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Z e i t s c h r i f t f ü r Ä s t h e t i k u n d Sonderheft Allgemeine Kunstwissenschaft 20
Bernadette Collenberg-Plotnikov
Die Allgemeine Kunstwissenschaft (1906 –1943)
Idee · Institution · Kontext
Die Allgemeine Kunstwissenschaft (1906–1943) Idee – Institution – Kontext Von
Bernadette Collenberg-Plotnikov
Zeitschrift für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft Sonderheft 20
FELIX M EIN ER V ER LAG H A M BU RG
Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über ‹http://portal.dnb.de› abruf bar.
ISBN 978-3-7873-3648-7 ISBN eBook 978-3-7873-3649-4 ISSN 1439-5886 (Sonderhefte) Gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) – Projektnummer 233344353 Felix Meiner Verlag, Hamburg 2021. Alle Rechte vorbehalten. Dies gilt auch für Vervielfältigungen, Übertragungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, soweit es nicht §§ 53 und 54 UrhG ausdrücklich gestatten. Satz: Type & Buch Kusel, Hamburg. Druck und Bindung: Stückle, Ettenheim. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier, hergestellt aus 100% chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Printed in Germany. ©
INH A LT
Ei n le i t u ng Allgemeine Kunstwissenschaft – ein unvollendetes Projekt...................................... 9
K a pi t e l I Grundzüge und Kontext der Allgemeinen Kunstwissenschaft.................................. 27 1. Das Programm der Allgemeinen Kunstwissenschaft: Kunst als ›ungeheure Objektivität eigener Art‹ ......................................... 32 a) Das ›Allgemeine‹ der Allgemeinen Kunstwissenschaft........................... 32 b) Die Unterscheidung der Allgemeinen Kunstwissenschaft von der Ästhetik.................................................................................... 37 2. Das Streben nach Wissenschaftlichkeit der Kunstforschung ...................... 53 a) Die Stellung der Initiative ›Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft‹ im Kontext der zeitgenössischen Ästhetik ............... 55 b) Konrad Fiedler als ›Vater‹ der Allgemeinen Kunstwissenschaft ............. 82
K a pi t e l II Konzeptionen der Allgemeinen Kunstwissenschaft................................................. 99 1. Max Dessoir: Kunstwissenschaft als Strukturlehre des Kunstgebildes........ 103 a) Gegenstand und Verfahren der Allgemeinen Kunstwissenschaft ........... 104 b) Die Funktionen der Kunst .................................................................... 110 c) Kunstwissenschaftliche Strukturlehre als Verknüpfung von Objektivität und Subjektivität ........................................................ 113 d) Skeptizismus als kunstwissenschaftliches Grundprinzip ........................ 118 2. Emil Utitz: Kunstwissenschaft als philosophische Wesensanalyse der Kunst .................................................................................................. 122 a) Die Stellung zu Dessoir......................................................................... 123 b) Die systematische Bestimmung der Allgemeinen Kunstwissenschaft .... 127 c) Die Bedeutung der Phänomenologie..................................................... 130 d) Kunstwissenschaft als Lehre von der ›Gegenständlichkeit des Kunstwerks‹ .................................................................................... 132
4 Inhalt
3. August Schmarsow: Kunstwissenschaft als philosophische Anthropologie der Künste ........................................................................ 142 a) Kunsthistorische Methoden- und Theoriebildung als philosophische Aufgabe ................................................................... 145 b) Anthropologie als Verknüpfung von Objektivität und Subjektivität...... 147 c) Aufgaben und Verfahren der Kunstwissenschaft ................................... 148 d) Der Rhythmus als Grundprinzip der Kunst .......................................... 152 4. Richard Hamann: Kunstwissenschaft als Systematik der Kunstgeschichte. 161 a) Zum Verhältnis von Ästhetischem und Kunst ....................................... 162 b) Grundlinien einer kunstwissenschaftlichen Methodologie ................... 171 c) Die Bedeutung der Kunstwissenschaft für die Kunstgeschichtsforschung................................................................ 176 5. Edgar Wind: Kunstwissenschaft als Analyse der künstlerischen Sprache.... 184 a) Kunsthistorische Motive der Differenzierung zwischen Ästhetik und Kunstwissenschaft ........................................................... 186 b) Methodologische Aspekte von Winds Warburg-Rezeption................... 195 c) Kunst als kulturelle Selbstverständigung ............................................... 198
K a pi t e l III Die Allgemeine Kunstwissenschaft als Institution.................................................. 203 1. Die Zeitschrift........................................................................................... 205 2. Der Verein................................................................................................. 211 a) Die Vereinigung für ästhetische Forschung (1908–1914) ................................ 211 b) Die Gesellschaft für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft (1924–1955)............................................................................................ 214 3. Die Kongresse ........................................................................................... 221 a) Der erste Kongress für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft (Berlin 1913): Der erste ›internationale Kongress‹ ................................. 221 b) Der zweite Kongress für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft (Berlin 1924) ......................................................................................... 230 c) Der Kongress für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft »Rhythmus und Symbol« (Halle 1927)................................................... 238 d) Der Kongress für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft »Gestaltung von Raum und Zeit in der Kunst« (Hamburg 1930) .......... 246
Inhalt5
e) Der gescheiterte Wiener Kongress von 1933 ......................................... 257 f ) Der zweite internationale Kongress für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft (Paris 1937)............................................ 259 4. Akademische Lehre .................................................................................. 283 5. Verwandte zeitgenössische Institutionen.................................................... 288 a) Josef Strzygowski und das Wiener Kunsthistorische Institut.................. 288 b) Gustav Špet und die GAChN in Moskau............................................... 294 c) Victor Basch und die Association pour l’Étude des Arts et les Recherches relatives à (la Science de) l’Art in Paris ....................................... 301 6. Ende und Nachleben der Allgemeinen Kunstwissenschaft......................... 309
Sch luss Perspektiven der Allgemeinen Kunstwissenschaft .................................................. 329
Literatur ........................................................................................................ 339 Personenregister ............................................................................................ 383
Dem Andenken an Ursula Franke •
Da n k
Der vorliegende Band ist – ebenso wie die den Band ergänzende Sammlung von Grundlagentexten – hervorgegangen aus dem durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Forschungsvorhaben Das Projekt ›Allgemeine Kunstwissenschaft‹ (1906–1943): Leitidee – Institution – Kontext (Projektnummer 233344353 – GZ CO 316/4-1 und -2). Von 2014 bis 2018 habe ich dieses Forschungsprojekt am Philosophischen Seminar der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster im Arbeitsbereich von Professor Dr. Reinold Schmücker durchgeführt. Diese Verortung hat sich von Beginn an als ausgesprochen produktiv erwiesen: Neben Reinold Schmücker selbst, der alles getan hat, um mir optimale Arbeitsbedingungen zu schaffen, habe ich hier insbesondere Claudia Güstrau und Nicolas Kleinschmidt für ihre Umsicht und Zuverlässigkeit in organisatorischen Angelegenheiten und bei der Literaturbeschaffung herzlich zu danken. Claudia Güstrau hat die Publikation zudem durch die Erstellung des Personenregisters und die Prüfung der Korrekturen bereichert. Aber auch über den Münsteraner Kreis hinaus haben zahlreiche Personen meine Studien zur Allgemeinen Kunstwissenschaft durch Hinweise, Diskussionen und gemeinsame Publikat ionsvorhaben unterstützt, denen ich ebenfalls danken möchte. Dies sind namentlich Heinrich Dilly, Daniel Martin Feige, Patrick Flack, Sascha Freyberg, Boris Roman Gibhardt, Tomáš Glanc, Johannes Grave, Wolf hart Henckmann, Klaus Johann, Reinhard Mehring, Benedikt Merkle, Michela Passini, Andrea Pinotti, Nadia Podzemskaia, Angela Rapp, Audrey Rieber, Hans Rainer Sepp, Judith Siegmund, Estelle Thibault, Kerstin Thomas, Benoît Turquety, Tania Vladova und Lambert Wiesing. Die Kooperation mit Carole Maigné und Céline Trautmann-Waller bei der Organisation der im Mai 2016 in Lausanne veranstalteten Tagung L’esthétique et la science de l’art à l’âge des congrès / Ästhetik und Kunstwissenschaft im Zeitalter der Kongresse war mir eine besondere Freude. Meinem Mann Nikolaj Plotnikov danke ich für seine Bereitschaft, die großen und kleinen Fragen der Allgemeinen Kunstwissenschaft in immer neuen Anläufen mit mir zu erörtern. Von Anfang an hat die langjährige Mitherausgeberin der Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft Ursula Franke meine Studien mit Interesse und – ihrem diskussionsfreudigen Naturell gemäß – mit konstruktiver Kritik begleitet: Die Tradition einer aus dem Potenzial der interdisziplinären Zusammenarbeit von Philosophie und Einzelwissenschaften schöpfenden Kunstreflexion, in der diese Zeitschrift steht, war ihr eine bleibende Verpflichtung. 2018 ist sie im Alter von 92 Jahren verstorben. Ihrem Andenken sei diese Publikation gewidmet. Hattingen, im Januar 2021
Bernadette Collenberg-Plotnikov
Einleitung Allgemeine Kunstwissenschaft – ein unvollendetes Projekt Die Rede von der ›Kunst‹ ist heute, allen Problematisierungen und Relativierungen zum Trotz, nach wie vor geläufig. Wenn man sich indes fragt, was diese Rede eigentlich besagt, dann stößt man gleich auf ein doppeltes Problem. So zeigt zum einen der Blick auf die Gegenstände, die landläufig als ›Kunst‹ bezeichnet werden – etwa eine klassische Oper, eine moderne Skulptur, ein avantgardistischer Film, eine Videoinstallation und ein expressionistisches Theaterstück –, dass dieser Begriff offenbar äußerst unterschiedliche Inhalte umfasst. Zum anderen hilft aber auch der Blick auf die Formen des Wissens von der Kunst hier nicht wirklich weiter. Denn schließlich bringen die diversen Experten in Sachen Kunst – wie Kuratoren, Historiker, Kritiker, Händler, Pädagagogen und natürlich nicht zuletzt die Künstler – jeweils auf ihrem Feld so heterogene, teilweise womöglich gar widersprüchliche Aussagen über die Kunst hervor, dass es schwerfällt zu sagen, was sie eigentlich vereinen mag. Diese Erfahrung ist nicht neu: Sie fällt, allgemein gesprochen, zusammen mit der Auflösung eines normativen Kunstbegriffs, der seinen prominentesten philosophischen Ausdruck in den metaphysischen Systemen der Ästhetik des frühen 19. Jahrhunderts gefunden hatte. Es gibt allerdings noch einen weiteren – und zwar als Alternative zu diesen metaphysischen Systemen angelegten – Großversuch, einen theoretischen Rahmen für die disparaten Diskurse über die Kunst zu entwickeln: die ›Allgemeine Kunstwissenschaft‹. Bei der Allgemeinen Kunstwissenschaft handelt es sich um eine Initiative, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts den fachlichen Austausch von Wissenschaftlern aller kunstrelevanten Disziplinen maßgeblich geprägt hat. Hier wurde eine kunstwissenschaftliche Debattenkultur entwickelt, die nicht nur an Breite und Dauer, sondern auch sachlicher Dichte und Innovationspotenzial bis dato wohl kaum je wieder erreicht worden ist. Dass dieses Projekt, das über mehr als drei Jahrzehnte auch international als Inbegriff einer avancierten Kunstforschung gelten konnte, heute selbst in Fachkreisen fast vergessen ist, führt exemplarisch vor Augen, in welchem Maß die wissenschaftliche Kultur des frühen 20. Jahrhunderts in Deutschland durch die nationalsozialistische Herrschaft zerstört und in der Folge aus dem Bewusstsein verdrängt wurde. Die Leitidee der Allgemeinen Kunstwissenschaft, ihre institutionellen Strukturen und ihr Diskussions- bzw. Rezeptionskontext sollen in diesem Buch erstmals ausführlich vorgestellt werden. Dies geschieht einerseits, um die historische Bedeutung dieser Initiative ins Bewusstsein zu rufen: Es gilt, an international maßstabsetzende Forschungszusammenhänge der Kunstwissenschaft zu erinnern. Es
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geht aber nicht allein um eine historische Würdigung dieser Initiative. Vielmehr soll andererseits gezeigt werden, dass die kulturelle und theoretische Problemkonstellation, auf die die Allgemeine Kunstwissenschaft reagiert, in entscheidenden Hinsichten noch unsere eigene ist. Die organisatorischen Strukturen und wissenschaftstheoretischen Konzepte, die dort entwickelt werden, können daher auch den gegenwärtigen Horizont des Wissens über die Kunst bereichern.
Was war die Allgemeine Kunstwissenschaft? Die Ursprünge des Projekts ›Allgemeine Kunstwissenschaft‹ im frühen 20. Jahrhundert fallen in eine Phase des Auf bruchs in den Geisteswissenschaften, der auch die Kunstforschung erfasst. Dabei werden nicht nur in der Philosophie und den einschlägigen Einzelwissenschaften die Grundlagen der Kunstreflexion auf den Prüfstand gestellt. Vielmehr werden auch neue Disziplinen auf den Weg gebracht, die nun dezidiert Künste jenseits der etablierten Sphäre der Hochkunst thematisieren und sich im Kosmos der universitären Wissenschaften etablieren wollen. Mit diesem Auf bruch verbindet sich zugleich ein nachdrückliches Interesse an den wissenschaftstheoretischen Fragen der Kunstforschung: Man arbeitet in dem Bewusstsein, auch methodisch auf der Höhe der Zeit argumentieren zu müssen – d. h. insbesondere jenseits der Argumentationsebene bloßer Kunstschriftstellerei ebenso wie jenseits der idealistischen ›Vorurteile‹ eines metaphysischen Kunstbegriffs. Daher stößt die Initiative des Berliner Philosophieprofessors Max Dessoir (1867– 1947), unter dem Namen ›Allgemeine Kunstwissenschaft‹ eine unvoreingenommene, umfassende und gegenstandsnahe Erforschung der Kunst ins Leben zu rufen, auf großes Interesse: Jenseits der Beschränkungen eines traditionellen Kunstverständnisses und jenseits der zunehmend sich abzeichnenden Grenzen zwischen den kunstrelevanten Disziplinen soll die Kunst hier fachübergreifend auf einer methodologischen Basis, die aktuellen wissenschaftlichen Standards genügt, als Phänomen sui generis thematisiert werden. Das Jahr 1906 markiert den Anfang der gerade in den ersten Jahren rasanten Entwicklung dieser Forschungsinitiative. Denn in diesem Jahr publiziert Dessoir nicht nur sein programmatisches Hauptwerk Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft in der ersten Auflage, sondern im selben Jahr gründet er auch die gleichnamige, von ihm selbst dreißig Jahre lang herausgegebene Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft. Neben Dessoir profiliert sich insbesondere Emil Utitz (1883–1956), ebenfalls Philosoph, als Systematiker des Projekts, als dessen Vorläufer und zentrale Bezugsfigur er den Kunsttheoretiker Konrad Fiedler (1841–1895) apostrophiert. Bald formiert sich ein Verein und später eine Gesellschaft, die vor allem wissenschaftsorganisatorischen Zwecken dienen. Fünf große Kongresse zu Fragen der Ästhetik und der Allgemeinen Kunstwissenschaft werden ausgerichtet (1913 und 1924 in Berlin, 1927 in Halle, 1930 in Hamburg und 1937 in Paris). Flankiert werden diese Aktivitäten durch zahlreiche Publikationen, in denen die Protago-
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nisten der Initiative ihre methodologischen Konzepte präsentieren. Neben Dessoir und Utitz dies vor allem die in dem Projekt engagierten Kunsthistoriker – insbesondere August Schmarsow (1853–1936), Richard Hamann (1879–1961) und Edgar Wind (1900–1971) sowie auch Schmarsows Schüler Oskar Wulff (1864–1946) und Winds Lehrer Erwin Panofsky (1892–1968). Die Allgemeine Kunstwissenschaft ist ebenso verflochten mit dem Deutschen Werkbund wie mit der kulturwissenschaftlichen Kunst- und Bildforschung an der Bibliothek Aby Warburgs. Ihre unmittelbare Wirkungsgeschichte umfasst etwa das sowjetische Parallelunternehmen zum deutschen Bauhaus, die Staatliche Akademie der Kunstwissenschaften (GAChN ) in Moskau, mit Gustav Špet, Vasilij Kandinskij u. a. In Frankreich greifen die Kunsttheoretiker Victor Basch, Charles Lalo, Étienne Souriau und Raymond Bayer den Impuls auf. Und der amerikanische Kunstphilosoph und Kunsthistoriker Thomas Munro schreibt 1951 rückblickend zur Vorgeschichte der Etablierung der Ästhetik in den USA: The past leadership of Germany in aesthetics was outstanding, from the first recognition of the subject as a branch of philosophy […] down almost to 1939. It was ably carried on by such contemporary figures as Max Dessoir, Emil Utitz, and Richard Müller-Freienfels, in the rich pages of the Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft, and in an output of books and articles on the subject which overshadowed that of all countries put together.1
Damit bildet die Allgemeine Kunstwissenschaft ein erstrangiges Beispiel für das innovative Potenzial der Kunstforschung in Deutschland bis zum Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft. Dieses seinerzeit international beachtete Projekt der Entwicklung einer Allgemeinen Kunstwissenschaft wird in der wissenschaftlichen Literatur zwar verschiedentlich erwähnt. Seine Funktion, die der Kunsthistoriker Wolfgang Kemp einmal als einen Vorstoß zur Einrichtung einer »Clearing-Stelle von Grundsatzfragen« 2 der Kunstforschung charakterisiert hat, ist jedoch kaum mehr bekannt und seine Geschichte bislang wenig untersucht.3 Verantwortlich hierfür ist namentlich die nationalsozialistische Kulturpolitik, die die Allgemeine Kunstwissenschaft aufgrund ihrer antitraditionalistischen und ›intellektualistischen‹ Zielsetzungen, aber auch aufgrund der jüdischen Herkunft 1 T.
Munro: »Aesthetic as Science«, S. 161. Kemp: »Reif für die Matrix«, S. 41. 3 So werden die Hauptvertreter der Allgemeinen Kunstwissenschaft Dessoir und Utitz etwa in dem verbreiteten, von Julian Nida-Rümelin und Monika Betzler herausgegebenen Lexikon Ästhetik und Kunstphilosophie von der Antike bis zur Gegenwart in Einzeldarstellungen von 1998 bzw. 2012 nicht genannt. Und selbst die späteren Herausgeber der Zeitschrift für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft haben es bei deren hundertjährigem Jubiläum 2006 vorgezogen, statt an die Konzeption und Geschichte dieses Forums zu erinnern, eher allgemein gehaltene Studien zu später berühmt gewordenen Autoren der Zeitschrift zusammenzustellen. Eine Ausnahme bildet in diesem Jubiläumsband lediglich der Beitrag der langjährigen Mitherausgeberin der Zeitschrift Ursula Franke: »Nach Hegel«. 2 W.
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zahlreicher ihrer Vertreter nach 1933 aus der akademischen Welt verdrängt: 1934 muss Utitz emigrieren. Dessoir wird 1937 gezwungen, die Redaktion der Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft an den regimekonformen Kollegen Richard Müller-Freienfels abzugeben. 1943 wird die Zeitschrift – die langfristig wichtigste institutionelle Plattform der Allgemeinen Kunstwissenschaft – schließlich verboten. Auch die weiteren Aktivitäten der Forschungsinitiative kommen unter diesen Bedingungen zum Erliegen. Hinzu kommt, prinzipiell unabhängig von diesen erzwungenen Beschränkungen, spätestens seit den 1930er Jahren ein zunehmendes Desinteresse der sich erneut positivistisch orientierenden Kunstwissenschaften an theoretischen Fragen. Aber auch in der Folge werden die methodologischen Anliegen, die die Entwicklung der Allgemeinen Kunstwissenschaft motiviert hatten, zurückgestellt. So wird die Zeitschrift zwar nach dem Krieg als interdisziplinäres Forum kunstwissenschaftlicher Studien fortgeführt; auch die Initiative zur Gründung einer Gesellschaft für Ästhetik wird u. a. 1993 durch die Gründung der Deutschen Gesellschaft für Ästhetik wieder aufgegriffen. Eine Anknüpfung bei den mit der Allgemeinen Kunstwissenschaft ursprünglich verbundenen Bestrebungen findet dagegen nicht statt. Die folgende Studie leistet eine problemgeschichtliche Rekonstruktion der Allgemeinen Kunstwissenschaft. Das heißt, es geht zum einen um eine historische Untersuchung, die diese Initiative als bedeutsamen einmaligen Handlungsund Diskussionszusammenhang rekonstruiert. Zum anderen wird die Allgemeine Kunstwissenschaft aber zugleich als Form der Reflexion eines ›Problems‹ verstanden, das bis heute präsent ist. Was ist aber das so verstandene Problem der Allgemeinen Kunstwissenschaft? Ihr Problem ist die Frage, ob es angesichts der Vielfalt der künstlerischen Praktiken einerseits und der Wissensformen über die Kunst andererseits überhaupt eine Bestimmung der Kunst geben kann. Dieses Problem stellt sich aber eben keineswegs nur in einer singulären Situation: Es begleitet die Kunstdiskurse bereits seit der Auflösung eines normativen Kunstbegriffs im 19. Jahrhundert.4 Dies bedeutet zugleich, dass es sich hier nicht um ein Problem handelt, das ein für alle Mal gelöst und zu den Akten gelegt werden könnte. Vielmehr handelt es sich dabei um die bleibende Aufgabe, die Profile des Kunstbegriffs immer wieder neu zu justieren. Nichtsdestoweniger gibt es spezifische historische Kontexte, in denen dieses allgemeine Problem besonders prägnant hervortritt und zum Gegenstand intensiver Debatten wird. Und ein besonderes eindrückliches, dem Umfang und der Dauer nach bisher einzigartiges Beispiel hierfür sind die Diskussionen um die Allgemeine Kunstwissenschaft. Dabei weist der Erfahrungskontext, in dem das Problem einer Bestimmung der Kunst im Rahmen der Allgemeinen Kunstwissenschaft reflektiert wird, zugleich markante Parallelen zur heutigen Situation auf. 4 Vgl.
z. B. B. Collenberg-Plotnikov: »Philosophische Grundlagen der Kunstgeschichte im Hegelianismus«.
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Warum heute ›Allgemeine Kunstwissenschaft‹? Die Entgrenzung gilt als der wohl charakteristischste Zug des Kunstlebens der Gegenwart. Eine solche Entgrenzung ist dabei in zweifacher Hinsicht festzustellen. Zum einen handelt es sich um eine Entgrenzung der Kunst: Wo an die Stelle der Kunst als mehr oder weniger klar umgrenztem Bereich innerhalb der Kultur eine allgemeine Ästhetisierung der Existenz gesetzt wird, wo kein äußerliches Kriterium mehr angeführt zu werden vermag, das einen Gegenstand sicher als Kunst auszuzeichnen vermöchte, da wird die Grenze zwischen Kunst und Nichtkunst fragwürdig. Zum anderen handelt es sich um eine Entgrenzung der Künste, bei der die verschiedenen künstlerischen Gattungen und Medien miteinander vermischt werden.5 Für die Kunstreflexion bedeutet dies, dass die traditionellen Verfahren und Kategorien der Thematisierung der Kunst nicht mehr greifen. Und dies gilt nicht nur für die Philosophie der Kunst, sondern auch für die einzelwissenschaftliche Kunstforschung, der schlicht ihr Gegenstand abhandenkommt. So hat etwa der Kunsthistoriker Willibald Sauerländer bereits 1980 die Rede von dem ›entlaufenen Kunstbegriff‹ 6 ins Spiel gebracht. Und schon bald darauf lancierte sein Münchner Kollege Hans Belting seine vieldiskutierte These vom ›Ende der Kunstgeschichte‹.7 Die ästhetische Diskussion hat dieser Entgrenzung Rechnung getragen, indem statt des Kunstbegriffs andere, übergreifendere Begriffe in den Mittelpunkt der Reflexion gerückt wurden. Hatte man zunächst, im Zeichen des sogenannten ›linguistic turn‹, sämtliche Formen des Bewusstseins, des Unbewussten, der Kultur und der wissenschaftlich repräsentierten Natur in immer neuen Vorstößen als Manifestationen von ›Textualität‹ und ›Diskurs‹ – also als Formen von Sprache – gedeutet, so wechseln seitdem die ›Wenden‹, unter denen auch die Kunst und die Künste thematisiert werden, in immer kürzerer Folge. Unter diesen hat zuletzt vor allem die Wende zum ›Bild‹ als neuem Paradigma einer medial geprägten und global vernetzten Kultur besondere Bedeutung gewonnen. Die ›Kunst‹ gilt dabei gerade jenen Forschern, die sich als Avantgarde ihrer Fächer verstehen, inzwischen als »Denkhypothek«, wie der ehemalige Kunsthistoriker Belting es im Sinne einer neu sich formierenden Bildanthropologie formuliert hat.8 Aussagekräftig ist der als ›Kunst‹ bezeichnete Gegenstandsbereich demnach nur, wenn man ihn in seiner Eigenschaft als Bild und als Teilaspekt in der Welt der Bilder thematisiert. Entsprechend hat etwa auch Philosoph Wolfgang Welsch als Protagonist der Postmoderne 5 Vgl.
hierzu bes. den Sonderforschungsbereich 626 der Deutschen Forschungsgemeinschaft Ästhetische Erfahrung im Zeichen der Entgrenzung der Künste, der von 2003 bis 2014 unter Beteiligung von acht Disziplinen und in Kooperation mit Wissenschaftlern der Universität Potsdam sowie des Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte Berlin an der Freien Universität Berlin eingerichtet wurde. (S. a. http://gepris.dfg.de/gepris/projekt/5485744 [letzter Abruf: 13.1.2021].) 6 Vgl. W. Sauerländer: »Der Kunsthistoriker angesichts des entlaufenen Kunstbegriffs«. 7 Vgl. H. Belting: Das Ende der Kunstgeschichte?; ders.: Das Ende der Kunstgeschichte. 8 H. Belting: »Mit welchem Bildbegriff wird gestritten?«.
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aus der sogenannten ›Ästhetisierung der Lebenswelt‹ 9 in der Gegenwart die Wende zu einem ›ästhetischen Denken‹ gefolgert, das die traditionelle Beschränkung auf die Kunst programmatisch hinter sich lässt10. An die Stelle des früheren Paradigmas der ›Kunst‹ ist so das Paradigma des ›Ästhetischen‹ getreten, das – operationalisiert in einer ganzen Reihe von neuen Leitbegriffen wie ›Kultur‹, ›Performativität‹ und vor allem eben ›Bild‹ – diesen Veränderungen endlich gerecht werden soll. Ein zentrales Merkmal der Forschungen, die im Zeichen dieser übergreifenden Leitbegriffe unternommen worden sind, ist dementsprechend eine Öffnung der Disziplinen, die der diagnostizierten Entgrenzung Rechnung tragen soll. Die früheren mehr oder weniger isoliert arbeitenden Kunstwissenschaften wurden dabei nicht nur untereinander, sondern prinzipiell mit allen ästhetisch relevanten Wissenschaften zu inter- bzw. transdiziplinär konzipierten Forschungsrichtungen wie den Cultural oder auch Visual Studies zusammengeschlossen. Für die verschiedenen Einzelwissenschaften von den Künsten – im Falle der Wende zum Bild vor allem für die Kunstgeschichte –, aber auch für die philosophische Ästhetik hat sich diese interdisziplinäre Öffnung als ausgesprochen perspektivreich erwiesen.11 Inzwischen wird aber im Gegenzug zu solchen die Kunst programmatisch übergreifenden Tendenzen geltend gemacht, die Kunst bilde, allen Entgrenzungen zum Trotz, im aktuellen gesellschaftlichen Bewusstsein nach wie vor einen kulturellen Faktor sui generis: Die Kunst geht, wie man nun notiert, eben doch nicht schlicht in ihrer Bildhaftigkeit, Performativität, Kulturalität usw. auf. Der gegenwärtig dominierende Impuls, die Kunst in allgemeineren Leitbegriffen aufzuheben, kann nun seinerseits als reduktionistisch kritisiert werden.12 9 Vgl.
R. Bubner: »Ästhetisierung der Lebenswelt«. Denken, das heute dominiert, ist ein ästhetisches Denken. Ich behaupte nicht, daß unsere Zeit von Ästhetikern wimmle, aber ich meine, daß viele der führenden Köpfe heute ästhetisch geprägt sind, und ich glaube vor allem, daß man dies heute nicht ironisch kommentieren muß, wie Jean Paul es tat, sondern anerkennend konstatieren kann, wie Adorno es gerne getan hätte.« (W. Welsch: Ästhetisches Denken, S. 41. – Vgl. hierzu auch bes. ders.: »Das Ästhetische«.) 11 Hinsichtlich der Erträge der Bildwissenschaft wäre hier auf inter- bzw. transdisziplinäre Veranstaltungen zu verweisen wie z. B. die von der Burda Akademie zum Dritten Jahrtausend 2002 und 2003 ausgerichtete Münchner Vorlesungsreihe Iconic Turn – Das neue Bild der Welt (vgl. C. Maar / H. Burda [Hrsg.]: Iconic Turn), vor allem aber auf die zahlreichen Beiträge, die aus dem von dem Kunsthistoriker und Philosophen Gottfried Boehm in Basel eingerichteten Nationalen Forschungsschwerpunkt Eikones / Bildkritik – Macht und Bedeutung der Bilder und den Initiativen der Philosophen Klaus Sachs-Hombach und Klaus Rehkämper hervorgegangen sind (vgl. z. B. K. Sachs-Hombach / K. Rehkämper [Hrsg.]: Bildgrammatik; K. Sachs-Hombach [Hrsg.]: Was ist Bildkompetenz?; ders. / K. Rehkämper [Hrsg.]: Bild – Bildwahrnehmung – Bildverarbeitung). 12 Unter den Vertretern der Kunstgeschichtsforschung als Einzelwissenschaft von der Kunst vgl. hierzu bes. W. Kemp: »Reif für die Matrix«; W. Sauerländer: »Der Kunsthistoriker angesichts des entlaufenen Kunstbegriffs«; ders.: »Dies Bildnis ist bezaubernd fremd«; ders.: »Iconic turn?«; ders.: »Kunstgeschichte und Bildwissenschaft«. – Aus philosophischer Perspektive macht diese Differenzierung vor allem Juliane Rebentisch unter erfahrungstheoretischem Gesichtspunkt geltend. Vgl. z. B. Juliane Rebentisch: »Autonomie? Autonomie!«. 10 »Das
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So bleibt festzuhalten, dass nach wie vor nicht etwa nur der Begriff der Kunst im Sinne einer (wie auch immer konkret verstandenen) bildenden Kunst institutionell und sprachlich präsent ist. Überdies ist auch der Begriff der Kunst im Sinne eines die verschiedenen Gattungen übergreifenden sachlichen Zusammenhangs nach wie vor in vielen natürlichen Sprachen zu finden, und deshalb liegt die Annahme nahe, dass er »nicht semantisch leer ist, sondern eine bestimmte Bedeutung besitzt«. Wenn man dieser Annahme folgt und sie argumentativ weiter zu erhärten sucht, sind aber nicht nur Einzelwissenschaften, die die historisch-empirischen Aspekte der Künste erforschen, sondern ist auch »eine Disziplin, die diese Bedeutung aufzuklären – oder traditionell gesprochen: das Wesen der Kunst zu erhellen – sucht, grundsätzlich sinnvoll und möglich«.13 In diesem Zusammenhang stellt sich allerdings die Frage, wie die Kunst angesichts ihrer nun in der Tat unübersehbaren Verflechtungen mit dem Alltäglichen noch als Kunst bestimmt werden kann. Dabei schließen aber schon die wechselseitigen Entgrenzungen von Kunst und Alltäglichem die Option aus, einfach zu einem traditionellen, an dem Phänomen der Hochkunst orientierten ›geschlossenen‹ Kunstbegriff zurückzukehren. Vielmehr muss es darum gehen, einen Kunstbegriff zu entwickeln, der die Kunst im Kontinuum der menschlichen Erfahrungs- und Gestaltungsräume verortet, sie aber zugleich in ihren spezifischen Merkmalen bestimmt. Als paradigmatisch kann in dieser Hinsicht die Charakteristik gelten, die der US-amerikanische Kunsthistoriker Keith Moxey bereits 2001 von den Grundlagen seines Fachs gegeben hat: »I argue the discipline [d. h. die Kunstgeschichte] can open its borders to a variety of forms of visual culture while acknowledging that this gesture can be accomplished productively only if art history fields persuasive claims to sustain the idea of art as a distinct form of cultural discourse.«14 Ein solcher Kunstbegriff kann allerdings nicht auf rein einzelwissenschaftlicher Basis gewonnen werden, weil die Vertreter der verschiedenen besonderen Kunstwissenschaften zwar auf einen Kunstbegriff zurückgreifen und mit ihm arbeiten, diesen Begriff aber zumeist nicht als solchen thematisieren. Die Bestimmung des Kunstbegriffs in einem allgemeinen Sinn bleibt vielmehr eine genuin philosophische Aufgabe. Er kann aber ebenso wenig mit rein philosophischen Mitteln entwickelt werden, wenn er die vielfältigen Transformationen in der jeweils konkreten künstlerischen Praxis zureichend erfassen soll. Es müsste daher darum gehen, eine Kooperation zwischen Philosophie, Einzelwissenschaften und allen weiteren Instanzen, die Wissen über die Sache generieren, wie sie im Zeichen der neueren Leitbegriffe, insbesondere des Bildes, heute vielfach geleistet wird15, dezidiert auch für die Kunst und die Künste herzustellen. Hierbei handelt es sich allerdings um eine Herausforderung für alle beteiligten Seiten. Deren Verhältnis ist nämlich keineswegs das einer selbstverständlichen Kooperation und Ergänzung. Vielmehr 13 R.
Schmücker: »Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft«, S. 61 f. K. Moxey: The Practice of Persuasion, S. 5. 15 Vgl. hierzu bes. die Beiträge von G. Boehm und K. Sachs-Hombach (s. o. S. 14, Anm. 11). 14
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begegnen sich die Vertreter der verschiedenen Kunstdiskurse über weite Strecken entweder mit Skepsis oder schlicht mit Desinteresse. In den letzten Jahren werden nun aber in der einzelwissenschaftlichen Kunstforschung ungewöhnlich viele Stimmen laut, die dazu aufrufen, das ansonsten wenig beliebte Gespräch mit der Philosophie wieder aufzunehmen. Der stark philosophisch motivierte Kunsthistoriker Moxey ist hierfür nur ein Beispiel neben vielen anderen. Zugleich wird ebenfalls vonseiten der Philosophie ausdrücklich gefordert, endlich »Impulse aus unterschiedlichen Disziplinen aufzunehmen, auch und gerade aus solchen, die der Ästhetik auf den ersten Blick fern zu stehen scheinen, wie den Sozialwissenschaften«. So liest man im Call for Papers zum zehnten Kongress der Deutschen Gesellschaft für Ästhetik für das Jahr 2018. »Angesichts von Tendenzen zur Verwissenschaftlichung der Philosophie einerseits wie zur positivistischen oder historistischen Abschottung der Einzelwissenschaften andererseits«, heißt es hier weiter, gelte es heute, »die Bewegung eines Denkens zu verteidigen, die beide Seiten zur Selbstüberschreitung provoziert«. Die »Arbeit am Allgemeinen des Begriffs« müsse endlich entschlossen »mit der Nähe zum je besonderen Gegenstand« verbunden werden. Wenn die Ästhetik nun aber »in ihrer Perspektive Supermärkte, Emojis, Industriefilme, Demonstrationen oder künstlerische Interventionen in den öffentlichen Raum erschließt«, dann handele es sich dabei durchaus nicht um eine postmoderne Nivellierung der Differenz von »Ästhetischem und Nichtästhetischem«. Vielmehr reklamiert der Call for Papers ausdrücklich eine konzeptionelle Entflechtung dieses Komplexes: Es geht darum, aus den Diagnosen ihrer wechselseitigen Durchdringung ein besseres Verständnis ihrer Unterschiede zu gewinnen. In diesem Prozess erneuert sich jedoch nicht nur die Frage nach der Spezifik des Ästhetischen im Unterschied zum Nicht-Ästhetischen, vielmehr muss sich der Begriff des Ästhetischen notwendig auch intern ausdifferenzieren.16
Vor diesem Hintergrund verdienen solche Phasen der Wissenschaftsgeschichte besonderes Interesse, in denen in einer ähnlichen Situation der künstlerischen Entgrenzung bereits ein Austausch zwischen den verschiedenen einzelwissenschaftlichen Kunstdiskursen und der Kunstphilosophie zum Zweck einer zeitgemäßen Bestimmung der Kunst explizit erprobt wurde. Und ein solcher – besonders groß angelegter und lange fortgesetzter – Dialogversuch ist die Allgemeine Kunstwissenschaft in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. So hat bereits Wolf hart Henckmann, der sich bisher am eingehendsten mit der Allgemeinen Kunstwissenschaft befasst hat, diese Initiative als Reaktion auf ein generelles Fragwürdigwerden des bis dahin geltenden Kunstbegriffs gedeutet, das maßgeblich aus der zeitgenössischen Erfahrung einer künstlerischen Entgrenzung resultiert. Diese Entgrenzung wird dabei nicht nur in den neuartigen künstleJ. Rebentisch: »Das ist Ästhetik!«. (Dieser Artikel greift den Leittext des Call for Papers für den zehnten Kongress der Deutschen Gesellschaft für Ästhetik auf.) 16
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rischen Ausdrucksformen und Medien wahrgenommen, die im Zuge der Entwicklung der Moderne erprobt werden. Hinzu tritt vielmehr auch die wachsende Anerkennung von unklassischen Gestaltungsformen wie den ›Randkünsten‹ der europäischen Tradition sowie von Artefakten außereuropäischer und vorzeitlicher Kulturen, von Kindern und Kranken.17 Dessoir und seine Kollegen reagieren auf die Herausforderungen, indem sie die philosophischen Aspekte der Kunst mit den einzelwissenschaftlichen Aspekten der Künste zu verbinden suchen: Die Kunst soll unvoreingenommen, jenseits der traditionellen Beschränkungen auf die kanonisierten Gegenstandsfelder der Hochkunst und jenseits der disziplinären Grenzen zwischen Philosophie und Einzelwissenschaften, als Phänomen sui generis thematisiert werden. Und so präsentiert sich das Rundschreiben, mit dem der Ausschuss 1913 zum ersten Kongress für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft einlädt, aus heutiger Sicht nicht nur in institutionsgeschichtlicher, sondern auch in konzeptioneller Hinsicht als ein direkter, wenngleich vergessener, Vorläufer des Call for Papers zum Kongress von 2018: Die Allgemeine Kunstwissenschaft soll, so heißt es im Rundbrief im Sinne einer beiderseitigen ›Selbstüberschreitung‹, die »lebendige Berührung und Aussprache« zwischen »Ästhetiker[n], die von Philosophie und Psychologie ausgehen« einerseits, und »Vertretern der konkreteren Wissenschaften« von der Kunst andererseits befördern. Zu den Letzteren zählen nicht nur Vertreter der Kunstgeschichtsforschung sowie der Literatur- und Musikwissenschaft, sondern auch der neuen kunstrelevanten Einzelwissenschaften wie »Ethnologen, Soziologen und Pädagogen«, aber auch theoretisch interessierte Künstler.18 Es geht in der Allgemeinen Kunstwissenschaft mithin darum, wie Utitz präzisiert, anstelle der »feindseligen Haltung zwischen Ästhetik und Kunstwissenschaften«19, die sich schon seit der Mitte des 19. Jahrhunderts auseinanderentwickelt hatten, diese beiden Stränge der Erforschung der Kunst wieder zusammenzuführen. Und dass nicht allein ein ›Unterschied zum Nicht-Ästhetischen‹, sondern näherhin auch eine ›interne Ausdifferenzierung‹ des Begriffs des Ästhetischen notwendig ist, wie es im Call for Papers zum Kongress von 2018 heißt, hatte Dessoir bereits in seiner programmatischen Schrift von 1906 klargestellt, indem er dort die berechtigte »Skepsis der Gegenwart […], ob wirklich das Schöne, das Ästhetische und die Kunst in einem Verhältnis zueinander stehen, das fast eine Identität genannt werden kann« 20, zur zentralen Voraussetzung der Allgemeinen Kunstwissenschaft erklärt.
17
Vgl. W. Henckmann: »Probleme der allgemeinen Kunstwissenschaft«, bes. S. 275. zum ersten Kongresses für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft, Juli 1912]. In: Kongress für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft, S. 2; ebenfalls in: »Kongreß für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft« [Vorgeschichte des ersten Kongresses für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft], S. 95. 19 E. Utitz: Grundlegung der allgemeinen Kunstwissenschaft, Bd. 1, S. 30. 20 M. Dessoir: Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft, 1. Aufl., S. 3. 18 [Einladung
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Die Allgemeine Kunstwissenschaft in der Forschung Zwar muss die Allgemeine Kunstwissenschaft als weitgehend unerforscht gelten. Allerdings liegen zu einzelnen der an der Initiative beteiligten Autoren Beiträge vor, bei denen die folgende Studie sachlich anknüpfen kann. Generell ist hier zu unterscheiden zwischen Forschungen, die explizit auf das Programm der Allgemeinen Kunstwissenschaft eingehen, und solchen Arbeiten, die zwar Beiträge aufgreifen, die im Diskussionszusammenhang der Allgemeinen Kunstwissenschaft entstanden sind, diese aber im Rahmen anderer Fragestellungen lediglich mitthematisieren. Die Anzahl der Arbeiten des zuletzt genannten Typs überwiegt die der zuerst genannten Art bei Weitem. Überhaupt ist es charakteristisch für die vorliegenden Forschungen zur Allgemeinen Kunstwissenschaft, dass die Konzeptionen jeweils personalisiert werden. Dies gilt nicht nur für Arbeiten zu Dessoir und Utitz, sondern vor allem auch für die Beiträge zu den in der Allgemeinen Kunstwissenschaft engagierten Kunsthistorikern.
Forschungen zum konzeptionellen und institutionellen Rahmen der Allgemeinen Kunstwissenschaft Das Programm der Allgemeinen Kunstwissenschaft tritt in der Forschungsliteratur am ehesten dort hervor, wo die Beiträge nicht personalisiert, sondern die Konzeptionen von mehreren ihrer Vertreter präsentiert werden, also der historische und sachliche Zusammenhang der Studien deutlicher werden kann. Nachdem zeitgenössische Stimmen diese Initiative lebhaft diskutiert und als eine der zentralen Bewegungen der Kunstreflexion thematisiert hatten 21, geriet das Projekt allerdings zunächst einmal für vier Jahrzehnte aus dem Blick der Forschung. Am ausführlichsten hat sich in jüngerer Zeit, beginnend in den frühen 1970er Jahren, der Philosoph Wolf hart Henckmann mit dem Themenfeld ›Allgemeine Kunstwissenschaft‹ auseinandergesetzt. Im Mittelpunkt seiner Forschungen steht hier die Auseinandersetzung mit der Position von Utitz, dessen Hauptwerk zum Thema – die zuerst 1914 und 1920 in zwei Bänden erschienene Grundlegung der allgemeinen Kunstwissenschaft – Henckmann, versehen mit einem ausführlichen Vorwort sowie einer Zusammenstellung der Lebensdaten und einem Schriftenverzeichnis des Verfassers, 1972 neu herausgegeben hat.22 Dabei rekonstruiert er
21 Vgl.
z. B. A. Liebert: »Bericht über den ersten Kongress für Aesthetik und allgemeine Kunstwissenschaft«; M. Bites-Palévitch: Essai sur les tendances critiques et scientifiques de l’esthétique allemande contemporaine; C. Herrmann: Max Dessoir; W. Passarge: Die Philosophie der Kunstgeschichte in der Gegenwart; P. Moos: Die deutsche Ästhetik der Gegenwart. Bd. 2, S. 225–263; W. F. Hare, Earl of Listowel: A Critical History of Modern Aesthetics, S. 109–131. 22 Vgl. E. Utitz: Grundlegung der allgemeinen Kunstwissenschaft; W. Henckmann: »Vorwort«; ders.: »Lebensdaten« [von E. Utitz]; ders. »Schriftenverzeichnis« [von E. Utitz].
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unter wissenschaftstheoretischer Akzentuierung aber auch das Diskussionsumfeld der Utitz’schen Konzeption in seinen Grundzügen.23 Zuvor hatte bereits der tschechische Ästhetiker und Kunstphilosoph Karel Svoboda Utitz’ ästhetische und kunstphilosophische Leistung in einem 1956 in der französischen Révue d’Esthétique und 1958 in englischer Übersetzung in The Journal of Aesthetics and Art Criticism erschienenen Nachruf gewürdigt.24 Studien, die die Diskussion um die Allgemeine Kunstwissenschaft explizit auf gegenwärtige Debatten beziehen, stammen von Reinold Schmücker 25 und Ursula Franke26. Dabei legt Schmücker den Akzent seiner Ausführungen auf Utitz, Franke dagegen auf Dessoir. Dessoirs kunstwissenschaftlicher Bedeutung ist des Weiteren neben einer ausführlicheren Studie von Dino Formaggio27 aus den 1950er Jahren eine 2005 erschienene philosophische Magisterarbeit von Nico Thom gewidmet 28. Carole Maigné geht u. a. auf Dessoirs und Utitz’ Konzept der Kunstwissenschaft als Kulturwissenschaft ein.29 Mit Utitz’ Expressionismuskritik beschäftigt sich Franziska Uhlig.30 Bernadette Collenberg-Plotnikov deutet Utitz’ Kunstphilosophie unter handlungstheoretischen Aspekt.31 Und Henckmann hat in einem neueren Beitrag seine früheren Studien zu Utitz’ Bestimmung der Gegenständlichkeit des Kunstwerks weiter ausgearbeitet.32 Neuere überblickshafte Beiträge zur Allgemeinen Kunstwissenschaft haben Guido Morpugo-Tagliabue33, Heinrich Dilly34 und Collenberg-Plotnikov35 vorgelegt. Indirekt geht auch bereits Jost Hermand im Rahmen seiner Analyse der Wechselbeziehungen zwischen Literatur- und Kunstwissenschaft seit 1900 auf diese Zusammenhänge ein, indem er die wissenschaftstheoretischen Beiträge der Protagonisten der Allgemeinen Kunstwissenschaft zur Erforschung des inneren Zusammenhangs aller Künste und ihrer Wissenschaften skizziert.36 Eine Sammlung mit Schlüsseltexten zur Allgemeinen Kunstwissenschaft in italienischer Über23 Vgl.
W. Henckmann: »Probleme der allgemeinen Kunstwissenschaft«. K. Svoboda: »The Contributions of Emil Utitz to Aesthetics« [»L’Oeuvre esthétique d’Emil Utitz«]. 25 Vgl. R. Schmücker: »Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft«. 26 Vgl. U. Franke: »Nach Hegel«. 27 Vgl. D. Formaggio: »Max Dessoir e il problema di una Scienza generale dell’Arte«. 28 Vgl. N. Thom: Zwischen Idealismus und Psychologismus. 29 Vgl. C. Maigné: »Dessoir, Frankl, Utitz: Kunstwissenschaft, histoire et culture«. 30 Vgl. F. Uhlig: »Emil Utitz’ Schriften zur Kunstkritik des Expressionismus«. 31 Vgl. B. Collenberg-Plotnikov: »Kunst als praxis«. 32 Vgl. W. Henckmann: »Zur Grundlegung der allgemeinen Kunstwissenschaft von Emil Utitz«. 33 Vgl. G. Morpugo-Tagliabue: L’esthétique contemporaine, S. 113–129. 34 Vgl. H. Dilly: »Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft«. 35 Vgl. B. Collenberg-Plotnikov: »›Zoologen und Physiker als die berufensten Forscher in Sachen der Aesthetik‹?«; dies.: »Experiment versus Anschauung«; dies.: »Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft«. 36 Vgl. J. Hermand: Literaturwissenschaft und Kunstwissenschaft. 24 Vgl.
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setzung wurde 2007 von Andrea Pinotti, versehen mit einer Einleitung, unter dem Titel Estetica e scienza generale dell’arte. I »concetti fondamentali« ediert. Aus dem Jahresthema 2008/2009 des Deutschen Forums für Kunstgeschichte in Paris – Kunstgeschichte & ästhetische Theorie. Abgrenzung, Wechselwirkung, Synergien – ist eine von Andreas Beyer, Danièle Cohn und Tania Vladova edierte zweisprachige Ausgabe der deutsch-französischen elektronischen Zeitschrift Trivium mit dem Titel Esthétique et science de l’art / Ästhetik und Kunstwissenschaft hervorgegangen. Sie enthält neben einer Einleitung der Herausgeber ebenfalls eine Auswahl von Texten aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die in Deutschland die Entstehung der ›Kunstwissenschaft‹ und in Frankreich die der ›science de l’art‹ dokumentieren. Letztere wurde bereits 1984 von Elio Franzini in einer Studie zur Ästhetik in Frankreich in der Zeit um 1900 unter historisch-systematischem Aspekt analysiert, wobei auch die Beziehungen zur deutschsprachigen Diskussion um Dessoir am Rande thematisiert werden.37 2010 hat Toni Bernhart in einem Aufsatz die institutionellen Strukturen der Berliner Vereinigung für ästhetische Forschung – also neben der Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft und den Kongressen einer der von Dessoir ins Leben gerufenen Foren zur Grundlegung der Allgemeinen Kunstwissenschaft – in den Anfangsjahren der Initiative (1908 bis 1914) auf der Basis der in Berlin aufbewahrten Quellen zur Geschichte dieses Vereins dargestellt.38 An die Geschichte der fünf Kongresse für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft wird anhand ausgewählter Positionen insbesondere aus deutsch-französischer Perspektive in einem 2016 erschienenen Sammelband erinnert.39
Weitere Beiträge zur Erforschung der Allgemeinen Kunstwissenschaft Diese explizit der Allgemeinen Kunstwissenschaft gewidmeten Studien werden flankiert durch eine Reihe von Arbeiten, die im Rahmen übergreifender Fragestellungen u. a. auch Aspekte der Allgemeinen Kunstwissenschaft ansprechen – genauer: in der Regel nur streifen. Dabei divergieren die Interessen, von denen her die Allgemeine Kunstwissenschaft thematisiert wird. Charakteristisch ist allerdings ein Zugang von wissenschaftstheoretischen und -geschichtlichen Zusammenhängen her. Der Rahmen, innerhalb dessen die Allgemeine Kunstwissenschaft hierbei mitreflektiert wird, kann entweder stärker philosophisch40 , E. Franzini: L’estetica francese del ’900. T. Bernhart: »Dialog und Konkurrenz«. 39 Vgl. B. Collenberg-Plotnikov / C. Maigné / C. Trautmann-Waller (Hrsg.): Berlin 1913 – Paris 1937. 40 Vgl. bes. S. Nachtsheim: Kunstphilosophie und empirische Kunstforschung 1870–1920, S. 43–45 (Kap. »Allgemeine Kunstwissenschaft«); J. Früchtl: »Ästhetik und Metaphysik in metaphysikkritischen Zeiten«; M. Moog-Grünewald: »Ästhetik versus Metaphysik?«; s. a. C. Tilitzki: Die deutsche Universitätsphilosophie in der Weimarer Republik und im Dritten Reich. 37 Vgl.
38 Vgl.
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einzelwissenschaftlich – vor allem kunsthistorisch41 – oder auch transdisziplinär42 angelegt sein. Von zentraler Bedeutung für eine Erforschung der Allgemeinen Kunstwissenschaft sind zudem Studien zu deren Vorläufern, wie insbesondere Konrad Fiedler.43 Die Rezeption Fiedlers in der Allgemeinen Kunstwissenschaft wurde allerdings in der Fiedler-Forschung bisher nicht eigens berücksichtigt. Zu einzelnen Protagonisten der Allgemeinen Kunstwissenschaft liegen zudem Studien und Materialsammlungen vor, die das Engagement der betreffenden Autoren für die Entwicklung der Allgemeinen Kunstwissenschaft nicht eigens thematisieren, sondern ihre Arbeit unter anderen Gesichtspunkten in den Blick nehmen. Es werden also individuelle Forschungsansätze und wissenschaftliche Wege charakterisiert, ohne dass deren Verbindungen mit dem Diskussionszusammenhang der Allgemeinen Kunstwissenschaft dabei explizit thematisiert würden. So dokumentieren einzelne neuere Forschungen insbesondere Dessoirs Arbeiten zur Psychologie.44 Andere Studien thematisieren auch Utitz’45 und Baschs 46 wissenschaftliches Wirken in einem allgemeineren Sinn. Am zahlreichsten sind Studien zu den Kunsthistorikern, die sich außerhalb ihres Engagements für das Projekt der Allgemeinen Kunstwissenschaft einen Namen
41
Vgl. bes. L. Dittmann: »Heinrich Lützeler und die ›Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft‹«; H. Dilly: Kunstgeschichte als Institution, bes. S. 30–40; W. Sauerländer: »Kunstgeschichte und Bildwissenschaft«; R. Heftrig / O. Peters / B. Schellewald (Hrsg.): Kunstgeschichte im »Dritten Reich«; D. Bohde: Kunstgeschichte als physiognomische Wissenschaft; O. Bätschmann: »Jacob Burckhardt«. 42 Vgl. bes. R. Heinz: »Zum Begriff der philosophischen Kunstwissenschaft im 19. Jahrhundert«; C.G. Allesch: Geschichte der psychologischen Ästhetik; ders.: Einführung in die psychologische Ästhetik; V. Gerhardt / R. Mehring / J. Rindert: Berliner Geist; G. Blum / K. Sachs-Hombach / J.R.J. Schirra: »Kunsthistorische Bildanalyse und Allgemeine Bildwissenschaft«. 43 Vgl. bes. G. Boehm: »Einleitung«; S. Majetschak (Hrsg.): Auge und Hand; L. Wiesing: »Konrad Fiedler«. 44 Vgl. bes. A. Kurzweg: Die Geschichte der Berliner »Gesellschaft für Experimental-Psychologie«; R. Meyer: »Gedenkbeitrag zu M. Dessoir«; B. Zwikirsch: »Der Nachlaß ›Max Dessoir‹ im Preußischen Geheimen Staatsarchiv in Berlin-Dahlem«. 45 Vgl. bes. H. Boeschenstein: »Emil Utitz«; L. Burkhardt: »Emil Utitz (1883–1956) – Von Wert für die Wissenschaftsgeschichte?«; dies.: »Versuch gegen das Vergessen«; dies.: »Emil Utitz (1883–1956) als ›auslandsdeutscher‹ Hochschullehrer an den ›reichsdeutschen‹ Universitäten in Rostock und Halle«; R. Mehring: »Das Konzentrationslager als ethische Erfahrung«; ders. (Hrsg.): Ethik nach Theresienstadt; J. Zumr: »Emil Utitz (1883–1956) Ästhetiker«; T. Matějčková / R. Mehring / E. Morkoyun (Hrsg.): Blicke auf Deutschland!, bes. S. 167–246; R. Mehring: Philosophie im Exil; R. Meyer: »Emil Utitz (1883–1956)«; M. Iven (Hrsg.): Emil Utitz; s. a. die Einträge »Utitz, Emil« im Catalogus Professorum Rostochiensium, im Catalogus Professorum Halensis sowie in ArchINFORM. 46 Vgl. bes. C. Trautmann-Waller: »Victor Basch«; M. Galland-Szymkowiak: »Le ›symbolisme sympathique‹ dans l’esthétique de Victor Basch«; B. Ludwig: »Victor Basch et l’Allemagne«; R. Heynickx: »Bridging the Abyss«.
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gemacht haben47: insbesondere Panofsky48 , aber auch Schmarsow49, Hamann 50 und Wind 51. Über zeitgenössische Stellungnahmen hinaus liegen zu Wulff dagegen lediglich zwei etwas eingehendere Studien vor.52 Seine Wahrnehmung durch die Forschung ist damit repräsentativ für die Rezeption der zahlreichen Vertreter des ›akademischen Mittelstands‹ innerhalb der Allgemeinen Kunstwissenschaft. Von Birgit Recki stammt eine Studie, die Ernst Cassirers Ausrichtung des vierten Kongresses für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft 1927 zum Anlass für eine Analyse der Stellung der Ästhetik in seinem Werk nimmt.53 Die hier zuletzt genannten Forschungen thematisieren zwar nicht explizit die Beiträge dieser Wissenschaftler zur Konzeption der Allgemeinen Kunstwissenschaft. Sie können aber herangezogen werden, um indirekt Hinweise sowohl auf die Stellung eines Autors in dem zu erforschenden Diskussionszusammenhang als auch auf die Stellung dieses Diskussionszusammenhangs im Gesamtwerk eines Autors zu gewinnen. Was in der Forschung dagegen bisher fehlt, ist eine umfassende Darstellung der Allgemeinen Kunstwissenschaft, die diese Initiative in Bezug sowohl auf ihren geistesgeschichtlichen Kontext als auch auf ihre konzeptionellen Beiträge und institutionellen Strukturen charakterisiert. Auf eben dieses Desiderat will die folgende Studie antworten. 47 Vgl.
auch die Wissenschaftlerporträts in P. Betthausen / P.H. Feist / C. Fork (Hrsg.): Metzler Kunsthistoriker Lexikon. 48 Vgl. bes. R. Heidt: Erwin Panofsky; M. Podro: The Critical Historians of Art, S. 178–208; M.A. Holly: Panofsky and the Foundations of Art History; S. Ferretti: Cassirer, Panofsky and Warburg; O. Bätschmann: »Logos in der Geschichte«; B. Reudenbach (Hrsg.): Erwin Panofsky; K. Lang: »Chaos and Cosmos«; K. Lüdeking: »Panofskys Umweg zur Ikonographie«; H. Bredekamp: »Erwin Panofsky (1982–1968)«. 49 Vgl. bes. E. Ullmann: »August Schmarsow«; B. Zug: Die Anthropologie des Raumes in der Architekturtheorie des frühen 20. Jahrhunderts; E. Ikonomoú: Theories of Space in the Architectural Thinking of Late 19th and Early 20th Century; ders.: »August Schmarsow: Grundbegriffe der Kunstwissenschaft«; A. Pinotti: »Body-Building«; T. Vladova: »August Schmarsow et la Kunstwissenschaft à partir des Congrès internationaux d’esthétique«; U. Engel: Stil und Nation, S. 328– 374; B. Collenberg-Plotnikov: »August Schmarsow und die kulturelle Bestimmung des Rhythmus in der Allgemeinen Kunstwissenschaft«; B. Spiekermann: »Laokoons Schatten«; s. a. H. Locher: Kunstgeschichte als historische Theorie der Kunst 1750–1950, S. 390–393. 50 Vgl. bes. M. Warnke: »Richard Hamann«; J. Hermand: Der Kunsthistoriker Richard Hamann; R. Heftrig: Fanatiker der Sachlichkeit. 51 Vgl. bes. B. Buschendorf: »›War ein sehr tüchtiges gegenseitiges Fördern‹«; ders.: »Einige Motive im Denken Edgar Winds«; ders.: »Zur Begründung der Kulturwissenschaft«; ders.: »Das Prinzip der inneren Grenzsetzung und seine methodologische Bedeutung für die Kulturwissenschaften«; H. Bredekamp / B. Buschendorf / F. Hartung / J.M. Krois (Hrsg.): Edgar Wind; J.M. Krois: »Einleitung«; N. Schneider: »Kunst zwischen Magie und Logos«; P. Schneider: »Begriffliches Denken – verkörpertes Sehen«; B. Collenberg-Plotnikov: »›Das Auge liest anders, wenn der Gedanke es lenkt.‹«; dies.: »Forschung als Verkörperung«; A. Pinotti: »Wind, Warburg et la Kunstwissenschaft comme Kulturwissenschaft«. 52 Vgl. W.R. von Zaloziecky: »Oskar Wulff (1864–1944)«; G. Hallmann: »Über die Bedeutung des Werkes von Oskar Wulff«; s. a. P.H. Feist: Art. »Wulff, Oskar«. 53 Vgl. B. Recki: »Die Fülle des Lebens«.
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Zum Aufbau des Buchs Die vorliegende Darstellung der Allgemeinen Kunstwissenschaft konzentriert sich auf die Jahre von 1906 bis 1943: Das Jahr 1906 markiert mit dem Erscheinen von Dessoirs Schrift Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft in der ersten Auflage und seiner Gründung der gleichnamigen Zeitschrift den Beginn dieser Initiative. Die Entscheidung, den Untersuchungszeitraum auf die Zeitspanne bis 1943 zu begrenzen, trägt der zentralen Bedeutung der Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft als inhaltlicher wie auch als historischer Quelle Rechnung. Denn auch eine umfangreichere Suche nach bzw. Sichtung von Archivmaterialien zu den Protagonisten und Institutionen der Allgemeinen Kunstwissenschaft hat – über die bereits vorliegenden Studien hinaus54 – keine weiteren substanziellen Erkenntnisse zur Sache ergeben 55. Als zentrale Primärquelle zur Allgemeinen Kunstwissenschaft stehen daher in erster Linie etwa drei laufende Meter der Zeitschrift zur Verfügung. Und 1943 ist das Jahr der vorläufigen Auflösung dieses Organs, die aber zugleich den endgültigen Abbruch des Projekts der Allgemeinen Kunstwissenschaft im Sinne eines wissenschaftstheoretischen bzw. methodologischen Arbeitsprogramms markiert. Für den genannten Untersuchungszeitraum werden zunächst Grundzüge und Kontext der Allgemeinen Kunstwissenschaft rekonstruiert (Kapitel I): Die Allgemeine Kunstwissenschaft wird hier als Name und Idee einer neuen Wissenschaft von der Kunst vorgestellt, die mit dem aufsehenerregenden Programm auftritt, die Kunst endlich in ihrer ›Objektivität‹, d. h. als Gegenständlichkeit sui generis, zu thematisieren: Die Kunst bzw. das Kunstwerk soll als Struktur- und Kommunikationszusammenhang eigener Art begriffen werden. Zwei Strategien sind für dieses Programm charakteristisch: erstens die Konzeption der Kunstwissenschaft als Allgemeine Kunstwissenschaft, d. h. als Wissenschaft prinzipiell aller Künste, und zweitens die Unterscheidung der Allgemeinen Kunstwissenschaft von der Ästhe54 Vgl. bes. T. Bernhart: »Dialog und Konkurrenz«; H. Dilly: »Destruktive Organisatoren«; s. a. M. Iven (Hrsg.): Emil Utitz. 55 Ein persönlicher Nachlass Dessoirs existiert nicht, weil seine Berliner Wohnung 1943 »durch Bomben und Brand ins Nichts aufgelöst« wurde. (M. Dessoir: Buch der Erinnerung, S. 77.) Auch der Teilnachlass von Utitz im Archiv der Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik in Prag (Archiv Akademie věd České republiky [AČR]) und weitere von Liane Burkhardt ausgewertete Akten (u. a. des Universitätsarchivs Rostock) enthalten – über das von Burkhardt bereits Gesagte hinaus – keine maßgeblichen neuen Informationen zur Allgemeinen Kunstwissenschaft. (Vgl. L. Burkhardt: »Emil Utitz (1883–1956) – Von Wert für die Wissenschaftsgeschichte?«; dies.: »Versuch gegen das Vergessen«; dies.: »Emil Utitz (1883–1956) als ›auslandsdeutscher‹ Hochschullehrer an den ›reichsdeutschen‹ Universitäten in Rostock und Halle«; J. Zumr: »Emil Utitz (1883–1956) Ästhetiker«; R. Mehring [Hrsg.]: Ethik nach Theresienstadt.) Selbst im Enke-Verlag – in dem neben Dessoirs kunstwissenschaftlichem Hauptwerk von 1906 bzw. 1923, Utitz’ Grundlegung von 1914 bzw. 1920 und der Zeitschrift auch die meisten der weiteren Haupttexte der Allgemeinen Kunstwissenschaft erschienen sind –, der nunmehr zur Gruppe der Medizin-Verlage des Hauses Thieme in Stuttgart gehört, sind wohl alle Bände der Zeitschrift archiviert, ansonsten wird dort jedoch kein Schriftverkehr dazu auf bewahrt.
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tik, die sich auch mit nichtkünstlerischen ästhetischen Phänomenen beschäftigt und also nicht kunstspezifisch orientiert ist. Mit beiden Strategien reagieren die Protagonisten der Allgemeinen Kunstwissenschaft auf einen bestimmten kulturellen und institutionellen Kontext: Die ›Objektivität‹ des Kunstphänomens wird gegen die zeitgenössischen Tendenzen zur Subjektivierung und Spezialisierung der Kunstforschung geltend gemacht. Der Gewährsmann für diese Position ist Konrad Fiedler, der bereits die Trennung der Kunstforschung von der Ästhetik gefordert hatte, um der genuinen Erkenntnisfunktion der Kunst gerecht zu werden. Zugleich wird aber gegen Fiedlers ebenso radikale wie einseitige Fokussierung der künstlerischen Erkenntnis eingewandt, dass die Kunst nicht von den vielfältigen Funktionen abgelöst werden darf, die sie jenseits der reinen Erkenntnisfunktion übernimmt: Kunst ist maßgeblich Kulturphänomen. In einer genaueren Charakteristik der Konzeptionen der Allgemeinen Kunstwissenschaft (Kapitel II) werden die bedeutendsten wissenschaftstheoretischen Beiträge zur Allgemeinen Kunstwissenschaft dargestellt, die im Untersuchungszeitraum entstehen. Neben den Positionen der beiden Hauptprotagonisten, der Philosophen Dessoir und Utitz, sind dies die Konzepte der Kunsthistoriker Schmarsow, Hamann und Wind, die jeweils einer neuen Generation angehören und die Idee der Allgemeinen Kunstwissenschaft für den Teilbereich ihres eigenen Arbeitsgebietes, der Kunstgeschichte also, fruchtbar machen. Dabei zeigt sich, dass hier ein breites Spektrum von heterogenen methodologischen Ansätzen entwickelt wird. Bei aller Unterschiedlichkeit sind sie aber doch zugleich als Entfaltungen der Leitidee der Allgemeinen Kunstwissenschaft zu verstehen: Sie treffen sich in dem Anliegen, die Kunst als Struktur- und Kommunikationszusammenhang zu thematisieren, der in einer Kultur vielfältige Funktionen übernimmt. Der Fokus der Studie liegt damit auf dem kunstwissenschaftlichen Teil dieses historischen Projekts, dessen vollständiger Name ›Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft‹ lautet, und näherhin auf dessen wissenschaftstheoretischen bzw. philosophischen Aspekten. Nichtsdestoweniger wird schließlich in einer stärker historisch angelegten Darstellung auch die Allgemeine Kunstwissenschaft als Institution (Kapitel III) rekonstruiert. Hier werden zum einen die unterschiedlichen institutionellen Plattformen der Allgemeinen Kunstwissenschaft – Zeitschrift, Verein bzw. Gesellschaft, Kongresse und akademische Lehre – mit ihrer jeweiligen Funktion charakterisiert. Zum anderen werden verwandte zeitgenössische Institutionen in Wien, Moskau und Paris, die mit Dessoirs Initiative in belegbarem Zusammenhang stehen, vorgestellt. Über den Untersuchungszeitraum hinaus wird schließlich der Frage nach dem Ende, aber auch dem Fortleben der Allgemeinen Kunstwissenschaft nachgegangen. So findet die Idee der Allgemeinen Kunstwissenschaft zwar im ersten und zweiten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts ein außerordentlich starkes Echo. Sie versinkt aber schließlich in Vergessenheit. Dennoch lässt sich zeigen, dass dieser Initiative nicht nur eine Schlüsselrolle insbesondere bei der Entwicklung der US-amerikanischen Kunstforschung in der Nachkriegszeit zukommt, sondern dass sie die
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historischen Vorläufer vieler aktueller Kunstinstitutionen hervorgebracht hat und in diesen bis heute – weitestgehend unerkannt – fortwirkt. Ihre wissenschaftstheoretischen bzw. methodologischen Vorstöße zur Erforschung der Kunst als Träger kultureller Funktionen und als Struktur- bzw. Kommunikationszusammenhang eigener Art gehen dagegen unter. Zwar fordern bereits die Protagonisten der Allgemeinen Kunstwissenschaft dezidiert Phänomennähe, und theoretisch interessierte Künstler sollen ausdrücklich in die Diskussion einbezogen werden. Allerdings wird die Erfahrung der Pluralität des Kunstbegriffs hier im Wesentlichen mit den Erkenntnismitteln der seit dem späten 19. Jahrhundert entwickelten historischen Kulturwissenschaften aufgearbeitet und legitimiert: Die Allgemeine Kunstwissenschaft entsteht als universitär basierte Initiative, und trotz vielf ältiger Bemühungen ihrer Protagonisten, den Horizont des Kunstdiskurses über die Grenzen der Hochschule hinaus zu erweitern, prägt dieser akademische Charakter dauerhaft ihr Profil. Das heißt, als eigentliches Wissen von der Kunst gilt de facto allein das wissenschaftliche Wissen. Die heute wieder geforderte Anerkennung einer ›künstlerischen Forschung‹ als genuiner Beitrag nicht zuletzt zum Verständnis der Kunst selbst bleibt damit aus. Auch ein organischer Werkbegriff, der sich in allen Beiträgen zur Allgemeinen Kunstwissenschaft mehr oder weniger ausgeprägt nachweisen lässt, ist heute überholt. Zudem wird von den Protagonisten der Allgemeinen Kunstwissenschaft an keiner Stelle ein vollständiges, geschweige denn ein einheitliches wissenschaftstheoretisches Konzept entwickelt. Nichtsdestoweniger liegt der folgenden Studie die These zugrunde, dass gerade die wissenschaftstheoretischen Ansätze der Allgemeinen Kunstwissenschaft geeignet sind, auch für die heutige interdisziplinär arbeitende Kunstforschung fruchtbare methodologische Perspektiven aufzuzeigen.
K a pit e l I Grundzüge und Kontext der Allgemeinen Kunstwissenschaft 1906 publiziert Max Dessoir nicht allein sein Hauptwerk Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft (eine zweite, stark veränderte Auflage folgt 1923), sondern in diesem Jahr gründet er auch die gleichnamige Zeitschrift – die erste größere Fachzeitschrift zu diesen Themenfeldern –, die sich schnell als interdisziplinäres Organ etabliert. Diesen Vorstoß kann man als Antwort auf eine fortschreitende Spezialisierung der Geisteswissenschaften verstehen, die sich nicht länger nur mit der Vergangenheit beschäftigen, sondern sich zunehmend auch den aktuellen Entwicklungen in Kunst und Kultur widmen wollen. Hand in Hand damit geht eine wachsende Verunsicherung dieser Wissenschaften über die grundlegenden Gegenstandsbestimmungen und Prinzipien ihrer eigenen Forschungen, die vielfältige Theoretisierungsversuche innerhalb der einzelnen Disziplinen hervorbringt. In diesem Kontext werden Dessoirs Initiativen nicht nur als ein individueller Forschungsbeitrag begriffen, sondern vielmehr als programmatischer Aufruf zur Gründung einer neuartigen Wissenschaft von der Kunst, die den Ballast von metaphysischer Spekulation und subjektivistischer Kunstemphase hinter sich lässt, um endlich ›strenge‹ Wissenschaft zu werden: In der Allgemeinen Kunstwissenschaft sollen die am Beginn des 20. Jahrhunderts an zahlreichen Orten und in verschiedenen Zusammenhängen auf kommenden Bestrebungen, die Kunstforschung auf methodologisch reflektierter ›wissenschaftlicher‹ Basis zu betreiben, zusammengeführt und gefördert werden. Dabei versteht sich die Zeitschrift keineswegs als Altordinarienorgan, sondern als Plattform, auf der ebenso der akademische Nachwuchs seine Beiträge zur Diskussion stellen kann: Viele ihrer Autoren stehen seinerzeit noch am Beginn ihrer Karrieren. Auch Frauen ergreifen erstmals in größerer Zahl die Möglichkeit, sich hier vor einem breiteren Publikum als Kunstwissenschaftlerinnen zu präsentieren. In diesem Geist ruft Dessoir ebenfalls 1908 die Vereinigung für ästhetische Forschung ins Leben, einen Verein, dessen vordringliche Aufgabe in der Organisation des ersten Kongresses für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft besteht, der 1913 unter Dessoirs Vorsitz in Berlin in stattfindet. Denn zur Förderung »unserer noch wenig gefestigten und vereinheitlichten Wissenschaft« erachtet man es, wie es in einem von Dessoir verfassten Sondierungsschreiben im Vorfeld der Veranstaltung heißt, als zweckmäßig, die schwierige, ja »nahezu ausgeschlossen[e]« »gegenseitige Verständigung« der »Philosophen und Psychologen, der Ethnologen und Soziologen, der Literatur-, Kunst- und Musikforscher sowie […] Kunstpädagogen« und nicht zuletzt auch »theoretisch interessierten Künstlern« zu befördern, indem man im Rahmen der Begegnungen eines Kongresses die gemeinsamen Sachfragen »in
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Kapitel I
ihrem inneren Zusammenhang« erörtert.1 In dezidierter Absetzung von den damals bereits abgehaltenen fachspezifischen Konferenzen sollen dabei alle kunstrelevanten Wissenschaften in einen fruchtbaren wechselseitigen Austausch eintreten: Um diesen Zusammenhang deutlich hervorzuheben und zu fördern, sind die Ästhetiker, die von Philosophie und Psychologie ausgehen, mit denjenigen Vertretern der konkreteren Wissenschaften in Verbindung zu setzen, die im Kunstwerk als solchem den nächsten Gegenstand ihrer Forschung erblicken; anderseits sind die Kunst-, Literatur- und Musikhistoriker durch lebendige Berührung und Aussprache darin zu befestigen, daß sie die wertvollen Ergebnisse der neuen philosophischen und psychologischen Ästhetik sich zu eigen machen.2
In der Einladung wird so ausdrücklich die Devise der Formierung einer neuen ›geistigen Bewegung‹ ausgegeben: Wenn die bisher gesondert Arbeitenden sich als Glieder einer umfassenden geistigen Bewegung fühlen lernen, so kann das dem Fortschritt unserer Wissenschaft erhebliche Dienste leisten. Daher soll das Organisationsmittel eines Kongresses zu Hilfe genommen und ein persönlicher Gedankenaustausch hergestellt werden.3
Mit 526 Teilnehmern, darunter 74 ausländischen Gästen4, stößt diese Einladung auf ein überwältigendes Interesse. So kann Dessoir schließlich auf seiner Abschiedsansprache eine Erfolgsbilanz ziehen und erklären, dass hier »aus sonst getrennten und anderweitig verbundenen Gebieten eine Wirkungseinheit geschaffen wurde.5 Hier habe sich, so resümiert Dessoir weiter, von »deutschen Gelehrten« ausgehend, in der Tat eine internationale »neue Bewegung« formiert.6 Angesichts des außerordentlichen Echos, das der erste Kongress für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft erfährt, kann man die Rede von einer wissenschaftlichen ›Bewegung‹ wohl verstehen – so wie sich in dieser Zeit etwa auch eine ›phänomenologische Bewegung‹ bildet. Allerdings suggeriert diese Bezeichnung, dass alle, die sich der diversen Plattformen der Allgemeinen Kunstwissenschaft bedienen, zugleich deren systematische Anliegen teilen. Dies ist aber durchaus nicht der Fall. Vielmehr nutzt die Mehrzahl der Akteure diese Plattformen vordring1 [M.
Dessoir:] [Rundschreiben im Vorfeld des ersten Kongresses für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft, Juli 1912]. In: Kongress für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft, S. 1 f.; ebenfalls in: »Kongreß für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft« [Vorgeschichte des ersten Kongresses für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft], S. 94. 2 [Einladung zum ersten Kongresses für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft, Juli 1912]. In: Kongress für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft, S. 2; ebenfalls in: »Kongreß für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft« [Vorgeschichte des ersten Kongresses für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft], S. 95. 3 Ebd. 4 S. u. S. 225, Anm. 127. 5 M. Dessoir: [Ansprache auf der Abschiedsfeier zum ersten Ästhetikkongress am 13. Oktober 1913], S. 530. 6 Ebd., S. 531; s. a. Vossische Zeitung (10.10.1913).
Grundzüge und Kontext der Allgemeinen Kunstwissenschaft 29
lich als in dieser Zeit singuläre Möglichkeiten, die jeweils eigenen theoretischen Interessen und Anliegen in Sachen ›Kunst‹ vor einem sachkundigen Publikum zu präsentieren. Als gemeinsames Band kann man dabei lediglich eine interdisziplinäre Orientierung und eine theoriebezogene Auseinandersetzung mit der Kunst identifizieren. Dementsprechend hat auch die Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft weniger den Charakter eines Parteiorgans als eines offenen Diskussionsforums. Diese Offenheit ist dabei durchaus kein Zufall, sondern Programm. So erklärt Dessoir rückblickend in einem kurzen Text, mit dem er sich 1937 von den Lesern der Zeitschrift verabschiedet, nachdem er seine eigene Position und seine Motive zur Initiierung der Allgemeinen Kunstwissenschaft dargelegt hat, ausdrücklich: Indessen, es ist mir nicht beigefallen, alle Mitarbeiter auf meine Überzeugung zu verpflichten. Die Abhandlungen, mit denen die Zeitschrift im Januar 1906 eröffnet wurde, stammten von Theodor Lipps und Konrad Lange, also von zwei Forschern, die ihre eigenen Wege gingen. Auch später hat jeder das Wort erhalten, der mit Sachkenntnis seine Meinung vertrat, damit in immer neuer Berührung der Geister die Forschung lebendig und fruchtbar bleiben konnte. So wenig ich danach gefragt habe, ob jemand meinen Ansichten zustimmte, ebensowenig danach, ob er zu den Anerkannten gehörte oder zu den Kommenden: mancher Neuling ist hier zu seinem ersten Waffengang angetreten. Letztlich waren wir doch alle einig, denn uns verband der Wille, Klarheit auf einem Gebiet zu schaffen, das so leicht durch Phrasen eingenebelt wird.7
In der Fülle der im Rahmen dieser Bewegung entstandenen Beiträge ist eine kleinere Gruppe von Forschungen zu identifizieren, die dezidiert das Programm der Allgemeinen Kunstwissenschaft ausbuchstabieren. Die Autoren dieser Beiträge können als die Protagonisten der Allgemeinen Kunstwissenschaft im engeren Sinne gelten. Deren Anliegen ist vordringlich die Etablierung einer neuen Disziplin, die eine wissenschaftstheoretische Begründung der Kunstforschung leistet. Diese beiden Stoßrichtungen der Allgemeinen Kunstwissenschaft, d. h. eine eher diffuse Ausrichtung auf eine Theorie der Kunst und das explizite Anliegen der Schaffung einer Wissenschaftstheorie für alle kunstrelevanten Wissenschaften, bleiben de facto nur »relativ lose« miteinander verbunden.8 So hält der Philosoph Arthur Liebert in seinem Bericht über den Kongress von 1913 fest, dass diese Veranstaltung – in diesem Punkt paradigmatisch für alle Initiativen der Allgemeinen Kunstwissenschaft – in erster Linie eine Plattform »aller der Richtungen in der modernen Aesthetik und allgemeinen Kunstwissenschaft darstellte, die von wissenschaftlicher Bedeutung sind und ein Anrecht auf Gehörtwerden besitzen«. Und er unterscheidet von diesen methodologisch unspezifischen Beiträgen solche, »die entweder ausdrücklich eine Frage von grundsätzlicher Tragweite behandeln oder 7 M.
Dessoir: »Zum Abschied«, S. 415. Henckmann: »Probleme der allgemeinen Kunstwissenschaft«, S. 274. S. a. S. Nachtsheim: Kunstphilosophie und empirische Kunstforschung 1870–1920, S. 45. 8 W.
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die trotz ihres Eingehens auf einen einzelnen konkreten Gegenstand doch an allgemeinen Gesichtspunkten orientiert sind«.9 – Es sind diese letzteren, dabei näherhin die ausdrücklich dem Programm der Allgemeinen Kunstwissenschaft gewidmeten Beiträge, die im Mittelpunkt der im Folgenden entwickelten Darstellung dieses Projekts stehen. Allerdings suggeriert die Rede von einer ›Bewegung‹ auch hinsichtlich dieser kleineren Gruppe von Beiträgen eine Homogenität von gemeinsam verfolgten Zielen und Ideen, die selbst hier de facto nur sehr bedingt zu finden ist. So ist nicht einmal das Personal, das in diesem Rahmen für die Idee der Allgemeinen Kunstwissenschaft im engeren Sinne einsteht, klar zu identifizieren – sieht man einmal von Dessoir und seinem Schüler und Mitarbeiter Emil Utitz ab, die als Philosophen am dauerhaftesten und regelmäßigsten Beiträge zum Thema beigesteuert haben. In der wissenschaftstheoretischen Hinsicht, die im Folgenden fokussiert werden soll, sind indes neben den Philosophen Dessoir und Utitz vor allem die Kunsthistoriker August Schmarsow, Richard Hamann und Edgar Wind sowie Oskar Wulff und Erwin Panofsky zu nennen, die mehrfach programmatische Beiträge zu einer Konzeption der Allgemeinen Kunstwissenschaft liefern. Hierbei handelt es sich allerdings nicht um die schulmäßige Entfaltung des ursprünglichen Theorieprogramms eines Lehrers. Die Protagonisten der Allgemeinen Kunstwissenschaft vertreten vielmehr selbst bezüglich der zentralen Frage, wie das Verhältnis der Allgemeinen Kunstwissenschaft zur Philosophie einerseits und den Einzelwissenschaften von den Künsten andererseits zu bestimmen ist, welchen systematischen Status also diese Wissenschaft eigentlich hat, verschiedene Auffassungen. Daher betrachten bereits die Initiatoren der Allgemeinen Kunstwissenschaft ihr Vorhaben weniger als homogenes Konzept denn als Set von Diskussionsplattformen und als kollektives work in progress. Dementsprechend erklärt Utitz: So ist also das System der allgemeinen Kunstwissenschaft – wie wir es ersehnen – niemals ein abgeschlossenes Ganze[s], sondern in einer nie erlöschenden Vervollkommnung und Ausfüllung begriffen. Immer strömt ihm neues Material zu und wird von seiner Formung ergriffen.10
Es ist daher, mit Dessoirs Worten, durchaus »kein Widerspruch«, zu wünschen, die selbst geleistete »geistige Arbeit […] möge von der weiteren Entwickelung überholt werden«.11 So kann man mit Wolf hart Henckmann festhalten, dass sich hier ein neues Wissenschaftsverständnis in Sachen ›Kunst‹ Bahn bricht:
9 A. Liebert: »Bericht über den ersten Kongress für Aesthetik und allgemeine Kunstwissenschaft«, S. 506 f. 10 E. Utitz: Grundlegung der allgemeinen Kunstwissenschaft, Bd. 2, S. 309, s. a. ebd., S. 320 und S. 421 f. 11 M. Dessoir: »Zum Abschied«, S. 416.
Grundzüge und Kontext der Allgemeinen Kunstwissenschaft 31
Zum erstenmal kommt damit im Bereich der Ästhetik die Ablösung des Begriffs von Wissenschaft als eines Systems von allgemeingültigen, übergeschichtlich bedeutsamen Erkenntnissen durch diejenige Auffassung zum Ausdruck, die Wissenschaft als historisch fortschreitenden, nie abschließbaren Erklärungsversuch versteht, der nicht mehr von einem einzelnen getragen werden kann, sondern in dem arbeitsteilig Forscher aus verschiedenen Disziplinen an der Lösung der sich stellenden Aufgaben arbeiten.12
Von einer ›Bewegung‹ kann bei der Allgemeinen Kunstwissenschaft insofern nur im Sinne einer Minimalbestimmung die Rede sein. Man kann hier auch von einem ›Kreis‹, einer ›Initiative‹ oder von einer »Forschergemeinschaft«13 sprechen, deren Ziel die systematische Grundlegung einer interdisziplinären Erschließung der Kunst ist und der sich viele Wissenschaftler mehr oder weniger eng und mehr oder weniger langfristig assoziieren. Dennoch handelt es sich bei dem Kreis um Dessoir nicht bloß um eine zufällige oder beliebige Konstellation von Wissenschaftlern und kunstwissenschaftlichen Konzepten. So bleibt die Allgemeine Kunstwissenschaft bis in die 1930er Jahre hinein eine Adresse von internationaler Bedeutung, die gerade nicht für einen diffusen Impuls, sondern vielmehr für ein bestimmtes kunstwissenschaftliches Anliegen einsteht – kurz gesagt: das Anliegen, Kunstforschung mit wissenschaftlichem Anspruch auf der Höhe der Zeit zu betreiben. Dieses Verständnis, die Avantgarde der Kunstforschung zu stellen, manifestiert sich hier allerdings nicht etwa in der Auseinandersetzung mit besonders avancierten zeitgenössischen Tendenzen der Kunst, die heute als Meilensteine der Moderne gelten – etwa den Aktionen der Dadaisten oder der Surrealisten. Zwar öffnet man sich auch nachdrücklich für unklassische künstlerische Positionen und neue Medien. Aber die Allgemeine Kunstwissenschaft ist weder ein Zentrum der Kunstkritik noch ein Hort offenkundig subversiver künstlerischer Anliegen. Deren Protagonisten sind vielmehr in der Überzeugung einig, Teil einer neuen, modernen Bewegung der Kunstforschung zu sein. Diese Bewegung sieht sich im Dienst einer ›Objektivität‹ der Kunstforschung, die sich ganz in den Dienst der ›Sache selbst‹ stellt; sie setzt sich programmatisch von der spekulativen Ästhetik und dem ästhetischen Normativismus der Neukantianer ab; sie fokussiert ihr theoretisches Anliegen auf das Spannungsverhältnis zwischen der Kunstwissenschaft und der Ästhetik; und sie entfaltet sich schließlich auf den gemeinsamen institutionellen Foren.
12 W.
Henckmann: »Vorwort«, S. XV. W. Henckmann: »Probleme der allgemeinen Kunstwissenschaft«, S. 329, vgl. ebd., S. 298 f. S. a. U. Franke: »Nach Hegel«, S. 74. 13
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1. Das Programm der Allgemeinen Kunstwissenschaft: Kunst als ›ungeheure Objektivität eigener Art‹ Dessoir hat rückblickend die Programmatik seines wissenschaftlichen Anliegens in dem Text zusammengefasst, mit dem er sich 1937 von den Lesern der Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft verabschiedet: Mir schien die Erkenntnis der Kunst von zwei Seiten her bedroht: von den Philosophen und Psychologen, die aus den Kunstwerken rein ästhetische Gebilde machen wollen, und von den Historikern, die nur einzelne Kunstbezirke und in jedem nur die geschichtlichen Zusammenhänge kennen. Um dem ersten Irrtum zu entgehen, schied ich von der Ästhetik die Kunstwissenschaft, und um die andere Einseitigkeit zu vermeiden, strebte ich danach, die Theorie der Kunst als eine allgemeine Kunstwissenschaft auszubilden. Unsere Zeitschrift sollte dazu beitragen, die Kunst, diese gewaltige Tatsache des geistig-gesellschaftlichen Lebens, vor Ästhetisierung und Historisierung zu bewahren.14
Dieser doppelte Impuls kommt bereits im Titel der Zeitschrift zum Ausdruck: Es geht den Initiatoren dieses Projekts zum einen um die Entwicklung einer ›Allgemeinen‹ Kunstwissenschaft und zum anderen um deren Unterscheidung von der ›Ästhetik‹. a) Das ›Allgemeine‹ der Allgemeinen Kunstwissenschaft Die Rede von einer ›Allgemeinen‹ Kunstwissenschaft legt aus heutiger Perspektive möglicherweise die Assoziation nahe, hier bestehe ein Bezug zur Allgemeinen Sprachwissenschaft. So beruft sich etwa Klaus Sachs-Hombach bei seinem aktuellen Projekt der Entwicklung einer Allgemeinen Bildwissenschaft15 explizit auf diesen Bezugspunkt: Der bewusst in Anlehnung an die Allgemeine Sprachwissenschaft gewählte Name soll die Überzeugung zum Ausdruck bringen, dass auch hier »durch die Ergänzung der in unterschiedlichen Disziplinen beheimateten Forschungen zu Bildern um einen allgemeinen Ansatz eine ähnlich produktive Entwicklung wie in der Sprachwissenschaft möglich wird«.16 14 M. Dessoir: »Zum Abschied«, S. 415. – Zehn Jahre später resümiert er in seiner Autobiographie erneut seine Motive: »Im Grunde kam es mir darauf an, das Verständnis der Kunst von zwei Einschnürungen zu befreien: von dem Irrtum, daß Kunst eine Sache des Geschmacks sei, und von der überlieferten Lehre, daß Kunst bloß unter geschichtlichen Gesichtspunkten klar gesehen werden könne; ich war und bin aufs tiefste davon überzeugt, daß man der Kunst nicht gerecht werden kann, wenn man sie ästhetisiert und historisiert.« (M. Dessoir: Buch der Erinnerung, S. 39.) 15 Vgl. bes. K. Sachs-Hombach: Das Bild als kommunikatives Medium. 16 Vgl. G. Blum / K. Sachs-Hombach / J.R.J. Schirra: »Kunsthistorische Bildanalyse und Allgemeine Bildwissenschaft«, S. 118.
Grundzüge und Kontext der Allgemeinen Kunstwissenschaft 33
Allerdings ist für die Allgemeine Kunstwissenschaft ein solcher Bezug weder historisch belegbar noch wahrscheinlich: Das Hauptwerk der Allgemeinen Sprachwissenschaft, die unter Ferdinand de Saussures Namen erschienenen Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft (1916/dt. 1931), spielt bei den Vertretern der Allgemeinen Kunstwissenschaft keine Rolle. Zudem erscheinen Dessoirs Monographie zum Thema und der erste Band seiner Zeitschrift bereits zehn Jahre vor de Saussures Schrift. So erklärt Dessoir selbst zur Rede von einer ›Allgemeinen‹ Kunstwissenschaft, das Beiwort ›allgemein‹ drücke zum einen aus, »daß es sich nicht bloß um bildende Kunst, um Kunst im Sinne des engeren Wortgebrauchs«, handelt. Zum anderen verweist er auf »das Vorbild der ›allgemeinen Nationalökonomie‹, die – nach Schmollers Begriffsbestimmung – ›auf breitester philosophischer Grundlage‹ ›vom Wesen der Gesellschaft und den allgemeinen Ursachen des wirtschaftlichen Lebens‹ ausgeht (während der andere Teil historisch und praktisch ist)«.17 Ziel der Allgemeinen Kunstwissenschaft sei es aufzuzeigen, »welch innerer Zusammenhang zwischen den Künsten besteht und inwiefern sie aufeinander einzuwirken vermögen«. Man könne grundsätzlich »aber mit gleichem Recht von systematischer oder theoretischer Kunstwissenschaft sprechen«.18 Dieser Aspekt betrifft also vordringlich das Verhältnis dieser Wissenschaft zu den einzelnen Kunstwissenschaften: Als explizit ›allgemein‹ konzipierte Kunstwissenschaft will sie in methodologischer Hinsicht Aussagen treffen, die grundsätzlich für alle Künste in ihrer Unterschiedlichkeit relevant sind und insofern die sachliche Verbindung der Kunstwissenschaften untereinander explizieren. Für deren Arbeit soll hier ein gemeinsamer konzeptioneller Rahmen bereitgestellt werden, der sowohl die Basis für die einzelwissenschaftliche Kunstforschung als auch für einen methodisch kontrollierten interdisziplinären Austausch schafft. Ihren »eigentümlichen Kerninhalt« hat diese Wissenschaft so, wie Dessoir erklärt, in der »Systematik der Künste«.19 Die Kunst soll dabei nicht nur in medialer Hinsicht in ihrer Allgemeinheit, d. h. als Totalität aller Künste, erforscht werden. Die beanspruchte Allgemeinheit bezieht sich vielmehr auch auf konventionelle Beschränkungen der Kunst und des Kunstbegriffs – also insbesondere die christlich-europäische ›Hochkunst‹. Das heißt, die Kunst darf nicht von vorne herein auf einen bestimmten tradierten Kanon von Gegenständen und Fragestellungen festgelegt werden. Die Allgemeine Kunstwissenschaft, wie sie von Dessoir und in seinem Umkreis entwickelt wird, bildet damit eine kritische Antwort auf das zunehmende Spezialistentum in der Kunstforschung. Zwar muss man aus heutiger Perspektive sagen, dass das damalige Wissenschaftsverständnis auch im Bereich der Kunst noch um einiges von der späteren Differenzierung der Fächer und Forschungsschwerpunkte entfernt ist. Nichtsdestoweniger erkennt man bereits zu dieser Zeit die Gefahr einer rapide fortschreitenden Spezialisierung einzelner Disziplinen, die damals immer 17
M. Dessoir: »Allgemeine Kunstwissenschaft«, Sp. 2407. Dessoir: »Sinn und Aufgabe der allgemeinen Kunstwissenschaft«, S. 152. 19 M. Dessoir: »Allgemeine Kunstwissenschaft«, Sp. 2407. 18 M.
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wieder als ›Krise‹ der Geisteswissenschaften 20 beschworen wird. So gibt es zwar »sehr viele wissenschaftlich ambitionierte Disziplinen«, die sich mit der Kunst beschäftigen, aber keine »systematische Kunstwissenschaft«. Selbst das Fach, das die ›Kunst‹ im Namen trägt, die Kunstgeschichte, zerfällt »in zwei recht unterschiedliche Lager: in das der Historiker und das der Kunstkenner«.21 Auf diese Krise der Kunstforschung will die Allgemeine Kunstwissenschaft mit ihrem generalistischen Ansatz reagieren. Sie fügt sich damit in die breite, vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis in die Zeit um 1930 reichende Tendenz ein, sich in Absetzung von dem »biographischen Amorphismus« der »positivistischen Ära« und den als solchen wert- und sinnfreien Material- und Datenbergen, die in den Einzelwissenschaften – wie man es nun sieht – angehäuft worden waren, um die Herausarbeitung der »überindividuellen Gemeinsamkeiten« der kunstrelevanten Disziplinen zu bemühen: »Wofür man sich jetzt interessiert, ist der innere Zusammenhang aller Künste und Wissenschaften, und zwar in bewußtem Affront gegen die bisherige ›Fächerbetriebsamkeit‹.« 22 In diesem geistigen Klima kann nicht nur nach »undogmatischen Antworten« auf die – durch die »Überfülle konkreten wissenschaftlichen Ausgangsmaterials« und einzelwissenschaftlicher Detailfragen verschüttete – basale »Frage nach dem Grund für die ästhetische Schöpfung und für die ästhetische Erfahrung« gesucht werden.23 Hier kann etwa auch die Idee einer ›wechselseitigen Erhellung der Künste‹ florieren, wie sie vor allem mit dem Namen Oskar Walzels verbunden ist 24. – So charakterisiert auch der norwegische Literaturhistoriker Gerhard Gran in seiner Grußbotschaft auf dem Kongress von 1913 diese Initiative als einen »Protest gegen solche Verdummung, einen Protest gegen die einseitige Spezialisierung«.25 Bei aller Auf bruchstimmung steht die Allgemeine Kunstwissenschaft aber zugleich in einer bis weit in das 19. Jahrhundert zurückreichenden Tradition der Kunstforschung, die sich – in bewusster Absetzung von der idealistisch-spekulati20 Vgl. bes. J. Strzygowski: Die Krisis der Geisteswissenschaften; s. a. E. Husserl: »Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phänomenologie«. 21 H. Dilly: »Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft«, S. 57. – Dabei streben die Historiker, wie der Berliner Kunsthistoriker Max J. Friedländer es später lakonisch charakterisiert hat, »vorzugsweise vom Allgemeinen zum Speziellen, vom Abstrakten zum Konkreten, vom Gedanklichen zum Sichtbaren, die Kenner bewegen sich in umgekehrter Richtung« – und »beide bleiben zumeist auf halbem Wege stecken, übrigens ohne sich dabei zu begegnen«. (M.J. Friedländer: »Kunst und Wissenschaft«, S. 92.) 22 J. Hermand: Literaturwissenschaft und Kunstwissenschaft, S. VI. 23 H. Dilly: »Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft«, S. 54. 24 Vgl. O. Walzel: Wechselseitige Erhellung der Künste. – Walzel engagiert sich im Vorfeld des ersten Kongresses für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft als Mitglied des Großen Ausschusses (s. u. S. 222, Anm. 109) und hält im Rahmen der Veranstaltung einen Vortrag über »Tragische Form«. (Vgl. »Vorgeschichte« [des ersten Kongresses für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft], S. 3; O. Walzel: »Tragische Form«; »Verzeichnis der Teilnehmer« [des ersten Kongresses für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft], S. 12.) 25 Kongress für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft, S. 41.
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ven Ästhetik einerseits und einer stark literarisch geprägten Form der Kunstschriftstellerei andererseits – ausdrücklich als Kunst›wissenschaft‹ versteht.26 Das Paradigma bildet hier die Transformation des Selbstverständnisses der Kunstgeschichtsforschung zur Kunstwissenschaft als einer Disziplin, die sich in Anlehnung an die Geschichtswissenschaft eine eigene Methodik und systematische Fundierung erarbeitet: Während heute die Bezeichnungen ›Kunstgeschichte‹ und ›Kunstwissenschaft‹ in aller Regel als Synonyme behandelt werden, war die Unterscheidung seinerzeit noch Programm. Wichtig sind in dieser innerdisziplinären Neuausrichtung der Kunstgeschichte als Kunstwissenschaft, neben Jacob Burckhardts kulturhistorischem und Carl Justis persönlichkeitsorientiertem Ansatz, vor allem die dezidiert antimetaphysisch orientierten Beiträge der früheren Wiener Schule der Kunstgeschichte mit Rudolf Eitelberger und Moritz Thausing geworden, die die Emanzipation dieser Wissenschaft von ihren philosophischen Wurzeln, namentlich bei Hegel, durchsetzen wollen. An die Stelle allgemeiner, spekulativ gewonnener Wesensaussagen über die Kunst sollen jetzt historische Daten und Fakten treten. Ab den 1880er Jahren werden dann von Kunsthistorikern wie Alois Riegl, Heinrich Wölfflin und Hans Tietze Beiträge zu einer eigenständigen Methoden- und Theoriebildung der Kunstgeschichte entwickelt. Ihre Wissenschaftlichkeit beweist diese Kunstgeschichtsforschung nicht mehr durch die Übernahme von Kriterien der Geschichtsforschung, sondern durch die Entwicklung spezifischer Kriterien für die synthetisierende Strukturierung des kunsthistorischen Materials, die es ermöglichen sollen, den ihm eigenen Sinn zu erschließen. Mit diesen Beiträgen zu einer eigenständigen Methoden- und Theoriebildung reiht sich die Kunstgeschichtsforschung in die gerade im deutschsprachigen Raum in den verschiedenen Einzelwissenschaften von den Künsten ganz allgemein vermehrt zu verzeichnenden Bestrebungen ein, selbst Grundlagenforschung zu betreiben, um die konzeptionelle Basis der eigenen Disziplin zu klären. Diese Beiträge knüpfen damit zwar bei den früheren emanzipatorischen Bestrebungen innerhalb des Fachs an. Es geht nun aber nicht mehr darum, dessen Selbstständigkeit gegenüber der spekulativen Philosophie durch die Positivität des eigenen Wissens zu behaupten. Vielmehr strebt man nun explizit danach, die Berechtigung des Anspruchs auf disziplinäre Autonomie durch ein eigenes methodologisches Fundament zu erhärten: Es gilt, auf methodisch gesicherter Basis die (bildende) Kunst als Gegenstand eigener Art und eigenen Rechts zu thematisieren. Die Bezeichnung ›Kunstwissenschaft‹ soll dabei nicht zuletzt den Anspruch untermauern, dass man die Beiträge anderer anerkannter Wissenschaften wie der Psychologie, Soziologie, Anthropologie und insbesondere auch der Geschichte für die eigene Disziplin nutzbar machen will und sich als diesen gleichrangig betrachtet. Zwar begreift sich auch die Allgemeine Kunstwissenschaft im engeren Sinne als Disziplin bzw. Meta-Disziplin mit dezidiert wissenschaftlichem – d. h. hier eben26 Vgl.
bes. R. Heinz: »Zum Begriff der philosophischen Kunstwissenschaft im 19. Jahrhundert«; G. Scholtz: Art. »Kunstphilosophie, Kunstgeschichte, Kunstwissenschaft«.
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falls vor allem: antispekulativem – Anspruch. Und auch sie setzt sich dabei nicht nur von der Phänomenferne der philosophischen Spekulation, sondern auch von der Detailfixiertheit des Positivismus ab. Bei der Allgemeinen Kunstwissenschaft handelt es sich aber, anders als bei den kunsthistorischen Begriffsbildungen, um eine allgemeine Wissenschaftstheorie der Kunstwissenschaften, die nicht einzelne Künste, sondern die Kunst in ihrer Allgemeinheit thematisieren will. In diesem Zusammenhang spielen zwar auch die einzelnen Künste eine Rolle, aber weniger in ihrer jeweiligen Besonderheit als in ihrer gemeinsamen Eigenschaft als Kunst. Wenn in der Allgemeinen Kunstwissenschaft so etwa der Begriff der Poesie als Grundlage der Literaturwissenschaft, der Musik als Grundlage der Musikwissenschaft bzw. der Malerei, Skulptur und Architektur als Grundlage der Kunstgeschichte im engeren Sinne thematisiert wird, dann steht dabei immer zugleich die Frage im Hintergrund, »welch innerer Zusammenhang zwischen den Künsten besteht und inwiefern sie aufeinander einzuwirken vermögen«, wie Dessoir es formuliert.27 Der Allgemeinen Kunstwissenschaft wird darüber hinaus die Aufgabe übertragen, nicht nur den Zusammenhang zwischen den einzelnen Künsten und den für sie zuständigen Wissenschaften zu erläutern, sondern auch zwischen den unterschiedlichen Zugangsweisen zum Phänomen Kunst, wie es etwa in der Psychologie, der Anthropologie oder auch der Soziologie der Kunst thematisiert wird. Damit ist intendiert, die Kunst in der ganzen Vielfalt ihrer Aspekte in den Blick zu bringen. Anders als in der metaphysischen Tradition soll die Allgemeinheit dieser Kunstwissenschaft dabei aber eben nicht spekulativ, sondern auf der Basis eines interdisziplinären Austausches aller systematischen und empirischen kunstrelevanten Wissenschaften, d. h. auch unter Einbeziehung der Theoretisierungen innerhalb der Einzeldisziplinen, erörtert werden. Auf diesem Weg soll eine Bestimmung des – alle diese Künste und Disziplinen verbindenden – Begriffs der Kunst gesucht werden, der in den Einzelwissenschaften ebenso wie im alltäglichen Sprechen über die Kunst zwar immer schon vorausgesetzt, aber nicht als solcher reflektiert wird. Die Allgemeine Kunstwissenschaft ist somit auch maßgeblich ein wissenschaftskritisches Unternehmen: Sie macht die einzelnen Kunstwissenschaften auf die Grenzen ihrer Unternehmen bzw. auf ihre Voraussetzungshaftigkeit aufmerksam. Thomas Munro fasst dementsprechend die Aufgaben der Allgemeinen Kunstwissenschaft 1951 so zusammen: It is a long way, as to degree of generality, from the details of art history to philosophical aesthetics. Hence, Max Dessoir believed, there was need for an intermediate realm of allgemeine, or general Kunstwissenschaft. It should continue to be scientific, objective, and descriptive, not indulging in dogmatic appraisal or vague speculation about beauty. It should be concerned with all the arts, including music and literature, 27 M.
Dessoir: »Sinn und Aufgabe der allgemeinen Kunstwissenschaft«, S. 152. – S. o. S. 33.
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and with comparisons between the arts; not with the visual arts alone. Dessoir and his group sought to build a firm bridge of verifiable knowledge from the particulars of art to the philosophy of art; not a shaky, over-extended one like Spengler’s philosophy of history. Solid supports could be found in generalizations of intermediate scope. Objective studies of intermediate breadth were being made on the art and intellectual history of different periods; for example, on the blend of Greek, Hebrew, and Christian symbolism in Michelangelo. Steps were made toward comparative aesthetics, as in extending Wölfflin’s theory of the difference between classic and baroque from visual art to music and literature. The pages of Dessoir’s Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft and the programs of the meetings he inspired were hospitable toward a great variety of subjects and opinions, which seemed to bear directly or indirectly on the understanding of the arts. They included a great many specialized studies of artists and works of art. They included research on the psychology of art, along many lines. Dessoir himself emphasized the psychology of the artist, and of creative imagination. Thus the »general science of art« opened its doors to all other scientific studies of the arts besides the historical one.28
b) Die Unterscheidung der Allgemeinen Kunstwissenschaft von der Ästhetik Die moderne Entgrenzung der Kunst und des Kunstbegriffs als Infragestellung der Ästhetik In Munros Charakteristik klingt auch bereits das zweite Kriterium der Allgemeinen Kunstwissenschaft neben ihrer ›Allgemeinheit‹ an: die Unterscheidung der Kunstwissenschaft von der Ästhetik. Die Rede vom ›Ästhetischen‹ hat dabei im Rahmen der Allgemeinen Kunstwissenschaft eine doppelte Bedeutung: Zum einen versteht man unter dem Ästhetischen – im engeren Sinne – den Ansatz traditioneller Ästhetiken, die im Begriff der Schönheit und den damit verbundenen Anmutungskategorien den Leitfaden für das Verstehen und Beschreiben von Kunstwerken gesehen hatten. Dieses Verständnis wird in der Allgemeinen Kunstwissenschaft abgelehnt. Denn im Zeichen der ›Ästhetik‹ werde die Kunst willkürlich auf einen bestimmten Kreis von ›schönen‹ Kunstwerken festgelegt, der mit dem Gegenstandsbereich der Kunst als solchem allerdings keineswegs identisch sei. Zum anderen wird das Ästhetische – im weiteren Sinne – auf die Funktion des ästhetischen Genusses und der sinnlichen Erfahrung bezogen. Dabei wird diese Funktion von Dessoir und seinem Kreis allerdings grundsätzlich vom Objekt her gesehen: Die Erfahrung wird zu einer ästhetischen, wenn sie an einem ästhetischen Objekt vollzogen wird. Die objektive Qualität des Gegenstandes ist also primär gegenüber seinem Vollzug.
28 T.
Munro: »Aesthetic as Science«, S. 181 f.
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Diesen Aspekten des Ästhetischen wird durchaus eine Berechtigung auch in Bezug auf die Kunst zuerkannt: Ohne emotional-sinnliche Erfahrung gibt es auch für die Vertreter der Allgemeinen Kunstwissenschaft keine Kunst. Es wäre aber verfehlt, die Kunst allein auf die Funktion des ästhetischen Genusses zu reduzieren, weil so das Spektrum der vielfältigen künstlerischen Funktionen außer Acht gelassen würde. Dementsprechend fordern Dessoir und seine Mitstreiter eine Differenzierung zwischen der Erforschung des Ästhetischen in der Ästhetik einerseits und der Kunst bzw. der Künste, für die die Allgemeine Kunstwissenschaft zuständig ist, andererseits. Die Allgemeine Kunstwissenschaft greift auch damit einen Impuls auf, der in der einzelwissenschaftlichen Kunstforschung bereits seine Spuren hinterlassen hatte. Für diesen Impuls steht dort insbesondere der von Riegl ins Spiel gebrachte und von Wilhelm Worringer mit großen Erfolg popularisierte Begriff des ›Kunstwollens‹: Dieser Begriff hatte es erstmals möglich gemacht, Kunst jenseits der ›Schönheit‹ nicht länger bloß als Verfall und Unvermögen, sondern als »Zeichen eines anders gerichteten Wollens« zu begreifen, das »ebenso berechtigt war wie jenes der anerkannten Blüteperioden«.29 Zudem hatte man sich hier bereits seit geraumer Zeit gegen den innerhalb der Disziplin verbreiteten spätromantischen Schwärmerton gewandt, der bloße Begeisterung für Wissenschaftlichkeit ausgibt. So hatte Thausing schon im späteren 19. Jahrhundert in seiner Antrittsvorlesung an der Wiener Universität programmatisch erklärt: »Ich kann mir die beste Kunstgeschichte denken, in der das Wort ›schön‹ gar nicht vorkommt.« 30 Im Rahmen der Allgemeinen Kunstwissenschaft betrifft die Infragestellung der Ästhetik als Leitinstanz der Kunstreflexion dabei nicht nur das Verhältnis zur philosophischen und kunstwissenschaftlichen Tradition. Diese Tradition, die die Kunst unter dem Aspekt der Schönheit thematisiert hatte, wird nun, im Zeichen eines strikt antispekulativen Wissenschaftsideals der Sachlichkeit, als überholt angesehen. Die Zurückweisung der Kompetenz der Ästhetik in Fragen der Kunst betrifft vielmehr ebenfalls jüngere Ansätze, vor allem die psychologische und die neukantianische Ästhetik, die zwar mit den metaphysischen Voraussetzungen der idealistischen Tradition gebrochen, an der Fixierung der Kunst auf die ›Schönheit‹ und ihre systematische Betreuung durch die Ästhetik indes festgehalten hatten. Der auch in diesen Forschungsansätzen zugrundegelegte Glaube, die Kunst in ihrer Gesamtheit unter dem Gesichtspunkt der Schönheit fassen zu können, gilt dagegen jetzt als unbegründeter, erstarrter Dogmatismus. Die von der Allgemeinen Kunstwissenschaft geforderte Entkoppelung von Kunst und Schönheit richtet sich zugleich gegen die »vorherrschenden Begriffe[] der Gründerzeit« 31 überhaupt. Schmarsow bringt diese Distanzierung so auf den Punkt: 29 E.
Utitz: »Allgemeine Kunstwissenschaft«, S. 437. Thausing: »Die Stellung der Kunstgeschichte als Wissenschaft«, S. 5. 31 U. Kultermann: Geschichte der Kunstgeschichte, S. 308. 30 M.
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Wie unglaublich verworren und einseitig sind die Begriffe von Heimatlichem und Volkstümlichem, von germanischem und deutschem Wesen, die uns eingeimpft werden von Jugend auf – eben heute, nach 1870, mehr denn je zuvor, selbst in den Freiheitskriegen. Wie kurzsichtig verfahren selbst unsere Wanderprediger für Kunst und Erziehung, wenn sie immer wieder zur Nachahmung einer verflossenen Formensprache raten, d. h. zur Lehre Winckelmanns zurückkehren.32
Ein entscheidendes Motiv für die systematische Lösung der Kunst von ihrer Festlegung auf das Ästhetische bilden die tiefgreifenden Veränderungen der Kunstwelt am Beginn des 20. Jahrhunderts. Es ist hier vor allem Utitz, der in diesem Zusammenhang auf die Begegnung mit moderner Kunst verweist: Vermag aber eine Wissenschaft vom Schönen selbst bei strengster Beobachtung aller Bewußtseinsschattierungen der Gesamttatsache der Kunst gerecht zu werden? Die große Welle des Naturalismus und Impressionismus schwemmte die einseitige Schönheitsanbetung fort.33
So notiert auch Henckmann, dass Utitz zu jener Forschergeneration gehört, die unter dem Eindruck von Hauptmanns Webern, den Dramen von Ibsen, den Romanen von Dostojewski, Zola und Balzac, der Malerei der Impressionisten, den Skulpturen von Rodin eine sehr viel umfassendere Erfahrung von Kunst gewonnen hatte, als sich durch den Begriff des Ästhetischen ausdrücken ließ: die Kunst offenbarte ein neues Lebensgefühl, sie erschloß neue Wirklichkeitsbereiche und neue Erfahrungsmöglichkeiten […].34
Überhaupt hatte Utitz »sich genug unter Künstlern, Kritikern und in Kunstateliers aufgehalten[,] um zu wissen, daß es den Künstlern keineswegs nur um das Schaffen von ästhetisch Wertvollem ging«.35 Vor diesem Hintergrund erscheint nun auch die Kunst der Vergangenheit in einem neuen Licht. Denn ein »lebendiger Kunstbetrieb« öffnete, so Utitz, die Augen »für Kunst der Vergangenheit, deren Würdigung bisher Vorurteile verwehrten«, indem Schmarsow: Unser Verhältnis zu den bildenden Künsten, S. 150. Utitz: »Allgemeine Kunstwissenschaft«, S. 436. 34 W. Henckmann: »Vorwort«, S. XII f. – S. a. Utitz’ eigene Darstellung aus dem Jahr 1952 gegenüber dem Amerikaner Thomas Munro: »When I started my studies I found an abstract philosophical aesthetics which could not cope adequately with art. I grew up with the dramas of Ibsen, with the great Russian novels and with those of Balzac, Flaubert, and Zola; I admired your Whitman, and I was excited by modern painting and architecture. The young people of my generation discovered through this art the new life and the new world. However, these new problems could not be comprehended in terms of the category of pure beauty of traditional aesthetics. This situation gave rise to allgemeine Kunstwissenschaft. That was the situation with us; with you it was different from the beginning as it was different in Russia, whose aesthetic contributions you seem to underestimate.« ([T. Munro:] »International News and Correspondence«. 10/4 [1952], S. 382.) 35 W. Henckmann: »Vorwort«, S. XIII. 32 A. 33 E.
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man sich lange allein den »Epochen der Blüte« – der Schönheit nämlich – zugewandt hatte, während die vielen anderen Perioden, die sich »nicht dem üblichen Schönheitskanon« fügten, das »Dunkel der Nacht« deckte. In den Einzelwissenschaften von den Künsten, vor allem in der Kunstgeschichte als der »methodisch fortgeschrittenste[n] unter ihnen«, ist es nun, wie Utitz resümiert, »unmöglich, weiter mit einem Ideal des Schönen zu arbeiten«.36 Die Unterscheidung der Allgemeinen Kunstwissenschaft von der Ästhetik reagiert aber nicht nur auf die Entwicklung unklassischer Kunstpraktiken, wie sie die damaligen Avantgardebewegungen mit dem Impressionismus, Naturalismus und Expressionismus hervorbringen. Die Unzulänglichkeit einer traditionellen, auf Schönheit festgelegten Kunstforschung ergibt sich vielmehr auch noch aus weiteren Faktoren einer Entgrenzung des Kunstbegriffs, die in dieser Zeit auf den Plan treten. Henckmann hat hier insbesondere auf neue künstlerische Ausdrucksformen und Medien wie Photographie, Film oder Hörspiel, auf eine wachsende öffentliche Anerkennung von Kunstgattungen, die in der klassischen Kunstreflexion nicht akzeptiert wurden, wie Tanz, Oper, Plakat, Ornament oder Kunstgewerbe, sowie auf eine Entmonopolisierung der traditionellen akademischen Orte der Kunstreflexion (Philosophie und Kunstwissenschaften) durch eine zunehmende Beschäftigung mit Fragen der Kunst in empirischen Wissenschaften jenseits der Kunstwissenschaften (vor allem in der Soziologie, Psychologie, Ethnologie, Pädagogik und den Naturwissenschaften) verwiesen. Denn durch diese empirischen Wissenschaften jenseits der Kunstforschung im engeren Sinne wird beispielsweise der Status der Werke von außereuropäischen und vorzeitlichen Kulturen, von Kindern oder aber das Verhältnis von Kunst und Krankheit zur Diskussion gestellt.37
Die Objektivität der Kunst Für die Anhänger der Allgemeinen Kunstwissenschaft liegt es zum einen auf der Hand, dass die Entgrenzungsphänomene in der zeitgenössischen Kunstwelt mit dem Grundbegriff traditioneller Ästhetiken, der Schönheit, nicht angemessen erfasst werden können. Zum anderen vertreten sie die Auffassung, dass diesen Erscheinungen wissenschaftlich nur beigekommen werden kann, wenn nicht allein die traditionellen Einzelwissenschaften von den Künsten sich wechselseitig öffnen, sondern auch die Erträge der neuen kunstrelevanten Disziplinen – also vor allem Soziologie, Psychologie, Ethnologie und Pädagogik – miteinbezogen werden. Doch auf welcher sachlichen Basis? Verbindet diese vielf ältigen Erscheinungen jenseits des klassischen Kunstbegriffs tatsächlich etwas, das mit dem Wort ›Kunst‹ angemessen bezeichnet werden kann, und wenn ja: was?
36 E.
Utitz: »Allgemeine Kunstwissenschaft«, S. 436. W. Henckmann: »Probleme der allgemeinen Kunstwissenschaft«, S. 275.
37 Vgl.
Grundzüge und Kontext der Allgemeinen Kunstwissenschaft 41
Die Beantwortung dieser Frage nach dem Allgemeinen bzw. dem Wesen der Kunst fällt grundsätzlich in den Kompetenzbereich der Philosophie. Zwar hatten sich die Einzelwissenschaften von den Künsten seit der Mitte des 19. Jahrhunderts zunehmend von der Philosophie emanzipiert und stattdessen auf Aspekte der kunsthistorischen Empirie konzentriert. Diese Trennung konnte zunächst als Befreiungsschlag gelten, indem die Philosophie – zumal die Philosophie metaphysischer Natur, um die es hier noch geht – auf einer Ebene operiert, wo der Umgang mit konkreten Werken, wie die einzelnen Kunstwissenschaften ihn leisten, als weithin überflüssig, wenn nicht gar als hinderlich betrachtet wird. Demgegenüber konnte der genuine Erkenntniswert einzelwissenschaftlicher Forschung nun auch in Sachen Kunst gewürdigt, wenn nicht sogar als der philosophischen Spekulation überlegen angesehen werden. Nach einer Welle der Euphorie angesichts der Erträge positiver Forschung beginnt jedoch unter den Vertretern der Einzelwissenschaften von den Künsten zunehmend der Eindruck um sich zu greifen, dass man lediglich wachsende Materialberge angehäuft, dabei aber die »Frage nach dem Grund für die ästhetische Schöpfung und für die ästhetische Erfahrung« 38 , die überhaupt erst klar macht, warum diese heterogenen Daten eigentlich gemeinsam unter dem Aspekt der Kunst thematisiert werden können, aus den Augen verloren hat. Die Erfahrung der Atomisierung der Erkenntnis provoziert die erwähnte Krise der Geisteswissenschaften 39, hier: im Bereich der Kunstwissenschaften. Und spätestens angesichts des entgrenzten Gegenstandsfeldes der Kunstforschung am Beginn des 20. Jahrhunderts wird endgültig die philosophische Frage virulent, inwiefern die Wissenschaften dabei überhaupt als Wissenschaften von der Geschichte der Kunst bzw. der verschiedenen Künste gefragt sind. Hier setzt die Allgemeine Kunstwissenschaft an. Zwar verschiebt sich angesichts der Entgrenzungserscheinungen in der Kunst auch in der Philosophie das Bild der Ästhetik, und eine »Fülle neuer Gesichtspunkte« strömt in sie ein, die sie »breiter und reicher, weniger dogmatisch und viel beweglicher« werden lässt.40 Utitz verweist dabei namentlich auf Johannes Volkelts dreibändiges System der Ästhetik.41 Die Kunst wird hier, im Rahmen einer »psychologisch fundierten Ästhetik«, nicht mehr, wie in der metaphysischen Ästhetik, unter die Idee des Schönen gefasst, sondern sie wird nun als ästhetisches »Erlebnis« thematisiert. Die gerade auch für die Kunstwissenschaften zentrale Frage, was die Kunst und vor allem »das Kunstwerk« eigentlich ist, kann auf dem Weg einer solchen Erlebnisästhetik nach Ansicht der Anhänger der Allgemeinen Kunstwissenschaft aber nicht beantwortet werden. Denn »[n]icht das Erlebnis interessiert in erster Linie die Kunstwissenschaft, sondern das Kunstwerk«.42 38 H.
Dilly: »Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft«, S. 54. S. o. S. 33 f. 40 E. Utitz: »Allgemeine Kunstwissenschaft«, S. 436. 41 Vgl. ebd., S. 437. 42 Ebd. 39
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Auf diesen »krisenhafte[n] Zustand«43 reagieren die Vertreter der Allgemeinen Kunstwissenschaft mit einem neuen Wissenschaftskonzept: Die Kunst muss in unvoreingenommener, umfassender und strikt an der Sache orientierter Weise als »objektive Tatsache« 44, mehr noch – wie Utitz es als Schüler Franz Brentanos in phänomenologischer Diktion formuliert – als »ungeheure Objektivität eigener Art«45 begriffen werden. Die für die neue Wissenschaft – namentlich von Utitz – reklamierte »einheitliche Forschungseinstellung«46 soll also nicht subjektiv, durch die Anwendung einer Methode, sondern objektiv, durch den Nachweis, dass die zu untersuchenden Gegenstände gleich beschaffen sind, begründet werden. Utitz folgt damit der Maxime Brentanos, dass die wissenschaftlichen Methoden ganz von den Erfordernissen der zu untersuchenden Sachverhalte her bestimmt werden sollen: Bevor Methoden entwickelt werden, gilt es, möglichst unvoreingenommen das Wesen der Sachverhalte – hier also der Kunst – zu erforschen.47 So erkennt bereits Liebert in seinem Bericht über den ersten Kongress von 1913 die »stärkste Einheitlichkeit in der Fragestellung sowie in der ganzen Methodik« der Allgemeinen Kunstwissenschaft in den Beiträgen, die an dem Gesichtspunkt des Objektivismus orientiert sind. Das heisst: Es sollen diejenigen Bestimmungen, diejenigen Formprinzipien herausgearbeitet und systematisch miteinander verbunden werden, die den Begriff des Kunstwerks seinem autonomen aesthetischen Geltungssinne nach kennzeichnen und konstituieren, und die diesen Begriff, die dieses ganze Problemgebiet auf das Sauberste von jedem anderen Begriff und jedem anderen Problemgebiet unterscheiden.48
Dementsprechend resümiert Utitz dann 1929 die Forschungslage folgendermaßen: Man kann nicht leugnen, daß Ästhetik und allgemeine Theorie der Kunst sich auseinander entwickelt haben. Den Kunstforscher interessiert eben in erster Linie die Kunst, das Ästhetische an sich steht für ihn in zweiter Linie. Will er es doch gerade vermeiden, die Kunst einfach ästhetischen Kategorien auszuliefern, ohne kritische Prüfung, daß der Gebrauch jener Kategorien zulässig und im Idealfall auch erschöpfend ist. Wie kann er aber anders die Legitimität jener Kategorien erweisen als durch eine Befragung der Kunst auf ihr Wesen hin. Damit wird die Objektivität der Kunstwerke zum unerläßlichen Ausgangs- und zum eigentlichen Mittelpunkt.49
Utitz: Grundlegung der allgemeinen Kunstwissenschaft, Bd. 1, S. 30. Dessoir: »Sinn und Aufgabe der allgemeinen Kunstwissenschaft«, S. 149. 45 E. Utitz: »Das Problem einer allgemeinen Kunstwissenschaft«, S. 438. 46 E. Utitz: Grundlegung der allgemeinen Kunstwissenschaft, Bd. 1, S. 11. 47 Vgl. W. Henckmann: »Probleme der allgemeinen Kunstwissenschaft«, S. 292 f.; ders.: »Vorwort«, S. XVII. 48 A. Liebert: »Bericht über den ersten Kongress für Aesthetik und allgemeine Kunstwissenschaft«, S. 514. 49 E. Utitz: »Über Grundbegriffe der Kunstwissenschaft«, S. 6. 43 E.
44 M.
Grundzüge und Kontext der Allgemeinen Kunstwissenschaft 43
Unter dem Vorzeichen der Objektivität will man also auf philosophische Kompetenz rekurrieren und den Gegenstand ›Kunst‹ bestimmen, ohne die Kunst auf ihren ästhetischen Aspekt zu reduzieren oder auf metaphysische Voraussetzungen zurückzugreifen. Zur Erfassung der Objektivität der Kunst gehört es im Selbstverständnis der Vertreter der Allgemeinen Kunstwissenschaft zudem, dass die Bestimmung der Kunst nicht – wie es an der klassischen Ästhetik moniert wird – jenseits der konkreten Werke stattfindet. Vielmehr gilt es, die einzelwissenschaftlichen Aspekte der Kunst mit den philosophischen zu verbinden, um auf diese Weise ein umfassendes und gegenstandsnahes Verständnis der Kunst und der Künste zu ermöglichen. Auf diesem Weg soll den Einzelwissenschaften, die für eine Erforschung der Kunstphänomene relevant sind, ihr Gegenstand zurückerstattet werden. Alle Protagonisten der Allgemeinen Kunstwissenschaft teilen diese Orientierung auf die ›objektive Tatsache‹ der Kunst: Studien zu speziellen Künsten, Kunstwerken oder Kunstfragen sind immer als Beiträge zum Ganzen einer Wissenschaft von der Kunst überhaupt, d. h. zu einem Sachzusammenhang, zu verstehen, der aufgrund seiner Breite und Wandelbarkeit aber nur noch in einem kollektiven und unabschließbaren Forschungsprozess aller kunstrelevanten Disziplinen erfassbar ist. Dabei ist es für sie klar, dass die Frage nach der Kunst nur angemessen beantwortet werden kann, wenn auch die unkanonischen ästhetischen Manifestationen, die schließlich die neue Beantwortung dieser Frage erst erforderlich gemacht hatten, nachdrücklich in die Überlegungen miteinbezogen werden. Es geht daher in der Allgemeinen Kunstwissenschaft um eine Bezugnahme auf die Kunst und alle Künste – einschließlich jener außerhalb des klassischen europäischen Kanons der ›Hochkunst‹ – aus allen möglichen sachrelevanten Perspektiven, seien diese philosophischer, einzelwissenschaftlicher oder auch, wie vor allem Stellungnahmen von Künstlern und Kritikern, vorwissenschaftlicher Natur. So hat Heinrich Dilly drei Aspekte benannt, in denen die Allgemeine Kunstwissenschaft in konstruktiver Hinsicht für die einzelwissenschaftliche Kunstforschung wirksam geworden ist: den dezidiert wissenschaftlichen Anspruch, die Herausarbeitung übergreifender Grund- und Schlüsselbegriffe sowie die Einbeziehung aktueller künstlerischer und medialer Entwicklungen: Ihre Mitglieder schürten […] das Unbehagen am immer noch vorwissenschaftlichen Entwicklungsstand der einzelnen Fächer. Daher strebten sie in ihren Vorträgen und Aufsätzen zu einem streng formalisierten und abstrakten Niveau. Nach und nach gelangten sie zur Diskussion bestimmter Begriffe, die von allen Disziplinen selbstverständlich und somit meist unreflektiert gebraucht wurden: In der Zeitschrift und auf den Kongressen gab es Debatten über den Künstler, den Stil, das Bild, die Gestalt als solche, über ästhetische Werte schlechthin, und immer wieder auch Ansätze, die kaum als Kunst anerkannten Medien, insbesondere den Film, in die Auseinandersetzung einzubeziehen.50 50 H.
Dilly: »Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft«, S. 57.
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Und in der Tat bilden die im Rahmen der Allgemeinen Kunstwissenschaft entstandenen Forschungen einen ganzen – bisher weitgehend unerschlossenen – historischen Fundus an Studien gerade auch zu den verschiedensten künstlerischen Randerscheinungen, Spezialfragen und Grenzfällen wie etwa ›Ingenieurkunst‹ 51, ›Ornamentik‹ 52 und ›dekorativer Malerei‹ 53 bzw. ›dekorativer Plastik‹ 54 , ›Karikatur‹ 55, ›Plakatkunst‹ und ›künstlerischen Schriftformen‹ 56 , ›Kinderkunst‹ 57, ›japanischer Lackkunst‹58, dem ›Symbol in prähistorischer Beleuchtung‹59, dem ›Abbau der Raumdarstellung bei Geisteskranken‹ 60 sowie ›Verlust und Wiederkehr der künstlerischen Farbenausdrucksfähigkeit während einer akuten Geistesstörung‹ 61, ›Bewegungs-‹ 62 bzw. ›Durchschnittsphotographie‹ 63 oder ›Regie als Kunst‹ 64. Und auch die großen modernen Kunsttendenzen wie Impressionismus 65, Realismus, Naturalismus und Expressionismus 66 werden hier diskutiert. Dabei ist festzuhalten, dass viele dieser Studien zwar zur Vorgeschichte der aktuellen Kulturwissenschaft, insbesondere der Bildforschung, gehören. Allerdings begreift man im Rahmen der Allgemeinen Kunstwissenschaft die zeitgenössische Entgrenzungserfahrung eben gerade weder als Anlass, den Kunstbegriff zu den Akten zu legen, noch, ihn kurzerhand jeder Kontur zu berauben, um ihn auch auf Unkanonisches anwenden zu können. Vielmehr versteht man diese Entgrenzungserfahrung als Herausforderung, den Kunstbegriff grundsätzlich neu zu bestimmen: Es geht, wie es bei Utitz heißt, um die Bestimmung der Kunst als ein »Kulturgebiet, das gleichberechtigt neben die Wissenschaft tritt«. Dahin, so fährt Utitz fort, gelangen wir aber nur, »wenn wir neben die Erkenntnis der Wissenschaft eine ganz andere künstlerische stellen, die durch jene niemals ersetzt werden kann, die eine 51
Vgl. H. Pudor: »Ingenieurkunst«. u. a. A. Schmarsow: »Anfangsgründe jeder Ornamentik«; ders.: »Zur Lehre vom Ornament«; ders. / F. Ehlotzky: »Die reine Form in der Ornamentik aller Künste«; A. Schmarsow: »Die reine Form in der Ornamentik aller Künste«; F. Adama van Scheltema: »Beiträge zur Lehre vom Ornament«; ders.: »Ornament und Träger«; W. Worringer: »Entstehung und Gestaltungsprinzipien in der Ornamentik«; E. Strauß: »Über einige Grundfragen der Ornamentbetrachtung«. 53 Vgl. K. Doehlemann: »Über dekorative Malerei«. 54 Vgl. R. Hamann: »Dekorative Plastik«. 55 Vgl. A. Mayer: »Karikatur«. 56 Vgl. P. Westheim: »Plakatkunst«; ders.: »Künstlerische Schriftformen«. 57 Vgl. O. Wulff: »Kernfragen der Kinderkunst und des allgemeinen Kunstunterrichts der Schule«. 58 Vgl. E. Große: »Der Stil der japanischen Lackkunst«. 59 Vgl. H. Kühn: »Symbol in prähistorischer Beleuchtung«. 60 Vgl. W. Morgenthaler: »Der Abbau der Raumdarstellung bei Geisteskranken«. 61 Vgl. G. Herrmann: »Verlust und Wiederkehr der künstlerischen Farbenausdrucksf ähigkeit während einer akuten Geistesstörung«. 62 Vgl. K. Lange: »Bewegungsphotographie und Kunst«. 63 Vgl. G. Treu: »Durchschnittsphotographie und Schönheit«. 64 Vgl. C. Hagemann: »Regie als Kunst«. 65 Vgl. z. B. G. Marzynski: »Die impressionistische Methode«. 66 Vgl. z. B. E. Utitz: »Der neue Realismus«. 52 Vgl.
Grundzüge und Kontext der Allgemeinen Kunstwissenschaft 45
selbständige Form der Welterfassung oder Weltbildung ist«. Kunst darf daher »ohne falsche Überspannung des Autonomiebegriffs« nicht einfach in »Kultur« aufgelöst werden, sondern es gilt vielmehr, Kunst als eine »Sonderform der Kultur« in der ihr eigenen Objektivität zu entfalten.67 Für die Zeitgenossen beruht die Attraktivität der Allgemeinen Kunstwissenschaft maßgeblich auf eben diesem Konzept der Kunst als ›Objektivität‹ bzw. ›Tatsache‹: Es verspricht, den aktuellen Entgrenzungserfahrungen gerecht werden zu können, ohne einen traditionellen Kunstbegriff durch Überdehnung bloß scheinbar den neuen Herausforderungen anzupassen oder den Kunstbegriff gleich ganz zu den Akten zu legen. Auf dieser Basis wird die Allgemeine Kunstwissenschaft als Forum für eine interdisziplinäre, vorurteilslose und phänomennahe Erforschung der Kunst konzipiert, die die bisher eher neben-, wenn nicht gegeneinander agierenden Bestrebungen und Perspektiven endlich zusammenführen will, damit aus dem »geschäftigen Durcheinander ein Zusammenwirken entstehen« kann.68 Die Kompetenzen von Allgemeiner Kunstwissenschaft und Ästhetik Zwar muss man sagen, dass das eigentliche wissenschaftstheoretische Anliegen der Allgemeinen Kunstwissenschaft, näherhin insbesondere die systematische Bestimmung ihres Verhältnisses zur Ästhetik, bereits unter den Zeitgenossen weithin »eher unverstanden« geblieben ist.69 Und selbst von Autoren, die die Kongresse und die Zeitschrift als Plattformen nutzen, kann diese Unterscheidung ausdrücklich abgelehnt werden.70 Überhaupt wird die Allgemeine Kunstwissenschaft vordringlich als Forum einer zeitgemäßen Beschreibung und Erkundung künstlerischer Phänomene in ihrer ganzen Breite begriffen; die näheren Begründungen für die Differenzierung zwischen Ästhetik und Kunstforschung, die der Initiative ihren Namen gegeben hat, und die mehr oder weniger differenzierten methodologischen Entwürfe, die im engeren Kreis der Protagonisten der Allgemeinen Kunstwissenschaft entwickelt werden, bleiben dabei eher im Hintergrund: Die Bedeutung sowohl von Dessoirs programmatischer Schrift von 1906 als auch von seiner Zeitschrift »liegt vor allem darin, die verschiedenen Ansätze zu einer Überwindung des ästhetischen Dogmatismus und zu einer prinzipiellen Reflexion der Voraussetzungen, Metho67 E.
Utitz: »Über Grundbegriffe der Kunstwissenschaft«, S. 12 und S. 9. Dessoir: Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft, 2. Aufl., S. 3. 69 U. Franke: »Nach Hegel«, S. 76. 70 So erklärt etwa der finnische Philosoph Kaarle Sanfrid Laurila, der Dessoir und seinem Kreis bereits seit dem ersten Kongress verbunden ist, in seinem Nachruf auf Dessoir, die Unterscheidung zwischen Ästhetik und Allgemeiner Kunstwissenschaft sei überflüssig, denn: »Aes thetics can explain art, not in terms of the old aesthetics of beauty, but only through experience, the only comprehensible basis for aesthetics.« (K.S. Laurila: »In Memory of Max Dessoir«, S. 107.) – Zur Ablehnung dieser Differenzierung bei Victor Basch und auf dem zweiten internationalen Kongress für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft s. u. S. 281 f. 68 M.
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den und Grundbegriffe der einzelnen Kunstwissenschaften in ein gemeinsames Flußbett gelenkt zu haben«.71 Nichtsdestoweniger ist gerade die Unterscheidung zwischen Ästhetik und Kunstforschung für das Konzept der Allgemeinen Kunstwissenschaft fundamental und prägt sogar ihr äußeres Erscheinungsbild. So sind selbst die jährlich anschwellenden Schriftenverzeichnisse, mit denen in der Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft die aktuellen Publikationen präsentiert werden, säuberlich in die beiden – jeweils weiter aufgeschlüsselten – Hauptkategorien ›Ästhetik‹ und ›Allgemeine Kunstwissenschaft‹ unterteilt.72 Desgleichen berücksichtigt man bei der Anordnung der Beiträge auf den Kongressen und in der Zeitschrift ihre ästhetische bzw. kunstwissenschaftliche Akzentuierung, wobei sich hier allerdings von Anfang an ein deutliches Übergewicht der kunstwissenschaftlichen Studien abzeichnet. Dieser Unterscheidungswille hat etwa auch in einem der bekanntesten und einflussreichsten Texte, die in der Zeitschrift erschienen sind, Georg Lukács »Theorie des Romans«, seine Spuren hinterlassen: Als Max Weber 1915 Dessoir kontaktiert, um ihm die Veröffentlichung des ersten Kapitels aus Lukács’ geplanter Habilita tionsschrift über Dostoevskij vorzuschlagen, zögert der Herausgeber: Hinsichtlich der zahlreichen Kritikpunkte Dessoirs (der u. a. zur Streichung des gesamten ersten Teils des Essays rät), lenkt Lukács’ bei dem Titel ein: Er erscheint schließlich 1916 nicht, wie zunächst vom Autor vorgesehen, als ›Ästhetik des Romans‹, sondern unter dem heute bekannten Titel.73 Überhaupt ist es neben der programmatischen Interdisziplinarität und Unvoreingenommenheit gerade die Differenzierung zwischen Ästhetik und Kunstwissenschaft, mit der die Initiative der Sache nach einen Nerv der Zeit trifft. Und so resümiert Hamann in seinem Bericht zum ersten Kongress, der in Thematik und Struktur ganz im Zeichen dieser Unterscheidung steht: »Dieser Kongreß war mehr als eine Veranstaltung mit bestimmt umrissenem Programm und sachlichen Zielen, deren Resultate sich als wissenschaftliches Ergebnis zusammenfassen ließen, er war eine Programmerklärung, ein Symptom und ein Manifest.«74 Vor allem Dessoir und Utitz haben sich in immer neuen Anläufen darum bemüht, die Unterscheidung zwischen Ästhetik und Kunstwissenschaft methodologisch zu begründen bzw. das Verhältnis von Ästhetischem und Kunst sachlich zu präzisieren. Dabei geht es nicht etwa – wie regelmäßig unterstellt wird – um eine Unterscheidung zwischen einer philosophischen Bestimmung der Kunst (in der Ästhetik) und einer einzelwissenschaftlichen Erforschung der Kunst (in den Kunstwissenschaften).75 Diese Auffassung geht auf die bis heute verbreitete Identifikation von ›Ästhetik‹ und ›Philosophie der Kunst‹ zurück, deren Angemessenheit im Rahmen der Allgemeinen Kunstwissenschaft aber gerade bestritten wird. So 71 W.
Henckmann: »Vorwort«, S. XV. S. u. S. 207. 73 Vgl. P. Hohlweck: »Georg Lukács und der Verfasser der ›Theorie des Romans‹«, bes. S. 87. 74 R. Hamann: »Zum Kongreß für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft«, Sp. 715–717. 75 Vgl. in diesem Sinne z. B. O. Bätschmann: »Jacob Burckhardt«, bes. S. 128–132. 72
Grundzüge und Kontext der Allgemeinen Kunstwissenschaft 47
wird zwar die Aufgabe und Stellung der Philosophie in der Allgemeinen Kunstwissenschaft von ihren Protagonisten methodologisch sehr unterschiedlich charakterisiert, aber nirgends grundsätzlich infrage gestellt. Utitz beispielsweise geht hier so weit, die Allgemeine Kunstwissenschaft ausdrücklich als Philosophie der Kunst zu bestimmen.76 Es geht bei der Unterscheidung zwischen Ästhetik und Kunstwissenschaft ebenfalls nicht um die in der Literatur immer wieder anzutreffende Behauptung, das Ästhetische spiele für die Vertreter der Allgemeinen Kunstwissenschaft in der Kunst keine Rolle, sei hier also irrelevant. Und es entspricht auch nicht den Grundlinien der Allgemeinen Kunstwissenschaft, wie vor allem Worringer es zu dieser Zeit in seinem epochenmachenden Werk Abstraktion und Einfühlung vertritt, »die Ästhetik als Teil der Lehre vom Schönen auf das im griechischen oder klassischen Sinne Schöne und damit auf einen Teilbezirk ihrer früheren Domäne« einzuschränken, die Ästhetik bzw. das Ästhetische also radikal zu historisieren.77 Mit der Differenzierung zwischen Ästhetik und Kunstwissenschaft wendet man sich vielmehr gegen das überkommene, vor allem mit dem Namen Hegels verbundene Dogma einer »Wesenseinheit«78 von Ästhetischem und Kunst, das davon ausgeht, die Kunst sei maßgeblich ein ästhetisches Phänomen. Und dies gilt umso mehr, wenn die Ästhetik, wie ebenfalls bei Hegel, aber auch in der philosophischen Tradition allgemein üblich, als »Wissenschaft vom Schönen« 79 verstanden wird. In dieser Engführung von Ästhetik, Schönheit und Kunst treffen nämlich gleich zwei Fehldiagnosen aufeinander: Zum einen ist die Bestimmung der Ästhetik im engeren Sinne als ›Wissenschaft vom Schönen‹ unangemessen. So bleibt zwar auch für die Vertreter der Allgemeinen Kunstwissenschaft das Schöne der Mittelpunkt und Inbegriff des Ästhetischen: »Mit dem Schönen stossen wir in das Herz des Aesthetischen vo[r]. Das Schöne drängt nirgends über die Erscheinung heraus; es atmet in ihr und nur in ihr. Wie sich der Mensch an der Erscheinung vergreift, verliert er das Schöne. Das Schöne ist lauterste Kristallisation des Aesthetischen.« 80 Entgegen der traditionellen Ästhetik, die »den Begriff der Schönheit als den umfassendsten oder gar einzigen betrachtet« 76
»Wenn die Ästhetik nicht der Gesamttatsache der Kunst beikommen kann, und wenn die einzelnen Kunstdisziplinen allgemeine Kunstprinzipien verlangen, die nicht der Ästhetik zu entnehmen sind, so scheint eine neue Wissenschaft sich einschieben zu müssen, die mit der Ästhetik die Allgemeinheit teilt und mit den Kunstdisziplinen das Material: die Kunstwerke in der ganzen Fülle ihrer Beziehungen und Bedingtheiten. Die Geschichte bedarf auch einer philosophischen Grundlegung, und diese bietet die Geschichtsphilosophie; und allgemeine Kunstwissenschaft ist ja nichts anderes als Philosophie der Kunst, wobei wir nur den Sinn der Philosophie nicht so verengen dürfen, daß er alle phänomenologischen und psychologischen Untersuchungen ausschließt.« (E. Utitz: Grundlegung der allgemeinen Kunstwissenschaft, Bd. 1, S. 32.) 77 H. Kuhn: Erscheinung und Schönheit, S. 2. 78 M. Dessoir: Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft, 2. Aufl., S. 1. 79 E. Utitz: »Allgemeine Kunstwissenschaft«, S. 436. 80 E. Utitz: »Das Schöne und die Kunst«, S. 113. – S. a. M. Dessoir: Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft, 1. Aufl., S. 195–204 / 2. Aufl., S. 138–147.
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und diesen in ihren »Mittelpunkt« stellt, wird aber darauf hingewiesen, dass das Erhabene, Komische, Tragische, Hässliche usw. von jeweils eigener, nicht nur als Derivat des Schönen zu betrachtender, ästhetischer Relevanz ist.81 Zum anderen und vor allem ist auch die Bestimmung der Ästhetik als Wissenschaft von der Kunst verfehlt. Dies gilt zunächst für einen engen Begriff des Ästhetischen, der dieses ganz auf die Schönheit festlegen will. Denn das Schöne ist weder eine notwendige noch eine hinreichende Bedingung der Kunst: »Es gibt – ohne Zweifel – Schönes offenbarende, aufschliessende Kunst. Sie ist jedoch nicht nur auf das Schöne verpflichtet. Wir erfassen die Kunst nicht, mustern wir sie allein unter der Kategorie des Schönen.« 82 Die Schönheit ist also »nur eine Möglichkeit der Kunst neben andern; durchaus nicht die Einzige und auch nicht die an sich wertvollste«.83 Keineswegs kann die Kunst daher unter dem Aspekt der Schönheit zureichend erfasst werden. So brandmarkt Utitz auf dem zweiten internationalen Kongress für Ästhetik und Kunstwissenschaft, der 1937 in Paris stattfindet, zweifellos mit einem impliziten Fokus auf dem totalitären Neoklassizismus dieser Zeit, »eine Kunst, die jegliches aufputzt, verziert, verschönt«, als »eine verlogene unappetitliche Kunst« und erklärt demgegenüber provokativ im Sinne der inzwischen verfemten Moderne: Ungleich höher steht die Kunst, die mutig und unerschrocken selbst zum Hässlichen sich bekennt. Aber indem sie dies tut, entscheidet sie sich doch nicht für das Hässliche, weil es hässlich ist, sondern weil durch ihre Gestaltung bisher unentdeckte Werte sichtbar werden, zumindest der Wert jener Einstellung, die vor keiner Wirklichkeit zurückschreckt und sich selbst um die anschauliche Einsicht in das Niedrigste bemüht.84
Doch auch das in einem erweiterten, über das Schöne hinausgehenden Sinn verstandene Ästhetische ist nicht dazu angetan, »der Gesamttatsache der Kunst gerecht zu werden«.85 Denn es ist zwar richtig, dass Kunst ohne Ästhetisches nicht gedacht 81 Vgl. bes. ebd., 1. Aufl., S. 3 und S. 195–226 (Kap. »Die ästhetischen Kategorien«) / 2. Aufl., S. 1 und S. 138–170 (Kap. »Die ästhetischen Grundgestalten«) (Zit. 2. Aufl., S. 139). – Karl Groos, einer der Hauptvertreter der experimentellen Ästhetik, der auch wiederholt in der Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft publiziert (s. u. S. 60, Anm. 151), hatte bereits 1893 die Gleichung von ›ästhetisch‹ und ›schön‹ aufgebrochen, wenn er schreibt: »dass der Begriff des Schönen nicht den gleichen Umfang wie der des aesthetisch Wirksamen überhaupt habe, sondern nur eine genau zu umgrenzende Provinz – allerdings die wichtigste – in dem ungeheuren Gebiete des aesthetisch Wirksamen einnehme«. (K. Groos: »Aesthetisch und schön«, S. 531.) Auf diesen beruft sich auch Jonas Cohn, der hinsichtlich einer solchen Entflechtung von ›Schönheit‹ und ›Ästhetik‹ überdies historisch zurückverweist auf Gottfried August Bürgers Lehrbuch der Ästhetik I (Berlin 1825, S. 16, S. 33 und S. 70) und Friedrich Schillers Klage über den Terminus ›Schönheit‹ im Brief an Goethe vom 7. Juli 1797. (Vgl. J. Cohn: Allgemeine Ästhetik, S. 5.) 82 E. Utitz: »Das Schöne und die Kunst«, S. 113. 83 Ebd., S. 114. 84 Ebd., S. 115. 85 E. Utitz: Grundlegung der allgemeinen Kunstwissenschaft, Bd. 1, S. 35; s. a. ders.: »Allgemeine Kunstwissenschaft«, S. 436.
Grundzüge und Kontext der Allgemeinen Kunstwissenschaft 49
werden kann, wenn man darunter allgemein die sinnliche und emotionale Gegebenheitsweise der Kunst versteht. Das Ästhetische bildet also in der Tat den notwendigen Antrieb des Kunstwerks bzw. seiner Aufnahme: Wie nehmen wir denn unmittelbar Kunstwerke auf ? Anschauend, betrachtend, ihrer Erscheinung fühlend zugewandt. Und so scheint denn im vornhinein die Einstellung auf das Kunstwerk bereits eine ästhetische. Wir treten doch nicht heran wie an ein Erzeugnis der Wissenschaft oder an ein Geschehen des täglichen Lebens: Zuerst offenbart sich das Kunstwerk unseren fühlenden Sinnen, und das ist doch wohl ästhetisch. Es muß nun keineswegs bei diesem ästhetischen Zustande bleiben: Außerästhetisches kann durch ihn zum Durchbruch gelangen und in den Vordergrund treten, wenn wir tiefer in das Wollen des Kunstwerkes eindringen und seiner Auffassungsforderung nachgeben. Aber der Antrieb ist gleichsam ein ästhetischer.86
Insofern eine konstitutive »Beziehung zwischen der Wesensart der Kunst und der Wesensart ästhetischer Gegenstände« waltet, »lassen sich Ästhetik und systematische Kunstwissenschaft nicht völlig trennen«.87 Aber das Kunstwerk ist doch stets noch etwas anderes als ein rein sinnlicher Gegenstand, ja das sinnliche Moment kann hier durchaus von bloß nebengeordneter Bedeutung sein. Das Kunstwerk kann daher nicht auf das ›ästhetische Erleben‹ 88 und den ›Genuß‹ 89 als spezifische Zustände des Subjekts reduziert werden. So ist es für den Kreis um Dessoir »klar«, dass letztlich »alle Kunstwerke mehr sein wollen als bloße Behälter für ästhetische Reize« 90, wie sich dies etwa »bei der gesamten Tendenzkunst, beim Porträt, beim Denkmal, bei religiösen Bildern und Statuen usw.« 91 – d. h. Gegenständen, die offenkundig alle in bestimmten außerästhetischen Funktionszusammenhängen stehen – leicht erkennen lässt. Und diese »außerästhetischen Sachverhalte der Kunst« sind nicht etwa nur »Beigaben, die sachlich besser unterblieben, sondern verankert in Gegenständlichkeit, Wesen und Wert der Kunst« 92: »Außerästhetisches fließt in sie ein, bedingt ihre Gestaltung, und zwar nicht zufällig, sondern wesensgemäß.« 93 Die Kunst erschöpft sich also nicht in ihrer ästhetischen Funktion und bildet aus diesem Grund auch keinen Teilbestand des Ästhetischen. Es ist daher methodisch »unzulässig, vom Ästhetischen ausgehend zur Kunst herabzusteigen«, wie dies in Utitz: »Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft«. In: Kongress für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft, S. 106. 87 M. Dessoir: Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft, 2. Aufl., S. 171. 88 Vgl. bes. E. Utitz: Grundlegung der allgemeinen Kunstwissenschaft, Bd. 1, S. 87–132 (Kap. »Das ästhetische Erleben«). 89 M. Dessoir: »Sinn und Aufgabe der allgemeinen Kunstwissenschaft«, S. 150. 90 Ebd., S. 151. 91 E. Utitz: »Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft«. In: Kongress für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft, S. 104. – S. a. bes. ders.: Grundlegung der allgemeinen Kunstwissenschaft, Bd. 1, S. 63 und S. 65. 92 E. Utitz: »Johannes Volkelt: Das ästhetische Bewußtsein«, S. 475. 93 E. Utitz: »Das Problem einer allgemeinen Kunstwissenschaft«, S. 433. 86 E.
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der traditionellen metaphysischen Ästhetik, aber auch in der psychologischen und neukantianischen Ästhetik der Fall ist.94 Zudem reicht der »Kreis des Ästhetischen weiter […] als der des Künstlerischen«. Schließlich können auch Naturerscheinungen und Produkte »ästhetischer Formung«, die »keine Kunstwerke sind«, »ästhetisch genossen« werden.95 So spielt das Ästhetische etwa bei der »Gestaltung des persönlichen und gesellschaftlichen Lebens« 96 eine maßgebliche Rolle, aber ebenfalls die ›Schönheit‹ von Maschinen oder der »Lösung einer mathematischen Aufgabe« ist durchaus »mehr als eine Redensart«, insofern alle diese Erscheinungen, wie Utitz auf der Linie des kantischen Schönheitsbegriffs notiert, den Aspekt »der unbedingten Zweckmäßigkeit des Ganzen und der hiernach zu bemessenden Übereinstimmung der Bestandteile« aufweisen können.97 Das Ästhetische gelangt also durchaus nicht nur in der Kunst zur »vollgültigen Erscheinung« 98 , wie vor allem Hegel dies behauptet hatte 99. Hinzu kommt, dass »die im Leben genossene Schönheit und die in der Kunst genossene nicht dasselbe sind«100, weil die Schönheit etwa eines Naturdings oder einer Maschine »überhaupt nichts mit Darstellung zu tun« hat. Stattdessen ist es außerhalb der Kunst die »einfache Wirklichkeit, die ästhetisch genossen werden kann, aber 94 E.
Utitz: »Johannes Volkelt: Das ästhetische Bewußtsein«, S. 475 f. Dessoir: Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft, 1. Aufl., S. 4 / 2. Aufl., S. 2. 96 M. Dessoir: »Sinn und Aufgabe der allgemeinen Kunstwissenschaft«, S. 149. 97 M. Dessoir: Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft, 1. Aufl., S. 113 / 2. Aufl., S. 58. – Vgl. z. B. E. Utitz: »Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft«. In: Kongress für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft, S. 103. 98 W. Henckmann: »Probleme der allgemeinen Kunstwissenschaft«, S. 276. 99 Hegel betrachtet allein das Schöne der Kunst als wissenschaftlich – d. h. für ihn: philosophisch – relevant. Aus diesem Grund ist für ihn ›Ästhetik‹ ein lediglich Konventionen geschuldeter Name für sein eigenes Projekt, bei dem es sich der Sache nach um eine ›Philosophie der Kunst‹ handelt. Vgl. hierzu den Beginn von Hegels Ästhetikvorlesungen, hier im Wortlaut des von Heinrich Gustav Hotho redigierten Textes: »Diese Vorlesungen sind der Ästhetik gewidmet; ihr Gegenstand ist das weite Reich des Schönen, und näher ist die Kunst, und zwar die schöne Kunst ihr Gebiet. / Für diesen Gegenstand freilich ist der Name Ästhetik eigentlich nicht ganz passend, denn ›Ästhetik‹ bezeichnet genauer die Wissenschaft des Sinnes, des Empfindens, und hat in dieser Bedeutung als eine neue Wissenschaft oder vielmehr als etwas, das erst eine philosophische Disziplin werden sollte, in der Wolffischen Schule zu der Zeit ihren Ursprung erhalten, als man in Deutschland die Kunstwerke mit Rücksicht auf die Empfindungen betrachtete, welche sie hervorbringen sollten, wie z. B. die Empfindungen des Angenehmen, der Bewunderung, der Furcht, des Mitleidens usf. Um des Unpassenden oder eigentlicher um des Oberflächlichen dieses Namens willen hat man denn auch andere, z. B. den Namen Kallistik, zu bilden versucht. Doch auch dieser zeigt sich als ungenügend, denn die Wissenschaft, die gemeint ist, betrachtet nicht das Schöne überhaupt, sondern rein das Schöne der Kunst. Wir wollen es deshalb bei dem Namen Ästhetik bewenden lassen, weil er als bloßer Name für uns gleichgültig und außerdem einstweilen so in die gemeine Sprache übergegangen ist, daß er als Name kann beibehalten werden. Der eigentliche Ausdruck jedoch für unsere Wissenschaft ist ›Philosophie der Kunst‹ und bestimmter ›Philosophie der schönen Kunst‹.« (G. W. F. Hegel: Vorlesungen über die Ästhetik I, S. 13.) 100 M. Dessoir: Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft, 1. Aufl., S. 3 / 2. Aufl., S. 1. 95 M.
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nicht aus der Gestaltung heraus«.101 Das Entscheidende ist hier, dass die Kunst und das Ästhetische in ihr auf einen Autor, den Künstler, zurückgeht, der mit seinem Werk eine Darstellungsabsicht verfolgt: Zum ästhetischen Eindruck des Waldes gehört sein würziger Duft, zum Eindruck einer tropischen Vegetation die glühende Hitze, während aus dem künstlerischen Genuß die Empfindungen der niederen Sinne verbannt sind. Gleichsam zum Ersatz für das Fehlende enthält der Kunstgenuß die Freude an der Persönlichkeit des Künstlers und an seiner Kraft, Schwierigkeiten zu überwinden, und so manche andere Lustmomente, die niemals von der natürlichen Schönheit ausgelöst werden. Es unterscheidet sich demnach, was wir in der Kunst schön nennen, von dem, was im Leben so heißt, sowohl dem Gegenstand als auch dem Eindruck nach.102
So hält auch Helmut Kuhn eine doppelte Motivation für die Beschränkung der Ansprüche der Ästhetik in der Allgemeinen Kunstwissenschaft nach der »Zersetzung des metaphysischen Kerns der idealistischen Philosophie« und der mit ihr einhergehenden »Wandlung des künstlerischen Ideals« fest: Teils zweifelte man nun daran, daß sich das Wesen des Kunstwerks, das offenbar mit den Tatsachen der moralischen und intellektuellen Kultur aufs engste verknüpft ist, noch durch Begriffe der Ästhetik erschöpfen ließe, teils wollte man in noch entschiedenerer Abwendung von der alten Einheitslehre die philosophische Erklärung der Kunst gänzlich von der Ästhetik als Theorie des Schönen absondern.103
Man trifft sich demnach in der Überzeugung, dass sich weder das Wesen des Ästhetischen aus dem Wesen der Kunst gewinnen lässt, noch die Ästhetik in der Lage ist, die Kunst angemessen zu bestimmen. Der »naive Dogmatismus, der das Ästhetische in die zwei Reiche der Natur und Kunst zerlegt«, ist damit »erschüttert«.104 Vielmehr werden das Ästhetische und die Kunst jetzt jeweils als Fragestellungen eigener Art betrachtet, für die unterschiedliche Disziplinen – die Ästhetik und die Allgemeine Kunstwissenschaft – zuständig sind. Doch so wie das Kunstwerk trotz seiner konstitutiven ästhetischen Aspekte stets noch etwas anderes als ein rein ästhetischer Gegenstand ist, kann es ebenfalls nicht zureichend bestimmt werden, wenn man das Kunstwerk lediglich als historisches Dokument begreift, obwohl es selbstverständlich immer auch historisches Dokument ist. Gegenüber der »anerkannten geschichtlichen Behandlung der Kunst« in den Einzelwissenschaften geht es daher darum, die »systematische Untersuchung« der Kunst im Rahmen einer »systematischen Kunstlehre« zu betreiben, die die »nichtgeschichtlichen Probleme« der Kunst thematisiert.105 Die Allgemeine KunstUtitz: »Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft«. In: Kongress für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft, S. 103 f. 102 M. Dessoir: Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft, 1. Aufl., S. 4 / 2. Aufl., S. 2. 103 H. Kuhn: Erscheinung und Schönheit, S. 2. 104 E. Utitz: »Allgemeine Kunstwissenschaft«, S. 438. 105 M. Dessoir: »Sinn und Aufgabe der allgemeinen Kunstwissenschaft«, S. 151 f.; s. a. bes. 101 E.
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wissenschaft soll damit, der Intention ihrer Verfechter gemäß, auch auf die Unfähigkeit der Ästhetik reagieren, die systematischen Fragen zu beantworten, sie sich aus dem konkreten Umgang mit den Künsten ergeben, wie er vor allem in den Einzelwissenschaften von den Künsten betrieben wird. Geht aber die Ästhetik, wie die Vertreter der Allgemeinen Kunstwissenschaft sie verstehen, an der Eigenart des Kunstphänomens vorbei, so fehlt den Kunstwissenschaften eine die »objektiven Grundlagen« der Künste als Kunst erhellende Theorie.106 Und eben diese Theorie soll die Allgemeine Kunstwissenschaft liefern.107 Man versteht sie daher ausdrücklich als systematische Ergänzung der Einzelwissenschaften von den Künsten, durchaus nicht als deren Ersatz: Die Kunstgeschichte kann nur gewinnen und in keiner Hinsicht etwas verlieren, wenn sie an Stelle der rein ästhetischen Wesens- und Wertgesetze – mit denen sie eingestandenermaßen wenig anzufangen vermag, und das ist kein öffentliches Geheimnis, sondern ein allgemeines Zugeständnis – auf wahre Kunstgesetze sich zu stützen vermöchte, die aus dem Lebensnerv der Kunst gewonnen sind. Der Kunstgeschichte soll weder ein Gebiet noch irgendein Problem geraubt werden.108
So charakterisiert Utitz die Allgemeine Kunstwissenschaft auch als Disziplin, die mit der Ästhetik den Anspruch auf Allgemeinheit und mit den Einzelwissenschaften die Gegenstandsnähe teilt: Wenn die Ästhetik nicht der Gesamttatsache der Kunst beikommen kann, und wenn die einzelnen Kunstdisziplinen allgemeine Kunstprinzipien verlangen, die nicht der Ästhetik zu entnehmen sind, so scheint eine neue Wissenschaft sich einschieben zu müssen, die mit der Ästhetik die Allgemeinheit teilt und mit den Kunstdisziplinen das Material: die Kunstwerke in der ganzen Fülle ihrer Beziehungen und Bedingtheiten.109
Die »große Seinsfrage« der traditionellen Ästhetik, ob diese wirklich berufen ist, die Kunst sachlich zureichend zu betreuen, ist für die Verfechter der Allgemeinen Kunstwissenschaft damit beantwortet, und es geht für sie in dieser Hinsicht vielmehr um das Problem, zu präzisieren, wie sich »das Verhältnis des Ästhetischen ders.: [Begrüßungsansprache zum zweiten Kongress für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft], S. 6. 106 M. Dessoir: »Skeptizismus in der Ästhetik«, S. 453. 107 »Aus inhaltlichen und methodologischen Erwägungen ist man also dazu übergegangen, neben die Ästhetik eine eigene Theorie der Kunst, die sogenannte allgemeine Kunstwissenschaft zu stellen. Vorbereitet wurde sie in den einzelnen Kunstwissenschaften: der Poetik, der Dramaturgie, der Musiktheorie usw. Aber bei ihnen durfte man nicht stehen bleiben, denn das wäre nicht besser gewesen, als wenn nur gesonderte Wissenschaften von Nadelhölzern, Blumen, Moosen anerkannt würden, ohne daß es eine Botanik gäbe. Es bildete sich demnach aus guten Gründen eine selbständige und umfassende systematische Lehre von der Kunst überhaupt.« (M. Dessoir: »Sinn und Aufgabe der allgemeinen Kunstwissenschaft«, S. 150.) 108 E. Utitz: Grundlegung der allgemeinen Kunstwissenschaft, Bd. 1, S. 24 f. 109 Ebd., Bd. 1, S. 32.
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zum Künstlerischen« im Einzelnen darstellt.110 Das heißt, es geht nicht um eine »grundsätzliche Trennung« der beiden Seiten, sondern vielmehr um eine »methodische Desintegration der sachlichen Probleme«, auf deren Basis dann ein fruchtbarer Austausch möglich werden soll. Anders gesagt: Die Unterschiede zwischen Ästhetischem und Kunst bzw. Ästhetik und Allgemeiner Kunstwissenschaft sollen so scharf wie möglich herausgearbeitet werden, damit auf diesem Weg dann »die wirklich vorhandenen Zusammenhänge deutlicher hervortreten könnten als vorher«.111 Die Allgemeine Kunstwissenschaft wird von ihren Protagonisten daher durchaus nicht als Konkurrenz zur Ästhetik verstanden, sondern als eine die Ästhetik ergänzende Wissenschaft, die ihre Berechtigung und Notwendigkeit aus dem spezifischen Charakter ihres Gegenstandes ›Kunst‹ bezieht, der aber eben mit dem Charakter des Gegenstandes der Ästhetik nicht identisch ist. Innerhalb des Gesamtprojekts ›Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft‹ hat das Ästhetische also durchaus einen eigenen Ort, und sowohl Dessoir als auch Utitz etwa haben zahlreiche Einzelstudien vorgelegt, in denen sie sich dezidiert ästhetischen Fragen widmen. Im Mittelpunkt steht hier aber von allem Anfang an die Kunst, und das Ästhetische wird dementsprechend vordringlich in Bezug auf die Kunst und die Künste thematisiert.112 Auch in seiner Schrift Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft widmet Dessoir so die ersten Kapitel Aspekten der Ästhetik, bevor er – allerdings erheblich ausführlicher – auf Fragen der Allgemeinen Kunstwissenschaft eingeht. Am konsequentesten ist hier sicher Utitz, der im Titel seines 1914 und 1920 in zwei Bänden erschienenen Hauptwerks die Ästhetik als eigenes Themenfeld kurzerhand wegfallen lässt und lediglich eine Grundlegung der allgemeinen Kunstwissenschaft anstrebt.
2. Das Streben nach Wissenschaftlichkeit der Kunstforschung Konzeptionell verbindet sich in der Allgemeinen Kunstwissenschaft die Zurückweisung der Ästhetik als Hauptexpertin in Sachen Kunst mit der grundlegenden Forderung nach ›Wissenschaftlichkeit‹. Dabei geht es um eine Kunstforschung, die sich von »deduktiver Begriffsspekulation« und von »unsachlicher Schöngeisterei«113, 110
E. Utitz: »Allgemeine Kunstwissenschaft«, S. 437. W. Henckmann: »Vorwort«, S. XIII f., s. a. S. XV. 112 »Das eigentliche Interesse Dessoirs und seiner Mitstreiter lag in der Entwicklung einer ›allgemeinen Kunstwissenschaft‹.« (W. Henckmann: »Probleme der allgemeinen Kunstwissenschaft«, S. 289.) 113 So resümiert der Kunsthistoriker Oskar Wulff: »Der Grundgedanke […] war der Zusammenschluß derjenigen Wissenschaften, welche es mit irgend einer Art des Kunstschaffens zu tun haben, mit einer objektivistisch gerichteten Ästhetik, – einer Ästhetik, die sich von deduktiver Begriffsspekulation ebenso fernhält wie von unsachlicher Schöngeisterei, vielmehr von den künstlerischen Gegebenheiten ausgeht. Ihr Endziel kann nur darin bestehen, daß sie im Bunde mit der Psychologie, sowohl der rein deskriptiven wie der experimentellen, die ästhetischen Werturteile einerseits aus der psychischen Organisation des Menschen […], andererseits aus den 111
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wie sie die idealistische Tradition charakterisiere, fernhält und stattdessen strikt von den künstlerischen Gegebenheiten – den »objektiven Forderungen«114 der Kunst und der Kunstwerke – ausgeht. Es kann daher auch nicht Ziel sein, direkt auf das künstlerische Schaffen einzuwirken. Selbst die unmittelbare Nützlichkeit der hier gewonnenen Einsichten für die »persönliche Bildung«115 wird zurückgewiesen. Vielmehr versteht sich die Allgemeine Kunstwissenschaft dezidiert als »dem weiten Gebiet des Wissens«116 zugehörige Grundlagenforschung: »Die wissenschaftliche Untersuchung […] darf nicht Mittel zu einem dieser beiden an sich berechtigten Ziele bleiben, sondern ist sich selber Zweck«.117 Dies bedeutet, dass es sich bei der Allgemeinen Kunstwissenschaft um eine autonome Disziplin handelt, die ihre Berechtigung in sich selbst bzw. der Autonomie ihres Gegenstandes, der Kunst, hat. So geht man davon aus, dass Kunst nicht nur dem »Genuß«, sondern auch der »Forschung« zugänglich ist118 , und dass sie dieser auch bedarf, weil die Kunst als eine der »großen Kulturformen« neben Religion und Wissenschaft »ihrem letzten Grunde nach zu begreifen« ist119. Charakteristisch für alle Vertreter der Allgemeinen Kunstwissenschaft ist dementsprechend die Intention, die Kunstforschung als Wissenschaft zu betreiben, die diesen Namen dank strenger methodischer Vorgaben auch verdient. Dabei ist es vor allem Utitz, der mit drastischen Worten die skandalöse Verfassung der Disziplin ›Ästhetik‹ »in unseren Tagen« und das dementsprechend lamentable Image ästhetischer bzw. kunstwissenschaftlicher Forschungen schildert, gegen die es anzuarbeiten gelte: die wahrhaft erschreckende Fülle ganz oder halb dilettantischer Machwerke erschwert dem ferner Stehenden einen richtigen Einblick ins wirklich wissenschaftliche Getriebe der Ästhetik. Unter neun von zehn Fällen gerät der minder Bewanderte auf ein derartiges klägliches Erzeugnis und wendet sich gelangweilt und angewidert von dem phrasenhaften und anmaßenden Getue dieser Pseudowissenschaft ab.120
objektiven Verhältnissen der Gegenstände dieser Urteilsweise zu erklären und auf Kategorien zurückzuführen sucht. Sie bemüht sich, eine Systematik der ästhetischen Tatbestände, Begriffe und empirischen Gesetze (nicht aber dogmatischen Normen) von den verschiedenen Kunstgebieten her zu gewinnen.« (O. Wulff: »Grundsätzliches über Ästhetik, allgemeine und systematische Kunstwissenschaft«, S. 556.) 114 M. Dessoir: »Eröffnungsrede« [zum ersten Kongress für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft], S. 43. 115 M. Dessoir: Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft, 1. Aufl., S. 7 / 2. Aufl., S. 5. 116 Ebd., 2. Aufl., S. 6. 117 Ebd., 1. Aufl., S. 7 / 2. Aufl., S. 5. 118 M. Dessoir: »Sinn und Aufgabe der allgemeinen Kunstwissenschaft«, S. 150. 119 M. Dessoir: »Eröffnungsrede« [zum ersten Kongress für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft], S. 42. 120 E. Utitz: »Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft«. In: Jahrbücher der Philosophie, S. 363 f.
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Dieses Anliegen, die systematische Kunstforschung endlich auf einen Stand zu bringen, der dem zeitgenössischen Verständnis von Wissenschaftlichkeit genügt, ist als solches in dieser Zeit allerdings keineswegs singulär. Vielmehr teilen die Prota gonisten der Allgemeinen Kunstwissenschaft es insbesondere mit den Vertretern einer empirisch-experimentellen psychologischen Ästhetik, wie sie Gustav Theodor Fechner in den 1870er Jahren begründet hatte, aber auch der wissenschaftsorientierten neukantianischen Ästhetik und der Einfühlungsästhetik. Innerhalb der Kunstwissenschaft gilt jedoch vor allem Konrad Fiedler als der Theoretiker, der ebenfalls seit den 1870er Jahren mit seinen Thesen zum künstlerischen Bild neue Maßstäbe für eine strenge, an der Objektivität ihres Gegenstandes orientierte Kunstwissenschaft gesetzt hatte.121 Zugleich grenzt man sich aber von allen diesen Positionen ab und verleiht damit der Allgemeinen Kunstwissenschaft ihr spezifisches Profil. a) Die Stellung der Initiative ›Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft‹ im Kontext der zeitgenössischen Ästhetik Die ästhetischen Tendenzen am Beginn des 20. Jahrhunderts Die Bedeutung der spekulativen Ästhetik Fechner hatte der idealistischen Kunstphilosophie eines Hegel, die die Welt des Ästhetischen aus spekulativ gewonnenen Begriffen deduziert und damit seiner Ansicht nach die Vielfalt und Lebendigkeit der ästhetischen Erfahrung verfehlen muss, kontrastierend eine andere Ästhetik entgegengesetzt. Diese neue Ästhetik arbeitet streng empirisch-psychologisch und beschäftigt sich aus der Perspektive der Psychophysik »mit den Massbeziehungen zwischen Reiz und Empfindung oder allgemeiner zwischen äusseren körperlichen Anregungen und inneren psychischen Folgen«.122 Die Allgemeine Kunstwissenschaft teilt mit der psychologischen Ästhetik diese klare Zurückweisung eines metaphysisch basierten Kunstverständnisses, für das auch hier wieder vor allem der Name Hegels einsteht: Diese Tradition basiert auf Voraussetzungen – insbesondere der Annahme einer in der Kunst anschaubar werdenden absoluten Idee des Schönen –, die inzwischen fragwürdig geworden sind und die, wie man es nun sieht, in der Kunstforschung nur zu Dilettantismus und Schwärmerei geführt haben. Die Metaphysik spiegelt demnach nur vor, eine Wissenschaft zu sein, weil ihre Aussagen wissenschaftlich weder bestätigt noch widerlegt werden können. Wenn so etwa Utitz in seinem Referat zum zweiten internationalen Kongress für Ästhetik und Kunstwissenschaft 1937 in Paris vom 121 Vgl. 122 G.T.
G. Boehm: »Einleitung«, S. XLVI. Fechner: Zur experimentalen Aesthetik, S. 3.
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»malum metaphysicum«123 des Kulturwesens Mensch spricht, so ist damit nicht der Mensch als mit Sünden belastetes Geschöpf, sondern als endliche und daher begrenzte Instanz gemeint. Dabei wird die Bedeutung der metaphysischen Tradition für die Genese »einer selbständigen und eigenen Wissenschaft«124 von der Kunst durchaus anerkannt. So kommt, wie Utitz hervorhebt, noch vor Hegel Alexander Gottlieb Baumgarten das Verdienst zu, mit seiner Ästhetik von 1750 erstmals die Relevanz der Sinnlichkeit für die Erkenntnis hervorgehoben zu haben. In der Schönheit, die Naturund Kunstgegenstände gleichermaßen auszeichnen kann, identifiziert dieser »nichts anderes als die Vollkommenheit dieser Erkenntnisform«.125 Es ist dann Hegel, der in seinen Ästhetikvorlesungen die Schönheit der Kunst – nun im Unterschied zur Schönheit der Natur – als Offenbarung der Wahrheit in sinnlicher Gestalt bestimmt. Denn, so Hegels geistesphilosophisches Argument, nur die Kunstschönheit »ist die aus dem Geiste geborene und wiedergeborene Schönheit, und um soviel der Geist und seine Produktionen höher steht als die Natur und ihre Erscheinungen, um soviel auch ist das Kunstschöne höher als die Schönheit der Natur«.126 Die Kunst wird also als spezifische Weise der Präsenz des Geistes begriffen: In den Augen der Vertreter der Allgemeinen Kunstwissenschaft ein Schritt von entscheidender Bedeutung auf dem Weg zum Verständnis der Objektivität der Kunst. Denn auf dieser Linie kann die entscheidende Einsicht vertieft werden, »daß es die Kunst irgendwie mit ›Erkenntnis‹ zu tun habe«.127 Allerdings bleibt die sinnliche Erkenntnis, die die Kunst bietet, im Rahmen der metaphysischen Ästhetik eine bloß mindere Form gegenüber der begrifflichen Erkenntnis: Baumgarten ordnet ihr lediglich »ein Plätzchen nicht neben, nein unter der Logik an«.128 Die Sinnlichkeit wird »dem Geiste einfach unterstellt«129; das »Systembedürfnis einer intellektualistischen Philosophie überdeckt lebendiges Kunstgefühl«130. Und Hegel setzt diese Abwertung fort, wenn er die Kunst zwar als Offenbarung der »Wahrheit sinnlicher Gestaltung«131 bestimmt, dann aber mit seiner sogenannten These vom Ende der Kunst das sinnliche Scheinen der Idee in der Kunst schließlich überflügeln läßt durch das nackte, angemessene Erfassen der Idee in der Wissenschaft, so daß die Kunst dann auf hört – um mit seinen Worten zu reden – eine der höchsten Offenbarungen des Geistes zu sein, ihr also nur eine sozusagen provisorische Geltung eingeräumt wird.132 123 E.
Utitz: »Das Schöne und die Kunst«, S. 115. Utitz: »Allgemeine Kunstwissenschaft«, S. 435. 125 Ebd. 126 G.W.F. Hegel: Vorlesungen über die Ästhetik I, S. 14. 127 E. Utitz: »Über Grundbegriffe der Kunstwissenschaft«, S. 11. 128 Ebd. 129 Ebd, S. 12. 130 E. Utitz: »Allgemeine Kunstwissenschaft«, S. 435. 131 Ebd., S. 436. 132 E. Utitz: »Über Grundbegriffe der Kunstwissenschaft«, S. 11. 124 E.
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So bedeutsam diese Beiträge für die »Autonomie der Kunst und Kunstwissenschaft«133 auch sind: Für den »unersetzlichen Eigenwert«134 der Kunst, ihre Objektivität, fehlt ihnen letztlich das Verständnis, wie vonseiten der Allgemeinen Kunstwissenschaft eingewandt wird. Denn bei der Wahrheitsästhetik handelt es sich, mit Arthur Danto gesprochen, um eine philosophische Entmündigung der Kunst.135 Oder mit Utitz’ Worten: »Die Wissenschaft besiegt die Kunst.«136 Einer »völlig anderen Grundanschauung« arbeitet nach Ansicht der Vertreter der Allgemeinen Kunstwissenschaft demgegenüber Kant mit seiner strengen Unterscheidung zwischen Schönheit und Wahrheit vor: Auf dieser Linie kann sich die Ästhetik »zu einer Wissenschaft des Schönen in Natur und Kunst« formen – eines Schönen, das sich nicht als eine mindere Form der Rationalität an den Geist wendet, sondern das sich »uns irgendwie im Fühlen offenbaren« soll. Hier ist also eine Ästhetik gefragt, die »auf den Erfahrungen der Psychologie« fußt.137 Kants Bestimmung der Schönheit bildet daher die konzeptionelle Grundlage der breiten Initiative einer psychologischen Ästhetik ebenso wie der neukantianischen Ästhetik und der Enfühlungsästhetik. Die Vertreter der Allgemeinen Kunstwissenschaft teilen zwar die antimetaphysische Haltung dieser ästhetischen Ansätze. Zugleich bestehen die systematischen Bestrebungen des Kreises um Dessoir nun allerdings maßgeblich darin, auch diese einer grundlegenden Kritik zu unterziehen. Die psychologische Ästhetik, die neukantianische Ästhetik und die Einfühlungsästhetik. Zur Kritik am ›Psychologismus‹ Die ›Gründung‹ der Allgemeinen Kunstwissenschaft f ällt in das erste Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts. Diese Zeit ist gekennzeichnet durch die klare Dominanz der psychologischen Ästhetik in der Tradition von Fechners Vorschule der Aesthetik, die 1876 in zwei Bänden erschienen war.138 In dieser groß angelegten Studie war es, wie auch bereits der Titel einer früheren Arbeit Fechners Zur experimentalen Aes thetik deutlich macht, um eine strikt empirische, nicht spekulative Vorgehensweise bei der Aufstellung der »ästhetischen Gesetze«139, d. h. der »Gesetze des Gefallens und Missfallens«140, gegangen. Einer metaphysisch inspirierten Ästhetik »von Oben« 133
Ebd., S. 7. Ebd., S. 11. 135 Vgl. bes. A.C. Danto: Die philosophische Entmündigung der Kunst, S. 35–40. 136 E. Utitz: »Allgemeine Kunstwissenschaft«, S. 436. 137 Ebd. 138 G.T. Fechner: Vorschule der Aesthetik. 2 Bde. Leipzig 1876. – Als Überblick über die Situation der psychologischen Ästhetik zwischen 1871 und 1918 in Deutschland vgl. bes. H. Drüe: »Die psychologische Ästhetik im Deutschen Kaiserreich«. 139 G.T. Fechner: Vorschule der Aesthetik, Bd. 1, S. 47 f., S. 231 und S. 271. 140 Ebd., Bd. 1, S. 19 und S. 42, s. a. S. IV. 134
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im Geist Hegels wird dabei programmatisch eine Ästhetik »von Unten« entgegengestellt, die gerade nicht »von allgemeinsten Ideen und Begriffen ausgehend zum Einzelnen absteigt«, sondern stattdessen als Teil der Psychophysik mithilfe von Experimenten »vom Einzelnen zum Allgemeinen aufsteigt«.141 Zwar versteht Fechner selbst seine Ästhetik noch ausdrücklich nicht als Ersatz, sondern als Ergänzung zur spekulativen Ästhetik.142 Nichtsdestoweniger kommt Fechner bei der Begründung einer antispekulativen experimentellen Ästhetik eine maßgebliche Rolle zu. Entscheidend ist dabei sein zentrales Motiv: Es geht Fechner darum, die spekulativen Aussagen über die Natur des Ästhetischen auf eine nachprüf bare empirische Grundlage zu stellen, um auf diese Weise aus der Ästhetik endlich eine echte Wissenschaft zu machen. In dieser Zielsetzung zeigt sich ein völlig verändertes und entschieden zukunftsträchtiges Verständnis von Wissenschaftlichkeit. War für Hegel noch allein die Philosophie Wissenschaft im eigentlichen Sinn gewesen, indem sie die Begriffe und damit die Grundlagen klärt, mit denen die empirischen Wissenschaften arbeiten, gelten die Kunstforschungen, die in seiner Nachfolge entstehen, jetzt als Inbegriff einer akademischen Selbstbespiegelung, die von der ästhetischen Realität nichts weiß: Der Ästhetik ›von oben‹ geht es, so Fechner, lediglich um eine »Klarstellung der Begriffe, welchen sich die ästhetischen Thatsachen und Verhältnisse unterordnen«.143 Ihr wird nun die Naturwissenschaft als neues Muster ›objektiver‹ Wissenschaftlichkeit entgegengestellt. Christian G. Allesch hat in seinen grundlegenden Studien zur psychologischen Ästhetik resümierend festgestellt, dass um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert experimentelle Untersuchungen von ästhetischen Wahrnehmungen und Urteilen eine Art ›Zukunftsprogramm‹ der Ästhetik darstellen.144 In der Tat hatte, nachdem die Beachtung der von Fechner begonnenen ästhetischen Experimente zunächst vor allem auf das Leipziger Laboratorium von Wilhelm Wundt beschränkt geblieben war, im Zuge des allgemeinen Aufschwungs der experimentellen Naturwissenschaften nach der Jahrhundertwende ein regelrechter Boom an experimentellästhetischen Forschungen eingesetzt. So notiert etwa der Experimentalpsychologe (und spätere Renegat) Ernst Meumann 1903, in der Ästhetik habe »die psychologische Analyse des ästhetischen Verhaltens vorläufig nahezu alle anderen ästhetischen Methoden verdrängt«.145 Oswald Külpe, neben Karl Groos eine der führenden Figuren auf dem Feld der experimentellen Ästhetik dieser Zeit, untermauert diesen Eindruck in einem umfangreichen Bericht über den gegenwärtigen Stand der experimentellen Ästhetik, den er 1906 dem zweiten Kongress für experimen141
Ebd., Bd. 1, S. 1. Vgl. ebd., Bd. 1, S. 1–7. – S. a. C.G. Allesch: Einführung in die psychologische Ästhetik, S. 33 f. 143 G.T. Fechner: Vorschule der Aesthetik, Bd. 1, S. 5. 144 Vgl. C.G. Allesch: Einführung in die psychologische Ästhetik, S. 37. 145 E. Meumann: »Zur Einführung«, S. 6. – S. a. C.G. Allesch: Einführung in die psychologische Ästhetik, S. 36; ders.: Geschichte der psychologischen Ästhetik, S. 402. 142
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telle Psychologie in Würzburg vorlegt, in dem er auf eine Fülle von einschlägigen Wissenschaftlern verweisen kann.146 Allerdings steht für diese Forschungsrichtung inzwischen bereits weniger Fechner, wenngleich dessen Gründungsfunktion nach wie vor sehr präsent ist. Im Fokus der Aufmerksamkeit steht nun vielmehr vor allem Theodor Lipps als Hauptvertreter der Einfühlungsästhetik. Diese versteht sich nun aber weniger als ›geistige Naturwissenschaft‹ denn als Psychologie im engeren Sinne. Ihre Vertreter gehen nämlich davon aus, dass ästhetische Gefühlswirkungen nicht als Reaktionen auf physikalische Reizmerkmale eines Gegenstands zu verstehen sind, sondern dadurch hervorgerufen werden, dass wir eigene Gefühle und Wahrnehmungstendenzen in den wahrgenommenen Gegenstand ›einfühlen‹.147 In jedem Fall gilt die Ästhetik hier aber nicht mehr als philosophische, sondern als psychologische Disziplin, auch wenn sich die institutionelle Differenzierung der Fächer zu diesem Zeitpunkt nur andeutet. So eröffnet Utitz 1913 eine Überblicksdarstellung zum Thema mit einem Zitat von Groos, der als Protagonist der psychologischen Ästhetik 1905 in einem Überblicksreferat zur Situation der Ästhetik unter Berufung auf Külpe erklärt hatte, es entspreche »der Meinung der überwiegenden Mehrheit unter den modernen Vertretern der Philosophie«, die Ästhetik als eine »Psychologie des ästhetischen Genießens und des künstlerischen Schaffens« anzusehen.148 Es ging, wie Utitz weiter erinnert, die allgemeine Ansicht dahin, die Ästhetik entweder als einen Ausschnitt aus der Psychologie zu betrachten oder auch als »angewandte Psychologie«. […] So konnte das beruhigende Gefühl Platz greifen, die feste gemeinsame Forschungsgrundlage der Ästhetik sei endlich gewonnen, und es bedürfe nur einer rastlosen und verständnisvollen Weiterarbeit, um auf diesem sicher gebahnten Wege dem ersehnten Endziele sich zu nähern: einem wohl ausgeführten und allseitig ausgebauten System der Ästhetik, das an die Stelle der vielen Ästhetiken – in denen sich die Persönlichkeit ihrer Verfasser widerspiegelt – die Ästhetik setzt, welche die strenge Gesetzlichkeit der Psychologie durchwaltet.149 146 O.
Külpe: »Der gegenwärtige Stand der experimentellen Ästhetik«. Zu zeitgenössischen Äußerungen zur Dominanz der psychologischen Ästhetik vgl. bes. K. Groos: »Ästhetik«, bes. S. 489: »Die psychologische Behandlung der Ästhetik ist gegenwärtig unbestreitbar im Besitze der Vorherrschaft.« – S. a. C.G. Allesch: Geschichte der psychologischen Ästhetik, S. 360. 147 Vgl. unter der neueren Literatur zur ›Einfühlung‹ bes. R. Curtis / G. Koch (Hrsg.): Einfühlung; U. Franke: »Ästhetische Einfühlung«; J. Müller-Tamm: Abstraktion als Einfühlung; C.G. Allesch: Geschichte der psychologischen Ästhetik, S. 326–351; s. a. D. Kliche: »Ästhetik/ästhetisch – VI: Ästhetik des Schönen / Ästhetik des Häßlichen. Akademisierung und Neuansätze im 19. Jahrhundert«, S. 377 f. 148 E. Utitz: »Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft«. In: Jahrbücher der Philosophie, S. 322. Vgl. K. Groos: »Ästhetik«, S. 489. 149 E. Utitz: »Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft«. In: Jahrbücher der Philosophie, S. 322. – Mit dem Zitat bezieht Utitz sich auf Theodor Lipps, der die Ästhetik als »eine Disziplin der angewandten Psychologie« bezeichnet. (T. Lipps: Ästhetik, Bd. 1, S. 1.)
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Zwar kann in diesem Sinne auch der Psychiater und Neurologe Theodor Ziehen in einer Publikation, die im Anschluss an einen auf dem ersten Kongress für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft gehaltenen Vortrag 1914 in Dessoirs Zeitschrift erscheint, noch auf dreißig Seiten über den höchst lebendigen Stand der experimentellen Ästhetik berichten.150 Und Dessoir – ebenso wie Utitz Philosoph und Psychologe gleichermaßen – hatte selbst am Beginn des Jahrhunderts auf dem Gebiet der Ästhetik psychologische Experimente in der Tradition von Fechner und Wundt betrieben. Allerdings lässt Utitz bereits in seinem Aufsatz von 1913 keinen Zweifel daran, dass er dieses disziplinäre Selbstverständnis für überholt hält. Und in der Tat hatte das Jahrzehnt nach der Jahrhundertwende mit den großen ästhetischen Schriften von Meumann, Külpe und Groos sowie des Weiteren von Konrad Lange, Lipps, Stephan Witasek und Johannes Volkelt nicht nur den eigentlichen Höhepunkt der psychologischen Ästhetik gebracht, sondern auch die ersten deutlichen Selbstkorrekturen und Gegenströmungen, namentlich in Form der Einfühlungsästhetik. (Von diesen Autoren publizieren Ziehen, Groos, Lange und Volkelt auch mehrfach, Lipps ein Mal in der Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft.151) Und Groos selbst hatte schon 1905, im Rahmen seiner eben zitierten Darstellung
T. Ziehen: »Über den gegenwärtigen Stand der experimentellen Ästhetik«. In: Kongress für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft; als ausführliche Fassung des Beitrags vgl. ders.: »Über den gegenwärtigen Stand der experimentellen Ästhetik«. In: Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft. – S. a. den Bericht über Ziehens Vortrag über »Experimentelle Methoden der Ästhetik auf dem Gebiet der Tonempfindungen« im Rahmen der Sitzung der Vereinigung für ästhetische Forschung vom 23.1.1912. (Vgl. »Vereinigung für ästhetische Forschung (1912)«. In: Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft. 8 (1913), S. 594 f.). 151 Vgl. T. Ziehen: »Bemerkungen«; ders.: »Über den gegenwärtigen Stand der experimentellen Ästhetik«. In: Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft; A. Baeumler / T. Ziehen: »Zur Erinnerung an Oswald Külpe«; M. Dessoir / T. Ziehen: »Zur Erinnerung an Hugo Münsterberg«; s. a. T. Ziehen: »Über den gegenwärtigen Stand der experimentellen Ästhetik«. In: Kongress für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft; ders.: »Rhythmus in allgemein philosophischer Betrachtung«. – K. Groos: »Zum Problem der ästhetischen Erziehung«; ders.: »Das ästhetische Miterleben und die Empfindungen aus dem Körperinneren«; ders. / M. Groos: »Die optischen Qualitäten in der Lyrik Schillers«; K. Groos: »Das anschauliche Vorstellen beim poetischen Gleichnis«. – K. Lange: »Die ästhetische Illusion im 18. Jahrhundert«; ders.: »Zur Philosophie der Kunstgeschichte«; ders.: »Der Zweck der Kunst«; ders.: »Bewegungsphotographie und Kunst«. – J. Volkelt: »Persönliches und Sachliches aus meinen ästhetischen Arbeitserfahrungen«; ders.: »Teleologie der Kunst«; ders.: »Der Begriff des Stils«; ders.: »Objektive Ästhetik«; ders.: »Illusion und ästhetische Wirklichkeit«; ders.: »Zur Psychologie des ästhetischen Genießens«; s. a. H. Dinger: »Johannes Volkelt: System der Ästhetik«; M. Geiger: »Johannes Volkelt: System der Ästhetik, Bd. II«; E. Utitz: »Johannes Volkelt: Kunst und Volkserziehung«; ders.: »Johannes Volkelt: System der Ästhetik«; ders.: »Johannes Volkelt: Das ästhetische Bewußtsein«; ders.: »Johannes Volkelt«; J. Cohn: »Festschrift, Johannes Volkelt zum siebzigsten Geburtstag dargebracht«; M. Dessoir: »Johannes Volkelt: Ästhetik des Tragischen«. – T. Lipps: »Zur ›ästhetischen Mechanik‹«; s. a. E. Utitz: »Theodor Lipps: Zur Einfühlung«; M. Geiger: »Zur Erinnerung an Theodor Lipps«. 150 Vgl.
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der Ästhetik, auf die Grenzen der Leistungsfähigkeit dieses Ansatzes im Bereich der Ästhetik hingewiesen: In Wirklichkeit wird man bei aller Anerkennung der zahlreichen und wertvollen Beiträge der experimentellen Forschung […] doch zugestehen müssen, daß es dem Experimentator im ästhetischen Gebiete ganz besonders schwer f ällt, über die Untersuchung der elementarsten, noch sozusagen unterästhetischen Erscheinungen hinauszukommen. Die Psychologen, die es dennoch gewagt haben, weiter emporzudringen, wie z. B. Dessoir und Külpe, haben dabei nicht immer dieselben Erfolge errungen wie in anderen Gebieten ihrer Tätigkeit. – Infolgedessen muß die Ästhetik bis jetzt gerade bei ihren wichtigsten Untersuchungen meistens auf das Experiment (im gewöhnlichen Sinne des Wortes) verzichten.152
Generell kann man sagen, dass die Euphorie für die Zukunftsträchtigkeit der experimentellen Methoden ab etwa 1920 deutlich abflaut (während demgegenüber die zeitgenössische künstlerische Avantgarde die Relevanz psychologischer Experimente für die Kunstpraxis erkundet153). Und auch die Experimentalpsychologen selbst verlieren Interesse an der Ästhetik, was nicht zuletzt in einem schrittweisen Rückgang an einschlägigen Publikationen, auch in der Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft und den korrespondierenden Kongressen, zum Ausdruck kommt. In diesem Sinne ist es ebenfalls bezeichnend, dass sich im Vorfeld des ersten Kongresses für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft von 1913 noch alle hier genannten Protagonisten der psychologischen Ästhetik einschließlich der Einfühlungsästhetik als Mitglieder des für die Organisation verantwortlichen Großen Ausschusses engagieren.154 Schon beim zweiten Kongress für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft von 1924 ist dagegen kein einziger dieser Forscher mehr aktiv involviert: Meumann, Külpe, Lipps und Witasek waren bereits Mitte der 1910er Jahre verstorben, Lange 1921; als namhafte Vertreter der psychologischen Auffassung bleiben daher nur Groos, dessen Interesse an ästhetischen Fragen sich aber klar auf die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg konzentriert, und Volkelt, der sich schließlich Mitte der 1920er Jahre endgültig aus Dessoirs Zeitschrift verabschiedet. Ziehen engagiert sich zwar im Zusammenhang mit dem dritten Kongress für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft in Halle 1927 als Mitglied des Ortsausschusses. Er beteiligt sich hier allerdings mit einem Vortrag, der – Ziehen bekleidet seit 1917 in Halle einen philosophischen Lehrstuhl – ausdrücklich philosophischen Charakter hat.155
152 K.
Groos: »Ästhetik«, S. 508. bes. M. Pratschke: Gestaltexperimente unterm Bilderhimmel. 154 Vgl. »Vorgeschichte« [des ersten Kongresses für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft], S. 3. 155 Vgl. T. Ziehen: »Rhythmus in allgemein philosophischer Betrachtung«; s. a. »Die Vorgeschichte« [des dritten Kongresses für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft], S. 105. – S. a. C.G. Allesch: Geschichte der psychologischen Ästhetik, S. 420. 153 Vgl.
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Es ist daher keine bloß subjektive Einschätzung der Lage, wenn Dessoir in seiner Begrüßungsansprache zum Kongress von 1924 notiert, die »eigentlich experimentelle Ästhetik« sei in der Zwischenzeit »kaum weiter gekommen« und die Methodendiskussion stehe unter dem Eindruck einer »Abkehr von der positivistischen Philosophie und von einer atomisierenden experimentellen Psychologie«. »Durchschnittlich«, so fährt Dessoir fort, empfänden jetzt »unsere Fachleute die Auflösung des Bewußtseins in dinghafte, ichlose, einander fremde Elemente als im Widerspruch mit dem Wesen des Seelischen und als wertlos für die Lösung der ästhetischen Probleme.« Man erkenne nun vielmehr »die Aufgabe, von der Seele zur Sache zu gelangen«.156 Auf dem dritten Kongress von 1927 in Halle wird dann auf dieser Linie die Tendenz deutlich, psychologische Befunde nicht mehr isoliert bzw. als Generalschlüssel zur Lösung ästhetischer und kunstwissenschaftlicher Fragen geltend zu machen. Und spätestens beim vierten Kongress, den Ernst Cassirer 1930 in Hamburg organisiert, wird schließlich unübersehbar, dass die Zeit einer psychologischen Dominanz auf ästhetischem und kunstwissenschaftlichem Gebiet abgelaufen ist.157 Dabei geht es durchaus nicht darum, der Psychologie ihre Relevanz für diese Bereiche generell abzusprechen, auch wenn die psychologischen Beiträge hier nun deutlich in der Minderzahl sind.158 Der Punkt ist vielmehr, dass die Kompetenz der Psychologie in diesen Fragen nicht länger als uneingeschränkt angesehen wird, sondern als ein Baustein im Zusammenspiel der verschiedenen Disziplinen. Zudem kommt ästhetische Relevanz nicht mehr der Psychologie schlechthin zu, sondern allein jenen Formen der Psychologie, die sich dezidiert vom früheren Elementarismus der Experimentalpsychologie absetzen. So erklärt auch Dessoir im Rahmen seiner Eröffnungsansprache: In der psychologischen Ästhetik ist ein romantischer Einschlag unverkennbar. Während die Psychologie in der Form, die ihr Wundt gegeben hatte, keine nennenswerte Wirkung übt, haben sich teils weitgreifende anthropologische Betrachtungen, teils Ganzheit[s]- und Gestaltlehren, teils charakterologische Verfahrungsweisen durch-
156 M.
Dessoir: [Begrüßungsansprache zum zweiten Kongress für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft], S. 6. 157 Diese Entwicklung setzt sich auch auf dem zweiten internationalen Kongress für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft, den Victor Basch 1937 in Paris ausrichtet, fort. Sein eigenes früheres Engagement für die psychologische Ästhetik eines Lipps oder Volkelt ist zu diesem Zeitpunkt längst von anderen Tendenzen überholt. (Vgl. C. Trautmann-Waller: »Victor Basch«, bes. S. 87–90; zu Baschs früherer Position auf dem ersten Kongress von 1913 vgl. C.G. Allesch: Geschichte der psychologischen Ästhetik, S. 418.) – Zur Stellung der Psychologie auf den verschiedenen Kongressen für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft vgl. C.G. Allesch: Geschichte der psychologischen Ästhetik, S. 417–421; s. a. ders.: Einführung in die psychologische Ästhetik, S. 38 f. 158 Unmittelbar ist die Schwächung der Psychologie hier nicht nur auf den stark erkenntnistheoretischen und ideengeschichtlichen Akzent zurückzuführen, den Cassirer als örtlicher Veranstalter diesem Kongress gibt; sie geht auch auf das Fehlen mancher engagierter Teilnehmer und den inzwischen erfolgten Generationswandel zurück. (Vgl. C.G. Allesch: Geschichte der psychologischen Ästhetik, S. 420 f.)
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gesetzt. Vornehmlich aber ist die Entwickelungspsychologie weiter gelangt, was sich aller Voraussicht nach auf unserem Kongreß erweisen wird.159
Einen wesentlichen Anstoß zu dieser Wendung geben Argumente, wie sie Jonas Cohn bereits seit dem Beginn des Jahrhunderts vorgetragen hatte: Cohn, der als Schüler Wundts in den 1890er Jahren selbst mehrere Studien zur experimentellen Ästhetik, vor allem über den Gefühlswert von Farbtönen, veröffentlicht hatte, macht 1901 in seiner Allgemeinen Ästhetik eine Wandlung zum Anhänger einer streng deduktiven Ästhetik durch und profiliert sich mit seiner kantianisch inspirierten Wertphilosophie als einer der vehementesten Gegner der psychologischen Ästhetik.160 Nach kantianischer Auffassung ist die Wahrheit nicht das Sein als solches, sondern vielmehr das ›Gesetz‹, das dem Sein von dem – nach einer bestimmten Methode verfahrenden – Bewusstsein vorgeschrieben wird. Groos fasst in seinem Überblicksreferat von 1905 »den ›kritischen‹ Standpunkt« folgendermaßen zusammen: Der kritische Philosoph findet in den verschiedenen Gebieten der ihn umgebenden geistigen Kultur Urteile vor, die den Anspruch erheben, allgemein und notwendig zu gelten. Sein richterliches Amt besteht nun darin, daß er solche Ansprüche auf ihre Berechtigung hin prüft. Die Gesetze aber, nach denen er über ihren Rechtsanspruch entscheidet, sind die ursprünglichen Gesetze des Bewußtseins.161
Solche Gesetze sind nicht auf empirischem Wege zu bestimmen, weil sie jeder empirischen Untersuchung bereits zugrunde liegen; sie können daher nur a priori bzw. transzendental bestätigt werden. In diesen Gesetzen kommen immer eine Norm und ein in der Erfüllung dieser Norm realisierter Wert zum Ausdruck. Das heißt, das Ästhetische ist nicht – wie von der psychologischen Ästhetik unterstellt – »nur Sein, sondern auch Wert«.162 Die Ästhetik gilt somit nicht mehr als deskriptive Tatsachenwissenschaft psychischer Phänomene, sondern als normative Wertwissenschaft. Hierauf basieren auch die zeitgenössischen Bezeichnungen dieser philosophischen Position als ›Normativismus‹ bzw. ›Wertphilosophie‹. Es geht daher, wie Groos mit Blick auf die ästhetische Debatte erläutert, bei der Kritik der Normativisten an der psychologischen Ästhetik im Wesentlichen um den »Unterschied«, der zwischen einem ästhetischen Werturteil (z. B. »die Peterskirche besitzt die schönste aller Kuppeln«) und dem psychischen Zustande des ästhetischen Wohlgefallens selbst besteht. Der Psychologe wird sich der Natur seiner Wissenschaft nach vor allem für 159 »Gesellige
und künstlerische Veranstaltungen« [des vierten Kongresses für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft], S. 10. 160 Vgl. bes. C.G. Allesch: Geschichte der psychologischen Ästhetik, S. 362; s. a. S. Nachtsheim: »Lage und Aufgabe der zeitgenössischen Kunst in der Kulturphilosophie Jonas Cohns«. 161 K. Groos: »Ästhetik«, S. 488. 162 E. Utitz: »Allgemeine Kunstwissenschaft«, S. 438.
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den Zustand des Wohlgefallens, seine Eigenart und seine Ursachen interessieren; dagegen ist die kritische Ästhetik von dem ästhetischen Werturteil und der Frage nach seiner Berechtigung oder Geltung ausgegangen.163
Weil aber die Gesetze und die Schlüsselbegriffe der Ästhetik wie z. B. ›das Schöne‹ oder ›die Kunst‹ in der empirischen Ästhetik lediglich vorausgesetzt, aber konzeptionell nicht eingeholt werden, beschränkt sich die »ästhetische Arbeit des Psychologen« aus der Perspektive der Normativisten auf »den Charakter einer Vorbereitungstätigkeit«.164 Ästhetik gilt hier als eine durch und durch philosophische und nicht psychologische Disziplin, indem Ästhetik erst dort anfängt, wo über die Grundlagen der Erfahrung hinausgegangen wird und spekulative Synthesen geschaffen werden.165 Wenn so Lipps im Lager der Psychologen seine Ästhetik, die 1903 und 1906 in zwei Bänden erscheint, mit dem Nebentitel Psychologie des Schönen und der Kunst versieht, ist dies als Provokation gedacht und wird so verstanden. Der Neukantianer Hermann Cohen unternimmt demgegenüber 1912 mit seiner Ästhetik des reinen Gefühls noch einmal den groß angelegten programmatischen Versuch, das ästhetische Bewusstsein fernab aller empirischen Befunde in ähnlicher Weise aus dem ›reinen Fühlen‹ deduktiv zu begründen, wie Kant die Kategorien der Anschauung aus einer Kritik der ›reinen Vernunft‹ abgeleitet hatte.166 Diese Auseinandersetzungen finden selbstverständlich auch in den verschiedenen Arbeits- und Organisationsformen der Initiative ›Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft‹ als dem seinerzeit größten Forum für die Diskussion ästhetischer Fragen statt. Besondere Bedeutung kommt dabei der Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft und dem ersten Kongress von 1913 zu, der nicht zuletzt die Aufgabe übernimmt, die streitenden Parteien auf einer gemeinsamen Diskussionsplattform zusammenzubringen.167 So sind nicht nur die Protagonisten der psychologischen Ästhetik Mitglieder des Großen Ausschusses zu diesem Kongress, sondern auch Jonas Cohn und Hermann Cohen als Protagonisten einer neukantianischen Auffassung.168 Zwar handelt es sich hierbei um den ersten Versuch einer direkten persönlichen Konfrontation, der als solcher überwiegend positiv aufgenommen wird. Der konkrete Ertrag hinsichtlich der hier zur Debatte 163 K.
Groos: »Ästhetik«, S. 508. Ebd., S. 490. – Die zentralen Einwände der Anhänger einer Kritischen Philosophie gegen die dominierende »rein psychologische Behandlung der Ästhetik« resümiert Groos dabei folgendermaßen: »Man findet, daß die Psychologie den Aufbau der Ästhetik nur vorbereiten, nicht ausführen könne und wirft ihr vor, diese Tatsache dadurch zu verschleiern, daß sie Gesichtspunkte in ihre Betrachtung einmenge, die für sie gar nicht erreichbar seien.« (Ebd.) 165 Vgl. C.G. Allesch: Geschichte der psychologischen Ästhetik, S. 355 f., S. 362 und S. 397; ders.: Einführung in die psychologische Ästhetik, S. 37. S. a. W. Henckmann: »Vorwort«, S. XI. 166 H. Cohen: Ästhetik des reinen Gefühls.– Vgl. C.G. Allesch: Geschichte der psychologischen Ästhetik, S. 414; s. a. bes. G. Wolandt: »Hermann Cohens Verhältnis zur Kunst«; S. Nachtsheim: »Zum zeitgenössischen Kontext von Hermann Cohens Ästhetik«. 167 Vgl. C.G. Allesch: Einführung in die psychologische Ästhetik, S. 38. 168 S. u. S. 222, Anm. 109. 164
Grundzüge und Kontext der Allgemeinen Kunstwissenschaft 65
stehenden Problematik beschränkt sich aber weitestgehend auf die Einsicht in das radikale Unverständnis der Anliegen der jeweils anderen Seite.169 Der Konflikt entzündet sich indes keineswegs allein an Fragen der Ästhetik, sondern er ist vielmehr grundsätzlicher Natur. Dabei wird die Kritik am ›Psychologismus‹ – d. h. an der Rückführung philosophischer und geisteswissenschaftlicher Anliegen auf die empirischen Grundlagen der Psychologie – nicht nur von neokantianischer Seite, vor allem durch die Marburger Cohen und Paul Natorp, erhoben. Ein weiteres Zentrum dieser Kritik bildet vielmehr vor allem die sich formierende phänomenologische Schule.170 Paradigmatisch ist hier die Polemik, die Edmund Husserl als Protagonist der phänomenologischen Bewegung bereits 1900 im Rahmen seiner Logischen Untersuchungen gegen den Psychologismus entfaltet. Gemeinsam ist diesen antipsychologistischen Strömungen, dass man im Sinne einer strengen Wissenschaftlichkeit nicht länger »bei den Tatsachen stehen bleiben, sondern ihren Rechtsgrund aufdecken« will.171 Einen Kulminationspunkt findet dieser Konflikt im sogenannten Marburger Lehrstuhlstreit von 1913, der im Zuge der Neubesetzung des vakant gewordenen Philosophielehrstuhls von Cohen durch einen Experimentalpsychologen entbrennt. Aus Protest gegen diese Neubesetzung publizieren mehr als hundert Professoren und Dozenten der Philosophie im selben Jahr in der Zeitschrift Logos einen Aufruf, der sich grundsätzlich gegen die Besetzung philosophischer Lehrstühle mit Vertretern der experimentellen Psychologie richtet. Stattdessen wird dafür plädiert, den Psychologen endlich eigene Lehrstühle zuzuweisen, damit die Philosophie sich wieder ihren eigentlichen Aufgaben widmen könne.172 Was die Ästhetik angeht, so trifft sich die Kritik am Psychologismus – von welchem Standpunkt aus im Einzelnen sie auch vorgetragen sein mag – in der Überzeugung, dass die psychologische Ästhetik, was den zentralen Anspruch der Wissenschaftlichkeit angeht, letztlich nicht weiterführt als die traditionellen metaphysischen Ästhetiken: Das Ziel eines »wohl ausgeführten und allseitig ausgebauten System[s] der Ästhetik, das an die Stelle der vielen Ästhetiken […] die Ästhetik setzt«173, kann auf diesem Weg nicht erreicht werden, weil man hier mit konzeptionellen Voraussetzungen arbeitet, die nicht als solche thematisiert werden, und die mit den Mitteln der psychologischen Ästhetik auch nicht thematisiert werden können. Bei allen diesen Auseinandersetzungen geht es, wie Allesch resümiert hat, bald nicht mehr nur um Einzelfragen ästhetischer Theorien, sondern »um den Stellenwert des Subjektiv-Emotionalen in der Ästhetik schlechthin und, insofern dies
C.G. Allesch: Geschichte der psychologischen Ästhetik, S. 418. ebd., S. 396; W. Henckmann: »Vorwort«, S. X f. 171 E. Utitz: »Allgemeine Kunstwissenschaft«, S. 438. 172 Vgl. C.G. Allesch: Einführung in die psychologische Ästhetik, S. 37, S. 16 und S. 36. S. a. bes. M. Rath: Der Psychologismusstreit in der deutschen Philosophie. 173 E. Utitz: »Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft«. In: Jahrbücher der Philosophie, S. 322. (S. a. S. 59.) 169 Vgl. 170 Vgl.
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den zentralen Punkt der psychologischen Ästhetik darstellt[], auch um die Frage nach dem Verhältnis der Psychologie zur Ästhetik«.174 Die Kritik der Allgemeinen Kunstwissenschaft an den zeitgenössischen Tendenzen der Ästhetik Auch nach Überzeugung der Anhänger der Allgemeinen Kunstwissenschaft gelingt es mit den Mitteln der psychologischen Ästhetik nicht, das Ästhetische als solches angemessen zu erfassen. Das Spezifikum der Allgemeinen Kunstwissenschaft manifestiert sich aber weniger in der Einschätzung der Kompetenz der psychologischen Ästhetik zur Erfassung des Ästhetischen. Vielmehr zeigt sich ihr charakteristisches Profil vor allem in einem zweiten Aspekt. Aus der Perspektive der Allgemeinen Kunstwissenschaft gelingt es der psychologischen Ästhetik nämlich zudem nicht, die Kunst überzeugend zu bestimmen. Denn bei dem Neubeginn, den die psychologische Ästhetik zweifellos gegenüber der metaphysischen Tradition dargestellt hatte, war einfach die Auffassung beibehalten worden, dass das Ästhetische und die Kunst miteinander identisch sind. So erklärt etwa Groos als Protagonist der Experimentalpsychologie in der Tat pauschal, die beiden »Hauptgebiete« der ästhetischen Forschung seien »die künstlerische Produktion und das ästhetische Genießen«.175 Und in diesem Sinne konzipiert auch Lipps seine Ästhetik von 1903 ausdrücklich als Psychologie des Schönen und der Kunst. Bereits 1899 hatte Dessoir allerdings im Geist der zukünftigen Allgemeinen Kunstwissenschaft gegen eine solche Identifikation polemisiert: »wenn es so weit gekommen ist, dass Zoologen und Physiker als die berufensten Forscher in Sachen der Aesthetik erscheinen, so heisst das doch den Hauptpunkt: unser künstlerisches Schaffen und Verstehen ausser Augen lassen«.176 Man wendet sich also generell gegen den nach wie vor auf breiter Linie »herrschende[n] Trend ins Psychologisierende«.177 Der entscheidende Punkt ist hier aus der Sicht der Anhänger der Allgemeinen Kunstwissenschaft, dass sich die psychologische Ästhetik allein auf das ästhetische Erlebnis des Subjekts konzentriert und dabei die Eigenart und Bedeutung des ästhetischen Objekts konsequent ausblendet. So wird selbst das Schaffen des Künstlers ganz unter dem Zweck betrachtet, im Betrachter eine ästhetische Erfahrung zu bewirken. Dies führt dann allerdings, wie man es nun sieht, dazu, dass in der psychologischen Ästhetik nicht nur der Charakter des Ästhetischen, sondern auch der Kunst nicht wirklich in den Blick kommen kann. Vielmehr gilt es, die Objektivität der Gegenstände zu thematisieren.
Vgl. C.G. Allesch: Geschichte der psychologischen Ästhetik, S. 345. Groos: »Ästhetik«, S. 506. (S. a. S. 59.) 176 M. Dessoir: »Beiträge zur Ästhetik«. 5 (1899), S. 69. 177 J. Hermand: Der Kunsthistoriker Richard Hamann, S. 50. 174
175 K.
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Mit dieser grundlegenden Neuorientierung der Forschung sehen sich die Vertreter der Allgemeinen Kunstwissenschaft, zieht man die unter den Zeitgenossen generell verbreitete Kritik am Psychologismus in Betracht, durchaus mit Recht auf der Linie eines allgemeinen wissenschaftlichen Trends der Zeit. Dementsprechend resümiert Utitz mit Blick auf die konzeptionellen Grundlagen und den Diskussionskontext der Initiative ›Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft‹: Die Erforschung dessen, »was eine Sache sei«, darf nicht verwechselt werden mit der Angabe ihrer psychologischen Wirkung. So vollzieht sich jene Wendung zum Objektivismus, der in unseren Tagen immer mehr Gemeingut ästhetischer und kunstphilosophischer Forschung wird.178
Dabei wird eine Konzeption entwickelt, die zwar Argumente gegen den ›Psychologismus‹ aufgreift, wie sie am Beginn des 20. Jahrhunderts etwa im Rahmen des Neukantianismus und der Phänomenologie im Sinne Husserls entwickelt worden waren. Zugleich ist die Allgemeine Kunstwissenschaft aber mit keiner dieser Positionen ganz identisch. Die Kritik an den zeitgenössischen Tendenzen der Ästhetik unter ästhetischem Gesichtspunkt Was zunächst die Bestimmung des Ästhetischen angeht, so folgen die Vertreter der Allgemeinen Kunstwissenschaft bei ihrer Kritik an der psychologischen Ästhetik weitgehend Bahnen, wie Cohn sie vorgezeichnet hatte. Vor allem erkennt man in der experimentellen Ästhetik die Gefahr, auf dem Weg der Induktion, aber auch bereits durch die künstlich hergestellte Isolationssituation »in einen hoffnungslosen Elementarismus zu verfallen«.179 Man grenzt sich also nicht nur gegen eine spekulative Ästhetik ›von oben‹, sondern ebenfalls gegen eine Ästhetik ›von unten‹ ab. Allerdings folgen die Verfechter der Allgemeinen Kunstwissenschaft dabei keineswegs der strikt neukantianischen Auffassung, die Psychologie sei in ästhetischen Fragen schlicht inkompetent, weil die Ästhetik eine genuin philosophische Disziplin sei, in der empirische Befunde nichts zu suchen hätten. Denn diese Argumentation widerspräche der programmatisch geforderten Nähe zu den verschiedenen Einzelwissenschaften von den Künsten. So wird auch etwa im Einladungsschreiben zum ersten Kongress ausdrücklich als das zentrale Anliegen der Initiative im Allgemeinen wie der Veranstaltung im Besonderen hervorgehoben, »die Ästhetiker, die von Philosophie und Psychologie ausgehen, mit denjenigen Vertretern der konkreteren Wissenschaften in Verbindung zu setzen, die im Kunstwerk als solchem den nächsten Gegenstand ihrer Forschung erblicken«.180 Die Vertreter 178 E.
Utitz: »Ästhetik und Philosophie der Kunst«, S. 307. Allesch: Geschichte der psychologischen Ästhetik, S. 360. 180 [Einladung zum ersten Kongresses für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft, Juli 179 C.G.
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der psychologischen Ästhetik, die ja auch im Ausschuss zu diesem Kongress selbst prominent vertreten sind, werden also nicht nur personell, sondern ebenfalls konzeptionell einbezogen. Überhaupt gilt zwar, dass eine »Gleichsetzung« von Allgemeiner Kunstwissenschaft und Psychologie zwar verfehlt ist. Aber ganz »ohne Psychologie wird niemals eine allgemeine Kunstwissenschaft ihr Auskommen finden«.181 Im Rahmen der Allgemeinen Kunstwissenschaft geht es also darum, angesichts der Probleme, die man in den experimentalpsychologischen Forschungen erkennt, deren Kompetenz auf dem Feld der Ästhetik präziser zu bestimmen. Dies läuft im Sinne des Elementarismusvorwurfs auf eine Einschränkung des Kompetenzbereichs der empirischen Forschung zugunsten einer Vergrößerung der Reichweite philosophischer Deutungen hinaus. – Was aber ist aus der Perspektive der Allgemeinen Kunstwissenschaft so inakzeptabel am ›Elementarismus‹ der empirischen Ästhetik und wie versucht man, diese Mängel zu beheben? Ein wichtiger Einwand der Verfechter der Allgemeinen Kunstwissenschaft gegen die ›elementaristischen‹ Zergliederungs- und Isolationsverfahren der experimentellen Ästhetik lautet, dass sie der Realität der ästhetischen Erfahrung nicht gerecht zu werden vermögen: Die Ästhetik ›von unten‹ in der Tradition Fechners und Wundts löst, so Dessoir, das »ästhetische Erleben in einen Wirbel von Lustprodukten auf«.182 Als problematisch gilt dabei namentlich der für diese Forschungsrichtung charakteristische Versuch, »durch Experimente mit einfachsten Formen zur Erklärung der komplizierten ästhetischen Erlebnisse zu gelangen«.183 Auf dem Wege einer rein experimentellen Ästhetik wird man daher bestenfalls zur Bestimmung des elementar Schönen, doch nicht zur Erklärung des Ästhetischen überhaupt gelangen. Vielmehr ist stets Voraussetzung, daß die Versuchsperson wisse, was ein ästhetisches Verhalten ist, und daß sie nur in einer solchen seelischen Verfassung ihre Beobachtungen mache und ihre Urteile f älle, denn sonst blieben ja die einzelnen Ergebnisse unvergleichbar.184
In dieser Kritik an der »Elementenpsychologie« treffen sich die Anhänger der Allgemeinen Kunstwissenschaft nicht nur mit dem Neukantianismus eines Cohn und der phänomenologischen Ästhetik185, sondern auch mit der hermeneutischen Ästhetik der Schule Wilhelm Diltheys186. Der Dilthey-Schüler Dessoir selbst bezieht sich in diesem Zusammenhang in der zweiten Auflage seines Hauptwerks 1923 1912] S. 2; ebenfalls in: »Kongreß für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft« [Vorgeschichte des ersten Kongresses für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft], S. 95. 181 E. Utitz: »Johannes Volkelt: Das ästhetische Bewußtsein«, S. 476. 182 M. Dessoir: Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft, 2. Aufl., S. 18, s. a. S. 17. 183 O. Külpe: »Der gegenwärtige Stand der experimentellen Ästhetik«, S. 1. 184 M. Dessoir: »Objektivismus in der Ästhetik«, S. 3. 185 M. Geiger: »Werner Ziegenfuß: Die phänomenologische Ästhetik«, S. 109. 186 Vgl. bes. E. Spranger: Lebensformen, S. 140–170 (Kap. »Der ästhetische Mensch«); H. Nohl: Die Weltanschauungen der Malerei; ders.: Stil und Weltanschauung; ders.: Die ästhetische Wirklichkeit.
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allerdings maßgeblich auf den stark neukantianisch argumentierenden Kunsthistoriker Richard Hamann.187 Hamann hatte in seiner vielgelesenen Ästhetik von 1911 die Auffassung vertreten, dass sich das ästhetische Erlebnis niemals auf die isolierte »Form« bezieht, die als solche sozusagen ein ästhetisches Neutrum ist, sondern auf die »Gestalt«, in der die Form jeweils wahrgenommen wird. Die Möglichkeit der Ableitung allgemeingültiger »Regel[n]« und »Gesetze«, wie sie die experimentelle Ästhetik anstrebt, finde bereits hier ihre Grenze.188 Der experimentelle Ansatz muss sich daher, wie Hamann erklärt, darauf beschränken, »ungeheures Tatsachen- und Beispielmaterial« aufeinander zu häufen, das sich aber eben nicht selbst ausspricht, sondern »systematisch gebändigt« werden muss.189 Das heißt, dieser Ansatz bedarf notwendig einer leitenden und nicht auf dem Weg der Induktion zu gewinnenden Gegenstands- bzw. Gestaltvorstellung, um aussagekräftig zu sein. Paradoxerweise schwindet, wie Dessoir auf dieser Linie weiter notiert, die Aussagekraft der »beim Experimentieren gewonnenen Ergebnisse«, je mehr die »wirklichen ästhetischen Vorgänge« beobachtet werden sollen.190 Dieser Tatsache gilt es aber eben nicht etwa mit der Abwendung von der Empirie zu begegnen, sondern vielmehr mit einer Anpassung der wissenschaftlichen Methode. Und so ist es unter den Verfechtern der Allgemeinen Kunstwissenschaft vor allem wieder Dessoir, der sich selbstkritisch um eine Modifikation der psychologischen Experimente im Sinne einer Abwendung vom Elementarismus, der auch seine eigenen früheren empirischen Vorstöße charakterisiert habe, bemüht. Es geht ihm nun stattdessen um die Konzeption von Versuchsanordnungen, die dezidiert das Ganze des ästhetischen Gegenstands, insbesondere des Kunstwerks, seine spezifische »Gesamt erscheinung«, seine »Gestalt«, in den Blick nehmen.191 Zudem muss an die Stelle oder zumindest an die Seite des klinischen Experiments, so Dessoir, die – nicht als Fortsetzung, sondern als ganzheitliches Korrektiv der künstlich isolierten »experimentell herausgelockten Bekenntnisse« verstandene – Selbstbeobachtung bei der Auseinandersetzung mit ästhetischen Objekten treten.192 187 Vgl.
M. Dessoir: Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft, 2. Aufl., S. 17. – S. u. S. 161–
184. Hamann: Ästhetik, 1. Aufl., S. 73 f. / 2. Aufl., S. 84 f. 1. Aufl., S. VI / 2. Aufl., S. 5. 190 M. Dessoir: Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft, 2. Aufl., S. 99; vgl. 1. Aufl., S. 154. 191 M. Dessoir: »Über das Beschreiben von Bildern«, S. 443 u. ö.; s. a. E. Utitz: Grundlegung der allgemeinen Kunstwissenschaft, Bd. 1, S. 263–272. – Vgl. C.G. Allesch: Geschichte der psychologischen Ästhetik, S. 367 und S. 420. 192 M. Dessoir: Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft, 2. Aufl., S. 17. Vgl. auch: »Ganz zutreffend ist gesagt worden: Wir können in Arbeitszimmern und Versuchsstätten zwar nicht auf Befehl vergnügt oder traurig sein, aber die schwache, ruhige Lust an Proportion und Rhythmus willkürlich erzeugen, außerdem die an ihr bemerkbaren Veränderungen auf Einflüsse der Ermüdung, Aufmerksamkeit, Übung und ähnlicher Bedingungen gesetzmäßig zurückführen. Allein, was darüber hinaus von der experimentellen Erforschung der einfachsten ästhetischen Vorgänge gerühmt wird, das trifft nicht zu. Sie leistet uns nicht dasselbe wie dem Physiker. 188 Richard 189 Ebd.,
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Als problematisch gilt aber nicht nur, dass die experimentelle Ästhetik der ästhetischen Erfahrung des Subjekts nicht wirklich gerecht wird. Vielmehr geht es im Rahmen der Allgemeinen Kunstwissenschaft im Sinne einer Abwendung von der reinen Erlebnisästhetik vor allem um den Gegenstand der ästhetischen Erfahrung, das ästhetische Objekt also, das in der empirischen Ästhetik in der Tat allenfalls indirekt, nämlich als physisch-materieller Impulsgeber für die ästhetische Reaktion des Subjekts, eine Rolle spielt. Eine Eigenbedeutung dieses Objekts, die eine ästhetische Reaktion etwa als angemessen oder unangemessen qualifizieren könnte, wird dabei nicht berücksichtigt. Damit blendet die psychologische Ästhetik aber einen ganzen und nach Auffassung der Anhänger der Allgemeinen Kunstwissenschaft grundlegenden Komplex der ästhetischen Realität aus. In programmatischer Form hatte Dessoir 1910 in der Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft in diesem Sinne einen Objektivismus in der Ästhetik eingefordert und dabei einige Motive, die er bereits 1906 in seiner Monographie über Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft entwickelt hatte, pointierend wieder aufgegriffen. Gegen den Ansatz der Psychologie beim ästhetischen Verhalten des Subjekts vertritt Dessoir hier nämlich die Auffassung, dass »die Wahrnehmung an sich oder der unmittelbare Bestandteil des ästhetischen Eindrucks von dem Objekt nicht nur ausgelöst, sondern in ihm begründet [wird] und von der Beschaffenheit des Gegenstandes in gesetzlicher Weise abhängig« ist.193 So kann nach Dessoirs Überzeugung doch gar kein Zweifel herrschen, daß die in den ästhetischen Kategorien zum Ausdruck gebrachten Verschiedenheiten auf unterschiedenen Merkmalen der ästhetischen Gegenstände beruhen. Welche Vorgänge komisch, tragisch, niedlich, erhaben sind, wird nicht bloß von der Gemütsrichtung des Aufnehmenden bestimmt – gewisse Dinge können eben schlechterdings nicht niedlich, andere niemals tragisch genannt werden.194
Ohne die Analyse der Objektivität des ästhetischen Gegenstandes können daher rein kontingente Faktoren eines ästhetischen Urteils – wie z. B. Bewertungen »nach der Bequemlichkeit der Augenbewegungen« oder »rein persönlichen Vorstellungsassoziationen« – nicht von sachlich motivierten Urteilen unterschieden werden.195 Dieser kann die Ergebnisse seiner Versuche mit schwachen elektrischen Entladungen auf das Gewitter übertragen, er kann die Bewegung des Ozeans an der Wellenbewegung in einem Waschbecken erforschen. Den ästhetischen Eindruck des Gewitters und des starken Seeganges hingegen erhalten wir eben nicht von der Influenzmaschine und dem ›Sturm im Glase Wasser‹. Dort ist nur ein Unterschied der Stärke, hier ein solcher der Art. Wir müssen daher, je näher wir an die wirklichen ästhetischen Vorgänge herantreten, desto vorsichtiger in der Anwendung der beim Experimentieren gewonnenen Ergebnisse sein; wir dürfen die reine Selbstbeobachtung und die Vergleichung vieler Selbstbeobachtungen nicht als Nebensache behandeln.« (Ebd., 2. Aufl., S. 98 f.; vgl. 1. Aufl., S. 154.) 193 M. Dessoir: »Objektivismus in der Ästhetik«, S. 4. 194 Ebd., S. 2 f. 195 Ebd., S. 3.
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Dem »Panästhetizismus«196 , der das Ästhetische unterschiedslos in allem und jedem zu erkennen vermag, ist damit Tür und Tor geöffnet. Betrachten die Protagonisten der Allgemeinen Kunstwissenschaft die rein empirisch-psychologische Ästhetik in der Tradition Fechners und Wundts, trotz ihrer Verdienste um die Überwindung einer metaphysischen Ästhetik, letztlich eher als Abweg und geschlossenes historisches Kapitel, wird die Einfühlungsästhetik als ganzheitlich orientiertes Konzept deutlich positiver eingeschätzt.197 So versuchen auch die Vertreter der Einfühlungsästhetik, »das zerstiebende Ästhetische zu retten«198 , indem sie eine ganzheitlich-leibliche Selbstvorstellung, die affektvoll agiert, aufrufen. In diesem Sinne plädiert Lipps als Hauptvertreter dieser Forschungsrichtung ebenso wie Dessoir, aber auch bereits Brentano, für eine Selbstbeobachtung, die anders als in der experimentellen Ästhetik nicht als eine weitere Quelle von Einzeldaten, sondern in einem fundamentalen Sinn als Leistung des Subjekts verstanden wird. In Anlehnung an seinen Lehrer Dilthey unterscheidet Dessoir dementsprechend innerhalb der psychologischen Ästhetik eine »zergliedernde« Richtung, die sich auf die »Ermittlung von Elementareindrücken« beschränkt, und eine »beschreibende« Richtung, die als »Bewußtseinswissenschaft« durch eine »Objektivierung des Seelischen« zu einer »Befreiung vom Zufälligen« kommt, das der zergliedernden Ästhetik immer anhafte.199 Als kritischer Befürworter der Einfühlungstheorie außerhalb 196 Ebd.
der Zeitschrift für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft publiziert neben Karl Groos und Johannes Volkelt als Protagonisten der Einfühlungstheorie in Deutschland auch die englische Kunstkritikerin Violet Paget, die unter dem Pseudonym Vernon Lee schreibt und der bei der Popularisierung der Lippsschen Einfühlungstheorie eine entscheidende Rolle zukommt, sowie der Illusionstheoretiker Konrad Lange. Aber auch Lipps selbst legt hier gleich in der ersten Nummer einen Beitrag vor. (Vgl. T. Lipps: »Zur ›ästhetischen Mechanik‹«; K. Lange: »Die ästhetische Illusion im 18. Jahrhundert«; ders.: »Zur Philosophie der Kunstgeschichte«; ders.: »Der Zweck der Kunst«; V. Lee: »Weiteres über Einfühlung und ästhetisches Miterleben«.) Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang auch Richard Müller-Freienfels, der 1938 bis 1943 die Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft herausgibt. – Moritz Geiger ist bis zu seiner Emigration in die USA (1933) »einer der bedeutendsten Vertreter einer phänomenologischen Interpretation des Einfühlungsgedankens«. (C.G. Allesch: Geschichte der psychologischen Ästhetik, S. 342.) 1911 publiziert er einen Beitrag in der Zeitschrift für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft, in dem er über eigene Experimente zum Einfühlungsphänomen berichtet. Er vertritt hier die Ansicht, dass es sich bei dem Auftreten des Einfühlungsphänomens nicht um einen automatisch und notwendig ablaufenden Vorgang handelt, sondern dass es vor allem von der Einstellung zum betrachteten Gegenstand abhängig ist. Geiger bestätigt damit die Existenz dieses Phänomens und verteidigt insofern die Einfühlungstheorie gegenüber jenen, für die es aufgrund theoretischer Voreingenommenheiten den Einfühlungsvorgang »nicht geben« dürfe, er enthält sich aber einer Stellungnahme hinsichtlich des Stellenwertes der Einfühlungstheorie innerhalb einer ästhetisch-psychologischen Theorie. (M. Geiger: »Zum Problem der Stimmungseinfühlung«, S. 42.) 198 E. Utitz: »Über Grundbegriffe der Kunstwissenschaft«, S. 13. 199 M. Dessoir: Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft, 2. Aufl., S. 10 und S. 16 f. – Allerdings spricht Dilthey vom Gegensatz zwischen einer ›beschreibenden‹ (›zergliedernden‹) und einer 197 In
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Deutschlands ist im Kontext der Allgemeinen Kunstwissenschaft aber vor allem Victor Basch zu nennen, der ab 1919 – explizit unter Bezugnahme auf die deutsche Initiative – an der Sorbonne ›esthétique et science de l’art‹ lehrt 200 und 1937 den zweiten internationalen Kongress für Ästhetik und Kunstwissenschaft in Paris organisiert 201: Basch begründet in Frankreich eine neue ästhetische Tradition, die stärker von der psychologischen Ästhetik in Deutschland und dem dort entwickelten Begriff der Einfühlung ausgeht als von den eigenen ästhetischen Traditionen Frankreichs im 19. Jahrhundert.202 Dennoch ist die Allgemeine Kunstwissenschaft bei aller Affinität zur Einfühlungsästhetik auch mit dieser nicht identisch. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Stellungnahme, die Volkelt, der als Protagonist der Einfühlungsästhetik nach Lipps’ Tod 1914 zunehmend in die Defensive gerät, 1917 unter dem Kooperationsbereitschaft signalisierenden Titel Objektive Ästhetik in Dessoirs Zeitschrift publiziert.203 Volkelt setzt sich hier mit der für die Initiative ›Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft‹ charakteristischen Ansicht auseinander, eine subjektive, psychologisch verfahrende Ästhetik komme […] überhaupt nicht an die ästhetischen Kernfragen heran; oder sie sei mindestens doch durch eine objektive Ästhetik zu ergänzen. Mit allem Beschreiben und Zergliedern der ästhetischen Gefühle werde niemals das Gegenständliche, als welches das Schöne vor uns steht, erreicht. Die ästhetischen Gebilde seien doch etwas völlig anderes als die Gefühle und Gemütsbewegungen des ästhetisch Genießenden. […] Die psychologische Ästhetik fasse die Probleme zu individualistisch an und bleibe im Individualismus stecken. Es gelte, der Ästhetik eine überindividuelle, überpsychologische, in der Gesetzlichkeit der Welt des Geistes wurzelnde Grundlage zu geben. Das Ästhetische sei ein an und für sich gültiger Wertbestand, ein in sich zusammengehöriges Ganzes, das aller Willkür der Subjekte entrückt sei.204
Zwar sträubt sich auch Volkelt dagegen, »Ästhetik in Psychologie aufzulösen und erkennt deutlich, daß eine bloße Tatsachenwissenschaft dem Ästhetischen nicht genüge«.205 Gegenüber dem offenkundig experimentalpsychologisch orientierten Konzept des Ästhetischen, das er in der ersten Auflage seines Systems der Ästhetik vertreten hatte, räumt Volkelt nun Korrektur- bzw. Klärungsbedarf ein. Ausdrücklich gibt er Dessoir Recht, wenn dieser sagt, »daß der ästhetische Gegenstand sein ›erklärenden‹ Psychologie, die den psychischen Zusammenhang in Grundelemente auflöst. Vgl. W. Dilthey: »Ideen über eine beschreibende und zergliedernde Psychologie«. 200 S. u. S. 260 f. 201 S. u. S. 259–283. 202 S. a. C.G. Allesch: Geschichte der psychologischen Ästhetik, S. 338 f. 203 Volkelt greift diesen Beitrag später wiederholt auf. Vgl. ders.: Das ästhetische Bewusstsein, S. 1–43; ders.: System der Ästhetik, 2. Aufl., Bd. 1, S. 13–23. 204 J. Volkelt: »Objektive Ästhetik«, S. 385. Vgl. ders.: Das ästhetische Bewusstsein, S. 1; ders.: System der Ästhetik, 2. Aufl., Bd. 1, S. 13. 205 E. Utitz: »Allgemeine Kunstwissenschaft«, S. 438.
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eigenes Leben lebt, seine volle und eigentümliche Wirksamkeit hat, und mit Rechten und Forderungen ausgestattet vor das Subjekt hintritt«.206 Dennoch fällt für Volkelt nicht nur »die Beschreibung des Wahrnehmungsaktes«, sondern auch »die des Wahrnehmungsinhaltes« nach wie vor »in den Umkreis der Psychologie«.207 So ist für ihn das, was von den Verfechtern einer objektiven Ästhetik als Gegenstand ins Feld geführt wird, phänomenal einfach nicht greif bar: Es kommt mir willkürlich vor, dort, wo die Psychologie von der Betrachtung des Farbenempfindens zur Untersuchung der Farbenempfindung, d. h. des in dem Farbenempfinden gegebenen Inhalts, von der Betrachtung des Vorstellens zur Untersuchung der Vorstellung, d. h. des für das Vorstellen sich darbietenden Inhalts übergeht, eine neue Wissenschaft beginnen zu lassen, derart, daß sich der Psychologe von diesem Punkte angefangen in einen nichtpsychologischen Phänomenologen oder Gegenstandstheoretiker verwandelte.208
Für Volkelt bleiben vielmehr der ästhetische Gegenstand und das betrachtende Subjekt einfühlungsästhetisch aneinander gekoppelt, und keinesfalls kann die ästhetische Gegenständlichkeit strikt von der Psychologie gelöst werden, wie etwa Hamann dies behauptet.209 Denn im Ausdruck [des ästhetischen Objekts ist] zugleich der Eindruck auf uns als fühlendschauendes Subjekt mitenthalten. im Ausdruck eines Gegenstandes fühlt sich das Subjekt mit seinem subjektiven Erleben beteiligt. […] Ohne das Mit-Dabeisein meines Ich würde mir das Gesehene gänzlich bedeutungsleer aussehen: ich würde wohl Gestalten und Farben, aber keinen ihnen innewohnenden gefühlsmäßigen Sinn, kein »Wehmütig-Aussehen«, kein »Lachend-Erscheinen« wahrnehmen.210
Die Frage, was uns vorliegt, »wenn ein Gegenstand ästhetischen Ausdruck für uns hat«, was wir »im Erleben des ästhetischen Ausdruckes« vorfinden, kann für Volkelt daher nur »durch Selbstbesinnung« im Geist der Einfühlungsästhetik beantwortet werden 211: Aus der Perspektive der Einfühlungsästhetik gilt die Analyse der leiblichen und emotionalen Selbstvorstellung als Schlüssel zur Überwindung jener Subjekt-Objekt-Dichotomie, die als Grundproblem des modernen Bewusstseins identifiziert werden kann. Die Vertreter der Initiative ›Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft‹ erkennen zwar sowohl das Phänomen der Einfühlung als auch die Verdienste der Volkelt: »Objektive Ästhetik«, S. 385. Vgl. ders.: System der Ästhetik, 2. Aufl., Bd. 1, S. 20; s. a. ders.: Das ästhetische Bewusstsein, S. 25. 207 J. Volkelt: »Objektive Ästhetik«, S. 412. Vgl. ders.: Das ästhetische Bewusstsein, S. 31. 208 J. Volkelt: »Objektive Ästhetik«, S. 412 f. Vgl. ders.: Das ästhetische Bewusstsein, S. 31. S. a. C.G. Allesch: Geschichte der psychologischen Ästhetik, S. 344 f. 209 Vgl. J. Volkelt: »Objektive Ästhetik«, S. 410 f.; ders.: Das ästhetische Bewusstsein, S. 28 f. S. a. R. Hamann: »Zur Begründung der Ästhetik«. 210 J. Volkelt: »Objektive Ästhetik«, S. 403. Vgl. ders.: Das ästhetische Bewusstsein, S. 20. 211 J. Volkelt: »Objektive Ästhetik«, S. 402 f. Vgl. ders.: Das ästhetische Bewusstsein, S. 20. 206 J.
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Einfühlungsästhetik durchaus an. So erklärt beispielsweise Dessoir ausdrücklich, es könne keinen Zweifel daran geben, »daß die Einfühlung für weite Gebiete des Ästhetischen eine entscheidende Rolle spielt« und dass zudem »überall an die anthropomorphisierende Betrachtung sich künstlerisches Interesse anschließen kann«.212 Und für Utitz ist es der Einfühlungsästhetik zu danken, dass »neben feinsten psychologischen Analysen«, nicht zuletzt auf der Basis von Selbstbeobachtung, auch in ganz neuer Weise »das ganze Problem des Physiognomischen, von Ausdruck und Verstehen aufgerollt« worden ist.213 Zugleich wird aber gegen die Einfühlungsästhetik durch Protagonisten der Allgemeinen Kunstwissenschaft ein breites Spektrum von Einwänden entwickelt.214 So hält beispielsweise Dessoir es für fraglich, ob tatsächlich »jeglicher ästhetischer Genuß im beglückenden Sympathiegefühl besteht«, wie die Einfühlungstheorie dies vertritt: »Einfache Muster und Zierate«, aber auch das eigentümlich »Architektonische«, also »die starre Gesetzlichkeit der monumentalen Formen«, stehen seiner Ansicht nach nämlich »unserem Anempfinden ganz fremd gegenüber«, selbst wenn sie ästhetisch erfahren werden. Überdies fällt, so Dessoir weiter, die einfühlende Beilegung einer »Stimmung« als solche durchaus nicht »mit dem weiten Begriff des Ästhetischen zusammen«.215 Ebenso weist Dessoir darauf hin, dass das Ästhetische im Rahmen »der Gestaltung des persönlichen und gesellschaftlichen Lebens« 216 u. a. wichtige soziale Funktionen übernimmt, die die Einfühlungsästhetik einfach übersehe. Hinzu kommt, dass es sich bei der ›Einfühlung‹ für ihn lediglich um einen ungenauen Sammelbegriff für die verschiedensten psychischen Phänomene handelt. Einfühlung ist, so Dessoir, auch kein automatisch und notwendig ablaufender Vorgang, wie die Einfühlungsästhetik es suggeriert, sondern maßgeblich von der Einstellung zum betrachteten Gegenstand abhängig; sie kann also auch ausbleiben.217 Auch Utitz wendet sich u. a. gegen den romantischen Impuls der Einfühlungsästhetik, das Ästhetische im Gefühl aufzuheben.218 Zudem ist Einfühlung Dessoir: Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft, 1. Aufl., S. 86 f. / 2. Aufl., S. 47. Utitz: »Über Grundbegriffe der Kunstwissenschaft«, S. 13. 214 Zur Kritik am Einfühlungskonzept in der Zeitschrift für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft vgl. bes. A. Döring: »Die Methode der Ästhetik«; ders.: »Über Einfühlung«; M. Geiger: »Zum Problem der Stimmungseinfühlung«; T.A. Meyer: »Kritik der Einfühlungstheorie«; E. von Ritoók: »Zur Analyse der ästhetischen Wirkung auf Grund der Methode der Zeitvariation«; E.R. Jaensch: »Psychologie und Ästhetik«. S. a. E. Utitz: »Theodor Lipps: Zur Einfühlung«; M. Geiger: »Zur Erinnerung an Theodor Lipps«. 215 M. Dessoir: Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft, 2. Aufl., S. 47 / vgl. 1. Aufl., S. 87. 216 M. Dessoir: »Sinn und Aufgabe der allgemeinen Kunstwissenschaft«, S. 149. 217 So hält Dessoir in der zweiten Auflage seines Werks Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft unter Bezugnahme auf Emma von Ritoók fest: »Der experimentellen Untersuchung sind ›bei ausgesprochen ästhetischem Verhalten so viele Fälle ohne sympathische Einfühlung vorgekommen, daß die Begründung allen ästhetischen Verhaltens auf sie in offenkundigen Widerspruch mit den Tatsachen gerät‹. Dasselbe lehrt die tägliche Erfahrung.« (M. Dessoir: Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft, 2. Aufl., 47; Dessoir zitiert hier aus E. von Ritoók: »Zur Analyse der ästhetischen Wirkung auf Grund der Methode der Zeitvariation«, S. 544.) 218 »Geboren aus dem Geiste der Romantik, da man sich in alles einfühlen und mit dem All 212 M.
213 E.
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seiner Auffassung nach schon deswegen nicht der Schlüssel zum Ästhetischen, weil sie kein Spezifikum des Ästhetischen ist. So sei es niemals »gelungen, die ästhetische Einfühlung abzuheben von der außerästhetischen, wenn man nicht schon den Begriff des Ästhetischen hatte«.219 Ebenfalls Hamann weist in seiner Ästhetik von 1911 auf die in der Fixierung auf die Einfühlung liegende Gefahr hin, den emotionalen Aspekt in Bezug auf das Ästhetische zu einseitig zu betonen.220 Zwar erkennt er ebenfalls den Einfühlungsvorgang als solchen ausdrücklich an, meint allerdings, dass durch diesen eine »Fremdbedeutung« in den »Wahrnehmungsinhalt« hineingetragen werde, die nicht rechtmäßiger Gegenstand der Ästhetik sein könne, da sich diese ausschließlich mit der »Eigenbedeutung des Wahrnehmungsinhaltes« zu befassen habe.221 Und wenn Dessoir im Rekurs auf Hamann erklärt, das Mittel zur Beschreibung dessen, was ästhetisch ›eingefühlt‹ werde, die Sprache also, zwinge uns oftmals aus einem Mangel an neutraler Begrifflichkeit zu derartigen einfühlenden Beschreibungen, dann stellt er damit die psychologische Ästhetik vor »völlig neue Probleme«.222 Alle Einwände vonseiten der Allgemeinen Kunstwissenschaft gegen die psychologische Ästhetik gründen letztlich in der Überzeugung, dass der ästhetische Gegenstand nicht angemessen bestimmt wird, wenn er als reine Projektionsfläche der Subjektivität behandelt wird. Vielmehr ist dieser in seiner Objektivität zu respektieren und zu thematisieren. So distanziert sich etwa Dessoir ausdrücklich von der einfühlungstheoretischen Auffassung, dass uns die Welt nur »wahrhaft verständlich« wird, »indem wir sie nach uns selbst deuten«. Hier gleite das »Metaphysische ins Psychologische«, indem die den Dingen als solchen zukommende Eigenheit in einsfühlen sollte, war schließlich diese Lehre dazu berufen, gleichsam das Ästhetische zu ›ersetzen‹.« (E. Utitz: »Über Grundbegriffe der Kunstwissenschaft«, S. 13.) 219 Ebd. 220 »Wenn Ästhetik oft als eine frauenzimmerliche Sache bewertet wird, so ist eine solche gefühlige Art, Ästhetik zu treiben, mit daran schuld.« (R. Hamann: Ästhetik, 1. Aufl., S. VI / 2. Aufl., S. 5. S. a. M. Bites-Palévitch: Essai sur les tendances critiques et scientifiques de l’esthétique allemande contemporaine, S. 73–75, bes. S. 75.) 221 R. Hamann: »Zur Begründung der Ästhetik«, S. 117 f. – Vgl. C.G. Allesch: Geschichte der psychologischen Ästhetik, S. 345. 222 Ebd., S. 341. Vgl. in diesem Sinne auch bereits G. Morpugo-Tagliabue: L’esthétique contemporaine, S. 120. – Viele Deutungen ästhetischer Phänomene bieten, so Dessoir, »keine Erklärung, sondern eine sprachliche Nachbildung des Gegenstandes«; sie scheinen bloß den »wirkliche[n] Vorgang der ästhetischen Bewertung« zu treffen, »weil das Fremde in den Kreis des Vertrauten übergeführt worden ist«, ohne dies wirklich zu tun. (M. Dessoir: Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft, 2. Aufl., S. 46; vgl. 1. Aufl., S. 88.) Die These, die »Metaphern, mit denen die Ästhetiker arbeiten«, seien »nicht der unverf älschte Abdruck des wahrhaften Vorganges, sondern ihr sprachliches Rüstzeug« (ebd., 1. Aufl., S. 88, s. a. S. 116) übernimmt Dessoir dabei aus Hamanns in Berlin unter der Betreuung von Dilthey angefertigter Dissertation (vgl. R. Hamann: Das Symbol). Mit Verweis insbesondere auf die von der »Hegelschen Schule und von den modernen Stilkünstlern geistreicher Verallgemeinerung« gepflegte Formelhaftigkeit warnt Dessoir zudem, die Einfühlungstheorie drohe »zu einer schablonenhaften Versprachlichung sich auszuwachsen«. (M. Dessoir: Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft, 1. Aufl., S. 88; vgl. 2. Aufl., S. 46.)
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Empfindungen des Subjekts aufgelöst werde.223 Dabei formuliert Dessoir das objektivistische Credo der Allgemeinen Kunstwissenschaft gegen die Einfühlungsästhetik gerichtet so: Dem ästhetischen Gegenstand wird kein Leben »geliehen«, sondern er lebt sein eigenes Leben, er hat seine volle und eigentümliche Wirksamkeit. Ausgestattet mit Rechten und Forderungen stellt sich das Objekt vor das Subjekt hin. Es will anders als lediglich vom Menschlichen aus beurteilt werden.224
Die verschiedenen Arten von ästhetischen Gegenständen, nämlich die »ästhetische Natur«, die »ästhetische Kultur« und die »ästhetische[] Kunst«, gewinnen daher ihre Bedeutung keineswegs »lediglich aus der Art der auf sie angewendeten Betrachtung« 225, wie das Verständnis der Ästhetik als »Psychologie des ästhetischen Genießens und des künstlerischen Schaffens« 226 es unterstellt. Vielmehr haben diese Objekte »ihre ästhetische Wertigkeit in sich selbst« und unterscheiden »sich durch irgendwelche sachlichen Merkmale von den außerästhetischen Dingen«.227 Aus diesem Grund ist die Ästhetik, so Dessoir, Wertwissenschaft und überschreitet damit die Grenzen der Psychologie, denn »vor den Augen der Psychologen sind alle inneren Tatsachen gleich bedeutsam, die kritische Ästhetik jedoch hat es nur mit solchen zu tun, die Wert oder Gültigkeit besitzen«.228 Ästhetischer Objektivismus ist demnach, wie Dessoir resümiert, nicht bloß die Tatsache, daß die ästhetischen Besonderungen (mit Einschluß des Schönen) in den Eigenschaften der Gegenstände begründet sind, sondern die Lehre, daß das Gebiet der ästhetischen Natur, Kultur und Kunst insgesamt objektive Merkmale einer gegenständlichen Eigenart besitze. […] Dieser Anschauung steht als Subjektivismus die Summe derjenigen Theorien gegenüber, die sich um die objektiven Merkmale des ästhetischen Seins nicht kümmern, sondern ihre Aufgabe mit einer Kennzeichnung und Erforschung des ästhetischen Verhaltens erschöpft glauben.229
223
Ebd., S. 41. Dessoir: »Objektivismus in der Ästhetik«, S. 9. 225 Ebd., S. 1. 226 E. Utitz: »Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft«. In: Jahrbücher der Philosophie, S. 322. Vgl. K. Groos: »Ästhetik«, S. 489. 227 M. Dessoir: »Objektivismus in der Ästhetik«, S. 1. 228 M. Dessoir: Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft, 1. Aufl., S. 91. 229 Ebd., S. 3. – Volkelt wirft Dessoir allerdings – sicher zu Recht – vor, in seinem Beitrag über »Objektivismus in der Ästhetik« einen unklaren Begriff von Objektivität zu vertreten. So verstehe Dessoir unter ›objektiv‹ (1) »das Geknüpftsein ästhetischen Wertens an bestimmte Beschaffenheiten der uns als eigenlebendig gegenüberstehenden, willkürlich nicht wegschaff baren ästhetischen Gegenstände. Allerdings handelt er (2) »auch von Objektivität im Sinne einer vom Subjekt unabhängigen Gesetzmäßigkeit«. ›Objektivismus‹ gewinnt bei Dessoir weiterhin (3) »die Bedeutung von objektivem Wert, Kulturwert, Kulturzusammenhang« und schließlich (4) gar die der »übergreifende[n] Wirklichkeit eines ästhetischen Idealreiches«. ( J. Volkelt: »Objektive Ästhetik«, S. 388. Vgl. ders.: Das ästhetische Bewusstsein, S. 2 f.) 224 M.
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Das Wissenschaftsideal des ›ästhetischen Objektivismus‹ wird aber nicht allein von den Protagonisten der Allgemeinen Kunstwissenschaft im engeren Sinne behauptet. Es wird vielmehr insbesondere – prinzipiell unabhängig von den Debatten um die Allgemeine Kunstwissenschaft – auch zu einem Hauptanliegen der phänomenologischen Ästhetik.230 So plädiert der Phänomenologe Moritz Geiger, der 1924 auf dem zweiten Kongress für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft in einem vielbeachteten Vortrag die Grundzüge einer phänomenologischen Ästhetik umreißt 231, bereits 1921 für die Entwicklung einer »andersgeartete[n] Form der Psychologie« in der Ästhetik, die »mehr die konkreten, komplexen Zusammenhänge berücksichtigt, als daß sie auf die Zerlegung in Elemente ausgeht, eine Form der Psychologie, die das Einzelne weniger in Erlebnisabfolgen einordnet, als auf das Ganze des Menschen bezieht« 232 . Bei den »gleichgerichteten Bestrebungen« der Initiative ›Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft‹ und der Phänomenologie geht es, wie Geiger, der Utitz konzeptionell wie persönlich nahesteht, rückblickend formuliert, »in der psychologisierenden Zeit um die Jahrhundertwende« um die gemeinsame »Front gegen die Auflösung des ästhetischen Gegenstandes in Vorstellungen und Empfindungen, gegen die Einbeziehung des ästhetischen Gegenstandes in den psychologischen Prozeß«. Die Betonung der »Gegenständlichkeit dieses Gegenstandes« dient in diesem Diskussionszusammenhang dem Zweck, überhaupt erst einmal »den ästhetischen Gegenstand in seiner Gegenständlichkeit anzuerkennen«.233 So propagiert Geiger eine phänomenologische Ästhetik, die die Wahrheit »mitten […] zwischen der Ästhetik von unten und der Ästhetik von oben« sucht.234 Es geht nun stattdessen um die Erforschung der Objektivität des ›ästhetischen Gegenstandes‹ als einer Realität, die weder auf dem Weg der Deduktion noch der Induktion zu identifizieren ist: Die Wissenschaft stellt sich in den Dienst einer strikten Orientierung an der Eigenart des erforschten Gegenstandes – der Sachlichkeit. Aus dieser Frontstellung erklären sich auch vereinzelte Zuspitzungen, die nahelegen, dass es bei dem Votum für einen ästhetischen Objektivismus darum geht, den ästhetischen Gegenstand als »absoluten, vom Ich völlig losgelösten Gegenstand« aufzufassen.235 So hatte Dessoir sich in seiner Studie über Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft zu der These aufgeschwungen, das Ästhetische als solches sei vom Vorgang des Gewahrwerdens durch ein Subjekt grundsätzlich unabhängig: »ein 230 Vgl. z. B. W. Ziegenfuß: Die phänomenologische Ästhetik, S. 9–16; s. a. bes. M. Geiger: »Werner Ziegenfuß: Die phänomenologische Ästhetik«, S. 108. 231 Vgl. M. Geiger: »Phänomenologische Ästhetik«. 232 M. Geiger: »Ästhetik«, S. 120. 233 M. Geiger: »Werner Ziegenfuß: Die phänomenologische Ästhetik«, S. 108. – Zum Verhältnis von Phänomenologie und Allgemeiner Kunstwissenschaft vgl. bes. P. Flack: »Phänomenologische Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft«. – Zu Utitz’ Verhältnis zu Geiger vgl. bes. seine eigene Charakteristik in [T. Munro:] »International News and Correspondence«. 10/4 (1952), S. 382. Zu Utitz’ Verhältnis zur Phänomenologie allgemein s. u. S. 130 f. 234 M. Geiger: »Phänomenologische Ästhetik«, S. 39. 235 M. Geiger: »Werner Ziegenfuß: Die phänomenologische Ästhetik«, S. 108.
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farbenglühender Sonnenuntergang ist schön, mögen nun Menschen davon ergriffen werden oder nicht«.236 Grundsätzlich zielt das Plädoyer für einen ›ästhetischen Objektivismus‹ allerdings keineswegs darauf ab, die Analyse des ästhetischen Objekts vom Erlebnis des Subjekts abzukoppeln. Das Stichwort des ›Objektivismus‹ steht im Rahmen der Allgemeinen Kunstwissenschaft vielmehr gerade für den Impuls, die Kluft zwischen ›Subjektivismus‹ und ›Objektivismus‹ 237, wie sie die kantianische Kritik auch hinsichtlich ästhetischer Fragen offengelegt hatte, methodisch zu überwinden. Nur eine solche übergreifende Perspektive werde nämlich der Eigenart des ästhetischen Objekts, um die es gehen muss, gerecht. Den entscheidenden Impuls für diese Perspektive bildet die von Dessoirs Lehrer Dilthey eingeführte Charakteristik der Geisteswissenschaften als Wissenschaften von einer geistigen ›Struktur‹ 238: Im Gegensatz zu den Naturwissenschaften, die Kausalzusammenhänge zwischen empirisch erhobenen Einzeldaten analysieren, haben die Geisteswissenschaften es nach Dilthey mit Zusammenhängen zu tun, die »in sich selbst zentiert« sind: Ihr Gegenstand sind ›Strukturzusammenhänge‹, in denen »Wirklichkeitsauffassen, Wertung, Erzeugung von Gütern zu seinem Ganzen verbunden« sind. Das ›Verstehen‹ dieser Zusammenhänge vollzieht sich im ›Erlebnis‹, das aber gerade nicht rein individualpsychologisch auf die Erfahrung des Subjekts bezogen ist, sondern als Vollzugsweise eines Strukturzusammenhangs vielmehr immer auch die spezifische Erlebnisweise des jeweilige ›Kultursystems‹ bzw. der ›Gemeinschaft‹ sowie deren Entäußerungen, wie sie etwa Kunstwerke bilden, mitumfasst.239 236 M. Dessoir: Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft, 1. Aufl., S. 89. – Vgl. in diesem Sinne auch R. Hamann: »Zur Begründung der Ästhetik«. S. o. S. 73. 237 Vgl. M. Dessoir: Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft, 1. Aufl., S. 60–89 / 2. Aufl., S. 19–47. 238 Vgl. W. Dilthey: »Ideen über eine beschreibende und zergliedernde Psychologie«; ders.: Der Aufbau der geschichtlichen Welt in den Geisteswissenschaften. S. a. bes. F. Rodi: Diltheys Philosophie des Lebenszusammenhangs. – S. u. S. 113–116. 239 W. Dilthey: Der Aufbau der geschichtlichen Welt in den Geisteswissenschaften, S. 154. – S. a. bes. ebd., S. 17: »Die Strukturlehre erscheint mir als ein Hauptteil der beschreibenden Psychologie. […] In ihr liegt vor allem die Grundlage der Geisteswissenschaften. Denn die in ihr zu entwickelnden inneren Beziehungen, welche die Erlebnisse konstituieren, die alsdann zwischen den Gliedern der Reihe von Erlebnissen innerhalb einer Verhaltungsweise bestehen und die endlich den strukturellen Zusammenhang des Seelenlebens ausmachen, ferner das Verhältnis, in welchem hier einzelne Leistungen zu einem subjektiv teleologischen Zusammenhang zusammenwirken, und schließlich die Relationen von Wirklichkeiten, Werten und Zwecken sowie die von Struktur zur Entwickelung – all dieses ist begründend für den ganzen Aufbau der Geisteswissenschaften. Sie sind ebenso grundlegend für den Begriff der Geisteswissenschaften und für die Abgrenzung von denen der Natur. Denn die Strukturlehre zeigt bereits, daß die Geisteswissenschaften es mit einer Gegebenheit zu tun haben, von der in den Naturwissenschaften nichts vorkommt. Die Bestandteile des sinnlich Gegenständlichen sind, unter der Beziehung zum psychischen Zusammenhang aufgefaßt, dem Studium des Seelenlebens angehörig; dagegen konstituieren die sinnlichen Inhalte nach ihrer Beziehung auf äußere Gegenstände die physische Welt. […] Naturwissenschaften haben mit dem Verhalten gegenständlichen Auffassens, in wel-
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In diesem Sinne machen es sich die Vertreter der von Dessoir angeführten Forschergemeinschaft zu einem zentralen Anliegen, subjektive ästhetische Erfahrung und ästhetische Objektivität als einen solchen Strukturzusammenhang zu verstehen. Dessoir selbst erklärt in diesem Sinne programmatisch: »ästhetisches Subjekt und Objekt sind nie voneinander zu lösen, während im Reich der Wahrheit das Subjekt keine Stätte hat und im Reich der Sittlichkeit das Objekt nur als ein zu Überwindendes gedacht wird. Der ästhetische Wert ist also ein subjektiv-objektiver Erlebniswert.« Es geht darum, »ästhetisches Subjekt und Objekt« in einer von Dessoir so genannten »Ästhetik von innen« zusammenzudenken.240 Die Kritik an den zeitgenössischen Tendenzen der Ästhetik unter dem Gesichtspunkt der Allgemeinen Kunstwissenschaft Das Anliegen, den thematisierten Gegenstand als Gegenstand sui generis zu verstehen, in dem Subjektives und Objektives aufeinander verwiesen sind, bezieht sich aber nicht nur auf den den ästhetischen Gegenstand im Allgemeinen, sondern auch auf das Kunstwerk. Das Werk ist demnach nicht allein Repräsentant von etwas oder Zeugnis bzw. Bezugspunkt des Gefühls eines Individuums, sondern es hat eine eigene Bedeutung, die es möglichst zureichend auf den Begriff zu bringen gilt. Es muss daher mit Maßstäben gemessen werden, die nicht von außen an das Werk herangetragen werden, sondern in ihm selbst begründet sind, insofern es als Teil des Kultursystems ›Kunst‹ verstanden wird.241 Ziel einer Kunstwissenschaft der Sachlichkeit muss es dementsprechend sein, die Objektivität des Kunstwerks als eine solche darzustellen, die immer schon mit der Subjektivität vermittelt ist, weil es konstitutiv zum Kunstwerk gehört, dass es nicht nur für sich, sondern zugleich von jemandem und für jemanden ist, sein Vollzug also mit bedacht werden muss. Bei der Allgemeinen Kunstwissenschaft handelt es sich daher, wie Ursula Franke hervorgehoben hat, um den Versuch, die ›Struktur‹ des Kunstwerks jenseits der Fokusbildungen von Werk, Produktions- oder Rezeptionsästhetik zu denken.242 Entscheidend für die Kritik der Vertreter der Allgemeinen Kunstwissenschaft an der psychologischen Ästhetik ist daher der Vorwurf, dass hier Ästhetisches und Kunst einfach gleichgesetzt oder zumindest nicht kategorial unterschieden werden. Zu einem konsequenten Objektivismus gehört nach Ansicht der Protagonisten der Allgemeinen Kunstwissenschaft nämlich eben maßgeblich die Feststellung, dass das Kunstwerk eine Gegenständlichkeit eigener Art und nicht mit dem ästhetischen Gegenstand identisch ist. Daher ist dann auch das Ästhetische in der Kunst etwas chem sie entstehen, nichts zu tun. Die inneren Beziehungen, in denen die Inhalte im psychischen Erlebnis entstehen können, Akt, Verhalten, struktureller Zusammenhang, sind ausschließend Gegenstand der Geisteswissenschaften.« 240 M. Dessoir: Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft, 2. Aufl., S. 19. 241 Vgl. M. Moog-Grünewald: »Ästhetik versus Metaphysik?«, S. 24. 242 Vgl. U. Franke: »Nach Hegel«, S. 88–90.
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anderes als außerhalb der Kunst – also in Natur und nichtkünstlerischer Kultur. Genau dies ignorieren aber ihrer Auffassung nach die Vertreter der empirischen Ästhetik. Schließlich ist Kunst, wie Dessoir festhält, »nicht Reinkultur des Schönen« und »entsteht durch keine Verdichtung des Ästhetischen«.243 So erklärt auch etwa Utitz noch einmal ausdrücklich in kritischer Auseinandersetzung mit der empirischen Ästhetik: Mathematik finde ich nur innerhalb der Mathematik. Aber Schönes finde ich auch in der »Natur«. Und man mußte den Beweis führen, das Schöne der Kunst sei schöner als das Naturschöne. Der Beweis kann ebensowenig geliefert werden, wie der, ob wissenschaftliche Psychologie wertvoller sei als menschenkundliche Lebensklugheit. Man kann nur zeigen, daß dies etwas ganz anderes ist. Dann aber beginnt man mit einer eigentlichen Theorie der Wissenschaft bzw. der Kunst. Das war also die Problematik – und sie ist es auch heute noch – an der die beginnende experimentelle Ästhetik eines G.Th. Fechner und seiner unmittelbaren Nachfolger einfach vorübersah. Und diese Problematik mußte sich noch verschärfen, als eine realistische Kunst praktisch immer mehr den Kategorien des »Schönen« wiedersprach, aber auch denen des »Geistes«.244
Die psychologische Ästhetik ist also als solche – wie auch jede andere Form der Ästhetik – nicht in der Lage, die Kunst angemessen zu bestimmen. Zudem hebt Utitz aus der Perspektive der Allgemeinen Kunstwissenschaft hervor, dass die empirische Ästhetik, wie sie betrieben wird, durch ihre fehlende Differenzierung zwischen »Schlicht-Ästhetische[m] und Künstlerische[m]« selbst die Aussagekraft ihrer Experimente beeinträchtigt. Denn es ist, so Utitz, eben durchaus nicht gleichgültig, ob ein bestimmter Gegenstand als ›schlicht-ästhetischer‹ oder als ›künstlerischer‹ Gegenstand betrachtet wird. Wird daher im Experiment »die Verschiedenheit der vorliegenden Betrachtungsweisen nicht berücksichtigt«, dann ist der Experimentator auch »außerstande […], die experimentellen Ergebnisse, die er selbst gewinnt, in entsprechender Weise auszudeuten und zu verwerten«.245 Überhaupt sei es unmöglich, das, was Kunst ist, in psychologischen Experimenten zu erfassen. Die Allgemeine Kunstwissenschaft ergreift daher, wie Munro notiert, »the possibility of another kind of aesthetics ›from below,‹ rising into general theory from concrete works of art and historical knowledge about them; not (as in Fechner’s approach) from statistics about preference in artificial, laboratory tests«.246 So teilt man zwar Fechners Skepsis gegenüber den Ansprüchen einer idealistischen Ästhetik ›von oben‹. Aber auch die ›Ästhetik von unten‹ in der Nachfolge Fechners ist ebenso unzureichend wie die Einfühlungsästhetik, weil hier nicht das
Dessoir: Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft, 1. Aufl., S. 229 / 2. Aufl., S. 171. Utitz: »Über Grundbegriffe der Kunstwissenschaft«, S. 12 f. 245 E. Utitz: Grundlegung der allgemeinen Kunstwissenschaft, Bd. 1, S. 57. 246 T. Munro: »Aesthetic as Science«, S. 181. 243 M. 244 E.
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Kunstwerk in der Objektivität seiner Eigenschaften und Kulturfunktionen, sondern nur seine »subjektive Resonanz« 247 im Rezipienten erforscht wird. Aus der Perspektive der Allgemeinen Kunstwissenschaft bietet aber ebenfalls der neukantianische Normativismus keine befriedigende Lösung: Indem hier »nicht das empirisch Gegebene, sondern das wesensmäßig Notwendige« das Ziel ist, »nicht Erfahrung, sondern a-priorische Voraussetzung der Erfahrung«, wird der Psychologismus zwar zu Recht mit aller Entschiedenheit zurückgewiesen, aber dafür triumphiert die abstrakte philosophische Deduktion über das Lebendig-Künstlerische. Der Normativismus stellt daher nichts anderes als »eine Zuwendung zur alten spekulativen Ästhetik in neuer Aufmachung« dar, und von der »Sterilität dieser Abkapselung öffnet sich keine Pforte in die Zukunft«.248 Überdies krankt die neukantianische normative Ästhetik paradoxerweise an demselben grundsätzlichen Problem wie die empirische Ästhetik ›von unten‹ und letztlich bereits auch die metaphysische Ästhetik: Die metaphysische Ästhetik hatte die Schönheit der Kunst als Zentrum der Ästhetik ausgezeichnet, weil in dieser ein Geistiges sinnlich erfahrbar werde. Die psychologische Ästhetik fokussiert demgegenüber das ästhetische Erlebnis, das die Kunstschönheit bietet, die neukantianische Ästhetik die apriorischen Voraussetzungen dieser ästhetischen Erfahrung. Diese Ansätze ignorieren damit nach Auffassung der Protagonisten der Allgemeinen Kunstwissenschaft aber eben allesamt die Kunst ihrem selbstständigen Rang nach, indem sie lediglich Gesetzmäßigkeiten thematisieren, wie sie auch an der Kunst auftreten. In allen Fällen wird die Kunst so, wenn auch auf unterschiedliche Weise, nicht als ein Phänomen sui generis anerkannt, sondern in einer übergreifenden Instanz aufgelöst: in einer hypostasierten Welt der Ideen, einem Kontinuum von psychischen Eindrücken bzw. einem System von Normen. Diese Problemlage einer als Wissenschaft von der Kunst verstandenen Ästhetik verschärfte sich noch, wie Utitz im Sinne der zeitgenössischen Entgrenzungsproblematik ergänzt, indem »eine realistische Kunst praktisch immer mehr den Kategorien des ›Schönen‹ widersprach, aber auch denen des ›Geistes‹«. Zum einen versuchte man, dieses Phänomen einer ›nicht-mehr-schönen Kunst‹ durch eine »elastische Ausdehnung des Ästhetischen« in den Griff zu bekommen, »die bisweilen so weit ging, daß sie selbst noch das Häßliche liebend umfaßte«. Ein derartig entgrenzter Begriff entbehrt aber, wie Utitz notiert, jedes Deutungspotenzials. Oder man begegnete ihm zum anderen durch »Abrückung vom Ästhetischen«. Als paradigmatisch für diese Option betrachtet Utitz die Position von Émile Zola, der als Zweck der Kunst »Wahrheitserforschung und Wahrheitserkenntnis« in Gestalt einer schonungslosen Analyse der zeitgenössischen sozialen Realität angibt: »Nicht ästhetischen Genuß will er, sondern Einsichten. Wir sollen lernen, von Mitleid gepackt, zur Hilfe begeistert werden!« Auf diesem Weg wird die Kunst
247 M. 248 E.
Dessoir: »Sinn und Aufgabe der allgemeinen Kunstwissenschaft«, S. 150. Utitz: »Allgemeine Kunstwissenschaft«, S. 438.
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aber, so Utitz, »angewandte Wissenschaft« und »hört im Grunde auf, Kunst zu sein«.249 Die Verfechter der Allgemeinen Kunstwissenschaft vertreten daher mit Aplomb die Überzeugung, dass die Rede von der Kunst auf einen neuen Boden gestellt werden muss. Gegen eine metaphysische Ästhetik, gegen eine »psychologisch-erklärende« »Ist-Ästhetik«, gegen eine »Regel-gebende« »Soll-Ästhetik« und schließlich auch gegen eine geisteswissenschaftliche bzw. soziologische Ästhetik, die allesamt dem »eingeborenen Anspruch der Kunst« nicht wirklich gerecht werden 250, wird so das Ideal einer unvoreingenommenen, am Phänomen selbst geschulten Bestimmung der Kunst gestellt, die auch in Sachen Kunst nach »klarer Einsicht« 251 strebt. In den zeitgenössischen Hauptrichtungen der Ästhetik ist diese aber eben nicht zu finden: Sie waren dabei, »zu kapitulieren, sich aufzulösen in Psychologie oder Soziologie. Da kam«, so Utitz, »die Hilfe durch Konrad Fiedler«.252 b) Konrad Fiedler als ›Vater‹ der Allgemeinen Kunstwissenschaft Zur Trennung von Ästhetik und Kunstwissenschaft bei Fiedler Es ist Konrad Fiedler, dem nach Utitz das »unvergängliche Verdienst« zukommt, »das Problem einer allgemeinen Kunstwissenschaft klar erkannt und damit die Notwendigkeit einer allgemeinen Kunstwissenschaft als Sonderdisziplin« gefordert zu haben.253 In der Tat ist es bereits Fiedlers erklärte Auffassung, dass sich die Kunst keineswegs auf die Bedeutung und die Ziele festlegen lässt, die die Ästhetik ihr zuschreibt. So hatte Fiedler an der »moderne[n] Ästhetik seit Baumgarten« in immer neuen Anläufen kritisiert, dass diese überhaupt nicht gefragt habe, »was der Künstler eigentlich tue, indem er Kunstwerke hervorbringe«. Stattdessen war sie der Frage nachgegangen, »wie es komme, daß wir eine gewisse Art des Gefallen[s] als Schönheit von anderen Arten des Gefallens unterscheiden«, und hatte diese Problematik dabei eben maßgeblich an der Kunst festgemacht. Dass aber »Schönheit Zweck der Kunst sei, war eine willkürliche unbewiesene Annahme, die jedes unbefangene Nachdenken über Wesen und Ursprung der Kunst unmöglich machte«.254 »Das πρῶτον ψεῦδος auf dem Gebiete der Ästhetik und Kunstbetrachtung liegt«, so Fiedler, »in der Zusammenstellung des Schönen und der Kunst; als Utitz: »Über Grundbegriffe der Kunstwissenschaft«, S. 13; vgl. ders.: Grundlegung der allgemeinen Kunstwissenschaft, Bd. 1, S. 12 f. 250 M. Dessoir: »Sinn und Aufgabe der allgemeinen Kunstwissenschaft«, S. 149 f. 251 M. Dessoir: Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft, 1. Aufl., S. 7 / 2. Aufl., S. 5. 252 E. Utitz: »Über Grundbegriffe der Kunstwissenschaft«, S. 13. 253 E. Utitz: Grundlegung der allgemeinen Kunstwissenschaft, Bd. 1, S. 3, vgl. S. 3–13; s. a. ders.: »Allgemeine Kunstwissenschaft«, bes. S. 440 f.; ders.: »Über Grundbegriffe der Kunstwissenschaft«, bes. S. 14–17. 254 K. Fiedler: »Aphorismen«, S. 16. 249 E.
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ob das Kunstbedürfnis des Menschen dazu da sei, um ihm eine Welt des Schönen zu erzeugen«.255 Die »Annahme, daß Ästhetik und Kunst ihrem vollen Wesen nach in einem innerlich notwendigen Verhältnis zueinander stehen«, sei daher »einer kritischen Untersuchung zu unterwerfen«.256 In einem Aphorismus heißt es noch strenger und präziser: »Kunstwerke dürfen nicht nach Grundsätzen der Ästhetik beurteilt werden.« 257 Denn die Ästhetik kann, wie Fiedler erklärt, immer »nur eines Teiles von dem vollen Gehalte der Kunstwerke habhaft werden«, indem »die Anwendung ästhetischer Prinzipien zu positiven Urteilen über Kunstwerke führt, die den Werken selbst gegenüber der Überzeugungskraft entbehren« 258 bzw. ihr Verständnis in die Irre leiten. So kann ein Kunstwerk durchaus »mißfallen und doch gut sein«.259 Daher hat Brigitte Scheer zu Recht notiert, dass Fiedler, lange »ehe sich die Vorstellung der ›nicht mehr schönen Künste‹ durchgesetzt hatte«, bereits »den Begriff des ›Schönen‹ aus dem Zentrum der Kunstphilosophie« herausrückt und sich damit »von der rein ästhetischen Kunstbetrachtung« distanziert.260 Schon für Fiedler ist es also eigentlich keine wirkliche Frage mehr, »ob es nicht der Ästhetik sowohl als auch der Kunstbetrachtung zum Vorteil gereichen würde, wenn beide in ihren Ausgangspunkten und in ihren Zielen sich die gegenseitige Selbständigkeit bewahren und nur, wo sie dies zu ihrem beiderseitigen Nutzen tun könnten, eine Verbindung suchten«.261 Denn das »Grundproblem der Ästhetik« ist einfach »ein anderes, als das Grundproblem der Kunstphilosophie«, und das »innerste Prinzip der Kunst« kann von der Ästhetik nicht erkannt werden.262 Und so erklärt Utitz Fiedler maßgeblich aufgrund seiner programmatischen Unterscheidung der Anliegen der Kunstwissenschaft von denen der Ästhetik – neben Dessoir selbst und auch dem Philosophen und Soziologen Hugo Spitzer – zum »Vater« der Allgemeinen Kunstwissenschaft.263 Die in der jüngeren Fiedler255
Ebd., S. 9. Fiedler: »Über die Beurteilung von Werken der bildenden Kunst«, S. 7. 257 K. Fiedler: »Aphorismen«, S. 13. 258 K. Fiedler: »Über die Beurteilung von Werken der bildenden Kunst«, S. 7. 259 K. Fiedler: »Aphorismen«, S. 13. 260 B. Scheer: »Conrad Fiedlers Kunsttheorie«, S. 134 f.; s. a. G. Boehm: »Einleitung«, bes. S. LXIX-LXXII. 261 K. Fiedler: »Über die Beurteilung von Werken der bildenden Kunst«, S. 7. 262 K. Fiedler: »Aphorismen«, S. 10 f. 263 E. Utitz: Grundlegung der allgemeinen Kunstwissenschaft, Bd. 1, S. 18. – Zur Rolle Spitzers, der zwischen 1906 und 1914 selbst noch Beiträge für Dessoirs Zeitschrift geliefert hat, als Vorläufer der Allgemeinen Kunstwissenschaft s. ebd. 14 f. So hatte Spitzer im Anschluss an die Polemik des Literatur- und Kunsthistorikers Hermann Hettner von 1845 Gegen die spekulative Ästhetik das »Zusammenwerfen von Ästhetik und Kunsttheorie« kritisiert und sich Hettners gegen Hegel gerichtete Generalthese zu eigen gemacht, dass Schönheit und Kunst sich nicht decken. (H. Spitzer: Hermann Hettners kunstphilosophische Anfänge und Literarästhetik; ders.: Untersuchungen zur Theorie und Geschichte der Ästhetik, S. 452; vgl. auch bes. ebd., S. 17–65 und S. 453–459. S. a. ders.: »Psychologie, Ästhetik und Kunstwissenschaft«.) Aber auch Carl Friedrich von Rumohr (vgl. C.F. von Rumohr: Italienische Forschungen) und Gottfried Semper (vgl. G. Semper: Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten) wären als Autoren zu nennen, die sich bereits in den 256 K.
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Forschung verbreitete Auffassung, Fiedlers Kunsttheorie sei zwar von Anfang an bei Künstlern intensiv rezipiert, in der Kunstwissenschaft aber – »[a]bgesehen von motivischen und sachlichen Nachklängen in Heinrich Wölfflins Kunstgeschichtlichen Grundbegriffen (1915), Georg Simmels Lebensanschauungen (1918) sowie in den nachgelassenen Manuskripten und Texten Ernst Cassirers« 264 – erst seit den 1970er Jahren, namentlich unter dem Eindruck der von Gottfried Boehm 1971 herausgegebenen Neuausgabe seiner Schriften, entdeckt worden, muss daher korrigiert werden: Bereits in der Allgemeinen Kunstwissenschaft, vor allem in der Fassung, die ihr Utitz im ersten Band seiner Grundlegung 1913 verleiht, wird die Bedeutung Fiedlers für ein dezidiert modernes Verständnis der Kunst nachdrücklich gewürdigt.265 Dabei profiliert er Fiedlers Gründungsfunktion ausdrücklich in Absetzung von der in dieser Zeit dominierenden empirischen Ästhetik: »Ich glaube, daß man […] sagen kann: mit Fiedler beginnt überhaupt eine neue Epoche der Kunstphilosophie, nicht etwa mit dem gleichzeitigen G.Th. Fechner, wie das häufig behauptet wird.« 266 Fiedlers Plädoyer für eine methodische Trennung von Kunstwissenschaft und Ästhetik liegt die Überzeugung zugrunde, dass die »Unterordnung« der Kunst unter »ästhetische Gesichtspunkte« die entscheidende Eigenschaft der Kunst verfehlt 267, indem sie die Kunst auf die Aufgabe reduziert, »eine ästhetische Lustempfindung zu erwecken« und »eine Welt ästhetischen Wohlgefallens« zu erschaffen, »die uns die natürliche Welt nicht biete« 268. Das heißt, Fiedler versteht die Ästhetik unter Bezugnahme auf Kants Kritik der Urteilskraft als Instanz der Analyse von Gefühlen und Geschmacksurteilen. »Alle die Lehren, die die Ästhetik der Kunst späten 1820er bzw. 1860er Jahren gegen den Versuch richten, die Kunst pauschal auf das in einem klassizistischen Schönheitsbegriff zentrierte Ästhetische festzulegen. 264 S. Majetschak: »Konrad Fiedler«, S. 319. 265 Vgl. aber als Beiträge in der Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft zu Fiedler auch bes. E. Landmann-Kalischer: »Über künstlerische Wahrheit«; L. Kühn: »Das Problem der ästhetischen Autonomie«; W. Waetzoldt: »Aus der Werkstatt eines Künstlers«; R.M. Meyer: »H. Konnerth: Die Kunsttheorie Konrad Fiedlers«; E. Everth: »Plastik und Rahmung«; ders.: »Richard Hamann: Ästhetik«; E. Utitz: »Außerästhetische Faktoren im Kunstgenuß«; ders.: »Konrad Fiedler: Schriften über Kunst«; ders.: »Vom Schaffen des Künstlers«; ders.: »Georg Simmel und die Philosophie der Kunst«; ders.: »Hans von Marées: Briefe«; ders.: »Das Problem einer allgemeinen Kunstwissenschaft«; M. Dessoir: »Konrad Fiedlers Schriften über Kunst«; A. Baeum ler: »Ernst Troß: Das Raumproblem in der bildenden Kunst«; E. von Ritoók: »Das Häßliche in der Kunst«; J. Volkelt: »Objektive Ästhetik«; O. Wulff: »Kritische Erörterungen zur Prinzipienlehre der Kunstwissenschaft« (in leicht abweichender Form ebenfalls erschienen u.d.T.: Grundlinien und kritische Erörterungen zur Prinzipienlehre der Bildenden Kunst); O. Loewi: »Über Wertung und Wirkung von Werken der bildenden Kunst«; O. Hoever: »Kunstcharaktere südabendländischer Völker«; H. Paret: »Konrad Fiedler«; K. Gassen: »Adolf von Hildebrands Briefwechsel mit Conrad Fiedler«; G.F. Hartlaub: »Hans von Marées und die Überlieferung«. 266 E. Utitz: »Über Grundbegriffe der Kunstwissenschaft«, S. 14. 267 E. Utitz: Grundlegung der allgemeinen Kunstwissenschaft, Bd. 1, S. 3. S. a. ders.: »Allgemeine Kunstwissenschaft«, S. 439. 268 K. Fiedler: »Aphorismen«, S. 14.
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geben zu können glaubt, und die sich auf Harmonie, Rhythmus, Symmetrie usw. beziehen«, betreffen aber »lediglich die dekorative Seite der Kunst« und verfehlen »das eigentliche Wesen derselben«.269 Dabei beantwortet Fiedler die Frage, worin näherhin das ›Grundproblem‹ bzw. das ›Wesen‹ der Kunst besteht, das in der Konzentration auf ihre ästhetischen Aspekte verfehlt werde, ausgesprochen klar und umreißt damit zugleich sein eigenes Forschungsfeld: Nach Fiedler wird in der Kunst – genauer: in der künstlerischen Form –, anders als im Ästhetischen, eine genuine Weise der Erkenntnis realisiert: »Der essentiell künstlerische Wert der Form besteht in der durch die Form vermittelten und zum Ausdruck gebrachten Erkenntnis.« 270 Aber nicht nur das Schöne, sondern auch das Gute spielt für Fiedler in der Kunst keine wesentliche Rolle: Das Gute und das Schöne reduzieren sich im Grunde auf das Nützliche und das Angenehme. Wahrheit und Erkenntnis stehen allein dem allen als einzig würdiger Beruf des Menschen gegenüber und wenn man der Kunst einen Platz unter den höchsten Bestrebungen einräumen will, so kann man ihnen als Ziel nur das Streben nach Wahrheit, die Förderung der Erkenntnis zuweisen.271
Erkenntnis ist nach Fiedlers Auffassung demnach nicht allein die Sache von Begriffen, wie dies in den Wissenschaften der Fall ist. Vielmehr findet Erkenntnis ebenso in der Kunst im Medium der menschlichen Sinnlichkeit – bei Fiedler: in der ›Anschauung‹ – statt, nämlich als ›sinnliche Erkenntnis‹.272 Es geht Fiedler also um die Entwicklung einer nicht nur subjekt- und affektrelational, sondern vielmehr erkenntnistheoretisch relevanten Kunstanalyse. Diese nimmt bei ihm ihren Ausgang nicht von Kants Kritik der Urteilskraft, sondern dessen Kritik der reinen Vernunft, die hier als Instanz einer leibsinnlichen Erkenntnis umgedeutet wird, wie zuvor bereits Baumgarten sie geltend gemacht hatte.273 So hält auch die Philosophin Edith Landmann-Kalischer gleich in der ersten Ausgabe der Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft fest, dass es erst Fiedler ist, der den »positiven und höchst fruchtbaren Kern der Baumgartenschen Lehre«, nach der »durch die Kunst Erkenntnisse vermittelt werden«, entwickelt hat: Fiedler wurde nicht müde zu wiederholen, daß der künstlerische Trieb ein Erkenntnistrieb, die künstlerische Tätigkeit eine Operation des Erkennens, das künstlerische Resultat ein Erkenntnisresultat sei. Aber, klarer als Baumgarten, sah er in der anschaulichen Erkenntnis des Künstlers eine Erkenntnis sui generis, eine selbständige und höchst bedeutsame Erkenntnis, die mit der begrifflichen in keinerlei Zusam269
Ebd., S. 17. Ebd., S. 23. 271 Ebd., S. 12 f. 272 Vgl. hierzu bes. G. Boehm: »Einleitung«. – Lambert Wiesing deutet dagegen Fiedler stärker als Wahrnehmungstheoretiker; vgl. z. B. ders.: »Konrad Fiedler«, bes. S. 183. 273 Vgl. bes. G. Boehm: »Einleitung«, S. LXIX-LXXII. 270
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menhange steht, deren Organ einzig die Anschauung, deren Eroberung einzig die Tat der Künstler ist.274
Die Grundlage für Fiedlers These vom spezifischen Erkenntnischarakter der Kunst bildet seine Radikalabrechnung mit der Auffassung des sogenannten Naiven Realismus, Wahrnehmungen seien, wie es bei Fiedler heißt, »gleichsam nur das geistige Spiegelbild eines sinnlich Vorhandenen«.275 Dem stellt er seine erkenntnistheoretische Hauptthese entgegen, dass »in jeder sinnlichen Anschauung schon eine geistige Tätigkeit enthalten« ist.276 Die Wahrnehmung liefert nämlich nicht, wie auch in den psychologischen Experimenten der Fechnerschen Tradition unterstellt, einzelne Daten, die lediglich das Material für die im Begriff zu leistende Synthese stellen. Vielmehr vertritt Fiedler die Auffassung, dass die Kontinuität der Erfahrung nicht erst in Begriffen, sondern bereits in der Anschauung als solcher besteht. Die menschliche Sinnlichkeit ist demnach ein spontanes Vermögen, das die wahrgenommenen Daten immer schon aktiv gestaltet.277 Diese Bestimmung der Anschauung als Leistung des Hervorbringens sichtbarer Formen ist nun von entscheidender Bedeutung für Fiedlers Bestimmung der Kunst. In unserer alltäglichen Erfahrung bleibt nämlich der produktive Charakter der Sinnlichkeit implizit – was nicht zuletzt die Unausrottbarkeit des Naiven Realismus erklärt 278: Wir hören in der Regel nicht, wie wir hören, sondern wir hören etwas; wir sehen nicht, wie wir sehen, sondern wir sehen etwas. Aus alltagspragmatischen Gründen kann das auch gar nicht anders sein. So sehen wir auch alltägliche Bilder immer mit dem begrifflich gesteuerten Interesse an, mit ihrer Hilfe etwas zu sehen – der Arzt den Knochenbruch auf der Röntgenaufnahme, der Maurer den Maueraufriss auf der Bauzeichnung, der Zeitungsleser ein Ereignis auf dem Pressephoto usw. Nur wenn die sinnliche Seite der Wirklichkeit sozusagen isoliert erscheint, indem sie eigens als »Sichtbarkeitsgebilde« 279 in den Blick genommen wird, nämlich im autonomen künstlerischen Bild, wird die sichtbare Form der Wirklichkeit als solche thematisch. – In einem Beitrag von 1920 Über Wertung und Wirkung von Werken der bildenden Kunst fasst der Pharmakologe und spätere Träger des Nobelpreises für Medizin Otto Loewi Fiedlers Bestimmung der Leistung des künstlerischen Bildes im Verhältnis zur alltäglichen Wahrnehmung in der Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft so zusammen: Was ist nun der Sinn der künstlerischen Darstellung? Wollen wir nicht von vornherein mit unbeweisbaren Hypothesen arbeiten, so können wir ihn mit Konrad Fiedler nur von der Seite der Entstehung der Kunstwerke 274 E.
Landmann-Kalischer: »Über künstlerische Wahrheit«, S. 458. Fiedler: »Über den Ursprung der künstlerischen Tätigkeit«, S. 130. 276 K. Fiedler: »Moderner Naturalismus und künstlerische Wahrheit«, S. 107. 277 Vgl. bes. L. Wiesing: »Konrad Fiedler«, S. 183 f. 278 Vgl. K. Fiedler: »Über den Ursprung der künstlerischen Tätigkeit«, S. 117. 279 Ebd., S. 192 u. ö. 275 K.
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fassen. Ihre Entstehung aber verdanken die Kunstwerke dem besonderen Bedürfnis und der besonderen Bef ähigung des Künstlers, das Erleben der Welt, der inneren und der äußeren, von der Seite der Anschaulichkeit der Sichtbarkeit zu erfassen, und zwar ausschließlich von dieser. Die Anschaulichkeit der Dinge ist nun nicht etwa etwas schlechtweg, mithin für jedermann Gegebenes, sie entsteht vielmehr erst durch eine besondere Tätigkeit, muß in jedem einzelnen Fall erst geschaffen werden. Das klingt so ohne weiteres unglaubhaft und seltsam; man sollte doch glauben, daß jeder, der Augen hat, auch ein anschauliches Bild der Dinge hat. Bei genauerem Zusehen werden wir aber gewahr, daß wir gewöhnlich außerordentlich wenig von der sichtbaren Erscheinung der Dinge uns zum Bewußtsein bringen. Das liegt zunächst an dem, daß wir in der Regel gar nicht zu dem Zweck schauen, zu dem der Künstler ausschließlich schaut, nämlich: um ein Bild von den Dingen zu gewinnen; das Sehen ist in der Regel gar nicht Selbstzweck, sondern dient ganz anderen, oft z. B. utilitarischen Zwecken. Es ist bekannt, daß wir selbst von Menschen, mit denen wir dauernd oder oft zusammen sind, nicht einmal die Augenfarbe wissen und sie erst darauf hin besonders betrachten müssen. […] Danach könnte man glauben, daß wir nur die Aufmerksamkeit auf die Erwerbung eines anschaulichen Bildes zu konzentrieren brauchten, um es zu gewinnen. Weit gefehlt: wir wüßten gar nicht, wie wir uns dabei anstellen sollten. Was die Sichtbarkeit eines Dinges ausmacht, sind zahllose Elemente, die wir ohne spezielle künstlerische Begabung nicht entdecken können, auch wenn wir wollten. Anders der Künstler: auf dem Wege der Intuition erfaßt er die Elemente, die in ihrer Verbindung die Dinge erst anschaulich machen; der Künstler erschafft also die Anschaulichkeit erst, und zwar ist das seine dauernde Tätigkeit; denn ihm ist ja die Welt nur Erscheinung, und ihr Wesen, das er sich geistig anzueignen bemüht, beruht ihm ausschließlich in der Erscheinung, in der sichtbaren Gestalt der Dinge. Hinter die Fähigkeit und Neigung zu anschaulicher Vorstellung treten alle anderen menschlichen Interessen an der Welt des Seins zurück.280
Die Kunst hat für Fiedler also die Funktion, Erkenntnis über die Formen und sinnlichen Strukturen zu vermitteln, in denen wir die Welt erfassen, indem sie – wie auch Dessoir Fiedler referiert – nicht mehr und nicht weniger tut, als »den unbestimmten Formen- und Farbeindrücken der Wirklichkeit zu einer geschlossenen und festen Existenz zu verhelfen«.281 Dabei geht es aber nicht etwa um die psychologische Frage, wie eine Sache von einem konkreten Individuum gesehen worden ist, sondern um die erkenntnistheoretische Frage, wie die Welt gesehen werden kann.282 Anders gesagt: Die Kunst hat für Fiedler die Aufgabe, die im Alltag implizit bleibende Erkenntnisrelevanz der Anschauung, ihren produktiven Charakter, durch die Isolation von reinen, autonomen Sichtbarkeitsgebilden 280 O.
Loewi: »Über Wertung und Wirkung von Werken der bildenden Kunst«, S. 240 f. Dessoir: Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft, 1. Aufl., S. 73 / 2. Aufl., S. 31. 282 Vgl. L. Wiesing: Die Sichtbarkeit des Bildes, S. 151 f. 281 M.
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explizit zu machen. Die Kunst übernimmt dabei eine »transzendentale Funktion«.283 So lässt sich für Fiedler das »Wesen der Kunst« im Grunde »auf eine sehr einfache Formel bringen: Erhebung aus dem unentwickelten, verdunkelten Zustand des anschaulichen Bewußtseins zu Bestimmtheit und Klarheit«.284 Erkenntnistheorie tritt an die Stelle der Psychologie. Und indem Fiedler das Sehen nicht als passiven Reflex, sondern als Aktivität begreift, die verbessert und kultiviert werden kann, wächst der Kunst zugleich eine konkrete praktische Aufgabe zu: Alltägliche Bilder bleiben verbalsprachlich gelenkt, also fremdbestimmt. Daher genügt es ihnen, nur die gängigen kulturell vorgeprägten Sehschemata, mit denen die physiologischen Eindrücke beim Sehen immer schon strukturiert werden, zu variieren. Dagegen macht der Künstler die Anschauung als solche zum Mittelpunkt seiner Arbeit und eröffnet dabei alternative, unkonventionelle Sehweisen, die die Wirklichkeit neu sehen lassen. Er übernimmt damit die Aufgabe, »den Vorgang der Wahrnehmung durch das Auge nach Seite des sichtbaren Ausdrucks einer selbständigen Entwickelung zuzuführen«.285 Auf diese Weise verharrt man im Verhältnis »zur Natur« nicht länger in einer bloßen »Anschauungsbeziehung«, sondern tritt in eine »Ausdrucksbeziehung« ein, indem man, wie der Künstler, »aktiv das, was sich seinen Augen darbietet, in seinen Besitz zu bringen sucht«.286 Im Gegensatz zu der traditionellen Bestimmung der Kunst als Nachahmung einer unabhängig von ihr vorliegenden Wirklichkeit ist sie daher bereits für Fiedler, mit Nelson Goodman gesprochen, eine ›Weise der Welterzeugung‹.287 Indem der Künstler so mit der reinen Sichtbarkeit seiner Bilder »eine Seite der Welt faßt, die nur durch seine Mittel zu fassen ist und zu einem Bewußtsein der Wirklichkeit gelangt, das durch kein Denken jemals erreicht werden kann«, tritt die Kunst in ein komplementäres Verhältnis zur Wissenschaft 288: Auch die Kunst ist eine eigene, »der Erkenntnis dienende Sprache« 289, die auf eine der Wortsprache vergleichbare Weise strukturiert ist, ohne dass sie aber mit den Mitteln der Wortsprache zureichend gedeutet und verstanden werden könnte 290. Und der »wahre Inhalt der künstlerischen Sprache« ist kein anderer, »als der der wissenschaftlichen Sprache, d. h. das Wesen der Dinge«.291 Als eine solche Erkenntnisinstanz sui generis steht die Kunst – so Fiedlers radikaler Anspruch – (mindestens) auf Augenhöhe mit den diskursiv argumentierenden Wissenschaften. Insofern nämlich »ein geistiges Resultat und sein sinnlich wahrnehmbarer Ausdruck nicht zweierlei sein 283 Ebd.,
S. 153; ders.: »Konrad Fiedler«, S. 191. Fiedler: »Aphorismen«, S. 48. 285 K. Fiedler: »Über den Ursprung der künstlerischen Tätigkeit«, S. 173. 286 Ebd., S. 172 f. 287 Vgl. L. Wiesing: Die Sichtbarkeit des Bildes, S. 153; ders.: »Konrad Fiedler«, S. 191. 288 K. Fiedler: »Über den Ursprung der künstlerischen Tätigkeit«, S. 180. 289 K. Fiedler: »Aphorismen«, S. 28. 290 Vgl. bes. K. Fiedler: »Wirklichkeit und Kunst«, S. 179 f. 291 K. Fiedler: »Aphorismen«, S. 50. 284 K.
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können«, gilt für Fiedler, dass »geistige Resultate überhaupt nur in sinnlichen Gebilden sich zu bestimmter Form zu entwickeln vermögen«.292 Das Erkenntnismedium ›Kunst‹ ist daher kein untergeordnetes und entbehrliches, sondern ein höchstes und dem menschlichen Geiste, wenn er sich nicht selbst verstümmeln will, vollkommen unersetzliches. Was die Kunst schafft, ist nicht eine zweite Welt neben einer anderen, die ohne sie existiert, sie bringt vielmehr überhaupt erst die Welt durch und für das künstlerische Bewußtsein hervor.293
In dieser Auffassung hat auch Fiedlers strikte Trennung von Kunstwissenschaft und Ästhetik ihren genaueren sachlichen Grund: Indem nämlich die »Aufgabe« der Kunst die sinnliche »Erkenntnis der Dinge« ist, kann die Kunst »als solche mit dem Geschmacksurteil nichts zu tun« haben, denn erkenntnistheoretische Anliegen spielen im Ästhetischen keinerlei Rolle. Schließlich hatte bereits Kant in seiner Kritik der Urteilskraft richtig gezeigt, dass das ästhetische Urteil »kein Erkenntnisurteil« ist, und deutlich gemacht, »wie sich das Subjekt von einer Vorstellung affiziert fühlt«.294 Kunstwissenschaft und Ästhetik verdanken daher »ihr Dasein einem ganz anderen geistigen Bedürfnis«.295 Und so fällt der Kunstwissenschaft die Aufgabe zu, diese genuine Erkenntnisqualität der Kunst, die unter ästhetischen Gesichtspunkten nicht in den Blick gerät, herauszuarbeiten. Als Prinzip des künstlerischen Schaffens und damit der Kunst erkennt Fiedler also weder das Schöne noch die Nachahmung, schon gar nicht das Gefühl, das er lediglich als Störfaktor im künstlerischen Verhalten ansieht, sondern allein das epistemologische Prinzip der ›reinen Anschauung‹ bzw. ›reinen Sichtbarkeit‹.296 Dieses Prinzip bildet daher auch den Maßstab für die Bewertung der Qualität eines Kunstwerks: Wenn man in einem logischen Urteil aussprechen will, ob ein Gegenstand ein Kunstwerk sei oder nicht, ob es einen höheren oder geringeren Kunstwert habe, so soll man nicht prüfen, welche Urteile der Geschmack über das Kunstwerk gef ällt habe, sondern ob und in welchem Grade der Verstand über das anschauliche Wesen der Welt durch das Kunstwerk aufgeklärt werde.297
So resümiert Utitz Fiedlers Position folgendermaßen: Erkenntnis soll die Kunst geben, aber nicht wissenschaftlich-begriffliche, sondern Formung und Gestaltung dienen allein dem Zweck, klare Anschauungen zu erzeu292 K.
Fiedler: »Über den Ursprung der künstlerischen Tätigkeit«, S. 118. Utitz: »Über Grundbegriffe der Kunstwissenschaft«, S. 15; vgl. ders.: Grundlegung der allgemeinen Kunstwissenschaft, Bd. 1, S. 4 f. 294 K. Fiedler: »Zur neueren Kunsttheorie. Kant«, S. 262. 295 K. Fiedler: »Über die Beurteilung von Werken der bildenden Kunst«, S. 7. – Vgl. bes. E. Utitz: »Über Grundbegriffe der Kunstwissenschaft«, S. 16. 296 Vgl. C.G. Allesch: Geschichte der psychologischen Ästhetik, S. 344. 297 K. Fiedler: »Zur neueren Kunsttheorie. Kant«, S. 266. 293 E.
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gen. Diese sind nicht etwa vor der Kunst da und werden bloß von ihr übernommen, nein, durch sie erst geschaffen. Was die Wirklichkeit darbietet, ist lediglich ein Chaos sinnlicher Eindrücke; sie zum Kosmos klarer Anschauungen zu lichten wird ewige Aufgabe der Kunst. Keine andere kommt ihr zu. Wir haben von allem abzusehen, was die Kunst an Schönheit, geistigem Gehalt, Beglückung usw. offenbart. Mit rigoroser Strenge zieht Fiedler den Trennungsstrich. Über den künstlerischen Charakter entscheidet allein die rein anschauliche Erkenntnis. […] So ist die Kunst genau so gut Forschung wie die Wissenschaft, und die Wissenschaft ist so gut Gestaltung wie die Kunst; nur die Gestaltungsreiche beider sind verschieden. Beide stellen Mittel dar, durch die der Mensch allererst die Wirklichkeit gewinnt: die des Begriffes in der Wissenschaft und die der Anschauung in der Kunst. In ihr verwirklicht sich die Sichtbarkeit der Dinge in Gestalt reiner Formgebilde.298
Wenn Dessoir den Objektivismus in Bezug auf die Kunst – in Absetzung von den der Sache bloß äußerlichen Anliegen des Subjektivismus – als »den Inbegriff aller Theorien« definiert, »die das Eigentümliche des Untersuchungsgebietes hauptsächlich in der Beschaffenheit des Gegenstandes, nicht im Verhalten des genießenden Subjekts finden« 299, dann kann in der Tat Fiedler als der Protagonist dieser Position schlechthin gelten. Von Interesse ist für Fiedler am Kunstwerk nämlich eben gerade nicht seine subjektive Wirkung, sondern vielmehr seine objektive Gegebenheit, die anschaubar macht, wie Wirklichkeit sinnlich konstituiert wird, und damit klarstellt, »daß, da die Wirklichkeit ein geistiges Erzeugnis der Menschen ist, das diskursive Denken keineswegs das alleinige Privilegium für sich in Anspruch nehmen kann, etwas hervorzubringen, was wir Wirklichkeit, Wahrheit zu nennen berechtigt sind«.300 Kunstwissenschaft als Kulturwissenschaft und die Kritik an Fiedler Die Anhänger der Allgemeinen Kunstwissenschaft teilen Fiedlers Auffassung von der Kunst als einer spezifischen Form der Erkenntnis, seinen Bruch mit der Abbildtheorie und seine Kritik an der Reduktion der Kunst auf das Ästhetische, mit aller Entschiedenheit. Dementsprechend hält Utitz im Sinne des Grundanliegens der Allgemeinen Kunstwissenschaft fest, Fiedler habe mit seiner Unterscheidung zwischen den ›Anschauungen‹ der Kunstwerke und dem Natur-Anschaulichen »die Umrisse einer Kunsttheorie entworfen, die sich grundsätzlich mit dem Ästhetischen nicht deckt«. Auch Fiedlers radikale Hinwendung zum Kunstphänomen, d. h. vor allem seine programmatische Abwendung von der Frage nach der subjektiven 298 E. Utitz: »Über Grundbegriffe der Kunstwissenschaft«, S. 14 f. S. a. ders.: Grundlegung der allgemeinen Kunstwissenschaft, Bd. 1, S. 5; ders.: »Allgemeine Kunstwissenschaft«, S. 440. – Vgl. hierzu auch L. Wiesing: Die Sichtbarkeit des Bildes, bes. S. 151–160. 299 M. Dessoir: Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft, 1. Aufl., S. 60 / 2. Aufl., S. 19. 300 K. Fiedler: »Wirklichkeit und Kunst«, S. 172.
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›Wirkung‹ zur ›Objektivität‹ der Kunst, wird hier begrüßt. Denn auf dieser Grundlage wird, wie Utitz notiert, »eine Kunstwissenschaft als strenge, exakte Formwissenschaft«, die ihre Begriffe weder der Psychologie noch der »allgemeinen Geschichte« entlehnen muss, erst möglich. Bei Fiedler findet man auch eine Antwort auf die Frage, was das Kunstphänomen als Phänomen sui generis charakterisiert. So greift man Fiedlers Ergebnis auf, dass das gesuchte ›Wesen‹ der Kunst die Klärung der Sichtbarkeit des Seins in der ›Anschauung‹ ist. Entsprechend resümiert Utitz Fiedlers Leistung: »Die Richtung zum Objekt hat gesiegt; Kunstwissenschaft wird Wissenschaft von Objekten und mit objektiven Methoden.« 301 Hinzu kommt Utitz’ Beobachtung, dass die Kunstgeschichte als Einzelwissenschaft von der Kunst mit der Kunstlehre Fiedlers – anders als mit den Begriffen der psychologischen Ästhetik – etwas anzufangen weiß, also mit ihnen arbeiten kann. – Ein entscheidender Faktor, da es doch im Sinne der Allgemeinen Kunstwissenschaft um einen engen und förderlichen Austausch mit den kunstrelevanten Wissenschaften gehen muss: Es sollte […] zu denken geben, daß selbst Leistungen wie die von G.Th. Fechner oder Theodor Lipps im Grunde rein philosophische bzw. psychologische Angelegenheiten blieben und nur sehr geringe Spuren im kunstgeschichtlichen Betrieb – im weitesten Sinne des Wortes – hinterließen. Während etwa die Schriften zur Kunst von Konrad Fiedler immer stärker sich durchsetzen, weil sie eben – wie man auch kritisch zu ihnen stehen mag – an der Kunst orientiert sind.302
Damit ist Fiedler nicht weniger als der Begründer der Allgemeinen Kunstwissenschaft – aber auch nicht mehr. Denn diese kunstwissenschaftliche Initiative nimmt in gewissem Sinn geradezu eine Gegenposition zu Fiedler ein. Zum einen beschränken sich Fiedlers Forschungen auf die bildende Kunst. Genereller Aussagen über die Kunst oder alle Künste enthält er sich ausdrücklich, weil er davon überzeugt ist, dass es einen allgemeinen Begriff der Kunst nicht geben kann. Eine solche Generalisierung verbietet sich für Fiedler, insofern jede Kunst eine spezifische Seite der menschlichen Sinnlichkeit thematisiert und so etwa »das, was man sieht, jedenfalls durch die Tätigkeit keines anderen Sinnes wahrnehmen kann, als durch die des Gesichtssinnes«.303 Es gibt daher »nicht eine Kunst im allgemeinen, sondern nur Künste«.304 Demgegenüber verfolgen die Protagonisten der Allgemeinen Kunstwissenschaft ausdrücklich das Ziel, nicht nur die bildende Kunst, sondern die Kunst überhaupt als Phänomen sui generis zu thematisie301 E.
Utitz: »Über Grundbegriffe der Kunstwissenschaft«, S. 17. S. 8. S. a. »Nicht das Erlebnis interessiert in erster Linie die Kunstwissenschaft, sondern das Kunstwerk. Das Erlebnis ist nur ein Weg, das Kunstwerk zu erfassen. Der Subjektivität des Bewußtseins wird die Objektivität künstlerischer Gegenständlichkeit gegenübergestellt.« (Ders.: »Allgemeine Kunstwissenschaft«, S. 437.) 303 K. Fiedler: »Über den Ursprung der künstlerischen Tätigkeit«, S. 147. 304 Ebd., S. 112. – Vgl. W. Henckmann: »Probleme der allgemeinen Kunstwissenschaft«, S. 285. 302 Ebd.,
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ren.305 Entsprechend setzt man sich hier auch mit der Frage auseinander, inwiefern die von Fiedler ins Spiel gebrachte Kategorie der ›Anschauung‹ die »Gesamtheit der Kunst« zu erfassen vermag und als Leitbegriff für die »ganze allgemeine Kunstwissenschaft« taugt.306 Zum anderen und vor allem ist es für Fiedler in der Kunst völlig nebensächlich, was dargestellt sein mag und welche Funktionen die Kunst außer der der Vermittlung von sinnlicher Erkenntnis durch ihre Gestaltung als solche noch übernehmen mag.307 Denn in Fiedlers radikal-formalistischer Überzeugung kann die künstlerische Tätigkeit als »nichts anderes verstanden werden, als die in dem menschlichen Bewußtsein und für dasselbe sich vollziehende Hervorbringung der Welt ausschließlich in Rücksicht auf die sichtbare Erscheinung« 308 , und »der Inhalt des Kunstwerks ist nichts anderes, als die Gestaltung selbst« 309. So zeichnen sich Kunstbilder ausschließlich dadurch aus, dass sie – recht verstanden – die Aufmerksamkeit auf sich selbst als ›Sichtbarkeitsgebilde‹ lenken. Kunst ist damit Interesselosigkeit par excellence, bzw. genauer: Hier findet eine radikale Ausblendung aller übrigen Interessen zugunsten des einen Interesses an der Erkenntnis der Konstitution von Sichtbarkeit statt. Und dass – wie man Kant variierend sagen könnte – auch das interesselose Interesse an der Empfindung der Schönheit »aufgegeben werden« muss, »wenn man zu dem eigentlichen Reiche der Kunst gelangen will«, erhellt bereits aus Fiedlers Trennung der Kunstwissenschaft von der Ästhetik.310 Kunsttheorie ist bei Fiedler ausschließlich Theorie der – anschauenden – Erkenntnis. Utitz gibt Fiedlers Position daher so wieder: Handelt es sich um Kunst im höchsten Sinne, so kann an ihrem Dasein keiner von den Bestandteilen des geistigen, sittlichen, ästhetischen Lebens, an die man den Fortschritt, die Veredelung, die Vervollkommnung der menschlichen Natur gebunden erachtet, irgendein Interesse haben. Erst wenn wir zu dieser Unbefangenheit der Kunst gegenüber gelangt sind, können wir ihr etwas verdanken, was freilich etwas ganz anderes ist, als die Förderung unserer wissenden, wollenden, ästhetisch empfindenden Natur: nämlich die Klarheit des Wirklichkeitsbewußtseins, in der nichts anderes mehr lebt als die an keine Zeit gebundene, keinem Zusammenhange des Geschehens unterworfene Gewißheit des anschaulichen, sichtbaren Seins. Jede echte Kunstübung wird, welchem Inhalt sie auch zugute kommen mag, immer nur dieses ihr eigene Ziel verfolgen.311
305 Vgl.
ebd., S. 293. Utitz: Grundlegung der allgemeinen Kunstwissenschaft, Bd. 1, S. 9; vgl. z. B. auch M. Dessoir: Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft, 1. Aufl., S. 73 / 2. Aufl., S. 31. 307 E. Utitz: Grundlegung der allgemeinen Kunstwissenschaft, Bd. 2, S. 318. 308 K. Fiedler: »Über die Beurteilung von Werken der bildenden Kunst«, S. 34. 309 Ebd., S. 37. 310 K. Fiedler: »Aphorismen«, S. 65. 311 E. Utitz: Grundlegung der allgemeinen Kunstwissenschaft, Bd. 1, S. 6; vgl. u. a. ders.: »Allgemeine Kunstwissenschaft«, S. 440; ders.: »Über Grundbegriffe der Kunstwissenschaft«, S. 15 f. 306 E.
Grundzüge und Kontext der Allgemeinen Kunstwissenschaft 93
Die Kunst ist, wie Utitz erklärt, in der Tat ein ›autonomes‹ 312 Phänomen und eine genuine Weise der Erkenntnis; sie ist immer »Darstellung« bzw. »Gestaltung« oder »Formung« 313. Das heißt, um sie als Kunst wahrzunehmen, bedarf es »ihrer Wahrnehmung als eines gestalteten Objekts: als einer Komposition«.314 In diesem Sinne vertritt er auch etwa noch auf dem Pariser Kongress für Ästhetik und Kunstwissenschaft von 1937 ein formalistisches Kunstverständnis im Fiedlerschen Geiste: Die Kunst empf ängt ihre Autonomie nicht durch die fragwürdige Berufung auf das Schöne, bezw[.] Aesthetische, sondern dank einer besonderen Art der Gestaltung, die ich als eine Gestaltung auf Ausdruckswerte hin bezeichne. Alle Probleme der Kunst sind daher Probleme der Formung, der Gestaltung.315
Aus der Perspektive der Allgemeinen Kunstwissenschaft deckt Utitz allerdings an Fiedlers radikalem Formalismus zugleich »einige Mängel« auf, mit denen dieser sich die »Reinheit seines Standpunktes«, d. h. seine strikt erkenntnistheoretische Deutung der Kunst, erkaufen musste. »Fragt man nämlich, was von dem Kunstwerk bei Fiedler letzthin übrig bleibt, ist es allein das Problem der Gestaltung zur klaren Sichtbarkeit. Alles andere scheidet aus dem eigentlich Künstlerischen aus; darunter alles ›Geistige‹.« 316 Fiedler hatte mit seiner Lösung der Kunst aus ihrer Fixierung auf das Ästhetische dem Umstand Rechnung getragen, dass die von Kant dem ästhetischen Urteil richtig zugesprochene Einstellung der ›Interesselosigkeit‹ in Bezug auf die Kunst nur in sehr eingeschränkter Weise zutrifft. Der Mensch hat nämlich, so Fiedler, an der Kunst durchaus ein Interesse: das Interesse, sich der Funktionsweise seiner Sinnlichkeit bzw. deren Bedeutung für die Konstitution der Wirklichkeit zu vergewissern. Auch nach Ansicht der Vertreter der Allgemeinen Kunstwissenschaft überwiegt bezüglich der Kunst in aller Regel die »intensive Interessiertheit«, die sich »bewußt oder unbewußt« einstellen kann.317 Ihre Zurückweisung der Interesselosigkeit in Sachen Kunst ist aber, anders als bei Fiedler, nicht nur erkenntnistheoretisch motiviert, sondern sie übt ausdrücklich Kritik an seinem Formalismus. Diese Kritik hat dabei einen doppelten Fokus. Einerseits betrifft sie Fiedlers Ausblendung aller emotionalen Inhalte der Kunst. Fiedler betrachtet die Kunst als eine »Sonderart der Wissenschaft […], durch die der Mensch ein ganz bestimmtes Maß von Einsichten erobert«.318 Dabei nähert er sich aber paradoxerweise, wie Utitz erklärt, dem von Fiedler selbst so vehement bekämpften Naturalismus an. So hatte Zola in seiner theoretischen Abhandlung Der
312 Vgl.
z. B. ebd., S. 7. Ebd., S. 16 f. 314 R. Schmücker: »Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft«, S. 56. 315 E. Utitz: »Das Schöne und die Kunst«, S. 114. 316 E. Utitz: »Über Grundbegriffe der Kunstwissenschaft«, S. 17. 317 E. Utitz: Grundlegung der allgemeinen Kunstwissenschaft, Bd. 2, S. 104. 318 Ebd., Bd. 1, S. 13, s. a. S. 182–184. 313
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Experimentalroman319 Kunst als ›wissenschaftliche Psychologie‹ definiert, die nicht ›ästhetischen Genuss‹, sondern ›Einsichten‹ in die ›Naturlogik‹ der gesellschaftlichen Realität liefern soll. Fiedler geht es zwar nicht um die Verarbeitung der gesellschaftlichen Realität in der Kunst, sondern um die Vergegenwärtigung der Sichtbarkeit der Welt. Bei Zola wie bei Fiedler ist die Kunst aber eben, so Utitz weiter, wesentlich »Wahrheitserforschung und Wahrheitserkenntnis«.320 Alles Emotionale wird dabei konsequent zugunsten des Sinnlich-Rationalen ausgeblendet. Kunst mutiert so zur Soziologie bzw. zur Erkenntnistheorie. Nach Auffassung der Protagonisten der Allgemeinen Kunstwissenschaft ist die Kunst aber durchaus nicht, wie Fiedler es im Sinne der »Sauberkeit und Geschlossenheit der wissenschaftlichen Methode« 321 annimmt, wesentlich ein reines, ausschließlich auf anschauende Erkenntnis zielendes Formereignis. Damit bleibt bei Fiedler, wie vor allem Utitz betont, ein entscheidender Aspekt der Kunst außer Acht, nämlich »die Tendenz auf das Gefühl hin« 322: Was »an sinnlichem Reiz, an Stimmung, Gefühlsgehalt, Spannung und Beruhigung usw. in einem Kunstwerke liegt«, darf aber nicht von ihm abgetrennt werden, wenn der »Sinn« der Gestaltung nicht »verdunkelt« werden soll.323 So ist das Ästhetische im Kunstwerk zwar in der Tat nicht notwendig das zentrale oder gar das einzige relevante Moment, und es ist das Verdienst Fiedlers, dementsprechend die Lösung der Kunst aus einer monopolisierten ästhetischen Reflexion gefordert und vollzogen zu haben. Nichtsdestoweniger spielt das Ästhetische im Kunstwerk eine bedeutende Rolle, und ohne Ästhetisches ist Kunst überhaupt nicht zu denken. In diesem Sinne notiert auch Dessoir, dass Fiedlers strikte Zurückweisung der Ästhetik und des Ästhetischen in Sachen ›Kunst‹ zwar aus dem richtigen Impuls gegen einen Subjektivismus resultiert. Er verkenne aber zugleich die Objektivität der Kunst und des Kunstwerks, zu der eben auch das Ästhetische gehört: Konrad Fiedlers berühmte Absage an die Ästhetik gründete sich auf die Voraussetzung, daß das Ästhetische ganz in Lust- und Unlustgefühlen bestehe, also in subjektiven Zuständen, die eine gegenständliche Kunstgesetzlichkeit nicht zu erklären É. Zola: Le roman expérimental / Der Experimentalroman. Utitz: »Über Grundbegriffe der Kunstwissenschaft«, S. 13; vgl. ders.: Grundlegung der allgemeinen Kunstwissenschaft, Bd. 1, S. 12 f. – S. o. S. 81 f. 321 E. Utitz: »Über Grundbegriffe der Kunstwissenschaft«, S. 18. 322 E. Utitz: Grundlegung der allgemeinen Kunstwissenschaft, Bd. 1, S. 13. 323 »Will man mit Fiedler alles, was an sinnlichem Reichtum, an Stimmung, Gefühlsgehalt, Spannung und Beruhigung usw. in einem Kunstwerke liegt, radikal abtrennen, als unwesentlich, als nicht eigentlich zur Sache gehörig, so wird oft die Gestaltung völlig unbegreiflich, ihr Sinn verdunkelt; unergründlich, warum das Kunstwerk sich mit so unnötigen und störenden Beigaben belädt. Wird denn nicht häufig gerade der kunsterzeugte Zusammenhang des Sichtbaren in dieser bestimmten Gegebenheitsweise lediglich im Hinblick auf jene Gefühlsbedeutung usw. verständlich? Ein kaltes, frostiges Gerüst, nicht das Kunstwerk in seiner Reinheit bliebe, falls wir jenes Abzugsverfahren anwenden.« (E. Utitz: »Allgemeine Kunstwissenschaft«, S. 441; vgl. ders.: Die Gegenständlichkeit des Kunstwerks, S. 49.) – S. a. B. Scheer: »Conrad Fiedlers Kunsttheorie«, S. 143. 319
320 E.
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vermöchten und minderwertig seien im Vergleich zu dem Streben nach Wahrheit. […] Weil es ein rein persönliches Gefallenfinden an wertbehafteten wie an wertfreien Dingen gibt, deshalb darf man nicht das Gefühl überhaupt verbannen, die Sinnes-, Form- und Inhaltsgefühle beiseite lassen und eine (allerdings eigentümlich geartete) theoretische Erkenntnis als die künstlerisch vollgültige behaupten. Was wir ästhetisch genießen, ist ein wirklicher Wert der Gegenstände. Mag auch das Wohlgefallen das erste sein – der Grund, der diese Tätigkeit anregt, liegt doch in dem Gegenstand selbst.324
Andererseits richtet sich die Kritik gegen Fiedlers einseitige Fixierung auf die Erkenntnisfunktion der Kunst. Die Kunst übernimmt nämlich in der Perspektive der Allgemeinen Kunstwissenschaft in einer Kultur zugleich zahlreiche weitere Funktionen. Utitz nennt hier vor allem die erotische bzw. sexuelle, intellektuelle, ethische und religiöse Funktion von Kunst 325, wobei er selbst in diesem Zusammenhang nicht ausdrücklich von ›Funktionen‹, sondern vielmehr von ›Faktoren‹ spricht 326 . Dessoir führt dagegen explizit die geistige, gesellschaftliche und die sittliche ›Funktion‹ der Kunst an.327 Die Kunst ist daher maßgeblich Kulturphänomen oder, wie es bei Utitz immer wieder heißt, ein »überaus kompliziertes Kulturprodukt«: Nur wenn wir das Kunstwerk als ein überaus kompliziertes Kulturprodukt auffassen, bedingt durch das Zusammentreffen verschiedenster Umstände, die in ihrem Wertertrag abgewogen werden müssen, und deren Notwendigkeit, Konstanz oder Variabilität genau zu bestimmen ist, nähern wir uns der Fülle und dem Reichtum der wahrhaft vorliegenden Verhältnisse. Erst dann können wir das Material nach allen Seiten hin durchleuchten und bewältigen, und erst dann erstrahlt uns seine echte Gesetzlichkeit.328
Und auch das »Inhaltliche« darf nicht einfach, wie bei Fiedler, in »die anschauliche Gesetzlichkeit seiner Sichtbarkeit« aufgelöst werden. Denn wenn die Kunst »von jeher um große geistige Inhalte gerungen hat, so zweifellos, um sie ›darzustellen‹, Dessoir: Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft, 2. Aufl., S. 136 f. – Vgl. hierzu auch bes. U. Franke: »Nach Hegel«, S. 84 f.; R. Schmücker: »Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft«, S. 57. 325 Vgl. bes. E. Utitz: Die Funktionsfreuden im ästhetischen Verhalten; ders.: »Außerästhetische Faktoren im Kunstgenuß«; ders.: Grundlegung der allgemeinen Kunstwissenschaft, Bd. 1, S. 10; s. a. z. B. ders.: »Ästhetik und Philosophie der Kunst«. In: Jahrbücher der Philosophie, S. 308. 326 Der Grund hierfür dürfte sein, dass der Begriff der ›Funktion‹ bereits durch seinen im ästhetischen Kontext entwickelten Begriff der ›Funktionsfreuden‹ bzw. der ›Funktionsgefühle‹, mit denen er die Modalitäten des ästhetischen Erlebnisses bezeichnet, belegt ist. (Vgl. bes. E. Utitz: »Funktionsfreuden im ästhetischen Verhalten«; ders.: Die Funktionsfreuden im ästhetischen Verhalten.) 327 Vgl. bes. M. Dessoir: Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft, 1. Aufl., S. 423–465 / 2. Aufl., S. 390–431 (Kap. »Die Funktion der Kunst«). – S. u. S. 110–113. 328 E. Utitz: Grundlegung der allgemeinen Kunstwissenschaft, Bd. 1, S. 10. 324 M.
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aber nicht um sie in der Darstellung zu vernichten; sondern um sich durch die Gegebenheitsweise dieser Darstellung erst ihres Ausdruckes zu versichern«.329 So erklärt auch Dessoir: Jedes wahrhafte Kunstwerk ist nach Motiven und Wirkungen außerordentlich zusammengesetzt, es entspringt nicht bloß aus ästhetischer Spielseligkeit und dringt nicht nur auf ästhetische Lust, geschweige denn auf reinen Schönheitsertrag. Die Bedürfnisse und Kräfte, in denen die Kunst ihr Dasein hat, sind keineswegs mit dem ruhigen Wohlgefallen erschöpft, das nach der Überlieferung den ästhetischen Eindruck sowie den ästhetischen Gegenstand kennzeichnet. In Wahrheit haben die Künste im geistigen und gesellschaftlichen Leben eine Funktion, durch die sie mit unserem gesamten Wissen und Wollen verbunden sind.330
Die Kunst kann daher nicht nur im reinen Rekurs auf ihre ästhetischen Aspekte, sondern auch ohne Berücksichtigung ihrer Inhalte und ihrer kulturellen Einbindung, d. h. ihres funktionalen Kontextes, nur unzulänglich erfasst werden. Genauer gesagt: Selbst die ästhetischen Aspekte eines Kunstwerks sind jeweils durch und durch gefärbt durch seine außerästhetischen Funktionen: Man raube dem ästhetischen Genuß [eines Kunstwerks] jene Tönungen und Färbungen, welche die außerästhetischen Faktoren bedingen, und man entblättert ihn; sein zartester Duft verschwindet. Und die Werke verlieren irgendwie ihre Sonderart. Die Fragen der allgemeinen Kunstwissenschaft scheiden also hier keineswegs aus, und die Ästhetik allein genügt auch da nicht, außer man will sie mit fremden Momenten durchsetzen. Das Wesen der Kunst f ällt eben nicht mit dem Wesen des Ästhetischen zusammen, und die Gesetzlichkeit der Kunst nicht mit der Gesetzlichkeit des Ästhetischen.331
Dabei machen diese vielf ältigen kulturellen Funktionen zugleich die historische Relevanz der Kunst aus, die sich nicht nur in Bezug auf die außerkünstlerische geschichtliche Wirklichkeit, sondern auch auf die immanente geschichtliche Entwicklung der Kunst zeigt. Mit seinem dezidiert antiästhetischen und antisemantischen Kunstverständnis, das auch historische Fragen konsequent ausblendet, wird Fiedler somit nach Auffassung der Allgemeinen Kunstwissenschaft – wie es bei Utitz immer wieder heißt – der »Gesamttatsache der Kunst« 332 nicht gerecht: All die ästhetischen Werte, welche die Kunst offenbart, scheiden hier [bei Fiedler und in seinem Umkreis] völlig aus der Betrachtung aus, nicht minder aber all die ethischen, religiösen, intellektuellen, funktionellen usw. Faktoren, welche durch die
329 E.
Utitz: »Über Grundbegriffe der Kunstwissenschaft«, S. 18. Dessoir: Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft, 1. Aufl., S. 4 f. / 2. Aufl., S. 2. 331 E. Utitz: Grundlegung der allgemeinen Kunstwissenschaft, Bd. 1, S. 283. 332 Ebd., Bd. 1, S. 32, s. a. S. 35; ders.: »Allgemeine Kunstwissenschaft«, S. 436. 330 M.
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Kunst vermittelt werden und für ihr Werden, Sein und für ihre Entwicklung von wesentlicher Bedeutung sind.333
Kunstwissenschaft kann daher sinnvollerweise nicht als rein psychologische Ästhetik, aber ebenfalls nicht als »reine Formwissenschaft« im Sinne Fiedlers betrieben werden. Sie muss vielmehr die Verbindung mit dem »Geisteswissenschaftlichen« und Historischen suchen 334: Es geht um die Verbindung von »Kunst und Geschichte«, des »Systematischen mit dem Historischen«.335 Charakteristisch für die Bestrebungen der Allgemeinen Kunstwissenschaft ist daher die Auffassung, dass die Kunst nur dann angemessen thematisiert wird, wenn man sowohl ihre ästhetischen Aspekte als auch ihre »Stellung in der Gesamtheit des Kulturganzen« 336 mitberücksichtigt. An die Stelle von Fiedlers strikt immanent konzipiertem Formalismus tritt so die Bestimmung der Kunst als jeweils in einer historischen Situation positionierter und mit ästhetischen Mitteln wahrgenommener Komplex von Funktionen, seien diese religiöser, politischer, sozialer oder sonstiger Art.337 Diese funktionale Einbindung der Kunst untergräbt dabei nicht etwa ihren spezifischen Charakter, wie ihn Fiedler so nachdrücklich thematisiert hatte. Vielmehr gilt es, die Spezifität der Kunst gerade in Bezug auf die vielfältigen Weisen, wie sie im Leben der Menschen relevant wird, zu erfassen.
Utitz: Grundlegung der allgemeinen Kunstwissenschaft, Bd. 1, S. 10. Utitz: »Über Grundbegriffe der Kunstwissenschaft«, S. 31. 335 Ebd., S. 69 und S. 9. 336 E. Utitz: Grundlegung der allgemeinen Kunstwissenschaft, Bd. 1, S. 303 f. 337 Insofern trifft auch Andreas Haus’ Charakteristik Dessoirs als Formalist und ›geistigen Antipoden Aby Warburgs‹ Dessoir und die Allgemeine Kunstwissenschaft gerade nicht, sondern vielmehr Fiedler. (Vgl.: »D[essoirs] formale Verabsolutierung des Kunstcharakters erwies sich – kurz bevor die ersten abstrakten Bilder Kandinskys u. die Poésie pure entstanden – als wichtiger Baustein in der Bildung eines autonomen Kunstbegriffs. D[essoir] öffnete, wie die Form-Kunsthistoriker Heinrich Wölfflin, Alois Riegl u[nd] August Schmarsow, die ästhetischen Muster des Kunstwerks, in die dann etwa zur gleichen Zeit sein geistiger Antipode Aby Warburg mit seiner ikonologisch vertieften Inhaltsdeutung der Kunst einspringen sollte.« [A. Haus: »Max Dessoir«, S. 32.]) 333 E. 334 E.
K apitel II Konzeptionen der Allgemeinen Kunstwissenschaft
Ein entscheidendes Merkmal der Verfahren, die in der Kunst vor allem seit der Moderne praktiziert werden, ist die Demontage der klassischen Vorstellung des autonomen Kunstwerks. In dieser Situation der ›Entgrenzung‹ der Kunst bieten sich der philosophischen Reflexion grundsätzlich zwei Optionen: Entweder man begreift sie als Impuls, nicht länger Philosophie der Kunst, sondern vielmehr Ästhetik im weiten Sinn dieses Begriffs zu treiben. Oder aber man versteht sie als Herausforderung, die Bestimmung der Kunst auf eine neue Grundlage zu stellen. Eben dies ist die Aufgabe, die etwa Juliane Rebentisch mit ihren Studien zur Ästhetik der Installation verfolgt, wo sie dafür plädiert, einen Kunstbegriff zu entwickeln, der es erlaubt, »die Entgrenzungstendenzen in der Kunst mit ihrer Autonomie zusammenzudenken«. Dieser Zusammenschluss kann gelingen, da die Kunst, so Rebentisch, nicht etwa autonom ist, »weil sie auf diese oder jene Weise verfaßt ist, sondern weil sie einer Erfahrung stattgibt, die sich aufgrund der spezifischen Struktur der Beziehung zwischen ihrem Subjekt und ihrem Objekt von den Sphären der praktischen und der theoretischen Vernunft unterscheidet«. Es geht hier um eine »Neufassung ästhetischer Erfahrung als eines Prozesses, der Subjekt wie Objekt dieser Erfahrung gleichermaßen und gleichursprünglich umgreift und also nicht auf eine dieser beiden Entitäten allein verrechnet werden kann«.1 Bei diesem aktuellen Impuls, die Struktur des Kunstwerks jenseits der Fokusbildungen von Werk-, Produktions- oder Rezeptionsästhetik zu denken, handelt es sich nun allerdings um einen Ansatz, der – wie bereits Ursula Franke notiert hat 2 – eine historische Parallele in der Allgemeinen Kunstwissenschaft findet. Bereits die Vertreter dieser Forschergemeinschaft machen es sich nämlich zu einem zentralen Anliegen, die Erfahrung des Subjekts und die Eigenschaften des künstlerischen Objekts als einen Strukturzusammenhang zu verstehen, in dem der spezifische Sinn der Kunst realisiert wird. Insofern handelt es sich hier der Sache nach um Beiträge zur Analyse der Struktur der Kunst bzw. von Kunstwerken – wenngleich der Strukturbegriff als solcher unter diesen Autoren allein bei Dessoir einen erkennbaren Stellenwert einnimmt.3 Indem näherhin im Ausgang von Diltheys Frage nach der »Funktion der Kunst im geistigen Haushalt des Menschenlebens«4 nun auch die diversen ästhetischen und nichtästhetischen Funktionen der Kunst in Gesellschaft und Geschichte in den Blick genommen werden, wird der Strukturzusammenhang der Kunst bzw. des Kunstwerks hier nicht nur als Realisierung einer in sich ruhenJ. Rebentisch: Ästhetik der Installation, S. 14 und S. 12. S. a. dies.: »Autonomie? Autonomie!«. U. Franke: »Nach Hegel«, bes. S. 88–90. – S. o. S. 79. 3 S. u. S. 113–118. – S. a. M. Moog-Grünewald: »Ästhetik versus Metaphysik?«. 4 W. Dilthey: »Die drei Epochen der modernen Ästhetik und ihre heutige Aufgabe«, S. 265. Vgl. bes. W. Hofmann: »Fragen der Strukturanalyse«, bes. S. 77. 1
2 Vgl.
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den, dauerhaften formalen Relation – der ›reinen Sichtbarkeit‹ im Sinne Fiedlers – verstanden. Er wird vielmehr auch und vor allem als ein solcher begriffen, der immer schon kulturell und historisch eingebunden ist und hier bestimmte Funktionen übernimmt, die seine Gestalt mitprägen und verändern.5 Damit steht diese Konzeption dem dynamischen und funktionalen Strukturbegriff des Tschechischen sowie auch des Russischen Strukturalismus sachlich näher als dem statischen des Französischen Strukturalismus 6: Es geht hier darum, methodologische Konzepte einer neuen strukturanalytisch und kulturgeschichtlich orientierten Kunstwissenschaft zu entwickeln, die – in Dessoirs Terminologie gesprochen – geeignet sind, die Kluft zwischen ›Subjektivismus‹ und ›Objektivismus‹ zu überwinden.7 Vor diesem gemeinsamen Hintergrund werden mehrere wissenschaftstheoretische Ansätze zu einer Methodologie der Kunstwissenschaft erarbeitet, die weder systematisch miteinander kompatibel sind, noch wirklich den Status einer ausgereiften Theorie für sich beanspruchen können. Dies gilt letztlich selbst für das am stärksten aufgeschlüsselte und durchstrukturierte dieser Konzepte – das von Utitz. Im Folgenden sollen die methodologischen Bestrebungen der Allgemeinen Kunstwissenschaft anhand der am weitesten ausgearbeiteten Ansätze näher vorgestellt werden. Neben den Positionen der Philosophen Max Dessoir und Emil Utitz sind dies die Ansätze von drei philosophisch engagierten Kunsthistorikern, die ihre eigenen kunstwissenschaftlichen Arbeitsfelder dezidiert als Teilgebiete der Allgemeinen Kunstwissenschaft als übergreifender wissenschaftstheoretischer Disziplin verstehen: August Schmarsow, Richard Hamann und Edgar Wind. Jedem dieser Ansätze ist ein eigenes Kapitel gewidmet. Zu den bedeutenden methodologischen Reflexionen der Allgemeinen Kunstwissenschaft gehören überdies Beiträge zweier weiterer philosophisch motivierter Kunsthistoriker: Oskar Wulff und Erwin Panofsky vor seiner Hinwendung zur Ikonologie. Allerdings fußen Wulffs wissenschaftstheoretische Beiträge 8 stark auf den Vorgaben seines Lehrers Schmarsow. Und bei Panofskys Beiträgen zum Problemkreis der Allgemeinen Kunstwissenschaft 9 handelt es sich – bei allem wissenschaftsgeschichtlichen Gewicht – eher um 5 Zum
Zusammenhang zwischen Struktur- und Funktionsbegriff in Bezug auf Dessoirs Theorie vgl. auch die – allerdings stark der Idee einer ästhetischen Autonomie der Kunst verpflichtete – Darstellung von F.M. Gatz: »The Object of Aesthetics«. 1/4 (1941/42), bes. S. 43–46. S. a. ders.: »Die Theorie des L’art pour l’art und Theophile Gautier«. 6 Vgl. bes. N. Plotnikov: »Ein Kapitel aus der Geschichte des Strukturbegriffs«. – S. u. S. 131, Anm. 132 f. 7 Vgl. M. Dessoir: Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft, 1. Aufl., S. 60–89 / 2. Aufl., S. 19–47. – S. o. S. 78. 8 Vgl. bes. O. Wulff: »Grundsätzliches über Ästhetik, allgemeine und systematische Kunstwissenschaft«; ders.: »Kritische Erörterungen zur Prinzipienlehre der Kunstwissenschaft« (in leicht abweichender Form ebenfalls erschienen u.d.T.: Grundlinien und kritische Erörterungen zur Prinzipienlehre der Bildenden Kunst); ders.: »Die psychophysischen Grundlagen der plastischen und malerischen Gestaltung«. 9 Vgl. bes. E. Panofsky: »Das Problem des Stils in der bildenden Kunst«; ders.: »Der Begriff
Konzeptionen der Allgemeinen Kunstwissenschaft101
Spezialstudien, deren systematischer Kern von seinem Schüler Wind aufgegriffen und in selbstständiger Weise im Sinne eines Beitrags zu einer Methodologie der Allgemeinen Kunstwissenschaft ausgearbeitet wird. Um der Prägnanz der Darstellung willen werden sie daher an dieser Stelle nur im Rahmen der Ausführungen zu Schmarsow bzw. Wind am Rande mitthematisiert. So werden im Folgenden fünf methodologische Positionen rekonstruiert, die nicht nur im Grad ihrer Ausarbeitung, sondern ebenso ihrem konzeptionellen Ansatz stark variieren, indem sie Diltheys Vorgaben in sehr unterschiedlicher Weise weiterentwickeln: (1) Dessoir selbst propagiert die Entwicklung einer hybriden – zwischen Philosophie, Psychologie und historischer Kunstforschung changierenden – ›Strukturlehre des Kunstgebildes‹, die die Einheit der Kunst in der grundlegenden Struktur des Wechselverhältnisses von künstlerischer Produktion, Werk und Rezeption erkennt. Dabei werden die Spezifizierungen der Kunst in den Künsten bzw. den Kunstwerken ihrerseits als Realisierungen dieser primären Struktur begriffen. Im Rahmen dieser Strukurlehre wird die traditionelle Frage nach dem Wesen der Kunst ersetzt durch die Bestimmung der kulturellen Funktionen der Kunst, die Dessoir insbesondere im Verhältnis der Kunst zu Wissenschaft, Gesellschaft und Sittlichkeit erkennt. (2) Utitz weist seine Theorie der Kunst dagegen klar als philosophische Theorie aus. In ihrem Mittelpunkt steht eine Lehre von der ›Gegenständlichkeit des Kunstwerks‹, die auf der phänomenologischen Maxime basiert, dass die wissenschaftlichen Methoden ganz von den Erfordernissen der zu untersuchenden Sachverhalte her bestimmt werden sollen. Er entwickelt diese als Lehre von der ontologischen Struktur des Kunstwerks, in der Sinn und Form zu einer ›sinnvollen Form‹ zusammengeschlossen sind. Die spezifische Gegenständlichkeit des Kunstwerks realisiert sich auch für Utitz in einer Interaktion von Künstler, Kunstwerk und ›Kunstgenuß‹, die sich als ein Kommunikationsgeschehen beschreiben lässt. Nach Utitz’ Ansicht vollzieht sich diese Kommunikation im Medium der Sinnlichkeit und des Gefühls. Daher bildet für ihn die ›Gestaltung auf ein Gefühlserleben‹ die kulturelle Funktion der Kunst. Sie kann ihre Funktion (im Singular) aber nur erfüllen, indem sie diese in Bezug auf vielfältige kulturelle Funktionen (im Plural) wie das Erotische bzw. Sexuelle, das Intellektuelle, das Ethische, das Religiöse usw. wahrnimmt. (3) Schmarsow strebt konsequent eine anthropologische Fundierung der Kunst und der Künste an, indem er die künstlerische Praxis ebenso wie das Verstehen von Kunstwerken auf die körperliche Organisation des Menschen zurückführt. Die Kunst ist nicht nur Ausdruck der leiblichen Organisation des Menschen, sondern sie muss auch leiblich – d. h. prinzipiell mit dem gesamten Körper und allen Sinnen – in der Bewegung im Raum erfahren werden. Charakteristisch ist dabei, dass Schmarsow diese anthropologische Fundierung der Kunst zugleich historisch und kulturell rückbindet: Die Leiblichkeit artikuliert sich in der Kunst nicht imdes Kunstwollens«; ders.: »Über das Verhältnis der Kunstgeschichte zur Kunsttheorie«; ders.: »Probleme der Kunstgeschichte«. – S. u. S. 255.
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mer gleich, sondern in ihren Modifikationen kommen historische und kulturelle Unterschiede zum Ausdruck. Diese Position legt er insbesondere anhand der Bedeutung des Rhythmus als lebendiger Erfahrung des im Raum sich bewegenden menschlichen Körpers dar, die die eigentümliche rhythmische Struktur von Kunstwerken ebenso begründet wie sie von dieser stimuliert wird. Schmarsows Überzeugung, dass die Kunst nur als Teil einer Kultur zu verstehen ist, in der sie bestimmte Funktionen übernimmt, manifestiert sich namentlich in seiner Hinwendung zur Architektur. Er richtet sich damit gegen die zeitgenössische These, dass die Baukunst aufgrund ihrer offensichtlichen Zweckhaftigkeit überhaupt nicht zu den freien Künsten gehört. (4) Hamann geht davon aus, dass ein und derselbe Gegenstand in unterschiedlicher Weise vollzogen werden kann, je nachdem, in welcher Funktion er in den Blick genommen wird. Dies gilt auch für das Kunstwerk, das nicht nur ›Träger eines künstlerischen Tatbestandes‹, sondern zugleich ›ein Ding wie andere‹ ist. Für Hamann gilt daher, mit Cassirer gesprochen, das ›Prinzip des Primates der Funktion vor dem Gegenstand‹. Für Hamann ist die Objektivität des Werks also nicht absolut, sondern variiert in der Erfahrung des Subjekts. Allerdings verfährt die Subjektivität dabei nicht völlig frei, sondern folgt bestimmten Strukturprinzipien: Sie wird immer überformt zum einen durch ›Interessen und Stimmungen‹ des Subjekts, zum anderen durch die jeweiligen äußeren Rezeptionsbedingungen. Zudem gibt es für den Historiker Hamann aber eine ursprüngliche funktionale Einbindung des Kunstwerks – Hamann hebt hier insbesondere die abbildende, die religiöse bzw. kultische, die ästhetische und die geschäftliche Funktion hervor –, die dem Relativismus dieses Kontextualismus weitere Grenzen setzt. (5) Wind vertritt die Auffassung, dass in der angemessenen Erfassung der künstlerischen Leistung Anschauung und Denken miteinander vereint sind, weil der künstlerischen Leistung selbst rationale Strukturen zugrunde liegen: In den Gestaltungsverfahren der Kunst ist im Denken ein ›Problem‹ gesetzt, ›dessen Lösung nur im Anschaulichen zu finden ist‹. Kunst gilt hier als Sprache, deren im Kunstwerk ›verkörperter‹ Sinn sich aber nicht in der reinen Anschauung selbst ganz ausspricht. Er erschließt sich vielmehr erst, wenn die jeweilige kulturelle Funktion des Werks mit den Mitteln historischer Forschung rekonstruiert wird. Das heißt, die Kunst wird im Rahmen der von Wind betriebenen Version der Ikonologie, wie bei Warburg und Panofsky, als eine Sprache angesehen, die nur im Kontext der Sprache der Kultur verstanden werden kann. So stellt Wind Wölfflins Begriff des ›reinen künstlerischen Sehens‹ den Begriff der ›Gesamtkultur‹ entgegen, in die das künstlerische Sehen eingebunden ist. Diese Konzepte sind äußerst heterogen. Und diese Unabgeschlossenheit im Sinne einer wissenschaftstheoretischen Systembildung ist von den zeitgenössischen Akteuren durchaus selbst intendiert, wie vor allem der erste Kongress für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft zeigt, wo die stark divergierenden methodologischen Konzepte von Dessoir, Utitz und Hamann als Diskussionsvorlagen nebenein-
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anderstehen.10 Zudem nehmen die unterschiedlichen Positionen kaum aufeinander Bezug. Sie verbindet aber, wie im Folgenden gezeigt werden soll, zum einen die heute wieder geltend gemachte Absicht, ›Subjektivismus‹ und ›Objektivismus‹ in einer Explikation der Struktur des Kunstwerks zusammenzuführen, zum anderen eine Betrachtung der Kunst als kulturelles Phänomen in der Vielfalt seiner ästhetischen und nichtästhetischen Funktionen.
1. Max Dessoir: Kunstwissenschaft als Strukturlehre des Kunstgebildes Max Dessoir (1867–1947)11 war 1889 von Dilthey mit einem ästhetischen Thema im Fach Philosophie promoviert worden12 , 1890 folgte in Würzburg eine Promotion im Fach Medizin13; 1892 habilitierte er sich, wiederum an der Universität Berlin, im Fach Philosophie, wo er ab 1897 eine außerordentliche und von 1920 bis zu seiner Emeritierung 1934 eine ordentliche Professur für Philosophie innehatte. – Dessoirs Beschäftigung mit Fragen von Ästhetik und Allgemeiner Kunstwissenschaft erstreckt sich über mehr als vierzig Jahre: Sie beginnt bereits vor der Publikation seiner Monographie und der Gründung der Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft im Jahr 190614, und sie endet nicht mit der von den Nationalsozialisten erzwungenen Niederlegung seiner Redaktion der Zeitschrift im Jahr 193715. Seine wissenschaftlichen Anfänge liegen aber auf dem – zu dieser Zeit organisatorisch noch nicht klar von der Philosophie abgegrenzten – Gebiet der Psychologie, zu dem er bis in die 1920er Jahre hinein größere Arbeiten vorgelegt hat: Nach Studien zur experimentellen Psychologie, der Geschichte der Psychologie und zum Hypnotismus wendet er sich dabei insbesondere der kritischen Erforschung okkulter Phänomene zu, für die er den Begriff ›Parapsychologie‹ einführt.16 Seine Autobiographie zeigt zudem, dass Dessoir seine Forschungen auf den Feldern der Ästhetik und der Kunstwissenschaft keineswegs als besondere Leistungen betrachtet und beschrieben hat. Viel wichtiger waren ihm demnach seine Herkunft aus Künstlerkreisen, seine medizinisch-psychologische bzw. parapsychologische Kompetenz, sein Einfluss als akademischer Lehrer, seine Pflege von internationalen wissenschaftlichen Beziehungen als Vortragsreisender 17, sein 10
S. u. S. 224, Anm. 118–120. Biographie Dessoirs vgl. bes. C. Herrmann: Max Dessoir; M. Dessoir: Buch der Erinnerung; K.S. Laurila: »In Memory of Max Dessoir«; G. Jung: Art. »Dessoir«; A. Haus: »Max Dessoir«; B. Zwikirsch: »Der Nachlaß ›Max Dessoir‹ im Preußischen Geheimen Staatsarchiv in Berlin-Dahlem«. 12 Vgl. M. Dessoir: Karl Philipp Moritz als Aesthetiker. 13 Vgl. M. Dessoir: Ueber den Hautsinn. 14 Vgl. bes. M. Dessoir: »The fundamental questions of contemporary aesthetics«; s. a. ders.: »Vom Gegensatz zwischen Wissenschaft und Kunst«; ders.: »Anschauung und Beschreibung«. 15 Vgl. bes. M. Dessoir: »Über das Betrachten von Bildwerken«. 16 Vgl. bes. M. Dessoir: Vom Jenseits der Seele. 17 S. u. S. 203. 11 Zur
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enormes öffentliches Engagement in Kultur- und Bildungsangelegenheiten, und schließlich die Betonung der Unrechtmäßigkeit, mit der die Nationalsozialisten ihn zuletzt aus allen öffentlichen Aktivitäten in das Privatleben verdrängt hatten18. In der Tat wird man auch im weiteren historischen Rückblick sagen können, dass die eigentliche Bedeutung Dessoirs für die Gebiete Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft weniger auf inhaltlichem als auf wissenschaftsorganisatorischen Gebiet liegt.19 Das zentrale Charakteristikum von Dessoirs Konzeption der Allgemeinen Kunstwissenschaft ist deren methodische Abgrenzung von der Ästhetik. Der Bereich des Ästhetischen, so Dessoirs Credo, ist weiter als der des Künstlerischen, indem er auch die Natur und das tägliche Leben umfasst. Die Funktion der Kunst geht dagegen über die der Vermittlung von ästhetischem Genuss hinaus, insofern die Kunst auch religiöse, ethische, soziale und politische Inhalte gestaltet. Das Ästhetische ist also nicht auf die Künste beschränkt, und ästhetische Betrachtung allein wird der Kunst und den Künsten nicht gerecht. Diese Differenzierung hat Dessoir in seinem Hauptwerk, der Monographie über Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft, zum Thema gemacht und in zahlreichen Aufsätzen und Vorträgen zu plausibilisieren gesucht. Sie macht aber vor allem »Schule«, indem »sie den Berliner Ästhetik-Kongreß und die redaktionelle Konzeption der Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft strukturierte«.20 Nichtsdestoweniger ist für die Rekonstruktion der Leitidee der Allgemeinen Kunstwissenschaft, wie sie in der hier vorliegenden Studie angestrebt wird, selbstverständlich auch die Konzeption Dessoirs als des Initiators und spritus rector der gesamten Initiative von Interesse. a) Gegenstand und Verfahren der Allgemeinen Kunstwissenschaft Gegenstand der Allgemeinen Kunstwissenschaft ist für Dessoir, seiner zentralen Differenzierung entsprechend, die vom rein ›Ästhetischen‹ unterschiedene Kunst. Dabei definiert Dessoir aber programmatisch – in Abgrenzung von der Philosophie eines Hegel – nicht spekulativ, was Kunst sei und wie die Kunst sich kunstimmanent zu den Künsten differenziert. Vielmehr lässt sich die Allgemeine Kunstwissenschaft durch die Theorien, die innerhalb der verschiedenen Einzelwissenschaften von den Künsten ausgebildet werden – also etwa der »Poetik« in 18
S. u. S. 208 f. z. B.: »Max Dessoir did not build grand systems of aesthetics and philosophy, but he was keen-minded, a sensitive investigator, a wonderful university teacher, and a brilliant organizer. In the field of modern aesthetics, he was without doubt the most widely known.« (K.S. Laurila: »In Memory of Max Dessoir«, S. 107.) Oder auch: »To Dessoir belongs the chief credit for publicizing the need of cooperation between philosophical aesthetics and empirical studies of the arts. He advanced the subject more by promoting cooperation among different groups of scholars, and by combining their contributions, than by any particular new discovery or theory of his own.« (T. Munro: »Aesthetic as Science«, S. 185.) 20 W. Henckmann: »Probleme der allgemeinen Kunstwissenschaft«, S. 289. 19 Vgl.
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der Literaturwissenschaft, der »Musiktheorie« in der Musikwissenschaft und der »Kunstwissenschaft« (als theoretischer Wissenschaft von den bildenden Künsten) in der Kunstgeschichte – Inhalte bzw. Begriffe vorgeben, die sie dann »erkenntnistheoretisch« auf »Voraussetzungen, Methoden und Ziele« hin reflektiert und im Sinne einer Bestimmung der ›Kunst‹ einzeldisziplinübergreifend synthetisiert: Die Theorie der einzelnen Künste wird durchschnittlich in Verbindung mit der Erforschung ihrer Geschichte gepflegt. An den Universitäten vertritt der Kunsthistoriker zugleich die systematische Wissenschaft von den bildenden Künsten; der Literarhistoriker in sozusagen offizieller Form soll auch Sprachforscher sein; Musikgeschichte und Musikwissenschaft werden ebenfalls in Personalunion betrieben. Daß beide Arbeitsrichtungen einander stützen können, daß namentlich der Historiker ohne systematische Kenntnisse bis zur Bewegungslosigkeit gefesselt wäre, ist ohne weiteres zuzugeben. Aber die rein theoretische Beschäftigung mit Formen und Gesetzen jeder Kunst kann, wie die Erfahrung zeigt, in gründlicher und förderlicher Weise vollzogen werden, obgleich die geschichtliche Entwickelung nicht näher untersucht wird. So entstehen die besonderen systematischen Wissenschaften, die man Poetik, Musiktheorie und Kunstwissenschaft zu nennen pflegt. Ihre Voraussetzungen, Methoden und Ziele erkenntnistheoretisch zu prüfen sowie ihre bedeutsamsten Ergebnisse zusammenzufassen und zu vergleichen, scheint mir die Aufgabe einer allgemeinen Kunstwissenschaft zu sein; […].21
Dabei greift die Allgemeine Kunstwissenschaft diese in den Einzelwissenschaften von den Künsten verwendeten Begriffe auf, um sie ihnen in sachlich geklärter Form zurückzuerstatten, denn sie »hat als allgemeine systematische Wissenschaft von der Kunst die Aufgabe, die Grundlage für die Kunstgeschichte zu erarbeiten, soweit in ihr kunstwissenschaftliche Begriffe verwandt werden«.22 Hinzu kommen, wie Dessoir in seiner Monographie erläutert, noch weitere, sonst in den systematischen Kunstwissenschaften heimatlose Themenfelder: »daneben besitzt diese [die Allgemeine Kunstwissenschaft] in den Problemen, die das künstlerische Schaffen und der Ursprung der Kunst, die Einteilung und die Funktion der Künste dem Nachdenken stellen, Gebiete, die sonst keine Stätte finden könnten«.23 Allgemeine Kunstwissenschaft ist daher bei Dessoir »Wissenschaftstheorie post festum«.24 Diese Auffassung vom wesentlich synthetischen Charakter der Allgemeinen Kunstwissenschaft bringt Dessoir auch etwa auf dem Kongress von 1913 zum Ausdruck, wo er in seiner Eröffnungsrede erklärt: »Was sich als Gesamtarbeit des Kongresses vor unseren Augen vollziehen wird, ist zwar nicht die Begründung Dessoir: Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft, 1. Aufl., S. 6 / 2. Aufl., S. 4. Herrmann: Max Dessoir, S. 43. 23 M. Dessoir: Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft, 1. Aufl., S. 6 / 2. Aufl., S. 4. 24 R. Heinz: »Zum Begriff der philosophischen Kunstwissenschaft im 19. Jahrhundert«, S. 217. 21 M. 22 C.
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einer ganz neuen Wissenschaft, wohl aber eine neue Vereinigung von Bestrebungen gleichen Geistes.« 25 Hauptgegenstand der Allgemeinen Kunstwissenschaft sind in Dessoirs Verständnis also die systematischen und begrifflichen Grundlagen der einzelnen Kunstwissenschaften – nicht die historische Entwicklung der Kunst und der Künste: Ziel ist die Herausbildung eines »genetisch-deskriptiven Standpunktes, welcher der allgemeinen Kunstwissenschaft im Interesse methodischer Klarheit nur die Probleme systematischer Deskription zuweist und alle genetischen Fragen in die Kunstgeschichte verweist«.26 Dabei geht Dessoir gemäß seiner zentralen Differenzierung davon aus, dass diese Grundlagen nicht bzw. nicht vollständig in die Sphäre des Ästhetischen fallen, sondern jeweils ihre ästhetikheterogene künstlerische Eigenproblematik besitzen. Das Anliegen der Allgemeinen Kunstwissenschaft ist demzufolge die erkenntniskritische und vergleichende Prüfung der Aufgaben, Ziele, Methoden und Ergebnisse von Kunstgeschichte, Literaturwissenschaft, Musikwissenschaft usw. unter der gemeinsamen Voraussetzung eines die jeweils besonderen Künste übergreifenden Kunstbegriffs. Überdies behandelt die Allgemeine Kunstwissenschaft aber auch weitere Fragen wie die künstlerische Kreativität oder Klassifikation der einzelnen Kunstarten. Kurzum: Sie hat »die Pflicht, der großen Tatsache der Kunst in allen ihren Bezügen gerecht zu werden«.27 Aus diesen Arbeitsfeldern der Allgemeinen Kunstwissenschaft ergibt sich zugleich deren Bedeutung für die historische Erforschung der Kunst, von der Dessoir fordert: »sie bleibe Geschichte, aber sie lasse sich sättigen durch den Eigenwert der Kunst«.28 Hierzu gehört – Dessoirs Anspruch nach – wesentlich, dass die erbrachte Erkenntnis der Kunst den Maßstäben strenger Wissenschaftlichkeit genügt. Dabei ist es für ihn zwar entscheidend, dass diese Erkenntnis nicht abstrakt-philosophisch generiert ist, sondern aus dem Kontakt mit der Praxis der einzelnen Kunstwissenschaften und deren an den Phänomenen gewonnenen Theoretisierungen: Aus diesen destilliert die Allgemeine Kunstwissenschaft nicht nur das »System« der Künste 29, sondern in Bezug auf die Arbeitsfelder der Wissenschaften von den 25 M.
Dessoir: »Eröffnungsrede« [zum ersten Kongress für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft], S. 42. 26 C. Herrmann: Max Dessoir, S. 46. 27 M. Dessoir: Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft, 1. Aufl., S. 5 / 2. Aufl., S. 3. 28 M. Dessoir: »Eröffnungsrede« [zum ersten Kongress für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft], S. 54. 29 »So wenig wie es in neuester Zeit geglückt ist, den gesamten Stoff der Ästhetik und allgemeinen Kunstwissenschaft durch ein einziges Verfahren zu bewältigen, ebensowenig ist bisher ein System vollendet worden, das diesen Namen im strengen Sinne des Wortes verdient. Das letzte war entworfen durch Hegel und die ihm folgten; lebendig geblieben sind davon übrigens nur Einzelheiten. […] Ein System, wie wir es wünschen, wird sich erst aus der Verbindung aller Einzelforschungen entwickeln und wird gerade in seinen allgemeinen Erörterungen von zwei Bedingungen abhängig sein: einmal davon, daß viele Tatbestände vorliegen und die sie erklärenden Theorien eine gewisse Höhe erreicht haben, alsdann davon, daß diese Dinge dem Systematiker – bekannt sind.« (M. Dessoir: »Skeptizismus in der Ästhetik«, S. 463.)
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Künsten, also die Künste und bestimmte Kunstwerke, demonstriert sie auch ihre eigene »Nutzanwendung«, nämlich die aus Sicht der Allgemeinen Kunstwissenschaft »erwünschte Art«, diese »kunstwissenschaftlich zu behandeln«.30 Dagegen gehören künstlerische Selbstdeutung, Kunstbetrachtung und Kunstkritik, die jeweils eigenen Interessen der Rechtfertigung, Selbstoptimierung, Humanisierung, inhaltlichen bzw. formalen Erklärung usw. folgen, nicht zu den bevorzugten Materiallieferanten der Allgemeinen Kunstwissenschaft.31 Denn die in der Allgemeinen Kunstwissenschaft diskutierte künstlerische Erkenntnis ist, so Dessoir, »sich selber Zweck«; »mit Verständnis und Genuß des einzelnen Gebildes haben wir es nicht zu tun« 32 , geschweige denn mit der Einflussnahme auf die künstlerische Arbeit: Unsere Wissenschaft entspringt wie jede andere dem Bedürfnis nach klarer Einsicht und der Notwendigkeit, eine Gruppe von Tatsachen zu erklären. Da das Erfahrungsgebiet, das sie erkennbar zu machen hat, das der Kunst ist, so entsteht die besondere und ärgerliche Schwierigkeit, die freiste, subjektivste, am meisten synthetische Betätigung des Menschen in der Richtung der Notwendigkeit, Objektivität, Analysis umzuformen. Diese gewaltsame Veränderung muß erfolgen, oder es gibt keine Wissenschaft von der Kunst. Alles Launenhafte, Unzweckmäßige, Irrationale ist unweigerlich zu tilgen. […] Auf diesem Wege entfernt man sich freilich oft von der erlebten Wirklichkeit und vom Bewußtsein der Künstler. Hört irgend ein Musiker alles das, was die Musikwissenschaft feststellt? Weiß der Leser, ja selbst der Dichter, daß die besondere Stimmung, die eine Strophe hervorruft, durch die ausnahmslos dunklen Vokale bedingt ist? […] Eben darin liegt aber unser Recht. Wir wollen die Vorgänge erkennen und haben nicht den Ehrgeiz, sie herstellen zu können. Folglich ist unsere Absicht auch nicht darauf gerichtet, den Künstler zu beeinflussen. Wie man es anf ängt, ein Kunstwerk zu schaffen, das vermögen wir im einzelnen und mit Erfolg nicht zu sagen. Wissen und Können ist zweierlei. Und die allgemeine Kunstwissenschaft gehört zu der weiten Sphäre des Wissens.33
Zwar zeigt das bemerkenswerte Echo, das Dessoirs Vorstoß zur Implementierung der Allgemeinen Kunstwissenschaft gerade in den ersten Jahren erfährt, dass sein 30 M.
Dessoir: »Allgemeine Kunstwissenschaft«, Sp. 2406. »Ich will nicht von der Unzulänglichkeit der Künstler sprechen, die sich zum Reden aufgelegt fühlen, ohne an abstraktes und systematisches Denken gewöhnt zu sein, ja ohne überhaupt das Problematische des Selbstverständlichen zu ahnen; sondern ich möchte auch Kunstbetrachtung und Kunstkritik von der reinen Wissenschaft ausgeschlossen wissen. Indem jene das eigentümliche Leben einzelner Kunstwerke nachfühlen, diese Idee und Form an der einzelnen Schöpfung trennen lehrt, leisten sie etwas für die Bildung und Genußf ähigkeit der Individuen. Aber alle philosophischen Ewigkeitswerte dienen hier dem Augenblicklichen. […] Dazu können allerdings Beschreibung und Erklärung einen Beitrag liefern, und es gehört zu unseren Obliegenheiten, Recht und Umfang dieses Anteils erkenntnistheoretisch festzulegen; indessen mit Verständnis und Genuß des einzelnen Gebildes haben wir es nicht zu tun.« (M. Dessoir: Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft, 1. Aufl., S. 7 / 2. Aufl., S. 5.) 32 Ebd. 33 Ebd., 1. Aufl., S. 7 f. / 2. Aufl., S. 5 f. 31
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Projekt als solches in weiten Kreisen der Kunstwelt als plausibel, ja überfällig angesehen wird. Allerdings betrifft dies vor allem seine wissenschaftsorganisatorischen Vorstöße, weniger sein wissenschaftstheoretisches Konzept. Zudem wird man sagen müssen, dass Letzteres erhebliche Defizite aufweist. Wenn Dessoir so der Allgemeinen Kunstwissenschaft die Aufgabe der Klärung der systematischen und begrifflichen Grundlagen der einzelnen Kunstwissenschaften zuweist 34, dann muss man mit Henckmann zunächst einmal sagen, dass dieser Wissenschaft damit »recht heterogene Aufgaben zugesprochen« werden. Denn schließlich ist »die wissenschaftstheoretische bzw. erkenntnistheoretische Untersuchung einer Wissenschaft« etwas anderes »als eine Diskussion materialer Grundbegriffe wie des Poetischen, Malerischen oder Plastischen oder als die Bestimmung der Strukturgesetze des Kunstwerks; und diese systematischen Grundbegriffe sind etwas anderes als die diachronen Grundbegriffe, z. B. die einzelnen Stilbegriffe.« Demzufolge müssen in Dessoirs Konzeption der Allgemeinen Kunstwissenschaft »drei verschiedene Aufgabenbereiche unterschieden werden, die er selbst nicht voneinander abgegrenzt hat: die Untersuchung der Wissenschaftsform einer Disziplin, die Diskussion ihrer materialen systematischen und ihrer materialen diachronen Grundbegriffe.« 35 Dabei erfüllt die Allgemeine Kunstwissenschaft für Dessoir als »komparatistische Disziplin« 36 , die die nichthistorischen Erträge der Einzelwissenschaften von den Künsten zusammenträgt, »in erster Linie eine synoptische Funktion« 37: Die Allgemeine Kunstwissenschaft nimmt bei Dessoir »den Charakter eines Sammelbeckens von Fragestellungen an, die von einzelnen Wissenschaften zwar aufgeworfen und behandelt worden waren, in ihrer eigentlichen Bedeutung und ihren Konsequenzen aber über die Grenzen dieser Einzelwissenschaften hinausreichten.« 38 Hinzu kommen des Weiteren die von Dessoir benannten diversen »Gebiete, die sonst keine Stätte finden könnten«.39 Was damit hier allerdings »grundsätzlich fehlt«, ist »eine systematische Grundlegung dieser Wissenschaft selbst«.40 Überdies muss man sagen, dass die – in Dessoirs methodologischer Charakteristik der Allgemeinen Kunstwissenschaft nur als Nebenfeld ausgewiesene – Betreuung der Probleme, »die das künstlerische Schaffen und der Ursprung der Kunst, die Einteilung und die Funktion der Künste dem Nachdenken stellen«41, in seiner eigenen Arbeit einen erheblich größeren Raum einnimmt als die – von ihm selbst 34
S. o. S. 105. Henckmann: »Probleme der allgemeinen Kunstwissenschaft«, S. 279. 36 Ebd. 37 R. Schmücker: »Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft«, S. 55. 38 W. Henckmann: »Probleme der allgemeinen Kunstwissenschaft«, S. 281. 39 M. Dessoir: Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft, 1. Aufl., S. 6 / 2. Aufl., S. 4. – S. o. S. 105. 40 W. Henckmann: »Probleme der allgemeinen Kunstwissenschaft«, S. 279. 41 M. Dessoir: Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft, 1. Aufl., S. 6 / 2. Aufl., S. 4. – S. o. S. 105. 35 W.
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eigentlich als Hauptaufgabe der Allgemeinen Kunstwissenschaft angegebene – Klärung der systematischen und begrifflichen Grundlagen der Kunstwissenschaften. So geht er in seiner Monographie von 1906 bzw. 1923 lediglich in der Einleitung kurz auf diese Aufgabe ein und diskutiert stattdessen in den sechs der Allgemeinen Kunstwissenschaft gewidmeten Kapiteln ausführlich die zusätzlichen Problemkreise, die seiner vorausgeschickten Charakteristik zufolge nur »vorläufig« von dieser Wissenschaft zu verwalten sind42: »Das Schaffen des Künstlers«, »Entstehung und Gliederung der Kunst«, »Tonkunst und Mimik«, »Die Wortkunst«, »Raumkunst und Bildkunst« und »Die Funktion der Kunst«.43 In seiner Monographie entwirft Dessoir ein Bezugsschema, das im Sinne der angestrebten systematischen Kunstwissenschaft sämtliche Künste übergreifen soll: Er unterscheidet hier »Raumkünste (Künste der Ruhe und des Nebeneinander)«, d. h. Plastik, Malerei, Architektur bzw. »Bildende Künste« einerseits und »Zeitkünste (Künste der Bewegung und des Nebeneinander)«, d. h. Mimik, Poesie, Musik bzw. »Musische Künste« andererseits. Dabei sieht Dessoir sich, »schon damit die Künste von den zahllosen ästhetischen Fertigkeiten abgesondert und die Künstler vom Kleiderkünstler und seinesgleichen unterscheidbar werden«, d. h. um die Trennung des Ästhetischen von der Kunst nicht zu unterlaufen, gezwungen, »Kunstgewerbe, Dekoration, Ornamentik« zumindest vorerst nicht als »Sonderkünste« den übrigen zur Seite zu stellen: Er muss sich »vorläufig mit den eingesessenen Künsten begnügen« und spart sich »nähere Bestimmungen für eine gelegenere Zeit« auf.44 Nicht zuletzt mit Blick auf die angestrebte theoretische Bewältigung der zeitgenössischen Problematik der Entgrenzung der Künste ist dies ein unbefriedigendes Provisorium, an dem Dessoir allerdings auch in der überarbeiteten zweiten Auflage seines Werks (ebenso wie in seinen sonstigen Beiträgen zum Thema) nichts geändert hat.45 Als gemeinsames Kriterium aller Künste identifiziert Dessoir dabei insbesondere den künstlerischen Schaffensprozess, der – in Absetzung von traditionellen Theorien – weder in der Nachahmung eines physisch Gegebenen noch in der Versinnlichung eines fertigen Idealbildes bestehe: Zwar ist die Motivation zum künstlerischen Schaffen immer »ein rein innerlicher Vorgang, dessen einzelne Glieder und Verbindungsgesetze unabhängig vom Außen sind«.46 Aber die »Durchführungsarbeit, so gern sie von schwärmerischen Ästhetikern als nebensächlich abgetan wird, ist dennoch dermaßen wesentlich, daß gerade an ihr die Größe des Künstlers offenbar wird.« Hier zeigt sich die »Abhängigkeit der Schöpfung von der Äußerung«.47 Dessoir: Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft, 1. Aufl., S. 6 / 2. Aufl., S. 4. 1. Aufl., S. XII / 2. Aufl., S. VII f. 44 Ebd., 1. Aufl., S. 309 f. / 2. Aufl., S. 261. 45 In die zweite Auflage seines Werks nimmt Dessoir lediglich zusätzlich eine etwas feinere, aber im Grundsatz identische Systematik auf, die J. Jordán de Urríes y Azara (»Über das System der Künste«) zwischenzeitig entworfen hatte. (Vgl. ebd., 2. Aufl., S. 262.) 46 Ebd., 1. Aufl., S. 239 / 2. Aufl., S. 183. 47 Ebd., 1. Aufl., S. 234 f. / 2. Aufl., S. 178. 42 M.
43 Ebd.,
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Den »großen Künstler« macht daher vor allem »die Fähigkeit des systematischen Zusammenschlusses, der Verwertung und des Auf baus« aus.48 Die Notwendigkeit des Sichentäußerns ist eine allgemeine. Es scheint, als ob man innerlich nicht eher mit etwas fertig ist, als bis man es aus der Haft des Bewußtseins entlassen und ihm feste Form gegeben hat. Das spezifisch Künstlerische ist demnach nicht hierin enthalten, sondern in der besonderen Art des verdeutlichenden Ausdrucks. Die produktive Stimmung verbindet den künstlerisch Schaffenden mit allen, die im höheren Sinne des Wortes geistig tätig sind. Allein die Natur des Gestalteten, das aus dem Vorbereitungsstadium hervorspringt, entscheidet darüber, ob es sich um künstlerisches oder anderes Schaffen handelt.49
Diese Bedeutung der künstlerischen Objektivation manifestiert sich bei Dessoir in einem starken und klar organisch gedachten Werkbegriff. Das Werk wird dabei nicht nur als ein Ganzes, sondern zugleich als Akteur gedacht: »Dies Objekt nämlich führt, kaum daß es da ist, sein eigenes Leben und zeigt sich oft stärker als sein Schöpfer; es zwingt ihn dorthin, wohin es selber will.« 50 b) Die Funktionen der Kunst Die traditionelle Frage nach dem Wesen der Kunst wird von Dessoir ersetzt durch die Bestimmung der Funktionen der Kunst.51 Diese ergeben sich für den DiltheySchüler Dessoir aus dem Umstand, dass die Kunst nicht ausschließlich aus sich heraus bestimmbar ist, sondern »zur Kultur«, d. h. zum Strukturzusammenhang der kulturellen Leistungen, gehört. Im Zusammenhang der kulturellen »Leistungen, die zu dauernden Formen sich verfestigt haben«, kommt ihr dabei ein »bestimmter Platz« zu, von dem aus sie ihre spezifische Funktionalität ins Spiel bringt. Insbesondere zeigt sich diese in dem Verhältnis, das die Kunst »zu Wissenschaft, Gesellschaft und Sittlichkeit als zu den nächst verwandten Bildungen« unterhält.52 Dementsprechend unterscheidet Dessoir als die drei Hauptformen der
48 Ebd.,
1. Aufl., S. 244 / 2. Aufl., S. 188. 1. Aufl., S. 231 f.; vgl. 2. Aufl., S. 175. 50 Ebd., 1. Aufl., S. 236 / 2. Aufl., S. 180. 51 »Es enstpricht [sic] der methodischen Vorsicht Dessoirs, wenn er die Frage nach dem Wesen der Kunst nicht direkt beantwortet, denn hier liegt die Gefahr, zu sehr in blasse Allgemeinheiten zu geraten, allzu nahe, sondern die Wesensfrage umbiegt in eine Frage nach der Funktion der Kunst. Das ist berechtigt von einem Standpunkt aus, der sich so nahe wie möglich an die Wirklichkeit halten und die Spekulation vermeiden will. Von einem solchen Standpunkt aus kann man sagen: was eine Sache ist, das sieht man daran, was sie bewirkt, was sie leistet. Und so wird denn die Funktion der Kunst untersucht nicht nur im Hinblick darauf, wie sich die Kunst zu den anderen Kulturgebieten verhält, sondern um ihr Wesen ins Licht zu rücken.« (C. Herrmann: Max Dessoir, S. 48.) 52 M. Dessoir: Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft, 2. Aufl., S. 390; vgl. 1. Aufl., S. 423. 49 Ebd.,
Konzeptionen der Allgemeinen Kunstwissenschaft111
Präsenz der Kunst die »geistige«, die »gesellschaftliche« und die »sittliche« Funktion.53 Die geistige Funktion der Kunst besteht für Dessoir darin, dass die Kunst eine selbstständige Form der Kommunikation neben der Wissenschaft bildet. Ein Indikator für diese Andersheit von Kunst und Wissenschaft ist dabei die Weise, wie die Kunst in der einzelwissenschaftlichen Kunstwissenschaft konkret thematisiert wird. Dessoirs Beispiel ist hier die Werkbeschreibung innerhalb der Disziplin Kunstgeschichte: Zwar vermag eine solche nichtkünstlerische Beschreibung »die Anschauung eines Werkes der bildenden Kunst zu unterstützen und auf die Höhe einer genauen Erkenntnis zu heben«. Aber es gelingt niemals, durch »Worte das Bild zu ersetzen«.54 Wo infolgedessen die »Grenzen solcher Beschreibungen« sichtbar werden, wird deutlich, dass »die Kunst als eine selbständige und selbstwertige geistige Funktion neben der Wissenschaft bestehen« bleibt.55 So nimmt die Kunst insbesondere »im Gegensatz zur Wissenschaft die Erfahrungswelt mit dem einen oder anderen Teil ihrer Eigenschaften in neuartige Gebilde« auf, indem sie »Gebärden, Klänge, Worte, Raumformen gelten läßt« und diese »frei« zu »anderen Möglichkeiten« als den gewohnten verbindet – zu unkonventionellen Gebilden, die sich zugleich durch eine »in ihnen mächtige Notwendigkeit« auszeichnen.56 Die gesellschaftliche Funktion der Kunst zeigt sich für Dessoir gerade in den zeitgenössischen Bestrebungen einer doppelten Entgrenzung der Kunst, die die »Selbständigkeit der Kunst« infrage zu stellen scheint: Zum einen verbindet sich, wie Dessoir notiert, mit dem »jetzt so stürmisch sich äußernden Verlangen, die Kunst aus einem Vorrecht weniger zu einem Besitz aller zu machen«, der Wunsch, »daß die Kunst auch aus einer anderen Abgeschiedenheit heraustrete, daß sie nicht in Museen und Büchersammlungen, in Luxustheatern und Konzertsälen sich absperre, sondern überall mit unserem alltäglichen und häuslichen Leben verknüpft werde«, um letztlich die Indienstnahme »aller Objekte« für die Kunst herbeizuführen. Zum anderen strebt auch die Kunst selbst danach, sich jenseits tradierter gesellschaftlicher Hierarchien »aller Subjekte zu bemächtigen« und »alle Volksklassen und Lebensalter mit denselben Segnungen der Kunst zu beglücken«.57 Bei diesen Tendenzen handelt es sich, so Dessoir, keineswegs um bloße Verirrungen, und es wäre verfehlt, hier mit autoritären Restriktionsmaßnahmen die früheren Grenzen künstlich neu zu ziehen. Denn in der Tat hat die Kunst, wie Dessoir ausführt, diese soziale und rhetorische Hierarchien übergreifende, verbindende Kraft:
53 Vgl.
ebd., 1. Aufl., S. 423–439 / 2. Aufl., S. 390–405 (Kap. »Die geistige Funktion«); 1. Aufl., S. 439–452 / 2. Aufl., S. 405–419 (Kap. »Die gesellschaftliche Funktion«); 1. Aufl., S. 452– 463 / 2. Aufl., S. 419–431 (Kap. »Die sittliche Funktion«). 54 Ebd., 1. Aufl., S. 428 / 2. Aufl., S. 397. 55 Ebd., 1. Aufl., S. 428 und S. 439 / 2. Aufl., S. 397 und S. 405. 56 Ebd., 2. Aufl., S. 403; vgl. 1. Aufl., S. 436 f. 57 Ebd., 1. Aufl., S. 439–441 / 2. Aufl., S. 405–407.
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Kunstschaffen steht nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Wirkung auf die Menschen, sondern ist geradezu eine Form der Mitteilung und hierdurch eine Form menschlicher Gemeinsamkeit. Die Austauschf ähigkeit seelischer Vorgänge erhöht sich im Kunstwerk zum köstlichsten Einverständnis, das einer Berührung zwischen den Individuen nicht bedarf. In dieser Auffassung erscheint als Herzpunkt sowohl der Kunst wie des sozialen Lebens die Mitteilung.58
So berechtigt diese Forderungen nach einem allgemeinen Zugang zur Kunst auch sind, kommt in ihnen doch zugleich ein mächtiger »Trieb nach Zerstreuung und Schaugepränge« 59 zum Ausdruck, der zu einer Vereinheitlichung aller künstlerischen und ästhetischen Artikulationsformen tendiert und damit das eigentliche Potenzial der Kunst verkennt. Daher gilt es, durch eine breitenwirksame Kunstpädagogik – das entscheidende Stichwort für Dessoir ist hier die »Jugenderziehung« 60 – das Bewusstsein für Differenzen innerhalb der Kunst ebenso wie für die Differenz zwischen der Kunst und der ästhetischen Veredelung des Lebens zu schulen. Aber so bedeutsam der Unterschied zwischen der Kunst und dem ›bloß‹ Ästhetischen für Dessoir auch ist – die »Grenzen zwischen Gewerbe und Kunst sind fließend und unterliegen dem geschichtlichen Wechsel«, den die Allgemeine Kunstwissenschaft mit in den Blick nehmen muss. Denn »bei allen solchen Abgrenzungen und Titelverleihungen« sind »soziale Vorgänge maßgebend, die in der reinen Theorie nicht genügend berücksichtigt werden«.61 Die sittliche Funktion der Kunst schließlich findet in der durch die Kunst geleisteten »Verschmelzung ästhetischer Gestaltungskräfte mit Inhalten und Forderungen, die auf anderen Gebieten erwachsen sind«, statt.62 Das heißt, die Kunst ist nicht nur Teil eines kommunikativen Zusammenhangs, zu dem auch andere Bereiche des gesellschaftlichen Lebens gehören, wie etwa die Ökonomie. Sie leistet vielmehr zugleich einen Beitrag zu einem Verständnis und damit zu einer Humanisierung dieser Kommunikation. Unter diesem Gesichtspunkt wird die Kunst praktisch wirksam als Vermittlung der Gegensätze, die den Menschen als sittliches Wesen auszeichnen: Zwischen diesen beiden Seiten unseres Wesens, der tierischen und der göttlichen, scheint keine Verständigung denkbar. Dies aber ist die ungeheure Kraft der Kunst, daß sie das Unmögliche hier möglich macht. Sie kann Sinnliches so vergeistigen und Geistiges so versinnlichen, daß beide Sphären aneinanderrücken. Selbst wenn der ersehnte Friede nicht eintritt, sondern ein blutiger Kampf entbrennt, so ist dieser doch herbeigeführt worden, weil die Gegner auf gleicher Ebene sich getroffen haben. Was vorher zwei verschiedenen Ausmessungen angehörte, das wird solcherart auf denselben Raumteil und so in eine wirkliche Verbindung gebracht. Die Kunst 58 Ebd.,
2. Aufl., S. 407; vgl. 1. Aufl., S. 442. 1. Aufl., S. 447 / 2. Aufl., S. 414. 60 Ebd., 1. Aufl., S. 449 / 2. Aufl., S. 416. 61 Ebd., 1. Aufl., S. 112 / 2. Aufl., S. 57. 62 Ebd., 1. Aufl., S. 452 / 2. Aufl., S. 419. 59 Ebd.,
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ist freilich nicht imstande, sogleich die Gegensätze zwischen dem Niederen und dem Höheren des menschlichen Wesens fortzuwischen. Es wäre schlimm genug, wenn sie es täte, denn sittlich wird man nur durch Kampf. Sie versüßt nicht die Bitterkeiten des Lebens, wie das Schöne und ästhetisch Reizvolle. Sondern sie ermutigt zur Ausübung aller Kräfte. Dank ihr, daß sie so Großes leistet.63
c) Kunstwissenschaftliche Strukturlehre als Verknüpfung von Objektivität und Subjektivität In der Eröffnungsansprache zum Kongress von 1913 skizziert Dessoir die methodologischen Grundzüge der Allgemeinen Kunstwissenschaft etwas näher und weist sie dabei als »Strukturlehre« aus. Diese erkennt die »Einheit« der Kunst in der »funktionalen Ordnung« des Wechselverhältnisses von künstlerischer Produktion, Werk und Rezeption und begreift die jeweiligen Spezifizierungen (als Künste und als Kunstwerke) als ihrerseits miteinander durch »Knüpfungswerte« vernetzte Realisierungen dieser grundlegenden Funktionsrelation: Die allgemeine Kunstwissenschaft erforscht das Gefüge der Objekte unter dem doppelten Gesichtspunkt, daß es aus einem Kunstwollen entstanden und für künstlerischen Genuß bestimmt ist; diese Strukturlehre geht vom Ganzen aus, dessen Gliederung sie verfolgt und dessen Einheit sie in einer funktionalen Ordnung der Knüpfungswerte findet. Sie rechtfertigt die Eigentümlichkeit einer Einzelerscheinung als Stufe in dem Vorgang jener Gesetzlichkeit, die sich im Gesamtrhythmus der Kunstbewegung nicht minder als im idealen Gegenstande ausbreitet. Auch die geistige Einheit des geschichtlichen Verlaufs besteht in einer funktionalen Ordnung der Knüpfungswerte, nämlich in der gesetzmäßigen Verweisung des einen Stils auf einen andern. Das ist nicht zu verwechseln mit der üblichen Voraussetzung der Problemgeschichte, ein bestimmtes sachliches Ziel könne erreicht werden.64
Dessoir betrachtet demnach »das Wechselverhältnis von Produktion und Rezeption als Impuls für das Erfassen und die Beschreibung der künstlerischen Struktur« 65 und spricht, in Anlehnung an seinen Lehrer Dilthey, explizit vom Desiderat einer »Strukturlehre des Kunstgebildes« 66. Der Begriff der ›Struktur‹ ist am Anfang des 20. Jahrhunderts eindeutig mit dem Namen Diltheys assoziiert, der ihn mit einer doppelten – anthropologischen und kulturhistorischen – Ausrichtung in den philosophischen Diskurs eingeführt hatte 67: Der Strukturbegriff charakterisiert bei Dilthey einerseits einen spezifi63 Ebd.,
2. Aufl., S. 430 f.; vgl. 1. Aufl., S. 462 f. Dessoir: »Eröffnungsrede« [zum ersten Kongress für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft], S. 54. 65 U. Franke: »Nach Hegel«, S. 87. 66 M. Dessoir: »Sinn und Aufgabe der allgemeinen Kunstwissenschaft«, S. 151. 67 Zum Strukturbegriff bei Dilthey sowie zum Folgenden vgl. bes. N. Plotnikov: »Ein Ka64 M.
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schen Typus von Ganzheit und wechselseitigen Beziehungen, wie er für das geistige Leben charakteristisch ist, also die Verfassung eines psychischen Zusammenhangs bzw. eines Lebenszusammenhangs; und er charakterisiert andererseits eine Eigenschaft kultureller Ganzheiten, die Dilthey als ›Objektivationen des Geistes‹ betrachtet. In beiderlei Hinsicht bezeichnet die ›Struktur‹ den Auf bau und die Eigenschaften jener Gegenstände, deren Erkenntnis in das autonome Aufgabengebiet der – so dezidiert von den Naturwissenschaften unterschiedenen – Geisteswissenschaften fällt. Entscheidend ist dabei für Dilthey, dass beide Richtungen des Strukturbegriffs in der Praxis aufeinander bezogen sind, also die Objektivationen des Geistes jeweils auf psychische Zusammenhänge und umgekehrt. Er unterscheidet hier drei verschiedene Komponenten dieser Interaktion. Erstens arbeitet Dilthey eine anthropologisch-pragmatische Komponente des Strukturbegriffs heraus: Das Leben selbst ist »eine Struktur« 68, insofern es als Wechselwirkung und gegenseitige Anpassung von Mensch und Umwelt funktioniert. Dabei wird das zentrale Ziel jeder menschlichen Tätigkeit, die Lebenserhaltung und -erweiterung, durch die Anpassung der Wirklichkeit an die menschlichen Bedürfnisse, d. h. eine praktische Setzung der Welt, verfolgt. Damit liegt für Dilthey allen menschlichen Leistungen – von den elementarsten praktischen bis hin zu den intellektuellen Tätigkeiten in Wissenschaft, Kunst und Religion – die aktive Wechselwirkung des Menschen und seiner Umwelt als Struktur des Lebenszusammenhangs zugrunde. Zweitens entwickelt Dilthey einen kulturgeschichtlichen Begriff von ›Struktur‹, der auch für das Verständnis der Kunst relevant wird. Zwar ist für Dilthey, in Absetzung vom Positivismus der zeitgenössischen Kunstforschung, klar, dass auch die Kunst, wie die Gegenstände der Geisteswissenschaften allgemein, als objektive Realität nur als Tatsache des Bewusstseins, d. h. als ›Erlebnis‹, gegeben sind. Zugleich müssen aber umgekehrt auch die Einseitigkeiten einer psychologistischen Erlebnisästhetik überwunden werden: Vor mir liegt das Werk eines Dichters. Es besteht aus Buchstaben, ist von Setzern zusammengestellt und durch Maschinen gedruckt. Aber die Literargeschichte und die Poetik haben nur zu tun mit dem Bezug dieses sinnf älligen Zusammenhanges von Worten auf das, was durch sie ausgedrückt ist. Und nun ist entscheidend: dieses sind nicht die inneren Vorgänge in dem Dichter, sondern ein in diesen geschaffener, aber von ihnen ablösbarer Zusammenhang. Der Zusammenhang eines Dramas besteht in einer eigenen Beziehung von Stoff, poetischer Stimmung, Motiv, Fabel und Darstellungsmitteln. Jedes dieser Momente vollzieht eine Leistung in der Struktur des Werkes. […] So ist der Gegenstand, mit dem die Literaturgeschichte oder pitel aus der Geschichte des Strukturbegriffs«; s. a. F. Rodi: Morphologie und Hermeneutik; ders.: Das strukturierte Ganze. 68 W. Dilthey: Grundlegung der Wissenschaften vom Menschen, der Gesellschaft und der Geschichte, S. 355.
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die Poetik zunächst zu tun hat, ganz unterschieden von psychischen Vorgängen im Dichter oder seinen Lesern.69
Anstelle des Psychologismus soll der kulturgeschichtliche Strukturbegriff u. a. auch eine geisteswissenschaftliche Erforschung der Kunst möglich machen. Genauer: Während der psychologische Ansatz bei einer Erlebnisästhetik mit einer kulturgeschichtlichen Betrachtung der Kunst inkompatibel ist, ermöglicht es der Strukturbegriff, kulturgeschichtliche und subjektivitätstheoretische Grundlagen der Kunst zu verbinden. Wenn nämlich das soziale Leben als objektivierte Sinnstruktur verstanden wird, können Leistungen von Individuen auf bestimmte Funktionen bezogen werden, d. h., es können Gemeinsamkeiten zwischen diesen Leistungen identifiziert werden, die Dilthey auch als ›Wirkungszusammenhänge‹ bezeichnet. Für solche Zusammenhänge können des Weiteren bestimmte Regeln formuliert werden, die die individuellen Leistungen zu einem institutionalisierten und somit einem historischen Wandel unterworfenen ›Kultursystem‹ verbinden. Hierbei handelt es sich um Zusammenhänge, die sich nicht nur als Ausdruck von Sinn, d. h. von Zielen, Ideen und Werten herausbilden, sondern auch selbst fortwährend diesen Sinn erzeugen, indem sie Individuen in einer kulturellen Gemeinschaft organisieren. Und zu diesen Kultursystemen gehört für Dilthey eben auch die Kunst. In Bezug auf die Kunst ist dabei aber nicht nur die Kunst im Allgemeinen als eine ›Struktur‹ zu verstehen; vielmehr bilden innerhalb des Kultursystems ›Kunst‹ auch die unterschiedlichen Kunstgattungen solche Strukturzusammenhänge. Zugleich ist jedes Kultursystem – so auch die Kunst – in größere Zusammenhänge mit anderen solchen Kultursystemen – d. h. Wirtschaft, Recht, Wissenschaft und Religion – eingebunden, wobei Dilthey davon ausgeht, dass zwischen diesen unterschiedlichen Kultursystemen kein Kausalverhältnis vorliegt (etwa im Sinne einer Ableitung der Kunst aus der Wirtschaft oder der Religion), sondern vielmehr eine Wechselwirkung stattfindet. Und drittens erlaubt es der Strukturbegriff Dilthey des Weiteren, kulturgeschichtliche und subjektivitätstheoretische Grundlagen in Bezug auf das einzelne Kunstwerk zu verbinden, d. h., das subjektivitätstheoretisch fokussierte konkrete Werk mit der Einsicht in die kulturgeschichtliche Funktion der Kunst als eines Wirkungszusammenhangs zu verschränken. Den zentralen Bezugspunkt bildet dabei das kommunikative Verhältnis zwischen »Kunst, Kritik und einem debattierenden Publikum«70, das zweifellos auch die Referenz für Dessoirs Bestimmung der Kunst als Kommunikationszusammenhang bildet. Dieses Verhältnis enthält Diltheys Auffassung nach nämlich implizite Sinnstrukturen, die der von der Psychologie postulierte Gegensatz zwischen dem immanenten Verständnis des individuellen Werks und seiner Einbindung in den geschichtlichen Kontext der Kultursysteme verkennt. Daher kann und muss, so Dilthey, im Ausgang von der Dilthey: Der Aufbau der geschichtlichen Welt in den Geisteswissenschaften, S. 85. W. Dilthey: »Die drei Epochen der modernen Ästhetik und ihre heutige Aufgabe«, S. 242.
69 W. 70
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kommunikativen Grundkonstellation der Kunst schrittweise die Welt der Kunst rekonstruiert (Dilthey spricht von ›aufgebaut‹) werden, die von der Ebene der individuellen Rezeption bzw. Produktion bis zur Deutung der Kunst als eines objektivierten Kultursystems reicht. Die Tatsache, dass der von Dilthey in den philosophischen Diskurs eingeführte Strukturbegriff am Beginn des 20. Jahrhunderts so eindeutig mit seinem Namen verknüpft ist, geht dabei nicht allein auf die direkte Wirkung von Diltheys Schriften zurück. Vielmehr spielen hierbei auch die hieran anknüpfenden Forschungen seiner Schüler eine wesentliche Rolle, denen bis in die 1930er Jahre hinein erhebliche Bedeutung innerhalb der philosophischen und geisteswissenschaftlichen Landschaft des deutschsprachigen Raumes zukommt. Neben Eduard Spranger ist hier insbesondere auch Dessoir zu nennen, der den Strukturbegriff eben u. a. auch im Rahmen seiner Konzeption einer Kunstwissenschaft geltend macht. Wie im Einzelnen diese Strukturlehre der Kunst und der Künste zu verstehen ist, hat Dessoir weitestgehend offengelassen. In seiner Eröffnungsansprache von 1913 erfährt man hierzu immerhin noch einmal, dass die Allgemeine Kunstwissenschaft sich bei der Entwicklung dieser Strukturlehre auf die »Leitbegriffe« der einzelnen Kunstwissenschaften bezieht, um deren »Aufgabe, Sinn und Wert« zu bestimmen. Zudem wird hier auch das Verhältnis von künstlerischen Einzelwissenschaften und Allgemeiner Kunstwissenschaft etwas näher erörtert, und es wird deutlicher, worin die von Dessoir immer wieder betonte Gegenstandsbezogenheit der Allgemeinen Kunstwissenschaft besteht. Indem nämlich diese Einzelwissenschaften sich als Wissenschaften von der ›Kunst‹ verstehen und mit ihren Leitbegriffen bestimmte künstlerische Manifestationsformen ansprechen, ist klar, dass sie sich ihrerseits immer schon auf Inhalte beziehen, deren funktionale Bestimmung nicht in ihr Gebiet, sondern in das der Allgemeinen Kunstwissenschaft fällt. Das »sachliche Prius« kommt daher weder den Einzelwissenschaften von den Künsten noch der Allgemeinen Kunstwissenschaft zu, die vielmehr eine enge »gegenseitige Bezogenheit« miteinander verbindet. Dabei bezeichnen diese Leitbegriffe aber weder spekulative »Ideen« noch dinghafte ›Teile‹ des Ganzen der Kunst, die durch bestimmte ›sachlich angebbare‹ Eigenschaften verbunden wären, sondern vielmehr ›funktionale‹ Zusammenhänge. Eine funktionstheoretisch basierte künstlerische Strukturlehre soll somit den traditionellen Idealismus der Ästhetik ebenso wie den Materialismus der Empiriker gleichermaßen ablösen: Zwischen Geschichte der Kunst und systematischer Kunstwissenschaft besteht eine gegenseitige Bezogenheit, die nicht erlaubt, den einen Teil als das sachliche Prius des andern zu bezeichnen, sondern beide Richtungen in Abhängigkeit voneinander zu sehen zwingt. Wenn z. B. die allgemeine Denkmälerkunde bestimmte von Menschenhand geformte Gegenstände als Kunstdenkmäler heraushebt, so muß sie einen Begriff der (bildenden) Kunst zu Grunde legen; diesen aber will sie nicht a priori, sondern aus den nämlichen Tatsachen gewinnen, die sie doch schon damit abgrenzen mußte. Wer eine Geschichte der Novelle schreibt, soll von vornherein wissen,
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was eine Novelle ist; woher anders aber als aus der Gesamtheit der »Novellen« kann er den umfassenden und richtigen Gattungsbegriff abstrahieren? Oder um es nun im ganzen zu sagen: der geschichtliche Tatsachenstoff setzt zu seiner Auffassung systematische Begriffe voraus, die der exakte Forscher erst aus der Vergleichung vieler Tatsachen ableiten möchte. Diese unvermeidliche Kreisbewegung erläutert, was soeben von der gegenseitigen Abhängigkeit des geschichtlichen und des systematischen Denkens behauptet wurde. Auch verstehen wir jetzt, weshalb einerseits alle kunstwissenschaftlichen Gattungsbegriffe als leere Schemata befehdet, anderseits gerade als wichtigste Bundesgenossen herangezogen werden, z. B. von unserer klassischen Philologie und von jener alttestamentlichen Exegese, die das Gefüge des Hymnus, der Sage, der Spruchkomposition erforschen will, um die einzelnen Gebilde innerhalb eines sogenannten biblischen »Buchs« würdigen zu können. Hieraus ergibt sich für eine allgemeine Kunstwissenschaft die Aufgabe, Sinn und Wert solcher Leitbegriffe zu bestimmen. Denken wir, um den Gedankengang mit Anschauung zu erfüllen, an zwei recht verschiedene Gruppeneinheiten: an die musikalische Form der Sinfonie und an den allgemeinen Begriff des Motivs, der ja in sämtlichen Kunstgebieten verwendet wird. Will man ihre Bedeutung ermitteln, indem man aus der Vielfältigkeit der Erscheinungen gemeinsame Merkmale heraushebt, so gelangt man zu farblosen Definitionen oder zu der abweisenden Erkenntnis, daß überhaupt nichts Bleibendes im geschichtlichen Wechsel verborgen sei. In der Tat ist kein dinglicher Bestand aufzufinden, der als überall wiederkehrend für die Erklärung des Besonderen etwas zu leisten vermöchte. Wohl aber bedeutet Sinfonie eine Gesetzmäßigkeit, eine Regel für die Verknüpfung musikalischer Gedanken, einen Grundsatz des Fortschreitens. Desgleichen ist »Motiv« nichts sachlich Angebbares, durch Häufung beobachteter Fälle zu Ermittelndes; selbst inhaltliche Motive wie das bildhafte der Kreuzabnahme oder das dichterische des Inzestes sind Verbindungsprinzipien, ordnende und gestaltende Kräfte, Hinweise auf eine bestimmte Raumgestaltung, Wegweiser für den Auf bau des Dramas. Während man bisher die Motive entweder gemüthaft-geistig als Idee oder dinghaft als den Kernteil des Ganzen mißverstand, sollten sie nunmehr als eine ästhetische Funktion anerkannt werden.71
Es geht hier also, ganz im Sinne von Diltheys Antipsychologismus, nicht primär um die Analyse psychischer Funktionen des Subjekts, sondern um die Bestimmung jenes besonderen Typs von Gegenständen, die das Gebiet der Kunst konstituieren. Die Analyse ihrer Struktur schließt dabei die Ermittlung der Prinzipien und Gesetze ihres Auf baus, der inneren Beziehungen zwischen ihren Elementen, ihrer Wertbeziehungen und ihrer Funktion in der Kultur ein. Dessoir resümiert dementsprechend in seiner Eröffnungsansprache zum Kongress von 1913: »Unsere allgemeine Kunstwissenschaft strebt dahin, mit Hilfe von Funktionsbegriffen eine 71 M.
Dessoir: »Eröffnungsrede« [zum ersten Kongress für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft], S. 44 f.
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Strukturlehre der ästhetischen Gegenstände aufzubauen, und sie begegnet sich in diesem Streben mit philosophischer und psychologischer Ästhetik.«72 d) Skeptizismus als kunstwissenschaftliches Grundprinzip Im darauffolgenden Jahr unternimmt Dessoir noch einen größeren Vorstoß, um den »Aufgabenkreis« der Allgemeinen Kunstwissenschaft im Einzelnen zu bestimmen. Den Gedanken, »daß ein Schnitt zwischen Ästhetik und Kunstwissenschaft zu legen ist, um diese frei beweglich zu machen«, bezeichnet er jetzt als »ein erkenntnistheoretisch-methodologisches Vorspiel« und fährt fort: Nachdem die Rechtsfrage erledigt ist, können Inhalte und Begriffe einer Theorie der Künste in der ihnen natürlichen Verbindung entwickelt und namentlich zwei Aufgaben in Angriff genommen werden: Einteilung und Vergleichung der Künste. Über die Klassifikation der Künste ist neuerdings wieder lebhafter gestritten worden, dagegen fehlt es an Teilnahme für die zwischenkünstlerischen Probleme. Im 18. Jahrhundert war sie vorhanden; ich denke natürlich an den »Laokoon«, aber auch an Erörterungen über die Verwandtschaft zwischen Tonkunst und Malerei (Avison), zwischen Tonkunst und Sprache, daher auch zwischen musikalischer Formenlehre und Rhetorik, ja schließlich zwischen Kadenzierung und Interpunktion (Marpurg). Ferner wäre die reiche Fülle der allen Künsten gemeinsamen Fragen aufzugreifen, beispielsweise die Frage, unter welchen Bedingungen geschlossene, unabhängig entstandene Werke in eine statthafte Verbindung gebracht werden können. Endlich muß Beschreibung und Erklärung der Kunstwerke bis ins letzte durchgebildet werden; einen höchst lehrreichen, freilich ebenso merkwürdigen Versuch hierzu hat Alfred Heuß mit seiner Zergliederung der Bachschen H-moll-Messe gemacht. Auch auf die noch in Aussicht stehenden Studien Helene Herrmanns zu Goethes »Faust« (der Tragödie 2. Teil) darf ich schon jetzt die Aufmerksamkeit lenken. Es bleiben noch übrig die bekanntesten Themen: das Schaffen des Künstlers und die Systematik der einzelnen Künste, um von unwichtigeren Gebieten ganz zu schweigen.73
Damit ergeben sich zwar in der Tat verschiedene Überschneidungen mit den Arbeitsfeldern, die Dessoir in seiner Monographie für die Allgemeine Kunstwissenschaft angegeben hatte.74 Identisch sind diese aber nicht.75 Und etwa in seiner Begrüßungsansprache zum zweiten Kongress von 1924 gibt Dessoir dann nur noch drei Grundthemen der Allgemeinen Kunstwissenschaft an, nämlich ihre erkenntnistheoretische Rechtfertigung, die Rechtfertigung systematischer gegenüber historischer Kunstforschung und die Frage nach dem letzten Sinn des Kunstwerks: 72
Ebd., S. 46. Dessoir: »Allgemeine Kunstwissenschaft«, Sp. 2479 f. 74 S. o. S. 104 f. 75 Vgl. W. Henckmann: »Probleme der allgemeinen Kunstwissenschaft«, S. 290. 73 M.
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Die erste Aufgabe dieser Kunstwissenschaft besteht darin, sich zu rechtfertigen. Denn es ist fraglich, ob das Kunstwerk, mit dem sie sich beschäftigt, die wissenschaftliche Behandlung verträgt; möglicherweise sind Kunstwerke (eben als Träger von Kunst) nur dem Genuß und nicht der Forschung zugänglich. Ein zweites Problem, dem ersten verwandt, liegt darin, gegenüber der anerkannten geschichtlichen Behandlung der Kunst ihre systematische Untersuchung zu rechtfertigen. Ist auch dies geschehen, so darf die Frage aufgeworfen werden, welcher endgültig letzte Sinn im Kunstwerk liegt. Dies sind die drei Grundthemen der allgemeinen Kunstwissenschaft.76
Zudem bleibt offen, welchen theoretischen Status diese Wissenschaft eigentlich haben soll. So erklärt Dessoir einerseits, bezüglich der angeführten Arbeitsfelder sei »vorläufig wenigstens […] der Philosoph berufen, sie zu verwalten« 77 – woraus man nur schließen kann, dass er die Allgemeine Kunstwissenschaft als philosophische Disziplin konzipiert, und er nennt sie auch ausdrücklich die »philosophisch begründete Theorie der Kunst überhaupt« 78. Andererseits Dessoir betont aber, dass es sich nicht empfiehlt, unsere Disziplin ohne weiteres mit der Philosophie der Kunst gleichzustellen, denn wir haben es mit einer positiven Einzelwissenschaft zu tun, die zwar engste Beziehungen zur Philosophie sich angelegen sein läßt, aber doch nicht völlig in Philosophie aufgeht. Daß sie von Philosophen getrieben wird, ist ebensowenig zu beanstanden, wie die Tatsache, daß Psychologie oder Soziologie gleichfalls meist in den Händen von Philosophen liegen; und daß mit immer zahlreicher werdenden Arbeiten die Kunst-, Literatur- und Musikhistoriker willig ins Land der Philosophen ziehen, wird von uns allen mit freudiger Genugtuung begrüßt.79
Überhaupt ist es fraglich, ob Dessoir seinen eigenen Ansprüchen an eine wissenschaftlichen Standards genügende Theorie der Kunst gerecht wird. So kann man beobachten, dass er in seinen Analysen zwar erkennbar den Kontakt zu den Phänomenen sucht, er mischt deren Erörterungen aber immer wieder Wertvorstellungen und subjektive Urteile bei. Noch entscheidender ist hier allerdings, dass Dessoir, was die wissenschaftliche Methodik angeht, explizit das Pluralismusverdikt vertritt: »System und Methode bedeuten für uns: frei sein von einem System und einer 76 M. Dessoir: [Begrüßungsansprache zum zweiten Kongress für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft], S. 6; s. a. bes. ders.: »Sinn und Aufgabe der allgemeinen Kunstwissenschaft«, S. 150–152. 77 M. Dessoir: Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft, 1. Aufl., S. 6 / 2. Aufl., S. 4. 78 M. Dessoir: »Allgemeine Kunstwissenschaft«, Sp. 2407. 79 M. Dessoir: »Sinn und Aufgabe der allgemeinen Kunstwissenschaft«, S. 152. – In diesem Sine erklärt Dessoir etwa auch, »aus den »Rändern der philosophischen Ästhetik und der geschichtlichen Kunstforschung hervorgewachsen« habe die Allgemeine Kunstwissenschaft »an ihren Grenzflächen« immer noch engste Verbindung zu beiden Seiten. (Ders.: »Allgemeine Kunstwissenschaft«, Sp. 2406 f.)
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Methode.« 80 Dabei stellt sich die jeweils gewählte Methodik dem Anspruch nach ganz in den Dienst der »Fülle und Buntheit des Gegebenen«: Der entscheidende Punkt bleibt immer der, ob es gelingt, von abstrakten Philosophemen aus den Reichtum der Erscheinungen aufzuschließen und die bedeutsamen Widersprüche ohne Verlust an Tatsachen zu beseitigen. Ist das nicht der Fall, so muß mindestens der Glaube an philosophische Systeme der Ästhetik aufgegeben und die teils vor, teils hinter der Erfahrungsästhetik liegende begriffliche Spekulation als ganz für sich stehend betrachtet werden.81
Dessoir selbst hält diese Unentschiedenheit keineswegs für einen Mangel, sondern im Gegenteil gerade für eine Qualität seines Ansatzes. So gibt er selbst als Grund für seine methodisch uneinheitliche Vorgehensweise bzw. die Unangemessenheit des Strebens nach einer einheitlichen, systematisch konzipierten Methodik in Fragen der Kunst also vor allem »die intensive und die extensive Mannigfaltigkeit der ästhetischen Erscheinungen selbst« 82 an. Die Ansprüche »eines einzigen Erklä rungsgrundsatzes« müssen die Komplexität der lebendigen Realität, um deren Erfassung es in der Wissenschaft doch zu gehen hat, verfehlen: im Toten Meer des begrifflichen Absolutismus gelangen die lebendigen Einzelerkenntnisse niemals zur Tiefe, sondern werden vergiftet. Forschung und Lehre haben sich nach den Gesichtspunkten zu richten, die jeweilig vom Stoff verlangt werden, sie sollen feststellen, ordnen und möglichst unbefangen aus der Sache heraus erklären.83
Des Weiteren erklärt er aber auch im Sinne des Skeptizismus kategorisch, eine solche einheitliche Methodik verfehle schlechterdings die »Bewußtseinslage der Zeit«, der die überlieferte Sicherheit der Theorie- und Systembildung abhandengekommen sei.84 Denn angesichts der fundamentalen Ungewissheiten der modernen Kultur sind seiner Ansicht nach ernsthafte »Zweifel an der Möglichkeit eindeutiger Wahrheiten, allgemein gültiger Theorien, umfassender Systeme« angezeigt.85 Aus dieser Diagnose speist sich auch Dessoirs grundsätzliche Abneigung gegen Definitionen – einschließlich des Ästhetischen und der Kunst: Die meisten seiner Bestimmungen erfolgen durch negative Ausschließung und führen daher nicht zu positiven Begriffen. Allerdings ist es – wie vor allem im Kontext der neueren US-amerikanischen Kunstphilosophie gezeigt worden ist – aus logischen Gründen keineswegs unmöglich, den Begriff ›Kunst‹ definitorisch zu schließen, ohne die Freiheit der Kunstpraxis oder des Sprechens über die Kunst zu beschränken. Denn KunstdefinitioDessoir: Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft, 1. Aufl., S. 6 / 2. Aufl., S. 4. Dessoir: »Skeptizismus in der Ästhetik«, S. 467. 82 Ebd., S. 452 f. 83 M. Dessoir: Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft, 1. Aufl., S. VIII. 84 M. Dessoir: »Skeptizismus in der Ästhetik«, S. 450. 85 Ebd., S. 449. 80 M. 81 M.
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nen sind an sich keine Rezepte, die Regeln für die Herstellung von Kunstwerken festlegen wollen, sondern Aussagen über den Begriff ›Kunst‹. So schließt etwa auch die Definition von ›Wissenschaft‹ nicht aus, dass es immer wieder neue und unerwartete Forschungen gibt.86 Aus diesem Grund erkennt etwa Reinold Schmücker in dieser Unentschiedenheit eine »grundsätzliche Schwäche von Dessoirs Position«: Da Dessoir »nicht zu einer allgemeinen die Besonderheiten einzelner Künste transzendierenden Kunstdefinition« kommt, gelingt es ihm auch nicht, die Kunst trennscharf von anderen Gegenständen der ästhetischen Wahrnehmung zu unterscheiden. Dadurch wird aber nicht nur der Sinn einer Synopse der Ergebnisse der besonderen Kunstwissenschaften, sondern auch der von Dessoir so nachdrücklich postulierten Unterscheidung von Ästhetik und allgemeiner Kunstwissenschaft überhaupt fragwürdig.87
Insofern erscheint es, wie Schmücker weiter erklärt, »nur als konsequent, daß Dessoir 1923 in der zweiten Auflage seines Buchs auf dessen ursprüngliche Zweiteilung in die beiden ›Hauptteile‹ ›Ästhetik‹ einerseits und ›Allgemeine Kunstwissenschaft‹ andererseits verzichtet und mitunter sogar im Text Bestimmungen, die sich in der ersten Auflage nur auf die Ästhetik bezogen, auf ›Kunstwissenschaft und Ästhetik‹ ausweitet.« 88 Diese Unklarheit wird allerdings auch bereits von Zeitgenossen kritisiert. So merkt etwa Spitzer, der selbst ausdrücklich für die von Dessoir dem Anspruch nach propagierte Differenzierung zwischen Ästhetik und Kunstwissenschaft plädiert 89, in Bezug auf Dessoirs Monographie, diesem Werk fehle »die mühsame und subtile Durcharbeitung der Grundbegriffe, die Strenge des systematischen Auf baus, die Einheitlichkeit und Geschlossenheit der Anschauungen«.90 Genauer: Hier greife »sogar eine schlimmere Konfusion Platz, als man ihr in Schriften begegnet, welche die Scheidung [von Ästhetik und Kunstwissenschaft] nicht vornehmen«.91 Auch Richard Hamann fällt über Dessoirs Buch ein gemischtes Urteil: In diesem Buche wird man reichste Anregung finden, weil es an Erfahrungen und Ausblicken am vielseitigsten ist. Der Verfasser ist – auch in allen speziell modernen Fragen – am besten versiert, immer spürt man ein lebendiges Verhältniß zu den ästhetischen Tatsachen. Aber er ist auch von einer weltmännischen Skepsis die nicht zu dem kommen läßt, zu dem mancher zu gelangen wünscht, zu einer festen, entschiedenen Ansicht und zusammenhängenden Begründung.92 86 Vgl.
z. B. N. Carroll: »Introduction«, S. 9. Schmücker: »Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft«, S. 55. – Vgl. dagegen J. Früchtl: »Ästhetik und Metaphysik in metaphysikkritischen Zeiten«, S. 14. 88 R. Schmücker: »Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft«, S. 55. 89 S. o. S. 83 f., Anm. 263. 90 H. Spitzer: »Psychologie, Ästhetik und Kunstwissenschaft«, Sp. 1542. 91 Ebd., Sp. 1612. – S. a. W. Henckmann: »Probleme der allgemeinen Kunstwissenschaft«, S. 279 f. 92 R. Hamann: Ästhetik, 1. Aufl., S. V / 2. Aufl., S. 5. 87 R.
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Und Harold Osborne resümiert in seiner Rezension der englischen Übersetzung von Dessoirs Schrift, die 1970 in den USA erscheint, Dessoirs Leistung eher als die eines Vermittlers denn als die eines Theoretikers: His thought was eclectic. His strength lay in bringing together with a certain commonsense and impartiality of emphasis various trends of thought current in this time, juxtaposing rather than reconciling conflicts of outlook, posing problems rather than delving for solutions.93
2. Emil Utitz: Kunstwissenschaft als philosophische Wesensanalyse der Kunst Neben Dessoir ist es vor allem Utitz, der das Projekt der Allgemeinen Kunstwissenschaft nicht nur spätestens seit seinem furiosen internationalen Auftakt, dem Berliner Kongress von 1913, organisatorisch maßgeblich mitträgt, sondern auch systematisch vorantreibt. Allerdings steht seine Leistung zu seinen Lebzeiten immer im Schatten des älteren, akademisch etablierteren Kommunikators Dessoir. So integriert dieser in seine Autobiographie eine Charakteristik seines langjährigen Mitstreiters, die an dem strikt hierarchischen Verhältnis zu seinem »Freund und Schüler Emil Utitz« keine Zweifel lässt: Er hatte sich mir früh angeschlossen und bei dem Auf bau der allgemeinen Kunstwissenschaft gute Dienste geleistet, später setzte er sich für die werdende Charakterologie ein, unermüdlich in der Arbeit, unerschöpflich in seiner Anregungskraft. Doch gebrach es ihm an Ursprünglichkeit und Selbständigkeit; er konnte nie ohne Kork schwimmen.94
Emil Utitz (1883–1956)95, wie Dessoir Philosoph und Psychologe gleichermaßen, entstammt dem Prager deutsch-jüdischen Milieu, wo er u. a. mit Literaten wie Franz Kaf ka, seinem Klassenkameraden, Egon Erwin Kisch, Franz Werfel und Max Brod sowie dem Philosophen Hugo Bergmann verkehrt. Ein Studium der Rechte bricht Utitz schnell ab und studiert stattdessen Archäologie, Kunstgeschichte, Philosophie und Psychologie in Prag, München und Leipzig. Beeinflusst wird er in dieser Zeit vor allem durch den Sprachphilosophen Anton Martý, einen Schüler Franz Brentanos, der Prag zu einem Zentrum des Brentanismus macht. Utitz 93 H.
Osborne: »Max Dessoir: Aesthetics and Theory of Art«, S. 262. Dessoir: Buch der Erinnerung, S. 165. 95 Zur Biographie Utitz’ vgl. bes. W. Henckmann: »Lebensdaten« [von E. Utitz]; ders. »Schriftenverzeichnis« [von E. Utitz]; L. Burkhardt: »Emil Utitz (1883–1956) – Von Wert für die Wissenschaftsgeschichte?«; dies.: »Versuch gegen das Vergessen«; dies.: »Emil Utitz (1883–1956) als ›auslandsdeutscher‹ Hochschullehrer an den ›reichsdeutschen‹ Universitäten in Rostock und Halle«; J. Zumr: »Emil Utitz (1883–1956) Ästhetiker«; G. Schenk / R. Meyer (Hrsg.): Ästhetische und kulturphilosophische Denkweisen, S. 53–69; M. Iven (Hrsg.): Emil Utitz; R. Mehring: »Das Konzentrationslager als ethische Erfahrung«; ders. (Hrsg.): Ethik nach Theresienstadt, S. 9–22. 94 M.
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schließt sich hier dem sogenannten Louvrezirkel, dem Brentantokreis um Martý, an. Letzterer vermittelt Utitz auch die erste persönliche Begegnung mit Brentano. Dessen philosophische Hinwendung zu den ›Sachen selbst‹, die ihn gleichzeitig zu einem Wegbereiter der Phänomenologie macht, wird für Utitz prägend. 1906 wird er von dem Gestalttheoretiker Christian von Ehrenfels, ebenfalls einem Schüler Brentanos, in Prag promoviert, und er habilitiert sich 1910 in Rostock – in beiden Fällen auf der Basis ästhetischer Studien.96 Nach einer Privatdozentur mit anschließender Titularprofessur erhält Utitz 1921 zunächst eine außerordentliche Professur für Philosophie an der Universität Rostock, 1925 dann eine ordentliche Professur an der Universität Halle. Während dieser Zeit beschäftigt er sich neben kulturphilosophischen, psychologischen, charakterologischen und ästhetischen Themen insbesondere mit Fragen der Allgemeinen Kunstwissenschaft. Das Hauptwerk bildet hier Utitz’ 1914 und 1920 in zwei Bänden erschienene Grundlegung der allgemeinen Kunstwissenschaft. Seine frühe intensive kunstphilosophisch ausgerichtete Tätigkeit kommt schließlich – alles in allem – 1933 an ihr Ende, wo Utitz als Jude von den Nationalsozialisten aus seinem Lehramt in Halle verdrängt und verfolgt wird: Utitz kann zunächst, zwischen 1934 und 1939, noch eine Professur an der Deutschen Universität in Prag wahrnehmen. 1934 gründet er hier zusammen mit anderen Wissenschaftlern wie Jan Blahoslav Kozák, Oskar Kraus, Ludwig Landgrebe, Jan Muka řovský und Jan Patočka nach dem Vorbild des bereits seit 1926 bestehenden Cercle linguistique de Prague um Roman Jakobson den Cercle philosophique de Prague pour les recherches sur l’entendement humain. 1942 wird Utitz zusammen mit seiner Frau in das Konzentrationslager Theresienstadt verschleppt, wo er – u. a. als Leiter der dortigen Bibliothek, Organisator von Vorträgen und »›unermüdlicher‹ Vortragsredner« 97 im Rahmen der sogenannten ›Freizeitgestaltung‹ – drei Jahre verbringt. Nach 1945 ist er erneut als Professor in Prag tätig; sein Arbeitsschwerpunkt liegt nun aber auf der philosophischen und psychologischen Reflexion des Lebens in Grenzsituationen, der Schuld und Perspektive Deutschlands nach dem Holocaust und den Idealen des Kommunismus. a) Die Stellung zu Dessoir Zwar betrachtet Dessoir Utitz, wie eben gesehen, als seinen fleißigen und treuen, aber unselbstständigen Adlatus in Sachen Kunstwissenschaft. So trifft insbesondere die von Paul Moos skizzierte Charakteristik, Utitz zeige »zuweilen eine gewisse Vgl. E. Utitz: J.J. Wilhelm Heinse und die Ästhetik zur Zeit der deutschen Aufklärung; ders.: Die Funktionsfreuden im ästhetischen Verhalten. 97 R. Mehring in ders. (Hrsg.): Ethik nach Theresienstadt, S. 27. – Als Vortragsredner in Theresienstadt ist Utitz auch kurz in dem 1944 gedrehten NS-Propagandafilm Theresienstadt. Ein Dokumentarfilm aus dem jüdischen Siedlungsgebiet zu sehen. (Die Personalakte zu Utitz aus Theresienstadt ist elektronisch einzusehen über http://www.ghetto-theresienstadt.de/pages/u/utitze. htm [letzter Abruf: 13.1.2021].) 96
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Scheu vor eingreifenden prinzipiellen Entscheidungen«, er zeige »mit anderen Worten, eine Neigung zum Kompromiß und zur Vereinigung des Unvereinbaren« 98 , in der Tat einen kritischen Punkt, der die Prägnanz und Anschlussfähigkeit seiner wissenschaftlichen Ausführungen nicht gerade befördert. Nichtsdestoweniger sieht die neuere Forschung insbesondere das Verhältnis zwischen Utitz und Dessoir genau umgekehrt wie Letzterer und weist darauf hin, dass es vor allem Utitz ist, der – bei allem Respekt gegenüber seinem Lehrer und Mentor – das »fundamentale Begründungsdefizit von Dessoirs Position sehr genau im Blick« hat und auf methodische Klarheit dringt.99 So teilt Utitz zwar die von Dessoir prominent vertretenen Grundüberzeugungen der Allgemeinen Kunstwissenschaft: Er distanziert sich erstens von der verbreiteten Annahme, »daß das Künstlerische im Ästhetischen aufgeht, daß die Probleme der Ästhetik alle Probleme der allgemeinen Kunstwissenschaft umspannen, oder daß alle Probleme der allgemeinen Kunstwissenschaft ästhetische Probleme seien«.100 Entscheidend ist auch für ihn dabei die Bestimmung des Kunstwerks als »überaus kompliziertes Kulturprodukt«101, das eben nicht auf ästhetische Intentionen beschränkt werden kann, da das Kunstwerk Wirkungen – wie z. B. religiöse, pädagogische, ethische oder politische Wirkungen – intendieren kann, die keine im herkömmlichen Sinn ästhetischen Wirkungen sind.102 Dabei geht es nicht etwa darum, der Kunst ihren ästhetischen Charakter streitig zu machen. Der Punkt ist vielmehr, dass das Ästhetische nur einen Wert ausmacht, in der Kunst dagegen »verschiedene Wertschichten zusammentreffen«. Und unter diesen ist die ästhetische für die Kunst zwar notwendig, aber nicht hinreichend: Daß ein Kunstwerk nicht im Ästhetischen sich einfach auflöst, daß sein komplexer Wert – in dem verschiedene Wertschichten zusammentreffen – kein rein ästhetischer ist, steht für uns fest; aber trotzdem kann ihm doch vielleicht als eines seiner Wesensmerkmale das Ästhetische zugesprochen werden. Wie nehmen wir denn unmittelbar Kunstwerke auf ? Anschauend, betrachtend, ihrer Erscheinung fühlend zugewandt. Und so scheint denn im vornhinein die Einstellung auf das Kunstwerk bereits eine ästhetische. […] Nun muß es keineswegs bei diesem ästhetischen Zustande bleiben: Außerästhetisches kann durch ihn zum Durchbruch gelangen und in den Vordergrund treten, wenn wir tiefer in das Wollen des Kunstwerks eindringen und seiner Auffassungsforderung nachgeben. Aber der Antrieb ist gleichsam ein ästhetischer. Und dies ist wohl auch der hauptsächlichste Grund, warum sich diese bekannte Bindung alles Künstlerischen auf das Ästhetische so einbürgern und festwurzeln konnte; Moos: Die deutsche Ästhetik der Gegenwart. Bd. 2, S. 251. Schmücker: »Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft«, S. 55. S. a. bes. W. Henckmann: »Vorwort«, S. IX; ders.: »Probleme der allgemeinen Kunstwissenschaft«, S. 291 f. und S. 329. 100 E. Utitz: Grundlegung der allgemeinen Kunstwissenschaft. Bd. 1, S. 3. 101 Ebd., Bd. 1, S. 10. – S. o. S. 95. 102 Vgl. bes. R. Schmücker: »Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft«, S. 57. 98 P.
99 R.
Konzeptionen der Allgemeinen Kunstwissenschaft125
und darin besteht nun die eigentümliche Vorzugsstellung des Ästhetischen in der Kunst, wie seine Unlösbarkeit von aller und jeder Kunst.103
Die Allgemeine Kunstwissenschaft ist daher auch kein »Bastard aus Ästhetik und Kunstgeschichte«, sondern vielmehr die »Wissenschaft von der Gesetzmäßigkeit der Kunst«.104 Utitz plädiert zweitens mit Dessoir und im Sinne der Allgemeinen Kunstwissenschaft überhaupt für einen engen Kontakt dieser Wissenschaft mit den Einzelwissenschaften von den Künsten. Deren Gegenstand, also die Künste als Manifestationen der Kunst, hat die Allgemeine Kunstwissenschaft seinen wesentlichen Prinzipien nach zu bestimmen. Und er erklärt drittens den strengen Wissenschaftscharakter dieses neuen Arbeitsfeldes ausdrücklich zum »Programm«. Von der Allgemeinen Kunstwissenschaft soll man daher nicht geistschillernde Betrachtungen über Kunst und Künstler erwarten; glühende Hymnen über das Mysterium der Kunst, über das unbegreifliche Wunder schöpferischer Kraft. Nicht um Mysterien und Wunder handelt es sich mir, sondern um ernste und exakte wissenschaftliche Erkenntnis, um die Gewinnung von Grundlagen auf einem Gebiet, das – zwischen Ästhetik und den historischen Kunstdisziplinen gelegen – bisher fast gänzlich die angemessene Forschungseinstellung entbehrt hat.105
Dabei lässt Utitz allerdings keine Zweifel an seiner zentralen Überzeugung, »daß für die Plausibilität des Projekts einer allgemeinen Kunstwissenschaft alles davon abhängt, ob sich ein allgemeiner Kunstbegriff gewinnen und die von Dessoir bloß behauptete kunsttheoretische Defizienz der Ästhetik tatsächlich belegen läßt«.106 Dementsprechend wehrt sich Utitz ausdrücklich gegen die – deutlich an Dessoirs synoptisches Verständnis der neuen Disziplin erinnernde – Auffassung, die Allgemeine Kunstwissenschaft sei »lediglich […] ein Sammelbecken«107 für die aus den einzelnen kunstwissenschaftlichen Disziplinen erarbeiteten Ergebnisse (auch wenn diese Ablehnung eben nicht ganz vereinbar mit dem erwähnten stark referierenden Darstellungsstil vieler seiner Abhandlungen ist): Die Allgemeine Kunstwissenschaft fungiert bei ihm nicht mehr, wie bei Dessoir, bloß als nachträgliche Wissenschaftskritik ohne klaren eigenen systematischen Status. Vielmehr ist die Allgemeine Kunstwissenschaft bei Utitz ausdrücklich »Philosophie der Kunst«:
Utitz: »Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft«. In: Kongress für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft, S. 106. 104 E. Utitz: Grundlegung der allgemeinen Kunstwissenschaft, Bd. 1, S. 23. 105 Ebd., Bd. 1, S. VII. 106 R. Schmücker: »Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft«, S. 56. Vgl. dazu bes. E. Utitz: »Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft«. In: Kongress für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft, S. 102 f. 107 E. Utitz: Grundlegung der allgemeinen Kunstwissenschaft, Bd. 1, S. 11. 103 E.
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Wenn die Ästhetik nicht der Gesamttatsache der Kunst beikommen kann, und wenn die einzelnen Kunstdisziplinen allgemeine Kunstprinzipien verlangen, die nicht der Ästhetik zu entnehmen sind, so scheint eine neue Wissenschaft sich einschieben zu müssen, die mit der Ästhetik die Allgemeinheit teilt und mit den Kunstdisziplinen das Material: die Kunstwerke in der ganzen Fülle ihrer Beziehungen und Bedingtheiten. Die Geschichte bedarf auch einer philosophischen Grundlegung, und diese bietet die Geschichtsphilosophie; und allgemeine Kunstwissenschaft ist ja nichts anderes als Philosophie der Kunst, wobei wir nur den Sinn der Philosophie nicht so verengen dürfen, daß er alle phänomenologischen und psychologischen Untersuchungen ausschließt.108
Die Allgemeine Kunstwissenschaft bedarf also sehr wohl »zu ihrem Ausbau der weitgehendsten Hilfe seitens der Werttheorie, Kulturphilosophie, Psychologie, Phänomenologie und Geschichte und vor allem auch der Ästhetik«. Entscheidend ist dabei aber für Utitz, dass die Allgemeine Kunstwissenschaft »sich nicht in diese Disziplinen auf[löst]«, sondern vielmehr »alles unter ihren Gesichtspunkt: eben den der Kunst« rückt.109 Es gilt demnach, einen »alle Kunstgattungen übergreifenden Wesensbegriff der Kunst zu finden, durch den der Bereich des Künstlerischen von dem des Nichtkünstlerischen abgegrenzt werden« kann.110 So notiert Utitz bereits in seinem Vortrag auf dem Berliner Kongress von 1913, die zentrale Aufgabe der Allgemeinen Kunstwissenschaft sei »eine Wesensuntersuchung der Kunst«, die die Grundlagen der Einzelwissenschaften von den Künsten als Wissenschaften von der Kunst sichert.111 Die entsprechende »einheitliche Forschungseinstellung« ergibt sich für Utitz im Sinne des angestrebten ›Objektivismus‹ nicht subjektiv, durch Anwendung einer Methode, sondern objektiv durch den Nachweis, dass die zu untersuchenden Gegenstände eine einheitliche Grundstruktur aufweisen: die Wesensstruktur der Kunst.112 Dabei sollen die Aussagen über das Wesen der Kunst nicht bloß apodiktisch postuliert oder aus geläufigen Meinungen abgeleitet werden. Sie sollen vielmehr durch systematische Vergleichung und Abstraktion aus dem Kontakt mit den Kunstwerken und seiner Professionalisierung in den einzelnen Kunstwissenschaften gewonnen werden (wenngleich man auch hier sagen muss, dass dieser Anspruch von Utitz nicht durchgängig überzeugend umgesetzt wird). Besondere heuristische Bedeu108 Ebd.,
Bd. 1, S. 32; s. a. bes. ebd., S. 39–43. Ebd., Bd. 1, S. 11. 110 W. Henckmann: »Probleme der allgemeinen Kunstwissenschaft«, S. 293. 111 E. Utitz: »Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft«. In: Kongress für Ästhetik und Allge meine Kunstwissenschaft, S. 102 f.; ders.: Grundlegung der allgemeinen Kunstwissenschaft, Bd. 1, S. 17. – Zu Utitz’ Verteidigung dieser Position vgl. bes. E. Utitz: »Erich Bernheimer: Philosophische Kunstwissenschaft«. S. a. R. Heinz: »Der nicht ausgetragene Methodenstreit zwischen Emil Utitz und Erich Bernheimer«. 112 E. Utitz: Grundlegung der allgemeinen Kunstwissenschaft, Bd. 1, S. 33. Vgl. W. Henckmann: »Probleme der allgemeinen Kunstwissenschaft«, S. 292. 109
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tung kommt dabei den diversen Grenzfällen künstlerischer Gestaltung zu, bei denen etwa die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gattung, einem Stil oder auch zum Kreis der Kunst selbst zum Problem wird. In jedem Fall müssen sich die so getroffenen Wesensaussagen im Umgang mit den Werken bewähren: »Und ist das Wesen der Kunst erkannt, tritt ›das Kunstwerk‹ in die vorderste Reihe.«113 b) Die systematische Bestimmung der Allgemeinen Kunstwissenschaft An diesem Punkt, Utitz’ Identifikation von Kunstwissenschaft und Philosophie der Kunst, setzt nun allerdings Gustav Špet, der als Kunstphilosoph an der sowjetischen GAChN in Moskau die deutschen Debatten um die Allgemeine Kunstwissenschaft sehr genau verfolgt, mit seiner Kritik an114 und liefert damit Argumente für eine Position, die an der GAChN überhaupt zu diesen Fragen eingenommen wird115. Wie Utitz erkennt auch Špet die Notwendigkeit, nicht nur die unterschiedlichen Theoriebildungen zu den einzelnen Künsten, wie sie in den empirischen Kunstwissenschaften unter Rückgriff auf philosophische Begriffe und methodische Versatzstücke geleistet werden, zu einer gemeinsamen Theorie aller Künste zusammenzuschließen. Über diese bloße Synthese hinaus muss es zudem darum gehen, philosophische Reflexion der Kunst im engeren Sinne einer Klärung der Frage nach dem ›Wesen‹ der Kunst zu treiben. Während allerdings Utitz diese philosophische Frage bereits als integralen Teil, genauer: als Zentrum und Motor der kunstwissenschaftlichen Arbeit betrachtet, plädiert Špet für ein dreistufiges Modell, das eine Arbeitsteilung von empirischen Kunstwissenschaften, Allgemeiner Kunstwissenschaft und Kunstphilosophie vorsieht.116 Diese konzeptionellen Unterschiede spiegeln sich auch bereits in der gegenüber der Allgemeinen Kunstwissenschaft stärker systematisch strukturierten Arbeit an der GAChN, wo die Kompetenzen für die Bearbeitung kunstwissenschaftlicher Probleme, die Utitz letztlich in der Tat in einer einzigen Theorie vereinigen will, drei verschiedenen Abteilungen zugeordnet werden. So stehen hier neben der seit Februar 1922 von Špet geleiteten Philosophischen Abteilung, deren Aufgabe es ist, die Prinzipienfragen sowie die methodischen Fragen der Kunstwissenschaft überhaupt117 zu analysieren, eine Physikalisch-psychologische und eine Soziologische Abteilung. Dabei führt Špet aus, dass durch eine Gleichsetzung, wie Utitz sie vorschlägt, letztlich nicht nur eine selbstständige theoretische Kunstwissenschaft unmöglich Utitz: Grundlegung der allgemeinen Kunstwissenschaft, Bd. 1, S. 17. bezieht sich dabei auf E. Utitz: Grundlegung der allgemeinen Kunstwissenschaft, Bd. 1, S. 32 und S. 39–43. (Vgl. G. Špet: »Zur Frage nach der Organisation der wissenschaftlichen Arbeit auf dem Gebiet der Kunstforschung«, S. 405.) 115 Zur GAChN s. u. S. 294–300. 116 Vgl. N. Plotnikov: »Kunstwissenschaft als Thema der philosophischen Reflexion«. 117 Vgl. A.I. Kondrat’ev: »Rossijskaja Akademija Chudožestvennych nauk«. 113 E.
114 Špet
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wird, die die »Dinge der Kunst, wie sie in der realen sozialgeschichtlichen Situation gegeben sind«, jenseits der rein einzelwissenschaftlichen Perspektiven erforscht. Ebenso schwer wiegt für Špet zudem, dass vom Standpunkt der Allgemeinen Kunstwissenschaft aus die Kunst nicht, wie eigentlich intendiert, als Phänomen sui generis, sondern nur als ein Kulturphänomen neben anderen in den Blick geraten kann. So zeichnet sich ein »angemessenes Kunstverhalten« nach Utitz in der Tat dadurch aus, dass es nicht auf ein größtmögliches ästhetisches Erlebnis abzielt, also einseitig die Perspektive des rezipierenden Subjekts in den Mittelpunkt stellt, sondern dass sich die Rezeption stattdessen durch das von den Werken ›Gemeinte‹ und ›Gewollte‹ binden lässt.118 Im Sinne des angestrebten Objektivismus geht er nämlich davon aus, dass ein Kunstwerk niemals nur der später von Danto polemisch beschriebene »Spiegel« ist, »in dem jeder etwas anders sieht (nämlich sich selbst), so daß die Frage nach dem richtigen Spiegelbild unsinnig ist«.119 Vielmehr ist das Kunstwerk immer auch ein Gegenstand, der etwas Bestimmtes artikuliert – die Rezeption also, mit Utitz gesprochen, auch ›unangemessen‹ sein kann.120 Eine ›angemessene‹ Rezeption muss, anders gesagt, unter den vielfältigen Funktionen, die die Kunst in einer Kultur übernehmen kann, diejenigen dieser Funktionen, die für ein bestimmtes Kunstwerk relevant sind, mit in den Blick nehmen. Als symptomatisch für diese kulturalistische Überformung des Kunstbegriffs betrachtet Špet es, »dass Utitz, der sich so für die Kunstwissenschaft einsetzte, aber überzeugt war, dass die allgemeine Kunstwissenschaft nichts anderes als Kunstphilosophie sei, unmittelbar nach dem ›System‹ der Kunstwissenschaft ein Buch über die Kulturphilosophie herausgebracht hat«, wo er »die Kunst wie eine besondere Artikulation dessen, was auch in anderen Bereichen des modernen geistigen und materiellen Lebens zum Ausdruck kommt (Bildung, Wissenschaft, Recht, sittliches Bewusstsein, Philosophie, Staats- und Wirtschaftsleben usw.)«, behandelt.121 Allerdings hat Utitz die Probleme, die Špet in seiner Konzeption erkennt, – ohne Špets Einwände konkret zur Kenntnis genommen zu haben – durchaus selbst gesehen. So hält er gegen Dessoir fest, dass allem einzelwissenschaftlichen Umgang mit der Kunst und jeder kulturellen Funktionsanalyse das ›Kunsthafte‹ der Kunst vorausgeht; und dessen Bestimmung ist die Aufgabe der Philosophie der Kunst. Nur als philosophische Bestimmung der Kunst kann die Allgemeine Kunstwissenschaft den künstlerischen Einzelwissenschaften darstellen, was eigentlich ihr Ge118 E. Utitz: Grundlegung der allgemeinen Kunstwissenschaft, Bd. 1, S. 229; vgl. ebd., S. 27 und S. 226. 119 A.C. Danto: Die philosophische Entmündigung der Kunst, S. 67. – S. a. R. Schmücker: »Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft«, S. 61. 120 Dabei erfasst die von Utitz im Sinne des angestrebten Objektivismus gegenüber dem Kunstphänomen eingeführte Kategorie des ›angemessenen Kunstgenusses‹ bzw. des ›angemessenen Kunstverhaltens‹ nicht, »wie man sich irgendwie der Kunst gegenüber tatsächlich verhalten kann, sondern wie man sich verhalten muß, um ein dem Kunstwerke völlig angemessenes Erleben zu erfüllen«. (E. Utitz: Grundlegung der allgemeinen Kunstwissenschaft, Bd. 1, S. 21.) 121 G. Špet: »Zur Frage nach der Organisation der wissenschaftlichen Arbeit auf dem Gebiet der Kunstforschung«, S. 405. – Špet bezieht sich hier auf E. Utitz: Die Kultur der Gegenwart.
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genstand ist und was sie alle zu Wissenschaften von der Kunst macht, ihnen also ihre thematische Einheit vorgeben. Dabei betrachtet Utitz es als die zentrale Herausforderung der Kunstphilosophie, die Kunst gerade nicht einfach in der Kultur aufgehen zu lassen, sondern herauszustellen, was sie als spezifisches Kulturphänomen ausmacht. Das heißt, es geht ihm darum, die Autonomie der Kunst im Sinne ihrer Eigenkategorialität konzeptionell mit ihren vielfältigen außerkünstlerischen Kulturfunktionen zu vermitteln: »Das positive Verhältnis zur Geistesgeschichte unter völliger Wahrung der Autonomie der Kunst, das ist vielleicht die für unsere Zeit charakteristischste Frage.«122 Eine so verstandene Kunstphilosophie bzw. Kunstwissenschaft muss, wie Utitz notiert, im Verband der philosophischen Disziplinen einen festen Ort haben. Da aber ein solches System, in dem die Kunstphilosophie ihre Letztbegründung finden muss, vorerst nur Postulat bleibt, gilt auch für die Kunstphilosophie – ebenso wie in den anderen philosophischen Disziplinen – »daß diese letzte Rückführung und Verankerung lediglich gelingen können, wenn das Wesen der einzelnen Disziplinen schon erkannt und geklärt ist«.123 De facto haben daher die Disziplinen den Vorrang vor dem System. Die Allgemeine Kunstwissenschaft steht bei Utitz als philosophische Grundlagentheorie wohl in Bezug zu den einzelnen kunstwissenschaftlichen Fächern; sie lässt sich aber ihre Themen nicht mehr einfach von diesen vorgeben. Denn nur auf diese Weise vermag sie für die Einzelkunstwissenschaften Grundlagentheorie zu sein. Sie entzieht sich damit – zumindest dem Anspruch nach – der in Dessoirs Konzept enthaltenen Zirkularität, dass die Allgemeine Kunstwissenschaft sich von den Fächern, die durch sie doch allererst ihre methodologische Basis erhalten sollen, zugleich ihre Begriffe und Probleme vorgeben lassen muss. So distanziert Utitz sich von Dessoir, wenn dieser behauptet: »in der gesamten Kunstsystematik findet sich kein geschichtsfreier Satz«124, und stellt dieser Pauschalaussage die differen122 E.
Utitz: »Ästhetik und Philosophie der Kunst«, S. 308. S. a. ders.: »Über Grundbegriffe der Kunstwissenschaft«, S. 34 f.: »denn die große Frage lautet eben: Wahrung der Autonomie der Kunstwissenschaft bei positiver Stellung zur Geisteswissenschaft. Oder wie es Max Dessoir ausdrückt (Kunstgeschichte und Kunstsystematik; Kongreß zu Halle 1927): ›Die Kunst in ihrem bleibenden Gehalt zu erfassen und im Rahmen geisteswissenschaftlicher Systematik zu ergründen, ist die noch ungelöste Aufgabe.‹« (Vgl. M. Dessoir: »Kunstgeschichte und Kunstsystematik«, S. 134.) 123 E. Utitz: Grundlegung der allgemeinen Kunstwissenschaft, Bd. 1, S. 43; s. a. S. 39. – S. a. bes. »Wenn jemand heute nach den Grundlagen der Mathematik forscht, so steht er vor dem weit ausgebauten und fest gesicherten Reich der Mathematik. Aber ob es überhaupt eine allgemeine Kunstwissenschaft als Sonderdisziplin gibt oder geben kann, das ist eine durchaus strittige Frage. Hier erschließt sich uns kein bereits erobertes Gebiet, sondern es muß erst die Rechtfertigung erbracht werden, warum ein derartiges Gebiet geschaffen werden soll, und es bedarf eines Feldzugsplanes, der die Möglichkeit des Eindringens in dieses Gebiet gewährleistet. Wir sprechen hier also weniger von einer vorhandenen, als von einer werdenden Wissenschaft, weniger von Grundlagen, deren Tragkraft im Dienste der Wissenschaft sich erprobt hat, als von Prinzipien, deren Fruchtbarkeit in der Werkstatt lebendiger Forschung sich erweisen soll.« (Ebd., S. 1 f.) 124 M. Dessoir: »Kunstgeschichte und Kunstsystematik«, S. 141.
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zierende These entgegen, »daß leider in der Systematik das Geschichtsfreie bisher eine zu große Rolle spielte, daß meist das Historische das Systematische zersetzte, oder umgekehrt das Systematische das eigentlich Historische.« Für Utitz geht es aber gerade im Sinne einer produktiven Kooperation mit den Einzelwissenschaften von den Künsten in der Allgemeinen Kunstwissenschaft um die »Wahrung systematischer Theorie, die nicht das Historische einschnürt, vielmehr in seiner ganzen Wesensfreiheit erfordert und damit erst im vollen Betracht eine Kunstgeschichte beglaubigt, die auf beide Worte gleichen Nachdruck legt: auf Kunst und Geschichte.«125 Und so ist es Utitz, der sich als Erster konsequent der Aufgabe einer systematischen »Grundlegung der allgemeinen Kunstwissenschaft« – wie zugleich der Titel seines Hauptwerks zu diesem Thema lautet – stellt.126 c) Die Bedeutung der Phänomenologie In der programmatischen Hinwendung zu den ›Sachen selbst‹, hier also: zur Kunst, und in dem Verständnis der Philosophie als ›strenger Wissenschaft‹ sieht Utitz sich neben Bernard Bolzano auch ausdrücklich Husserl verpflichtet.127 Dementsprechend wird er u. a. von Dessoir der Phänomenologie zugerechnet.128 Allerdings folgt Utitz Husserls Position nur zum Teil. So ist sicher die von Geiger, der seinerzeit wie kein anderer die phänomenologische Ästhetik repräsentiert, in seiner Rezension von Utitz’ Grundlegung formulierte Charakteristik treffender, die diesen nicht als eigentlich Phänomenologen im Sinne Husserls, sondern vor allem als »geistigen Nachkommen Brentanos« betrachtet.129 So hat auch Henckmann darauf 125 E.
Utitz: »Über Grundbegriffe der Kunstwissenschaft«, S. 68 f. Henckmann: »Probleme der allgemeinen Kunstwissenschaft«, S. 292. 127 Vgl. z. B.: »Auf die nahe Verwandtschaft zu E. Husserls phänomenologischer Methode brauche ich wohl nicht erst ausdrücklich hinzuweisen.« (E. Utitz: »Vom Schaffen des Künstlers«, S. 370.) Noch die Arbeit des von Utitz 1934 in Prag mit ins Leben gerufenen Cercle philosophique ist maßgeblich auf die Bekanntmachung des Lebenswerks von Husserl ausgerichtet, der hier im November des darauffolgenden Jahres auch seine späten Vorträge über Die Psychologie in der Krise der europäischen Wissenschaft hält. Diese Verbindung unterstreicht ebenfalls die von Utitz zusammen mit Kozák unterzeichnete programmatische Vorrede zur Arbeit des Cercle: »Die Methode unserer Arbeit ergibt sich aus dem sorgf ältigen Studium des Konkreten und geht den Weg einer strengen Analyse der Phänomene selbst, hierbei an Edmund Husserl anknüpfend, der übrigens auch aus unserem Lande stammt.« (In: Philosophia. 1 [Belgrad 1936], S. 24; hier zit. nach J. Patočka: Texte – Dokumente – Bibliographie, S. 239.) – Zu Utitz’ Verhältnis zur Phänomenologie vgl. bes. W. Henckmann: »Vorwort«, S. XX-XXVII; ders.: »Probleme der allgemeinen Kunstwissenschaft«, S. 293–295 und S. 301. S. o. S. 77. Zur Verbindung zwischen dem Cercle und Husserl s. bes. J. Patočka: Texte – Dokumente – Bibliographie, S. 188–257; s. a. J. Moural: »Czechoslovakia«, S. 124 f. 128 Vgl. M. Dessoir: »Aesthetics and the Philosophy of Art in Contemporary Germany«, S. 303. S. a. W. Henckmann: »Probleme der allgemeinen Kunstwissenschaft«, S. 301. 129 M. Geiger: »Emil Utitz: Grundlegung der allgemeinen Kunstwissenschaft«, S. 399: »Utitz nimmt diese Aufgabe [der Grundlegung der Kunstwissenschaft] in Angriff – mit einem umfas126 W.
Konzeptionen der Allgemeinen Kunstwissenschaft131
hingewiesen, dass Utitz »schon die für die eigentliche phänomenologische Methode entscheidende ›Epoche‹, die Einklammerung der Wirklichkeitsthese«, nicht mitmacht und »den für die Münchener Phänomenologie charakteristischen Weg zwischen Induktion und Deduktion« einschlägt, weil er wie diese Husserls Lehre von einer Erfüllungsbeziehung zwischen bedeutungsverleihenden (d. h. Denken) und bedeutungserfüllenden Akten (Wahrnehmen bzw. Phantasieren, d. h. ›Anschauen‹) nicht teilt. Während Husserl dementsprechend nur einen grundsätzlichen Typ von Intentionalität kennt, geht Utitz, wie die Münchner Frühphänomenologen, zu denen auch Geiger zählt, im Sinne einer Vermittlung der Objektivität mit den vielfältigen Perspektiven der Subjektivität davon aus, dass mehrere untereinander irreduziblen Typen von Intentionalität existieren. Jedem Typ von Gegenständen entspricht demnach ein bestimmter Typ von Intentionalität. Diese Typen von Intentionalität müssen in ihrer Mannigfaltigkeit und ihrer Gegenstandsbezogenheit identifiziert und beschrieben werden. Utitz lässt sich insofern methodisch der Münchner phänomenologischen Schule zuordnen, »zu der er jedoch, außer zu M. Geiger, keine konkreten persönlichen oder philosophischen Beziehungen hatte«.130 Die Einschätzung Geigers findet auch ihre Bestätigung in der von Utitz vielfach erhobenen Brentanoschen Forderung nach einer ganzheitlichen Methode, die »der Fülle und dem Reichtum der wahrhaft vorliegenden Verhältnisse« gerecht zu werden vermag, und der es gelingt, »das Material nach allen Seiten hin [zu] durchleuchten und bewältigen«.131 – Jan Muka řovský, der auch zu den Mitbegründern des Prager Linguistenkreises um Jakobson gehört und sich mit seiner Strukturtheorie des Kunstwerks ausdrücklich auf Utitz beruft132 , bezeichnet ein solches »Bewußtsein von den Zusammenhängen«, in denen das Werk steht und die seine Multiperspektivität ausmachen, später als »einen der charakteristischsten Züge des strukturalistischen Denkens«133.
senden Überblick über die ästhetische, kunstwissenschaftliche und kunsthistorische Literatur, mit der Kenntnis der Kunst auch in ihren vom Wege abseits liegenden Spielarten, ebenso wie mit der erkenntnistheoretischen und methodischen Schulung, wie sie den geistigen Nachkommen Brentanos eignet.« 130 W. Henckmann: »Vorwort«, S. XXII–XXIV. 131 E. Utitz: Grundlegung der allgemeinen Kunstwissenschaft, Bd. 1, S. 10. – S. o. S. 95. 132 Vgl. J. Muka řovský: »Ästhetische Funktion, Norm und ästhetischer Wert als soziale Fakten«, S. 9 f., s. a. S. 17 und 32. S. a. bes. Utitz’ Studie Kultur und Sprache, die aus den Diskussionen des Prager Cercle linguistique hervorgeht. – Zur Bedeutung von Utitz für den Russischer Formalismus und den Tschechischen Strukturalismus vgl. bes. K. Clausberg: »Wiener Schule – Russischer Formalismus – Prager Strukturalismus«, S. 153 f. L. Burkhardt: »Versuch gegen das Vergessen«, S. 37 und S. 39; dies.: »Emil Utitz (1883–1956) – Von Wert für die Wissenschaftsgeschichte?«, S. 144. 133 K. Chvatík: Mensch und Struktur, S. 183.
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d) Kunstwissenschaft als Lehre von der ›Gegenständlichkeit des Kunstwerks‹ Zwar hat auch Utitz kein »geschlossenes System der Kunstwissenschaft« vorgelegt.134 Er hat diese Aufgabe aber doch, wie bereits die Rezensenten seiner Grundlegung Liebert und Geiger notieren, »um ein bedeutendes Stück gefördert«135, indem er zu zeigen versucht hat, wie die Fragen und Probleme, die Dessoir nur lose zusammengestellt hatte, auf eine »einheitliche Forschungseinstellung«136 zurückgeführt werden können und dadurch die Grundlage einer selbstständigen Wissenschaft bilden137. Im Mittelpunkt von Utitz’ Theorie der Kunst steht seine Lehre von der ›Gegenständlichkeit des Kunstwerks.‹138 Diese Lehre gründet auf der phänomenologischen These, dass im Zuge der Wesensanalyse alle Begriffe auf konkrete Erfahrung zurückzuführen sein müssen, um keine leeren Abstraktionen zu bleiben.139 Den »systematischen Fluchtpunkt«140 von Utitz’ Kunstphilosophie bildet die Beobachtung, dass Kunstwerke immer »Darstellung« bzw. »Gestaltung« oder auch »Formung« sind.141 Sie lassen sich daher zwar im Prinzip »in der gleichen Weise wahrnehmen und genießen wie Naturphänomene und Alltagsdinge«. Wer sie aber »nur in dieser Weise wahrnimmt und genießt«, nimmt das »in ihnen Gestaltete oder von ihnen Dargestellte nicht als Gestaltetes oder Dargestelltes wahr und verfehlt damit das Kunstwerk als Kunstwerk«.142 Das Kunstwerk muss vielmehr als Struktur begriffen werden, die im Medium der Gestaltung Sinn realisiert: ästhetisch genießen können wir Naturobjekte, ebenso wie Kunstgebilde, wenn wir uns der reinen Anschauung hingeben. Nun steht uns aber bei Kunstgebilden noch eine andere Einstellung offen, die etwa der verwandt ist, mit der der gläubige Theist in jedem Naturding eine Schöpfung Gottes bewundert. Und diese Betrachtungsweise auf Kunstwerke angewandt ergibt, daß wir von dem durch das Kunstwerk Gebotenen auf den achten, der dies geboten hat, also auf das gestaltende Können des Künstlers; erst dadurch wird das Kunstwerk als Kunstwerk aufgefaßt, als Werk eines Künstlers. Ich vermag z. B. in die Stimmung eines Landschaftsbildes ganz un134 M.
Geiger: »Emil Utitz: Grundlegung der allgemeinen Kunstwissenschaft«, S. 406. Liebert: »E. Utitz: Grundlegung der allgemeinen Kunstwissenschaft«, S. 180; vgl. M. Geiger: »Emil Utitz: Grundlegung der allgemeinen Kunstwissenschaft«, S. 406. 136 E. Utitz: Grundlegung der allgemeinen Kunstwissenschaft, Bd. 1, S. 11. 137 Vgl. W. Henckmann: »Probleme der allgemeinen Kunstwissenschaft«, S. 292. 138 Vgl. bes. E. Utitz: Die Gegenständlichkeit des Kunstwerks; ders.: Grundlegung der allgemeinen Kunstwissenschaft, Bd. 2, S. 1–159 (Kap. »Das Kunstwerk«). – Zur Interpretation vgl. bes. W. Henckmann: »Probleme der allgemeinen Kunstwissenschaft«, S. 300–329; ders.: »Zur Grundlegung der allgemeinen Kunstwissenschaft von Emil Utitz«. 139 Vgl. W. Henckmann: »Probleme der allgemeinen Kunstwissenschaft«, S. 292 f.; ders.: »Vorwort«, S. XVII. – S. o. S. 42. 140 R. Schmücker: »Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft«, S. 56. 141 E. Utitz: »Über Grundbegriffe der Kunstwissenschaft«, S. 16 f. – S. o. S. 93. 142 R. Schmücker: »Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft«, S. 56. 135 A.
Konzeptionen der Allgemeinen Kunstwissenschaft133
terzutauchen, ohne daß mir irgend etwas von Gestaltung oder Darstellung bewußt wird. Sicherlich werden sie nicht dadurch unwesentlich: denn die Stimmung baut sich ja auf der betreffenden Art der Gestaltung auf, aber ich genieße eben das Gestaltete, das Dargestellte. Ganz anders wird nun der Genuß, wenn ich die Darstellung, die Gestaltung selbst genieße: die Endstimmung als Schaffungsergebnis, als bedingt durch die zwingende Bindung der Formfaktoren. Hier erst wird das Kunstwerk als Kunstwerk lebendig.143
Dabei bildet diese Struktur des Kunstwerks für Utitz zwar eine in sich geschossene Ganzheit, die aber nichtsdestoweniger durch seine vielfältigen möglichen kulturellen Funktionen in übergreifenen Zusammenhängen steht. Kunst als ›sinnerfüllte Form‹ Um etwas als Kunstwerk wahrzunehmen, bedarf es für Utitz also seiner Wahrnehmung als gestaltetes Objekt: als Komposition.144 Mit dieser Bestimmung schließt Utitz sich eng an Fiedlers Unterscheidung zwischen künstlerischen und nichtkünstlerischen Gegenständen an. Allerdings diagnostiziert er zugleich bei Fiedler und in dessen Nachfolge auch bei Wölfflin eine formalistische ›Entleerung‹ der Kunst, die nicht nur das Wesen der Kunst im Allgemeinen, sondern insbesondere auch den spezifischen Charakter der einzelnen Werke verfehlt. Ihr setzt Utitz als künstlerisches Grundprinzip die ›sinnvolle‹ bzw. »sinnerfüllte Form« entgegen: Gewiß sind systematische Klarheit und Sicherheit der Begriffe Ziel der Wissenschaft, aber doch nur, weil durch sie Probleme aufgerollt und befriedet werden. Fiedler sieht immer nur das Problem der Methode. Darum gilt ihm die Form an sich, nicht letzthin die sinnerfüllte Form. Sinn der Form ist ihm lediglich ihre Sichtbarkeit, nicht die in ihr allein mögliche Sinnerfüllung. In der Abwehr des Außerkünstlerischen hat er die Kunst entleert. […] Ich will nicht sagen, daß Fiedler für das Individuelle des Kunstwerkes keine Aufgeschlossenheit zeigt, wo er doch für jeden Inhalt eine individuelle Form erheischt, allein letzthin interessiert ihn dieses Individuelle gar nicht, sondern nur seine Eignung, einzugehen in jene Gesetzlichkeit des sichtbaren Seins.145
In der sinnerfüllten Form manifestiert sich der aus den ›verschiedenen Wertschichten‹ gebildete ›komplexe Wert‹ des Kunstwerks.146 Dabei beschränken sich die im Kunstwerk artikulierten ›Werte‹ aber eben nicht nur auf ästhetische oder künstlerische Werte, sondern sie umfassen grundsätzlich alle Erfahrungsgehalte, die erleUtitz: Grundlegung der allgemeinen Kunstwissenschaft, Bd. 1, S. 55. R. Schmücker: »Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft«, S. 56. 145 E. Utitz: »Über Grundbegriffe der Kunstwissenschaft«, S. 18, s. a. S. 31 und S. 56. 146 S. o. S. 124. 143 E.
144 Vgl.
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benswert sein können – also religiöse, intellektuelle, seelische, sittliche Werte usw. Dagegen heben wertneutrale oder gar negativwertige Inhalte wie Banales, Triviales, Brutales, Obszönes Utitz’ Auffassung nach das Kunst-Sein auf.147 Mit dem Prinzip der ›sinnerfüllten Form‹ schafft Utitz so den Grundbegriff jener »geisteswissenschaftlichen Methode […], für die nicht die Gesetzmäßigkeit der Formentwicklung, sondern der Formwandel in seinem Verhältnis der Weltanschauungen zum Zentralproblem wird«.148 – Eine Parallele zu dieser Bestimmung der Kunst als ›sinnerfüllter Form‹ findet sich namentlich in dem Konzept der Kunst als ›sinntragendem Zeichen‹149 bzw. als Artikulation der ›inneren Form‹, die die Sinnstruktur der Welt bildet150, das Špet und seine Kollegen, maßgeblich unter dem Eindruck von Utitz’ Thesen, an der GAChN entwickeln. Kunst als ›Gestaltung auf ein Gefühlserleben‹ und die ›Schichten‹ des Kunstwerks Utitz geht somit davon aus, dass der Künstler mit der Gestaltung seines Werks dem Rezipienten etwas »darzubieten beabsichtigt« – ohne dass diese Mitteilungsabsicht notwendigerweise »dem bewußten Willen des Künstlers entspringen« muss.151 Dabei bilden auch für Utitz, ebenso wie für Dessoir152 , der »Künstler, das Kunstwerk und der Kunstgenuß«153 die aufeinander verweisenden Facetten der Kunst. Kunst ist nämlich eben nicht nur oder notwendigerweise primär Sache der ästhetischen Erfahrung des rezipierenden Subjekts. Vielmehr ist Kunst ein Zusammenspiel von künstlerischem Tun, Werk und – vom rein ästhetischen Genuss zu unterscheidendem – ›Kunstgenuss‹. Der Künstler schöpft daher bei seinem Schaffen auch nicht rein aus sich selbst. Er berücksichtigt vielmehr (wenngleich möglicherweise nicht oder nur teilweise bewusst) auch den Zweck des Werks, die jeweiligen lokalen kulturellen und historischen Gegebenheiten und nicht zuletzt die Eigenart des zu gestaltenden Materials. Die auch von Fiedler in den Blick genommene ›Sichtbarkeit‹ des Kunstwerks ist demnach gerade dadurch ausgezeichnet, dass hier jemand – der Künstler – im Medium der Sinnlichkeit, d. h. in der Gestaltung des Werks, etwas 147 Vgl.
W. Henckmann: »Probleme der allgemeinen Kunstwissenschaft«, S. 297 f. – Dies ist auch der Grund für Utitz’ Ablehnung des Expressionismus. (Vgl. bes. E. Utitz: Die Überwindung des Expressionismus; s. aber z. B. auch bereits ders.: »Hermann Bahr: Expressionismus«. – Zur Deutung vgl. F. Uhlig: »Emil Utitz’ Schriften zur Kunstkritik des Expressionismus«.) 148 W. Passarge: Die Philosophie der Kunstgeschichte in der Gegenwart, S. 37. 149 G. Špet: »Probleme der modernen Ästhetik«, S. 399. 150 Ebd., S. 400. – Vgl. hierzu bes. R. Grübel: »Krasnore č ivej slov inych / nemye razgovory«; s. a. A. Haardt: Husserl in Russland. München 1993. 151 E. Utitz: Grundlegung der allgemeinen Kunstwissenschaft, Bd. 1, S. 64; vgl. ebd., S. 55. S. a. R. Schmücker: »Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft«, S. 56. 152 S. o. S. 113. 153 Vgl. bes. E. Utitz: Grundlegung der allgemeinen Kunstwissenschaft, Bd. 1, S. 226–304 (Kap.: »Der Künstler, das Kunstwerk und der Kunstgenuß«); Bd. 2 (der Band teilt sich in die drei Kapitel: »Das Kunstwerk«, »Der Künstler«, »Die Kunst«).
Konzeptionen der Allgemeinen Kunstwissenschaft135
für jemanden – die Betrachtenden – zum Ausdruck bringt: Kunst ist »Gestaltung auf Ausdruckswerte«.154 Der in der Gestaltung ausgedrückte Sinn des Werks erschließt sich für Utitz dabei im ›Gefühlserleben‹: »Die Form der Kunst, ihre Gestaltung drängt nun unmittelbar auf ein Gefühlserfassen; sie ist die auf Erweckung eines Gefühlserlebens zielende Darstellung von Werten.«155 Utitz spricht daher von der Kunst in der Regel als »Gestaltung auf ein Gefühlserleben«.156 Dementsprechend definiert er die Kunst folgendermaßen: Da glaube ich nun, die allgemeinste Bestimmung bestehe darin, daß jedes Erzeugnis, das auf Kunstsein Anspruch erhebt, uns durch seine Gestaltung ein Gefühlserleben darzubieten beabsichtigt. Diese Absicht muß durchaus nicht dem bewußten Willen des Künstlers entspringen, sondern sie ist der Sinn der Gestaltung, ihr Richtungsziel. Aus ihr heraus wird die Gestaltung begriffen, und ist dies unmöglich, so geht der Kunstcharakter verloren.157
Die ›Gestaltung auf ein Gefühlserleben‹ bildet für Utitz die kulturelle Funktion der Kunst. Sie kann ihre Funktion (im Singular) aber nur erfüllen, indem sie diese in Bezug auf vielfältige kulturelle Funktionen (im Plural) wie das Erotische bzw. Sexuelle, das Intellektuelle, das Ethische, das Religiöse, usw. wahrnimmt.158 Dabei stellt Utitz klar, dass das in der Kunst dargebotene ›Gefühlserleben‹ in dieser Definition keinesfalls psychologistisch als ›realer Vorgang‹ gedacht ist, sondern vielmehr als ›ideales Korrelat der Gestaltung‹: Jenes Gefühlserleben, das die Gestaltung als ihren Sinn erfordert, ist keineswegs ein seelisch-realer Vorgang, der sich in mir oder in irgend einem anderen abspielt oder auch nur abspielen kann. Es ist das ideale Korrelat der Gestaltung, durch ihre Eigengesetzlichkeit bedingt. Während doch jedes tatsächliche Erleben eben auch durch meine Persönlichkeit gef ärbt ist.159
Denn nur als ein solches ›ideales Korrelat‹ konzipiert, sichert das ›Gefühlserleben‹ für Utitz im Sinne des angestrebten Objektivismus die Einholung der Kunst als autonomem, eigenen Gesetzen der Gestaltung und Formung gehorchendem Gegenstand – der umgekehrt, kraft seiner Eigengesetzlichkeit, dieses Korrelat allererst schafft: Wir bleiben bei der Kunst als einer Gestaltung auf ein Gefühlserleben, derart, daß ihr Sinn in diesem Erleben sich erschließt. Damit glauben wir die Autonomie der Kunst gesichert gegen jeglichen Angriff: durch ihre eigengesetzliche Gestaltung und
154 E.
Utitz: »Das Schöne und die Kunst«, S. 114. – S. o. S. 93. Utitz: Grundlegung der allgemeinen Kunstwissenschaft, Bd. 1, S. 64. 156 Ebd., Bd. 1, S. 190, S. 257 u. ö. 157 Ebd., Bd. 1, S. 64; vgl. Bd. 2, S. 4, S. 215 und S. 335. 158 S. o. S. 95. S. a. S. 49. 159 E. Utitz: »Das Problem einer allgemeinen Kunstwissenschaft«, S. 442. 155 E.
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Formung. Denn jenes Gefühlserleben ist selbstverständlich von der Gestaltung nicht ablösbar, wird es doch durch sie erst erzeugt und geschaffen.160
Und nur als ein solches ›ideales Korrelat‹ verhilft das ›Gefühlserleben‹ dem realen Kunstvollzug über die pure Subjektivität hinaus, indem sie diesen auf die Eigentümlichkeit des Werks hin orientiert und ihn doch zugleich als subjektive und damit partiale Erfahrung ausweist: Also: der reale Kunstgenuß ist nie jenes ideale Gefühlserleben, kann es nicht sein und soll es nicht sein. Aber wenn er wahrhaft Genuß am Kunstwerke ist, dann hat er teil an jenem Erleben, er stellt gleichsam eine individuelle Variation über ein Thema dar. Das Thema muß durchklingen; das gehört ebenso zum Wesen der Variation, wie der Sachverhalt, daß die Variation das Thema nicht in seiner Nacktheit erklingen läßt. Für jeden Menschen gibt es letztlich einen anderen, nur ihm allein angemessenen Kunstgenuß, der eben die beste, ergiebigste und tiefste Relation stiftet zwischen seinem Ich und der Objektivität des Kunstwerks. Diese Angemessenheit ist aber selbstverständlich etwas gänzlich Verschiedenes von jenem idealen Erlebenskorrelat der Gestaltung. Und doch meint jeder angemessene Kunstgenuß dieses »Ideal« – um es so kurz zu bezeichnen – er zielt dahin, aber immer in verschiedener Weise; stets handelt es sich um ein Teilhaben, niemals um ein Zusammenfallen.161
Das Gefühlserleben antwortet Utitz zufolge auf die im Kunstwerk als Gestaltung durch einen Künstler »notwendigerweise vorauszusetzende Intentionalität«.162 Diese bezeichnet Utitz auch als ›Kunstwollen‹163, das also nichts mit bestimmten künstlerischen Interessen und Motiven oder mit Riegls Begriff des Kunstwollens als dem den Stil fundierenden und erzeugenden Wollen einer Epoche zu tun hat. Im Kunstwerk wird damit nicht nur erfahrbar, wie andere Individuen sich innerhalb einer Kultur die Wirklichkeit im Medium des Gefühls erschließen. Vielmehr werden auch fremde Kulturen und vergangene Epochen als spezifische Gefühlswelten erfahrbar. Was »an sinnlichem Reiz, an Stimmung, Gefühlsgehalt, Spannung und Beruhigung usw. in einem Kunstwerke liegt«, darf also nicht von der Gestaltung abgetrennt werden, wenn deren »Sinn« nicht »verdunkelt« werden soll.164 Eben dies ist aber nach Utitz’ Auffassung in Fiedlers »intellektualistischer Reduktion der Kunst auf anschauliche Erkenntnis«165 der Fall: Sie lässt die sinn- bzw. 160
Ebd., S. 443. Ebd., S. 442. 162 W. Henckmann: »Probleme der allgemeinen Kunstwissenschaft«, S. 297. 163 Vgl. bes. E. Utitz: Grundlegung der allgemeinen Kunstwissenschaft, Bd. 1, S. 63 f. und S. 279– 290, s. a. S. 234, S. 276, S. 278 f. u. ö. 164 E. Utitz: »Allgemeine Kunstwissenschaft«, S. 441. S. o. S. 94. – Vgl. hierzu auch bes. U. Franke: »Nach Hegel«, S. 84 f.; R. Schmücker: »Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft«, S. 57. 165 W. Henckmann: »Probleme der allgemeinen Kunstwissenschaft«, S. 296. 161
Konzeptionen der Allgemeinen Kunstwissenschaft137
werthafte Mitteilung des Werks außer Acht, die über die Funktion anschaulicher Erkenntnis als solche weit hinausgeht. Zur näheren Charakterisierung dieser spezifischen ›Gegenständlichkeit des Kunstwerks‹ entwickelt Utitz – vor Autoren wie Ingarden166 und Panofsky167 – »die erste phänomenologische Schichtentheorie« des Kunstwerks168. Utitz unterscheidet hier als Gegenständlichkeitsbedingungen des Kunstwerks erstens sein ›Material‹ (also etwa Marmor, Bronze oder Farbe), zweitens das ›Kunstverhalten‹ (worunter Utitz nicht etwa verschiedene Rezipiententypen versteht, sondern vielmehr die Verhaltensweise des Rezipienten, die auf die jeweils in der Struktur der Gestaltung des Werks angelegte Intentionalität antwortet), drittens die ›Darstellungsweise‹ (d. h. eine dezidiert auf das Ganze des Werks bezogene, »nicht durch den ›Menschen‹, der hinter dem Kunstwerk steht und mit ihm ursächlich verbunden ist, sondern eine im Kunstwerk vorfindliche Besonderheit, die eben dem Dargestellten eine bestimmte Tönung verleiht«169), viertens den ›Darstellungswert‹ (d. h. die vielfältigen und – wie Utitz gegen traditionelle Voreingenommenheiten für bzw. gegen bestimmte Wertgruppen gerichtet betont – prinzipiell gleichrangigen Gefühlswerte, in denen sich seiner Ansicht nach der Sinn einer Gestaltung erschließt) und fünftens die ›Seinsschicht‹ (d. h. die spezifische Ontologie der künstlerischen Weltdarstellung, die sich etwa durch Steigerung, Intensivierung oder Entmaterialisierung von der alltäglichen Wirklicheitserfahrung unterscheidet).170 Diese ›Gegenständlichkeit des Kunstwerks‹ bezieht sich auf die ontologische »Grundstruktur des Kunstwerks, durch die es noch nicht zu einem Werk einer bestimmten Kunstgattung spezifiziert ist«. Es geht hier also zunächst einmal um eine »generelle Strukturgesetzlichkeit, die zwischen dem Allgemeinbegriff von Kunst und den einzelnen Kunstgattungen vermittelt«, also das Kunst-Sein als solches betrifft, nicht die Struktur des Kunstwerks in der Einzigartigkeit seiner konkreten Manifestation, also die systematische Grundlegung der Methode der Kunstgeschichtsforschung.171 Fiedler hatte die traditionelle Bestimmung der Kunst als Nachahmung unter Verweis auf ihren wesentlich produktiven Charakter zurückgewiesen. Ebenso betrachtet es auch Utitz als entscheidend für die Erfahrung der Kunst im ›Gefühlserleben‹, dass es hier nicht bloß um die nachahmende Wiederholung von Gefühlen des Künstlers geht. Denn schließlich ist der »Künstler eben nur als Kunstschöpfer Künstler« und kann als solcher allein »von dieser seiner Beziehung zur Kunst her erR. Ingarden: Das literarische Kunstwerk. S. u. S. 193, Anm. 459. 168 W. Henckmann: »Vorwort«, S. XXVII. 169 E. Utitz: Grundlegung der allgemeinen Kunstwissenschaft, Bd. 2, S. 86. 170 Vgl. bes. E. Utitz: Die Gegenständlichkeit des Kunstwerks; ders.: Grundlegung der allgemeinen Kunstwissenschaft, Bd. 2, S. 1–157 (Kap. »Das Kunstwerk«). – Zur Deutung s. bes. W. Henckmann: »Probleme der allgemeinen Kunstwissenschaft«, S. 308–316; ders.: »Zur Grundlegung der allgemeinen Kunstwissenschaft von Emil Utitz«. 171 W. Henckmann: »Probleme der allgemeinen Kunstwissenschaft«, S. 301. 166 Vgl.
167
138
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kannt werden«, aber nicht »als Mensch, wie er schläft und ißt, trinkt und atmet«.172 Der Künstler steht so als Künstler »seinem Leben gegenüber« und »erlebt es erst eigentlich im Schaffen. Und nur das in dieser Form Erlebte wächst zum Werke der Kunst.« Das heißt, den Künstler zeichnet »gerade das objektive Herausstellen des Subjektiven aus; dadurch verliert dieses nicht seine Einzigartigkeit, wohl aber die zufällig stoffliche Tatsächlichkeit.«173 Mit der Charakterisierung der Kunst als ›Gestaltung auf ein Gefühlserleben‹ ist auch nicht etwa gemeint, dass ein Kunstwerk besonders intensive oder leidenschaftliche Gefühle erweckt bzw. erwecken sollte. Mit bloßer Schwelgerei oder Ekstase hat die Kunst nämlich auch für Utitz nichts zu tun. So notiert er zwar im Anschluss an Dessoirs Analyse der ästhetischen Erfahrung die Tendenz, die »Funktionsfreuden im ästhetischen Verhalten«, also die »Freuden an heftigen, leidenschaftlichen, stürmischen Erregungen«, wie sie z. B. bei der »Freude am Wettrennen, zahlreichen Spielen, gef ährlichen Zirkus- und Variétédarbietungen, Kinematographen, Kolportageromanen, Sensationsprozessen usw.« zum Tragen kommen, im Kunstwerk zu akzentuieren.174 Diese Tendenz allein, mag sie auch noch so erfolgreich bedient werden, qualifiziert derlei Phänomene aber noch nicht als Kunstwerk. Vielmehr geht es nach Utitz im Kunstwerk darum, dass hier eine »Erfahrensweise« geboten wird, »die das Gemüt des Menschen bewegt, ihn in seinem Lebensnerv trifft«.175 Hierzu gehört, dass im Kunstwerk der Inhalt gestaltet worden ist, genauer: gestaltet für das ›Gefühlserleben‹. Erst durch diese Brechung in Form der Gestaltung kann, so Utitz, das alltäglich Vertraute im ›Gefühlserleben‹ auf neue Weise erfahren werden: Wenn ich von ethischen, sinnlichen, sexuellen usw. Darstellungswerten spreche, meine ich natürlich nicht, daß Ethisches als Ethisches, Sinnliches als Sinnliches, Sexuelles als Sexuelles außerhalb der Kunst nicht vorkommen, wohl aber daß sie in der Kunst eine bestimmte, nur ihr eigene Gegebenheitsweise erlangen, eben Kunstsein, also eine Gestaltung auf Gefühlserleben, derart, daß der Sinn dieser Gestaltung in einem Gefühlserleben sich erschließt.176
Das heißt, die unterschiedlichen Lebensinhalte bleiben auch im Kunstwerk, was sie sind, und gehen nicht etwa im rein Ästhetischen auf.177 Im engen Sinne ›ästhetische Gefühle‹ sind somit eher geeignet, das Kunsterleben zu verhindern als zu ermöglichen. Aber wir genießen die Lebensinhalte in der Kunst doch »nur ›schauend‹, und damit bahnt sich ein Erkennen ihrer an, das auf anderem Wege nicht in dieser Weise zu beschaffen ist«.178 Durch die Kunst werden daher die GefühlsmögUtitz: Grundlegung der allgemeinen Kunstwissenschaft, Bd. 2, S. 166. Ebd., Bd. 2, S. 217 f. 174 E. Utitz: »Außerästhetische Faktoren im Kunstgenuß«, S. 635. 175 W. Henckmann: »Probleme der allgemeinen Kunstwissenschaft«, S. 296. 176 E. Utitz: Grundlegung der allgemeinen Kunstwissenschaft, Bd. 2, S. 90. 177 Vgl. bes. ebd., Bd. 2, S. 91. 178 Ebd., Bd. 2, S. 321.
172 E. 173
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lichkeiten des Menschen erweitert, erneuert und verfeinert, und zwar in einem »aktualisierenden Sinn«, insofern das in der Kunst angesprochene Gefühlserleben »die hier und jetzt erfahrene Freisetzung der in der Gestaltung angelegten Gefühlsmöglichkeiten« bedeutet.179 Kunst ist damit für Utitz durchaus, wie bereits für Fiedler, auf Erkenntnis hin orientiert – nur eben nicht allein auf anschauende Erkenntnis (zumal diese sich, entgegen dem alle Künste übergreifenden Ansatz der Allgemeinen Kunstwissenschaft, notwendigerweise auf die bildenden Künste beschränkt), sondern auf emotionale Erkenntnis. So zitiert Utitz zustimmend Max Frischeisen-Köhlers Auffassung, die Kunst sei der mächtigste und eindringlichste Protest, den die Geschichte gegen den einseitigen Intellektualismus hervorgebracht hat. Sie sichert uns das Recht eines betrachtenden Verhaltens zu den Dingen, in welchem wir über die logischen Zusammenhänge der Berechnung hinaus, zu der die Wissenschaft gelangen kann zu einem mitfühlenden Verstehen auch alles dessen, was sich nicht in das Netz der Begriffe einfangen läßt, uns erheben können.180
Durch die Bestimmung der künstlerischen Form als Träger von ›Sinn‹ im Rahmen kultureller Funktionen soll es gelingen, die vielfältigen individuellen Kunstphänomene nicht einer abstrakten methodischen »Gesetzlichkeit« gefügig zu machen, sondern ihnen in ihrer jeweiligen Eigenart gerecht zu werden.181 Und diese ist eben beim Renaissancegemälde, wie es bei Utitz heißt, eine andere als bei den »dämonischen Masken der Primitiven« oder »Ornamente[n]«.182 Das Prinzip der ›sinnerfüllten Form‹ soll es damit nicht zuletzt ermöglichen, auch unkanonische Phänomene wie die erwähnte Zirkusdarbietung vorurteilslos auf ihren Kunstwerkcharakter hin zu befragen. Kunst als Werk Dabei verweist die ›sinnerfüllte Form‹ des Kunstwerks aber nicht zeichenhaft auf einen Inhalt, sondern im Kunstwerk »ist«183 die Form zugleich ihr Inhalt: »Hier ist kein Inhalt, dem eine Form angeschneidert wird, sondern der Inhalt wird nur durch und in der Form. Gerade darum aber ist er – und dies ist hier das entscheidende Wort – objektiviert.«184 Die Realisierung dieser Objektivierung ist aber das Werk. 179 Vgl.
W. Henckmann: »Probleme der allgemeinen Kunstwissenschaft«, S. 296 f. (Zit. S. 297). 180 E. Utitz: Grundlegung der allgemeinen Kunstwissenschaft, Bd. 2, S. 321. (Vgl. M. FrischeisenKöhler: »Philosophie und Dichtung«.) 181 E. Utitz: »Über Grundbegriffe der Kunstwissenschaft«, S. 17 f. 182 Vgl. z. B. E. Utitz: »Das Problem einer allgemeinen Kunstwissenschaft«, S. 443 f. 183 E. Utitz: »Über Grundbegriffe der Kunstwissenschaft«, S. 47 f. 184 E. Utitz: Grundlegung der allgemeinen Kunstwissenschaft, Bd. 2, S. 195.
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Daher stellt Utitz dezidiert den Werkbegriff in den Mittelpunkt der Allgemeinen Kunstwissenschaft: »Kunstwissenschaft ist letzthin immer Wissenschaft von den Kunstwerken, niemals etwas anderes. Auch dann nicht, wenn sie das künstlerische Verhalten oder Schaffen untersucht.«185 Aus diesem Grund sind auch die möglichen Gedanken und Gefühle, die den Künstler bei seinem Schaffen begleiten, gegenüber dem Werk sekundär: »Erst wenn das Werk zu uns spricht, hören wir auch darauf, was der Künstler spricht«.186 Und deswegen ist des Weiteren, was die Rezeption angeht, nicht etwa »der gesamte tatsächliche künstlerische Schaffensprozeß«, der »im Kunstgenießen nacherlebt wird oder nacherlebt werden sollte«, der Bezugspunkt, sondern die »Gegebenheit des Werkes« als objektivierte ›Gestaltung‹.187 Denn Ziel der Kunst ist nicht die »subjektive Entladung«, sondern die »Sachlichkeit der Gestaltung«, die ›Kristallisation‹ nach der »Gesetzlichkeit der Kunst«.188 Daher ist für Utitz nur die künstlerische Gestaltung gelungen, die ein bestimmtes Gefühlserleben hervorruft; und nur das Gefühlserleben ist künstlerisch legitim, das auf die Besonderheit der Gestaltung zurückgeht. Dementsprechend geht es Utitz auch in der Kunstwissenschaft um eine »systematische Vereinigung von Sinn und Form«.189 Und er schließt daraus: »So wird Kunstgeschichte zur Geistesgeschichte, ohne irgendwie die Formanalyse aufzugeben; denn jene Geistigkeit erschließt sich nur in den Formen.«190 Die Kommunikationsstruktur des Kunstwerks als Verknüpfung von Objektivität und Subjektivität Bei allem Traditionalismus des hier zugrunde gelegten Verständnisses des Werks (Utitz kann das Kunstwerk etwa als »eben eine geschlossene, harmonische Welt in sich, in der alle Teile sich zur Einheit runden«191, charakterisieren) umreißt Utitz hier zugleich einen alternativen Begriff des Kunstwerks als einer kommunikativen Funktion, wie er sich bereits in Diltheys Charakteristik der Struktur des Kunst185 E.
Utitz: »Über Grundbegriffe der Kunstwissenschaft«, S. 6. – Vgl. z. B. auch: »Nicht das Erlebnis interessiert in erster Linie die Kunstwissenschaft, sondern das Kunstwerk. Das Erlebnis ist nur der Weg, das Kunstwerk zu erfassen. Der Subjektivität des Bewusstseins wird die Objektivität künstlerischer Gegenständlichkeit gegenübergestellt.« (Ders.: »Allgemeine Kunstwissenschaft«, S. 437.) »Nur ein ästhetischer Objektivismus schlägt auch eine innige Verbindung zu den historischen Kunstdisziplinen. Ist doch ihr primäres Forschungsobjekt nicht das Erleben von Kunstwerken, sondern das Kunstwerk selbst. Von ihm her muß der Zugang zu den psychologisch gerichteten Untersuchungen gefunden werden, wenn sie nicht steuerlos bleiben sollen.« (Ders.: »Ästhetik und Philosophie der Kunst«, S. 307.) 186 E. Utitz: Grundlegung der allgemeinen Kunstwissenschaft, Bd. 1, S. 250. 187 Ebd., Bd. 2, S. 168 f. 188 Ebd., Bd. 2, S. 198. 189 E. Utitz: »Über Grundbegriffe der Kunstwissenschaft«, S. 42. 190 Ebd., S. 43. 191 E. Utitz: Die Funktionsfreuden im ästhetischen Verhalten, S. 51.
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werks192 und, in dessen unmittelbaren Nachfolge, in Dessoirs Charakteristik der Kunstfunktionen193 abgezeichnet hatte: Das Werk bzw. der Sinn des Werks liegt demnach nicht bereits im gestalteten Objekt vor, sondern er muss vielmehr erst vom rezipierenden Individuums vollzogen werden. Aber dieser Vollzug bleibt, das ist für Utitz entscheidend, immer auf einen intersubjektiven Austausch bezogen: Er antwortet auf die »Absicht« des Künstlers, »uns durch seine Gestaltung ein Gefühlserleben darzubieten«, aus der allererst »der Sinn der Gestaltung, ihr Richtungsziel« resultiert. »Aus ihr heraus wird die Gestaltung begriffen, und ist dies unmöglich, so geht der Kunstcharakter verloren.«194 Dabei beinhaltet diese ›Absicht‹ aber eben nicht allein die bewussten Intentionen des Künstlers, sondern ebenso die Färbung dieser Intentionen durch die kulturellen und geistesgeschichtlichen Bedingungen, innerhalb derer sie artikuliert wurden – wenngleich man sagen muss, dass ontologische bzw. strukturtheoretische und funktionale bzw. geschichtliche Fragen in Utitz’ Konzept weitgehend unvermittelt nebeneinanderstehen.195 Dies bedeutet, dass ein »angemessenes Kunstverhalten«196 zwar immer die Leistung eines rezipierenden Individuums ist und insofern partiell bleibt. Das Werk steht allerdings zum einen, insofern es auf die Gestalt gewordene ›Absicht‹ des Künstlers bezogen ist, nicht jeder beliebigen Deutung offen und zum anderen kann es im reinen ästhetischen Genuss nur unzulänglich erfasst werden. So bildet der ästhetische Eindruck eines Werks für Utitz zwar den Ausgangsimpuls seiner Rezeption. Aber das Werk spricht sich eben nicht selbst ganz aus. Die Rezeption kann sich daher nicht auf die spontane ästhetische Anmutung beschränken, sondern sie muss auch Wissen über den Künstler, den Zweck des Werks und die Besonderheiten seiner Epoche einbeziehen. Reinold Schmücker deutet diese Anlage des Kunstwerks, wie Utitz sie konzipiert, als Verschränkung von reflexiver (auf die individuelle ästhetische Erfahrung ausgerichteter) und gegenstandskonstitutiver (auf das bestimmte Kunstwerk ausgerichteter) Interpretation.197 Indem aber im Vollzug des Kunstwerks immer eine Intentionalität (des Künstlers) vorausgesetzt wird, auf die sich das »Gefühlserleben«198 verstehend bezieht, erhebt sich die Gestaltung – anders als etwa die Natur oder die Technik – »aus einer mechanischen Wirkungsrelation (Ursache für bestimmte Reize zu sein) in die Region einer freien Kommunikation«199. Deren Sinn erschließt sich für Utitz, im Gegensatz zu einem wissenschaftlichen Werk oder zur alltäglichen Kommunikation, erst eigentlich im ›Gefühlserleben‹, wie es die Kunst seiner Ansicht nach ermöglicht. 192
S. o. S. 113–116; s. a. S. 78. S. o. S. 110–113. 194 E. Utitz: Grundlegung der allgemeinen Kunstwissenschaft, Bd. 1, S. 64. 195 Vgl. W. Henckmann: »Probleme der allgemeinen Kunstwissenschaft«, S. 314. 196 E. Utitz: Grundlegung der allgemeinen Kunstwissenschaft, Bd. 1, S. 229; vgl. ebd., S. 27 und S. 226. 197 Vgl. R. Schmücker: »Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft«, S. 61. 198 E. Utitz: Grundlegung der allgemeinen Kunstwissenschaft, Bd. 1, S. 64 u. ö. 199 W. Henckmann: »Probleme der allgemeinen Kunstwissenschaft«, S. 297. 193
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Kunst, genauer: künstlerische Erkenntnis, ist so bei Utitz, mit Hannah Arendt und Aristoteles gesprochen, kommunikative praxis, in der »wir nicht mehr fragen: Was sind wir, sondern: Wer sind wir.« 200 Das Spezifikum dieser praxis liegt dabei in ihrer werkbedingten Diskontinuität: Kunstwerke sind »Medien eines diskontinuierlichen Kommunikationsgeschehens« 201, in dem wir in einem ganzheitlichen und unabschließbaren Prozess etwas über uns als Menschen zu erfahren vermögen, das uns in strikt abstrakt-diskursiven bzw. zweckgebundenen ebenso wie in rein ästhetischen Zusammenhängen verborgen bliebe 202 . 3. August Schmarsow: Kunstwissenschaft als philosophische Anthropologie der Künste Der Kunsthistoriker August Schmarsow nimmt mit seinen methodologischen Beiträgen unter den Protagonisten der Allgemeinen Kunstwissenschaft eine Sonderstellung ein. Insbesondere die charakteristische Unterscheidung zwischen Kunstphilosophie und Ästhetik hat er terminologisch nicht mitgemacht. Auch ist er der von Dessoir und Utitz propagierten Abwendung von Hegel nicht gefolgt und hat sich stattdessen ausdrücklich auf diese Tradition berufen. Zwar wird Hegel dabei nicht als Metaphysiker des Schönen, sondern vielmehr als Leitfigur eines dezidiert kulturgeschichtlichen Kunstverständnisses, das nach dem Sinn der Werke in ihrem Kontext fragt, ins Spiel gebracht. Aber trotz dieser kulturhistorischen Orientierung scheinen Schmarsows Beiträge für Utitz in methodologischer Hinsicht irrelevant gewesen zu sein: In seiner Grundlegung etwa erwähnt er dessen Forschungen nur beiläufig. Allerdings verweist Dessoir als Beleg für die »letzthin rege gewordene und mehrfach bekundete Anteilnahme an den Problemen dieser Wissenschaft« neben Hamann und Wulff, einem Schüler Schmarsows, ausdrücklich auf diesen selbst.203 Arendt: Vita activa, S. 17. – Vgl. bes. B. Collenberg-Plotnikov: »Kunst als praxis«. Schmücker: Was ist Kunst?, S. 282. 202 Vgl. in ähnlichem Sinne auch Muka řovský, der allerdings, anders als Utitz, das Ästhetische als das Künstlerische des Kunstwerks identifiziert: »Neben seiner Funktion eines autonomen ästhetischen Zeichens hat das Kunstwerk noch eine andere Funktion: die eines kommunikativen oder mitteilenden Zeichens. So wirkt die Dichtung nicht nur als Kunstwerk, sondern gleichzeitig auch als ›Wort‹, das einen psychischen Zustand, einen Gedanken, ein Gefühl usw. ausdrückt. Es gibt Künste, bei denen diese kommunikative Funktion sehr evident ist (Poesie, Malerei, Plastik), und andere, wo sie verdeckt erscheint (Tanz) oder ganz unsichtbar wird (Musik, Architektur).« ( J. Muka řovský: »Die Kunst als semiologisches Faktum«, S. 142.) 203 M. Dessoir: »Allgemeine Kunstwissenschaft«, Sp. 2405. Dessoir bezieht sich hier auf R. Hamann: »Zum Kongreß für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft«; O. Wulff: »Grundsätzliches über Ästhetik, allgemeine und systematische Kunstwissenschaft«; A. Schmarsow: »PRO DOMO eines Kunsthistorikers«. – Auch in seiner Monographie bezieht Dessoir sich wiederholt affirmativ auf Schmarsows Kunsttheorie. Vgl. M. Dessoir: Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft, 1. Aufl., bes. S. 303 und S. 398 f., s. a. S. 311 und S. 421 / 2. Aufl., bes. S. 254 f. und S. 364. 200 H.
201 R.
Konzeptionen der Allgemeinen Kunstwissenschaft143
Und auch Wulff präsentiert Schmarsow als den Kunsthistoriker, der im Geist der Allgemeinen Kunstwissenschaft auf seinem Leipziger Lehrstuhl »wenigstens an einer deutschen Hochschule seit mehr als zwei Jahrzehnten« den Beweis führt, »[d]aß methodischer Ausbau der ästhetischen Theorie der bildenden Kunst und Fühlungnahme mit der Psychologie und Völkerpsychologie sehr wohl mit strenger stilkritischer und stilgeschichtlicher Forschung verträglich ist, und daß wechselseitiger Nutzen daraus entspringt«.204 In der Tat hat Schmarsow sich – ganz im Sinne von Dessoir und Utitz – bereits frühzeitig dem Kampf gegen belletristische Schöngeisterei in der akademischen Auseinandersetzung mit der Kunst und für die konsequente Rückbindung der kunsthistorischen Forschung an eine systematische Kunstwissenschaft verschrieben und immer wieder über Fragen der kunstwissenschaftlichen Methodik gelehrt.205 Er hat sich – ebenso wie Dessoir und Utitz – gegen einen reinen Formalismus gewandt und das Kunstwerk als ›Wert‹, d. h. als sinnliche Präsenz von Sinn und als Kulturphänomen, gedeutet und er hat im Geist der Allgemeinen Kunstwissenschaft die Auffassung vertreten, dass die Erforschung der Kunst sich wohl auf eine bestimmte Kunst konzentrieren kann, dabei aber grundsätzlich immer auch die anderen Künste als Manifestationen der Kunst einschließlich der künstlerischen Grenz- und Randphänomene im Blick halten muss. Zudem hat Schmarsow die institutionellen Plattformen der Allgemeinen Kunstwissenschaft intensiv genutzt und sie mitgeprägt. So hat er sich nicht nur nachdrücklich im Zusammenhang mit dem ersten Kongress für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft von 1913 engagiert: Er war hier mit einem Vortrag präsent 206 (wenngleich dieser »infolge unerwarteter Behinderung des Herrn Schmarsow« 207 nur schriftlich vorgelegt werden konnte), und er hat sich auch zum Mitglied des Großen Ausschusses208 sowie des Ständigen Ausschusses209, wichtigen organisatorischen Gremien der Allgemeinen Kunstwissenschaft, wählen lassen. Vor allem aber ist Schmarsow – neben Dessoir und Utitz – einer der aktivsten Autoren in der Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft: Zwischen 1907 und 1935 hat er hier siebzehn, darunter fünf
204 O.
Wulff: »Grundsätzliches über Ästhetik, allgemeine und systematische Kunstwissenschaft«, S. 559. 205 Vgl. A. Schmarsow: »A. Schmarsow«, bes. S. 151 f. – S. u. S. 286. 206 Vgl. A. Schmarsow: »Raumgestaltung als Wesen der architektonischen Schöpfung«. In: Kongress für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft; ders.: »Raumgestaltung als Wesen der architektonischen Schöpfung«. In: Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft. 207 A. Schmarsow: »Raumgestaltung als Wesen der architektonischen Schöpfung«. In: Kongress für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft, S. 246. 208 Vgl. »Vorgeschichte« [des ersten Kongresses für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft], S. 3; ebenfalls in: »Kongreß für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft« [Vorgeschichte des ersten Kongresses für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft], S. 95. – S. u. S. 222, Anm. 109 und S. 287, Anm. 441. 209 Vgl. »Ständiger Ausschuß« [für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft]. – S. u. S. 229 und S. 287, Anm. 441.
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mehrteilige, Beiträge publiziert, die alle klar im hier beschriebenen Sinn methodologisch engagiert sind.210 In der von Dessoir 1906 angestoßenen Initiative kann Schmarsow (1853– 1936)211, der vierzehn Jahre älter als Dessoir und dreißig Jahre älter als Utitz ist, einen Diskussionszusammenhang erkennen, der seinen eigenen, bis in die 1880er Jahre zurückreichenden, kunstwissenschaftlichen Bestrebungen entgegenkommt: Seine Kunstforschungen sind zum einen konsequent auf eine wechselseitige Befruchtung von Empirie und philosophischer Theorie angelegt, zum anderen sieht er sein eigenes Arbeitsfeld als Kunsthistoriker, die bildende Kunst, stets als Teilbereich eines größeren Arbeitsfeldes: der Kunst und aller Künste. Schmarsow hatte zwischen 1873 und 1877 Kunstgeschichte, Archäologie, Germanistik und Philosophie in Zürich, Straßburg und Bonn studiert und war 1877 zu einem literaturgeschichtlichen Thema in Straßburg promoviert worden. Seine berufliche Karriere als Kunsthistoriker beginnt im selben Jahr mit einer Anstellung am Berliner Kupferstichkabinett, wo er am Auf bau einer Sammlung von Kunstphotographien mitwirkt und erste grundlegende Einblicke in die Museumsarbeit erhält. 1881 habilitiert Schmarsow sich in Göttingen mit einer Arbeit über Raffael und Pinturicchio und gehört damit zu den ersten Wissenschaftlern, die sich im Fach Kunstgeschichte habilitieren können. Hier lehrt er italienische und deutsche Kunstgeschichte, zunehmend aber auch Architekturtheorie und – wie er selbst erklärt: auf Anregung Hermann Lotzes – Ästhetik, die er von Anfang an als Einheit aus philosophischen und psychologischen Gesichtspunkten begreift.212 Dabei ist es ein Charakteristikum seines Verständnisses der Psychologie, dass er diese konsequent an die physische Anlage des Menschen zurückbindet. 1885 wird Schmarsow dann als Nachfolger Robert Vischers nach Breslau berufen, legt die Professur aber bereits 1888 nieder und geht mit einigen seiner Studenten, darunter Max Friedländer und Aby 210 Vgl.
A. Schmarsow: »Kunstwissenschaft und Völkerpsychologie«; ders.: »Bemerkung«; ders.: »Anfangsgründe jeder Ornamentik«; ders.: »Raumgestaltung als Wesen der architektonischen Schöpfung«. In: Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft; ders.: »Kunstwissenschaft und Kulturphilosophie in gemeinsamen Grundbegriffen«; ders.: »Rhythmus in menschlichen Raumgebilden«; ders.: »Zur Bedeutung des Tiefenerlebnisses im Raumgebilde«; ders.: »Zur Lehre vom Rhythmus«; ders.: »Zur Lehre vom Ornament«; ders. / Fritz Ehlotzky: »Die reine Form in der Ornamentik aller Künste«; A. Schmarsow: »Die reine Form in der Ornamentik aller Künste«; ders.: »Komposition«; ders.: »Vom Organismus unserer Kunstwelt«; ders.: »Gemeinschaft der Sinnesgebiete im schöpferischen Akt«; ders.: »Vergleichsmethoden«; ders.: »Geist und Seele im Rhythmus? (Eine Palinodie)«; ders.: »Melchior Palágyis ›Lehre von der Phantasie‹«. 211 Zur Biographie Schmarsows vgl. bes. A. Schmarsow: »August Schmarsow«; C. Fork: Art. »Schmarsow, August«. 212 »Als Hermann Lotze auf den Lehrstuhl der Philosophie nach Berlin berufen ward, wo er so bedauerlich schnell sein Ende fand, legte er mir ans Herz, auch die Aesthetik nicht zu vernachlässigen. So las ich 1883 zum ersten Male meine Einleitung in die Kunstwissenschaft vom psychologisch orientierten Gesichtspunkt aus, und trat mit der Lehre von der Architektur als ›Raumgestalterin‹ hervor, die mir im Ringen mit Gottfried Sempers unvollendet gebliebenem Werk über den Stil aufgegangen war.« (A. Schmarsow: »August Schmarsow«, S. 140 f.)
Konzeptionen der Allgemeinen Kunstwissenschaft145
Warburg, nach Florenz, um hier »Vorlesungen und Uebungen im unmittelbaren Verkehr mit den Denkmälern« abzuhalten.213 In Florenz regt er auch die Gründung des deutschen Kunsthistorischen Instituts an. Die Grundzüge seiner Architekturtheorie präsentiert Schmarsow 1893 in seiner Leipziger Antrittsvorlesung über Das Wesen der architektonischen Schöpfung. Seiner kunsttheoretischen und –methodologischen Konzeption verleiht er 1905 in seiner Schrift über die Grundbegriffe der Kunstwissenschaft den umfassendsten Ausdruck. a) Kunsthistorische Methoden- und Theoriebildung als philosophische Aufgabe Ebenso wie Alois Riegl und Heinrich Wölff lin gehört Schmarsow zu der Generation von Kunsthistorikern, die seit dem Ende des 19. Jahrhunderts eine eigenständige Methoden- und Theoriebildung ihres Fachs anstreben, die einen charakteristischen Ausdruck in der Aufstellung von kunstgeschichtlichen bzw. -wissenschaftlichen ›Grundbegriffen‹ findet 214: Alle diese Autoren legen ihre bekanntesten Werke zu diesem Problemfeld bis 1915 vor.215 Aus diesem Grund zählt Michael Podro Schmarsow auch zu den Protagonisten jener Vermittlung von empirisch-historischer und systematischer Kunstforschung, die er als ›critical art history‹ bezeichnet hat.216 Hinzu kommt insbesondere Hans Tietze, der als Schüler Riegls zwar der nächsten Generation angehört, aber bereits 1913 sein vieldiskutiertes Werk über Die Methode der Kunstgeschichte publiziert. Im 19. Jahrhundert hatte sich zunächst, in Abgrenzung von der stark spekulativ geprägten Auffassung der Kunstgeschichtsforschung in der Nachfolge Hegels, ein alternatives Fachverständnis durchgesetzt: Hatte Hegel noch die Philosophie als die Wissenschaft angesehen, soll nun im Gegenzug die positivistische Hinwendung zu den historischen Daten und Fakten unter radikaler Ausblendung aller spekulativen Reste den Wissenschaftscharakter der Kunstgeschichtsforschung gewährleisten. Allerdings bringt diese Konzentration auf die positivistische »Faktenforschung« ein gravierendes Problem hervor: den »Verlust des spezifischen Gegenstandsfeldes« Kunstgeschichtsforschung.217 So lautet der zentrale Einwand, die kunsthistorischen Positivisten hätten ihre berechtigte Forderung nach Verwissenschaftlichung durch eine Ausrichtung des Fachs an den Vorgaben der Naturwissenschaften und vor 213 A.
Schmarsow: »August Schmarsow«, S. 144. S. o. S. 34 f. 215 Vgl. H. Wölfflin: Renaissance und Barock (1888); ders.: Die klassische Kunst (1899); ders.: Kunstgeschichtliche Grundbegriffe (1915); A. Riegl: Die spätrömische Kunst-Industrie nach den Funden in Österreich-Ungarn im Zusammenhange mit der Gesamtentwicklung der Bildenden Künste bei den Mittelmeervölkern (1901); A. Schmarsow: Barock und Rokoko (1897); ders: Das Wesen der architektonischen Schöpfung (1894); ders.: Grundbegriffe der Kunstwissenschaft (1905). 216 Vgl. M. Podro: The Critical Historians of Art, S. 143–145. 217 H. Locher: Kunstgeschichte als historische Theorie der Kunst 1750–1950, S. 379. 214
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allem der Geschichtswissenschaft umzusetzen gesucht, dabei aber das Eigene der Disziplin – die Aufgabe der historischen Erforschung der Kunst – aus dem Blick verloren. Dies ist die zentrale Herausforderung, der sich die neueren Kunsthistoriker annehmen wollen: Es geht ihnen maßgeblich darum, das Fach endlich zu methodologischer Selbstständigkeit zu führen. Alle Methodologien der Kunstgeschichte, die dabei entwickelt werden, stehen in offener Konkurrenz zueinander. So hat auch Schmarsow etwa in seine Grundbegriffe der Kunstwissenschaft eine ausführliche Auseinandersetzung mit Riegls Thesen integriert, mit seiner Schrift Zur Frage nach dem Malerischen hat er auf Wölff lins Studie Renaissance und Barock reagiert, und er hat Tietzes Die Methode der Kunstgeschichte zum Gegenstand einer ausführlichen Besprechung mit dem programmatischen Titel PRO DOMO eines Kunsthistorikers gemacht. Unter diesen Forschern ist es vor allem Schmarsow, der hinsichtlich des Problems, dass »in dem Verhältnis zur Kunst […] das Wesen der Kunstgeschichte und damit ihre Existenzberechtigung« liegt und sich aus diesem Verhältnis allein »der unterscheidende Begriff und die eigenste Funktion« des Fachs erklärt 218 , mit allem Nachdruck – wenngleich mit sehr gemischtem Anklang bei seinen Schülern 219 – auf die Relevanz philosophischer Reflexion verweist. Bereits in seiner 1892 erschienenen Broschüre Die Kunstgeschichte an unsern Hochschulen hatte Schmarsow, der engagierte Hochschullehrer, »vor allen Dingen das grundsätzliche Bekenntnis« abgelegt, Kunstwissenschaft habe sich immer, so in erster wie in letzter Linie, um die künstlerischen Gesichtspunkte zu kümmern, auch bei der Geschichte der bildenden Künste stets das Wesen der einzelnen klar im Auge zu behalten und gerade ihre Unterschiede auf der einen, ihre Gemeinschaft oder ihre Vermischung auf der andern Seite zu beobachten, um nach solchen Erkenntnissen die verschiedenen Perioden zu kennzeichnen. Dazu gehört dann freilich eine ästhetische Erziehung und eine philosophische Schulung, die unsre jüngeren Kunsthistoriker nicht besaßen und deshalb oft ablehnten oder gar befeindeten.220
Und etwa in seiner Studie zu Barock und Rokoko von 1897 bezeichnet Schmarsow »die Verbindung ästhetischer und historischer Erkenntnis der Kunst, die allein unsere Kunstwissenschaft zu dieser Selbstbesinnung bringen wird«, als sein »Hauptanliegen«.221 So ist für Schmarsow zwar klar, dass »die bestehende Wissenschaft, die wir Kunstgeschichte nennen, in den Verband der historischen Fächer gehört«.222 Den Schmarsows Auffassung nach unbedingt anzustrebenden Titel der Kunstwissenschaft verdient die Kunstgeschichte aber nur, wenn sie sich dem »Zukunftsprogramm« einer klaren »Methodik« stellt, die neben »etwas Psychologie und 218 A.
Schmarsow: »PRO DOMO eines Kunsthistorikers«, Sp. 968. U. Kultermann: Geschichte der Kunstgeschichte, S. 309 f. 220 A. Schmarsow: »August Schmarsow«, S. 144 f. 221 A. Schmarsow: Barock und Rokoko, S. 3. 222 A. Schmarsow: »PRO DOMO eines Kunsthistorikers«, Sp. 967. 219 Vgl.
Konzeptionen der Allgemeinen Kunstwissenschaft147
vielleicht gar Physiologie« auch die »Ästhetik« integriert 223, insofern »in dem Verhältnis zur Kunst« das »Wesen der Kunstgeschichte und damit ihre Existenzberechtigung« liegt 224. Und so nimmt sich auch Schmarsows methodologisches Hauptwerk, seine Grundbegriffe der Kunstwissenschaft, im Vergleich mit den Studien Riegls, Wölfflins oder Tietzes »eher wie ein philosophisches oder psychologisches Buch aus«.225 b) Anthropologie als Verknüpfung von Objektivität und Subjektivität Schmarsow strebt dabei durchgängig – dies ist sein Ansatz zur Überwindung der Kluft zwischen ›Subjektivismus‹ und ›Objektivismus‹ – eine anthropologische Fundierung der Kunst und der Künste an, indem er die künstlerische Praxis ebenso wie das Verstehen von Kunstwerken auf die körperliche Organisation des Menschen zurückführt. So geht er davon aus, dass die Anlage des Körpers – beim Menschen also mit seiner vertikalen Achse, seiner symmetrischen Anlage usw. – die Weise bedingt, wie Zeit und Raum erlebt und gefühlt werden. Die Welt etwa eines Seesterns oder einer Fledermaus kann daher grundsätzlich nicht mit der eines Menschen identisch sein. Raum und Zeit sind damit nicht mehr wie bei Kant universelle, reine Formen der Erfahrung, sondern je nach körperlicher Organisation erscheinen phänomenal unterschiedliche Welten, denen der Mensch auch in Form der unterschiedlichen Künste Ausdruck verleiht. Dementsprechend erwartet Schmarsow auch das »Erwachen des künstlerischen Sinnes« weniger vom Studium der anerkannten Klassiker der Kunstgeschichte als viel eher auf den Tummelplätzen unserer Jugend und von den körperlichen Übungen bei Jung und Alt. Nicht unsere Schulzimmer, sondern unsere Badeanstalten, nicht unsere Hörsäle, sondern unser Fechtboden, selbst nicht die Zeichenstunde, sondern die Erholungspausen auf dem Hof, draußen auf grünem Rasen oder glänzender Eisbahn, beim ausgelassenen Spiel unter freiem Himmel sind die wichtigsten Stätten der ästhetischen Erziehung.226
Schmarsow betrachtet daher nicht nur, wie Wulff später, anlässlich des 80. Geburtstags seines Lehrers 1933, resümiert, »die philosophische Bewertung aller Kunstschöpfung« als »unveräußerliches Recht und Aufgabe der Kunstgeschichte als Geisteswissenschaft« – eine Position, die Schmarsow für Wulff als »Mittler zwischen einer weit zurückliegenden und einer neuen Entwicklungsstufe der Kunstforschung nach dem Interregnum kunstmaterialistischer Sammelarbeit und subjektiver oder formaler Kunstbetrachtung« ausweist. Zugleich – und in Einheit mit dieser philosophischen Arbeit – hat für ihn der »Kunstforscher an einer auf die 223
Ebd., Sp. 1035. Ebd., Sp. 968. 225 C. Fork: Art. »Schmarsow, August«, S. 355. 226 A. Schmarsow: Unser Verhältnis zu den bildenden Künsten, S. 75 f. 224
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Ermittlung empirischer Gesetze der Gestaltung und Entwicklung gerichteten allgemeinen Kunstwissenschaft«, d. h. für Schmarsow: der Ermittlung der psychophysischen bzw. anthropologischen Grundlagen der Kunst, mitzuarbeiten.227 So präsentiert er mit seinen Grundbegriffen der Kunstwissenschaft den groß angelegten »Versuch, die Grundbegriffe der bildenden Künste auf streng deduktivem Wege aus dem Wesen des menschlichen Körpers zu gewinnen« – ein Vorstoß, der für den Kunsthistoriker Walter Passarge klar »in den Bereich der allgemeinen Kunstwissenschaft gehört«.228 Zwar ist Schmarsow, wie er bereits in seiner Broschüre von 1892 notiert, bei seiner Forderung nach einer philosophisch-anthropologischen Orientierung der kunsthistorischen Arbeit mit Blick auf die Ausbildung der Kunsthistoriker klar, dass »ein vollständiges mit der allgemeinen philosophischen Lehre zusammenhängendes System der Aesthetik […], das als Norm angesehen oder ausgegeben werden könnte, heutzutage kaum möglich« ist. Aber beherzigenswert bleibt doch diese Weisung: sie sollten »mit einem zusammenhängenden, möglichst vollständigen theoretischen Systeme vertraut sein«. […] Deshalb aber fordern wir auch vom Kunsthistoriker eine Vertiefung seiner Auffassung und ein Aufsteigen zur theoretischen Betrachtung, deren es heute vielfach entbehrt. […] So allein wird auch dem Kunstforscher […] in allen Jahrhunderten die bleibende Handhabe nicht fehlen, das bewährte Mittel der Orientierung, wie der Kompaß dem Seemann auf allen Meeren die Gewißheit giebt, welche Richtung die Fahrt nimmt und wohinaus der eingeschlagene Kurs laufen muß.229
c) Aufgaben und Verfahren der Kunstwissenschaft Von den anderen kunsthistorischen Methodologen seiner Generation unterscheidet Schmarsow sich aber nicht allein durch die starke philosophische und anthropologische Orientierung seiner Konzeption der Kunstwissenschaft. Auch mit seinem bereits hier skizzieren Plan, die strengen »Gränzen«, die die Kunstgeschichte auf die Beschäftigung mit der bildenden Kunst festlegen, infrage zu stellen, insofern grundsätzlich alle Künste als Formen der Kunst zusammenhängen 230, steht er unter 227 O.
Wulff: »August Schmarsow zum 80. Geburtstag«, S. 209. Passarge: Die Philosophie der Kunstgeschichte in der Gegenwart, S. 18. 229 A. Schmarsow: Die Kunstgeschichte an unsern Hochschulen, S. 67. 230 Vgl. z. B.: »Wer Mimik, Musik und Poesie grundsätzlich von der Beobachtung der bildenden Künste fernhält, begeht schon damit eine Einseitigkeit, die bei jedem Wendepunkt vom Körperlichen zum Geistigen, von den Werten des Daseins zu denen des Lebens, von Beharrung zu Bewegung verhängnisvoll werden muß. Beide Seiten des menschlichen Kunstschaffens gehören einmal von Natur zusammen und sind organisch miteinander verwachsen, wie beim Menschen selber die leibliche und die seelische Natur ineinanderwirken, oder nur zwei Erscheinungsweisen desselben Ganzen sind, und wie bei jeder besonderen Betätigung dieser oder jener doch der ganze Mensch gegenwärtig ist und mitspielt.« (A. Schmarsow: Grundbegriffe der Kunst228 W.
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diesen Autoren allein da. Und schließlich unterscheidet er sich mit seinem durchgängigen Hinweis auf die »innige Gemeinschaft von Kunst und Kultur« von dem Formalismus der zeitgenössischen Kunstforschung, der seinen reinsten Ausdruck in Wölfflins kunsthistorischer Systematik findet.231 Wulff, der unter Schmarsows zahlreichen Schülern dessen kunstwissenschaftliches Projekt am konsequentesten weiterverfolgt hat, beschreibt dementsprechend die von Schmarsow »angebahnte[] Forschungsrichtung« als den Versuch, der Kunstwissenschaft mit Hilfe einer »psychologisch begründeten Phänomenologie« einen Mittelweg zwischen Formalismus und Historismus zu weisen.232 So sei Schmarsow zum »Bahnbrecher der systematischen Kunstwissenschaft« geworden.233 Unter den in der Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft erschienenen Beiträgen gibt neben dem Aufsatz Kunstwissenschaft und Völkerpsychologie von 1907 Schmarsows Studie über Kunstwissenschaft und Kulturphilosophie in gemeinsamen Grundbegriffen von 1919 den umfassendsten Einblick in sein Konzept einer solchen philosophisch-psychologischen Kunstwissenschaft. So unterstreicht er hier noch einmal mit allem Nachdruck seine Grundüberzeugung vom Charakter der Kunst als Kulturphänomen: »Sie ist eine Auseinandersetzung des Menschen mit der Welt, in die er gestellt wird, gleichwie seine ethischen und seine wissenschaftlichen Bestrebungen es auch sind.« Die Kunst ist also nur eine solche Auseinandersetzung, und nicht etwa nur mit der Umwelt, sondern mit der ganzen erreichbaren Weite, gleichwie die Religion, die Naturerkenntnis, die sittliche Weltordnung, die wir allesamt zu unserer höchsten geistigen Kultur rechnen. Sie gehört somit selbstverständlich als integrierender Bestandteil in diesen weiteren Umkreis der Kultur hinein.234
wissenschaft, S. 344. – S. a. z. B. ders.: »PRO DOMO eines Kunsthistorikers«, Sp. 1030 f. und Sp. 1034 f.) 231 A. Schmarsow: Die Kunstgeschichte an unsern Hochschulen, S. 27. 232 »Die Fortführung der von Schmarsow angebahnten Forschungsrichtung scheint mir allein die gesunde, jede streng wissenschaftliche Forderung erfüllende Weiterbildung der kunstwissenschaftlichen Prinzipienlehre zu verbürgen. Gilt es doch, sie zwischen Skylla und Charybdis hindurchzusteuern, – auf der einen Seite sie vor dem Rückfall in eine formalistische, wenngleich spezialisierte pseudoästhetische Systematik zu bewahren, auf der anderen ihr die historische Zwangsjacke vom Leibe zu halten, die ihr noch immer von dort her als das einzige angemessene Kleid dargeboten wird. In Wahrheit soll sie uns vielmehr die in den Vorgängen des künstlerischen Schaffens und der Kunstentwicklung wirkenden Kräfte verstehen lehren und bedarf daher zu ihrer Ergänzung einer psychologisch begründeten Phänomenologie der bildenden Kunst.« (O. Wulff: Grundlinien und kritische Erörterung zur Prinzipienlehre der bildenden Kunst, S. VI.) 233 Ebd., S. V f. 234 A. Schmarsow: »Kunstwissenschaft und Kulturphilosophie in gemeinsamen Grundbegriffen«, S. 168.
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Dabei beruft Schmarsow sich ausdrücklich auf die Kunstforschung in der Nachfolge Hegels.235 Einen kunstwissenschaftlichen Formalismus im Sinne Wölfflins betrachtet er dagegen als verfehlt.236 Zudem hebt Schmarsow hier noch einmal hervor, dass die von ihm geforderte mediale Öffnung der Kunstgeschichtsforschung keineswegs als konzeptionelle Nivellierung der Gattungsgrenzen zu verstehen ist. Aufgabe der Kunstwissenschaft ist seiner Ansicht nach vielmehr gerade die Erforschung des Wesens der Einzelkünste und ihrer Übergänge – die als solche aber nur beschrieben werden können, wenn eben das Wesen der involvierten Künste geklärt ist. Dabei verknüpft er auch das Wesen der Künste mit deren kulturellem Sinn. Es besteht nämlich jeweils in einem spezifischen ›Wert‹, wobei die Maßstäbe, an denen dieser gemessen wird – wie Schmarsow unter Berufung auf Max Scheler erklärt – eben nicht nur psychologisch bzw. physiologisch, sondern auch maßgeblich kulturell bedingt sind.237 Die Künste entdecken, schaffen und vermitteln den durch sie vergegenwärtigten Wert aber – das ist ihr Spezifikum gegenüber anderen Weisen der Wertpräsenz – im Medium der Sinnlichkeit. Sie bilden damit für Schmarsow 235 »Die
Gesichtspunkte der kulturphilosophisch gerichteten Ästhetik des 19. Jahrhunderts dürfen nicht einfach ausgeschaltet werden, auch da nicht, wo wir uns mit vollem Bewußtsein erst der Errungenschaften unsrer rein künstlerischen Betrachtungsweise zu vergewissern suchen. Die formalistische Einseitigkeit ausschließlicher Stilvergleichung gerät hier auf einen Holzweg, auf dem sie doch selber bald genug merken muß, daß er sogar Meister ad absurdum führt, oder blindlings nachtretende Jünger sicherlich in den Sumpf lockt. Unsere glücklich ›überwundenen‹ Altvordern aus der Hegelschen Schule haben auch die Einzelkünste stets unter dem Gesichtswinkel der allgemein menschlichen Angelegenheiten und der geschichtlichen Überlieferung geschaut, zu dessen Spannweite sie selbst als Erben einer glänzenden Blütezeit unserer Philosophie und Literatur oder als Angehörige des Aufschwungs historischer Studien gelangt waren.« (Ebd., S. 243.) 236 »Dagegen macht sich diejenige Kunstwissenschaft einer Einseitigkeit schuldig, welche die formale Seite der Kunstgebilde ausschließlich ins Auge faßt und über den Stilfragen allein den Zusammenhang alles Schaffens mit der gesamten Kultur überhaupt vergißt. In dem Inhalt dieser letzteren sind doch schließlich die Ursachen der Stilwandlung ebenso wie der Kunstentwicklung im ganzen zu suchen. Hier scheiden sich heutzutage noch die Wege der Forscher. Auch da, wo ausdrücklich im besonderen Fall oder gar im allgemeinen anerkannt wird, daß hinter dem Wechsel der Stilformen auch ein Wechsel der ›Weltanschauung hervorsehe‹ (Wölfflin), geht doch die Auffassung der reinen Stilvergleicher nicht von dem klaren Bewußtsein oder der inneren Überzeugung der kulturphilosophisch gerichteten und im Grunde immer kulturwissenschaftlich denkenden Fachgenossen aus.« (Ebd., S. 167.) 237 »Nun aber hat sich auf dem inzwischen zurückgelegten Wege wohl von selbst die Folgerung ergeben, daß auch hier allein der Rekurs auf die Wertideen erst geeignet erscheint, eine befriedigende Gemeinsamkeit der Grundbegriffe zutage zu fördern und damit eine höhere Synthese zwischen Kunstwissenschaft und Kulturphilosophie zu erzielen. Wir würden so mittels einer durchgebildeten, auf ganz konkreter Grundlage ruhenden Wertlehre zu einem weitumfassenden ›Wertsystem‹ gelangen, das in sich abgestuft auch eine Rangordnung einschließen muß. Fragt man mich weiter, wie ich mir dies etwa angelegt denke, so will ich gern auf die tiefgründigen, mir persönlich sympathischen Darlegungen von Max Scheler hinweisen, die ausführlich erst 1915 in der Abhandlung ›Der Formalismus in der Ethik und die materiale Wertethik (mit besonderer Berücksichtigung der Ethik Immanuel Kants)‹ gegeben worden sind.« (Ebd., S. 252.)
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auch eine ›unschätzbare‹ Referenz für den Kulturhistoriker und den Historiker im Allgemeinen, die deren Erkenntnisse nicht nur illustriert, sondern sachlich ergänzt: Jede einzelne Kunst widmet sich einem besonderen Werte, für dessen Erfassung und Wiedergabe sie sich vor den anderen eignet, weil sie eben aus dem Gefühl für diesen Wert selbst entsprungen ist und ihm zuliebe alle ihre Mittel ausgebildet hat. […] Die Kunstwissenschaft, die zunächst das Wesen der Einzelkünste zu ergründen strebt, kann ihnen ihr Eigenstes nicht besser ablauschen, als indem sie den besonderen Wert festzustellen sucht, den eben diese und keine andere ebenso verherrlicht. Sie stellt also jede Kunst unter den gemeinsamen Gesichtspunkt der Kulturphilosophie und fragt nach ihrer eigentümlichen Leistung im allgemeinen Wertentdecken, Wertvermitteln und Wertschaffen menschlicher Tätigkeit. Und die Kunstgeschichte wird so zu einer ganz konkreten, alle Künste ohne Unterschied begreifenden, in wiederkehrenden Erscheinungen und mannigfaltigsten Offenbarungen sonst sich ausbreitenden Wertlehre, die dem Kulturhistoriker wie dem Geschichtsphilosophen die unschätzbarsten Aufschlüsse lesbar – hörbar, sichtbar, tastbar, genug, in jedem Sinn greif bar – an die Hand gibt.238
Aus diesem Grund sollten auch die Terminologien von Kunstwissenschaft und Kulturwissenschaften »nach Möglichkeit im Einklang« sein.239 Von seinem Ansatz bei der psychophysischen Anlage des Menschen her will Schmarsow schließlich eine umfassende Systematik der Künste neu begründen, die »die Reihe der vorhandenen Künste als Ausstrahlungen dieser eigenen Organisation« ansieht. Auf diese Weise ergibt sich für ihn »ganz ungezwungen eine natürliche Genealogie«, je nachdem einmal die zeitliche, das andere Mal die räumliche Anschauungsform überwiegt – darunter wiederum die beiden unmittelbarsten Aeußerungen nicht über die Menschengestalt selber hinausgehen (Mimik und Plastik), die äußersten Erweiterungen dagegen zur Eroberung des Raumes (in der Architektur) und der Zeit (in der Musik) vordringen, während die beiden übrigbleibenden Künste, die man irrigerweise mit den andern in eine Linie stellt, vielmehr ein überlegenes Paar von geistig höher entwickelter Eigenart bilden, das darauf ausgeht, den Zusammenhang zwischen Zeit und Raum, d. h. zwischen den Dingen und ihrem vereinigenden Medium, immer nach menschlicher Auffassung und Auslegung als geltenden Wert darzustellen: Malerei für das Auge und Poesie für das Ohr, die eine durch das Bild, die andre durch das Wort, als ihr eigenstes schon zusammengesetztes Gebilde.240
So bilden die Künste, aus der organischen Anlage des Menschen erwachsen, ihrerseits den Organismus unserer Kunstwelt. 238
Ebd., S. 168 f. Ebd., S. 166. 240 A. Schmarsow: »August Schmarsow«, S. 155. 239
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Aus der psychophysischen Anlage des Menschen lässt sich für Schmarsow aber nicht allein die Vielfalt der Künste als Entäußerungen der unterschiedlichen Dimensionen dieser Anlage ableiten. Vielmehr ergeben sich aus ihr auch formale ›Grundgesetze‹, die die Künste übergreifen. Dabei hebt Schmarsow hervor, dass die »Grundgesetze formaler Bildungen allen Künsten und nicht nur denen ›höheren Ranges‹ gemeinsam sind, und daß sich oft nur der Maßstab oder das Medium verändert, in denen durchgehende Prinzipien zur Erscheinung kommen«.241 Die Grenzfälle an den Rändern der Künste und der Kunst werden also – ganz im Sinne der Ursprungsmotivation der Allgemeinen Kunstwissenschaft – ausdrücklich mit in die Reflexion einbezogen. Zwar folgt Schmarsow nicht der ostentativen Abgrenzung der Kunsttheorie von der Ästhetik, wie sie am nachdrücklichsten von Dessoir und Utitz propagiert wird: Für ihn bleibt, wie bereits für Hegel, die philosophische Erforschung der Kunst Sache der ›Ästhetik‹. Allerdings lässt die thematische Breite seiner Kunstphilosophie mit ihrer Vielzahl von Wertideen – ganz im Sinne der Allgemeinen Kunstwissenschaft – keinen Zweifel daran, dass die ›Ästhetik‹ hier nicht mehr auf das Problem des Schönen festgelegt ist.242 Was Schmarsows – wie Paul Moos es ausgedrückt hat – »derbe Auffassung«, also sein kunstwissenschaftlicher Ansatz bei dem »Körpergefühl des Menschen« 243, für die Bestimmung der Kunst und der Künste bedeutet, soll im Folgenden in Bezug auf seine Charakteristik des ›Rhythmus‹ näher ausgeführt werden, den Schmarsow neben ›Proportion‹ und ›Symmetrie‹ als grundlegendes Gestaltungsprinzip betrachtet 244. d) Der Rhythmus als Grundprinzip der Kunst Fiedler hatte den Rhythmus nur als ästhetisches Prinzip gelten lassen: »Alle die Lehren, die die Ästhetik der Kunst geben zu können glaubt, und die sich auf Harmonie, Rhythmus, Symmetrie usw. beziehen«, betreffen seiner Lehre zufolge »lediglich die dekorative Seite der Kunst« und verfehlen »das eigentliche Wesen derselben«.245 Dieser Auffassung folgen unter den Protagonisten der Allgemeinen Kunstwissenschaft Utitz und Dessoir ebenso wenig wie Psychologe Richard Müller-Freienfels, und machen den Rhythmus auch als Aspekt der Kunst geltend. Allerdings be241 A. Schmarsow: »Rhythmus in menschlichen Raumgebilden«, S. 184. Schmarsow wendet sich an dieser Stelle kritisch gegen Walzels am Kanon der Hochkunst orientiertes Konzept einer ›wechselseitigen Erhellung der Künste‹. 242 Vgl. R. Heinz: »Zum Begriff der philosophischen Kunstwissenschaft im 19. Jahrhundert«, S. 234. 243 P. Moos: Die deutsche Ästhetik der Gegenwart. Bd. 2, S. 245. 244 Vgl. B. Collenberg-Plotnikov: »August Schmarsow und die kulturelle Bestimmung des Rhythmus in der Allgemeinen Kunstwissenschaft«. – Zu den zentralen Beiträgen Schmarsows zu diesem Thema s. u. S. 241, Anm. 207. 245 K. Fiedler: »Aphorismen«, S. 17.
Konzeptionen der Allgemeinen Kunstwissenschaft153
schränkt Utitz 246 sich dabei auf eine eher beiläufige Kritik einzelner Thesen zum Thema, ohne das kunsttheoretische Potenzial des Rhythmusbegriffs wirklich zur Geltung zu bringen. Dessoir 247 und Müller-Freienfels248 greifen den Rhythmus als Aspekt der Kunst zwar konstruktiv, aber vornehmlich im geläufigen Kontext, nämlich in Bezug auf Musik und Poesie, auf. Schmarsow geht demgegenüber einen bedeutenden Schritt weiter, indem er den Rhythmus nicht nur zum Grundprinzip der Architektur, sondern darüber hinaus auch der Kunst allgemein erklärt: Er bestimmt den Rhythmus als ein Grundprinzip künstlerischen Schaffens und der Kunstwahrnehmung. Die Bedeutung des menschlichen Organismus In kritischer Absetzung von den Connaisseuren, aber auch von Kunsttheoretikern wie Riegl, Wölfflin oder auch Adolf von Hildebrand, die ebenso wie Fiedler das Sehen als den entscheidenden künstlerischen Sinn feiern, verweigert Schmarsow zeitlebens dem Auge diesen Ehrenplatz. Seiner Überzeugung nach bestimmt nämlich der gesamte »Bestand unseres Körpers die konstitutiven Merkmale des Kunstwerkes als Menschenwerk […], lange vor dem ersten Versuch eines rein optischen Verhaltens«. Aus diesem Grund kann das Kunstwerk sinnvollerweise nicht nur unter die »ästhetische Alleinherrschaft eines einzelnen Sinnes« gestellt werden. Ein Kunstwerk vollkommen zu verstehen gelingt vielmehr nur, wenn der »ganze Organismus […] als mitwirkend anerkannt« wird.249 Das kantische Apriori wird im Zuge von Schmarsows anthropologischer Fundierung der Kunst und der Künste nicht nur materialisiert 250, sondern auch dynamisiert. Schmarsow verknüpft nämlich Zeit und Raum durch das Konzept der Bewegung. Dabei verweist er darauf, dass die Erfahrung der Welt und des Kunstwerks typischerweise keine ist, die kontemplativ, in »ruhiger Schau«, vollzogen wird. Vielmehr handelt es sich dabei um eine Aktivität, bei der grundsätzlich immer »der volle Bewegungsapparat« im Spiel ist.251 Wir wechseln ständig unsere Perspektive, indem wir uns um die Gegenstände herumbewegen und indem wir diese in unseren Händen bewegen, um ihre individuelle Materialität zu erfassen. So erklärt Schmarsow: »Je weniger wir aufgelegt sind, uns wie ausschließliche Augengeschöpfe mit einer Ansicht zu begnügen, desto freieren Gebrauch werden wir E. Utitz: Die Gegenständlichkeit des Kunstwerks, bes. S. 12 f. und S. 65. M. Dessoir: Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft, 1. Aufl., bes. S. 131, S. 178 und S. 290–292 / 2. Aufl., S. 77, S. 123 und S. 240–242. 248 Vgl. R. Müller-Freienfels: Psychologie der Kunst, bes. Bd. 2, S. 40–46. 249 A. Schmarsow: »Raumgestaltung als Wesen der architektonischen Schöpfung«. In: Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft, S. 67. 250 Vgl. A. Pinotti: »Body-Building«, S. 14. 251 A. Schmarsow: »Raumgestaltung als Wesen der architektonischen Schöpfung«. In: Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft, S. 67. 246 Vgl. 247 Vgl.
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von dem Wechsel des Standpunktes machen, um die stoffliche Individualität des Dinges da möglichst allseitig zu erfassen.« 252 Die Kunstgeschichtsforschung ist daher nach Schmarsows Auffassung gut beraten, wenn sie die Kunst nicht nur in Kategorien abhandelt, die auf den reinen Gesichtssinn zugeschnitten sind. Vielmehr hält er es für unabdingbar, den Menschen – sei er nun Künstler oder Rezipient – auch und vorrangig in seiner Fähigkeit zum Gehen, d. h. zur aktiven körperlichen Raumerschließung, anzuerkennen, die zugleich für die Zeiterfahrung essentiell ist. In Anspielung auf Riegls Differenzierung zwischen dem Haptischen und dem Optischen als zwei grundlegenden Sehweisen schlägt Schmarsow deshalb vor, die gängigen Begriffe des Tastraums und des Sehraums um den Neologismus des ›Gehraums‹ zu erweitern.253 An diesem Punkt kommt nun der Rhythmus ins Spiel, der nach Schmarsows Auffassung die Grundlage der gesamten menschlichen Motorik bildet. Zentral für Schmarsow und seine Schule ist nämlich der Gedanke, dass der Rhythmus zwingend an die dritte Dimension gebunden ist: Anders als die Symmetrie, die er mit der Breite, und anders als die Proportion, die er mit der Höhe in Zusammenhang bringt, ist der Rhythmus für Schmarsow grundsätzlich räumlich determiniert, er ist das »Kriterium räumlicher Tiefe«.254 So führt Schmarsow den Rhythmus zwar auch auf Herzschlag, Puls und Atmung zurück. Vor allem aber macht er hier »den Gang des Menschen« geltend, in dem Raum- und Zeiterfahrung zusammenfallen. Der Rhythmus ist aber nicht nur bereits in der Physis des Menschen vorgebildet, sondern ebenso ist »die Fähigkeit, den Rhythmus wahrzunehmen, unleugbar an unsere Organisation gebunden«.255 Er bildet damit das Prinzip, nach dem die Anschauungen und Vorstellungen zu einer zeitlich-räumlichen Welterfahrung koordiniert werden. So gilt für Schmarsow: Wie unser pochendes Herz in schnellem Tempo, unser Ein- und Ausathmen schon in regulirbarem Wechsel innerhalb fühlbarer Grenzen, so hilft auch unser pendelnder Gang, das mehr oder minder schnelle Sichablösen der beiden Beine, bei unsrer Kontrole des Nacheinander in Raum und Zeit.256
Der Rhythmus ist aber eben auch in der Kunstgeschichte einer der ›wirksamsten Grundbegriffe‹ und begründet für Schmarsow die Schlüsselstellung der Architektur.257 Schmarsow: Grundbegriffe der Kunstwissenschaft, S. 16. A. Schmarsow: »Raumgestaltung als Wesen der architektonischen Schöpfung«. In: Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft, S. 72 f. und S. 78. S. a. G. Vasold: »Am Urgrund der Kunst«, S. 73. 254 B. Zug: Die Anthropologie des Raumes in der Architekturtheorie des frühen 20. Jahrhunderts, S. 48. – Vgl. bes. A. Schmarsow: Grundbegriffe der Kunstwissenschaft, S. 41 und S. 84–99. 255 A. Schmarsow: »Rhythmus in menschlichen Raumgebilden«, S. 175 f.; vgl. ebd., S. 180. – Vgl. G. Vasold: »Am Urgrund der Kunst«, S. 73. 256 A. Schmarsow: »Über den Werth der Dimensionen im menschlichen Raumgebilde«, S. 55. 257 Vgl. A. Schmarsow: »Rhythmus in menschlichen Raumgebilden«, S. 182. 252 A.
253 Vgl.
Konzeptionen der Allgemeinen Kunstwissenschaft155
Streifen wir alle Vorurteile der privilegierten optischen Sinneswahrnehmung ab, so verdanken wir dieser tastbaren Bewährung der Körper nebeneinander, übereinander, ganz besonders aber hintereinander die stärkste Überzeugung, mit ihnen dazusein und zwischen ihnen zu leben. Das ist der eigentlich bevorzugte Spielraum für den Rhythmus. […] Es ist die räumliche Auseinandersetzung im Verfolg der dritten Dimension als Richtungsachse unserer Bewegung und unseres Willens, also auch die ursprünglichste und die durchgreifendste Betätigung unseres Kunstwollens, die wir vollziehen. An diesem Leitfaden aber ergeht sich der Rhythmus zur Eroberung seiner eigensten Domäne und drängt von der Ornamentik und der mimischen Ausdrucksbewegung zur Tektonik und Architektur.258
Bei Kunstwerken handelt es sich näherhin, wie auch bereits Fiedler erklärt hatte259, um ›Ausdrucksbewegungen‹ – also Äußerungen, die nicht der Mitteilung diskursiver Vorstellungen dienen, sondern einer unmittelbaren Gefühls- und Affektentladung –, die den körperlichen Rhythmus ihrer Schöpfer reflektieren. Es ist demnach dieser Rhythmus, der »uns in den erhaltenen Werken als Ausfluß der Ausdrucksbewegungen […] entgegentritt und im ästhetischen Erlebnis durch alle Künste hin mit urkundlicher Treue sich offenbart«.260 Schmarsow versteht dabei unter der Ausdrucksbewegung aber nicht wie Fiedler den Akt, mit dem der Künstler durch Isolierung des Gesichtssinnes aus kontingenten, sichtbaren Dingen freie, selbstständige Kunstgebilde schafft. Vielmehr ist die Ausdrucksbewegung für ihn die authentische und auf Entladung drängende Gebärde ursprünglicher Gefühle und innerer Erlebnisse wie Angst, Trauer, Liebe oder Freude. Diese gilt es für ihn, in der Kunst auszumachen.261 Schmarsow geht davon aus, dass es sich bei dem leiblichen Rhythmus um eine anthropologische Konstante handelt, was erklärt, warum wir die in historischen Werken niedergelegte Ausdrucksbewegung als solche verstehen können. Kunst ist für Schmarsow ihrem Allgemeinbegriff nach die ›schöpferische Auseinandersetzung‹ des Menschen mit der Umwelt 262 , aber näherhin betrachtet er die Ausdruckstätigkeit als Urquell allen Kunstschaffens. Dabei wird die Ausdruckstätigkeit durch den Rhythmus unseres natürlichen Organismus geregelt. Ausdruckstätigkeit besteht demnach immer schon in rhythmischer Betätigung.263 Andererseits unterliegt der Rhythmus in Schmarsows Theorie aber einer individuellen, kulturellen und historischen Varianz, was die Vielfalt und den Wandel der Stile erklärt. So Schmarsow: Grundbegriffe der Kunstwissenschaft, S. 94 f. K. Fiedler: »Über den Ursprung der künstlerischen Tätigkeit«, S. 115 u. ö. 260 A. Schmarsow: »Rhythmus in menschlichen Raumgebilden«, S. 180. 261 Vgl. N. Kasper: »Genetische Methode oder ›Instinktschöpfung‹ wider die Schmerzen der ›Höherentwicklung des Organismus‹?«, S. 249. 262 Vgl. A. Schmarsow: »Über den Werth der Dimensionen im menschlichen Raumgebilde«, S. 45 u. ö. 263 Vgl. O. Wulff: Grundlinien und kritische Erörterungen zur Prinzipienlehre der Bildenden Kunst, S. 12. 258 A.
259 Vgl.
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werden beispielsweise die Innenräume von frühchristlichen Kirchen, romanischen Basiliken und gotischen Kathedralen von Schmarsow auf die spezifische Weise hin analysiert, wie sie diese oder jene Bewegung erleichtern oder behindern. Hieraus resultiert für ihn eine bestimmte emotionale Atmosphäre, eine ›Stimmung‹ 264, die er als charakteristisch für die jeweilige Epoche ansieht. So gibt Schmarsow der Beziehung zwischen Mensch und Raum letztendlich eine kulturgeschichtliche Dimension, indem er in Bezug auf die Architektur, die im Zentrum seines Interesses steht, paradigmatisch erklärt: »Die Geschichte der Baukunst ist eine Geschichte des Raumgefühls, und damit bewußt oder unbewußt ein grundlegender Bestandteil in der Geschichte der Weltanschauungen«.265 Schmarsow bindet nämlich zwar den Rhythmus an die natürlichen Vorgaben der menschlichen Physis. Er versteht diese aber zugleich, namentlich in Gestalt der Ausdrucksbewegungen von Kunstwerken, als Artikulationsform nicht nur von universellen Gefühlen, sondern auch von Intentionen und Ideen, die diesen natürlichen Rhythmus modifizieren: Sowie wir von der objektiven Beschreibung des Rhythmus auf den Standpunkt des schöpferischen (oder genießenden) Subjekts übertreten, offenbart sich erst das Geheimnis des Zusammenhangs mit unserer menschlichen Organisation auf der einen und mit unserem Willensimpuls auf der anderen Seite. Der Rhythmus ist […] das Gesetz, das wir in unseren Willen aufgenommen haben, wenn wir Rhythmisches hervorbringen, und erst auf Grund dieses seelischen Aktes erwächst das Gefühl der Freiheit unseres Tuns. Die Wahl vollzieht sich im Einklang mit unserer Organisationsanlage, gleichwie die Reizmittel durch sie bedingt sind, nach Maßgabe unseres Temperaments, aber nicht des ganz absonderlichen, einseitig individuellen, sondern des einigermaßen gemeinsamen Erbes, des Einzelmenschen freilich, aber doch als sozialen Wesens.266
Vor allem im Rahmen seiner Auseinandersetzung mit der Rhythmuslehre, die Ludwig Klages mit großem Erfolg vertritt, führt Schmarsow diese Konzeption in jenem anti-irrationalistischen Sinn fort, der für die Allgemeine Kunstwissenschaft generell charakteristisch ist. So bestimmt Klages zwar – ganz ähnlich wie Schmarsow – den Rhythmus als »Urerscheinung des Lebens« 267, d. h. als allgemeine Äußerung der Vitalität, an der als lebendiges Wesen auch der Mensch teilhat. Allerdings betrachtet Klages diese Erscheinung von seinem modernitäts- und geistfeindlich eingefärbten lebensphilosophischen Standpunkt zugleich als harmonische Verwirklichung des Individuums in einer natürlichen Ordnung. Der Rhythmus steht dabei für das Ideal der Wiedererlangung eines ganzheitlichen Erlebens. Dagegen gilt Klages der Takt als rationale Leistung, die bloß mechanische, seelenlose Wiederholung hervorbringt. Er steht damit für die künstliche, messbare Erzeugung A. Schmarsow: Das Wesen der architektonischen Schöpfung, S. 22. S. 29. – Vgl. P. Bernhard: »Moderne Architektur: eine Raumvision zwischen Kunst und Wissenschaft«, S. 14. 266 A. Schmarsow: »Rhythmus in menschlichen Raumgebilden«, S. 175. 267 L. Klages: Ausdrucksbewegung und Gestaltungskraft, S. 138. 264 Vgl.
265 Ebd.,
Konzeptionen der Allgemeinen Kunstwissenschaft157
von Regelmäßigkeit und zugleich für eine entfremdete Gesellschaft, der ihre Verbindung zum ›natürlichen Rhythmus‹ durch ihre Modernisierung und Technisierung abhandengekommen ist. Diese Entgegensetzung von Rhythmus und Takt stellt Schmarsow infrage. Denn der Geist ist nicht, wie Klages dies in dem Titel seines Hauptwerks behauptet, der Widersacher der Seele 268: Klages lehrt, nur der Takt sei Produkt des Geistes, also gerade die mechanische Seite des [rhythmischen] Vorgangs, die Regel. Doch ist nicht eben sie dann derjenige Bestandteil, der eine [rhythmische] Wiederholung überhaupt erst ermöglicht, indem er uns bewußt wird und uns so veranlaßt »das Gesetz in unsern Willen aufzunehmen«?269
Erst durch den »Lichtblick des Geistes im regelnden Takte« ist der vitale Rhythmus nicht »nur eine Lebenswoge, die durch uns hindurchgeht und in uns verzettelt wird«, sondern kann stattdessen »im Bewußtwerden des eigenen Gestaltens als schöpferischer Drang genossen« werden.270 Dabei steht für Schmarsow außer Frage, dass es sich hier, bei Takt und Rhythmus bzw. bei Geist und Seele, um zwei Seiten einer Medaille handelt: der Leiblichkeit. Dieses Anliegen, im Rekurs auf die Leiblichkeit und ohne den Rückgriff auf metaphysische Annahmen Existenz und Wesen des Geistes zu erklären, verbindet Schmarsows Naturalismus mit der Phänomenologie. In diesem Sinne setzt er sich auch gegen das verwandte, aber dezidiert anti-naturalistische Anliegen Ernst Cassirers ab: Was Cassirer ideale Sinngebungen und Symbole nennt, das habe ich deshalb lieber als »Auseinandersetzungen des Menschen mit der Welt, in die er gestellt ward« bezeichnet, um vor allem die Aktivität zu betonen. Die »Welt«, von der wir reden, wird ja wohl nicht »aus der Welt zu schaffen« sein, und wird nicht erst vom menschlichen Ich erschaffen. Der menschliche Geist aber schwebt nicht in der Luft, sondern lebt und webt in einem Menschenleib. Alle Künste, die der Mensch aus sich hervorgebracht hat, beginnen notwendigerweise ganz bescheiden vom Organismus des menschlichen Leibes aus, aber sie sind mir »Auseinandersetzungen mit der Welt, wie es sein Streben nach Erkenntnis und nach Gesittung, seine Wissenschaft und seine Ethik auch sind«, – und damit ist ihre Anwartschaft auf höhere Entwicklungstufen deutlich genug ausgesprochen.271
Für die Kunstforschung bedeutet dies nach Schmarsow nicht nur, dass die traditionelle Fixierung auf den Sehsinn aufgegeben oder zumindest erheblich relativiert werden muss: Es gilt, in größerem Maße als bisher, unsere gesamte körperliche Beziehung zu den Kunstobjekten zu beachten. Vielmehr stützt die Bedeutung des 268 A. Schmarsow: »Geist und Seele im Rhythmus?«, S. 335; s. a. S. 339. – Vgl. L. Klages: Der Geist als Widersacher der Seele. 269 A. Schmarsow: »Geist und Seele im Rhythmus?«, S. 333 f. 270 Ebd., S. 339. 271 A. Schmarsow: »Vom Organismus unserer Kunstwelt«, S. 212.
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Rhythmus als Gestaltungsprinzip auch den Bruch mit der ebenfalls traditionellen Fixierung auf die europäische Hochkunst. Denn schließlich ist der Rhythmus in all seiner Expressivität nicht allein in den Meisterwerken zu finden, sondern genauso in der anonymen »Ornamentik und Kleinkunst aller Art«, die zudem »oft besseren Aufschluß über die Sinnesart jener Zeiten gewähren« als die stärker durch Konventionen überformten Werke der Hochkunst.272 Immer wieder betont Schmarsow deshalb auch – durchaus im Einklang mit dem verbreiteten zeitgenössischen Interesse an den sogenannten Urvölkern – den Wert ethnographischen Materials. Die Schlüsselbedeutung der Architektur Aus der zentralen Bedeutung, die Schmarsow dem Raum für das menschliche Weltverständnis beimisst und die damit auch den Status des Rhythmus als Schlüsselkategorie seiner Kunstkonzeption bedingt, erklärt sich zugleich sein Fokus auf der Architektur als der grundlegenden Kunst: »Raumgefühl und Raumphantasie drängen zur Raumgestaltung und suchen ihre Befriedigung in einer Kunst; wir nennen sie Architektur und können sie deutsch kurzweg als Raumgestalterin bezeichnen.« 273 Damit wendet er sich gegen die zeitgenössische – etwa von Eduard von Hartmann vertretene – These, dass die Baukunst aufgrund ihrer offensichtlichen Zweckhaftigkeit überhaupt nicht zu den freien Künsten gehört. Im Sinne der Allgemeinen Kunstwissenschaft steht aber die lebensweltliche Funktion eines Gegenstandes eben durchaus nicht im Widerspruch zu seinem Kunstcharakter. Mit seiner Bestimmung der Architektur als Raumkunst wendet Schmarsow sich zudem gegen die geläufige Betrachtung der Architektur als tektonischem Massenkörper, wie sie sich in Gottfried Sempers Charakterisierung der Architektur als einer ›Bekleidungskunst‹ artikuliert hatte.274 Er wird damit aber zum Entdecker der ›Raumes‹, auf den sich der Gestaltungswille der Bauauffassung der Moderne des 20. Jahrhunderts richtet: Schmarsows zentraler Gegenstand ist nicht die Fassade, das zweidimensionale Objekt einer statischen visuellen Kontemplation, sondern der dreidimensionale Innenraum, also der eigentliche Bereich der Raumgestaltung, dessen Tiefenerstreckung mit dem ganzen, in Bewegung begriffenen Körper erfahren wird. Schmarsow hat diese Idee der drei Dimensionen der Raumgestaltung weiter ausgebaut und versucht, auf physiologischer Basis die Beziehungen zwischen Archi272
A. Schmarsow: »Rhythmus in menschlichen Raumgebilden«, S. 182. Vgl. G. Vasold: »Am Urgrund der Kunst«, S. 74. 273 A. Schmarsow: Das Wesen der architektonischen Schöpfung, S. 11. – S. a. bes. ders.: »Raumgestaltung als Wesen der architektonischen Schöpfung«. In: Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft; ders.: »Raumgestaltung als Wesen der architektonischen Schöpfung«. In: Kongress für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft. 274 Vgl. A. Schmarsow: Das Wesen der architektonischen Schöpfung, S. 2. – S. a. M. Dürfeld: Das Ornamentale und die architektonische Form, S. 56.
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tektur, Plastik und Malerei aufzuweisen. Dabei entwirft Schmarsow ein komplexes System, in dem er drei grundlegende Eigenschaften des menschlichen Körpers jeweils mit einer Dimensionen des Raums identifiziert und die beiden so verknüpften Aspekte gemeinsam einer Kunstgattung und deren schöpferischem Prinzip zuordnet 275: Unser aufrechter Gang lässt uns die Höhendimension des Raumes – die erste Dimension – erfahren. Sie ist die psychophysische Wurzel des plastischen Schaffens, mit der Proportion als schöpferischem Prinzip. Die zweite Dimension des Raumes ist die der Breite. Sie wird vom Menschen durch seine paarweise Anordnung von Augen, Armen, Beinen etc. erfahrbar. Schmarsow rechnet sie der Flächenbildnerei mit der Symmetrie als Schaffensprinzip zu. Unsere frontale Ausrichtung identifiziert Schmarsow schließlich mit der Erfahrung der Tiefendimension des Raumes. Diese dritte Dimension ist nun die psychophysische Wurzel der Architektur. Und deren schöpferisches Prinzip ist der Rhythmus.276 Allerdings ist dieses Schema nicht als rigides System der Künste zu verstehen: Malerei, Skulptur und Architektur sind bei Schmarsow eher Richtungen und Tendenzen als einzelne künstlerische Gattungen. So kann etwa eine Skulptur malerisch aufgefasst sein, ein Gebäude skulptural.277 Überhaupt ist Schmarsow überzeugt von der »Einheit und innigen Verwandtschaft aller menschlichen Künste«, weil bei diesen grundsätzlich immer die gesamte Anlage des menschlichen Körpers involviert ist.278 Aus diesem Grund ist auch der Rhythmus nicht nur in der Architektur, sondern ebenfalls in den anderen Künsten relevant: Er ist nicht bloß eine von drei Komponenten in dieser Trias, sondern der Rhythmus nimmt Proportionalität und Symmetrie in sich auf, indem er den statischen Aspekten, die ihnen innewohnen, Dynamik verleiht.279
275
Schmarsow bezieht sich hierbei auf Sempers dreiteilige Klassifizierung der schöpferischen Prinzipien als Proportionalität, Symmetrie und Richtung, wobei er die dritte Kategorie durch den Terminus Rhythmus ersetzt: »Jede dieser Axen hat ihr eigenes Gestaltungsprincip: in der ersten Dimension waltet die Proportionalität, in der zweiten die Symmetrie, und in der dritten das Moment der Richtung (wie Gottfried Semper es genannt hat) oder des Rhythmus (wie ich es nennen möchte, weil die successive Auffassung, die Bewegungsvorstellung das Entscheidende ist).« (A. Schmarsow: »Über den Werth der Dimensionen im menschlichen Raumgebilde«, S. 59.) – Vgl. M. Dürfeld: Das Ornamentale und die architektonische Form, S. 58. 276 Vgl. A. Schmarsow: »Über den Werth der Dimensionen im menschlichen Raumgebilde«, S. 59. 277 Als Beispiel nennt Schmarsow den Petersdom, der seiner Auffassung nach als eine Abfolge der Betonung der drei Dimensionen zu lesen ist: Der Zentralbau betont die Höhenachse und damit die erste Dimension. Das später vorgelagerte Langhaus betont die Horizontale, die in die Tiefe weist und favorisiert damit die dritte Dimension. Die Kolonnaden gehen schließlich in die Breite und betonen somit die zweite Dimension. (Vgl. A. Schmarsow: »Über den Werth der Dimensionen im menschlichen Raumgebilde«, S. 60.) 278 A. Schmarsow: »Vom Organismus unserer Kunstwelt«, S. 230. 279 Vgl. O. Wulff: Grundlinien und kritische Erörterungen zur Prinzipienlehre der Bildenden Kunst, S. 13.
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Zur Rezeption von Schmarsows Rhythmustheorie Schmarsows Rhythmusbegriff ist mit seiner Rückführung aller Einzelkünste auf eine einzige gemeinsame psychophysische Wurzel sowohl entwicklungsgeschichtlich als auch psychogenetisch kaum haltbar. Sein Anspruch, mit dem Bedürfnis nach rhythmischem Ausdruck die Wurzel der Kunst identifiziert zu haben, bleibt zudem, wie sein Schüler Wulff – ansonsten einer der nachdrücklichsten Verfechter von Schmarsows Theorie – kritisch notiert hat, die Erklärung schuldig, in welcher Weise sich die Kunst dann kategorial von der sonstigen »Befriedigung der ästhetischen Elementargefühle« unterscheidet.280 Schließlich gibt es rhythmische Gestaltungen auch außerhalb der Kunst. Vor allem die radikal historistische Fraktion der Wiener Schule der Kunstgeschichte, für die in der Zeit um 1900 Franz Wickhoff steht, reagiert mit Unverständnis und harscher Kritik. So kulminiert eine Rezension Wickhoffs281 gar in einem Plädoyer für die Neubesetzung von Schmarsows Leipziger Lehrstuhl. Es klingt demgegenüber wohl wie eine Reminiszenz an Schmarsow, wenn Dessoir in der zweiten Auflage seiner Schrift über Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft 1923 erklärt: Nur darüber muß noch ein Wort gesagt werden, daß der Rhythmus auch in die räumlichen Künste eindringt und eine ästhetische Gemeinschaft aller Künste befestigen hilft. Wir sprechen mit Fug von einer rhythmischen Aufteilung der Fläche, einem Rhythmus der Linien und einer bildhaften Gruppenbewegung, ja wir können das Gefüge eines metrisch-rhythmischen Gebildes zeichnerisch darstellen, indem wir dem zeitlichen Vorgang der Hebungen und Senkungen sowie den Schwingungen des Versmaßes im ganzen mit unseren Handbewegungen, gleichsam dirigierend, folgen und sie zu einem Flächengebilde erstarren lassen.282
Aber selbst in der Allgemeinen Kunstwissenschaft bleibt Schmarsows Rhythmustheorie weitgehend ohne Nachhall. Zwar publiziert Schmarsow bis 1934, nur wenige Monate vor seinem Tod, in Dessoirs Zeitschrift zum Thema. Am Hallenser Kongress von 1927 zu Rhythmus und Symbol nimmt er dagegen nicht teil und wird dort auch nicht zitiert.283 Schmarsows Rhythmusbegriff dient aber einigen Schülern als Ausgangspunkt für architektur- 284, kunst- 285 und fachgeschichtliche 286 Untersuchungen, die teil280 Vgl.
bes. ebd., S. 26 und S. 129 (Zit.). Wickhoff: »August Schmarsow: Grundbegriffe der Kunstwissenschaft«. 282 M. Dessoir: Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft, 2. Aufl., S. 87. 283 S. u. S. 241. 284 Vgl. W. Pinder: Einleitende Voruntersuchung zu einer Rhythmik romanischer Innenräume in der Normandie; ders.: Zur Rhythmik romanischer Innenräume in der Normandie. 285 Vgl. W. Drost: Die Lehre vom Rhythmus in der heutigen Ästhetik der bildenden Künste. 286 Vgl. H.H. Russack: Der Begriff des Rhythmus bei den deutschen Kunsthistorikern des XIX. Jahrhunderts. – S. bes. G. Vasold: »Am Urgrund der Kunst«, S. 73. 281 F.
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weise bis heute grundlegend sind. Hermann Sörgels seit 1918 mehrfach aufgelegte Architektur-Ästhetik 287 macht Schmarsows Thesen unter deutschen Baumeistern bekannt und Paul Zucker 288 – ebenso wie Sörgel Architekt der Moderne und Architekturtheoretiker – verschafft ihnen nach dem Zweiten Weltkrieg auch international eine gewisse Wahrnehmbarkeit.289 Die kunstphilosophischen Positionen, die Schmarsows Konzeption sachlich am nächsten stehen dürften, nämlich die des USamerikanischen Pragmatisten John Dewey und der ebenfalls US-amerikanischen Symboltheoretikerin Susanne Katherina Langer, scheinen aber ohne Kenntnis von Schmarsows Forschungen entstanden zu sein.
4. Richard Hamann: Kunstwissenschaft als Systematik der Kunstgeschichte Utitz führt in seiner Grundlegung den Kunsthistoriker Hamann als Autor an, der sich »[a]usführlich mit dem Problem einer allgemeinen Kunstwissenschaft« auseinandergesetzt hat 290, und auch bei Dessoir fällt in diesem Zusammenhang der Name Hamanns291. Die professionelle Lebensleistung von Richard Hamann (1879–1961)292 greift ungewöhnlich weit aus: In Berlin studiert er vor allem Philosophie und Literaturgeschichte, aber auch Kunstgeschichte, und wird dort 1902 von Dilthey mit einer phänomenologischen Studie über Das Symbol promoviert. Anschließend publiziert Hamann in kurzem Abstand Studien zu Themenkreisen, auf die er auch später immer wieder zurückkommt – von der mittelalterlichen Architektur, der Kunst der Frührenaissance und Rembrandt bis hin zur Kunst des 19. Jahrhunderts und der frühen Moderne. 1911 wird er, ebenfalls in Berlin, von dem »bereits zum Starkunsthistoriker aufgestiegenen« 293 Wölfflin im Fach Kunstgeschichte habilitiert, nachdem, wie der »protestantische Gesinnungssozialist« 294 Hamann 1946 in einem Lebenslauf schreibt, »eine Habilitation für Philosophie von dem entscheidenden Professor ([Carl] Stumpf ) wegen meiner oppositionellen Haltung abgelehnt war«295. Nach einer kurzen Professur in Posen ist Hamann von 1913 bis 1949 als erster Lehrstuhlinhaber für Kunstgeschichte in Marburg tätig. Hier gründet er nicht nur H. Sörgel: Einführung in die Architektur-Ästhetik. P. Zucker: »The Paradox of Architectural Theories at the Beginning of the ›Modern Movement‹«. – Zur Schmarsow-Rezeption bei Zucker vor 1933 vgl. bes. B. Zug: Die Anthropologie des Raumes in der Architekturtheorie des frühen 20. Jahrhunderts, S. 64–88. 289 Vgl. T. Teutenberg: »August Schmarsow: Grundbegriffe der Kunstwissenschaft«, S. 108. 290 E. Utitz: Grundlegung der allgemeinen Kunstwissenschaft, Bd. 1, S. 18; s. a. Bd. 2, S. 53. 291 M. Dessoir: »Allgemeine Kunstwissenschaft«, Sp. 2405. 292 Zur Biographie Hamanns vgl. bes. M. Warnke: »Richard Hamann«; ders.: »›Gebaute Kunstgeschichte‹. Richard Hamann«; P.H. Feist: Art. »Hamann, Richard«; J. Hermand: Der Kunsthistoriker Richard Hamann; R. Heftrig: Fanatiker der Sachlichkeit. 293 J. Hermand: Der Kunsthistoriker Richard Hamann, S. 49. 294 P.H. Feist: Art. »Hamann, Richard«, S. 147. 295 Zit. nach R. Heftrig: Fanatiker der Sachlichkeit, S. 19. 287 Vgl.
288 Vgl.
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das Marburger Jahrbuch der Kunstwissenschaft, sondern u. a. auch das Bildarchiv Photo Marburg – ein bis in die Gegenwart unerlässliches und lange einzigartiges Hilfsmittel der kunstwissenschaftlichen Forschung und Publizistik –, das er als »Kuli der Kunstgeschichte« 296 zusammen mit seinen Studenten ständig weiter bestückt. 1933 legt Hamann eine zunächst einbändige Geschichte der Kunst von der altchristlichen Zeit bis zur Gegenwart vor, die in verschiedenen Bearbeitungen enorme, über die Grenzen der Fachwelt hinausreichende, Breitenwirkung entfaltet und vom Autor 1952 durch den Band Von der Vorgeschichte bis zur Spätantike ergänzt wird. Ein weiteres Großprojekt, das Hamann zusammen mit dem Germanisten Jost Hermand in interdisziplinärer Kooperation in Angriff nimmt, ist die Deutsche Kunst und Kultur von der Gründerzeit bis zum Expressionismus, die von 1959 bis 1975 in fünf Bänden erscheint, von denen die letzten nach Hamanns Tod, auf dessen Konzeption fußend, von Hermand fertiggestellt werden. Zwischen 1947 und 1957 nimmt Hamann zusätzlich zu seiner Tätigkeit in Marburg u. a. eine Gastprofessur für Kunstgeschichte an der Berliner Humboldt-Universität wahr und beeinflusst maßgeblich die Entwicklung des Fachs in der DDR, bis er – wiederum aus politischen Gründen – entlassen wird. Von Anfang an verbindet Hamann die »historische[n] und volksbildnerische[n] Aspekte« seiner kunsthistorischen Arbeit mit »theoretisch-systematische[n]« Aspekten im Sinne der Allgemeinen Kunstwissenschaft.297 Dabei fällt die Phase seiner intensivsten Beschäftigung mit einer Methodologie der Allgemeinen Kunstwissenschaft in die 1910er Jahre. a) Zum Verhältnis von Ästhetischem und Kunst Den Auftakt bildet hier seine Ästhetik, die 1911 in der ersten und 1919 in einer überarbeiteten zweiten Auflage erscheint, und mit der Hamann, beruflich noch nicht etabliert, »nicht nur bei den Kunsthistorikern, sondern auch bei den wesentlich einflußreicheren Philosophen das nötige Aufsehen« zu erregen hofft.298 So verfehlt Martin Warnkes Einschätzung, Hamann habe sich in diesem Werk »noch an den Normen einer abgehobenen Philosophie orientiert«, das »ästhetische Erlebnis« werde hier »rigoros isoliert, zweck- und interessefrei gesetzt«, die »›Autokratie des ästhetischen Objekts‹« solle »sich durchsetzen gegen die ›Despotie der Pflichten‹«, Kunst und Leben seien demnach »strikt distinkte Sphären«, den Kern dieses Projekts.299 Im Geist der Allgemeinen Kunstwissenschaft, auf die Hamann sich auch ausdrücklich beruft 300, geht es hier nämlich gerade nicht – wie Warnke offenbar annimmt – darum, die Kunst als rein oder auch nur primär ästhetisches Phänomen auszuweisen, das als solches in der Tat in Distanz zum ›Leben‹ tritt. Vielmehr un296 P.H.
Feist: Art. »Hamann, Richard«, S. 147. Feist: »Nachwort«, S. 123. 298 J. Hermand: Der Kunsthistoriker Richard Hamann, S. 50. 299 M. Warnke: »Richard Hamann«, S. 12. 300 S. o. S. 121. 297 P.H.
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terscheidet Hamann im Sinne der Allgemeinen Kunstwissenschaft die spezifischen Eigenschaften der Kunst von denen des Ästhetischen und präzisiert näherhin die unterschiedliche Relevanz und Funktion, die dem Ästhetischen in der Kunst zukommen kann. So charakterisiert Hamann zwar das Ästhetische in der ersten Auflage der Ästhetik ganz im Sinne von Kants Rede von der ›Interesselosigkeit‹ der ästhetischen Erfahrung: Negativ ausgedrückt: Das Wesen des Ästhetischen besteht in der Beziehungslosigkeit des Erlebnisses, in der Loslösung eines Erlebnisses aus den durch Pflichten (Beruf), Gewohnheiten, Notdürften bestimmten Lebenszusammenhängen unseres täglichen Daseins. Positiv ausgedrückt: Das Erlebnis ist ästhetisch, wenn es in sich ruhend, in sich beschlossen, nicht Mittel zum Zweck, sondern Selbstzweck ist. Es ist das Gesetz der Isolation des Erlebnisses, das den Begriff des Ästhetischen bestimmt.301
Und in der zweiten Auflage des Werks bezeichnet Hamann an dieser Stelle die »Eigenbedeutsamkeit der Wahrnehmung« als das »Grundproblem der Ästhetik«.302 Zugleich wendet er sich hier aber gerade gegen die geläufige Verknüpfung von »Betrachtungen über das Wesen des ästhetischen Verhaltens des Menschen« mit »Betrachtungen über das Wesen der Kunst«.303 Nur aus diesem Grund kann etwa der Kunsthistoriker Erich Everth in seiner Rezension der ersten Auflage von Hamanns Ästhetik – wie Utitz in seiner Grundlegung argumentiert: vergeblich 304 – den Versuch unternehmen, Hamanns Differenzierung zwischen Ästhetischem und Kunst zu widerlegen.305 ›Illustration‹ als Relativierung des Ästhetischen Zwar ist auch für Hamann das Ästhetische in der Kunst relevant. Allerdings macht nicht nur bereits die »ästhetische Freude an der Natur« deutlich, dass das Ästhetische durchaus kein Spezifikum der Kunst ist. Vielmehr gibt es seiner Auffassung nach ebenfalls Kunst, in der das Ästhetische keinerlei Rolle spielt. Letzteres will Hamann am »Wesen der Illustration« 306 zeigen. Dabei versteht er unter ›Illustration‹ die »Darstellung und Herstellung von Objekten, die uns einen Begriff verdeutlichen« 307, wie es etwa in der religiösen Kunst, profanen Denkmä-
Hamann: Ästhetik, 1. Aufl., S. 13 f. 2. Aufl., S. 19; s. a. S. 10 f. u. ö. 303 Ebd., 1. Aufl., S. 1 / 2. Aufl., S. 9. 304 Vgl. E. Utitz: Grundlegung der allgemeinen Kunstwissenschaft, Bd. 1, S. 20–22. 305 Vgl. E. Everth: »Richard Hamann: Ästhetik«. 306 R. Hamann: Ästhetik, 1. Aufl., S. 2 / 2. Aufl., S. 9. 307 Ebd., 2. Aufl., S. 11. 301 R.
302 Ebd.,
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lern, Portraits oder auch der »Historien-Malerei des 19. Jahrhunderts« 308 der Fall sei. So zeigt für Hamann dieser »bedeutende[] Zweig des Kunstschaffens« 309, dass »der rein ästhetische Gesichtspunkt, wenn er aller Kunst gegenüber angewendet wird, und die Identifizierung der Ästhetik mit Kunsttheorie oder Philosophie der Kunst« verfehlt ist, weil in der Kunst auch die verschiedensten ›Interessen‹ des Lebens eine Rolle spielen können.310 Das »ganze Gebiet der illustrativen Kunst ist deshalb«, so resümiert Hamann, »unästhetisch, weil es das Kunstwerk nur in Beziehung und Entsprechung zu einem Wirklichen (Ideal oder Natur) bestehen läßt und in einen wissenschaftlichen oder ethisch[-]religiösen Zusammenhang hineinstellt«.311 Daher gilt für Hamann: »der ästhetische Gesichtspunkt ist nicht der einzige, der der Kunst gerecht wird, deshalb ist aus dem Wesen der Kunst das Wesen des Ästhetischen nicht abzuleiten«.312 Und so zitiert auch Utitz aus Hamanns Ästhetik, um die Kernthesen der Allgemeinen Kunstwissenschaft zu verdeutlichen: Dennoch ist es eine Lebensfrage der Ästhetik, das Wesen des Ästhetischen vom Wesen der Kunst zu trennen, und erst, wenn das Wesen des ästhetischen Verhaltens in seiner Selbständigkeit erkannt ist, zu begreifen, welche besonders engen Beziehungen zwischen Ästhetik und Kunst bestehen, ohne daß das Wesen der einen in dem der anderen aufginge.313
Näherhin versagt der »rein ästhetische Gesichtspunkt«314 gegenüber der illustrativen Kunst, wie Utitz Hamann weiter zitiert, gleich in dreifacher Hinsicht: einmal indem das ästhetische Bedürfnis in vielen Fällen von solchen Kunstwerken nicht befriedigt wird und dennoch diese Kunstwerke ihren Zweck an ihrem Platze voll erfüllen, indem ferner eine Behandlung der Kunstwerke nach ästhetischen Gesichtspunkten von seiten des Künstlers wie des Betrachters deplaciert sein kann und das Wesentliche, die illustrative Bedeutung, vernichtet, und indem schließlich in einer ästhetischen Betrachtung und Interpretation, wo sie möglich ist wie in vielen Fällen, die modifizierte Bedeutung dieser ästhetischen Momente für das Wesentliche dieser Kunst verkannt bleibt.315
308 Ebd.,
1. Aufl., S. 7 / 2. Aufl., S. 16. 1. Aufl., S. 1 / 2. Aufl., S. 9. 310 Ebd., 1. Aufl., S. 3 / 2. Aufl., S. 12. 311 Ebd., 1. Aufl., S. 6 f. / vgl. 2. Aufl., S. 16. 312 Ebd., 1. Aufl., S. 6 / 2. Aufl., S. 16. 313 E. Utitz: Grundlegung der allgemeinen Kunstwissenschaft, Bd. 1, S. 19. Vgl. R. Hamann: Ästhetik, 1. Aufl., S. 1 f. / 2. Aufl., S. 9. 314 Ebd., 2. Aufl., S. 12. 315 E. Utitz: Grundlegung der allgemeinen Kunstwissenschaft, Bd. 1, S. 19. Vgl. R. Hamann: Ästhetik, 1. Aufl., S. 3 f. / 2. Aufl., S. 12. 309 Ebd.,
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Die Berücksichtigung des Rezeptionskontextes als Verknüpfung von Objektivismus und Subjektivismus Überhaupt ergibt sich, ob nun aber etwas »ästhetisch ist oder nicht«, für Hamann letztlich »nicht durch das Objekt und seine Pracht, auch nicht dadurch, daß es ein Kunstwerk ist, […] sondern durch bestimmte Beziehungen, in denen das Kunstwerk zu uns steht«.316 So weist er etwa darauf hin, dass »dasselbe Bild in der Kirche und im Museum anders wirkt«, »der objektive Zusammenhang, die Placierung des Bildes für die ästhetische Auffassung entscheidend sein kann«.317 Und dieser Zusammenhang kann nicht allein durch objektive Zusammenhänge, sondern auch durch subjektive, schon bestehende Beziehungen bedingt sein, durch den Beruf und die dadurch erzeugten Interessen und Stimmungen. Daher wird ein religiöses Bild von einem Religiösen und Indifferenten ganz verschieden betrachtet werden.318
In dieser Verknüpfung der neukantianischen Akzentuierung der Perspektive des Subjekts mit der Analyse der objektiven Bedingungen der Rezeption liegt Hamanns Beitrag zu jener Überbrückung der Kluft zwischen Subjektivismus und Objektivismus, die als charakteristisch für die methodologischen Bestrebungen der Allgemeinen Kunstwissenschaft gelten kann: Für Hamann ist die Objektivität des Werks nicht absolut, sondern variiert in der Erfahrung des Subjekts. Allerdings verfährt zugleich die Subjektivität nicht völlig frei. Sie wird vielmehr immer auch überformt zum einen durch ›Interessen und Stimmungen‹ des Subjekts, die sich im Prinzip aus seiner eigenen soziokulturellen Prägung erklären lassen, zum anderen durch die ›Placierung des Bildes‹, d. h. die äußeren Rezeptionsbedingungen, die sich ebenfalls im Prinzip in ihrem Lenkungspotenzial beschreiben lassen und veränderbar sind. Zudem gibt es für den Historiker Hamann eine ursprüngliche funktionale Einbindung des Kunstwerks – einen Zweck, auf den hin es geschaffen wurde –, die dem Relativismus dieses Kontextualismus weitere Grenzen setzt. Es gibt daher, je nach ursprünglicher Funktion eines Kunstwerks, einen richtigen bzw. falschen Umgang mit den Werken, und es ist dementsprechend ›falsch‹, ein illustratives Kunstwerk als ein ästhetisches zu behandeln und umgekehrt. So gilt für Hamann (ähnlich wie später für Hans-Georg Gadamer mit seiner Kritik an der »ästhetische[n] Unterscheidung« durch das »ästhetische[] Bewußtsein« 319, das in den modernen Kunstinstitutionen zu Hause ist): »Ein Museum mit Heiligenbildern bleibt eine Qual«.320 Dies zeigt Hamann insbesondere anhand der sakralen Kunst des Mittelalters: 316
Ebd., 1. Aufl., S. 3. Ebd., 1. Aufl., S. 11 / 2. Aufl., S. 17. 318 Ebd., 1. Aufl., S. 12 / 2. Aufl., S. 18. 319 H.-G. Gadamer: Wahrheit und Methode, S. 92. 320 R. Hamann: Ästhetik, 1. Aufl., S. 7 / 2. Aufl., S. 16. 317
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Die ganze mittelalterliche Kunst übergibt den Reichtum ihrer Beziehungen doch nur dem, der eingeweiht ist in die Geschichte ihres Inhaltes, so daß er die Namen und Begriffe für sie hat, oder aber begierig nach ihnen fragt, um sich ins richtige Verhältnis zu ihr zu setzen. Wenn diese Bilder dann demjenigen, der voraussetzungslos an sie herantritt, leer und abstrakt oder gekünstelt vorkommen, und ganz allgemein die Forderung erhoben wird, es dürfe im Bilde nur das geschildert werden, was »aus sich heraus« verständlich sei, so dürfen die Vertreter jener Kunst umgekehrt sagen: Euch, die ihr mit profanen ästhetischen Gelüsten unsere Kirchen betretet, sollte man wie die Wechsler mit Peitschen aus dem Tempel treiben, geht in eure Museen und Theater, wenn ihr »genießen« wollt, unsere Kirchen sind nicht zum ästhetischen Genuß, sondern zur Erbauung da, und unsere Bilder sind dem Eingeweihten und Gläubigen ganz verständlich. Ja sie können noch weiter gehen und sagen: die Kunst ist im Innersten verderbt, wenn sie an heilige Stätten Bilder hinsetzt, die den Geist vom Heiligen ablenken.321
Das heißt, das Kunstwerk wird gerade nicht erst durch die »Abstraktion des ästhetischen Bewußtseins« 322 von seiner Indienstnahme für Zwecke des ›Lebens‹ überhaupt erst eigentlich zum Kunstwerk, wie ein ästhetisierender Kunstbegriff dies unterstellt. Vielmehr kann ein Kunstwerk beispielsweise »im höchsten Maße belehrend sein, ohne deshalb aufzuhören, ein Kunstwerk zu sein. Ästhetisch, d. h. eigenbedeutsam, ist seine Wahrnehmung aber auf keinen Fall.« 323 Historisch setzt nach Hamann »die große Wendung der Kunst«, die – in Absetzung von der primären illustrativen, also lebensweltlich eingebundenen Kunst – ein ästhetisches Kunstverständnis hervorgetrieben hat, »beim Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit« ein.324 Diese Wendung macht aber nicht nur einen anderen, ästhetisierenden Blick auf (historische) illustrative Kunst möglich, der die eigentliche, ursprüngliche Intention solcher Werke verkennt und sie für ihre eigenen Anliegen usurpiert. Vielmehr bringt diese Wende auch – als neue künstlerische Option – eine ganz andere Art von Kunst hervor, die sich an den internen, nämlich strikt ästhetischen, Belangen der Kunstwelt orientiert. Solche autonome Kunst, die man heute etwa als ›Museumskunst‹ apostrophiert und die Hamann als ›Erlebniskunst‹ bezeichnet 325, wäre nun wiederum im ›Leben‹ falsch platziert. Denn nicht nur ein Museum mit Heiligenbildern ist eine ›Qual‹, sondern »eine Kirche mit ästhetisch vergnügenden Freilichtlandschaften dürfte es für ein religiöses Gemüt ebenso sein«.326 Daneben bestehen aber auch andere, den Rahmen der Kunstwelt auf lebensweltliche Funktionen hin überschreitende, ›illustrative‹ Formen der 321 Ebd.,
1. Aufl., S. 2 f. / 2. Aufl., S. 11. Gadamer: Wahrheit und Methode, S. 91. 323 R. Hamann: Ästhetik, 2. Aufl., S. 15 f. 324 Ebd., 1. Aufl., S. 3 / 2. Aufl., S. 11. 325 Vgl. ebd., 1. Aufl., S. 44 f. / 2. Aufl., S. 54 f. 326 Ebd., 1. Aufl., S. 7 / 2. Aufl., S. 16. 322 H.-G.
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Kunst fort. Hinzu kommen Mischformen aus den vielfältigen begrifflichen bzw. lebensweltlichen und ästhetischen Anliegen. Wenn so beispielsweise die »religiöse und den Begriff illustrierende Bedeutung« zwar »die Hauptsache und ihre Erfüllung in erster Linie Aufgabe des Künstlers« bildet, aber »dennoch ästhetische Faktoren in dieser Anschauung mitwirken« sollen, dann ist klar, dass Letztere dies »nur begleitend und zu dem religiösen Gehalt stimmend tun« können. Damit entsteht nun allerdings, wie Hamann erklärt, »ein neues Problem der Ästhetik«, nämlich »das der begleitenden und stimmenden Bedeutung der Wahrnehmung, das Problem der dekorativen Kunst«.327 Jedenfalls steht die von Everth in seiner Rezension im Anschluss an Fiedler vertretene formalistische Position, dass man sich, wenn man mit Hamann »überall nicht ein Bild, sondern Abbild, Nachbildung, Bildnis und Illustration sieht«, nicht nur »unästhetisch«, sondern auch »unkünstlerisch« verhält, indem man »gedanklich über das Gegebene hinausgeht«, im Gegensatz zu dessen Kunstverständnis328: Für Hamann ist nicht die strikte Selbstbezüglichkeit des Ästhetischen (bzw. mit Fiedler: des Sichtbaren), sondern vielmehr die lebensweltliche Verstrickung des Kunstwerks der Normalfall. Funktionen des Ästhetischen in der Kunst: ›Erlebniskunst‹, ›dekorative Kunst‹ und ›Reklamekunst‹ In seiner Ästhetik geht es Hamann aber nicht allein darum, im Sinne der Allgemeinen Kunstwissenschaft die landläufige Identifikation von Ästhetischem und Kunst zu widerlegen bzw. als Spezialfall dieser Relation auszuweisen. Vielmehr zeigt er hier des Weiteren im Sinne der Allgemeinen Kunstwissenschaft, dass das Ästhetische in der Kunst in ganz unterschiedliche Zusammenhänge eingebunden sein kann, die den traditionellen Kanon der Hochkunst klar überschreiten, und somit das Arbeitsfeld des Kunstwissenschaftlers neu zu vermessen ist: Es ist die ›Erlebniskunst‹, in der »der Inhalt des ästhetischen Erlebnisses« ganz »im Vordergrund des Bewußtseins« steht und »alle Aufmerksamkeit« sich auf dieses Erlebnis konzentriert. Insofern aber solche Schilderungen »das Wesen des Ästhetischen« am besten treffen, »die behaupten, im ästhetischen Wahrnehmen vergessen wir alles um uns herum und uns selbst, wir verlieren, versenken uns darin, es fesselt und bezwingt uns, es bringt alle anderen Interessen zum Schweigen, entrückt uns in eine andere Welt« ist klar, dass in der ›Erlebniskunst‹ die Intensität der ästhetischen Erfahrung um den Preis der Ferne von den Anliegen des alltäglichen Lebens erkauft ist.329
327 Ebd.,
2. Aufl., S. 12. Everth: »Richard Hamann: Ästhetik«, S. 102. 329 R. Hamann: Ästhetik, 1. Aufl., S. 45 / 2. Aufl., S. 54 f. 328 E.
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Neben die ›Erlebniskunst‹, die die für Hamann »durch den Rahmen eines Bildes« symbolisierte »Isolation der eigenbedeutsamen Wahrnehmung« 330 in den Mittelpunkt rückt, stellt Hamann so zum einen die ›dekorative Kunst‹ 331: Wenn es aber die Aufgabe der Kunst ist, solche suggestiven Erlebnisse für uns zu schaffen, so ist die Erlebniskunst sicherlich nicht die einzige Kunst, und es gibt neben ihr eine Kunst, die nicht die Aufgabe hat, uns aus dem Leben herauszureißen, sondern erst recht an dieses zu fesseln, die Kunst, die das Leben verschönt, die dekorative Kunst.332
Hamanns wichtigste Beispiele sind hier Gebrauchsgegenstände und Möbel, also Objekte, die heute in den Bereich des ›Design‹ fallen. Diese Kunst stellt sich »durchaus in Gegensatz zu der mit der Isolation in Verbindung stehenden Intensivierung und Konzentrierung«, indem sie sich »einem Lebenszusammenhang« ein- und unterordnet, »dessen Zwecke und Aufgaben durchaus das Interesse beherrschen«.333 »Dekorative Kunst« ist »Hintergrundskunst, nur Begleitung, nicht Selbstzweck«.334 Das Dekorative ist für Hamann ästhetisch, »soweit es über den reinen Zweck hinausgreift, als solches weder nötig noch nützlich ist, sondern eine freie Zutat der künstlerischen Betätigung bedeutet«, also »Überflußcharakter« hat.335 (Daraus erhellt zugleich, warum Hamann auch, wie eben gezeigt, religiöse Kunstwerke, in denen das Ästhetische »nur begleitend und zu dem religiösen Gehalt stimmend« 336 präsent ist, zur ›dekorativen Kunst‹ zählen kann.) Die Dekoration stellt für Hamann damit eine eigenständige ›Modifikation des ästhetischen Erlebnisses‹ 337 dar: Das Ästhetische ist hier nicht wie in der ›Erlebniskunst‹ in Gestalt von »völlig isolierten Wahrnehmungen« präsent, sondern unser Bewusstsein ist »bereits mit praktischen oder theoretischen Vorstellungen« erfüllt, mit denen aber zugleich »eigenbedeutsame Wahrnehmungen einhergehen«. Daher ist nach Hamanns Auffassung das »Verhältnis dieser eigenbedeutsamen Wahrnehmungen zu den fremdbedeutsamen Inhalten […] das Problem des Dekorativen«. In der dekorativen Kunst geht es näherhin »um die begleitende Funktion eigenbedeutsamer Wahrnehmungen«.338 Entscheidend ist in jedem Fall für Hamann, dass im Dekorativen das Ästhetische nicht 330 Ebd.,
2. Aufl., S. 54. ebd., 1. Aufl., S. 45–57 / 2. Aufl., S. 55–68. 332 Ebd., 1. Aufl., S. 45 / 2. Aufl., S. 55. 333 Ebd., 1. Aufl., S. 46 / 2. Aufl., S. 56. – Allerdings hält Hamann zugleich etwa die »auf englische Anregungen zurückgehende Bestrebung« für verfehlt, in diesem Bereich nur »die reine Zweckmäßigkeit« gelten zu lassen und alles Dekorative zu verbannen. Solche »puristischen Bestrebungen« sind seiner Ansicht nach lediglich da wertvoll, »wo es gilt, das Dasein von der Überladung mit Schmuck und von dem Wahn zu befreien, als sei alle Kunst, auch die Dekoration, Erlebniskunst«. (Ebd., 1. Aufl., S. 47 / 2. Aufl., S. 57.) 334 Ebd., 1. Aufl., S. 47 / 2. Aufl., S. 57. 335 Ebd., 1. Aufl., S. 50 f. / 2. Aufl., S. 61. 336 Ebd., 2. Aufl., S. 12. – S. o. S. 167. 337 Vgl. R. Hamann: Ästhetik, 1. Aufl., S. 44 / 2. Aufl., S. 54. 338 Ebd., 2. Aufl., S. 60 f.; vgl. 1. Aufl., S. 50. 331 Vgl.
Konzeptionen der Allgemeinen Kunstwissenschaft169
länger im Gegensatz zum ›Leben‹ steht, sondern dieses vielmehr in seinen Belangen produktiv unterstützt. Ironischerweise löst so die ›Ästhetisierung der Lebenswelt‹ 339 ein, was die Avantgarde – wie Peter Bürger später diagnostizieren wird 340 – letztlich vergeblich erstrebt: die Vereinigung von Kunst und Leben: So ist die dekorative Kunst – weit entfernt auch hier ein Luxus zu sein – geeignet, dem ganzen Leben das Müssen zu nehmen, ohne die Pflichten zu beseitigen. Gibt es doch Räume, die uns zu dem Ausdruck hinreißen, daß es eine Lust sei, darin zu arbeiten. Mit Hilfe der Dekoration erhält das ganze Leben die Leichtigkeit und Freiheit, die wir sonst im Erlebniskunstwerk finden, und anstatt uns aus dem Leben herauszuführen, hält sie uns darin fest, indem sie das ganze Leben zur Kunst macht.341
Der ästhetische Purismus und die Lebensferne der ›Erlebniskunst‹ wird zum anderen durchbrochen durch die ›Reklamekunst‹ 342 , die sich ganz in den Dienst profanster Interessen stellt und insofern eine weitere ›Modifikation des ästhetischen Erlebnisses‹ bildet. Näherhin besteht hier das »Problem« in dem scheinbar diametralen Gegensatz zwischen der »Zwecklosigkeit und Insichgeschlossenheit des Ästhetischen« und dem »unlöslich mit Vorteil, Gewinnsucht« verknüpften Charakter der Reklame. Schließlich ist diese nicht nur – wie die Dekoration – einfach »mit der Praxis des Lebens verknüpft«, sondern »mit der Praxis des Lebens, der man am wenigsten ästhetische Haltung […] zutraut, der geschäftlichen. Denn auch der dekorativen Zweckmäßigkeit, der Stimmung ist die Reklame entgegengesetzt. Sie will uns nicht stimmen, sondern bestimmen, nicht im Hintergrund bleiben, sondern laut und vernehmlich schreien.« 343 Die »Beziehung, die zwischen Reklame und eigenbedeutsamen Wahrnehmungen bestehen kann«, ist daher nicht am »Ende des Reklameerlebnisses« zu finden, das eben »ganz und gar demonstrativ« »über sich hinaus, auf einen Zweck, der im praktischen Leben bedeutsam wird«, weist. Sie findet sich vielmehr am »Anfang« dieses Erlebnisses.344 Denn schließlich muss die Aufmerksamkeit zunächst einmal ganz gebunden werden, um dann den Werbezweck erzielen zu können: Hier am Anfang ist also eine Ähnlichkeit mit dem Ästhetischen vorhanden, und zwar mit den Bestimmungen der Isolation, Intensität und Konzentration, indem auch die Reklame uns durch intensive und konzentrierte Eindrücke für sich erobern und von allem andern abziehen will. […] Ästhetisch wird […] das Plakat, wenn die Erregung unserer Aufmerksamkeit uns einen ästhetischen Genuß verspricht, Reklame, wenn es dieses Versprechen auf die Dauer nicht hält, sondern dieses Vergnügen benutzt, uns nun auch für die praktische Sache zu gewinnen, so etwa, wenn im 339 Vgl.
R. Bubner: »Ästhetisierung der Lebenswelt«. P. Bürger: Theorie der Avantgarde, S. 80 u. ö. 341 R. Hamann: Ästhetik, 1. Aufl., S. 55 / 2. Aufl., S. 66. 342 Vgl. ebd., 1. Aufl., S. 58–62 / 2. Aufl., S. 68–73. 343 R. Hamann: Ästhetik, 1. Aufl., S. 58 / 2. Aufl., S. 69. 344 Ebd. 340 Vgl.
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dichtesten Verkehr des Potsdamer Platzes plötzlich über den Häusern ein Feuerwerk losgeht, von einfachsten aufleuchtenden Lichtkugeln beginnend, zu Reihen und Strahlen sich steigernd, den Eiligen also nötigt, zu schauen und zu genießen, bis in solcher Leuchtkugelschrift schließlich eine Zigarettenmarke »Saleim Aleikum« klar vor uns steht.345
Zur ›Reklamekunst‹ zählt Hamann aber nicht allein Werbung im engeren Sinne, sondern ebenso die »Reklamepoesie«, zu der etwa »alle Fabeln« gehören, der »Reklameschmuck«, der sich von »dekorativem Schmuck« dadurch unterscheidet, dass er für seinen Träger den Sinn hat, »sich hervorzutun, Reklame für sich zu machen«, und schließlich die »Reklamemusik«, zu der »alle Signale, die sich dem Ohre einschmeicheln und doch eine bestimmte Hinweisung geben auf das, was noch kommen soll«, gehören.346 – Utitz bezeichnet diesen Bereich der Kunst als »Tendenzkunst« und verweist hier ausdrücklich auf Hamann, der eindringlich gezeigt habe, »wie weit« diese Kunstsphäre »sich erstreckt«.347 – Zudem hat nach Hamann aber auch »die besondere Reizbarkeit und Genügsamkeit des Ästhetizismus an kurzen Erlebnissen dazu geführt […], moderner Kunst überhaupt einen Anstrich von Plakat zu geben«.348 Allerdings bleibt das ästhetische Erlebnis in allen Fällen von ›Reklamekunst‹ »nur ein Köder, und die Konzentration besteht nicht nur darin, dies Erlebnis uns zwingend zu suggerieren, sondern auch es mit dem realen Zweck passend, notwendig zu verbinden.« 349 Aus diesem Grund kann eine »Beurteilung der Reklame« auch »nur vom Standpunkt des Lebens, der Ethik erfolgen«, nicht von dem der Ästhetik. »Deshalb bleiben alle Ästhetiken«, so Hamann, »einseitig, die Tendenzpoesie wie die Fabeln entweder aus der Kunst und dem Bereich des Ästhetischen überhaupt verwiesen wissen wollen oder das Heil dieser Künste darin sehen, daß sie uns reine Erlebniskunstwerke schaffen.« Schließlich liegt es auf der Hand, dass die »Gefahren«, die zweifellos mit der Reklame verbunden sind, »um so leichter beantwortet werden können, je klarer man sich des Begriffes der ästhetischen Reklame als Modifikation des Ästhetischen ist«.350 ›Modifikationen des Ästhetischen‹ sind also auch außerhalb der Sphäre der Hochkunst in Bereichen wie der ›dekorativen Kunst‹ und der ›Reklamekunst‹ zu finden, die Hamann ausdrücklich als ›Kunst‹ bezeichnet. Diese Tatsache ist für Hamann aber kein Grund, die prinzipielle Trennung von Ästhetischem und Kunst infrage zu stellen. So beschäftigt ihn die »Unterscheidung des (Bild-)Künstlerischen vom Ästhetischen«351 nicht nur in seiner frühen Ästhetik. Vielmehr macht er noch in 345 Ebd.,
1. Aufl., S. 59 / 2. Aufl., S. 69 f. 1. Aufl., S. 60 / 2. Aufl., S. 71. 347 E. Utitz: Grundlegung der allgemeinen Kunstwissenschaft, Bd. 1, S. 49. 348 Ebd., 1. Aufl., S. 62 / 2. Aufl., S. 73. 349 Ebd., 1. Aufl., S. 60 / 2. Aufl., S. 70. 350 Ebd., 1. Aufl., S. 61 / 2. Aufl., S. 72. 351 P.H. Feist: Art. »Hamann, Richard«, S. 146. 346 Ebd.,
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seiner postum 1980 im Ost-Berliner Akademie-Verlag erschienenen Theorie der bildenden Künste die Bestimmung des Verhältnisses zwischen dem »Begriff der Kunst« und dem »Wesen des Ästhetischen« bzw. zwischen den »außerästhetischen Faktoren der Bildenden Kunst« und dem »Ästhetische[n]« zum Thema.352 b) Grundlinien einer kunstwissenschaftlichen Methodologie Wenn nun aber das Ästhetische nicht für den Kunststatus einer Sache verantwortlich ist – was dann? Diese Frage stellt Utitz im Rahmen seiner Diskussion von Hamanns Ästhetik.353 Alles hängt hier, so Utitz’ Fazit, »von einer gründlichen und exakten Wesensuntersuchung der Kunst ab« 354, die bei Hamann aber ausbleibe. Hamann selbst beansprucht demgegenüber allerdings durchaus, eine solche Wesensuntersuchung vorzulegen. Sie weicht aber zum einen inhaltlich von Utitz’ ahistorischer phänomenologischer Charakteristik ab, insofern für Hamann das Kunstwerk immer auch geschichtlich gedacht werden muss.355 Zum anderen unterscheidet sich Hamanns wissenschaftstheoretisches Konzept in systematischer Hinsicht von Utitz’ Methodologie. Die kunstwissenschaftliche Systematik Hamann hat programmatisch seine methodologische Bestimmung der Allgemeinen Kunstwissenschaft auf dem ersten Kongress für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft von 1913 vorgestellt 356 , wo sein Konzept in Konkurrenz zu den dort ebenfalls präsentierten wissenschaftstheoretischen Beiträgen von Dessoir und Utitz 357 tritt. In diesen sachlichen Zusammenhang gehört des Weiteren seine Nachlese Zum Kongreß für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft. In seinem Kongressbeitrag geht Hamann näherhin auf das »Verhältnis der Allgemeinen Kunstwissenschaft und Ästhetik zur Kunstgeschichte«, seinem eigenen Fach also, ein.358 Dabei wendet er sich vor allem gegen den Anspruch der Kunstgeschichtsforschung, ihre begrifflichen Grundlagen mit ihren eigenen methodischen Mitteln klären zu können. So hält Utitz fest, »insbesondere Max Dessoir und Richard Hamann« hätten auf diesem Kongress
Hamann: Theorie der bildenden Künste, S. V. E. Utitz: Grundlegung der allgemeinen Kunstwissenschaft, Bd. 1, S. 19. 354 Ebd., Bd. 1, S. 22. – S. o. S. 126. 355 S. u. S. 178. 356 R. Hamann: »Allgemeine Kunstwissenschaft und Ästhetik«. 357 S. u. S. 224, Anm. 118 f. 358 R. Hamann: »Allgemeine Kunstwissenschaft und Ästhetik«, S. 107. 352 R.
353 Vgl.
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auf die unbedingte Notwendigkeit hingewiesen, den historischen Kunstdisziplinen aus einer systematischen Kunstwissenschaft heraus frisches Blut zuzuführen und die Begriffe und Wertungen, mit denen sie arbeiten und arbeiten müssen, der Klärung zu entnehmen, die ihnen allein eine philosophische Durchforschung angedeihen zu lassen vermag […].359
Das Gegenstandsfeld seines Vortrags umreißt Hamann dementsprechend so: »Was ist das Wesen, welches sind die Aufgaben einer allgemeinen Kunstwissenschaft, was leistet sie für die Kunstgeschichte und was empfängt sie von ihr, und ist sie mit Ästhetik identisch oder wie verhalten sich Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft zueinander? Das sind die Fragen, die zu beantworten sind.« 360 Diese Fragen werden für Hamann weder von der Ästhetik noch von der Kunstgeschichtsforschung oder auch von der Allgemeinen Kunstwissenschaft beantwortet. Vielmehr übernimmt diese Aufgabe eine philosophische »PrinzipienWissenschaft«, die er als »Erkenntnistheorie« bezeichnet, in der alle diese drei Wissenschaften fundiert sind und die – anders als bei Utitz – mit der Allgemeinen Kunstwissenschaft nicht identisch ist: Sie [d. h. die Fragen nach den Aufgaben und dem Verhältnis von Allgemeiner Kunstwissenschaft, Ästhetik und Kunstgeschichte] werden zunächst beantwortet durch eine Prinzipien-Wissenschaft, die selbst besser nicht allgemeine Kunstwissenschaft heiße, sondern als ein Teil der Erkenntnistheorie die Besonderheit der Begriffsbildung oder der spezifischen Auffassung der Phänomene in der Kunstwissenschaft, Ästhetik und Geschichte erläutert und so die besonderen Inhalte, mit denen es diese Wissenschaften zu tun haben, erst begründet. Die besondere Synthese, durch die einzelne Sinnesdaten zu künstlerischen, ästhetischen und geschichtlichen Tatsachen werden, ist das Problem, das von der Erkenntnistheorie, die bisher einseitig nur die naturwissenschaftliche Objektivierung untersucht hat, noch kaum angegriffen ist.361
Für Hamann ist es also diese Erkenntnistheorie, die den drei Wissenschaften ihre grundlegenden Begriffe und Inhalte vorgibt, bzw. bei der diese sich über ihre Begriffe und Inhalte verständigen können. Insofern ist für ihn auch die von Utitz geforderte detaillierte Klärung des Wesensbegriffs der Kunst im Rahmen der Ästhetik verfehlt. Die Bedeutung des Rezeptionskontextes als Herausforderung der Kunstwissenschaft Auch in seinem Kongressbeitrag geht Hamann davon aus, dass dieselben physischen Objekte – wie er es bereits in seiner Ästhetik gezeigt hatte – in der Rezeption als unterschiedliche Kunstwerke konstituiert werden können, wenn ihr Kontext Utitz: Grundlegung der allgemeinen Kunstwissenschaft, Bd. 1, S. 32 f. – S. u. S. 293. Hamann: »Allgemeine Kunstwissenschaft und Ästhetik«, S. 107. 361 Ebd. 359 E.
360 R.
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variiert. Auf dieser Linie argumentiert Hamann nun weiter, es sei überdies Sache des jeweiligen Konstitutionsmodus, ob bestimmte Sinnesdaten als ›künstlerische, ästhetische oder geschichtliche Tatsachen‹ thematisiert werden, oder ob, wie es im alltäglichen Umgang mit den Dingen üblich ist, lediglich ihre »dingliche Bedeutung« im Mittelpunkt steht. »Man denke an die andere Bedeutung des Sinnesphänomens Zitrone in einem Gemüseladen und für den Koch und in einem Stilleben für den ästhetischen Betrachter.« 362 Aber auch bereits in seiner Ästhetik hatte Hamann die Bedeutung des Rezeptionskontextes für die ästhetische Erfahrung u. a. an dem – später durch Joachim Ritter bekannt gewordenen 363 – Beispiel der Natur illustriert, die etwa für den Bauern Acker, d. h. wirtschaftliche Lebensgrundlage, für den Spaziergänger dagegen Landschaft, d. h. von praktischen Interessen gelöster ästhetischer Erfahrungsraum, ist 364. Und etwa in seinem Bericht zu dem Berliner Kongress weist Hamann zudem auf die »Doppelstellung des Kunstwerks« hin, »neben dem Träger eines künstlerischen Tatbestandes zugleich ein Ding wie andere, ein Naturobjekt oder deren Abbild und Produkt einer menschlichen Handlung, ein Werk, wie viele andere, zu sein«.365 – Cassirer spricht in diesem Sinne später vom »Prinzip des ›Primates‹ der Funktion vor dem Gegenstand«.366 362 Ebd., S. 108. – Ganz ähnlich verweist später insbesondere Muka řovský im Rahmen seiner Theorie der ästhetischen Funktionen darauf, dass unter bestimmten Bedingungen etwa »Kunstwerke, die privilegierte Träger der ästhetischen Funktion sind, diese verlieren können und als überflüssig vernichtet werden (z. B. das Überstreichen alter Fresken und Sgraffiti mit neuer Tünche oder mit Mörtel), oder daß man sie ohne Rücksicht auf ihre ästhetische Bestimmung verwendet (z. B. die Umwandlung alter Paläste in Kasernen usf.)«. ( J. Muka řovský: »Ästhetische Funktion, Norm und ästhetischer Wert als soziale Fakten«, S. 13.) 363 Vgl. J. Ritter: »Landschaft«, S. 147. 364 »Der Anblick eines Kornfeldes, eines schön gewachsenen Baumes kann auf verschiedene Betrachter ganz verschieden wirken. Ein Bauer, der nach dem Stand der Saaten sieht und in der Aussicht auf die Ernte den Nutzen überschlägt, den sie ihm bringt, stellt das Kornfeld in den Zusammenhang seines tätigen, von Arbeit, Sorge und Erfolg erfüllten Lebens, und nicht anders ein Förster das Bild eines prächtig entwickelten Baumes, da seine Freude mit der Berechnung des Nutzverdienstes eines Waldes und mit dem Erfolge einer durch den Beruf geforderten Fürsorge zusammenhängt. Der Naturschwärmer dagegen schaut und genießt, weder besteht eine Nötigung für ihn, auf diesen Anblick zu achten, anders als in dem Anblick selbst, noch spielt dieser eine Rolle in seiner Zukunft. Losgelöst von allen Interessen seines praktischen täglichen Lebens freut er sich des Anblicks und ist vielleicht von dem roten Mohn im Korn, den Efeuranken an der Eiche entzückt, die der Bauer und Förster verwünschen. Daraus geht hervor, daß es nicht darauf ankommt, ob der Anblick, der sich bietet, von einem Kunstwerke oder aus der Natur stammt, auch nicht ob er Wirklichkeit oder Bild ist, sondern auf den geistigen Zusammenhang, in dem er auftritt.« (R. Hamann: Ästhetik, 1. Aufl., S. 11 f. / 2. Aufl., S. 17 f.) 365 R. Hamann: »Zum Kongreß für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft«, Sp. 720. 366 »Sie [die kopernikanische Drehung] bezieht sich nicht allein auf die logische Urteilsfunktion, sondern greift mit gleichem Grund und Recht auf jede Richtung und jedes Prinzip geistiger Gestaltung über. […] Denn das Grundprinzip kritischen Denkens, das Prinzip des ›Primates‹ der Funktion vor dem Gegenstand, nimmt in jedem Sondergebiet eine neue Gestalt an und verlangt eine neue selbständige Begründung. Neben der reinen Erkenntnisfunktion gilt es, die Funktion des sprachlichen Denkens, die Funktion des mythisch-religiösen Denkens und die Funktion der künstlerischen Anschauung derart zu begreifen, daß daraus ersichtlich wird, wie
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Wann immer aber nicht die alltägliche und individuelle ›dingliche Bedeutung‹ einer Sache im Mittelpunkt steht, sondern ihre allgemeine Bedeutung als Gegenstand der Erkenntnis – sei diese, wie im Fall von Kunstwerken, künstlerischer, ästhetischer oder auch geschichtlicher Art –, ist für Hamann eine Theorie der Erkenntnis nötig. Erst diese ermöglicht überhaupt die geregelte Subsumption der einzelnen Phänomene unter allgemeine Begriffe und ihre Systematisierung, wie sie nach Hamann die Allgemeine Kunstwissenschaft leistet. Dies bedeutet, dass die vielfältigen Kategorien, mit denen die Allgemeine Kunstwissenschaft »gleichsam den Begriff des Künstlerischen« seinen Grundmöglichkeiten nach »entfaltet« 367, eben diesen Begriff der Kunst bzw. des Künstlerischen nicht selbst bildet, sondern bereits voraussetzt, d. h. für Hamann: von der Erkenntnistheorie übernimmt: So bedürfen die Kategorien des Künstlerischen als anschaulicher Vertretung des Nicht-Gegenwärtigen, der Begriff des Monumentes, des Bildes, Abbildes oder des anschaulichen ästhetischen Erlebnisses der erkenntnistheoretischen Begründung, damit die Phänomene unter diese Kategorien aufgefaßt werden und eine allgemeine Kunstwissenschaft möglich machen, die die spezifisch künstlerischen Tatsachen begrifflich erfaßt und in ein System bringt.368
Ihrerseits soll es nun aber die Allgemeine Kunstwissenschaft der Kunstgeschichtsforschung ermöglichen, sich auch wirklich auf künstlerische Sachverhalte zu richten, weil ohne die Systematik der allgemeinen Kunstwissenschaft die Kunstgeschichte in Gefahr ist, überhaupt nicht von künstlerischen Tatsachen zu handeln, sondern von dinglichen Gegenständen, als welche die für die künstlerische Auffassung in Betracht kommenden Phänomene auch aufgefaßt werden können. […] Es ist also keineswegs so, daß die allgemeine Kunstwissenschaft auf Generalisationen und Spekulationen ausgeht, die den Boden der Tatsachen verließen, sondern daß, um überhaupt künstlerische Tatsachen exakt zu beschreiben, erst einmal diese Tatsachen in ihrer Eigenart erkannt und begrifflich gefaßt werden müssen.369
Es geht demnach darum, im Rahmen der Allgemeinen Kunstwissenschaft eine wissenschaftliche Systematik zu erarbeiten, die nicht einfach der allgemeinen Geschichte oder den Naturwissenschaften entlehnt ist, sondern den spezifischen Erfordernissen der Kunst entspricht. Das ist gegen den Positivismus in der Kunstforschung gerichtet. Die »Exaktheit« etwa der seinerzeit vieldiskutierten und vor allem von dem Wiener Historisten Wickhoff propagierten ›Experimentalmethode‹ in allen eine ganz bestimmte Gestaltung nicht sowohl der Welt, als vielmehr eine Gestalt zur Welt, zu einem objektiven Sinnzusammenhang und einem objektiven Anschauungsganzen sich vollzieht.« (E. Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen, Bd. 1, S. 10 f.) – S. a. R. Heinz: »Zum Begriff der philosophischen Kunstwissenschaft im 19. Jahrhundert«, S. 229.) 367 S. Nachtsheim: Kunstphilosophie und empirische Kunstforschung 1870–1920, S. 45. 368 R. Hamann: »Allgemeine Kunstwissenschaft und Ästhetik«, S. 108. 369 Ebd.
Konzeptionen der Allgemeinen Kunstwissenschaft175
Giovanni Morellis, der mit vergleichend-empirischen Mitteln versucht hatte, Gemälde werkkritisch einzelnen Künstlern zuzuschreiben bzw. Originale von Kopien und Fälschungen zu unterscheiden, ist nämlich, so Hamann, »nur erkauft mit der völligen Preisgabe des künstlerischen Tatbestandes, indem sie in der Weise eines Steckbriefes sich mit der Vergleichung eines einzigen gegenständlichen Merkmales zur rein dinglichen Identifizierung des Bildes« begnügt.370 So orientiert zwar die Allgemeine Kunstwissenschaft die Kunstgeschichtsforschung, indem sie ihr die Begriffe der künstlerischen Grundmöglichkeiten an die Hand gibt, die die Einzelwissenschaft dann gemäß den Besonderheiten der von ihr behandelten Künste modifiziert. Allerdings ist die Allgemeine Kunstwissenschaft zugleich auf die Erträge der einzelnen Kunstwissenschaften angewiesen, um überhaupt ihre Abstraktionen vornehmen zu können. Den grundlegenden, diese Wissenschaften überhaupt erst als Kunstwissenschaften fundierenden Part, den Utitz als die ›Wesensuntersuchung der Kunst‹ bezeichnet hatte, übernimmt bei Hamann aber eben nicht die Allgemeine Kunstwissenschaft, sondern die Erkenntnistheorie: Empf ängt aber die Kunstgeschichte ihre Subjektsbegriffe, sei es der Stileinheiten oder der einzelnen künstlerischen Bedeutungen, von der allgemeinen Kunstwissenschaft, so kann diese andererseits ihr System nur dann für die Geschichte fruchtbar auf bauen, wenn sie bei der Aufstellung ihrer Begriffe das ganze reiche von der Geschichte überlieferte Tatsachenmaterial berücksichtigt und deren historische Bedeutung sich zu verlebendigen sucht. Denn auch die historischen Stile können, wenn sie als Stileinheiten erfaßt sind, zu Allgemeinbegriffen werden, wie z. B. das Ba rocke oder Romantische, da die sachliche Einheit des Stilgehaltes nicht ausschließt, daß dieser Begriff sich noch einmal in der Geschichte realisiert. Beiden aber, der allgemeinen Kunstwissenschaft und der Kunstgeschichte, muß die Einstellung des Bewußtseins auf das Künstlerische vorausgehen, dessen Kategorie begrifflich zu erläutern der Erkenntnistheorie vorbehalten bleibt.371
Und was schließlich das Verhältnis von Allgemeiner Kunstwissenschaft und Ästhetik angeht, greift Hamann jene Differenzierung auf, die er bereits in seiner Ästhetik entwickelt hatte: Da aber die künstlerischen Inhalte sowohl eine religiöse wie ethische, wie ästhetische Bedeutung haben können, so ergibt sich, daß sich allgemeine Kunstwissenschaft und Ästhetik keineswegs decken, ja es nicht einmal richtig ist, Ästhetik und Kunstwissenschaft besonders eng zu verbinden, da Religion und Kunst vielleicht ebenso eng verknüpft waren. Richtig ist nur, daß die ästhetischen Bedeutungen besonders gern in der Kategorie des Künstlerischen (rein anschaulich Gestalteten) uns entgegentreten, aber dies rein anschaulich Gestaltete auch alle anderen Kulturbedeutungen in seine Erscheinungsform aufnehmen kann.372 370 Ebd. 371 372
Ebd., S. 113. Ebd., S. 108.
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c) Die Bedeutung der Kunstwissenschaft für die Kunstgeschichtsforschung Die Notwendigkeit einer ›Gesetzesforschung‹ für die Kunstgeschichte: Zu Hamanns Kritik an Hans Tietze Schmarsow hatte seine Besprechung von Tietzes 1913 erschienenem Buch über Die Methode der Kunstgeschichte im Wesentlichen dazu genutzt, in Tietzes Rezeption der zeitgenössischen kunstwissenschaftlichen Positionen einige seiner Ansicht nach falsche Deutungen – insbesondere bei der Darstellung von Schmarsows eigener Position – und verfehlte Akzentuierungen – insbesondere den von Tietze, einem Schüler Wickhoffs und Riegls, an den Tag gelegten »Lokalkultus« 373 bezüglich der Wiener Schule der Kunstgeschichte – aufzudecken. Er hatte das Werk aber, alles in allem, als bedeutenden Beitrag zur kunsthistorischen Methodologie gewürdigt. Hamann nimmt dagegen seinen Aufsatz Die Methode der Kunstgeschichte und die allgemeine Kunstwissenschaft 1916 zum Anlass für eine Grundsatzkritik, in deren Rahmen er seine eigene kunstwissenschaftliche Methodologie weiter erörtert. So erkennt er in Tietzes Position, mit dieser Schrift »nicht eine neue, auf theoretischem Wege gewonnene Wissenschaft konstruieren, sondern die Praxis einer längst bestehenden Disziplin zu einer Methode verdichten« zu wollen 374, ein bloß konservatives Verharren bei dem bereits Erreichten und einen mehr oder weniger offenen »Protest« 375 gegen die Bestrebungen der Allgemeinen Kunstwissenschaft. Und in der Tat steht näherhin Tietzes ausdrücklicher Verzicht auf eine »methodologische Untersuchung auf erkenntnistheoretischer Grundlage« 376 in diametralem Gegensatz zu Hamanns eigener wissenschaftstheoretischer Position. Mit seiner »Opposition gegen alle Gesetzesforschung« vergibt sich Tietze aber, so Hamann, die in der Allgemeinen Kunstwissenschaft liegende Chance, zu einer konstruktiven Antwort auf die Krise der zeitgenössischen Kunstforschung beizutragen: Untersuchungen über die Methode einer Wissenschaft pflegen oft genug das Anzeichen einer Krisis dieser Wissenschaft zu sein, indem neue Probleme den Rahmen bis dahin geübter Praxis wissenschaftlicher Forschung zu sprengen drohen, neue Forderungen und Ansprüche, gewiß oft einseitig, erhoben werden, und wiederum die Vertreter der alten Praxis in der Revolution die kommende Anarchie fürchten und nun ihre Methode aus den gesicherten Resultaten zu rechtfertigen suchen. Das Buch von Hans Tietze, Die Methode der Kunstgeschichte ist von letzterer Art, konservativ, warnend und, ohne es immer deutlich auszusprechen, ein Protest gegen
373 Vgl.
A. Schmarsow: »PRO DOMO eines Kunsthistorikers«, Sp. 1038. Tietze: Die Methode der Kunstgeschichte, S. V. 375 R. Hamann: »Die Methode der Kunstgeschichte und die allgemeine Kunstwissenschaft«, S. 64. 376 H. Tietze: Die Methode der Kunstgeschichte, S. V. 374 H.
Konzeptionen der Allgemeinen Kunstwissenschaft177
Bestrebungen, die sich unter dem Namen einer allgemeinen Kunstwissenschaft zusammenzufinden versprechen.377
Wie bereits Schmarsow betrachtet auch Hamann Tietze als betriebsblind durch »den Stolz auf ein Institut, das mit den Mitteln der reinen Geschichtswissenschaft die Kunstgeschichte an den Betrieb historischer Forschung und Kritik gekettet hat, und in der Exaktheit dokumentarischer Feststellung eindeutiger Fakten allein wissenschaftlichen Wert erblickt«. Hier ist wiederum Wickhoff gemeint. Von Riegl, seinem zweiten Lehrer in Wien, dem »nach der systematischen Seite hin bedeutendsten Vertreter dieser Schule«, übernimmt Tietze dagegen in seiner Studie, so Hamann weiter, die Begriffe des ›Kunstwollens‹ und der ›geistigen Entwicklung‹ – ohne dabei zu bemerken, dass diese sich »niemals mit den Methoden historischdokumentarischer Tatsachenforschung« als solchen begründen lassen, wie Hamann bereits in seiner Ästhetik betont hatte.378 Denn wenn es »eine besondere Methode der Kunstgeschichte geben soll, die sich von der Geschichtsforschung überhaupt unterscheidet«, dann muss diese in »einer Modifikation der allgemeinen historischen Methode durch die Besonderheit des künstlerischen Materials bestehen«. Dies setzte allerdings, was Tietze ignoriert, »einen gültigen Begriff vom Wesen der Kunst und vom Wesen der Geschichte« voraus, der aber eben, so Hamann, ohne erkenntnistheoretische Arbeit nicht zu ermitteln ist.379 Und so verwundert es auch nicht, dass Josef Strzygowski, der als Nachfolger Wickhoffs im Amt im Zuge seiner programmatischen Neuorientierung des Wiener Kunsthistorischen Instituts380 gegen den kompromisslosen und abstraktionsfeindlichen Historismus seines Vorgängers polemisiert, Hamanns Studie über Die Methode der Kunstgeschichte und die allgemeine Kunstwissenschaft empfiehlt, wenn man sich überzeugen will, »wie die jüngere Generation mit der Klarstellung der Aufgaben [der Kunstgeschichtsforschung] ringt«.381 Wickhoff und Riegl hatten im Zuge ihres Kampfes gegen ein ästhetisierendes Kunstgeschichtsverständnis maßgeblich »die innere, entwicklungsgeschichtlich bedingte Gleichberechtigung aller Stilepochen aufgezeigt« und so für eine Aufwertung der ›Verfallsepochen‹ der Kunstgeschichte gesorgt. Diese »scharfe Trennung von Ästhetik und Kunstgeschichte«, die ihre »Berechtigung vor allem der normativen Ästhetik gegenüber« hat, ist – im Sinne der Allgemeinen Kunstwissenschaft – ihr »unschätzbare[s] Verdienst«.382 Tietze dagegen lehnt die »neue ›Kunstwissenschaft‹« – gemeint ist: die Allgemeine Kunstwissenschaft – als »Kreuzung von Ge-
377 R.
Hamann: »Die Methode der Kunstgeschichte und die allgemeine Kunstwissenschaft«,
S. 64. 378 Ebd. 379
Ebd., S. 64 f. S. u. S. 288–294. 381 J. Strzygowski: Die Krisis der Geisteswissenschaften, S. 270. – S. u. S. 292. 382 W. Passarge: Die Philosophie der Kunstgeschichte in der Gegenwart, S. 7. 380
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schichte und Ästhetik« ab.383 Damit verschenkt er aber nach Überzeugung der Verfechter dieser Wissenschaft nicht allein das Verdienst seiner Lehrer, sondern er verkennt auch das Konzept der Allgemeinen Kunstwissenschaft. Denn diese ist in ihrem Verständnis eben kein »Bastard aus Ästhetik und Kunstgeschichte«, weil die Ästhetik überhaupt nicht »das ›Wesen des Künstlerischen‹ in seiner Reinheit« zu erfassen vermag, sondern nur »das Wesen des Ästhetischen«. Die Allgemeine Kunstwissenschaft ist vielmehr die »Wissenschaft von der Gesetzmäßigkeit der Kunst«.384 In diesem Sinne verknüpft so auch Hamann seine »Ablehnung des absoluten Historismus« 385 mit einem Plädoyer für die Allgemeine Kunstwissenschaft, die überhaupt erst die eigentliche Thematisierung des Kunstwerks als Kunstwerk in den Blick nimmt, indem sie von der Frage nach seinem spezifischen Wesen ausgeht. Das Wesen des Kunstwerks und die Relevanz seiner sinnlichen Erscheinung Nach Hamann sind für das »Wesen des Kunstwerks«, wie er in seinem Aufsatz in Bezug auf die bildende Kunst als einem Segment des Gegenstandsbereichs der Allgemeinen Kunstwissenschaft ausführt, drei Bestimmungen charakteristisch, »von denen jede einzeln nicht imstande ist, das Kunstwerk […] eindeutig zu bestimmen, und von denen jede für sich genommen weiter reicht als das Kunstwerk und es deshalb in Zusammenhänge hineinstellen kann, die einer besonderen Methode der historischen Feststellung bedürfen«.386 Diese Ausführungen nimmt nun Utitz zum Anlass, seine eigene Bestimmung des Kunstwerks gegenüber der Hamanns zu profilieren.387 So erklärt er sich hier zwar darin mit Hamann einverstanden, dass diese Bedingungen »als solche sine qua non« anzusehen sind. Er bemängelt aber zugleich, dass Hamann, diese Bedingungen zwar »gewiß nicht in Rücksicht auf die historische Forschung« aufstellt, der Gedanke an Letztere jedoch »die Reinheit seiner Problemlösung« schädigt: »Er will«, wie Utitz treffend diagnostiziert, »zwei verschiedene Fragen auf einmal beantworten: das immanente Wesen, die Gesetzlichkeit des Kunstwerks klären und Mittel finden, das Kunstwerk geschichtlich einzuordnen.« 388 Dieser doppelte Impuls kondensiert sich in dem von Hamann seit 1907 beständig wiederholten – und für Utitz untragbaren – Motto: »Mehr Hegel«!389
Tietze: Die Methode der Kunstgeschichte, S. VI. Utitz: Grundlegung der allgemeinen Kunstwissenschaft, Bd. 1, S. 23 f. – S. o. S. 125. 385 W. Passarge: Die Philosophie der Kunstgeschichte in der Gegenwart, S. 11. 386 R. Hamann: »Die Methode der Kunstgeschichte und die allgemeine Kunstwissenschaft«, S. 67 f. 387 Vgl. E. Utitz: Grundlegung der allgemeinen Kunstwissenschaft, Bd. 2, S. 52–57. 388 Ebd., Bd. 2, S. 53 f. 389 R. Hamann: Der Impressionismus in Leben und Kunst, S. 320. 383 H. 384 E.
Konzeptionen der Allgemeinen Kunstwissenschaft179
Zu den wesenhaften Bestimmungen des Kunstwerks gehört nach Hamann erstens dessen Eigenschaft als »ein materielles, dauerndes Ding«.390 Dabei hebt Hamann auch hier – in Absetzung nicht nur von den Romantikern, sondern ebenso den Positivisten, aber auch Fiedler – hervor, dass das, was einen Gegenstand zum Kunstwerk macht, durch reines Hinschauen nicht zu ermitteln ist: Alles, was wir von Materialkunde am Kunstwerk voraussetzen, ist naturwissenschaftlich orientiert und betrifft den materiellen Charakter des Werkes. Mit dieser Bestimmung dauernder materieller Existenz trennen wir das Werk der bildenden Kunst ab von allen Produktionen unmittelbarer menschlicher Darstellung, allen lebendigen Vorführungen, wie in der Akrobatik, im Theater, in der Tracht, die für das Auge wohl etwas zu bieten vermögen, was Werken der bildenden Kunst entspricht, trotzdem solche nicht sind. Wir trennen es aber auch von dem bloßen geistigen Inhalt, mit dessen Existenz in einer psychischen Realität die Romantiker schon das Wesentliche des Kunstwerkes erschöpft sahen.391
Im Unterschied zu Utitz versteht er »Materialkunde« dabei nicht als die kunstwissenschaftliche Aufgabe, »aus der künstlerischen Eignung des Materials das Wesen des Kunstwerks nach einer Richtung begreifen zu wollen«, sondern vielmehr als ein »vorwiegend naturwissenschaftlich orientierte[s] Gebiet, um eben aus den Veränderungen des Materials und seiner Beschaffenheit das Alter des Kunstwerks errechnen zu können« 392: Man denke an die Schlüsse, die aus dem materiellen Erhaltungszustand eines Werkes auf seinen ehemaligen Standort innerhalb oder außerhalb der Kirche, an offenen oder geschlossenen Fenstern gezogen werden können, und es ist wohl denkbar und methodisch zu fordern, daß nach den Gesetzen einer allgemeinen kunstgeschichtlichen Materialkunde aus dem gegenwärtigen Zustand eines Werkes sein Zustand in einem bestimmten Zeitpunkt berechnet werden könnte.393
Für Hamann ist Materialkunde in erster Linie »ein technisches Hilfsmittel historischer Forschung« und er versteht sie als solche »naturwissenschaftlich«. Während für ihn so etwa – wie Utitz erläutert – die »Art der Löcher des Bohrwurms in einer Holzplastik« »gewisse Schlüsse auf ihr Alter« zulassen, ist es im Rahmen von Utitz’ phänomenologischer Kunstontologie »evident, daß die durch die Arbeit des Bohrwurms verursachten Veränderungen am Kunstwerk in einer Weise zu seinem Formorganismus gehören«. Eine »naturwissenschaftliche und historische Betrachtung der Sprache« ist aber eben in der Tat »etwas anderes als die Auf390 R.
Hamann: »Die Methode der Kunstgeschichte und die allgemeine Kunstwissenschaft«,
S. 68. 391 Ebd.
Utitz: Grundlegung der allgemeinen Kunstwissenschaft, Bd. 2, S. 54. Hamann: »Die Methode der Kunstgeschichte und die allgemeine Kunstwissenschaft«, S. 68; s. a. E. Utitz: Grundlegung der allgemeinen Kunstwissenschaft, Bd. 2, S. 54. 392 E.
393 R.
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gabe, die Sprache in ihren wesenhaften Möglichkeiten als Kunstmittel zu untersuchen«.394 Zum Wesen des Kunstwerks gehört für Hamann zweitens seine »Bestimmung als Kunstwerk«, d. h. – im Sinne einer Verwandtschaft von ›Kunst‹ und ›Können‹ – als »Produkt menschlichen Tuns, das zur Beurteilung der besonderen Leistung menschlichen Könnens herausfordert«. Auch hier ergeben sich die Maßstäbe der Beurteilung, wie Hamann erklärt, nicht aus einem reinen Hinsehen, sondern nun aus der historischen Ermittlung der vielfältigen psychologischen Antriebe, die den Künstler bei seiner Gestaltung bewegt haben. So ist mit diesem Gesichtspunkt nun für die historische Methode zugleich der Rückgang auf den Künstler gegeben, und die Frage nach Lehre, Anregung, Vorbildern, Motiven keineswegs müßig, wenn es sich darum handelt, das Maß seiner Originalität festzustellen, ebensowenig wie die Frage nach der Konzeption, der künstlerischen Absicht, um zu sehen, wie weit er f ähig war, sie in seinem Material zu realisieren. Wie das Urteil von Juristen und Pädagogen ist auch die Kunstbeurteilung auf die Psychologie und ihre Methode angewiesen.395
Die Beurteilung der im Kunstwerk realisierten ›besonderen Leistung menschlichen Könnens‹ erfolgt dabei, so Hamann, nach Maßgabe »der Originalität einerseits in bezug auf Erfindung, Findung oder Gestaltung eines bis dahin noch nicht existierenden Gebildes, und der Technik andererseits in bezug auf Darstellung des Gebildes in einem bestimmte Schwierigkeiten stellenden Material«.396 Auch zu dieser Bestimmung merkt Utitz an, sie möchte zwar zur Ermittlung der »kunstgeschichtliche[n] Bedeutung eines Kunstwerks« taugen, sie trage aber nichts zur Klärung des Wesens des Kunstwerks bei, sondern setze diese »notwendig voraus«. Dies ergibt sich für Utitz schon daraus, dass man mit der »Hinwendung zur Leistung« gar nicht das Kunstwerk selbst adressiert, sondern vielmehr die »Leistung, die zu seiner Herstellung notwendig war«. Der »›Sinn‹« des Kunstwerks sei aber eben etwas anderes als die Frage nach der »historische[n] Leistung«, die zu seiner Realisierung erforderlich war.397 Und schließlich gehört für Hamann zum Kunstwerk drittens »das, was wir als spezifisch künstlerischen Gehalt auffassen, daß nämlich die in der Wahrnehmung dargebotenen sichtbaren Elemente als solche eine Bedeutung haben, die wir im weitesten Sinne als Veranschaulichung bezeichnen«.398 Passarge399 weist in diesem Zusammenhang zu Recht darauf hin, dass die mit dem Begriff der ›Veranschau394
Ebd., Bd. 2, S. 54 f. Hamann: »Die Methode der Kunstgeschichte und die allgemeine Kunstwissenschaft«,
395 R.
S. 68. s. a. E. Utitz: Grundlegung der allgemeinen Kunstwissenschaft, Bd. 2, S. 55 f. Ebd., Bd. 2, S. 56. 398 R. Hamann: »Die Methode der Kunstgeschichte und die allgemeine Kunstwissenschaft«, S. 68. 399 Vgl. W. Passarge: Die Philosophie der Kunstgeschichte in der Gegenwart, S. 9. 396 Ebd.; 397
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lichung‹ erfasste Eigenschaft des Kunstwerks auch für Utitz eine zentrale Rolle spielt: der Charakter des Werks als ›sinnvolle‹ bzw. ›sinnerfüllte Form‹400. Allerdings macht Utitz gerade in der Erörterung dieser grundlegenden Bestimmung des Kunstwerks bei Hamann ein »zwiespältiges Schillern« aus, das ihm diese als »[g]anz besonders mißglückt« und »den schwächsten Punkt der in manchen Fragen grundlegenden Ästhetik Hamanns« erscheinen lässt401: Einerseits vertritt Hamann ein Verständnis von künstlerischer ›Veranschaulichung‹, das Utitz überzeugend als »Erbe Fiedlers« identifiziert, und das seiner eigenen Bestimmung Werks als ›sinnvolle‹ bzw. ›sinnerfüllte Form‹ in der Tat nahesteht. In diesem Sinn ist die »Veranschaulichung der Kunst« ganz und gar »Funktion ihres Gestaltungsorganismus«, d. h., der Sinn des Werks ist nicht »aus nackten Stoffen und Materialien« diskursiv zu ermitteln, sondern er ergibt sich vielmehr aus der Auseinandersetzung mit der künstlerischen »Gestaltung« als solcher.402 In dieser Eigenschaft des Kunstwerks liegt auch der Grund dafür, dass dieses nie ohne Rest diskursiv erschlossen werden kann: Nur wo die Kunstleistung in der Herstellung eines sichtbaren Gebildes sich bemüht hat, das seine Bedeutung im Sichtbaren selber hat, und nicht im Begriff, den es vermittelt, da reden wir von einem Werke der bildenden Kunst. Dieser anschauliche Wert sichtbarer Dinge kann liegen in der Vergegenwärtigung eines Fernen wie beim Denkmal und Porträt oder in der Illustrierung eines nur begrifflich Bekannten, oder in der Eigenbedeutsamkeit, d. h. der ästhetischen Bedeutung des Sehgebildes. Die Erkenntnistheorie hat diese Kategorien anschaulicher Gegenstände genau so zu bestimmen wie die des naturwissenschaftlichen Gegenstandes und das besondere Verfahren anschaulicher Logik darzulegen, mit der wir zu solchen Sehbedeutungen gelangen.403
Hamann kann so auch vom Kunstwerk als ›Verkörperung‹ anschaulicher Bedeutungen sprechen.404 Und es ist gerade dieser Charakter des Kunstwerks als ›anschauliche Bedeutung‹, der nach Hamann für die »Krisis, in der sich die Kunstgeschichte zur Zeit befindet«405, verantwortlich ist. Die bisher in diesem Fach zum Einsatz gebrachten methodischen Instrumente der Geschichte von Meisterwerken und der empirisch-historischen Forschung haben nämlich den Charakter als ›anschauliche Bedeutung‹, der gerade das Eigene eines Werks der bildenden Kunst ausmacht, »bisher kaum beachtet und vor allem noch nicht methodisch ausgearbeitet«. Hamann postuliert dementsprechend: 400
S. o. S. 133 f. Utitz: Grundlegung der allgemeinen Kunstwissenschaft, Bd. 2, S. 56 f.; s. a. Bd. 1, S. 20. 402 Ebd., Bd. 2, S. 56 f. 403 R. Hamann: »Die Methode der Kunstgeschichte und die allgemeine Kunstwissenschaft«, S. 68. 404 S. u. S. 182. 405 R. Hamann: »Die Methode der Kunstgeschichte und die allgemeine Kunstwissenschaft«, S. 69. 401 E.
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Daher ist nichts dringender als eine Klärung und Systematik anschaulicher Bedeutungen, die im Kunstwerk verkörpert sein können, damit die Kunstgeschichte als Kunstgehaltsgeschichte möglich wird, nachdem sie vorher nur Kunstwerkgeschichte als Kunstleistungsgeschichte und Geschichte materieller Objekte gewesen ist.406
Andererseits ist aber ›Veranschaulichung‹ wie Hamann – nun gegen Fiedler – erklärt, im Kunstwerk nicht notwendig, wie bereits aus der Tatsache erhellt, dass der »geistige Gehalt« eines Kunstwerks »sowohl unabhängig von der Kunstleistung [ist], da ihn Natur und Photographie auch zu bieten vermögen, als auch von der materiellen Existenz lebloser Körper, da er vom Menschen vorgeführt werden kann (lebende Bilder) und auch als Vision, Phantasma, Halluzination aufzutreten vermag«.407 Bereits in seiner Ästhetik hatte Hamann in diesem Sinne darauf hingewiesen, dass »ja auch hervorragende Dichtungen von unanschaulichen Stellen«408 wimmeln: Gegen die Notwendigkeit des Anschaulichen spricht aber vor allem das Geistreiche, jene Gedanken, die anregend sind, ohne daß eine definitive Wahrheit sich in ihnen entschleiert, die nur durch die Fülle der Beziehungen, das Überraschende der logischen Verknüpfungen oder gar das Verkehrte, das nur mit dem Schein des Rechtes spielt, uns in vergnügte Stimmung versetzen. Schwerlich wird jemand, der die mit Bonmots gespickten Erzählungen oder Dramen Oskar Wildes liest, sie theoretisch oder wissenschaftlich nennen, weil das Amüsante in ihnen nicht anschaulich, sondern rein gedanklich ist. Eher sind sie hyperästhetisch.409
Diese ambivalente Argumentation ist allerdings für Utitz unbefriedigend. Denn wenn der Kunstcharakter eines Objekts durch sinnliche Lebhaftigkeit und Anschaulichkeit begründet wird, aber einerseits diese Eigenschaften nicht notwendige Wesensmerkmale der Kunst sind, und anderseits sinnlich Lebhaftes und Anschauliches auch zweifellos außerhalb der Kunst vorkommen, so ist eben mit dieser Beweisführung wenig geholfen, und es zeigt sich uns wieder, daß erst eine Begriffsklärung vollzogen werden muß, was eigentlich Kunst sei, wenn die allgemeine Kunstwissenschaft einen festen Boden gewinnen soll.410
Wenn aber ›Veranschaulichung‹ für Hamann »gerade diesen spezifischen Kunstcharakter, die nur in der Kunst vorfindliche Gegebenheitsweise« eines Inhalts bedeutet, dann ist, so Utitz, »selbstverständlich diese Veranschaulichung etwas toto genere anderes, als die Anschaulichkeit einer Halluzination«.411 406
Ebd., S. 70. S. 68 f.; s. a. E. Utitz: Grundlegung der allgemeinen Kunstwissenschaft, Bd. 2, S. 56. 408 Ebd., Bd. 1, S. 20. 409 R. Hamann: Ästhetik, 1. Aufl., S. 10 / 2. Aufl., S. 72. 410 E. Utitz: Grundlegung der allgemeinen Kunstwissenschaft, Bd. 1, S. 20; s. a. Bd. 2, S. 56 f. 411 Ebd., Bd. 2, S. 57. 407 Ebd.,
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Hamanns Unentschiedenheit hinsichtlich der Relevanz der sinnlichen Erscheinung des Kunstwerks erklärt sich ebenso wie Utitz’ Kritik aus dem jeweiligen wissenschaftstheoretischen Anliegen: Während Utitz sich der Aufgabe annimmt, das Kunstwerk philosophisch, näherhin phänomenologisch, als ›sinnvolle‹ bzw. ›sinnerfüllte Form‹ zu bestimmen, die im Kern ahistorisch bleibt, greift Hamann die im Kunstwerk geleistete »Veranschaulichung« von Bedeutung als methodologische Herausforderung für die Kunstgeschichtsforschung auf. Die überf ällige »Kunstwissenschaft, die, auf die Ästhetik nicht mehr als auf die Erkenntnistheorie überhaupt angewiesen, vom Kunstwerk ausgeht und die anschaulichen Bedeutungen in ihrem Zusammenhang mit den dinglichen und spezifisch künstlerischen klärt und systematisiert«, bezeichnet Hamann – im Unterschied zur Allgemeinen Kunstwissenschaft als der »Gemeinschaft aller vom Kunstwerk als Forschungsobjekt ausgehenden Richtungen« – als »systematische[] Kunstwissenschaft«.412 Und im Zuge einer so verstandenen systematischen Kunstforschung zeigt sich, dass es unterschiedliche Arten von Kunst gibt, die mit ihren jeweiligen Imperativen der Subjektivität ihrer Erfahrung Grenzen setzen. So hält Hamann noch in seiner posthum erschienenen Theorie der bildenden Künste fest, dass es zwar Bildwerke gibt, »in denen die Eigenbedeutsamkeit der Wahrnehmung Selbstzweck oder Hauptsache ist, und die Erfindung des Bildinhaltes, Gestaltung und Form, von der Absicht dirigiert werden, das Gesehene rein für sich, ohne kultische, empfindsame und wissenschaftliche Absichten wirksam werden zu lassen«.413 Dies dürfe aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es auch Kunstwerke gibt, die ganz anders aufgefasst werden wollen: Kultbild, Lebensbild und Abbild zeigen, wie gering die Rolle ist, die die Wahrnehmung, d. h. das in einem einzigen sich gleichbleibenden Anblick gegebene Sichtbare um seiner selbst willen spielt, wie also die Bedeutung der Wahrnehmung bei diesen Bildern außerhalb des Wahrgenommenen liegt. Trotzdem zeigte sich, daß der Wert der Wahrnehmung an sich, der durch Isolation, Konzentration und Intensivierung gegeben war, bei der Bedeutungssteigerung der nicht ästhetischen Werte des Verehrens, der Intimität, der Deutlichkeit, mitwirken kann.414
Die Eigentümlichkeit der wissenschaftstheoretischen Konzeption Hamanns zeigt sich aber auch hinsichtlich des Verständnisses der Allgemeinen Kunstwissenschaft: Für ihn ist diese nicht, wie für Utitz, eine Grundwissenschaft, die das phänomenal erfasste ›Wesen‹ der Kunst aufschlüsselt. Sie ist vielmehr ein Methodenkonvolut, das durch die konkreten Kunstwerke als Bezugspunkte heterogener Forschungsanliegen zusammengehalten wird. So bleibt hinsichtlich der von Hamann angeführten
412
R. Hamann: »Die Methode der Kunstgeschichte und die allgemeine Kunstwissenschaft«,
S. 70. 413 R.
Hamann: Theorie der bildenden Künste, S. 113.
414 Ebd.
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drei Bestimmungen des Kunstwerks, also der Materialität, des Artefaktcharakters und der Veranschaulichung, nichts übrig, als schon hier drei ganz verschiedene, mit verschiedenen Methoden arbeitende und an verschiedene Wissenschaften sich anlehnende Forschungsgebiete anzuerkennen, die alle dasselbe Kunstwerk zum Ziele haben, ihre Vereinigung aber in einem gemeinsamen Wissensbetrieb als allgemeine Kunstwissenschaft zu bezeichnen. Ob das zu einer Personalunion oder auch einer Arbeitsteilung führt, bleibt methodisch gleichgültig […].415
5. Edgar Wind: Kunstwissenschaft als Analyse der künstlerischen Sprache In seinem 1926 erschienenen Essay Zur Frage nach der Organisation der wissenschaftlichen Arbeit auf dem Gebiet der Kunstforschung verweist Gustav Špet in Moskau416 auf einen »sehr interessante[n] und aufschlussreiche[n] Artikel, in dem der Autor versucht, den eigentlichen Gegenstand der Kunstwissenschaft zu bestimmen«417. Es handelt sich dabei um einen Beitrag von Edgar Wind, der im Vorjahr unter dem Titel Theory of Art versus Aesthetics in den USA erschienen war. In diesem Aufsatz skizziert Wind nicht nur den systematischen Rahmen seiner als ›Beitrag zur Methodologie der Kunstgeschichte‹ angelegten Hamburger Promotionsschrift Ästhetischer und kunstwissenschaftlicher Gegenstand von 1922. Vielmehr verknüpft er diese Skizze, wie bereits der Titel anzeigt, mit der Darlegung eines charakteristischen Aspekts der zeitgenössischen Kunstreflexion, die zu dieser Zeit besonders in Deutschland im Kreis um Dessoir entwickelt wird: der strengen Abgrenzung der Kunsttheorie von der Ästhetik. Wind hat in der von Dessoir herausgegebenen Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft in den ersten Jahren seiner Forschungstätigkeit und vor seiner Emigration aus dem nationalsozialistischen Deutschland drei Aufsätze publiziert: 1925, im selben Jahr wie der von Špet erwähnte Aufsatz Theory of Art versus Aesthetics, erscheint hier unter dem Titel Zur Systematik der künstlerischen Probleme ein umfangreicher Beitrag, in dem Wind einen weiteren Einblick in Kernthesen seiner Dissertation bietet. Es folgt der Abdruck eines Vortrags, in dem er 1930 im Rahmen des Hamburger Kongresses für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft Warburgs Begriff der Kulturwissenschaft und seine Bedeutung für die Ästhetik vorstellt, sowie schließlich 1932 die Publikation seines Habilitationsvortrags Θείος Φόβος. Untersuchungen über die Platonische Kunstphilosophie. Aber bereits der programmatische Titel des genannten englischsprachigen Aufsatzes macht deutlich, dass Wind Dessoirs Zeitschrift nicht bloß als willkommene 415
R. Hamann: »Die Methode der Kunstgeschichte und die allgemeine Kunstwissenschaft«,
S. 69. 416
Zu Špet s. u. S. 294–300. G. Špet: »Zur Frage nach der Organisation der wissenschaftlichen Arbeit auf dem Gebiet der Kunstforschung«, S. 406. 417
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Plattform zur Präsentation der eigenen Forschungsergebnisse ansieht. Vielmehr zeigt er an, dass Wind sich auch die wesentlichen Ziele der Allgemeinen Kunstwissenschaft zu eigen macht. Hierzu gehört nicht nur die Trennung der Kunstwissenschaft von der Ästhetik, sondern auch die Forderung nach Wissenschaftlichkeit. Dabei spitzt Wind die Forderung des Dessoir-Kreises nach einer Kunstforschung, die den Ansprüchen der Wissenschaftlichkeit tatsächlich genügt, dahingehend zu, dass er von Anfang an die Überzeugung, Kunstwerke ließen sich nur mit kognitiven Mitteln angemessen erschließen, zum markantesten Motiv seines Denkens macht.418 Betreuer der Promotion von Wind (1900–1971)419 sind der Kunsthistoriker Erwin Panofsky und der Philosoph Ernst Cassirer. Nach der Promotion arbeitet Wind, der polyglott erzogen ist und mehrere Sprachen, darunter Englisch, beherrscht, ab 1924 in den USA, wo er vor allem den Pragmatismus von Charles Sanders Peirce kennenlernt. 1927 kehrt Wind nach Deutschland zurück und ist in der Folge an der Kulturwissenschaftlichen Bibliothek, die Warburg in Hamburg eingerichtet hatte, als Assistent tätig. Hier tritt er mit Warburg in engen persönlichen Kontakt und wird stark von dessen kulturwissenschaftlicher Methode beeinflusst. Ende 1930 habilitiert sich Wind wiederum in Hamburg mit einer naturphilosophischen Studie über Das Experiment und die Metaphysik im Fach Philosophie. In der Kommission sitzen auch diesmal u. a. Panofsky und Cassirer. Wind ist also Kunsthistoriker und Philosoph gleichermaßen und macht – auch ganz im Sinne Warburgs – die akademische Disziplinen übergreifende Auseinandersetzung mit der Sache zum charakteristischen Prinzip seiner Arbeit. 1933 aufgrund seiner jüdischen Herkunft zur Emigration gezwungen, wandert Wind nach England aus und trägt wesentlich zum erfolgreichen Transfer der Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg nach London bei.420 Als stellvertretender Direktor des dort neu gegründeten Warburg Institute leistet Wind einen wichtigen Beitrag zur wissenschaftlichen Anerkennung des bis dahin noch stark vom Prinzip der Kennerschaft geprägten Fachs Kunstgeschichte in England. Dabei präsentiert er das Fach dezidiert auf Warburgscher – d. h. kulturwissenschaftlicher – Basis.421 Zwischen 1942 und 1955 lehrt Wind an verschiedenen Hochschulen in den USA. Bis zu seiner Emeritierung 1967 ist Wind dann wieder in England, nun an der University of Oxford, tätig. Wie Warburg, den Wind neben Panofsky, Peirce und Cassirer als seinen wichtigsten Lehrer betrachtet, widmet er sich in seinen kunsthistorischen Studien vor allem der Kunst der italienischen Re418
Vgl. B. Buschendorf: »Das Prinzip der inneren Grenzsetzung und seine methodologische Bedeutung für die Kulturwissenschaften«, S. 276. 419 Zu Winds Biographie vgl. bes. H. Lloyd-Jones: »A Biographical Memoir«. S. a. B. Buschendorf: »Das Prinzip der inneren Grenzsetzung und seine methodologische Bedeutung für die Kulturwissenschaften«, S. 272–276; N. Schneider: »Kunst zwischen Magie und Logos«; J.M. Krois: »Einleitung«, S. 11 f. 420 Vgl. bes. B. Buschendorf: »Auf dem Weg nach England«; s. a. J.M. Krois: »Einleitung«, S. 12. 421 Vgl. bes. R. Klibansky: Erinnerung an ein Jahrhundert, S. 98.
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naissance und ihrem neuplatonisch inspirierten Bilddenken. Hiervon handelt sein kunst- und kulturgeschichtliches Hauptwerk Heidnische Mysterien in der Renaissance, das Wind neben Panofsky als einen der bedeutendsten Vertreter der von Warburg begründeten Tradition der Ikonologie ausweist. Eine Summe seiner kunsttheoretischen Position bilden sechs 1960 von der BBC gesendete Vorlesungen, die später unter dem Titel Kunst und Anarchie publiziert werden. Zwar schließt Wind sich bereits frühzeitig Warburg an, dessen ikonologisches Interesse mit den methodologischen Bestrebungen des engeren Dessoir-Kreises sicher nicht identisch ist. Es lässt sich aber zeigen, dass Wind bereits in seinen drei in Dessoirs Zeitschrift publizierten Aufsätzen grundsätzliche Aspekte des Verhältnisses von Sehen und Wissen thematisiert, die für sein Kunstverständnis generell charakteristisch bleiben. Dabei können auch seine Ausführungen als Anwendung der Grundprinzipien der Allgemeinen Kunstwissenschaft auf den Arbeitsbereich der Kunstgeschichtsforschung bzw. als Arbeit an jenem Teilbereich der Allgemeinen Kunstwissenschaft, der die bildenden Künste – genauer: die Malerei – betrifft, verstanden werden. a) Kunsthistorische Motive der Differenzierung zwischen Ästhetik und Kunstwissenschaft Bereits im Rahmen seiner Dissertation versucht Wind, ganz im Sinne der Allgemeinen Kunstwissenschaft, die »Lehre von der ›Kunstfeindlichkeit‹ der Kunstwissenschaft«422 , also das seit der Romantik verbreitete »Dogma«423, dass Kunst wesentlich Sache des ästhetischen Genusses, d. h. des subjektiven Gefühls und nicht des Wissens, sei, zu widerlegen. Damit greift er ein Thema auf, das ihn noch in seinen späten Forschungen beschäftigt.424 422 Vgl. den Abschnitt »Die Lehre von der ›Kunstfeindlichkeit‹ der Kunstwissenschaft und ihre dogmatische Grundlage«. In: E. Wind: Ästhetischer und kunstwissenschaftlicher Gegenstand [Ms.], Inhaltsverzeichnis (o. P.) und Ms. 10–13. (Der Titel dieses Abschnitts ist in der edierten Fassung des Werks [S. 33–36, hier: S. 33] fehlerhaft transkribiert. Für alle sonstigen Zitate und Verweise wird aber die edierte Fassung benutzt.) 423 E. Wind: Ästhetischer und kunstwissenschaftlicher Gegenstand, S. 33. – Vgl. in diesem Sinne z. B. E. Utitz: Grundlegung der allgemeinen Kunstwissenschaft, Bd. 1, S. 2: »Und welche Tatsache ist es nun, die den Zugang zu dieser Wissenschaft versperrt? Es ist der im Laufe des neunzehnten Jahrhunderts geradezu dogmatisch erstarrte Glaube, die Kunst könne in ihrer Gesamtheit unter ästhetischem Gesichtspunkt verstanden und gewürdigt werden, oder wenigstens: was an der Kunst wahrhaft Kunst sei, erschließe sich der ästhetischen Forschung. Dadurch wurden alle Kunstprobleme rein ästhetische Probleme. Dabei ist es nun eigentlich gleichgültig, ob man vom allgemein Ästhetischen ausgehend – und dies ist der ungleich häufigere Fall – die Kunst als einen Sonderfall des Ästhetischen betrachtet und sich damit den Weg zum wesenhaften Verständnis der Kunst verschließt, oder ob man die Kunst an die Spitze stellt und auf diese Weise das Ästhetische zersetzt und auflöst.« 424 Vgl. z. B. E. Wind: Kunst und Anarchie, S. 56.
Konzeptionen der Allgemeinen Kunstwissenschaft187
So mag seiner Überzeugung nach ein Verhalten, das ausschließlich oder auch nur vordringlich die ästhetischen Qualitäten in den Blick nimmt, zwar Gegenständen der Natur gegenüber angemessen sein, wo der Vollzug – mit Kant gesprochen – ›interesselos‹ verfahren kann. In der Kunst ist der Vollzug dagegen – wie bereits etwa Dessoir und Utitz immer wieder hervorgehoben hatten – nicht bzw. nicht allein oder auch nur vordringlich frei und interesselos. Kunstrezeption hat vielmehr auch Winds Auffassung nach ein sehr bestimmtes Interesse. Sie ist nämlich maßgeblich Rekonstruktion eines vom Künstler in das Werk gelegten, also in kommunikativer Absicht formulierten, Sinns.425 Die rein ästhetische Anschauung erfasst in ihrer Subjektivität ihren Gegenstand zwar unmittelbar, sie bleibt aber im strengen Sinne irrational, weil die »ästhetische Synthesis jenseits aller Begriffe liegt«.426 Dagegen kann die kunstwissenschaftliche Rekonstruktion den Sinn des Kunstwerks nur auf dem verschlungenen Weg begrifflich geleiteter Forschung erfassen. Sie ist dafür aber rational kontrollierbar und insofern Sache des Wissens.427 Die Kritik des Kennertums Mit dieser Abgrenzung einer Theorie der Kunst von der Ästhetik setzt Wind sich auf seinem vordringlichen Interessengebiet, der Malerei, von anerkannten Kunstgelehrten seiner Zeit wie vor allem Max Friedländer ab. Nicht ohne Geringschätzung akademischer Gelehrsamkeit stilisiert nämlich Friedländer »die Identifizierungsprozedur zu einem mystischen Ritual, das bei den großen Kunstkennern zwar unfehlbar, jedoch immer irrational« ist. Er verwirft zudem »die Interpretation des Kunstwerks, weil sie den ästhetischen Genuß zerstöre«.428 Wind will dagegen mit seiner Dissertation und den diese flankierenden Arbeiten zeigen, dass die rationale Analyse diejenige Herangehensweise ist, die Kunstwerken als Trägern einer Bedeutung, die verstanden werden soll und kann, eigentlich angemessen ist; dies betrifft dann auch die historische und die ästhetisch-kennerE. Wind: Ästhetischer und kunstwissenschaftlicher Gegenstand, S. 107 f. – Vgl. B. Buschendorf: »›War ein sehr tüchtiges gegenseitiges Fördern‹«, S. 169 f.; P. Griener: »Edgar Wind und das Problem der Schule von Athen«, S. 87. 426 E. Wind: Ästhetischer und kunstwissenschaftlicher Gegenstand, S. 154. 427 Vgl. E. Wind: »Theory of Art versus Aesthetics«, bes. S. 350–354. – S. a. B. Buschendorf: »Das Prinzip der inneren Grenzsetzung und seine methodologische Bedeutung für die Kulturwissenschaften«, S. 276; ders.: »›War ein sehr tüchtiges gegenseitiges Fördern‹«, S. 170. – Der erste, der diese Differenzierung konsequent zur Grundlage seiner kunstwissenschaftlichen Arbeit gemacht hat, ist nach Wind der Wiener Kunsthistoriker Alois Riegl, von dem Max Dvořak den Ausspruch überliefert hat, der beste Kunsthistoriker sei der, der keinen persönlichen Geschmack besitze. (Vgl. E. Wind: »Theory of Art versus Aesthetics«, S. 354; zu Winds Bezugsstelle vgl. M. Dvořak: »Alois Riegl«, S. 285. – Vgl. aber auch die verwandte Aussage von M. Thausing; s. o. S. 38.) 428 P. Griener: »Edgar Wind und das Problem der Schule von Athen«, S. 84. 425 Vgl.
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schaftliche Auseinandersetzung mit der Kunst. Er vertritt zudem die These, dass eine rationale Analyse durchaus nicht die Frische und Fülle der ästhetischen Erfahrung von Kunstwerken zerstört. Sie bildet vielmehr in Wahrheit die Grundlage nicht nur ihrer geschichtlichen Erforschung, sondern gerade auch einer gelungenen, d. h. dem jeweiligen Kunstwerk angemessenen, ästhetischen Erfahrung.429 Kunstgeschichte und Kunstkritik bedürfen demnach, wenn sie nicht leer laufen sollen, eines rationalen Fundaments, das die Kunsttheorie darlegen muss. Zwar erwecken Kenner wie Friedländer bei Wind den Eindruck, die Kunstgeschichtsforschung befinde sich in einer Krise, und noch in seinem späten Werk Kunst und Anarchie setzt er sich in einem eigens der »Kritik des Kennertums« gewidmeten Kapitel u. a. mit diesem Autor auseinander.430 Kein anderer Kunstwissenschaftler scheint ihn aber gerade in dieser frühen Zeit mehr zum Widerspruch gereizt zu haben als der Kunsthistoriker Wölfflin.431 Die Kritik des Formalismus Wohl kommt Wölfflin, wie Wind in seiner Studie Zur Systematik der künstlerischen Probleme hervorhebt, das Verdienst zu, die Kunst aus den metaphysisch-ästhetischen und geschichtsphilosophischen Verstrickungen der traditionellen Kunstreflexion herausgeführt und sie endlich als ›autonomes‹ Phänomen behandelt zu haben. Allerdings unterläuft ihm dabei ein doppelter Fehler (der zugleich Argumente für die Tatsache liefern mag, dass Wölfflin sich gegenüber der Allgemeinen Kunstwissenschaft, die er doch zumindest teilweise mitinitiiert hatte432 , stets auf Distanz gehalten hat): Zum einen betrachtet Wölfflin die Kunst als wesentlich formales Ereignis, das völlig unabhängig von jedem dargestellten Inhalt zu analysieren ist. Zum anderen geht er davon aus, dass die Entwicklung dieser Formen einer rein immanenten Gesetzmäßigkeit gehorcht, die unterschiedliche, einander nach einem bestimmten Schema geschichtlich sich ablösende Formen des Sehens reflektiert. Dagegen stellt Wind seine Auffassung, dass die Form der Kunst als Träger einer Bedeutung in den Blick zu nehmen ist. Und er wendet sich – ganz im Sinne des von der Allgemeinen Kunstwissenschaft angestrebten ›Objektivismus‹ – gegen Wölfflins Bezugnahme auf psychologische Prozesse. Eine psychologische Gesetzmäßigkeit ist nämlich, wie Wind bemerkt, »notwendig außerkünstlerisch«, denn »alles Psychologische liegt ja diesseits der besonderen Gegenstandsgebiete« und ist insofern für die Analyse der Kunst als ›autonomes‹ Phänomen ungeeignet.433 Daher E. Wind: »Theory of Art versus Aesthetics«, S. 358 f. – S. a. z. B. E. Wind: Kunst und Anarchie, S. 69. 430 Vgl. ebd., S. 38–55. 431 Allerdings geht Wind auch auf Wölfflin noch in seinem Spätwerk Kunst und Anarchie wiederholt ein. 432 S. u. S. 211–214. 433 E. Wind: »Zur Systematik der künstlerischen Probleme«, S. 443. 429 Vgl.
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gelingt Wölfflin letztlich auch nicht die von ihm selbst beanspruchte apriorische Grundlegung der Kunstwissenschaft. Mit diesen Einwänden schließt Wind sich der Kritik an, die sein Lehrer Panofsky bereits zuvor in zwei ebenfalls in der Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft erschienenen Artikeln an Wölfflin geübt hatte.434 Allerdings ist Panofsky seinerseits so beeindruckt von den Thesen seines Schülers, dass er selbst noch einmal – und mit ausdrücklichem Verweis auf Winds Dissertation435 – unter dem Titel Über das Verhältnis der Kunstgeschichte zur Kunsttheorie. Ein Beitrag zu der Erörterung über die Möglichkeit ›kunstwissenschaftlicher Grundbegriffe‹, wiederum in Dessoirs Zeitschrift, auf diesen Themenkreis zurückkommt. ›Verkörperung‹ als Verknüpfung von Objektivität und Subjektivität Gegenstand von Winds Dissertation ist – ganz im Sinne seiner These von der kognitiven Erschließbarkeit der Kunst und der kantianischen Orientierung seiner beiden Lehrer und Gutachter Cassirer und Panofsky zu diesem Zeitpunkt – die apriorische Grundlegung einer Geisteswissenschaft, die Wind näherhin als ›konkrete Kunstwissenschaft‹ bezeichnet. Aufgabe dieser von Wölfflin nach Ansicht von Wind und Panofsky nur unzulänglich realisierten Wissenschaft ist es, durch die Freilegung der Strukturprinzipien, die in einem Kunstwerk zum Tragen kommen, die Rationalität der kunstwissenschaftlichen Methode zu gewährleisten. Diese Verpflichtung zur Objektivität erhellt für Wind schon daraus, dass der Betrachter in der ästhetischen Erfahrung der Kunst, anders als der der Natur, mit einer Sinngebung vonseiten des Künstlers konfrontiert ist, die er keineswegs selbst spontan hervorbringt, sondern vielmehr ›rekonstitutiv‹ nachzuvollziehen hat.436 Die ›konkrete Kunstwissenschaft‹ befasst sich demnach weder mit äußeren Faktoren, die Einfluss auf das Kunstwerk und seine Gestaltung genommen haben, noch mit der Wirkung der Kunst auf den Menschen. Sie richtet sich vielmehr auf die »begriffliche Gestaltung und Bewältigung der anschaulichen Fülle des Kunstwerks«437, also erkenntnistheoretische bzw. ontologische Fragen, die die Struktur des Werks betreffen. Wind bezeichnet den Gegenstand dieser Fragen im Anschluss an Riegl auch als die apriorischen ›künstlerischen Probleme‹, in deren Lösung die ›künstlerische Leistung‹ besteht.438 Im gegebenen Zusammenhang sind vor allem drei Aspekte dieser ›künstlerischen Probleme‹ von Interesse, die ebenfalls für Winds weiteres Denken prägend werden: 434 E.
Panofsky: »Das Problem des Stils in der bildenden Kunst«; ders.: »Der Begriff des Kunstwollens«. 435 Vgl. E. Panofsky: »Über das Verhältnis der Kunstgeschichte zur Kunsttheorie«, S. 131. 436 Vgl. E. Wind: Ästhetischer und kunstwissenschaftlicher Gegenstand, S. 43. 437 Ebd., S. 26. 438 Vgl. ebd., S. 232; s. a. ders.: »Zur Systematik der künstlerischen Probleme«, S. 439 f.
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Erstens arbeitet Wind bereits hier im Anschluss an Riegl und Wölfflin mit polaren Begriffen, weil das zentrale Merkmal dieser ›Probleme‹ darin besteht, dass sie durchgängig eine »innere Spaltung« aufweisen, wobei Wind mit Riegl von der grundlegenden Polarität des ›Haptischen‹ und ›Optischen‹ ausgeht. Denn, so seine Begründung, »[u]m etwas als ›künstlerische Leistung‹ zu begreifen, muß ich es als Lösung eines vorher Ungelösten ansehen, d. h.: ich muß einen Konflikt setzen, der sich in der künstlerischen Leistung als ›versöhnt‹ darstellt«.439 Dabei ist diese Versöhnung nicht etwa als Nivellierung des Konflikts zu verstehen. Das Entscheidende ist für Wind vielmehr, dass in der »konkret-anschaulichen Gestaltung« des Kunstwerks hinsichtlich dieser Polaritäten immer eine bestimmte Akzentuierung nach der einen oder anderen Seite vorliegt, die relevanten Pole somit stets als solche präsent bleiben.440 Denn nur vor dem Hintergrund dieser Polarität kann die jeweilige künstlerische Problemlösung überhaupt als solche verstanden werden. Bezieht man also eine künstlerische Erscheinung auf ein bestimmtes »Problem«, so erschließt sich ihr »Sinn« in der besonderen Stellungnahme zu dieser Polarität. Die Antwort ruht in der besonderen Form des Ausgleichs. Und damit kommt etwas ganz Neues zum Ausdruck, was aus der Frage als solcher nicht abzulesen war: – die künstlerische Individualität.441
Die ›künstlerischen Probleme‹ unterscheiden sich damit nicht nur von den – zumindest prinzipiell – eindeutig zu beantwortenden Fragen nach den historischen Entstehungszusammenhängen eines Werks und seiner äußeren Erscheinung, also z. B. seiner Technik, seinem Sujet oder seiner Gattungszugehörigkeit. Vielmehr unterscheiden sie sich auch von der »Naturerkenntnis«, die, so Wind, immer das Ziel hat, Gegensätze im Sinne einer Gesetzmäßigkeit aufzulösen – also etwa den Gegensatz von ›Fülle‹ und ›Form‹ im Sinne der ›Form‹, indem für sie in der Form »das eigentlich Gesetzliche« liegt und die Fülle »bloß vorwissenschaftlich gegeben« ist.442 Zweitens vertritt Wind die Auffassung, dass in der angemessenen Erfassung der künstlerischen Leistung Anschauung und Denken miteinander vereint sind, weil der künstlerischen Leistung selbst rationale Strukturen zugrunde liegen. Die Eigentümlichkeit dieser Strukturen ergibt sich für Wind dabei aus dem Charakter der künstlerischen Leistung als Lösung eines Konflikts, der »der konkret-anschaulichen Region angehört«:
S. 440; vgl. ders.: Ästhetischer und kunstwissenschaftlicher Gegenstand, S. 232. Wind: »Zur Systematik der künstlerischen Probleme«, S. 460; vgl. ders.: Ästhetischer und kunstwissenschaftlicher Gegenstand, S. 263. 441 Ebd., S. 268 f. 442 E. Wind: »Zur Systematik der künstlerischen Probleme«, S. 460; vgl. ders.: Ästhetischer und kunstwissenschaftlicher Gegenstand, S. 263. 439 Ebd., 440 E.
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Die Prinzipien, die miteinander im Widerstreit liegen, dürfen also keine logisch-begrifflichen sein. Umgekehrt kann aber der Widerstreit selbst nicht anders als logisch verstanden werden; wie auch seine Aufdeckung rein aus begrifflichen Motiven erfolgt. Im Denken muß also das Problem gesetzt sein, dessen Lösung nur im Anschaulichen zu finden ist. Hiermit ist die Eigentümlichkeit der »künstlerischen Probleme« gekennzeichnet: sie schließen eine vom Denken gesetzte Antithetik in sich, die dennoch keine Antithetik für das Denken ist.443
Bereits auf der Stufe seiner Dissertation geht Wind also – dies ist der Kern seines Ansatzes zur Überwindung der Kluft zwischen Subjektivismus und Objektivismus – davon aus, dass im Kunstwerk Denken und Anschauung, allgemeine Gesetzmäßigkeit und individuelle Erfahrung, aufeinander verwiesen sind. Dabei artikuliert sich dieses ›Denken‹, das ein Problem setzt, ›dessen Lösung nur im Anschaulichen zu finden ist‹, in der künstlerischen Produktion nicht diskursiv, sondern sozusagen als implizites Wissen, nämlich eben in Form der jeweils für die Anschauung gegebenen Antworten auf die ›künstlerischen Probleme‹ und dem damit vom Künstler intendierten »Sinn«.444 In der ästhetischen Erfahrung wird dieser ›Sinn‹ zwar spontan als solcher erfasst, sie bleibt aber, anders als die kunstwissenschaftliche Erkenntnis, notwendig subjektiv und irrational.445 Und schon in diesem Zusammenhang bezeichnet Wind die individuelle Weise, wie diese Antwort im Kunstwerk »realisiert«446 ist, auch – wie vor ihm Hamann447 – als ›Verkörperung‹448. Und drittens betrachtet Wind bereits in seinen frühen Arbeiten die Kunst als Sprache, deren ›Grammatik‹ es zu identifizieren gilt, insofern sie die Grundlage aller weiteren Deutungen bilden muss.449 So entwickelt er im Rahmen seiner Dissertation, wiederum im Anschluss an Riegl, ein komplexes System verschiedenster kategorialer Antithesen, die in jedem Werk der bildenden Kunst relevant werden und die er hier in einer ›Tafel‹ organisiert. Hierzu gehören etwa die Polaritäten ›Fläche‹ und ›Tiefe‹, ›Zerteilung‹ und ›Verschmelzung‹ sowie ›Statuierung‹ und ›Belebung‹. – Parallel dazu schickt sich auch Panofsky in seinem Beitrag an, wie er Wind: »Zur Systematik der künstlerischen Probleme«, S. 440; vgl. ders.: Ästhetischer und kunstwissenschaftlicher Gegenstand, S. 233. 444 Ebd., S. 107. – Zur sachlichen Verwandtschaft von Winds Position zu der von Utitz vgl. L. Burkhardt: »Versuch gegen das Vergessen«, S. 45 f. 445 Vgl. z. B. E. Wind: Ästhetischer und kunstwissenschaftlicher Gegenstand, S. 86. 446 Ebd., S. 62. 447 S. o. S. 182. 448 Vgl. E. Wind: Ästhetischer und kunstwissenschaftlicher Gegenstand, S. 62. 449 »The question of liking should be eliminated altogether. We must first teach grammar. We must show why in this picture this special kind of line or spot involves this special kind of space and grouping, and how all this together corresponds to the representation of things and the expression of life. With these means, and with no others, can we develop a feeling for art which is based on solid knowledge and reasonable understanding, not on mere talk and uncontrolled emotions.« (E. Wind: »Theory of Art versus Aesthetics«, S. 359. – Zur ›Grammatik‹ der ›künstlerischen Probleme‹ vgl. auch ebd., S. 356.) 443 E.
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erklärt, anders als Wölff lin, nun tatsächlich apriorisch fundierte ›Grundbegriffe‹ der Kunstwissenschaft nach erkenntnistheoretischem Modell systematisch auszuarbeiten und in einer ›Tafel‹ dazustellen.450 Dabei geht Wind – wie wiederum ebenfalls Panofsky – von einer Analogie zwischen Kunstwerken und Aussagesätzen aus. Karlheinz Lüdeking hat dies hervorgehoben und notiert, dass auch Winds Auffassung nach diejenigen, die ihre Wahrnehmungen und Vorstellungen in Bilder fassen, und diejenigen, die sie in Worte fassen, vor demselben Problem stehen: »Sie müssen aus an und für sich sinnlosen Elementen ein jeweils in sich artikuliertes und sinnvolles Ganzes bilden.«451 Es geht daher, so Wind, in beiden Fällen darum, die ›systematischen Regeln des Zusammenhangs‹ (systematic rules of coherence)452 ausfindig zu machen, aufgrund derer sich die jeweiligen Elemente zu einem sinnvollen Ganzen fügen.453 Allerdings erhellt der gesuchte ›Sinn‹ dieser Sprache für Wind nicht, wie Pa nofsky es zu diesem Zeitpunkt noch (vergeblich) nachweisen will, bereits aus der Analyse der ganz elementaren formalen Ebene der Bildgestaltung, wo er sich als ihr »immanenter Sinn« zeigen soll.454 Der Sinn der Kunst erschließt sich vielmehr erst, wenn neben der formalen Gestaltung zweitens auch das, was das Werk darstellt, und drittens die »Lebensäußerung«, die in dem, was dargestellt ist, zum ›Ausdruck‹ kommt455, berücksichtigt wird. Das heißt, ganz wie sich in der Sprache einzelne Buchstaben zu Wörtern und schließlich zu Sätzen fügen, werden in der Malerei aus einzelnen Formelementen zunächst erkennbare Gestalten und schließlich ausdrucksvolle Bildkomplexe aufgebaut. Dabei erklärt Wind im Sinne der Allgemeinen Kunstwissenschaft ausdrücklich, dass diese systematische Ableitung der Kunst, 450 Zum Verhältnis von ›Grundbegriffen‹ und ›künstlerischen Problemen‹ vgl. E. Panofsky: »Über das Verhältnis der Kunstgeschichte zur Kunsttheorie«, bes. S. 130 und S. 157. 451 K. Lüdeking: »Panofskys Umweg zur Ikonographie«, S. 213. Vgl. hierzu auch bes. ders.: »Kunst und Sprache aus der Sicht von Erwin Panofsky«. 452 E. Wind: »Theory of Art versus Aesthetics«, S. 357. Vgl. K. Lüdeking: »Panofskys Umweg zur Ikongraphie«, S. 213 f. 453 Konkret führt Wind aus: »Wie auf sprachlichem Gebiet die sinnlichen Laute sich für die Darstellung von Worten erst dadurch als geeignet erweisen, daß sie sich bestimmten Gegenständen (den Begriffssymbolen) zuordnen lassen, diese Zuordnung aber ihrerseits zur Voraussetzung hat, daß die Laute unter sich in einer geregelten Beziehung stehen, – genau so hängt auch auf visuellem Gebiet das geregelte Erfassen von Gegenständen mit einer Regelung des Sinnlichen als solchem zusammen. Diese rein sinnliche Ordnung aber, zu deren Bezeichnung wir der Lautlehre den Ausdruck ›Artikulation‹ entlehnen, beruht innerhalb des Visuellen auf der Durchführung eines bestimmten Ausgleichs zwischen optischen und haptischen Werten.« (E. Wind: »Zur Systematik der künstlerischen Probleme«, S. 462 f.) 454 E. Panofsky: »Der Begriff des Kunstwollens«, S. 332 u. ö. – Zum Status dieser These und ihrem Verhältnis zu der später von Panofsky entwickelten Ikonologie vgl. K. Lüdeking: »Pa nofskys Umweg zur Ikongraphie«, bes. S. 215–218 und S. 221–224; zum ›immanenten Sinn‹ der Kunst bei Panofsky vgl. ebd., S. 206 und S. 210–213. 455 E. Wind: »Zur Systematik der künstlerischen Probleme«, S. 469 (»Lebensäußerung«), vgl. ebd., S. 473 f. (›Ausdruck‹). – S. a. W. Passarge: Die Philosophie der Kunstgeschichte in der Gegenwart, S. 36.
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die er am Beispiel der Malerei ausführt, grundsätzlich für alle Künste gilt.456 Das heißt, jede Kunst ist, so verstanden, eine Sprache. In dieser Dreiteilung Winds klingt bereits jene kunst- und bildwissenschaftliche Arbeitsform an, die gemeinhin vor allem mit dem Namen Panofskys verbunden ist: die von diesem seit 1930 betriebene ›Ikonographie‹ und ›Ikonologie‹. Mit dieser lässt Panofsky zwar seine frühe, formalistisch und neukantianisch geprägte Weise der Kunstreflexion hinter sich: Er operiert nun – ähnlich wie zuvor bereits Utitz 457 – mit unterschiedlichen hermeneutisch aufeinander auf bauenden ›Sinnschichten‹, zu denen – anders als bei Utitz 458 – ebenfalls die Schicht der kulturgeschichtlichen Einbettung des Werks gehört459. Aber auch Wind selbst verfolgt seinen frühen methodologischen Vorstoß zu einer Analyse der Sprache der Kunst auf kantischer Basis nicht weiter. Vielmehr geht er in seiner naturphilosophischen Studie über Das Experiment und die Metaphysik, mit der er sich ebenfalls 1930 habilitiert, zu einer offenen Kant-Kritik über. Wind wendet sich hier nämlich gegen Kants These, dass die sinngebenden Prinzipien der Erfahrung durch Erfahrung nicht widerlegt werden können.460 Der kantischen ›reinen‹ Vernunft stellt er nun die ›verkörperte Vernunft‹ entgegen, die ihre Ideen in einem ›experimentum crucis‹ direkt anschaubar machen können muss.461 Wind beruft sich dabei auf die Thesen der Vertreter des Pragmatismus, vor allem Peirce. Aus Peirces Theorie der Bedeutung von Begriffen wird bei Wind eine Theorie
456 Vgl.
E. Wind: »Theory of Art versus Aesthetics«, S. 358; s. a. ders.: »Zur Systematik der künstlerischen Probleme«, S. 462. 457 S. o. S. 134–139. 458 S. o. S. 141. 459 Panofsky legt 1930 mit Hercules am Scheideweg seine erste ikonographische Arbeit vor. 1932 erscheint dann Panofskys Studie Zum Problem der Beschreibung und Inhaltsdeutung von Werken der bildenden Kunst. Dieser Aufsatz wird in seiner erweiterten Fassung, die Panofsky 1939 seinem Sammelband Studies in Iconology als Einleitung und dann wieder 1957 in Meaning in the Visual Arts publiziert hat, als programmatische methodische Grundlegung der Ikonographie und Ikonologie rezipiert. – Zur Verwandtschaft der Schichtenlehren von Utitz und Panofsky s. a. K. Krüger: »Das Bild als Palimpsest«, S. 160. 460 Vgl. E. Wind: Das Experiment und die Metaphysik, S. 116. 461 Seine Kritik an Kant hätte Wind beinahe seine Venia gekostet. Neben Panofsky ist es vor allem Cassirer, der die Situation rettet, indem er Wind in einem Sondergutachten bescheinigt, es sei ihm gelungen, Kants »Antinomien den Charakter der prinzipiellen Unentscheidbarkeit zu nehmen und die theoretische Möglichkeit ihrer experimentellen Entscheidbarkeit aufzuzeigen«. (Gutachten zu Winds Habilitationsschrift in: E. Wind: Das Experiment und die Metaphysik, S. 223– 234, hier: S. 223. – Vgl. J.M. Krois: »Kunst und Wissenschaft in Edgar Winds Philosophie der Verkörperung«, S. 190 f.; ders.: »Einleitung«, S. 20.) Allerdings fordert Cassirer selbst die von Wind reklamierte Beobachtbarkeit nicht. Und er bleibt skeptisch, ob wir auf dem Weg des experimentum crucis etwas über das von ihm so genannte ›freie Denken‹ aussagen können. In einer persönlichen Äußerung nennt er Wind so einen ›geläuterten Empiristen‹. (Vgl. B. Buschendorf: »Auf dem Weg nach England«, S. 89; s. a. ders.: »Das Prinzip der inneren Grenzsetzung und seine methodologische Bedeutung für die Kulturwissenschaften«, bes. S. 276–278.)
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der Bedeutung von Instrumenten und Dokumenten.462 Dabei wird die Kunst ausdrücklich einbezogen.463 Im Pragmatismus findet Wind so eine wissenschaftstheoretische Antwort auf eine Forderung, die er selbst bereits in seinen Ausführungen Zur Systematik der künstlerischen Probleme aufgestellt hatte – dass im Denken ein »Problem« gesetzt sein muss, »dessen Lösung nur im Anschaulichen zu finden ist«.464 Allerdings sucht auch Wind die Antwort auf diese Herausforderung im Bereich der Kunst nun nicht länger in der Kunst selbst, sondern, wie Panofsky, in deren kultureller Funktion. Das heißt, die Kunst wird auch im Rahmen der von Wind nun betriebenen Version der Ikonologie als eine Sprache angesehen, die nur im Kontext der Sprache der Kultur verstanden werden kann. Dabei blendet Panofsky, wie immer wieder kritisiert wurde, in seinen ikonologischen Studien die formale Seite der Kunst zugunsten inhaltlicher Fragen aus.465 Eine solche Vernachlässigung der formalen und ästhetischen Seite der Kunst zugunsten inhaltlicher Fragen hat Wind dagegen stets aus prinzipiellen Gründen mit Verweis auf die konstitutive Bedeutung der »sinnlichen Sphäre«466 bzw. der ›Verkörperung‹ strikt verurteilt – auch wenn seinen ikonologischen Studien durchaus ähnliche Vorwürfe wie denen Panofskys gemacht worden sind.467
462 Vgl.
J.M. Krois: »Einleitung«, S. 20 f. E. Wind: Das Experiment und die Metaphysik, S. 108. – Vgl. bes. B. Buschendorf: »›War ein sehr tüchtiges gegenseitiges Fördern‹«, S. 172 f.; ders.: »Das Prinzip der inneren Grenzsetzung und seine methodologische Bedeutung für die Kulturwissenschaften«, bes. S. 276–278; J.M. Krois: »Kunst und Wissenschaft in Edgar Winds Philosophie der Verkörperung«. 464 S. o. S. 191. S. a. E. Wind: Das Experiment und die Metaphysik, S. 99 und S. 117. – Zur Fortführung dieses Gedankens aus Winds Frühwerk in seinen späteren Arbeiten vgl. bes. B. Collenberg-Plotnikov: »Forschung als Verkörperung«. 465 Vgl. hierzu bes. K. Lüdeking: »Panofskys Umweg zur Ikongraphie«, bes. S. 223 f. – Eine in den neueren Diskussionen um das Bild oftmals zu findende Zuspitzung dieses Vorwurfs an Panofsky hat William J. Thomas Mitchell vorgegeben, wenn er dessen Ikonologie vorwirft, diese unterwerfe das Bild dem Beherrschungswillen des außerbildlichen Logos. (Vgl. W.J.T. Mitchell: »Der Pictorial Turn«.) 466 E. Wind: »Zur Systematik der künstlerischen Probleme«, S. 462; ders.: Ästhetischer und kunstwissenschaftlicher Gegenstand, S. 266. 467 So wirft etwa Robert Klein Wind unter Bezug auf dessen Werk Heidnische Mysterien in der Renaissance vor, die Kunstwerke dienten ihm nur als Schlüssel zur Rekonstruktion der Denkweisen der Renaissance. (Vgl. R. Klein: »Edgar Wind: Pagan Mysteries in the Renaissance«, S. 284.) Ähnlich hat sich Otto Pächt geäußert. (O. Pächt: »Kritik der Ikonologie«, S. 235–250 und S. 314 f., hier: S. 235.) Und ebenfalls Werner Busch erklärt, Winds früher Aufsatz über »Humanitätsidee und heroisiertes Porträt in der englischen Kultur des 18. Jahrhunderts« könnte zumindest Anlass zu diesem Verdacht geben. (Vgl. W. Busch: »Heroisierte Porträts? Edgar Wind und das englische Bildnis des 18. Jahrhunderts«, S. 35 f.) 463 Vgl.
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b) Methodologische Aspekte von Winds Warburg-Rezeption Von entscheidender Bedeutung für Winds Ausbildung eines kulturalistischen Kunstverständnisses und seiner eigenen Version der Ikonologie ist Warburg. Und so ist es auch Wind, dem als anerkanntem Kenner von Warburgs Begriff der Kulturwissenschaft nach dessen Tod unter den Mitarbeitern der Kulturwissenschaftlichen Bibliothek die Aufgabe zufällt, diesen Begriff 1930 im Rahmen des vierten Kongresses für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft in Hamburg vorzustellen. In diesem Vortrag präsentiert Wind unter dem Titel Warburgs Begriff der Kulturwissenschaft und seine Bedeutung für die Ästhetik Warburgs Konzeption unter drei zentralen Aspekten, die zu diesem Zeitpunkt auch bereits für sein eigenes Verständnis der Kunst grundlegend geworden sind: »Warburgs Begriff des Bildes, seine Theorie des Symbols und seine Psychologie des mimischen und hantierenden Ausdrucks«.468 Das Bild als Kulturphänomen Hinsichtlich der Charakteristik des Bildbegriffs kann Wind bei seiner früheren Kritik an Wölfflins Psychologismus anknüpfen. Er ergänzt seine Einwände jetzt aber um den Hinweis, Wölfflin habe bei seinem verdienstvollen Kampf um die »Autonomie der Kunstgeschichte« den kapitalen Fehler begangen, die Kunst »von der Kulturgeschichte loszulösen«. Er komme daher zu völlig unangemessenen Generalisierungen und fasse das Heterogenste unter dieselbe »allgemeine Formel«: Dem »Spitzschuh« etwa liegt so nach Wölfflin das gleiche »spezifische Formempfinden des gotischen Stils« zugrunde wie der »Kathedrale«.469 Gegen solche formalistischen Verallgemeinerungen wendet Wind unter Berufung auf Warburg ein, hier würden die »Unterschiede des gerätmäßigen Gebrauchs mit Bezug auf den hantierenden Menschen« ignoriert.470 Das heißt, die Kunst ist zwar als eine eigenbedeutsame Sphäre innerhalb der Kultur anzuerkennen, ihre Autonomie ist aber, anders als die Formalisten dies behaupten, keine absolute, sondern eine relative.471 So stellt Wind mit Warburg Wölfflins »Begriff des reinen künstlerischen Sehens« den »Begriff der Gesamtkultur entgegen, in der das künstlerische Sehen eine notwendige Funktion erfüllt«.472 Diese ›Grundüberzeugung Warburgs‹ hat Implikationen für die historische Rekonstruktion des Sinns von Bildern. Sie gelingt nämlich nicht durch »einfaches An468 E.
Wind: »Warburgs Begriff der Kulturwissenschaft und seine Bedeutung für die Ästhetik«, S. 163. 469 Ebd., S. 163–166. 470 Ebd., S. 166. 471 Vgl. B. Buschendorf: »Das Prinzip der inneren Grenzsetzung und seine methodologische Bedeutung für die Kulturwissenschaften«, S. 310 f. 472 E. Wind: »Warburgs Begriff der Kulturwissenschaft und seine Bedeutung für die Ästhetik«, S. 167.
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schauen« und »unmittelbares Sicheinfühlen«. Sie muss vielmehr, wie Wind bereits in seiner Dissertation unter Verweis auf die grundlegende Bedeutung der Kunsttheorie erklärt hatte, den indirekten Weg wählen. Nun verweist er hier allerdings mit Warburg auf die Bedeutung von kunstwerk-externen Texten. So muss der Kunstforscher »durch das Studium aller Arten von Urkunden, die sich mit diesem Bild nach historisch-kritischer Methode in Verbindung bringen lassen, einen Indizienbeweis führen für die Tatsache, daß ein im einzelnen aufzuweisender Vorstellungskomplex an der Gestaltung des Bildes mitgewirkt hat«.473 Hierzu führt Wind in einer späteren Arbeit näher aus, es sei allerdings ein fundamentaler Fehler anzunehmen, ein Bild sei verstanden, wenn es »in Wörtern verdoppelt« wird. Umgekehrt kann ein Bild auch nie als »buchstäbliche Illustration« eines Textes gelesen werden. Das spricht aber nach Wind nicht gegen die Deutung der Bilder mit Hilfe von Texten. Nur gilt es, sich bei der Suche nach den Bildsinn erschließenden Texten von der Vorstellung zu lösen, hier könne es sich um »Einszu-eins-Beziehungen« handeln. Vielmehr geht es darum, auf einer möglichst breiten Quellenbasis das »intellektuelle Umfeld eines Malers zu rekonstruieren«. Mit Peirce: Unser Gedankengang darf keine »Kette« bilden, »die nicht stärker ist als ihr schwächstes Glied, sondern ein Tau, dessen Fasern noch so schwach sein mögen, wenn sie nur zahlreich genug und eng miteinander verknüpft sind«.474 Das heißt, Deutungen von Kunstwerken können nicht im strengen Sinne bewiesen, sondern nur aus einer Konfiguration von historischen Zeugnissen plausibel gemacht werden. Eine solche Rekonstruktion der Denkbedingungen eines Werks ist nun allerdings für Verständnis und Genuss gleichermaßen unerlässlich.475 Und so mündet Winds lebenslange Abrechnung mit der »Furcht vor dem Wissen«476 in Fragen der Kunst 1960 in die These: »Das Auge liest anders, wenn der Gedanke es lenkt«, denn, so Wind weiter, »unser Auge sieht, wie unser Geist liest«.477 Symbol und Ausdruck Schon in seiner Dissertation hatte Wind sich in Auseinandersetzung mit Wölfflin und Riegl ein Denken in Polaritäten zu Eigen gemacht. Dieses Polaritätsdenken wird unter Warburgs Einfluss entscheidend für Winds Symboltheorie, die er als von Warburg stammend in seinem Vortrag über Warburgs Begriff der Kulturwissenschaft
473
Ebd., S. 168. Wind: »Bild und Text«, S. 262. – Wind zitiert hier aus: C.S. Peirce: »Einige Konsequenzen aus vier Unvermögen«, S. 186. 475 Vgl. z. B. E. Wind: Heidnische Mysterien in der Renaissance, S. 26; ders.: Kunst und Anarchie, S. 68. – S. a. B. Buschendorf: »Das Prinzip der inneren Grenzsetzung und seine methodologische Bedeutung für die Kulturwissenschaften«, S. 306. 476 E. Wind: Kunst und Anarchie, S. 56. 477 Ebd., S. 66. 474 E.
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vorstellt.478 Dabei bezieht sich dieser vor allem auf Überlegungen von Friedrich Theodor Vischer in dessen Aufsatz über Das Symbol von 1887. So unterscheidet Wind in Anlehnung an Vischer und Warburg drei besondere Symbolbegriffe, die – hier wird Vischer zitiert – dazu dienen, die »Hauptarten der Verbindung zwischen Bild und Sinn auseinanderzuhalten«. Auf der ersten Stufe, die Vischer als die »dunkel-verwechselnde«, Warburg als die »magisch-verknüpfende« bezeichnet, werden »Bild und Bedeutung in eins gesetzt«. Hier handelt es sich um »Symbole der Aneignung«, die man sich typischerweise durch »Essen und Trinken«, also physisch, einverleibt.479 Den Gegenpol dieser archaischen, »magisch-bindende[n]« Symboldeutung bildet die »logisch-sondernde«, wo die Bedeutungsträger »nicht als Kräfte, die geheimnisvoll wirken«, sondern »als Zeichen, die intellektuell zu verstehen sind«, zu uns sprechen.480 Auf dieser historisch späten, logisch oder rein begrifflich orientierten Stufe ist das Symbol dagegen frei von jeder affektiven Färbung und wird so an ein lebloses, ganz abstraktes Zeichen geheftet. Der kulturwissenschaftlich relevante Symbolbegriff bezieht sich dagegen auf eine mittlere, zwischen leiblicher Aneignung und intellektuellem Verstehen angesiedelte Stufe, die in diesem Modell den Bereich der Kultur im engen und eigentlichen Sinn bildet. Hierzu erklärt Wind: Die kritische Phase aber liegt in der Mitte, dort, wo das Symbol als Zeichen verstanden wird und dennoch als Bild lebendig bleibt, wo die seelische Erregung, zwischen diesen Polen in Spannung gehalten, weder durch die bindende Kraft der Metapher so sehr konzentriert wird, daß sie sich in Handlung entlädt, noch durch die zerlegte Ordnung des Gedankens so sehr gelöst wird, daß sie sich in Begriffe verflüchtigt. Und eben hier hat das »Bild« (im Sinne des künstlerischen Scheinbildes) seine Stelle.481
Zwar wird im symbolischen Verhalten ständig ein Ausgleich zwischen den Polen gesucht. Dass bei diesem Ausgleich die beiden Pole stets in einem labilen Gleichgewicht erhalten bleiben, lernt Wind allerdings von Warburg: Logos steht weiterhin gegen Mythos, Rationalität gegen Expression. Im Symbol finden so die gegensätzlichen Kräfte einer Epoche zusammen und kommen hier, im Bild verkörpert, zur Anschauung. Durch die Polarität des kulturellen Symbols wird nun – im Gegensatz zur Eindeutigkeit des magischen und des zeichenhaften Symbols – ein Deu-
478 Vgl.
auch E. Wind: »Einleitung«, S. 241–244. – Zur Deutung von Winds Symboltheorie und ihrem Verhältnis zu den Konzeptionen von Vischer und Warburg vgl. bes. B. Buschendorf: »Zur Begründung der Kulturwissenschaft«; s. a. ders.: »›War ein sehr tüchtiges gegenseitiges Fördern‹«, S. 185–187. 479 E. Wind: »Warburgs Begriff der Kulturwissenschaft und seine Bedeutung für die Ästhetik«, S. 170. 480 Ebd., S. 171. 481 Ebd., S. 172.
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tungsspielraum eröffnet, in dem Objektivität und Subjektivität in einen prinzipiell unabschließbaren Austausch eintreten können. Die kulturwissenschaftliche Aufgabe besteht daher darin, in einem (von Warburg so genannten) ›Denkraum der Besonnenheit‹ auf der Basis eines fortgesetzten Quellenstudiums die Pole des Symbols und die Form ihrer Zusammenführung am konkreten Werk zu beschreiben.482 Der Wind-Forscher Bernhard Buschendorf betont dabei, dass Warburg, fasziniert von dem ›bewegten Leben‹ und dem ›Nachleben‹ der noch rituell eingebundenen Formen, sich mehr für das beunruhigende Ausdruckspotenzial des Werkes interessiert und in seinen Forschungen eine psycho-historische Ausrichtung verfolgt. Wind fokussiert dagegen mehr den rationalen Pol und treibt dementsprechend Ideengeschichte.483 Paradoxerweise führt aber in beiden Fällen der zumindest von Wind so energisch unternommene Versuch, eine Wissenschaft von der Kunst als Phänomen sui generis zu betreiben, gerade zu jener Öffnung des Phänomenbereichs der Kunstforschung, wie sie heute im Zeichen des ›iconic‹ oder ›visual turn‹ propagiert wird.484 c) Kunst als kulturelle Selbstverständigung Mit dieser Erweiterung des Gegenstandsfeldes der Bildreflexion ist es auf den ersten Blick nur schwer zu vereinbaren, dass Wind zeitlebens einen geradezu »klassizistischen, auf einer ganzheitlichen Humanitätsidee basierenden Kunstbegriff« vertreten hat.485 Vermutlich ist Wind selbst dieser Widerspruch – im Vorfeld der medialen ›Bilderflut‹, die heute zahlreiche Forscher beschäftigt – überhaupt nicht als solcher bewusst gewesen. Sein Interesse galt vielmehr – hierin eins nicht nur mit Warburg, sondern auch mit den Protagonisten Allgemeinen Kunstwissenschaft – dem Ziel, die Kunst aus der traditionalistischen Fixierung auf die ›Schönheit‹ bzw. das ›Ästhetische‹ zu lösen und deutlich zu machen, dass die Grenzen zum Nichtkünstlerischen keinen »Bruch«, sondern einen »kontinuierlichen Übergang« bilden.486 Allerdings lassen sich in seinen Texten doch Hinweise finden, wie Wind das Verhältnis von künstlerischem und nichtkünstlerischem Bild näherhin bestimmt haben könnte. Eine zentrale Bedeutung kommt dabei seinem Hamburger Habilitationsvortrag Θείος Φόβος. Untersuchungen über die Platonische Kunstphilosophie
482 Vgl.
W. Busch: »Heroisierte Porträts?«, S. 36. z. B. B. Buschendorf: »Einige Motive im Denken Edgar Winds«, S. 406; ders.: »Zur Begründung der Kulturwissenschaft«, S. 238. 484 Vgl. P. Schneider: »Begriffliches Denken – verkörpertes Sehen. Edgar Wind (1900–1971)«. 485 B. Buschendorf: »Das Prinzip der inneren Grenzsetzung und seine methodologische Bedeutung für die Kulturwissenschaften«, S. 275. 486 E. Wind: »Warburgs Begriff der Kulturwissenschaft und seine Bedeutung für die Ästhetik«, S. 178 f. und S. 174; vgl. ebd., S. 176. 483 Vgl.
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zu.487 In diesem 1932, einige Monate vor Winds Emigration, in der Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft erschienenen Beitrag spricht er erstmals viele Themen an, auf die er wiederum noch 1960 in seinen unter dem Titel Kunst und Anarchie erschienenen Radiovorträgen zurückkommt.488 Gerade die heute so fremdartig wirkende These Platons von der Gefahr, die die Kunst im Staat darstelle, greift Wind auf. Zwar mögen die Vorschläge, die Platon zur Eindämmung dieser Gefahr macht, zeitgebunden sein. Ebenso zeitgebunden ist aber zugleich das Unverständnis, das in unseren Tagen Platons Warnung vor der Kunst entgegengebracht wird. Es verkennt nämlich jene von Platon erkannte Verwandtschaft von Kunst und Anarchie, die Wind später zum Titel eines seiner Bücher erhoben hat. Denn die Kunst enthält in der Tat – was die Verfechter einer Theorie der ›reinen Kunst‹ ignorieren – ein destruktives, irrationales Potenzial, insofern sie Bild ist: Bilder können Menschen beherrschen, indem sie ihre Phantasie besetzen, und so durchaus auch negativen Einfluss auf ihr Leben nehmen. Der Grundfehler des formalistischen Ansatzes ist es daher vor allem, nur gleichsam »die oberste Schicht eines Kunstwerkes sorgfältig abzuheben, ohne an den imaginativen Gehalt zu rühren«. Die Kunst wird hier, so könnte man, Wind interpretierend, sagen, nicht als Kunst, sondern als Bild – verstanden als Ereignis der reinen Sichtbarkeit – behandelt. Die von Platon in den Blick genommene und für die Kunst konstitutive Verbindung mit dem Leben und seinen moralischen Fragen wird dabei unterschlagen: Sie verliert damit ihre »unmittelbare Bedeutung für unser Dasein und wird zur schönen Überflüssigkeit«. Dagegen kann und soll man nach Wind bei Platon – so krude uns die von ihm vorgesehenen Zensurmaßnahmen auch erscheinen mögen – lernen, die Kunst »ernst zu nehmen«.489 Allerdings unterscheidet sich Winds Bestimmung der Kunst zugleich in einem zentralen Punkt von der Platons. Kunst ist zwar ebenfalls Winds Auffassung nach als Entäußerung der Phantasie Präsenz des Irrationalen, Mythischen in nicht mehr mythischer Zeit. Und Fiktion tendiert, dies ist für Wind eine bleibend aktuelle Einsicht Platons, stets dazu, für wahr genommen zu werden, mit ihren Bildern das Bewusstsein zu besetzen und so ihre zerstörerische, da irrationale, Wirkung zu entfalten.490 Kunst ist aber zugleich – wie dies nach Wind die Ikonologie zeigt – eine Weise, Gedanken zum Ausdruck zu bringen, d. h. eine Form von Rationalität. Und aus dieser leitet sich die moralische Funktion der Kunst ab, die Platon – und mit ihm der Formalismus – der Kunst abspricht bzw. nur sehr eingeschränkt
487 Vgl.
hierzu bes. C. Buschendorf: »Kunst als Kritik«, bes. S. 123–126; J.M. Krois: »Kunst und Wissenschaft in Edgar Winds Philosophie der Verkörperung«, S. 195–199. 488 Vgl. hierzu auch bes. Winds Oxforder Antrittsvorlesung 1957 »The Fallacy of Pure Art«. (E. Wind: »The Fallacy of Pure Art« [Ms.] [= Inaugural Lecture Oxford, 29. October 1957]. [Wind-Archiv [Oxford], V, 18 und V, 19]. Vgl. B. Buschendorf: »Das Prinzip der inneren Grenzsetzung und seine methodologische Bedeutung für die Kulturwissenschaften«, S. 310–314.) 489 E. Wind: Kunst und Anarchie, S. 30, S. 19 und S. 12. 490 Vgl. E. Wind: »Θείος Φόβος«, S. 57 f.
200
Kapitel II
zuerkennen mag.491 Platon berücksichtigt nämlich noch nicht die in der Moderne »grundlegende Tatsache«, daß die Kunst ein Spiel der Einbildungskraft ist, welche uns zu gleicher Zeit bindet und löst, uns gefangen nimmt im Dargestellten und es doch nur als ästhetischen Schein darstellt. Aus dieser doppelten Wurzel – Darstellung und Fiktion – zieht die Kunst ihre Macht, die Anschauung über das Gegebene hinaus zu erweitern, unsere Erfahrung zu vertiefen; aber um den Preis eines beständigen Schillerns und Wechsels zwischen Wirklichkeit und Bild. Im Bereich dieser Vieldeutigkeit und Spannung lebt die Kunst, und nur, solange sie ihr doppeltes Gesicht bewahrt, bleibt sie, was sie ist.492
Winds Gewährsmann ist hier Schiller. So erklärt er unter Berufung auf die Ästhetischen Briefe, in der Moderne sei der ästhetische Schein in der Kunst eben nicht mehr, wie noch für Platon, nur falscher Schein, sondern Mittel zur Distanzgewinnung, das Raum für Reflexion schafft.493 Nicht weniger problematisch als die Position der formalistischen Puristen ist aber Winds Auffassung nach die ebenso extreme Gegenreaktion auf diese »Überfeinerung«: die Theorie des Art Engagé, die die »Schwächen der Theorie der ›reinen Kunst‹ durch ihre einfache Umkehrung zu beheben sucht«.494 Die moralische Bedeutung besteht bei der Kunst nämlich nicht in der Propagierung bestimmter als ›moralisch‹ angesehener Inhalte. Auch hier, so könnte man sagen, wird die Kunst zu Bildern transformiert, die Zeichen für einen konkret benennbaren Inhalt sind, den sie quasi übersetzen. Allerdings steht dieser Inhalt, den die Ikonographie zu benennen hat, eben bloß bei Sekundärem in einer ›Eins-zu-eins-Beziehung‹ mit einem Text. Im Fall der Kunst ist diese Beziehung nur auf dem ›Umweg‹ der umfassenden Rekonstruktion der Denkbedingungen eines Werks zu erhellen.495 Kunst ist für Wind also nicht – wie Platon und die Formalisten dies in unterschiedlicher Weise, aber in der Konsequenz identisch, sehen – reine Präsenz des Irrationalen – seien dies verführerische, erschreckende oder physiologische ›Sichtweisen‹ reflektierende Bilder. Kunst ist für ihn aber zugleich auch nicht schlicht eine andere Form von Rationalität. Vielmehr erkennt Wind mit Warburg den Widerstreit zwischen Irrationalität und Besonnenheit, der nach Platon das Verhältnis von Kunst und Staat sowie zwischen Kunst und Individuum prägt, als einen Widerstreit innerhalb der Kunst selbst.
491 Die
Kunst hat nämlich für Wind – ebenso wie die Philosophie oder die historische Forschung – immer eine moralische und politische Bedeutung. Vgl. hierzu bes. C. Buschendorf: »Kunst als Kritik«; H. Bredekamp: »Falsche Skischwünge«; s. a. J.M. Krois: »Einleitung«, S. 28 f.; R. Ohrt: » … ein Umweg«, S. 395 f. und S. 405. 492 E. Wind: Kunst und Anarchie, S. 30 f. 493 Vgl. E. Wind: »Θείος Φόβος«, S. 65–68. 494 E. Wind: Kunst und Anarchie, S. 30. 495 Vgl. E. Wind: »Bild und Text«, S. 261.
Konzeptionen der Allgemeinen Kunstwissenschaft201
Ihre Bedeutung für das Leben besteht darin – so Wind mit Schiller –, den modernen »Antagonismus der Kräfte«, jenes »große Instrument der Kultur«, anschaulich präsent zu machen bzw. zu ›verkörpern‹.496 Genauer: Der von Warburg so genannte ›Denkraum der Besonnenheit‹, der bei Bildern erst durch den wissenschaftlichen Zugang geschaffen wird, ist in der Kunst immer schon als Imperativ an die Rezeption enthalten. Diesen Denkraum kann man nicht sehen, sondern er ist Sache des Bewusstseins, mit dem etwas gesehen wird. Kunst ist nicht nur, wie das Bild, eine Form des kulturellen Wissens, sondern eine Weise, sich über diese Wissensform zu verständigen.
Wind: »Θείος Φόβος«, S. 66. – Vgl. F. Schiller: »Über die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen«, S. 587 (6. Brief ). 496 E.
K a pit e l III Die Allgemeine Kunstwissenschaft als Institution
Vor allem Dessoir betrachtet die Ausarbeitung des Projekts ›Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft‹ nicht zuletzt als wissenschaftsorganisatorische Herausforderung.1 Hierzu gehört neben der Gründung einer Zeitschrift, eines Vereins und der Durchführung von Kongressen grundsätzlich auch die Errichtung von entsprechend denominierten Lehrstühlen. Ursprüngliches Ziel aller dieser institutionellen Plattformen ist es, die Fragen der Kunst aus dem Schattendasein zu befreien, das sie – so die Diagnose des Kreises um Dessoir – in der damaligen Kultur fristen. Dieses Ziel soll durch die ›Verwissenschaftlichung‹ der Kunstforschung, d. h. ihre antimetaphysische und antisubjektivistische, auf die ›Objektivität‹ der Kunst zielende Arbeitsweise, realisiert werden. Hierzu gehört nicht nur eine methodische Regulierung im Allgemeinen, sondern näherhin auch eine intensivere Zusammenarbeit aller kunstrelevanten Disziplinen.2 Zugleich ist man sich aber auch im Klaren darüber, dass zur Erreichung dieses Ziels die gesteigerte wissenschaftliche Qualität der Kunstforschung allein kaum hinreicht. Daher soll überdies ein allgemeines geistiges Klima gefördert werden, in dem diese Leistungen dann auch endlich »die Wertschätzung [erfahren können], die ihnen auf Grund der geleisteten Arbeit gebührt«, so dass »auch den ernstesten und gediegensten Versuchen« auf diesem Feld nicht länger bloß »mitleidiger Spott oder gar offener Hohn« entgegenschlägt.3 Das heißt, die Allgemeine Kunstwissenschaft ist ihrem Anspruch nach nicht bloß eine akademische, sondern eine durchaus auch auf kulturelle Breitenwirkung hin angelegte Initiative. So ist es vor allem Dessoirs erklärte Überzeugung, dass der Wissenschaftler – neben der Pflege von Beziehungen zur wissenschaftlichen Welt im In- und Ausland auf Vortragsreisen – die Pflicht hat, auch nicht akademisch gebildete Interessierte durch Vorträge, Artikel oder Rundfunkreden mit den aktuellen Fragen und Erträgen der Forschung bekannt zu machen.4 Charakteristisch für den neuen Geist, mit dem hier Fragen der Kunst thematisiert werden, ist dabei der oft unkonventionelle und multiperspektivische Blickwinkel auf die Kunst, wie er sich nicht nur im intendierten interdisziplinären Ansatz allgemein, sondern näherhin auch bereits in den zahlreichen Mehrfachqualifikationen der Protagonisten der Allgemeinen Kunstwissenschaft spiegelt. Hierzu gehören etwa Dessoir und Utitz, deren Qualifikation die Philosophie und 1
Zu den wissenschaftsorganisatorischen Bestrebungen im Kontext der Allgemeinen Kunstwissenschaft allgemein vgl. bes. W. Henckmann: »Probleme der allgemeinen Kunstwissenschaft«, S. 323–328; s. a. H. Dilly: »Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft«. 2 Vgl. bes. Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft. 8 (1918), S. 95. 3 E. Utitz: »Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft«. In: Jahrbücher der Philosophie, S. 363. 4 Vgl. M. Dessoir: Buch der Erinnerung, bes. S. 40 f. und S. 61–63.
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Kapitel III
die Psychologie gleichermaßen umfasst, aber auch – um nur wenige weitere Beispiele zu nennen – Wissenschaftler wie der Psychiater und Kunsthistoriker Hans Prinzhorn oder der Soziologe, Ethnologe, Sozialpsychologe sowie der Sozial- und Geschichtsphilosoph Alfred Vierkandt.5 Und charakteristisch ist des Weiteren das geringe durchschnittliche Alter der Forscher, die sich hier engagieren – und die sich teilweise, wie z. B. Panofsky oder Wind, erst später, nachdem sie diese frühe Phase hinter sich gelassen haben, einen Namen machen: Weder Zeitschrift noch Kongresse oder Verein sind Altordinarienversammlungen. Vielmehr handelt es sich bei der Allgemeinen Kunstwissenschaft – von dem »geschäftige[n] Organisator« 6 und umtriebigen Kommunikator Dessoir durchaus explizit so intendiert – um einen kunstwissenschaftlichen Reform- bzw. Grundlegungsversuch, der von einer jüngeren Wissenschaftlergeneration ausgeht und neben den seinerzeit prominenten Wissenschaftlern wie etwa Theodor Lipps oder Johannes Volkelt bewusst auch dem akademischen Nachwuchs eine Plattform bietet. Zwar ist der Beginn der Initiative ›Allgemeine Kunstwissenschaft‹ recht klar anzugeben: Mit der Publikation der ersten Auflage von Dessoirs Monographie zum Thema und seiner Gründung der Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft fällt er in das Jahr 1906.7 Die Identifikation ihres Endes ist dagegen erheblich problematischer, wenngleich man mit guten Gründen behaupten kann, dass sie in der heutigen Kunstdiskussion vergessen oder allenfalls noch dem Namen nach bekannt ist. Allerdings gibt es verschiedene Indizien dafür, dass eine Identifikation des Endes der Allgemeinen Kunstwissenschaft auch insofern problematisch ist, als es dieses letztlich nie gegeben hat. Man kann nämlich mit ebenso guten Gründen behaupten, dass die Ideen der Allgemeinen Kunstwissenschaft auch in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg – wie Henckmann als der derzeit beste Kenner dieses Forums etwas enigmatisch schreibt – »incognito« 8 bzw. in modifizierter Form fortwirken. Dieses Nachleben zeigt sich insbesondere zum einen hinsichtlich der von Dessoir und seinem Kreis entwickelten institutionellen Plattformen der Kunstforschung im Allgemeinen, zum anderen hinsichtlich der Rezeption der Allgemeinen Kunstwissenschaft in der US-amerikanischen Kunstforschung, wo dieser Bezug nach dem Zweiten Weltkrieg bis in die Zeit um 1970 auch noch explizit hergestellt wird.
5
Vgl. bes. H. Prinzhorn: »Der künstlerische Gestaltungsvorgang in psychiatrischer Beleuchtung«; s. a. ders.: »Gottfried Sempers ästhetische Grundanschauungen«; A. Vierkandt: »Prinzipienfragen der ethnologischen Kunstforschung«. 6 V. Gerhardt / R. Mehring / J. Rindert: Berliner Geist, S. 241. 7 S. a. T. Munro: »Aesthetic as Science«, S. 164. 8 W. Henckmann: »Probleme der allgemeinen Kunstwissenschaft«, S. 334.
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1. Die Zeitschrift 1906 schreibt Dessoir nicht nur »ein dickes Buch« über Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft, sondern gründet auch, »vom Verlag Ferdinand Enke tatkräftig unterstützt«, die dort vierteljährlich in Stuttgart erscheinende Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft.9 In die Zeitschrift sind auch die Berichte über die in Deutschland angehaltenen Kongresse, teils als eigener Band bzw. als Beilageheft, integriert; lediglich der Bericht über den ersten Kongress erscheint als separate Publikation des Ortsausschusses, allerdings – wie auch Dessoirs Monographie zum Thema und weitere einschlägige Beiträge – ebenfalls im Enke Verlag.10 Als Arbeitsfeld dieser Zeitschrift weist Dessoir, bis 1934 alleiniger Herausgeber, näherin aus: Studien zur Geschichte der Ästhetik, experimentelle Untersuchungen über die elementaren Verhältnisse, Forschungen über die Kunst der Naturvölker und der Kinder, über das Schaffen des Künstlers und die allgemeinen Fragen der Poetik, der Musikästhetik und der Theorie der bildenden Künste, endlich auch inhaltsreiche Erörterungen der Stellung, die die Kunst im geistigen und gesellschaftlichen Leben einnimmt.11
Alle diese Sachgebiete – einschließlich der Analysen neuer Medien wie Film, Photographie oder Hörspiel – sind in der Zeitschrift in der Tat erörtert worden, »wenngleich sich natürlich im Laufe der Jahre gewisse Akzentverschiebungen ergaben, teils bedingt durch die Entwicklung in den Wissenschaften, teils durch die politischen Verhältnisse«.12 Markant sind hier etwa der konjunkturelle Akzent auf der Einfühlungsästhetik zu Beginn der 1910er Jahre oder der Rückgang der Beiträge zur psychologischen Ästhetik ab Mitte der 1920er Jahre. Den grundlegendsten Eingriff in den Charakter der Zeitschrift bildet aber zweifellos die ab 1933 durchschlagende Verdrängung der jüdischen Wissenschaftler, die das Profil der Zeitschrift, wie der Initiative überhaupt, von Anfang an geprägt hatten, aus dem kulturellen Leben in Deutschland. Aber bereits spätestens nach dem – im Band von 1931 dokumentierten – Hamburger Kongress von 1930 setzt eine »inhaltliche Verarmung der Zeitschrift«13 ein, die nur teilweise mit den Maßnahmen der Nationalsozialisten erklärbar ist. Selbst Dessoir und Utitz haben zu diesem Zeitpunkt ihr Engagement für dieses Projekt bereits deutlich eingeschränkt: Ihre wirklich programmatiDessoir: Buch der Erinnerung, S. 39. Bericht über den ersten Kongress von 1913 vgl. Kongress für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft; zum zweiten Kongress von 1924 vgl. Zweiter Kongress für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft; zum dritten Kongress von 1927 vgl. Dritter Kongress für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft; zum vierten Kongress von 1939 vgl. Vierter Kongress für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft. 11 M. Dessoir: Buch der Erinnerung, S. 39. 12 W. Henckmann: »Probleme der allgemeinen Kunstwissenschaft«, S. 324. 13 Ebd. 9 M.
10 Zum
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schen – vornehmlich in der Zeitschrift bzw. den Kongressakten publizierten – Beiträge zum Thema liegen alle vor 1930. Vor allem die ersten beiden Jahrzehnte nach der Gründung des Organs, also die Jahre um den Ersten Weltkrieg bis zur Mitte der 1920er Jahre, sind demgegenüber geprägt durch vielfältige Aktivitäten, und die Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft etabliert sich unverzüglich als das erste – und für fast zwei Jahrzehnte auch einzige – interdisziplinäre wissenschaftliche »Diskussionsforum für alle im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts maßgeblichen Positionen der Ästhetik und der verschiedenen Kunstdisziplinen«.14 So hält etwa Richard Hamann 1911 in seiner Ästhetik fest, für die Diskussion »alle[r] Fragen der Methoden, oder schwierige[r], mehr logische[r] als ästhetische[r] Fragen« sei »heute in Dessoirs ›Zeitschrift für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft‹ […] das geeignete Organ gegeben«.15 Erst 1923 kommt die von dem Germanisten und Literaturhistoriker Paul Kluckhohn sowie dem Philosophen und Soziologen Erich Rothacker gegründete Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte als zweites, etwas prätentiöseres, interdisziplinäres Forum hinzu. Indem in Dessoirs Zeitschrift auch neue Gegenstände und Arbeitsgebiete thematisiert werden, trägt sie nicht allein zur Fortentwicklung bereits etablierter Disziplinen wie Philosophischer Ästhetik und Kunstphilosophie, Klassischen Altertumswissenschaften, Germanistik und Romanistik, Musikwissenschaft und Kunstgeschichte bei, sondern auch zur Förderung auf keimender neuer Disziplinen wie Film-, Medien- und Theaterwissenschaft, Kunstethnologie, -psychologie, -soziologie und -anthropologie. Da dieses jeweils aus (circa zwischen 10 und 15) ausführlichen ›Abhandlungen‹, (circa zwischen 5 und 10) kurzen ›Bemerkungen‹16 und zahlreichen (circa zwischen 40 und 50) ›Besprechungen‹ samt Bibliographie zusammengesetzte Periodikum wohl offen für unendlich viele Themen war, darüber hinaus jedoch keine klare akademische oder gar universitäre Strategie verfolgt hat, ist der konkrete Einfluss auf diese Disziplinen allerdings kaum nachweisbar. Eine wichtige Funktion der Zeitschrift dürfte aber vor allem die einer Plattform für die Diskussion von theoretischen Problemen dieser Disziplinen gewesen sein, die hier vornehmlich von jungen Kollegen vorgetragen wurden. Sicher sind viele der in der Zeitschrift erschienenen Beiträge zeitgebunden und heute nur noch aus einem historischen oder spezifischen thematischen Interesse von Belang. Auch das wissenschaftliche Niveau der Beiträge variiert, ohne aber je den klar erkennbaren Anspruch auf Wissenschaftlichkeit zu verleugnen. So rühmt Dessoir durchaus zu Recht in seiner Autobiographie, dass »der hohe Rang« der Zeitschrift »durchweg anerkannt« worden sei – »im Ausland ebenso uneingeschränkt wie bei uns«.17 Ihre – an akademischen Maßstäben gemessen – bemerkenswerte 14 Ebd.
Hamann: Ästhetik, 1. Aufl., S. III / 2. Aufl., S. 3 f. Diese gehören ab dem dritten, 1908 erschienen, Band zum formalen Gerüst der Zeitschrift. 17 M. Dessoir: Buch der Erinnerung, S. 39. 15 R. 16
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Breitenwirkung ist dabei durchaus Programm. Denn »[d]ie geistige Durchdringung des Kunstseins ist«, wie man ausdrücklich erklärt, »keine bloß fachwissenschaftliche Angelegenheit, sondern eine Aufgabe, die für Volk und Menschheit viel bedeutet«.18 Dabei verdankt sich das Niveau und die Innovationskraft dieses Organs nicht nur Dessoirs ständiger »Berührung mit den Fachleuten« verschiedenster Art, sondern gerade eben auch seinem erklärten Bestreben, »junge Begabungen zu entdecken«.19 In der Tat hat Dessoir in der Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft vielen jungen Wissenschaftlern zu ersten Veröffentlichungen nach der Dissertation verholfen bzw. sie, wie er selbst es formuliert, hier zu ihrem »ersten Waffengang« antreten lassen.20 Auf das halbjährlich erscheinende Schriftenverzeichnis21, »dessen praktische Bedeutung« nach Dessoirs Überzeugung »ebenso sehr auf der sachgemäßen Ausgliederung wie auf der Vollständigkeit beruht«, verwendet er besondere Sorgfalt 22 . In der Tat spiegelt sich in diesem Verzeichnis nicht nur der Wissensstand in den Bereichen Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft, sondern auch »die programmatische Konzeption« der Inititative, insofern die Titel in die beiden Hauptkategorien ›Ästhetik‹ und ›Allgemeine Kunstwissenschaft‹ unterteilt werden.23 Dabei werden diese Hauptkategorien jeweils – über die Jahre hinweg ohne wesentliche Veränderungen, aber infolge der ständig wachsenden Zahl von Publikation zunehmend feiner – weiter unterteilt: die Titel zur ›Ästhetik‹ in ›Geschichte [der Ästhetik] und Allgemeines‹, ›Prinzipien und Kategorien‹ bzw. ›Prinzipien und Systeme‹, ›Der ästhetische Gegenstand‹, ›Kunst und Natur‹, ›Das ästhetische Erlebnis‹ bzw. ›Ästhetischer Eindruck‹; die Titel zur ›Allgemeinen Kunstwissenschaft‹ in ›Das künstlerische Schaffen‹ (mit den Unterpunkten ›Prinzipien des Schaffens‹ und ›Künstlerpersönlichkeiten‹), ›Entstehung und Gliederung der Kunst‹ (mit den Unterpunkten ›Anfänge der Kunst‹ und ›Kunst und Künste‹), ›Zeitkünste‹ (mit den Unterpunkten ›Tonkunst‹, ›Bühnenkunst‹, ›Rundfunk‹, ›Film‹ und ›Tanz‹), ›Wortkunst‹ (mit den Unterpunkten ›Theorie‹ und ›Geschichte‹), ›Raumkunst‹ (mit den Unterpunkten ›Allgemeines‹, ›Baukunst‹ und ›Werkkunst‹ [d. h. Kunstgewerbe]), ›Bildkunst‹ (mit den Unterpunkten ›Plastik‹, ›Malerei‹ und ›Graphik‹), ›Die geistige und soziale Funktion der Kunst‹ (mit den Unterpunkten ›Geistiger Gehalt‹, ›Auswirkung‹, ›Kunsterziehung‹) sowie ›Neue Zeitschriften und Sammelwerke‹ (mit den Unterpunkten ›Zeitschriften‹ und ›Sammelwerke‹). 18 »Gesellschaft
für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft E.V.«, S. 205–207. M. Dessoir: Buch der Erinnerung, S. 40. 20 S. o. S. 29. 21 Nur einmal während der Herausgeberschaft Dessoirs, im Jahr 1924, fehlt das Schriftenverzeichnis, weil es »wegen der Schwierigkeiten in der Beschaffung der ausländischen Literatur erst im nächsten Band erscheinen« kann. (Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft. 17 [1924], S. 432.) 22 M. Dessoir: Buch der Erinnerung, S. 39 f. 23 W. Henckmann: »Probleme der allgemeinen Kunstwissenschaft«, S. 324. 19
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Henckmann hat errechnet, dass das Schriftenverzeichnis in den Jahren von Dessoirs Herausgeberschaft, also zwischen 1906 und 1937, »einen Umfang von nicht weniger als 800 Seiten« erreicht. Zwar kann sein Nachfolger Müller-Freienfels, der die Redaktion bis 1943 weiterführt, »die Bibliographie aufgrund der zunehmenden wissenschaftlichen Isolation Deutschlands und der Kriegsereignisse nicht mehr lange aufrechterhalten«: 1940 erscheint der letzte Teil des Verzeichnisses mit Literatur aus dem Berichtsjahr 1938. Insgesamt erreicht dieses Verzeichnis aber einen Umfang von »beinahe 1000 Seiten«.24 Damit wird hier, wie Henckmann 1985 festgestellt hat, »bis heute die umfangreichste internationale Fachbibliographie der Ästhetik« 25 und, wie im Sinne der Initiative zu ergänzen wäre, auch der Kunstwissenschaften zusammengetragen – eine Diagnose, die erst im Zuge der Bereitstellung elektronischer Datenbanken ihre Gültigkeit verloren hat, wobei die in der Zeitschrift vorgenommene Gruppierung nach Sachgebieten hier nur teilweise durch Stichwortsuchen u.Ä. kompensiert wird. Selbst während des Ersten Weltkriegs erscheint die Zeitschrift – mit Ausnahme des Jahres 1918 – unter größten Schwierigkeiten 26 kontinuierlich. Nach der ›Machtergreifung‹ der Nationalsozialisten gerät das Organ dann allerdings zunehmend in Bedrängnis, und Dessoir wird 1937 gezwungen, die Herausgeberschaft niederzulegen: Dessoir, der nach dem Sommersemester 1934 emeritiert worden war, hatte bei einer im Dezember 1935 durchgeführten nochmaligen Überprüfung im Sinne der Nürnberger ›Rassegesetze‹, die neben den nichtbeamteten Hochschuldozenten auch die Emeriti betraf, die Frage nach seiner Abstammung nur unvollständig beantwortet, aber eingeräumt, mindestens ein Großelternteil sei jüdisch gewesen.27 Zwar wird der darauf hin vorgenommene Entzug von Dessoirs Venia Anfang 1936 unverzüglich wieder zurückgenommen, weil er mütterlicherseits zwei ›arische‹ Großeltern nachweisen kann und insofern von den Durchführungsverordnungen zum Reichsbürgergesetz nicht betroffen ist. Wirklich entspannt hat dieses Zugeständnis die Situation allerdings nicht: Zum einen bleibt Dessoir auch weiterhin wegen des fehlenden Nachweises einer »rein arischen Abstammung« im Visier der Nationalsozialisten und wird in »sämtlichen populären judengegnerischen Lexika geführt« 28; sein überlebensgroßes Bildnis soll 1938 in der Berliner Propaganda-Ausstellung Der ewige Jude zu sehen gewesen sein 29. Zum anderen erscheint aber bereits seine persönliche wie wissenschaftliche Überzeugung aus nationalsozialistischer Perspektive als dubios: Im August 1936 wird Dessoirs Hal24
Ebd., S. 324 f. Ebd., S. 325. 26 Vgl. M. Dessoir: Buch der Erinnerung, S. 39. 27 Vgl. C. Tilitzki: Die deutsche Universitätsphilosophie in der Weimarer Republik und im Dritten Reich, Bd. 1, S. 609 f. – Zur Situation des Emeritus Dessoir im NS-Regime allgemein vgl. ebd., S. 609–612. 28 Ebd., Bd. 1, S. 611 f. 29 Vgl. M. Dessoir: Buch der Erinnerung, S. 72; s. a. C. Tilitzki: Die deutsche Universitätsphilosophie in der Weimarer Republik und im Dritten Reich, Bd. 1, S. 612. 25
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tung zum Nationalsozialismus vom Gaupersonalamt als »sehr reserviert« 30 bezeichnet. Sein ehemaliger Schüler und Protegé, der zwischenzeitig zu einem führenden Nationalsozialisten aufgestiegene Alfred Baeumler 31, diagnostiziert im April 1938 in einer Stellungnahme zu einer Schrift Dessoirs, der Verfasser zeige hier in »politischer Hinsicht« seine »jüdische Unverschämtheit« – u. a. aufgrund der darin enthaltenen Bemerkung, die einen wüssten »ihre Heimat im Volk, die anderen im Reich des Geistes«. Und auch Joseph Goebbels persönlich notiert: »Lt. Auskunft des Chefs d[er] Sicherh[eits] Pol[izei] u[nd] d[es] S[icherheits]D[ienstes] stand D[essoir] früher den interlektuellen [sic] Kreisen des Marxismus nahe. Er war Mitglied des Rathenau-Bundes und ist als typischer Vertreter des Judentums in der Wissenschaft anzusehen.« 32 Ende 1938 erscheint Dessoir der Philosophischen Fakultät der Berliner Universität, der er mehr als vier Jahrzehnte lang angehört hatte, nicht allein wegen seiner jüdischen Wurzeln, sondern auch wegen seiner »internationalen Kontakte«, die auch die Allgemeine Kunstwissenschaft maßgeblich charakterisiert hatten, als politisch nicht länger tragbar, und sein Name wird aus dem Personalverzeichnis getilgt, d. h., ihm werden alle seine Rechte als Emeritus entzogen.33 Die von Dessoir über Jahrzehnte intensiv betriebenen internationalen Vortragsreisen waren von dem für die Genehmigung solcher Reisen zuständigen Auswärtigen Amt bereits seit 1933 – wenngleich dank »genug wohlgesinnte[r] Beamte[r]« zunächst nur moderat – eingeschränkt worden; schließlich werden sie ganz unterbunden.34 Überhaupt wird das bis dahin für einen Universitätsgelehrten kaum vorstellbare Engagement in öffentlichen Kulturbelangen als »Volkserzieher«35 in der Erwachsenenbildung, in den Jurys von Wettbewerben, als Kulturbeirat der Reichs-Rundfunkgesellschaft und Rundfunkredner, als Vorstandsmitglied der Berliner Volkshochschule oder als Mitglied der Film-Begutachtungsstelle, das Dessoir vor allem in den 1920er Jahren entfalten konnte, vollständig untersagt. Unter diesen Bedingungen schreitet auch die inhaltliche Rezession der Zeitschrift rapide voran, und als Dessoir schließlich 1937 die Redaktion niederlegen muss, hätte sie bereits ohne großen Verlust »den Tod in Schönheit sterben können«, wie er selbst im Rückblick lakonisch notiert. Nur: »der Verleger konnte sich nicht dazu entschließen«.36 Und so führt Richard Müller-Freienfels, der der Allgemeinen Kunstwissenschaft bereits seit der Zeit des ersten Kongresses verbunden gewesen war, die Redaktion weiter, bis das Organ schließlich 1943 durch die Nationalsozi-
30 Zit.
nach ebd., Bd. 1, S. 610. S. u. S. 218. 32 Zit. nach C. Tilitzki: Die deutsche Universitätsphilosophie in der Weimarer Republik und im Dritten Reich, Bd. 1, S. 611 f. 33 Ebd., Bd. 1, S. 610. 34 M. Dessoir: Buch der Erinnerung, S. 96. 35 C. Herrmann: Max Dessoir, S. 19. 36 M. Dessoir: Buch der Erinnerung, S. 40. 31
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alisten eingestellt wird: Es gab »kein Papier mehr für sie, weil die Erörterung des Schönen und der Kunst zum ›Endsieg‹ nichts beitragen konnte«.37 Arthur Liebert, der seit 1919 an der Handelshochschule Berlin PhilosophieVorlesungen gehalten und zudem seit 1925 an der Friedrich-Wilhelms-Universität als außerordentlicher Professor gelehrt hatte, spricht in einem Brief an Utitz vom 8. Oktober 1937 – unter dem Eindruck seiner eigenen Zwangsemeritierung als Jude und seiner Exilierung nach Belgrad 1933 – spöttisch von der »Oberschwester Müller-Freienfels«, die die Redaktion der Zeitschrift übernommen habe und schließt ebenso sarkastisch wie prophetisch: »Nun, dann wird auch diese Zeitschrift zu Grunde gehen.« 38 Utitz – der als Jude ebenfalls nach dem Sommersemester 1933 durch die Nationalsozialisten von seinem Lehrstuhl in Halle ›beurlaubt‹ worden war, angesichts der bedrohlichen Situation seine Mitarbeit an der Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft niedergelegt hatte und in seine Heimatstadt Prag zurückgekehrt war – antwortet ihm am 14. Oktober 1937 – abweichend von Dessoirs eigenem Verweis auf den Verleger als Grund für die Erhaltung des Blattes – kaum weniger spitz: »Dessoir hat einen grossen Fehler gemacht, die Zeitschrift unter allen Umständen zu halten. So wird sie immer mehr zur Missgeburt.« 39 Dennoch kann Müller-Freienfels später in seinem Nachruf, wie der Historiker Christian Tilitzki notiert, trotz verschiedener ambivalenter Äußerungen, letztlich durchaus »zu Recht als ›wirklicher Demokrat und Friedensfreund‹« gewürdigt werden.40 Die von ihm unter schwierigsten politischen und wirtschaftlichen Bedingungen weitergeführte Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft wird dann schließlich 1942/43 »durch einen Machtspruch des ›Ministeriums für Volksauf klärung und Propaganda‹ aus dem Leben geschafft«41 – eigentlich »zehn Jahre zu spät«, wie Henckmann mit Blick auf die ›inhaltliche Verarmung‹ der Zeitschrift anmerkt42 . In der Tat fehlen programmatische und innovative Beiträge, wie sie die Bände vor allem der ersten beiden Jahrzehnte charakterisiert hatten, nun vollständig. Jedenfalls hat Müller-Freienfels die Zeitschrift bis zuletzt davor bewahrt, zu einem Propagandablatt zu verkommen.43 der Rückblick auf das fünfundzwanzigjährige Bestehen der wiedergegründeten Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft 1980; zit. nach L. Dittmann: »Heinrich Lützeler und die ›Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft‹«, S. 20. 38 In: R. Mehring: Philosophie im Exil, S. 131. 39 In: Ebd., S. 132 f. 40 C. Tilitzki: Die deutsche Universitätsphilosophie in der Weimarer Republik und im Dritten Reich, Bd. 1, S. 434. (Tilitzki zitiert hier aus dem Nachruf auf Müller-Freienfels von Ernst Heymann aus dem Jahr 1950.) – Von der Handelshochschule Berlin, wo auch Müller-Freienfels seit 1932 einen Lehrauftrag für Philosophie und Pädagogik wahrgenommen hatte, war dieser seinerseits bereits 1938 wegen »jüdischer Versippung« entlassen worden. (Vgl. ebd.) 41 M. Dessoir: Buch der Erinnerung, S. 40. 42 W. Henckmann: »Probleme der allgemeinen Kunstwissenschaft«, S. 324. – S.o. S. 205. 43 Müller-Freienfels selbst, der 1933 in die NSDAP eingetreten war, stellt diese Zusammenhänge gegenüber seinem amerikanischen Kollegen Munro 1947 folgendermaßen dar: »Professor DESSOIR, the editor of the Review, was dismissed in 1934 for racial reasons by the Nazis. In 37 So
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2. Der Verein a) Die Vereinigung für ästhetische Forschung (1908–1914) Dessoir war seit 1897 als außerordentlicher, seit 1920 dann als ordentlicher Professor für Philosophie an der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität tätig.44 An dieser Universität liegen auch die Wurzeln der 1908 von Dessoir zusammen mit mehreren Berliner Kollegen gegründeten Vereinigung für ästhetische Forschung.45 Da aussagekräftige Quellen im engeren Sinne zu dieser Organisation, etwa in Form eines Vereinsarchivs, nach derzeitigem Kenntnisstand nicht überliefert sind46 , bilden die entscheidende Referenz zu ihrer Rekonstruktion die Jahresberichte der Vereinigung, die ab 1909 bis zur vorübergehenden Auflösung im Zuge des Ersten Weltkrieges in der Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft erscheinen47. Hinzu kommen der Bericht über die Vorgeschichte des ersten Kongresses für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft 48 und eine Ansprache Dessoirs zum 25jährigen Bestehen der Gesellschaft für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft, unter deren Namen die Vereinigung später fortgeführt wird, im November 193349 – beide ebenfalls in der Zeitschrift publiziert.
1937, I became, following his urgent wish, his successor in editing the Review, but I also was dismissed by the Nazis in 1938 from my academic position, on account of my active resistance and criticism of their race-theory and because I had published my work on ›The Evolution of Modern Psychology‹ in the Yale University Press without permission of Mr. Göbbels. However, I could remain editor of the Zeitschrift, probably because Mr. Göbbels did not know anything about it. But soon, I came under the control of the Gestapo, which honored me three times by their visit to my house; but they did not find anything in my library, though there were many things to ›find‹. In 1942, the Zeitschrift was forbidden by the Propaganda-Ministry. The reason was not said; probably we had quoted some Jews with respect! I am now rehabilitated as a professor of the University of Berlin. But it is impossible to continue the review because of the lack of paper.« ([T. Munro:] »International News and Correspondence«. 5/4 [1947], S. 333.) 44 B. Zwikirsch: »Der Nachlaß ›Max Dessoir‹ im Preußischen Geheimen Staatsarchiv in Berlin-Dahlem«, S. 305 f. 45 Eine ausführliche Darstellung dieser Institution findet sich bei T. Bernhart: »Dialog und Konkurrenz«. 46 Vgl. ebd., S. 255. 47 Vgl. »Vereinigung für ästhetische Forschung«. In: Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft. 4 (1909); »Vereinigung für ästhetische Forschung«. In: Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft. 5 (1910); »Vereinigung für ästhetische Forschung (1910)«. In: Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft. 6 (1911); »Vereinigung für ästhetische Forschung (1911)«. In: Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft. 7 (1912); »Vereinigung für ästhetische Forschung (1912)«. In: Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft. 8 (1913); »Vereinigung für ästhetische Forschung«. In: Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft. 10 (1915). 48 Vgl. »Vorgeschichte« [des ersten Kongresses für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft], S. 1 f. 49 Vgl. »Gesellschaft für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft E.V.«, S. 205–207.
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In der Ansprache Dessoirs ist zu den Umständen der Gründung Folgendes zu erfahren: »Seit Beginn des Jahres 1908 fanden in Berlin Zusammenkünfte von Ästhetikern statt und zwar in den von Prof. Wölfflin verwalteten Räumen des kunsthistorischen Apparates der Universität. Die Professoren Wulff, Waetzoldt, Vierkandt, Hamann waren die ersten Vortragenden.« 50 Die unmittelbare Vorgeschichte der Vereinsgründung bildet also eine von dem Kunsthistoriker und Berliner Kollegen Dessoirs Heinrich Wölfflin ins Leben gerufene interdisziplinäre Vortragsreihe zu diversen Fragen der Kunst. Im Geist der von Wölfflin bereits 1899 geäußerten Überzeugung, dass es »[d]as Natürliche wäre, dass jede kunstgeschichtliche Monographie zugleich ein Stück Ästhetik enthielte« 51, die ihn, mit Michael Podro gesprochen, als einen der ›Critical Historians of Art‹ an der Wende zum 20. Jahrhundert qualifiziert 52 , fand hier eine philosophisch informierte interdisziplinäre Kunstforschung statt: Der Kunsthistoriker Oskar Wulff sprach in diesem Rahmen über »›Die Aufgaben einer auf psychologischen Gesichtspunkten begründeten allgemeinen Kunstwissenschaft, mit besonderer Rücksicht auf die bildende Kunst‹«, der Ethnologe und Sozialpsychologe Alfred Vierkandt erörterte »in einem Vortrage über Felszeichnungen die Anfänge des Zeichnens an der Hand von Kritzeleien südamerikanischer Indianer«, der Kunsthistoriker Richard Hamann präsentierte »einen von Lichtbildern begleiteten Vortrag« über »›Das Plastische im Gewand‹«, Wilhelm Waetzoldt, ebenfalls Kunsthistoriker, sprach über »Farbenempfindung und Farbenbezeichnung«; hinzu kam ein Vortrag des Literaturwissenschaftlers Émile Haguenin über »die literarische Kritik in Frankreich«.53 Alle Referenten waren zu diesem Zeitpunkt in unterschiedlichen Funktionen und Disziplinen an der Berliner Universität tätig. Im Anschluss an diese Vorträge wurde dann der Wunsch rege, »den bis dahin nur kleinen und locker gefügten Kreis« durch die Gründung eines Vereins – der Vereinigung für ästhetische Forschung – »zu erweitern und zu befestigen. Dies geschah […] am 10. November 1908.« 54 Die Zusammenstellung der dieser Gründung vorausgegangenen Vortragsthemen ist insofern einschlägig für Charakter und Aktivitäten der Vereinigung, als bereits sie deutlich macht, dass es sich hier um eine in Berlin zentrierte Initiative handelt, deren Kennzeichen von Anfang an eine interdisziplinäre Ausrichtung und ein dezidiert über die traditionellen Grenzen europäischer Hochkunst hinausgehender Kunstbegriff ist. Als Zweck der Vereinigung gibt dementsprechend auch die Satzung an: Durch Vorträge und mündlichen Gedankenaustausch zwischen Vertretern philosophischer, historischer, ethnologischer und naturwissenschaftlicher Kunstforschung sowie 50
Ebd., S. 205. H. Wölfflin: Die klassische Kunst, S. VIII. 52 Vgl. M. Podro: The Critical Historians of Art, bes. S. 98–116. 53 »Vereinigung für ästhetische Forschung«. In: Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft. 4 (1909), S. 268 f. 54 »Gesellschaft für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft E.V.«, S. 205. 51
Die Allgemeine Kunstwissenschaft als Institution213 theoretisch interessierten Künstlern die Anschauungen über Wesen und Aufgaben der Kunst und der einzelnen Künste zu vereinheitlichen und zu vertiefen.55
Der Vorstand besteht im Jahr der Gründung »aus den folgenden Herren: dem Prof. Dr. Max Dessoir, dem Schriftsteller Julius Hart, dem Prof. Dr. Max Herrmann, dem Musikschriftsteller Dr. Leopold Schmidt, dem Privatdozenten Dr. Alfred Vierkandt, dem Professor Dr. Heinrich Wölfflin und dem Privatdozenten Dr. Oskar Wulff.« 56 1910 tritt im Vorstand der im Deutschen Werkbund engagierte Architekt, Maler, Designer und Typograf Peter Behrens an die Stelle von Hart; hinzu kommt noch der Psychiater und Neurologe Theodor Ziehen. Wölfflin hat sich inzwischen zurückgezogen.57 Für das Jahr 1912 erfährt man dann, dass auf die Stelle von Ziehen, der »wegen Verlegung seines Wohnsitzes nach auswärts« aus dem Vorstand zurückgetreten war, der Psychologe Gustav von Allesch gewählt wird.58 Über die Namen der weiteren Mitglieder der Vereinigung – sofern sie nicht im Rahmen der Vereinssitzungen als Referenten bzw. Diskutanten aufgetreten und somit in den Berichten benannt werden – und ihre Zahl ist nichts bekannt; nur für das Jahr 1910 wird eine Größe von 55 Mitgliedern angegeben.59 Die im Rahmen der Vereinigung präsentierten und diskutierten Vorträge werden in der Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft ausführlich referiert, in der Regel einschließlich der daran anschließenden Diskussionen, teilweise werden die Beiträge auch vollständig abgedruckt.60 Von diesen Vorträgen sei hier nur »eine Diskussion über den ›Begriff des Motivs in der Dichtung, Musik und bildenden Kunst‹« im Jahr 1911 erwähnt, die auf der Grundlage von Vorträgen von Max Herrmann, auf den auch die Initiative zu diesem Themenschwerpunkt zurückgeht, Schmidt und Wulff unter Beteiligung zahlreicher weiterer Mitglieder geführt wurde.61 Denn diese »große Aussprache« bildete nach Auskunft Dessoirs »das Vorspiel des ersten Ästhetiker-Kongresses, der im Oktober 1913 zu Berlin abgehalten wurde«.62 Und so stellt Dessoir im Rahmen einer Vereinssitzung 1912 den 55 »Vereinigung für ästhetische Forschung«. In: Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft. 4 (1909), S. 269; vgl. »Gesellschaft für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft E.V.«, S. 205. 56 »Vereinigung für ästhetische Forschung«. In: Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft. 4 (1909), S. 269. 57 Vgl. »Vereinigung für ästhetische Forschung«. In: Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft. 5 (1910), S. 275. 58 »Vereinigung für ästhetische Forschung (1912)«. In: Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft. 8 (1913), S. 606. 59 Vgl. »Vereinigung für ästhetische Forschung (1910)«. In: Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft. 6 (1911), S. 467. – Toni Bernhart hat anhand der Jahresberichte eine Aufstellung der 29 namentlich bekannten Mitglieder der Vereinigung vorgelegt. Vgl. T. Bernhart: »Dialog und Konkurrenz«, S. 257 f. 60 S. o. S. 211, Anm. 47. 61 »Vereinigung für ästhetische Forschung (1911)«. In: Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft. 7 (1912), S. 455, s. a. S. 459–463. 62 »Gesellschaft für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft E.V.«, S. 205.
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Entwurf eines Rundschreibens vor, »das an eine Reihe von Vertretern der Ästhetik und der verschiedenen Zweige der Kunstwissenschaft versandt werden sollte, um ihre Stellungnahme zur Frage der Abhaltung eines Kongresses, Ort, Zeit und Organisation desselben zu ermitteln«, und berichtet in der folgenden Sitzung über die Reaktionen.63 Die Vereinigung bleibt zwar zeit ihres Bestehens ein lokaler Zirkel, »ein Berliner Verein«.64 Den unbestrittenen »Höhepunkt ihrer Tätigkeit« 65, der aber zugleich eine eindrucksvolle Internationalisierung der Aktivitäten dokumentiert, bildet die Organisation des Kongresses von 1913. Wölfflin, von dessen interdisziplinärer Vortragsreihe am Kunsthistorischen Institut der Berliner Universität der Impuls zur Gründung der Vereinigung ausgegangen war, hält sich von den damit verbundenen Aktivitäten allerdings vollständig fern: Er fungiert zwar als Vorstandsmitglied, hat aber weder im Rahmen der Vereinssitzungen selbst einen Vortrag gehalten, noch – als »prinzipelle[r] Gegner aller geisteswissenschaftlichen Kongresse« 66 – bei der Gestaltung des Kongresses von 1913 (oder eines folgenden) mitgewirkt oder nur teilgenommen. Auch in der Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft hat er keinen Beitrag publiziert. Mit Beginn des Ersten Weltkrieges kommen die Aktivitäten der Vereinigung zum Erliegen; sie wird faktisch aufgelöst. So findet sich die letzte Nachricht zu dieser Institution an der Stelle des Berichts über die Vereinstätigkeiten im Jahr 1914: In zwei Zeilen wird hier erklärt, dass ein solcher Bericht nicht veröffentlicht werden konnte, »da der für die Abfassung zuständige Schriftführer Dr. G. von Allesch seit Kriegsbeginn beim Heere steht«.67 b) Die Gesellschaft für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft (1924–1955) Erst nach einer Unterbrechung von zehn Jahren wird die Vereinstätigkeit wieder aufgenommen – nun unter dem Namen Gesellschaft für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft: Die förmliche Neugründung findet 1924 auf dem zweiten Kongress statt. Hier wird, unter Vorsitz von Dessoir, im Rahmen der Versammlung der Mitglieder des Kongresses, der »Antrag des Arbeitsausschusses auf Gründung einer Gesellschaft für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft« »einstimmig« angenom-
für ästhetische Forschung (1912)«. In: Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft. 8 (1913), S. 603; vgl. »Vorgeschichte« [des ersten Kongresses für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft], S. 1 f. 64 T. Bernhart: »Dialog und Konkurrenz«, S. 259. 65 Ebd., S. 253. 66 R. Hamann: »Zum Kongreß für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft«, Sp. 728. 67 »Vereinigung für ästhetische Forschung«. In: Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft. 10 (1915), S. 77. 63 »Vereinigung
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men.68 So kann die Satzung der Gesellschaft notieren, dass diese »am 28. Februar 1925 unter Nr. 4395 in das Vereinsregister bei dem Amtsgericht Berlin-Mitte eingetragen worden« ist.69 Dass diese institutionelle Kontinuität mit der Vereinigung im Bewusstsein der Akteure tatsächlich besteht, macht bereits die Tatsache deutlich, dass im November 1933 das 25-jährige Bestehen der Gesellschaft begangen wird.70 Die Organe der Gesellschaft bilden der Geschäftsführende Vorstand, der Gesamtvorstand (d. h. der Geschäftsführende Vorstand sowie ein aus mindestens vier Gesellschaftsmitgliedern bestehender Beirat) und die Mitgliederversammlung.71 Der Geschäftsführende Vorstand setzt sich konkret zusammen aus dem Berliner Dessoir als Erstem und dem Rostocker Utitz als Zweitem Vorsitzenden, dem Berliner Musikwissenschaftler Werner Wolff heim als Erstem und dem ebenfalls in Berlin ansässigen Neukantianer Liebert als Zweitem Schriftführer sowie dem Verleger Alfred Enke junior als Kassenführer. Dabei versteht man sich nun ausdrücklich als international. So hält die Vereinssatzung fest, dass die Gruppe der Mitglieder des Beirates zur Hälfte aus Personen bestehen kann, »die ihren Wohnsitz außerhalb Deutschlands haben«.72 Als Beiratsmitglieder fungieren dementsprechend der Philosoph Benedetto Croce aus Neapel, der Kunsthistoriker Dagobert Frey aus Wien, der Kunsthistoriker Max Hauttmann aus München, der Psychologe und Philosoph Erich Rudolf Jaensch aus Marburg, der Germanist und Literaturhistoriker Rudolf Unger aus Breslau, der Kunstphilosoph José Jordán de Urríes y Azara aus Madrid, der Literatur- und Kunsthistoriker Ewert Wrangel aus Lund in Schweden sowie der Kunsthistoriker Oskar Wulff aus Berlin.73 Im Rahmen der Generalversammlung der Gesellschaft für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft, die am 8. Juni 1927 am Rande des dritten Kongresses stattfindet, wird der Vorstand vollständig bestätigt. Dem Beirat tritt nun neben den bestätigten Frey und Unger der Musikwissenschaftler Arnold Schering aus Halle bei, der an die Stelle des inzwischen verstorbenen Hauttmann tritt.74 Bei der Versammlung am Rande des dem vierten Kongress wird am 9. Oktober 1930 der Vorstand erneut bestätigt. In den Beirat werden auf den Vorschlag von Dessoir hin Croce, Frey und Urríes gewählt; Wrangel ist zwischenzeitig durch Austritt aus der Gesellschaft ausgeschieden.75
68 »Geschäftliche
Sitzung« [des zweiten Kongresses für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft]. 69 Ebd. 70 Vgl. »Gesellschaft für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft E.V.«, S. 203 f. und S. 205–207. 71 Vgl. »Satzung der Gesellschaft für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft (E.V.)« [und Verzeichnis der Mitglieder der Gesellschaft am 28.2.1925], S. 448. 72 Ebd. 73 Vgl. ebd., S. 450. 74 Vgl. »Generalversammlung der Gesellschaft für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft«, S. 126 f. 75 Vgl. »Mitglieder-Versammlung der Gesellschaft für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft«, S. 16 f.
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Das Mitgliederverzeichnis listet zum Zeitpunkt der Vereinsgründung 153 Personen auf.76 Nachdem zunächst im Jahre 1930 die Zahl der Mitglieder auf 162 ansteigt, geht sie 1932 auf 110 und 1933 auf 100 Mitglieder zurück, was auf die »Verschlechterung in der Gesamtwirtschaftslage« zurückgeführt wird.77 Eine der zentralen Aufgaben der Gesellschaft, »die bis in die Zeit des Nationalsozialismus hinein einen wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Mittelpunkt mit weit reichenden Ausstrahlungen bildete«, ist es, zwischen den Wissenschaftlern die »Verbindung zu erhalten«, wie Dessoir sich erinnert.78 Als Zweck des Vereins gibt die Satzung nun näherhin die »Förderung der Ästhetik und allgemeinen Kunstwissenschaft« an, dem vornehmlich dienen: »a) die Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft; / b) von der Gesellschaft zu veranstaltende Kongresse; / c) Veranstaltungen (Vorträge usw.) der nach Möglichkeit zu bildenden Ortsgruppen im In- und Auslande.«79 Das heißt, die Zeitschrift wird nun ausdrücklich »zum Vereinsorgan gemacht, und die Vorbereitung sowie Veranstaltung künftiger Kongresse in die Hand unserer Gesellschaft gelegt. Sie hat dann«, wie Dessoir später 1933 auf seiner Jubiläumsansprache festhält, »auch den dritten Kongreß in Halle und den vierten in Hamburg durchgeführt; der fünfte, der bereits in allen Einzelheiten vorbereitet war, sollte im Oktober 1933 zu Wien abgehalten werden: die Reisesperre zwischen Deutschland und Österreich hat ihn unmöglich gemacht.« 80 Das Ziel der Bildung weiterer ›Ortsgruppen im In- und Auslande‹ zeigt den Wunsch an, über den von Anfang an stark in Berlin konzentrierten Kreis hinauszuwachsen, was – wie insbesondere die jeweils von den lokalen Gruppen durchgeführte Planung weiterer Kongresse in Halle, Hamburg und Wien zeigt – in gewissen Rahmen auch durchaus gelingt. Dennoch bleibt »Berlin stets das Zentrum« 81, wie sich vor allem an dem bis Mitte der dreißiger Jahre fortgesetzten lebendigen Vortragswesen ablesen lässt, mit dem man bei den Aktivitäten der Vereinigung anknüpft: »In Berlin wurde die Arbeit mit dem Winterhalbjahr 1925/26 neu aufgenommen und seitdem – abgesehen von einer Pause im Sommer 1933 – regelmäßig fortgesetzt.« 82 In diesem Rahmen werden Referate von Philosophen, Soziologen, Psychologen, Musik-, Kunst- und Literaturwissenschaftlern, Ethnologen und Architekten vorgetragen 76
Vgl. »Satzung der Gesellschaft für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft (E.V.)« [und Verzeichnis der Mitglieder der Gesellschaft am 28.2.1925], S. 450–452. 77 Vgl. »Gesellschaft für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft E.V.«, S. 204 f. (Zit. S. 205). 78 M. Dessoir: Buch der Erinnerung, S. 40. 79 »Satzung der Gesellschaft für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft (E.V.)« [und Verzeichnis der Mitglieder der Gesellschaft am 28.2.1925], S. 447; vgl. »Gesellschaft für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft«. In: Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft. 18 (1925), S. 544. 80 »Gesellschaft für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft E.V.«, S. 205–207. 81 W. Henckmann: »Probleme der allgemeinen Kunstwissenschaft«, S. 326. 82 »Gesellschaft für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft E.V.«, S. 206.
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und diskutiert. Diese Vorträge, »die einem erfreulichen Interesse begegnet sind« 83, finden zuletzt »in einem kleinen Saal des Harnack-Hauses« 84 mit anschließendem geselligem Beisammensein statt. Sie sind öffentlich, nur haben die Gesellschaftsmitglieder »freien Eintritt«.85 Wieder berichtet die Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft – wenngleich in sehr stark variierender Ausführlichkeit – über die Aktivitäten.86 Einen Einblick in das politisch-gesellschaftliche Klima, in dem hier zuletzt gearbeitet werden muss, aber auch in Dessoirs wissenschaftliche und politische Haltung, gewährt dessen im November des Jahres der nationalsozialistischen ›Machtergreifung‹ 1933 gehaltene Ansprache anlässlich des 25jährigen Jubiläums der Gesellschaft. Mit dem Kunstverständnis des neuen Regimes kann der Vorsitzende dabei war durchaus einige Gemeinsamkeiten erkennen, so den Kampf gegen die »Verästhetisierung der Kunst« und den »Grundsatz l’art pour l’art«. Dass Dessoir hierbei allerdings auf die »historisch[e]« Entlarvung eines solchen Kunstverständnisses durch den Philosophen und Zweiten Schriftführer der Gesellschaft Helmut Kuhn und die »systematisch[e]« durch den Soziologen René König – zwei dezidierte Gegner des neuen Regimes und spätere Emigranten – verweist, darf man durchaus als These verstehen. Auch sei zwar im Rahmen der Allgemeinen Kunstwissenschaft »stets die Bedeutung des Nationalen, ja der Tendenz für die Kunst hervorgehoben« worden, allerdings habe man »auch stets betont, daß sich hierin das Kunstsein nicht erschöpft«.87 Näherhin seien in der letzten Zeit »unter den Fachvertretern Meinungsverschiedenheiten entstanden«, für die Dessoir aus »dem Brief eines Kollegen« zitiert.88 Ohne dass der ›Kollege‹ hier explizit benannt würde, kann man sicher davon ausgehen, dass es sich hier um Alfred Baeumler handelt.89 83
Ebd., S. 205. Dessoir: Buch der Erinnerung, S. 40. 85 »Gesellschaft für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft E.V.«, S. 205. 86 Vgl. »Gesellschaft für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft«. In: Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft. 18 (1925); G. Jung: »Gesellschaft für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft (Ortsgruppe Berlin)«. In: Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft. 22 (1928); dies.: »Gesellschaft für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft E.V. Veranstaltungen der Berliner Ortsgruppe im Winter 1928/29 und im Sommer 1929«. In: Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft. 24 (1930); dies.: »Gesellschaft für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft E.V. Veranstaltungen der Berliner Ortsgruppe im Winter 1929/30 und im Sommer 1930«. In: Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft. 25 (1931); dies.: »Gesellschaft für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft. Veranstaltungen der Berliner Ortsgruppe im Winter 1931/32 und im Sommer 1932«. In: Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft. 26 (1932); »Gesellschaft für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft E.V.«. In: Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft. 28 (1934), S. 207 f.; »Bericht der Gesellschaft für Ästhetik«; »Gesellschaft für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft. Veranstaltungen der Berliner Ortsgruppe«. In: Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft. 30 (1936). 87 »Gesellschaft für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft E.V.«. In: Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft. 28 (1934), S. 206. 88 Ebd. 89 Zu Baeumlers Weg vom ›Konservativen Revolutionär‹ zum Nationalsozialisten vgl. C. 84 M.
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Der Philosoph und Kunsthistoriker Baeumler – »als Student« in Dessoirs »Gesichtskreis getreten« und von diesem »in seiner Lauf bahn kräftig gefördert, auch gelegentlich mit Geld unterstützt, das aus jüdischer Hand stammte« 90 – war im Rahmen der Allgemeinen Kunstwissenschaft über viele Jahre hinweg in verschiedenen Funktionen aktiv gewesen: als Hörer 1913 auf dem ersten91 und als Mitberichterstatter 1924 auf dem zweiten Kongress92 , vor allem aber als Rezensent in der Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft 93. Nachdem er zunächst den Bündischen und den Jungkonservativen nahegestanden hatte, wandte Baeumler sich dem Nationalsozialismus zu und stand als Exponent der ›neuen Zeit‹ seit Beginn der dreißiger Jahre in persönlichem Kontakt mit Hitler und dem NS-Chefideologen Alfred Rosenberg. Bereits am 12. April 1933 hatte er unter dem Titel Staat und Hochschule einen Frontalangriff auf die Berliner Universität als »einer der größten Hochburgen des Liberalismus« gestartet und ihre Gründungsidee als »undeutsch« diffamiert. Er machte einen kräftigen Karrieresprung, indem er dort ebenfalls im April 1933 unter Umgehung aller universitären Gremien auf den eigens für ihn geschaffenen Lehrstuhl für Politische Pädagogik berufen wurde.94 Am 10. Mai 1933 hatte Baeumler dann seine Berliner Antrittsvorlesung Wider den undeutschen Geist gehalten, nach der sich ein Zug von Fackelträgern in Bewegung setzte, um auf dem Opernplatz eine Verbrennung von 20.000 ›undeutschen‹ Büchern zu inszenieren. Dazu passt es gut, dass ebenfalls dem von Dessoir Ansprache anlässlich des 25jährigen Jubiläums der Gesellschaft zitierten Briefschreiber auch in Sachen ästhetischer und kunstwissenschaftlicher Forschung der Sinn nach ›Führerprinzip‹ ist: Seit fast zwei Jahrzehnten herrscht auf dem Ozean der ästhetischen Probleme Windstille, und nur ein genialer Philosoph könnte eine neue Bewegung hervorrufen. Die Gesellschaft für Ästhetik vermag inzwischen nicht mehr zu tun, als eine Zeitschrift als Sammelbecken für ästhetische und kunstwissenschaftliche Abhandlungen am Leben zu erhalten. Das ist mir zu wenig – in Anbetracht der Hochspannung, in Tilitzki: Die deutsche Universitätsphilosophie in der Weimarer Republik und im Dritten Reich, Bd. 1, S. 545–583. 90 M. Dessoir: Buch der Erinnerung, S. 74. 91 Vgl. »Verzeichnis der Teilnehmer« [des ersten Kongresses für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft], S. 13. 92 Vgl. Zweiter Kongress für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft, S. 4. 93 Vgl. z. B. A. Baeumler: »Ernst Meumann: System der Ästhetik«; ders.: »Emil Hammacher: Hauptfragen der modernen Kultur«; ders.: »Wilhelm Worringer: Formprobleme der Gotik«; ders.: »Ernst Troß, Das Raumproblem in der bildenden Kunst.«; ders.: »Oskar Walzel: Wechselseitige Erhellung der Künste«; ders.: »Benedetto Croce und die Ästhetik«; ders.: »Paul Moos: Die deutsche Ästhetik der Gegenwart«; ders.: »Theodor Piderit: Mimik und Physiognomik«; ders.: »O. Hesnard: Fr.Th. Vischer«; ders.: »Richard Müller-Freienfels: Die Philosophie der Individualität«; ders.: »Hermann Hettner: Geschichte der deutschen Literatur im 18. Jahrhundert«. – S. a. ders. / T. Ziehen: »Zur Erinnerung an Oswald Külpe«; A. Baeumler: »Emil Utitz: Grundlegung der allgemeinen Kunstwissenschaft, Bd. 1«. 94 Vgl. C. Jahr: »Die nationalsozialistische Machtübernahme und ihre Folgen«, S. 315; Zitate nach ebd.
Die Allgemeine Kunstwissenschaft als Institution219
welche die Forderungen der deutschen Volksgemeinschaft und der ihr eigentümlichen Welt-, Lebens- und auch Kunstanschauung einen jüngeren Hochschullehrer heute versetzen.95
Diese Absage kommentiert Dessoir mit einer Bestätigung seiner Auffassung von der (Kunst-)Wissenschaft als Sache autonomer, aber zugleich systematisch untereinander interagierender Personen: Ich muß bekennen, daß ich die Dinge anders sehe. Der Messianismus, das Harren auf einen genialen Philosophen, ist kein Grundsatz, der wissenschaftliche Arbeit zu fördern vermöchte. Eine wissenschaftliche Gesellschaft und eine wissenschaftliche Zeitschrift können, wenn sie ihrer Aufgabe treu bleiben wollen, in der Tat nicht mehr tun, als den um die Wahrheit Kämpfenden verschiedener Richtungen Aufnahme zu gewähren. Der Briefschreiber sagt von unserer Zeitschrift als einer Sammelstätte: »das ist mir zu wenig«. Wir sind bescheidener, denn wir meinen: das ist schon recht viel. Die objektive Wahrheit wird nicht durch den ersehnten Heilsbringer zu uns kommen, sie wird auch nicht durch »Hochspannung« geschaffen werden, sondern sie wird uns nur näher rücken, wenn wir gemeinschaftlich in Geduld weiter arbeiten. Sowenig wie ein Volk außenpolitisch ein Diktat erträgt, sowenig duldet das Gewissen des Forschers, daß ihm irgendwelche Anschauungen diktiert werden.96
1933 wird die Wiederwahl bzw. Neuwahl der Vorstandsmitglieder vorgenommen: Wolff heim war, ebenso wie das Beiratsmitglied Jordán de Urríes y Azara, 1930 verstorben und musste daher seine systematische Entrechtung als Jude nicht mehr miterleben. Utitz und Liebert hatten sich nach ihrer Zwangsemeritierung 1933 von allen formalen Verpflichtungen im Zusammenhang mit der Allgemeinen Kunstwissenschaft zurückgezogen und waren ins Ausland nach Prag bzw. Belgrad gegangen. So behalten lediglich Dessoir und Enke im Vorstand ihre Funktionen als Erster Vorsitzender bzw. Kassenführer. Als Zweiter Vorsitzender fungiert nun der Philosoph Rudolf Odebrecht, als Erster und Zweiter Schriftführer der Kunsthistoriker Dagobert Frey bzw. der Philosoph Helmut Kuhn. Zum Beirat gehören jetzt der Sprachphilosoph, Sprachpsychologe, Ästhetiker und Literaturhistoriker Friedrich Kainz, der Germanist und Volkskundler Robert Petsch, erneut Schering sowie der Philologe und Anglist Walter Franz Schirmer.97 Damit stehen hier auch in politischer und weltanschaulicher Hinsicht die unterschiedlichsten Positionen nebeneinander: auf der einen Seite etwa Dessoir und Kuhn – beide mit jüdischer Herkunft und regimeskeptischer bis -kritischer Haltung; auf der anderen Seite etwa Odebrecht, seit dem 1. April 1933 NSDAP -Mitglied, und Schering, der nach der ›Machtergreifung‹ auch dem Nationalsozialistischen Lehrerbund und dem Großen 95 »Gesellschaft
für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft E.V.«, S. 206.
96 Ebd. 97
Vgl. ebd., S. 203 f.
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Rat der Reichsmusikkammer angehört – also jener Institution, die im Rahmen des NS-Regimes die Aufgabe hat, systemkonforme oder genehme Musik zu fördern, andere Musik dagegen zu unterdrücken. Auch das frühere Beiratsmitglied Erich Jaensch, ebenfalls Mitglied des Nationalsozialistischen Lehrerbundes, engagiert sich seit 1933 als glühender Rassist besonders ausgeprägt für die Gleichschaltung und Umgestaltung des akademischen Lebens im Dritten Reich. Seine Aktivitäten im Zusammenhang mit der Allgemeinen Kunstwissenschaft scheinen sich allerdings auf die Zeit vom zweiten bis zum dritten Kongress zu beschränken: Auf dem ersten Kongress hatte er sich ankündigen lassen98 , war dann aber offenbar nicht persönlich erschienen. Im Rahmen des zweiten Kongresses eröffnet Jaensch, als der in den 1920er Jahren meistzitierte Psychologe, gleich im Anschluss an die Begrüßungsansprache Dessoirs die Veranstaltung mit einem Vortrag zum Thema Psychologie und Ästhetik – übrigens in einer Sektion zusammen etwa mit Baeumler auf der einen und den späteren Emigranten Moritz Geiger, Karl Bühler, Arthur Liebert und Helmuth Plessner sowie Paul Menzer auf der anderen Seite – und lässt sich in den Beirat der Gesellschaft wählen.99 Im Rahmen des dritten Kongresses beschränkt Jaensch sich dann bereits auf die Tätigkeit des Mitberichterstatters.100 Später zieht er es dann stattdessen vor, seine Aktivitäten auf andere Plattformen zu verlegen, die seiner Rolle als »Zutreiber des Nationalsozialismus«101 zuträglicher als die Initiative ›Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft‹ sind. Ab 1935 scheinen keine Veranstaltungen der Gesellschaft mehr stattgefunden zu haben.102 Dessoir ist seit 1934 emeritiert, die kollegiale Zusammenarbeit im Zuge der ideologischen und politischen Verhältnisse ruiniert. 1955 wird die Gesellschaft vom Amtsgericht Berlin-Charlottenburg »als tatsächlich nicht mehr bestehend von Amts wegen gelöscht«. Diese Eintragung ist mit dem handschriftlichen Vermerk versehen: »seit 1936 nicht gewählt / Die Vorsitzenden sind in Berlin nicht bekannt«.103
98 Vgl.
»Begrüßungsabend« [des ersten Kongresses für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft], S. 27. 99 Vgl. E.R. Jaensch: »Psychologie und Ästhetik«; s. a. »Die Vorgeschichte« [des zweiten Kongresses für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft], S. 4. 100 Vgl. »Gesellige und künstlerische Veranstaltungen und Eröffnung des Kongresses« [= des dritten Kongresses für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft], S. 108. 101 So die Charakteristik Jaenschs durch den Gestaltpsychologen Wolfgang Metzger; zit. nach W. Schulze / O.G. Oexle (Hrsg.): Deutsche Historiker im Nationalsozialismus, S. 58. 102 Vgl. W. Henckmann: »Probleme der allgemeinen Kunstwissenschaft«, S. 326. 103 Landesarchiv Berlin, Sig. LAB B Rep. 042, Nr. 26654 (=Vereinsregisternummer Amtsgericht Charlottenburg: 94 V.R. 4395 / 55), Bl. 57; zit. nach T. Bernhart: »Dialog und Konkurrenz«, S. 256.
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3. Die Kongresse Insgesamt sind im Zeichen der Initiative ›Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft‹ fünf Kongresse realisiert worden: 1913 und 1924 unter der Leitung von Dessoir in Berlin, 1927 unter Leitung von Utitz in Halle, 1930 unter Leitung von Ernst Cassirer in Hamburg und 1937 unter Leitung von Victor Basch in Paris. Während die ersten beiden Kongresse ebenso wie die Pariser Veranstaltung von 1937 als Übersichtskongresse zu Fragen von Ästhetik und Kunstwissenschaft angelegt sind, widmen sich der dritte und der vierte Kongress bestimmten Themen: 1927 Rhythmus und Symbol und 1930 Gestaltung von Raum und Zeit in der Kunst.104 Ein weiterer Themenkongress, der zum Thema Stil und Ausdruck 1933 in Wien stattfinden soll, kommt aufgrund der schwierigen Zeitumstände nicht zustande. a) Der erste Kongress für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft (Berlin 1913): Der erste ›internationale Kongress‹ Im Juli 1912 wendet Dessoir sich zunächst im Namen der Vereinigung für ästhetische Forschung mit einem Sondierungsschreiben an »die ihr bekannten Vertreter wissenschaftlich-ästhetischer Interessen«. Darin werden diese gebeten zu erklären, »wie sie sich zu dem Plane stellen«, einen Kongress für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft zu veranstalten.105 Der Rücklauf ist (mit 55 zustimmenden, 31 ablehnenden und 16 unbestimmten Voten) immerhin so positiv, dass Dessoir glaubt, »nach diesem Ergebnis die Abhaltung eines Kongresses befürworten zu sollen«.106 Im Januar 1913 wird dann das Einladungsschreiben mit der Diagnose eröffnet, der Kongress scheine »erwünscht, weil er eine Gemeinsamkeit wissenschaftlicher Interessen zum sichtbaren Ausdruck bringen kann«. Es gehe darum, »[ä]sthetische und kunstwissenschaftliche Probleme«, wie sie »bei den Zusammenkünften der Philosophen und Psychologen, der Literatur-, Kunst- und Musikforscher, der Ethnologen, Soziologen und Pädagogen gern nebenbei erörtert« werden, im Rahmen eines Kongresses nun endlich auch »in ihrem inneren Zusammenhang« zu thematisieren.107 Als Tagungsort wird, der Empfehlung der Befragten folgend, Berlin ge104 Vgl. B. Collenberg-Plotnikov / C. Maigné / C. Trautmann-Waller (Hrsg.): Berlin 1913 – Paris 1937. 105 [M. Dessoir:] [Rundschreiben im Vorfeld des ersten Kongresses für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft, Juli 1912]. In: Kongress für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft, S. 2; ebenfalls in: »Kongreß für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft« [Vorgeschichte des ersten Kongresses für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft], S. 94. 106 »Vorgeschichte« [des ersten Kongresses für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft], S. 2. 107 [Einladung zum ersten Kongresses für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft, Juli 1912], S. 2; ebenfalls in: »Kongreß für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft« [Vorgeschichte des ersten Kongresses für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft], S. 95.
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wählt.108 Die Organisation der Veranstaltung übernimmt ein 44-köpfiger Großer Ausschuss – dem, wie die Jenaische Zeitung berichtet, »eine Reihe der angesehensten deutschen Gelehrten auf diesem Gebiet und auch einige Künstler angehören« – unter Federführung des Geschäftsführenden Ortsausschusses, bestehend aus den Berlinern Gustav von Allesch, Max Dessoir, Werner Wolff heim, Oskar Wulff und dem Kunsthistoriker, -kritiker und -sammler Curt Glaser, der 1907 von Wölfflin promoviert worden war.109 Das Veranstaltungskonzept unterstreicht dabei, ebenso wie die mit recht erheblichem Aufwand entwickelte und gepflegte Organisationsstruktur, die leitende Absicht, mit dem Kongress die noch immer »als nicht streng wissenschaftlich angesehenen Kunst-Disziplinen auf ein höheres Niveau zu heben« und den »engeren Zusammenschluß all der Disziplinen, die sich mit einzelnen Bereichen der Künste auseinandersetzten«, zu befördern.110 Er bildet damit neben der Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft, dem Verein mit seinen lokalen Vortragsveranstaltungen und Einzelstudien wie Dessoirs Programmschrift von 1906 ein weiteres Instrument, eine umfassende und auf wissenschaftlichem Niveau betriebene Kunstforschung voranzutreiben – nun namentlich durch die »lebendige Berührung und Aussprache«111 eines breiten Kreises von Akteuren, die ohne eine solche Plattform kaum je zusammengetroffen wären. Der Kongress, der dann im Herbst des Jahres 1913 unter Leitung Dessoirs an der Berliner Universität stattfindet, wird zu einem unerwarteten Erfolg und der mit 108 Vgl.
»Kongreß für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft« [Vorgeschichte des ersten Kongresses für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft], S. 94. 109 »Kunst und Wissenschaft«. – Zum Großen Ausschuss gehören neben den Mitgliedern des Geschäftsführenden Ortsausschusses des Weiteren: Hermann Abert (Halle a. S.), Peter Behrens (Berlin), Hermann Cohen (Berlin), Jonas Cohn (Freiburg i. B.), Hans Cornelius (Frankfurt a.M.), Richard Dehmel (Blankenese), Ernst Elster (Marburg i. H.), Benno Erdmann (Berlin), (Berlin), Adolph Goldschmidt (Berlin), Karl Groos (Tübingen), Richard Hamann (Posen), Erich von Hombostel (Berlin), Moriz Hoernes (Wien), Georg Kerschensteiner (München), Oswald Külpe (Bonn), Karl Lamprecht (Leipzig), Konrad Lange (Tübingen), Rudolf Lehmann (Posen), Theodor Lipps (München), Georg Loeschcke (Berlin), Max Martersteig (Leipzig), Ernst Meumann (Hamburg), Theodor A. Meyer (Ulm), Alois Riehl (Berlin), Hugo Riemann (Leipzig), August Schmarsow (Leipzig), Erich Schmidt (Berlin), Paul Schultze-Naumburg (Saaleck), Eduard Sievers (Leipzig), Hugo Spitzer (Graz), Karl von den Steinen (Berlin), Carl Stumpf (Berlin), Johannes Volkelt (Leipzig), Karl Voll (München), Richard Wallaschek (Wien), Oskar F. Walzel (Dresden), Richard M. Werner (Wien), Stephan Witasek (Graz), Werner Wolff heim (Berlin), Theodor Ziehen (Wiesbaden). (Vgl. »Vorgeschichte« [des ersten Kongresses für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft], S. 3; ebenfalls in: »Kongreß für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft« [Vorgeschichte des ersten Kongresses für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft], S. 95.) 110 H. Dilly: »Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft«, S. 53. 111 [Einladung zum ersten Kongresses für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft, Juli 1912], S. 2; ebenfalls in: »Kongreß für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft« [Vorgeschichte des ersten Kongresses für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft], S. 95. – S. o. S. 28.
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Abstand größten Veranstaltung dieser Art, die es bis dahin gegeben hatte112: 526 Teilnehmer, von denen 51 Vorträge beisteuern, befassen sich hier drei Tage lang, vom 7. bis 9. Oktober, mit den verschiedensten Fragen, die in das weite Themenfeld der Veranstaltung – Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft – fallen.113 Dabei werden bewusst Gelegenheiten der persönlichen Begegnung der Teilnehmer eingeplant und im Anschluss an die Vorträge Diskussionsrunden abgehalten, die auch im Kongressbericht ausführlich dokumentiert sind. Im Sinne der intendierten Breitenwirkung sind neben den Mitgliedern der Tagung, »die durch Zusendung der Rundschreiben eingeladen worden waren oder auf ihre Anmeldung hin ausdrücklich als Mitglieder aufgenommen wurden«, auch Hörer – in der Regel akademische bzw. kunstwissenschaftliche Laien und noch nicht akademisch etablierte Personen – zugelassen, die »alle Rechte der Mitglieder« haben, »mit Ausnahme des Rechtes, Vorträge zu halten und in die Diskussionen einzugreifen«.114 Zu diesen Hörern zählen so neben Walter Gropius, Walther Rathenau, Erich Rothacker und Max Reinhardt u. a. etwa auch »cand. phil.« Alfred Baeumler, »Privatdozent« Ernst Cassirer, und »stud. phil.« Erwin Panofsky.115 Im Mitgliederverzeichnis ist auch Aby Warburg genannt, der offenbar eine ›Diskussionsrede‹ angekündigt hatte, dann aber doch nicht teilnimmt.116 Die »Gesellige[n] Veranstaltungen« beinhalten neben informelleren Zusammenkünften in gepflegten Berliner Gastronomien auch Theaterbesuche am Lessing-Theater, dem Theater in der Königgrätzer Straße, dem Komödienhaus, dem Deutschen Theater, den Kammerspielen und dem Deutschen Künstler-Theater, für die die jeweiligen Direktoren den Teilnehmern Freikarten zur Verfügung gestellt haben. Zudem erhalten die Teilnehmer die Gelegenheit zum Besuch der Privatsammlungen von Eduard Arnhold, Oskar Huldschinsky, Marcus Kappel und James Simon, der Ateliers von August Gaul, Curt Herrmann, Lesser Ury und Hugo Lederer; Werner Wolff heim öffnet seine renommierte Musikbibliothek und Peter Behrens veranstaltet »eine Führung durch seine Bauten für die Allgemeine Elekt ri zitäts-Gesellschaft«. Teilnehmer wie Hörer haben für die gesamte Kongresswoche schließlich freien Eintritt zu den Kunstsalons von Paul Cassirer, Fritz Gurlitt und Eduard Schulte.117 Zwar wird auf diesem Kongress auch das Programm der Allgemeinen Kunstwissenschaft im engeren Sinne vorgestellt und verschiedene Konzeptionen hierzu 112 Vgl. bes. W. Henckmann: »Probleme der allgemeinen Kunstwissenschaft«, S. 326–328; H. Dilly: »Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft«. 113 Vgl. »Verzeichnis der Teilnehmer« [des ersten Kongresses für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft]; »Inhalts-Verzeichnis«. In: Kongress für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft. 114 »Programm« [des ersten Kongresses für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft], S. 4. 115 »Verzeichnis der Teilnehmer« [des ersten Kongresses für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft], S. 13 und S. 17. 116 Vgl. ebd., S. 12; K.H. Busse: »Die Ausstellung zur vergleichenden Entwicklungsgeschichte der primitiven Kunst bei den Naturvölkern, den Kindern und in der Urzeit«, S. 245. 117 »Programm« [des ersten Kongresses für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft], S. 7.
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entwickelt. So präsentiert Dessoir im Rahmen seiner großen Eröffnungsrede noch einmal sein systematisches Anliegen.118 Hinzu kommen vor allem die Referate von Utitz119 und Hamann120. Wulff präsentiert im Folgejahr in Dessoirs Zeitschrift den Versuch einer Zusammenfassung der bisherigen methodologischen Arbeitsergebnisse.121 Jenseits dieser zwar programmatischen, aber punktuellen Vorstöße hat die eigentliche Idee der Allgemeinen Kunstwissenschaft – abgesehen von der erkennbaren Bemühung, die (stark überwiegenden) kunstwissenschaftlichen Beiträge separat von den ästhetischen zu gruppieren – wie Henckmann treffend anmerkt, »den Kongreß im Ganzen aber nicht allzu stark« geprägt.122 Vielmehr handelt es sich bei dieser Veranstaltung ganz überwiegend um einen Austausch über die verschiedensten Fragen der Ästhetik und der Kunstwissenschaft im Allgemeinen. So demonstrieren bereits die Keynote-Vorträge der ›Allgemeinen Sitzungen‹ sachliche Offenheit, Aktualität und Internationalität: Nach Dessoirs Eröffnungsrede leistet hier der aus Cambridge angereiste Ästhetiker Edward Bullough einen Beitrag zur genetischen Ästhetik, Theodor Ziehen berichtet Über den gegenwärtigen Stand der experimentellen Ästhetik. Zudem bietet der Historiker Karl Lamprecht anlässlich der von ihm verantworteten kulturhistorischen Sektion einer für 1914 in Leipzig geplanten Internationalen Ausstellung für Buchgewerbe und Graphik eine Einführung in die Ausstellung von parallelen Entwicklungen in der bildenden Kunst. Des Weiteren spricht Victor Basch aus Paris über Die Objektivität des Schönen und Jonas Cohn über Die Autonomie der Kunst und die Lage der gegenwärtigen Kultur.123 Die Sektionsvorträge sind dann, durchaus im Sinne der Grundidee der Initiative ›Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft‹, untergliedert in eine erste Abteilung zu generellen methodologischen Fragen von Ästhetik und Kunstwissenschaft, in die – offenbar aufgrund der geringen Zahl an einschlägigen Beiträgen zu ästhetischen Problemstellungen – auch speziellere und stärker empirisch angelegte Vorträge integriert sind. Neben den Grundsatzreferaten von Utitz und Hamann sprechen hier so der Phänomenologe Moritz Geiger über Das Problem der ästhetischen Scheingefühle, der Positivist Charles Lalo über das Programm einer soziologischen Ästhetik, aber etwa auch der Archäologe und Leiter der Skulpturensammlung des Dresdner Albertinums Georg Treu über Durchschnittsphotographie und Schönheit. Hinzu kommen insgesamt drei Abteilungen zu allgemeinen und speziellen theo118 M. Dessoir: »Eröffnungsrede« [zum ersten Kongress für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft]. 119 Vgl. E. Utitz: »Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft«. In: Kongress für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft. 120 Vgl. R. Hamann: »Allgemeine Kunstwissenschaft und Ästhetik«. 121 Vgl. O. Wulff: »Grundsätzliches über Ästhetik, allgemeine und systematische Kunstwissenschaft«. 122 W. Henckmann: »Probleme der allgemeinen Kunstwissenschaft«, S. 327. 123 Vgl. »Programm« [des ersten Kongresses für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft], S. 6 f.
Die Allgemeine Kunstwissenschaft als Institution225
retischen Fragen der Einzelkünste, gegliedert nach Themen zur bildenden Kunst, zur Literatur und zur Musik. In diesen Sektionen sprechen u. a. der Prähistoriker Moriz H oernes über Die Anfänge der bildenden Kunst, die Kunsthistoriker Wilhelm Worringer, Hans Jantzen und Kurt Heinrich Busse über Entstehung und Gestaltungsprinzipien in der Ornamentik, Über Prinzipien der Farbengebung in der Malerei bzw. Vergleichende Entwicklungspsychologie der primitiven Kunst bei den Naturvölkern, den Kindern und in der Urzeit, der Architekt Peter Behrens Über den Zusammenhang des baukünstlerischen Schaffens mit der Technik, der Kunsttheoretiker Gustav Britsch über den Begriff des künstlerischen Tatbestandes, der Literaturwissenschaftler Oskar Walzel über Tragische Form und der Musikwissenschaftler Paul Moos Über den gegenwärtigen Stand der Musikästhetik.124 Zwar war diese Veranstaltung zunächst nur als »deutscher Kongreß mit Hinzuziehung ausländischer Gelehrter«125 geplant gewesen, und auf den Rat der meisten der im Sondierungsschreiben Befragten hin war festgelegt worden, als »Verhandlungssprache nur die deutsche Sprache zuzulassen«126 . Der Kongress zieht aber – wenige Monate vor dem Beginn des Ersten Weltkrieges – auch so zahlreiche ausländische Wissenschaftler an127, dass er später im Zusammenhang mit der Vorbereitung des Pariser Kongresses von 1937 – sicher auch als Hommage an Dessoir, dem vom Nazi-Regime die Anreise untersagt wird – rückwirkend zu einem internationalen erklärt wird.128 Noch in seiner mehr als drei Jahrzehnte später erschienenen Auebd., S. 5–7; »Inhalts-Verzeichnis«. In: Kongress für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft. 125 »Vereinigung für ästhetische Forschung (1912)«. In: Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft. 8 (1913), S. 603. 126 »Kongreß für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft« [Vorgeschichte des ersten Kongresses für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft]; s. a. z. B. »Kongreß für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft« [Bericht über den Stand der Organisation des ersten Kongresses für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft am 30. März 1913], S. 289; »Vorgeschichte« [des ersten Kongresses für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft], S. 2. 127 Insgesamt nehmen hier 74 ausländische Gäste teil: »Der Kongreß hat 526 Teilnehmer versammelt, von denen 204 Mitglieder und 322 Hörer waren. Aus Berlin nahmen 76 Mitglieder und 227 Hörer teil, aus dem übrigen Deutschland 78 Mitglieder und 71 Hörer. Österreich entsandte 14 Mitglieder (6 Hörer), Frankreich 6 (3), Ungarn 7 (1), Rußland 1 (4), England 4 (2), Schweiz 5 (1), Schweden 3 (1), Amerika 1 (2), Dänemark 2, Niederlande 2, Rumänien 1 (1), Finnland 1, Italien 1, Norwegen 1, Spanien 1, Ägypten (1).« (»Verzeichnis der Teilnehmer« [des ersten Kongresses für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft], S. 20; ebenfalls in: »Kongreß für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft«. In: Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft. 9 [1914].) 128 Im Rahmen der Geschäftlichen Sitzung des ersten Kongresses war die Bezeichnung ›international‹ im Titel noch ausdrücklich abgelehnt worden. (Vgl. »Geschäftliche Sitzung« [des ersten Kongresses für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft], S. 527.) Dagegen heißt es dann in der Einladung zum ›Zweiten internationalen Kongress‹, der 1937 in Paris stattfindet: »Die Bezeichnung dieser Tagung geht darauf zurück, daß der erste Ästhetiker-Kongreß, der im Oktober 1913 zu Berlin stattfand, als internationaler angesehen wird, während die späteren Kongresse als deutsche betrachtet werden.« (»Zweiter internationaler Kongreß für Ästhetik und Kunstwissenschaft, Paris 1937«.) 124 Vgl.
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tobiographie betont Dessoir nach der Erfahrung eines weiteren Weltkrieges, dass hier »ein internationaler Kongreß mit freudwilliger Beschränkung auf eine Verhandlungssprache« – das Deutsche – stattfinden konnte. Zehn Monate später tobte bereits der Krieg. Wie friedlich, heiter und glanzvoll war dieser Kongreß gewesen, wie fruchtbar für die Sache, wie verheißungsvoll für die menschlichen Beziehungen! Ob die Geschichte unsrer Wissenschaft je wieder solche Tagungen wird verzeichnen können, auf denen Vertreter fast aller Kulturnationen, Schaffende und Lehrende aus allen Bezirken der Kunst einträchtig zusammenwirkten?129
Die in den Kongressakten dokumentierten breit gefächerten Debatten zeigen, wie anregend dieser persönliche und interdisziplinäre Austausch über die neuesten Erträge der ästhetisch und künstlerisch relevanten Wissenschaften – oftmals vertreten durch erstrangige und ausgewiesene Forscher, aber ebenso durch engagierte junge Nachwuchswissenschaftler – auf die Teilnehmer wirkte. Vor allem der aufstrebende Kunsthistoriker Richard Hamann, der selbst – neben Dessoir und Utitz – einen engagierten methodologischen Beitrag zu diesem Kongress beigesteuert hatte130, hebt in seinem Kongressreport die richtungsweisende Bedeutung der Veranstaltung und des mit ihr verfolgten wissenschaftlichen Anliegens der Begründung der Allgemeinen Kunstwissenschaft hervor. Allerdings bedauert er zugleich, dass die Diskussion dieser gerade auch für die Einzelwissenschaften von den Künsten bedeutsamen systematischen Fragen aufgrund der Tagungsorganisation nicht interdisziplinär, sondern lediglich im philosophischen Selbstgespräch stattfinden konnte.131 Zumindest ein wenig Wasser in den Wein gießt ebenfalls der Schriftsteller und Journalist Wolfgang Schumann, der im Kunstwart über die Veranstaltung berichtet. Er bezweifelt nämlich, ob die auch seiner Überzeugung nach so dringend nötige »Verständigung« in Kunstangelegenheiten, insbesondere zwischen Wissenschaftlern und Praktikern verschiedenster Art, die Dessoir in seiner Eröffnungsansprache ausdrücklich als ein Ziel des Kongresses benannt hatte, hier tatsächlich befördert werden konnte: Schumann sieht die geistige Kluft, die Wissenschaftler auf der einen Seite und »Kritiker, Historiker, Musiker, Lehrer und Künstler« auf der anderen Seite voneinander trennt, durch die Veranstaltung vielmehr eher noch einmal unterstrichen als überwunden. Jedenfalls diagnostiziert er auf dem Kongress eine aggressive »Stimmung von ›Praktikern‹ gegenüber der Wissenschaft«, die sich jeder begrifflichen Abstraktion verweigern und – durchaus ungehindert und »unter tosendem Beifall der Mehrzahl des Publikums« – die Verständniskapazitäten des durchschnittlich »gebildete[n] Mitteleuropäer[s]« als das letzte Maß wissenschaftlicher Qualität in Kunstfragen ins Feld führen konnten. Der Ansatz der KongressDessoir: Buch der Erinnerung, S. 40. S. o. S. 171–175. 131 R. Hamann: »Zum Kongreß für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft«, Sp. 723. 129 M. 130
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leitung, »die nicht teilnahmeberechtigte ›Hörerschaft‹ nicht auszuschließen«, wird von Schumann zwar grundsätzlich begrüßt. Aber »dieser Gebrauch des Klatschens und Zischens, Trampelns und Scharrens müßte« doch, wie er befindet, »grundsätzlich von wissenschaftlichen Kongressen verbannt werden«. Schumann empfiehlt angesichts solcher Ausfälle, das auf dem Kongress seiner Auffassung nach zu verzeichnende »Übermaß der Vorträge zu beschneiden, unzweckmäßige Themen auszuschalten« und durch aktive Moderation »die gesellschaftliche und wissenschaftliche Form der Debatten auf der Höhe zu halten«.132 Dieses Problem sieht man offenbar ebenfalls aufseiten der Veranstalter. Jedenfalls werden bei den folgenden Kongressen die offenen Diskussionen im Anschluss an die Vorträge ersetzt durch die Korreferate von ›Mitberichterstattern‹, die auch namentlich in das Programm aufgenommen werden, und optional eine begrenzte Zahl von vorab beim Verhandlungsleiter anzumeldenden Diskussionsbeiträgen, nach denen der Hauptredner jeweils das Schlusswort hat. So war bereits 1914 im Rundschreiben zu einem nicht über das Planungsstadium hinausgekommenen nächsten Kongress in diesem Sinne festgelegt worden, dass in der Diskussion »der Einzelne nicht länger als 5 Minuten in Anspruch nehmen« darf. »Eine längere Redezeit erhalten nur die beim Ortsausschuß vorgemerkten Diskussionsredner oder Korreferenten.«133 Beim Kongress von 1930 beschränkt man sich dann – und auch dies nicht ganz durchgängig – auf einzelne komprimierte Stellungnahmen zum Vortragsthema. Und auf dem Pariser Kongress von 1937 werden die Diskussionsrunden von den Organisatoren schließlich auf insgesamt auf fünf Minuten festgelegt, die dann allerdings in der Durchführung konsequent überschritten werden.134 Die im Folgejahr des ersten Kongresses publizierten Akten umfassen schließlich 534 Seiten. Dessoir berichtet dazu im Rückblick seiner Autobiographie mit Stolz und sicher nicht ohne Berechtigung, dass dieser Band »viel und noch nach Jahrzehnten gelesen« wurde »– ein sicheres Zeichen für die sachliche Bedeutung, die diesem Kongreß in der Tat gebührt«.135 Überhaupt bildet dieser erste Kongress, hinsichtlich der Innovationskraft der Beiträge wie auch im Selbstverständnis der Beteiligten, den »eigentlichen Höhepunkt« der Allgemeinen Kunstwissenschaft.136 Kritische Stimmen wie die von Schumann (der zudem ausdrücklich nicht das sachliche Anliegen der Veranstaltung, sondern allein dessen praktische Umsetzung in den Blick nimmt) bleiben die Ausnahme. So kommt Liebert in seiner Besprechung des Kongresses (die demgegenüber weniger dessen sozialen als vielmehr dessen systematischen Aspekte fokussiert) in den Kant-Studien zu einem völlig anderen Gesamtbild: Der »umsichtigen, 132 W.
Schumann: »Der Kongreß für Ästhetik und Kunstwissenschaft«. Kongreß für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft«. In: Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft. 9 (1914), S. 554. 134 S. u. S. 262. 135 M. Dessoir: Buch der Erinnerung, S. 40. 136 W. Henckmann: »Probleme der allgemeinen Kunstwissenschaft«, S. 325. S. a. M. Dessoir: Buch der Erinnerung, S. 40. 133 »II.
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im ernsten wissenschaftlichen Geiste arbeitenden Leitung« sei es gelungen, »den Kongress so zu gestalten, dass er ein gut geordnetes und umfassendes Bild« aller relevanten »Richtungen in der modernen Aesthetik und allgemeinen Kunstwissenschaft« darstellte. Der Kongressbericht könne daher – abgesehen von einer aus Lieberts kantianischer Perspektive zu notierenden Vernachlässigung der »kritische[n] Aesthetik, die in Hermann Cohens ›Aesthetik des reinen Gefühls‹ eines der grundlegenden Werke besitzt« – »nahezu als ein Handbuch für die bezeichneten Gebiete gelten«, indem hier eine »weitgreifende und doch geschlossene Berücksichtigung des ganzen, weiten, in Frage stehenden Gebietes« geleistet wurde.137 Zu den ausgewählten Vorträgen, auf die Liebert in seinem Kongressbericht »[a]us der Fülle des Gebotenen« konkret eingeht, und »die entweder ausdrücklich eine Frage von grundsätzlicher Tragweite behandeln oder die trotz ihres Eingehens auf einen einzelnen konkreten Gegenstand doch an allgemeinen Gesichtspunkten orientiert sind«, gehören auch die programmatischen Referate von Dessoir, Utitz und Hamann zu den wissenschaftstheoretischen Grundlinien der Allgemeinen Kunstwissenschaft.138 Er setzt hier bei der »prinzipielle[n] Verwandtschaft« zwischen dem von ihm selbst vertretenen Neukantianismus und dem »Gesichtspunkt des Objektivismus« an, der die Konzepte, bei aller Unterschiedlichkeit im Einzelnen, miteinander verbindet, und macht damit zugleich das Spezifikum der Allgemeinen Kunstwissenschaft gegenüber den geläufigen zeitgenössischen kunstwissenschaftlichen wie -philosophischen Verfahren deutlich; dabei hebt er die Bedeutung für alle Künste gleichermaßen relevanter und nicht rein induktiv gewonnener kunstwissenschaftlicher Grundbegriffe hervor139: So handelt es sich in den Vorträgen von Max Dessoir […], Emil Utitz […] und Richard Hamann […] nicht um die Entwicklung psychologischer oder biographie- und kulturgeschichtlicher, sondern um die Entwicklung aesthetischer Kategorien, die, wie etwa der »Stil«, das Kunstwerk nicht erklären, sofern es z. B. aus Leinewand und Farbe besteht oder bestimmte Gefühle in uns auslöst oder als Dokument einer bestimmten Persönlichkeit gelten kann, sondern die es dadurch erklären, dass sie es seiner logischen, vernünftigen Objektivität nach konstituieren.140
Zwar ist aus dem für die Allgemeine Kunstwissenschaft leitenden »Bemühen um einen ›innereren Zusammenhang‹ der verschiedenen Kunstwissenschaften« letztlich »keine eigene Leitwissenschaft hervorgegangen«, wie vor allem Dessoir und Utitz sie als Fernziel vor Augen hatten.141 Dennoch hat Dilly zu Recht auf die innovative Bedeutung der Allgemeinen Kunstwissenschaft hingewiesen, die gerade durch den Erfolg des Kongress von 1913 international neue Maßstäbe einer 137 A.
Liebert: »Bericht über den ersten Kongress für Aesthetik und allgemeine Kunstwissenschaft«, S. 506 f. 138 Ebd., S. 507. 139 Ebd., S. 514. 140 Ebd. 141 H. Dilly: »Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft«, S. 54.
Die Allgemeine Kunstwissenschaft als Institution229
dezidiert wissenschaftlich orientierten und zugleich unkonventionellen Kunstforschung gesetzt hat. So muss seiner Ansicht nach hervorgehoben werden, dass mit der Zeitschrift und mit dem ersten Kongreß für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft in Berlin zwischen 1907 und 1913 sehr viel mehr erreicht worden ist als in vielen anderen europäischen Städten. Es ist hier ein Forum geschaffen worden, auf dem künstlerische Probleme wissenschaftlich diskutiert worden sind, handelte es sich nun um die »Stellung der Ästhetik im System der Wissenschaften« überhaupt, die »Natur des Dramas« oder »Die Bedeutung des Formats für die malerische Komposition« oder auch – damals höchst aktuell – »Die ästhetischen Möglichkeiten des Kinematographen«.142
Angesichts des Erfolges der Veranstaltung ist es die allgemeine Überzeugung der auf der Geschäftlichen Sitzung versammelten Kongressteilnehmer, »daß der Kongreß eine Fortsetzung finden solle«. Dabei geht es nicht allein um eine nächste Zusammenkunft, sondern man beschließt vielmehr, »den Kongreß zu einer periodisch wiederkehrenden Einrichtung zu machen«. Auf den Einwurf des Franzosen Basch hin, »daß bei weiterer Ausschließung fremder Sprachen der Kongreß lediglich auf die deutschen Kräfte beschränkt sein werde«, wird zudem entschieden, »daß der Kongreß fortan mehrsprachig sein soll«, also die Internationalisierung zum Programm erhoben wird. Mit Blick auf Einladungen von Hoernes und Basch wird »für den nächsten Kongreß als Ort Wien, als Zeit das Jahr 1915, für den dritten Paris 1917« festgelegt.143 Des Weiteren beschließt man die Bildung eines Ständigen Ausschusses, dessen Aufgabe darin besteht, »den Zusammenhang zwischen den Kongressen aufrecht zu erhalten und den Ortsausschüssen behilflich zu sein«. Die Mitglieder dieses internationalen Komitees sind: Victor Basch (Paris), Zsolt von Beöthy (Budapest), Richard Bergh (Stockholm), Emile Bertaux (Paris), Bernard Bosanquet (Oxshott), Benedetto Croce (Neapel), Moriz Hoernes (Wien), Karl Joël (Basel), Albert Köster (Leipzig), Oswald Külpe (München), Theodor Lipps (München), Hugo Münsterberg (Cambridge U.S.A.), Hugo Riemann (Leipzig), August Schmarsow (Leipzig), Gabriel Seailles (Paris), Jose Jordan de Urries y Azara (Barcelona), Johannes Volkelt (Leipzig), Richard Wallaschek (Wien).144
Dessoir wird in seinem Amt des Vorsitzenden bis zum Jahr 1920 bestätigt; ihm stehen als Erster und Zweiter Schriftführer Wulff und Wolff heim zur Seite.145
142 Ebd. 143 »Geschäftliche
Sitzung« [des ersten Kongresses für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft], S. 526 f. 144 »Kongresse für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft«; s. a. »II. Kongreß für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft«. In: Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft. 9 (1914), S. 554; »Ständiger Ausschuß« [für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft]. 145 »Kongresse für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft«.
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b) Der zweite Kongress für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft (Berlin 1924) Die Vorbereitungen eines zweiten Kongresses, der zunächst vom »vom 20. bis 23. (nötigenfalls 24.) September 1915« in Wien stattfinden soll, schreiten schon relativ weit voran. So konstituiert sich u. a. ein 27-köpfiger Ortsausschuss, es wird im Sinne einer konsequenten Internationalisierung festgelegt, dass die Vorträge »in deutscher, englischer, französischer und italienischer Sprache« gehalten werden können, und es werden vier Abteilungen vorgesehen: eine »Allgemeine oder philosophisch-ästhetische Gruppe« sowie jeweils eine Abteilung für »Bildende Kunst«, »Literatur (mit Berücksichtigung der für die Ästhetik wichtigen Fragen der Rhetorik und Phonetik)« und »Musikwissenschaft«. Die Wiedergabe des entsprechenden im Juli 1914 versandten Rundschreibens in der Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft wird von dem Berliner Ausschuss allerdings bereits mit der Kautel versehen, durch den Krieg sei »es äußerst unwahrscheinlich geworden, daß die Tagung in der geplanten Form abgehalten werden kann; auch ein Kongreß kleineren Maßstabes scheint in Frage gestellt, da nicht abzusehen ist, wann sich die Vorbereitungen wieder aufnehmen lassen«.146 Dementsprechend werden die Planungen für den ursprünglich für 1917 in Paris geplanten dritten Kongress gar nicht erst aufgenommen. Aufgrund der schwierigen politischen und wirtschaftlichen Zeitumstände kann der nächste Kongress dann letztlich erst 1924, wiederum unter der Leitung von Dessoir und wiederum in Berlin, stattfinden. Die konkretere Vorgeschichte dieser Veranstaltung reicht in den Dezember 1922 zurück, wo allen nach wie vor bestehenden äußeren Widrigkeiten zum Trotz der Plan gefasst wird, »wiederum wie im Jahre 1913 einen Kongreß für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft abzuhalten«. Da der Auftrag des gewählten Ausschusses bereits abgelaufen ist und »ein großer Teil der Mitglieder inzwischen verstorben war, ohne daß wegen der Zeitverhältnisse eine Zuwahl erfolgen konnte«, wird in einem ersten Schritt ein neuer Ausschuss gebildet: Dessoir, Wolff heim und Wulff werden bestätigt, hinzu kommen nun Utitz, Liebert und Paul Menzer. Im Februar 1923 tritt dann noch der Berliner Altorientalist Christian Herrmann als Schriftführer in den Allgemeinen Ausschuss ein.147 Die Tagung wird zunächst für den Oktober des Jahres 1923 geplant, als Tagungsort ist Halle an der Saale vorgesehen, »weil diese Stadt Mitteldeutschlands von allen Seiten leicht zu erreichen ist und weil die dort heimische Kantgesellschaft, die von ihren jährlichen Mitgliederversammlungen her gewohnt ist, zahlreiche Gäste unterzubringen, sich freundlichst bereit erklärte, die örtlichen Vorbereitun146 »II. Kongreß für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft«. In: Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft. 9 (1914), S. 554 f. 147 »Die Vorgeschichte« [des zweiten Kongresses für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft], S. 1.
Die Allgemeine Kunstwissenschaft als Institution231
gen für den Kongreß zu treffen«.148 Das entscheidende Verbindungsglied ist dabei neben dem mit Dessoir und Utitz schon seit langem aus verschiedenen Zusammenhängen bekannten Liebert149 Paul Menzer: Letzerer ist nicht nur wie Dessoir Dilthey-Schüler, sondern – ebenso wie Liebert, der sich bis zu seiner Zwangsemeritierung 1933 als »wichtigster Motor« 150 der Kant-Gesellschaft engagiert – Kantianer und hat seit 1908 an der Universität Halle eine Professur für Philosophie inne. Menzer übernimmt auch den Vorsitz des Ortsausschusses in Halle, assistiert durch den Germanisten Wolfgang Liepe, der hier als Privatdozent lehrt, als Schriftführer »und einer Reihe anderer Herren«.151 Durch dieses Kooperationsangebot, vor allem aber durch das Engagement von Liebert und Menzer, die u. a. bis 1933 gemeinsam die Kant-Studien herausgeben, wird die enge Verbindung zwischen der Initiative ›Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft‹ und der Kant-Gesellschaft unterstrichen. Utitz selbst wird nach seiner Berufung von Rostock nach Halle 1925 ebenfalls dem Vorstand der KantGesellschaft angehören; bereits in Rostock hatte er die Ortsgruppe der Kant-Gesellschaft geleitet und mehrfach vor der Berliner Kant-Gesellschaft referiert.152 In den Kant-Studien erscheint 1923 bereits eine Ankündigung des geplanten Hallenser Kongresses. In dieser werden die Interessenten zudem darauf verwiesen, dass auch »[a]lle weiteren Nachrichten« zu dieser Veranstaltung nicht nur »in der Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft […] veröffentlicht werden«, sondern explizit auch »in den Kant-Studien«.153 Überdies werden in den Kant-Studien mehrere Beiträge von Protagonisten der Allgemeinen Kunstwissenschaft publiziert bzw. rezensiert.154 148 Ebd.
bes. R. Mehring: Philosophie im Exil, S. 28. Ebd., S. 14. 151 »Die Vorgeschichte« [des zweiten Kongresses für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft], S. 1. 152 Vgl. R. Mehring: Philosophie im Exil, S. 28. 153 Vgl. »Kongress für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft«. In: Kant-Studien. 28 (1923); s. a. u. a. »Zum zweiten Kongress für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft«. 154 Vgl. bes. (in chronologischer Reihenfolge) E. Utitz: »Franz Brentano«; ders.: »Zur Als Ob-Theorie in der Kunstphilosophie«; A. Liebert: »Emil Utitz: Grundlegung der allgemeinen Kunstwissenschaft«; M. Sztern: »Bericht über den V. Internationalen Philosophischen Kongress in Neapel« [zu Dessoirs »Sinn und Aufgabe der allgemeinen Kunstwissenschaft«]; M. Dessoir: »Sinn und Aufgabe der allgemeinen Kunstwissenschaft«; E. Utitz: »Künstler-Ästhetik«; R. Müller-Freienfels: »Psychologie und Kunst«; E. Utitz: »Über Grundbegriffe der Kunstwissenschaft«; C. Herrmann: »Max Dessoir: Beiträge zur allgemeinen Kunstwissenschaft«; K. Krippendorf: »Christian Herrmann: Max Dessoir«; s. a. M. Dessoir: »Kant und die Psychologie«; C. Herrmann: »Die Bibliothek Warburg und ihre Veröffentlichungen«; E. Utitz: »Jahrbuch der Charakterologie«. – In diesen Zusammenhang gehört des Weiteren auch der Kunsthistoriker Paul Frankl, der ab 1921 in Halle eine Professur innehat und sich auf dem zweiten und dritten Kongress für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft mit Vorträgen engagiert. (P. Frankl: »Stilgattungen und Stilarten«; ders.: »Die Rolle der Ästhetik in der Methode der Geisteswissenschaften«; zur Deutung vgl. C. Maigné: »Dessoir, Frankl, Utitz: Kunstwissenschaft, histoire et culture – Débats 149 Vgl. 150
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Die Vorbereitungen zu diesem Kongress schreiten so weit voran, dass im Juli 1923 ein Programm verschickt werden kann.155 Die Veranstaltungsankündigung in den Kant-Studien präzisiert zudem, ist sei »beabsichtigt, die Vorträge in drei großen Gruppen zu einem einheitlichen Auf bau zusammenzufassen: 1. Ästhetik und Philosophie der Kunst. 2. Psychologie und Psychopathologie des künstlerischen Schaffens. 3. Theorie der Einzelkünste.«156 Gegenüber der Strukturierung des ersten Kongresses wird nun also eine eigene Sektion zu psychologischen Aspekten vorgesehen, die offenbar zur Klärung der krisenhaften Situation der psychologischen Ästhetik angesichts der in die Defensive geratenen experimentellen Ästhetik und konkurrierender methodologischer Ansätze beitragen soll.157 Die Deklaration der ersten Abteilung als Sektion zu Fragen von Ästhetik und ›Philosophie der Kunst‹ trägt dagegen die Handschrift von Utitz, der – im Unterschied zu Dessoir – ›Kunstwissenschaft‹ ausdrücklich als philosophische, wenngleich phänomenologische und psychologische Fragen integrierende Disziplin begreift.158 Durch die »fortschreitende Inflation und die unsichere politische Lage« sieht man sich allerdings erneut gezwungen, »den Kongreß auf günstigere Zeiten zu vertagen«. Man einigt sich auf »die Tage vom 16. bis 18. Oktober 1924«.159 Als Tagungsort wird wiederum, wie bereits bei dem ersten Kongress, Berlin gewählt. Den Arbeitsausschuss bildet dementsprechend die Berliner Formation mit Dessoir, Wolff heim und Wulff. Hinzu kommt nun Utitz, der bereits der für Halle zusammengestellten Kommission angehört hatte; Liebert und Menzer scheiden dagegen aus. Christian Herrmann behält die Schriftführung. Im September ist das neue Programm versandfertig, wobei sich viele der Referentinnen und Referenten, die für die gescheiterte Tagung zugesagt hatten, erneut beteiligen, in der Mehrzahl mit unverändertem Vortragstitel.160 Mit 428 Teilnehmern161 ist gegenüber dem ersten Kongress ein Rückgang von knapp 100 Personen zu verzeichnen, was sicher zumindest teilweise auf die nach wie vor angespannte wirtschaftliche Situation so unmittelbar nach der Inflationszeit zurückzuführen ist. Mit insgesamt 21 Vorträgen ist die Anzahl der Hauptrefethéoriques au sein du Congrès de 1927«. S. a. P. Frankl: »Geschichtsphilosophie und Kunstgeschichte«.) 155 Vgl. »Die Vorgeschichte« [des zweiten Kongresses für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft], S. 1 f. 156 »Kongress für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft«. In: Kant-Studien. 28 (1923). 157 S. o. S. 62. – S. a. C.G. Allesch: Geschichte der psychologischen Ästhetik, S. 419 f. 158 S. o. S. 47, Anm. 76. 159 »Die Vorgeschichte« [des zweiten Kongresses für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft], S. 2; s. a. »II. Kongreß für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft«. In: Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft. 17 (1924), S. 207 und S. 432; »II. Kongreß für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft«. In: Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft. 18 (1925), S. 128, S. 271 f. und S. 416. 160 Vgl. »Die Vorgeschichte« [des zweiten Kongresses für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft], S. 2–5. 161 Vgl. ebd., S. 5.
Die Allgemeine Kunstwissenschaft als Institution233
rate gegenüber dem ersten Kongress zwar um mehr als die Hälfte reduziert, hinzu kommen aber – neben Dessoirs Eröffnungsvortrag – 29 im Bericht wiedergegebene Mitberichte, so dass das Programm der drei Kongresstage nach wie vor gut gefüllt ist. Aber weder dieser noch die folgenden Kongresse haben, wie Dessoir im Rückblick urteilt, »– trotz ausgezeichneter Leistungen – die quellende Fülle des ersten erreicht«.162 Auch die vorgesehene Internationalisierung muss unter diesen Bedingungen und angesichts der Ächtung deutscher Wissenschaftler nach dem Ersten Weltkrieg im Ausland wieder zurückgenommen werden; ausländische Teilnehmer oder gar Referenten bleiben von nun an weitestgehend aus. Erst im Rahmen des Pariser Kongresses von 1937 kann das Ziel der Internationalität, wenngleich nun unter erheblichen Einschränkungen durch die nationalsozialistische Kulturpolitik, realisiert werden. Aufgrund dieser Schwierigkeiten fällt auch das Rahmenprogramm der Veranstaltung vor allem in gastronomischer Hinsicht weniger opulent als beim ersten Kongress aus. Aber immerhin stellen die »Leiter der wichtigsten Berliner Theater« für »die Kongreßteilnehmer (vorzugsweise für die auswärtigen) eine Anzahl von Freikarten« zur Verfügung. Zudem gewähren »[d]ie Lichtbildbühnen der UfaGesellschaft, die Museen und Kunstausstellungen […] freien Eintritt gegen Vorzeigung der Mitgliedskarte«. Und »zur Ergänzung des Vortrags über ›Kunst und Jugend‹« werden in einem der Hörsäle »Schülerzeichnungen und Bastelarbeiten aller Altersstufen ausgestellt«. Dabei hält sich dort »Herr Studienrat Otto Möller«, der als Zeichenlehrer dem pädagogischen Flügel der revolutionären Berliner Künstlervereinigung Novembergruppe angehört, »zu Erklärungen und Auskünften bereit«.163 Auf diese Weise wird der zentralen Bedeutung, die der »Kunsterziehung« innerhalb der Allgemeinen Kunstwissenschaft vor allem bei Dessoir zukommt164, Rechnung getragen. So unterstreicht Dessoir auch in seiner Begrüßungsansprache zum zweiten Kongress noch einmal die Bedeutung einer als Beitrag zur »Lebensgestaltung und Wesenserhöhung« verstandenen der Kunsterziehung, die zwar »weit über das Wissen hinaus« gehen soll, aber nichtsdestoweniger ihren Weg »durch das Wissen hindurch« nehmen muss.165 Den Vortrag über Kunst und Jugend selbst hatte im Rahmen der ursprünglichen Tagungsplanung die Wiener Entwicklungspsychologin Charlotte Bühler (mit dem Leipziger Philosophen und Philologen Karl Ernst Theodor Bergmann und Jonas Cohn als Mitberichterstattern) übernommen. Da Bühler dann aber durch eine Amerikareise an der Kongressteilnahme gehindert ist, hält diesen Vortrag nun der Reformpädagoge Franz Hilker, der vor seinem Wechsel zum Oberschulrat in Thüringen bis 1923 als Kunsterzieher am Werner-Siemens-RealgymDessoir: Buch der Erinnerung, S. 40. Vorgeschichte« [des zweiten Kongresses für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft], S. 4. 164 S. o. S. 112. 165 M. Dessoir: [Begrüßungsansprache zum zweiten Kongress für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft], S. 10. 162 M.
163 »Die
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Kapitel III
nasium in Berlin-Schöneberg tätig gewesen war (flankiert durch den Mitbericht des Musikers und Begabungsforschers Heinrich Jacoby über die Voraussetzungen und Grundlagen einer lebendigen Musikkultur).166 Im folgenden Jahr wird dann in der Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft der programmatische Beitrag von Charlotte Bühler zum Thema nachgetragen, in dem die Autorin von den drei folgenden grundlegenden Fragen ausgeht: 1. Wie ist das Verhältnis der Jugend zur Kunst? Hat sie überhaupt ein Verhältnis zur Kunst, und wann erwacht es und wie ist es beschaffen? 2. Können und sollen wir es pädagogisch beeinflussen und wie? 3. Welche Berechtigung, welchen Sinn, welche Grenzen hat die sogenannte Kunsterziehung und die ganze seit einem Vierteljahrhundert in Fluß geratene kunsterzieherische Bewegung?167
Es geht ihr erklärtermaßen darum, den in der Zeit um 1900 auf kommenden »Gedanken einer künstlerischen Erziehung als ernsthafte Angelegenheit des öffentlichen Interesses« entschlossen auf der wissenschaftlichen Höhe der Zeit zu diskutieren und als »pädagogisch neuartiges Arbeits- und Kampffeld« weiter zu konsolidieren.168 Der Berliner Architekt Paul Zucker, Mitglied der auf dieser Veranstaltung neu gegründeten Gesellschaft für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft, hatte bereits am ersten Kongress teilgenommen und auch über diesen berichtet.169 Nun, 1924, tritt er als Mitberichterstatter in der Architektursektion auf 170 und kommentiert anschließend auch diesen Kongress in der Zeitschrift Kunst und Künstler. Seine Rezension begreift er als den »Versuch ein Fazit zu ziehen« und den auf dem Kongress »gegebenen Querschnitt der heutigen Situation zu überblicken«.171 Dabei rekon struiert er diese Situation anhand der bereits im Zusammenhang mit den Planungen des Hallenser Kongresses benannten sachlichen Schwerpunkten, also »Ästhetik und Philosophie der Kunst«, »Psychologie und Psychopathologie des künstlerischen Schaffens« sowie »Theorie der Einzelkünste«172: »Die Ästhetik, die Erforschung der Gesetzlichkeit der Kunst und des künstlerischen Lebens«, eröffnet Zucker seine Rezension im Geist der interdisziplinären Bestrebungen der Initiative ›Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft‹, 166 Vgl.
F. Hilker: »Kunst und Jugend«; H. Jacoby: »Voraussetzungen und Grundlagen einer lebendigen Musikkultur«. 167 C. Bühler: »Kunst und Jugend«, S. 289. 168 Ebd., S. 288. 169 Vgl. »Verzeichnis der Teilnehmer« [des ersten Kongresses für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft], S. 12. – P. Zucker: »Vom I. Kongreß für Aesthetik und Kunstwissenschaft zu Berlin vom 5.-7. Oktober 1913«. 170 Vgl. P. Zucker: »Subjektivismus in der Architektur«. 171 P. Zucker: »Kongress für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft Berlin 16.-19. Oktober 1924«, S. 109. 172 »Kongress für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft«. In: Kant-Studien. 28 (1923). – S. o. S. 232.
Die Allgemeine Kunstwissenschaft als Institution235
gehört zu diesen an und für sich stets problematischen Grenzwissenschaften, die nicht das Glück eines fest umrissenen Arbeitsgebietes haben. So kamen denn auch auf dem letzten Kongreß Vertreter jener drei Kategorien zu Wort, die hauptsächlich um die Wissenschaft von der Kunst bemüht sind: die Philosophen und Psychologen einerseits, die Historiker der bildenden Kunst, Musik und Literatur andererseits und endlich die schaffen Künstler selbst, soweit sie sich auch gedanklich mit den Grundproblemen ihrer Kunst beschäftigen und diese theoretische Tätigkeit nicht für gleichbedeutend mit künstlerischer Impotenz halten.173
Ganz im Sinne von Dessoirs Diagnose zur Lage der experimentellen Ästhetik in seiner Eröffnungsansprache174 notiert Zucker dann zunächst, was die ›heutige Situation‹ angeht, »ein unbestreitbares Zurückebben der naturwissenschaftlichen Strömungen«.175 Insbesondere stehe man nun »den Erkenntnissen der experimentellen Psychologie oder vielmehr ihren Erkenntnismöglichkeiten in bezug auf künstlerische Fragen recht skeptisch gegenüber«. Dem »Geheimnis des künstlerischen Schaffens« sei man auf diesem Weg jedenfalls »nicht näher gekommen«. Demgegenüber bemerkt er eine Akzentverschiebung der philosophischen Grundauffassung »von der experimentellen Richtung hin deutlich zur phänomenologischen Betrachtung, die in Moritz Geiger (Göttingen) ihren hervorragendsten Vertreter fand, jener Richtung, die im Kunstwerk vor allem das Phänomen sieht und ihm durch Wesensintuition und Wesensanalyse immer näher zu kommen versucht«.176 Auf eben dieser Linie sieht Zucker aber auch die die Ausführungen Psychiaters und Kunsthistorikers Hans Prinzhorn, der mit seinem Kongressbeitrag bei seiner 1922 veröffentlichten Studie über die Bildnerei der Geisteskranken177 anknüpft, indem er hier nun die »Parallelen zum künstlerischen Gestaltungsvorgang in den Bildnereien der Geisteskranken« analysiert und dabei die Überzeugung vertritt, »von dieser Seite aus Zusammenhänge zwischen analogen Prozessen aufdecken zu können«. Zucker kontextualisiert diese Sicht der Dinge: In verschiedenartiger Beleuchtung sind von Lombroso, Dilthey, Freud, Kretschmar und Jaspers bereits derartige Parallelen gezogen worden. Die moderne Psychiatrie beschränkt sich jedoch, im Gegensatz zu jenen, die ohne weiteres Schlüsse auf die seelische Struktur des Künstlers gezogen haben, lediglich darauf, den Urvorgang der Gestaltung aus den Werken der Geisteskranken zu erforschen, da dort keine Hemmungen durch Tradition, Konvention und Realität gegeben seien. So gerät unsere
173 P.
Zucker: »Kongress für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft Berlin 16.-19. Oktober 1924«, S. 109. 174 S. o. S. 62. 175 P. Zucker: »Kongress für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft Berlin 16.-19. Oktober 1924«, S. 109. 176 Ebd., S. 110. Vgl. M. Geiger: »Phänomenologische Ästhetik«. 177 Vgl. H. Prinzhorn: Bildnerei der Geisteskranken.
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Kapitel III
Anschauung über die Begriffe »krank und gesund« immer mehr ins Fließen, da der objektive psycho-pathologische Maßstab für den Begriff der Normalität fehlt.178
Aus anderer, stärker an der Grundvorstellung einer wechselseitigen Verwiesenheit von Werk und Künstler orientierter, Perspektive analysiert dagegen Utitz auf diesem Kongress im Rahmen einer ›Psychologie des künstlerischen Schaffens‹ den Charakter des Künstlers. Im Kunstwerk erschließt sich nach Utitz nämlich »nicht nur etwa ein besonderer artistischer Charakter des Künstlers, sondern auch sein gesamt-menschlicher«. Als das Entscheidende betrachtet Utitz dabei »die Echtheit der Persönlichkeit« – nach Zuckers Auffassung eine bedeutende Wendung, denn »[d]iese Feststellung ist keine Verschiebung aus dem Gebiete der Ästhetik in das der Ethik und als Überwindung der ästhetisierenden Artistik besonders deshalb zu begrüßen, weil sie sich vollkommen mit dem veränderten allgemein-menschlichen Grundempfinden unserer Zeit deckt«.179 Hinsichtlich der Ausführungen zu den Theorien der Einzelkünste geht Zucker, auch seinen eigenen Interessen entsprechend, zunächst auf die Architekturtheorie ein. Den Schlüsselbeitrag liefert hier der Wiener Kunsthistoriker Dagobert Frey mit seinen Ausführungen zur Wesensbestimmung der Architektur, in denen er versucht, »das Problem der Architektur in der besonderen Art ihrer Wirklichkeit zu sehen: der Bau, der als Kunstwerk unwirklich ist und zugleich in der Gliederung unseres alltäglichen Lebens eine Wirklichkeit«.180 Zucker berichtet noch über drei weitere Beiträge von Kunsthistorikern: Mit seinem Vortrag über die Beziehung von Ornament und geschmücktem Gef äß hat Frederik Adama van Scheltema nach Einschätzung des Rezensenten »für die Kunstgeschichte der vorgeschichtlichen Epochen zum erstenmal einen festen Leitfaden für die grundlegenden formalen Ideen« gegeben.181 Paul Frankl hat mit seiner Analyse von Stilarten und Stilgattungen einen Beitrag zur weiteren Bestimmung der Schlüsselprobleme der Kunstgeschichtsbetrachtung geleistet: Indem er über »die bekannten Wölfflinschen Grundbegriffe Gegensatzpaare von Stilen« hinaus »kosmische und chaotische, textile und konstruktive, totale und partielle Stile einander gegenüberstellte«, hat auch er trotz dieser Erweiterung zwar kaum »alle Möglichkeiten der stilistischen Entwicklung« umschrieben. Frankls zusätzliche Differenzierungen sind aber, so Zucker,
178 P.
Zucker: »Kongress für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft Berlin 16.-19. Oktober 1924«, S. 110. Vgl. H. Prinzhorn: »Der künstlerische Gestaltungsvorgang in psychiatrischer Beleuchtung«. 179 P. Zucker: »Kongress für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft Berlin 16.-19. Oktober 1924«, S. 110. Vgl. E. Utitz: »Der Charakter des Künstlers«. 180 P. Zucker: »Kongress für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft Berlin 16.-19. Oktober 1924«, S. 110. Vgl. D. Frey: »Wesensbestimmung der Architektur«. 181 P. Zucker: »Kongress für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft Berlin 16.-19. Oktober 1924«, S. 110. Vgl. F. Adama van Scheltema: »Ornament und Träger«.
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deswegen besonders zu begrüßen, weil sie wiederum darauf hinweisen, daß eine Antithese, mag sie auch noch so glücklich und treffend sein, wie etwa die der Wölfflinschen Grundbegriffe, niemals allein ausreicht, um die stilistische Entwicklung zu erklären: daß jedes Kunstwerk so vielf ältig ist, daß es als Diagonale in einem Paral lelogramm sehr verschiedenartiger Stilantithesen aufgefaßt werden muß, für die untereinander die mannigfaltigsten Variationsmöglichkeiten bestehen.182
Auch Wulff leistet nach Zuckers Auffassung mit seiner Unterscheidung »zwischen Sehform und Sehvorstellung«, die Anschauungsweisen jeweils psychophysisch und medientheoretisch ableitet, einen Beitrag zur weiteren Bestimmung kunstwissenschaftlicher Grundbegriffe: »Von der Sehform, dem zweidimensionalen Flächenbild ginge die malerische Anschauungsweise, von der Sehvorstellung, die eine Körpervorstellung ist, in der sich optische Erfahrung mit solcher des Tastsinns verbindet, die plastische Anschauungsweise aus.«183 Dessoir hatte in seiner Eröffnungsansprache ausdrücklich betont, dass man den »Künsten und den Künstlern unserer Tage« zweifellos »einige Erweiterungen unseres Gebietes« verdankt: Neben den seit alters anerkannten Großmächten der Kunst erheben sich neuerdings mit dem Anspruch selbständiger Eigenart: Regie, Film und Tanz, und wir dürfen uns der Aufgabe nicht versagen, sie unter kunstwissenschaftlichen Gesichtspunkten zu prüfen.184
Die Sektion zu den Theorien der Einzelkünste enthält dementsprechend Beiträge, die dezidiert neue Medien und Arbeitsformen unter dem Aspekt ihres künstlerischen Charakters diskutieren, nämlich einen Vortrag des Dramatikers Julius Bab über Film und Kunst185 und des Intendanten und Theaterwissenschaftlers Carl Hagemann über Regie als Kunst186 , die Beiträge zur Entwicklung der seinerzeit noch jungen Filmtheorie und der Theaterwissenschaften leisten. Zucker beschränkt sich demgegenüber auf die Präsentation eines Vortrags aus den in dieser Sektion klar dominierenden Beiträgen zu Musik und Tanz187: die Ausführungen des Musikwis182 P.
Zucker: »Kongress für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft Berlin 16.-19. Oktober 1924«, S. 110 f. Vgl. P. Frankl: »Stilgattungen und Stilarten«. 183 P. Zucker: »Kongress für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft Berlin 16.-19. Oktober 1924«, S. 111. Vgl. O. Wulff: »Die psychophysischen Grundlagen der plastischen und malerischen Gestaltung«. 184 M. Dessoir: [Begrüßungsansprache zum zweiten Kongress für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft], S. 9. 185 J. Bab: »Film und Kunst«. – Den Mitbericht leistet der avantgardistische Architekt und Architekturtheoretiker Adolf Behne. (Vgl. A. Behne: »Mitbericht« [zum Vortrag von Julius Bab: »Film und Kunst«].) 186 C. Hagemann »Regie als Kunst«. – Den Mitbericht leistet der Philosoph Ludwig Marcuse. (Vgl. L. Marcuse: »Mitbericht« [zum Vortrag von Carl Hagemann »Regie als Kunst«].) 187 Neben Heinrich Jacobys Mitbericht über Voraussetzungen und Grundlagen einer lebendigen Musikkultur gibt es hier einen stark tanz- und musiktheoretisch geprägten Vortrag von Alfred Vierkandt über Prinzipienfragen der ethnologischen Kunstforschung (mit einem Mitbericht von Ri-
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senschaftlers Hans Joachim Moser über Die Stilverwandtschaft zwischen der Musik und den anderen Künsten, die dieser auf »entschiedene[n] Wunsch der Kongreßleitung« und unter explizitem Bezug auf Walzels Schrift von 1917 über die Wechselseitige Erhellung der Künste konzipiert.188 Mit der hier eröffneten Möglichkeit, Parallelen zwischen der Musik und ihren Nachbargebieten zu ziehen, »die mehr sind als ein Spiel mit Worten und wirklich auf den allgemein verbindlichen Stil einer bestimmten Zeit hinzielen«, hat Moser nach Ansicht des Rezensenten »die wesentlichsten Ausführungen« des Kongress überhaupt vorgelegt. Denn damit zeigt er, »daß eine wechselseitige Erhellung der Künste sehr wohl möglich und die Anwendung von Begriffsformulierungen aus der einen Kunst durchaus fruchtbar für die Erkenntnis der anderen wäre, – wenn sie mit gesunder Skepsis und Vorsicht geschähe«.189 In der Bilanz erkennt Zucker in diesem Kongress die Manifestation einer überfälligen Hinwendung zu den Phänomenen, wie die Allgemeine Kunstwissenschaft sie fordert. So sieht er die avancierte Kunstforschung der Gegenwart, die sich auf dem Kongress präsentiert hat, charakterisiert durch eine ganz allgemeine Abwendung von zu weit gehenden Abstraktionen, in der Anerkenntnis der elementaren gefühlsmäßigen Tatsachen, in dem Verzicht auf Etiquettierung des lebendigen Kunstwerkes, – alles Dinge, die uns selbstverständlich erscheinen, keineswegs aber immer von der »offiziellen Wissenschaft« auch so angesehen wurden.190
c) Der Kongress für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft »Rhythmus und Symbol« (Halle 1927) Im letzten Heft des Jahres 1926 der Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft findet sich eine kurze Notiz, in der mitgeteilt wird, die Gesellschaft für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft beabsichtige, »in der Pfingstwoche 1927 eine Tagung zu veranstalten«, die »in Halle (Saale) stattfinden« soll. Ein Ortsausschuss chard Thurnwald), einen Vortrag von Rudolf von Laban zum Thema Der Tanz als Eigenkunst (mit einem Mitbericht von Fritz Böhme Der musiklose Tanz sowie von Christian Herrmann), einen Vortrag von Hans Mersmann Zur Phänomenologie der Musik (mit Mitberichten von Gustav Becking und Helmuth Plessner), von Hermann Abert zum Thema Geistlich und Weltlich in der Musik (mit Mitberichten von Gerhard von Keußler und Arnold Schering) von Georg Schünemann über Beziehungen neuer Musik zu exotischer und frühmittelalterlicher Tonkunst (mit Mitberichten von Philipp Jarnach über Das Exotische in der modernen Musik und von Erich von Hornbostel) sowie einen Vortrag von Hans Joachim Moser über Die Stilverwandtschaft zwischen der Musik und den anderen Künsten (mit Mitberichten von Georg Anschütz und Curt Sachs). (Vgl. »Inhaltsverzeichnis«. In: Zweiter Kongress für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft.) 188 H.J. Moser: »Die Stilverwandtschaft zwischen der Musik und den anderen Künsten«, S. 425, s. a. S. 427. 189 P. Zucker: »Kongress für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft Berlin 16.-19. Oktober 1924«, S. 111. 190 Ebd.
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mit Utitz als Vorsitzendem und Liepe als Schriftführer sei bereits gebildet worden. »Außer einigen allgemeinen Vorträgen«, so erfährt man näherhin, »wird der Kongreß vornehmlich eine nach allen Seiten ausgreifende Erörterung der beiden Probleme ›Rhythmus‹ und ›Symbol‹ bieten. Im Zusammenhang hiermit sind auch künstlerische Veranstaltungen vorgesehen.«191 Notizen gleichen Inhalts erscheinen ebenfalls namentlich in den Kant-Studien und in der damals von George Edward Moore herausgegebenen britischen Zeitschrift Mind.192 Konkret findet der Kongress vom 7. bis 9. Juni an der Universität Halle-Wittenberg statt. Die Wahl Halles als Ort der Durchführung eines Kongresses für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft liegt umso näher, als 1925 mit Utitz einer der führenden Köpfe der Initiative von seiner außerordentlichen Professur für Philosophie in Rostock nach Halle auf den vakanten philosophischen Lehrstuhl von Max Frischeisen-Köhler berufen worden war.193 So gibt es – neben den bereits früher angegebenen Gründen der zentralen Lage dieser Stadt und ihrer Beherbergung der Kant-Gesellschaft194 – ein zusätzliches Motiv, bei den zwangsweise verworfenen früheren Plänen zu einem Kongress in Halle anzuknüpfen. In seiner Eröffnungsansprache beschwört Utitz zudem feierlich den genius loci, indem er mit Alexander Gottlieb Baumgarten, Johann Joachim Winckelmann, Georg Friedrich Meier, Carl Gustav Carus, Heinrich von Stein und Rudolf Haym auf der einen, Goethe, Wackenroder, Ludwig Tieck, Achim von Arnim, Eichendorff, Georg Friedrich Händel und Robert Franz auf der anderen Seite Halle als Ort nicht allein der »Besinnung über die Kunst«, sondern auch der »Kunst selbst« charakterisiert.195 Bei der Planung und Organisation erweist es sich überdies als hilfreich, dass der »in Halle neugebildete Kongreßausschuß bei Vorbereitung und Durchführung der Tagung« auch in der Praxis »von allen Seiten unterstützt« wird: »vom Reichsministerium des Innern, dem preußischen Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, von Rektorat und Kuratorium der Universität Halle-Wittenberg, von der Verwaltung der Provinz Sachsen und dem Magistrat der Stadt Halle«.196 Dem Ortsausschuss gehören außer Utitz und Liepe, der 1925 in Halle zum außerordentlichen Professor ernannt worden war, noch weitere Hallenser Wissenschaftler an: neben Paul Frankl, Paul Menzer und Theodor Ziehen, die sich bereits bei früheren Gelegenheiten im Kontext der Allgemeinen Kunstwissenschaft engagiert hatten, sind dies der germanistische Mediävist Georg Baesecke, der evange191 »III.
Kongreß für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft«. »Dritter Kongress für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft«; »Kongress für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft«. In: Mind. 35/140 (1926). 193 S. a. F. Uhlig: »Emil Utitz’ Schriften zur Kunstkritik des Expressionismus«, S. 46–48. 194 S. o. S. 230. 195 »Gesellige und künstlerische Veranstaltungen und Eröffnung des Kongresses« [= des dritten Kongresses für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft], S. 116. 196 »Die Vorgeschichte« [des dritten Kongresses für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft], S. 105. 192 Vgl.
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lische Theologe, Kirchenhistoriker und Christliche Archäologe Johannes Ficker, der Kunsthistoriker Kurt Gerstenberg, der Klassische Archäologe Georg Karo, der Musikwissenschaftler Arnold Schering, der Literaturhistoriker Ferdinand Josef Schneider, der Architekt und Leiter der Kunstgewerbeschule Halle an der Burg Giebichenstein Paul Thiersch und der Philosoph Ottomar Wichmann.197 In der Einladung, »deren Entwurf und Druck die Werkstätten der Stadt Halle in Giebichenstein«198 unter Leitung Thierschs ausführen, wird dann der allgemeine Beschluss mitgeteilt, dass diese Tagungen »nunmehr eine regelmäßige Einrichtung werden« sollen. Dies war bereits unter dem Eindruck des ersten Kongresses angestrebt worden.199 Nun heißt es allerdings, die Tagungen würden sich aufgrund dieser beabsichtigten Regelmäßigkeit, in Absetzung von den ersten beiden Übersichtskongressen, »künftig neben der Erörterung allgemeiner Fragen der systematischen Durcharbeitung einzelner wichtiger Problemkreise unserer Wissenschaft widmen können, um so im Laufe der Zeit ihr Gesamtgebiet abzuschreiten«.200 Auf wen bzw. auf welche Motive die Themenschwerpunkte des Hallenser Kongresses – ›Rhythmus‹ und ›Symbol‹ – konkret zurückgehen, wird weder in der Einladung noch in den sonstigen Ausführungen zur Vorgeschichte des Kongresses im Rahmen des Berichtes festgehalten. In einem 1929 in den Kant-Studien erschienen Aufsatz Über Grundbegriffe der Kunstwissenschaft merkt Utitz jedoch an, von dem grundlegenden kunstwissenschaftlichen Problem her, das Verhältnis von Kunstwerk und Gesamtcharakter einer Epoche zu bestimmen, liege es »nahe, die ganzen Kunstformen als Symbole zu deuten«. Er verweist dabei insbesondere auf den »allgemeinen Symbolismus«, wie Ernst Cassirer ihn in »einer großartigen Philosophie der symbolischen Formen« zu entwickeln im Begriff sei. »Die Wichtigkeit dieses Problems« habe, wie er rückblickend erklärt, »den letzten Kongreß für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft veranlaßt, de[n] Symbolbegriff mit in den Mittelpunkt der Aussprache zu rücken.« 201 Der Rhythmusbegriff wird in den 1920er Jahren ebenfalls »von Künstlern und Forschern mit großer Begeisterung gebraucht und von vielen sogar als kultureller Leitbegriff verstanden«.202 Zu diesen gehört auch Aby Warburg, mit dem Cassirer in engem Austausch steht.203 Bei Dessoir selbst spielt der Rhythmus vor allem in seiner Studie über Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft eine zentrale Rolle als 197 Vgl.
ebd.
198 Ebd. 199
S. o. S. 229. Vorgeschichte« [des dritten Kongresses für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft], S. 106. 201 E. Utitz: »Über Grundbegriffe der Kunstwissenschaft«, S. 45 f. 202 G. Vasold: »Am Urgrund der Kunst«, S. 67. 203 In seinem Vortrag über das ›Schlangenritual‹ der Hopi-Indianer von 1923 bezeichnet Warburg etwa den Rhythmus dieses rituellen Tanzes als den »Urgrund elementarer Menschlichkeit«, auf den zurückgegangen werden muss, um die entsprechende Kultur adäquat zu erfassen. (A.M. Warburg: Schlangenritual, S. 39.) 200 »Die
Die Allgemeine Kunstwissenschaft als Institution241
Grundbestimmung des ästhetischen Gegenstandes.204 In der zweiten Auflage seines Werks verweist er in diesem Zusammenhang auch auf eine »trotz ihrer Kürze tief dringende Lehre vom Rhythmus«, die der Kunsthistoriker August Schmarsow in der Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft 1922 entworfen habe.205 Überhaupt gehört Schmarsow nicht nur bereits seit dem Beginn des Jahrhunderts zu den Forschern, die den Rhythmus zu einem der Grundbegriffe der Kunstwissenschaft erklären: Im Rahmen seines bis in die 1890er Jahre zurückreichenden Versuchs, die Künste aus ihrem »Ursprung im Subjekt«, d. h. der physiologischen Anlage des Menschen und seinem darin begründeten Verhältnis zur Welt, zu erklären, bringt Schmarsow den Rhythmus – gegen die traditionelle Fixierung der Kunstforschung auf den Gesichtssinn – als Instanz ins Spiel, die alle Sinne erfasst und die ganze Körperlichkeit einbezieht. Insofern er zwingend an die dritte Dimension gebunden sei, wird der Rhythmus vor allem Grundbegriff von Schmarsows Theorie der Architektur, die er auf seiner Grundlage nicht mehr als dienende, sondern als freie Kunst bestimmt.206 Diese These hat Schmarsow in zahlreichen, vor allem in der Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft erschienenen Studien 207, auch bereits lange vor dem von Dessoir erwähnten Beitrag und auch nach dem Hallenser Kongress, zu einer umfassenden Theorie weiter ausgearbeitet 208. An diesem Kongress nimmt der 74-jährige Schmarsow aber nicht teil, und seine Rhythmuslehre spielt hier bereits keine Rolle mehr. Man interessiert sich nun mehr für die rhythmischen Aspekte von Musik, Tanz, Poesie und Rede und konzentriert sich in methodologischer Hinsicht, ausgelöst durch den Kongressbeitrag von Theodor Ziehen 209, vor allem auf die Frage, ob der Rhythmus als naturphilosophisches Problem unabhängig von psychologischen Interpretationen zu konstruieren sei 210. Die Architektur bleibt dabei außenvor. Dessoir selbst erläutert später, was die Themenschwerpunkte des Hallenser Kongresses angeht, lediglich den grundsätzlichen Schritt von Übersichts- zu Pro blemkongressen: Man sei nach den vorausgegangenen Debatten »nun gerüstet, bestimmte Probleme von mehreren Seiten in Angriff zu nehmen und auf solche Art bes. M. Dessoir: Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft, 1. Aufl., S. 131–141 u. ö. / 2. Aufl., S. 77–87 u. ö. 205 Ebd., 2. Aufl., S. 77. Dessoir bezieht sich hier auf A. Schmarsow: »Zur Lehre vom Rhythmus«. – S. o. S. 160. 206 Vgl. A. Schmarsow: Grundbegriffe der Kunstwissenschaft, bes. S. 84–99 (Zit. S. 85). 207 Vgl. bes. A. Schmarsow: »Raumgestaltung als Wesen der architektonischen Schöpfung«. In: Kongress für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft; ders.: »Raumgestaltung als Wesen der architektonischen Schöpfung«. In: Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft; ders.: »Rhythmus in menschlichen Raumgebilden«; ders.: »Zur Bedeutung des Tiefenerlebnisses im Raumgebilde«; ders.: »Zur Lehre vom Rhythmus« (auf diesen Aufsatz bezieht sich Dessoir); ders.: »Vom Organismus unserer Kunstwelt«; ders.: »Gemeinschaft der Sinnesgebiete im schöpferischen Akt«; ders.: »Geist und Seele im Rhythmus?«. 208 S. o. S. 152–161. 209 Vgl. T. Ziehen: »Rhythmus in allgemein philosophischer Betrachtung«. 210 Vgl. C.G. Allesch: Geschichte der psychologischen Ästhetik, S. 420. 204 Vgl.
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zu zeigen, daß Philosophen, Psychologen und Kenner der verschiedenen Künste wichtige Aufgaben gemeinsam haben«.211 Zudem sollen die Kongresse jetzt »auch einen Einblick bieten in die kunsttheoretische Arbeitsweise der jeweiligen Tagungsstätte«.212 Konkret heißt dies für die Hallenser Tagung, dass hier Beiträgen von Hallenser Wissenschaftlern ein besonders großer Raum gelassen wird: Von den 18 Vorträgen, die neben Utitz’ Eröffnungsansprache auf dem Programm stehen, stammen acht aus dem Hause im weiteren Sinne: Außer den Ausschussmitgliedern Frankl, Menzer, Ziehen, Baesecke und Liepe referieren hier noch der Althistoriker Wilhelm Weber und der Lektor für Sprechtechnik und Vortragskunst Richard Wittsack.213 Und auch das Rahmenprogramm wartet mit einer Anzahl von Höhepunkten des Hallenser Kunst- und Kulturlebens auf: Neben dem obligatorischen Begrüßungsabend und einem Empfang der Kongressteilnehmer durch den Magistrat der Stadt wird so in der Aula der Universität unter Leitung von Schering ein ›historisches Festkonzert‹ mit Musik des Mittelalters geboten; im Stadttheater gibt es eine Festvorstellung von Händels Acis und Galathea unter Leitung von Generalmusikdirektor Erich Band und ›rhythmische Bewegungschöre‹, geleitet von Hedwig Nottebohm; im zum Bezirk Halle gehörenden Goethe-Theater in Bad Lauchstädt werden Goethes anlässlich der Eröffnung dieses Theaters geschriebener Einakter Was wir bringen und Mozarts Titus aufgeführt; eine Ausstellung des Kunstvereins in der Garnisonskirche, zu der Gerstenberg einen einleitenden Vortrag hält, präsentiert Hallische Kunst aus Privatbesitz; Thiersch führt durch eine Ausstellung der Werkstätten der Stadt Halle im Roten Turm.214 Und schließlich sind die Kongressbesucher eingeladen, unentgeltlich an »der sich unmittelbar anschließenden Tagung der Kant-Gesellschaft in Halle, auf der führende Vertreter der Philosophie zu Worte kommen«, teilzunehmen.215 Eine Rezension des Kongressberichts, der 1927 – im Auftrag des Ortsausschusses vom Schriftführer Liepe herausgeben – diesmal nicht als selbstständige Veröffentlichung, sondern in den Heften 2 bis 4 des 21. Bandes von Dessoirs Zeitschrift erscheint, wird 1928 in den Kant-Studien publiziert. Ihr Verfasser ist der Philosoph Fritz Kaufmann, der sich 1926 als Assistent von Husserl in Freiburg i.Br. habilitiert hatte, wo er seitdem als Privatdozent lehrt. Dabei demonstriert Kaufmann, dass die evidente personelle und strukturelle Nähe zwischen Allgemeiner Kunstwissenschaft und Kant-Gesellschaft keineswegs bloße Gefälligkeiten impliziert. 211 »Gesellige
und künstlerische Veranstaltungen« [des vierten Kongresses für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft], S. 10. 212 »Die Vorgeschichte« [des dritten Kongresses für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft], S. 106. 213 Ebd., S. 107. 214 Vgl. ebd., S. 108. 215 Ebd., S. 109. Zur näheren Charakteristik dieses Angebots vgl. »Gesellige und künstlerische Veranstaltungen und Eröffnung des Kongresses« [= des dritten Kongresses für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft], bes. S. 119–123.
Die Allgemeine Kunstwissenschaft als Institution243
Utitz hatte seine Begrüßungsansprache zu diesem Kongress mit einer Adresse an den Ersten Vorsitzenden Dessoir, dem auch der geplante Kongressbericht zum sechzigsten Geburtstag gewidmet wird, eröffnet. Dem vor allem von Dessoir immer wieder betonten interdisziplinären Credo der Allgemeinen Kunstwissenschaft entsprechend, hatte Utitz hier erklärt, er erblicke in dem auf diesem Kongress wieder zustande kommenden Zusammenschluß verschiedenster Wissensgebiete zu innerlich verbundenem Schaffen die fruchtbarste Sinnerfüllung unserer Tagungen. Nicht einzelne Forschungszweige sind es, die abenteuernd in andere eingreifen; nein: in ihrer eigengesetzlichen Bemühung zeugen sie notwendig für die große Einheit und Unerläßlichkeit kunstphilosophischer Besinnung. Der Auf bau unseres Ortsausschusses beweist dies, und die sachliche Arbeit unseres Kongresses soll es kundtun.216
Und auch Valentin Haecker, der als Rektor der Universität Halle-Wittenberg ein Grußwort anfügt, hatte unterstrichen, »unter allen wissenschaftlichen Tagungen« seien »diejenigen am fruchtbarsten und wohl auch am meisten berechtigt, auf welchen unter dem Schutze und dem Dienste einer verbindenden Wissenschaft die Vertreter der verschiedensten Fächer das Wort ergreifen und die Hörerschaft bilden«. Dabei hatte er besonders hervorgehoben, dass »bei diesem Kongreß nicht bloß alle diejenigen zu ihrem Rechte kommen, die sich als Forscher und Jünger und Verehrer um die Geisteswissenschaften scharen, sondern daß auch die Arbeiter auf manchen Gebieten der Naturwissenschaften unmittelbar berührt werden«. Haecker hatte dann mit dem Wunsch geschlossen, auch dieser Kongress möge entsprechend seinem Programm dazu dienen, daß neue Verbindungen und Verknüpfungen hergestellt werden und daß der lebendige Ring [in dem Geisteswissenschaften, Naturwissenschaften und Technik miteinander verbunden sind] trotz aller Sonderbedürfnisse der Spezialforschung nicht bloß, für alle sichtbar und eindrucksvoll, erhalten bleibe, sondern immer fester gefügt werde im Geiste und in der Richtung der ewigen Universitas litterarum […].217
In diesem Sinne hält so auch Kaufmann in seiner Rezension zunächst eingangs fest, diese Tagung verdanke sich jenem anhaltenden Engagement für eine »Bekundung und Bekräftigung der Zusammengehörigkeit von Philosophie, Theorie und Geschichte der Kunst«, für das der Name Dessoirs stehe. »Extensive Fortwirkung, intensives Wachstum« seien diesen Bestrebungen zu wünschen.218 Damit endet aber auch schon weitgehend, was der Rezensent Positives über diese Veranstaltung zu berichten hat. Mit Blick auf die unmittelbare zeitliche Nachbarschaft dieses Kongresses mit der Jahresversammlung der Kant-Gesellschaft geht Kaufmann zwar zunächst be216
Ebd., S. 115. Ebd., S. 117 f. 218 F. Kaufmann: »III. Kongress für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft«, S. 344. 217
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nevolent von einer die »Ueberschneidung der geistigen Interessenkreise, die sich hier begegnen konnten«, aus, die durchaus »beiden Gesellschaften zum Nutzen gewesen sein« mag. Allerdings kann er dann doch nicht »verschweigen, daß der Ertrag dem äußeren Erfolge« – mit 431 Teilnehmern hatte der rezensierte Kongress sogar wieder leicht über dem vorausgegangenen gelegen – »nicht ganz die Wage hielt«.219 Zu ergänzen bleibt an dieser Stelle, dass ebenfalls die Zahl der Beiträge selbst gegenüber dem vorausgegangenen Kongress weiter deutlich zurückgeht: Mit 18 Vorträgen liegt dieser Kongress um drei zurück, und der Kongressbericht dokumentiert anstelle der 29 Mitberichte von 1924 lediglich 18 Mitberichte – offenbar auch der Grund, dem Bericht diesmal keine separate Buchpublikation zuteilwerden zu lassen. Wie bereits in der Ankündigung vorgesehen, gliedern sich Veranstaltung und Bericht in eine Sektion mit »Allgemeine[n] Vorträge[n], gefolgt von jeweils einer Sektion mit »Vorträge[n] und Verhandlungen zum Problemkreise Rhythmus« sowie zum »Problemkreise Symbol«.220 Trotz der von Kaufmann ausdrücklich unterstrichenen Aktualität insbesondere des Symbolthemas waren, so sein nüchternes Urteil, zu »radikaler Problematik, zu richtunggebenden Impulsen […] höchstens Ansätze zu spüren«.221 Die ausführlichste Darstellung lässt Kaufmann dabei der Allgemeinen Sektion zuteilwerden. Hier hebt er trotz mancher Vorbehalte, die durch »das Ausgehen von der formalen Stilanalyse« bedingt sind, insbesondere Paul Frankls Beitrag über Die Rolle der Ästhetik in der Methode der Geisteswissenschaften hervor.222 Denn eine solche »methodische Isolierung ist statthaft, solange man«, wie Frankl es durchaus tue, »die Grenzen ihrer Verständnismöglichkeiten nicht zu Grenzen der Sache macht«.223 Dabei lässt Kaufmann keine Zweifel daran, wen er für den Urheber eines fortgesetzten Formalismus, der durch seine Isolation der Kunst von ihrem lebensweltlichen Kontext ständig an die eigenen methodischen Grenzen geführt wird, hält: Die Wölfflinsche Inzucht in Beobachtung einer einzelnen Funktion übersieht leicht, daß diese Funktion nichts für sich ist, das erst nachträglich eine Synthese mit andern Phänomenen einzugehen hätte; daß sie als konkreter geschichtlicher Faktor auch nicht das Ganze dieses Lebens nur repräsentiert, sondern mitbildet: und als Glied des geschichtlichen Lebens gar nicht anders als in der Bedeutung dieser Gliedhaftigkeit 219 Ebd. Vgl. »Die Vorgeschichte« [des dritten Kongresses für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft], S. 109; »Teilnehmerliste des Kongresses« [= des dritten Kongresses für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft]. 220 »Inhaltsverzeichnis des Kongreßberichts«. In: Dritter Kongress für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft. 221 Vgl. F. Kaufmann: »III. Kongress für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft«, S. 344. 222 P. Frankl: »Die Rolle der Ästhetik in der Methode der Geisteswissenschaften«. – S. a. C. Maigné: »Dessoir, Frankl, Utitz: Kunstwissenschaft, histoire et culture – Débats théoriques au sein du Congrès de 1927«. 223 Vgl. F. Kaufmann: »III. Kongress für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft«, S. 344.
Die Allgemeine Kunstwissenschaft als Institution245
verstanden werden kann. Ohne dies kommt man nie zum Begreifen einer inneren Entwicklung nicht nur von Stilphase zu Phase, sondern – wenigstens innerhalb derselben geschichtlichen Welt – von Stil zu Stil, und muß immer wieder zu »äußeren Anstößen« […] Zuflucht nehmen.224
Aber auch auf die »Zeitdiagnose«, die Utitz auf diesem Kongress unter dem Titel Der neue Realismus vorstellt, geht Kaufmann ein.225 Es handelt sich dabei um eine Präsentation der Grundthesen von Utitz’ Buch über Die Überwindung des Expressionismus, das noch im Jahr des Kongresses erscheint. Im Mittelpunkt steht hier die in der Tat zeitdiagnostische These, dass im Expressionismus eine »Tragik durch Verkennung der realen Wirklichkeit und durch Ausschaltung des Logos« zum Lebensprinzip erhoben wird. Dagegen stellt Utitz sein auf klärerisches Plädoyer für Vernunft und Realitätssinn auch in Sachen Kunst – erwachsen aus seiner Überzeugung von der gesellschaftlichen Bedeutung der Kunst und der gesellschaftlichen Verantwortung, die deshalb für die Auseinandersetzung mit der Kunst zu übernehmen ist.226 Dieses Plädoyer sei zwar, wie Kaufmann anmerkt, »etwas zu einseitig der bildenden Kunst abgewonnen«, hebe aber »doch viele Züge treffend hervor. So daß es reizt, sie unter Hinzuziehung z. B. der Dichtung – etwa Franz Kaf kas – zu ergänzen und zu vertiefen.« 227 In der Sektion zum ›Rhythmus‹ ist Kaufmann allein das »mehr als Mitteilung« gedachte »und also mehr durch die Stärke der Anregung als durch Tiefe und Fülle des Gehaltes« 228 hervorragende Referat des Wahrnehmungspsychologen David Katz über Vibrationssinn und Rhythmus 229 eine Notiz wert, wo das bis dato in der Forschung einseitig fokussierte Rhythmuserlebnis über den Gehörsinn in Bezug zu dem von Katz so genannten ›Vibrationssinn‹ gesetzt wird. So wird auch in der sich an den Vortrag anschließenden Aussprache von dem Psychologen Fritz Giese erwogen, ob Katz’ Ansatz nicht etwa zur Klärung der Frage beizutragen vermag, »warum eigentlich diese internationale Popularität der Jazzrhythmik und der ungeordneten tänzerischen Bewegungstechnik in solchem Umfang zustande kam und auch ein gewisses Verwischen soziologischer Grenzen beim Individuum offenbarte«.230 Schließlich bleibt Ernst Cassirer mit seinem Vortrag in der Sektion zum ›Symbol‹ 231 nach Kaufmanns Einschätzung »bei einer feinsinnigen Erörterung der 224
Vgl. ebd., S. 344 f. Ebd., S. 345. 226 E. Utitz: »Der neue Realismus«, S. 171. 227 F. Kaufmann: »III. Kongress für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft«, S. 345. 228 Ebd. 229 Den Mitbericht leistet (in Form von zwei Fragen) der Psychologe Gustav Johannes von Allesch. (Vgl. G.J. von Allesch: »Mitbericht« [zum Vortrag von David Katz: »Vibrationssinn und Rhythmus«].) 230 »Aussprache« [zum Vortrag von David Katz: »Vibrationssinn und Rhythmus«], S. 214. 231 Vgl. E. Cassirer: »Das Symbolproblem und seine Stellung im System der Philosophie«. – Die Mitberichte leisten der Philosoph Paul Hofmann und der Willi Moog. (Vgl. P. Hofmann: »Mitbericht« [zum Vortrag von Ernst Cassirer: »Das Symbolproblem und seine Stellung im Sys225
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Arten der symbolischen Formung im wesentlichen stehen: ihr gemeinsamer Wurzelgrund, ihre generelle Zugehörigkeit läßt sich ebenso wie die Bedeutung der von Cassirer in der Philosophie der symbolischen Formen geleisteten und angebahnten Arbeit nur ahnen.« Die »Fruchtbarkeit« von Cassirers Gedanken wird für Kaufmann innerhalb dieser Sektion daher vor allem »durch die Handreichung mit der Einzelwissenschaft erwiesen«, nämlich »durch die partielle Deckung seiner Kategorienbildung mit der literaturwissenschaftlichen in Fritz Strichs schönem Vortrag ›Symbol in der Wortkunst‹«.232 Diese konkrete Verbindung von Theorie und einzelwissenschaftlicher Forschung gehört zwar von allem Anfang an zu den Grundprinzipen der Allgemeinen Kunstwissenschaft. Allerdings hatte Utitz selbst in seiner Eröffnungsansprache indirekt eingeräumt, dass diese sich zumindest in den Augen der Kunstwelt dann letztlich doch eher auf »programmatische Erklärungen« beschränkt hat: »Ausschweifende Programmatik« habe »lediglich Mißtrauen gesät gegen Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft«. Die Stunde verlange stattdessen »nach der schlichten, nüchternen aber greif baren Wirklichkeit der Tat«.233 Ob dieser Wunsch allgemein als durch den Kongress eingelöst angesehen wurde, muss nach Kaufmanns recht distanziertem Bericht fraglich erscheinen. d) Der Kongress für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft »Gestaltung von Raum und Zeit in der Kunst« (Hamburg 1930) Der vierte Kongress für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft findet vom 7. bis 9. Oktober 1930 an der Universität Hamburg statt. Die Initiative zu dieser Veranstaltung geht dabei maßgeblich von Cassirer – einem Schüler, langjährigen Berliner Kollegen und Freund Dessoirs234 – aus. So hatte Cassirer den Kongress in Halle nicht allein für eine Erläuterung seiner Symboltheorie genutzt, die allgemein – wie auch die intensive Kommentierung und Diskussion seines Vortrags zeigt – als einer der Höhepunkte, wenn nicht als der Höhepunkt dieser Veranstaltung angesehen wurde; überhaupt war er dort durch seine Philosophie der symbolischen Formen, von der bereits zwei Bände erschienen waren, zumindest auf philosophischem Feld klar die Schlüsselfigur der Sektion ›Symbol‹ gewesen. Vielmehr spricht Cassitem der Philosophie«]; W. Moog: »Mitbericht« [zum Vortrag von Ernst Cassirer: »Das Symbolproblem und seine Stellung im System der Philosophie«].). 232 F. Kaufmann: »III. Kongress für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft«, S. 345. – Vgl. F. Strich: »Symbol in der Wortkunst«. Den Mitbericht übernimmt der Literaturwissenschaftler Hermann Pongs. (Vgl. H. Pongs: »Mitbericht« [zum Vortrag von Fritz Strich: »Symbol in der Wortkunst«].) 233 »Gesellige und künstlerische Veranstaltungen und Eröffnung des Kongresses« [= des dritten Kongresses für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft], S. 115. 234 Vgl. bes. M. Dessoir: Buch der Erinnerung, S. 34, s. a. S. 182 f. – S. a. B. Recki: »Die Fülle des Lebens«.
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rer zudem am Rande dieses Kongresses im Rahmen der Mitgliederversammlung der Gesellschaft für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft die Einladung aus, die nächste Tagung in Hamburg abzuhalten, wo er seit 1919 eine Professur für Philosophie innehat.235 1929/30 ist Cassirer dann hier einer der ersten jüdischen Universitätsrektoren, wo Dessoir, wie er in seiner Autobiographie berichtet, ihn – den »Berliner Juden, dem […] Vorurteile genug im Wege standen« – noch antrifft, »getragen von dem einmütigen Vertrauen der Aufsichtsbehörde, der Dozenten und der Studentenschaft«.236 Von Anfang an tritt aber ebenfalls Cassirers Hamburger Kollege und Freund, der Kunsthistoriker Aby Warburg, als »einer der eifrigsten Förderer des Kongresses« 237 auf.238 Diese Verbindung unterstreicht Cassirer auch in der Begrüßungsansprache zu der Veranstaltung noch einmal nachdrücklich, indem er als ein zentrales Motiv für seine Einladung des Kongresses nach Hamburg »das Vertrauen auf die Hilfe und auf die tatkräftige Mitwirkung […], auf die innere Teilnahme«, angibt, »die Aby Warburg allen Grundproblemen der philosophischen Ästhetik und allen Einzelfragen der historischen und systematischen Kunstwissenschaften entgegenbrachte«. So habe Warburg auch »das Thema und das Problem [der] Tagung alsbald mit leidenschaftlichem Eifer erfaßt« und in die Beratungen »mit der ganzen Energie seines wissenschaftlichen Temperaments eingegriffen«.239 Und in der Tat kann man mit Dilly darauf hinweisen, dass zwischen der Allgemeinen Kunstwissenschaft und Warburgs Initiative eine Gemeinsamkeit besteht, die zugleich ihre Randstellung in der etablierten zeitgenössischen Kunstforschung begründet: Beiden geht es darum, »unabhängig von und gegen die Autonomiebestrebungen der Fachvertreter einen interdisziplinären Diskurs über die Kunst, ihre Geschichte und ihre Verflechtung mit anderen Bereichen geistiger Arbeit« auf den Weg zu bringen – wobei bei Warburg und seinem Kreis ikonologische Interessen die methodologischen Ambitionen der Allgemeinen Kunstwissenschaft verdrängen.240 Neben einem solchen zweifellos vorhandenen inhaltlichen Interesse dürfte Warburg mit dem Kongress aber vor allem auch ein kulturpolitisches Anliegen verbunden haben, nämlich die Stärkung der Stellung seiner Bibliothek – der Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg – als Forschungsinstitut und des mit ihr verbundenen interdisziplinären kulturgeschichtlichen Forschungsansatzes.241 Im Sinne der bereits in Halle ausgegebenen Zielsetzung, mit den Kongressen immer »auch einen 235 Vgl. »Gesellige und künstlerische Veranstaltungen« [des vierten Kongresses für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft], S. 13 f., s. a. S. 9 f.; »Generalversammlung der Gesellschaft für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft«, S. 127. 236 M. Dessoir: Buch der Erinnerung, S. 182. 237 »Die Vorgeschichte« [des vierten Kongresses für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft], S. 1. 238 Vgl. bes. A. Pinotti: »Wind, Warburg et la Kunstwissenschaft comme Kulturwissenschaft«. 239 [E. Cassirer] [Begrüßungsansprache zum vierten Kongresses für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft], S. 14. 240 H. Dilly: Kunstgeschichte als Institution, S. 39. 241 Vgl. bes. J. Faehndrich: Ernst Cassirer und Aby Warburg, S. 59.
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Einblick […] in die kunsttheoretische Arbeitsweise der jeweiligen Tagungsstätte« zu geben 242 , ist eine solche Intuition durchaus angemessen. So wiederholt Dessoir 1930 in seiner Eröffnungsansprache, Hamburg sei den Kongressteilnehmern »keineswegs bloß aufnehmender Boden, sondern eine Stätte schöpferischer Geistestätigkeit, die wir betreten, um die hier wirkenden Männer sowie die künstlerischen und wissenschaftlichen Anstalten kennen zu lernen«. Und er unterstreicht überdies noch einmal den Anspruch der Allgemeinen Kunstwissenschaft, über die Grenzen der Fachwelt hinaus wirksam zu werden, wenn er seine Ansprache mit dem Wunsch schließt, die Tagung solle »eine Quintessenz aus diesem Leben auch denen reichen, die nicht berufsmäßig und ständig sich mit ästhetischen und kunsttheoretischen Fragen beschäftigen«.243 Als Kongresstermin wird zunächst der Oktober 1929 in Aussicht genommen, und die Vorbereitungen dieser Veranstaltung beginnen 1928. So erscheint im Oktober dieses Jahres eine erste Voranzeige in der Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft. Dort erfährt man, die Vorträge sollten »vor allem einer Durchdringung und Weiterführung der durch Lessing angeregten und geförderten Probleme gelten, wie es das Jahr des 200. Geburtstages Lessings (22. Januar 1929) und der Ort der Veranstaltung nahelegen«. Näherhin sollen dabei »die Probleme: Wort und Bild (ut pictura poesis)« in den Mittelpunkt gestellt werden, »wobei die Abwandlungen der Beziehungen von bildender und redender Kunst zur Sprache gelangen«, des Weiteren »der Problemkreis der Hamburgischen Dramaturgie und seine praktische Auswirkung«, und schließlich »die erzieherische Bedeutung der Kunst«.244 Diese Themenwahl trägt nicht nur dem Jubiläum, sondern auch dem Interesse von Warburg und den seiner Kulturwissenschaftlichen Bibliothek verbundenden Forschern an den von Lessing diskutierten Zusammenhängen Rechnung. Bereits im ersten Heft des darauffolgenden Jahres werden die Leser allerdings darüber unterrichtet, der Vorstand der Gesellschaft für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft habe auf »Anregung des Hamburger Ortsausschusses« beschlossen, den Kongress auf Oktober 1930 zu vertagen.245 Nähere Gründe für die Verschiebung werden dabei nicht angegeben; im Kongressbericht ist später lediglich von »sehr große[n] Schwierigkeiten« die Rede.246 Über den »genauen Zeitpunkt des Ham242
S. o. S. 242. Vorgeschichte« [des vierten Kongresses für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft], S. 10 f. 244 »Voranzeige des IV. Kongresses für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft«; vgl. »Die Vorgeschichte« [des vierten Kongresses für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft], S. 1. 245 »Vierter Kongreß für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft«. In: Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft. 23 (1929), S. 112. S. a. »In einer gemeinsam mit dem Ersten Vorsitzenden und Ersten Schriftführer am 10. Dezember 1928 in Hamburg abgehaltenen Sitzung wurde beschlossen, den Kongreß auf Oktober 1930 zu verschieben und zugleich eine Änderung des Programms vorzunehmen.« (»Die Vorgeschichte« [des vierten Kongresses für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft], S. 2.) 246 Ebd. 243 »Die
Die Allgemeine Kunstwissenschaft als Institution249
burger Kongresses« und das »veränderte Programm« werde baldmöglichst informiert.247 Erste Auskünfte über den neuen Planungsstand bietet dann die vierte Nummer des Jahrgangs 1929, wo als neues vom Hamburger Ortsausschuss gewähltes Schlüsselthema der Veranstaltung nun »das der Gestaltung von Raum und Zeit in der Kunst« angegeben wird, das das frühere, mit Lessings Namen verknüpfte Themenfeld aufgreift, aber zugleich auf ein allgemeineres Niveau hebt.248 Auf diese Weise soll, wie Dessoir in seiner Eröffnungsansprache erläutern wird, die Gelegenheit geboten werden, diese beiden Begriffe – also ›Raum‹ und ›Zeit‹ –, die »innerhalb der Naturwissenschaft ins Wanken geraten« sind, »in ihrer geisteswissenschaftlichen, genauer in ihrer ästhetischen Bedeutung« durchzuprüfen.249 Des Weiteren wird man in der Veranstaltungsnotiz über den geplanten Auf bau des Kongresses unterrichtet: Zunächst soll »in 3 Vorträgen die philosophische Problematik von Raum und Zeit behandelt werden«. Zwei Titel aus diesen stehen bereits fest: »ein Vortrag von Prof. Ernst Cassirer über ›Mythischer, ästhetischer und theoretischer Raum‹ und ein anderer Vortrag von Prof. Albert Görland über ›Die Modi der Zeit als stilbildende Faktoren‹«. Dann folgen drei »psychologische Vorträge über Raum und Zeit in der Kunst des Kindes, der Primitiven und der Geisteskranken« sowie ebenfalls jeweils drei über »das Raum- und Zeitproblem in der bildenden Kunst« und »dasselbe Thema im Hinblick auf die Dichtung und die Musik«. Im Anschluss an die Veranstaltungen des Kongresses soll »Prof. Georg Anschütz eine Ausstellung von Bildmaterial zu seinen synästhetischen Forschungen veranstalten«. Zudem »wird in der Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg der Leiter der Bibliothek Prof. Aby Warburg über das ›Transitorische‹ sprechen«. Und schließlich sind wiederum drei Vorträge »über allgemeine Fragen im Zusammenhang mit den Kongreßverhandlungen« geplant.250 Allerdings verstirbt Warburg am 26. Oktober 1929 überraschend. Nach diesem Verlust einer der Schlüsselfiguren, und nachdem überdies der Germanist und Volkskundler Robert Petsch »aus Gesundheitsrücksichten hatte zurücktreten müssen«, setzt sich der Hamburger Ortsausschuss schließlich – neben Cassirer und dessen Schüler »Privatdozent Dr. Hermann Noack«, die die Funktion des Vorsitzenden bzw. des Schriftführers übernehmen – zusammen aus Albert Görland als weiterem Philosophen, den Psychologen Georg Anschütz, William Stern und Heinz Werner, dem Musikwissenschaftler und Komponisten Robert Müller-Hartmann, dem Klassischen Philologen Bruno Snell sowie den Kunsthistorikern Erwin Panofsky und
Kongreß für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft«. In: Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft. 23 (1929), S. 112. 248 Ebd., S. 357. 249 »Gesellige und künstlerische Veranstaltungen« [des vierten Kongresses für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft], S. 10. 250 »Vierter Kongreß für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft«. In: Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft. 23 (1929), S. 357. 247 »Vierter
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Kapitel III
Fritz Saxl.251 Mit Ausnahme von Noack sind alle diese Forscher, neben Cassirer insbesondere Panofsky und Saxl, der Bibliothek Warburg eng verbunden. Am Kongress nehmen dann schließlich zahlreiche weitere Personen aus dem Umkreis Warburgs bzw. seiner Bibliothek teil, wie neben seinem Bruder Max Warburg u. a. René Drommert, Helene Rosenau, Walter Solmitz, Ludwig Heinrich Heydenreich, ferner Karl Vossler und Wolfgang Stechow, die auch Vorträge beisteuern, so dass der Kongress in der Tat als erweiterte Plattform der Aktivitäten der Bibliothek gelten kann.252 Über die konkreteren Planungen und Intentionen, die man – auch jenseits der fälligen Höflichkeiten zwischen Ortsausschuss und Berliner Vorstand – aufseiten des Warburg-Kreises mit dem Kongress verbindet, gibt eine Reihe am Warburg Institute in London archivierter Briefe der Beteiligten Aufschluss. Warburg hatte die Aktivitäten der Allgemeinen Kunstwissenschaft zwar bereits seit Langem, aber eher aus der Ferne verfolgt: Für den ersten Kongress von 1913 hatte er seine Teilnahme und eine Diskussionsrede angekündigt, war dann aber doch nicht erschienen.253 Auch einer Einladung der Gesellschaft für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft vom 30. November 1925, dieser beizutreten 254, ist er offenbar nicht gefolgt. Am 1. Januar 1928, also rund ein halbes Jahr nach dem Hallenser Kongress, bestätigt der Schriftführer des Vorstands der Gesellschaft Wolff heim Warburg dann den gemeinsam mit Dessoir und Utitz getroffenen Beschluss, den nächsten Kongress in Hamburg zu veranstalten und bittet um einen gemeinsamen Termin zur Besprechung organisatorischer und das Programm betreffender Fragen.255 Dieses Treffen findet am 21. März in Dessoirs Berliner Wohnung gemeinsam mit diesem und Wolff heim, aber ohne Cassirer, statt.256 So steht zwar außer Frage, dass Cassirer der Initiator der Veranstaltung und – unterstützt durch Noack – ihr organisatorischer Leiter vor Ort ist. Aber zugleich ist Warburg doch so weit in die Vorgänge involviert, dass er derlei Verhandlungen auch ohne Cassirers Begleitung – wenngleich nicht ohne Rücksprache mit ihm – führt, ebenso wie Cassirer auch im engeren Kreis die entscheidende Bedeutung von Warburgs Meinung zur Organisation des Kongresses unterstreicht.257 Und es ist Warburg, der von den Berlinern für die Her251 »Die
Vorgeschichte« [des vierten Kongresses für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissen-
schaft], S.1. 252 Vgl. »Teilnehmerliste des Kongresses« [= des vierten Kongresses für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft]; »Die Vorgeschichte« [des vierten Kongresses für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft], S. 3; s. a. bes. J. Faehndrich: Ernst Cassirer und Aby Warburg, S. 59. 253 S. o. S. 223; s. a. A.M. Warburg: Brief an M. Dessoir vom 24.2.1913. 254 Vgl. Gesellschaft für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft e.V.: Brief an Warburg vom 30.11.1925. 255 Vgl. W. Wolff heim: Brief an A.M. Warburg vom 1.1.1928. 256 Vgl. M. Dessoir: Brief an A.M. Warburg vom 24.2.1928; s. a. A.M. Warburg: Brief an F. Saxl vom 16.4.1928. – Die Vorstandsmitglieder der Gesellschaft Liebert und Enke scheinen sich an den Planungen des Kongresses nicht beteiligt zu haben, auch sind ihre Namen nicht auf der Teilnehmerliste verzeichnet. 257 Vgl. W. Solmitz: Brief an A.M. Warburg vom 27.11.1928; F. Saxl: Brief an A.M. Warburg vom 18.12.1928; E. Cassirer: Brief an A.M. Warburg vom 29.12.1928.
Die Allgemeine Kunstwissenschaft als Institution251
stellung von Kontakten zu lokalen Institutionen in Anspruch genommen wird, von denen man sich eine Förderung der Allgemeinen Kunstwissenschaft verspricht.258 Aus den Briefen am Warburg Institute werden auch die Motive für die Verschiebung des Kongresses von 1929 auf 1930 deutlicher: Die Entscheidung, den Kongress auf 1930 zu vertagen, wird von Cassirer gemeinsam mit Dessoir und Wolffheim Ende 1928 gefasst.259 Während Dessoir Warburg gegenüber als Grund für diese Verschiebung Cassirers Arbeitsüberlastung, Petschs Erkrankung und Warburgs Abwesenheit – Warburg befindet sich vom Winter 1928 bis zum Frühjahr 1929 auf Forschungsreise in Italien – angibt 260, eröffnet ein Brief Saxls an Warburg vom 2. Januar 1928 etwas tiefere Einblicke in die Hamburger Sicht der Dinge. Entscheidend dürfte demnach vor allem die vollständige Unzufriedenheit der Hamburger mit dem von dem Berliner Vorstand erarbeiteten Programmentwurf gewesen sein; auch Warburg spricht intern von einem ›wässrigen Potpourri‹.261 Nachdem ein zweiter Entwurf Dessoirs dann als noch schwächer erachtet wird, beginnen Cassirer, Panofsky und Saxl, statt sich weiter bloß über die Berliner zu mokieren, ein alternatives Konzept zu entwickeln. Panofsky kündigt allerdings auch schon entnervt an, sich ganz aus der weiteren Kongressvorbereitung zurückziehen zu wollen. Saxl selbst bekennt, dass er von Dessoir nur wenig, von Utitz überhaupt nichts hält und äußert vor diesem Hintergrund volles Verständnis für Panofskys Entscheidung – die dann letztlich allerdings doch nicht ganz umgesetzt wird 262: Panofsky und Saxl tragen zwar später zwar auf Kongress nicht vor, nehmen aber immerhin teil. Man kann nur mutmaßen, worin Saxls so dezidierte Ablehnung von Utitz sachlich begründet ist. Möglicherweise bezieht sie sich auf dessen Bedenken gegenüber Cassirers »Ausweitung des Symbolbegriffs«, wie er sie deutlich 1929 in einer Nachlese zum Hallenser Kongress artikuliert: In einer »Pansymbolik«, wie Cassirer sie an den Tag lege – und wie sie, so wäre zu ergänzen, für den gesamten Warburg-Kreis charakteristisch ist –, wird nämlich Utitz’ Auffassung nach »ein Mißverständnis gefördert, das jedes echte Erfassen der Kunst verhindert«. Denn wenn »schon die gewöhnliche Sprache symbolhaft ist, wird das Besondere der künstlerischen Sprache verkannt, faßt man sie auch unter dem Zeichen des Symbols«. Zudem werde so die Möglichkeit einer begrifflichen Unterscheidung »zwischen einer eigentlich symbolischen Kunst und einer nicht symbolischen« entzogen.263 (Später wird vor 258 Vgl. W. Wolff heim: Brief an A.M. Warburg vom 12.5.1928; M. Dessoir: Brief an A.M. Warburg vom 21.6.1928; A.M. Warburg: Brief an M. Dessoir vom 22.6.1928; A.A. Zinn: Brief an A.M. Warburg vom 31.7.1928. 259 Vgl. F. Saxl Brief an A.M. Warburg vom 18.12.1928. 260 Vgl. M. Dessoir: Brief an A.M. Warburg vom 2.1.1929. 261 Vgl. A.M. Warburg: Brief an Fritz Saxl vom 7.1.1929. 262 Vgl. F. Saxl: Brief an A.M. Warburg vom 2.1.1929; ders.: Brief an Aby M. Warburg vom 7.1.1929; ders.: Brief an Aby M. Warburg vom 25.1.1929; ders.: Brief an Aby M. Warburg vom 28.1.1929; A.M. Warburg: Brief an F. Saxl vom 1.2.1929; F. Saxl: Brief an A.M. Warburg vom 3.6.1929. 263 E. Utitz: »Über Grundbegriffe der Kunstwissenschaft«, S. 46.
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allem die von Panofsky entwickelte Ikonographie wegen der ihr zur Last gelegten Fixierung auf einen durchgängigen ›disguised symbolism‹ mit eben diesem Einwand konfrontiert werden.264) Für Utitz muss man dagegen, anstatt das Form- einfach mit dem Symbolproblem ›zusammenzuwerfen‹, zunächst »das Formproblem in seiner Sinnebene zu entwickeln trachten und dann erst fragen, wie sich nun das Symbolische zum eigentlich Künstlerischen verhält«.265 In umgekehrter Richtung, also von Berlin aus in Richtung Hamburg, gestaltet sich der Umgang allerdings erheblich unkomplizierter. So wird das neue Veranstaltungskonzept – wie auch alle folgenden Vorschläge der Hamburger – vom Berliner Vorstand bereitwillig angenommen. Schließlich ist vor allem Dessoir überzeugt von Cassirers Sachkompetenz.266 Und auch Utitz äußert sich – bei allen Einwänden – wiederholt anerkennend über die Arbeiten Cassirers und des Warburg-Kreises allgemein.267 Zudem hatte man nicht nur mit Cassirer, sondern auch mit Panofsky und dessen Schüler Edgar Wind, der inzwischen ebenfalls zum engen WarburgZirkel gehört, schon mehrfach, u. a. im Rahmen der Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft, konstruktiv zusammengearbeitet. An diesem Punkt der Kongressvorbereitungen wird, wie aus dem Briefwechsel am Warburg Institute des Weiteren hervorgeht, auch die Modifikation des Rahmenthemas beschlossen, denn schließlich war die enge Bindung an Lessing anlässlich seines Jubiläumsjahres durch die Terminverschiebung hinfällig geworden: War der Vorschlag ›Wort und Bild‹ auf Saxl und Cassirer zurückgegangen 268 , bringen diese nun zusammen mit Panofsky »das Raum-Zeit-Problem in den Künsten« als neues Rahmenthema ein, das ebenfalls ohne Komplikationen in Berlin akzep-
z. B. F. Büttner / A. Gottdang: Einführung in die Ikonographie, S. 104–106. Utitz: »Über Grundbegriffe der Kunstwissenschaft«, S. 47. 266 S. o. S. 246. 267 Utitz hatte 1927 in seinem Bericht über aktuelle Positionen in Ästhetik und Philosophie der Kunst zwei Zentren historisch und zugleich philosophisch basierter Kunstforschung hervorgehoben: Zum einen ist dies in Heidelberg der Kreis »um Heinrich Rickert, der ja besonders auf das Zusammenwirken streng historischer und systematischer Forschung Wert legt«, namentlich Hermann Glockner und Friedrich Kreis. »Ein zweites Zentrum historisch-kunstphilosophischer Forschung scheint sich in Hamburg zu bilden unter Führung von Ernst Cassirer und Erwin Panofsky. Seine gemeinsam mit Fritz Saxl herausgegebene glänzende Schrift über Dürers Melancolia I (1923) scheidet als zu speziell hier aus; aber sein Beitrag zur Begriffsgeschichte der älteren Kunsttheorie ›Idea‹ (1924) ist von allgemeiner Bedeutung.« (E. Utitz: »Ästhetik und Philosophie der Kunst«, S. 313 f.) 1929 würdigt er Cassirers Vortrag über Individuum und Kosmos in der Philosophie der Renaissance, der 1927 als Band 10 der Studien der Bibliothek Warburg erschienen war, und bestätigt Cassirers – ganz im Geist des Warburg-Kreises gehaltene – Auffassung von »dem durchgehenden Parallelismus von Kunsttheorie und Wissenschaftstheorie«, in dem sich ihm in der Tat »eines der tiefsten Motive in der geistigen Gesamtbewegung der Renaissance« erschließt. Überhaupt zeige sich immer wieder, dass Cassirer »einer unserer schärfsten und klarsten Denker, einer der für Kunst und Künstler aufgeschlossensten« ist. (E. Utitz: »Über Grundbegriffe der Kunstwissenschaft«, S. 26 und S. 47.) 268 Vgl. F. Saxl: Brief an A.M. Warburg vom 18.12.1928. 264 Vgl. 265 E.
Die Allgemeine Kunstwissenschaft als Institution253
tiert wird.269 Mit Blick auf diese Thematik werden so nun auch die Einladungen ausgesprochen, die weiterhin deutlich machen, wie stark hier Warburgsche Ideen aufgegriffen werden. So votiert etwa Panofsky, sicher unter dem Eindruck der von dem Kunsthistoriker Wilhelm Pinder ab Mitte der 1920er Jahre vertretenen Generationen-Theorie eines Nebeneinanders von unterschiedlichen Künstlern in einer Epoche als Ausdruck einer ›Ungleichzeitigkeit des Gleichzeitigen‹, für dessen Einladung als Referent.270 Saxl lädt den Kunsthistoriker und Volkskundler Wilhelm Fraenger ein, über das »das Einmomentige der Illustration«, d. h. über Narrationsverfahren in Buchillustrationen, zu referieren.271 Warburg selbst bietet noch von Italien aus zunächst einen an Lessing inspirierten Vortrag mit dem echt Warburgschen Titel »Der Eintritt des plastischen Monumentalstils in die Kunst der Renaissance, betrachtet in seiner Folgewirkung auf die Darstellung des Transitorischen« an, der dann von den Organisatoren zu einem Beitrag über ›das Transitorische‹ entschlackt wird.272 Zudem bewirbt Warburg in Italien den Kongress.273 Insbesondere bietet er immer wieder an, Croce zur Teilnahme zu motivieren, was Cassirer ebenso wie Dessoir nachdrücklich begrüßt.274 – Diese Vorträge kommen indes aus unterschiedlichen Gründen letztlich nicht zustande.275 Auch Croce, immerhin nominell seit dem ersten Kongress 1913 Mitglied des internationalen Komitees276 und seit der Gründung der Gesellschaft Mitglied des internationalen Teils des Beirats277, nimmt weder an diesem noch an einem anderen der Kongresse für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft persönlich teil, und er publiziert auch nicht in Dessoirs Zeitschrift. Der endgültige Arbeitsplan des Kongresses setzt dann weitestgehend den Aufbau um, der nach der Themenänderung entwickelt worden war. So gibt es drei philosophische Vorträge zur Problematik von Raum und Zeit: Neben Cassirer und Görland, die bei ihren bereits angegebenen Arbeitstiteln bleiben, trägt nun 269 F.
Saxl: Brief an A.M. Warburg vom 7.1.1929. Vgl. F. Saxl: Brief an A.M. Warburg vom 2.1.1929; s. a. ders.: Brief an A.M. Warburg vom 3.6.1929. 271 Vgl. F. Saxl: Brief an W. Fraenger vom 8.6.1929. 272 A.M. Warburg: Brief an F. Saxl vom 12.1.1929 (s. o. S. 249); vgl. F. Saxl: Brief an E. Cassirer vom 15.1.1929. 273 Vgl. A.M. Warburg: Brief an E. Cassirer vom 3.12.1928. 274 Vgl. A.M. Warburg: Brief an F. Saxl vom 23.12.1928; E. Cassirer: Brief an A.M. Warburg vom 29.12.1928; A.M. Warburg: Brief an M. Dessoir vom 29.12.1928; ders.: Brief an F. Saxl vom 7.1.1929; ders.: Brief an J. von Schlosser vom 23.1.1929; F. Saxl: Brief an A.M. Warburg vom 28.1.1929; A.M. Warburg: Brief an T. Cassirer vom 6.3.1929; F. Saxl: Brief an A.M. Warburg vom 3.6.1929; A.M. Warburg: Brief an K. Vossler vom 12.10.1929. 275 Pinder hatte einen Beitrag über Raum und Zeit in der Barock-Architektur ankündigen lassen. Dieser Vortrag entf ällt letztlich ebenso wie der des Klassischen Archäologen Gerhard Krahmer aus Göttingen über Raumdarstellung in der bildenden Kunst der Ägypter und Griechen. (Vgl. »Vierter Kongreß für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft«. In: Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft. 24 [1930], S. 191 und S. 271.) 276 S. o. S. 229. 277 S. o. S. 215. 270
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Kapitel III
noch Hermann Friedmann aus Helsinki über Raum und Zeit vom Standpunkt des morphologischen Idealismus vor. Die psychologischen Vorträge übernehmen Heinz Werner und Walter Morgenthaler. Anstelle eines weiteren psychologischen Vortrags macht nun William Stern – statt des zunächst geplanten Beitrags von Anschütz – eine Einführung in die anlässlich des Kongresses eröffnete Ausstellung Zum Problem der Raum- und Zeitdarstellung in der Kinderzeichnung im Psychologischen Institut der Universität. Zwei Vorträge (von Stechow und Alexander Dorner) diskutieren das Raum- und Zeitproblem in der bildenden Kunst, drei (von Hermann Fränkel, Vossler und Max Herrmann) gehen auf den Reflex dieses Problems in der Dichtung, zwei (von Max Schneider und Hans Mersmann) in der Musik ein; der Beitrag über Das neue Raumgefühl in Kunst und Musik der Gegenwart von Walter Riezler verbindet beide Bereiche. Die drei abschließenden Vorträge über allgemeine Fragen der Kunstwissenschaft übernehmen Dagobert Frey (Das Kunstwerk als Willensproblem), Utitz (Das Naturästhetische in der Kunst) und Dessoir (Ausblick auf eine Philosophie der Kunst). Das Programm hat damit – dem gemeinsamen wissenschaftlichen Anliegenden des federführenden Cassirer und der Warburg-Schule folgend – einen stark erkenntnistheoretischen und ideengeschichtlichen Akzent; psychologische Beiträge treten demgegenüber zurück. So notiert auch Helmut Kuhn in seiner Besprechung des Kongresses in den Kant-Studien, dass die »von Max Dessoir organisierten Kongresse« zwar immer »an sich einen verbindenden, zwischen den Wissenschaften vermittelnden Charakter« haben, dass diesmal aber »die glücklich hergestellte Einheit stärker noch als bei den früheren Zusammenkünften nach dem philosophischen Schwerpunkt« gravitierte. So zeigte schließlich auch »Dessoirs Ausblick auf eine Philosophie der Kunst, eine ›Kunstbedeutungslehre‹ von ›ontozentrischer‹ Struktur, […] noch einmal, worin die Untersuchungen dieses Kongresses ihren gemeinsamen Grund hatten: die Besinnung auf das Wesen der Kunst als philosophische Besinnung«.278 Anders als Kaufmann in seinem Bericht über den dritten Kongress betrachtet Kuhn diese philosophische Dominanz allerdings durchaus nicht als problematisch, sondern vielmehr als Bereicherung auch der Philosophie. So verweist er etwa auf »den Vortrag von Hermann Fränkel über ›Die Zeitauffassung in der archaisch-griechischen Literatur‹«, wo die »Entwicklungslinie, die sich [aus] der sorgfältigen philologischen Analyse Fränkels ergab – die Verschiebung des Akzents von der Zukunft auf die Vergangenheit, von der Gegenständlichkeit der Zeit auf die Erlebniszeit – […] von allgemeiner Bedeutung für die Phänomenologie des Zeit- und Geschichtsbewußtseins sein« dürfte.279 Neben diesem eigentlichen Vortragsprogramm wird für auswärtige Kongressteilnehmer zudem eine Führung durch die Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg in dem 1926 eröffneten hochmodernen Neubau angeboten, bei der nach einer Begrüßung durch den Bibliotheksleiter Saxl Edgar Wind im großen ovalen Lese278 H.
Kuhn: »Vierter Kongress für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft«.
279 Ebd.
Die Allgemeine Kunstwissenschaft als Institution255
saal Warburgs Begriff der Kulturwissenschaft und seine Bedeutung für die moderne Ästhetik erläutert.280 Mit diesem Vortrag wird das Programm noch einmal ganz dezidiert auf das auch von Cassirer in seiner Begrüßungsansprache benannte Ziel hin ausgerichtet, »den Sinn« von Warburgs wissenschaftlichem Lebenswerk zu erläutern und »zu zeigen, wie dieses Werk unter uns lebendig geblieben ist, und wie es, in der Richtung auf die Ziele, die er ihm gestellt hatte, weiterwirkt«.281 Das Rahmenprogramm umfasst neben der erwähnten Ausstellung im Psychologischen Institut noch fünf weitere anlässlich des Kongresses eingerichtete Ausstellungen – darunter, zweifellos ebenfalls als Hommage an Warburg, eine über das Schlüsselthema seiner Forschungen, Das Nachleben der Antike, im Museum für Kunst und Gewerbe – und diverse gesellige und künstlerische Veranstaltungen.282 Zwar liegt die Anzahl der Vorträge mit 17 (den vor einem begrenzten Publikum in der Bibliothek Warburg gehaltenen Vortrag von Wind mitgerechnet) nur leicht unter dem des Hallenser Kongresses. Allerdings ist die Teilnehmerzahl mit 281 Personen 283 weiter deutlich rückläufig. Diese Vorgänge erlauben eine allgemeine Charakteristik des Verhältnisses zwischen der Allgemeinen Kunstwissenschaft und dem Warburg-Kreis zum Zeitpunkt des Hamburger Kongresses: Panofsky und vor allem Wind hatten auf dem Teilgebiet ›Kunstgeschichte‹ bereits vor 1930 mehrere substanzielle Beiträge zur Ausarbeitung einer Methodologie der Kunstwissenschaften geleistet, wie sie im Mittelpunkt der Allgemeinen Kunstwissenschaft steht. Überwiegend waren diese Beiträge in Dessoirs Zeitschrift erschienen, und Wind nutzt dieses Organ auch weiterhin bis zu seiner erzwungenen Emigration als Publikationsort für seine systematischen Studien.284 Panofsky hatte überdies am ersten Kongress für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft 1913 noch als Student teilgenommen 285; für 280 Vgl.
»Die Vorgeschichte« [des vierten Kongresses für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft], S. 3. – S. o. S. 195–198. 281 »Gesellige und künstlerische Veranstaltungen« [des vierten Kongresses für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft], S. 14. – Ursprünglich war nur ein »einführende[r] Vortrag des Bibliothekleiters Professor Saxl über ›Auf bau und Zielsetzung der Bibliothek Warburg‹« vorgesehen gewesen. (»Vierter Kongreß für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft«. In: Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft. 24 [1930], S. 271; vgl. »Die Vorgeschichte« [des vierten Kongresses für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft], S. 2.) 282 Hierzu gehört u.a »(für persönlich eingeladene Teilnehmer): [ein] Empfang durch Einen Hohen Senat der freien und Hansestadt Hamburg« im Rathaus und »(für Angehörige, die Hamburg kennen lernen wollen und nicht an allen Vorträgen teilnehmen): [eine] Rundfahrt durch das neue Hamburg unter Führung von Herren der Hamburger Baubehörde«. (Ebd., S. 4 f.) 283 Vgl. ebd., S. 5. 284 Vgl. E. Panofsky: »Das Problem des Stils in der bildenden Kunst«; ders.: »Der Begriff des Kunstwollens«; ders.: »Über das Verhältnis der Kunstgeschichte zur Kunsttheorie«; E. Wind: »Zur Systematik der künstlerischen Probleme«; s. a. bes. ders.: »Theory of Art versus Aesthetics«; ders.: »Contemporary German Philosophy I«; ders.: »Contemporary German Philosophy II«; ders.: »Warburgs Begriff der Kulturwissenschaft und seine Bedeutung für die Ästhetik«; ders.: »Θείος Φόβος«. – S. o. S. 184–201. 285 S. o. S. 223.
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Kapitel III
den zweiten Kongress hatte er sich im Rahmen des nicht umgesetzten Programms für 1923 neben Alexander Dorner als Mitberichterstatter für einen Vortrag von Paul Frankl über Die Entwicklungsprobleme der Kunstgeschichte ankündigen lassen 286 . Zwar verlegen beide sich im Kontakt mit Warburg auf eine stärker an konkreten Werken interessierte Forschung, d. h. sie werden, wie man sagen könnte, vom Kunstgeschichtstheoretiker stärker zum Kunsthistoriker im engeren Sinne, ohne dass sie dabei aber grundsätzlich die früheren methodologischen Anliegen fallenließen. Warburg selbst betont sogar, dass er vor allem Wind in wissenschaftlicher Hinsicht gerade wegen seines systematischen Zugangs zu künstlerischen Fragen schätzt.287 Und in das Jahr 1925, also die Zeit unmittelbar nach Warburgs Rückkehr von seinem mehrjährigen Schweizer Klinikaufenthalt, fallen grundlegende methodologische Beiträge von Panofsky und Wind.288 Trotz wesentlicher konzeptioneller Überschneidungen – neben dem Streben nach Wissenschaftlichkeit betrifft dies vor allem das erweiterte, über den traditionellen europäischen Hochkunstkanon hinausgehende Kunstverständnis, die kulturwissenschaftliche Orientierung der Forschung und, damit verbunden, die programmatische Interdisziplinarität – wäre es aber ebenso verfehlt, die Bibliothek Warburg als Filiale der Allgemeinen Kunstwissenschaft zu betrachten wie umgekehrt. Im Bewusstsein dieser Schnittmengen nutzt man sich vielmehr gegenseitig in pragmatischer Absicht. Im Rahmen der Mitgliederversammlung am Rande des Hallenser Kongresses von 1927 war über den Hamburger Kongress hinaus bereits weiter gedacht und für »den übernächsten Kongreß nach abermals 2–2½ Jahren […] Wien in Vorschlag gebracht« worden.289 In Hamburg verliest nun Frey das durch ihn und Friedrich Kainz überbrachte Einladungsschreiben des Rektors der Universität Wien, »der im eigenen Namen und im Namen der Technischen Hochschule, der Akademie der bildenden Künste, der Hochschule für Musik die Gesellschaft bittet, Wien als Tagungsort zu wählen«. Die Einladung wird angenommen, als Zeitpunkt vorerst lose der Herbst 1933 festgehalten. Allerdings gehen die Meinungen »über den besonderen Charakter des geplanten fünften Kongresses in Wien« auseinander: Kainz’ Anregung, »ihm auch eine Übersicht über die Fortschritte der einzelnen Disziplinen als Aufgabe zuzuweisen«, stößt auf Widerstand. Dagegen sprechen sich u. a. Dessoir, Utitz, Frey und Cassirer »für einen reinen Problemkongreß nach Art der Tagungen in Halle und Hamburg aus«. Freys Vorschlag, als Gegenstand »Stil und Entwicklung« »[b]esonders im Hinblick auf die Geschichte Wiens« zu wäh-
286 Vgl.
»Die Vorgeschichte« [des zweiten Kongresses für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft], S. 2. 287 Vgl. bes. B. Buschendorf: »›War ein sehr tüchtiges gegenseitiges Fördern‹«. 288 Vgl. E. Panofsky: »Über das Verhältnis der Kunstgeschichte zur Kunsttheorie«; E. Wind: »Zur Systematik der künstlerischen Probleme«; ders.: »Theory of Art versus Aesthetics«. 289 »Generalversammlung der Gesellschaft für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft«, S. 127.
Die Allgemeine Kunstwissenschaft als Institution257
len, stößt auf »vollen Beifall«, soll doch »ein jeder Kongreß eine gewisse örtliche Färbung haben«.290 e) Der gescheiterte Wiener Kongress von 1933 Mit der Einladung des Kongresses für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft nach Wien wird ein Impuls aufgegriffen, den der Wiener Paläontologe Hoernes bereits auf dem ersten Kongress von 1913 ins Spiel gebracht hatte.291 Ende 1932 erscheint in der Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft eine Ankündigung des geplanten Kongresses für Oktober 1933292 , im darauffolgenden Jahr folgt eine Einladung, die auch ein vorläufiges Vortragsprogramm enthält. Hier erfährt man nicht allein, dass der Denk- und Sprachpsychologe Karl Bühler den Vorstand des Ortausschusses und der Sprachphilosoph Friedrich Kainz die Schriftführung übernommen hat, sondern auch Näheres zum geplanten Auf bau der Veranstaltung. So sollen die Kongressverhandlungen zunächst eine allgemeine Übersicht über den gegenwärtigen Stand der Ästhetik und allgemeinen Kunstwissenschaft geben, dann im besondern eine systematische Erörterung der kunstwissenschaftlichen Stammbegriffe »Stil« und »Entwicklung« bringen. Ein dritter Teil der geplanten Vorträge wird sich mit drängenden Fragen der zeitgenössischen Kunstentwicklung auseinandersetzen, wobei namentlich die neu ins Leben getretenen Kunstgattungen und -formen (Tonfilm, funkische Wortkunst, Hörspiel) einläßliche Sonderdarstellung erfahren werden.293
In organisatorischer Hinsicht wird dabei geplant, dass »Forscher, die über ihre Arbeiten auf den mit dem Aufgaben- und Interessenkreis des Kongresses zusammenhängenden Gebieten Bericht erstatten wollen«, dazu Gelegenheit erhalten, »indem außer den Hauptvorträgen auch eine Reihe von kurzen Berichten in das endgültige Programm aufgenommen werden soll«.294 Auf diese Weise soll mehr Raum für die Präsentation neuer Forschungen gegeben werden. Neben diesen kurzen Einzelberichten sind im Rahmen der allgemeinen Übersicht drei philosophische Vorträge von Max Dessoir (Der gegenwärtige Stand der Forschung auf dem Gebiet der allgemeinen Kunstwissenschaft), Rudolf Odebrecht (Der gegenwärtige Stand der Forschung auf dem Gebiet der Ästhetik) und Kainz (Personalistische Ästhetik und Kunstphilosophie) sowie zwei psychologische von Charlotte Bühler (Künstlerlebensläufe und Werktypen) und Ernst Kris (Psychoanalytische Psychologie und Kunstforschung) geplant. Zu den Problemen ›Stil‹ und ›Entwicklung‹ in der zweiten 290 »Mitglieder-Versammlung
der Gesellschaft für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft«, S. 17. 291 S. o. S. 229. 292 Vgl. »Fünfter Kongreß für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft«. 293 »Einladung zum V. Kongreß für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft«, S. 207. 294 Ebd.
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Sektion sind insgesamt fünf philosophische Vorträge von Noack (Die Stilforschung der Gegenwart), Kuhn (Stil als Entwicklungsphänomen), Hans Eibl (Kunst und Kulturentwicklung), Hermann Glockner (Die Entwicklung der Kunst vom idealistischen Standpunkt) und Karl Korsch (Wirtschafts- und Gesellschaftsformen in der Kunstentwicklung) vorgesehen, zudem zwei literaturwissenschaftliche Beiträge mit Franz Koch (Stil und Entwicklung in der Literatur) und Josef Nadler (Rasse und Stamm in der Kunstentwicklung) sowie jeweils ein kunst- und musikwissenschaftlicher Beitrag von Hans Tietze (Stil und Entwicklung in der Bildkunst) bzw. Arnold Schering (Stil und Entwicklung in der Musik). Die dritte Sektion über »Entwicklungsfragen der Kunst der Gegenwart« soll ein philosophischer Beitrag von Utitz (Die Kunstkrise der Gegenwart) eröffnen, gefolgt von jeweils einem film-, medien-, kunst- und theaterwissenschaftlichen Beitrag von Johannes Eckardt (Der Film – von den technischen Möglichkeiten zur eigengesetzlichen Kunstform), Theodor Hüpgens (Zur Entwicklung der funkischen Wortkunst), Dagobert Frey (Stil und Entwicklung in der Architektur der Gegenwart) bzw. Stefan Hock (Entwicklungsfragen des Theaters in der Gegenwart).295 – Mit 19 Vorträgen wäre also wieder ein leichter Anstieg gegenüber den vorausgegangenen beiden Kongressen zu verzeichnen gewesen. Von den angekündigten Referenten des Wiener Kongresses engagieren sich ab 1933 Odebrecht, Frey, Kuhn und Schering im Vorstand, Kainz im Beirat der Gesellschaft für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft.296 Die extreme wissenschaftliche und politische Inhomogenität der Akteure, die bereits mit Blick auf die Zusammensetzung der Gesellschaft notiert wurde, setzt sich damit in diesem Veranstaltungsplan, namentlich in der zweiten Sektion, fort: Mit Kuhn steht hier Tietze, wie Kuhn jüdischer Herkunft, der mit der sozialdemokratischen Stadtverwaltung des ›roten Wien‹ sympathisiert und sich für die moderne Kunst engagiert, aber auch der engagierte Kommunist Korsch auf der Seite der erklärten Regimegegner und baldigen Emigranten. Zu diesen gehört ebenfalls Karl Bühler, der Hauptorganisator des geplanten Kongresses. Auf der anderen Seite stehen nicht nur der ›Mitläufer‹ Noack und der katholisch-nationale Antibolschewist Eibl, sondern als erklärte Nationalsozialisten und Antisemiten neben Schering auch Glockner sowie vor allem Nadler und Koch. Die Frage, wie in einer solch spannungsgeladenen Konstellation eine Debatte über ›Stil‹ und ›Entwicklung‹ in der Kunst hätte aussehen können, muss offenbleiben. So kommt auch dieser neuerliche Vorstoß zur Durchführung eines Kongresses in Wien nicht zum Ziel: Hatte zunächst der Erste Weltkrieg das Vorhaben verhindert, kollidieren die Planungen nun mit der ›Machtergreifung‹ der Nationalsozialisten und den damit verbundenen nationalen und internationalen Verwerfungen. So wird für den Wiener Kongress zunächst mit »Rücksicht auf die politischen und
295 296
Ebd., S. 208. S. o. S. 219.
Die Allgemeine Kunstwissenschaft als Institution259
wirtschaftlichen Verhältnisse« 297 eine Vertagung angekündigt, die allerdings »infolge der Zeitverhältnisse« 298 letztlich nicht eingelöst werden kann 299. f ) Der zweite internationale Kongress für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft (Paris 1937) Organisation und Rahmenbedingungen Die Geschäftliche Sitzung am Rande des ersten Kongresses hatte nicht allein die Einladung von Hoernes nach Wien gebracht. Vielmehr hatte dort auch der französische Germanist und Philosoph Victor Basch eine Einladung nach Paris ausgesprochen.300 Dieser Kongress findet nun in der Tat statt, wenngleich nicht, wie zunächst geplant, 1917, sondern genau zwanzig Jahre später, vom 7. bis 11. August 1937, mit Basch als Vorsitzendem, assistiert von den Ästhetikern Charles Lalo – seinem »Nachfolger im Lehramt« an der Sorbonne301 – und Raymond Bayer, Baschs wichtigstem Schüler, der 1934 von ihm promoviert worden war 302 . Durch Baschs Initiative wird so eine Möglichkeit eröffnet, auf dem Feld ›Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft‹ die »lebensnotwendig[en]« 303 wissenschaftlichen Kontakte in einem Klima geistiger Freiheit zu pflegen, das im Zeichen eines faschistischen Regimes nicht mehr zu realisieren ist, wenngleich auch in Frankreich die ›Zeitverhältnisse‹ schwierig genug sind. Nichtsdestoweniger vermerkt Dessoir mit seinem – u. a. auch Utitz gegenüber 304 an den Tag gelegten – Hang zur Süffisanz in seiner Autobiographie, Baschs »Leistungen auf diesem Gebiet«, der Ästhetik nämlich, seien »nicht über das Mittelmaß« hinausgegangen, wenngleich, wie Dessoir präzisiert, »weniger aus Unvermögen als aus Unlust: sein Herz schlug für etwas ganz anderes, nämlich die Pflege der zwischenstaatlichen Beziehungen. […] Die ›Liga für Menschenrechte‹ war der Hauptplatz seiner Tätigkeit.« 305 Zwar trifft Dessoirs Bestimmung der Prioritäten in Baschs Arbeitsfeldern grundsätzlich sicher zu. Neben seinem Engagement in der Liga kämpft der Dreyfusianer Basch, ein ungarischstämmiger Jude, vor allem leidenschaftlich gegen den Faschismus in Deutschland, aber auch in Italien, Spanien und Frankreich. Und es 297 »V. Kongreß für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft«. In: Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft. 27 (1933). 298 »V. Kongreß für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft«. In: Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft. 28 (1934). 299 S. o. S. 216. 300 S. o. S. 229. 301 M. Dessoir: Buch der Erinnerung, S. 97. 302 Vgl. »Soutenance de Thèses d’Esthétique en Sorbonne (6 janvier 1934)«. 303 H. Dilly: »Destruktive Organisatoren«, S. 282. 304 S. o. S. 122. 305 M. Dessoir: Buch der Erinnerung, S. 96 f.
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»beschwerte ihn«, wie Dessoir mit Blick auf die politischen Aktivitäten Baschs lakonisch ergänzt, »kaum, daß er sich Feindschaft in Frankreich und Haß in Deutschland zuzog, daß sein Fernsprechgerät in der Rue Huysmans überwacht und ihm das Reden bei uns verboten wurde«.306 (Schließlich werden es Mitglieder der französischen Miliz sein, die den achtzigjährigen Basch und seine Frau im Januar 1944 auf Betreiben der Gestapo bei Lyon ermorden.) So wird etwa auch in der Charakteristik Baschs, die das Auswärtige Amt des nationalsozialistisch regierten Deutschen Reichs im Vorfeld des Kongresses von der Botschaft in Paris anfordert, allein notiert, dieser habe »als Ehrenpräsident der französischen Liga für Menschrechte eine maßgebende Rolle in der Bildung der französischen Volksfront, in der Unterstützung der jüdischen Emigration aus Deutschland und im Auf bau der französischen Kulturbeziehungen mit Sovjetrußland gespielt«.307 Damit werden allerdings Baschs Aktivitäten auf ästhetischem Feld unterschlagen, die sich indes weniger in Publikationen als vor allem in seiner Lehrtätigkeit in Paris manifestieren: Basch hatte als Germanist zunächst seit 1906 an der Sorbonne deutsche Sprache und Literatur gelehrt. Als diese Themen nach Ende des Ersten Weltkriegs in Frankreich nicht mehr wirklich gefragt sind, schlägt er selbst Ende 1918 dem Fakultätsrat vor, fortan Veranstaltungen über Ästhetik und Kunstwissenschaft (cours d’esthétique et science de l’art) anzubieten – ein Programm, dessen Wurzeln klar bei Dessoir und in dessen Umkreis liegen. Ausschlaggebend für diese Adaption dürfte dabei insbesondere der Eindruck des ersten Kongresses für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft von 1913 gewesen sein, an dem Basch teilgenommen hatte und, wie Dessoir sich in seiner Autobiographie erinnert, »stark hervorgetreten« war.308 In der Tat hatte Basch sich dort nicht nur mit einem Vortrag über Die Objektivität des Schönen eingebracht; er hatte sich ebenfalls im Rahmen der Eröffnungsveranstaltung mit einem Grußwort an die Versammelten gerichtet 309, sich im Rahmen der Geschäftlichen Sitzung an der Debatte um »die Frage eines zweiten Kongresses« mit einem Plädoyer für eine Internationalisierung weiterer Kongresse durch Mehrsprachigkeit und seine Einladung nach Paris beteiligt und sich schließlich als Mitglied des Ständigen Ausschusses zur Verfügung gestellt 310. Ab Januar 1919 nimmt Basch in seiner damaligen Position als Assistenzprofessor an der Sorbonne die Lehre in dem Arbeitsgebiet ›Ästhetik und Kunstwissenschaft‹ auf, und 1928 wird dort der vakante Lehrstuhl für Klassische
306
Ebd., S. 97. vom 28.4.1937, Bundesarchiv der Bundesrepublik Deutschland, Berlin, Inv.Nr. R 4901/2748, Blatt 28; zit. nach H. Dilly: »Destruktive Organisatoren«, S. 292, s. a. S. 287 und S. 295. 308 M. Dessoir: Buch der Erinnerung, S. 96. 309 Vgl. »Begrüßungsabend« [des ersten Kongresses für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft], S. 31–33. 310 »Geschäftliche Sitzung« [des ersten Kongresses für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft], S. 526, s. a. S. 527. – S. o. S. 229. 307 Schreiben
Die Allgemeine Kunstwissenschaft als Institution261
Archäologie entsprechend umdenominiert – mit Basch als Lehrstuhlinhaber.311 So lässt sich Basch, der zum Zeitpunkt des Pariser Kongresses bereits kurz vor seinem 74. Geburtstag steht und seinen Lehrstuhl 1933 an Lalo übergeben hatte, auch in den Kongressakten als ›Honorarprofessor für Ästhetik und Kunstwissenschaft an der Sorbonne‹ (professeur honoraire d’esthétique et de science de l’art) führen.312 Diese Verbindung zur Allgemeinen Kunstwissenschaft bildet dabei für Basch ganz offensichtlich maßgeblich ein Moment innerhalb der vielfältigen Bemühungen, die er in den von massivsten Ressentiments bestimmten Zwischenkriegsjahren um die Förderung einer französisch-deutschen Verständigung unternimmt. Zudem ist Baschs Publikationstätigkeit auf dem Gebiet der Ästhetik zwar in der Tat eher gering. Inhaltlich handelt es sich hierbei aber um den Versuch, nicht allein die deutsche ästhetische Tradition im Allgemeinen, sondern näherhin auch das international als deutsche Initiative identifizierte Konzept ›Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft‹ für die französische Forschungslandschaft zu erschließen – ein Vorhaben, das in dieser Zeit delikat genug ist.313 Überhaupt scheinen Basch das Ästhetische – d. h. hier: das Schöne – und die Kunst für ein solches Projekt denkbar geeignet. So schließt er auch auf seiner Eröffnungsansprache, deren Grundbegriff ›Versöhnung‹ ist: Die Sphäre der Schönheit der Natur und der Kunst – das ist die Schlussfolgerung dieser zu knappen Studie – stellt die Sphäre der Versöhnung dar: Versöhnung der Welt der Sinnlichkeit mit der Welt des Verstandes, Versöhnung dieser beider Welten mit der des Handelns, Versöhnung von Individuellem und Sozialem und schließlich zwischen Menschen und Völkern.314
Zu Recht hat Céline Trautmann-Waller daher von der ›utopischen Dimension‹ des Ästhetischen bei Basch gesprochen.315 Vgl. L. Therrien: Histoire de l’art en France, S. 304–308. S. a. C. Trautmann-Waller: »Victor Basch«, S. 83, s. a. bes. S. 89; W. Henckmann: »Probleme der allgemeinen Kunstwissenschaft«, S. 323 f. – Dementsprechend führt Basch den Titel eines Professors für ›Ästhetik und Kunstwissenschaft‹. Vgl. z. B. V. Basch: »L’Esthétique Nouvelle et la Science de l’Art«: Beide Teile dieser Publikation sind unterschrieben mit »Victor Basch. Professeur d’Esthétique et de Science de l’Art à la Sorbonne«; zu dieser Bezeichnung vgl. ebenfalls z. B. Revue de l’Enseignement Français Hors de France. 17 (1920), S. 62; »Basch, Victor-Guillaume«. – Zur Lehre auf diesem Sachgebiet an der Sorbonne vgl. auch V. Basch: »Esthétique, Art et Science de l’Art«, bes. S. 22. 312 Vgl. V. Basch: »Discours« [Eröffnungsansprache zum zweiten internationalen Kongress für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft], S. XLIX. 313 Zur Adaption des Konzepts ›Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft‹ vgl. bes. V. Basch: »L’Esthétique Nouvelle et la Science de l’Art«; ders.: »Ästhetik und Kunstwissenschaft«; ders.: »Esthétique, Art et Science de l’Art«. – Zu Baschs Rezeption der deutschen Tradition der Ästhetik allgemein vgl. bes. ders.: »Les grands courants de l’esthétique allemande contemporaine«; ders.: »Le maître-problème de l’esthétique«; ders.: Essai critique sur l’esthétique de Kant. 314 V. Basch: »Einführende Rede von Victor Basch auf dem Kongress für Ästhetik und Kunstwissenschaft in Paris, 1937«, Abs. 17 (vgl. ders.: »Discours«, S. LXI f.). 315 Vgl. C. Trautmann-Waller: »Victor Basch«, S. 86; s. a. ebd., S. 88. 311
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Der Kongressbericht, der noch 1937 in zwei Bänden erscheint, enthält neben den in vollem Umfang wiedergegebenen Eröffnungsansprachen der Ehrenvorsitzenden Paul Valéry316 und Paul Claudel 317 sowie des Geschäftsführenden Vorsitzenden Basch 318 243 Abstracts der im Übrigen eingereichten Beiträge. Insgesamt sollen rund 400 Personen aus 28 Staaten an der Veranstaltung teilgenommen haben.319 Dabei stammt lediglich knapp die Hälfte der Beiträge von französischen Autoren.320 In jedem Fall ist gegenüber den letzten in Deutschland abgehaltenen Kongressen – sicher auch aufgrund der eindrucksvollen Internationalisierung – wieder ein deutlicher Anstieg der Teilnehmerzahl zu verzeichnen. Anders als in den Akten der ›deutschen‹ Kongresse, wird in dem Bericht über den Pariser Kongress allerdings nichts über seine ›Vorgeschichte‹, die Namen der Teilnehmer und den eigentlichen Ablauf der Veranstaltung, insbesondere die Diskussionen im Anschluss an die Vorträge, berichtet; auch relevante französische Archivalien hierzu sind bisher nicht bekannt. In einem Einladungsschreiben erfährt man jedoch, dass die Dauer der Referate – von Vorträgen mag man kaum sprechen – auf 15 Minuten beschränkt ist, die anschließenden Diskussionen auf fünf Minuten.321 (Dem Bericht des Leiters der deutschen Delegation wird dann allerdings zu entnehmen sein, dass de facto die überaus lebendigen und »manchmal geradezu erbitterten Diskussionen« der in Parallelsektionen stattfindenden Referate, von denen pro Nachmittag ›vier oder sechs‹ je Sektion präsentiert werden, ›oft die Stunde rundeten‹.322) Und es wird hier auch bereits mitgeteilt, dass lediglich diese Abstracts, nicht die vollständigen Beitragsfassungen, in die Dokumentation aufgenommen werden.323 Setzt man aber die vorgesehene Vortragsdauer und die Länge der Abstracttexte in Bezug, so kann man davon ausgehen, dass diese ›Kurzfassungen‹ in der Regel weitestgehend dem tatsächlich vorgetragenen Referat entsprechen.
316
Vgl. P. Valéry: »Rede über die Ästhetik«. P. Claudel: »Message. Le chemin dans le domaine de l’art et dans celui de l’idée« [Eröffnungsansprache zum zweiten internationalen Kongress für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft]. 318 Vgl. V. Basch: »Einführende Rede von Victor Basch auf dem Kongress für Ästhetik und Kunstwissenschaft in Paris, 1937« (ders.: »Discours«). 319 Vgl. den Kongressbericht von ›Eggemann‹ an das Ministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom 12.8.1937: Bundesarchiv der Bundesrepublik Deutschland, Berlin, Inv.Nr. R 4901/2748; zit. bei H. Dilly: »Destruktive Organisatoren«, S. 297. 320 Vgl. R.M. Ogden: »Deuxième Congrès International d’Esthetique et de Science de l’Art«, S. 225. 321 Vgl. »Deuxième Congrès International d’Esthétique et de Science de l’Art Paris, 1937« [Zweites Einladungsschreiben], S. 251. 322 Kongressbericht von ›Eggemann‹ an das Ministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom 12.8.1937: Bundesarchiv der Bundesrepublik Deutschland, Berlin, Inv.Nr. R 4901/2748; zit. nach H. Dilly: »Destruktive Organisatoren«, S. 297. 323 Vgl. »Deuxième Congrès International d’Esthétique et de Science de l’Art Paris, 1937« [Zweites Einladungsschreiben], S. 251. 317 Vgl.
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Die zugelassenen Kongresssprachen sind Deutsch, Englisch, Spanisch, Französisch und Italienisch.324 Zwar entspricht die Zahl der Abstracts, die die Veranstalter vorsorglich vorab erbeten hatten, offenkundig nicht genau der Zahl der tatschlich gehaltenen Referate, die geringer gewesen ist: Von den Hindernissen, die Mitte der 1930er Jahre der Teilnahme an einem internationalen Kongress im Wege stehen konnten, wird gleich noch die Rede sein. So enthalten die Akten etwa das Kurzreferat des geplanten Vortrags von Dessoir 325, obwohl gesichert ist, dass ihm von nationalsozialistischen Regime die Anreise untersagt und der Vortrag also nicht gehalten wurde. Dennoch muss die Zahl der Referate enorm gewesen sein und die Aussicht, alle diese Beiträge auch nur einigermaßen zureichend zu verhandeln, entsprechend gering: Am bis dahin mit Abstand größten Kongress für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft, dem Kongress von 1913, waren etwa bei 526 Teilnehmern nur 51 Vorträge gehalten worden, was – trotz des allgemeinen Anklangs – bereits als ›Übermaß‹ empfunden worden war.326 Hinzu kommt angesichts der fünf zugelassenen Kongresssprachen (1913 war mit Blick auf eine Optimierung der Kommunikation nur die damalige Wissenschaftssprache Deutsch zugelassen gewesen 327) die Perspektive von sprachlich bedingten Verständigungsschwierigkeiten. Allerdings dürfte dieses offenkundige Missverhältnis, was die realistischen Chancen auf wissenschaftlichen Tiefgang angeht, maßgeblich dem Anliegen geschuldet sein, das namentlich Basch mit diesem, wie Heinrich Dilly es treffend ausgedrückt hat, »ideal geplanten« 328 Kongress verbunden haben wird. So liegt vor dem Hintergrund von Baschs nachdrücklichem Engagement für Völkerverständigung bzw. gegen den Faschismus die Vermutung nahe, dass auch die Initiative zur Organisation des Pariser Kongresses nicht zuletzt kulturpolitisch motiviert ist: als Vorstoß, in Zeiten massivster Repressionen und erneuter Kriegsgefahr einen Ort des freien Diskurses und des friedlichen internationalen Austauschs bereitzustellen, wie dies am Vorabend des Ersten Weltkriegs auf dem ersten Kongress in Berlin so beeindruckend geglückt war. Und in der Tat stellt man sich mit der Pariser Veranstaltung auch ganz ausdrücklich in die Tradition dieses Kongresses, der nun ex post zum internationalen Kongress umdeklariert wird.329 Neben den international renommierten Dichtern 324 Vgl.
ebd. M. Dessoir: »Die Rede als Kunstwerk«. – S. a. ders.: »Die Rede als Kunst« sowie ders.: Die Rede als Kunst. 326 S. o. S. 227. 327 S. o. S. 226. 328 H. Dilly: »Destruktive Organisatoren«, S. 285. 329 So erläutert auch die Ankündigung für den zweiten internationalen Kongress für Ästhetik und Kunstwissenschaft in der Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft: »Die Bezeichnung dieser Tagung geht darauf zurück, daß der erste Ästhetiker-Kongreß, der im Oktober 1913 zu Berlin stattfand, als internationaler angesehen wird, während die späteren Kongresse als deutsche betrachtet werden.« (»Zweiter internationaler Kongreß für Ästhetik und Kunstwissenschaft, Paris 1937«.) 325 Vgl.
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Kapitel III
Valéry, Mitglied der Académie Française, und Claudel, französischer Diplomat im konsularischen Dienst, gelingt es zudem, Henri Bergson – einen der führenden Philosophen am Beginn des 20. Jahrhunderts, ebenfalls Mitglied der Académie Française, Träger des Literaturnobelpreises und vieler weiterer Auszeichnungen – als Ehrenpräsidenten der Tagung zu gewinnen. Dass damit die Creme des literarischen Frankreich aufgeboten wird, macht das besondere Prestige deutlich, das man dem Kongress zu verleihen sucht. Zugleich steht dieses Personal für den antizyklisch humanistischen, pazifistischen oder auch katholischen – jedenfalls aber nicht faschistischen – Idealen verpflichteten Geist dieser Tagung: Man will ganz offenbar durch die renommierten Schirmherren, aber zudem bereits durch den internationalen, erkennbar auf ein neues, breites wissenschaftliches Publikum angelegten Zuschnitt der Veranstaltung auch politisch ein Signal setzen. So bildet dieser Kongress ein Forum, auf dem – neben Wissenschaftlern vieler anderer Nationalitäten – nicht allein zahlreiche nach der nationalsozialistischen ›Machtergreifung‹ aus Deutschland vertriebene bzw. geflohene Forscher auftreten können, darunter neben dem inzwischen nach Prag emigrierten Utitz 330 etwa auch Fritz Kaufmann, der skeptische Rezensent des Hallenser Kongresses 331, der ebenfalls 1933 aus rassistischen Gründen von der Universität Freiburg entlassen worden war und nun ›London‹ als Standort angibt 332 . Vielmehr bemühen sich die französischen Organisatoren auch betont um die Einladung von Wissenschaftlern aus Deutschland. Allerdings ist eine Kongressteilnahme, wie Dilly in Bezug auf den Pariser Kongress unter Auswertung von Archivalien eindrücklich gezeigt hat, unter den Bedingungen des ›Dritten Reichs‹ nur unter strengsten Restriktionen möglich – wobei davon auszugehen ist, dass ähnliche Behinderungen der Teilnahme auch im faschistischen Italien und in der stalinistischen Sowjetunion unternommen werden.333 Die Einschränkung der Freizügigkeit geht nun, was Deutschland angeht, also nicht mehr auf die Ächtung der deutschen Wissenschaftler nach dem Ersten Weltkrieg zurück, sondern auf die Wissenschaftspolitik des Deutschen Reiches, d. h. der nationalsozialistischen Führung in Deutschland, die bestimmten Akademikern – Juden und politischen Gegnern – die Teilnahme an internationalen Kongressen und somit auch an dieser Tagung verwehrte und – man vergesse es nicht – auch in die Belange der deutschen Flüchtlinge und Emigranten sich mischte. […] Denn ohne die ministerielle Genehmigung war es Beamten, Angestellten, Pensionären und selbst Freiberuflern unter-
330 Vgl.
E. Utitz: »Das Schöne und die Kunst«. S. o. S. 242–246. 332 Vgl. F. Kaufmann: »Die Phänomenologie der Kunst als Organ der Metaphysik«. 333 Vgl. H. Dilly: »Destruktive Organisatoren«, bes. S. 285. – Es handelt sich um eine Akte des Bundesarchivs der Bundesrepublik Deutschland in Berlin mit der Beschriftung »2. Kongreß für Ästhetik Paris 8.-11.8.1937«, Signatur ›R 4901/2748‹. 331
Die Allgemeine Kunstwissenschaft als Institution265
sagt, die nötigen finanziellen Mittel einzuwechseln, die Reise anzutreten und die Grenze zu passieren.334
Von den Pariser Organisatoren wird, wie aus einer Notiz des Büroleiters des Deutschen Akademischen Austauschdienstes in Paris hervorgeht, im Sommer 1936 zunächst ein erstes Einladungsschreiben auch an die Mitglieder der Deutschen Gesellschaft für Ästhetik sowie an ausgewählte »Hochschulprofessoren, Schriftsteller, Verleger und sonstige Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens« in Deutschland verschickt.335 Zudem erscheint in der Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft eine kurze Nachricht zu dem geplanten Pariser Kongress. Hier erfährt man nicht allein von der Umdeklaration des Berliner Kongresses zum internationalen Kongress, aus der die Bezeichnung der für 1937 in Paris geplanten Veranstaltung als »Zweiter internationaler Kongreß für Ästhetik und Kunstwissenschaft« erhellt.336 Vielmehr erfährt man hier auch bereits, dass der neue Kongress mit Blick auf den ebenfalls in Paris geplanten »internationalen Philosophen-Kongreß« terminiert wurde, an den er sich zeitlich anschließt, um eine bequeme Teilnahme an beiden Veranstaltungen zu ermöglichen. Neben den drei Ehrenvorsitzenden und Victor Basch als Vorsitzendem werden auch der »Schatzmeister Charles Lalo« und der »Schriftführer Raymond Bayer« genannt; Letzerer organisiert zugleich den Philosophiekongress federführend mit. Bezüglich des inhaltlichen Auf baus werden drei Abteilungen angekündigt: eine für allgemeine Ästhetik und Geschichte der Ästhetik; eine andere für Geschichte und Kritik der Kunst; eine dritte für Wissenschaft und Technik der Künste. In den für alle Abteilungen bestimmten großen Sitzungen sollen folgende Gegenstände behandelt werden: 1. Ästhetik und Kunstwissenschaft; 2. Neue Methoden der Ästhetik (die phänomenologische und die psychanalytische); 3. Ästhetik, Soziologie und Kultur; 4. Die großen Strömungen der europäischen Kunst im 20. Jahrhundert.337
Für weitere Einzelheiten wird auf ein erstes Rundschreiben verwiesen, »das von Dr. Raymond Bayer, 26, Avenue Theophile Gautier, Paris-XVI, angefordert werden kann«.338 In einem zweiten, vom 10. Januar 1937 datierten französischsprachigen Einladungsschreiben, das nicht nur Fachleuten persönlich zugestellt, sondern zudem in mehreren internationalen Organen – allerdings nicht mehr in der Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft – publiziert wird 339, erfährt man überdies, 334 H.
Dilly: »Destruktive Organisatoren«, S. 283 f. der Bundesrepublik Deutschland, Berlin, Inv.Nr. R 4901/2748, Blatt 20; zit. nach H. Dilly: »Destruktive Organisatoren«, S. 290. 336 S. o. S. 263. 337 »Zweiter internationaler Kongreß für Ästhetik und Kunstwissenschaft, Paris 1937«. 338 Ebd. – Vgl. Joseph Dopp / Gaston Wallerand: »Chronique générale«, S. 599. 339 Vgl. z. B. »Deuxième Congrès International d’Esthétique et de Science de l’Art Paris, 1937« [Zweites Einladungsschreiben]. 335 Bundesarchiv
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dass das Programm inzwischen erweitert werden musste: Die ursprünglich vorgesehenen drei Abteilungen werden nun um eine vierte Abteilung zur »Psychologie Esthétique« ergänzt 340, die, in Abstimmung mit dem Komitee des internationalen Kongresses für Psychologie, von ihrem ursprünglich vorgesehenen Ort auf dem elften internationalen Kongress für Psychologie341 hierher verlegt wird. Die Themen der vier Plenarsitzungen werden bestätigt. Angesichts der bereits zu diesem Zeitpunkt vorliegenden 120 Vortragsexposés fordern die Veranstalter Interessierte auf, ihre – der Anmeldung beizufügenden – Exposés bis spätestens zum 1. März einzureichen und unterstreichen die Limitierung der Vortragszeit.342 Trotz Weltwirtschaftskrise, sozialer Unruhen und Streiks in Frankreich, Spanischem Bürgerkrieg und drohendem Weltkrieg bemüht man sich auch um ein attraktives Rahmenprogramm, das allerdings zumindest im Einladungsschreiben mit der Rede von »réceptions spéciales, soirées de gala, excursions, visites d’ateliers, manifestations d’art« 343 eher vage bleibt, und um Vergünstigungen für die Teilnehmer. So haben sie freien Eintritt bei der parallel laufenden Pariser Weltausstellung (Exposition Internationale des Arts et Techniques dans la Vie Moderne), wo sich nicht nur die Pavillons des Deutschen Reichs (von den nationalsozialistischen Paradearchitekten Albert Speer und Woldemar Brinkmann) und der Sowjetunion (von Boris Michajlovicˇ Iofan, einem der bedeutendsten Architekten der Stalinzeit) gegenüberstehen, sondern wo auch im spanischen Pavillon Picassos Guernica zu besichtigen ist. Die künstlerische Moderne ist ebenfalls im neu eröffneten Palais de Tokyo präsent. (Letztlich wird das künstlerische Rahmenprogramm aber einen besonders starken musikalisch-tänzerischen Akzent haben.344) Zudem gibt es ›erhebliche‹ Rabatte für die Nutzung aller Verkehrsmittel in ganz Frankreich; Rabatte seien auch für die Nutzung der Bahnlinien im Ausland für die An- und Abreise vereinbart. Teilnehmern aus visapflichtigen Ländern wird zugesagt, dass für sie die Visapflicht aufgehoben wird.345 Für Kandidaten aus dem Deutschen Reich ist damit allerdings die entscheidende institutionelle Hürde nicht beiseite geräumt. Diese besteht für sie vielmehr im Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, bei dem eine Genehmigung zur Teilnahme beantragt werden muss; denn ohne offizielle Erlaubnis des deutschen Staates ist eine Teilnahme nicht möglich. Das Reichsministerium 340
Ebd., S. 250. Dieser Kongress war zunächst für 1936 in Madrid geplant gewesen und wird dann 25.-31. Juli 1937, also wenige Tage vor dem Ästhetik-Kongress, in Paris abgehalten. 342 Vgl. »Deuxième Congrès International d’Esthétique et de Science de l’Art Paris, 1937« [Zweites Einladungsschreiben], S. 251. 343 Ebd. 344 Vgl. Kongressbericht von ›Eggemann‹ an das Ministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom 12.8.1937: Bundesarchiv der Bundesrepublik Deutschland, Berlin, Inv. Nr. R 4901/2748; zit. bei H. Dilly: »Destruktive Organisatoren«, S. 297 f., siehe hier bes. S. 298. 345 »Deuxième Congrès International d’Esthétique et de Science de l’Art Paris, 1937« [Zweites Einladungsschreiben], S. 251. 341
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ist daher, wie Dilly es formuliert hat, »einer der ungebetenen, insgeheimen Mitorganisatoren der Tagung«.346 Bei diesem Ministerium gehen Anträge auf Reise- und Teilnahmegenehmigung von dem Hamburger Musikwissenschaftler Wilhelm Heinitz, dem Berliner Ethnologen Richard Thurnwald, dem Berliner Musikdirektor Johannes Biehle und dem Dresdner Psychologen und Philosophen Gustav Kaf ka sowie von Dessoir und Wulff ein.347 Zudem reichen die französischen Organisatoren im Frühjahr 1937 beim Deutschen Akademischen Austauschdienst in Paris eine Liste von Personen ein, auf deren Teilnahme man besonderen Wert legt, darunter – neben Dessoir und auch Müller-Freienfels als bekannten Repräsentanten der Allgemeinen Kunstwissenschaft – den Philosophen Nicolai Hartmann und Karl Jaspers sowie dem Philologen und Archäologen Ernst Robert Curtius. Man erwarte »eine repräsentative deutsche Delegation«, zu der – ohne Zweifel als Versuch eines diplomatischen Winkelzugs – noch »Teilnehmer des Internationalen Kongresses für Philosophie wie z. B. Bäumler« hinzustoßen könnten. Aber auch einzelne weitere dem Nationalsozialismus mehr oder weniger nahestehende Wissenschaftler wie der Philosoph Erich Rothacker und der Kunsthistoriker Albert Erich Brinckmann sowie Hermann Noack werden von den Veranstaltern genannt.348 So wendet sich der zuständige Sachbearbeiter im Reichsministerium, der sich offenbar noch keine eigene Meinung zu dem Kongress gebildet hat, zur Beratung an einen linientreuen Fachmann: den Kunsthistoriker Wilhelm Pinder, für dessen Teilnahme am Hamburger Kongress von 1930 Panofsky sich vergeblich engagiert hatte349 – bevor Pinder seine rhetorischen und intellektuellen Fähigkeiten dann ab 1933 begeistert in den Dienst des Regimes stellt. In der Tat hat sich Pinder bereits eine Meinung gebildet und warnt gegenüber dem bevorstehenden Pariser Kongress »zu grösster Vorsicht«, bevor er fortfährt: Ich bedaure jetzt sehr, dass ich die auch an mich persönlich gelangte Einladung gleich fortgeworfen habe. Immerhin erinnere ich mich deutlich genug, warum ich dies tat. Ich hatte den Eindruck einer unter stärkstem jüdischem Einfluss stehenden Organisation, glaube auch, dass der erste Vorsitzende der berüchtigte jüdische Pazifist Basch ist. Ich erlaube mir den Rat, bei der deutschen Kongresszentrale, Berlin, Ludendorffstr. sich ein Programm geben zu lassen. Ich glaube, dass eine deutsche Beteiligung sich dann als unmöglich herausstellen wird Heil Hitler!350 346 H.
Dilly: »Destruktive Organisatoren«, S. 284. ebd., S. 287 f. und S. 293. 348 Vom 14.4.1937 datierter Bericht von Karl Epting, dem Leiter des Büros des Deutschen Akademischen Austauschdienstes in Paris über ein Treffen mit Raymond Bayer: Bundesarchiv der Bundesrepublik Deutschland, Berlin, Inv.Nr. R 4901/2748, Blatt 20; zit. nach H. Dilly: »De strukt ive Organisatoren«, S. 291. – Zu Baeumler s. o. S. 218. 349 S. o. S. 253. 350 Schreiben vom 10.3.1937: Bundesarchiv der Bundesrepublik Deutschland, Berlin, Inv.Nr. R 4901/2748, Blatt 15/16; zit. nach H. Dilly: »Destruktive Organisatoren«, S. 288. 347 Vgl.
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Man nimmt sich Pinders Warnung zwar erkennbar zu Herzen, legt dann letztlich aber doch Wert auf eine deutsche Präsenz: Nach einer gründlichen Aussortierung, der u. a. auch Dessoirs Antrag zum Opfer fällt 351, setzt sich die genehmigte deutsche Delegation schließlich auf dem Papier zusammen aus Heinitz, Thurnwald, Kaf ka und Wulff, auf Initiative des Ministeriums kommen noch Brinckmann, Pinders Vorgänger in Berlin, und der Philosoph Julius Ebbinghaus hinzu.352 Aufgrund der zu spät erfolgten Ausstellung dieser Teilnahmebewilligungen, die die Bewältigung der aufwändigen Reisevorbereitungen unmöglich machen, nehmen aber letztlich de facto nur zwei Mitglieder dieser Delegation am Kongress teil 353: zum einen, als »Führer der deutschen Delegation« 354, Ebbinghaus, der sich als Kantianer auf Gebieten wie Rechts-, Staats- und Sozialphilosophie – nicht aber Ästhetik und Philosophie der Kunst – einen Namen gemacht hat und bisher weder erkennbar mit der Initiative ›Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft‹ in Kontakt getreten ist, noch überhaupt die Teilnahme am Pariser Kongress beantragt hat; zum anderen Thurnwald, der bereits am zweiten und dritten Kongress der Initiative teilgenommen hatte355. Denn beide sind bereits zum zeitlich vorgelagerten Philosophiekongress nach Paris angereist und können daher die kurzfristige Bewilligung überhaupt nutzen. Genauer: Ebbinghaus erhält, wie einer später entstandenen autobiographischen Darstellung zu entnehmen ist, überhaupt erst nach dem Abschluss des philosophischen Kongresses morgens »im Hotel – noch im Bette liegend – ein Telegramm aus dem Berliner Kultusministerium«, das ihn »wegen der Nichtanwesenheit des dafür bestimmten Dresdener Kunsthistorikers in Paris«, also Brinckmann, »mit der Vertretung Deutschlands auf dem um 15 Uhr des gleichen Tages beginnenden Internationalen Kongreß für Ästhetik« beauftragt und ihm »gleichzeitig die für die Verlängerung meines Aufenthaltes nötigen Devisen« anweist.356 – Ein Angebot, ›das man nicht ablehnen kann‹. Für diese Offerte ist Ebbinghaus in den Augen des Regimes vermutlich durch seine Eigenschaft als bekennendes Mitglied der 1933 in der NSDAP aufgegangenen 351 In
einem innenministeriellen Arbeitspapier ist Dessoirs Name mit dem Vermerk »Nicht Arier« und der Anweisung »ablehnen« versehen: Bundesarchiv der Bundesrepublik Deutschland, Berlin, Inv.Nr. R 4901/2748, Blatt 48 f.; zit. nach H. Dilly: »Destruktive Organisatoren«, S. 294. 352 Vgl. ebd., S. 295. – Da die Vortragsexposés bereits vorab beim Veranstaltungskomitee einzureichen waren (s. o. S. 266), enthalten die Kongressakten nicht nur Beiträge der nicht angereisten Delegationsmitglieder Kaf ka, Wulff und Brinckmann, sondern auch der zurückgewiesenen Biehle und Dessoir. 353 Vgl. H. Dilly: »Destruktive Organisatoren«, S. 296. 354 Kongressbericht von ›Eggemann‹ an das Ministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom 12.8.1937: Bundesarchiv der Bundesrepublik Deutschland, Berlin, Inv.Nr. R 4901/2748; zit. nach H. Dilly: »Destruktive Organisatoren«, S. 297. 355 Vgl. R. Thurnwald: »Mitbericht« [zum Vortrag von Alfred Vierkandt: »Prinzipienfragen der ethnologischen Kunstforschung«] (s. o. S. 237 f., Anm. 187); ders.: »Symbol im Lichte der Völkerkunde«. 356 Zit. nach H. Dilly: »Destruktive Organisatoren«, S. 300.
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Deutschnationalen Volkspartei qualifiziert; zu den ideologisierten Nationalsozialisten gehört er aber sicher nicht. Und auch der extreme Chauvinismus des eigentlich für diese Aufgabe vorgesehenen Brinckmann (dessen in die Kongressakten aufgenommener Beitrag gegen Baschs pazifistisches Völkerverständigungsideal eine Apotheose des germanischen Kunstgenius auf bietet 357) ist ihm fremd. Hinzu kommt als dritter deutscher Teilnehmer der nicht zur Delegation gehörende Paul RappoltFischer aus Hamburg, der sich offenbar – da in den Akten des Ministeriums nichts über ihn vermerkt ist – über die Deutsche Kongress-Zentrale als alternativer Option seine Teilnahmeerlaubnis verschafft hat.358 Im Zusammenhang mit der Allgemeinen Kunstwissenschaft ist er bis dato nicht erkennbar in Erscheinung getreten. So heißt es auch in Dessoirs Autobiographie sarkastisch: Freilich, in die deutsche Abordnung zum zweiten Internationalen Kongreß für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft wurde ich nicht gewählt, obwohl die Leitung dieser Pariser Tagung und der Botschafter François-Poncet alles auf boten, um eine Ausmerzung zu verhindern, die ihnen ungeheuerlich vorkam – man mußte in Paris ein Fähnlein unter Führung eines unserer Wissenschaft fernstehenden Professors willkommen heißen und sich darauf beschränken, meiner in Ansprachen zu gedenken und mir durch den Draht Grüße zu senden.359
Ebbinghaus sowie eine weitere Person namens ›H. Eggemann‹ haben dem Ministerium im Anschluss an den Kongress Bericht erstattet. Bei letzterer handelt es sich vermutlich um die Studentin der Kunstgeschichte Helga Eggemann, die später, nach ihrer Promotion an der Universität Berlin im Jahr 1941, bis 1944 für den Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg beim Kunstraub in Frankreich tätig sein wird und die, da von ihr im Kongressbericht keine Spur ist, auf der Veranstaltung offenbar in unmittelbarem Auftrag des Ministeriums auftritt. Dennoch enthalten sich beide in ihren Rapporten einer dezidiert nationalsozialistisch gefärbten Darstellung der Ereignisse. Aus dem Bericht Eggemanns geht hervor, dass die Sektionen bzw. »kleine[n] Arbeitsgemeinschaften«, in denen man nachmittags die Kurzreferate verhandelt, jeweils ein »Leitmotiv« haben, nämlich, ganz im Sinne der Veranstaltungsankündigung: »Geschichte der Ästhetik; allgemeine Ästhetik; Psychologie; Soziologie; Kunst im allgemeinen; zeitgenössische Kunst; dann die Fachgebiete; Architektur;
357 Vgl.
A.-E. Brinckmann: »Sur les caractères nationaux dans l’histoire de l’art européen«. Vgl. H. Dilly: »Destruktive Organisatoren«, S. 296, s. a. S. 289 f., S. 294 und S. 297. – Über Paul Rappolt-Fischer ist weder bio- noch bibliographisch viel zu erfahren. In späteren Jahren ist er u. a. Vorsitzender des Schutzverbandes Deutscher Autoren Nordwest in Hamburg gewesen (vgl. https://archive.org/stream/jgurzidil01reel36/jgurzidil01reel36_djvu.txt [letzter Abruf: 13.1.2021]) und hat in Brief kontakt mit Hermann Kesten, einem der Hauptvertreter der Neuen Sachlichkeit, gestanden (vgl. http://www.kalliope-verbund.info/de/ead?ead.id=DE611-HS-186372 [letzter Abruf: 13.1.2021]). 359 M. Dessoir: Buch der Erinnerung, S. 96. 358
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plastische Kunst; Musik; Theater.« 360 Bei dieser gemeinsamen Arbeit sei es, wie Eggemann näher erläutert, nicht darum gegangen, ein internationales Werk, sozusagen eine allgemeingültige Ästhetik der Kunstwissenschaft zu schaffen, sondern vielmehr war es ein Meinungsaustausch der Abgesandten der verschiedenen Länder, die massgebenden Gelehrten, Philosophen, Kunsthistoriker und Künstler sollten in ihren Vorträgen die Geistesströmungen ihres Landes zum Ausdruck bringen […].361
»Interessant«, so f ährt Eggemann fort, sei dabei die »konservative Haltung« gewesen, »die die Franzosen auf Vorträge der deutsch sprechenden Sektion in ihren Erwiderungen einnahmen.« 362 Sie verweist dabei nicht allein auf die Referate von Thurnwald und Rappolt-Fischer, sondern ausdrücklich auch auf die Beiträge des Polen Roman Ingarden und – im gegebenen Kontext bemerkenswert genug (und wohl zugleich stellvertretend für die zahlreichen deutschsprachigen Beiträge jüdischer Emigranten bzw. Exilanten auf diesem Kongress363) – des aus Prag angereisten Utitz, die beide auf Deutsch referieren 364. Was Eggemann mit dem von ihr notierten französischen Konservatismus meint, erhellt aus ihren Anmerkungen zum Vortrag von Rappolt-Fischer, der »geschickt den deutschen Standpunkt in den Vordergrund [stellte], das Wesen der Kunst nicht darin zu erblicken, dass sie um ihrer selbst willen werde und existiere, sondern notwendig mit dem alltäglichen Leben verbunden aus ihm entstehen solle«.365 Es geht demnach um die Distanznahme gegenüber einer von Eggemann als ›konservativ‹ angesehenen Position, die das Ideal einer reinen, interesselos zu vergegenwärtigenden Phänomenalität gegenüber den lebensweltlichen Funktionen der Kunst, ihren Überschneidungen mit dem Alltäglichen, hochhält.366 Hierbei handelt es sich um eine Position, die mit nationalsozialistischen Vorstellungen zweifellos Schnittmengen hat, aber selbstverständlich, so auch in den angeführten Beiträgen, nicht ein360 Kongressbericht
von ›Eggemann‹ an das Ministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom 12.8.1937: Bundesarchiv der Bundesrepublik Deutschland, Berlin, Inv.Nr. R 4901/2748; zit. nach H. Dilly: »Destruktive Organisatoren«, S. 297. – S. o. S. 265 f. 361 Kongressbericht von ›Eggemann‹ an das Ministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom 12.8.1937: Bundesarchiv der Bundesrepublik Deutschland, Berlin, Inv.Nr. R 4901/2748; zit. nach H. Dilly: »Destruktive Organisatoren«, S. 297. 362 Kongressbericht von ›Eggemann‹ an das Ministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom 12.8.1937: Bundesarchiv der Bundesrepublik Deutschland, Berlin, Inv.Nr. R 4901/2748; zit. nach Heinrich Dilly: »Destruktive Organisatoren«, S. 297 f. 363 Vgl. bes. ebd., S. 281 f. und S. 300 f. 364 Vgl. R. Thurnwald: »Der soziologische und kulturelle Hintergrund der primitiven Kunstbetätigung«; P. Rappolt-Fischer: »Die Wandlung der Ästhetik, ein Symbol für die Wandlung der Weltanschauung«; R. Ingarden: »Das ästhetische Erlebnis«; E. Utitz: »Das Schöne und die Kunst«. 365 Kongressbericht von ›Eggemann‹ an das Ministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom 12.8.1937: Bundesarchiv der Bundesrepublik Deutschland, Berlin, Inv.Nr. R 4901/2748; zit. nach H. Dilly: »Destruktive Organisatoren«, S. 298. 366 Zu den Argumenten, mit denen Lalo die ›deutsche‹ Unterscheidung zwischen Ästhetik und Kunstwissenschaft bei Dessoir und Utitz der Sache nach zurückweist, s. u. S. 280 f.
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fach mit ihnen identisch ist. Vielmehr handelt es sich hier um die namentlich von Dessoir und Utitz eingenommene Position einer funktionstheoretischen Bestimmung der Kunst im Rahmen der Allgemeinen Kunstwissenschaft, mit der man sich, bei allen Affinitäten, insbesondere von Fiedler abgegrenzt hatte.367 Im Übrigen konnte, wie Ebbinghaus in seinem Bericht mit Blick auf das Miniaturformat der deutschen Delegation vielsagend anmerkt, »die deutsche Beteiligung sich nur selten geltend machen«, wenngleich die französische Kongressleitung es sich angelegen sein gelassen habe, »das, was von der deutschen Vertretung sichtbar war, mit spürbarer Zuvorkommenheit zu behandeln«. Er selbst sei durch seine »Vorträge für den Kongress für Philosophie und für die Unterhaltungen in Pontigny« »an der Ankündigung eines ästhetischen Vortrages verhindert gewesen«.368 Damit wird dem Bericht zwar die Anmerkung erspart, dass Ebbinghaus von sich aus ohne Zweifel nie vorgehabt hatte, einen solchen Vortrag vorzubereiten, und auch der Hinweis auf die Überrumpelungsaktion des Berliner Kultusministeriums wird umschifft. Dennoch unterlässt Ebbinghaus es nicht, mit dem Hinweis auf Pontigny – einer Klosteranlage, in der der Schriftsteller Paul Desjardins seit 1910 mehrmals jährlich im Rahmen der sog. Dekaden von Pontigny nationalsozialistischen Sympathien fernstehende Künstler und Intellektuelle wie, neben den Ehrenvorsitzenden des Kongresses Valéry und Claudel, etwa François Mauriac, André Malraux, Thomas Mann, Heinrich Mann und Walter Benjamin versammelt – eigene Akzente zu setzen. In seinen autobiographischen Notizen ergänzt Ebbinghaus dann später in diesem Sinne, dass er es, als er von Basch aufgefordert worden sei, den Kongress »im Namen der Delegation des Nationalsozialistischen Deutschland zu begrüßen«, vorgezogen habe, seine »Auftraggeber auf sich beruhen zu lassen« und sich »statt dessen auf unsere beiden, auch in Paris bekannten Dichter Goethe und Schiller zu berufen, als einen Beweis für die Eigentümlichkeit der Ästhetik in Deutschland, weitgehend ein Produkt der ausübenden Künstler zu sein«. Und er fährt fort: Nun mochte das wohl auch für andere Länder gelten. Aber wenn es denn nur eine halbwahre These war, so war es doch eine betont unpolitische These. Jedenfalls hatte ich die Genugtuung, mit meinen Ausführungen im Namen der Delegation des nationalsozialistischen Deutschland beim Abgang vom Rednerpult einen Beifall zu ernten, der an Freundlichkeit nur von dem dem Vertreter Rot-Spaniens, Herrn [ Joaquin] Xirau, gespendeten übertroffen wurde.369
Schließlich vermerkt Ebbinghaus in seinem Bericht an das Ministerium noch, im Rahmen der Geschäftlichen Sitzung, an der er als Delegationsführer teilnimmt, sei ein »›Comité permanent‹« gegründet worden, »dem die Vorbereitung der weiteren internationalen Kongresse obliegen soll«, wobei als »Norm« festgelegt wor367 S. o.
S. 95 sowie auch S. 217. von Julius Ebbinghaus an das Ministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom 17.9.1937: Bundesarchiv der Bundesrepublik Deutschland, Berlin, Inv. Nr. R 4901/2748, Blatt 76 f.; zit. nach H. Dilly: »Destruktive Organisatoren«, S. 299. 369 Zit. nach ebd., S. 300. 368 Kongressbericht
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den sei, dass »die ästhetische Wissenschaft jeden Landes in diesem Comité zwei Vertreter haben soll«.370 – Die zentrale Inspirationsquelle dürfte hier der auf dem ersten Kongress 1913 gebildete Ständige Ausschuss gewesen sein, dem Basch selbst angehört hatte.371 – Zusätzlich sollten in dieses Gremium »bekannte Ästhetiker ›à Titre personnel‹ wählbar sein«; diese Ehre sei »auf Vorschlag der Kongressleitung Herrn Dessior [sic]« zuteil geworden. Der nächste Kongress solle 1940 in Budapest stattfinden.372 Wegen organisatorischer Schwierigkeiten wird dieser Kongress allerdings zunächst wieder verschoben, und schließlich, angesichts der politischen Situation, ganz fallengelassen.373 Stattdessen setzt nach dem Krieg das – aus den Franzosen Étienne Souriau und Mikel Dufrenne, dem Briten Harold Osborne, dem Italiener Luigi Paryeson, dem Japaner Tomonobu Imamichi, dem Serben Milan Damnjanović und dem US-Amerikaner Thomas Munro bestehende – Comité international d’Esthétique bzw. (die Namensformulierung variiert) Comité international pour les Études d’Esthétique, beginnend mit einem 1956 in Venedig veranstalteten Kongress, die in Berlin 1913 und Paris 1937 begründete Tradition internationaler Ästhetikkongresse fort. Diese finden zunächst in Vierjahres-, seit 1992 in Dreijahresrhythmus an jeweils unterschiedlichen Orten der Welt statt. Bis 1984 werden diese Veranstaltungen durch das Comité organisiert, seit 1988, nachdem eine stark angewachsene Zahl von Ästhetikern und eine weiter fortgeschrittene Internationalisierung eine Reorganisation erforderlich gemacht hatte, durch die International Association of Aesthetics / Association Internationale d’Esthétique.374 Durchführung und Rezeption Über die konkreten Motive, die Basch und seine Mitarbeiter dazu bewogen haben, den Pariser Kongress statt als Themen- wieder als Übersichtskongress anzulegen, ist nach derzeitiger Quellenlage nichts bekannt. Es ist aber eine naheliegende Vermutung, dass Basch sich hierbei an dem epochemachenden Kongress von 1913 orientiert – dem einzigen der in Deutschland abgehaltenen Kongresse, an dem er, ebenso wie Lalo, persönlich teilgenommen hat.375 (Der 1898 geborene Bayer war bei keinem dieser Kongresse zugegen gewesen.) So stellt Basch sich auch bereits mit 370 Kongressbericht von Julius Ebbinghaus an das Ministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom 17.9.1937: Bundesarchiv der Bundesrepublik Deutschland, Berlin, Inv. Nr. R 4901/2748, Blatt 76 f.; zit. nach H. Dilly: »Destruktive Organisatoren«, S. 299. 371 S. o. S. 229. 372 Kongressbericht von Julius Ebbinghaus an das Ministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom 17.9.1937: Bundesarchiv der Bundesrepublik Deutschland, Berlin, Inv. Nr. R 4901/2748, Blatt 76 f.; zit. nach H. Dilly: »Destruktive Organisatoren«, S. 299. 373 Vgl. ebd., S. 284. 374 Vgl. http://iaaesthetics.org/about-the-iaa/history-of-the-iaa [letzter Abruf: 13.1.2021]. 375 Vgl. V. Basch: »Die Objektivität des Schönen«; C. Lalo: »Programm einer soziologischen Ästhetik«. – S. a. bes. C. Trautmann-Waller: »Victor Basch«, S. 87–90.
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der Umdeklaration dieser Veranstaltung zum ›ersten internationalen‹ Kongress mit dem ›zweiten internationalen‹ Pariser Kongress ausdrücklich in diese Tradition.376 Diese Verbindung unterstreicht ebenfalls der Kongressteilnehmer Felix Maria Gatz rückblickend: »Ranking French aestheticians, adopting Dessoir’s terms, gave to the Second International Congress for Aesthetics (Paris, 1937) the name ›Congrès d’Esthetique et de Science de l’Art‹– dropping only the word General.« 377 Zudem dürfte die thematische Offenheit der erkennbaren Absicht der Organisatoren entgegengekommen sein, mit dieser Veranstaltung in Sachen Umfang und vor allem Internationalität ein möglichst eindrucksvolles kulturelles und politisches Zeichen jener ›Versöhnung‹ zu setzen, die Baschs Überzeugung nach eben mit dem Ästhetischen und der Kunst im Allgemeinen verbunden ist.378 Die Strukturierung der 243 bei dem Organisationskomitee eingegangenen Referatsabstracts im Rahmen der unverzüglich erfolgten zweibändigen Publikation der Kongressakten 379 lehnt sich an die jeweils vier Abteilungs- und Plenarsitzungsthemen an, die der Kongresskonzeption zugrunde gelegen hatten 380. Dabei gehen den Abstracts zunächst die drei in voller Länge wiedergegebenen Vorträge der Ehrenvorsitzenden Valéry und Claudel sowie des Tagungspräsidenten Basch voraus.381 Dann folgen die Kurzreferate in sechs Gruppen: I. ›Allgemeine Ästhetik‹ (Esthétique générale) mit 42 Beiträgen, II. ›Psychologie‹ (Psychologie) mit 29 Beiträgen, III. ›Soziologie und Kultur‹ (Sociologie et Culture) mit 28 Beiträgen, IV. ›Geschichte und Kritik‹ (Histoire et Critique) mit 31 Beiträgen, V. ›Wissenschaft der Kunst und Techniken der Künste‹ (Science de l’Art et Techniques) mit 75 Beiträgen und VI. ›Zeitgenössische Kunst‹ (L’Art Contemporain) mit 31 Beiträgen; den Schluss bildet ein Anhang aus sieben Beiträgen, die sich nach Auffassung der Verantwortlichen offenbar nicht überzeugend einer dieser Sektionen zuordnen ließen.382 Diese Hauptsektionen sind jeweils weiter gegliedert: Die Beiträge zur ›Allgemeinen Ästhetik‹ (Esthétique générale) (I) sind unterteilt in 4 zur ›Allgemeinen Methode‹ (Méthode générale), 21 zur ›Reinen und metaphysischen Ästhetik‹ (Esthétique pure et métaphysique), 11 zur ästhetischen Axiologie (Valeurs comparées) und 6 zu ›Ästhetischen Kategorien‹ (Catégories esthétiques). Die psychologischen Beiträge (II) sind differenziert in 12 Artikel zur ›Analytischen Psychologie‹ (Psychologie analytique), d. h. zur Psychoanalyse, und 17 zur ›Allgemeinen Psychologie‹ (Psychologie générale). Unter den soziologischen und kulturwissenschaftlichen Beträgen (III) behandeln 9 Referate die Entstehung und Entwicklung der Kunst (Genèse et Evolution), 11 ›Volkskunst und Nationalitäten‹ (Folklore et Nationalités), 8 befassen sich mit dem 376
S. o. S. 263. Gatz: »The Object of Aesthetics«. 1/4 (1941/42), S. 42. – S. u. S. 275 f. 378 S. o. S. 261. 379 Vgl. Deuxième Congrès International d’Esthétique et de Science de l’Art. Paris 1937. 380 S. o. S. 265 f. 381 S. o. S. 262. 382 Vgl. Deuxième Congrès International d’Esthétique et de Science de l’Art, Bd. 1, S. 364–369; Bd. 2, S. 521–527. 377 F.M.
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Zusammenhang ›Individuum, Gesellschaft, Kultur‹ (Individu, Société, Culture). In der historischen Sektion (IV) widmen sich 14 Beiträge Themen der ›Geschichte der Ästhetik‹ (Histoire de l’Esthétique), 7 Themen der Methodologie der Kunstkritik (Critique générale) und 10 der ›Geschichte und Kritik der Kunst‹ (Histoire et Critique de l’Art). Die Beiträge zu ›Wissenschaft der Kunst und Techniken der Künste‹ (V), der umfangreichsten Sektion, sind in 4 Unterkapitel gegliedert: 15 Beiträge zur Kunst allgemein (L’Art), 9 zum ›Wesen der Poesie‹ (Essence de la Poésie), 6 zur Literatur (L’Art littéraire), 10 zur Musik (Musique), 18 zur Plastik (Plastique), 8 zu ›Architektur und Stadtplanung‹ (Architecture et Urbanisme) und 9 zu Theater und Kino (Théatre et Cinéma). Die Gruppe der Beiträge zur ›Zeitgenössischen Kunst‹ (VI) umfasst schließlich 15 Studien zu ›Humanismus oder Formalismus‹ (Humanismus ou Formalisme), 8 zu ›Dekor oder Geometrie‹ (Décor ou Géométrie) und ebenfalls 8 zu neuen Tendenzen der Musik und des Tanzes (Destins de la Musique et de la Danse).383 Mit dieser Strukturierung des Materials wird deutlich, dass man sich grundsätzlich nach wie vor am Auf bau der von Dessoir 1913 und 1924 organisierten Übersichtskongresse orientiert: Beim ersten Kongress hatten die Beiträge zu methodologischen und allgemeineren Fragen von Ästhetik und Kunstwissenschaft am Anfang gestanden, darunter – neben den programmatischen Entwürfen der Allgemeinen Kunstwissenschaft von Dessoir, Utitz und Hamann 384 – etwa auch Baschs Thesen über Die Objektivität des Schönen385 und Lalos Programm einer soziologischen Ästhetik 386 , ergänzt durch weitere Vorträge zu spezielleren ästhetischen und künstlerischen Problemstellungen, die sich keiner bestimmten Kunstgattung zuordnen ließen; dann waren in drei Abteilungen Beiträge zu Aspekten der einzelnen Künste, gegliedert nach Studien zur bildenden Kunst, zur Literatur und zur Musik gefolgt. Beim zweiten Kongress war zu den allgemeinen systematischen Beiträgen am Anfang und den Beiträgen zu den Einzelkünsten am Ende bereits ein zusätzlicher Schwerpunkt auf der Psychologie und Psychopathologie des künstlerischen Schaffens getreten. Zudem war die Diskussion der einzelnen Künste ergänzt worden sowohl durch Beiträge der jungen Disziplin Filmwissenschaft als auch der Tanzwissenschaft, auf denen ein starker Akzent gelegen hatte. In beiden Dokumentationen hatte man angesichts dieser überschaubaren Struktur noch auf gliedernde Zwischenüberschriften mit thematischen Angaben verzichtet. Zwar stehen auch bei dem Pariser Kongress allgemeine methodologische und systematische Beiträge am Beginn der Dokumentation, an deren Ende die Studien spezielleren Aspekten der Künste – eine Anordnung, die sich freilich auch bereits von der Logik der Sache her nahelegt. Die Tendenz zu einer Expansion, die sich bereits beim zweiten Kongress abgezeichnet hatte, nimmt bei der Pariser Veranstaltung allerdings sowohl thematisch als auch der Zahl der Beiträge nach solche 383 Vgl.
ebd., Bd. 1, S. 364–369; Bd. 2, S. 521–527. S. o. S. 224. – S. a. S. 102 f. und S. 171 f. 385 Vgl. V. Basch: »Die Objektivität des Schönen«. 386 Vgl. C. Lalo: »Programm einer soziologischen Ästhetik«. 384
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Dimensionen an, dass man zu den beschriebenen erweiterten (und nun auch deutlich durch thematische Überschriften markierte) Gliederungsmaßnahmen greift: Statt zwei bzw. drei Themenblöcken gibt es nun ganze sechs Hauptsektionen, die jeweils mehrfach untergliedert sind. Zum einen ist nun nur so noch eine Orientierung im Material zu gewährleisten. Zum anderen spiegelt diese Transformation aber auch eine Transformation der Forschungslandschaft, die sich nicht nur dem Umfang nach signifikant erweitert hat, sondern die nun dem Inhalt nach – in Gegenbewegung zum ursprünglichen Impuls einer Weitung des Blicks durch systematische Interessen – wieder eine deutliche Hinwendung zum Einzelproblem und Einzelwerk erkennen lässt. Dabei betrifft die Expansion und Separation sämtliche Aspekte des Stoffs. So wird im ersten Band der Kongressdokumentation nun zwischen ästhetischen, psychologischen und soziologischen bzw. kulturwissenschaftlichen Studien differenziert. Bei den kunstwissenschaftlichen Studien im zweiten Band der Dokumentation wird wieder, wie bereits beim zweiten Kongress, eine neue Kunst aufgenommen: die Stadtplanung. Vor allem aber findet eine deutliche Ausgliederung von Einzelaspekten statt. Am grundlegendsten ist hier die neue Unterscheidung zwischen ›Wissenschaft der Kunst und Techniken der Künste‹ (V) einerseits und ›Zeitgenössischer Kunst‹ (VI) andererseits, wobei letztere Sektion mit ihren Unterabteilungen ›Humanismus oder Formalismus‹, ›Dekor oder Geometrie‹ sowie zu neuen Tendenzen der Musik und des Tanzes Aspekte einer spezifischen Zeitgenossenschaft und geschichtlichen Dynamik aufgreift, die bis dahin – bei aller Modernität – im Rahmen der Allgemeinen Kunstwissenschaft nicht mit vergleichbarem Nachdruck herausgestellt worden war. Zudem wird es hinsichtlich der ›Techniken der Künste‹ als nötig erachtet, die Studien zur Sprachkunst in solche zum ›Wesen der Poesie‹ und zur Literatur zu unterteilen. Es ergeben sich aber nicht nur neue Differenzierungen, sondern auch neue Assoziationen. So wird das Theater nun aus der Dichtung ausgegliedert und zusammen mit dem Kino verhandelt, d. h., es wird nicht mehr primär unter seinem Aspekt der Sprachlichkeit, sondern seiner Sichtbarkeit und Temporalität in den Blick genommen. Des Weiteren stehen nun am Beginn des zweiten Bandes in der Sektion ›Geschichte und Kritik‹ (IV) Beiträge zur Geschichte und Methodologie bestimmter Kunstwissenschaften – der ›Ästhetik‹ sowie der Kritik und Kunstgeschichte – gefolgt von Beiträgen zur Thematisierung der Geschichtlichkeit der Kunst in der Disziplin Kunstgeschichte. Interessant ist an dieser Sektion nicht nur, dass hier von einem der nun erstmals stärker vertretenen US-amerikanischen Forscher auch die zeitgenössische US-amerikanische Ästhetik, insbesondere des Pragmatismus, in Europa vorgestellt wird. Interessant ist vielmehr auch, dass diese Aufgabe der Präsentation eines nichteuropäischen Forschungsansatzes von einem der zahlreichen Emigranten übernommen wird, die sich auf diesem Kongress einfinden: dem Dirigenten und Musikschriftsteller Gatz, einem Bruckner-Spezialisten, der u. a. als Professor für Musikästhetik an der Universität Wien gelehrt hatte und 1934
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in die USA hatte emigrieren müssen.387 Es handelt sich hier um einen der ersten Versuche auf diesem Sachgebiet, nicht mehr allein die europäische Wissenschaft hochzuhalten, sondern nun auch umgekehrt neue Ansätze in Europa bekannt zu machen. Gatz, »German born and ›Hitler hating‹«, wird bald darauf im Rahmen des ersten Kongresses für Ästhetik in Amerika, der 1939 »in emulation of the European congresses led by Dessoir« in Scranton, Pennsylvania, stattfindet, informell die American Society for Aesthetics gründen.388 Dass die Etablierung einer eigenen ästhetischen Forschung in den USA mit der Entwicklung eigener wissenschaftlicher Standards einhergeht, die auch selbstbewusst vertreten werden, zeigt sich insbesondere in Rezensionen der Kongressdokumentation. So fällt der US-amerikanische Psychologe Robert Morris Ogden, der selbst mit einer Studie in den Kongressakten vertreten ist 389, in seiner Besprechung dieser Dokumentation ein ernüchterndes Urteil: Mit der Feststellung der großen Vielzahl und Bandbreite der Beiträge zu diesem Themenfeld endet auch schon weitgehend das, was er Positives anzumerken hat. Die Mehrzahl der Studien sei in einem Modus gehalten, der am ehesten als »literary criticism« bezeichnet werden könne, d. h. als Stellungnahme zur Kunst, die selbst mehr oder weniger künstlerischer Natur ist. Aufgrund mangelnder wissenschaftlicher Systematik und Klarheit dränge sich als Kehrseite der beeindruckenden präsentierten Materialfülle dem Leser der irritierende Eindruck auf, die Kunst biete ein ebenso breites wie chaotisches Forschungsfeld.390 Auch der – ebenfalls US-amerikanische – Musiksoziologe John H. Mueller merkt in seiner Rezension der Kongressakten kritisch an, viele der dort dokumentierten Beiträge könnten legitimerweise nicht als Wissenschaft bezeichnet werden.391 Unter den Kongressbeiträgen finden sich Studien von zahlreichen Autoren, die sich teils in späteren Jahren auf ihren jeweiligen Betätigungsfeldern einen Namen gemacht haben, teils aber auch zum Zeitpunkt des Kongresses bereits Berühmt387 Vgl.
F.M. Gatz: »American Æsthetics«. Goehr: »The Institutionalization of a Discipline«, S. 103. S. a. T. Munro: [Brief vom 26.11.1941], S. 73. – Gatz hat zwischen 1930 und 1935 (zuletzt bereits aus der amerikanischen Emigration) mehrmals Spuren auf den Plattformen der Allgemeinen Kunstwissenschaft hinterlassen: Nachdem in der Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft zunächst eine Rezension auf sein musikästhetisches Hauptwerk erschienen war (vgl. F. Heinrich: »Felix M. Gatz: Musik-Ästhetik in ihren Hauptrichtungen«), tritt Gatz hier hier des Weiteren als Diskutant bei Vorträgen der Gesellschaft für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft in Berlin (vgl. »Gesellschaft für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft E.V. Veranstaltungen der Berliner Ortsgruppe im Winter 1929/30 und im Sommer 1930«. In: Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft. 25 [1931], S. 92, S. 399 und S. 401), als Rezensent (vgl. F.M. Gatz: »Walter Serauky: Die musikalische Nachahmungsästhetik im Zeitraum von 1700 bis 1850«; ders.: »Arnold Klaes: Studien zur Interpretation des musikalischen Erlebens«) und als Autor eines Aufsatzes (ders.: »Die Theorie des L’art pour l’art und Theophile Gautier«) in Erscheinung. 389 Vgl. R.M. Ogden: »Naive Geometry in Art«. 390 R.M. Ogden: »Deuxième Congrès International d’Esthétique et de Science de l’Art«, S. 226. 391 Vgl. J.H. Mueller: »Deuxième Congrès International d’Esthetique et de Science de l’Art«. 388 L.
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heiten sind, wie die Philosophen Antonio Banfi, George Boas, Valentin Feldman, K atharine E. Gilbert, Roman Ingarden, Fritz Medicus, und Ladislas Tatarkiewicz, die Kunsthistoriker Henri Focillon, Pierre Francastel, Joseph Gantner, Otto Grautoff, Hanna Levy-Deinhard, Herbert Read, Karel Svoboda, Charles de Tolnay, Lionello Venturi, die Literaturwissenschaftler Jan Muka řovský, Leopold Silberstein und Wladimir Weidlé, die Maler und Graphiker Albert Gleizes und André Jacquemin, die Schriftsteller und Dichter Paul Éluard, Lucien Fabre, Jurgis Baltrušaitis – nicht zu vergessen die Ehrenvorsitzenden Paul Valéry und Paul Claudel, der Architekt und Stadtplaner Auguste Perret, der Komponist und Musiker Witold Lutosławski sowie die Tänzer Rudolf von Laban und Sergej Michajlovicˇ Lifar’. Zwar hatte auch bereits Dessoir ausdrücklich ›theoretisch interessierte Künstler‹ eingeladen, sich kunstwissenschaftlich zu engagieren.392 Damit war aber nicht gemeint gewesen, den Künstlern sei per se die höchste Kompetenz in künstlerischen Angelegenheiten einzuräumen; vielmehr war es darum gegangen, auch die künstlerische Perspektive – prinzipiell unter Anwendung der gleichen wissenschaftlichen Maßstäbe, die auch für alle weiteren Beiträge gelten – miteinzubeziehen. Basch verfolgt mit seiner forcierten Einbeziehung von Künstlern in die ästhetische Diskussion dagegen andere Ziele. So erklärt er in seiner Eröffnungsansprache, es sei »kein Zufall, dass die beiden ersten auf dem ›Congrès d’Esthétique et de Science de l’art‹ gehaltenen Vorträge weder von professionellen Ästhetikern noch von Philosophen stammen, sondern von zwei großen Künstlern, die der französischen Dichtung und Prosa Glanz verliehen haben«. Er sei, wie Basch weiter erklärt, stets der Meinung gewesen, »dass in Sachen Ästhetik das letzte Wort nicht etwa den Theoretikern, sondern den Kunstschaffenden zustehen sollte«, sei »doch jegliche Kunst nicht nur, aber in erster Linie eine Technik, die sachkundig nur von ›Technikern‹ beurteilt werden kann«.393 Damit wird zwar, negativ gesprochen, die Rechtfertigung des Laienurteils durch die Entwicklung allgemeiner, von einem Herstellungswissen grundsätzlich unabhängiger Kriterien, die seit Diderot die Grundlage für die Entwicklung eines professionellen Sprechens über die Kunst gebildet hatte, zurückgenommen. Zugleich wird hier aber, positiv gesprochen, in prominentem Rahmen eine nichtakademische ›künstlerische Forschung‹ nachdrücklich als ein genuiner Beitrag zum Verständnis der Kunst gewürdigt. Den Hintergrund dieses Votums bildet neben der Berufung auf das spezielle Herstellungswissen der Künstler allerdings letztlich Baschs hochgradig idealistische Vorstellung von der Kunst als einer besseren Welt – einer »Zuflucht gleichsam, nach der die durch den Kontakt mit dem harten Leben verletzten Seelen streben, eine[r] Oase, in der sich die Palmen im sanften Wind wiegen« 394 – und des Künstlers als eines besseren, idealen Menschen. Angesichts der politischen und gesellschaftli392
S. o. S. 27 und S. 213. V. Basch: »Einführende Rede von Victor Basch auf dem Kongress für Ästhetik und Kunstwissenschaft in Paris, 1937«, Abs. 1 (s. a. ders.: »Discours«, S. LI). 394 Ebd., Abs. 29 (s. a. ders.: »Discours«, S. LXIII). 393
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chen Verhältnisse der Zeit kann man solche Reden des Präsidenten der französischen Liga für Menschenrechte wohl begreifen. Céline Trautmann-Waller hat indes treffend angemerkt, dass die von Basch selbst mit dem Kongress ausgelöste Welle an avancierten, oft dezidiert avantgardistischen Studien und künstlerischen Positionsnahmen nur umso deutlicher macht, wie antiquiert sein ekstatischer Kunstbegriff längst ist.395 Das umfangreiche Material der Akten des Pariser Kongresses ist in der Forschung bisher nur ansatzweise erschlossen. Bisher liegen insbesondere einzelne Studien zu den Beiträgen vor, im Rahmen der Dokumentation dieses Kongresses zur Kunstgeschichte396 , zur Architekturtheorie397 sowie zur Filmwissenschaft 398 geleistet worden sind. Hinsichtlich der Allgemeinen Kunstwissenschaft im engeren Sinne ist dabei zum einen von Interesse, dass hier am Beginn der Sektion ›Allgemeine Ästhetik‹ (I) mit den Beiträgen zur ›Allgemeinen Methode‹ Studien vorgestellt werden, die dezidiert zur Methodologie von Ästhetik und Kunstwissenschaft der Stellung nehmen: Der Ästhetiker Edgar de Bruyne aus Gent leistet eine Contribution à la méthodologie générale de l’esthétique et de la science de l’art; der Philosoph Fritz Heinemann, der 1933 seine Lehrbefugnis und seine außerordentliche Professur in Frankfurt a.M. verloren hatte und nun ›London‹ als Standort angibt, präsentiert Thesen und Postulate zur Grundlegung einer wissenschaftlichen Æsthetik; der Psychologe und Philosoph Maximilian Beck aus Prag erörtert Die Methode der objektivistischen Æsthetik; und der Philosoph und Kunsthistoriker Mieczysław Wallis-Walfisz aus Warschau präsentiert L’art au point de vue sémantique. Une méthode récente de l’esthétique. Mit Ausnahme von Wallis-Walfisz waren alle diese Autoren bereits in der Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft in Erscheinung getreten, wenngleich eher marginal: de Bruyne als Autor einer rezensierten Kunstphilosophie 399, Heinemann als Rezensent400 und Maximilian Beck als Autor eines Aufsatzes, einer Rezension sowie schließlich des rezensierten Werkes Wesen und Wert 401. Allerdings hat de Bruyne, der auch die Edition der Pariser Kongressakten rezensiert hat, recht mit der Feststellung, dass ebenfalls Baschs Eröffnungsvortrag in diese Reihe gehört.402 Hinzu kommen, worauf de Bruyne in seiner Rezension der Kongressakten gleichfalls zu Recht hinweist, einzelne grundsätzlicher angelegte Beiträge der Sektion ›Wissenschaft der Kunst und Techniken der Künste‹ (V) »sur la définition de 395 Vgl.
C. Trautmann-Waller: »Victor Basch«, S. 88. Vgl. M. Passini: »Les historiens de l’art au Congrès international d’esthétique et de science de l’art de Paris«; s. a. K. Thomas: »Subtilité de différence«. 397 E. Thibault: »L’architecture au Congrès d’esthétique de 1937«. 398 Vgl. B. Turquety: »Un art incomplet«. 399 Vgl. J.D. Bierens de Haan: »Edgar de Bruyne: Kunstphilosophie«. 400 Vgl. F. Heinemann: »Giovanni Gentile: L’Esprit, acte pur«. 401 Vgl. A. Werner: »Maximilian Beck: Wesen und Wert«; M. Beck: »Die neue Problemlage der Ästhetik«; ders.: »Oswald Herzog: Zeit und Raum, das Absolute in Kunst und Natur«. 402 Vgl. E. de Bruyne: »Deuxième Congrès International d’Esthétique et de Science de l’Art«. 396
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l’art, sur l’essence de la poésie, sur la structure de l’œuvre littéraire, sur la musicalité et l’œuvre musicale«403, die hier neben stärker einzelwissenschaftliche bzw. aus künstlerischer Perspektive konzipierte Beiträge treten. Zu diesen im engeren Sinne kunstwissenschaftlichen Beiträgen gehören neben Gustav Kaf kas Thesen Zur Systematik der kunstwissenschaftlichen Grundbegriffe, Focillons Darstellung der Généalogie de l’unique oder Weidlés Ausführungen über Biologie et métaphysique de l’art etwa auch Utitz’ Studie über Das Schöne und die Kunst und Dessoirs Tagungsbeitrag Die Rede als Kunstwerk. Wulff als weiterer Protagonist des Dessoir-Kreises ist diesmal mit einer kunsttheoretischen Studie über den Ausbau der Farbenlehre von Wilh[elm] Ostwald und ihre Anwendbarkeit auf die Betrachtung der Malerei vertreten. Die Bedeutung der Allgemeinen Kunstwissenschaft als Wissenschaftstheorie Der von Dessoir mit der Initiative ›Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft‹ verbundene wissenschaftstheoretische Impuls wird also durchaus aufgegriffen. Insbesondere werden in den Beiträgen dieses Kongresses immer wieder neue kunstwissenschaftliche Methoden vorgestellt – nicht nur der Pragmatismus, sondern auch eine weiter ausgearbeitete Phänomenologie, die Psychoanalyse, der Vitalismus, die Semiotik usw. Das nähere Anliegen, mit der Allgemeinen Kunstwissenschaft eine nichtempirische Wissenschaft aller Künste zu begründen, das bereits auf dem ersten Kongress – trotz der programmatischen Entwürfe von Dessoir, Utitz und Hamann – nur eine Nebenrolle gespielt hatte und auf den weiteren Kongressen allenfalls noch in Spuren identifizierbar gewesen war, erfährt indes keine substanzielle Belebung. Auch die für die von Dessoir initiierten Forschungen so charakteristische Differenzierung zwischen ›Ästhetik‹ und ›Allgemeiner Kunstwissenschaft‹ wird in den Kongressbeiträgen zwar teilweise ausdrücklich aufgegriffen (so z. B. bei de Bruyne404, Beck405 und Weidlé406), aber keineswegs durchgängig: Weitestgehend wird ›Ästhetik‹ hier wieder als Bezeichnung für eine systematische Theorie bzw. Philosophie der Kunst oder auch des Ästhetischen und der Kunst verwendet. Dies gilt nicht nur etwa für den Beitrag von Heinemann über Thesen und Postulate zur Grundlegung einer wissenschaftlichen Æsthetik, der ausdrücklich die Kunst einbezieht, sondern auch für die Position der Organisatoren bzw. Editoren selbst, wenn sie beispielsweise die Sektion I, die auch die methodologischen Studien zur Kunstwissenschaft umfasst, pauschal als ›Allgemeine Ästhetik‹ bezeichnen. Überhaupt werden Dessoir und Utitz in den Beiträgen der Pariser Kongressakten zwar erwähnt. Dies geschieht allerdings in einem angesichts des Veranstal403 Vgl.
ebd., S. 280. E. de Bruyne: »Contribution à la méthodologie générale de l’esthétique et de la science de l’art«. 405 Vgl. M. Beck: »Die Methode der objektivistischen Æsthetik«. 406 Vgl. W. Weidlé: »Biologie et métaphysique de l’art«. 404 Vgl.
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tungsthemas und -formates, das mit ihren Namen so eng verbunden ist, geradezu mikroskopischen Umfang407: Weder in den methodologischen Beiträgen der Sektion I noch in den systematisch orientierten Beiträgen der Sektion V beruft man sich explizit auf Dessoir; auch in den drei großen Eröffnungsvorträgen, den von Basch eingeschlossen, wird weder Dessoir noch Utitz erwähnt. (Auf Theoretiker der Allgemeinen Kunstwissenschaft wie Hamann oder auch Wind wird in den Kongressakten überhaupt nicht verwiesen.) Sicher spielen hierbei auch die angespannten politischen Umstände, unter denen der Kongress abgehalten wird, eine Rolle. Allerdings dokumentieren der Zuschnitt der Veranstaltung ebenso wie die inhaltliche Orientierung der Beiträge zugleich eine grundsätzlich veränderte Bedeutung der von Dessoir auf den Weg gebrachten Initiative, wie sich im Ausgang von dem Kongressbeitrag Charles Lalos, eines der Mitorganisatoren des Kongresses, deutlich machen lässt.408 In der gesamten Kongressdokumentation zeugt allein die Studie Lalos von einer näheren inhaltlichen Auseinandersetzung mit den kunstwissenschaftlichen Konzeptionen von Dessoir und Utitz. Lalo hatte nicht nur zusammen mit Basch am ersten Berliner Kongress teilgenommen, sondern er war Dessoir auch im Frühjahr 1934 auf dessen Vortragsreise nach Paris persönlich begegnet.409 Neben Basch ist Lalo zu dieser Zeit der zweite ausgewiesene Kenner deutscher Ästhetik und Kunstphilosophie in Frankreich. Nichtsdestoweniger geht es bei Lalos Bezugnahme auf Dessoir und Utitz ganz explizit weniger um die Feststellung einer Kontinuität des Forschungsanliegens als vielmehr um eine konzeptionelle Abgrenzung. So arbeitet Lalo in der ›Die echten Werte in der Kunst und im Leben‹ überschriebenen Schlusssequenz seines Beitrags jenen entscheidenden Unterschied zwischen der ›französischen‹ und der ›deutschen‹ Auffassung heraus, den auch Eggemann in ihrem Kongressbericht notiert410: Es sei der Irrtum der Romantiker und Dekadenten, so holt Lalo aus, in ihrer Vorstellung einer Schönheitsreligion, die die Kunst über alles erhebe, die primitive Zauberkraft des Künstler-Magiers wiederbeleben zu wollen. Umgekehrt sei es aber der Irrtum des ›honnête homme‹-Ideals der Klassik, wie Malherbe oder Boileau es einst entwickelten, die Kunst jenseits sol407 Der
rumänische Kunsthistoriker Coriolan Petranu nennt Dessoir, allerdings in völlig unspezifischer Weise und inmitten einer Reihe weiterer Namen von Autoren, in Bezug auf das Problem der Beschreibung von Kunstwerken. (Vgl. C. Petranu: »L’analyse des contenus psychiques dans les œuvres d’art plastique«, S. 200.) Zudem beruft sich der schweizerische Musikwissenschaftler, Kapellmeister und Komponist Franz Brenn in einem Halbsatz auf Dessoirs Charakteristik des Sinns der Musik. (Vgl. F. Brenn: »Das Sein der musikalischen Welt (Eine propädeutische Skizze)«, S. 507.) – Utitz wird in zwei Beiträgen erwähnt, jeweils zusammen mit Dessoir. Dabei zieht Lionello Venturi beide aber nicht etwa selbst als Theoretiker, sondern lediglich als Geschichtsschreiber der Kunstwissenschaft heran. (Vgl. L. Venturi: »Robert Zimmermann et les origines de la science de l’art«, S. 36. – Zur weiteren Erwähnung von Dessoir und Utitz bei Lalo s. u. S. 281, Anm. 411.) 408 Vgl. C. Lalo: »Sur les valeurs culturelles et sociales des beaux-arts«. 409 Vgl. M. Dessoir: Buch der Erinnerung, S. 97. 410 S. o. S. 270.
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cher Phantasmen ganz unmittelbar im Leben aufgehen zu lassen. Eine ›allgemeine Kunstwissenschaft‹ müsse solche Einseitigkeiten hinter sich lassen. Sollte sie dabei aber tatsächlich von den spezifisch ästhetischen Werten der Kunst absehen, wie dies Dessoir und Utitz zugunsten nationaler, religiöser, ökonomischer oder erotischer Werte täten? Dies sei, so Lalo, das Credo des ›germanischen Expressionismus‹ (expressionisme germanique), der allerdings bereits auf dem Rückzug sei. Dagegen stellt Lalo sein alternatives Verständnis der Kunstwissenschaft als einer dezidiert ästhetischen Wissenschaft: Man verstehe besser, was Kunstwissenschaft eigentlich sei, wenn man sie wesentlich als Ästhetik begreife. Anstelle mit den nichtästhetischen Funktionen der Kunst auftrumpfen zu wollen, tue man besser daran, sich mit dem Aufweis der förderlichen psycho-ästhetischen und sozio-ästhetischen Aufgaben zu bescheiden, die die Kunst im Leben des Einzelnen wie der Gesellschaft übernimmt: Zerstreuung, Immunisierung gegen die Zumutungen der Welt, Authentizität, Spontaneität usw.411 – Anders gesagt: Die Kunst wird hier – in ausdrücklicher Absetzung von der Akzentuierung der nichtästhetischen Funktionen der Kunst bei Dessoir und Utitz 412 – explizit auf ihre ästhetische Seite festgelegt. Dabei gilt das Ästhetische der Kunst zugleich als das Ästhetische im eigentlichen Sinn.413 Dass dies keineswegs die aparte Position von Lalo ist, sondern vielmehr in der Tat die ›französische‹ Auffassung charakterisiert, zeigt auch ein Blick in Baschs Studien. So hatte dieser etwa 1920 unter dem Titel L’Esthétique Nouvelle et la Science de l’Art zwar im Sinne der Allgemeinen Kunstwissenschaft Ästhetik und Kunstwissenschaft unterschieden, um dann aber die Ausführungen zur Letzteren mit der Bemerkung zu eröffnen: »Il faut que nous nous tournions maintenant vers le do-
»Les valeurs équitables de l’art dans la vie. – Le paradoxe des romantiques et décadents est de réhabiliter la magie primitive de l’artiste-sorcier dans leur ›religion de la beauté‹: l’art audessus de tout! – Celui de ›l’honnête homme‹ classique, – de Malherbe ou de Boileau – est de situer l’art dans la société immédiatement au-dessous du jeu de quilles. / Une ›science générale de l’art‹ doit rester au-dessus de cette mêlée confuse des écoles. Doit-elle pour autant déprécier les valeurs spécifiquement esthétiques, comme le font Dessoir et Utitz, au profit des valeurs anesthétiques: nationales, religieuses, économiques, érotiques, qui seraient donc les seules grandes valeurs originales? C’est le vœu de l’expressionisme germanique, proche de l’abdication. Mais ce sera mieux comprendre, croyons-nous, la science de l’art, en la laissant foncièrement solidaire de l’esthétique, que de préférer l’analyse plus modeste des salutaires fonctions que les plus nobles des jeux humains remplissent normalement dans la vie individuelle et sociale, et qui caractérisent autant de ›complexes psycho-esthétiques et socio-esthétiques‹: telles l’évasion, la diversion, l’immunisation homéopathique ou allopathique, la confession publique, l’activité spontanée, mais orientée, des dons congénitaux ou cultivés …«. (C. Lalo: »Sur les valeurs culturelles et sociales des beaux-arts«, S. 362 f.) 412 S. o. S. 95 sowie auch S. 217. 413 Utitz hatte bereits 1920, im zweiten Band seiner Grundlegung, ausdrücklich Kritik an dieser Position von Lalo geübt, »der wieder als Repräsentant eines ganzen Typus gelten möge«, und versucht aufzuzeigen, »[i]n welch heilloses Gestrüpp eine Ästhetik sich verstricken kann, in ihrem vergeblichen Mühen, der Kunst gerecht zu werden«. (E. Utitz: Grundlegung der allgemeinen Kunstwissenschaft, Bd. 2, S. 427 f. [Zit. S. 427].) 411 Vgl.:
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maine élu de l’esthétique, c’est-à-dire vers l’œuvre d’art.«414 Ebenso unterscheidet er 1935 zwar Esthétique, Art et Science de l’Art. Er weigert sich aber, in ausdrücklicher Abgrenzung von Dessoir und Utitz, Erstere von Letzterer zu trennen: »Séparer l’art de l’esthétique est l’un de ces paradoxes auxquels se complaisent des esthéticiens allemands et qu’on a quelque peine à réfuter, tant ils nous paraissent contraire à l’humble réalité.«415 Und in diesem Sinne identifiziert er auch bei seiner Eröffnungsansprache zum Pariser Kongress die umfassende Aufgabe der Ästhetik: »Wie aus Sicht der Ästhetik die Gesetze entdecken, die das unermessliche Reich der Natur und der Kunst lenken?«416 Zwar teilen durchaus nicht alle französischen Forscher das von Basch dabei vertretene einfühlungsästhetische Konzept, das den Fokus ganz auf die Vollzüge des rezipierenden Subjekts legt, geschweige denn seine Genieästhetik; vielmehr werden hier ebenfalls – darunter durch Lalo – eine starke objektivistische, werk ästhetisch orientierte Position und eine soziologische Ästhetik ausgebildet.417 Der Ästhetiker Étienne Souriau hat 1934 in seiner Darstellung der Hauptrichtungen der gegenwärtigen französischen Ästhetik die unterschiedlichen Positionen für die Leser der Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft charakterisiert. Zugleich verbindet aber alle diese Positionen und Tendenzen die klar dominierende – und das Konzept der Allgemeinen Kunstwissenschaft unterlaufende – Auffassung von der Ästhetik als der zentralen und grundlegenden Instanz bei allen methodologischen und systematischen Fragen auch in Sachen Kunst – selbst wenn die Ästhetik nun nicht mehr primär als Wissenschaft von der Schönheit, sondern ebenso von den psychologischen und soziologischen Aspekten des Geschmacks verstanden wird. Und damit vertreten die französischen Theoretiker, wie die Kongressbeiträge zeigen, eine Auffassung, wie sie in der scientific community der Zeit ganz allgemein dominiert.418 Es ist daher sicher nicht bloß ein Zufall oder Versehen, dass in den Kongressakten die Sektion I, die die methodologischen Studien zur Kunstwissenschaft umfasst, pauschal als ›Allgemeine Ästhetik‹ bezeichnet wird. Aus dieser Akzentuierung der Ästhetik erklärt sich ebenfalls, dass die methodologischen Beiträge zur Allgemeinen Kunstwissenschaft, die von Dessoir und in seinem Umkreis erarbeitet worden waren, hier letztlich keine Rolle mehr spielen. Der Wertschätzung, die dem gezwungenermaßen abwesenden Dessoir von den Kongressveranstaltern als Kommunikator und Initiator eines kunstwissenschaftlichen bzw. ästhetischen Auf bruchs und entgegengebracht wird, korrespondiert also keineswegs eine An-
414
V. Basch: »L’Esthétique Nouvelle et la Science de l’Art«. 2 (1920), S. 119. V. Basch: »Esthétique, Art et Science de l’Art«, S. 38. 416 V. Basch: »Einführende Rede von Victor Basch auf dem Kongress für Ästhetik und Kunstwissenschaft in Paris, 1937«, Abs. 13 (vgl. ders.: »Discours«, S. LVI). 417 Vgl. bes. K. Thomas: »Subtilité de différence«. 418 Vgl. bes. J.H. Mueller: »Deuxième Congrès International d’Esthetique et de Science de l’Art«. 415 Vgl.
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knüpfung bei seinen ursprünglichen wissenschaftstheoretischen und -systematischen Anliegen. Zugleich wird aber bereits hier deutlich, dass der von Dessoir am Beginn des Jahrhunderts implementierte, disziplinenübergreifend als attraktiv empfundene Diskussionszusammenhang bereits eine eigene Dynamik entwickelt hat: Als erweiterter Diskurs einer interdisziplinären Kunstreflexion wird er nachdrücklich bestätigt. Von einer Kontinuität der Allgemeinen Kunstwissenschaft im engeren wissenschaftstheoretischen und -systematischen Sinn kann dagegen allenfalls noch mit erheblichen Einschränkungen die Rede sein. Und auch die Beiträge zum dritten internationalen Ästhetikkongress, der 1956 in Venedig stattfindet, lassen keinen Zweifel daran, dass die Zeit der Allgemeinen Kunstwissenschaft in der ursprünglich mit ihr verbundenen methodologischen Bedeutung vorbei ist. Als theoretische Wissenschaft von der Kunst ist stattdessen die – als prinzipiell für alle Disziplinen und Methoden offenes Arbeitsfeld verstandene – ›Ästhetik‹ in den Vordergrund getreten.419 Dieser Transformation trägt hier schließlich auch Utitz zumindest nominell Rechnung. Dessoir war 1947 gestorben. Es ist es daher Utitz, der als Einziger an sämtlichen Kongressen zur Allgemeinen Kunstwissenschaft teilgenommen und selbst eine dieser Veranstaltungen geleitet hatte, dem – nur wenige Wochen vor seinem Tod – in Venedig der Eröffnungsvortrag überlassen wird. Dabei referiert Utitz über das ›Problem ästhetischer Kongresse‹420, in dem aber zugleich deutlich die Anliegen der Allgemeinen Kunstwissenschaft nachklingen: Nach wie vor gelte es, so Utitz, Verknüpfungen zwischen der Philosophie und den Einzelwissenschaften von den Künsten, aber auch dem modernen Kunstleben und den Künstlern anzubahnen.421
4. Akademische Lehre Bereits 1913 hatte Utitz unter Verweis auf die – seiner Diagnose zufolge – desas tröse Situation von Ästhetik und Kunstwissenschaft an den Universitäten mit allem Nachdruck die Einrichtung von Lehrstühlen für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft gefordert: Nicht die durchaus richtige Anschauung von der Zugehörigkeit der Ästhetik zur philosophischen und psychologischen Forschung will ich hier bekämpfen, sondern die falsche Ansicht, die Ästhetik trete als Nebenwissenschaft zu diesen Hauptwis419
Eine Anknüpfung an die methodologischen Anliegen der Allgemeinen Kunstwissenschaft findet sich hier nur in einzelnen Beiträgen. Vgl. D. Formaggio: »Scienza esthetica e scienza dell’arte«; s. a. R. Francès: »L’application des methodes scientifiques à l’esthétique et la spécificité de l’art«. 420 Vgl. E. Utitz: »The Problems of the Congresses on Aesthetics«. 421 Vgl. bes. L. Burkhardt: »Emil Utitz (1883–1956) – Von Wert für die Wissenschaftsgeschichte?«, S. 139.
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senschaften hinzu, gleichsam als Disziplin zweiter Ordnung, Und diese Ansicht muß ja gestärkt werden durch einen Blick auf den Hochschulbetrieb, in dem eigene Lehrkanzeln für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft gänzlich fehlen, so daß in stiefmütterlichster Behandlung nur hier und da ein Kolleg über diese Fragen gelesen wird, und noch dazu ein Kolleg, das eigentlich für niemanden »obligat« ist. So liegt der Lehrbetrieb dieser Disziplinen völlig im argen; denn wie können in der Tat Ästhetik, allgemeine Kunstwissenschaft, Poetik, Dramaturgie, Ästhetik der Einzelkünste, Ursprung und Anf änge der Kunst, allgemeine Stilwissenschaft usw. nur »nebenbei« gelesen werden? Und es vermag niemand ihnen seine vollen Lehrkräfte zu leihen, weil sein Beruf von ihm noch wesentlich andere Aufgaben in erster Linie erheischt. Deswegen ist es auch unmöglich, daß ein breiterer Lehrerfolg sich durchsetzt, und man kann unter den obwaltenden Umständen gar nicht abwägen, welchen Gewinn etwa eine tiefere Beschäftigung mit diesen Disziplinen der studierenden Jugend brächte, wobei ich keineswegs vornehmlich an die Ästhetiker von Fach denke, sondern an Kunsthistoriker, Literarhistoriker usw. und natürlich auch an Architekten. Aber die Forschung selbst würde ebenfalls durch eine Schaffung eigener Lehrkanzeln für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft eine gewaltige Beschwingung erfahren, weil dann eben der Forscher sich völlig diesen Disziplinen widmen könnte und dadurch in der Lage wäre, ganz anders als bisher das überreiche Material zu überschauen und zu bewältigen. So hängt denn die Zukunft gerade unserer Wissenschaft nicht nur von der Begabung und dem Eifer ihrer Vertreter ab, sondern in weitem Maße auch davon, ob man ihnen die Möglichkeit zu freier, ungehemmter Entwicklung gibt, zu einer umfassenden Lehr- und Forschungstätigkeit.422
Nachdem sein Plädoyer folgenlos verhallt war, wiederholt er auf dem Kongress von 1924 dieses Anliegen. So hält der Bericht über die Geschäftliche Sitzung der Gesellschaft fest: Herr Utitz stellt dann den Antrag, eine Entschließung, die folgenden Wortlaut hat, anzunehmen: »Die Mitglieder des zweiten Kongresses für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft, sowie die neubegründete Gesellschaft für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft, fordern nachdrücklich, daß an den Universitäten, Technischen Hochschulen und Kunstakademien, der systematischen Kunstforschung (Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft) neben den historischen Kunstdisziplinen diejenige Stellung eingeräumt wird, die ihrer sachlichen Bedeutung und ihren tatsächlichen Leistungen entspricht.«423
Dieser Antrag wird nun zwar nach einer Aussprache, an der sich der Breslauer Kunsthistoriker Franz Landsberger »besonders […] beteiligte«, angenommen.424 422 E. Utitz: »Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft«. In: Jahrbücher der Philosophie, S. 364. 423 »Geschäftliche Sitzung« [des zweiten Kongresses für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft]. 424 Ebd.
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Allerdings bleibt auch diese Resolution, wie Henckmann diagnostiziert, »ohne jedweden Erfolg«425: »Lehrstühle oder gar Forschungseinrichtungen für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft konnten«, wenigstens in Deutschland, »nicht errichtet werden«.426 Mit der Einrichtung eines eigenen Lehrstuhls für ›Ästhetik und Kunstwissenschaft‹ für Victor Basch an der Sorbonne 427 gelingt hier in Frankreich 1928 in institutioneller Hinsicht – trotz aller konzeptioneller Divergenzen – mehr, als in Deutschland erreicht wird428. Insofern ist es bemerkenswert, dass diese Dimension der Institutionalisierung, über die Souriau 1934 in der Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft berichtet 429, weder von Dessoir noch von Utitz, der doch wiederholt mit Nachdruck solche Lehrstühle gefordert hatte, weiter kommentiert wird430. Auch Lalo, der 1933 Baschs Nachfolge im Lehramt antritt, wird von Dessoir lediglich als »nicht so behend, aber ebenso verbindlich wie sein Vorgänger« charakterisiert, ohne in irgendeiner Form die besondere Denomination dieses Lehrstuhls anzusprechen.431 (1945 wird schließlich Souriau selbst den Lehrstuhl von Lalo übernehmen.) Dies bestätigt das Bild, das sich auch im Zusammenhang mit dem Kongress von 1937 ergibt: Man man betrachtet offenbar auch diese französische Initiative zwar als eine klar von Deutschland her angeregte432 , aber zugleich selbstständige Manifestation der Wissenschaftskultur. Dennoch gibt es durchaus auch im deutschsprachigen Raum immer wieder einzelne Vorstöße, Allgemeine Kunstwissenschaft wenn auch nicht als eigenes Fach, so doch im Rahmen anderer, bereits akademisch etablierter, Disziplinen an Hochschulen zu lehren. So ist etwa unter den Vorlesungen an Universitäten deutscher Sprache, die für die Semester zwischen 1917 und 1919 in der Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft verzeichnet werden, eine – gerade für die auch im Bereich der akademischen Lehre besonders schwierige Kriegszeit – bemerkenswerte Zahl Veranstaltungen von Interesse, die in den Bereich der Allgemeinen Kunstwissenschaft fallen. Insbesondere sind dies Folgende: Für das Wintersemester 1916/17 wird eine einstündige Veranstaltung des Philosophen, Psychologen und Pädagogen Hans Cornelius, Kriegsgegner und Sozialist, über Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft am Philosophischen Seminar in Frankfurt a.M. angeführt.433 Im Sommersemester 1917 bietet Hugo Dinger, deutschnational gesonnener Wagnerianer und Theaterwissenschaftler, in Jena zweistündig einen Grundriß der allgemeinen 425 W.
Henckmann: »Probleme der allgemeinen Kunstwissenschaft«, S. 324. Dilly: »Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft«, S. 54. 427 S. o. S. 260 f. 428 Zu Baschs Lehrangebot an der Sorbonne vgl. L. Therrien: Histoire de l’art en France, S. 493 f. 429 Vgl. É. Souriau: »Die Hauptrichtungen der gegenwärtigen französischen Ästhetik«, S. 63. – S. u. S. 302. 430 S. a. M. Dessoir: Buch der Erinnerung, S. 96 f. 431 Ebd., S. 97. 432 Explizit spricht dies Utitz aus. – S. u. S. 302, Anm. 508. 433 Vgl. »Vorlesungen an Universitäten deutscher Sprache. Winter-Halbjahr 1916–17«, S. 159. 426 H.
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und speziellen Ästhetik einschließlich der Kunstlehre; in München liest der Pädagoge und Lipps-Schüler Aloys Fischer vierstündig über Allgemeine Ästhetik und Theorie der Kunst, Utitz trägt in Rostock einstündig über Künstlerische Kulturprobleme der Gegenwart vor.434 Auch im Wintersemester 1917/18 liest Fischer erneut vierstündig über Allgemeine Ästhetik und Theorie der Kunst; Utitz liest in Rostock zweistündig über Allgemeine Kunstwissenschaft.435 Im Sommersemester 1918 liest Dessoir in Berlin zweistündig über Philosophie der Kunst; Volkelt liest – ganz im Sinne seiner Weigerung, die Wissenschaft von der Kunst aus dem Zusammenhang der Ästhetik zu lösen436 – in Leipzig zweistündig über Ästhetik: Kunst und künstlerisches Schaffen.437 Im Wintersemester 1918/19 liest Schmarsow in Leipzig einstündig über Kunstwissenschaft und Kulturphilosophie in ihrem gegenseitigen Verhältnis; Utitz liest in Rostock zweistündig über Das Schaffen des Künstlers.438 Überhaupt ist es Utitz, der – in Einklang mit seiner erklärten Überzeugung von der Bedeutung der akademischen Lehre auf dem Gebiet der Allgemeinen Kunstwissenschaft – mit Abstand die meisten Veranstaltungen zu diesem Themenfeld anbietet.439 Hinzu kommt eine vergleichbare Zahl von Lehrveranstaltungen, die dem zweiten Standbein der Initiative, der Ästhetik, gewidmet sind. Alle diese Personen – mit Ausnahme von Aloys Fischer, dessen Beitrag ohne expliziten Bezug auf die Aktivitäten des Kreises um 434 Vgl.
»Vorlesungen an Universitäten deutscher Sprache. Sommer-Halbjahr 1917«. »Vorlesungen an Universitäten deutscher Sprache. Winter-Halbjahr 1917–18«. 436 S. o. S. 41. 437 Vgl. »Vorlesungen an Universitäten deutscher Sprache. Sommer-Halbjahr 1918«, S. 222. 438 Vgl. »Vorlesungen an Universitäten deutscher Sprache. Winter-Halbjahr 1918–19«, S. 111. 439 Allein in Rostock bietet Utitz bis zu seinem Weggang nach Halle 1925 folgende Lehrveranstaltungen zum Themenfeld ›Allgemeine Kunstwissenschaft‹ (einschließlich der bereits in der Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft aufgelisteten Titel) an: im Wintersemester 1912/13 eine »Einführung in die allgemeine Kunstwissenschaft« sowie »Übungen zur allgemeinen Kunstwissenschaft«, im Wintersemester 1914/15 (angekündigt) »Das Schaffen des Künstlers« und »Kunstphilosophische Übungen«, im Sommersemester 1915 erneut eine »Einführung in die allgemeine Kunstwissenschaft«, im Wintersemester 1915/16 »Das Schaffen des Künstlers«, im Sommersemester 1916 eine Veranstaltung zu »Ästhetik und Kunstphilosophie der Gegenwart«, im Wintersemester 1916/17 »Prinzipien der Kunstentwicklung«, im Sommersemester 1917 »Künstlerische Kulturprobleme der Gegenwart«, im Wintersemester 1917/18 »Allgemeine Kunstwissenschaft« und »Kunstphilosophische Übungen«, im Wintersemester 1918/19 »Das Schaffen des Künstlers«, im Sommersemester 1919 »Künstlerische Kulturprobleme der Gegenwart«, im Wintersemester 1919/20 »Allgemeine Kunstwissenschaft«, im Sommersemester 1920 »Ästhetik und Kunsttheorie der Gegenwart« sowie »Übungen über Konrad Fiedlers Moderner Naturalismus und künstlerische Wahrheit«, im Wintersemester 1920/21 »Die Kultur der Gegenwart«, »im Sommersemester 1921 »Das Schaffen des Künstlers«, im Wintersemester 1921/22 »Einführung in die allgemeine Kunstwissenschaft«, im Wintersemester 1922/23 »Übungen über Konrad Fiedlers Schriften über Kunst« und »Die Kultur der Gegenwart«, im Sommersemester 1923 »Das Schaffen des Künstlers«, im Wintersemester 1923/24 »Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft«, im Sommersemester 1924 »Übungen zur Ästhetik und Kunsttheorie der Gegenwart«, im Wintersemester 1924/25 »Der Charakter des Künstlers«, im Sommersemester 1925 »Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft« sowie »Übungen zu Kants ästhetischen und kunstphilosophischen Lehren«, im Wintersemester 1925/26 (nur angekündigt) »Kultur – Philosophie«. (Vgl. M. Iven [Hrsg.]: Emil Utitz.) 435 Vgl.
Die Allgemeine Kunstwissenschaft als Institution287
Dessoir auskommt und auch seinerseits hier nicht konstruktiv rezipiert wird440 – haben auch in der Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft publiziert.441 Letztlich ändern die Aktivitäten der ›Allgemeinen Kunstwissenschaft‹ aber »an der institutionalisierten Struktur der unterschiedlichen Kunst-Disziplinen nichts«.442 So führen weder die Kongresse noch die weiteren institutionellen Plattformen zu der erhofften Konsolidierung der allgemeinen Kunstwissenschaft. Die im Wissenschafts- und Unterrichtsbetrieb bestehende Fächereinteilung erwies sich als unüberwindbar, und eine zusätzliche systematische Disziplin schien den meisten Kunstwissenschaftlern und Ästhetikern eher bedenklich als wünschenswert zu sein.443
Allerdings gibt es verschiedene zeitgenössische internationale Institutionen, an denen Ideen realisiert werden, die dem Grundimpuls der Allgemeinen Kunstwis440 Für Utitz dokumentiert Fischers einschlägige Publikation zum Thema, die in der Festschrift zum sechzigsten Geburtstag seines Lehrers Theodor Lipps erschienene Studie Ästhetik und Kunstwissenschaft von 1911, lediglich, »[w]ie stark gegenwärtig dieses Bedürfnis nach bewußter Einsicht in das Verhältnis von Ästhetik und Kunstwissenschaft gerade die jüngeren Geister fesselt; darüber hinaus betrachtet er sie allerdings als eine »nicht sehr aufschlußreiche« Studie. (E. Utitz: »Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft«. In: Jahrbücher der Philosophie, S. 336; vgl. A. Fischer: »Ästhetik und Kunstwissenschaft«.) – Fischers Ansatz unterscheidet sich der Sache nach insofern grundlegend von dem des Kreises um Dessoir, als er sich zwar ebenfalls gegen die Gleichung von Ästhetik und Kunstwissenschaft ausspricht, zugleich aber die Ästhetik als Prinzipienwissenschaft der Kunstwissenschaft einsetzt und damit am Schönen als Leitidee der Kunst festhält. (Vgl. R. Heinz: »Zum Begriff der philosophischen Kunstwissenschaft im 19. Jahrhundert«, S. 214–216.) 441 Abgesehen von den zahlreichen Beiträgen von Dessoir und Utitz selbst sind dies insbesondere folgende Titel: H. Cornelius: »Zur Ansichtsforderung in Architektur und Plastik«; ders.: »Bemerkungen zur Ansichtsforderung in Plastik und Architektur«. Cornelius ist Mitglied des Großen Ausschusses im Vorfeld des Kongresses von 1913 und Teilnehmer des Kongresses von 1924. (Vgl. »Vorgeschichte« [des ersten Kongresses für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft], S. 3; Zweiter Kongress für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft, S. 88, S. 101 und S. 129.) – H. Dinger: »Johannes Volkelt: System der Ästhetik«. – J. Volkelt: »Persönliches und Sachliches aus meinen ästhetischen Arbeitserfahrungen«; ders.: »Teleologie der Kunst«; ders.: »Der Begriff des Stils«; ders.: »Objektive Ästhetik«; ders.: »Illusion und ästhetische Wirklichkeit«; ders.: »Zur Psychologie des ästhetischen Genießens«. Volkelt ist Mitglied des Großen Ausschusses im Vorfeld des ersten Kongresses für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft sowie Mitglied des dort gegründeten Ständigen Ausschusses (Vgl. »Vorgeschichte« [des ersten Kongresses für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft], S. 3; »Ständiger Ausschuß« [für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft].) – Zu Schmarsows Publikationen in der Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft s. o. S. 144, Anm. 210. Schmarsow ist mit einem Vortrag in den Akten zum Kongress von 1913 präsent (ders.: »Raumgestaltung als Wesen der architektonischen Schöpfung«. In: Kongress für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft), er ist Mitglied des Großen Ausschusses im Vorfeld dieses Kongresses sowie Mitglied des dort gegründeten Ständigen Ausschusses. (Vgl. »Vorgeschichte« [des ersten Kongresses für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft], S. 3; »Ständiger Ausschuß« [für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft].) – Die einschlägige Publikation von Aloys Fischer ist: »Ästhetik und Kunstwissenschaft«. 442 H. Dilly: »Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft«, S. 57. 443 W. Henckmann: »Probleme der allgemeinen Kunstwissenschaft«, S. 328.
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senschaft eng verwandt sind und in nachweislicher Verbindung zu dieser Initiative stehen. Zu nennen sind hier insbesondere Josef Strzygowski mit dem von ihm geleiteten Kunsthistorischen Institut in Wien, Gustav Špet mit der Staatlichen Akademie der Kunstwissenschaften in Moskau und Victor Basch mit der Association pour l’étude des Arts et les Recherches relatives à (la Science de) l’Art in Paris.
5. Verwandte zeitgenössische Institutionen a) Josef Strzygowski und das Wiener Kunsthistorische Institut Josef Strzygowski, zunächst ab 1892 erster Ordinarius für Kunstgeschichte in Graz und seit 1909 Ordinarius für Kunstgeschichte in Wien, kündigt gleich für den ersten Kongress für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft 1913 einen Vortrag zum Thema Systematische Grundlagen einer vergleichenden Kunstforschung an.444 Inhalt dieses Beitrags soll ein Bericht über die von Strzygowski ausgearbeitete innovative Organisationsstruktur des von ihm geleiteten Wiener Kunsthistorischen Instituts sein. Dabei liegt es der Sache nach in der Tat durchaus nahe, dass Strzygowski den Kontakt zu der Initiative um Dessoir sucht.445 Seine Kunstforschung hat nämlich – bevor Strzygowski sie in seinen späteren Jahren zunehmend rassistisch und völkisch interpretiert und damit »ein extremes Beispiel für die Fehlentwicklung eines wertvollen Forschungsansatzes und für Vergeudung und Verfall von wissenschaftlicher Leistungsfähigkeit« bildet446 – mit der Allgemeinen Kunstwissenschaft zwei wesentliche Ziele gemein. Zum einen trägt Strzygowski mit seiner entschieden unorthodoxen These, dass die indogermanische und die asiatische Kunst die Grundlage für die abendländische Kultur, insbesondere deren spätantike und mittelalterliche Formprinzipien, bilden447, vor allem aber mit dem von ihm nachdrücklich propagierten Konzept der ›Weltkunst‹448 und seiner Aufwertung der ›Volkskunst‹ dazu bei, den traditionellen geographischen und stilistischen Kanon der Kunstgeschichtsschreibung aufzubrechen. Während diese programmatische Entgrenzung des traditionellen Kunstkanons von der damaligen etablierten Fachwelt, insbesondere auch bei Strzygowskis Wiener Kollegen, als entschiedene Provokation emp444 Vgl. »Kongreß für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft« [Bericht über den Stand der Organisation des ersten Kongresses für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft am 30. März 1913], S. 289; »Kongreß für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft, Berlin, 7.-9. Oktober 1913« [Bericht über den Stand der Organisation des ersten Kongresses für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft am 15. Juni 1913], S. 464. 445 Zum Verhältnis Strzygowskis zur Allgemeinen Kunstwissenschaft s. bes. W. Henckmann: »Probleme der allgemeinen Kunstwissenschaft«, S. 305–308. 446 P.H. Feist: Art. »Strzygowski, Josef«, S. 402. 447 Vgl. bes. J. Strzygowski: Orient oder Rom; unter den späteren Publikationen Strzygowskis vgl. hierzu bes. ders.: Die Baukunst der Armenier und Europa. 448 Vgl. z. B. H. Glück (Hrsg.): Studien zur Kunst des Ostens, S. 6 f. u. ö.
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funden wird, trifft er sich hierin gerade mit der Allgemeinen Kunstwissenschaft. Zum anderen ist ihm im Sinne der seinerzeit in Wien besonders avancierten ›Verwissenschaftlichung‹ der Kunstgeschichte mit allem Nachdruck an einer Ausarbeitung der methodologischen Basis der Kunstforschung gelegen, die sich auch die Allgemeine Kunstwissenschaft zur Aufgabe macht. Dabei distanziert Strzygowski sich allerdings radikal von dem Wissenschaftsverständnis seines Vorgängers im Amt, Franz Wickhoff, der Wien zur »Hochburg des Historismus«449 gemacht hatte: An die Stelle der Fokussierung der Werke als nicht weiter reduzierbarer geschichtlicher Individualitäten tritt bei Strzygowski eine stärker vergleichende Forschung, die die strukturellen Gemeinsamkeiten des Heterogenen in den Blick nimmt und auf Modell- und Typenbildung abhebt. Diese Methodologie will Strzygowski, ebenso wie die Protagonisten der Allgemeinen Kunstwissenschaft, dezidiert interdisziplinär rückbinden. Auf diesem Anliegen der strikten Verwissenschaftlichung einer interdisziplinär betriebenen Kunstforschung gründet aber eben auch die neue Organisationsstruktur von Strzygowskis Wiener Kunsthistorischem Institut, das mit 25 Personen im ›engeren Kreis‹, 50 Personen im ›weiteren‹ und rund 75 Personen im sonstigen ›Verkehr‹, auch bereits was die Ausstattung angeht, glänzend dasteht.450 In dem geplanten Vortrag auf dem Berliner Kongress soll es dementsprechend darum gehen, vor einem breiten und internationalen Publikum Strzygowskis wissenschaftsorganisatorische Initiative als Beitrag zur Institutionalisierung der Allgemeinen Kunstwissenschaft auf einem ihrer Teilgebiete, der Kunstgeschichte, zu präsentieren. Aufgrund eines kurzfristig anberaumten Forschungsaufenthaltes in Armenien kann Strzygowski den angekündigten Vortrag allerdings nicht selbst halten, und so übernimmt seine Mitarbeiterin Anna Lanicca die Aufgabe, über den Auf bau des Wiener Instituts, »welches im Laufe der letzten sechs Monate neu organisiert worden ist und den Charakter eines Forschungsinstitutes erhalten hat«, zu berichten.451 Die Ursache dieser Neuorganisation liegt – wie Lanicca ganz im Sinne des gemeinsamen Strebens nach Verwissenschaftlichung einleitend unterstreicht – in den »erhöhten Anforderungen an das Fach, wie sie gerade durch den ersten kunstwissenschaftlichen Kongreß in erfreulicher Weise evident geworden sind«. Näherhin sei das wissenschaftliche Interesse des Instituts sowohl »universell« als auch »systematisch«.452 Dabei betrifft die Universalität »den Stoff der Forschung« und wird »bedingt durch den ungeheuren Zuwachs an neuem kunsthistorischem Material«. Dieser Bereich ist innerhalb von Strzygowskis Institut an der Kunsthistorischen Abteilung angesiedelt. Von der »früheren, hauptsächlich auf Europa eingestellten Institutsform« unterscheidet sich diese Abteilung dabei insofern, als es ihre Aufgabe Passarge: Die Philosophie der Kunstgeschichte in der Gegenwart, S. 6. J. Strzygowski: »Das kunsthistorische Institut der Wiener Universität«, S. 14. 451 »Geschäftliche Sitzung« [des ersten Kongresses für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft], S. 527 f. 452 Ebd., S. 528 f. 449 W.
450 Vgl.
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ist, »prinzipiell und soweit tunlich, auch praktisch das Ganze der künstlerischen Phänomene des Erdkreises zur Vertretung zu bringen«. Sie behandelt nämlich eben nicht nur »[ö]sterreichische Kunst«, »Westeuropa« und »Osteuropa«, sondern ebenso »Westasien« und »Ostasien (den Süden mit umfassend)«. Das »Prinzip der Universalität« ist indes selbst mit dieser Aufteilung des Materials noch nicht erreicht. Das Stoffgebiet soll vielmehr ergänzt werden durch die Kunst der Naturvölker und diejenige der Kulturvölker des alten Amerika, ferner durch die jenseits der Geschichte liegende Prähistorie und die diesseits der Geschichte liegende moderne Kunst.453
Die Systematik, die an der von Lanicca selbst geleiteten Systematischen Abteilung betreut wird, betrifft demgegenüber »die Methode«. Diese geht dabei, anders als die Historische Abteilung, »nicht von den [historischen] Beziehungen der Kunstwerke aus, sondern ausschließlich von den Qualitäten derselben, d. h. von den im Objekt der Betrachtung tatsächlich gegebenen, für die optische Wahrnehmung objektivierten geistigen und materiellen Eigenschaften des Werkes«. Zweck der Methode ist demnach das »objektive Werturteil und seine kunstwissenschaftliche Begründung«, wie es »seit Riegl immer eifriger vom Kunstforscher angestrebt wird«. Sie erwächst letztlich aus dem »kunstwissenschaftlichen Bedürfnis, nicht nur die Erscheinung in ihrer kunsthistorischen Bedingtheit, sondern das Wesen des Kunstwerks zu erkennen«.454 Strzygowski selbst bezeichnet dieses Arbeitsfeld dementsprechend auch als »Wesensforschung« bzw. »Wesenswissenschaft«.455 Aufgabe der Hilfs- oder Grenzwissenschaftlichen Abteilung ist schließlich die »Erklärung« des Künstlerischen, die indes »nur im Kontakt mit den Grenzwissenschaften, also mit Kulturgeschichte, Völkerkunde, Antropogeographie [sic], Psychologie – um nur die wichtigsten zu nennen – gefunden werden«. Zu diesem Zweck hat die Hilfswissenschaftliche Abteilung »eigene, dem betreffenden Fach angehörige Vertreter, gemäß einem nicht zu übersehenden Prinzip des Forschungsinstituts, das des ergänzenden Zusammenarbeitens verschieden geschulter Kräfte«.456 Die Reform Strzygowskis besteht also, wie er selbst 1915 resümiert, im Wesentlichen darin, dass die üblichen »Lehrkanzeln« durch Institute – genauer: sein Institut – ersetzt werden: »Zweck des Forschungsinstituts ist, eine auf das Ganze des Faches gerichtete Organisation zu ermöglichen. Das kann ein einzelner nicht leisten.« 457 So vertritt er noch im Rahmen seines programmatischen Rechenschaftsberichts zur Krisis der Geisteswissenschaften von 1923: 453
Ebd., S. 528.
454 Ebd.
Strzygowski: Die Krisis der Geisteswissenschaften, S. 115–120. Sitzung« [des ersten Kongresses für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft], S. 529. 457 J. Strzygowski: »Der Wandel der Kunstforschung«, S. 9. 455 J.
456 »Geschäftliche
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bei einer planmäßigen Arbeitsteilung müßte eigentlich jeder, der Praktiker wie der Theoretiker, der Kenner wie der Historiker und Ästhetiker, der Vielwisser wie der Tiefgründige nach seiner Eigenart und Lebenstätigkeit Platz finden; denn die Kunstwissenschaft wird eben nicht durch diesen oder jenen, sondern durch alle zusammen vertreten.458
Die Interdisziplinärität besteht dabei näherhin in einer innerfachlichen Spezialisierung, die »die ständigen Nachforschungen bei Philologen, Theologen, Historikern und Philosophen überflüssig machen« sollten. »Es ging ihm«, so Dilly, »darum, in allen Bereichen der Kunst Fachleute auszubilden, die dann in die Auseinandersetzung mit anderen Disziplinen eintreten könnten.«459 In einem offenbar im Zusammenhang mit dem geplanten Vortrag entstandenen Aufsatz über Das kunsthistorische Institut der Wiener Universität erklärt Strzygowski selbst hierzu, der Zweck dieser Einrichtung sei die Überwindung des durch die bisherige »Alleinherrschaft der philologisch-historischen Forschungsrichtung« und deren »engen Gesichtskreis« vorgegebenen begrenzten Forschungsrahmens. Denn solche Vorgaben versagten, »sobald das verhältnismäßig kleine Gebiet der lateinischen Welt« verlassen werde. Zudem könnten die »Phänomene der bildenden Kunst« nicht ohne »Kenntnis der Zusammenhänge mit den übrigen Gebieten der menschlichen Kultur und ihren Voraussetzungen« gesehen werden, »vor allem nicht ohne enge Fühlungnahme mit Boden- und Wirtschaftsgeschichte«. »Bahnbrecher« auf diesem Gebiet seien Burckhardt und Justi gewesen. – So sieht kunstwissenschaftliche Avantgarde aus, wie Strzygowski abschließend selbstbewusst klarstellt: Es sei ausdrücklich bemerkt, daß nicht beabsichtigt ist, einen Feldzug gegen die bisher übliche, vorwiegend auf die Vorbildung für die praktischen Bedürfnisse der Denkmalpflege und der Museen berechnete Art der Kunstforschung in Szene zu setzen; vielmehr soll daneben nur das Recht und die Pflicht der Universität auf eine systematisch wohl fundierte Kunstforschung zur Geltung gebracht werden, die in allem das Ganze der Aufgaben im Auge hat.460
Strzygowskis Ziel besteht also nicht in einer förmlichen interdisziplinären Kooperation, wie die Allgemeine Kunstwissenschaft sie im Blick hat, sondern vielmehr im »Entwurf einer starken und strengen Fachwissenschaft«, nämlich der Kunst-
Strzygowski: Die Krisis der Geisteswissenschaften, S. 323. – Zur Auseinandersetzung mit Strzygowskis methodologischem Programm im Rahmen der Allgemeinen Kunstwissenschaft s. bes. R. Hamann: »Zum Kongreß für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft«, Sp. 726 f.; E. Utitz: Grundlegung der allgemeinen Kunstwissenschaft, Bd. 1, S. 33; s. a. Bd. 2, S. 31 und S. 331; E. Wind: »Zur Systematik der künstlerischen Probleme«, S. 474–476; ders.: Ästhetischer und kunstwissenschaftlicher Gegenstand, S. 269–272. 459 H. Dilly: Kunstgeschichte als Institution, S. 39. 460 J. Strzygowski: »Das kunsthistorische Institut der Wiener Universität«, S. 14 f. 458 J.
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geschichte.461 So beschwert er sich schon 1915 darüber, dass einem inzwischen »die Ästhetiker und Vertreter der allgemeinen Kunstwissenschaft mit ihrer verwirrend reichen, theoretischen Literatur über den Kopf« wachsen: Zwar ist auch nach Strzygowskis Ansicht eine »umfassende[] Grundlegung des Faches«, also der Kunstgeschichte, überf ällig, und man müsse einsehen, »daß es ohne Systematik keine wirkliche Facharbeit gibt, wir ohne sie eben Historiker ohne eigentliche Fachrichtung bleiben und bei Vernachlässigung des Besten unseres Faches, der qualitativen, dem Künstlerischen selbst zugewandten Studien, wie richtige Laien mit engem Gesichtskreis und ohne festes Ziel drauflosarbeiten«.462 Diese Systematik darf Strzygowskis Auffassung nach aber nicht allgemein-philosophischer Natur sein, sondern sie muss sich strikt pragmatisch am konkreten Bedarf des Fachs orientieren. So erklärt er später näherhin Hamanns »Versuch, der Kunstgeschichte von seiten ästhetisch-psychologischer Schulung beizukommen«, stehe »auf veraltetem Boden«: »Mit Philosophie und Geschichte«, so Strzygowski, »macht man keine Wissenschaft; Fragen nach dem Gesetz aber können nur auf wissenschaftlichem Boden aufgeworfen und beantwortet werden«.463 Nichtsdestoweniger geht es Strzygowski zugleich immer wieder darum, die enge konzeptionelle Verwandtschaft zwischen seiner Wiener Initiative im Bereich der Kunstgeschichte und den methodologischen Bestrebungen der Allgemeinen Kunstwissenschaft aufzuzeigen. Bereits im Rahmen seiner Wiener Antrittsvorlesung von 1909 hatte Strzygowski explizit die Kunstgeschichte als jenen »Teil der allgemeinen Kunstwissenschaft« bezeichnet, der »im besondern das Gebiet der Bildenden Kunst« umfasst.464 Und noch in seiner Krisis-Schrift von 1923 empfiehlt Strzygowski – als »rabiater Querdenker«465 ansonsten kaum zu kollegialem Austausch oder gar Lob aufgelegt – ausdrücklich drei im unmittelbaren Zusammenhang der Allgemeinen Kunstwissenschaft stehende Beiträge von Kunsthistorikern bzw. Archäologen, wenn man sich überzeugen will, »wie die jüngere Generation mit der Klarstellung der Aufgaben [der wissenschaftlichen Kunstgeschichtsforschung] ringt«.466 Neben Wulffs Studie Grundsätzliches über Ästhetik, allgemeine und systematische Kunstwissenschaft, sind dies Hamanns Die Methode der Kunstgeschichte und die allgemeine Kunstwissenschaft 467 und die Studie des Klassischen Archäologen Gerhart Rodenwaldt über Methodologisches.
Dilly: Kunstgeschichte als Institution, S. 39. Strzygowski: »Der Wandel der Kunstforschung«, S. 3 f. 463 J. Strzygowski: Die Krisis der Geisteswissenschaften, S. 56 und S. 12. – S. a. W. Henckmann: »Probleme der allgemeinen Kunstwissenschaft«, S. 329. 464 Zit. nach J. Strzygowski: Die Krisis der Geisteswissenschaften, S. 84; vgl. bes. ders.: »Die Kunstgeschichte an der Wiener Universität«; ders.: »Josef Strzygowski«. 465 W. Hofmann: Die gespaltene Moderne, S. 86. 466 J. Strzygowski: Die Krisis der Geisteswissenschaften, S. 270. 467 Strzygowski gibt f älschlicher-, aber bezeichnenderweise Dessoirs Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft als Erscheinungsort an. 461 H. 462 J.
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So führt auch der Vorsitzende der Geschäftlichen Sitzung des Kongresses von 1913, der Kunsthistoriker Wulff, den Bericht Laniccas über die Organisation des Wiener Instituts durch Strzygowski als »Antrag« ein, »der Organisationsfragen im Lehrbetrieb auf dem Gebiete der Ästhetik und Kunstwissenschaft betrifft«.468 Und ebenfalls in seinen Ausführungen über Grundsätzliches über Ästhetik, allgemeine und systematische Kunstwissenschaft, hebt Wulff die Bedeutung von Strzygowskis vergleichender Weltkunstgeschichte für die Allgemeine Kunstwissenschaft hervor: Eine solche [Prinzipienlehre] wird um so mehr Anspruch auf Allgemeingültigkeit erheben können, je breiter die Grundlage der Tatsachenbeobachtung bemessen ist, von der aus die Abstraktion gesetzmäßiger Verhältnisse unternommen wird. Für den Fortschritt der systematischen Kunstwissenschaft ist daher die Ausbildung der vergleichenden Betrachtungsweise von höchster Bedeutung, und es ist mit Dank zu begrüßen, daß es an einem Mittelpunkt kunstwissenschaftlicher Forschungs- und Lehrtätigkeit neuerdings gerade die methodische Organisation dieser Forschungsrichtung in Angriff genommen worden ist.469
Aufseiten der Allgemeinen Kunstwissenschaft hakt es indes durchgängig, wo es um die Einleitung konkreter Kooperationen und struktureller hochschulpolitischer Interventionen geht. Das gilt auch in diesem Fall. So würdigt Utitz im ersten Band seiner Grundlegung zwar Strzygowskis Bestrebungen, durch die Einrichtung einer Systematischen Abteilung an seinem Wiener Institut »den historischen Kunstdisziplinen aus einer systematischen Kunstwissenschaft heraus frisches Blut zuzuführen«470. In dem »Wagemut«, mit dem Strzygowski »dem kunsthistorischen Institut der Universität Wien eine systematische Abteilung angegliedert« hat, findet, so Utitz, jenes »neue Wollen des Kunstforschers beredten Ausdruck«, das »auch in vielen anderen«, u. a. in dem »unter dem Schlagwort ›Literaturgeschichte oder Literaturwissenschaft‹« geführten Kampf, lebt: die Forderung nach »systematischer Grundlegung« der eigenen Arbeit.471 Und auch bereits im Rahmen der Geschäftlichen Sitzung von 1913 unterstreicht der Psychologe von Allesch in der Diskussion von Strzygowskis Antrag ausdrücklich, »daß auf anderen Gebieten als dem der bildenden Kunst die gleichen Verhältnisse vorliegen«, also ein gleicher Bedarf nach systematischer Grundlegung besteht. Allerdings äußert Lamprecht sogleich »Bedenken gegen eine Resolution in diesen Fragen, da es sich um Eingriffe in die Universitätsverfassung und in die bisherige Entwicklung der wissenschaftlichen Disziplinen handeln würde«. Der Vorsitzende Wulff beauftragt schließlich im Na-
468 »Geschäftliche
Sitzung« [des ersten Kongresses für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft], S. 527. 469 O. Wulff: »Grundsätzliches über Ästhetik, allgemeine und systematische Kunstwissenschaft«, S. 560. 470 E. Utitz: Grundlegung der allgemeinen Kunstwissenschaft, Bd. 1, S. 33. 471 Ebd., Bd. 1, S. 33 f.
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men der Anwesenden Dessoir, »vorbereitende Schritte in die Wege zu leiten und einen Ausschuß zur Erörterung der Fragen zu ernennen«.472 Tatsächlich wird im folgenden Jahr in der Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft angekündigt, dass ein »Ausschuß zur Beratung von Organisationsund Unterrichtsfragen […] aus Mitgliedern des Ständigen Ausschusses gebildet werden« soll, der »voraussichtlich beim nächsten Kongreß über seine Verhandlungen berichten« wird.473 Weitere Schritte bleiben aber aus. b) Gustav Špet und die GAChN in Moskau Ähnlich stellt sich die Lage auf dem vierten Kongress, also der Hamburger Veranstaltung von 1930, dar, wo die Kooperationsofferte allerdings aus einem ganz anderen weltanschaulichen Lager kommt. Hier ist es nämlich das »Mitglied Dr. Lunatscharsky«, der sowjetische Kulturpolitiker Anatolij Vasil’evič Lunač arskij also, dem im Rahmen der Mitgliederversammlung der Gesellschaft für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft das Wort zu einer »Mitteilung« erteilt wird: Lunač arskij, der seit diesem Jahr als Direktor dem Institut für Literatur und Kunst an der Kommunistischen Akademie in Moskau vorsteht, nimmt nicht allein zusammen mit seiner Frau am Kongress für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft teil, sondern er ist, wie dem zitierten Protokolltext zu entnehmen ist, auch Mitglied der Gesellschaft. Der Inhalt seiner Mitteilung ist nicht überliefert, weil diese »nach dem Hinweis des ersten Vorsitzenden nur zur Kenntnis genommen, aber nicht zum Gegenstand einer Erörterung gemacht werden kann«.474 Es könnte es sich dabei um eine Einlassung gehandelt haben, wie Lunač arskij sie wenige Wochen zuvor bereits auf einem Philosophie-Kongress im britischen Oxford gemacht hatte, wo er, wie die Kant-Studien berichten, im Anschluss an einen Vortrag von Müller-Freienfels »über die Bedeutung der Soziologie für die Ästhetik […] auftrat und den versammelten bürgerlichen Ästhetikern verkündete, daß der Marxismus alle ihre Probleme endgültig lösen werde, was freilich in der Diskussion ernsthaft angefochten wurde«.475 Möglicherweise geht es bei Lunač arskijs Auftritt aber auch um eine Offerte zur Kooperation zwischen der Kommunistischen Akademie und den deutschen Wissenschaftlern. In Hamburg werden nämlich »die Möglichkeiten eines internationalen Austauschs zwischen den Wissenschaftlern der Sowjet-Union und den deutschen Gelehrten im allgemeinen, und besonders auf dem Gebiete der Ästhetik und allgemeinen Kunstwissenschaft erwogen, und Wege für die Erreichung des Ziels 472 »Geschäftliche
Sitzung« [des ersten Kongresses für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft], S. 529. 473 »Kongresse für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft«. 474 »Mitglieder-Versammlung der Gesellschaft für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft«, S. 16. 475 R. Müller-Freienfels: »Der siebente internationale Kongress für Philosophie in Oxford«, S. 574.
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gewiesen«.476 Konkrete institutionell gestützte Schritte folgen aber auch aus dieser Absichtserklärung wiederum nicht. Nichtsdestoweniger ist die Allgemeine Kunstwissenschaft von entscheidender Bedeutung für die konzeptionelle und methodologische Ausrichtung einer der bedeutendsten kunstwissenschaftlichen Institution der jungen Sowjetunion geworden, der Staatlichen Akademie der Kunstwissenschaften (Gosudarstvennaja Akademija Chudožestvennych Nauk: GAChN ) in Moskau. Genauer: Man kann die maßgeblich von dem Phänomenologen und Husserl-Schüler Gustav Špet in den 1920er Jahren an der GAChN organisierte kunstwissenschaftliche Forschung und Lehre, mutatis mutandis, als die umfassendste und konsequenteste institutionelle Realisierung bezeichnen, die die Idee einer Allgemeinen Kunstwissenschaft je erfahren hat.477 Die GAChN wird von ihren Gründern, zu denen neben dem Philosophen Špet u. a. auch der Künstler Vasilij Kandinskij gehört, als radikal innovative Institution konzipiert, deren Aufgabe darin besteht – jenseits der Universität und stattdessen unter konsequenter Einbeziehung von Künstlern und anderen Praktikern –, eine von metaphysischen Voraussetzungen freie und modernen wissenschaftlichen Standards genügende Kunstforschung zu ermöglichen. Hier arbeiten Philosophen auf unterschiedlicher – aber grundsätzlich marxistischer – Basis, Kunstpraktiker sowie Theoretiker, Kenner und Historiker aller Künste zusammen.478 Diese Forschung soll sich nicht länger im Sinne der traditionellen Kunstgeschichte auf eine Auseinandersetzung mit dem historischen Kanon der Kunst beschränken, sondern das Kunstphänomen vielmehr in seiner ganzen Breite erschließen. Namentlich geht es hierbei um die Einbeziehung der aktuellen modernen Kunst, aber etwa auch der vielfältigen regionalen künstlerischen und kunsthandwerklichen Traditionen, die nun in der jungen Sowjetunion, einem Vielvölkerstaat, zusammengeschlossen sind. So umfasst die Arbeit an der GAChN das gesamte zeitgenössische Spektrum der Künste – Literatur, bildende Künste bzw. ›Raumkünste‹, Musik einschließlich Tanz und Choreographie, Theater sowie Kunsthandwerk einschließlich Industriedesign und Buchkunst – denen in der Organisationsstruktur dieser Institution jeweils eigene Sektionen gewidmet sind. Für diese Künste sollen im Rahmen der Kunstforschung an der GAChN aber nicht nur neue Formen der Erkenntnis entwickelt werden, sondern auch zeitgemäße Formen ihrer pädagogischen Vermittlung und schließlich ihrer Präsentation in Ausstellungen und Museen. Zudem werden an der GAChN selbst Vorträge, Konzerte, Tagungen und beinahe 200 Kunstausstellungen organisiert. 476 »Mitglieder-Versammlung
der Gesellschaft für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft«, S. 16. 477 Zur folgenden Charakteristik der GAChN vgl. bes. N. Plotnikov: »Einleitung: Die Staatliche Akademie der Kunstwissenschaften in der europäischen ästhetischen Diskussion der 1920er Jahre«; s. a. ders.: »Kunstwissenschaft als Thema der philosophischen Reflexion«; N. Misler (Hrsg.): RaKhN. – Zur Rezeption der Allgemeinen Kunstwissenschaft an der GAChN vgl. B. CollenbergPlotnikov: »›Ėstetika i obščee iskusstvoznanie‹« [›Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft‹]. 478 Vgl. bes. N. Plotnikov / N. Podzemskaia (Hrsg.): Iskusstvo kak jazyk – jazyki iskusstva.
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Den kulturpolitischen Hintergrund dieser Bestrebungen bildet dabei der Bedarf nach der Entwicklung einer wissenschaftlichen Legitimation der neuen Kulturpolitik der Sowjetmacht und deren Ziel der Bildung eines ›Neuen Menschen‹: Es geht, wie Lunač arskij am 16. Juni 1921 auf der Gründungssitzung der GAChN (seinerzeit noch unter dem Namen Rossijskaja Akademija Chudožestvennych Nauk: RAChN ), an der er in seiner damaligen Funktion als Volkskommissar für Bildung teilnimmt, es formuliert, um die wissenschaftlich gestützte Vergewisserung, dass »die dargebotene Kunst eine echte Kunst ist und kein Surrogat und dabei die Kunst, die die Massen benötigen«.479 Zu diesem Zweck soll die Kunst unter allen relevanten Gesichtspunkten, d. h. an der GAChN programmatisch: aus interdisziplinärer Perspektive, thematisiert werden. Diese Erforschung findet in der Organisationsstruktur dieser Institution in zwei Richtungen statt. Zum einen sollen in einem ›horizontalen‹ Zugriff auf die einzelnen Künste die Beiträge der verschiedenen Wissenschaften für die Analyse der jeweiligen Kunst synthetisiert werden. Das heißt, es geht hier um eine interdisziplinäre Erforschung der Literatur, des Tanzes, der Malerei usw. Zum anderen sollen in einem ›vertikalen‹ Zugriff die Künste unter übergreifenden Aspekten thematisiert werden, die alle Künste gleichermaßen betreffen, insofern sie Kunst sind. Diese letztere Arbeit ist an der GAChN organisatorisch drei Abteilungen zugeordnet: An der Physikalisch-psychologischen Abteilung, die zunächst von Kandinskij, nach dessen Emigration dann von dem Kunsthistoriker und Psychologen Anatolij Bakušinskij geleitet wird, werden vielfältige experimentalpsychologische Untersuchungen zu Kunstproduktion und -rezeption durchgeführt, die auch Kinder, psychisch Kranke und ›primitive‹ Völker umfassen. An der Soziologischen Abteilung, geleitet von dem Kunstsoziologen Vladimir Friče, geht es darum, die Kunst im Sinne der marxistischen Klassenanalyse aus soziologischen Gesetzmäßigkeiten zu erklären. Und Aufgabe der Philosophischen Abteilung, der ab Februar 1922 Špet vorsteht, ist es schließlich, die Prinzipien- und Methodenfragen der Kunstwissenschaft zu behandeln. Die Kunst wird in diesem ›vertikalen‹ Sinn also als psychisches bzw. physisches, als soziales und als geistiges Phänomen thematisiert. Das Projekt der Entwicklung einer ›Neuen Kunstwissenschaft‹ wird so an der GAChN durch eine intensive Theoriearbeit flankiert. Hier werden an den Abteilungen sehr unterschiedliche und letztlich inkommensurable Ansätze entwickelt: Während Kandinskij in der Physikalisch-psychologischen Abteilung eine Rückbindung der Kunsttheorie an künstlerisch-wissenschaftliche Experimente anstrebt und Friče in der Soziologischen Abteilung eine soziologisch orientierte marxistische Kunsttheorie ausarbeitet, geht es Špet in der Philosophischen Abteilung um den Entwurf eines philosophisch basierten methodologischen Rahmens der Kunstwissenschaften, dessen Voraussetzung der Begriff der Kunst als eines autonomen, d. h. hier: eigenen Gesetzmäßigkeiten folgenden Bereichs der Kultur ist. 479 Zit.
nach N. Plotnikov: »Einleitung: Die Staatliche Akademie der Kunstwissenschaften in der europäischen ästhetischen Diskussion der 1920er Jahre«, S. 11.
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Diese begrifflich und methodologisch orientierte Theoriearbeit, die vordringlich an der von Špet geleiteten Philosophischen Abteilung geleistet wird, hat nun einen zentralen Bezugspunkt in den Beiträgen, wie sie seit der Zeit um 1900 in Deutschland zu Fragen der Kunst entwickelt werden. So rekurrieren neben Špet auch weitere GAChN-Mitarbeiter bei ihren Überlegungen auf Autoren wie Konrad Fiedler, Heinrich Wölfflin, Karl Groos, Broder Christiansen und Georg Simmel, die alle versuchen, eine autonome Kunstforschung zu begründen.480 Wichtig wird zudem der hier vor allem mit dem Namen Oskar Walzels verbundene Impuls, die vielfältigen Geistes- bzw. Kunstwissenschaften, die im Zuge ihrer epochalen Lösung aus der gemeinsamen metaphysischen Rückbindung nun – wie man es sieht – nicht nur befreit, sondern vor allem vereinzelt als isolierte Spezialwissenschaften dastehen, zusammenzuführen. Der Bezug auf deutsche Forschungen an der GAChN ist dabei derart offensichtlich, dass er dem Špet-Kreis bereits während der Blüte dieser Institution bisweilen zum Vorwurf gemacht wird – bevor er dann eine nicht unwesentliche Rolle bei ihrer Zerschlagung spielt. So findet sich etwa in den Tagebüchern des Petersburger Formalisten Boris Ėjchenbaum die bissige Notiz: »die Moskauer Theoretiker zitieren nur die deutsche Wissenschaft und erkennen ausschließlich Špet (wegen seines deutschen Namens?) und die Deutschen an«.481 Dieses argumentum ad hominem ist dabei zumindest insofern sachlich begründet, als sich die Mitglieder der GAChN bei Darstellungen des aktuellen Forschungsstandes auf dem Feld der Kunstwissenschaften in der Tat ausschließlich auf deutsche Autoren beziehen.482 So verwundert es auch nicht, dass Kandinskij 1921 bei seiner Emigration nach Deutschland Versuche unternimmt, in Berlin eine deutsche Filiale der GAChN einzurichten. Und Walzel wird bei einer Reise nach Moskau 1928 zum Ehrenmitglied der GAChN ernannt.483 Eine besondere Stellung nimmt innerhalb dieser Rezeption und Weiterführung deutscher Kunsttheorie an der GAChN allerdings die von Dessoir initiierte Bewegung ›Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft‹ ein, in deren Rahmen auch Walzel sich wiederholt engagiert hat.484 Diese Verbindung wird dabei durchaus 480 Zu
erwähnen sind neben den Studien von Gustav Špet insbesondere – bisher nur teilweise publizierte – Diskussionsbeiträge von Aleksandr Gabričevskij, Aleksandr Achmanov und Appolinarija Solov’eva. – Unter den Beiträgen von G. Špet vgl. bes. »Zur Frage nach der Organisation der wissenschaftlichen Arbeit auf dem Gebiet der Kunstforschung« sowie »Probleme der gegenwärtigen Ästhetik«. – Gabričevskij entwickelt in Anlehnung an Simmel eine Systematik der Kunstwissenschaften, die die theoretisch-formale und die historisch-interpretative Weise der Kunstforschung umfasst. (Vgl. A. Gabričevskij: »Philosophie und Kunsttheorie«.) 481 Zit. nach D. Ustinov: »Materialy disputa ›Marksizm i formal’nyj metod‹« [Materialien der Diskussion ›Der Marxismus und die formale Methode‹], S. 250. 482 Vgl. z. B. G. Špet: »Zur Frage nach der Organisation der wissenschaftlichen Arbeit auf dem Gebiet der Kunstforschung«. 483 Vgl. N. Plotnikov / N. Podzemskaia (Hrsg.): Iskusstvo kak jazyk – jazyki iskusstva, Bd. 1, S. 18 f. und 374 f. 484 S. o. S. 34.
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ebenfalls durch persönliche Kontakte gestützt. So nimmt etwa die an der GAChN tätige Kunstsoziologin Lija Zivel’činskaja 1927 am Kongress für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft in Halle teil.485 Allerdings bleiben solche persönlichen Kontakte punktuell, und den Protagonisten der Allgemeinen Kunstwissenschaft in Deutschland dürfte die enge sachliche Verbindung zwischen ihren eigenen und den Moskauer kunstwissenschaftlichen Bestrebungen kaum bewusst gewesen sein. Jedenfalls wird die GAChN weder bei Dessoir noch einer Person aus seinem Umkreis erwähnt – sieht man einmal von Walzel ab, der nur am Rande hierzu gehört. Bei ihren Bestrebungen zur Begründung einer neuen Kunstwissenschaft können die Mitarbeiter der GAChN in zwei wesentlichen Hinsichten bei der Allgemeinen Kunstwissenschaft im engeren Sinne anknüpfen: Zum einen teilen sie die Überzeugung, dass es für die Entwicklung einer autonomen Kunstforschung fundamental ist, sich auf die eigenen begrifflichen Grundlagen zu besinnen und Prinzipienfragen zu beantworten. So erkennt Špet in der Allgemeinen Kunstwissenschaft eine kritische Reaktion auf die »Psychologie und Praxis der Vertreter der alten ›Kunstgeschichte‹«, die sich ausschließlich auf die »ikonographische Methode« und die antiquarische Gelehrsamkeit der »Archäologie« beschränken, dabei aber die Frage, »die Geschichte von was sie erforschen«, aus dem Blick verlieren. Und eben diese Unklarheit über die begrifflichen Grundlagen der eigenen Wissenschaft hat, so Špet, hier dazu geführt, dass »Kunstdenkmäler« für sie faktisch nichts anderes sind als »beliebige andere Gegenstände aus dem Alltagsleben, Handwerk oder Kult« – kurz: dass ihnen ihr Gegenstand abhandengekommen ist oder zumindest seine Konturen verloren hat. So hält Špet demgegenüber als Mittelpunkt der an der GAChN neu zu begründenden systematischen Kunstwissenschaft die ebenso schlichte wie kapitale Frage fest: »Was ist eigentlich Kunst?« und bezieht sich dabei auf die Resolution zur institutionellen Verankerung einer »systematischen Erforschung der Kunst (Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft)« als zusätzliche Disziplin neben den empirischen bzw. historischen Disziplinen, die Utitz 1924 auf dem zweiten Kongress für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft auf den Weg gebracht hatte.486 Denn die »Grundlage« jeder Kunstforschung soll und kann nur die Analyse der Begriffe selbst sein, mit denen die Kunstwissenschaft arbeitet. Angefangen von den Fragen: Was ist Kunst überhaupt, was ist jede Kunst im Einzelnen, was ist Stil, was sind seine Merkmale, und abschließend mit den letzten konkreten dialektischen und historischen Definitionen, wie Naturalismus, Klassizismus, Expressionismus und sogar mit der technischen Nomenklatur wie Licht, Schatten, Konturen, Fleck, Rhythmus usw. usf. – überall geht dem Expe485 Vgl.
»Teilnehmerliste des Kongresses« [= des dritten Kongresses für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft], S. 114 (hier geführt als »Ziweltschinsky, Lia, Frau, Dr., Moskau«). 486 G. Špet: »Zur Frage nach der Organisation der wissenschaftlichen Arbeit auf dem Gebiet der Kunstforschung«, S. 402 f. – Zu der von Špet zitierten Resolution s. o. S. 284. – Zur Bedeutung der Frage ›was ist Kunst?‹ s. a. z. B. E. Utitz: Grundlegung der allgemeinen Kunstwissenschaft, Bd. 1, S. 27.
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riment wie der Erklärung die Frage voraus: Was ist das?, d. h. die Frage der äußeren Bezeichnung und der differenzierenden Terminologie.487
Und ebenfalls bezüglich der Entscheidung, »[o]b wir die Kunst psychologisch oder soziologisch erklären wollen, insgesamt oder in jeder einzelnen Erscheinung, zuerst gilt es festzulegen, was überhaupt zu erklären ist«.488 Aber auch die für den Kreis um Dessoir charakteristische Differenzierung zwischen Ästhetik und Kunstwissenschaft greift Špet ausdrücklich auf: »Der für die Kunstwissenschaft unerlässliche Begriff des ›Ästhetischen‹ kann von ihr nur aus Analysen der Ästhetik gewonnen werden. Der Begriff der Kunst ist umfassender als der des Ästhetischen, aber auch das Ästhetische ist umfassender als das Künstlerische.«489 Zum anderen greift man das wissenschaftstheoretische und methodologische Anliegen der Allgemeinen Kunstwissenschaft auf.490 So gewinnt durch die Klärung der Frage nach ihrem Gegenstand nicht nur der gemeinsame Anspruch der verschiedenen Kunstwissenschaften, Wissenschaften von der Kunst zu sein, überhaupt erst ein sachliches Fundament, das für die interne Koordination einer interdisziplinären kunstwissenschaftlichen Forschung unerlässlich ist. Überdies kann nur so die Stellung der Kunstwissenschaften im Kosmos der Wissenschaften geklärt werden. In diesem Sinne heißt es bei Špet: Die Kunstgeschichte selbst muss sich grundlegend ändern, wenn sie sich von theoretisch festgelegten Kategorien und Allgemeinbegriffen der Kunst leiten lassen will. Nur dann wird sie eine ihr angemessene Stellung inmitten der anderen historischen Wissenschaften von der materiellen und geistigen Kultur finden, und erst dann wird sie eine wirkliche Wissenschaft.491
Von Anfang an betrachtet man es im Sinne der intendierten Wissenschaftlichkeit einer Kunstforschung auf der Höhe der Zeit zudem als Aufgabe der Akademie, eine »Überprüfung der existierenden Terminologie und die Festlegung bestimmter neuer Termini« vorzunehmen, wie Kandinskij es bereits in einem frühen Entwurf der Konzeption der Institution aus dem Sommer/Herbst 1921 formuliert.492 Dieses Projekt, das den gesamteuropäischen Kunstdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts einschließlich philosophischer Begriffe und kunsttechnischer Fachtermini in den Blick nimmt, wird im Laufe der Arbeit immer weiter differenziert und bindet er487 G. Špet: »Zur Frage nach der Organisation der wissenschaftlichen Arbeit auf dem Gebiet der Kunstforschung«, S. 413. 488 Ebd., S. 414. 489 Ebd., S. 410. 490 Vgl. in diesem Zusammenhang auch ebd. S. 406; zu Špets Bezugnahme auf Winds Aufsatz Theory of Art versus Aesthetics. – S. o. S. 184. 491 G. Špet: »Zur Frage nach der Organisation der wissenschaftlichen Arbeit auf dem Gebiet der Kunstforschung«, S. 403. 492 Zit. nach N. Plotnikov: »Einleitung: Die Staatliche Akademie der Kunstwissenschaften in der europäischen ästhetischen Diskussion der 1920er Jahre«, S. 15.
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hebliche Forschungskräfte. Es bildet einen Vorläufer der großen begriffsgeschichtlichen Lexika der Nachkriegszeit wie des von Joachim Ritter u. a. 1971–2007 herausgegebenen Historischen Wörterbuchs der Philosophie und der von Karlheinz Barck u. a. 2000–2005 herausgegebenen Ästhetischen Grundbegriffe, aber auch von knapper gehaltenen Handbüchern wie dem von Wolf hart Henckmann und Konrad Lotter 1992 herausgegebenen Lexikon der Ästhetik. In den 1920er Jahren hat dieses Projekt aber nicht in der Allgemeinen Kunstwissenschaft eine Parallele, sondern in dem von Erich Rothacker – einem der Herausgeber der Deutschen Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte – entwickelten Plan zu einem kulturphilosophischen Wörterbuch493, das dieser zumindest zeitweise am Forschungsinstitut Warburgs realisieren wollte494. Allerdings ist die Realisierung und Weiterführung der Ideen der Allgemeinen Kunstwissenschaft an der GAChN unter den gegebenen politischen Bedingungen nur von kurzer Dauer, und auch das geplante Lexikon verbleibt im Stadium der Vorarbeiten495: War die GAChN 1921 gegründet worden, werden hier bereits ab 1929 im Zuge einer ersten Stalinisierung des sowjetischen Kulturwesens radikale ›Säuberungen‹ durchgeführt. Die GAChN gilt nun als die durch feindliche (nämlich deutsche) Hermeneutik, Kultur- und Kunstphilosophie geprägte ›letzte Zitadelle und Zufluchtsort des bankrotten Idealismus‹.496 Alle führenden Organisatoren dieser Institution werden entlassen, darunter Špet im Januar 1930. (Ebenfalls Lunač arskij – der dem Regime auch schon insofern als suspekt gilt, als seine marxistische Kunsttheorie und Kulturpolitik sich dezidiert für die Avantgarde engagiert – wird im Zuge dieser Welle seines Amtes als Volkskommissar enthoben, nachdem er im April 1929 gegen den Abriss der Moskauer Kremlklöster protestiert hatte.) In konzeptioneller Hinsicht bedeuten bereits diese Maßnahmen das Ende der GAChN, bevor sie nach langen Umstrukturierungen und drastischen Begrenzungen der Forschung im April 1931 schließlich auch formell aufgelöst wird.497 Mit wenigen Ausnahmen wird ihr Personal – sofern man sich nicht, wie Kandinskij, rechtzeitig abgesetzt hatte – in den folgenden Jahren nach Schauprozessen verbannt bzw. ermordet; so auch Špet.
R. Stöwer: Erich Rothacker, S. 97–100. M. Kranz: »Begriffsgeschichte institutionell – Teil II«, S. 181–188. 495 Einige Entwürfe zu Artikeln für dieses Lexikon sind aus dem Nachlass der GAChN herausgegebenen worden. Vgl. I. Čubarov (Hrsg.): Slovar’ chudožestvennych terminov [Lexikon der Kunstterminologie (der GAChN)]. Teile dieser Edition sind ins Englische übersetzt und mit einer Einleitung versehen in der amerikanischen Zeitschrift October erschienen: D. Fore: »The GAKhN Dictionary. An Introduction«; »The GAKhN Dictionary of Artistic Terms«. 496 Vgl. »Politika nastuplenija« [Politik der Offensive], S. 3 f. 497 Zu den Umständen der Auflösung der Akademie vgl. J.N. Jakimenko: »Iz istorii chistok apparata: Akademija chudožestvennych nauk v 1929–1932gg.« [Aus der Geschichte der Säuberungen des Apparats der Akademie der Kunstwissenschaften 1929–32]. 493 Vgl. 494 Vgl.
Die Allgemeine Kunstwissenschaft als Institution301
c) Victor Basch und die Association pour l’Étude des Arts et les Recherches relatives à (la Science de) l’Art in Paris In der Einladung zum Pariser Kongress von 1937 wird die Association pour l’Étude des Arts et les Recherches relatives à la Science de l’Art als die für die Organisation der Veranstaltung verantwortliche Institution genannt.498 Näherhin erklärt Basch am Beginn seiner Eröffnungsansprache, »seit ihrer Gründung« habe die Gesellschaft, »die diesen Kongress organisiert hat, betont, dass [in] dem von ihr in Angriff genommenen Werk Philosophen (im weitesten Sinn des Wortes), Kunsthistoriker und -kritiker und schließlich und vor allem Künstler zusammenarbeiten sollen«.499 Hier klingt deutlich die interdisziplinäre Programmatik nach, wie Dessoir sie vor allem in dem im Vorfeld des ersten Kongresses verfassten Sondierungsschreiben entwickelt hatte, wo als Ziel der Veranstaltung angegeben worden war, die »gegenseitige Verständigung« der »Philosophen und Psychologen, der Ethnologen und Soziologen, der Literatur-, Kunst- und Musikforscher sowie […] Kunstpädagogen« und nicht zuletzt auch »theoretisch interessierten Künstlern« zu fördern.500 Bereits hier hatte ein Verein, die Vereinigung für ästhetische Forschung, im Hintergrund gestanden. Dessen erklärte Aufgabe war es gewesen, »[d]urch Vorträge und mündlichen Gedankenaustausch zwischen Vertretern philosophischer, historischer, ethnologischer und naturwissenschaftlicher Kunstforschung sowie theoretisch interessierten Künstlern die Anschauungen über Wesen und Aufgaben der Kunst und der einzelnen Künste zu vereinheitlichen und zu vertiefen« 501, wenngleich er den unbestrittenen Höhepunkt seiner Aktivitäten in der Ausrichtung des Kongresses gefunden hatte. Basch gründet die Association pour l’Étude des Arts et les Recherches relatives à la Science de l’Art 1931 in Paris und steht ihr seitdem – formell bis zu seiner Ermordung 1944 – als Präsident vor; Ehrenpräsident der Gesellschaft ist Paul Valéry, Generalsekretär Charles Lalo.502 Ihren Sitz hat die Association am Institut für Kunst und Archäologie der Sorbonne, Rue Michelet 3, wo Basch seit 1928 seinen Lehrstuhl 498 Vgl.
»Deuxième Congrès International d’Esthétique et de Science de l’Art Paris, 1937« [Zweites Einladungsschreiben], S. 250. – Zu dieser Formulierung des Vereinstitels vgl. auch bes. V. Basch: »Un Vocabulaire d’Esthétique et de Science de l’Art«, S. 121; Nouvelle Revue d’Esthétique. 16 (2015): L’art et les arts, S. 151. 499 V. Basch: »Einführende Rede von Victor Basch auf dem Kongress für Ästhetik und Kunstwissenschaft in Paris, 1937«, Abs. 1 (vgl. ders: »Discours«, S. LI). 500 [M. Dessoir:] [Rundschreiben im Vorfeld des ersten Kongresses für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft, Juli 1912], S. 1 f.; ebenfalls in: »Kongreß für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft« [Vorgeschichte des ersten Kongresses für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft], S. 94. – S. o. S. 27. 501 »Vereinigung für ästhetische Forschung«. In: Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft. 4 (1909), S. 269; vgl. »Gesellschaft für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft E.V.«, S. 205. – S. o. S. 212 f. 502 V. Nedelcovici: »Vues sur nos Recherches«, S. 119; s. a. É. Souriau: »Die Hauptrichtungen der gegenwärtigen französischen Ästhetik«, S. 55 f.
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für ›Ästhetik und Kunstwissenschaft‹ innehat.503 Dabei macht bereits der Name mit dem charakteristischen Doppeltitel die Orientierung an der von Dessoir ins Leben gerufenen Initiative deutlich.504 Und ebenso wie bei der deutschen Vereinigung besteht die zentrale Aufgabe der Association – neben der Durchführung von Vorträgen »par des esthéticiens, des philosophes et des artistes« mit anschließender Diskussion 505 (im Frühjahr 1934 spricht hier auch Dessoir über La Création Artistique 506) – in der Ausrichtung des von Basch initiierten Kongresses507. So betrachtet etwa Utitz die französischen Aktivitäten ausdrücklich als Ableger der deutschen Initiative.508 Obwohl Baschs Publikationen zu Fragen der Ästhetik, wie bereits erwähnt, überschaubar sind und man seinen einfühlungsästhetisch und romantisch akzentuierten Subjektivismus keineswegs durchgängig teilt 509, wird er doch überaus wichtig für die Entwicklung der ästhetischen Forschung in Frankreich. Wesentliche Bedeutung kommt hierbei seiner 1919 aufgenommenen Lehrtätigkeit an der Sorbonne auf dem Gebiet ›Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft‹ 510 zu. So erwähnt auch Souriau, wenn er in der Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft 1934 Die Hauptrichtungen der gegenwärtigen französischen Ästhetik vorstellt, ausdrücklich Basch, »dessen starke und allgemein bekannte Persönlichkeit den Lehrstuhl für Ästhetik an der Universität Paris berühmt gemacht« habe.511 Basch sei es gewesen, der in Frankreich den ästhetischen Forschungen einen lebhaften Antrieb und zugleich eine neue Bedeutung gegeben hat, und zwar nicht allein durch seine Rednergabe und die ihm eigene offenherzige und kernige Lehre, durch seine lebendige und umfassende Kenntnis des künstlerischen Lebens in aller Welt; sondern auch durch die Anziehungskraft eines feurigen und vielseitigen Eifers, den selbst die anstrengendste Lehrtätigkeit niemals hat ermatten lassen.512
503
S. o. S. 260 f. bes. C. Trautmann-Waller: »Victor Basch«, bes. S. 83–86. 505 V. Basch: »Un Vocabulaire d’Esthétique et de Science de l’Art«, S. 121. – Die Titel der Vorträge von der Gründung der Association bis Mitte 1935 sind aufgelistet bei V. Nedelcovici: »Vues sur nos Recherches«, S. 119; s. a. »Echos et Nouvelles«. 506 Vgl. V. Nedelcovici: »Vues sur nos Recherches«, S. 119. S. a. M. Dessoir: Buch der Erinnerung, S. 96. 507 Vgl. »Echos et Nouvelles«, S. 173; V. Basch: »Un Vocabulaire d’Esthétique et de Science de l’Art«, S. 121. – Zur vollständigen Auflistung der Aufgaben der Association in ihren Statuten s. u. S. 306, Anm. 533. 508 Utitz charakterisiert in einem Brief an Thomas Munro die neuere französische Ästhetik als »completely derivative from German aesthetics«. ([T. Munro:] »International News and Correspondence«. 10/4 [1952], S. 382.) 509 S. o. S. 282. 510 S. o. S. 260 f. 511 É. Souriau: »Die Hauptrichtungen der gegenwärtigen französischen Ästhetik«, S. 63. 512 Ebd. 504 Vgl.
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Es sei zwar verfehlt, im Augenblick »von einer Renaissance der französischen Ästhetik« zu sprechen, weil »Untersuchungen solcher Art […] in Frankreich niemals völlig vernachlässigt« worden seien. Nichtsdestoweniger zeige sich klar »ein neu erwachtes Interesse« an dieser Thematik, das eben maßgeblich auf das Konto von Baschs Aktivitäten als Hochschullehrer gehe.513 Als Belege für dieses neue Interesse verweist Souriau zum einen, neben einschlägigen »Aufsätze[n] in den philosophischen Zeitschriften«, auf »die Dissertationen, die über diesen Gegenstand erscheinen, die Fachprüfungen, die sich an den Universitäten mehren«.514 Ein Diplom für höhere ästhetische Studien werde in Frankreich nicht nur an der Universität Paris, sondern auch in Lyon und Aix-en-Provence erteilt, wo Souriau selbst bis zum Beginn der 1930er Jahre gelehrt hatte.515 Zum anderen erkennt Souriau ein »noch bedeutsameres Symptom« in dem Erfolg, den »vom ersten Jahre ihres Bestehens ab« 516 die in Paris gegründete Gesellschaft für Ästhetik gefunden habe, in der er als einer der Vizepräsidenten engagiert ist 517, und die »unter dem Präsidium von Victor Basch eine große Zahl bekannter Persönlichkeiten aus der Welt der Kunst, Literatur und Wissenschaft«518 vereinige. Neben dem Ehrenpräsidenten Valéry und dem Generalsekretär Lalo setzt sich so etwa die Gruppe der Vizepräsidenten, neben Souriau selbst, zusammen aus dem Bildhauer Charles Despiau, dem Musikwissenschaftler Maurice Emmanuel, den Kunsthistorikern Henri Focillon, Louis Hourticq und René Schneider, dem Schauspieler und Regisseur Firmin Gémier, dem Architekten und Stadtplaner Auguste Perret, dem Komponisten Maurice Ravel sowie dem Romanisten und Mediävisten Mario Roques.519 ›Abgeordnete Sekretärin’ (Secrétaire-Déléguée) ist Viorica Nedelcovici, Stellvertretender Sekretär Raymond Bayer.520 Die aus dieser Gesell-
513
Ebd., S. 55.
514 Ebd. 515 Von dem besonderen Augenmerk, das bei diesen Qualifikationsarbeiten auf die Kunstwissenschaft in Deutschland gerichtet wird, zeugt hier, wie zu ergänzen wäre, insbesondere die unter der Betreuung von Basch und dem Kunstpsychologen Henri Delacroix 1925 abgeschlossene und 1926 publizierte Dissertation der Lettin Milda Palē vič a-Bite, die darauf Ästhetik am Musikkonservatorium von Riga lehrt. (Vgl. M. Bites-Palévitch: Essai sur les tendances critiques et scientifiques de l’esthétique allemande contemporaine.) – Auch Raymond Bayer, der als Generalsekretär federführend die Organisation des Pariser Kongresses übernimmt, war zuvor hier 1933/34 mit einer zweiteiligen Arbeit über die Ästhetik der Anmut und über die Anmut bei Leonardo promoviert worden. (Vgl. R. Bayer: Esthétique de la grâce. – S. a. »Soutenance de Thèses d’Esthétique en Sorbonne (6 janvier 1934)«.) Von 1937 bis 1942 ist Bayer dann Professor für allgemeine Philosophie an der geisteswissenschaftlichen Fakultät der Universität Caen, danach lehrt er bis zu seinem Tod 1959 an der Sorbonne. 516 É. Souriau: »Die Hauptrichtungen der gegenwärtigen französischen Ästhetik«, S. 55. 517 Vgl. ebd., S. 56 518 Ebd., S. 55 f. 519 Vgl. ebd. 520 Vgl. V. Nedelcovici: »Vues sur nos Recherches«, S. 119.
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schaft hervorgegangenen Arbeiten sollen, wie Souriau ergänzt, »bald ein regelmäßig erscheinendes Publikationsorgan erhalten«.521 Souriau gibt als Namen des Vereins »Association pour l’Etude des Arts et des Recherches relatives à l’Art« an, unterschlägt also gegenüber Baschs Formulierung die ›Science de l’Art‹.522 Diese Abweichung dürfte zum einen auf den in Frankreich mit weniger Leidenschaft als in Deutschland betriebenen Formalismus in Vereinsangelegenheiten zurückzuführen sein. So sind auch die Tätigkeiten dieser Association erheblich lückenhafter dokumentiert als die der vergleichbaren deutschen Verbände – der Vereinigung für ästhetische Forschung bzw. der Gesellschaft für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft.523 Zum anderen kann diese Differenz aber auch als ein Symptom dafür gelten, dass die ›Kunstwissenschaft‹ hier zwar noch nominell auf die historischen Wurzeln dieser Institution in Dessoirs Initiative verweist, der Sache nach aber bereits keine spezifische Bedeutung mehr hat, wie sich dies auch bereits im Zusammenhang mit der Darstellung des Pariser Kongresses gezeigt hatte.524 Insofern ist es nur konsequent, dass die Association, deren Aktivitäten während der Kriegsjahre eingestellt werden, nach Baschs Ermordung 1944 in die bis heute existierende Société Française d’Esthétique überführt wird 525, die also auf die – sicher auf Basch zurückgehende – Nennung der ›Kunstwissenschaft‹ in ihrem Namen verzichtet. Erster Präsident der Société ist Lalo, die Vizepräsidentschaft übernimmt Bayer; von Lalo geht das Amt dann an Souriau über. Auch der Name des Publikationsorgans, dessen Gründung Souriau 1934 in seinem Beitrag für die Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft über Die Hauptrichtungen der gegenwärtigen französischen Ästhetik in Aussicht gestellt hatte, trägt dieser Verschiebung Rechnung: Bereits im Juni 1935 erscheint eine Revue d’Art et d’Esthétique als 174 Seiten umfassendes Doppelheft, das die Revue philosophique de la France et de l’Étranger ausdrücklich als ebenso anspruchsvolle, wenngleich – dank qualitätsvoller Illustrationen – gef älliger gestaltete Schwester von Dessoirs Zeitschrift einführt: II n’existait jusqu’à présent qu’une seule grande revue consacrée entièrement à l’esthétique proprement dite la très estimée Zeitschrift für Aesthetik und allgemeine Kunstwissenschaft, publiée à Stuttgart par Max Dessoir depuis 1906. Paris, 521 É. Souriau: »Die Hauptrichtungen der gegenwärtigen französischen Ästhetik«, S. 56. Zum besonderen Erfolg der Association vgl. auch V. Nedelcovici: »Vues sur nos Recherches«, S. 119. 522 É. Souriau: »Die Hauptrichtungen der gegenwärtigen französischen Ästhetik«, S. 55. 523 Archivalien der Association, die sowohl die hier betriebene Vortragstätigkeit als auch den Kongress von 1937 betreffen, werden in den französischen Archives nationales, Pierrefitte-surSeine, auf bewahrt: Fonds Jean Coutrot, Inv.Nr. 468AP/10 (vgl. M.-G. Chevignard: Archives nationales (France). Fonds Jean Coutrot (1929–1979), S. 135–139), Institut d’Art et d’Archéologie: Inv.Nr. 20010498/58 (vgl. Sabine Delanes / Jacques Layani / Stéphanie Méchine: Archives nationales (France). Rectorat de Paris et services inter-académiques (1875–1974), S. 39). 524 S. o. S. 282 f. 525 Vgl. z. B. Nouvelle Revue d’Esthétique. 16 (2015): L’art et les arts, S. 151.
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la plus grande ville d’art du monde actuel, est toute désignée pour la publication de cette Revue d’Art et d’Esthétique, qui est d’une aussi haute tenue que son aînée allemande, avec une présentation beaucoup moins sévère, et même une élégance qui fait grand honneur à l’éditeur présentation très raffinée dans sa sobriété, qu’éclairent de fort belles illustrations dans le texte et hors-texte.526
Dessoir gehört auch zum illustren internationalen wissenschaftlichen Beirat dieser Zeitschrift.527 Die Revue d’Art et d’Esthétique wird jedoch bereits mit dem Erscheinen dieser ersten Nummer, die u. a. Beiträge von Henri Focillon, Victor Basch, Auguste Perret, Lionello Venturi, Charles Lalo, Étienne Souriau und Jurgis Baltrušaitis enthält 528 , wieder eingestellt. 1948 – also mit einer erheblichen, maßgeblich durch die Kriegssituation bedingten, Verzögerung – gründen dann Souriau, Lalo und Bayer zusammen, wieder mit der charakteristischen Reduktion des Titels, die bis 2004 erschienene Revue d’Esthétique, »qui sera un des organes principaux de l’esthétique française de l’après-guerre«.529 Seit 2008 wird diese Zeitschrift unter dem Titel Nouvelle Revue d’Esthétique fortgeführt.530 526 »Revue
d’Art et d’Esthétique«, S. 249. Impressium der Zeitschrift wird folgender wissenschaftlicher Beirat aufgeführt: »M. Paul VALERY, de l’Académie Française, / et MM. / J. BALTRUSAITIS, Docteur ès-lettres; Victor BASCH, Professeur honoraire à la Sorbonne; Raymond BAYER, Docteur ès-lettres; Léon BRUNSCHVICG, Membre de l’Institut, Professeur à la Sorbonne; Jean COUTROT, Ingénieur E.P.; Benedetto CROCE , Directeur de La Critica; Henri DELACROIX , Doyen de la Faculté des Lettres, Professeur à la Sorbonne; Max DESSOIR , Professeur honoraire à l’Université de Berlin, Directeur de Zeitschrift für Aesthetik und allgemeine Kunstwissenschaft; Maurice EMMANUEL , Professeur au Conservatoire National de Musique; Paul FIERENS , Professeur à l’Université de Liége [sic]; Henri FOCILLON, Professeur à la Sorbonne; Matila C. GHYKA , Ministre Plénipotentiaire; Pierre GUASTALLA , Artiste Graveur et Peintre; Louis HOURTICQ, Membre de l’Institut, Professeur à l’Ecole des Beaux-Arts; Charles LALO, Chargé de Cours à la Sorbonne; Louis LAPICQUE , Membre de l’Académie des Sciences, Professeur à la Sorbonne; André LHOTE , Peintre; Earl of LISTOWEL , Docteur en Philosophie; Mlle V. NEDELCOVICI; Georges OPRESCO, Professeur à l’Université de Bucarest; Auguste PERRET, Architecte, Mario ROQUES, Membre de l’Institut, Professeur à la Sorbonne; Jules ROMAINS, Homme de Lettres; René SCHNEIDER , Professeur à la Sorbonne; Etienne SOURIAU, Professeur à l’Université de Lyon; Georges URBAIN, Membre de l’Académie des Sciences, Professeur à la Sorbonne; Mlle Hélène VACARESCO, Déléguée de la Roumanie à la Société des Nations; Henry VAN DE VELDE, Professeur à l’Université de Gand; Adolfo VENTURI, Membre associé de l’Académie des Beaux-Arts, et Lionello VENTURI, ancien Professeur à l’Université de Turin, Directeurs de l’Arte.« ([Impressum]. In: Revue d’Art et d’Esthétique. 1 [1935], o.P.) Die Leitung dieser Zeitschrift hat »Mlle V. NEDELCOVICI« inne (vgl. ebd.), zugleich ›Secrétaire Déléguée‹ der Association (s. o. S. 303), die selbst einen Beitrag zu diesem Band beisteuert und auch in der Dokumentation des Kongress von 1937 mit einem Abstract vertreten ist. (Vgl. V. Nedelcovici: »Vues sur nos Recherches«; dies.: »L’expérience des formes artistiques et des formes esthétiques«.) 528 Vgl. »Sommaire«. In: Revue d’Art et d’Esthétique. 1 (1935). 529 C. Trautmann-Waller: »Victor Basch«, S. 89. 530 S. o. z. B. S. 304, Anm. 525. 527 Im
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Formal stehen so die in Frankreich entwickelten institutionellen Aktivitäten – akademische Lehre, Verein, Kongress, Zeitschrift – unter den hier angeführten zeitgenössischen Parallelunternehmungen den Plattformen der Allgemeinen Kunstwissenschaft am nächsten. Dennoch hat bereits Céline Trautmann-Waller darauf hingewiesen, dass in der Revue d’Esthétique ebenso wie in den anderen institutionellen Plattformen diese maßgeblich durch Basch initiierte ›deutsche Episode‹ der französischen Ästhetik bzw. Kunstwissenschaft in Vergessenheit gerät.531 Allerdings wird hier zugleich ein Projekt in Angriff genommen, das nicht in den deutschen Aktivitäten, sondern den Arbeiten an der sowjetischen GAChN eine direkte Parallele hat: die Erarbeitung eines Wörterbuchs für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft.532 So teilt Basch 1935 in der Revue d’Art et d’Esthétique mit, die Association habe sich – neben der Organisation von Vortragsveranstaltungen – die Aufgabe gestellt, »à établir un Vocabulaire d’Esthétique et de Science de l’Art où fussent définis clairement les termes dont se servent esthéticiens et critiques d’art«.533 Offenbar ist die mehr als zehn Jahre früher aufgenommene sowjetische Initiative hier aber unbekannt, was insofern nicht überraschend ist, als diese über umfangreiche Vorarbeiten nicht hinausgekommen ist und die erhaltenen Artikel bzw. Artikelentwürfe erst heute publiziert werden.534 Jedenfalls nennt Basch als verwandte, wenngleich durchaus nicht identische Werke lediglich »le Vocabulaire Philosophique de M. André Lalande« – also das zunächst zwischen 1902 und 1923 in Einzelartikeln im Bulletin de la Société Française de Philosophie und später in zahlreichen, mehrmals überarbeiteten Buchausgaben erschienene Vocabulaire technique et critique de la Philosophie –, »le Lexique des termes d’art de N. Adeline, le Dictionnaire de Musique de Riemann, le Dictionnaire d’Architecture de Viollet-le-Duc, l’Encyclopédie des BeauxArts de M. Louis Hourticq«.535 Aber selbst das erstgenannte Werk, das dem eigenen Projekt am nächsten stehe, mache, so Basch, ein Vocabulaire d’Esthétique et de Science de l’Art keineswegs überflüssig, insofern dort in den Einträgen zu ästhetischen Schlüsselbegriffen wie ›Form‹, ›Freude‹, ›Vergnügen‹, ›Urteil‹ oder ›Gefühl‹ die ästhetischen Bedeutun-
531 Vgl.
C. Trautmann-Waller: »Victor Basch«, S. 89. S. o. S. 299 f. 533 V. Basch: »Un Vocabulaire d’Esthétique et de Science de l’Art«, S. 121. – S. a. »Cette Société a pour objet, disent ses statuts, de créer un centre d’étude où artistes, esthéticiens, philosophes, psychologues et historiens – français et étangers – puissent se rencontrer pour discuter des problèmes que le Comité d’Etude aura décidé de mettre à l’ordre du jour; elle ›coordonnera les éléments de documentation se référant aux recherches que l’Association s’est donné pour tâche de poursuivre; organisera des Conférences, des Voyages d’étude; tentera de travailler à un Vocabulaire esthétique et artistique et contribuera enfin, dans la mesure de ses moyens, à la publication de la Revue d’Art et d’Esthétique, et d’ouvrages ressortissant à sa sphère d’études‹.« (V. Nedelcovici: »Vues sur nos Recherches«, S. 119.) 534 S. o. S. 300, Anm. 495. 535 V. Basch: »Un Vocabulaire d’Esthétique et de Science de l’Art«, S. 122. 532
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gen ausgespart blieben.536 Das Vocabulaire d’Esthétique et de Science de l’Art soll auf dem Gebiet der Ästhetik ein vergleichbares, auf breiter Basis nutzbares, Referenzwerk darstellen, wie ›der Lalande‹ auf dem Gebiet der Philosophie: Es soll weniger Spezialwissen bieten als vor allem die interdisziplinäre Verständigung auf einem weiten, zudem durch unterschiedliche Positionen und Traditionen zerklüfteten, Arbeitsgebiet ermöglichen. Das Vocabulaire ist damit zwar Teil des Strebens nach einer disziplinären Etablierung von Ästhetik bzw. Kunstwissenschaft: Une telle entreprise décrit la pragmatique des savoirs: en établissant ses categories constituantes, le Vocabulaire renseigne sur l’etat de la discipline das son champ universitaire, sur son passé rétrospectif et sur sa prospective, par une méteorologie épistémologique qui inclut son passé récent et lointain, et sa zone de prévision future.537
Nichtsdestoweniger handelt es sich bei dem Vocabulaire bereits bei Basch um ein strikt »anti-normativistsches Unternehmen«, das die ästhetischen Kategorien als ein komplexes und ständig erweiterbares Netz von Bedeutungsrelationen begreift.538 Die notwendige Begrenzung findet dieses Projekt nach Baschs Überzeugung in der Vorgabe, dass dieses Vokabular nicht sämtliche Termini enthält, die die Kunst betreffen und derer sich Künstler bedienen (wie »abaque« [Abakus], »abatvoix« [Resonanzboden] usw., also rein kunsttechnische Begriffe), sondern lediglich solche Termini, bei denen die schöpferische Tätigkeit zum Tragen komme. In diesem Sinne habe Souriau etwa am Buchstaben A demonstriert, was wegzufallen habe (»abat-son [Schallbrett], abside [Apsis], abri [Felsschutzdach], acanthe [Akanthus], etc.«), was zu bleiben habe (»académique [akademisch], accès [Zugang], action [Handlung], agrément [Vergnügen/Reiz], etc.«) und schließlich Zweifelsfälle (»absolu [Absolutes], abstraction [Abstraktion], affectif [gefühlsmäßig], etc.«).539 Als Verfahrensweise für die Realisierung dieses Wörterbuchs habe man sich, wie Basch berichtet, darauf geeinigt, zunächst unter Hinzuziehung der Beratung durch Psychologen, Logiker und Soziologen einerseits und Künstler – Architekten, Bildhauer, Maler, Musiker, Wort- und Bewegungskünstler – andererseits eine Liste der Lemmata zu erstellen. Diese Lemmata sollten durch kompetente Mitarbeiter kommentiert werden, deren Beiträge dann zur Prüfung durch die Mitglieder der Association ausgelegt würden. Fällige Anmerkungen seien an die Redaktion zu richten. Texte und Anmerkungen sollten schließlich in den Versammlungen der Association diskutiert und ein endgültiger Text erarbeitet werden 540 – ein echtes Kollektivprojekt also. Es folgen als Kostprobe in Baschs Präsentation dieses Projekts in der Revue d’Art et d’Esthétique die Artikel zu »agréable« (angenehm) von Basch selbst und »échelle« 536 Vgl.
ebd. Brugère / A. Sauvagnargues: »Préface«, S. XV. 538 K. Barck: Art. »Ästhetik/Ästhetisch – V: Europäischer Begriffstransfer. 1. Frankreich«, S. 355. 539 V. Basch: »Un Vocabulaire d’Esthétique et de Science de l’Art«, S. 122. 540 Vgl. ebd., S. 122 f. – S. a. Revue philosophique de la France et de l’Étranger. 7 (1936). 537 F.
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(Skala) von dem Musikwissenschaftler und Kritiker Lionel Landry mit den bisher dazu eingegangenen Anmerkungen von Landry und Lalo.541 Lalo ist neben Basch auch der erste Leiter der Arbeitsgruppe, die sich zur Erstellung dieses Wörterbuchs konstituiert. Bei der Umsetzung erweist sich dieses Projekt als ebenso komplex wie die Initiative der GAChN.542 Im Unterschied zu dem sowjetischen Vorstoß kommt die Arbeit aber nicht – durch die zwangsweise Auflösung der Institution – endgültig zum Erliegen, sondern sie wird nur während des Krieges unterbrochen. Nach dem Krieg nimmt die Nachfolgeinstitution der Association, die Société Française d’Esthétique, das Projekt wieder auf. Die Federführung übernimmt nun der neue Präsident der Gesellschaft, Souriau, der bereits 1945 Lalos Nachfolge im Lehramt angetreten hatte, sodass dieses Projekt, ebenso wie der Fortgang der ästhetischen Forschungen in Frankreich allgemein, weiterhin eng mit der Sorbonne verbunden bleibt. Um 1958 reorganisiert Souriau die Arbeit am Vocabulaire grundlegend. Dabei wird der Arbeitsablauf, wie Basch ihn dargestellt hatte, insbesondere die gemeinsame Diskussion der Artikelentwürfe, grundsätzlich beibehalten.543 Waren die Beiträge zunächst nebenberuflich vor allem durch Künstler, aber auch Theoretiker und Historiker aller Künste, Ästhetiker und Kenner bearbeitet worden, übernehmen nun Mitglieder des Centre National de la Recherche Scientifique (CNRS) – der nationalen, dem Forschungsministerium unterstellten französischen Forschungsorganisation –, wo Souriau als Präsident die Sektion Psychologie et Philosophie leitet, die Federführung. Überhaupt erlaubt es die einzigartige institutionelle Schlüsselstellung, die Souriau auf dem Gebiet der Ästhetik in Frankreich einnimmt – neben seiner fachlichen Expertise –, das Projekt erfolgreich voranzutreiben. So ist Souriau, Direktoriumsmitglied des CNRS, nicht nur Präsident de la Société Française d’Esthétique und Mitgründer der Revue d’Esthétique, wo er 1963 das Wörterbuch-Projekt erneut dem Publikum präsentiert 544, sondern u. a. auch Mitglied des Verwaltungsrates des Instituts für Kunst sowie des Instituts für Filmwissenschaften der Pariser Universität und langjähriger Präsident des Comité international (pour les Études) d’Esthétique, das zwischen 1956 und 1984 die internationalen Kongresse für Ästhetik organisiert. Souriau ist des Weiteren Leiter des offiziell 1960 von ihm an der Universität Paris 1 Panthéon-Sorbonne gegründeten Institut d’Esthétique et des Sciences de l’Art (IESA), in dessen Namen die historischen Wurzeln dieser Initiative in Baschs Adaption der Allgemeinen Kunstwissenschaft – vermittelt über die Denomination von Souriaus Lehrstuhl – nachklingen; dieses wird heute an gleicher Stelle durch das Institut Arts, Créations, Théories et Esthétiques (ACTE) fortgeführt.545 541 Vgl.
V. Basch: »Un Vocabulaire d’Esthétique et de Science de l’Art«, S. 124–126. Zur Genese des Vocabulaire d’Esthétique vgl. bes. F. Brugère / A. Sauvagnargues: »Préface«; s. a. A. Souriau: »Présentation«; L. Brion-Guéry: »Le Vocabulaire d’Esthétique«. 543 Vgl. ebd., S. XV. 544 Vgl. É. Souriau: »Vocabulaire d’esthétique«. 545 Vgl. https://institut-acte.univ-paris1.fr/?page_id=20 und https://institut-acte.univ-paris1.fr/?page_id=261 [letzte Abrufe: 13.1.2021]. 542
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Als Souriau 1979 stirbt, ist das Projekt nichtsdestoweniger immer noch weit von seiner Vollendung entfernt. Man ist erst bei dem Buchstaben D angekommen.546 Souriaus Tochter Anne führt dieses Großprojekt schließlich zu Abschluss: 1990 erscheint das Vocabulaire in Anerkennung seiner Verdienste unter dem Namen von Étienne Souriau, der dieses Projekt über beinahe ein halbes Jahrhundert in verschiedenen Funktionen organisatorisch und konzeptionell begleitet hatte.547 Es umfasst in einem Band fast 1800 Artikel von 36 Autoren, deren Beiträge jeweils signiert sind, davon 20 Mitglieder des CNRS, sowie von Anne und Étienne Souriau gemeinsam und schließlich kollektiv von der Hauptkommission verfasste Beiträge.548 Außer Étienne Souriau sind alle diese Autoren erst mit der Wiederaufnahme nach dem Krieg zu diesem Projekt gestoßen, die früheren Artikelentwürfe wurden entweder ersetzt oder sind in überarbeiteten Fassungen aufgegangen. Schließlich war es bereits Basch darum gegangen, im Rahmen einer sich wandelnden Debatte auf der Höhe der Zeit eine Antwort auf die Frage zu geben, was man eigentlich meint, wenn man über das Ästhetische und die Kunst spricht. Dieses Werk ist bereits in mehreren Auflagen und als Taschenbuch erschienen, sodass die ursprüngliche Intention, hier ein breit und interdisziplinär genutztes Referenzwerk bereitzustellen, durchaus als eingelöst angesehen werden kann.
6. Ende und Nachleben der Allgemeinen Kunstwissenschaft Das markanteste Datum für das Ende der Allgemeinen Kunstwissenschaft bildet sicher das Verbot der Zeitschrift durch das nationalsozialistische Regime 1942/43. Allerdings wird die Arbeit auf sämtlichen institutionellen Plattformen der Allgemeinen Kunstwissenschaft bereits seit der ›Machtergreifung‹ massiv erschwert. So wird etwa Utitz gleich 1933 aufgrund seiner jüdischen Herkunft aus seinem Lehramt verdrängt und emigriert bald darauf. Andere Vertreter der Allgemeinen Kunstwissenschaft, darunter Wind und sein Lehrer Panofsky, haben ein ähnliches Schicksal. Unter diesen Bedingungen lässt sich, wie Henckmann notiert hat, seit der »Mitte der dreißiger Jahre« eine »inhaltliche Verarmung« von Dessoirs Zeitschrift feststellen.549 Auch an die Organisation von Kongressen im ›Reich‹ ist nicht mehr zu denken; ein 1933 in Wien geplanter Kongress scheitert.550 Das Verbot der Zeitschrift steht damit nur am Ende eines bereits früher einsetzenden Niedergangs. Aber selbst der Beginn dieses Niedergangs der Allgemeinen Kunstwissenschaft ist schwer zu datieren: Dessoir selbst etwa setzt ihn erheblich früher an, nämlich nach 546 Vgl.
F. Brugère / A. Sauvagnargues: »Préface«, S. XVI. bes. É. Souriau: Les catégories esthétiques. 548 Vgl. É. Souriau: Vocabulaire d’esthétique, S. XI. 549 W. Henckmann: »Probleme der allgemeinen Kunstwissenschaft«, S. 324. S. o. S. 205; s. a. bes. S. 210. 550 S. o. S. 257–259. 547 S. a.
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dem ersten Kongress von 1913, der für ihn den später nie wieder erreichten Höhepunkt dieser Forschungsinitiative bildet.551 Man wird daher, so gravierend die Auswirkungen der nationalsozialistischen Herrschaft auf den Wissenschaftsbetrieb auch sind, den Niedergang der Allgemeinen Kunstwissenschaft nicht allein als Folge des Faschismus charakterisieren können. So nimmt etwa die Teilnehmerzahl der Kongresse nach dem Erfolgskongress von 1913 bereits in den 1920er Jahren kontinuierlich ab.552 Mögen hierbei die wirtschaftlichen Probleme der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg eine Rolle gespielt haben, lässt sich mit diesen kaum erklären, dass vor allem das Interesse am systematischen Kern der Allgemeinen Kunstwissenschaft, der methodologischen Arbeit, schon vor 1933 erkennbar nachlässt: Schmarsow stirbt 1936. Zwar hat er viele Schüler. In der zeitgenössischen Kunstgeschichtsforschung bleibt er mit seinem nachdrücklichen methodologischen Interesse und seiner ganzheitlichen Perspektive auf den inneren Zusammenhang der Künste aber immer eine Randfigur. Bei Hamann und Wind als Kunsthistorikern der nächsten und übernächsten Generation bildet das Engagement für die Allgemeine Kunstwissenschaft dagegen eine bloß vorübergehende Phase am Beginn ihrer wissenschaftlichen Biographien, die bei Hamann auf die 1910er Jahre, bei Wind auf die Jahre zwischen 1922 und 1932 begrenzt ist: Von beiden werden in ihrer späteren Arbeit diese früheren Diskussionszusammenhänge oder auch nur deren Initiatoren Dessoir und Utitz nicht mehr eigens thematisiert. Gleiches ist über Panofsky zu sagen, dessen von der Allgemeinen Kunstwissenschaft angeregten methodologischen Beiträge zwischen 1915 und 1925 erscheinen; bereits bei der Ausrichtung des Hamburger Kongresses von 1930 zeigt sich indes, dass sich sein früheres Engagement für die kunsthistorischen Belange der Allgemeinen Kunstwissenschaft zwischenzeitig deutlich abgekühlt hat. Selbst Dessoir greift wohl in seinem Todesjahr, 1947, noch einmal ein kunstwissenschaftliches Thema auf.553 Dies ändert aber nichts daran, dass die seiner eigenen Einschätzung nach substanziellen methodologischen Beiträge zum Thema in einer Textsammlung zusammengefasst sind, die bereits 1929 erscheint.554 Und auch Utitz lässt sich zwar durch551
S. o. S. 227 und S. 233. W. Henckmann: »Probleme der allgemeinen Kunstwissenschaft«, S. 328. 553 Vgl. M. Dessoir: »Über das Betrachten von Bildwerken«. – Es handelt sich hier um eine bereits früher entstandene Studie, die lediglich aufgrund der Zeitumstände nicht erscheinen konnte. (Vgl. Anm. 554.) 554 Vgl. M. Dessoir: Beiträge zur allgemeinen Kunstwissenschaft. – Dessoir verweist in seiner Autobiographie unter den nach diesem Sammelband in seiner Zeitschrift erschienenen Beiträgen zur Allgemeinen Kunstwissenschaft lediglich auf »den Nachruf auf Stefan George und den kleinen Aufsatz über den ›Römischen Brunnen‹ […], diesen als Beispiel für meine Art, seelisch empfindlichen und sprachempf änglichen Menschen zum ausschöpfenden Genuß der lyrischen Wortkunst zu verhelfen«. (Dessoir bezieht sich hier auf seine Beiträge Stefan George und Der römische Brunnen.) Und er f ährt mit Blick auf seine letzte kunstwissenschaftliche Studie (vgl. Anm. 553) fort: »Ein Essai über das Betrachten von Bildwerken, den ich für geglückt halte, konnte nicht mehr gedruckt werden. Mit Mühe und erheblicher Verspätung gelang es mir jedoch, das 552 S. a.
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aus noch nach 1945 vereinzelt auf kunstwissenschaftliche Fragen ein, wobei sein Auftritt auf dem dritten internationalen Ästhetikkongress 1956 in Venedig, was seine persönliche Anerkennung angeht, sicher den späten Höhepunkt seiner wissenschaftlichen Biographie darstellt.555 Zugleich steht es aber außer Zweifel, dass er sich bereits in den 1920er Jahren zunehmend anderen Arbeitsgebieten zuwendet. Wenn man diese Umstände in Betracht zieht, hat die Allgemeine Kunstwissenschaft also kein bestimmtes Enddatum, sondern es ist angemessener, von einem schrittweisen Abebben des Interesses an diesem Forschungsimpuls zu sprechen. Unter den wenigen Forschern, die sich auch nach dem Zweiten Weltkrieg im deutschsprachigen Raum noch explizit für die Allgemeine Kunstwissenschaft einsetzen, sind vor allem der Sprachphilosoph Friedrich Kainz 556 , der sich bereits früher an der Initiative beteiligt hatte557, und der Kulturphilosoph Wilhelm Perpeet 558 zu nennen, deren Beiträge in der Kunstforschung aber nur geringe interdisziplinäre Reichweite erzielen 559. Das Feld dominieren nun andere Ansätze, die die von der Allgemeinen Kunstwissenschaft vertretene Position metaphysikfreier Nüchternheit zurücknehmen – insbesondere die auf die ›Wahrheit‹ des Kunstwerks zielende Kunstphilosophie Martin Heideggers und die ›Strukturanalyse‹ Hans Sedlmayrs. So erklärt sich auch, dass Dessoirs Initiative heute nahezu unbekannt ist und ihr »Wirkungslosigkeit« 560 bzw. »Folgenlosigkeit« 561 bescheinigt wird: Bereits die umfassende Geschichte der Ästhetik, die Katharine Everett Gilbert und Helmut Kuhn 1939 in New York publizieren, hat für »the elastic and liberal conception of ›Esthetics and general Science of Art‹ proposed by Max Dessoir« noch ganze vier Zeilen übrig.562 (Dabei hatte Kuhn sich vor seiner Emigration 1938 selbst auf verschiedenen Plattformen der Allgemeinen Kunstwissenschaft engagiert 563; Gilbert hatte auf dem von Basch 1937 in Paris organisierten Kongress referiert 564.) Später wird die Allgemeine Kunstwissenschaft in der einschlägigen Forschungsliteratur, in Überblicksdarstellungen und in Nachschlagewerken in der Regel überhaupt nicht mehr erwähnt. Utitz’ Existenz nach dem Krieg hinter dem Eisernen Vorhang Buch ›Rede als Kunst‹ im Jahre 1940 an die Öffentlichkeit zu bringen […], nachdem die ›Parteiamtliche Prüfungskommission zum Schutz des nationalsozialistischen Schrifttums‹ – so lautete der zierliche Titel dieser segensreichen Anstalt – keine stärkeren Bedenken erhoben hatte.« (M. Dessoir: Buch der Erinnerung, S. 39.) 555 S. o. S. 283. 556 Vgl. F. Kainz: Vorlesungen über Ästhetik; ders.: Einführung in der Philosophie der Kunst. 557 Vgl. F. Kainz: »Zur dichterischen Sprachgestaltung«; ders.: »Höhere Wirkungsgestalten des sprachlichen Ausdrucks im Deutschen«; ders.: »Sprachphilosophie und Ästhetik«; ders.: Giovanni Gentiles Kunstphilosophie«. – S. o. S. 219 sowie S. 257–259. 558 Vgl. W. Perpeet: Antike Ästhetik, bes. S. 7; ders.: »Das Problem des Schönen und der bildenden Kunst«; ders.: Das Sein der Kunst und die kunstphilosophische Methode. 559 Vgl. W. Henckmann: »Probleme der allgemeinen Kunstwissenschaft«, S. 331. 560 T. Bernhart: »Dialog und Konkurrenz«, S. 265. 561 W. Henckmann: »Probleme der allgemeinen Kunstwissenschaft«, S. 328. 562 K.E. Gilbert / H. Kuhn: A History of Esthetics, S. 527. 563 S. o. S. 217 und S. 219; s. a. bes. S. 47, S. 51 und S. 254. 564 S. o. S. 277.
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trägt ihr Übriges dazu bei. Eine Anfang der 1970er Jahre vom Wilhelm Fink-Verlag geplante Wiederentdeckung der beiden vergessenen Kunsttheoretiker Fiedler565 und Utitz566 durch Neuausgaben ihrer Hauptwerke führte für Fiedler tatsächlich zu einem Durchbruch; die Utitz-Edition ging dagegen unter. Eine Neuausgabe von Dessoirs Monographie Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft wurde nach 1923 in Deutschland gar nicht erst versucht. Ebenso wie sich kein konkretes Datum für das Ende der Allgemeinen Kunstwissenschaft ausmachen lässt, lässt sich kein konkreter einzelner Grund für den Untergang dieses Forschungsimpulses ausmachen. Ein Aspekt ist sicher eine generelle Verlagerung des Forschungsinteresses, wie sie für die Entwicklung der Wissenschaften ganz allgemein charakteristisch ist: Die Allgemeine Kunstwissenschaft ist eine Manifestation des breiten Bedürfnisses nach einer theoretischen Fundierung und ›Wissenschaftlichkeit‹ der Kunstforschung am Beginn des 20. Jahrhunderts. Gegen den Dilettantismus ebenso wie gegen die Einseitigkeiten der fortgeschrittenen Spezialisierung im Zuge der »›Fächerbetriebsamkeit‹» soll hier der Nachweis eines »innere[n] Zusammenhang[s] aller Künste und Wissenschaften« gestellt werden.567 Dieses Interesse an Grundsätzlichem wird aber spätestens um 1930 durch eine neue »fachwissenschaftliche[] Askese abgelöst«, die sich ganz dem Einzelwerk zuwenden will.568 Die historische Entwicklung läuft also zunächst einmal bis auf Weiteres gegen Dessoirs Projekt einer Wissenschaftssynthese und der Frage nach den konzeptionellen Grundlagen der Kunstforschung. Zudem hat insbesondere Henckmann die Defizite der methodologischen Konzepte der Allgemeinen Kunstwissenschaft betont und auf die fehlende Konsequenz bei der Durchgestaltung der wissenschaftlichen Idee hingewiesen, die sich selbst bei Utitz, dem »eigentliche[n] Theoretiker« 569 der Allgemeinen Kunstwissenschaft, zeigen: Was er aus seinen Lesefrüchten macht, ist allzu oft ohne sachliche Präzision. Sein Anliegen, vor allem aber sein Lösungskonzept, wird daher nicht deutlich genug. Überhaupt bildet die Allgemeine Kunstwissenschaft keine einheitliche Theorie oder Methode, sondern vielmehr über weite Strecken ein nur mühsam zu durchschauendes Geflecht von Fragestellungen, Stoffen und Subtheorien, die zudem untereinander teilweise durchaus heterogen sind. Dabei beschreibt Henckmanns ernüchtertes Fazit zu diesem Punkt zugleich ziemlich genau die tatsächliche historische Rezeption der Allgemeinen Kunstwissenschaft: »Es läßt sich nicht leugnen: die ›soft-ware‹-Wissenschafts-Konzeption der A[llgemeinen] K[unstwissenschaft] wurde zum größten Hindernis, ja zur eigentlichen Verhinderung des beabsichtigten Forschungsprozesses.« 570 K. Fiedler: Schriften zur Kunst. E. Utitz: Grundlegung der allgemeinen Kunstwissenschaft. 567 J. Hermand: Literaturwissenschaft und Kunstwissenschaft, S. VI. – S. o. S. 34. 568 J. Hermand: Literaturwissenschaft und Kunstwissenschaft, S. VI. 569 W. Henckmann: »Probleme der allgemeinen Kunstwissenschaft«, S. 329. 570 Ebd. 565 Vgl. 566 Vgl.
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Des Weiteren notiert Henckmann, dass die Allgemeine Kunstwissenschaft nicht nur zwischen die Fronten der Wissenschaftsbegriffe, sondern auch der Wissenschaftsbetriebe geriet, insofern Kunstwissenschaftler – allen anders lautenden Beteuerungen vonseiten der Vertreter der Allgemeinen Kunstwissenschaft zum Trotz 571 – befürchteten, dass sie, »kaum befreit von der Bevormundung durch die normativ auftretende Ästhetik, nun unter die Botmäßigkeit der allgemeinen Kunstwissenschaft gestellt werden sollten« 572 . So konnte bereits als Dessoir das Programm der Allgemeinen Kunstwissenschaft darlegte, »dieses Unternehmen von seiten der einzelnen Kunstwissenschaften als eine rein akademische Angelegenheit angesehen werden, die keine Verankerung in der Praxis besaß und eher eine reglementierende denn befruchtende Funktion gegenüber den Einzelwissenschaften ausübte«.573 Damit ging die Absicht, die Allgemeine Kunstwissenschaft als eigene Disziplin zu etablieren, ja selbst die Arbeit der Kunsthistoriker an der Rekonstruktion des eigenen Fachs in Bezug auf eine solche Wissenschaft, am Bedarf vorbei: Sie wurde in der Kunstproduktion, im Kunsthandel oder etwa auch in Museen, letztlich selbst in der einzelwissenschaftlichen Kunstforschung und -lehre – dem Selbstverständnis der jeweiligen Akteure zufolge – nicht gebraucht.574 Ein weiteres Hindernis bei der Rezeption der Idee der Allgemeinen Kunstwissenschaft gerade auch durch die Vertreter der Einzelwissenschaften dürfte darin bestanden haben, dass die Forderung nach Phänomennähe, die vor allem Dessoir und Utitz als Schlüsselmerkmal der Allgemeinen Kunstwissenschaft apostrophieren, in ihren Beiträgen – über die mit ›Phänomennähe‹ zugleich assoziierte antimetaphysische Haltung hinaus – keineswegs eingelöst wird: Sie haben mit der Kunsterfahrung bzw. den konkreten Bedingungen, in denen Kunstwerke stehen, denkbar wenig zu tun und schweben daher gleichsam über die Kunst hinweg.575 Was Kunst tatsächlich in den diversen Kulturen ist, aber etwa auch, welche Faktoren zu Umgestaltungen innerhalb der Sphäre der Kunst führen – solche Fragen werden hier kaum thematisiert. Näherhin diagnostiziert Dilly zu Recht, dass bei den Protagonisten der Allgemeinen Kunstwissenschaft im Zuge ihrer Fixierung auf eine »ontologisch[e]« Suche »nach dem ›inneren Zusammenhang‹ zwischen den Kunstwissenschaften« »die »äußeren Rahmenbedingungen«, unter denen Künstler, aber auch die Kunstforscher selbst agieren, aus dem wissenschaftlichen Gesichtsfeld« fallen.576 Daher weist Stephan Nachtsheim darauf hin, dass es entgegen der erklärten Zielsetzung dieser Disziplin »innerhalb der Allgemeinen Kunstwissenschaft zu 571
S. o. S. 52. Henckmann: »Probleme der allgemeinen Kunstwissenschaft«, S. 329. 573 Ebd., S. 278. 574 Vgl. H. Dilly: Kunstgeschichte als Institution, S. 40. 575 Vermutlich hat Dessoir auch aus eben diesem Grund letztlich nur diejenigen seiner Arbeiten, in dem diese Phänomennähe erkennbar das Thema ist, ausdrücklich für ›geglückt‹ gehalten. (S. o. S. 310 f., Anm. 554.) Seine im engeren Sinne wissenschaftstheoretischen Beiträge gehören aber nicht hierzu. 576 H. Dilly: »Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft«, S. 57. 572 W.
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einer wechselseitigen Ergänzung von Kunstphilosophie und positiver Kunstforschung nicht gekommen ist«.577 Hinzu kommt die schwerlich übersehbare Avantgardeferne der Allgemeinen Kunstwissenschaft, die sich – bei allem Bekenntnis ihrer Protagonisten zur Modernität – nicht nur in einem organischen Werkbegriff niederschlägt, sondern auch darin, dass avancierten Kunstrichtungen wie etwa dem Dadaismus, dem Surrealismus und selbst dem Expressionismus hier entweder keine oder nur eine negative Rolle zukommt. Obwohl es also darum geht, dem Erfahrungsraum des modernen Kunstlebens wirklich Rechnung tragen zu können, muss diese Initiative damit für die Parteigänger einer fortgesetzten künstlerischen Avantgarde unattraktiv bleiben. So wird etwa die von Dessoir gegründete Zeitschrift zwar bis heute fortgeführt: Nach ihrer erzwungenen Auflösung erscheint sie von 1951 bis 1965, herausgegeben von dem Kunsthistoriker Heinrich Lützeler, zunächst als Jahrbuch für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft, ab 1966 dann wieder unter dem ursprünglichen Titel Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft. In der Titelei der Zeitschrift wird allerdings nicht nur zwischen 1938 und 1943, sondern bis zum Jubiläumsjahr 2006 der Name ihres Begründers Dessoir nicht genannt. Der Herausgeber Lützeler verzichtet im ersten Band des Jahrbuchs zudem auf ein »programmatisches Vorwort« 578 und kümmert sich auch in seiner sonstigen Arbeit »nicht um die Abgrenzung einer ›allgemeinen Kunstwissenschaft‹ von den historischen Disziplinen«, ja er zieht »jene nicht einmal als ein eigenständiges Forschungsgebiet in Betracht«. In seiner »kunstwissenschaftlichen ›Summa‹ ›Kunsterfahrung und Kunstwissenschaft‹ von 1975« nennt Lützeler Dessoir schließlich »nur im Kapitel ›Die Beschreibung von Kunstwerken‹« und Utitz »nur in der Bibliographie«.579 Dementsprechend resümiert Lorenz Dittmann 1987 das Schicksal der methodologischen Bestrebungen der Allgemeinen Kunstwissenschaft der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in deren wiedergeründetem Organ: »Stillschweigend wurde dieser schmale, unhistorische und auf tiefere Begründungen verzichtende Problemkomplex verabschiedet.« 580 Sogar in dem anlässlich des hundertsten Jubiläums der Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft 2006 erschienenen Sonderheft spielt die Idee einer Allgemeinen Kunstwissenschaft – mit Ausnahme des Beitrags von Ursula Franke, der sich dezidiert mit der Konzeption des Initiators Dessoir befasst – ebenso wenig wie die Geschichte dieser Initiative eine nennenswerte Rolle.581 Und selbst wo heute einmal die Forderung der Allgemeinen Kunstwissenschaft nach eigenen Professuren zu diesem Themenfeld – mutatis mutandis – realisiert wird, bezieht man sich nicht auf diese Vorgeschichte.582 Nachtsheim: Kunstphilosophie und empirische Kunstforschung 1870–1920, S. 45. L. Dittmann: »Heinrich Lützeler und die ›Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft‹«, S. 20. 579 Ebd., S. 22. 580 Ebd. 581 S. o. S. 11, Anm. 3. 582 In diesem Zusammenhang ist in Deutschland insbesondere die seit 2015 an der Kunst577 S. 578
Die Allgemeine Kunstwissenschaft als Institution315
Dennoch lassen sich Spuren der Allgemeinen Kunstwissenschaft auch in der Kunstforschung nach dem Zweiten Weltkrieg aufzeigen. In diesem Zusammenhang kann man nicht nur auf die vereinzelten Reflexe der früheren wissenschaftstheoretischen Positionen etwa von Hamann und Wind hinweisen, die man in ihren später entstandenen Arbeiten zu identifizieren vermag – auch wenn sich nie im Einzelnen auf klären lassen wird, welche Spuren die Debatten um die methodologischen Grundlagen der Allgemeinen Kunstwissenschaft etwa in Hamanns Organisation des Marburger Kunsthistorischen Instituts oder in den ikonologischen Forschungen Winds und Panofskys hinterlassen haben. Greif bar ist die Allgemeine Kunstwissenschaft der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hier vielmehr insbesondere in Gestalt zahlreicher Kunstinstitutionen, die Dessoirs Impulse – in wie auch immer modifizierter Form – aufgreifen. Von der Wiederaufnahme der Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft durch Lützeler – dem Betreuer der Bonner Doktorarbeit Perpeets – war bereits die Rede: Er etabliert das Organ neu als Diskussionsforum für Fragen der Ästhetik und Kunstphilosophie, der Theorie der einzelnen Künste und der Methodologie der Kunstwissenschaften.583 Aber auch Dessoirs Initiative zur Gründung einer einschlägigen Gesellschaft (Vereinigung für ästhetische Forschung [1908–1914] sowie Gesellschaft für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft [1924–1955]) wird 1993 durch die Gründung der Deutschen Gesellschaft für Ästhetik 584 sowie durch weitere internationale Vereinsgründungen wieder aufgegriffen, die zugleich die von Dessoir angestoßene Tradition der Kongresse fortsetzen. So finden diese ihre Nachfolge in den Kongressen der Deutschen Gesellschaft für Ästhetik, auf internationaler Ebene in den Kongressen der 1988 im englischen Nottingham gegründeten International Association for Aesthetics / Association Internationale d’Esthétique 585, aber auch die Konferenzen der 2008 im schweizerischen Fribourg gegründeten European Society for Aesthetics586 fallen in diesen sachlichen Zusammenhang. Hinzu kommen die Aktivitäten weiterer Verbände wie insbesondere: Association pour l’Étude des Arts et les Recherches relatives à l’Art (gegründet 1931, ab 1946 Société Française d’Esthétique genannt)587, American Society for Aesthetics (gegründet 1939/1942)588 , British Society of Aesthetics (gegründet 1960)589, The Hellenic Society for Aesthetics (gegründet ebenhochschule Mainz eingerichtete Professur für ›Kunstbezogene Theorie‹ zu nennen. Peter Bexte erkennt in dieser Denomination lediglich eine »Verlegenheitslösung«, die die »Unsicherheit von Hochschulen, auf die Verwischung vormals deutlicher disziplinärer Grenzen zu reagieren«, reflektiere. (P. Bexte: »Anmerkungen zum Verhältnis von Ästhetik und Kunstgeschichte«.) 583 Vgl. L. Dittmann: »Heinrich Lützeler und die ›Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft‹«, S. 24. 584 Vgl. http://www.dgae.de/ueber-die-dgae/ [letzter Abruf: 13.1.2021]. 585 Vgl. http://www.iaaesthetics.org/ [letzter Abruf: 13.1.2021]. – S. o. S. 272. 586 Vgl. http://www.eurosa.org/ [letzter Abruf: 13.1.2021]. 587 Vgl. http://www.s-f-e.org/accueil-2/historique/ [letzter Abruf: 13.1.2021]; http://cths. fr/an/societe.php?id=3499 [letzter Abruf: 13.1.2021]. 588 Vgl. https://aesthetics-online.org/ [letzter Abruf: 13.1.2021]. – S. o. S. 276. 589 Vgl. https://british-aesthetics.org/ [letzter Abruf: 13.1.2021].
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falls 1960)590, The Nordic Society for Aesthetics (gegründet 1983)591, Korean Society of Aesthetices and Science of Art (KSASA) (gegründet 1989 als Association of Aesthetics an Science of Art)592 , La Società Italiana d’Estetica (gegründet 2001)593 und Sociedad Española de Estética y Teoría de las Artes (SEyTA) (gegründet 2014)594. Zumeist führen diese Verbände auch eigene Zeitschriften. Es ist nicht auszuschließen, dass die Gründung dieser Institutionen zumindest teilweise ohne eine bewusste Bezugnahme auf Dessoirs Initiativen stattgefunden hat. So sieht sich unter den genannten Verbänden allein die International Association for Aesthetics / Association Internationale d’Esthétique – als unmittelbare Nachfolgeorganisation des Comité International (pour les Études) d’Esthétique, das die internationalen Kongresse für Ästhetik zwischen 1956 und 1984 organisiert hatte, bzw. des Komitees zur Organisation des Pariser Kongresses von 1937595 – explizit in der Tradition des Berliner Kongresses von 1913596. Dabei fällt allerdings auf, dass für die früheren Aktivitäten so charakteristische Differenzierung zwischen ›Ästhetik‹ und ›Allgemeiner Kunstwissenschaft‹ auch hier entfällt: Im Namen ist nur noch von der ›Ästhetik‹ die Rede. Die Sociedad Española de Estética y Teoría de las Artes (SEyTA) führt dagegen diese Unterscheidung zwar noch in ihrem Namen; de facto werden Themen der Kunstwissenschaft aber als Teilaspekte der Ästhetik behandelt.597 Die deutlichsten konzeptionellen Spuren der ursprünglichen Differenzierung zwischen ›Ästhetik‹ und ›Kunstwissenschaft‹ sind aber bei der American Society for Aesthetics auszumachen. Auch sie bezeichnet sich zwar in ihrem Namen ausschließlich als Gesellschaft für ›Ästhetik‹. Allerdings geht die Charakteristik des Arbeitsauftrags der Society – »to promote study, research, discussion, and publication in aesthetics« – bis heute ganz ausdrücklich auf die spezielle Bedeutung der ›Kunst‹ in diesem Zusammenhang ein: »Aesthetics,« in this connection, is understood to include all studies of the arts and related types of experience from a philosophic, scientific, or other theoretical standpoint, including those of psychology, sociology, anthropology, cultural history, art criticism, and education. »The arts« include the visual arts, literature, music, and theater arts.598
590 Vgl.
https://hellenicaesthetics.gr/?lang=en [letzter Abruf: 13.1.2021]. http://www.nsae.fi/ [letzter Abruf: 13.1.2021]. 592 Vgl. http://ksasa.org/english/eng_01.php [letzter Abruf: 13.1.2021]. 593 Vgl. http://www.siestetica.it/ [letzter Abruf: 13.1.2021]. 594 Vgl. http://www.seyta.org/ [letzter Abruf: 13.1.2021]. 595 S. o. S. 272. 596 Vgl. http://www.iaaesthetics.org/about-the-iaa/history-of-the-iaa [letzter Abruf: 13.1.2021]. 597 Vgl. http://www.seyta.org/category/noticias/estetica/ [letzter Abruf: 13.1.2021]. 598 https://aesthetics-online.org/page/AbouttheASA [letzter Abruf: 13.1.2021]. 591 Vgl.
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Diese besondere Präzision ist kein Zufall. Sie lässt sich vielmehr als direkter Reflex der Allgemeinen Kunstwissenschaft rekonstruieren, die hier, in den USA, in der Nachkriegszeit wohl am intensivsten auch explizit rezipiert wird. Folgt man dem Kunsthistoriker Colin Tobias Eisler, dann erweist sich der durch das Nazi-Regime verursachte Exodus deutscher und österreichischer Kunstwissenschaftler in die USA für die Emigranten – aller persönlichen Dramatik zum Trotz – als echter Befreiungsschlag. So führt er in seiner 1969 erschienenen Studie Kunstgeschichte American Style. A Study in Migration aus, der Eindruck der ›neuen Welt‹ hätte die europäischen Traditionen der Wissenschaft und des Kunstinteresses bald als bloße Beschränkung des Blicks entlarvt. Diese Verjüngungskur betrifft nach Eisler insbesondere die Vorstellung, Kunstforschung müsse ihre Wissenschaftlichkeit durch systematische bzw. methodologische Reflexion unter Beweis stellen, die bei ihm namentlich mit der Allgemeinen Kunstwissenschaft verbunden ist. Neben Tietze verweist er so u. a. auf Wind und Panofsky: Man kann sich, wo der Ballast solcher Vorstellungen endlich wegfällt, wie Eisler kolportiert, bisweilen nicht einmal mehr entsinnen, was die früheren theoretischen Anstrengungen eigentlich hatten bezwecken sollen.599 Dementsprechend resümiert Daniel Keenan Eislers Einschätzung der Lage so: For Eisler, the exposure to a more ›positivistic‹ scholarly ethic and the release from the propensity for incessant theoretical speculation influenced the work of German art historians markedly for the better. In this understanding their output became more productive and efficacious, and contributed to the rapid development of a less obtuse, more practicable and ›do-able‹ art history.600
Und Michael Ann Holly ergänzt 1984 mit Blick auf Panofskys frühe methodologische Einlassungen in Dessoirs Zeitschrift in diesem Sinne: »To trace in any detail the lines of a controversy that now seems to be forgotten would be an immense and thankless task«.601 Zweifellos trifft Eislers Diagnose einen wichtigen Punkt: Die kunsthistorische Forschung, die gerade auch von den Emigranten nicht nur in England, sondern insbesondere in den USA entwickelt wird, ist neuartig und beeinflusst im Gegenzug auch die Wissenschaft in Kontinentaleuropa spätestens seit den 1980er Jahren 599 »The
past 40 or so years of art historical scholarship has, by and large, addressed itself to highly specific, narrowly defined issues, questions to which a ›Right‹ or a ›Wrong‹ answer can be found. We have moved away from Hegel and from Riegl’s neo-Hegelian Kunstwollen, from the murky depths of art theory into the unambiguous […] reaches of Who? What? Where? When? How? […] The recent questions of art historians have, by and large, reacted against the endless disputes in the realm of theory over which so many pages of ink were spilled in lengthy articles in the Zeitschrift für Kunstwissenschaft and other journals. The authors of some of these works, upon re-reading them, today claim that they are less than entirely sure what they meant when they were written.« (C. Eisler: »Kunstgeschichte American Style. A Study in Migration«, S. 605.) 600 D. Keenan: A New Study in Migration, S. 8. 601 M.A. Holly: Panofsky and the Foundations of Art History, S. 98.
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nachdrücklich. Zwar lässt sich an einzelnen Punkten zeigen, dass auch von den Kunsthistorikern unter den Emigranten das alte methodologische Gepäck aus den Zeiten ihres Engagements für die Allgemeine Kunstwissenschaft durchaus nicht einfach zurückgelassen wird: Es wird vielmehr mitgeführt und unter den veränderten Bedingungen transformiert. Daher kann hier allenfalls von einer unvollständigen Amnesie die Rede sein – auch wenn sowohl Wind als auch Panofsky sich bereits in den 1920er Jahren anstelle der methodologischen Fragen der Allgemeinen Kunstwissenschaft klar der von Aby Warburg angeregten kulturwissenschaftlichen Ikonologie zuwenden. (Man mag allerdings in diesem Zusammenhang noch einmal daran erinnern, dass Warburg seinerseits zu den Schülern des nachdrücklich für die Allgemeine Kunstwissenschaft engagierten Schmarsow gehört.602) – Am deutlichsten zeigt sich der Einfluss der Allgemeinen Kunstwissenschaft in den USA aber in einem anderen Kontext: Als Dessoir 1947 achtzigjährig in Königstein im Taunus stirbt – seine Berliner Wohnung war in einer Bombennacht des Krieges in Flammen aufgegangen603 –, ist die Zeit ungünstig für weitschweifige Nachrufe. Allerdings erinnert doch der finnische Philosoph Laurila, der bereits am ersten Berliner Kongress teilgenommen hatte, an den Verstorbenen als »an outstanding figure in philosophy and aesthetics, not only in Germany but in the whole cultural world«.604 Und Karel Svoboda, ebenfalls ehemaliger Autor der Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft 605, erinnert in seinem Nachruf auf den 1956 verstorbenen Utitz an diesen als »the eminent German aesthetician, critic, psychologist, and philosopher of culture« 606. Beiden Nachrufen ist gemein, dass sie in The Journal of Aesthetics and Art Criticism, dem Organ der American Society for Aesthetics, erscheinen.607 Zuvor hatte man an dieser Stelle bereits Anteil am Schicksal der Protagonisten der Allgemeinen Kunstwissenschaft, insbesondere Dessoir und Utitz, angesichts von Krieg und Nationalsozialismus genommen: Helmut Kuhn kann 1947 im Journal berichten, dass Dessoir überlebt hat 608 , und man bemüht sich darauf hin, diesem zusammen mit Lebensmitteln und Kleidung auch die neuesten Nummern des Journal zukommen zu lassen609. Wolfgang Stechow, Teilnehmer des Hamburger Kongresses von 1930 und wie Kuhn Emigrant, informiert dort in einer der nächsten Nummern darüber, dass ebenfalls Utitz überlebt hat.610 Auch die Pläne, die Zeit602
S. o. S. 144 f. M. Dessoir: Buch der Erinnerung, S. 77. – S. o. S. 23, Anm. 55. 604 K.S. Laurila: »In Memory of Max Dessoir«, S. 105. 605 Vgl. K. Svoboda: »Neuere Richtungen in der tschechischen Ästhetik und Kunstwissenschaft«. 606 K. Svoboda: »The Contributions of Emil Utitz to Aesthetics« [»L’Oeuvre esthétique d’Emil Utitz«], S. 519. 607 Bei dem Beitrag von Svoboda handelt es sich allerdings um die englische Übersetzung eines Artikels, der zuvor bereits in der französischen Révue d’Esthétique publiziert worden war. 608 Vgl. [T. Munro:] »International News and Correspondence«. 5/3 (1947), S. 241 f. 609 Vgl. [T. Munro:] »International News and Correspondence«. 5/4 (1947), S. 330–332. 610 Vgl. [T. Munro:] »International News and Correspondence«. 6/1 (1947), S. 85. 603 Vgl.
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schrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft nach dem Krieg in Deutschland wieder aufleben zu lassen, werden hier verfolgt.611 Überhaupt ist das Journal der Ort, an dem bis in die 1970er Jahre hinein immer wieder an die Bedeutung der Allgemeinen Kunstwissenschaft erinnert wird, für die hier klar Dessoir – mit deutlichem Abstand gefolgt von Müller-Freienfels und Utitz – steht. Die Schlüsselfigur ist dabei der Kunstphilosoph und -historiker Thomas Munro, der – »greatly influenced by Max Dessoir« 612 – 1942 die American Society for Aesthetics gründet, nachdem der Emigrant Felix Gatz bereits 1939 eine informelle Gründung initiiert hatte 613. 1945 wird das vier Jahre zuvor gegründete Journal of Aesthetics and Art Criticism von der Gesellschaft als ihr Organ übernommen, und Munro bleibt bis 1963 der Herausgeber. Munro ist zudem von 1931 bis 1967 Kurator am Cleveland Museum of Art und, an der Seite u. a. von Souriau, langjähriges Mitglied des Comité International (pour les Études) d’Esthétique, das für die Organisation der internationalen Kongresse für Ästhetik in der Tradition Dessoirs zuständig ist.614 Gatz, der sich selbst ausdrücklich als Schüler Dessoirs bezeichnet 615, hatte gleich im ersten Jahrgang des Journal 1941/42 über dessen Schlüsselideen informiert 616. 1948 folgt hier eine Vorstellung der ästhetischen und kunstwissenschaftlichen Arbeit von Utitz.617 Und Munro hält in seiner 1951 im Journal erschienen Überblicksdarstellung der Entwicklung der Ästhetik in den USA zwar eine Verlagerung der Avantgarde dieser Wissenschaft fest: »Since the recent war, the leadership has passed to France and the United States.« 618 »The past leadership« gehört aber, so Munro, klar Deutschland – und dort namentlich der Allgemeinen Kunstwissenschaft.619 Die amerikanische Society, die Dessoir auf Vorschlag Munros zum »Honorary Corresponding Member« wählt 620, und ihre Zeitschrift betrachtet er dabei als Nachfolger der deutschen Vorläufer.621 Diese enge Verbindung unterstreicht umgekehrt auch Dessoir, der Ende 1946 in einem Brief an Munro anlässlich der Einladung zu einer Publikation im Journal schreibt: »I accept your invitation with deep gratitude, and as soon as I get your 611
Vgl. [T. Munro:] »International News and Correspondence«. 9/2 (1950), S. 157; s. a. [ders.:] »International News and Correspondence«. 9/4 (1951), S. 346. 612 J. Grassbaugh Forry: Art. »Thomas Munro (1897–1974)«, S. 1763. 613 S. o. S. 276. – Zu Gatz’ Rolle in der Institution vgl. L. Goehr: »The Institutionalization of a Discipline«, S. 103–106. 614 S. o. S. 272. 615 Vgl. F.M. Gatz: »The Object of Aesthetics«. 1/4 (1941/42), S. 42. 616 Vgl. ebd., S. 39–46. 617 Vgl. [T. Munro:] »International News and Correspondence«. 6/3 (1948), S. 293–295. 618 T. Munro: »Aesthetic as Science«, S. 162. 619 Ebd., S. 161. – S. o. S. 11. 620 Vgl. [T. Munro:] »International News and Correspondence«. 5/4 (1947), S. 332; vgl. ebd., S. 331. 621 Zur Bedeutung der Allgemeinen Kunstwissenschaft für die US-amerikanische Forschung vgl. auch bes. L. Goehr: »The Institutionalization of a Discipline«, S. 100 f.
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publications, I will send you a greeting to be published. I am very, very happy over this, that aesthetics and the theory of art now find a sanctuary in American culture.« 622 1947, kurz vor seinem Tod, macht Dessoir in einem weiteren Brief an Munro noch deutlicher, dass er selbst die amerikanischen Bestrebungen, neben den französischen, als die legitimen Nachfolger seiner eigenen Initiativen betrachtet, und er fasst hier, gleichsam als Vermächtnis, noch einmal seine Grundüberzeugung von der nichtästhetischen und nichthistorischen Relevanz der Kunst zusammen: Just after I had sent you a manuscript on The Contemplation of Plastic Art and a personal letter, the March issue of your Journal reached me. I felt great pleasure in looking through it. Now at last I can form an idea of your Journal and of your Society. From it I discover how much of the whole field you include and how thoroughly you treat it. I know many of your colleagues, partly from their writings, partly from letters, partly from personal meetings. More than forty years ago when I sought to organize endeavors in the field of aesthetics and the theory of the arts, the great fact of art in all its diversity stood in the center of my efforts. It seemed and seems to me that all of us, since we love and understand art, must guard ourselves against two misunderstandings: we must neither aestheticize nor historicize art. Art does not reveal itself in its full richness to a merely aesthetic observation nor to an exclusively historical interpretation. In your circle, Dr. Munro, I see men and women at work who have similar views. I read that a Société Française d’Esthétique is blooming anew in Paris, and it is with shame and sorrow that I must say that in present-day Germany only insignificant beginnings can be discovered. It makes me really happy to see new departures in aesthetics.623
In Notizen zu Publikationen Munros aus dieser Zeit, über die das Journal informiert, notiert Dessoir weiter: The Americans start from the requirements in their social environment and try to create works of art and possibilities of instruction from what is closest to them. We Germans with our long history, with a continuous tradition, with a rather clearly defined class of academically trained artists and scholars, were accustomed to work otherwise. So much is now destroyed, that we must begin completely anew in hundreds of places. Therefore we can and should learn a great deal from over there. On the other hand, so many of our best minds have reached the USA, that they will develop a blessed fruitfulness for the welfare of all human culture. When I read the news of the founding and development of the American Society for Aesthetics, I met so many familiar names that I was overwhelmed by a sense of kinship. Because of my advanced age, I myself will not be able to follow the further advance of this 622 [T. Munro:] »International News and Correspondence«. 5/4 (1947), S. 331. – Die englische Übersetzung von Dessoirs letztem Aufsatz zur Kunstwissenschaft Über das Betrachten von Bildwerken erscheint kurz nach seinem Tod im Journal: M. Dessoir: »The Contemplation of Works of Art«. 623 [T. Munro:] »International News and Correspondence«. 6/1 (1947), S. 81.
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scholarly work much longer, but it makes me very happy that I have learned of it at all.624
Auch Müller-Freienfels betont gegenüber Munro die engen Beziehungen zwischen den amerikanischen Forschungen und der deutschen Kunstwissenschaft: We are very glad that in America a sister-review and a sister-society of our own review and Society of Aesthetics are flourishing and that you continue beyond the ocean the good old tradition. Mortui vivos salutant! We in Germany are compelled to inactivity. […] I will be very glad to become a Corresponding Member of your society and am looking forward to your sending the Review. As soon as we will be allowed to send it, you will receive the missing issues of our Zeitschrift. With great pleasure, I will place a set of your Journal in the Library of the University and in the State-Library. I also hope, if this letter reaches you, to be able to contribute an article to your Journal. But first I must wait to see whether this letter will find you.625
Schließlich erklärt ebenfalls Utitz in diesem Sinne: Your Journal and your Society carried out an ardent and for long cherished wish of mine. When in 1933 Hitler came into power, I immediately proposed to cancel our society für Aesthetik und allgemeine Kunstwissenschaft as well as the Journal of Aesthetics. My opinion was, that only USA or England could carry on the work. But Max Dessoir tried – compromising – to carry on for some time, without success of course, since it was quite an artificial and unhappy enterprise. Your Journal and Society are well founded and I wish to express my heartfelt sympathy for the future.626
Und er hebt wenig später mit Blick auf die Pläne, die Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft in Deutschland wieder aufleben zu lassen, sogar den Vorbildcharakter des Journal hervor: If the Zeitschrift should be established anew, I should most sincerely wish for a close cooperation among the various disciplines concerned, making use of all the relevant evidence. The editor of the Journal of Aesthetics and Art Criticism has shown that such a collaborative enterprise is more than merely a wishful dream.627
Aber auch Munro nutzt seinen Überblick über die Geschichte der Ästhetik in den USA von 1951, um noch einmal zu betonen, wie viel die amerikanische Kunstforschung, was ihren Status als Wissenschaft angeht, der Allgemeinen Kunstwis624
Ebd., S. 82. Munro:] »International News and Correspondence«. 5/4 (1947), S. 333. 626 [T. Munro:] »International News and Correspondence«. 6/4 (1948), S. 375. – S. a. L. Goehr: »The Institutionalization of a Discipline«, S. 101. 627 [T. Munro:] »International News and Correspondence«. 9/4 (1951), S. 346. – S. a. L. Goehr: »The Institutionalization of a Discipline«, S. 116. 625 [T.
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senschaft verdankt – ihr Selbstverständnis als eine dezidiert phänomennahe und interdisziplinäre, alle kunstrelevanten Aspekte einschließende Forschung: There has been a marked change in American aesthetics in recent years. It is branching out vigorously, to include more study of the arts themselves, as well as of theories about them. It is now commonly conceived as the subject which seeks to describe and explain, in a broadly theoretical way, the arts and related types of behavior and experience. It considers the aesthetic experience of nature and of other types of object in addition to works of art. It is no longer a mere branch of speculative philosophy, since it incorporates many data and methods from the sciences, as well as from direct observation of aesthetic phenomena. It has not abandoned the traditional, philosophical approach, emphasizing beauty and value; but it also takes in what Dessoir and his associates called allgemeine Kunstwissenschaft, or general science of art. This comprises the more fundamental, broadly comparative, and philosophical areas of Kunstwissenschaft, or scholarly research in the arts. Aesthetics covers also the more philosophical areas of art criticism, of the psychology of art, of the sociology and ethnology of art, and of all other subjects touching upon the arts and related types of behavior and experience.628
Auch die Vernachlässigung der Allgemeinen Kunstwissenschaft in Gilberts und Kuhns A History of Esthetics wird hier kritisch notiert und auf die gegenläufige Sympathie der Autoren für eine metaphysische Sicht der Dinge zurückgeführt.629 So hatte Kuhn in der Tat, in Absetzung von den Vorgaben eines Dessoir, im Journal of Aesthetics and Art Criticism ein Plädoyer für die Aktualität der metaphysischen Ästhetik publiziert 630, das auch Utitz in seiner Korrespondenz mit Munro unver628 T.
Munro: »Aesthetic as Science«, S. 174 f. – Diese Nähe der der US-amerikanischen Kunstforschung zur Allgemeinen Kunstwissenschaft betont auch Dino Formaggio 1958: »La figura e l’opera di Max Dessoir ed il movimento, da lui promosso e guidato, della berlinese allgemeine Kunstwissenschaft (ovvero di una scienza o·teoria generale dell’arte) è ancor oggi, io credo, alla radice di alcuni tipi di ricerca attualmente in atto. Tutta la corrente, ad esempio che muove oggi in America intorno al ›Journal of Aesthetics and Art Criticism‹, riprende, con minore o maggiore consapevolezza, temi e metodi – il modo stesso, tra l’altro, di richiamarsi alla psicologia; alla sociologia ed alle·analisi dirette delle esperienze particolari – già ben chiari nella allgemeine Kunstwissenschaft.« (D. Formaggio: »Max Dessoir e il problema di una Scienza generale dell’Arte«, S. 230 f.) 629 »In view of all that had happened since 1892, there was even less excuse in 1939 for Gilbert and Kuhn’s History of Esthetic to neglect or misrepresent American contributions to the field and all attempts at scientific method in aesthetics. Strongly German and anti-scientific in bias, it condescendingly dismisses not only American but French and British writings in the evolutionary, naturalistic tradition (e. g., Herbert Spencer and Grant Allen) with a few completely inadequate sentences. […] Lalo, DeWitt Parker, Dessoir, Basch, and Delacroix are disposed of together in four and a half lines (p. 554). Dessoir and the whole ›general science of art‹ movement receive another four lines on page 527. Utitz and Müller-Freienfels are not mentioned. Thus even German writers unsympathetic to the authors’ point of view are neglected, in spite of world-wide recognition elsewhere.« (T. Munro: »Aesthetic as Science«, S. 165. – S. o. S. 311 f.) 630 Vgl. H. Kuhn: »On the Indispensability of Metaphysical Principles in Aesthetics«.
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züglich im Sinne seiner Forderung nach Phänomennähe ablehnt 631. Und 1954 erscheint im Journal noch eine Reaktion von Utitz 632 auf eine Studie von Munro 633. Zugleich weist Munro aber ausdrücklich darauf hin, dass die neuen ›leader‹ auf diesem Arbeitsgebiet, Frankreich und die USA, ihren deutschen Vorläufern in einem äußerlichen Punkt nicht gefolgt sind, nämlich der für die Allgemeine Kunstwissenschaft so charakteristischen terminologischen Differenzierung zwischen ›Ästhetik‹ und ›Kunstwissenschaft‹. Stattdessen habe man sich hier wieder unter der einfacheren Bezeichnung ›Ästhetik‹ zusammengefunden. Zwar erkennt Munro durchaus das Gewicht der Gründe an, die Dessoir und seine Kollegen zu ihrer Unterscheidung motiviert hatten. Er verweist hier zunächst auf den akademischen Diskussionskontext im Deutschland in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts. In diesem Rahmen war, wie Munro seiner Leserschaft erläutert, die überkommene idealistische Bestimmung der Disziplin ›Ästhetik‹ als ›Philosophie der Schönheit‹ noch so dominant, dass die angestrebten neuartigen Studien, in denen die traditionelle Metaphysik durch einen stärkeren Phänomenbezug abgelöst werden sollte, nicht angemessen als ›Ästhetik‹ erfasst werden konnten.634 Hinzu kam für die Deutschen die auch aus Munros US-amerikanischer Perspektive grundsätzlich überaus plausible wissenschaftsorganisatorische Überlegung, durch die neuartige Verknüpfung der Begriffe ›Ästhetik‹ und ›Allgemeine Kunstwissenschaft‹ eine Art Markennamen zu lancieren, mit dem Dessoirs Projekt der Entwicklung einer Plattform, auf der sich Vertreter der unterschiedlichsten kunst relevanten Disziplinen zusammenfinden, identifiziert wird.635 (Dieses institutio631 »I should like to use Helmut Kuhn’s article in the last issue of your Journal as an illustration of the problem as I see it. Kuhn’s article lends itself particularly well to this purpose because he is a highly gifted thinker who always offers an important contribution. It seems typical of the German tradition that Kuhn’s analysis remains on the level of general philosophical speculation and that he does not establish contact with art history and Kunstwissenschaft. This is regrettable because the problems analyzed by Kuhn have been discussed for decades within the field of allgemeine Kunstwissenschaft. Also, Kuhn’s comments concerning art as an object of pleasure and enjoyment should really be supplemented by sociological investigations. Furthermore, Kuhn has completely overlooked the exceedingly interesting research of Pinder concerning the kind of art that was never intended to be contemplated by an audience, as for instance a great number of masterpieces of French medieval sculpture. Those works of sculpture were placed in cathedrals in such a manner as to make it impossible to contemplate them aesthetically.« (Utitz in [T. Munro:] »International News and Correspondence«. 9/4 [1951], S. 346. – S. a. W. Henckmann: »Probleme der allgemeinen Kunstwissenschaft«, S. 299.) 632 Vgl. E. Utitz: »A Note on ›Aesthetics and the Artist‹«. 633 Vgl. T. Munro: »Aesthetics and the Artist«. 634 »There was much discussion in Germany as to whether ›aesthetics‹ and ›general science of art‹ should be considered one subject, or two allied ones. Dessoir and his friends chose the latter alternative, assuming that the traditional, narrow definition of aesthetics as philosophy of beauty was too firmly fixed to be altered. That definition was too narrow to cover all the newer, more descriptive studies of the arts and aesthetic experience; hence the other name must be added to cover them.« (T. Munro: »Aesthetic as Science«, S. 182.) 635 »At the same time, the constant coupling of the two names, ›aesthetics and general science
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nelle Anliegen bildet für Munro dabei zugleich das Spezifikum der Allgemeinen Kunstwissenschaft innerhalb des breiteren »German ›science of art‹ movement«.636) Und schließlich verweist Munro noch auf den Antiklassizismus, der in der terminologischen Differenzierung zum Ausdruck gebracht werden sollte. Demnach musste aufgrund der dominanten idealistischen Tradition der deutschen Ästhetik eine unter diesem Label betriebene Forschung die Kunst einseitig und anachronistisch auf die Schönheit, näherhin ein klassizistisches Schönheitsideal, festlegen.637 Für die Tatsache, dass die von Dessoir und seinem Kreis propagierte Nomenklatur sich weder in Frankreich638 noch in den USA etablieren konnte und stattdessen durch die einfachere Bezeichnung ›Ästhetik‹ ersetzt wurde, führt Munro verschiedene Gründe an: Die Rede von einer ›Kunstwissenschaft‹ werde hier als allzu sperrig empfunden, und sie werfe überdies unnötigerweise die Frage nach dem Wissenschaftscharakter dieser Forschungen auf. Die geläufigere Rede von einer ›Philosophie der Kunst‹ sei, aufgrund der angestrebten Phänomennähe, ebenfalls ungeeignet. Im US-amerikanischen Kontext kommen, so Munro, infolge der fehlenden akademischen Traditionen zwei weitere Aspekte hinzu: Die Bezeichnung ›Ästhetik‹ ist hier weder klassizistisch belastet, noch löst es Irritationen aus, wenn unter diesem Namen nicht etwa idealistische Kunstphilosophie, sondern theoretische gestützte, aber zugleich gegenstandsnahe Kunstforschung betrieben wird.639 of art,‹ implied also the existence of a new, broad field including them both. The union thus attempted under the double title was not only a union of ideas, an abstract realm of knowledge; it was a plan for active cooperation among scholars in separate academic realms. In Germany as in the United States, the gulf between various approaches to the arts is widened by divisions in academic, professional organization, especially in university and technical faculties. Theoretically, it seems easy to focus many different viewpoints on the study of the arts; actually, one must bridge or break down innumerable departmental fences, the result of modern specialized education and research. The professors of philosophy, the artists, art historians, and critics of the arts, must all be drawn out of their exclusive workrooms, and induced to collaborate with each other. Borderline studies must be made, and borderline professorships established. New societies, periodicals, and series of monographs are practical means to that end. Dessoir’s double title gave a reassuring platform, whereon many types of modern scholar could meet and work together, without seeming to abandon their own special approaches, or be absorbed into the old-fashioned ›philosophy of beauty.‹« (Ebd.) 636 Ebd., S. 186. 637 »There are other dangers, Dessoir and his friends believed, in calling the combined field ›aesthetics.‹ It might seem to imply that art was nothing but the manifestation of beauty or that the only way of experiencing art was as a source of aesthetic pleasure. Such implications they strongly rejected, being impressed by the great variety of functions which art has exercised, and the importance of studying them open-mindedly. Emphasis on beauty, they felt, stressed the appreciator’s point of view at the expense of the artist’s. Moreover, ›beauty‹ was apt to be interpreted as ›classical beauty,‹ in accordance with the Winckelmann tradition. Many other types of art, oriental and primitive, which classical taste condemned as ugly, must also receive unprejudiced study by the science of art.« (Ebd., S. 182.) 638 S. o. S. 259–283 und S. 301–309. 639 »The current tendency in France and America is away from Dessoir’s double title, and toward including both subjects under the single name ›aesthetics.‹ […]
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Für Munro indes klar, dass dabei unter dem Namen der ›Ästhetik‹ die Ziele der Allgemeinen Kunstwissenschaft weiterleben. (Eben diese Überzeugung spiegelt sich bis heute in der Beschreibung des Arbeitsauftrags der Society.640) Offenbar hat auch Utitz sich dieser Argumentation nicht verschließen können und angesichts der veränderten Wissenschaftslandschaft von der Forderung nach einer terminologischen Differenzierung der ›Kunstwissenschaft‹ von der ›Ästhetik‹, die er bald vierzig Jahre lang so vehement vertreten hatte, selbst abgesehen. Dies wurde bereits im Zusammenhang mit dem Ästhetikkongress von 1957 in Venedig angesprochen.641 Aber auch schon 1951 kann Munro sich als Beleg für diese denkwürdige Wendung auf eine briefliche Äußerung von Utitz beziehen:
The French society, which was organized before the second world war as L’Association pour l’Etude des Arts et les Recherches relatives a la Science de l’Art, was dormant during the war. It was revived in 1945 under the simple title, Société Française d’Esthétique. Its quarterly magazine began publication in 1948 under the title Revue d’Esthétique. The list of topics discussed by both the French and the American Society and periodical makes it clear that ›science of art‹ is now covered by the single word ›aesthetics.‹ The term allgemeine Kunstwissenschaft and its English translation, ›general science of art,‹ have never found much favor in the United States. They are cumbersome and raise unnecessary controversy over whether there can be a ›science‹ of art, strictly speaking. Some prefer ›philosophy of art,‹ but that term suggests the old, restricted status of the subject as a branch or application of philosophy. It seems to deny the subject’s modern aspiration to be a distinct, major field of investigation, based on observation of the arts rather than on deduction from philosophical principles, and cooperating with the sciences quite as much as with specialized philosophy. The very fact that aesthetics as a subject has been so undeveloped in America has prevented its name from acquiring the definite meaning, restricted to the philosophy of beauty, which Dessoir and his friends found obstructive. It is correspondingly easier, for those who now seek to establish it as an important subject in American higher education, to give the word ›aesthetics‹ the newer, broader interpretation. Only a few American writers have sought to preserve the sharp distinction between aesthetics and the science or philosophy of art. Of course, if we could start with a clean slate, it would not be hard to find a better name than ›aesthetics,‹ with its many confusing associations. But it is fairly well established in the broader sense, and a new name would be hard to substitute. Flexibility in changing the names and scope of academic subjects is characteristic of the American educational system. In Germany and France, where universities have long been under strongly centralized, state control, such changes are more difficult. Here it is comparatively easy to establish a new subject, department, or professorial chair, or to work out informal, cooperative courses between different departments. In Germany, where aesthetics had considerable academic prestige, it was usually taught by a full professor, as a branch of systematic philosophy. Special courses on it were usually given by instructors of lower rank. Little or no recognition was given to allgemeine Kunstwissenschaft as a definite university subject. In spite of the great theoretical advances made by Dessoir and his group, and their success in building up a miscellaneous public interested in the ›general science of art,‹ neither they nor the French had gone very far before World War II, in establishing it as a major academic subject.« (T. Munro: »Aesthetic as Science«, S. 182 f.) 640 S. o. S. 316. 641 S. o. S. 283.
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Emil Utitz, an associate of Dessoir’s, does not insist on maintaining the distinction between them [den Bezeichnungen ›Ästhetik‹ und ›Kunstwissenschaft‹]. In a recent letter to the author, he wrote, »I completely agree with you when you say: ›The important thing is to have an active discipline concerned with factual, scientific studies of the arts from many points of view – psychological, sociological, religious, and other – whether it be distinguished from aesthetics or included in a broader concept of aesthetics.‹« 642
Bei aller Verbundenheit mit der Allgemeinen Kunstwissenschaft geht aber auch die neuere amerikanische ›Ästhetik‹, ebenso wie die französische, bald eigene Wege. Zwar hatte Munro ebenfalls bereits 1951 in seiner Überblicksdarstellung zum einen an Dessoirs eigene, weit zurückreichende Vorstöße erinnert, dem amerikanischen Publikum seinen Forschungsansatz bekannt zu machen, die bedauerlicherweise kaum Beachtung gefunden hätten643: Dessoir hatte auf dem am Rande der Weltausstellung in St. Louis abgehaltenen Congress of Arts and Science 1904, also noch zwei Jahre vor der Veröffentlichung seiner Monographie und der Gründung der Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft, sein Projekt vorgestellt.644 1926 hatte er in der Zeitschrift The Monist eine weitere Darstellung präsentiert.645 Zum anderen hatte Munro hier bemängelt, dass die einschlägigen neueren deutschen Forschungsbeiträge zur Ästhetik, namentlich der Protagonisten der Allgemeinen Kunstwissenschaft, bisher nicht übersetzt worden seien.646 1961 erscheint so zunächst im Journal unter dem Titel Art History and Systematic Theories of Art die Übersetzung von Dessoirs Überlegungen zu Kunstgeschichte und Kunstsystematik, seinem Eröffnungsvortrag zum dritten Kongress von 1927. 1962 folgt die englische Übersetzung von Kainz’ Vorlesungen über Ästhetik unter dem Titel Aesthetics. The Science bei Wayne State University Press in Detroit.647 Und schließlich erscheint 1970 an gleicher Stelle unter dem Titel Aesthetics and Theory of Art und versehen mit einem Vorwort Munros die englische Übersetzung der zweiten Auflage von Dessoirs Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft.
642 T.
Munro: »Aesthetic as Science«, S. 182 f. ebd., S. 162. 644 Vgl. M. Dessoir: »The fundamental questions of contemporary aesthetics«. 645 Vgl. M. Dessoir: »Aesthetics and the Philosophy of Art in Contemporary Germany«. 646 »Hitler’s rise to power in the early thirties sent to the United States, as previous waves of oppression in Europe had done, a flood of German-speaking scholars in exile. The result has been a new stream of influence from recent German, Austrian, and Swiss aesthetics, art history, psychology, musicology, and art education. Comparatively little of the great mass of valuable German writings in these fields, especially during the twenties, has yet been translated. (Wölfflin’s Principles of Art History appeared in English in 1932; hardly any of the writings of Dessoir, Utitz, Müller-Freienfels, or other contemporary German aestheticians have yet been translated.)« (T. Munro: »Aesthetic as Science«, S. 163.) 647 S. a. die der Publikation vorausgeschickte Autorenpräsentation im Journal durch den Übersetzer H.M. Schueller: »Friedrich Kainz as Aesthetician«. 643 Vgl.
Die Allgemeine Kunstwissenschaft als Institution327
Neben den wenigen Rezensionen, mit denen diese Publikationen bedacht werden, macht aber auch bereits Munros Vorwort deutlich, dass für ihn der Wert dieser methodologischen Beiträge zur Allgemeinen Kunstwissenschaft inzwischen rein historischer Natur ist. Zwar hebt er ausdrücklich Dessoirs Verzicht auf metaphysische Voraussetzungen hervor, »which has made older German aesthetics unpalatable to many English-reading students of the subject«.648 Im Übrigen begründet er aber nicht nur die Kainz-Übersetzung mit der Bedeutung dieses Textes als Zeugnis der ästhetischen Debatte der unmittelbaren Nachkriegszeit in Deutschland. Ebenfalls hinsichtlich der Übersetzung von Dessoirs Monographie verweist Munro allein auf die historische Bedeutung des Verfassers als Wissenschaftsorganisator und den Vorbildcharakter der von ihm gegründeten Diskussionsplattformen für die Ästhetik »in the United States and several other countries«.649 Und so hebt etwa auch Harold Osborne, wie Munro Mitglied des Comité international (pour les Études) d’Esthétique und Gründer des British Journal of Aesthetics, in seiner Rezension dieser Edition neben den organisatorischen Verdiensten Dessoirs vor allem die historische Distanz zu dessen »period piece« hervor.650 Kurzum: Ebenso wie die Differenzierung zwischen ›Ästhetik‹ und ›Allgemeiner Kunstwissenschaft‹ gehen auch die methodologischen Überlegungen, die in diesem Zusammenhang eine Rolle gespielt hatten, unter. Ganz ähnlich wie in Frankreich bei Souriau651 und in Deutschland bei Lützeler652 bezieht sich so auch die US-amerikanische Rezeption der Allgemeinen Kunstwissenschaft der Nachkriegszeit zum einen auf die Adaption von deren wissenschaftsorganisatorischen Impulsen, also in erster Linie die Etablierung einer 648 T.
Munro: »Foreword«, S. 10. [Kainz’ Ästhetikvorlesungen] was selected as a broad, critical survey on aesthetics in Germany during the years immediately following World War II. / The Dessoir book […] has the same relation to German aesthetics in the first three decades of the twentieth century and between the two world wars. That period, lasting until the Nazi regime, was highly productive in the arts and general philosophy, as well as in aesthetics, psychology of art, and art education. During the entire period Dessoir exerted a wide and stimulating influence through his writing, editing, teaching, and personal contacts. As professor at the University of Berlin and later at Frankfort, he lectured to large audiences and did much to advance the academic status of the subject. / In 1906 he published the first magazine on aesthetic theory, the Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft, which he edited until 1937. He continued its publication until 1943. In 1908 he organized the Society for the Study of Aesthetics, which brought together scholars and artists in many fields related to theoretical studies of the arts. In 1913 the Society organized the first world congress for aesthetics in Berlin, under Dessoir’s leadership. After World War II the congresses were resumed every four years beginning in 1956. Societies and periodicals devoted to aesthetics were started in the United States and several other countries, somewhat after the model Dessoir had set. He died in 1947 at the age of eighty, but not before exchanging cordial letters with some aestheticians in the United States, and expressing his delight at the interest in his work among younger scholars in a foreign country.«(T. Munro: »Foreword«, S. 9 f.) 650 H. Osborne: »Max Dessoir: Aesthetics and Theory of Art«, S. 263. 651 S. o. S. 272, S. 282, S. 285 und S. 302–309. 652 S. o. S. 314. 649 »This
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Gesellschaft, einer Zeitschrift und der Veranstaltung von Kongressen, zum anderen auf die grundsätzlichen Zielsetzung einer dezidiert phänomennahen und interdisziplinären Kunstforschung. Die näheren methodologischen Überlegungen zum Status und Charakter der Allgemeinen Kunstwissenschaft werden dagegen weder adaptiert noch überhaupt weiter zur Kenntnis genommen.
Sch luss Perspektiven der Allgemeinen Kunstwissenschaft
Zwar kann man mit guten Gründen sagen, dass die Allgemeine Kunstwissenschaft der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bis heute – in wie auch immer modifizierter Gestalt – »incognito«1 in vielen Kunstinstitutionen und in der Idee einer interdisziplinären Kooperation der kunstrelevanten Wissenschaften nachwirkt. Nichtsdestoweniger haben die wissenschaftstheoretischen Beiträge zur Grundlegung der Allgemeinen Kunstwissenschaft, die hier im Kontext der zeitgenössischen Debatten und der mit ihr verbundenen wissenschaftsorganisatorischen Initiativen vorgestellt wurden, klar historischen Charakter: Sie sind Teil eines Diskussionszusammenhangs, dem seinerzeit erhebliche Bedeutung für die Restrukturierung existierender sowie die Entwicklung neuer kunstwissenschaftlicher Forschungen zukam, der heute aber vergessen ist. Die methodologischen Konzepte sind idiosynkratisch an diesen speziellen historischen Diskussionszusammenhang gebunden, sie sind zudem in sich mehr oder weniger unausgereift und untereinander heterogen. So mag wohl eine grundsätzliche Parallele zwischen der heutigen Situation und der historischen Problemlage, auf die die Allgemeine Kunstwissenschaft reagiert, identifizierbar sein: die Erfahrung einer ›Entgrenzung‹ der Kunst und der Künste. Die ›Anschlussfähigkeit‹ ihrer methodologischen Konzepte für die Bewältigung aktueller kunstwissenschaftlicher Herausforderungen – allen voran der Herausforderung, den ›entlaufenen Kunstbegriff‹ 2 einzuholen – liegt dagegen durchaus nicht auf der Hand. Mit dieser Studie soll dennoch für die Wiederbelebung einer Allgemeinen Kunstwissenschaft als philosophischer und zugleich dezidiert phänomennaher Theorie plädiert werden. Dieses Plädoyer stützt sich auf zwei Aspekte, die, bei aller Diversität, als gemeinsame Merkmale sämtlicher Konzepte zur wissenschaftstheoretischen Grundlegung der Allgemeinen Kunstwissenschaft herausgestellt werden konnten: die Bestimmung der Kunst als Realisierung kultureller Funktionen und als Strukturzusammenhang. Diese Strategien können nämlich auch in der heutigen Kunstreflexion sachlich weiterführen. Kunst als Realisierung kultureller Funktionen Die für die Protagonisten der Allgemeinen Kunstwissenschaft so bedeutsame Unterscheidung dieser Wissenschaft von der Ästhetik hat bereits unter den Zeitgenossen wenig Anklang gefunden. Sie ist daher – sieht man vom Kontinuität mit der 1 W.
Henckmann: »Probleme der allgemeinen Kunstwissenschaft«, S. 334. – S. o. S. 204. W. Sauerländer: »Der Kunsthistoriker angesichts des entlaufenen Kunstbegriffs«. – S. o. S. 13. 2 Vgl.
330 Schluss
Vorkriegsforschung signalisierenden Namen der durch Lützeler neu begründeten Zeitschrift einmal ab – schließlich wieder aufgelöst worden: Meist ist man zum geläufigen Konzept der ›Ästhetik‹ als Bezeichnung für die systematische Beschäftigung mit dem Ästhetischen, das die – in der Regel als Paradigma des Ästhetischen verstandene – Kunst mit umfasst, zurückgekehrt.3 Hierbei spielen wohl auch eher pragmatische Gründe eine Rolle, wie die unterschiedliche Bedeutung der ›Kunstwissenschaft‹ in den verschiedenen Wissenschaftskulturen.4 Vor allem werden aber immer wieder inhaltliche Einwände gegen diese Differenzierung selbst erhoben. So wird gegen das Projekt einer Allgemeinen Kunstwissenschaft insbesondere eingewandt, dass »die Theorie des Schönen von der Theorie der Kunst« nicht zu trennen ist, weil man sonst die Kunst »von anderen Kultursachverhalten nicht mehr wirklich unterscheiden« könne.5 Gegen diese Auffassung, die Philosophie der Kunst falle mit der Ästhetik zusammen, weil die Erfahrung der Schönheit nach wie vor in der Kunst eine zentrale Rolle spiele, sind allerdings zu Recht auch in neuerer Zeit grundlegende Einwände erhoben worden. In diesem Zusammenhang werden Argumente geltend gemacht, die auf Fiedler und die Allgemeine Kunstwissenschaft zurückgehen: so etwa die Zurückweisung eines ›ästhetischen‹ Zugangs zur Kunst sowie die Differenzierung zwischen Kunstphilosophie und Ästhetik.6 Bisweilen nimmt diese Bezugnahme auf die Thesen der Allgemeinen Kunstwissenschaft auch einen expliziten Charakter an, wie beispielsweise in Reinold Schmückers Kritik an der Gleichsetzung von Ästhetik und Kunstphilosophie, in der dieser auf Utitz’ Argumente Bezug nimmt.7 Dabei hält Schmücker fest, dass das im Rahmen der Allgemeinen Kunstwissenschaft gegen diese Identifikation vorgebrachte Argument der mangelnden Spezifität selbst dann greift, wenn man den Begriff des Ästhetischen weiter fasst, als die Anhänger der Allgemeinen Kunstwissenschaft es tun, und u. a. auch evaluative Einstellungen einschließt.8 In der Tat bildet die Abgrenzung von der Ästhetik das entscheidende systematische Instrument, mit dem in der Allgemeinen Kunstwissenschaft die Kunst vor dem Hintergrund ihrer vielfältigen ›Entgrenzungen‹ als autonome Instanz menschlicher Selbstverständigung rekonstruiert werden soll.9 Dabei geht es zwar auch 3 S. a.
z. B. L. Dittmann: »Kunstwissenschaft«, S. 99. S. o. S. 324 f., Anm. 639. 5 S. Nachtsheim: Kunstphilosophie und empirische Kunstforschung 1870–1920, S. 45. 6 Unter Bezugnahme auf Fiedler, der mit seiner Differenzierung zwischen Kunstphilosophie und Ästhetik zu einem unmittelbaren Vorläufer der Allgemeinen Kunstwissenschaft geworden ist, schreibt etwa Stefan Majetschak: »Ästhetik fragt nach der Kunst unter der Voraussetzung, daß Schönheit ihr Zweck sei, erörtert die Weisen und Formen, auf die ein Betrachter (oder Hörer, oder Leser) diese in spezifischen Kunstwerken erf ährt, Kunstphilosophie dagegen fragt überhaupt erst nach dem Wesen und Ursprung der Kunst, ohne über ihren Zweck oder Begriff schon im Sinne der Ästhetik vorentschieden zu sein. (S. Majetschak: »Einleitung«, S. 9.) 7 Vgl. R. Schmücker: »Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft«, S. 62. 8 Vgl. ebd., S. 60. 9 Vgl. z. B. E. Utitz: »Über Grundbegriffe der Kunstwissenschaft«, S. 7. 4
Perspektiven der Allgemeinen Kunstwissenschaft331
darum, die Kunst im Sinne einer dezidiert modernen Perspektive, die etwa die verschiedensten ›Randkünste‹, die Erzeugnisse neuer Medien und die Artefakte außereuropäischer Völker mit in den Blick nehmen kann, von ihrer traditionellen Festlegung auf die ›Schönheit‹ freizuhalten. Vor allem geht es aber darum, die Kunst als »überaus kompliziertes Kulturprodukt«10 zu begreifen. Denn im Unterschied zu Fiedler, der die Unterscheidung der Kunstwissenschaft von der Ästhetik im Sinne des Formalismus mit dem Erkenntnischarakter der Kunst begründet hatte, verweisen die Anhänger der Allgemeinen Kunstwissenschaft darüber hinaus auf die Einbindung der Kunst in die Kultur.11 Gleichzeitig wird in diesem Zusammenhang die ›Autonomie‹ der Kunst propagiert. Mit dieser Rede von der Autonomie der Kunst ist hier aber nicht etwa deren Abstinenz gegenüber allen ihr fremden Zwecken zugunsten einer überwiegenden oder gar exklusiven ästhetischen Valenz gemeint. Mit dieser Rede ist auch nicht allein, wie bei Fiedler, die (bildende) Kunst als Bezugspunkt einer genuinen Leistung, der ›anschauenden Erkenntnis‹, gemeint. Im Gegenteil wird die Kunst als ein »Kulturgebiet« innerhalb des »System[s] der Kultur« verstanden, das neben seiner ästhetischen Funktion vielfältige und jenseits der reinen Erkenntnisfunktion jeweils historisch variierende kulturelle Funktionen übernimmt.12 An diesem Punkt öffnet sich die Allgemeine Kunstwissenschaft in Richtung der Kulturphilosophie. Die Ausprägungen einer solchen kulturellen bzw. kulturhistorischen Darstellung der Kunst sind im Rahmen der Allgemeinen Kunstwissenschaft in sehr unterschiedlicher Weise ausgeführt worden. Entscheidend ist hier aber die grundsätzliche Leistungsf ähigkeit eines solchen Ansatzes, der die ästhetischen und die nichtästhetischen Kunstfunktionen gleichermaßen in den Blick zu nehmen beansprucht. So kann man bereits grundsätzlich bezweifeln, ob es überhaupt Objekte gibt, »die allein ästhetische Wirkungen hervorzurufen vermögen«.13 Für die Anhänger der Allgemeinen Kunstwissenschaft ist bei deren Abgrenzung von der Ästhetik aber noch wichtiger, dass nur durch den Rekurs auf ihre vielfältigen nichtästhetischen kulturellen Funktionen überhaupt ersichtlich werden kann, »warum Denkmale, patriotische Lyrik, soziale Romane, Architektur usw. zur Kunst gehören«.14 Der Ansatz der Allgemeinen Kunstwissenschaft trifft sich in dieser Hinsicht nicht allein mit einer Philosophie der Kunst, die die Kunstfunktionen in den Blick nimmt, wie sie nach Muka řovský15 heute insbesondere Schmücker vorschlägt16 . Er trifft sich ebenso mit einer als Funktionsgeschichte verstandenen
Utitz: Grundlegung der allgemeinen Kunstwissenschaft, Bd. 1, S. 10. – S. o. S. 95. S. o. S. 90–97. 12 E. Utitz: »Über Grundbegriffe der Kunstwissenschaft«, S. 9. 13 R. Schmücker: »Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft«, S. 58. 14 E. Utitz: Grundlegung der allgemeinen Kunstwissenschaft, Bd. 1, S. 65. 15 Vgl. bes. J. Muka řovský: »Ästhetische Funktion, Norm und ästhetischer Wert als soziale Fakten«. – S. o. S. 131, S. 142, Anm. 202 und S. 173, Anm. 362. 16 Vgl. bes. R. Schmücker: »Funktionen der Kunst«. 10 E. 11
332 Schluss
Kunstgeschichtsforschung, wie sie der Kunsthistoriker Werner Busch zusammen mit Kolleginnen und Kollegen in den 1980er Jahren begründet hat.17 Eine neue Allgemeine Kunstwissenschaft könnte das Verhältnis der ästhetischen und der nichtästhetischen Kunstfunktionen aber nur dann wirklich umfassend beschreiben, wenn sie bei dieser Charakteristik auf die Erträge der Kunstgeschichtsforschung zurückzugreifen vermöchte. Genauer: Sie müsste sich als Allgemeine Kunstwissenschaft auf die funktionsanalytischen Erträge möglichst aller kunstrelevanten Einzelwissenschaften beziehen können, um sie auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede hin zu prüfen. Die Einzelwissenschaften könnten im Gegenzug aus diesen Charakteristiken die konzeptionelle Grundlage für subtilere und präzisere Bestimmungen der Werke gewinnen, als eine rein ästhetisch-immanente, aber etwa auch eine rein historisch-deskriptive Perspektive es erlaubt. Denn so würde es möglich, die Kulturfunktionen der Kunst möglichst umfassend – synchron im Verhältnis der Werke und Künste zueinander sowie diachron im historischen Verlauf ihrer jeweiligen Akzentuierungen und Interpretationen – zu berücksichtigen und für das Verständnis der einzelnen Werke geltend zu machen. Kunst als Struktur- und Kommunikationszusammenhang Allerdings ist die »Abgrenzung der Kunst von anderen Kultursachverhalten«18 mit dem Bezug auf ihre nichtästhetischen Funktionen als solchem natürlich ebenso wenig möglich wie mit dem reinen Bezug auf ihre ästhetischen Funktionen: Weder die einen noch die anderen sind spezifisch für die Kunst. Wenn es darum gehen soll, die Eigentümlichkeit der Kunst zu bestimmen, muss daher präzisiert werden, wie sich der Kultursachverhalt der Kunst von anderen Kultursachverhalten unterscheidet. Gegen die Allgemeine Kunstwissenschaft ist immer wieder eingewandt worden, sie sei systemfeindlich und empirisch auf die einzelnen Kunstwerke und die einzelnen Kunstwissenschaften fixiert. »Prinzipienbegriffe und damit Einsichten in die Grundstruktur der Kunst« seien auf diesem Wege aber nicht zu gewinnen.19 Auch dies kann man jedoch gerade in wissenschaftspragmatischer Hinsicht bezweifeln. So hat eine deduktiv entwickelte Theorie in den empirischen Kunstwissenschaften selten zu mehr getaugt als einem Steinbruch für Schlagworte – wo sie nicht gleich als irrelevant, da sachfern, abgelehnt wird. Als Weg, den ›entlaufenen Kunstbegriff‹ wieder einzufangen, dürfte sie jedenfalls nicht geeignet sein.20 Zwar fallen die Antworten auf die Frage, worin das Spezifikum der Kunst bestehen mag, bei den Protagonisten der Allgemeinen Kunstwissenschaft von Dessoir 17 Vgl. bes. W. Busch (Hrsg.): Funkkolleg Kunst; ders. / P. Schmook (Hrsg.): Kunst. S. a. H. Belting: »Das Werk im Kontext«. 18 R. Schmücker: »Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft«, S. 62. – S. o. S. 330. 19 S. Nachtsheim: Kunstphilosophie und empirische Kunstforschung 1870–1920, S. 45. 20 Vgl. etwa R. Schmücker: »Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft«, S. 62.
Perspektiven der Allgemeinen Kunstwissenschaft333
und Utitz über Schmarsow und Hamann bis zu Wind, wie hier gezeigt wurde, durchaus unterschiedlich aus. Ihre Konzeptionen treffen sich allerdings in dem Anliegen, die Erfahrung des Subjekts und die Eigenschaften des künstlerischen Objekts als komplementären Zusammenhang bzw. als Realisierung einer spezifischen Sinnstruktur zu verstehen. Das heißt, hier wird ein doppelter Gesichtspunkt ins Spiel gebracht, »nämlich das Wechselverhältnis von Produktion und Rezeption als Impuls für das Erfassen und die Beschreibung der künstlerischen Struktur«.21 Die »differentia specifica des Kunstwerks« ist demnach im Rahmen der Allgemeinen Kunstwissenschaft »eine Struktur, die als eine absichtsvoll strukturierte erkennbar wird«.22 Die Ausführungen zu dieser Strukturtheorie finden sich sowohl in Utitz’ Bestimmung des Kunstwerks als ›sinnerfüllte Form‹, die im ›Gefühlserleben‹ erschlossen wird, als auch in Schmarsows Vorstellung des Kunstwerks als Manifestation eines leiblichen ›Rhythmus‹, der in Zeit und Raum als Körperbewegung zu vollziehen ist, sowie in Winds Charakteristik des Kunstwerks als ›Verkörperung‹ von Sinn, der als anschauliche Sprache entziffert werden muss. Hier fungiert die Struktur eher als ontologisches Prinzip. In Dessoirs Ersetzung der Frage nach dem Wesen der Kunst durch die Bestimmung der kulturellen Funktionen der Kunst, die sich in einem über die Gestalt des Werks vermittelten Wechselverhältnis von künstlerischer Produktion und Rezeption realisieren, und in Hamanns Darstellung der Bedingungen, die erfüllt werden müssen, damit ein Gegenstand als ›künstlerischer Tatbestand‹ vollzogen werden kann, fungiert die Struktur dagegen eher als methodologisches Konstrukt, das es ermöglichen soll, das Kunstwerk als gesetzmäßigen Zusammenhang zu betrachten. Vor allem Ursula Franke hat die Leistungsfähigkeit und Fruchtbarkeit der in der Allgemeinen Kunstwissenschaft erstmals in größerem Rahmen entworfenen Strukturtheorien der Kunst hervorgehoben: Sie bilden eine Parallele bzw. Schnittstelle mit neueren Debatten, die jenseits der früheren Debatten um Werk-, Produktionsoder Rezeptionsästhetik eine Komplementarität von künstlerischem Gegenstand und Kunsterfahrung annehmen.23 So ist der Strukturgedanke in der Literaturwissenschaft ebenso wie in der Musikwissenschaft und der Kunstgeschichtsforschung der Nachkriegszeit aufgegriffen worden.24 Die von den Protagonisten der Allgemeinen Kunstwissenschaft in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entwickelten 21 U.
Franke: »Nach Hegel«, S. 87. Moog-Grünewald: »Ästhetik versus Metaphysik?«, S. 30. 23 U. Franke: »Nach Hegel«, S. 88 f.; s. o. S. 79 und S. 99. – S. a. M. Moog-Grünewald: »Ästhetik versus Metaphysik?«. 24 In der Literaturwissenschaft besonders bei Hugo Friedrich (vgl. H. Friedrich: »Strukturalismus und Struktur in literaturwissenschaftlicher Hinsicht«, bes. S. 224), in der Musikwissenschaft besonders bei Werner Ferdinand Korte (vgl. W.F. Korte: »Struktur und Modell als Information in der Musikwissenschaft«), in der Kunstgeschichtsforschung in unterschiedlicher Weise bei Hans Sedlmayr (vgl. W. Sedlmayr: »Kunstgeschichte als Kunstgeschichte«; zur Deutung vgl. bes. L. Dittmann: Stil, Symbol, Struktur, S. 142–216) und Werner Hofmann (vgl. W. Hofmann: »Fragen der Strukturanalyse«). – Vgl. U. Franke: »Nach Hegel«, S. 87. 22 M.
334 Schluss
methodologischen Positionen bilden die weitestgehend vergessene Vorgeschichte dieser Ansätze. Überhaupt kann man sagen, dass die Vertreter der Allgemeinen Kunstwissenschaft mit ihrer Insistenz auf der Struktur des ›Kunstgebildes‹ die Theorien des Strukturalismus und des Formalismus vorwegnehmen. Dabei wird im Rahmen der Allgemeinen Kunstwissenschaft der Strukturzusammenhang der Kunst jeweils – in dem auch vom Tschechischen und Russischen Strukturalismus vertretenen Sinn – als ein solcher begriffen, der immer schon kulturell und historisch eingebunden ist und hier bestimmte Funktionen übernimmt, die seine Gestalt mitprägen und verändern.25 Zugleich ist aber das Konzept der ›Struktur‹ in der Allgemeinen Kunstwissenschaft, wie Franke zu Recht anmerkt, »vom modernen Strukturbegriff ebenso wie vom Begriff des Strukturalismus zu unterscheiden«, insofern hier nach wie vor ein organischer Kunst- bzw. Werkbegriff den Ausgangspunkt bildet, wie bereits das Vokabular, das dieses Konzept hier kontextualisiert – Gefüge, Ordnung, Einheit, Gestalt – signalisiert.26 Allerdings ist die Allgemeine Kunstwissenschaft zugleich – zumindest dem immer wieder bekräftigten Anspruch nach – frei von der »metaphysischen Voreingenommenheit wahrheitsästhetischer Kunsttheorien« 27, wie sie etwa die in der Kunstgeschichtsforschung bis heute als Inbegriff einer auf die Struktur des Kunstwerks bezogenen Methode gehandelte ›Strukturanalyse‹ Hans Sedlmayrs kennzeichnet 28. Im Sinne der gegenwärtigen Herausforderung, die Kunst angesichts ihrer Entgrenzungen als Kunst zu bestimmen, verfügen die im Rahmen der Allgemeinen Kunstwissenschaft entwickelten strukturtheoretischen Konzeptionen mit ihrer programmatischen Unterscheidung von der Ästhetik aber noch über ein weiteres bedeutendes Charakteristikum, das sie gegenüber den meisten der späteren Strukturtheorien auszeichnet: ihren Rekurs auf die kulturelle Kommunikation und die Deutung der Kunst als Form einer solchen Kommunikation in ihrer ganzen funktionellen Breite. Denn ein ästhetisches Verhalten ist – mit Kant gesprochen – interesselos bzw. – mit Utitz gesprochen – »autotelisch« 29, also rein kontemplativ an die Erscheinung hingegeben 30. Daher lässt sich das kommunikative Geschehen, das sich zwischen dem Künstler, dem Kunstwerk, dem Rezipienten und der Kunstwelt ereignet, kaum als ›ästhetisch‹ charakterisieren. Um die Struktur dieser Kommunikation angemessen zu erfassen, müssen vielmehr die ästhetischen und nichtästheti25
S. o. S. 100 und S. 131. Franke: »Nach Hegel«, S. 87. 27 R. Schmücker: »Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft«, S. 59. 28 S. o. S. 333, Anm. 24. 29 E. Utitz: Grundlegung der allgemeinen Kunstwissenschaft, Bd. 1, S.92. 30 Vgl. z. B.: »Aber es steht fest, daß das ästhetische Erleben ein reines Sichhingeben an die Erscheinung ist, ein völliges Sichanschmiegen an den Eindruck. Das Verhalten wird hierbei durch keinerlei Motive geleitet, die außerhalb des Gebildes und seiner Wirkung liegen; oder anders ausgedrückt: ich verhalte mich ästhetisch um seiner selbst willen, der ihm eignenden Werte wegen.« (Ebd., Bd. 1, S. 91.) 26 U.
Perspektiven der Allgemeinen Kunstwissenschaft335
schen Funktionen, auch jenseits der reinen Erkenntnisfunktion der künstlerischen Form, in die Analyse der Struktur des Kunstwerks einbezogen werden, wie eben die Allgemeine Kunstwissenschaft dies intendiert. Die nichtästhetischen Funktionen sind nämlich für die Entstehung und das Verständnis eines Kunstwerks ebenso konstitutiv wie seine ästhetische Funktion, weil sie seine Gestaltung immer schon mitprägen, wie etwa die religiöse Funktion des Andachtsbildes und die Vergegenwärtigungs- bzw. Abbildungsfunktion des Portraits deutlich machen. Sie dürfen daher nicht als bloß sekundär abgetan werden. So kann ich, wie Utitz erläutert, wenn ich etwa »das Gerhart-HauptmannPorträt von Liebermann ansehe«, durchaus »vollkommen ästhetisch und künstlerisch gefesselt sein, ohne zu wissen, daß hier Gerhart Hauptmann dargestellt ist; und doch erschließt sich erst von hier aus die ›adäquate Anschauung‹, das eigentliche Gestaltungsproblem.« 31 Letztlich können daher auch die ästhetischen Qualitäten eines Kunstwerks allein im Wissen um diese nichtästhetischen Funktionen angemessen vergegenwärtigt werden. So erlaubt nur ein Ansatz, der die ästhetischen und nichtästhetischen Funktionen der Kunst gleichermaßen in den Blick nimmt, an der Kunst ein Strukturmerkmal herauszustellen, das unter rein ästhetischem Aspekt, aber auch unter formalistischem Aspekt im Sinne Fiedlers ausgeblendet bleiben muss bzw. gar nicht erst in den Blick gerät: die Verkörperung von Sinn. Jenseits dieser Dialektik der ästhetischen und nichtästhetischen Qualitäten der Kunst, die den modernen Verlust an künstlerischer »Eigenart und Selbständigkeit«32 reflektiert, bleiben – logisch gesehen – drei Optionen für die theoretische Verortung des Kunstbegriffs übrig: erstens die Kultivierung eines elitären Kunstbegriffs, der die Kunst in der Sphäre rein kontemplativer Interesselosigkeit verortet, die durch Kunstexperten dogmatisch abgesteckt wird; zweitens, im Gegensatz dazu, eine radikale Entgrenzung des Kunstbegriffs, die alles und jedes dem Bereich der Kunst eingemeindet; und schließlich der Verzicht auf den Kunstbegriff. Allerdings verfehlen alle diese drei Optionen gleichermaßen die differenziertere kulturelle Realität, in der erstens auch Unklassisches und lebensweltlich Interessantes als Kunst angesprochen werden kann, in der zweitens, aller ›Entgrenzung‹ zum Trotz, eben nicht alles Kunst ist und in der drittens der Kunstbegriff nach wie vor geläufig ist – und also offenbar auch nach wie vor einen Inhalt hat, der nicht ohne Verlust preisgegeben werden kann. Für die Verfechter der Allgemeinen Kunstwissenschaft geht es daher einerseits darum, einen undogmatischen, nicht auf die ›hohe‹ Kunst fixierten Kunstbegriff zu vertreten, der die Verflechtungen der Kunst mit außerkünstlerischen Interessen in den Blick nimmt. Zugleich gilt es für sie aber andererseits, ein Kriterium zu entwickeln, das nicht gleich jede Löwenbändigung zu Kunst erklärt 33, insofern auch verschobene oder durchlässige Grenzen nach wie vor Grenzen sind: Ihrer AuffasUtitz: Grundlegung der allgemeinen Kunstwissenschaft, Bd. 1, S. 269. Ebd., Bd. 1, S. 79. 33 Ebd., Bd. 1, S. 80. 31 E. 32
336 Schluss
sung nach ist dann und nur dann ein Kunstgeschehen gegeben, wenn ein Gegenstand als ›Gestaltung‹ bzw. ›Darstellung‹, d. h. als Komposition eines Künstlers, wahrgenommen wird und ihm als solcher ein »Sinn« 34 innewohnt, der in der Rezeption als ihr »Richtungsziel« 35 in den Blick genommen werden soll. Dem so charakterisierten Kunstbegriff gelingt es sicher nicht, die Kunst »trennscharf« 36 vom Alltäglichen zu scheiden. Dies erkennt natürlich auch Utitz an und fragt: »Aber sind denn diese Folgerungen wirklich so erschreckend? […] Die Wirklichkeit trennt hier nicht scharf, und so dürfen auch wir nicht ängstlich und pedantisch scheiden, denn sonst verstellen wir uns alle Wege des Verständnisses.« 37 Die Aktualität der Allgemeinen Kunstwissenschaft besteht somit nicht darin, dass hier – entgegen der erklärten Forderung, die Kunst zum Gegenstand einer ›strengen Wissenschaft‹ zu machen – immer wieder ein ›wildes‹, von jedem Methodenzwang befreites Denken zum Ausdruck kommt.38 Ihre Aktualität liegt vielmehr darin, dass in ihren methodologischen Beiträgen (etwa bei Utitz) ein philosophischer oder (etwa bei Dessoir) ein zumindest quasi-philosophischer Kunstbegriff angelegt ist, der geeignet ist, die Basis für eine begründete Diskussion über den Kunstcharakter einer Sache und die Verfahren der Kunstwissenschaften zu bilden: Hier werden Argumente für die Etablierung eines Kunstbegriffs angeführt, der einerseits spezifisch genug ist, um die Kunst von nichtkünstlerischen Gegenständen der ästhetischen Wahrnehmung abzugrenzen, der aber andererseits zugleich offen genug ist, um der Weiterentwicklung bekannter, der Entstehung neuer und der Anerkennung bis dahin nicht als Kunst akzeptierter Kunstformen Rechnung tragen zu können. Und auf eben die hier gefundene Balance »zwischen der notwendigen Geschlossenheit eines allgemeinen Kunstbegriffs und dessen wünschenswerter Offenheit« kommt es »nach wie vor bei jeder kunstphilosophischen Theorie an«.39 Dieser Kunstbegriff zeigt, dass nach der ›Entgrenzung‹ der traditionellen Gegenstandsfelder der einzelnen Kunstwissenschaften zwar beherzte Reformen und interdisziplinäre Kooperationen gefragt sind, dass dabei aber nicht gleich der Kunstbegriff zugunsten übergreifender Begriffe wie ›Bild‹ oder ›Kultur‹ über Bord geworfen werden muss: Die Kunst bleibt eine spezifische Weise, im Zuge der Wahrnehmung unterschiedlichster Kulturfunktionen Sinn im Medium der Sinnlichkeit präsent zu machen. Dies in der Auseinandersetzung mit dem konkreten Objekt zu zeigen, ist aber die bleibende Herausforderung der Kunstwissenschaften. Der Wandel in den Kunstwissenschaften von einer »›Stilgeschichte als solcher‹« hin zu einer »›auf komplexere Prozesse, Mechanismen und Strategien der bildnerischen Kommunikation, auf die Rolle der Kunsterziehung und der Kunstgeschichte bei der Gestaltung des kollektiven Gedächtnisses‹« zielenden Richtung wird in der 34
Ebd., Bd. 1, S. 64 u. ö.
35 Ebd. 36 R.
Schmücker: »Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft«, S. 55. – S. o. S. 121. Utitz: Grundlegung der allgemeinen Kunstwissenschaft, Bd. 1, S. 79 f. 38 Vgl. bes. J. Früchtl: »Ästhetik und Metaphysik in metaphysikkritischen Zeiten«. 39 R. Schmücker: »Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft«, S. 59. 37 E.
Perspektiven der Allgemeinen Kunstwissenschaft337
kunstwissenschaftlichen Selbstreflexion bis heute »nur mit Aby Warburg und seiner Kulturwissenschaftlichen Bibliothek in Verbindung gebracht«. »Eine Erweiterung des Forschungsfeldes um Protagonisten, die sich wie Emil Utitz um eine Neukonsolidierung des Faches bemüht haben«, ist daher überfällig40: Angesichts der Irritationen durch einen ›entlaufenen Kunstbegriff‹ ist es an der Zeit, die Ideen der Allgemeinen Kunstwissenschaft endlich noch umfassender historisch zu erforschen, philosophisch zu prüfen und kunstwissenschaftlich fruchtbar zu machen, als es in diesem Buch geleistet werden konnte.
40 F. Uhlig: »Emil Utitz’ Schriften zur Kunstkritik des Expressionismus«, S. 57 f. (Uhlig bezieht sich hier kritisch auf H. Locher: Kunstgeschichte als historische Theorie der Kunst 1750–1950, S. 464.)
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PERSONENR EGISTER
Eine kursive Seitenzahl verweist auf die Anmerkung der entsprechenden Seite. Abert, Hermann 222, 238 Achmanov, Aleksandr Sergeevič 297 Adama van Scheltema, Frederik 236 Adeline, Jules 306 Adorno, Theodor W. 14 Allen, Grant 322 Allesch, Christian G. 58, 65 Allesch, Gustav Johannes von 213 f., 222, 293 Anschütz, Georg 238, 249, 254 Arendt, Hannah 142 Aristoteles 142 Arnhold, Eduard 223 Arnim, Achim von 239 Avison, Charles 118 Bab, Julius 237 Bach, Johann Sebastian 118 Baesecke, Georg 239, 242 Baeumler, Alfred 209, 217 f., 220, 223, 267 Bakušinskij, Anatolij Vasil’evič 296 Baltrušaitis, Jurgis 277, 305 Balzac, Honoré de 39 Band, Erich 242 Banfi, Antonio 277 Barck, Karlheinz 300 Basch, Victor 11, 21 45, 62, 72, 221, 224, 229, 259–263, 265, 267, 269, 271–274, 277 f., 280–282, 285, 288, 301–309, 311, 322 Baumgarten, Alexander Gottlieb 56, 82, 85, 239 Bayer, Raymond 11, 259, 265, 267, 272, 303–305 Beck, Maximilian 278 f. Becking, Gustav 238 Behrens, Peter 213, 222, 223, 225
Belting, Hans 13 Benjamin, Walter 271 Beöthy, Zsolt von 229 Bergh, Richard 229 Bergmann, Hugo 122 Bergmann, Karl Ernst Theodor 233 Bergson, Henri 264 Bernhart, Toni 20, 213 Bertaux, Emile 229 Betzler, Monika 11 Bexte, Peter 315 Beyer, Andreas 20 Biehle, Johannes 267 f. Bites-Palévitch, Milda siehe: Palēviča-Bite, Milda Boas, George 277 Boehm, Gottfried 14, 84 Böhme, Fritz 238 Boileau, Nicolas 280 f. Bolzano, Bernard 130 Bosanquet, Bernard 229 Brenn, Franz 280 Brentano, Franz 42, 71, 122 f., 130 f. Brinckmann, Albert Erich 267–269 Brinkmann, Woldemar 266 Britsch, Gustav 225 Brod, Max 122 Bruckner, Anton 275 Bühler, Charlotte 233 f., 257 Bühler, Karl 220, 257 f. Bullough, Edward 224 Burckhardt, Jacob 35, 291 Bürger, Gottfried August 48 Bürger, Peter 169 Burkhardt, Liane 23 Busch, Werner 194, 332 Buschendorf, Bernhard 198 Busse, Kurt Heinrich 225
384 Personenregister Carus, Carl Gustav 239 Cassirer, Ernst 22, 62, 84, 102, 157, 173, 185, 189, 193, 221, 223, 240, 245–247, 249–256 Cassirer, Paul 223 Christiansen, Broder 297 Claudel, Paul 262, 264, 271, 273, 277 Cohen, Hermann 64 f., 222, 228 Cohn, Danièle 20 Cohn, Jonas 48, 63 f., 67 f., 222, 224, 233 Collenberg-Plotnikov, Bernadette 19 Cornelius, Hans 222, 285, 287 Coutrot, Jean 305 Croce, Benedetto 215, 229, 253, 305 Curtius, Ernst Robert 267 Damnjanović, Milan 272 Danto, Arthur C. 57, 128 De Bruyne, Edgar 278 f. Dehmel, Richard 222 Deinhard, Hanna siehe: Levy-Deinhard, Hanna Delacroix, Henri 303, 305, 322 Desjardins, Paul 271 Despiau, Charles 303 Dessoir, Max 10–12, 17–21, 23 f., 27–33, 36–38, 45 f., 49, 53, 57, 60–62, 66, 68–72, 74–80, 83, 87, 90, 94–97, 99– 113, 115–125, 128–130, 132, 134, 138, 141–144, 152 f., 160 f., 171, 184–187, 189, 203–222, 224–233, 235, 237, 240–243, 246–257, 259 f., 263, 267–274, 276 f., 279–283, 285–288, 292, 294, 297–299, 301 f., 304 f., 309–327, 332 f., 336 Dewey, John 161 Diderot, Denis 277 Dilly, Heinrich 19, 43, 228, 247, 263 f., 267, 291, 313 Dilthey, Wilhelm 68, 71, 75, 78, 99, 101, 103, 110, 113–117, 140, 161, 231, 235 Dinger, Hugo 285 Dittmann, Lorenz 314 Dorner, Alexander 254, 256 Dostoevskij, Fëdor Michajlovič 39, 46 Drommert, René 250
Dufrenne, Mikel 272 Dürer, Albrecht 252 Dvořak, Max 187 Ebbinghaus, Julius 268 f., 271 Eckardt, Johannes 258 Eggemann, Helga 269 f., 280 Ehrenfels, Christian von 123 Eibl, Hans 258 Eichendorff, Joseph von 239 Eisler, Colin Tobias 317 Eitelberger, Rudolf 35 Elster, Ernst 222 Éluard, Paul 277 Emmanuel, Maurice 303, 305 Enke, Alfred junior 215, 219, 250 Epting, Karl 267 Erdmann, Benno 222 Everth, Erich 163, 167 Fabre, Lucien 277 Fechner, Gustav Theodor 55, 57–60, 68, 71, 80, 84, 86, 91 Feldman, Valentin 277 Ficker, Johannes 240 Fiedler, Konrad 10, 21, 24, 55, 82–97, 100, 133 f., 136 f., 139, 152 f., 155, 167, 179, 181 f., 271, 286, 297, 312, 330 f., 335 Fierens, Paul 305 Fischer, Aloys 286, 287 Flaubert, Gustave 39 Focillon, Henri 277, 279, 303, 305 Formaggio, Dino 19, 322 Fraenger, Wilhelm 253 Francastel, Pierre 277 François-Poncet, André 269 Franke, Ursula 11, 19, 79, 99, 314, 333 f. Fränkel, Hermann 254 Frankl, Paul 231, 236, 239, 242, 244, 256 Franz, Robert 239 Franzini, Elio 20 Freud, Sigmund 235 Frey, Dagobert 215, 219, 236, 254, 256, 258 Friče, Vladimir Maksimovič 296
Personenregister Friedländer, Max. J. 34, 144, 187 f. Friedmann, Hermann 254 Friedrich, Hugo 333 Frischeisen-Köhler, Max 139, 239 Gabričevskij, Aleksandr Georgievič 297 Gadamer, Hans-Georg 165 Gantner, Joseph 277 Gatz, Felix Maria 273, 275 f., 319 Gaul, August 223 Geiger, Moritz 71, 77, 130–132, 220, 224, 235 Gémier, Firmin 303 George, Stefan 310 Gerstenberg, Kurt 240, 242 Ghyka, Matila C. 305 Giese, Fritz 245 Gilbert, Katharine Everett 277, 311, 322 Glaser, Curt 222 Gleizes, Albert 277 Glockner, Hermann 252, 258 Goebbels, Joseph 209, 211 Goethe, Johann Wolfgang von 48, 118, 239, 242, 271 Goldschmidt, Adolph 222 Goodman, Nelson 88 Görland, Albert 249, 253 Gran, Gerhard 34 Grautoff, Otto 277 Groos, Karl 48, 58–61, 63 f., 66, 71, 222, 297 Gropius, Walter 223 Guastalla, Pierre 305 Gurlitt, Fritz 223 Haecker, Valentin 243 Hagemann, Carl 237 Haguenin, Émile 212 Hamann, Richard 11, 22, 24, 30, 46, 69, 73, 75, 100, 102, 121, 142, 161–168, 170–183, 191, 206, 212, 222, 224, 226, 228, 274, 279 f., 292, 310, 315, 333 Händel, Georg Friedrich 239, 242 Hart, Julius 213 Hartmann, Eduard von 158
385
Hartmann, Nicolai 267 Hauptmann, Gerhart 39, 335 Haus, Andreas 97 Hauttmann, Max 215 Haym, Rudolf 239 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 35, 47, 50, 55 f., 58, 83, 104, 106, 142, 145, 150, 152, 178, 317 Heidegger, Martin 311 Heinemann, Fritz 278 f. Heinitz, Wilhelm 267 f. Henckmann, Wolf hart 16, 18 f., 30, 39 f., 108, 130, 204, 207 f., 210, 224, 285, 300, 309, 312 f. Hermand, Jost 19, 162 Herrmann, Christian 230, 232, 238 Herrmann, Curt 223 Herrmann, Helene 118 Herrmann, Max 213, 254 Hettner, Hermann 83 Heuß, Alfred 118 Heydenreich, Ludwig Heinrich 250 Hildebrand, Adolf von 153 Hilker, Franz 233 Hitler, Adolf 218, 276, 321, 326 Hock, Stefan 258 Hoernes, Moriz 222, 225, 229, 257, 259 Hofmann, Paul 245 Hofmann, Werner 333 Holly, Michael Ann 317 Hornbostel, Erich von 238 Hotho, Heinrich Gustav 50 Hourticq, Louis 303, 305 f. Huldschinsky, Oskar 223 Hüpgens, Theodor 258 Husserl, Edmund 65, 67, 130 f., 242, 295 Ibsen, Henrik 39 Imamichi, Tomonobu 272 Ingarden, Roman 137, 270, 277 Iofan, Boris Michajlovič 266 Jacoby, Heinrich 234, 237 Jacquemin, André 277 Jaensch, Erich Rudolf 215, 220
386 Personenregister Jakobson, Roman 123, 131 Jantzen, Hans 225 Jarnach, Philipp 238 Jaspers, Karl 235, 267 Jean Paul ( Jean Paul Friedrich Richter) 14 Joël, Karl 229 Jordán de Urriés y Azara, José 215, 219, 229 Justi, Carl 35, 291 Kaf ka, Franz 122, 245 Kaf ka, Gustav 267 f., 279 Kainz, Friedrich 219, 256–258, 311, 326 f. Kandinskij, Vasilij Vasil’evič 11, 97, 295– 297, 299 f. Kant, Immanuel 57, 64, 84 f., 89, 92 f., 147, 150, 163, 187, 193, 334 Kappel, Marcus 223 Karo, Georg 240 Katz, David 245 Kaufmann, Fritz 242–246, 254, 264 Keenan, Daniel 317 Kemp, Wolfgang 11 Kerschensteiner, Georg 222 Kesten, Hermann 269 Keußler, Gerhard von 238 Kisch, Egon Erwin 122 Klages, Ludwig 156 f. Klein, Robert 194 Kluckhohn, Paul 206 Koch, Franz 258 König, René 217 Korsch, Karl 258 Korte, Werner Ferdinand 333 Köster, Albert 229 Kozák, Jan Blahoslav 123, 130 Krahmer, Gerhard 253 Kraus, Oskar 123 Kreis, Friedrich 252 Kretschmer, Ernst 235 Kris, Ernst 257 Kuhn, Helmut 51, 217, 219, 254, 258, 311, 318, 322 f. Külpe, Oswald 58–61, 222, 229
Laban, Rudolf von 238, 277 Lalande, André 306 f. Lalo, Charles 11, 224, 259, 261, 265, 270, 272, 274, 280–282, 285, 301, 303–305, 308, 322 Lamprecht, Karl 222, 224, 293 Landgrebe, Ludwig 123 Landmann-Kalischer, Edith 85 Landry, Lionel 308 Landsberger, Franz 284 Lange, Konrad 29, 60 f., 71, 222 Langer, Susanne Katherina 161 Lanicca, Anna 289 f., 293 Lapicque, Louis 305 Laurila, Kaarle Sanfried 45, 318 Lederer, Hugo 223 Lee, Vernon (Violet Paget) 71 Lehmann, Rudolf 222 Leonardo da Vinci 303 Lessing, Gotthold Ephraim 248 f., 252 f. Levy-Deinhard, Hanna 277 Lhote, André 305 Liebermann, Max 335 Liebert, Arthur 29, 42, 132, 210, 215, 219 f., 227 f., 230–232, 250 Liepe, Wolfgang 231, 239, 242 Lifar’, Sergej Michajlovič 277 Lipps, Theodor 29, 59–62, 64, 66, 71 f., 91, 204, 222, 229, 287 Listowel, William Francis Hare, Earl of 305 Loeschcke, Georg 222 Loewi, Otto 86 Lombroso, Cesare 235 Lotter, Konrad 300 Lotze, Hermann 144 Lüdeking, Karlheinz 192 Lukács, Georg 46 Lunačarskij, Anatolij Vasil’evič 294, 296, 300 Lutosławski, Witold 277 Lützeler, Heinrich 314 f., 327, 330 Maigné, Carole 19 Majetschak, Stefan 330
Personenregister Malherbe, François de 280 f. Malraux, André 271 Mann, Heinrich 271 Mann, Thomas 271 Marpurg, Friedrich Wilhelm 118 Martersteig, Max 222 Martý, Anton 122 f. Mauriac, François 271 Medicus, Fritz 277 Meier, Georg Friedrich 239 Menzer, Paul 220, 230–232, 239, 242 Mersmann, Hans 238, 254 Meumann, Ernst 58, 60 f., 222 Meyer, Theodor A. 222 Michelangelo (Buonarroti) 37 Mitchell, William J. Thomas 194 Möller, Otto 233 Moog, Willi 245 Moore, George Edward 239 Moos, Paul 123, 152, 225 Morelli, Giovanni 175 Morgenthaler, Walter 254 Morpugo-Tagliabue, Guido 19 Moser, Hans Joachim 238 Moxey, Keith 15 f. Mozart, Wolfgang Amadeus 242 Mueller, John H. 276 Mukařovský, Jan 123, 131, 142, 173, 277, 331 Müller-Freienfels, Richard 11 f., 71, 152 f., 208–210, 267, 294, 319, 321 f., 326 Müller-Hartmann, Robert 249 Munro, Thomas 11, 36 f., 39, 80, 210, 272, 302, 319–327 Münsterberg, Hugo 229 Nachtsheim, Stephan 313 Nadler, Josef 258 Natorp, Paul 65 Nedelcovici, Viorica 302 f., 305 Nida-Rümelin, Julian 11 Noack, Hermann 249 f., 258, 267 Nottebohm, Hedwig 242 Odebrecht, Rudolf 219, 257 f.
387
Ogden, Robert Morris 276 Opresco, Georges 305 Osborne, Harold 122, 272, 327 Ostwald, Wilhelm 279 Pächt, Otto 194 Paget, Violet siehe: Lee, Vernon Palēviča-Bite, Milda 303 Panofsky, Erwin 11, 22, 30, 100, 102, 137, 185 f., 189, 191–194, 204, 223, 249–253, 255 f., 267, 309 f., 315, 317 f. Parker, DeWitt Henry 322 Paryeson, Luigi 272 Passarge, Walter 148, 180 Patočka, Jan 123 Peirce, Charles Sanders 185, 193, 196 Perpeet, Wilhelm 311, 315 Perret, Auguste 277, 303, 305 Petranu, Coriolan 280 Petsch, Robert 219, 249, 251 Picasso, Pablo 266 Pinder, Wilhelm 253, 267 f., 323 Pinotti, Andrea 20 Pinturicchio 144 Platon 184, 198–200 Plessner, Helmuth 220, 238 Podro, Michael 145, 212 Prinzhorn, Hans 204, 235 Raffael 144 Rappolt-Fischer, Paul 269 f. Rathenau, Walther 209, 223 Ravel, Maurice 303 Read, Herbert 277 Rebentisch, Juliane 14, 99 Recki, Birgit 22 Rehkämper, Klaus 14 Reinhardt, Max 223 Richter, Jean Paul Friedrich siehe: Jean Paul Rickert, Heinrich 252 Riegl, Alois 35, 38, 97, 136, 145–147, 153 f., 176 f., 187, 189–191, 196, 290, 317 Riehl, Alois 222 Riemann, Hugo 222, 229, 306
388 Personenregister Riezler, Walter 254 Ritoók, Emma von 74 Ritter, Joachim 173, 300 Rodenwaldt, Gerhart 292 Rodin, Auguste 39 Romains, Jules 305 Roques, Mario 303, 305 Rosenau, Helene 250 Rosenberg, Alfred 218, 269 Rothacker, Erich 206, 223, 267, 300 Rumohr, Carl Friedrich von 83 Sachs, Curt 238 Sachs-Hombach, Klaus 14, 32 Sauerländer, Willibald 13 Saussure, Ferdinand de 33 Saxl, Fritz 250–255 Scheer, Brigitte 83 Scheler, Max 150 Schering, Arnold 215, 219, 238, 240, 242, 258 Schiller, Friedrich 48, 200 f., 271 Schirmer, Walter Franz 219 Schmarsow, August 11, 22, 24, 30, 38, 97, 100–102, 142–161, 176 f., 222, 229, 241, 286 f., 310, 318, 333 Schmidt, Erich 222 Schmidt, Leopold 213 Schmoller, Gustav von 33 Schmücker, Reinold 19, 121, 141, 330 f. Schneider, Ferdinand Josef 240 Schneider, Max 254 Schneider, René 303, 305 Schulte, Eduard 223 Schultze-Naumburg, Paul 222 Schumann, Wolfgang 226 f. Schünemann, Georg 238 Seailles, Gabriel 229 Sedlmayr, Hans 311, 333 f. Semper, Gottfried 83, 144, 158 f. Sievers, Eduard 222 Silberstein, Leopold 277 Simmel, Georg 84, 297 Simon, James 223 Snell, Bruno 249
Solmitz, Walter 250 Solov’eva, Appolinarija Konstantinovna 297 Sörgel, Hermann 161 Souriau, Anne 309 Souriau, Étienne 11, 272, 282, 285, 302– 305, 307–309, 319, 327 Speer, Albert 266 Spencer, Herbert 322 Spengler, Oswald 37 Špet, Gustav Gustavovič 11, 127 f., 134, 184, 288, 294–300 Spitzer, Hugo 83, 121, 222 Stechow, Wolfgang 250, 254, 318 Stein, Heinrich von 239 Steinen, Karl von den 222 Stern, William 249, 254 Strich, Fritz 246 Strzygowski, Josef 177, 288–293 Stumpf, Carl 161, 222 Svoboda, Karel 19, 277, 318 Tatarkiewicz, Ladislas 277 Thausing, Moritz 35, 38, 187 Thiersch, Paul 240, 242 Thom, Nico 19 Thurnwald, Richard 237 f.A, 267 f., 270 Tieck, Ludwig 239 Tietze, Hans 35, 145–147, 176 f., 258, 317 Tilitzki, Christian 210 Tolnay, Charles de 277 Trautmann-Waller, Céline 261, 278, 306 Treu, Georg 224 Uhlig, Franziska 19, 337 Unger, Rudolf 215 Urbain, Georges 305 Ury, Lesser 223 Utitz, Emil 10–12, 17–19, 21, 23 f., 30, 39–42, 44, 46–48, 50, 52–57, 59–60, 67, 74, 77, 80–84, 89–96, 100–102, 122– 144, 152 f., 161, 163 f., 170–172, 175, 178–183, 186 f., 191, 193, 203, 205, 210, 215, 219, 221, 224, 226, 228, 230–232, 236, 239 f., 242 f., 245 f., 250–252, 254,
Personenregister 256, 258 f., 264, 270 f., 274, 279–287, 293, 298, 302, 309–314, 318 f., 321–323, 325 f., 330, 333–337 Vacaresco, Hélène 305 Valéry, Paul 262, 264, 271, 273, 277, 301, 303, 305 Van de Velde, Henry 305 Venturi, Adolfo 305 Venturi, Lionello 277, 280, 305 Vierkandt, Alfred 204, 212 f., 237 Viollet-le-Duc, Eugène 306 Vischer, Friedrich Theodor 197 Vischer, Robert 144 Vladova, Tania 20 Volkelt, Johannes 41, 60–62, 71–73, 76, 204, 222, 229, 286 f. Voll, Karl 222 Vossler, Karl 250, 254 Wackenroder, Wilhelm Heinrich 239 Waetzoldt, Wilhelm 212 Wallaschek, Richard 222, 229 Wallis-Walfisz, Mieczysław 278 Walzel, Oskar F. 34, 152, 222, 225, 238, 297 f. Warburg, Aby 11, 97, 102, 145, 184–186, 195–198, 200 f., 223, 240, 247, 248–253, 255 f., 300, 318, 337 Warburg, Max 250 Warnke, Martin 162 Weber, Max 46 Weber, Wilhelm 242 Weidlé, Wladimir 277, 279 Welsch, Wolfgang 13
389
Werfel, Franz 122 Werner, Heinz 249, 254 Werner, Richard M. 222 Whitman, Walt 39 Wichmann, Ottomar 240 Wickhoff, Franz 160, 174, 176 f., 289 Wiesing, Lambert 85 Wilde, Oscar 182 Winckelmann, Johann Joachim 39, 239, 324 Wind, Edgar 11, 22, 24, 30, 100–102, 184–201, 204, 252, 254–256, 280, 309 f., 315, 317 f., 333 Witasek, Stephan 60 f., 222 Wittsack, Richard 242 Wolff heim, Werner 215, 219, 222 f., 229 f., 232, 250 f. Wölfflin, Heinrich 35, 37, 84, 97, 102, 133, 147, 149 f., 153, 161, 188–190, 195 f., 212–214, 222, 236 f., 244, 297, 326 Worringer, Wilhelm 38, 47, 225 Wrangel, Ewert 215 Wulff, Oskar 11, 22, 30, 53, 100, 142 f., 147, 149, 160, 212 f., 215, 222, 224, 229 f., 232, 237, 267 f., 279, 292 f. Wundt, Wilhelm 58, 60, 62 f., 68, 71 Xirau, Jaoquin 271 Ziehen, Theodor 60 f., 213, 222, 224, 239, 241 f. Zivel’činskaja, Lija Jakovlevna 298 Zola, Émile 39, 81, 93 f. Zucker, Paul 161, 234–238