friedenspflichts Nr. 2, ist v o n Streikfreiheit, die nach Rspr. u n d h L den Gewerkschaften zustehe, u n d v o n „Streikrecht" die Rede, ohne daß weitere Ausführungen dazu erfolgen. I n B A G E 15, 174 (193) = A P A r t . 9 Arbeitskampf Nr. 32 stellt das B A G fest, das Streikrecht sei i m GG zwar nicht ausdrücklich anerkannt, jedoch sei sein Bestehen nicht u m stritten. Es bleibt unklar, ob das B A G den Begriff „Streikrecht" hier i m Sinne eines subjektiv-öffentl. Rechts oder n u r i m Sinne v o n „Streikfreiheit" (mit den Untergruppen „institutionelle Garantie" oder bloßes „Nicht-Verboten-Sein") gebraucht. 33 Der Streik i m öffentlichen Dienst, S. 77 ff.
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2. Teil: I n h a l t und A u s w i r k u n g e n des A r t . 9 I I I 3 GG
tivität ergebe; das Streikrecht oder die Streikfreiheit sei eine das Grundrecht der Koalitionsfreiheit ergänzende und erst effektiv machende Garantie, m i t h i n ein Teil des Grundrechts. Die Grenzen des Streikrechts ergäben sich einmal aus seiner Funktion als bloß ergänzender oder Konnexgarantie, zum andern aus den Schranken des Grundrechts der Koalitionsfreiheit selbst 34 . Nipperdey und Säcker 35 verwerfen zwar die Annahme einer institutionellen Garantie nicht, betonen jedoch, daß die Unterscheidung zwischen subjektivem Arbeitskampfrecht und objektiver Arbeitskampffreiheit einen i n Wahrheit nicht bestehenden Bedeutungsunterschied vorspiegele. Durch A r t . 9 Abs. 3 GG sei die Arbeitskampffreiheit innerhalb der vom einfachen Gesetzgeber und der Judikatur gezogenen verfassungskonformen Grenzen auch als subjektives öffentliches Recht gegenüber Eingriffen des Staates geschützt 36 . Noch deutlicher spricht Säcker an anderer Stelle 3 7 davon, daß eine Unterscheidung zwischen subjektivem Arbeitskampfrecht und „bloßer" Arbeitskampffreiheit normlogisch weder möglich noch sinnvoll sei. Ohne daß an dieser Stelle auf allgemeine grundrechtsdogmatische Fragen eingegangen werden kann, sei festgestellt, daß die Zweifel an Sinn und Berechtigung der alternativen Entgegensetzung von subjektiv-öffentlichem Streikrecht und bloßer Streikfreiheit (im Sinne einer institutionellen Garantie) folgerichtig auf der Linie neuerer Entwicklungen i n der Grundrechtsdogmatik liegen. I n jüngerer Zeit hat sich zunehmend die Erkenntnis durchgesetzt, daß institutionelle Garantien und subjektivöffentliche (Freiheits-)Rechte nicht als zwei entgegengesetzte, einander ausschließende Typen von Grundrechtsnormierungen zu sehen sind, sondern daß es sich u m zwei Korrelatbegriffe, um die beiden Seiten ein und derselben „Medaille", nämlich des Grundrechts, handelt 3 8 . Wenngleich diese Erkenntnis bislang vor allem dazu benutzt worden ist, die institutionellobjektive Seite der „klassischen" Grundrechte, i n denen man zuvor ausschließlich individuelle Freiheitsverbürgungen und subjektive Rechte sah, herauszuarbeiten 39 , wurde und w i r d auch i n umgekehrter Weise die Konsequenz gezogen: Man erkennt, daß institutionelle Garantien
34
Ebd., S. 79. I n : Hueck/Nipperdey, Lehrbuch II/2, S. 916 Fußn. 36 k. 36 Anders — k e i n subjektives Recht, n u r objektive Freiheit — noch Nipperdey, i n : HueckiNipperdey, Lehrbuch I I / l , S. 140 ff. u n d Grundriß, 5. Aufl. 1970, S.290. 37 Grundprobleme, S. 86 Fußn. 166. I n dieser Richtung w o h l auch MayerMaly, R d A 1969, S. 89 (Ii. Sp.) u n d Wiethölter, Rechtswissenschaft, S. 302. 38 Vgl. v o r allem Häberle, Wesensgehaltgarantie, S. 70 ff. u n d passim; Hesse, Grundzüge, S. 116 ff.; ferner die Schilderung entsprechender Ansätze i n der Weimarer Zeit bei Wedler, Das Grundrecht auf Streik, S. 61 ff. 39 Häberle, ebd.; Hesse, ebd. (insbes. S. 116 Fußn. 4). 35
I I . Abschn.: Folgerungen aus A r t . 9 I I I 3 GG
181
zugleich auch individuelle Interessen schützen und damit — mehr oder minder stark — subjektive öffentliche Rechte gewähren 40 . Aus diesen grundrechtsdogmatischen Einsichten heraus erscheint die übliche Unterscheidung und alternative Entgegensetzung von subjektivem Streikrecht und bloßer Arbeitskampffreiheit fragwürdig und überprüfungsbedürftig. Die Tatsache, daß der verfassungsändernde Gesetzgeber des Art. 9 Abs. 3 GG von diesem Entweder-Oder-Schema ausging, das bislang von den Verfechtern eines grundgesetzlich garantierten (subjektiv-öffentlichen) Streikrechts ebenso wie von den Befürwortern einer bloßen Arbeitskampffreiheit akzeptiert worden ist, hindert nicht daran, die Berechtigung und praktische Bedeutung dieser überkommenen Konzeption i n Frage zu stellen. Zwar kann dieser Problematik, die sich schon vor und unabhängig von der Einfügung der Arbeitskampfschutzklausel ins Grundgesetz stellte, hier nicht weiter nachgegangen werden, jedoch sei wenigstens angemerkt, daß der neue Satz 3 des A r t . 9 Abs. 3 GG dem Versuch, neue Einsichten aus dem Bereich der allgemeinen Grundrechtsdogmatik auch für das (verfassungsrechtliche) Arbeitskampfrecht fruchtbar zu machen, i n keiner Weise entgegensteht.
40 Vgl. Häberle, ebd., S. 83 f. u n d die dort angeführten Beispiele (aus der Rspr. des BVerfG) f ü r die „Subjektivierung" v o n institutionellen Garantien; ferner Zippelius, Ev. Staatslexikon, A r t . Grundrechte ( I I I . A), Sp. 725. — A u f eine interessante Parallelentwicklung i m Zivilrecht weist Löwisch, Deliktsschutz, S. 130, hin.
Dritter
Abschnitt
Individuelle Streikfreiheit und Arbeitskräftelenkungsmaßnahmen nach Art. 12 a Abs. 3, 4 und 6 GG 1. Problem und gesetzgeberische Absicht A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG schützt Arbeitskämpfe vor zielgerichteter Beeinträchtigung durch bestimmte Maßnahmen. Die Bestimmung besagt ihrem Wortlaut nach dagegen nichts über das individuelle Recht zu streiken; insbesondere garantiert sie nicht das Streikrecht (bzw. die Streikfreiheit) derjenigen Personen, die nach A r t . 12 a Abs. 3 (Männer) oder Abs. 4 (Frauen) dienstverpflichtet worden sind oder deren Recht, den Beruf oder Arbeitsplatz aufzugeben, nach Abs. 6 beschränkt worden ist. Auf diese Arbeitskräftelenkungsmaßnahmen nimmt Art. 9 Abs. 3 Satz 3 GG nur generell und nur aus der Sicht der staatlichen Organe, die diese Maßnahmen anzuordnen und durchzuführen haben 1 , Bezug, während die individuelle Seite gänzlich außer Betracht bleibt. Zur Frage, ob sich eine von Arbeitskräftelenkungsmaßnahmen nach A r t . 12 a Abs. 3, 4 oder 6 GG betroffene Person an einem Streik beteiligen darf, ist A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG nichts zu entnehmen. Insoweit ist die Reichweite der Arbeitskampfschutzklausel begrenzt. Obwohl es sich u m eine Frage handelt, die über die Interpretation des neuen Satzes 3 hinausgeht, soll i m folgenden das Verhältnis zwischen individueller Streikfreiheit und Arbeitskräftelenkungsmaßnahmen nach A r t . 12 a Abs. 3, 4 und 6 GG untersucht werden. Zu einer Beschäftigung m i t dieser Frage besteht vor allem deshalb Anlaß, w e i l vor und nach Inkrafttreten der Notstandsverfassung von K r i t i k e r n oft behauptet wurde, die Arbeitskampfschutzklausel des Art. 9 Abs. 3 Satz 3 GG sei unzulänglich oder sogar wertlos, da sie das Streikrecht dienstverpflichteter Personen nicht gewährleiste. Wie steht es damit? Der Gesetzgeber der Notstandsverfassung war bestrebt, auch den von den Arbeitskräftelenkungsmaßnahmen des A r t . 12 a Abs. 3, 4 und 6 GG betroffenen Personen i n weitestmöglichem Umfang die rechtliche Möglichkeit zu erhalten, sich an einem Streik zur Wahrung und Förderung 1 Z u r Frage der Adressaten der Schutzvorschrift vgl. schnitt, Kap. 10.
oben I I . Teil, I. A b -
I I I . Abschn.: Streikfreiheit u n d Maßnahmen nach A r t . 12 a I I I - V I GG 183
der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu beteiligen. Nachdem i n der 4. Legislaturperiode die Verabschiedung der Notstandsverfassung u. a. daran gescheitert war, daß die sozialdemokratische Opposition die Rechte der von einer Dienstverpflichtung betroffenen Arbeitnehmer für nur unzureichend gesichert hielt 2 — insbesondere bei Dienstverpflichtungen i m Bereich der privaten Wirtschaft dürfe den verpflichteten Arbeitnehmern nicht von vornherein und generell das Recht genommen werden, sich zur Gestaltung der Arbeitsbedingungen auch kollektiver Maßnahmen (einschließlich des Streiks oder der Drohung m i t einem Streik) zu bedienen 3 —, wurde i n der 5. Legislaturperiode der sozialdemokratischen (und gewerkschaftlichen) Forderung nach einer wirksamen Sicherung der Rechte der Arbeitnehmer und der Gewerkschaften i m Rahmen der vorgesehenen Arbeitskräftelenkungsmaßnahmen auf zwei verschiedenen Wegen Rechnung getragen: Einmal wurde als neue Maßnahme zur Deckung eines i m Verteidigungs- oder Spannungsfall auftretenden Personalbedarfs i n A r t . 12 a Abs. 6 GG die Möglichkeit des Festhaltens i m Beruf oder am Arbeitsplatz geschaffen 4. Dieses i m Vergleich zur Dienstverpflichtung ( = der zwangsweisen Heranziehung zu einer bisher nicht ausgeübten Tätigkeit) mildere M i t t e l war bereits i m Regierungsentwurf 1967 vorgesehen 5 ; als Vorteil dieser weniger einschneidenden Maßnahme wurde vor allem angesehen, daß — abgesehen vom Beendigungsverbot — Inhalt und Rechtsnatur des jeweiligen Dienst- und Arbeitsverhältnisses unberührt blieben, so daß das Streikrecht i n genau demselben Umfang erhalten bleibe, wie das vor Verhängung des Arbeitsplatzaufgabeverbotes der Fall war 6 . Als zweite Vorkehrung zur Sicherung der Rechte der Arbeitnehmer wurde i n A r t . 12 a Abs. 3 GG ausdrücklich festgelegt, daß durch Dienstverpflichtungen (privatrechtliche) Arbeitsverhältnisse begründet werden; nur i m Ausnahmefall — soweit es sich u m polizeiliche oder andere hoheitliche Aufgaben der öffentlichen Verwaltung handelt — werden öffentlich-rechtliche Dienstverhältnisse begründet. M i t der Aufnahme dieser Aussage über die Natur der Verpflichtungsverhältnisse i n den Text des Art. 12 a Abs. 3 GG wurde einer Forderung der SPD-Bundes2 Vgl. die ausführt. Diskussion i n der 192. Sitzg. d. 4. B T v. 24. 6. 1965, Sten. Ber. S. 9699 ff. (s. oben Erster Teil, I. Abschnitt, Fußn. 179, 181, 189 - 192 u. den T e x t dazu). Die fehlende Ubereinstimmung i n diesem P u n k t bildete eine der wesentlichsten Ursachen f ü r das Scheitern der Notstandsverfassung, vgl. Benda, i n : Hofmann/Maus (Hrsg.), Notstandsordnung, S. 84. 3 Vgl. oben Erster Teil, I. Abschnitt, Fußn. 191,192 u. den T e x t dazu. 4 Vgl. die Erl. dieser Maßnahmen oben Zweiter Teil, I . Abschnitt, Kap. 1 (sub 1.1.6). 5 A r t . 12 Abs. 3 RegE 1967, BT-Drs. V/1879. 6 So auch B D A - V e r t r e t e r Dr. Kley, 5. Informationssitzg. v. 14.12.1967, Prot. 42.
184
2. T e i l : I n h a l t u n d A u s w i r k u n g e n des A r t . 9 I I I 3 GG
tagsfraktion entsprochen, die von Anfang an bemängelt hatte, daß der Regierungsentwurf i m vorgesehenen A r t . 12 Abs 2 nicht ausdrücklich die arbeitsrechtliche Ausgestaltung des Dienstverpflichtungsverhältnisses vorschreibe 7 . Bei der Umformulierung des A r t . 12 Abs. 2 des Regierungsentwurfs i n den später Gesetz gewordenen A r t . 12 a Abs. 3 GG gingen alle Beteiligten davon aus, daß denjenigen Männern, die i n öffentlich-rechtliche Dienstverhältnisse (Hilfspolizei o. ä.) verpflichtet werden, kein Streikrecht zustehe 8 . Dagegen sollten für diejenigen, die i n Arbeitsverhältnisse verpflichtet werden, alle i n einem privatrechtlichen Arbeitsverhältnis bestehenden Rechte und Pflichten einschließlich der Freiheit der Teilnahme an einem Arbeitskampf gelten 9 . Zu prüfen ist freilich, ob sich die gesetzgeberische Absicht voll m i t Wortlaut und Auswirkungen der neuen Vorschriften (Art. 12 a Abs. 3, 4 und 6 GG) deckt. Z u Zweifeln i n dieser Hinsicht könnte etwa die These Ramms 1 0 Anlaß geben, die Notstandsgesetzgebung habe das Streikrecht i m Notstandsfall beseitigt 1 1 ; ähnliche Behauptungen sind vor und nach Inkrafttreten der Notstandsverfassung auch von zahlreichen anderen A u toren aufgestellt worden 1 2 . I m folgenden soll daher das Verhältnis zwischen individueller Streikfreiheit und den Arbeitskräftelenkungsmaßnahmen nach A r t . 12 a Abs. 3, 4 und 6 GG anhand der einzelnen Grundgesetzbestimmungen und allgemeiner verfassungs- und arbeitsrechtlicher Lehren näher untersucht werden. 7 Vgl. oben S. 69 sowie Abg. Hirsch (SPD), 117. Sitzg. d. 5. B T v. 29. 6.1967, Sten. Ber. S. 5883 (B) u n d die Diskussion i n der Bundeskonferenz der SPD v. 13. - 15. Nov. 1967 i n Bad Godesberg, Prot., S. C 9,86 - 103 u n d S. 74. 8 Vgl. die Fragen des Abg. Schmitt-Vockenhausen (SPD) u n d die A n t w o r t e n des Sachverst. Prof. Dr. Scheuner i n der 5. Informationssitzg. v. 14. 12. 1967, Prot. S. 13, sowie Scheuner, ebd., S. 10; ferner Bundesjustizminister Dr. Heinemann, Bundeskonferenz der SPD, Prot. S. C 9. 9 Vgl. Bundesinnenminister Lücke i n der 1. Lesung des RegE 1967, 117. Sitzg. d. 5. B T v. 29. 6. 1967, Sten. Ber. S. 5860 (A); Sachverst. Prof. Dr. Scheuner, 5. Informationssitzg. v. 14.12.1967, Prot. S. 12; StS Prof. Dr. Ehmke, ebd., S. 18; B D A - V e r t r e t e r Dr. Kley, ebd., S. 42. 10 K J 1968, S. 117. 11 Leider fügt Ramm seiner Behauptung keinerlei Begründung hinzu. Da die Notstandsverfassung keine Bestimmung ins GG eingefügt hat, die eine Beschränkung oder gar Beseitigung des Streikrechtes vorsieht, bleibt n u r die Vermutung, daß R a m m offenbar der Auffassung ist, die Maßnahmen nach A r t . 12 a Abs. 3 u. 4 GG (Dienstverpflichtungen) oder A r t . 12 a Abs. 6 GG (Arbeitsplatzaufgabeverbote) ließen für das Streikrecht des einzelnen Betroffenen keinen Raum. 12 Vgl. etwa Wahsner, i n : Sterzel (Hrsg.), K r i t i k , S. 58 ff.; Hamann/Lenz, GG, A n m . B 12 zu A r t . 9 u n d A n m . 8 zu A r t . 12 a; Rajewsky, Arbeitskampfrecht, S. 17, 80 f.; Abendroth, i n : Hofmann/Maus (Hrsg.), Notstandsordnung, S. 115', 122 (noch zum B e n d a - E n t w u r f 1965). Auch Römer, K J 1968, S. 132, geht bei seiner K r i t i k an A r t . 12 a Abs. 3 - 6 G G („soziale D i k t a t u r " ) davon aus, daß dienstverpflichteten oder am Arbeitsplatz festgehaltenen Arbeitnehmern weder
I I I . Abschn.: Streikfreiheit u n d Maßnahmen nach A r t . 12 a I I I - V I GG 185
2. Streikrecht und Dienstverpflichtungen gemäß Art. 12 a Abs. 3 Wie dargelegt, ermächtigt A r t . 12 a Abs. 3 GG dazu, Männer i n (privatrechtliche) Arbeitsverhältnisse und — als Ausnahme — i n öffentlichrechtliche Dienstverhältnisse zu verpflichten. Was zunächst die Verpflichtung i n öffentlich-rechtliche Dienstverhältnisse betrifft, so enthält der Wortlaut des A r t . 12 a Abs. 3 GG kein Streikverbot. Ob und i n welchem Umfang Männern, die i n ein öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis verpflichtet worden sind, das Streikrecht zusteht, w i r d von A r t . 12 a Abs. 3 nicht entschieden; diese spezielle Frage ist damit nur ein Teil der schon bisher bestehenden allgemeinen Fragestellung „Streik und öffentlicher Dienst" 1 3 . Nach herrschender Meinung besteht für die Beamten ein Streikverbot 1 4 ; das öffentlich-rechtliche Dienst- und Treueverhältnis, i n dem sich der Beamte befindet, schließt nach herkömmlicher Auffassung die Beteiligung an einem Streik generell aus 15 . Den nichtbeamteten A r beitnehmern i m öffentlichen Dienst (Angestellten und Arbeitern) w i r d dagegen überwiegend ein Streikrecht zugebilligt 1 6 , da es bei ihnen an dem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis fehle. Solange Rechtsprechung und Wissenschaft am generellen Streikverbot für Beamte festhalten, w i r d man annehmen müssen, daß auch für die gemäß A r t . 12 a Abs. 3 GG i n ein öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis verpflichteten Männer ein Streikverbot besteht 17 . Davon ging der Gesetzgeber der Notstandsverfassung aus. Sollen sich allerdings die i n jüngster Zeit laut gewordenen Zweifel 1 8 an der Haltbarkeit eines generellen Streikverbots ein Streikrecht noch andere kollektive M i t t e l zur Gestaltung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zur Verfügung stehen; ähnlich auch schon i n Blätter 1967, S. 1153. Ebenso Ver, Requiem, S. 35 (für den Gesamtbereich der Dienstleistungsverhältnisse gemäß A r t . 12 Abs. 2 Satz 2 RegE 1967 sei jede Streikfreiheit beseitigt). Vgl. ferner oben Erster Teil, I I . Abschnitt, Fußn. 37, 44, 114, 117 u. den T e x t dazu. 13 Vgl. Sachverst. Prof. Dr. Scheuner, 5. Informationssitzg. v. 14. 12. 1967, Prot. S. 10. 14 Vgl. etwa Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, S. 66 ff.; Dietz, i n : Weber! ScheunerlDietz, Koalitionsfreiheit, S. 102; v. Münch, Bonner Kommentar, Zweitbearbeitung, A r t . 9 Rdnr. 193; Nipperdey!Säcker, i n : HuecklNipperdey, Lehrbuch II/2, S. 979 ff.; Reuß, i n : Juristen-Jahrbuch 4 (1963/64), S. 181 u n d DVB1.1968, S. 57 f.; BVerfGE 8 , 1 (17); B A G E 12,184 (194). 15 Kritisch zu dieser Begründung, aber dennoch am Streikverbot f ü r Beamte festhaltend Maunz, BayVBl. 1969, S. 345 f. u n d i n : MaunzlDüriglHerzog, GG, A r t . 9 Rdnr. 114. 16 Vgl. BroxlRüthers, Arbeitskampf recht, S. 68 ff., m. w. Nachw.; Reuß, DVB1. 1968, S. 58 ff.; Dietz, JuS 1968, S. 6; Söllner, Arbeitsrecht, S. 73; a. A. Nikisch, Arbeitsrecht I I , S. 143 f. 17 So auch H. Klein, Der Staat 8 (1969), S. 372 Fußn. 52; Wahsner, in: Sterzel (Hrsg.), K r i t i k , S. 58, u n d — noch zu den E n t w ü r f e n der 4. WP. — W. Weber, Koalitionsfreiheit, S. 48 (1965). 18 Gegen das generelle Streikverbot f ü r Beamte v o r allem Hoffmann, G M H 1964, S. 610 ff.; u n d AöR 91 (1966), S. 142 ff.; Däubler, Der Streik i m öffentlichen
186
2. T e i l : I n h a l t u n d Auswirkungen des A r t . 9 I I I 3 GG
f ü r B e a m t e e i n m a l durchsetzen u n d d a z u f ü h r e n , daß Rechtsprechung u n d L i t e r a t u r diesen ü b e r k o m m e n e n G r u n d s a t z aufgeben, d a n n w ü r d e sich auch f ü r d i e gemäß A r t . 12 a A b s . 3 G G i n e i n öffentlich-rechtliches D i e n s t v e r h ä l t n i s V e r p f l i c h t e t e n die L a g e ä n d e r n 1 9 ; da A r t . 12 a A b s . 3 G G k e i n e eigene F e s t l e g u n g e n t h ä l t , w ä r e es d a n n ohne B e d e u t u n g , daß der verfassungsändernde Gesetzgeber b e i S c h a f f u n g des A r t . 12 a A b s . 3 G G d a v o n ausgegangen ist, i n n e r h a l b eines ö f f e n t l i c h - r e c h t l i c h e n D i e n s t verhältnisses habe der E i n z e l n e k e i n S t r e i k r e c h t . W a s d e n i n A r t . 12 a A b s . 3 G G vorgesehenen R e g e l f a l l der V e r p f l i c h t u n g i n Arbeitsverhältnisse b e t r i f f t , so k ö n n t e sich, o b w o h l der D i e n s t verpflichtete a l l e Rechte eines A r b e i t n e h m e r s h a t u n d o b w o h l A r t . 12 a A b s . 3 G G auch i n s o w e i t k e i n e r l e i S t r e i k v e r b o t e n t h ä l t 2 0 , die U n z u l ä s s i g k e i t eines S t r e i k s daraus ergeben, daß i m k o n k r e t e n F a l l e i n S t r e i k die l e b e n s n o t w e n d i g e V e r s o r g u n g der Z i v i l b e v ö l k e r u n g oder der S t r e i t k r ä f t e oder d e n i m Interesse der E x i s t e n z e r h a l t u n g n o t w e n d i g e n Schutz b e i d e r g e f ä h r d e t 2 1 . M i t t e i l w e i s e u n t e r s c h i e d l i c h e n B e g r ü n d u n g e n , aber i m (abstrakten) E r g e b n i s ü b e r e i n s t i m m e n d v e r t r e t e n zahlreiche A u t o r e n die A u f f a s s u n g , die S t r e i k f r e i h e i t habe i h r e Grenze d o r t , w o d u r c h einen S t r e i k die V e r s o r g u n g der A l l g e m e i n h e i t m i t l e b e n s n o t w e n d i g e n G ü t e r n Dienst, passim; Ramm, Koalitions- u n d Streikrecht, passim. Die juristische und gewerkschaftl. K r i t i k am Streikverbot f ü r Beamte hat inzwischen A n t i - K r i t i ker auf den Plan gerufen, die das Streikverbot neu durchdacht u n d begründet haben, vgl. v o r allem Isensee, Beamtenstreik, passim (mit einer umfassenden Dokumentation des Meinungs- u n d Streitstandes auf S. 13 Fußn. 6). 19 Freilich wäre dann noch zu prüfen, ob sich die Unzulässigkeit eines Streiks nicht aus anderen Gesichtspunkten ergeben könnte. Insoweit würde dann gelten, was i m folgenden T e x t über das Streikrecht der i n Arbeitsverhältnisse Verpflichteten ausgeführt w i r d . 20 E i n Streikverbot ergibt sich auch nicht etwa mittelbar aus den Straf- und Ordnungswidrigkeitsbestimmungen, die das i n Ausführung des A r t . 12 a Abs. 3 - 6 GG ergangene A S G enthält. Nach § 32 A S G handelt n u r derjenige ordnungswidrig, der „ohne anerkennenswerten Grund" seiner Arbeitsstelle für mehr als drei Tage fernbleibt oder sich weigert, eine i h m aufgetragene und zumutbare Arbeit zu verrichten. Die Teilnahme an einem rechtmäßigen A r beitskampf stellt einen „anerkennenswerten Grund" dar; so ausdrückl. Schriftl. Ber. des A r b A des BT, zu BT-Drs. V/2932, S. 5; vgl. auch oben Erster Teil, I I . Abschnitt, Fußn. 117 -119. Die Tatsache, daß sich jemand i n einem gem. A r t . 12 a Abs. 3 GG, §§ 2 Abs. 2, 10 A S G durch Verpflichtungsbescheid begründeten Arbeitsverhältnis befindet, macht also die Beteiligung an einem rechtmäßigen Streik noch keineswegs strafbar oder ordnungswidrig. Ebenso Franz Bauer, D B 1968, S. 1536; unzutreffend Hannover, Blätter 1969, S. 573; Hamann/ Lenz, GG, A n m . B 12 zu A r t . 9 u n d A n m . 8 zu A r t . 12 a. 21 So Wahsner, i n : Sterzel (Hrsg.), K r i t i k , S. 59; Franz Bauer, D B 1968, S. 1535; gegen i h n Gester, A r b u R 1969, S. 148 f. — NipperdeyfSäcker, i n : Hueck! Nipperdey, Lehrbuch II/2, S. 1668 (Nachtrag zu S. 977) betonen gegenüber den z. T. nicht ganz klaren Ausführungen Bauers m i t Recht, daß Dienstverpflichtungen als solche nicht das Recht zur F ü h r u n g v o n Arbeitskämpfen beschränken; ein Streik i n den i n § 4 A S G bezeichneten verteidigungs- und versorgungswichtigen Bereichen sei n u r dann sozialinadäquat (und damit unzulässig), wenn die allgemeinen Rechtswidrigkeitsvoraussetzungen vorliegen.
I I I . Abschn.: Streikfreiheit u n d Maßnahmen nach A r t . 12 a I I I - V I G G 187
und Leistungen gefährdet werde 2 2 . Meinungsverschiedenheiten bestehen unter den Vertretern dieser Auffassung freilich insoweit, als es u m die Anwendung dieses Grundsatzes auf den konkreten Fall geht, wenn also zu entscheiden ist, ob ein Streik i n einem bestimmten wichtigen Betrieb (z. B. Elektrizitäts- oder Wasserversorgung) oder ein Streik einer bestimmten Berufsgruppe (z. B. Ärzte, Pflegepersonal oder sonstige Krankenhausangestellte) unzulässig ist oder nicht. Auf diese Meinungsverschiedenheiten wird, soweit sie für das Thema „Dienstverpflichtung und individuelles Streikrecht" von Belang sind, sogleich noch etwas näher einzugehen sein. Eine eingehende Darstellung der verschiedenen Fallgruppen, i n denen ein Streik wegen der Gefährdung der Versorgung der Allgemeinheit m i t lebensnotwendigen Gütern und Leistungen als unzulässig anzusehen ist, kann, da es sich insoweit um ein allgemeines arbeitsrechtliches Problem handelt, an dieser Stelle allerdings nicht erfolgen; auch eine Auseinandersetzung m i t den Argumenten, die zur Begründung der Unzulässigkeit von Streiks i n lebenswichtigen Betrieben vorgetragen werden — i n verfassungsrechtlicher Hinsicht seien derartige Streiks wegen Verstoßes gegen die verfassungsmäßige Ordnung 2 3 oder wegen Verstoßes gegen eine aus dem Sozialstaatsprinzip abzuleitende Gemeinwohlklausel 24 unzulässig, i n arbeits- und deliktsrechtlicher Hinsicht seien derartige Streiks als nicht-sozialadäquat 25 oder als sittenwidr i g 2 6 zu beurteilen — muß unterbleiben. Hier interessiert allein die Frage, ob dann, wenn man sich auf den Boden der überwiegend vertretenen Auffassung stellt, Streiks i n lebenswichtigen Betrieben seien nicht oder zumindest nicht unbeschränkt zulässig, für die gemäß A r t . 12 a Abs. 3 GG 22 V o r allem Reuß, i n : Das Arbeitsrecht der Gegenwart, Bd. 1, S. 162; Recht i m Wandel, S. 261 f.; DVB1. 1968, S. 58 ff.; ferner Franz Bauer, D B 1968, S. 1535 (r. Sp.); Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, S. 69, 150; Löffler, N J W 1962, S. 1603; v. Münch, Bonner K o m m e n t a r , Zweitbearbeitung, A r t . 9 Rdnr. 155; Nipperdey/Säcker, i n : Hueck/Niperdey, L e h r b u c h II/2, S. 1030 Fußn. 83; Schnorr v. Carolsfeld, Arbeitsrecht, S. 322; Söllner, Arbeitsrecht, S. 74, 84 f. A . A . oder zumindest zweifelnd Hoeniger, R d A 1953, S. 205; Dürig, J Z 1953, S. 193 Fußn. 12 (Das Grundgesetz enthalte keine Möglichkeit, Arbeitskämpfe i n lebenswichtigen Versorgungsbetrieben zu untersagen); Wedler, Das G r u n d recht auf Streik, S. 171 f., meint, eine allgemeine Feststellung als ungeschriebener Rechtssatz, wonach der Streik i n lebenswichtigen Betrieben verboten oder n u r u n t e r gewissen Beschränkungen erlaubt sei, sei m i t der K o a l i t i o n s garantie nicht vereinbar. A u c h Gester, A r b u R 1969, S. 148 f., scheint dieser A u f fassung zuzuneigen. 23 So etwa Reuß, i n : Das Arbeitsrecht der Gegenwart, Bd. 1, S. 162; v. Münch, D Ö V 1960, S. 298 f. Daß die „verfassungsmäßige O r d n u n g " allerdings nicht ohne weiteres m i t dem herkömmlichen I n h a l t des polizeirechtl. Begriffs „ ö f f e n t liche Sicherheit u n d O r d n u n g " gleichgesetzt w e r d e n darf, betonen Nipperdeyl Säcker, i n : Hueck! Nipperdey, L e h r b u c h II/2, S. 1030 Fußn. 83. 24 P.-J. Stein, Rechtliche Beurteilung, S. 17 ff., 27 ff. 25 Lauschke, Notarbeiten, S. 6, 84 ff.; Nipperdey/Säcker, i n : Hueck/Nipperdey, Lehrbuch II/2, S. 1029 f.; P.-J. Stein, Rechtliche Beurteilung, S. 68 ff. 26 Nikisch, Arbeitsrecht I I , S. 141,143.
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2. T e i l : I n h a l t und A u s w i r k u n g e n des A r t . 9 I I I 3 GG
dienstverpflichteten Personen grundsätzlich Streikfreiheit besteht oder ob sie generell und von vornherein einem Streikverbot unterliegen 27 . A r t . 12 a Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1 GG bindet alle Dienstverpflichtungen — gleichgültig, ob es sich u m die Verpflichtung i n ein öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis oder i n ein privatrechtliches Arbeitsverhältnis handelt, und gleichgültig, i n welchem Bereich (Streitkräfte, öffentliche Verwaltung, Privatwirtschaft) die Dienstverpflichtung erfolgen soll — an die materielle Voraussetzung, daß „Zwecke der Verteidigung einschließlich des Schutzes der Zivilbevölkerung" zivile Dienst- und A r beitsleistungen erfordern. Soweit es sich u m den Bereich der Versorgung der Zivilbevölkerung handelt — innerhalb dieses Bereichs dürften vor allem privatwirtschaftliche Unternehmen betroffen sein —, schreibt A r t . 12 a Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 2 GG zusätzlich vor, daß die (hier allein möglichen) Verpflichtungen i n Arbeitsverhältnisse nur zulässig sind, u m den „lebensnotwendigen Bedarf" und den „Schutz" der Zivilbevölkerung sicherzustellen. Sowohl die i n Satz 1 Halbsatz 1 aufgestellte generelle Voraussetzung als auch die i n Satz 2 Halbsatz 2 für den Bereich der Versorgung der Zivilbevölkerung vorgesehene zweite Voraussetzung besteht darin, daß ein bestimmter „Verwendungszweck" 2 8 verfolgt werden muß. Es ist nicht etwa vorgeschrieben, daß bestimmte objektivierbare äußere Tatsachen gegeben sein müssen. Damit räumt A r t . 12 a Abs. 3 GG — von der Sache her wahrscheinlich unvermeidlich — denjenigen, die über die Anordnung von Dienstverpflichtungen zu entscheiden haben, einen erheblichen subjektiven Spielraum ein 2 9 . Zudem sind die zu verfolgenden Zwecke pauschal und generell umschrieben 30 . Daher kann keinesfalls davon ausgegangen werden, 27 Wer w i e etwa Wedler, Das Grundrecht auf Streik, S. 171 f. u n d w o h l auch Gester, A r b u E 1969, S. 149, die Lehre v o m generellen oder zumindest partiellen Streikverbot i n lebenswichtigen Betrieben überhaupt ablehnt, müßte ohne weiteres zur Bejahung der Streikfreiheit Dienstverpflichteter kommen. 28 So der Schriftl. Ber. des R A des BT, BT-Drs. V/2873, S. 6 (Ii. Sp.). 29 Der einfache Gesetzgeber könnte die Bedingungen u n d Voraussetzungen f ü r Dienstverpflichtungen freilich so präzisieren und einengen, daß i m konkreten F a l l f ü r die Exekutive k e i n oder n u r ein geringer Ermessensspielraum bleibt. Hinsichtlich der Verwendungszwecke ist i m A S G eine Einengung jedoch nicht versucht worden; § 2 A S G spricht w i e A r t . 12 a Abs. 3 GG v o n „Zwecken der Verteidigung einschließlich des Schutzes der Zivilbevölkerung". I n § 4 Abs. 1 A S G w i r d zwar ein enger Katalog v o n Betrieben u n d Unternehmen aufgeführt, f ü r die Dienstverpflichtungen zulässig sind, jedoch w i r d durch die i n Abs. 2 enthaltene Ermächtigung, durch V O weitere Bereiche innerhalb des v o n A r t . 12 a Abs. 3 GG gezogenen Rahmens zu bestimmen, der ursprüngliche Ermessensspielraum doch wieder eingeräumt. 30 Angesichts der Weite der Umschreibung liegt die Bedeutung der Zweckbindung einzig darin, bestimmte Zwecke auszuschließen; so dürfen Dienstverpflichtungen z. B. nicht aus wirtschafts- oder arbeitsmarktpolitischen E r wägungen heraus vorgenommen werden; vgl. Begründung zu A r t . 12 Abs. 2 RegE 1967, BT-Drs. V/1879, S. 19; ff. Klein, Der Staat 8 (1969), S. 370.
I I I . Abschn.: Streikfreiheit u n d Maßnahmen nach A r t . 12 a I I I - V I G G 189
daß ein Streik von Personen, die i n ein Arbeitsverhältnis verpflichtet worden sind, i n jedem Falle eine akute Gefahr der Versorgung von Z i v i l bevölkerung und/oder Streitkräften m i t lebensnotwendigen Gütern oder eine Gefährdung des i m Interesse der Erhaltung der Existenz notwendigen Schutzes der Zivilbevölkerung darstellt. Nur dann, wenn i m konkreten Fall eine derartige Gefährdung gegeben ist — dies kann bei einem Streik Dienstverpflichteter der Fall sein, muß es aber nicht — wäre der Streik als unzulässig anzusehen. Denn die bloß generell-abstrakte Möglichkeit einer Beeinträchtigung der Versorgung m i t lebensnotwendigen Gütern und Leistungen genügt noch nicht, u m einen Streik i m fraglichen Bereich für unzulässig zu halten. Erforderlich ist vielmehr, daß sich die generell-abstrakte Möglichkeit i n Einzelfall zu einer konkreten Gefährdung verdichtet hat 3 1 . Da A r t . 12 a Abs. 3 GG nicht auf die konkrete Gefährdung abstellt — von der Sache her auch nicht abstellen kann —, sondern nur die Beachtung einiger pauschal umschriebener Zwecke vorschreibt, ist festzustellen, daß die Voraussetzungen, unter denen Wehrpflichtige i n A r beitsverhältnisse verpflichtet werden können, weiter sind als die Voraussetzungen, unter denen nach der i m Arbeitsrecht überwiegend vertretenen Meinung ein Streik wegen Gefährdung der lebensnotwendigen Versorgung der Allgemeinheit unzulässig wäre. A n diesem B i l d ändert sich auch dann nichts, wenn man noch zusätzlich i n Betracht zieht, daß Dienstverpflichtungen gemäß A r t . 12 a Abs. 3 GG nur i n bestimmten, einzeln aufgeführten Bereichen (sachlichen Verwendungsbereichen) zulässig sind, nämlich bei den Streitkräften (d. h. bei ihrem zivilen Hilfspersonal), bei der öffentlichen Verwaltung und schließlich i m Bereich der Versorgung der Streitkräfte und der Z i v i l bevölkerung 32 . Insgesamt ist damit ein so weiter Raum umschrieben 33 , daß man keinesfalls davon ausgehen kann, Streiks i n einem der genannten Sachbereiche müßten a priori als unzulässig angesehen werden 3 4 . 31 Reuß verlangt zutreffend eine akute u n d ernstliche Gefährdung der lebenswichtigen Versorgung, i n : Das Arbeitsrecht der Gegenwart, Bd. 1, S. 162; Recht i m Wandel, S. 261 f.; ähnlich auch DVB1. 1968, S. 58 f. Auch P.-J. Stein, Rechtliche Beurteilung, S. 27, 30, betont, daß auf den Einzelfall abzustellen sei; erforderlich sei auf jeden Fall, daß eine Gefährdung tatsächlich eintrete (S. 29 f.). So w o h l auch Löffler, N J W 1962, S. 1603; Tomandl, Streik u n d Aussperrung, S. 153 f. 32 H. Klein, Der Staat 8 (1969), S. 370, weist m i t Recht auf die „generalklauselartige Weite" gerade dieses letzten Begriffs hin. 33 Z u m a l i n der Begründung des RegE 1967 zum vorgeschlagenen A r t . 12 Abs. 2 (Dienstverpflichtungen) ausdrücklich erklärt wurde, der Begriff der Versorgung sei w e i t zu verstehen, BT-Drs. V/1879, S. 19 (Ii. Sp.). Kritisch zur Umschreibung der Einsatzbereiche i n A r t . 12 Abs. 2 RegE 1967 auch Wahsner, A r b u R 1967, S. 291 f. u n d i n : Sterzel (Hrsg.), K r i t i k , S. 52 f.; Hall, JZ 1968, S. 165 Fußn. 57 („uferlose Weite"). 34 Z u m Problem des Arbeitskampfs i m Bereich der öffentl. V e r w a l t u n g hat
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2. T e i l : I n h a l t u n d A u s w i r k u n g e n des A r t . 9 I I I 3 GG
Auch insoweit kommt es vielmehr auf die konkreten Umstände des Einzelfalles an. Als erstes wäre jeweils zu fragen, ob es sich wirklich u m einen Betrieb handelt, der — wer auch immer der Träger oder Eigentümer sein mag — i n die Kategorie „lebenswichtiger Betriebe" fällt. Es bedarf keiner weiteren Darlegung, daß nicht schlechthin alles, was i m „Bereich der Versorgung der Zivilbevölkerung", i m „Bereich der Versorgung der Streitkräfte", „bei der öffentlichen Verwaltung" und „bei den Streitkräften" an Dienststellen, Einrichtungen und sonstigen Organisationsformen vorhanden sein mag, als „lebenswichtiger Betrieb" eingestuft werden kann. I n diese Kategorie würde höchstwahrscheinlich auch i n einer Notstandssituation nur ein Bruchteil aller Unternehmen und Dienststellen fallen, die innerhalb der aufgeführten Verwendungsbereiche bestehen. Arbeitet i m konkreten Fall ein Dienstverpflichteter tatsächlich i n einem lebenswichtigen Betrieb, so wäre als zweites zu fragen, welche Funktionen er ausübt. Man w i r d keinesfalls unterstellen können, jeder i n einem lebenswichtigen Betrieb beschäftigte Dienstverpflichtete verrichte solche Tätigkeiten, daß gerade seine Arbeitseinstellung zu einer akuten und ernsthaften Gefahr für die Versorgung der Allgemeinheit m i t lebensnotwendigen Gütern und Leistungen führt 3 5 . Das bisher gefundene Ergebnis, daß Streiks von Personen, die gemäß A r t . 12 a Abs. 3 GG i n Arbeitsverhältnisse verpflichtet worden sind, keineswegs als generell ausgeschlossen betrachtet werden können, w i r d schließlich noch durch eine weitere Überlegung bestätigt: Unabhängig von der Problematik des Staatsnotstandes und der geplanten Notstandsverfassung wurde i n der neueren Literatur verschiedentlich darauf hingewiesen, daß für die i n lebenswichtigen Betrieben Beschäftigten kein generelles Arbeitskampfverbot, sondern nur eine graduelle Beschränkung der Arbeitskampffreiheit bestehe; diese (nur) graduelle Beschränkung komme darin zum Ausdruck, daß während des Streiks Notstandsoder Notarbeiten zu leisten seien, und zwar i n dem Umfang, wie das Reuß, DVB1. 1968, S. 58 — unabhängig v o n der Notstandsdiskussion — zutreffend festgestellt, daß auch hier v o m Grundsatz der Arbeitskampffreiheit auszugehen sei. Daraus u n d aus dem verfassungsrechtl. Ubermaßverbot folge, daß die Beschränkungen der Arbeitskampffreiheit nicht weiter gehen dürfen, als es nach personellen, gegenständlichen u n d zeitlichen Gesichtspunkten u n erläßlich sei. Es sei daher „ i m Einzelfall zu prüfen, ob dieser Arbeitnehmer jetzt, i n dieser Form u n d während dieser Zeit ohne Gefährdung der öffentlichen Ordnung sich an einem Arbeitskampf beteiligen kann". Dabei sei von der F u n k t i o n des einzelnen Arbeitnehmers auszugehen. Ä h n l i c h auch Reuß, i n : Recht i m Wandel, S. 262; Löffler, N J W 1962, S. 1603; Nipperdeyl Säcker, i n : Hueck/Nipperdey, Lehrbuch II/2, S. 1030 Fußn. 83; Söllner, Arbeitsrecht, S. 73 f.; Däubler, Der Streik i m öffentlichen Dienst, S. 135 ff. 35 Die Möglichkeit u n d Notwendigkeit derartiger differenzierender Fragestellungen w i r d v o n Wahsner, i n : Sterzel (Hrsg,.), K r i t i k , S. 58 f., gänzlich übersehen.
I I I . Abschn.: Streikfreiheit u n d Maßnahmen nach A r t . 12 a I I I - V I GG 191
erforderlich sei, u m bestimmte, für die Allgemeinheit lebensnotwendige Güter und Leistungen zu erbringen 3 6 . M i t Recht rügt Lauschke 37 , daß die Notarbeit als Schranke der Streikfreiheit i n lebenswichtigen Betrieben von nicht wenigen Autoren offenbar ganz übersehen w i r d 3 8 . Gerade die Notarbeit zeige, daß Arbeitskämpfe auch i n den der Allgemeinheit dienenden lebenswichtigen Betrieben zulässig seien 39 . Vom Boden dieser zutreffenden (weil der grundsätzlichen Arbeitskampffreiheit und dem Verhältnismäßigkeitsprinzip allein entsprechenden) Auffassung aus muß Reuß 40 zugestimmt werden, der die Meinung, i n lebenswichtigen Betrieben dürfe überhaupt nicht gestreikt werden 4 1 , oder Angehörige bestimmter Berufe (z. B. Ärzte) hätten überhaupt kein Streikrecht 4 2 , als zu weitgehend und über das Ziel hinausschießend zurückweist 43 . Diese zur Frage des Streiks i n lebenswichtigen Betrieben entwickelte Lehre 4 4 — nur graduelle Beschränkung der Streikfreiheit — kann und muß insoweit verallgemeinert werden, als sie nicht nur für die staatliche „Normallage", sondern auch für den Verteidigungsfall und — besonders wichtig — die vor dem Verteidigungsfall liegende „Spannungszeit" 4 5 gilt, also für all diejenigen Situationen, i n denen Dienstverpflich36 Kunze, B B 1964, S. 1315; Lauschke, Notarbeiten, S. 10, 67; Löffler, N J W 1962, S. 1603; Ramm, JZ 1966, S. 215; Reuß, i n : Arbeitsrecht der Gegenwart, Bd. 1, S. 162; Söllner, Arbeitsrecht, S. 85; Steinert, Notstands- u n d Streikarbeit, S. 62 f.; Zacher, ZSozRef 12 (1966), S. 144. 37 Notarbeiten, S. 7,10. 38 Einerseits von den Autoren, die von einem generellen Streikverbot i n lebenswichtigen Betrieben ausgehen: G. Küchenhoff, RdA 1959, S. 205; Schnorr v. Carolsfeld, Arbeitsrecht, S. 322 u n d RdA 1964, S. 299; v. Münch, DÖV 1960, S. 299 (der zwar die Notarbeiten erwähnt, ihnen offenbar keine rechtliche Bedeutung beimißt); andererseits aber auch v o n Dürig, JZ 1953, S. 193 Fußn. 12, der die Auffassung v e r t r i t t , nach dem GG bestehe überhaupt keine Möglichkeit, Streiks i n lebenswichtigen Versorgungsbetrieben zu beschränken. 39 Lauschke, Notarbeiten, S. 67. 40 I n : Das Arbeitsrecht der Gegenwart, Bd. 1, S. 162; Recht i m Wandel, S. 262; RdA 1964, S. 367; DVB1.1968, S. 59. 41 So v. Münch, Bonner Kommentar, Zweitbearbeitung, A r t . 9 Rdnr. 155; ders., DÖV 1960, S. 299; Brox/Rüthers, Arbeitskampf recht, S. 69 (differenzierender dagegen S. 150). 42 Hueckl Nipperdeyl Stahlhacke, T V G , A n m . 41 zu § 2 T V G ; G. Küchenhoff, RdA 1959, S. 205 (differenzierend nunmehr i n A r b u R 1970, S. 127); Schnorr v. Carolsfeld, R d A 1964, S. 299. 43 Wie Reuß auch Kunze, B B 1964, S. 1315; Löffler, N J W 1962, S. 1603; Nipperdeyl Säcker, i n : Hueckl Nipperdey, Lehrbuch II/2, S. 1030 Fußn. 83; Söllner, Arbeitsrecht, S. 85; Steinert, Notstands- u n d Streikarbeit, S. 62 f. 44 A u f die Wahsner, i n : Sterzel (Hrsg.), K r i t i k , S. 58 f., i n seiner kritischen Untersuchung des Fragenkreises „Dienstpflicht u n d Streik" leider nicht eingeht. 45 Gemäß A r t . 12 a Abs. 5 Satz 1 i. V. m. A r t . 80 a GG können Dienstverpflichtungen auch außerhalb des Verteidigungsfalles angeordnet werden (wenn auch n u r nach einer vorangegangenen Zweidrittelmehrheitsentscheidung des BT).
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2. T e i l : I n h a l t u n d Auswirkungen des A r t . 9 I I I 3 GG
tungen gemäß A r t . 12 a Abs. 3 - 5 GG zulässig sind. Auch i n derartigen staatlichen Notstandssituationen besteht nur eine graduelle Beschränkung der Streikfreiheit 4 6 , die sich dahin auswirkt, daß — je nach den konkreten Notwendigkeiten — einzelne Dienstverpflichtete von der Beteiligung an einem Streik auszunehmen sind, u m die unbedingt erforderlichen Notstandsarbeiten auszuführen. Ein Streik von Personen, die i n Arbeitsverhältnisse dienstverpflichtet worden sind, wäre demnach nur dann und nur insoweit unzulässig, als entweder keine Vorsorge für die Ausführung von Notarbeiten getroffen ist 4 7 , oder Notarbeiten nicht ausreichen, u m eine konkrete Gefahr für die Versorgung der Allgemeinheit m i t lebensnotwendigen Gütern und Leistungen abzuwenden. Eine andere Ansicht — generelles Streikverbot für Dienstverpflichtete — wäre m i t der verfassungsgesetzlichen Grundentscheidung für die Schutzwürdigkeit arbeitsrechtlicher Arbeitskämpfe, wie sie i n A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG zum Ausdruck kommt 4 8 , und m i t dem Verfassungsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht vereinbar. Die i n A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG enthaltene institutionelle Garantie der Arbeitskampffreiheit 4 9 und die Tatsache, daß A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG Arbeitskämpfe der gekennzeichneten A r t auch und gerade vor zielgerichteter Beeinträchtigung durch Dienstverpflichtungen schützen w i l l — und zwar i n der staatlichen Normallage ebenso wie i n inneren oder äußeren Notstandssituationen 50 —, verbieten es, ohne Rücksicht auf die Möglichkeit der Leistung von Notarbeiten und ohne Rücksicht auf die konkreten Umstände des Einzelfalles ein generelles Streikverbot für alle nach A r t . 12 a Abs. 3 GG dienstverpflichteten Personen anzunehmen. Insoweit entfaltet die institutionelle Garantie der Arbeitskampffreiheit i.V.m. dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz eine über den unmittelbaren Inhalt der A r beitskampf schutzklausel hinausgehende Wirkung 5 1 . 46 A . A . Lauschke, Notarbeiten, S. 11, der meint, i n „gewissen staatlichen Notstandssituationen (sei) eine generelle Unzulässigkeit v o n Arbeitskämpfen denkbar". Lauschke konnte 1966 allerdings noch nicht berücksichtigen, daß Dienstverpflichtungen gem. A r t . 12 a Abs. 5 i. V. m. A r t . 80 a GG auch außerhalb des Verteidigungsfalles erfolgen können. Auch W. Weber, Koalitionsfreiheit, S. 48 f. (1965), zieht die Möglichkeit der Vorverlagerung aus dem V e r teidigungsfall heraus nicht i n Betracht, w e n n er feststellt, i n der „eigentlichen Notstandslage" sei der Kampffreiheit der Boden entzogen. 47 Z u den innergewerkschaftlichen Bestimmungen über die Leistung von Notarbeiten s. oben Erster Teil, I . Abschnitt, Fußn. 35. 48 Vgl. dazu oben Zweiter Teil, I I . Abschnitt, Kap. 1. 49 Vgl. dazu oben Zweiter Teil, I I . Abschnitt, Kap. 2. 50 Vgl. dazu oben Zweiter Teil, I. Abschnitt, Kap. 9 (sub 9.3). 51 Trotz der zu Beginn dieses Abschnitts getroffenen Feststellung, daß A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG dem Wortlaut nach nichts über das individuelle Streikrecht der v o n Dienstverpflichtungen betroffenen Personen aussagt, bleibt die neue N o r m i ü r diese Fragen doch nicht ganz ohne Bedeutung. Das übersieht Hamann, i n : Hamann/Lenz, GG, A n m . 12 zu A r t . 9 u n d A n m . 8 zu A r t . 12 a.
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Als Ergebnis der Untersuchung des Verhältnisses zwischen individueller Streikfreiheit und Dienstverpflichtungen gemäß A r t . 12 a Abs. 3 GG ist daher festzuhalten, daß bei Verpflichtung i n ein öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis das Streikrecht zwar nicht positiv-rechtlich ausgeschlossen ist, jedoch i m Hinblick auf das von der herrschenden Meinung vertretene generelle Streikverbot für Beamte als ausgeschlossen betrachtet werden muß. Dagegen bleibt bei der Verpflichtung i n ein Arbeitsverhältnis das Recht der Dienstverpflichteten, sich an einem arbeitsrechtlichen Streik der Gewerkschaften zu beteiligen, grundsätzlich unberührt 5 2 . Nur dort, wo ein Streik zu einer konkreten und unmittelbaren Gefahr für die lebensnotwendige Versorgung der Bevölkerung und der Streitkräfte oder zu einer konkreten Gefährdung des existenznotwendigen Schutzes führen würde und wo die Aufrechterhaltung eines Notdienstes diese Gefahren nicht beseitigen kann, ist den Dienstverpflichteten ein Streik untersagt 53 . 3. Streikrecht und Dienstverpflichtungen gemäß Art. 12 a Abs. 4 I n A r t . 12 a Abs. 4 GG ist die verfassungsrechtliche Ermächtigung geschaffen, Frauen zu Dienstleistungen i m zivilen Sanitäts- und Heilwesen sowie i n der ortsfesten Lazarettorganisation heranzuziehen. Entsprechend der bereits dargestellten gesetzgeberischen Absicht 5 4 , enthält auch A r t . 12 a Abs. 4 GG kein ausdrückliches Streikverbot. Die Unzulässigkeit eines Streik dienstverpflichteter Frauen läßt sich auch nicht daraus herleiten, daß durch die Dienstverpflichtung öffentlich-rechtliche Dienstverhältnisse begründet würden. Denn i m Rahmen des A r t . 12 a Abs. 4 GG werden keine öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnisse, sondern privatrechtliche Arbeitsverhältnisse begründet 55 . Dies ergibt sich aus dem 52 So auch H. Klein, Der Staat & (1969), S. 372; Nipperdey/Säcker, i n : Hueck/ Nipperdey, Lehrbuch II/2, S. 1668. A . A . Wahsner, i n : Sterzel (Hrsg.), K r i t i k , S. 58 f., 61, u n d i h m folgend Rajewsky, Arbeitskampfrecht, S. 80 f., deren Argumentation jedoch trotz des kritischen Ansatzes allzu oberflächlich bleibt. 53 Diese Grundsätze gelten auch f ü r die Auslegung des Tatbestandsmerkmals „ohne anerkennenswerten G r u n d " i n der Sanktionsnorm des § 32 A S G (s. oben Fußn. 20). V o n der Verfassung her muß § 32 A S G so ausgelegt werden, daß eine Ordnungswidrigkeit oder Straftat n u r dann gegeben ist, w e n n die Beteiligung des betroffenen Arbeitnehmers am Streik zu einer konkreten Gefahr f ü r die Versorgung m i t lebensnotwendigen Gütern u n d Leistungen f ü h r t (und deshalb i n arbeitsrechtl. Hinsicht rechtwidrig ist). Auch hier wäre also auf die konkrete F u n k t i o n des betroffenen Dienstverpflichteten abzustellen u n d nach etwaigen Notarbeiten zu fragen. Unzutreffend (weil die v o n der Verfassung her gebotene Differenzierung außer Acht lassend) Hannover, Blätter 1969, S. 573; Römer, B l ä t t e r 1967, S. 1153; Hamann, i n : Hamann/Lenz, GG, A n m . 12 zu A r t . 9 u n d A n m . 8 zu A r t . 12 a. 54 Vgl. oben I I I . Abschnitt, Kap. 1. 55 So auch Schriftl. Ber. des R A des BT, BT-Drs. V/2873, S. 6 (r. Sp.); Maunz, i n : Maunz/Dürig/Herzog, GG, A n m . 33 zu A r t . 12 a GG, der allerdings (unzutreffenderweise) meint, unter den i n A r t . 12 a Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 ge-
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systematischen Zusammenhang mit Abs. 3 und vor allem aus der Entstehungsgeschichte 56 . I m Gegensatz zu A r t . 12 a Abs. 3 GG stellt Abs. 4 für die Dienstverpflichtung von Frauen keine Voraussetzungen i n Form bestimmter Verwendungszwecke auf. Es werden lediglich Sachbereiche angegeben, i n denen Dienstverpflichtungen erfolgen können: ziviles Sanitäts- und Heilwesen sowie ortsfeste militärische Lazarettorganisation. Wenngleich es sich hier u m Bereiche handelt, i n denen es — generell gesehen — u m menschliches Leben und u m menschliche Gesundheit geht, sind die hier denkbaren Dienstleistungen doch so zahlreich und so verschiedenartig (angefangen von ärztlichen Leistungen und Pflegediensten über Nahrungszubereitung bis zu Reinigungs- und Verwaltungsarbeiten), daß man nicht davon ausgehen kann, jeder Streik von Frauen, die gemäß A r t . 12 a Abs. 4 GG dienstverpflichtet worden sind, stelle eine Gefährdung von Leben und Gesundheit kranker, verwundeter oder sonst pflegebedürftiger Personen dar. Auch hier wäre es deshalb unhaltbar, Streiks generell und von vornherein für unzulässig zu erklären. Ebenso wie bei der Dienstverpflichtung von Männern 5 7 ist auch bei der Dienstverpflichtung von Frauen nach A r t . 12 a Abs. 4 GG auf die konkreten Umstände abzustellen. N u r dann, wenn i m konkreten Fall ein Streik eine unmittelbare Gefährdung des Lebens oder der Gesundheit von Menschen darstellt — und zwar einer Gefährdung, die auch durch Leistung von Notarbeiten während des Streiks nicht ausgeräumt werden kann —, wäre ein Streik unzulässig. Grundsätzlich ist jedoch aus denselben Gründen, die zur Ablehnung eines generellen Streikverbots für i n Arbeitsverhältnisse verpflichtete Männer geführt haben 57 , auch der Annahme eines grundsätznannten Voraussetzungen („Wahrnehmung polizeilicher oder anderer hoheitlicher Aufgaben") könnten ausnahmsweise auch bei Frauen öffentlich-rechtliche Dienstverhältnisse begründet werden. 56 Die Fassung des A r t . 12 a Abs. 4 GG geht auf einen Vorschlag zurück, den der Berichterstatter des R A des BT, der Abg. Dr. Lenz (CDU/CSU), m i t Sehr, v. 7. 5. 1968 den Mitgliedern des R A unterbreitet hatte (Ausschußdrs. V/95). Der R A hatte schon vorher am 28. 3. u n d 4. 4. 1968 anderslautende Formulierungen beschlossen, i n denen — w i e auch i n einer Formulierungshilfe des B u n desinnenministeriums v. 4.3.1968 — jeweils ausdrücklich gesagt war, daß die Verpflichtung i n Arbeitsverhältnisse erfolgen sollte (78. Sitzg., Prot. S. 6; 79. Sitzg., Prot. S. 4). Der mitberatende I A stimmte der v o m R A beschlossenen Fassung am 5. 5. 1968 inhaltlich v o l l zu, empfahl jedoch eine Satzumstellung, u m den Vorrang der F r e i w i l l i g k e i t stärker herauszustellen (Beschl. des I A v. 5. 5. 1968, Ausschußdrs. V/93 des RA). U m dem zu entsprechen, legte der Abg. Dr. Lenz eine redaktionell umgestellte Formulierung vor, die der R A am 9. 5. 1968 annnahm (80. Sitzg., Prot. S. 3 f.). I n der kurzen Diskussion i m R A blieb unbemerkt, daß der allseits als sprachlich besser empfundene LenzVorschlag das W o r t „Arbeitsverhältnisse" nicht mehr enthielt. Der Wegfall dieses Wortes ist daher eindeutig auf ein Redaktionsversehen zurückzuführen, das nichts daran zu ändern vermag, daß durch Dienstverpflichtungen gemäß A r t . 12 a Abs. 4 GG allein Arbeitsverhältnisse begründet werden sollen. 57 Vgl. das obige Kap. 2.
I I I . Abschn.: Streikfreiheit u n d Maßnahmen nach A r t . 12 a I I I - V I G G 195 liehen S t r e i k v e r b o t s f ü r d i e nach A r t . 12 a A b s . 4 G G v e r p f l i c h t e t e n Frauen zu widersprechen 58.
4. Streikrecht u n d Berufs- bzw. Arbeitsplatzaufgabeverbote nach A r t . 12 a Abs. 6 D i e i n A r t . 12 a A b s . 6 G G vorgesehene M ö g l i c h k e i t , M ä n n e r u n d F r a u e n i m a u s g e ü b t e n B e r u f oder a m A r b e i t s p l a t z f e s t z u h a l t e n , l ä ß t — d e r gesetzgeberischen Z i e l s e t z u n g e n t s p r e c h e n d 5 9 — die S t r e i k f r e i h e i t eines b e t r o f f e n e n A r b e i t n e h m e r s i n g e n a u demselben M a ß e bestehen, w i e dies v o r A u s s p r u c h eines B e r u f s - oder A r b e i t s p l a t z a u f g a b e v e r b o t s d e r F a l l w a r 6 0 . D i e A n o r d n u n g dieser M a ß n a h m e der A r b e i t s k r ä f t e l e n k u n g ist also f ü r die F r a g e des S t r e i k r e c h t s des e i n z e l n e n A r b e i t n e h m e r s i r r e l e v a n t 6 1 . E i n A r b e i t s p l a t z a u f g a b e v e r b o t w ü r d e n i c h t z u m V e r l u s t des Streikrechts führen 62. D e n k b a r w ä r e a l l e n f a l l s , daß e i n B e t r i e b , i n d e m V e r s o r g u n g s g ü t e r , die n i c h t u n b e d i n g t l e b e n s w i c h t i g sind, p r o d u z i e r t w e r d e n u n d i n d e m d a h e r v o l l e S t r e i k f r e i h e i t besteht, nach A n o r d n u n g v o n A r b e i t s p l a t z a u f g a b e v e r b o t e n seine P r o d u k t i o n ( f r e i w i l l i g oder a u f staatliche O r d e r h i n ) u m s t e l l t u n d n u n m e h r G ü t e r des l e b e n s n o t w e n d i g e n B e d a r f s h e r 58 A . A . dürften a l l diejenigen Autoren sein, die schon bisher — außerhalb der Diskussion u m die Notstandsverfassung — einen Streik von Ärzten u n d Pflegepersonal generell f ü r unzulässig hielten, so etwa Hueck/Nipperdey/Stahlhacke, T V G , A n m . 41 zu § 2 T V G ; G. Küchenhoff, R d A 1959, S. 205; v. Münch, Bonner Kommentar, Zweitbearbeitung, A r t . 9 Rdnr. 155; Nipperdey, i n : Hueckl Nipperdey, Lehrbuch I I / l , S. 111; ebenso — unter Berufung auf sittliche Pflichten u n d höherwertige Interessen, die einem Arbeitskampf von Ärzten u n d Pflegepersonal regelmäßig entgegenstünden — B A G A P § 2 T V G Nr. 13 = B A G E 12, 184 (194). Gegen die undifferenzierte Betrachtungsweise des B A G überzeugend Ramm, JZ 1964, S. 547; 1966, S. 215; JuS 1966, S. 255 f. — Gegen ein generelles Streikverbot f ü r Ärzte u n d Pflegepersonal ferner Reuß, i n : Das Arbeitsrecht der Gegenwart, Bd. 1, S. 162; Recht i m Wandel, S. 261 f. u n d R d A 1964, S. 367; Steinert, Notstands- u n d Streikarbeit, S. 62 f.; Söllner, Arbeitsrecht, S. 74, 85; W. Weber, Koalitionsfreiheit, S. 48; Kunze, B B 1964, S. 1315; Zacher, ZSozRef 12 (1966), S. 143 f. Auch G. Küchenhoff, A r b u R 1970, S. 127, hat neuerdings seine frühere Auffassung (generelles Streikverbot für Ärzte) dahingehend modifiziert, daß innerhalb der ärztl. Arbeit zu differenzieren sei; einem mehr m i t Verwaltungsarbeit beschäftigten A r z t stehe das Streikrecht zu. A u f die Möglichkeit von Notarbeiten hinweisend und ein generelles Streikverbot ablehnend nunmehr auch Nipperdey/Säcker, i n : Hueck/Nipperdey, Lehrbuch II/2, S. 1030 Fußn. 83. 59 Vgl. oben I I I . Abschnitt, Kap. 1. 60 Eingehende Erl. dazu oben Zweiter Teil, I. Abschnitt, Kap. 1 (sub 1.1.6). 61 A . A . Wahsner, A r b u R 1967, 293 (noch zum RegE 1967) u n d — i n der D i k t i o n etwas vorsichtiger — i n : Sterzel (Hrsg.), K r i t i k , S. 59. Z u r Auseinandersetzung m i t Wahsners Argumentation s. oben Zweiter Teil, I. Abschnitt, Fußn. 45. 62 So auch Nipperdey/Säcker, i n : Hueck/Nipperdey, Lehrbuch II/2, S. 1668 (Nachtrag zu S. 977).
13
196
2. T e i l : I n h a l t u n d A u s w i r k u n g e n des A r t . 9 I I I 3 GG
stellt. Ob i n einem solchen Fall die vorher bestehende Streikfreiheit unter dem Gesichtspunkt der Gefährdung des lebensnotwendigen Bedarfs der Allgemeinheit eingeschränkt oder beseitigt sein würde, kann hier jedoch dahingestellt bleiben. Denn es würde sich jedenfalls nicht u m eine unmittelbare Folge des Arbeitsplatzaufgabeverbotes gemäß A r t . 12 a Abs. 6 GG handeln 62 , sondern u m die Folge einer veränderten tatsächlichen Lage und einer dadurch hervorgerufenen anderen arbeitsrechtlichen Bewertung. Überdies käme die Annahme eines Streikverbots für die Arbeitnehmer dieses Betriebs — entsprechend den oben (sub 2) entwickelten Grundsätzen 63 — allenfalls dann und nur insoweit i n Betracht, als i m konkreten Fall ein Streik trotz Aufrechterhaltung eines Notdienstes zu einer akuten und ernsthaften Gefahr für die lebensnotwendige Versorgung der Bevölkerung oder der Streitkräfte führen würde. Auch hier wäre ein generelles Streikverbot m i t der Arbeitskampffreiheit und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit unvereinbar.
5. Zusammenfassung Zusammenfassend ist festzustellen, daß die Arbeitskräftelenkungsmaßnahmen nach A r t . 12 a Abs. 3, 4 und 6 GG keineswegs eo ipso dazu führen, daß die betroffenen Personen einem generellen Streikverbot unterliegen 64 . Arbeitsrechtliche Streiks der von Arbeitskräftelenkungsmaßnahmen betroffenen Personen sind allerdings dann — und nur dann — als unzulässig anzusehen, wenn i m konkreten Fall eine unmittelbare und schwerwiegende Gefahr für die Versorgung der Allgemeinheit (d. h. der Zivilbevölkerung und der Streitkräfte) m i t lebensnotwendigen Gütern und Leistungen bestehen würde und diese Gefahr auch nicht durch Notarbeiten, die während des Streiks durchgeführt werden, behoben werden kann 6 5 .
63
Vgl. oben I I I . Abschnitt, Kap. 2. s. Fußn. 62. 65 Diese Maßstäbe sind auch bei Anwendung der Sanktionsnorm des § 32 ASG, die f ü r alle Arbeitskräftelenkungsmaßnahmen gilt, zu berücksichtigen; vgl. dazu Fußn. 53 u n d 20. 64
Vierter
Abschnitt
Kritik und zusammenfassende Würdigung der Arbeitskampfschutzklausel des Art. 9 Abs. 3 Satz 3 GG Die Arbeitskampfschutzklausel ist vor und nach Inkrafttreten der Notstandsverfassung von verschiedenen Seiten und m i t unterschiedlichen, teilweise auch gegensätzlichen Begründungen kritisiert worden. Diese K r i t i k soll — gegliedert nach verschiedenen Gesichtspunkten — i m folgenden kurz dargestellt und auf ihre Berechtigung untersucht werden. Dieses Verfahren erscheint am geeignetsten, u m eine zusammenfassende und möglichst objektive Beurteilung der neuen Regelung zu ermöglichen. I m Rahmen der Auseinandersetzung m i t kritischen Äußerungen sollen zugleich die wesentlichen Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung i n thesenartiger Zusammenfassung präsentiert werden. 1. Die Kritik an der Verwendung des Begriffs „Arbeitskämpfe" Schon vor der Verabschiedung der Notstandsverfassung ist am geplanten A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 kritisiert worden, daß das Wort „Arbeitskämpfe" verwendet werde, obwohl es doch i m Rahmen der Notstandsgesetzgebung allein darum gehe, die Arbeitskampf form „Streik" vor Beeinträchtigungen durch Notstandsbefugnisse zu schützen 1 . Hinter dieser K r i t i k stand die Befürchtung, durch die Einfügung des Wortes „ A r beitskämpfe" i n das Grundgesetz werde die Arbeitskampfform „Aussperrung" verfassungsrechtlich für zulässig erklärt oder gar garantiert und das Aussperrungsverbot i n A r t . 29 Abs. 5 der Hessischen Verfassung außer K r a f t gesetzt. Verständlich und nachvollziehbar ist die K r i t i k an der Verwendung des Wortes „Arbeitskämpfe" also nur für denjenigen, der i n der Aussperrung — ob aus rechtlichen oder anderen Gründen — ein unzulässiges oder zumindest bedenkliches Arbeitskampfmittel sieht und der das hessische Aussperrungsverbot für zulässig und wirksam hält. 1 Vgl. die fraktionsinternen Änderungsanträge der SPD-Abg. Gscheidle u n d Genossen v. 2.5.1968, Begründung zu A n t r a g Ziff. 1 (s. oben S. 97/98); Abg. Matthöfer (SPD), 174. Sitzg. d. 5. B T v. 15. 5. 1968, Sten. Ber. S. 9315 (A) u n d 178. Sitzg. v. 30. 5. 1968, Sten. Ber. S. 9632 (C); Minister Dr. Strelitz (Hessen), 326. Sitzg. d. BR v. 14. 6.1968, Sten. Ber. S. 141 (C, D); ferner Hannover , Blätter 1968, S. 571.
198
2. T e i l : I n h a l t u n d A u s w i r k u n g e n des A r t . 9 I I I 3 GG
Wer diese Position nicht teilt, w i r d die K r i t i k dagegen von vornherein nicht für stichhaltig erachten. Ein Ergebnis der vorliegenden Untersuchung war, daß die Arbeitskampfschutzklausel trotz der Verwendung des Wortes „Arbeitskämpfe" nichts über die Frage aussagt, wie die Aussperrung i n allgemeiner Hinsicht verfassungsrechtlich zu bewerten sei und wie es m i t der Gültigkeit eines landesrechtlichen Aussperrungsverbots stehe 2 . Nach der hier vertretenen Auffassung hat der neue Satz 3 des A r t . 9 Abs. 3 GG weder i n der einen noch i n der anderen Richtung klärend i n den Streit der Meinungen eingegriffen; von der Arbeitskampfschutzklausel her gesehen bleibt die Frage der allgemeinen verfassungsrechtlichen Bewertung der Aussperrung vielmehr offen. Daraus folgt, daß auch die K r i t i k derjenigen unbegründet erscheint, die von der Unzulässigkeit oder Bedenklichkeit der Arbeitskampfform „Aussperrung" ausgehen und die von dieser Position aus gegen eine verfassungsrechtliche Anerkennung oder gar Garantie der Aussperrung Widerspruch anmelden. Von den SPD-Abgeordneten, die sich i n den parlamentarischen Beratungen gegen die Verwendung des Wortes „Arbeitskämpfe" wandten, ist als zusätzliches Sachargument vorgebracht worden, eine Ersetzung des Wortes „Arbeitskämpfe" durch „Streiks" sei schon deshalb erforderlich, weil keine der i m vorgesehenen A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 aufgeführten Maßnahmen überhaupt gegen Aussperrungen gerichtet sein könne 3 . Würde dies zutreffen, dann wäre allerdings K r i t i k am neuen Satz 3 angebracht; denn i n diesem Falle hätte man sich für eine Formulierung entschieden, die von der neu zu regelnden Materie her nicht geboten gewesen, sondern aus außerhalb der Sache liegenden Gründen 4 — Vermeidung einer verfassungsrechtlichen Erwähnung nur des Streiks — gebraucht worden wäre. Indessen zeigt sich — wie i n Kapitel 1 (sub 1.5) des I. Abschnittes des Zweiten Teils dargelegt — bei genauerer Betrachtung, daß die i n A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG aufgeführten Maßnahmen auch gegen Aussperrungen gerichtet sein könnten. Mag man auch die Gefahr, daß Aussperrungen durch Maßnahmen nach A r t . 12 a, 87 a Abs. 4 oder 91 GG beeinträchtigt werden, aus politisch-soziologischen Erwägungen heraus — je nach dem eigenen politischen und ideologischen Standort — für mehr oder weniger unwahrscheinlich halten, so ist es doch nicht ohne jeden Sinn, daß sich die Arbeitskampfschutzklausel auf „Arbeitskämpfe", d. h. auf die Arbeitskampfarten Streik und Aussperrung, bezieht. Die
2
Vgl. dazu oben Zweiter Teil, I. Abschnitt, Kap. 3. s. Fußn. 1. 4 Die SPD-Abg. Gscheidle u n d Genossen sprachen v o n „klassenpolitischen" Gründen, Änderungsanträge v. 2. 5. 1968, Begründung zu A n t r a g Ziff. 1 (s. oben S. 98). 3
I V . Abschn.: K r i t i k u n d zusammenfassende Würdigung
199
insoweit geübte K r i t i k an der Verwendung des Begriffs „Arbeitskämpfe" geht demnach fehl. 2. Die Kritik wegen angeblich möglicher Rückschlüsse auf wilde und politische Streiks A n A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG ist ferner kritisiert worden, er besage per argumentum e contrario, daß gegen nichtgewerkschaftliche (wilde) Streiks sowie gegen politische Streiks m i t Maßnahmen nach A r t . 12 a, 87 a Abs. 4 und 91 GG vorgegangen werden dürfe 5 . Die K r i t i k , die zumeist aus einer Position der prinzipiellen Ablehnung der verfassungsändernden Notstandsgesetzgebung erhoben wurde, ist — wie auch immer man zu ihren Prämissen stehen mag — sachlich unzutreffend. I n den Kapiteln 5 und 7 des I. Abschnitts des Zweiten Teils wurde dargelegt, daß Umkehrschlüsse der geschilderten A r t aus A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG nicht gezogen werden können. Der Arbeitskampfschutzklausel ist weder zur allgemeinen Problematik des politischen oder des wilden Streiks etwas zu entnehmen noch zu der Frage, ob und mit welchen Maßnahmen staatlicher Gewalt gegen derartige Streiks vorgegangen werden könnte.
3. Die Kritik wegen angeblicher Beseitigung des Streikrechts Kurze Zeit nach Inkrafttreten der Notstandsverfassung hat Ramm 6 die Auffassung vertreten, die Notstandsgesetzgebung habe das Streikrecht i m Notstandsfalle beseitigt; dies wirke, da der Notstandsfall nicht scharf abgrenzbar sei, auch i n die Normalsituation hinein — „ganz abgesehen von seinen zu erwartenden Auswirkungen auf die allgemeine Diskussion u m das Streikrecht" 6 . Damit hätten, so Ramm, die Gewerkschaften nach der Illegalisierung des politischen Streiks und nach der erheblichen Einschränkung, die das Streikrecht durch die Übernahme des Rechts am Gewerbebetrieb und der Sozialadäquanztheorie i n das Arbeitskampfrecht erfahren habe, ihre dritte bedeutsame Niederlage i n Bezug auf ihr wichtigstes Kampfmittel, den Streik, erlitten 6 . Eine Auseinandersetzung m i t diesen Thesen ist deshalb nicht ganz einfach, weil ihnen Ramm keine Begründung beigefügt hat. Zunächst ist festzustellen, daß die Notstandsverfassung keinerlei Einschränkungen der Koalitions- und der Streikfreiheit enthält, sondern ganz i m Gegen5 Vgl. etwa Wahsner, i n : Sterzel (Hrsg.), K r i t i k , S. 61 f.; v. Barby, A r b u R 1968, S. 270; Hannover, Blätter 1968, S. 571 f. („Der politische u n d der ,wilde' Streik dürfen v o m M i l i t ä r zusammengeschossen oder durch Dienstverpflichtungen . . . zum Erliegen gebracht werden."); Rajewsky, Arbeitskampfrecht, S. 80 f.; ähnlich auch Pinkall, i n : Sozialdemokratie u n d Sozialismus heute, S. 97. 8 K J 1968, S. 117.
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2. T e i l : I n h a l t u n d A u s w i r k u n g e n des A r t . 9 I I I 3 GG
teil i n A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG eine Klausel geschaffen hat, die Arbeitskämpfe, also auch den Streik, vor gezielten Beeinträchtigungen durch bestimmte Notstandsbefugnisse der Exekutive schützt. Angesichts der Arbeitskampfschutzklausel ist die von Hamm i n einer früheren Untersuchung 7 geäußerte Befürchtung gegenstandslos geworden, die Bundesregierung könne „zufällig" i m Stadium eines drohenden arbeitsrechtlichen Streiks Dienstverpflichtungen aussprechen „ u n d damit den Streik unmöglich machen" 8 . I n gleicher Weise gegenstandslos geworden ist die Befürchtung, Streiks könnten unbeschadet ihres arbeitsrechtlichen Charakters zu „politischen Kampfmaßnahmen erklärt und dementsprechend bekämpft" werden 9 . Gewerkschaftliche Streiks, die zur Wahrung und Förderung der Arbeitsund Wirtschaftsbedingungen geführt werden, sind — wie i n Kapitel 6 des I. Abschnitts des Zweiten Teils dargelegt — ohne Rücksicht auf ihre wirtschaftspolitischen Auswirkungen vor den i n A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG aufgeführten Maßnahmen geschützt; dieser Schutz besteht — das wurde i n Kapitel 9 des I. Abschnitts ausgeführt — unabhängig von der inneren oder äußeren Lage, i n der sich das Staatswesen befindet. Die Möglichkeit, arbeitsrechtliche Streiks unter Berufung auf ihre Auswirkungen oder auf die besonderen Umstände zu politischen Streiks erklären und dann m i t den i n A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG genannten Notstandsmaßnahmen gegen sie vorzugehen, besteht also nicht. Da die Notstandsverfassung keine Einschränkung der allgemeinen Vereinigungsfreiheit (Art. 9 Abs. 1 GG) und auch keine Erweiterung der Verbotsmöglichkeiten nach A r t . 9 Abs. 2 GG gebracht hat — beides war i n der 3. und 4. Legislaturperiode diskutiert worden 1 0 —, kann auch nicht mehr argumentiert werden, insoweit lägen gegen Streiks gerichtete Waffen vor, m i t denen auch der arbeitsrechtliche Streik beseitigt werden könne 1 1 . A u f diese schon früher angestellten Überlegungen kann Ramm seine These, die Notstandsgesetzgebung habe das Streikrecht i m Notstandsfall beseitigt, nicht gestützt haben oder zumindest nicht mehr stützen. Es bleibt nur die Vermutung, daß Ramm der Auffassung sein könnte, den von Arbeitskräftelenkungsmaßnahmen nach A r t . 12 a Abs. 3 - 6 GG betroffenen Personen stehe — aus welchen Gründen auch immer — kein Streikrecht zu. Diese Auffassung wäre jedoch unzutreffend. I m I I I . A b 7
A r b u R 1967, S. 33 f. A r b u R 1967, S. 41. 9 Ramm, A r b u R 1967, S. 41; ähnlich i n : HofmannlMaus (Hrsg.), Notstandsordnung, S. 97. 10 Vgl. oben Erster Teil, I . Abschnitt, Fußn. 23, 66, 142. 11 So 1966/67 Ramm, i n : Hofmann/Maus (Hrsg.), Notstandsordnung, S. 97. 8
IV. Abschn.: K r i t i k u n d zusammenfassende Würdigung
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schnitt des Zweiten Teils wurde dargelegt, daß das Recht, sich an arbeitsrechtlichen Streiks der Gewerkschaften zu beteiligen, grundsätzlich auch für diejenigen Personen erhalten bleibt, die von Arbeitskräftelenkungsmaßnahmen betroffen werden. Eine Ausnahme — Streikverbot — besteht nur für diejenigen Männer, die gemäß A r t . 12 a Abs. 3 GG i n öffentlich-rechtliche Dienstverhältnisse verpflichtet werden; beim „Normalfall" der Dienstverpflichtung i n Arbeitsverhältnisse bleibt das Streikrecht unberührt. Die Unzulässigkeit eines Streiks könnte sich — wie i m I I I . Abschnitt näher ausgeführt — i m Einzelfall, wenn ganz bestimmte Voraussetzungen gegeben sind, zwar aus allgemeinen arbeitsrechtlichen Gesichtspunkten ergeben, jedoch wäre dies weder eine Folge des neu geschaffenen A r t . 12 a GG noch eine Folge anderer Bestimmungen der Notstandsverfassung. Die These Ramms, die Notstandsgesetzgebung habe das Streikrecht beseitigt, muß demnach als unzutreffend bezeichnet werden. Damit ist zugleich die Prämisse für Ramms weitergehende Befürchtungen — die Beseitigung des Streikrechts i m Notstandsfall werde sich auch auf die Normalsituation und auf die allgemeine Streikrechtsdiskussion auswirken — entfallen; ebensowenig ist es gerechtfertigt, von einer neuen Niederlage der Gewerkschaften i m Hinblick auf den Streik als ihr wichtigstes Arbeitskampfmittel zu sprechen. Angesichts der Tatsache, daß es entgegen der Rechtslage vor Inkrafttreten der Notstandsverfassung nunmehr ausdrücklich für unzulässig erklärt ist, Streiks der gekennzeichneten A r t durch gezielte Einberufungen zum Wehrdienst oder zum Ersatzdienst zu beeinträchtigen 12 , und angesichts der jetzt weitaus eindeutiger als früher i m Grundgesetz enthaltenen Garantie der Streikfreiheit 1 8 besteht i m Gegenteil Anlaß, hinsichtlich des Streiks eine nicht unerhebliche Verbesserung der Position der Arbeitnehmer und der Gewerkschaften zu konstatieren 14 . 4. Die Kritik wegen einer angeblich einseitigen Belastung der Arbeitnehmer und der Gewerkschaften Über die Arbeitskampf schutzklausel hinausgehend, wenngleich eng mit ihr zusammenhängend, ist an der Notstandsverfassung insgesamt k r i t i siert worden, daß sie eine einseitige Schwächung der Position der Arbeitnehmer und der Gewerkschaften m i t sich bringe, während die Stellung der Unternehmer, der Arbeitgeber und ihrer Verbände nicht nur nicht beeinträchtigt, sondern zu Lasten der Arbeitnehmer sogar noch verstärkt 12 13 t4
s. oben Zweiter Teil, I. Abschnitt, Kap. 1 (sub 1.1.1,1.1.2 u n d 1.5). s. oben Zweiter Teil, I I . Abschnitt, Kap. 2. Das übersieht Däubler, Der Streik i m öffentlichen Dienst, S. 64.
202
2. T e i l : I n h a l t u n d A u s w i r k u n g e n des A r t . 9 I I I 3 GG
werde 1 5 . Von dieser K r i t i k war es dann nur ein kleiner Schritt zu Thesen wie etwa der, daß m i t der Notstandsverfassung der Weg i n die „soziale Diktatur" (sie!) verfassungsrechtlich geebnet sei 16 , daß die Notstandsverfassung nur der Absicherung gefährdeter Klasseninteressen der Unternehmer zu dienen bestimmt sei 17 , oder daß sie schlichtweg ein Instrument zur „Legalisierung des Transformationsprozesses von der Formaldemokratie zur totalitären Klassenherrschaft" 18 darstelle. Wenn solche und ähnliche Behauptungen i n der außerparlamentarischen Diskussion u m die Notstandsverfassung eine außerordentliche große Rolle spielten, dann lag das daran, daß bei einem Großteil der „ l i n ken" Kritiker, vor allem bei den Gewerkschaften, jenseits aller überspitzten Polemik die subjektiv ehrliche Überzeugung bestand, die geplante Notstandsregelung enthalte als wesentliches Element einen Abbau der Rechte der Arbeitnehmer und ihrer Organisationen. Ob dies für frühere Entwürfe 1 9 zutraf, soll nicht näher untersucht werden; hier interessiert allein, ob der V o r w u r f einer einseitigen Schwächung der Arbeitnehmerposition auch gegenüber der Notstandsregelung erhoben werden kann, die durch das Siebzehnte Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes geltendes Verfassungsrecht geworden ist. Diese Frage ist zu verneinen. Durch den Verzicht auf jede Einschränkbarkeit des A r t . 9 Abs. 3 GG i n Notstandssituationen bleiben sowohl die individuelle Koalitionsfreiheit des einzelnen Arbeitnehmers als auch Bestand und Betätigungsfreiheit der Gewerkschaften unberührt erhalten. Die Arbeitskampfschutzklausel des A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG schützt arbeitsrechtliche Streiks, die von den Gewerkschaften geführt werden, ausdrücklich (und absolut) 20 vor gezielter Beeinträchtigung durch Dienstverpflichtungen oder polizeiliche und militärische Exekutivmaßnahmen gemäß Art. 87 a Abs. 4, 91 GG. Wichtig ist ferner, daß durch Dienstverpflichtungen, die gemäß A r t . 12 a Abs. 5, 80 a Abs. 1 Satz 2 GG erst nach einem mit Zweidrittelmehrheit gefaßten Parlamentsbeschluß angeordnet werden dürfen, i n der Regel Arbeitsverhältnisse begründet werden. Innerhalb dieser Arbeitsverhältnisse haben die Betroffenen grundsätzlich 15 Vgl. etwa Wahsner, i n : Sterzel (Hrsg.), K r i t i k , S. 62 ff.; ähnlich auch schon 1966/67 Ramm, i n : Hofmann/Maus (Hrsg.), Notstandsordnung, S. 98 ff. u n d A r b u R 1967, S. 43 (zum Benda-Entwurf 1965); Wahsner, A r b u R 1967, S. 294 f. (zum RegE 1967). 18 Wahsner, i n : Sterzel (Hrsg.), K r i t i k , S. 64. 17 Vgl. etwa Hofmann, i n : Hofmann/Maus (Hrsg.), Notstandsordnung, S. 104; ferner die Auszüge aus einer Rede des I G Metall-Vorstandsmitgliedes Benz, i n : Blätter 1967, S. 1139 f. 18 Hannover, Blätter 1968, S. 568 ff. 19 Insbes. f ü r den Schröder-Entwurf von 1960, s. oben Erster Teil, I. A b schnitt, Fußn. 23 sowie Text zu Fußn. 26, 31 - 44. 20 Vgl. oben Zweiter Teil, I. Abschnitt, Kap. 6 u n d 9.
I V . Abschn.: K r i t i k u n d zusammenfassende Würdigung
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die Freiheit, sich an gewerkschaftlichen Streiks zu beteiligen; die Unzulässigkeit eines Streiks könnte sich allenfalls aus allgemeinen arbeitsrechtlichen Gesichtspunkten ergeben, die jedoch mit der Dienstverpflichtung als solcher nichts zu t u n hätten 2 1 . Das gleiche gilt für Arbeitsplatzaufgabeverbote gemäß A r t . 12 a Abs. 6 GG 2 2 . Angesichts dieses Systems von Sicherungen und unberührt bleibenden Freiheitsgarantien kann der Vorwurf, die Notstandsverfassung habe die Position der Arbeitnehmer und der Gewerkschaften i n einseitiger Weise geschwächt und einen insbesondere i n A r t . 12 GG (Freiheit von Arbeitszwang) zum Ausdruck kommenden „Verfassungskompromiß" 23 einseitig zugunsten der Arbeitgeberseite verschoben, nicht aufrecht erhalten zu werden 2 4 . Überdies darf hinsichtlich der i n A r t . 12 a Abs. 3 - 6 GG vorgesehenen Beschränkungen der freien Berufs- und Arbeitsplatzwahl, an denen sich der gewerkschaftliche Widerstand gegen eine Notstandsverfassung wesentlich entzündete 26 , ein wichtiger Umstand nicht übersehen werden: Wenn die Frage einer verfassungsrechtlichen Ermächtigung für Eingriffe i n die freie Berufs- und Arbeitsplatzwahl i n der Notstandsdiskussion einen so breiten Raum einnahm und wenn es schließlich zu einer so weitgehenden (und sicherlich nicht unproblematischen 26 ) Regelung wie der des Art. 12 a Abs. 3 - 6 GG kam, während Einschränkungen der Position der Unternehmer und Arbeitgeber kaum diskutiert und i m endgültigen Text — abgesehen von einer Randfrage 2 7 —auch nicht vorgesehen wurden, dann liegt dies nicht etwa daran, daß bewußt nur eine Seite, nämlich die Arbeitnehmerseite, belastet werden sollte, sondern allein daran, daß das Grundgesetz die i n einem Notstandsfall eventuell erforderlichen Eingriffe i n Rechte der Arbeitgeber und Unternehmer bereits zuließ. U m Produktionsauflagen, -Verteilungsanweisungen, Aussperrungsverbote, Preisstopps, Abschöpfung von Kriegsgewinnen 2 8 und andere i n einer 21
Vgl. oben Zweiter Teil, I I I . Abschnitt, Kap. 2, 3 u n d 5. Vgl. oben Zweiter Teil, I I I . Abschnitt, Kap. 4 u n d 5. 23 Sachverst. Dr. Seifert, 5. Informationssitzg. v. 14. 12. 1967, Prot. S. 65 f., 71. Kritisch zu Seiferts eigenwilliger Deutung des A r t . 12 Abs. 2 GG StS Prof. Dr. Ehmke, ebd., S. 71. 24 Ä h n l i c h wie hier H. Klein, Der Staat 8 (1967), S. 373 f. 25 s. oben Zweiter Teil, I . Abschnitt, Fußn. 18,19 u. den T e x t dazu. 26 Vgl. Hall, JZ 1968, S. 165 f. 27 I n A r t . 115 c Abs. 2 GG wurde eine Ermächtigung geschaffen, bei E n t eignungen während des Verteidigungsfalles abweichend von A r t . 14 Abs. 3 Satz 2 GG die Entschädigung n u r vorläufig zu regeln. 28 Sie w u r d e n i n der Notstandsdiskussion i m m e r wieder erwähnt, vgl. etwa Ramm, i n : Hofmann/Maus (Hrsg.), Notstandsordnung, S. 99 f.; DGB-Vorstandsmitglied Reuter, 5. Informationssitzg. v. 14. 12. 1967, Prot. S. 25, sowie die Diskussion zwischen Sachverst. Dr. Seifert, StS Prof. Dr. Ehmke u n d Abg. Schlager (CDU/CSU), ebd., S. 71 f. 22
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2. T e i l : I n h a l t u n d A u s w i r k u n g e n des A r t . 9 I I I 3 GG
Notstandssituation möglicherweise erforderliche Maßnahmen (bis hin zur Übernahme von Betrieben i n staatliche Verwaltung) durchführen zu können, bedurfte und bedarf es keiner neu zu schaffenden verfassungsrechtlichen Ermächtigungen. Zwar hat Bettermann 2 9 1964 festgestellt, der damals vorliegende Entw u r f 3 0 gehe auffällig schonend m i t der Eigentumsgarantie des A r t . 14 GG u m und es sei zu bezweifeln, ob die allein vorgesehene Suspension der Junktimsklausel des A r t . 14 Abs. 3 Satz 2 GG allen Erfordernissen des Notstands genüge. Indessen hat Bettermann nicht näher dargelegt, inwiefern er der Auffassung war, daß die nach A r t . 14 GG bereits bestehenden staatlichen Eingriffsmöglichkeiten nicht ausreichten. Ohne der Frage, ob etwa eine völlige Außerkraftsetzung der Junktimsklausel während bestimmter Notstandssituationen zweckmäßig sein könnte, hier weiter nachgehen zu wollen, kann jedenfalls festgestellt werden, daß es die Verfassung erlauben würde, die i n Notstandssituationen erforderlichen Eingriffe i n Rechte der Eigentümer und Unternehmer durchzuführen. Es kann hier dahingestellt bleiben, wann es sich u m eine Regelung von Inhalt und Schranken des Eigentums gemäß A r t . 14 Abs. 1 Satz 2 GG und wann es sich u m eine (entschädigungspflichtige) Enteignung gemäß A r t . 14 Abs. 3 GG, die zum Wohl der Allgemeinheit zulässig ist, handeln würde 3 1 . Wichtig ist nur, daß von Produktionsauflagen über den Preisstopp bis h i n zur förmlichen Enteignung zahlreiche, den Arbeitgeber i n seiner Position als Eigentümer und Unternehmer belastende Maßnahmen durchgeführt werden könnten, ohne daß es dazu einer Änderung des A r t . 14 oder der A r t . 2 und 12 GG (Garantie der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit und der Berufsfreiheit) bedürfte 8 2 . I m Gegensatz dazu waren Arbeitskräftelenkungsmaßnahmen, für die i m Falle einer äußeren Bedrohung der Bundesrepublik ein Bedürfnis bestehen kann, vor Schaffung des A r t . 12 a GG verfassungsrechtlich unzulässig oder mindestens zweifelhaft 3 3 . Für derartige Maßnahmen mußte daher i m Rahmen der Notstandsverfassung eine verfassungsrechtliche Grundlage geschaffen werden, während dies für Beschränkungen der Eigentümer- und Unternehmerrechte nicht nötig war, w e i l es hier — 29
I n : Fraenkel (Hrsg.), Staatsnotstand, S. 221. RegE 1962 (Höcherl-Entwurf), BT-Drs. IV/891. 31 Vgl. dazu Häberle, Wesensgehaltgarantie, S. 55 f. (insbes. die Feststellung, das Eigentum erhalte i n Krisenzeiten über die Sozialpflichtigkeitsklausel einen variablen Inhalt, ebd., S. 56). 32 Vgl. Benda, i n : Hofmann/Maus (Hrsg.), Notstandsordnung, S. 85 f., 102, u n d Industrielle Herrschaft, S. 267 ff.; ferner W. Weber, Koalitionsfreiheit, S. 50. 33 Vgl. Hall, J Z 1968, S. 165; Evers, i n : Material zur Notstandsfrage, hrsg. v. DGB-Bundesvorstand, S. 56ff.; ferner oben Erster Teil, I. Abschnitt, Fußn. 67 u n d 165. 30
I V . Abschn.: K r i t i k u n d zusammenfassende Würdigung
205
abgesehen von einer erforderlichen Lockerung der Junktimklausel — schon genügend staatliche Eingriffsbefugnisse gab. Von zahlreichen K r i t i k e r n der Notstandsverfassung, insbesondere auch von den Gewerkschaften, ist diese Lage offensichtlich verkannt worden 3 4 , so daß manches an K r i t i k und Polemik gegen die Notstandsverfassung von vornherein fehlging 3 5 . Die eingängige, wenn auch die Sachlage nur teilweise richtig wiedergebende K r i t i k Bettermanns, der Höcherl-Entwurf gehe auffällig schonend m i t der Eigentumsgarantie um, wurde später von Ramm 3 6 aufgegriffen. U m das nach seiner Auffassung eintretende Mißverhältnis zwischen Freiheitseinschränkung und Eigentumseinschränkung zu beseitigen und ein Gegengewicht gegen den i m Notstand eintretenden Machtzuwachs der Arbeitgeber zu schaffen, schlug Ramm vor 3 7 , nach dem Vorbild des Gesetzes über den Vaterländischen Hilfsdienst vom 5. 12. 191638 i m Notstandsfall die Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer i n den Unternehmen zu vollen Mitentscheidungsrechten i n allen Fragen (einschließlich der Gewinnverteilung) auszubauen. Ramms Vorschlag wurde dann von Wahsner übernommen, der i n Untersuchungen des Regierungsentwurfs 196739 und des endgültigen Textes der Notstandsverfassung 40 kritisiert hat, daß die als Ausgleich für die angebliche Schwächung der Arbeitnehmer und ihrer gewerkschaftlichen Vertretung notwendige Erweiterung der Mitbestimmung nicht vorgesehen sei. Wahsner übersah bei seiner scharfen K r i t i k am Entwurf und am schließlich verabschiedeten Text freilich einen entscheidenden Gesichtspunkt: Der rechtspolitisch erwägenswerte Vorschlag Ramms brauchte keineswegs i n der Notstandsverfassung geregelt zu werden, da er keine Verfassungsänderung voraussetzt; eine Erweiterung der M i t bestimmung konnte und kann auf der Grundlage des geltenden A r t . 14 GG vom (einfachen) Gesetzgeber verwirklicht werden 4 1 . Während die für 34 Vgl. etwa DGB-Vorstandsmitglied Reuter, 5. Informationssitzg. v. 14. 12. 1967, Prot. S. 25; Sachverst. Dr. Seifert, ebd., S. 71 f.; Abg. Matthöf er, 178. Sitzg. d. 5. B T v. 30. 5.1968, Sten. Ber. S. 9634 (B). 35 Ä h n l i c h Benda, i n : Hofmann/Maus (Hrsg.), Notstandsordnung, S. 85 f., 102,104. 36 A r b u R 1967, S. 42 f. 37 A r b u R 1967, S. 42 f.; ebenso i n : Hofmann/Maus (Hrsg.), Notstandsordnung, S. 98 ff. 38 RGBl. S. 1333. 39 A r b u R 1967, S. 294 f. 40 I n : Sterzel (Hrsg.), K r i t i k , S. 62 ff. 41 So die durchaus herrschende Meinung. Vgl. etwa Boettcher u. a., U n t e r nehmenverfassung als gesellschaftspolitische Forderung, S. 157 ff.; Nipperdey/ Säcker, i n : Hueck! Nipperdey, Lehrbuch II/2, S. 1537 ff., beide m i t zahlr. w . Nachw.; Fitting/Kraegeloh/Auffahrt, BetrVG, § 76 A n m . 23; Fabricius, M i t -
206
2. T e i l : I n h a l t u n d A u s w i r k u n g e n des A r t . 9 I I I 3 GG
die eventuell erforderlichen Arbeitskräftelenkungsmaßnahmen eine verfassungsrechtliche Ermächtigung erst geschaffen werden mußte, war dies für die möglicherweise ebenfalls zweckmäßige Erweiterung der M i t bestimmung nicht nötig. Es ist daher verfehlt, aus der Nichtaufnahme einer neuen Ermächtigung zu Eingriffen i n das Eigentum einerseits und aus den i n A r t . 12 a GG neu vorgesehenen Einschränkungen der freien Berufs- und Arbeitsplatzwahl andererseits den Schluß zu ziehen, die Notstandsverfassung stärke die Arbeitgeberseite und verschlechtere die Position der Arbeitnehmer und der Gewerkschaften. Wie i n Kapitel 1 (sub. 1.1.1 und 1.5) des I. Abschnitts des Zweiten Teils dargelegt, hat die Notstandsverfassung i n einer Hinsicht die Lage der Arbeitnehmer und der Gewerkschaften gegenüber dem früheren Rechtszustand sogar eindeutig verbessert: Erst m i t Inkrafttreten der Arbeitskampfschutzklausel des A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG ist sichergestellt, daß sich die Heranziehung zum Wehrdienst oder zum Ersatzdienst nicht gegen Arbeitskämpfe der gekennzeichneten A r t richten darf. Faktisch bedeutet das einen gegenüber früher nicht unerheblich verbesserten Schutz des Streikrechts 42 . 5. Art. 9 Abs. 3 Satz 3 GG — eine unzulängliche und gefährliche Regelung des Problemkomplexes „Arbeitskampf und Notstandsverfassung"? Versuch einer zusammenfassenden Würdigung Als letztes ist schließlich auf die K r i t i k einzugehen, die an A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG m i t der Begründung geübt worden ist, es handele sich u m eine unvollständige, unzulängliche oder gefährliche, jedenfalls aber sachlich schlechte Regelung des Problemkreises „Arbeitskampf und Notstandsverfassung". M i t der Stellungnahme zu dieser K r i t i k soll zugleich der Versuch einer zusammenfassenden Würdigung des neuen Satzes 3 des A r t . 9 Abs. 3 GG verbunden werden. Von einer rechtskonservativ-staatsautoritären Position aus hat Mart i n i 4 8 , der die Notstandsverfassung insgesamt für völlig unzureichend hält 4 4 , die „Einführung eines Streikrechts" als Schildbürgerstreich bebestimmung, S. 62 f.; Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht I I , S. 571 ff.; Kimminich, Bonner Kommentar, Zweitbearbeitung, A r t . 15 Rdnr. 38. — Anders neuerdings v. Plessen, Qualifizierte Mitbestimmung, S. 79 ff., 89, 98 u n d passim (dagegen überzeugend Kunze, Mitbestimmungsgespräch 1970, S. 187 ff.); Huber, Grundgesetz u n d wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 86 ff., 134 f. u n d passim. 42 Vgl. oben Zweiter Teil, I. Abschnitt, Fußn. 13 u n d den Text dazu. 43 Politische Welt 1968, S. 9 ff. 44 „Der Bundestag hat w i e ein M a n n gehandelt, der sich zum Schutz seines Hauses zwar einen H u n d anschafft, i h m aber alle Zähne z i e h t . . . " f ebd., S. 12.
I V . Abschn.: K r i t i k u n d zusammenfassende Würdigung
207
zeichnet; abgesehen davon, daß sich „jeder politisch motivierte Streik als einen arbeitsrechtlichen frisieren läßt", schlössen Notstandsrecht und Streikrecht einander schon dem Begriff nach aus 45 . Aus der diametral entgegengesetzten Position eines „linken" Kritikers der Notstandsgesetzgebung hat J. Seifert 4 8 die Arbeitskampfschutzklausel als „Scheinkompromiß" sowie als „dilatorischen Formelkompromiß" bezeichnet, der die verschiedensten Deutungen offenlasse, i n der Sache keine Entscheidung enthalte und „die Gefahr einer weiteren Verschlechterung der Position der Arbeitnehmer und ihrer Organisationen i m Krisenfall" i n sich berge 47 . Aus einer rein juristischen Sicht hat Rüthers die Arbeitskampfschutzklausel einer herben K r i t i k unterzogen 48 . Rüthers meint, der neue Satz 3 des A r t . 9 Abs. 3 GG erwecke bei unbefangener Betrachtung den Eindruck — und solle i h n nach den gesetzgeberischen Intentionen w o h l auch erwecken —, arbeitsrechtliche Arbeitskämpfe seien i m Notstandsfall wie i n der Normallage unter den von der herrschenden Lehre entwickelten Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen beliebig zulässig. Dieser Eindruck sei jedoch unzutreffend. Unter dem Gesichtspunkt der Gefährdung des Gemeinwohls seien notstandsverschärfende und notstandsverursachende Arbeitskämpfe rechtswidrig und unzulässig. Rüthers rügt, daß die verfassungsgesetzliche Regelung zu dem möglichen Konflikt zwischen A r beitskampf und Gemeinwohl schweige. Die Arbeitskampfschutzklausel setze „ i m Gegensatz zur tatsächlichen Rechtslage den trügerischen Schein eines unbegrenzten Arbeitskampfprivilegs" 4 9 . Soweit A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG eine verfassungsgesetzliche Einrichtungsgarantie des rechtmäßigen Arbeitskampfes enthalte, sei er überflüssig, da diese von der herrschenden Lehre bereits anerkannt gewesen sei. Die „scheinbar unbegrenzte Schutzklausel" verführe durch ihren Wortlaut zu einer „illusionären Einschätzung der Tatsachenlage und der Rechtslage des Arbeitskampfes i m Notstandsfall". Das könne zum gefährlichen Hindernis für eine w i r k same Verteidigung der Verfassung werden. Wirklichkeitsnäher sei es gewesen, die Problemkreise „Arbeitskampf i m Notstand" und „Notstand durch Arbeitskampf" mit einer „sachgerechten Beschränkung der A r beitskampffreiheit, etwa i m Sinne des amerikanischen Taft-Hartley-Act" zu regeln 50 . 45
Ebd., S. 11. K J 1968, S. 15 f. (Seifert spricht übrigens irrtümlicherweise von A r t . 9 Abs. 3 Satz 2 statt von Satz 3.) 47 K J 1968, S. 16. Ä h n l i c h — wenn auch i n manchem u n k l a r — v. Barby, A r b u R 1968, S. 270. 48 D B 1968, S. 1950, 1952. 49 D B 1968, S. 1952. Evers, Arbeitskampffreiheit, S. 107, übernimmt (offenbar zustimmend) diese Formulierung. 50 D B 1968, S. 1952. 46
208
2. Teil: I n h a l t u n d A u s w i r k u n g e n des A r t . 9 I I I 3 GG
A u f einer ähnlichen Linie wie die K r i t i k Rüthers liegt der Befund, zu dem V. H. Lohse i n seiner eingehenden Untersuchung 51 gelangt. Das Verhältnis von Streik und Staatsnotstand sei i n A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG trotz der langjährigen Diskussion weitgehend ungeklärt geblieben 52 . Die rein negative Formel des A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG enthalte keine ausreichende verfassungsgesetzliche Lösung, sondern sei lückenhaft, weil die Frage nicht geregelt werde, wer die Feststellung des Umschlags eines arbeitsrechtlichen i n einen politischen Streik zu treffen habe 53 . Lohse plädiert daher für eine Ergänzung des A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG dahin, daß i m Regelfall Bundestag und Bundesrat, hilfsweise das Notparlament und höchst hilfsweise der Bundespräsident i m Zusammenw i r k e n m i t dem Bundeskanzler, das Umschlagen arbeitsrechtlicher Streiks feststellen können 5 4 . Überraschenderweise geht Lohse indessen nicht auf die naheliegende weitere Frage ein, welche staatlichen Eingriffe und Maßnahmen gegen „umgeschlagene" arbeitsrechtliche Streiks zulässig sind oder de constitutione ferenda zulässig sein sollten — Lohse plädiert ja für eine Ergänzung des A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG —, obwohl gerade dieser Aspekt von höchster theoretischer und praktischer Bedeutung wäre. Gesehen und erörtert w i r d diese Frage dagegen von Nipperdey und Säcker 55 . Beide betonen zunächst unter Zurückweisung von Gegenansichten, daß der verfassungsändernde Gesetzgeber m i t A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG der Exekutive selbst i m Verteidigungsfall die Möglichkeit genommen habe, gegen rechtswidrige Arbeitskämpfe m i t Maßnahmen auf Grund der A r t . 12 a, 35 Abs. 2 und 3, 87 a Abs. 4 und 91 GG vorzugehen 56 , melden dann jedoch — und insoweit ist Nipperdey und Säckers Stellungnahme hier von Interesse — Zweifel an der „staatspolitischen" Richtigkeit dieser — wie sie betonen — verfassungsgesetzlich eindeutigen und bindenden Entscheidung an 5 7 .
51
Lohse, Streik u n d Staatsnotstand, S. 159 - 199. Ebd., S. 170 f. 53 Ebd., S. 170 ff., 186, 192. Eine Regelung dieser Frage forderte Lohse auch schon i n ZgesStW 124 (1968), S. 394. 54 Streik u n d Staatsnotstand, S. 187 ff., 192,199. 55 Nipperdey/Säcker, i n : Hueck/Nipperdey, Lehrbuch II/2, S. 917 f., u n d Säcker, Grundprobleme, S. 57 f., 87 f. 56 Das w a r auch das Ergebnis der vorl. Arbeit, vgl. oben Zweiter Teil, I. A b schnitt, Kap. 9 (sub 9.3). 57 Nipperdey/Säcker, ebd. (Fußn. 55); ähnlich Säcker, Grundprobleme, S. 58. — Nipperdey hatte schon 1967 i n seiner schriftl. Stellungnahme zu A r t . 91 Abs. 4 RegE 1967 bemerkt, es erscheine i h m „staatspolitisch unbegreifbar", daß der Staat auch bei grob rechtswidrigen Streiks auf die A n w e n d u n g der i n A r t . 91 Abs. 1 - 3 vorgesehenen Machtmittel zur Bekämpfung innerer N o t stände verzichte; 5. Informationssitzg. v. 14.12.1967, Prot. S. 95 f. 52
IV. Abschn.: K r i t i k und zusammenfassende Würdigung
209
Die Gegensätzlichkeit der K r i t i k macht noch einmal deutlich, was bereits anhand der ausführlichen Darstellung der Entstehungsgeschichte gezeigt werden sollte: Die Arbeitskampfschutzklausel des A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG ist das Ergebnis eines Kompromisses, der wegen der bestehenden Meinungsverschiedenheiten über Inhalt und Grenzen des Streikrechts i m allgemeinen und über das Verhältnis zwischen Arbeitskampf und Notstandsverfassung i m besonderen nur unter beträchtlichen Schwierigkeiten erzielt werden konnte. Entgegen der Auffassung Seiferts stellt der Kompromiß jedoch keineswegs einen „Scheinkompromiß" dar, der „keine Einigung i n der Sache" enthielte. Richtig ist zwar, daß eine Einigung über die Kompromißformel nur erzielt werden konnte, w e i l zahlreiche Fragen, i n denen zwischen CDU/CSU u n d SPD Meinungsverschiedenheiten bestanden, ausgeklammert wurden. Das ändert jedoch nichts daran, daß die Arbeitskampfschutzklausel i n einem entscheidenden Punkt doch eine sachliche Einigung enthält, nämlich insofern, als sie es untersagt, arbeitsrechtliche Arbeitskämpfe der Koalitionen mittels der i n A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG aufgeführten Notstandsmaßnahmen zu beeinträchtigen. Ein derartiger Schutz für Arbeitskämpfe vor Exekutivbefugnissen, die i m Rahmen der Notstandsgesetzgebung neu i n das Grundgesetz eingefügt worden sind, w a r — wie die Entstehungsgeschichte zeigt — zunächst nicht nur nicht vorgesehen, sondern sogar unerwünscht 5 8 . Erst die Schutzklausel des A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG statuiert m i t einer für jedermann erkennbaren Deutlichkeit, daß weder m i t Dienstverpflichtungen noch m i t anderen Notstandsmaßnahmen gegen arbeitsrechtliche Streiks der Gewerkschaften vorgegangen werden darf. Dies bedeutet eine l i m i tierte, aber keinesfalls belanglose Einigung i n der Sache 59 . Die Arbeitskampfschutzklausel hat die wichtige Funktion, ein Gegengewicht zu den neu geschaffenen Notstandsvollmachten zu bilden und damit die verfassungsrechtliche Balance i m Verhältnis der sozialen Gegenspieler untereinander und i n ihrer Beziehung zum Staat i m gleichen Maß aufrechtzuerhalten, wie das vor Inkrafttreten der Notstandsverfassung der Fall w a r 6 0 . Die von Seifert 6 1 u n d von v. B a r b y 6 2 geübte K r i t i k an A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG übersieht entweder diesen Sachverhalt oder verkennt seine Bedeutung; jedenfalls erscheint sie nicht begründet 6 3 . 58
Vgl. S. 24 ff. sowie S. 42 ff. Säcker, Grundprobleme, S. 58, bemerkt m i t Recht, eine klarstellende Regelung sei geboten gewesen, w e i l umstritten sei, ob und inwieweit der Arbeitskampf durch A r t . 9 Abs. 3 geschützt werde, und u m zu verhindern, daß A r t . 12 a, 35 Abs. 2, 87 a Abs. 4 und 91 GG als verfassungsimmanente Gewährleistungsschranken des Arbeitskampfes gedeutet werden. 60 Ähnlich Lerche, Zentralfragen, S. 95. 61 K J 1968, S. 16. 62 ArbuR 1968, S. 270. 83 Wie hier H. Klein, Der Staat 8 (1969), S. 373 Fußn. 55. 59
14 Glückert
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2. T e i l : I n h a l t u n d A u s w i r k u n g e n des A r t . 9 I I I 3 GG
Bei der Würdigung der Arbeitskampfschutzklausel darf freilich die Limitiertheit der sachlichen Einigung nicht übersehen werden. Art. 9 Abs. 3 Satz 3 GG enthält keine abschließende Regelung des komplexen Fragenkreises „Arbeitskampf und Notstandsverfassung", sondern beschränkt sich auf die Anordnung, daß sich bestimmte Notstandsmaßnahmen nicht gegen Arbeitskämpfe der gekennzeichneten A r t richten dürfen. Diese vom verfassungsändernden Gesetzgeber voll erkannte Beschränkung kommt indessen i m Wortlaut der neuen Vorschrift so deutlich zum Ausdruck, daß der V o r w u r f von Rüthers 64 , der Gesetzgeber habe m i t raffinierter Taktik i m Gegensatz zur tatsächlichen Rechtslage den „trügerischen Schein eines unbegrenzten Arbeitskampfprivilegs" geschaffen, nicht überzeugen kann. Unzutreffend ist auch die Vermutung Rüthers', die Arbeitskampfschutzklausel solle nach den gesetzgeberischen Intentionen bewußt den Eindruck erwecken, als seien Arbeitskämpfe i m Notstandsfall wie i n der Normallage unter den allgemeinen Kriterien „beliebig zulässig" 65 . Einen derartigen Eindruck wollte der Gesetzgeber weder hervorrufen, noch ist er der neuen Vorschrift — die allerdings genau und nicht nur „unbefangen" 6 6 gelesen werden muß — zu entnehmen. M i t der Zurückweisung dieser von Rüthers erhobenen K r i t i k sind indessen zwei Fragen noch nicht beantwortet, die für die Bewertung der Arbeitskampfschutzklausel als der Regelung des Problemkomplexes „Arbeitskampf und Notstandsverfassung" von Bedeutung sind: Einmal fragt sich, ob die Arbeitskampfschutzklausel insofern eine sachgerechte und vernünftige Regelung darstellt, als sie es auch i n Notstandssituationen (bis hin zum Verteidigungsfall) untersagt, Arbeitskämpfe der gekennzeichneten A r t , insbesondere Streiks, mittels der i n A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG aufgeführten Maßnahmen zielgerichtet zu beeinträchtigen. Als zweites ist zu fragen, ob A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG nicht deshalb eine unzulängliche Regelung darstellt, w e i l — auch wenn man den Inhalt der Arbeitskampfschutzklausel als solcher für sinnvoll oder doch vertretbar hält — bezüglich des Themas „Arbeitskampf und Notstandsverfassung" allzu viele Fragen ungeregelt und offen geblieben sind. Zur ersten Frage ist hier nur nochmals zu wiederholen, was bereits in Kapitel 6 des I. Abschnitts des Zweiten Teils ausgeführt wurde: Das durch die Arbeitskampfschutzklausel normierte Verbot, Maßnahmen nach A r t . 12 a GG (Heranziehung zur Wehrpflicht, Dienstverpflichtungen usw.) gezielt zur Beeinträchtigung arbeitsrechtlicher Arbeitskämpfe der Koalitionen zu verwenden oder mit polizeilicher und militärischer Gewalt 64 65 86
D B 1968, S. 1952. Ebd., S. 1950. So Rüthers, D B 1968, S. 1950.
I V . Abschn.: K r i t i k u n d zusammenfassende Würdigung
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gemäß A r t . 91, 87 a Abs. 4 GG gegen Arbeitskämpfe vorzugehen, erscheint vernünftig und sachgerecht. Der Verzicht auf den Einsatz dieser „durchschlagenden" M i t t e l gegen Arbeitskämpfe der gekennzeichneten A r t bedeutet eine Beschränkung staatlicher Machtmittel, die einer freiheitlichen und sozialstaatlichen Demokratie angemessen ist. Diese Regelung und das i n ihr zum Ausdruck kommende Vertrauen i n die Einsicht und die Verantwortungsbereitschaft der sozialen Gegenspieler ist nicht etwa als gefährliches Zurückweichen des Staates oder als Eingeständnis staatlicher Schwäche zu werten 6 7 , sondern macht i m Gegenteil gerade die Stärke eines Staatswesens aus, das sich als freiheitliche und sozialstaatliche Demokratie versteht 6 8 . Deshalb ist die vom verfassungsändernden Gesetzgeber getroffene Entscheidung nicht etwa — wie das Nipperdey und Säcker meinen 6 9 — „staatspolitisch zu bedauern", sondern gerade umgekehrt i n staatspolitischer Hinsicht richtig und begrüßenswert. Aus demselben Grund besteht auch weder Anlaß noch Notwendigkeit, A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG i n der von V. H. Lohse 70 für erforderlich gehaltenen Weise zu ergänzen. Die Feststellung, daß die i n A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG getroffene Regelung als solche sinnvoll und vernünftig erscheint, enthebt noch nicht von der Beantwortung der zweiten Frage, die für die Bewertung der Arbeitskampf schutzklausel als der Regelung des Problemkomplexes „Arbeitskampf und Notstandsverfassung" wesentlich ist: Mußten zur Erreichung des Kompromisses, den die Arbeitskampfschutzklausel darstellt, nicht allzu viele Fragen ausgeklammert werden? Ist m. a. W. der Kompromiß nicht insofern „zu kurz" geraten, als die verfassungsgesetzliche Notstandsregelung eine Reihe von wichtigen Fragen aus dem Bereich „ A r beitskampf und Staatsnotstand" ungeregelt und offen läßt? Es ist offensichtlich, daß die von Rüthers geübte K r i t i k an A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG ebenso wie Lohses These von der Ergänzungsbedürftigkeit der neuen Regelung hier ihren Ursprung haben. I n der Tat läßt die Arbeitskampfschutzklausel — wie bei der Untersuchung der einzelnen Elemente der neuen Norm i m I. Abschnitt des Zweiten Teils gezeigt — zahlreiche Fragen offen, und zwar nicht nur theoretische Streitfragen ohne große praktische Bedeutung, sondern auch Fragen m i t erheblichen praktischen Auswirkungen. Zum Streit um den 67 N u r Vertreter einer m i t dem GG nicht zu vereinbarenden unfreiheitlichetatistischen Staatsauffassung werden derartige Schlüsse ziehen u n d w i e etwa Martini (Fußn. 43) v o n einem „Schildbürgerstreich" sprechen. 68 Vgl. Ad. Arndt, i n : Arndt!Freund, Notstandsgesetz — aber wie?, S. 50 f. 69 I n : Hueck/Nipperdey, Lehrbuch II/2, S. 917 f.; ähnlich Säcker, G r u n d probleme, S. 58. 70 Streik u n d Staatsnotstand, S. 198 f. (vgl. dazu auch Fußn. 54 u. den T e x t dazu).
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2. T e i l : I n h a l t u n d A u s w i r k u n g e n des A r t . 9 I I I 3 GG
Arbeitskampfbegriff, zur Frage der Zulässigkeit eines landesrechtlichen Aussperrungsverbots, zu Streitfragen betreffend den wilden oder politischen Streik n i m m t der neue Satz 3 des A r t . 9 Abs. 3 GG ebenso wenig Stellung, wie etwa zur Problematik der arbeits-, delikts- und verfassungsrechtlichen Rechtmäßigkeitskriterien des Arbeitskampfes oder zu anderen Problemen aus dem an Streitfragen so reichen Arbeitskampfrecht. Es liegt auf der Hand, daß die Arbeitskampfschutzklausel deshalb vor allem von Arbeitsrechtlern, die sich von der neuen Vorschrift eine verfassungsgesetzliche Klärung mancher grundlegender Meinungsverschiedenheiten erhofft haben mögen, als unbefriedigend empfunden werden wird. Andererseits war es nicht unbedingt Aufgabe des Gesetzgebers der Notstandsverfassung, neben der politisch und juristisch ohnehin schon äußerst schwierigen und kontroversen Notstandsfrage auch noch allgemeine Fragen des Arbeitskampfrechts m i t zu regeln 71 . Zwar wäre — wie während der Notstandsdiskussion u. a. von Mayer-Maly 7 2 und Nipperdey 7 3 bemerkt worden ist — die Regelung des speziellen Fragenkreises „Arbeitskampf und Notstandsverfassung" m i t Sicherheit leichter gewesen, wenn durch eine verfassungsgesetzliche Grundsatzentscheidung zugleich das allgemeine Verhältnis zwischen Arbeitskampf und Verfassungsordnung klarer als bisher geregelt und damit einige der bereits i n der staatlichen Normallage bestehenden „fundamentalen Unklarheit e n " 7 3 beseitigt worden wären. Indessen hätte eine solche Grundsatzklärung nicht nur — wie Nipperdey meinte 7 3 — M u t vorausgesetzt, sondern zunächst und vor allem einen gewissen Konsens zwischen den beiden großen i m Bundestag vertretenen Parteien, der CDU/CSU und der SPD. Dieser Konsens, der Voraussetzung für die Erreichung der notwendigen verfassungsändernden Zweidrittelmehrheit gewesen wäre, bestand und besteht i n zahlreichen grundlegenden Fragen des Arbeitskampfrechts weder de lege lata noch de lege ferenda. Die Folge des fehlenden Konsenses war, daß einerseits die von Nipperdey und Mayer-Maly befürwortete legislative Grundsatzklärung des Verhältnisses zwischen Arbeitskampf und Verfassungsordnung nicht zustandekam, andererseits für die Regelung des Verhältnisses zwischen Arbeitskampf und Notstandsverfassung eine Lösung gefunden werden mußte, die den beiden großen Parteien die Aufrechterhaltung ihrer unterschiedlichen Positionen ermöglichte. Dies konnte i m wesentlichen nur dadurch geschehen, daß man zahlreiche allgemeine Streitfragen aus71 So auch Lerche, Zentralfragen, S. 93; ähnlich Evers, Arbeitskampffreiheit, S. 107. 72 B B 1967, S. 1127 f. 73 5. Informationssitzg. v. 14. 12. 1967, Prot. S. 96 (schriftl. Stellungnahme zum RegE 1967).
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klammerte und dahingestellt sein ließ. Wenngleich dies aus arbeitsrechtlicher Sicht zu bedauern sein mag, ist damit noch nicht gesagt, daß die Arbeitskampfschutzklausel als Regelung des Problemkreises „Arbeitskampf und Notstandsverfassung" unzulänglich wäre. Die Bewertung dieser Regelung hängt vielmehr davon ab, ob unter den offen gebliebenen allgemeinen arbeitsrechtlichen Streitfragen auch solche sind, die i n Notstandssituationen relevant werden können. Betrachtet man A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG unter diesem Blickwinkel, dann muß festgestellt werden, daß tatsächlich eine wichtige Frage ungeregelt geblieben ist: Die Arbeitskampfschutzklausel schließt zwar die Anwendung bestimmter Maßnahmen gegen arbeitsrechtliche Arbeitskämpfe der Koalitionen aus, läßt jedoch offen 74 , ob von Seiten des Staates nicht m i t anderen als den i n A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG genannten Mitteln i n Arbeitskämpfe eingegriffen werden kann, wenn diese Arbeitskämpfe ungeachtet ihres arbeitsrechtlichen Charakters auf Grund der konkret gegebenen Umstände zu einer Gefährdung der Versorgung der Allgemeinheit m i t lebensnotwendigen Gütern oder zu einer Gefährdung der Verfassungsordnung führen. Benda 7 5 hat bereits 1963 m i t großer Eindringlichkeit auf die Bedeutung dieser Frage aufmerksam gemacht und — wie auch i m weiteren Verlauf der Notstandsdiskussion immer wieder 7 6 — seinen Standpunkt dahin dargelegt, daß der Staat m i t gesetzgeberischen oder anderen Maßnahmen regelnd und beschränkend i n die Arbeitskampffreiheit eingreifen dürfe, wenn dies zur Abwehr von Gefahren für lebensnotwendige Belange der Allgemeinheit erforderlich sei. Dies ist — wie i n Kapitel 6 des I. Abschnitts dargelegt 77 — die i n der Rechtslehre überwiegend vertretene Auffassung, mag es i m einzelnen auch Meinungsunterschiede über A r t und Ausmaß der zulässigen gesetzgeberischen Regelungen geben. Dagegen w i r d von einer Minderheit i m juristischen Schrifttum und vor allem von den Gewerkschaften die Auffassung vertreten, der Staat, insbesondere der Gesetzgeber, dürfe auch unter dem Gesichtspunkt der Wahrung des allgemeinen Wohls nicht einschränkend i n gewerkschaftliche Streiks, die zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen geführt werden, eingreifen 78 . 74 Vgl. Evers, Arbeitskampffreiheit, S. 103f.; Benda, Die Notstandsverfassung, 10. Aufl. 1968, S. 97, 142; ebenso auch schon f ü r A r t . 91 Abs. 4 RegE 1967, H. Schäfer, AöR 93 (1968), S. 78. 75 Notstandsverfassung u n d Arbeitskampf, S. 8 ff., 28 ff. 76 E t w a i n : Der Arbeitgeber 1967, S. 387; Hofmann/Maus (Hrsg.), Notstandsordnung, S. 87ff.; Industrielle Herrschaft, S. 256 ff., 267 ff.; 5. Informationssitzg. v. 14.12.1967, S. 5, 21 f. 77 s. insbes. oben Zweiter Teil, I. Abschnitt, Fußn. 200 u n d die dortigen Lit. hinw. 78 Vgl. etwa DGB-Vorstandsmitglied Reuter, 5. Informationssitzg., v. 14. 12. 1967, Prot. S. 21 f., 25; Hoffmann, G M H 1966, S. 158; A r b u R 1968, S. 44f.;
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Da diese Position auch innerhalb der SPD und der SPD-Bundestagsf raktion Anhänger fand 7 9 , war es — rein von der tatsächlichen Lage her — von vornherein unmöglich, i m Bundestag die erforderliche Mehrheit für eine verfassungsgesetzliche Regelung zu finden, die Beschränkungen oder Suspendierungen der Streikfreiheit für den Fall eines (inneren oder äußeren) Notstandes oder für den Fall eines die Allgemeinheit erheblich berührenden Streiks vorgesehen hätte. Dieser Fragenkomplex mußte offenbleiben und insoweit — aber nur insoweit — t r i f f t Seiferts These zu, Art. 9 Abs. 3 Satz 3 GG stelle einen dilatorischen Formelkompromiß dar 8 0 . Indessen fragt sich, ob dieser Formelkompromiß wirklich so negativ beurteilt werden muß, wie das bei Rüthers anklingt, der die fehlende Wirklichkeitsnähe der Regelung rügt und von einer „raffinierten Gesetzgebungstaktik" spricht, die i m Ernstfall zu einem gefährlichen Hindernis für eine wirksame Verteidigung der Verfassung werden könne 8 1 . Eine detaillierte verfassungsgesetzliche Regelung der Frage, ob der Staat i n Situationen des äußeren oder inneren Notstands unter dem Gesichtspunkt der Wahrung lebenswichtiger Belange der Allgemeinheit mit gesetzgeberischen oder anderen Maßnahmen (abgesehen von den durch A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG eindeutig ausgeschlossenen) einschränkend oder sogar untersagend i n Arbeitskämpfe, insbesondere i n Streiks, eingreifen darf, hätte gewiß den Vorteil, die Rechtslage i n eindeutiger Weise und für jedermann erkennbar klarzustellen 82 . Es wäre jedoch ebenso kurzsichtig wie gefährlich, würde man als Verfassungsjurist nur diesen Vorteil sehen. Die klarste verfassungsgesetzliche Regelung ist dann nichts wert, wenn sie — unterstellt es fände sich überhaupt die notwendige Mehrheit i n der gesetzgebenden Körperschaft — von einem wichtigen Teil der Gesamtbevölkerung oder von den i n erster Linie betroffenen Staatsbürgern, Gruppen oder Organisationen nicht akzeptiert oder sogar entschieden bekämpft wird. Man kann die i m Rahmen der Notstandsverfassung getroffene Regelung des Fragenkreises „Arbeitskampf und Staatsnotstand" nicht nur abstrakt-juristisch daran messen, ob dem Anspruch der kodifikatorischen Vollständigkeit und Lückenlosigkeit Genüge getan ist 8 3 . Die konkrete historisch-politische Situation, die vorhandenen Farthmann, A r b u R 1966, S. 311; Gester, A r b u R 1969, S. 149. Weitere H i n w . bei Benda, Industrielle Herrschaft, S. 253 Fußn. 184. 79 Vgl. die fraktionsinternen Änderungsanträge der SPD-Abg. Gscheidle und Genossen v o m 9.1.1968, Begründung zu A n t r a g Ziff. 1 (s. oben S. 90). 80 K J 1968, S. 16. 81 D B 1968, S. 1952. 82 I n dieser Richtung ging auch die Stellungnahme Nipperdeys i n den Notstandshearings: „Das, was v o n den Gewerkschaften nach allgemeiner Rechtsüberzeugung gefördert w i r d , sollte man aber auch legislativ von ihnen fordern." 5. Informationssitzg. v. 14.12.1967, Prot. S. 96. 83 Vgl. das pointierte W o r t v o n Hennis, eine Verfassung sei keine Z i v i l -
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gesellschaftlichen Gruppen und ihre Einstellungen müssen bei der Verfassungsgesetzgebung (und ebenso bei der verfassungsändernden Gesetzgebung) berücksichtigt werden. Dies ist keineswegs eine „ n u r " politische, politikwissenschaftliche oder soziologische Frage, die den Juristen nichts anginge. K . Hesse 84 hat 1959 eindringlich ins Gedächtnis gerufen, daß die Geltung, Wirkungskraft und Bedeutung der Rechtsverfassung eines Staates, kurz: die normative K r a f t der Verfassung, i n hohem Maße von ihrer Wirklichkeitsbezogenheit abhängt. Hesses Feststellung, die Verfassung dürfe den Staat nicht „abstrakt-theoretisch, ohne Rücksicht auf die geschichtlichen Gegebenheiten und Kräfte, sozusagen zu konstruieren suchen", ist ebenso ernst zu nehmen, wie seine Warnung, daß der Verfassung da, wo sie die geistigen, sozialen, politischen oder ökonomischen Gesetzlichkeiten ihre Zeit ignoriere, der „unerläßliche K e i m ihrer Lebenskraft fehle" und sie nicht zu erreichen vermöge, „daß der Zustand, den sie i m Widerspruch zu diesen Gesetzlichkeiten normiert, e i n t r i t t " 8 5 . Unter diesem Aspekt erscheint der — als solcher gewiß begrüßenswerte — Gewinn an Rechtsklarheit fragwürdig, den eine bis ins einzelne gehende Normierung der Frage, ob i n bestimmten Notstandssituationen staatliche Eingriffe i n Arbeitskämpfe, insbesondere i n Streiks, zulässig sind, m i t sich gebracht hätte. Soweit diese Normierung darin bestanden hätte, Beschränkungen für Streiks vorzusehen — darum ging es i n erster L i n i e 8 6 —, wäre sie auf den erbitterten Widerstand der Gewerkschaften und der i n ihnen organisierten Arbeitnehmerschaft gestoßen 87 — übrigens auch desjenigen Teils der Gewerkschaftsbewegung, der die Schaffung einer verfassungsgesetzlichen Notstandsregelung nicht grundsätzlich und unter allen Umständen ablehnte 88 . Benda hat schon 1963 mahnend beprozeß- oder Konkursordnung, i n der rechtstechnische Präzision der höchste Rechtswert ist; Richtlinienkompetenz, S. 10. 84 Normative K r a f t , S. 8 ff. u n d passim (unter Hinweis auf die polit. Schriften W i l h e l m v. Humboldts). 85 Ebd., S. 11. Ebenso Grundzüge, S. 17 ff. 86 Bezeichnenderweise sprach auch etwa Nipperdey (Fußn. 82) n u r davon, daß v o n Gewerkschaften ein Verzicht auf den Arbeitskampf legislativ zu fordern sei. 87 Vgl. dazu Benda, Industrielle Herrschaft, S. 251, 253 u n d die dortigen Hinw. 88 Vgl. die programmatische Rede des damaligen Vors. der I G Bau, Steine, Erden u n d SPD-Abg. Leber i n der 56. Sitzg. d. 4. B T v. 24. 1. 1963, Sten. Ber. S. 2507 ff. (s. oben S. 38/39); ferner die kontroverse Diskussion auf dem 7. Ordentl. Bundeskongreß des D G B 1966 i n Berlin, Prot., S. 269 - 343 u n d den (abgelehnten) I n i t i a t i v a n t r a g der Einzelgewerkschaftsvorsitzenden Arendt, Leber, Seibert u n d Stenger; i n diesem v o n 143 Delegierten unterschriebenen A n t r a g w a r die Notstandsgesetzgebung nicht pauschal abgelehnt, sondern eine Reihe v o n präzisierten Forderungen erhoben worden; Protokoll, Anträge u n d Entscheidungen, S. 237 f. Vgl. auch den zusammenfassenden Bericht i n : R d A 1966, S. 218.
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merkt, eine gegen die geschlossene Gegnerschaft der Gewerkschaften durchgesetzte Notstandsverfassung würde trotz der parlamentarischen Zweidrittelmehrheit auf schwachen Füßen stehen 89 . Es ist durchaus zweifelhaft, ob die von Rüthers 9 0 für erforderlich gehaltene „sachgerechte Beschränkung der Arbeitskampffreiheit, etwa i m Sinne des amerikanischen Taft-Hartley-Act" tatsächlich die „wirklichkeitsnähere" Regelung gewesen wäre. Die amerikanischen Erfahrungen m i t strengen Streikverboten i n lebenswichtigen Betrieben und i m öffentlichen Dienst besagen eher das Gegenteil 91 ; erst i m Frühjahr 1970 ist es angesichts der aufsehenerregenden Streiks des amerikanischen Flugsicherungspersonals und der Postbediensteten wieder deutlich geworden, wie wenig wirksam Streikverbote selbst dann sein können, wenn sie m i t erheblichen strafrechtlichen Sanktionen (Freiheitsstrafen bis zu einem Jahr und einen Tag, Geldstrafen bis zu 1000 Dollar) bewehrt sind 9 2 . Zur sozialen und politischen Wirklichkeit, die der verfassungsändernde Gesetzgeber bei der Regelung des Fragenkreises „Arbeitskampf und Notstandsverfassung" auch und gerade i m Interesse der normativen K r a f t der Verfassung zu berücksichtigen hat, gehört auch die gewerkschaftliche Streikpraxis i n der Bundesrepublik. Es gibt — wie i m Verlauf der Notstandsdiskussion gelegentlich betont worden ist 9 3 — weder i n der jüngsten noch i n der weiter zurückliegenden Vergangenheit Erfahrungen m i t arbeitsrechtlichen Streiks, die zu dem Schluß zwingen würden, es müsse verfassungsrechtlich die Möglichkeit geschaffen werden, arbeitsrechtliche Streiks der Gewerkschaften durch staatliche Maßnahmen einzuschränken oder zu verhindern. Seit Bestehen der Bundesrepublik haben die Gewerkschaften arbeitsrechtliche Streiks noch niemals so geführt, daß die Versorgung der Allgemeinheit mit lebenswichtigen Gütern und Leistungen beeinträchtigt oder gar die freiheitliche demokratische Ordnung durch die objektiven Auswirkungen des Arbeits89
Notstandsverfassung u n d Arbeitskampf, S. 7. D B 1968, S. 1952. 91 Hoeninger hat bereits 1953 auf die ungünstigen amerikanischen Erfahrungen m i t starren Vorschriften hingewiesen u n d davor gewarnt, allzu v i e l v o m Gesetzgeber zu erhoffen, R d A 1953, S. 205. Vgl. auch Däubler, Der Streik i m öffentlichen Dienst, S. 39. 92 Vgl. Newsweek, A p r i l 6, 1970, S. 23 ff.; Däubler, ebd., S. 37. Aufschlußreich auch Däublers rechtsvergleichende Umschau i n andere westl. Demokrat i e n (ebd., S. 31 - 65), die die Zweifel an der Effektivität starrer Streikverbote verstärkt. 93 Vgl. Abg. Dr. Schäfer (SPD), 124. Sitzg., d. 3. B T , v. 28. 9. 1960, Sten. Ber. S. 7182 (C, D); Abg. Dr. Arndt (SPD), ebd., S. 7194 (C, D) sowie i n : Arndt/ Freund, Notstandsgesetz — aber wie?, S. 49; Abg. Leber (SPD), 56. Sitzg. d. 4. B T v. 24. 1. 1963, Sten. Ber. S. 2511, 2513; D G B - Vorstandsmitglied Reuter, 5. I n formationssitzg. v. 14. 12. 1967, Prot. S. 21, 23 f.; ähnlich auch Benda, I n d u s t r i elle Herrschaft, S. 253 f. 90
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kampfes gefährdet worden wäre. Die i n den gewerkschaftsinternen Richtlinien und Satzungen enthaltenen Verpflichtungen zur Leistung von Notarbeiten bei Arbeitskämpfen i n lebenswichtigen Betrieben 9 4 wurden und werden von den Gewerkschaften sehr ernst genommen 95 . Angesichts dieser Tatsachen überrascht es nicht, daß Sprecher und Autoren der unterschiedlichsten Provenienz darin übereinstimmten, i m Zustand äußerer Gefahr sei m i t Arbeitskämpfen, speziell m i t Streiks, aller Wahrscheinlichkeit nach nicht zu rechnen 96 . Wenn dennoch die Notwendigkeit einer Beschränkung der Streikfreiheit für Notstandssituationen, insbesondere für den äußeren Notstand, so häufig hervorgehoben worden ist 9 7 , dann rief gerade dieser Umstand das Mißtrauen der gewerkschaftlichen K r i t i k e r der Notstandsgesetzgebung hervor und bestärkte sie i n ihrem Eindruck, bei der Notstandsverfassung gehe es — ausschließlich oder neben anderem — darum, Instrumente zur Disziplinierung und Behinderung der Arbeitnehmer und ihrer Organisationen zu schaffen. Von daher muß auch der gewerkschaftliche Widerstand gegen die Notstandsverfassung gesehen werden. Dieser Widerstand hing weniger m i t der Frage zusammen, ob sich — wie Biedenkopf meinte 9 8 — die Gewerkschaften m i t einer staatlichen und wirtschaftlichen Ordnung versöhnen wollten, die so anders ausgefallen sei, als sie es sich vorgestellt hätten, sondern weit mehr 9 9 m i t den außerhalb der Gewerkschaften vorhandenen und offen geäußerten Zweifeln an der demokratischen Verläßlichkeit der Gewerkschaften und ihrer Bereitschaft, bei der Führung von Arbeitskämpfen auf lebenswichtige Belange der Allgemeinheit Rücksicht zu nehmen 1 0 0 . 94
Vgl. oben Erster Teil, I. Abschnitt, Fußn. 35. Vgl. Benda, Industrielle Herrschaft, S. 251 ff.; Abg. Leber (SPD), 56. Sitzg. d. 4. B T v. 24.1.1963, Sten. Ber. S. 2511. 96 So mehrere Stellungnahmen i n den Notstandshearings v o m Dez./Nov. 1967, s. oben Erster Teil, I I . Abschnitt, Fußn. 151 u. den T e x t dazu; ferner schon Bundesinnenminister Höcherl, 56. Sitzg. d. 4. B T v. 24.1.1963, Sten. Ber. S. 2479 (D), 2485 (A); Benda, Notstandsverfassung u n d Arbeitskampf, S. 31 (1963) u n d Der Arbeitgeber 1967, S. 387; Abg. Zink (CDU/CSU), 117. Sitzg. d. 5. B T v. 29. 6.1967, Sten. Ber. S. 5893 (A, B); Leder, BullBReg. Nr. 67 v. 27. 6. 1967, S. 577. — Die SPD hatte seit Beginn der Notstandsdiskussion einen V e r zicht auf jede Einschränkung des Koalitions- u n d Streikrechts m i t der Begründung verlangt, v o n den Gewerkschaften sei keine Gefährdung der freiheitlich-demokratischen Ordnung u n d kein Mißbrauch des Streikrechts zu erwarten; vgl. die Nachw. oben Zweiter Teil, I. Abschnitt, Fußn. 208. 97 Vgl. aus der L i t . etwa Flor, DVB1. 1958, S. 152; Kate, i n : Rechtsstaat u n d Staatsrecht, S. 31 (s. dazu oben Erster Teil, I. Abschnitt, Fußn. 20 u. den T e x t dazu); Bettermann, i n : Fraenkel (Hrsg.), Staatsnotstand, S. 219f.; Freund, i n : Arndt/Freund, Notstandsgesetz — aber wie?, S. 153 f.; P.-J. Stein, Rechtliche Beurteilung, S. 45 f.; V. H. Lohse, ZgesStW 124 (1968), S. 394; Abg. Dorn (FDP), i n : Nemitz (Hrsg.), Notstandsrecht u n d Demokratie, S. 28, 48. 98 Grenzen der Tarifautonomie, S. 220. 99 Ä h n l i c h auch Evers, AöR 91 (1966), S. 202. 95
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2. Teil: I n h a l t und A u s w i r k u n g e n des A r t . 9 I I I 3 GG
M i t der Entscheidung, lediglich den gezielten Einsatz der i n A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG aufgeführten Maßnahmen gegen Arbeitskämpfe zu untersagen, i m übrigen jedoch die Frage der Zulässigkeit oder Unzulässigkeit staatlicher Eingriffe ungeregelt und so offen zu lassen, wie sie schon bisher war, hat der verfassungsändernde Gesetzgeber die Zuständigkeit und Verantwortlichkeit für Arbeitskämpfe auch i n Notstandsfällen zunächst einmal allein i n der Hand der sozialen Gegenspieler belassen. Der Gesetzgeber der Notstandsverfassung geht prinzipiell und bis zum Beweis des Gegenteils davon aus, daß die sozialen Gegenspieler, insbesondere die Gewerkschaften, bereit und i n der Lage sind, Arbeitskämpfe so zu führen, daß existenznotwendige Belange der Allgemeinheit (Versorgung der Bevölkerung mit lebenswichtigen Gütern und Leistungen) nicht gefährdet und die freiheitlich-demokratische Ordnung nicht aufs Spiel gesetzt wird. Die Entscheidung des verfassungsändernden Gesetzgebers mag eine optimistische und risikobehaftete Entscheidung sein. Sie kann jedoch angesichts der bisherigen Erfahrungen m i t Arbeitskämpfen i n der Bundesrepublik weder als unrealistisch kritisiert werden 1 0 1 , noch wäre es richtig, in ihr ein unangebrachtes Zurückweichen des Staates vor Gruppeninteressen oder gar ein Eingeständnis staatlicher Ohnmacht zu sehen. Wer so argumentieren wollte, der übersähe, daß Risiken, die u m die Freiheitlichkeit des Gemeinwesens w i l l e n i n Kauf genommen werden, zu den Wesenmerkmalen einer freiheitlichen Demokratie gehören. Überdies wäre — wie die Erfahrungen anderer westlicher Demokratien zeigen — das Risiko, daß Arbeitskämpfe ohne Rücksicht auf lebens100 Solche Zweifel bestanden v o r allem i n der 3. WP. bei der Bundesregierung u n d der sie tragenden B T - M e h r h e i t (CDU/CSU), s. oben S. 25 - 30. Vgl. ferner die scharfe K r i t i k an der Bundesregierung der Jahre 1957 - 1961, insbes. am damaligen Innenminister Dr. Schröder, bei Ad. Arndt, i n : Arndt/Freund, Notstandsgesetz — aber wie?, S. 49 f. — Seit etwa 1963 gewann innerhalb der CDU/CSU der Abg. Benda als Notstandsexperte an Einfluß. Bendas realistische u n d differenzierende Argumentation gerade zum kontroversen Fragenkreis „Gewerkschaften, Streikrecht u n d Notstandsverfassung" trug, auch wenn sie die tiefgehenden Meinungsverschiedenheiten zwischen CDU/CSU u n d SPD nicht aus der Welt schaffen konnte, wesentlich zur Versachlichung der pari. Notstandsdiskussion i m 4. u n d 5. B T bei; vgl. etwa Benda, Notstandsverfassung u n d Arbeitskampf, S. 28 ff. u n d passim (1963) u n d Industrielle Herrschaft, S. 251 ff., 267 ff. (1966). 101 Erst kürzlich hat Löwisch, R d A 1969, S. 131, bemerkt, daß die T a r i f praxis i n Deutschland aus sich heraus eine v i e l größere Stabilität aufweise als i n anderen westlichen Ländern, i n denen der Staat zu stärkeren Eingriffen befugt sei; dies sei w o h l wesentlich darauf zurückzuführen, daß die Fähigkeit der Gewerkschaften u n d der Arbeitgeberverbände zur Selbststeuerung u n d Selbstdisziplinierung hoch entwickelt sei u n d die Koalitionen durch den w e i t gehenden Verzicht auf staatl. Eingriffe i n die Tarifhoheit auf der einen u n d die Einräumung v o n Mitwirkungsrechten i n der Wirtschaftsordnung auf der anderen Seite i n die Verantwortung gerufen würden.
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wichtige Belange der Allgemeinheit geführt werden, mit der Bereitstellung eines staatlichen Instrumentariums zur Einschränkung und Verhinderung von Arbeitskämpfen keinesfalls aus der Welt geschaffen. Das Risiko würde i m Gegenteil durch die de facto eintretende einseitige Behinderung der „Angreiferseite", also der Arbeitnehmer und der Gewerkschaften, i m Prozeß der autonomen verbandsmäßigen Gestaltung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen eher noch vergrößert. Spannungen zwischen den sozialen Gegenspielern verschwinden nicht dadurch, daß man die Möglichkeit des kampfweisen Austrags einschränkt oder beseitigt und damit die Arbeitnehmerseite von vornherein ihres — wenn auch nur potentiellen, aber dennoch einzig wirksamen — Druckmittels beraubt. Der Verzicht auf die Schaffung eines Instrumentariums zur Einschränkung und Verhinderung von Arbeitskämpfen i n inneren und äußeren Notstandslagen und das darin zum Ausdruck kommende Vertrauen in die Einsicht und Verantwortungsbereitschaft der sozialen Gegenspieler entspricht damit nicht nur der Freiheitlichkeit unserer Verfassungsordnung, sondern auch dem „Rechtsprinzip der Sozialstaatlichkeit", auf dessen Bedeutung für eine Notstandsregelung Adolf A r n d t schon 1962 hingewiesen hat 1 0 2 . Zusammenfassend ist festzustellen, daß die Arbeitskampfschutzklausel des A r t . 9 Abs. 3 Satz 3 GG als eine politisch vernünftige, sachlich akzeptable und der freiheitlich-demokratischen und sozialstaatlichen Verfassungsordnung des Grundgesetzes entsprechende Regelung des Problemkomplexes „Arbeitskampf und Notstandsverfassung" erscheint.
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