Die allgemeine Kronzeugenregelung: Dogmatische Probleme und Rechtspraxis des § 46b StGB [1 ed.] 9783428543335, 9783428143337

Mit Wirkung zum 1. September 2009 trat das 43. Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches in Kraft und mit ihm die allgem

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Die allgemeine Kronzeugenregelung: Dogmatische Probleme und Rechtspraxis des § 46b StGB [1 ed.]
 9783428543335, 9783428143337

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Strafrechtliche Abhandlungen Neue Folge · Band 252

Die allgemeine Kronzeugenregelung Dogmatische Probleme und Rechtspraxis des § 46b StGB

Von

Lorenz Nicolai Frahm

Duncker & Humblot · Berlin

LORENZ NICOLAI FRAHM

Die allgemeine Kronzeugenregelung

Strafrechtliche Abhandlungen · Neue Folge Begründet von Dr. Eberhard Schmidhäuser (†) em. ord. Prof. der Rechte an der Universität Hamburg

Herausgegeben von Dr. Dres. h. c. Friedrich-Christian Schroeder em. ord. Prof. der Rechte an der Universität Regensburg

und Dr. Andreas Hoyer ord. Prof. der Rechte an der Universität Kiel

in Zusammenarbeit mit den Strafrechtslehrern der deutschen Universitäten

Band 252

Die allgemeine Kronzeugenregelung Dogmatische Probleme und Rechtspraxis des § 46b StGB

Von

Lorenz Nicolai Frahm

Duncker & Humblot · Berlin

Zur Aufnahme in die Reihe empfohlen von Professor Dr. Heribert Ostendorf, Kiel

Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel hat diese Arbeit im Jahre 2013 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2014 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: L101 Mediengestaltung, Berlin Druck: buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0720-7271 ISBN 978-3-428-14333-7 (Print) ISBN 978-3-428-54333-5 (E-Book) ISBN 978-3-428-84333-6 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meiner Familie

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im September 2013 bei der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel eingereicht. Tag der mündlichen Prüfung war der 9. Dezember 2013. Ein besonderer und herzlicher Dank gilt Prof. Dr. Heribert Ostendorf für die spannende und freundschaftliche Zusammenarbeit an der Forschungsstelle für Jugendstrafrecht und Kriminalprävention, seine stets verständnisvolle Unterstützung bei der Anfertigung der Dissertation und seine Ermutigungen zu weiteren Veröffentlichungen. Dasselbe gilt für meine ehemaligen Weggefährten am Lehrstuhl, von denen mich insbesondere Dipl.-Jur. Felix Doege durch Anregungen und Kritik bei der Anfertigung der Arbeit unterstützt hat. Zu danken habe ich auch Prof. Dr. Andreas Hoyer für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Ihm und Prof. Dr. Dres. h. c. Friedrich-Christian Schroeder danke ich für die Aufnahme in die Schriftenreihe „Strafrechtliche Abhandlungen. Neue Folge“. Schließlich bedanke ich mich bei der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und dem Land Schleswig-Holstein für die großzügige Förderung in Form eines Promotionsstipendiums. Kiel, im April 2014

Lorenz Nicolai Frahm

Inhaltsverzeichnis Einleitung 

15

A. Gegenstand der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 B. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 1. Teil Grundlagen 19 A. Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 I. Begriff des Kronzeugen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 II. Kronzeugen in der deutschen Rechtsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 III. Kronzeugenregelungen im Recht der Bundesrepublik Deutschland . . . . 24 1. Bereichsspezifische Kronzeugenregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 2. Gesetz zur Änderung des StGB, der StPO, des VersG und zur Einführung einer Kronzeugenregelung bei terroristischen Straftaten vom 9.6.1989 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 3. Gesetz zur Änderung des StGB – Strafzumessung bei Aufklärungsund Präventionshilfe (43. StrÄndG) vom 29.7.2009 . . . . . . . . . . . . . 28 B. Europarechtliche Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 C. Sinn und Zweck der Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31



2. Teil Voraussetzungen und Rechtsfolgen 33

A. Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 I. Anlasstat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 1. Täter einer Straftat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 2. Androhung im Mindestmaß erhöhter oder lebenslanger Freiheitsstrafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 II. Bezugstat  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 1. Katalogtat nach § 100a Abs. 2 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 2. Einschätzungszuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 3. Anwendbarkeit auf das Opfer einer Katalogtat . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 III. Freiwillige Offenbarung des Wissens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 1. Offenbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 2. Tatsachen aus dem Wissen des Täters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 3. Freiwilligkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43

10 Inhaltsverzeichnis IV. Das (fehlende) Konnexitätserfordernis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 V. Aufdecken oder Verhindern einer Straftat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 1. Aufklärungshilfe (§ 46b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StGB) . . . . . . . . . . . . . . 50 a) Aufklärungserfolg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 bb) Benennung von Tatbeteiligten und Tatbeteiligung . . . . . . . 52 cc) Verbesserung des Erkenntnisstandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 dd) Erlangung abgesicherter Erkenntnisse . . . . . . . . . . . . . . . . 53 ee) Wesentlichkeit des Beitrages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 ff) Erfolgseintritt im Ausland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 gg) Wechsel im Aussageverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 b) Besondere Voraussetzung bei eigener Tatbeteiligung des Kronzeugen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 aa) Aufklärung über den eigenen Tatbeitrag hinaus. . . . . . . . . 60 bb) Bedeutungslosigkeit der Angaben zum eigenen Tatbeitrag  61 c) Feststellung des Aufklärungserfolges durch das Gericht . . . . . . 63 aa) Einschätzungszuständigkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 bb) Überzeugungsbildung vom Vorliegen eines Aufklärungs­ erfolges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 cc) Reichweite der gerichtlichen Aufklärungspflicht . . . . . . . . 65 dd) Bescheidung von Beweisanträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 2. Präventionshilfe (§ 46b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StGB) . . . . . . . . . . . . . . 71 a) Dienststelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 b) Verhinderung einer Katalogtat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 c) Verhinderung in sonstiger Weise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 d) Tat, von deren Begehung der Täter weiß . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 e) Rechtzeitig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 VI. Zeitpunkt der Offenbarung (§ 46b Abs. 3 StGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 1. Letztmöglicher Zeitpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 2. Erstmöglicher Zeitpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 3. Strafmildernde Berücksichtigung präkludierter Angaben . . . . . . . . 81 B. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 I. Strafmilderung gem. § 49 Abs. 1 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 II. Absehen von Strafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 III. Kriterien für die Ermessensausübung (§ 46b Abs. 2 StGB) . . . . . . . . 87 IV. Gesamtstrafe  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 V. Begründung eines minder schweren Falles  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 VI. Ablehnung eines besonders schweren Falles . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 VII. Zusammentreffen von Aufklärungs- und Präventionshilfe  . . . . . . . . . 96 VIII. Strafzumessung im engeren Sinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 1. Ermittlungshilfe als Verhalten des Täters nach der Tat . . . . . . . . . 98 2. Berücksichtigung allein bei der Strafzumessung im engeren Sinn . 100 IX. Strafaussetzung zur Bewährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102

Inhaltsverzeichnis11 X. Strafrestaussetzung zur Bewährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 XI. Sonstige die Strafvollstreckung betreffende Entscheidungen  . . . . . . . 105 XII. Verweigerte Ermittlungshilfe als Straferhöhungsgrund . . . . . . . . . . . . 107 XIII. Anforderungen an die Urteilsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 XIV. Absehen von Anklageerhebung und Verfahrenseinstellung nach § 153b StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 XV. Anfechtung der Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 XVI. Keine Befugnisnorm zur Geheimnisoffenbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 C. Behandlung von Altfällen: Die Übergangsbestimmung des § 316d EGStGB . 114 3. Teil A. Verhältnis B. Verhältnis C. Verhältnis D. Verhältnis E. Verhältnis F. Verhältnis G. Verhältnis

Verhältnis zu anderen Rechtsnormen 118 zu § 261 Abs. 10 StGB a. F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 zu §§ 129 Abs. 6 Nr. 2, 129a Abs. 7 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 zu § 31 BtMG n. F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 zur tätigen Reue . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 zu § 138 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 zu § 66 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 zu § 257c StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 4. Teil



Handhabung der Kronzeugenregelung 134

A. Handhabung durch die Polizei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 B. Handhabung durch die Staatsanwaltschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 C. Kronzeugenaussage und Untersuchungshaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 D. Aussagepflicht als Zeuge in der Hauptverhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 E. Schutz gefährdeter Kronzeugen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 I. Prozessualer Zeugenschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 II. Zeugenschutz nach dem Zeugenschutz-Harmonisierungsgesetz  . . . . . . 150 III. Zusammenfassung und Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 5. Teil

Bedeutung des § 46b StGB im Jugendstrafverfahren 157

A. Strafmilderung nach § 46b Abs. 1 S. 1 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 I. Unmittelbare Anwendbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 II. Kollision mit jugendstrafrechtlichen Prinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 III. Verbot der Schlechterstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 B. Absehen von Strafe nach § 46b Abs. 1 S. 4 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 C. Verfahrensrechtliche Besonderheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165

12 Inhaltsverzeichnis 6. Teil

Vereinbarkeit mit strafprozessualen und verfassungsrechtlichen Prinzipien 167

A. Vereinbarkeit mit dem Legalitätsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 I. Rechtsstaatsprinzip Art. 20 Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 1. Rechtsstaatlich gebotener Verfolgungszwang  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 2. Legalität und Opportunität  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 3. Eingriff durch § 46b StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 4. Rechtfertigung des Eingriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 a) Eignung zur Effektivierung der Strafrechtspflege und Verbesserung der Prävention  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 b) Erforderlichkeit der Beeinträchtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 c) Angemessenheit von Zweck und Mittel  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 aa) Hohe Eingriffsintensität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 bb) Kein Ermittlungsnotstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 cc) Fehlende Voraussetzung eines Unrechtsgefälles . . . . . . . . . . 188 5. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 II. Allgemeiner Gleichheitssatz Art. 3 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 1. Verhaltensspezifische Differenzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 2. Beschränkung des Ermittlungshilfegegenstandes . . . . . . . . . . . . . . . . 197 3. Ausklammerung der einfachen Kriminalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 4. Präklusion später Wissensoffenbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 5. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 B. Vereinbarkeit mit dem Schuldprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 I. Begriff der Strafzumessungsschuld und Bestimmung der Schuldangemessenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 II. Schuldrelevanz geleisteter Ermittlungshilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 III. Prinzipielle Zulässigkeit und Grenzen von Schuldunterschreitungen . . . 216 IV. Rechtfertigung anhand präventiver Gesichtspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . 219 1. Rechtfertigung aus Gründen der positiven Spezialprävention . . . . . . 219 2. Rechtfertigung aus Gründen der negativen Spezialprävention . . . . . 221 3. Rechtfertigung aus Gründen der positiven Generalprävention . . . . . 221 4. Rechtfertigung aus Gründen der negativen Generalprävention  . . . . 227 V. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 C. Vereinbarkeit mit dem Grundsatz der Wahrheitsermittlung  . . . . . . . . . . . . . 230 I. Wahrheit als Voraussetzung von Gerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 II. Verkürzung des Amtsaufklärungsgrundsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 III. Spezifische Missbrauchsgefahr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 1. Zeitlicher Ausschluss nach § 46b Abs. 3 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 2. Strafschärfende Ergänzung der §§ 145d, 164 StGB . . . . . . . . . . . . . . 240 a) Inhalt der Neuregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 b) Schutzzwecke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246

Inhaltsverzeichnis13 c) Präventionsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 d) Kompensationsfunktion  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 e) Erhöhter Unrechtsgehalt infolge der Missbrauchsabsicht . . . . . . . 252 f) Restriktive Tatbestandsauslegung bei ungeeigneten Tathandlungen . 255 g) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 3. Verwirkungsstrafe  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 4. Erhöhte Anforderungen an die Beweiswürdigung . . . . . . . . . . . . . . . 261 a) Gesteigerte Darlegungs- und Würdigungspflicht . . . . . . . . . . . . . . 262 b) Bestätigung durch weitere Beweismittel („corroboration“) . . . . . . 263 IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 D. Vereinbarkeit mit den Grundsätzen der Öffentlichkeit, Mündlichkeit und Unmittelbarkeit des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 E. Vereinbarkeit mit dem Bestimmtheitsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 I. Inhalt und Grenzen des Bestimmtheitsgebotes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 II. Unbestimmtheit der verwendeten Rechtsbegriffe   . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 III. Abwägung wesentlicher Parameter der Strafe durch Ermessens­ entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 F. Vereinbarkeit mit dem Nemo-tenetur-Prinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 7. Teil

§ 46b StGB aus Sicht der Praxis 285

A. Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 B. Empirische Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 I. Aufbau und Ablauf der Befragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 II. Ergebnisse der Untersuchung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 1. Zusammensetzung der Teilnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 2. Anwendungshäufigkeit und Anwendungsgebiete . . . . . . . . . . . . . . . . 290 3. Verteilung der Verfahren nach Tatbestandsalternative und Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 4. Praktische Bedeutung des § 46b StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 a) Geringer Bekanntheitsgrad . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 b) Alternative Möglichkeiten zur Berücksichtigung kooperativen Verhaltens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 c) Zeitliche Begrenzung auf das Ermittlungs- und Zwischen­ verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 d) Überwiegen der persönlichen Nachteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 e) Zurückhaltung der Justiz  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 f) Ausgestaltung der Anwendungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . 303 g) Mögliche Gründe einer hohen praktischen Bedeutung . . . . . . . . . 304 5. Notwendigkeit einer Kronzeugenregelung aus Sicht der Praxis  . . . 305 6. Bewährung der Kronzeugenregelung aus Sicht der Praxis  . . . . . . . 308

14 Inhaltsverzeichnis   7. Anwendung der Kronzeugenregelung im Jugendstrafverfahren . . 312   8. § 46b StGB und die Strafzwecke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313   9. Beurteilung der Missbrauchsrisiken und -vorkehrungen . . . . . . . . 317 10. Fehlende Konnexität zwischen Anlass- und Bezugstat . . . . . . . . . 323 11. Die Honorierung der Aufklärungs- und Präventionshilfe als Gegenstand von Gesprächen zwischen Beschuldigtem und Justiz 325 12. Verweis auf § 100a Abs. 2 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 13. Verfassungsrechtliche und moralische Bedenken . . . . . . . . . . . . . . 332 14. Gesetzgeberischer Handlungsbedarf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 C. Zusammenfassung der Ergebnisse  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339



8. Teil Abschließende Erörterung 342

A. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 B. Reformkonzept: „Bändigung“ des entfesselten Kronzeugen . . . . . . . . . . . . . 346 Anhang: Fragebogen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377

Einleitung Zur Informationsgewinnung in abgeschotteten Deliktsbereichen, die sich durch ein besonders hohes Maß an Konspirativität auszeichnen, bieten sich grundsätzlich zwei verschiedene Vorgehensweisen an.1 Zum einen kann der Staat seine Ermittlungen im Geheimen führen und versuchen, z. B. durch elektronische Überwachungsmaßnahmen oder den Einsatz verdeckter Ermittler von außen in das kriminelle Milieu einzudringen. Zum anderen kann versucht werden, auf Informationsquellen zuzugreifen, die selbst dem kriminellen Milieu entstammen. Ein Ansatz der internen Informationsbeschaffung besteht darin, Personen, die selbst an Straftaten beteiligt sind, Kompromisse hinsichtlich ihrer Bestrafung anzubieten, um sie auf diese Weise zur Mithilfe bei der Aufklärung oder Verhinderung von anderen Straftaten zu bewegen. Über die Legitimität eines derartigen Vorgehens wird nicht nur in der jüngeren kriminalpolitischen Diskussion, sondern bereits seit mehreren Jahrhunderten gestritten. Cesare Beccaria, der bedeutende italienische Rechtsphilosoph und Strafrechtsreformer sowie Begründer der klassischen Schule der Kriminologie, äußerte schon im Jahr 1764 Bedenken bezüglich der Praxis einiger Gerichte, dem Mittäter eines schweren Verbrechens für die Belastung seiner Komplizen Straflosigkeit zu versprechen.2 Dazu führte er aus: „Ein solches Auskunftsmittel hat seine Nachteile und Vorteile. Die Nachteile bestehen darin, dass die Nation den Verrat gutheißt, der verabscheuenswert noch unter den Verbrechern ist; denn die Verbrechen, die Mut erfordern, sind für eine Nation weniger verhängnisvoll als die aus Niedertracht begangenen, weil der Mut nicht häufig verkommt und ihm nur eine wohltätige und lenkende Kraft fehlt, die ihn mit dem öffentlichen Wohl in Übereinstimmung brächte, weil zudem die Niedertracht verbreiteter und ansteckender ist und immer mehr in sich selbst verstrickt. Darüber hinaus verrät das Gericht die eigene Unsicherheit und die Schwäche des Gesetzes, das die Hilfe dessen sucht, der es verletzt.“3 Auf der anderen Seite sah Beccaria jedoch die Vorzüge einer gesetzlichen Regulierung der Problematik gegenüber einer Praxis vereinzelter Absprachen: „Mir will scheinen, daß ein allgemeines Gesetz, das jedem Jeßberger: Kooperation und Strafzumessung, S. 19 f. Dei delitti e delle pene, S. 114 f. („Un tale spediente …“); zitiert nach der Übersetzung von Alff, S. 141; Middendorff ZStW 85 (1973), 1102, 1121; ­Bocker: Der Kronzeuge, S. 12. 3  Beccaria: Dei delitti e delle pene, S. 114 f. („Un tale spediente …“); zitiert nach der Übersetzung von Alff, S. 141. 1  Vgl.

2  Beccaria:

16 Einleitung

Mittäter, der ein Verbrechen aufdeckt, Straflosigkeit verspräche, einer besonderen Erklärung in einem einzelnen Falle vorzuziehen sei, weil so durch die gegenseitige Furcht, die ein jeder Mittäter hätte, nur sich selbst der Gefahr auszusetzen, den Zusammenschlüssen vorgebeugt würde; das Gericht würde nicht die Verbrecher übermütig machen, die sich in einem besonderen Falle um ihre Mithilfe gebeten sähen. Ein solches Gesetz sollte jedoch die Straflosigkeit mit der Verbannung des Angebers verbinden.“4

A. Gegenstand der Arbeit Am 1.9.2009 trat das 43. Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches in Kraft. Kern des Änderungsgesetzes ist der neugeschaffene § 46b StGB, mit dem erstmals eine umfassende Regelung der Hilfe zur Aufklärung oder Verhinderung von Straftaten für sämtliche Straftäter der mittleren und schweren Kriminalität in das Strafzumessungsrecht integriert wurde. Diese Vorschrift ist Thema der vorliegenden Arbeit. Auch wenn § 46b StGB nach Aussage der Bundesregierung ganz bewusst nicht als zeitlich befristete „Erprobungsvorschrift“ ausgestaltet wurde,5 handelt es sich bei seiner Einführung um ein bislang einzigartiges Experiment. Zu Recht wurde die Norm daher auch als „Testballon mit noch unbekannter Flugrichtung“ bezeichnet, den man im Auge behalten müsse, „um im Absturzfall schnell reagieren zu können“.6 So war § 46b StGB bereits während des Gesetzgebungsverfahrens außerordentlich umstritten. Im Schrifttum wurde unter anderem kritisiert, das Vorgehen nach § 46b StGB kollidiere mit dem im deutschen Strafverfahren geltenden Legalitätsprinzip und weiche es in nicht mehr akzeptabler Weise auf.7 Andere bemängelten, die Vorschrift bedeute eine Abwendung vom Prinzip der schuldangemessenen Strafe.8 Darüber hinaus stoße sie auf Bedenken bezüglich des in Art. 3 Abs. 1 GG verbürgten Gleichheitssatzes.9 Weitere Kritikpunkte betrafen den Bestimmtheitsgrundsatz,10 das Nemotenetur-Prinzip,11 die mit der Auslobung einer Gratifikation verbundene Gefahr von Falschbelastungen,12 außerdem die Verlagerung des Verfahrens4  Beccaria: Dei delitti e delle pene, S. 115 („Sembrerebbemi che una legge generale …“); zitiert nach der Übersetzung von Alff, S. 142. 5  BT-Drucks. 16 / 6268, S.  20. 6  Dann NJW-Editorial 34 / 2009, III. 7  Mushoff KritV 2007, 366, 374 f. 8  Saldit StV 2009, 375, 376. 9  Sahan / Berndt BB 2010, 647, 648. 10  Salditt StV 2009, 375, 376. 11  Salditt StV 2009, 375, 377. 12  Frank / Titz ZRP 2009, 137, 139.



B. Gang der Untersuchung17

schwerpunktes in das polizeiliche Ermittlungsverfahren.13 Widerstand gegen die geplante Einführung regte sich jedoch nicht nur von Seiten der Literatur. Auch die Berufsverbände traten dem nach ihrer Ansicht „fragwürdigen Handel mit dem Verbrechen“14 mit überraschender Geschlossenheit entgegen: Der Deutsche Richterbund, der Deutsche Anwaltverein, die Bundesrechtsanwaltskammer sowie die Strafverteidigervereinigungen sprachen sich in einer gemeinsamen Erklärung gegen die geplante Änderung aus. Zu diesem Vorgehen sah man sich angesichts der Gefahren veranlasst, welche die Vorschrift für das rechtsstaatliche Strafverfahren mit sich bringe.15 Ziel einer Untersuchung des § 46b StGB muss daher sein, zunächst die Voraussetzungen, Rechtsfolgen und Systematik des § 46b StGB eingehend zu beleuchten, um die Vorschrift anschließend auf ihre Vereinbarkeit mit strafprozessualen und verfassungsrechtlichen Prinzipien überprüfen zu können. Darüber hinaus soll die Arbeit einen Einblick in die Rechtspraxis des § 46b StGB gewähren und insbesondere klären, ob aus der Sicht von Praktikern überhaupt ein Bedürfnis für, bzw. Bedenken gegen eine allgemeine Kronzeugenregelung bestehen.

B. Gang der Untersuchung Im 1. Teil werden deshalb zunächst die historischen und europarecht­ lichen Grundlagen dargelegt sowie Sinn und Zweck der Norm anhand der Gesetzesbegründung kurz erläutert. Anschließend werden im 2. Teil ausführlich die Voraussetzungen und Rechtsfolgen des § 46b StGB untersucht. Darüber hinaus wird im 3. Teil das systematische Verhältnis der allgemeinen Kronzeugenregelungen zu anderen Vorschriften, insbesondere zu den bereichsspezifischen Kronzeugenregelungen und der Verständigung im Strafverfahren erörtert. Der 4. Teil befasst sich mit den rechtlichen Vorgaben für die Handhabung der Kronzeugenregelung durch die Strafverfolgungsbehörden und die Justiz. Berücksichtigt wird dabei unter anderem die Reichweite der Aussagepflicht des Ermittlungsgehilfen in der Hauptverhandlung sowie die Gewährleistung des effektiven Zeugenschutzes innerhalb und außerhalb des Strafverfahrens. Gegenstand des 5. Teils ist die Frage, ob und inwieweit § 46b StGB auch im Jugendstrafrecht zur Anwendung kommen kann. An13  Fischer:

StGB, § 46b Rn. 4b. Erklärung des Deutschen Richterbundes, des Deutschen Anwaltvereins, der Bundesrechtsanwaltskammer und der Strafverteidigervereinigungen vom 17.8.2006, S. 3. 15  Gemeinsame Stellungnahme des Deutschen Richterbundes, des Deutschen Anwaltvereins, der Bundesrechtsanwaltskammer und der Strafverteidigervereinigungen vom 17.8.2006, S. 2. 14  Gemeinsame

18 Einleitung

schließend befasst sich der folgende 6. Teil, aufbauend auf den bisherigen Ergebnissen, mit der Vereinbarkeit von § 46b StGB mit verschiedenen verfahrensrechtlichen und verfassungsrechtlichen Prinzipien, wobei vor allem auf die eingangs erwähnten Kritikpunkte eingegangen wird. Gegenstand des vorletzten 7. Teils ist schließlich eine empirische Untersuchung der Rechts­ praxis des § 46b StGB anhand einer bundesweiten Befragung von Richtern, Staatsanwälten und Strafverteidigern. Im 8. Teil werden die Ergebnisse der Arbeit rekapituliert, und abschließend eigene Vorschläge zur Reform der Kronzeugenregelung entwickelt.

1. Teil

Grundlagen A. Entstehungsgeschichte I. Begriff des Kronzeugen Im deutschsprachigen Raum existiert der Begriff „Kronzeuge“ seit 1876.1 Ursprünglich aus der angelsächsischen Verfahrenspraxis stammend wird er abgeleitet vom englischen Ausdruck „king’s evidence“ (oder „to give evidence for the crown“ = für die Krone als Zeuge aussagen).2 Hintergrund dieser Bezeichnung ist die in England bestehende Staatsform der konstitutionell-parlamentarischen Monarchie.3 Ein Zeuge der Anklage ist demnach nicht nur ein Zeuge des Staates, sondern zugleich ein Zeuge des Königs bzw. der Königin und somit ein Zeuge der Krone. Vor dem Hintergrund der in England seit 1952 amtierenden Königin Elisabeth II. wird synonym daher auch „queen’s evidence“ verwendet.4 Daneben gibt es im Recht der Vereinigten Staaten von Amerika den Begriff „state witness“, dessen Übersetzung „Staatszeuge“ streng genommen die für die Bundesrepublik Deutschland passendere Terminologie darstellt.5 Letztlich hat sich jedoch die Bezeichnung des Kronzeugen trotz sprachlicher Ungenauigkeit nicht nur im allgemeinen Sprachgebrauch, sondern auch in der Rechtswissenschaft als Kurzformel für eine bestimmte kriminalpolitische Fragestellung etabliert.6 So taucht der Begriff insbesondere in den Gesetzgebungsmaterialen auf.7 Die amtliche Überschrift des Gesetzestextes hingegen umschreibt das Verhalten des Kronzeugen sachlich zutreffend als „Hilfe zur Aufklärung oder Verhin1  Jaeger: Der Kronzeuge, S. 1; Kluge: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, Stichwort „Kronzeuge“. 2  Vgl. Vogel GA 2011, 520, 521. 3  Bocker: Der Kronzeuge, S. 8. 4  Concise Oxford Dictionary of Current English, „evidence“; vgl. auch Denny ZStW 103 (1991), 269, 270. 5  Jaeger: Der Kronzeuge, S. 1; Jahrreiß, in: FS-Lange, S. 767; Bocker: Der Kronzeuge, S. 8. 6  Jung: Straffreiheit für den Kronzeugen, S. 39 (Fn. 113). 7  Entwurf der Bundesregierung eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Strafzumessung bei Aufklärungs- und Präventionshilfe, BT-Drucks. 16 / 6268, S. 2.

20

1. Teil: Grundlagen

derung von schweren Straftaten“, verkürzt ausgedrückt als Aufklärungsoder Präventionshilfe.8 Der gemeinsame Oberbegriff für Aufklärungs- und Präventionshilfeleistungen ist die Ermittlungshilfe, weshalb bei einem Kronzeugen auch von einem Ermittlungsgehilfen gesprochen werden kann.9 Im allgemeinen Sprachgebrauch durchlebte das Wort Kronzeuge einen Wandel.10 Heute wird darunter meist ein Hauptbelastungszeuge verstanden, dessen Aussage den Gang des Verfahrens so maßgeblich beeinflusst, dass hiervon der Ausgang des gesamten Prozesses abhängt.11 Insbesondere in der Presse finden sich zahlreiche Beispiele, in denen der Begriff in diesem Zusammenhang gebraucht wird.12 Entgegen der umgangssprachlichen Verwendung gehört es jedoch zu den prägenden Elementen einer Kronzeugenregelung, dass es sich bei dem Ermittlungsgehilfen nicht nur um einen Zeugen, sondern zugleich auch um einen Straftäter handelt.13 Unter einem Kronzeugen im Rechtssinn ist daher eine Person zu verstehen, die im Gegenzug für die Preisgabe ihres Wissens über die Straftaten anderer Personen vom Staat Zugeständnisse im Zusammenhang mit der Verfolgung oder Bestrafung eigener mutmaßlicher Taten erhält.14 Dabei muss zwischen internen und externen Kronzeugen unterschieden werden. Um einen internen Kronzeugen handelt es sich, wenn Kronzeugentat und der Gegenstand der Aufklärungs- oder Präventionshilfe aus ein und demselben Tatgeschehen herrühren, also eine eigene Beteiligung des Kronzeugen an der Bezugstat vorliegt.15 Von einem externen Kronzeugen spricht man dagegen, wenn der Aufklärungs- oder Präventionsgehilfe über Kenntnisse im Hinblick auf Delikte verfügt, die zwar einen Zusammenhang mit seinen eigenen Straftaten aufweisen, an denen er jedoch selbst nicht beteiligt war, oder die überhaupt keinen Zusammenhang mit seinen eigenen Taten aufweisen.16 Mitunter wird 8  Dreiundvierzigstes Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches – Strafzumessung bei Aufklärungs- und Präventionshilfe (43. StrÄndG) vom 29.7.2009, BGBl. I S. 2288 m. W. v. 1.9.2009. 9  Kaspar / Wengenroth GA 2010, 453 (Fn. 1). 10  Jaeger: Der Kronzeuge, S. 1 f. 11  Duden Herkunftswörterbuch, S. 455; Kluge: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, Stichwort „Kronzeuge“; vgl. ferner Freiberg ZStW 59 (1940), 33, 48, der die Aussage des Kronzeugen als „Krone“ der Beweisführung bezeichnet. 12  Vgl. die Beispiele bei Bocker: Der Kronzeuge, S. 8 f. 13  Jeßberger: Kooperation und Strafzumessung, S. 26. 14  Weigend, in: FS-Jescheck, 2. Halbband, S. 1337; Eisenberg: Beweisrecht der StPO, Rn. 942. 15  BayOblG NJW 1991, 2575, 2579; Jeßberger: Kooperation und Strafzumessung, S. 30. 16  Jeßberger: Kooperation und Strafzumessung, S. 32; ders.: Stellungnahme im Rechtsausschuss, S. 6; vgl. außerdem die Verwendung des Begriffs in der Gegen­ äußerung der Bundesregierung, BT-Drucks. 16 / 6268, S. 20.



A. Entstehungsgeschichte21

weitergehend differenziert zwischen dem unechten externen Kronzeugen, dem zwar die eigene Tatbeteiligung fehlt, der jedoch einer der Bezugstat entsprechenden Straftat verdächtigt wird, und dem echten externen Kronzeugen, der weder an der Bezugstat beteiligt, noch einer übereinstimmenden Anlasstat verdächtig ist.17

II. Kronzeugen in der deutschen Rechtsgeschichte Während das Rechtsinstitut des Kronzeugen im angloamerikanischen Rechtskreis bereits seit mehreren Jahrhunderten anerkannt ist, erlangte die Verwendung von Kronzeugen in der deutschen Rechtsgeschichte lediglich eine gewisse Tradition in Form von verstreut dokumentierten Einzelfällen.18 Diese reicht allerdings bis in Zeiten zurück, in denen die Bezeichnung „Kronzeuge“ noch nicht im Sprachgebrauch verankert war.19 Bereits im Mittelalter gab es Hinweise auf honorierte Aufklärungsgehilfen. So wurde in der Stadt Dortmund eine Belohnung für die Ergreifung von vier flüchtigen Straftätern ausgesetzt und darüber hinaus jedem, der gegenüber der Stadt „etwas auf dem Kerbholz habe“, völlige Straffreiheit zugesichert („dat sal eme allet vergheven und versoent syn“), sobald er die Gesuchten tot oder lebendig einlieferte. Allerdings ließ man die auf diese Weise begnadigten Personen „Urfehde“ schwören, dass sie Zeit ihres Lebens der Stadt und ihren Bürgern nie wieder Übel zufügen würden.20 Im späten 18. Jahrhundert machte sich der Oberamtsmann Schäffer in Sulz am Neckar um die Bekämpfung des ausufernden Gaunertums verdient, indem er sich für die Begnadigung von Banditen einsetzte und im Gegenzug Informationen erhielt, mit denen er seine „Gaunerlisten“ anlegte und ergänzte, bis sich diese durch besondere Genauigkeit und Zuverlässigkeit auszeichneten.21 Historische Belege finden sich darüber hinaus auch im 19. Jahrhundert. Nach Berichten des preußischen Criminal-Auktarius Thiele erging am 31.1.1831 in Preußen eine Kabinettsorder, derzufolge einem jüdischen Handelsmann namens Moses Levin Löwenthal, dem verschiedene schwere Diebstähle vorgeworfen wurden, „die Strafe all derjenigen Diebstähle, wel17  Jeßberger:

Kooperation und Strafzumessung, S. 32. Straffreiheit für den Kronzeugen, S. 2. 19  Jung: Straffreiheit für den Kronzeugen, S. 2. 20  Stahm: Das Strafrecht der Stadt Dortmund bis zur Mitte des XVI. Jahrhunderts, in: Deutschrechtliche Beiträge, Band IV, Heidelberg 1910, S. 290; vgl. Middendorff ZStW 85 (1973), 1102, 1117. 21  Radbruch / Gwinner: Geschichte des Verbrechens, S. 275  f.; vgl. Middendorff ZStW 85 (1973), 1102, 1117. 18  Jung:

22

1. Teil: Grundlagen

che er bisher verübt, oder an deren Verübung er Theil genommen habe, erlassen werden sollte, wenn er, durch ein vollständiges Bekenntniß seiner Verbrechen, seine Mitbeschuldigen dergestalt bezeichne, daß wenigstens auf eine außerordentliche Strafe gegen dieselben erkannt werden könne, und wenn er sich nicht in der Folge durch Verübung neuer Verbrechen oder Vergehen, der, für die bisherigen ihm erteilten, dann aber wegfallenden, Begnadigung unwürdig mache.“22 Einige Zeit später im Jahr 1851 wurde Holstein von einer Welle von Diebstählen heimgesucht. Unter ausdrücklicher Bezugnahme auf den Fall des Kronzeugen Löwenthal beschloss der damalige Rat am Holsteiner Oberlandesgericht und spätere Senatspräsident des Reichsgerichts Paul Christian Henrici, einen berüchtigten Dieb namens Strauß in ähnlicher Weise zum Aufklärungsgehilfen zu machen.23 Dieser zeigte sich nicht abgeneigt, wenngleich nur unter der Bedingung, dass ihm die Mittel zur Auswanderung nach Amerika gewährt würden. Schließlich wurde Strauß vom dänischen König begnadigt und seinem Wunsch entsprochen.24 Obwohl dank dieses Vorgehens viele Straftäter festgenommen werden konnten, betonte Henrici in seinen Aufzeichnungen, dass es sich weder um ein alltägliches Vorgehen noch eine für ihn einfache Entscheidung gehandelt habe: „Der Zustand erinnerte an den, wie er in Preußen Anfang der dreißiger Jahre bestanden und dort nur bewältigt worden war durch die außerordentliche Maßregel der Aufstellung eines Kronzeugen. Und mir war es klar, auch wir würden nur auf demselben Wege uns heraushelfen können. […] Die Verantwortlichkeit für diese außerordentliche Maßregel belastete mich um so mehr, da mein Freund, der damalige Chef des Justizdepartements, mir geschrieben hatte, dass er seine Bedenken schwerlich überwunden hätte, wenn der Vorschlag nicht von mir ausgegangen wäre.“25 Abschließend zog er jedoch eine positive Bilanz: „Die tief erschütterte Sicherheit war damit für lange Zeit völlig wiederhergestellt.“26 Diese Chronik ist keinesfalls abschließend, veranschaulicht jedoch, dass sich auch in der deutschen Rechtsgeschichte zahlreiche Beispiele für die Verwendung von Kronzeugen finden lassen. Auffällig ist, dass der Kronzeuge meist erst als ultima ratio zum Einsatz kam, wenn sich die Justiz gegenüber einer als besonders bedrohlich empfundenen Kriminalitätswelle nicht 22  Thiele: Die jüdischen Gauner in Deutschland, S. 30; Jung: Straffreiheit für den Kronzeugen, S.  2 f.; Bocker: Der Kronzeuge, S. 13. 23  Henrici: Lebenserinnerungen eines Schleswig-Holsteiners, S.  60; vgl. auch ­Hoyer JZ 1994, 233; Bocker: Der Kronzeuge, S. 13. 24  Henrici: Lebenserinnerungen eines Schleswig-Holsteiners, S. 60. 25  Henrici: Lebenserinnerungen eines Schleswig-Holsteiners, S. 58. 26  Henrici: Lebenserinnerungen eines Schleswig-Holsteiners, S. 60.



A. Entstehungsgeschichte23

anders zu helfen wusste und die Verunsicherung der Bevölkerung die Strafverfolgungsbehörden unter Zugzwang setzte.27 Zu einer gesetzlichen Fixierung dieser Praxis kam es dennoch lange Zeit nicht. Die wahrscheinlich ersten konkreten Vorschläge zur Kodifikation tauchten zur Zeit der nationalsozialistischen Diktatur auf, als man im Wege vorsichtiger Rechtsvergleichung nach neuen Methoden der Verbrechensbekämpfung forschte.28 Man war entschlossen „jede Gelegenheit auszuschöpfen, um den auf Sieg gestellten Kampf des Strafrechts zu führen.“29 Jedoch sollten möglichst nur diejenigen Rechtseinrichtungen in Betracht gezogen werden, die „in einem Volke erwachsen sind, das blutsmäßig mit dem eigenen Volke verbunden ist“, weshalb sich insbesondere das englische, das schottische und das diesen verwandte nordamerikanische Recht eigneten. So stieß man schließlich auch auf das Rechtsinstitut des Kronzeugen.30 Dessen Einsatz und Niederlegung im Gesetz wurden von Kriminalkommissar Freiberg am Polizeipräsidium in Berlin zumindest für Fälle des nach nationalsozialistischer Weltanschauung überwiegenden Volksinteresses befürwortet, da in diesen Konstellationen insbesondere die von Beccaria genannten Vorbehalte nicht entgegenstünden.31 Dies sollte jedoch nur mit der Einschränkung gelten, dass bei politischen Delikten, aufgrund derer der Täter im Hinblick auf die Schwere der Tat nach nationalsozialistischer Rechtsauffassung aus der Volksgemeinschaft ausgestoßen werden müsste, dem Kronzeugen lediglich eine Strafmilderung und keine vollständige Begnadigung in Aussicht gestellt werden könnte.32 So komme etwa anstelle der Todesstrafe lebenslängliches Zuchthaus oder die unbeschränkte Sicherungsverwahrung in Betracht.33 Ob sich der Kronzeuge anschließend „zu einem nützlichen Glied der deutschen Volksgemeinschaft“ entwickelte, bleibe dann „eine Hoffnung und eine Frage der Erziehung“.34 Dennoch sollte auch in diesem geschichtlichen Abschnitt keine Normierung des Rechtsinstituts Kronzeuge erfolgen. Stattdessen verfuhr man mit Straftätern getreu dem Leitsatz „Der nationalsozialistische Staat verhandelt nicht mit Verbrechern, er schlägt sie nieder“.35 27  Bocker: Der Kronzeuge, S. 14; Jeßberger: Kooperation und Strafzumessung, S. 34; Jung ZRP 1986, 38, 39. 28  Siehe Freiberg ZStW 59 (1940), 33, 34; vgl. Bocker: Der Kronzeuge, S. 14 f. 29  Freisler, in: Gürtner: Das kommende deutsche Strafrecht, S. 12. 30  Freiberg ZStW 59 (1940), 33, 34 f. 31  Freiberg ZStW 59 (1940), 33, 58. 32  Freiberg ZStW 59 (1940), 33, 56 unter Verweis auf Adolf Hitlers Kanzler­ reden. 33  Freiberg ZStW 59 (1940), 33, 56. 34  Freiberg ZStW 59 (1940), 33, 58. 35  Frank BlGk 66 (1935), 191, 192.

24

1. Teil: Grundlagen

III. Kronzeugenregelungen im Recht der Bundesrepublik Deutschland 1. Bereichsspezifische Kronzeugenregelungen Mit § 31 BtMG konnte sich erstmals im Jahr 1981 eine Kronzeugenregelung für den gesamten Bereich der Betäubungsmitteldelikte im deutschen Recht etablieren,36 ohne dabei jedoch viel Aufsehen zu erregen. Eine parlamentarische Diskussion blieb aus, es gab weder Gegenstimmen noch Änderungsvorschläge.37 Stattdessen konzentrierte sich die rechtspolitische Debatte vor allem auf das Reformkonzept „Therapie statt Strafe“.38 Neben § 31 BtMG finden sich weitere bereichsspezifische Kronzeugenregelungen in § 129 Abs. 6 Nr. 2 StGB und § 129 Abs. 6 i. V. m. § 129a Abs. 7 StGB. Eine auf die Geldwäsche ausgerichtete Kronzeugenregelung befand sich in § 261 Abs. 10 StGB, ging jedoch im Anwendungsbereich des § 46b StGB auf und trat daher mit Wirkung vom 1.9.2009 außer Kraft. Gemeinsam ist diesen Regelungen die Begrenzung auf ihren jeweiligen Deliktsbereich, weshalb auch von „kleinen“ Kronzeugenregelungen39 gesprochen wird. Die sog. „kleine Kronzeugenregelung des Disziplinarrechts“40 ist enthalten in § 80 Bundesdisziplinargesetz (BDG) sowie §  110 Wehrdisziplinarordnung (WDO). Diese Vorschriften ermöglichen es, früheren Beamten und Berufssoldaten, die gegen das Verbot der Annahme von Belohnungen oder Geschenken verstoßen haben, die Gewährung einer monatlichen Unterhaltsleistung zuzusagen, obwohl sie disziplinarrechtlich aus dem Dienstverhältnis entfernt wurden. Voraussetzung ist, dass sie dazu beigetragen haben, Straftaten, insbesondere nach den §§ 331 bis 335 StGB, zu verhindern oder über ihren eigenen Tatbeitrag hinaus aufzuklären.

vom 28.7.1981, BGBl. I 1981, 681, vgl. Oehler ZRP 1987, 41 ff. Vom dealen mit Drogen und Gerechtigkeit, S. 91. 38  Hoyer JZ 1994, 233, 234; Jaeger, Der Kronzeuge unter besonderer Berücksichtigung von § 31 BtMG, S. 31. 39  Vgl. Peglau ZRP 2001, 103; Bernsmann JZ 1988, 539, 542; Kinzig, in: Schönke / Schröder: StGB, § 46b Rn. 1. 40  Siehe zur Fassung unmittelbar nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Bekämpfung der Korruption vom 13.8.1997 (sog. „Korruptionsbekämpfungsgesetz“ BGBl. I 1997, S. 2038) Korte NJW 1997, 2556, 2557; Bauer: Korruptionsbekämpfung durch Rechtsetzung, S.  43 f. 36  BtMG

37  Weider:



A. Entstehungsgeschichte25

2. Gesetz zur Änderung des StGB, der StPO, des VersG und zur Einführung einer Kronzeugenregelung bei terroristischen Straftaten vom 9.6.1989 Auf Antrag des Landes Nordrhein-Westfalen legte der Bundesrat im Jahr 1975 einen Gesetzesentwurf zur Bekämpfung besonders gefährlicher krimineller Vereinigungen vor.41 Der Entwurf enthielt die Ergänzung des § 129 StGB um eine Bestimmung, nach der das Gericht von einer Bestrafung absehen oder die Strafe mildern konnte, wenn ein Mitglied einer kriminellen Vereinigung einen „Beitrag zur Behebung eines Ermittlungsnotstandes geleistet hat“, wobei Zweck oder Tätigkeit der Vereinigung auf die Begehung schwerster Verbrechen gerichtet sein musste.42 Im Rechtsausschuss des Bundestages hielt jedoch die Mehrheit der Ausschussmitglieder aller Fraktionen die Nachteile einer solche Regelung für größer als die damit für die Verbrechensbekämpfung verbundenen Vorteile, sodass von einer Umsetzung abgesehen wurde.43 Mitte der 1980er Jahre entflammte die Debatte über die Einführung einer Kronzeugenregelung bei terroristischen Straftaten erneut. Die Ermittlungsbehörden standen vor dem Problem, terroristische Attentate der Roten Armee Fraktion mangels verwertbarer Beweise kaum noch einzelnen Mitgliedern zuordnen zu können, nachdem die Täter aufgrund von Erfahrungen aus vorangegangenen Terroristenprozessen in der Lage waren, bestimmte Spuren gezielt zu vermeiden.44 Unter dem öffentlichen Druck infolge zahlreicher Anschläge, etwa der Ermordung des MTU-Vorstandsvorsitzenden Ernst Zimmermann, des Siemens-Vorstandsmitgliedes Karl-Heinz Beckurts und seines Fahrers Eckhard Groppler sowie des Abteilungsleiters im Auswärtigen Amt Gerold von Braunmühl,45 legte die Bundestagsfraktion von CDU / CSU und FDP am 31.10.1986 den Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung des Terrorismus vor.46 Der Entwurf enthielt erneut den Vorschlag einer prozessual- und materiell-rechtlich ausgestalteten Kronzeugenregelung, die diesmal jedoch zeitlich befristet und außerhalb von StGB und StPO gesetzlich fixiert werden sollte. Damit sollten „in der terroristischen Ideologie noch nicht oder nicht mehr unverrückbar verfestigte Angehörige terroristischer Vereinigungen“ aus ihrer Vereinigung „herausgebrochen“ werden. Zugleich sollte die Regelung die übrigen Mitglieder verunsichern, „indem sie das gegenseitige Vertrauen, gefördert durch die Unabdingbarkeit der 41  BR-Drucks.

176 / 75. 7 / 3734. 43  Protokoll des BT-Rechtsausschusses 7 / 97; vgl. BT-Drucks. 7 / 5401, S. 5 f. 44  Pflieger / Striewisch Die Kriminalpolizei 2006, 93. 45  Breucker / Engberding: Die Kronzeugenregelung, S. 12; Pflieger / Striewisch Die Kriminalpolizei 2006, 93. 46  BT-Drucks. 10 / 6286. 42  BT-Drucks.

26

1. Teil: Grundlagen

Strafandrohung für alle und die gemeinsame Furcht vor Ergreifung und Bestrafung, mindert und so den organisatorischen Zusammenhalt schwächt“.47 Im Rahmen einer öffentlichen Anhörung am 14.11.1986 vor dem Rechtsausschuss des Bundestages wurde dieser Argumentation jedoch nicht gefolgt.48 Unter anderem wurde den Ausschussteilnehmern eine Stellungnahme von 91 deutschen Strafrechtslehrern übergeben, die „eindringlich“ vor dem Schritt der Einführung einer Kronzeugenregelung auf dem Gebiet der Terrorismusbekämpfung warnten.49 Infolgedessen wurde in der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses vom 3.12.1986 auf die Kronzeugenregelung verzichtet und von einer Kodifikation abgesehen.50 Wie von Hassemer bereits vorausgeahnt, bedeutete das Scheitern der Kronzeugenregelung jedoch nur eine zeitliche Verzögerung.51 Am 10.6.1989 trat das „Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches, der Strafprozessordnung und des Versammlungsgesetzes und zur Einführung einer Kronzeugenregelung bei terroristischen Straftaten“ in Kraft. Das sog. Artikelgesetz oder Kronzeugengesetz (KronzG) enthielt eine Kronzeugenregelung für terroristische und damit zusammenhängende Straftaten (Art. 4 §§ 1–5 KronzG).52 Die Vorschriften entsprachen weitgehend der gescheiterten Initiative von 1986, deren Entwurf allerdings dahingehend abgeschwächt worden war, dass jetzt bei Mord und Totschlag ein Absehen von Verfolgung und Strafe überhaupt nicht mehr zulässig war, bzw. eine Strafmilderung nur noch bis zu einer Mindeststrafe von drei Jahren (Art. 1 § 3 KronzG).53 Der Rechtsausschuss des Bundestages hatte am 18.4.1989 die Annahme des Entwurfs einschließlich der Kronzeugenregelung empfohlen.54 Das Gesetz wurde drei Tage später vom Bundestag beschlossen, am 12.5.1989 erhielt es schließlich die Zustimmung des Bundesrates.55 Später wurde die Regelung durch das sog. Verbrechensbekämpfungsgesetz vom 28.19.1994 auf den Bereich der organisierten Kriminalität ausgedehnt (Art. 5 KronzG).56 Diese „große“ Kronzeugenregelung zielte neben den Tätern und Teilnehmern einer Straftat nach §§ 129, 129a StGB auch auf die Täter und Teilnehmer damit zusammenhängender Straftaten ab. Für den Fall der Bildung krimineller Vereini47  BT-Drucks.

10 / 6286, S.  6. Terrorismus und Anti-Terrorismus-Gesetzgebung, S. 153. 49  Abgedruckt bei Breucker / Engberding: Die Kronzeugenregelung, S. 159. 50  BT-Drucks. 10 / 6635; vgl. Dencker KJ 1987, 36; Kühl NJW 1987, 737, 744. 51  Hassemer StV 1986, 550, 553; vgl. Schulte: Terrorismus und Anti-TerrorismusGesetzgebung, S. 166. 52  BGBl. I 1989, S. 1059, 1061. 53  BT-Drucks. 11 / 2834. 54  BT-Drucks. 11 / 4359. 55  BR-Drucks. 222 / 89. 56  BGBl. I 1994, S. 3186, 3193. 48  Schulte:



A. Entstehungsgeschichte27

gungen gem. § 129 StGB musste nach Art. 5 KronzG hinzukommen, dass Zwecke oder Tätigkeit der Vereinigung auf die Begehung von Taten gerichtet waren, bei denen der erweiterte Verfall gem. § 73d StGB angeordnet werden konnte. Vorgesehen war zum einen die Ermächtigung des Generalbundesanwaltes, mit Zustimmung eines Strafsenats des BGH die Verfolgung einzustellen (Art. 4 § 1 a. E. KronzG), zum anderen die Möglichkeit des Gerichts im Urteil von Strafe abzusehen oder die Strafe nach seinem Ermessen zu mildern (Art. 4 § 2 S. 1 KronzG). Das ursprünglich bis Ende 1989 befristete Gesetz wurde zunächst bis Ende 199357 und erneut bis Ende 1999 verlängert.58 Diese Regelung lief schließlich zum 31.12.1999 aus. Der Entwurf eines „Dritten Kronzeugen-Verlängerungs-Gesetzes“59 scheiterte, nachdem in der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses eine Verlängerung für nicht sinnvoll erachtet wurde.60 Im Juni 2000 brachte Bayern den Entwurf eines Gesetzes zur Ergänzung der Kronzeugenregelung im Strafrecht (KrzErgG) in den Bundesrat ein.61 Neben zahlreichen bereichsspezifischen Regelungen sah die Initiative eine Ergänzung der Strafprozessordnung vor, wonach das Gericht bei Anwendung einer Kronzeugenregelung auch die Strafe festsetzen sollte, die ohne Anwendung der Vorschriften verwirkt wäre. Außerdem sollte der Katalog der Wiederaufnahmegründe zuungunsten des Angeklagten in § 362 StPO um eine Bestimmung erweitert werden, wonach dem Aufklärungsgehilfen eine Wiederaufnahme und damit eine Verurteilung zur im Urteil angegebenen, erhöhten Strafe drohte (sog. Verwirkungsstrafe),62 sofern er seine Kooperation im anschließenden Verfahren einstellen sollte oder sich seine Anschuldigungen als falsch herausstellten. An den bayrischen Entwurf anknüpfend legte im Januar 2004 die CDU / CSU-Fraktion im Bundestag einen Gesetzesentwurf vor, der neben den ursprünglich vorgeschlagenen „kleinen“ Kronzeugenregelungen auch die Wiedereinführung einer Kronzeugenregelung bei terroristischen Straftaten beinhaltete.63 Im März 2004 folgte daraufhin ein Entwurf des Bundesrates mit identischem Inhalt.64 Die Initiativen wurden jedoch abgelehnt.65 57  BGBl. I

1993, S. 238. 13 / 2575. 59  BT-Drucks. 14 / 1107. 60  BT-Drucks. 14 / 2259. 61  BR-Drucks. 395 / 00. 62  König NJW 2009, 2481, 2482. 63  BT-Drucks. 15 / 2333. 64  BT-Drucks. 15 / 2771. 65  Siehe etwa die Stellungnahme der Bundesregierung, BT-Drucks. 15  /  2771, S.  13 f. 58  BT-Drucks.

28

1. Teil: Grundlagen

3. Gesetz zur Änderung des StGB – Strafzumessung bei Aufklärungs- und Präventionshilfe (43. StrÄndG) vom 29.7.2009 Ein Gesetzesantrag des Landes Niedersachsen aus dem Jahr 2002 enthielt erstmals den Vorschlag zur Aufnahme einer Kronzeugenregelung in den Allgemeinen Teil des StGB.66 Der Entwurf eines § 46b StGB sah bereits einen Verweis auf § 100a StPO vor, allerdings noch zur Eingrenzung derjenigen Straftäter, die als Kronzeugen in Frage kommen sollten und nicht – wie im geltenden Recht – zur Auflistung der Taten, zu denen der Kronzeuge Ermittlungshilfe geleistet haben muss.67 Darüber hinaus sollten eine Wiederaufnahmebestimmung sowie eine Belehrungspflicht über die Kronzeugenregelung, soweit deren Anwendung in Betracht käme, in das Prozessrecht ergänzt werden. Der Entwurf scheiterte jedoch im Bundesrat.68 Mit Wirkung zum 1.9.2009 trat schließlich das „Gesetz zur Änderung des StGB – Strafzumessung bei Aufklärungs- und Präventionshilfe“ in Kraft69 und mit ihm der neugeschaffene § 46b StGB, der erstmals eine deliktsübergreifende und bislang „größte“, besser allgemeine Kronzeugenregelung vorsieht, während die bis 1999 geltende Kronzeugenregelung nur bei Tätern oder Teilnehmern einer Straftat nach § 129a oder § 129 StGB oder einer hiermit zusammenhängenden Straftat einschlägig war. Als allgemeine Strafzumessungsregel bildet die Aufklärungs- und Präventionshilfe neben § 46 und § 46a StGB nunmehr die „dritte Säule des Strafzumessungsrechts“.70 Die Neuregelung zeichnete sich zunächst dadurch aus, dass die aufgeklärte oder verhinderte Tat keinen Zusammenhang mit der dem Kronzeugen zur Last gelegten Tat aufweisen musste. Voraussetzung war allein, dass es sich bei der dem Kronzeugen vorgeworfenen Straftat um eine solche handelt, die mit einer im Mindestmaß erhöhten Freiheitsstrafe oder mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht ist. Nach einer am 28.3.2012 vom Bundeskabinett beschlossenen und vom Parlament gebilligten Änderung soll für die Anwendung der Vorschrift jedoch zukünftig vorausgesetzt werden, dass zwischen der Tat des Kronzeugen und der Tat, auf die sich seine Angaben beziehen, ein Zusammenhang besteht.71 Hinsichtlich der aufgedeckten oder verhinderten Straftat wird auf den Katalog des § 100a Abs. 2 StPO verwiesen. Die 66  BR-Drucks.

896 / 02. König NJW 2009, 2481, 2482. 68  Vgl. König NJW 2009, 2481, 2482. 69  BGBl. I 2009, S. 2288. 70  Salditt StV 2009, 375 ff. 71  BT-Drucks. 17 / 9695. 67  Vgl.



A. Entstehungsgeschichte29

Entscheidung über eine Strafmilderung gem. § 49 Abs. 1 StGB oder ein Absehen von Strafe wird in das Ermessen des Gerichts gestellt. Die vom Bundesrat empfohlene Aufnahme einer gesetzlich verpflichtenden Regelung zur Evaluation lehnte die Bundesregierung ab – diese sei nicht erforderlich, zudem sei das Gesetz anders als die 1989 eingeführte und bis 1999 verlängerte Kronzeugenregelung weder befristet noch durch bewusste Verortung außerhalb des StGB als „Erprobungsvorschrift“ ausgestaltet.72 Auch Anregungen zur Einführung einer Wiederaufnahmebestimmung sowie Bedenken gegen die Präklusionsnorm des § 46b Abs. 3 StGB wies die Bundesregierung zurück.73 Bestehende „kleine“ Kronzeugenregelungen blieben unberührt und sind weiterhin neben § 46b StGB anwendbar. Nur § 261 Abs. 10 StGB wurde aufgehoben und darüber hinaus § 31 BtMG an § 46b StGB angepasst. Anstelle der bisherigen Milderungsmöglichkeit nach freiem Ermessen und der Möglichkeit, von einer Bestrafung nach § 29 Abs. 1, 2, 4 oder 6 BtMG abzusehen, verweist § 31 BtMG nunmehr auf die Strafmilderung nach § 49 Abs. 1 StGB. Im neuen § 31 S. 2 BtMG werden § 46b Abs. 1 und 2 StGB für entsprechend anwendbar erklärt. Die Streichung des § 261 Abs. 10 StGB sollte Wertungswidersprüchen und Konkurrenzproblemen mit der neuen Kronzeugenregelung vorbeugen, da diese auch den Bereich der Geldwäsche größtenteils abdeckt. Die nicht erfassten Fälle einer leichtfertigen Geldwäsche nach § 261 Abs. 5 StGB oder Angaben zu einer weniger schweren, nicht in § 100a Abs. 2 StPO genannten Vortat ließen sich laut Begründung über eine Berücksichtigung bei der Strafzumessung oder im Wege der Diversion ausreichend berücksichtigen.74 Daneben wurden mit § 145d III, IV StGB und § 164 III StGB die Straftatbestände des Vortäuschens einer Straftat bzw. der falschen Verdächtigung erweitert, um der spezifischen Missbrauchsgefahr durch Falschbezichtigungen entgegenzuwirken.75 Das Erschleichen einer Strafmilderung oder eines Absehens von Strafe nach § 46b StGB oder § 31 BtMG wird nunmehr durch die Qualifikation des § 145d III Nr. 1 StGB, den an Abs. 1 angelehnten Tatbestand der Nr. 2 sowie den eigenständigen Tatbestand der Nr. 376 mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bzw. durch die Qualifikation des § 164 III StGB sogar mit sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft. In minder schweren Fällen sieht § 145d IV StGB Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe und § 164 III 2 StGB Freiheitsstra72  BT-Drucks.

16 / 6268, S.  20. 16 / 6268, S.  20 f. 74  BT-Drucks. 16 / 6268, S.  16. 75  BT-Drucks. 16 / 6268, S.  15. 76  Fischer: StGB, § 145d Rn. 14. 73  BT-Drucks.

30

1. Teil: Grundlagen

fe von drei Monaten bis zu fünf Jahren vor. Auf eine Ausdehnung der §§ 145d, 164 StGB auf die Kronzeugenregelungen in § 129 VI Nr. 2 und § 129a VII StGB wurde dagegen bewusst verzichtet.77

B. Europarechtliche Vorgaben Das Recht der Europäischen Union erlaubt seinen Mitgliedsstaaten ausdrücklich die Einführung strafmildernder Kronzeugenregelungen, ohne sie jedoch zwingend vorzuschreiben.78 So kann nach Art. 6 des „Rahmenbeschlusses des Rates vom 13.6.2002 zur Terrorismusbekämpfung“79 jeder Mitgliedsstaat die erforderlichen Maßnahmen ergreifen, damit die Strafen bei terroristischen Straftaten gemildert werden können, wenn sich der Täter von seiner terroristischen Aktivität lossagt und den Verwaltungs- und Justizbehörden Informationen liefert, die sie nicht auf andere Weise hätten erhalten können und ihnen auf diese Weise hilft, die Auswirkungen der Straftat zu verhindern oder abzumildern, andere Straftäter zu ermitteln oder sie vor Gericht zu stellen, Beweise zu sammeln oder weitere terroristische Straftaten zu verhindern. Nach Art. 4 des „Rahmenbeschlusses vom 24.10.2008 zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität“80 gilt Entsprechendes auch für Straftaten im Zusammenhang mit der Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung sowie gem. Art. 5 des „Rahmenbeschlusses vom 25.10.2004 zur Festlegung von Mindestvorschriften über die Tatbestandsmerkmale strafbarer Handlungen und die Strafen im Bereich des illegalen Drogenhandels“81 auch für Straftaten im Zusammenhang mit illegalem Handel mit Drogen und Grundstoffen. Zwar wurde der Rahmenbeschluss, der nach altem Recht noch ein wichtiges Arbeitsmittel der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen darstellte, nunmehr als Lenkungsinstrument vollständig aufgegeben. Die vor dem Inkrafttreten des Reformvertrages von Lissabon erlassenen Rahmenbeschlüsse gelten je77  BT-Drucks.

16 / 6268, S.  15. Joerden: Europäisierung des Strafrechts in Polen und Deutschland, S. 280 f. (Fn. 2); siehe auch BT-Drucks. 16 / 6268, S. 9. 79  Rahmenbeschluss des Rates vom 13.6.2002 zur Terrorismusbekämpfung (2002 / 475 / JI), Amtsblatt der europäischen Gemeinschaften L 164 vom 22.6.2002, S. 3–7. 80  Rahmenbeschluss des Rates vom 24.10.2008 zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität (2008 / 841 / JI), Amtsblatt der Europäischen Union L 300 vom 11.11.2008, S. 42–45. 81  Rahmenbeschluss des Rates vom 25.10.2004 zur Festlegung von Mindestvorschriften über die Tatbestandsmerkmale strafbarer Handlungen und die Strafen im Bereich des illegalen Drogenhandels (2004  /  757  /  JI), Amtsblatt der Europäischen Union L 335 vom 11.11.2004, S. 8–11. 78  Vgl.



C. Sinn und Zweck der Regelung31

doch so lange fort, bis sie nach Maßgabe der Verträge ersetzt oder modifiziert werden.82

C. Sinn und Zweck der Regelung Ziel der allgemeinen Kronzeugenregelung ist es, potenziell kooperationsbereiten Straftätern einen möglichst hohen Anreiz zur Hilfe bei der Aufklärung und Prävention von Straftaten zu bieten. Das bislang bestehende Instrumentarium zur Berücksichtigung kooperativen Verhaltens als Nachtatverhalten i. S. d. § 46 Abs. 2 S. 2 StGB, im Rahmen der Diversion gem. §§ 153 ff. StPO durch die Annahme eines unbenannten minder schweren Falles oder durch bereichsspezifische „kleine“ Kronzeugenregelungen wurde hierfür als nicht ausreichend erachtet. Laut Gesetzesbegründung wurde bereits die Vorgängerregelung von 1989 aufgrund ihrer Begrenzung auf Straftaten i. S. d. §§ 129, 129a StGB von der Praxis als zu restriktiv empfunden.83 Der Entwurf stützte sich dabei vor allem auf die Ergebnisse einer Praktikerbefragung, wonach sich jeweils über 90 % der befragten Polizeibeamten, Strafrichter und Staatsanwälte für den Fortbestand einer Kronzeugenregelung zur Bekämpfung von Terrorismus und organisierter Kriminalität aussprachen.84 Durch die Neuregelung sollte nun die Möglichkeit geschaffen werden, bei der Bekämpfung von Terrorismus, organisierter Kriminalität und schwerer Wirtschaftskriminalität kriminelle Verflechtungen aufzubrechen, um ansonsten praktisch nicht erreichbare Ermittlungserfolge zu erzielen.85 Die starke Abschottung und die durch die häufig konspirative Begehungsweise verursachten Beweisprobleme sollten durch stärkere Einbeziehung von Personen überwunden werden, die in das kriminelle Milieu involviert sind, ohne dass diese notwendigerweise selbst eine Straftat aus demselben Deliktsbereich begangen haben müssen.86 Die Norm steht damit in der Tradition der 1999 ausgelaufenen Kronzeugenregelung für terroristische Straftaten und organisierte Kriminalität und bildet gewissermaßen ihren Nachfolger.87 Hinsichtlich der Angaben von Straftätern aus dem Bereich der minder schweren Kriminalität werden dagegen die bisherigen Möglichkeiten zur 82  Hobe: Europarecht, § 24 Rn. 24; vgl. Art. 9 des Protokolls (Nr. 36) Konsolidierte Fassung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (2008 / C 115 / 01). 83  BT-Drucks. 16 / 6268, S. 1, 9. 84  Mühlhoff / Pfeiffer ZRP 2000, 121, 122; Mühlhoff / Mehrens: Das Kronzeugengesetz im Urteil der Praxis, S. 96 ff. 85  BT-Drucks. 16 / 6268, S.  1 f. 86  BT-Drucks. 16 / 6268, S. 1, 9. 87  Kindhäuser: StGB, § 46b Rn. 1.

32

1. Teil: Grundlagen

Berücksichtigung über § 46 Abs. 2 S. 2 StGB sowie über die §§ 153 ff. ­StPO als ausreichend erachtet.88 Bedeutsam wird die Vorschrift somit insbesondere in Fällen der absoluten Strafandrohung, etwa der lebenslangen Freiheitsstrafe beim Mord nach § 211 StGB, da hier eine Kooperation mit den Strafverfolgungsbehörden oder sonstige mildernde Umstände, von der auf seltene Ausnahmefälle beschränkten „Rechtsfolgenlösung“89 einmal abgesehen, nicht über § 46 Abs. 2 StGB zugunsten des Täters in die Strafzumessung einbezogen werden konnten.90

88  BT-Drucks.

16 / 6268, S.  2. 30, 105. 90  Wolters, in: SK-StGB, § 46b Rn. 5. 89  BGHSt

2. Teil

Voraussetzungen und Rechtsfolgen A. Voraussetzungen I. Anlasstat Die dem Kronzeugen zur Last gelegte Tat muss gem. § 46b Abs. 1 S. 1 StGB eine Straftat sein, die mit einer im Mindestmaß erhöhten Freiheitsstrafe oder mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht ist. Damit werden grundsätzlich alle Straftaten der mittleren und schweren Kriminalität erfasst. Auf die Benennung eines Straftatenkataloges wurde bewusst verzichtet, sodass § 46b StGB verglichen mit den bisherigen Kronzeugenregelugen über einen besonders weiten Anwendungsbereich verfügt. Auf diese Weise sollte einerseits ein möglichst breit wirkender Anreiz für Aufklärungs- und Präven­ tionshilfen geschaffen und andererseits schwer zu rechtfertigende Ungleichbehandlungen anhand der verschiedenen Deliktsarten vermieden werden.1 1. Täter einer Straftat § 46b StGB kann als Strafzumessungsnorm naturgemäß nur demjenigen zugute kommen, der selbst in irgendeiner Form straffällig geworden ist. Obwohl die Norm explizit nur vom „Täter“ spricht, sind entsprechend dem Sprachgebrauch der §§ 46 ff. StGB und der „kleinen“ Kronzeugenregelungen grundsätzlich alle Beteiligten (§ 28 Abs. 2 StGB) gemeint, also auch Anstifter oder Gehilfen.2 Nicht notwendig ist hingegen, dass der Täter i. S. d. § 46b StGB Mittäter oder Teilnehmer der von ihm aufgedeckten oder verhinderten Straftat ist.3 Ebenfalls nicht erforderlich ist, dass wegen der Anlasstat bereits ein Ermittlungsverfahren eingeleitet ist. Vom Anwendungsbereich umfasst ist daher auch der „Aussteiger“, der sich aus eigenem Entschluss bei den Strafverfolgungsbehörden meldet und eine mit anderen gemeinsam verübte Straftat offenlegt.4 Gleiches gilt für denjenigen, der 1  BT-Drucks.

16 / 6268, S.  10. 16 / 6268, S.  12. 3  Seebode, in: Anwk-StGB, § 46b Rn. 7. 4  Peglau wistra 2009, 409, 410. 2  BT-Drucks.

34

2. Teil: Voraussetzungen und Rechtsfolgen

seine Anlasstat überhaupt erst begeht, um seine Kronzeugenaussage zu ermöglichen, indem er etwa belastendes Material unter Verstoß gegen hinreichend schwere Strafgesetze sammelt.5 Hat der Aufklärungsgehilfe mehrere Straftaten tatmehrheitlich begangen, ist die Anwendbarkeit des § 46b StGB für jede einzelne Tat gesondert festzustellen. Das heißt, jede Tat ist darauf hin zu untersuchen, ob sie den für die Anwendung erforderlichen Schweregrad aufweist. Sind diese Voraussetzungen bei einzelnen Delikten nicht gegeben, schließt dies die Anwendung des § 46b StGB in anderen Fällen nicht aus.6 2. Androhung im Mindestmaß erhöhter oder lebenslanger Freiheitsstrafe Das Mindestmaß der Freiheitsstrafe beträgt nach § 38 Abs. 2 StGB einen Monat. § 46b StGB also Anlasstaten, die mit wenigstens drei Monaten Freiheitsstrafe bedroht sind. Für die Einordnung als Straftat, die mit einer im Mindestmaß erhöhten Freiheitsstrafe bedroht ist, werden allerdings nach § 46b Abs. 1 S. 2 StGB nur Schärfungen für besonders schwere Fälle, jedoch keine Milderungen berücksichtigt. Der Praxis sollte damit eine möglichst klare Vorgabe gemacht werden, welche Auswirkungen Schärfungen und Milderungen für diese Frage zukommen.7 Die explizite Ausnahme der Strafmilderungen war notwendig, um zu verdeutlichen, dass insoweit zwar von der generellen Unbeachtlichkeit aller Schärfungen und Milderungen (wie z. B. bei der Einteilung in Vergehen und Verbrechen nach § 12 Abs. 3 und bei der Verjährung nach § 78 Abs. 4 StGB) abgewichen wird, sich diese Ausnahme jedoch ausschließlich auf Strafschärfungen bezieht.8 Strafschärfungen in diesem Sinne sind insbesondere benannte und unbenannte Regelbeispiele (z. B. §§ 243 Abs. 1 S. 2, 253 Abs. 4 S. 2, 263 Abs. 2 S. 2 Nr. 1, 267 Abs. 3 S. 2 Nr. 1, 300 S. 2 Nr. 2 StGB) sowie zwingende Beispielsfälle (z. B. § 129 Abs. 4 StGB).9 Grundsätzlich sind unbenannte Schärfungen (vgl. §§ 102 Abs. 1, 107 Abs. 1, 108 Abs. 1 StGB) ebenfalls zu berücksichtigen, wenngleich sie für die Einteilung nach § 46b Abs. 1 S. 1 StGB nur von geringer praktischer Bedeutung sind.10 Bei der Bewertung als taugliche Anlasstat außer Betracht bleiben neben minder schweren Fällen 5  Peglau

wistra 2009, 409, 410. in: Anwk-StGB, § 46b Rn. 11; vgl. Weber: BtMG, § 31 Rn. 185. 7  BT-Drucks. 16 / 6268, S.  10. 8  BT-Drucks. 16 / 6268, S.  10. 9  Vgl. BGHSt 32, 293, 294; Lackner / Kühl: StGB, § 12 Rn. 3, 4, § 46 Rn. 7, 11; Fischer: StGB, § 12 Rn. 11. 10  BT-Drucks. 16 / 6268, S.  10. 6  Seebode,



A. Voraussetzungen35

auch Milderungsgründe des Allgemeinen Teils (z. B. §§ 21, 27, 46a StGB).11 Erst recht unberücksichtigt bleibt die Milderung nach § 46b StGB selbst.12 Mit der Unbeachtlichkeit von Milderungen sollte vermutlich insbesondere ein Herausfallen des Gehilfen, dessen Strafe nach § 27 Abs. 2 S. 2 StGB obligatorisch zu mildern ist, aus dem Anwendungsbereich vermieden werden. Denn dies liefe der Zielsetzung des Gesetzgebers zuwider, der sich gerade auch von Tatgehilfen wertvolle Informationen erhofft.13 Das Eingreifen anderer Milderungsgründe schließt eine Honorierung der Aufklärungsund Präventionshilfe somit nicht aus. Soweit neben § 46b StGB ein weiterer Milderungsgrund einschlägig ist, ist daher grundsätzlich auf die für den Betroffenen günstigere Regelung abzustellen.14 Während also grundsätzlich alle Straftaten der mittleren und schweren Kriminalität erfasst sind, werden Taten der einfachen Kriminalität vom Anwendungsbereich ausgeklammert. Personen, für deren Straftaten das Gesetz als Mindeststrafe lediglich eine Geldstrafe (§ 40 Abs. 1 StGB) oder eine nicht im Mindestmaß erhöhte Freiheitsstrafe von einem Monat (§ 38 Abs. 2 StGB) vorsieht, kommen als Kronzeugen i. S. d. § 46b StGB nicht in Betracht.15 In diesem Bereich soll die Ermittlungshilfe bereits im Rahmen der allgemeinen Strafzumessung gem. § 46 StGB oder der Diversion gem. §§ 153 ff. StPO angemessene Berücksichtigung finden können.16 Von den in nur leichte Kriminalität verstrickten Personen versprach man sich offenbar keinen besonderen Nutzen.17 In den Gesetzgebungsmaterialien wird ergänzend angemerkt, dass die in § 49 Abs. 1 Nr. 3 StGB vorgesehene Absenkung der Mindeststrafe ohnehin folgenlos bliebe.18 Erfasst § 46b StGB im konkreten Fall nicht die Anlasstat des Beschuldigten, wohl aber die Tat, auf die sich seine Angaben beziehen, soll diesem Umstand bei der Anwendung des § 46 StGB sowie der §§ 153 ff. StPO zusätzliches Gewicht zukommen. Denn aus der Aufnahme der zu offenbarenden Tat in § 46b StGB könne abgeleitet werden, dass der Staat bei solchen Delikten generell ein erhöhtes Interesse habe, in seinen Ermittlungsbemühungen unterstützt zu werden.19 Für die Betäubungsmittelkriminalität bleibt es dagegen bei der Beschränkung auf bestimmte Anlassdelikte: Nach seiner Anpassung im Wege des 11  Seebode, 12  von

in: Anwk-StGB, § 46b Rn. 10. Heintschel-Heinegg: StGB, § 46b Rn. 10; ders., in: BeckOK-StGB, § 46b

Rn. 10. 13  Wolters, in: SK-StGB, § 46b Rn. 8; BT-Drucks. 16 / 6828, S. 10 f. 14  BT-Drucks. 16 / 6268, S. 11; vgl. BGHSt 33, 92. 15  Wolters, in: SK-StGB, § 46b StGB, Rn. 7. 16  BT-Drucks. 16 / 6268, S.  10. 17  Salditt StV 2009, 375, 377; von Heintschel-Heinegg: StGB, § 46b Rn. 11. 18  BT-Drucks. 16 / 6268, S.  10. 19  BT-Drucks. 16 / 6268, S.  10.

36

2. Teil: Voraussetzungen und Rechtsfolgen

43. StrÄndG verweist § 31 BtMG zwar auf § 46b Abs. 2 und Abs. 3 StGB, nicht jedoch auf die in Abs. 1 genannten Voraussetzungen.20

II. Bezugstat Als weitere gemeinsame Voraussetzung der Aufklärungs- und Präven­ tionshilfe müssen sich die Angaben des Kronzeugen auf eine Straftat aus dem Deliktskatalog des § 100a Abs. 2 StPO beziehen. 1. Katalogtat nach § 100a Abs. 2 StPO Anstelle eines eigenen Bezugstatenkataloges begnügt sich § 46b Abs. 1 StGB mit einem Verweis auf den bereits vorhandenen Deliktskatalog in § 100a Abs. 2 StPO. Der Gesetzgeber begründete die Bezugnahme auf die gesetzlichen Voraussetzungen der Telekommunikationsüberwachung damit, dass bei den aufgeführten Straftaten typischerweise ein Ermittlungsdefizit zu beklagen sei. Dieses Defizit resultiere aus der oftmals konspirativen und in abgeschotteten Strukturen erfolgenden Begehungsweise.21 Die für die Kronzeugenregelung relevanten Bereiche des Terrorismus, der organisierten Kriminalität und der schweren Wirtschaftskriminalität würden durch den Verweis hinreichend eng umschrieben, sodass insbesondere diejenigen Delikte einbezogen seien, auf die bereits die „große“ Kronzeugenregelung von 1989 abzielte.22 § 46b StGB müsse in seinem Anwendungsbereich jedoch deutlich über die ehemalige Kronzeugenregelung hinausgehen, da sich die strafrechtlich relevanten Tätigkeiten in den genannten Deliktsfeldern nicht zwingend auf die Organisationsdelikte der §§ 129, 129a StGB beschränkten.23 Außerdem handele es sich um bei den erfassten Delikten um „schwere“ Straftaten. Insbesondere diejenigen Katalogtaten, die sich nicht durch eine konspirative Begehungsweise auszeichneten, könnten allein aufgrund ihrer Schwere eine Anwendung der Kronzeugenregelung rechtfertigen.24 Der Bundesrat hingegen lehnte den Verweis als „weit über den als vertretbar zu bezeichnenden Bereich“ hinausgehend ab.25 Tatsächlich verlangt § 100a Abs. 1 Nr. 1 StPO für die Anordnung einer Telekommunikationsüberwachung ausdrücklich eine „schwere Straftat“. Die 20  Malek

StV 2010, 200, 201. 16 / 6268, S.  11. 22  BT-Drucks. 16 / 6268, S.  11. 23  BT-Drucks. 16 / 6268, S.  12. 24  BT-Drucks. 16 / 6268, S. 11, vgl. auch die Gegenäußerung der Bundesregierung auf S. 20. 25  BT-Drucks. 16 / 6268, S.  19. 21  BT-Drucks.



A. Voraussetzungen37

so umschriebenen Delikte sind als dritte Kategorie zwischen den „Straftaten von erheblicher Bedeutung“ (vgl. §§ 98a Abs. 1 Satz 1, 100f Abs. 1 Nr. 2, 100g Abs. 1 Satz 1, 100i Abs. 2 Satz 2 und 3, 110a Abs. 1 Satz 1, 163e Abs. 1 Satz 1, 163f Abs. 1 Satz 1 StPO) und den „besonders schweren Straftaten“ (vgl. Art 13 Abs. 3 S. 1 GG, § 100c Abs. 1 Nr. 1 StPO) einzuordnen.26 Das Gesetz versteht darunter im Wesentlichen Straftaten mit einer Höchststrafe von mindestens fünf Jahren, wobei gesetzliche Strafmilderungen für minder schwere Fälle außer Betracht gelassen werden.27 In Einzelfällen genügt aufgrund der besonderen Bedeutung des geschützten Rechtsgutes oder eines besonderen öffentlichen Strafverfolgungsinteresses eine geringere Freiheitsstrafe. In keinem Fall soll eine Höchststrafe von „nur“ einem Jahr Freiheitsstrafe ausreichen.28 Ausgehend von dieser abstrakten Wertung werden dann im Katalog des § 100a Abs. 2 StPO abschließend verschiedene Straftatbestände aufgezählt, auf die sich auch der Verweis in § 46b Abs. 1 StGB bezieht. Der Katalog enthält eine unübersichtliche Vielzahl von Delikten unterschiedlicher Schutzrichtung und Schwere, die sowohl aus dem StGB als auch aus dem Nebenstrafrecht stammen. Die Auflistung wurde durch das Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung vom 21.12.2007 mit Wirkung zum 1.1.200829 vollständig überarbeitet. Zum einen wurde sie um die Katalogtaten aus § 100c StPO erweitert, deren Nichtberücksichtigung einen Wertungswiderspruch bedeutet hätte. Daneben wurden einige, nicht mehr als „schwer“ einzustufende Delikte gestrichen und Delikte aus den Bereichen der Transaktions- und Wirtschaftskriminalität sowie der organisierten Kriminalität ergänzt, da sich hier eine Überwachung als besonders effektiv erwiesen hatte.30 Zu den aufgeführten Taten gehören neben Delikten wie Mord, Raub, Menschenhandel und bandenmäßig begangenem gewerbsmäßigen unerlaubten Handeln mit Betäubungsmitteln nunmehr unter anderem auch Delikte wie Betrug, Subventionsbetrug, Bankrott, Bestechung im geschäftlichen Verkehr bzw. gegenüber Amtsträgern sowie Steuerhinterziehung, jeweils im besonders schweren Fall.31 Der Pauschalverweis ist nicht unproblematisch, zumal es sich um zwei Vorschriften mit gänzlich unterschiedlicher Zielrichtung handelt. Während § 46b StGB als Strafzumessungsvorschrift Reichweite und Grenzen eines Verzichts auf den staatlichen Strafanspruch regelt, handelt es sich bei § 100a 26  Meyer-Goßner:

StPO, § 100a Rn. 10, 15; BT-Drucks. 16 / 5846, S. 39 f. 16 / 5846, S. 40; BVerfGE 109, 279, 349; 122, 63. 28  BT-Drucks. 16 / 5846, S.  40. 29  BGBl. I 2007, S. 3198. 30  BT-Drucks. 16 / 5864, S.  40. 31  Sahan / Berndt BB 2010, 647. 27  BT-Drucks.

38

2. Teil: Voraussetzungen und Rechtsfolgen

StPO um eine rein prozessuale Vorschrift. Als Ermächtigungsgrundlage beinhaltet § 100a StPO eine Entscheidung darüber, wann das öffentliche Interesse am spezifischen Nutzen einer Telekommunikationsüberwachung den damit typischerweise verbundenen Grundrechtsbeeinträchtigungen überwiegt.32 Bei den zahlreichen Reformen des Kataloges wurden neben Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts auch rechtstatsächliche Erkenntnisse zur Effizienz der Telekommunikationsüberwachung berücksichtigt.33 Die daraus resultierenden Wertungen lassen sich auf die allgemeine Kronzeugenregelung daher nicht ohne Weiteres übertragen. Mit jeder zukünftigen Änderung des Katalogs geht nunmehr unweigerlich eine Ausweitung oder Einschränkung der Kronzeugenregelung einher. Auffällig ist auch, dass einige der Katalogtaten nicht mit im Mindestmaß erhöhter oder lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht sind (vgl. etwa § 100a Abs. 2 Nr. 1 lit. b, c, d, g, m und r StPO) und damit als Anlasstat der Kronzeugenregelung selbst nicht in Betracht kämen.34 So kann z. B. ein Mörder für die Offenbarung einer Abgeordnetenbestechung nach § 46b StGB belohnt werden, nicht jedoch der bestechliche Abgeordnete für die Offenbarung eines Mordes. Wertungswidersprüche können sich auch aus Überschneidungen mit dem Deliktskatalog in § 138 StGB ergeben, wenn ein Straftäter nach § 46b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StGB für eine Handlung belohnt wird, zu deren Vornahme er ohnehin unter Strafandrohung verpflichtet ist.35 2. Einschätzungszuständigkeit Für die Bewertung, ob es sich bei der offenbarten Straftat um eine Katalogtat i. S. d. § 100a Abs. 2 StPO handelt, kommt es auf die Einschätzung der § 46b StGB anwendenden Instanz (Gericht oder Staatsanwaltschaft, vgl. § 153b StPO) zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung an. Die Schilderungen des Täters sind dagegen unerheblich.36 Für Verfahren gegen den internen Kronzeugen, der Wissen über eine Straftat offenbart, wegen der er selbst abgeurteilt wird, folgt dies bereits aus § 261 StPO.37 Konsequenterweise macht es keinen Unterschied, wenn sich 32  BT-Drucks.

16 / 5846, S.  40. 16  /  5846, S. 40; vgl. BVerfG NJW 2005, 2603, 2610 f. sowie ­Albrecht / Dorsch / Krüpe: Rechtswirklichkeit und Effizienz der Überwachung der ­Telekommunikation nach den §§ 100a, 100b StPO, S. 12 ff., 462 ff. 34  Vgl. auch Fischer: StGB, § 46b Rn. 9; Wolters, in: SK-StGB, § 46a Rn. 12; Seebode, in: Anwk-StGB, § 46b Rn. 15. 35  Siehe hierzu auch 3. Teil E. 36  OLG Hamburg NStZ-RR 2011, 201 f.; Kinzig, in: Schönke  / Schröder: StGB, § 46b Rn. 7; Peglau wistra 2009, 409, 410. 37  Kinzig, in: Schönke / Schröder: StGB, § 46b Rn. 7. 33  BT-Drucks.



A. Voraussetzungen39

die Wissensoffenbarung ausschließlich auf Straftaten Dritter bezieht.38 Maßgeblich ist allein die Überzeugung des mit der Kronzeugentat befassten Gerichts. Ob das Verfahren gegen den Belasteten von Anfang an wegen des Verdachts einer entsprechenden Straftat geführt oder dieser letztlich auch entsprechend verurteilt worden ist, spielt keine Rolle.39 Der Wortlaut des § 46b StGB ließe theoretisch eine andere Auslegung zu. Auch verfügt das über die Bezugstat erkennende Gericht grundsätzlich über eine größere Sachnähe.40 Ausschlaggebend ist jedoch, dass es sich bei dem Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen einer Katalogtat um eine Strafzumessungstatsache bezüglich des Ermittlungsgehilfen handelt. Diese sind grundsätzlich durch das erkennende Gericht selbstständig im Strengbeweisverfahren festzustellen.41 Insbesondere ist kein Grund ersichtlich, weshalb das Tatbestandsmerkmal anders behandelt werden sollte als das gleichrangige Merkmal des Aufklärungserfolges.42 Für dieses Ergebnis spricht auch die Begründung des Gesetzgebers, wonach „zur Überzeugung des Gerichts bestimmte identifizierbare Personen hinreichend verdächtig“ sein müssen, „gegen die einschlägigen Strafgesetze verstoßen zu haben“, wobei sich aus dem näheren Kontext ergibt, dass damit nur das über die Anlasstat erkennende Gericht gemeint sein kann.43 Somit hat sich das Gericht bei der Anwendung des § 46b StGB zum Vorliegen der Tatsache, ob sich die vom Täter geleistete Ermittlungshilfe auf eine Katalogtat i. S. d. § 100a Abs. 2 StPO bezieht, eine eigene Überzeugung zu bilden. Die bloße Feststellung, dass die mit der Bezugstat der Aufklärungshilfe befasst gewesenen Instanzen eine Katalogtat angenommen oder verneint haben, reicht nicht aus.44 3. Anwendbarkeit auf das Opfer einer Katalogtat In einem Fall sah sich das LG Dresden mit der Frage konfrontiert, ob sich ein Straftäter eine Strafmilderung nach § 46b StGB auch dann verdienen kann, wenn er Aufklärungshilfe zu der Tat eines Dritten leistet, deren Opfer er selbst geworden ist. Ein wegen mehrerer Urkundenfälschungen in besonders schweren Fällen (§ 267 Abs. 3 StGB) Angeklagter hatte als Opfer­ zeuge zu einem erpresserischen Menschenraub (§ 239a StGB) in Tateinheit mit räuberischer Erpressung (§ 255 StGB) ausgesagt und damit wesentlich 38  Peglau

wistra 2009, 409, 410. Hamburg NStZ-RR 2011, 201 f. 40  Vgl. OLG Hamburg NStZ-RR 2011, 201 f. 41  Meyer-Goßner: StPO, § 244 Rn. 6; Pfeiffer: StPO, § 244 Rn. 4. 42  Vgl. dazu 2. Teil A. V. 1. c) aa). 43  BT-Drucks. 16 / 6268, S. 12; vgl. OLG Hamburg NStZ-RR 2011, 201 f. 44  OLG Hamburg NStZ-RR 2011, 201 f. 39  OLG

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2. Teil: Voraussetzungen und Rechtsfolgen

zur Aufklärung dieser Delikte beigetragen. Obwohl damit sowohl eine taugliche Anlasstat als auch eine Katalogtat i. S. d.§ 100a Abs. 2 Nr. 1 lit. i und k StPO vorlagen, hatte die Strafkammer § 46b StGB unter anderem deshalb für nicht anwendbar erklärt, weil es sich bei dem Angeklagten um keinen Tatbeteiligten, sondern um das Tatopfer handelte.45 Das Urteil hielt der Überprüfung durch den 5. Strafsenat des BGH nicht stand: § 46b StGB ist demnach auch auf das Opfer einer in § 46b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StGB i. V. m. § 100a Abs. 2 StPO bezeichneten Tat anwendbar.46 Zunächst mag überraschen, dass der Entführte, der über seine eigene Entführung umfassende Angaben macht, eine Milderung nach § 46b StGB für sein eigenes strafbares Verhalten zugesprochen bekommt. Jedoch ergibt sich schon im Umkehrschluss aus § 46b Abs. 1 S. 3 StGB, dass eine eigene Tatbeteiligung des Kronzeugen nicht zwingend erforderlich ist. Der Tatbestand enthält keine Beschränkung auf Tatbeteiligte, sondern normiert für den Fall der Tatbeteiligung eine zusätzliche Voraussetzung.47 Auch ist für das Vorliegen einer Katalogtat grundsätzlich unerheblich, auf welche Weise der Ermittlungsgehilfe von dem Gegenstand seiner Angaben Kenntnis erlangt hat. Erforderlich ist lediglich, dass Hilfe zur Aufklärung oder Verhinderung „einer“ Tat nach § 100a Abs. 2 StPO geleistet wird.48 Folglich enthält der Tatbestand kein einschränkendes Merkmal, an dem der pauschale Ausschluss des Opfers festgemacht werden könnte. Auch die teleologische Auslegung steht dem nicht entgegen. So hängt die Erreichung der mit § 46b StGB bezweckten Tat­ aufklärung nicht davon ab, ob der Kronzeuge selbst oder ein anderer Opfer der Straftat geworden ist. Hilfe zur Aufklärung einer Straftat i. S. d. § 46b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StGB muss somit grundsätzlich auch das Tatopfer leisten können.49 Dass ein Straftäter aus der Offenbarung seiner eigenen Opfereigenschaft Vorteile im Hinblick auf eigene Straftaten erlangen kann, mag kurios anmuten, ist aber letztlich eine Konsequenz der vom Gesetzgeber bewusst weit ausgestalteten Tatbestandsfassung.50 Gleichwohl handelt es sich um eine atypische Konstellation, die nach der geplanten Einführung eines Konnexitätserfordernisses praktisch kaum noch vorkommen dürfte.51 Laut BGH soll jedoch der Umstand, dass das Opfer durch seine Aussage vornehmlich oder ausschließlich eigene Aufklärungs- oder Genugtuungsinteressen verfolgt hat, 45  LG

Dresden Urteil vom 12.1.2010 – 3 KLs 422 Js 54164 / 08. NStZ 2010, 443 f. 47  BT-Drucks. 16 / 6268, S. 10, 12; BGH NStZ 2010, 443; Maier NStZ 2011, 151; Fischer: StGB, § 46b Rn. 13a; Seebode, in: Anwk-StGB, § 46b Rn. 7. 48  BGH NStZ 2010, 443; BT-Drucks. 16  / 6268, S. 9, 15; Seebode, in: AnwkStGB, § 46b Rn. 7. 49  Fischer: StGB, § 46b Rn. 8; Seebode, in: Anwk-StGB, § 46b Rn. 8. 50  BGH NStZ 2010, 443. 51  Vgl. BT-Drucks. 17 / 9695. 46  BGH



A. Voraussetzungen41

bei der Ermessensentscheidung des Gerichts berücksichtigt werden.52 Auch kann gegen eine Strafmilderung sprechen, wenn das Tatopfer durch seine Aussage im Wesentlichen „nur“ seiner strafprozessualen Aussagepflicht (vgl. §§ 51, 70 StPO) nachkommt.53

III. Freiwillige Offenbarung des Wissens § 46b Abs. 1 S. 1 StGB setzt sowohl für die Aufklärungshilfe (Nr. 1) als auch für die Präventionshilfe (Nr. 2) von Seiten des Kronzeugen die freiwillige Offenbarung seines Wissens voraus. Zur Auslegung dieser Voraussetzung soll gemäß der Gesetzesbegründung ausdrücklich auf die Rechtsprechung zu § 31 BtMG zurückgegriffen werden.54 1. Offenbarung Eine Offenbarung liegt vor, wenn der Täter den Strafverfolgungsbehörden sein Wissen über Tatsachen mitteilt.55 Nicht ausreichend ist hingegen die bloße Ankündigung der Aussagebereitschaft.56 Ob dieses Wissen den Strafverfolgungsbehörden bereits ganz oder teilweise bekannt ist, ist für das Vorliegen einer Offenbarung unerheblich. Dieser Umstand kann erst für die Frage eine Rolle spielen, ob ein ausreichender Beitrag zur Aufdeckung bzw. Verhinderung einer Straftat vorliegt.57 Die Offenbarung setzt somit zunächst eine Mitteilung des Täters an die Strafverfolgungsbehörden voraus. Der Täter muss sich eindeutig zu seinen Angaben bekennen, zumindest müssen sie ihm eindeutig zugeordnet werden können.58 Hieran fehlt es bei Äußerungen gegenüber einem unerkannten verdeckten Ermittler oder V-Mann der Polizei.59 Genauso wenig genügen anonyme Hinweise, sofern sich der Täter nicht im weiteren Verlauf des Verfahrens zu erkennen gibt und seine Anonymität damit auflöst.60 Dennoch 52  BGH

NStZ 2010, 443, 444. NStZ 2010, 443, 444; vgl. hierzu 3. Teil E. 54  BT-Drucks. 16 / 6268, S.  12. 55  Patzak, in: Körner: BtMG, § 31 Rn. 15; Weber: BtMG, § 31 Rn. 22; Maier, in: MüKo-StGB, § 31 BtMG Rn. 30. 56  BGH NJW 1989, 1681. 57  Weber: BtMG, § 31 Rn. 16; Patzak, in: Körner: BtMG, § 31 Rn. 15; a. A. Körner: BtMG, 6. Auflage, § 31 Rn. 17. 58  Kinzig, in: Schönke / Schröder: StGB, § 46b Rn. 10; Weber: BtMG, § 31 Rn. 22. 59  Jochimski / Haumer: BtMG, § 31 Rn. 8; Körner StV 1984, 217, 218; Weber: BtMG, § 31 Rn. 23. 60  Endriß / Malek: Betäubungsmittelstrafrecht, Rn. 856. 53  BGH

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2. Teil: Voraussetzungen und Rechtsfolgen

kann eine Mitteilung gegebenenfalls auch mittelbar erfolgen, z. B. durch den Einsatz eines Boten. Unter die zulässigen Formen der mittelbaren Mitteilung fällt möglicherweise auch das Geständnis eines Mittäters, sofern die Mittäter zuvor eine Übereinkunft getroffen haben, dieses Geständnis gemeinsam oder zumindest im gegenseitigen Einverständnis abzugeben.61 Ist dem Täter die Tätigkeit einer Person als verdeckter Ermittler oder V-Mann der Polizei bekannt, stellt auch diese einen tauglichen Boten zur gezielten Wissensübermittlung dar.62 Das Gesetz gibt keine bestimmte Form der Offenbarung vor. Ein schriftliches Vernehmungsprotokoll der Polizei, Staatsanwaltschaft oder des Gerichts ist nicht zwingend erforderlich.63 Neben der Schriftform und der Übermittlung durch einen Boten kommen daher auch telefonische oder sonstige mündliche Schilderungen in Frage.64 2. Tatsachen aus dem Wissen des Täters Die Mitteilung des Kronzeugen muss Tatsachen enthalten. Diese Tatsachen müssen zur Überzeugung des Gerichts der Wahrheit entsprechen.65 Die Äußerung bloßer Vermutungen, vager Andeutungen oder Verdächtigungen ohne konkrete Belastung einer anderen Person reichen nicht aus.66 Die Tatsachen müssen dem eigenen Wissen des Täters entstammen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass nur Berichte in Betracht kommen, denen eigenes Erleben zugrunde liegt.67 Aus dem Wissen des Täters stammen grundsätzlich auch Erkenntnisse, die er durch Mitteilungen Dritter erhalten hat.68 Erst wenn die Hinweise vom Hörensagen so vage oder mehrdeutig sind, dass es sich nicht mehr um Erkenntnisse, sondern bloße Gerüchte handelt, wird kein eigenes Wissen offenbart.69 Dass der Ermittlungsgehilfe bereits teilweise oder vollständig bekannte Tatsachen schildert, betrifft grundsätzlich nicht das Vorliegen einer Wissensoffenbarung, sondern erst die Frage nach dem Vorliegen eines Aufklärungserfolgs.70 61  BGH

StV 1990, 550. NStZ 2000, 325; Wienroeder, in: Franke / Wienroeder: BtMG, § 31 Rn. 8; Maier, in: MüKo-StGB, § 31 BtMG Rn. 33. 63  Körner StV 1984, 217, 218; Weber: BtMG, § 31 Rn. 28. 64  Weber: BtMG, § 31 Rn. 21; Maier, in: MüKo-StGB, § 31 BtMG Rn. 36. 65  BGH NJW 1983, 692; BGHSt, 163, 166. 66  Kinzig, in: Schönke / Schröder: StGB, § 46b Rn. 10; Weber: BtMG, § 31 Rn. 19. 67  So aber wohl Maier, in: MüKo-StGB, § 31 BtMG Rn. 35. 68  Fischer: StGB, § 46b Rn. 11. 69  So wohl auch Weber: BtMG, § 31 Rn. 29; Patzak, in: Körner: BtMG, § 31 Rn. 20. 70  Maier, in: MüKo-StGB, § 31 BtMG Rn. 35. 62  BGH



A. Voraussetzungen43

3. Freiwilligkeit Im Rahmen des § 31 BtMG wurden an das dort ebenfalls enthaltene Merkmal der Freiwilligkeit regelmäßig keine hohen Anforderungen gestellt. Im Hinblick auf die bewusste Anlehnung des § 46b StGB an § 31 BtMG hielt es der BGH nicht für überzeugend, zwischen dem in beiden Bestimmungen enthaltenen Merkmal einen Unterschied zu machen und sprach sich daher für eine nahtlose Übertragung der bisherigen Rechtsprechung aus.71 Die Wissensoffenbarung erfolgt demnach freiwillig, wenn sie der Entschlussfreiheit des Täters unterliegt.72 Hierzu genügt es, wenn sich der Täter nach seiner eigenen Vorstellung frei von Zwang für die Kundgabe seines Wissens entscheiden kann.73 Insgesamt wird die Schwelle für das Vorliegen der Freiwilligkeit damit sehr niedrig angesetzt. Hintergrund ist die typische Zwangslage des Kronzeugen, dessen Verhalten maßgeblich durch das ihm bevorstehende Verfahren beeinflusst wird.74 Dass seine Aussage unter dem Eindruck einer drohenden Inhaftierung, der bereits vollzogenen Untersuchungshaft oder der bevorstehenden Bestrafung steht, hindert aber nicht die Annahme einer freiwilligen Offenbarung.75 Freiwillig handelt auch derjenige Straftäter, der sich erst auf Vorhalte, Zureden oder Drängen der Strafverfolgungsbehörden zu einer Offenbarung entschließt.76 Ebenso wenig schadet die Angst, ein anderer Tatbeteiligter könnte die Vorteile der Kronzeugenregelung für sich beanspruchen und ihm mit einer Aussage zuvorkommen.77 Vielmehr handelt es sich um einen Aspekt, den sich Kronzeugenregelungen gezielt zunutze machen, um isolierte Mittäter zu einer Aussage zu bewegen. Ein Bandenmitglied, das davon ausgeht, andere Mitglieder hätten den eigenen Tatbeitrag und die kriminelle Organisation bereits verraten, und daraufhin umfassende Angaben macht, handelt unter diesen Umständen freiwillig, auch wenn sein Entschluss zur Aussage auf einem Irrtum beruht.78 71  BGH

NStZ 2010, 443, 444; vgl. Maier NStZ 2011, 151. BtMG, § 31 Rn. 58; Maier, in: MüKo-StGB, § 46b Rn. 25. 73  BGH NStZ 2010, 443, 444; Detter NStZ 2010, 560, 562 f.; Fischer: StGB, § 46b Rn. 10 ff.; Malek StV 2010, 200, 201; Wolters, in: SK-StGB, § 46b StGB Rn. 21; vgl. BGH StV 1990, 456 f. 74  Streng, in: NK-StGB, § 46b Rn. 8; Seebode, in: Anwk-StGB, § 46b Rn. 12; Körner: BtMG, 6. Auflage, § 31 Rn. 18; Lammer JZ 1992, 510, 516; Lackner / Kühl: StGB, § 46b Rn. 3. 75  BGH NStZ 1983, 323; Seebode, in: Anwk-StGB, § 46b Rn. 12. 76  Maier, in: MüKo-StGB, § 46b StGB Rn. 25. 77  BGH StV 1990, 456, 457; Maier, in: MüKo-StGB, § 31 BtMG Rn. 38; Weber: BtMG, § 31 Rn. 62. 78  Patzak, in: Körner: BtMG, § 31 Rn. 24. 72  Weber:

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2. Teil: Voraussetzungen und Rechtsfolgen

Die strafprozessuale Aussagepflicht als Zeuge lässt trotz der im Raum stehenden generellen Androhung von Zwangsmitteln (vgl. §§ 51, 70 StPO) die Freiwilligkeit i. S. v. § 46b StGB unberührt. Denn ein Zeuge bleibt weiterhin Herr seiner Entschlüsse und ist grundsätzlich in der Lage, eine autonome Entscheidung über seine Aussage zu treffen.79 Dies gilt erst recht, wenn dem Zeugen eigentlich ein Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO zusteht, weil er sich durch seine Angaben selbst der Gefahr einer Strafverfolgung aussetzen muss. Anders liegt der Fall, wenn der Zeuge erst durch konkrete Zwangsmaßnahmen zu der Aussage veranlasst werden muss.80 Nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers wird das Freiwilligkeitserfordernis selbst durch das Eingreifen einer strafbewehrten Anzeigepflicht nach § 138 StGB nicht in Frage gestellt.81 Unfreiwillig handelt der Kronzeuge erst, wenn ihm die Offenbarung seines Wissens in dem Sinne aufgezwungen wurde, dass er meint, nicht mehr anders handeln zu können.82 Zweifellos unfreiwillig ist die Wissensoffenbarung im Fall der Anwendung unzulässiger Vorhalte, Täuschungen, Folter oder sonstiger verbotener Vernehmungsmethoden i. S. d. § 136a StPO.83 Die auf diese Weise gewonnenen Erkenntnisse unterliegen einem absoluten Beweisverwertungsverbot nach § 136a Abs. 3 S. 2 StPO und dürfen selbst dann nicht verwertet werden, wenn es sich um entlastende Angaben handelt oder der Beschuldigte der Verwertung zustimmt.84 Eine zwangsweise Preisgabe liegt ebenfalls vor, wenn z. B. Briefe aus der Untersuchungshaft beschlagnahmt werden.85 Unerheblich ist, auf welche Motive oder Wertvorstellungen die Wissensoffenbarung zurückzuführen ist.86 Nicht erforderlich ist, dass sich der Kronzeuge von seinem bisherigen kriminellen Umfeld lossagt, eine innere Umkehr vollzieht oder Reue zeigt.87 So wie gute Absichten allein noch keine Anwendung des § 46b StGB rechtfertigen können, lässt umgekehrt 79  BGH 80  BGH

NStZ 2010, 443, 444; Maier, in: MüKo-StGB, § 46b Rn. 25. NStZ 2010, 443, 444; von Heintschel-Heinegg, in: BeckOK-StGB, § 46b

Rn. 15a.2. 81  BT-Drucks. 16 / 13094, S. 5; BGH NStZ 2010, 443, 444. 82  BGH NStZ 2010, 443, 444; StV 1990, 456, 457; Weber: BTMG, § 31 Rn. 60. 83  Weider NStZ 1984, 391, 398; Weber: BtMG, § 31 Rn. 64; Patzak, in: Körner: BtMG, § 31 Rn. 24. 84  Meyer-Goßner: StPO, § 136a Rn. 27; Monka, in: BeckOK-StPO, § 136a Rn. 28; Diemer, in: KK-StPO, § 136a Rn. 37; Maier, in: MüKo-StGB, § 31 BtMG Rn. 40; Pfeiffer: StPO, § 136a Rn. 13. 85  Kinzig, in: Schönke / Schröder: StGB, § 46b Rn. 11. 86  Vgl. BGH NStZ 1989, 326. 87  BGH NStZ 1989, 326; Patzak, in: Körner: BtMG, § 31 Rn. 23, 25; vgl. dagegen das normative Verständnis der Freiwilligkeit im Rahmen von § 24 StGB bei



A. Voraussetzungen45

das Fehlen sittlich anerkennenswerter Motive das Freiwilligkeitsmerkmal nicht entfallen. Die innere Einstellung des Täters kann insoweit lediglich gem. § 46 StGB im Rahmen der allgemeinen Strafzumessung Berücksichtigung finden.88 Andernfalls käme es mangels ehrenwerter Beweggründe wohl auch nur selten zur Bejahung der Anwendungsvoraussetzungen, da mit einer Inanspruchnahme der Kronzeugenregelung regelmäßig der Verrat ehemaliger Komplizen zur Erlangung eigener Vorteile verbunden ist.89 Bei der Überprüfung der Freiwilligkeit ist strikt zwischen selbstbelastenden Angaben des Kronzeugen und Angaben zur aufzudeckenden oder verhindernden Katalogtat zu unterscheiden. Auch wenn der Kronzeuge selbst an der aufzuklärenden Katalogtat beteiligt ist, verlangt § 46b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StGB Freiwilligkeit nur hinsichtlich der Offenbarung der fremden Tatbeiträge.90 Nach der früheren Rechtsprechung zu § 31 BtMG sollte für die Annahme der Freiwilligkeit maßgeblich sein, ob der Täter davon ausgeht, er könne sein Wissen weiterhin geheim halten, oder ob er, etwa aufgrund der Vorhalte der ihn verhaftenden und vernehmenden Beamten, zu dem Eindruck gelangt, dass weiteres Schweigen zwecklos sei.91 Später hat der BGH diese Rechtsprechung jedoch ausdrücklich aufgegeben, da sie der Besonderheit nicht ausreichend Rechnung trug, dass die Aufdeckungsvariante freiwillige Angaben des Kronzeugen nur „über seinen eigenen Tatbeitrag hinaus“ honoriert.92 Wenn eine Kronzeugenregelung bei eigener Tatbeteiligung des Ermittlungsgehilfen überhaupt nur Anwendung findet, soweit die Angaben zu einer Tataufdeckung über den eigenen Tatbeitrag hinaus führen (vgl. § 46b Abs. 1 S. 3 StGB), kann Freiwilligkeit in diesen Fällen folglich auch nur hinsichtlich dieses Teils der Angaben zur weiteren Tataufdeckung verlangt werden.93 Erkennt ein interner Kronzeuge die Aussichtslosigkeit weiterer Ausflüchte, betrifft dies regelmäßig nur die Angaben zu seinem eigenen Tatbeitrag. Er kann jedoch weiterhin freiwillig handeln, soweit die Tatbeteiligung Dritter betroffen ist.94

Roxin: Strafrecht AT Bd. 2, § 30 Rn. 355, 379 ff.; Rudolphi, in: SK-StGB, § 24 Rn. 25; Bockelmann NJW 1955, 1417, 1421. 88  Fischer: StGB, § 46b Rn. 12; Patzak, in: Körner: BtMG, § 31 Rn. 25. 89  Patzak, in: Körner: BtMG, § 31 Rn. 25. 90  Maier, in: MüKo-StGB, § 46b Rn. 27; Fischer: StGB, § 46b Rn. 12. 91  BGH NStZ 1983, 323. 92  BGH StV 1990, 550. 93  Weider NStZ 1984, 391, 398; Weber: BtMG, § 31 Rn. 64; a. A. wohl Hügel /  Junge / Lander / Winkler: Deutsches Betäubungsmittelrecht, § 31 BtMG Rn. 3.1; Pelchen / Bruns, in: Erbs / Kohlhaas: Strafrechtliche Nebengesetze, § 31 BtMG Rn. 5. 94  Fischer: StGB, § 46b Rn. 12; Maier, in: MüKo-StGB, § 46b Rn. 27; Wien­ roeder, in: Franke / Wienroeder: BtMG, § 31 Rn. 23; Weber: BtMG, § 31 Rn. 64.

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2. Teil: Voraussetzungen und Rechtsfolgen

IV. Das (fehlende) Konnexitätserfordernis Nach der ursprünglichen Fassung des § 46b StGB mussten Anlass- und Bezugstat keinen Konnex aufweisen. Das heißt, die eigene Tat des Kronzeugen und die Tat aus dem Katalog des § 100a Abs. 2 StPO, bezüglich derer er sein Wissen offenbart, mussten in keinem Zusammenhang zueinander stehen. Damit unterschied sich § 46b StGB maßgeblich von den bisherigen bereichsspezifischen Kronzeugenregelungen.95 Insbesondere §  31 BtMG sah nach seinem Wortlaut zwar keine derartige Verbindung von Anlass- und Bezugstat vor, wurde jedoch von der Rechtsprechung nur unter dieser Voraussetzung angewendet.96 Im Schrifttum stieß der bewusste Verzicht auf ein Konnexitätserfordernis im Rahmen einer allgemeinen Kronzeugenregelung überwiegend auf Kritik.97 Durch eine Gesetzesänderung nach einem Entwurf vom 18.5.2012 soll der Anwendungsbereich des § 46b StGB nunmehr dahingehend beschränkt werden, dass die Möglichkeit einer Strafmilderung nur dann eröffnet werden kann, wenn die Offenbarung des Täters im Zusammenhang mit seiner eigenen Straftat steht. Der ursprüngliche Verzicht auf Konnexität wird somit wieder aufgehoben. Die Änderung dient der Umsetzung einer Bestimmung im Koalitionsvertrag der Regierungsparteien CDU / CSU und FDP. Im Entwurf wird ausdrücklich auf die bisherige Rechtsprechung zu § 31 BtMG Bezug genommen, mit der im Hinblick auf § 46b StGB ein „Gleichklang“ hergestellt werden soll. Um in Zukunft einen mit der Gesetzesänderung nicht beabsichtigten Umkehrschluss zu vermeiden, wird das Erfordernis eines Zusammenhangs auch in § 31 BtMG ausdrücklich aufgenommen.98 Somit muss es sich im Rahmen des § 46b StGB bzw. § 31 BtMG beim Gegenstand der Wissensoffenbarung des Täters um eine geeignete Bezugstat handeln, „die mit seiner Tat im Zusammenhang steht“. Der Begriff des Zusammenhangs i. S. v. § 46b StGB bedarf daher an dieser Stelle einer näheren Untersuchung. Zur Konkretisierung des Konnexitätserfordernisses soll ausweislich der Entwurfsbegründung die zu § 31 S. 1 Nr. 1 BtMG ergangene Rechtsprechung herangezogen werden.99 Darüber hinaus soll sich die Auslegung an der im Jahr 1999 ausgelaufenen „großen“ Kronzeugenregelung orientieren, nach der es sich sowohl bei der eigenen Straftat als auch dem Gegenstand der Ermittlungshilfe um eine Straftat nach den §§ 129, 129a StGB oder eine „mit dieser Tat zusammen95  BT-Drucks.

16 / 6268, S.  15. NStZ 1991, 290; StV 1994, 84; StV 1995, 367; NStZ 1995, 193. 97  Vgl. Streng, in: NK-StGB; §  46b Rn. 5; Sander StraFo 2010, 365, 368; Frank / Titz ZRP 2009, 137, 139; Salditt StV 2009, 375 f., Sahan / Berndt BB 2010, 647, 648. 98  BT-Drucks. 17 / 9695, S.  7. 99  BT-Drucks. 17 / 9695, S.  8. 96  BGH



A. Voraussetzungen47

hängende Straftat“ handeln musste (vgl. Art. 4 KronzG).100 Im Übrigen wird die nähere Bestimmung der Einzelheiten der Rechtsprechung überlassen. Wie im Rahmen des § 31 BtMG101 gilt das Erfordernis des Zusammenhangs sowohl für den Hauptanwendungsfall der Aufklärungshilfe als auch für die nur selten zur Anwendung kommende Präventionshilfe. Zunächst einmal ist in der Rechtsprechung zu § 31 BtMG anerkannt, dass es sich bei der offenbarten Straftat und der Tat des Kronzeugen nicht um eine Tat im prozessualen Sinn nach § 264 StPO handeln muss.102 Der Auffassung von Weider, der unter Zugrundelegung des prozessualen Tatbegriffs eine Anwendung nur hinsichtlich solcher Taten zulassen wollte, an denen der Aufklärungsgehilfe selbst in strafbarer Weise beteiligt war,103 hat sich der BGH nicht angeschlossen. Stattdessen wird der Vorschrift ein eigenständiger Tatbegriff zugrunde gelegt, der auch andere, mit der Straftat des Kronzeugen in Verbindung stehende Taten umfasst.104 Ähnlich verhielt es sich mit Art. 4 KronzG, der keine eigene Beteiligung des Kronzeugen an der Bezugstat verlangte. Somit ist negativ für das Vorliegen eines Zusammenhangs jedenfalls nicht notwendig, dass der Gegenstand der Ermittlungshilfe zugleich Gegenstand des anhängigen Strafverfahrens ist.105 Mit der Regelung zur Präventionshilfe ließe sich eine entsprechende Einschränkung ohnehin kaum in Einklang bringen.106 Bei der offenbarten Tat kann es sich demzufolge auch um eine rechtlich selbstständige Straftat handeln. Unerheblich ist, ob die vom Angeklagten aufgedeckten strafbaren Handlungen mit oder ohne seine Beteiligung begangen107 oder gem. §§ 154, 154a StPO aus dem Verfahren ausgeschieden wurden, bzw. ob zwischenzeitlich Strafklageverbrauch eingetreten ist.108 Die positiven Umschreibungen der Konnexität sind dagegen überwiegend deliktsspezifisch geprägt.109 So wird für die Aufklärungshilfe nach § 31 S. 1 100  BT-Drucks.

17 / 9695, S.  8. schon Endriß / Malek: Betäubungsmittelstrafrecht, Rn. 847; vgl. auch hier die ausdrückliche Regelung in BT-Drucks. 17 / 9695, S. 9. 102  BGH StV 1991, 262; BGH, NStZ 1984, 414; Urteil vom 1.2.1985 – 2 StR 482 / 84; Beschluss vom 18.6.1985 – 5 StR 334 / 85. 103  So Weider NStZ 1984, 391, 393; ders. NStZ 1985, 481. 104  BGH, NStZ 1984, 414; Wienroeder, in: Franke  /  Wienroeder: BtMG, § 31 Rn. 21; Patzak, in: Körner: BtMG, § 31 Rn. 61; Maier, in: MüKo-StGB, § 31 BtMG Rn. 63; Schäfer / Sander / van Gemmeren: Praxis der Strafzumessung, Rn. 977. 105  BT-Drucks. 17  / 9695, S. 8; zum prozessualen Tatbegriff vgl. Meyer-Goßner: § 264 Rn. 1; Pfeiffer: StPO, § 264 Rn. 1. 106  BT-Drucks. 17 / 9695, S.  8; Körner: BtMG, 6. Auflage, § 31 Rn. 30. 107  Dies folgt schon im Umkehrschluss aus § 46b Abs. 1 S. 3 StGB. 108  BGH NStZ 1985, 361; StV 1991, 262; Maier, in: MüKo-StGB, § 31 BtMG Rn. 64; Malek: Betäubungsmittelstrafrecht, 4. Kap. Rn. 36. 109  BT-Drucks. 17 / 9695, S.  8. 101  So

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2. Teil: Voraussetzungen und Rechtsfolgen

Nr. 1 BtMG als ausreichend angesehen, wenn ein Drogenhändler seine Bezugsquellen, Mittäter oder Vertriebswege aufdeckt oder ein Kurier die Anweisungen seines Auftraggebers offenbart.110 Mit einer Tat nach § 129 oder § 129a StGB zusammenhängend i. S. v. Art. 4 KronG sollen insbesondere tateinheitlich oder tatmehrheitlich verwirklichte Straftaten sein, auf deren Begehung die terroristische bzw. kriminelle Vereinigung gerichtet war, sowie „typische ‚Begleitdelikte‘ “ der Organisationsmitglieder oder sonstiger unterstützender Personen.111 Hierzu zählen insbesondere der Diebstahl von Waffen und Fahrzeugen, Urkundenfälschungen sowie das unerlaubte Beisichführen einer Waffe.112 Im Hinblick auf § 46b StGB verallgemeinern lassen sich Aussagen, wonach ein „innerer und verbindender Bezug“ zwischen der eigenen und der offenbarten Tat vorliegen muss.113 Anlass- und Bezugstat müssen sich demnach als Bestandteil eines kriminellen Gesamtgeschehens darstellen,114 wobei die Verbindung sowohl rechtlicher als auch tatsächlicher Art sein kann.115 Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe, Bande, oder sonstigen organisierten Mehrheit von Straftätern kann ein Indiz für das Vorliegen eines Zusammenhangs sein, reicht jedoch allein nicht aus, um einen solchen zu begründen. Vielmehr müssen sich beide Taten als Bestandteil des verabredeten Gesamtgeschehens darstellen, ähnlich dem Verhältnis von Organisa­ tionsdelikt und zusammenhängender Tat im Rahmen des Art. 4 KronzG.116 Das Gesamtgeschehen umfasst neben offenbarten Tatteilen einer fortgesetzten Handlung auch rechtlich selbstständige Einzeltaten, insbesondere Serientaten,117 wenn sie als Teil eines eingespielten Systems begangen wurden.118 Wenn sich die Bezugstat im Rahmen des Systems hält, liegt ein Zusammenhang vor, selbst wenn im konkreten Einzelfall keine Beteiligung des Kronzeugen gegeben war. Als Beispiel nennt die Entwurfsbegründung eine Mehrzahl von Personen, die sich zum gewerbsmäßigen Betrug zusammengeschlossen haben. Ein hinreichender Zusammenhang sei gewahrt, wenn der wegen einer einzelnen Betrugshandlung verfolgte Kronzeuge Hilfe zur Aufklärung oder Verhinderung einer weiteren Betrugshandlung der Gruppierung leiste, an deren Begehung er selbst nicht mitgewirkt hat, bzw. StV 1995, 367; StV 1994, 84; Maier, in: MüKo-StGB, § 31 BtMG Rn. 65. BT-Drucks. 11 / 2834, S. 14; BT-Drucks. 12 / 6865, S. 40; vgl. BT-Drucks. 17 / 9695, S.  8. 112  BT-Drucks. 11 / 2834, S.  14. 113  Malek: Betäubungsmittelstrafrecht, 4. Kap. Rn. 30. 114  BT-Drucks. 17 / 9695, S.  8. 115  Maier, in: MüKo-StGB, § 31 BtMG Rn. 65. 116  BT-Drucks. 17 / 9695, S.  8. 117  Vgl. hierzu BGH StV 1995, 367. 118  Siehe BGH NStZ 1991, 290; Maier, in: MüKo-StGB, § 31 BtMG Rn. 65. 110  BGH

111  Siehe



A. Voraussetzungen49

an deren zukünftiger Begehung er nicht mitwirken sollte.119 Weiche das Verhalten des Kronzeugen dagegen vom verabredeten Gesamtgeschehen ab, indem er etwa eine schwere Körperverletzung begehe, die auch nicht mehr als typisches Begleitdelikt angesehen werden könne, fehle der notwendige Zusammenhang.120 Ein Indiz für eine hinreichende Verbindung kann somit darin gesehen werden, dass ganz gleich, ob der Ermittlungsgehilfe an der Bezugstat beteiligt war oder nicht, innerhalb des Systems keine „entscheidende Änderung der strafbaren Geschäftstätigkeit“ eintritt.121 Ferner verlangt die Begründung für aufeinander aufbauende Tatbegehungen, dass die Anlasstat „zumindest mittelbar unterstützende Funktion“ für die Bezugstat oder umgekehrt, die offenbarte Tat jedenfalls mittelbar unterstützende Funktion für die eigene Tat hat. Hierzu führt der Gesetzgeber unter anderem das Beispiel eines gewerbsmäßigen Passfälschers an, der den Behörden den Täter einer mit den falschen Dokumenten begangenen Verleitung zur missbräuchlichen Asylantragstellung nach § 84 AsylVfG nennt.122 Keine innere oder inhaltliche Beziehung liegt vor, wenn der Beschuldigte Angaben zu Taten macht, von denen er nur zufällig Kenntnis erlangt hat, etwa weil Dritte ihm davon berichtet haben.123 Umstände, aus denen allein noch keine Verbindung i. S. d. § 46b StGB abgeleitet werden kann, sind darüber hinaus das bloße zeitliche oder örtliche Zusammentreffen beider Taten sowie das Vorliegen einer persönlichen Beziehung zwischen beiden Tätern.124 Weisen Anlass- und Bezugstat keinen Zusammenhang auf, greift der besondere Strafmilderungsgrund des § 46b StGB nicht ein. Die Angaben des Beschuldigten sind dann im Rahmen der allgemeinen Strafzumessung zu berücksichtigen und hier gegebenenfalls als allgemeiner Strafmilderungsgrund zu werten.125

V. Aufdecken oder Verhindern einer Straftat Der Kronzeuge muss durch seine Offenbarung entweder zur Aufdeckung einer bereits begangenen (Abs. 1 S. 1 Nr. 1) oder zur Verhinderung einer zukünftigen Straftat (Abs. 1 S. 1 Nr. 2) beigetragen haben. § 46b Abs. 1 StGB beinhaltet damit nebeneinander zwei gleichberechtigte Alternativen – ent119  BT-Drucks.

17 / 9695, S.  8. 17 / 9695, S.  8. 121  Maier, in: MüKo-StGB, § 31 BtMG Rn. 65. 122  BT-Drucks. 17 / 9695, S.  9. 123  Vgl.  Maier, in: MüKo-StGB, § 31 BtMG Rn. 66. 124  BT-Drucks. 17 / 9695, S.  9. 125  BGH NStZ 1995, 193; Wienroeder, in: Franke  /  Wienroeder: BtMG, § 31 Rn. 22; vgl. 2. Teil B. VIII. 120  BT-Drucks.

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2. Teil: Voraussetzungen und Rechtsfolgen

sprechend der kriminalpolitischen Intention, die Möglichkeiten der strafrechtlichen Verfolgung begangener und der Verhinderung geplanter Straftaten zu verbessern.126 Die Vorschrift orientiert sich stark am Wortlaut „kleiner“ Kronzeugenregelungen, namentlich § 31 BtMG. Insoweit soll auch hinsichtlich der inhaltlichen Anforderungen, die eine geeignete Aufklärungs- oder Präventionshilfe zu erfüllen hat, ausdrücklich auf die von der Rechtsprechung zu § 31 BtMG entwickelten Grundsätze zurückgegriffen werden.127 1. Aufklärungshilfe (§ 46b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StGB) Der Kronzeuge muss sich im Rahmen der Aufdeckungsvariante128 nach Abs. 1 S. 1 Nr. 1 an der Aufklärung einer bereits begangenen Straftat beteiligen. Die in Art. 4 der Kronzeugenregelung von 1989 noch wörtlich erwähnte „Hilfe zur Ergreifung des Täters“ stellt nach der Intention des Gesetzgebers nur einen Unterfall der allgemeinen Aufklärungshilfe dar und ist daher ohne ausdrückliche Nennung von § 46b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StGB erfasst.129 Hinsichtlich der Anforderungen an die geleistete Aufklärungshilfe muss unterschieden werden, ob der Täter selbst an der aufzudeckenden Tat beteiligt war oder nicht, da Abs. 1 S. 3 für letzteren Fall eine zusätzliche Voraussetzung enthält. a) Aufklärungserfolg § 46b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StGB erfasst zunächst fremde Straftaten, an denen der Kronzeuge selbst nicht beteiligt ist. Dies folgt im Umkehrschluss aus § 46 Abs. 1 S. 3 StGB, der eine besondere Regelung für den Fall einer unmittelbaren Tatbeteiligung enthält. Es genügt somit grundsätzlich, wenn der Täter von der fremden Tat auf andere Weise Kenntnis erlangt hat.130 Die Aufklärungshilfe im Rahmen der allgemeinen Kronzeugenregelung setzt entsprechend § 31 S. 1 Nr. 1 BtMG stets eine bestimmte Wirkung der Wissensoffenbarung voraus, die als Aufklärungserfolg bezeichnet wird.131 Hierbei handelt es sich um ein wichtiges, im Hinblick auf die deutlich überwiegende praktische Bedeutung der Aufdeckungsvariante132 wohl das zentrale Merkmal des § 46b StGB. Es setzt sich aus mehreren Elementen zusammen. 126  Vgl.

BGH NJW 2002, 908. 16 / 6268, S.  12. 128  Kindhäuser: StGB, § 46b Rn. 3; Lackner / Kühl: StGB, § 46b Rn. 3. 129  BT-Drucks. 16 / 6268, S. 12; vgl. BGH NJW 1999, 1726. 130  Fischer: StGB, § 46b Rn. 13a; zum Konnexitätserfordernis vgl. 2. Teil A. IV. 131  BT-Drucks. 16 / 6268, S. 12; vgl. Fezer, in: FS-Lenckner, S. 685. 132  Vgl. hierzu 7. Teil B. II. 3. 127  BT-Drucks.



A. Voraussetzungen51

aa) Allgemeines Ein Aufklärungserfolg i. S. d. § 46b StGB ist nach der ursprünglich zu § 31 BtMG entwickelten und nach dem Willen des Gesetzgebers zu übertragenden Definition eingetreten, wenn infolge der Angaben des Aufklärungsgehilfen zur Überzeugung des Gerichts bestimmte Personen hinreichend verdächtig sind, eine der in § 100a Abs. 2 StPO genannten Katalogtaten begangen zu haben und diese Personen dank der Hilfeleistung identifiziert und entweder bislang unbekannter Taten oder bekannter Taten besser überführt werden können.133 Wichtig ist, dass der so beschriebene Erfolg tatsächlich eingetreten sein muss. In Abgrenzung Art. 4, 5 KronzG fordert der Wortlaut des § 46 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StGB nicht nur die bloße abstrakte Eignung zur Förderung der Aufklärung, sondern einen wesentlichen Beitrag dazu, dass eine Katalogtat des § 100a Abs. 2 StPO „aufgedeckt werden konnte“. Die Offenbarung relevanten Wissens reicht somit für sich genommen nicht aus, vielmehr müssen die Angaben auch eine tatsächliche Wirkung hinsichtlich der Verfolgung der benannten Straftäter haben.134 Um eine zu große wechselseitige Abhängigkeit zwischen dem Verfahren gegen den Kronzeugen und dem Verfahren gegen den oder die belasteten Dritten zu vermeiden, wird diese Formulierung allerdings weit ausgelegt.135 So setzt ein Aufklärungserfolg gerade kein bestimmtes Verfahrensereignis, wie die Verurteilung oder Anklage, und noch nicht einmal die Ergreifung der benannten Täter voraus.136 Entscheidend ist vielmehr, ob der Angeklagte wesentlich dazu beigetragen hat, dass gegen die von ihm belasteten Personen im Fall ihrer Ergreifung ein Strafverfahren voraussichtlich erfolgreich abgeschlossen werden könnte.137 Anders als etwa im Rahmen des § 129 Abs. 6 Nr. 1 StGB, der ein ernsthaftes Bemühen ausdrücklich genügen lässt, reicht das bloße Aufklärungsbemühen, das heißt die Begründung eines Verdachts oder Ermittlungsansatzes, im Rahmen des § 46b StGB nicht aus.138 § 46b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StGB ist jedoch selbst dann noch anwendbar, wenn der Angeklagte seine zuvor 133  BT-Drucks. 16 / 6268, S. 12; vgl. BGH StV 1987, 345; NStZ 1989, 580; Patzak, in: Körner: BtMG, § 31 Rn. 31. 134  Fezer, in: FS-Lenckner, S. 686. 135  Siehe hierzu auch 6. Teil C. II. 136  Mushoff KritV 2007, 366, 374; Fezer, in: FS-Lenckner, S. 686. 137  BGH StV 2011, 533; NJW 1990, 1043; StV 1997, 639; Hoyer JZ 1994, 233, 237; Weber: BtMG, § 31 Rn. 73; Kinzig, in: Schönke / Schröder: StGB, § 46b Rn. 13. 138  BGH StV 2011, 533, 534; NStZ 2000, 433; Patzak, in: Körner: BtMG, § 31 Rn. 31; Hügel / Junge / Lander / Winkler: Deutsches Betäubungsmittelrecht, § 31 BtMG Rn. 3.6; Wienroeder, in: Franke / Wienroeder: BtMG, § 31 Rn. 10; Weber: BtMG, § 31 Rn. 114.

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2. Teil: Voraussetzungen und Rechtsfolgen

im Ermittlungsverfahren gemachten Angaben in der Hauptverhandlung bestreitet. Ausschlaggebend ist ungeachtet des späteren Bestreitens allein, ob die Angaben tatsächlich zu einem Aufklärungserfolg geführt haben.139 bb) Benennung von Tatbeteiligten und Tatbeteiligung Als Aufklärungshandlung kommen die Nennung unmittelbar tatbeteiligter Personen und ihrer Rollen, die Angabe von Hintermännern oder die Mitteilung von sonstigen Tatsachen in Betracht, die zur Überführung bislang nur verdächtiger Tatbeteiligter führen.140 Sonstige Tatsachen können etwa der Verbleib der Tatbeute oder des Tatwerkzeuges, wichtige Spuren und andere Beweismittel sein.141 Der Aufklärungsbeitrag darf sich grundsätzlich nicht auf die bloße Nennung der Tatbeteiligten beschränken, sondern muss zusätzlich auch substanziierte Angaben zu deren Beteiligung an der besagten Tat enthalten.142 Allerdings sind auch Fallkonstellationen denkbar, in denen bloße Angaben zur Person genügen müssen, etwa wenn der Sachverhalt bereits im Wesentlichen feststeht und nur noch die Identität eines Tatbeteiligten im Unklaren liegt.143 cc) Verbesserung des Erkenntnisstandes Für die Herbeiführung eines Aufklärungserfolges muss das Verhalten des Kronzeugen eine Verbesserung des bisherigen Erkenntnisstandes der Strafverfolgungsbehörden bewirken, durch welche die Täter einer höheren Verurteilungswahrscheinlichkeit ausgesetzt werden.144 Eine solche Verbesserung kann sich vor allem aus der Offenbarung bisher unbekannter, aber auch aus der Verfestigung bereits bekannter Tatsachen ergeben.145 Liegen Offenbarungen mehrerer Angeklagter vor, kann die Anwendung der Kronzeugenregelung jedenfalls nicht allein mit der Begründung versagt werden, der zuerst aussagende Mittäter des Kronzeugen habe dem Gericht bereits dieselben Erkenntnisse vermittelt und damit den Aufklärungserfolg bewirkt.146 Denn NStZ 2009, 394, 395; von Heintschel-Heinegg: StGB, § 46b Rn. 14. StGB, § 46b Rn. 10; Kinzig, in: Schönke  /  Schröder: StGB, § 46b Rn. 13; Wolters, in: SK-StGB, § 46b Rn. 14. 141  Wolters, in: SK-StGB, § 46b Rn. 14. 142  BGH StV 1997, 639; Streng, in: NK-StGB, § 46b Rn. 9; Schäfer / Sander / van Gemmeren: Praxis der Strafzumessung, Rn. 982. 143  Maier, in: MüKo-StGB, § 46b Rn. 47. 144  Seebode, in: Anwk-StGB, § 46b Rn. 16. 145  Weber: BtMG, § 31 Rn. 77 ff. 146  BGH StV 2002, 260; BT-Drucks. 6268, S. 12. 139  BGH

140  Fischer:



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selbst wenn sich die Angaben des Aufklärungsgehilfen mit den Erkenntnissen der Behörden vollständig decken, werden die Möglichkeiten der Strafverfolgung gleichwohl verbessert, wenn sich hierdurch nicht nur das bestätigt, was den Behörden bereits bekannt ist, sondern auch eine sicherere Grundlage für den Nachweis dieser Taten geschaffen wird.147 Folglich muss die Information den Strafverfolgungsbehörden nicht zwangsläufig zur Gänze unbekannt gewesen sein. Ist die Information jedoch sowohl vollständig bekannt als auch ausreichend gesichert, sodass sich bei einem Vergleich der Beweissituation mit und ohne die Angaben des Aufklärungsgehilfen keine Verbesserung zeigt, scheidet eine Honorierung aus. Demzufolge trägt auch über § 46b Abs. 3 StGB hinaus grundsätzlich der Täter das Risiko der Rechtzeitigkeit seiner Offenbarung: Liegt zum Zeitpunkt seiner Aussage z. B. bereits ein umfassendes Geständnis eines anderen Tatbeteiligten vor, kann § 46b StGB nicht mehr angewendet werden, wenn seine Aussage nicht noch zusätzliche Informationen enthält oder wenigstens den Strafverfolgungsbehörden die notwendige Überzeugung verschafft, dass ihre bisherigen Annahmen auch zutreffen und dadurch den Nachweis der Tat erleichtert.148 Zwischen mehreren Tatbeteiligten kann es daher unter Umständen zu einem „Wettlauf“ kommen, bei dem derjenige, der womöglich nur aufgrund von zufälligen Begebenheiten als erster sein Wissen offenbart, die Anwendung des § 46b StGB für den anderen ausschließt.149 Sprechen sich allerdings mehrere mutmaßliche Tatbeteiligte ab und kündigen gleichzeitig ihr Geständnis an, kann die Gewährung eines Strafrabatts nicht davon abhängen, in welcher Reihenfolge letztlich ihre Vernehmungen stattfinden.150 dd) Erlangung abgesicherter Erkenntnisse Die Angaben des Aufklärungsgehilfen müssen derart konkret sein, dass sie einer Überprüfung der Strafverfolgungsbehörden standhalten und zu abgesicherten Erkenntnissen über Täter und deren Tatbeiträge führen.151 ­ Die Kundgabe von allgemein gehaltenen oder widersprüchlichen Tatsachen, bloßen Vermutungen und nicht nachweisbaren Behauptungen, insbesondere unzureichenden Angaben über den mutmaßlichen Täter genügen StV 2000, 623; Weber: BtMG, § 31 Rn. 85 f.; Dann CCZ 2010, 30, 31. StV 1998, 601; StV 2002, 260; Weber: BtMG, § 31 Rn. 69; Körner: BtMG, 6. Auflage, § 31 Rn. 43; Maier, in: MüKo-StGB, § 31 BtMG Rn. 83. 149  Weider, in: MAH-Strafverteidigung, §  45 Rn. 177; Fischer: StGB, § 46b Rn. 14; vgl. auch Volk NJW 1996, 879, 881. 150  BGH NStZ 1992, 389, 390; StV 2002, 260; Dann CCZ 2010, 30, 31; Maier, in: MüKo-StGB, § 31 BtMG Rn. 50; Körner: BtMG, 6. Auflage, § 31 Rn. 44; Weber: BtMG, § 31 Rn. 70. 151  BGH StV 1997, 639. 147  BGH 148  BGH

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2. Teil: Voraussetzungen und Rechtsfolgen

nicht.152 Solange noch Zweifel daran bestehen, ob die vom Angeklagten beschriebene Person überhaupt existiert oder in der beschriebenen Art und Weise an der Tat beteiligt war, sind die Erkenntnisse nicht abgesichert.153 Die Beurteilung der Erkenntnissicherheit durch das Gericht hat jedoch unabhängig vom Stand des Verfahrens gegen die durch den Kronzeugen Belasteten zu erfolgen. Die Angaben des Angeklagten müssen zur Überführung anderer Straftäter geeignet sein, sie müssen deren gerichtliche Überführung aber nicht bereits herbeigeführt haben.154 Weder muss es bereits zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens oder dem Erlass eines Haftbefehls, noch zur Ergreifung, Anklage oder Verurteilung der betroffenen Personen gekommen sein.155 Die Honorierung des Aufklärungsbeitrages darf letztlich nicht von zeitlichen Zufälligkeiten oder der Arbeitsmoral deutscher oder ausländischer Behörden abhängen.156 Die Gleichsetzung von Aufklärungserfolg und Fahndungserfolg ist daher im Rahmen der Prüfung der Anwendbarkeit von § 46b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StGB rechtsfehlerhaft.157 Somit kann ein Aufklärungserfolg auch dann vorliegen, wenn der Aufenthaltsort der durch die Angaben des Kronzeugen offenbarten Personen unbekannt ist.158 Umgekehrt kann jedoch die Ermöglichung einer Festnahme für die Annahme eines Aufklärungserfolges genügen, selbst wenn den Ermittlungsbehörden die Tat und die Beteiligung des Ergriffenen bereits bekannt war.159 ee) Wesentlichkeit des Beitrages Zum Eintritt des Erfolges muss der Täter nach Abs. 1 S. 1 Nr. 1 einen wesentlichen Beitrag geleistet haben. Nach der bisherigen Rechtsprechung zum Merkmal der Wesentlichkeit in § 31 BtMG trifft das für einen Beitrag immer dann zu, wenn ohne ihn die Tat nicht oder nicht vollständig aufgeklärt worden und die Überführung von Tatbeteiligten oder die Entdeckung von Beweismitteln nicht oder nicht in diesem Umfange möglich gewesen wäre.160 Unwesentlich sind demnach Angaben, die lediglich zuvor unbekannte Randdetails aufdecken.161 Dasselbe soll gelten, wenn auf Vorhalt von 152  BGHSt

31, 163, 166 f.; StV 1997, 639; BT-Drucks. 16 / 6268, S. 12. Betäubungsmittelstrafrecht, 4. Kap. Rn. 57. 154  Patzak, in: Körner: BtMG, § 31 Rn. 105. 155  Maier, in: MüKo-StGB, § 46b Rn. 48, 57 ff. 156  Maier, in: MüKo-StGB, § 31 BtMG Rn. 92 f. 157  BGH StV 1994, 544. 158  BGH NStZ 2003, 162. 159  Malek: Betäubungsmittelstrafrecht, 4. Kap. Rn. 67. 160  Patzak, in: Körner: BtMG, § 31 Rn. 45; Weber: BtMG, § 31 Rn. 108; Maier, in: MüKo-StGB, § 31 BtMG Rn. 99. 161  Maier, in: MüKo-StGB, § 31 BtMG Rn. 100. 153  Malek:



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den Strafverfolgungsbehörden bereits vorliegenden Erkenntnissen lediglich deren Richtigkeit bestätigt wird.162 Dagegen ist die Annahme der Wesentlichkeit nicht automatisch ausgeschlossen, wenn sich die Angaben des Kronzeugen nicht auf einen täterschaftlich Beteiligten, sondern nur auf die Beteiligung eines Anstifters oder Gehilfen beziehen.163 Im Schrifttum scheint die Tendenz zu überwiegen, an das von der Rechtsprechung vergleichsweise wenig konkretisierte Merkmal der Wesentlichkeit keine allzu strengen Anforderungen zu stellen, um die Rechtssicherheit und damit die Aussagewilligkeit potenzieller Kronzeugen zu erhöhen.164 Nicht notwendig ist jedenfalls, dass der Aufklärungserfolg allein auf die Angaben des Täters zurückzuführen ist. Es können daneben weitere Umstände und Ursachen zum Aufklärungserfolg beigetragen haben, ohne dass die Angaben des Kronzeugen die Hauptursache gewesen sein müssen.165 Wie schon in § 31 BtMG kommt dem Wesentlichkeitskriterium jedoch zumindest eine gewisse „Filterfunktion“ zu, da mit ihm im Wortlaut zum Ausdruck gebracht worden ist, dass nicht jeder, sondern eben nur ein qualifizierter Aufklärungsbeitrag ausreichen soll.166 Andernfalls hätte der Gesetzgeber im Rahmen des § 46b StGB auf das beschränkende Tatbestandsmerkmal verzichten und es bei der Abwägung auf Rechtsfolgenseite belassen können. Demnach kann die bloße Mitursächlichkeit nicht zur Begründung der Wesentlichkeit genügen. Vielmehr muss der Aufklärungserfolg dem Kronzeugen in einer gesetzlich nicht näher bestimmten Art und Weise zugerechnet werden können. Es liegt daher die Anwendung der Grundsätze zur objektiven Zurechnung eines Unrechtserfolges nahe.167 Hiernach ist die objektive Zurechenbarkeit gegeben, wenn der Täter eine rechtlich relevante Gefahr geschaffen hat, die sich anschließend auch im tatbestandsmäßigen Erfolg realisiert.168 Dementsprechend muss sich, übertragen auf die Zurechenbarkeit eines Aufklärungserfolges, gerade der besondere Informationsgehalt der Angaben des Kronzeugen im konkreten Aufklärungserfolg niedergeschlagen haben, was die Möglichkeit eines wesentlichen Beitrages umso schwerer macht, je dichter die Ermittlungsbehörden selbst bereits vor der Aufklärung stehen.169 StV 2000, 623; Patzak, in: Körner: BtMG, § 31 Rn. 45. NStZ-RR 1997, 278; Maier, in: MüKo-StGB, § 46b Rn. 62. 164  So ausdrücklich etwa Malek: Betäubungsmittelstrafrecht, 4. Kap. Rn. 70; vgl. aber Maier, in: MüKo-StGB, § 46b Rn. 60, demzufolge die Anforderungen „nicht zu niedrig angesetzt werden“ dürfen. 165  BGH StV 1991, 67; NJW 2002, 808, 809; Maier, in: MüKo-StGB, § 31 BtMG Rn. 99. 166  Vgl. Hoyer JZ 1994, 233, 238. 167  Siehe den entsprechenden Vorschlag von Hoyer JZ 1994, 233, 238. 168  Kühl: StGB AT, § 4 Rn. 43; Lackner / Kühl: StGB, Vor § 13 Rn. 14. 169  Hoyer JZ 1994, 233, 238. 162  BGH 163  BGH

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2. Teil: Voraussetzungen und Rechtsfolgen

Von der Wesentlichkeit ist das Gewicht des Beitrages abzugrenzen. Der Aufklärungserfolg hinsichtlich der Katalogtat muss an der dem Kronzeugen zur Last gelegten Tat gemessen werden und darf im Vergleich zu ihr nicht ohne Gewicht sein.170 Auch wenn Wesentlichkeit und Gewicht nicht immer separat behandelt werden,171 handelt es sich doch um zwei zu trennende Merkmale; die Gewichtung des aufgedeckten Tatbeitrages im Vergleich zu der dem Kronzeugen vorgeworfenen Tat spielt erst auf Rechtsfolgenebene im Rahmen der Ermessensausübung durch den Tatrichter eine Rolle. In § 46b StGB wird dies anhand von Abs. 2 deutlich, der die Schwere der Tat, auf die sich die Angaben des Kronzeugen beziehen, im Rahmen der Kriterien für die Entscheidung des Gerichts nennt, ob und in welchem Umfang es die Angaben des Täters honoriert. Vom Vorliegen der Wesentlichkeit kann somit nicht automatisch auch auf das hinreichende Gewicht eines Aufklärungsbeitrages geschlossen werden. Gleichzeitig führt aber auch das Vorliegen eines wesentlichen Beitrages, dem Gewicht zukommt, nicht automatisch zu einer Strafmilderung.172 ff) Erfolgseintritt im Ausland Eine Tataufklärung im oben genannten Sinne muss nicht zwangsläufig im Inland, sondern kann in jedem beliebigen Vertragsstaat des Schengener Durchführungsübereinkommens (SDÜ) sowie im sonstigen Ausland bewirkt worden sein.173 Der Annahme eines Aufklärungserfolges steht nicht entgegen, dass die belasteten Personen im Fall ihrer Verurteilung im Ausland aufgrund von Art. 54 SDÜ wegen dieser Taten in Deutschland nicht mehr verfolgt werden könnten. Denn ein wesentliches Anliegen des Übereinkommens war die Verpflichtung der Vertragsstaaten zur Zusammenarbeit gerade auch bei der Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität.174 gg) Wechsel im Aussageverhalten Des Weiteren stellt sich die Frage, ob und gegebenenfalls wie sich ein Wechsel im Aussageverhalten des Täters auf das Vorliegen des Aufklärungserfolges auswirken kann. Dies betrifft zunächst den Fall, dass der Beschuldigte im Ermittlungs- oder Zwischenverfahren belastende Angaben macht, diese in der Hauptverhand170  BGH

NStZ 1988, 505, 506. Weber: BtMG, § 31 Rn. 112. 172  Maier, in: MüKo-StGB, § 31 BtMG Rn. 101. 173  BGH NJW 2003, 1131; Beschluss vom 30.10.2008 – 5 StR 345 / 08. 174  BGH NJW 2003, 1131. 171  Vgl.



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lung jedoch nicht wiederholen will, abändert oder sogar widerruft. Nach der zu § 31 BtMG entwickelten175 und auf § 46b StGB zu übertragenden176 Rechtsprechung steht ein Wechsel im Aussageverhalten des Täters einer Anwendung der Kronzeugenregelung grundsätzlich nicht entgegen. Maßgeblich ist allein, ob aufgrund rechtzeitiger Angaben zur Überzeugung des Gerichts ein wesentlicher Beitrag zur Aufklärung geleistet wurde. Haben Angaben des Täters erst einmal die Voraussetzungen für eine Anwendung des § 46b StGB geschaffen, werden diese nicht durch danach erfolgende, als wahrheitswidrig erkannte Angaben beseitigt.177 Vielmehr bleiben sie bestehen, soweit der auf den zutreffenden Angaben beruhende tatsächliche Aufklärungseffekt nicht in Frage gestellt wird.178 Speziell im Hinblick auf die Präklusionsbestimmung in § 46b Abs. 3 StGB wäre es unbillig, wenn der Kronzeuge durch Angaben nach Erlass des Eröffnungsbeschlusses die Voraussetzungen für eine Strafrahmenverschiebung nicht mehr begründen, aber umgekehrt einen vorliegenden Aufklärungserfolg durch bloßes Schweigen wieder beseitigen könnte. In nicht wenigen Fällen wird der Aufklärungsgehilfe eine Verbesserung des Ermittlungsstands selbst dann nicht mehr rückgängig machen können, wenn er es gezielt darauf anlegt. Der Gesichtspunkt des wechselnden Aussageverhaltens kann allerdings bei der Gesamtabwägung im Rahmen der Ermessensentscheidung des Gerichts berücksichtigt werden und hier gegebenenfalls zum Ausschluss einer Strafmilderung führen.179 Gelangt der Richter aufgrund eines Wechsels im Aussageverhalten jedoch zu Zweifeln an der Richtigkeit des ursprünglichen Erklärungsinhalts, scheidet § 46b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StGB aus, da ein Aufklärungserfolg dann nicht mehr vorliegt.180 Entsprechendes gilt auch für den umgekehrten Fall, dass nicht die früheren, sondern erst spätere, die ursprünglichen Angaben revidierende Hinweise die zutreffenden Schilderungen enthalten.181 Der Umstand, dass der Kronzeuge den Tatbeteiligten nicht sofort benennt, sondern zunächst wahrheitswidrig eine andere Person bezichtigt, steht einer Anwendung der Kron175  BGH StV 1986, 62; StV 1990, 355, 356; StV 1990, 455; NStZ-RR 2002, 251; StV 2004, 605, 606; NStZ 2009, 394, 395; NStZ-RR 2010, 25. 176  BGH StV 2012, 80, 81; von Heintschel-Heinegg, in: BeckOK-StGB, § 46b Rn. 14; Maier, in: MüKo-StGB, § 46b Rn. 30; wohl auch Kinzig, in: Schönke / Schröder: StGB, § 46b Rn. 17; vgl. BT-Drucks. 16 / 6268, S. 14. 177  Maier, in: MüKo-StGB, § 46b Rn. 30. 178  BGH StV 1992, 421; BGHR BtMG § 30 Abs. 2 Strafrahmenwahl 4; Pelchen / Bruns, in: Erbs  /  Kohlhaas: Strafrechtliche Nebengesetze, § 31 BtMG Rn. 2; Maier, in: MüKo-StGB, § 46b Rn. 30; kritisch Patzak, in: Körner: BtMG, § 31 Rn.  57 f. 179  BT-Drucks. 16 / 6268, S.  14. 180  Patzak, in: Körner: BtMG, § 31 Rn. 58; Maier, in: MüKo-StGB, § 46b Rn. 30. 181  Vgl.  Maier, in: MüKo-StGB, § 31 BtMG Rn. 62.

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2. Teil: Voraussetzungen und Rechtsfolgen

zeugenregelung nicht notwendigerweise entgegen.182 Ein Aufklärungserfolg ist nach Auffassung des BGH selbst dann noch möglich, wenn der Aufklärungsgehilfe die Strafverfolgungsbehörden durch seine erste Aussage bewusst in die Irre führt, dadurch die Entlassung der wahren Täter aus der Untersuchungshaft veranlasst und somit letztlich deren Flucht ermöglicht.183 Von Teilen der Literatur wird kritisiert, dass mit derartigen Angaben in der Praxis überhaupt nichts anzufangen sei.184 Die auf eine Entlastung folgende Belastung der Komplizen schaffe keine Tataufklärung, sondern nur Zweifel darüber, welche der beiden Versionen des Angeklagten die richtige sei.185 Von einem Aufklärungserfolg könne daher keine Rede sein.186 Diese Kritik läuft indes Gefahr, die begriffliche Trennung zwischen dem Aufklärungs- und einem Fahndungserfolg zu verwischen. Ob die Ergreifung der Täter gelungen ist, ist für das Vorliegen eines Aufklärungserfolges zunächst unerheblich. Daran ändert auch die Präklusionsbestimmung in § 46b Abs. 3 StGB nichts: Solange die zutreffenden Hinweise jedenfalls rechtzeitig vor Eröffnung des Hauptverfahrens vorliegen, spielt keine Rolle, ob die anderen, als wahrheitswidrig erkannten Angaben davor oder danach erfolgten.187 Aus § 46b Abs. 3 StGB folgt vielmehr im Umkehrschluss, dass weitere zeitliche Einschränkungen für die Offenbarungshandlung, etwa ein Handeln ohne schuldhaftes Zögern, nicht vorgesehen sind.188 Bestehen Zweifel, ob die frühere oder die spätere Aussage der Wahrheit entspricht, hat sich das Tatgericht hierüber Klarheit zu verschaffen. Kann es seine Zweifel auch hinsichtlich der späteren Schilderung nicht überwinden, fehlt ihm die notwendige Überzeugung vom Vorliegen eines Aufklärungserfolges, ohne dass es die Richtigkeit zugunsten des Aufklärungsgehilfen unterstellen muss.189 Auch die einer Verschleierung folgende Tataufklärung kann die Strafverfolgung unter Umständen noch positiv beeinflussen. Ist dies zwar der Fall, hat sich die Offenbarungshandlung jedoch nicht hinreichend im konkreten Aufklärungserfolg niedergeschlagen, fehlt es an der Wesentlichkeit des Beitrages. War der Beitrag zur Aufklärung von zu geringem Gewicht, hat das Gericht eine Strafmilderung bei der Ausübung des ihm zustehenden Ermessens abzulehnen. Ob eine Verzögerung bei der Tataufdeckung von taktischen 182  BGH JR 1985, 427; Pelchen / Bruns, in: Erbs  / Kohlhaas: Strafrechtliche Nebengesetze, § 31 BtMG Rn. 2. 183  BGHSt 33, 80, 81. 184  Körner JR 1985, 427, 428. 185  Patzak, in: Körner: BtMG, § 31 Rn. 42; Körner JR 1985, 427. 186  Körner: BtMG, 6. Auflage, § 31 Rn. 54. 187  Vgl.  Maier, in: MüKo-StGB, § 46b Rn. 30. 188  Zum Zeitpunkt der Offenbarung vgl. 2. Teil A. VI. 189  Malek: Betäubungsmittelstrafrecht, 4. Kap. Rn. 66; zur Zulässigkeit der Wahrunterstellung vgl. 2. Teil A. V. 1. c) dd).



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Erwägungen getragen war, ist dagegen eine Frage des hinter dem Verhalten stehenden Motivs. Dieses ist jedoch nach einhelliger Auffassung für das Vorliegen des Aufklärungserfolges unbeachtlich.190 Es besteht kein begründeter Anlass, die Motivation des Kronzeugen bei einem Wechsel im Aussageverhalten hinsichtlich der belasteten Person für das Vorliegen des Aufklärungserfolges ausnahmsweise als ausschlaggebend anzusehen.191 Die Frage, warum ein zwiespältig und taktisch handelnder Aufklärungsgehilfe eine Strafmilderung verdienen sollte,192 ist gerade Gegenstand der nach § 46b Abs. 2 StGB vorzunehmenden Abwägung. Dass ein Wechsel im Aussageverhalten möglicherweise sogar als ein Zeichen später Reue oder einer inneren Umkehr gewertet werden kann, darf nicht anhand starrer Vorgaben ausgeschlossen werden. Gleichwohl kann der Zeitpunkt der Offenbarung in die Gesamtbetrachtung einfließen.193 Um zu verhindern, dass gezielte Fluchthilfe mit anschließender Inanspruchnahme der Kronzeugenregelung „Schule macht“,194 hat das Gericht einen entsprechenden Vorsatz bei der Entscheidung über die Strafrahmenverschiebung angemessen zu gewichten.195 Die Anwendung von § 46b StGB kann insbesondere unterbleiben, wenn die aufklärende Aussage bewusst zurückgehalten wurde, um Hintermännern die Flucht oder die Fortsetzung ihres strafbaren Verhaltens zu ermöglichen.196 Den berechtigten Zweifeln, ob allein die richterliche Überzeugungsbildung von einer unzureichenden Aufklärungshilfe in der Lage ist, dem Missbrauch der Kronzeugenregelung Einhalt zu gebieten,197 muss allerdings durch erhöhte Anforderungen an die Beweiswürdigung Rechnung getragen werden.198

190  Körner: BtMG, 6.  Auflage, § 31 Rn. 20 f.; Maier, in: MüKo-StGB, § 46b Rn.  28 f.; ders., in: MüKo-StGB, § 31 BtMG Rn. 42 ff.; Weber: BtMG, § 31 Rn. 65, vgl. auch die Auslegungsgrundsätze bei Rn. 17 („Wer sich dies klarmacht, hat bereits einen großen Schritt zum richtigen Verständnis der Vorschrift getan“). 191  So aber Kneba: Die Kronzeugenregelung, S. 73. 192  Vgl. Körner: BtMG, 6. Auflage, § 31 Rn. 54. 193  Zu den Abwägungsfaktoren vgl. 2. Teil B. III. 194  Körner: BtMG, 6. Auflage, § 31 Rn. 54; ders. JR 1985 427, 428. 195  Vgl. BT-Drucks. 16 / 6268, S. 14; BGH StV 1985, 14. 196  Maier, in: MüKo-StGB, § 46b Rn. 42; vgl. BGH StV 1985, 506. 197  Patzak, in: Körner: BtMG, § 31 Rn. 57; vgl. auch Körner: BtMG, 6. Auflage, § 31 Rn. 54: Solange der Beschuldigte die Hintergrundangaben nur plausibel vortrage, sei auch die richterliche Überzeugung nicht weit. 198  Siehe hierzu 6. Teil C. III. 4.

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2. Teil: Voraussetzungen und Rechtsfolgen

b) Besondere Voraussetzung bei eigener Tatbeteiligung des Kronzeugen aa) Aufklärung über den eigenen Tatbeitrag hinaus War der Täter an der aufzudeckenden Katalogtat beteiligt, stellt § 46b Abs. 1 S. 3 StGB besondere Anforderungen an die geleistete Aufklärungshilfe. Zusätzlich zu den genannten Voraussetzungen muss sich sein Beitrag zur Aufdeckung einer Straftat aus dem Katalog des § 100a Abs. 2 StPO „über den eigenen Tatbeitrag hinaus“ erstrecken. Die Formulierung entstammt dem Wortlaut des § 31 Nr. 1 BtMG, sodass nach dem erklärten Willen des Gesetzgebers die hierzu ergangene Rechtsprechung „fruchtbar gemacht werden“ soll.199 Nach besagter Rechtsprechung ist ein wesentliches Merkmal der Formulierung zunächst darin zu erblicken, dass Angaben des Kronzeugen zu seinem eigenen Tatbeitrag für eine Anwendung der Kronzeugenregelung grundsätzlich nicht ausreichend sind.200 Macht ein Straftäter ausschließlich Angaben zu Art und Umfang seiner eigenen Tatbeteiligung, hat seine Aussage den Charakter eines einfachen Geständnisses. Geständnisse werden im Rahmen der allgemeinen Strafzumessung gem. § 46 StGB regelmäßig zugunsten des Täters berücksichtigt, eröffnen jedoch für sich genommen niemals den Anwendungsbereich einer Kronzeugenregelung.201 Entschließt sich ein Straftäter zur Selbstanzeige, muss sich das Gericht deshalb auch nicht zu einer Erörterung der in § 46 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, S. 3 StGB aufgestellten Voraussetzungen gedrängt sehen, selbst wenn die Tat ohne die Selbstgestellung niemals hätte aufgeklärt werden können.202 Entscheidend ist vielmehr das Aussageverhalten, das die Tat beschreibt, soweit sie über den eigenen Tatbeitrag des Aufklärungsgehilfen hinausgeht.203 Der Kronzeuge muss nicht sein gesamtes Wissen ausbreiten oder möglichst umfassende Angaben machen. Auch unvollständige Tatsachen genügen, solange sie nur wesentlich zur Aufklärung der Tat insgesamt beitragen.204 Es bedarf gerade keiner „schonungslosen“ 199  So ausdrücklich die Gesetzesbegründung zur Auslegung des Wortlauts der Formulierung von § 46 Abs. 1 S. 1 StGB „auch in Verbindung mit Satz 3“, BTDrucks. 16 / 6268, 12. 200  BGHSt 33, 80, 81. 201  Wolters, in: SK-StGB, § 46b Rn. 15. 202  BGH Beschluss vom 20.11.2012 – 4 StR 378 / 12. 203  Maier, in: MüKo-StGB, § 46b Rn. 66. 204  BGH StV 1991, 67; StV 1994, 544, NStZ 2000, 433; Kinzig, in: Schönke  /  Schröder: StGB, § 46b Rn. 14; Fischer: StGB,§ 46b Rn. 13; Weber: BtMG, § 31 Rn.  42 f.; Patzak, in: Körner: BtMG, § 31 Rn. 53 f., 56; Maier, in: MüKo-StGB, § 31 BtMG Rn.  68 f.



A. Voraussetzungen61

Offenbarung ohne jede Rücksichtnahme auf sich selbst oder Dritte.205 Darin unterscheidet sich § 46b StGB maßgeblich von § 371 AO, wonach eine Selbstanzeige grundsätzlich strafbefreiend wirkt, die Angaben jedoch vollständig sein müssen.206 Der Kronzeuge kann folglich ganze Tatumstände, -beteiligte oder -beiträge bewusst verschweigen, sofern er nur einen wesentlichen Teilbereich dessen erhellt, was über seinen eigenen Beitrag hinausgeht.207 Wertvorstellungen und Gefühle fallen auch in diesem Zusammenhang nicht ins Gewicht. So kann ein Aufklärungserfolg auch dann vorliegen, wenn der Kronzeuge zwar einen seiner Mittäter offenbart, jedoch wahrheitswidrig die Tatbeteiligung einer weiteren Person verschleiert, weil sie ihm persönlich nahe steht und er ihr nicht schaden möchte.208 bb) Bedeutungslosigkeit der Angaben zum eigenen Tatbeitrag Schwierigkeiten bereitete in der Vergangenheit die Frage, ob von einer Aufdeckung „über den eigenen Tatbeitrag hinaus“ auch dann noch gesprochen werden kann, wenn der an der Tat beteiligte Aufklärungsgehilfe seinen eigenen Tatbeitrag verschweigt oder leugnet. Nach der Rechtsprechung des BGH sind Angaben zum eigenen Tatbeitrag im Hinblick auf die Anwendbarkeit der Kronzeugenregelung insgesamt bedeutungslos. Ein wesentlicher Beitrag zur Aufdeckung der eigenen Tatbeteiligung reicht zur Erlangung einer Strafmilderung nicht aus, ist umgekehrt aber auch nicht erforderlich.209 Die vorteilhaften Rechtsfolgen können somit grundsätzlich auch demjenigen zugutekommen, der den eigenen Tatbeitrag weder gesteht noch sonst zu dessen Aufdeckung beiträgt.210 Soweit dieser Mangel nicht dazu führt, dass die Tat insgesamt nur unzulänglich aufgeklärt werden kann, darf der Täter seinen eigenen Tatbeitrag herunterspielen oder bagatellisieren, ihn vollständig oder nur die subjektive Tatseite leugnen sowie eine falsche Darstellung seiner Motive liefern.211 205  BGHSt

33, 80, 81; BGH StraFo 2003, 145. hierzu BGH NJW 2010, 2146, wonach aufgrund der Regelung des § 371 AO nur Straffreiheit erlangen könne, wer vollständig „reinen Tisch“ mache und dadurch zur Steuerehrlichkeit zurückkehre. 207  BGH NStZ 1989, 326; NStZ-RR 1996, 181; Maier, in: MüKo-StGB, § 31 BtMG Rn. 68, 70. 208  Vgl. BGH NStZ 1989, 326. 209  BGHSt 33, 80, 81. 210  BGH StV 2011, 543; NStZ-RR 2011, 320; NStZ-RR 2012, 201; Fischer: StGB, § 46b Rn. 13; Maier, in: MüKo-StGB, § 31 BtMG Rn. 69; a. A. Pelchen / Bruns, in: Erbs / Kohlhaas: Strafrechtliche Nebengesetze, § 31 BtMG Rn. 3. 211  Vgl. BGH NStZ 2011, 100; OLG Düsseldorf NStZ-RR 2001, 149; Weber: BtMG, § 31 Rn. 50. 206  Vgl.

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2. Teil: Voraussetzungen und Rechtsfolgen

Der Standpunkt des BGH wurde bereits im Rahmen des § 31 BtMG von Teilen der Literatur als „ausufernd“ kritisiert.212 Es sei widersprüchlich, einerseits vor einem Missbrauch der Kronzeugenregelung durch Falschbelastungen zu warnen und andererseits den auf diesem Weg zu belohnen, der seine eigene Tatbeteiligung vertuschen wolle.213 Insbesondere die Möglichkeit zum Bestreiten des subjektiven Tatbeitrages führe zu Falschbelastungen und verschleiere mehr, als dass sie zur Aufklärung beitrage. So könne sich etwa der Kurier eines Schmugglerrings, der zwar die gesamte Schmuggelreise sowie seine Auftraggeber offenlegt, jedoch die Kenntnis des Kofferinhalts bestreitet, zum ahnungslosen Opfer seiner Hintermänner stilisieren und dennoch die Vorteile der Kronzeugenregelung einstreichen.214 Die Formulierung „über den eigenen Tatbeitrag hinaus“ müsse daher so verstanden werden, dass die Offenlegung des gesamten Wissens einschließlich des objektiven und subjektiven Tatbeitrages erforderlich sei.215 Die Auffassung, der Kronzeuge müsse ein Geständnis zur äußeren oder inneren Tatseite ablegen, lässt sich indes nicht mit der Annahme rechtfertigen, das Gesetz verlange die Offenbarung des gesamten Wissens. Eine solche Annahme lässt sich weder auf den Wortlaut der Vorschriften noch auf ihre kriminalpolitische Zielsetzung stützen.216 Sinn und Zweck sowohl des § 31 BtMG als auch des § 46b StGB sind gerade darin zu erblicken, eine objektiv eingetretene Verbesserung der Tataufklärung zu honorieren.217 Dieser Zweck wird allerdings verfehlt, wenn das Leugnen oder Bagatellisieren dazu führt, dass die Aufklärung der Tat insgesamt nicht mehr gefördert werden kann.218 Diese Einschränkung betrifft jedoch das Vorliegen des Aufklärungserfolges im Allgemeinen und nicht die Frage, ob eine Tataufklärung über den eigenen Tatbeitrag hinaus geleistet wurde. Das pauschale Erfordernis einer Offenlegung des eigenen Tatbeitrages würde vielmehr zu dem zweckwidrigen Ergebnis führen, dass der einzige überführte, jedoch leugnende Mittäter selbst durch Nennung sämtlicher anderer Tatbeteiligter und Tatumstände nicht mehr wesentlich zur Aufklärung i. S. d. Kronzeugenregelung beitragen und hierfür belohnt werden könnte.219 Ferner gibt die 212  Körner: BtMG, 6. Auflage, § 31 Rn. 39; siehe auch Buttel: Kritik an der Figur des Aufklärungsgehilfen, S.  267 ff.; Strate ZRP 1987, 315, 318; Pfeil / Hempel / Schiedermair / Slotty: Betäubungsmittelrecht, § 31 Rn. 5. 213  Körner: BtMG, 6. Auflage, § 31 Rn. 39. 214  Patzak, in: Körner: BtMG, § 31 Rn. 57. 215  Buttel: Kritik an der Figur des Aufklärungsgehilfen, S. 268. 216  BGHSt 33, 80, 81; Maier, in: MüKo-StGB, § 31 BtMG Rn. 71. 217  Vgl. Weider NStZ 1985, 481, 482; Malek: Betäubungsmittelstrafrecht, 4.  Kap. Rn. 48; Maier, in: MüKo-StGB, § 31 BtMG Rn. 71. 218  BGHSt 33, 80, 81; Weber: BtMG, § 31 Rn. 45. 219  Vgl.  Maier, in: MüKo-StGB, § 31 BtMG Rn. 71.



A. Voraussetzungen63

Gesetzeshistorie des § 46b StGB keinen Anlass, diese Grundsätze im Hinblick auf die allgemeine Kronzeugenregelung zu überdenken: Der Gesetzgeber war sich der in der Lehre geäußerten Kritik bewusst, ging jedoch zur Konkretisierung der Formulierung in § 46 Abs. 1 S. 1 StGB „auch in Verbindung mit Satz 3“ ausdrücklich von einer Übertragung der bisherigen Rechtsprechung aus.220 Vor allem der ursprüngliche Verzicht auf das Erfordernis eines Zusammenhangs zwischen Anlass- und Bezugstat verdeutlicht, dass es dem Gesetzgeber nicht um die verbesserte Aufklärung der Kronzeugentat ging. Eine Einlassung zum eigenen Tatbeitrag wird somit auch von § 46b Abs. 1 S. 3 StGB nicht vorausgesetzt. Dass der Kronzeuge seine Beteiligung an der Bezugstat wahrheitswidrig verschweigt, abstreitet oder verharmlost, kann jedoch im Rahmen der nach § 46b Abs. 2 StGB vorzunehmenden Gesamtwürdigung berücksichtigt werden.221 c) Feststellung des Aufklärungserfolges durch das Gericht aa) Einschätzungszuständigkeit Der Aufklärungserfolg muss nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung zur Überzeugung des Richters (§ 261 StPO) feststehen. Über das Vorliegen des Erfolges entscheidet damit das Gericht, das über die Tat des Aufklärungsgehilfen zu befinden hat. Gelangt es nicht zu dieser Überzeugung, so hat es zu prüfen, ob übrig bleibende bloße Aufklärungsbemühungen als Nachtatverhalten im Rahmen des § 46 StGB berücksichtigt werden können. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung ist demnach die Hauptverhandlung.222 Wird das Urteil aufgehoben und die Sache neu verhandelt, kommt es auf den Zeitpunkt der erneuten Hauptverhandlung an.223 Nach der zu § 31 BtMG entwickelten Rechtsprechung darf somit über das Vorliegen der Voraussetzungen nur der Tatrichter entscheiden. Andererseits müssen die Angaben des Aufklärungsgehilfen einer Überprüfung durch die Strafverfolgungsbehörden standhalten.224 Hierin liegt nur scheinbar ein Widerspruch.225 Die Beurteilung und Entscheidung der Beweisfrage zur Feststellung eines Aufklärungserfolges obliegt unumstritten allein der freien Beweiswürdigung durch das Gericht nach den Grundsätzen des § 261 StPO. 220  Vgl.

BT-Drucks. 16 / 6268, S. 12. StV 2011, 534; Fischer: StGB, § 46b Rn. 13. 222  BGH NStZ 2003, 162. 223  BGH NStZ 1992, 192; Weber: BtMG, § 31 Rn. 113. 224  BGH StV 1997, 639; vgl. oben 2. Teil A. V. 1. a) dd). 225  So aber Weider NStZ 1985, 481, 482 f.; wie hier Wienroeder, in: Franke / Wienroeder: BtMG, § 31 Rn. 13. 221  BGH

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2. Teil: Voraussetzungen und Rechtsfolgen

Dies gilt letztlich auch hinsichtlich der Frage, ob die Strafverfolgungsbehörden aufgrund der Angaben des Täters abgesicherte Erkenntnisse zu Tatbeteiligten und deren Beiträgen gewinnen konnten. Auf die Einschätzung der Ermittlungsbehörden kommt es ebenso wenig an wie auf die Ergebnisse aus anderen Strafverfahren.226 Haben die Behörden hinreichend konkrete Angaben des Angeklagten überhaupt nicht oder nicht mit der gebotenen Sorgfalt und Eile überprüft, dürfen daraus vom Gericht zumindest keine nachteiligen Rückschlüsse auf die Richtigkeit der Angaben und ihre Eignung zur Überführung anderer Straftäter abgeleitet werden.227 Sind die Strafverfolgungsbehörden jedoch deshalb untätig geblieben, weil die Angaben des Aufklärungsgehilfen viel zu allgemein gehalten, vage oder inhaltsleer waren, liegen die Voraussetzungen des § 46b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StGB nicht vor.228 bb) Überzeugungsbildung vom Vorliegen eines Aufklärungserfolges Das Gericht muss folglich für die Annahme eines Aufklärungserfolges nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung davon überzeugt sein, dass 1. die Angaben des Aufklärungsgehilfen richtig sind und 2. diese zu einem voraussichtlich erfolgreichen Abschluss der Strafverfolgung beitragen.229 Eine Auseinandersetzung mit der Glaubwürdigkeit des Kronzeugen muss stets mit Blick auf die erhöhte Gefahr von Falschbelastungen erfolgen, die jeder Kronzeugenregelung immanent ist. Die Überprüfung der Angaben bedarf daher einer besonders sorgfältigen Beweiswürdigung. Bestehen Zweifel am Wahrheitsgehalt der Darstellungen, gehen diese zulasten des Angeklagten. Der Grundsatz „in dubio pro reo“ kann insoweit keine Anwendung finden.230 Andernfalls bestünde ein beträchtlicher Anreiz, auf die Unwiderlegbarkeit von Falschbelastungen zu spekulieren.231 Solange das Gericht die Angaben des Kronzeugen lediglich als nicht widerlegbar erachtet, fehlt ihm die notwendige Überzeugung von deren Richtigkeit, sodass 226  Fischer:

StGB, § 46b Rn.  NStZ 1988, 505, 506; vgl. dazu Fezer, in: FS-Lenckner, S. 688 (Fn. 24), der hierin wieder eine Annäherung an die Anwendung des Zweifelssatzes sieht. 228  BGH NStZ 1988, 505, 506; StV 1983, 505 f.; Weber: BtMG, § 31 Rn. 120. 229  BGHSt 31, 163; StV 1997, 639; Weber: BtMG, § 31 Rn. 125; Hoyer JZ 1994, 233, 237; Fezer, in: FS-Lenckner S. 684, 687; Maier, in: MüKo-StGB, § 46b Rn. 73. 230  BGH StV 1989, 392; StV 1997, 639; NStZ 2003, 162; Fischer: StGB, § 46b Rn. 15; Weber: BtMG, § 31 Rn. 127; Maier, in: MüKo-StGB, § 31 BtMG Rn. 111; Wienroeder, in: Franke / Wienroeder: BtMG, § 31 Rn. 13; Eberth / Müller / Schütrumpf: Verteidigung in Betäubungsmittelsachen, Rn. 129. 231  Hoyer JZ 1994, 233, 237. 227  BGH



A. Voraussetzungen65

eine Anwendung des § 46b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StGB ausscheiden muss.232 Die materielle Feststellungslast liegt allein beim Angeklagten.233 Dies bedeutet allerdings nicht, dass der Tatrichter daran gehindert ist, der Aussage des Ermittlungsgehilfen zu seiner Überzeugung glauben zu schenken, auch wenn es für die Richtigkeit seiner Angaben keine anderen Beweismittel gibt oder diese in der Hauptverhandlung nicht zur Verfügung stehen.234 Kann sich das Gericht von der Richtigkeit des geschilderten Sachverhaltes nicht überzeugen und muss § 46b StGB daher ausscheiden, hat es gleichwohl zu prüfen, ob nicht wenigstens die ernsthaften Aufklärungsbemühungen des Angeklagten im Rahmen der allgemeinen Strafzumessung Berücksichtigung finden können.235 Eine Bindung an die Feststellungen eines anderen Gerichts besteht grundsätzlich nicht.236 Der Tatrichter darf daher nicht allein auf die Zweifel anderer Gerichte oder Ermittlungsbehörden im Verfahren gegen den oder die belasteten Dritten abstellen. Vielmehr ist eine eigenständige Würdigung der für oder gegen die Glaubhaftigkeit der Aussage des Angeklagten sprechenden Umstände vorzunehmen.237 Steht die Identität der belasteten Person fest und sind die Angaben des Kronzeugen zur Überzeugung des Gerichts schlüssig, detailliert, konstant und widerspruchsfrei, steht der Annahme eines Aufklärungserfolges der Umstand nicht entgegen, dass der belastete Dritte möglicherweise aufgrund von Beweisschwierigkeiten, insbesondere auch der Anwendung des Zweifelssatzes, letztlich doch nicht zu überführen sein wird.238 cc) Reichweite der gerichtlichen Aufklärungspflicht Das Tatgericht ist zu Nachforschungen darüber, ob der Angeklagte in der Hauptverhandlung Angaben i. S. d. § 46b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StGB machen könnte, nicht verpflichtet. Denn aufgrund von § 46b Abs. 3 StGB kann das erst in der Hauptverhandlung offenbarte Wissen nicht zur Anwendung der Kronzeugenregelung führen. Die Aufklärungspflicht aus § 244 Abs. 2 StPO gebietet ihm jedoch zu klären, ob und welche vor der Eröffnung des Haupt232  Fischer:

StGB, § 46b Rn. 15; Weber: BtMG, § 31 Rn. 92, 126. StGB, § 46b Rn. 15. 234  BGH NStZ 2003, 162. 235  Maier, in: MüKo-StGB, § 46b Rn. 73; vgl. auch 2. Teil B. VIII. 2. 236  BGH NStZ 2009, 394; von Heintschel-Heinegg, in: Beck-OK-StGB, § 46b Rn. 14. 237  BGH NStZ 2009, 394; Maier, in: MüKo-StGB, § 46b Rn. 73. 238  BGH NStZ-RR 1998, 25; StV 2003, 286; StV 2010, 134; Patzak, in: Körner: BtMG, § 31 Rn. 105; Maier, in: MüKo-StGB, § 46b Rn. 73. 233  Fischer:

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2. Teil: Voraussetzungen und Rechtsfolgen

verfahrens gemachten Angaben des Angeklagten die Voraussetzungen des § 46b StGB erfüllen können, das heißt ob ein Aufklärungserfolg aufgrund früherer Angaben bereits eingetreten ist.239 Der Tatrichter hat somit nur das tatsächliche Vorliegen des Aufklärungserfolges zu untersuchen. Er ist jedoch nicht gehalten, Angaben des Angeklagten nachzugehen, die lediglich einen Verdacht und damit die bloße Möglichkeit eines Aufklärungserfolges begründen, um auf diese Weise den Erfolg erst herbeizuführen.240 Auch braucht er nicht abzuwarten, bis andere Stellen entsprechende Ermittlungen durchgeführt haben.241 Zur Klärung des Vorliegens eines Aufklärungserfolges darf sich das Gericht somit nicht auf die Würdigung der letzten – und möglicherweise präkludierten – Aussage des Kronzeugen beschränken, sondern muss darüber hinaus überprüfen, ob nicht schon frühere Mitteilungen, etwa in der ersten polizeilichen Vernehmung, die Voraussetzungen erfüllt haben könnten.242 Enthält die frühere Vernehmung möglicherweise Angaben zu einer einschlägigen Katalogtat, ist das Gericht verpflichtet, die Beweisaufnahme von Amts wegen auf diese Umstände zu erstrecken.243 Liegen z. B. Hinweise vor, dass die Strafverfolgungsbehörden erst mit Hilfe der Angaben des Angeklagten eines Mittäters habhaft werden konnten, muss sich das Gericht in Erfüllung seiner Aufklärungspflicht nach § 244 Abs. 2 StPO gedrängt sehen, die Beamten der Staatsanwaltschaft bzw. der Polizei als Zeugen zu vernehmen, sowie aussagekräftige Schriftstücke, wie das Protokoll einer Vernehmung oder Haftbefehlsverkündung, in der Hauptverhandlung zu verlesen.244 Unterlässt es diese Beweiserhebung, ist nicht auszuschließen, dass der Strafausspruch auf dieser Pflichtverletzung beruht, da die Aufklärungshilfe im Rahmen der Strafzumessung zugunsten des Angeklagten zu berücksichtigen gewesen wäre.245 Im Rahmen des § 31 BtMG war bislang im Einzelnen umstritten, ob die Aufklärungspflicht des Gerichts gegebenenfalls auch eine Unterbrechung oder Aussetzung der Hauptverhandlung (§ 228 StPO) gebietet, um die Angaben des Kronzeugen überprüfen zu können.246 Dagegen wurde insbeson239  BGH StV 2011, 74; Streng, in: NK-StGB, § 46b Rn. 9; vgl. Maier, in: MüKoStGB, § 31 BtMG Rn. 124. 240  BGH NStZ 1998, 90; NStZ-RR 2004, 348; Streng, in: NK-StGB, § 46b Rn. 9; Kinzig, in: Schönke / Schröder: StGB, § 46b Rn. 13. 241  BT-Drucks. 16 / 6268, S.  12. 242  Patzak, in: Körner: BtMG, § 31 Rn. 113. 243  BGH StV 2011, 74; StV 1989, 392. 244  BGH StV 2011, 74. 245  Vgl. BGH StV 2011, 74. 246  Befürwortend Weider NStZ 1984, 391, 396; Endriß / Malek: Betäubungsmittelstrafrecht, Rn. 869; ablehnend Hügel / Junge / Lander / Winkler: Deutsches Betäubungsmittelrecht, § 31 BtMG Rn. 3.5.



A. Voraussetzungen67

dere vorgebracht, dass dem Verurteilten kein Anspruch auf die Anwendung der Kronzeugenregelung zustehe, sondern ihm das Gesetz nur ein Recht auf umfassende und rechtsfehlerfreie tatrichterliche Prüfung der Strafzumessungsregel einräume.247 Hinsichtlich der parallelen Fragestellung bei § 46b StGB ist nunmehr zu berücksichtigen, dass infolge der (jetzt auch auf § 31 BtMG n. F. anzuwendenden) Präklusionsvorschrift in Abs. 3 eine Anwendung der Kronzeugenregelung ohnehin ausgeschlossen ist, wenn der Täter sein Wissen erst nach Eröffnung des Hauptverfahrens offenbart. Somit stellt sich im Hinblick auf § 46b StGB nicht mehr die Frage, ob eine Unterbrechung oder Aussetzung erforderlich ist, wenn der Angeklagte erst in der Hauptverhandlung Dritte belastet. Jedoch ist zu beachten, dass z. B. Personalengpässe bei den Ermittlungsbehörden oder deren Belastung mit anderen, wichtiger erscheinenden Ermittlungen dazu führen können, dass trotz rechtzeitiger Offenbarung des Beschuldigten eine Überprüfung der Angaben bis zur Hauptverhandlung nicht stattgefunden hat.248 Dem Wortlaut des § 46b Abs. 3 StGB lässt sich entnehmen, dass bis zum Erlass des Eröffnungsbeschlusses nicht der Aufklärungserfolg eingetreten, sondern lediglich die Offenbarungshandlung abgeschlossen sein muss. Damit sind Beweiserhebungen zum zwischenzeitlichen Eintritt des Aufklärungserfolges in der Hauptverhandlung gerade nicht ausgeschlossen.249 Auch insoweit sind daher die oben genannten Grundsätze anzuwenden. Entsprechend den Entscheidungen des 4. und 5. Strafsenats des BGH250 ist demzufolge zwischen zwei Konstellationen zu unterscheiden: 1. Zur Klärung, ob und aufgrund welcher Angaben des Kronzeugen ein Aufklärungserfolg bereits eingetreten ist, muss entscheidungserheblichen Hinweisen gegebenenfalls auch unter Aussetzung des Verfahrens nachgegangen werden. Wurden bereits vor der Hauptverhandlung vorhandene Angaben übersehen oder übergangen oder gilt es zu klären, ob durchgeführte Ermittlungen einen Aufklärungserfolg erbracht haben, kann somit möglicherweise auch eine Hauptverhandlung zu unterbrechen oder auszusetzen sein, wenn andernfalls der Richter die Aussagen nicht würdigen oder die Ermittlungsbeamten nicht vernehmen kann.251 Bleibt ein Ermitt247  Hügel / Junge / Lander / Winkler: Deutsches Betäubungsmittelrecht, § 31 BtMG Rn. 3.5. 248  Vgl. Weider NStZ 1984, 391. 249  Fischer: StGB, § 46b Rn. 21. 250  BGH Beschluss vom 16.3.1989 – 4 StR 93 / 89 betrifft die Frage, ob ein Aufklärungserfolg vorliegt; Beschluss vom 3.2.1993 – 5 StR 20 / 93 betrifft hingegen die Frage, ob das Gericht den Angaben nachgehen muss, um den Aufklärungserfolg selbst herbeizuführen, vgl. Maier, in: MüKo-StGB, § 31 BtMG Rn. 127. 251  Wie hier Maier, in: MüKo-StGB, § 31 BtMG Rn. 127; Weber: BtMG, § 31 Rn. 138.

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2. Teil: Voraussetzungen und Rechtsfolgen

lungserfolg deswegen aus, weil die Behörden hinreichend genaue Angaben des Angeklagten nicht mit der gebotenen Sorgfalt und Geschwindigkeit überprüft haben, kann ein Aufklärungserfolg gleichwohl bejaht werden, sofern der Tatrichter keine Zweifel an der Richtigkeit der Angaben und ihrer konkreten Eignung zur Überführung anderer Tatbeteiligter hat.252 2. Niemals kann jedoch verlangt werden, dass das Gericht den Aufklärungserfolg selbst herbeiführt. Die Untersuchungspflicht des Gerichts reicht nicht weiter, als dies nach materiellem Recht geboten ist.253 Eine Aussetzung oder Unterbrechung der Hauptverhandlung kommt zu diesem Zweck daher nicht in Betracht. dd) Bescheidung von Beweisanträgen Entsprechendes gilt für Beweisanträge, die auf den Nachweis der Voraussetzungen des § 46b StGB abzielen: Ein Beweisantrag, der darauf gerichtet ist, einen bereits vorliegenden Aufklärungserfolg zu überprüfen, ist zulässig und erheblich.254 So darf etwa der Beweisantrag auf Vernehmung eines Kriminalbeamten mit der Behauptung, die Polizei habe den vom Angeklagten mit Namen genannten Täter einer Katalogtat i. S. d. § 100a Abs. 2 StPO identifiziert und die Angaben des Angeklagten über diese Person hätten unter Berücksichtigung weiterer Erkenntnisse der Überprüfung durch die Polizei standgehalten, nicht gem. § 244 Abs. 3 S. 2 StPO wegen Bedeutungslosigkeit der Beweistatsache zurückgewiesen werden.255 Ist der Beweisantrag hingegen erst auf die Herbeiführung des Aufklärungserfolges selbst gerichtet, macht dies den Antrag zwar nicht unzulässig,256 jedoch für die Entscheidung über das Vorliegen der Voraussetzungen des § 46b StGB bedeutungslos.257 Der Aufklärungserfolg selbst lässt sich folglich mit einem Beweisantrag nicht erzwingen.258 Jedoch kann der Angeklagte die Be­ weisaufnahme durch das Stellen von Beweisanträgen beeinflussen, um damit das Gericht vom Vorliegen eines bereits eingetretenen Aufklärungserfolges zu überzeugen.259 Zum Teil wird ein dritter, zwischen vorgenannten Fall­ 252  Schäfer / Sander / van

Gemmeren: Praxis der Strafzumessung, Rn. 986. BtMG, § 31 Rn. 137; Maier, in: MüKo-StGB, § 31 BtMG Rn. 127. 254  Weber: BtMG, § 31 Rn. 140; Maier, in: MüKo-StGB, § 46b Rn. 90 ff. 255  Vgl. BGH NStZ 2000, 433, 434. 256  Insoweit missverständlich Fischer: StGB, § 46b Rn. 15. 257  BGH NStZ 1998, 90; Patzak, in: Körner: BtMG, § 31 Rn. 114; Weber: BtMG, § 31 Rn. 140; Maier, in: MüKo-StGB, § 31 BtMG Rn. 128. 258  Kinzig, in: Schönke / Schröder: StGB, § 46b Rn. 13. 259  Schmidt NJW 2005, 3250, 3255. 253  Weber:



A. Voraussetzungen69

gestaltungen anzusiedelnder Grenzfall problematisiert, in dem mit dem Beweisantrag lediglich die Zuverlässigkeit bereits geleisteter Aufklärungshilfe bewiesen werden soll, z. B. wenn der Angeklagte seinen zuvor als Mittäter benannten, indes den Vorwurf bestreitenden Mitangeklagten mit einer beantragten Zeugenvernehmung weiter belasten will.260 Schon im Hinblick auf den Zweck des § 46b StGB, in breiterem Umfang als bisher Anreize für Aufklärungs- und Präventionshilfen zu schaffen, ist hier geboten, dem Beweisantrag zugunsten einer Bestätigung der Aufklärungshilfe nachzugehen.261 Umgekehrt wäre es unter Fairnessgesichtspunkten zu beanstanden, könnte ein Aufklärungsgehilfe trotz Einhaltung der Frist in § 46b Abs. 3 StGB nichts weiter unternehmen, um erst in der Hauptverhandlung aufkeimende Zweifel an seinen Angaben zu widerlegen. Das Vorliegen eines Aufklärungserfolges darf darüber hinaus nicht gem. § 244 Abs. 3 S. 2 StPO als wahr unterstellt werden.262 Denn eine Wahrunterstellung wirkt sich der Sache nach aus wie eine vorweggenommene Anwendung des Grundsatzes „in dubio pro reo“.263 Vor allem aber wäre es mit Sinn und Zweck der Kronzeugenregelung, einen tatsächlich eingetretenen Aufklärungserfolg zu honorieren, nur schwer zu vereinbaren, wenn sie allein aufgrund einer Tatsachenfiktion zur Anwendung käme, die zwar zugunsten des Angeklagten wirkt, jedoch die objektive Tatsachenwirklichkeit unberührt lässt.264 Eine Wahrunterstellung bliebe immer hinter einem tatsächlichen Erfolg zurück.265 Konsequenterweise muss daher auch die Wahrunterstellung einzelner Elemente und Voraussetzungen des Aufklärungserfolges als unzulässig angesehen werden.266 Das Gericht verstößt folglich 260  Weber: BtMG, § 31 Rn. 140; Schmidt NJW 2005, 3250, 3255; Winkler NStZ 2005, 315, 318; vgl. etwa BGH NStZ 2005, 231. 261  So auch Schmidt NJW 2005, 3250, 3255; Weber: BtMG; § 31 Rn. 140; kritisch dagegen Winkler NStZ 2005, 315, 318. 262  BHG StV 1996, 662; Maier, in: MüKo-StGB, § 46b Rn. 91; Patzak, in: Körner: BtMG, § 31 Rn. 115; Weber: BtMG, § 31 Rn. 128; Wienroeder, in: Franke / Wien­ roeder: BtMG, § 31 Rn. 16. 263  Herdegen NStZ 1984, 337, 341; Schroeder / Verrel: StPO, § 244 Rn. 261; Gollwitzer, in: Löwe  /  Rosenberg: StPO, § 244 Rn. 213; anders jedoch Hamm / Hassemer / Pauly: Beweisantragsrecht, S. 177 f. sowie Roxin / Schünemann: § 45 Rn. 19, wonach hierin eine Ausprägung des Prinzips der Prozessökonomie liegen soll, welche durch „in dubio pro reo“ lediglich begrenzt wird. 264  Vgl. BGH NStZ-RR 1997, 85; Hügel / Junge / Lander / Winkler: Deutsches Betäubungsmittelrecht, § 31 BtMG Rn. 3.6; Winkler NStZ 2007, 317, 320; Maier, in: MüKo-StGB, § 31 BtMG Rn. 129; Schoreit NStZ 1992, 320, 326. 265  Patzak, in: Körner: BtMG, § 31 Rn. 115. 266  Wie hier Weber: BtMG, § 31 Rn. 129; Patzak, in: Körner: BtMG, § 31 Rn. 115; Hügel / Junge / Lander / Winkler: Deutsches Betäubungsmittelrecht, §  31 Rn. 3.6; Schoreit NStZ 1992, 320, 326; siehe auch Meyer-Goßner: StPO, § 244 Rn. 70, der eine Wahrunterstellung für „regelmäßig […] nicht unzulässig“ hält,

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2. Teil: Voraussetzungen und Rechtsfolgen

auch dann gegen seine Aufklärungspflicht, wenn es einzelne Angaben des Angeklagten als wahr unterstellt, um auf diese Weise zur „Überzeugung“ vom Vorliegen des Aufklärungserfolges zu gelangen. Die Zulässigkeit der Wahrunterstellung für den Schuldspruch bleibt hiervon unberührt.267 Trifft das Gericht dennoch die Zusage, z. B. eine Beweisbehauptung über die Straftatbeteiligung eines anderen als wahr zu unterstellen, ist es an diese Feststellung gebunden, ohne dass es auf den tatsächlichen Verfahrensstand gegen den Belasteten ankommt.268 Denn die Frage der Bindung an eine solche Zusage beurteilt sich nicht nach materiellem Recht, sondern anhand des prozessualen „fair trial“-Grundsatzes in seiner besonderen Ausprägung des Vertrauensschutzes.269 Dies gilt selbst dann, wenn das Verfahren gegen den belasteten Dritten gem. § 170 Abs. 2 StPO mangels hinreichenden Tatverdachts durch die Staatsanwaltschaft eingestellt worden ist.270 Ist eine Tatsache einmal als wahr unterstellt worden, müssen die gericht­ liche Bewertung der Wesentlichkeit und des Gewichts des Aufklärungsbeitrages mit den als wahr unterstellten Behauptungen vereinbar sein; damit ist allerdings nicht gesagt, dass das Gericht insoweit eine positive Entscheidung treffen muss.271 Auch im Rahmen des Ermessens auf Rechtsfolgenseite kann sich das Gericht weiterhin gegen eine Anwendung des § 46b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StGB entscheiden.272 Eine Zusage, dass die als wahr unterstellte Tatsache im Urteil als erheblich angesehen wird, liegt in der Wahrunterstellung nicht.273 Zwar schließen sich die Ablehnungsgründe der Bedeutungslosigkeit und der Wahrunterstellung aus; maßgeblich für die Beurteilung ist jedoch der Zeitpunkt des Beschlusserlasses. Eine Unterrichtung des Angeklagten, dass das Gericht die Tatsache auf Grundlage der Urteilsberatung als unerheblich behandeln will, wird daher nicht für erforderlich gehalten.274 Ein entsprechender Hinweis bei der Entscheidung über die Wahrunterstellung kann gleichwohl zweckmäßig sein, wenn die Intention des Beweisantrages offensichtlich auf eine Anwendung der Kronzeugenregelung abzielte.275 „wenn die Voraussetzungen des § 31 BtMG dargetan werden sollen“; a. A. Maier, in: MüKo-StGB, § 46b Rn. 94; Körner: BtMG, 6. Auflage, § 31 Rn. 86. 267  BGH NStZ 2005, 231, 232; Weber: BtMG, § 31 Rn. 128. 268  Patzak, in: Körner: BtMG, § 31 Rn. 116; Weber: BtMG, § 31 Rn. 130; Wienroeder, in: Franke / Wienroeder: BtMG, § 31 Rn. 16. 269  Wienroeder, in: Franke / Wienroeder: BtMG, § 31 Rn. 16. 270  Patzak, in: Körner: BtMG, § 46b Rn. 94; Weber: BtMG, § 31 Rn. 128. 271  Maier, in: MüKo-StGB, § 46b BtMG Rn. 94; Weber: BtMG, § 31 Rn. 131. 272  Weber: BtMG, § 31 Rn. 131; Maier, in: MüKo-StGB, § 46b Rn. 95. 273  Meyer-Goßner: StPO, § 244 Rn. 70. 274  Siehe hierzu Meyer-Goßner: StPO, § 244 Rn. 70. 275  Weber: BtMG, § 31 Rn. 131; Maier, in: MüKo-StGB, § 46b Rn. 95.



A. Voraussetzungen71

2. Präventionshilfe (§ 46b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StGB) Die Präventionshilfe nach Abs. 1 S. 1 Nr. 2 setzt voraus, dass der Täter freiwillig sein Wissen so rechtzeitig einer Dienststelle offenbart, dass eine Tat nach § 100a Abs. 2 StPO, von deren Planung er weiß, noch verhindert werden kann. Die zweite Alternative des § 46b StGB ist dem § 31 Nr. 2 BtMG nachgebildet, der bislang keine wesentliche praktische Bedeutung erlangte.276 Nach einem Bericht der Bundesregierung vom 11.4.1989277 wurde § 31 Nr. 2 BtMG in den Jahren 1985 bis 1987 insgesamt nur zehnmal und damit nur „äußerst selten“ angewandt. Zum Vergleich: Im selben Zeitraum wurde wegen geleisteter Aufklärungshilfe i. S. d. § 31 Nr. 1 BtMG in 2317 Fällen die Strafe gemildert und in 45 Fällen völlig von Strafe abgesehen.278 Bis heute dürfte sich an dieser Verteilung nicht viel geändert haben.279 Dennoch enthält auch § 46b StGB eine im Wortlaut übereinstimmende Verhinderungsvariante. Die Vorschrift richtet sich vor allem an Täter, die in die Planung schwerer Straftaten verstrickt sind, aber auch an solche, die aus sonstigen Gründen von der Planung einer schweren Straftat Kenntnis haben. Es soll ein Anreiz geschaffen werden, das Wissen zu offenbaren, damit die Begehung noch verhindert werden kann.280 Auch im Hinblick auf die Verhinderung zukünftiger Straftaten sollen die zu § 31 BtMG entwickelten Grundsätze gelten.281 Auch für die Präventionshilfe ist Voraussetzung zunächst die freiwillige Offenbarung des Wissens. Insoweit kann auf die Ausführungen zur Aufdeckungsvariante verwiesen werden.282 Auch der Tatkatalog der zu verhindernden Straftaten verweist auf § 100a Abs. 2 StPO, entspricht also ebenfalls § 46b Abs. 1 S. 1 Nr. 1.283 Die Offenbarung muss im Rahmen der Nr. 2 jedoch rechtzeitig und gegenüber einer Dienststelle erfolgen, sodass die Straftat noch verhindert werden kann. Anstelle der Preisgabe eigenen Wissens durch den Beschuldigten kann es unter Umständen ausreichen, wenn das Wissen erst mit Hilfe seiner Kooperation erlangt wird.284

276  Maier, in: MüKo-StGB, § 31 BtMG Rn. 207; Fischer: StGB, § 46b Rn. 16; Kinzig, in: Schönke / Schröder: StGB, § 46b Rn. 15. 277  BT-Drucks. 11 / 4329, S.  19. 278  BT-Drucks. 11 / 4329, S.  19. 279  Patzak, in: Körner: BtMG, § 31 Rn. 64. 280  Vgl. BT-Drucks. 16 / 6268, S. 10; Weber: BtMG, § 31 Rn. 188. 281  BT-Drucks. 16 / 6268, S.  12. 282  Siehe hierzu 2. Teil A. III. 283  Siehe hierzu 2. Teil A. II. 284  BGH NJW 2005, 2632.

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2. Teil: Voraussetzungen und Rechtsfolgen

a) Dienststelle Der Begriff der Dienststelle ist weit zu verstehen.285 Dienststellen i. S. d. § 46b StGB sind nicht nur Strafverfolgungsbehörden wie Polizei, Staatsanwaltschaft und Steuerfahndungsdienststellen, sondern auch Gerichte sowie alle staatlichen und kommunalen Behörden deren Benachrichtigung eine Verhinderung der geplanten Tat erwarten lässt.286 Behörden sind ständige, von der Person ihres Trägers unabhängige Organe der Staatsgewalt, die dazu berufen sind, unter öffentlicher Autorität für die Erreichung der Zwecke des Staates tätig zu sein.287 Sofern die Dienststelle einer Schweigepflicht unterliegt, muss der Beschuldigte sie ausdrücklich davon befreien und die Weitergabe verlangen oder sie zumindest dazu ermächtigen.288 Uneinheitlich beantwortet wird die Frage, ob sich Verzögerungen, die dadurch entstehen, dass sich der Präventionsgehilfe mit seiner Offenbarung z. B. nicht an die Polizei, sondern an eine andere, nicht für die Abwehr der durch die Katalogtat drohenden Gefahr zuständige Dienststelle gewandt hat, zu seinen Lasten auswirken. Von Teilen der Literatur wird ein Einstehenmüssen des Kronzeugen für die aus der Wahl seines Ansprechpartners resultierenden Verzögerungen pauschal bejaht.289 Vertreter der Gegenauffassung berufen sich darauf, dass das Gesetz keine weiteren Vorgaben zu der Dienstelle mache, weshalb Verzögerungen, die sich aus dem Behördenweg ergeben, nicht zu Lasten des Täters gehen könnten.290 Solange das Verhalten des Präventionsgehilfen nur von dem Willen getragen sei, die geplante Tat zu verhindern, könne es nicht darauf ankommen, ob die Offenbarung gegenüber einer anderen Dienststelle zu einer besseren oder rascheren Verhinderungsmöglichkeit geführt hätte. Insbesondere sei dies im Nachhinein kaum sicher aufklärbar.291 Zur Auslegung des Begriffs der Dienstelle i. S. d. § 46b StGB kann ergänzend auf die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zum Begriff der Behörde in § 138 StGB zurückgegriffen werden. Zum Teil wird hier ein sehr enger Standpunkt vertreten, wonach die Behörde nur eine staatliche Stelle sein 285  Seebode,

in: Anwk-StGB, § 46b Rn. 21. in: Anwk-StGB, § 46b Rn. 21; Fischer: StGB, § 46b Rn. 19; Lackner / Kühl: StGB, § 46b Rn. 4. 287  Lackner / Kühl: StGB, § 11 Rn. 20. 288  Hügel / Junge / Lander / Winkler: Deutsches Betäubungsmittelrecht, § 31 BtMG Rn. 3.9. 289  Wienroeder, in: Franke  / Wienroeder: BtMG, § 31 Rn. 16; Pelchen / Bruns, in: Erbs / Kohlhaas: Strafrechtliche Nebengesetze, § 31 BtMG Rn. 8. 290  Weber: BtMG, § 31 Rn. 190; Maier, in: MüKo-StGB, § 31 BtMG Rn. 209; Haumer, in: Joachimski / Haumer: BtMG, § 31 Rn. 22. 291  Maier, in: MüKo-StGB, § 31 BtMG Rn. 209. 286  Seebode,



A. Voraussetzungen73

könne, die für die Abwehr der durch die Katalogtat drohenden Gefahr tatsächlich zuständig ist.292 Hieraus könnte man den Schluss ziehen, dass, wenn schon die Erfüllung einer jedermann treffenden Bürgerpflicht an derart enge Voraussetzungen geknüpft sein soll, dies umso mehr auch für denjenigen gelten muss, der wesentlich mehr erlangen will, nämlich Milderung hinsichtlich eigener Straftaten. Auch erscheint es auf den ersten Blick einleuchtend, dass sich nahezu jeder Bürger, der eine Straftat wirksam verhindert wissen will, ohnehin zunächst an die Polizei wendet. Auf der anderen Seite handelt es sich jedoch auch bei der Staatsanwaltschaft nicht um eine eigentliche Präventivbehörde – trotzdem lässt die Mitteilung an einen Staatsanwalt im Ergebnis effektive Verhinderungsbemühungen erwarten. Die h. M. erkennt sie daher zu Recht als einen tauglichen Adressaten der Anzeige geplanter Straftaten i. S. d. § 138 StGB an.293 Und auch im Rahmen der Präventionshilfe muss es allein auf eine Abgrenzung anhand der konkreten Eignung ankommen: Die Benachrichtigung der Dienststelle i. S. d. § 46b StGB muss die Verhinderung der geplanten Tat erwarten lassen, also ihre Benachrichtigung konkret zur Vereitelung geeignet sein. Die generelle Untauglichkeit des Mitteilungsadressaten beschränkt hingegen die Wahlmöglichkeit, da in diesem Fall keine realistische Chance auf Verhinderung mehr besteht. Unterhalb dieser Schwelle handelt es sich folglich nicht um eine taugliche Dienststelle. Gänzlich abwegige Adressaten scheiden damit von vornherein aus. Wenn aber die Mitteilung an eine derartige Stelle die realistische Möglichkeit einer Verhinderung eröffnet, kann es nicht darauf ankommen, ob die Behörde ihrerseits rechtzeitig die richtigen Maßnahmen ergreift. Verzögerungen, die sich aus dem Behördenweg ergeben, gehen somit nicht zulasten des Hinweisgebers. Unabhängig davon sollte bei Notiznahme vom Drohen einer schweren Straftat, wie sie der Katalog des § 100a Abs. 2 StPO enthält, von jeder staatlichen Stelle die sofortige Benachrichtigung der zuständigen Behörden erwartet werden können. b) Verhinderung einer Katalogtat Von der Problematik, wie sich Verzögerungen infolge der Wahl der Dienststelle auswirken, ist die Frage zu unterscheiden, ob § 46b Abs. 1. S. 1 Nr. 2 StGB einen Verhinderungserfolg voraussetzt oder bereits die bestehende Möglichkeit eines solchen ausreichen kann. Bedeutsamkeit erlangt diese Frage immer dann, wenn trotz Benachrichtigung einer tauglichen Dienststelle die Begehung der Katalogtat letztlich doch nicht verhindert wird. 292  Cramer / Sternberg-Lieben, in: Schönke  /  Schröder: StGB, § 138 Rn. 9; Ru­ dolphi / Stein, in: SK-StGB, § 138 Rn. 18. 293  Ostendorf, in: NK-StGB: StGB, § 138 Rn. 11.

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2. Teil: Voraussetzungen und Rechtsfolgen

Zum Teil wurde im Rahmen des § 31 Nr. 2 BtMG die Anwendung der Vorschrift an das Vorliegen eines Verhinderungserfolges geknüpft.294 Wie schon bei der Aufdeckungsvariante reiche das ernsthafte Bemühen, Taten zu verhindern, nicht aus. Dies folge für § 129 Abs. 6 Nr. 2 StGB schon aus dem Vergleich zu § 129 Abs. 6 Nr. 1 StGB, der den Fall eines erfolglosen Bemühens ausdrückliche regele. Es sei kein Grund ersichtlich, warum der wortgleich dem § 129 Abs. 6 Nr. 2 StGB nachgebildete § 31 Nr. 2 BtMG anders ausgelegt werden sollte.295 Mit entsprechender Argumentation könnte man demnach ebenso zur Erforderlichkeit eines Aufklärungserfolges für die Anwendung der Verhinderungsvariante des § 46b StGB gelangen.296 Nach der Gegenansicht297 ist jedoch kein Verhinderungserfolg notwendig. Hiernach soll vielmehr ausreichen, wenn die Straftat bei ordnungs- und pflichtgemäßem Handeln der informierten Dienststelle noch hätte verhindert werden können. Dem entspricht im Ergebnis die Auffassung, die zwar einen Verhinderungserfolg voraussetzt, für dessen Vorliegen jedoch die konkrete Eignung zur Verhinderung ausreichen lässt.298 Wie auch im Rahmen der Aufdeckungsvariante muss hinsichtlich der Präventionshilfe berücksichtigt werden, dass Pflichtversäumnisse oder zögerliches Handeln der Behörde nicht zulasten des Beschuldigten gehen dürfen. Zwar nimmt der Wortlaut nicht auf den Fall eines erfolglosen Bemühens Bezug. Es wäre dennoch ein unbilliges Ergebnis, den Strafrabatt zu verweigern, nur weil die Stelle, gegenüber der die Offenbarung erfolgte, viel zu spät reagierte oder gänzlich untätig blieb. Das gilt vor allem dann, wenn dem Beschuldigten selbst mangels Tatbeteiligung keinerlei eigene Verantwortung hinsichtlich des Erfolgseintritts trifft. Auch kann das Wortlautargument im Umkehrschluss zu § 129 Abs. 6 Nr. 2 StGB nicht überzeugen, denn in Abgrenzung zur Aufklärungshilfe fordert der Wortlaut nicht einen wesentlichen Beitrag dazu, dass die Straftat verhindert „werden konn294  Hügel / Junge / Lander / Winkler: Deutsches Betäubungsmittelrecht, § 31 BtMG Rn. 3.8; OLG Düsseldorf MDR 1984, 605; Jeßberger: Kooperation und Strafzumessung, S. 59; Endriß / Malek: Betäubungsmittelstrafrecht, Rn. 591. 295  Jeßberger: Kooperation und Strafzumessung, S. 59 (Fn. 139). 296  So nicht ganz eindeutig Seebode, in: Anwk-StGB, § 46b Rn. 2, der jedenfalls dem Wortlaut nach voraussetzt, dass die „Tatbegehung noch verhindert werden konnte“. 297  Streng, in: NK-StGB, § 46b Rn. 10; Wolters, in: SK-StGB, § 46b Rn. 19; Kinzig, in: Schönke / Schröder: StGB, § 46b Rn. 15; vgl. zu § 31 BtMG BGH NJW 2005, 2632; Maier, in: MüKo-StGB, § 31 BtMG Rn. 210; Haumer, in: Joachimski /  Haumer: BtMG, § 31 Rn. 22; Weber: BtMG, § 31 Rn. 190; Wienroeder, in: Franke /  Wienroeder: BtMG, § 31 Rn. 27; Pelchen / Bruns, in: Erbs / Kohlhaas: Strafrechtliche Nebengesetze, § 31 BtMG Rn. 8. 298  Lackner / Kühl: StGB, § 46b Rn. 4; Peglau wistra 2009, 409, 411.



A. Voraussetzungen75

te“, sondern nur, dass die Offenbarung „so rechtzeitig“ erfolgt, dass die Tat „noch verhindert werden kann“. Ob eine Verhinderung tatsächlich gelingt, ist damit unerheblich. Entscheidend ist vielmehr, ob der Täter immerhin die realistische Möglichkeit dazu eröffnet hat. Unter Umständen kann daher auch ein bloßes Bemühen ausreichen. Für die Präventionshilfe gilt die Einschränkung des Abs. 1 S. 3 seinem Wortlaut nach nicht. Gleichwohl kann es nicht genügen, wenn der Beschuldigte die geplante Tat allein begehen wollte und nur dies offenbart.299 c) Verhinderung in sonstiger Weise Problematisch ist darüber hinaus, wie diejenigen Fälle zu behandeln sind, in denen der Beschuldigte die Tatbegehung auf andere Weise verhindert als durch Offenbarung seines Wissens gegenüber einer Dienststelle. In Betracht kommt hier insbesondere eine Verhinderung durch Benachrichtigung des potenziellen Tatopfers. Auch zur Beantwortung dieser Frage drängt sich ein Vergleich zum Straftatbestand der Nichtanzeige geplanter Straftaten auf: Im Rahmen des § 138 StGB genügt zum Schutz von Individualrechtsgütern ausdrücklich auch eine Mitteilung an den Bedrohten, das heißt an denjenigen, dessen Rechtsgut in Gefahr ist bzw. gegen den sich der Angriff unmittelbar richten soll.300 § 31 Nr. 2 BtMG sowie § 46b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StGB enthalten keine entsprechenden Klauseln. Im Umkehrschluss ist die Benachrichtigung des potenziellen Opfers folglich nicht erfasst. Jedoch wird auch die Offenbarung des Wissens i. S. d. § 46b StGB nicht um ihrer selbst Willen honoriert, sondern dient – wie die rechtlich gebotene, aber unterlassene Anzeige bei § 138 StGB301 – dem präventiven Rechtsgüterschutz. Da es entsprechend der präventiven Zielsetzung der Norm entscheidend nur auf die Verhinderung der Rechtsgutsverletzung ankommen kann, muss der Bürger die Wahlmöglichkeit haben, ob er sein Wissen gegenüber einer Behörde anzeigt oder die Ausführung oder den Erfolg der Tat auf andere Weise abwendet. So wie in diesem Fall der Tatbestand des § 138 StGB nicht einschlägig sein kann, muss naturgemäß auch die Strafmilderung nach § 46b StGB erst recht in Betracht kommen, wenn der Präventionsgehilfe mehr tut, als von ihm verlangt wird, das heißt selbst die geplante Katalogtat abwendet.302 Dass im Wortlaut des § 31 Nr. 2 StGB keine vergleichbare Formulierung zu finden 299  Fischer: StGB, § 46b Rn. 8; Rössner / Kempfer, in: Dölling / Duttge / Rössner: Gesamtes Strafrecht, § 46b StGB Rn. 9. 300  Koch, in: Dölling / Duttge / Rössner: Gesamtes Strafrecht, § 138 StGB Rn. 6. 301  Ostendorf, in: NK-StGB, § 138 Rn. 3. 302  Vgl. Ostendorf, in: NK-StGB, § 138 Rn. 9.

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2. Teil: Voraussetzungen und Rechtsfolgen

ist, hat seinen Grund darin, dass es sich bei den dort aufgezählten Delikten nach § 29 Abs. 3, § 29a Abs. 1, § 30 Abs. 1 und § 30a Abs. 1 BtMG um „opferlose“ Straftaten handelt und eine Benachrichtigung des möglichen Opfers daher selbstredend ausscheidet. Dieser Gedanke lässt sich indes nicht auf sämtliche Taten aus dem Katalog des § 100a Abs. 2 StPO übertragen.303 Als hervorstechende Beispiele seien hier nur die in § 100a Abs. 2 Nr. 1 f) und h) genannten Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung sowie Mord und Totschlag erwähnt. Angesichts dieser Unstimmigkeiten muss bei der unveränderten Übernahme der Formulierung aus § 31 Nr. 2 BtMG von einem gesetzgeberischen Versehen ausgegangen werden. Um diese sinnwidrige gesetzliche Lücke im Wortlaut des § 46b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StGB zu schließen, ist die Vorschrift folglich bei sonstiger Verhinderung der Tatbegehung analog anzuwenden.304 Somit besteht zwischen der Offenbarung gegenüber einer Dienststelle und der Mitteilung an das potenzielle Opfer ein Wahlrecht. Dieses Wahlrecht besteht jedoch nur, soweit ausschließlich Individualrechtsgüter berührt sind. Sind hingegen Rechtsgüter der Allgemeinheit betroffen, scheidet eine Benachrichtigung des Bedrohten schon denklogisch aus, da ein individualisierbares Opfer nicht bestimmt werden kann.305 Letztlich ist der Präventionsgehilfe in jedem Fall mit einer Anzeige besser beraten, da sich dann Versäumnisse der Dienststelle nicht zu seinen Lasten auswirken, während er im Übrigen selbst das Risiko der sonstigen Verhinderung trägt.306 d) Tat, von deren Begehung der Täter weiß Aus der Formulierung „von deren Begehung er weiß“ folgt, dass die bevorstehende Katalogtat konkret geplant sein und auch im Zeitpunkt der Hilfeleistung noch bevorgestanden haben muss.307 Ist die Ausführung im Moment der Offenbarung schon auf andere Weise verhindert, insbesondere durch die Festnahme des für die Realisierung des Tatplanes unentbehrlichen Kronzeugen selbst, scheidet § 46b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StGB aus. Denn war die Straftat nicht mehr geplant, ist eine Verhinderung schon begrifflich nicht mehr möglich.308 Damit unterscheidet sich die Präventionshilfe nach § 46b StGB maßgeblich von der ehemaligen Kronzeugenregelung für terroristi303  Fischer:

StGB, § 46b Rn. 20. auch Fischer: StGB, § 46b Rn. 20; Kinzig, in: Schönke / Schröder: StGB, § 46b Rn. 15; Wolters, in: SK-StGB, § 46b Rn. 20; Seebode, in: Anwk-StGB, § 46b Rn. 21. 305  Hanack, in: LK-StGB, § 138 Rn. 41. 306  Vgl. Ostendorf, in: NK-StGB, § 138 Rn. 9. 307  Streng, in: NK-StGB, § 46b Rn. 10. 308  Seebode, in: Anwk-StGB, § 46b Rn. 20; Maier, in: MüKo-StGB, § 31 BtMG Rn. 207. 304  So



A. Voraussetzungen77

sche Straftaten, bei der es nach Auffassung des BGH im Interesse einer möglichst effektiven Anwendung der Vorschrift nicht darauf ankam, ob die Verwertung des vom Kronzeugen mitgeteilten Wissens konkret und im einzelnen messbar geeignet war, der tatsächlichen Verhinderung zu dienen, sondern bereits die abstrakte, generelle Eignung dazu genügte.309 e) Rechtzeitig Die Offenbarung des Wissens hat „rechtzeitig“ zu erfolgen, das heißt so frühzeitig, dass die Tat noch verhindert werden kann. Für die Beurteilung dieser Rechtzeitigkeit kann nur ein objektiver Maßstab entscheidend sein. Auch ein absichtliches Hinauszögern schadet grundsätzlich nicht, da dem Wortlaut nach nur eine rechtzeitige, jedoch keine unverzügliche Offenbarung verlangt wird.310 Problematischer ist die Frage, ob Abs. 1 S. 1 Nr. 2 anwendbar ist, wenn der Kronzeuge von der Planung der Katalogtat erst Kenntnis erlangt, als diese bereits das strafbare Versuchsstadium erreicht hat. Zum Teil wird hinsichtlich der Rechtzeitigkeit auf die Ausführungen zu § 138 StGB verwiesen, wonach Rechtzeitigkeit vorliegen soll, wenn die Tatausführung oder – bei Kenntniserlangung erst nach Tatbeginn – der Erfolg noch abgewendet werden kann.311 Hinsichtlich § 46b StGB wird zum Teil jedoch angenommen, dass sich die geplante Katalogtat noch im Planungs- oder straflosen Vorbereitungsstadium befinden müsse.312 Sinn und Zweck des § 46b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StGB, einen möglichst breit wirkenden Anreiz für die Präventionshilfe zu schaffen und somit schwere Straftaten effektiv zu verhindern, sprechen allerdings eher dafür, dass es entscheidend darauf ankommen muss, ob die Tatbestandsverwirklichung noch verhindert werden kann. Demnach dürfte es unschädlich sein, wenn es zum Versuch dieser geplanten Straftaten kommt.313 Die zeitliche Grenze ist jedoch überschritten, wenn der Taterfolg nicht mehr abgewendet werden kann,314 sich also infolge des Abwartens die Erfolgschancen derart verschlechtert haben, dass eine Offenbarung gegenüber der Dienststelle keine realistische Möglichkeit der Verhinderung mehr schafft. 309  BGH

NJW 1992, 989, 991. zu § 138 StGB BGHSt 42, 88; Koch, in: Dölling / Duttge / Rössner: Gesamtes Strafrecht, § 138 StGB Rn. 7; Fischer: StGB, § 138 Rn. 24. 311  Lackner / Kühl: StGB, § 46b Rn. 4 sowie § 138 Rn. 5. 312  Lackner / Kühl: StGB, § 46b Rn. 4; Kinzig, in: Schönke / Schröder: StGB, § 46b Rn. 15. 313  Vgl. Eberth / Müller / Schütrumpf: Verteidigung in Betäubungsmittelsachen, Rn. 294; Weber: BtMG, § 31 Rn. 191. 314  Vgl. Hanack, in: LK-StGB, § 138 Rn. 24; Koch, in: Dölling / Duttge / Rössner: Gesamtes Strafrecht, § 138 StGB Rn. 7; enger Ostendorf, in: NK-StGB, § 138 Rn. 14. 310  Vgl.

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2. Teil: Voraussetzungen und Rechtsfolgen

VI. Zeitpunkt der Offenbarung (§ 46b Abs. 3 StGB) 1. Letztmöglicher Zeitpunkt Ein „Kernstück“315 der neuen Kronzeugenregelung ist die Ausschlussklausel des § 46b Abs. 3 StGB. Hiernach ist eine Milderung sowie das Absehen von Strafe nach Absatz 1 zwingend präkludiert, wenn der Täter sein Wissen erst offenbart, nachdem die Eröffnung des Hauptverfahrens (§ 207 StPO) gegen ihn beschlossen worden ist. Darin liegt eine wesentliche Neuerung gegenüber bisherigen Regelungen (etwa § 31 BtMG a. F.), bei denen es bislang keine Rolle spielte, zu welchem Zeitpunkt die Offenbarung des Kronzeugen erfolgte. Damit wollte der Gesetzgeber erklärtermaßen den Strafverfolgungsbehörden genügend Zeit zur Überprüfung der Angaben verschaffen und verhindern, dass der Kronzeuge sein Wissen aus prozess­ taktischen Gründen bis zur Hauptverhandlung zurückhält oder zum Zwecke der Prozessverschleppung nur vermeintlich hilfreiche Angaben macht. Darüber hinaus sollten die verfahrensrechtlichen Schwierigkeiten vermieden werden, die schon bei der Anwendung des § 31 BtMG hervortraten, etwa im Hinblick auf problematische Wahrunterstellungen, den Umgang mit Beweisanträgen oder die genaue Reichweite der gerichtlichen Aufklärungspflicht.316 Die Regelung beruhe schließlich auf einer von Praktikern erhobenen Forderung zur Einführung einer bestimmten Frist für die Kronzeugenaussage, die erstmals am 17.6.1999 auf einem Expertensymposium in den Räumen des Bundeskriminalamtes in Wiesbaden aufkam.317 Maßgeblich für die Präklusion offenbarten Wissens ist der Zeitpunkt, an dem der Eröffnungsbeschluss erlassen wird. Der Zeitpunkt, an dem der Angeklagte Kenntnis von der Eröffnung des Hauptverfahrens erlangt (z. B. durch Zustellung des Beschlusses, vgl. § 215 StPO), ist nicht von Bedeutung. Denn § 46b Abs. 3 StGB soll dem Gericht ermöglichen, ermittlungsrelevante Angaben noch vor der Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens überprüfen zu lassen, indem es gegebenenfalls die Akten zum Zwecke weiterer Ermittlungen an die Staatsanwaltschaft zurückzusendet.318 Mit den Überprüfungsmöglichkeiten der Strafverfolgungs- bzw. Sicherheitsbehörden erweitern sich allerdings auch deren Prüfungspflichten: Für die Staatsanwaltschaft folgt eine Verpflichtung, mögliche Angaben 315  Peglau: Protokoll der 133. Sitzung des Rechtsausschusses vom 25.3.2009, S. 22; ders. wistra 2009, 409, 411. 316  BT-Drucks. 16 / 6268, S.  14. 317  Siehe hierzu Mühlhoff / Mehrens: Das Kronzeugengesetz im Urteil der Praxis, S. 95, 101. 318  BGH StraFo 2011, 61.



A. Voraussetzungen79

i. S. d. § 46b StGB zu überprüfen, aus ihrer Pflicht gem. § 160 Abs. 2 StPO, wonach sie auch die zur Entlastung dienenden Umstände zu ermitteln hat. Für die Sicherheitsbehörden ergibt sich diese Pflicht letztlich aus der Schutzpflicht des Staates für Leib und Leben.319 Präkludiert sind immer nur neue tatsächliche Offenbarungen des Angeschuldigten oder Angeklagten.320 Keine Rolle spielt dagegen, ob die Angaben bereits durch die Strafverfolgungsbehörden überprüft worden sind, da nach dem eindeutigen Wortlaut nur die Offenbarungshandlung abgeschlossen sein muss. Die Frage nach dem Zeitpunkt der Offenbarung ist somit vom Eintritt des Aufklärungserfolges getrennt zu klären. Erfolgt die Anklage verschiedener Straftaten des Kronzeugen in verschiedenen Anklageschriften und wird das jeweilige Hauptverfahren zu unterschiedlichen Zeitpunkten eröffnet, können zwischen diesen auseinanderfallenden Eröffnungszeitpunkten gemachte Angaben auch nur hinsichtlich derjenigen Straftaten zu einer Milderung oder einem Absehen von Strafe führen, für die das Hauptverfahren noch nicht eröffnet war.321 Sind Angaben einmal präkludiert, können sie nicht mehr zu einer Verringerung des Strafrahmens führen, sondern dürfen allenfalls bei der Strafzumessung innerhalb der gesetzlichen Strafrahmen zu Gunsten des Angeklagten berücksichtigt werden.322 Der im Hauptverfahren geleisteten Aufklärungs- oder Präventionshilfe kommt dort als besondere Ausprägung des Nachtatverhaltens i. S. d. § 46 Abs. 2 S. 2 StGB323 regelmäßig die Bedeutung eines allgemeinen Strafmilderungsgrundes zu. Ebenfalls unberührt bleibt Möglichkeit der Berücksichtigung bei Entscheidungen über eine etwaige Straf- oder Strafrestaussetzung zur Bewährung.324 Gegebenenfalls ist vermehrt auf die §§ 153 ff. StPO zurückzugreifen.325 2. Erstmöglicher Zeitpunkt Für den Kronzeugen ebenso wichtig wie der letztmögliche ist der erstmögliche Zeitpunkt, an dem die Offenbarung erfolgen darf, um schon im 319  Peglau

wistra 2009, 409, 412. in: Dölling  /  Duttge  /  Rössner: Gesamtes Strafrecht, § 46b Rn. 12; Fischer: StGB, § 46b Rn. 24. 321  Peglau wistra 2009, 409, 412. 322  BGH NStZ-RR 2011, 321, 322. 323  Vgl. Jeßberger: Kooperation und Strafzumessung, S. 63 f. 324  BT-Drucks. 16  / 6268, S. 14; vgl. zur Berücksichtigung der Aufklärungshilfe für die bedingte Entlassung nach Halbstrafenverbüßung im Rahmen der „besonderen Umstände“ i. S. d. § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB OLG Frankfurt am Main NStZ-RR 1996, 213. 325  Kinzig, in: Schönke / Schröder: StGB, § 46b Rn. 21. 320  Rössner / Kempfer,

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2. Teil: Voraussetzungen und Rechtsfolgen

Wege des § 46b StGB belohnt werden zu können. Jedoch ergibt sich dieser Zeitpunkt nicht unmittelbar aus dem Gesetz. Der Wortlaut enthält als einzigen Anhaltspunkt die Formulierung, dass es sich bei dem Kronzeugen um den „Täter“ einer Straftat handeln muss. Damit ist jedenfalls eine Belohnung von Aufklärungs- oder Präventionshilfeleistungen vor der Straftat des Kronzeugen ausgeschlossen. Personen, die erst als Informant oder V-Person tätig waren, später jedoch selbst straffällig wurden, können keine Vorteile i. S. d. § 46b StGB aus einem angehäuften „Vorrat“ kooperativen Verhaltens schöpfen, obgleich sie es bisweilen beantragen.326 Welche Konsequenzen sich jedoch darüber hinaus aus dem Wortlaut ergeben, wird nicht einheitlich beurteilt. Denkbare Anknüpfungspunkte für den frühestmöglichen Zeitpunkt der Offenbarung sind zum einen der Zeitpunkt der Begehung der Anlasstat und zum anderen der Zeitpunkt, in dem ein Ermittlungsverfahren gegen den Kronzeugen wegen dieser Anlasstat eingeleitet wird. Fischer stellt für den Zeitpunkt einer frühestmöglichen Offenbarung auf den Beginn des Ermittlungsverfahrens ab,327 also den Zeitpunkt, ab dem das Verfahren gegen den in § 46b StGB als „Täter“ bezeichneten Tatverdächtigen als Beschuldigten betrieben wird.328 Der Zeitpunkt der Tatbegehung sei hingegen für § 46b StGB unerheblich. Zur Begründung führt Fischer an, die Vorschrift habe genau wie § 31 BtMG wesentlich auch das Verfahren im Blick: Abs. 1 knüpfe an das aktuelle Strafverfahren an und sei nicht verfahrensgeschichtlich motiviert. Offenbarungen vor Beginn des Ermittlungsverfahrens seien zwar „staatsbürgerlich lobenswert“, könnten indes keine vertypte Milderung in einem Verfahren bewirken, das noch gar nicht begonnen habe.329 Demgegenüber ist jedoch nicht ersichtlich, warum ein Beschuldigter, gegen den bereits ermittelt wird, in den Genuss der Rechtsfolgen des § 46b StGB kommen soll, nicht aber derjenige, der sich den Strafverfolgungsbehörden offenbart, ohne dass bereits ein Verfahren gegen ihn eingeleitet wurde. § 46b StGB sollte gerade auch einen Anreiz für noch unentdeckte Straftäter schaffen, sich zu stellen und ihr Wissen über eigene und fremde Straftaten zu teilen. Vom Anwendungsbereich erfasst sein müssen daher erst recht auch Aussteiger, die sich aus eigenem Entschluss bei den Strafverfolgungsbehörden melden und ihre Straftat offenlegen.330 Dasselbe muss für den unwahrscheinlichen Fall gelten, dass der Kronzeuge überhaupt erst straffällig wird, um seine Aufklärungshilfe zu ermöglichen, indem er etwa Körner: BtMG, 6. Auflage, § 31 Rn. 111. StGB, § 46b Rn. 23. 328  Ostendorf: Strafprozessrecht, Rn. 75; Meyer-Goßner: StPO, Einl. Rn. 76. 329  Fischer: StGB, § 46b Rn. 23. 330  Peglau wistra 2009, 409, 410. 326  Vgl.

327  Fischer:



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belastendes Material unter Verstoß gegen die einschlägigen Strafgesetze sammelt.331 Dagegen ist der Beschuldigte in einem Ermittlungsverfahren regelmäßig wesentlich höherem Druck ausgesetzt, belastende Informationen preiszugeben, um sich damit die Möglichkeit einer Strafmilderung zu „erkaufen“.332 Solange die Offenbarung in zeitlicher Hinsicht nach Begehung der Anlasstat erfolgt, kann für die Anwendbarkeit des § 46b StGB nicht von Bedeutung sein, in welcher Reihenfolge der Kronzeuge über die eigenen und die fremden Straftaten spricht. Andernfalls wäre ein bis dato unbehelligter Straftäter gezwungen, zunächst die Einleitung eines gegen ihn gerichteten Ermittlungsverfahrens abzuwarten bzw. selbst herbeizuführen und drittbelastende Hinweise bis dahin tunlichst für sich zu behalten. Ihm eine Strafmilderung allein mit der Begründung zu versagen, gegen ihn habe während seiner ersten Aussage zunächst noch kein Tatverdacht bestanden, lässt sich mit Sinn und Zweck der Kronzeugenregelung nicht vereinbaren.333 Darüber hinaus findet ein Ausschluss von Angaben aus dem Zeitraum vor Beginn des Vorverfahrens keine Stütze im Wortlaut. Aus dem Verzicht auf die Festlegung des frühestmöglichen Zeitpunktes folgt vielmehr, dass für die Berücksichtigungsfähigkeit der Angaben keine weiteren zeitlichen Einschränkungen bestehen. Es genügt, dass die Anlasstat zum Zeitpunkt der Offenbarung bereits begangen war. Sie muss aber weder entdeckt, noch der Kronzeuge Beschuldigter sein – die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens ist somit nicht erforderlich.334 3. Strafmildernde Berücksichtigung präkludierter Angaben Leistet der Angeschuldigte oder Angeklagte nach Erlass des Eröffnungsbeschlusses einen Beitrag zur Aufklärung oder Verhinderung einer Straftat, muss eine Würdigung der Angaben im Rahmen des § 46 StGB erfolgen. Wenn es sich um einen bedeutsamen Beitrag zur Aufklärung handelt und der Verzögerung des Vorbringens keine taktischen Erwägungen zugrunde lagen, wird man aus Gründen der Gleichbehandlung und der Verhältnismäßigkeit eine mit der Anwendung des § 46b StGB vergleichbare Milderungswirkung annehmen müssen.335 Soweit der spätere Offenbarungszeitpunkt jedoch den Aufklärungseffekt der Angaben negativ beeinflusst, hat das Gericht diesem Umstand bei der Bemessung der Strafmilderung Rechnung 331  Peglau

wistra 2009, 409, 410. in: SK-StGB, § 46b Rn. 37. 333  Seebode, in: Anwk-StGB, § 46b Rn. 23. 334  Wie hier Peglau wistra 2009, 409, 410; Erdem FoR 2007, 64, 65; Seebode, in: Anwk-StGB, § 46b Rn. 23; Wolters, in: SK-StGB, § 46b Rn. 37; vgl. zu § 31 BtMG Weber: BtMG, § 31 Rn. 66; Maier, in: MüKo-StGB, § 31 BtMG Rn. 45. 335  Fischer: StGB, § 46b Rn. 24. 332  Wolters,

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2. Teil: Voraussetzungen und Rechtsfolgen

zu tragen. Eine Berücksichtigung der Angaben im Rahmen der allgemeinen Strafzumessung ermöglicht dem Richter allerdings keine Verschiebung des Strafrahmens, sondern lässt nur eine Absenkung der Strafe innerhalb der gesetzlichen Strafrahmen zu. Besonders bedeutsam ist dies in Fällen absoluter Strafandrohung, da hier die Milderungsmöglichkeit durch § 46b Abs. 1 i. V. m. § 49 Abs. 1 StGB erst eröffnet wird. Theoretisch könnte etwa der Fall eintreten, dass ein wegen Mordes Angeschuldigter, der von einem weiteren geplanten Mord Kenntnis erlangt und dieses Wissen augenblicklich den Behörden offenbart, trotz erfolgreicher Verhinderung der Tat keine Milderung nach § 46b StGB erhält, weil just in der Stunde vor seiner Aussage der Eröffnungsbeschluss unterzeichnet worden ist.336 Dem Gericht verbleibt damit auch keine weitere Möglichkeit, die Präventionshilfe des Täters im Rahmen von § 46 StGB angemessen zu honorieren.337

B. Rechtsfolgen Als Rechtsfolge eröffnet § 46b StGB dem Gericht einen Ermessensspielraum, wenn nach seiner Feststellung die Voraussetzungen des Abs. 1 erfüllt sind. Innerhalb dieses Spielraums hat es auf Grundlage einer umfassenden Würdigung aller relevanten Umstände zu entscheiden, ob eine Strafmilderung nach § 49 Abs. 1 StGB (Abs. 1 S. 1 Hs. 2) oder, sofern die Tat nur mit zeitiger Freiheitsstrafe bedroht ist und der Täter keine Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren verwirkt hat, ein vollständiges Absehen von Strafe (Abs. 1 S. 4) geboten ist. Bei der pflichtgemäßen Ausübung des Ermessens hat das Gericht insbesondere die in Abs. 2 genannten Kriterien zu berücksichtigen. Daneben kommen als mögliche Folgen der Aufklärungs- oder Präven­ tionshilfe unter bestimmten Voraussetzungen ein Absehen von der Anklageerhebung bzw. eine Verfahrenseinstellung gem. § 153b StPO, die Begründung eines minder schweren oder die Ablehnung eines besonders schweren Falles sowie die Berücksichtigung der Kooperation im Rahmen der Strafzumessung gem. § 46 StGB in Betracht. Ferner kann die Hilfsbereitschaft des Kronzeugen Einfluss auf bewährungs- oder vollstreckungsrechtliche Entscheidungen haben.

336  Fischer: StGB, § 46b Rn. 24; vgl. auch die Stellungnahme 10  / 06 des Deutschen Richterbundes. 337  Siehe hierzu auch 6. Teil A. II. 4; in Betracht kommt aber eine Berücksichtigung im Rahmen der Strafrestaussetzung gem. § 57a StGB, vgl. 2. Teil B. X.



B. Rechtsfolgen83

I. Strafmilderung gem. § 49 Abs. 1 StGB § 46b Abs. 1 StGB enthält einen vertypten Milderungsgrund. Gelangt das Gericht nach seiner Entscheidung zu einer Strafmilderung, hat diese nach § 49 Abs. 1 StGB zu erfolgen. Somit begrenzen § 49 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 StGB die Ermäßigung des Strafrahmens sowohl für das Höchst- als auch für das Mindestmaß. Der damit vorgegebene Sonderstrafrahmen ist unterschiedlich, je nachdem an welchen Regelstrafrahmen er anknüpft. Der Regelstrafrahmen wiederum ergibt sich aus dem einschlägigen Delikt, den Qualifikations- und Privilegierungstatbeständen, sowie den unbenannten Strafänderungsgründen und Regelbeispielen, welche die Anlasstat i. S. d. § 46b StGB ausmachen.338 Lässt das Gesetz die Wahl zwischen mehreren Strafrahmen, z. B. gem. § 80 StGB zwischen lebenslanger Freiheitsstrafe und Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren, muss vor der Milderung der im Einzelfall anzuwendende Strafrahmen durch den Richter bestimmt werden. Den Übergang auf eine mildere Strafart (Geldstrafe statt Freiheits­ strafe) lässt die Vorschrift jedoch nicht zu.339 Allerdings besteht gem. § 47 Abs. 2 StGB auch in den Fällen, in denen der gesetzliche Tatbestand keine Geldstrafe vorsieht, die Möglichkeit, nur eine Geldstrafe zu verhängen, wenn eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten oder darüber nicht in Betracht kommt. Abweichend von § 49 Abs. 1 Nr. 1 StGB bestimmt jedoch § 46b Abs. 1 S. 1 Hs. 2 StGB, dass an die Stelle ausschließlich angedrohter lebenslanger Freiheitsstrafe statt mindestens drei Jahren Freiheitsstrafe eine Freiheitsstrafe von nicht unter zehn Jahren tritt. Durch die Modifizierung soll der Schwere des in diesen Fällen verwirklichten Unrechts und der daran anknüpfenden Schuld des Täters Rechnung getragen werden. Denn während § 49 StGB bislang vornehmlich auf Fälle deutlich verminderter Tatschuld bzw. deutlich verminderten Tatunrechts Anwendung finde, ändere die Offenbarung der Tatsachen nach § 46b StGB überhaupt nichts oder allenfalls mittelbar etwas an Tatschuld und Tatunrecht.340 Wenig einleuchtend ist allerdings, warum nur von Nr. 1 des § 49 Abs. 1 StGB abgewichen werden musste, wenn sich durch das Eingreifen des Abs. 1 insgesamt nichts an Tatschuld und ‑unrecht ändert.341

338  Fischer: StGB, § 49 Rn. 4; Rössner / Kempfer, in: Dölling / Duttge / Rössner: Gesamtes Strafrecht, § 49 StGB Rn. 11. 339  Lackner / Kühl: StGB, § 49 Rn. 2; von Heintschel-Heinegg, in: BeckOK-StGB, § 49 Rn. 4. 340  BT-Drucks. 16 / 6268, S.  13. 341  So zu Recht kritisch Kinzig, in: Schönke / Schröder: StGB, § 46b Rn. 24.

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2. Teil: Voraussetzungen und Rechtsfolgen

Vorschrift

Normalstrafrahmen

Milderung nach § 46b StGB i. V. m. § 49 Abs. 1 StGB

§§ 242, 243 StGB

3 Monate bis 10 Jahre

1 Monat bis 7 Jahre und 6 Monate

§ 212 StGB

5 Jahre bis 15 Jahre

2 Jahre bis 11 Jahre und 3 Monate

§ 211 StGB

lebenslänglich

10 Jahre bis 15 Jahre (siehe § 46b Abs. 1 S. 1 Hs. 2 StGB)

An einer Bewehrung „ausschließlich“ mit lebenslanger Freiheitsstrafe fehlt es, wenn im konkreten Fall aufgrund des Vorliegens eines anderen vertypten Milderungsgrundes, z. B. nach § 21, § 23 Abs. 2 oder § 27 Abs. 2 Satz 2 StGB, ein niedrigerer Strafrahmen anwendbar ist. In diesen Fällen kommt jedoch eine doppelte Strafrahmenermäßigung in Betracht, wie sie in vergleichbaren Fällen anerkannt ist.342 Vorschrift

Einfache Milderung nach § 49 Abs. 1 StGB

Doppelte Milderung nach § 49 Abs. 1 StGB

§§ 242, 243 StGB

1 Monat bis 7 Jahre und 6 Monate

1 Monat bis 5 Jahre und 7 Monate

§ 212 StGB

2 Jahre bis 11 Jahre und 3 Monate

6 Monate bis 8 Jahre und 5 Monate

§ 211 StGB

3 Jahre bis 15 Jahre

6 Monate bis 11 Jahre und 3 Monate

Andererseits kann eine Androhung ausschließlich lebenslanger Freiheitsstrafe auch dann vorliegen, wenn das Gericht ohne Berücksichtigung der Milderung nach § 46b StGB einen besonders schweren Fall nach § 212 Abs. 2 StGB annimmt.343 Die Sanktionierung mit lebenslanger Freiheitsstrafe ist auch bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 46b Abs. 1 StGB nicht automatisch ausgeschlossen. Aufgrund der „kann“-Regelung ist das Gericht nicht gezwungen, von ihrer Verhängung abzusehen.344 Gleichwohl bedarf die lebenslange Freiheitsstrafe dann einer besonders sorgfältigen Prüfung, Abwägung und Begründung.345 342  BT-Drucks.

16 / 6268, S. 13; vgl. BGHSt 30, 166. 16 / 6268, S.  13; von Heintschel-Heinegg: StGB, § 46b Rn. 19. 344  BT-Drucks. 16 / 6268, S.  13. 345  So auch Fischer: StGB, § 46b Rn. 30. 343  BT-Drucks.



B. Rechtsfolgen85

II. Absehen von Strafe Unter den Voraussetzungen des § 46b Abs. 1 S. 4 StGB kann das Gericht anstelle einer Milderung ausnahmsweise gänzlich von Strafe absehen. Erforderlich ist, dass die Straftat ausschließlich mit zeitiger Freiheitsstrafe bedroht ist und der Täter keine Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren verwirkt hat. Im Rahmen des § 31 BtMG wurde von dieser Möglichkeit bislang kaum Gebrauch gemacht: 1985 wurde noch in 40 Fällen, 1986 jedoch in keinem und 1987 nur in fünf Fällen auf Strafe verzichtet, obwohl es mit großer Wahrscheinlichkeit weitaus mehr Anwendungsmöglichkeiten gab.346 Dass die Tat „ausschließlich“ mit zeitiger Freiheitsstrafe bedroht sein darf, ist als Abgrenzung zu Fällen der Androhung (auch oder ausschließlich) lebenslanger Freiheitsstrafe zu verstehen.347 Ein Absehen von Strafe ist damit grundsätzlich auch bei Verbrechen möglich. Bei im Mindestmaß mit Geldstrafe bedrohten Delikten scheidet eine Anwendung des § 46b StGB von vornherein aus, da das StGB im Fall der im Mindestmaß erhöhten Freiheitsstrafe (vgl. § 46b Abs. 1 S. 1 StGB) niemals zugleich Geldstrafe androht. Voraussetzung ist darüber hinaus, dass der Täter keine Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren verwirkt haben darf. Fraglich ist, was genau unter der „verwirkten“ Strafe i. S. d. § 46b Abs. 1 S. 4 StGB zu verstehen ist. Bei der Entscheidung, ob für die Tat des Kronzeugen eine Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren zu verhängen wäre, soll nach der Gesetzesbegründung die Milderungsmöglichkeit nach § 46b Abs. 1 S. 1 StGB außer Acht gelassen werden; im Übrigen sei jedoch unter Berücksichtigung aller Zumessungsgründe zu entscheiden.348 Hieraus könnte man schlussfolgern, dass zwar die Milderung nach Abs. 1 S. 1 unberücksichtigt bleiben muss, die geleistete Aufklärungs- oder Präventionshilfe jedoch bereits bei der Bestimmung der zu verhängenden Strafe innerhalb des „normalen“, ungemilderten Strafrahmens als Zumessungsgrund mit einfließt. Eine ähnliche Problematik beinhaltet § 60 StGB. Hier ist schon seit dem Gesetzgebungsverfahren umstritten, welche Faktoren zur Bestimmung der eigentlich „verwirkten“ Strafe maßgeblich sein sollen.349 Tatsächlich gelangt die h. M. an dieser Stelle zu der oben beschriebenen Schlussfolgerung: Zur Bestimmung der verwirkten Strafe sollen alle Zumessungsgründe berücksichtigt werden, einschließlich der den Täter treffenden Tatfolgen.350 Auch der Wortlaut des § 46b Abs. 1 11 / 4329,19; vgl. Körner: BtMG, 6. Auflage, § 31 Rn. 110. StGB, § 46b Rn. 31. 348  BT-Drucks. 16 / 6268, S.  13. 349  Vgl. Streng: Strafrechtliche Sanktionen, Rn. 554. 350  Hubrach, in: LK-StGB, § 60 Rn. 9; Stree, in: Schönke / Schröder: StGB, § 60 Rn. 10; Horn, in: SK-StGB, § 60 Rn. 3; Fischer: StGB, § 60 Rn. 3; Groß, in: MüKo346  BT-Drucks. 347  Fischer:

86

2. Teil: Voraussetzungen und Rechtsfolgen

S. 4 StGB, der gerade keine fiktive Strafzumessung vorschreibt („verwirkt hat“), spricht eher dafür, dass mit der verwirkten Strafe diejenige Strafe gemeint ist, die auch unter Berücksichtigung der Aufklärungshilfe angemessen ist.351 Die Strafobergrenze von drei Jahren verwirkter Freiheitsstrafe bezweckt jedoch, ein Absehen von Strafe in den Fällen zu vermeiden, in denen eine relativ hohe Freiheitsstrafe zu erwarten ist und somit die Schuld des Täters einer vollständigen Straffreiheit entgegensteht.352 Es soll letztlich eine Strafe gefunden werden, die sich noch im Rahmen des Schuldangemessenen hält oder dessen Grenze jedenfalls nicht in unvertretbarem Maße unterschreitet. Berücksichtigt man nun jedoch die geleistete Aufklärungs- oder Präventionshilfe bei der Bestimmung der verwirkten Strafe, so würden in die Ermittlung der an sich zu verhängenden Strafe zugleich die Voraussetzungen ihrer eigenen Verzichtbarkeit hineininterpretiert. Es würde einerseits eine Strafe von bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe unter Berücksichtigung auch der Aufklärungs- oder Präventionshilfe als schuldangemessen und präventiv erforderlich erachtet und andererseits gerade aufgrund derselben Wissensoffenbarung eine völlige Entbehrlichkeit von Strafe hergeleitet.353 Voraussetzungen und Rechtsfolgen der Kronzeugenregelung würden in einem Zirkelschluss miteinander vermengt. Der Wortlaut des § 46b Abs. 1 S. 4 StGB und der Hinweis des Gesetzgebers müssen daher so verstanden werden, dass der Umstand der Aufklärungs- und Präventionshilfe für die Bestimmung der verwirkten Strafe unberücksichtigt zu lassen ist. Es ist somit zunächst unter Vernachlässigung der Hilfeleistung eine Strafe zu ermitteln, von der dann anschließend abgesehen werden kann, wenn maximal drei Jahre in Betracht gekommen wären, zusätzlich jedoch die Kronzeugenregelung Anwendung findet.354 Scheidet ein Absehen von Strafe wegen Überschreitung der Strafobergrenze von drei Jahren aus, kommt stattdessen eine Milderung nach § 46b Abs. 1 S. 1 StGB in Betracht.355

StGB, § 60 Rn. 9; a. A. Streng NStZ 1988, 485, 487; ders. Strafrechtliche Sanktionen, Rn. 554. 351  Vgl. Seebode, in: Anwk-StGB, § 46b Rn. 26. 352  BT-Drucks. 16 / 6268, S.  13. 353  Streng, in: NK-StGB, § 46b Rn. 12; vgl. zu § 60 StGB Streng: Strafrechtliche Sanktionen, Rn. 554; Kett-Straub JA 2009, 53, 54. 354  So auch Streng, in: NK-StGB, § 46b Rn. 12; Seebode, in: Anwk-StGB, § 46b Rn. 26; Wolters, in: SK-StGB, § 46b Rn. 27. 355  BT-Drucks. 16 / 6268, S.  13.



B. Rechtsfolgen87

III. Kriterien für die Ermessensausübung (§ 46b Abs. 2 StGB) § 46b Abs. 2 StGB enthält einen Katalog maßgeblicher Kriterien für die Ermessensentscheidung des Gerichts, ob und in welchem Umfang es die Aufklärungs- oder Präventionshilfe belohnt. Dabei unterteilt das Gesetz die aufgezählten Gesichtspunkte systematisch in die eher aufklärungsspezifischen Kriterien des Abs. 2 Nr. 1 und die schuldspezifischen Kriterien des Abs. 2 Nr. 2.356 Rechtlich wirkt sich diese Unterteilung indes nicht im Sinne einer strikten Trennung aus; vielmehr ergibt sich aus § 46 Abs. 2 Nr. 2 StGB, dass die verschiedenen Aspekte gerade in ihrem Verhältnis zueinander zu berücksichtigen sind. Nach Abs. 2 Nr. 1 sind insbesondere die Art und der Umfang der offenbarten Tatsachen und deren Bedeutung für die Aufklärung oder Verhinderung der Tat, der Zeitpunkt der Offenbarung, das Ausmaß der Unterstützung der Strafverfolgungsbehörden durch den Täter und die Schwere der Tat, auf die sich seine Angaben beziehen, in die Entscheidung einzubeziehen. Die aufgeführten Kriterien sind, soweit im konkreten Fall relevant, vom Gericht im Einzelnen darzulegen und zu bewerten.357 Allerdings zeigt schon der Versuch einer abstrakten Gewichtung, dass sich die genannten Aspekte in Teilen überschneiden: „Art und Umfang der offenbarten Tatsachen“ und ihre „Bedeutung für die Aufklärung oder Verhinderung“ lassen sich kaum sinnvoll voneinander trennen. Zudem ist letztere meistens gerade durch das „Ausmaß der Unterstützung der Strafverfolgungsbehörden“ geprägt. Zunächst sind Quantität und Qualität des vom Kronzeugen mitgeteilten Wissens zu ermitteln.358 Dabei ist zu berücksichtigen, dass § 46b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StGB schon tatbestandlich einen „wesentlichen“ Aufklärungsbeitrag verlangt. Für den Wert der Ermittlungshilfe ist unter anderem entscheidend, wie eng der Kronzeuge mit den Strafverfolgungsbehörden zusammengearbeitet hat, das heißt ob er etwa laufend über kriminelle Entwicklungen informiert und dafür vollständig die „Fronten gewechselt“ hat.359 Wertsteigernd wirkt sich auch die Vollständigkeit der Angaben aus, wenn dadurch die Strafverfolgungsbehörden in besonderer Weise entlastet wurden. Einbezogen werden muss auch der Zeitpunkt der Offenbarung, wobei aufgrund der Präklusionsregelung in Abs. 3 der zeitliche Handlungsspielraum des Aufklärungs- oder Präventionsgehilfen von vornherein deutlich einge356  Fischer:

StGB, § 46b Rn. 27 f. NStZ 2010, 443, 444. 358  Peglau wistra 2009, 409, 411. 359  Jeßberger: Kooperation und Strafzumessung, S. 325. 357  BGH

88

2. Teil: Voraussetzungen und Rechtsfolgen

schränkter ist als bei den bisherigen Kronzeugenregelungen.360 Je früher die Angaben vor dem Zeitpunkt des Präklusionseintritts nach Abs. 3 gemacht wurden, umso höher ist grundsätzlich auch ihr Wert anzusetzen. Die besondere Berücksichtigung einer frühen Wissensoffenbarung entspricht damit den Grundsätzen der Rechtsprechung zur strafmildernden Wirkung frühzeitiger Geständnisse.361 Daher kann eine Belohnung auch bei einer nach Maßgabe des § 46b Abs. 3 StGB noch rechtzeitigen, jedoch gemessen an den gesamten Ermittlungen späten Offenbarung versagt werden. Hat etwa der Täter durch ein absichtliches Hinauszögern anderen Tatbeteiligten gezielt die Flucht ermöglicht, kann die Bedeutung des offenbarten Wissens derart geschmälert sein, dass eine Strafmilderung ausscheidet.362 Gegen eine Strafmilderung spricht, wenn die Angaben einen geringen Neuigkeitswert haben, teilweise unwahr sind oder ebenso gut von einer anderen Person hätten erlangt werden können.363 Ein wichtiges Kriterium ist schließlich auch die Schwere der Tat, auf die sich die Angaben des Kronzeugen beziehen – je schwerer die aufzuklärende oder zu verhindernde Katalogtat wiegt, desto bedeutsamer sind die diesbezüglichen Hinweise und desto eher können sie eine Strafrahmenmilderung oder ein Absehen von Strafe rechtfertigen.364 Zwar gelten die einzelfallbezogenen Gewichtungselemente in § 100a Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 StPO nicht unmittelbar, können jedoch im Rahmen der Abwägungsklausel des § 46b Abs. 2 StGB eine Rolle spielen.365 Zur Bestimmung der Schwere einzelner Taten hat sich der Richter somit einerseits an dem jeweils dafür vorgesehenen Strafrahmen und andererseits an ihrer Schwere im Einzelfall zu orientieren;366 zudem kann relevant werden, inwieweit die offenbarten Tatsachen die Sachverhaltsaufklärung konkret erleichtert oder erst ermöglicht haben.367 Die Formulierung „insbesondere“ verdeutlicht, dass es sich nur um einen beispielhaften, nicht abschließenden Katalog handelt. Zu den sonstigen Einzelumständen, die in die Abwägung mit einfließen können, gehört z. B. der von der Rechtsprechung zu § 31 BtMG entwickelte Gesichtspunkt des wechselnden Aussageverhaltens.368 Zwar führt ein Wechsel im Aussageverhalten nicht zum Ausschluss des Tatbestandes von § 46b StGB, der Tatrich360  BT-Drucks.

16 / 6268, S.  14. wistra 2009, 409, 411; vgl. BGH NStZ 2009, 271, 273. 362  Vgl.  Maier NStZ 2011, 151, 152. 363  Fischer: StGB, § 46b Rn. 27. 364  BT-Drucks. 16 / 6268, S.  14. 365  Streng, in: NK-StGB, § 46b Rn. 8. 366  Kinzig, in: Schönke / Schröder: StGB, § 46b Rn. 17. 367  BT-Drucks. 16 / 6268, S.  12. 368  BT-Drucks. 16 / 6268, S.  13 f. 361  Peglau



B. Rechtsfolgen89

ter hat jedoch im Rahmen seiner Gesamtbetrachtung zu prüfen, ob sich der Sinneswandel eventuell negativ auf den Wert des tatsächlich eingetretenen Aufklärungseffekts ausgewirkt haben könnte.369 Ferner kann an dieser Stelle zu würdigen sein, dass der Kronzeuge im konkreten Fall durch seine wahrheitsgemäße Aussage im Kern nur seine staatsbürgerlichen Pflichten erfüllte, indem er etwa seiner strafprozessualen Aussagepflicht (vgl. § 48 StPO) oder seiner Pflicht zur Anzeige schwerer Straftaten (§ 138 StGB) nachkam, und daher allenfalls eine geringere oder womöglich gar keine Strafmilderung „verdient“ hat.370 Ein dem Wert der Angaben abträgliches Verhalten kann unter Umständen in einem späteren Schweigen oder einem Widerruf der Angaben in der Hauptverhandlung oder einer absichtlichen Behinderung von Ermittlungen gesehen werden, wobei erneut festgestellt werden muss, dass derartige Erwägungen nur auf Rechtsfolgenseite der Kronzeugenregelung angestellt werden dürfen.371 Handelt es sich bei dem Kronzeugen selbst um das Opfer einer Katalogtat i. S. d. § 100a Abs. 2 StPO, kann darüber hinaus der Umstand Bedeutung erlangen, ob und inwieweit er mit seiner Wissensoffenbarung ausschließlich oder vorrangig eigene Aufklärungs- bzw. Genugtuungsinteressen verfolgt hat.372 Des Weiteren müssen die persönlichen Folgen der Ermittlungshilfe berücksichtigt werden, etwa wenn der Kronzeuge durch seine Kooperation mit den Strafverfolgungsbehörden Gefahren für die eigene Person oder seine Angehörigen eingeht.373 Da „Verräter“ in Justizvollzugsanstalten kein sonderlich hohes Ansehen genießen, wird das dem Verurteilten durch eine Freiheitsstrafe zugefügte Leid infolge der erhöhten Wahrscheinlichkeit von Übergriffen durch Mitgefangene möglicherweise erhöht. Die vorzunehmende Gesamtbetrachtung ermöglichte außerdem die Berücksichtigung von Besonderheiten, die sich aus dem ursprünglich fehlenden Konnexitätserfordernis ergeben. Wies die Anlasstat einen inneren Zusammenhang zu der Bezugstat auf, konnte dies im Rahmen der Ermessensausübung für eine Strafrahmenverschiebung sprechen. Umgekehrt war eine Strafmilderung besonders eingehend zu prüfen, wenn der Täter sie durch Offenbarung seines Wissens hinsichtlich davon völlig unabhängiger Straftaten erlangen wollte.374 Da es nach Wortlaut, Sinn und Zweck des § 46b StGB nur auf den Aufklärungsbzw. Präventionseffekt ankommt, darf eine Strafmilderung nicht wegen 369  BT-Drucks.

16 / 6268, S. 14; vgl. BGH StV 1985, 14. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses des Bundestages, BT-Drucks. 16  / 13094, S. 5; BGH NStZ 2010, 443, 444; mit zustimmender Anmerkung Maier NStZ 2011, 151, 152. 371  Maier NStZ 2011, 151, 152. 372  BGH NStZ 2010, 443, 444. 373  Jeßberger: Kooperation und Strafzumessung, S. 325. 374  Peglau wistra 2009, 409, 411. 370  Vgl.

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2. Teil: Voraussetzungen und Rechtsfolgen

fehlender Reue oder Schuldeinsicht versagt werden.375 Die „guten Absichten“ des Täters können indes bei der Strafzumessung gem. § 46 StGB berücksichtigt werden.376 Abs. 2 Nr. 2 stellt klar, dass die in der Nr. 1 genannten Umstände zur Schwere der Straftat und zur Schuld des Täters in Verhältnis zu setzen sind. Die aufklärungs- und schuldspezifischen Kriterien dürfen daher nicht isoliert voneinander, sondern müssen stets im wechselseitigen Bezug gesehen werden. Erforderlich ist somit letztlich eine strafzumessungsrechtliche Abwägung.377 Von besonderer Bedeutung ist die Abwägungsklausel des § 46b Abs. 2 Nr. 2 StGB im Hinblick auf den Schuldgrundsatz: Sie soll verhindern, dass ein Täter, der große Schuld auf sich geladen hat, durch die Leistung von Ermittlungshilfe zu einer vergleichsweise harmlosen Straftat eine Strafmilderung erlangt.378 Damit wollte der Gesetzgeber den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts entsprechen, wonach der Richter aufgrund einer Kronzeugenregelung nicht gezwungen sein darf, eine Strafe zu verhängen, die nach seiner aufgrund der getroffenen Feststellungen gewonnenen Überzeugung der Schuld des Täters nicht angemessen wäre.379 Gleichwohl gibt es keinen Automatismus, der eine Strafmilderung in Fällen großer Schuld ausschließt; schließlich entschied sich der Gesetzgeber dafür, auch für mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedrohte Taten eine Milderungsmöglichkeit zu schaffen. Bei besonders schweren Taten und großer Schuld des Kronzeugen sind demnach hohe Anforderungen an die Schwere der aufzuklärenden oder zu verhindernden Straftat zu stellen.380 Der Beitrag zur Aufklärung der Bezugstat darf im Vergleich zur Anlasstat nicht ohne Gewicht sein.381 Auch wenn der Beitrag im Tatbestand des § 46b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StGB noch als wesentlich angesehen wird, kann seine Bedeutung im Rahmen der Gesamtwürdigung so gering ausfallen, dass von dem Ermessen nicht im Sinne einer Strafmilderung Gebrauch zu machen ist.382 Dennoch ist es mit einer rein zahlenmäßigen Gegenüberstellung von Anlass- und Bezugstaten oder einem Abstellen auf ihre Deliktsnatur nicht getan, denn selbst wenn sich die Taten insoweit die Waage halten, können sich weiterhin 375  Vgl. Weber: BtMG, § 31 Rn. 181; Hügel / Junge / Lander / Winkler: Deutsches Betäubungsmittelrecht, § 31 BtMG Rn. 4. 376  Vgl. Körner: BtMG, 6. Auflage, § 31 Rn. 20. 377  Streng, in: NK-StGB, § 46b Rn. 11; Lackner / Kühl: StGB, § 46b Rn. 5. 378  BT-Drucks. 16 / 6268, S.  14; Wolters, in: SK-StGB, § 46b Rn. 12. 379  BVerfG NJW 1993, 190, 191; NJW 1980, 1943. 380  Kinzig, in: Schönke  /  Schröder: StGB, § 46b Rn. 18; Lackner / Kühl: StGB, § 46b Rn. 5; vgl. BGH NJW 1987, 2882 f. 381  Vgl. zu § 31 BtMG BGH NStZ 1988, 505, 506. 382  Vgl. BGH NStZ-RR 1997, 278; NStZ 1988, 505; Körner StV 1987, 345; Patzak, in: Körner: BtMG, § 31 Rn. 69.



B. Rechtsfolgen91

Missverhältnisse ergeben, z. B. aus einem stark unterschiedlichen Handlungs- oder Erfolgsunwert.383 Insgesamt lässt sich festhalten, dass bei frühen, umfassenden und sich auf eine gewichtige Katalogtat beziehenden Angaben eine Strafrahmenverschiebung tendenziell nahe liegt, bei späten, unvollständigen Angaben zu einer leichteren Tat tendenziell eher fern.384

IV. Gesamtstrafe Die Anwendung des § 46b StGB ist für jede einzelne abzuurteilende Tat gesondert festzustellen. Es gilt insoweit nichts anderes als bei anderen Strafzumessungsvorschriften des Allgemeinen Teils (z. B. §§ 46a, 60 StGB), Art. 4 und 5 der Kronzeugenregelungen von 1989 und 1994 oder der „kleinen“ Kronzeugenregelung in § 31 BtMG.385 Treffen mehrere Straftaten des Kronzeugen, die über den für die Anwendung des § 46b StGB erforder­ lichen Schweregrad verfügen, tatmehrheitlich zusammen, hat das Gericht anhand einer Abwägung nach Abs. 2 darüber zu entscheiden, ob und bei welchen Taten in welchem Umfang gemildert werden kann.386 Erreicht von mehreren Straftaten des Kronzeugen nur eine einzige diese Schwelle, kommt eine Milderung auch nur für diese eine Straftat in Betracht. Haben zwar mehrere Straftaten des Kronzeugen den nötigen Schweregrad, bezieht sich die Wissensoffenbarung des Täters jedoch nur auf eine einzige Katalogtat i. S. d. § 100a Abs. 2 StPO, ist es eine Frage der nach § 46b Abs. 2 StGB erforderlichen Abwägung, ob und bei welchen Taten infolge der Angaben eine Milderung gerechtfertigt ist.387 Dabei war bislang die Besonderheit des fehlenden Konnexitätserfordernisses zu berücksichtigen.388 Fehlte jeglicher innerer Zusammenhang der vom Angeklagten begangenen Tat mit dem „Kronzeugensachverhalt“ und damit „jeglicher Maßstab für differenzierte Strafmilderungen“, erfolgte die Milderung durch einen einheitlichen Abschlag bezüglich jeder der verhängten Einzelstrafen, der sich danach in der Gesamtstrafe niederschlug.389 Nach Einführung des Zusammenhangserfor383  Maier

NStZ 2011, 151, 152. auch Maier NStZ 151, 152; Fischer: StGB, § 46b Rn. 27. 385  BT-Drucks. 16  / 6268, S. 13; vgl. zum KronzG BayObLG NJW 1991, 2576, 2579; vgl. zu § 31 BtMG Weber: BtMG, § 31 Rn. 185; Maier, in: MüKo-StGB, § 31 BtMG Rn. 67. 386  Streng, in: NK-StGB, § 46b Rn. 13; Kinzig, in: Schönke  /  Schröder: StGB, § 46b Rn. 27; von Heintschel-Heinegg: StGB, § 46b Rn. 20; ders., in: BeckOKStGB, § 46b Rn. 20. 387  BT-Drucks. 16 / 6268, S. 13; vgl. BGH NStZ 2000, 433; StV 2000, 318. 388  Kinzig, in: Schönke / Schröder: StGB, § 46b Rn. 27. 389  BGH NStZ 2010, 443, 444. 384  Vgl.

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2. Teil: Voraussetzungen und Rechtsfolgen

dernisses entfällt die Notwendigkeit eines einheitlichen Abschlags: Die Strafmilderung kann nunmehr auf diejenigen Taten, die einen Konnex aufweisen, beschränkt und für diese jeweils gesondert bestimmt werden.390 Die geleistete Aufklärungs- und Präventionshilfe kann schließlich auch in die zur Gesamtstrafenbildung nach § 54 Abs. 1 S. 3 StGB vorzunehmenden Gesamtschau erneut Eingang finden, da hierin nach ständiger Rechtsprechung all diejenigen Umstände nochmals verwertet werden können, die schon für die Bestimmung der Einzelstrafen maßgeblich waren.391 Entgegen der zum Teil in der Literatur erhobenen Forderung392 lässt sich eine völlige Trennung der für die Einzel- und Gesamtstraffestsetzung maßgeblichen Gesichtspunkte nicht durchhalten.393 Eine Kooperation mit den Strafverfolgungsbehörden kann einerseits isoliert für die Einzeltat und andererseits in ihrer Auswirkung auf die Gesamtheit der Straftaten „zusammenfassend“ von Bedeutung sein und z. B. Rückschlüsse auf die Einstellung des Täters hinsichtlich fremder Rechtsgüter zulassen. Es handelt sich demnach zumindest grundsätzlich um eine verschiedenartige Bewertung.394 Zu Recht fordert dennoch Streng, eine Aufklärungs- oder Präventionshilfe nur dann nochmals strafmildernd bei der Gesamtstrafenbildung anzurechnen, wenn das Nachtatverhalten des Angeklagten insgesamt eine Abwendung von einer deliktsgeneigten Haltung erwarten lässt, um somit die Gefahr einer – auch inhaltlichen – Doppelverwertung von Strafzumessungsumständen gering zu halten.395 Ist es erforderlich, mit in früheren Verfahren rechtskräftig verhängten, noch nicht erledigten Strafen nachträglich gem. § 55 StGB eine Gesamtstrafe zu bilden, gelten auch insoweit die allgemeinen Grundsätze: Bei der Bildung einer neuen Gesamtstrafe ist der Richter unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus einer aufzulösenden Gesamtstrafe an die Feststellungen des früheren Urteils zu den Einzelstrafen gebunden und hat zudem deren Strafzumessungserwägungen zu berücksichtigen.396 Einzubeziehen sind so390  BT-Drucks.

17 / 9695, S.  7. 16 / 6268, S. 13; vgl. allgemein zu den Elementen der Gesamtstrafenbildung BGHSt 24, 268, 270  f.; Bringewat: Die Bildung der Gesamtstrafe, Rn. 153, 184; speziell zum KronzG BayObLG NJW 1991, 2576, 2582; Lammer JZ 1992, 510, 513 f. 392  Jakobs: Strafrecht AT, 33 Rn. 18; Jescheck / Weigend: Strafrecht AT, S. 729; Dreher JZ 1957, 155, 157. 393  BGH NJW 1972, 454, 456; Samson / Günther, in: SK-StGB, § 54 Rn. 9; Bruns: Strafzumessungsrecht AT, S. 421; Roxin: Strafrecht AT Bd. 2, § 33 Rn. 153; Schweling GA 1955, 289, 294. 394  Roxin: Strafrecht AT Bd. 2, § 33 Rn. 153. 395  Streng, in: NK-StGB, §  46b Rn.  13; ders. Strafrechtliche Sanktionen, Rn.  523 ff. 396  BGH StV 2000, 555, 556. 391  BT-Drucks.



B. Rechtsfolgen93

mit auch eine Anwendung des § 46b StGB und die damit einhergehende Strafrahmenverschiebung nach § 49 Abs. 1 StGB.397

V. Begründung eines minder schweren Falles Das Vorliegen des vertypten Milderungsgrundes nach § 46b Abs. 1 StGB kann darüber hinaus allein oder zusammen mit weiteren Umständen auch herangezogen werden, um einen minder schweren Fall zu begründen, wenn das Gericht zu der Auffassung gelangt, dass der so gebildete Strafrahmen zur Ahndung des Unrechts besser geeignet ist.398 Die Entscheidung, ob ein minder schwerer Fall des jeweils einschlägigen Delikts bejaht werden kann, erfordert eine Gesamtabwägung aller strafzumessungserheblichen Umstände.399 Entscheidend ist, ob „das gesamte Tatbild einschließlich aller subjektiven Momente und der Täterpersönlichkeit vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß vorkommenden Fälle in einem Maße abweicht, dass die Anwendung des Ausnahmestrafrahmens geboten ist“.400 In diese Gesamtabwägung muss die Aufklärungshilfe nicht nur als allgemeiner strafmildernder Gesichtspunkt, sondern auch als vertypter Milderungsgrund einbezogen werden.401 Die Notwendigkeit der Einbeziehung in die Strafrahmenwahl gilt allerdings nicht nur für § 46b StGB, sondern für alle vertypten Milderungsgründe. Abgewogen werden muss, ob das Schwergewicht der Milderung bei dem Grund nach § 49 StGB oder bei den sonstigen Umständen liegt. Im Zweifel hat sich das Gericht für den dem Täter günstigeren Strafrahmen zu entscheiden.402 Hat sich der Tatrichter einmal für die Annahme eines minder schweren Falles entschieden, muss er den dadurch eröffneten Strafrahmen seiner Entscheidung uneingeschränkt zugrunde legen. Eine Kombination von Strafrahmen im Sinne einer Meistbegünstigung des Angeklagten, etwa der Strafobergrenze des minder schweren Falles und der Untergrenze des 397  BT-Drucks.

16 / 6268, S.  13. 16 / 6268, S. 11, 13; vgl. BGH NStZ 1999, 610; StV 1986, 342; NStZ-RR 2004, 14; Rössner / Kempfer, in: Dölling / Duttge / Rössner: Gesamtes Strafrecht, § 50 StGB, Rn. 4. 399  Vgl. Schäfer / Sander / van Gemmeren: Praxis der Strafzumessung, Rn. 580 f. 400  BGHSt 29, 319, 322; BGHSt 28, 318, 319; BGH NStZ-RR 1998, 298 f. 401  Der 3. Strafsenat des BGH hob ein Urteil des Landgerichts Kleve auf, weil darin unter anderem nicht bedacht worden war, dass die Aufklärungshilfe in die Gesamtabwägung, ob ein minder schwerer Fall i. S. d. § 263 Abs. 5 StGB bejaht werden kann, nicht nur als allgemeiner strafmildernder Gesichtspunkt, sondern als vertypter Milderungsgrund einbezogen werden muss, BGH Beschluss vom 23.11.2010 – 3 StR 403 / 10 = wistra 2011, 99; siehe auch BGH StV 2012, 80, 81. 402  Fischer: StGB, § 50 Rn. 5; Theune, in: LK-StGB, § 50 Rn. 19; von Heintschel-Heinegg, in: BeckOK-StGB, § 50 Rn. 6. 398  BT-Drucks.

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2. Teil: Voraussetzungen und Rechtsfolgen

nach § 46b Abs. 1 StGB i. V. m. § 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmens, ist unzulässig.403 Die Urteilsgründe müssen erkennen lassen, dass sich der Richter der verschiedenen Milderungsmöglichkeiten bewusst war.404 Daraus ergibt sich eine feste Prüfungsreihenfolge: Sieht das Gesetz für die Straftat des Kronzeugen einen minder schweren Fall vor, hat das Gericht zunächst zu prüfen, ob allgemeine Milderungsgründe schon für sich genommen für die Annahme eines minder schweren Falles ausreichen.405 Die gesetzlich vertypten Milderungsgründe, somit auch § 46b StGB, sind vorerst auszuklammern. Reichen die allgemeinen Milderungsgründe allein nicht aus, sind die gesetzlich vertypten hinzuzuziehen. In Fällen bedeutsamer Ermittlungshilfe kann unter Umständen schon allein wegen § 46b StGB ein minder schwerer Fall in Betracht kommen. Dies gilt erst recht, wenn § 46b StGB mit allgemeinen Milderungsgründen zusammentrifft.406 Erst wenn die allgemeinen auch nicht gemeinsam mit den gesetzlich vertypten Milderungsgründen für die Annahme eines minder schweren Falles genügen, kommt eine Strafrahmenverschiebung gem. § 49 Abs. 1 StGB (i. V. m. § 46b Abs. 1 StGB) in Betracht. Wird die Aufklärungs- oder Präventionshilfe zur Begründung eines minder schweren Falles herangezogen, steht das in § 50 StGB kodifizierte Doppelverwertungsverbot der erneuten Verwertung dieses Umstandes für eine Strafrahmenverschiebung gem. § 49 Abs. 1 StGB entgegen.407 Genügen dagegen schon sonstige Umstände oder unbenannte Milderungsgründe für die Annahme eines minder schweren Falles, entfaltet § 50 StGB keine Wirkung, da die Aufklärungs- oder Präventionshilfe in diesem Fall nicht als Umstand i. S. d. Vorschrift „verbraucht“ ist.408 Eine erneute Verschiebung des Strafrahmens bleibt möglich, wenn neben § 46b StGB weitere vertypte Milderungsgründe einschlägig sind, z. B. eine fakultative Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 23 Abs. 2 StGB oder eine obligatorische nach § 28 Abs. 2 S. 2 StGB. Jedoch gilt auch hier, dass vor dem Hintergrund des § 50 StGB eine erneute Berücksichtigung nur erfolgen kann, wenn der vertypte Milderungsgrund nicht als Begründung für den Ausnahmestrafrahmen des minder schweren Falles verwertet wurde. Die vertypten Milderungsgründe sind daher im Anschluss an die allgemeinen schritt403  BGH

Rn. 6.

NStZ 1999, 610; von Heintschel-Heinegg, in: BeckOK-StGB, § 50

404  BGHSt

27, 229; BGH StV 1988, 385. BGH StV 1992, 371; StV 2008, 355; Kett-Straub, in: NK-StGB, § 50 Rn.  6 f., 17 f.; Lackner / Kühl: StGB, § 50 Rn. 3. 406  Maier, in: MüKo-StGB, § 31 Rn. 140; BGH bei Zschockelt NStZ 1997, 267. 407  Seebode, in: Anwk-StGB, § 46b Rn. 25. 408  BGH NStZ 1987, 540; Gribbohm, in: FS-Salger, S 42. 405  Vgl.



B. Rechtsfolgen95

weise dahingehend zu überprüfen, ob nicht wenigstens einer von ihnen zur Begründung des minder schweren Falles genügt, sodass jedenfalls die anderen unverbraucht bleiben.409 Schließlich bleibt auch die schon im geltenden Recht anerkannte Möglichkeit einer mehrfachen Strafrahmenmilderung410 unberührt. Somit kann bei Zusammentreffen mit einem weiteren selbstständigen Milderungsgrund i. S. d. § 49 StGB neben der Anwendung des § 46b Abs. 1 StGB auch eine nochmalige Milderung des Strafrahmens erfolgen (z. B. nach §§ 13, 17, 21, 23, 27, 28 Abs. 1, 46a StGB). Eine Mehrfachmilderung ist nur dann gem. § 50 StGB ausgeschlossen, wenn derselbe Umstand nach verschiedenen Vorschriften eine Milderung vorschreibt oder zulässt.411 Wichtig ist, dass selbst in Fällen, in denen eine Strafrahmenverschiebung wegen § 50 StGB ausscheidet, da der vertypte Milderungsgrund des § 46b StGB zur Begründung eines minder schwerer Falles herangezogen worden ist, der Umstand geleisteter Aufklärungs- oder Präventionshilfe weiterhin im Rahmen der Strafzumessung im engeren Sinne berücksichtigt werden kann bzw. sogar muss.412

VI. Ablehnung eines besonders schweren Falles Auf der anderen Seite ist aufgrund der geleisteten Aufklärungs- oder Präventionshilfe auch ein Absehen von der Annahme eines besonders schweren Falles oder einer besonderen Schwere der Schuld (§ 57a SGB) möglich.413 Auch hierzu bedarf es einer Gesamtwürdigung, in welche die geleistete Aufklärungs-oder Präventionshilfe einbezogen werden muss und dort allein oder zusammen mit anderen allgemeinen oder vertypten Milderungsgründen zu Verneinung eines unbenannten besonders schweren Falles oder Widerlegung der Indizwirkung eines Regelbeispiels führen kann.414 Hat ein vertypter Strafmilderungsgrund die Ablehnung eines besonders schweren Falles begründet, soll nach der Rechtsprechung und Teilen der Literatur in entsprechender Anwendung des § 50 StGB eine weitere Strafrah409  Kett-Strauß, in: NK-StGB, § 50 Rn. 19; Eschelbach, in: Satzger / Schmitt / Widmaier: StGB, § 50 Rn. 14. 410  BT-Drucks. 16 / 6269, S. 11, 13; vgl. BGH 27, 299; Kett-Straub, in: NK-StGB, § 50 Rn. 23; Theune, in: LK-StGB, § 50 Rn. 4, 17; Horn, in: SK-StGB, § 50 Rn. 9; Fischer: StGB, § 50 Rn. 7; Eschelbach, in: Satzger / Schmitt / Widmaier: StGB, §  50 Rn. 15. 411  BGHSt 26, 54; NJW 1981, 299; Kett-Straub, in: NK-StGB, § 50 Rn. 25; Fischer: StGB, § 50 Rn. 7; a. A. Horstkotte, in: FS-Dreher, S. 281. 412  BGH StV 1998, 601. 413  BT-Drucks. 16 / 6268, S.  11; Seebode, in: Anwk-StGB, § 46b Rn. 25; Streng, in: NK-StGB, § 46b Rn. 14. 414  Maier, in: MüKo-StGB, § 31 BtMG Rn. 156.

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2. Teil: Voraussetzungen und Rechtsfolgen

menmilderung nach § 49 Abs. 1 StGB unzulässig sein.415 § 50 StGB untersagt jedoch ausdrücklich nur die Doppelverwertung eines Umstandes, der „die Annahme eines minder schweren Falles begründet“. Aus § 12 Abs. 3 StGB ergibt sich, dass der Ausdruck „minder schwerer Fall“ ein Gesetzesbegriff mit vorbestimmtem Inhalt ist.416 Der Wegfall eines besonders schweren Falles ist damit von § 50 StGB gerade nicht erfasst. Deshalb steht der Wortlaut einer direkten Anwendung des § 50 StGB entgegen.417 Da die Norm die Wirkung strafmildernder Umstände begrenzt, ist sie insoweit für den Täter abstrakt-generell nachteilig.418 Will man sie nunmehr analog auf andere Fälle ausdehnen, verstößt man damit gegen das aus Art. 103 Abs. 2 GG folgende Verbot einer strafschärfenden Analogie.419 Die Behandlung der Verneinung eines besonders schweren Falles als „minder schweren Fall“ i. S. d. § 50 StGB ist daher nicht möglich.420 Somit kann entgegen der Rechtsprechung zusätzlich auch eine Strafrahmenverschiebung gem. § 49 Abs. 1 StGB in Betracht kommen, wenn die Aufklärungs- oder Präventionshilfe zu einem Absehen von der Annahme eines besonders schweren Falles geführt hat.421 Bejaht das Gericht den besonders schweren Fall, muss aus dem Urteil erkennbar hervorgehen, dass es sich trotz dieses Ergebnisses der rechtlichen Möglichkeit bewusst war, wegen des vertypten Milderungsgrundes in § 46b StGB allein oder im Zusammenhang mit anderen Umständen den besonders schweren Fall zu verneinen. Es muss ausführen, warum es sich dennoch für einen erhöhten und nicht den Normalstrafrahmen entschieden hat.422

VII. Zusammentreffen von Aufklärungs- und Präventionshilfe Möglich ist auch, dass ein Ermittlungsgehilfe durch seine Wissensoffenbarung sowohl die Voraussetzungen des § 46b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StGB als 415  BGH NJW 1986, 1699, 1700; BGHR StGB vor § 1 / minder schwerer Fall – Gesamtwürdigung, unvollständige 11; offengelassen in StV 2004, 73, 74 und StV 2004, 601, 602; speziell zu § 31 BtMG siehe Weber: BtMG, § 31 Rn. 168; Körner: BtMG, 6. Auflage, § 31 Rn. 99. 416  Theune, in: LK-StGB, § 50 Rn. 10. 417  Seebode, in: Anwk-StGB, § 46b Rn. 25. 418  Eschelbach, in: Satzger / Schmitt / Widmaier: StGB, § 50 Rn. 3. 419  So auch Kett-Straub, in: NK-StGB, § 50 Rn. 10. 420  Vgl. Theune, in: LK-StGB, § 50 Rn. 9 ff. sowie zu § 46a unter § 46a Rn. 63; Eschelbach, in: Satzger / Schmitt / Widmaier: StGB, § 50 Rn. 3; Streng: Strafrechtliche Sanktionen, Rn. 544; Gribbohm, in: FS-Salger, S. 45. 421  So auch Haumer, in: Joachimski / Haumer: BtMG, § 31 Rn. 24. 422  BGH NStZ 1986, 368; NStZ 1990, 595; Patzak, in: Körner: BtMG, § 31 Rn. 80; Weber: BtMG, § 31 Rn. 165; Maier, in: MüKo-StGB, § 31 BtMG Rn. 157.



B. Rechtsfolgen97

auch nach Abs. 1 S. 1 Nr. 2 erfüllt.423 In diesem Fall hat das Gericht im Rahmen des ihm zugestandenen Ermessens zu entscheiden, ob es von der Kronzeugenregelung Gebrauch machen will, auf welche Weise und gegebenenfalls auch wie oft. Das Zusammentreffen von Aufklärungs- und Präventionshilfeleistungsleistungen entspricht dem Vorliegen mehrerer vertypter Strafmilderungsgründe, sodass auch eine mehrfache Strafrahmenverschiebung in Betracht kommt.424 Lagen im Rahmen der ursprünglichen Fassung des § 31 BtMG sowohl die Voraussetzungen der Nr. 1 als auch der Nr. 2 vor, hatte das Gericht unter Berücksichtigung beider Strafmilderungsgründe im Wege einer einheitlichen Ermessensentscheidung darüber zu befinden, ob und in welchem Umfang es von der Milderungsmöglichkeit Gebrauch machen wollte.425 Die mehrfache Vornahme einer Strafrahmenmilderung führte also zu keiner Verbesserung, da das Gericht nach § 49 Abs. 2 StGB ohnehin bis zum gesetzlichen Mindestmaß der Strafe herabgehen oder statt Freiheitsstrafe auf Geldstrafe erkennen konnte. Weil nunmehr jedoch sowohl § 46b StGB als auch § 31 BtMG n. F. nicht mehr auf § 49 Abs. 2 StGB, sondern auf § 49 Abs. 1 StGB verweisen, gibt es keinen Grund, an der Vorgabe einer einheitlichen Ermessensentscheidung festzuhalten.426

VIII. Strafzumessung im engeren Sinn § 46b StGB regelt die materiell-rechtlichen Möglichkeiten des Staates zur Belohnung des darin umschriebenen kooperativen Verhaltens nicht abschließend. Die Kooperationsbereitschaft kann sich darüber hinaus auch gem. § 46 StGB innerhalb des Strafrahmens auswirken:427 Der Tatrichter ist dabei nicht gehindert auf die Gesichtspunkte zurückzugreifen, die er bereits bei der Strafrahmenfindung verwertet hat.428 Im Gegenteil: Umstände, die zu einer Strafrahmenmilderung geführt haben, dürfen und müssen grundsätzlich auch bei der Strafzumessung im engeren Sinne berücksichtigt werden.429 Aber auch wenn § 46b StGB überhaupt nicht anwendbar ist, kann das kooperative Verhalten bei der Strafzumessung im engeren Sinne honoriert werden. Denn liegen einzelne Voraussetzungen eines vertypten Milderungs423  Vgl. Kinzig, in: Schönke / Schröder: StGB, § 46b Rn. 15; Patzak, in: Körner: BtMG, § 31 Rn. 79. 424  Siehe Maier, in: MüKo-StGB, § 46b Rn. 128. 425  BGH NJW 2006, 536; Weber: BtMG, § 31 Rn. 187. 426  So auch Maier, in: MüKo-StGB, § 46b Rn. 128. 427  BT-Drucks. 16 / 6268, S.  14. 428  BGHSt 26, 311. 429  BGH StV 1998, 601.

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2. Teil: Voraussetzungen und Rechtsfolgen

grundes nicht vor, bleibt eine Berücksichtigung der tatsächlichen Umstände im Rahmen der Strafzumessung im engeren Sinne möglich.430 1. Ermittlungshilfe als Verhalten des Täters nach der Tat Dass sich kooperatives Verhalten im Sinne geleisteter Aufklärungs- oder Präventionshilfe grundsätzlich auch im Rahmen der Strafzumessung im engeren Sinne strafmildernd auswirken kann, wird nicht bestritten. Als Begründung wird zum Teil angeführt, den Kronzeugenregelungen sei für die Strafzumessung innerhalb der gesetzlichen Strafrahmen der allgemeine Grundsatz zu entnehmen, dass sich geleistete Ermittlungshilfe in jedem Fall strafmildernd auszuwirken habe.431 Dagegen wendet sich Jeßberger mit überzeugender Argumentation, wonach in den Kronzeugenregelungen das in § 46 Abs. 2 S. 2 StGB ausdrücklich genannte „Verhalten nach der Tat“ eine besondere Ausgestaltung erfahren habe.432 Weniger plausibel erscheinen demgegenüber Versuche, Aufklärungs- und Verhinderungsbemühungen je nach Sachverhalt unter die ebenfalls in § 46 Abs. 2 StGB genannten Gesichtspunkte des „bei der Tat aufgewendeten Willens“ oder der „verschuldeten Auswirkungen der Tat“ zu subsumieren.433 Den gesetzlichen Anknüpfungspunkt für eine strafmildernde Berücksichtigung innerhalb der gesetzlichen Strafrahmen bildet somit das Nachtatverhalten des Täters. Fraglich ist indes, nach welchen Kriterien kooperatives Verhalten auf dieser Ebene honoriert werden kann. § 46b StGB selbst greift in seiner ursprünglichen Fassung als vertypter Milderungsgrund auch bei Bezugstaten ein, die mit der Anlasstat in keinerlei innerem Zusammenhang stehen. Der Grund für den Strafnachlass liegt hier allein im objektiven Ertrag der verbesserten und vereinfachten Verfolgung oder Verhinderung von Straftaten. Die vollständige oder teilweise Straffreiheit wird dem Kronzeugen grundsätzlich schuldindifferent, das heißt unabhängig von seiner eigenen, möglicherweise schwerwiegenden Schuld gewährt. Diese spielt lediglich nach § 46b Abs. 2 Nr. 2 StGB im Rahmen der Abwägung eine Rolle.434 Für die Berücksichtigung entsprechender Kooperationsbereitschaft als 430  Vgl.

BGH StV 1985, 54, 55. in: LK-StGB, § 46 Rn. 224; Schäfer / Sander / van Gemmeren: Praxis der Strafzumessung, Rn. 386. 432  Jeßberger: Kooperation und Strafzumessung, S.  63  f.; vgl. auch Fischer: StGB, § 46b Rn. 26, der den Ursprung der inhaltlichen Wertungskriterien des § 46b Abs. 2 Nr. 1 StGB in den Grundsätzen des allgemeinen Strafzumessungsrechts sieht. 433  So Theune, in: LK-StGB, § 46 Rn. 223; ablehnend Jeßberger: Kooperation und Strafzumessung, S. 65. 434  Zur Schuldrelevanz der Ermittlungshilfe und zur Vereinbarkeit von § 46b StGB mit dem Schuldgrundsatz siehe ausführlich 6. Teil B. 431  Theune,



B. Rechtsfolgen99

Nachtatverhalten i. S. d. § 46 Abs. 2 S. 2 StGB gilt indes ein anderer Maßstab. Ein irgendwie geartetes Verhalten des Täters kann nicht um seiner selbst willen strafmildernd berücksichtigt werden, nur weil es in zeitlicher Hinsicht der Tat nachfolgt.435 Es ist vielmehr eine Rückkoppelung des Strafzumessungsfaktors „Nachtatverhalten“ an die Grundlagen der Strafzumessung und die Strafzwecke des § 46 Abs. 1 StGB vorzunehmen: Aufklärungsoder Präventionshilfeleistungen oder zumindest ein entsprechendes Bemühen dürfen im Rahmen der Strafzumessung innerhalb der gesetzlichen Strafrahmen nur dann mildernd berücksichtigt werden, wenn sie Schuld- oder Präventionsrelevanz besitzen.436 Berücksichtigt werden kann somit etwa ein Tun oder Unterlassen, das Rückschlüsse auf den Unrechtsgehalt der Tat zulässt, auf die Rechtsfeindschaft, Gefährlichkeit oder die Gefahr künftiger Rechtsbrüche des Täters hinweist oder Einblick in die innere Einstellung des Täters zu seiner Tat gewährt.437 Voraussetzung ist stets eine gewisse innere Beziehung zwischen dem Verhalten nach der Tat und der Tat selbst, da andernfalls die Gefahr einer Gesinnungsstrafe bestünde.438 Die Tatschuld wird durch die Kronzeugenhandlung nicht berührt, sondern lediglich bei Hinzutreten anderer schuldrelevanter Umstände gemindert.439 Im günstigsten Fall können sich Präventionsaspekte zugunsten des Täters auswirken.440 Zu prüfen ist daher, ob sich aus dem kooperativen Verhalten des Täters Anhaltspunkte für eine günstigere Legalprognose ergeben. Insgesamt wird man beim internen Kronzeugen noch eher eine Präventionsrelevanz annehmen können als beim externen Kronzeugen, da sich eine günstigere Gefährlichkeitsbeurteilung aus der Mithilfe zur Verhinderung oder Aufklärung einer Straftat ohne Beteiligung des Kronzeugen kaum schlüssig ableiten lässt.441 In beiden Fällen ist nach einer möglicherweise in der Kooperation zu Tage tretenden Schuldeinsicht oder Reue zu suchen. Hinsichtlich des externen Kronzeugen ist zumindest vorstellbar, dass er seine ablehnende Haltung gegenüber dem von ihm zuvor begangenen Unrecht und seine zukünftige Rechtstreue dadurch zum Ausdruck bringen will, dass er der Strafverfolgung nunmehr jede Hilfe zukommen lässt, die er anbieten kann – selbst wenn es sich dabei um die Aufklärung von Straftaten ohne der BGH schon 1951, s. BGHSt 1, 105; vgl. Strate NStZ 2010, 362. Kooperation und Strafzumessung, S. 65; Weigend JZ 1990, 774, 779; Maier, in: MüKo-StGB, § 31 BtMG Rn. 162; Quentin, in: FS-Stöckel, S. 467. 437  BGH NJW 54, 1416, 71, 1758, NStZ 81, 257, 85, 545, NStZ-RR 97, 196, StV 88, 340; Stree / Kinzig, in: Schönke / Schröder: StGB, § 46 Rn. 39. 438  Stree / Kinzig, in: Schönke / Schröder: StGB, § 46 Rn. 39. 439  Vgl. Weigend ZStW 109 (1997), 103, 113. 440  Streng, in: NK-StGB, § 46b Rn. 5; Jeßberger: Kooperation und Strafzumessung, S. 68 f.; zur Schuldrelevanz siehe ausführlich 6. Teil B. II. 441  Kaspar / Wengenroth GA 2010, 453, 467. 435  So

436  Jeßberger:

100

2. Teil: Voraussetzungen und Rechtsfolgen

jeden inneren Zusammenhang zu seiner Straftat handelt. Ein Täter mit derartiger Motivation erkennt die Rechtsordnung zumindest äußerlich an und wird daher mit geringerer Wahrscheinlichkeit erneut straffällig werden als ein Täter ohne entsprechende Einsicht.442 Da die durch ein Geständnis bewirkte Entlastung von Gericht und Staatsanwaltschaft für sich genommen niemals Grund eines Strafnachlasses sein darf, sofern nicht zugleich etwa dem Opfer der Tat eine belastende Zeugenaussage erspart und damit der Opferschaden gering gehalten wird,443 kann sich erst recht auch die Entlastung infolge der Wissensoffenbarung hinsichtlich fremder Straftaten nicht im Rahmen des § 46 Abs. 2 S. 2 StGB mildernd auswirken. Jedoch wird der Straftäter, der dem Staat seine Hilfe zukommen lässt, möglicherweise nicht in sein kriminelles Umfeld zurückkehren bzw. zurückkehren können.444 und muss eventuell sogar zukünftig vor Personen aus diesem Umfeld geschützt werden. Diese zusätzliche Möglichkeit einer strafmildernden Berücksichtigung darf indes nicht darüber hinwegtäuschen, dass einer Milderung im Rahmen der allgemeinen Strafzumessung engere formelle Grenzen gesetzt sind. So kommt nach § 46 StGB eine Milderung nur innerhalb des jeweils einschlägigen Strafrahmens in Betracht. Eine Absenkung des Strafrahmens für das Höchst- oder Mindestmaß wie bei einer Strafrahmenverschiebung nach § 49 Abs. 1 StGB scheidet aus. Auch ein gänzliches Absehen von Strafe ist nicht möglich. Vor allem muss eine Honorierung dort insgesamt ausscheiden, wo § 46b StGB aufgrund der absoluten Androhung lebenslanger Freiheitsstrafe überhaupt erst die Möglichkeit einer mildernden Berücksichtigung der Ermittlungshilfe eröffnet hätte. 2. Berücksichtigung allein bei der Strafzumessung im engeren Sinn Praktisch relevant wird die Möglichkeit der Berücksichtigung im Rahmen der Strafzumessung im engeren Sinne insbesondere dann, wenn der nicht (mehr) als Kronzeuge in Betracht kommende Beschuldigte weiterhin über dringend benötigte, für die Strafverfolgung wertvolle Information verfügt.445 442  Kaspar / Wengenroth GA 2010, 453, 467; vgl. BGH StV 1991, 106, 107  f.; Hauer: Geständnis und Absprache, S. 88; Streng, in: NK-StGB, § 46 Rn. 78; Schäfer / Sander / van Gemmeren: Praxis der Strafzumessung, Rn. 383. 443  Vgl. Theune, in: LK-StGB, § 46 Rn. 206; Stree / Kinzig, in: Schönke / Schröder: StGB, § 46 Rn. 41a. 444  Jeßberger: Strafzumessung und Kooperation, S. 89; vgl. Quentin, in: FS-Stöckel, S. 468 (Fn. 19). 445  Vgl. Jeßberger: Kooperation und Strafzumessung, S. 63.



B. Rechtsfolgen101

Das können Fälle sein, in denen bereits der Tatbestand der Kronzeugenregelung nicht einschlägig ist, etwa weil es sich bei der dem Beschuldigten zur Last gelegten Anlasstat nicht um ein mit im Mindestmaß erhöhter Freiheitsstrafe bedrohtes Delikt oder bei der Bezugstat nicht um eine Katalogtat i. S. d. § 100a Abs. 2 StPO handelt. Erfasst § 46b StGB zwar nicht die konkrete Tat des Beschuldigten, wohl aber die Tat, auf die sich seine Angaben beziehen, soll diesem Umstand nach dem Willen des Gesetzebers bei der Anwendung des § 46 StGB zusätzliches Gewicht zukommen.446 Aus der Aufnahme der zu offenbarenden Tat in § 46b StGB könne abgeleitet werden, dass der Staat bei solchen Delikten generell ein erhöhtes Interesse an der Unterstützung seiner Ermittlungsbemühungen habe.447 Genau genommen folgt dieses zusätzliche Gewicht aus der Schwere der aufgeklärten oder verhinderten Straftat sowie im konkreten Fall bestehenden Beweisproblemen, welche der Richter generell bei der Würdigung von Ermittlungshilfeleistungen im Rahmen der allgemeinen Strafzumessung zu berücksichtigen hat. Der Zugehörigkeit zum Katalog des § 46b Abs. 1 StGB i. V. m. § 100a Abs. 2 StPO kommt allenfalls eine indizielle Bedeutung zu. Zudem kann sich die bloße – letztlich erfolglose – Kooperationsbereitschaft bei der Strafzumessung gem. § 46 StGB auswirken:448 Ein bloßes Aufklärungsbemühen erfüllt zwar nicht die tatbestandlichen Anforderungen des § 46b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StGB, erlaubt jedoch gegebenenfalls über § 46 StGB zu einer abgemilderten Strafe zu gelangen.449 Die Bereitschaft und Mitwirkung bei dem Versuch der Tataufklärung ist demnach regelmäßig auch dann ein Strafmilderungsgrund, wenn die weitere Aufdeckung der Tat aus vom Beschuldigten nicht zu vertretenden Gründen nicht gelingt.450 Liegen die Voraussetzungen des § 46b StGB im Übrigen vor, kommt der ernsthaften Kooperationsbereitschaft regelmäßig ein derart hohes Gewicht zu, dass sie einen „bestimmenden“ Strafzumessungsfaktor i. S. d. § 267 Abs. 3 S. 1 StPO ausmacht und folglich einer Erörterung in den Urteilsgründen bedarf.451 Anders liegt es freilich, wenn Zweifel an der Richtigkeit der Angaben des Kronzeugen verbleiben. In diesem Fall ist das Gericht nicht gezwungen, den Angaben des Angeklagten die Bedeutung eines allgemeinen Strafmilderungsgrundes i. S. d. § 46 Abs. 2 StGB beizumessen. Machen die Ausführungen deutlich, dass der Tatrichter keine Überzeugung vom Vorlie446  BT-Drucks.

16 / 6268, S.  10. 16 / 6268, S.  10. 448  BGH NStZ 1998, 90; NStZ 580; StV 1987, 487; Jeßberger: Kooperation und Strafzumessung, S. 63. 449  Stree / Kinzig, in: Schönke / Schröder: StGB, § 46 Rn. 39. 450  BGH StV 1987, 487; Theune NStZ 1988, 304. 451  BGH NStZ 1989, 580, mit zustimmender Anmerkung von Weider NStZ 1989, 580, 581. 447  BT-Drucks.

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2. Teil: Voraussetzungen und Rechtsfolgen

gen der Ermittlungshilfe gewinnen konnte, sondern ersichtlich Zweifel am Wahrheitsgehalt der Angaben hatte, ist eine entsprechende Begründung des Gerichts nicht zu beanstanden.452 Vor allem lassen sich durch die Berücksichtigung im Rahmen der allgemeinen Strafzumessung aus der Präklusionsbestimmung des § 46b Abs. 3 StGB resultierende unbefriedigende Ergebnisse vermeiden,453 etwa wenn der Kronzeuge kurz nach Erlass des Eröffnungsbeschlusses von Tatsachen i. S. d. § 46b Abs. 1 StGB Kenntnis erlangt und sein Wissen unverzüglich offenbart, oder bei aus Sicht des Kronzeugen „zufälliger“ Unterzeichnung des Eröffnungsbeschlusses vor oder während seiner Offenbarungsleistung. Bei ansonsten gleichbleibendem Gewicht des Aufklärungsbeitrages kann dabei innerhalb der formalen Grenzen des § 46 StGB regelmäßig keine geringere Milderungswirkung angenommen werden, als sie im Rahmen des § 46b StGB erlangt worden wäre. Das gelingt indes nur innerhalb der dort geltenden Grenzen des gesetzlichen Strafrahmens. Dass eine Milderung in Fällen absolut angedrohter lebenslanger Freiheitsstrafe nunmehr völlig ausscheiden muss, ist bedenklich. Unter Umständen kann sogar ein Schweigen strafmildernd Berücksichtigung finden, wenn es zur Tataufklärung beigetragen hat: Verzichtet ein Beschuldigter, eine von ihm enttarnte V-Person preiszugeben und ermöglicht er damit der Polizei den Haupttäter zu überführen, hat er zwar nicht die Voraussetzungen der Kronzeugenregelung erfüllt, jedoch beweist sein Verhalten, dass er eine ähnliche Strafmilderung verdient, wenn es im konkreten Fall für die Ermittlungsbehörden von mindestens so starkem Gewicht ist wie der vertypte Milderungsgrund des § 46b StGB.454 Aufgrund der besonderen Nähe zu einem vertypten Milderungsgrund muss sich das Gericht gegebenenfalls zur Annahme eines minder schweren Falles, jedenfalls zur eingehenden Erörterung dieser Besonderheit im Urteil gedrängt sehen.455

IX. Strafaussetzung zur Bewährung Das Vorliegen der Voraussetzungen des § 46b StGB kann nicht nur für die Bestimmung der Sanktionshöhe, sondern auch für Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung gem. § 56 StGB bedeutsam werden.456 452  BGHR

StGB § 46 Abs. 2 Nachtatverhalten 27. BGH NStZ-RR 2011, 321, 322. 454  BGH StraFo 2005, 345; Körner: BtMG, 6. Auflage, § 31 Rn. 35. 455  BGH StraFo 2005, 345. 456  Vgl. BGH NStZ 1983, 416; Jeßberger: Kooperation und Strafzumessung, S. 70; Maier, in: MüKo-StGB, § 31 BtMG Rn. 164; Patzak, in: Körner: BtMG, § 31 Rn. 93. 453  Vgl.



B. Rechtsfolgen103

Zum einen kann darin ein „besonderer Umstand“ gem. § 56 Abs. 2 StGB zu sehen sein:457 Bei der Prüfung, ob nach der Gesamtwürdigung der Tatseite besondere Umstände vorliegen, können auch nach der Tat eingetretene Umstände herangezogen werden. Zwar haften diese Umstände der Tat nicht unmittelbar an und ändern daher nichts an ihrem Gepräge, jedoch können sie für die Bewertung des strafbaren Verhaltens hinsichtlich einer angemessenen strafrechtlichen Reaktion relevant werden, da sie, unter Berücksichtigung der Strafzwecke, das Bedürfnis nach Vollstreckung der verhängten Strafe möglicherweise verringern.458 Dass bereits eine Strafrahmenverschiebung gem. § 46b StGB i. V. m. § 49 Abs. 1 StGB angenommen wurde, schließt die Berücksichtigung nicht aus, sondern gebietet vielmehr diesen Umstand „von besonderem Gewicht“ zugunsten des Angeklagten auch in die Entscheidung über die Strafaussetzung einzubinden.459 Zum anderen kann sich geleistete Ermittlungshilfe schon positiv auf die nach § 56 Abs. 1 StGB vorzunehmende Sozialprognose auswirken. Denn wenn ein solches Verhalten als „besonderer Umstand“ im Sinne von § 56 Abs. 2 StGB in Betracht kommt, ist es erst recht auch im Rahmen der Sozialprognose nach § 56 Abs. 1 StGB zu berücksichtigen, wo das Verhalten des Angeklagten nach der Tat sogar ausdrücklich als maßgeblicher Umstand aufgeführt wird.460 Die Frage, ob dem Angeklagten eine positive Sozialprog­ nose i. S. d. § 56 Abs. 1 StGB gestellt werden kann, ist auch in Fällen des Abs. 2 vorrangig zu prüfen, da die Erwartung, der Angeklagte werde sich künftig straffrei verhalten, auch für das Vorliegen besonderer Umstände i. S. d. § 56 Abs. 2 S. 1 StGB von Bedeutung ist.461 Zu stellen ist die Prognose ausschließlich unter Einbeziehung spezialpräventiver Aspekte. Generalpräventive Gesichtspunkte scheiden aus.462 Die Zusammenarbeit mit den Ermittlungsbehörden kann bei Hinzutreten weiterer Umstände auf eine innere Distanziertheit zum eigenen kriminellen Verhalten hinweisen. Auch spricht es für die überwiegende Wahrscheinlichkeit künftig straffreien Verhaltens, wenn eine Rückkehr des Angeklagten in sein kriminelles Umfeld infolge der Kooperation unmöglich geworden ist.463 457  Vgl. BGH StV 1998, 541; NStZ 1983, 218; BayObLG Beschluss vom 10.10.1991 – Rreg 4 St 136 / 91 = StV 1992, 15; Hügel / Junge / Lander / Winkler: Deutsches Betäubungsmittelrecht, § 31 BtMG Rn. 5; Weber: BtMG, § 31 Rn. 175; Maier, in: MüKo-StGB, § 31 BtMG Rn. 165; Lackner / Kühl: StGB, § 56 Rn. 19; Fischer: StGB. § 56 Rn. 21. 458  BGH NStZ 1983 218; NStZ 1981, 100; NStZ 1981, 434. 459  BGH NStZ 1983, 218. 460  BayObLG StV 1992, 15, 16. 461  BGH StV 2003, 670; NStZ 1997, 434. 462  BGH NStZ-RR 2005, 38; Fischer: StGB, § 56 Rn. 3. 463  Maier, in: MüKo-StGB, § 31 BtMG Rn. 164.

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2. Teil: Voraussetzungen und Rechtsfolgen

Eine beträchtliche Ermittlungshilfeleistung kann zudem unter Berücksichtigung aller Besonderheiten des Einzelfalls die Annahme rechtfertigen, dass bei Verurteilung des Angeklagten zu einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten die Verteidigung der Rechtsordnung (§ 56 Abs. 3 StGB) der Strafaussetzung nicht entgegensteht.464

X. Strafrestaussetzung zur Bewährung Die einmal geleistete Aufklärungs- oder Präventionshilfe kann sich auch positiv auf die Strafvollstreckung und den Strafvollzug auswirken. Hat der Verurteile zu einem beliebigen Zeitpunkt vor seiner Verurteilung mit den Strafverfolgungsbehörden oder dem Gericht in einer Weise kooperiert, dass er durch die Offenbarung seines Wissens zur Aufklärung oder Verhinderung von Straftaten beigetragen hat, ist dieser Umstand bei der Prüfung des § 57 StGB erneut zu berücksichtigen. Insbesondere kann die Ermittlungshilfeleistung bei der Entscheidung eine Rolle spielen, ob „besondere Umstände“ i. S. d. § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB vorliegen, die nach Verbüßung der Hälfte einer zeitigen Freiheitsstrafe eine Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung rechtfertigen.465 Auch wenn das Gericht die Ermittlungshilfe bereits durch Gewährung einer Strafmilderung gem. § 46b Abs. 1 StGB i. V. m. § 49 Abs. 1 StGB oder bei der Strafzumessung im engeren Sinne berücksichtigt hat, sind diese Umstände für die Halbstrafenaussetzung nicht verbraucht.466 Allerdings vermag der Umstand der geleisteten Ermittlungshilfe allein nicht den Ausschlag zu geben, wenn die erforderliche Gesamtwürdigung von Tat, Persönlichkeit des Verurteilten und ihrer Entwicklung während des Strafvollzugs im Übrigen ein Überwiegen der negativen Faktoren ergibt.467 Ein Ausgleich negativer Faktoren und damit die Bejahung besonderer Umstände i. S. d. § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB kann jedoch dadurch zustande kommen, dass der Verurteilte seine Hilfeleistung während des Strafvollzugs freiwillig und erfolgreich fortsetzt und sich überdurchschnittlich im Vollzug bewährt.468 Vor diesem Hintergrund muss dann gegebenenfalls auch der Gesichtspunkt der Verteidigung 464  BGH

NStZ-RR 1997, 231. 16 / 6268, S. 14; LG Bremen StV 1983, 381; OLG Frankfurt am Main NStZ-RR 1996, 213; OLG Düsseldorf StV 1997, 94; OLG Frankfurt NStZ-RR 1999, 340; Weber: BtMG, § 31 Rn. 176; Maier, in: MüKo-StGB, § 31 BtMG Rn. 167; Patzak, in: Körner: BtMG, § 31 Rn. 94; Weider, in: MAH-Strafverteidigung, § 45 Rn. 186. 466  OLG Zweibrücken StV 1991, 223; OLG Düsseldorf StV 1997, 94. 467  OLG Frankfurt am Main NStZ-RR 1999, 340. 468  OLG Frankfurt am Main NStZ-RR 1996, 213; Patzak, in: Körner: BtMG, § 31 Rn. 94. 465  BT-Drucks.



B. Rechtsfolgen105

der Rechtsordnung zurücktreten, der andernfalls einer Halbstrafenentlassung entgegenstehen könnte.469 Während § 46b StGB nur Offenbarungen bis zum Erlass des Eröffnungsbeschlusses erfasst und eine Berücksichtigung bei § 56 StGB nur erfolgen kann, wenn die Aufklärungs- oder Präventionshilfe vor dem Zeitpunkt der Verhängung der Strafe geleistet hat, erlaubt § 57 StGB bei der Entscheidung über eine Strafrestaussetzung auch die Einbeziehung von Ermittlungshilfe, die erst nach Verurteilung geleistet worden ist.470 § 57 StGB erlaubt damit die Honorierung einer Wissensoffenbarung, die erstmalig während des Strafvollzuges erfolgt. Zwar handelt es sich bei der bedingten Entlassung ihrem Wesen nach um eine rein vollstreckungsrechtliche und keine strafzumessungsrechtliche Entscheidung – § 57 StGB bewirkt lediglich einen Verzicht auf einen Teil der Strafvollstreckung, der Strafausspruch selbst bleibt unberührt.471 Für den Kronzeugen macht dies jedoch, gerade im Hinblick auf die tatsächlich abzusitzende Strafe, nur einen formellen Unterschied.

XI. Sonstige die Strafvollstreckung betreffende Entscheidungen Die geleistete Aufklärungs- oder Präventionshilfe kann sich zudem auf das Ermessen der Vollstreckungsbehörde bei Entscheidungen nach § 456a StPO auswirken. Nach dieser Vorschrift kann sie von der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe absehen, wenn dem Verurteilten wegen einer anderen Tat die Auslieferung an eine ausländische Regierung, die Überstellung an einen internationalen Strafgerichtshof oder eine Ausweisung aus dem Geltungsbereich der StPO bevorsteht. Bei der Entscheidung nach pflichtgemäßem Ermessen, die von Amts wegen oder auf Antrag des Verurteilten ergeht, sind die Umstände der Tat, die Schwere der Schuld, die Dauer der bisher verbüßten Strafe, das öffentliche Interesse an der Strafvollstreckung sowie die persönliche Lage des Verurteilten gegeneinander abzuwägen.472 Die Ermittlungshilfe kann sich dabei jedenfalls im Rahmen der Tatumstände sowie der persönlichen Lage des Verurteilten auswirken und damit ein entscheidendes Argument sein, möglichst früh von der Maßnahme des § 456a StPO Gebrauch zu machen.473 469  OLG

Frankfurt am Main NStZ-RR 1996, 213. Kooperation und Strafzumessung, S. 71. 471  Stree / Kinzig, in: Schönke / Schröder: StGB, § 57 Rn. 2. 472  OLG Stuttgart StV 1993, 258; OLG Hamburg NStZ-RR 1996, 222; OLG Karlsruhe StV 2002, 322; Appl, in: KK-StPO, § 456a Rn. 3. 473  Weider, in: MAH-Strafverteidigung, § 45 Rn. 186. 470  Jeßberger:

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2. Teil: Voraussetzungen und Rechtsfolgen

Die zusätzliche Möglichkeit der Berücksichtigung kooperativen Verhaltens im Rahmen des § 456a StPO hatte in der Vergangenheit gegenüber der Inanspruchnahme von Kronzeugenregelungen einen entscheidenden Vorteil: Eine Zusage der Staatsanwaltschaft im Zusammenhang mit § 456a StPO bot im Hinblick auf die Ungewissheit der Strafhöhe im Urteil eine wesentlich größere Sicherheit, da die Staatsanwaltschaft diese Entscheidung als Strafvollstreckungsbehörde in eigener Verantwortung trifft. Sie hat damit auch die Möglichkeit, ein „ihr wegen der geleisteten Aufklärungshilfe zu hoch erscheinendes Strafmaß entsprechend der Absprache über die Strafvollstreckung zu korrigieren“.474 In der Praxis zeichnete sich daher schon vor Inkrafttreten des 43. StrÄndG ein Trend ab: weg von der Inanspruchnahme der Kronzeugenregelung des § 31 BtMG, hin zu besser kalkulierbaren Honorierungsmöglichkeiten, insbesondere aus dem Bereich der Strafvollstreckung.475 Vermehrt nahmen Verteidiger Gespräche mit dem zuständigen Dezernenten der Staatsanwaltschaft auf, um zu einer positiven Stellungnahme zu einem Halbstrafenantrag oder einer möglichst frühzeitigen Maßnahme nach § 456a StPO zu gelangen.476 Zwar können Zusagen der Staatsanwaltschaft bezüglich eines Absehens von der weiteren Strafvollstreckung nach § 456a StPO nicht Gegenstand einer Absprache vor Gericht sein, da das Gericht nur solche Zusagen treffen darf, die es selbst auch einhalten kann (vgl. § 257c Abs. 2 StPO), jedoch ist die Staatsanwaltschaft nicht gehindert, unabhängig von gerichtlichen Absprachen Zusagen hinsichtlich positiver Stellungnahmen im Vollstreckungs- und Vollzugsverfahren oder eines Absehens von der weiteren Vollstreckung nach § 456a StPO zu treffen.477 Da sich mit § 46b Abs. 3 StGB die bislang bestehende Unsicherheit hinsichtlich der strafmildernden Berücksichtigung im Urteil noch weiter verstärkt hat, hat sich auch die Attraktivität eines derartigen Vorgehens erhöht. Die Bereitschaft zur Mithilfe bei der Aufklärung oder Verhinderung von Straftaten kann schließlich auch auf dem Gnadenwege Berücksichtigung finden.478 Dem Bund steht das Begnadigungsrecht in Strafsachen zu, in denen erstinstanzlich in Ausübung von Gerichtsbarkeit des Bundes entschieden worden ist (§ 452 S. 1 StPO). Darunter fallen auch Gnadengesuche 474  Weider,

in: MAH-Strafverteidigung, § 45 Rn. 186. dazu auch Frank: Protokoll der 133. Sitzung des Rechtsausschusses vom 25.3.2009, S. 7, der die vorzeitige Haftentlassung gem. § 456 a StPO nach einem Drittel der verbüßten Strafe als „Königsweg im Bereich der organisierten Betäubungsmittelkriminalität“ bezeichnet. 476  Weider, in: MAH-Strafverteidigung, § 45 Rn. 186. 477  Siehe Hildebrandt: Gesetzliche Regelung der Verständigung im Strafverfahren, S. 304. 478  Salditt StV 2009, 375, 376 (Fn. 14); Patzak, in: Körner: BtMG, § 31 Rn. 94; Maier, in: MüKo-StGB, § 31 Rn. 170. 475  Siehe



B. Rechtsfolgen107

gegen Entscheidungen, die ein Oberlandesgericht in Staatsschutzangelegenheiten nach § 120 Abs. 1 und 2 GVG im ersten Rechtszug nach Anklage des Generalbundesanwalts getroffen hat, da es als „Auftragsgericht“ in Ausübung der Gerichtsbarkeit des Bundes fungiert.479 Ausgeübt wird das Begnadigungsrecht des Bundes nach Art. 60 Abs. 2 GG durch den Bundespräsidenten, der es gem. Art. 60 Abs. 3 GG auf andere Behörden übertragen kann. Geschriebene materielle Voraussetzungen gibt es nicht, die Entscheidung trifft der Bundespräsident nach freiem politischen Ermessen.480 Der Umstand geleisteter Beiträge zur Aufklärung und Verhinderung von Straftaten kann damit in die Entscheidung einfließen. Im Übrigen steht das Gnadenrecht den Ländern zu (§ 452 S. 2 StPO). Die Landesverfassungen sehen regelmäßig die Zuständigkeit des Ministerpräsidenten vor, in den Stadtstaaten (Hamburg, Berlin, Bremen) die Zuständigkeit des Senats sowie im Saarland die Zuständigkeit des Ministerrates.481 Nach ergangener Gnadenentscheidung besteht für die Vollstreckungsbehörde ein Vollstreckungshindernis.482

XII. Verweigerte Ermittlungshilfe als Straferhöhungsgrund Niemals darf die Verweigerung der Ermittlungshilfe zu einer Anhebung der Strafe führen. Strafschärfende Erwägungen, der geständige Angeklagte habe sich geweigert, Tatbeteiligte zu nennen oder sonstiges Wissen bezüglich schwerer Straftaten preis zu geben, sind unzulässig.483 Legt der Beschuldigte ein Geständnis ab oder zeigt er auf sonstige Weise Reue oder Schuldeinsicht, darf deren mildernde Berücksichtigung nicht aufgrund der Verweigerung erhoffter Aufklärungs- oder Präventionshilfeleistungen entfallen.484 Nur im Ausnahmefall soll gegen den Angeklagten eine höhere Strafe verhängt werden können, wenn das Prozessverhalten in besonderem Maße Rückschlüsse auf seine Persönlichkeit zulässt, es etwa auf eine rechtsfeindliche Gesinnung hindeutet und damit von einer erhöhten Rückfallgefahr auszugehen ist.485 Unzulässig ist eine strafschärfende Berücksichtigung jedoch dann, wenn das auf einen Mangel an Reue und Einsicht hindeutende Verhalten von dem Wil479  Herzog,

in: Maunz / Dürig: GG, Art. 60 Rn. 33. in: Maunz / Dürig: GG, Art. 60 Rn. 38. 481  Appl, in: KK-StPO, § 452 StPO Rn. 3. 482  Appl, in: KK-StPO, § 452 StPO Rn. 5. 483  Körner: BtMG, 6. Auflage, § 31 Rn. 108; Weider: Schrift zum 11. Strafverteidigertag 1987, S 197 f. 484  Hassemer StV 1986, 550 ff.; Patzak, in: Körner: BtMG, § 31 Rn. 90. 485  BGH StV 1986, 5,6; Jeßberger: Kooperation und Strafzumessung, S. 137. 480  Herzog,

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2. Teil: Voraussetzungen und Rechtsfolgen

len getragen ist, die eigene Verteidigungsposition nicht zu beeinträchtigen.486 Es lässt sich jedoch nicht bestreiten, dass allein das Vorhandensein von Regelungen wie § 46b StGB oder § 31 BtMG gesteigerte Erwartungen hinsichtlich der Kooperationsbereitschaft des Beschuldigten hervorruft, deren Enttäuschung sich unter Umständen als nachteilig erweisen kann.487 Verschiedene Beobachter berichten von einer „schleichenden Strafmaßerhöhung“ für Beschuldigte, die über kein Kronzeugenwissen verfügen oder dieses nicht preisgeben wollen.488 Ergreift der Beschuldigte oder sein Verteidiger im Ermittlungs- oder Zwischenverfahren die Initiative und fragt bei der Staatsanwaltschaft an, welcher Wert einer hypothetischen Kronzeugenaussage beigemessen werden könnte, erweckt dies den Anschein, der Beschuldigte verfüge über einen gewissen Kenntnisstand; andernfalls würde die Verteidigung kaum mit einer derartigen Anfrage an die Staatsanwaltschaft herantreten. Kommt es aber anschließend zu keiner Kronzeugenaussage, bleibt unter Umständen der Eindruck im Raum stehen, der Beschuldigte halte bewusst Informationen zurück, um Tatbeteiligte oder Dritte zu schützen.489 Ein Rückzug nach Aufnahme erster Gespräche ist dem Kronzeugen daher in der Regel nicht mehr möglich.490 Die Befürchtung einer strafschärfenden Berücksichtigung zurückgezogener Anfragen wurde im Rahmen einer Untersuchung zu § 31 BtMG zwar von der Mehrheit (74,4 %) der befragten Praktiker zurückgewiesen, jedoch teilten immerhin 60,6 % der teilnehmenden Strafverteidiger die Bedenken.491 Der Beschuldigte wird daher in den meisten Fällen besser beraten sein, erst dann die Initiative zu ergreifen, wenn er sich unabhängig vom Umfang der möglichen Berücksichtigung vor Gericht und nach Abwägung aller Vor- und Nachteile endgültig für eine Zusammenarbeit mit der Justiz entschieden hat.

XIII. Anforderungen an die Urteilsgründe Das Gericht ist gem. § 267 Abs. 3 S. 1 Hs. 2 StPO verpflichtet, in den Urteilsgründen diejenigen Umstände anzuführen, die für die Zumessung der Strafe bestimmend gewesen sind. Soweit Umstände vorliegen, aus denen sich die Anwendbarkeit des § 46b StGB ergeben könnte, hat folglich das Tatge486  BGH NStZ 2006, 96; 2008, 454; Stree / Kinzig, in: Schönke / Schröder: StGB, § 46 Rn. 42; Jeßberger: Kooperation und Strafzumessung, S. 137. 487  Jaeger: Der Kronzeuge, S. 186. 488  Jung ZRP 1986, 41; Hassemer StV 1986, 550, 552; Weigend, in: FS-Jescheck, S. 1335 und 1348; Mushoff KritV 2007, 366, 382; Kempf StV 1999, 67, 68; kritisch Jeßberger: Kooperation und Strafzumessung, S. 139 f. 489  Weider, in: MAH-Strafverteidigung, § 45 Rn. 178. 490  Jeßberger: Kooperation und Strafzumessung, S. 328. 491  Jaeger: Der Kronzeuge, S. 187.



B. Rechtsfolgen109

richt deren Bewertung in seiner Urteilsbegründung verständlich und nachvollziehbar darzulegen. Legen die getroffenen Feststellungen nahe, dass die Voraussetzungen des § 46b StGB vorliegen, trifft das Gericht diesbezüglich eine Erörterungspflicht.492 Andernfalls bestünde für das Revisionsgericht keine Möglichkeit zur Überprüfung, ob das Vorliegen der Voraussetzungen zutreffend angenommen oder verneint wurde.493 Insbesondere die in § 46b Abs. 2 StGB genannten Umstände sind im Einzelnen abzuhandeln, soweit sie im konkreten Fall von Bedeutung sind.494 Des Weiteren müssen die Ausführungen erkennen lassen, wann die Aufklärungshilfe stattgefunden hat. Denn selbst im Fall einer fehlerhaft begründeten Ablehnung des § 46b StGB ist ein Beruhen auf diesem Rechtsfehler ausgeschlossen, soweit die Angaben des Angeklagten ohnehin nach § 46b Abs. 3 StGB präkludiert wären.495 Dabei soll jedoch ebenso wenig wie bei § 31 BtMG geboten sein, den letztlich gewährten Strafnachlass in den Urteilsgründen exakt zu beziffern.496 Eine Bezifferung in den Urteilsgründen würde indes die Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Kronzeugen in Verfahren gegen die durch ihn belasteten Dritten erheblich erleichtern, da ohne Weiteres erkennbar wäre, welchen Vorteil der Kronzeugen durch seine Aussage konkret erlangte.497 Zudem würde damit der Vorwurf mangelnder Transparenz entschärft. Nicht uninteressant ist daher der an die Rechtsprechung zur Strafzumessung in Fällen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerungen angelehnte Vorschlag, in den Urteilsgründen neben der erkannten Strafe auch diejenige auszuweisen, die bei Außerachtlassung der Kronzeugenregelung verhängt worden wäre.498

XIV. Absehen von Anklageerhebung und Verfahrenseinstellung nach § 153b StPO Über § 153b StPO erlangt die Sanktionsbestimmung in § 46b Abs. 1 S. 4 StGB unmittelbar strafprozessuale Bedeutung: 492  BGH

StV 2012, 80, 81. NStZ 2010, 443, 444 mit Anmerkung Maier NStZ 2011, 151, 152; von Heintschel-Heinegg, in: BeckOK-StGB, § 46b Rn. 33. 494  BGH NStZ 2010, 443, 444. 495  OLG Hamburg StV 2011, 553 ff. 496  Maier NStZ 2011, 151, 153; vgl. BGH Beschluss vom 22.11.2007 – 3 StR 348 / 07; Beschluss vom 7.6.2005 – 3 StR 109 / 05. 497  König NJW 2009, 2481, 2484. 498  König NJW 2009, 2481, 2484; ders. StV 2012, 113, 115; zustimmend von Heintschel-Heinegg, in: BeckOK-StGB, § 46b Rn. 34; vgl. die Rechtsprechung zur Strafzumessung in Fällen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung: BVerfG NJW 1995, 1277; NStZ 1997, 591; BGH NJW 2008, 860; vgl. hierzu 6. Teil C. III. 3. 493  BGH

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2. Teil: Voraussetzungen und Rechtsfolgen

§ 153b Abs. 1 StPO eröffnet der Staatsanwaltschaft die Möglichkeit, bereits im Ermittlungsverfahren mit Zustimmung des für die Hauptverhandlung zuständigen Gerichts von der Klageerhebung abzusehen, wenn die Voraussetzungen eines Absehens von Strafe nach § 46b Abs. 1 S. 4 StGB gegeben sind.499 Ein Absehen von der Anklageerhebung kann gerade auch zum Schutz des Täters geboten sein.500 Im Gegensatz zu §§ 153, 153a StPO ist § 153b StPO nicht auf Vergehen i. S. d. § 12 Abs. 2 StGB beschränkt. Liegen neben den Voraussetzungen des § 153b StPO auch die von § 153 oder § 153a StPO vor, kann gleichwohl auf § 153b StPO zurückgegriffen werden.501 Wichtig ist, dass sich die Einstellung auf die gesamte prozessuale Tat beziehen muss. Treffen mehrere Normverstöße tateinheitlich oder tatmehrheitlich zusammen, kann § 153b StPO nur angewendet werden, wenn sämtliche verwirklichten Tatbestände ein Absehen von der Strafverfolgung gestatten.502 Die Einstellung nach § 153b StPO darf nur erfolgen, wenn das Verfahren nicht schon nach § 170 Abs. 2 StPO einzustellen wäre.503 Demnach muss eine Anklageerhebung in Betracht kommen, also die Verurteilung des Beschuldigten mit Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein. Folglich ist § 153b StPO etwa bei Vorliegen persönlicher Strafaufhebungsgründe wie §§ 24, 31 oder 306e StGB ausgeschlossen.504 Darüber hinaus muss zum Zeitpunkt der Entscheidung bereits absehbar sein, dass sich das Gericht für ein Absehen von Strafe entscheiden würde, in diesem Fall nach § 46b Abs. 1 S. 4 StGB. Welche Anforderungen dabei an den Grad der Wahrscheinlichkeit zu stellen sind, wird unterschiedlich beurteilt. Nach überwiegender Auffassung besteht kein Anlass, mehr an Gewissheit zu verlangen als für die Beurteilung des hinreichenden Tatverdachts.505 Die Einstellung wird von der Staatsanwaltschaft in einer Abschlussverfügung vermerkt. Die Entscheidung erwächst jedoch nicht in 499  BT-Drucks. 16 / 6268, S.  13; Ostendorf: Strafprozessrecht, Rn. 486; Peglau wistra 2009, 409, 412; Kinzig, in: Schönke  /  Schröder: StGB, § 46b Rn. 25; von Heintschel-Heinegg, in: BeckOK-StGB, § 46b Rn. 23; Meyer-Goßner: StPO, § 153b Rn. 1; Streng, in: NK-StGB, § 46b Rn. 3; vgl. zu § 31 BtMG Pelchen / Bruns, in: Erbs / Kohlhaas: Strafrechtliche Nebengesetze, § 31 BtMG Rn. 8; Maier, in: MüKoStGB, § 31 BtMG Rn. 134 ff. 500  Pelchen / Bruns, in: Erbs  /  Kohlhaas: Strafrechtliche Nebengesetze, §  31 BtMGRn. 8; Körner StV 1984, 217, 220. 501  Schöch, in: AK-StPO, § 153b Rn. 4; Schoreit, in: KK-StPO, § 153b Rn. 3. 502  BayObLG NJW 1972, 696; Pfeiffer: StPO, § 153b Rn. 1. 503  Schoreit, in: KK-StPO, § 153b Rn. 3. 504  Beulke, in: Löwe / Rosenberg: StPO, § 153b Rn. 3; Pfeiffer: StPO, § 153b Rn. 1. 505  Schoreit, in: KK-StPO, § 153b Rn. 4; Beulke, in: Löwe  /  Rosenberg: StPO, § 153b Rn. 13; Schöch, in: AK-StPO, § 153b Rn. 5; Plöd, in: KMR-StPO, § 153b Rn. 4; Walther, in: Anwk-StPO, § 153b Rn. 4; einschränkend für die Konstellation eines Täter-Opfer-Ausgleichs Pfordte, in: Dölling / Duttge / Rössner: Gesamtes Strafrecht, § 153b StPO Rn. 2; a. A. Schmidt: StPO, § 153a Rn. 4, der insoweit Gewissheit verlangt.



B. Rechtsfolgen111

Rechtskraft und hat keinen Strafklageverbrauch i. S. v. Art. 103 Abs. 3 GG zur Folge. Gegebenenfalls können die Ermittlungen daher wieder aufgenommen werden.506 Das Absehen von der Anklageerhebung hat zudem keinen Einfluss auf die Möglichkeit zur Erhebung der Privatklage. Hierauf hat die Staatsanwaltschaft den Verletzten hinzuweisen.507 Sofern die Staatsanwaltschaft bereits Klage erhoben hat, kann das Gericht bis zum Beginn der Hauptverhandlung eine Verfahrenseinstellung nach § 153b Abs. 2 StPO beschließen. Hierzu bedarf es der Zustimmung des Angeschuldigten und der Staatsanwaltschaft, nicht jedoch des Nebenklägers. Anders als das Absehen von der Anklageerhebung nach Abs. 1 verfügt die Einstellung durch das Gericht über eingeschränkte Rechtskraftwirkung und bewirkt einen beschränkten Verbrauch der Strafklage. Das weitere Betreiben der Strafverfolgung kommt daher nur in Betracht, wenn neue Tatsachen oder Beweismittel bekannt werden, bei deren Kenntnis nicht von Strafe abgesehen worden wäre, da die Voraussetzungen des Absehens von Strafe nicht mehr vorliegen.508 Anders als im Rahmen des § 153a Abs. 2 StPO steht die beschränkte Rechtskraftwirkung bei § 153b Abs. 2 StPO nicht nur der Verfolgung als Vergehen, sondern auch als Verbrechen entgegen.509

XV. Anfechtung der Entscheidung Ein Urteil mit nach § 46b StGB abgeschwächter Rechtsfolge erwächst nach den allgemeinen Grundsätzen in Rechtskraft. Eine Anfechtung der Entscheidung kann allerdings nicht allein auf die Frage der Anwendung des § 46b StGB beschränkt werden.510 Eine Beschränkung auf einzelne Beschwerdepunkte kommt nach der sog. Trennbarkeitsformel nur hinsichtlich abtrennbarer Urteilsteile in Betracht, die unabhängig von dem nicht angefochtenen Teil rechtlich und tatsächlich selbständig beurteilt werden können, ohne eine Prüfung des übrigen Inhalts der Entscheidung notwendig zu machen.511 Hätte etwa § 46b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StGB zur Anwendung kommen 506  Pfeiffer: StPO, § 153b Rn. 2; Schoreit, in: KK-StPO, § 153b Rn. 5; Schöch, in: AK-StPO, § 153b Rn. 7. 507  Pfeiffer: StPO, § 153b Rn. 2. 508  Beulke, in: Löwe  /  Rosenberg: StPO, § 153b Rn. 21; Plöd, in: KMR-StPO, § 153b Rn. 10; Pfeiffer: StPO, § 153b Rn. 2; Schöch, in: AK-StPO, § 153b Rn. 12; Schoreit, in: KK-StPO, § 153b Rn. 11. 509  Schoreit, in: KK-StPO, § 153b Rn. 11; a. A. Ranft: Strafprozeßrecht, Rn. 1178 (Fn. 109). 510  Fischer: StGB, § 46b Rn. 33. 511  BGHSt 27,70,72; 29, 359, 364; Schäfer / Sander / van Gemmeren: Praxis der Strafzumessung, Rn. 724; Meyer-Goßner: StPO, § 318 Rn. 6,18; Ostendorf: Strafprozessrecht, Rn. 404.

112

2. Teil: Voraussetzungen und Rechtsfolgen

müssen, ist darüber hinaus zu berücksichtigen, dass die Aufklärungshilfe in die Gesamtabwägung über das Vorliegen eines minder schweren Falles nicht nur als allgemeiner strafmildernder Gesichtspunkt, sondern als vertypter Milderungsgrund einzubeziehen ist.512 Ist eine Rechtsmittelbeschränkung unwirksam, gilt das Rechtsmittel als in vollem Umfang eingelegt.513 Bei der Entscheidung, ob und in welcher Weise von der Strafmilderungsvorschrift des § 46b Abs. 1 StGB bei Vorliegen ihrer Voraussetzungen Gebrauch gemacht werden soll, steht dem Tatrichter ein Ermessensspielraum zu. Mit der Revision gerügt werden kann diesbezüglich daher nur das Vorliegen von Ermessensfehlern, etwa dass die Grenzen des zuerkannten Ermessens nicht eingehalten worden sind oder eine gänzlich unvertretbare Entscheidung getroffen wurde.514 Im Übrigen muss die Einschätzung des Tatrichters akzeptiert werden. Eine exakte Richtigkeitskontrolle in der Revisionsinstanz ist schon im Hinblick auf die Komplexität der Entscheidung nicht mehr möglich.515 Insoweit gilt auch für § 46b StGB: „Die besondere Natur der Kronzeugenregelung kann keinen Grund für weiterreichende revisionsgerichtliche Kontroll- und Eingriffsmöglichkeiten abgeben“.516 Es finden daher die allgemeinen Grundsätze der revisionsrechtlichen Rechtsprechung zur Überprüfung von Strafzumessungsentscheidungen des Tatrichters Anwendung. Rechtsfehlerhaft ist beispielsweise, wenn das Gericht bei der Ermessensentscheidung anstelle der notwendigen Gesamtbetrachtung nur einen einzelnen Gesichtspunkt heranzieht oder allein auf den Schuldumfang abstellt, ohne zugleich eine Abwägung mit dem Gewicht der Ermittlungshilfe vorzunehmen.517 Erst recht ist das Urteil fehlerhaft, wenn es überhaupt keine Feststellungen zu den Einzelheiten der Wissensoffenbarung enthält.518 Eine Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht aus § 244 Abs. 2 StPO kommt immer dann in Betracht, wenn das Urteil keine Ausführungen zum Vorliegen der Voraussetzungen des § 46b Abs. 1 StGB aufweist, obwohl sich das Gericht auf Grundlage des festgestellten Sachverhalts zu einer Erörterung gedrängt sehen müsste.519 Das gilt auch dann, wenn zwar grundsätzlich Ausführungen vorhanden sind, der Tatrichter jedoch sich aufdrän512  Vgl.

BGH StV 2012, 80, 81. 6, 229, 230; 21, 256, 258; Meyer-Goßner: StPO, § 318 Rn. 32. 514  Fischer: StGB, § 46b Rn. 25; Wolters, in: SK-StGB, § 46b Rn. 32. 515  Maier NStZ 2011, 151, 153; BGH NJW 1992, 989, 992. 516  So zu Art. 4 §§ 1 bis 3 KronzG BGH NJW 1992, 989, 992. 517  Maier NStZ 2011, 151, 153; vgl. BGH NJW 2002, 909; NStZ-RR 2010, 26. 518  BGH NStZ 2010, 443, 444; von Heintschel-Heinegg, in: BeckOK-StGB, § 46b Rn. 35. 519  BGH StV 2011, 74. 513  BGHSt



B. Rechtsfolgen113

gende Beweiserhebungen unterließ, er es etwa versäumte einen Staatsanwalt zu vernehmen, der aussagte, dass die Strafverfolgungsbehörden einen Mittäter ohne die Angaben des Angeklagten nicht hätten festnehmen können, oder er es unterließ, das Protokoll einer Haftbefehlsverkündung zu verlesen, aus dem sich ergeben hätte, dass der potenzielle Kronzeuge die Namen seiner bislang nicht bekannten Mittäter offenbarte.520 Ein beachtlicher Teil der im Rahmen der empirischen Untersuchung befragten Praktiker gab als Grund für die zurückhaltende Anwendung der Kronzeugenregelung an, dass § 46b StGB auch mehrere Jahre nach seinem Inkrafttreten noch vergleichsweise wenig bekannt sei.521 Es liegt daher nahe, dass die Rüge von Erörterungsmängeln im Hinblick auf § 46b StGB im Rechtsmittelverfahren an Bedeutung gewinnen wird.522 Gegen die Versagung der staatsanwaltschaftlichen Einstellung nach § 153b Abs. 1 StPO i. V. m. § 46b Abs. 1 S. 4 StGB gibt es kein Rechtsmittel.523 Umgekehrt ist bei einem Absehen von der Anklageerhebung das Klageerzwingungsverfahren gem. § 172 Abs. 2 S. 3 StPO ausgeschlossen. Auch die Ablehnung des Antrags auf gerichtliche Einstellung des Verfahrens gem. § 153b Abs. 2 StPO kann weder vom Angeschuldigten noch von der Staatsanwaltschaft angefochten werden.524 Eine ausdrückliche Regelung existiert nur für den Nebenkläger in § 400 Abs. 2 S. 2 StPO, während man eine entsprechende Bestimmung für die Staatsanwaltschaft oder den Angeschuldigten im Gesetzgebungsverfahren für überflüssig hielt.525 Auch ein erfolgter Einstellungsbeschluss ist grundsätzlich unanfechtbar. Eine Beschwerde gem. § 304 StPO kommt jedoch in Betracht, wenn das Gericht die Zustimmung der Staatsanwaltschaft oder des Angeschuldigten fälschlicherweise angenommen hatte.526

XVI. Keine Befugnisnorm zur Geheimnisoffenbarung § 46b StGB beinhaltet keine Befugnisnorm zur Offenbarung fremder Geheimnisse. Ein Strafverteidiger, der ihm durch seinen Mandanten anver520  BGH

StV 2011, 74. 7. Teil B. II. 4. a). 522  Vgl. etwa BGH StV 2012, 80. 523  Pfeiffer: StPO, § 153b Rn. 2. 524  BGHSt 10, 88, 92; Meyer-Goßner: StPO, § 153b Rn. 6; Plöd, in: KMR-StPO, § 153b Rn. 11; Beulke, in: Löwe / rosenberg: StPO, § 153b Rn. 20. 525  Schoreit, in: KK-StPO, § 153b Rn. 11. 526  BGHSt 10, 88, 91; Meyer-Goßner: StPO, § 153b Rn. 6; Schoreit, in: KK-StPO, § 153b Rn. 9; Beulke, in: Löwe / Rosenberg: StPO, § 153b Rn. 20; Plöd, in: KMRStPO, § 153b Rn. 11; Schmidt: StPO, § 153a Rn. 12. 521  Siehe

114

2. Teil: Voraussetzungen und Rechtsfolgen

traute Informationen an die Strafverfolgungsbehörden weitergibt, um die Vorteile des § 46b StGB zu erhalten, kann sich weiterhin gem. § 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB strafbar machen, sofern er nicht im Einzelfall nach den Grundsätzen der Pflichtenkollision gerechtfertigt ist.527 Eine Rechtfertigung der unerlaubten Weitergabe liegt insbesondere dann nahe, wenn sich der Verteidiger andernfalls selbst gem. § 138 StGB strafbar machen würde, da er durch seinen Mandanten Kenntnis von einer geplanten schweren Straftat erlangt hat. Bereits im Jahr 1955 entschied der BGH, dass das Interesse des Mandanten und die Forderung der Rechtspflege, dass ein Anwalt Schweigen über ihm beruflich anvertraute Geheimnisse zu bewahren hat, hinter dem Interesse des Verteidigers an seiner eigenen Straffreiheit zurücktreten müsse.528 Im Übrigen sind die infolge der Schweigepflicht eingeschränkten Möglichkeiten des Strafverteidigers zur Offenbarung des von seinem Mandanten erlangten Wissens seiner beruflichen Stellung geschuldet und folglich hinzunehmen.529 Dies gilt auch für die dadurch bedingte Einschränkung der Möglichkeit einer eigenen Inanspruchnahme der Kronzeugenregelung.

C. Behandlung von Altfällen: Die Übergangsbestimmung des § 316d EGStGB Das 43. StrÄndG trat mit Wirkung zum 1.9.2009 in Kraft. Für Altfälle, das heißt für vor dem 1.9.2009 begangene Taten enthält § 316d EGStGB eine Übergangsvorschrift. Hiernach sind § 46b StGB und § 31 BtMG n. F. nicht auf Verfahren anzuwenden, in denen vor dem 1.9.2009 die Eröffnung des Hauptverfahrens beschlossen worden ist. § 316d EGStGB normiert damit eine „Derogation des Meistbegünstigungsprinzips“,530 ohne dass sich daraus verfassungsrechtliche Bedenken ergeben: Nach § 2 Abs. 3 StGB ist die für den Täter im konkreten Fall günstigere Gesetzesfassung anzuwenden, wenn das bei Beendigung der Tat geltende Recht vor der Entscheidung geändert wird (sog. lex-mitior-Grundsatz).531 Das Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG ist dadurch nicht verletzt, da es keine Geltung beansprucht, soweit es sich zum Nachteil des Betroffenen auswirken würde.532 Dem lex-mitior-Grundsatz kommt indes kein Verfassungsrang zu, weshalb Neuheuser, in: MüKo-StGB, § 261 Rn. 103. MDR 1956, 625, 626 im Hinblick auf § 158 StGB. 529  Neuheuser, in: MüKo-StGB, § 261 Rn. 103. 530  BGH Beschluss vom 18.3.2010 – 3 StR 65 / 10 = NStZ 2010, 523, 524; Beschluss vom 27.4.2010 – 3 StR 79 / 10; Beschluss vom 15.3.2011 – 1 StR 75 / 11 = NStZ-RR 2011, 321, 322; Beschluss vom 3.5.2011 – 3 StR 123 / 11. 531  Hassemer / Kargl, in: NK-StGB, § 2 Rn. 16. 532  Siehe nur BGH NJW 1999, 1647. 527  Vgl.

528  BGH



C. Behandlung von Altfällen115

seine Anwendung durch eine ausdrückliche Regelung in einem Änderungsgesetz ausgeschlossen werden kann, welche dann § 2 Abs. 3 StGB als lex posterior vorgeht.533 Im Fall des 43. StrÄndG sollte damit insbesondere verhindert werden, dass in bereits rechtshängigen Verfahren, in denen der Täter vor Eröffnung des Hauptverfahrens Angaben i. S. d. § 46b StGB gemacht hat, Ermittlungen nachgeholt werden müssen und es zu erheblichen Verzögerungen oder gar einer Aussetzung des Verfahrens kommt. Zudem trägt die Übergangsbestimmung dem Umstand Rechnung, dass andernfalls bei bereits im Revisionsverfahren befindlichen Strafverfahren das Urteil gegebenenfalls wegen Verstoßes gegen das Meistbegünstigungsprinzips des § 2 Abs. 3 StGB aufgehoben werden müsste.534 Im Hinblick auf § 31 BtMG soll dem Gericht die schwierige Entscheidung erspart bleiben, ob die alte oder die neue Fassung im konkreten Einzelfall das „mildeste Gesetz“ i.  S.  d. §  2 Abs. 3 StGB ist, im Speziellen, ob eine Milderung nach § 49 Abs. 1 oder Abs. 2 StGB für den Betroffenen vorteilhafter ist.535 Der Gesetzgeber hat damit festgelegt, dass die neuen Regelungen nicht auf Altfälle anzuwenden sind, in denen die Straftat vor Inkrafttreten des 43. StrÄndG begangen, das Hauptverfahren jedoch vor dem Stichtag eröffnet worden ist. Dadurch bleibt kein Raum für das Missverständnis, § 46b StGB könne in bereits rechtshängigen Verfahren unter Außerachtlassung der Präklusionsbestimmung in Abs. 3 Anwendung finden.536 Probleme bereitet hingegen, wie mit Altfällen zu verfahren ist, in denen die Tatbegehung vor dem 1.9.2009, die Eröffnung des Hauptverfahrens jedoch erst am 1.9.2009 oder nach diesem Datum erfolgte. Hierzu enthält § 316d EGStGB keine ausdrückliche Feststellung. Damit stellt sich die Frage, ob für derlei Fälle entweder aus § 316d EGStGB im Umkehrschluss folgt, dass die Neuregelung stets anzuwenden ist, oder aber nach dem Meistbegünstigungsprinzip ein Vergleich der alten und der neuen Rechtslage im Einzelfall vorgenommen werden muss.537 Der BGH entschied mit überzeugender Argumentation entgegen der Auffassung der Landgerichte Krefeld und Osnabrück, dass aus § 316d EGStGB gerade nicht im Umkehrschluss gefolgert werden dürfe, dass in Altfällen, in 533  Eser in: Schönke  / Schröder: StGB, § 2 Rn. 16; vgl. BVerfG Beschluss vom 29.11.1989 – 2 BvR 1491  /  87; BVerfGE 81, 132, 136 f.; BGH, Beschluss vom 2.4.1996 – GSSt 2 / 95, BGHSt 42, 113, 120; Fischer: StGB, § 2 Rn. 12. 534  BT-Drucks. 16 / 6268, S.  17. 535  BT-Drucks. 16 / 6268, S.  17. 536  BT-Drucks. 16 / 6268, S.  17. 537  Siehe hierzu Winkler NStZ 2010, 685, 688; ders. jurisPR-StrafR 12 / 2010 Anm. 4.

116

2. Teil: Voraussetzungen und Rechtsfolgen

denen das Hauptverfahren nach dem 1.9.2009 eröffnet worden ist, § 46b StGB und § 31 BtMG n. F. ohne Weiteres anzuwenden sind. Es gelten stattdessen die allgemeinen Regeln der §§ 1, 2 Abs. 1 StGB, wonach grundsätzlich das zur Tatzeit geltende Recht Anwendung findet, sofern nicht das neuere Recht eine in seiner Gesamtheit günstigere Regelung darstellt und daher entsprechend dem Meistbegünstigungsprinzip (§ 2 Abs. 3 StGB) angewendet werden muss.538 Der Wortlaut der Gesetzesbegründung („Für Strafverfahren, in denen bei Inkrafttreten noch kein Eröffnungsbeschluss ergangen ist, ist § 46b StGB-E hingegen anwendbar“)539 beschreibt nur die bestehende Möglichkeit einer Anwendung; ihm lässt sich somit kein gesetzgeberischer Wille entnehmen, einen Anwendungsautomatismus hinsichtlich der §§ 46b StGB, 31 BtMG n. F. zu integrieren. Zudem verstieße die Übergangsvorschrift bei zutreffender Interpretation der Landgerichte gegen Art. 103 Abs. 2 GG, da das insoweit mit Verfassungsrang ausgestattete Rückwirkungsverbot in § 2 Abs. 1 StGB dann durch § 316d EGStGB eine Derogation erführe.540 Zusammengefasst bedeutet dies: •• Erfolgten sowohl die Tatbegehung als auch der Eröffnungsbeschluss vor dem Stichtag des 1.9.2009 ist wegen § 316d EGStGB die Anwendung der §§ 46b StGB, 31 BtMG n. F. ausgeschlossen. •• Erfolgten sowohl die Begehung der Tat als auch der Eröffnungsbeschluss am oder nach dem Stichtag des 1.9.2009, ist zwingend die neue Rechtslage anzuwenden. Zu diesem Ergebnis gelangt man auch, wenn die Tatbegehung durch den Angeklagten vor dem 1.9.2009 begann, die Tat jedoch erst nach dem Stichtag beendet wurde. Denn dann ist für die rechtliche Beurteilung gem. § 2 Abs. 2 StGB der Beendigungszeitpunkt maßgeblich.541 •• Endete die Tatbegehung vor dem 1.9.2009, wurde der Eröffnungsbeschluss jedoch erst am oder nach diesem Stichtag erlassen, greift kein Automatismus, der zur Anwendung der §§ 46b StGB, 31 BtMG n. F. zwingt. Vielmehr ist zu untersuchen, welches Gesetz im konkreten Einzelfall das in seiner Gesamtheit mildere darstellt. Wie die Beschlüsse zu § 316d EGStGB zeigen, ist letztere Konstellation jedenfalls für eine gewisse Übergangszeit durchaus von praktischer Rele538  BGH NStZ-RR 2011, 321, 322; NStZ 2010, 523, 524; Beschluss vom 27.4.2010 – 3 StR 79 / 10; vgl. Detter NStZ 2010, 560, 562. 539  BT-Drucks. 16 / 6268, S.  17. 540  BGH Beschluss vom 18.3.2010 – 3 StR 65 / 10 = NStZ 2010, 523, 524; BGH Beschluss vom 27.4.2010 – 3 StR 79 / 10; Winkler jurisPR-StrafR 12 / 2010 Anm.  4. 541  BGH Beschluss vom 15.3.2011 – 1 StR 75 / 11 = NStZ-RR 2011, 321, 322.



C. Behandlung von Altfällen117

vanz. Zwar wird sich in Deliktsbereichen, in denen es bislang keine Kronzeugenregelung gab, ohnehin regelmäßig die neue Rechtslage als die für den Betroffenen günstigere erweisen, da sie gegebenenfalls eine Milderung oder ein Absehen von Strafe nach § 46b StGB ermöglicht. Im Anwendungsbereich der §§ 31 BtMG a. F., 261 Abs. 10 StGB hingegen kann eine Prüfung im Einzelfall notwendig sein.542 Insbesondere § 31 BtMG a. F. wird sich gegenüber der Neufassung als günstiger erweisen, wenn sich der Angeklagte erstmalig in der Hauptverhandlung offenbarte, sodass nach neuer Rechtslage die Präklusionsvorschrift des § 31 S. 2 BtMG i.  V. m. § 46b Abs. 3 StGB eine Anwendung der Kronzeugenregelung verhindert. Obwohl sich der Gesetzgeber mit der Übergangsregelung gerade um die Vermeidung dieser Abgrenzung bemüht hatte, kann hier die Frage bedeutsam werden, ob eine Milderung gem. § 49 Abs. 1 oder Abs. 2 StGB im konkreten Fall für den Angeklagten vorteilhafter ist. Günstiger ist regelmäßig die Milderung nach § 49 Abs. 2 StGB, da die Vorschrift eine umfangmäßig unbegrenzte Milderung vorsieht, welche ausnahmslos dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts unterstellt ist, das sogar bis zum gesetzlichen Mindestmaß (s. § 38 Abs. 2 StGB) der Strafe herabgehen und statt Freiheitsstrafe auch auf Geldstrafe erkennen kann.543 Umgekehrt kann die Milderungsmöglichkeit nach § 49 Abs. 1 StGB ausnahmsweise als günstiger anzusehen sein, wenn sich die vom Täter ansonsten verwirkte Strafe so nah am gesetzlichen Höchstmaß befindet, dass einer Absenkung der Strafobergrenze gem. § 49 Abs. 1 Nr. 2 StGB besondere Bedeutung zukommt.544

542  BGH NStZ 2010, 523, 524; von Heintschel-Heinegg, in: BeckOK-StGB, § 46b Rn. 36; Detter NStZ 2010, 560, 562. 543  von Heintschel-Heinegg, in: BeckOK-StGB, § 49 Rn. 10. 544  BT-Drucks. 16 / 6268, S.  15.

3. Teil

Verhältnis zu anderen Rechtsnormen Nach der bislang weitgehend isolierten Betrachtung des § 46b StGB stellt sich die Frage, wie sich die allgemeine Kronzeugenregelung in das bestehende Strafrechtssystem einfügt. Zu klären ist insbesondere, in welchem Verhältnis die teils sogar als „dritte Säule des Strafzumessungsrechts“1 bezeichnete Vorschrift zu den bereichsspezifischen „kleinen“ Kronzeugenregelungen und den ebenfalls seit 2009 geltenden Vorschriften zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren steht.

A. Verhältnis zu § 261 Abs. 10 StGB a. F. Der Gesetzgeber war darum bemüht, inhaltliche Überschneidungen und damit die Gefahr von Widersprüchen und Anwendungsschwierigkeiten nach Möglichkeit zu vermeiden.2 Infolgedessen wurde zunächst die bisher in § 261 Abs. 10 StGB a. F. vorgesehene, an § 31 BtMG angelehnte „kleine“ Kronzeugenregelung3 für den Bereich der Geldwäsche gestrichen. Grund hierfür war neben der zurückhaltenden Anwendung in der Praxis vor allem der Umstand, dass § 46b StGB in seinem weiten Anwendungsbereich die meisten denkbaren Anwendungsfälle des § 261 Abs. 10 StGB a. F. miteinschließt: § 46b StGB erfasst Angaben des Kronzeugen zu den Straftatbeständen der Geldwäsche und der Verschleierung unrechtmäßig erlangter Vermögenswerte nach § 261 Abs. 1, 2 und 4 StGB (siehe § 100a Abs. 2 Nr. 1 lit. m StPO). Zudem enthält der Katalog des § 100a Abs. 2 StPO auch die meisten der in § 261 Abs. 1 StGB genannten Vortaten. Darüber hinaus zählen die mit im Mindestmaß erhöhter Freiheitsstrafe bedrohten Straftatbestände in § 261 Abs. 1, 2 und 4 StGB zu den möglichen Anlasstaten des § 46b StGB.4 Auch wenn der Regelungsinhalt des § 261 Abs. 10 StGB a. F. somit durch § 46b StGB größtenteils ersetzt worden ist,5 bleiben einige seltene Fälle übrig, die bislang von § 261 Abs. 10 StGB a. F. geregelt, 1  Salditt

StV 2009, 375 ff. 16 / 6268, S.  14 f. 3  Neuheuser, in: MüKo-StGB, § 261 Rn. 102. 4  Zum Ganzen BT-Drucks. 16 / 6268, S. 16. 5  Nestler, in: Herzog: Geldwäschegesetz, § 261 StGB Rn. 141. 2  BT-Drucks.



B. Verhältnis zu §§ 129 Abs. 6 Nr. 2, 129a Abs. 7 StGB119

nunmehr aber von keiner Kronzeugenregelung im engeren Sinne erfasst sind, sodass sie allenfalls über § 46 StGB sowie die §§ 153 ff. StPO honoriert werden können. So kann der Täter einer leichtfertigen Geldwäsche nach § 261 Abs. 5 StGB kein Kronzeuge i. S. d. § 46b StGB sein und ebenso wenig derjenige, der nur über Wissen hinsichtlich von § 100a Abs. 2 StPO nicht erfasster Taten verfügt.6 § 261 Abs. 10 StGB a. F. findet nur noch Anwendung auf Altfälle, in denen das Hauptverfahren vor dem 1.9.2009 beschlossen worden ist (§ 316d EGStGB).7 Bei Altfällen, in denen die Tatbegehung vor dem 1.9.2009 abgeschlossen, das Hauptverfahren jedoch erst am oder nach dem Stichtag eröffnet worden ist, kann im Einzelfall nach dem Meistbegünstigungsprinzip ein Rückgriff auf § 261 Abs. 10 StGB a. F. geboten sein, wenn sich seine Rechtsfolgen als günstiger erweisen – etwa weil § 46b StGB bei der leichtfertigen Geldwäsche nicht anwendbar ist.

B. Verhältnis zu §§ 129 Abs. 6 Nr. 2, 129a Abs. 7 StGB Nach Aufhebung des § 261 Abs. 10 StGB a. F. kann sich eine Konkurrenz mehrerer Kronzeugenregelungen nur noch im Verhältnis des § 46b StGB zu den §§ 129 Abs. 6 Nr. 2, 129a Abs. 7 StGB sowie zu § 31 BtMG n. F. ergeben.8 Bei einem Aufeinandertreffen bestimmt sich das Verhältnis dieser Normen nach dem allgemeinen Grundsatz des Vorrangs der jeweiligen Spezialregelung. Auf die allgemeine Regelung in § 46b StGB kann zurückgegriffen werden, soweit die lex specialis den konkreten Sachverhalt nicht erfasst oder, im Fall einer echten Überschneidung, gegebenenfalls die Anwendung des § 46b StGB im Einzelfall günstiger sein sollte als die der Spezialregelung (sog. Günstigkeitsprinzip).9 Die bereichsspezifischen „kleinen“ Kronzeugenregelungen10 der § 129 Abs. 6 Nr. 2 StGB und § 129a Abs. 7 StGB blieben durch das 43. StrÄndG unberührt. Zum Teil wird diesen Vorschriften die Rechtsnatur eines Falles tätiger Reue bei vollendeter Tat zugesprochen.11 Zutreffend erscheint demgegenüber die Einordnung als Spezialvorschrift, welche Elemente einer 6  BT-Drucks.

16 / 6268, S.  16. in: Schönke / Schröder: StGB, § 261 Rn. 30. 8  Wolters, in: SK-StGB, § 46b Rn. 40; von Heintschel-Heinegg: StGB, § 46b Rn. 32; Fischer: StGB, § 46b Rn. 32; Streng, in: NK-StGB, § 46b Rn. 14. 9  BT-Drucks. 16  / 6268, S: 15; Fischer: StGB, § 46b Rn. 32; vgl. auch BGHSt 33, 92; BGH NStZ 1999, 610; Fischer: StGB, § 50 Rn. 5. 10  BT-Drucks. 16 / 6268, S.  15; Bernsmann JZ 1988, 539, 541; Peglau ZRP 2001, 103; Rudolphi / Stein, in: SK-StGB, § 129 Rn. 25; Lackner / Kühl: StGB. § 129 Rn. 12. 11  Ostendorf, in: NK-StGB, § 129 Rn. 35; Fischer: StGB, § 129 Rn. 44. 7  Stree / Hecker,

120

3. Teil: Verhältnis zu anderen Rechtsnormen

Kronzeugenregelung und der tätigen Reue miteinander kombiniert.12 Diese unterschiedliche terminologische Zuordnung bleibt letztlich jedoch für die Anwendung der Norm und ihr Verhältnis zu § 46b StGB ohne Auswirkungen.13 Wie bei § 46b StGB muss die der Offenbarung zugrunde liegende Motivation nicht in einer „inneren Umkehr“ bestehen, sondern kann auch durch das „pragmatische Motiv der Inanspruchnahme der in Aussicht gestellten Strafvergünstigung geprägt“ sein.14 Eine Überschneidung der Anwendungsbereiche von § 46b StGB und den §§ 129 Abs. 6 Nr. 2, 129a Abs. 7 StGB scheidet von vornherein aus, wo Aufklärungshilfe geleistet wurde, da letzere Vorschriften nur die Hilfe zur Verhinderung zukünftiger Straftaten erfassen. Auch ist eine echte Konkurrenz selten, weil § 46b StGB über strengere formelle Voraussetzungen verfügt. So ist etwa § 129 Abs. 1 StGB nicht mit im Mindestmaß erhöhter Freiheitsstrafe bedroht und scheidet damit als Anlasstat i. S. d. § 46b StGB aus. Im Übrigen stimmen der Wortlaut des § 129 Abs. 6 Nr. 2 StGB und des § 46b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StGB jedoch weitgehend überein. Inhaltliche Überschneidungen können sich somit bei Präventionshilfe eines Täters nach § 129 Abs. 4 oder § 129a Abs. 1 bis 5 StGB hinsichtlich einer Katalogtat i. S. d. § 100a Abs. 2 StPO der kriminellen oder terroristischen Vereinigung ergeben. Sind die Voraussetzungen sowohl des § 129 Abs. 6 Nr. 2 StGB (i. V. m. § 129 Abs. 7 StGB) als auch der neuen „großen“ Kronzeugenregelung erfüllt, bestimmt sich die Beurteilung der Präventionshilfe grundsätzlich nach der spezielleren Regelung in § 129 Abs. 6 Nr. 2, auch i. V. m. § 129a Abs. 7 StGB.15 Ein Rückgriff auf die allgemeine Regelung in § 46b StGB bleibt möglich, wenn deren Anwendung im Einzelfall für den Offenbarenden ausnahmsweise günstiger sein sollte. Regelmäßig wird jedoch die Rechtsfolge des § 129 Abs. 6 Nr. 2 StGB vorteilhafter sein, da ein Absehen von Strafe nicht von der ansonsten verwirkten Strafe abhängig gemacht wird (s. aber § 46b Abs. 1 S. 4 StGB) und sich die Milderung nach § 49 Abs. 1 StGB nur im Ausnahmefall gegenüber der Milderung nach § 49 Abs. 2 StGB als günstiger erweist.16 12  BT-Drucks. 16 / 6268, S.  15; Miebach / Schäfer, in: MüKo-StGB, § 129 Rn. 128; Krauß, in: LK-StGB, § 129 Rn. 179. 13  Zum Ganzen vgl. Lenckner / Sternberg-Lieben, in: Schönke  /  Schröder: StGB, § 129 Rn. 18a. 14  Lenckner / Sternberg-Lieben, in: Schönke / Schröder: StGB, § 129 Rn. 18a. 15  BT-Drucks. 16 / 6268, S.  15. 16  BT-Drucks. 16 / 6268, S. 14; vgl. BT-Drucks. 11 / 2834, S. 13 f.; Streng, in: NKStGB, § 46b Rn. 14; Lenckner / Sternberg-Lieben, in: Schönke / Schröder: StGB, § 129 Rn. 18a.



C. Verhältnis zu § 31 BtMG n. F.121

C. Verhältnis zu § 31 BtMG n. F. Die „kleine“ Kronzeugenregelung in § 31 BtMG wurde durch das 43. StrÄndG in mehrfacher Hinsicht reformiert. Zum einen sieht § 31 S. 1 BtMG n. F. auf Rechtsfolgenseite an Stelle des bisherigen Verweises auf § 49 Abs. 2 StGB nunmehr die Möglichkeit einer Strafmilderung nach § 49 Abs. 1 StGB vor. Während zuvor im Fall der Milderung ein Herabgehen bis zur gesetzlichen Mindeststrafe gem. § 49 Abs. 2 StGB sowie ein Absehen von Strafe möglich waren, werden von nun an nach § 49 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 StGB sowohl Höchst- als auch Mindeststrafe gesenkt. Ein Übergang auf eine andere Strafart, wie er in § 49 Abs. 2 StGB ausdrücklich zugelassen ist, kommt bei Delikten, die ausschließlich mit Freiheitsstrafe bedroht sind, nur noch über § 47 Abs. 2 StGB in Betracht. Ein Absehen von Strafe beschränkt sich nicht mehr auf die Straftatbestände der § 29 Abs. 1, 2, 4 oder 6 BtMG und ist damit auch bei Verbrechen möglich, jedoch nur, solange der Täter keine Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren verwirkt hat (§ 46b Abs. 1 S. 4 StGB). Darüber hinaus wurden die Abwägungsklausel in § 46b Abs. 2 StGB sowie die Präklusionsbestimmung in § 46b Abs. 3 StGB für entsprechend anwendbar erklärt. Die Abwägungsparameter des § 46b Abs. 2 StGB wurden im Wesentlichen der bisherigen gerichtlichen Praxis des § 31 BtMG entnommen17 und haben insoweit für den Bereich des Betäubungsmittelstrafrechts „nur“ eine gesetzliche Klarstellung erhalten. Die bedeutsameren Neuerungen liegen in der zeitlichen Ausschlussfrist für Offenbarungen bis spätestens zum Erlass des Eröffnungsbeschlusses sowie in der abgewandelten Rechtsfolge. Bei den Veränderungen handelte es sich um Angleichungen an § 46b StGB, durch die inhaltlichen Wertungswidersprüchen, Überschneidungen und Anwendungsschwierigkeiten vorgebeugt werden sollte.18 § 31 BtMG gilt als spezielle Strafzumessungsnorm nur bei Verfahren wegen Betäubungsmittelstraftaten. Die Frage, ob § 31 BtMG darüber hinaus auf andere Delikte analog angewendet werden darf, hat sich mit Einführung des § 46b StGB erledigt.19 Im Hinblick auf die Anlasstat überschneiden sich die Anwendungsbereiche von § 46b StGB und § 31 BtMG sich immer dann, wenn der potenzielle Kronzeuge eine Straftat nach den §§ 29 ff. BtMG begangen hat, bei der es sich zugleich um eine mit im Mindestmaß erhöhter Freiheitsstrafe bedrohte Straftat i. S. d. § 46b Abs. 1 S. 1 StGB handelt. Hinsichtlich der Bezugstat ergeben sich Überschneidungen mit § 31 BtMG über § 46b Abs. 1 StGB i. V. m. § 100a Abs. 2 Nr. 7 StPO. Einen überschneiBT-Drucks. 16 / 6268, S. 16; Malek StV 2010, 200, 202. 16 / 6268, S. 14 f., 16. 19  Patzak, in: Körner: BtMG, § 31 Rn. 12; vgl. ablehnend zu der Frage einer Analogie im Hinblick auf § 250 StGB BGH NStZ 2005, 155. 17  Vgl.

18  BT-Drucks.

122

3. Teil: Verhältnis zu anderen Rechtsnormen

dungsfreien Anwendungsbereich hat § 31 BtMG im Bereich der einfachen Betäubungsmittelkriminalität, soweit es sich um Straftaten handelt, für die das Gesetz als Mindeststrafe nur Geldstrafe oder nicht im Mindestmaß erhöhte Freiheitsstrafe vorsieht (vgl. § 29 Abs. 1, 2, 4 BtMG). Leistet der wegen eines Betäubungsmitteldeliktes oder einer anderen Straftat Beschuldigte Ermittlungshilfe hinsichtlich einer Tat außerhalb des BtMG, gilt § 46b StGB.20 Sind im konkreten Fall die Voraussetzungen beider Normen erfüllt, geht § 31 BtMG n. F. einer Anwendung der allgemeineren Regelung in § 46b StGB grundsätzlich als lex specialis vor.21 Bislang wurde das Zusammenspiel der beiden Kronzeugenregelungen auch durch das Verhältnis zwischen der Anlass- und der Bezugstat bestimmt. Dem § 31 BtMG wurde nach der ständigen Rechtsprechung des BGH nicht der prozessuale Tatbegriff des § 264 StPO zugrunde gelegt. In den Genuss der Vorteile der „kleinen“ Kronzeugenregelung sollte auch kommen können, wer zur Aufklärung oder Verhinderung von Teilen der Tat oder weiteren selbstständigen Taten anderer Personen beiträgt, ohne dass er an ihnen selbst beteiligt war.22 Dasselbe galt für Taten, die zwar unter seiner Beteiligung begangen wurden, jedoch nicht Gegenstand der Anklage waren.23 Voraussetzung war nur, dass die Anlasstat des Kronzeugen mit der Bezugstat in Zusammenhang stand.24 Hingegen zeichnete sich § 46b StGB in seiner ursprünglichen Fassung nach dem 43. StrÄndG insbesondere dadurch aus, dass ein Zusammenhang zwischen Anlass- und Bezugstat gerade nicht erforderlich war. § 46b StGB sollte daher nach dem Willen des Gesetzgeber anstelle von § 31 BtMG zur Anwendung gelangen, wenn die „kleine“ Kronzeugenregelung zwar grundsätzlich einschlägig war, jedoch aufgrund fehlender Konnexität ausscheiden musste.25 In der Kommentarliteratur gelangte man aber zu der Auffassung, die von der Rechtsprechung praktizierte weite Auslegung des Tatbegriffs in § 31 S. 1 Nr. 1 BtMG habe sich mit Einführung des § 46b StGB erübrigt, denn die Fälle der fehlenden Tatbeteiligung des Kronzeugen an der Bezugstat könnten nunmehr über die allgemeine Regelung berücksichtigt werden. § 31 S. 1 Nr. 1 BtMG sei daher nur 20  Maier, in: MüKo-StGB, §  46b Rn. 136; Patzak, in: Körner: BtMG, § 31 Rn. 12. 21  BT-Drucks. 16 / 6268, S.  15; Hügel / Junge / Lander / Winkler: Deutsches Betäubungsmittelrecht, § 31 BtMG Rn. 3.2.2; Patzak, in: Körner: BtMG, § 31 Rn. 12. 22  Patzak, in: Körner: BtMG, § 31 Rn. 61. 23  Patzak, in: Körner: BtMG, § 31 Rn. 61. 24  Vgl. BGH Urteil vom 20.2.1991 – 2 StR 608  / 90; Beschluss vom 2.11.1993 – 1 StR 602 / 93; Beschluss vom 15.3.1995 – 3 StR 77 / 95. 25  Vgl. BT-Drucks. 16 / 6268, S. 15: „Für den Drogenhändler, der ein Menschenhandelsdelikt offenbart, ist also trotz der besonderen Regelung des § 31 BtMG der Anwendungsbereich des § 46b StGB-E eröffnet.“



D. Verhältnis zur tätigen Reue123

noch einschlägig, wenn der Kronzeuge selbst an der von ihm über den eigenen Tatbeitrag hinaus aufgedeckten Tat beteiligt sei.26 Parallel zu der ausdrücklichen Aufnahme eines Konnexitätserfordernisses in § 46b StGB wurde jedoch aus Klarstellungsgründen und zur Vermeidung von ungewollten Umkehrschlüssen auch der Wortlaut des § 31 S. 1 Nr. 1 BtMG so gefasst, dass es sich bei der Bezugstat um eine Straftat nach den §§ 29 bis 30a BtMG handeln muss, die mit der eigenen Tat des Kronzeugen „im Zusammenhang steht“.27 Zudem wird nach § 31 S. 1 BtMG der dem § 46b Abs. 1 S. 3 StGB entsprechende Satz eingefügt „War der Täter an der Tat beteiligt, muss sich sein Beitrag zur Aufklärung nach Satz 1 Nummer 1 über den eigenen Tatbeitrag hinaus erstrecken“. Hieraus folgt, dass eine eigene Beteiligung des Aufklärungsgehilfen an der Bezugstat auch im Rahmen des § 31 BtMG n. F. nicht zu den Anwendungsvoraussetzungen gehört. Bei Fehlen eines Zusammenhangs zwischen Anlass- und Bezugstat scheiden zukünftig sowohl § 31 BtMG als auch § 46b StGB aus. Wird einem Täter ein Betäubungsmitteldelikt vorgeworfen und leistet diese Person mehrfach Ermittlungshilfe sowohl zu einer tauglichen Bezugstat nach § 31 BtMG als auch nach § 46b StGB, hat das Gericht die Möglichkeit einer doppelten Strafrahmenmilderung nach beiden Vorschriften zu prüfen.28 Selbstverständlich gilt dies nur, wenn auch das Merkmal des Zusammenhangs in beiden Fällen gegeben ist. Die Übergangsbestimmung für Altfälle in § 316d EGStGB gilt gleichermaßen für § 46b StGB und die neue Fassung des § 31 BtMG. § 31 BtMG n. F. findet demnach keine Anwendung auf Altfälle, bei denen die Eröffnung des Hauptverfahrens vor dem Stichtag des 1.9.2009 beschlossen worden ist. In Altfällen jedoch, bei denen die Tatzeit vor, die Eröffnung aber erst nach dem 1.9.2009 liegt, ist zu prüfen, ob im Einzelfall eine Milderung nach § 49 Abs. 1 (i. V. m. § 31 BtMG n. F.) oder Abs. 2 StGB (i. V. m. § 31 BtMG a. F.) die für den Angeklagten günstigere Variante wäre.29

D. Verhältnis zur tätigen Reue Gelegentlich kann auch eine Überschneidung von § 46b StGB mit Vorschriften über tätige Reue auftreten, z. B. § 98 Abs. 2 StGB. Ein gleichzei26  Patzak, in: Körner: BtMG, § 31 Rn. 13 und 62; Hügel / Junge / Lander / Winkler: Deutsches Betäubungsmittelrecht, § 31 Rn. 3.2.2. 27  Siehe BT-Drucks. 17 / 9695. 28  Vgl.  Maier, in: MüKo-StGB, § 46b Rn. 137. 29  Siehe BGH Beschluss vom 3.5.2011 – 3 StR 123 / 11; vgl. Detter NStZ 2010, 560, 562; Winkler NStZ 2010, 685, 688.

124

3. Teil: Verhältnis zu anderen Rechtsnormen

tiges Vorliegen der Voraussetzungen kommt beispielsweise in Betracht, wenn sich der Täter einer landesverräterischen Agententätigkeit in einem besonders schweren Fall einer Dienststelle offenbart, da dann mit § 98 Abs. 1 S. 2 StGB eine mit im Mindestmaß erhöhter Freiheitsstrafe bedrohte Anlasstat i. S. d. § 46 Abs. 1 S. 1 StGB vorliegt. Auch insoweit wäre § 98 Abs. 2 StGB als Spezialregelung vorrangig zu berücksichtigen, soweit § 46b StGB nicht doch im Einzelfall die günstigere Milderungsmöglichkeit bereithält.30

E. Verhältnis zu § 138 StGB „Straftheoretisch unklar“31 ist das Verhältnis der Kronzeugenregelung zu § 138 StGB. § 46b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StGB verweist pauschal auf den Straftatenkatalog in § 100a Abs. 2 StPO. Hierin finden sich zahlreiche Tatbestände, die gleichzeitig zu den Delikten zählen, deren Nichtanzeige der Gesetzgeber in § 138 Abs. 1 StGB unter Strafe gestellt hat.32 Die dort aufgezählten schweren Straftaten hat grundsätzlich jedermann gegenüber einer Behörde oder dem Bedrohten anzuzeigen, sofern er zu einer Zeit, zu der die Ausführung oder der Erfolg noch abgewendet werden kann, glaubhaft von ihrer Planung erfährt. Wird die Anzeige dennoch unterlassen, droht eine Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe. Es stellt sich nunmehr folgendes Problem: Die Voraussetzungen für eine Strafmilderung bzw. ein Absehen von Strafe gem. § 46b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StGB können auch dann vorliegen, wenn der Täter Präventionshilfe zu einer Tat leistet, zu deren Anzeige er ohnehin nach § 138 Abs. 1 StGB verpflichtet wäre. Der Fall ist unproblematisch, wenn eine eigene Tatbeteiligung des Kronzeugen an der offenbarten Tat vorliegt. Denn nicht gem. § 138 StGB anzeigepflichtig ist, wer an der geplanten Straftat selbst oder ihrer Vorbereitung und Planung beteiligt gewesen ist. Erforderlich ist vielmehr, dass es sich um eine für den Täter fremde Tat handelt;33 eine 30  BT-Drucks.

16 / 6268, S.  15. in: NK-StGB, § 46b Rn. 6; vgl. auch Fischer: StGB, § 46b Rn. 17 („merkwürdige Ungereimtheit“). 32  Nämlich §§ 80 bis 82, 89a, 94, 129a, 129b, 146, 151, 152, 152b Abs. 1 bis 3, 212, 211, 232 Abs. 3 bis 5, 234, 234a, 239, 239b, 249, 251, 255, 306 bis 306c, 307 Abs. 1 bis 3, 308 Abs. 1 bis 3, 309 Abs. 1 bis 4, 310 Abs. 1, 313, 314, 315 Abs. 3, 315b Abs. 3, 316a, 316c StGB, §§ 6–12 Völkerstrafgesetzbuch; vgl. Wolters, in: SKStGB, § 46b Rn. 12 (Fn. 27). 33  Streng, in: NK-StGB, § 46b Rn. 6; vgl. RGSt 60, 256; 73, 59 f.; BGH NJW 1989, 2760, 2761; NStZ 1982, 244; Ostendorf, in: NK-StGB, § 138 Rn. 6; Heuchemer, in: MüKo-StGB, § 138 Rn. 19; Sternberg-Lieben, in: Schönke / Schröder: StGB, §  138 Rn.  20 / 21; Hanack, in: LK-StGB, § 138 Rn. 42 ff.; Lackner / Kühl: StGB, § 138 Rn. 6; a. A.: Rudolphi / Stein, in: SK-StGB, § 138 Rn. 5. 31  Streng,



E. Verhältnis zu § 138 StGB125

andere Deutung des insoweit offenen Wortlauts verstieße gegen das Selbstbegünstigungsprinzip.34 Praktische Ungereimtheiten ergeben sich insbesondere im Fall der Präventionshilfe zu Straftaten nach §§ 129a, 129b StGB: Hier normiert § 138 Abs. 2 StGB sogar eine Pflicht zur unverzüglichen Offenbarung, also zur Offenbarung ohne schuldhaftes Zögern, während § 46b Abs. 3 StGB lediglich eine Offenbarung bis zum Erlass des Eröffnungsbeschlusses verlangt.35 Schuldhaft zögernde Präventionsgehilfen müssen sich im Zeitfenster vor Eröffnung des Hauptverfahrens fragen, ob sich die Chance auf eine mildere Bestrafung überhaupt noch lohnt, wenn sie sich gleichzeitig einer Strafverfolgung gem. § 138 Abs. 2 StGB aussetzen. Entschließt sich der wegen einer tauglichen Anlasstat Beschuldigte nach längerer Bedenkzeit zu einer Aussage, müsste die Vernehmung unterbrochen und der Beschuldigte über sein Aussageverweigerungs- und Verteidigerkonsultationsrecht belehrt werden, da der Verdacht einer Straftat nach § 138 Abs. 2 StGB entsteht. Dies brächte den an sich Aussagewilligen aller Wahrscheinlichkeit nach wieder zum Verstummen. Unterlässt die Vernehmungsperson den Hinweis jedoch, greift hinsichtlich der daraufhin gemachten Angaben ein Verwertungsverbot.36 Soweit § 46b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StGB es also einem Täter ermöglicht, durch Erfüllung einer jedermann obliegenden Staatsbürgerpflicht einen Strafnachlass zu verdienen, liegt hierin ein auffälliger Widerspruch zur gesetzlichen Wertung des § 138 StGB.37 Indem die Nichtvornahme unter Strafe gestellt wird, signalisiert das Gesetz gewissermaßen die Selbstverständlichkeit des gesetzlich gebotenen Verhaltens. Dass nunmehr an anderer Stelle für Straftäter aus dem Bereich mittlerer und schwerer Kriminalität besondere Belohnungen für die Erfüllung dieser Verpflichtung geschaffen werden, ist insoweit nur schwer nachvollziehbar. Der Entwurf stützt sich offenbar auf die Erwartung, dass Täter einer Straftat i. S. d. § 46b Abs. 1 S. 1 StGB zu einer Personengruppe gehören, in der sich überdurchschnittlich viele Mitwisser geplanter schwerer Straftaten befinden.38 Zum Teil wird versucht, Bedenken gegen die Systemverträglichkeit mit dem Hinweis auf eine grundsätzliche Inkongruenz der Pflichten auszuräu34  Ostendorf,

in: NK-StGB, § 138 Rn. 6. in: Schönke  /  Schröder: StGB, §  46b Rn.  2; vgl. Heuchemer, in: BeckOK-StGB, § 138 Rn. 26. 36  Dierlamm: Stellungnahme im Rechtsausschuss, S. 5. 37  Wie hier Fischer: StGB, § 46b Rn. 17; Wolters, in: SK-StGB, § 46b Rn. 12; König NJW 2009, 2481, 2483; Streng, in: NK-StGB, § 46b Rn. 6; Dierlamm: Protokoll der 133. Sitzung des Rechtsausschusses vom 25.3.2009, S. 6; a. A. Kaspar /  Wengenroth GA 2010, 453, 456. 38  Fischer: StGB, § 46b Rn. 17. 35  Kinzig,

126

3. Teil: Verhältnis zu anderen Rechtsnormen

men, die sich daraus ergeben soll, dass sich der Kronzeuge der gesteigerten Gefahr von Racheakten aussetze. Die Situation sei mit der in § 46a Nr. 2 StGB vergleichbar, in welcher der Täter zwar nur zivilrechtlichen Pflichten nachkomme, dies für ihn jedoch mit „erheblichen persönlichen Leistungen“ oder „persönlichem Verzicht“ verbunden sei.39 Gegen diesen Vergleich spricht schon, dass in beiden Alternativen des § 46a StGB mehr als nur materielle Schadensbeseitigung geleistet werden muss.40 Die Rechtsprechung betont im Hinblick auf § 46a Nr. 2 StGB, dass eine „Übernahme von Verantwortung“ erkennbar sein müsse.41 Hingegen gehört es gerade nicht zu den geschriebenen Voraussetzungen oder immanenten Folgen des § 46b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StGB, dass die Wissensoffenbarung dem Kronzeugen ein besonderes Opfer abverlangt, welches dazu führt, dass sich die Pflichterfüllung im Einzelfall von der „einfachen“ Erfüllung in sonstigen Fällen unterscheidet. Die Leistung des Kronzeugen, die den Grund seiner Strafmilderung bildet, ist regelmäßig nicht größer als für alle übrigen Personen, die durch eine rechtzeitige Anzeige die Begehung einer schweren Straftat verhindern. Auf der anderen Seite lässt § 46b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StGB keinen Raum für eine Auslegung, wonach in Fällen der Anzeige einer schweren Straftat bei andernfalls einschlägigem § 138 StGB eine Anwendung der Kronzeugenregelung grundsätzlich ausgeschlossen wäre.42 So enthält der Wortlaut keine derartige Einschränkung. Auch aus der Gesetzeshistorie ergibt sich, dass der Gesetzgeber trotz vielfach geäußerter Bedenken die Aufnahme einer generellen Ausschlussregelung ablehnte und eine flexible Lösung auf Ebene der Ermessensausübung vorzog.43 Schließlich soll § 46b StGB nach seinem Sinn und Zweck gerade auch zur Verhinderung schwerer Straftaten beitragen. Ein Ausschluss aller von § 138 StGB erfassten Delikte wäre mit dieser Zielsetzung nicht zu vereinbaren. Stattdessen soll der Richter stets im Einzelfall im Rahmen der Ermessensausübung berücksichtigen, ob der Täter mit seiner Präventionshilfe überwiegend oder ausschließlich seinen staatsbürgerlichen Pflichten nachkam.44 In Fällen der Überschneidung von § 138 StGB und § 46b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StGB empfiehlt sich daher, entsprechend restriktiv vom tatrichterlichen Ermessen Gebrauch zu machen und eine Kaspar / Wengenroth GA 2010, 453, 456. in: Nk-StGB, § 46a Rn. 11. 41  BGHSt 48, 134, 141; BGH NStZ 2000, 205, 206; NJW 2001, 2557, 2558; OLG München wistra 2007, 437 f.; Fischer StGB, § 46a Rn 11; relativierend Kaspar: Wiedergutmachung und Mediation im Strafrecht, S. 124 f. 42  So im Ergebnis auch Kaspar / Wengenroth GA 2010, 453, 456. 43  BT-Drucks. 16 / 13094, S.  5. 44  BT-Drucks. 16  / 13094, S. 5; BGH NStZ 2010, 443, 444; mit zustimmender Anmerkung Maier NStZ 2011, 152. 39  So

40  Streng,



F. Verhältnis zu § 66 StGB127

Milderung gegebenenfalls abzulehnen, sofern keine Indizien dafür vorliegen, dass sich die Offenbarung des Kronzeugen von der vom Gesetz als selbstverständlich vorausgesetzten Anzeige schwerer Straftaten abhebt.

F. Verhältnis zu § 66 StGB Die Strafrahmenverschiebung nach § 49 Abs. 1 StGB kann unter Umständen dazu führen, dass die andernfalls vorliegenden formellen Voraussetzungen für die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach § 66 StGB45 unterschritten werden, was der Kronzeugenregelung den Vorwurf einbrachte, den Anwendungsbereich dieser Vorschriften ungerechtfertigterweise zu verkürzen.46 So lässt die geleistete Aufklärungs- oder Präventionshilfe nicht zwangsläufig Rückschlüsse auf die Frage zu, ob der Täter „zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist“ (vgl. § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB). Der Deutsche Richterbund sprach sich daher im Gesetzgebungsverfahren für eine Klarstellung aus, dass zur Qualifizierung einer Tat als Vortat im Sinne des § 66 StGB auf die vor der Milderung nach § 46b StGB verwirkte Strafe abgestellt werden müsse. Dies gebiete der Sicherungsgedanke der Maßregel.47 Ohne eine entsprechende Regelung kann jedoch für § 46b StGB nichts anderes gelten, als für andere vertypte Strafmilderungsgründe. Für die Anlasstat i. S. d. § 66 StGB kommt es de lege lata allein auf die verhängte Strafe an, weshalb angewandte Strafmilderungen Berücksichtigung finden müssen, während eine etwaige Anrechnung gem. § 51 StGB außer Betracht bleibt.48 Auch bei der Bemessung der Freiheitsstrafe darf das Interesse der Allgemeinheit, vor einem gefährlichen Täter durch dessen Unterbringung in der Sicherungsverwahrung geschützt zu werden, nicht zu Lasten des Täters berücksichtigt werden.49 Das Gericht darf sich bei seiner Entscheidung über die Anwendung des § 46b StGB nicht von den für die Anordnung der Sicherungsverwahrung erforderlichen Mindeststrafen beein45  Das BVerfG hat am 4.5.2011 entschieden, dass die Vorschriften über die Sicherungsverwahrung (§§ 66, 66a, 66b StGB u. a.) mit den Grundrechten aus Art. 2 Abs. 2, 20 Abs. 3, 104 Abs. 1 GG insgesamt unvereinbar sind; siehe 2 BvR 2365 / 09, 740 / 10, 2333 / 08, 1152 / 10, 571 / 10 = StV 11, 470. Die § 66, 66a, 66b StGB waren jedoch nach Anordnung gem. § 35 BVerfGG bis zur Neuregelung durch den Gesetzgeber weiterhin anwendbar. Am 1.6.2013 trat das Gesetz zur bundeseinheitlichen Umsetzung des Abstandgebotes im Recht der Sicherungsverwahrung in Kraft. Die bisherige Fassung des § 66 StGB wurde durch dieses Gesetz nicht geändert. 46  Vgl. Kinzig, in: Schönke  / Schröder: StGB, § 46b Rn. 2; Frank: Protokoll der 133. Sitzung des Rechtsausschusses vom 25.3.2009, S. 8. 47  Stellungnahme 10 / 06 des Deutschen Richterbundes. 48  Fischer: StGB, § 66 Rn. 6. 49  Siehe Ullenbruch, in: MüKo-StGB, § 66 Rn. 47 und 155.

128

3. Teil: Verhältnis zu anderen Rechtsnormen

flussen lassen. Liegt die formelle Voraussetzung einer Verurteilung zu zwei, drei bzw. fünf Jahren Freiheitsstrafe i. S. d. § 38 StGB nicht vor, darf auch dann keine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung erfolgen, wenn die Unterschreitung allein auf eine Anwendung der allgemeinen Kronzeugen­ regelung zurückzuführen ist. Gefährlichkeitserwägungen spielen erst auf Ebene der materiellen Voraussetzungen eine Rolle. Da die formellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung infolge mehrfacher Herabsetzung zunehmend an Bedeutung verloren haben,50 wird es ohnehin nur selten zu einer derartigen Unterschreitung kommen.

G. Verhältnis zu § 257c StPO Dass § 46b StGB im Zusammenhang mit dem Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren gesehen werden muss, zeigt schon der Umstand ihrer gemeinsamen Verabschiedung am 29.7.2009.51 Im Gesetzgebungsverfahren wurde großer Wert darauf gelegt, dass § 46b StGB „keine Spielart der Verständigung im Strafverfahren“ sei, sondern der Verhinderung oder Aufklärung schwerer Straftaten diene.52 Jedoch schließt Letzteres einen Zusammenhang zwischen Verständigung und Kronzeugenregelung nicht aus.53 Vielmehr weist auch das Kronzeugenmodell konsensuale Elemente auf. Der Staat macht Zugeständnisse im Hinblick auf die Verfolgung der Kronzeugentat, weil er sich davon Vorteile für die Verfolgung und Verhinderung anderer Taten verspricht. Die mildere Bestrafung des Kronzeugen dient daher gewissermaßen als Gegenleistung für seine Aussage. Zudem gehört die Anwendung des § 46b StGB zu den einer Vereinbarung zugänglichen Ergebnissen des Verfahrens und ist damit zumindest grundsätzlich zulässiger Gegenstand einer Verständigung i. S. d. § 257c StPO.54 Zu berücksichtigen ist jedoch, dass die Präklusionsbestimmung in § 46b Abs. 3 StGB den Kronzeugen daran hindert, sein Wissen aus taktischen Gründen bis zur Hauptverhandlung zurückzuhalten. Ein „Deal“ mit dem Inhalt der Anwendung des § 46b StGB im Fall nunmehr geleisteter Aufklärungs- oder Präventionshilfe kann nach dem Erlass des Eröffnungsbeschlusses nicht mehr getroffen werden.55 Möglich bleibt nur eine Verständigung über die strafmildernde Berücksichtigung weiterer Angaben im Rahmen der allge50  Böllinger / Pollähne,

in: NK-StGB, § 66 Rn. 77. König NJW 2012, 113; Leipold NJW-Spezial NJW-Spezial 2009, 776. 52  BT-Drucks. 16 / 13094, S.  5. 53  Vgl. auch König NJW 2012, 113, 114. 54  Fischer: StGB, § 46b Rn. 4c; vgl. allgemein Heller: Das Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren, S. 163 ff. 55  Leipold NJW-Spezial 2009, 776. 51  Vgl.



G. Verhältnis zu § 257c StPO129

meinen Strafzumessung. Will der potenzielle Kronzeuge hingegen in den Genuss der weitergehenden Vorteile einer Strafrahmenverschiebung oder eines Absehens von Strafe gelangen, muss er sein Wissen in einem früheren Verfahrensstadium preisgeben. Die endgültige Frage nach dem „Ob“ und dem Umfang einer Strafmilderung liegt dann im Ermessen („kann“) des Gerichts. Gewissheit über die mögliche Anwendung der allgemeinen Kronzeugenregelung kann der Kronzeuge also auch im Wege einer Verständigung nach § 257c StPO nicht erlangen. Um dennoch Nutzen, eventuelle Risiken und sonstige Folgen einer möglichen Aussage auszutangieren, bietet sich eine Erörterung der grundsätzlichen Kooperationsbereitschaft im Gespräch mit der Staatsanwaltschaft an. Für diesen Fall ist die Bestimmung in § 160b StPO bedeutsam, wonach eine Erörterung des Verfahrensstandes durch die Staatsanwaltschaft bereits im Ermittlungsverfahren möglich ist, soweit sie zur Förderung des Verfahrens geeignet erscheint. Die Form dieser Gespräche ist der Staatsanwaltschaft freigestellt, auch ist sie nicht zur Gesprächsaufnahme verpflichtet. Im Rahmen der Gespräche kann der Staatsanwalt seine aktuelle Vorstellung von der Strafhöhe im Fall einer Verurteilung äußern, um eine Aussage des Beschuldigten als Kronzeuge vorzubereiten.56 Darüber hinaus können auch andere Themen besprochen werden, etwa Sachverhaltsfragen, deren Aufklärung für die Verteidigung auch ohne ihre unmittelbare Beteiligung an den Ermittlungen interessant sein könnte. Auch verfahrensabschließende Entscheidungen nach den §§ 153 ff. StPO kommen als Erörterungsgegenstand in Betracht, ebenso wie die Vorbereitung einer Schadenswiedergutmachung oder eines Täter-Opfer-Ausgleichs.57 Daneben kann die Staatsanwaltschaft Absichtserklärungen über ihr künftiges Prozessverhalten abgeben, etwa ob sie eine Anklageerhebung, Verfahrensbeschränkungen, die Einstellung anderer Verfahren oder den Antrag auf Erlass eines Strafbefehls anstrebt.58 Die feste Zusage einer Anwendung des § 46b StGB durch die Staatsanwaltschaft verstößt indes gegen § 136a StPO, da hierin mangels Entscheidungskompetenz das Versprechen eines gesetzlich nicht vorgesehenen Vorteils liegt.59 Das Ergebnis von Erörterungen i. S. d. § 160b StGB hat keine rechtliche Verbindlichkeit. Eine dem § 257c Abs. 4 StPO entsprechende Vorschrift gibt es nicht. Zur Einhaltung einer im Rahmen des § 160b StGB getätigten Zusage kann die Staatsanwaltschaft daher selbst dann nicht gezwungen werden, wenn sich weder aus dem Verhalten des Beschuldigten noch aus andePatzak, in: BeckOK-StPO, § 160b Rn. 3. Gesetz zur Verständigung im Strafverfahren, Teil B § 160b Rn. 18 ff. 58  Maier, in: MüKo-StGB, § 46b Rn. 35. 59  Vgl. hierzu 4. Teil A. und B. 56  Vgl.

57  Niemöller / Schlothauer / Weider:

130

3. Teil: Verhältnis zu anderen Rechtsnormen

ren rechtlich oder tatsächlich bedeutsamen Umständen Gründe für ihre Meinungsänderung ergeben.60 Der Erörterung des Verfahrensstandes im Ermittlungsverfahren kommt für den Beschuldigten und seinen Verteidiger daher grundsätzlich „nur“ eine Orientierungsfunktion zu. Zwar kann eine verbindliche Verständigung auf Grundlage des § 257c StPO auf diese Weise nicht zeitlich vorverlagert werden, jedoch lässt sich unter Zuhilfenahme der in § 46b Abs. 2 StGB genannten Kriterien die Wahrscheinlichkeit einer strafmildernden Berücksichtigung der Ermittlungshilfe im Urteil besser abschätzen. Eine sorgfältige Vorbereitung der Kronzeugenaussage im Gespräch zwischen Strafverteidigung und Staatsanwaltschaft macht vor allem dann Sinn, wenn der Beschuldigte eine Art „Lebensbeichte“ plant oder sich aus sonstigen Gründen bei der Offenlegung fremder Straftaten selbst belasten müsste.61 Trotz fehlender Durchsetzungsmöglichkeiten schafft die Staatsanwaltschaft durch eine Zusage, z. B. gem. §§ 154, 154a StPO von der Verfolgung bestimmter Verfahren oder Verfahrenssteile abzusehen, einen Vertrauenstatbestand, dessen Verletzung gegen den Grundsatz der Verfahrensfairness (Art. 6 Abs. 1 EMRK) verstößt. Hält die Staatsanwaltschaft eine Zusage nicht ein und ist der Beschuldigte in Vorleistung getreten, hat also seinen Teil der Abmachung bereits erfüllt, z. B. sein Wissen über fremde Straftaten offenbart, bedarf die rechtsstaatswidrige Vertrauensverletzung einer Kompensation.62 Der Angeklagte ist so zu stellen, als habe die Staatsanwaltschaft ihre Zusage eingehalten.63 Hat die Staatsanwaltschaft beispielsweise zugesichert, sie werde das Verfahren hinsichtlich solcher Taten gem. § 154 Abs. 1 StPO einstellen, mit denen sich der Ermittlungsgehilfe im Fall einer Wissensoffenbarung über fremde Straftaten selbst belastet, tritt hinsichtlich dieser Taten ein Verfahrenshindernis ein, wenn anschließend abredewidrig Anklage erhoben wird.64 Das zuständige Gericht darf die entgegen der staatsanwaltschaftlichen Zusage erhobene Anklage nicht zulassen. Stellt sich das Vorliegen des Hindernisses erst nach Erlass des Eröffnungsbeschlusses heraus, hat das Gericht das Verfahren außerhalb der Hauptverhandlung nach § 206a StPO, ansonsten nach § 260 Abs. 3 StPO einzustellen. Ähnlich verhält es sich, wenn die Staatsanwaltschaft ihre Zustimmung zu einer Teilein60  Niemöller / Schlothauer / Weider: Gesetz zur Verständigung im Strafverfahren, Teil B § 160b Rn. 25. 61  Vgl. Patzak, in: Körner: BtMG, § 31 Rn. 98. 62  Niemöller / Schlothauer / Weider: Gesetz zur Verständigung im Strafverfahren, Teil B § 160b Rn. 26; Maier, in: MüKo-StGB, § 46b Rn. 36. 63  Velten, in: SK-StPO, § 257c Rn. 39; Beulke: Strafprozessrecht, Rn. 396e. 64  So auch Beulke: Strafprozessrecht, Rn. 396e; Niemöller / Schlothauer / Weider: Gesetz zur Verständigung im Strafverfahren, Teil B § 160b Rn. 26; Meyer-Goßner: StPO, § 160b Rn. 11; Eisenberg NStZ 2008, 698, 699.



G. Verhältnis zu § 257c StPO131

stellung nach § 154 Abs. 2 StPO zunächst versprochen hatte, nach erbrachter Gegenleistung jedoch den hierfür erforderlichen Antrag verweigert. Da das Gericht den Antrag nicht ersetzen kann, muss ebenfalls ein Verfahrenshindernis wegen Verstoßes gegen die Grundsätze des fairen Verfahrens angenommen werden. Die Rechtsprechung tendiert demgegenüber zu einer Strafzumessungslösung, bei der die Nichteinhaltung einer staatsanwaltschaftlichen Zusage im Einzelfall als wesentlicher Strafmilderungsgrund gewertet wird.65 War der Inhalt der Zusage jedoch gerade die vollständige Einstellung eines Verfahrens oder Verfahrensteils, wird der rechtsstaatswidrige Nachteil durch eine bloße Strafmilderung nur unzureichend kompensiert. Insbesondere entfällt dann der Schutz gegen eventuelle registerrechtliche Folgen einer Verurteilung.66 Für Erörterungen des Verfahrensstandes im Zwischenverfahren gem. § 202a StPO gelten diese Ausführungen entsprechend. Zusagen im Rahmen des § 202a StPO entfalten ebenfalls keine Bindungswirkung. Allerdings geht mit der Anklageerhebung die Verfahrensherrschaft von der Staatsanwaltschaft auf das Gericht über. Der Verfahrensabschnitt zwischen Anklageerhebung und Eröffnungsbeschluss bietet daher nur ein knappes Zeitfenster, um die Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung oder die Aussicht auf eine spätere Verständigung i. S. d. § 257c StPO im Gespräch mit dem Gericht auszuloten, bevor mit dem Erlass des Eröffnungsbeschlusses Präklusion eintritt.67 „Gericht“ meint insoweit nur die Berufsrichter und nicht die Schöffen, da letztere erst innerhalb der Hauptverhandlung mitwirken können (vgl. §§ 30 Abs. 1, 77 Abs. 1 GVG).68 Die verbindliche Absprache nach § 257c StPO kommt allerdings nur unter Beteiligung der Schöffen zustande, wobei für einen Beschluss eine Mehrheit von zwei Dritteln der Stimmen erforderlich und ausreichend ist (vgl. § 263 Abs. 1 StPO). Vor dem Präklusionszeitpunkt kann eine Absprache somit nur mit dem zuständigen Richter bzw. der zuständigen Kammer, nicht jedoch mit den Schöffen verhandelt werden. Die Laienbeteiligung erweist sich folglich für potenzielle Kronzeugen als zusätzlicher Unsicherheitsfaktor, insbesondere da sich § 46b StGB vornehmlich an den Bereich der mittleren bis schweren Kriminalität richtet.69 Es ist festzuhalten, dass § 46b StGB aufgrund der zeitlichen Beschränkung in Abs. 3 mit den gesetzlichen Regeln über die Verständigung im 65  BGH

NJW 1990, 1924; NJW 2008, 1752. zum Jugendstrafrecht Eisenberg NStZ 2008, 698, 699. 67  BT-Drucks. 16 / 12310, S.  12; Niemöller / Schlothauer / Weider: Gesetz zur Verständigung im Strafverfahren, Teil B § 202a Rn. 12; Maier, in: MüKo-StGB, § 46b Rn. 37. 68  Meyer-Goßner: StPO, § 202a Rn. 4. 69  Leipold NJW-Spezial 2009, 776; König NJW 2009, 2481, 2483. 66  Vgl.

132

3. Teil: Verhältnis zu anderen Rechtsnormen

Strafverfahren nicht recht in Einklang zu bringen ist.70 Die zeitliche Zäsur des § 46b Abs. 3 StGB unterteilt potenzielle Kronzeugen gewissermaßen in zwei Klassen: Es gibt diejenigen, die ihr Wissen frühzeitig offenbaren und daraufhin eine Strafrahmenverschiebung oder ein Absehen von Strafe erhalten können und solche, deren Ermittlungshilfe nur noch im Rahmen der allgemeinen Strafzumessung Berücksichtigung finden kann.71 Will er nicht Kronzeuge „zweiter Klasse“ sein, muss der Ermittlungsgehilfe in Vorleistung treten. Durch frühzeitige Angaben verschlechtert sich jedoch seine Ausgangsposition für eventuelle Gespräche in der Hauptverhandlung, da sein Verhandlungsmaterial bereits verbraucht ist, sein „bargaining chip“72 bereits auf dem Tisch liegt.73 Die Erbringung der Gegenleistung in diesem Handel liegt im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. Der Kronzeuge erhält keinen „synallagmatischen“ Anspruch, sondern eben nur eine Chance auf mildere Bestrafung.74 Befürchtet wird daher, § 46b Abs. 3 StGB könne diesbezügliche Absprachen in das „Arkanum des Vernehmungszimmers“ zurückdrängen.75 Zwar fallen auch Wissensoffenbarungen im Zeitfenster zwischen Anklageerhebung und Eröffnungsbeschluss in den Anwendungsbereich des § 46b StGB. In der Tat spricht jedoch vieles dafür, dass die wesentlichen Rechtsfolgenfragen im Zusammenhang mit Aufklärungs- und Präventionshilfeleistungen überwiegend im Ermittlungsverfahren thematisiert werden.76 In der Regel wissen nur die Strafverfolgungsbehörden, ob und inwieweit die Angaben des Beschuldigten einen Aufklärungserfolg bewirkt haben oder diesen im Fall einer Offenbarung überhaupt bewirken könnten. Dementsprechend eng muss der Beschuldigte von Anfang an mit diesen Stellen zusammenarbeiten, um eine realistische Einschätzung der Lage gewinnen zu können. Der Entwurf spricht selbst von einer „Pflicht zu frühzeitigen Angaben“.77 Hierdurch wird das insbesondere mit § 257c StPO verfolgte Bemühen um Transparenz und Verbindlichkeit von Absprachen konterkariert.78 Wie sich im Umkehrschluss aus § 243 Abs. 4 StPO ergibt, 70  Vgl.  Maier,

in: MüKo-StGB, § 46b Rn. 9. Heintschel-Heinegg, in: BeckOK-StGB, § 46b Rn. 28. 72  Im amerikanischen plea bargaining werden die gegenseitigen Anreize und Druckmittel der verhandelnden Parteien auch als „bargaining chips“ bezeichnet, vgl. etwa Langbein Michigan Law Review 78 (1979), 204, 212. 73  Vgl. auch Leipold NJW-Spezial 2009, 776; Peglau wistra 2009, 409, 410. 74  Vgl. Malek StV 2010, 200, 203. 75  König NJW 2009, 2481, 2484. 76  So auch Wolters, in: SK-StGB, § 46b Rn. 36; Fischer: StGB, § 46b Rn. 4c; König StV 2012, 113, 114; ders. NJW 2009, 2481, 2484; von Heintschel-Heinegg, in: BeckOK-StGB, § 46b Rn. 28; a. A. Maier, in: MüKo-StGB, § 46b Rn. 9. 77  BT-Drucks. 16 / 6268, S. 14; vgl. König StV 2012, 113, 114. 78  von Heintschel-Heinegg, in: BeckOK-StGB, § 46b Rn. 28; König NJW 2009, 2481, 2484. 71  von



G. Verhältnis zu § 257c StPO133

muss in der Hauptverhandlung auf Erörterungen nach § 160b StPO nicht hingewiesen werden, auch wenn deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung war. Lediglich ein Aktenvermerk über ihren wesentlichen Inhalt ist vorgesehen. Gleichzeitig vermögen die unmittelbaren Profiteure der Kooperation dem Beschuldigten die in § 46b StGB verankerte Belohnung nicht verbindlich zuzusagen. Auf Seiten der Justiz sind Geber und Nehmer nicht identisch.79 Das Gericht steht potenziellen Kronzeugen im Ermittlungsverfahren als Verhandlungspartner überhaupt nicht zur Verfügung, im Zwischenverfahren nur mit Ausnahme der möglicherweise später beteiligten Laienrichter. Das schürt die Gefahr informeller Absprachen, die mit der Einführung des Verständigungsgesetzes eigentlich beseitigt werden sollten.80 Ein Bekanntwerden dieser Absprachen hätte wiederum einen erheblichen Vertrauensverlust von Seiten der Bevölkerung zur Folge, selbst wenn sie ohne jede Kenntnis des Gerichts(-vorsitzenden) erfolgten.81

79  Malek

StV 2010, 200, 203; Leipold NJW-Spezial 2009, 776. StGB, § 46b Rn. 4c; Wolters, in: SK-StGB, § 46b Rn. 36; König NJW 2009, 2481, 2483; Malek StV 2010, 200, 203; a. A. Lackner / Kühl: StGB, § 46b Rn. 1; Kneba: Die Kronzeugenregelung, S. 162 f. 81  Fischer: StGB, § 46b Rn. 4c; Malek StV 2010, 200, 203. 80  Fischer:

4. Teil

Handhabung der Kronzeugenregelung A. Handhabung durch die Polizei Über die Gewährung eines Strafnachlasses gem. § 46b StGB entscheidet allein das zuständige Gericht. Da sich ein potenzieller Kronzeuge aufgrund von § 46b Abs. 3 StGB noch vor Erlass des Eröffnungsbeschlusses für oder gegen die Offenbarung seines Wissens entschieden haben muss, kann in geeigneten Fällen bereits im Ermittlungsverfahren, spätestens im Zwischenverfahren ein Hinweis auf § 46b StGB geboten sein. Eine wichtige Grenze für Belehrungen und Hinweise im Hinblick auf § 46b StGB ist jedoch § 136a StPO zu entnehmen, der über § 163a Abs. 3 und 4 StPO auch für Vernehmungen durch Beamte der Staatsanwaltschaft oder Polizei gilt.1 Die Vorschrift stellt eine prozessrechtliche Ausprägung der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) und des Rechtsstaatsprinzips (Art. 20 Abs. 3 GG) dar und schützt die Freiheit der Willensentschließung und Willensbetätigung des Beschuldigten im Hinblick auf seine Einlassung.2 § 136a Abs. 1 S. 3 StPO konkretisiert insoweit das Verbot von Versprechen gesetzlich nicht vorgesehener Vorteile. Versprechen meint die Angabe einer verbindlichen Zusage, auf deren Einhaltung der Empfänger vertrauen kann und die als eine Gegenleistung für eine Aussage oder eine Aussage mit bestimmtem Inhalt abgegeben wird.3 Kein Versprechen liegt dagegen in bloßen Hinweisen auf eine möglicherweise günstige Änderung der Verfahrenslage.4 Für die Abgrenzung kommt es allein darauf an, wie der Betroffene die Aussage verstehen musste.5 Vorteile sind alle Vergünstigungen, die geeignet sind, das Aussageverhalten des Beschuldigten oder Zeugen zu beeinflussen,6 also gerade auch Aussicht auf Strafverfolgungsverzicht oder die Gewährung von Strafmilderung oder -freiheit. „Gesetzlich nicht vorgesehen“ ist der zugesicherte Vorteil entgegen dem nicht ganz eindeutigen 1  Vgl.  Maier,

in: MüKo-StGB, § 31 BtMG Rn. 172; Malek StV 2010, 200, 205. in: KK-StPO, § 136a Rn. 1; Monka, in: BeckOK-StPO, § 136a Rn. 1. 3  BGHSt 14, 189, 191; Meyer-Goßner: StPO, § 136a Rn. 22. 4  Füllkrug MDR 1989, 119. 5  Erbs NJW 1951, 386, 389. 6  OLG Hamm StV 1984, 456. 2  Diemer,



A. Handhabung durch die Polizei135

Wortlaut nicht schon dann, wenn das Gesetz ihn nicht als Gegenleistung für eine Aussage vorsieht, sondern wenn er im Allgemeinen oder im konkreten Einzelfall mit der Gesamtheit der Rechtsordnung nicht in Einklang zu bringen ist.7 Das Versprechen eines ungesetzlichen Vorteils kann insbesondere dann vorliegen, wenn eine Vernehmungsperson Vorteile verspricht, über deren Gewährung sie mangels Zuständigkeit nicht selbst entscheiden kann.8 Die Zusage oder das Versprechen eines Polizei- oder Zollbeamten im Hinblick auf eine Strafmilderung oder ein Absehen von Strafe nach § 46b StGB verstößt damit gegen § 136a Abs. 1 S. 3 StPO.9 Unzulässig ist auch das Versprechen, im Fall der Mitteilung von Straftaten Dritter oder der Beschaffung von Beweismitteln von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens abzusehen.10 Im Vertrauen auf derartige Zusagen gemachte Angaben unterliegen einem Beweisverwertungsverbot nach § 136a Abs. 3 S. 2 StPO und zwar selbst dann, wenn der Beschuldigte einer Verwertung zustimmt.11 Jedoch kann es geboten sein, dem Beschuldigten in geeigneten Fällen als eine besondere Form der Belehrung den Gesetzestext des § 46b StGB vorzulesen, auszuhändigen und auf eine mögliche Berücksichtigung der Ermittlungshilfe vor Gericht hinzuweisen.12 Der Beschuldigte darf jedoch im Hinblick auf § 136a StPO nicht darüber getäuscht oder im Unklaren gelassen werden, dass für die strafmildernde Berücksichtigung drittbelastender Angaben letztlich nur das Gericht zuständig ist. Der Ermessensspielraum des Gerichts darf nicht verheimlicht, bestritten oder heruntergespielt werden.13 Da von den Vernehmungsbeamten nicht erwartet werden kann, die komplizierten Voraussetzungen und Rechtsfolgen des § 46b StGB im Detail zu erläutern, ist dem Beschuldigten ausreichend Zeit zur Beratung mit seinem Verteidiger zuzugestehen.14 Daneben kann ein Hinweis auf den verschärften Strafrahmen der §§ 145d, 164 StGB sinnvoll sein, damit sich der Beschuldigte nicht unmittelbar im Anschluss an die Erwähnung einer möglichen strafmildernden Berücksichtigung drittbelastender Angaben durch unbedachte Spontanbelastungen strafbar macht.15 Gerade um zu verhindern, dass in der Praxis „irgendwie“ belehrt wird, bietet sich 7  Füllkrug

MDR 1989, 119, 120. in: KK-StPO, § 136a Rn. 23. 9  Maier, in: MüKo-StGB, § 31 BtMG Rn. 173. 10  OLG Hamm StV 1984, 456; Füllkrug MDR 1989, 119, 121; Patzak, in: Körner: BtMG, § 31 Rn. 95; Hügel / Junge / Lander / Winkler: Deutsches Betäubungsmittelrecht, § 31 BtMG Rn. 4.3. 11  Malek StV 2010, 200, 205. 12  Patzak, in: Körner: BtMG, § 31 Rn. 95. 13  Malek StV 2010, 200, 205; Wolters, in: SK-StGB, § 46b Rn. 17. 14  Weider NStZ 1986, 391, 396. 15  Patzak, in: Körner: BtMG, § 31 Rn. 95. 8  Diemer,

136

4. Teil: Handhabung der Kronzeugenregelung

die Normierung einer Belehrungspflicht der Ermittlungsbehörden in geeigneten Fällen an, ähnlich § 136 Abs. 1 S. 4 StPO. Kein Fall des § 136a StPO liegt vor, wenn dem Kronzeugen durch die Polizei als zuständige Zeugenschutzdienststelle die Aufnahme in ein Zeugenschutzprogramm nach dem Gesetz zur Harmonisierung des Schutzes gefährdeter Zeugen (ZSHG)16 angeboten wird. Denn die Aufnahme sowie die damit verbundenen Einzelmaßnahmen sind nicht ungesetzlich i. S. d. Abs. 1 S. 3: Sie sollen nicht Anreize für eine Aussage schaffen, sondern die damit einhergehenden negativen Auswirkungen und Gefährdungen des Beschuldigten sowie seiner Angehörigen ausgleichen.17 Soweit der gefährdete Zeuge Zuwendungen erhalten soll, stellt § 8 S. 1 ZSHG klar, dass sich hieraus keine wirtschaftlichen Vorteile gegenüber seiner Lage vor Aufnahme in das Zeugenschutzprogramm ergeben dürfen.18 Grundsätzlich zulässig ist auch die Zusage, sich im Laufe des Verfahrens in einer bestimmten Weise für den Beschuldigten einzusetzen.19

B. Handhabung durch die Staatsanwaltschaft Der Staatsanwalt darf ebenfalls keine Versprechen bezüglich der Gewährung von Vergünstigungen nach § 46b StGB abgeben. Er darf jedoch zusagen, die Anwendung der Kronzeugenregelung vor Gericht anzuregen oder im Fall der Aussage eine bestimmte Strafe zu beantragen.20 Dabei muss er allerdings deutlich machen, dass die Festlegung der Strafe nicht in seiner Entscheidungsgewalt liegt und auch die beantragte Strafe keine Garantie für ein entsprechendes Urteil bietet. Auf einen „Vertrauensvorschuss“, wie ihn die Gerichte angeblich erfahrenen Betäubungsmittelstaatsanwälten entgegen bringen,21 kann sich der Beschuldigte nicht verlassen. Auch die Staatsanwaltschaft darf kein Versprechen abgeben, gegen den Beschuldigten werde im Fall der Offenbarung fremder Straftaten kein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Sie ist jedoch rechtlich nicht daran gehindert, eine Verfahrenseinstellung aus Opportunitätsgründen gem. §§ 153 ff. StPO für ein bestimmtes Verhalten zuzusagen, sofern die Voraussetzungen dieser 16  BGBl. 2001

I, S. 3510. in: BeckOK-StPO, § 136a Rn. 26. 18  Siegismund: Der Schutz gefährdeter Zeugen in der Bundesrepublik, S. 10. 19  Maier, in: MüKo-StGB, § 31 BtmG, Rn. 173. 20  Patzak, in: Körner: BtMG, § 31 Rn. 96; Maier, in: MüKo-StGB, § 31 BtMG Rn. 173; Weider, in: MAH-Strafverteidigung, § 45 Rn. 179; ders., in: Kreuzer: Handbuch des Betäubungsmittelstrafrechts, § 15 Rn. 143. 21  Patzak, in: Körner: BtMG, § 31 Rn. 96. 17  Monka,



B. Handhabung durch die Staatsanwaltschaft137

Vorschriften gegeben sind.22 So liegt nach der Auffassung des BGH kein Verstoß gegen § 136a StPO vor, wenn der Staatsanwalt zusagt, bei einer wahrheitsgemäßen Aussage, mit der sich der Zeuge gegebenenfalls selbst einer Straftat bezichtigen müsste, von der Einstellungsmöglichkeit nach § 154 StPO Gebrauch zu machen. Allerdings müsse der Schuldumfang überschaubar sein und auch im Übrigen dürften der Anwendung keine Bedenken entgegenstehen, etwa im Hinblick auf die Schwere der Tat.23 Auf diese Weise wurden unter Heranziehung der Vorschrift des § 154 StPO schon Vergünstigungen nach dem Schema eines Kronzeugenrabatts gewährt, bevor § 46b StGB den Weg über eine Verfahrenseinstellung nach § 153b StPO eröffnete.24 Damit wird aber die prozessuale Vorschrift des § 154 StPO zweckentfremdet, deren eigentliches Ziel in der Konzentration des Verfahrens und einer Begrenzung des Stoffes liegt.25 Die Staatsanwaltschaft konzentriert das Verfahren nicht, sondern erweitert es und engt den Stoff nicht ein, sondern trägt neuen zusammen.26 Problematisch an einer Zusage ist auch, dass zum Zeitpunkt des Versprechens die gesetzlichen Voraussetzungen des § 154 StPO oftmals nicht mit Sicherheit festgestellt werden können;27 ob der Schuldumfang, wie der BGH fordert, überschaubar ist, stellt sich regelmäßig erst heraus, wenn der Betroffene seine Aussage bereits gemacht und die Straftaten damit offengelegt hat. Die Anwendung des § 154 StPO kann daher allenfalls in Aussicht gestellt, jedoch nicht verbindlich zugesagt werden. Die Staatsanwaltschaft sollte deutlich machen, dass die endgültige Entscheidung über eine Anwendung der Vorschrift von der Würdigung der hinzukommenden Taten abhängt, so wie etwa auch das Gericht in der Hauptverhandlung auf die strafmildernde Wirkung eines Geständnisses hinweisen darf, den Hinweis jedoch stets „unter den eindeutigen Vorbehalt“ stellen muss, dass „der weitere Verlauf der Hauptverhandlung zu anderen Ergebnissen führen kann“.28 Darüber hinaus darf die Anwendung des § 154 StPO 22  Füllkrug MDR 1989, 119, 121; Maier, in: MüKo-StGB, § 31 BtMG Rn. 174; Patzak, in: Körner: BtMG, § 31 Rn. 97. 23  BGH NStZ 1982, 188; Diemer, in: KK-StPO, § 136a Rn. 33; Füllkrug MDR 1989, 119, 121; Patzak, in: Körner: BtMG, § 31 Rn. 97; Maier, in: MüKo-StGB, § 31 BtMG Rn. 174. 24  Siehe Volk NJW 1996, 879; Mühlhoff / Pfeiffer ZRP 2000, 121, 125; Streng, in: NK-StGB, § 46b Rn. 3. 25  Scholz: §§ 154, 154a StPO, S. 10  f.; Schoreit, in: KK-StPO, § 154 Rn. 1; Schlüchter ZRP 1997, 65, 66; vgl. BGH NStZ 1996, 551. 26  Volk NJW 1996, 879, 881: „Pervertierung des Gesetzeszwecks“; zustimmend Schlüchter NJW 1997, 65, 66. 27  Volk NJW 1996, 879, 880 f. 28  Schmidt-Hieber, in: FS-Wassermann, S. 1002; siehe zum Ganzen Volk NJW 1996, 879, 881.

138

4. Teil: Handhabung der Kronzeugenregelung

nicht an die Bedingung geknüpft werden, dass der Beschuldigte sein gesamtes Wissen offenbart und keine der ihm bekannten Straftaten auslässt. Einen Verzicht auf Strafverfolgung von der „schonungslosen“ Offenbarung des gesamten Wissens abhängig zu machen, widerspräche dem Zweck des § 154 StPO29 und ist selbst den ausgewiesenen Kronzeugenregelungen fremd.30 Für Einstellungen nach §§ 153, 153a, 153b StPO kann grundsätzlich nichts anderes gelten.31 Ausweislich der Gesetzesbegründung soll insbesondere bei Angaben von Tätern aus dem Bereich der einfachen Kriminalität auf die §§ 153 ff. StPO zurückgegriffen werden, wenn eine Anwendung des § 46b StGB mangels tauglicher Anlasstat ausscheidet. Dabei soll zugunsten des Beschuldigten berücksichtigt werden, dass § 46b StGB zwar nicht seine Tat erfasst, wohl aber die Tat, auf die sich seine Angaben beziehen.32 Für Zusagen der Staatsanwaltschaft ist auch hier erforderlich, dass zum Zeitpunkt des Versprechens die gesetzlichen Voraussetzungen für die Einhaltung des versprochenen Vorteils im konkreten Fall gesichert sind.33 Andernfalls kann, um keine falschen Erwartungen zu schüren, ihre Anwendung nur mit einem entsprechendem, deutlichen Hinweis in Aussicht gestellt werden. Wichtig ist, dass sich die Zusage auf eine im Wesentlichen bestimmte Straftat beziehen muss.34 In jedem Fall unzulässig ist demnach die Erteilung einer „Generalabsolution“ für eine nicht näher bestimmte Anzahl von Delikten.35 Stets hat die Staatsanwaltschaft auf die gegebenenfalls erforderliche Zustimmung des Gerichtes bzw. des Beschuldigten selbst hinzuweisen. Da § 46b Abs. 1 StGB eine mit im Mindestmaß erhöhter Freiheitsstrafe bedrohte Straftat voraussetzt, kommt in potenziellen Anwendungsfällen die Einstellung nach § 153 Abs. 1 StPO ohne die Zustimmung des für die Eröffnung des Hauptverfahrens zuständigen Gerichts (§ 153 Abs. 1 S. 2 StPO) von vornherein nicht in Betracht. Wie § 31 BtMG enthält § 46b StGB keine Rechtsgrundlage für ein Absehen von vermögensabschöpfenden Maßnahmen. Die Staatsanwaltschaft darf daher weder den Verzicht auf Verfall (§ 73 ff. StGB) oder Einziehung (§ 74 ff. StGB) erklären, noch ihn als Gegenleistung für eine Aussage in Aussicht stellen.36 29  Volk

NJW 1996, 879, 881. 33, 80, 81; StraFo 2003, 145. 31  Siehe Maier, in: MüKo-StGB, § 31 BtmG Rn. 174; Patzak, in: Körner: BtMG, § 31 Rn. 97. 32  BT-Drucks. 16 / 6268, S. 2, 10. 33  Vgl. OLG Hamm StV 1984, 456 f. 34  Füllkrug MDR 1989, 119, 121; Maier, in: MüKo-StGB, § 31 BtMG Rn. 174. 35  Füllkrug MDR 1989, 119, 121. 36  Patzak, in: Körner: BtMG, § 31 Rn. 97. 30  BGHSt



C. Kronzeugenaussage und Untersuchungshaft139

C. Kronzeugenaussage und Untersuchungshaft Besonders problematisch sind Zusagen im Zusammenhang mit der Untersuchungshaft. Eine Zusage der Außervollzugsetzung oder Aufhebung eines Haftbefehls im Gegenzug für die Offenbarung fremder Straftaten verstößt gegen § 136a Abs. 1 S. 3 StPO. Gleiches gilt für entsprechende Zusagen, den Beschuldigten nicht dem Haftrichter vorzuführen. Der Zweck der Untersuchungshaft liegt in der Gewährleistung der Durchführung eines geordneten Strafverfahrens durch sichere Unterbringung des Beschuldigten sowie der Begegnung der Gefahr weiterer Straftaten.37 Derartige Versprechen laufen diesem Zweck zuwider und können folglich nur zulässig sein, wenn die Offenbarung tatsächlich etwas am Vorliegen der Voraussetzungen, insbesondere des einschlägigen Haftgrundes, ändert. Wenn der Haftgrund mit der Aussage vollständig beseitigt wird, etwa die Verdunkelungsgefahr infolge der umfassenden Offenbarung eigener und fremder Tatbeiträge entfällt, liegt in der Zusage der Haftentlassung kein Versprechen eines ungesetz­ lichen Vorteils.38 In diesem Fall kann die Aufhebung des Haftbefehls nicht nur vom Gericht, sondern auch von der Staatsanwaltschaft in Aussicht gestellt werden, da das Gericht nach § 120 Abs. 3 StPO an den Antrag der Staatsanwaltschaft gebunden ist und ihr somit – zumindest mittelbar – die Entscheidungskompetenz zukommt.39 Dagegen soll sich diese Bindungswirkung nach überwiegender Auffassung nicht auf Anträge der Staatsanwaltschaft erstrecken, den Haftbefehl nach § 116 StPO außer Vollzug zu setzen.40 Auch umgekehrt entspricht es nicht dem Zweck der Untersuchungshaft, dem Beschuldigten eine Inhaftierung in Aussicht zu stellen, obgleich die gesetzlichen Voraussetzungen dafür nicht vorliegen.41 Obwohl der Haftgrund der Verdunkelungsgefahr gem. § 112 Abs. 2 Nr. 3 StPO nach einhelliger Auffassung nicht damit begründet werden darf, dass der Beschuldigte sich weigert, Angaben zu seiner eigenen Tatbeteiligung, seinen Mittätern 37  Vgl. die Zweckdefinitionen in den Untersuchungshaftvollzugsgesetzen der Länder; siehe dazu die Übersicht bei Ostendorf: Untersuchungshaft und Abschiebehaft, § 1 Rn. 5. 38  BGH MDR 1952, 532; BGHSt 20, 268, 269; Füllkrug MDR 1989, 119, 121; Maier, in: MüKo-StGB, § 31 BtMG Rn. 176. 39  Patzak, in: Körner: BtMG, § 31 Rn. 97; Maier, in: MüKo-StGB, § 31 BtMG Rn. 176; Füllkrug MDR 1989, 119, 121. 40  OLG Düsseldorf StV 2001, 462 mit ablehnender Anmerkung Schlothauer; AG Stuttgart NStZ 2002, 391 f.; Schultheis, in: KK-StPO, § 120 Rn. 23; Wankel, in: KMR-StPO, § 120 Rn. 7; Hilger, in: Löwe / Rosenberg: StPO, § 120 Rn. 40; MeyerGoßner: StPO, § 120 Rn. 13; Pfeiffer: StPO, § 120 Rn. 6; a. A. BGH (Ermittlungsrichter) NJW 2000, 967 in einem „Erst-Recht-Schluss“. 41  Füllkrug MDR 1989, 119, 121.

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4. Teil: Handhabung der Kronzeugenregelung

oder erst recht zu gänzlich fremden Straftaten zu machen,42 hat der Umstand, dass eine angedrohte oder vollstreckte Untersuchungshaft einen enormen Aussagedruck erzeugt, nach Auffassung einiger Praktiker bereits einen „apokryphen Haftgrund der Förderung der Kooperationsbereitschaft geschaffen“.43 Da die Untersuchungshaft in einem solchen Fall keine nach den Vorschriften des Strafverfahrensrechts zulässige Maßnahme darstellt, und für eine „Drohung“ i. S. d. § 136a StPO das Inaussichtstellen bei bestehender oder vorgegebener Einflussnahmemöglichkeit ausreicht,44 wird man im Vorschieben einer angeblichen Verdunkelungsgefahr eine verbotene Vernehmungsmethode sehen müssen, zumal der Staatsanwalt dann nicht lediglich eine Einschätzung der Rechtslage äußert, sondern verdeutlicht, dass er Konsequenzen für sein eigenes Verhalten ziehen wird.45 Der bloße Hinweis auf die möglicherweise günstigen Auswirkungen einer umfassenden Aussage für die Haftentlassung, die gerichtliche Strafzumessung oder ein späteres Gnadengesuch ist hingegen vor dem Hintergrund des § 136a StPO nicht zu beanstanden.46 Ebenfalls unproblematisch sollen Zusagen sein, die Untersuchungshaft in einer bestimmten Haftanstalt zu vollstrecken.47

D. Aussagepflicht als Zeuge in der Hauptverhandlung Schon die Bezeichnung Kronzeuge beinhaltet, dass der Ermittlungsgehilfe nicht nur in dem gegen ihn selbst gerichteten Strafverfahren in Erscheinung tritt. Ein Kronzeuge ist zugleich Subjekt und Objekt der Strafverfolgung, wobei es sich regelmäßig um zwei getrennte Verfahren handelt.48 Eine wichtige Rolle spielt daher neben der Frage der Strafzumessung auch der richtige Umgang mit dem Kronzeugen in seiner Funktion als Belastungszeuge gegen die von ihm offenbarten, mutmaßlichen Straftäter. 42  OLG Hamm StV 1985, 114; KG JR 1956, 192; LG Verden StV 1982, 374; Volk NJW 1996, 879, 883; Meyer-Goßner: StPO, § 112 Rn. 29; Weider, in: MAHStrafverteidigung, § 45 Rn. 181; Krauß, in: BeckOK-StPO, § 112 Rn. 20. 43  Weider, in: MAH-Strafverteidigung, § 45 Rn. 182; Schlothauer / Weider: Untersuchungshaft, Rn.  641 f. 44  So die h. M., vgl. Meyer-Goßner: StPO, § 136a Rn. 21; Diemer, in: KK-StPO, § 136a Rn. 30. 45  Siehe Volk NJW 1996, 879, 883; vgl. auch BGH StV 2004, 636; Monka, in: BeckOK-StPO, § 136a Rn. 24. 46  BGH NJW 1952, 152; NJW 1961, 1979; NJW 1965, 2262. 47  Maier, in: MüKo-StGB, § 31 BtMG Rn. 176. 48  Jeßberger: Kooperation und Strafzumessung, S. 26.



D. Aussagepflicht als Zeuge in der Hauptverhandlung 141

Die Entscheidung über das Vorliegen eines Aufklärungserfolges wird unabhängig davon getroffen, ob der Kronzeuge seine Angaben in der Hauptverhandlung gegen die von ihm belasteten Dritten wiederholt, widerruft, oder ändert.49 Dennoch kommt seiner Vernehmung im Verfahren gegen den oder die Belasteten regelmäßig eine besondere Bedeutung zu. Nicht selten handelt es sich bei dem Ermittlungsgehilfen um einen wichtigen oder sogar den einzigen Belastungszeugen. Gerade bei Delikten aus dem Bereich der organisierten Kriminalität hängt der Ausgang des Verfahrens nicht selten von der Glaubwürdigkeit einer einzigen Zeugenaussage ab.50 Entsprechend groß ist das staatliche Interesse, dass der Ermittlungsgehilfe in der Hauptverhandlung erscheint und seine belastenden Angaben vorträgt. Da das 43. StrÄndG jedoch keine prozessualen Regelungen für das Verfahren gegen die von ihm belasteten Dritten enthält, ergeben sich die Rechte und Pflichten des Kronzeugen insoweit aus den allgemeinen Vorschriften. Wird der Ermittlungsgehilfe als Zeuge zur Hauptverhandlung geladen, hat er gem. § 48 Abs. 1 StPO zu dem zu seiner Vernehmung bestimmten Termin vor Gericht zu erscheinen. Für den Fall des Nichterscheinens können – selbst bei Bestehen eines Zeugnisverweigerungsrechts – gem. § 51 StPO ein Ordnungsgeld, Ordnungshaft oder die zwangsweise Vorführung angeordnet werden. Vor Gericht trifft den Zeugen die Pflicht zur Aussage über die eigene Person (§§ 68, 70 StPO). Darüber hinaus hat er sein Wissen zu offenbaren und auf Fragen zur Sache zu antworten (§§ 69, 70 StPO). Seine Angaben sowohl zur Person als auch zur Sache müssen der Wahrheit entsprechen (§§ 57 S. 1, 161a Abs. 1 S. 2 StPO). Die Aussagepflicht zur Sache trifft den Kronzeugen jedoch nur, soweit ihm kein Zeugnis- oder Auskunftsverweigerungsrecht zusteht. Bei grundloser Zeugnisverweigerung sieht § 70 StPO die Möglichkeit zur Verhängung eines Ordnungsgeldes sowie zur Auferlegung der dadurch entstehenden Kosten vor. Ferner kann die unberechtigte Verweigerung zu einer Strafbarkeit des Zeugen wegen Strafvereitelung durch Unterlassen führen.51 Ein Zeugnisverweigerungsrecht kann sich entweder aus persönlichen (§ 52 StPO) oder beruflichen Gründen (§§ 53, 53a StPO) oder unter besonderen Umständen unmittelbar aus dem Grundgesetz (z. B. aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) ergeben. Des Weiteren benötigen Richter, Beamte und sonstige Angehörige des öffentliches Dienstes gem. § 54 Abs. 1 StPO eine Aussagegenehmigung ihres Dienstherrn, um als Zeuge zu Tatsachen aussagen zu dürfen, die den Dienstbetrieb betreffen.52 49  Zum Problem des wechselnden Aussageverhaltens siehe 2. Abschnit A. V. 1. a) gg). 50  Siegismund: Der Schutz gefährdeter Zeugen in der Bundesrepublik, S. 5. 51  OLG Köln NStZ-RR 2010, 146; Huber, in: BeckOK-StPO, § 55 Rn. 9. 52  Zu den Pflichten des Zeugen vgl. Ostendorf: Strafprozessrecht, Rn. 303 ff.

142

4. Teil: Handhabung der Kronzeugenregelung

Einer belastenden Aussage in der Hauptverhandlung könnte vor allem jedoch entgegenstehen, dass sich der Ermittlungsgehilfe auf ein Auskunftsverweigerungsrecht aus § 55 StPO beruft.53 Die Vorschrift erlaubt einem Zeugen die Beantwortung solcher Fragen zu verweigern, die ihn selbst oder einen Angehörigen der Gefahr einer Strafverfolgung aussetzen könnten. Damit begründet § 55 StPO zwar kein umfassendes Zeugnisverweigerungsrecht, kann jedoch faktisch zu einem solchen führen, wenn der gesamte Inhalt der Aussage von den Voraussetzungen des Abs. 1 umfasst ist.54 Erscheint ein Zeuge in der Hauptverhandlung und sagt unter Berufung auf § 55 StPO nicht zur Sache aus, sind entsprechende Fragen unzulässig und können nach § 241 Abs. 2 StPO bzw. Beweisanträge nach § 244 Abs. 3 S. 1, 245 Abs. 2 S. 2 StPO abgelehnt werden.55 Ebenso scheidet die Verlesung des Protokolls über eine frühere Vernehmung nach § 251 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 StPO aus.56 Grundsätzlich erlaubt ist dagegen die Vernehmung der Verhörperson.57 Für das Weigerungsrecht genügt es, wenn dem Kronzeugen aufgrund seiner Angaben die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens droht, das heißt, der Zeuge müsste bei wahrheitsgemäßer Aussage Tatsachen angeben, die einen Anfangsverdacht i. S. d. § 152 Abs. 2 StPO einer strafbaren oder bußgeldbedrohten Tat begründen könnten. Einer sicheren Erwartung der Verfolgung bedarf es dagegen nicht.58 Die Schwelle eines Anfangsverdachts liegt insgesamt eher niedrig, sodass die Gefahr der Strafverfolgung bereits weit im Vorfeld einer direkten Belastung angenommen werden muss.59 Jedoch muss sich die Gefahr der Verfolgung stets auf eine vor der Vernehmung begangene Tat beziehen.60 Es ist niemals ausreichend, wenn sich der Zeuge erst durch die Aussage in der Hauptverhandlung einer strafbaren Handlung schuldig machen könnte.61 Sich mit seiner Aussage selbst zu belasten, läuft der Kronzeuge immer dann Gefahr, wenn der Inhalt seiner Angaben Rückschlüsse auf sein eigenes, strafrechtlich relevantes Verhalten zulässt. Dies ist insbesondere bei eigener unmittelbarer Tatbeteiligung des internen Kronzeugen der Fall. Bei auch Schmidt NJW 3250, 3255. in: BeckOK-StPO, § 55 Rn. 2; vgl. BGH NJW 1957, 551; NStZ 1986, 181; NStZ 1998, 365. 55  BGH NStZ 2002, 608; BGHSt 50, 318; Huber, in: BeckOK-StPO, § 55 Rn. 10; Meyer-Goßner: StPO, § 55 Rn. 12. 56  BGH NStZ 1982, 342; NStZ 2007, 718. 57  BGH MDR 1968, 202. 58  Senge, in: KK-StPO, § 55 Rn. 4; Meyer-Goßner: StPO, § 55 Rn. 7. 59  BVerfG NJW 2002, 1411, 1412. 60  BVerfG NStZ 1985, 277; Senge, in: KK-StPO, § 55 Rn. 9. 61  BVerfG NStZ 1985, 277; BGHSt 50, 319; BGH MDR 1958, 14; Rogall, in: SK-StPO, § 55 Rn. 28; Pfeiffer: StPO, § 55 Rn. 1. 53  Vgl.

54  Huber,



D. Aussagepflicht als Zeuge in der Hauptverhandlung 143

fehlender Beteiligung oder gar dem Fehlen jedes Zusammenhangs zwischen Anlass- und Bezugstat ist die Gefahr solcher Rückschlüsse geringer, wenn auch nicht völlig ausgeschlossen. Eine Verfolgungsgefahr besteht jedoch nicht, soweit eine Strafverfolgung zweifelsfrei ausgeschlossen werden kann, insbesondere weil der Kronzeuge wegen der in Frage stehenden Tat bereits rechtskräftig verurteilt wurde.62 Selbst wenn noch keine Vollstreckung erfolgt sein sollte, steht dann das aus Art. 103 Abs. 3 GG folgende Verbot der Doppelbestrafung (ne bis in idem) einer erneuten Verfolgung und Verurteilung entgegen.63 Einige Autoren schlagen daher vor, das Verfahren gegen den Kronzeugen aus prozesstaktischen Gründen abzutrennen und zügig zu einer Verurteilung zu gelangen, da so verhindert werden könne, dass dieser sich auf sein Auskunftsverweigerungsrecht beruft.64 Das Auskunftsverweigerungsrecht kann auf diese Weise jedoch nur in dem Umfang ausgeschlossen werden, in welchem sich die Befragung auf Vorgänge richtet, die ausschließlich die bereits abgeurteilte Tat betreffen. § 55 StPO greift dagegen weiterhin ein, soweit die zu offenbarenden Vorgänge Hinweise auf eine andere, möglicherweise nicht vom Strafklageverbrauch erfasste Tat des Kronzeugen enthalten.65 Maßgeblich ist insoweit der prozessuale Tatbegriff des § 264 StPO.66 Überdies ist zu berücksichtigen, dass ein Absehen von der Strafverfolgung gem. § 153b Abs. 1 StPO keinen und eine Einstellung durch das Gericht gem. § 153b Abs. 2 StPO nur einen beschränkten Strafklageverbrauch zur Folge hat.67 Ist eine Verfahrensfortsetzung aus diesem Grund rechtlich möglich, kommt es für § 55 StPO darauf an, ob sie aufgrund der Auskünfte des Zeugen zu erwarten wäre.68 Dass ein ehemaliger Komplize die Aussage des Ermittlungsgehilfen zum Anlass nehmen könnte, um seinerseits den bereits rechtskräftig verurteilten Zeugen anderer Straftaten zu bezichtigen (sog. „Bumerangeffekt“),69 begründet kein Auskunftsverweigerungsrecht.70 Jedoch kann dem Kronzeugen in Ausnahmefällen trotz rechtskräftiger Verurteilung ein Auskunftsverweigerungsrecht zustehen, wenn er durch seine wahrheitsgemäße Aussage von früheren Angaben abweichen und sich 62  BVerfG NStZ 1985, 227; BGH StV 2005, 649; Pfeiffer: StPO, § 55 Rn. 1; Meyer-Goßner: StPO, § 55 Rn. 8. 63  Dahs, in: Löwe / Rosenberg: StPO, § 55 Rn. 14. 64  Jarvers / Kinzig MSchrKrim 2001, 439, 444; vgl. auch Kneba: Die Kronzeugenregelung, S.  79 f. 65  BVerfG NJW 2002, 1411, 1412; BGH StV 2006, 283, 508. 66  BGH NJW 1999, 1413; Senge, in: KK-StPO, § 55 Rn. 4. 67  Beukelmann, in: BeckOK-StPO, § 153b Rn. 11 f. 68  Meyer-Goßner: StPO, § 55 Rn. 9. 69  Weider, in: MAH-Strafverteidigung, § 45 Rn. 173 f. 70  Meyer-Goßner: StPO, § 55 Rn. 8; vgl. BGH NStZ 2007, 278, 279.

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4. Teil: Handhabung der Kronzeugenregelung

dadurch dem Vorwurf aussetzen müsste, den Angeklagten zum damaligen Zeitpunkt falsch verdächtigt zu haben.71 Anders als eine Falschaussage vor Gericht fällt eine Falschaussage vor der Polizei oder Staatsanwaltschaft nicht unter die §§ 153 ff. StGB, da diese Stellen nicht zur Abnahme des Eides befugt sind (vgl. § 64 StPO). In diesem Fall kommt jedoch die Verletzung anderer Strafgesetze in Betracht (§§ 145d, 164, 185 ff. oder § 258 StGB).72 Bei einer zu Unrecht erfolgten Verhaftung des belasteten Dritten steht möglicherweise sogar der Vorwurf einer Freiheitsberaubung in mittelbarer Täterschaft im Raum.73 Allerdings soll nicht schon die denktheoretische Möglichkeit genügen, die ursprüngliche Aussage könnte falsch gewesen sein.74 Denn andernfalls könnte jeder Zeuge, der zunächst einen anderen beschuldigt hat, später vor Gericht die Auskunft verweigern.75 Fraglich ist jedoch, in welchem Maße der Zeuge selbst zusätzliche tatsächliche Anhaltspunkte liefern muss, wenn er seine „Angst vor einem neuen Strafverfahren“76 mit der drohenden Strafverfolgung unter dem Gesichtspunkt des Abweichens von einer früheren Aussage begründet. Laut OLG Koblenz reicht ein bloßer Hinweis auf „die besondere Gefahrenlage“ einer Aussage zur Erlangung der Vorteile einer Kronzeugenregelung nicht aus.77 Letztlich wird man jedoch § 55 StPO auch dann nur schwerlich verneinen können, wenn das Aufzeigen zusätzlicher Anhaltspunkte faktisch auf die Offenbarung der Strafbarkeit (z. B. gem. § 164 Abs. 3 StGB oder §§ 239, 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB) hinausliefe, der Zeuge also im Vorfeld einer Selbstbelastung überhaupt nicht „mehr“ tun kann, als die Gefahr eines Abweichens von seinen früheren Angaben als Begründung anzuführen.78 Das Gericht kann in derartigen Fällen zwar gem. § 56 StPO eine Glaubhaftmachung des Verweigerungsgrundes verlangen. Nicht verlangt werden kann indes die Glaubhaftmachung solcher Tatsachen, die gerade die in Frage stehende Verfolgungsgefahr auslösen.79 Andernfalls wäre der Zeuge gezwungen, Beweismittel gegen sich selbst zu schaffen, nur um die ihm drohenden Zwangsmittel des § 70 StPO abzuwenden.80 Stattdessen muss sich der Richter mit der eidesstattlichen Versicherung des Zeugen (siehe § 56 71  OLG

Koblenz StV 1996, 474, 475. StPO, Rn. 307. 73  OLG Koblenz StV 1996, 474, 475; Gatzweiler StV 1996, 475, 476. 74  BGH NJW 1994, 2839, 2840; OLG Hamburg NJW 1984, 1635, 1636. 75  OLG Koblenz StV 1996, 474, 475. 76  OLG Koblenz StV 1996, 474, 475. 77  OLG Koblenz StV 1996, 474, 475. 78  So aber OLG Koblenz StV 1996, 474, 475; vgl. hierzu die ablehnende Anmerkung von Gatzweiler StV 1996, 475, 476. 79  BGH StV 1986, 282. 80  BGH StV 1986, 282. 72  Ostendorf:



E. Schutz gefährdeter Kronzeugen 145

S. 2 StPO) begnügen, er nehme nach bestem Wissen an, dass er sich der besagten Gefahr i.  S.  d. § 55 StPO aussetze.81 Dementsprechend wiesen mehrere der im Rahmen der Untersuchung befragten Staatsanwälte darauf hin, dass den im Folgeverfahren als Belastungszeugen auftretenden Ermittlungsgehilfen ein Recht zur Auskunftsverweigerung in der Regel nicht abgesprochen werden könne, sobald sich diese auf ein mögliches Abweichen von früheren Aussagen beriefen. Vor diesem Hintergrund kann sich somit insbesondere die Ausweitung der Strafandrohung in § 145d Abs. 3 Nr. 2 und Nr. 3 StGB auf bislang nicht erfasste Fälle des Vortäuschens einer Straftat kontraproduktiv auswirken.

E. Schutz gefährdeter Kronzeugen Die Rolle des Kronzeugen bringt unter Umständen erhebliche Gefahren für den kooperierenden Beschuldigten mit sich. Insbesondere Angehörigen einer kriminellen oder terroristischen Organisation drohen Racheakte ihrer ehemaligen Komplizen und Auftraggeber. Nach einer Auskunft des Bundeskriminalamtes registrierte man 330 Zeugenschutzfälle im Jahr 2006, von denen 262 dem Bereich der organisierten Kriminalität entstammten.82 Da der staatliche Strafverfolgungsapparat von der Aussage des Kronzeugen profitiert und mit § 46b StGB gezielt ein gesetzlicher Anreiz zur Erhöhung der Aussagebereitschaft geschaffen wurde, gehört es auch zu den staatlichen Aufgaben, den Schutz gefährdeter Kronzeugen durch verschiedene Vorkehrungen innerhalb und außerhalb des Verfahrens sicherzustellen. Nicht wenige der im Rahmen der Untersuchung befragten Praktiker nannten insbesondere die Angst vor Repressionen aus dem früheren kriminellen Umfeld als Grund für die Zurückhaltung vieler potenzieller Ermittlungsgehilfen.83 Ein wirksamer Schutz von Leib, Leben, Gesundheit, Freiheit sowie wesent­lichen Vermögenswerten des Zeugen und der ihm nahestehenden Personen ist daher nicht nur im Interesse des Zeugen selbst geboten, sondern dient auch der Sicherstellung des staatlichen Strafverfolgungsanspruchs,84 da andernfalls die mit § 46b StGB geweckte Bereitschaft zur Aussage nicht aufrecht erhalten werden kann.

81  Senge,

in: KK-StPO, § 55 Rn. 4. Der Schutz gefährdeter Zeugen in der Bunderepublik, S. 56. 83  Vgl. dazu 7. Teil B. II. 4. d). 84  Vgl. Siegismund: Der Schutz gefährdeter Zeugen in der Bundesrepublik, S. 4; BT-Drucks. 14 / 6279, S. 3, 9. 82  Siegismund:

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4. Teil: Handhabung der Kronzeugenregelung

I. Prozessualer Zeugenschutz Die StPO und das GVG enthalten eine Vielzahl von Vorschriften zum Zweck des Zeugenschutzes, von denen auch gefährdete Kronzeugen profitieren können.85 Das Gericht trifft gegenüber dem Ermittlungsgehilfen eine allgemeine Fürsorgepflicht.86 Im Rahmen dieser Fürsorge hat es zu überprüfen, ob dem Zeugen in Anbetracht der ihm drohenden Risiken ein Erscheinen in der Hauptverhandlung überhaupt zugemutet werden kann.87 Ist ernsthaft zu befürchten, dass der Zeuge durch eine wahrheitsgemäße Aussage in Lebensgefahr gerät, ist das Gericht, soweit es keine anderen Schutzmöglichkeiten sieht, nicht zur Anwendung von Zwangsmaßnahmen verpflichtet, da diese entweder die Gefahrenlage verschärfen oder möglicherweise eine Falschaussage hervorrufen können.88 Alternativ kommt insbesondere die kommissarische Vernehmung gem. §§ 223, 224 StPO durch einen beauftragten oder ersuchten Richter in Betracht. Eine unvermeidbare Gefahr für Leib oder Leben kann ein nicht zu beseitigendes Hindernis i. S. d. § 223 Abs. 1 StPO darstellen.89 Einer Vernehmung in der Hauptverhandlung kann darüber hinaus entgegenstehen, dass der Ermittlungsgehilfe zugleich als V-Person für die Ermittlungsbehörden tätig ist und als Zeuge für die Hauptverhandlung analog § 96 StPO gesperrt wird.90 Dem Wortlaut nach gestattet § 96 StPO lediglich die Sperrung von Schriftstücken, um damit Nachteile für das Wohl des Bundes oder eines Landes abzuwenden. Darüber hinaus ist jedoch die entsprechende Anwendung der Vorschrift anerkannt, wenn das Gericht Auskunft über Namen und Anschrift eines polizeilich geheim gehaltenen Zeugen verlangt.91 Anders als etwa § 4 ZSHG gilt § 96 StPO auch gegenüber der sachleitungsbefugten Staatsanwaltschaft.92 Hat die Verwaltungsbehörde den Zeugen endgültig gesperrt und sind Bemühungen des Gerichts zur Vernehmung in der Hauptverhandlung ge85  Vgl.  Maier,

in: MüKo-StGB, § 31 BtMG Rn. 17. StV 1984, 217, 220; Patzak, in: Körner: BtMG, § 31 Rn. 102; allgemein zur Fürsorgepflicht gegenüber Zeugen vgl. Meyer-Goßner: StPO, Vor § 48 Rn. 10; BGH NStZ 1984, 31, 32. 87  Körner StV 1984, 217,220; Patzak, in: Körner: BtMG, § 31 Rn. 102. 88  BGH NStZ 1984, 31, 32. 89  Ritscher, in: BeckOK-StPO, § 223 Rn. 5. 90  Maier, in: MüKo-StGB, §  31 BtMG Rn. 20; Ritscher, in: BeckOK-StPO, § 223 Rn. 5. 91  Allerdings nur soweit nicht bereits § 110b Abs. 3 StPO eingreift; siehe BGHSt 29, 390, 393; 30, 34; 32, 32, 37; 32, 115, 123; 33, 178; BGH StV 2012, 5; Siegismund: Der Schutz gefährdeter Zeugen in der Bundesrepublik, S. 113; Ritzert, in: BeckOK-StPO, § 96 Rn. 2; Patzak, in: Körner: BtMG, § 31 Rn. 20. 92  Siegismund: Der Schutz gefährdeter Zeugen in der Bundesrepublik, S. 113. 86  Körner



E. Schutz gefährdeter Kronzeugen 147

scheitert, ist der Zeuge unerreichbar i. S. d. § 244 Abs. 3 S. 2 StPO.93 Nicht immer einheitlich beurteilt wird indes, unter welchen Voraussetzungen die Geheimhaltungsentscheidung getroffen werden darf. In der Rechtsprechung wird darauf hingewiesen, dass sich die Zeugengruppe der Vertrauenspersonen von der des „einfachen“ Kronzeugen nach § 46b StGB hinsichtlich ihrer Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit unterscheide; während die weitere Verwendbarkeit der Vertrauensperson in der Verbrechensbekämpfung vom Begriff des Staats- bzw. Landeswohls umfasst sei, handele es sich bei dem Kronzeugen regelmäßig um einen einmalig aussagenden Straftäter, dessen Identität den aus seinem unmittelbaren Umfeld stammenden Angeklagten ohnehin meist bekannt sei.94 Nach zutreffender Auffassung muss sich die Sperrerklärung auch bei analoger Anwendung an den Voraussetzungen des § 96 StPO messen lassen – im Individualinteresse eines an der Gesundheit gefährdeten Zeugen ist daher grundsätzlich noch keine Gefahr für das Staatswohl zu erblicken.95 Allerdings ist zu berücksichtigen, dass auch die Enttarnung gefährdeter Kronzeugen die Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege beeinträchtigen kann, wenn etwa die Behörde eine Vertraulichkeitszusage getroffen hat, deren Nichteinhaltung dazu führen würde, dass künftig keine Zeugen mehr zu einer Zusammenarbeit mit dieser Behörde bereit wären.96 Die Vertraulichkeitszusage sowie die auf ihrer Grundlage erfolgte Sperrung sind jedoch rechtswidrig, wenn sie zur Verdeckung einer strafbaren Handlung des Zeugen geschehen.97 Scheidet eine Vernehmung des Kronzeugen in der Hauptverhandlung aus, kann sie gegebenenfalls unter den Voraussetzungen des § 251 Abs. 1 Nr. 2 StPO bzw. bei richterlicher Vernehmung des § 251 Abs. 2 Nr. 1 StPO durch die Verlesung des Vernehmungsprotokolls ersetzt werden.98 Zeichnet sich bereits frühzeitig ab, dass ein wichtiger Zeuge in der Hauptverhandlung nicht vernommen werden kann, soll nach § 58a Abs. 1 S. 2 Nr. 2 StPO zudem eine Videoaufzeichnung seiner Vernehmung angefertigt werden, wenn dies für die Wahrheitserforschung notwendig ist. § 255a StPO stellt diese Aufnahmen einer schriftlich fixierten Zeugenaussage gleich. Des Weiteren sehen die §§ 171b, 172 GVG verschiedene Gründe vor, bei deren Vorliegen die Öffentlichkeit aus dem Verfahren ausgeschlossen wer93  Eisenberg:

Beweisrecht der StPO, Rn. 1041. Mannheim Beschluss vom 28.8.2012 – 1 S 1517 / 12. 95  Eisenberg: Beweisrecht der StPO, Rn. 1036; a.  A. Rogall, in: SK-StPO, Vor § 48 Rn. 80. 96  Vgl. BVerfG NJW 2010, 925  f.; OLG Frankfurt StV 1983, 54; Ritzert, in: BeckOK-StPO, § 96 Rn. 4a. 97  Eisenberg: Beweisrecht der StPO, Rn. 1037. 98  Vgl. etwa BGH NStZ 1993, 350; vgl. auch BGH NStZ-RR 2002, 44. 94  VGH

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4. Teil: Handhabung der Kronzeugenregelung

den kann bzw. nach § 171b Abs. 2 GVG ausgeschlossen werden muss, wenn der Betroffene einen entsprechenden Antrag stellt. Insbesondere erlaubt § 172 Nr. 1a GVG eine nichtöffentliche Verhandlung bei einer Gefährdung des Lebens, des Leibes oder der Freiheit eines Zeugen oder einer anderen Person. Ist ein Zeuge aus diesem Grund nur bei einem Ausschluss der Öffentlichkeit zu einer Aussage bereit, kann sich das gerichtliche Ermessen vor dem Hintergrund des § 244 Abs. 2 StPO auf Null reduzieren.99 Sind die Voraussetzungen des § 172 GVG gegeben, ist für die Dauer der Vernehmung des gefährdeten Zeugen eine Verlegung der Hauptverhandlung an einen besonders geschützten Ort zulässig.100 Grundsätzlich hat der Angeklagte gem. §§ 246 Abs. 2, 222 Abs. 1 S. 2 StPO einen Anspruch darauf, die Personalien aller Zeugen zu erfahren, damit er etwa zur Überprüfung ihrer persönlichen Glaubwürdigkeit Erkundigungen über sie einholen kann.101 Zeugen haben daher gem. § 68 Abs. 1 StPO Angaben zu ihrem Vornamen, Nachnamen, Geburtsnamen, Alter, Beruf und Wohnort zu machen. Diese Pflicht kann jedoch nach § 68 Abs. 2 und 3 StPO aus Gründen des Zeugenschutzes eingeschränkt werden. Nach § 68 Abs. 2 S. 1 StPO kann die Angabe des Wohnortes unterbleiben, wenn andernfalls eine Gefährdung des Zeugen oder Dritter zu befürchten ist (siehe auch § 200 Abs. 1 S. 4, 5 StPO). Nach S. 2 soll der Wohnort in diesen Fällen auch für den gesamten Verlauf der Hauptverhandlung geheim gehalten werden können. Eine Gefahr muss dabei nicht zwangsläufig für Leib oder Leben bestehen. Ebenfalls ausreichend ist eine nicht unerhebliche Bedrohung von Eigentum, Besitz, Freiheit oder Hausfrieden oder wenn zu erwarten ist, dass „in unlauterer Weise eingewirkt werden wird“.102 Besteht eine Gefahr für Leben, Leib oder Freiheit des Zeugen oder einer anderen Person, kann nach § 68 Abs. 3 StPO gestattet werden, auf Angaben zur Person vollständig zu verzichten oder Angaben nur zu einer früheren Identität zu machen. Auf diese Weise kann auch eine auf Grundlage des ZSHG geschaffene vorrübergehende Tarnidentität aufrecht erhalten werden.103 § 247a StPO ermöglicht mittels audiovisueller Simultanübertragung in das Sitzungszimmer die Vernehmung des Zeugen ohne dessen körperliche Anwesenheit. Für die Vernehmung durch den Ermittlungsrichter sind der Einsatz von Videotechnologie und die damit verbundenen Beschränkungen NStZ 1993, 350; Diemer, in: KK-StPO, § 172 GVG Rn. 1. 32, 115, 125; Siegismund: Der Schutz gefährdeter Zeugen in der Bundesrepublik, S. 82. 101  Eisenberg: Beweisrecht der StPO, Rn. 1087. 102  Eisenberg: Beweisrecht der StPO, Rn. 1091. 103  Maier, in: MüKo-StGB, § 31 BtMG Rn. 18; vgl. hierzu näher 4. Teil E. II. 99  BGH

100  BGHSt



E. Schutz gefährdeter Kronzeugen 149

der Anwesenheitsrechte der Verfahrensbeteiligten in § 168e StPO geregelt.104 Überdies besteht in Ausnahmefällen die Möglichkeit einer anonymisierten Videovernehmung besonders gefährdeter Zeugen unter optischer und akustischer Unkenntlichmachung. Dabei werden Aussehen und Stimme des Zeugen durch technische Maßnahmen derart verfremdet, dass seine Identität anhand dieser Merkmale nicht mehr erkannt werden kann.105 Insbesondere diejenigen Maßnahmen des Zeugenschutzes, bei denen die Aussage in der Hauptverhandlung durch Beweissurrogate ersetzt wird, beeinträchtigen das in Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK garantierte Recht des Angeklagten, Fragen an den Belastungszeugen zu stellen. Gleichzeitig wird auch die Wahrheitsermittlung beeinträchtigt, da die Abwesenheit des Zeugen die erforderliche Glaubwürdigkeitsüberprüfung durch das Gericht erschwert.106 Vor seiner Entscheidung über die Zumutbarkeit des Erscheinens in der Hauptverhandlung hat das Gericht daher zunächst alle gebotenen Bemühungen zu unternehmen, um das der Vernehmung entgegenstehende Hindernis zu beseitigen.107 Ist dies nicht möglich, hat es sämtliche Schutzmaßnahmen auszuschöpfen, welche zur Gewährleistung der Sicherheit des Zeugen ausreichen, jedoch die Verteidigungsmöglichkeiten des Angeklagten und die Beweiswürdigung weniger stark beeinträchtigen. Diesem Vorgehen entspricht die anhand der Rechtsprechung des BGH ausgearbeitete Drei-StufenTheorie zur Sperrung gefährdeter Zeugen:108 Hiernach sind zunächst nur äußere Einschränkungen bei der Vernehmung (z. B. nach § 68 Abs. 2 und 3 StPO, § 172 Nr. 1a GVG) zulässig. Erst wenn diese nicht ausreichen, kommen die Vernehmung durch einen beauftragten oder ersuchten Richter oder schließlich der vollständige Verzicht auf die Vernehmung und ein Rückgriff auf Protokolle, Videoaufzeichnungen bzw. Zeugen vom Hörensagen in Betracht. Insgesamt hat die Beweisaufnahme möglichst so zu erfolgen, wie sie das Gesetz für reguläre Verfahren vorsieht.109 So kann etwa der Verteidigung die Einreichung eines schriftlichen Fragenkatalogs an den abwesenden Zeugen gestattet werden.110 Die durch die staatlichen Geheimhaltungsinteressen bedingte Verkürzung der Beweisgrundlage und die Beeinträchtigung 104  Monka,

in: BeckOK-StPO, § 168e Rn. 1. in: MüKo-StGB, §  31 BtMG Rn.  24; Beulke: Strafprozessrecht, Rn. 425; vgl. BGH NStZ 2003, 274; NStZ 2004, 345, 346; NStZ 2005, 43. 106  Siehe hierzu auch Maier, in: MüKo-StGB, § 31 BtMG Rn. 19 ff. 107  Ritscher, in: BeckOK-StPO, § 223 Rn. 5; Schlüchter, in: SK-StPO, § 223 Rn. 111. 108  Siehe hierzu Beulke: Strafprozessrecht, Rn. 427; Renzikowski JZ 1999, 605, 606 ff. 109  Beulke: Strafprozessrecht, Rn. 427. 110  BGH StV 1993, 171; Beulke: Strafprozessrecht, Rn. 427; Maier, in: MüKoStGB, § 31 BtMG Rn. 22. 105  Maier,

150

4. Teil: Handhabung der Kronzeugenregelung

der Verteidigungsmöglichkeiten sind zudem zur Sicherung einer fairen Verfahrensgestaltung durch eine besonders vorsichtige Beweiswürdigung zu kompensieren (sog. Beweiswürdigungslösung).111 Auf die Angaben eines anonymen bzw. gesperrten Zeugen darf eine gerichtliche Feststellung nur dann gestützt werden, wenn dessen Bekundungen durch andere wichtige, außerhalb der Aussage liegende Gesichtspunkte bestätigt worden sind.112 Die aus der geheimen Quelle stammenden Informationen dürfen folglich nicht als alleinige Urteilsgrundlage, sondern nur zur Bestätigung und Abrundung der sonstigen Beweisergebnisse herangezogen werden.113

II. Zeugenschutz nach dem Zeugenschutz-Harmonisierungsgesetz Um den Schutz gefährdeter Zeugen auch außerhalb des Strafverfahrens zu gewährleisten, wurde mit dem am 31.12.2001 in Kraft getretenen Zeugenschutz-Harmonisierungsgesetz (ZSHG) vom 11.12.2001114 erstmals eine bundeseinheitliche Rechtsgrundlage geschaffen. Bis dahin konnten entsprechende Schutzmaßnahmen lediglich auf Verwaltungsrichtlinien, die polizeilichen Generalklauseln oder die Figur des rechtfertigenden Notstands nach § 34 StGB gestützt werden. Diese Rechtsgrundlagen boten jedoch einerseits nicht die nötige Rechtssicherheit und reichten andererseits oftmals für spezifische Maßnahmen, wie z. B. die Einrichtung und Aufrechterhaltung einer Tarnidentität, nicht aus.115 Eigentlich ist Zeugenschutz ein Teilbereich der Gefahrenabwehr. Die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes ergibt sich jedoch aus dem engen sachlichen Zusammenhang mit dem Strafverfahren als Annexkompetenz zur Regelung des gerichtlichen Verfahrens nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG.116 Geschützt werden können gem. § 1 Abs. 1 ZSHG solche Personen, ohne deren Angaben in einem Strafverfahren die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsorts des Beschuldigten aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre. Ob die Schutzperson in diesem Strafverfahren als Zeuge oder als weiterer Beschuldigter auftritt, ist unerheblich.117 Darü111  BGH

NJW 2004, 1259. NJW 2000, 3505, 3510; NJW 1962, 1876; zur Normierung einer entsprechenden Beweisregel für die Aussage eines Kronzeugen vgl. 6. Teil C. III. 4. b). 113  BGH NStZ 2000, 265, 266; Maier, in: MüKo-StGB, § 31 BtMG Rn. 23. 114  BGBl. 2001 I S. 3510. 115  BT-Drucks. 14 / 6279, S.  3; Siegismund: Der Schutz gefährdeter Zeugen in der Bundesrepublik, S. 1. 116  BT-Drucks. 14 / 6279, S.  8 f. 117  Soiné / Engelke NJW 2002, 470, 472. 112  BGH



E. Schutz gefährdeter Kronzeugen 151

ber hinaus muss die Person infolge ihrer Aussagebereitschaft einer Gefährdung von Leib, Leben, Gesundheit, Freiheit oder wesentlicher Vermögenswerte ausgesetzt sein und sich für Zeugenschutzmaßnahmen eignen. In diesem Sinne ungeeignet sind etwa Personen, die zu der notwendigen Geheimhaltung nicht gewillt oder in der Lage sind, falsche Angaben machen oder zusätzliche Straftaten begehen.118 Weitere Voraussetzung ist schließlich das Einverständnis der zu schützenden Person. Versuche, die Aussagebereitschaft des Zeugen zu beeinträchtigen, können sich jedoch auch gegen Ehepartner, Familienmitglieder oder andere Personen richten. Die Gesetzesbegründung nennt als Beispiele das Zusenden von Tierkadavern, die Abgabe von Warnschüssen, Bedrohungen, Sachbeschädigungen und Körperverletzungen bis hin zu versuchten und vollendeten Tötungsdelikten.119 Nach § 1 ZSHG ist daher neben dem Schutz des gefährdeten Zeugen auch der Schutz seiner Angehörigen oder der ihm sonst nahe stehenden Personen möglich (Abs. 2) und zwar selbst dann, wenn diese nicht selbst gefährdet sind (Abs. 3). Letzterer Fall kann etwa bei der Wohnsitzverlagerung einer gesamten Familie eintreten.120 § 2 Abs. 1 ZSHG enthält eine Aufgabenzuweisung an die beim BKA und sämtlichen Bundesländern eingerichteten Zeugenschutzdienststellen.121 Diese treffen ihre Entscheidung über Maßnahmen gem. dem ZSHG nach pflichtgemäßem Ermessen, wobei insbesondere die Schwere der Tat, der Grad der Gefährdung, die Beschuldigtenrechte und die Auswirkungen der Maßnahmen abzuwägen sind (§ 2 Abs. 2 ZSHG). Ein Anspruch auf bestimmte Zeugenschutzmaßnahmen besteht nicht.122 Gleichwohl unterliegen die Entscheidungen der Zeugenschutzdienststelle nach allgemeinen Grundsätzen der verwaltungsgerichtlichen Nachprüfung.123 Auch wenn es sich hierbei um den Hauptanwendungsfall handeln dürfte, ist der Anwendungsbereich des ZSHG nicht – wie noch im Gesetzesentwurf des Bundesrates vorgesehen – auf die Deliktsbereiche des Terrorismus und der organisierten Kriminalität beschränkt.124 Die erforderliche Abwägung gewährleistet jedoch, dass Schutzmaßnahmen regelmäßig nur in Fällen schwerer Kriminalität in Betracht kommen.125 Die Zeugenschutzdienststellen sind in der Regel organisatorisch von den ermittelnden Dienststellen getrennt; auf eine ver118  Soiné / Engelke

NJW 2002, 470, 472. 14 / 6279, S.  8. 120  BT-Drucks. 14 / 6279, S.  10. 121  Maier, in: MüKo-StGB, § 31 BtMG Rn. 26. 122  Maier, in: MüKo-StGB, § 31 BtMG Rn. 27. 123  Soiné / Engelke NJW 2002, 470, 473. 124  Vgl. BT-Drucks. 14 / 638. 125  Soiné / Engelke NJW 2002, 470, 472 f. 119  BT-Drucks.

152

4. Teil: Handhabung der Kronzeugenregelung

bindliche Regelung dieser Trennung wurde allerdings verzichtet, um nicht in die Organisationshoheit der Länder einzugreifen.126 Findet eine Trennung in der Praxis jedoch nicht statt, können sich hieraus unter Umständen Bedenken gegen die Glaubhaftigkeit der Aussage bzw. die persönliche Glaubwürdigkeit des Zeugen ergeben, da ein Einfluss auf das Aussageverhalten des Zeugen nicht ohne Weiteres ausgeschlossen werden kann.127 Damit ein wirksamer Zeugenschutz auch in der besonderen Situation des Strafvollzugs gewährleistet werden kann, schreibt § 11 ZSHG eine Einigung der Zeugenschutzdienststelle mit dem Anstaltsleiter vor. § 4 Abs. 1 ZSHG enthält eine der „zentralen Vorschriften“128 des Harmonisierungsgesetzes. Hiernach können die Zeugenschutzdienststellen gegenüber öffentlichen und nicht öffentlichen Stellen mit Ausnahme der sachleitenden Staatsanwaltschaften jede Auskunft über personenbezogene Daten der zu schützenden Personen verweigern, soweit dies für deren Schutz erforderlich ist. § 4 Abs. 2 und 3 ZSHG ermöglichen darüber hinaus öffentlichen sowie nichtöffentlichen Stellen, personenbezogene Daten auf Ersuchen der Zeugenschutzdienststellen zu sperren oder sie nicht zu übermitteln. Eine wichtige Maßnahme des Zeugenschutzes ist darüber hinaus die Schaffung einer vorübergehenden Tarnidentität gem. § 5 ZSHG. Die Vorschrift ermöglicht es, die zu schützende Person mit neu hergestellten oder veränderten Tarndokumenten auszustatten, damit diese am Rechtsverkehr teilnehmen kann.129 Erforderlich sein können solche Dokumente z. B. für die Aufnahme eines Arbeitsverhältnis oder für die Ein- und Umschulung von Kindern.130 Öffentliche Stellen kommen einem entsprechenden Ersuchen der Zeugenschutzdienststelle nach, soweit keine übergeordneten Belange entgegenstehen (§ 5 Abs. 1 S. 2 ZSHG). Die Beurteilung der Erforderlichkeit einer solchen Maßnahme obliegt der Zeugenschutzdienststelle, deren Einschätzung für die ersuchte Stelle verbindlich ist (§ 5 Abs. 1 S. 3 ZSHG). Nichtöffentliche Stellen sind gem. § 5 Abs. 2 ZSHG verpflichtet, dem Verlangen nachzukommen. Für eine dauerhafte Veränderung der Indentität existiert keine Rechtsgrundlage.131 Der Gesetzgeber entschied sich bewusst gegen eine entsprechende Regelung, da man die mit einer dauerhaften Iden126  Siegismund:

Der Schutz gefährdeter Zeugen in der Bundesrepublik, S. 92. Eisenberg: Beweisrecht der StPO, Rn. 1455a; ebenfalls kritisch Zacharias: Der gefährdete Zeuge im Strafverfahren, S. 182 ff.; a. A. Maier, in: MüKoStGB, § 31 BtMG Rn. 27. 128  Soiné / Engelke NJW 2002, 470, 473. 129  Maier, in: MüKo-StGB, § 31 BtMG Rn. 26. 130  BT-Drucks. 14 / 6279, S.  12. 131  Siegismund: Der Schutz gefährdeter Zeugen in der Bundesrepublik, S. 74. 127  Siehe



E. Schutz gefährdeter Kronzeugen 153

titätsveränderung zwingend einhergehende Änderung von Personenstandsregistern ablehnte (vgl. daher nunmehr § 5 Abs. 1 S. 4 ZSHG).132 Ein wichtiger Gesichtspunkt ist zudem die Sicherung der wirtschaftlichen Existenz des Zeugen. Ansprüche des Zeugen gegenüber Dritten, insbesondere staatlichen Leistungsträgern, bleiben nach § 7 ZSHG von der Aufnahme in den Zeugenschutz unberührt. Gegenüber öffentlichen Stellen übernimmt die Zeugenschutzdienststelle im Interesse der zu schützenden Person eine Mittlerfunktion. Sie ermöglicht etwa die Überprüfung der Leistungs­ voraussetzungen einer Hilfegewährung.133 § 8 ZSHG erlaubt unmittelbare Zuwendungen der Zeugenschutzdienststelle nach einem strengen Maßstab nur in dem Umfang, der für den Zeugenschutz erforderlich ist, soweit der gefährdete Zeuge eigene Mittel nicht einsetzen kann und sonstige staatliche Hilfen nicht zur Verfügung stehen.134 Um dem Vorwurf entgegenzutreten, der Zeuge habe für seine Aussage unzulässige Vorteile erhalten, darf die Schutzperson nicht besser gestellt werden, als vor ihrer Aufnahme in den Zeugenschutz.135 § 2 Abs. 1 S. 2 ZSHG enthält schließlich die Klarstellung, dass präventive Bundes- und landesrechtliche Regelungen zur Abwehr der für die Schutzperson bestehenden Gefahren unberührt bleiben. Weitere konkrete, nicht im ZSHG geregelte Zeugenschutzmaßnahmen sind beispielsweise der Wohnsitzwechsel, der unmittelbare Personenschutz (insbesondere als Begleitung zu Gerichtsterminen), die Lebenshilfe durch Zurseitestellung eines Ansprechpartners oder die Veränderung des Aussehens des gefährdeten Zeugen, welche vom bloßen Färben der Haare bis – in Extremfällen – zu chirurgischen Eingriffen reichen kann.136 Da es sich bei ca. 40–50 % der gefährdeten Zeugen um ausländische Staatsbürger handelt, sind oftmals auch ausländerrechtliche Zugeständnisse erforderlich, wie die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung gem. § 60a Abs. 2 S. 2 AufenthG durch die Ausländerbehörde bis wenigstens zur Beendigung des Verfahrens.137 Zu beachten ist ferner, dass § 3 Abs. 1 ZSHG eine Geheimhaltungspflicht des geschützten Zeugen begründet. Diese grundsätzlich umfassende Pflicht zur Verschwiegenheit wird jedoch durch § 10 ZSHG für die Aussage vor Gerichten und parlamentarischen Untersuchungsausschüssen durchbrochen:138 132  Vgl.

BT-Drucks. 14 / 6467, S. 11 f.; vgl. ferner schon BT-Drucks. 12 / 989, 60 f. 14 / 6279, S.  12. 134  BT-Drucks. 14 / 6279, S.  13. 135  BT-Drucks. 14 / 6279, S.  13; Weber: BtMG, § 31 Rn. 14. 136  Siegismund: Der Schutz gefährdeter Zeugen in der Bundesrepublik, S. 75 ff. 137  Vgl. Siegismund: Der Schutz gefährdeter Zeugen in der Bundesrepublik, S. 76; Senge, in: Erbs / Kohlhaas: Strafrechtliche Nebengesetze, § 60a AufenthG Rn. 4. 138  BGH NJW 2006, 785, 787. 133  BT-Drucks.

154

4. Teil: Handhabung der Kronzeugenregelung

Das ZSHG gewährt dem Zeugen im Strafverfahren keine über die StPO hinausgehenden Rechte (vgl. § 10 Abs. 3 ZSHG).139 So begründet die Aufnahme in ein Zeugenschutzprogramm auch verbunden mit einer förmlichen Verpflichtung zur Verschwiegenheit nicht die Notwendigkeit zur Einholung einer Aussagegenehmigung gem. § 54 Abs. 1 StPO. Der zu schützende Zeuge zählt nicht zur Gruppe der „anderen Personen des öffentlichen ­ Dienstes“.140 Auch dürfen Fragen, durch deren Beantwortung ein in ein Zeugenschutzprogramm aufgenommener Zeuge ihm bekannt gewordene Erkenntnisse über Zeugenschutzmaßnahmen offenbaren müsste, nicht ohne Weiteres als ungeeignet oder nicht zur Sache gehörend i. S. d. § 241 Abs. 2 StPO zurückgewiesen werden.141 Eine Zurückweisung kommt jedoch nach allgemeinen Grundsätzen in Betracht, wenn die Beantwortung nach der Überzeugung des Gerichts weder Schuldspruch- noch Rechtsfolgenrelevanz besitzt (vgl. § 244 Abs. 2 StPO).142

III. Zusammenfassung und Bewertung Die Vorschriften der StPO, des GVG und des ZSHG bieten demnach ein breites Spektrum an Maßnahmen zur Gewährleistung der Sicherheit gefährdeter Kronzeugen innerhalb und außerhalb des Verfahrens. Dabei beinhaltet das ZSHG fast ausschließlich generalklauselartige Befugnisnormen. Dies erklärt sich daraus, dass eine Regelung der komplexen Materie durch eine Vielzahl von Einzelfallvorschriften zwangsläufig Lücken aufweisen müsste. Daneben bestand die Befürchtung, die detaillierte und bundeseinheitliche Auflistung aller zulässigen Maßnahmen des Zeugenschutzes könnte zugleich eine genaue Beschreibung der Schwachstellen beinhalten und damit gewissermaßen einen Leitfaden für potenzielle Gefährder liefern.143 Trotz dieser Vorkehrungen nannten im Rahmen der empirischen Untersuchung zahlreiche Praktiker die Angst vor Gefahren aus dem bisherigen kriminellen Umfeld als eine der Hauptursachen für eine insgesamt eher niedrige Aussagebereitschaft potenzieller Kronzeugen.144 Dennoch führt die Beendigung des Strafverfahrens gem. § 1 Abs. 4 S. 4 ZSHG nicht zur Aufhebung des Zeugenschutzes, wenn dem Zeugen weiterhin Gefahren drohen; zudem haben die zuständigen Polizeibehörden auf Grundlage des NJW 2006, 785, 787; Maier, in: MüKo-StGB, § 31 BtMG Rn. 28. Beweisrecht der StPO, Rn. 798a; Maier, in: MüKo-StGB, § 31 BtMG Rn. 28. 141  BGH NJW 2006, 785, 786 f.; Maier, in: MüKo-StGB, § 31 BtMG Rn. 28. 142  Eisenberg: Beweisrecht der StPO, Rn. 798a. 143  Soiné / Engelke NJW 2002, 470, 471. 144  Siehe 7. Teil B. II. 4. d). 139  BGH

140  Eisenberg:



E. Schutz gefährdeter Kronzeugen 155

Poli­zeirechts Gefahren für bedeutsame Rechtsgüter der betroffenen Person auch dann abzuwehren, wenn Maßnahmen nach dem ZSHG aufgrund fehlender Voraussetzungen nicht oder nicht mehr in Betracht kommen.145 Gleichwohl wird zum Teil befürchtet, die staatliche Fürsorgebereitschaft könnte schlagartig oder zumindest langfristig nachlassen, sobald der Beschuldigte seiner Zeugenpflicht erst einmal nachgekommen ist. Die meisten Beschuldigten hätten nur wenig Vertrauen in die staatlichen Vorkehrungen zur Gewährleistung ihrer Sicherheit. Auf der anderen Seite können gerade auch wirksame Zeugenschutzmaßnahmen zu erheblichen Unanehmlichkeiten führen, wie z. B. den durch einen Wohnortwechsel bedingten Arbeitsplatzverlust oder die soziale Isolation des Zeugen.146 Unter Umständen wird daher selbst ein durch die Aufnahme in ein Zeugenschutzprogramm ermöglichter Neustart gegenüber einer Verweigerung jeglicher Kooperation als nachteilig empfunden. Im Strafprozess werden Maßnahmen zum Schutz gefährdeter Zeugen vor allem durch das Recht des Beschuldigten auf ein faires Verfahren begrenzt, im Speziellen durch sein Recht, Fragen an den Belastungszeugen zu stellen. So ermöglicht etwa § 68 Abs. 3 StPO gegebenenfalls einen Verzicht auf die Angaben zur Person. Einen Schutz davor, dass die Geheimhaltung der Identität durch Fragen zur Sache selbst absichtlich oder versehentlich gefährdet wird, kann die StPO jedoch nicht bieten.147 Auch wenn Fragen zur Sache Rückschlüsse auf die Identität des Zeugen zulassen, können sie regelmäßig weder zurückgewiesen werden, noch berechtigen sie den Zeugen zur Auskunftsverweigerung.148 Wird die unmittelbare Vernehmung des Zeugen in Ausnahmefällen durch die Verlesung von Vernehmungsprotokollen oder die Vernehmung eines Zeugen vom Hörensagen vollständig ersetzt, ist dem Beschuldigten oder seinem Verteidiger entweder zum Zeitpunkt der Aussage oder in einem späteren Verfahrensstadium eine angemessene und geeignete Gelegenheit zu geben, der originären Auskunftsperson Fragen zu stellen oder stellen zu lassen.149 Eine kommissarische 145  Soiné / Engelke

NJW 2002, 470, 472. hierzu das Fallbeispiel im Abschnitt „Sozialer Abstieg durch Zeugenschutzprogramm“ bei Siegismund: Der Schutz gefährdeter Zeugen in der Bundesrepublik, S.  61 ff. 147  BGH NStZ 2004, 345, 346; Maier, in: MüKo-StGB, § 31 BtMG Rn. 18 (Fn. 24), 24. 148  BGH NStZ 2004, 345, 346; Maier, in: MüKo-StGB, § 31 BtMG Rn. 24. 149  BGH NJW 2000, 3505, 3507; NStZ 2004, 505, 506; Maier, in: MüKo-StGB, § 31 BtMG Rn. 20; siehe auch die Vorgabe des EGMR StV 1990, 481: „As a rule, these rights require that an accused should be given an adequate and proper opportunity to challenge and question a witness against him, either at the time the witness was making his statement or at some later stage of the proceedings“. 146  Vgl.

156

4. Teil: Handhabung der Kronzeugenregelung

Vernehmung, an der weder der Angeklagte noch sein Verteidiger beteiligt waren, etwa weil sie nicht nach § 224 StPO benachrichtigt wurden, ist mit Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK nicht mehr zu vereinbaren.150 Auch wenn die zeitweilige Entfernung des Angeklagten gem. § 247 StPO grundsätzlich möglich ist, darf der Verteidiger selbst bei erheblicher Gefährdung des Zeugen nicht ausgeschlossen werden.151

150  Renzikowski 151  BGH

JZ 1999, 605, 612. NJW 1984, 247, 249.

5. Teil

Bedeutung des § 46b StGB im Jugendstrafverfahren Die aus Sicht der Praxis eigentlich naheliegende Frage, ob und inwieweit die Honorierung der Aufklärungs- und Präventionshilfe auch im Jugendstrafverfahren eine Rolle spielen darf, wurde im gesamten Gesetzgebungsverfahren einschließlich der Sachverständigenanhörung im Rechtsausschuss mit keinem Wort erwähnt.1 Im Gegensatz dazu enthielt z. B. der Entwurf des Gesetzes zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren sogar einen eigenständigen Abschnitt zu den sich im Bußgeld- und Jugendstrafverfahren ergebenden Besonderheiten.2 Bei genauerer Betrachtung zeigt sich, dass von einer Erörterung im Entwurf des 43. StrÄndG zu Unrecht abgesehen wurde, da sich die Frage nach der Anwendbarkeit von § 46b StGB im Jugendstrafverfahren und seiner Vereinbarkeit mit jugendstrafrechtlichen Prinzipien nicht ohne Weiteres anhand des Gesetzestextes beantworten lässt.

A. Strafmilderung nach § 46b Abs. 1 S. 1 StGB I. Unmittelbare Anwendbarkeit Ausgangspunkt ist § 2 Abs. 2 JGG, der besagt, dass die allgemeinen Vorschriften im Jugendstrafverfahren nur Anwendung finden können, soweit im JGG nichts anderes bestimmt ist. Strafrechtsgesetze wie das StGB (vgl. § 10 StGB), das Nebenstrafrecht und die StPO gelten daher nur subsidiär. Eine im Sinne des § 2 Abs. 2 JGG gegenüber den allgemeinen Vorschriften vorrangige Regelung enthält § 18 JGG: Nach § 18 Abs. 1 S. 3 JGG gelten die Strafrahmen des Erwachsenenstrafrechts nicht. Da folglich eine Strafrahmenverschiebung nicht in Betracht kommen kann, muss eine unmittelbare Anwendung von § 46b Abs. 1 S. 1 i. V. m. § 49 Abs. 1 StGB ausscheiden.3 Weil es sich um reine Strafzumessungsvorschriften handelt, dürfen sie auch im Urteilstenor keine Berücksichtigung finden.4 Eisenberg: Beweisrecht der StPO, Rn. 945. BT-Drucks. 16 / 11736, S. 7 f. 3  Vgl. zu § 31 BtMG BGH NStZ 1998, 90; Weber: BtMG, § 31 Rn. 186; Maier, in: MüKo-StGB, § 31 BtMG Rn. 160. 4  Siehe allgemein Laubenthal / Baier / Nestler: Jugendstrafrecht, Rn. 766. 1  Vgl.

2  Siehe

158

5. Teil: Bedeutung des § 46b StGB im Jugendstrafverfahren

II. Kollision mit jugendstrafrechtlichen Prinzipien Der Vorrang des JGG gegenüber den allgemeinen Bestimmungen erstreckt sich nicht nur auf Gesetzesnormen im förmlichen Sinne, sondern auch auf die dem JGG immanenten Grundsätze und Ziele, sofern das allgemeine Strafrecht bzw. Strafverfahrensrecht diesen widersprechen oder nicht zu jugendadäquaten Ergebnissen führen würde.5 Vor diesem Hintergrund ist die grundsätzliche Vereinbarkeit einer Honorierung der Aufklärungs- und Präventionshilfe mit dem in § 2 Abs. 1 JGG umrissenen Erziehungsgedanken bzw. dem Gesetzesziel eines jugendadäquaten Präventionsstrafrechts6 zumindest fragwürdig.7 Hinsichtlich des Einklangs mit jugendstrafrechtlichen Prinzipien kann zunächst vergleichend auf den Entwurf des Gesetzes zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren zurückgegriffen werden. Ausweislich der Materialien des Verständigungsgesetzes sollen Absprachen in Verfahren gegen Jugendliche und Heranwachsende mangels „geeigneter Fälle“ i. S. d. § 257c StPO grundsätzlich ausgeschlossen sein, weil die „besonderen jugendstrafrechtlichen Strafzumessungsregeln und Aspekte des Erziehungsgedanken in der Regel entgegenstehen werden.“8 Absprachen über das Prozessverhalten könnten daher nur in besonderen Ausnahmenfällen unter Beachtung jugendstrafrechtlicher Grundsätze getroffen werden.9 In der Literatur finden sich darüber hinaus auch Stimmen, die Absprachen im Jugendstrafrecht für gänzlich unzulässig halten.10 Unter anderem wird bemängelt, dass seit der Grundsatzentscheidung des BGH zu Urteilsabsprachen aus dem Jahr 199711 Reue und Schuldgefühle nicht mehr zu den Voraussetzungen für die strafmildernde Berücksichtigung eines Geständnisses zählten. Dies führe jedoch zu einem Konflikt mit dem Präventionsziel des Jugendstrafrechts, da bei einem allein auf den eigenen Vorteil bedachten Prozessverhalten innerhalb einer Urteilsabsprache keine Auseinandersetzung des Angeklagten mit der begangenen Tat und somit keine innere Akzeptanz und Schuldeinsicht gefördert werde.12 Gegen eine Belohnung der durch 5  Eisenberg:

JGG; § 2 Rn. 27. JGG, Grdl. Z. §§ 1 und 2 Rn. 4. 7  Eisenberg: JGG, § 2 Rn. 27; Kinzig, in: Schönke / Schröder: StGB, § 46b Rn. 3; Rössner, in: Meier / Rössner / Trüg / Wulf: JGG, § 2 Rn. 26; zu § 31 BtMG siehe AG Saalfeld StV 2007, 16; Weber: BtMG, § 31 Rn. 136. 8  BT-Drucks. 16 / 11736, S.  9; Eisenberg: JGG, § 2 Rn. 39. 9  BT-Drucks. 16 / 11736, S.  9. 10  Heller: Das Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren, S.  260 ff.; Eisenberg: JGG, § 2 Rn. 39; Velten, in: SK-StPO, § 257c Rn. 9. 11  BGHSt 43, 195, 208 ff. 12  Heller: Das Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren, S. 262 f. 6  Ostendorf:



A. Strafmilderung nach § 46b Abs. 1 S. 1 StGB159

e­inen Jugendlichen oder Heranwachsenden geleisteten Aufklärungs- und Präventionshilfe bestehen ganz ähnliche Bedenken, die der Gesetzgeber jedoch nicht gesehen zu haben scheint, bzw. ihn nicht zu einer Auseinandersetzung im Gesetzgebungsverfahren veranlassten. Auch die Gewährung einer Strafmilderung für geleistete Ermittlungshilfe enthält Elemente eines Tauschgeschäfts, die bei einem Jugendlichen den Eindruck erwecken könnten, Strafe sei etwas, das sich aushandeln ließe und abhängig davon, was man im Gegenzug für einen Strafrabatt anzubieten habe. Damit wäre weniger eine Motivation zur künftigen Einhaltung strafrechtlicher Normen als vielmehr zur Anhäufung von Wissen über fremde Straftaten erreicht. Im Jugendstrafrecht soll in besonderem Maße die Täterpersönlichkeit im Mittelpunkt stehen (vgl. § 43 JGG). Hauptziel des Jugendstrafrechts ist die Einwirkung auf den Täter zur Vermeidung zukünftiger Straftaten (vgl. § 2 Abs. 1 JGG).13 Die Mittel zur Erreichung dieses Ziels sind erzieherisch auszugestalten. Der Erziehungsgedanke nach § 2 Abs. 1 S. 2 JGG ist durch möglichst helfende und unterstützende Sanktionen im Sinne einer positiven Spezialprävention umzusetzen.14 Bei § 46b StGB ist hingegen völlig ohne Bedeutung, ob die geleistete Ermittlungshilfe Schlüsse auf die Persönlichkeit des Täters und sein Verhältnis zur Tat zulässt. Maßgeblich ist allein deren objektiver Ertrag.15 Die Belohnung der Ermittlungshilfe ist als Gegenleistung für die Vereinfachung der Strafverfolgung bzw. Prävention gedacht. Reue und Schuldeinsicht gehören nicht zu den Anwendungsvoraussetzungen; der Beschuldigte kann sich grundsätzlich auch mit rein prozesstaktischem Verhalten eine Strafmilderung verdienen. Des Weiteren soll das durch den Anstieg von Wissensoffenbarungen erhöhte Entdeckungsrisiko gerade eine abschreckende Wirkung für potenzielle Straftäter im Sinne negativer Generalprävention entfalten.16 Im Jugendstrafrecht ist die unmittelbare Berücksichtigung negativ-generalpräventiver Erwägungen dagegen nach einhelliger Auffassung unzulässig.17 Dies ergibt sich schon aus dem Wortlaut der ausdrücklichen Zielbestimmung in § 2 Abs. 1 JGG, wonach erneuten Straftaten „eines“ und nicht „von“ Jugendlichen oder Heranwachsenden entgegenwirkt werden soll.18 Das Jugendstrafrecht zeichnet sich vielmehr gerade dadurch aus, dass es der Individualisierung der Rechtsfolge unter möglicher Beeinträchtigung einer generalpräven13  Ostendorf:

JGG, § 2 Rn. 1. JGG, § 2 Rn. 5. 15  Vgl. zu § 31 BtMG Quentin, in: FS-Stöckel, S. 467. 16  BT-Drucks. 16 / 6268, S.  11. 17  So BGHSt 15, 226; NStZ 1994, 125; Ostendorf: JGG, § 2 Rn. 4; Laubenthal /  Baier / Nestler: Jugendstrafrecht, Rn. 725; Sonnen, in: Diemer / Schatz / Sonnen: JGG; § 2 Rn. 1 und § 18 Rn. 16; vgl. BT-Drucks. 16 / 6293, 10. 18  Sonnen, in: Diemer / Schatz / Sonnen: JGG; § 2 Rn. 1. 14  Ostendorf:

160

5. Teil: Bedeutung des § 46b StGB im Jugendstrafverfahren

tiven Wirkung den Vorrang einräumt.19 Diese Bedenken werden allerdings dadurch gemildert, dass § 46b StGB den Abschreckungseffekt nicht durch eine höhere, sondern eine niedrigere Bestrafung des einzelnen Kronzeugen erreichen soll. Eine Kooperation im Sinne von Ermittlungshilfeleistungen darf daher nicht mit der im Jugendstrafrecht grundsätzlich anzustrebenden „koopera­ tiven Sanktionierung“20 verwechselt werden. Wie die Verständigung im Strafprozess gem. § 257c StPO dient der durch Kronzeugenregelungen geschaffene Anreiz primär der Verfahrenseffizienz. Kooperative Sanktionierung meint dagegen, den Jugendlichen oder Heranwachsenden in die Entscheidung über die Sanktion einzubeziehen, Unrechtseinsicht und Sanktionsakzeptanz zu vermitteln und somit insbesondere den Erfolg von helfenden Sanktionen wie dem Täter-Opfer-Ausgleich oder dem sozialen Trainingskurs zu stärken.21 Darüber hinaus bestehen Bedenken im Hinblick auf das jugendstrafrechtliche Beschleunigungsgebot. Als Gesetzesfolge des 43. StrÄndG versprach man sich zunächst eine Effizienzsteigerung; die schnellere Aufklärung der Tat und die mögliche Verhinderung zusätzlicher Straftaten sollten weitere aufwändige Ermittlungen entbehrlich machen.22 Im Verfahren gegen den Kronzeugen selbst kommt es jedoch zu Verfahrenserschwernissen, da die notwendige Überzeugungsbildung vom Vorliegen des Aufklärungserfolges einen zusätzlichen Aufwand bedeutet.23 Die Beschleunigung der Ermittlungen gegen Dritte ginge somit zulasten der zügigen Durchführung des Verfahrens gegen den Jugendlichen oder Heranwachsenden selbst. Dem steht der Beschleunigungsgrundsatz entgegen, welcher zwar grundsätzlich schon im Erwachsenenstrafrecht gilt, im Jugendstrafrecht jedoch in besonderer Weise zu berücksichtigen ist (vgl. etwa § 43 Abs. 1 S. 1 JGG „sobald wie möglich“), da die spezialpräventive Wirksamkeit jugendstrafrechtlicher Maßnahmen mit zunehmender Verfahrensdauer schwindet.24

III. Verbot der Schlechterstellung § 46b Abs. 1 S. 1 StGB ist folglich im Jugendstrafrecht nicht unmittelbar anwendbar. Auch stößt die Belohnung der Aufklärungs- und Präventionshil19  BGH

NStZ 1991, 584. Jugendstrafrecht, Rn. 52 f.; Zweite Jugendstrafrechtsreform-Kommission der DVJJ DVJJ-Extra Nr. 5, 13 („Grundsatz der Beteiligung“). 21  Ostendorf: Jugendstrafrecht, Rn. 52a. 22  BT-Drucks. 16 / 6268, S.  9. 23  Vgl. dazu Frank / Titz ZRP 2009, 137, 138. 24  Ostendorf: Jugendstrafrecht, Rn. 57. 20  Ostendorf:



A. Strafmilderung nach § 46b Abs. 1 S. 1 StGB161

fe junger Menschen auf grundsätzliche Bedenken im Hinblick auf jugendstrafrechtliche Prinzipien. Dennoch kann das Vorliegen der Voraussetzungen des § 46b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 StGB bei Jugendlichen und Heranwachsenden nicht ohne Bedeutung bleiben, weil auf der anderen Seite die vertypten Milderungsgründe des allgemeinen Strafrechts gesetzgeberische Wertentscheidungen enthalten, die trotz vorrangiger Regelung in § 18 Abs. 1 S. 3 JGG immer auch im Jugendstrafverfahren inhaltliche Berücksichtigung finden müssen.25 Sämtliche Umstände, die bei einem Erwachsenen zur Anwendung eines gemilderten Strafrahmens geführt hätten, müssen auch bei der Strafzumessung innerhalb des absolut geltenden Strafrahmens nach § 18 JGG herangezogen werden.26 Dabei ist vor allem das „Verbot der Schlechterstellung Jugendlicher und Heranwachsender gegenüber Erwachsenen in vergleichbarer Verfahrenslage“ zu beachten. Die Sanktion im Jugendstrafrecht darf verglichen mit der Sanktion, die bei Anwendung des Erwachsenenstrafrechts verhängt worden wäre, nicht härter ausfallen. Die in den Strafrahmen des Erwachsenenstrafrechts enthaltenen Wertentscheidungen bilden demnach die obere Grenze der Sanktionierung innerhalb des jugendstrafrechtlichen Rahmens.27 Die Untergrenze hingegen richtet sich allein nach dem in § 2 Abs. 1 JGG definierten Präventionsziel.28 Zum Teil wird das Verbot der Schlechterstellung wegen Unvereinbarkeit mit dem Erziehungsgedanken insgesamt abgelehnt:29 Maßstab der Sanktionierung müssten allein die erzieherische Geeignetheit und Notwendigkeit der in Rede stehenden Maßnahmen sein und nicht eine irgendwie geartete Günstigkeit im Vergleich zu einem Erwachsenen. Durch das Verbot würden die – auch generalpräventiv orientierten – Wertungen des Erwachsenenstrafrechts „quasi durch die Hintertür“ eingeführt.30 Hintergrund des Verbots der 25  Ostendorf: JGG, § 5 Rn. 4, § 18 Rn. 4; Schaffstein / Beulke: Jugendstrafrecht, § 23 III. 26  BGH NStZ 1998, 90. 27  Siehe dazu Recommendation of the Committee of Ministers to member states on the European Rules for juvenile offenders subject to sanctions or measures ­(ERJOSSM) vom 5.11.2008, Nr. 13 S. 2 („Juveniles shall not have fewer legal rights and safeguards than those provided to adult offenders by the general rules of criminal procedure“); Burscheidt: Das Verbot der Schlechterstellung Jugendlicher und Heranwachsender gegenüber Erwachsenen in vergleichbarer Verfahrenslage, S. 95 ff.; Ostendorf: JGG, § 5 Rn. 4, § 18 Rn. 4; Nothacker Zbl 1985, 101, 111; Eisenberg: JGG, § 18 Rn. 11; Streng GA 1984, 149, 164; a. A. Brunner / Dölling: JGG, Einf II Rn. 26a; Paul: Drogenkonsumenten im Jugendstrafverfahren, S. 108 f. 28  Ostendorf: JGG, § 5 Rn. 4. 29  Paul: Drogenkonsumenten im Jugendstrafverfahren, S.  108  f.; Grunewald NStZ 2002, 452, 459. 30  Paul: Drogenkonsumenten im Jugendstrafverfahren, S. 109; Grunewald NStZ 2002, 452, 454.

162

5. Teil: Bedeutung des § 46b StGB im Jugendstrafverfahren

Schlechterstellung ist jedoch, dass eine einmal getroffene gesetzgeberische Entscheidung über die Angemessenheit eines Strafrahmens nicht vom Rechtsanwender zulasten der Jugendlichen und Heranwachsenden korrigiert werden darf.31 Der Gesetzgeber hat durch die typisierten Strafrahmen des Erwachsenenstrafrechts zu erkennen gegeben, mit welchem Höchstmaß an Härte in dem jeweiligen Fall bei einem uneingeschränkt verantwortlichen Straftäter reagiert werden darf.32 Demgegenüber spricht das frühe Entwicklungsstadium von Jugendlichen tendenziell für eine geringere Verantwortlichkeit, da sie über eine weniger stark ausgeprägte Widerstandskraft gegenüber Deliktsanreizen verfügen. Anders als bei einem voll verantwortlichen Erwachsenen, bei dem allein aus dem tatbestandlichen Tatunrecht Rückschlüsse auf die Schwere der Schuld gezogen werden können, ist bei einem Jugendlichen „besonders sorgfältig zu prüfen, in welchem Ausmaß er sich bereits frei und selbstverantwortlich gegen das Recht und für das Unrecht entschieden hat“.33 Ferner geht es beim Begriff der Erziehung aus strafrechtlicher Sicht vor allem darum, Jugendliche im Rahmen ihrer Persönlichkeitsentfaltung zur Einhaltung allgemein verbindlicher Strafrechtsnormen zu motivieren. Dabei verfügen Jugendliche über das primäre Bedürfnis, als gleichwertig akzeptiert und „ernst genommen“ zu werden.34 Erfolgt dagegen eine Schlechterstellung, führt dies fast zwangsläufig zu einer inneren Blockadehaltung und mangelnder Akzeptanz der Sanktion. Bemühungen im Sinne der positiven Individualprävention, die am meisten dem Erziehungsgedanken Rechnung trägt,35 wären damit in ihrer Wirksamkeit erheblich beeinträchtigt. Die „erzieherischen Gebote“ machen es erforderlich „Ungleichbehandlung und Zurücksetzung zu vermeiden“.36 Das Verbot der Schlechterstellung ist dem Erziehungsgedanken nicht abträglich, sondern – im Gegenteil – unabdingbare Voraussetzung zur Erreichung des Sank­ tionsziels im Sinne des § 2 Abs. 1 JGG. Die Nichtanwendbarkeit des § 46b Abs. 1 S. 1 StGB tangiert das Verbot der Schlechterstellung, soweit ein Jugendlicher oder Heranwachsender bei geleisteter Ermittlungshilfe eine härtere Strafe erhielte als bei entsprechender Verurteilung nach Erwachsenenstrafrecht.37 Einem jungen Menschen wäre kaum zu vermitteln, dass sein an sich kooperatives Verhalten vor Gericht aus erzieherischen Gründen keine Berücksichtigung finden könnte, 31  Ostendorf:

JGG, § 18 Rn. 5. Jugendstrafrecht, Rn. 767. 33  BGH StV 1994, 598, 599; Ostendorf: JGG, § 18 Rn. 5. 34  Eisenberg: JGG, § 2 Rn. 6. 35  Ostendorf: JGG; § 2 Rn. 5. 36  BGH NStZ 1991, 584. 37  So auch Eisenberg: JGG, § 2 Rn. 27; ders.: Beweisrecht der StPO, Rn. 945; Hüneke ZJJ 2009, 335, 336. 32  Laubenthal / Baier / Nestler:



B. Absehen von Strafe nach § 46b Abs. 1 S. 4 StGB163

während ein Erwachsener für eine identische Wissensoffenbarung mit hoher Wahrscheinlichkeit eine mildere Strafe erhalten hätte. Auch § 46b StGB enthält eine gesetzgeberische Wertentscheidung, die als Obergrenze bei der Sanktionierung innerhalb des von § 18 JGG vorgegebenen Strafrahmens akzeptiert werden muss. Das Jugendgericht muss daher feststellen, ob ein Fall des § 46b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 StGB vorliegt, und das in Rede stehende Verhalten im Sinne allgemeiner Erwägungen in die eigentliche Strafzumessung einbeziehen,38 wobei die Angemessenheit im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung als Anknüpfungspunkt dient.39 Dabei darf ein aufklärungsbereiter Jugendlicher zumindest nicht schwerer sanktioniert werden als ein aufklärungsbereiter Erwachsener.40 Dieselben Grundsätze gelten auch für Verfahren gegen Heranwachsende, sofern nach § 105 Abs. 1 Nr. 1 und / oder Nr. 2 JGG Jugendstrafrecht Anwendung findet. Wird der Heranwachsende hingegen nach allgemeinem Strafrecht beurteilt, gilt § 46b StGB unmittelbar. Hat der Heranwachsende eine lebenslange Freiheitsstrafe verwirkt, ist zudem tendenziell von dem fakultativen Strafmilderungsgrund in § 106 Abs. 1 JGG Gebrauch zu machen, um ihm die Möglichkeit einer Wiedereingliederung offen zu halten.41 Treffen die Milderungsgründe nach § 106 Abs. 1 JGG und § 46b StGB zusammen, kann dies zu einer doppelten Milderung des Strafrahmens führen.42 Ist erst einmal nach § 106 Abs. 1 JGG ein niedrigerer Strafrahmen eröffnet, liegt keine „ausschließlich“ angedrohte lebenslange Freiheitsstrafe i. S. d. § 46b Abs. 1 S. 1 StGB a. E. mehr vor. Die nun geltende Strafuntergrenze von zehn Jahren Freiheitsstrafe (§ 106 Abs. 1 JGG) ermäßigt sich daher bei zusätzlicher Anwendung des § 46b StGB auf zwei Jahre (§ 49 Abs. 1 Nr. 3 StGB).

B. Absehen von Strafe nach § 46b Abs. 1 S. 4 StGB Etwas anderes gilt für die Möglichkeit eines vollständigen Absehens von Strafe nach § 46b Abs. 1 S. 4 StGB. Dieser Teil der Kronzeugenregelung kann grundsätzlich auch im Jugendstrafrecht unmittelbar Anwendung fin38  Zu § 31 BtMG siehe BGH NStZ 1998, 90; Weber: BtMG, Vor §§ 29  ff. Rn. 1333 sowie § 31 Rn. 186; Maier, in: MüKo-StGB, § 31 BtMG Rn. 160; siehe allgemein Ostendorf: JGG, § 18 Rn. 4; BGH StV 1992, 432; OLG Zweibrücken StV 1994, 599; OLG Köln StV 2001, 178; OLG Hamm StV 2001, 178. 39  Vgl. Ostendorf: JGG, § 18 Rn. 4. 40  Wie hier Kinzig, in: Schönke  / Schröder: StGB, § 46b Rn. 3; Eisenberg: JGG, § 2 Rn. 27; Ostendorf: JGG, § 5 Rn. 4. 41  Eisenberg: JGG, § 106 Rn. 4; Ostendorf: JGG, § 106 Rn. 4. 42  Vgl. BT-Drucks 16 / 6268, S. 13; vgl. allgemein zur doppelten Strafrahmenmilderung BGHSt 30, 166; Fischer: StGB, § 50 Rn. 7. Siehe auch 2. Teil B. I.

164

5. Teil: Bedeutung des § 46b StGB im Jugendstrafverfahren

den. Denn das Reaktionssystem des JGG enthält keine abschließende Regelung der Rechtsfolgen; durch die positive Aufzählung der Sanktionsarten des JGG wird die mildere Sanktionsart eines Absehens von Strafe nach dem allgemeinen Strafrecht nicht gem. § 2 Abs. 2 JGG ausgeschlossen.43 Wenn nach allgemeinen Vorschriften ein Absehen von Strafe in Betracht kommt, ist jede von ihnen ebenso im Jugendstrafrecht anzuwenden, wie es insbesondere für § 60 StGB anerkannt ist.44 Der „erzieherische Anspruch“ des JGG bedarf insoweit einer restriktiven Handhabung und vermag die allgemeine Geltung der Normen des StGB nicht zu überspielen.45 Ferner rechtfertigt gerade die spezialpräventive Zielsetzung des Jugendstrafrechts aus den oben beschriebenen Gründen gegebenenfalls ein Absehen von Strafe in den Fällen, in denen auch bei einem Erwachsenen von Strafe abgesehen werden müsste.46 Auch im Hinblick auf die Kronzeugenregelung findet sich im JGG keine besondere Vorschrift, die nach Wortlaut oder Sinngehalt ein Absehen von Strafe für Fälle erlaubt oder verbietet, in denen der Täter im Ermittlungs- oder Zwischenverfahren Hilfe zur Aufklärung oder Verhinderung einer schweren Straftat leistet. Weder § 2 Abs. 2 JGG noch § 10 StGB stehen einer Anwendung des § 46b Abs. 1 S. 3 StGB im Wege. Liegen die Voraussetzungen des § 46b Abs. 1 S. 4 StGB vor, kann das Gericht folglich nach seinem Ermessen von Strafe absehen, was indes nur sehr selten der Fall sein wird. Im Rahmen der Ermessensausübung können besondere jugendstrafrechtliche Belange einbezogen werden.47 Die Urteilsgründe müssen erkennen lassen, dass sich der Jugendrichter des einschlägigen Anwendungsbereiches bewusst war, sofern nach der vorliegenden Sachlage Anlass zur ausdrücklichen Stellungnahme besteht.48 Absehen kann der Richter nicht nur von Jugendstrafe, sondern von allen jugendstrafrechtlichen Sanktionen, also auch von Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmitteln. Zwar ist nach der Terminologie des JGG die Jugendstrafe die einzige Maßnahme, die als „Strafe“ bezeichnet wird (vgl. §§ 5, 13 Abs. 3 JGG), jedoch ist bei Inbezugsetzung von Vorschriften des Jugendstrafrechts mit solchen des allgemeinen Strafrechts zu berücksichtigen, dass der Begriff der Strafe in den Vorschriften des allgemeinen Strafrechts in einem weiteren Sinn 43  BayObLG NStZ 1991, 584; Ostendorf: JGG, § 5 Rn. 21; a.  A. hinsichtlich § 60 StGB Terdenge JA 1978, 95, 148. 44  So die h. M., siehe BayObLG NJW 1961, 2029 f.; Ostendorf: JGG, § 5 Rn. 21; Laubenthal / Baier / Nestler: Jugendstrafrecht, Rn. 494; Diemer, in: Diemer / Schatz / Sonnen: JGG, § 5 Rn. 25. 45  Laubenthal / Baier / Nestler: Jugendstrafrecht, Rn. 493. 46  Laubenthal / Baier / Nestler: Jugendstrafrecht, Rn. 492. 47  BayObLG NJW 1961, 2029, 2030; Diemer, in: Diemer / Schatz / Sonnen: JGG, § 5 Rn. 25. 48  BayObLG NJW 1961, 2029, 2030.



C. Verfahrensrechtliche Besonderheiten165

auszulegen ist.49 In diesem weiteren Sinn müssen auch Erziehungsmaßregeln und Zuchtmittel als Strafen angesehen werden, da sie Sanktionscharakter haben und eine Verurteilung der Tat mit all ihren Konsequenzen voraussetzen.50 Insbesondere der Arrest, dem in § 13 Abs. 3 JGG formal die Rechtswirkungen einer Strafe abgesprochen werden, bleibt materiell ein Freiheitsentzug: „Der Strafcharakter ist die einfache Lebenswahrheit, welche durch bloßen Etikettenschwindel nicht beseitigt wird“.51 Auch stellen die Erziehungsmaßregeln zum Teil erhebliche Eingriffe in die Freiheitsrechte des Betroffenen dar. Bei schuldhafter Zuwiderhandlung gegen richterliche Weisungen droht nach § 11 Abs. 3 JGG „Ungehorsamsarrest“.52 Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmittel auszunehmen wäre demnach eine nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlung junger Menschen gegenüber Erwachsenen.53 Liegen die Voraussetzungen eines Absehens von Strafe vor, kann das Verfahren auch nach § 153b StPO eingestellt werden. § 153b StGB wird nicht von den speziellen Einstellungsvorschriften des Jugendstrafrechts verdrängt, weil der darin geregelte Sachverhalt von den §§ 45, 47 JGG nicht erfasst wird.54

C. Verfahrensrechtliche Besonderheiten Unter dem Gesichtspunkt eines fairen Verfahrens ist zu berücksichtigen, dass junge Menschen infolge ihrer geringeren Lebenserfahrung nicht in gleichem Maße zur Wahrung ihrer Interessen und zur Einschätzung ihrer verfahrensrechtlichen Situation in der Lage sind wie Erwachsene.55 Der Hinweis auf die Möglichkeit einer strafmildernden Berücksichtigung von Wissensoffenbarungen übt einen hohen Aussagedruck aus, nicht zuletzt auch auf Beschuldigte, die selbst kein Wissen über fremde Straftaten anzubieten haben. Nach empirischen Erkenntnissen verfügen junge Menschen gegenüber erwachsenen Beschuldigten tendenziell über eine gesteigerte 49  Eisenberg:

JGG, § 2 Rn. 41. Ostendorf: JGG, Grdl. z. § 3 Rn. 6 sowie Grdl. z. §§ 9–12 Rn. 4; Eisenberg: JGG, § 5 Rn. 11; Brunner / Dölling: JGG, § 2 Rn. 8. 51  Mayer: Strafrecht AT, S. 389; vgl. Ostendorf: Jugendstrafrecht, Rn. 194. 52  Ostendorf: JGG, Grdl. z. §§ 9–12 Rn. 4. 53  Wie hier Diemer, in: Diemer  /  Schatz  /  Sonnen: JGG, § 5 Rn. 25; Ostendorf. JGG, § 5 Rn. 21; Eisenberg: JGG, 5 Rn. 11; Laubenthal / Baier / Nestler: Jugendstrafrecht, Rn. 493 f.; a. A. hinsichtlich Erziehungsmaßregeln Bringewat NStZ 1992, 315, 318; Streng: Jugendstrafrecht, S. 128. 54  Laubenthal / Baier / Nestler: Jugendstrafrecht, Rn.  494; Diemer, in: Diemer  /  Schatz / Sonnen: JGG; § 45 Rn. 10. 55  AG Saalfeld StV 2007, 16; Rössner, in: Meier / Rössner / Trüg / Wulf: JGG, §  2 Rn. 26. 50  Siehe

166

5. Teil: Bedeutung des § 46b StGB im Jugendstrafverfahren

Geständnisbereitschaft, die nicht selten „selbstzerstörerische“ Ausmaße annimmt.56 In Jugendstrafverfahren kommt es überproportional häufig zur Ablegung falscher Geständnisse.57 Das Aussageverhalten junger Beschuldigter ist regelmäßig nicht zweckmäßig und berechnend, sondern emotional und situativ geprägt. Trotz des Wissens um die rechtliche Aussagefreiheit fehlt oftmals die psychische Befähigung, diese auch in der Vernehmungssituation wahrzunehmen.58 Geraten Jugendliche oder Heranwachsende durch den Hinweis auf § 46b StGB in Versuchung, werden sie auch dem Reiz einer Falschaussage weniger Willensstärke entgegenzusetzen haben und sich eher zu unwahren Behauptungen hinreißen lassen als Erwachsene. Falschaussagen zur Erlangung der Vorteile einer Kronzeugenregelung dürften daher bei jungen Menschen ebenfalls proportional häufiger vorkommen. Daraus ergibt sich die Gefahr einer weiteren Kriminalisierung. Schnell sieht sich der jugendliche Beschuldigte nicht nur dem ursprünglichen Vorwurf, sondern zusätzlich dem der falschen Verdächtigung oder des Vortäuschens einer Straftat ausgesetzt. Im Interesse einer fairen Rechtspflege trifft den Staat gerade im Ermittlungsverfahren eine gesteigerte Fürsorgepflicht.59 Der junge Beschuldigte ist in der ihn überfordernden Situation eines Strafverfahrens oftmals nicht in der Lage, seine Interessen gegenüber dem Gericht und den Ermittlungsbehörden wirksam wahrzunehmen.60 Besonders wichtig ist daher, ihm ausreichend Zeit zur Überlegung und Beratung mit seinen Erziehungsberechtigten bzw. seinem Verteidiger zu gewähren. Neben einem Hinweis auf § 46b StGB sollte immer auch ein Hinweis auf die erhöhte Strafandrohung der §§ 145d Abs. 3, 164 Abs. 3 StGB erfolgen. Dem Beschuldigten wird in der polizeilichen Vernehmung kaum die Beurteilung gelingen, ob es sich bei der von ihm offenbarten Straftat um eine geeignete Bezugstat aus dem Katalog des § 100a Abs. 2 StPO handelt. Die hohe Komplexität der Anwendungsvoraussetzungen sowie das von § 46b StGB begünstigte Risiko einer Selbstbelastung bzw. strafbaren Falschaussage sprechen dafür, insbesondere in Verfahren gegen Jugendliche regelmäßig einen Fall der notwendigen Verteidigung gem. § 140 Abs. 2 StPO anzunehmen.61

56  AG Saalfeld StV 2007, 16; Knauer ZJJ 2010, 15, 17; Eisenberg NJW 1988, 1250. 57  Müller DRiZ 1996, 443, 444. 58  Eisenberg NJW 1988, 1250. 59  AG Saalfeld StV 2007, 16; Rössner, in: Meier / Rössner / Trüg / Wulf: JGG, §  2 Rn. 26; Zieger: Verteidigung in Jugendstrafsachen, Rn. 111. 60  Vgl. Knauer ZJJ 2010, 15, 17. 61  Vgl. zur Verständigung BT-Drucks. 16  / 111736, S. 11; Knauer ZJJ 2010, 15, 17.

6. Teil

Vereinbarkeit mit strafprozessualen und verfassungsrechtlichen Prinzipien A. Vereinbarkeit mit dem Legalitätsprinzip Seit Beginn der kriminalpolitischen Diskussion ist die Unvereinbarkeit mit dem Legalitätsprinzip ein häufiges Argument gegen jede Art von Kronzeugenregelung.1 Der sich heute vor allem aus § 152 Abs. 2 StPO ergebende Grundsatz geht auf eine Bestimmung der Reichsstrafprozessordnung von 1877 sowie deren Vorgängerregelungen in den nach 1848 zustande gekommenen Verfahrensordnungen zurück2 und gehört zu den fundamentalen Prinzipien des deutschen Strafverfahrens. Das Legalitätsprinzip als Prozessmaxime besitzt Verfassungsrang. Verankert ist es insbesondere im Rechtsstaatsprinzip, welches aus Art. 20 Abs. 3 GG folgt und über die Ewigkeitsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG abgesichert ist.3 Darüber hinaus hat es seinen verfassungsrechtlichen Ursprung im allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG.4

I. Rechtsstaatsprinzip Art. 20 Abs. 3 GG 1. Rechtsstaatlich gebotener Verfolgungszwang Das BVerfG stuft das Legalitätsprinzip als „rechtsstaatlich besonders wichtigen“ Grundsatz ein.5 Den Rechtsstaat trifft die Pflicht zur Gewährleistung einer funktionierenden Strafrechtspflege; er kann sich nur verwirklichen, „wenn sichergestellt ist, daß Straftäter im Rahmen der geltenden Gesetze verfolgt, abgeurteilt und einer gerechten Bestrafung zugeführt 1  Vgl. Hoyer JZ 1994, 233; siehe etwa Mushoff KritV 2007, 366, 374 ff.; Eisenberg: Beweisrecht der StPO, Rn. 942; Frank / Titz ZRP 2009, 137 ff.; König NJW 2009, 2481; Hassemer, in: FS StA Schleswig-Holstein, S. 537. 2  RGBl. 1877, 253; zur Geschichte des Legalitätsprinzips vgl. Schmidt-Jortzig NJW 1989, 129, 130 f. und Hoyer JZ 1994, 233. 3  Schmidt-Jortzig NJW 1989, 129, 132. 4  BVerfG NStZ 1982, 430. 5  BVerfG NJW 1963, 1597, 1598.

168

6. Teil: Vereinbarkeit mit strafprozessualen Prinzipien

werden“.6 Hierzu muss er den ihm vorbehaltenen Strafanspruch durch konsequente Einleitung von Strafverfahren und Vollstreckung rechtskräftig verhängter Strafen durchsetzen.7 Andernfalls ginge die Eindruckskraft und damit die Präventionswirkung der Strafe verloren.8 Das Rechtsstaatsprinzip statuiert folglich einen staatlichen Strafverfolgungszwang.9 Dementsprechend ist die Staatsanwaltschaft nach § 152 Abs. 2 StPO verpflichtet wegen aller verfolgbaren Straftaten einzuschreiten, sofern zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen und soweit gesetzlich nicht etwas anderes bestimmt ist. Bei Vorliegen eines Anfangsverdachts hat sie ein Ermittlungsverfahren einzuleiten und den Sachverhalt zu erforschen (vgl. § 160 Abs. 1 StPO). Die ihr damit auferlegte Pflicht zum Tätigwerden ist ein notwendiges Korrelat ihres Anklagemonopols.10 Das Legalitätsprinzip bindet auch die Behörden und Beamten des Polizeidienstes. Sie sind gem. § 163 Abs. 1 StPO zum Erforschung von Straftaten berufen. Ob das Legalitätsprinzip darüber hinaus auch für die Gerichte gilt, ist in erster Linie eine terminologische Frage.11 Unmittelbar ist § 152 Abs. 2 StPO auf die gerichtliche Tätigkeit nicht anwendbar. Eine Ausnahme bilden nur die Fälle des § 165 StPO, in denen der Richter als sog. „Notstaatsanwalt“ tätig wird. Dem § 152 Abs. 2 StPO liegt jedoch die allgemeine rechtspolitische Entscheidung zugrunde, dass der Staat bei dem Verdacht einer Straftat einzuschreiten und im Fall ihres Nachweises auch eine strafrechtliche Sanktion zu verhängen hat.12 Dieser Gedanke kann auch auf die gerichtliche Entscheidungsfindung übertragen werden: Er spiegelt sich vor allem in der Amtsaufklärungspflicht des § 244 Abs. 2 StPO wieder. Insoweit kann von einem Legalitätsprinzip im weiteren Sinne gesprochen werden.13 2. Legalität und Opportunität Das Prinzip der Legalität beruht auf anspruchsvollen Vorstellungen von der Wirklichkeit.14 Es rührt unter anderem von der idealen Erwartung her, das 6  BVerfG

NJW 1977, 2355, 2356. NJW 1977, 2355, 2356. 8  Hoyer JZ 1994, 233, 235. 9  Ostendorf: Strafprozessrecht, Rn. 33; Beulke: Strafprozessrecht, Rn. 17. 10  Schmidt-Jortzig NJW 1989, 129, 131; Ostendorf: Strafprozessrecht, Rn. 33; Meyer-Goßner: StPO, § 152 Rn. 2; Pfeiffer / Hannich, in: KK-StPO, Einl. Rn. 5; Beulke: Strafprozessrecht, Rn. 17. 11  Beulke, in: Löwe / Rosenberg: StPO, § 152 Rn. 16. 12  Beulke, in: Löwe / Rosenberg: StPO, § 152 Rn. 16. 13  So Kühne: Strafprozessrecht, Rn. 305; siehe auch Beulke, in: Löwe / Rosenberg: StPO, § 152 Rn. 16. 14  Hassemer, in: FS StA Schleswig-Holstein, S. 532. 7  BVerfG



A. Vereinbarkeit mit dem Legalitätsprinzip169

Gesetz könne die alleinige Quelle rechtlicher Entscheidungen sein, welche sich zur Blütezeit des Rechtspositivismus im 19. Jahrhundert verbreitete.15 Mit der Aufgabe des alleinigen Strafzwecks der Vergeltung im Sinne einer absoluten Straftheorie rückten jedoch general- und spezialpräventive Auffassungen zunehmend in den Mittelpunkt. Infolgedessen gewannen die Aspekte der gesellschaftlichen Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit von Strafe an Bedeutung, wodurch auch das Legalitätsprinzip einen Teil seiner ursprünglichen theoretischen Bedeutung als unverbrüchlichen Verfolgungszwangs einbüßte.16 Gleichwohl wird auch heute am Legalitätsprinzip festgehalten. Der daraus resultierende Verfolgungszwang gilt jedoch nicht uneingeschränkt, sondern wird durchbrochen von einer Reihe von Ausnahmen; dem Legalitätsprinzip wird das Opportunitätsprinzip zur Seite gestellt. § 152 Abs. 2 StPO enthält die Einschränkung „soweit nicht gesetzlich ein anderes bestimmt ist“. Nach einhelliger Auffassung bedürfen Eingriffe und Ausnahmen beim Legalitätsprinzip stets einer formell-gesetzlichen Grundlage.17 Hintergrund ist der institutionelle Gesetzesvorbehalt, wonach jede Konturierung oder Abänderung eines verfassungsrechtlichen Strukturprinzips durch Gesetz vorgenommen werden muss.18 Dementsprechend wird auch nach § 152 Abs. 2 StPO die Grundentscheidung über die Zulässigkeit einzelner Opportunitätserwägungen in der Hand des Gesetzgebers belassen. Somit ist der Staatsanwaltschaft in bestimmten Fällen von Rechts wegen ausdrücklich gestattet, zwischen Anklageerhebung und Verfahrenseinstellung zu wählen, auch wenn die Ermittlungen ergeben haben, dass der Beschuldigte mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit einen Straftatbestand verwirklicht hat.19 Gesetzliche Ermächtigungen zum Absehen von der Anklageerhebung enthalten beispielsweise die §§ 153 Abs. 1, 153a Abs. 1, 154 Abs. 1, 154a Abs. 1 StPO sowie § 45 JGG. Das Legalitätsprinzip beinhaltet somit grundsätzlich keinen Anklagezwang. Insoweit ist der Wortlaut des § 170 StPO missverständlich, da ein Verweis auf die Alternative einer Verfahrenseinstellung fehlt.20 Die Polizei hat im Gegensatz zur Staatsanwaltschaft kein eigenes Einstellungsermessen. Allerdings enthalten die §§ 153 ff. StPO für den Fall der gerichtlichen Anhängigkeit regelmäßig auch eine gerichtliche Ermächtigung zur Einstellung des Verfahrens (vgl. auch § 47 JGG im Jugendstrafrecht).21 15  Hassemer,

in: FS StA Schleswig-Holstein, S. 530. Strafverfahrensrecht, § 14 Rn. 2; vgl. auch Ostendorf: Strafprozessrecht, Rn. 239. 17  BGHSt 15, 155, 161; Schmidt-Jortzig NJW 1989, 129, 137; Roxin / Schünemann: Strafverfahrensrecht, § 14 Rn. 2; Wagner, in: FS für den 45. DJT, S. 170. 18  Schmidt-Jortzig NJW 1989, 129, 137. 19  Roxin / Schünemann: StPO, § 14 Rn. 1. 20  Ostendorf: Strafprozessrecht, Rn. 33. 21  Beulke, in: Löwe / Rosenberg: StPO, § 152 Rn. 16. 16  Roxin / Schünemann:

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6. Teil: Vereinbarkeit mit strafprozessualen Prinzipien

3. Eingriff durch § 46b StGB Bei der Entscheidung nach § 46b StGB handelt es sich um eine „Opportunitätsentscheidung reinsten Wassers“.22 Sie hemmt die Verwirklichung des materiellen Strafrechts aus Gründen der Effektivität. Schuldrelevante Faktoren, wie Einsicht oder Reue, erfüllen die Anwendungsvoraussetzungen nicht. Vielmehr geht es um die Leistung eines Beitrages zur Aufklärung oder Verhinderung von Straftaten.23 Das Legalitätsprinzip wird zweifellos durchbrochen, wenn die Staatsanwaltschaft von der Möglichkeit zur Einstellung des Verfahrens gem. § 153b StPO i. V. m. § 46b Abs. 1 S. 4 StGB Gebrauch macht.24 Aber auch bei regulärer Anwendung der Kronzeugenregelung durch das Gericht wird die Prozessmaxime eingeschränkt. Wie bereits angedeutet geht es beim Legalitätsprinzip um mehr als die bloße Zuständigkeitsverteilung zwischen Staatsanwalt und Richter.25 Vielmehr entfaltet der Grundsatz materiell-rechtliche Wirkung auch für die gerichtliche Entscheidung. Ein Festhalten am Grundsatz des Verfolgungszwangs hätte keinen Sinn, wenn die der Staatsanwaltschaft und der Polizei grundsätzlich verbotenen Opportunitätserwägungen anschließend vom Richter vorgenommen würden. Der Strafanspruch ist ein kategorischer Imperativ, seine Durchsetzung eine staatliche Aufgabe.26 Das Legalitätsprinzip im weiteren Sinne ist daher die Kehrseite des Grundsatzes nulla poena sine lege und beinhaltet, dass bei Vorhandensein eines entsprechenden Strafgesetzes grundsätzlich auch die gesetzlich vorgesehene Strafe verhängt werden muss.27 Es kommt folglich nicht darauf an durch wen, sondern dass der Automatismus zwischen Straftat und Bestrafung durchbrochen wird.28 Macht der Richter von der Möglichkeit des Absehens von Strafe gem. § 46b Abs. 1 S. 4 StGB Gebrauch, liegt hierin eine Durchbrechung des Legalitätsprinzips. Eine Beeinträchtigung liegt jedoch selbst dann vor, wenn nur eine Strafmilderung nach § 46b Abs. 1 S. 1 i. V. m. § 49 Abs. 1 StGB vorgenommen wird. Denn auch in einer Strafrahmenverschiebung liegt ein graduelles Abrücken vom Legalitätsprinzip, wenn anstelle der gesetzlich vorgesehenen eine geringere Strafe verhängt wird.29 22  So zum KronzG Hassemer, in: FS StA Schleswig-Holstein, S. 537; a. A. Kaspar / Wengenroth GA 2010, 453, 461. 23  Hassemer, in: FS StA Schleswig-Holstein, S. 537. 24  So auch Kaspar / Wengenroth GA 2010, 453, 461. 25  Hoyer JZ 1994, 233, 235. 26  Kant: Die Metaphysik der Sitten, S. 331; Sinner: Der Vertragsgedanke im Strafprozeßrecht, S. 86; Mushoff KritV 2007, 366, 375. 27  Hoyer JZ 1994, 233, 235; Sinner: Der Vertragsgedanke im Strafprozeßrecht, S. 86; Hassemer, in: FS StA Schleswig-Holstein, S. 529; Beulke, in: Löwe / Rosenberg: StPO, § 152 Rn. 16. 28  Hoyer JZ 1994, 233, 235.



A. Vereinbarkeit mit dem Legalitätsprinzip171

4. Rechtfertigung des Eingriffs Steht also fest, dass § 46b StGB wenigstens ein graduelles Abrücken vom Legalitätsprinzip bewirkt, so stellt sich die Frage, ob sich diese Beeinträchtigung noch im Rahmen des verfassungsrechtlich Zulässigen hält. Die Ermächtigung zur Strafrahmenverschiebung und zum Absehen von Strafe erfolgt durch ein formelles Gesetz. Jedoch sind selbst förmliche Eingriffe in das Legalitätsprinzip nicht schrankenlos möglich.30 Vielmehr müsste die Beeinträchtigung verhältnismäßig, das heißt zur Erreichung eines legitimen Zwecks geeignet, erforderlich und proportional sein.31 29

Das mit der allgemeinen Kronzeugenregelung verfolgte Ziel liegt in dem berechtigten Interesse an der effektiven Strafverfolgung und Prävention.32 Die Aufgabe des Staates zur Aufklärung und Verhinderung schwerer Straftaten folgt aus dem in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Rechtsstaatsprinzip; der Staat hat eine funktionstüchtige Strafrechtspflege zu gewährleisten und muss Maßnahmen zur Sicherung des Rechtsfriedens ­ ergreifen.33 Die Kronzeugenregelung dient damit der praktischen Durchsetzung der Rechtsordnung; indem sie vor allem die Sanktionierung von Straftätern in bestimmten Deliktsbereichen vereinfachen bzw. gerade erst ermöglichen soll, strebt sie gewissermaßen nach dem „Maximum an Sanktionierungsoutput“.34 Sie kann dieses Ziel jedoch, wie bereits dargelegt, nur unter (teilweisem) Verzicht auf die Durchsetzung des Strafanspruchs gegen den Kronzeugen selbst erreichen. Soweit es um das einzelne Verfahren gegen den Kronzeugen selbst geht, wird das Legalitätsprinzip eingeschränkt.35 Somit stützen sich sowohl das Eingriffsobjekt (das Legalitätsprinzip) als auch der Eingriffszweck (die Effizienz bei Strafverfolgung und Prävention) auf denselben Verfassungsgrundsatz.36 Diese Tatsache entbindet jedoch nicht davon, dass die Einschränkung des Legali29  So auch Hoyer JZ 1994, 233, 235; Hassemer, in: FS StA Schleswig-Holstein, S.  537; a. A. Kaspar / Wengenroth GA 2010, 453, 461, die eine Durchbrechung des Legalitätsprinzips nur in den Fällen des § 153b StPO bejahen. 30  Schmidt-Jortzig NJW 1989, 129, 137. 31  Roxin / Schünemann: Strafverfahrensrecht, §  14 Rn. 2; Schmidt-Jortzig NJW 1989, 129, 137 f. 32  Vgl. BT-Drucks. 16 / 6268, S. 1 f. und 11. 33  BT-Drucks. 16 / 6268, S. 11; BVerfGE 29, 183, 194; 33, 367, 383; 77, 65, 76; 80, 367, 369; 100, 313, 389; Jeßberger: Kooperation und Strafzumessung, S. 96; Roxin / Schünemann: Strafverfahrensrecht, § 1 Rn. 7. 34  Schünemann, in: Verhandlungen des 58. DJT Teil 1 B, S. 93; vgl. Hoyer JZ 1994, 233, 236. 35  Hoyer JZ 1994, 233, 236. 36  Jeßberger: Kooperation und Strafzumessung, S. 97.

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6. Teil: Vereinbarkeit mit strafprozessualen Prinzipien

tätsprinzips durch § 46b StGB den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes genügen muss.37 a) Eignung zur Effektivierung der Strafrechtspflege und Verbesserung der Prävention § 46b StGB müsste dazu in der Lage sein, das vom Gesetzgeber verfolgte Ziel zu erreichen oder doch zumindest zu fördern.38 Denn wäre die allgemeine Kronzeugenregelung zur Erreichung dieses Zwecks gänzlich oder weitgehend ungeeignet, stünde der Einschränkung des Legalitätsprinzips keinerlei Nutzen gegenüber.39 Zweifel an der generellen Eignung der Kronzeugenregelung zur Effektivierung von Strafverfolgung und Prävention könnten sich aus den Erfahrungen mit vergleichbaren Regelungen in der Vergangenheit ergeben. § 46b StGB zielt vor allem auf abgeschottete Deliktsstrukturen ab40 und ist damit gewissermaßen Nachfolger der außer Kraft getretenen Kronzeugenregelung für terroristische und organisiert begangene Straftaten in Art. 4 und 5 KronzG. Diese fand jedoch in der Praxis kaum Anwendung; zwischen ihrem Inkrafttreten und dem Scheitern einer weiteren Verlängerung im Jahr 1999 wurden die Vorschriften im Terrorismusbereich seit 1989 geschätzt nur 20- bis 25-mal und im Bereich der organisierten Kriminalität seit 1994 ebenfalls nur etwa 25-mal gebraucht.41 Ob und in wie vielen anschließenden Verfahren die Kronzeugenangaben eine bedeutsame bzw. entscheidende Rolle gespielt haben, ist statistisch nicht belegt. Die geringen Anwendungszahlen wurden zum Teil als Beleg gewertet, die Vorschriften hätten „rechtspolitisch versagt“.42 Andere betonten, infolge der Aussagen hätten gleichwohl wertvolle Ermittlungserfolge verzeichnet werden können.43 Wahrscheinlicher ist, dass die spektakulären Fortschritte bei der Verfolgung der Terroristen der RAF allein auf verbesserten Verfolgungsmöglichkeiten im Zuge der deutschen Wiedervereinigung zurückzu37  Vgl. Hoyer JZ 1994, 233, 236; Denny ZStW 103 (1991), 269, 271; Kneba: Die Kronzeugenregelung, S. 39; Buttel: Kritik an der Figur des Aufklärungsgehilfen, S. 61; vgl. auch Jeßberger: Kooperation und Strafzumessung, S. 97, der allerdings auf das Untermaßverbot abstellt; siehe aber BT-Drucks. 16 / 6268, S. 11. 38  Zur Geeignetheit siehe Grzeszick, in: Maunz  /  Dürig: GG, Art. 20 Rn. 112; Huster / Rux, in: BeckOK-GG, Art. 20 Rn. 181. 39  Vgl. Hoyer JZ 1994, 233, 236. 40  BT-Drucks. 16 / 6268, S. 1, 9 und 11. 41  Mühlhoff / Pfeiffer ZRP 2000, 121, 123. 42  So der rechtspolitische Sprecher der Fraktion Bündnis 90  / Die Grünen Özdemir, FAZ v. 13.11.1999, S. 1; vgl. Mühlhoff / Pfeiffer ZRP 2000, 121, 123. 43  Pflieger / Striewisch Kriminalpolizei 2006, 93, 94 ff.



A. Vereinbarkeit mit dem Legalitätsprinzip173

führen sind.44 Anstatt echte Überläufer hervorzubringen, erreichte das Gesetz nur ehemalige Anhänger, die sich von ihrer Organisation längst losgesagt hatten.45 Zudem betonte etwa der Angeklagte Lotze wiederholt, seine Aussage nicht in der Hoffnung auf eine Anwendung der Kronzeugenregelung gemacht zu haben.46 Fest steht, dass die Attraktivität von Kronzeugenaussagen nicht allein durch den spezifischen Anwendungsbereich beeinträchtigt wurde, sondern zusätzlich durch ungünstige Rahmenbedingungen wie die verbreitete Unkenntnis der Vorschriften, Organisationsprobleme und Schwierigkeiten bei der Zuständigkeitsverteilung sowie fehlende Möglichkeiten des Zeugenschutzes.47 Ob sich des Weiteren potenzielle Straftäter allein durch die Existenz eines entsprechenden Gesetzes derart haben verunsichern lassen, dass sie von der Verwirklichung geplanter Straftaten Abstand genommen haben, lässt sich ebenfalls nicht bestätigen.48 Zumindest in der Aufdeckungsvariante der Nr. 1 verfügte § 31 BtMG a. F. in der Vergangenheit über eine Vielzahl von Anwendungsfällen. Aus einem Bericht der Bundesregierung vom 11.4.1989 geht hervor, dass § 31 Nr. 1 BtMG a. F. als Strafmilderungsgrund von 1985 bis 1987 insgesamt 2317 mal angewendet wurde.49 Aus Eintragungen im Bundeszentralregister ergeben sich seit 1989 bis einschließlich 1998 über 6100 Anwendungsfälle.50 Trotz der häufigen, teils als „inflationär“51 kritisierten Strafmilderungen beschränkten sich nennenswerte Ermittlungserfolge weitgehend auf den Bereich der leichten und mittleren Betäubungsmittelkriminalität. Der eigentliche Zweck jedoch, die Hintermänner zu fassen und den Bereich der schweren Betäubungsmittelkriminalität aufzuhellen, wurde verfehlt.52 Nach einer von Jaeger durchgeführten Untersuchung konnte nur in 44  Hoyer JZ 1994, 233, 234; Weigend ZStW 109 (1997), 103, 116; Lammer JZ 1992, 510, 511; Widmaier ZRP 1991, 148, 149. 45  Weigend ZStW 109 (1997), 103, 116. 46  Vgl. Lammer JZ 1992, 510, 511. 47  Mühlhoff / Pfeiffer ZRP 2000, 121, 124. 48  Vgl. Jeßberger: Kooperation und Strafzumessung, S. 98; vgl. die entsprechende Hoffnung des Gesetzgebers hinsichtlich des KronzG BT-Drucks. 11 / 2834, S. 13 und hinsichtlich § 46b StGB BT-Drucks. 16  /  6268, S. 11. Nach Maurer CILIP 3 / 2001, 20, 27 hat das Gesetz sein Ziel, neue Straftaten zu verhindern, verfehlt. 49  BT-Drucks. 11  / 4329, S. 19; zur Anwendungshäufigkeit des § 31 BtMG siehe Maier, in: MüKo-StGB, § 31 BtMG Rn. 10; Patzak, in: Körner: BtMG, § 31 Rn. 8 sowie die Übersichten bei Jeßberger: Kooperation und Strafzumessung, S. 78 und bei Stock / Kreuzer: Drogen und Polizei, S. 350. 50  Vgl. Mühlhoff / Pfeiffer ZRP 2000, 121, 123. 51  Körner NStZ 1988, 506; vgl. auch Hassemer StV 1986, 550, 551. 52  Vgl. den Bericht der Bundesregierung über die gegenwärtige Situation des Missbrauchs von Alkohol, illegalen Drogen und Medikamenten BT-Drucks. 10 / 5856, S. 25; siehe auch BT-Drucks. 10 / 843, 25; Jeßberger: Kooperation und Strafzumessung, S. 80; Weigend ZStW 109 (1997), 103, 116; Endriß StraFo 2004, 151 ff.; eine

174

6. Teil: Vereinbarkeit mit strafprozessualen Prinzipien

drei von 87 untersuchten Fällen, in denen § 31 BtMG zur Anwendung kam, tatsächlich eine Rauschgiftorganisation aufgedeckt werden.53 Die Aussagen der Ermittlungsgehilfen betrafen meist nur die ihnen unmittelbar bekannten Zulieferer und Verteiler, nicht jedoch die eigentlichen Drahtzieher und Großdealer.54 § 46b StGB zielt vornehmlich ab auf die Erleichterung der Beweisführung in den konspirativen Deliktsbereichen des Terrorismus sowie der organisierten Kriminalität einschließlich der schweren Wirtschaftskriminalität.55 Allerdings werden vielfach Zweifel daran geäußert, ob politisch oder religiös motivierte Überzeugungstäter aus dem Bereich des Terrorismus überhaupt als geeignete Adressaten einer Kronzeugenregelung in Betracht kommen.56 Bereits bei Erlass der Kronzeugenregelung für terroristische Straftaten mahnten kritische Stimmen, eine Kronzeugenregelung könnte entsprechende Organisationen noch enger zusammenschweißen, statt sie – wie eigentlich beabsichtigt – auseinanderzutreiben.57 Die erhöhte Gefahr eines Verrats könnte die Drahtzieher anspornen, möglichen Aussteigern verstärkt mit Racheakten zu drohen.58 Soweit sich Regelungen ausschließlich auf den Bereich des politischen Strafrechts beschränken, seien diese daher im Ansatz verfehlt.59 Tatsächlich wird – zumindest bei bislang noch unentdeckten Terroristen – das Angebot eines bloßen Strafnachlasses nicht genügen, um die Rolle des Verräters gegenüber der eines Märtyrers vorzugswürdig erscheinen zu lassen.60 Etwas erfolgsversprechender erscheint § 46b StGB dagegen im Bereich der organisierten Kriminalität, da diese Delikte in der Regel eigennützig begangen werden.61 Vor allem im Bereich der Wirtschaftskriminalität wird ein großes Dunkelfeld vermutet; es kommt vergleichsweise nur selten zu strafrechtlicher Verfolgung.62 Außerdem sind gerade hier die Mitwisser häufig selbst an den Delikten als Mittäter oder negative Bilanz zieht auch Hoyer JZ 1994, 233, 236; vgl. auch Weigend, in: FSJescheck, 2. Halbband, S. 1337; Weider NStZ 1984, 391, 392. 53  Jaeger: Der Kronzeuge, S. 167. 54  BT-Drucks. 10 / 5856, S.  25 f. 55  BT-Drucks. 16 / 6268, S.  1. 56  Vgl. entsprechende Bedenken bei Hoyer JZ 1994, 233, 234; Hassemer StV 1986, 550, 551; Eichenhofer RuP 1978, 226, 227; Amelung / Hassemer / Rudolphi /  Scheerer StV 1989, 72, 83; Denny ZStW 103 (1991), 269, 276; Kunert / Bernsmann NStZ 1989, 449, 457; Mushoff KritV 2007, 366, 381. 57  Amelung / Hassemer / Rudolphi / Scheerer StV 1989, 72, 80; Lammer JZ 1992, 510 f.; Kunert / Bernsmann NStZ 1989, 449, 457. 58  Denny ZStW 103 (1991), 269, 278 f. 59  Jeßberger: Kooperation und Strafzumesung, S. 98. 60  Hoyer JZ 1994, 233, 234. 61  Vgl. Hoyer JZ 1994, 233, 235. 62  Kaspar / Wengenroth GA 2010, 468, 469; vgl. auch Kaspar ZRP 2011, 159.



A. Vereinbarkeit mit dem Legalitätsprinzip175

Teilnehmer beteiligt, z. B. bei der Korruption (vgl. § 100a Abs. 2 Nr. 1 lit. b, r, t StPO).63 Die mögliche Strafmilderung könnte daher ein zusätzlicher Anreiz für Wissensoffenbarungen durch sog. Whistleblower sein.64 Als Whistleblower werden Arbeitnehmer bezeichnet, die von betriebsinternen Missständen, insbesondere Straftaten erfahren und diese an die Öffentlichkeit bringen. Das kriminalpolitische Interesse an diesen Informationen ist groß.65 Das Inkrafttreten von § 46b StGB könnte infolge der erhöhten Entdeckungswahrscheinlichkeit dazu beitragen, dass sich mehr Unternehmen zur aktiven Aufarbeitung von Korruptionsfällen entschließen.66 Andererseits könnte sich die Kronzeugenregelung aus Compliance-Sicht auch zu einem Störfaktor entwickeln, da potenzielle Aufklärungsgehilfen bestrebt sein werden, das erlangte Wissen geheim zu halten, weil sich nur so verhindern lässt, dass andere Personen ihnen mit einer Kronzeugenaussage zuvorkommen.67 Gedämpft werden die diesbezüglichen Erwartungen zudem durch die auch im Bereich der organisierten Kriminalität geringen Anwendungszahlen des KronzG sowie das Scheitern des § 31 BtMG a. F. bei der Aufhellung der organisierten Betäubungsmittelkriminalität. Einen großen Teil seiner Attraktivität für potenzielle Kronzeugen büßt § 46b StGB aufgrund der fehlenden Vorhersehbarkeit der staatlichen Reaktion ein. Verantwortlich hierfür ist neben der verhältnismäßig unbestimmten Fassung des Tatbestandes68 sowie dem Ermessensspielraum auf der Rechtsfolgenseite vor allem die Präklusionsbestimmung in Abs. 3. Alles in allem ist daher zumindest kein dramatischer Anstieg von Wissensoffenbarungen zu erwarten. Gleichwohl wird man die allgemeine Kronzeugenregelung zur Aufklärung und Verhinderung von Straftaten aus dem Katalog des § 100a Abs. 2 StPO nicht als von vornherein völlig ungeeignet ansehen können.69 Insbesondere wurde die vielfach kritisierte Fixierung an den Bereich des politischen Strafrechts aufgegeben. Neben Delikten, die durch ein hohes Maß an Konspirativität geprägt sind, enthält der Katalog tauglicher Bezugstaten unter anderem auch solche, die sich durch eine besondere Schwere auszeichnen. Dass die allgemeine Kronzeugenregelung in bestimmten Bereichen, z. B. der schweren Wirtschaftskriminalität, grundsätzlich zur Aufklärung oder Verhinderung von Straftaten beitragen könnte, kann somit zumindest nicht ausgeschlossen werden. Die rechtstatsächlichen Bedenken gegen 63  Zweiter

Periodischer Sicherheitsbericht der Bundesregierung, S. 221. GA 2010, 453, 469. 65  Dann CCZ 2010, 30, 32; Deiseroth / Derleder ZRP 2008, 248. 66  Sahan / Berndt BB 2010, 647, 651. 67  Siehe hierzu Dann CCZ 2010, 30, 31. 68  Vgl. hierzu 6. Teil E. 69  Zu diesem Schluss gelangt auch der Bundesrat in seiner Stellungnahme, BTDrucks. 16 / 6268, S.  18. 64  Kaspar / Wengenroth

176

6. Teil: Vereinbarkeit mit strafprozessualen Prinzipien

den effektiven Nutzen der Vorschrift werden schließlich dadurch relativiert, dass dem Gesetzgeber hinsichtlich der Bejahung der Eignung und Regelungsnotwendigkeit ein weiter Beurteilungsspielraum zusteht.70 Als eine Folge der Gewaltenteilung bleibt es grundsätzlich ihm überlassen, Gesetze entsprechend seiner eigenen Einschätzung im Hinblick auf tatsächliche Gegebenheiten zu fassen (sog. Einschätzungsprärogative).71 Zweifel an der Geeignetheit gehen daher grundsätzlich zugunsten des Gesetzgebers.72 b) Erforderlichkeit der Beeinträchtigung Die Einschränkung des staatlichen Verfolgungszwangs müsste erforderlich sein, das heißt, der Zweck der Kronzeugenregelung dürfte sich nicht durch ein ebenso wirksames, aber das Legalitätsprinzip weniger belastendes Mittel verwirklichen lassen.73 Einige ihrer Gegner bezeichnen die Kronzeugenregelung in § 46b StGB als überflüssig, weil sich ihre Ziele ebenso gut mit anderen Rechtsinstituten verwirklichen ließen.74 Als milderes Mittel zur angemessenen Berücksichtigung von Kronzeugenaussagen kommen zunächst die Vorschriften über die Einstellung des Verfahrens aus Opportunitätsgründen gem. §§ 153 ff. StPO in Betracht. Bei den §§ 153–154c StPO handelt es sich ebenfalls um Durchbrechungen des Legalitätsprinzips, die jedoch über einen jeweils eigenständigen Anwendungsbereich mit zum Teil sehr spezifischen Voraussetzungen verfügen. Systematisch lassen sie sich in vier Gruppen unterteilen: •• Die §§ 153, 153b StPO gehören zur Gruppe der sog. absoluten Geringfügigkeitsfälle.75 Ihnen liegt der Gedanke zugrunde, dass die Effektivität der Strafrechtspflege im Bereich schwerer Straftaten nicht unter der Belastung infolge der Bearbeitung von Bagatellfällen leiden soll.76 argumentiert auch Peglau wistra 2009, 409, 410. BVerfG NJW 2007, 979, 980; BVerfG NVwZ 2008, 1338, 1340. 72  Vgl. Pieroth / Schlink: Grundrechte, Rn. 297. 73  Vgl. Pieroth / Schlink: Grundrechte, Rn. 295; Schmidt-Jortzig NJW 1989, 129, 135. 74  Siehe etwa die gemeinsame Erklärung des Deutschen Richterbundes, des Deutschen Anwaltvereins, der Bundesrechtsanwaltskammer und der Strafverteidigervereinigungen, S. 2; Kinzig: Erscheinungsformen organisierter Kriminalität, S. 804; ders., in: Schönke / Schröder: StGB, § 46b Rn. 2; König NJW 2009, 2481, 2482. Frank / Titz ZRP 2009, 137, 139; von Heintschel-Heinegg, in: BeckOK-StGB, § 46b Rn. 4; Wolters, in: SK-StGB, § 46b Rn. 4; vgl. hierzu auch Mühlhoff / Pfeiffer ZRP 2000, 121, 122; Pflieger / Striewisch Kriminalpolizei 2006, 93, 96. 75  Roxin / Schünemann: Strafverfahrensrecht, § 14 Rn. 6; Ostendorf: Strafprozessrecht, Rn. 242. 76  Jaeger: Der Kronzeuge, S. 56. 70  So

71  Vgl.



A. Vereinbarkeit mit dem Legalitätsprinzip177

•• Die §§ 154, 154a StPO beziehen sich demgegenüber auf Straftaten, die sich erst in Relation zu den übrigen verwirklichten Taten als geringfügig darstellen (sog. relative Geringfügigkeit).77 •• § 153a StPO ermöglicht die Einstellung nicht aus Gründen der Geringfügigkeit. Vielmehr wird ein zunächst bestehendes Strafverfolgungsbedürfnis nachträglich durch die Auferlegung von Auflagen und Weisungen beseitigt.78 •• Die restlichen Einstellungsnormen betreffen schließlich verschiedene Sachverhalte, in denen der Strafverfolgung vorrangige staatliche Interessen entgegenstehen.79 Eine Berücksichtigung kooperativen Verhaltens über § 153b StPO kommt als Alternative zu § 46b StGB von vornherein nicht in Betracht, denn die Möglichkeit zu einer Einstellung des Verfahrens ergibt sich gerade erst aus dem Zusammenspiel der Vorschrift mit anderen Normen, wie z. B. § 46b Abs. 1 S. 4 StGB, die dem Gericht ein Absehen von Strafe gestatten. Gewisse Überschneidungen gibt es dagegen mit den §§ 153, 153a StPO. Diese Vorschriften ermöglichen eine Einstellung des Verfahrens jedoch nur bis in den Bereich der mittleren Kriminalität hinein,80 während § 46b StGB Angaben von Tätern aus dem Bereich der einfachen Kriminalität bewusst ausklammert.81 So erfasst § 153 StPO nur Vergehen i. S. d. § 12 Abs. 2 StGB, während zu den tauglichen Anlasstaten im Rahmen des § 46b StGB auch zahlreiche Verbrechen gehören. Die Kronzeugenregelung verlangt insoweit nur, dass es sich um eine mit im Mindestmaß erhöhter Freiheitsstrafe bedrohte Straftat handelt. Ihr Anwendungsbereich ist somit hinsichtlich der Schwere der Anlasstat gerade nicht nach oben, sondern nach unten hin eingeschränkt. Des Weiteren muss nach § 153 Abs. 1 S. 1 StPO die Schuld des Täters als gering anzusehen, das heißt mit Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein, dass die Schuld im Vergleich mit Vergehen gleicher Art nicht unerheblich unter dem Durchschnitt liegt.82 Zudem darf kein öffentliches Verfolgungsinteresse aus spezial- oder generalpräventiven Gründen bestehen.83 § 153a StPO ist ebenfalls auf Vergehen beschränkt. Des Weiteren darf die Schuld des Täters der Verfahrenseinstellung nicht entgegenstehen. Im Unterschied zu § 153 StPO muss die Schuld somit nicht zwingend als ge77  Roxin / Schünemann: Strafverfahrensrecht, § 14 Rn. 7; Ostendorf: Strafprozessrecht, Rn. 242. 78  Beukelmann, in: BeckOK-StPO, § 153a Rn. 1. 79  Roxin / Schünemann: Strafverfahrensrecht, § 14 Rn. 16 ff. 80  Vgl. schon zu Art. 4, 5 KronzG Schlüchter ZRP 1997, 65, 66. 81  BT-Drucks. 16 / 6268, S.  2. 82  Meyer-Goßner: StPO, § 153 Rn. 3 f. 83  Ostendorf: StPO, Rn. 239; Meyer-Goßner: StPO, § 153 Rn. 7.

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6. Teil: Vereinbarkeit mit strafprozessualen Prinzipien

ring anzusehen sein; gleichwohl darf es sich höchstens um eine Schuld von mittlerer Schwere handeln.84 Für die Anwendbarkeit des § 46b StGB spielen das Maß der Schuld und das öffentliche Verfolgungsinteresse grundsätzlich keine Rolle. Erst im Rahmen der Ermessensausübung ist das Gewicht der Aufklärungs- oder Präventionshilfe gegen die Schwere der Kronzeugentat und der Schuld des Täters abzuwägen. Selbst wenn der Täter schwerste Schuld auf sich geladen hat, kann er diese zumindest theoretisch durch eine proportional wertvollere Ermittlungshilfeleistung ausgleichen.85 Vor dem Erlass der allgemeinen Kronzeugenregelung wurde in der Praxis vor allem auf § 154 StPO zurückgegriffen, um kooperativen Beschuldigten Vorteile nach dem Muster eines Kronzeugenrabatts zu gewähren.86 Die Vorschrift gilt grundsätzlich auch für Verbrechen und ermöglicht eine Einstellung unabhängig davon, ob die verschiedenen Taten aufgrund eines persönlichen Zusammenhangs verbunden sind.87 Der Zweck des § 154 StPO ist jedoch ein völlig anderer als derjenige einer Kronzeugenregelung: Die Einstellung dient der Beschränkung des Prozessstoffs und der Konzentration des Verfahrens.88 Eine Kronzeugenregelung hingegen dient der Ansammlung strafrechtlich relevanter Informationen und soll den Strafverfolgungsbehörden neue Erkenntnisse erschließen. Durch eine Ausdehnung auf die Konstellation des Kronzeugen würde § 154 StPO nicht nur extensiv ausgelegt, sondern das Anliegen der Vorschrift pervertiert.89 Außerdem bietet § 154 StPO lediglich einen „Teilanreiz“ für Kronzeugen, ermöglicht jedoch kein vollständiges Absehen von Strafe wie § 46b Abs. 1 S. 4 StGB.90 Systematisch passt das Modell Kronzeuge am ehesten zur Gruppe der Vorschriften über die Verfahrenseinstellung wegen des Entgegenstehens vorrangiger staatlicher Interessen.91 Dennoch findet sich auch hier keine Vorschrift, die zur Honorierung der Aufklärungs- und Präventionshilfe in den von § 46b StGB erfassten Fällen geeignet wäre. § 154c StPO wird teilweise als eine Kronzeugenregelung im weitesten Sinne angesehen.92 Zwar besteht eine „gewisse Parallele“.93 Der wesentliche Unterschied liegt 84  Meyer-Goßner:

StPO, § 153a Rn. 7. Kooperation und Strafzumessung, S. 87. 86  Siehe Volk NJW 1996, 879 ff.; siehe hierzu 4. Teil B. 87  Pfeiffer: StPO, § 154 Rn. 1. 88  Schlüchter ZRP 1997, 65, 66; Schoreit, in: KK-StPO, § 154 Rn. 1. 89  Volk NJW 1996, 879, 881; Schlüchter NJW 1997, 65, 66. 90  Siehe Schlüchter ZRP 1997, 65, 66. 91  Vgl. Jaeger: Der Kronzeuge, S. 57 ff. 92  Siehe etwa Beulke, in: Löwe / Rosenberg: StPO, § 154c Rn. 1; Jung: Straffreiheit für den Kronzeugen, S. 64. 93  Krause, in: FS-Spendel, S. 555 f. 85  Jeßberger:



A. Vereinbarkeit mit dem Legalitätsprinzip179

jedoch darin, dass sich § 154c Abs. 1 StPO nicht primär an die in ein kriminelles Milieu verstrickten Personen richtet, sondern die spezifische Zwangslage des Chantageopfers auflösen soll, das durch seine Aussage eine eigene Straftat offenbart, deren Offenlegung gerade den Inhalt der Drohung bildete. § 154c Abs. 2 StPO wiederum wurde 2005 für Fälle des Menschen-, insbesondere Frauenhandels ergänzt.94 Er erweitert den Anwendungsbereich des Abs. 1 insoweit, als die Straftat unter bestimmten Voraussetzungen nicht Gegenstand der Drohung zu sein braucht und soll ebenfalls dem Opfer der Erpressung oder Nötigung eine Strafanzeige ohne Furcht vor strafrechtlicher Verfolgung ermöglichen.95 § 154c StPO dient folglich nicht nur dem allgemeinen Aufklärungsinteresse, sondern primär auch dem Opferschutz.96 Die Vorschrift in die Nähe von Kronzeugenregelungen zu rücken, wäre daher verfehlt.97 Auch die §§ 153c, 153d, 153e StPO unterscheiden sich hinsichtlich ihres Anwendungsbereiches und ihrer Zielsetzung zu stark von § 46b StGB, als dass sie als ein milderes Mittel zur Erreichung des mit der allgemeinen Kronzeugenregelung verfolgten Zwecks angesehen werden könnten.98 Allenfalls weist § 153e Abs. 1 S. 2 StPO eine gewisse Ähnlichkeit zum Fall der Präventionshilfe in § 46b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StGB auf. § 153e Abs. 1 S. 1 StPO erlaubt dem Generalbundesanwalt mit Zustimmung des nach § 120 GVG zuständigen Gerichts von der Verfolgung abzusehen, wenn der Täter dazu beigetragen hat, eine Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder die verfassungsmäßige Ordnung abzuwenden. Dasselbe gilt nach § 153e Abs. 1 S. 2 StPO, wenn ein solcher Beitrag durch Offenbarung gegenüber einer Dienststelle erbracht worden ist. In Abgrenzung zu § 153e Abs. 1 S. 1 StPO erfolgt die Ausgleichsleistung erst, nachdem dem Täter die Entdeckung seiner Tat bekannt geworden ist.99 Dennoch handelt es sich bei § 153e Abs. 1 S. 1 StPO um eine prozessuale Vergünstigung für Fälle der tätigen Reue:100 Während die Einstellungsnorm einen Beitrag verlangt, um gerade die sich aus der Tat ergebende Gefahr für die Bundesrepublik oder die verfassungsmäßige Ordnung abzuwenden, belohnt die Kronzeugenregelung geleistete Aufklärungs- und Präventionshilfe unabhängig davon, ob sich die aus der Anlasstat ergebende spezifische Gefahr bereits realisiert hat. § 153e Abs. 1 S. 2 StPO beinhaltet Elemente 94  BT-Drucks.

15 / 3045. in: KK-StPO, § 154c Rn. 1. 96  Meyer ZRP 1976, 25, 26. 97  So im Ergebnis auch Meyer ZRP 1976, 25, 26; Schlüchter ZRP 1997, 65, 66. 98  Vgl. Schlüchter ZRP 1997, 65, 66. 99  Schoreit, in: KK-StPO, § 153e Rn. 1. 100  Schlüchter ZRP 1997, 65, 66. 95  Schoreit,

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6. Teil: Vereinbarkeit mit strafprozessualen Prinzipien

der Präventionshilfe, lässt sich jedoch allenfalls als eine „kleine“ Kronzeugenregelung einordnen,101 deren geringer Anwendungsbereich durch die Beschränkung auf Fälle des Landesverrats und der Staatsgefährdung hinter dem des § 46b StGB weit zurückbleibt. Anhand dieses Überblicks wird deutlich, dass die §§ 153 ff. StPO nicht so weit ausgelegt werden können, dass der Effekt eines allgemeinen Kronzeugengesetzes erreicht wird.102 Damit erweisen sich sämtliche Hinweise, dass diese Vorschriften bereits eine vergleichbare Regelung enthielten, als unzutreffend.103 Eine andere Frage ist, ob der Zweck der allgemeinen Kronzeugenregelung nicht ebenso gut durch § 46 Abs. 2 StGB verwirklicht werden kann. § 46 Abs. 2 S. 2 StGB ermöglicht ausdrücklich die strafmildernde Berücksichtigung des – kooperativen – Nachtatverhaltens im Rahmen der allgemeinen Strafzumessung, wobei stets eine Rückkoppelung an die Grund­ lagen der Strafzumessung und die Strafzwecke des § 46 Abs. 1 StGB vorgenommen werden muss.104 Während § 46 Abs. 2 StGB somit nur den gesetzlichen Rahmen für die Berücksichtigung vieler verschiedener Strafzumessungsfaktoren vorgibt, ist § 46b StGB speziell auf die Situation des Kronzeugen zugeschnitten. Eine konkrete gesetzliche Bestimmung über die Strafmilderung im Fall geleisteter Aufklärungs- oder Präventionshilfe bestätigt die bisherige Tendenz und bietet aussagewilligen Beschuldigten ­ daher grundsätzlich einen größeren Kooperationsanreiz als der allgemein gehaltene Wortlaut des § 46 StGB. Um lediglich einen entsprechenden gesetzgeberischen Willen zu verdeutlichen, hätte allerdings auch die Ergänzung des § 46 Abs. 2 S. 2 StGB um ein weiteres Fallbeispiel der Ermittlungshilfe genügt.105 Die Besonderheit der allgemeinen Kronzeugenregelung liegt jedoch in der Art der durch sie gewährten Vorteile: Der vertypte Milderungsgrund in § 46b Abs. 1 S. 1 StGB bewirkt durch den Verweis auf § 49 Abs. 1 StGB eine Ermäßigung der Höchst- und Mindeststrafe und bietet damit einen wesentlich größeren Anreiz als die Milderung innerhalb der einschlägigen Strafrahmen.106 Damit lässt die Kronzeugenregelung eine Kooperation insbesondere dort attraktiver erscheinen, wo dem Täter eine 101  Kühne: Strafprozessrecht, Rn. 799; vgl. auch Thiem: Die Bonusregelung des Bundeskartellamtes, S.  48 ff.; Bernsmann JZ 1988, 539, 543; Beulke: Strafprozessrecht, Rn. 342; Weigend ZStW 109 (1997), 103, 111. 102  Siehe Volk NJW 1996, 879, 881. 103  Vgl. schon Meyer ZRP 1976, 25, 26; a. A. Bernsmann JZ 1988, 539, 544, der im Wege extensiver Auslegung in § 153d StPO eine zumindest mit Art. 4 KronzG vergleichbare „große“ Kronzeugenregelung erkannt haben will. 104  Jeßberger: Kooperation und Strafzumessung, S. 65. 105  Frank / Titz ZRP 2009, 137, 139. 106  Vgl. BT-Drucks. 16 / 6268, S. 1.



A. Vereinbarkeit mit dem Legalitätsprinzip181

hohe Mindeststrafe droht.107 Darüber hinaus kommt in seltenen Fällen sogar ein vollständiges Absehen von Strafe nach § 46b Abs. 1 S. 4 StGB in Betracht. Aus demselben Grund lässt sich der mit § 46b StGB bezweckte Anreiz auch nicht mit einer Verständigung i. S. d. § 257c StPO erreichen. Denn auch im Rahmen einer Verständigung kann das Gericht für die im Einzelfall zu verhängende Strafe eine Strafober- und Strafuntergrenze nur innerhalb des gesetzlichen Strafrahmens in Aussicht stellen.108 Eine noch größere Bedeutung erlangt der Milderungsgrund des Abs. 1 S. 1 in den Fällen absolut angedrohter lebenslanger Freiheitsstrafe, namentlich bei Mord (§ 211 StGB), da hier die Möglichkeit zur Milderung der Strafe durch § 46b StGB überhaupt erst eröffnet wird.109 Zum Teil wurde sogar versucht, die Erforderlichkeit der Kronzeugenregelung allein mit dem Hinweis zu konstatieren, sie diene dazu, mordverdächtigen Straftätern einen Weg aufzuzeigen, durch ein bestimmtes Aussageverhalten die sonst unvermeidliche lebenslange Freiheitsstrafe abzuwenden.110 Dieses Ziel, so wurde argumentiert, lasse sich rechtlich auf keinem anderen Wege erreichen, soweit an der absoluten Strafandrohung bei Mord festgehalten werde.111 Bislang konnte kooperatives Nachtatverhalten in Fällen des § 211 StGB selbst dann nicht strafmildernd berücksichtigt werden, wenn darin ausnahmsweise eine geminderte Schuld oder geringere individuelle Gefährlichkeit des Täters zum Ausdruck kam, sodass eigentlich eine zeitige Freiheitsstrafe angezeigt wäre.112 Die Öffnung der absoluten Strafandrohung erfolgt allerdings nur punktuell für die spezielle Konstellation der Ermittlungshilfe.113 Übertrieben wäre es daher, hierin das „eigentliche Ziel“114 der Kronzeugenregelung zu erblicken. Als denkbare Alternative zu einer allgemeinen Bestimmung bietet sich der Erlass bereichsspezifischer „kleiner“ Kronzeugenregelungen an, wie sie 107  Peglau: Protokoll der 133. Sitzung des Rechtsausschusses vom 25.3.2009, S. 21; ders. wistra 2009, 409, 410. 108  Eschelbach, in: BeckOK-StPO, § 257c Rn. 12; zum Verhältnis zwischen § 46b StGB und § 257c StPO vgl. 3. Teil G. 109  Wolters, in: SK-StGB, § 46b Rn. 5; Fischer: StGB, § 46b Rn. 24; Steinberg WuW 2006, 719, 724. 110  Pflieger / Striewisch Kriminalpolizei 2006, 93, 96 im Hinblick auf Art. 4, 5 KronzG. 111  Pflieger / Striewisch Kriminalpolizei 2006, 93, 96. 112  Streng, in: NK-StGB, § 46b Rn. 3. 113  Kritisch hierzu Streng, in: NK-StGB, § 46b Rn. 3; Stellungnahme 39 / 2006 des Deutschen Anwaltvereins, S. 6; Stellungnahme der Fraktion Bündnis 90 / Die Grünen in BT-Drucks. 16 / 13094, S. 5 f.; vgl. auch König: Protokoll der 133. Sitzung des Rechtsausschusses vom 25.3.2009, S. 16. 114  So Pflieger / Striewisch Kriminalpolizei 2006, 93, 96 im Hinblick auf Art. 4, 5 KronzG.

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6. Teil: Vereinbarkeit mit strafprozessualen Prinzipien

frühe Entwürfe der CDU / CSU-Fraktion im Bundestag115 sowie des Bundesrates116 vorsahen. „Kleine“ Kronzeugenregelungen beeinträchtigen das Legalitätsprinzip nur hinsichtlich ihres jeweils erfassten Deliktsbereiches, versprechen jedoch naturgemäß keinen ebenso breit wirkenden Anreiz für Wissensoffenbarungen und verfügen somit auch nicht über die gleiche Eignung zur Erreichung des mit § 46b StGB verfolgten Zwecks. Die gleiche Breitenwirkung wäre allenfalls dann erreicht, wenn es sich um so zahlreiche bereichsspezifische Regelungen handelte, dass diese sämtliche der von § 46b StGB erfassten Bereiche abdeckten. Dann jedoch wäre auch das Legalitätsprinzip in gleichem Maße betroffen und schon aus Gründen der Übersichtlichkeit eine allgemeine Regelung vorzugswürdig.117 Ob einer allgemeinen Kronzeugenregelung allein schon durch ihre systematische Verortung im Allgemeinen Teil des StGB ein zusätzlicher „Offenbarungsappell“ innewohnt, da hiermit die Wertschätzung des Kronzeugen besser zum Ausdruck gebracht werde,118 muss allerdings bezweifelt werden. Fraglich bleibt schließlich, ob das Insiderwissen, welches sich der Staat durch das Inaussichtstellen einer Strafmilderung anzueignen erhofft, auch im Wege einer externen Informationsbeschaffung erlangt werden könnte. Ausweislich der Gesetzesbegründung gelingt es den Ermittlern vielfach nicht, mit von außen wirkenden Ermittlungsmaßnahmen in abgeschottete Strukturen einzudringen und die erforderlichen Erkenntnisse zu gewinnen.119 In der Tat stößt der Einsatz von verdeckten Ermittlern und V-Personen in der Praxis zunehmend auf Schwierigkeiten. Nicht unproblematisch ist insbesondere die prozessuale Verwertbarkeit der Beweismittel, soweit diese durch Privatpersonen erlangt wurden.120 Jedenfalls schränken geheime Ermittlungsmaßnahmen in der Regel zwar das Legalitätsprinzip nicht ein, sind jedoch mit einer Vielzahl von erheblichen Eingriffen in die Grundrechte der Betroffenen verbunden. Insoweit fällt es äußerst schwer, sie unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten als ein „milderes Mittel“ der Informationsgewinnung anzusehen.121 115  BT-Drucks. 14 / 6834; 15 / 2333; vgl. schon den bayrischen Entwurf eines Gesetzes zur Ergänzung der Kronzeugenregelung im Strafrecht (KrzErgG) BR-Drucks. 395 / 00. 116  BT-Drucks. 15 / 2771. 117  Anders die damaligen Entwürfe des Bundesrates und der CDU / CSU-Fraktion im Bundestag, vgl. BT-Drucks. 14 / 6834, S. 10; 15 / 2333, S. 9; 15 / 2771, S. 11. 118  Kneba: Die Kronzeugenregelung, S. 52. 119  BT-Drucks. 16 / 6268, S.  1. 120  Siehe hierzu Gleß, in: Löwe  / Rosenberg: StPO, § 136a Rn. 10 ff.; Ostendorf: Strafprozessrecht, Rn. 141; ders. ZIS 2010, 301, 306; Eisenberg: Beweisrecht der StPO, Rn.  399 ff. 121  Vgl. auch Jeßberger: Kooperation und Strafzumessung, S. 99; Lammer ZRP 1989, 248, 250.



A. Vereinbarkeit mit dem Legalitätsprinzip183

Ferner könnten sich Beweisschwierigkeiten in bestimmten Bereichen auch dadurch vermeiden lassen, dass auf die Erforderlichkeit der Erbringung entsprechender Beweise einfach verzichtet wird. Eine entsprechende radikale Umgestaltung des Beweisrechts kommt jedoch wegen der damit verbundenen Verletzung fundamentaler Prozessgrundsätze als mildere Alternative zu § 46b StGB nicht in Betracht.122 Rechtsstaatliche Bedenken sprechen auch gegen den umgekehrten Ansatz einer Ausdehnung des materiellen Strafrechts durch Streichung aller schwer nachzuweisenden Tatbestandsmerkmale.123 Es stellt sich also heraus, dass die allgemeine Kronzeugenregelung des § 46b StGB gegenüber den §§ 153 ff. StPO, der allgemeinen Strafzumessung, aber auch gegenüber „kleinen“ Kronzeugenregelungen erweiterte Möglichkeiten eröffnet.124 Die Rechtsfolgen des § 46b StGB versprechen zumindest dort einen größeren Anreiz für potenzielle Kronzeugen, wo das übrige Instrumentarium an seine Grenzen stößt. Da andere in Betracht kommende Maßnahmen nicht in gleichem Maße geeignet sind, ist die Beeinträchtigung des Legalitätsprinzips zur Erreichung des spezifischen Zwecks i. S. d. Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes unter Berücksichtigung der gesetzgeberischen Einschätzungsprärogative auch erforderlich. c) Angemessenheit von Zweck und Mittel Die Prüfung der Verhältnismäßigkeit läuft damit auf eine Güterabwägung hinaus.125 Die widerstreitenden Interessen, namentlich die Beeinträchtigung des staatlichen Verfolgungszwangs und die Effizienzsteigerung der Strafverfolgungs- und Präventionsbemühungen, müssten in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen. Verfassungsrechtlicher Schutz verleiht einem Interesse bei der Abwägung grundsätzlich ein höheres Gewicht.126 Vorliegend sind beide Abwägungsgüter auf das in Art. 20 Abs. 3 GG verbürgte Rechtsstaatsprinzip zurückzuführen, ohne dass sich hieraus ein grundsätz­ liches Übergewicht des einen oder anderen Aspekts ableiten ließe. Die Einschränkung des Verfolgungszwangs ist daher nicht schon ohne Weiteres angemessen, weil damit ein rechtsstaatlich gebotenes Ziel verfolgt wird. Vielmehr ist zwischen den kollidierenden Positionen ein schonender Aus122  So auch Jeßberger: Kooperation und Strafzumessung, S. 100; Weigend, in: FS-Triffterer, S.  695 ff. 123  Vgl. hierzu eingehend Weigend, in: FS-Triffterer, S. 695 ff. 124  Vgl. schon Schlüchter ZRP 1997, 65, 68. 125  Zur Angemessenheit oder auch Verhältnismäßigkeit i. e. S. siehe Pieroth / Schlink: Grundrechte, Rn.  299 ff.; Jarass, in: Jarass / Pieroth: GG, Art. 20 Rn. 86; Sachs: GG, Art. 20 Rn. 154 ff. 126  Sachs: GG, Art. 20 Rn. 156.

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6. Teil: Vereinbarkeit mit strafprozessualen Prinzipien

gleich zu suchen, bei dem beide Prinzipien möglichst optimal verwirklicht werden, ohne dass eine der beiden Positionen vollständig verdrängt wird (sog. praktische Konkordanz).127 Es kommt somit entscheidend auf die Bedeutsamkeit der Beeinträchtigungs- bzw. Nutzeffekte der Regelung in § 46b StGB an.128 Für einen schonenden Ausgleich ohne die vollständige Verdrängung des Legalitätsprinzips müsste die Verfolgungspflicht als Grundregel des Strafverfahrens gewahrt, das heißt das Regel-AusnahmeVerhältnis von Legalitätsprinzip und Einschränkungen erhalten bleiben.129 aa) Hohe Eingriffsintensität Der Eingriff in das Legalitätsprinzip durch § 46b StGB wiegt verglichen mit anderen Opportunitätsvorschriften schwer. Da jede Einschränkung oder Durchbrechung des Legalitätsprinzips das Vertrauen der rechtstreuen Bevölkerung in den staatlichen Strafanspruch beeinträchtigt, sollen die §§ 153 ff. StPO nur für Delikte der einfachen und mittleren Kriminalität Anwendung finden.130 Anders als die meisten Fälle der §§ 153 ff., 154 ff. StPO hat die allgemeine Kronzeugenregelung jedoch nichts mit der Bewältigung von Massenkriminalität zu tun. Ganz im Gegenteil, sie erfasst nicht etwa nur Vergehen innerhalb der Strafgewalt des Amtsrichters, sondern durchbricht das Legalitätsprinzip auch in Fällen der mittleren und schweren Kriminalität. § 46b Abs. 1 S. 4 StGB hält über den Mechanismus des § 153b StPO Einzug in das System der Geringfügigkeitsfälle. Das Zusammenspiel beider Vorschriften ermöglicht der Staatsanwaltschaft mit Zustimmung des Gerichts, von der Verfolgung gegebenenfalls auch bei schweren Tatvorwürfen abzusehen, für die an sich eine Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren verwirkt ist. Auch Kaspar / Wengenroth sehen in der Einstellung gem. § 153b StPO i. V. m. § 46b Abs. 1 S. 4 StGB eine Durchbrechung des Legalitätsprinzips, jedoch handele es sich hierbei um keine Besonderheit. Vielmehr entspreche dies der gängigen Praxis der §§ 153 ff. StPO. Spezifische Bedenken bestünden hinsichtlich der allgemeinen Kronzeugenregelung daher nicht.131 Angesichts der besonderen Intensität der Beeinträchtigung kann dem nicht gefolgt werden. Grundsätzlich unterliegen Veränderungen des Legalitätsprinzips bestimmten Anforderungen der Systemgerechtigkeit. Be127  BVerfG NJW 2002, 1779, 1780; Riehm: Abwägungsentscheidungen in der praktischen Rechtsanwendung, S. 203. 128  Vgl. Sachs: GG, Art. 20 Rn. 157. 129  Schmidt-Jortzig NJW 1989, 129, 138. 130  Siehe Stellungnahme der Bundesrechtsanwaltskammer vom 18.4.2006, S. 5; Sahan / Berndt BB 2010, 647, 648. 131  Kaspar / Wengenroth GA 2010, 453, 461.



A. Vereinbarkeit mit dem Legalitätsprinzip185

absichtigte Einschränkungen des Grundsatzes müssten hiernach entweder einem völlig neuen Gesamtkonzept angehören oder sich unter Beibehaltung des alten Konzepts organisch in den vorhandenen Normenkomplex einfügen.132 § 46b StGB erweist sich dagegen im System der übrigen Opportunitätsvorschriften als Fremdkörper.133 Versuche, die Vorschrift lediglich als eine Ergänzung des bestehenden Systems aufzufassen,134 sind nicht überzeugend. Indes begründet die Systemwidrigkeit einer Regelung nicht schon für sich genommen einen Verfassungsverstoß, denn grundsätzlich obliegt dem Gesetzgeber die Entscheidung, nach welchem System er eine Materie ordnen will.135 Die Auswahl der leitenden Gesichtspunkte sowie die einzelnen Schritte bei ihrer Verwirklichung bleiben grundsätzlich ihm überlassen.136 Allerdings kann die Systemwidrigkeit einer Norm indiziell auf Gleichheitsverstöße i. S. d. Art. 3 Abs. 1 GG hindeuten.137 bb) Kein Ermittlungsnotstand Zugunsten der allgemeinen Kronzeugenregelung wird angeführt, dass der dem Rechtsstaatsprinzip geschuldete Verfolgungszwang zwar unabdingbare Voraussetzung einer funktionierenden Strafrechtspflege sei, deren Funk­ tionstüchtigkeit jedoch andererseits auch durch Ermittlungsdefizite beeinträchtigt werde.138 Die wesentliche Aufgabe des Staates, gerade schwere Straftaten aufzuklären und zu verhindern, könnte in vielen Fällen ohne den Rückgriff auf besondere Maßnahmen nicht oder nur unzureichend erfüllt werden.139 Würden die Taten bestimmter Deliktsgruppen nicht aufgeklärt und deren Täter in der Folge nicht verurteilt, käme es entgegen der eindeutigen gesetzgeberischen Entscheidung, ein bestimmtes Verhalten unter Strafe zu stellen, faktisch zu Straflosigkeit.140 Es sei daher ausnahmsweise angemessen, die konsequente Durchsetzung des Strafanspruchs zunächst an 132  Schmidt-Jortzig NJW 1989, 129, 137 f.; Jung: Straffreiheit für den Kronzeugen, S.  63 ff.; Jaeger: Der Kronzeuge, S. 55. 133  Vgl. Sahan / Berndt BB 2010, 647, 648; Mellinghoff, in: FS-Hassemer, S. 512; Hassemer, in: FS StA Schleswig-Holstein, S. 537; Schlüchter ZRP 1997, 65, 69; Weigend ZStW 109 (1997), 103, 110 ff. 134  Vgl. BT-Drucks. 16 / 6268, S. 2; vgl. auch Hilger NJW 1989, 2377, 2378. 135  BVerfGE 61, 138, 148. 136  Schmidt-Jortzig NJW 1989, 129, 138. 137  BVerfGE 61, 138, 148; 59, 36, 49; vgl. auch BVerfGE 60, 16, 43; 67, 70, 84 f.; 68, 237, 253; 78, 104, 122 f.; 81, 156, 207; 85, 238, 247; zu einem möglichen Gleichheitsverstoß siehe 6. Teil A. II. 138  BT-Drucks. 16 / 6268, S.  11. 139  BT-Drucks. 16 / 6268, S.  11. 140  BT-Drucks. 16 / 6268, S.  11.

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6. Teil: Vereinbarkeit mit strafprozessualen Prinzipien

anderer Stelle einzuschränken, wenn auf diese Weise Straftaten aus dem Katalog des § 100a Abs. 2 StPO effektiver aufgeklärt oder verhindert werden könnten.141 Die mildere Bestrafung oder Straffreiheit des Kronzeugen wäre demnach die Inkaufnahme des „kleineren Übels“, wenn sich bei Gegenüberstellung beider Schäden für die vollständige Durchsetzung des Strafrechts unter dem Strich ein positiver Saldo ergäbe.142 Es stellt sich daher die Frage, welche Anforderungen an ein Ermittlungsdefizit gestellt werden müssen, damit die Rücknahme des Strafanspruchs gegenüber dem Kronzeugen angemessen erscheint. In der rechtswissenschaftlichen Diskussion wurde hierfür lange Zeit auf den Begriff des sog. Ermittlungsnotstandes als ein pauschales Erfordernis zur Rechtfertigung einer Kronzeugenregelung abgestellt.143 Trotz reger Verwendung des Begriffs blieben die genauen Voraussetzungen eines Ermittlungsnotstandes meist vage. Nach Jeßberger lassen sich zwei wesentliche Elemente feststellen:144 Es müsste 1. ein Aufklärungsdefizit vorliegen, das heißt die staatlichen Ermittlungsbemühungen aufgrund besonderer Konspirativität oder fehlender Anzeigeund Aufklärungsbereitschaft weitgehend erfolglos bleiben und 2. wegen der Art oder Intensität der Rechtsgutsverletzung ein öffentlicher Druck entstehen, der den Verzicht auf eine staatliche Reaktion als nicht mehr hinnehmbar erscheinen lässt. Ob der Katalog tauglicher Bezugstaten in § 46b Abs. 1 StGB i. V. m. § 100a Abs. 2 StPO diesen Anforderungen genügt, erscheint indes zweifelhaft, da er ursprünglich unter anderen Gesichtspunkten zusammengestellt wurde.145 Die Aufzählung erfasst sowohl schwere als auch schwer ermittelbare Kriminalität.146 Um jeweils die Voraussetzungen des Ermittlungsnotstandes zu erfüllen, müssten auf die Delikte jedoch beide Merkmale gleichzeitig zutreffen. 141  BT-Drucks. 142  Jeßberger:

16 / 6268, S.  11. Kooperation und Strafzumessung, S. 103; vgl. auch Hoyer JZ

1994, 233, 236. 143  Erstmals wohl Jung: Straffreiheit für den Kronzeugen, S. 66 f.; vgl. dens. ZRP 1986, 38, 40; Behrendt GA 1991, 337, 341; Jeßberger: Kooperation und Strafzumessung, S.  101 ff.; Schlüchter ZRP 1997, 65, 69; Meyer ZRP 1976, 25, 27; Jaeger: Der Kronzeuge, S. 47; Lammer ZRP 1989, 248, 250; Denny ZStW 103 (1991), 269, 272; Schulte: Terrorismus und Anti-Terrorismus-Gesetzgebung, S. 177; vgl. auch Hoyer JZ 1994, 233, 240; Füllkrug MDR 1989, 119, 121. 144  Jeßberger: Kooperation und Strafzumessung, S. 103 ff. 145  König NJW 2009, 2481, 2482. 146  BT-Drucks. 16 / 6268, S. 11; BR-Drucks. 275 / 07, S. 88 f.



A. Vereinbarkeit mit dem Legalitätsprinzip187

Im Hinblick auf die Staatsschutzdelikte sowie die verschiedenen Formen der organisierten Kriminalität lassen sich diese Voraussetzungen durchaus plausibel begründen. Terroristische Straftaten und Hochverrat sind konspirative Delikte, die ein Aufbrechen abgeschotteter Strukturen erforderlich machen können.147 Zudem erzeugen die von § 100a Abs. 2 StPO erfassten terroristischen Straftaten einen beträchtlichen Kriminalitätsdruck.148 Auch für den Bereich der schweren Wirtschaftsdelikte, in dem strukturbedingt ein vergleichsweise großes Dunkelfeld vermutet wird, ist die Annahme eines erheblichen Aufklärungsdefizits nicht fernliegend.149 Die Aufklärungsquote für die Delikte der Sammelgruppe Wirtschaftskriminalität lag zwar in den letzten zehn Jahren durchschnittlich bei über 90 %.150 Allerdings handelt es sich dabei überwiegend um sog. Überwachungs- und Kontrolldelikte, bei denen Täter und Opfer schon bei Einleitung des Ermittlungsverfahrens feststehen, weshalb die Taten regelmäßig bereits bei ihrem Bekanntwerden als „aufgeklärt“ gelten.151 Da es sich bei den Opfern jedoch oftmals nicht um natürliche, sondern juristische Personen handelt, wird die Schädigung häufig überhaupt nicht oder erst sehr spät bemerkt.152 Die von § 46b StGB erfassten Tatbestände der Geldwäsche (vgl. § 100a Abs. 2 Nr. 1 lit. m StPO) werden ebenfalls häufig innerhalb schwer zugänglicher Kriminalitätsstrukturen verübt.153 Allerdings wurde insoweit schon im Hinblick auf die „kleine“ Kronzeugenregelung in § 261 Abs. 10 StGB a. F., deren Anwendungsbereich inzwischen weitgehend von § 46b StGB abgedeckt wird, das Vorliegen eines ausreichenden Kriminalitätsdrucks bezweifelt.154 Darüber hinaus umfasst der Katalog verschiedene Tötungs- und Sexualdelikte. Tatsächlich begründen diese Taten aufgrund der Art und Intensität der Rechtsgutsbeeinträchtigung einen besonderen Kriminalitätsdruck. Die vergleichsweise hohen Aufklärungsraten der bekannt gewordenen Fälle sprechen indes eher gegen ein Bedürfnis nach außerordentlichen Informationsquellen. Die Aufklärungsquote für Mord und Totschlag lag im Jahr 2011 bei 96,1 %. Bei Sexualstraftaten gem. §§ 177 Abs. 2, 3 und 4, 178 StGB betrug sie immerhin 82,5 %.155 Vor allem aber werden diese Delikte regelmäßig nicht innerhalb 147  Jeßberger:

Kooperation und Strafzumessung, S. 105. Schulte: Terrorismus und Anti-Terrorismus-Gesetzgebung, S. 177. 149  Vgl. den Zweiten Periodischen Sicherheitsbericht der Bundesregierung, S. 220 f., wonach derzeit „begründet vermutet werden“ könne, „das Dunkelfeld sei relativ groß“. 150  Zweiter Periodischer Sicherheitsbericht der Bundesregierung, S. 222. 151  Zweiter Periodischer Sicherheitsbericht der Bundesregierung, S. 222. 152  Zweiter Periodischer Sicherheitsbericht der Bundesregierung, S. 221. 153  Vgl. hierzu Carl / Klos: Regelungen zur Bekämpfung der Geldwäsche, S. 29 ff. 154  Jeßberger: Kooperation und Strafzumessung, S. 105. 155  Polizeiliche Kriminalstatistik, Jahrbuch 2011, Tab. 23. 148  Vgl.

188

6. Teil: Vereinbarkeit mit strafprozessualen Prinzipien

organisierter Kriminalitätsstrukturen begangen, die man mit Hilfe einer Kronzeugenregelung aufbrechen müsste.156 Etwa bei den Tötungsdelikten gem. §§ 211, 212 StGB entstammen 66,1 % der ermittelten Tatverdächtigen dem Kreis der Verwandten oder näheren Bekannten des Opfers; es handelt sich demnach um typische Beziehungsdelikte.157 Vergleichbare Einwände erhob der Bundesrat auch im Hinblick auf den schweren sexuellen Missbrauch von Kindern gem. § 176a StGB, bei dem sich das Aufklärungsdefizit aus der Unterlegenheit des kindlichen Opfers gegenüber dem ihm regelmäßig bekannten Täter ergibt.158 Damit lässt sich festhalten, dass jedenfalls nicht alle der Straftaten im Katalog des § 46b Abs. 1 StGB i. V. m. § 100a Abs. 2 StPO die besonderen Anforderungen des Ermittlungsnotstandes erfüllen. Der Begriff kann folglich nicht als Schlagwort zur pauschalen Rechtfertigung des § 46b StGB herangezogen werden. Jedoch führt umgekehrt das Fehlen dieser Voraussetzungen bei einigen der erfassten Katalogtaten nicht zwangsläufig zur Unverhältnismäßigkeit der gesamten Regelung im Hinblick auf das Legalitätsprinzip. Die Beurteilung, ob in einem Deliktsbereich ein bestimmtes Aufklärungsdefizit bzw. ein bestimmter Kriminalitätsdruck vorliegt, ist komplex und mit zahlreichen Unsicherheiten verbunden. Auch ist insoweit zu berücksichtigen, dass dem Gesetzgeber hinsichtlich der Beurteilung der tatsäch­ lichen Gegebenheiten ein weiter Spielraum zusteht. Zudem ist die Art der aufgeklärten oder verhinderten Bezugstat nur einer von mehreren Faktoren, die für den tatsächlichen Nutzen der Ermittlungshilfe ausschlaggebend sind. Somit könnte sich zugunsten des Legalitätsprinzips dennoch ein positiver Saldo ergeben, soweit die Proportionalität von Leistung und Gegenleistung auf Grundlage der übrigen Voraussetzungen gewahrt bleibt. Sieht man überdurchschnittlich hohe Ermittlungsdefizite und öffentlichen Aufklärungsdruck als die maßgeblichen Kriterien an, erscheint der Verweis auf die schweren Delikte in § 100a Abs. 2 StPO insgesamt noch verhältnismäßig. cc) Fehlende Voraussetzung eines Unrechtsgefälles Auch der von § 46b StGB in Aussicht gestellte Vorteil einer Strafrahmenverschiebung gem. § 49 Abs. 1 StGB oder eines vollständigen Absehens von Strafe ist nicht von vornherein unangemessen. Der Vorteil muss gegenüber einer Berücksichtigung im Rahmen der allgemeinen Strafzumessung gem. § 46 StGB spürbar günstiger ausfallen, um überhaupt eine zusätzliche An156  Vgl.

König NJW 2009, 2481, 2482; BT-Drucks. 16 / 6268, S. 19. Kriminalstatistik, Jahrbuch 2010, S. 73; Schwind: Kriminologie,

157  Polizeiliche

Rn. 8a. 158  BT-Drucks. 16 / 6268, S.  19.



A. Vereinbarkeit mit dem Legalitätsprinzip189

reizwirkung für Wissensoffenbarungen entfalten zu können. Darüber hinaus ist nicht davon auszugehen, dass § 46b StGB das Regel-Ausnahme-Verhältnis von Verfolgungszwang und Durchbrechung umzukehren droht. In Anbetracht der eingeschränkten Vorhersehbarkeit der staatlichen Reaktion werden viele Beschuldigte trotz vorhandenen Kronzeugenwissens auf eine Wissensoffenbarung verzichten. Zudem wird das Gericht ein vollständiges Absehen von Strafe nach § 46b Abs. 1 S. 4 StGB nur in extrem seltenen Ausnahmekonstellationen in Betracht ziehen. Angemessen sein müsste jedoch auch das Verhältnis zwischen der Anlasstat des Kronzeugen und dem Gegenstand seiner Ermittlungshilfe.159 Aus dem Verhältnismäßigkeitsprinzip können insoweit konkrete Anforderungen an die nähere Ausgestaltung der Vorschrift abgeleitet werden: Eine Durchbrechung des Legalitätsprinzips ist aus rechtsstaatlicher Sicht eher zu ertragen, wenn der Kronzeuge selbst lediglich ein Bagatelldelikt verwirklicht hat, als wenn ihm eine Straftat aus dem Bereich der schweren oder schwersten Kriminalität zur Last gelegt wird. Gleichzeitig lassen sich Ausnahmen vom Verfolgungszwang leichter rechtfertigen, wenn die geleistete Ermittlungshilfe eine Straftat mit besonders hohem Unrechtsgehalt betrifft. Damit Anlass- und Bezugstat in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen, müsste zwischen ihnen folglich ein derartiges Unrechtsgefälle vorliegen, dass das Unrecht der Anlasstat das Unrecht der Bezugstat überwiegt.160 Dagegen verlangt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Hinblick auf das Legalitätsprinzip nicht, dass Täter bestimmter schwerer Straftaten im Sinne einer „absoluten Unerträglichkeitsgrenze“ von vornherein als Kronzeugen ausscheiden müssen.161 Zumindest theoretisch lässt sich jedes Abrücken von der staatlichen Verfolgungspflicht durch einen wertvolleren Zugewinn bei der Verfolgung der offenbarten Taten aufwiegen. Etwas anderes gilt hinsichtlich der Strafzwecke, da sich Schuld und individuelle Gefährlichkeit verschiedener Straftäter nicht gegeneinander aufrechnen lassen.162 Dass § 46b StGB eine Strafmilderung auch bei Mord und ein Absehen von Strafe grundsätzlich auch bei Verbrechen zulässt, verstößt daher nicht gegen das Rechtsstaatsprinzip. Diesen Anforderungen genügt § 46b StGB nur mit Einschränkungen. Auf der Ebene der Anwendungsvoraussetzungen verzichtet § 46b StGB auf das 159  Jeßberger:

Kooperation und Strafzumessung, S. 107. Lammer ZRP 1989, 248, 250; Jung: Straffreiheit für den Kronzeugen, S.  69 f.; Jaeger: Der Kronzeuge, S. 45 f.; Kaspar / Wengenroth GA 2010, 453, 460; Bocker: Der Kronzeuge, S. 83 f.; Behrendt GA 1991, 337, 341; Jeßberger: Kooperation und Strafzumessung, S. 107; Denny ZStW 103 (1991), 269, 272. 161  Jeßberger: Kooperation und Strafzumessung, S. 108 ff.; a. A. Denny ZStW 103 (1991), 269, 272. 162  Vgl. hierzu 6. Teil B. III. und IV. 160  Vgl.

190

6. Teil: Vereinbarkeit mit strafprozessualen Prinzipien

explizite Erfordernis eines Unrechtsgefälles. Überwiegt das Unrecht der Anlasstat das Unrecht der Bezugstat, ist eine Anwendung der allgemeinen Kronzeugenregelung nicht von vornherein ausgeschlossen. Erst bei seiner Entscheidung über das „Ob“ der Honorierung hat das Gericht nach § 46b Abs. 2 Nr. 2 StGB das Verhältnis der Schwere der Tat des Kronzeugen und der Schwere der Tat, auf die sich seine Angaben beziehen (siehe § 46b Abs. 2 Nr. 1 StGB), zu berücksichtigen. Auf Rechtsfolgenseite besteht in der Praxis so zumindest die Möglichkeit, eine Belohnung der Aufklärungsoder Präventionshilfe bei Fehlen eines Unrechtsgefälles zu vermeiden.163 Es fehlt jedoch eine ausdrückliche Klarstellung, dass eine Milderung bzw. erst recht ein Absehen von Strafe ausscheiden muss, wenn eine solche Belohnung nach dem Verhältnis der Tat, auf die sich die offenbarten Tatsachen beziehen, zur Tat des Täters nicht angemessen ist.164 Darüber hinaus findet sich in den Anwendungsvoraussetzungen des § 46b StGB hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit von Leistung und Gegenleistung ein Wertungswiderspruch, da die Vorschrift an den Unrechtsgehalt der Anlasstat höhere Anforderungen stellt als an manche Bezugstaten, indem sie auf der einen Seite den Bereich der leichten Kriminalität ausklammert, auf der anderen Seite über den Pauschalverweis auf § 100a Abs. 2 StPO aber auch bestimmte Delikte ohne im Mindestmaß erhöhte Strafandrohung erfasst.165 Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangt daher eine restriktive Handhabung des richterlichen Ermessens. Die Kronzeugenregelung ist dahingehend verfassungskonform auszulegen, dass jedenfalls ein vollständiges Absehen von Strafe infolge einer Ermessensreduzierung auf Null ausscheiden muss, wenn das Unrecht der Bezugstat feststellbar das Unrecht der Anlasstat überwiegt. Denn auch wenn man grundsätzlich anerkennt, dass die an die Kronzeugenhandlung anknüpfenden Folgen (z. B. eine besonders umfassende Aufklärung der Bezugstat) ein fehlendes Unrechtsgefälle teilweise kompensieren können,166 funktioniert dies nur, soweit auch der Strafanspruch nur teilweise zurückgenommen werden soll, namentlich in Fällen der Strafmilderung gem. § 49 Abs. 1 StGB. Folglich kommt auch eine Strafrahmenverschiebung bei fehlendem Unrechtsgefälle regelmäßig nicht in Betracht, wenn nicht außergewöhnliche Umstände vorliegen, welche die partielle Aufgabe des Strafanspruchs ausnahmsweise doch verhältnismäßig erscheinen lassen. 163  Jeßberger:

Stellungnahme im Rechtsausschuss, S. 8. hierzu den Entwurf eines § 46b StGB bei Jeßberger: Kooperation und Strafzumessung, S. 330. 165  Siehe auch Fischer: StGB, § 46b Rn. 9; vgl. etwa § 100a Abs. 2 Nr. 1 lit. b, c, d, g, m und r StPO; siehe hierzu schon 2. Teil A. II. 1. 166  Kneba: Die Kronzeugenregelung, S. 58. 164  Vgl.



A. Vereinbarkeit mit dem Legalitätsprinzip191

Für die Beurteilung des Unrechtsgehalts können keine starren Regeln aufgestellt werden. Es ist daher im Einzelfall auf die jeweils betroffenen Rechtsgüter, die Intensität der Rechtsgutsverletzung, die Beteiligungsform und sonstige Tatmodalitäten abzustellen.167 Bei der Anwendung von § 153b Abs. 1 StPO i. V. m. § 46b Abs. 1 S. 4 StGB stößt die erforderliche Abwägung jedoch auf zusätzliche Schwierigkeiten. Zu dem Zeitpunkt, in dem über das Absehen von der Anklageerhebung entschieden wird, besteht gegenüber dem Kronzeugen regelmäßig nur ein Tatverdacht, während die Beteiligten gleichzeitig nur ungenaue Vorstellungen über die aufzuklärende Bezugstat haben.168 Der Gesetzgeber wollte nach eigener Aussage durch die Präklusionsbestimmung in § 46b Abs. 3 StGB einen größeren zeit­ lichen Spielraum zur Überprüfung der Angaben des Ermittlungsgehilfen schaffen, indem Kronzeugenaussagen bis spätestens zum Erlass des Eröffnungsbeschlusses vorgebracht werden müssen. Fraglich bleibt dann jedoch, wieso die Staatsanwaltschaft (wenn auch nur mit Zustimmung des Gerichts) überhaupt zu einem noch früheren Zeitpunkt in der Lage sein sollte, über die vollständige Straffreiheit eines Kronzeugen zu entscheiden. Es spricht also einiges dafür, die allgemeine Kronzeugenregelung dem Anwendungsbereich des § 153b StPO zu entziehen.169 Dies ließe sich am einfachsten durch eine vollständige Streichung der Rechtsfolgenalternative des vollständigen Absehens von Strafe bewerkstelligen, die einerseits einen besonders schwerwiegenden Eingriff in das Legalitätsprinzip bedeutet und andererseits in der gerichtlichen Praxis ohnehin nahezu bedeutungslos ist.170 5. Ergebnis Das Legalitätsprinzip hat straftheoretisch wie auch in der Verfahrenswirklichkeit einen großen Teil seiner ursprünglichen Bedeutung verloren. Der Grundsatz der Legalität wird zunehmend zurückgedrängt und in der Praxis weitgehend durch Opportunitätsentscheidungen ersetzt. In den Bereichen der einfachen und weitgehend auch der mittleren Kriminalität gilt faktisch bereits das Opportunitätsprinzip.171 Als Reaktion auf die Ausweitung des materiellen Strafrechts wurden zunehmend Einstellungsnormen in das Prozessrecht eingefügt, um den zusätzlichen Arbeitsanfall bewältigen zu kön167  Jeßberger:

Kooperation und Strafzumessung, S. 108. Jeßberger: Kooperation und Strafzumessung, S. 107 (Fn. 123). 169  Siehe schon Weigend ZStW 109 (1997), 103, 119, der die Honorierung der Ermittlungshilfe im materiellen Recht regeln, jedoch aus dem Anwendungsbereich des § 153b StPO ausklammern will. 170  Vgl. hierzu 7. Teil B. II. 3. 171  Roxin / Schünemann: Strafverfahrensrecht, § 14 Rn. 5. 168  Vgl.

192

6. Teil: Vereinbarkeit mit strafprozessualen Prinzipien

nen.172 Urteilsabsprachen sind als Mittel der Ermittlungsabkürzung zu einem wichtigen Bestandteil des Justizalltags geworden. Seit 2009 gibt es auch hierzu eine gesetzliche Regelung. Der staatliche Verfolgungszwang befindet sich demnach seit seiner Einführung auf einem stetigen Rückzug.173 Nachdem Baumann bereits im Jahr 1972 einen „Grabgesang für das Legalitätsprinzip“ angestimmte hatte,174 erblickten andere Autoren in den in der Folgezeit erlassenen Kronzeugenregelungen allenfalls noch eine „Leichenschändung“.175 Auch § 46b StGB hat, gerade im Kontext mit § 153b StPO, zu einer erheblichen Ausweitung des Opportunitätsprinzips geführt.176 Ein an sich strafwürdiger und strafbedürftiger Täter wird hiernach ausschließlich aus dem Grund nicht angeklagt bzw. nicht oder zu einer milderen Strafe verurteilt, dass man sich Vorteile für das Gesamtsystem der Strafjustiz bzw. der Gefahrenabwehr erhofft. Die allgemeine Regelung der Aufklärungs- und Präventionshilfe ist damit Ausdruck einer „neuen Op­por­ tu­nität“177. Auch sie markiert den Wandel zu einem von prozessökonomischen Erwägungen geprägten Strafprozess.178 Darin wird auch der Grund liegen, warum zum Teil überhaupt keine das Legalitätsprinzip betreffenden spezifischen Bedenken gesehen werden,179 während andere Autoren schon vor Jahren die Auffassung vertraten, mit einer „großen“ Kronzeugenregelung sei ein Punkt erreicht, an dem folgenorientierte Opportunität die gerechtigkeitsorientierte Legalität vollständig ausmanövriert habe.180 Aus dem Fehlen eines Ermittlungsnotstands in einigen der von § 46b StGB erfassten Bereiche sowie den Bedenken gegen den tatsächlichen Nutzen der allgemeinen Kronzeugenregelung folgt noch kein Verstoß gegen das verfassungsrechtlich verbürgte Rechtsstaatsprinzip. Die Bejahung der Regelungsnotwendigkeit hält sich insoweit noch innerhalb der Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers. Ein Verfassungsverstoß ergibt sich auch nicht schon daraus, dass sich § 46b StGB im Kontext mit § 153b StPO als Fremdkörper im Gefüge der Geringfügigkeitsfälle erweist. Wenn auch die vorgetragenen Bedenken nicht genügen, um den rechtsstaatlich gebotenen Verfolgungszwang in seinem Verfassungskern zu betreffen, müssen aus der 172  Vgl. Ostendorf: Strafprozessrecht, Rn. 482  ff. und 493 ff.; Sinner: Der Vertragsgedanke im Strafprozessrecht, S. 121 ff. 173  Vgl. Hoyer JZ 1994, 233, 245; Jung: Straffreiheit für den Kronzeugen, S. 45. 174  Baumann ZRP 1972, 273. 175  Schlüchter ZRP 1997, 65, 68. 176  Ostendorf: Strafprozessrecht, Rn. 482. 177  Weigend ZStW 109 (1997), 103, 110 f. 178  Vgl. Ostendorf: Strafprozessrecht, Rn. 498. 179  Kaspar / Wengenroth GA 2010, 453, 461. 180  So Hassemer zum KronzG, in: FS StA Schleswig-Holstein, S. 537; ähnlich zu § 46b StGB Sahan / Berndt BB 2010, 647, 648.



A. Vereinbarkeit mit dem Legalitätsprinzip193

hohen Eingriffsintensität gleichwohl Konsequenzen für die Anwendung und Auslegung der Vorschrift abgeleitet werden. So kann sich unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten als problematisch erweisen, dass § 46b StGB auf das ausdrückliche Erfordernis eines Unrechtsgefälles verzichtet und das durch den Kronzeugen verwirklichte Unrecht auf die Bedeutung eines von mehreren Abwägungsfaktoren auf Ermessensebene reduziert.181 Widersprüchlich ist zudem, dass der Bezugstatenkatalog zahlreiche Delikte erfasst, die selbst im Mindestmaß nur mit einem Monat Freiheitsstrafe oder Geldstrafe bedroht sind. Das Legalitätsprinzip verlangt daher eine entsprechend restriktive Ermessensausübung – der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit statuiert eine „relative Unerträglichkeitsgrenze“.182 Bei Vorliegen eines Unrechtsüberschusses auf Seiten der Kronzeugentat kommt eine Strafmilderung regelmäßig nicht in Betracht, soweit nicht im Ausnahmefall besondere Umstände für eine Verschiebung des Strafrahmens sprechen. Jedenfalls muss ein vollständiges Absehen von Strafe in derartigen Fällen ausscheiden; das gerichtliche Ermessen ist insoweit auf Null reduziert. Langfristig gesehen könnte man auf die Rechtsfolgenalternative der völligen Straffreiheit verzichten.

II. Allgemeiner Gleichheitssatz Art. 3 Abs. 1 GG Laut BVerfG handelt es sich bei dem Legalitätsprinzip zugleich um eine „Aktualisierung des Willkürverbotes“. Strafprozessuales Legalitätsprinzip bedeutet demnach Verfolgungszwang gegen jeden Verdächtigen.183 Indem es zur gleichmäßigen Verfolgung von Straftaten verpflichtet, gewährleistet es die Einheit der Rechtsanwendung und die Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz.184 Die Bindung der Strafverfolgungsorgane an den allgemeinen Gleichheitssatz stellt ihrerseits einen Teilaspekt der Rechtsstaatlichkeit dar und wird zum Teil als die heute wichtigste Funktion des Legalitätsprinzips angesehen.185 Kronzeugenregelungen wurden stets auch unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten kritisiert. So beanstandete man an dem im Jahr 1999 ausgelaufenen KronzG, es stelle das durch das Legalitätsprinzip verbürgte Gleichmaß der Strafverfolgung besonders nachdrücklich in Frage.186 Erst recht sieht sich daher auch § 46b StGB vor dem Hintergrund des hierzu Weigend ZStW 109 (1997), 103, 113. Kooperation und Strafzumessung, S. 107. 183  BVerfG NStZ 1982, 430. 184  Hassemer, in: FS StA Schleswig-Holstein, S. 529; Hoyer JZ 1994, 233, 236; Roxin / Schünemann: StPO, § 14 Rn. 2; Pfeiffer: StPO, § 152 Rn. 2; Schmidt-Jortzig NJW 1989, 129, 133; Pfeiffer / Hannich, in: KK-StPO, Einl. Rn. 5. 185  Wagner, in: FS für den 45. DJT, S. 173. 186  Hassemer StV 1986, 550, 552. 181  Vgl.

182  Jeßberger:

194

6. Teil: Vereinbarkeit mit strafprozessualen Prinzipien

Art. 3 Abs. 1 GG dem Vorwurf der Verfassungswidrigkeit ausgesetzt. Geklärt werden muss also, ob es infolge einer Anwendung der allgemeinen Kronzeugenregelung zu verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigenden Ungleichbehandlungen kommen kann. Nach dem Willkürverbot verlangt die Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung.187 Eine verfassungsrechtlich relevante Ungleichbehandlung setzt demnach einen gemeinsamen Oberbegriff (genus proximum) voraus, unter den die zu vergleichenden Personen, Personengruppen oder Sachverhalte fallen, die anhand eines Unterscheidungsmerkmals (differentia specifica) eine unterschiedliche rechtliche Behandlung erfahren haben.188 Eine Ungleichbehandlung von Personen oder Personengruppen liegt im Rahmen des § 46b StGB zweifelsohne vor. So ist jeder Kronzeugenregelung immanent, dass sie den Kronzeugen infolge seiner Aufklärungs- oder Präventionshilfeleistung gegenüber anderen (mutmaßlichen) Straftätern besserstellt, indem sie ihm eine mildere Strafe ermöglicht als demjenigen, der kein entsprechendes Wissen anzubieten hat oder sich gegen eine Kooperation entscheidet.189 Zusätzlich muss das kooperative Verhalten eine bestimmte Qualität aufweisen. So werden nur Täter belohnt, die über Wissen hinsichtlich fremder Straftaten verfügen. Zur Aufklärung oder Verhinderung dieser Taten müssen sie einen nicht unerheblichen Beitrag leisten. Über diese verhaltensspezifische Differenzierung190 hinaus lassen sich bei § 46b StGB weitere Anknüpfungspunkte verschiedener Ungleichbehandlungen ausmachen: So gehört es zum Tatbestand der Vorschrift, dass sich nur der Täter einer mit im Mindestmaß erhöhter oder lebenslanger Freiheitsstrafe bedrohten Straftat die Vorteile des § 46b StGB verdienen kann, während der Bereich der einfachen Kriminalität außen vor bleibt. Somit wird unabhängig vom jeweiligen Offenbarungspotenzial zwischen tauglichen und untauglichen Ermittlungsgehilfen differenziert. Zudem ist der Gegenstand der Offenbarung auf Delikte aus dem Katalog des § 100a Abs. 2 StPO beschränkt. Keine Strafmilderung erhält, wer nur über Wissen hinsichtlich anderer Straftaten verfügt. Darüber hinaus beschränkt das neu eingeführte Konnexitätserfordernis den Anwendungsbereich auf Bezugstaten, die einen inneren oder inhaltlichen Zusammenhang zur Anlasstat des Kronzeugen aufweisen. 49, 148, 165; Pieroth / Schlink: Grundrechte, Rn. 463. Grundrechte, Rn. 465. 189  Vgl. Jeßberger: Kooperation und Strafzumessung, S. 112; Hoyer JZ 1994, 233, 236. 190  Jeßberger: Kooperation und Strafzumessung, S. 112. 187  BVerfGE

188  Pieroth / Schlink:



A. Vereinbarkeit mit dem Legalitätsprinzip195

Schließlich werden Kronzeugen, die ihr Wissen vor dem Erlass des Eröffnungsbeschlusses offenbaren, nach § 46b Abs. 3 StGB anders behandelt als solche, deren Angaben erst nach diesem Zeitpunkt erfolgen. Die Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem begründet nur dann einen Verstoß gegen das Willkürverbot, wenn sie sich verfassungsrechtlich nicht rechtfertigen lässt. Im Rahmen des allgemeinen Gleichheitssatzes sind je nach Differenzierungsmerkmal und Regelungsgegenstand unterschiedliche Rechtfertigungsmaßstäbe mit abgestufter Prüfungsintensität anerkannt. Während sich die ältere Rechtsprechung des BVerfG auf eine reine Willkürkontrolle beschränkte, wonach lediglich ein vernünftiger, aus der Natur der Sache folgender oder anderweitig sachlich einleuchtender Grund gegeben sein musste (sog. Willkürformel),191 wird nach der sog. neuen Formel des BVerfG anhand der Intensität der Ungleichbehandlung differenziert.192 Hiernach ist der allgemeine Gleichheitssatz verletzt, „wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten“.193 Die Intensität der Ungleichbehandlung ist dabei maßgeblich für die Strenge des angewendeten Prüfungsmaßstabes. Bei geringer Intensität beschränkt sich die Prüfung auf eine bloße Evidenzkontrolle anhand der Willkürformel. Bei höherer Intensität muss die Ungleichbehandlung einen legitimen Zweck verfolgen, zu dessen Erreichung geeignet und erforderlich sein und auch ansonsten in einem angemessenen Verhältnis zum Wert des Zwecks stehen.194 Werden verschiedene Personengruppen und nicht lediglich verschiedene Sachverhalte ungleich behandelt, ist regelmäßig von einer hohen Intensität auszugehen und daher eine strenge Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen.195 Des Weiteren ist für die Beurteilung der Intensität von Bedeutung, inwieweit der Betroffene selbst in der Lage ist, das Kriterium zu beeinflussen.196 Schließlich ist auch relevant, wie stark die Ungleichbehandlung die Ausübung seiner verfassungsrechtlich garantierten Freiheiten beeinträchtigt.197 191  Ständige

Rechtsprechung seit BVerfGE 1, 14, 52. 95, 267, 316 f.; 99, 367, 388; 107, 27, 46. 193  BVerfGE 55, 72, 88; seitdem ständige Rechtsprechung, vgl. BVerfGE 111, 115, 137; 117, 272, 300; Sachs: GG, Art. 3 Rn. 13 ff.; Michael / Morlok: Grundrechte, Rn. 783, zur Kritik an der Übertragung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auf Gleichheitsrechte vgl. Rn. 797. 194  BVerfGE 91, 346, 362  f.; 99, 341, 355  f.; Pieroth / Schlink: Grundrechte, Rn. 472. 195  Jarass, in: Jarass / Pieroth: GG, Art. 3 Rn. 19; zur Kritik an dieser Unterscheidung vgl. Sachs: GG, Art. 3 Rn. 27. 196  Bergmann, in: Hömig: GG, Art. 3 Rn. 5. 197  Pieroth / Schlink: Grundrechte, Rn. 470. 192  BVerfGE

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6. Teil: Vereinbarkeit mit strafprozessualen Prinzipien

Da vorliegend nicht lediglich Sachverhalte, sondern Personen bzw. Personengruppen betroffen sind (nämlich diejenigen Straftäter, die in den Anwendungsbereich des § 46b StGB fallen und diejenigen, die dies nicht tun), ist eine Prüfung der Verhältnismäßigkeit erforderlich, die über eine bloße Evidenzkontrolle hinausgeht. Für die Differenzierungen bedarf es zunächst sachlicher und einleuchtender Gründe. Darüber hinaus dürfen die Ungleichbehandlungen zur Erreichung des damit verfolgten Zwecks nicht unverhältnismäßig sein. 1. Verhaltensspezifische Differenzierung Weniger problematisch ist die verhaltensspezifische Differenzierung zwischen kooperativen und nicht-kooperativen Straftätern. Als sachlicher Grund für die bevorzugte Behandlung des kooperierenden Täters galt lange Zeit die Beseitigung eines bestehenden Ermittlungsnotstandes.198 Die Auffassung, es bedürfe zur Rechtfertigung einer Kronzeugenregelung einer notstandsähnlichen Ausnahmesituation, wurde jedoch im Laufe der Jahre zurückgedrängt. Der Anlass für die Unterscheidung ist aus heutiger Sicht vielmehr in einer reinen Effizienzsteigerung zu sehen. Verbessert werden sollen die Erfolge bei der Verfolgung bereits begangener Straftaten, aber auch die präventiven staatlichen Bemühungen zur Verhinderung zukünftiger Delikte. Die verhaltensspezifische Differenzierung dient dazu, Straftäter überhaupt zu dem erwünschten Verhalten zu motivieren, für sie einen Anreiz zur Kooperation zu schaffen. Zur Erreichung dieses legitimen Zwecks ist das Aufzeigen der Möglichkeit einer Strafrahmenverschiebung bzw. eines Absehens von Strafe durchaus geeignet. § 46b StGB bietet jedenfalls einen größeren Anreiz als die bereits vorhandene Möglichkeit einer Berücksichtigung innerhalb der gesetzlichen Strafrahmen. Es ist daher kein gleich geeignetes Mittel ersichtlich, welches das Recht auf Gleichbehandlung weniger stark beeinträchtigt. Schließlich ist die mildere Bestrafung kooperativer Täter, zumal sie grundsätzlich auch im Rahmen der allgemeinen Strafzumessung anerkannt ist,199 isoliert betrachtet nicht unangemessen, wenn dadurch mit überwiegender Wahrscheinlichkeit schwere Straftaten aufgeklärt oder verhindert werden können. Gerechtfertigt ist auch, dass es sich um eine bestimmte Art der Kooperation, nämlich die Offenbarung des Wissens über fremde Straftaten handeln muss. Denn es bedarf nur eines zusätzlichen Anreizes zur Offenbarung solcher Informationen, die auch zur Effizienzstei198  Vgl. hierzu etwa Denny ZStW 103 (1991), 269, 271; Jeßberger: Kooperation und Strafzumessung, S. 113 ff.; Schlüchter ZRP 1997, 65, 69; Jung: Straffreiheit für den Kronzeugen, S. 66; Meyer ZRP 1976, 25, 27; Lammer ZRP 1989, 248, 250. 199  Vgl. Weber: BtMG, § 31 Rn. 8. Siehe hierzu 2. Teil B. VIII.



A. Vereinbarkeit mit dem Legalitätsprinzip197

gerung bei der Verfolgung und Verhinderung schwerer Straftaten beitragen können. Gegen die verhaltensspezifische Bevorzugung von Personen, die ihr besonderes Wissen über begangene oder bevorstehende Taten teilen, bestehen somit unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten grundsätzlich keine Bedenken.200 2. Beschränkung des Ermittlungshilfegegenstandes Eine Strafmilderung oder ein Absehen von Strafe nach § 46b StGB kommt nur in Betracht, wenn der Täter sein Wissen zu einer Straftat aus dem Katalog des § 100a Abs. 2 StPO offenbart. Die Kronzeugenangaben dürfen sich folglich nur auf bestimmte Kriminalitätsfelder beziehen. Potenzielle Ermittlungsgehilfen mit Wissen hinsichtlich anderer Straftaten scheiden als Kronzeugen aus. Willkürlich ist eine solche Unterscheidung nicht: Sie dient dem sachlichen Grund, das besondere Privileg der Strafrahmenverschiebung oder des Absehens von Strafe nicht jedem Ermittlungsgehilfen zukommen zu lassen, sondern nur demjenigen, dessen Angaben für die Arbeit der Ermittlungsbehörden von besonderem Wert sind. Die Eingrenzung tauglicher Bezugstaten beschränkt den mit einer Anwendung der Vorschrift verbundenen partiellen Verzicht auf Bestrafung und dient damit letztlich der Schonung des durch die Anwendung der Kronzeugenregelung beeinträchtigten Legalitätsprinzips. Zu diesem Zweck ist die Fokussierung auf „Straftaten, bei denen aufgrund oftmals konspirativ und in abgeschotteten Strukturen erfolgender Begehungsweise tendenziell ein besonderes Ermittlungsdefizit des Staates zu beklagen ist“,201 mithin auf Deliktsbereiche, in denen die Strafverfolgung auf besondere Schwierigkeiten stieße, grundsätzlich geeignet, erforderlich und angemessen.202 Ob diese Charakterisierung jedoch auf sämtliche in § 100a Abs. 2 StPO aufgezählten Delikte zutrifft, ist eine andere Frage.203 So enthält der Katalog auch Taten, deren Begehung in der Regel nicht innerhalb nur schwer zugänglicher krimineller Strukturen erfolgt. Hierzu wird in der Gesetzesbegründung ausgeführt, der Katalog umfasse neben der schwer ermittelbaren Kriminalität auch Straftaten, die allein aufgrund ihrer besonderen Schwere außerordentliche Ermittlungsmaßnahmen rechtfertigten.204 Ob Delikte allein aufgrund ihrer Schwere in den Anwendungsbereich aufgenommen werden sollten, obwohl eine 200  Siehe auch Jeßberger: Kooperation und Strafzumessung, S. 115; Kaspar / Wengenroth GA 2010, 453, 458. 201  BT-Drucks. 16 / 6268, S.  20. 202  Vgl. Hoyer JZ 1994, 233, 236. 203  Siehe hierzu bereits 6. Teil A. I. 4. c) bb). 204  BT-Drucks. 16 / 6268, S.  11.

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6. Teil: Vereinbarkeit mit strafprozessualen Prinzipien

Kronzeugenregelung in dem jeweiligen Bereich kaum Vorteile verspricht, erscheint unter kriminalpolitischen Gesichtspunkten fraglich. Umgekehrt ist es jedoch unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten verhältnismäßig, Hinweise bezüglich geringfügiger Straftaten auch weniger schwer zu gewichten und sie aus dem Kreis der in Betracht kommenden Bezugstaten anhand dieses Kriteriums gegebenenfalls auszuscheiden.205 Greift man bestimmte Delikte heraus, wird deutlich, dass der Katalog in § 100a Abs. 2 StPO auf eine strafverfahrensrechtliche Überwachungsmaßnahme zugeschnitten ist, weshalb einige Straftaten als Anknüpfungspunkt einer Kronzeugenregelung weniger geeignet sind. Auf der anderen Seite weist der Großteil der erfassten Straftaten die vom Gesetzgeber angeführten Kriterien auf, sodass der Verweis auf § 100a Abs. 2 StPO insgesamt nachvollziehbar bleibt. Im Ergebnis ist die Begrenzung tauglicher Bezugstaten auf solche aus dem Katalog des § 100a Abs. 2 StPO daher auch unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten gerechtfertigt.206 Nicht willkürlich ist schließlich eine Begrenzung tauglicher Bezugstaten auf solche, die mit der Anlasstat des Kronzeugen im Zusammenhang stehen.207 Die damit verbundene Ungleichbehandlung potenzieller Ermittlungsgehilfen rechtfertigt sich daraus, dass sie mehr als die bisherige Fassung des § 46b StGB dem Grundsatz schuldangemessenen Strafens Rechnung trägt und Urteile reduziert, die für das Rechtsempfinden der Bevölkerung schädlich sein könnten.208 3. Ausklammerung der einfachen Kriminalität Besonders problematisch ist die Rechtfertigung der Ungleichbehandlung anhand der vom Kronzeugen begangenen Anlasstat. Als allgemeine Kronzeugenregelung ist die Anwendbarkeit von § 46b StGB nicht auf einen bestimmten Deliktstypus beschränkt. Die Gesetzesbegründung lehnte es ab, die Honorierung der Ermittlungshilfe „generell von der Art der vom ‚Kronzeugen‘ selbst verübten Tat abhängig zu machen“.209 Auf die Benennung 205  Kaspar / Wengenroth

GA 2010, 453, 459. trotz ähnlicher Bedenken auch Fischer: StGB, § 46b Rn. 9 („nicht […] von vorherein sachwidrig“); ohne Bedenken Salditt StV 2009, 375, 377 („ohne weiteres nachvollziehbar“); Kaspar / Wengenroth GA 2010, 453, 459; Peglau wistra 2009, 409, 412 f.; ablehnend dagegen der Bundesrat in seiner Stellungnahme BTDrucks. 16 / 6268, S. 19 („weit über den als vertretbar zu bezeichnenden Bereich hinaus“). 207  Siehe hierzu BT-Drucks. 17 / 9695. 208  Vgl. BT-Drucks. 17  / 9695, S. 6; siehe hierzu 6. Teil B. V.; a. A. Jeßberger: Stellungnahme im Rechtsausschuss, S. 6 f. 209  BT-Drucks. 16 / 6268, S.  10. 206  So



A. Vereinbarkeit mit dem Legalitätsprinzip199

eines eigenständigen Deliktskataloges wurde daher bewusst verzichtet, um schwer zu rechtfertigende Differenzierungen zu vermeiden. Dennoch erfasst auch § 46b StGB nicht sämtliche, sondern nur einen bestimmten Kreis von Straftätern. Die Anlasstat des Ermittlungsgehilfen muss mit im Mindestmaß erhöhter oder lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht sein. Hierzu führt die Begründung aus, auch die Schwere der Tat des Aufklärungs- und Präven­ tionsgehilfen sei zwar grundsätzlich kein geeignetes Anknüpfungskriterium einer Kronzeugenregelung, die Ausklammerung von Straftätern aus dem Bereich der leichten Kriminalität sei dennoch sachgerecht, da eine Milderung bei diesen Straftätern ohnehin keiner Absenkung der Mindeststrafandrohung bedürfe.210 Nicht mit erhöhter Mindestfreiheitsstrafe bedrohte Taten könnten bereits im Rahmen der allgemeinen Strafzumessung nach § 46 StGB sowie durch Anwendung der §§ 153 ff. StPO ausreichend berücksichtigt werden. Hier könne dem Umstand, dass § 46b StGB zwar nicht die Tat des Kronzeugen, wohl aber den Gegenstand seiner Wissensoffenbarung erfasse, künftig zusätzliches Gewicht zukommen.211 Einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG hielt der Bundestag daher für ausgeschlossen.212 Zu klären ist, ob diese für die Bevorzugung von Tätern der mittleren oder schweren Kriminalität angeführten Gründe zur Rechtfertigung der Ungleichbehandlung ausreichen. Bereits aus der Aufnahme der zu offenbarenden Tat in § 46b StGB soll sich ableiten lassen, dass der Staat ein besonderes Interesse daran habe, in seinen Ermittlungsbemühungen durch Insiderwissen unterstützt zu werden.213 Fraglich bleibt dann jedoch, warum nicht jede, sondern nur die Unterstützung durch schwerere Straftäter einen besonderen gesetzlichen Anreiz verdient. Die Gesetzesbegründung deutet diesbezüglich Zweifel an, ob Straftäter aus dem Bereich der leichten Kriminalität überhaupt in der Lage sind, entsprechende Aufklärungs- oder Präventionsbeiträge zu leisten.214 Sollte feststehen, dass Täter von im Mindestmaß nur mit einem Monat Freiheitsstrafe bedrohten Taten grundsätzlich keine Kenntnisse über Delikte aus dem Katalog des § 100a Abs. 2 StPO verfügen, wären sie als Adressat einer Kronzeugenregelung ungeeignet, ihr Ausschluss aus dem Anwendungsbereich zur besseren Erreichung des Gesetzeszwecks folglich verhältnismäßig. Die Begehung einer Straftat aus dem Bereich der leichteren Kriminalität schließt die Verstrickung in ein schwerstkriminelles Umfeld jedoch nicht aus. Umgekehrt beinhaltet die Verwirklichung eines mit hoher 210  BT-Drucks.

16 / 6268, S. 10; siehe auch BT-Drucks. 13 / 13094, S. 4. 16 / 6268, S.  10. 212  BT-Drucks. 13 / 13094, S. 4; zustimmend Peglau wistra 2009, 409, 412. 213  BT-Drucks. 16 / 6268, S.  10. 214  BT-Drucks. 16 / 6268, S.  10. 211  BT-Drucks.

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6. Teil: Vereinbarkeit mit strafprozessualen Prinzipien

Strafandrohung versehenen Tatbestandes nicht notwendigerweise eine Einbindung in kriminelle Strukturen. Ob die Angaben einer Person für die Strafverfolgung von Nutzen sind, bestimmt sich allein nach ihrem objektiven Gehalt und nicht nach der Art oder Schwere der Verfehlung des Kronzeugen.215 Widersprüchlich ist die Argumentation, Aufklärungs- und Präventionshilfeleistungen von Tätern leichter Straftaten könnten regelmäßig bereits im Wege der allgemeinen Strafzumessung gem. § 46 StGB angemessen berücksichtigt werden, sodass ein besonderer gesetzlicher Anreiz nicht erforderlich sei.216 Die Notwendigkeit der Kronzeugenregelung im Allgemeinen wird nämlich an anderer Stelle gerade damit konstatiert, dass eine Berücksichtigung im Rahmen des § 46 StGB keine ausreichende Motivation für Wissensoffenbarungen biete.217 Träfe erstere Annahme aus Sicht des Gesetzgebers zu, wäre die Einführung des § 46b StGB im Bereich angedrohter zeitiger Freiheitsstrafe insgesamt nicht erforderlich gewesen. Denn § 46 StGB gilt – mit Ausnahme der absolut angedrohten lebenslangen Freiheitsstrafe – gleichermaßen sowohl für leichte als auch mittlere und schwere Straftaten.218 Auch der Einwand, eine Absenkung der Mindeststrafe ginge für den betroffenen Täterkreis ohnehin ins Leere, greift zu kurz und vermag die Ungleichbehandlung nicht zu rechtfertigen. Zwar scheidet eine Absenkung der Strafuntergrenze aus, da diese ohnehin von § 38 Abs. 2, § 40 Abs. 1 StGB festgelegt wird,219 eine Absenkung der Strafobergrenze auf drei Viertel des angedrohten Höchstmaßes nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 StGB ist jedoch weiterhin möglich. Vor allem aber ermöglicht § 46b Abs. 1 S. 5 StGB ein vollständiges Absehen von Strafe. Dieses Privileg, einschließlich der damit verbundenen Möglichkeit einer Verfahrenseinstellung gem. § 153b StPO, bleibt Tätern von Straftaten ohne erhöhte Mindestfreiheitsstrafe verwehrt. § 46 Abs. 2 StGB erlaubt das Absehen von Strafe nicht. § 153 StPO, dessen Anwendung dieser Rechtsfolge am nächsten käme, eröffnet die Möglichkeit der Staatsanwaltschaft, von der Verfolgung abzusehen bzw. das Verfahren mit Zustimmung des Gerichts einzustellen, verfügt jedoch mit der geringen Schuld des Täters und dem fehlenden öffentlichen Interesse an dessen Verfolgung über besondere Voraussetzungen und erfasst daher nur einen Teil der denkbaren Fälle.220 Hassemer StV 1986, 550, 553. 16 / 6268, S. 2, 10. 217  BT-Drucks. 16 / 6268, S.  9. 218  Zur Inkonsequenz der gesetzgeberischen Argumentation siehe auch Wolters, in: SK-StGB, § 46b Rn. 7. 219  Peglau wistra 2009, 409, 412. 220  Kaspar / Wengenroth GA 2010, 453, 459. 215  Vgl.

216  BT-Drucks.



A. Vereinbarkeit mit dem Legalitätsprinzip201

Vorstellbar ist, dass der Gesetzgeber durch die Beschränkung auf den Bereich der mittleren und schweren Kriminalität die Entstehung eines „allgemeinen Denunziantentums“ verhindern wollte.221 Die Einschränkung des Anwendungsbereichs könnte somit vorgenommen worden sein, um die Verhältnismäßigkeit der Beeinträchtigung der staatlichen Verfolgungs- und Bestrafungspflicht zu wahren.222 Zu diesem Zweck ist ein Ausschluss von Tätern der Bagatellkriminalität jedoch kaum geeignet, wird das Legalitätsprinzip doch gerade bei leichten Straftaten durch eine Strafmilderung oder ein Absehen von Strafe weniger stark beeinträchtigt als bei Straftaten mit erhöhter Mindestfreiheitsstrafe.223 Dies widerspricht im Ergebnis auch der Intention des § 46b Abs. 2 StGB, die geleistete Ermittlungshilfe mit der Schuld des Täters und der Schwere seiner eigenen Straftat in Verhältnis zu setzen. Gerade bei einem eindeutigen Unrechtsgefälle zwischen leichter Anlass- und schwerer Bezugstat ließe sich eine Strafmilderung bzw. ein Absehen von Strafe noch am einfachsten rechtfertigen.224 Vor diesem Hintergrund liegt ein Wertungswiderspruch darin, dass zum Katalog „schwerer“ Bezugstaten in § 46b Abs. 1 i. V. m. § 100a Abs. 2 StPO selbst zahlreiche Straftaten gehören, die nicht mit einer im Mindestmaß erhöhten Androhung der Freiheitsstrafe versehen sind.225 So gibt es letztlich keinen sachlichen Grund von ausreichendem Gewicht, warum etwa der Täter eines Diebstahls nach § 243 StGB auf eine Absenkung des Strafrahmens oder ein Absehen von Strafe hoffen kann, nicht jedoch der Täter eines einfachen Diebstahls nach § 242 StGB.226 Die Ungleichbehandlung von Beteiligten an Delikten der leichten Kriminalität gegenüber den Beteiligten an schwereren Straftaten bei vergleichbarem Offenbarungspotenzial ist unverhältnismäßig, somit verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen.227 Die verfassungswidrige Ungleichbehandlung lässt sich nicht 221  Salditt

StV 2009, 375, 377; von Heintschel-Heinegg: StGB, § 46b Rn. 11. Kneba: Kronzeugenregelung, S. 120 f. 223  Vgl. Mellinghoff, in: FS-Hassemer, S. 512; Hassemer, in: FS StA SchleswigHolstein, S. 537; vgl. aber Hoyer JZ 1994, 233, 236, der dem Gesetzgeber eine Einschätzungsprärogative einräumt, inwieweit er zur Wahrung des Legalitätsprinzips den Blick auf einzelne Verfahren beschränkt oder eine Gesamtbetrachtung vornimmt. 224  Vgl. Kaspar / Wengenroth GA 2010, 453, 460; Lammer ZRP 1989, 248, 250; Jung: Straffreiheit für den Kronzeufen, S. 69 f.; Jaeger: Der Kronzeuge, S. 45 f.; Bocker: Der Kronzeuge, S. 83 f.; Behrendt GA 1991, 337, 341; Jeßberger: Kooperation und Strafzumessung, S. 107; Denny ZStW 103 (1991), 269, 272. 225  Siehe hierzu schon 2. Teil A. II. 1. und 6. Teil A. I. 4. c) cc). 226  Beispiel nach Fischer: StGB, § 46b Rn. 6a; ebenso Wolters, in: SK-StGB, § 46b StGB, Rn. 9; Gillmeister: Protokoll der 133. Sitzung des Rechtsausschusses vom 25.3.2009, S. 9. 227  Wie hier Sahan / Berndt BB 2010, 647, 648; Kaspar / Wengenroth GA 2010, 453, 459 f.; ähnlich Streng, in: NK-StGB, § 46b Rn. 6; kritisch unter Vorbehalt ver222  So

202

6. Teil: Vereinbarkeit mit strafprozessualen Prinzipien

dadurch ausgleichen, dass man die Beschränkung der Strafobergrenze auf drei Viertel des angedrohten Höchstmaßes in analoger Anwendung des § 46b StGB auch im Rahmen von § 46 StGB vornimmt. Denn dies liefe nicht nur der ausdrücklichen Differenzierung im Wortlaut zuwider, sondern umginge gegebenenfalls die Ausschlussklausel des § 46b Abs. 3 StGB.228 4. Präklusion später Wissensoffenbarungen Der zeitliche Ausschluss von Wissensoffenbarungen gem. § 46b Abs. 3 StGB führt zur unterschiedlichen rechtlichen Behandlung von kooperativen Straftätern, je nachdem ob sie ihr Wissen entweder bereits im Ermittlungsbzw. Zwischenverfahren oder aber erst nach Erlass des Eröffnungsbeschlusses offenbaren. Nur im ersten Fall ist der Anwendungsbereich des § 46b StGB eröffnet. Im Übrigen kommt eine Berücksichtigung der Kooperationsbereitschaft nur im Rahmen der allgemeinen Strafzumessung in Betracht. Für diese Ungleichbehandlung verschiedener Tätergruppen führt der Gesetzgeber mehrere Gründe an. Die Begrenzung der Berücksichtigungsfähigkeit von Kronzeugenangaben soll verhindern, dass der Kronzeuge sein Wissen aus prozesstaktischen Gründen zurückhält oder dass er mit dem Ziel einer Prozessverschleppung nur vermeintlich wertvolle Angaben macht.229 Den Ermittlungsbehörden soll damit genügend Zeit zugestanden werden, um die Angaben auf ihren Wahrheitsgehalt und Wert zu überprüfen. Dies wiederum soll Verzögerungen der Hauptverhandlung vermeiden, die ansonsten infolge später Wissensoffenbarungen und deren notwendiger Verifizierung entstünden.230 Der Präklusion soll gerade auch eine „steuernde Wirkung“ zukommen und potenziellen Kronzeugen gewissermaßen eine „Pflicht zu frühzeitigen Angaben“ auferlegt werden.231 Ferner soll die Bestimmung den verfahrensrechtlichen Schwierigkeiten im Umgang mit der Kronzeugenregelung, insbesondere im Hinblick auf die Reichweite der gerichtlichen Aufklärungspflicht sowie den Umfang mit Beweisanträgen Rechnung tragen.232 Zur Vermeidung verfahrensrechtlicher Schwierigkeiten im Umgang mit der Kronzeugenregelung ist die Präklusionsbestimmung ungeeignet, zumal sie kaum dazu beiträgt, den Konflikt zwischen der gerichtlichen Aufkläfassungsrechtlicher Einwendungen auch Fischer: StGB, § 46b Rn. 6a; Wolters, in: SK-StGB, § 46b Rn. 9; a. A. Peglau wistra 2009, 409, 412; Kneba: Kronzeugen­ regelung, S.  117 ff. 228  Fischer: StGB, § 46b Rn. 6a. 229  BT-Drucks. 16 / 6268, S.  14. 230  BT-Drucks. 16 / 6268, S.  14. 231  BT-Drucks. 16 / 6268, S. 14, 20. 232  BT-Drucks. 16 / 6268, S.  14.



A. Vereinbarkeit mit dem Legalitätsprinzip203

rungspflicht und der Praktikabilität der Vorschrift zu lösen. § 46b Abs. 3 StGB schreibt lediglich vor, dass die Offenbarungshandlung im Zeitpunkt des Eröffnungsbeschlusses abgeschlossen sein muss.233 Tatverhinderung oder Aufklärungserfolg müssen dagegen noch nicht eingetreten sein. In der Hauptverhandlung bedarf es weiterhin einer Klärung, ob frühere Angaben des Beschuldigten die Ermittlungen in einem den Anforderungen des § 46b StGB genügenden Maße gefördert haben. Umfassende und zeitintensive Beweiserhebungen sind damit gerade nicht ausgeschlossen.234 Außerdem bestehen Zweifel, ob die zeitliche Ausschlussfrist zur Verhinderung von Falschaussagen beitragen kann. Vereinzelt wird vorgetragen, der Kronzeuge werde sich eine Falschbelastung Dritter gründlich überlegen, wenn er wisse, dass den Strafverfolgungsbehörden genügend zeitlicher Spielraum zur Verfügung stehe, um seinen Angaben nachzugehen und diese zu hinterfragen.235 Dass der bereits im Ermittlungsverfahren mit § 46b StGB konfrontierte Beschuldigte zu einer rationalen Abwägung in der Lage ist, ob er nur die Wahrheit sagen oder die gewünschten Ermittlungsergebnisse liefern sollte, erscheint fast ausgeschlossen.236 Zu befürchten ist vielmehr, dass die drohende Präklusion den psychischen Druck auf den Beschuldigten noch weiter erhöht. Vor diesem Hintergrund erscheint es hinsichtlich der Zuverlässigkeit der Angaben sogar gefährlicher, einen frühen Aussagezeitpunkt vorzuschreiben. Als sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung kommt schließlich die Gewährleistung eines ausreichenden zeitlichen Spielraums zur Überprüfung der Kronzeugenangaben in Betracht.237 Der Ausschluss der Berücksichtigungsfähigkeit späterer Angaben ist grundsätzlich geeignet, potenzielle Kronzeugen zur Offenbarung ihres Wissens in einem frühen Verfahrensstadium zu bewegen, ohne dass mildere Mittel mit gleicher Wirksamkeit ersichtlich sind. Fraglich ist, ob die damit verbundene Ungleichbehandlung potenzieller Ermittlungsgehilfen in einem angemessenen Verhältnis zu ihrem Zweck steht. Zunächst fällt auf, dass eine Überprüfung durch das Gericht entgegen der Gesetzesbegründung nicht erst nach Erlass des Eröffnungsbeschlusses, sondern bereits vorher nur eingeschränkt möglich ist. Der eigentliche Zweck der Präklusion liegt daher in der Gewährleistung der umfassenden Untersuchung des offenbarten Sachverhaltes durch die Staatsanwaltschaft 233  Fischer:

StGB, § 46b Rn. 21. entsprechende Bedenken bei Fischer: StGB, § 46b Rn. 21; Wolters, in: SK-StGB, § 46b Rn. 34; König NJW 2009, 2481, 2484; a. A. Peglau wistra 2009, 409, 411; ders. ZRP 2001, 103, 105. 235  Peglau wistra 2009, 409, 413. 236  Albrecht: Stellungnahme im Rechtsausschuss, S. 11. 237  BT-Drucks. 16 / 6268, S.  14. 234  Vgl.

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6. Teil: Vereinbarkeit mit strafprozessualen Prinzipien

und insbesondere die Polizei.238 Mangels Berücksichtigungsfähigkeit späterer Angaben wird das Gericht auf das Ergebnis dieser Ermittlungen in der Hauptverhandlung Bezug nehmen müssen und es – gegebenenfalls auf reduzierter Beweisgrundlage – regelmäßig auch übernehmen. Oft wird nur die Polizei genau wissen, in welchem Umfang die nach der Aussage des Kronzeugen ergriffenen Maßnahmen von dessen Angaben beeinflusst worden sind oder bereits vorher geplant waren.239 Die Rolle des Gerichts beschränkt sich daher nicht selten auf die Bestätigung der ihm vorgetragenen Ergebnisse.240 In dem Fall, dass der Angeschuldigte im Zwischenverfahren „ermittlungsrelevante Angaben“ macht, soll das Gericht diese noch vor seiner Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens überprüfen lassen und hierzu gegebenenfalls die Akten für weitere Ermittlungen an die Staatsanwaltschaft zurücksenden.241 Rechtlich ist dies zwar zulässig, jedoch ist in der Regel nicht ersichtlich, inwieweit Angaben zu den Straftaten fremder Personen die Entscheidung über das Vorliegen eines hinreichenden Tatverdachts für die Eröffnung des Hauptverfahrens beeinflussen könnten.242 Zweifellos kann der Zeitpunkt der Wissensoffenbarung bei der Ermessensentscheidung des Gerichts eine Rolle spielen. Es fragt sich jedoch, warum ein Täter, der sein Wissen erst nach Eröffnung des Hauptverfahrens offenbart, dessen Angaben jedoch einen Aufklärungserfolg bewirken und noch während der Hauptverhandlung bestätigt werden können, nicht in den Genuss der Möglichkeit einer Strafrahmenverschiebung kommen sollte.243 Dagegen lässt sich anführen, die Bevorzugung des sich frühzeitig offenbarenden Ermittlungsgehilfen entspreche den Grundsätzen der Rechtsprechung zur strafmildernden Wirkung frühzeitiger Geständnisse.244 Erschwerend zu berücksichtigen ist jedoch, dass der Zeitpunkt des Eröffnungsbeschlusses vom potenziellen Kronzeugen nicht beeinflusst werden kann, aus seiner Sicht geradezu zufällig ist. Unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten problematisch sind daher insbesondere Fälle, in denen der Verspätung keine prozesstaktischen Erwägungen oder sonstigen missbräuchlichen Motive zugrunde liegen, denen § 46b Abs. 3 StGB Rechnung tragen sollte. Sind die Angaben wahr und im Übrigen von identischem Wert, dürfte im Rahmen des § 46 StGB grundsätzlich keine geringere Milderung erfolgen als im Rahmen des § 46b StGB. Allerdings lassen sich unverhältnismäßige Un238  Fischer:

StGB, § 46b Rn. 21; Salditt StV 2009, 375, 377. NStZ 2010, 362, 365. 240  Salditt StV 2009, 375, 377. 241  BT-Drucks. 16 / 6268, S.  14. 242  Maier, in: MüKo-StGB, § 46b Rn. 32. 243  Vgl. auch Jeßberger: Stellungnahme im Rechtsausschuss, S. 9. 244  Peglau wistra 2009, 409, 411; vgl. BGH NStZ 2009, 271, 273. 239  Strate



A. Vereinbarkeit mit dem Legalitätsprinzip205

gleichbehandlungen durch die Annahme eines allgemeinen Milderungsgrundes nur bis zur gesetzlichen Strafrahmenuntergrenze vermeiden. Möglich bleiben darüber hinaus die Annahme eines minder schweren Falles und eine Berücksichtigung der Ermittlungshilfe bei der Bewertung der Voraussetzungen des § 56 StGB, insbesondere im Rahmen der Prüfung der § 56 Abs. 2 und Abs. 3 StGB.245 Ein solches Vorgehen stößt an seine Grenzen, soweit eine Anwendung des § 46b StGB die Möglichkeit einer Milderung überhaupt erst begründet hätte, namentlich in Fällen absolut angedrohter lebenslanger Freiheitsstrafe.246 Dass dem Täter einer solchen Straftat durch Ablauf eines nicht beeinflussbaren Zeitpunktes jede Möglichkeit einer Strafmilderung genommen wird, völlig unabhängig davon, welche Motive für die Verzögerung maßgeblich waren, lässt sich vor dem Hintergrund der Verhältnismäßigkeit nicht mehr rechtfertigen.247 Insoweit verstößt § 46b Abs. 3 StGB gegen das Willkürverbot. 5. Ergebnis Im Rahmen des § 46b StGB finden sich mehrere verfassungsrechtlich relevante Ungleichbehandlungen. Die unterschiedliche Behandlung kooperativer und nicht mit den Strafverfolgungsbehörden zusammenarbeitender Straftäter ist unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten grundsätzlich unbedenklich. Auch die Eingrenzung tauglicher Bezugstaten auf den Deliktskatalog des § 100a Abs. 2 StPO sowie das nachträglich eingeführte Konnexitätserfordernis sind durch sachliche Erwägungen von ausreichendem Gewicht gerechtfertigt. Kein vernünftiger Grund ist dagegen ersichtlich, weshalb nur der Täter einer mit im Mindestmaß erhöhter oder lebenslanger Freiheitsstrafe bedrohten Straftat in den Genuss der vorteilhaften Rechtsfolgen kommen kann. Soweit man darauf abstellen will, dass diese Einschränkung der Wahrung des Legalitätsprinzips dient, indem sie weniger Verfahren in den Anwendungsbereich der Regelung fallen lässt, so ist sie unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten, wenn nicht von vornherein willkürlich, so doch zumindest unverhältnismäßig. Die Präklusionsbestimmung in § 46b Abs. 3 StGB kann schließlich insbesondere im Hinblick auf die absolut angedrohte lebenslange Freiheitsstrafe zu unverhältnismäßigen Ergebnissen führen. Problematisch ist also weniger der gewählte Zeitpunkt des § 207 StPO als vielmehr der Umstand, dass sich infolge der starren Frist selbst solche Wissensoffenbarungen nicht mehr berücksichtigen lassen, deren Überprüfung innerhalb der Hauptverhandlung ohne Weiteres möglich wäre. 245  Maier,

in: MüKo-StGB, § 46b Rn. 38. StGB, § 46b Rn. 24. 247  Fischer: StGB, § 46b Rn. 24. 246  Fischer:

206

6. Teil: Vereinbarkeit mit strafprozessualen Prinzipien

Insoweit ist auch die Differenzierung anhand des Offenbarungszeitpunkts mit dem Gleichheitssatz nicht mehr zu vereinbaren.

B. Vereinbarkeit mit dem Schuldprinzip Als eines der gängigsten Argumente gegen Kronzeugenregelungen im Allgemeinen sowie § 46b StGB im Speziellen wird die Unvereinbarkeit mit dem Schuldprinzip vorgetragen.248 Die Problematik wird auch im Gesetzesentwurf angesprochen, die Frage nach der Vereinbarkeit letztlich jedoch offen gelassen. Eine entsprechende Rechtfertigung ergebe sich jedenfalls aus der aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitenden Aufgabe des Staates, gerade schwere Straftaten aufzuklären oder zu verhindern.249 Allein aus dieser Aufgabenstellung folgt jedoch keine automatische Befugnis zur beliebigen Einschränkung des Schuldprinzips.250 Ein pauschaler Hinweis kann daher als Begründung nicht genügen. Vielmehr bedarf es einer eingehenden Untersuchung, ob mit § 46b StGB eine Einschränkung des Schuldprinzips verbunden ist und ob sich ein solcher Eingriff gegebenenfalls rechtfertigen lässt. Das Schuldprinzip ist verfassungsrechtlich verankert in der Würde und Eigenverantwortlichkeit des Menschen gem. Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 GG sowie im Rechtsstaatsprinzip gem. Art. 20 Abs. 3 GG.251 Einfachgesetzlich kommt es vor allem in den §§ 17 ff. StGB sowie in § 46 StGB zum Ausdruck. Es besagt zum einen, dass die Bestrafung des Täters dessen Schuld voraussetzt (nulla poena sine culpa) und eine Bestrafung ohne Schuld gegen das Rechtsstaatsprinzip verstößt.252 Darüber hinaus kann ihm entnommen werden, dass die im Einzelfall verhängte Strafe schuldangemessen sein muss. Das heißt, die Höhe der Strafe muss zur Schwere der Rechtsgutsverletzung und dem Maß des individuellen Verschuldens in einem angemessenen Verhältnis stehen.253 Dieser Grundsatz der schuldangemessenen Strafe bildet auch den Anknüpfungspunkt der 248  Vgl. Stellungnahme des Bundesrates BT-Drucks. 16  / 6268, S. 18; Gemeinsame Erklärung des Deutschen Richterbundes, des Deutschen Anwaltvereins, der Bundesrechtsanwaltskammer und der Strafverteidigervereinigungen, S. 2; Fank / Titz ZRP 2009, 137, 139; Sahan / Berndt BB 2010, 647, 648; Salditt StV 2009, 375, 376; Sander StraFo 2010, 365, 368; Wolters, in: SK-StGB, § 46b Rn. 30 f.; Streng, in: NK-StGB, § 46b Rn. 5; Mushoff KritV 2007, 366, 379. 249  BT-Drucks. 16 / 6268, S.  9. 250  Mushoff KritV 2007, 366, 377. 251  BVerfGE 45, 187, 259; BVerfGE 50, 205, 214 f.; Streng: Strafrechtliche Sanktionen, Rn. 40; Roxin: Strafrecht AT Bd. 1, § 3 Rn. 52; Appel: Verfassung und Strafe, S.  109 ff.; Lenckner / Eisele, in: Schönke / Schröder: StGB, Vorbem. §§ 13 ff. Rn. 103 / 104. 252  BVerfGE 20, 323, 331; Krey / Esser: Strafrecht AT, Rn. 108. 253  Krey / Esser: Strafrecht AT Rn. 108; Wessels / Beulke: Strafrecht AT, Rn. 398.



B. Vereinbarkeit mit dem Schuldprinzip207

Kritik an § 46b StGB: Die Anwendung der Kronzeugenregelung könne dazu führen, dass vor allem schwere Straftaten nicht mehr mit schuldangemessenen Strafen geahndet würden. Durch die Vorschrift entferne sich die Strafe von ihrer Aufgabe der Herbeiführung eines gerechten Schuldausgleichs.254

I. Begriff der Strafzumessungsschuld und Bestimmung der Schuldangemessenheit Den beiden Ausprägungen des Schuldprinzips entsprechend sind zwei Funktionsstufen der Schuld zu unterscheiden: Die Strafbegründungsschuld betrifft die Frage, unter welchen Voraussetzungen strafrechtliche Verantwortlichkeit vorliegt. Demgegenüber verkörpert die Strafzumessungsschuld den Inbegriff der Momente, die für die Strafhöhe im konkreten Einzelfall von Bedeutung sind.255 Strafbegründungs- und Strafzumessungsschuld weisen eine gewisse Abhängigkeit auf. So wirkt sich beispielsweise die verminderte Strafbegründungsschuld gem. § 21 StGB auch auf die Strafzumessung aus.256 Im Gegensatz zur Strafbegründungsschuld, für die es nur auf das Vorliegen oder Nichtvorliegen der entsprechenden Schuldvoraussetzungen ankommt, ist die Strafzumessungsschuld jedoch graduierbar und kann in verschiedenen Schweregraden vorliegen. Eine geringere Strafe verlangt eine geringere Schuld, eine höhere Bestrafung setzt eine höhere Schuld voraus. Die Strafbegründungsschuld betrifft somit gewissermaßen die Frage nach dem „Ob“ der Vorwerfbarkeit, die Strafzumessungsschuld die Frage nach dem jeweiligen Schweregrad.257 Auf die Strafzumessungsschuld bezieht sich auch die Grundlagenformel in § 46 Abs. 1 S. 1 StGB, wonach die Schuld des Täters die Grundlage für die Zumessung der Strafe bildet.258 Maßgeblich für die konkret zu verhängende Strafe sind die Schwere der Tat und der Grad der persönlichen Schuld des Täters sowie die Frage, wie stark der Täter die Rechtsordnung durch seine Tat gestört hat.259 Bezugspunkt der Schuld bildet demnach in erster 254  Stellungnahme des Bundesrates BT-Drucks. 16  /  6268, S. 18; Gemeinsame Erklärung des Deutschen Richterbundes, des Deutschen Anwaltvereins, der Bundesrechtsanwaltskammer und der Strafverteidigervereinigungen, S. 2. 255  Siehe hierzu Achenbach: Historische und dogmatische Grundlagen der strafrechtssystematischen Schuldlehre, S. 2 ff.; siehe auch Roxin: Strafrecht AT Bd. 1, § 19 Rn. 54; Streng, in: NK-StGB, § 46 Rn. 22. 256  Roxin: Strafrecht AT Bd. 1, § 19 Rn. 55. 257  Meier: Strafrechtliche Sanktionen, S. 164. 258  Vgl. hierzu Schäfer / Sander / van Gemmeren: Praxis der Strafzumessung, Rn.  310 ff.; Streng, in: NK-StGB, § 46 Rn. 22. 259  BGHSt 3, 179; 20, 264, 266; Frisch ZStW 99 (1987), 349, 388; Schäfer / Sander /  van Gemmeren: Praxis der Strafzumessung, Rn. 311.

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6. Teil: Vereinbarkeit mit strafprozessualen Prinzipien

Linie das tatbestandsmäßige Unrecht, weshalb die Strafzumessungsschuld auch als Tatschuld bezeichnet wird.260 Hierdurch soll eine bewusste Abgrenzung zu früheren, aus rechtsstaatlicher Sicht unvertretbaren Täterschuldkonzepten erfolgen, die im Sinne einer „Lebensführungs-“ oder „Lebensentscheidungsschuld“ eine charakterliche Schwäche oder das „Wesen“ des Täters zum Gegenstand des Schuldvorwurfs machten.261 Das tatbestandsmäßige Unrecht setzt sich aus zwei gleichrangigen Komponenten zusammen: dem Handlungs- und dem Erfolgsunrecht.262 Die Erfolgskomponente beinhaltet diejenigen Umstände, welche die Gefährdung oder Verletzung des jeweils geschützten Rechtsguts ausmachen. Die Handlungskomponente umfasst dagegen die äußerliche Art und Weise der Tatbegehung sowie innerlich den Vorsatz und die sonstigen subjektiven Tatbestandsmerkmale.263 Beide Komponenten können von unterschiedlichem Gewicht und unterschiedlicher Vorwerfbarkeit sein.264 Um nach diesen Vorgaben die schuldangemessene Strafe zu bestimmen, bildet die gesetzliche Strafandrohung der einzelnen Delikte den ersten Anhaltspunkt. Bei den gesetzlichen Strafrahmen handelt es sich um tatbestandlich vertypte Strafzumessungsvorgaben des Gesetzgebers an die Gerichte.265 Diese Vorbewertung ist für die jeweilige Einzeltat zu konkretisieren, wobei es sich um eine kontinuierliche Schwereskala möglicher Tatbestandsverwirklichungen handelt, deren rechnerischer Mittelwert nicht schematisch mit dem Regelfall gleichgesetzt werden darf.266 Für die nähere Bestimmung der Strafe innerhalb dieses Rahmens werden verschiedene Strafzumessungstheorien diskutiert. Die h. M., insbesondere die Rechtsprechung, vertritt die sog. Spielraumtheorie. Danach ist Schuldangemessenheit – anders als nach der sog. Theorie der Punktstrafe – nicht punktuell determiniert; vielmehr gibt die Strafzumessungsschuld einen Spielraum vor, der nach unten durch das „schon schuldangemessene“ und nach oben durch das „noch schuldan260  Roxin: Strafrecht AT Bd. 1, § 19 Rn. 62; Meier: Strafrechtliche Sanktionen, S. 165; Maurach / Zipf: Strafrecht AT Bd. 1, § 35 Rn. 10 ff.; Wessels / Beulke: Strafrecht AT, Rn.  403 f.; Heinrich: Strafrecht AT Bd. 1, Rn. 528. 261  Zum Tatschuldkonzept vgl. den durch das Gewohnheitsverbrechergesetz vom 24.11.1933 (RGBl. I S. 995) eingeführten § 20a StGB; vgl. dazu auch Mezger ZStW 57 (1937), 675, 688 („Wir anerkennen vielmehr, daß nach heute gebotener Anschauung die Strafe etwas mit dem ‚Wesen des Täters‘ selbst und nicht nur mit der isolierten Einzeltat zu tun hat“). 262  Schäfer / Sander / van Gemmeren: Praxis der Strafzumessung, Rn. 312; Meier: Strafrechtliche Sanktionen, S. 165; Miebach, in: MüKo-StGB, § 46 Rn. 23. 263  Wessels / Beulke: Strafrecht AT, Rn.  15; Roxin: Strafrecht AT Bd. 1, § 10 Rn.  88 ff.; Kühl: Strafrecht AT, § 3 Rn. 3 ff.; Gropp: Strafrecht AT, § 3 Rn. 32. 264  Schäfer / Sander / van Gemmeren: Praxis der Strafzumessung, Rn. 311. 265  Meier: Strafrechtliche Sanktionen, S. 144. 266  Fischer: StGB, § 46 Rn. 16 f.



B. Vereinbarkeit mit dem Schuldprinzip209

gemessene“ begrenzt wird.267 Der Richter hat folglich zunächst unter Berücksichtigung des tatbestandlichen Unrechts diesen Spielraum zu ermitteln, um dann innerhalb seiner Grenzen anhand der präventiven Strafzwecke das endgültige Strafmaß festzulegen.

II. Schuldrelevanz geleisteter Ermittlungshilfe Ob es infolge der Anwendung von § 46b StGB zu einer Unterschreitung der schon schuldangemessenen Strafe kommen kann, hängt davon ab, ob die vom Kronzeugen geleistete Ermittlungshilfe selbst Schuldrelevanz besitzt. Denn würde sich die Kronzeugenhandlung mindernd oder kompensierend auf die Tatschuld auswirken, wäre eine niedrigere Strafe schuldangemessen, bestünden folglich gegen die Kronzeugenregelung vor dem Hintergrund des Gebots schuldangemessener Strafe grundsätzlich keine Bedenken. Besäße das kooperative Verhalten dagegen keine Schuldrelevanz, hätte die Verschiebung der Strafuntergrenze (vgl. § 49 Abs. 1 Nr. 3 StGB) oder erst recht das vollständige Absehen von Strafe zur Folge, dass eine Strafe unterhalb der ursprünglichen Mindeststrafe festgelegt werden kann. Zwar setzt eine Schuldunterschreitung nicht zwingend voraus, dass das Mindestmaß des ursprünglichen Regelstrafrahmens unterschritten wird, da der Schuldrahmen grundsätzlich enger gezogen ist. Allerdings markiert die gesetzliche Strafuntergrenze als zu respektierende gesetzgeberische Wertentscheidung auch die untere Grenze der schon schuldangemessenen Strafe bei Verwirklichung des jeweiligen Delikts.268 Bei Verhängung einer Strafe unterhalb des ursprünglichen Regelstrafrahmens oder einem vollständigen Absehen von Strafe läge daher eine Schuldunterschreitung vor. Die Wissensoffenbarung des Ermittlungsgehilfen erfolgt in zeitlicher Hinsicht erst nach Begehung der Anlasstat. Inwieweit Nachtatverhalten Schuld­ relevanz besitzen kann, wird nicht einheitlich beurteilt. Überwiegend werden Unrecht und Schuld als im Zeitpunkt der Tatvollendung feststehende Größen verstanden, die durch ein bestimmtes Prozessverhalten nicht mehr direkt beeinflusst werden können.269 Auch geleistete Ermittlungshilfe i. S. d. § 46b 267  Grundlegend BGHSt 7, 28, 32; 20, 264, 266 f.; 24, 132, 133 f.; vgl. hierzu Streng, in: NK-StGB, § 46 Rn. 97 ff.; Schäfer / Sander / van Gemmeren: Praxis der Strafzumessung, Rn.  461 ff.; Meier: Strafrechtliche Sanktionen, S. 146 ff.; Fischer: StGB, § 46 Rn. 20; Maurach / Zipf: Strafrecht AT Bd. 1, § 7 Rn. 25 ff. („Schuldrahmentheorie“); zur entgegengesetzten Theorie der Punktstrafe oder „Stellenwerttheorie“ vgl. insbesondere Horn, in: SK-StGB, § 46 Rn. 33 ff.; Buttel: Kritik an der Figur des Aufklärungsgehilfen, S. 225 f.; ablehnend BGHSt 27, 3. 268  Vgl. Fischer: StGB, § 46 Rn. 16. 269  Miebach, in: MüKo-StGB, § 46 Rn. 123; Eschelbach, in: Satzger / Schmitt / Widmaier: StGB, § 46 Rn. 106; Kasper / Wengenroth GA 2010, 453, 463; Hauer: Ge-

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6. Teil: Vereinbarkeit mit strafprozessualen Prinzipien

StGB lässt demnach keinen unmittelbaren Schluss auf ein reduziertes Tatunrecht bzw. eine reduzierte Tatschuld zu.270 Jedoch soll sich ein Verhalten, dass zeitlich der Tatbegehung nachfolgt, mittelbar auf die Strafzumessungsschuld auswirken können. Ob dies der Fall ist, wird nach der herrschenden Rechtsprechung und Teilen der Literatur anhand einer doppelspurigen Indizkonstruktion beurteilt.271 Hiernach sollen außerhalb der eigentlichen Tatausführung liegende Umstände schuldrelevant sein, soweit sie indiziell Rückschlüsse auf den Täter und das von ihm verwirklichte Unrecht im Zeitpunkt der Tatbegehung zulassen. Darüber hinaus sollen dem Nachtatverhalten auch Hinweise auf das spezialpräventive Strafbedürfnis des Täters entnommen werden können. Aufgrund der zeitlichen Abfolge von Tatbegehung und Wissensoffenbarung handelt es sich bei der Kronzeugenhandlung um ein grundsätzlich berücksichtigungsfähiges Nachtatverhalten i. S. d. § 46 Abs. 2 S. 2 StGB. Ob Angaben i. S. d. § 46b StGB jedoch in ausreichendem Maße Rückschlüsse auf den Täter oder seine Einstellung zur Tat zulassen, erscheint indes zweifelhaft. Hinweise auf die innere Haltung des Täters werden Angaben zu Straftaten, die keinerlei Konnex zu der Anlasstat des Kronzeugen aufweisen, kaum entnommen werden können.272 Diesem Nachtatverhalten fehlt jeder Tatbezug, da es nicht „in einem inneren Zusammenhang mit dem konkreten Schuldvorwurf“ steht, wie ihn die Indizkonstruktion der h. M. gerade voraussetzt.273 So gesehen besitzt die Kronzeugenhandlung jedenfalls bei fehlendem Zusammenhang zwischen der eigenen Straftat des Kronzeugen und dem Gegenstand seiner Ermittlungshilfe keine Schuldrelevanz.274 Durch die Einführung des Erfordernisses eines Zusammenhangs wollte der Gesetzgeber dem Grundsatz schuldangemessenen Strafens stärker Rechnung tragen.275 Allerdings wurde schon im Rahmen des § 31 BtMG a. F., ständnis und Absprache, S. 106; Lackner / Kühl: StGB, § 46 Rn. 40; dagegen eine unmittelbare Schuldrelevanz annehmend Maurach / Gössel / Zipf: Strafrecht AT Bd. 2, § 63 Rn 52 ff.; Streng ZStW 101 (1989), 273, 326 f. 270  BT-Drucks. 16 / 6268, S.  13; Jeßberger: Kooperation und Strafzumessung, S.  87 f.; Kasper / Wengenroth GA 2010, 453, 463. 271  BGHSt 1, 105, 106; BGH StV 1991, 106, 108; StV 2004, 415, 416; Bruns: Das Recht der Strafzumessung, S. 236; Schäfer / Sander / van Gemmeren: Praxis der Strafzumessung, Rn. 356, 636; zur Kritik an der Indizkonstruktion siehe Dencker ZStW 102 (1990), S. 51, 56 f.; Frisch ZStW 99 (1987), 751, 779 f. 272  Vgl. BT-Drucks. 17 / 9695, S. 6. 273  BGH NJW 1979, 1835; NStZ 1984, 259; StV 1984, 21; NStZ-RR 2002, 364. 274  Streng, in: NK-StGB, § 46b Rn. 5; Fezer, in: FS-Lenckner, S. 696; Frank / Titz ZRP 2009, 137, 139; Salditt StV 2009, 375, 376. 275  BT-Drucks. 17 / 9695, S.  6.



B. Vereinbarkeit mit dem Schuldprinzip211

für dessen Eingreifen die Rechtsprechung auch ohne ausdrückliche Regelung einen Zusammenhang zwischen der eigenen und der offenbarten Tat verlangte, eine Schuldrelevanz der Ermittlungshilfe zu Recht ganz überwiegend abgelehnt.276 Das Nachtatverhalten weist in diesem Fall eine gewisse Nähe zur eigenen Tat des Kronzeugen auf, jedoch nicht notwendigerweise einen inneren Zusammenhang mit dem konkreten Schuldvorwurf.277 Allein aus der Zuordnung zu einem kriminellen Gesamtgeschehen ergeben sich noch keine Hinweise auf ein reduziertes Tatunrecht. Insbesondere lässt sich das Verhalten des Kronzeugen nicht zur Handlungskomponente der Strafzumessungsschuld in Beziehung setzen. Der Täter wird sich in der Regel nicht aus für die Strafzumessungsschuld bedeutsamen Motiven wie Reue oder Schuldeinsicht für eine Aussage entscheiden. Vielmehr überwiegt der durch § 46b StGB geschaffene Anreiz einer Strafrahmenverschiebung bzw. eines Absehens von Strafe. Weder das Merkmal der Freiwilligkeit noch das des Aufklärungserfolges setzen eine bestimmte Motivation voraus, von der auf eine besondere, die Tat prägende Einstellung des Täters geschlossen werden könnte. Ein rein rationales Handeln im Hinblick auf die Möglichkeit einer milderen Bestrafung genügt den gesetzlichen Anforderungen. Selbst höchst unlautere Absichten können erst auf der Ebene der Ermessensausübung Berücksichtigung finden. Demnach appelliert die Kronzeugenregelung gerade nicht an den „guten Kern“ potenzieller Kronzeugen, sondern soll ihn zu einem Verhalten anspornen, welches ihm selbst den größten Nutzen verspricht.278 Folglich taugt das kooperative Verhalten des Ermittlungsgehilfen auch bei Bestehen eines inneren Zusammenhangs zwischen Anlass- und Bezugstat nicht als Indiz für eine geringere Strafzumessungsschuld. Darüber hinaus scheitern sämtliche Versuche, die Schuldrelevanz der Kronzeugenregelung anhand eines Vergleichs mit anderen Vorschriften herzuleiten. Grundsätzlich ist jede systemtreue Strafrahmenmilderung innerhalb eines Schuldstrafrechts auf eine kategoriale Schuldminderung zurückzuführen.279 Andere fakultative oder obligatorische Strafmilderungsgründe des Allgemeinen Teils, die auf § 49 Abs. 1 StGB verweisen (vgl. §§ 13 Abs. 2, 17, 21, 23 Abs. 2, 27 Abs. 2 S. 2, 28 Abs. 1, 30 Abs. 1 S. 2, 35 Abs. 1 S. 2 und 276  So Weber: BtMG, § 31 Rn. 160; Streng: Strafrechtliche Sanktionen, Rn. 470; Fezer, in: FS-Lenckner, S. 695 f.; Weigend ZStW 109 (1997), 103, 113; Jeßberger: Kooperation und Strafzumessung, S. 87 f.; Lehmann StraFo 1999, 109, 112; Quentin, in: FS-Stöckel, S. 467; Eschelbach, in: Satzger / Schmitt / Widmaier: StGB, §  46 Rn. 172; vgl. auch BGH NJW 2002, 908, 909; a. A. Buttel: Kritik an der Figur des Aufklärungsgehilfen, S. 229. 277  Vgl. Fezer, in: FS-Lenckner, S. 695. 278  Vgl. Quentin, in: FS-Stöckel, S. 468. 279  Streng, in: NK-StGB, § 46b Rn. 5.

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6. Teil: Vereinbarkeit mit strafprozessualen Prinzipien

Abs. 2 S. 2 StGB), knüpfen grundsätzlich an das Vorliegen von Umständen an, die auf ein geringeres Handlungs- oder Erfolgsunrecht bzw. eine geringere Vorwerfbarkeit des Unrechts schließen lassen. So mildert das Ausbleiben des tatbestandsmäßigen Erfolges beim Versuch stets das Erfolgsunrecht280 und liegt der Begehung durch Unterlassen regelmäßig ein geringeres Handlungsunrecht zugrunde als einem positiven Tun.281 Durch die obligatorische Milderung in § 27 Abs. 2 S. 2 StGB wird dem Umstand Rechnung getragen, dass dem Gehilfen nur das mitverwirklichte Erfolgsunrecht der Haupttat zugerechnet werden kann, jedoch anders als dem Anstifter nicht auch noch das vom Haupttäter verwirklichte Handlungsunrecht.282 Deutlich wird der Unterschied auch im Vergleich des § 46b StGB mit den Notstandsregelungen:283 Im Fall des § 34 StGB wird der Erfolgsunwert, der sich aus der Verletzung des Eingriffsgutes ergibt, durch den Erfolgswert der Rettung des Erhaltungsgutes kompensiert, sodass nur ein die Versuchsstrafbarkeit begründender Handlungsunwert vorliegt.284 Liegt zusätzlich das subjektive Rechtfertigungselement vor, entfällt auch das Handlungsunrecht.285 Auch die Notstandsregelungen in § 35 StGB beruhen auf einem verminderten Handlungsunrecht, soweit die Handlung des (vermeintlichen) Notstandstäters von einem Rettungswillen zur Erhaltung eines anderen Rechtsguts getragen wird.286 Der Kronzeugenregelung liegen dagegen keine Verhaltensmuster oder sonstigen Umstände zugrunde, die sich mildernd auf das mit der Anlasstat verwirklichte Unrecht auswirken. Der Ermittlungsgehilfe steht unter keinem Handlungsdruck, der seine Fähigkeit zu sinnhafter Selbstbestimmung beeinträchtigt.287 Trotz eines späteren Auftretens als Aufklärungsgehilfe begeht er seine eigene Tat nicht zu dem Zweck, die Effektivität der Strafrechtspflege in einer Notsituation zu verbessern. Zwar trägt zumindest ein Präventionsgehilfe willentlich zur Erhaltung eines Rechtsgutes bei, jedoch war sein ursprünglicher Entschluss zur Begehung der Anlasstat nicht von diesem Willen bestimmt. 280  Weshalb teilweise gefördert wird, die Strafmilderung müsse obligatorisch erfolgen, vgl. Eser, in: Schönke / Schröder: StGB, § 23 Rn. 6; Stratenwerth / Kuhlen: Strafrecht AT, § 11 Rn. 48. 281  Meier: Strafrechtliche Sanktionen, S. 175. 282  Hoyer, in: SK-StGB, Vor § 26 Rn. 20 und § 27 Rn. 6. 283  Vgl. aber zu den Parallelen zwischen Kronzeugenregelungen und dem rechtfertigenden Notstand Hoyer JZ 1994, 233, 240 („Notstandsregelung auf höherer Ebene“). 284  Neumann, in: NK-StGB, §  34 Rn. 109; siehe auch Fischer: StGB, § 34 Rn. 28. 285  Momsen, in: BeckOK-StGB, § 34 Rn. 20.2. 286  Rogall, in: SK-StGB, § 35 Rn. 2 f. 287  So etwa im Fall des entschuldigenden Notstands gem. § 35 StGB, vgl. R ­ ogall, in: SK-StGB, § 35 Rn. 2.



B. Vereinbarkeit mit dem Schuldprinzip213

§ 46a StGB, der wie § 46b StGB nicht nur auf § 49 Abs. 1 StGB verweist, sondern unter bestimmten Voraussetzungen auch ein gänzliches Absehen von Strafe ermöglicht, bezieht sich ebenfalls auf ein Verhalten des Täters nach der Tat. Jedoch führt nur das von § 46a StGB belohnte Verhalten zu einer Modifizierung des Schuldrahmens. Indem der Täter sich um einen Ausgleich mit dem Verletzten bemüht oder das Opfer seiner Straftat unter Erbringung eines persönlichen Opfers entschädigt, reduziert sich nicht nur die Strafbedürftigkeit, sondern auch die Strafwürdigkeit der Tat. Die Vornahme entsprechender Handlungen wirkt sich damit auch auf Ebene der Strafzumessungsschuld kompensierend aus.288 Die Kronzeugenregelung knüpft hingegen nicht an die unmittelbaren Folgen der Anlasstat an. Das Tatopfer erlangt durch Ermittlungshilfeleistungen weder materielle Entschädigung noch die psychisch wichtige Anerkennung seiner Opferposition. Obwohl Racheakte durch ehemalige Komplizen zumindest denkbar sind, verlangt die Wissensoffenbarung dem Täter grundsätzlich kein besonderes persönliches Opfer ab.289 Im seinem Verhalten liegt kein Ausdruck von Verantwortungsübernahme für sein vorheriges strafbares Verhalten.290 Erst recht kann eine Schuldrelevanz nicht aus einem Vergleich mit § 60 StGB abgeleitet werden, der dem Gericht ein Absehen von Strafe in Fällen ermöglicht, in denen die Folgen der Straftat den Täter so schwer treffen, dass sie bei der Bestimmung der schuldangemessenen Strafe kompensierend berücksichtigt werden müssen.291 Denn die Gefahr von Ausgrenzung und Racheakten ist der Denunziation Dritter immanent, resultiert jedoch aus der Vornahme der Kronzeugenhandlung und nicht aus den Folgen der Anlasstat.292 Vereinzelt werden Überlegungen angestellt, die unmittelbare Schuldrelevanz der Ermittlungshilfe aus einer vermeintlichen Nähe der Kronzeugenregelung zum strafbefreienden Rücktritt vom Versuch gem. § 24 StGB oder zu den Vorschriften der tätigen Reue abzuleiten.293 Grund der strafbefreienden Wirkung des Rücktritts ist nach der wohl herrschenden Strafzwecktheorie ein vor allem aus Gründen der Spezial- und Generalprävention entfallendes Strafbedürfnis.294 Laut einer älteren Auffassung soll die Rücktrittsregelung 288  Streng,

in: NK-StGB, § 46a Rn. 2. aber Kaspar / Wengenroth GA 2010, 453, 456. 290  So aber zu § 46a StGB BGH NStZ 2001, 200; NStZ 2003, 29, 30; Schäfer / Sander / van Gemmeren: Praxis der Strafzumessung, Rn. 388. 291  Albrecht, in: NK-StGB, § 60 Rn. 1; Maiwald ZStW 83 (1971), 663, 691. 292  So auch Kneba: Die Kronzeugenregelung, S. 131. 293  So Buttel: Kritik an der Figur des Aufklärungsgehilfen, S. 228 f.; zu den Parallelen zum Rücktritt vgl. auch Hoyer JZ 1994, 233, 238 f.; Fabel: Geldwäsche und tätige Reue, S. 173; Behrendt GA 1991, 337, 338. 294  BGHSt 9, 48, 52; Kühl: Strafrecht AT, § 16 Rn. 5 f.; Lackner / Kühl: StGB, § 24 Rn. 2; Roxin: Strafrecht AT Bd. 2, § 30 Rn. 4. 289  Vgl.

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6. Teil: Vereinbarkeit mit strafprozessualen Prinzipien

dem Täter eine „goldene Brücke zum Rückzug bauen“, um ihn nicht schon durch die bereits verwirklichte Versuchsstrafbarkeit zur Vollendung zu treiben.295 Vertreter verschiedener Schuldtheorien nehmen einen Wegfall der Strafwürdigkeit an, weshalb der Rücktritt materiell über schuldausschließende bzw. schuldaufhebende oder schuldtilgende Wirkung verfüge.296 Zunehmend werden in Rechtsprechung und Literatur vorzugswürdige Kombinationsansätze vertreten, die unter anderem auch den Aspekt des Opferschutzes einbeziehen.297 Richtigerweise handelt es sich beim Rücktritt nämlich um einen persönlichen Strafaufhebungsgrund, der die Schuld des Täters zwar nicht aufhebt, aber doch zu einem gewissen Grad kompensiert.298 Während die Präventionsrelevanz der Kronzeugenhandlung noch untersucht werden muss, lassen sich die dem § 24 StGB zugrunde liegenden Erwägungen jedenfalls im Hinblick auf die Begründung einer Schuldrelevanz nicht auf § 46b StGB übertragen. So beruht § 24 StGB gerade auf der spezifischen Situation des Versuchs, welche durch bereits verwirklichtes Handlungsunrecht bei noch ausstehendem tatbestandsmäßigen Erfolg gekennzeichnet ist. Das endgültige Maß der Rechtsgutsbeeinträchtigung kann im Zeitpunkt des Rücktritts durch das Rücktrittsverhalten noch positiv beeinflusst werden. Vor allem aber ist der Zurücktretende selbst derjenige, der die Tat ursprünglich in Gang gesetzt hat. Er bildet das den Versuch und den Rücktritt verbindende Element.299 Dagegen geht es beim Kronzeugen gerade nicht um die Beeinflussung des „Erfolges“ seiner eigenen Straftat.300 Ein Geständnis oder die umfassende Offenlegung eigener Tatbeiträge sind nicht erforderlich und für eine Anwendung der Kronzeugenregelung unerheblich. Ist der Ermittlungsgehilfe an der von ihm aufgeklärten Straftat beteiligt, verlangt § 46b Abs. 1 S. 3 StGB vielmehr, dass sich sein Beitrag zur Aufklärung über den eigenen Tatbeitrag hinaus erstreckt. Ferner ermöglicht § 46b StGB dem Täter keine Rückkehr in die Gesetzmäßigkeit. Obgleich er den Strafverfolgungsbehörden einen Verdienst erweist, erbringt der Kronzeuge keine „Umkehrleistung“.301 73, 52, 60; Puppe NStZ 1984, 488, 490. hierzu Zaczyk, in: NK-StGB, § 24 Rn. 5; Streng ZStW 101 (1989), 273, 322 ff.; Roxin: Strafrecht AT Bd. 2, § 30 Rn. 29; Schumann: Zum Standort des Rücktritts vom Versuch im Verbrechensaufbau, S. 132 ff.; Haft JA 1979, 306, 312; Rudolphi, in: SK-StGB, § 24 Rn. 15. 297  Lilie / Albrecht, in: LK-StGB, § 24 Rn. 38; Jescheck / Weigend: Strafrecht AT, S.  539 f. 298  Jescheck / Weigend: Strafrecht AT, S. 548; Jeßberger: Kooperation und Strafzumessung, S. 88. 299  Vgl. Zaczyk, in: NK-StGB, § 24 Rn. 5; Mushoff KritV 2007, 366, 378. 300  Jeßberger: Kooperation und Strafzumessung, S. 88. 301  Zur sog. Verdienstlichkeitstheorie beim Rücktritt vgl. Herzberg / HoffmannHolland, in: MüKo-StGB, § 24 Rn. 29 ff. 295  RGSt 296  Vgl.



B. Vereinbarkeit mit dem Schuldprinzip215

Der Unwert der Anlasstat wird durch eine Fremdbezichtigung nicht ausge­ glichen. Eine hinreichende Parallele zu den Vorschriften der tätigen Reue lässt sich aus ähnlichen Gründen nicht feststellen.302 Bei der tätigen Reue handelt es sich um Fälle des nur ausnahmsweise zugelassenen „Rücktritts vom vollendeten Delikt“.303 Derartige Vorschriften finden sich vorwiegend bei Straftatbeständen mit vorverlagertem Vollendungszeitpunkt, insbesondere den Gefährdungs- und Unternehmensdelikten sowie den tatbestandlich verselbstständigten Vorbereitungshandlungen.304 Da sich der staatliche Strafanspruch aus der Beeinträchtigung eines bestimmten Rechtsgutes begründet, muss auch der Rechtsgrund einer nachträglichen Privilegierung in einem bestimmten Verhältnis zu dem betroffenen Rechtsgut stehen.305 Dementsprechend setzten die Vorschriften der tätigen Reue voraus, dass der Täter in einer auf ihn selbst zurückführbaren Art und Weise die von seiner Tat ausgehende Rechtsgutsbeeinträchtigung zurücknimmt bzw. eine höhere Intensitätsstufe der Beeinträchtigung verhindert oder zumindest ein Verhalten zeigt, das von einer kompensatorischen Zielsetzung geprägt ist.306 Nichts davon lässt sich auf § 46b StGB und das Verhalten des Ermittlungsgehilfen übertragen. So entschied sich der Gesetzgeber bewusst gegen die Schaffung einer allgemeinen Regelung der tätigen Reue, weil sich deren Rechtsgedanke nicht ohne Probleme auf sämtliche Straftatbestände übertragen lässt.307 Eine besondere Nähe wie zwischen dem Täter und der von seiner Tat ausgehenden Rechtsgutsbeeinträchtigung308 besteht zwischen dem Kronzeugen und dem Gegenstand seiner Ermittlungshilfe nicht, da sich die Wissens­ offenbarung gerade nicht auf eigene Tatbeiträge bezieht.309 Das durch die jeweilige Anlasstat geschützte Rechtsgut wird nicht nachträglich wiederhergestellt oder vor einer Intensivierung der Beeinträchtigung bewahrt, auch liegt in der Kronzeugenhandlung keine äußerliche Anerkennung seines Geltungs- und Achtungsanspruchs. Nach all dem Gesagten handelt es sich bei § 46b StGB um einen Strafmilderungsgrund „an der Schuld des Täters vorbei“.310 Die Vorschrift zwingt 302  Vgl. aber Körner: BtMG, 6. Auflage, § 31 Rn. 2; Buttel: Kritik an der Figur des Aufklärungsgehilfen, S.  228 f. 303  Lackner / Kühl: StGB, § 261 Rn. 18 und § 24 Rn. 29. 304  Jescheck / Weigend: Strafrecht AT, S. 899; Blöcker: Die tätige Reue, S. 41 f. 305  Blöcker: Die tätige Reue, S. 133. 306  Blöcker: Die tätige Reue, S. 133 ff. 307  Mushoff KritV 2007, 366, 378; vgl. auch ders. FoR 2006, 80. 308  Vgl. Blöcker: Die tätige Reue, S. 135. 309  So auch Mushoff KritV 2007, 378. 310  Streng: Strafrechtliche Sanktionen, Rn. 470; vgl. auch Mushoff FoR 2006, 80.

216

6. Teil: Vereinbarkeit mit strafprozessualen Prinzipien

den Richter nicht, eine schuldunangemessene Strafe zu verhängen.311 Jedoch kann die Anwendung der Kronzeugenregelung zu einer Strafrahmenmilderung oder einem Absehen von Strafe führen, ohne dass damit eine Modifizierung des Schuldrahmens einherginge. Während § 49 Abs. 1 StGB bislang hauptsächlich auf Fälle deutlich verminderter Tatschuld bzw. deutlich vermindertem Tatunrecht Anwendung fand,312 erfolgt die Gewährung des Kronzeugenvorteils unrechts- und schuldindifferent.313 Die Tatsache, dass gem. § 46b Abs. 2 Nr. 2 StGB die Schuld des Täters in Relation mit dem Wert der Ermittlungshilfe gesetzt werden muss, ändert nichts daran, dass grundsätzlich auch derjenige, der schwerste Schuld auf sich geladen hat, diese durch eine besonders engagierte Ermittlungshilfe wettmachen kann.314 Somit kann es infolge einer Anwendung des § 46b StGB zu einer Unterschreitung der schuldangemessenen Strafe kommen.315 Dass mithilfe der Wissensoffenbarung des Kronzeugen möglicherweise andere Straftäter einer schuldangemessenen Bestrafung zugeführt werden können, spielt insoweit keine Rolle. Das Strafrecht kennt keine „Gesamtschuld“, bei der die Schuld des einen Täters durch die Bestrafung eines anderen getilgt werden könnte.

III. Prinzipielle Zulässigkeit und Grenzen von Schuldunterschreitungen Eine Schuldunterschreitung muss nicht zwangsläufig in eine Verletzung des Schuldprinzips münden. Nach einhelliger Auffassung darf die schuldangemessene Strafe nicht aus präventiven Gründen überschritten werden.316 Darüber hinaus wird jedoch diskutiert, ob eine Unterschreitung der schon schuldangemessenen Strafe unter bestimmten Umständen zulässig sein kann.317 Die eingriffsbegrenzende Funktion des Schuldprinzips ist verfassungsrechtlich in der Menschenwürdegarantie bzw. dem Rechtsstaatsprinzip verankert und wird durch die Ewigkeitsklausel in Art. 79 Abs. 3 GG zusätz311  Dies wäre von vornherein unzulässig, vgl. BVerfG NJW 1993, 190, 191; BVerfGE 54, 100, 108 f. 312  BT-Drucks. 16 / 6268, S.  13. 313  Jeßberger: Kooperation und Strafzumesung, S. 87; vgl. Horn, in: SK-StGB, § 46 Rn. 148; Mushoff KritV 2007, 366, 379. 314  Vgl. Jeßberger: Kooperation und Strafzumessung, S. 87; BT-Drucks. 16 / 6268, S. 10. 315  Ebenso Streng: NK-StGB, § 46b Rn. 5. 316  BGHSt 24, 132, 133; Schäfer / Sander / van Gemmeren: Praxis der Strafzumessung, Rn. 453; Meier: Strafrechtliche Sanktionen, S. 147; Roxin: Strafrecht AT Bd. 1, § 3 Rn. 51 ff. 317  Siehe ausführlich zum Problemkreis Tomforde: Die Zulässigkeit einer Unterschreitung der schuldangemessenen Strafe aus präventiven Gesichtspunkten.



B. Vereinbarkeit mit dem Schuldprinzip217

lich abgesichert.318 Da allerdings die Verhängung einer Strafe unterhalb des Schuldangemessenen die Rechtsposition des Betroffenen nicht beeinträchtigt, sondern begünstigt, lässt sich dem Grundgesetz ein Verbot der Schuldunterschreitung nicht ohne Weiteres entnehmen.319 Ein solches Verbot ergibt sich, wenn überhaupt, nur aus der einfachgesetzlichen Vorschrift des § 46 StGB.320 Unabhängig davon ist es jedenfalls dem Gesetzgeber nicht von vornherein verwehrt, eine Regelung zu erlassen, die es dem Gericht in bestimmten Fällen ermöglicht, von der Verhängung der schuldangemessenen Strafe ganz oder z. B. durch Gewährung einer Strafrahmenverschiebung teilweise abzusehen.321 Hierbei müssen allerdings bestimmte Grenzen eingehalten werden. Grundsätzlich wird dem Gesetzgeber eine nicht unerhebliche Gestaltungsfreiheit zugestanden, welche Strafzwecke er mit einer Vorschrift verfolgen möchte.322 Diese Gestaltungsfreiheit wird jedoch begrenzt durch das vom BVerfG parallel zum Schuldgrundsatz entwickelte Gebot des sinnvollen Strafens, welches zwar grundsätzlich nicht die Verfolgung bestimmter Strafzwecke verlangt, aber insoweit die Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung voraussetzt.323 Neue Strafrechtsvorschriften müssen daher die anerkannten Strafzwecke berücksichtigen und anhand dieser Zwecke nachvollziehbar begründet werden können. Welches diese Strafzwecke sind, wird auf Grundlage verschiedener Straftheorien diskutiert. Die sog. absolute Straftheorie sieht den Grund der Strafe losgelöst von ihrer sozialen Wirkung allein in der Wiederherstellung von Gerechtigkeit durch Ausgleich der schuldhaft begangenen Rechtsverletzung.324 Dagegen 318  Vgl. zuletzt das Urteil des BVerfG zum deutschen Zustimmungsgesetz zum Vertrag von Lissabon BVerfGE 123, 267. 319  Jeßberger: Kooperation und Strafzumessung, S. 86; Maurach / Zipf: Strafrecht AT Bd. 1, § 7 Rn. 24; Kaspar / Wengenroth GA 2010, 453, 464; Radtke, in: MüKoStGB, Vorbem. §§ 38 ff. Rn. 56. 320  Jeßberger: Stellungnahme im Rechtsausschuss, S. 6; vgl. zur Frage, ob § 46 StGB eine schuldunterschreitende Bestrafung ermöglicht befürwortend Roxin: Strafrecht AT Bd. 1, § 3 Rn. 54; Frisch ZStW 99 (1987), 349, 367; Stree / Kinzig, in: Schönke / Schröder: StGB, Vorbem. §§ 38 ff. Rn. 21; Radtke, in: MüKo-StGB, Vorbem. §§ 38 ff. Rn. 57; Meier: Strafrechtliche Sanktionen, S. 147; ablehnend Jescheck / Weigend: Strachrecht AT, S. 879 f.; Gribbohm, in: LK-StGB, § 46 Rn. 14; Streng, in: NK-StGB, § 46 Rn. 97. 321  Peters: Urteilsabsprachen im Strafprozess, S. 189; Jeßberger: Kooperation und Strafzumessung, S. 86; vgl. Roxin: Strafrecht AT, § 3 Rn. 54; Stree / Kinzig, in: Schönke / Schröder: StGB, Vorbem. §§ 38 ff. Rn. 21; Radtke, in: MüKo-StGB, Vorbem. §§ 38 ff. Rn. 57. 322  Vgl. BVerfGE 45, 187, 257; Streng: Strafrechtliche Sanktionen, Rn. 40. 323  BVerfGE 28, 386, 391; 45, 187, 253; 73, 206, 253 ff.; Jeßberger: Koopera­tion und Strafzumessung, S. 86 f.; Streng: Strafrechtliche Sanktionen, Rn. 40. 324  Siehe hierzu Binding: Grundriss des Deutschen Strafrechts AT, 203 ff., maßgeblich beeinflusst durch den deutschen Idealismus, namentlich von Kant und He-

218

6. Teil: Vereinbarkeit mit strafprozessualen Prinzipien

leiten die sog. relativen Straftheorien die Legitimation von Strafe unmittelbar aus ihren sozialen Wirkungen ab. Danach dient Strafe der Prävention, also der Verhinderung zukünftiger Straftaten. Innerhalb der relativen Straftheorien wird zwischen der Einwirkung auf den jeweiligen Straftäter (Spezial- oder Individualprävention)325 und der Einwirkung auf die Allgemeinheit (Generalprävention)326 unterschieden. Die spezialpräventive Einwirkung auf den Täter lässt sich zusätzlich unterteilen in positive Spezialprävention, das heißt die Resozialisierung des Täters und seine Befähigung zu einem Leben ohne Straftaten, und die negative Spezialprävention, das heißt die Abschreckung und Sicherung des Täters zum Schutz der Allgemeinheit. Entsprechend wird auch im Rahmen der Generalprävention zwischen positiver und negativer Einwirkung differenziert. Während positive Generalprävention vornehmlich eine Stärkung des Rechtsvertrauens meint, umfasst die negative Generalprävention vor allem die Abschreckung der Gesellschaft durch das Aufzeigen möglicher Folgen von Kriminalität.327 Mit dem Anspruch exklusiver Geltung werden diese Straftheorien heute kaum noch vertreten. Stattdessen ist weitgehend anerkannt, dass sich der Zweck von Strafe aus einer Kombination der verschiedenen Ansätze der Spezial- und Generalprävention sowie des Schuldausgleichs ergibt (sog. Vereinigungs­ theorien), wobei die Gewichtung der einzelnen Elemente variiert.328 Für die Frage, inwieweit eine schuldunterschreitende Bestrafung noch im Einklang mit der Rechtsordnung steht, also noch als „sinnvoll“ angesehen werden kann, kommt es daher entscheidend auf die Vereinbarkeit der die Schuldunterschreitung ermöglichenden Norm mit den anerkannten präventiven Strafzwecken an. Wie bereits dargelegt, vermag § 46b StGB zum Strafzweck des gerechten Schuldausgleichs nichts beizutragen. Zu gel, vgl. Meier: Strafrechtliche Sanktionen, S. 18 f. Dabei ist im Einzelnen umstritten, ob die Vergeltungsstrafe als „zweckfrei“ angesehen werden muss, oder gerade im Schuldausgleich der Zweck der Strafe liegt, vgl. Roxin: Strafrecht AT Bd. 1, § 3 Rn. 2 (Fn. 4). 325  Die erste selbstständige spezialpräventive Straftheorie begründete Fanz von Liszt in seinem sog. Marburger Programm, siehe ders. ZStW 3 (1883), 1 ff. 326  Als Begründer der Theorie der (negativen) Generalprävention gilt Paul Johann Anselm von Feuerbach, siehe hierzu ders.: Lehrbuch des gemeinen in Deutschland gültigen Peinlichen Rechts, S. 38 ff. 327  Vgl. hierzu Streng: Strafrechtliche Sanktionen, Rn. 21 f. und 26; Meier: Strafrechtliche Sanktionen, S. 21 f. und 24 f.; Radtke, in: MüKo-StGB, Vorbem. §§ 38 ff. Rn.  34 ff. 328  Vgl. BVerfGE 45, 187, 257; Meier: Strafrechtliche Sanktionen, S. 32  ff.; Roxin: Strafrecht AT, § 3 Rn. 37 ff. („präventive Vereinigungstheorie“); Baumann /  Weber / Mitsch: Strafrecht AT, § 3 Rn. 109; Stree, in: Schönke / Schröder: Vorbem. §§  38 ff. Rn.  1 ff.; Fischer: StGB, § 46 Rn. 2 ff.; Maurach / Zipf: Strafrecht AT Bd. 1, § 7 Rn. 6 ff.



B. Vereinbarkeit mit dem Schuldprinzip219

klären ist folglich, ob sich die Unterschreitung der schon schuldangemessenen Strafe durch § 46b StGB anhand präventiver Zwecke rational begründen lässt.329

IV. Rechtfertigung anhand präventiver Gesichtspunkte 1. Rechtfertigung aus Gründen der positiven Spezialprävention Zur Wiedereingliederung in die Gesellschaft im Sinne positiver Spezialprävention kann § 46b StGB grundsätzlich nur wenig beisteuern. Mitunter wird hervorgehoben, der Kronzeuge werde kaum in sein kriminelles Umfeld zurückkehren wollen oder können.330 Dies dürfte zumindest dann zutreffen, wenn es sich um einen Straftäter aus dem Bereich der organisierten Kriminalität handelt und sich die von ihm offenbarte Straftat dem kriminellen Gesamtgeschehen um die jeweilige Vereinigung zuordnen lässt. Zumindest dort, wo der Ermittlungsgehilfe infolge seiner Aussage so konkreten Bedrohungen ausgesetzt ist, dass er staatlichen Zeugenschutz in Anspruch nehmen muss, ist er zu einem vollständigen „Seitenwechsel“ gezwungen. Jedoch erfasst § 46b StGB nicht nur die Aussteiger aus kriminellen Organisationen oder aus einem kriminellen Umfeld, sondern grundsätzlich jeden, der über Wissen hinsichtlich einer Katalogtat verfügt.331 Zudem wird die Wiedereingliederung des Ermittlungsgehilfen dadurch erschwert, dass die Kronzeugenregelung ein illoyales und daher in den Augen der Gesellschaft eher unsoziales Verhalten belohnt. Nicht nur für sein bisheriges Umfeld, sondern auch für die Bevölkerung ist die Aussage des Kronzeugen mit dem Makel des Denunziantentums behaftet. Insoweit überschneiden sich die Perspektiven von „Publikum und Unterwelt“.332 Auch wird sein kurzfristiger Verdienst bei der Unterstützung der Strafverfolger den Makel des von ihm verschuldeten Unrechts in der Regel nicht ausgleichen können, sofern Anlass- und Bezugstat kein ganz offensichtliches Unrechtsgefälle aufweisen. Der Ermittlungsgehilfe wird somit in doppelter Hinsicht stigmatisiert: Er ist ein „unbestrafter Verbrecher“ und zugleich ein Verräter.333 329  Vgl. Jeßberger: Kooperation und Strafzumessung, S.  85  ff.; im Ergebnis ebenso, allerdings unter Zugrundelegung einer „präventiven Spielraumtheorie“ Kaspar / Wengenroth GA 2010, 453, 464 ff. 330  Jeßberger: Kooperation und Strafzumessung, S. 89; Quentin, in: FS-Stöckel, S. 468 (Fn. 19). 331  Frank: Stellungnahme im Rechtsausschuss, S. 2. 332  Vgl. hierzu Middendorf ZStW 85 (1973), 1102, 1115, der insoweit von einer „Doppelächtung“ des Kronzeugen spricht; kritisch hierzu Jeßberger: Kooperation und Strafzumessung, S. 90 (Fn. 39). 333  Lammer ZRP 1989, 248, 252.

220

6. Teil: Vereinbarkeit mit strafprozessualen Prinzipien

Ob die Vornahme der Kronzeugenhandlung positive Rückschlüsse auf die individuelle Gefährlichkeit des Täters zulässt, kann ebenfalls bezweifelt werden. Auch kann keine Parallele zum strafbefreienden Rücktritt vom Versuch gezogen werden. Während der durch den Versuch erzeugte konkrete Präventionsbedarf durch den Rücktritt wieder entfällt, entfällt das individuelle Strafbedürfnis des Kronzeugen nicht automatisch deshalb, weil er die Inanspruchnahme eines Dritten ermöglicht.334 Zeigt ein Straftäter hingegen Unrechtseinsicht oder Reue, berechtigt dies zu der Annahme, dass er jedenfalls weiteren Straftaten ablehnend gegenüber steht.335 Jedoch allein aus der Vornahme der Kronzeugenhandlung lässt sich eine derartige Motivation nicht überzeugend ableiten. Insbesondere der ursprüngliche Verzicht auf ein Konnexitätserfordernis begünstigt das systematische Sammeln und Anhäufen strafrechtlich relevanter Informationen. Bis dato unbehelligten Straftätern wird eine Möglichkeit aufgezeigt, sich auf diese Weise eine „private Lebensversicherung“ anzueignen.336 Ein verringertes spezialpräventives Strafbedürfnis wird dann im Hinblick auf die innere Einstellung des Täters allenfalls bei sinngemäßer Anwendung des Grundsatzes in dubio pro reo unterstellt werden können.337 Doch auch bei Bestehen eines, nach Inkrafttreten der ersten Änderung des § 46b StGB zwingend erforderlichen, Zusammenhangs zwischen Anlass- und Bezugstat kann nicht ohne Weiteres auf eine weniger rechtsfeindliche Gesinnung geschlossen werden. Selbst wenn es sich um einen an der Bezugstat unmittelbar beteiligten internen Kronzeugen handelt, erfolgt die Wissensoffenbarung regelmäßig aus eigennützigen Motiven, ohne dass damit zwangsläufig etwas darüber gesagt wäre, ob sich der Kronzeuge in Zukunft zur Rechtsordnung bekennt.338 Gleichwohl steigen bei der Zuordnung beider Taten zu einem einheitlichen Gesamtgeschehen die Chancen, dass das Hinzutreten einer der oben genannten Umstände der Kronzeugenhandlung zu einer gewissen spezialpräventiven Relevanz verhilft. Wenn auch der Kronzeuge hauptsächlich seinen Strafvorteil sucht, so bekennt er sich – trotz Ächtung und Anfeindungen – zu den Spielregeln der Rechtsordnung und akzeptiert den grundsätzlichen „Strafanspruch“ des Staates für seine Straftaten. 334  So auch Weigend ZStW 109, (1997), 103, 113; vgl. aber Hoyer JZ 1994, 233, 238, der deshalb in Abgrenzung zum strafbefreienden Rücktritt darauf abstellen will, ob die Gesamtmenge des ungetilgten Präventionsbedarfs innerhalb der Rechtsordnung verringert wurde. 335  Hauer: Geständnis und Absprache, S. 88. 336  Vgl. BT-Drucks. 17 / 9695, S. 6; Dann CCZ 2010, 30, 31; Kinzig, in: Schönke /  Schröder: StGB, § 46b Rn. 4; Kaspar / Wengenroth GA 2010, 453, 467. 337  Vgl. dazu BT-Drucks. 17 / 9695, S. 6; BGHSt 43, 195, 209; Kaspar / Wengenroth GA 2010, 453, 467. 338  Anders Jeßberger: Kooperation und Strafzumessung, S. 89, der die spezialpräventive Konstitution des internen Kronzeugen für „besonders vielversprechend“ hält.



B. Vereinbarkeit mit dem Schuldprinzip221

2. Rechtfertigung aus Gründen der negativen Spezialprävention Eine mildere Bestrafung des Kronzeugen lässt in gewissem Umfang eine verminderte Abschreckungswirkung des Urteils im Sinne negativer Spezialprävention befürchten. Relativiert werden diese Bedenken allerdings aufgrund der Erkenntnisse kriminologischer Sanktionsforschung, wonach es für die präventive Wirksamkeit einer Bestrafung mehr auf das Entdeckungsrisiko und die Bestrafungswahrscheinlichkeit als auf die konkrete Sanktionshöhe im Einzelfall ankommen soll.339 Übertragen auf die Situation des Ermittlungsgehilfen ist demnach zu erwarten, dass auch bei Verurteilung zu einer nach § 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafe eine abschreckende Wirkung – soweit vorhanden – größtenteils erhalten bleibt. Anders sieht dies im Fall des vollständigen Absehens von Strafe aus, da der Täter hier nicht unter dem Eindruck eines ihm zugefügten Übels, sondern höchstens unter dem belastenden Eindruck eines gegen ihn durchgeführten Strafverfahrens steht. Gleichwohl stellt das Absehen von Strafe im Rahmen des § 46b StGB nicht den Regelfall dar. Zweifelsohne wird die läuternde Wirkung des Urteils beeinträchtigt, wenn bei einem Straftäter der Eindruck entsteht, er könne sich auch in Zukunft durch die Offenbarung relevanten Wissens freikaufen. Die Funktionsweise von § 46b StGB steht insoweit im Widerspruch zu einer Rechtsprechung, die das Abschreckungsmoment als Straferhöhungskriterium zulässt, wenn der Täter das Risiko seiner Entdeckung und Bestrafung gegen die Vorteile seiner Tat abzuwägen pflegt.340 Letztlich haben verschiedene Befragungen verurteilter Straftäter ergeben, dass an die individuelle Abschreckung durch Strafe ohnehin keine allzu großen Erwartungen gestellt werden dürfen.341 Nicht abstreiten lässt sich jedoch ein Verlust an negativ-spezialpräventiver Wirksamkeit im Sinne der Sicherung des Täters, wenn eine andernfalls zu verbüßende Freiheitsstrafe verkürzt oder vollständig von ihr abgesehen wird.342 3. Rechtfertigung aus Gründen der positiven Generalprävention Insbesondere der Aspekt der positiven Generalprävention hat in jüngerer Zeit enorm an Bedeutung gewonnen. Die Formulierung „Verteidigung der 339  Kaspar / Wengenroth GA 2010, 453, 467; zum kriminologischen Forschungsstand vgl. Meier: Strafrechtliche Sanktionen, S. 27 f. 340  Jeßberger: Kooperation und Strafzumessung, S. 90 (Fn. 41); vgl. BGHSt 28, 327; Horn, in: SK-StGB, § 46 Rn. 11. 341  Streng: Strafrechtliche Sanktionen, Rn. 61. 342  Kaspar / Wengenroth GA 2010, 453, 467.

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6. Teil: Vereinbarkeit mit strafprozessualen Prinzipien

Rechtsordnung“, die das StGB an verschiedenen Stellen verwendet (vgl. §§ 47 Abs. 1, 56 Abs. 3, 59 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StGB), wird allgemein als ein Hinweis auf den positiv-generalpräventiven Strafzweck interpretiert.343 Nach dem in der Lehre herrschenden sozialen Schuldverständnis kommt dem Schuldausgleich eine für die Rechtsordnung unverzichtbare Normbestätigungsfunktion zu.344 Durch die Bestrafung des Delinquenten soll der durch die einzelne Tat bewirkten Erschütterung des Rechtsvertrauens entgegengewirkt werden. So geht es bei der Bestrafung auch um den Ausgleich der Enttäuschung des wechselseitig erwarteten, normgetreuen Verhaltens.345 Eine Bekräftigung der verletzten Verhaltensnorm kann nur durch eine staatliche Reaktion gelingen, die von der Allgemeinheit als gerecht empfunden wird. Dies wiederum dürfte am ehesten auf eine Strafe zutreffen, bei der die Schuldproportionalität im Mittelpunkt steht.346 Bei Vorschriften, die eine schuldunterschreitende Bestrafung ermöglichen, können daher gerade die möglichen Folgen für das allgemeine Rechtsempfinden nicht unberücksichtigt bleiben. So besteht, soweit ihre prinzipielle Zulässigkeit anerkannt wird, weitgehend Einigkeit über die zentrale Voraussetzung jeder Schuldunterschreitung, nämlich dass das Rechtsbewusstsein und die Normbestätigungsbedürfnisse der Bevölkerung einer Unterschreitung des Schuldangemessenen nicht entgegen stehen dürfen.347 Die Honorierung der Ermittlungshilfe schadet jedoch dem Rechtsbewusstsein der Bevölkerung, da sie ihr Vertrauen in die Unverbrüchlichkeit des Rechts beeinträchtigt.348 Gerade bei Straftaten mit hohem Unrechtsund Schuldgehalt kann die drohende „Erosion der Normgeltung“349 ein generalpräventives Strafbedürfnis begründen. Dagegen ist der Allgemeinheit, aber auch individuellen Opfern und ihren Angehörigen die schuldunterschreitende Bestrafung von aufsehenerregenden Sexual- oder Gewaltde343  Vgl. BGHSt 24, 40, 44 ff.; 64, 66 f.; Schäfer / Sander / van Gemmeren: Praxis der Strafzumessung, Rn. 113. 344  Streng, in: NK-StGB, § 46 Rn. 20; ders., in: MüKo-StGB, § 20 Rn. 52  ff.; Lenckner / Perron, in: Schönke  /  Schröder: StGB, § 20 Rn. 26; Radtke, in: MüKoStGB, Vorbem. § 38 Rn. 22. 345  Streng: Strafrechtliche Sanktionen, Rn. 21. 346  Meier: Strafrechtliche Sanktionen, S. 195. 347  Streng, in: NK-StGB, § 46 Rn. 48; vgl. Radtke, in: MüKo-StGB, Vorbem. §§ 38 Rn. 56; Baumann / Weber / Mitsch: Strafrecht AT, § 3 Rn 67; Gropp: Strafrecht AT, § 1 Rn 118; Stree / Kinzig, in: Schönke / Schröder: StGB, Vorbem. §§ 38 ff. Rn. 21; Meier: Strafrechtliche Sanktionen, S. 147. 348  Frank / Titz ZRP 2009, 137, 139; Roxin / Schünemann: StPO, § 14 Rn. 20; Dahs NJW 1995, 553, 557; Volk NJW 1996, 879, 881; Streng, in: NK-StGB, § 46b Rn. 5; Lammer ZRP 1989, 248, 252; Jeßberger: Kooperation und Strafzumessung, S. 91; Fezer, in: FS-Lenckner, S. 695 f.; a. A. Jaeger: Der Kronzeuge, S. 175 f. 349  Vgl. Radtke, in: MüKo-StGB, Vorbem. §§ 38 ff. Rn. 57.



B. Vereinbarkeit mit dem Schuldprinzip223

likten nur schwer zu vermitteln.350 Insbesondere der ursprüngliche Verzicht auf einen Konnex zwischen der Anlasstat und dem Gegenstand der Ermittlungshilfe ermöglicht Urteile, die in den Augen der Öffentlichkeit beinahe absurd erscheinen müssen. So kann zumindest theoretisch der wegen des schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes überführte Täter eine Strafmilderung erhalten, wenn er einen wesentlichen Beitrag zur Aufklärung eines ihm zufällig bekannt gewordenen Subventionsbetrugs leistet (vgl. § 100a Abs. 2 Nr. 1 lit. o StPO).351 Aber auch in den übrigen Fällen wird die Allgemeinverbindlichkeit der verletzten Verbotsnorm durch eine als zu milde wahrgenommene Bestrafung des Kronzeugen, der möglicherweise selbst schwerste Schuld auf sich geladen hat, zumindest in Frage gestellt. Allerdings kann ein Zusammenhang zwischen Anlass- und Bezugstat zur Vermeidung des Eindrucks beitragen, Straftäter könnten zur Verringerung ihrer Strafe wahllos jeden beliebigen Dritten denunzieren. Auch der Fall, dass die Bevölkerung eine Art Bewunderung für den Straftäter entwickelt, der erhebliche Gefahren aus seinem Umfeld auf sich nimmt, um andere Straftäter zu überführen,352 dürfte eher bei der Aufklärung mit der Anlass­ tat zusammenhängender Straftaten auftreten. Die Gewährung einer milderen Strafe dürfte umso eher auf Unverständnis stoßen, je weniger die Anlasstat in ihrer Schwere hinter dem Unrechtsgehalt der Bezugstat zurückbleibt oder diesen sogar übertrifft. Vor diesem Hintergrund spielt die Auswahl des Ermittlungsgehilfen für das Rechtsempfinden eine große Rolle, will man die Verfestigung des Eindrucks vermeiden, gerade die am tiefsten in das kriminelle Milieu verstrickten Verbrecher erhielten eine bevorzugte Behandlung („Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen“).353 § 46b StGB verzichtet jedoch auf das einschränkende Merkmal eines Unrechtsgefälles und verlangt sogar eine gewisse Mindestschwere der Anlasstat, woraus sich zum Teil Wertungswidersprüche mit dem Katalog tauglicher Bezugstaten ergeben. Gleichwohl enthält der Tatbestand des § 46b StGB auch notwendige Einschränkungen, die zur Vermeidung von mit dem Rechtsempfinden der Allgemeinheit schlicht unvereinbaren Urteilen beitragen.354 So können Mörder keine vollständige Straffreiheit erlangen, und auch die Möglichkeit einer nur dreijährigen Freiheitsstrafe, wie im Rahmen des KronzG, besteht für sie nicht 350  Siehe

hierzu die Stellungnahme des Bundesrates BT-Drucks. 16 / 6268, S. 18. nach Frank: Stellungnahme im Rechtsausschuss, S. 3. 352  Auf diese Möglichkeit weist Jeßberger: Kooperation und Strafzumessung, S. 90 hin. 353  Vgl. Dahs NJW 1995, 553, 557; Jeßberger: Kooperation und Strafzumessung, S. 92 (Fn. 48). 354  Vgl. Streng, in: NK-StGB, § 46b Rn. 4. 351  Beispiel

224

6. Teil: Vereinbarkeit mit strafprozessualen Prinzipien

mehr.355 Stattdessen wird für mit ausschließlich lebenslanger Freiheitsstrafe bedrohte Taten eine Mindestfreiheitsstrafe von zehn Jahren statuiert; darüber hinaus kommt ein Absehen von Strafe nur in Betracht bei ausschließlich mit zeitiger Freiheitsstrafe bedrohten Taten, die ohne die Milderung keine höhere Freiheitsstrafe als drei Jahre rechtfertigen würden. Der verunsichernden Wirkung der schuldunangemessenen Bestrafung steht der mit der Kronzeugenregelung verfolgte Zweck gegenüber. Das allgemeine Rechtsempfinden kann auch dann Schaden nehmen, wenn schwere oder schwerste Straftaten nicht aufgeklärt oder verhindert werden können. Sieht der Bürger jedoch, dass das Recht sich durchsetzt, stellt sich ein Vertrauensgewinn ein.356 Dieser Vertrauenseffekt wird gefördert, wenn infolge der Anwendung des § 46b StGB ansonsten praktisch nicht erreichbare Fahndungserfolge oder Verurteilungen erzielt werden. Die Gesetzesbegründung führt an, dass gerade bei den Straftaten im Katalog des § 100a Abs. 2 StPO tendenziell ein Ermittlungsdefizit zu beklagen sei.357 Betrachtet man die Belohnung des Ermittlungsgehilfen nicht isoliert, sondern stellt auf eine Gesamtbetrachtung ab, könnte man folglich zu dem Ergebnis gelangen, dass die Schädigung des Rechtsbewusstseins durch eine gleichzeitige Stärkung des Vertrauens in den staatlichen Strafverfolgungsapparat kompensiert wird.358 Gegen eine vollständige Kompensation spricht indes, dass die strafrechtliche Rechtsdurchsetzung stets selektiv erfolgt. Sie weist insbesondere dort Lücken auf, wo sich Täter nicht ermitteln lassen, bzw. wo Straftaten vollständig unentdeckt bleiben (sog. Dunkelfeld). Für die Normbestätigungsbedürfnisse der Gesellschaft macht es indes einen großen Unterschied, ob der staatliche Strafanspruch deshalb nicht durchgesetzt werden kann, weil sich der Täter einer Straftat trotz staatlicher Ermittlungsbemühungen nicht ausfindig machen lässt, oder auf die Bestrafung eines möglicherweise sogar geständigen Täters von Seiten des Staates bewusst verzichtet wird.359 Wenn der Staat erst mit überführten Straftätern paktieren muss und Kompromisse 355  Vgl. § 3 S. 2 KronzG, der für Straftaten nach §§ 211, 212 StGB zwar ein Absehen von Strafe ausschloss, aber eine Milderung bis zu einer Mindeststrafe von drei Jahren erlaubte. Vgl. ferner auch die vollständige Aufhebung dieser Einschränkung für Versuchstäter, Anstifter und Gehilfen in § 3 S. 3 KronzG. 356  Roxin, in: Schöch: Wiedergutmachung und Strafrecht, S. 48. 357  BT-Drucks. 16 / 6268, S.  2. 358  So Jeßberger: Kooperation und Strafzumessung, S. 92  f.; Hoyer JZ 1994, 233, 240; Schlüchter ZRP 1997, 65, 69; Kneba: Die Kronzeugenregelung, S. 134; Steinberg WuW 2006, 719, 723; Jaeger: Der Kronzeuge, S. 201; Koumbarakis: Die Kronzeugenregelung S. 173. 359  So auch Jeßberger: Kooperation und Strafzumessung, S.  91 (Fn.  46); Schlüchter ZRP 1997, 65, 69.



B. Vereinbarkeit mit dem Schuldprinzip225

bei deren Bestrafung eingeht, wirkt dies erst recht wie das Eingeständnis der Unfähigkeit zur anderweitigen Rechtsdurchsetzung.360 Aus diesem Grund genügt ein bloßes quantitatives Überwiegen nicht den Anforderungen der Generalprävention, vielmehr müssten bei einer Gegenüberstellung der aufgegebenen und der durchgesetzten Präventionsinteressen letztere ganz wesentlich überwiegen.361 Der Einwand, die mildere Bestrafung von Kronzeugen erhalte in bestimmten Deliktsbereichen von den Medien und der Allgemeinheit nur wenig Aufmerksamkeit und sei daher im öffentlichen Rechtsbewusstsein kaum präsent,362 ist jedenfalls hinsichtlich der deliktsübergreifenden Kronzeugenregelung in § 46b StGB nicht tragfähig. § 46b StGB sollte die Beweisführung vor allem in den medienwirksamen Bereichen des Terrorismus und der organisierten Kriminalität, einschließlich der schweren Wirtschaftskriminalität erleichtern.363 So tauchte im Zusammenhang mit einer von der auch als „Zwickauer Terrorzelle“ bekannten terroristischen Vereinigung „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) verübten Mordserie das Gerücht auf, eine mutmaßliche Tatbeteiligte werde nur dann eine Aussage machen, wenn sie eine mildere Strafe als Kronzeugin erhielte. Daraufhin wurde die Frage nach einer möglichen Anwendung des § 46b StGB nicht nur politisch, sondern auch in den Medien intensiv diskutiert.364 Umgekehrt verfügt die faktische Straflosigkeit für bestimmte Taten innerhalb des Dunkelfeldes naturgemäß über kaum Präsenz im Rechtsbewusstsein der Bevölkerung und ist daher auch weniger geeignet, den Rechtsfrieden zu stören.365 Kommt es jedoch zu einer offensichtlich schuldunangemessenen Bestrafung eines Kronzeugen, überwiegt in der Regel der „überwältigende 360  Generalbundesanwalt Buback bezeichnete das Kronzeugenmodell als „ganz unnötige Kapitulation des Rechtsstaates“, vgl. Schulte: Terrorismus und Anti-Terrorismus-Gesetzgebung, S. 166 (Fn. 1139). 361  Jeßberger: Kooperation und Strafzumessung, S. 93. 362  So zu § 31 BtMG Jaeger: Der Kronzeuge, S. 175 f.; kritisch Jeßberger: Kooperation und Strafzumessung, S. 91 (Fn. 46). 363  BT-Drucks. 16 / 6268, S.  1. 364  Generalbundesanwalt Harald Range antwortete in einer Sitzung des Innenausschusses auf Nachfrage eines Bundestagsabgeordneten, die Tatverdächtige sei vom Ermittlungsrichter „pflichtgemäß darauf hingewiesen worden, dass es diese Regelung gebe. Sein „Ziel“ sei es jedoch, „ohne Kronzeugenregelung auszukommen“. Er tue sich bei zehn Morden „jedenfalls heute furchtbar schwer, mit jemandem ernsthaft in Verhandlungen einzutreten“, siehe hierzu das Protokoll der 58. Sitzung des Innenausschusses des Deutschen Bundestages am 21.11.2011; vgl. auch die zum Teil reißerische Berichterstattung in den Boulevardmedien „Nazi-Terroristin Beate Z. – Kommt sie als Kronzeugin mit 10 Jahren davon?“ Bild.de, Artikel vom 13.11.2011. 365  Kaspar / Wengenroth GA 2010, 453, 470.

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6. Teil: Vereinbarkeit mit strafprozessualen Prinzipien

Eindruck des Abnormen“366 gegenüber dem positiven Eindruck der dadurch geförderten Präventionsinteressen – und zwar selbst dann, wenn infolge der Ermittlungshilfe der Täter einer Straftat von gleichwertigem Unrechts- und Schuldgehalt verurteilt werden konnte. Nach Roxin erschöpft sich der Gehalt der positiven Generalprävention nicht in einer Stärkung des Rechtsbewusstseins und der „Einübung der Normtreue“, sondern umfasst darüber hinaus die Wiederherstellung des durch den Delinquenten gestörten Rechtsfriedens (sog. Integrationspräven­ tion).367 Rechtsfriede kehrt ein, wenn der Straftäter so viel getan hat, dass sich das Rechtsbewusstsein beruhigt und der Konflikt mit dem Täter als erledigt angesehen wird.368 Ein Beispiel für funktionierende Integrationsprävention ist § 46a StGB: Obwohl seine Anwendung nach Ansicht von Teilen der Literatur ebenfalls zu einer Unterschreitung der schuldangemessenen Strafe führen soll,369 stoßen Schadenswiedergutmachung und Täter-OpferAusgleich auf breite Akzeptanz in der Bevölkerung.370 Dies wird vor allem dadurch begünstigt, dass beide Alternativen über eine unübersehbare pönale Komponente verfügen.371 § 46a StGB kanalisiert Strafbedürfnisse, indem er eine kontrollierte Abwicklung des Konflikts ermöglicht, dabei dem Täter jedoch nicht jede Form des Schadensausgleichs zugute kommen, sondern nur ein Verhalten genügen lässt, in dem zugleich ein Ausdruck der Übernahme von Verantwortung liegt.372 Durch eine Kronzeugenaussage wird der Konflikt mit der Rechtsordnung nicht beigelegt. Vielmehr entsteht ein neuer Konflikt, bzw. es wird der bestehende verschärft, wenn ein Straftäter zumindest ohne angemessene Bestrafung oder eine sonstige Form der Verantwortungsübernahme für die Folgen seiner Tat davonkommt. Es tritt allenfalls der beschriebene Vertrauensgewinn infolge verbesserter Strafverfolgung, jedoch gerade kein Befriedungseffekt ein. Die schuldunangemessene Bestrafung des Kronzeugen steht demnach tendenziell dem Anliegen der positiven Generalprävention entgegen.

366  Jeßberger:

Kooperation und Strafzumessung, S. 93. in: Schöch: Wiedergutmachung und Strafrecht, S. 48; vgl. auch Streng: Strafrechtliche Sanktionen, Rn. 24. 368  Roxin, in: Schöch: Wiedergutmachung und Strafrecht, S. 48. 369  So etwa Jescheck / Weigend AT, S. 896; zur Schuldrelevanz des § 46a StGB vgl. jedoch Streng, in: NK-StGB, § 46a Rn. 2 sowie oben 6. Teil B. II. 370  Vgl. Sessar: Wiedergutmachen oder strafen, S. 212 ff. 371  Streng, in: NK-StGB, § 46a Rn. 4. 372  BGHSt 48 142; BGH NStZ-RR 2003, 363; OLG Hamm NStZ-RR 2009, 273; von Heintschel-Heinegg, in: BeckOK-StGB, § 46a Rn. 1; Stree / Kinzig, in: Schönke / Schröder: StGB, § 46a Rn. 2. 367  Roxin,



B. Vereinbarkeit mit dem Schuldprinzip227

4. Rechtfertigung aus Gründen der negativen Generalprävention Etwas plausibler erscheint die Erklärung der schuldunangemessenen Bestrafung des Kronzeugen aus Gründen der negativen Generalprävention. Der negativen Generalprävention im Sinne der allgemeinen Abschreckung potenzieller Straftäter kommt heute nur noch eine untergeordnete Bedeutung zu. Als Strafschärfungsgrund wird sie in der Literatur nicht zuletzt wegen erheblicher Zweifel an ihrer Wirksamkeit nahezu einhellig abgelehnt.373 In der ständigen Rechtsprechung des BGH ist die Verhängung einer höheren Strafe zu Abschreckungszwecken grundsätzlich anerkannt, wenngleich nur unter engen Voraussetzungen.374 Verlangt wird im Regelfall ein besonderes Abschreckungsbedürfnis, das heißt die Feststellung einer gemeinschaftsgefährlichen Zunahme solcher oder ähnlicher Straftaten, wie sie im konkreten Fall zur Aburteilung stehen.375 Als Grundlage einer Strafmilderung, wie im Rahmen des Kronzeugenmodells, stößt die Berücksichtigung negativ-generalpräventiver Belange auf weniger starke Bedenken.376 An der grundsätzlichen Skepsis hinsichtlich der Wirksamkeit der Abschreckungsprävention ändert dies allerdings nichts. Ein tiefgreifender Verlust negativ-generalpräventiver Wirksamkeit der Verurteilung ist infolge einer Strafrahmenverschiebung gem. § 46b StGB i. V. m. § 49 StGB nicht zu erwarten.377 Wie bereits aus spezialpräventiver Sicht dargelegt kommt weniger der Sanktionshöhe als vielmehr der Entdeckungs- und Sanktionswahrscheinlichkeit eine entscheidende Bedeutung zu. Insoweit könnte die Kronzeugenregelung im Gegenteil zur Erhöhung der generalpräventiven Abschreckungswirkung beitragen; denn indem ein breit wirkender Anreiz für Wissensoffenbarungen geschaffen wird, könnte sich das Entdeckungsrisiko für potenzielle Straftäter spürbar erhöhen. Hierdurch würde das von tatgeneigten Personen ausgehende Gefährdungspotenzial reduziert; möglicherweise könnten diese sogar vollständig von kriminellen Handlungen abgehalten werden.378 Hieraus wiederum ergäbe sich dann 373  Vgl. Schäfer / Sander / van Gemmeren: Praxis der Strafzumessung, Rn. 447; Joecks, in: MüKo-StGB, Einleitung Rn. 67; Streng, in: NK-StGB, § 46 Rn. 42; ­Jescheck / Weigend: Strafrecht AT, S. 882; vgl. auch BVerfGE 45, 187, 225 f. 374  Vgl. BGHSt 20, 264, 267; BGHSt 28, 318, 326; BGH StV 1983, 14; BGH NStZ 1995, 77 f. 375  BGH wistra 2002, 260, 261; BGH NStZ-RR 2004, 105 f.; BGH StV 2005, 387 f.; BGH StV 2007, 634 f.; BGH StraFo 2008, 336; BGH NStZ 2008, 308, 309. 376  Jeßberger: Kooperation und Strafzumessung, S. 94. 377  Anders zu § 31 BtMG Jaeger: Der Kronzeuge, S. 143 f. 378  BT-Drucks. 16 / 628, S.  11; Kaspas / Wengenroth GA 2010, 453, 469; Jeßberger: Kooperation und Strafzumessung, S. 95; Koumbarakis: Die Kronzeugenrege-

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6. Teil: Vereinbarkeit mit strafprozessualen Prinzipien

mittelbar eine verbesserte Abschreckungsprävention durch hohe Strafen, wenn mithilfe der Kronzeugenangaben Täter ihrer Bestrafung zugeführt werden könnten.379 Diese vage Hoffnung380 erstreckt sich vor allem auf Bereiche der abgeschotteten Kriminalität, namentlich des Terrorismus im weitesten Sinne sowie der organisierten Kriminalität einschließlich der schweren Wirtschaftskriminalität.381 Jedoch muss insbesondere bezweifelt werden, ob sich politisch motivierte Überzeugungstäter tatsächlich durch ein erhöhtes Denunziationsrisiko von ihrem Vorhaben abbringen lassen.382 Die von einer allgemeinen Kronzeugenregelung ausgehende Gefahr eines Verrats könnte Drahtzieher und Hintermänner dazu anspornen, dem Entdeckungsrisiko eine entsprechende Einschüchterungsstrategie entgegenzusetzen, um einen hinreichenden Loyalitätsdruck zu erzeugen.383 Anfeindungen und Bedrohungen durch ehemalige Komplizen dürften weniger von der Begehung weiterer Straftaten als vielmehr von einer Aussage als Kronzeuge abschrecken.384 Vor allem aber ergaben verschiedene kriminologische Untersuchungen, dass sich der generalpräventive Einfluss des Entdeckungsrisikos – wenn überhaupt – nur bei Bagatelldelikten (wie z. B. dem Ladendiebstahl, der Leistungserschleichung, der einfachen Körperverletzung oder dem Fahren ohne Fahrerlaubnis) bemerkbar macht, sich jedoch bei den übrigen Deliktsgruppen als Erklärungsfaktor für unterschiedliche Tathäufigkeiten als irrelevant erweist.385 Das ist insofern problematisch, als eine Erhöhung des Entdeckungsrisikos durch § 46b StGB ausschließlich bei den „schweren“ Taten aus dem Katalog des § 100a Abs. 2 StPO in Betracht kommt. Obwohl der Gedanke zunächst plausibel scheint, ist letztlich höchst unsicher, ob sich potenzielle Täter schwerer und schwerster Straftaten als unmittelbare oder mittelbare Folge der milderen Bestrafung des Kronzeugen tatsächlich von ihrem Vorhaben abbringen lassen.

lung, S. 168; Kneba: Die Kronzeugenregelung, S. 135; Schlüchter ZRP 1997, 65, 68; skeptisch Frank / Titz ZRP 2009, 137, 138. 379  Jeßberger: Kooperation und Strafzumessung, S. 95. 380  Mangels empirischer Nachweise besteht keine Gewissheit über die abschreckende Wirkung erhöhter Denunziationsgefahr, vgl. Frank / Titz ZRP 2009, 137, 138. 381  Kaspar / Wengenroth GA 2010, 453, 469; vgl. BT-Drucks. 16 / 6268, S. 11. 382  Amelung / Hassemer / Rudolphi / Scheerer StV 1989, 72, 80; Lammer JZ 1992, 510 f.; Kunert / Bernsmann NStZ 1989, 449, 457; vgl. hierzu auch 6. Teil A. I. 4. a). 383  Denny ZStW 103 (1991), 269, 278 f. 384  Vgl. aber Kaspar / Wengenroth GA 2010, 453, 468. 385  Siehe hierzu Villmow, in: NK-StGB, Vorbem. §  38  ff. Rn. 79; vgl. auch Schöch, in: Frank / Harrer: Der Sachverständige im Strafrecht, S. 101.



B. Vereinbarkeit mit dem Schuldprinzip229

V. Ergebnis Aus der Ermittlungshilfe kann keine verminderte Tatschuld abgeleitet werden. Stattdessen erweist sich die Kronzeugenhandlung als schuldirrelevant. Durch eine Anwendung des § 46b StGB kann es daher zu einer erheblichen Unterschreitung der schuldangemessenen Strafe kommen. Der Verfassung kann ein Verbot von Schuldunterschreitungen nicht entnommen werden. Jedoch verlangt das ebenfalls verfassungsrechtlich verbürgte Gebot des sinnvollen Strafens eine Rechtfertigung der milderen Sanktionierung des Kronzeugen anhand der anerkannten Strafzwecke. Eine Rechtfertigung der schuld­ unangemessenen Bestrafung des Kronzeugen kommt somit nur unter präventiven Gesichtspunkten in Betracht. Spezialpräventive Gründe sprechen in der Regel nicht für die Privilegierung des Kronzeugen. Dass er die strafrechtliche Inanspruchnahme eines Dritten ermöglicht, hat auf sein individuelles Strafbedürfnis grundsätzlich keinen Einfluss. Anders als der Täter-Opfer-Ausgleich schlägt § 46b StGB keine „tragfähige Brücke“386 zwischen dem Einstehenmüssen für verschuldetes Unrecht und dem Resozialisierungsgedanken. Auch generalpräventive Gründe lassen sich für die Privilegierung nur mit Einschränkungen anführen. So findet die Hoffnung, § 46b StGB werde abschreckende Wirkung für potenzielle Straftäter entfalten, keine Stütze in den Ergebnissen der Präventionsforschung. Langfristig gesehen könnte eine spürbar verbesserte Rechtsdurchsetzung in bestimmten Deliktsbereichen eine Stärkung des Vertrauens in den staatlichen Strafverfolgungsapparat bewirken. Diesem Vertrauensgewinn steht jedoch ein Vertrauensverlust gegenüber, wenn eine als zu milde wahrgenommene Bestrafung oder vollständige Nichtbestrafung des Kronzeugen das Rechtsbewusstsein der Bevölkerung stört. Zur Wiederherstellung des Rechtsfriedens kann § 46b StGB keinen Beitrag leisten, da die Aussage als Kronzeuge regelmäßig aus eigennützigen Motiven erfolgt und daher weder eine Übernahme von Verantwortung erkennen lässt noch über eine offensichtliche pönale Komponente verfügt. Wägt man nun die aufgegebenen und durchgesetzten Präventionsinteressen gegeneinander ab, sprechen mehr Indizien gegen die Vereinbarkeit mit dem Schuldprinzip. Eine schuldunterschreitende Bestrafung müsste stets auf besondere Gründe zurückgeführt werden können, die dem allgemeinen Rechtsbewusstsein den Verzicht auf die volle Strafhöhe angemessen erscheinen lassen.387 Jedenfalls in ihrer ursprünglichen Fassung schadet die allgemeine Kronzeugenregelung dem Rechtsbewusstsein unter dem Strich jedoch mehr, als sie ihm nützt. Der verunsichernde Eindruck einer als unangemessen empfundenen Bestrafung ist ungemein höher als der zu erwartende 386  Vgl.

zum Täter-Opfer-Ausgleich Streng, in: NK-StGB, § 46a Rn. 2. in: Schönke / Schröder: StGB, § 46 Rn. 21.

387  Stree / Kinzig,

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6. Teil: Vereinbarkeit mit strafprozessualen Prinzipien

Abschreckungs- und Vertrauensgewinn. Somit untergräbt § 46b StGB unverzichtbare Normbestätigungsbedürfnisse, indem er das Gebot der schuldangemessenen Bestrafung verletzt,388 ohne dass sich hierfür hinreichende präventive Gründe finden lassen. Damit könnte allerdings der Einschränkung des § 46b StGB durch ein Konnexitätserfordernis eine entscheidende Bedeutung zukommen. Zwar lässt sich auch hiermit keine Schuldrelevanz der Kronzeugenhandlung begründen, jedoch wird bei bestehendem Konnex der Grund für den Strafnachlass in der Regel plausibler erscheinen und somit die Allgemeinverbindlichkeit der verletzten Strafrechtsnorm weitaus weniger in Frage gestellt. Gleichzeitig steigt immerhin die Wahrscheinlichkeit, dass der Täter weiteren Straftaten ablehnend gegenüber steht oder nicht mehr in sein kriminelles Umfeld zurückkehren kann. Die Nachteile einer allgemeinen Kronzeugenregelung werden durch eine entsprechende Modifizierung der Anwendungsvoraussetzungen abgemildert, ohne dass es zu einer erheblichen Einbuße bei den versprochenen Vorteilen kommen dürfte. Die Einführung eines Konnexitätserfordernisses ist daher ein „erster Schritt“389 zur Stärkung des Gerechtigkeitsempfindens und des Vertrauens in den Rechtsstaat und damit ein Schritt in die richtige Richtung. Im Übrigen hat das Gericht Schuldunterschreitungen nach Möglichkeit zu vermeiden. Der drohende Vertrauensverlust für die Rechtsordnung muss bei der Strafzumessung sorgfältig abgewogen werden und dort zu entsprechend vorsichtigen Strafnachlässen führen.390 Während jedoch z. B. im Bereich des Betäubungsmittelstrafrechts vergleichsweise große Spielräume zur Verfügung stehen, da sich die Strafen ohnehin meist an der Obergrenze des Schuldrahmens orientieren, trifft dies auf andere Deliktsbereiche nicht immer zu.391

C. Vereinbarkeit mit dem Grundsatz der Wahrheitsermittlung I. Wahrheit als Voraussetzung von Gerechtigkeit Die Erforschung der materiellen Wahrheit ist ein zentrales Anliegen und beherrschendes Prinzip des deutschen Strafverfahrens.392 Über der Wahrauch Streng, in: NK-StGB, § 46b Rn. 5; Vogel GA 2011, 520, 530. treffend die Presseerklärung des Bundesjustizministeriums vom 28.3.2012 zum Entwurf des Gesetzes zur Einschränkung der Kronzeugenregelung. 390  Vgl. Hoyer JZ 1994, 233, 240. 391  Streng, in: NK-StGB, § 46b Rn. 5. 392  BVerfGE 57, 250, 275; Malek StV 2011, 559; Eisenberg: Beweisrecht der StPO, Rn. 1. 388  So 389  So



C. Vereinbarkeit mit dem Grundsatz der Wahrheitsermittlung 231

heitssuche steht das Ziel der Herbeiführung einer gerechten Entscheidung.393 Gerecht ist die Entscheidung in einem positivistischen Sinne jedoch nur, wenn sie materiell-rechtlich richtig ist; Wahrheit ist Voraussetzung von Gerechtigkeit.394 Das Streben nach einer bestmöglichen Ergründung der tatsächlichen Umstände dient somit der lückenlosen Durchsetzung des staat­ lichen Strafanspruchs und der Verwirklichung des materiellen Schuldprinzips.395 Erst vor diesem Hintergrund lassen sich die mit der Wahrheitsermittlung gegebenenfalls verbundenen Eingriffe in die Interessen des Bürgers rechtfertigen.396 Gleichzeitig gilt es Fehlurteile zu vermeiden. Zur Grund­ voraussetzung eines unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten einwandfreien Strafverfahrens gehört daher, dass jede Form der Strafverfolgung und strafrechtlichen Verurteilung auf einer wahren tatsächlichen Grundlage beruht.397 Die hierfür notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen, ist Aufgabe des Gesetzgebers. Eine Verfahrensgestaltung, die der Ermittlung der Wahrheit und damit einem gerechten Urteil entgegensteht, verletzt hingegen den Anspruch des Angeklagten auf ein faires Verfahren aus Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 20 Abs. 3 GG.398 Zur Erforschung der Wahrheit sind das Gericht und die Staatsanwaltschaft gleichermaßen verpflichtet.399 Das (Zwischen-)Ziel der Aufklärung des tatsächlichen Sachverhalts ist als Grundsatz bei der Handhabung sämtlicher Verfahrensvorschriften zu berücksichtigen.400 Der Grundsatz der Wahrheitsermittlung gilt indes nicht absolut.401 So wird die Erforschung der Wahrheit in tatsächlicher Hinsicht dadurch relativiert, dass die Justiz gezwungen ist, trotz hoher Arbeitsbelastung in einem limitierten Zeitraum zu einer abschließenden Entscheidung zu gelangen.402 Darüber hinaus können Tatbeteiligte und Zeugen niemals tatsächliche Vorgänge, sondern stets nur den Gegenstand ihrer eigenen, möglicherweise verzerrten Wahrnehmung wiedergeben.403 Geistige Einstellungen werden 393  Neumann

ZStW 101 (1989), 52. ZStW 101 (1989), 52; vgl. Malek StV 2011, 559, 560; Beulke: Strafprozessrecht, Rn. 3. 395  BVerfGE 57, 250, 275; BVerfG NStZ 1987, 419; Eisenberg: Beweisrecht der StPO, Rn. 2. 396  Malek StV 2011, 559, 560. 397  Eisenberg: Beweisrecht der StPO, Rn. 2. 398  BVerfGE 57, 250, 275; 77, 65, 77. 399  BVerfG NStZ 1987, 419; vgl. § 244 Abs. 2 StPO sowie § 160 Abs. 1 und 2 StPO. 400  BGHSt 32, 115, 122. 401  Siehe zum Folgenden Ostendorf: Strafprozessrecht, Rn.  14  ff.; vgl. auch Spendel NJW 1966, 1103. 402  Ostendorf: Strafprozessrecht, Rn. 14. 403  BGHSt 32, 115, 122; Ostendorf: Strafprozessrecht, Rn. 16; vgl. Eisenberg: Beweisrecht der StPO, Rn. 1365 ff. 394  Neumann

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6. Teil: Vereinbarkeit mit strafprozessualen Prinzipien

schablonenartig auf die Begriffe „Fahrlässigkeit“ und „Vorsatz“ reduziert und können meist nur indiziell nachgewiesen werden.404 Schwierigkeiten bereitet auch die Erstellung zukunftsgerichteter Prognosen.405 Schließlich müssen bestimmte rechtsstaatliche Grenzen eingehalten werden. Es gibt keine Wahrheitsermittlung „um jeden Preis“.406 So verbietet etwa § 136a StPO bestimmte Vernehmungsmethoden, die gegen die Unantastbarkeit der Menschenwürde verstoßen oder das Persönlichkeitsrecht des Beschuldigten unverhältnismäßig beeinträchtigen.407 In bestimmten Ausnahmefällen hat die Erforschung der Wahrheit zur Herbeiführung der materiell-rechtlich richtigen Entscheidung aus Gründen der Verfahrensgerechtigkeit vollständig zu unterbleiben, wenn etwa aufgrund gravierender Verstöße gegen rechtsstaatliche Verfahrensgrundsätze ein Prozesshindernis angenommen werden muss.408 Das Ergebnis des Strafverfahrens kann somit niemals ein exaktes Abbild der materiellen Wahrheit, sondern letztlich nur eine prozessuale Wahrheit sein.409 Es muss im Verfahren folglich darum gehen, die gerechte, nach rechtsstaatlichen Grundsätzen beweisbare Entscheidung zu treffen.410 Mit dem Prinzip der materiellen Wahrheit könnte § 46b StGB unter zwei Gesichtspunkten in Konflikt geraten: Ein gerechtes Urteil gegen den Kronzeugen setzt die Erforschung des zugrundeliegenden Sachverhalts voraus. Insoweit gilt jedoch die Besonderheit, dass nicht nur dessen eigenes Verhalten, sondern zusätzlich auch das von ihm offenbarte Wissen hinsichtlich einer fremden Straftat auf seinen Wahrheitsgehalt überprüft werden muss. Der Prozess der Wahrheitsfindung gewinnt infolgedessen an Umfang und Komplexität. Somit stellt sich die Frage, ob und inwieweit das Gericht seiner Aufklärungspflicht überhaupt noch in vollem Umfang und in angemessener Zeit nachkommen kann. Darüber hinaus können Probleme entstehen, wenn der Kronzeuge als Beweismittel im Verfahren gegen den belasteten Dritten dient. Der Zeugenbeweis ist eines der wichtigsten Beweismittel, das die StPO zur Wahrheitserforschung zur Verfügung stellt.411 Gleichzeitig ist es jedoch besonders 404  Ostendorf:

Strafprozessrecht, Rn. 17. Strafprozessrecht, Rn. 18. 406  BGHSt 14, 358, 365; 31, 304, 309; vgl. Ostendorf. Strafprozessrecht, Rn. 19. 407  Vgl. Eisenberg: Beweisrecht der StPO, Rn. 329 ff. 408  Etwa bei rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung, siehe hierzu Roxin: Die Rechtsfolgen schwerwiegender Rechtsstaatsverstöße, S. 230 ff.; BVerfG NStZ 1984, 128 (in „extrem gelagerten Fällen“); NJW 2006, 2684, 2686; BGHSt 46, 159 ff.; StV 2008, 299; OLG Rostock StV 2011, 220; vgl. Neumann ZStW 101 (1989), 52, 74. 409  BVerfG NStZ 1987, 419, 420. 410  Ostendorf: Strafprozessrecht, Rn. 15. 411  BGHSt 32, 115, 122. 405  Ostendorf:



C. Vereinbarkeit mit dem Grundsatz der Wahrheitsermittlung 233

fehleranfällig. Anders als beim Sachbeweis und stärker als beim Sachverständigen hängt seine Zuverlässigkeit von Umständen ab, die in dem Beweismittel selbst begründet sind, namentlich seiner Persönlichkeit, seinem Lebenslauf, seinem Charakter und seinen Beweggründen.412 Mit der Auslobung einer Vergünstigung wird jedoch nicht nur ein Anreiz für Wissens­ offenbarungen geschaffen, sondern auch ein möglicher Beweggrund, dem Gericht oder den Behörden bewusst falsche Informationen zu liefern. Im schlimmsten Fall droht daher nicht nur eine ungerechtfertigte Belohnung des Kronzeugen, sondern auch ein im materiellen Sinne ungerechtes Urteil gegen den belasteten Dritten.

II. Verkürzung des Amtsaufklärungsgrundsatzes Die Anwendung der Kronzeugenregelung des § 46b StGB kann in der Praxis zu Spannungen mit dem Amtsaufklärungsgrundsatz des § 244 Abs. 2 StPO führen.413 Dieser Grundsatz, der in einem engen Funktionszusammenhang mit dem Prozessziel der Wahrheitsermittlung steht, begründet für alle Prozessbeteiligten einen unabdingbaren Anspruch darauf, dass das Gericht die Beweisaufnahme auf all diejenigen Tatsachen und Beweismittel erstreckt, die für die Entscheidung von Bedeutung sein könnten.414 Es muss „alle nicht von vornherein aussichtslosen Schritte unternehmen, um zu einer möglichst zuverlässigen Beweisgrundlage zu gelangen“.415 Vorher darf es weder den Zweifelssatz anwenden, noch eine Wahlfeststellung treffen.416 Von mehreren Möglichkeiten des Beweises muss diejenige ausgewählt werden, welche die bestmögliche Nähe zu den Tatsachen verspricht.417 Erst bei deren Unerreichbarkeit darf der Rückgriff auf ein weniger sachnahes Beweismittel erfolgen.418 Die Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung dient ausdrücklich „zur Erforschung der Wahrheit“, wenngleich der Anspruch objektiver Wahrheitsermittlung mit § 261 StPO auf die subjektive Gewissheit des Richters reduziert wird.419 Tatsachen, die für die Schuld- und Rechtsfolgenfrage bedeutsam sind, hat das Gericht im Strengbeweisverfahren (§§ 244 bis 257 StPO) festzustellen.420 Für das Vorliegen von Prozess412  Siehe

BGHSt 32, 115, 122. in: SK-StGB, § 46b Rn. 18; Mushoff KritV 2007, 366, 373. 414  BGH NJW 1984, 247; Pfeiffer: StPO, § 244 Rn. 8. 415  BGH NJW 1980, 464; NJW 1983, 1005; NJW 1980, 2088. 416  BGHSt 13, 326; Pfeiffer: StPO, § 244 Rn. 9. 417  BVerfG 57, 250, 275; Pfeiffer: StPO, § 244 Rn. 12. 418  BGH NStZ 2004, 50. 419  Ostendorf: Strafprozessrecht, Rn. 10. 420  Pfeiffer: StPO, § 244 Rn. 4. 413  Wolters,

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6. Teil: Vereinbarkeit mit strafprozessualen Prinzipien

voraussetzungen und sonstigen prozesserheblichen Tatsachen gilt hingegen das Freibeweisverfahren.421 § 46b StGB verlangt in der Aufklärungsalternative des Abs. 1 S. 1 Nr. 1 die Leistung eines wesentlichen Beitrages zur Aufdeckung einer Straftat aus dem Katalog des § 100a Abs. 2 StPO. Ein solcher Aufklärungserfolg setzt eigentlich schon begrifflich voraus, dass die belastenden Angaben des Kronzeugen wahr sind.422 Folglich kann eine Strafrahmenverschiebung oder ein Absehen von Strafe nach § 46b StGB nur in Betracht kommen, wenn das Gericht von der Richtigkeit der Angaben überzeugt ist. Im Hinblick auf die Überprüfung des Wahrheitsgehalts der Angaben des Kronzeugen beschreibt Fezer423 jedoch ein unvermeidbares Dilemma jeder Kronzeugenregelung: Da die Frage nach dem Vorliegen eines Aufklärungserfolges im Rahmen der Strafzumessung von besonderer Relevanz ist, müsste der Tatrichter in der Hauptverhandlung konsequenterweise die Richtigkeit der Angaben im Strengbeweisverfahren erforschen.424 Hierdurch käme es jedoch in vielen Fällen zu praktischen Schwierigkeiten, da das Verfahren gegen den Kronzeugen in eine starke wechselseitige Abhängigkeit mit dem Verfahren gegen den oder die von ihm belasteten Dritten geriete.425 Das erkennende Gericht müsste im Verfahren gegen den Kronzeugen inzident sämtliche Angaben bezüglich der aufzuklärenden Tat in einer Beweisaufnahme überprüfen, auch wenn es sich hierbei um einen vollkommen anderen Lebenssachverhalt handelt. Dieser Mehraufwand hätte wiederum eine erhebliche Verlängerung der Verfahrensdauer zur Folge426 und stünde damit im krassen Widerspruch zur Intention des Gesetzgebers, mit Hilfe der Kronzeugenregelung eine „schnellere Aufklärung der Tat“ zu ermöglichen und „weitere aufwändige Ermittlungen entbehrlich“ zu machen.427 Zur Vermeidung wechselseitiger Verfahrensabhängigkeit wurde die Formulierung „aufgedeckt werden konnte“ von der Rechtsprechung bereits im Rahmen von § 31 BtMG sehr weit ausgelegt. Für einen tatsächlich eingetretenen Aufklärungserfolg genügt es demnach, wenn zur Überzeugung des Gerichts bestimmte Personen einer Katalogtat hinreichend verdächtig sind NStZ 1999, 259; Pfeiffer: StPO, § 244 Rn. 4. StV 1983, 63; StV 1987, 345. 423  Fezer, in: FS-Lenckner S. 681 ff. 424  Wolters, in: SK-StGB, § 46b Rn. 18; Mushoff KritV 2007, 366, 373; vgl. Eisenberg: Beweisrecht der StPO, Rn. 35. 425  Fezer, in: FS-Lenckner, S. 685 f., 691. 426  Hassemer StV 1986, 550, 552; Amelung / Hassemer / Rudolphi / Scheerer StV 1989, 72, 80; Mushoff KritV 2007, 366, 373; Wolters, in: SK-StGB, § 46b Rn. 18. 427  BT-Drucks. 16 / 6268, S. 9; vgl. Wolters, in: SK-StGB, § 46b Rn. 18; Mushoff KritV 2007, 366, 373. 421  BGH 422  BGH



C. Vereinbarkeit mit dem Grundsatz der Wahrheitsermittlung 235

und die Angaben des Kronzeugen die Voraussetzungen für die voraussichtlich erfolgreiche Durchführung eines Strafverfahrens geschaffen haben.428 Der Stand des Verfahrens gegen den Belasteten spielt somit grundsätzlich keine Rolle. Auch wenn damit praktisch doch nur eine konkrete Eignung zur Aufklärung verlangt wird, setzt diese weiterhin die Wahrheit der Angaben voraus.429 Um die Anwendung der Kronzeugenregelung entsprechend ihrer beschleunigenden Zielsetzung zu ermöglichen, gestattet die Rechtsprechung dem Tatrichter, seine Überzeugungsbildung über das Vorliegen des Aufklärungserfolges i. S. d. § 31 BtMG unter Außerachtlassung des Strengbeweisverfahrens auf eine reduzierte Beweisgrundlage zu stützen.430 Zwar darf das Gericht an der Richtigkeit der Angaben keine Zweifel haben, jedoch soll es aus pragmatischen Gründen darauf verzichten können, an sich mögliche ergänzende Beweiserhebungen in der Hauptverhandlung selbst vorzunehmen.431 Der Tatrichter soll der Aussage des Angeklagten ohne Absicherung Glauben schenken dürfen, auch wenn keine weiteren Beweismittel vorliegen oder diese jedenfalls für eine Verwendung in der Hauptverhandlung nicht zur Verfügung stehen.432 Hiervon kann der Angeklagte z. B. in der Konstellation profitieren, dass die Ermittlungsbehörden eine Überprüfung der Angaben vornehmen wollten bzw. sollten, sie dann jedoch nicht rechtzeitig oder nicht mit der gebotenen Sorgfalt durchgeführt haben.433 Andererseits ist das Gericht nicht verpflichtet, den Angaben des Angeklagten nachzugehen, um einen Aufklärungserfolg selbst herbeizuführen. Auch braucht es nicht abzuwarten, bis andere Stellen die entsprechenden Ermittlungen durchgeführt haben.434 Liegen derartige Ermittlungen bis zum Ende der Hauptverhandlung nicht vor, muss es die Voraussetzungen der Kronzeugenregelung nicht bejahen, darf dies jedoch tun, falls es an den Angaben des Angeklagten keine Zweifel hat.435 Überprüft das Gericht hingegen, ob aufgrund rechtzeitiger Angaben ein Aufklärungserfolg bereits eingetreten ist, erfolgt dies in der Regel durch pauschale Bezugnahme auf fremde, überwiegend polizeiliche Ermittlungsergebnisse.436 So wird die Frage, wel428  Vgl.

etwa BGH StV 1985, 14; NStZ 1989, 77. in: Körner: BtMG, § 31 Rn. 107. 430  Patzak, in: Körner: BtMG, § 31 Rn. 107; Fezer, in: FS-Lenckner, S. 688. 431  Patzak, in: Körner: BtMG, § 31 Rn. 107. 432  BGH NStZ 2003, 162; Wienroeder, in: Franke  /  Wienroeder: BtMG, § 31 Rn. 13. 433  Fezer, in: FS-Lenckner, S. 688. 434  BGH NJW 1993, 1086; StV 1994, 544; vgl. hierzu schon 2. Teil A. V. 1. c) cc). 435  Fezer, in: FS-Lenckner, S. 689. 436  Maier, in: MüKo-StGB, § 46b Rn. 89; Salditt StV 2009, 375, 377; Fezer, in: FS-Lenckner, S.  689 f. 429  Patzak,

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6. Teil: Vereinbarkeit mit strafprozessualen Prinzipien

che Angaben der Angeklagte gemacht hat und zu welchem Ergebnis deren Überprüfung führte, grundsätzlich durch Vernehmung eines Ermittlungsbeamten beantwortet.437 Auch darf sich das Gericht auf den ihm vorliegenden Akteninhalt stützen, ohne die betreffenden Beweise im Strengbeweisverfahren selbst erheben zu müssen.438 Anstelle der Vornahme originärer Beweiserhebung tritt somit unter Umständen die bloße Übernahme des Inhalts fremder Erklärungen.439 Speziell im Hinblick auf § 46b StGB sprach sich der Gesetzgeber für eine Übernahme der zu § 31 BtMG entwickelten Rechtsprechung aus.440 Dabei sollte die Präklusionsbestimmung in § 46b Abs. 3 StGB verfahrensrechtliche Schwierigkeiten im Hinblick auf die Reichweite der Amtsaufklärungspflicht sowie den Umgang mit Beweisanträgen vermeiden.441 Diese könnten insbesondere dadurch entstehen, dass der Angeklagte sein Wissen aus prozesstatkischen Gründen bis zur Hauptverhandlung zurückhalte, um Verurteilungsrisiko und Nutzen einer Offenbarung besser abwägen zu können.442 Der zeitliche Ausschluss bezieht sich indes nur auf die Offenbarungshandlung, nicht auf die Frage der Tataufklärung. Bei genauer Betrachtung zeigt sich daher, dass Beweiserhebungen zum zwischenzeitlichen Eintritt des Aufklärungserfolges auf der Grundlage rechtzeitiger Angaben gerade nicht ausgeschlossen sind.443 Ferner hat das Gericht auch nachgeschobene Aufklärungs- oder Präventionshilfeleistungen im Rahmen der allgemeinen Strafzumessung zu berücksichtigen.444 Daneben erscheint zweifelhaft, ob es mit dem verfahrensbeschleunigenden Zweck der Regelung vereinbar wäre, die Eröffnung des Hauptverfahren so lange hinauszuzögern, bis eine Ausermittlung durch die Strafverfolgungsbehörden stattgefunden hat. Die Möglichkeit des Gerichts, bei Offenbarung ermittlungsrelevanter Tatsachen diese noch vor der Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens überprüfen zu lassen und gegebenenfalls die Akten an die Staatsanwaltschaft zurückzusenden, führt dann jedenfalls zu einer erheblichen Verzögerung des Verfahrens gegen den Kronzeugen selbst. Die „steuernde Wirkung“445 der Fristvorgabe führt schließlich zu einer bewussten Vorverlagerung der für die Strafzumessung bedeutsamen Aufklärungshilfe, weshalb sich das Gericht noch häufiger als bisher üblich auf den polizeilichen Vor437  Maier,

in: MüKo-StGB, § 46b Rn. 89. BtMG, § 31 Rn. 134. 439  Fezer, in: FS-Lenckner, S. 691. 440  BT-Drucks. 16 / 6268, S.  12; Wolters, in: SK-StGB, § 46b Rn. 18. 441  BT-Drucks. 16 / 6268, S.  14. 442  BT-Drucks. 16 / 6268, S.  20. 443  Fischer: StGB, § 46b Rn. 21; siehe hierzu bereits 2. Teil A. V. 1. c) cc). 444  Wolters, in: SK-StGB, § 46b Rn. 34. 445  BT-Drucks. 16 / 6268, S.  20. 438  Weber:



C. Vereinbarkeit mit dem Grundsatz der Wahrheitsermittlung 237

trag verlassen muss.446 Außerdem verschließt der Gesetzgeber der Strafverfolgung bewusst einen Teil möglicher Erkenntnisquellen.447 Grundsätzlich kennt das Strafverfahrensrecht keine Beweispräklusion und gestattet das Vorbringen günstiger Tatsachen bis zum letzten Wort.448 Gerade im Bereich der organisierten Kriminalität entsteht der Wunsch nach einer Zusammenarbeit mit den Strafverfolgungsbehörden häufig erst unter dem Eindruck der Hauptverhandlung.449 Vielen Beschuldigten bzw. deren Strafverteidigern erscheint eine frühzeitige Kooperation zu riskant, zumal ein verbindlicher „Deal“ in der Hauptverhandlung ein höheres Maß an Verhandlungssicherheit bietet.450 Der Konflikt zwischen der verfahrensbeschleunigenden Zielsetzung und der gerichtlichen Aufklärungspflicht bleibt somit ungelöst. In der Vernachlässigung erreichbarer Beweismittel unter Missachtung des Strengbeweisverfahrens liegt jedoch immer ein „Verzicht auf vollständige Aufklärung“.451 § 46b StGB führt daher in zahlreichen Fällen jedenfalls zu einer Verkürzung der Amtsaufklärungsgrundsatzes.452 Ein Vorwurf kann insoweit allerdings, wie schon Fezer abschließend feststellte, nicht der Rechtsprechung, sondern nur dem Gesetzgeber gemacht werden.453 In der Praxis stellt sich das Problem der Notwendigkeit inzidenter Ermittlungen zumeist dann, wenn das Verfahren gegen den Kronzeugen zuerst durchgeführt wird, sodass auf nur wenige Erkenntnisse zu der offenbarten Bezugstat zurückgegriffen werden kann. Ist das Verfahren gegen den Belasteten bereits abgeschlossen, hat dessen Verurteilung keinerlei Bindungswirkung für die Entscheidung des Gerichts im Verfahren gegen den Kronzeugen.454 Zur eigenen Überzeugungsbildung über das Vorliegen eines Aufklärungserfolges kann jedoch eine Verlesung des Urteils im Wege des Urkun446  Salditt

StV 2009, 375, 377. auch BT-Drucks. 16 / 6268, S. 19. 448  Montag: Protokoll der 133. Sitzung des Rechtsausschusses vom 25.3.2009, S. 34; vgl. aber zur sog. Fristenlösung BGH NStZ 2009, 169 ff.; BVerfG NJW 2010, 592 ff. 449  Kinzig, in: Schönke  /  Schröder: StGB, § 46b Rn. 20; vgl. auch BT-Drucks. 16 / 6268, S.  19; Mühlhoff / Pfeiffer ZRP 2000, 121, 126; Lange: Protokoll der 133. Sitzung des Rechtsausschusses vom 25.3.2009, S. 20. 450  König: Protokoll der 133. Sitzung des Rechtsausschusses vom 25.3.2009, S. 30; siehe dazu die Ergebnisse der Praktikerbefragung 7. Teil B. II. 4. b). 451  Fezer, in: FS-Lenckner, S. 697; vgl. auch Turner / Gallandi ZRP 1988, 117, 118; zum Unmittelbarkeitsgrundsatz siehe 6. Teil D. 452  Vgl. zur Verständigung Heller: Das Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren, S. 57 ff. 453  Fezer, in: FS-Lenckner, S. 697. 454  BGH NStZ 2009, 394; von Heintschel-Heinegg, in: Beck-OK-StGB, § 46b Rn. 14. 447  Siehe

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6. Teil: Vereinbarkeit mit strafprozessualen Prinzipien

denbeweises in Betracht kommen.455 Ganz gleich in welcher Reihenfolge die getrennten Verfahren stattfinden, kann eine unvoreingenommene Beweiswürdigung schwierig sein, wenn sich das Gericht von einer Aussage überzeugen muss, der bereits ein anderes oder möglicherweise sogar dasselbe Gericht rechtskräftig Glauben geschenkt hat.456 Im Fall beidseitiger Tatbeteiligung ist daher ein gemeinsames Verfahren gegen den Kronzeugen und den Belasteten anzustreben, da der Nachweis der Tatbeteiligung dann möglicherweise zum unmittelbaren Nachweis der Richtigkeit der Kronzeugenangaben führen kann.457

III. Spezifische Missbrauchsgefahr Spannungen mit dem Prozessziel der Wahrheitsermittlung ergeben sich vor allem dann, wenn ein Straftäter mit dem Ziel der Inanspruchnahme der Kronzeugenregelung vorsätzlich falsche Angaben macht. In Strafverfahren mit mehreren Beteiligten besteht immer die Gefahr falscher oder übertriebener Schuldzuweisungen, da regelmäßig jeder Mitbeschuldigte bestrebt sein wird, den eigenen Tatbeitrag nach Möglichkeit gering zu halten.458 Durch § 46b StGB wird jedoch ein Anreiz für Falschaussagen geschaffen, dessen Intensität über das allgemeine Risiko weit hinausgeht: Zum einen ist die Honorierung der Aufklärungs- und Präventionshilfe gem. § 46b StGB nicht auf Straftaten mit eigener Tatbeteiligung (Umkehrschluss aus § 46b Abs. 1 S. 3 StGB) oder einen bestimmten Deliktsbereich beschränkt. Zum anderen wird dem Kronzeugen ein ganz konkretes Ziel, nämlich eine Strafrahmenverschiebung oder sogar das Absehen von Strafe in Aussicht gestellt und nicht bloß die Berücksichtigung seiner Kooperationsbereitschaft innerhalb der gesetzlichen Strafrahmen.459 Und schließlich richtet sich § 46b StGB an Straftäter mit einer vergleichsweise hohen Straferwartung. Je höher aber die Straferwartung ist, umso verzweifelter wird der Beschuldigte alles versuchen, um die ihm drohende Strafe abzuwenden. Aufgrund des fehlenden Spielraums wird eine Falschaussage damit insbesondere im Bereich der absolut angedrohten lebenslangen Freiheitsstrafe interessant. In der Konstellation einer Kronzeugenaussage treffen strikt gegenläufige Interessen der Beteiligten aufeinander: das Aufklärungsinteresse des Staa455  Fezer,

in: FS-Lenckner, S. 692 f. Strafprozessrecht, Rn. 486. 457  Fezer, in: FS-Lenckner, S. 692. 458  Vgl. Peters: Fehlerquellen im Strafprozeß, Bd. II S. 38 ff.; Denny ZStW 103 (1991), 269, 302. 459  Dierlamm: Protokoll der 133. Sitzung des Rechtsausschusses vom 25.3.2009, S. 37. 456  Ostendorf:



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tes, das Interesse des Kronzeugen an einer milden Bestrafung und gegebenenfalls das Interesse eines vom Kronzeugen zu Unrecht belasteten Dritten, nicht dessen falschen Anschuldigungen ausgesetzt zu sein.460 Ein Anliegen jeder Kronzeugenregelung und der sie begleitenden Vorschriften muss daher sein, diese Interessen in ein Gleichgewicht zu bringen, welches „gleichzeitig die Effektivität und die Fairness der Regelung sicherstellt“.461 Das Bestehen der durch eine Kronzeugenregelung eröffneten „spezifischen Missbrauchsgefahr“ wird auch von Seiten des Gesetzgebers nicht bestritten.462 Um die Gefahr bewusst unwahrer Behauptungen so gering wie möglich zu halten, sieht das 43. StrÄndG daher zwei Schutzmechanismen vor. Zum einen soll anhand der Präklusionsbestimmung in § 46b Abs. 3 StGB die Überprüfung des Wahrheitsgehalts vor Gericht vereinfacht werden. Zum anderen soll eine Ausweitung und Anhebung der Strafandrohung in §§ 145d, 164 StGB diejenigen abschrecken, die eine Falschaussage in Erwägung ziehen. 1. Zeitlicher Ausschluss nach § 46b Abs. 3 StGB Hinsichtlich der Präklusionsbestimmung kann im Wesentlichen auf die Feststellungen im Abschnitt zur Vereinbarkeit von § 46b StGB mit dem Gleichheitssatz verwiesen werden.463 So lässt sich die Abgabe falscher Erklärungen zur Erlangung der vorteilhaften Rechtsfolgen durch § 46b Abs. 3 StGB wohl kaum verhindern, sondern führt nur zu einer Vorverlagerung des Offenbarungszeitpunktes. Dass sich der Beschuldigte wahrheitswidrige Behauptungen gründlicher überlegen werde, weil er ja wisse, dass den Ermittlungsbehörden mehr Zeit zur Überprüfung seiner Angaben zur Verfügung stehe als bei einer Offenbarung während der Hauptverhandlung,464 dürfte jedenfalls in einem Großteil der Fälle nicht der Realität entsprechen. Ebenso gut könnte der durch den Hinweis auf die drohende Präklusion entstandene Druck zu vorschnellen Handlungen führen. Die materielle Feststellungslast im Hinblick auf den Wahrheitsgehalt der Angaben trägt nach ständiger Rechtsprechung ohnehin der Kronzeuge; der Grundsatz in dubio pro reo kommt insoweit nicht zur Anwendung. Demnach wäre das Gericht auch ohne die Präklusionsbestimmung nicht gezwungen, die Anwendungsvoraussetzungen des § 46b StGB zu bejahen, obwohl ihm für eine Überprüfung der Angaben in der Hauptverhandlung zu wenig Zeit zur Verfügung 460  Jeßberger:

Stellungnahme im Rechtsausschuss am 7.11.2001, S. 5. Stellungnahme im Rechtsausschuss am 7.11.2001, S. 5. 462  BT-Drucks. 16 / 6268, S.  15. 463  Siehe hierzu oben 6. Teil A. II. 4. 464  So Peglau wistra 2009, 409, 413. 461  Jeßberger:

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6. Teil: Vereinbarkeit mit strafprozessualen Prinzipien

steht. Somit gibt es im Hinblick auf die Wahrheitsermittlung keine zwingenden Gründe, die für Notwendigkeit der Präklusion später Angaben sprechen.465 Vielmehr noch verschließt sich der ansonsten um Aufklärungsmaximierung bemühte Gesetzgeber durch die starre Regelung eine wichtige Erkenntnisquelle.466 § 46b Abs. 3 StGB verhindert gleichermaßen auch die Berücksichtigung wahrer Angaben, die in der Hauptverhandlung eigentlich ohne Probleme hätten überprüft werden können, und macht die Kooperation mit der Strafjustiz für viele Beschuldigte unattraktiv.467 2. Strafschärfende Ergänzung der §§ 145d, 164 StGB Durch Art. 1 Nr. 3 und Nr. 4 des 43. StrÄndG vom 29.07.2009 sind § 145d Abs. 3 und 4 sowie § 164 Abs. 3 StGB in das Strafgesetzbuch eingefügt worden. Die neuen Qualifikationstatbestände sollten dem „möglichen Missbrauch bei der Erlangung von Strafmilderung oder dem Absehen von Strafe durch bewusst unwahre Behauptungen in Bezug auf aufzuklärende oder zu verhindernde Straftaten […] auch mit den Mitteln der Strafbewehrung effektiver“ entgegen wirken.468 Zwar unterfielen viele der denkbaren Fallgestaltungen falscher Aussagen bereits den Straftatbeständen der §§ 145d, 164 StGB, jedoch könnten „einige gravierende Fälle“ nicht oder nur mit als unzureichend erachteter Strafandrohung erfasst werden. Im Hinblick auf die durch § 46b StGB eröffnete spezifische Missbrauchsgefahr sollten „für diese konkret bestimmbaren Fälle diese Defizite beseitigt werden“.469 Damit wurde der bereits mehrere Jahre alte Vorschlag realisiert, den Strafrahmen für vorgetäuschte Straftaten und falsche Ver­ dächtigungen im Zusammenhang mit Kronzeugenregelungen „drastisch zu erhöhen“.470 a) Inhalt der Neuregelung § 145d   Vortäuschen einer Straftat (1)  Wer wider besseres Wissen einer Behörde oder einer zur Entgegennahme von Anzeigen zuständigen Stelle vortäuscht, Jeßberger: Stellungnahme im Rechtsausschuss, S. 9. BT-Drucks. 16 / 6268, S. 19. 467  Vgl. Jeßberger: Stellungnahme im Rechtsausschuss, S. 9; ders., in: Texte und Ergebnisse zum 35. Strafverteidigertag, S. 102; vgl. auch die Ergebnisse der empirischen Untersuchung, 7. Teil B. II. 4. c). 468  BT-Drucks. 16 / 6268, S.  15. 469  BT-Drucks. 16 / 6268, S.  15. 470  Mühlhoff / Pfeiffer ZRP 2000, 121, 126; Mühlhoff / Mehrens: Das Kronzeugengesetz im Urteil der Praxis, S. 80. 465  Vgl. 466  Vgl.



C. Vereinbarkeit mit dem Grundsatz der Wahrheitsermittlung 241 1. daß eine rechtswidrige Tat begangen worden sei oder 2.  daß die Verwirklichung einer der in § 126 Abs. 1 genannten rechtswidrigen Taten bevorstehe, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wenn die Tat nicht in § 164, § 258 oder § 258a mit Strafe bedroht ist. (2)  Ebenso wird bestraft, wer wider besseres Wissen eine der in Absatz 1 bezeichneten Stellen über den Beteiligten 1. an einer rechtswidrigen Tat oder 2. an einer bevorstehenden, in § 126 Abs. 1 genannten rechtswidrigen Tat zu täuschen sucht. (3)  Mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren wird bestraft, wer 1. eine Tat nach Absatz 1 Nr. 1 oder Absatz 2 Nr. 1 begeht oder 2. wider besseres Wissen einer der in Absatz 1 bezeichneten Stellen vortäuscht, dass die Verwirklichung einer der in § 46b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 dieses Gesetzes oder in § 31 Satz 1 Nr. 2 des Betäubungsmittelgesetzes genannten rechtswidrigen Taten bevorstehe, oder 3. wider besseres Wissen eine dieser Stellen über den Beteiligten an einer bevorstehenden Tat nach Nummer 2 zu täuschen sucht, um eine Strafmilderung oder ein Absehen von Strafe nach § 46b dieses Gesetzes oder § 31 des Betäubungsmittelgesetzes zu erlangen. (4)  In minder schweren Fällen des Absatzes 3 ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe.

Das Vortäuschen einer Straftat gem. § 145d StGB ist in Abs. 1 und 2 in vier unterschiedliche Tathandlungen aufgespalten.471 Objektive Voraussetzung ist hiernach das Vortäuschen der Begehung einer begangenen rechtswidrigen Tat (Abs. 1 Nr. 1) bzw. des Bevorstehens einer in § 126 Abs. 1 StGB genannten Tat (Abs. 1 Nr. 2) oder eine Täuschung über den Beteiligten an einer begangenen (Abs. 2 Nr. 1) oder bevorstehenden Tat (Abs. 2 Nr. 2). Gemeinsam sind diesen vier Varianten der Adressat, nämlich eine Behörde oder zur Entgegennahme von anzeigen zuständige Stelle, sowie der Gegenstand der Vortäuschungshandlung, nämlich eine (für die Tathandlungen der jeweiligen Nr. 2 durch § 126 Abs. 1 StGB näher bestimmte) rechtswidrige Tat.472 Vortäuschen i. S. d. Abs. 1 meint ein Erregen oder Verstärken des Verdachts einer rechtswidrigen Tat durch (konkludente) Tatsachenbehauptungen, Schaffung verdachtserregender Beweislagen oder Selbstbezichtigung.473 Die Täuschung muss geeignet sein, den Adressaten zum sinnlosen Einschreiten zu veranlassen; ob es hierzu kommt ist uner471  Ruß,

in: LK-StGB, § 145d Rn. 2; Schild, in: NK-StGB, § 145d Rn. 8. in: NK-StGB, § 145d Rn. 8, 10. 473  Wessels / Hettinger: Strafrecht BT 1, Rn. 706; Lackner / Kühl: StGB, § 145d Rn. 4; Küper: Strafrecht BT, S. 428. 472  Schild,

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6. Teil: Vereinbarkeit mit strafprozessualen Prinzipien

heblich.474 Die Täuschungshandlung i. S. d. Abs. 2 entspricht trotz subjektiv formulierter Umschreibung grundsätzlich dem Vortäuschen nach Abs. 1.475 Abs. 2 setzt nach überwiegender Auffassung jedoch eine wirklich begangene oder bevorstehende Tat voraus,476 sodass sich die Täuschung allein auf die Beteiligung der belasteten Person bezieht. Auch hier ist die Tat bereits vollendet, sobald der Adressat Kenntnis von der Täuschung erlangt und diese objektiv zur Veranlassung unnützer Maßnahmen geeignet ist. Abs. 1 enthält darüber hinaus eine Subsidiaritätsklausel gegenüber §§ 164, 258 und 258a StGB, die sich aufgrund der Formulierung „ebenso wird bestraft“ auch auf § 145d Abs. 2 StGB bezieht.477 In Abs. 3 Nr. 1 enthält § 145d StGB zunächst eine subjektive Qualifikation gegenüber Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 Nr. 1, deren Strafrahmen auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren angehoben werden.478 § 145d Abs. 3 Nr. 2 und Nr. 3 StGB stellen hingegen eigenständige Tatbestände dar, die an Abs. 1 Nr. 2 bzw. Abs. 2 angelehnt sind, jedoch über einen höheren Strafrahmen verfügen. Zudem erweitern die eigenständigen Tatbestände den Anwendungsbereich von Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 Nr. 2 auf Täuschungen hinsichtlich bevorstehender Straftaten, die zwar nicht in § 126 Abs. 1 StGB, wohl aber in § 46b Abs. 1 Nr. 2 StGB i. V. m. § 100a Abs. 2 StPO oder § 31 S. 1 Nr. 2 BtMG enthalten sind.479 Auf eine zusätzliche Ausdehnung auf die in § 129 Abs. 6 Nr. 2 (i. V. m. § 129a Abs. 7 StGB) aufgeführten Straftaten wurde im Gesetzgebungsverfahren bewusst verzichtet. Ausschlaggebend hierfür war, dass es sich bei diesen Spezialvorschriften um eine Kombination aus Elementen einer Kronzeugenregelung und der tätigen Reue handelt, weshalb es in der Praxis zu Schwierigkeiten bei der Handhabung und Abgrenzung kommen könnte.480 Im Übrigen ergeben sich für die Auslegung des Abs. 3 gegenüber Abs. 1 und 2 in objektiver Hinsicht keine Besonderheiten. 474  Wessels / Hettinger: Strafrecht BT 1, Rn. 706; Lackner / Kühl: StGB, § 145d Rn. 4; Sternberg-Lieben, in: Schönke / Schröder: StGB, § 145d Rn. 1; Küper: Strafrecht BT, S. 428. 475  Zopfs, in: MüKo-StGB, § 145d Rn. 33; Fischer: StGB § 145d Rn. 2; Valerius, in: BeckOK-StGB, § 145d Rn. 12; wohl a. A. Schild, in: NK-StGB, § 145d Rn. 11. 476  BayObLG NStZ 2004, 97; NJW 1987, 2563; OLG Hamburg MDR 1949, 309; KG JR 1989, 26; OLG Celle NJW 1961, 1416; OLG Frankfurt NJW 1975, 1895; Fischer: StGB, § 145d Rn. 7; Sternberg-Lieben, in: Schönke / Schröder: StGB, § 145d Rn. 13; a. A. OLG Hamm NJW 1963, 2138; Ruß, in: LK-StGB, § 145d Rn. 14; Rudolphi / Rogall, in: SK-StGB, § 145d Rn. 24. 477  Fischer: StGB, § 145d Rn. 17. 478  Valerius, in: BeckOK-StGB, § 145d Rn. 19a; Fischer: StGB, § 145d Rn. 14. 479  Siehe BT-Drucks. 16  /  6268, S.  15; Valerius, in: BeckOK-StGB, §  145d Rn. 19b. 480  BT-Drucks. 16 / 6268, S.  15.



C. Vereinbarkeit mit dem Grundsatz der Wahrheitsermittlung 243

In subjektiver Hinsicht ist bei § 145d StGB stets ein Handeln wider besseres Wissen erforderlich, das heißt die sichere Kenntnis (dolus directus 2. Grades) der Unwahrheit der Behauptung. Der Täter muss für sicher halten, dass die behauptete rechtswidrige Tat in Wirklichkeit nicht begangen worden ist, bzw. nicht bevorsteht oder dass der zu Unrecht Belastete an der begangenen oder bevorstehenden Tat in Wirklichkeit nicht beteiligt ist. Die Motive des Täters sind dabei grundsätzlich unerheblich. So entfällt die Strafbarkeit nicht etwa deshalb, weil sich der Täter mit seiner Täuschung selbst zu entlasten versucht.481 Hinsichtlich der übrigen Tatbestandsmerkmale reicht bedingter Vorsatz (dolus eventualis) aus. Dieser muss sich auf die Kenntniserlangung durch die Behörde oder zuständige Stelle sowie auf die Eignung der Täuschung beziehen, die Behörde oder Stelle zu diesbezüg­ lichen unnützen Maßnahmen zu veranlassen.482 Zusätzlich setzen die drei Varianten des § 145d Abs. 3 StGB jedoch subjektiv voraus, dass der Täter gezielt gehandelt haben muss, um eine Strafmilderung oder ein Absehen von Strafe nach § 46b StGB oder § 31 BtMG zu erlangen. Erforderlich ist demnach die Absicht (dolus directus 1. Grades) des Täters, mit Hilfe seiner unwahren Angaben von den vorteilhaften Rechtsfolgen einer Kronzeugenregelung zu profitieren.483 Ob ihm dies auch gelingt, ist für die Strafbarkeit nach § 145d Abs. 3 StGB grundsätzlich unerheblich. Sie greift auch dann ein, wenn das Gericht den falschen Angaben keinen Glauben schenkt oder es letztlich aus anderen Gründen im Rahmen seiner Ermessensentscheidung von einer Honorierung der Aufklärungs- oder Präventionshilfe absieht.484 § 145d Abs. 4 StGB vermindert den Strafrahmen für minder schwere Fälle des Abs. 3 auf Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe. Der Strafrahmen für minder schwere Fälle des Abs. 3 entspricht somit wieder der in Abs. 1 und 2 ursprünglich angedrohten Strafe. Der Gesetzgeber wollte damit Fallkonstellationen Rechnung tragen, die sich im Unrechtsgehalt nicht wesentlich von den bisherigen Anwendungsfällen der Strafnormen unterscheiden.485 Aus gesetzestechnischer Sicht hätte hier alternativ die Normierung eines besonders schweren Falles in Betracht gezogen werden 481  Sternberg-Lieben,

in: Schönke / Schröder: StGB, § 145d Rn. 22. StGB § 145d Rn. 9; Valerius, in: BeckOK-StGB, § 145d Rn. 21; Schild, in: NK-StGB, § 145d Rn. 24; Rudolhpi / Rogall, in: SK-StGB, § 145d Rn. 29; einschränkend Sternberg-Lieben, in: Schönke  /  Schröder: StGB, §  145d Rn. 21, wonach sich der Vorsatz des Täters sich nicht auf die Eignung des täuschenden Verhaltens zu beziehen braucht, die Behörden zu einem unnützen Einschreiten zu veranlassen. 483  BT-Drucks. 16 / 6268, S.  15; Sternberg-Lieben, in: Schönke  / Schröder: StGB, § 145d Rn. 22. 484  Valerius, in: BeckOK-StGB, § 145d Rn. 21a. 485  BT-Drucks. 16 / 6268, S.  16. 482  Lackner / Kühl:

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6. Teil: Vereinbarkeit mit strafprozessualen Prinzipien

können, welcher die Absicht, eine Strafmilderung oder ein Absehen von Strafe nach § 46b StGB oder § 31 BtMG zu erlangen, als Regelbeispiel aufführt.486 Damit hätte auch das Nebeneinander von Qualifikation und ­eigenständigen Tatbeständen vermieden werden können. § 164  Falsche Verdächtigung (1) Wer einen anderen bei einer Behörde oder einem zur Entgegennahme von Anzeigen zuständigen Amtsträger oder militärischen Vorgesetzten oder öffentlich wider besseres Wissen einer rechtswidrigen Tat oder der Verletzung einer Dienstpflicht in der Absicht verdächtigt, ein behördliches Verfahren oder andere behördliche Maßnahmen gegen ihn herbeizuführen oder fortdauern zu lassen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Ebenso wird bestraft, wer in gleicher Absicht bei einer der in Absatz 1 bezeichneten Stellen oder öffentlich über einen anderen wider besseres Wissen eine sonstige Behauptung tatsächlicher Art aufstellt, die geeignet ist, ein behördliches Verfahren oder andere behördliche Maßnahmen gegen ihn herbeizuführen oder fortdauern zu lassen. (3)  Mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren wird bestraft, wer die falsche Verdächtigung begeht, um eine Strafmilderung oder ein Absehen von Strafe nach § 46b dieses Gesetzes oder § 31 des Betäubungsmittelgesetzes zu erlangen. In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren.

Den objektiven Tatbestand der falschen Verdächtigung gem. § 164 Abs. 1 StGB erfüllt, wer einen anderen Menschen gegenüber einer Behörde, einem zur Entgegennahme von Anzeigen zuständigen Amtsträger oder militärischen Vorgesetzten oder öffentlich einer rechtswidrigen Tat oder der Verletzung einer Dienstpflicht verdächtigt.487 Verdächtigen meint Hervorrufen, Verstärken oder Umlenken eines Verdachts auf eine bestimmte andere Person, was nach überwiegender Auffassung nicht nur durch Behauptungen tatsächlicher Art, sondern auch durch Schaffung einer verdächtigenden Beweislage geschehen kann.488 Der entstehende Eindruck darf mit der Wahrheit nicht übereinstimmen, muss also objektiv falsch sein.489 Nach einhelliger Auffassung verlangt Abs. 1 mit Rücksicht auf den Schutzzweck der Vorschrift als ungeschriebenes Merkmal, dass die Verdächtigung nach Art und Inhalt geeignet sein muss, den für ein behördliches Einschreiten erfor486  Vorschlag von Valerius, in: BeckOK-StGB, § 145d Rn. 22b, der außerdem Bedenken äußert, bereits die Bezeichnung als „minder schwerer Fall“ könnte den Missbrauch der Kronzeugenregelung verharmlosen. 487  Lackner / Kühl: StGB, § 164 Rn. 2. 488  BGHSt 9, 240; Lenckner / Bosch, in: Schönke  / Schröder: StGB, § 164 Rn. 8; Fischer: StGB, § 164 Rn. 3; Rudolphi / Rogall, in: SK-StGB, § 164 Rn. 12; Zopfs, in: MüKo-StGB, § 164 Rn. 21 f.; a. A. Vormbaum, in: NK-StGB, § 164 Rn. 20; Wessels / Hettinger: Strafrecht BT 1, Rn. 694; Valerius, in: BeckOK-StGB, § 164 Rn. 3. 489  Lenckner / Bosch, in: Schönke / Schröder: StGB, § 164 Rn. 15.



C. Vereinbarkeit mit dem Grundsatz der Wahrheitsermittlung 245

derlichen Anfangsverdacht (s. §§ 152 Abs. 2 StPO) zu begründen.490 § 164 Abs. 2 StGB erweitert den Anwendungsbereich des Abs. 1 auf das Aufstellen einer sonstigen Behauptung tatsächlicher Art, die geeignet ist, ein behördliches Verfahren oder andere behördliche Maßnahmen gegen den Verdächtigen herbeizuführen.491 Subjektiv fordern beide Absätze gleichermaßen ein Handeln wider besseres Wissen. Der Täter muss die Unwahrheit der vorgetragenen Tatsachen sicher kennen.492 Im Übrigen genügt bedingter Vorsatz (dolus eventualis).493 Zudem muss der Täter mit Verstrickungsabsicht gehandelt haben, das heißt mit dem Ziel, ein behördliches Verfahren oder eine andere behördliche Maßnahme gegen den Verdächtigen herbeizuführen oder fortdauern zu lassen.494 Gemeint sein dürfte im Hinblick auf den Wortlaut Absicht im technischen Sinn (dolus directus 1. Grades), wobei unschädlich ist, wenn der Täter hierin nur ein notwendiges Zwischenziel für einen anderen Endzweck sieht.495 § 164 Abs. 3 S. 1 StGB enthält eine echte Qualifikation, die den Strafrahmen des Grundtatbestandes der falschen Verdächtigung von Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren anhebt, die Höchststrafe also verdoppelt. Dabei bezieht sich die Formulierung „wer die falsche Verdächtigung begeht“ sowohl auf Abs. 1 als auch auf Abs. 2.496 Als Gegenstand der Verdächtigung wird regelmäßig nur die „rechtswidrige Tat“ und weniger die „Verletzung einer Dienstpflicht“ in Betracht kommen.497 Einziges geschriebenes Merkmal der Qualifikation ist die auch in § 145d Abs. 3 StGB vorausgesetzte Missbrauchsabsicht, sich durch falsche Verdächtigung die Vorteile des § 46b StGB oder des § 31 490  OLG Karlsruhe NStZ-RR 1997, 37 f.; OLG Düsseldorf NStZ-RR 2001, 201; OLG Hamm NStZ-RR 2002, 168; Kindhäuser: Strafrecht BT 1, § 52 Rn. 7; Wessels / Hettinger: Strafrecht BT 1, Rn. 695 f.; Lenckner / Bosch, in: Schönke / Schröder: StGB, § 164 Rn. 5; Fischer: StGB, § 164 Rn. 3; Vormbaum, in: NK-StGB, § 164 Rn. 13. 491  Wessels / Hettinger: Strafrecht BT 1, Rn. 703. 492  Vormbaum, in: NK-StGB, § 164 Rn. 57. 493  Fischer: StGB, § 164 Rn. 12; Vormbaum, in: NK-StGB, § 164 Rn. 62. 494  Vormbaum, in: NK-StGB, § 164 Rn. 62. 495  Vgl. BGHSt 13, 219, 222; wie hier Vormbaum, in: NK-StGB, § 164 Rn. 62 ff.; im Ergebnis auch Wessels / Hettinger: Strafrecht BT 1, Rn. 702; anders die wohl h. M. mit abweichender Auslegung der BGH-Rechtsprechung Ruß, in: LK-StGB, § 164 Rn. 1; Lenckner, in: Schönke / Schröder: StGB, § 164 Rn- 32; Rudolphi / Rogall, in: SK-StGB, § 164 Rn. 42. 496  Lackner / Kühl: StGB, § 164 Rn. 12; Vormbaum, in: NK-StGB, § 164 Rn. 79; Fischer: StGB, § 164 Rn. 15. 497  Lenckner / Bosch, in: Schönke / Schröder: StGB, § 164 Rn. 14a.

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6. Teil: Vereinbarkeit mit strafprozessualen Prinzipien

BtMG zu „erschleichen“.498 § 164 Abs. 3 S. 2 StGB sieht wie auch § 145d Abs. 4 StGB einen minder schweren Fall für Konstellationen vor, die im Vergleich zu den bisherigen Anwendungsfällen keinen wesentlich erhöhten Unrechtsgehalt aufweisen.499 Anders als im Rahmen des § 145d StGB bleibt jedoch ein gegenüber dem Grundtatbestand erhöhter Mindeststrafrahmen erhalten. Dennoch ist, auch wenn die Verhängung einer Geldstrafe in Abs. 3 nicht ausdrücklich vorgesehen ist, gem. § 47 Abs. 2 StGB auf Geldstrafe zu erkennen, sofern nur eine Freiheitsstrafe von unter sechs Monaten in Betracht kommt, deren Verhängung nicht unerlässlich ist.500 b) Schutzzwecke Der Schutzzweck von § 145d Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 Nr. 1 StGB wird allgemein darin gesehen, die staatliche Rechtspflege vor unberechtigter Inanspruchnahme des inländischen Vollzugsapparates bewahren.501 § 145 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 Nr. 2 StGB dienen der Vermeidung unnötiger Tätigkeit der staatlichen Präventivorgane.502 Grundgedanke der Vorschrift ist demnach, eine unnütze Inanspruchnahme des behördlichen Apparates zu verhindern, damit dieser nicht aufgrund von Täuschungen Dritter durch unnötigen Einsatz von der Erfüllung seiner wirklichen Aufgaben abgehalten wird.503 Individualinteressen, nicht unschuldig in ein Strafverfahren gezogen zu werden, sind hingegen nicht geschützt.504 § 164 StGB schützt nach h. M. gleichermaßen die Erhaltung der Leistungsfähigkeit der Rechtspflege und das Interesse des Einzelnen, nicht ungerechtfertigten Strafverfolgungsmaßnahmen ausgesetzt zu sein.505 Der Tatbestand verfügt damit über eine Doppelnatur. Seine Schutzgüter stehen zueinander im Verhältnis der Alternativität, weshalb ausreichend ist, wenn nur eines von ihnen durch die Tathandlung berührt ist.506 498  BT-Drucks.

16 / 6268, S. 2, 15. BT-Drucks. 16 / 6268, S. 16. 500  Valerius, in: BeckOK-StGB, § 164 Rn. 24b. 501  BGH NStZ 1984, 360, 361; OLG Düsseldorf NJW 1982, 1242 f.; Rudolphi /  Rogall, in: SK- StGB, § 145d Rn. 10; Fischer: StGB, § 145d Rn. 2; Sternberg-Lieben, in: Schönke / Schröder: StGB, § 145d Rn. 4. 502  BGHSt 6, 251, 255; BGH NStZ 1984, 360, 361; BayObLG NJW 1988, 83; Schild, in: NK-StGB, § 145d Rn. 4; Sternberg-Lieben, in: Schönke / Schröder: StGB, § 145d Rn. 1; Valerius, in: BeckOK-StGB, § 145d Rn. 2; Fischer: StGB, § 145d Rn. 2. 503  Sternberg-Lieben, in: Schönke / Schröder: StGB, § 145d Rn. 1. 504  Fischer: StGB, § 145d Rn. 2; Schild, in: NK-StGB, § 145d Rn. 6. 505  BGHSt 5, 66; 9, 240; Wessels / Hettinger: Strafrecht BT 1, Rn. 686; Lackner / Kühl: StGB, § 164 Rn. 1; Fischer: StGB, § 164 Rn. 2. 506  Fischer: StGB, § 164 Rn. 2; Lackner / Kühl: StGB, § 164 Rn. 1; Vormbaum, in: NK-StGB, § 164 Rn. 7 f.; Fischer: StGB, § 164 Rn. 2. 499  Vgl.



C. Vereinbarkeit mit dem Grundsatz der Wahrheitsermittlung 247

Grundsätzlich können Qualifizierungen – von Erfolgsqualifizierungen abgesehen – nur den Grundtatbestand erweitern, jedoch kein neues Rechtsgut einführen.507 Dennoch scheinen sich die neu eingefügten Absätze in §§ 145d, 164 StGB in die bisherige Schutzrichtung der Vorschriften nicht einzufügen. So werden die in den ursprünglichen Tatbeständen geschützten Rechtsgüter durch das bloße Hinzutreten der Missbrauchsabsicht nicht zusätzlich beeinträchtigt, weshalb sich eine Strafschärfung vor diesem Hintergrund kaum rechtfertigen lässt.508 Auch bezieht sich die Begründung des Entwurfs mit keinem Wort auf die oben angedeuteten Schutzzwecke. Stattdessen stützt sich der Gesetzgeber auf zwei andere Gesichtspunkte: Zum einen sollte die Erweiterung des Anwendungsbereiches bzw. Anhebung der Strafrahmen die präventive Wirkung der §§ 145d, 164 StGB im Hinblick auf die spezifische Missbrauchsgefahr der Kronzeugenregelung erhöhen und darüber hinaus einen „größeren Spielraum“ eröffnen, „um eine durch die Falschaussage erzielte Strafmilderung angemessen kompensieren zu können“.509 Der gegenüber den bislang geregelten Fällen erhöhte Strafrahmen wird demnach mit einer Präventions- und einer Kompensationsfunktion der § 145d Abs. 3, 4 bzw. § 164 Abs. 3 StGB begründet. Während hinsichtlich der Präventionsfunktion Zweifel an der praktischen Wirksamkeit der Neuregelung geäußert werden, bestehen im Hinblick auf die Kompensa­tionsfunktion grundsätzliche Bedenken aus strafrechtssystematischer Sicht. c) Präventionsfunktion Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens wurde mehrfach auf den geringen präventiven Nutzen der Strafrahmenerhöhung hingewiesen. So wurde in der 133. Sitzung des Rechtsausschusses kritisiert, die Erhöhung der Strafandrohung werde einem Straftäter aus dem Bereich der schweren Kriminalität „nicht mehr als ein müdes Lächeln abringen“ und sei daher mit Blick auf ihre Zielgruppe „absolut unzureichend, um Falschbelastungen entgegenzuwirken“.510 Dem pflichteten weitere Sachverständige bei; die Ergänzung sei „keine geeignete Korrektur“,511 „ohne jede Wirkung“,512 insoweit „nicht überzeugend“.513 507  Vgl. Ostendorf, in: NK-StGB, § 124 Rn. 3; Lenckner / Sternberg-Lieben, in: Schönke / Schröder: StGB, § 124 Rn. 1. 508  Vgl. Jeßberger, in: Satzger / Schmitt / Widmaier: StGB, 145d Rn. 3. 509  BT-Drucks. 16 / 6268, S.  16. 510  Dierlamm: Protokoll der Sitzung des Rechtsausschusses vom 25.3.2009, S. 5. 511  König: Protokoll der Sitzung des Rechtsausschusses vom 25.3.2009, S. 17. 512  Frank: Protokoll der Sitzung des Rechtsausschusses vom 25.3.2009, S. 8. 513  Jeßberger: Protokoll der 133. Sitzung des Rechtsausschusses vom 25.3.2009, S. 14.

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6. Teil: Vereinbarkeit mit strafprozessualen Prinzipien

Tatsächlich ist nach allgemeiner Ansicht für die Verhinderung von Straftaten weniger die Sanktionsschwere entscheidend, sondern vielmehr das Entdeckungs- und Sanktionsrisiko.514 Gerade bei § 145d Abs. 3 StGB und § 164 Abs. 3 StGB ist das Risiko einer Überführung jedoch vergleichsweise gering. Der Nachweis dieser Taten gestaltet sich im Hinblick auf die erforderliche Missbrauchsabsicht meist schwierig.515 In der Praxis kann nicht schon aufgrund der Tatsache, dass der Beschuldigte im Laufe des Ermittlungsverfahrens falsche Verdächtigungen hinsichtlich einer Katalogtat des § 46b StGB geäußert hat, auf eine entsprechende Absicht geschlossen werden. Vielmehr wird auf die Gespräche abzustellen sein, die mit dem Ziel einer Anwendung der Kronzeugenregelung mit der Staatsanwaltschaft geführt worden sind.516 Hinzu kommt, dass alle Tatbestände entweder selbst oder in Verbindung mit dem Grundtatbestand ein Handeln „wider besseres Wissen“ voraussetzen, also die sichere Kenntnis von der Unwahrheit der vorgetragenen Tatsachen.517 Schon vor der Gesetzesänderung mussten Strafverfahren wegen des Fehlens eines entsprechenden Nachweises „in aller Regel“ eingestellt werden.518 § 164 Abs. 3 StGB kombiniert diese Missbrauchsabsicht mit der für den Grundtatbestand erforderlichen Verstrickungsabsicht. Da die Anwendung der Kronzeugenregelung grundsätzlich vom Verfahrensstand gegen den belasteten Dritten unabhängig ist, handelt es sich bei der Verfahrenseinleitung bzw. -fortdauer nicht um ein der Strafmilderung notwendigerweise vorgeschaltetes Zwischenziel.519 Der mit Missbrauchsabsicht aussagende Kronzeuge wird solche Maßnahmen daher möglicherweise nur billigend in Kauf nehmen, sie jedoch weder gezielt anstreben noch als sicher vorhersehen können.520 Selbst wenn man für die Verstrickungsabsicht mit der h. M. sicheres Wissen genügen lässt, sind die Hürden für den Tatnachweis aufgrund der beschriebenen Kumulation subjektiver Merkmale außerordentlich hoch. Ein weiterer Gesichtspunkt, unter dem sich der Nachweis der Straftat als äußerst schwierig erweist, liegt darin, dass im Rahmen des § 145d Abs. 1 StGB weiterhin unklar und umstritten ist, ob und gegebenenfalls ab wann der Verdacht als „falsch“ zu bewerten ist, wenn 514  Schneider,

in: Göppinger: Kriminologie, § 30 Rn. 57. ZIS 2011,669, 670; Valerius, in: BeckOK-StGB, § 145d Rn. 19a.3; Lackner / Kühl: StGB, § 145d Rn. 10a; Dierlamm: Protokoll der 133. Sitzung des Rechtsausschusses vom 25.3.2009, S. 15; Mushoff KritV 2007, 366, 373; Frank / Titz ZRP 2009, 137, 139. 516  Fischer: StGB, § 145d Rn. 14; Vormbaum, in: NK-StGB, § 164 Rn. 80 f. 517  Zopfs ZIS 2011, 669, 670. 518  Frank: Protokoll der 133. Sitzung des Rechtsausschusses vom 25.3.2009, S. 35. 519  Maier, in: MüKo-StGB, § 46b Rn. 57 ff. 520  Ähnlich Zops ZIS 2011, 669, 673. 515  Zopfs



C. Vereinbarkeit mit dem Grundsatz der Wahrheitsermittlung 249

zwar tatsächlich eine rechtswidrige Tat vorliegt, der Sachverhalt jedoch verzerrt wiedergegeben oder aufgebauscht wurde.521 Aus dem Wortlaut der Nr. 1 ergibt sich, dass die beschriebene Tat in Wirklichkeit nicht begangen worden sein darf, weshalb eine Strafbarkeit in Fällen der sog. Täuschung mit Wahrheitskern grundsätzlich ausscheiden muss.522 Nach der Rechtsprechung ist die Grenze der Straflosigkeit jedoch erreicht, wenn die Tat durch die hinzugefügten unwahren Angaben ein völlig anderes Gepräge erhält.523 Anhaltspunkt hierfür kann etwa das Aufbauschen eines Vergehens zu einem Verbrechen oder eines Antrags- bzw. Privatklagedelikts zu einem Offizialdelikt sein.524 Aber auch unter Berücksichtigung dieses vagen Kriteriums bleibt eine Abgrenzung im Einzelfall schwierig. Das gilt in besonderem Maße für Angaben im Hinblick auf mögliche Bezugstaten des § 46b StGB (i. V. m. § 100a Abs. 2 StPO), dessen Katalog viele Straftaten nur in ihrer Variante als Qualifikation oder schweren Fall eines ansonsten nicht erfassten Grundtatbestandes enthält. Denn sollte sich später herausstellen, dass zwar eine Straftat vorlag, diese jedoch nur ohne die besonderen Umstände verwirklicht war, müsste für eine Strafbarkeit nach § 145d Abs. 3, 164 Abs. 3 StGB der Nachweis gelingen, dass der Kronzeuge über sicheres Wissen gerade hinsichtlich der Unwahrheit dieser zusätzlichen Umstände verfügte.525 Insbesondere bei Kronzeugen aus dem Bereich der organisierten Kriminalität, dem Terrorismus und der schweren Wirtschaftskriminalität ist zu erwarten, dass es sich um kalkulierende Straftäter handelt, die erst nach intensiver Abwägung und Beratung eine Entscheidung darüber fällen, ob ihr Entdeckungs- oder Verurteilungsrisiko bei einer Falschaussage gegenüber der Chance auf Strafmilderung maßgeblich ins Gewicht fällt.526 Da schon zu den Voraussetzungen des § 46b StGB gehört, dass es sich bei der Anlass­ tat um eine mit im Mindestmaß erhöhter oder lebenslanger Freiheitsstrafe bedrohte Straftat handelt, zeichnet sich generell ein tendenzielles Überwiegen des in Aussicht gestellten Vorteils ab. Der Täter eines Mordes erreicht über § 46b StGB gegebenenfalls die rechtskräftige Umwandlung einer lebenslangen in eine zeitige Freiheitsstrafe, erspart sich damit bis zu einem Drittel der gewöhnlichen Vollzugsdauer.527 Auf der anderen Seite kann 521  Zopfs

ZIS 2011, 669, 670; Wessels / Hettinger: Strafrecht BT 1, Rn. 709. in: BeckOK-StGB, § 145d Rn. 9; Fischer StGB § 145d Rn. 5a. 523  OLG Karlsruhe MDR 1992, 1166. 524  Wessels / Hettinger: Strafrecht BT 1, Rn. 709. 525  Vgl. zum Ganzen Zopfs ZIS 2011, 669, 670. 526  Frank: Protokoll der 133. Sitzung des Rechtsausschusses vom 25.3.2009, S. 8. 527  König NJW 2009, 2481, 2483; Fischer: StGB, § 46b Rn. 34; Valerius, in: BeckOK-StGB, § 145d Rn. 19a.3. 522  Valerius,

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6. Teil: Vereinbarkeit mit strafprozessualen Prinzipien

denjenigen, der mit seiner Verurteilung zu lebenslanger Freiheitsstrafe rechnet, auch die Strafandrohung in §§ 145d Abs. 3, 164 Abs. 3 StGB nicht sonderlich abschrecken, da er nur wenig zu verlieren hat. Dass eine entsprechende Regelung erhebliche Abschreckungswirkung entfalten wird,528 ist daher äußerst unwahrscheinlich. Darüber hinaus kann sich die Ausdehnung der Anwendungsbereiche kontraproduktiv auf das Verfahren gegen den durch den Kronzeugen belasteten Dritten auswirken. Den Vorschlag zur Schaffung eines besonderen Wiederaufnahmegrundes lehnte die Bundesregierung unter Berufung auf das Ergebnis der Sachverständigenanhörung im Rechtsausschuss ab. Eine solche Regelung begründe „faktisch den Zwang […], an einer einmal gemachten Angabe – unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt – festzuhalten, was auch den Beweiswert dieser Aussage im Verfahren gegen den von ihm Belasteten erheblich in Frage stellen würde“.529 Dass das stattdessen gewählte Korrektiv einer erhöhten Strafandrohung aus genau denselben Gründen auf die Ablehnung der Sachverständigen stieß,530 wurde offenbar in Kauf genommen. Tatsächlich ist nicht ersichtlich, warum sich der Kronzeuge durch den drohenden Verlust seiner Strafmilderung zum Festhalten an der Falschaussage gezwungen sehen soll, nicht jedoch durch die Androhung einer bis zu zehnjährigen Freiheitsstrafe (vgl. § 164 Abs. 3 StGB). Im Gegenteil ist nunmehr zu befürchten, dass der derjenige, der eine Falschbelastung gemacht hat, diese umso angestrengter und verzweifelter aufrechterhält, soweit ihm die erhöhte Strafandrohung denn überhaupt bewusst ist.531 Somit schmälert die Gesetzesänderung die Verlässlichkeit von Kronzeugenaussagen und damit den Beweiswert auch unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt. Nun mag argumentiert werden, dass sich der Zeuge in derartigen Fällen auf ein Auskunftsverweigerungsrecht gem. § 55 StPO berufen kann. Damit wäre der Beweiswert seiner Aussage jedoch erst recht beeinträchtigt, bei einer umfassenden Weigerung geradezu aufgehoben.532 d) Kompensationsfunktion Fraglich ist, ob und inwieweit das Vorhaben des Gesetzgebers einen Spielraum zu schaffen, um die durch die Falschaussage erzielte Strafmilde528  Mühlhoff / Pfeiffer

ZRP 2000, 121, 126. 16 / 6268, S.  21. 530  Vgl. König: Protokoll der 133. Sitzung des Rechtsausschusses vom 25.3.2009, S. 17 („keine geeignete Korrektur der zu erwartenden Falschbelastungen“). 531  König: ebd., S. 21; ders. NJW 2009, 2481, 2483; ähnlich Salditt StV 2009, 375, 378. 532  Vgl. hierzu 4. Teil D. 529  BT-Drucks.



C. Vereinbarkeit mit dem Grundsatz der Wahrheitsermittlung 251

rung angemessen kompensieren zu können, einen legitimen Grund für die Anhebung der Strafrahmen darstellt. Nach der Entwurfsbegründung soll die Regelung eine dem Kronzeugen bezüglich einer völlig anderen Tat zu Unrecht gewährte Strafmilderung dadurch wieder ausgleichen, dass bei einer Verurteilung wegen des Vortäuschens einer Straftat oder wegen falscher Verdächtigung ein erhöhter Strafrahmen herangezogen wird.533 Dies stößt auf erhebliche Bedenken aus strafrechtssystematischer534 und verfassungsrechtlicher Sicht. Das Urteil gegen den Straftäter, dessen Strafe nach § 46b StGB gemildert oder von dessen Strafe abgesehen wurde, erwächst nach allgemeinen Regeln in Rechtskraft, auch wenn die mildere Rechtsfolge durch eine Falschaussage gewissermaßen erschlichen worden ist. Mit der materiellen Rechtskraft tritt ein Strafklageverbrauch hinsichtlich der abgeurteilten Tat ein. Der Grundsatz ne bis in idem, der durch Art. 103 Abs. 3 GG mit verfassungsrecht­ lichem Rang ausgestattet ist, schließt eine abermalige Verfolgung wegen derselben Tat aus. Dieses Verbot der Doppelbestrafung gehört zu den Prozessgrundrechten und stellt einen fundamentalen Grundsatz des fairen Strafprozesses dar.535 Die materielle Rechtskraft dient einerseits der Rechtssicherheit und dem Rechtsfrieden, sie kann jedoch andererseits in Konflikt mit der materiellen Wahrheit im Sinne der Einzelfallgerechtigkeit geraten.536 Da letztlich auch materielle Gerechtigkeit dem Rechtsfrieden dient, hat der Gesetzgeber zur Lösung dieses Zielkonflikts mit den §§ 359 ff. StPO einen gesetzlichen Rahmen zur Beseitigung rechtskräftiger Fehlurteile durch Wiederaufnahme des Verfahrens geschaffen. Da insbesondere die Durchbrechung der Rechtskraft zuungunsten des Angeklagten im Hinblick auf den verfassungsrechtlich garantierten Grundsatz ne bis in idem einen schwerwiegenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt,537 kommt die nachträgliche Korrektur einer zu Unrecht gemilderten oder gar nicht erst verhängten Strafe nur unter den engen Voraussetzungen des Wiederaufnahmeverfahrens in Betracht. Die Korrektur eines als fehlerhaft erkannten, rechtskräftigen Urteils kann jedoch nicht im Wege der Bestrafung aus einem anderen Delikt erfolgen.538 Das tatbestandsmäßige Verhalten würde keinen 533  Vgl.

BT-Drucks. 16 / 6268, S. 16. auch Sternberg-Lieben, in: Schönke / Schröder: StGB, § 145d Rn. 20a; Valerius, in: BeckOK-StGB, § 145d Rn. 19a.2; Jeßberger: Stellungnahme im Rechtsausschuss, S. 8. 535  BVerfG NJW 1968, 982; NJW 1981, 1433; Meyer-Goßner: StPO, Einl. Rn. 171. 536  Vgl. Hoffmann-Holland, in: BeckOK-StPO, § 359 Rn. 1; BVerfG MDR 1975, 468, 469; BGH NJW 2003, 1261, 1262. 537  Schmidt, in: KK-StPO, § 362 Rn. 1. 538  So auch Zopfs ZIS 2011, 669, 671. 534  Siehe

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6. Teil: Vereinbarkeit mit strafprozessualen Prinzipien

eigenständigen Unrechts- und Schuldgehalt aufweisen, sondern sich ausschließlich in der bereits rechtskräftig abgeurteilten Tat erschöpfen. Die besonderen Anforderungen des § 362 StPO an eine Wiederaufnahme zuungunsten des Angeklagten würden umgangen, was im Hinblick auf Art. 103 Abs. 3 GG auf erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken stieße. Schließlich scheitert eine Kompensation des zu Unrecht gewährten Vorteils jedoch schon aus tatsächlichen Gründen: Da im Urteil die Strafe, die der Täter ohne Anwendung der Kronzeugenregelung verwirkt hätte, nicht festgelegt wird, ist der letztlich erlangte Vorteil nicht feststellbar. Mangels Bestimmbarkeit kommt ein tatsächlicher Ausgleich somit ohnehin nicht in Betracht.539 Vor allem aber kann der Tatbestand der §§ 145d Abs. 3, 164 Abs. 3 StGB auch dann einschlägig sein, wenn eine Strafmilderung überhaupt nicht erlangt worden ist. Handelte der Täter in qualifizierender Missbrauchsabsicht, so ist grundsätzlich unerheblich, ob der angestrebte Missbrauch fehlschlägt.540 In diesem Fall liegt jedoch überhaupt keine erschlichene Milderung vor, die durch den erhöhten Strafrahmen kompensiert werden könnte. Die Straferhöhung gegenüber dem Normalfall würde dann mit einem Umstand gerechtfertigt, der selbst keine Voraussetzung für eine Verurteilung ist.541 e) Erhöhter Unrechtsgehalt infolge der Missbrauchsabsicht Da die vom Gesetzgeber angeführte Kompensation zu Unrecht erlangter Strafmilderungen keinen zulässigen Grund für die Strafschärfung darstellt, bzw. die Erlangung eines kompensierbaren Vorteils nicht zu den Tatbestandsvoraussetzungen gehört, stellt sich die Frage, ob das Vorliegen der von §§ 145d Abs. 3, 164 Abs. 3 StGB vorausgesetzten Missbrauchsabsicht für sich genommen die Anhebung der Strafrahmen rechtfertigen kann. Sollte hierin der Grund für die Anhebung der Strafandrohung liegen, müsste die Erhöhung des Unrechtsgehalts beträchtlich sein, zumal sich das Höchstmaß der Strafe in § 164 Abs. 3 StGB gegenüber dem Grundtatbestand verdoppelt. Der Gesetzgeber schien jedenfalls von einem gegenüber den bislang erfassten Fällen grundsätzlich erhöhten Unrechtsgehalt auszugehen. So sieht das Gesetz minder schwere Fälle vor für Konstellationen, die sich trotz des Vorliegens der Missbrauchsabsicht „im Unrechtsgehalt nicht wesentlich von den bisherigen Anwendungsfällen der Strafnormen unterscheiden“.542 Dieser Hinweis relativiert sich indes vor dem Hintergrund, dass die Annahme eines minder schweren Falles den Strafrahmen der Qualifikationen (bis auf die 539  Zopfs

ZIS 2011, 669, 671. objektiv ungeeigneten Tathandlungen siehe aber 6. Teil C. 2. f). 541  Vgl. Zopfs ZIS 2011, 669, 671. 542  BT-Drucks. 16 / 6268, S.  16. 540  Zu



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bei § 164 Abs. 3 S. 2 StGB verbleibende geringfügige Erhöhung des Mindeststrafrahmens) wieder auf den ursprünglichen Strafrahmen des Grund­ delikts absenkt. Wer in der Absicht handelt, in den Genuss der Vorteile einer Kronzeugenregelung zu gelangen, handelt aus der Motivation heraus, die ihm selbst drohende Strafe zu verhindern oder abzuschwächen. Verwirklicht der Täter einen Straftatbestand, handelt dabei jedoch mit dem Willen zur Selbstbegünstigung, wird dieser Aspekt vom Gesetz prinzipiell zugunsten des Täters bewertet. So gibt es z. B. in § 157 StGB den Milderungsgrund des Aussagenotstands, wonach das Gericht die Strafe gem. § 49 Abs. 2 StGB mildern kann, wenn der Täter eines Meineides oder einer falschen uneidlichen Aussage mit der Absicht der Abwendung einer Sanktionierungsgefahr handelte. Weitere Selbstbegünstigungsprivilegien beinhalten § 258 Abs. 5 StGB (Straflosigkeit der Strafvereitelung zu eigenen Gunsten) und der Wortlaut des § 120 StGB (grundsätzliche Straflosigkeit der Gefangenenselbstbefreiung). Die Selbstbegünstigung ist somit im Rahmen des gesamten Strafverfahrens als ein allgemeines Prinzip vom Gesetzgeber anerkannt. Dieses Selbstbegünstigungsprinzip, das auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht sowie auf die Respektierung der Menschenwürde zurückzuführen ist, geht über das Prinzip der Selbstbelastungsfreiheit hinaus, welches lediglich das Recht zur Verweigerung eigener Überführungsmithilfe (nemo tenetur se ipsum accusare, vgl. § 136 Abs. 1 S. 1, 243 Abs. 4 S. 1 StPO) beinhaltet.543 Demgegenüber wirkt die Selbstbegünstigungsabsicht in § 145d Abs. 3 und § 164 Abs. 3 StGB nicht strafmildernd, sondern straferhöhend. Diese ausnahmsweise belastende Wirkung von Selbstbegünstigungstendenzen erkennt das Gesetz auch an anderen Stellen an, etwa im Rahmen der Verdeckungsabsicht beim Mord nach § 211 Abs. 2 StGB. § 164 StGB dient neben dem Schutz der Leistungsfähigkeit der Rechtspflege zumindest auch dem Individualschutz. Es finden sich daher vereinzelt Hinweise, dass sich die Selbstbegünstigungsabsicht in § 164 Abs. 3 S. 1 StGB deshalb strafschärfend auswirke, weil sie mit einer Drittschädigungsabsicht verknüpft sei.544 Zunächst kann dieser Aspekt nicht zur Legitimierung der Strafanhebung und -ausweitung in § 145d Abs. 3 StGB herangezogen werden, da hier Individualinteressen grundsätzlich keine Rolle spielen. Darüber hinaus vermag er jedoch auch im Hinblick auf § 164 Abs. 3 StGB nicht zu überzeugen. Richtig ist, dass die prinzipielle Privilegierung der Selbstbegünstigung nicht zur Beeinträchtigung der privaten Belange unbeteiligter 543  Ostendorf NStZ 2007, 313, 316; vgl. zu den verfassungsrechtlichen Grundlagen auch Schneider: Grund und Grenzen des strafrechtlichen Selbstbegünstigungsprinzips, S.  43 ff. 544  Lackner / Kühl: StGB, § 164 Rn. 12; Fischer: StGB, § 164 Rn. 15.

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6. Teil: Vereinbarkeit mit strafprozessualen Prinzipien

Dritter ermächtigen kann, da in diesem Fall ein „um individuelle Opferinteressen erweitertes Interessengeflecht“545 betroffen ist. Der Gesichtspunkt, dass der Täter mit seinem Streben nach Selbstbegünstigung nicht nur die Kapazitäten der Strafverfolgungsbehörden beansprucht, sondern zugleich einen Dritten der Gefahr einer Strafverfolgung aussetzt, hat jedoch bereits im Rahmen des § 164 Abs. 1 StGB Berücksichtigung gefunden. Er vermag daher die Strafschärfung in Abs. 3 S. 1 nicht zu begründen.546 Auch ist die Missbrauchsabsicht nicht zwangsläufig Ausdruck einer besonderen Verwerflichkeit, einer rechtsfeindlichen Gesinnung oder individuellen Gefährlichkeit des Täters. Zumindest erscheint die drastisch erhöhte Strafandrohung für Fälle der Selbstbegünstigung unverhältnismäßig, bedenkt man, dass weiterhin nur eine Bestrafung aus dem Grundtatbestand in Betracht kommt, wenn die Aussage des Täters durch Hass oder Missgunst motiviert war.547 Ein ausschließlich auf Selbstbegünstigung abzielendes Verhalten erscheint demgegenüber weniger vorwerfbar, nicht zuletzt aufgrund der Drucksituation, in der sich befindet, wer nach einem entsprechenden Hinweis der Polizei kein Kronzeugenwissen anzubieten hat. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass bei einem Zusammentreffen von § 145d Abs. 3 bzw. § 164 Abs. 3 StGB und § 258 StGB derselbe Aspekt auf der einen Seite strafbegründend bzw. -schärfend und auf der anderen Seite strafaufhebend wirkt.548 Nach Schneider liegt die Erklärung für die mitunter belastende Wirkung selbstbegünstigungsmotivierten Verhaltens letztlich nicht in der individuellen Verwerflichkeit der Selbstbegünstigung, sondern meist in kriminalpolitischgeneralpräventiven Gefährlichkeitserwägungen, die an den Gedanken des Vorverschuldens anknüpfen und eine Entschärfung besonders eskalationsträchtiger Situationen bezwecken.549 Zugleich soll damit einer besonderen Kriminalitätsfurcht begegnet und dem Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung entsprochen werden. Diese resultierten z. B. im Rahmen der Verdeckungsabsicht beim Mord daraus, dass praktisch jedermann Opfer einer Verdeckungstötung werden könne, ohne dass eine besondere Täter-Opfer-Beziehung vorliegen müsse.550 Hinsichtlich derartiger Erwägungen ist zu berücksichtigen, 545  Schneider: Grund und Grenzen des strafrechtlichen Selbstbegünstigungsprinzips, S. 323. 546  Vgl. Vormbaum, in: NK-StGB, § 164 Rn. 79. 547  Vgl. Lange: Protokoll der 133. Sitzung des Rechtsausschusses vom 25.3.2009, S. 19. 548  Vgl. Vormbaum, in: NK-StGB, § 164 Rn. 79. 549  Schneider: Grund und Grenzen des strafrechtlichen Selbstbegünstigungsprinzips, S.  109 f., 335 f. 550  Schneider: Grund und Grenzen des strafrechtlichen Selbstbegünstigungsprinzips, S.  109 f., 335 f.



C. Vereinbarkeit mit dem Grundsatz der Wahrheitsermittlung 255

dass der besondere Anreiz zur Falschbelastung durch § 46b StGB vom Gesetzgeber geschaffen und in Kauf genommen wurde, weshalb der Aspekt des Vorverschuldens in den Hintergrund tritt. Zugleich dürfte keine nennenswerte Kriminalitätsfurcht bestehen, als unbescholtener Bürger das Opfer einer Falschbelastung durch Kronzeugen zu werden, da als Betroffene eher Angehörige des kriminellen Umfelds des Kronzeugen zu erwarten sind.551 Damit lässt sich festhalten, dass auch die in §§ 145d Abs. 3, 164 Abs. 3 StGB vorausgesetzte Missbrauchsabsicht für sich genommen keine für die Strafanhebung maßgebliche Typisierung von Unrecht enthält.552 f) Restriktive Tatbestandsauslegung bei ungeeigneten Tathandlungen Ein besonderes Problem im Rahmen der neugeschaffenen Qualifikationstatbestände stellt der von vornherein untaugliche Versuch dar, in den Genuss der Vorteile einer Kronzeugenregelung zu gelangen. Auffällig ist, dass die eigenständigen Tatbestände in § 145d Abs. 3 Nr. 2 und Nr. 3 StGB auf die Katalogtaten der Kronzeugenregelungen beschränkt sind, während die Qualifikationen in § 145d Abs. 3 Nr. 1 und § 164 Abs. 3 S. 1 StGB keinen entsprechenden Verweis auf § 46b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StGB und § 31 S. 1 Nr. 1 BtMG enthalten. § 145d Abs. 3 Nr. 1 und § 164 Abs. 3 S. 1 StGB setzen als qualifizierendes Merkmal gegenüber dem Grundtatbestand damit lediglich die Absicht voraus, sich einen Vorteil nach § 46b StGB oder § 31 BtMG zu erschleichen. Dem Wortlaut nach unerheblich ist hingegen, auf welche rechtswidrige Tat sich die Täuschung bzw. Falschverdächtigung bezieht. Erfasst wären damit sämtliche Taten i. S. d. § 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB, selbst wenn diese niemals zur Anwendung der Kronzeugenregelungen führen könnten. Des Weiteren enthalten die Qualifikationen keine Einschränkung dahingehend, dass es sich um den mutmaßlichen Täter einer geeigneten Anlasstat i.  S.  d. Kronzeugenregelungen handeln oder die zeitliche Grenze des § 46b Abs. 3 StGB (i. V. m. § 31 S. 2 BtMG) gewahrt sein muss. Ob die Qualifikationstatbestände derartige, im Hinblick auf eine Anwendung der Kronzeugenregelungen völlig ungeeignete Tathandlungen erfassen, wird nicht einheitlich beurteilt. Nach der wohl überwiegenden Auffassung553 sind die Voraussetzungen der Qualifikation selbst dann erfüllt, wenn die Bemühungen um den Kron551  Zopfs

ZIS 2011, 669, 672. hierzu auch Vormbaum, in: NK-StGB, § 164 Rn. 79; Lange: Protokoll der 133. Sitzung des Rechtsausschusses vom 25.3.2009, S. 19. 553  So Fischer: StGB, § 145d Rn. 14; Vormbaum, in: NK-StGB, § 164 Rn. 81; wohl auch Lackner / Kühl: StGB, § 145d Rn. 10a und § 164 Rn. 12; Valerius, in: BeckOK-StGB, § 164 Rn. 24b und § 145d Rn. 19a. 552  Siehe

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6. Teil: Vereinbarkeit mit strafprozessualen Prinzipien

zeugenrabatt von vornherein zum Scheitern verurteilt sind. Es komme nicht darauf an, ob die Voraussetzungen des § 46b StGB zu irgendeinem Zeitpunkt objektiv vorgelegen hätten. Ausreichend sei vielmehr, dass das Gericht die Strafmilderung entgegen § 46b Abs. 1 StGB bei einer untauglichen Anlass- oder Bezugstat oder entgegen § 46b Abs. 3 StGB erst nach Eröffnung der Hauptverhandlung in Aussicht gestellt habe.554 Eine offenkundige Aussichtslosigkeit der Täuschung spreche allenfalls für die Annahme eines minder schweren Falles.555 Vertreter der Gegenansicht556 wollen § 145d Abs. 3 Nr. 1 bzw. § 164 Abs. 3 S. 1 StGB restriktiv dahin auslegen, dass die Aussage des Täters geeignet sein müsse, die Anwendung der jeweiligen Kronzeugenregelung zu veranlassen. Dies sei dem Regelungszweck der Erweiterung geschuldet und entspreche einer rechtsgutsspezifischen Auslegung. Für das Ausreichen von vornherein untauglicher Bemühungen um die Vorteile einer Kronzeugenregelung spricht der Wortlaut, der keine diesbezügliche Einschränkung enthält. Darüber hinaus könnte man im Umkehrschluss aus § 145d Abs. 3 Nr. 2 und Nr. 3 StGB folgern, dass die unmittelbar davor geregelte Qualifikation der Nr. 1 gerade keinen Bezug auf eine der in § 46b Abs. 1 StGB bzw. § 31 S. 1 BtMG genannten rechtswidrigen Taten voraussetzt. In Anbetracht der Nähe der Regelungen fällt es zudem schwer, von einem gesetzgeberischen Versehen auszugehen. Auf der anderen Seite sind die Qualifikationen im Zusammenhang mit ihrem Grundtatbestand zu sehen und im Lichte des von ihnen geschützten Rechtsgutes auszulegen. § 164 Abs. 1 StGB verlangt anders als Abs. 2 nicht explizit, dass die Behauptung geeignet sein muss, ein behördliches Verfahren oder andere behördliche Maßnahmen herbeizuführen oder fortdauern zu lassen. Dennoch ist ungeschriebene Tatbestandsvoraussetzung die Eignung zur Begründung des für das behördliche Einschreiten erforderlichen Anfangsverdachts, weil andernfalls die durch § 164 StGB geschützten Rechtsgüter nicht beeinträchtigt sind. Auch im Rahmen des § 145d StGB orientiert sich die Auslegung am Schutzzweck der Vorschrift. Erforderlich für ein Vortäuschen im Sinne der Regelung ist nach h. M. die ex ante zu beurteilende Eignung des Täterverhaltens zur Auslösung erheblicher ungerechtfertigter Verfolgungsarbeit.557 Bei §§ 145d und 164 554  Vormbaum,

in: NK-StGB, § 164 Rn. 81. StGB, § 145d Rn. 15. 556  Lenckner / Bosch, in: Schönke  /  Schröder: StGB, § 164 Rn. 14a; Zopfs ZIS 2011, 669, 672. 557  BayOblG NJW 1988, 883; Lackner / Kühl: StGB, § 145d Rn. 4; Wessels / Hettinger: Strafrecht BT 1, Rn. 706; Rudolphi / Rogall, in: SK-StGB, § 145d Rn. 17; Küper: Strafrecht BT, S 428; Geppert Jura 2000, 383, 384. 555  Fischer:



C. Vereinbarkeit mit dem Grundsatz der Wahrheitsermittlung 257

Abs. 1 StGB handelt es sich damit um sog. materielle Eignungsdelikte, die das Tatbestandsmerkmal „geeignet“ nicht ausdrücklich aufweisen, jedoch dahingehend ausgelegt werden, dass einerseits zu ihrer Begehung nicht jede Handlung mit subjektiver Erfolgsherbeiführungsabsicht ausreicht, andererseits aber auch kein tatsächlicher Erfolgseintritt notwendig ist.558 Bei Einführung der §§ 145d Abs. 3, 164 Abs. 3 StGB ging es dem Gesetzgeber nicht darum eine Selbstbegünstigungsabsicht zu bestrafen, die auf einer rechtsirrigen Auffassung über die Reichweite der Kronzeugenregelung beruht.559 Vielmehr sollte eine tatsächlich mögliche Verwirklichung der durch die Kronzeugenregelung geschaffenen spezifischen Missbrauchsgefahr verhindert werden. Genauso wenig wie der Schutzzweck des § 164 Abs. 1 StGB tangiert ist, wenn Behauptungen aufgestellt werden, die schon objektiv ungeeignet sind, überhaupt eine behördliche Reaktion auszulösen, so ist der Schutzzweck des § 164 Abs. 3 StGB einschlägig, wenn selbst bei hypothetischer Richtigkeit der Angaben keine Anwendung der Kronzeugenregelung in Frage käme.560 Für die unterschiedlichen Anforderungen an den Gegenstand der Täuschung in der Qualifikation und den eigenständigen Tatbeständen des § 145d Abs. 3 StGB sind indes keine plausiblen Gründe ersichtlich. § 46b StGB ist nicht nur bezüglich der Verhinderung zukünftiger Straftaten, sondern auch hinsichtlich der Aufklärung bereits begangener Taten auf den Katalog in § 100a Abs. 2 StPO beschränkt. Die Differenzierung im Wortlaut scheint daher letztlich nur ein unbeabsichtigter Nebeneffekt der Vermischung von Qualifikation und eigenständigen Tatbeständen561 zu sein. § 145d Abs. 3 Nr. 1 StGB und § 164 Abs. 3 S. 1 StGB sind folglich entsprechend ihren Grundtatbeständen restriktiv auszulegen. Die Tathandlung ist durch Bezugnahme auf das Rechtsgut dahingehend teleologisch einzuschränken, dass die Qualifikation nur als erfüllt angesehen werden kann, wenn die Täuschung bzw. die falsche Verdächtigung nach Art und Inhalt objektiv geeignet ist, eine Anwendung der Kronzeugenregelung anzustoßen. Von vornherein untaugliche Versuche in den Genuss der Vorteile einer Kronzeugenregelung zu gelangen, sind von den neugeschaffenen Qualifikationstatbeständen somit nicht erfasst. Es kann daher nicht ausreichend sein, einen Dritten mit der Begehung einer beliebigen Straftat in Verbindung zu bringen, die nicht unter § 100a Abs. 2 StPO oder die §§ 29 Abs. 3, 29a Abs. 1, 30 Abs. 1, 30a Abs. 1 BtMG fällt. Des Weiteren muss es sich bei dem Täter um den Beschuldigten bzw. Angeschuldigten einer mit im Mindestmaß erhöhter oder lebenslanger Freiheitsstrafe bedrohten Tat handeln, und die Tathandlung muss vor der Eröffnung des Hauptverfahhierzu grundlegend Hoyer: Die Eignungsdelikte, insbesondere S. 199. Zopfs ZIS 2011, 669, 672. 560  Vgl. Lenckner / Bosch, in: Schönke / Schröder: StGB, § 164 Rn. 14a. 561  Vgl. Valerius, in: BeckOK-StGB, § 145d Rn. 19b.1. 558  Siehe 559  Vgl.

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rens bezüglich dieser Anlasstat stattfinden. Im Übrigen ergibt sich eine objektive Eignung nicht schon unwiderleglich daraus, dass es infolge der Aussage tatsächlich zu einer Anwendung bzw. eine Zusage im Hinblick auf die Anwendung der Kronzeugenregelung gekommen ist. Fehlt die objektive Geeignetheit, sind dennoch erfolgende Maßnahmen alleinige Angelegenheit der zur Beurteilung der Rechtslage berufenen Stelle, die dem für die Beurteilung der Rechtslage nicht zuständigen Verdächtigen nicht als dessen Werk zugerechnet werden können.562 Ist die Täuschung dagegen leicht zu durchschauen, aber grundsätzlich nicht ungeeignet, spricht dies lediglich für die Annahme eines minder schweren Falles.563 g) Zwischenergebnis Die Ausweitung und Anhebung der Strafandrohungen in §§ 145d Abs. 3 und 4, 164 Abs. 3 StGB stützt sich ausschließlich auf Zweckmäßigkeitserwägungen und ist dabei weder aus kriminologischer noch aus strafrechtssystematischer Sicht überzeugend. Die neuen Absätze drohen sich kontraproduktiv auf das Verfahren gegen den durch den Kronzeugen belasteten Dritten auszuwirken und stellen im Recht der Straftaten gegen die Rechtspflege einen Fremdkörper dar. Das vom Gesetzgeber verfolgte Ziel der Kompensation einer zu Unrecht erlangten Strafmilderung vermag die Strafschärfung nicht zu legitimieren und stößt auf verfassungsrechtliche Bedenken. Der Verweis auf die Annahme eines minder schweren Falles zur Vermeidung unverhältnismäßiger Strafen erscheint vor diesem Hintergrund wie ein Eingeständnis. Ferner weisen die Vorschriften handwerkliche Mängel auf; so können die Vermischung von Qualifikationen und eigenständigen Tatbeständen oder die Länge der entstandenen Verweisungskette „nicht gerade als geglückte Gesetzgebung bezeichnet werden“.564 Darüber hinaus ist der Eintritt der erhofften Abschreckungswirkung äußerst unwahrscheinlich, die Strafschärfung somit letztlich nur ein gesetzgeberisches Placebo. Diese Einschätzung wird von den meisten der im Rahmen der Untersuchung befragten Praktiker geteilt: 80 % der Richter, 76,2 % der Strafverteidiger und 61,6 % Staatsanwälte halten die Strafandrohung für ungeeignet bzw. eher ungeeignet, um einem Missbrauch der Kronzeugenregelung zu vermeiden.565 Die § 145d Abs. 3 und 4 sowie § 164 Abs. 3 StGB müssen daher wieder aus dem Gesetz gestrichen werden. Bis dahin sind die Vorschriften gemäß ihrem Sinn und Zweck rest562  Vgl. zu § 164 Abs. 2 StGB Hoyer: Die Eignungsdelikte, S. 148 f.; a.  A. im Hinblick auf § 164 StGB Vormbaum, in: NK-StGB, § 164 Rn. 81. 563  Siehe dazu Fischer: StGB, § 145d Rn. 15. 564  Valerius, in: BeckOK-StGB, § 145d Rn. 19b.1. 565  Siehe 7. Teil B. II. 9.



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riktiv auszulegen. Insbesondere ist zu berücksichtigen, dass objektiv ungeeignete Täuschungen vom Tatbestand nicht erfasst sind. Im Rahmen der Abwägung über das Vorliegen eines minder schweren Falles ist im Einzelfall zu prüfen, ob die Falschbelastung allein selbstbegünstigungsmotiviert oder zusätzlich durch Rechtsfeindlichkeit geprägt ist.566 3. Verwirkungsstrafe Aus dogmatischer Sicht lässt sich die gewollte Korrektur rechtskräftiger Fehlurteile daher besser im Rahmen des Wiederaufnahmeverfahrens verankern. Eine Wiederaufnahmemöglichkeit zuungunsten des Angeklagten (§ 362 StPO) oder ein sonstiger nachträglicher Verlust der Strafmilderung ist für Fälle der missbräuchlichen Inanspruchnahme des § 46b StGB jedoch gesetzlich nicht vorgesehen. Der Vorschlag des Bundesrates zur Einführung einer sog. Verwirkungsstrafe in Anlehnung an den niedersächsischen „Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der Aufklärungshilfe im Strafrecht“567 wurde nicht übernommen.568 Bereits im Jahr 2004 hatte der Bundesrat, ebenfalls auf Grundlage der Initiative des Landes Niedersachsen, einen entsprechenden Regelungsvorschlag ohne Erfolg in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht.569 Vorgesehen war darin ein zusätzlicher Wiederaufnahmetatbestand in § 362 StPO, der an die im Verfahren gegen den Kronzeugen für den Fall des Missbrauchs bereits vorsorglich festgesetzte Strafe anknüpfen sollte.570 Hierfür sollte wiederum § 260 Abs. 4 StPO um eine Bestimmung ergänzt werden, wonach bei Gewährung des Kronzeugenvorteils im Urteil auch die Strafe festzusetzen ist, die ohne die Anwendung der Kronzeugenregelung verwirkt wäre.571 Für die Zulässigkeit der Wiederaufnahme sollte ausreichen, dass der Zeuge in einem Strafverfahren bezüglich der aufgedeckten oder verhinderten Tat bei einer Vernehmung trotz Ladung nicht erscheint, ohne gesetzlichen Grund Zeugnis oder Eid verweigert, sich zu wesentlichen Tatsachen nunmehr anders äußert oder aber einen Dritten zu Unrecht belastet, wofür grundsätzlich eine rechtskräftige Verurteilung wegen eines Aussagedelikts vorliegen muss.572 566  So Fischer: StGB, § 145d Rn. 15, der allerdings auch die offenkundige Aussichtslosigkeit der Täuschung erst im Rahmen dieser Abwägung berücksichtigen will. 567  BR-Drucks. 896 / 02. 568  BT-Drucks. 16 / 6268, S. 19; vgl. die Gegenäußerung der Bundesregierung auf S. 21. 569  BT-Drucks. 15 / 2771; vgl. BT-Drucks. 16 / 6268, S. 21; vgl. ferner schon BTDrucks. 14 / 5938 sowie BT-Drucks. 14 / 6834. 570  Vgl. BT-Drucks. 15 / 2771, S. 10. 571  Daher stammt der Begriff „Verwirkungsstrafe“. 572  BT-Drucks. 15 / 2771, S.  11.

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6. Teil: Vereinbarkeit mit strafprozessualen Prinzipien

Von der Umsetzung einer den § 46b StGB flankierenden Wiederaufnahmeregelung wurde nach den im Zusammenhang mit §§ 145d Abs. 3 und 4, 164 Abs. 3 StGB gewonnenen Einsichten zu Recht abgesehen.573 Dass ihm die erzielte Strafmilderung zu einem späteren Zeitpunkt möglicherweise wieder genommen werden könnte, dürfte den Kronzeugen kaum von einer unwahren Aussage zurückschrecken lassen. Im schlimmsten Fall erhielte er die Strafe, die für seine Anlasstat ohnehin verhängt worden wäre. Andererseits könnte das Damoklesschwert einer drohenden Wiederaufnahme den Kronzeugen zu einem späteren Zeitpunkt dazu zwingen, auch im Verfahren gegen den belasteten Dritten an seiner unwahren Aussage festzuhalten.574 Der Wahrheitsermittlung wäre damit nicht gedient. Vielmehr würde die Gefahr falscher oder übertriebener Belastungen perpetuiert.575 Maßstab der Aussage wäre nicht mehr die Wahrheit (§ 57 S. 1 StPO), sondern die Abweichung von bzw. Übereinstimmung mit den früheren Angaben. Der Kronzeuge stünde vor einem Dilemma: Hält er an seinen unwahren Angaben fest, macht er sich wegen eines Aussagedeliktes (§§ 153 f. StGB) strafbar; weicht er von seiner ursprünglichen Aussage wesentlich ab, riskiert er den Verlust seiner Strafmilderung.576 Wie die drohende Bestrafung nach §§ 145d Abs. 3, 164 Abs. 3 StGB würde die drohende Wiederaufnahme den Beweiswert von Kronzeugenaussagen zusätzlich mindern, da der Ermittlungsgehilfe erneut vortragen muss, was er eigentlich lieber richtigstellen würde oder woran er sich möglicherweise gar nicht mehr erinnert.577 Darüber hinaus ist das Konzept der Verwirkungsstrafe nicht mit der derzeitigen Ausgestaltung der materiell-rechtlichen Voraussetzungen des § 46b StGB in Einklang zu bringen, da sich die Pflicht zur Wiederholung der Aussage nicht in der „Leistungsbeschreibung“ der Ermittlungshilfe widerspiegelt.578 Nach § 46b StGB genügt die bloße Wissensoffenbarung. Soweit dadurch nicht die Überzeugung des Gerichts vom Vorliegen eines Aufklärungserfolges ins Wanken gerät, ist nach ständiger Rechtsprechung nicht erforderlich, dass der Kronzeuge die Angaben in der Hauptverhandlung wiederholt und als Belastungszeuge auftritt, vielmehr noch darf er das Gesagte sogar widerrufen.579 Durchaus überlegenswert erscheint dagegen eine Ergänzung des § 260 Abs. 4 StPO, wonach im Fall der Anwendung des § 46b StGB oder einer Pflieger / Striewisch Kriminalpolizei 2006, 93, 96. 16 / 6268, S. 21; BT-Drucks. 15 / 2771, S. 13; König: Protokoll der 133. Sitzung des Rechtsausschusses vom 25.3.2009, S. 17. 575  Vgl. Lammer, in: Mühlhoff  / Mehrens: Das Kronzeugengesetz im Urteil der Praxis, S. 79. 576  Jeßberger: Stellungnahme im Rechtsausschuss am 7.11.2001, S. 6. 577  BT-Drucks. 15 / 2771, S.  14. 578  Jeßberger: Stellungnahme im Rechtsausschuss am 7.11.2001, S. 6. 579  Vgl. BGH StV 2012, 80, 81. 573  A. A.

574  BT-Drucks.



C. Vereinbarkeit mit dem Grundsatz der Wahrheitsermittlung 261

bereichsspezifischen Kronzeugenregelung in der Urteilsformel auch die Strafe festzusetzen ist, die ohne Anwendung dieser Vorschriften verwirkt wäre. Denn dies hätte für die Beweiswürdigung im Verfahren gegen die belasteten Dritten den Vorteil, dass transparent gemacht würde, welche Vergünstigung der Kronzeuge im konkreten Fall als Gegenleistung für seine Aussage erhalten hat.580 Gegen den Entwurf einer entsprechenden Regelung wurde von der Bundesregierung eingewandt, die Aussage des Täters sei als Verhalten nach der Tat regelmäßig auch nach den allgemeinen Strafzumessungsregelungen zu berücksichtigen; eine eindeutige Zuordnung im Sinne eines „sauberen Sezierens“ sei daher kaum möglich.581 Macht der Kronzeuge unwahre Angaben zu einer Straftat, an der er selbst nicht beteiligt war, wäre nicht nur die Milderung nach § 46b StGB, sondern auch eine strafmildernde Berücksichtigung der Angaben im Rahmen der allgemeinen Strafzumessung zu Unrecht erfolgt. Um den Kronzeugenvorteil transparent zu machen, hätte das Gericht nur diejenige Strafe anzugeben, die bei völliger Außerachtlassung der belastenden Wissensoffenbarung verwirkt wäre. Schwierigkeiten bereitet die Trennung erst, wenn der Kronzeuge im Rahmen eines umfassenden Geständnisses nicht nur fremde, sondern gleichzeitig auch eigene Tatbeiträge offenbart. Für die Beweiswürdigung entscheidend ist letztlich vor allem die Kenntnis des Umstandes, dass sich der Belastungszeuge von seiner Aussage eigene Vorteile i. S. d. § 46b StGB versprach. Verglichen damit ist die vom Kronzeugen kaum beeinflussbare Höhe des Strafnachlasses regelmäßig ein eher schwaches Indiz hinsichtlich einer möglichen Falschaussage. Eine Ergänzung des § 260 Abs. 4 StPO könnte gleichwohl sinnvoll sein, um die Transparenz des „Kronzeugendeals“ nach außen zu wahren und damit dem Vorwurf informeller Absprachen vorzubeugen. 4. Erhöhte Anforderungen an die Beweiswürdigung Das Interesse Dritter, nicht zu Unrecht den falschen Beschuldigungen eines Kronzeugen ausgesetzt zu sein, ist unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten besonders schützenswert.582 Das Resultat falscher Anschuldigungen kann von Fehlurteilen hinsichtlich des Umfangs der Tatbeteiligung bis zur Verurteilung eines völlig Unschuldigen reichen.583 Da sich die Maßnahmen zur Vermeidung falscher Kronzeugenaussagen weitgehend als wirkungslos erwiesen haben, muss der Frage besondere Aufmerksamkeit gelten, wie sich Fehlurteile im Rahmen der Beweiswürdigung vermeiden lassen. 580  Vgl. König: Protokoll der 133. Sitzung des Rechtsausschusses vom 25.3.2009, S. 17; ders. NJW 2009, 2481, 2484; siehe auch Quentin, in: FS-Stöckel, S. 477. 581  BT-Drucks. 15 / 2771, S.  13. 582  Vgl. Jeßberger: Stellungnahme im Rechtsausschuss am 7.11.2001, S. 5. 583  Weider, in: FS-Widmaier, S. 601.

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6. Teil: Vereinbarkeit mit strafprozessualen Prinzipien

a) Gesteigerte Darlegungs- und Würdigungspflicht Hinsichtlich der Aussage eines Kronzeugen sind nach ständiger Rechtsprechung erhöhte Anforderungen an die Beweiswürdigung zu stellen, mit denen auch eine erhöhte Darlegungs- und Begründungspflicht in den Urteilsgründen einhergeht.584 Als naheliegendes Motiv für eine mögliche Falschbelastung ist bei einem Zeugen stets zu untersuchen, ob er sich von seiner Aussage eigene Vorteile verspricht.585 Ist der Aufklärungsgehilfe bzw. Belastungszeuge selbst an der Tat beteiligt, besteht umso mehr Anlass für eine kritische Prüfung, da er den Angeklagten dann möglicherweise belastetet hat, um sich selbst auf dessen Kosten zu entlasten.586 Die Beweiswürdigung muss daher erkennen lassen, ob sich der Betreffende eine Strafmilderung als Ermittlungsgehilfe verdient hat oder nicht.587 Dass der Kronzeuge zum Zeitpunkt seiner Aussage bereits rechtskräftig verurteilt war, schließt nicht aus, dass sein Aussageverhalten weiterhin von dieser Motivation beeinflusst wurde.588 So könnte er ein fortwirkendes Interesse daran haben, eine Strafverfolgung wegen falscher Verdächtigung oder des Vortäuschens einer Straftat zu vermeiden.589 Das gilt auch dann, wenn Anhaltspunkte vorliegen, dass der Zeuge seine Angaben im Laufe seines eigenen Strafverfahrens geändert hat.590 Steht Aussage gegen Aussage, ist eine lückenlose Gesamtwürdigung der Indizien besonders wichtig.591 Widersprechen die Ausführungen des Angeklagten denen des Ermittlungsgehilfen und hängt die Entscheidung des Tatgerichts allein davon ab, welcher der beiden Versionen es Glauben schenkt, ist eine umfassende Darstellung der relevanten Aussagen sowie des Aussageverhaltens im Laufe des Verfahrens erforderlich.592 Die Urteilsgründe müssen aus revisionsgerichtlicher Sicht erkennen lassen, dass der Tatrichter alle Umstände, die seine Entscheidung zu beeinflussen geeignet sind, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat.593 Diese erweiterte Darlegungspflicht 584  Maier,

in: MüKo-StGB, § 46b Rn. 79; Brause NStZ 2007, 505, 510. StV 2004, 419; Schmandt StraFo 2010, 446, 451. 586  Maier, in: MüKo-StGB, § 46b Rn. 80; Eschelbach, in: BeckOK-StPO, § 261 Rn. 58. 587  BGH NStZ-RR 2005, 88, 89; StV 2008, 451, 452; NStZ-RR 2009, 212. 588  BGH NStZ-RR 2002, 146, 147. 589  Maier, in: MüKo-StGB, § 46b Rn. 77; Eschelbach, in: BeckOK-StPO, § 261 Rn. 58; vgl. OLG München Beschluss vom 17.2.2010 – 5St RR [I] 5 / 10. 590  BGH NStZ-RR 2002, 146, 147; Maier, in: MüKo-StGB, § 46b Rn. 80. 591  BGH NJW 1998, 3788, 3790; OLG Koblenz NStZ-RR 2000, 176. 592  BGH Beschluss vom 11.5.2011 – 4 StR 163 / 11; StV 1999, 304; NStZ 2001, 261; NStZ-RR 2002, 174; NStZ-RR 2004, 281; NStZ-RR 2009, 212. 593  Eschelbach, in: BeckOK-StPO, § 261 Rn. 55; BGH NStZ 2000, 496, 497; NStZ-RR 2008, 349; StraFo 2011, 400; KG StraFo 2010, 201, 202. 585  BGH



C. Vereinbarkeit mit dem Grundsatz der Wahrheitsermittlung 263

besteht nicht nur im Falle einer Verurteilung des Angeklagten, sondern auch wenn er freigesprochen wird, weil das Gericht von der Richtigkeit der belastenden Aussage nicht überzeugt war.594 Der Richter hat sich im Rahmen einer sorgfältigen Aussageanalyse mit dem Inhalt, der Entstehungsgeschichte, der Entwicklung und den Motiven der Aussage auseinanderzusetzen.595 Bei der Bewertung ihrer Detailliertheit, Plausibilität und Konstanz müssen die Angaben des Belastungszeugen gegenüber der bestreitenden Einlassung des Angeklagten ein Mehr an Glaubhaftigkeit für sich beanspruchen können.596 Hinsichtlich des Detailreichtums ist zu berücksichtigen, dass der Angeklagte wenig substantiierte Vorwürfe in der Regel ebenfalls nur pauschal bestreiten kann.597 Das Gericht darf sich nicht auf die Suche nach Umständen beschränken, die gegen die Glaubhaftigkeit der Kronzeugenangaben sprechen könnten, sondern muss darüber hinaus Umstände aufzeigen, welche die Richtigkeit der Aussage positiv bestätigen können.598 Steht Aussage gegen Aussage, ergeben sich hieraus auch Konsequenzen für die Anordnung und Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft. Liegen keine Erkenntnisse vor, die gegen die Glaubhaftigkeit des Beschuldigten sprechen und fehlt es auch an sonstigen Beweismitteln, reicht die bloße Zeugenaussage für die Annahme eines dringenden Tatverdachts i. S. d. § 112 Abs. 1 StPO regelmäßig nicht aus.599 b) Bestätigung durch weitere Beweismittel („corroboration“) In diesem Zusammenhang muss auch der Vorschlag zur Einführung einer Bestimmung nach dem Vorbild der US-amerikanischen „corroboration“600 aufgegriffen werden. Das Beweisrecht einiger amerikanischer Bundesstaaten sieht vor, dass die Aussage eines Kronzeugen allein niemals für eine Verurteilung des Angeklagten ausreichend ist.601 Vielmehr bedarf es der „corroboration“ (= Bekräftigung, Untermauerung). Das heißt, es müssen zusätzliche Beweismittel 594  BGH

NStZ 2000, 550, 551; NStZ-RR 2002, 174, 175. in: MüKo-StGB, § 46b Rn. 82. 596  Eschelbach, in: BeckOK-StPO, § 261 Rn. 55; Malek StV 2010, 200, 206. 597  Eschelbach, in: BeckOK-StPO, § 261 Rn. 55. 598  BGH NStZ-RR 2003, 245. 599  OLG Koblenz StV 2002, 313; Maier, in: MüKo-StGB, § 46b Rn. 87. 600  Ausdrücklich abgelehnt in BT-Drucks. 15  / 2333, S. 8; BT-Drucks. 15 / 2771, S. 10. 601  Hoyer JZ 1994, 233, 237; Denny ZStW 103 (1991), 269, 303 f.; Jaeger: Der Kronzeuge, S. 203 f., 263; Jung: Straffreiheit für den Kronzeugen, S. 27, 39; Jeßberger: Kooperation und Strafzumessung, S. 289 f. 595  Maier,

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6. Teil: Vereinbarkeit mit strafprozessualen Prinzipien

gefunden werden, durch welche sich die Kronzeugenangaben und damit die Beteiligung des Angeklagten an der ihm vorgeworfenen Straftat bestätigen lassen. Allerdings genügt nicht jede Form des unterstützenden Beweises. Bei Beweismitteln, welche nicht unmittelbar die Tatbeteiligung des Belasteten, sondern Tatzeit, Tatort oder andere Tatmodalitäten bestätigen, handelt es sich lediglich um „supporting evidence“.602 Dadurch soll vermieden werden, dass die Jury ihre für den Schuldspruch ausschlaggebende Entscheidung auf nur ein einziges, tendenziell wenig glaubwürdiges Beweismittel stützten muss.603 Es entstand die Idee, eine Bestimmung in das deutsche Strafverfahrensrecht aufzunehmen, wonach die Kronzeugenangaben in Anlehnung an das amerikanische Vorbild durch zusätzliche, daraufhin gewonnene Beweismittel erhärtet worden sein müssen, ehe der durch sie belastete Dritte verurteilt werden darf.604 Gegen die Einführung einer entsprechenden Vorschrift wird insbesondere die prinzipielle Unvereinbarkeit von Beweisregeln mit der freien richterlichen Überzeugungsbildung (vgl. § 261 StPO) eingewandt.605 Eine abstraktgenerelle Regelung sei hinderlich in Fällen, in denen eine besonders überzeugende Aussage eine Verurteilung rechtfertige.606 Zudem werde der Gefahr von Falschbelastungen durch das geltende Recht und seine Auslegung durch die Rechtsprechung bereits hinreichend Rechnung getragen.607 So sei das Gericht ohnehin zur Erforschung der Wahrheit unter umfassender Würdigung der Beweislage verpflichtet und habe in diesem Rahmen auch den möglicherweise reduzierten Beweiswert von Kronzeugenaussagen zu berücksichtigen.608 Über die zur Konstellation „Aussage gegen Aussage“ entwickelten Grundsätze und eine auch sonst sorgfältige Beweiswürdigung hinaus wird daher offenbar kein Bedarf für weitere Einschränkungen gesehen.609 Schließlich würde eine derartige Vorschrift eine „Fundgrube für Revisionsrügen“ bieten.610 602  Denny

ZStW 103 (1991), 269, 294 f. Der Kronzeuge, S. 204. 604  König StV 2012, 113, 115; ders. ZRP 2011, 159; vgl. auch Häusler, in: 30 Jahre Strafverteidigertag, S. 273; Denny ZStW 103 (1991), 269, 304; Lammer ZRP 1989, 248, 252 („unbedingt sinnvoll“); Mühlhoff / Pfeiffer ZRP 2000, 121, 126; ablehnend Endriß StraFo 2004, 151, 155; Peglau ZRP 2001, 103, 105; Jahrreiß, in: FS-Lange, S. 772; Schaefer NJW 2000, 2325, 2326; Jeßberger: Kooperation und Strafzumessung, 129 f. 605  Schaefer NJW 2000, 2325, 2326. 606  BT-Drucks. 15 / 2333, S. 8; BT-Drucks. 15 / 2771, S. 10. 607  Vgl. die Äußerungen der Symposiumsteilnehmer bei Mühlhoff / Mehrens: Das Kronzeugengesetz im Urteil der Praxis, S. 101. 608  BT-Drucks. 15 / 2333, S. 8; BT-Drucks. 15 / 2771, S. 10. 609  Vgl. etwa Schmandt StraFo 2010, 446, 451. 610  BT-Drucks. 15 / 2333, S. 8; BT-Drucks. 15 / 2771, S. 10. 603  Jaeger:



C. Vereinbarkeit mit dem Grundsatz der Wahrheitsermittlung 265

Bei Beantwortung der Frage, ob die Verurteilung auf Grundlage einer Kronzeugenaussage stets eine Bestätigung durch weitere Beweismittel voraussetzen sollte, ist zunächst zu berücksichtigen, dass sich die Situation des Kronzeugen maßgeblich von der anderer Belastungszeugen unterscheidet. So ist das Auftauchen von täuschungsbereiten Zeugen kein Zufallsereignis, sondern „geradezu vorprogrammiert“, weil der Staat selbst „die Vergünstigungen in Aussicht gestellt hat, die für den Kronzeugen den Anreiz zur Lüge schaffen“.611 Als vertypter Milderungsgrund verspricht § 46b StGB i. V. m. § 49 Abs. 1 StGB einen wesentlich konkreteren Vorteil als die Berücksichtigung strafmildernder Umstände im Rahmen der allgemeinen Strafzumessung. Hat der Zeuge erst einmal falsche Angaben gemacht, gibt es für ihn angesichts der erhöhten Strafandrohung in den §§ 145d Abs. 3, 164 Abs. 3 StGB meist kein Zurück mehr. Die Gefahr von Fremdbelastungen im Eigeninteresse wird damit potenziert.612 Die Glaubwürdigkeitsbeurteilung wird außerdem dadurch erschwert, dass der mit den Tatumständen vertraute Kronzeuge eine nur fragmentarisch vorhandene Indizienkette leicht zu seinen Gunsten manipulieren kann.613 So könnte er die Tatbeteiligung der belasteten Person übertrieben darstellen, um seinen eigenen Tatbeitrag herunterzuspielen oder seinem Aufklärungsbeitrag mehr Gewicht zu verleihen (sog. „Rollentausch“).614 Alternativ könnte er die belastete Person auch vollständig auswechseln, um damit seine eigene Tatbeteiligung oder die Beteiligung eines Dritten zu vertuschen (sog. „Personentausch“).615 Die allgemeinen Glaubwürdigkeitskriterien der Rechtsprechung erweisen sich in derartigen Fällen als lückenhaft. So bieten der Detailgrad und die Konstanz der Angaben keinen verlässlichen Anhaltspunkt für die Glaubhaftigkeit der Aussage.616 Existieren keine Beweismittel, mit denen die Tatbeteiligung einer ausgetauschten Person widerlegt werden kann und erscheint diese zumindest plausibel, kann der Zeuge das selbst erlebte Kerngeschehen wahrheitsgemäß, detailliert und widerspruchsfrei vortragen und damit ein schlüssiges Gesamtbild erzeugen.617 Auch eine nach allgemeinen Grundsätzen rechtsfehlerfreie Beweiswürdigung bietet dann keine Gewähr für die Richtigkeit der Angaben. Dies gilt erst recht, 611  Denny

ZStW 103 (1991), 269, 305. in: FS-Widmaier, S. 600. 613  Vgl. Hoyer JZ 1994, 233, 237. 614  Schmandt StraFo 2010, 446, 451; Weider, in: FS-Widmaier, S. 600; vgl. BGH StV 1991, 451; Beschluss vom 13.9.2011 – 5 StR 308 / 11. 615  Schmandt StraFo 2010, 446, 451; Weider, in: FS-Widmaier, S. 600; vgl. BGH NStZ 2004, 691. 616  Weider, in: FS-Widmaier, S.  600; Eschelbach, in: BeckOK-StPO, § 261 Rn. 58. 617  Vgl. BGH StV 2000, 243, 244. 612  Weider,

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6. Teil: Vereinbarkeit mit strafprozessualen Prinzipien

wenn der Zeuge an der offenbarten Tat nicht beteiligt war, da er andere Personen dann ohne die Gefahr einer Selbstbelastung belasten kann.618 Hinzu kommt, dass sich Ermittlungsgehilfen häufig auf § 55 StPO berufen619 und der tatbeteiligte Kronzeuge wegen § 60 Nr. 2 StPO nicht vereidigt werden kann.620 Darüber hinaus setzt das Auftauchen eines Kronzeugen die Strafverfolgungsbehörden unter Erfolgszwang. Je größer die Lücke im Ermittlungsstand, umso größer ist der öffentliche Druck, das (vermeintlich) wichtige Beweismittel bis zur rechtskräftigen Verurteilung der Hintermänner aufrechtzuerhalten.621 Fehlen wirksame Kontrollmechanismen, ohne die ein nach außen hin „rundes“ Ermittlungsergebnis zwar angegriffen, jedoch letztlich nicht widerlegt werden kann, droht Plausibilität den Tatnachweis zu ersetzen.622 Damit steht fest, dass die Fehlerquelle „Belohnung für Fremdbelastung“ eines Ausgleichs bedarf.623 Hierzu bietet sich eine Übertragung der von der Rechtsprechung für den Zeugen vom Hörensagen entwickelten Grundsätze an.624 Hiernach darf eine Verurteilung grundsätzlich nicht allein auf die Zeugenaussage gestützt werden. Vielmehr ist erforderlich, dass die Angaben durch andere, nach Überzeugung des Tatrichters wichtige Beweisanzeichen bestätigt wurden.625 Beweisanzeichen, die sich lediglich auf das Randgeschehen beziehen, reichen jedenfalls dann nicht aus, wenn der Tatvorwurf das übrige Geschehen quantitativ oder qualitativ übersteigt.626 618  Weider, in: MAH-Strafverteidigung, § 45 Rn. 195; Malek StV 2010, 200, 206; Eschelbach, in: BeckOK-StPO, § 261 Rn. 58. 619  Siehe hierzu 4. Teil D. 620  Vgl. Jaeger: Der Kronzeuge, S. 92. 621  Turner / Gallandi ZRP 1988, 117, 118. 622  Turner / Gallandi ZRP 1988, 117, 118; vgl. auch Albrecht: Stellungnahme im Rechtsausschuss, S. 4. 623  Turner / Gallandi ZRP 1988, 117, 118. 624  So auch Weider, in: FS-Widmaier, S. 602; vgl. auch ders., in: MAH-Strafverteidigung, § 45 Rn. 196; Malek StV 2010, 200, 206; Deckers StraFo 2010, 372, 379; ablehnend Schmandt StraFo 2010, 446, 451; ablehnend auch BGH Beschluss vom 13.9.2011 – 5 StR 308 / 11, wonach zwar das verfassungsrechtlich verankerte Gebot einer rational begründeten und tatsachengestützten Beweisführung selbst bei Würdigung „mit großer Vorsicht“ verletzt sein kann, wenn das Gericht die Möglichkeit eines Rollentauschs nicht in seine Überlegungen einbezogen hat, es jedoch grundsätzlich keiner Bestätigung der Aussage durch außerhalb der Angaben liegende Umstände bedarf. 625  BVerfG NJW 2001, 2245; BGH NJW 1996, 1547, 1550; StV 1997, 7; NStZRR 2002, 176; OLG Köln NStZ 1996, 355; OLG Brandenburg NStZ 2002, 611; Eisenberg: Beweisrecht der StPO, Rn. 1035. 626  Eisenberg: Beweisrecht der StPO, Rn. 1035 (Fn. 4); vgl. BGH NStZ 1994, 502; StV 1994, 414.



C. Vereinbarkeit mit dem Grundsatz der Wahrheitsermittlung 267

Der Einwand fehlender Vergleichbarkeit627 ist letztlich nicht überzeugend. Beim Zeugen vom Hörensagen müssen besondere Anforderungen an die Beweiswürdigung gestellt werden, weil der Angeklagte sein in Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK niedergelegtes Konfrontationsrecht nicht oder nur eingeschränkt wahrnehmen kann. Nichts anderes kann somit gelten, wenn sich der Kronzeuge auf ein Auskunftsverweigerungsrecht beruft oder ihm das Erscheinen in der Hauptverhandlung aus Zeugenschutzgründen nicht zugemutet werden kann, sodass lediglich eine Vernehmung der Verhörperson in Betracht kommt.628 Ähnliche Anforderungen bestehen darüber hinaus auch in der Konstellation Aussage gegen Aussage, wenn es sich um einen sog. „kranken“629 Zeugen handelt. Das sind Fälle, in denen der einzige Belastungszeuge seine Vorwürfe ganz oder teilweise nicht mehr aufrecht erhält, der anfänglichen Schilderung weiterer Taten nicht gefolgt wird oder sich die bewusste Unwahrheit eines Aussageteils herausgestellt hat.630 Unter diesen Umständen muss der Tatrichter regelmäßig außerhalb der Zeugenaussage liegende gewichtige Gründe anführen, die es ihm ermöglichen, der Zeugenaussage im Übrigen dennoch Glauben zu schenken.631 Für alle übrigen Kronzeugenaussagen ergibt sich die Notwendigkeit der Bestätigung durch äußere Beweismittel daraus, dass der Kronzeuge über eine typischerweise geringe Zuverlässigkeit verfügt. Während die Aussage des Zeugen vom Hörensagen durch die geringe Sachnähe des Beweismittlers geprägt ist,632 steht der Glaubhaftigkeit des Kronzeugen stets der „vernünftige Zweifel“ entgegen, ob er sich durch den Reiz einer schnell verdienten Strafmilderung zu einer Falschaussage hat hinreißen lassen.633 Aus den oben genannten Besonderheiten ergibt sich, dass der Aussage eines nach § 46b StGB belohnten Ermittlungsgehilfen allenfalls eine unterstützende Hinweisfunktion zukommen kann.634 In konsequenter Fortführung der Terminologie des „kranken“ Zeugen wäre der Kronzeuge demnach ein „chronisch Kranker“. Der Anspruch des Angeklagten auf Legitimation des Schuldspruchs ist daher erhöht.635 627  Schmadt

StraFo 2010, 446, 451. Brause NStZ 2007, 505, 508; Schmidt NJW 2005, 3250, 3255; Patzak, in: Körner: BtMG, § 31 Rn. 108. 629  Schmandt StrafFo 2010, 446, 447. 630  Brause NStZ 2007, 505, 510; Schmandt StraFo 2010, 446, 447. 631  Brause NStZ 2007, 505, 510. 632  Vgl. zum Zeugen vom Hörensagen Eschelbach, in: BeckOK-StGB, § 261 Rn. 53. 633  Hoyer JZ 1994, 233, 237; vgl. BGH NJW 1990, 2073; MDR 1979, 637. 634  Vgl. Buttel: Kritik an der Figur des Aufklärungsgehilfen, S. 131. 635  Vgl. zum Zeugen vom Hörensagen Eisenberg: Beweisrecht der StPO, Rn. 1035. 628  Vgl.

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6. Teil: Vereinbarkeit mit strafprozessualen Prinzipien

Die Annahme, man würde die Kronzeugenregelung mit der Einführung einer entsprechenden Beweisregel ihrer Wirksamkeit berauben, hat sich nach den Erfahrungen in anderen Ländern nicht bestätigt.636 Auch dass derartig hohe Anforderungen viel Angriffsfläche für Revisionsrügen böten, spricht prinzipiell nicht gegen ihre Einführung, da man so eine gewisse Disziplinierung zum sorgfältigeren Umgang mit der Kronzeugenregelung erreichen könnte.637 Auch würde für die Strafverfolgungsbehörden ein Anreiz geschaffen, weniger Energie in die Aufrechterhaltung „ihres“ Zeugen zu investieren, sondern weitere Ermittlungsanstrengungen zu unternehmen, um mit Hilfe des vom Kronzeugen gewonnenen Wissens unabhängige Beweismittel zur Überführung des Belasteten zu gewinnen. Dass Beweisregeln dem deutschen Strafrecht keinesfalls fremd sind, belegt – neben der Rechtsprechung zum Zeugen vom Hörensagen – schließlich auch § 190 StGB.638 Der Blick auf die Praxis zeigt, dass es tatsächlich zu Verurteilungen kommt, die allein auf eine einzelne Kronzeugenaussage gestützt werden.639 Im Rahmen der von Mühlhoff / Mehrens im Jahr 1999 veröffentlichten Untersuchung zum KronzG fand der Vorschlag daher „überwältigende“ Zustimmung der teilnehmenden Praktiker. Für eine Regelung sprachen sich ⅔ der befragten Richter, ¾ der Staatsanwälte und 90 % der Polizeibeamten aus.640 Im Rahmen der Praktikerbefragung zu § 46b StGB hielt lediglich die große Mehrheit der Strafverteidiger eine entsprechende Vorschrift für sinnvoll.641

IV. Ergebnis Wer eine Belohnung für bestimmte Zeugenaussagen aussetzt, riskiert die missbräuchliche Inanspruchnahme dieser Privilegien. Zeugen, die sich eigene Vorteile von einer belastenden Aussage versprechen, haben sich stets als notorisch unzuverlässig erwiesen.642 Nicht ohne Grund warnte Art. 64 der Constitutio Criminalis Carolina (CCC) von 1532 vor „belohnten“ Zeugen; diese wurden ausdrücklich aus dem Strafverfahren verbannt.643 Darüber Hoyer JZ 1994, 233, 237 f. StV 2012, 113, 115. 638  Vgl. die Stellungnahme 69 / 2011 des Deutschen Anwaltvereins, S. 6. 639  Mühlhoff / Pfeiffer ZRP 2000, 121, 126; vgl. auch Weider, in: MAH-Strafverteidigung, § 45 Rn. 190. 640  Mühlhoff / Mehrens: Das Kronzeugengesetz im Urteil der Praxis, S. 47, 80 f. 641  Siehe hierzu 7. Teil B. II. 14. 642  Siehe bereits Peters: Strafprozeß, S. 403 f. 643  Siehe Art. 64 CCC: „Vonn belonten zeugen: Jtem belonte zeugen sein auch verworffenn vnd nit zulessig, sonndern peinlich zu straffen“; vgl. Eschelbach, in: FS-Rissing-van Saan, S. 139. 636  Vgl.

637  König



C. Vereinbarkeit mit dem Grundsatz der Wahrheitsermittlung 269

hinaus schloss auch § 322 Abs. 6 des Code d’Instruction Criminelle von 1808 belohnte Denunzianten von der Vernehmung als Zeugen aus.644 Durch § 46b StGB wird der privilegierte Zeuge nunmehr mit besonderer Radikalität in das Strafverfahren integriert. Um die Norm entsprechend ihrer verfahrensbeschleunigenden Zielsetzung anwenden zu können, muss das Gericht unter Umständen auf die vollständige Aufklärung des Sachverhalts verzichten. Im Verfahren gegen den belasteten Dritten drohen schließlich Fehlurteile. Die Erwartung, die allgemeine Kronzeugenregelung könne bei der Wahrheitsfindung behilflich sein, entpuppt sich als Fehlschluss. Stattdessen wird das klassische Prozessziel der Wahrheitsermittlung zugunsten einer erhofften Effektivitätssteigerung hinten angestellt.645 Im schlimmsten Fall wird Wahrheit durch bloße Plausibilität ersetzt.646 Da objektive Wahrheit die notwendige Grundlage einer gerechten Bestrafung ist, ist damit auch das übergeordnete Prozessziel der Gerechtigkeitsverwirklichung gefährdet. Bei den gesetzlichen Vorkehrungen zum Schutz der Wahrheitsfindung handelt es sich um „stumpfe Waffen“.647 Sie sind nicht geeignet, einer missbräuchlichen Inanspruchnahme der Kronzeugenregelung durch Falschaussagen wirksam vorzubeugen. Mehr noch, sie erweisen sich als schädlich und müssen folglich wieder abgeschafft werden. Eine rechtsstaatlich einwandfreie Möglichkeit, dem Kronzeugen eine einmal gewährte Vergünstigung nachträglich wieder zu entziehen, existiert nicht.648 Ein Festhalten am „Modell Kronzeuge“ bedeutet demnach die bewusste Inkaufnahme des spezifischen Missbrauchsrisikos. Der Gefahr von Falschaussagen kann derzeit nur durch Problembewusstsein und eine besonders sorgfältige Aussageanalyse begegnet werden. Häufig wird jedoch die Aussage des Kronzeugen im Verfahren gegen die von ihm belasteten Dritten das entscheidende bzw. einzige Beweismittel darstellen. In Anbetracht der damit verbundenen Aufwertung seiner Aussage entstehen Zweifel, ob die freie richterliche Überzeugungsbildung auch in diesen Fällen die notwendige Zuverlässigkeit besitzt.649 Um die erforderliche Sorgfalt im Umgang mit Kronzeugen zu gewährleisten, bietet sich daher eine Übertragung der Rechtsprechung zum Zeugen vom Hörensagen an. Neben der Herausbildung einer entsprechenden Judikatur könnte eine ausdrückliche Regelung ein höheres Maß an Rechtssicherheit vermitteln. Salditt StV 1999, 61. Strafprozessrecht, Rn. 498. 646  Vgl. Albrecht: Stellungnahme im Rechtsausschuss, S. 4. 647  Nešković KritV 2007, 384, 385. 648  Jeßberger: Stellungnahme im Rechtsausschuss am 7.11.2001, S. 7. 649  Vgl. Patzak, in: Körner: BtMG, § 31 Rn. 57; vgl. auch Körner: BtMG, 6. Auflage, § 31 Rn. 54; vgl. zu Aussagen von Mitbeschuldigten Eisenberg: Beweisrecht der StPO, Rn. 936; zu den diesbezüglichen Beweisregeln in der älteren Strafprozessgesetzgebung vgl. auch Peters: Fehlerquellen im Strafprozeß, Bd. II S. 49. 644  Vgl.

645  Ostendorf:

270

6. Teil: Vereinbarkeit mit strafprozessualen Prinzipien

D. Vereinbarkeit mit den Grundsätzen der Öffentlichkeit, Mündlichkeit und Unmittelbarkeit des Verfahrens Weitere tragende Grundsätze des Strafverfahrens sind die Prinzipien der Öffentlichkeit, Mündlichkeit und Unmittelbarkeit. Der Öffentlichkeitsgrundsatz ist einfachgesetzlich in § 169 GVG geregelt und zudem in Art. 6 Abs. 1 S. 1 und 2 Hs. 1 EMRK verbürgt. Das Prinzip besagt, dass grundsätzlich jedermann, der nicht selbst Prozessbeteiligter ist, der mündlichen Verhandlung unmittelbar beiwohnen darf. Dadurch soll die staatliche Machtausübung einer größeren Kontrolle und Transparenz unterworfen werden und zugleich die richterliche Unabhängigkeit sowie das Vertrauen der Allgemeinheit in die Judikative eine Stärkung erfahren.650 Verfassungsrechtlich stellt sich die Verfahrensöffentlichkeit als eine Ausprägung des Demokratieprinzips (Art. 20 Abs. 1 GG) sowie des Rechtsstaatsprinzips (Art. 20 Abs. 3 GG) dar, ohne jedoch selbst Verfassungssatz zu sein.651 Während dem Gesetzgeber die inhaltliche Ausgestaltung offen steht, ist ihm eine vollständige Abschaffung des Grundsatzes aufgrund seines verfassungsrechtlichen Ursprungs entzogen.652 Der Grundsatz der Öffentlichkeit steht in einem engen Funktionszusammenhang mit den Prozessmaximen der Mündlichkeit und Unmittelbarkeit der Hauptverhandlung.653 Der Mündlichkeitsgrundsatz findet seinen Ausdruck in §§ 261 und 264 StPO und besagt, dass dem Urteil nur der mündlich vorgetragene und erörterte Prozessstoff zugrunde gelegt werden darf. Was nicht gesprochen ist, gilt als nicht geschehen bzw. nicht vorhanden.654 Der Unmittelbarkeitsgrundsatz schließlich bezweckt die Konzentration der Entscheidungsfindung auf das gerichtliche Hauptverfahren.655 Er beinhaltet zum einen, dass das Gericht den Prozessstoff selbst wahrnehmen muss und die Beweisaufnahme nicht anderen Personen überlassen darf (formelle Unmittelbarkeit). Darüber hinaus hat das Gericht die Beweismittel mit der größten Sachnähe heranzuziehen und auszuschöpfen, bevor es z. B. auf Beweissurrogate zurückgreifen kann (materielle Unmittelbarkeit).656 Durch 650  RGSt 70, 109, 112; BGHSt 27, 13, 15; BGH NStZ 1988, 467; Zimmermann, in: MüKo-ZPO, § 169 GVG Rn. 3; Diemer, in: KK-StPO, § 169 GVG Rn. 2. 651  BVerfGE 15, 303, 307; Diemer, in: KK-StPO, § 169 GVG Rn. 1; MeyerGoßner: StPO, § 169 GVG Rn. 1. 652  BVerfGE 103, 44, 63; Zimmermann, in: MüKo-ZPO, § 169 GVG Rn. 4. 653  Zimmermann, in: MüKo-ZPO, § 169 GVG Rn. 2. 654  Roxin / Schünemann: Strafverfahrensrecht, §  16 Rn. 1; Ostendorf: Strafprozessrecht, Rn. 346. 655  Zimmermann, in: MüKo-ZPO, § 169 GVG Rn. 2. 656  Roxin / Schünemann: Strafverfahrensrecht, § 46 Rn. 3 f.



D. Vereinbarkeit mit den Grundsätzen der Öffentlichkeit 271

die Verbindung von Öffentlichkeits-, Mündlichkeits- und Unmittelbarkeitsprinzip wird somit dem geheimen schriftlichen Verfahren, welches einer öffentlichen Kontrolle nicht zugänglich ist, der offene Strafprozess des Rechtsstaates entgegengesetzt.657 Von der allgemeinen Kronzeugenregelung in § 46b StGB sind diese Prozessmaximen insoweit berührt, als die Vorschrift die Konzentration des Prozessstoffs in zeitlicher Hinsicht nach vorn verlagert und damit tendenziell zu einer Entwertung der Hauptverhandlung beiträgt. Die für das Verfahren wesentlichen Entscheidungen werden zu einem nicht unerheblichen Teil aus der öffentlichen und protokollierten Hauptverhandlung herausgenommen und in das nicht-öffentliche Vorverfahren bzw. das Zwischenverfahren verschoben.658 Zu einem Teil liegt dies daran, dass § 46b Abs. 1 S. 4 StGB die Entscheidungskompetenz zum Absehen von der Strafverfolgung über die Generalermächtigung in § 153b StPO auf die Staatsanwaltschaft überträgt.659 Wird die Entscheidung über die weitere Verfolgung von Straftaten bereits im Ermittlungsverfahren durch Opportunitätserwägungen beeinflusst, verringert dies immer die Bedeutung des Hauptverfahrens für die Kontrolle der Strafbarkeit in den jeweiligen Deliktsbereichen.660 Anders als die Geringfügigkeitsfälle der §§ 153 ff. StPO betrifft § 46b StGB jedoch nicht den Bereich der einfachen, sondern den der mittleren und schweren Kriminalität. Darüber hinaus wird eine Vorverlagerung des Verfahrensschwerpunktes in das Ermittlungsbzw. Zwischenverfahren dadurch begünstigt, dass gem. § 46b Abs. 3 StGB alle Angaben als präkludiert anzusehen sind, die nach dem Erlass des Eröffnungsbeschlusses gemacht werden.661 Oftmals wird der Beschuldigte erstmals in der polizeilichen Vernehmung mit der Möglichkeit einer Honorierung von Ermittlungshilfeleistungen konfrontiert. Spielt er mit dem Gedanken einer Kronzeugenaussage, muss er die diesbezügliche Entscheidung möglichst schnell treffen. Das Gericht, das über die Gewährung einer Strafmilderung letztlich zu befinden hat, steht ihm zu diesem Zeitpunkt oftmals nicht oder nur mit Ausnahme der an der Hauptverhandlung beteiligten Schöffen als An657  Beulke:

Strafprozessrecht, Rn. 23; Sahan / Berndt BB 2010, 647, 648. hierzu auch Fischer: StGB; § 46b Rn. 4bf.; Salditt StV 2009, 375, 376; König NJW 2009, 2481, 2483; Denny ZStW 103 (1991), 69, 275; Sahan /  Berndt BB 2010, 647, 648 f.; Kinzig, in: Schönke / Schröder: StGB, § 46b Rn. 2; Mushoff KritV 2007, 366, 375 f.; Stellungnahme der Bundesrechtsanwaltskammer Nr.  23 / 2006, S.  6. 659  Vgl. Weigend ZStW 109 (1997), 103, 115; Hassemer StV 1986, 550, 552; Kunert / Bernsmann NStZ 1989, 449, 458. 660  Hassemer, in: FS StA Schleswig-Holstein, S. 531. 661  König StV 2012, 113, 114. 658  Siehe

272

6. Teil: Vereinbarkeit mit strafprozessualen Prinzipien

sprechpartner zur Verfügung.662 Anschließend muss sich das Gericht bei seiner Überzeugungsbildung über das Vorliegen eines Aufklärungserfolges sowie für die Bewertung der Ermittlungshilfe weitgehend auf die Einschätzung der Strafverfolgungsbehörden verlassen. Denn grundsätzlich kann nur die Polizei darüber eine Aussage treffen, inwieweit ihre eigenen Fortschritte bei den Ermittlungen durch die Angaben des Kronzeugen veranlasst oder beeinflusst worden sind.663 Dass dadurch zwangsläufig wesentliche Weichen der Strafzumessung bereits im Ermittlungsverfahren gestellt werden und dem Gericht praktisch nur noch eine Restkompetenz über die Bestätigung der materiell-rechtlichen Folgen verbleibt664, war durchaus beabsichtigt. Laut Bundesregierung soll der Fristvorgabe in § 46b Abs. 3 StGB gerade auch eine „steuernde Wirkung“ in Richtung des Ermittlungs- bzw. Zwischenverfahrens zukommen.665 Die eigentlich als Strafzumessungsnorm konzipierte Kronzeugenregelung dient damit primär als „Vernehmungsbehelf“666, mit dem sich ein gezielter Anreiz schaffen und gegebenenfalls auch Druck ausüben lässt. Dem Anliegen des Öffentlichkeitsgrundsatzes, durch die Gewährleistung von Transparenz das Vertrauen in den Rechtsstaat zu stärken, kann im Ermittlungsverfahren nicht nachgekommen werden. Denn dieser Verfahrensabschnitt ist aus nachvollziehbaren Gründen den Blicken der Öffentlichkeit fast vollständig entzogen. Es gilt jedoch: „Je mehr normative und endgültige Entscheidungen über die Strafbarkeit bereits im Ermittlungsverfahren fallen, desto mehr leidet die Öffentlichkeit der Strafrechtspflege“.667 Zur Regulierung der Absprachenpraxis entschied der Gesetzgeber, dass eine Verständigung im Strafverfahren nur innerhalb der Hauptverhandlung erfolgen dürfe. Vor diesem Zeitpunkt könne die Verständigung nur vorbereitet werden, worüber jedoch anschließend Transparenz in der Hauptverhandlung herzustellen sei.668 Dagegen hat sich die Gefahr informeller Absprachen im Hinblick auf die Honorierung von Ermittlungshilfeleistungen eher verschärft. Selbst wenn man den Einwand heimlicher Vereinbarungen als bloße Spekulation abtut, lässt sich zumindest nicht verhindern, dass in den Augen der Öffentlichkeit ein entsprechender Eindruck entsteht.669 Der Anschein, es ha662  Frank: Protokoll der 133. Sitzung des Rechtsausschusses vom 25.3.2009, S. 9; Kinzig, in: Schönke / Schröder: StGB, § 46b Rn. 20; Seebode, in: Anwk-StGB, § 46b Rn. 22; von Heintschel-Heinegg: StGB, § 46b Rn. 22. 663  Strate NStZ 2010, 362, 365. 664  Fischer: StGB, § 46b Rn. 4b; Salditt StV 2009, 375, 377; vgl. auch Weider NStZ 1984, 391, 395. 665  BT-Drucks. 16 / 6268, S.  14. 666  König StV 2012, 113, 114. 667  Hassemer, in: FS StA Schleswig-Holstein, S. 531. 668  BT-Drucks. 16 / 12310, S. 9; siehe auch § 243 Abs. 4 StPO. 669  Fischer: StGB, § 46b Rn. 4c; siehe hierzu auch 3. Teil G.



E. Vereinbarkeit mit dem Bestimmtheitsgrundsatz273

be bereits außerhalb der Hauptverhandlung eine Kooperationsvereinbarung mit beziffertem Strafnachlass stattgefunden, ist insbesondere bei schweren Tatvorwürfen problematisch. Das gilt umso mehr, wenn die Tat infolge von § 153b Abs. 1 StPO erst gar nicht zur Anklage kommt. Die allgemeine Kronzeugenregelung nimmt damit an einer Entwicklung teil, die die Bedeutung des Öffentlichkeitsgrundsatzes immer mehr auf die Befriedigung des öffentlichen Informationsinteresses über aufsehenerregende Prozesse reduziert.670 Die Verfahrensunmittelbarkeit wiederum leidet insbesondere darunter, dass sich das Gericht bei der Prüfung des Aufklärungserfolges nach ständiger Rechtsprechung auf die Aussagen von Ermittlungspersonen bzw. den ihm vorliegenden Akteninhalt verlassen darf, ohne die betreffenden Beweise im Strengbeweisverfahren selbst erheben zu müssen.671 Es handelt sich bei den betroffenen Grundsätzen um keine Verfassungssätze, sondern um Prozessmaximen, deren inhaltliche Ausgestaltung grundsätzlich dem Gesetzgeber obliegt. § 46b StGB begründet daher vor dem Hintergrund der Prinzipien der Verfahrensöffentlichkeit, -mündlichkeit und -unmittelbarkeit keinen Verfassungsverstoß. Es zeigt sich jedoch erneut, dass § 46b StGB einem an den klassischen Verfahrensprinzipien orientieren Strafprozess tendenziell abträglich ist.

E. Vereinbarkeit mit dem Bestimmtheitsgrundsatz I. Inhalt und Grenzen des Bestimmtheitsgebotes Art. 103 Abs. 2 GG beinhaltet das Bestimmtheitsgebot, welches zum einen die Tatbestandsbestimmtheit (nullum crimen sine lege) und zum anderen die Strafandrohungsbestimmtheit (nulla poena sine lege) umfasst.672 Darüber hinaus leiten sich aus dem Bestimmtheitsgebot das Analogieverbot, das Rückwirkungsverbot sowie das Verbot von Gewohnheitsrecht ab.673 Das allgemeine Bestimmtheitsgebot ist eine Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips. Darüber hinaus enthält Art. 103 Abs. 2 GG einen speziellen Bestimmtheitsmaßstab, der aufgrund der hohen Eingriffsintensität in die subjektiven Rechte des Betroffenen für den Bereich des Strafrechts deutlich enger gefasst ist.674 Art. 103 Abs. 2 GG soll sicherstellen, dass jeder vorhersehen 670  Vgl. Zimmermann, in: MüKo-ZPO, § 169 GVG Rn. 1; Meyer-Goßner: StPO, § 169 GVG Rn. 1. 671  Weber: BtMG, §  31 Rn. 134; vgl. hierzu schon die Ausführungen unter 6. Teil C. II. 672  Radtke / Hagemeier, in: BeckOK-GG, Art. 103 Rn. 18. 673  Schmid-Aßmann, in: Maunz / Dürig: GG, Art. 103 Rn. 178. 674  Radtke / Hagemeier, in: BeckOK-GG, Art. 103 Rn. 18.

274

6. Teil: Vereinbarkeit mit strafprozessualen Prinzipien

kann, welches Verhalten verboten und mit Strafe bedroht ist, damit er sein Tun oder Unterlassen eigenverantwortlich auf die Rechtslage einrichten kann und keine willkürlichen staatlichen Reaktionen befürchten muss.675 Zudem soll sichergestellt werden, dass der Gesetzgeber selbst über die Strafbarkeit eines Verhaltens entscheidet.676 Da sich das Erfordernis der Bestimmtheit anerkanntermaßen auch auf die Rechtsfolgenseite der Strafgesetze erstreckt,677 erlangt das Bestimmtheitsgebot auch für § 46b StGB Bedeutung. Für den Einzelnen soll nicht nur von vornherein erkennbar sein, was strafrechtlich verboten ist, sondern auch, welche Strafe ihm im Fall eines Verstoßes gegen ein Verbot droht.678 Das Gebot der Rechtsfolgenbestimmtheit steht jedoch in einem Spannungsverhältnis zum ebenfalls rechtsstaatlichen Gebot der Einzelfallgerechtigkeit, wobei das eine stets nur auf Kosten des anderen verbessert werden kann.679 Die Normen müssen zwar ausreichende Bestimmtheit aufweisen, aber gleichzeitig genügend Flexibilität gewährleisten, damit im Einzelfall eine gerechte und verhältnismäßige Strafe verhängt werden kann.680 Bei einer Kollision ist daher keinem der beiden Gesichtspunkte der absolute Vorrang einzuräumen. Vielmehr ist im Wege der praktischen Konkordanz ein schonender Ausgleich dergestalt herbeizuführen, dass beide Prinzipien möglichst optimal verwirklicht werden und keine der beiden Positionen vollständig verdrängt wird.681

II. Unbestimmtheit der verwendeten Rechtsbegriffe Die Unvereinbarkeit von § 46b StGB mit Art. 103 Abs. 2 StGB lässt sich nicht schon aus der Verwendung unbestimmter Tatbestandsmerkmale ableiten. So verlangt der Tatbestand des § 46b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StGB zwar, dass der Kronzeuge „wesentlich dazu beigetragen hat, dass eine Tat nach § 100a Abs. 2 der Strafprozessordnung aufgedeckt werden konnte“, ohne dass die Merkmale der Wesentlichkeit oder des Aufdeckungsbeitrages näher präzisiert werden. Aus der generell-abstrakten Natur von Strafvorschriften ergibt sich jedoch eine wichtige Grenze des Bestimmtheitsgebotes.682 Strafrechtsnormen müssen für eine unbestimmte Vielzahl von Sach675  BVerfG

NJW 2003, 1030. 78, 374, 382. 677  Radtke / Hagemeier, in: BeckOK-GG, Art. 103 Rn. 36. 678  BVerfG NJW 1969, 1059, 1060.; siehe auch NJW 2002, 1779. 679  Riehm: Abwägungsentscheidungen in der praktischen Rechtsanwendung, S. 202. 680  BVerfG NJW 2002, 1779. 681  BVerfG NJW 2002, 1779, 1780; Riehm: Abwägungsentscheidungen in der praktischen Rechtsanwendung, S. 203. 682  Radtke / Hagemeier, in: BeckOK-GG, Art. 103 Rn. 24. 676  BVerfGE



E. Vereinbarkeit mit dem Bestimmtheitsgrundsatz275

verhalten gelten und eine unbestimmte Vielzahl von Adressaten erfassen. Die Anforderungen an die Bestimmtheit dürfen „nicht übersteigert werden“, da die Gesetze ansonsten einem Wandel der äußeren Umstände oder den Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles nicht mehr gerecht werden könnten.683 Der Gesetzgeber kann und muss die Strafrechtsnormen daher nicht „bis ins letzte ausführen“,684 sondern darf ihre inhaltliche Konkretisierung durch die Verwendung unbestimmter, wertausfüllungsbedürftiger Rechtsbegriffe in gewissem Umfang auf die Gerichte übertragen. Da keine noch so detaillierte Präzisierung des Wortlauts den Gestaltungsspielraum der Gerichte vollständig ausschließen kann, ist die Zulässigkeit der Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe keine kategoriale, sondern nur eine graduelle Frage.685 Solange die Norm trotzdem eine zuverlässige Grundlage für ihre Auslegung und Anwendung bietet, bestehen keine verfassungsrechtlichen Einwände.686 Weniger problematisch ist, dass der Ermittlungsgehilfe einen „wesent­ lichen“ Beitrag zur Aufklärung leisten muss.687 Ein Wesentlichkeitsmerkmal findet sich an zahlreichen Stellen im StGB (vgl. §§ 34, 83a, 89a, 201, 303b, 305a, 326, 327, 353d StGB). Es stellt lediglich klar, dass eine bestimmte Tatbestandsvoraussetzung nicht bloß in irgendeiner, sondern in einer qualifizierten Form mit einem gewissen Mindestmaß an Erheblichkeit vorliegen muss.688 Stark auslegungsbedürftig ist das in § 46b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StGB nicht ausdrücklich so bezeichnete, sondern als Beitrag zur Aufdeckung umschriebene Merkmal des Aufklärungserfolges. Nach Auffassung des BVerfG soll eine Norm jedoch auch dann hinreichend bestimmt sein, „wenn sie eine gefestigte Rechtsprechung übernimmt und damit aus dieser Rechtsprechung hinreichende Bestimmtheit gewinnt“.689 Zu dem übereinstimmenden Merkmal in § 31 BtMG hat sich im Laufe der Zeit eine differenzierte Judikatur herausgebildet. Das Kriterium des Aufklärungserfolges wird von den Gerichten zwar relativ weit ausgelegt, hat jedoch durch die inzwischen gefestigte Rechtsprechung eine Konkretisierung erfahren, die ihre zuverlässige Handhabung in der Praxis ermöglicht.690 Dies spiegelt sich auch in den hohen Anwendungszahlen der bereichsspezifischen Kronzeugenregelung 683  BVerfG

NJW 1987, 3175. NJW 1987, 3175. 685  Riehm: Abwägungsentscheidungen in der praktischen Rechtsanwendung, S. 202. 686  BVerfG NJW 2003, 1030. 687  Zur Wesentlichkeit siehe 2. Teil A. V. 1. a) ee). 688  Vgl. zu § 31 BtMG Hoyer JZ 1994, 233, 238. 689  BVerfG NJW 2003, 1030; mit Verweis auf NJW 1977, 1815; NJW 1978, 1423; NJW 1992, 2947. 690  Vgl. auch BT-Drucks. 16 / 6268, S. 12. 684  BVerfG

276

6. Teil: Vereinbarkeit mit strafprozessualen Prinzipien

wider.691 Der Gesetzgeber hat insoweit den Wortlaut des § 31 BtMG für die allgemeine Kronzeugenregelung in § 46b StGB übernommen und sich dabei ausdrücklich für eine Übertragung und Fortgeltung der hierzu von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze ausgesprochen.692 Auch das Merkmal des Aufklärungserfolges erscheint somit auf Grundlage einer gefestigten Rechtsprechung noch hinreichend konkretisierbar.

III. Abwägung wesentlicher Parameter der Strafe durch Ermessensentscheidung Problematisch könnte jedoch sein, dass der Richter nach § 46b Abs. 1 S. 1 und S. 3 StGB die Strafe mildern oder gänzlich von ihr absehen „kann“, er über die Gewährung der vorteilhaften Rechtsfolgen der Kronzeugenregelung also nach pflichtgemäßem Ermessen entscheidet.693 Eine Verpflichtung dazu ist ausdrücklich nicht vorgesehen. Gegen die Abwägung wesentlicher Parameter der Strafe im Rahmen einer Ermessensentscheidung im Allgemeinen sowie gegen den durch § 46b StGB eröffneten Ermessensspielraum im Speziellen werden in der strafrechtswissenschaftlichen Literatur zum Teil erhebliche Bedenken geäußert. Insbesondere Salditt kritisiert, fakultative Milderungen „entfesselten“ die Sanktionierung.694 Das richterliche Ermessen erschwere die Revisionskontrolle, denn das Gericht könne sich wirksam gegen erfolgreiche Rechtsmittel „schützen“, solange es die Möglichkeit einer Milderung erkenne und umfassend abhandele. Hinzu komme der Druck, den die Ungewissheit auf den Beschuldigten ausübe. Dieser zwinge ihn zu Verhandlungen mit der Strafjustiz, in deren Verlauf der Hinweis auf das dem Gericht eingeräumte Ermessen einen zusätzlichen Hebel für die Formulierung von Bedingungen verleihe.695 Der Zweck des Bestimmtheitsgebotes im Hinblick auf die Strafandrohung entfalle somit; § 46b StGB stehe demzufolge zu Art. 103 Abs. 2 GG „in einem harten Konflikt“.696 Tatsächlich sind die Wissensoffenbarung über fremde Straftaten und der im Gegenzug mögliche (Teil-)Verzicht auf den Strafanspruch nach § 46b 691  Zur Anwendunghäufigkeit des § 31 BtMG siehe Maier, in: MüKo-StGB, § 31 BtMG Rn. 10 sowie die Übersichten bei Jeßberger: Kooperation und Strafzumessung, S. 78 und bei Stock / Kreuzer: Drogen und Polizei, S. 350. 692  BT-Drucks. 16 / 6268, S.  12. 693  BT-Drucks. 16 / 6268, S.  13. 694  Salditt StV 2009, 375, 376. 695  Salditt StV 2009, 375, 376 f. 696  Salditt StV 2009, 375, 377; vgl. auch von Heinschel-Heinegg, in: BeckOKStGB, § 46b StGB Rn. 22; Eisenberg: Beweisrecht der StPO, Rn. 942 (Widerspruch zum Gebot der Vorhersehbarkeit staatlichen Handelns).



E. Vereinbarkeit mit dem Bestimmtheitsgrundsatz277

StGB Elemente eines Tauschgeschäfts. Dabei wird die Verhandlungsposition des Beschuldigten einseitig dadurch beeinträchtigt, dass er in Vorleistung treten muss, ohne die staatliche Reaktion exakt vorhersagen zu können. Mit anderen Worten bedeutet das: „Der Aufklärungsgehilfe ‚erkauft‘ sich eine vage Hoffnung, in zivilrechtlichen Kategorien ausgedrückt noch nicht einmal ein Anwartschaftsrecht, auf eine ‚Wohltat‘ des Richters. Aus dem ‚do ut des‘ der strafprozessualen Vereinbarung wird ein höchst ungewisses ‚do et spero‘ des Kronzeugen.“697 Neben § 46b StGB existieren allerdings zahlreiche andere fakultative Milderungsgründe. Auch in den Fällen der §§ 13, 17, 21, 23, 35 Abs. 1, 46a StGB „kann“ von Strafe abgesehen werden.698 Auch hier wird die Abwägung wesentlicher Parameter der Strafe innerhalb einer Ermessensentscheidung kontrovers diskutiert. Manche Autoren sprechen sich sogar für einen „Milderungszwang“ aus, wollen also im Wege einer Korrektur des Wortlauts bei Vorliegen der Anwendungsvoraussetzungen von einer obligatorischen Strafmilderung ausgehen.699 Die Einräumung eines Ermessensspielraums, das richterliche „Können“, ist indes nicht mit richterlicher Willkür gleichzusetzen, sondern erfordert eine sorgfältige Begründung der letztlich vorgenommenen Milderung.700 Bei § 46b Abs. 1 S. 1 StGB handelt es sich um die Anerkennung eines eigenständigen vertypten Strafmilderungsgrundes durch den Gesetzgeber.701 Dessen gesetzliche Voraussetzungen sind im Fall ihres Vorliegens ein gewichtiges Indiz für die Anwendung des § 49 Abs. 1 StGB, das andererseits jedoch durch ebenso wichtige Gegenanzeichen aufgehoben werden kann.702 Dem Ermessen kommt damit gewissermaßen eine Auffangfunktion für Sachverhalte zu, bei denen zwar die typischen Voraussetzungen für eine Strafmilderung gegeben sind, eine Strafmilderung letztlich jedoch aus anderen Gründen ausscheiden muss. Indiz gegen die Strafmilderung gem. § 46b Abs. 1 S. 1 StGB kann demnach ein taktischer Wandel des Aussageverhaltens oder die Tatsache sein, dass der Kronzeuge als Opfer einer Katalogtat mit seiner Offenbarung vornehmlich eigene Genugtuungsinteressen verfolgte.703 Allein der zugestandene Ermessensspielraum drängt den Aspekt der Rechtssicherheit daher nicht unverhältnismäßig zurück. Vielmehr hätte die Ausgestaltung des § 46b StGB als obligatorischen Milderungsgrund die Gefahr schuldunangemesse697  Malek

StV 2010, 200, 203. Schäfer / Sander / van Gemmeren: Praxis der Strafzumessung, Rn. 507. 699  So etwa zu § 21 StGB Perron, in: Schönke / Schröder: StGB, § 21 Rn. 14; zu § 23 Abs. 2 StGB Eser, in: Schönke / Schröder: StGB, § 23 Rn. 6 ff. 700  Schild, in: NK-StGB, § 21 Rn. 31. 701  So Schild zu § 21 StGB, in: NK-StGB, § 21 Rn. 31. 702  Vgl. zu § 21 StGB Schild, in: NK-StGB, § 21 Rn. 31. 703  BT-Drucks. 16  / 6268, S. 14; BGH NStZ 2010, 443; siehe hierzu 2. Teil A. V. 1. a) gg) und 3. Teil E. 698  Vgl.

278

6. Teil: Vereinbarkeit mit strafprozessualen Prinzipien

ner Urteile stark erhöht. Zum Ausgleich zwischen Rechtssicherheit und Einzelfallgerechtigkeit trägt darüber hinaus bei, dass § 46b Abs. 2 StGB einige der wesentlichen Kriterien für die Ermessensausübung aufzählt. Denn die Optimierung der Bestimmtheit gesetzlicher Vorschriften kann nicht nur durch den Gebrauch beschreibender Tatbestandsmerkmale erfolgen, sondern ebenso durch eine Präzisierung von Abwägungsvorgängen, insbesondere durch explizite Nennung zu berücksichtigender Abwägungsgesichtspunkte.704 Die Ausgestaltung als Ermessensvorschrift verstößt damit nicht gegen Art. 103 Abs. 2 GG. Gleichwohl raubt sie der Kronzeugenregelung einen Teil ihrer Attraktivität, da es sich gewissermaßen nur um eine Spekulation, den „Kauf“ einer Chance auf Strafmilderung handelt. Im Übrigen kann bei § 46b StGB – anders als bei den Einstellungsvorschriften der §§ 153 ff. ­StPO705 – eine Verpflichtung zur Anwendung der „kann“-Vorschrift auch nicht daraus abgeleitet werden, dass alle maßgeblichen Kriterien der Ermessensausübung bereits im Tatbestand enthalten sind.

IV. Ergebnis Weder die Verwendung unbestimmter Tatbestandsmerkmale noch der dem Gericht zugestandene Ermessensspielraum begründen für sich genommen einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG und damit die Verfassungswidrigkeit der Norm. Dennoch ist § 46b StGB im Hinblick auf das Gebot der Rechtsfolgenbestimmtheit nicht unproblematisch. Zumindest beide Faktoren zusammengenommen machen es dem Beschuldigten nicht leicht, die Folgen einer Wissensoffenbarung abzuschätzen. So spricht der BGH im Hinblick auf § 46b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StGB mit auffällig kritischem Unterton von einer „vom Gesetzgeber bewusst überaus weit ausgestalteten Tatbestandsfas­ sung“706 und einer auch auf Rechtsfolgenseite „sehr weitgehenden und wenig bestimmten gesetzlichen Konzeption“.707 Das eigentliche Problem mangelnder Vorhersehbarkeit liegt jedoch darin, dass der Beschuldigte infolge der drohenden Präklusion seiner Angaben nach § 46b Abs. 3 StGB gezwungen ist, sein Wissen zu einem Zeitpunkt zu offenbaren, an dem er die Verurteilungswahrscheinlichkeit sowie Kosten (etwa das Risiko einer mit seiner Aussage verbundenen Selbstbelastung) und Nutzen seiner Aussage kaum abschätzen kann. Jedenfalls ist bei Aussagen im Ermittlungsver704  Riehm: Abwägungsentscheidungen in der praktischen Rechtsanwendung, S. 203. 705  So die h. M., vgl. Ostendorf: Strafprozessrecht, Rn. 240; ders., in: GS-Eckert, S. 640; Beulke: Strafprozessrecht, Rn. 334; ders., in: Löwe / Rosenberg: StPO, § 153 Rn. 38. 706  BGH NStZ 2010, 443. 707  BGH NStZ 2010, 443, 444.



F. Vereinbarkeit mit dem Nemo-tenetur-Prinzip279

fahren der Umfang ihrer späteren Berücksichtigung im Urteil höchst unsicher. Dringlicher als die nähere Konkretisierung der Anwendungsvoraussetzungen oder Ermessenskriterien durch den Gesetzgeber erscheint daher die Streichung der Präklusionsbestimmung in § 46b Abs. 3 StGB. Ganz unabhängig von der verfassungsrechtlichen Bewertung wird der mit § 46b StGB bezweckte Anreiz zur Kooperation infolge der kaum prognostizierbaren staatlichen Reaktion stark beeinträchtigt. Eine deutliche Zunahme von Wissensoffenbarungen dürfte damit aller Voraussicht nach ausbleiben.708

F. Vereinbarkeit mit dem Nemo-tenetur-Prinzip Die Selbstbelastungsfreiheit (nemo tenetur se ipsum accusare bzw. nemo tenetur se ipsum prodere) besagt, dass niemand zur Selbstbelastung oder sonstigen aktiven Mitwirkung an gegen sich selbst gerichteten Ermittlungsmaßnahmen verpflichtet werden darf.709 Der Beschuldigte hat zulässige strafprozessuale Zwangsmaßnahmen zu dulden, kann jedoch grundsätzlich selbst darüber befinden, ob er durch seine Einlassung oder auf andere Weise als durch Äußerungen zum Untersuchungsgegenstand aktiv zur Sachverhaltsaufklärung beitragen möchte.710 Dieser dem gesamten Strafverfahren übergeordnete Rechtsgrundsatz ist in der StPO nicht ausdrücklich normiert, wird jedoch von bestimmten Normen vorausgesetzt (vgl. §§ 136 Abs. 1 S. 2, 136a Abs. 1 und 3, 163a Abs. 4 S. 2, 243 Abs. 5 S. 1 StPO sowie § 55 StPO).711 Als Ausprägung der Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG, des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 2 Abs. 1 GG sowie des Rechtsstaatsprinzips aus Art. 20 Abs. 3 GG kommt dem Grundsatz Verfassungsrang zu.712 Darüber hinaus ist er in Art. 14 Abs. 3 lit. g IPBPR niedergelegt und wichtiger Bestandteil des nach Art. 6 EMRK garantierten fairen Verfahrens.713 Es stellt sich somit die Frage, ob § 46b StGB potenzielle Kronzeugen in unzulässiger Weise zur aktiven Zusammenarbeit mit den Strafverfolgungsbehörden zwingt. 708  Vgl.

hiezu auch die Ergebnisse der Praktikerbefragung 7. Teil B. II. 4. NJW 1996, 2940, 2942; NStZ 2009, 705; Meyer-Goßner: StPO, Einl. Rn. 29a; Roxin / Schünemann: StPO, § 25 Rn. 1; Weßlau ZStW 110 (1998), 32. 710  BGH NJW 1996, 2940, 2942; Meyer-Goßner: StPO, Einl. Rn. 29a. 711  Zur Grenze des § 136a StPO für Zusagen und Belehrungen der Polizei bzw. Staatsanwaltschaft siehe 4. Teil A und B. 712  BVerfGE 56, 37, 49  f.; BVerfG StV 1995, 505; NJW 2002, 1411; HRRS 2008, 1007; BGH NJW 2007, 3138; Roxin / Schünemann: StPO, § 25 Rn. 1; Ostendorf: Strafprozessrecht, Rn. 38. 713  EGMR StV 2003, 257; StV 2004, 1; NJW 2006, 3117; Roxin / Schünemann: StPO, § 25 Rn. 1. 709  BGH

280

6. Teil: Vereinbarkeit mit strafprozessualen Prinzipien

In Konflikt mit dem Nemo-tenetur-Grundsatz kann § 46b StGB immer dort geraten, wo mit der Wissensoffenbarung zugleich Details genannt werden müssen, die den Kronzeugen im Hinblick auf die Anlasstat oder andere Straftaten selbst belasten. Schwierig ist die Trennung fremd- und selbstbelastender Angaben insbesondere bei eigener unmittelbarer Tatbeteiligung des internen Kronzeugen, da den verschiedenen Tatbeiträgen ein einheitlicher Lebenssachverhalt zugrunde liegt. Weniger eindeutig ist dies, wenn Anlass- und Bezugstat keinen Konnex aufweisen und es sich um zwei unabhängige Lebenssachverhalte handelt. Einige Stimmen in der Literatur halten in diesen Fällen eine Selbstbelastung von vornherein für ausgeschlossen.714 Richtigerweise kommt es jedoch auf die Quelle des Wissens an, da diese selbst bei fehlender Konnexität zwischen Anlass- und Bezugstat mit der eigenen Verstrickung in ein kriminelles Umfeld und der Begehung sonstiger Straftaten zusammenhängen kann.715 Mangels Zusammenhang braucht der Beschuldigte zwar keine Informationen hinsichtlich der konkreten Anlasstat preiszugeben. Eine ungewollte Selbstbelastung kommt aber dann in Betracht, wenn die fremdbelastenden Angaben Hinweise auf andere, gegebenenfalls bislang unentdeckte Straftaten des Kronzeugen enthalten. Es bleibt somit in bestimmten Fällen bei einer Selbstbelastung für Taten, die ihm sonst nicht hätten nachgewiesen werden können.716 Wenn es sich bei diesen Delikten nicht um taugliche Anlasstaten i. S. d. § 46b StGB handelt, ist insoweit auch keine Strafmilderung möglich. Darüber hinaus ist denkbar, dass infolge der Aufklärungshilfe gem. § 46b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StGB eine eigene Strafbarkeit des Kronzeugen gem. § 138 StGB erkennbar wird.717 Ausgeschlossen ist eine mit strafrechtlichen Konsequenzen verbundene Selbstbelastung, wenn das Verfahren gegen den Kronzeugen bereits rechtskräftig abgeschlossen ist.718 Dies gilt jedoch z. B. nicht für die Einstellung des Verfahrens nach § 153b Abs. 1 StPO, da das Absehen von der Anklageerhebung keinen Strafklageverbrauch zur Folge hat.719 Auch die Einstellung durch das Gericht gem. § 153b Abs. 2 StPO entfaltet nur eine beschränkte Rechtskraftwirkung. Es kommt daher eine Wiederaufnahme in Betracht, wenn aufgrund neuer Tatsachen oder Beweismittel bekannt wird, dass die Voraussetzungen für das Absehen von Strafe nicht mehr vorliegen.720 714  So Peglau wistra 2009, 409, 413; Kneba: Kronzeugenregelung, S. 138; Kaspar / Wengenroth GA 2010, 453, 460. 715  Salditt StV 2009, 375, 377. 716  Weider, in: MAH-Strafverteidigung, § 45 Rn. 172. 717  Kaspar / Wengenroth GA 2010, 453, 460 (Fn. 32). 718  Jeßberger: Kooperation und Strafzumessung, S. 135. 719  Meyer-Goßner: StPO, § 153b Rn. 2. 720  Beukelmann, in: BeckOK-StPO, § 153b Rn. 12; Pfeiffer: StPO, § 153b Rn. 4.



F. Vereinbarkeit mit dem Nemo-tenetur-Prinzip281

Gegen einen Zwang zur Selbstbelastung spricht jedoch, dass eine Anwendung des § 46b StGB grundsätzlich keine selbstbelastenden Angaben oder sonstigen aktiven Aufklärungshandlungen voraussetzt.721 Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH bedarf es für das Vorliegen eines Aufklärungserfolges gerade keiner „schonungslosen“ Offenbarung des gesamten Wissens ohne Rücksicht auf sich selbst oder Dritte.722 Vielmehr verlangt § 46b StGB auch dort, wo mit der Offenbarung eine Selbstbelastung einherginge, dass die Angaben „freiwillig“ erfolgen. Der Beschuldigte kann insoweit auf sein Recht zur Aussageverweigerung verzichten.723 Die Abwägung möglicher Vor- und Nachteile einer Aussage bleibt ihm überlassen. Schutz vor unbewusster Selbstbelastung bietet die Selbstbelastungsfreiheit grundsätzlich nicht.724 Ein Verstoß gegen den Nemo-tenetur-Grundsatz läge gleichwohl vor, wenn die Inaussichtstellung der Strafmilderung mit der Androhung einer höheren Strafe für den Fall ausbleibender Kooperation gleichzusetzen wäre.725 Die (kartellrechtlichen) Kronzeugenregelungen anderer Rechtsordnungen beinhalten zum Teil ausdrückliche Bestimmungen, wonach verweigerte Aufklärungshilfe zu den jeweiligen Bezugstaten nach dem Prinzip „carrots and sticks“ („Zuckerbrot und Peitsche“) mit einer höheren Bestrafung sanktioniert werden kann.726 An den Nichtgebrauch des § 46b StGB sind jedoch keine unmittelbaren rechtlichen Nachteile geknüpft.727 Der für eine Kronzeugenregelung typische Aussagedruck entsteht dadurch, dass dem Beschuldigten andernfalls die Möglichkeit einer Strafmilderung nach § 46b StGB verwehrt bleibt und ihm gegebenenfalls Mittäter mit einer belastenden Aussage zuvorkommen. Zu einer Verschlechterung seiner Ausgangsposition kommt es hingegen grundsätzlich nicht. Die Gefahr der unbewussten strafschärfenden Berücksichtigung zunächst angedeuteter, dann aber zurückgezogener Ermittlungshilfe lässt sich schon aus psychologischen Gründen nicht völlig von der Hand weisen. Damit das Schweige§ 31 BtMG vgl. Endriß StraFo 2004, 151, 154. 33, 80, 81; StraFo 2003, 145; vgl. dazu oben 2. Teil A. V. 1. b) aa). 723  Jung: Straffreiheit für den Kronzeugen, S. 42; Kaspar / Wengenroth GA 2010, 453, 460; Jeßberger: Kooperation und Strafzumessung, S. 136. 724  Meyer-Goßner: StPO, Einl. Rn. 29a; zur Ausnahme bei gezielter Schaffung und Ausnutzung eines Vertrauensverhältnisses vgl. BGH NJW 2007, 3138. 725  Vgl. Mushoff KritV 2007, 366, 382; Kaspar / Wengenroth GA 2010, 453, 460; Jeßberger: Kooperation und Strafzumessung, S. 136. 726  Vgl. Mehrens: Die Kronzeugenregelung, S. 299; Schnakl: Die Kronzeugenregelung im Kartellverfahren, S. 32; vgl. auch Jeßberger: Kooperation und Strafzumessung, S. 136 (Fn. 246) zum englischen Criminal Justice and Public Order Act (1995), pt. III, §§ 27 ff., wonach ein Schweigen auf bestimmte Fragen der Polizei im Prozess als Anzeichen der Schuld gewertet werden kann. 727  Maier, in: MüKo-StGB, § 46b Rn. 8. 721  Zu

722  BGHSt

282

6. Teil: Vereinbarkeit mit strafprozessualen Prinzipien

recht jedoch „zu einer Obliegenheit zum Geständnis“ relativiert würde,728 müsste es sich bei der Anwendung der Kronzeugenregelung um den „statistisch häufigsten Regelfall“ handeln, sodass jede nicht nach § 46b StGB gemilderte Strafe über der „Normalstrafe“ läge.729 Albrecht gibt in seiner Stellungnahme im Rechtsausschuss zu bedenken, das mit dem Hinweis auf § 46b StGB verbundene „Freikaufangebot“ entfalte eine derartige Suggestionskraft, dass sich der Beschuldigte in der Vernehmung nicht mehr frei und eigenverantwortlich zur Aussage entscheiden könne. Der Betroffene werde von den Ermittlungsbehörden vor die Wahl gestellt, entweder zu kooperieren oder eine langjährige Haftstrafe zu verbüßen. Es komme daher zu einer Umgehung des § 136a StPO sowie einem Verstoß gegen den Nemo-tenetur-Grundsatz.730 Die beschriebene Konstellation weist einige Parallelen zu dem Hinweis der Strafverfolgungsbehörden auf die grundsätzlich strafmildernde Wirkung eines Geständnisses auf. Solange ordnungsgemäß über die Aussagefreiheit belehrt und nicht unzulässigerweise eine bestimmte Strafe zugesagt wird, sind laut BGH Hinweise auf die nach einem Geständnis eintretenden Strafmilderungsmöglichkeiten vor dem Hintergrund des § 136a StPO nicht zu beanstanden.731 Nach anderer Auffassung soll in der Inaussichtstellung einer Strafmilderung bei Abgabe eines Geständnisses die unzulässige Androhung einer ungemilderten Strafe für die Ausübung des Schweigerechts liegen.732 Problematisch ist jedoch nicht schon der bloße Hinweis auf die strafmildernde Berücksichtigung, sondern vielmehr die pauschale Annahme, dass sich jedes Geständnis strafmildernd auszuwirken habe, ohne dass eine Rückkopplung an die Grundlagen der Strafzumessung und die Strafzwecke vorgenommen wird.733 Wenn ein Geständnis jedoch generell mit einer Strafmilderung bedacht wird, ohne dass hierin etwa ein Zeichen von Reue oder Schuldeinsicht liegen muss, ginge der Verzicht auf einen entsprechenden Hinweis vor allem zulasten des unverteidigten Beschuldigten. Im Hinblick auf den Grundsatz der Verfahrensfairness und die Fürsorgepflicht für den Beschuldigten kann ein solcher Hinweis daher soMushoff KritV 2007, 366, 382. Jeßberger: Kooperation und Strafzumessung, S. 139; ihm folgend Peglau wistra 2009, 409, 413; Kaspar / Wengenroth GA 2010, 453, 460 f. 730  Albrecht: Stellungnahme im Rechtsausschuss, S. 11. 731  BGHSt 1, 387; 14, 189; 20, 268; Meyer-Goßner: StPO, § 136a Rn. 23. 732  Schünemann, in: Verhandlungen des 58. DJT Teil 1 B, S. 99, 148; vgl. auch Grünwald NJW 1960, 1941. 733  Einem Geständnis per se strafmildernde Wirkung beimessend Schmidt-Hieber: Verständigung im Strafverfahren, S. 80; ders. StV 1986, 355, 356; Schäfer / Sander / van Gemmeren: Praxis der Strafzumessung, Rn. 383; vgl. auch BGHSt 42, 191, 195; die strafmildernde Wirkung zu Recht ablehnend, wenn dem Geständnis über die bloße Effektivitätssteigerung hinaus keine Bedeutung zukommt Jeßberger: Kooperation und Strafzumessung, S. 65. 728  So

729  Siehe



F. Vereinbarkeit mit dem Nemo-tenetur-Prinzip283

gar geboten sein.734 Für Hinweise auf die schuldunabhängige Strafmilderung nach § 46b StGB muss im Wesentlichen dasselbe gelten. Staatsanwaltschaft und Polizei dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass über die Gewährung einer Strafmilderung oder eines Absehens von Strafe allein das Gericht entscheidet.735 Ein korrekter Hinweis auf die Möglichkeiten des § 46b StGB beeinflusst die Willensentschließungsfreiheit dagegen nicht in unzulässigem Maße, solange sich der Beschuldigte darüber im Klaren ist, dass seine Angaben nicht zwingend eine mildere Strafe zur Folge haben und selbstbelastende Informationen selbst dann noch verwertet werden können, wenn das Gericht im Rahmen seiner Ermessensausübung von einer Strafmilderung absieht.736 Schließlich wird § 46b Abs. 3 StGB als Grund für einen Verstoß gegen den Nemo-tenetur-Grundsatz angeführt. Die Präklusion führe zu einem „gravierenden Einschnitt in die Zeitachse der Einlassungsfreiheit“ und damit zu einem Systembruch.737 Die Begrenzung der Berücksichtigungsfähigkeit von Angaben auf das Ermittlungs- bzw. Zwischenverfahren betrifft jedoch nur den Zeitpunkt der Aussage, ändert aber nichts an deren Freiwilligkeit. Dem Beschuldigten verbleibt lediglich weniger Zeit, um seine Angaben auf eine mögliche Selbstbelastung zu überprüfen und die Abwägung der Vor- und Nachteile einer umfassenden Aussage vorzunehmen. Es könnte somit die Situation eintreten, dass ein andernfalls bis zur Hauptverhandlung zurückgehaltenes Geständnis bereits im Ermittlungs- oder Zwischenverfahren erfolgen muss, wenn eine Strafrahmenverschiebung nach §§ 46b Abs. 1, 49 Abs. 1 StGB im Bereich des Möglichen bleiben soll. Damit ist die zeitliche Ausschlussfrist zwar unter Fairnessgesichtspunkten problematisch, beseitigt jedoch nicht die grundsätzliche Aussagefreiheit. Zusammenfassend lässt sich sagen: Sind die fremdbelastenden Angaben des Kronzeugen untrennbar mit selbstbelastenden Informationen verknüpft, muss der Beschuldigte entweder insgesamt aussagen oder auf die vorteilhaften Rechtsfolgen des § 46b StGB verzichten. Damit begründet die allgemeine Kronzeugenregelung zwar einen erheblichen Anreiz zur Selbstbelastung, jedoch keinen Zwang. Ein Verstoß gegen den Nemo-tenetur-Grundsatz liegt folglich nicht vor.738 Zu einer unzulässigen Beeinträchtigung der freien Willensentschließung kommt es jedoch schnell, wenn beim Beschuldigten aufgrund unvollständiger Belehrungen und Hinweise ein falscher Eindruck entsteht. Vor diesem Hintergrund erscheint es geboten, den Strafverfol734  Schmidt-Hieber

NJW 1982, 1017, 1021. hierzu schon 4. Teil A und B. 736  Vgl. Jeßberger: Kooperation und Strafzumessung, S. 327. 737  Salditt StV 2009, 375, 377. 738  Vgl. Endriß StraFo 2004, 151, 154 zu § 31 BtmG. 735  Vgl.

284

6. Teil: Vereinbarkeit mit strafprozessualen Prinzipien

gungsbehörden gesetzliche Vorgaben für Form und Inhalt einer Belehrung über § 46b StGB zu machen. Diese Vorgaben sollten einen obligatorischen Hinweis auf die alleinige Entscheidungskompetenz des Gerichts vorsehen; zudem muss der Beschuldigte vorsorglich darüber aufgeklärt werden, dass selbstbelastende Bestandteile seiner Aussage auch bei Ausbleiben einer Strafmilderung verwertet werden können. Zweckmäßig wäre außerdem ein Hinweis auf die erhöhte Strafandrohung für falsche Anschuldigungen mit dem Ziel der Erlangung des Kronzeugenprivilegs gem. §§ 145d, 164 StGB. Um nicht auch solche Personen belehren zu müssen, die mangels relevanten Wissens ohnehin nicht als Kronzeugen in Betracht kämen,739 sollte eine Hinweispflicht auf geeignete Fälle beschränkt werden, in denen einerseits der Vorwurf einer einschlägigen Anlasstat im Raum steht und sich andererseits das Vorliegen entsprechender Kenntnisse bereits abzeichnet oder zumindest möglich erscheint.

739  Vgl. kritisch gegenüber einer unbeschränkten Belehrungspflicht auch Jeß­ beger: Kooperation und Strafzumessung, S. 327 f.

7. Teil

§ 46b StGB aus Sicht der Praxis A. Ausgangslage Zur Rechtspraxis des § 46b StGB existieren keine statistischen Erfahrungswerte. Im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens bat der Bundesrat um die Prüfung der Aufnahme einer ausdrücklichen gesetzlichen Evaluationsklausel, mit deren Hilfe die rechtlichen und tatsächlichen Auswirkungen der Aufklärungs- und Präventionshilfe auf wissenschaftlicher Grundlage beobachtet werden könnten.1 Die Bundesregierung wies den Vorschlag jedoch zurück. Die Beobachtung von Neuregelungen und ihren Auswirkungen gehöre generell zu ihren Aufgaben. Zudem sei § 46b StGB, anders als das bis 1999 verlängerte KronzG, nicht als „Erprobungsvorschrift“ ausgestaltet.2 Mangels einer Meldepflicht (z. B. an das Bundeszentralregister oder die Landesjustizministerien)3 gestaltet sich die Untersuchung der Rechtspraxis des § 46b StGB allerdings schwierig. So wird die Anwendung des § 46b StGB beispielsweise auch in der Mehrländer-Staatsanwaltschafts-Automa­ tion (MESTA) der Bundesländer Berlin, Brandenburg, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein nicht statistisch erfasst. Darüber hinaus reicht eine Auswertung allein der Verfahren, in denen § 46b StGB angewendet wurde, nicht aus, um ein realistisches Bild der Rechtspraxis zu erhalten.4 Zusätzlich müsste man auch diejenigen Verfahren einbeziehen, in denen § 46b StGB zwar diskutiert, letztlich jedoch verneint wurde. Hinzu kommt, dass sich ein möglicher Missbrauch der Kronzeugenregelung oftmals erst in den Verfahren gegen die vom Kronzeugen belasteten Dritten abzeichnet. Folglich kommt auch im Hinblick auf die allgemeine Kronzeugenregelung in § 46b StGB der Einschätzung von Praktikern eine unverzichtbare Bedeutung zu.

1  BT-Drucks.

16 / 6268, S.  18. 16 / 6268, S.  20. 3  Zu entsprechenden Forderungen siehe auch Mühlhoff / Mehrens: Das Kronzeugengesetz im Urteil der Praxis, S. 49. 4  Vgl. Mühlhoff / Pfeiffer ZRP 2000, 121, 123 (Fn. 15). 2  BT-Drucks.

286

7. Teil: § 46b StGB aus Sicht der Praxis

B. Empirische Untersuchung Für die vorliegende Arbeit wurde daher im Zeitraum zwischen Mai und September 2012 eine eigene Praktikerbefragung zur allgemeinen Kronzeugenregelung in § 46b StGB durchgeführt. Ziel der Befragung war es, anhand der Einschätzung und eigenen Erfahrung von Juristen verschiedener Berufsgruppen einen zumindest stichprobenartigen Einblick in die Rechtspraxis des § 46b StGB zu gewinnen. Hierzu sollten zunächst die ungefähre Anwendungshäufigkeit, die Anwendungsschwerpunkte und die allgemeine praktische Relevanz der Vorschrift bestimmt und anschließend mögliche Gründe hierfür gefunden werden. Des Weiteren sollte die Untersuchung die derzeitigen Auswirkungen des § 46b StGB auf die Tätigkeit der Gerichte, Staatsanwaltschaften und Strafverteidiger beleuchten. Ein besonderes Interesse galt der Beurteilung möglicher Missbrauchsrisiken sowie häufiger Argumente gegen eine allgemeine Kronzeugenregelung. Abschließend sollte die Untersuchung darüber Aufschluss geben, ob und in welcher Hinsicht in der Praxis ein gesetzgeberischer Handlungsbedarf gesehen wird.

I. Aufbau und Ablauf der Befragung Die Fragebögen5 wurden in schriftlicher und elektronischer Form bundesweit an die 24 Präsidenten der Oberlandesgerichte sowie an die 24 Generalstaatsanwälte gesandt mit der Bitte um Weiterleitung und Verteilung an die Vorsitzenden der Strafkammern an den Landgerichten bzw. die Abteilungsleiter der Staatsanwaltschaften in den jeweiligen Gerichtsbezirken. In einigen Bundesländern mussten zunächst die jeweiligen Justizministerien benachrichtigt und, nachdem diese keine Bedenken gegen die Untersuchung erhoben hatten, Fragebögen gesondert an die Landgerichte verteilt werden. Im Anschreiben wurde darauf hingewiesen, dass eine Beantwortung nicht zwingend durch den Vorsitzenden bzw. den Abteilungsleiter selbst zu erfolgen hätte, sondern dieser auch ein geeignetes Mitglied der Kammer bzw. Abteilung auswählen könnte. Daneben erfolgte eine bundesweite Versendung von Fragebögen an die Vorsitzenden von zwölf regionalen Strafverteidigervereinigungen mit der Bitte um Beantwortung bzw. Verteilung an geeignete Mitglieder. Nach einleitenden allgemeinen Fragen zur Person (Teil A) gliedert sich der Bogen in Fragen zur Anwendung und Handhabung des § 46b StGB in der Praxis (Teil B), zu den tatsächlichen Auswirkungen (Teil C) sowie möglichen Missbrauchsrisiken der Kronzeugenregelung (Teil D). Daran schließt 5  Siehe

Fragebogen im Anhang.



B. Empirische Untersuchung287

sich ein Katalog von verbreiteten Thesen an, die typischerweise in der Vergangenheit entweder für oder gegen die Kronzeugenregelung in § 46b StGB angeführt wurden, zu denen die Befragten Stellung nehmen sollten (Teil E). Abschließend behandelt der Fragebogen verschiedene Reformvorschläge für die Veränderung oder Beibehaltung des § 46b StGB sowie die Veränderung, Streichung oder den Erlass flankierender Vorschriften (Teil F). Der Bogen enthielt im Interesse eines noch zumutbaren Zeitaufwandes zur Bearbeitung überwiegend vorgegebene Antwortmöglichkeiten, von denen pro Frage grundsätzlich nur eine angekreuzt werden sollte. Soweit bei einigen Fragen Mehrfachnennungen möglich waren, wurde dies gesondert vermerkt. Insbesondere hinsichtlich der Argumente für und gegen eine allgemeine Kronzeugenregelung wurde auf die sog. Likert-Skala zurückgegriffen, mit deren Hilfe sich die persönliche Einstellung der Teilnehmer zu bestimmten Fragestellungen messen lässt.6 Die einzelnen Fragen wurden dabei als positiv oder negativ formulierte Thesen vorgegeben, während die skalierten Antwortmöglichkeiten den Grad der Zustimmung sowie eine neutrale Antwortmöglichkeit („weiß ich nicht“) beinhalten. Um eine Tendenz der Teilnehmer aufzeigen zu können und gleichzeitig die Übersicht zu wahren, sind in den Schaubildern jeweils die Kategorien „trifft zu“ und „trifft eher zu“ sowie die Kategorien „trifft nicht zu“ und „trifft eher nicht zu“ zusammengefasst. Zum Teil bot der Bogen auch Raum für eigene Ausführungen, etwa zur Nennung möglicher Gründe für die zuvor einzuschätzende praktische Relevanz der Vorschrift. In den Erläuterungen am Anfang des Fragebogens wurde zudem darauf hingewiesen, dass zusätzliche Randbemerkungen für ein besseres Verständnis von Interesse sein können und daher ausdrücklich erwünscht sind. Die Angaben in diesen „offenen“ Feldern und die einzelnen Randbemerkungen wurden bei der Auswertung qualitativ berücksichtigt.

II. Ergebnisse der Untersuchung 1. Zusammensetzung der Teilnehmer An der Umfrage nahmen insgesamt 170 Praktiker teil. Darunter befanden sich 112 Staatsanwälte, 37 Strafrichter und 21 Strafverteidiger. In der Vergangenheit hat sich insbesondere die Befragung von Strafverteidigern als schwierig erwiesen. Im Rahmen der Untersuchung von Mühlhoff / Mehrens, bei der eine Verteilung der Fragebögen im März 1999 über den Strafverteidigertag in Bremen erfolgte, verzeichneten die Initiatoren der 6  Rost:

Lehrbuch Testtheorie – Testkonstruktion, S. 50.

288

7. Teil: § 46b StGB aus Sicht der Praxis

Abbildung 1: Verteilung der Berufsgruppen

Untersuchung einen Rücklauf von lediglich neun ausgefüllten Bögen.7 Auch in der vorliegenden Untersuchung war die Beteiligung der Strafverteidiger mit 21 Rückläufern zurückhaltend. Gründe für die vergleichsweise geringe Bereitschaft zur Beantwortung des Fragebogens sind wohl überwiegend in der hohen Arbeitsbelastung als Freiberufler sowie fehlender eigener Erfahrung mit der betreffenden Vorschrift zu sehen.8 So gaben einzelne Teilnehmer in Begleitschreiben oder Randbemerkungen an, die Möglichkeit einer Stellungnahme zu § 46b StGB wahrnehmen zu wollen, es fehle ihnen jedoch schlicht die Zeit für eine ausführlichere Beantwortung. Dennoch soll auf die Wiedergabe der Antworten der teilnehmenden Strafverteidiger nicht verzichtet werden, da gerade die Einschätzung dieser Berufsgruppe von besonderem Interesse ist. Verteidiger sind von der Regelung in § 46b StGB auf zwei unterschiedliche Arten betroffen: Einerseits obliegt ihnen die möglichst effektive Wahrnehmung der Interessen ihres Mandanten, mit dem sie daher gegebenenfalls auch über die Möglichkeit einer Kronzeugenaussage beraten müssen. Zum anderen ist eine Auseinandersetzung mit der allgemeinen Kronzeugenregelung erforderlich, wenn ihr Mandant durch die Angaben eines Ermittlungsgehilfen belastet wird.9 Die zeitliche Ausschlussfrist in § 46b Abs. 3 StGB bedeutet einen Einschnitt im zeitlichen Ablauf der anwaltlichen Beratung, da die Entscheidung über das „Ob“ und das „Wie“ 7  Mühlhoff / Mehrens: 8  Vgl.

Das Kronzeugengesetz im Urteil der Praxis, S. 13. schon Mühlhoff / Mehrens: Das Kronzeugengesetz im Urteil der Praxis,

S. 13. 9  Vgl. Mühlhoff / Mehrens: Das Kronzeugengesetz im Urteil der Praxis, S. 13.



B. Empirische Untersuchung289

Abbildung 2: Haben Sie bereits eigene Erfahrungen mit § 46b StGB gemacht?

einer Offenbarung bis spätestens zum Erlass des Eröffnungsbeschlusses gefallen sein muss. Darüber hinaus muss der Verteidiger möglicherweise selbst ermittelnd tätig werden, wenn er bei seinem Mandanten potenzielles Kronzeugenwissen vermutet, dessen Wert für die Strafverfolgungsbehörden er überprüfen will. Eine allgemeine Kronzeugenregelung stellt die Praxis der Strafverteidigung deshalb vor eine große Herausforderung. Schließlich sind auch die Antworten der befragten Strafrichter aufgrund der Teilnehmerzahl nicht repräsentativ. Sie erlauben jedoch, wie auch die Antworten der Strafverteidiger, einen stichprobenartigen Einblick in das innerhalb der jeweiligen Berufsgruppe vorherrschende Meinungsbild. Die Teilnehmer hatten in ihrer jetzigen Stelle durchschnittlich knapp 14 Jahre Berufserfahrung vorzuweisen; bei den Richtern waren es im Schnitt 10,4 Jahre, bei den Staatsanwälten 14,6 und bei den Strafverteidigern 16,6 Jahre. Befragt nach ihren eigenen Erfahrungen mit § 46b StGB gaben insgesamt 36,7 % der Teilnehmer an, bereits Erfahrungen mit der Vorschrift gemacht zu haben. Bei getrennter Betrachtung der verschiedenen Berufsgruppen zeigt sich allerdings ein deutliches Gefälle. Während bei den Richtern und Strafverteidigern zwei Drittel der Befragten bereits mit § 46b StGB konfrontiert wurden, begegnete die Vorschrift bislang nur etwas mehr als einem Fünftel der befragten Staatsanwälte. Die geringere Anzahl der Rückläufer lässt vermuten, dass der Aspekt eigener Erfahrungen mit § 46b StGB bei der Entscheidung über die Beantwortung des Fragebogens für Richter und Strafverteidiger eine stärkere Rolle gespielt hat. Diejenigen Teilnehmer, die zuvor angegeben hatten,

290

7. Teil: § 46b StGB aus Sicht der Praxis

selbst bereits Erfahrungen mit der Kronzeugenregelung gemacht zu haben, wurden zudem nach der ungefähren Anzahl dieser Fälle gefragt. Wenn eine entsprechende Angabe gemacht wurde lag der Durchschnitt bei vier Anwendungsfällen des § 46b StGB. Falls im Folgenden nichts anderes vermerkt ist, handelt es sich bei den Prozentangaben um gültige Prozente, fehlende oder unbrauchbare Antworten wurden bei der Berechnung nicht berücksichtigt. Der prozentuale Anteil bezieht sich somit auf die Gesamtheit derjenigen Teilnehmer (einer bestimmten Berufsgruppe), die bei der jeweiligen Frage eine gültige Antwort abgegeben haben. 2. Anwendungshäufigkeit und Anwendungsgebiete Die Teilnehmer wurden gefragt, wie häufig § 46b StGB nach ihrer Erfahrung bzw. Einschätzung in Verfahren mit wenigstens einer geeigneten Anlasstat zur Anwendung kommt. Die Antworten bestätigen, dass der allgemeinen Kronzeugenregelung trotz ihrer Konzeption als allgemeine Strafzumessungsnorm zumindest gemessen an der Gesamtheit aller Verfahren mit tauglichen Anlasstaten der Charakter einer Ausnahmevorschrift zukommt. 87 % der Befragten gehen davon aus, dass § 46b StGB entweder überhaupt nicht (11,1 %) oder zumindest in nicht mehr als 9 % (75,9 %) dieser Verfahren Anwendung findet. Nur bei den Strafrichtern nahm ein beacht­

Abbildung 3: In wieviel Prozent der Fälle mit geeigneten Anlasstaten kommt es zu einer Anwendung des § 46b StGB?



B. Empirische Untersuchung291

Abbildung 4: In welchen Bereichen wird § 46b StGB überwiegend angewandt? (Mehrfachnennungen möglich)

licher Anteil von 35,3 % eine höhere Anwendungshäufigkeit in 10–25 % der Verfahren mit geeigneter Anlasstat an. Neben Schätzungen hinsichtlich der ungefähren Anwendungshäufigkeit sollten die Befragten Angaben darüber machen, in welchen Deliktsbereichen nach ihrer Erfahrung oder Einschätzung hauptsächlich von § 46b StGB Gebrauch gemacht wird. Dabei waren Mehrfachnennungen möglich. Zudem bestand die Möglichkeit, neben den vorgegebenen Deliktsbereichen unter „Sonstige“ auch weitere Gebiete zu ergänzen. Welche Bereiche dabei überwiegend genannt wurden, zeigt Abbildung 4. Die prozentualen Angaben

292

7. Teil: § 46b StGB aus Sicht der Praxis

Abbildung 5: Angaben zu den Bereichen, in denen Erfahrungen mit § 46b StGB gemacht wurden (nur Teilnehmer, die die Frage nach eigenen Erfahrungen mit „Ja“ beantwortet haben; Mehrfachnennungen möglich)

geben Aufschluss darüber, wieviele Teilnehmer der verschiedenen Berufsgruppe den jeweiligen Deliktsbereich ausgewählt haben. Soweit im Folgenden also aufgeführt ist, dass 29,4 % der Richter Gewaltdelikte für eines der Hauptanwendungsgebiete des § 46b StGB halten, bedeutet dies nicht, dass 29,4 % aller Anwendungsfälle vor Gericht ein solches Delikt betrafen. Am häufigsten genannt wurde der Bereich der organisierten Kriminalität. Insgesamt 73,1 % sahen hierin einen Hauptanwendungsfall der Kronzeugenregelung, wobei der Deliktsbereich in allen drei Berufsgruppen die meisten Nennungen erhielt. Den ebenfalls konspirativ geprägten und von der Geset-



B. Empirische Untersuchung293

zesbegründung hervorgehobenen Bereich der terroristischen Straftaten kreuzten dagegen nur 26,9 % der Befragten an. Daran schließen sich die gesondert aufgeführten Bereiche der Wirtschaftskriminalität (23,1 %) sowie der Korruption (19,2 %) an. Etwa genauso häufig angegeben wurden die Bereiche der Eigentums- und Vermögenskriminalität (22,4 %) und der Gewaltdelikte (16,7 %). Kaum eine bzw. überhaupt keine Rolle spielen in der Rechtspraxis des § 46b StGB schließlich Sexual- und Umweltdelikte. Auf den ersten Blick überraschend ist, dass trotz der vorrangigen Spezialregelung in § 31 BtMG das zweitgrößte Anwendungsfeld der allgemeinen Kronzeugenregelung im Bereich der Betäubungsmitteldelikte gesehen wird, welcher von 62,2 % der Teilnehmer ausgewählt wurde. Zu den unter „Sonstige“ angegebenen Delikten gehörten neben verschiedenen Formen der Brandstiftung (§§ 306 ff. StGB) der Bereich der Staatsschutzdelikte sowie die „Kapitaldelikte, namentlich Mord gem. § 211 StGB“. Um einen Eindruck zu gewinnen, inwieweit sich diese Einschätzung der mit der Verfahrenswirklichkeit deckt, konnten die Befragten darüber hinaus angeben, in welchen der oben genannten Rechtsgebiete sie selbst mit § 46b StGB konfrontiert wurden. Soweit es um eigene Erfahrungen mit § 46b StGB geht, dominieren die Verfahren aus dem Bereich der Betäubungsmittelkriminalität. 55 % der mit § 46b StGB befassten Richter, 43,5 % der Staatsanwälte und 63,6 % der Strafverteidiger gaben an, Erfahrungen mit der allgemeinen Kronzeugenregelung im Zusammenhang mit Betäubungsmitteldelikten gemacht zu haben. Insgesamt waren dies mehr als die Hälfte (51,9 %) aller „erfahrenen“ Praktiker und 16,5 % sämtlicher Teilnehmer der Befragung. Vergleichsweise oft genannt wurden von den unmittelbar betroffenen Praktikern mit insgesamt 29,6 % auch Delikte aus dem Bereich der organisierten Kriminalität, wobei die Häufigkeit der Nennungen geringer ausfiel, als man aufgrund der Antworten bei der Frage nach den wichtigsten Anwendungsfeldern hätte erwarten können. 33,3 % gaben zudem Eigentums- und Vermögensdelikte und 22,2 % Gewaltdelikte an. In diesem Zusammenhang wurde von sechs Teilnehmern explizit darauf hingewiesen, es habe sich bei der Tat, zu der Ermittlungshilfe geleistet wurde, in einem oder mehreren Fällen um einen Raub gehandelt. Abgesehen von der erneuten Nennung der Brandstiftungsdelikte fehlten nähere Charakterisierungen der „sonstigen“ Bereiche, soweit diese ausgewählt wurden. Des Weiteren sollte die Befragung Aufschluss darüber geben, auf wessen Initiative die Anwendung der allgemeinen Kronzeugenregelung im Regelfall zurückzuführen ist. Zur Auswahl standen neben dem Beschuldigten und seinem Verteidiger das Gericht, die Staatsanwaltschaft und die Polizei. Angeregt wird ein Vorgehen nach § 46b StGB im Regelfall von der Verteidi-

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7. Teil: § 46b StGB aus Sicht der Praxis

Abbildung 6: Wer stößt die Anwendung des § 46b StGB üblicherweise an? (Mehrfachnennungen möglich)

gung, die von 64,6 % aller Teilnehmer angegeben wurde. Eine große Rolle spielen jedoch auch die Strafverfolgungsbehörden. Die Staatsanwaltschaft wurde von insgesamt 34 %, die Polizei von 39,5 % der Teilnehmer genannt. 3. Verteilung der Verfahren nach Tatbestandsalternative und Rechtsfolge Mit der Untersuchung sollte auch geklärt werden, zu welchen Anteilen es sich bei den Verfahren, in denen § 46b StGB zur Anwendung gelangt, um Fälle der Aufklärungs- oder der Präventionshilfe handelt. Eine Regelung zur Honorierung von Beiträgen zur Verhinderung geplanter Straftaten enthält § 46b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StGB. Die Vorschrift ist an § 31 S. 1 Nr. 2 BtMG angelehnt, der in der Praxis nahezu bedeutungslos blieb.10 Laut einem Bericht der Bundesregierung vom 11.4.198911 gab es in den Jahren 1985 bis 1987 gerade einmal zehn Anwendungsfälle des § 31 Nr. 2 BtMG a. F. Von einem nennenswerten Anstieg in den folgenden Jahren ist nicht auszugehen.12 Die geringen Anwendungszahlen im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität lassen vermuten, dass auch im Rahmen der allgemeinen Kron10  Maier, in: MüKo-StGB, § 31 BtMG Rn. 207; Fischer: StGB, § 46b Rn. 16; Kinzig, in: Schönke / Schröder: StGB, § 46b Rn. 15. 11  BT-Drucks. 11 / 4329, S.  19. 12  Patzak, in: Körner: BtMG, § 31 Rn. 64.



B. Empirische Untersuchung295

Abbildung 7: In wieviel Prozent der Anwendungsfälle handelt es sich um einen Fall der Präventionshilfe gem. § 46b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StGB?

zeugenregelung die Aufklärungshilfe den mit Abstand wichtigsten Anwendungsfall darstellt. Die Ergebnisse der Untersuchung bestätigen dies: 54,1 % der Teilnehmer gaben an, der Anteil derjenigen Verfahren, in denen es um die Verhinderung zukünftiger Straftaten gehe, liege bei > 0–9 %. Nach Auffassung der Mehrheit der befragten Richter (54,5 %) und insgesamt 30,4 % der Befragten findet § 46b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StGB praktisch überhaupt keine Anwendung. Ebenfalls zwei Alternativen enthält § 46b StGB auf der Rechtsfolgenseite. Entscheidet sich das Gericht für eine Anwendung der Vorschrift, kann es entweder die Strafe nach § 49 Abs. 1 StGB mildern oder unter bestimmten Voraussetzungen gem. § 46b Abs. 1 S. 4 StGB gänzlich von Strafe absehen. Das vollständige Absehen von Strafe hat einen deutlich engeren Anwendungsbereich als die Strafrahmenverschiebung. Sie kommt nur in Betracht, wenn die Straftat ausschließlich mit zeitiger Freiheitsstrafe bedroht ist und der Täter keine Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren verwirkt hat. Es handelt sich um eine „massive Honorierung“13 der Angaben, über die auf Ermessensebene grundsätzlich anhand derselben Kriterien zu entscheiden ist, wie über eine Milderung (vgl. § 46b Abs. 2 StGB). Somit dürfte ein Strafverzicht nur in sehr seltenen Ausnahmefällen in Betracht kommen, etwa wenn die Schwere oder der Umfang der Taten, zu deren Aufklärung oder Verhinderung der Ermittlungsgehilfe beiträgt, die ihm vorgeworfenen 13  Maier,

in: MüKo-StGB, § 46b Rn. 124.

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7. Teil: § 46b StGB aus Sicht der Praxis

Abbildung 8: In wieviel Prozent der Anwendungsfälle wird gänzlich von Strafe abgesehen?

Anlasstat bei weitem übertreffen.14 Nach Angaben von 56,8 % der Befragten kommt eine vollständige Straffreiheit des Kronzeugen nach § 46b Abs. 1 S. 4 StGB in der Praxis nicht vor. Die entsprechende Antwortmöglichkeit erhielt in allen drei Berufsgruppen die meisten Stimmen. Für einen Anteil von > 0 bis 9 % an der Gesamtheit aller Verfahren nach § 46b StGB entschieden sich 39,7 % der Teilnehmer. 4. Praktische Bedeutung des § 46b StGB Anschließend sollten die Teilnehmer darüber Auskunft geben, welche Bedeutung die allgemeine Kronzeugenregelung nach ihrer Einschätzung für das Strafverfahren erlangt hat und mögliche Gründe für die bisherige Entwicklung anführen. Für den ersten Teil der Frage mussten sich die Teilnehmer auf einer absteigenden Skala zwischen den Antwortmöglichkeiten „hoch“, „eher hoch“, „mittel“, „eher gering“, „gering“ und „keine“ entscheiden. Damit sollte den befragten Personen die Möglichkeit gegeben werden, die praktische Relevanz des § 46b StGB unabhängig von seiner Anwendungshäufigkeit zu bewerten. Der überwiegende Teil aller Praktiker attestierte der Vorschrift dabei eine niedrige praktische Bedeutung. Mehr als zwei Drittel der Befragten (70,1 %) schätzten die Bedeutung als „gering“ oder „eher gering“ ein. Fast jeder zehnte Befragte (9,8 %) gab an, dass 14  Maier,

in: MüKo-StGB, § 46b Rn. 124.



B. Empirische Untersuchung297

Abbildung 9: Wie beurteilen Sie die praktische Bedeutung, die § 46b StGB für das Straferfahren erlangt hat?

§ 46b StGB im Strafverfahren überhaupt keine Relevanz besitze. Dagegen gingen nur 4,8 % der gültigen Stimmen von einer „hohen“ bzw. „eher hohen“ praktischen Bedeutung der Kronzeugenregelung aus. Dabei zeigten sich in den verschiedenen Berufsgruppen kaum auffällige Abweichungen. Nur wurde eine „mittlere“ Relevanz der Vorschrift mit 29,4 % bei den Richtern noch vergleichsweise häufig angegeben. Bei den Staatsanwälten waren dies nur 11 % und bei den Verteidigern 14,3 %. Allerdings stimmte kein einziger Richter für eine „hohe“ oder „eher hohe“ Bedeutsamkeit. Anschließend wurden die Teilnehmer gebeten, mögliche Gründe für die von ihnen vorgenommene Einstufung zu nennen. Dabei wurden, anders als bei der Untersuchung von Mühlhoff / Mehrens,15 bewusst keine Antwortmöglichkeiten vorgegeben, um eine suggestive Beeinflussung zu vermeiden. Zum Zeitpunkt der Konzeption des Fragebogens war nicht absehbar, ob § 46b StGB – wie § 31 BtMG – in der Praxis häufig zur Anwendung kommt oder – wie das 1999 ausgelaufene KronzG – eher ein Nischendasein fristet. Es hätten daher sowohl mögliche Gründe für eine hohe als auch für eine geringe praktische Bedeutung angeführt werden müssen. Stattdessen sollte den Praktikern an dieser Stelle Raum für die Mitteilung eigener Eindrücke 15  Vgl. zu den Gründen für die geringe Anwendungshäufigkeit des KronzG Mühlhoff / Mehrens: Das Kronzeugengesetz im Urteil der Praxis, S. 23 ff.

298

7. Teil: § 46b StGB aus Sicht der Praxis

und Erfahrungen gegeben werden, da eine qualitative Auswertung erfolgsversprechender erschien. Einzelne Kritikpunkte, die auch zu einer zurückhaltenden Anwendung der Vorschrift beitragen könnten, wurden erst im weiteren Verlauf der Befragung aufgegriffen. a) Geringer Bekanntheitsgrad Als einer der Gründe für die bisherige Entwicklung wurde von 15 Teilnehmern genannt, dass § 46b StGB auch mehrere Jahre nach seinem Inkrafttreten noch relativ unbekannt sei. In der polizeilichen, der staatsanwaltschaftlichen sowie der gerichtlichen Praxis, aber auch bei den Strafverteidigern sei die Vorschrift noch nicht richtig angekommen. Viele potenzielle Anwendungsfälle würden daher nicht erkannt. Anders sieht dies im Bereich des Betäubungsmittelstrafrechts aus, wo § 46b StGB offenbar einen vergleichsweise hohen Bekanntheitsgrad hat. Hiermit erklärt sich auch, warum die allgemeine Kronzeugenregelung relativ häufig bei Betäubungsmittel­ delikten zur Anwendung kommt, obwohl mit § 31 BtMG eine grundsätzlich vorrangige Spezialregelung besteht:16 Die Praktiker aus diesem Bereich sind mit dem Instrument des Kronzeugen vertraut, und die Möglichkeiten zur Honorierung von Ermittlungshilfeleistungen sind daher in ihrem Bewusstsein präsenter. Darüber hinaus sind die Anwendungsvoraussetzungen des § 46b StGB denen des § 31 BtMG teilweise nachempfunden, sodass eine Übertragung und Anwendung der bisherigen Grundsätze leichter fällt. Zwei Staatsanwälte ergänzten, im Gegensatz zu § 46b StGB weise die Polizei in geeigneten Verfahren regelmäßig auf die „kleine“ Kronzeugenregelung in § 31 BtMG hin. Außerhalb des Betäubungsmittelstrafrechts erführen insbesondere unverteidigte Beschuldigte daher oftmals erst von den Möglichkeiten zur Honorierung ihrer Kooperationsbereitschaft, wenn es für eine Berücksichtigung nach § 46b StGB fast schon zu spät sei. Mehrere Staatsanwälte betonten, die Betäubungsmittelkriminalität sei das wohl wichtigste Anwendungsgebiet für Kronzeugenregelungen, § 31 BtMG erfasse jedoch den Großteil der bearbeiteten Fälle. Während einige der Befragten daraus aber ableiteten, für eine allgemeine Kronzeugenregelung bestehe über § 31 BtMG hinaus kein Bedarf, sah ein Teilnehmer in beiden Kronzeugenregelungen die bisweilen einzige und daher willkommene Möglichkeit, die teilweise als zu hoch empfundenen Mindeststrafandrohungen im BtMG zu durchbrechen. Trotz der insgesamt geringen praktischen Bedeutung des § 46b StGB scheint die Anwendungshäufigkeit tendenziell zu steigen; immer mehr Be16  Zum verbleibenden Anwendungsbereich des § 46b StGB im Betäubungsmittelstrafrecht vgl. 3. Teil C.



B. Empirische Untersuchung299

schuldigte versuchten über § 46b StGB eine mildere Strafe zu erhalten. Die Angaben erfolgten jedoch oftmals offensichtlich „ins Blaue hinein“, sodass es letztlich zu keiner Anwendung käme. Dennoch ist nach Auffassung verschiedener Teilnehmer zu erwarten, dass die Anwendung der Vorschrift insbesondere im Bereich der schweren Bandenkriminalität spürbar zunehmen wird. b) Alternative Möglichkeiten zur Berücksichtigung kooperativen Verhaltens Als weiteren Gesichtspunkt, der für die Zurückhaltung der Praktiker verantwortlich sein könnte, nannten die Befragten die weiteren gesetzlichen Möglichkeiten zur Berücksichtigung kooperativen Verhaltens, die teilweise als flexibler eingeschätzt würden. Insgesamt würden Aufklärungshilfeleistungen häufiger über die Strafzumessung im engeren Sinn gem. § 46 StGB als über § 46b StGB berücksichtigt. Dabei werde die Bewertung der Angaben des Ermittlungsgehilfen oftmals im Rahmen einer Verständigung vorgenommen. Dass man bei einem „Deal“ über das Strafmaß i. S. d. § 257c StPO keine Strafrahmenverschiebung erlangen könne, werde dabei hingenommen, da die Offenbarung andernfalls wegen § 46b Abs. 3 StGB bereits im Ermittlungs- oder Zwischenverfahren erfolgen müsse. Von Bedeutung sei § 46b StGB daher vor allem in Fällen, in denen die absolute Strafandrohung des § 211 StGB eine Berücksichtigung im Wege der allgemeinen Strafzumessung verhindere. Auch wurde angesprochen, dass die Anwendungsvoraussetzungen des § 46b StGB zugleich Umstände sind, die für die Annahme eines minder schweren Falles17 sprechen können. Ein Verteidiger vermutete, die Richter scheuten zum Teil wohl auch die besondere Begründung, die eine Auseinandersetzung mit § 46b StGB erforderlich mache. c) Zeitliche Begrenzung auf das Ermittlungsund Zwischenverfahren Häufig wurden § 46b Abs. 3 StGB sowie die fehlende Verhandlungssicherheit als Ursache der geringen praktischen Bedeutung angeführt. Viele Angaben, die zu einer Anwendung der Kronzeugenregelung hätten führen können, erfolgten erst in der Hauptverhandlung, sodass eine Berücksichtigung über § 46b StGB ausscheiden musste. Ein Richter vermutete, viele Verteidiger hätten die zeitliche Begrenzung noch nicht verinnerlicht. Sie blieben daher oft noch bei der Taktik, erst in der Hauptverhandlung Angaben anzukündigen, die dann wegen der zeitlichen Beengtheit ungeprüft mit 17  Vgl.

hierzu 2. Teil B. V.

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7. Teil: § 46b StGB aus Sicht der Praxis

strafmildernder Wirkung übernommen werden sollten. Zugleich stellte er fest, den Beschuldigten gefalle es in der Regel nicht, ohne konkrete Aufforderung des erkennenden Gerichts und ohne Inaussichtstellen eines bezifferten Strafnachlasses gewissermaßen in Vorleistung treten zu müssen. Mehrere Verteidiger führten aus, ihren Mandanten ganz bewusst grundsätzlich von einer Aussage i. S. d. § 46b StGB abzuraten. Die endgültige Entscheidung stehe im Ermessen des Gerichts, weshalb eine frühzeitige Offen­ barung mit zu vielen Risiken verbunden sei. Ein Verteidiger bezeichnete die fehlende Verhandlungssicherheit gar als das „Kernproblem“ der Verteidigung. Meist genüge der Zeitraum vor dem Eröffnungsbeschluss nicht, um eine Aussage ausreichend vorzubereiten. Ein Richter bestätigte diese Einschätzung. Er gab an, vor Beginn des Hauptverfahrens sei zumindest eine umfassende Wissensoffenbarung im Regelfall nicht möglich und im Übrigen auch nicht ratsam. Auch Staatsanwälte haben beobachtet, dass die Beschuldigten meist lieber den „Gang der Dinge“ abwarten, um zu sehen, ob sich nicht andere Strafmilderungsmöglichkeiten ergeben. Nach Ansicht eines Richters bereitet § 46b Abs. 3 StGB jedoch auch den Gerichten Probleme: Die auf verschiedene Verfahrensabschnitte verteilten Voraussetzungen und Rechtsfolgen der Kronzeugenregelung stünden nicht im Einklang. Die Einführung der Aufklärungsleistung des Kronzeugen falle schon aus verfahrenstechnischen Gründen schwer, da sie aus einem Verfahrensabschnitt lange vor Eintritt der vorgesehenen Rechtsfolge (der Strafmilderung) stamme, ihre Berücksichtigung jedoch auf den dafür vorgesehenen „Rechtsfolgenabschnitt“, nämlich die Hauptverhandlung mit strengbeweislicher Beweiserhebung beschränkt sei. Dass der Ermittlungsgehilfe gewissermaßen in Vorleistung treten muss, mindert offenbar die Attraktivität einer Zusammenarbeit mit der Justiz. Ein Staatsanwalt wies darauf hin, vor dem Eröffnungsbeschluss sei oft noch unklar, wegen welcher Vorwürfe das Hauptverfahren eingeleitet würde: ein Umstand, der nicht nur die Einschätzung erschwert, ob sich eine Inkaufnahme der Risiken einer Aussage lohnt, sondern auch etwa darüber, ob überhaupt eine geeignete Anlasstat vorliegt. Auch gebe es vor der Eröffnung häufig nur die Staatsanwaltschaft als Verhandlungspartner; die Richter hingegen seien mitunter abgeneigt, das Zwischenverfahren durch Gespräche über eine mögliche Anwendung des § 46b StGB „aufzublähen“. Am liebsten hätten die Verteidiger bereits während der Ermittlungen eine feste Zusage bezüglich der Strafhöhe unter Einbindung des Gerichts. Die Einbeziehung des Gerichts sei jedoch völlig aussichtslos, wenn die Geschäftsverteilung in Strafsachen im Umlaufverfahren geregelt sei. Aber auch dort, wo das Gericht zur Verfügung stehe, sehe es sich ohne umfassende Ermittlungen in der Regel nicht in der Lage, eine Strafmaßhöhe in Aussicht zu stellen. Da sich allein auf die Prognose der Staatsanwaltschaft jedoch kein Verteidiger



B. Empirische Untersuchung301

verlassen wolle, bliebe den Ermittlern hinsichtlich der Aussage des Beschuldigten „nur die Hoffnung auf einen haftempfindlichen Straftäter, der dann nach § 46b StGB greift“. Von einem Strafverteidigers wurde gerade dieser Gesichtspunkt kritisiert: § 46b StGB werde in Verbindung mit der Untersuchungshaft oftmals als Druckmittel eingesetzt. Dem inhaftierten Beschuldigten werde eine Kronzeugenaussage als vermeintlicher Ausweg aufgezeigt. Letztlich komme die Norm vor Gericht jedoch nur selten zur Anwendung. d) Überwiegen der persönlichen Nachteile Dass anscheinend viele Beschuldigte trotz vorhandenen Kronzeugenwissens bewusst auf eine Aussage verzichten, deutet darauf hin, dass zumindest in ihren Augen die Vorteile einer Wissensoffenbarung gegenüber den Nachteilen nicht ausreichend ins Gewicht fallen. Darüber, worin die maßgeb­ lichen Nachteile einer Kronzeugenaussage liegen, gaben die Befragten vielfach Auskunft. Mehrere Staatsanwälte wiesen darauf hin, dass sich Beschuldigte mit einer Kronzeugenaussage oftmals selbst schwer belasteten. Der Versuch die eigene Täterschaft zu verbergen, stehe trotz der möglichen Vergünstigung für viele Beschuldigte im Vordergrund. Die im Fall einer belastenden Aussage zu bewältigenden Konsequenzen erschienen vielen Zeugen schwerwiegender als die ohne Anwendung des § 46b StGB zu erwartende Strafe. Es bestehe eine große Ungewissheit, ob sich die Strafmilderung im Verhältnis zu den gegebenenfalls zusätzlich gestandenen Straftaten auszahle. Dem Beschuldigten werde meist keine Vertraulichkeit zugesichert, sodass die Person des Offenbarenden in der Regel schnell bekannt würde. Viele Beschuldigte hätten Angst, später in ihrem sozialen Umfeld, aber auch in den Augen der Öffentlichkeit als Denunziant dazustehen. Gerade Täter der schweren Kriminalität seien eher dazu bereit, sich konfliktträchtig zu verteidigen oder notfalls ihre Strafe zu akzeptieren, als Verrat an früheren Mittätern zu üben. Ein Verteidiger bestätigt zudem ein Phänomen, dass im Münchener Anwaltshandbuch für Strafverteidigung als „Bumerangeffekt“ bezeichnet wird:18 Viele Mandanten weigerten sich, andere Straftäter „anzuschwärzen“, weil sie aufgrund ihrer Verstrickung in dasselbe kriminelle Umfeld Angst vor einer Retourkutsche hätten. Eine besonders große Rolle spielte unter den seitens der Staatsanwälte genannten Gründen schließlich der Aspekt des Zeugenschutzes. Im Bereich der organisierten Kriminalität hätten die Mitglieder von Tätergruppierungen selbst bei Entdeckung kein Interesse an einer Zusammenarbeit mit den Strafverfolgungsbehörden, es sei 18  Siehe

Weider, in: MAH-Strafverteidigung, § 45 Rn. 173 f.

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7. Teil: § 46b StGB aus Sicht der Praxis

denn, sie hätten sich von der Gruppierung bereits distanziert. Häufig sei die Angst vor Repressionen ein Grund dafür, weshalb mögliche Vergünstigungen nur sehr zögerlich angenommen würden und grundsätzlich nur eine geringe Aussagebereitschaft bestehe. Wer als Verräter gelte, habe nicht nur Racheakte von ehemalgien Komplizen, sondern auch nachteilige Konsequenzen im Haftalltag zu befürchten. Die meisten Beschuldigten hätten jedoch nur wenig Vertrauen in die staatlichen Vorkehrungen zur Gewährleistung ihrer Sicherheit. Ein Staatsanwalt begründete seine „eher hohe“ Einschätzung der praktischen Bedeutung damit, dass es sich bei Straftaten mit Organisations- oder Betäubungsmittelhintergrund regelmäßig um rational kalkulierende Täter handele, die – wenn es ausnahmsweise einmal eng werde – das Beste aus ihrer Situation herausholen wollten. Ein anderer Staatsanwalt, der § 46b StGB zuvor jede praktische Relevanz abgesprochen hatte, bestätigte diese Erfahrung zunächst. Er gab jedoch zu bedenken, dass vor der Entscheidung des Betroffenen über eine Kronzeugenaussage immer die Prüfung stehe, ob die Beweise gegen ihn für eine Verurteilung ausreichten. Eine weitere Alternative bleibe stets auch die „günstigere“ Variante der Flucht in ein Land, welches vor Verjährung nicht ausliefere. Erst wenn diese Varianten der faktischen Straflosigkeit nicht erreicht werden könnten, komme für ihn § 46b StGB überhaupt in Betracht. Diese Option werde dann oftmals wegen möglicher Vergeltungsaktionen der belasteten Personen sowie fehlendem Vertrauen in Zeugenschutzmaßnahmen verworfen. e) Zurückhaltung der Justiz Von Seiten eines Staatsanwalts wurde geäußert, die Kooperation mit der Justiz zahle sich im Verhältnis zu einem bloßen Geständnis des eigenen Tatbeitrages ohne die Nennung weiterer Beteiligter derzeit (noch) nicht aus. Hier läge ein großes Potenzial des § 46b StGB; erst wenn sich aufgrund regelmäßiger Anwendung klare Linien in der Rechtsprechung herausgebildet hätten, aus denen man entnehmen könne, welche „Angebote“ überhaupt gemacht werden dürften und wann die „Sanktionsschere“ zu weit geöffnet würde, bestehe ein ausreichender Anreiz für Wissensoffenbarungen. Einer der Strafverteidiger gab an, wenn die Aussage erst einmal gemacht sei, verweigerten viele Richter die Anerkennung der Voraussetzungen und auch die Staatsanwaltschaft spräche sich meist gegen eine Anwendung des § 46b StGB aus. Ein weiterer Verteidiger hatte den Eindruck, die Anwendungsvoraussetzungen würden zwar bejaht, die Auswirkungen auf die Strafhöhe blieben jedoch marginal, da Richter und Staatsanwälte nicht von ihren Strafvorstellungen für bestimmten Taten abrückten. Laut einem Richter werden in der gerichtlichen Praxis insbesondere an das Merkmal der We-



B. Empirische Untersuchung303

sentlichkeit hohe Anforderungen gestellt. Ein Staatsanwalt nannte als Grund für eine bewusst restriktive Handhabung seitens der Gerichte die mit § 46b StGB verbundene Beeinträchtigung des Schuldprinzips und die damit einhergehenden Bedenken gegen den Strafnachlass. Ähnlich sahen dies zwei weitere Staatsanwälte. Sie erklärten, die Schwere der Straftat und die Schuld des Täters stünden einer Milderung regelmäßig entgegen. Von Seiten der Richter gaben mehrere Teilnehmer an, schlechte Erfahrungen mit § 31 BtMG gemacht zu haben. Mehrere Praktiker aus allen drei Berufsgruppen erklärten sich die Zurückhaltung bei der Bejahung der Anwendungsvoraussetzungen bzw. der Ermessensausübung damit, dass die Glaubwürdigkeit des Kronzeugen durch sein Eigeninteresse an der Aussage erheblich gemindert sei. Die generelle Kooperationsbereitschaft steige zwar an, jedoch erfolgten die Angaben nicht immer wahrheitsgemäß. Wenn sie nicht zumindest in wesentlichen Teilen durch zusätzliche Indizien bestätigt würden, seien die Angaben in Ansehung der Motivation des Kronzeugen von sehr geringem Beweiswert. Dies mache es auch den wahrheitsgemäß belasteten Dritten einfach. Sie beriefen sich in der Regel darauf, der Kronzeuge habe lediglich irgendeinen Namen genannt, um sich einen Strafrabatt zu erkaufen. Außerdem handele es sich bei den Schein-Kronzeugen teilweise auch um besonders hartgesottene Straftäter, die genau wüssten wie Beweise durch das Gericht gewürdigt würden und über Verbindungen verfügten, die eine Bestätigung auch unwahrer Bekundungen durch weitere Zeugen ermöglichten. f) Ausgestaltung der Anwendungsvoraussetzungen Obwohl es sich bei § 46b StGB um eine allgemeine Strafzumessungsvorschrift handelt, die in ihrem Anwendungsbereich weit über die bisherigen Regelungen zur Honorierung der Aufklärungs- und Präventionshilfe hinausgeht, erblickten einige Teilnehmer den Grund der geringen praktischen Relevanz unter anderem in den gesetzlichen Voraussetzungen der Norm. Einer der befragten Staatsanwälte wies darauf hin, die Effektivität werde durch den Deliktskatalog in § 46b Abs. 1 StGB i. V. m. § 100a Abs. 2 StPO geschmälert, da bestimmte Straftaten als Bezugstat ausscheiden müssten, obwohl sie von erheblicher krimineller Energie zeugten und die Öffentlichkeit nachhaltig beunruhigen könnten. Ein weiteres Mitglied der Staatsanwaltschaft betrachtete viele der erfassten Katalogtaten als „für eine Kronzeugenregelung ungeeignet“ und bemängelte insbesondere das Fehlen ergänzender Verfahrensvorschriften. Von mehreren Teilnehmern wurde die „wenig praktikable Handhabung“ des § 46b StGB infolge unklarer Voraussetzungen kritisiert. Dazu die Randbemerkung eines Richters: „Was ist im Falle der Aufdeckung mehrerer

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7. Teil: § 46b StGB aus Sicht der Praxis

Taten? Wie soll die Aufdeckung geklärt werden? Eine Beweisaufnahme innerhalb der Beweisaufnahme?“ Ähnlich beurteilte dies einer seiner Berufskollegen: „Es sollte näher definiert werden, was ein ‚wesentlicher Beitrag‘ ist. Da dies jedoch nicht geht, ist die Norm zu streichen. Ist es ein ‚wesentlicher Beitrag‘, wenn der Kronzeuge sagt ‚Ich weiß, dass A Opfer von Sexualstraftaten geworden ist‘, aber keine weiteren Angaben, insbesondere nicht zum Täter machen kann? Was, wenn er sagt ‚Fragt mal den A, der kann euch Angaben über Straftaten machen‘. A aber sagt: ‚Ich weiß nicht, aber fragt mal den B‘ und B daraufhin umfangreiche Angaben macht? Was, wenn der Kronzeuge der Polizei die Telefonnummer eines Verdächtigen X gibt und die Polizei über diese Telefonnummer auf eine weitere Telefonnummer kommt und über diese schließlich auf eine dritte Telefonnummer, deren Abhören eine Straftat des Beschuldigten Y offenbart, womit der Kronzeuge eigentlich gar nicht gerechnet hat? Ist es generell ein ‚wesentlicher Beitrag‘, wenn der Kronzeuge der Polizei Ermittlungsansätze liefert, die schließlich nach umfangreichen Ermittlungen und unter Einbeziehung sonstiger polizeilicher Erkenntnisse zur Aufklärung von Straftaten führen?“ Die Beschränkung des § 46b StGB auf Anlasstaten, die mit im Mindestmaß erhöhter oder lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht sind, sprach in diesem Zusammenhang kaum einer der Befragten an. Lediglich ein Strafverteidiger wies darauf hin, dass die Vorschrift den Bereich der einfachen Kriminalität bewusst ausklammere, von dem jedoch der Alltag ganz überwiegend bestimmt werde. In Großverfahren gebe es hingegen meist erst in der Hauptverhandlung Verfahrensabsprachen über umfassende Wissensoffenbarungen, die ein Geständnis sowie Einlassungen zu Mittätern einschlössen. g) Mögliche Gründe einer hohen praktischen Bedeutung Soweit die Bedeutung des § 46b StGB von insgesamt nur acht Personen als „hoch“ oder „eher hoch“ eingestuft wurde, waren die Begründungen meist relativ kurz. Ein Verteidiger, der allerdings nach eigenen Angaben selbst noch keine Erfahrungen mit § 46b StGB gemacht hatte, vermutete, dass sich die Vorschrift bei Gerichten und Staatsanwaltschaft deshalb großer Beliebtheit erfreuen müsse, da sich mit ihrer Hilfe eine Verurteilung auf ein leicht überschaubares und relativ revisionssicheres Beweismittel stützen lasse, ohne dass aufwendige Ermittlungen durchgeführt werden müssten. In eine ähnliche Richtung argumentierte ein Staatsanwalt, der als einzigen Grund für die aus seiner Sicht „eher hohe“ Praxisrelevanz prozessökonomische Erwägungen anführte. Im Übrigen wurde hauptsächlich darauf hingewiesen, dass der Anreiz einer Kronzeugenregelung zur Gewinnung von Zeugen aus orga-



B. Empirische Untersuchung305

nisierten Kriminalitätsstrukturen beitragen könne. Mit anderen Mitteln ließen sich Täter schwerer Straftaten nicht dazu überreden, kriminelle Strukturen offen zu legen und Mittäter oder Hintermänner zu benennen. Gelinge dies, sei die Bedeutung der Aussage für den jeweiligen Fall außerordentlich groß – wenn auch nur in Verbindung mit anderen Beweismitteln. 5. Notwendigkeit einer Kronzeugenregelung aus Sicht der Praxis Lange Zeit wurde die Notwendigkeit von Kronzeugenregelungen mit dem Vorliegen eines Ermittlungsnotstands begründet.19 Obwohl die Beseitigung eines Ermittlungsnotstands im Gesetzgebungsverfahren des § 46b StGB nur eine untergeordnete Rolle spielte, wird der Begriff in der rechtswissenschaftlichen Diskussion noch immer als Schlagwort genutzt. Eine Bestätigung von Seiten der Praxis könnte auf ein Bedürfnis nach zusätzlichen, gegebenenfalls auch außergewöhnlichen Ermittlungsmethoden hindeuten. Daher wurden die Teilnehmer zunächst gefragt, ob ihrer Ansicht nach in Deutschland grundsätzlich oder zumindest in bestimmten Bereichen ein Ermittlungsnotstand besteht.

Abbildung 10: Besteht generell oder in bestimmten Deliktsbereichen ein Ermittlungsnotstand?

Eine große Mehrheit der Befragten vertrat Ansicht, dass Aufklärungsdefizite und Kriminalitätsdruck in keinem Deliktsbereich ein solches Ausmaß erreichen, dass von einem Ermittlungsnotstand gesprochen werden kann. 19  Siehe

dazu 6. Teil A. I. 4. c) bb).

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7. Teil: § 46b StGB aus Sicht der Praxis

75,8 % der Teilnehmer sprachen sich gegen ein Vorliegen aus. Diejenigen Teilnehmer, die auf die Frage mit „Ja“ antworteten, erhielten darüber hinaus Gelegenheit, gegebenenfalls einzelne Deliktsbereiche anzugeben, soweit der Ermittlungsnotstand ihrer Auffassung nach nur bestimmte Delikte betraf. Dabei wurden häufig gleich mehrere Bereiche angeführt. Oft genannt wurden die Bereiche der organisierten Kriminalität (n = 20), der Wirtschaftskriminalität (n = 10), der Betäubungsmitteldelikte (n = 8) sowie der Internetkriminalität (n = 8). Im Hinblick auf Taten der organisierten Kriminalität wiesen einzelne Teilnehmer im Speziellen auf Bandendiebstähle mit Auslandbezug und Menschenhandel hin. Ferner fanden der Bereich der Korruption (n = 3), Steuerdelikte und terroristische Straftaten Erwähnung. Drei Staatsanwälte, die das Bestehen eines allgemeinen Ermittlungsnotstandes angenommen hatten, ergänzten in einer Randbemerkung, es mangele insgesamt an gut ausgebildeten und motivierten Ermittlungspersonen. Die Ursache des Ermittlungsdefizits sei weniger eine Frage fehlender gesetzlicher Instrumente, als vielmehr des Personalabbaus und einer unzureichenden Ausbildung. Zu den im Bereich der Wirtschaftskriminalität vermuteten Ermittlungsdefiziten führten mehrere Staatsanwälte anschließend aus, dass dieser Bereich einer Kronzeugenregelung weniger zugänglich sei als etwa der Bereich der organisierten Kriminalität. Zudem erfolge der endgültige Tatnachweis bei diesen Delikten häufiger als in anderen Bereichen anhand von Unterlagen, die im Wege der Beschlagnahme bei Durchsuchungen erlangt werden. Die geständige Aussage eines Kronzeugen sei hierzu in aller Regel nicht erforderlich. Nach Auffassung eines Richter sei der Ermittlungsrückstand bei Delikten, in denen die elektronische Kommunikation eine Rolle spiele, hauptsächlich auf das Fehlen technischer Möglichkeiten wie der Vorratsdatenspeicherung zurückzuführen. In einem zweiten Schritt wurden die Teilnehmer um eine Stellungnahme gebeten, ob es ihrer Auffassung nach generell ein praktisches Bedürfnis für eine allgemeine Kronzeugenregelung gebe. Etwa drei Viertel der Praktiker verneinten dies. Eindeutig fiel das Votum der Strafverteidiger aus, die zu über 95 % dagegen stimmten. Zum Vergleich wurde die Notwendigkeit einer (gegebenenfalls zu modifizierenden) „großen“ Kronzeugenregelung im Rahmen der Untersuchung von Mühlhoff / Mehrens noch von über 90 % der befragten Staatsanwälte und Strafrichter bejaht. Allerdings standen die Strafverteidiger dem Konzept bereits zum damaligen Zeitpunkt fast einhellig ablehnend gegenüber.20 Zumindest eine akute Notwendigkeit der Einführung einer allgemeinen Kronzeugenregelung konnte demnach von den in der Untersuchung befragten Praktikern nicht bestätigt werden. Insbesondere besteht offenbar weder 20  Mühlhoff / Mehrens:

Das Kronzeugengesetz im Urteil der Praxis, S. 96.



B. Empirische Untersuchung307

Abbildung 11: Besteht generell ein praktisches Bedürfnis für eine allgemeine Kronzeugenregelung?

allgemein noch im Hinblick auf bestimmte Deliktsbereiche ein besonders dringliches Ermittlungsdefizit, aus dem ein solches praktisches Bedürfnis abgeleitet werden könnte. Ein Vorteil des § 46b StGB gegenüber den bereichsspezifischen Kronzeugenregelungen wird darin gesehen, dass auch die Ermittlungshilfe von

Abbildung 12: Bereichsspezifische „kleine“ Kronzeugenregelungen reichen nicht, da potenzielle Kronzeugen häufig auch Taten aus anderen Deliktsbereichen begehen

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7. Teil: § 46b StGB aus Sicht der Praxis

Abbildung 13: § 46b StGB ist überflüssig, da sich sein Zweck auch mit anderen Rechtsinstituten verwirklichen lässt

Personen honoriert werden kann, die selbst nicht unmittelbar an einer Straftat aus dem jeweiligen Deliktsbereich beteiligt waren. Der These, dass „kleine“ Kronzeugenregelungen aus diesem Grund nicht ausreichten, pflichteten indes nur 27,5 % der Befragten bei; 45,1 % hielten sie dagegen für unzutreffend. Schließlich stimmten 57,1 % der Richter und 90 % der Strafverteidiger tendenziell der Aussage zu, § 46b StGB sei überflüssig, da sich sein Zweck ebenso gut auch mit anderen Rechtsinstituten verwirklichen ließe. Von den Staatsanwälten bezeichneten diese Aussage dagegen nur 33 % als zutreffend bzw. eher zutreffend. 6. Bewährung der Kronzeugenregelung aus Sicht der Praxis Eine zentrale Bedeutung kommt der Frage zu, ob sich § 46b StGB in seiner bisherigen Form aus Sicht der Praxis bewährt hat. Hierzu wurde die Bewährung zunächst als These unterstellt und die Teilnehmer nach ihrer Zustimmung befragt. Abbildung 14 zeigt, dass sich ein großer Teil der Praktiker in dieser Hinsicht (noch) kein abschließendes Urteil zutraut. Fast 60 % der Staatsanwälte gaben an, nicht zu wissen, ob sich die allgemeine Kronzeugenregelung bewährt habe. Bei den restlichen Vertretern gab es geringfügig mehr zustimmende als ablehnende Antworten. Ein Grund für die geringe Entscheidungsbereitschaft könnten vor allem die fehlenden Erfahrungswerte im Umgang mit der Kronzeugenregelung sein. Daneben kann eine Rolle spielen, dass, soweit eigene Erfahrungen vorliegen, sich



B. Empirische Untersuchung309

Abbildung 14: Die Kronzeugenregelung in § 46b StGB hat sich bewährt

diese in der Regel auf nur sehr wenige Anwendungsfälle beziehen. Hinzu kommt die noch verhältnismäßig geringe Zeitspanne seit dem Inkrafttreten der Vorschrift. Die Strafverteidiger hatten offensichtlich die wenigsten Schwierigkeiten sich festzulegen. Unterm dem Strich zeigte sich in dieser Berufsgruppe ein vergleichsweise eindeutiges Meinungsbild: 71,4  % der Strafverteidiger gaben an, § 46b StGB habe sich nicht bzw. eher nicht bewährt. Kein einziger beurteilte die bisherige Entwicklung positiv. Bei den Richtern konnten sich knapp 43 % der Befragten, bei den Staatsanwälten fast 60 % für keine Tendenz entscheiden. Von den Richtern zogen 40 % eine negative und nur 17,1 % eine positive Bilanz. Unter den Staatsanwälten sahen 18,4 % die Bewährung skeptisch, während 22 % die Entwicklung positiv beurteilten. Betrachtet man nur diejenigen Teilnehmer, die bereits Erfahrungen mit § 46b StGB gesammelt zu haben, fällt der Anteil der Staatsanwälte mit positiver Bewertung wie schon in der Untersuchung des KronzG von Mühlhoff / Mehrens21 deutlich größer aus (65,2 %). Unter den Richtern ist bei Ausklammerung der unerfahrenen Teilnehmer nur ein geringer Zuwachs bei den zustimmenden Antworten zu verzeichnen bei etwa gleichbleibendem Anteil der ablehnenden. Bei den Verteidigern steigt der Anteil der negativen Bewertungen auf 78,6 %. Einen wichtigen Aspekt des praktischen Nutzens betrifft die Frage, ob § 46b StGB im Hinblick auf die Arbeit der Strafverfolgungsbehörden und 21  Mühlhoff / Mehrens:

Das Kronzeugengesetz im Urteil der Praxis, S. 23.

310

7. Teil: § 46b StGB aus Sicht der Praxis

Abbildung 15: Die Kronzeugenregelung in § 46b StGB hat sich bewährt (nur Teilnehmer, die die Frage nach eigenen Erfahrungen mit „Ja“ beantwortet haben)

der Justiz zu einer spürbaren Erleichterung oder Verbesserung geführt hat. Ausweislich der Gesetzesbegründung sollte § 46b StGB das Eindringen in abgeschottete Strukturen und damit letztlich die Sachverhaltsaufklärung erleichtern. Man erhoffte sich, die Vorschrift könnte eine schnellere Aufklärung und gegebenenfalls die Verhinderung weiterer Taten ermöglichen und damit den Ermittlungsaufwand reduzieren.22 Zumindest in der Wahrnehmung der Praxis waren die Auswirkungen jedoch gering. Rund 70 % konnten weder eine Effektivitätssteigerung noch nachteilige Folgen beobachten. Eine mögliche Erklärung für das Ausbleiben spürbarer Verbesserungen könnte darin liegen, dass die vermehrte Aufdeckung bislang unentdeckter Straftaten zu einer entsprechenden Zunahme von Ermittlungs- und Strafverfahren führte, sodass letztlich trotz schnellerer Aufklärung zumindest keine Arbeitsentlastung eintrat.23 In Anbetracht der insgesamt nur geringen praktischen Relevanz der Vorschrift erscheint dies jedoch eher unwahrscheinlich. Vielmehr kann offenbar auch eine allgemeine Kronzeugenregelung aufwändige Ermittlungen nicht entbehrlich machen. Darüber hinaus ist für eine Untersuchung der Rechtspraxis von großem Interesse, wer von den an einer möglichen Anwendung beteiligten Personen am meisten von der Kronzeugenregelung profitiert. Der überwiegende An22  BT-Drucks. 23  Vgl.

16 / 6268, S.  9. BT-Drucks. 16 / 6268, S. 9.



B. Empirische Untersuchung311

Abbildung 16: Hat § 46b StGB die Arbeit der Strafverfolgungsbehörden bzw. der Justiz spürbar erleichtert oder verbessert?

teil der Richter und Staatsanwälte gab an, § 46b StGB komme vor allem dem Kronzeugen selbst zugute. Das erscheint nachvollziehbar, da schließlich der Beschuldigte im Gegenzug für seine belastenden Angaben auf eine mildere Strafe hoffen darf. Interessant ist jedoch, dass sich aus Sicht der Strafverteidiger ein völlig anderes Bild ergibt. Hiernach brachte § 46b StGB nicht dem Beschuldigten, sondern den Strafverfolgungsbehörden den größten Nutzen. Laut 81 % der Verteidiger profitierte von einer Kronzeugenaussage vor allem die Staatsanwaltschaft, laut 57,1 % die Polizei. Den an sich naheliegenden Beschuldigten nannte dagegen nur knapp ein Viertel der Befragten. Bereits im Hinblick auf die geringe praktische Bedeutung der Vorschrift merkten mehrere Verteidiger an, ihren Mandanten grundsätzlich von einer Kronzeugenaussage abzuraten. Belastende Angaben i. S. d. § 46b StGB beinhalteten teils erhebliche Risiken für den Beschuldigten selbst. Insbesondere könne das Verhalten des Richters oder des / der Mitangeklagten bzw. ehemaligen Komplizen nicht vorhergesagt werden. Daher sei in der Regel auch nicht absehbar, ob die Vorteile einer frühzeitigen Aussage letztlich den Nachteilen überwiegen. Tatsächlich sei dies im Ergebnis nur selten der Fall. Die eigene Berufsgruppe zählten nur wenige Teilnehmer zu den unmittelbaren Profiteuren der Vorschrift. Am häufigsten wurde der eigene Berufsstand von den Staatsanwälten ausgewählt (28,2 %), von denen darüber hinaus 31,1 % angaben, alle Beteiligten profitierten gleichermaßen von der Kronzeugenregelung.

312

7. Teil: § 46b StGB aus Sicht der Praxis

Abbildung 17: Wer profitiert am meisten von der Kronzeugenregelung? (Mehrfachnennungen möglich)

7. Anwendung der Kronzeugenregelung im Jugendstrafverfahren Obwohl geeignete Fälle nur selten vorkommen dürften, besteht in der Praxis offenbar eine große Unsicherheit über den Umgang mit Kronzeugen im Jugendstrafrecht. Ein Verteidiger, der angab, beinahe täglich mit § 46b StGB zu argumentieren, teilte mit, er habe auch nach intensiver Recherche keine zufriedenstellende Antwort darauf finden können, ob und mit welcher Maßgabe die allgemeine Kronzeugenregelung im Jugendstrafverfahren zur Anwendung kommen könne.24 Auch die Beantwortung der Frage nach dem Umfang einer strafmildernden Berücksichtigung ist nicht einfach, da eine Honorierung der Ermittlungshilfe einerseits jugendstrafrechtlichen Prinzi­ pien widersprechen kann, andernfalls aber Jugendliche und Heranwachsende in vergleichbarer Verfahrenslage gegenüber Erwachsenen benachteiligt würden. Entsprechend geteilt waren die Meinungen: Rund 26 % der Praktiker 24  Siehe

hierzu den 5. Teil.



B. Empirische Untersuchung313

wünschten sich eine unmittelbare Anwendung der allgemeinen Kronzeugenregelung auch im Jugendstrafverfahren. Laut 37 % der Teilnehmer sollte geleistete Ermittlungshilfe zumindest in gleichem Maße strafmildernd Berücksichtigung finden, wie dies bei einem Erwachsenen der Fall wäre. Die verbleibenden 37 % lehnten eine Honorierung der Aufklärungs- und Präventionshilfe im Jugendstrafrecht vollständig ab. 8. § 46b StGB und die Strafzwecke Wie in Abbildung 18 zu sehen ist, bestehen in der Praxis kaum Bedenken, dass es infolge einer Anwendung von § 46b StGB zu schuldunangemessenen Urteilen kommen könnte. Dieses Ergebnis beruht jedoch nicht zwangsläufig auf der Annahme, die Kronzeugenhandlung wirke sich schuldmindernd aus. Ein Strafverteidiger erklärte seine Einschätzung damit, dass die Auswirkungen auf die Strafhöhe in der Regel zu marginal seien, als dass es zu einem Verstoß gegen das Schuldprinzip kommen könnte. Nach seiner Erfahrung würden häufig die Voraussetzungen des § 46b StGB bejaht, die Strafe anschließend jedoch kaum gemildert. Damit deckt sich die Aussage eines Richters, wonach sich schuldunangemessene Strafen in der Praxis weitgehend durch eine entsprechend restriktive Ermessensausübung vermeiden lassen.

Abbildung 18: Kommt es infolge der Anwendung von § 46b StGB zu schuldunangemessenen Strafen?

Die Mehrheit der Teilnehmer geht davon aus, dass die Honorierung von Kronzeugenangaben z. B. bei schweren Sexualdelikten der Akzeptanz von

314

7. Teil: § 46b StGB aus Sicht der Praxis

Urteilen und dem Rechtsbewusstsein der Bevölkerung schadet. Auf Nachfrage bejahten dies 58,8 % der befragten Richter, 62,2 % der Staatsanwälte und 65 % der Verteidiger. Ein Staatsanwalt begründete seine Antwort mit dem fehlenden Konnexitätserfordernis: „Aufklärungshilfe zu irgendeiner beliebigen schweren Straftat, um sich so von der Bestrafung für die eigene, ganz andere Tat loszukaufen, ist rechtsstaatlich deutlich problematischer und öffentlich deutlich schwerer vermittelbar als die Belohnung von Aufklärungshilfe zu der ganz konkreten Tat, die zur Aburteilung ansteht bzw. einer solchen, die in Bezug dazu steht.“ Eine Begründung für § 46b StGB war, das durch Wissensoffenbarungen erhöhte Entdeckungsrisiko für potenzielle Straftäter entfalte abschreckende und damit negativ-generalpräventive Wirkung.25 Eindeutig fällt dagegen das Urteil der Praxis aus. Auf die Frage, ob die allgemeine Kronzeugenregelung abschreckende Wirkung für potenzielle Straftäter entfaltet, antworteten 91,4 % der Richter, 84,9 % der Staatsanwälte und 95,2 % der Verteidiger mit „Nein“. Ein Staatsanwalt fügte dem hinzu, das Risiko des Verrats sei für Straftäter hinreichend vorhersehbar und werde daher ohnehin meistens einkalkuliert. Eine Absage erteilten die Praktiker auch denjenigen Stimmen in der Literatur, nach denen die Kooperation des Kronzeugen in der Regel als Anzeichen einer geringeren Rückfallgefahr gewertet werden müsse, etwa weil sie in der Regel von Reue oder Schuldeinsicht getragen werde. Gegen eine verminderte Rückfallgefahr infolge der Kooperation sprachen sich von den Richtern 78,2 %, von den Staatsanwälten 81 % und von den Strafverteidigern 90,5 % aus. Zusammenfassend dazu die Stellungnahme eines Staatsanwalts: „Es besteht keine geringere Rückfallgefahr, weil bei vielen Geständnissen das Verhalten oft (gar meistens) in erster Linie utilitaristisch motiviert ist: Geständnis gegen Strafmilderung. Dies gilt bei der Belastung ANDERER umso mehr. Damit ist eine im Einzelfall bestehende Einsicht oder Reue natürlich nicht ausgeschlossen. Diese ergibt sich aber nicht zwingend aus Geständnis oder Kooperationsbereitschaft. Zwar ist die Folge von Reue oder Einsicht (fast) immer ein Geständnis und Kooperation, dies gilt umgekehrt aber nicht.“ Laut einem anderem Staatsanwalt kommen Auswirkungen auf die individuelle Rückfallgefahr ausschließlich in Betracht, soweit zwischen der Tat des Kronzeugen und dem Gegenstand seiner Angaben ein Zusammenhang besteht. Ein Strafverteidiger gab an, die Kooperation nach § 46b StGB sei kein Anzeichen einer veränderten inneren Einstellung. Allenfalls werde dem Täter eine Rückkehr in das Umfeld erschwert wird, aus dem die von ihm „verratenen“ Personen stammen. 25  BT-Drucks.

16 / 6268, S.  11.



B. Empirische Untersuchung315

Abbildung 19: Schadet die Anwendung von § 46b StGB dem Rechtsbewusstsein der Bevölkerung?

Abbildung 20: Ist beim Kronzeugen infolge seiner Kooperation von einer geringeren Rückfallgefahr auszugehen?

Eine verringerte Abschreckungswirkung des gemilderten Urteils im Sinne negativer Spezialprävention erwarten nur 37,1 % aller Teilnehmer (47,1 % der Richter, 31,4 % der Staatsanwälte und 50 % der Verteidiger). Mit den Gesichtspunkten der Schuldadäquanz sowie einer möglichen Wahrung der Strafzwecke hängt unmittelbar die Frage zusammen, ob Täter

316

7. Teil: § 46b StGB aus Sicht der Praxis

Abbildung 21: Schreckt das durch § 46b StGB erhöhte Entdeckungsrisiko potenzielle Straftäter ab?

Abbildung 22: Verringert die Anwendung von § 46b StGB die Abschreckungswirkung des Urteils?

bestimmter schwerer Straftaten von vornherein keine mildere Strafe Anwendung der Kronzeugenregelung erhalten sollten. In Betracht etwa der Ausschluss bestimmter Delikte als taugliche Anlasstat im einer „absoluten Unerträglichkeitsgrenze“.26 Zu denken wäre etwa an 26  Vgl.

hierzu Jeßberger: Kooperation und Strafzumessung, S. 108 ff.

durch käme Sinne Mord



B. Empirische Untersuchung317

Abbildung 23: Täter bestimmter (schwerer) Straftaten sollte keine mildere Strafe gem. § 46b StGB erhalten können

gem. § 211 StGB, für den § 46b StGB bereits Einschränkungen hinsichtlich der maximalen Strafmilderung sowie des vollständigen Absehens von Strafe enthält, ebenso schwere Sexualdelikte, wie z. B. den schweren sexuellen Missbrauch von Kindern gem. § 176a StGB. Die Mehrheit der Strafverteidiger lehnt eine entsprechende Begrenzung der tauglichen Anlasstaten jedoch ab. Bei den übrigen Teilnehmern hielten sich die zustimmenden und ablehnenden Antworten ungefähr die Waage. Ein Staatsanwalt teilte mit, der pauschale Ausschluss bestimmter Straftäter sei unvereinbar mit dem allgemeinen Gleichheitssatz in Art. 3 Abs. 1 GG. Neben dem Verzicht auf die oben genannte Beschränkung forderte er daher auch die Streichung aller eingrenzenden Voraussetzungen hinsichtlich der Anlasstat des Kronzeugen. 9. Beurteilung der Missbrauchsrisiken und -vorkehrungen Jeder Kronzeugenregelung wohnt das Risiko einer missbräuchlichen Inanspruchnahme durch bewusste Falschbelastungen inne. Der daraus resultierende „Angriff auf den Grundsatz der Wahrheitserforschung“ wird auch im Rahmen des § 46b StGB oft thematisiert.27 In der Praxis wird die Missbrauchsgefahr allerdings ganz unterschiedlich wahrgenommen. Unabhängig voneinander nannten mehrere Teilnehmer aus allen drei Berufsgruppen die erhebliche Missbrauchsgefahr oder den tendenziell geringen Beweiswert 27  König

StV 2012, 113, 114; vgl. auch Malek StV 2011, 559 ff.

318

7. Teil: § 46b StGB aus Sicht der Praxis

Abbildung 24: Wie beurteilen Sie das Missbrauchsrisiko durch Falschbelastungen? (Kategorien „hoch“ und „eher hoch“ sowie Kategorien „niedrig“ und „eher niedrig“ zusammengefasst)

von Kronzeugenaussagen als Grund für die geringe Anwendungshäufigkeit. Unter Einbeziehung aller Fragebögen fällt die Beurteilung jedoch unterschiedlich aus. Die Staatsanwälte beurteilten die Missbrauchsgefahr als tendenziell eher gering oder von allenfalls mittlerer Intensität. Nur 16,6 % gingen von einem höheren Risiko aus. Zugleich bescheinigten sie § 46b StGB überwiegend sogar positive Auswirkungen auf das Prozessziel der Wahrheitsermittlung (51,9 %). Die Strafverteidiger zeigten sich dagegen besorgt: Über 85 % beurteilten das Risiko eines Missbrauchs durch Falschbelastungen als „hoch“ bzw. „eher hoch“. Zudem gelangten 60 % von ihnen zu der Auffassung, das klassische Prozessziel der Wahrheitsermittlung werde durch § 46b StGB nicht gefördert, sondern erschwert. Bei den Verteidigern spielte der Konflikt mit dem Grundsatz der Wahrheitserforschung auch in den Randbemerkungen eine große Rolle. Einer von ihnen bezeichnete die Missbrauchsgefahr als unauflösbar, gleich welche Vorkehrungen getroffen würden, da der persönliche Vorteil stets das dominierende Motiv für eine Kooperation bleibe. Ein weiterer gab an, jeder theoretische Vorteil werde durch die Missbrauchsrisiken kompensiert und die Wahrheitsermittlung damit unter dem Strich zumindest komplizierter gemacht. Bei den Richtern konnte keine eindeutige Tendenz festgestellt werden. Immerhin bestätigten 28,6 % ein Missbrauchsrisiko von höherer Intensität. Einen positiven oder negativen Einfluss auf die Wahrheitsermittlung hat die allgemeine Kronzeugenregelung nach Einschätzung der meisten Richter jedoch nicht (57,1 %). Einer dieser Teilnehmer begründete seine Aussage damit,



B. Empirische Untersuchung319

Abbildung 25: Wird die Wahrheitsermittlung durch § 46b StGB erleichtert oder erschwert?

dass es zwar leichter werde an Informationen zu gelangen, es gleichzeitig jedoch schwieriger werde aus der Vielzahl von Informationen die Wahrheit herauszufiltern. Im weiteren Verlauf der Befragung wurden die Teilnehmer gebeten, die gesetzgeberischen Vorkehrungen gegen einen potenziellen Missbrauch der Kronzeugenregelung zu beurteilen. Nach dem Konzept des Gesetzgebers soll die erhöhte Strafandrohung der §§ 145d Abs. 3 und 4, 164 Abs. 3 StGB abschreckend auf diejenigen wirken, die eine Falschaussage in Erwägung ziehen. Darüber hinaus soll § 46b Abs. 3 StGB einen ausreichenden zeitlichen Spielraum zur Überprüfung der Angaben gewährleisten. Rund drei Viertel der Strafverteidiger befanden diese Vorkehrungen für insgesamt nicht ausreichend, um einem Missbrauch durch Falschaussagen wirksam vorzubeugen. Auf der anderen Seite gelangten drei Viertel der Staatsanwälte zu der gegenteiligen Ansicht. Bei den Strafrichtern schließlich erhielten beide Antwortmöglichkeiten in etwa gleich viele Stimmen. Aus der Randbemerkung eines Richters geht hervor, dass er die getroffenen Vorkehrungen für ausreichend hält, weil Kronzeugen vor dem Hintergrund ihrer im Raum stehenden Bestrafung nur wenig zu verlieren hätten. Deshalb erweise sich letztlich ohnehin jede Vorkehrung als sinnlos. Soweit es im Speziellen um Wirksamkeit der ausgeweiteten und erhöhten Strafandrohung in den §§ 145d, 164 StGB ging, wurde diese berufsübergreifend von der Mehrheit aller Teilnehmer bezweifelt. 80 % der Richter sowie

320

7. Teil: § 46b StGB aus Sicht der Praxis

Abbildung 26: Halten Sie die Vorkehrungen des Gesetzgebers für ausreichend, um einem Missbrauch des § 46b StGB durch Falschaussagen vorzubeugen?

76,2 % der Strafverteidiger und sogar 61,6 % der mit den Vorkehrungen insgesamt zufriedenen Staatsanwälte hielten die Strafandrohung für ungeeignet bzw. eher ungeeignet, um einem Missbrauch der Kronzeugenregelung wirksam vorzubeugen. Viel wichtiger als eine hohe Strafandrohung sei es, so die Anmerkung eines Staatsanwalts, dem Beschuldigten frühzeitig zu vermitteln, dass seine Angaben anhand anderer Beweismittel überprüft würden. Ein besonderes Problem der neugeschaffenen §§ 145d Abs. 3 und 4, 164 Abs. 3 StGB (und im Übrigen auch der sog. Verwirkungsstrafe) wird darin gesehen, dass die hohe Strafandrohung den Zeugen dazu verleiten könnte, auch im Verfahren gegen den belasteten Dritten an einmal gemachten unwahren Angaben festzuhalten.28 Einer entsprechenden These stimmten tendenziell 85,7 % der Verteidiger und 71,4 % der Richter zu, allerdings nur 33,9 % der Staatsanwälte. Spezifischen Bedenken begegnete auch die zeitliche Ausschlussfrist in § 46b Abs. 3 StGB. Besonders von Seiten der Anwaltschaft wurde die Präklusion mit Erlass des Eröffnungsbeschlusses mehrfach kritisiert. So soll auch § 31 BtMG bis zu seiner Änderung durch das 43. StrÄndG ohne eine solche Bestimmung ausgekommen sein. Der Einwand, es bleibe andernfalls nicht genügend Zeit für eine Glaubwürdigkeitsüberprüfung, sei nicht stichhaltig. Vielmehr diene die Präklusion allein der Aufrechterhaltung der „Lufthoheit der Ermittlungsbehörden über den Kronzeugen“. Jedoch müss28  Vgl.

König NJW 2009, 2481, 2483; Salditt StV 2009, 375, 378.



B. Empirische Untersuchung321

Abbildung 27: § 46b Abs. 3 StGB führt zu einer Verlagerung des Verfahrensschwerpunktes in das Ermittlungsverfahren und entwertet die öffentliche und protokollierte Hauptverhandlung

ten eigentlich gerade die Gespräche über den „Deal“ mit dem Ermittlungsgehilfen öffentlich erfolgen und im Protokoll vermerkt werden.29 Die Teilnehmer wurden gebeten, zu der These Stellung zu nehmen, dass § 46b Abs. 3 StGB eine Verlagerung des Verfahrensschwerpunktes in das Ermittlungs- bzw. Zwischenverfahren bewirke und damit tendenziell zur Entwertung der öffentlichen Hauptverhandlung beitrage. Staatsanwälte und Richter sahen darin überwiegend kein großes Problem und konnten eine Entwertung der Hauptverhandlung nicht bestätigen. Breite Zustimmung kam dagegen von den Verteidigern. Ein Richter merkte an, für die Präklusion von Wissensoffenbarungen mit Erlass des Eröffnungsbeschlusses gebe es seines Erachtens unter Glaubwürdigkeitsgesichtspunkten keine sinnvolle Begründung. Vehement zugunsten der Bestimmung sprach sich dagegen ein Staatsanwalt aus: „Ein großes Problem des § 31 BtMG war die fehlende Möglichkeit zur Überprüfung von Angaben in der Hauptverhandlung. Im Übrigen ist es nicht wünschenswert, dass Angaben von Verfahrensbeteiligten bis zur Hauptverhandlung (oder bis an deren Ende) zurückgehalten werden. Je früher die Angaben erfolgen, desto besser lassen sie sich überprüfen, desto weniger lassen sie sich auf andere Aussagen abstimmen und desto wertvoller sind sie für die Aufklärung. Insofern ist es konsequent und einer der wichtigsten Punkte der Neuregelung, dass nur frühzeitige Angaben durch § 46b StGB honoriert werden.“ 29  Stellungnahme

69 / 2011 des Deutschen Anwaltvereins, S. 5 f.

322

7. Teil: § 46b StGB aus Sicht der Praxis

Abbildung 28: Die Aussage des Kronzeugen ist aufgrund des erhöhten Anreizes für Falschbelastungen nur von geringem Beweiswert

Aus der Gefahr einer missbräuchlichen Inanspruchnahme ergeben sich mittelbar auch Konsequenzen für den Beweiswert der Aussage im Verfahren gegen den oder die belasteten Dritten. Die Problematik des privilegierten Zeugen wurde im Rahmen der möglichen Gründe einer zurückhaltenden Anwendung vergleichsweise oft genannt. Dennoch halten, wie in Abbildung 28 zu sehen ist, offenbar mehr als die Hälfte aller teilnehmenden Staatsanwälte und Richter die These des generell nur geringen Beweiswertes von Kronzeugenaussagen für unzutreffend. Die auch insoweit kritischen Strafverteidiger stimmten der Aussage dagegen mit einer großen Mehrheit von über 90 % zu. Ein Staatsanwalt resümierte, dass es seiner Ansicht nach außer den bereits getroffenen keine annehmbaren Missbrauchsvorkehrungen gebe. Der Beweiswert sei zwar gering, die Beweiswürdigung unterscheide sich jedoch nicht wesentlich von der bei belastenden Aussagen eines Mittäters zur eigenen Entlastung vor Einführung des § 46b StGB. Ein Verteidiger und ein Richter, die der These nicht zugestimmt hatten, ergänzten handschriftlich, dass sich der Kronzeuge nach ihren Erfahrungen im anschließenden Verfahren regelmäßig auf § 55 StPO berufe.30 Es könne nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden, dass ihn die Beantwortung von Fragen in die Gefahr einer Strafverfolgung nach §§ 145d Abs. 3, 4 bzw. 164 Abs. 3 StGB brächte. Damit verliere die Aussage letztlich ihren praktischen Nutzen.

30  Siehe

hierzu 4. Teil D.



B. Empirische Untersuchung323

10. Fehlende Konnexität zwischen Anlass- und Bezugstat Der bewusste Verzicht auf das Erfordernis eines Zusammenhangs zwischen der Anlasstat des Kronzeugen und dem Gegenstand seiner Ermittlungshilfe wurde nicht nur von einem großen Teil der Literatur,31 sondern auch in einer gemeinsamen Erklärung des Deutschen Richterbundes, des Deutschen Anwaltvereins, der Bundesrechtsanwaltskammer und der Strafverteidigervereinigungen scharf kritisiert. Die geplante Reform der Kronzeugenregelung wurde daher von den Berufsverbänden in erneuten Erklärungen positiv aufgenommen, wobei sie jedoch ihre grundsätzlichen Bedenken gegen § 46b StGB noch einmal bekräftigten.32 Das Meinungsbild der befragten Praktiker deckt sich nur teilweise mit der Haltung der Berufsverbände. Erwartungsgemäß stuften die befragten Strafverteidiger den fehlenden Zusammenhang ganz überwiegend als bedenklich ein. Die meisten stimmten zudem der Einführung eines Konnexitätserforder-

Abbildung 29: Halten Sie es für bedenklich, dass zwischen der vom Kronzeugen offenbarten und seiner eigenen Straftat kein Zusammenhang bestehen muss? 31  So etwa Streng, in: NK-StGB; § 46b Rn. 4; Sander StraFo 2010, 365, 368; Frank / Titz ZRP 2009, 137, 139; Salditt StV 2009, 375 f., Sahan / Berndt BB 2010, 647, 648. 32  Vgl. Stellungnahme 69  /  2011des Deutschen Anwaltvereins; Stellungnahme 19 / 2011 des Deutschen Richterbundes; Stellungnahme 54 / 2011der Bundesrechtsanwaltskammer.

324

7. Teil: § 46b StGB aus Sicht der Praxis

Abbildung 30: Halten Sie die geplante Einführung eines Konnexitätserfordernisses für sinnvoll?

Abbildung 31: Halten sie diese Änderung für ausreichend, um sämtliche Bedenken gegen § 46b StGB auszuräumen?

nisses zu. Geteilt fiel das Votum der Richter aus, von denen nur ungefähr die Hälfte die geplante Gesetzesänderung befürwortete. Die Staatsanwälte schließlich waren weniger an einer Einschränkung der Kronzeugenregelung interessiert. Über 70 % von ihnen hatten keine Bedenken hinsichtlich des fehlenden Zusammenhangs und positionierten sich daher auch gegen die



B. Empirische Untersuchung325

Einführung einer entsprechenden Voraussetzung. Einig waren sich die Teilnehmer nur in der Hinsicht, dass die geplante Einschränkung nicht ausreiche, um sämtliche bestehende Bedenken gegen § 46b StGB auszuräumen. Ein Strafrichter ergänzte, es handele sich nur um einen „kleinen Trost“. 11. Die Honorierung der Aufklärungsund Präventionshilfe als Gegenstand von Gesprächen zwischen Beschuldigtem und Justiz Aufgrund der zeitlichen Beschränkung auf das Ermittlungs- bzw. Zwischenverfahren kann eine Kronzeugenaussage i. S. d. § 46b StGB nicht zum Gegenstand einer Verständigung nach § 257c StPO gemacht werden. Da die Frage nach dem „Ob“ und dem Umfang der Berücksichtigung geleisteter Ermittlungshilfe im Ermessen des Gerichts steht, können grundsätzlich auch keine Zusagen hinsichtlich einer späteren Anwendung der Vorschrift gemacht werden. Über die These, dass § 46b StGB keinen großen Anreiz für Wissensoffenbarungen biete, da der Beschuldigte quasi in Vorleistung treten müsse, waren die Teilnehmer jedoch geteilter Meinung. Während die Richter und Staatsanwälte überwiegend anderer Auffassung waren, fand die These die klare Zustimmung von über 90 % der befragten Strafverteidiger. Dem Votum der Verteidiger kommt insoweit ein besonderes Gewicht zu, als die Entscheidung eines verteidigten Beschuldigten für oder gegen eine Aussage im Regelfall von ihrem Ratschlag abhängen dürfte.

Abbildung 32: § 46b StGB ist für den Beschuldigten wenig reizvoll, da der Kronzeuge in Vorleistung treten muss, ohne dass ihm eine Strafmilderung verbindlich zugesagt werden kann

326

7. Teil: § 46b StGB aus Sicht der Praxis

Abbildung 33: Sollte der Gesetzgeber die Honorierung der Ermittlungshilfe als eine für beide Seiten verbindliche Absprache ausgestalten?

Eine Ausgestaltung der Kronzeugenproblematik in Form einer für beide Seiten verbindlichen Verständigung lehnen die meisten Praktiker jedoch ab. 88,6 % der Richter sowie 63,3 % der Staatsanwälte stimmten gegen einen entsprechenden Vorschlag. Der Wunsch nach Verhandlungssicherheit prägt dagegen erneut das Meinungsbild der Strafverteidiger: Zwei Drittel halten eine entsprechende Änderung für sinnvoll. Die immer wieder aufkeimende Diskussion über Kronzeugenregelungen verleitet zu der Annahme, dass die Honorierung belastender Angaben auch ohne eine allgemeine Kronzeugenregelung ein fester Bestandteil des Strafverfahrens bleiben würde. Ähnlich der Zielsetzung des Verständigungsgesetzes müsste es dann die Aufgabe einer Kronzeugenregelung sein, die diesbezügliche Absprachepraxis zu regulieren.33 Eine Staatsanwältin schlug in einem Vorgespräch vor, die Teilnehmer zu der These Stellung nehmen zu lassen, dass § 46b StGB die bislang auf informeller Ebene erfolgenden Verständigungen über die Honorierung der Aufklärungs- oder Präventionshilfe in geordnete Bahnen lenke. Bei den Richter (51,5 %) und Strafverteidigern (55 %) stößt die Aussage überwiegend auf Ablehnung. Unter den Staatsanwälten gehen die Meinungen auseinander. Immerhin halten 38,4 % die Aussage für tendenziell zutreffend. Obwohl hinsichtlich der Strafmilderung keine festen Zusagen gemacht werden können, ist davon auszugehen, dass die Verteidigung wie schon im 33  Vgl.

dazu auch König StV 2012, 113, 114.



B. Empirische Untersuchung327

Abbildung 34: § 46b StGB lenkt die diesbezügliche Absprachenpraxis in geordnete Bahnen

Rahmen des § 31 BtMG frühzeitig den Kontakt mit der Staatsanwaltschaft suchen wird, um den Wert einer möglichen Aussage besser einschätzen zu können.34 In der Vergangenheit wurde jedoch im Hinblick auf § 31 BtMG und das KronzG die Befürchtung einer „schleichenden Strafmaßerhöhung“ für kooperationsunwillige oder -unfähige Straftäter geäußert.35 Die Ursache hierfür wurde meist darin gesehen, dass bereits das Vorhandensein einer Kronzeugenregelung, aber insbesondere auch die erste Kontaktaufnahme mit der Staatsanwaltschaft eine erhöhte Erwartungshaltung begründeten, deren Enttäuschung sich im Urteil nachteilig auswirken könnte. Die Anfrage bei der Staatsanwaltschaft sei „ein nicht zu übersehender Hinweis“ darauf, dass der Mandant über entsprechendes Wissen verfüge.36 In einer älteren Untersuchung von Jaeger aus dem Jahr 1986 wurde die Frage nach der Gefahr einer daraus resultierenden Strafschärfung von der Mehrheit der befragten Praktiker (74,4 %) verneint, jedoch von immerhin 60,6 % der teilnehmenden Rechtsanwälte mit „Ja“ beantwortet.37 Die nunmehr mit Blick 34  Zur Praxis im Rahmen des § 31 BtMG vgl. Weider, in: MAH-Strafverteidigung, § 45 Rn. 178. 35  Vgl. Jung ZRP 1986, 41; Hassemer StV 1986, 550, 552; Weigend, in: FS-Jescheck, S. 1335 und 1348; Mushoff KritV 2007, 366, 832; Kempf StV 1999, 67, 68; Weider, in: MAH-Strafverteidigung, § 45 Rn. 178. Siehe hierzu auch 2. Teil B. XII. 36  Weider, in: MAH-Strafverteidigung, § 45 Rn. 178; Jaeger: Der Kronzeuge, S. 186. 37  Jaeger: Der Kronzeuge, S. 187.

328

7. Teil: § 46b StGB aus Sicht der Praxis

Abbildung 35: Zunächst angedeutete, dann aber zurückgezogene Ermittlungshilfe könnte sich im Urteil nachteilig auswirken

auf § 46b StGB durchgeführte Befragung kommt zu einem ähnlichen Ergebnis. 71,1 % der Teilnehmer halten die These der nachteiligen Wirkung zurückgezogener Ermittlungshilfe für nicht bzw. eher nicht zutreffend. „Trifft zu“ bzw. „trifft eher zu“ kreuzten nur 16,6 % der befragten Praktiker an. Die übrigen 12,3 % entschieden sich für die neutrale Antwortmöglichkeit („weiß ich nicht“). Die Ablehnung der Richter war dabei stärker ausgeprägt (88,6 %) als die der Staatsanwälte (75,7 %). Aus der Gruppe der Strafverteidiger teilten jedoch 71,4 % der Befragten die Befürchtung einer möglichen Strafschärfung. 12. Verweis auf § 100a Abs. 2 StPO Der Gesetzgeber hat sich zur Eingrenzung der tauglichen Bezugstaten für einen Pauschalverweis auf § 100a Abs. 2 StPO entschieden, da weder das StGB noch die strafrechtlichen Nebengesetze explizit definierte Deliktsbereiche der organsierten Kriminalität, des Terrorismus oder der sonstigen vergleichbaren Kriminalität enthalten. Seine Wahl begründete er damit, dass sich die erfassten Delikte grundsätzlich durch eine konspirative und in abgeschotteten Strukturen erfolgende Begehungsweise auszeichneten. Im Übrigen rechtfertigten bestimmte Taten ein Eingreifen der Kronzeugenregelung schon aufgrund ihrer besonderen Schwere.38 Im Rahmen der Untersuchung 38  BT-Drucks.

16 / 6268, S. 11, 20.



B. Empirische Untersuchung329

Abbildung 36: Der Katalog in § 100a Abs. 2 StPO enthält konspirativ geprägte Delikte, bei denen tendenziell ein besonderes Ermittlungsdefizit zu beklagen ist

fand zumindest der erste Gesichtspunkt überwiegend die Zustimmung der Teilnehmer. 77,2 % aus der Gruppe der Richter und 66 % der Staatsanwälte waren grundsätzlich der Auffassung, dass der Katalog konspirativ geprägte Delikte beinhalte, bei denen tendenziell ein besonderes Ermittlungsdefizit bestehe. Bei den Verteidigern überwiegen die zustimmenden Antworten mit 42,8 % allerdings nur knapp. Der These, dass bereits die besondere Schwere einer Tat ein Eingreifen der Kronzeugenregelung rechtfertigen könne, widersprachen jedoch die meisten Teilnehmer aus den Gruppen der Richter (51,5 %) und Strafverteidiger (85,7 %). Die Hälfte der befragten Staatsanwälte hält dagegen auch diese Aussage für tendenziell gerechtfertigt. Der Kritikpunkt, der Katalog in § 100a StPO sei nicht unter dem Aspekt krimineller Strukturen zusammengestellt worden, sondern spiegele die Entscheidung des Gesetzgebers wieder, in welchen Fällen eine schwere Straftat und ein rechtstatsächliches Bedürfnis für die Telekommunikationsüberwachung vorliegen können,39 ist somit auch aus Sicht der Praxis nicht ganz von der Hand zu weisen. Dennoch stimmen die meisten der Teilnehmer darin überein, dass jedenfalls ein Großteil der von § 100a Abs. 2 StPO erfassten Delikte mit organisierten Kriminalitätsstrukturen zusammenhängen. 39  Stellungnahme 69  /  2011 des Deutschen Anwaltvereins, S.  5; vgl. MeyerGoßner: StPO, § 100a Rn. 15.

330

7. Teil: § 46b StGB aus Sicht der Praxis

Abbildung 37: Bestimmte Taten rechtfertigen schon aufgrund ihrer besonderen Schwere ein Eingreifen der Kronzeugenregelung

Schon mehrfach wurde in wissenschaftlichen Auseinandersetzungen festgestellt, dass es sich bei Terroristen überwiegend um Überzeugungstäter handele, die daher als Adressaten einer Kronzeugenregelung eher ungeeignet seien.40 Ein Großteil der befragten Praktiker vertritt ebenfalls diesen Standpunkt. Die Kategorien „trifft zu“ und „trifft eher zu“ erhielten diesbezüglich in allen drei Berufsgruppen die meisten Nennungen. Ein Teilnehmer forderte ausdrücklich die Streichung aller terroristischen Straftaten aus dem Bezugstatenkatalog. Eine weitere These betraf die Überschneidungen der Kataloge in § 100a Abs. 2 StPO und § 138 Abs. 1, 2 StGB, aufgrund derer es in Fällen der Präventionshilfe gem. § 46b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StGB passieren kann, dass ein Straftäter eine Strafmilderung für die Offenbarung von bevorstehenden Taten erhält, zu deren Anzeige er ohnehin unter Strafandrohung verpflichtet ist. Abgesehen von den Strafverteidigern, von denen 76,2 % darin einen Wertungswiderspruch sahen, teilten jedoch nur wenige Praktiker die daraus resultierenden systematischen Bedenken. Bei den Staatsanwälte fand die Aussage lediglich die Zustimmung von rund einem Drittel der Teilnehmer. Von den Richtern antwortete nur jeder fünfte mit „trifft zu“ oder „trifft eher 40  Hoyer JZ 1994, 233, 234; Hassemer StV 1986, 550, 551; Eichenhofer RuP 1978, 226, 227; Amelung / Hassemer / Rudolphi / Scheerer StV 1989, 72, 83; Denny ZStW 103 (1991), 269, 276; Kunert / Bernsmann NStZ 1989, 449, 457; Mushoff KritV 2007, 366, 381.



B. Empirische Untersuchung331

Abbildung 38: Straftäter aus dem Bereich des Terrorismus sind Überzeugungstäter und daher ungeeignete Adressaten einer Kronzeugenregelung

zu“. Zwei von ihnen gaben an, eventuelle Widersprüche würden dadurch entschärft, dass unmittelbar Tatbeteiligte keine Anzeigepflicht i. S. d. § 138 StGB treffe und teils auch Aussage- und Auskunftsverweigerungsrechte bestünden.

Abbildung 39: § 46b Abs. 1 Nr. 2 StGB führt zu Wertungswidersprüchen mit § 138 StGB, wenn ein Täter für die Offenbarung von Taten eine mildere Strafe erhält, zu deren Anzeige er ohnehin unter Strafandrohung verpflichtet wäre

332

7. Teil: § 46b StGB aus Sicht der Praxis

13. Verfassungsrechtliche und moralische Bedenken Moralische Bedenken in dem Sinne, dass der „Ankauf“ belastender Aussagen einen unwürdigen Handel des Staates mit (Schwerst-)kriminellen darstelle, hatten nur wenige Richter und Staatsanwälte. Dennoch fiel die Zustimmung stärker aus, als noch im Rahmen der Untersuchung von Mühlhoff / Mehrens.41 17,6 % der Staatsanwälte und 22,9 % der Richter halten eine entsprechende These tendenziell für zutreffend. Ganz anders sieht das Meinungsbild bei den Strafverteidigern aus. Zwei Drittel der Rechtsanwälte gaben an, ein derartiges Zusammenwirken des Staates mit Straftätern für unmoralisch zu halten.

Abbildung 40: Der „Ankauf“ von Kronzeugenaussagen ist unmoralisch

Auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten sehen die Strafverteidiger die allgemeine Kronzeugenregelung kritisch. Ganz überwiegend sind sie der Auffassung, § 46b StGB schränke das Legalitätsprinzip unverhältnismäßig ein. Zudem kollidiert die Vorschrift ihrer Einschätzung nach mit dem Gleichheitssatz. Unproblematisch ist die Einschränkung des Legalitätsprinzips dagegen nach Ansicht der meisten Staatsanwälte und Richter. Allerdings stimmt die Mehrheit der Richter tendenziell der Aussage zu, § 46b StGB sei unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten bedenklich, da die Vorschrift denjenigen, der in ein kriminelles Umfeld verstrickt ist, gegenüber demjenigen privilegiere, der erstmalig straffällig wird. 41  Mühlhoff / Mehrens:

Das Kronzeugengesetz im Urteil der Praxis, S. 44.



B. Empirische Untersuchung333

Abbildung 41: § 46b StGB schränkt das Legalitätsprinzip unverhältnismäßig ein

Abbildung 42: § 46b StGB ist unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten bedenklich

14. Gesetzgeberischer Handlungsbedarf Zum Abschluss der Untersuchung sollte aufgezeigt werden, welcher gesetzgeberische Handlungsbedarf aus Sicht der Praxis besteht. In Abbildung 43 ist zu sehen, wie der Gesetzgeber nach Auffassung der befragten Praktiker in Zukunft mit § 46b StGB verfahren sollte. Demnach

334

7. Teil: § 46b StGB aus Sicht der Praxis

Abbildung 43: Wie sollte der Gesetzgeber mit § 46b StGB verfahren?

fällt schon die Grundhaltung der Praktiker gegenüber der allgemeinen Kronzeugenregelung sehr unterschiedlich aus. Den Teilnehmern wurden drei Varianten zur Auswahl gestellt: Streichung, unveränderte Beibehaltung oder Modifizierung der Vorschrift. Die Strafverteidiger votierten ganz überwiegend für eine ersatzlose Streichung. Auch bei den Richtern erhielt die Aufhebung von § 46b StGB die meisten Stimmen, jedoch ohne dass sich innerhalb der Berufsgruppe eine eindeutige Tendenz feststellen ließe. Seitens der Staatsanwälte sprachen sich die Hälfte der Teilnehmer für ein Festhalten an der geltenden Fassung aus, während jeweils ein Viertel den § 46b StGB abschaffen oder modifizieren wollten. Abbildung 44 zeigt darüber hinaus die Reaktion der Befragten auf verschiedene Reformvorschläge. Demnach konnte bis auf eine Ausnahme kein Vorschlag die Mehrheit der Teilnehmer aus allen Berufsgruppen gewinnen. Die meiste Zustimmung erhielten die vorgeschlagenen Änderungen von Seiten der Strafverteidiger, deren überwiegender Anteil insgesamt sieben der neun Reformüberlegungen für sinnvoll hielt. Die Prozentangaben sind allerdings nur begrenzt aussagekräftig. So kann beispielsweise nicht ausgeschlossen werden, dass bestimmte Teilnehmer Änderungsvorschläge nur deshalb nicht für sinnvoll erachteten, weil sie eine ersatzlose Streichung der allgemeinen Kronzeugenregelung gegenüber jeder Änderung bevorzugten. Den Ergebnissen kann jedoch keine Aussage darüber entnommen werden, ob sich die Zustimmung bzw. Ablehnung dieser Personen ändern würde, wenn eine ersatzlose Streichung des § 46b StGB nicht zur Debatte gestanden hätte.



B. Empirische Untersuchung335

Abbildung 44: Zustimmung zu verschiedenen Reformvorschlägen (Mehrfachnennungen möglich)

Eine Frage hinsichtlich möglicher Reformüberlegungen betraf den Pauschalverweis auf den Deliktskatalog des § 100a Abs. 2 StPO. Die Teilnehmer wurden um ihre Meinung gebeten, ob der Verweis auf den Katalog für Maßnahmen der Telekommunikationsüberwachung modifiziert bzw. ein eigenständiger Katalog erstellt werden sollte. Soweit die Teilnehmer dem zustimmten, erhielten sie Gelegenheit ihre Änderungswünsche anzugeben. Der Verweis in § 46b Abs. 1 StGB auf § 100a Abs. 2 StPO findet ganz überwiegend die Zustimmung der befragten Praktiker; für eine Änderung sprachen sich nur sehr wenige Teilnehmer aus. Unter den ausformulierten Änderungsvorschlägen befanden sich in etwa gleich viele, die sich für die Aufnahme weiterer oder die Herausnahme enthaltener Taten aussprachen. Dabei ging es zumeist nur um die Auf- bzw. Herausnahme einzelner Delikte, die nach Auffassung der jeweiligen Teilnehmer besser oder eben nicht in

336

7. Teil: § 46b StGB aus Sicht der Praxis

den Anwendungsbereich einer Kronzeugenregelung passten. Im Wesent­ lichen bestätigen die Antworten somit das oben gefundene Ergebnis, dass der Verweis im Ansatz nachvollziehbar bleibt, auch wenn einige Tatbestände in § 100a Abs. 2 StPO nicht unter dem Gesichtspunkt einer konspirativen Begehungsweise aufgenommen wurden. Dazu schrieb ein Richter, der sich für eine vollständige Streichung von § 46b StGB ausgesprochen hatte: „Wenn man wie der Gesetzgeber eine allgemeine Regelung wie § 46b StGB für richtig ansieht, ist jedenfalls der Katalog von § 100a StPO grundsätzlich geeignet.“ Einige Teilnehmer griffen in diesem Zusammenhang einen bereits im theoretischen Teil der Arbeit thematisierten Wertungswiderspruch innerhalb der Anwendungsvoraussetzungen des § 46b StGB auf:42 Die Regelung verlangt im Hinblick auf die Anlasstat des Kronzeugen, dass dieser eine mit im Mindestmaß erhöhter oder lebenslanger Freiheitsstrafe bedrohte Tat begangen hat. Aus Gründen der Verhältnismäßigkeit forderten ein Richter und zwei Staatsanwälte daher, all diejenigen Katalogtaten des § 100a Abs. 2 StPO von dem Verweis auszunehmen, die nicht mit im Mindestmaß erhöhter Strafandrohung versehen sind. Zwei weiteren Teilnehmern ging der pauschale Verweis insgesamt zu weit. Sie regten die Herausnahme der „leichteren“ in § 100a Abs. 2 StPO erfassten schweren Straftaten an. Ein interessanter Vorschlag war die Bezugnahme auf den Katalog der „besonders schweren“ Straftaten i. S. d. § 100c Abs. 2 StPO, der nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts43 nur Taten mit einer Mindesthöchststrafe von fünf Jahren Freiheitsstrafe enthält. Wegen prinzipieller Ungeeignetheit als Anknüpfungspunkt einer Kronzeugenregelung verlangte ein Staatsanwalt die Herausnahme aller terroristischen Straftaten. Ein weiterer Teilnehmer kritisierte ähnlich wie schon der Bundesrat im Gesetzgebungsverfahren die Erfassung der in § 100a Abs. 2 StPO enthaltenen Sexualdelikte, da diese in der Regel nicht im Rahmen konspirativer Strukturen begangen würden.44 Ein Staatsanwalt sprach sich schließlich im Interesse eines überschneidungsfreien Anwendungsbereiches mit § 31 BtMG insgesamt gegen die Erfassung von Betäubungsmitteldelikten aus (vgl. § 100a Abs. 2 Nr. 7 StPO). Umgekehrt hielt ein anderer Staatsanwalt die Aufzählung in § 100a Abs. 2 Nr. 7 StPO für unvollständig und forderte wegen der besonderen Schwere der Tatfolgen auch die Aufnahme des seiner Auffassung nach fehlenden § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG. Ein Staatsanwalt regte zur Ergänzung des § 100a Abs. 2 Nr. 1 lit. j StPO die Aufnahme des gewerblichen Diebstahls nach § 243 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 StGB an, der bislang nur in der besonderen Form des schweren Bandendiebstahls nach § 244a StGB erfasst ist. Einer weiterer sprach sich schließlich für die Aufnahme des Wohnungseinbruchsdiebstahls 42  Vgl.

hierzu 2. Teil A. II. 1. sowie 6. Teil A. I. 4. c) cc). NStZ 2004, 270, 272. 44  Vgl. die Stellungnahme des Bundesrates BT-Drucks. 16 / 6268, S. 19. 43  BVerfG



B. Empirische Untersuchung337

gem. § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB aus. Dieser Teilnehmer hatte zuvor bereits bei den Gründen für die geringe Anwendungshäufigkeit des § 46b StGB angegeben, dass seiner Erfahrung nach bei Serien von Wohnungseinbrüchen eine Anwendung der Kronzeugenregelung oftmals aufgrund der Täteranzahl oder des nicht gelungenen Nachweises einer Bandenstruktur nicht in Betracht komme, obwohl es sich um Straftaten handele, welche die Öffentlichkeit nachhaltig verunsicherten. In der Vergangenheit wurde immer wieder der Vorschlag zur Schaffung eines Wiederaufnahmegrundes zulasten des Angeklagten eingebracht, um ihm die erlangte Strafmilderung gegebenenfalls wieder entziehen zu können, wenn er in dem Verfahren gegen den durch ihn belasteten Dritten entweder keine oder abweichende Angaben macht (sog. Verwirkungsstrafe). Obgleich der Gesetzgeber nach der hier vertretenen Auffassung wegen schwerwiegender Bedenken zu Recht von einer Umsetzung abgesehen hat,45 findet der Vorschlag weiterhin zahlreiche Befürworter in allen Berufsgruppen. Die Mehrheit aller Richter, Staatsanwälte und Strafverteidiger hält eine entsprechende Gesetzesänderung für sinnvoll. Auf ein geteiltes Echo stößt die Einführung einer Beweisregel, nach der die Angaben des Kronzeugen durch zusätzliche Beweismittel bestätigt worden sein müssen, bevor der durch sie belastete Dritte verurteilt werden darf („corroboration“). Ein Großteil der Strafverteidiger und überraschenderweise auch eine beachtliche Minderheit der Staatsanwälte beurteilen eine entsprechende Regelung als sinnvoll. Die geringste Zustimmung kam erwartungsgemäß von den Richtern, deren grundsätzlich freie Beweiswürdigung durch eine solche Vorgabe eingeschränkt würde. Während ein Staatsanwalt in einer Randbemerkung verlauten ließ, er halte eine derartige Bestimmung für „unbedingt“ erforderlich, tat ein anderer den Vorschlag als „realitätsfern“ ab. Ein Richter wünschte sich anstelle einer gesetzlichen Fixierung die Herausbildung entsprechender Leitlinien durch die Rechtsprechung. Eine Ergänzung des § 260 Abs. 4 StPO, wonach bei Anwendung der Kronzeugenregelung im Urteil auch diejenige Strafe festzusetzen ist, die ohne Anwendung der Kronzeugenregelung verwirkt wäre, finden 85,7 % der Strafverteidiger sinnvoll. Ein Verteidiger erhoffte sich von einer solchen Bestimmung die Gewährleistung von mehr Transparenz. Es bestehe jedoch die Gefahr von „Fantasieangaben“, wenn etwa das Gericht die tatsächliche Bedeutung der Ermittlungshilfe herunterspiele oder die ansonsten verwirkte Strafe willkürlich festlege. Die Staatsanwälte und Richter reagierten verhalten bzw. ablehnend auf den Vorschlag (40,4 % bzw. 8,6 %). Abgesehen von den Strafverteidigern sprachen sich kaum Praktiker für eine Streichung der §§ 145d Abs. 3 und 4, 164 Abs. 3 StGB aus. Das über45  Vgl.

BT-Drucks. 16 / 6268, S. 21; siehe hierzu 6. Teil C. III. 3.

338

7. Teil: § 46b StGB aus Sicht der Praxis

rascht, denn schließlich glaubten insgesamt nur sehr wenige Teilnehmer daran, dass diese Vorschriften tatsächlich Falschaussagen verhindern könnten. Auf der anderen Seite hatten insbesondere Vertreter der Staatsanwaltschaft die Missbrauchsgefahr als weniger dramatisch und die Missbrauchsvorkehrungen daher als grundsätzlich ausreichend eingestuft. Bei den eher unentschlossenen Richtern könnte dagegen das Fehlen wirksamer Alternativen eine Rolle gespielt haben. Ein Richter schlug stattdessen eine Änderung der Praxis vor. Zur Vermeidung einer missbräuchlichen Inanspruchnahme sollte jeder Kronzeuge sofort dem Ermittlungsrichter vorgeführt werden, damit eine Falschaussage zusätzlich gem. § 153 StGB strafbar wäre. Zudem wäre dann sichergestellt, dass rechtlich zutreffend belehrt werde und keine unzulässigen Versprechen gemacht würden, die später „den Beweisantrag vermiesen könnten“. Dass sich der vermeintliche Ermittlungsgehilfe durch eine zusätzliche Strafandrohung effektiver abschrecken lässt, kann bezweifelt werden. Das beschriebene Vorgehen hätte jedoch den Vorteil, dass die frühere Aussage durch Vernehmung des Richters in den Prozess gegen den belasteten Dritten eingeführt werden kann, auch wenn sich der Kronzeuge in der den Dritten betreffenden Hauptverhandlung auf ein ihm zustehendes Zeugnisverweigerungsrecht beruft.46 Schließlich wurden von einigen Teilnehmern, die eine Modifizierung des § 46b StGB befürwortet hatten, eigene Änderungsvorschläge eingebracht. Ein Strafverteidiger sah im Einklang mit der hier vertretenen Auffassung47 konkreten Handlungsbedarf im Hinblick auf die gesetzlichen Anforderungen an die Straftat des Kronzeugen. Seiner Auffassung nach verbiete der allgemeine Gleichheitssatz, dass Täter bestimmter Straftaten von vorherein keine Milderung erhalten könnten. Konsequenterweise müsste demnach die auch unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten fragwürdige Beschränkung auf mit im Mindestmaß erhöhter oder lebenslanger Freiheitsstrafe bedrohte Taten aufgehoben werden. Ein Staatsanwalt schlug vor, § 46b StGB solle künftig kein vollständiges Absehen von Strafe mehr ermöglichen. Nach seiner Auffassung sei es für das Rechtsbewusstsein der Bevölkerung generell schädlich und kaum vermittelbar, wenn ein Straftäter völlig straffrei ausgehe, nur weil er jemanden „verpfiffen“ habe. Ein Richter äußerte die Idee, die Beschränkung auf den Zeitraum vor der Eröffnung des Hauptverfahrens gem. § 46b 46  Nach ständiger Rechtsprechung kann entgegen § 252 StPO über den Inhalt einer Aussage, die ein in der Hauptverhandlung das Zeugnis verweigernder Zeuge bei einer früheren richterlichen Vernehmung nach Hinweis auf sein Zeugnisverweigerungsrecht gemacht hat, durch Vernehmung des Richters Beweis erhoben werden, vgl. BGHSt 2, 99; 11, 338; 13, 394; 17, 324; 21, 218; 26, 281; 27, 231. Vgl. auch den entsprechenden Vorschlag bei Mühlhoff / Mehrens: Das Kronzeugengesetz im Urteil der Praxis, S. 59. 47  Siehe 6. Teil A. II. 3.



C. Zusammenfassung der Ergebnisse339

Abs. 3 StGB durch eine Befristung bis zum Beginn der Beweisaufnahme zu ersetzen, da so die Wissensoffenbarung zum Gegenstand einer verbindlichen Verständigung i. S. v. § 257c StPO gemacht werden könne. Aus den Anmerkungen am Ende des Fragebogens geht schließlich hervor, dass nach Auffassung von drei Teilnehmern noch nicht genügend Zeit vergangen ist, um endgültig über ein Fortbestehen des § 46b StGB zu entscheiden. Sie sprachen sich grundsätzlich für ein Festhalten an der Vorschrift aus, regten jedoch eine erneute Auswertung nach einer längeren Erprobungsphase an. Darüber, wie lange dieser Zeitraum sein sollte, gingen die Meinungen auseinander. Ein Teilnehmer legte sich auf fünf, ein anderer auf sieben und ein weiterer auf zehn Jahre fest.

C. Zusammenfassung der Ergebnisse § 46b StGB spielt nach Einschätzung der befragten Praktiker nur in sehr wenigen Verfahren eine Rolle. Wichtige Anwendungsgebiete der Kronzeugenregelung sind die organisierte Kriminalität und die Betäubungsmittelkriminalität. Erfahrungen mit Kronzeugen wurden vergleichsweise häufig auch im Zusammenhang mit Eigentums- und Gewaltdelikten gemacht. Fälle geleisteter Präventionshilfe nach § 46b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StGB kommen praktisch nicht vor. Ebenso wird die Rechtsfolge eines vollständigen Absehens von Strafe nach § 46b Abs. 1 S. 4 StGB nur extrem selten ausgesprochen. Generell wird die Praxisrelevanz der Vorschrift von den meisten Teilnehmern als gering angesehen. Die von manchen Autoren befürchtete nachhaltige Beeinflussung der Strafjustizpraxis48 ist bislang offenbar ausgeblieben. Mögliche Gründe hierfür sind unter anderem der noch relativ geringe Bekanntheitsgrad sowie die alternativen rechtlichen Möglichkeiten zur Berücksichtigung kooperativen Verhaltens. Vor diesem Hintergrund ist zu erwarten, dass die Nichterörterung des § 46b StGB in der revisionsrechtlichen Rechtsprechung an Bedeutung gewinnen wird. Darüber hinaus wird der Anreiz für Wissens­ offenbarungen durch zahlreiche Faktoren gemindert. Hierzu gehört vor allem die fehlende Verhandlungssicherheit, die durch die zeitliche Begrenzung in § 46b Abs. 3 StGB noch verstärkt wird. Neben der Gefahr einer Selbstbelastung fürchten potenzielle Kronzeugen außerdem die Rache der „verratenen“ Dritten bzw. der kriminellen Organisationen. Das Vertrauen in staatliche Maßnahmen des Zeugenschutzes ist eher gering. Weitere Ursachen werden in den teils wenig bestimmten Anwendungsvoraussetzungen der Regelung vermutet. Im Übrigen macht die Justiz auch bei Bejahung der Voraussetzungen nur zurückhaltend von der Möglichkeit zur Strafmilderung Gebrauch. 48  Vgl.

König NJW 2009, 2481; dann aber korrigierend ders. StV 2012, 113.

340

7. Teil: § 46b StGB aus Sicht der Praxis

Im Hinblick auf die Vereinbarkeit mit dem Schuldgrundsatz sowie die Wirkung von § 46b StGB auf die Strafzwecke waren sich die befragten Praktiker weitgehend einig. So lassen sich nach Auffassung der Teilnehmer schuldunangemessene Urteile in der Praxis weitgehend vermeiden. Die These, die geleistete Ermittlungshilfe lasse positive Rückschlüsse auf die individuelle Gefährlichkeit des Täters zu, wurde indes nicht bestätigt. Auch lassen sich potenzielle Straftäter nicht von einem gegebenenfalls erhöhten Entdeckungsrisiko abschrecken. Außerdem kann die Belohnung des Kronzeugen dem Rechtsbewusstsein der Bevölkerung in bestimmten Fällen erheblichen Schaden zufügen. Bei der Beurteilung der Regelungsnotwendigkeit und der Praxisbewährung sowie bei der Frage, wie der Gesetzgeber in Zukunft mit § 46b StGB verfahren sollte, waren zum Teil erhebliche Unterschiede zwischen den einzelnen Berufsgruppen festzustellen. Die Strafverteidiger waren fast einhellig der Ansicht, dass § 46b StGB ersatzlos gestrichen werden sollte. Sie sind der Auffassung, es bestehe weder ein rechtfertigender Ermittlungsnotstand noch ein sonstiges praktisches Bedürfnis für eine allgemeine Kronzeugenregelung. Darüber hinaus habe sich § 46b StGB in der Rechtspraxis nicht bewährt. Zudem bestehe ein relativ hohes Missbrauchsrisiko; die Aussage des Kronzeugen sei daher grundsätzlich von nur geringem Beweiswert. Die Vorkehrungen des Gesetzgebers eigneten sich nicht, um einem Missbrauch durch Falschbelastungen wirksam vorzubeugen. Der erhöhte Anreiz für Wissensoffenbarungen werde außerdem dadurch relativiert, dass für den Beschuldigten nicht absehbar sei, ob und in welchem Umfang seine Angaben berücksichtigt würden. § 46b Abs. 3 StGB zwinge den Kronzeugen, mit seiner Aussage in Vorleistung zu treten und trage langfristig zu einer Entwertung der öffentlichen Hauptverhandlung bei. Ihrer Auffassung nach profitiert von § 46b StGB nicht der Beschuldigte, sondern Vorteile haben in erster Linie die Strafverfolgungsbehörden, namentlich die Staatsanwaltschaft und die Polizei. Schließlich erheben sie verfassungsrechtliche und moralische Einwände gegen eine allgemeine Kronzeugenregelung. Trotz ihres Wunsches nach vollständiger Abschaffung der Kronzeugenregelung, halten viele auch verschiedene Modifikationen für sinnvoll: Zustimmung fanden im Rahmen der Befragung insbesondere die Streichung der Präklusionsregelung in § 46b Abs. 3 StGB, die Einführung einer „corroboration“-Norm sowie der Erlass einer Bestimmung, wonach das Gericht den Strafnachlass im Urteil genau beziffern muss. Die Richter sahen sich überwiegend entweder zu einer abschließenden Bilanz (noch) nicht in der Lage oder waren der Ansicht, § 46b StGB habe sich nicht bewährt. Betrachtet man nur diejenigen Teilnehmer, die bereits an



C. Zusammenfassung der Ergebnisse341

entsprechenden Verfahren beteiligt waren, fällt die Beurteilung der Praxisbewährung nur geringfügig positiver aus. Ein generelles praktisches Bedürfnis oder das Bestehen eines Ermittlungsnotstands lehnen die meisten Richter ab. Das Risiko von Falschaussagen ist nach ihrer Einschätzung weit weniger dramatisch, als die Verteidiger annehmen. Dennoch erachten mehr als die Hälfte der Richter die getroffenen Missbrauchsvorkehrungen für unzureichend. Zudem hält jeder Zweite § 46b StGB unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten für bedenklich. Nur jeder Dritte will § 46b StGB in seiner jetzigen Form beibehalten. Jedoch finden auch die vorgeschlagenen Änderungen – bis auf die Einführung eines besonderen Wiederaufnahmegrundes – nur wenig Zustimmung. Rund 43 % sprechen sich schließlich für eine vollständige Streichung der Vorschrift aus. Die befragten Staatsanwälte hatten weniger Erfahrung im Umgang mit § 46b StGB und trauten sich daher zu einem großen Teil auch kein abschließendes Urteil über dessen Praxisbewährung zu. Anders als bei den anderen Berufsgruppen fällt ihr Urteil jedoch deutlich positiver aus, wenn man nur diejenigen Teilnehmer betrachtet, die bereits eigene Erfahrungen mit § 46b StGB gesammelt haben. Auch die meisten Staatsanwälte verneinten das Vorliegen eines Ermittlungsnotstandes sowie ein generelles praktisches Bedürfnis für eine allgemeine Kronzeugenregelung. Überflüssig aufgrund alternativer Möglichkeiten zur Berücksichtigung kooperativen Verhaltens ist § 46b StGB ihrer Auffassung nach trotzdem nicht. Das Missbrauchsrisiko sei allenfalls von mittlerer Intensität, die diesbezüglichen Vorkehrungen jedenfalls ausreichend. Mehr als die Hälfte der Staatsanwälte waren zudem der Ansicht, § 46b StGB helfe bei der Wahrheitsermittlung. Über 50 % der Teilnehmer wollen die allgemeine Kronzeugenregelung unverändert beibehalten. Je ein Viertel will die Vorschrift modifizieren oder vollständig abschaffen. Von den Änderungsvorschlägen fand nur die Einführung einer Verwirkungsstrafe die überwiegende Zustimmung der Staatsanwälte. Die zweitmeisten Stimmen erhielt die vorgeschlagene Ergänzung einer „corroboration“-Norm, wobei es sich allerdings nur um rund 40 % der Staatsanwälte handelte.

8. Teil

Abschließende Erörterung A. Zusammenfassung Der rechtsgeschichtliche Überblick im 1. Teil veranschaulicht, dass die Privilegierung von Straftätern im Gegenzug für die durch sie geleistete Ermittlungshilfe auch in der älteren deutschen Rechtsgeschichte eine gewisse Tradition hatte. Während die „kleine“ Kronzeugenregelung in § 31 BtMG bei ihrer Einführung vergleichsweise wenig Beachtung fand, war die „große“ Kronzeugenregelung für terroristische Straftaten und organisierte Kriminalität (KronzG) bis zu ihrer gescheiterten Verlängerung im Jahr 1999 kriminalpolitisch äußerst umstritten. Die Folgezeit war geprägt von zahlreichen Vorschlägen zur Wiedereinführung des KronzG bzw. zur Ergänzung einer Kronzeugenregelung in das allgemeine Strafrecht. Die Einführung des § 46b StGB geschah schließlich unter erheblichem Widerstand von Seiten der Wissenschaft und der Berufsverbände. Bei der Untersuchung der Voraussetzungen und Rechtsfolgen (2. Teil) hat sich gezeigt, dass die von der Rechtsprechung zu § 31 BtMG entwickelten Grundsätze weitgehend auf § 46b StGB übertragen werden können. Die allgemeine Kronzeugenregelung verfügt über eine relativ weite Tatbestandsfassung, entsprechend ihrer Zielsetzung, einen möglichst breit wirkenden Anreiz für Wissensoffenbarungen zu schaffen. Als Kronzeuge kommt grundsätzlich jeder Straftäter der mittleren und schweren Kriminalität in Betracht. Der Katalog der Bezugstaten ist groß und unübersichtlich. Die ursprüngliche Fassung verzichtet zudem auf jede Konnexität zwischen Anlass- und Bezugstat. Das Merkmal der Freiwilligkeit wird mit Rücksicht auf die besondere Drucksituation des Kronzeugen weit ausgelegt. So ist etwa unschädlich, wenn der Ermittlungsgehilfe als Zeuge ohnehin zu einer Aussage verpflichtet wäre, soweit nicht bereits konkrete Zwangsmaßnahmen gegen ihn ergriffen worden sind. Bislang von der Rechtsprechung nur wenig beachtet wurde das einschränkende Merkmal der Wesentlichkeit; ein wesentlicher Beitrag zur Aufklärung einer Straftat verlangt nach der hier vertretenen Auffassung, dass sich gerade der besondere Informationsgehalt der Angaben des Kronzeugen im konkreten Aufklärungserfolg niedergeschlagen haben muss, was die Möglichkeit eines wesentlichen Beitrages umso schwerer macht, je dichter die Ermittlungsbehörden selbst bereits vor der Aufklä-



A. Zusammenfassung343

rung stehen. Ein Aufklärungserfolg i. S. d. § 46b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StGB scheidet auch bei einem Wechsel im Aussageverhalten des Angeklagten nicht automatisch aus. Im Fall eigener Tatbeteiligung sind Angaben des Kronzeugen, die seinen eigenen Tatbeitrag betreffen, für die Anwendung des § 46b StGB grundsätzlich irrelevant. Für die Feststellung des Vorliegens eines Aufklärungserfolges ist allein die Überzeugung des zuständigen Gerichts maßgeblich; es hat im Rahmen seiner Aufklärungspflicht zu überprüfen, ob aufgrund rechtzeitiger Angaben ein Aufklärungserfolg eingetreten ist, muss den Erfolg jedoch nicht selbst durch Beweiserhebungen herbeiführen. Nach § 46b Abs. 3 StGB können Angaben, die nach Erlass des Eröffnungsbeschlusses gemacht wurden, im Rahmen von § 46b StGB keine Berücksichtigung mehr finden. Zur frühestmöglichen Offenbarung i. S. d. § 46b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StGB genügt es hingegen, dass die Anlasstat zum Zeitpunkt der Offenbarung bereits begangen war, ohne dass ein Ermittlungsverfahren gegen den Aufklärungsgehilfen eingeleitet worden sein muss. Als „Verhalten nach der Tat“ kann die Kronzeugenhandlung auch im Rahmen der allgemeinen Strafzumessung Bedeutung erlangen. Aufklärungs- oder Präven­ tionshilfeleistungen oder ein entsprechendes Bemühen dürfen jedoch im Rahmen der Strafzumessung innerhalb der gesetzlichen Strafrahmen nur dann mildernd berücksichtigt werden, wenn sie Schuld- oder Präventions­ relevanz besitzen. Betrachtet man das systematische Verhältnis der allgemeinen Kronzeugenregelung zu anderen Rechtsnormen (3. Teil), so fällt insbesondere auf, dass § 46b StGB wegen der Präklusionsbestimmung in Abs. 3 mit den gesetzlichen Vorschriften zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren nicht harmoniert. Die Wissensoffenbarung des Kronzeugen hat zu einem Zeitpunkt zu erfolgen, an dem das Gericht als Gesprächspartner nicht oder nur eingeschränkt zur Verfügung steht. Die Gefahr informeller Absprachen wird damit noch weiter erhöht. Um Widersprüche zwischen § 46b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StGB und der gesetzlichen Wertung des § 138 StGB zu vermeiden, hat das Gericht bei der Ermessensausübung zu berücksichtigen, ob der Täter mit seiner Präventionshilfe überwiegend oder ausschließlich seine staatsbürgerliche Pflicht zur Anzeige schwerer Straftaten erfüllte. Bei der Handhabung der allgemeinen Kronzeugenregelung (4. Teil) ist zu beachten, dass Staatsanwaltschaft und Polizei keine verbindlichen Zusagen im Hinblick auf die spätere Anwendung des § 46b StGB machen dürfen, da die Entscheidung über die Gewährung eines Strafnachlasses in der alleinigen Entscheidungskompetenz des Gerichts liegt. Andernfalls kommt es zu einem Verstoß gegen § 136a Abs. 1 S. 3 StPO. Der Ermittlungsgehilfe ist als Zeuge im Verfahren gegen den durch ihn belasteten Dritten grundsätzlich zu einer Aussage verpflichtet. Jedoch kann selbst dem bereits rechtskräftig verurteilten Kronzeugen ein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht

344

8. Teil: Abschließende Erörterung

nach § 55 StPO zustehen, wenn er durch seine wahrheitsgemäße Aussage von früheren Angaben abweichen und sich dadurch dem Vorwurf aussetzen müsste, den Angeklagten zum damaligen Zeitpunkt falsch belastet zu haben. § 46b StGB kann auch im Jugendstrafrecht Bedeutung erlangen (5. Teil). Da die Strafrahmen des Erwachsenenstrafrechts gem. § 18 Abs. 1 S. 3 JGG im Jugendstrafrecht keine Anwendung finden, kommt eine Strafrahmenverschiebung gem. § 46b Abs. 1 StGB insoweit nicht in Betracht. Jedoch darf ein Jugendlicher oder Heranwachsender nicht schlechter behandelt werden als ein Erwachsener in vergleichbarer Verfahrenslage, sodass die Ermittlungshilfe in die Strafzumessungsentscheidung einbezogen werden muss, wobei die Strafe nicht höher ausfallen darf als bei einem entsprechend kooperierenden Erwachsenen. Das vollständige Absehen von Strafe gem. § 46b Abs. 1 S. 4 StGB ist dagegen auch im Jugendstrafrecht möglich. Als Ergebnis des 6. Teils lässt sich festhalten, dass § 46b StGB mit einigen wichtigen strafprozessualen Prinzipien kollidiert. § 46b StGB begründet einen erheblichen Eingriff in den durch das Rechtsstaatsprinzip vorgeschriebenen staatlichen Verfolgungszwang. Der tatsächliche Nutzen der Norm erscheint dagegen fraglich. Gesteht man dem Gesetzgeber insoweit jedoch einen weiten Beurteilungsspielraum zu und verneint man in der Folge einen Verfassungsverstoß, so gebietet der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz jedenfalls eine restriktive Handhabung des richterlichen Ermessens. Besteht ein Unrechtsüberschuss zulasten der Bezugstat, muss ein vollständiges Absehen von Strafe infolge einer Ermessensreduzierung auf Null ausscheiden. Eine Strafmilderung kommt in derartigen Fällen allenfalls bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände in Betracht. Für die Beschränkung des Anwendungsbereiches auf Taten der mittleren oder schweren Kriminalität ist kein vernünftiger Grund ersichtlich. Die Voraussetzung einer mit im Mindestmaß erhöhter oder lebenslanger Freiheitsstrafe bedrohten Kronzeugentat verstößt daher gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Auch die starre Präklusionsbestimmung in § 46b Abs. 3 StGB kann, insbesondere in Fällen der absolut angedrohten lebenslangen Freiheitsstrafe, zu unverhältnismäßigen Ungleichbehandlungen führen. Des Weiteren hat sich die Befürchtung, § 46b StGB könnte zu einer Aufweichung des Prinzips der schuldangemessenen Bestrafung führen, im Wesentlichen bestätigt: Die mildere Bestrafung des Kronzeugen erfolgt grundsätzlich schuldunabhängig. Da sich der Verfassung ein entsprechendes Verbot nicht entnehmen lässt, sind Schuldunterschreitungen zwar prinzipiell zulässig, sie müssen jedoch anhand präventiver Gesichtspunkte gerechtfertigt sein. Die Kronzeugenhandlung lässt dagegen nur in wenigen Fällen positive Rückschlüsse auf eine geringere individuelle Gefährlichkeit des Täters zu. Stattdessen droht das Rechtsbewusstsein der Bevölkerung dort Schaden zu nehmen, wo § 46b StGB Normbestätigungsbedürfnisse untergräbt. Dass § 46b StGB abschreckende Wirkung auf andere Straftäter ent-



A. Zusammenfassung345

falten könnte, muss bezweifelt werden. Auch birgt § 46b StGB erhebliche Risiken im Hinblick auf den Grundsatz der Wahrheitsermittlung. Um die Norm entsprechend ihrer verfahrensbeschleunigenden Zielsetzung anwenden zu können, soll das Gericht auf eine an sich gebotene weitere Aufklärung des Sachverhalts verzichten dürfen. Alternativ droht eine „Aufblähung“ des Verfahrens aufgrund komplizierter Beweiserhebungen über das Vorliegen eines Aufklärungserfolges. Auch die Präklusion von Wissensoffenbarungen mit Erlass des Eröffnungsbeschlusses konnte dieses Problem nicht entschärfen, da zu diesem Zeitpunkt lediglich die Offenbarungshandlung abgeschlossen sein muss. Zudem erzeugt die Auslobung einer Gratifikation eine spezifische Missbrauchsgefahr, die sich mit den insgesamt eher schädlichen gesetzlichen Vorkehrungen nicht vermeiden lässt. Zu einem Verstoß gegen das Nemo-tenetur-Prinzip kommt es nicht, da die grundsätzliche Entscheidungsfreiheit über die Offenbarung selbstbelastender Tatsachen erhalten bleibt. Zudem verstößt § 46b StGB nicht gegen den Bestimmtheitsgrundsatz. Der frühe Offenbarungszeitpunkt und die damit verbundene Unsicherheit über eine spätere Berücksichtigung der Ermittlungshilfe im Urteil beeinträchtigen jedoch die Attraktivität einer Zusammenarbeit mit den Strafverfolgungsbehörden. Darüber hinaus wird eine Verschiebung des Verfahrensschwerpunktes in das nicht-öffentliche Vorverfahren begünstigt. Laut den Ergebnissen der Praktikerbefragung (7. Teil) verfügt § 46b StGB über eine vergleichsweise geringe praktische Relevanz. Es gibt insgesamt nur wenige Anwendungsfälle. Dabei spielen die Tatbestandsalternative der Präventionshilfe gem. § 46b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StGB sowie die Rechtsfolge des vollständigen Absehens von Strafe gem. § 46b Abs. 1 S. 4 StGB kaum eine Rolle. Soweit § 46b StGB zur Anwendung kommt, handelt es sich folglich in der Regel um einen Fall der Aufklärungshilfe, in dem die Strafe des Täters gem. § 49 Abs. 1 StGB gemildert wird. Die Mehrheit der Teilnehmer verneint das Bestehen eines praktischen Bedürfnisses für eine allgemeine Kronzeugenregelung. Insbesondere bestehe kein Ermittlungsnotstand, der eine derartige Bestimmung zwingend erforderlich mache. Auch ein spürbarer praktischer Nutzen konnte bislang nicht verzeichnet werden. Schuldunangemessene Urteile lassen sich nach Auffassung der Teilnehmer jedoch weitgehend vermeiden. Gleichwohl stößt die Honorierung der Aufklärungs- und Präventionshilfe unter Präventionsgesichtspunkten auf Bedenken. Problematisch ist § 46b StGB aus Sicht vieler Praktiker weniger im Hinblick auf das Legalitätsprinzip als vielmehr vor dem Hintergrund des Gleichbehandlungsgrundsatzes. Die Wahrheitsfindung im Strafprozess ist nach Ansicht der meisten Teilnehmer – wohl auch aufgrund der geringen Anwendungszahlen – nicht akut gefährdet; an die Wirksamkeit der Schutzmechanismen in §§ 145d Abs. 3 und 4, 164 Abs. 3 StGB glaubt dennoch kaum einer der Befragten.

346

8. Teil: Abschließende Erörterung

B. Reformkonzept: „Bändigung“ des entfesselten Kronzeugen § 46b StGB stellt sich als Ausprägung einer fortschreitenden Ökonomisierung des Strafverfahrens dar.1 Zugunsten einer vermeintlichen Effektivitätssteigerung werden gewisse Einschränkungen bei Wahrheitssuche und Gerechtigkeitsverwirklichung in Kauf genommen. Der kontradiktorische Strafprozess wird durch konsensuale Elemente aufgeweicht,2 indem der Täter einer Straftat für die Offenbarung seines Wissens Zugeständnisse im Hinblick auf seine eigene Bestrafung erhalten kann, die eigentlich weder durch Präventions- noch durch Schuldgesichtspunkte gerechtfertigt sind. Insoweit drängt sich erneut ein Vergleich mit dem zeitgleich verabschiedeten Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren auf. Auffällig ist, welche unterschiedlichen Anliegen der Gesetzgeber mit der Kronzeugenregelung einerseits und dem Verständigungsgesetz andererseits verfolgte: Urteilsabsprachen gehörten schon lange vor Verabschiedung des Gesetzes zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren zum Justizalltag. Empirisch nicht belegten Schätzungen zufolge wurden zwei Drittel aller Strafverfahren im Wege einer Verständigung erledigt.3 Anliegen des Verständigungsgesetzes war daher, die bestehende Absprachenpraxis in geordnete Bahnen zu lenken, ohne die Grundsätze des deutschen Strafprozesses zu vernachlässigen.4 Mit der Regulierung durch den Gesetzgeber sollten Öffentlichkeit und Transparenz wiederhergestellt und durch die Normierung verbindlicher Kriterien ein höheres Maß an Rechtssicherheit gewährleistet werden. Auf die Frage, inwieweit dieses Vorhaben gelungen ist,5 soll an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden. Im Hinblick auf die Kronzeugenproblematik bestand ein ähnlicher gesetzgeberischer Handlungsbedarf. So wurden Zeugen-Privilegien nach dem Muster einer Kronzeugenregelung in der Praxis auch ohne ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung gewährt.6 Insbesondere wurde die prozessuale Vorschrift des § 154 StPO zweckentfremdet und damit gewissermaßen eine Kronzeugenregelung 1  Ostendorf

ZIS 2013, 172, 175. auch Kinzig, in: Schönke  /  Schröder: StGB, § 46b Rn. 2; Salditt StV 2009, 375. 3  So BGH-Präsident Tolksdorf laut Süddeutscher Zeitung vom 1.2.2009; vgl. Ostendorf: Strafprozessrecht, Rn. 483. 4  BT-Drucks. 16 / 11736, S.  1. 5  Siehe dazu die Stellungnahme 58  / 2012 des Deutschen Anwaltvereins, S. 24; siehe auch Heller: Das Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren, S. 328; Ostendorf Strafprozessrecht, Rn. 485; ders. ZIS 2013, 172, 176. 6  Siehe Streng, in: NK-StGB, § 46b Rn. 3. 2  Vgl.



B. Reformkonzept: „Bändigung“ des entfesselten Kronzeugen 347

praeter legem geschaffen.7 Anders als beim Verständigungsgesetz ging es ausweislich der Gesetzesbegründung jedoch nicht darum, Bedenken gegen die bestehende Justizpraxis durch klare Vorgaben einzudämmen. Vielmehr diente § 46b StGB der Schaffung eines zusätzlichen Anreizes, der Zeugen vermehrt zur Kooperation mit den Strafverfolgungsbehörden motivieren, die Kronzeugenpraxis also gerade ausweiten sollte. Während der Gesetzgeber also zumindest den Versuch einer „Bändigung der Verständigung“8 wagte, wurde der Kronzeuge ganz gezielt „von der Kette gelassen“. Die vom Gesetzgeber erhoffte und von Teilen der Literatur befürchtete Breitenwirkung blieb trotz dieser Entfesselung jedoch aus. In Anbetracht der dogmatischen Bedenken und des geringen praktischen Nutzens läge eigentlich die Aufhebung der Regelung nahe. Gleichwohl ist zu bezweifeln, ob dem Strafprozess durch eine ersatzlose Streichung der allgemeinen Kronzeugenregelung langfristig gedient wäre. So hat die Vergangenheit gezeigt, dass der „große Untote der Rechtspolitik“9, kaum zu Grabe getragen, immer wieder aufersteht. So trat die letzte „große“ Kronzeugenregelung erst nach Scheitern des dritten Verlängerungsversuches außer Kraft. Auch danach verging kaum ein Jahr ohne Bestrebungen, das Phänomen erneut aufleben zu lassen.10 Die Annahme, man könne mit der Aufhebung des § 46b StGB eine dauerhafte Verbannung der Aufklärungs- und Präventionshilfe erreichen, erscheint daher illusorisch.11 Statt eines Verbots müssen somit Regulative gefunden werden, die den entfesselten Kronzeugen in prozessuale und verfassungsrechtliche Schranken weisen.12 Eine gesetzliche Verankerung der Problematik ist folglich zu begrüßen, soweit damit einer informellen Praxis, etwa der schleichenden Ausdehnung des § 154 StPO, vorgebeugt wird. Insoweit ist die eingangs erwähnte Einschätzung von Beccaria aus dem Jahr 1764 („Mir will scheinen, daß ein allgemeines Gesetz, das jedem Mittäter, der ein Verbrechen aufdeckt, Straflosigkeit verspräche, einer besonderen Erklärung in einem einzelnen Falle vorzuziehen sei …“) auch heute noch aktuell. Lehnt man § 46b StGB in seiner derzeitigen Form ab, muss man sich die Frage gefallen lassen, wie eine Regelung stattdessen aussehen sollte, um einer gesetzlichen „Bändigung“ des Kronzeugenmodells näher zu kommen. Nach den Ergebnissen der Untersuchung sind insbesondere folgende Änderungsvorschläge zu machen: 7  Volk

NJW 1996, 879, 881; Streng, in: NK-StGB, § 46b Rn. 3. BlnAnwBl 2009, 61 ff. 9  Bittner, in: Die Zeit vom 11.3.2004 sowie vom 27.10.2005. 10  Siehe hierzu 1. Teil A. III. 11  Vgl. auch König StV 2012, 113, 115 „Der Kronzeuge ist aber aus dem Strafverfahren nicht mehr zu vertreiben“. 12  Zu diesem Ergebnis gelangt auch König StV 2012, 113, 115. 8  König

348

8. Teil: Abschließende Erörterung

Zunächst ist die Einführung eines Konnexitätserfordernisses zu begrüßen. Zwar lässt sich auch hiermit keine Schuldrelevanz der Kronzeugenhandlung begründen, jedoch wird eine Vielzahl möglicher Konstellationen aus dem Anwendungsbereich ausgeschlossen, in denen die Anwendung der Kronzeugenregelung dem Rechtsbewusstsein der Bevölkerung erheblichen Schaden zufügen würde. Die Bedenken vor dem Hintergrund des Schuldprinzips werden gemindert, da im konkreten Einzelfall mit höherer Wahrscheinlichkeit andere schuld- oder präventionsrelevante Aspekte für eine Strafmilderung angeführt werden können. Somit handelt sich um einen Schritt in die richtige Richtung, der jedoch bei weitem nicht ausreicht, um sämtliche Bedenken auszuräumen. Darüber hinaus ist die Präklusionsbestimmung in § 46b Abs. 3 StGB zu streichen. Die zeitliche Ausschlussfrist hat kaum zur Vermeidung verfahrensrechtlicher Schwierigkeiten beigetragen, insbesondere hat sie aufwändige Beweiserhebungen zum zwischenzeitlichen Eintritt eines Aufklärungserfolges nicht entbehrlich gemacht. Vielmehr steigt die Gefahr informeller Absprachen, wenn die Leistung des Ermittlungsgehilfen im „Kronzeugendeal“ außerhalb der öffentlichen Hauptverhandlung erbracht werden muss. Zudem verschließt der Gesetzgeber eine wichtige Erkenntnisquelle; denn oftmals entsteht der Wunsch nach einer Zusammenarbeit erst unter dem Eindruck der Hauptverhandlung. So jedoch lässt die Vorleistungspflicht des Kronzeugen eine Zusammenarbeit mit der Strafjustiz insgesamt weniger attraktiv erscheinen. Die starre Regelung führt dazu, dass verspätete Angaben selbst dann nicht mehr im Wege einer Strafrahmenverschiebung honoriert werden können, wenn sie von überragendem Wert sind und ihre Überprüfung in der Hauptverhandlung ohne größeren Aufwand möglich wäre. Dies kann insbesondere in Fällen der absoluten Strafandrohung des § 211 StGB unverhältnismäßig sein, in denen § 46b StGB überhaupt erst die Möglichkeit einer Strafmilderung begründet hätte. Außerdem ist die Anhebung und Ausweitung der Strafandrohung in § 145d Abs. 3 und 4 StGB sowie § 164 Abs. 3 StGB wieder aufzuheben. Zur Vermeidung von Falschaussagen sind diese Vorschriften nicht geeignet. Darüber hinaus können sie sogar schädlich sein, wenn die Angst vor einer weiteren Strafverfolgung den Kronzeugen dazu veranlasst, an seinen unwahren Angaben festzuhalten. Der Versuch, die dem rechtskräftig verurteilten Kronzeugen bei einer bestimmten Tat zu Unrecht gewährte Strafmilderung dadurch zu kompensieren, dass bei der Verurteilung wegen eines Delikts gem. §§ 145d, 164 StGB ein höherer Strafrahmen herangezogen wird, ist aus strafrechtssystematischer Sicht nicht überzeugend. Um nach Möglichkeit zu verhindern, dass es auf der Grundlage falscher Anschuldigungen zu Fehlurteilen kommt, empfiehlt sich die Ergänzung ei-



B. Reformkonzept: „Bändigung“ des entfesselten Kronzeugen 349

ner Beweisregel, wonach die Kronzeugenangaben in Anlehnung an die Rechtsprechung zum Zeugen vom Hörensagen regelmäßig durch weitere Beweismittel erhärtet sein müssen, ehe eine Verurteilung auf sie gestützt werden darf. Wenn der Staat eine Belohnung für belastende Aussagen aussetzt, liegt das Risiko von Falschaussagen auf der Hand. Im Interesse der Wahrheitsfindung kann der Aussage des Kronzeugen hinsichtlich der Verurteilung Dritter daher grundsätzlich nur eine unterstützende Funktion zukommen. In Anbetracht der „hausgemachten“ spezifischen Missbrauchsgefahr erscheint die damit verbundene Einschränkung der freien Beweiswürdigung vertretbar. Demgegenüber stieße die Schaffung eines speziellen Wiederaufnahmegrundes zulasten des Angeklagten auf ähnliche Bedenken wie die Anhebung und Ausweitung der Strafandrohung in §§ 145d, 164 StGB. Eine Überlegung wert ist hingegen die Ergänzung des § 260 Abs. 4 StPO um eine Bestimmung, wonach bei Anwendung der Kronzeugenregelung im Urteil auch diejenige Strafe festzusetzen ist, die ohne Anwendung des § 46b StGB verwirkt wäre. Dies hätte den Vorteil, dass der „Handel“ mit dem Kronzeugen transparent gemacht und damit dem Vorwurf informeller Absprachen bzw. mangelnder Öffentlichkeit vorgebeugt würde. Möglicherweise würde auch die Akzeptanz des Urteils gefördert, soweit erkennbar wäre, inwieweit eine als zu milde empfundene Bestrafung des Ermittlungsgehilfen auf dessen Kronzeugenaussage oder auf andere Erwägungen zurückzuführen ist. Gestrichen werden muss außerdem die Beschränkung des Anwendungsbereichs auf Kronzeugentaten aus dem Bereich der mittleren und schweren Kriminalität. Die damit verbundene Benachteiligung von Tätern der einfachen Kriminalität ist unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten unverhältnismäßig. Zwar verfügt § 46b StGB bereits über einen außergewöhnlich weiten Anwendungsbereich. Die Schwere der Anlasstat ist jedoch, wie sich sogar der Gesetzgeber grundsätzlich eingesteht,13 kein geeignetes Kriterium, von dem die Möglichkeit einer Honorierung generell abhängig gemacht werden könnte. Ganz im Gegenteil: Die Strafmilderung und das Absehen von Strafe lassen sich im Hinblick auf das durch § 46b StGB beeinträchtigte Le­ galitätsprinzip umso leichter rechtfertigen, je geringer das Unrecht der Anlasstat wiegt. Eine grundsätzlich zu befürwortende Einschränkung des ­ Anwendungsbereichs zur Schonung des Legalitätsprinzips kann daher nur an anderer Stelle erfolgen. Ein denkbarer Ansatzpunkt wäre hier der Bezugstatenkatalog. So ließe sich stattdessen etwa der Verweis auf § 100a Abs. 2 StPO dahingehend beschränken, dass er zukünftig diejenigen Delikte ausklammert, die selbst nicht mit im Mindestmaß erhöhter oder lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht sind. Denn auch die Entstehung eines „allge13  BT-Drucks.

16 / 6268, S.  10.

350

8. Teil: Abschließende Erörterung

meinen Denunziantentums“14 würde letztlich weniger dadurch gefördert, dass Kleinkriminelle ihr Wissen über schwere Straftaten offenbaren, sondern vielmehr durch den umgekehrten Fall, dass selbst für das Aufzeigen von leichteren Delikten Strafmilderungen gewährt werden können. Das vollständige Absehen von Strafe gem. § 46b Abs. 1 S. 4 StGB bedeutet einen schwerwiegenden Eingriff in das Legalitätsprinzip. Soweit damit gem. § 153b StPO ein vorzeitiges Absehen von der Strafverfolgung ermöglicht wird, begünstigt dies eine Vorverlagerung der wesentlichen Verfahrensfragen in das nicht-öffentliche Ermittlungsverfahren. Angesichts der ohnehin geringen praktischen Bedeutung stellt sich daher die Frage, ob die zweite Rechtsfolgenalternative des § 46b StGB überhaupt benötigt wird. Schließlich sollte nicht dem Zufall überlassen werden, ob und inwieweit ein Beschuldigter über § 46b StGB belehrt wird. § 136 StPO ist daher um eine Bestimmung zu ergänzen, wonach potenzielle Kronzeugen in geeigneten Fällen nicht nur über die Möglichkeit zur strafmildernden Berücksichtigung von Wissensoffenbarungen gem. § 46b StGB, sondern auch über die Risiken einer Aussage belehrt werden müssen.15 Von einem geeigneten Fall ist auszugehen, wenn der Beschuldigte einer erfassten Anlasstat verdächtigt wird und sich bereits abzeichnet, etwa aufgrund der Verstrickung in ein kriminelles Umfeld, dass er über Kenntnisse hinsichtlich einer relevanten Bezugstat verfügen könnte. Eine Belehrung sollte mit dem obligatorischen Hinweis auf den Ermessensspielraum und die alleinige Entscheidungskompetenz des Gerichts verbunden sein. Außerdem darf der Beschuldigte nicht im Unklaren darüber gelassen werden, dass selbstbelastende Angaben im Zuge einer Kronzeugenaussage selbst dann gegen ihn verwendet werden können, wenn das Gericht letztlich von einer Strafmilderung absieht.16 Soweit an der ausgeweiteten und erhöhten Strafandrohung festgehalten wird, hat auch ein entsprechender Hinweis auf die §§ 145d Abs. 3 und 4, 164 Abs. 3 StGB zu erfolgen. Ist die Belehrung dagegen unvollständig oder werden bewusst falsche Erwartungen geweckt, muss dies regelmäßig die Unverwertbarkeit der Angaben zur Folge haben. Durch Umsetzung dieser Änderungsvorschläge würde die Kronzeugenproblematik reguliert und zugleich ein wichtiger Beitrag zum Schutz rechtsstaatlicher Prinzipien sowie des allgemeinen Gerechtigkeitsempfindens geleistet. Eine so reformierte Kronzeugenregelung müsste jedoch erneut einem Praxistest unterzogen werden.

14  Siehe

hierzu 6. Teil A II 3. BR-Drucks. 896 / 02, S. 9. 16  Vgl. auch Jeßberger: Kooperation und Strafzumessung, S. 327. 15  Vgl.

Anhang: Fragebogen A. Angaben zu Ihrer Person Welcher Berufsgruppe gehören Sie an?

 Richter  Staatsanwalt  Strafverteidiger Wie viele Jahre Berufserfahrung haben Sie in Ihrer jetzigen Stelle?

B. Anwendung des § 46b StGB in der Praxis In wie viel Prozent der Fälle mit geeigneten Anlasstaten (= eine mit im Mindestmaß erhöhter oder lebenslanger Freiheitsstrafe bedrohte Tat) kommt es zu einer Anwendung des § 46b StGB (Schätzung) 0 %

0–9 %

10–25 %

26–50 %

51–75 %

76–100 %













In welchen Bereichen wird § 46b StGB nach Ihrer Erfahrung  /  Einschätzung überwiegend angewandt? (Mehrfachankreuzungen möglich)

         

Eigentums- und Vermögensdelikte Gewaltdelikte Sexualdelikte Umweltdelikte Wirtschaftsdelikte Korruption Organisierte Kriminalität Terrorismus Betäubungsmitteldelikte (anstelle von § 31 BtMG) Sonstige (bitte angeben):

352 Anhang Haben Sie bereits eigene Erfahrungen mit § 46b StGB gemacht? Wenn ja, in welchen der oben genannten Bereiche? (soweit bekannt, bitte auch das Aktenzeichen nennen)

 Ja, in Fällen, in den folgenden Bereichen (bitte Anzahl und Bereiche angeben)

 Nein Wie beurteilen Sie die praktische Bedeutung, die § 46b StGB für das Strafverfahren erlangt hat? hoch

eher hoch

mittel

eher gering

gering

keine













Können sie dafür mögliche Gründe nennen?

Wer stößt nach ihrer Erfahrung / Einschätzung die Anwendung der Kronzeugenregelung in geeigneten Fällen üblicherweise an?

 Beschuldigter  Verteidiger  Richter  Staatsanwaltschaft  Polizei In wie viel Prozent der Anwendungsfälle von § 46b StGB wird gänzlich von Strafe abgesehen? (Schätzung) 0 %

0–9 %

10–25 %

26–50 %

51–75 %

76–100 %













In wie viel Prozent der Anwendungsfälle von § 46b StGB handelt es sich um einen Fall der Präventionshilfe gem. § 46b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StGB? (Schätzung) 0 %

0–9 %

10–25 %

26–50 %

51–75 %

76–100 %













Anhang353 Sollte § 46b StGB auch im Jugendstrafverfahren unmittelbar Anwendung finden?

 Ja  Nein  Nein, aber die Strafe muss in vergleichbaren Fällen entsprechend milder ausfallen

Besteht in Deutschland derzeit generell oder in bestimmten, von § 46b StGB erfassten Deliktsbereichen ein „Ermittlungsnotstand“?

 Ja (ggf. Bereiche angeben)  Nein Besteht generell ein praktisches Bedürfnis für eine allgemeine Kronzeugenregelung?

 Ja  Nein C. Auswirkungen des § 46b StGB Wer profitiert nach Ihrer Einschätzung am meisten von der Kronzeugenregelung? (Mehrfachnennungen möglich)

 Beschuldigte / Angeschuldigte / Angeklagte  Verteidiger  Richter  Staatsanwaltschaft  Polizei  Alle Verfahrensbeteiligten gleichermaßen  Niemand Hat § 46b StGB die Arbeit der Strafverfolgungsbehörden bzw. der Justiz spürbar erleichtert oder verbessert? erleichtert

kein Einfluss

erschwert







354 Anhang Kommt es infolge der Anwendung der Kronzeugenregelung zu schuldunangemessenen Strafen und damit zu einem Verstoß gegen das Schuldprinzip?

 Ja  Nein Halten Sie es für bedenklich, dass zwischen der vom Kronzeugen offenbarten und seiner eigenen Straftat kein Zusammenhang bestehen muss?

 Ja  Nein Schadet die Anwendung von § 46b StGB dem Rechtsbewusstsein der Bevölkerung (i. S. positiver Generalprävention)?

 Ja  Nein Schreckt das durch § 46b StGB erhöhte Entdeckungsrisiko andere Straftäter ab (i. S. negativer Generalprävention)?

 Ja  Nein Ist beim Kronzeugen infolge seiner Bereitschaft zur Kooperation mit den Strafverfolgungsbehörden von einer geringeren Rückfallgefahr auszugehen (i. S. positiver Spezialprävention)?

 Ja  Nein Verringert die Anwendung von § 46b StGB die Abschreckungswirkung des Urteils (i. S. negativer Spezialprävention)?

 Ja  Nein

Anhang355 D. Wahrheitsermittlung und Missbrauchsrisiken Wird nach Ihrer Auffassung die Wahrheitsermittlung durch § 46b StGB erleichtert oder erschwert? erleichtert

kein Einfluss

erschwert







Wie hoch schätzen Sie das Risiko eines Missbrauchs der Kronzeugenregelung durch Falschbelastungen ein? hoch

eher hoch

mittel

eher gering

gering

keines













Halten Sie die Vorkehrungen des Gesetzgebers (Anhebung und Ausweitung der Strafandrohungen in §§ 145d, 164 StGB; Präklusion von Offenbarungen nach Erlass des Eröffnungsbeschlusses § 46b Abs. 3 StGB) für ausreichend, um ­einem Missbrauch des § 46b StGB durch Falschaussagen vorzubeugen?

 Ausreichend  Nicht ausreichend E. Thesen zu § 46b StGB Die Aussage eines Kronzeugen ist aufgrund des erhöhten Anreizes für Falschbelastungen nur von geringem Beweiswert. trifft zu

trifft eher zu

weiß ich nicht

trifft eher nicht zu

trifft nicht zu











Die erhöhte Strafandrohung in §§ 164 Abs. 3, 145d Abs. 3 StGB ist geeignet, Falschaussagen zur Erlangung der Vorteile des § 46b StGB zu verhindern. trifft zu

trifft eher zu

weiß ich nicht

trifft eher nicht zu

trifft nicht zu











356 Anhang Die hohe Strafandrohung in §§ 145d Abs. 3, 164 Abs. 3 StGB verleitet Kronzeugen, auch im Verfahren gegen den durch ihn Belasteten an seinen einmal gemachten unwahren Angaben festzuhalten. trifft zu

trifft eher zu

weiß ich nicht

trifft eher nicht zu

trifft nicht zu











Der Katalog in § 100a Abs. 2 StPO enthält konspirativ geprägte Delikte, bei denen tendenziell ein besonderes Ermittlungsdefizit zu beklagen ist. trifft zu

trifft eher zu

weiß ich nicht

trifft eher nicht zu

trifft nicht zu











Bestimmte Taten rechtfertigen schon aufgrund ihrer besonderen Schwere ein Eingreifen der Kronzeugenregelung. trifft zu

trifft eher zu

weiß ich nicht

trifft eher nicht zu

trifft nicht zu











Täter bestimmter (schwerer) Straftaten, z. B. von Sexualdelikten gem. § 176a StGB, sollten keine mildere Strafe gem. § 46b StGB erhalten können. trifft zu

trifft eher zu

weiß ich nicht

trifft eher nicht zu

trifft nicht zu











Bereichsspezifische „kleine“ Kronzeugenregelungen reichen nicht, da poten­ zielle Kronzeugen häufig auch Taten aus anderen Deliktsbereichen begehen. trifft zu

trifft eher zu

weiß ich nicht

trifft eher nicht zu

trifft nicht zu











Der „Ankauf“ von Kronzeugenaussagen ist unmoralisch. trifft zu

trifft eher zu

weiß ich nicht

trifft eher nicht zu

trifft nicht zu











Anhang357 § 46b StGB schränkt das Legalitätsprinzip unverhältnismäßig ein. trifft zu

trifft eher zu

weiß ich nicht

trifft eher nicht zu

trifft nicht zu











§ 46b Abs. 1 Nr. 2 StGB führt zu Wertungswidersprüchen mit § 138 StGB, wenn ein Täter für die Offenbarung von Taten eine mildere Strafe erhält, zu deren Anzeige er ohnehin unter Strafandrohung verpflichtet wäre. trifft zu

trifft eher zu

weiß ich nicht

trifft eher nicht zu

trifft nicht zu











Zunächst angedeutete, dann aber zurückgezogene Ermittlungshilfe könnte sich im Urteil nachteilig auswirken. trifft zu

trifft eher zu

weiß ich nicht

trifft eher nicht zu

trifft nicht zu











§ 46b StGB ist überflüssig, da sich sein Zweck auch mit anderen Rechtsinstituten verwirklichen lässt. trifft zu

trifft eher zu

weiß ich nicht

trifft eher nicht zu

trifft nicht zu











§ 46b Abs. 3 StGB führt zu einer Verlagerung des Verfahrensschwerpunktes in das Ermittlungsverfahren und entwertet die öffentliche und protokollierte Hauptverhandlung. trifft zu

trifft eher zu

weiß ich nicht

trifft eher nicht zu

trifft nicht zu











358 Anhang § 46b StGB ist für den Beschuldigten wenig reizvoll, da der Kronzeuge in Vorleistung treten muss, ohne dass ihm eine Strafmilderung verbindlich zugesagt werden kann. trifft zu

trifft eher zu

weiß ich nicht

trifft eher nicht zu

trifft nicht zu











Straftäter aus dem Bereich des Terrorismus sind Überzeugungstäter und daher ungeeignete Adressaten einer Kronzeugenregelung. trifft zu

trifft eher zu

weiß ich nicht

trifft eher nicht zu

trifft nicht zu











§ 46b StGB ist unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten bedenklich. trifft zu

trifft eher zu

weiß ich nicht

trifft eher nicht zu

trifft nicht zu











Die Normierung einer Regelung zur Belohnung der Aufklärungs- und Präventionshilfe lenkt die diesbezügliche Absprachenpraxis in geordnete Bahnen. trifft zu

trifft eher zu

weiß ich nicht

trifft eher nicht zu

trifft nicht zu











Die Kronzeugenregelung in § 46b StGB hat sich bewährt. trifft zu

trifft eher zu

weiß ich nicht

trifft eher nicht zu

trifft nicht zu











Anhang359 F. Reformüberlegungen Sollte § 46b StGB anstelle des pauschalen Verweises auf § 100a Abs. 2 StPO einen eigenen Deliktskatalog erhalten bzw. der Verweis auf § 100a Abs. 2 StPO modifiziert werden? Wenn ja, welche Straftatbestände sollten zusätzlich aufgenommen bzw. herausgenommen werden?

 Ja, folgende Delikte sind (bitte angeben) – aufzunehmen: – herauszunehmen:

 Nein Halten Sie die Aufnahme einer Bestimmung in § 362 StPO (Wiederaufnahme zuungunsten des Angeklagten) für sinnvoll, wonach das Verfahren zulasten des Kronzeugen wieder aufgenommen werden kann, wenn sich seine Aussage im Nachhinein als unwahr herausstellen sollte?

 Ja  Nein Halten Sie die Einführung einer Beweisregel für sinnvoll, wonach allein auf die Angaben eines Kronzeugen keine Verurteilung gestützt werden darf (sog. corroboration-Erfordernis)?

 Ja  Nein Halten Sie die Aufnahme einer Bestimmung in § 260 StPO für sinnvoll, wonach bei Anwendung der Kronzeugenregelung im Urteil auch diejenige Strafe anzugeben ist, die ohne Anwendung der Kronzeugenregelung verwirkt wäre, um so den erlangten Vorteil transparent zu machen?

 Ja  Nein Sollte die zeitliche Begrenzung für Offenbarungen des Kronzeugen auf das Ermittlungs- und Zwischenverfahren in § 46b Abs. 3 StGB gestrichen werden?

 Ja  Nein

360 Anhang Sollte die Ausweitung und Anhebung der Strafandrohungen in §§ 145d Abs. 3 und 4, 164 Abs. 3 StGB, wonach der Täter regelmäßig schwerer bestraft wird, wenn er in der Absicht handelte, die Vorteile nach § 46b StGB oder § 31 BtMG zu erlangen, wieder abgeschafft werden?

 Ja  Nein Sollte die Belohnung einer Kronzeugenaussage als eine für beide Seiten verbindliche Absprache ausgestaltet werden?

 Ja  Nein Sollte der Gesetzgeber eine Belehrungspflicht der Ermittlungsbehörden im Hinblick auf § 46b StGB regeln?

 Ja  Nein Ein Referentenentwurf vom 12.5.2011 sieht vor, den Anwendungsbereich des § 46b StGB dahingehend einzuschränken, dass ein „Zusammenhang“ bestehen muss zwischen der Tat des Kronzeugen und der Tat, zu der Aufklärungs- bzw. Präventionshilfe geleistet wird. Halten sie diese Änderung für sinnvoll?

 Ja  Nein Halten sie diese Änderung für ausreichend, um sämtliche Bedenken gegen § 46b StGB auszuräumen?

 Ja  Nein Wie sollte der Gesetzgeber mit § 46b StGB verfahren?

 § 46b StGB unverändert beibehalten  § 46b StGB ersatzlos streichen  § 46b StGB modifizieren (Vorschläge ggf. angeben):

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Sachwortverzeichnis Abgesicherte Erkenntnisse  53 f., 64 Absehen von Strafe  85 f. Altfälle  114 ff., 123 Anfechtung der Entscheidung  111 ff. Anklageerhebung  109 ff., 131, 169 Anlasstat  33 ff. Aufdecken  50 ff. Aufklärungserfolg  50 ff. Aufklärungshilfe  50 ff. Aufklärungspflicht des Gerichts  65 ff., 112, 233 ff. Auskunftsverweigerungsrecht  44, 141, 143 ff., 250, 267, 343 f. Aussagepflicht als Zeuge  140 ff. Bändigung des entfesselten Kronzeugen  346 ff. Bekanntheitsgrad  298 f. Besonders schwerer Fall  95 f. Bestimmtheitsgrundsatz  273 ff. Betäubungsmitteldelikte  121 ff., 293 Beweisanträge  68 ff. Beweiswürdigung  63 ff., 149 f., 261 ff. Bezugstat  36 ff. Corroboration  263 ff., 337 Deal  128 ff., 237, 299 Dienststelle  72 f. Doppelbestrafungsverbot  143, 251 Eigener Tatbeitrag  60 ff. Einschätzungszuständigkeit  38 f., 63 f. Einstellung des Verfahren  109 ff., 136 ff., 176 ff. Ermessensausübung  87 ff., 276 ff. Ermittlungsnotstand  185 ff., 305 ff.

Europarecht  30 f. Externer Kronzeuge  20 f. Freiwilligkeit  43 ff. Funktionsfähigkeit der Strafrechtspflege  147, 167 ff. Gefährdung des Kronzeugen  145 ff., 301 f. Gegenstand der Ermittlungshilfe  36 ff., 197 f. Geheimnisoffenbarung  113 f. Geldwäsche  118 f., 187 Generalprävention – negative  227 f. – positive  221 ff. Gesamtstrafenbildung  91 ff. Geständnis  42, 53, 60 ff., 100 Gleichheitsgrundsatz  193 ff. In dubio pro reo  64 f., 69, 239 Indizkonstruktion  209 f. Interner Kronzeuge  20 Jugendstrafrecht  157 ff. Katalogtat  36 ff., 197 f., 328 ff., 335 f. Kompensationsfunktion  250 ff. Konnexität  46 ff., 323 ff. Legalitätsprinzip  167 ff. Minder schwerer Fall  93 ff. Missbrauchsgefahr  238 ff., 317 ff. Mündlichkeitsgrundsatz  270 ff. Nachtatverhalten  79, 97 ff., 180 f. Ne bis in idem  143, 251

378 Sachwortverzeichnis Nemo-Tenetur-Grundsatz  279 ff. Nichtanzeige geplanter Straftaten  44, 72 f., 124 ff.

Strafvollstreckung  104 ff. Strafzumessung im engeren Sinn  97 ff. Strafzumessungsschuld  207 ff.

Offenbarung  41 f. Öffentlichkeitsgrundsatz  270 ff. Opportunitätsprinzip  168 f. Organisierte Kriminalität  36 ff., 145, 172, 292

Tat von deren Begehung der Täter weiß  76 f. Täter-Opfer-Ausgleich  129, 160, 213, 226, 229 Tätige Reue  119 f., 123 f., 179, 213 ff. Terroristische Straftaten  25 f., 36 f., 172 f., 225, 291 f.

Plea bargaining  132 Polizei  134 ff. Präklusion  78 f., 202 ff., 236 ff., 279, 283, 320 f. Präventionsfunktion  247 ff. Präventionshilfe  71 ff. Rechtsfolgen  82 ff. Rechtsstaatsprinzip  167 ff. rechtzeitig  77 Rote Armee Fraktion  172 f. Rücktritt  213 ff. Schlechterstellung Jugendlicher und Heranwachsender  160 ff. Schuldangemessenheit  207 ff., 226 Schuldprinzip  206 ff., 313 Schuldrelevanz  209 ff. Schuldunterschreitung  216 ff. Schutzzweck der §§ 145d, 164 StGB  246 f. Schweigepflicht  113 f. Sicherungsverwahrung  127 f. Spezialprävention – Negative  221 – Positive  219 f. Spielraumtheorie  208 f. Staatsanwaltschaft  105 f., 136 ff. Strafaussetzung zur Bewährung  102 ff. Straferhöhung  107 f., 327 Strafmilderung  83 f. Strafrestaussetzung zur Bewährung  104 f.

Übergangsbestimmung  114 ff., 123 Überzeugungsbildung  64 f., 235, 264, 272 Unmittelbarkeitsgrundsatz  270 ff. Unrechtsgefälle  188 ff., 201 Unrechtsgehalt  188 ff., 252 ff. Untersuchungshaft  43, 139 f., 263 Urteilsgründe  108 f., 261 ff. Verbot der Schlechterstellung  160 ff. Verfassungskonforme Auslegung  190 Verfolgungszwang  167 ff. Verhältnis zu anderen Vorschriften  118 ff. Verhältnismäßigkeit  163, 183 ff., 196 ff. Verhinderung  73 ff. Verständigungsgesetz  128 ff., 272, 299 Vertypter Milderungsgrund  84, 157 ff., 161, 265 Verwirkungsstrafe  259 ff., 320, 337 Wahrheitsermittlung  230 ff., 317 ff. Wechsel im Aussageverhalten  56 ff., 88 f. Wesentlichkeit  54 ff. Willkürverbot  193 ff. Wissen des Täters  42 Zeitpunkt der Offenbarung  78 ff. Zeuge vom Hörensagen  149, 266 ff. Zeugenschutz  145 ff.