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German Pages 281 [282] Year 2023
Schriften zum Strafrecht Band 415
Die neuen §§ 113, 114, 115 StGB Eine Untersuchung dogmatischer Probleme und kriminalpolitischer Rationalitäten in Bezug auf die Novellierung des Widerstandsstrafrechts
Von
Sarah Sänger
Duncker & Humblot · Berlin
SARAH SÄNGER
Die neuen §§ 113, 114, 115 StGB
Schriften zum Strafrecht Band 415
Die neuen §§ 113, 114, 115 StGB Eine Untersuchung dogmatischer Probleme und kriminalpolitischer Rationalitäten in Bezug auf die Novellierung des Widerstandsstrafrechts
Von
Sarah Sänger
Duncker & Humblot · Berlin
Der Fachbereich Rechtswissenschaft der Philipps-Universität Marburg hat diese Arbeit im Jahre 2022 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
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ISSN 0558-9126 ISBN 978-3-428-18946-5 (Print) ISBN 978-3-428-58946-3 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
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Für meine Eltern und meine Schwester
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2022/2023 von der juristischen Fakultät der Philipps-Universität Marburg als Dissertation angenommen. Rechtsprechung und Literatur wurden im Wesentlichen bis April 2022 berücksichtigt. Mein besonderer Dank gilt meinem geschätzten Doktorvater Prof. Dr. Jens Puschke LL.M. (King’s College), der mit seinen wertvollen Anregungen wesentlich zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen hat. Er gewährte mir größte wissenschaftliche Freiheit und stand zugleich stets als konstruktiver Ansprechpartner zur Verfügung. Prof. Dr. Stefanie Bock danke ich für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens und die darin enthaltenen instruktiven Anmerkungen. Einen Bezug zum übrigen Lehrstuhlteam trotz externer Promotion erhielt ich durch Pascale Fett, der ich für ihre hilfreichen Denkanstöße und für die kritische Lektüre des Manuskripts danke. Meine Promotionszeit wurde auch durch die diese Arbeit begleitende Tätigkeit in verschiedenen Kanzleien geprägt. Ich bin dankbar, hierdurch die Gelegenheit erhalten zu haben, vielfältige Kontakte zu knüpfen und von inspirierenden Jurist:innen zu lernen. Ferner bin ich zahlreichen Freund:innen und Wegbegleiter:innen zum Dank verpflichtet, die mich während dieser Phase auf vielfältige Art und Weise motiviert haben. Besonders hervorheben möchte ich Tim Peter, von dem ich mir keine bessere Unterstützung hätte wünschen können. Aus ganzem Herzen danke ich schließlich meinen Eltern, Ingeborg und Dr. Stephan Sänger, sowie meiner Schwester Dr. Catharina Sänger, die eine unersetzliche Rolle in diesem Schaffensprozess eingenommen haben. Ohne ihren stetigen Rückhalt wäre diese Arbeit niemals verfasst worden. Ihnen ist sie gewidmet. Frankfurt, im Juli 2023
Sarah Alissa Sänger
Inhaltsverzeichnis A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Einführung und Problemskizzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Ausrichtung und Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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B. Zustand vor und seit der Novellierung im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Ausgewählte Problempunkte des Widerstands gegen die Staatsgewalt im historischen Rückblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtslage vor dem Bestehen eines eigenständigen Tatbestands . . . . . . . 2. Rechtslage seit dem Bestehen eines eigenständigen Tatbestands . . . . . . . a) Zeitraum bis zum Reichsstrafgesetzbuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Geschützte Personengruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Rechtliche Qualität der Amtshandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Geschütztes Rechtsgut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Tathandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Konkurrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zeitraum seit dem Reichsstrafgesetzbuch bis in das Jahr 2011 . . . . . . c) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Gesetzgebungsverfahren zum 52. Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches und durch die Vorgängerfassung geschaffene Ausgangssituation . . . 1. Gesellschaftlicher Kontext der Novellierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Neuere gesellschaftliche Entwicklungen mit Auswirkungen auf die Polizeiarbeit und das Polizei-Individuum-Verhältnis . . . . . . . . . . . . . . . b) Entwicklung der Kriminalitätsfurcht im Zeitraum um die Novellierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Kein zuverlässig nachgewiesener Gewaltanstieg gegenüber der Polizei in der Zeit vor der Novellierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gesetzestext der §§ 113 ff. StGB seit der Novellierung . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zustandekommen und Gesetzgebungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ausgangspunkt: Die Vorgängerfassung aus dem Jahr 2011 . . . . . . . . . b) Aktuelle Fassung aus dem Jahr 2017 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Standpunkte der Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Bedeutung der Gewerkschaften der Polizei im Gesetzgebungsprozess 4. Wesentliche Kritikpunkte an der Vorgängerfassung und Zusammenhang zu den Kritikpunkten an der aktuellen Fassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Erhöhung des Strafrahmens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Geeignetheit und Angemessenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
21 21 21 24 24 25 28 31 32 34 35 39 41 42 43 49 51 54 55 55 57 59 60 62 62 62
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Inhaltsverzeichnis bb) Auswirkungen auf das dogmatische Verhältnis und die Konkurrenzen zur Nötigung nach § 240 StGB a. F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Erweiterung des Schutzbereichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Erweiterung der Regelbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
C. Dogmatische Probleme der aktuellen Gesetzeslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Schutzgüter der §§ 113 ff. StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Schutzgut des § 113 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) In Betracht kommende Schutzgüter und Gewichtung . . . . . . . . . . . . . . b) Erstarken des Kollektivrechtsgüterschutzes bei deutlicher Reduktion des Individualrechtsgüterschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Gesetzesbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Zwingende (Mit-)Betroffenheit von Individualrechtsgütern . . . . . cc) Regelbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Wortlaut: Festhalten an der Vollstreckungshandlung . . . . . . . . . . . ff) Zielrichtung des Widerstandleistens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . gg) Irrtumsregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . hh) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Schutzgut des § 114 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Keine Verfolgung eines doppelten Schutzzwecks . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Gesetzesbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Irrtumsregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Hohe Strafandrohung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Konkrete Ausgestaltung des Individualrechtsgüterschutzes . . . . . . . . . c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Schutzgut des § 115 Abs. 3 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Keine Verfolgung eines überindividuellen Schutzzwecks . . . . . . . . . . . b) Konkrete Ausgestaltung des Individualrechtsgüterschutzes . . . . . . . . . c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Erforderlichkeit einer (Neu-)Definition des tätlichen Angriffs . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines und bisherige (herrschende) Definition des tätlichen Angriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Abgrenzung zu ähnlichen Tathandlungen und Delikten . . . . . . . . . . . . . . . a) Abgrenzung zur Gewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Abgrenzung zur Gewalttätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Abgrenzung zur Körperverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
63 65 66 68 70 70 71 73 77 77 78 79 79 79 80 81 81 81 82 84 86 86 87 88 88 94 95 95 96 99 99 100 101 102 102 106 106
Inhaltsverzeichnis 3. Auslegungsmöglichkeiten des Merkmals „tätlicher Angriff“ . . . . . . . . . . a) Meinungen in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Darstellung anhand von Fallgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Schreckschüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Drohend erhobene Hand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Ausholen zum Schlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Anrempeln, Schubsen und leichte Schläge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Ein- und Aussperren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Kontakt mit Körperflüssigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Auslegung und Argumentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Wortlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Historie und Telos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Schlussfolgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Konsequenzen der Novellierung für das Konkurrenzverhältnis . . . . . . . . . . . 1. Verhältnis § 113 StGB zu § 114 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Spezialität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Konsumtion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Subsidiarität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Tateinheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verhältnis §§ 115 Abs. 3 S. 1, 113 StGB zu §§ 115 Abs. 3 S. 2, 114 StGB 3. Verhältnis §§ 113, 114 StGB zu § 115 Abs. 3 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Verhältnis §§ 113 ff. StGB zu § 240 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Endgültige Entfernung vom Privilegierungsgedanken . . . . . . . . . . . . . b) Konkurrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Verhältnis § 113 StGB zu § 240 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Auswirkungen auf die Thematik der Sperrwirkung . . . . . . . . . . . . cc) Verhältnis § 114 StGB zu § 240 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Verhältnis § 115 StGB zu § 240 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) § 115 Abs. 3 S. 1 StGB zu § 240 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) § 115 Abs. 3 S. 2 StGB zu § 240 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Verhältnis §§ 113 ff. StGB zu §§ 223 ff. StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verhältnis §§ 113, 114 StGB zu § 223 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verhältnis §§ 113, 114 StGB zu §§ 223, 22, 23 Abs. 1 StGB . . . . . . . aa) Verhältnis § 113 StGB zu §§ 223, 22, 23 Abs. 1 StGB . . . . . . . . . bb) Verhältnis § 114 StGB zu §§ 223, 22, 23 Abs. 1 StGB . . . . . . . . . c) Verhältnis §§ 113, 114 StGB zu §§ 224, 226 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . d) Verhältnis §§ 113, 114 StGB zu §§ 224, 226, 22, 23 Abs. 1 StGB . . . 6. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11 107 108 110 111 111 112 112 113 113 114 114 117 118 120 121 122 123 126 127 128 128 129 131 131 132 132 135 136 137 138 139 140 140 140 141 142 143 144 144
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Inhaltsverzeichnis IV. Veränderungen innerhalb der Regelbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. § 113 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 StGB: Beisichführen einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Hintergrund der Änderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Erhöhte Gefahr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Vergleichbarkeit mit dem Diebstahl mit Waffen . . . . . . . . . . . . . . . cc) Unbenannter Grund: Beseitigung von Beweisproblemen . . . . . . . . c) Kritikpunkt Nr. 1: Wertungswidersprüche im Strafmaß . . . . . . . . . . . . . aa) Allgemeiner Vergleich mit anderen Regelbeispielen und mit Qualifikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Vergleich mit § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB im Besonderen . . . . . . . . . d) Kritikpunkt Nr. 2: Übertragung der Auslegungsprobleme aus § 244 Abs. 1 Nr. 1a StGB und § 250 Abs. 1 Nr. 1a StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Lösungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. § 113 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 StGB: Gemeinschaftliche Tatbegehung . . . . . . . . a) Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gesetzesbegründung und Kritikpunkt Nr. 1: Vermeintlich erhöhte Gefahr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Zur Gefährlichkeit gemeinschaftlicher Angriffe im Allgemeinen bb) Zur Gefährlichkeit gemeinschaftlicher Angriffe im Rahmen der §§ 113, 114 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Steigerung der Gefährlichkeit grundsätzlich möglich . . . . . . . (2) Keine vergleichbare Steigerung der Gefährlichkeit wie bei Konfliktsituationen zwischen Durchschnittsindividuen . . . . . . c) Kritikpunkt Nr. 2: Wertungswidersprüche im Strafmaß . . . . . . . . . . . . . aa) Vergleich mit anderen Delikten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Beweisprobleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Sonstige Kritikpunkte an dem Regelbeispiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Bewertung des Alternativvorschlags des saarländischen Gesetzesentwurfs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Quälen oder rohes Misshandeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Herbeiführen einer dauerhaften Dienstunfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Bedenken am geschützten Personenkreis im Hinblick auf das allgemeine Gleichbehandlungsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bedenken hinsichtlich der aktuellen Gesetzesfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bedenken an der Alternativlösung des saarländischen Gesetzesentwurfs 3. Bedenken an der Alternativlösung des hessischen Gesetzesentwurfs . . . .
145 145 145 146 146 148 149 149 149 151 152 152 152 154 155 155 157 158 159 159 160 162 162 163 164 164 165 165 167 168 169 171 173
Inhaltsverzeichnis
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VI. Systematische Defizite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Strafmaß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vergleich mit Tatbeständen außerhalb und innerhalb der Widerstandsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vergleich mit den vorangegangenen Gesetzesentwürfen . . . . . . . . . . . . aa) Hessischer Gesetzesentwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Saarländischer Gesetzesentwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtmäßigkeitserfordernis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Systematische Bedenken hinsichtlich des neuen § 115 StGB . . . . . . . . . . 4. Alternativlösungen aufgrund systematischer Bedenken hinsichtlich § 114 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Alternative: Verortung des tätlichen Angriffs an einer anderen Stelle des Strafgesetzbuches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Alternative: Streichung des tätlichen Angriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Auflösung des Bezugs zur Vollstreckungshandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Systematische Folgeprobleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Alternativlösungen aus dem hessischen und dem saarländischen Gesetzesentwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Tatbestandsmerkmal „in Beziehung auf den Dienst“ . . . . . . . . . . . bb) Tatbestandsmerkmal „in Beziehung auf den Dienst oder während der Dienstausübung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Alternative: Vollstreckungsbezug insgesamt aufheben . . . . . . . . . . . . . d) Alternative: Tätlicher Angriff als besonders schwerer Fall des Widerstands im Falle einer Vollstreckungshandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
174 175
D. Bewertung: Zur Rationalität der Gesetzesänderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Anforderungen an ein rationales Gesetz und Kriterien „guter Gesetzgebung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Legislative Rationalität symbolischer Gesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Definition symbolischen Strafrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einordnung des 52. Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches als symbolisches Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ineffektivität bei der Verbesserung des Schutzes von Vollstreckungspersonen und Rettungskräften gegen Gewaltdelikte . . . . . . . . . . . . . . . b) Solidaritätsbekundung statt Auseinandersetzung mit zu Grunde liegenden Problemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Zufriedenheits- und Gesundheitszustand innerhalb der Polizei . . (1) Vorgehen und Erschwernisse der Datenerfassung . . . . . . . . . . (2) Erkenntnisse ausgewählter Studien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Personalmangel als zentrale Ursache für Unzufriedenheit . . . . . . (1) Ursache Nr. 1: Erweitertes Aufgabenspektrum . . . . . . . . . . . .
195
175 177 177 178 180 182 183 184 185 186 187 187 188 190 191 192 193
195 199 200 201 201 202 205 205 206 212 212
14
Inhaltsverzeichnis (2) Ursache Nr. 2: Unzureichende Nachwuchsgewinnung . . . . . . (3) Ursache Nr. 3: Pensionierungswelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Annahme breiter Ablehnung in der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . dd) Irrelevanz des vermeintlichen Gewaltanstiegs für die Unzufriedenheit von Polizist:innen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Stärkere Sensibilisierung im Themenkomplex „Gewalt“ . . . . (2) Gewandeltes Verhältnis zwischen Individuum, Polizei und Staat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Präsenz der Thematik in den Medien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Kein maßgeblicher Zusammenhang zwischen Zufriedenheit und Gewaltanwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Einordnung des 52. Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches in Bezug auf dessen kriminalpolitische Rationalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zustimmung hervorrufend und vollzugstauglich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gesellschaftliches Stabilisierungspotential . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Stabilisierung durch Punitivität und Opferorientierung . . . . . . . . . bb) Ungeeignetheit zur Beeinflussung der Kriminalitätsfurcht . . . . . . (1) Determinante Nr. 1: Gesellschaftliche Krisensituationen . . . . (2) Determinante Nr. 2: Demografische Daten . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Gefahren symbolischer Normen im Bereich des Widerstandsstrafrechts . . . . 1. Verdrängung zu Grunde liegender Probleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verfestigung von Fehlvorstellungen in ohnehin verunsicherter Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Einseitige Diskursverschiebung zu Gunsten der Polizei . . . . . . . . . . . . . . . 4. Einbuße an staatlicher Autorität und Glaubwürdigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Totalitärer werdende Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Gefährdung des Demokratieprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Exkurs: Außerstrafrechtliche Alternativen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
213 215 216 219 219 221 223 225 226 227 227 229 229 231 231 232 234 236 236 237 238 240 242 243 245 248
E. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 I. Zusammenfassung in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 II. Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279
A. Einleitung I. Einführung und Problemskizzierung Schlichtweg unüberlegt und unnötig verkomplizierend 1, handwerklich schlecht 2, dogmatischer Unsinn3 – diese und andere ähnliche Beschreibungen sind in der einschlägigen Fachliteratur zur Novellierung der §§ 113 ff. StGB durch das 52. Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches4 anzutreffen. Mit dem am 23. Mai 2017 in Kraft getretenen Änderungsgesetz wurden die Vorschriften zum Widerstand gegen und tätlichen Angriff auf Vollstreckungspersonen5 bereits zum zweiten Mal innerhalb von sechs Jahren erheblich erweitert und verschärft.6 Durch die Änderungen sollte ein besserer Schutz von Vollstreckungspersonen und Rettungskräften erzielt werden, der aufgrund von zunehmenden Angriffen auf diese Berufsgruppen innerhalb der letzten Jahre für erforderlich erachtet wurde, so die Gesetzesbegründung.7 Der Grundtatbestand des § 113 Abs. 1 StGB erfasst das Widerstandleisten mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt bei der Vornahme einer Vollstreckungshandlung von Amtsträger:innen und sanktioniert solche Tathandlungen auch nach der Novellierung weiterhin mit einem Strafrahmen von bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe oder Geldstrafe. Für die Ausübung von Gewalt im Sinne der Vorschrift ist eine durch tätiges Handeln erfolgte Kraftäußerung vonnöten, die gegen
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Kohler, IPK WPS, S. 37, 41. Schiemann, NJW 2017, 1846, 1849. 3 Puschke/Rienhoff, JZ 2017, 924, 931, zur Streichung der Verwendungsabsicht aus § 113 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 StGB. 4 Zweiundfünfzigstes Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches – Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften. Strafgesetzbuch vom 23.05. 2017, BGBl. I Nr. 44, S. 1226. 5 In dieser Arbeit wird bewusst gendergerechte Sprache verwendet. Um den Lesefluss nicht durch Genderzeichen oder die verschiedenen Artikel zu hemmen, werden als Alternativen zu den Begriffen „Vollstreckungsbeamter“ oder auch „Polizist“ überwiegend die Begriffe „Vollstreckungsperson“, „verbeamtete Person“, „(Polizei-)Bedienstete“ oder auch „Mitglied der Polizeibehörde(n)“ verwendet. Inhaltlich ergeben sich keine Unterschiede. 6 Dem 52. Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches ging das 44. Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches – Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte voraus. Strafgesetzbuch vom 04.11.2011, BGBl. I Nr. 55, S. 2130. 7 BT-Drs. 18/11161, S. 1. 2
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A. Einleitung
die Vollstreckungsperson gerichtet ist und mit der die Durchführung einer Vollstreckungsmaßnahme verhindert oder erschwert werden soll.8 Die maßgebliche Änderung liegt im neu geschaffenen § 114 StGB, der tätliche Angriffe auf Mitglieder der Polizei bei Diensthandlungen sanktioniert. Unter einem tätlichen Angriff wird seit einer Entscheidung aus dem Jahr 1882 jede mit feindseligem Willen unmittelbar auf den Körper zielende Einwirkung verstanden.9 Die neue Vorschrift entstand durch Herauslösung der Tatbegehungsform des tätlichen Angriffs aus § 113 StGB a. F. und deren Überführung in § 114 StGB. Ihre Besonderheit liegt darin, dass im Gegensatz zu § 113 StGB auf den Bezug zur Vollstreckungshandlung verzichtet wird. Damit sind nunmehr auch Angriffe auf Vollstreckungspersonen strafbewehrt, die beispielsweise Streifgänge, Befragungen von Passant:innen, Radarüberwachungen, Unfallaufnahmen oder sonstige Ermittlungstätigkeiten vornehmen.10 Neben der Loslösung vom Tatbestandsmerkmal der Vollstreckungshandlung wurde der Strafrahmen für tätliche Angriffe auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren erhöht und übersteigt damit jenen für gegen Vollstreckungspersonen gerichtete Widerstandshandlungen. Die Irrtums- und Privilegierungsregeln aus § 113 Abs. 3 und 4 StGB gelten weiterhin nur für tätliche Angriffe im Rahmen von Vollstreckungshandlungen, nicht hingegen im Rahmen allgemeiner Diensthandlungen.11 Wie bereits in den Gesetzesentwürfen des Saarlandes und Hessens vorgeschlagen, wurden die Regelbeispiele des § 113 Abs. 2 StGB a. F. auf Fälle der gemeinschaftlichen Tatbegehung erweitert. Zusätzlich wurde in Anlehnung an § 244 Abs. 1 S. 1 a) StGB12 die Verwendungsabsicht hinsichtlich des Beisichführens von Waffen und anderen gefährlichen Werkzeugen gestrichen. Die Strafandrohung für die Regelbeispiele liegt sowohl beim Widerstand als auch beim im Grundtatbestand mit einer erhöhten Strafandrohung belegten tätlichen Angriff bei sechs Monaten bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe. Der ursprünglich in § 114 StGB a. F. enthaltene Verweis auf die Anwendbarkeit der §§ 113, 114 StGB für Vollstreckungspersonen gleichstehende Personen wurde in § 115 StGB überführt und angepasst. Die Pläne zur Novellierung wurden von einem lebhaften Meinungsaustausch begleitet. Auf der einen Seite wurde für die Gesetzesänderung plädiert, diese sei dringend erforderlich zum besseren Schutz von Vollstreckungsbeamt:innen und
8 Z. B. BGHSt 18, 133 = NJW 1963, 769, 770; BGH, B. v. 15.01.2015 – 2 StR 204/ 14 = NStZ 2015, 388; Kohler, IPK WPS, S. 15. 9 RGSt 7, 301; RGSt 59, 264, 265; BeckOK-StGB/Dallmeyer, 52. Edition, § 114 Rn. 5; Schönke/Schröder/Eser-StGB (30. Aufl.), § 114 Rn. 4. 10 BT-Drs. 18/11161, S. 9. 11 BT-Drs. 18/11161, S. 2. 12 BT-Drs. 18/11161, S. 9.
I. Einführung und Problemskizzierung
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Rettungskräften13.14 Die Gegenseite, unter der sich viele Rechtswissenschaftler:innen befanden, lehnte die erneute Änderung mit Verweis auf dogmatische und kriminologische Ungereimtheiten ab und mahnte, damit würde Sozialpolitik in Form von Kriminalpolitik betrieben.15 In der vorliegenden Arbeit wird untersucht, woraus diese intensive rechtliche und kriminologische Diskussion zum Thema der dogmatischen Ausgestaltung der Delikte des Widerstands gegen die Staatsgewalt resultiert. Darüber hinaus wird der Frage nach der (politischen) Rationalität des Änderungsgesetzes nachgegangen. Die Bedeutsamkeit des Themas ergibt sich, abgesehen von der Tatsache, dass sich die Problematik auf die aktuelle Gesetzeslage bezieht, nach der tagtäglich Recht gesprochen wird, auch aus der rasanten kriminalpolitischen Entwicklung, die weitergehende Anpassungen der Normen für die Zukunft erwarten lässt. Gegen Vollstreckungspersonen ausgeführte Gewalt ist seit den Geschehnissen im Zusammenhang mit der Eröffnung der Europäischen Zentralbank im Jahr 2015 ein hochaktuelles Thema, wobei zunehmend auch Gewalt, die von Mitgliedern der Polizei angewendet wird, thematisiert wird.16 Dass die Legislative gewillt ist, Veränderungen in diesem Bereich vorzunehmen, zeigt sich nicht nur daran, dass die §§ 113 ff. StGB innerhalb von sechs Jahren zweimal novelliert wurden. Sobald es zu größeren Ausschreitungen kommt, wie jüngst bei Demonstrationen im Leipziger Stadtteil Connewitz, werden erneut Forderungen nach weiteren Strafverschärfungen laut.17 13 In der Praxis betreffen die §§ 113 a. F. überwiegend Mitglieder der Polizei: BMI, PKS 2020, 8.4 – T05: Polizeibeamte und Polizeibeamtinnen (ca. 93 %); Zoll-, JVA- und sonstige Vollstreckungsbeamt:innen, sonstige gleichstehende und Rettungskräfte (ca. 7 %). Aus diesen Gründen konzentriert sich diese Arbeit, insbesondere in Teil D, hauptsächlich auf Mitglieder des Polizeidienstes. Die §§ 113 ff. StGB gelten für Hilfeleistende der Feuerwehr, des Katastrophenschutzes, des Rettungsdienstes, des ärztlichen Notdienstes oder einer Notaufnahme gleichermaßen, auch wenn sie im Rahmen dieser Arbeit meist nicht explizit genannt werden. 14 Kubiciel, Stellungnahme zu BT-Drs. 18/11161, S. 2; DPolG, Stellungnahme LT Rheinland-Pfalz Drs. 16/5583, S. 1; in diese Richtung auch Kulhanek, JR 2018, 551, 553. 15 DAV, Stellungnahme des Deutschen Anwaltsvereins Nr. 5/2017, S. 3 f.; BRAK, Stellungnahme Nr. 16/2017, S. 4; Müller, Stellungnahme zu BT-Drs. 18/11161 und BRDrs. 126/1/17, S. 18; Schiemann, NJW 2017, 1846, 1849; Fahl, ZStW 2018, 745, 746; Puschke/Rienhoff, JZ 2017, 924, 932. Gelegentlich wurde auch das Anliegen begrüßt, die Ausführung jedoch kritisiert oder sich nicht dazu geäußert: Magnus, Stellungnahme zu BT-Drs. 18/11161, S. 9; NRV, Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften, S. 2; BDR, Stellungnahme zu BT-Drs. 18/11161, S. 1. 16 Ein Schlüsselereignis, das einen Anstieg des gesellschaftlichen Interesses an der Thematik „Polizeigewalt“ hervorrief, war der gewaltsame Tod George Floyds in den USA im Mai 2020. 17 Im Anschluss an die Geschehnisse forderten Vertreter:innen der CDU/CSU das BMJV eindringlich zu erheblichen Verschärfung der §§ 113, 114 auf, Suliak, Legal
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A. Einleitung
Neben der Aktualität liegt ein weiterer Grund für die besondere Emotionalität, mit der über Gesetzesänderung(en) im Bereich der §§ 113 ff. StGB diskutiert wird und wurde, darin, dass Kritik am Entwurf als hintergründige Kritik an der Institution Polizei verstanden wird. Viele Kriminolog:innen und in der polizeilichen Praxis Tätige lehnten die Erforderlichkeit der Änderungen am Strafgesetzbuch ab, woraus geschlossen wurde, es würde kein Handlungsbedarf für Verbesserungen der Arbeitsbedingungen der Mitglieder der Polizei gesehen werden. In Bezug auf die komplexen Hintergründe der Thematik Gewalt gegen Vollstreckungspersonen wird vieles auf die Diskussion um die Ausgestaltung des Strafgesetzbuches projiziert. Diese Aspekte sind differenziert voneinander zu betrachten. Kritik an Institutionen zu üben ist keine Aufgabe der Rechtswissenschaft, die Arbeit mit dem Gesetz, dessen Auslegung und Fortbildung, aber auch dessen Bewertung, ist es hingegen. Es muss daher nüchtern untersucht werden, weshalb das 52. Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches zum Teil derart scharf kritisiert wird. Fest steht, dass das Strafrecht nicht für jegliches missliebige Verhalten herangezogen werden darf. Es ist ultima ratio und muss einem legitimen Zweck dienen, zu dessen Erreichung es geeignet, erforderlich und angemessen ist. Ob diese, sich aus der Verfassung ergebenden, Vorgaben hinsichtlich der Novellierung der §§ 113 ff. StGB eingehalten wurden, soll mit der vorliegenden Arbeit untersucht werden.
II. Ausrichtung und Gang der Untersuchung Die Leitfrage der Untersuchung lautet: Welche dogmatischen Probleme beinhalten die §§ 113, 114, 115 StGB seit der Novellierung und wie konnte es trotz dieser Defizite zur Verabschiedung des Gesetzes kommen? Der Aufbau ist an der These orientiert, dass die Normen seit der Gesetzesänderung schwere dogmatische Defizite aufweisen, insbesondere im Bereich des geschützten Rechtsguts, da der Gesetzgebungsprozess von politischen Motiven überlagert wurde und dadurch die juristische Rationalität in den Hintergrund geriet. Der Schwerpunkt der Arbeit liegt bei der Ermittlung und Bewertung von durch die Novellierung neu geschaffenen Defiziten und der Bewertung des Änderungsgesetzes auf seine Rationalität hin. Außerdem werden Alternativmöglichkeiten an thematisch geeigneter Stelle dargelegt. Tribune Online vom 07.09.2020, https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/angriffe-po lizei-strafrecht-leipzig-connewitz-strafrahmen-debatte-widerstand-gewalt-bmjv-cdu-csu/ (zuletzt abgerufen am 28.10.2021); auf der Innenministerkonferenz 2020 wurde in einem Beschluss erklärt, es werde eine Anhebung der Mindeststrafe für Angriffe aus dem Hinterhalt angedacht, Innenministerkonferenz, Sammlung der zur Veröffentlichung freigegebenen Beschlüsse der 212. Sitzung, S. 39, https://www.innenministerkonferenz.de/ IMK/DE/termine/to-beschluesse/2020-06-17_19/beschluesse.pdf?__blob=publication File&v=2 (zuletzt abgerufen am 23.03.2022).
II. Ausrichtung und Gang der Untersuchung
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Die Arbeit beginnt im zweiten Kapitel (B.) mit einem kurzen historischen Abriss. In diesem werden Hintergründe der Normen dargestellt, die auch beim 52. Strafrechtsänderungsgesetz eine Rolle spielten. Anschließend wird der Weg vom status quo ante zum status quo dargestellt, um aus dem Gesetzgebungsverfahren und dem zum damaligen Zeitpunkt in Bezug auf die Polizei relevanten gesellschaftlichen Kontext erste Hinweise auf die hinter dem Gesetzgebungsakt stehenden Motive zu entnehmen. Unter anderem wird dabei der Frage nachgegangen, ob ein starker Gewaltanstieg gegenüber Mitgliedern der Polizeibehörden nachweisbar ist und wovon der Diskurs im Gesetzgebungsprozess bestimmt wurde. Mit dem dritten Kapitel (C.) folgt das Herzstück der Untersuchung. Es wird ermittelt, welche dogmatischen Probleme im Zusammenhang mit der Novellierung entstanden sind oder verschärft wurden. Zunächst erfolgt eine detaillierte Betrachtung der für die §§ 113 ff. StGB zur Debatte stehenden geschützten Rechtsgüter. Die konkrete Ausgestaltung der Rechtsgüter hat Auswirkungen auf sämtliche andere dogmatische Problempunkte und bildet einen Ausgangspunkt der Überlegung, ob neben harten Kriterien zu Bestimmung der Rationalität, wie dem Rechtsgüterschutz, weitere in Betracht gezogen werden sollten. Anschließend wird der Frage nachgegangen, ob die Gesetzesänderung, die gleichzeitig eine Ausdehnung des strafbaren Verhaltens bewirkte, eine restriktivere Auslegung des Tatbestandsmerkmals „tätlicher Angriff“ erforderlich macht. Ein wichtiges Thema für die Beantwortung der Frage, ob das von der gesetzgebenden Instanz verfolgte Ziel des besseren Schutzes von Vollstreckungspersonen effizienter gefördert wird, sind die Konkurrenzen. Das Konkurrenzverhältnis bestimmt, nach welchen der verwirklichten Tatbestände der oder die Täter:in verurteilt wird und legt damit letztlich das Strafmaß fest.18 Daher wird dieses Verhältnis der §§ 113 ff. StGB untereinander, sowie zu wichtigen Delikten außerhalb der Widerstandsdelikte, insbesondere zu § 240 StGB, beleuchtet. Anschließend wird die dogmatische Qualität der Erweiterung der Regelbeispiele eingeschätzt und im letzten Teilabschnitt weitere systematische Unzulänglichkeiten dargelegt. Anknüpfend an die aus den ersten Kapiteln gewonnenen Erkenntnisse erfolgt anschließend (Kapitel D.) eine Bewertung der Rationalität des Gesetzgebungsaktes in juristischer und kriminalpolitischer Hinsicht. Es wird der Frage nachgegangen, ob die Rationalität des Gesetzes allein aus dem juristischen Blickwinkel bestimmt werden sollte oder ob bei der Beurteilung auch andere Kriterien, etwa politische Gesichtspunkte, einzubeziehen sind. In diesem Zusammenhang wird untersucht, welche Absichten die gesetzgebende Instanz neben dem „juristischen“ Zweck, dem besseren strafrechtlichen Schutz von Vollstreckungspersonen vor Gewalttätigkeiten, beim 52. Strafrechtsänderungsgesetz verfolgt haben könnte und welche Auswirkungen diese nicht am Rechtsgüterschutz orientierten Mo18
Hilgendorf/Valerius, SR AT, § 13 Rn. 2.
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A. Einleitung
tive auf dessen Einordnung als symbolisches Gesetz zur Folge haben. Für die Beurteilung des Symbolgehalts des Gesetzgebungsaktes wird untersucht, ob er zur Förderung des vordergründig verfolgten Ziels geeignet war oder lediglich Signale setzte, ohne die zu Grunde liegenden Probleme anzugehen. Im Anschluss wird der Versuch unternommen, das Gesetz auf seine kriminalpolitische Rationalität hin zu überprüfen. Hierbei wird der Fokus auf das gesellschaftliche Stabilisierungspotential des Rechtsaktes gerichtet sowie auf die Frage, welche Reaktionen er, insbesondere bei den adressierten Personen, hervorrief. Zuletzt wird auf die Gefahren hingewiesen, die das 52. Strafrechtsänderungsgesetz für den Polizei-Individuum-Kontext mit sich bringt und damit gleichzeitig Gründe dargelegt, weshalb Strafrecht nicht für seine Symbolkraft eingesetzt werden sollte.
B. Zustand vor und seit der Novellierung im Überblick I. Ausgewählte Problempunkte des Widerstands gegen die Staatsgewalt im historischen Rückblick In diesem Abschnitt werden die geschichtlichen Hintergründe betrachtet, die mit den dogmatischen Problemen im Rahmen der §§ 113 ff. StGB zusammenhängen und zum Verständnis des geltenden Rechts beitragen. Es wird beleuchtet, welche juristischen Probleme, die sich auch beim 52. Strafrechtsänderungsgesetz stellen, bereits in den vorherigen Gesetzesversionen angelegt waren und ob hinsichtlich der Unstimmigkeiten im Verlaufe der Epochen eine Entwicklung erkennbar ist. Eine der wesentlichen Neuerungen der Novellierung liegt darin, den Schutzbereich auf allgemeine Diensthandlungen auszudehnen. Daher wird in den folgenden Ausführungen insbesondere der Frage nachgegangen, ob im historischen Kontext nur Vollstreckungshandlungen oder auch allgemeine Diensthandlungen geschützt wurden. Zudem ist die Rechtsgutsbestimmung der Norm weiterhin ein häufig diskutierter Problempunkt, weshalb auch diesem Aspekt nachgegangen wird. Aufschluss über den zu Grunde liegenden Zweck der aktuellen §§ 113 ff. StGB geben etwa die sehr frühen Rechtskonstruktionen, mit denen Angriffe auf Vertreter:innen des Staates ohne das Vorliegen eines eigenen Tatbestands erfasst werden sollten. Auch die Personen, die in den Schutzbereich fallen sollten, liefern Erkenntnisse zum Schutzgut, ebenso wie die Antwort auf die Frage, ob diese, soweit ersichtlich, allein während der Ausübung ihres Amtes oder auch bei anderen Gelegenheiten geschützt wurden. Darüber hinaus wird das Verhältnis zu anderen Tatbeständen untersucht, insbesondere zur Nötigung, und erläutert, welche Verhaltensweisen unter die Tathandlungen subsumiert wurden. Die Ausgestaltung der Widerstandsregelungen und die (dogmatischen) Probleme, die sich daraus ergeben, sind darüber hinaus heute wie damals eng mit dem jeweiligen Verständnis vom Verhältnis zwischen Individuum und Staat verknüpft, weshalb auch der gesellschaftliche Kontext beachtet wird. 1. Rechtslage vor dem Bestehen eines eigenständigen Tatbestands Die Frage, inwieweit Individuen der Obrigkeit Widerstand entgegensetzen dürfen, wurde im Laufe der Geschichte unterschiedlich beantwortet.1 Bis zur Ein1
Siehe zu dieser alten Diskussion: Murhard, Vorwort, S. 3.
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B. Zustand vor und seit der Novellierung im Überblick
führung eines eigenständigen Widerstandsdelikts im Strafrecht bewegte sich diese Debatte hauptsächlich auf dem für diese Arbeit nicht weiter relevanten Gebiet des Staatsrechts.2 Der genaue Zeitpunkt, zu dem das erste Mal von einer selbstständigen Regelung gesprochen werden konnte, wird auch heute nicht immer einheitlich beurteilt.3 Selbst ohne das Vorliegen einer eigenständigen Strafvorschrift war allerdings bereits im griechischen und römischen Recht klar, dass der Ungehorsam gegen die Obrigkeit nicht ungestraft bleiben sollte.4 In dieser Zeit wurde diese Strafbarkeitslücke durch Auffangtatbestände und andere Rechtskonstruktionen überbrückt. Im römischen Recht kam dem Widerstand gegen die Staatsgewalt das sog. crimen vis am nächsten, welches sämtliche Formen von Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen erfasste, die nicht als eigenständiges Verbrechen galten.5 Es richtete sich nicht zwingend gegen den Staat und war damit deutlich umfassender als die §§ 113 ff. StGB. Auch im Mittelalter wurden Rechtskonstruktionen genutzt, um gegen Staatsbedienstete gerichtete Handlungen rechtlich zu erfassen. Im Sachsenspiegel wurde der unerlaubte, besonders gewaltsame Widerstand gegen die Pfändung von einem Tatbestand erfasst, der eine Pfändung und damit die Gefahr der Pfandweigerung mit sich bringen konnte, sprich: Der Widerstand war innerhalb jeden Tatbestands herauszulesen, der bußgeldbewährt war, also einen Schadensersatzanspruch ermöglichte und zu dessen Sicherung gepfändet werden konnte.6 Darüber hinaus war im Sachsenspiegel die zu entrichtende Buße beziehungsweise das Wehrgeld für Angriffe auf den Vronboten, eine Art mittelalterliche Vollstreckungsperson, doppelt so hoch wie bei Angriffen auf Gesellschaftsmitglieder ohne eine solche Profession.7 Zeitweise wurde der Widerstand gegen die Staatsgewalt in Form des Aufruhrs als sog. crimen maiestatis (Majestätsbeleidigung) mitbestraft, so etwa zu sehen
2 Es wurde die Frage gestellt, ob das Individuum eine bedingte oder eine unbedingte Gehorsamspflicht trifft, ob es also auch unrechtmäßig angewendete Staatsgewalt zu ertragen hat. Dieser Diskussionspunkt wurde auch unter dem Begriff „Notwehr gegen Amtshandlungen“ behandelt, siehe etwa Schwarztat, S. 5 oder Koziol, S. 25. 3 Koziol, S. 3: Erstmals eigenständiges Verbrechen im Preußischen Allgemeinen Landrecht; Stührmann, S. 68: Als Spezialnorm sei der Widerstand gegen die Staatsgewalt zum ersten Mal im 18. Jahrhundert aufgeführt worde. Beispielhaft nennt er den codex iuris Bavarici criminalis; laut Schwarztat, S. 2 f., finden sich schon im älteren deutschen Recht Ansätze zu einer Spezialnorm. 4 Vgl. Mommsen, S. 580 f.; Stührmann, S. 64. 5 Schwarztat, S. 2. 6 Vgl. Möbius, S. 9 oder zur Subsumierung des Widerstandsrechts unter andere, davon unabhängige Tatbestände im gemeinen Recht: Zachariä, Der Gerichtssaal 1857, XXXI, 421 f. 7 Vgl. Stührmann, S. 65.
I. Ausgewählte Problempunkte im historischen Rückblick
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in Art. 132 der Constiutio Criminalis Bambergensis aus dem Jahr 1507.8 Die Tötung einer verbeamteten Person konnte beispielsweise als solches crimen maiestatis eingeordnet werden.9 Für den Aufruhr war, wie der Wortlaut vermuten lässt, das Zusammenwirken mehrerer Personen erforderlich.10 Geschütztes Rechtsgut dieses Verbrechens war das Ansehen des römischen Volkes und des Staates, welches in seinen verschiedenen Ausprägungen wie der Ehre oder der Würde betroffen sein konnte.11 Erst im gemeinen Recht, für welches charakteristisch war, dass sich strafbares Verhalten aus dem Dafürhalten des Richters statt aus geschriebenen Gesetzen ergab, wurde auch der Widerstand des Einzelnen im Zusammenhang mit den Tatbeständen des Aufruhrs behandelt.12 Die gemeinrechtliche „Widersetzlichkeit“ enthielt das gewaltsame Element des crimen vis, welches gegen sämtliche Personen und sogar Sachen gerichtete Handlungen erfasste, mithin keinen hoheitlichen Bezug aufwies, und vereinte es mit einer gegen die Obrigkeit gerichteten Zielrichtung, näherte sich demnach an die heutigen §§ 113 ff. StGB an.13 Um den Schutz der hoheitlichen Tätigkeit ging es höchstens mittelbar.14 Regelungen über die Majestätsbeleidigung waren auch im 8. Kapitel des ersten Teils des codex iuris Bavarici criminalis (1751) zu finden. Nach § 6 des 8. Kapitels des ersten Teils machte sich derjenige strafbar, der „der Obrigkeit Widerstand zeigt“ oder „Wachen insultieret“. Angriffsobjekt war damit zum einen die „Obrigkeit“, zum anderen die ausführende Person (die Wache). Um eine Vollstreckungshandlung musste es sich bei der obrigkeitlichen Tätigkeit nicht handeln. Die Norm umfasste als Auffangtatbestand sämtliche Handlungen, die geeignet waren, die „gemeine Ruh“ (= securita publica) zu stören, etwa das Stören des Gottesdienstes oder ein Überfall in der Wohnung. Speziell um den Schutz der öffentlichen Gewalt, der ungestörten Durchsetzung von Vollstreckungsakten oder gar die Rechtsgüter der Staatsbediensteten ging es dabei nicht. Im Fokus stand vielmehr die Verhinderung von Beeinträchtigungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch ausgeübte Gewalt.15 Hierfür spricht die Stellung im Rahmen der Majestätsverbrechen und die (im Gesetzbuch neben dem Gesetzestext stehende) Bezeichnung als vis publicae. Im codex iuris Bavarici criminalis war der Widerstand nur dann strafbar, wenn er der „rechtmäßigen Obrigkeit“ entgegengesetzt wurde. Zum Teil wurde daraus 8 Der Wortlaut der Vorschrift ließ die Verbindung zum Aufruhr allerdings nicht vermuten, vgl. Art. 132 CCB. 9 Mommsen, S. 580. 10 Thomma, S. 35. 11 Mommsen, Römisches Strafrecht, S. 538, zitiert nach Möbius, S. 13. 12 Möbius, S. 18. 13 Thomma, S. 36. 14 Möbius, S. 15. 15 Vgl. Möbius, S. 21 f.
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die erstmalige Befugnis geschlossen, rechtswidrigem Handeln der Obrigkeit mit Widerstand begegnen zu dürfen. Das Rechtmäßigkeitserfordernis wurde deshalb als Hinweis auf eine liberaler werdende Einstellung im Staat-Untertan-Verhältnis gedeutet. Schließlich kam dem Staatsoberhaupt nach damaliger Staatsauffassung keine unumschränkte Macht zu.16 Gelegentlich wurde die Formulierung „rechtmäßige Obrigkeit“ dahingehend gewertet, dass damit die rechtmäßig eingesetzte, da durch Gott eingesetzte, Obrigkeit gemeint sei. Das entspricht der damals vorherrschenden, absolutistischen Staatsauffassung vom bedingungslosen Gehorsam.17 Dieser Auffassung nach gilt das Rechtmäßigkeitserfordernis als Errungenschaft der französischen Revolution,18 die im Übrigen auch als unmittelbarer Auslöser für die Entstehung des Code pénal von 1791 gesehen wird, dem Gesetz, in dem das Widerstandsrecht erstmalig in einem speziellen Tatbestand geregelt wurde.19 Die Vorschriften waren im vierten Abschritt jenes Gesetzbuches zu finden und trugen die Überschrift „Verstösse Einzelner gegen die Achtung und den Gehorsam gegenüber dem Gesetz und der Autorität der zu seiner Durchsetzung eingesetzten Gewalten“. Sie erfassten unter anderem Handlungen gegen „Beauftragte [. . .] die für die Vollstreckung eines Gesetzes oder [. . .] eines Urteils [. . .] verantwortlich sind“ (Abschnitt 1). Bestraft wurde, wer sich mit Gewalt oder mittels einer Körperverletzung widersetzte (Abschnitt 1). Strafschärfungen waren vorgesehen, wenn der Widerstand mit Waffen (Abschnitt 2) oder mit mehreren Personen (Abschnitt 3 oder 4) begangen wurde. Eine weitere Vorschrift sah eine Strafe für Personen vor, die einen Amtsträger bei der Ausübung seines Amtes „durch Schläge beleidigt“ (Abschnitt 7).20 Die Literatur lobte, im Code pénal sei die wahre Bedeutung der Widersetzung erkannt worden: Diese liege in der Sanktionierung von Angriffen auf die Staatsgewalt, nicht von Angriffen auf obrigkeitliche Personen.21 2. Rechtslage seit dem Bestehen eines eigenständigen Tatbestands a) Zeitraum bis zum Reichsstrafgesetzbuch Die Voraussetzungen, unter denen Widersetzlichkeiten gegen den Staat für strafwürdig erachtet worden sind, wurden auch in den Gesetzestexten der einzel16
Möbius, S. 24, 26 f. Stührmann, S. 70. 18 Vgl. Calker, S. 354. 19 Schwarztat, S. 6; Thomma, S. 38. 20 Womöglich spielte das Merkmal der Vollstreckungshandlung dennoch eine Bedeutung. In Abschnitt 1 des Code pénal hieß es: „Wenn ein oder mehrere Beauftragte entweder für die Vollstreckung eines Gesetzes oder für die Einziehung einer rechtskräftig festgestellten Zuwendung oder für die Vollstreckung eines Urteils, eines Haftbefehls, einer gerichtlichen oder polizeilichen Anordnung verantwortlich sind; wenn irgendein Verwahrer der öffentlichen Gewalt, der rechtmäßig in der Ordnung seiner Funktionen handelt, diese Formel ausgesprochen haben wird: Gehorsam gegenüber dem Gesetz“ [Hervorhebung der Verfasserin]. 21 Calker, S. 354. 17
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nen Länder ab dem Zeitraum um die Wende zum 18. Jahrhundert uneinheitlich und zum Teil ungenau geregelt. Die folgenden Ausführungen stellen diese Gesetzestexte vor und konzentrieren sich dabei, unter anderem unter Bezugnahme auf das damalige Zeitgeschehen, auf die geschützten Personen, die rechtliche Qualität der geschützten Amtshandlung, das geschützte Rechtsgut sowie das Verhältnis zu anderen Delikten. aa) Geschützte Personengruppen Die Frage, welche Personen als taugliche Tatobjekte des Widerstands gegen die Staatsgewalt gelten sollten, wurde unterschiedlich beantwortet: Teils erfassten die Gesetze sämtliche öffentliche Beamt:innen und Behörden, teils war der Schutzbereich auf Vollstreckungsorgane begrenzt und manche Gesetze unterschieden zwischen dem Rang, den die angegriffene Person innehatte.22 In Deutschland wurde der Widerstand gegen die Staatsgewalt (beziehungsweise gegen die Obrigkeit) nach überwiegender Ansicht zum ersten Mal im Preußischen Allgemeinen Landrecht als Spezialnorm konzipiert.23 In dieser Zeit nach der französischen Revolution wandelte sich auch in Deutschland die allgemeine Weltanschauung in dem Sinne, dass den bürgerlichen Freiheiten ein höherer Stellenwert als zuvor beigemessen wurde.24 Möglicherweise enthielt das 1794 erschienene Preußische Allgemeine Landrecht aus diesem Grund eine Regelung, die sich stark von den früheren Kodifizierungen unterschied. In § 166, Teil 2, Titel 20 PrALR war folgende Norm zu finden: „Wer sich seiner Obrigkeit in ihrer Amtsführung, oder deren Abgeordneten in Vollziehung ihrer Befehle, thätlich widersetzt, der soll, nach Beschaffenheit des Widerstandes, und der dabey gebrauchten Gewalt, mit Gefängniß-, Zuchthaus- oder Festungsstrafe auf Zwey Monathe bis Zwey Jahre belegt werden.“
Folglich wurden tatbestandlich Handlungen erfasst, die gegen „die Obrigkeit“ an sich sowie gegen deren Abgeordnete gerichtet waren. Im Preußischen Allgemeinen Landrecht wie auch in anderen Gesetzen, welche die Obrigkeit beziehungsweise deren Amtstätigkeit schützten25, stellte sich die Frage, was unter dem Begriff der Obrigkeit zu verstehen, was demnach als Schutzobjekt erfasst war. Teilweise wurde bei den Widerstandsdelikten auf den engen Zusammenhang zum Lehnsverhältnis hingewiesen und daher unter der Obrigkeit der oder die Lehnsherr:in verstanden (zumindest im Rahmen der städtischen Quellen, der Constitu22
Eine detaillierte Auflistung ist in Koziol, S. 3 f., zu finden. Siehe etwa Thomma, S. 38; Möbius, S. 20 f.; Koziol, S. 3; Stührmann, S. 68 ff., der sich zwar nicht auf ein einzelnes Gesetz bezieht, aber zumindest die Epoche um das 18. Jahrhundert als maßgeblich nennt. 24 Möbius, S. 30. 25 Etwa die Constitutio Criminalis Bambergensis und die Constitutio Criminalis Carolina, aber auch spätere Gesetze wie das Bayerische oder auch das Hessische Strafgesetzbuch. 23
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tio Criminalis Carolina und der Constitutio Criminalis Bambergensis). Von einer Obrigkeit im aktuellen Sinne konnte diesem Verständnis nach somit nicht gesprochen werden, weshalb die Normen nicht mit denen des geltenden Widerstandsrechts verglichen werden konnten.26 Bald setzte sich die Anschauung durch, dass grundsätzlich alle verbeamteten Personen und Behörden taugliche Schutzobjekte der Widersetzung sein können, das heißt explizit, dass nicht nur „Regenten“, sondern auch die untergeordneten Behörden erfasst sein sollten. Der Grund dafür lag darin, dass der Widerstand gegen Regent:innen härter bestraft wurde als der Widerstand gegen untergeordnete Beamt:innen. Überhaupt bestand die Tendenz, die Höhe der Strafe von der Amtshierarchie abhängig zu machen.27 Auf das Preußische Allgemeine Landrecht folgten weitere Gesetze, die den Widerstand gegen die Obrigkeit in einem speziellen Tatbestand normierten. Alle Strafgesetzbücher der Einzelstaaten mit Ausnahme von Bremen enthielten eine solche Vorschrift.28 Besonders hervorzuheben ist das fortschrittliche Bayerische Strafgesetzbuch aus dem Jahr 1813, das nicht nur die Folter abschaffte, sondern auch zu einer Entmoralisierung des Strafrechts beitrug.29 In den Artikeln 315– 318 enthielt es detaillierte Regelungen über die „Verbrechen gegen die Obrigkeit“. Der Tatbestand war auf den Schutz „obrigkeitlicher Personen“ ausgerichtet. Auch das Hessische Strafgesetzbuch von 1841 bestrafte Widerstandshandlungen gegen die Obrigkeit in eigenständigen Delikten. Die Regelungen waren in den Artikeln 172 ff. normiert. Art. 172 HessStGB legte fest, dass sich der Widersetzung gegen die Obrigkeit schuldig macht, „wer den Befehlen und Anordnungen der Obrigkeit gewaltsamen Widerstand leistet [. . .]“ oder „wer an einer obrigkeitlichen Person während der Ausübung ihres Amtes Thätlichkeiten verübt [. . .]“. Art. 174 des HessStGB sah hingegen andere Voraussetzungen vor: Hier wurde nicht an eine Amtshandlung der Obrigkeit, sondern an eine Vollstreckungshandlung der „bewaffneten Macht“, der „Diener der Justiz“, der „Gendarme“ und anderer bestimmter Personengruppen angeknüpft. Die Vorschrift statuierte folglich 26
Stührmann, S. 65 ff. Koziol, S. 9; vgl. auch Quistorp, § 148, S. 264: Er forderte die Todesstrafe für diejenigen, die an den „Vorsitzern in den höchsten Landesgerichten, den Statthaltern der Provinzen, oder den Befehlshabern der Miliz“ Hand anlegen. Ein Handanlegen an anderen Obrigkeiten sollte nach den jeweiligen Umständen mit der Stellung am Pranger, Handabhauen oder dem Landesverweis bestraft werden. Als maßgebliches Kriterium für die Höhe der Strafe sah Quistorp die Frage, ob der Angriff zur Zeit der „Verrichtung ihrer Amtspflichten“ geschah oder bei einer Handlung, bei der die angegriffene Person als Privatperson anzusehen war, also gerade keine Diensthandlung verrichtete. 28 Thomma, S. 39. 29 Etwa durch Streichung der Strafbarkeit der Homosexualität und der Blasphemie, Grziwotz, Legal Tribune Online vom 16.05.2013, https://www.lto.de/recht/hintergruen de/h/feuerbach-strafgesetzbuch-bayern-abschaffung-folter/ (zuletzt abgerufen am 20.04. 2022). 27
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strengere Voraussetzungen als Art. 172 HessStGB im Hinblick auf den geschützten Personenkreis und die Handlung des Opfers (Vollstreckungshandlung statt nur allgemeine Diensthandlung). Diese Umstände wirkten sich auch auf die Höhe des Strafmaßes aus: Während der Widerstand gegen die Obrigkeit bei einfachen Amtshandlungen im Sinne von Art. 172 HessStGB (im Falle des Art. 173 Abs. 1 HessStGB) mit „Correctionshaus“ bis zu vier Jahren bestraft wurde, lag die Höchststrafe bei den in Art. 174 HessStGB aufgezählten Personen während der Vornahme einer Vollstreckungshandlung (im Falle des Art. 173 Abs. 1 HessStGB) bei maximal zwei Jahren „Correctionshaus“. Das niedrigere Strafmaß bei der Vornahme von Vollstreckungshandlungen dürfte in erster Linie mit den unterschiedlichen Angriffsobjekten zusammengehangen haben.30 Damit wurde im Vergleich mit dem Rechtszustand vor dem Bestehen eigenständiger Tatbestände die Tendenz sichtbar, vom umfassenden Schutz sämtlicher verbeamteter Personen und Behörden abzukehren und ihn auf Vollstreckungspersonen zu reduzieren. Schon Feuerbach vertrat zwar ein weites Verständnis von Obrigkeit, hob aber die Exekutive besonders hervor.31 Größtenteils bestand Einigkeit darüber, dass eine förmliche Ernennung für die Beamteneigenschaft im strafrechtlichen Sinn nicht erforderlich war.32 Dies entspricht der aktuellen Anschauung.33 Im Preußischen Strafgesetzbuch aus dem Jahr 1851 wurden allein Vollstreckungsbeamt:innen geschützt. Die Paragraphen zum Widerstand gegen die Staatsgewalt befanden sich im fünften Titel, wobei insbesondere § 89 PrStGB hervorzuheben ist. Dieser stellte Widerstandshandlungen gegen Vollstreckungspersonen während der Vornahme einer Amtshandlung unter Strafe. Desselben Verbrechens machte sich strafbar, wer Angriffe auf Personen verübte, die „zur Beihilfe des Beamten zugezogen waren“ oder auf Militärpersonen. Der Status des Opfers konnte auf Rechtsfolgenseite berücksichtigt werden.34 Die Handlung wurde auch als weniger verwerflich angesehen, wenn sich die Tathandlung gegen die herangezogene Privatperson richtete, ohne dass diese bei der Vollziehung eines Befehls mitwirkte.35
30 Unterschiedliche Strafandrohungen je nach Rang des Angriffsobjekts enthielt beispielsweise auch das Strafgesetzbuch des Königreichs Württemberg. Der Widerstand gegen untergeordnete Diener oder zum Beistand hinzugezogene Personen wurde in Art. 172 WürttStGB privilegiert behandelt. 31 Feuerbach, § 201 S. 341. 32 Z. B. Koziol, S. 10. 33 LK-StGB/Rosenau, § 113 Rn. 5. 34 Vgl. Zachariä, Der Gerichtssaal 1857, XXXI, 427 (bezogen auf das Hannoversche Gesetzbuch). 35 Zachariä, Der Gerichtssaal 1857, XXXI, 428; hieran wird deutlich, dass der Vornahme einer Vollstreckungshandlung größeres Gewicht beigemessen wurde.
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Das Österreichische Strafgesetzbuch von 1852, ein Nachfolgergesetz der Constitutio Criminalis Theresiana36, durchbrach diese personelle Entwicklung, nach der sich Vollstreckungspersonen als Tatobjekte durchgesetzt hatten, da das Gesetz in § 81 in Verbindung mit § 68 nicht ausschließlich Vollstreckungspersonen schützte. Das nur kurze Zeit später erlassene Sächsische Kriminalgesetzbuch enthielt erneut einen ausschließlichen Schutz von Vollstreckungspersonen. Art. 142 des Gesetzbuches aus dem Jahr 1855 beinhaltete eine Regelung, nach der zu bestrafen war, wer gegen eine „Zivil- oder Militärperson, welche die Vollziehung vermöge ihres Amtes oder besonderer Befehle“ zu bewirken hat, Gewalt anwendet oder mit solcher bedroht. Besonders an dieser Regelung war, dass diese nach Art. 143 des Sächsischen Kriminalgesetzbuchs auch für Privatpersonen galt, sofern diese „erlaubte Selbsthilfe“ übten. Das Bayerische Strafgesetzbuch aus dem Jahr 1861 enthielt ähnliche Regelungen zu den Widerstandsdelikten in den Artikeln 135–138 unter der Überschrift „Ungehorsam gegen die Obrigkeit und gewaltthätige Verletzung öffentlicher Autorität“. Auch hier wurden tatbestandlich Vollstreckungspersonen erfasst. bb) Rechtliche Qualität der Amtshandlung Auch die rechtliche Qualität, welche die geschützte Amtshandlung aufweisen musste, divergierte in den verschiedenen Gesetzestexten. Teilweise war der Anwendungsbereich bei jeder Amtshandlung eröffnet, teilweise wurde ein Vollstreckungsakt gefordert.37 Gelegentlich war auch eine Kombination aus Vollstreckungsschutz und dem Schutz der allgemeinen Amtstätigkeit anzutreffen, etwa im § 166, Teil 2, Titel 20 des Preußischen Allgemeinen Landrechts.38 Während die Obrigkeit in ihrer gesamten Amtstätigkeit erfasst wurde, war das bei ihren Abgeordneten nur im Rahmen der Vollstreckung der Fall.39 Bei Angriffen, die sich gegen höhere Beamt:innen richteten, lag die Schwelle zur Tatbestandsverwirklichung folglich niedriger. Weiterhin variierte das Strafmaß je nach Art des Widerstands und der angewendeten Gewalt.40 Auf die Rechtmäßigkeit der Amtsausübung sollte es 36
Vgl. Stührmann, S. 69. Vgl. hierzu Koziol, S. 5 f. 38 Vgl. hierzu Stührmann, S. 70. 39 Weitere Gesetze, die eine unterschiedliche Strafandrohung für die verschiedenen Beamten/Behörden breithielten sind bei Koziol, S. 4, zu finden. 40 § 166 Teil 2, Titel 20 PrALR von 1794 lautete: „Wer sich seiner Obrigkeit in ihrer Amtsführung, oder deren Abgeordneten in Vollziehung ihrer Befehle, thätlich widersetzt, der soll, nach Beschaffenheit des Widerstandes, und der dabey gebrauchten Gewalt, mit Gefängniß-, Zuchthaus- oder Festungsstrafe auf Zwey Monathe bis Zwey Jahre belegt werden.“ 37
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nicht ankommen, was der preußischen, strengen Gehorsam fordernden Staatsphilosophie entsprach.41 Das fortschrittliche Bayerische Strafgesetzbuch aus dem Jahr 1813 schützte die „obrigkeitliche Personen“ während der gesamten Dauer der Ausübung ihres Amtes und darüber hinaus, denn den Tatbestand erfüllte auch, wer solche Personen zu einer Amtshandlung nötigte oder davon abzuhalten suchte. Eine Vollstreckungshandlung war nicht erforderlich. Allerdings wurde bei der Strafzumessung an die Bedeutsamkeit der Störung, die Wichtigkeit des (geplanten) hoheitlichen Tätigwerdens und den Rang der Obrigkeit angeknüpft.42 Dass der Tatbestand nicht auf Tätlichkeiten im Zusammenhang mit Vollstreckungshandlungen beschränkt sein sollte, geht auch aus den Motiven zum Entwurf des Gesetzbuches über Verbrechen und Vergehen für das Königreich Bayern aus dem Jahr 1854 hervor. In diesen wird ausgeführt, dass das Bayerische Strafgesetzbuch von 1813 unter dem Begriff der Widersetzung alle Fälle erfasste, die der Vereitelung des Vollzugs einer obrigkeitlichen Verfügung dienen, wie auch solche, in denen dieser Zweck nicht vorlag und „der strafbare Character der That nur in dem Merkmale beruht, daß gegen eine obrigkeitliche Person entweder während ihrer Berufsverrichtungen, oder mit Beziehung auf dieselben, Gewalt verübt, oder mit Gewalt gedroht wird“.43 In Übereinstimmung damit machte sich ausweislich des Gesetzeswortlauts von Art. 315 des Bayerischen Strafgesetzbuches auch strafbar, wer „eine obrigkeitliche Verfügung an ihrer Person gewaltsam zu rächen sucht“. Da es sich für den letzteren Fall, in dem die Tathandlung nicht der Vereitelung des Vollzugs dient, schon begrifflich nicht um eine Widersetzung handelt, sah der Entwurf von 1854 eine Aufteilung der Norm in zwei Tatbestände vor. Einmal in die „Widersetzung gegen die Obrigkeit“ nach Art. 140, für die Vereitelungsabsicht vorgelegen haben musste, und in die „Gewaltthätigkeit gegen Beamte und andere in öffentlicher Funktion stehende Personen“ nach Art. 141, für die eine solche Absicht nicht erforderlich war. Diese geplante Aufteilung wurde in der Literatur begrüßt. Die Belegung beider Fälle des „Widerstands im engeren und im weiteren Sinne“ mit der gleichen Strafandrohung wurde jedoch kritisiert, da in dem einen Fall lediglich Gewalt gegen eine hoheitliche Person ausgeübt wird, in dem anderen gleichzeitig der Ausführung des obrigkeitlichen Willens Widerstand entgegengesetzt wird.44 Diese Überlegungen sind heute ebenso bedeutsam wie damals.
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Möbius, S. 32. Entwurf eines peinlichen Gesetzbuches von G. A. Kleinschrod, 2. Abt. 1. Abschn., 2. Kap. § 492. 43 Schmid, Entwurf des Gesetzes über Verbrechen und Vergehen nebst Motiven, S. 314. 44 Zachariä, Der Gerichtssaal 1857, XXXI, 423 f. 42
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Wie auch das Bayerische Strafgesetzbuch setzte Art. 172 HessStGB nicht voraus, dass die obrigkeitliche Handlung als Vollstreckungstätigkeit zu qualifizieren war. Ausreichend war, dass die Tat während der Amtstätigkeit stattfand. Dies galt allerdings nur für gegen die Obrigkeit gerichtete Tätigkeiten. Richtete sich die Tathandlung gegen die im Tatbestand des Art. 174 HessStGB aufgezählten besonderen Personengruppen (unter anderem die „bewaffnete Macht“, „Diener der Justiz“ oder „Gendarme“), so waren diese nur während der Ausübung einer Vollstreckungstätigkeit geschützt. In der Gesamtschau ergab sich daher, wie auch im Preußischen Allgemeinen Landrecht, eine Kombination aus Vollstreckungsschutz und Schutz der allgemeinen Amtstätigkeit mit unterschiedlichen Angriffsobjekten. Darüber hinaus wies das Hessische Strafgesetzbuch in Art. 173 HessStGB eine deutliche Parallele zu den heutigen Regelbeispielen der §§ 113, 114 StGB auf: Bei der Strafzumessung sei besonders darauf zu achten, ob die Tat von mehreren Personen oder durch den Gebrauch von Waffen geschah, so die Vorschrift. Die Gesetze, die auf das Bayerische Strafgesetzbuch folgten, wichen im Hinblick auf die rechtliche Qualität der durch sie geschützten Amtshandlungen weiterhin voneinander ab. § 89 PrStGB (1851) stellte Widerstandshandlungen gegen Vollstreckungspersonen während der Vornahme einer Amtshandlung unter Strafe, setzte mithin keine Vollstreckungshandlung voraus, während das Österreichische Strafgesetzbuch von 1852 neben der Widersetzung gegen die allgemeine Amtsausübung auch die Widersetzung gegen eine Vollzugstätigkeit unter Strafe stellte.45 Das Sächsische Kriminalgesetzbuch (1855) setzte voraus, der oder die Täter:in müsse sich „der Vollziehung von Gesetzen [. . .] widersetzen“. Folglich war eine Vollstreckungshandlung zur Tatbestandsverwirklichung vonnöten, nicht bloß eine allgemeine Amtshandlung. Alle drei, das Preußische, Sächsische und Österreichische Strafgesetzbuch stellten den Widerstand im Übrigen unabhängig von der Rechtmäßigkeit der Amtshandlung unter Strafe. Grundsätzlich hätte daher in Fällen rechtswidriger Amtshandlungen auf die Grundsätze der Notwehr zurückgegriffen werden müssen, gegebenenfalls auch auf den Notstand. Dennoch geschah dies weder in der Praxis noch in der Literatur,46 was eine weiterhin eher absolutistische Staatsauffassung offenbarte. 45 Siehe den Wortlaut in § 81 ÖStGB: „Wenn Jemand für sich allein, oder auch wenn Mehrere, jedoch ohne Zusammenrottung, sich einer der im § 68 genannten Personen in Vollziehung eines obrigkeitlichen Auftrages, oder in Ausübung ihres Amtes oder Dienstes in der Absicht, um diese Vollziehung zu vereiteln, mit gefährlicher Drohung oder wirklicher gewaltsamer Handanlegung, obgleich ohne Waffen und Verwundung, widersetzt; oder eine dieser Handlungen begeht, um eine Amtshandlung oder Dienstesverrichtung zu erzwingen.“ Zu der Einschätzung, dass dadurch zum ersten Mal auch die Widersetzung gegen eine Vollzugstätigkeit bestraft wurde: Stührmann, S. 69. 46 Koziol, S. 6.
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Eine weitere Gestaltungsmöglichkeit im Hinblick auf die tatbestandlichen Anforderungen an die Amtshandlung kann dem Bayerischen Strafgesetzbuch aus dem Jahr 1861 entnommen werden. Art. 135 BayStGB zufolge musste die Absicht vorgelegen haben, den Vollzug zu verhindern. Dass das Opfer zum Zeitpunkt der Tathandlung tatsächlich mit der Durchführung einer Vollstreckungshandlung oder auch nur einer allgemeinen Diensthandlung beschäftigt gewesen sein musste, statuierte der Tatbestand nicht. cc) Geschütztes Rechtsgut Detaillierte Ausführungen zu den durch die Vorschriften geschützten Rechtsgütern sind rar. Das hängt auch damit zusammen, dass sich die Literatur aufgrund von Kommentierungsverboten nur zögerlich mit der Thematik auseinandersetzen durfte. Solche wurden etwa für das Preußische Allgemeine Landrecht und für das Bayerische Strafgesetzbuch von 1813 erlassen. Erst ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts beschäftigte sich die Strafrechtswissenschaft intensiv mit dem Thema Widerstand gegen die Staatsgewalt und dessen Ausgestaltung.47 Im Preußischen Allgemeinen Landrecht waren die hier interessierenden Delikte im vierten Abschnitt, den „Verbrechen gegen die innere Ruhe und Sicherheit“, verortet, wie bereits im codex iuris Bavarici criminalis. Die Systematik ließ daher den Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vor Beeinträchtigungen vermuten. In der Literatur wurde jedoch auch vertreten, die gesetzgebende Instanz habe das tatsächlich geschützte Rechtsgut, die ungestörte Durchsetzung hoheitlicher Akte, im Rahmen der Konzeption des Gesetzes schlicht verkannt.48 Deutlicher trat dieses Rechtsgut im 1813 umgesetzten Bayerischen Strafgesetzbuch zu Tage. Für die Höhe der Strafandrohung wurde an die Bedeutsamkeit der Störung, die Wichtigkeit des (geplanten) hoheitlichen Tätigwerdens und den Rang der „Obrigkeit“ angeknüpft.49 Diese Verknüpfung der Amtsausübung mit dem Strafmaß spricht für die ungestörte Durchsetzung hoheitlicher Rechtsakte als geschütztes Rechtsgut,50 ebenso die amtlichen Anmerkungen.51 Dieses 47
Vgl. Koziol, S. 8 f. und Stegmaier, S. 18. Möbius, S. 31, 33. 49 Entwurf eines peinlichen Gesetzbuches von G. A. Kleinschrod, 2. Abt. 1. Abschn., 2. Kap. § 492. 50 Möbius, S. 33. 51 Redaktion des allgemeinen Regierungsblatts, Anmerkungen zum BayStGB von 1813, 3. Band, S. 47: „Nicht bloß von der politischen Existenz und Integrität des Staates [. . .] hängt die Erreichung des Staatszwecks ab, vielmehr wird hierzu erfordert, daß der Staat in seinem Wirken vermittelst jener Behörden und Personen, deren Hülfe der Regent zur Regierung und Verwaltung des Staats sich bedient, durch keine widerrechtliche Handlung der Unterthanen aufgehalten werde.“ 48
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Rechtsgut war auch im Entwurf Kleinschrods vorgesehen, dessen Verfasser zuvor mit der Novellierung des Bayerischen Strafgesetzbuches52 beauftragt war, sich aber nicht gegen den Entwurf Paul Johann Anselms von Feuerbach durchsetzen konnte.53 In den betreffenden Vorschriften des Österreichischen Strafgesetzbuchs (1852) war vorgesehen, dass die Tathandlung von der Absicht geleitet sein musste, die Vollziehung zu vereiteln. Das wurde zum Teil als Bestätigung dafür gesehen, dass der Zweck der Norm im Vollstreckungsschutz liegen sollte.54 Unklar bleibt jedoch, wie eine Vereitelungsabsicht hinsichtlich einer Vollstreckungshandlung vorliegen sollte, wenn lediglich eine allgemeine Diensthandlung gegeben war. Der gleiche Widerspruch stellte sich im Hinblick auf das Bayerische Strafgesetzbuch aus dem Jahr 1861. Das Fehlen einer Vollstreckungshandlung als Voraussetzung des objektiven Tatbestands sprach gegen die Annahme, die bayerische gesetzgebende Instanz habe mit der Vorschrift den Schutz der ungestörten Durchsetzung von Vollstreckungshandlungen beabsichtigt. Zwar ist auch der geltende Widerstandsparagraph nicht als Erfolgsdelikt ausgestaltet, weshalb die Vollstreckungshandlung nicht vereitelt worden sein muss. Wenn diese aber nicht einmal objektiv vorgelegen haben muss, ist die Einstufung der ungestörten Durchführung der Vollstreckungshandlung als gesetzgeberisches Ziel fernliegend. Dafür spricht auch die amtliche Überschrift, die buchstäblich auf die staatliche Autorität (und den Ungehorsam) Bezug nimmt. Ob es sich dabei um ein anerkennenswertes Rechtsgut handelt, ist eine weitere Frage, der im Verlauf dieser Arbeit nachgegangen wird.55 dd) Tathandlung Darüber hinaus war in den einzelnen Strafgesetzbüchern zur Zeit des Partikularstrafrechts umstritten, welche Beschaffenheit die Tathandlung aufweisen musste. Das betraf zum einen die Frage, welche Tathandlungen den Tatbestand des Widerstands gegen die Obrigkeit erfüllen, und an zweiter Stelle die Frage, welche Handlungen unter diese Tathandlungen subsumiert werden können. Die erste Frage wurde von den meisten Gesetzbüchern, in Übereinstimmung mit dem aktuell geltenden Recht, dahingehend beantwortet, dass die Tathandlung mittels tätlichen Angriffs, mittels Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt erfüllt werden musste.56 In § 89 PrStGB wurde ein Widerstandleisten sogar nur dann bejaht, 52
Genauer: Dem codex iuris Bavarici criminalis von 1751. Möbius, S. 33. 54 Stührmann, S. 69. 55 Vgl. C. I. 1. a) In Betracht kommende Schutzgüter und Gewichtung. 56 Vgl. etwa Art. 172 des HessStGB, § 89, 90 des PrStGB, § 615 des Badischen Strafgesetzbuchs oder § 107 des Braunschweigischen Kriminalgesetzbuchs. 53
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wenn eine Drohung mit Gefahr für Leib und Leben vorlag – obwohl das Erfordernis einer Drohung mit Gewalt, wie im aktuellen § 113 StGB vorgesehen, noch gar nicht im Tatbestand vorhanden war.57 § 89 PrStGB setzte als Tathandlung lediglich Widerstand „mit Gewalt oder Drohung“ voraus. Wurde diese Intensitätsschwelle nicht erreicht, lag ein nicht strafbarer Fall von bloßem Ungehorsam vor.58 Der Begriff der „thätlichen Widersetzlichkeit“, der in den Motiven zum Preußischen Strafgesetzbuch noch vorgesehen war, wurde als zu weit und zu unbestimmt bewertet, um als Tathandlung Einzug in das besagte Gesetzbuch zu erhalten und wurde daher schließlich nicht umgesetzt.59 Mit den gleichen Argumenten (zu weit und zu unbestimmt) wurde im Zusammenhang mit dem Thüringischen Strafgesetzbuch argumentiert. Dessen Wortlaut deutete in Art. 100 darauf hin, das „Widerstand leisten“ an sich könne eine taugliche Tathandlung darstellen.60 Wahrscheinlich handelte es sich dabei allerdings um eine missglückte Formulierung, nach der das „Widerstand leisten“ nicht als eigenständige Tathandlung zu verstehen sein sollte, sondern zusammen mit der darauf folgenden Tathandlung zu lesen sein und diese näher bestimmen sollte.61 Hinsichtlich der Frage, welche tatsächlichen Verhaltensweisen unter die Tathandlungen zu subsumieren waren, herrschte insbesondere hinsichtlich solcher Fälle Uneinigkeit, in denen sich der oder die Täter:in schlicht auf den Boden wirft, festklammert oder bei der Pfändung den betreffenden Gegenstand mit dem Körper bedeckt.62 Dieser Problempunkt wird noch heute unter dem Begriff des passiven Widerstands behandelt.63 Er hing mit der umstrittenen Frage zusammen, ob unter Gewalt nur physischer oder auch psychischer Zwang zu zählen ist und wie weit dieser reicht.64 In den Motiven zum Preußischen Strafgesetzbuch hieß es, die Tathandlung sei bereits erfüllt, mithin nicht als Fall des rein passiven, 57 Zopfs, GA 2000, 527, 537; Die Auslegung orientierte sich an den Vorgaben, die das gemeine Recht an die Widersetzlichkeit stellte. Dort machte sich nur strafbar, wer physische Gewalt anwendete oder androhte, Feuerbach, § 201, S. 341. 58 Feuerbach, § 201, S. 341. 59 Beseler, § 89, S. 257. 60 Thüringisches Strafgesetzbuch Art. 100: „Wer der Vollziehung einer von einer öffentlichen Behörde in ihrem Wirkungskreise ausgegangenen Anordnung Widerstand leistet [Hervorhebung der Verfasserin], sich gewaltthätig widersetzt, die dazu im Allgemeinen oder für den einzelnen Fall Beauftragten Personen mit Thätlichkeiten bedroht oder sich an ihnen wirklich vergreift, oder sich gegen Schildwachen oder ausgebildete Patrouillen thätlich vergeht, ist mit Gefängnis bis zu einem Jahr und, sofern er sich einer Waffe bedient hat, bis zu zwei Jahren zu belegen.“ 61 Zachariä, Der Gerichtssaal 1857, XXXI, 442. 62 Zachariä, Der Gerichtssaal 1857, XXXI, 439; speziell zum Preußischen Strafgesetzbuch hinsichtlich dieses Problempunktes: Beseler, § 89, S. 255. 63 Vgl. S. 103. 64 Vgl. etwa Zachariä, Der Gerichtssaal 1857, XXXI, 444.
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straflosen Widerstands anzusehen, wenn eine Tür gewaltsam vor einem Mitglied der Polizeibehörden „verrammelt“ wird.65 Indessen wurde angenommen, diese Auslegung entspräche nicht dem allgemeinen Sprachgebrauch und der Systematik der Gesetze, die meinst mehrfach den Begriff „gewaltsam/gewalttätig“ beinhalten.66 Auch diese Problematik besteht im heutigen rechtswissenschaftlichen Diskurs fort. Im Lehrbuch des Peinlichen Rechts wurde bereits 1847 gemahnt, den passiven Widerstand, Widerspenstigkeit und Beleidigungen nicht mit dem Widerstand zu verwechseln.67 ee) Konkurrenzen In der Geschichte der Delikte gegen die Staatsgewalt war insbesondere deren Verhältnis zu den Körperverletzungsdelikten und zur Beamtennötigung von Bedeutung. So enthielten beispielsweise die Motive zum Entwurf des Gesetzbuches über Verbrechen und Vergehen für das Königreich Bayern aus dem Jahr 1854 Ausführungen zum Verhältnis der Art. 140 („Widersetzung gegen die Obrigkeit“), 141 („Gewaltthätigkeit gegen Beamte und andere in öffentlicher Funktion stehender Personen“)-E BayStGB zu den Körperverletzungsdelikten. Im Falle einer „Beschädigung“ des Opfers, die das Gesetz mit höherer Strafe bedrohte, sei Tateinheit gegeben, mithin kämen die gesetzlichen Bestimmungen mit der höheren Strafe zur Anwendung.68 Eine höhere Bestrafung war etwa Art. 247 Abs. 1-E BayStGB („vorsätzliche Körperverletzung“) vorgesehen. Dort war die Tat mit einer Freiheitsstrafe von bis zu 15 Jahren Zuchthaus bedroht, wenn das Opfer infolge dessen einen bleibenden Nachteil am Körper erlitt. Als Beispiel für das Verhältnis zur (Beamten-)Nötigung war das Preußische Strafgesetzbuch instruktiv. In § 89 PrStGB (1851) waren Widerstandshandlungen gegen Vollstreckungspersonen während der Vornahme einer Amtshandlung unter Strafe gestellt. Strenger wurde nach § 90 PrStGB sanktioniert, wer eine Behörde oder eine verbeamtete Person zur Vornahme oder Unterlassung einer Amtshandlung zwang beziehungsweise zu zwingen versuchte. Die Nötigung zu einer Amtshandlung erscheint hier, soweit ersichtlich, erstmalig als eigener Tatbestand, der 65
Abgedruckt und kommentiert in Beseler, S. 255. Hesster, Archiv des Criminalrechts 1855/Viertes Stück, 526, 545 und Zachariä, Der Gerichtssaal 1857, XXXI, 441, 443 ff. Die Autoren sind sich allerdings an anderer Stelle uneinig, Zachariä vertritt ein engeres Verständnis vom Begriff der gewaltsamen Widersetzung. Die von Hesster als Widersetzung eingestuften Handlungen wie das Festhalten an der Tür oder sich dagegenstemmen, sodass sie nicht geöffnet werden kann oder das Festhalten oder einklemmen einer Sache oder Person, um seine Fortschaffung zu verhindern, sieht er daher als nicht tatbestandsmäßig an. 67 Feuerbach, § 201, S. 346. 68 Schmid, Entwurf des Gesetzes über Verbrechen und Vergehen nebst Motiven, S. 315. 66
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sog. Beamtennötigung.69 Damit war der Ausgangspunkt des Problems des Verhältnisses zwischen der (Beamten-)Nötigung und dem Widerstand gegen Vollstreckungspersonen geschaffen. Die Diskussion war zunächst ausschließlich auf die Abgrenzung zwischen Widerstand und Beamtennötigung beschränkt, welche beide aus dem crimen vis hervorgingen. Den vertretenen Ansätzen war gemein, dass sie von einem tatbestandlichen Exklusivitätsverhältnis ausgingen.70 Das Verhältnis der Tatbestände zur allgemeinen Nötigung wurde weder in der Rechtsprechung noch in der Literatur diskutiert.71 Etwas anderes galt für das Verhältnis zur Beleidigung. Hier war umstritten, ob die Widerstandsdelikte nicht auch eine Beleidigung beinhalteten und als solche zu bestrafen seien.72 b) Zeitraum seit dem Reichsstrafgesetzbuch bis in das Jahr 2011 Das 1872 in Kraft getretene Deutsche Strafgesetzbuch wurde in seiner Fassung bis zum Dritten Strafrechtsänderungsgesetz im Jahr 195373 als Reichsstrafgesetzbuch (RStGB) bezeichnet. Das Reichsstrafgesetzbuch beruhte überwiegend auf dem Preußischen Strafgesetzbuch74 und enthielt in seiner ursprünglichen Fassung in § 113 Abs. 1 RStGB folgende Regelung: „Wer einem Beamten, welcher zur Vollstreckung von Gesetzen, von Befehlen und Anordnungen der Verwaltungsbehörden oder von Urtheilen und Verfügungen der Gerichte berufen ist, in der rechtmäßigen Ausübung seines Amtes durch Gewalt oder durch Bedrohung mit Gewalt Widerstand leistet, oder wer einen solchen Beamten während der rechtmäßigen Ausübung seines Amtes thätlich angreift, wird mit Gefängniß bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bis zu fünfhundert Thalern bestraft.“
Das Reichsstrafgesetzbuch wies in der betreffenden Norm, wie auch die Gesetze, aus denen es sich zusammensetzte, in erster Linie Vollstreckungsbeamt:innen als geschützte Personen aus. Über Absatz zwei wurden weitere Personen in den Schutzbereich einbezogen. Eine Vollstreckungshandlung war dem Wortlaut nach nicht erforderlich, jedoch musste die Tathandlung in zeitlicher Hinsicht während der rechtmäßigen Ausübung des Amtes erfolgen. Ob die Rechtsgüter der geschützten Personen auch das vorrangige Schutzobjekt des Tatbestands sein sollten oder vielmehr die ungestörte Durchführung der Diensthandlung, geht aus den parlamentarischen Beratungen zu § 113 RStGB nicht hervor, war aber seit 69 § 114 StGB, Fassung von 1876, lautete: „Wer es unternimmt, durch Gewalt oder Drohung eine Behörde oder einen Beamten zur Vornahme oder Unterlassung einer Amtshandlung zu nötigen, wird mit Gefängnis nicht unter drei Monaten bestraft.“ 70 Thomma, S. 56. 71 Thomma, S. 56. 72 Beseler, § 89, S. 255. 73 Strafgesetzbuch vom 04.08.1953, BGBl. I Nr. 44, S. 735. 74 Calker, S. 354. Zudem fanden das Bayerische und das Sächsische Strafgesetzbuch Berücksichtigung.
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jeher umstritten.75 In der Literatur wurde davon ausgegangen, § 113 RStGB schütze die Tätigkeit und § 114 RStGB, die Beamtennötigung, die Willensfreiheit der verbeamteten Person.76 Unklar ist, weshalb teilweise davon ausgegangen wurde, dass die „hoheitliche Vollstreckungstätigkeit“ bereits damals das Rechtsgut des Tatbestands bildete, obwohl der Tatbestand das Vorliegen einer solchen nicht erforderte, ebenso wenig wie eine dahingehende Vereitelungsabsicht.77 Der historische Rückblick gibt auch Aufschluss darüber, dass das Verhältnis zur Nötigung nicht erst in den letzten Jahren spannungsvoll und wechselreich war. § 113 RStGB von 1871 war mit Geldstrafe oder bis zu zwei Jahren Gefängnis belegt, während für die Beamtennötigung78 keine Strafandrohung im Tatbestand normiert war. Die Höchststrafe war daher § 16 RStGB79 zu entnehmen. In Kombination mit der Beamtennötigung, welche teilweise im aktuellen § 113 StGB aufging, ergab sich somit ein Strafmaß von bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe.80 Da § 240 RStGB mit Geldstrafe oder Gefängnis bis zu einem Jahr bedroht war, war das Verhältnis des Widerstands zur allgemeinen Nötigung damit zunächst eindeutig: Von einer Privilegierung konnte keine Rede sein.81 Sofern gewisse Merkmale (Amtsträgereigenschaft und Vornahme einer Diensthandlung) vorlagen, sollte demnach eine höhere Strafe verhängt werden als bei Nötigungen des „Standardgesellschaftsmitglieds“ mit einem „Standardberuf“, weshalb zum Teil von einem Qualifikationsverhältnis zur Nötigung ausgegangen wurde.82 Auf der anderen Seite waren die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 240 RStGB in der Hinsicht enger, dass die Norm nur Drohungen mit einem Verbrechen oder Vergehen erfasste, während die Beamtennötigung jegliche Drohung ausreichen ließ. Überwiegend wurde vertreten, dass die allgemeine Nötigung der Beamtennötigung vorgehen sollte.83 Das sollte im Übrigen auch für das Verhältnis von § 113 RStGB zur allgemeinen Nötigung gelten.84 75 Möbius, S. 56, ebenso wenig aus den Motiven zum Entwurf eines StGB für den Norddeutschen Bund, S. 126. 76 Ebermayer/Lobe/Rosenberg, § 113 Rn. 5. 77 So aber Möbius, S. 56. 78 § 114 RStGB lautete: „Wer es unternimmt, durch Gewalt oder Drohung eine Behörde oder einen Beamten zur Vornahme oder Unterlassung einer Amtshandlung zu nötigen, wird mit Gefängnis bestraft.“ 79 § 16 Abs. 1 RStGB lautete: „Der Höchstbetrag der Gefängnißstrafe ist fünf Jahre, ihr Mindestbetrag ein Tag.“ 80 NK-StGB/Paeffgen, Band 2, § 113 Rn. 1, bezeichnet die Beamtennötigung als qualifizierenden Fall. 81 Thomma, S. 59. 82 Vgl. Fahl, ZStW 2012, 311, 311. 83 Nach wohl überwiegend vertretener Ansicht wies § 114 StGB a. F. einen anderen Anwendungsbereich auf, war somit ein aluid. Thomma, S. 60 zählt weitere Möglichkeiten auf. 84 RGSt 31, 3, 4.
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Dieses Verhältnis änderte sich radikal durch eine Verordnung aus der Zeit des Nationalsozialismus85, nach der § 240 RStGB mit Gefängnis (das heißt bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe, § 16 Abs. 1 RStGB) und in besonders schweren Fällen mit Zuchthaus (das heißt bis zu 15 Jahren Freiheitsstrafe, § 14 Abs. 2, 3 RStGB) bestraft werden konnte.86 Damit war § 113 RStGB plötzlich mit einer geringeren Strafe ausgestattet als die Nötigung, was den Ausgangspunkt für die folgende Diskussion über die Privilegierung bildete.87 Diese Veränderung ist vor dem geschichtlichen Hintergrund erstaunlich.88 Zur Zeit des Nationalsozialismus kam der Sicherung des staatlichen Machtanspruchs eine zentrale Rolle zu. Dem Individuum wurde im Verhältnis dazu bekanntlich eine gänzlich untergeordnete Rolle zugesprochen. Die autoritäre Staatsauffassung der NS-Zeit ist auch in den Entwürfen zur Strafrechtsangleichungsverordnung von 1943 ersichtlich. Hier war für die Widerstandsdelikte eine weitaus höhere Strafe angedacht als für die einfache Nötigung.89 Die angedachte Reform der §§ 113, 114 RStGB blieb jedoch aus. Die Expansion des NS-Reiches machte eine Angleichung des Rechts an die neuen Teilen des Reiches erforderlich, was in Form einer Angleichungsverordnung geschah. Bei dieser wurde allerdings einzig die Strafandrohung der Nötigung auf fünf Jahre entsprechend der Regelung der neuen Alpen- und DonauReichsgaue angehoben, während die Anpassung der Widerstandsdelikte unterblieb. Überdies war auf tatbestandlicher Seite von nun an eine Drohung mit empfindlichem Übel statt mit einem Verbrechen oder Vergehen zur Tatbestandsverwirklichung erforderlich.90 Zum ersten Mal in der Geschichte der Widerstandsdelikte wies die Nötigung nun eine härtere Strafandrohung als die Widerstandstaten auf. Da dies dem Willen der nationalsozialistischen Rechtsetzungsinstanz widersprach, wird davon ausgegangen, dass die Anpassung der Strafandrohung der §§ 113, 114 RStGB aufgrund der damaligen Zeitgeschehnisse schlicht übersehen wurde.91 Über die Höhe der Strafandrohung der §§ 113, 114 StGB a. F. und das Verhältnis der Tatbestände wurde erst wieder im Rahmen der Beratungen zu den Garmischer Beschlüssen und den Strafrechtsreformgesetzen diskutiert. In diesem Zeitraum wurde erstmals der Privilegierungsgedanke im Verhältnis der §§ 113, 114 StGB a. F. zu § 240 StGB a. F. geäußert. Bis dahin wurde dieses Erklärungsmodell allein auf das Verhältnis zwischen § 113 StGB a. F. und § 114 StGB a. F. 85 86 87 88 89 90 91
RGBl. I S. 339. Zu den Einzelheiten siehe Möbius, S. 91 f. Vgl. etwa Möbius, S. 90 f. Fahl, ZStW 2012, 311, 311. Vgl. für die Übersicht der Entwürfe Thomma, S. 71 ff. Thomma, S. 83. Hirsch, in: FS Klug, S. 237.
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angewandt.92 Der Sachverständige, der den Privilegierungsgedanken auf das Verhältnis der Widerstandsnormen zu der allgemeinen Nötigung übertrug, ging fälschlicherweise davon aus, die geringere Strafandrohung der Widerstandsdelikte entspräche der Regelung früherer Gesetze und damit dem Willen der historischen gesetzgeberischen Instanz. Diese habe mit der geringeren Strafandrohung dem Erregungszustand Rechnung tragen wollen, in dem sich eine von einer Vollstreckungshandlung betroffene Person befinde.93 Diese Aussage wurde daraufhin bei den weiteren Beratungen zur Prämisse gemacht.94 Aus den Beratungsprotokollen zum 1. Gesetz zur Reform des Strafrechts (1. StrRG) geht hervor, dass die Debatte maßgeblich von den aktuellen Zeitgeschehnissen der späten 60er Jahre geprägt war, die im Zeichen der Studentenrevolten, der Auflehnung gegen das „Establishment“ geprägt waren. Es wurde die Frage gestellt, ob die Strafen zur Abschreckung verschärft, oder, zum Zwecke einer deeskalierenden Wirkung, gesenkt werden sollten. Juristisch-dogmatische Überlegungen traten hingegen in den Hintergrund.95 Mit dem 1. StrRG wurde schließlich der Strafrahmen der (allgemeinen) Nötigung im Höchstmaß auf drei Jahre herabgesetzt,96 womit er dennoch über dem der §§ 113, 114 StGB a. F. verblieb. Die Beratungen über die Vorschriften über die Straftaten gegen den Gemeinschaftsfrieden wurden abgebrochen und blieben vorerst in ihrer alten Fassung erhalten. Der lebhafte Dialog setzte sich bei den Diskussionen zum 3. Gesetz zur Reform des Strafrechts (3. StrRG) fort. Im Wesentlichen standen sich weiterhin zwei Vorschläge gegenüber: zum einen der Entwurf der CDU, der weitestgehend an den Garmischer Beschlüssen angelehnt war und auf eine Anpassung an die allgemeine Nötigung, mithin die Erhöhung der Strafandrohung für die §§ 113, 114 StGB a. F., abzielte,97 und zum anderen der Entwurf der SPD und der FDP98, welcher näher an der ursprünglichen Fassung orientiert war und diese Strafverschärfung nicht vorsah. Mit der Wahl einer sozial-liberalen Regierung in der neuen Legislaturperiode war im Grunde entschieden, dass sich der auf Entkriminalisierung gerichtete Entwurf der SPD/FDP durchsetzen würde.99 Eine Erhö92
Thomma, S. 95. Deutscher Bundestag, 136. Sitzung des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform, S. 2884 ff. 94 Vgl. Hirsch, in: FS Klug, S. 236 f. 95 Thomma, S. 103. 96 Strafgesetzbuch vom 25.06.1969 BGBl. I Nr. 52, S. 645. 97 Unter anderem durch Anhebung des Strafmaßes auf drei Jahre und die Übernahme des Merkmals „Drohung mit einem empfindlichen Übel“. 98 Der Entwurf enthielt eine Rückkehr zum Tatbestandsmerkmal „Widerstandleisten“ und sah die genannten Anpassungen an § 240 StGB a. F. nicht vor, dafür aber die Streichung des § 114 StGB a. F. 99 BT-Drs. VI/261. 93
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hung des Strafrahmens wäre für die Abgeordneten der neuen liberalen Regierungskoalition vor dem Hintergrund der Studentenrevolten eine politische Unmöglichkeit gewesen. Im Sonderausschluss verständigten sich die Parteien daher auf den am 22. Mai 1970 mit dem 3. StrRG in Kraft getretenen Kompromiss:100 Das 3. StrRG schränkte den Anwendungsbereich des § 113 StGB a. F. nunmehr in der Hinsicht ein, dass sich betroffene Bedienstete, die zur Vollstreckung von Gesetzen berufen sind, bei der Vornahme einer solchen Amts- oder Diensthandlung befunden haben mussten. Die geschützte Person musste also von nun an eine Vollstreckungstätigkeit ausüben. Eine allgemeine Diensthandlung oder gar ein Angriff bei Gelegenheit erfüllte den Tatbestand hingegen nicht mehr.101 Die zuvor in § 114 StGB a. F. normierte Beamtennötigung wurde mit dem 3. StrRG ersatzlos gestrichen. Die Maßnahme wurde damit begründet, dass die dem Tatbestand unterfallenden Nötigungen künftig von § 240 StGB a. F. erfasst werden sollten.102 Das verfolgte Ziel, die Abgrenzung zwischen § 113 a. F. und § 114 StGB a. F. zu ermöglichen, war damit durch die Streichung des Letzteren erreicht worden. Stattdessen gewann jedoch ein anderes Problem an Bedeutung: die Abgrenzung zwischen § 113 StGB und der allgemeinen Nötigung.103 Im Jahr 1975 wurde der persönliche Anwendungsbereich des § 113 StGB a. F. verändert, sodass nicht mehr nur Vollstreckungsbeamt:innen, sondern alle Amtsträger:innen geschützt wurden, die zur Vollstreckung berufen waren.104 Der Begriff des „Amtsträgers“ im strafrechtlichen Sinne ist weiter als der des „Beamten“, er erfasst unter anderem Richter:innen, § 11 Abs. 1 Nr. 2a StGB. Letztere sind etwa in Ausübung der Sitzungspolizei „zur Vollstreckung berufen“.105 c) Zwischenfazit Der historische Rückblick ergibt, dass zu Beginn der Geschichte der Widerstandsdelikte weniger die hoheitliche Tätigkeit unter strafrechtlichen Schutz gestellt wurde, vielmehr war der Schutz vor Angriffen auf die herrschende Institution und ihre Vertreter:innen an sich beziehungsweise deren Autorität strafrechtlich geschützt. Das offenbart die Definition der „Obrigkeit“ und der Umstand, dass die Widerstandsdelikte ihre Ursprünge in der Majestätsbeleidigung haben. Erst später verengte sich der Schutzbereich auf Vollstreckungsorgane und ihnen gleichgestellte Personen. 100
BT-Drs. VI/502, S. 3 ff. Weiterhin wurde trotz des „Hauchs des Feudalen“ am Tatbestandsmerkmal des Widerstandleistens festgehalten und der tätliche Angriff hinzugefügt. 102 Preisendanz, S. 2. 103 Thomma, S. 121. 104 Strafgesetzbuch vom 02.01.1975, BGBl. I Nr. 1, S. 42. 105 RGSt 15, 227, 227. 101
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Dennoch wurde die Frage, ob der strafrechtliche Schutz lediglich während der Amtszeit oder auch bei anderen Gelegenheiten gelten sollte, in der Vergangenheit epochenübergreifend von den jeweils geltenden Gesetzen meist dahingehend beantwortet, dass er auf die Dauer der Amtsausübung begrenzt war.106 Teilweise wurde dieser Umstand auch nicht geregelt, zum Beispiel im codex iuris Bavarici criminalis und dem Bayerischen Strafgesetzbuch von 1861. Da die hoheitliche Amtstätigkeit erst im Laufe der Zeit in den Vordergrund rückte,107 tauchte das Erfordernis einer Vollstreckungshandlung als notwendige Voraussetzung der Tatbestandsverwirklichung, wie sie noch heute in § 113 StGB anzutreffen ist, in der Geschichte der Widerstandsnormen gegen die Staatsgewalt kaum auf. Die meisten Gesetzbücher forderten nur das Vorliegen einer allgemeinen Amtshandlung. Lediglich im Preußischen Allgemeinen Landrecht (1794), im Hessischen (1841) und im Österreichischen (1852) Strafgesetzbuch wurde sowohl an die reine Amtstätigkeit als auch an die Vollstreckungshandlung angeknüpft. Erst durch das 3. StrRG wurde eine Regelung geschaffen, die ausschließlich Vollstreckungshandlungen schützte. Insofern entspricht die Regelung des (aktuellen) § 114 StGB, der nicht (mehr) an eine Vollstreckungshandlung anknüpft, seinen historischen Vorgängernormen eher als § 113 StGB, welcher eine solche voraussetzt. Mit einigen Abweichungen ist eine Entwicklung ersichtlich, bei der die geschützten Personengruppen anfangs generell, später bei der Vornahme von Diensthandlungen und schließlich nur noch bei der Vornahme von Vollstreckungshandlungen vom Tatbestand erfasst werden sollten. Unsicherheiten bestanden darüber hinaus seit langer Zeit im Hinblick auf das geschützte Rechtsgut. Dieses sollte anfänglich in der Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit108 oder auch in der Ehre und Würde des Staates109 liegen. Insbesondere die ungestörte Durchführung von Vollstreckungsakten kam lange schon deshalb nicht als Schutzgut in Betracht, weil der Tatbestand eine Vollstreckungshandlung nicht erforderte. Meist musste der Widerstand jedoch gegen eine Amtshandlung gerichtet sein, sodass die ungestörte Durchführung allgemeiner Diensthandlungen durchaus bezweckt war. Hinweise darauf, dass die Vollstreckungspersonen über ihre Vertretungsfunktion des Staates selbst geschützt sein sollten, sind nicht bekannt; dennoch wurde diese Frage, zumindest seit der Einführung des Reichsstrafgesetzbuches, diskutiert.110
106 Beispielsweise das Preußische Allgemeine Landrecht, das Bayerische Strafgesetzbuch von 1813, das Hessische Strafgesetzbuch, das Preußische Strafgesetzbuch oder auch das Reichsstrafgesetzbuch von 1871. 107 In etwa zur Zeit des Preußischen Allgemeinen Landrechts, in dem auch das erste Mal von einem eigenen Tatbestand gesprochen werden konnte. 108 Z. B. im codex iuris Bavarici criminalis. 109 Z. B. in der Constiutio Criminalis Bambergensis. 110 Vgl. Möbius, S. 56.
II. Gesetzgebungsverfahren und Vorgängerfassung
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Die Diskussionen um das 1. und 3. StrRG machten zudem deutlich, dass die Entscheidung über eine Vergrößerung oder Verkleinerung des Schutzbereichs, beziehungsweise über eine Entkriminalisierung oder Strafverschärfung, maßgeblich vom aktuellen Zeitgeschehen und den politischen Herrschaftsverhältnissen abhängen. Bei einer liberaleren Staatsform oder regierenden Koalition war eine Verringerung des Strafmaßes im Fall einer Gesetzesänderung wahrscheinlicher,111 wie etwa das Ergebnis der Verhandlungen zum 3. StrRG indiziert. Der historische Rückblick zeigt auch, dass einige aktuelle Reformvorschläge schon einmal geäußert wurden beziehungsweise bereits geltendes Gesetz waren. Sogar die Idee, den tätlichen Angriff abzuschaffen, ist nicht neu, auch wenn er in der Vergangenheit noch nie in einem eigenständigen Tatbestand geregelt war. Insgesamt hat sich der Schutzbereich bis zum Jahr 2011, mit Ausnahme einiger Schwankungen, immer weiter verkleinert. Die jüngsten Änderungen wirken dieser Entwicklung entgegen.
II. Gesetzgebungsverfahren zum 52. Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches und durch die Vorgängerfassung geschaffene Ausgangssituation Der folgende Abschnitt behandelt im weiteren Sinne das Gesetzgebungsverfahren zu den geltenden §§ 113 ff. StGB, beginnend ab dem Jahr 2011, inklusive dem für die Polizeiarbeit und damit für die Novellierung im betreffenden Zeitraum relevanten gesellschaftlichen Kontext. Die Beleuchtung der Hintergründe, Abläufe und Begleitumstände ermöglicht eine Beurteilung der Novellierung, die über die bloße Gesetzeskritik hinausgeht.112 Die zeitlichen Aspekte innerhalb des Gesetzgebungsverfahrens, insbesondere die damaligen gesellschaftlichen Geschehnisse und die besondere Schnelligkeit des Vorgangs, geben erste Hinweise auf mögliche gesetzgeberische Intentionen. Gleiches gilt für die gesellschaftlichen Entwicklungen, welche die Polizeiarbeit im Zeitraum vor der Novellierung verändert haben und vor neue Herausforderungen stellten. Vor dem Hintergrund, dass das Änderungsgesetz zu dem Zweck geschaffen wurde, die den Staat repräsentierenden Personen besser vor Gewalttätigkeiten zu schützen, wird untersucht, ob ein Anstieg gewalttätiger Angriffe zu verzeichnen ist. Die Standpunkte der Parteien deuten darauf hin, dass die Ausgestaltung der Widerstandsdelikte gegen die Staatsgewalt einen starken politischen Bezug aufweisen.
111 In einem liberalen Rechtsstaat etwa werden den hoheitlichen Befugnissen andere Grenzen gesetzt als in einem Polizei- oder gar dem Führerstaat im Nationalsozialismus, Koziol, S. 23. 112 Kölbel, ZStW 2021, 169, 170.
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Außerdem wird ermittelt, welche Änderungen im Vergleich zur Vorgängerfassung vorgenommen wurden, um den gesetzlichen Ausgangspunkt des 52. Strafrechtsänderungsgesetzes abzustecken. Anschließend wird in Kürze auf die Kritikpunkte an der Vorgängerfassung eingegangen. Das ist bedeutsam, da die im darauffolgenden Kapitel ausführlich dargestellten Kritikpunkte an der aktuellen Fassung zum großen Teil bereits in der Vorgängerfassung erstmals in Erscheinung getreten sind und insofern an die Änderungen von 2011 anknüpfen. Daran lässt sich erkennen, ob die jüngsten Neuerungen eine ähnliche Tendenz aufweisen, mithin ein kriminalpolitischer Kurs erkennbar ist, und ob aus den damaligen Kritikpunkten Schlussfolgerungen gezogen wurden. 1. Gesellschaftlicher Kontext der Novellierung Mit der Gesetzesnovellierung sollte die Position der Vollstreckungspersonen und Rettungskräfte verbessert werden, was bereits aus der Überschrift „Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften“ hervorgeht. Als Schnittstelle zwischen Staat und Staatsangehörigen spüren Polizist:innen gesellschaftliche Trends, allgemeine Sorgen, aber auch Vorbehalte gegenüber dem Staat unmittelbar. Diese Veränderungen beeinflussen das Polizei-IndividuumVerhältnis und stellen die Polizei auch intern vor neue Herausforderungen. Daher wird untersucht, welche gesellschaftlichen Entwicklungen in den letzten Jahren für (belastende) Veränderungen der polizeilichen Tätigkeit gesorgt haben. Die Ausführungen beziehen sich nicht nur auf jene Aspekte, die das Polizei-Individuum-Verhältnis unmittelbar beeinflussen, sondern auch auf jene allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklungen, die dies mittelbar tun, indem sie beispielsweise die Arbeitsbelastung erhöhen. Hintergrund dessen ist die Vermutung, dass in der Polizei eine große Unzufriedenheit herrscht, die auf verbesserungswürdige Arbeitsbedingungen und eine (gegebenenfalls) empfundene Zunahme respektlosen Verhaltens gegenüber der Polizei zurückzuführen ist. Die im Folgenden aufgeführten gesellschaftlichen Tendenzen weisen allesamt einen zumindest mittelbaren Bezug zu diesen Aspekten auf. Die Steigerung der Zufriedenheit der Mitglieder der Polizei durch Entgegenbringung von Respekt und Wertschätzung, so die Hypothese, könnte ein maßgebliches Ziel des Gesetzgebungsakts gewesen sein.113 Die Annahmen finden ihren Grundstein in der Tatsache, dass der „Respekt und Wertschätzungs“-Aspekt im Gesetzgebungsprozess breit diskutiert wurde, was schließlich auch explizit in der Gesetzesbegründung Einzug gefunden hat.114 Die Idee beziehungsweise der Wunsch, mittels Gesetzesänderung und -verschärfung ein solches Signal zu setzen, dürfte auch maßgeblich durch die Ge113 Tiefergehend D. II. 2. b) Solidaritätsbekundung statt Auseinandersetzung mit zu Grunde liegenden Problemen. 114 BT-Drs. 18/11161, S. 1, 9.
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werkschaft(en) der Polizei angestoßen worden sein. Diese weisen seit Jahren auf einen veränderten gesellschaftlichen Umgang mit ihren Mitgliedern und mangelhafte Arbeitsbedingungen hin und fordern ebenso lange Verschärfungen des Strafrechts.115 Diese Hintergründe der Reform könnten Auswirkungen auf die konkrete Ausgestaltung der Tatbestände gehabt haben und sind daher bedeutsam, um den Gesetzgebungsprozess ganzheitlich nachzuvollziehen. a) Neuere gesellschaftliche Entwicklungen mit Auswirkungen auf die Polizeiarbeit und das Polizei-Individuum-Verhältnis Gesetze spiegeln zu ihrem Erlasszeitpunkt aktuelle, potentiell jederzeit änderbare gesellschaftliche Umstände wider und sind daher in besonderem Maße Politikerzeugnisse.116 Die folgenden gesellschaftlichen Entwicklungen haben in den letzten Jahren die Polizeiarbeit beeinflusst und könnten daher im Entwicklungsprozess zum 52. Strafrechtsänderungsgesetz und gegebenenfalls auch bei der Novellierung aus dem Jahr 2011 eine Rolle gespielt haben. Die Megatrends Globalisierung, demografischer Wandel und vor allem Digitalisierung verändern sämtliche Lebensbereiche seit mehreren Jahren und machen damit auch vor den Aufgaben der Sicherheitsbehörden keinen Halt. Viele Folgen machen sich aktuell verstärkt bemerkbar, insbesondere im Hinblick auf die Arbeitsbelastung in den Polizeibehörden.117 Ganz besonders fällt dies beim demografischen Wandel auf, der die Personalsituation in der Justiz und in Behörden erheblich belastet. Personalmangel ist einer der zentralen Gründe für Unzufriedenheit in Polizeikreisen.118 Auch auf das Sicherheitsgefühl hat das Alter einen großen Einfluss, sowohl in der allgemeinen Bevölkerung als auch innerhalb der Polizei.119 Zudem wirkt sich die Globalisierung auf die polizeiliche Tätigkeit aus. Seit dem neuen Jahrtausend haben Protestaktionen zugenommen, mit denen häufig 115 Es wird beispielsweise berichtet, aktuell komme es vermehrt zu Angriffen aus dem Hinterhalt, Polizeipräsidium FFM, Stellungnahme LT NRW Drs. 16/3433, S. 7; zu den langjährigen Forderungen nach härteren Strafen: GdP NRW, Stellungnahme NRW Drs. 16/3444, S. 2. 116 Katsarov, S. 27. 117 Vgl. eingehend D. II. 2. b) bb) Personalmangel als zentrale Ursache für Unzufriedenheit. 118 Lindner, Zentrale Ergebnisse der Mitarbeiter-Befragung zu den Arbeitsbedingungen bei der Landespolizei des Bundeslandes Thüringen, S. 36; Niedersächsisches Ministerium für Inneres und Sport, Erste Ergebnisse der landesweiten Mitarbeiterbefragung der Polizei: Positives Arbeitsklima und sichere Arbeitsplätze als Motivationsfaktoren vom 09.11.2015, S. 1; Jager/Klatt/Bliesener, NRW-Studie Gewalt gegen PVB – Abschlussbericht, 2013, S. 266. 119 D. II. 3. b) bb) (2) Determinante Nr. 2: Demografische Daten.
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auch Globalisierungskritik geübt wurde. In diese Kategorie können auch die Demonstrationen im Zusammenhang mit der Eröffnung der Europäischen Zentralbank in Frankfurt am Main gesehen werden, die im Wesentlichen durch das linkspolitische Bündnis Blockupy initiiert wurden und als Schlüsselereignis für die erneute Verschärfung der §§ 113 ff. StGB durch die Novellierung gelten.120 Diese Aktionen fordern erhebliche Ressourcen der Polizei. Auch bestimmte Deliktsgruppen weisen globale Bezüge auf, insbesondere jene, die häufig mit dem Begriff „organisierte Kriminalität“ beschrieben werden. Dazu zählt beispielsweise der Rauschgifthandel oder der Menschenhandel. Der Großteil der Straftaten hat jedoch nach wie vor einen lokalen beziehungsweise regionalen Hintergrund.121 Transnationale Bezüge hinsichtlich der Ideologie und der Mitglieder sind etwa in der aktuell auftretenden Erscheinungsform des Terrorismus erkennbar. Die Polizeiarbeit ist daher vermehrt auf die bi- und multinationale Zusammenarbeit ausgerichtet, insbesondere in Grenzregionen. Diese globalisierenden Entwicklungen sorgen für eine Neuausrichtung der Prävention und der Strafverfolgung und verändern dadurch unter anderem den Aufgabenbereich der Polizei. Die Globalisierung wirkt sich auch auf die Rechtsetzung im Allgemeinen aus. So ist die EU nicht mehr nur auf die Ebene der Kommunikation beschränkt, sondern wird vermehrt bei der Setzung materiellen Rechts tätig, auch im Bereich der inneren Sicherheit. Ein Versuch dessen war beispielsweise die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung von 2008.122 Andere internationale Organisationen wie die Vereinten Nationen oder die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) haben zwar keine formale Rechtsetzungskompetenz, spielen aber dennoch eine Rolle in den Gesetzgebungsverfahren.123 Darüber hinaus geht der Digitalisierungstrend nicht an der Polizei vorbei. Bereits seit 2006 gelten Computer als „informatorisches Rückgrat moderner Polizeiarbeit“124 und veränderten den Polizeialltag in vielerlei Hinsicht. So stehen Vollstreckungspersonen den Bürger:innen bei der Arbeit nicht mehr zwingend von Angesicht zu Angesicht gegenüber, da das Internet beiden Seiten die Möglichkeit 120 Vgl. z. B. Malchow, Schreiben an den Bundesjustizminister vom 27.03.2015, https://www.gdp.de/gdp/gdp.nsf/id/DE_GdP_fordert_115_gegen_uebergriffe_auf_Poli zisten/$file/150327JuMiBundMaas.pdf (zuletzt abgerufen am 01.12.2021). 121 Knelangen, ApuZ 48/2008, 33, 33. 122 RICHTLINIE 2006/24/EG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 15. März 2006. Die Richtlinie wurde am 08.04.2014 vom EuGH für ungültig erklärt, Urteil in den verbundenen Rechtssachen C-293/12 und C-594/12, aber führte in Deutschland zum „Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG“. 123 Knelangen, ApuZ 48/2008, 33, 36. 124 Pütter, S. 4.
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eines anonymen Auftretens ermöglicht. Die Auswirkungen dieses Aspekts für das Polizei-Individuum-Verhältnis sind, soweit ersichtlich, noch nicht untersucht. Es erscheint jedoch nicht ausgeschlossen, dass die Bürgernähe unter dieser Entwicklung leidet. Die Polizei stellt die Tatsache, dass ihre Mitarbeitenden nicht mehr unmittelbar vor Ort sein müssen, vor die Aufgabe, ihre Informationsübermittlung neu zu organisieren.125 Polizeiarbeit im digitalen Raum bedeutet ein hohes Maß an Zusammenarbeit zwischen Behörden, Ämtern, der Industrie (zum Beispiel zu Providern), Forschungsinstituten usw. für eine effiziente Funktionalität.126 Insofern spielen die Stichworte Kooperation, Informationsaustausch und Aufgabenteilung auch hier eine wichtige Rolle. Die sozialen Medien bieten der Polizei auf der anderen Seite die Möglichkeit, eine Vielzahl an Gesellschaftsmitgliedern zu erreichen (und vice versa, wie etwa am Beispiel des Amoklaufs in München im Jahr 2016 zu sehen war). Außerdem gilt als gesicherte Erkenntnis, dass soziale Medien eine wichtige Rolle bei der (De-)Radikalisierung extremistischer Personen und der Aufdeckung krimineller Netzwerke spielen. Als positiver Aspekt bieten sie durch die nahezu unendliche Fülle an frei verfügbaren Daten außerdem eine wichtige Informationsquelle für die polizeilichen Ermittlungen.127 Die Themenkomplexe Globalisierung und Digitalisierung weisen insgesamt viele Schnittmengen auf und stellen die Polizei vor zusätzliche und komplexe Aufgaben, die häufig viele Ressourcen kosten128 und daher mitverantwortlich für die hohe Arbeitsbelastung innerhalb der Polizei129 sind. Außerdem sprechen Soziolog:innen von einer Änderung der Sozialstruktur in der Bevölkerung, die sich auch bei der Polizeiarbeit bemerkbar macht: Grundlegende Werte und Inhalte der deutschen Kultur, Denkmuster und Institutionen unterliegen einem Wandel. Lebensstile, Familienformen, der Arbeitsmarkt und die eigene Identität sind pluralisierter.130 Diese Entwicklung wird auch als „Individualisierung“ beschrieben. Es handelt sich um einen Begriff, der mehrere Teilaspekte umfasst:131 Zum einen stellt er auf die gestiegene Optionsvielfalt möglicher Lebenswege ab, die zu immer mehr biographischen Entscheidungen zwingt, bei denen keine Garantien existieren, dass diese für den eigenen Lebensweg erfolgreich sein werden. Auch ist ein allgemeingültiges Wertesystem, anhand dessen die wesentlichen Entscheidungen für den eigenen Lebensweg getrof-
125
Pütter, S. 6 f. Rüdiger/Bayerl, in: Digitale Polizeiarbeit, S. 12. 127 Vgl. etwa Dienstbühl/Hermann-Marschel, in: Digitale Polizeiarbeit, S. 69 ff. 128 Die Durchsuchung eines einzelnen Computers kann einen einzelnen Beamten teilweise viele Wochen beschäftigen. 129 Vgl. hierzu D. II. 2. b) aa) (2) Erkenntnisse ausgewählter Studien. 130 Salzmann, in: Polizei in Staat und Gesellschaft, S. 138. 131 Schlepper, S. 168 f. 126
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fen werden könnten, weniger deutlich auszumachen. Früher diente der Glauben Vielen als Richtschnur, heute existieren eine Vielzahl, teilweise miteinander konkurrierender Wertesysteme nebeneinander. Die Individualisierung äußert sich auch in der Auflösung traditioneller Bindungen und Sicherheiten. Moderne Bindungen sind freier gewählt und ihnen wird nachgesagt, dass sie eher auf intellektuellen, affektuellen oder ästhetischen Gesinnungen beruhen. Aufgrund der Freiwilligkeit sollen sich diese als weniger stabil erweisen.132 Diese Entwicklungen tragen zu einer allgemeinen Verunsicherung in der Gesellschaft133 bei. Ferner wirkt sich mittelbar auf die Polizeiarbeit aus, dass die Aufstiegsbewegung, die auf den Zweiten Weltkrieg folgte, endgültig abflacht, während gleichzeitig die soziale Ungleichheit seit dem Ende des 20. Jahrhunderts wächst.134 Dies ist bedeutsam, da die Einkommensverteilung von maßgeblicherer Bedeutung für die Zufriedenheit der Bevölkerung als die Einkommenshöhe selbst zu sein scheint.135 Die Entwicklungen sorgen mitunter dafür, dass in Teilen der Bevölkerung, auch in den besser situierten, Abstiegsängste aufkommen, die zu Misstrauen gegenüber der Politik und allgemeiner Feindseligkeit führen.136 Das Aufkommen neuer rechter Parteien, sinkende Unterstützung für die tradierten Volksparteien sowie die Wahl populistischer Staatsoberhäupter in anderen westlich geprägten Ländern können unter anderem in einem ähnlichen Zusammenhang gedeutet werden: als Äußerungsform gesellschaftlichen Protests.137 So gaben 71,3 % der Teilnehmenden einer Pegida-Demonstration als Grund ihres Mitwirkens an, unzufrieden mit der Politik zu sein. 34,5 % gaben „Kritik an Medien und Öffentlichkeit“ an und „nur“ 15,4 % eine ablehnende Haltung speziell gegenüber Menschen mit muslimischem Glauben oder dem Islam.138 In der Bevölkerung ist das Misstrauen gegenüber der Politik leicht angestiegen139 und sowohl im Jahr vor der 44. als auch vor der 52. Änderung des Strafgesetzbuches weisen Untersuchungen darauf hin, dass sich im Vergleich mit anderen Jahren auffallend viele vor einer Überforderung der Regierenden sorg-
132 133
Hitzler/Niederbacher, S. 14. Zur steigenden Verunsicherung und ihren Ursachen vgl. Kölbel, ZStW 2021, 169,
194. 134 Z. B. Heinze, in: Zukunft der Polizei, S. 11; Kölbel, ZStW 2021, 169, 182 f. Ein genauer Zeitpunkt kann wohl nicht genannt werden; mal ist die Rede von einem Ende ab den 70ern, mal ab den 90ern. 135 Burkhauser/De Neve/Powdthavee, IZA Discussion Paper Nr. 9677, S. 28 f. 136 Heinze, in: Zukunft der Polizei, S. 11 ff. Bezeichnend hierfür ist der Begriff „Wutbürger“, der 2010 zum Wort des Jahres gekürt wurde. 137 Decker, in: Polizei und Protest in der Bundesrepublik Deutschland, S. 57 ff. 138 Vorländer/Herold/Schäller, S. 66 Abb. 6.9 und S. 67 Abb. 6.10. 139 Eine Mehrheit der Wahlberechtigten soll Aussagen wie diese zustimmen: „Die da oben machen sowieso, was sie wollen [. . .]“, Heinze, in: Zukunft der Polizei, S. 12.
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ten.140 Auch der Trend, Sicherheitsgewährleistung vermehrt in die Hände Privater zu legen, weist auf ein sinkendes Vertrauen in die Schutzfähigkeit des Staates hin.141 Anscheinend wird der Umgang mit den aktuellen gesellschaftlichen Problemen im politischen System für unzureichend erachtet. Diese Verunsicherung trifft Mitglieder der Polizei als „verlängerter Arm des Staates“, als Schnittstelle zwischen Individuum und Staat, unmittelbar. In Form eines leichten Vertrauensverlusts in die Polizei machen sich diese Zweifel allerdings erst seit 2018 empirisch messbar bemerkbar.142 Die Entwicklung darf jedoch nicht überschätzt werden. Die Institution genießt weiterhin sehr großes Vertrauen in der Gesellschaft.143 Eine weitere gesellschaftliche Entwicklung, die das Polizei-Individuum-Verhältnis belasten könnte, ist eine sinkende Fehlertoleranz, die der heutigen Gesellschaft gelegentlich zugeschrieben wird. Sie richtet sich sowohl gegen Dritte als auch gegen die eigene Person144 und soll mit einem Abfall der gesellschaftlichen Solidarität einher gehen.145 Es wird vermutet, dass sich dahinter eine gesteigerte Abweichungssensibilität verbirgt sowie der Druck, nicht selbst aus dem Raster der Normalität zu fallen.146 Eine sinkende Fehlertoleranz kann, wie die anderen angesprochenen politisch- beziehungsweise sozioökonomischen Faktoren auch, die Wahrscheinlichkeit repressiver werdender Gesetzgebung beeinflussen.147 Als wichtiger Aspekt, der Auswirkungen auf die Gestaltung der Tatbestände gehabt haben könnte, ist ferner auf den Bedeutungsgewinn des Sicherheitsaspekts hinzuweisen. Hinter dem Begriff „Sicherheitsgesellschaft“, 148 mit dem die heutige Gesellschaft gelegentlich beschrieben wird, verbirgt sich nicht nur der Hinweis auf einen allgemeinen Bedeutungsgewinn der Thematik in der Bevölkerung, sondern auch ein Hinweis auf ein gewandeltes Verständnis von Sicherheit.149 140 Sowohl 2010 als auch 2016 schaffte es die Sorge vor der Überforderung der Politiker:innen mit 62 % beziehungsweise 65 % auf die Liste der „Sieben größten Ängste 1992 bis 2021“, R+V-Studie „Die Ängste der Deutschen“, Grafik: Die sieben größten Ängste 1992 bis 2021. 141 Frevel, Innere Sicherheit, 4.3, S. 153. 142 Forsa, Umfrage „Wem vertrauen die Deutschen?“ 2019. Bis zu diesem Jahr belegte die Polizei die Spitze des Rankings; Seitdem wurde die Institution von den Ärzten/Gesundheitspersonal überholt. Die Werte sind aber weiterhin hoch. 143 Vgl. zum Vertrauen in die Polizei auch S. 217 f. 144 In den Medien wird von einem „Volk der Beleidigten“ gesprochen, Urban, Zeit online vom 31.07.2016, https://www.zeit.de/kultur/2016-07/deutschland-beleidigtseindebattenkultur-empfindlichkeit-polemik (zuletzt abgerufen am 03.12.2021). 145 Baier, Strafbedürfnisse und wahrgenommene Kriminalitätsentwicklung, S. 8. 146 Heinze, in: Zukunft der Polizei, S. 19. 147 Kölbel, ZStW 169, 172. 148 Z. B. Schneider, in: Polizeiliche Handlungslehre, S. 146. 149 Vgl. John, Polizei und Politik, S. 36.
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Neben einer stärkeren Sensibilisierung im Zusammenhang mit der Thematik „Gewalt“150 hat sich nämlich auch das gesellschaftliche Verständnis von Sicherheit verändert. Es wird von einer vierdimensionalen Erweiterung gesprochen, die sich seit den 1950er Jahren ereigne: Die erste Dimension ist die Sachdimension, auf der inhaltlich neue (ökonomische und humanitäre) Problemfelder erschlossen werden. Die Referenzdimension rückt den Empfänger der Sicherheitsbestrebungen in den Blick. Die Raumdimension betrifft die geographische Reichweite des Sicherheits-„Anspruchs“ und die Gefahrendimension den Zeitpunkt, ab dem gesellschaftlich gewollt ist, dass durch die Polizei eingegriffen und Sicherheit hergestellt wird, zum Beispiel erst ab dem Vorliegen akuter Gefahr oder bereits bei einem latenten Risiko.151 Diese Aspekte verändern nicht nur das Aufgabenspektrum der Polizei,152 sondern beschwören auch Gesetzesverschärfungen in Bereichen herauf, in denen ein Bezug zur inneren Sicherheit besteht, wie im Falle der §§ 113 ff. StGB. Die unter den Stichworten Individualisierung, gesellschaftliche Verunsicherungstendenzen, leicht sinkendes Vertrauen in die staatlichen Institutionen inklusive der Polizei sowie vermeintlich sinkende Fehlertoleranz beschriebenen gesellschaftlichen Entwicklungen auf Makroebene können mittelbar das konkrete Interaktionsgeschehen zwischen Polizei und Individuum beeinflussen. Vollstreckungshandlungen betreffen den für Grundrechte besonders sensiblen Bereich der Eingriffsverwaltung, welcher als ausgesprochen konfliktträchtig gilt. Für die Person, an welche die Maßnahme gerichtet ist, und für die Vollstreckungsperson handelt es sich um eine besonders angespannte psychische Situation.153 Vermehrte Unsicherheitsgefühle, sinkendes Vertrauen und fehlendes beziehungsweise geringeres Verständnis für das Verhalten des Gegenübers sind Aspekte, die geeignet sind, die Wahrnehmung der Konfliktparteien zu beeinflussen und eine friedliche Beilegung des Disputs zu erschweren. Im komplexen und konfliktgeladenen Interaktionsgeschehen zwischen Individuum und Bürger während einer Vollstreckungshandlung gilt dies umso mehr. Eine weitere Entwicklung mit potentiellen Auswirkungen auf die Mikroebene „Polizei und Individuum“ ist das veränderte Aufgabenspektrum der Institution, welches das Auftreten von Konflikten begünstigen kann.154 Dieses sieht vermehrt präventive Eingriffe vor, ohne dass konkrete Gefahren drohen oder es bereits zu einer Straftat gekommen sein müsste. Solche Konstellationen präventiven Eingreifens können für Unverständnis beim nicht-polizeilichen Gegenüber sorgen, dadurch zu (körperlichem und verbalem) Widerspruch führen und auf die150 151 152 153 154
Vgl. D. II. 2. b) dd) (1) Stärkere Sensibilisierung im Themenkomplex „Gewalt“. John, Polizei und Politik, S. 38 ff., oder Daase, APuZ 2010, 9, 10. Vgl. eingehend D. II. 2. b) bb) (1) Ursache Nr. 1: Erweitertes Aufgabenspektrum. Puschke/Rienhoff, JZ 2017, 924, 926. Puschke, NK 2014 28, 38.
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sem Wege Konfrontationen fördern.155 Angesichts dessen ist problematisch, dass der Polizei in diesen Situationen, die meist sehr unterschiedlich von den Beteiligten wahrgenommen und interpretiert werden, nahezu eine absolute Definitionsmacht hinsichtlich des Geschehens und der anschließenden juristischen Verwertung zukommt.156 Den Mitgliedern der Polizei kommt zum einen ein breiter Beurteilungsspielraum bei der Frage zu, ob ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wird und zum anderen gelten sie als objektiv und neutral, weshalb ihren Aussagen im Prozess meist mehr Glauben geschenkt wird als denen der Gegenpartei. Dabei treffen diese beiden Annahmen „objektiv und neutral“ nicht auf eine Vollstreckungsperson zu, die als betroffene Person ihre eigenen Interessen verfolgt.157 Jegliche Veränderungen der Normen, die dieses Interaktionsgeschehen behandeln, können sich folglich auch auf das Polizei-Individuum-Verhältnis auswirken. b) Entwicklung der Kriminalitätsfurcht im Zeitraum um die Novellierung Diese Tendenzen in Richtung Orientierungslosigkeit und Verunsicherung der Gesellschaft schlagen sich zum Teil in der Entwicklung der Kriminalitätsfurcht nieder. Der Verlauf der Kriminalitätsfurcht stellt neben der objektiven Kriminalitätsrate einen wichtigen Indikator für den Zusammenhalt einer Gesellschaft dar.158 Im Falle des Anstiegs zieht er regelmäßig die Forderung nach höheren Strafen nach sich159 und ist insofern ein Einflussfaktor bei der Gesetzgebung. Aus diesem Grund wird im folgenden Abschnitt die Entwicklung der Kriminalitätsfurcht160 im Zeitraum um das 44. und das 52. Strafrechtsänderungsgesetz skizziert. Von der Kriminalitätsfurcht abzugrenzen, aber in engem Zusammenhang stehend, ist die Einschätzung der Kriminalitätsentwicklung, hier als subjektive Kriminalitätsbelastung bezeichnet. Daneben steht die objektive Seite, die tatsächliche Entwicklung der Kriminalität. Hinsichtlich der objektiven Seite der Kriminalitätsentwicklung können Studien und Datenerhebungen immer nur Tendenzen entnommen werden, da die Erkennt155
Puschke, NK 2014 28, 38. Puschke, in: FS Ulrich Eisenberg, S. 163. 157 Singelnstein/Puschke, NJW 2011, 3473, 3476. 158 Birkel, Der deutsche Viktimisierungssurvey 2017, S. 45. 159 Baier, Strafbedürfnisse und wahrgenommene Kriminalitätsentwicklung, S. 31; Müller, SIAK-Journal 03/2018, 43, 43. 160 Unter den Begriff der Kriminalitätsfurcht fallen drei Teilaspekte: Zunächst kann die kognitive Seite betrachtet werden, welche die Einschätzung der Wahrscheinlichkeit, selbst Opfer von Straftaten zu werden, umfasst. Die affektive Seite meint die emotionale Reaktion auf bedrohlich empfundene, kriminelle Ereignisse und ein weiterer Teilaspekt bezieht sich auf die Frage, inwiefern bewusst Verhaltensweisen gemieden werden, um die eigene Opferwerdung zu verhindern, sog. konative Kriminalitätsfurcht, vgl. Baier, Strafbedürfnisse und wahrgenommene Kriminalitätsentwicklung, S. 8. 156
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nisse mit gewissen Defiziten belastet sind. Eine Befragung aus dem Jahr 2017 deutet darauf hin, dass sich zumindest von 2012 bis 2017 keine signifikanten Unterschiede hinsichtlich der Anzeigequote ergeben haben.161 Im Langzeitvergleich162 lässt sich dennoch ein Trend für die objektive Entwicklung der Kriminalitätsbelastung erahnen: Die Gesamtzahl an registrierten Straftaten sinkt und die Aufklärungsrate steigt tendenziell. 2019 war die Anzahl der von der Polizeilichen Kriminalstatistik erfassten Straftaten so niedrig wie seit 1992 nicht mehr.163 Insgesamt sinkt, mit Ausnahme einzelner Delikte,164 auch die Anzahl der registrierten Gewaltdelikte im Langzeitvergleich.165 Da allerdings allein der von der Bevölkerung wahrgenommene Anstieg der Kriminalität die beschriebenen Auswirkungen auf die Gesetzesgenese hat, was unter anderem dadurch bestätigt wird, dass auch bei rückläufigen Belastungswerten repressive Gesetze initiiert und verabschiedet werden,166 ist ebendiese subjektive Komponente für die hiesige Arbeit bedeutsamer. Die subjektive Seite der Kriminalität kann erheblich von der objektiven Seite abweichen.167 So steigt die subjektive Kriminalitätsbelastung seit vielen Jahren stetig an. Entgegen der beschriebenen Entwicklung aus dem Hellfeld ergaben sämtliche Studien, dass von den meisten Menschen ein (teils drastischer) Anstieg der Anzahl an Straftaten wahrgenommen wurde.168 Die Teilnehmenden einer Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN) über-
161
Birkel, Der deutsche Viktimisierungssurvey 2017, S. 40, Abbildung 20. Zu den Zahlen siehe: BKA, PKS-Zeitreihen 1987–2019, Grundtabelle. 163 BKA, PKS-Zeitreihen 1987–2019, Grundtabelle. 164 Etwa beim sexuellen Missbrauch von Kindern. Hier ist allerdings zu berücksichtigen, dass auch ein veränderter Umgang mit der Thematik stattfand. So wird in der PKS eine gesteigerte Ermittlungstätigkeit in diesem Bereich als mitursächlich für die veränderten Zahlen genannt, BMI, PKS 2020, S. 15; Darauf weist auch Baier, Strafbedürfnisse und wahrgenommene Kriminalitätsentwicklung, S. 7, hin; vgl. zur veränderten Wahrnehmung von Gewalt auch D. II. 2. b) dd) (1) Stärkere Sensibilisierung im Themenkomplex „Gewalt“. 165 Der Höchststand der Gewaltdelikte wurde 2007 registriert, seitdem sinken die Zahlen laut PKS, BKA, PKS-Zeitreihen 1987–2019, Grundtabelle, Straftatenschlüssel 892000. 166 Kölbel, ZStW 2021, 169, 184. 167 Ein anschauliches Beispiel dafür ist die Bewertung der Sicherheit in den eigenen Wohnräumen: 90 % der Befragten einer Studie gaben an, sich dort am sichersten zu fühlen, obwohl im eigenen zu Hause objektiv gesehen die meisten Gefahren lauern, Feltes/Reiners, MschrKrim 2019, 1, 8. 168 Z. B. Windzio/Simonson, Kriminalitätswahrnehmung und Punitivität in der Bevölkerung – Welche Rolle spielen die Massenmedien?, S. 20 in der Entwicklung von 1995 bis 2005 und Baier, Kriminalitätsfurcht, Strafbedürfnisse und wahrgenommene Kriminalitätsentwicklung, zur Entwicklung von 2004, 2006 und 2010, S. 32. Beide konnten einen gefühlten Anstieg der Straftaten nachweisen, auch wenn dieser in der Entwicklung von 2004 auf 2010 absank, S. 32. 162
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schätzten die Entwicklung der registrierten Gesamtanzahl aller Straftaten von 1995 zu 2005 um 21 %.169 Hinsichtlich der Kriminalitätsfurcht deutet sich eine andere Entwicklung an. Von einer Parallelität zur subjektiven Kriminalitätsbelastung kann somit nicht ausgegangen werden. Untersuchungen deuten darauf hin, dass die Kriminalitätsfurcht bis 2009 beinahe durchgehend sank, bis es 2010 zu einem Hoch kam, das bis 2012 wieder abschwächte. Darauf folgte ein erneuter Anstieg, der bis 2016 andauerte. Seit diesem Zeitpunkt fällt die Kurve.170 Bemerkenswert ist dabei, dass die Spitzenwerte der letzten 15 Jahre in 2010 und 2016 erzielt wurden und damit jeweils im Jahr vor den jeweiligen Änderungen an den §§ 113 ff. StGB. Ein gewisser Resonanzboden für eine repressivere Kriminalpolitik schien in den relevanten Zeiträumen, die von besonderen gesellschaftlichen Herausforderungen gekennzeichnet waren,171 folglich vorhanden gewesen zu sein. Bereits an dieser Stelle lässt sich erahnen, dass der Verlauf der Kriminalitätsfurcht einen Bezug zu besonderen gesellschaftlichen Herausforderungen aufweist.172 c) Kein zuverlässig nachgewiesener Gewaltanstieg gegenüber der Polizei in der Zeit vor der Novellierung Im Gesetzgebungsverfahren wurde eine Zunahme von gewaltsamen tätlichen Angriffen als gesellschaftliches Problem thematisiert. So begründet die Bundesregierung die Veränderungen am Gesetzestext sowohl im Entwurf für das 44. als auch für das 52. Strafrechtsänderungsgesetz mit einem Gewaltanstieg gegen Polizeibeamt:innen. Dieser Zweck der „Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten“ geht bereits aus der Überschrift der Novellierung hervor. Auch die Gewerkschaft der Polizei (GdP) berichtet seit längerem von völlig unvermittelten Angriffen und einem häufigeren und brutaleren Vorgehen gegen Vollstreckungspersonen als zuvor.173 Die Einschätzungen der Polizei(-gewerkschaften) spielen 169 Besonders anfällig für Überschätzungen ist der Autodiebstahl: Die mittlere Fehleinschätzung lag hier bei + 461 %. Auch beim Wohnungseinbruch, beim Sexualmord und bei der vorsätzlichen Kindstötung, also besonders emotional belastenden Straftaten, war die Fehleinschätzung hoch, Windzio/Simonson, Kriminalitätswahrnehmung und Punitivität in der Bevölkerung – Welche Rolle spielen die Massenmedien?, S. 20. 170 Vgl. R+V-Studie „Die Ängste der Deutschen“, Grafik: Angst vor Straftaten 1992 bis 2021; auf einen leichten Anstieg von 2012 auf 2017 deutet auch Birkel, Der deutsche Viktimisierungssurvey 2017, S. 47, Abbildung 23, hin. 171 2010 stand im Zeichen der Finanz- und Währungskrise. In der Politik und der Bevölkerung wurde über Rettungsschirme debattiert. 2016 sorgten sich Viele vor den Folgen der Zuwanderung und der Flüchtlingspolitik. Gleichzeitig beschäftigten die Gesellschaft in der Zeitspanne von 2015 bis 2017 mehrere Terroranschläge. 172 Vgl. D. II. 3. b) bb) (1) Determinante Nr. 1: Gesellschaftliche Krisensituationen. 173 GdP, Schutzparagraph nach jahrelanger GdP-Forderung auf der Zielgeraden, https://www.gdp.de/gdp/gdp.nsf/id/de_gdp_fordert_115_gegen_uebergriffe_auf_polizis ten (zuletzt abgerufen am 03.12.2021).
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im Politikfeld der inneren Sicherheit aufgrund des sich aus der Praxisnähe ergebenden Expertenstellung eine wichtige Rolle.174 Zum Beleg steigender Gewalttätigkeiten wird in beiden Gesetzesentwürfen auf die jährlich erstellte Datenerhebung des Bundeskriminalamts, die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS), verwiesen.175 Diese bildet allein das polizeiliche Registrierungsverhalten ab, das sog. Hellfeld, und ist demnach in besonderer Weise subjektiven Einflüssen unterworfen.176 Sie erfasst demnach behauptete, nicht jedoch erwiesene Umstände177 und gibt die Ereignisse unter Ausklammerung der Sichtweise des oder der Täter:in auf das Interaktionsgeschehen wieder.178 Die nicht zur Anzeige gebrachten Taten, das sog. Dunkelfeld, sind naturgemäß ebenfalls nicht erfasst. Das Verhältnis zwischen Hell- und Dunkelfeld hängt von vielen Faktoren ab, wie etwa Änderungen im Anzeigeverhalten oder verstärkter polizeilicher Tätigkeit. Diese Defizite sind bei der Bewertung von Studien, welche die Kriminalitätsentwicklung untersuchen, stets zu beachten. Im Entwurf von 2010 wird auf den Anstieg von 30,74 % bei Widerstandshandlungen gegen die Staatsgewalt aufmerksam gemacht, der sich der PKS zufolge von 1999 bis 2008 ereignet haben soll.179 Die an der PKS geäußerten Bedenken gelten in ähnlichem Maße für die gelegentlich für den Beweis eines Gewaltanstiegs herangezogene Studie des KFN, bei der es sich um eine Opferbefragung handelt.180 Generell ist bei Tätlichkeiten mit Polizist:innen als Opfern der weite Beurteilungsspielraum bei der Analyse der Fallzahlen zu beachten, der den Bediensteten in diesen Fällen einerseits wegen ihrer Doppelstellung als Opfer und Strafverfolgungsbehörde zukommt und die andererseits vom weiten Tatbestand des tätlichen Angriffs zugelassen wird.181 Regionale Unterschiede in den Fallzahlen von Untersuchungen deuten darauf hin, dass Sachverhalte territorial anders bewertet werden, mithin der Beurteilungsspielraum unterschiedlich ausgeübt wird.182 Auch die Zahlen lassen, unabhängig von den methodischen Defiziten, Zweifel an einer stetig steigenden Anzahl an Gewaltdelikten aufkommen, da sie starken Schwankungen unterliegen. Von 2009 auf 2010 ist die Zahl an registrierten Widerstandshandlungen beispielsweise um 11,3 % zurückgegangen.183 Eine Ent174
Katsarov, S. 50. BT-Drs. 17/4143, S. 1 und BT-Drs. 18/11161, S. 1. 176 Puschke, FS für Ulrich Eisenberg, S. 163. 177 Fischer, Über das Strafen, S. 95. 178 Wegner/Heil/Schiemann, KrimOJ No 1/2021, 40, 46. 179 BT-Drs. 17/4143, S. 1. 180 Zu den Vorbehalten gegenüber der KFN-Studie siehe auch Puschke, NK 2014, 28, 31. 181 Puschke, NK 2014, 28, 31. 182 Singelnstein/Puschke, NJW 2011, 3473, 3476. 183 BKA, PKS-Zeitreihen 1987–2012, Grundtabelle, Straftatenschlüssel 621000. 175
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wicklung, die in diesem Zeitraum nicht ungewöhnlich war. Bei gesonderter Betrachtung der Zeitspanne von 2008 bis 2012 lässt sich eine Abnahme der registrierten Widerstandshandlungen von 16,4 % ausmachen.184 Je nachdem, auf welche Datengrundlage zurückgegriffen wird, zeichnet sich demnach ein ganz unterschiedliches Bild der Entwicklung von Gewalt: Werden allein die Jahre 1999 bis 2008 herangezogen, ist ein Anstieg von 30,74 % der Taten nach § 113 StGB auszumachen;185 von 2004 bis 2012 ist ein Rückgang von 5,2 % zu verzeichnen186 und für den Zeitraum von 2008 bis 2012 ergibt sich sogar ein Rückgang um 16,4 %. Insofern müssen die Zahlen stets auch im Kontext der umliegenden Jahre betrachtet werden. Bei der Bewertung der KFN-Studie muss zudem berücksichtigt werden, dass es sich um eine einmalige Befragung handelt, bei der nach weiter zurückliegenden Erfahrungen gefragt wurde. Erinnerungseffekte lassen mit der Zeit nach, weshalb sich die Befragten naturgemäß besser an jüngere Erfahrungen erinnern können als an ältere.187 Darüber hinaus wird die Indizwirkung beider Studien dadurch geschmälert, dass Parameter unterschiedlich ausgelegt und verändert wurden. In der KFN-Studie werden unter Gewalt nicht nur physische und verbale Angriffe gezählt, sondern auch solche, bei denen ausschließlich die eigene Missachtung kundgetan wurde. Die abgefragten Gewalterfahrungen sind folglich nicht identisch mit den von § 113 StGB erfassten.188 Die Begriffe Gewalt und tätlicher Angriff werden zunehmend auch in der Öffentlichkeit mit (straflosen) Respektlosigkeiten vermischt und damit von den Tathandlungen der §§ 113 ff. StGB entfernt. In der Studie wurde darüber hinaus im Laufe der Jahre das Kriterium der Dienstunfähigkeit unterschiedlich definiert, indem es sukzessive erweitert wurde.189 Dass sich auch die erfassten Zahlen daraufhin verändern, ist vielmehr zu erwarten als verwunderlich. Durch die Einbeziehung leichter Formen der Missachtung kann zudem nicht von einem Anstieg von Gewalt oder Angriffen gegenüber Vollstreckungspersonen gesprochen werden.190 Mit der Veränderung der Tatbestandsmerkmale und der damit einhergehenden Ausweitung des Strafbarkeitsbereichs durch die Novellierung 2017 wird ein Ver184 BKA, PKS-Zeitreihen 1987–2012, Grundtabelle, Straftatenschlüssel 621000; vgl. tiefergehend die Ausführungen von Puschke, NK 2014, 28, 30. 185 BKA, PKS-Zeitreihen 1987–2012, Grundtabelle, Straftatenschlüssel 621000. 186 BKA, PKS-Zeitreihen 1987–2012, Grundtabelle, Straftatenschlüssel 621000. 187 Puschke, NK 2014, 28, 34. 188 Singelnstein/Puschke, NJW 2011, 3473, 3476. 189 Zur geänderten Auslegung des Begriffs „Dienstunfähigkeit“ in den verschiedenen Studien des KFN von 2002 bis 2011 siehe Kraushaar/Behr, in: Polizei und Politik, S. 56. 190 Naplava, in: Polizei in Staat und Gesellschaft, S. 174.
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gleich der Fallzahlen tätlicher Angriffe kaum noch möglich sein. Da die Begriffe tätlicher Angriff und Gewalt ohnehin schwer zu unterscheiden sind, wird auch die Gewaltentwicklung ähnlich schwierig zu ermitteln sein. Obwohl die Kriminalstatistik und andere Surveys einen Anstieg von Gewalt gegen Polizist:innen erahnen lassen, existiert ein faktischer Nachweis nicht, zumindest nicht linear und nicht „bedrohlich“,191 wie es die Gesetzesbegründungen für das 44.192 und das 52. Strafrechtsänderungsgesetz193 erahnen lassen. 2. Gesetzestext der §§ 113 ff. StGB seit der Novellierung Nachdem der gesellschaftliche Kontext beleuchtet wurde, welcher der Novellierung aus dem Jahr 2017 zu Grunde lag, wird nun inhaltlich in die Gesetzesänderung eingestiegen. Hierfür ist zunächst erforderlich den status quo zu erfassen, auf den sich die folgenden Ausführungen beziehen. Der Gesetzestext der §§ 113 ff. StGB, der den folgenden Ausführungen zu Grunde gelegt wurde, lautet seit dem 52. Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches folgendermaßen: § 113 Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte (1) Wer einem Amtsträger oder Soldaten der Bundeswehr, der zur Vollstreckung von Gesetzen, Rechtsverordnungen, Urteilen, Gerichtsbeschlüssen oder Verfügungen berufen ist, bei der Vornahme einer solchen Diensthandlung mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt Widerstand leistet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn 1. der Täter oder ein anderer Beteiligter eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt, 2. der Täter durch eine Gewalttätigkeit den Angegriffenen in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung bringt oder 3. die Tat mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich begangen wird. (3) Die Tat ist nicht nach dieser Vorschrift strafbar, wenn die Diensthandlung nicht rechtmäßig ist. Dies gilt auch dann, wenn der Täter irrig annimmt, die Diensthandlung sei rechtmäßig. (4) Nimmt der Täter bei Begehung der Tat irrig an, die Diensthandlung sei nicht rechtmäßig, und konnte er den Irrtum vermeiden, so kann das Gericht die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2) oder bei geringer Schuld von einer Bestrafung nach dieser Vorschrift absehen. Konnte der Täter den Irrtum nicht vermeiden und war ihm nach den ihm bekannten Umständen auch nicht zuzumuten, sich mit Rechtsbehel191 192 193
So auch z. B. Behr, FS für Helga Cremer-Schäfer, S. 219. BR-Drs. 646/10, S. 1. BT-Drs. 18/11161, S. 1.
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fen gegen die vermeintlich rechtswidrige Diensthandlung zu wehren, so ist die Tat nicht nach dieser Vorschrift strafbar; war ihm dies zuzumuten, so kann das Gericht die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2) oder von einer Bestrafung nach dieser Vorschrift absehen. § 114 Tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte (1) Wer einen Amtsträger oder Soldaten der Bundeswehr, der zur Vollstreckung von Gesetzen, Rechtsverordnungen, Urteilen, Gerichtsbeschlüssen oder Verfügungen berufen ist, bei einer Diensthandlung tätlich angreift, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. (2) § 113 Absatz 2 gilt entsprechend. (3) § 113 Absatz 3 und 4 gilt entsprechend, wenn die Diensthandlung eine Vollstreckungshandlung im Sinne des § 113 Absatz 1 ist. § 115 Widerstand gegen oder tätlicher Angriff auf Personen, die Vollstreckungsbeamten gleichstehen (1) Zum Schutz von Personen, die die Rechte und Pflichten eines Polizeibeamten haben oder Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft sind, ohne Amtsträger zu sein, gelten die §§ 113 und 114 entsprechend. (2) Zum Schutz von Personen, die zur Unterstützung bei der Diensthandlung hinzugezogen sind, gelten die §§ 113 und 114 entsprechend. (3) Nach § 113 wird auch bestraft, wer bei Unglücksfällen, gemeiner Gefahr oder Not Hilfeleistende der Feuerwehr, des Katastrophenschutzes oder eines Rettungsdienstes durch Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt behindert. Nach § 114 wird bestraft, wer die Hilfeleistenden in diesen Situationen tätlich angreift.
3. Zustandekommen und Gesetzgebungsverfahren a) Ausgangspunkt: Die Vorgängerfassung aus dem Jahr 2011 Am 05. November 2011 trat das 44. Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches in Kraft, durch das die §§ 113 ff. StGB in den Zustand versetzt wurden, der den Ausgangspunkt für die Reform im Jahr 2017 bildete. Eine Änderung der Regelungen über den Widerstand gegen die Staatsgewalt war seit 2009 vermehrt im Gespräch. Nicht nur die GdP forderte damals einen stärkeren Schutz von Polizist:innen, den sie sie unter anderem durch eine höhere Strafandrohung zu erreichen hoffte194, auch die Bundesregierung hatte sich dieses Ziel im Koalitionsvertrag für die 17. Legislaturperiode zur Aufgabe gemacht
194 GdP, § 115 StGB (neu) – Tätlicher Angriff auf einen Vollstreckungsbeamten, https://www.gdp.de/gdp/gdp.nsf/id/115stgb (zuletzt abgerufen am 02.12.2020).
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und zu dessen Durchsetzung eine Neufassung des § 113 Abs. 2 StGB a. F. angestrebt.195 Im gleichen Jahr reichte die sächsische Regierung einen Entwurf zur Änderung des Strafgesetzbuches beim Bundesrat ein. Inhaltlich wurde die Ausdehnung des Schutzbereichs nicht nur auf allgemeine Diensthandlungen, sondern auch außerhalb der Dienstzeiten gefordert. Zudem sollte das Regelbeispiel des § 113 Abs. 2 Nr. 1 StGB a. F. um „andere gefährliche Werkzeuge“ ergänzt werden.196 Die Streichung der Verwendungsabsicht war nicht vorgesehen. Hintergrund für die Erweiterung der Regelbeispiele war eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2008, nach dem die von der Rechtsprechung regelmäßig als Waffen angesehenen „untechnischen Waffen“ wegen eines Verstoßes gegen das Analogieverbot nach Art. 103 Abs. 2 GG künftig nicht mehr als solche angesehen werden durften.197 Eine Regelung zur Einbeziehung von gefährlichen Werkzeugen war von diesem Zeitpunkt an in allen darauffolgenden Gesetzesentwürfen zu finden. Am 16. Juni 2010 reichte der Bundesrat einen Gesetzesentwurf mit folgenden Änderungsvorschlägen beim Bundestag ein: Das Strafmaß sollte von zwei auf drei Jahre erhöht werden. In § 113 Abs. 1 StGB a. F. sollte ein Satz eingefügt werden, der den Schutzbereich auf Feuerwehrleute und Angehörige des Rettungsdienstes erweitert. Zudem enthielt der Entwurf 198 eine Regelung zur Einbeziehung von gefährlichen Werkzeugen in die Regelbeispiele. Schon wenige Monate später reichte auch die Bundesregierung einen sehr ähnlich lautenden Entwurf 199 zunächst beim Bundesrat, später beim Bundestag ein. Die vorgeschlagenen Änderungen bezogen sich auf die gleichen inhaltlichen Regelungen wie der Bundesratsentwurf, namentlich die Erhöhung der Höchststrafe, die Erweiterung des Schutzbereichs auf Feuerwehrleute und Rettungskräfte sowie eine Regelung zur Einbeziehung des Mitsichführens gefährlicher Werkzeuge. Die Erweiterung des Schutzbereichs sollte allerdings nicht wie vom Bundesrat vorgeschlagen durch einen neu einzufügenden Satz 1 in § 113 StGB a. F. erfolgen, sondern durch Schaffung eines dritten Absatzes in § 114 StGB a. F.200 Die Regelung der Bundesregierung wurde aus systematischen Gründen für vorzugswürdiger gehalten, da § 113 StGB a. F. nach überwiegend vertretener Ansicht in erster Linie die staatliche Vollstreckungstätigkeit als solche schützte.201 195
Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP (17. Legislaturperiode), S. 108. BR-Drs. 271/09, S. 2. 197 BVerfG, B. v. 01.09.2008 – 2 BvR 2238/07 = NJW 2008, 3627. 198 BT-Drs. 17/2165. 199 BR-Drs. 646/10. 200 BT-Drs. 17/4143. 201 Zöller, ZIS 2015, 445, 449; Busch/Singelnstein, NStZ 2018, 510, 511; DRB, Stellungnahme Nr. 55/10, S. 2. 196
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Daher konnten in den Schutzbereich der Norm auch nur solche Personen fallen, die zur Vollstreckung von Gesetzen, Rechtsvorschriften, Urteilen usw. berufen sind. Der Bundesrat schlug in seiner Stellungnahme zum Entwurf der Bundesregierung vor, ebenso wie bereits die sächsische Regierung in ihrem Entwurf von 2009202, sonstige Diensthandlungen in den Schutzbereich der Norm aufzunehmen. Als Begründung dafür führte er an, dass die Beschränkung des Schutzbereichs in der bisherigen Fassung seine Berechtigung gehabt habe, da der Tatbestand als Privilegierung verstanden wurde. Mit der Angleichung des Strafrahmens sei nicht mehr von einer Privilegierung auszugehen, weshalb kein Grund bestünde, die in den Schutzbereich fallenden Personen nur bei der Vornahme von Vollstreckungshandlungen zu schützen.203 In ihrer Gegenäußerung lehnte die Bundesregierung den Vorschlag mit Verweis auf den Schutzzweck ab und bemerkte, dass bereits ein hinreichender Schutz über andere Normen, insbesondere die §§ 223 ff. StGB a. F., bestünde.204 Im Verfahren um die Gesetzesänderung von 2017 sollte diesem Argument schließlich kein besonderes Gewicht mehr zukommen. Am 05. November 2011 trat das 44. Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches mit den von der Bundesregierung vorgesehenen Änderungen in Kraft. b) Aktuelle Fassung aus dem Jahr 2017 Mit der Novellierung aus dem Jahr 2011 wurde ein vorläufiger Schlusspunkt unter die Reformbemühungen hinsichtlich der §§ 113 ff. StGB a. F. gesetzt. Dennoch wurde auch im Koalitionsvertrag für die 18. Legislaturperiode von 2013 der bessere Schutz von Polizist:innen vor gewalttätigen Angriffen zum gemeinsamen Ziel erklärt.205 Bereits zwei Jahre später flammte die Thematik aufgrund der gewaltsamen Ausschreitungen anlässlich der Eröffnung der Europäischen Zentralbank im März 2015 in Frankfurt am Main erneut auf. Nach Angaben der CDU im nordrhein-westfälischen Landtag wurden bei dem Ereignis 150 Mitglieder der Polizei verletzt, einige von ihnen schwer, sowie 62 Dienstfahrzeuge beschädigt oder zerstört. Auch Feuerwehrleute seien mit Gewalt von der Verrichtung ihrer Tätigkeit abgehalten worden.206 Daraufhin wandte sich Oliver Malchow, Vorsitzender der GdP, an den damaligen Justizminister Heiko Maas und bekräftigte den
202 203 204 205
BR-Drs. 271/091, S. 1. BR-Drs. 646/10, S. 1. BT-Drs. 17/4143, S. 11. Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD (18. Legislaturperiode), S. 11,
146. 206
LT-NRW Drs. 16/8979, S. 1.
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Wunsch nach Schaffung eines eigenständigen Tatbestands, der auf eine konkrete Vollstreckungshandlung verzichtet.207 Dies entsprach dem Gesetzesvorschlag der GdP aus 2009.208 Am 14. April 2015 reichte das Land Hessen eine Bundesratsinitiative209 ein, welcher zwei Wochen später ein Gesetzesantrag210 des Saarlandes zur Änderung des Strafgesetzbuches folgte. Beide enthielten Regelungen zur Pönalisierung von Angriffen, ohne dass eine Vollstreckungshandlung vorgelegen haben müsste. Die Entwürfe gingen über die letztlich getroffenen Änderungen hinaus, da sie auch in den privaten Bereich der Opfer hineinwirken sollten. Für einen so weitreichenden Schutz wurde kein Bedürfnis gesehen, weshalb die Idee verworfen wurde.211 Am 23. Dezember 2017 erschien der Referentenentwurf des Bundesministeriums.212 Dessen Wortlaut machten sich die CDU/CSU und die SPD für ihren Gesetzesentwurf 213 unverändert zu eigen und reichten ihn am 14. Februar 2017 beim Bundestag ein. Er bildet die Grundlage des primär zu untersuchenden Änderungsgesetzes. Der Entwurf berücksichtigte die Forderungen nach einem eigenständigen Tatbestand, der tätliche Angriffe ohne das Vorliegen eines konkreten Vollstreckungsaktes bestraft, verzichtete aber, möglicherweise aufgrund zahlreich erschienener ablehnender Stellungnahmen, auf die weiterreichenden Vorschläge Hessens und des Saarlandes. Die erste Beratung zu dem neuen Gesetz fand in der 219. Sitzung des Bundestages am 17. Februar 2017 statt.214 Im gleichen Monat gaben der federführende Rechtsausschuss und der Ausschuss für Innere Angelegenheiten ihre Empfehlungen ab.215 Circa einen Monat später veröffentlichte die Bundesregierung ihren Gesetzesentwurf.216 Nachdem weitere Ausschüsse zu dem Gesetzesentwurf der CDU/CSU und der SPD Stellung genommen hatten, folgten am 27. April 2017 die zweite und dritte Beratung im Bundestag.217 Am darauffolgenden Tag wurde das 52. Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches – Stärkung des Schutzes von
207 Malchow, Schreiben an den Bundesjustizminister vom 27.03.2015, https://www. gdp.de/gdp/gdp.nsf/id/DE_GdP_fordert_115_gegen_uebergriffe_auf_Polizisten/$file/15 0327JuMiBundMaas.pdf (zuletzt abgerufen am 01.12.2021). 208 GdP, § 115 StGB (neu) – Tätlicher Angriff auf einen Vollstreckungsbeamten, https://www.gdp.de/gdp/gdp.nsf/id/115stgb (zuletzt abgerufen am 02.12.2020). 209 BR-Drs. 165/15. 210 BR-Drs. 187/15. 211 BT-Drs. 18/11161, S. 3. 212 Referentenentwurf des BMJV vom 23.12.2016. 213 BT-Drs. 18/11161. 214 BT-Plenarprotokollsitzung Nr. 18/219. 215 BR-Drs. 126/1/17. 216 BT-Drs. 18/11547. 217 BT-Plenarprotokollsitzung Nr. 18/231.
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Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften – vom Bundestag beschlossen218 und trat am 23. Mai 2017 in Kraft. Das Gesetzgebungsverfahren verlief folglich zügig. Während ein Gesetz von seiner Einreichung bis zur Verkündung durchschnittlich ca. 250 Tage benötigt,219 waren es im Falle des vorgestellten Gesetzes lediglich 97 Tage. Noli bezeichnet das Änderungsgesetz in seiner Stellungnahme stellvertretend für mehrere Vereine220 daher als „3-Monats-Gesetz“ und kritisiert, dass das Verfahren in einem „höchst fragwürdigen Tempo“ und ohne größere sachliche und gesellschaftliche Debatte durchgeführt worden sei.221 c) Standpunkte der Parteien Die gesetzliche Antwort auf eine als regelungsbedürftig empfundene Thematik wird entscheidend durch die konkrete Machtkonstellation und das Dafürhalten beteiligter Interessengruppen mitbestimmt.222 Die Machtverhältnisse im Bundestag waren zum Zeitpunkt der Novellierungen dergestalt aufgeteilt, dass die CDU/ CSU Mitglied beider Regierungskoalitionen war. 2011 regierte sie zusammen mit der FDP, 2017 gemeinsam mit der SPD. Die Einstellung der Parteien zur Verschärfung der §§ 113 ff. StGB a. F. hat sich im Verhältnis zur im Jahr 2011 vertreten Ansicht kaum geändert. Sowohl beim 44. als auch beim 52. Strafrechtsänderungsgesetz war die CDU/CSU (Mit-)Initiatorin der Änderungen. Den Unionsparteien wird, unabhängig von den in Rede stehenden Novellierungen, eine ausgeprägte Sanktionsfreudigkeit und eine starke Sicherheitsorientierung attestiert.223 Ein Erklärungsansatz hierfür ist, dass größere Parteien eine breite Wählerschaft ansprechen und deren Sicherheitserwartungen nicht enttäuschen wollen. Aus diesem Grund sind größere Parteien typischerweise punitiver als kleinere.224 2011 war die FDP neben der CDU/CSU die Partei, die für das Änderungsgesetz stimmte, auch wenn sie dafür zunächst gar 218
BT-Drs. 18/11161. Manow/Burkhard, in: FS Döring, S. 60. 220 Es handelt sich um eine gemeinsame Stellungnahme zum Gesetzesentwurf Drs. 18/11161 des Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein e.V, Humanistische Union e.V., Internationale Liga für Menschenrechte e.V., Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V., Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen e.V. 221 Gemeinsame Stellungnahme zum Gesetzesentwurf Drs. 18/11161, S. 3 f. Seine Stellungnahme erfolgte allerdings am 20.03.2017 und er ging davon aus, dass die zweiten und dritte Lesung am 30.03.2017 stattfinden würde, obwohl diese tatsächlich erst am 27.04.2017 stattfand. Insofern müsste eher von einem 4-Monats-Gesetz die Rede sein. 222 Kölbel, ZStW 2021, 169, 175, 190. 223 Sack, S. 179 f., 202 f. 224 Freilich lassen sich zu dieser Tendenz zahlreiche Ausnahmen finden, etwa die AfD. Eingehend Kölbel, ZStW 2021, 169, 176. 219
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keinen Handlungsbedarf gesehen hatte.225 BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und DIE LINKE lehnten die Entwürfe sowohl 2011 als auch 2017 im Hinblick auf zu schwerwiegende dogmatische und kriminologische Unzulänglichkeiten ab.226 Einzig der Standpunkt der SPD veränderte sich deutlich. 2011 schloss sie sich noch den (ablehnenden) Ausführungen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN an und wies ergänzend darauf hin, dass es sich bei der Erhöhung des Strafrahmens um einen Akt der symbolischen Gesetzgebung handle.227 Gleichwohl lehnte die SPD den Entwurf nicht ab, sondern enthielt sich, da sie die Einbeziehung von Rettungskräften für sinnvoll erachtete und zudem begrüßte, dass die Vorschläge des Bundesrates zur Ausdehnung des Anwendungsbereichs auf sonstige Diensthandlungen228 nicht berücksichtigt wurden.229 2017 initiierte die SPD den Gesetzgebungsprozess zusammen mit der CDU/ CSU und entwickelte den Gesetzesvorschlag, dessen zentraler Regelungsgegenstand es war, allgemeine Diensthandlungen in den Schutzbereich der §§ 113 ff. StGB a. F. miteinzubeziehen. Elisabeth Winkelmeier-Becker (SPD) verwies auf Unstimmigkeiten mit dem Koalitionspartner: Die SPD habe im Gegensatz zur CDU/CSU durchgängig auf eine Veränderung des § 113 StGB a. F. gepocht.230 Wann und warum es zu dem Sinneswandel kam, ergibt sich aus den Protokollen nicht. Womöglich wurde im Jahr 2017 aufgrund der gesellschaftlichen Herausforderungen ein härterer Kurs für angebracht erachtet, was erneut belegen würde, wir stark der Bezug der Ausgestaltung der Widerstandsdelikte zu den aktuellen Zeitgeschehnissen ist. Als weitere Ursache kommt in Betracht, dass sich die SPD themenunabhängig in ihren Präferenzen denen der CDU/CSU angenähert hat.231 d) Bedeutung der Gewerkschaften der Polizei im Gesetzgebungsprozess Einen Erklärungsansatz hinsichtlich der Frage, wie es zur Umsetzung des Änderungsgesetzes in seiner aktuellen Fassung kommen konnte, liefert die enge Verbindung der Argumentationslinien zwischen Polizei und Politik. Einige der 2017 umgesetzten Änderungen forderte die GdP bereits seit 2009, unter anderem die Schaffung eines eigenen Tatbestands für den tätlichen Angriff und die Loslö225 Der SPIEGEL, Onlineausgabe vom 13.10.2010, https://www.spiegel.de/panora ma/justiz/angriff-gegen-beamte-neues-gesetz-soll-polizisten-vor-gewalt-schuetzen-a-72 2977.html (zuletzt abgerufen am 02.12.2021). 226 Vgl. für das Jahr 2011 etwa BT-Drs. 17/6505, S. 4; BT-Plenarprotokoll 17/81, 9022B–9024B; für 2017: BT-Drs. 18/12153; BT-Plenarprotokollsitzung 18/219, 21938D–21941A; 21944C–21945C; 21948C–21949B; 21950A–21950D. 227 BT-Drs. 17/6505, S. 4. 228 BT-Drs. 17/4143, S. 10, Anlage 3. 229 BT-Drs. 17/6505, S. 4. 230 BT-Plenarprotokollsitzung 18/219, S. 21947 D, E. 231 Kölbel, ZStW 169, 176.
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sung vom Merkmal der Vollstreckungshandlung.232 Diese Aspekte stellen gleichzeitig die zentralen Änderungen der Novellierung von 2017 dar. Die Polizei und die Politik verbinden seit Langem ein starkes Band. Legitimationsprobleme des einen betreffen den anderen daher häufig unmittelbar. So ist beispielsweise das Handeln der Polizei gefordert, wenn es zu gewaltsamen Protesten als Reaktion auf unliebsame politische Entscheidungen kommt233 und auf der anderen Seite werden häufig politische Maßnahmen verlangt, wenn in der Presse infolge bestimmter Anlässe über Defizite polizeilichen Einsatzhandelns gemutmaßt wird. Die enge Verbindung lässt sich bereits am gemeinsamen Wortstamm erahnen.234 Die Berührungspunkte sind vielfältig: Die Befugnisse der Polizei, ihr Aufbau, ebenso die Personalangelegenheiten und die Ausstattung werden von der Politik bestimmt.235 Außerdem besteht im höheren Dienst eine enge Zusammenarbeit mit dem Innenministerium und den Gremien der inneren Sicherheit.236 Nirgendwo sonst kommen Gesellschaftsmitglieder enger mit der Staatsgewalt in Berührung, weshalb über die Polizei gesagt wird, sie sei die „politischste aller Verwaltungen“.237 Auch das Zusammenspiel zwischen den Gewerkschaften und dem Bund beziehungsweise den Ländern als Arbeitgebende ist besonders, denn es ist weniger gegnerisch als vielmehr kooperativ. Die Parteien verbindet ein gemeinschaftliches Ziel: die Sicherung der Autorität des Staates238 und die Gewährleistung der 232
Der Gesetzesvorschlag der GdP lautete folgendermaßen: § 115 StGB (neu) – Tätlicher Angriff auf einen Vollstreckungsbeamten (1) Wer einen Amtsträger oder Soldaten der Bundeswehr, der zur Vollstreckung von Gesetzen, Rechtsverordnungen, Urteilen, Gerichtsbeschlüssen oder Verfügungen berufen ist, während der Ausübung seines Dienstes oder in Beziehung auf seinen Dienst tätlich angreift, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. (2) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn 1. der Täter eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt, um diese bei der Tat zu verwenden, oder 2. die Tat mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich begeht oder 3. der Täter durch eine Gewalttätigkeit den Angegriffenen in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung bringt. GdP, § 115 StGB (neu) – Tätlicher Angriff auf einen Vollstreckungsbeamten, https:// www.gdp.de/gdp/gdp.nsf/id/115stgb (zuletzt abgerufen am 02.12.2020). 233 Konrad Freiberg, damaliger Chef der GdP sagte im Jahr 2010: „Wir fühlen uns ohne Zweifel zwischen zwei politischen Lagern und müssen sozusagen als Puffer den Kopf hinhalten“, Presseportal, Artikel vom 01.10.2010, https://www.presseportal.de/ pm/48503/1692157 (zuletzt abgerufen am 02.12.2021). 234 Beide sind begrifflich im Wort „polis“ verwurzelt, altgriechisch für Stadt/Staat. 235 Frevel/Groß, in: Polizei und Politik, S. 7. 236 Vgl. Frevel/Kuschewski, FS für Karlhans Liebl, S. 159. 237 So die angebliche Aussage des früheren Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Fritz Werner in einer Diskussion 1957, kommentiert in Schnoor, Die Polizei, 1982, 65, 65. 238 Kraushaar/Behr, in: Polizei und Politik, S. 63.
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Sicherheit des Volkes. Die Polizei und ihre Gewerkschaften werden als wichtige Beratungs- und Konsultationsorgane gesehen, was nicht zuletzt aus dem Informationsüberschuss der Polizei und ihrer praktischen Erfahrung im Kontakt mit Gesellschaftsmitgliedern herrührt. Der Praxisbezug verschafft den Berufsverbänden einen Expertenstatus, der sie zu einem wichtigen Ansprechpartner auch bei der Agendasetzung macht.239 Das gilt insbesondere für die GdP, deren Vorstellung von der optimalen Ausgestaltung der §§ 113 ff. StGB anscheinend zu weiten Teilen mit jener der gesetzgebenden Instanz zum Zeitpunkt der Novellierung übereinstimmte. Sie ist eine von derzeit drei Polizeigewerkschaften und gilt mit ihren rund 197.000 Mitgliedern als die größte Polizeigewerkschaft weltweit.240 4. Wesentliche Kritikpunkte an der Vorgängerfassung und Zusammenhang zu den Kritikpunkten an der aktuellen Fassung Bei Betrachtung der Gesetzesfassung aus dem Jahr 2011 und der aktuellen Fassung fällt auf, dass die vorgenommenen Änderungen einige Parallelen aufweisen. Deshalb werden nun die an der Vorgängerfassung geäußerten Kritikpunkte angerissen, die einen Bezug zu den Änderungen aus dem Jahr 2017 aufweisen. Diese Kritikpunkte geben einen Anhaltspunkt, auf welche Aspekte bei der Begutachtung der juristisch-dogmatischen Qualität der aktuellen Gesetzeslage besonders zu achten ist. a) Erhöhung des Strafrahmens In beiden Gesetzesänderungen wurde der Strafrahmen erhöht (2017 allerdings nur für § 114 StGB, den tätlichen Angriff), was im Jahr 2011 Anknüpfungspunkt für folgende Problempunkte war. aa) Geeignetheit und Angemessenheit Unter anderem wurde die Angemessenheit des Paragraphen § 113 StGB a. F. bezweifelt. Der auf drei Jahre erhöhte Strafrahmen werde dem verwirklichten Unrecht nicht gerecht, da er es übersteige.241 Weniger als dogmatischer denn als kriminologischer Kritikpunkt wurde angeführt, dass diese Veränderung voraus-
239 Die GdP gibt auf ihrer Homepage an, dass sie sich für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen ihrer Mitglieder einsetzt und an gesellschaftlichen und politischen Diskussionen beteiligt. Für die Frage, wie sie dieses Ziel zu erreichen gedenkt, nennt sie an erster Stelle: Durch Einwirkung auf die Gesetzgebung, https://www.gdp.de/gdp/ gdp.nsf/id/de_wir-ueber-uns#:~:text=Die%20GdP%20organisiert%20rund%20197.000, in%20Hilden%2FNordrhein%2DWestfalen (zuletzt abgerufen am 03.12.2021). 240 GdP, Homepage „Über uns“ https://www.gdp.de/gdp/gdp.nsf/id/de_wir-ueberuns#:~:text=Die%20GdP%20organisiert%20rund%20197.000,in%20Hilden%2FNord rhein%2DWestfalen (zuletzt abgerufen am 03.12.2021). 241 Singelnstein/Puschke, NJW 2011, 3473, 3473.
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sichtlich keine praktischen Auswirkungen haben würde, also ungeeignet sei, den angestrebten Zweck zu fördern.242 Denn bei schweren Delikten sind regelmäßig auch Tatbestände mit höheren Strafandrohungen, wie etwa die §§ 223 ff. StGB a. F., erfasst. Bei leichteren wird der erhöhte Strafrahmen meist nicht ausgeschöpft. Zudem herrscht in der kriminologischen Literatur Einigkeit darüber, dass von einem höheren Strafrahmen keine erkennbare generalpräventive Wirkung ausgeht.243 Positive Äußerungen zur Angemessenheit der Erhöhung des Strafrahmens auf drei Jahre fanden sich nur sehr vereinzelt. Sie argumentierten, eine maßvolle Erhöhung des Strafrahmens stelle einen vertretbaren Gesetzgebungsakt dar, um den Wert von Vollstreckungshandlungen zu bekräftigen.244 bb) Auswirkungen auf das dogmatische Verhältnis und die Konkurrenzen zur Nötigung nach § 240 StGB a. F. Bis zum Zeitpunkt der Novellierung im Jahr 2011 wurde überwiegend vertreten, § 113 StGB a. F. sei eine Privilegierung zur Nötigung und auch die speziellere Norm im Verhältnis zu dieser,245 auch wenn gerade die Privilegierungsthese nicht unumstritten war.246 Das lag in erster Linie daran, dass die Besserstellung der Täter:innen auf die Erregung gestützt wurde, die mit einer Vollstreckungssituation einhergeht247, im Tatbestand aber dennoch das Vorliegen einer solchen Erregungssituation nach überwiegender Ansicht nicht erforderlich war.248 Stattdessen konnte auch eine vollkommen unbeteiligte Person Täter:in sein.249 Zudem würde durch die Privilegierung der Anschein erweckt werden, Vollstreckungspersonen seien weniger schutzwürdig als beispielsweise privates Wachpersonal.250
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Singelnstein/Puschke, NJW 2011, 3473, 3473; Zopfs, GA 2012, 259, 262. Singelnstein/Kunz, Kriminologie, 4. Kap., § 20 Rn. 11 f.; Meier, Strafrechtliche Sanktionen, Kap. 2.3.3.1, S. 27 ff. 244 Stadler, ZRP 2010, 157, 158. 245 Bosch, JURA 2011, 268, 268. 246 Ablehnend Deiters, GA 2002, 259, 275; Thomma, S. 227 ff.; Zopfs, GA 2000, 527, 542. 247 Vgl. BT-Drs. VI/502, S. 3 ff.; LK-StGB/Rosenau (12. Aufl.), § 113 Rn. 5. 248 Z. B. Fahl, StV 2012, 623, 623; Zopfs, GA 2012, 259, 267. 249 NK-StGB/Paeffgen, Band 2, § 113 Rn. 12; Leipold/Tsambikakis/Zöller/Barton, StGB, § 113 Rn. 7; Fischer-StGB (57. Aufl.), § 113 Rn. 22; a. A. LK-StGB/Rosenau (12. Aufl.), § 113 Rn. 5; differenzierend NK-StGB/Paeffgen, Band 2, § 113 Rn. 12: Bei der Tathandlung Gewalt oder Drohung mit Gewalt müsse eine Vollstreckungshandlung vorliegen, um die für den beziehungsweise die Täter:in günstigeren Regeln des § 113 StGB anzuwenden, während dies wegen des überwiegenden Individualschutzes beim tätlichen Angriff nicht gelte; Ausführlicher zum Widerstand durch unbetroffene Dritte: Zöller/Steffens, JA 2010, 161, 163 f. (und zur Privilegierung). 250 Fahl, ZStW 2012, 311, 312. 243
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B. Zustand vor und seit der Novellierung im Überblick
Anders als das Spezialitätsverhältnis zwischen § 113 StGB a. F. und § 240 StGB a. F., das größtenteils anerkannt wurde, war in der Rechtsprechung und Literatur bereits vor der Gesetzesänderung im Jahr 2011 umstritten, ob § 113 StGB a. F. die Strafbarkeit aller Widerstandshandlungen gegen den geschützten Personenkreis abschließend umfasst. Die häufig diskutierte Thematik der von § 113 StGB a. F. ausgehenden Sperrwirkung betraf die Frage, ob das Spezialitätsverhältnis auch dann einen Rückgriff auf § 240 StGB a. F. ausschließt, wenn die Tathandlung die Schwelle des § 113 StGB a. F. nicht erreicht hat, etwa weil mit einem empfindlichen Übel gedroht wurde, das keine Gewalt darstellte.251 Die wohl herrschende Ansicht252 ging in dem Fall von einer abschließenden Sperrwirkung des § 113 StGB a. F. aus, während eine andere weit verbreitete Meinung253 zwar den Rückgriff auf die allgemeine Nötigung, zu deren Verwirklichung die Drohung mit einem empfindlichen Übel ausreicht, für zulässig hielt, aber den Strafrahmen und die Irrtumsregelungen des § 113 StGB a. F. übertragen wollte. Ohne die abschließende Sperrwirkung würden jene, die „lediglich“ mit einem empfindlichen Übel statt mit Gewalt drohen, mithin ein milderes Nötigungsmittel einsetzen, strenger bestraft als die Personen, die Gewalt androhen.254 Dies galt zumindest für die Zeit vor dem 44. Strafrechtsänderungsgesetz, als § 113 StGB a. F. noch mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe bedroht war, während bei § 240 StGB bis zu drei Jahre Freiheitsstrafe oder Geldstrafe möglich waren. Die Gesetzesänderung aus dem Jahr 2011 trug nicht zur Lösung dieses Problems bei, sondern stellte das systematische Verhältnis der Normen weiter auf den Kopf.255 Denn die Privilegierung wurde vor der Novellierung in erster Linie auf die geringere Strafe des § 113 StGB a. F. im Höchstmaß und erst an zweiter Stelle auf die günstigeren Irrtumsregelungen gestützt,256 weshalb die Privilegierungswirkung mit der Gesetzesänderung aus dem Jahr 2011 zumindest zum größten Teil entfiel.257 Damit hat zwar der kleine, da weitgehend als Privilegierung ak-
251 Zöller/Steffens, JA 2010, 161, 167; zur Sperrwirkung auch: Zopfs, GA 2012, 259, 270 f., und Zopfs, GA 2000, 527, 539 f. 252 Wohl auch BGHSt 30, 235, 236 = NJW 1982, 190; NK-StGB/Paeffgen, Band 2, § 113 Rn. 90; Schönke/Schröder/Eser-StGB (29. Aufl.), § 113 Rn. 68; Backes/Ransiek, JuS 1989, 624, 629; Deiters, GA 2002, 259, 275; Küpper, GS für Dieter Meurer, S. 125 f.; Zopfs, GA 2012, 259, 263, 271. 253 OLG Hamm, B. v. 24.04.1995 – 2 Ss 365/95 = NStZ 1995, 547, 548; Ehlen/Meurer, NJW 1974, 1776, 1777; Wessels, BT-I 1997, § 14 Rn. 618. 254 Zöller/Steffens, JA 2010, 161, 167. 255 Bosch, JURA 2011, 268, 268. 256 Hinsichtlich der Irrtumsregelungen bestand zudem Uneinigkeit darüber, ob die Privilegierung auf Abs. 3 oder Abs. 4 oder aber beide gestützt werden kann, Zopfs, GA 2012, 259, 267. 257 BR-Drs. 646/10, S. 1; vgl. auch Steinberg/Zetzmann/Dust, JR 2013, 7, 10, die allein den geringeren Strafrahmen nennen; Arzt, SR BT (3. Auf.), § 45 Rn. 6.
II. Gesetzgebungsverfahren und Vorgängerfassung
65
zeptierte, Konflikt über die Privilegierungsthese an Bedeutung verloren, doch es stellte sich die Frage, ob sich dadurch etwas am Konkurrenzverhältnis änderte und welcher Weg bei der Unterschreitung der Voraussetzungen des § 113 StGB a. F. gewählt werden sollte. Obwohl § 113 StGB a. F. durch die Erhöhung des Strafrahmens an eigenständiger Bedeutung gewann258, wurde überwiegend weiterhin an dem Spezialitätsverhältnis festgehalten. Das ist darauf zurückzuführen, dass § 113 StGB a. F. unter anderem Vollstreckungsorgane vor Angriffen auf ihre Individualrechtsgüter schützt, insbesondere auf deren Willensbildungs- und Willensbetätigungsfreiheit, was einer Konkretisierung der Schutzrichtung der Nötigung entspricht. Damit überschnitten sich die Schutzrichtungen weiterhin und standen im Zusammenhang.259 Andererseits wurde angenommen, dass praktisch alle Fälle, die § 113 StGB a. F. erfüllen, auch § 240 StGB a. F. verwirklichen und daher ein Spezialitätsverhältnis vorläge.260 Auch das Problem der Sperrwirkung wurde nach der Gesetzesänderung weitestgehend gleichbleibend behandelt.261 Die ursprüngliche Privilegierungswirkung von § 113 StGB a. F. zu § 240 StGB a. F. ist durch die Anhebung des Strafrahmens im Jahr 2011 weggefallen, mithin hat sich das systematische Verhältnis der Normen verändert. Beim Spezialitätsverhältnis ist es dennoch geblieben. Die Erhöhung des Strafrahmens im Jahr 2017 im Rahmen des neu eingefügten § 114 StGB gibt zumindest Anlass, das Verhältnis erneut zu hinterfragen. b) Erweiterung des Schutzbereichs Die Erweiterung des Schutzbereichs des § 113 StGB in der Fassung vor dem 44. Strafrechtsänderungsgesetz auf Feuerwehrleute und Rettungskräfte durch den 2011 neu geschaffenen § 114 Abs. 3 StGB war Anlaufstelle zahlreicher Kritikpunkte in der Literatur und ist es noch heute (seit der Novellierung von 2017 lediglich in Anknüpfung an § 115 StGB). Die Regelung stellte einen Fremdkörper innerhalb des Paragraphen dar, da dieser in seinen ersten beiden Absätzen den Personenkreis erweiterte, der während der Vollstreckungshandlung von einer Widerstandshandlung oder einem tätlichen Angriff betroffen sein konnte.262 Das
258
Singelnstein/Puschke, NJW 2011, 3473, 3474. Singelnstein/Puschke, NJW 2011, 3473, 3474; a. A. Fahl StV 2012, 623: § 240 StGB a. F. schütze ein Individualrechtsgut, die Freiheit der Willensentschließung und Willensbetätigung und § 113 StGB a. F. staatliche Vollstreckungshandlungen und -organe, ein Allgemeingut, somit könnten die Schutzgüter kaum verschiedener sein. 260 Fahl, ZStW 2012, 311, 315 f. 261 Vgl. eingehend C. III. 4. b) bb) Auswirkungen auf die Thematik der Sperrwirkung. 262 Zopfs, GA 2012, 259, 264. 259
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B. Zustand vor und seit der Novellierung im Überblick
passte nicht mit den Aufgaben einer Feuerwehrfachkraft beziehungsweise anderen Rettungskräften zusammen.263 Insofern bestand eine Diskrepanz innerhalb der Schutzzwecke. Die Norm war durch ihre Überschrift und die ersten beiden Absätze unmittelbar mit § 113 StGB a. F. verbunden, der aber, wie bereits erwähnt, zumindest auch die ungestörte Durchführung rechtmäßiger Vollstreckungstätigkeit schützte, zu deren Durchsetzung Rettungskräfte regelmäßig nicht befugt sind. Zudem bestand weitestgehend Einigkeit darüber, dass Angriffe gegen Feuerwehrleute und Rettungskräfte bereits vor der Einbeziehung in den Schutzbereich angemessen erfasst und sanktioniert werden konnten.264 Damit fehlte es an einer Strafbarkeitslücke. Der Deutsche Richterbund befürchtete sogar eine Verschlechterung des Schutzes für Rettungskräfte im Hinblick auf die (ungeklärte) Thematik der Sperrwirkung. Denn wenn einer Rettungskraft bisher, d. h. bis zur Novellierung im Jahr 2011, mit einem empfindlichen Übel gedroht wurde, das keine Gewalt darstellte, war zwar nicht § 113 StGB a. F., aber § 240 StGB a. F. erfüllt. Mit der Aufnahme in den Schutzbereich des § 113 StGB a. F. durch das 44. Strafrechtsänderungsgesetz und unter der Annahme einer abschließenden Sperrwirkung, wie von der herrschenden Meinung und dem Bundesgerichtshof vertreten,265 wäre nunmehr auch für diese neu einbezogenen Personengruppen der Anwendungsbereich auf § 240 StGB a. F. versperrt. Jede Erweiterung des Schutzbereichs in persönlicher als auch in sachlicher Hinsicht (etwa durch Einbeziehung von allgemeinen Diensthandlungen) birgt daher die Gefahr der Verkürzung des strafrechtlichen Schutzes266 und verkehrt damit die angestrebte Wirkung in ihr Gegenteil. Messer prophezeite bereits 2011, dass die Veränderungen am Schutzbereich weitere Reformbegehren nach sich ziehen wird267, womit er, wie sich später herausstellte, Recht behielt. c) Erweiterung der Regelbeispiele Das Regelbeispiel des § 113 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 StGB a. F. wurde um die gefährlichen Werkzeuge ergänzt. Die Erweiterung fand ihren Anstoß in der bereits er263 Vgl. dazu die Ausführungen bei Steinberg/Zetzmann/Dust, JR 2013, 7, 8; Singelnstein/Puschke, NJW 2011, 3473, 3474; ein seltener Fall, in dem Feuerwehrleute eine Vollstreckungshandlung vornehmen können, ist der des Platzverweises, Bosch, JURA 2011, 268, 270. 264 Messer, NK 2011, 2, 4; ebenso Wunderlich und Montag in der zweiten Beratung des Gesetzesentwurf im Bundestag, BT-Drs. 17/120, 14005 f.; DAV, Stellungnahme des deutschen Anwaltsvereins Nr. 32/2010, S. 11; DRB, Stellungnahme Nr. 55/10, S. 2. 265 BGH 30, 235, 236 = NJW 1982, 190; NK-StGB/Paeffgen, Band 2, § 113 Rn. 90; Backes/Ransiek, JuS 1989, 624, 629; Deiters, GA 2002, 259, 275; Küpper, GS für Dieter Meurer, S. 125 f.; Zopfs, GA 2012, 259, 263, 271. 266 DRB, Stellungnahme Nr. 55/10 S. 4. 267 Messer, NK 2011, 2, 4.
II. Gesetzgebungsverfahren und Vorgängerfassung
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wähnten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2008268, wie aus der Gesetzesbegründung hervorgeht.269 Das Regelbeispiel Nr. 1 in § 113 Abs. 2 StGB a. F. hatte nach der Novellierung von 2011 folgenden Wortlaut: „Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter oder ein anderer Beteiligter eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt, um diese oder dieses bei der Tat zu verwenden [. . .].“
Es stellte sich nunmehr die Frage, wie die Gefährlichkeit eines Gegenstandes beurteilt werden sollte, der nicht verwendet wurde. Wurde er verwendet, blieb es bei der gängigen Definition, die auch bei § 224 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 StGB zum Tragen kommt. Danach ist ein Werkzeug gefährlich, wenn es nach den konkreten Umständen seiner Verwendung geeignet ist, erhebliche Verletzungen herbeizuführen.270 Wird im Tatbestand keine Verwendung gefordert, wenn also bereits das Beisichführen zur Verwirklichung des Tatbestands ausreicht, ist die Situation komplizierter. Hier stellen sich die gleichen Probleme wie im Rahmen des § 244 Abs. 1 Nr. 1 a) Alt. 2 StGB und § 250 Abs. 1 Nr. 1 a) Alt. 2 StGB. Es werden rein objektive Lösungsansätze271, aber auch solche mit subjektiven Tendenzen272 vertreten. Identisch zu § 244 StGB und § 250 StGB war die Ausgangssituation in § 113 StGB a. F. jedoch nicht, da § 113 StGB a. F. mit der niedergeschriebenen Verwendungsabsicht („um diese bei der Tat zu verwenden“) ausdrücklich eine subjektive Komponente vorsah.273 Die gleiche Regelung ist in § 121 StGB, der Gefangenenmeuterei, zu finden. Diese subjektive Komponente der Verwendungsabsicht führte zwar zu einer Restriktion, war jedoch für die Bestimmung der Gefährlichkeit nur bedingt hilfreich. Bei der Gefährlichkeit handelt es sich vielmehr um ein objektives Merkmal274, das sich unabhängig von der geplanten Verwendung ergeben muss, etwa durch seine typische Einsatzart in der konkreten Situation.275 Teilweise wurde befürchtet, dass die ausdrückliche subjektive Normierung in § 113 StGB a. F. aufgrund eines Umkehrschlusses zu einer strengeren objektiven Auslegung des 268
BVerfG, B. v. 01.09.2008 – 2 BvR 2238/07 = NJW 2008, 3627. BT-Drs. 17/4143, S. 1. 270 H. M., BGHSt 14, 152 = NJW 1960, 1022; MüKo-StGB/Hardtung, Band 4, § 224, Rn. 20. 271 BGHSt 52, 257, 257 = BGH NJW 2008, 2861, 2862 ff.; MüKo-StGB/Schmitz, Band 4, § 244 Rn. 15 ff.; Schönke/Schröder/Eser/Bosch-StGB (29. Aufl.), § 244 Rn. 5. 272 BGHSt 52, 257 = BGH NJW 2008, 2861, 2864; OLG Stuttgart, Urt. v. 05.05. 2009 – 4 Ss 144/09 = NJW 2009, 2756, 2757 f.; OLG Braunschweig, B. v. 21.02.2002 – 1 Ss (S) 68/1 = NJW 2002, 1735, 1736; Küper, JZ 1999, 187, 192; Rengier, SR BT-I, § 4 Rn. 22. 273 Vgl. hierzu Messer, NK 2011, 2, 4. 274 A. A. Bosch, JURA 2011, 268, 275. 275 Singelnstein/Puschke, NJW 2011, 3473, 3473 f. 269
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B. Zustand vor und seit der Novellierung im Überblick
„Beisichführens eines gefährlichen Werkzeugs“ bei den §§ 244, 250 StGB führen könnte.276 Die Gegenseite hielt die Entstehung von Komplikationen durch die Neuerungen aus dem Jahr 2011 für unwahrscheinlich, unter anderem aufgrund der geforderten Verwendungsabsicht.277 Die Befürchtungen der ersten Ansicht scheinen durch die Rechtsprechung bestätigt worden zu sein: Das OLG Köln argumentierte 2012, dass sich aus dem (zum damaligen Zeitpunkt) neuen § 113 Abs. 2 Nr. 1 StGB a. F. (und § 125a S. 2 Nr. 2 StGB) ergebe, es ließe sich keine Verwendungsabsicht in das Beisichführen bei § 244 Abs. 1 Nr. 1a StGB hineinlesen, da § 113 StGB a. F. eine Verwendungsabsicht zusätzlich zum Beisichführen beinhalte.278 Ein weiterer Kritikpunk war, dass entgegen der Aussage des Bundesrates279 solche Angriffe auch nach alter Rechtslage bereits sanktioniert werden konnten. Für diese Fälle bestand stets die Möglichkeit der Annahme eines unbenannten besonders schweren Falles.280 Die Bundesregierung erkannte das Fehlen einer Regelungslücke, hielt die (damalige) Neuerung aber dennoch für sachgerecht: Es handle sich um eine Anpassung an vergleichbare Vorschriften des Strafgesetzbuches, in denen Waffen und gefährliche Werkzeuge benannt sind.281 Die Einfügung von gefährlichen Werkzeugen als Tatmodalität führte damit zur Entstehung neuer Auslegungsprobleme im Tatbestand. Damit war der Grundstein für die spätere Abänderung des Regelbeispiels von 2017 gelegt, die bis heute der wohl am meisten kritisierteste Änderungspunkt der Gesetzesänderung ist. Insgesamt haben die Feststellungen zu den Kritikpunkten an der früheren Gesetzesfassung ergeben, dass bereits die 44. Änderungsreform einige dogmatische Problempunkte aufgeworfen hat. Die damalige Novellierung war ähnlich umstritten wie die aktuelle und stieß größtenteils auf Ablehnung in der juristischen Fachliteratur.
III. Zwischenfazit Der Rückblick auf die Vorgängerfassungen der aktuellen §§ 113 ff. StGB lässt die wechselvolle Vergangenheit der Vorschriften erkennen. Der geschützte Personenkreis vergrößerte sich im Laufe der Reformen. Auf die Frage, wann der Schutz der Normen greifen soll (Nur bei Vornahme einer Vollstreckungshand276 Messer, NK 2011, 2, 4; einen ähnlichen Schluss von einem subjektiven Erfordernis (Gebrauchsabsicht) auf ein objektives (Verwendungsart) ziehen auch Bosch, JURA 2011, 268, 275, und Floeth, NStZ 2015, 85, 87. 277 Steinberg/Zetzmann/Dust, JR 2013, 7, 8; befürwortend auch Stadler, ZRP 2010, 157, 158. 278 OLG Köln, Urt. v. 10.11.2012 – III-1 RVs 258/11 = NStZ 2012, 327. 279 BT-Drs. 17/2165, S. 6. 280 MüKo-StGB/Maier, Band 2, § 46 Rn. 122. 281 BT-Drs. 17/4143.
III. Zwischenfazit
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lung? Bei allgemeinen Diensthandlungen? Während der Ausübung des Dienstes?), fand nahezu jedes historische Gesetz eine andere Antwort. Die jüngste Novellierung und die im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens aufgetauchten Vorschläge machen deutlich, dass die Frage auch im letzten Jahrzehnt nicht an Brisanz verloren hat. Das Verhältnis zu anderen Tatbeständen, insbesondere zu § 240 StGB, ist eine seit langem bekannte Thematik, welche mit jeder Änderung neue Bedeutsamkeit zu erlangen scheint. Das Verhältnis zur Nötigung wurde auch im Rahmen der seit 2011 geltenden Vorgängerfassung der §§ 113 ff. StGB diskutiert, darüber hinaus wurden unterschiedliche Auffassungen über die Auswirkungen der Erhöhung des Strafrahmens, der Erweiterung des Schutzbereichs und der Regelbeispiele in der Literatur vertreten. Bereits sechs Jahre nach dem Inkrafttreten des 44. Strafrechtsänderungsgesetzes wurden mit der jüngsten Novellierung erneut Änderungen an den betreffenden Normen vorgenommen, unter anderem indem abermals die Regelbeispiele erweitert und erneut der Strafrahmen (zumindest für den tätlichen Angriff) angehoben wurde. Dabei wurde größtenteils keine Rücksicht auf die zuvor in rechtswissenschaftlichen Fachkreisen geäußerten Bedenken genommen. Bei der jüngsten Gesetzesänderung wurden auch einige Vorschläge in geltendes Recht umgesetzt, die bereits im Gesetzgebungsverfahren zur Vorgängerfassung vorgeschlagen wurden. Das Gesetzgebungsverfahren zum 52. Strafrechtsänderungsgesetz verlief dabei zügig und stand im Zeichen der Ausschreitungen um die Eröffnung der Europäischen Zentralbank. Ein drastischer Gewaltanstieg gegen Vollstreckungspersonen ließ sich empirisch allerdings nicht nachweisen. Stattdessen hat sich gezeigt, dass die Polizei mit neuen und zusätzlichen Aufgaben belastet wird, die sich aus gesellschaftlichen Veränderungen ergeben. Außerdem deuten Studien darauf hin, dass in den Jahren vor den beiden Novellierungen eine erhöhte Kriminalitätsfurcht in der Bevölkerung herrschte. Insgesamt weisen die beiden letzten Gesetzesänderungen übereinstimmend einen Kurs in Richtung eines strenger bestrafenden Widerstandsrechts auf.
C. Dogmatische Probleme der aktuellen Gesetzeslage Nachdem zuvor der Weg zur aktuellen Gesetzeslage beschrieben wurde, widmet sich dieses Kapitel einem Kernteil der Arbeit, den dogmatischen Problemen, die durch die Novellierung aufgetreten sind beziehungsweise verstärkt worden sind. Einige wurden bereits im Rahmen der Ausführungen zum Vorgängergesetzestext sowie bei der Vorstellung des hessischen und des saarländischen Gesetzesentwurfs angesprochen oder in abgewandelter Form behandelt. Nun erfolgt eine detaillierte Betrachtung der geschützten Rechtsgüter der §§ 113 ff. StGB, der Auslegung des Tatbestandsmerkmals „tätlicher Angriff“, der Konkurrenzverhältnisse innerhalb sowie außerhalb der Widerstandsdelikte, insbesondere zu § 240 StGB, sowie eine Bewertung der Erweiterung der Regelbeispiele und eine Einschätzung zu der Vereinbarkeit der §§ 113 ff. StGB mit dem allgemeinen Gleichheitsgebot. Außerdem sollen systematische Unzulänglichkeiten aufgedeckt und bewertet werden.
I. Schutzgüter der §§ 113 ff. StGB Bereits der historische Rückblick hat gezeigt, dass die Frage nach dem geschützten Rechtsgut eine Materie ist, welche die mit dem Widerstand gegen die Staatsgewalt zusammenhängenden Delikte seit langer Zeit begleitet. Mit der Verselbstständigung des tätlichen Angriffs in einem eigenen Tatbestand und der Entkoppelung vom Erfordernis der Vollstreckungshandlung wurde die Thematik aktueller denn je. Dabei ist die Frage nach dem geschützten Rechtsgut ein entscheidender Bezugspunkt für die Daseinsberechtigung einer Norm: Denn das Strafrecht dient nach vorherrschendem, wenn auch nicht unumstrittenem Verständnis in erster Linie dem Rechtsgüterschutz.1 Mit anderen Worten: Konzepte, die keinen Rechtsgüterschutz bewirken, gehören nicht in das Strafgesetzbuch.2 Was jedoch unter einem Rechtsgut zu verstehen ist, ist mindestens ebenso umstritten. Teilweise heißt es, es sei einzig anerkannt, dass ein allgemein anerkannter Begriff nicht bestünde.3 Dieser Arbeit soll die verbreitete Definition zu Grunde gelegt werden, 1 Roxin/Greco, SR AT, § 2 Rn. 1; Rengier, SR AT, § 3 Rn. 2; Wessels/Beulke/Satzger, § 1 Rn. 9; a. A. z. B. Hassemer, in: Die Rechtsgutstheorie, S. 57. 2 Zöller, ZIS 2015, 445, 449. 3 Puschke, Legitimation, Grenzen und Dogmatik von Vorbereitungstatbeständen, S. 116 m.w. N.
I. Schutzgüter der §§ 113 ff. StGB
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nach welcher der Begriff des Rechtsguts Lebensgüter, Sozialwerte und rechtlich anerkannten Interessen Einzelner oder der Allgemeinheit umfasst, die wegen ihrer besonderen Bedeutung für die Allgemeinheit Rechtsschutz genießen.4 Nahezu unbestritten ist, dass das Strafrecht nur bestimmte, besonders sozialschädliche Handlungen erfasst, mithin nicht jegliches unerwünschte Verhalten sanktionieren darf. Der Schutz durch das Strafrecht ist damit lediglich fragmentarisch ausgestaltet.5 Nur wenn ein Rechtsgut nicht auf andere, mildere Weise als durch das Strafrecht geschützt werden kann, darf zu diesem äußersten Mittel gegriffen werden, sog. ultima ratio-Funktion.6 Die Frage, ob die zu untersuchenden Tatbestände von der Rechtsordnung anerkannten Rechtsgüter schützen und wenn ja, um welche es sich dabei handelt, gibt allerdings nicht nur Hinweise auf den Rationalitätsgehalt der Norm, sondern hat auch Auswirkungen auf Irrtumsfälle, Rechtfertigungsgründe, etwa in Form der rechtfertigenden Einwilligung sowie die Konkurrenzen. Selbst wenn den Rechtsgütern für die Legitimation von Strafnormen keine Bedeutung beigemessen wird, sind die Erkenntnisse daher bedeutsam.7 Während vor der Novellierung von einem einheitlichen Schutzzweck der innerhalb des § 113 StGB a. F. enthaltenen Tathandlungen Widerstand und tätlicher Angriff ausgegangen wurde und § 115 StGB a. F. nicht besetzt war, ist eine gemeinsame Betrachtung nach der Herauslösung des tätlichen Angriffs aus § 113 StGB a. F. unter Schaffung des neuen § 114 StGB nicht mehr sinnvoll. Daher erfolgt die Rechtsgutsbestimmung für jeden Tatbestand einzeln. 1. Schutzgut des § 113 StGB Die besondere Problematik der Rechtsgutsbestimmung bei § 113 StGB liegt darin, dass nicht nur öffentliche Belange des Staates und individuelle Interessen der Widerstand leistenden Person kollidieren, sondern gleichzeitig auch die Rechtsgüter der Vollstreckungspersonen betroffen sind. Nach seit langem vertretener, wohl auch noch heute herrschender Meinung, verfolgt § 113 StGB einen doppelten Schutzzweck: Zum einen bezweckt die Norm den Schutz staatlicher Vollstreckungshandlungen, zum anderen den Schutz der Individualrechtsgüter der vollstreckenden Person.8 Dass ein Tatbestand nicht nur ein einzelnes Rechtsgut schützt, ist keine Seltenheit. Die Ursache dafür kann sich etwa aus einem
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Wessels/Beulke/Satzger, § 1 Rn. 11. Rengier, SR AT, § 3 Rn. 7. 6 Rengier, SR AT, § 3 Rn. 5. 7 Jansen, ZIS 2019, 2, 2. 8 RGSt 41, 82, 85; BGHSt 21, 334 = NJW 1968, 710, 714; Satzger/Schluckebier/ Fahl, § 113 Rn. 1; Zöller/Steffens, JA 2010, 161, 161; Lackner/Kühl/Heger-StGB, § 113 Rn. 1, stellvertretend für viele und m.w. N. 5
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C. Dogmatische Probleme der aktuellen Gesetzeslage
politischen Kompromiss im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens ergeben9 oder aus dem Regelungsgegenstand der Norm. Wenn ein Tatbestand mehrere Rechtsgüter schützt, gibt es drei denkbare Kombinationsmöglichkeiten, die unterschiedliche Auswirkungen, beispielsweise auf die Einwilligung oder die Beteiligung, haben können.10 Zum einen kann sich das tatbestandliche Unrecht kumulativ aus der Beeinträchtigung beider Rechtsgüter ergeben. Dieser Fall wird als Konjunktion bezeichnet. Zum anderen kann auch die Beeinträchtigung eines der Rechtsgüter ausreichend sein, um den Tatbestand zu erfüllen, sog. nicht ausschließende Disjunktion. Weiterhin wäre ein alternativer Schutz im Sinne eines „entweder/oder“ denkbar, sog. Kontrajunktion.11 So eindeutig, wie diese Aussage des doppelten Schutzguts auf den ersten Blick scheint, ist sie folglich nicht. Das beruht jedoch nicht nur darauf, dass unterschiedliche Kombinationsmöglichkeiten in Betracht kommen. Darüber hinaus variieren die Bezeichnungen für die Rechtsgüter in Rechtsprechung und Literatur, weshalb im Folgenden überprüft wird, ob es sich lediglich um rein sprachliche Unterschiede handelt, oder ob sie auch inhaltlicher Natur sind. Sie sind zudem auslegungsbedürftig, denn der Begriff „Individualrechtsgüter“ ist lediglich ein Sammelbegriff für sämtliche Rechtsgüter Einzelner. Aus diesem Grund ist auch die Entwurfsbegründung des saarländischen Gesetzesantrags im Grunde als bloße Leerformel zu verstehen.12 Dort heißt es, dass die Norm „sowohl dem Schutz der Rechtsgüter des Amtsträgers als auch dem Schutz des Gewaltmonopols des Staates zu dienen bestimmt ist“.13 Eine einzelne Norm ist aber nicht im Stande, einen so umfassenden Schutz aller Individualrechtsgüter zu gewährleisten. Es ist kaum vorstellbar, dass ein einzelner Tatbestand sowohl das Leben, die Fortbewegungsfreiheit, die körperliche Unversehrtheit, die Freiheit der Willensentschließung und Willensbetätigung sowie das Eigentum und Vermögen gleichzeitig schützen kann.14 Es muss daher ermittelt werden, welche Individualrechtsgüter der Vollstreckungspersonen konkret geschützt sein sollen. Im ersten Unterpunkt werden alle möglichen in Betracht kommenden kollektiven und individuellen Rechtsgüter ermittelt. Danach kann der Frage nachgegangen werden, welche Ansichten neben der herrschenden Meinung bisher vertreten wurden und wovon genau die herrschende Meinung dabei ausgeht. Schließlich ist auf dieser Grundlage, unter Ein9
Amelung, FS Dünnebier, S. 507. Wenn die Schutzgüter der verwirklichten Tatbestände zumindest auch die sich beteiligende Person schützen sollen, kann diese nicht Täter:in sein. Diese Thematik betrifft z. B. Mitfahrende i.R. d. § 315c StGB. 11 Jansen, ZIS 2019, 2, 2. 12 Zöller, Stellungnahme LT Rheinland-Pfalz Drs. 16/5569, S. 3. 13 BR-Drs. 187/15, S. 6. 14 Roggan, Stellungnahme LT NRW Drs. 16/3453, S. 3. 10
I. Schutzgüter der §§ 113 ff. StGB
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beziehung von für und gegen die jeweiligen Schutzgüter sprechenden Argumenten, insbesondere der Gesetzesbegründung, zu ermitteln, welches Rechtsgut § 113 StGB derzeit schützt. a) In Betracht kommende Schutzgüter und Gewichtung § 113 StGB verfolgte bisher einen doppelten Schutzzweck.15 Problematisch ist dabei, dass das, was in der Literatur und in der Rechtsprechung als herrschend bezeichnet wurde, nicht unmittelbar miteinander übereinstimmt. Das gilt sowohl für die Bezeichnung der kollektiven Rechtsgüter als auch für die der Individualrechtsgüter, wobei im Folgenden zunächst die in Betracht kommenden kollektiven Rechtsgüter betrachtet werden. So heißt es etwa bei Fischer, dass neben den Individualrechtsgütern die „Autorität staatlicher Vollstreckungsakte“ und somit das „Gewaltmonopol des Staats“ geschützt sein soll.16 Das staatliche Gewaltmonopol beziehungsweise die staatliche Autorität sind jedoch keine anerkennenswerten Rechtsgüter, sondern die organisatorische Voraussetzung für den Rechtsgüterschutz in einem demokratischen Rechtsstaat. Mit der Abschaffung der Fehde und der Sühneverträge sowie der Ausrufung des Ewigen Landfriedens wurde das Gewaltmonopol auf den Staat zentriert.17 Vereinbart eine Gesellschaft, die Ausübung von Gewalt allein dem Staat zu überlassen, liegt die Rechtfertigung für die Existenz des Strafrechts in der Notwendigkeit, für ein friedliches und gedeihliches Zusammenleben Sorge zu tragen.18 Das staatliche Gewaltmonopol zum Rechtsgut zu erheben, um damit die Einführung eines neuen Straftatbestands zu rechtfertigen, wird daher zu Recht als widersprüchlich bezeichnet19 und das Gewaltmonopol daher vielfach als Rechtsgut abgelehnt.20 Das geschützte Rechtsgut des § 113 StGB wird teilweise auch generalisierender als „rechtmäßige Betätigung des Staatswillens“ 21, Schutz des „Staatsapparats“ 22 oder als Schutz der Durchführung rechtmäßiger Vollstreckungsakte ohne 15
Vgl. B. II. 5. b) Erweiterung des Schutzbereichs. Fischer-StGB (69. Aufl.), § 113 Rn. 2. 17 Gropp/Sinn, SR AT, § 1 Teil D Rn. 162. 18 Wessels/Beulke/Satzger, § 1 Rn. 8. 19 Roggan, Stellungnahme LT NRW Drs. 16/3453 S. 3 f.; dagegen: Kulhanek, JR 2018, 551, 553 Fn. 19. 20 Kohler, IPK WPS, S. 18; Zöller, ZIS 2015, 445, 450; BRAK, Stellungnahme Nr. 16/2017, S. 7; Zöller, KriPoZ 2017, 143, 146; Busch/Singelnstein, NStZ 2018, 510, 511; Bolender, S. 82; ähnlich Puschke/Rienhoff, JZ 2017, 924, 929, welche die Erweiterung des Schutzzwecks auf sämtliche Diensthandlungen als Ausfluss des staatlichen Gewaltmonopols ablehnen. 21 Z. B. Lackner/Kühl/Heger, § 113, Rn. 1. 22 Hirsch, in: FS Klug, S. 240. 16
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C. Dogmatische Probleme der aktuellen Gesetzeslage
Friktionen23 beschrieben. Oft werden die Bezeichnungen ausgetauscht und nebeneinander verwendet, etwa auf diese Weise: „In § 113 geht es um den Schutz der rechtmäßigen Betätigung staatlicher Vollstreckungsgewalt vor Widerstand. [. . .] Die Vorschrift will die Durchführung des Staatswillens, mithin auch das staatliche Gewaltmonopol sichern. Es geht dabei primär um die Autorität staatlicher Vollstreckungsakte [. . .].“ 24
Dadurch kann der Eindruck entstehen, dass die Bezeichnungen das Gleiche meinen.25 Das ist jedoch nur bedingt der Fall. Der Unterschied liegt in der Konkretheit: Die Begriffe „Schutz des Gewaltmonopols/des Staatsapparats“ sind im Gegensatz zur Umschreibung als „ungestörte Durchführung des Vollstreckungsaktes“ so vage, dass sie aus gutem Grund meist nicht als eigenständiges Rechtsgut anerkannt werden. Wenn das Gesetz bloße Verhaltensweisen unter Strafe stellt, die keine fassbare Größe beeinträchtigen und zu weit und vage sind, bestraft es letztlich nur die Moral.26 Selbst wichtige Belange der Allgemeinheit können eine strafrechtliche Norm nicht allein aus dem Grund legitimieren, dass sie bedeutsam sind. In diesem Fall würde stets die Eingriffsintensität gegenüber den Normadressierten überwiegen. Erst wenn die Belange zu einem Rechtsgut präzisiert werden, wird ein abschließender Ausgleich der Freiheitssphären erzielt.27 Konkret genug dürfte daher nur das Schutzgut der „Autorität staatlicher Vollstreckungsakte“ beziehungsweise der „rechtmäßigen Durchsetzung staatlicher Vollstreckungsakte“ sein, welches letztlich Ausfluss der oben genannten, weiten „Pseudorechtsgüter“ ist. Diese Begriffe beschreiben ein konkretes, abgrenzbares Verhalten, sodass ein hinreichender Realitätsbezug vorhanden ist. Ein ähnliches Problem stellt sich beim Blick auf die durch § 113 StGB geschützten Individualrechtsgüter. Es stellt sich die Frage, welches Rechtsgut oder welche Rechtsgüter der Vollstreckungspersonen konkret erfasst werden. In Betracht kommen die körperliche Unversehrtheit28 sowie die Willensentschließungs- und Willensbetätigungsfreiheit. 29 23
Dreher, in: GS für Horst Schröder, S. 363. LK-StGB/Rosenau, § 113 Rn. 3. 25 Thomma, S. 165 Fn. 566, und Bolender, S. 85 gehen von rein sprachlichen Unterschieden aus. 26 Vgl. hierzu Anastasopoulou, S. 223: Sie stellt zwar Aussagen zusammen, die sich generell gegen Universalrechtsgüter richten, der Gedanke ist aber übertragbar. 27 Puschke, Legitimation, Grenzen und Dogmatik von Vorbereitungstatbeständen, S. 193 f.; vgl. auch Hassemer, in: Die Rechtsgutstheorie, S. 64. 28 OLG Hamm, B. v. 12.02.2019 – 4 RVs 9/19 = BeckRS 2019, 3129 Rn. 13; vgl. auch Wagner-Kern, RuP 2018, 7, 7; Zöller, KriPoZ 2017, 143, 147; Müller, Stellungnahme zu BT-Drs. 18/11161 und BR-Drs. 126/1/17, S. 9. 29 Puschke/Rienhoff, JZ 2017, 924, 929; Singelnstein/Puschke, NJW 2011, 3473, 3474; BGHSt 21, 334 = NJW 1968, 710, 714: Die Norm schütze die Vollzugsorgane in 24
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Die Willensentschließungs- und Willensbetätigungsfreiheit ist aus dem Grund betroffen, dass jede Widerstandsleistung durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zugleich eine (zumindest versuchte) Nötigung darstellt.30 Die Nötigung stellt Angriffe auf die Freiheit der Willensentschließung und der Willensbetätigung unter Strafe.31 Der Schutz der körperlichen Unversehrtheit, den § 113 StGB vor der Novellierung beinhaltete, oblag in erster Linie der früheren Handlungsalternative des tätlichen Angriffs.32 Das hat den historischen Hintergrund, dass bis 1998 die versuchte (einfache wie schwere) Körperverletzung nicht strafbar war. Damals bestand der Bedarf, diese Schutzlücke zu schließen. Aktuell ist der tätliche Angriff nicht mehr in § 113 StGB enthalten, weshalb sich das Bedürfnis für den Schutz der körperlichen Unversehrtheit als Rechtsgut ebenfalls verschoben hat und in § 113 StGB kein Anknüpfungspunkt mehr daran besteht. Als Rechtsgüter des § 113 StGB kommen folglich auf der einen Seite der Schutz staatlicher Vollstreckungshandlungen in Betracht beziehungsweise deren ungestörte Durchführung und auf der anderen, individualrechtsgutsbezogenen Seite die Freiheit der Willensentschließung und der Willensbetätigung der Staatsbediensteten. Über die Gewichtung des kollektiven beziehungsweise individuellen Schutzzwecks ist damit noch nichts gesagt. Insgesamt sind hierbei vier Konstellationen denkbar: Die Norm könnte ausschließlich öffentliche Zwecke verfolgen33, sie könnte hauptsächlich öffentliche Zwecke verfolgen34, beide Zwecke annähernd
ihrer Entschlusskraft bei der Amtsausübung. Roggan schreibt § 112 StGB-E des hessischen Entwurfs aufgrund der Anknüpfung an den tätlichen Angriff den Charakter eines Beleidigungsdelikts zu, sieht demnach auch noch die Ehre als Rechtsgut an, Roggan, Stellungnahme 16/3453 zu LT-Drucksache 16/8979, S. 12. 30 BGHSt 25, 313, 314 = NJW 1974, 1254. 31 St. Rspr., vgl. BVerfGE 92, 1, 13 = NJW 1995, 1141; MüKo-StGB/Sinn, Band 4, § 240 Rn. 2. 32 Zöller, KriPoZ 2017, 143, 147. 33 Schmid, JZ 1980, 56, 57; Deiters, GA 2002, 259, 269 f.; MüKo-StGB/Bosch, Band 3, § 113 Rn. 2; Müller, Stellungnahme zu BT-Drs. 18/11161 und BR-Drs. 126/1/ 17 S. 9; Fallack, S. 175 f.; Bolender, S. 93; in diese Richtung tendiert auch Paeffgen, der einen Individualschutz gänzlich ablehnt. Dieser sieht aber auch weniger den Schutz der rechtmäßigen staatlichen Vollstreckungstätigkeit als Rechtsgut an, es handle sich vielmehr um eine Norm sui generis, die gewisse Abwandlungen zu § 240 StGB aufweise, NK-StGB/Paeffgen, Band 2, § 113 Rn. 6 f.; am Individualschutz zweifelnd: BRAK, Stellungnahme Nr. 16/2017, S. 4. 34 LK-StGB/Rosenau, § 113 Rn. 4 f., und Otto, JR 83, 72, 74: Der Schutz der den Willen des Staates ausführenden Personen sei nur (noch) ein Reflex. Für einen mittelbaren Schutz seit der Novellierung von 2017 nun auch Schönke/Schröder/Eser-StGB (30. Aufl.), § 113 Rn. 2; Kubiciel, Stellungnahme zu BT-Drs. 18/11161, S. 9; Kohler, IPK WPS, S. 19 f.; DRB, Stellungnahme Nr. 6/17, S. 3; Wagner-Kern, RuP 2018, 7, 13; Hirsch, in: FS Klug, 239 f.: Der Individualschutz sei nur sekundär.
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gleichermaßen verfolgen35 oder in entgegengesetzter Weise keinen überindividuellen Zweck36 verfolgen. Die Ansichten, die hauptsächlich öffentliche Zwecke geschützt sehen, können noch einmal in solche aufgegliedert werden, die schlicht ein Überwiegen dieses Zweckes annehmen und in solche, die den Individualschutz nahezu komplett verneinen und diesen nur mittelbar geschützt sehen. Insofern ergibt sich ein vielfältiges Meinungsbild. Die genaue Einordnung in die möglichen Abstufungen, insbesondere die Unterscheidung in mittelbaren und nicht mittelbaren Schutz oder gleichrangigen Schutz ist mangels fehlender oder in mehrere Richtungen auslegbarer Aussagen oft nicht möglich. So könnte die Aussage „Geschütztes Rechtsgut des § 113 StGB ist die ungestörte Durchsetzung rechtmäßiger staatlicher Vollstreckungsakte und damit zugleich auch der Schutz der hierzu berufenen Organe“ 37 statt auf einen gleichwertigen Schutz von Individual- und Kollektivrechtsgütern auch auf einen mittelbaren Schutz der Individualrechtsgüter hindeuten, wenn „damit“ als „in Folge dessen“ verstanden würde. Der Individualschutz wäre in dem Fall lediglich ein Ausfluss des Schutzes des Staates. Ebenso könnte eine Urteilsbegründung des Bundesgerichtshofs in diese Richtung ausgelegt werden: „Sie [die Norm, § 113 StGB] schützt die Vollzugsbeamten in ihrer Entschlusskraft bei der Amtsausübung, die sonst in für die öffentlichen Belange unheilvoller Weise gelähmt würde.“38 Aufgrund dessen ist es nicht unproblematisch, innerhalb dieser vier Interpretationsmöglichkeiten eine einzelne als „herrschend“ zu bezeichnen. Am häufigsten vertreten dürfte wohl die Ansicht sein, die § 113 StGB einen überwiegend öffentlichen Schutzzweck zuschreibt.39 Erkennbar selten vertreten sind die Ansichten, nach denen der Individualschutz im Vordergrund stehen soll. Gelegentlich ist sogar die Aussage anzutreffen, dass § 113 StGB unstreitig dem Schutz der rechtmä-
35 RGSt 41, 82, 85; BGHSt 4, 161 = NJW 1953, 1032, 1032; BGHSt 21, 334 = NJW 1968, 710, 714; Puschke/Rienhoff, JZ 2017, 924, 929; Singelnstein/Puschke, NJW 2011, 3473, 3474; Busch/Singelnstein, NStZ 2018, 510, 511; Lackner/Kühl/Heger-StGB, § 113 Rn. 1; ähnlich Zöller/Steffens, JA 2010, 161, 161, und BeckOK-StGB/ Dallmeyer, 52. Edition, § 113 Rn. 1. 36 Diese Ansicht wurde soweit ersichtlich nur von Wolters, in: SK-StGB, Band 3, § 113 Rn. 2, 3 (wie auch bereits Horn, in SK-StGB, 2. Auflage 1982, Band 3, § 113 Rn. 2) und AK-StGB/Zielinski, § 113 Rn. 4, vertreten. Diese beschränken den Normzweck auf die spezifische Konfliktlage zwischen Vollstreckungsperson und Bürger:in sowie teilweise (Zielinski) auf den Schutz der Vollstreckungsperson vor besonderen Gefährdungen. 37 Zöller/Steffens, JA 2010, 161, 161. 38 Auch BGHSt 21, 334 = NJW 1968, 710, 714. 39 Kubiciel, Stellungnahme zu BT-Drs. 18/11161, S. 9, und Wagner-Kern, RuP 2018, 7, 7.
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ßigen Betätigung des Staatswillens diene und lediglich die individualschützende Komponente umstritten sei.40 Die rechtliche Einschätzung des geschützten Rechtsguts des § 113 StGB im Zeitraum der Novellierung beschreibt Paeffgen treffend folgendermaßen: „Als Fazit bleibt festzuhalten, dass die Norm eine schillernde Struktur verschiedenster, teils widersprüchlicher Zwecke und Überlegungen mit einander – mittlerweile zT sinnleer – kombiniert. Das gesetzgeberische ,Gewurstel‘ ist aber immer noch steigerungsfähig, wie der neueste Entwurf aus dem Hause des dem konzeptionellen Denken zunehmend abholden BMJ zu erkennen gibt [. . .].“ 41
Mit der Einschätzung, dass die Novellierung von 2017 die Schutzzweckbestimmung der §§ 113 ff. StGB weiter verkomplizierte, ist Paeffgen nicht allein.42 Eine Verkomplizierung könnte etwa dadurch anzunehmen sein, dass sich der Schutzzweck des § 113 StGB durch die Neufassung in die entgegengesetzte Richtung zu der Neufassung von 2011 bewegt hat, also in Richtung des stärkeren Schutzes von Universalrechtsgütern. Das ist durch die Herauslösung des tätlichen Angriffs, der in erster Linie die körperliche Unversehrtheit schützt, nicht unwahrscheinlich. Insofern bedarf es einer tiefergehenden Betrachtung, welche der vorgeschlagenen Gewichtungen vorzugswürdig ist. b) Erstarken des Kollektivrechtsgüterschutzes bei deutlicher Reduktion des Individualrechtsgüterschutzes Nachdem ermittelt wurde, bei welchen der vertretenen Zwecke es sich um anerkennenswerte Rechtsgüter im Sinne des Strafgesetzbuches handelt, wird im folgenden Teil deren Gewichtung ermittelt. Es wird untersucht, ob § 113 StGB weiterhin einen doppelten Schutzzweck verfolgt und wenn ja, welche Bedeutung den einzelnen Rechtsgütern nach der Novellierung zukommt. aa) Gesetzesbegründung Dem Namen des Gesetzes lässt sich eine eindeutige Intention entnehmen: „Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten.“ Dieses Ziel wird auch in der Gesetzesbegründung deutlich als solches benannt und mehrfach wiederholt.43 Die Einsatzkräfte sollen stärker vor gewalttätigen Übergriffen geschützt werden.44 Des Weiteren verdienten auch Hilfskräfte der Feuerwehr, des Katastrophenschut40 Vgl. Schönke/Schöder/Eser-StGB (30. Aufl.), § 113 Rn. 2; dagegen z. B. FischerStGB (69. Aufl.), § 113 Rn. 2: Der öffentliche Schutzzweck sei seit der Reform 2011 fraglich. 41 NK-StGB/Paeffgen, Band 2, § 113 Rn. 11d. 42 Wagner-Kern, RuP 2018, 7, 12; Puschke/Rienhoff, JZ 2017, 924, 929. 43 Auf Seite eins der BT-Drs. 18/11161 wird dieses Ziel zwei Mal genannt. 44 BT-Drs. 18/11161, S. 8.
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zes und Rettungsdienste „Respekt und Wertschätzung“, so die Gesetzesbegründung, welche ihnen durch die Einbeziehung in den Schutzbereich zukomme.45 Auch aus dieser Passage kann geschlossen werden, dass insbesondere die Rechtsgüter der Vollstreckungspersonen gestärkt werden sollten. Obgleich einzelne Passagen auch den kollektiven Aspekt von gegen Repräsentant:innen des staatlichen Gewaltmonopols gerichteten Tätlichkeiten erkennen lassen und insofern auch dahingehend interpretiert werden können, dass der kollektive Zweck der Vorschrift(en) gestärkt werden sollte, diente die Reform insgesamt in erster Linie der Stärkung des Individualschutzes.46 Öffentliche Zwecke standen zumindest nicht im Vordergrund der Novellierung. Da die Gesetzesbegründung als Beispiele für Gewaltdelikte, zu deren Verhinderung die Novelle geschaffen wurde, solche anführt, welche die körperliche Integrität schützen47 und der Schutz ebendieses Rechtsguts vor der Novellierung in erster Linie aus der früheren Handlungsalternative des tätlichen Angriffs abgeleitet wurde,48 folgen detailliertere Ausführungen zur Interpretation der Gesetzesbegründung im Rahmen der Ausführungen zum tätlichen Angriff.49 bb) Zwingende (Mit-)Betroffenheit von Individualrechtsgütern Für den Schutz der Rechtsgüter der Vollstreckungsbeamten durch § 113 StGB spricht deren zwingende Betroffenheit im Falle einer Widerstandshandlung. Das Reichsgericht führte als Begründung für den Individualschutz in § 113 RStGB an, dass dieser erforderlich sei, da der Staat nun einmal nicht selbst handeln könne und in diesem Sinne auf die Menschen angewiesen sei.50 In eine ähnliche Richtung geht die Überlegung, dass von der Gewalt oder Drohung mit Gewalt, auch wenn sie sich gegen den Staat richtet, die Rechtsgüter des Vollstreckungsorgans betroffen sind.51 Die Vollstreckungsperson und ihre Rechtsgüter sind bei Widerstandshandlungen tatsächlich gefährdet, weshalb sich nicht erschließt, warum diese Personen die Opfer des Tatbestands darstellen, die Vorschrift aber nicht ihrem Schutz dienen soll. Der Schutz der Individualrechtsgüter der den Staat repräsentierenden Personen ist daher eine notwendige, nicht hinwegzudenkende Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit des Staates. 45
BT-Drs. 18/11161, S. 1. Zu dem Ergebnis der Stärkung des Individualschutzes kommt auch der Deutsche Richterbund, Stellungnahme Nr. 6/17, S. 3; dies wurde bereits für die vorangegangene Reform vertreten, Singelntein/Puschke, NJW 2011, 3473, 3474; Hoffmann-Holland/Koranyi, ZStW 2015, 913, 919; Fischer-StGB (69. Aufl.), § 113 Rn. 2. 47 Diese Delikte sind: Körperverletzungen, Mord, Totschlag, BT-Drs. 18/11161, S. 1. 48 Zöller, KriPoZ 2017, 143, 147. 49 Vgl. C. I. 2. a) aa) Gesetzesbegründung. 50 RGSt 41, 82, 85. 51 Vgl. Puschke/Rienhoff, JZ 2017, 924, 929. 46
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cc) Regelbeispiele Für den Individualschutz könnte das Regelbeispiel aus § 113 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StGB sprechen. Nach diesem liegt ein besonders schwerer Fall vor, wenn die angegriffene Person in die Gefahr des Todes oder einer schweren Körperverletzung gebracht wird. Am Beispiel des § 243 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 StGB wird jedoch deutlich, dass der Rückschluss auf einen bestimmten Individualschutz in solchen Fällen nicht zwingend ist. Der Kirchendiebstahl schützt etwa religiöse Gegenstände, wie zum Beispiel Madonnen oder Kruzifixe. Dennoch ist unbestritten, dass der Diebstahl das Eigentum verletzt, nicht die ungestörte Religionsausübung.52 Insofern lassen sich aus den Regelbeispielen keine eindeutigen Rückschlüsse zum geschützten Rechtsgut ableiten. dd) Systematik Neben der Streichung des tätlichen Angriffs aus § 113 StGB spricht für einen öffentlichen Schutzzweck die Systematik: § 113 StGB steht im 6. Abschnitt des Strafgesetzbuches, der mit „Widerstand gegen die Staatsgewalt“ betitelt ist. Ein Schutzzweck, der nicht kollektiver Natur ist, widerspricht der Gesetzessystematik.53 Ein weiteres systematisches Argument, das gegen einen individualschützenden Charakter der Vorschrift spricht, ist, dass dafür kein Bedarf besteht. Sowohl die körperliche Integrität als auch die Willensfreiheit der Vollstreckungspersonen sind bereits über die §§ 223 ff. StGB und § 240 StGB geschützt.54 Der strafrechtliche Schutz der vom Tatbestand erfassten Personen würde nicht zwingend dadurch geschmälert, dass deren Individualrechtsgüter nicht vom Rechtsgut des Tatbestands erfasst werden, da der Schutz jener Individualrechtsgüter größtenteils durch die anderen Vorschriften des Strafgesetzbuches sichergestellt wird.55 Ob darüberhinausgehend ein zusätzlicher Schutz wegen der besonderen Gefährlichkeit der Polizeiarbeit erforderlich ist, ist eine davon unabhängige Frage.56 Eine vermeintliche Schutzlücke ist hingegen offenbar nicht vorhanden. ee) Wortlaut: Festhalten an der Vollstreckungshandlung Zudem ist zu berücksichtigen, dass bei § 113 StGB (im Gegensatz zu § 114 StGB) am Erfordernis der Vollstreckungshandlung festgehalten wurde. Durch die 52 53 54 55 56
Schmid, JZ 1980, 56, 57. Schmid, JZ 1980, 56, 57. Magnus, GA 2017, 530, 531; NK-StGB/Paeffgen, Band 2, § 113 Rn. 4. Bolender, S. 92. Vgl. dazu S. 170 f.
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Voraussetzung, dass der Tatbestand nur „bei“ Vornahme einer Vollstreckungshandlung erfüllt werden kann, soll primär ein Bezug zur Vollstreckungshandlung bestehen und die Person in den Hintergrund treten, die diese Handlung ausführt. Nur die Durchführung, nicht der Durchführende sei geschützt.57 Aufgrund des Bezugs zur Vollstreckungshandlung ist es naheliegend, dass es sich in erster Linie um eine Spezifikation ebendieser handelt58 und somit der Universalrechtsgüterschutz im Vordergrund steht. ff) Zielrichtung des Widerstandleistens Zudem setzt das Widerstandleisten Vorsatz bezüglich der Unterbindung oder Erschwerung des Vollstreckungsaktes voraus59 und ist damit auf die Störung oder gar die Beendigung des Vollstreckungsaktes ausgelegt.60 Es ist möglich, dass der oder die Täter:in häufig nicht in erster Linie beabsichtigen wird, eine andere Privatperson an der Ausübung ihrer Freiheitsrechte zu hindern, sondern die Vollstreckung zu verhindern. Auch die gesetzgebende Instanz scheint davon auszugehen, dass der Verletzungsvorsatz, sofern ein solcher vorhanden ist, regelmäßig nicht gegen das Mitglied der Polizeibehörde als Individuum gerichtet sei, sondern gegen dieses in seiner den Staat repräsentierenden Funktion.61 Die gleiche Argumentation lässt sich auf die Freiheit der Willensentschließung und der Willensbetätigung übertragen. Während die Nötigung allein vor Angriffen auf die persönliche Willensentschließungs- und Willensbetätigungsfreiheit der Individualperson schützt, sollen Handlungen, mit denen eine Person mit Amtsträgereigenschaft zur Vornahme oder Unterlassung einer Amtshandlung genötigt wird, nicht in erster Linie auf die Freiheit der einzelnen Person abzielen. Der Akzent des Angriffs sei auf die den Gemeinschaftswillen repräsentierende Staatsgewalt gerichtet.62
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Vgl. Maurach/Schroeder/Maiwald, § 71 Rn. 7, 12. Puschke/Rienhoff, JZ 2017, 924, 929. 59 Nach h. M. ist dieser beim tätlichen Angriff nicht erforderlich, RGSt 4, 374, 376; BGHSt 18, 133 = NJW 1963, 769, 770; a. A. Fallack, S. 182 f. Die h. M. versuche mit dem Verzicht auf eine Vereitelungsabsicht beim tätlichen Angriff einem prozessualen Problem zu begegnen: Der schwierigen Nachweisbarkeit der subjektiven Vereitelungsoder Erschwerungsintention beim Widerstand. Die Problematik würde von der Legislative dadurch umgangen, dass dieser Vorsatz beim tätlichen Angriff nicht gefordert wird. Mit dem „Lückenbüßer“ sei über Umwege doch noch eine Verurteilung möglich. 60 Vgl. Schmid, JZ 1980, 56, 57. 61 BT-Drs. 18/11161, S. 1: „Kommt es während der Ausübung ihres Dienstes zu einem Angriff auf Vollstreckungsbeamte, werden sie nicht als Individualpersonen angegriffen, sondern als Repräsentanten der staatlichen Gewalt.“ 62 Vgl. Hirsch, in: FS Klug, S. 239 f. 58
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gg) Irrtumsregelungen Zudem sind die Irrtumsregelungen aus § 113 Abs. 3, 4 StGB nicht auf § 240 StGB anwendbar, wodurch Angreifer:innen einer Vollstreckungsperson bessergestellt sind als eine Person, deren Opfer diese Eigenschaft nicht aufweist. Bei Einschlägigkeit dieser Irrtumsfälle entfällt die Strafbarkeit für Widerstandshandlungen vollständig (Abs. 2) beziehungsweise kann gemildert werden (Abs. 4), obwohl die Individualrechtsgüter der Vollstreckungspersonen, die Willensentschließungs- und Willensbetätigungsfreiheit, in diesen Fällen gleichermaßen betroffen sind. Auch dieser Umstand wertet den Individualschutz der Norm ab.63 hh) Zwischenergebnis § 113 StGB büßte einen Großteil seines Individualschutzes durch Herausnahme des tätlichen Angriffs ein. Da die Novellierung jedoch insgesamt auf dessen Stärkung abzielte, bleibt es bei einem doppelten Schutzzweck für § 113 StGB, bei dem der kollektive Zweck überwiegt. Der Individualschutz sollte mit der Novellierung zwar in den Vordergrund gerückt werden, dogmatisch betrachtet kommt ihm jedoch im Rahmen des § 113 StGB nur noch ein untergeordneter Zweck zu. Ihn vollständig entfallen zu lassen, würde dem klaren Willen der gesetzgebenden Instanz widersprechen. Letztlich stellt der Individualschutz eine notwendige Zwischenstufe dar, um die Durchsetzungsfähigkeit des Staates zu sichern. Er kann nicht hinweggedacht werden, ohne den Staat zu gefährden, ist aber als solcher hauptsächlich ein Nebenzweck. Die Rechtsgüter des § 113 StGB stehen daher in einem Verhältnis der gemischten Konjunktion. Nur die Beeinträchtigung des öffentlichen Zwecks und des Individualrechtsguts gemeinsam bilden das Unrecht des § 113 StGB vollständig ab: Ohne, dass die ungestörte Durchsetzung rechtmäßiger Vollstreckungsakte gefährdet oder zumindest angestrebt wäre, ist kein Fall des Widerstands gegen die Staatsgewalt denkbar. Umgekehrt ist bei jeder Widersetzung gegen einen Vollstreckungsakt gezwungenermaßen die Freiheit der Willensentschließung und der Willensbetätigung des ausführenden Vollstreckungsorgans betroffen. Das wird auch dadurch bestätigt, dass beim Wegfall der Tatbestandsmerkmale, an die der öffentliche Zweck in erster Linie anknüpft (die Vollstreckungshandlung) beziehungsweise an welche die Willensentschließungs- und Willensbetätigungsfreiheit in erster Linie anknüpft (Gewalt oder Drohung mit Gewalt), das Unrecht des Tatbestands nicht verwirklicht wäre.64 2. Schutzgut des § 114 StGB Die Verselbstständigung des tätlichen Angriffs in § 114 StGB unter Verzicht auf das Erfordernis einer Vollstreckungshandlung macht eine Neubestimmung 63 64
NK-StGB/Paeffgen, Band 2, § 113 Rn. 7. Vgl. für § 340: Jansen, ZIS 2019, 2, 4.
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des geschützten Rechtsguts erforderlich. Gegen eine Übertragung des Rechtsguts aus § 113 StGB spricht außerdem der Wille der gesetzgebenden Instanz, die mit der Novellierung eine Differenzierung der Tatbestände beabsichtigte.65 In Betracht kommen im Wesentlichen zwei Möglichkeiten: Die Vorschrift könnte zum einen allein die Individualrechtsgüter der Staatsbediensteten schützen oder zum anderen einen doppelten Schutzzweck verfolgen, bestehend aus dem Individualschutz und dem Schutz der Staatsgewalt/des Gewaltmonopols beziehungsweise dem überindividuellen Interesse an der Dienstausübung. Ein gleichrangiger Schutz beider in Betracht kommender Schutzgüter kann und wird bei § 114 StGB ebenso wenig vertreten wie ein Überwiegen des kollektiven Zwecks.66 Denn es liegt auf der Hand, dass durch das 52. Strafrechtsänderungsgesetz die individualschützende Komponente in den Vordergrund gerückt wurde.67 Die Situation ist daher spiegelverkehrt im Verhältnis zu der Situation im Rahmen des § 113 StGB. Während bei diesem die kollektive Zwecksetzung (nahezu) unumstritten ist, ist bei § 114 StGB die individuelle Komponente anerkannt. a) Keine Verfolgung eines doppelten Schutzzwecks Während teilweise trotz der Absenz einer Vollstreckungshandlung als Tatbestandsvoraussetzung für § 114 StGB an die „rechtmäßige Vollstreckungshandlung“ 68 oder an das „staatliche Vollstreckungsinteresse“ 69 angeknüpft wird, sprechen Andere genereller vom „überindividuellen Interesse an der Dienstausübung“ 70. Obwohl § 114 StGB seiner Überschrift zufolge einen Bezug zu einer Vollstreckungshandlung aufweist („Tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte“), kann der Schutz nach der Streichung dieses tatbestandlichen Erfordernisses nicht mehr in der Vollstreckungshandlung liegen. Etwas konkreter als der Schutz des Gewaltmonopols/des Staatsapparats, da sie zumindest auf irgendeine Handlung heruntergebrochen ist, erscheint die Bezeichnung des kollektiven Rechtsguts als Schutz staatlicher Amtshandlungen beziehungsweise allgemeiner Diensthandlungen. Um Schutzobjekte von ungreifbarer Abstraktheit aus dem Kanon tauglicher Rechtsgüter herauszufiltern, und dabei nicht allein auf den Vagheitsbegriff ab65
BT-Drs. 18/11161 S. 2. Einzig Zöller spricht die Möglichkeit eines gleichrangigen Schutzes an, lehnt diesen aber im Ergebnis ab. Zudem verweist er dabei auf Kubiciel, Stellungnahme zu BTDrs. 18/11161, S. 9, der allerdings den kollektiven Zweck als nachrangig bezeichnet. 67 Z. B. DRB, Stellungnahme Nr. 6/17, S. 3; Wagner-Kern, RuP 2018, 7, 13; Kohler, IPK WPS, S. 20. 68 Kubiciel, Stellungnahme zu BT-Drs. 18/11161, S. 9. 69 Schönke/Schröder/Eser-StGB (30. Aufl.), § 114 Rn. 1; Schermaul, JuS 2019, 663, 663. 70 Kulhanek, JR 2018, 551, 553. 66
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stellen zu müssen, wird teilweise ein Dreistufentest vorgeschlagen.71 Auf der ersten Stufe wird gefragt, ob die Norm auch ohne die Postulierung eines kollektiven Rechtsguts legitimierbar wäre (sog. Zirkularitäts-Test). Mit anderen Worten muss die Strafvorschrift ein Gut schützen, weil es wertvoll ist, nicht umgekehrt ist es wertvoll, weil es geschützt wird.72 Die Antwort auf die Frage, wann ein Gut um seines selbst willen schützenswert ist, ist stark von der individuellen Einschätzung abhängig. Es scheint zumindest nicht von vornherein ausgeschlossen, neben der ungestörten Durchführung von Vollstreckungshandlungen die ungestörte Durchführung von Diensthandlungen als aus sich heraus schützenswert zu erachten. Die zweite Regel folgt aus dem Begriff des kollektiven Rechtsguts: Diese erfassen nur solche Güter, die das Merkmal der Nichtdistributivität aufweisen, sich also nicht in Anteile spalten lassen (sog. Distributivitätstest). Da sich die Amtsausübung nicht in bestimmte Anteile aufteilen und Personen zuordnen lässt,73 ist auch dieses Merkmal erfüllt. Dritte und zentrale Bedingung, die ein kollektives Rechtsgut nach dem Dreistufentest erfüllen muss, ist, dass dessen Verletzung nicht immer auch gleichzeitig mit einer Beeinträchtigung eines Individualrechtsguts einhergeht, sog. NichtSpezifizitätstest.74 Die abstrakte Gefährdung des Individualrechtsguts ist bereits ausreichend.75 Da jede Beeinträchtigung der ungestörten Durchführung der Amtshandlung zugleich die Freiheit der Willensentschließung und der Willensbetätigung der verbeamteten Person beeinträchtigt, geht eine Verletzung der ungestörten Amtsausübung zugleich mit einer Verletzung eines Individualrechtsguts einher. Die Amtshandlung kann dabei nur beeinträchtigt sein, wenn das Opfer die Tathandlung auch bemerkt hat.76 Damit stellt die ungestörte Amtsausübung nach diesem Test kein taugliches Kollektivrechtsgut dar. Allerdings käme mit dieser Argumentation bei § 113 StGB auch die ungestörte Durchführung von Vollstreckungsakten nicht als kollektives Rechtsgut in Be71 Erstmals von Greco in FS für Claus Roxin, S. 208 ff. vorgeschlagen, hat sich Roxin dieser Art der Ermittlung schützenswerter Kollektivrechtsgüter angeschlossen, z. B. in Roxin, GA 2013, 440 f. 72 Greco, FS für Claus Roxin, S. 208. 73 Greco, FS für Claus Roxin, S. 210; vgl. auch Roxin/Greco, SR AT § 2 Rn. 10, 45e. 74 Greco, FS für Claus Roxin, S. 213. 75 Roxin/Greco, SR AT § 2 Rn. 10, 45 f. 76 Das bedeutet jedoch nicht zwingend, dass bei einem tätlichen Angriff stets auch die Willensentschließungs- und Willensbetätigungsfreiheit beeinträchtigt wäre. Beim Nicht-spezifizitätstest wird nämlich danach gefragt, ob die Beeinträchtigung des kollektiven Rechtsguts gleichzeitig die Beeinträchtigung eines Individualrechtsguts bedeutet, während bei der Konkurrenzfrage (nicht nur zwischen § 114 StGB und § 240 StGB) gefragt wird, ob jeder Fall, der den einen Tatbestand erfüllt, auch gleichzeitig den anderen erfüllt. Vgl. dazu S. 118.
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tracht, denn auch die Behinderung von Vollstreckungshandlungen verletzt stets die Willensentschließungs- und Willensbetätigungsfreiheit. Dass dieses Rechtsgut den Anforderungen an die Konkretheit genügt, wurde bereits ermittelt.77 Die Anknüpfung an Individualrechtsgüter, die beim Nicht-Spezifizitätstest vorgenommen wird, ist darüber hinaus ein höchst umstrittener Differenzierungsgrund. Teilweise wurde genau umgekehrt argumentiert: Auch die Kollektivrechtsgüter würden letztlich dem Schutz von Individualrechtsgütern dienen.78 Bei dem Versuch, die Eignung eines Guts als kollektives Rechtsgut anhand normativer Kriterien zu bestimmen, handelt es sich um eine begrüßenswerte Idee. Sie hängt aber maßgeblich von zahlreichen, im einzelnen umstrittenen Punkten ab: Was ist unter einem Rechtsgut zu verstehen? Ist der dualistischen oder der personalen Rechtsgutslehre zu folgen und, wenn überindividuelle Rechtsgüter anerkannt werden, in welchem Maße dürfen sie individuelle Rechtsgüter beinhalten? Insofern ist für diese Arbeit ausreichend, die Eignung als kollektives Rechtsgut abstrakter anhand der Vagheit der vorgeschlagenen Begriffe auszumachen. Die weiten Begriffe „Amtshandlung“/„Diensthandlung“, unter die zahlreiche Tätigkeiten inklusive aller Vollstreckungshandlungen fallen, erfüllen dieses Kriterium nicht.79 Der Begriff der Diensthandlung ist weit und umfasst sämtliche Verhaltensweisen der in den Schutzbereich fallenden Person während der Dienstausübung, etwa Streifengänge, Unfallaufnahmen, Radarüberwachungen und andere bloße Ermittlungstätigkeiten.80 Einzig bei privaten Tätigkeiten, etwa einer Zigarettenpause während der Dienstzeit, liegt keine Diensthandlung vor. Die Fülle an Tätigkeiten, die darunter subsumiert werden können, ist zu groß, als dass ein hinreichender Bezugspunkt zur Realität81 bestünde. Damit wäre bereits unklar, welches kollektive Rechtsgut überhaupt von § 114 StGB geschützt sein sollte. Unabhängig von diesem Aspekt ergibt auch die Auslegung, dass beim tätlichen Angriff der Individualschutz im Vordergrund steht. aa) Gesetzesbegründung In der Gesetzesbegründung heißt es, dass Angriffe auf die das Gewaltmonopol des Staates Repräsentierenden als spezifisches Unrecht angesehen werden.82 Im Entwurf ist, anders als noch im hessischen Vorschlag, nicht von einem besonderen Unrecht die Rede.83 Diese Formulierung wurde in der Literatur zum Teil als 77 78 79 80 81 82 83
Vgl. unter C. I. 1. a) In Betracht kommende Schutzgüter und Gewichtung. Mitsch, KriPoZ 2019, 29, 31; Frister, SR AT, Kap. 3 Rn. 23. Puschke/Rienhoff, JZ 2017, 924, 929. BT-Drs. 18/11161, S. 9. Hassemer, in: Die Rechtsgutstheorie, S. 64. BT-Drs. 18/11161, S. 8. BR-Drs. 165/15, S. 1.
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schwerwiegenderes Unrecht verstanden und vor dem Hintergrund des Gleichbehandlungsgebots als problematisch bewertet. Weiter wurde in der Begründung der hessischen Regierung als Zweck der neuen Norm die „Ermöglichung angemessener staatlicher Reaktionen bei Angriffen gegen diejenigen, die sich für die Sicherheit der Bevölkerung einsetzen“ genannt und betont, dass „die Täter die Konsequenzen ihres Tuns deutlich spüren müssen“.84 Im Strafrecht wird der weite und im einzelnen umstrittene Begriff „Unrecht“ unter anderem als rechtswidrige Verletzung einer Strafnorm definiert.85 Dem zu Grunde gelegt konnte geschlussfolgert werden, der Entwurfsbegründung nach würde die Verletzung einer im Polizeidienst stehenden Person eine schwerere Rechtsgutsverletzung darstellen als die gleiche Verletzung einer Person, für die dieser Umstand nicht gilt. Die Aussage wäre damit als Legitimation für die Schaffung eines Sonderstrafrechts zu verstehen.86 Vor dem Hintergrund des Art. 3 Abs. 1 GG wäre das problematisch.87 Allerdings erscheint auch eine Auslegung der Aussage in Richtung der Betonung des öffentlichen Zwecks möglich. Schließlich kommt den geschützten Personen ein besserer Individualschutz deshalb zu, weil sie den Staat repräsentieren beziehungsweise dem Staat dienen. Insofern stünde ein öffentlicher Zweck im Vordergrund, die Rechtsgüter einzelner Menschen würden nur mittelbar gestärkt werden. Diese Interpretation wird durch die Begründung gestützt, dass Vollstreckungsorgane „nicht als Individualpersonen angegriffen [werden], sondern als Repräsentanten staatlicher Gewalt“. Ebenso passt hierzu die Aussage, dass ein Angriff auf die über § 115 StGB miteinbezogenen Rettungskräfte zugleich ein Angriff auf die öffentliche Sicherheit darstellt, da er zu einer Beeinträchtigung der Hilfeleistung führen kann.88 Das muss gleichermaßen für die geschützten Personen aus § 113 StGB gelten. Insofern enthält die Gesetzesbegründung auch Anhaltspunkte, die ein kollektives Schutzgut nicht ausgeschlossen scheinen lassen. Insgesamt überwiegt jedoch die individualschützende Komponente. Der Gesetzesbegründung ist zu entnehmen, dass der Gesetzgebungsakt den Schutz der Mitglieder der Polizei bezweckt, insbesondere in Hinblick auf schwere Delikte wie Körperverletzungen, Mord und Totschlag. Konkret soll der bessere Schutz folglich der körperlichen Unversehrtheit gelten, denn diese wird durch die genannten Delikte beeinträchtigt. An dem Verweis auf die schweren Delikte ist zu bemängeln, dass dabei der häufig sehr geringe Schuldgehalt tätlicher Angriffe missach84
BR-Drs. 165/15, S. 4. Vgl. Schönke/Schröder/Eisele-StGB (30. Aufl.), Vorbem. § 13 Rn. 51. 86 In diesem Sinne Magnus, GA 2017, 530, 531. 87 Zöller, Stellungnahme LT Rheinland-Pfalz Drs. 16/5569, S. 5 f.; vgl. auch C. V. 1. Bedenken hinsichtlich der aktuellen Gesetzesfassung. 88 BT-Drs. 18/11161, S. 1. 85
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tet wird.89 Der geringe Schuldgehalt ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass mithilfe der Tathandlung ursprünglich, trotz Kritik aus den eigenen Reihen90, versuchte Körperverletzungen an Vollstreckungspersonen abgedeckt werden sollten. Diese waren bis 1998 straflos.91 Die Betonung des Individualschutzes entspricht auch den impulsgebenden Wurzeln der Novellierung. Diese gehen auf Forderungen der GdP nach einer Strafverschärfung zum besseren Individualschutz der körperlichen Unversehrtheit zurück.92 Begleitet wurde die Forderung von einer Kampagne der Jugendorganisation der GdP, unterstützt vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend mit dem Titel „Auch Mensch – Polizei im Spannungsfeld“. Die Kampagne wurde 2011 ins Leben gerufen und 2016 neu aufgelegt, um damit auf Gewalt an Mitgliedern der Polizeibehörden hinzuweisen.93 bb) Systematik Für einen öffentlichen Zweck spricht die Verortung im 6. Abschnitt des Strafgesetzbuches und der Verweis auf § 113 StGB im 2. Absatz. Ein gewisser Zusammenhang zum Staatsschutz lässt sich insofern nicht leugnen. Die Stellung im 6. Abschnitt kann allerdings auch nur auf einen Regelungszusammenhang mit § 113 StGB und eine amtsträgerbezogene Strafschärfung hindeuten.94 Der Zusammenhang allein bedeutet demnach noch nicht, dass es sich um ein Schutzgut handeln muss. cc) Irrtumsregelungen Für eine rein individualschützende Zielsetzung spricht zudem, dass die privilegierenden Irrtumsregelungen des § 113 Abs. 3 und 4 StGB nach § 114 Abs. 3 StGB, nach denen von einer Strafe abgesehen werden kann oder sogar muss, nur dann entsprechend gelten, wenn es sich bei der Diensthandlung um eine Vollstreckungshandlung handelt. Bei allen übrigen allgemeinen Diensthandlungen besteht diese Möglichkeit, Straffreiheit zu erlangen, nicht. Hierin unterscheidet sich der aktuelle Gesetzestext vom saarländischen Gesetzesentwurf, der die benannten Regelungen auch im Falle von Irrtümern über die Rechtmäßigkeit einer 89
BRAK, Stellungnahme Nr. 16/2017, S. 7. Vgl. BT-Drs. VI/502, S. 3 ff. 91 Zu der Erkenntnis, dass die erhöhte Strafandrohung zum Schutz vor „echten“ Gewaltdelikten wie den in der Gesetzesbegründung genannten nicht weiterhilft, kommt auch die BRAK in ihrer Stellungnahme Nr. 16/2017, S. 7. 92 GdP, § 115 StGB (neu) – Tätlicher Angriff auf einen Vollstreckungsbeamten, https://www.gdp.de/gdp/gdp.nsf/id/115stgb (zuletzt abgerufen am 02.12.2020). 93 JUNGE GRUPPE (GdP), Kampagne „Auch Mensch“ http://www.auchmensch.de/ assets/downloads/AuchMensch2017_Die_Kampagne.pdf (zuletzt abgerufen: 02.12. 2021). 94 Puschke/Rienhoff, JZ 2017, 924, 929. 90
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allgemeinen Diensthandlung bei tätlichen Angriffen dem Grunde nach für anwendbar erklärte (§ 113 Abs. 4, 5 StGB-E). Insofern gelten für den Hauptanwendungsfall des geltenden § 114 StGB, das heißt bei tätlichen Angriffen auf die geschützten Personen während allgemeiner Diensthandlungen, die strengeren allgemeinen Irrtumsregelungen. Täter:innen können also nicht auf eine mildere Strafe hoffen, wenn sie fälschlicherweise, aber vermeidbar, von der Rechtswidrigkeit der Diensthandlung ausgingen, geschweige denn auf Straffreiheit, wenn die Diensthandlung tatsächlich rechtswidrig war. Begrifflich wäre eine Übertragung dieser Regelungen ohne weiteres möglich gewesen, da in § 113 Abs. 3 und 4 StGB nicht von der Vollstreckungshandlung, sondern von einer Diensthandlung die Rede ist. Ungereimtheiten wie bei § 115 Abs. 1 StGB, nach welchem § 113 StGB entsprechend auf Personen anwendbar ist, die überwiegend keine Vollstreckungshandlungen ausführen (können), hätten sich nicht ergeben. Insofern erfolgte die strengere Behandlung des tätlichen Angriffs, nach der die Rechtmäßigkeit der Diensthandlung irrelevant ist, sofern es sich nicht um eine Vollstreckungshandlung handelt, bewusst. dd) Hohe Strafandrohung Auch die Höhe der Strafandrohung mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren im ersten Absatz spricht, verglichen mit der Strafandrohung ähnlicher Delikte, für den individualschützenden Charakter der Norm beziehungsweise zumindest für eine Kombination aus Individualschutz und Kollektivschutz. Ein geringerer oder maximal gleicher Strafrahmen der Vorschrift im Vergleich zu den Tatbeständen, die Jedermann schützen, würden eher gegen einen primären Individualschutz der Vorschrift sprechen.95 Doch dies ist bei § 114 StGB gerade nicht gegeben. Als mögliche Schutzgüter kommen ausweislich der Gesetzesbegründung insbesondere die körperliche Unversehrtheit in Betracht,96 die vorwiegend durch die §§ 223 ff. StGB geschützt wird. Darüber hinaus kommt der Schutz der Willensentschließungs- und Willensbetätigungsfreiheit infrage, welche in erster Linie von § 240 StGB erfasst wird, und der Schutz der Ehre, §§ 185 ff. StGB Aus diesem Grund ist ein Vergleich der Strafandrohung dieser Delikte angezeigt. Die einfache Körperverletzung (§ 223 StGB) ist mit einer Strafandrohung von Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe versehen. Im Unterschied zur Körperverletzung ist der für den tätlichen Angriff vorgesehene Strafrahmen folglich in doppelter Hinsicht verschärft: Die Geldstrafe ist grundsätzlich ausgeschlossen und es wird ein Mindeststrafmaß von drei Monaten Freiheitsstrafe angedroht. Noch deutlicher ist die Differenz des angedrohten Strafmaßes im Ver95 96
Schmid, JZ 1980, 56, 57. BT-Drs. 18/11161 S. 8.
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gleich zur Nötigung. Die Vorschrift sieht eine Sanktion von bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe oder Geldstrafe vor und droht folglich mildere Rechtsfolgen an als § 223 StGB. Im Vergleich zum tätlichen Angriff ist nicht nur das Mindestmaß und die angedrohte Art der Bestrafung günstiger für Täter:innen, sondern auch die geringere Höchststrafe. Die Beleidigung unterschreitet die durch die §§ 114, 223 StGB und § 240 StGB angedrohten Sanktionen erneut mit einem vorgesehenen Strafmaß von Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe, beziehungsweise im Falle tätlicher Beleidigungen mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe. Unabhängig davon, welches dieser Rechtsgüter als Schutzgut des § 114 StGB anzusehen ist, wird deutlich, dass für die Verletzung der gleichen Individualrechtsgüter eines nicht-polizeiangehörigen Gesellschaftsmitglieds eine geringere Strafandrohung als für die im Tatbestand genannten Personengruppen vorgesehen ist. Der Vergleich zeigt, dass Angriffe auf Bedienstete des Polizeidienstes nicht als „Kavaliersdelikte“ eingestuft werden und der Staat deren Rechtsgüter besonders scharf sanktioniert. Folglich sprechen gute Gründe für einen rein individualschützenden Charakter der Norm. ee) Zwischenergebnis Der tätliche Angriff und damit die Norm des § 114 StGB schützt abweichend von § 113 StGB somit ausschließlich Individualrechtsgüter. Wegen des Fehlens eines kollektiven Schutzzwecks ist die Stellung im 6. Abschnitt des Strafgesetzbuches, trotz des Sachzusammenhangs, zu bemängeln. b) Konkrete Ausgestaltung des Individualrechtsgüterschutzes Es stellt sich die Frage, welche Individualrechtsgüter vom Schutzzweck des § 114 StGB erfasst sind. Wie bereits erwähnt kommt ein ausschließlicher Schutz der körperlichen Unversehrtheit der in den Schutzbereich fallenden Personen in Betracht oder darüber hinaus auch der Schutz derer persönlicher Willensentschließungs- und Willensbetätigungsfreiheit oder deren Ehre. Dass die körperliche Unversehrtheit in jedem Fall geschützt sein muss, ergibt sich aus der Gesetzesbegründung, die auf den „besseren Schutz“ als ausgeschriebenes Ziel und Gewaltdelikte wie „Körperverletzung, Mord und Totschlag“ hinweist. Gerade Polizist:innen, die allgemeine Diensthandlungen ausüben, könnten und sollten sich nicht in gleicher Weise wie bei Vollstreckungshandlungen schützen. Entsprechende Schutzbekleidung würde eine ungewollte Distanz zur Kontaktperson aufbauen und zudem seien Polizist:innen bei allgemeinen Diensthandlungen weniger in Alarmbereitschaft.97 Auch die begleitende Diskussion in der Gesellschaft beschäftigte sich mit der körperlichen Unversehrtheit der Bediensteten.98 97
BT-Drs. 18/11161, S. 10.
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Während in der 17. Legislaturperiode die Erweiterung auf allgemeine Diensthandlungen noch mit der Begründung abgelehnt wurde, dass die körperliche Unversehrtheit von Einsatzkräften der Polizei vorrangig durch die Körperverletzungsdelikte der §§ 223 ff. StGB geschützt werde, die gegenüber § 113 StGB höhere Strafandrohungen vorsahen, kann dieses Argument nicht mehr herangezogen werden.99 Seit der Novellierung 2017 hat sich zwar nichts daran geändert, dass die körperliche Unversehrtheit bereits über § 223 StGB geschützt ist, eine höhere Strafandrohung enthält die Körperverletzung jedoch nicht mehr.100 Für den Schutz der körperlichen Unversehrtheit spricht auch der unumstrittene Teil der Definition des tätlichen Angriffs. Dieser gilt bereits seit den Zeiten des Reichsgerichts als geklärt und wird definiert als eine in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines Anderen zielende Einwirkung.101 Der körperliche Bezug ist bereits aus diesem Grund nicht zu leugnen.102 Teilweise wird vertreten, dass neben der körperlichen Unversehrtheit die Freiheit der Willensentschließung und der Willensbetätigung geschützt werde. Für eine doppelte Schutzrichtung spricht sich etwa die Bundesrechtsanwaltskammer aus.103 Häufig wird allgemein vom Individualschutz der Staatsbediensteten gesprochen, ohne zwischen den einzelnen Rechtsgütern zu differenzieren. Aufklärung hinsichtlich dieser Vagheit liefert auch die Rechtsprechung nicht. Das OLG Hamm spricht die Thematik zwar an („[. . .] auch, wenn die gesetzgeberische Intention tatsächlich nur auf den Schutz der körperlichen Integrität gezielt haben sollte und nicht etwa auch auf seine Handlungs- und Entschließungsfreiheit [. . .]“), löst sie aber nicht.104 Die Gesetzesbegründung ebenso wie die massive Strafandrohung sprechen allerdings gegen den Schutz der Willensbildungs- und Willensbetätigungsfreiheit. 105 Für die Frage, ob auch die Willensentschließungs- und Willensbetätigungsfreiheit ein Schutzgut des § 114 StGB darstellt, könnte auch von Bedeutung sein, wie der tätliche Angriff auszulegen ist. Wenn Fälle im Rahmen des § 114 StGB denk98 Das lässt sich etwa anhand der bundesweit präsenten Kampagne „Auch Mensch – Polizei im Spannungsfeld“ erahnen, https://www.auchmensch.de/assets/downloads/ AuchMensch2017_Die_Kampagne.pdf (zuletzt abgerufen: 02.12.2021). 99 BT-Drs. 17/4143, S. 11. 100 Busch/Singelnstein, NStZ 2018, 510, 511 sind daher der Ansicht, dass die sonst gegen den Individualschutz hervorgebrachten Argumente daher nicht mehr angeführt werden könnten. 101 RGSt 7, 301, 301. 102 Vgl. Zöller, ZIS 2015, 445, 450. 103 BRAK, Stellungnahme Nr.16/2017 S. 5; a. A. Puschke/Rienhoff, JZ 2017, 924, 929; Busch/Singelnstein, NStZ 2018, 510, 511. Bloß auf die körperliche Unversehrtheit stellt auch Bleckat ab, ZAP 2019, 1207, 1207. Zur Willensfreiheit äußert er sich nicht. 104 OLG Hamm, B. v. 12.02.2019 – 4 RVs 9/19 = BeckRS 2019, 3129 Rn. 16. 105 Vgl. Busch/Singelnstein, NStZ 2018, 510, 511.
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bar sind, in denen die Freiheit der Willensentschließung und der Willensbetätigung nicht betroffen sind, kann es sich dabei sinnvollerweise nicht um ein Schutzgut handeln.106 Bereits bei § 113 StGB a. F. stellte sich die Frage, weshalb der Schutzzweck zumindest auch in der körperlichen Unversehrtheit des Opfers gesehen wurde, wenn nach der Definition der Rechtsprechung auch Handlungen vom Tatbestand erfasst wurden, die unterhalb der Erheblichkeitsschwelle für die Körperverletzung lagen und darüber hinaus nicht einmal Vorsatz diesbezüglich vorlag, mithin dieses angebliche Rechtsgut gar nicht gefährdet wurde. Diese Unstimmigkeit könnte durch die tatbestandliche Aufgliederung der Tathandlungen behoben worden sein. Auf die Auslegung des tätlichen Angriffs107 kommt es für die vorliegende Problematik allerdings nicht an, denn sowohl bei einem restriktiven Verständnis des Tatbestandsmerkmals, als auch nach der von der Rechtsprechung vertretenen Ansicht sind Tathandlungen denkbar, welche die Willensbildungs- und Willensbetätigungsfreiheit des Opfers betreffen. Nach restriktivem Verständnis ist als einschränkendes Kriterium eine körperverletzende Eignung für den tätlichen Angriff zu verlangen und bei Handlungen, die nur die Handlungs- und Bewegungsfreiheit einschränken (zum Beispiel Einsperren), kommt allein die Widerstandsmodalität in Betracht.108 Die weite Ansicht nimmt eine solche Differenzierung nicht vor.109 In jedem Fall kann die Freiheit der Willensentschließung und der Willensbetätigung betroffen sein, wenn die Tätlichkeit der Verhinderung der Dienstausübung dient und das Opfer diesen Zweck auch empfindet. Hierzu sei folgendes Beispiel genannt: Die angreifende Person bricht dem Opfer die Arme, damit dieses sie nicht in Gewahrsam nehmen kann, was die angegriffene Person auch erkennt. Damit lassen sich nach beiden Definitionen Situationen finden, bei denen der tätliche Angriff die Freiheit der Willensentschließung und der Willensbetätigung von Polizeibediensteten bedroht. Zwingend müssen diese jedoch nicht betroffen sein,110 da der tätliche Angriff nicht vom Opfer empfunden werden muss, wie bei der Nötigung (und bei der Gewalt).111 Auch daraus lässt sich schließen, dass die Willensentschließungs- und Willensbetätigungsfreiheit im Rahmen des tät106 Mit diesem Argument wird die körperliche Integrität von Roggan als Schutzgut abgelehnt, KriPoZ 2020, 144, 146. 107 Vgl. eingehend C. II. Erforderlichkeit einer (Neu-)Definition des tätlichen Angriffs. 108 Z. B. Puschke/Rienhoff, JZ 2017, 924, 929 f. 109 Z. B. NK-StGB/Paeffgen, Band 2, § 113 Rn. 31. 110 Roggan, Stellungnahme LT NRW Drs. 16/3453, S. 3. 111 Zum Erfordernis des „Empfindens“ bei der Gewalt: BGH, Urt. v. 16.11.1962 – 4 StR 337/62 = NJW 1963, 1165, 1165; OLG Dresden, B. v. 21.07.2014 – 2 OLG 21 Ss 319/14 = NStZ-RR 2015, 10; siehe zu diesem Unterschied zwischen tätlichem Angriff und Gewalt i. S. v. § 240 C. II. 2. a) Abgrenzung zur Gewalt.
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lichen Angriffs lediglich am Rande mitbetroffen sein kann, aber der Schutz der körperlichen Unversehrtheit im Vordergrund steht.112 Darüber hinaus könnte § 114 StGB die Ehre der in den Schutzbereich fallenden Personen schützen. An den Ehrschutz zu denken erscheint aufgrund der systematischen Stellung im sechsten Abschnitt des Strafgesetzbuches zunächst fernliegend. Allerdings geht aus dem Qualifikationstatbestand § 185 Alt. 2 StGB hervor, dass Tätlichkeiten eine besondere Nicht- oder Missachtung des Geltungswerts des Betroffenen ausdrücken können und ihnen insofern ein ehrverletzender Gehalt zukommen kann.113 Hierfür ist im Rahmen des § 185 Alt. 2 StGB, der die Ehre des Opfers schützt, nicht erforderlich, dass die Tätlichkeit die Schwelle zur Körperverletzung überschreitet114 und auch bei tätlichen Angriffen nach § 114 StGB115 muss die Erheblichkeitsschwelle des § 224 StGB nicht erreicht werden. In der Gesetzesbegründung wird der Begriff der Ehre allerdings nicht verwendet, dort ist ausschließlich die Rede von „Respekt und Wertschätzung“.116 Dennoch ist nicht ausgeschlossen, dass die gesetzgebende Instanz die Ehre ihrer Bediensteten im Blick hatte, denn auch wenn die Begriffe nicht das Gleiche meinen, liegt „Respekt“ begrifflich nah an „Achtung“.117 Teilweise wird daher vertreten, § 114 StGB beinhalte einen aus der Ehre abzuleitenden berufsbezogenen Achtungsanspruch und sei daher als „statusbezogenes Beleidigungsdelikt“ einzustufen.118 Bei der Ehre handelt es sich um ein weitgehend anerkanntes Rechtsgut, das primär durch die §§ 185 ff. StGB geschützt wird. Ihr wird ein personaler Bezug beigemessen, obwohl sich aus § 194 Abs. 3, 4 StGB ergibt, dass auch bestimmte Institutionen beleidigungsfähig sind, mithin auch diesen eine eigene Ehre zugeschrieben werden kann.119 Bereits der historische Rückblick hat gezeigt, dass die Nähe zwischen dem Rechtsgut „Ehre“ und den Widerstandsdelikten seit längerem im Diskurs ist.120 Die Ehre wird allerdings zum einen bereits über die §§ 185 ff. StGB geschützt, zum anderen liegt nicht in jedem Angriff eine Ehrverletzung der Vollstreckungsperson, nicht einmal typischerweise.121 Da die Ehre bei Zuwiderhandlungen nach § 114 StGB betroffen sein kann, dies aber nicht zwingend der Fall ist, ist unwahrscheinlich, dass es sich um ein durch diese 112
So auch Busch/Singelnstein, NStZ 2018, 510, 511; Puschke/Rienhoff, JZ 924,
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Roggan, KriPoZ 2020, 144, 144 f. m.w. N. MüKo-StGB/Regge/Pegel, Band 4, § 185 Rn. 48. 115 Roggan, Die Polizei 2016, 315, 317. 116 BT-Drs. 18/11161, S. 1, 9. 117 DUDEN – Deutsches Universalwörterbuch „Respekt“. 118 Roggan, KriPoZ 2020, 144, 147. 119 Schönke/Schröder/Eisele/Schittenhelm-StGB (30. Aufl.), Vor §§ 185 ff. Rn. 1. 120 Vgl. S. 23. 121 Es kann Tateinheit in Betracht kommen, vgl. MüKo-StGB/Regge/Pegel, Band 4, § 185 Rn. 53. 114
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Norm geschütztes Rechtsgut handelt.122 Außerdem ist nicht ausgeschlossen, dass mit der Anerkennung der Ehre als Rechtsgut des § 114 StGB mit diesem zusammenhängende, aber strafrechtlich nicht anerkennenswerte Interessen des Staates „durch die Hintertür“ zum Rechtsgut erhoben werden würden („Respekt und Anerkennung“). Dass der Respekt vor dem Staat und seinen Bediensteten durch die Novellierung verbessert werden sollte, lässt sich der Gesetzesbegründung gleich an drei Stellen entnehmen und ist eines der erklärten Ziele des Gesetzgebungsakts.123 In den Jahren vor der Novellierung wurden in der Öffentlichkeit einige Vorkommnisse zum Anlass genommen, über gemutmaßte Defizite innerhalb der Polizei zu diskutieren. Es ist möglich, dass diese, sich im Vergleich zu früher häufende Art der Berichterstattung als Kundgabe gesellschaftlicher Geringschätzung aufgenommen wurde. Als Beispiele sind hier die Geschehnisse im Zusammenhang mit dem NSU-Prozess zu nennen124, bei der Love-Parade-Katastrophe125 oder in der „Kölner Silvesternacht“.126 Auch nach 2017 schwächte der lebhafte Meinungsaustausch nicht ab.127 Vermehrt wurde in den letzten Jahren auch zum Thema Gewalt durch Mitglieder der Polizeibehörden berichtet,128 nach 2017 insbesondere durch den gewaltsamen Tod George Floyds ausgelöst, der die überregionale Black Lives Matter Bewegung in der ganzen westlichen Welt bekannt machte und auch in Deutschland Forderungen nach institutionellen Problemanalysen nach sich zog.129 Dass sich die Polizei auch von der Justiz nicht hinreichend wertgeschätzt fühlt, geht etwa aus einer Stellungnahme des Landesverbands Nordrein-Westfalen der Deutschen Polizeigesellschaft zum Gesetzesentwurf hervor. Dort wurde vorgeschlagen, den (damaligen) Strafrahmen konsequenter auszuschöpfen und eine Erhöhung erst dann einzusetzen, wenn alle anderen Möglichkeiten herangezogen 122 In der königlichen Ordonnance von 1670 wurde der Widerstand gegen Befehle des Königs und des Rats als Beleidigung verstanden, Calker, S. 354. Mithin wurde damals ein Zusammenhang zur Ehre erkannt. 123 BT-Drs. 18/11161, S. 1, 2 und 9. 124 Z. B. Emcke, Süddeutsche Zeitung vom 13.05.2016, https://www.sueddeutsche. de/politik/kolumne-fehlleistungen-1.2992603 (zuletzt abgerufen am 02.12.2021). 125 Z. B. DPA/AFP, ZEIT online vom 04.08.2010, https://www.zeit.de/gesellschaft/ zeitgeschehen/2010-08/loveparade-duisburg-vorwuerfe-polizei-2?utm_referrer=https%3 A%2F%2Fwww.google.de (zuletzt abgerufen am 03.02.2021). 126 Werthschulte, APuZ 1–3/2017. 127 Ein prominentes Beispiel ist der Fall Lüdge, Stegemann, SZ vom 15.03.2019, https://www.sueddeutsche.de/panorama/luegde-polizei-reul-1.4368270. 128 Wenn auch zunächst zögerlich. So gibt es z. B. keine Statistiken zur Verbreitung polizeilicher Übergriffe, nur die Angaben der PKS zu Fällen von Körperverletzungen im Amt, § 340 StGB. Diese Zahlen beziehen sich auf alle Amtsträger:innen, Naplava, in: Polizei in Staat und Gesellschaft, S. 170. 129 Vgl. Tagesschau, Artikel vom 08.12.2020, https://www.tagesschau.de/inland/see hofer-polizei-studie-101.html (zuletzt abgerufen am 02.12.2021).
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wurden.130 Mit dem darin mitschwingenden Vorwurf, Gerichte würden die Taten aus dem 6. Abschnitt des Strafgesetzbuches zu milde ahnden und Staatsanwaltschaften das Verfahren zu häufig einstellen, ist der nordrhein-westfälische Landesverband nicht alleine.131 Viele verbeamtete Personen fühlen sich von der Justiz nicht ernst genommen und verzichten aufgrund dessen nach eigenen Angaben auf die Erstattung einer Anzeige. Es wurde sogar von der Erfahrung berichtet, dass die Amtsträgerschaft des Opfers strafmildernd im Prozess berücksichtigt wurde. Als Indiz für diese Thesen wird angeführt, dass die Einstellungsrate bei Verfahren nach § 113 StGB a. F. bei nahezu einem Drittel liege132 und sich die Generalstaatsanwält:innen bei den Regelsätzen für Sicherheitsleistungen von erlassenen Haftbefehlen nach § 116 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 StPO bei den Widerstandsdelikten auf zum Teil geringere Regelsätze als bei anderen Straftaten geeinigt hätten.133 Der Stichhaltigkeit dieser Vorwürfe lassen sich gewichtige Argumente entgegensetzen. Im Vergleich zur Nötigung waren in der Praxis Einstellungen bei § 113 StGB a. F., in dem der tätliche Angriff zuvor enthalten war, bereits vor der Novellierung deutlich seltener und es wurde durchschnittlich doppelt so häufig zu einer kurzfristigen Freiheitsstrafe verurteilt.134 Hinzu kommt die beispielslos hohe Verurteilungswahrscheinlichkeit.135 Insofern handelt es sich bei der bemängelten Schlechterstellung von Staatsbediensteten in der Praxis eher um ein subjektives Empfinden, denn um einen empirisch belegbaren Befund.136 130 DPolG, Stellungnahme LT NRW Drs. 16/3427, S. 2; anders die GdP NRW, die aufgrund der angeblich fehlenden Ausschöpfung des Strafrahmens durch die Gerichte weiterhin die Erhöhung des Strafrahmens forderte, Stellungnahme Drs. 16/3444, S. 4. 131 LT-NRW Drs. 16/8979, S. 3. 132 Ellrich/Baier/Pfeiffer, Polizeibeamte als Opfer von Gewalt, S. 155. 133 GdP NRW, Stellungnahme NRW Drs. 16/3444, S. 4: Für § 113 StGB: 250 EUR, für § 242: 400 EUR und bei § 22 StVG: 300 EUR. 134 DAV, Stellungnahme des Deutschen Anwaltsvereins Nr. 5/2017, S. 9. 135 Puschke, FS für Ulrich Eisenberg, S. 166. 136 Im Gegenteil: Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Amtsträgereigenschaft auf Täter:innenseite in der Praxis sogar bereits strafmildernd berücksichtigt wurde. Im Zusammenhang mit dem Fall LG Neuruppin, 03.07.2010 – 11 Ks 1/10 = BeckRs 2011, 5209 wurde in mehreren Boulevardblättern (z. B. Heine, Tagesspiegel vom 06.07.2010, https://www.tagesspiegel.de/themen/brandenburg/zerstoerte-karriere-todesschuetze-vonschoenfliess-koennte-beamtenstatus-verlieren/1876246.html, zuletzt abgerufen am 13.12.2021) berichtet, die Strafmilderung sei mündlich damit begründet worden, dass der Angeklagte als Polizist besonders haftempfindlich sei. In der Urteilsbegründung war hiervon nichts zu lesen. Dort wurden allerdings andere Umstände herangezogen, die zumindest zum Teil auch mit der Polizeieigenschaft zusammenhängen: „Darüber hinaus hat sich beträchtlich strafmildernd ausgewirkt, dass mit der Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr – wie hier – sein Dienstverhältnis als Polizeioberkommissar endet und er damit seinen Beamtenstatus kraft Gesetzes mit all seinen Vorteilen verliert. [. . .]“. Bei dem anderen Angeklagten (ebenfalls Polizist) habe sich „sein bisheriges rechtstreues Leben sowie sein tadelloser dienstlicher Werdegang“ entlastend ausgewirkt.
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Doch selbst wenn sich diese Vorwürfe nachweisen ließen, würde dies nicht bedeuten, dass jedes nachvollziehbare Anliegen einer Reform wie das Zollen von Respekt für sich genommen als taugliches Rechtsgut anzusehen wäre, ansonsten würde sich eine Norm und damit auch die Reform stets selbst legitimieren.137 Der Respekt stellt darüber hinaus auch für sich gesehen kein Rechtsgut im Sinne des Strafrechts dar.138 Dieser lässt sich nicht mit Mitteln aus dem Strafrecht einfordern,139 es handelt sich um eine Einstellung, die eine Person gegenüber einer anderen Person oder einem Sachverhalt hat. Dass Mitglieder der Polizeibehörden das Bedürfnis verspüren, von den Staatsangehörigen, dem Staat und seinen Bediensteten Respekt und Wertschätzung zu erfahren, ist zwar ein nachvollziehbarer Wunsch, doch kann und darf der Staat die Haltung seiner Bevölkerung strafrechtlich nicht sanktionieren.140 Es besteht die Gefahr eines nicht zu rechtfertigenden Eingriffs in die Meinungsfreiheit,141 außerdem sind die Grenzen des Rechtsguts zu vage.142 Den Respekt vor den Staatsbediensteten zum Rechtsgut zu erheben und auf diese Weise von Staatsangehörigen einzufordern, ließe außerdem eine sehr autoritäre Staatsauffassung erahnen.143 c) Zwischenergebnis Schutzgut des § 114 StGB ist damit das Individualrechtsgut der körperlichen Unversehrtheit des Opfers, wohingegen die Freiheit der Willensentschließung und der Willensbetätigung beim tätlichen Angriff nicht unmittelbar betroffen ist. Gleiches gilt für die Ehre. Der Respekt ist kein anerkennenswertes Rechtsgut und aus diesem Grund nicht durch § 114 StGB geschützt. Überindividuelle Interessen wie das Interesse an der Dienstausübung oder das staatliche Gewaltmonopol sind keine anerkennenswerten Rechtsgüter. Selbst wenn sie als solche anerkennenswert wären, würden sie nur mittelbar geschützt. Somit fallen die Schutzgüter der §§ 113, 114 StGB auseinander.
137
Bolender, S. 165. Busch/Singelnstein, NStZ 2018, 510, 511; Puschke/Rienhoff, JZ 2017, 924, 929; Roggan, KriPoZ 2020, 144, 147. 139 Singelnstein, Süddeutsche Zeitung vom 02.02.2017, https://www.sueddeutsche. de/politik/aussenansicht-respekt-entsteht-nicht-durch-drohungen-1.3360909, zuletzt abgerufen am 08.04.2022). 140 Wessels/Beulke/Satzger, § 1 Rn. 12; a. A. Kulhanek, JR 2018, 551, S. 551: Immer, wenn von Respekt gesprochen werde, sei damit der Strafzweck der Vergeltung und der positiven Generalprävention gemeint. Das gerate zu sehr in den Hintergrund, so der Verfasser. 141 Puschke/Rienhoff, JZ 2017, 924, 929. 142 Busch/Singelnstein, NStZ 2018, 510, 511. 143 Bolender, S. 164 f. 138
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3. Schutzgut des § 115 Abs. 3 StGB § 115 Abs. 3 StGB beginnt mit den Worten „Nach § 113 wird auch bestraft [. . .]“ und weicht damit von dem Prinzip ab, nach dem der Tatbestand im Strafrecht üblicherweise mit „Wer . . .“ eingeleitet wird und die Rechtsfolge anhand der Bezeichnung „wird . . . bestraft“ zu erkennen ist. Dennoch handelt es sich um einen eigenen Tatbestand, während es sich bei den ersten beiden Absätzen um bloße Gleichstellungsklauseln handelt.144 Die ersten beiden Absätze stehen immer in Verbindung mit den §§ 113, 114 StGB, ihnen kann mangels Tatbestandseigenschaft kein eigenes Schutzgut zugewiesen werden. Hintergrund für die Erschaffung des § 115 StGB (beziehungsweise des § 114 StGB a. F.) war eine gemutmaßte Zunahme von gewalttätigen Angriffen auf Rettungskräfte und deren Einsatzmittel, zum Beispiel Rettungswagen.145 Infolge des 52. Strafrechtsänderungsgesetzes wurde § 114 StGB a. F. ohne wesentliche inhaltliche Änderungen in § 115 StGB überführt. Der erste Absatz erfasst in erster Linie bestätigte Jagdschutzberechtigte. 146 Absatz 2 erfasst Personen, die von einem Mitglied der Polizei oder einer anderen Person mit Hoheitsbefugnissen nach Abs. 1 bei einer Diensthandlung zugezogen wurden. Freiwillig Helfende zählen nicht dazu.147 Der dritte Absatz schützt Angehörige der Feuerwehr, des Katastrophenschutzes und des Rettungsdienstes, ohne dass es dafür, im Unterschied zu den ersten beiden Absätzen, auf das Vorliegen einer Vollstreckungs- oder Diensthandlung ankommt. Anknüpfungspunkt ist stattdessen die Hilfeleistung. a) Keine Verfolgung eines überindividuellen Schutzzwecks Aus diesem (fehlenden) Anknüpfungspunkt lassen sich Rückschlüsse auf das von § 115 StGB geschützte Rechtsgut schließen. Der überindividuelle Zweck des § 113 StGB ergibt sich hauptsächlich aus der Anknüpfung an die Vollstreckungshandlung, der Stellung im 6. Abschnitt148 und der geschützten Personen (Vollstreckungsbeamt:innen). Zwar befindet sich die zu untersuchende Norm ebenfalls im 6. Abschnitt, doch besteht kein unmittelbarer Bezug zur Vollstreckungshandlung, denn zu einer solchen sind die geschützten Personen in der Regel nicht befugt. Als Ausnahme kann hier etwa der Platzverweis durch eine Einsatzkraft 144 Fahl, ZStW 2018, 745, 746; Schönke/Schröder/Eser-StGB (30. Aufl.), § 115 Rn. 1; Fischer-StGB (69. Aufl.), § 115 Rn. 1; Lackner/Kühl/Heger-StGB, § 115 Rn. 1; a. A. MüKo-StGB/Bosch, Band 3, § 115 Rn. 1: Die Vorschrift beinhalte keinen eigenständigen Tatbestand, sondern dehne nur den Anwendungsbereich aus; ebenfalls ablehnend: NK-StGB/Paeffgen, Band 2, § 114 Rn. 1. 145 Heger/Jahn, JR 2015, 508, 509. 146 Fischer-StGB (69. Aufl.), § 115 Rn. 2. 147 Lackner/Kühl/Heger-StGB, § 115 Rn. 3. 148 Müller, Stellungnahme zu BT-Drs.18/11161 und BR-Drs. 126/1/17, S. 9.
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C. Dogmatische Probleme der aktuellen Gesetzeslage
der Feuerwehr genannt werden.149 Auch die Eigenschaft als Vollstreckungsperson oder eine generelle Amtsträgereigenschaft ist nicht erforderlich. Hilfeleistende der Feuerwehr, des Katastrophenschutzes oder des Rettungsdienstes sind häufig als private Zivilschutzeinrichtungen oder freiwillige Feuerwehren organisiert150, agieren also nicht staatlich. Die Stellung im Abschnitt „Widerstand gegen die Staatsgewalt“ ist daher sinnwidrig.151 Es ist eindeutig, dass bei § 115 StGB, wie bei § 114 StGB, der Individualschutz im Vordergrund stehen muss.152 Dafür spricht auch die Gesetzesbegründung, in der die Rede vom „Schutz von Rettungskräften“ und von „Respekt und Wertschätzung“ für diese Berufsgruppen ist und betont wird, dass diese stärker vor gewalttätigen Angriffen geschützt werden sollen.153 Gleichwohl deutet die Begründung auch hier an, dass mittelbar staatliche Interessen verfolgt werden sollen. So soll ein Angriff auf die über § 115 StGB miteinbezogenen Rettungskräfte zugleich einen Angriff auf die öffentliche Sicherheit darstellen, da er zu einer Beeinträchtigung der Hilfeleistung führen könne.154 b) Konkrete Ausgestaltung des Individualrechtsgüterschutzes Es gilt zu ermitteln, welche und wessen Individualrechtsgüter durch § 115 Abs. 3 StGB geschützt werden. Das sind zum einen die Individualrechtsgüter der hilfeleistenden Person selbst, nicht die Hilfeleistung155 (Helferalternative), und zum anderen die Individualrechtsgüter der in Not geratenen Person (Behinderungsalternative). Wird Gewalt gegen die hilfeleistende Person angewendet oder mit solcher gedroht oder die hilfeleistende Person tätlich angegriffen, ist je nach Tathandlung, deren Freiheit der Willensentschließung und der Willensbetätigung beziehungsweise deren körperliche Integrität betroffen.156 Für die Helferalterna-
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Bosch, JURA 2011, 268, 270. Lackner/Kühl/Heger-StGB, § 115 Rn. 4. 151 Stellvertretend für viele: Heger/Jahn, JR 2015, 508, 511. 152 So auch z. B. Kubiciel, Stellungnahme zu BT-Drs. 18/11161, S. 9; nach Ansicht Zöllers dienen die §§ 114, 115 StGB nicht einmal nachrangig einem öffentlichen Zweck, Zöller, KriPoZ 2017, 143, 147; a. A. Zopfs, GA 2012, 259, 275 zu § 114 Abs. 3 StGB a. F., nach dem nicht die ebenfalls betroffenen Individualrechtsgüter der Hilfeleistenden geschützt sein sollen, „sondern – will man die Verortung des Tatbestands in diesem Abschnitt sinnvoll ausfüllen – die räumliche Sphäre [. . .], die die Allgemeinheit für eine ungestörte Hilfstätigkeit vorhalten möchte“. 153 BT-Drs. 18/11161, S. 1, 9. 154 BT-Drs. 18/11161, S. 1. 155 Anders: Heger/Jahn, JR 2015, 508, 511: Auch die Hilfeleistungshandlung ist geschützt. 156 Puschke/Rienhoff, JZ 2017, 924, 930; Heger/Jahn, JR 2015, 508, 511 zu § 114 Abs. 3 StGB a. F. 150
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tive kann demnach auf die Ausführungen zu § 113 StGB beziehungsweise § 114 StGB verwiesen werden.157 Teilweise wird geäußert, seit der Novellierung würden die individuellen Rechtsgüter der Schutzbedürftigen nicht mehr vom Tatbestand geschützt werden. Auch wenn sich dies nicht aus der Gesetzesbegründung ergäbe, sei es das leitende Motiv der Gesetzesänderung gewesen, ausschließlich den Schutz der Rechtsgüter der Helfenden zu stärken.158 Außerdem bestünde seit der Einführung des § 323c Abs. 2 StGB, der ebenfalls mit dem 52. Strafrechtsänderungsgesetz in das Strafgesetzbuch eingeführt wurde, kein Bedürfnis mehr für den Schutz der Hilfsbedürftigen über § 115 Abs. 3 StGB.159 Dem ist jedoch zu widersprechen. Auch wenn die gesetzgebende Instanz mit den Novellierungen in erster Linie die den Staat repräsentierenden Personen zu schützen beabsichtigte,160 so bedeutet dies nicht im Umkehrschluss, dass sie nicht gleichzeitig auch den Schutz der Hilfsbedürftigen zu verbessern beabsichtigte. Zum Zeitpunkt des Erlasses des 44. Strafrechtsänderungsgesetzes, mit dem der Tatbestand des § 114 Abs. 3 StGB a. F., der vor Angriffen auf Helfende bei Unglücksfällen schützt, eingeführt wurde, bestand für einen besonderen Schutz der Hilfsbedürftigen ein begründbares Interesse. Denn eine eigenständige Norm, mit der sichergestellt werden sollte, dass hilfeleistende Personen nicht beeinträchtigt werden, existierte zu dem Zeitpunkt nicht.161 § 323c StGB a. F. sanktionierte allein Personen, die eine ihnen zumutbare Hilfeleistung nicht durchführten.162 Bei der jüngsten Gesetzesänderung war der Bedarf aufgrund der Existenz des § 114 Abs. 3 StGB a. F. zweifelsfrei geringer. Außerdem wurde mit dem 52. Strafrechtsänderungsgesetz § 323c Abs. 2 StGB eingeführt, nach dem bestraft wird, wer in Unglücksfällen eine Person behindert, die einem Dritten Hilfe leistet oder leisten will. Hierbei ist allerdings zu beachten, dass der relevante zweite Absatz für § 323c StGB erst zu einem späten Zeitpunkt Gegenstand des Änderungsgesetzes wurde.163 Er war nicht Bestandteil des Referentenentwurfs164 und wurde weitgehend unbemerkt von der Öffentlich157 Für § 113 StGB: C. I. 1. b) hh) Zwischenergebnis und für § 114 StGB: C. I. 2. c) Zwischenergebnis. 158 Bolender, S. 281. 159 Bolender, S. 281. 160 Vgl. bereits C. I. 1. b) aa) Gesetzesbegründung. 161 Es existierten allerdings andere Möglichkeiten, die eine Bestrafung unter Umständen möglich machten. Diese behandelt Preuß, ZIS 2019, 345, 347 f. 162 Ob die unterlassene Hilfeleistung nach § 323c Abs. 1 StGB auch das Behindern von Rettungskräften umfasst, ist umstritten. Dafür: Koch, GA 2018, 323, 325 ff.; SKStGB/Stein, § 323c Rn. 23; dagegen Preuß, ZIS 2019, 345, 347. 163 Zum Gesetzgebungsverfahren im Einzelnen Preuß, ZIS 2019, 345, 346. 164 Die Änderung ging auf einen Gesetzesentwurf des Bundesrates zurück, BR-Drs. 226/16.
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keit165 umgesetzt. Die Gespräche über die Konzeption der §§ 113 ff. StGB wurden zu einem früheren Zeitpunkt geführt, in dem § 323c Abs. 2 StGB noch keine derartige Rolle zugekommen sein kann. Aus diesem Grund wurde die Änderung auch nicht in den Sachverständigengutachten zum 52. Strafrechtsänderungsgesetz thematisiert. Selbst wenn dies bereits der Fall gewesen wäre, waren die Interessen der in Not Geratenen auch zu diesem Zeitpunkt über § 323c StGB a. F., über § 114 Abs. 3 StGB a. F. und nach den allgemeinen Regeln beim Abbruch eines rettenden Kausalverlaufs geschützt. Insofern war das Vorhandensein einer Schutzlücke bereits zweifelhaft.166 Außerdem stützt die gleichzeitige Einführung von § 323c Abs. 2 StGB die These, dass das 52. Strafrechtsänderungsgesetz nicht ausschließlich auf den Schutz von Vollstreckungsorganen und Rettungskräften gerichtet sein konnte, schließlich dient diese Vorschrift dem Schutz der Rechtsgüter der in Not Geratenen. Folglich bleibt es für § 115 Abs. 3 StGB bei einer doppelten Zielrichtung in Richtung der Helfenden und der Hilfsbedürftigen. Hinsichtlich der Behinderungsalternative gilt es zu ermitteln, welche Rechtsgüter der in Not Geratenen geschützt sind. Aufgrund der offensichtlichen Nähe zu § 323c StGB167 erscheint es sinnvoll, für die Auslegung des § 115 Abs. 3 StGB auf dessen Grundsätze zurückzugreifen. Bei § 323c StGB ist das geschützte Rechtsgut identisch mit den geschützten Interessen der in Not Geratenen,168 womit insbesondere das Leben und die körperliche Unversehrtheit gemeint sind.169 Darüberhinausgehend wird teilweise auch auf den Schutz überindividueller Rechtsgüter wie die „mitmenschliche Solidarität“ 170 oder die „öffentliche Sicherheit“ 171 abgestellt. Als taugliche Rechtsgüter dürften diese Zielvorstellungen aufgrund ihrer Vagheit jedoch nicht dienen. Diese Auffassung vertreten aber wohl Heger und Jahn, die bei § 115 Abs. 3 StGB auch die Rettungstätigkeit als solche beziehungsweise deren ungestörte Durchführung als geschützt ansehen.172 Diese Tätigkeit ist zumindest konkreter als die öffentliche Sicherheit insgesamt. Die 165
Kubiciel, JurisPR-StrafR 11/2017 Anm. 1. MüKo-StGB/Freund, Band 5, § 323c Rn. 133; vergleichbar auch Prittwitz, KriPoZ 2018, 44, 46, der darauf hinweist, dass nach den allgemeinen Regeln auch Täter:in ist, wer einen rettenden Kausalverlauf abbricht; a. A. Kubiciel, JurisPR-StrafR 11/2017 Anm. 1, der davon ausgeht, die Norm erfasse Fälle, die bisher nicht von anderen Normen erfasst wurden; Preuß, ZIS 2019, 345, 347 f. 167 Vgl. etwa Caspari, NJ 2011, 318, 325. 168 BGH B. v. 22.01.2002 – 4 StR 392/01 = NJW 2002, 1356, 1357; OLG Celle, B. v. 26.04.2988 – 3 Ws 103/88 = NStZ 1988, 568; NK-StGB/Gaede, Band 3, § 323c Rn. 2; Vermander, S. 18 ff.; MüKo-StGB/Freund, Band 5, § 323c Rn. 2. 169 MüKo-StGB/Freund, Band 5, § 323c Rn. 2. 170 Vgl. dazu etwa Otto, 56. DJT 1986, S. D 76. 171 Welzel, § 68, S. 470. 172 Heger/Jahn, JR 2015, 508, 511. 166
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Ansicht ist jedoch sowohl für § 115 StGB als auch für § 323c StGB aus dem Grund abzulehnen, dass in beiden Fällen letztlich kein anderes Interesse verfolgt wird, als die konkret bedrohten Individualrechtsgüter vor Schaden zu bewahren. Die Fälle sind vergleichbar mit denen der Tötung durch Tun oder begehungsgleiches Unterlassen, in denen anerkanntermaßen keine überindividuelle Gefahr bestraft wird, sondern das bedrohte Individualrechtsgut bewahrt werden soll.173 Weiterhin ist eine Gewichtung zwischen Helfer- und Behinderungsalternative erkennbar, wenngleich beide Sätze des § 115 Abs. 2 StGB (zumindest) die Individualrechtsgüter der Hilfeleistenden und der in Not Geratenen schützen174: Während § 115 Abs. 3 S. 1 StGB eine Behinderung der Rettungskräfte voraussetzt, also ähnlich wie bei § 306b Abs. 2 Nr. 3 StGB erforderlich ist, dass der oder die Täter:in für den Abbruch einer in Gang gesetzten Hilfeleistung verantwortlich ist oder diese Hilfeleistung dadurch in ihrer Wirkung abgeschwächt wird, ist dies im Rahmen des Satzes 2 nicht vorausgesetzt. Mangels Behinderungserfolgs sind die Rechtsgüter der in Not Geratenen bei Satz 2 folglich noch weiter im Vorfeld geschützt.175 c) Zwischenergebnis Der Schutzzweck von § 115 Abs. 3 StGB erfasst sowohl die Rechtsgüter der Helfenden als auch die der in Not Geratenen. Die konkrete Ausgestaltung ist von der jeweiligen Tathandlung abhängig. Im Falle einer Widerstandshandlung im Sinne des § 113 StGB schützt die Norm die Individualrechtsgüter der Willensbildungs- und Willensbetätigungsfreiheit der Mitglieder der Feuerwehr, des Katastrophenschutzes oder des Rettungsdienstes sowie die Rechtsgüter der in Not geratenen Person, womit in der Regel das Leben und die körperliche Unversehrtheit gemeint ist. Im Falle eines tätlichen Angriffs (§ 115 Abs. 3 S. 2 StGB) sind ebenfalls die Rechtsgüter der in Not Geratenen betroffen, darüber hinaus die körperliche Unversehrtheit der Helfenden. Für § 115 Abs. 1, 2 StGB in Verbindung mit § 113 StGB oder § 114 StGB kann deren Schutzbereich übertragen werden. Damit unterscheiden sich die Schutzbereiche der Absätze 1 und 2 vom Schutzbereich aus Absatz 3. Mangels überindividueller Zielsetzung wäre die Vorschrift außerhalb des 6. Abschnitts des Strafgesetzbuches, zum Beispiel im Rahmen des § 323c StGB, systematisch besser verortet. 4. Zwischenfazit Die rechtliche Würdigung ergab, dass die Novellierung insgesamt den Individualschutz hinsichtlich der §§ 113 ff. StGB verstärkte, was insbesondere aus der 173 174 175
Vgl. MüKo-StGB/Freund, Band 5, § 323c Rn. 4. Puschke/Rienhoff, JZ 2017, 924, 930; Heger/Jahn, JR 2015, 508, 511. Puschke/Rienhoff, JZ 2017, 924, 930.
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C. Dogmatische Probleme der aktuellen Gesetzeslage
Gesetzesbegründung hervorgeht. Damit knüpft sie an das Erbe der vorangegangenen Gesetzesfassung von 2011 an, die ebenfalls den persönlichen Schutzanspruch in den Vordergrund stellte. Denn diese erweiterte den Schutz der Widerstandsdelikte gegen die Staatsgewalt auf Personen, die den Staat nicht in gleichem Maße wie die Polizei repräsentieren und (überwiegend) nicht zur Vornahme von Vollstreckungshandlungen berechtigt sind. Trotzdem verfolgt § 113 StGB weiterhin einen doppelten Schutzzweck, bei dem der kollektive Zweck im Vordergrund steht. Auch bei § 114 StGB und § 115 StGB ist erkennbar, dass der Individualrechtsgüterschutz zumindest auch deshalb verstärkt werden sollte, damit die staatlichen Aufgaben weiterhin erfüllt werden können. Bei einem Vergleich der aktuellen rechtlichen Situation mit der vor der Gesetzesänderung ergibt sich, dass mit dem neuen § 114 StGB ein weiterer Tatbestand hinzugekommen ist, dessen Rechtsgut schwer zu bestimmen ist und der, zusammen mit dem neuen § 115 StGB, gesetzessystematisch fehl am Platz ist. Hinsichtlich der genauen Bestimmung des überindividuellen Rechtsguts, sofern ein solches überhaupt vom jeweiligen Tatbestand geschützt wird, werden häufig schwammige Begriffe verwendet, die für die Rechtsgutsbestimmung zu vage sind. Das gilt nicht nur für § 113 StGB, der tatsächlich in erster Linie öffentliche Interessen in Form der rechtmäßigen Betätigung staatlicher Vollstreckungsakte schützt, sondern auch für die anderen beiden untersuchten Paragraphen. Wenn den Normen diese vagen Rechtsgutsbegriffe wie die humane Solidarität, die öffentliche Sicherheit, das überindividuelle Interesse an der Dienstausübung oder auch der Schutz des Staatsapparats zu Grunde gelegt wird, liegt der Vorwurf des moralischen Strafrechts nahe, der in der Literatur öfters anklingt.176 Insofern drängt sich der Gedanke auf, dass bei der Novellierung neben dem besseren Rechtsgüterschutz für Repräsentant:innen des Staates eine weiteres Anliegen verfolgt worden sein könnte, das nicht mit den Schutzgütern des Strafrechts in Einklang zu bringen ist und symbolischer Natur sein könnte.
II. Erforderlichkeit einer (Neu-)Definition des tätlichen Angriffs Durch die Befreiung des tätlichen Angriffs vom Erfordernis der Vollstreckungshandlung wurde die Strafbarkeit im 6. Abschnitt des Strafgesetzbuches ausgeweitet. Um dem entgegenzuwirken, wird von einer nicht unerheblichen Anzahl von Personen vermehrt eine neue, restriktivere Auslegung des tätlichen An-
176 Stellvertretend für viele: DAV, Stellungnahme Nr. 5/2017, S. 6; NRV, Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften, S. 2.
II. Erforderlichkeit einer (Neu-)Definition des tätlichen Angriffs
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griffs gefordert.177 Dieser Gedanke ist zwar nicht neu, denn auch vor der Novellierung gab es solche Forderungen178, doch wurden diese durch die jüngsten Änderungen, insbesondere der erhöhten Strafandrohung für den tätlichen Angriff, befeuert. Aus dem Grund wird hier davon ausgegangen, dass die im Zusammenhang mit der Definition des tätlichen Angriffs stehenden Bedenken, die an der Vorgängerfassung geäußert wurden, erst recht für die Neufassung gelten (sofern deren Werke sich noch auf die alte Fassung beziehen). In diesem Abschnitt wird zunächst die bisherige Definition vorgestellt, die insbesondere von der Rechtsprechung und Teilen der Literatur weiterhin vertreten wird und wohl auch heute noch herrschend ist.179 Anschließend wird von dieser Meinung ausgehend versucht, den tätlichen Angriff von der Gewalt im Sinne von § 113 StGB, von der Gewalttätigkeit im Sinne von § 125 StGB und von der Körperverletzung abzugrenzen, um auf die damit verbundenen Schwierigkeiten aufmerksam zu machen. Danach werden die restriktiven Auslegungsmöglichkeiten vorgestellt und anhand von Einzelfällen veranschaulicht. Daran anschließend wird anhand der gängigen Auslegungsmethoden die vorzugswürdige Ansicht ermittelt. 1. Allgemeines und bisherige (herrschende) Definition des tätlichen Angriffs Seit einer Entscheidung aus dem Jahr 1882 wird unter einem tätlichen Angriff nahezu einhellig jede mit feindseligem Willen unmittelbar auf den Körper zielende Einwirkung verstanden.180 Damals hatte das Reichsgericht über die (auch heute noch, beziehungsweise wieder) umstrittene Fallkonstellation der „drohend erhobenen Hand“ zu urteilen. Im konkreten Fall sprang ein Student auf einem Bahnhof hinter einem Stationsvorsteher hervor und holte zum Schlag gegen diesen aus, doch durch das Dazwischentreten eines Portiers traf die Hand das Opfer nicht.181 Das Reichsgericht entschied, dass für einen vollendeten tätlichen Angriff kein (Verletzungs-)Erfolg erforderlich ist. Es handelt sich um ein unechtes Unternehmensdelikt, bei dem es nicht einmal zu einer Berührung, schon gar nicht zu Schmerzen beim Opfer gekommen sein muss.182 Nach dieser Definition
177 Puschke/Rienhoff, JZ 2017, 924, 930 f.; Busch/Singelnstein, NStZ 2018, 510, 511; Bleckat, ZAP 2019, 1207, 1210; BeckOK-StGB/Dallmeyer, 52. Edition, § 114 Rn. 5; Schermaul, JuS 2019, 663, 665. 178 Z. B. Backes/Ransiek, JuS 1989, 624, 626; NK-StGB/Paeffgen, Band 2, § 113 Rn. 31. 179 Jäger, JA 2019, 705, 706. 180 RGSt 7, 301; RGSt 59, 264, 265; BeckOK StGB/Dallmeyer, 52. Edition, § 114 Rn. 5; Schönke/Schröder/Eser-StGB (30. Aufl.), § 114 Rn. 4. 181 RGSt 7, 301, 301. 182 A. A. Busch/Singelnstein, NStZ 2018, 510, 512.
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C. Dogmatische Probleme der aktuellen Gesetzeslage
muss auch kein Vorsatz hinsichtlich des Verletzungserfolgs vorgelegen haben.183 Insofern ist die Erheblichkeitsschwelle so niedrig angesetzt, dass auch leichteste Tätlichkeiten, die sich am unteren Ende der Grenze des Strafwürdigen bewegen, erfasst sind. In der Praxis werden jene Fälle oft mit maximal 90 Tagessätzen bestraft, wenn das Verfahren nicht bereits nach §§ 153, 153a StPO eingestellt wurde.184 Dass die Gerichte an dieser weiten Auslegung auch nach der Gesetzesänderung festhalten, bestätigte die aktuelle Rechtsprechung erst kürzlich erneut.185 Lediglich passives Verhalten wie das Festhalten an Gegenständen oder Stemmen gegen das Wegbringen sollen nicht ausreichen.186 Für die Einstufung dieser Tätigkeiten als „Gewalt“ kann etwas anderes gelten. 2. Abgrenzung zu ähnlichen Tathandlungen und Delikten a) Abgrenzung zur Gewalt Der Gewaltbegriff wird im Strafgesetzbuch nicht einheitlich gebraucht, sondern ist nach dem jeweiligen Tatbestand, insbesondere dem jeweils geschützten Rechtsgut, zu ermitteln.187 Ebenso wie bei der Nötigung ist der Begriff bei § 113 StGB umstritten, wenn auch weniger heftig.188 Bei § 113 StGB wird Gewalt traditionell enger verstanden als bei § 240 StGB, was meist auf das Wort „Widerstand“ im Tatbestand zurückgeführt wird.189 Bei § 113 StGB ist unter Gewalt eine durch tätiges Handeln erfolgte Kraftäußerung zu verstehen, die gegen die Vollstreckungsperson gerichtet ist und mit der die Durchführung einer Vollstreckungsmaßnahme verhindert oder erschwert werden soll. Damit ist der Begriff auf physisch wirkende Zwangsmittel begrenzt.190 Typische Gewaltformen im Sinne des § 113 StGB sind unter anderem gewaltsames Wegdrücken, Niederschlagen oder Einsperren.191
183
Kulhanek, JR 2018, 551, 554. BeckOK-StGB/Dallmeyer, 52. Edition, § 113 Rn. 31. 185 BGH B. v. 13.05.2020 – 4 StR 607/19 = BeckRS 2020, 13163; OLG Hamm, B. v. 12.02.2019 – 4 RVs 9/19 = BeckRS 2019, 3129 Rn. 13 ff.; OLG Hamm, Urt. v. 10.12.2019 – 4 RVs 88/19 = BeckRS 2019, 37351 Rn. 13; LG Nürnberg-Fürth, Urt. v. 06.03.2019 – 10 Ns 403 Js 70416/17 = NStZ-RR 2020, 39. 186 Kulhanek, JR 2018, 551, 555. 187 BGHSt 23, 46 = NJW 1969, 1770, 1771 f.; MüKo-StGB/Bosch, Band 3, § 113 Rn. 18. 188 NK-StGB/Paeffgen, Band 2, § 113 Rn. 21, 25. 189 Kritisch: NK-StGB/Paeffgen, Band 2, § 113 Rn. 21, 24. 190 Z. B. BGH, B. v. 15.01.2015 – 2 StR 204/14 = NStZ 2015, 388; Kohler, IPK WPS, S. 15. 191 Vgl. Kohler, IPK WPS, S. 15. 184
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Passive Handlungen oder bloßer Ungehorsam erfüllen die Tatbestandsalternative nicht, sofern sie nicht von einer erheblichen Kraftentfaltung gekennzeichnet sind, die ihrerseits durch erheblichen Krafteinsatz überwunden werden muss. Die Anforderungen an die erhebliche Kraftanwendung sind jedoch gering und daher bereits erfüllt, wenn sich eine Person mit den Füßen gegen den Boden stemmt oder an Gegenständen festhält, um sich gegen das Verbringen an einen anderen Ort zu wehren.192 Insofern darf der Begriff „passiv“ nicht mit „defensiv“ verwechselt werden. Mangels feindlicher Einwirkungsabsicht stellen diese defensiven Handlungen jedoch keinen tätlichen Angriff dar. Dennoch drängt sich die Frage auf, inwiefern für den tätlichen Angriff neben der Gewalt ein eigenständiger Anwendungsbereich verbleibt. Die großen Überschneidungen der beiden Handlungsmodalitäten wurden auch schon vor der Novellierung kritisiert.193 Es wird allgemein anerkannt, dass die Abgrenzung im Einzelfall schwerfallen und unbefriedigend anmuten kann.194 Wie eng die Handlungsmodalitäten mit der weiten Definition beieinander liegen, lässt sich an der folgenden Erläuterung eines Vertreters dieser Ansicht erahnen: Aktives Schieben oder leichtes Ziehen wird als Gewalt verstanden, stellt aber keinen tätlichen Angriff dar; energisches Schubsen oder kraftvolles Ziehen soll § 113 StGB und zugleich § 114 StGB verwirklichen. Der Unterschied liege darin, dass im ersten Fall die körperliche Kraftentfaltung langsam aufgebaut wird, während sie im zweiten Fall ruckartig erfolgt.195 Ob ein tätlicher Angriff oder Gewalt gegeben ist, hängt also maßgeblich von der Schilderung der verbeamteten Person ab. Im Falle des Eintritts eines Körperverletzungserfolgs ist aufgrund der großen Überschneidungen zwischen Gewalt und tätlichem Angriff mit der weiten Definition praktisch keine Abgrenzung der beiden Tathandlungen möglich. Allgemein unterscheiden sich der tätliche Angriff und die Gewalt nur in drei Ausnahmefällen, die jedoch eher von theoretischer als von praktischer Relevanz sind:196 Der tätliche Angriff muss unmittelbar gegen den Körper des Opfers gerichtet sein, während sich Gewalt nur mittelbar oder unmittelbar gegen die Person richten muss. Aus diesem Grund liegt ausschließlich Gewalt vor, wenn sich die körperliche Kraftausübung gegen Sachen richtet (und dabei mittelbar auf das Opfer einwirkt).197 Hier ist vor allem an Fälle zu denken, in denen ein Hindernis ge192 BVerfG, B. v. 23.08.2005 – 2 BvR 1066/05 = NJW 2006, 136; kritisch: MüKoStGB/Bosch, Band 3, § 113 Rn. 20. 193 MüKo-StGB/Bosch, Band 3 (3. Aufl.), § 113 Rn. 24. 194 Kulhanek, JR 2018, 551, 555. 195 Kulhanek, JR 2018, 551, 556. 196 Kohler, IPK WPS, S. 16, erwähnt nur die ersten beiden Fälle. 197 OLG Düsseldorf, B. v. 05.06.1996 – 5 Ss 160/96-49/96 I = NZV 1996, 458, 459; BeckOK-StGB/Dallmeyer, 52. Edition, § 113 Rn. 8.
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schaffen wird, etwa dem Verriegeln von Türen198 oder dem Springen vor ein Fahrzeug.199 Die anderen beiden Unterschiede knüpfen nicht unmittelbar an den jeweiligen Begriff an. So muss nach überwiegend vertretener, aber sehr umstrittener Ansicht die Gewalt, nicht aber der tätliche Angriff gegen die Vollstreckungs- oder Diensthandlung gerichtet sein.200 Letzterer unterliege allein der zeitlichen Beschränkung, dass er während der Dauer der Diensthandlung erfolgen müsse. Damit kann die Tätlichkeit beim tätlichen Angriff auch aus allgemeiner Feindseligkeit gegen den Staat erfolgen.201 Ein allein persönlich motivierter Racheakt gegen Staatsbedienstete genügt hingegen nicht, auch wenn er während der Dauer der Diensthandlung erfolgt („bei Gelegenheit“).202 Als rein subjektiver Unterschied ist diese Abweichung eher von theoretischem Interesse. Der dritte Unterschied besteht darin, dass der tätliche Angriff nicht nur gegen einfache Diensthandlungen gerichtet sein kann, sondern auch gegen rechtswidrige, sofern diese keine Vollstreckungshandlungen darstellen. Die Gewalt (und die Drohung mit Gewalt) ist straflos, wenn sie sich gegen eine rechtswidrige Vollstreckungshandlung richtet, §§ 113 Abs. 3, 114 Abs. 3 StGB. Die Schwierigkeit im Rahmen der Abgrenzung wird auch dadurch deutlich, dass nicht einmal Einigkeit darüber herrscht, ob die Gewalt oder der tätliche Angriff die mildere Begehungsweise darstellt. Dafür, dass der tätliche Angriff als „Minus“ zur Gewalt anzusehen ist, spricht, dass diese zum Zeitpunkt der Diensthandlung körperlich empfunden werden muss203, während der tätliche Angriff, wie bereits erwähnt, nur gegen den Körper gerichtet sein muss.204 Dennoch heißt es im saarländischen Gesetzesentwurf, dass eine bloße Widerstandshandlung ge-
198
Vgl. OLG Düsseldorf, B. v. 05.06.1996 – 5 Ss 160/96-49/96 I = NZV 1996, 458,
459. 199
BayObLGSt 1988, 7 = JR 1989, 24. H. M., Fischer-StGB (69. Aufl.), § 114 Rn. 5; Schönke/Schröder/Eser-StGB (30. Aufl.), § 114 Rn. 4; Küper/Zopfs, SR BT, Buchstabe A. Rn. 41; Zopfs, GA 2000, 527, 541; a. A. NK-StGB/Paeffgen, Band 2, § 113 Rn. 31; MüKo-StGB/Bosch, Band 3, § 113 Rn. 24. 201 Fischer-StGB (69. Aufl.), § 114 Rn. 5. 202 NK-StGB/Paeffgen, Band 2, § 113 Rn. 31; Schönke/Schröder/Eser-StGB (30. Aufl.), § 114 Rn. 4; Fischer-StGB (69. Aufl.), § 114 Rn. 5. 203 OLG Dresden, B. v. 21.07.2014 – 2 OLG 21 Ss 319/14 = NStZ-RR 2015, 10; für die Gewalt als intensivere Tathandlung: Schermaul, JuS 2019, 663, 664: Dies sei unstreitig. Vgl. auch BRAK, Stellungnahme Nr. 16/2017, S. 6. 204 Auch eine Studie, die sich mit der Praxis des Polizeialltags beschäftigt, deutet darauf hin, dass tätliche Angriffe ganz überwiegend im Bereich leichter Tätlichkeiten wie Drängeln, Stoßen, Schubsen liegen. Diese Tathandlungen machen nach Angaben der Studie 75,8 % aus, die nächsthäufige Angriffsform trat nur bei 47,4 % der Befragten auf. Jager/Klatt/Bliesener, NRW-Studie Gewalt gegen PVB – Abschlussbericht, 2013 S. 76 f. 200
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genüber einem tätlichen Angriff „deutlich geringeres Unrecht“ typisiere.205 Das entspricht der wohl überwiegenden Ansicht206 und ist mitursächlich dafür, dass in der Literatur öfters bemängelt wird, dass die Legislative mit § 114 StGB eine „halbe“ Qualifikation geschaffen habe. Stattdessen hätte sie lieber eine echte wie in § 185 Alt. 2 StGB als zweite Alternative oder in Form eines eigenen Absatzes schaffen sollen. Die § 115 Abs. 3 S. 2 StGB und § 114 Abs. 2, 3 StGB wären dann unnötig.207 Dass der tätliche Angriff das schwerere Unrecht verkörpert als der Widerstand scheint mit Blick auf die Strafandrohung auch der Einschätzung der Legislative zu entsprechen. Hierbei sollte allerdings nicht übersehen werden, dass die höhere Strafe nicht nur aus der Tathandlung herrühren könnte, sondern daraus, dass bei § 114 StGB anstelle der Vollstreckungshandlung eine einfache Diensthandlung ausreicht. In diesen Fällen fehlt es an der besonderen Drucksituation, der eine Person ausgesetzt ist, an welche eine Vollstreckungshandlung gerichtet ist, weshalb der Angriff in diesen Fällen ohne eine Vollstreckungshandlung mit Rückschau auf den ursprünglichen Privilegierungsgedanken schwerer angelastet werden könnte. Handelt es sich bei der Diensthandlung um eine Vollstreckungshandlung, leuchtet die hohe Strafe vor dem Hintergrund dieser Überlegung allerdings nicht ein. Überzeugender ist es daher, keine der beiden Tathandlungen generell als schwerwiegender anzusehen.208 Denn zum einen setzen beide keinen Erfolg voraus und zum anderen sind bei beiden unter anderem Handlungsweisen von äußerst geringer Erheblichkeit erfasst. Für den tätlichen Angriff kann hier beispielsweise das Anspucken oder die drohend erhobene Hand ohne Verletzungsabsicht genannt werden, für die Gewalt der Versuch, einer zuständigen Person bei einer Kontrolle das Ausweisdokument zu entreißen209 oder das Stemmen mit den Füßen gegen den Boden.210 Eine klare Abgrenzung ist trotz der aufgezeigten (kleinen) Abweichungen mit der weiten Ansicht kaum möglich, geschweige denn, dass die geringen Unterschiede den Vorwurf der Überflüssigkeit des tätlichen Angriffs entkräften könnten. An diesem Kritikpunkt setzen restriktive Ansätze an. Anders im Hinblick auf die Abgrenzungsschwierigkeiten liegt die Situation im Übrigen im Verhältnis zwischen tätlichem Angriff und der Drohung mit Gewalt. 205
BR-Drs. 187/15, S. 8. König/Müller, ZIS 2018, 96, 97; Bleckat, ZAP 2019, 1207, 1209 spricht von drei Eskalationsstufen: Auf erster Stufe die Drohung mit Gewalt, auf zweiter Stufe die Gewalt, und auf dritte Stufe die Ausübung eines tätlichen Angriffs. 207 Fahl, ZStW 2018, 745, 760; vgl. auch König/Müller, ZIS 2018, 96, 102. 208 Magnus, Stellungnahme zu BT-Drs. 18/11161, S. 3; Zöller, ZIS 445, 453. 209 OLG Oldenburg, Urt. v. 28.10.1952 – Ss 249/52 = NdsRPfl. 53, 152. 210 BVerfG, B. v. 23.08.2005 – 2 BvR 1066/05 = NJW 2006, 136. 206
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Denn im klassischen Fall von ausschließlich verbalen Drohungen ergeben sich keine Überschneidungen mit dem tätlichen Angriff. Erfolgt die Drohung hingegen nicht nur verbal, etwa weil konkludent gedroht wird, beispielsweise in Form einer bereits andauernden Gewaltanwendung, kommt es hingegen ebenso zu Überschneidungen.211 b) Abgrenzung zur Gewalttätigkeit Der tätliche Angriff ähnelt dem Begriff der Gewalttätigkeit aus §§ 124, 125 StGB. Darunter ist jedes aggressive, aktive Tun von einiger Erheblichkeit unter Einsatz physischer Kraft zu verstehen.212 Zwar muss die Gewalttätigkeit nicht gegen den Körper gerichtet sein, sondern kann auch auf Sachen abzielen, doch auch dort muss es weder zu einem Erfolg213 noch zu einer Gefährdung214 gekommen sein. Der große Unterschied zwischen den beiden Tatbestandsmerkmalen liegt aber darin, dass die Gewalttätigkeit von „einiger Erheblichkeit“ sein muss. Dass die beiden Begriffe nicht deckungsgleich sind, ergibt sich bereits aus der unterschiedlichen Bezeichnung in § 113 Abs. 1 StGB („Gewalt“) und im Regelbeispiel § 113 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 StGB („Gewalttätigkeit“),215 das nach § 114 Abs. 2 StGB auch beim tätlichen Angriff anwendbar ist. Die Verwendung beider Begriffe in einer Vorschrift (wenn auch über einen Verweis), deutet darauf hin, dass diese nicht das Gleiche bedeuten. Auch beim Landfriedensbruch werden allerdings keine allzu hohen Anforderungen an die Erheblichkeit des Tatbestandsmerkmals gestellt. Bereits das Werfen von faulen Früchten, Eiern oder Farbbeuteln kann diese Schwelle überschreiten216, ebenso wie das Wegdrängen von Personen.217 c) Abgrenzung zur Körperverletzung Oft stellt ein tätlicher Angriff als „mit feindseligem Willen unmittelbar auf den Körper zielende Einwirkung“ auch eine versuchte oder vollendete Körperverlet211
Roggan, Stellungnahme LT NRW Drs. 16/3453, S. 9 f. BGH, Urt. v. 20.07.1995 – 1 StR 126/95 = NJW 1995, 2643, 2644; Schönke/ Schröder/Sternberg-Lieben/Schittenhelm-StGB (30. Aufl.), § 125 Rn. 5. 213 BGHSt 23, 46 = NJW 1969, 1771; OLG Karlsruhe 26.04.1979 – 2 Ss 40/79 = NJW 1979, 2415, 2416; BayObLG, Urt. v. 11.08.1989 – RReg. 2 St 88/89 = NStZ 1990, 37, 38. 214 Vgl. BGHSt 23, 47 = NJW 1969, 1770, 1771; MüKo-StGB/Feilcke, Band 3, § 125 Rn. 20; a. A. LG Köln 31.10.1968 – 24 KLs 1/68 = JZ 1969, 80, 80. 215 Vgl. Dreher, NJW 1970, 1153, 1161. 216 OLG Köln 12.11.1996 – Ss 491/96 = NStZ-RR 1997, 234, a. A. Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben/Schittenhelm-StGB (30. Aufl.), § 125 Rn. 6. 217 BGHSt 23, 47 = NJW 1969, 1770, 1772; a. A. Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben/Schittenhelm-StGB (30. Aufl.), § 125 Rn. 6. 212
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zung dar,218 schließlich wurde die Tathandlung als Ersatz für damals noch straflose versuchte Körperverletzung konzipiert.219 Seit der Einführung des Versuchs der Körperverletzung im Jahr 1998 besteht jene Schutzlücke nicht mehr, wodurch dieses Argument die Notwendigkeit der Pönalisierung tätlicher Angriffe nicht mehr zu begründen vermag. Ausgehend von der weiten Definition liegt eine Überschneidung zwischen tätlichem Angriff und (versuchter) Körperverletzung aber dann nicht vor, wenn kein Verletzungsvorsatz gegeben war oder die Erheblichkeitsschwelle der Körperverletzung nicht überschritten wurde. Diese (nicht erfassten) Handlungen mit äußerst geringem Schweregrad sind es allerdings nicht, die in erster Linie mit der Gesetzesänderung adressiert werden sollten, zumindest nicht vordergründig.220 Der Gesetzesbegründung nach sollen die Einsatzkräfte stärker vor gewalttätigen Übergriffen geschützt werden, worunter beispielhaft Körperverletzungen, Mord und Totschlag aufgezählt werden.221 Dass tätliche Angriffe in der Praxis überwiegend in Form von leichten Tätlichkeiten auftreten, wurde nicht beachtet.222 Zumindest in der Theorie besteht im Verhältnis zur Körperverletzung somit ein geringer eigenständiger Anwendungsbereich des tätlichen Angriffs, der allerdings niederschwellige Handlungen erfasst und damit nicht jene Handlungen, auf welche die Novellierung der Gesetzesbegründung nach ausgerichtet war. 3. Auslegungsmöglichkeiten des Merkmals „tätlicher Angriff“ Eine Abgrenzung zwischen Körperverletzung, Gewalt und tätlichem Angriff ist mit der weiten Definition demnach kaum möglich. Da die Tathandlungen des § 113 StGB a. F. vor der Gesetzesänderung mit der gleichen Strafe bedroht waren, blieb dieser dogmatische Konflikt in der Praxis folgenlos. Aufgrund der nunmehr angehobenen Strafe des tätlichen Angriffs wurde er jedoch bedeutsam, denn eine unterschiedliche Strafandrohung kann nur gerechtfertigt sein, wenn sich die Taten auch tatsächlich unterscheiden lassen.223 Hinzu kommt, dass der Wegfall des 218
Auch Müller, Stellungnahme zu BT-Drs. 18/11161 und BR-Drs. 126/1/17, S. 10. Vgl. BT-Drs. VI/502, S. 3 ff. 220 Die Bezeichnung „vordergründig“ hat folgenden Hintergrund: Unter C. I. 2. b) Konkrete Ausgestaltung des Individualrechtsgüterschutzes wurde bereits ausgeführt, dass mit niederschwelligen Handlungen oft fehlender Respekt zum Ausdruck gebracht wird und den Repräsentant:innen des Staates mit der Novellierung aber gerade auch Respekt und Wertschätzung bekundet werden sollte. Mithin zielte die Gesetzesänderung mittelbar auch auf diese Handlungen mit geringem Unrechtsgehalt ab. Vertieft wird diese Thematik unter D. II. 2. b) Solidaritätsbekundung statt Auseinandersetzung mit zu Grunde liegenden Problemen behandelt. 221 BT-Drs. 18/11161, S. 8. 222 BRAK, Stellungnahme Nr. 16/2017 S. 7; Jager/Klatt/Bliesener, NRW-Studie Gewalt gegen PVB – Abschlussbericht, 2013, S. 76 f. 223 Kohler, IPK WPS, S. 17. 219
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Erfordernisses der Vollstreckungshandlung dazu führt, dass die Beurteilung der Frage, ob der Tatbestand erfüllt ist, noch stärker von der Einschätzung der Polizist:innen abhängt, deren faktische Definitionsmacht demnach verstärkt wird.224 Eine bessere Abgrenzungsmöglichkeit versprechen restriktive Ansätze, die den weiten Begriff des tätlichen Angriffs einschränken. a) Meinungen in der Literatur Die restriktiven Ansätze verkleinern den Anwendungsbereich des tätlichen Angriffs in unterschiedlich weiter, aber dennoch ähnlicher Weise. Ansatzpunkt ist in der Regel, dass eine gewisse Erheblichkeit und/oder ein Verletzungsvorsatz oder jedenfalls Vorsatz der Verletzungseignung der Handlung gefordert wird. Teilweise wird eine „auf den Körper zielende Handlung, die in der konkreten Situation körperverletzungsgeeignet ist“ gefordert. Diese Körperverletzungseignung muss zudem vom Vorsatz erfasst sein.225 Die Definition des Reichsgerichts wird damit in dreifacher Hinsicht begrenzt: Erstens genügt die abstrakte Erfolgseignung allein nicht mehr zur Tatbestandsverwirklichung. Zweitens wird nicht nur irgendeine Erheblichkeit der Handlung gefordert, sondern auch relativ konkret bezeichnet, was darunter zu verstehen ist, nämlich: Die Handlung muss grundsätzlich geeignet sein, eine Körperverletzung zur Folge zu haben. Drittens ist Vorsatz hinsichtlich Punkt eins und zwei erforderlich. Bei dieser körperlichen (oder tödlichen) Tendenz der Handlung müsse jedenfalls die Absicht vorgelegen haben, die Diensthandlung mit der Tätlichkeit zu behindern oder verhindern.226 Diese Definition wird mitunter leicht abgewandelt.227 Es sollten nur Handlungen erfasst werden, die konkret geeignet sind, das Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit tatsächlich und nicht nur unerheblich zu beeinträchtigen, so eine weitere Ansicht. Dies müsse auch vom Vorsatz erfasst sein. Der Unterschied zur zuerst genannten Ansicht besteht daher hauptsächlich im Grad der geforderten Erheblichkeit der Handlung. Diese soll nach der zweiten Ansicht nur dann gegeben sein, wenn der Angriff geeignet ist, nicht nur unerhebliche Schmerzen beim Opfer zu verursachen.228 Für eine Körperverletzung(-seignung) müsse es hingegen nicht zwingend zu Schmerzen gekommen sein oder Vorsatz dahingehend vorliegen, und zwar weder für den Fall der körperlichen Misshandlung noch der Gesundheitsschädigung, auch wenn der Erfolg bei ersterer Variante häufig in der 224 Puschke/Rienhoff, JZ 2017, 924, 928; siehe dazu auch BRAK, Stellungnahme Nr. 16/2017, S. 7. 225 Puschke/Rienhoff, JZ 2017, 924, 930. 226 NK-StGB/Paeffgen, Band 2, § 113 Rn. 31. Die Aussage bezieht sich noch auf die Vorgängerfassung, weshalb er sich auf die Vollstreckungshandlung bezieht. 227 Busch/Singelnstein, NStZ 2018, 510, 511. 228 Busch/Singelnstein, NStZ 2018, 510, 511.
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Zufügung von Schmerzen liegt.229 Eine körperliche Misshandlung kann zum Beispiel beim Übergießen mit Brennspiritus vorliegen230 und eine Gesundheitsschädigung, wenn es durch die Verabreichung von Drogen oder anderen Medikamenten zu einem vertieften Bewusstseinsausfall und Schwindel, Unwohlsein oder Erinnerungsverlust231 kommt. Insofern werden mit der nur auf die Körperverletzungseignung abstellenden (ersten) Ansicht mehr Fälle in den Anwendungsbereich des § 114 StGB miteinbezogen, als wenn darüber hinaus die Eignung zur Zufügung nicht unerheblicher Schmerzen gefordert wird. Dieser restriktiven (zweiten) Ansicht schloss sich Bleckat an und übernahm darüber hinaus den Versuch einer weiteren Konkretisierung. Zur Gewalt müsse immer anhand des Einzelfalls abgegrenzt werden. Dafür konzipierte er zwei Listen232 mit jeweils fünf Tathandlungen, bei denen jeweils § 113 StGB oder § 114 StGB erfüllt sein soll. Zudem gelte der Grundsatz: Je intensiver und zielgerichteter die Einwirkung auf die Diensthandlung sei, desto eher liege ein tätlicher Angriff vor.233 Gelegentlich wird in weniger konkreter Weise an die Erheblichkeit der Handlung angeknüpft. So heißt es etwa, die Handlung müsse „von einigem Gewicht“ sein.234 Teilweise wird zutreffend festgestellt, dass hierdurch noch nichts darüber gesagt ist, wann von einer erheblichen Handlungsweise ausgegangen werden 229 BGHSt 36, 1 = NJW 1989, 781, 783; BeckOK-StGB/Eschelbach, 52. Edition, § 223 Rn. 18 f., 24. 230 BGH, B. v. 28.06.2007 – 3 StR 234/07 = NStZ 2007, 701, 702. 231 BGH, B. v. 24.06.1992 = NStZ 1992, 490; BeckOK-StGB/Eschelbach, 52. Edition, § 223 Rn. 25. 232 Bleckat, ZAP 2019, 1207, 1210: Anwendungsfälle für § 113 StGB (Gewalt oder Drohung mit Gewalt): 1. Wildes Umherschlagen zur Verteidigung gegen das Fixieren auf dem Boden durch einen Polizeibeamten im Rahmen einer Vollstreckungshandlung, die mit unmittelbarem Zwang durchgesetzt wird (Gewalt), 2. Angedeutete Kopfnuss in Richtung des Vollstreckungsbeamten, ohne jegliche Möglichkeit diesen zu treffen (konkludente Drohung mit Gewalt), 3. Wegschubsen des Polizeibeamten im Rahmen einer Vollstreckungshandlung (Gewalt), 4. Handlungsweisen, die bei entsprechender Heftigkeit im Einzelfall primär passiv widersetzenden Charakter haben (z. B. Blockieren, Festhalten an Gegenständen oder Sich-Stemmen gegen das Wegbringen), können Gewalt sein, 5. Ein- und Aussperren eines Vollstreckungsbeamten (Gewalt). Anwendungsfälle für § 114 StGB (tätlicher Angriff): 1. Gezielte, kraftvolle Schläge oder Tritte gegen den Vollstreckungsbeamten, 2. Beschleunigendes Zufahren mit einem Pkw auf einen Vollstreckungsbeamten, 3. Ohrfeige mit Rötung gegen einen Vollstreckungsbeamten, 4. Spucken auf den Vollstreckungsbeamten, 5. Übergießen des Vollstreckungsbeamten mit Flüssigkeit. 233 Bleckat, ZAP 2019, 1207, 1210. 234 BeckOK-StGB/Dallmeyer, 52. Edition, §114 Rn. 5; ebenso Schermaul, JuS 2019, 663, 665.
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kann. An der Erheblichkeitsschwelle für die Körperverletzung orientiert sich diese Ansicht jedenfalls nicht (allein), denn als besonders schwierig zu beurteilende Fälle werden jene genannt, bei denen die Schwelle zur versuchten Körperverletzung nicht erreicht wurde. Jedenfalls aber müsse eine Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit möglich sein, was bei der drohend erhobenen Hand oder leichtem Anrempeln nicht gegeben sei.235 Statt allein an die objektive Seite der Erheblichkeit anzuknüpfen, wird sich der Materie auch von der subjektiven Seite gewidmet. Es wird vorgeschlagen, Verletzungsvorsatz beziehungsweise zumindest Vorsatz hinsichtlich der Gefahr einer Gesundheitsschädigung auf Täter:innenseite (in Angleichung an die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung nach § 114 Abs. 2 i.V. m. § 113 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 Alt. 2 StGB) für die Erfüllung des Tatbestands vorauszusetzen.236 Teilweise wird auch eine subjektive (Körperverletzungs-)Erfolgseignung der Handlung verlangt, die zum Beispiel beim Schuss mit einer Schreckschusspistole zum Zwecke der Einschüchterung oder anderen Drohungen fehle.237 Nennenswert scheint auch die Ansicht der Kriminalwissenschaftler Backes und Ransiek, die sich bereits 1989 für eine völlig andere Restriktionsmöglichkeit aussprachen. Den Ausgangspunkt deren Ansatzes bildete die These, dass die Strafbarkeit ein Resultat aus der Interaktion zwischen Täter:in und Opfer sei.238 Aus diesem Grund solle eine strafbare Tat nur dann vorliegen, wenn die Vollstreckungsperson zunächst den Versuch unternommen hat, die Situation auf kommunikativer Weise zu entschärfen. Dadurch solle verhindert werden, dass das Opfer die Tat selbst provoziert hat.239 b) Darstellung anhand von Fallgruppen In diesem Abschnitt werden bestimmte Fallgruppen vorgestellt, in denen das Vorliegen eines tätlichen Angriffs diskutiert wird. Die Exemplifizierung dient der Verdeutlichung der jeweiligen Auswirkungen der restriktiven Ansichten und der herrschenden Meinung. Dabei zeigt sich, worin sich die restriktiven Ansichten unterscheiden, auch wenn sie auf dem Papier nahezu identisch erscheinen. Zudem macht diese Betrachtung das Ausmaß der weiten Auslegung der herrschenden Ansicht deutlich. Dass im Falle einer vollendeten Körperverletzung stets auch ein tätlicher Angriff gegeben ist, ist unbestritten. Bei den im Folgenden dargestellten Fallgruppen handelt es sich um Situationen, die von den restriktiven Ansichten unterschied235 236 237 238 239
Schermaul, JuS 2019, 663, 665. Jäger, JA 2019, 705, 708. NK-StGB/Paeffgen, Band 2, § 113 Rn. 31; Puschke/Rienhoff, JZ 2017, 924, 931. Backes/Ransiek, JuS 1989, 624, 624. Backes/Ransiek, JuS 1989, 624, 626.
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lich bewertet werden. Die herrschende Meinung bejaht das Vorliegen eines tätlichen Angriffs in allen vorgestellten Fällen. Nach dieser ist allein beim schlichten Anfassen der verbeamteten Person noch keine Strafbarkeit gegeben, da es in diesem Fall objektiv am feindseligen Verhalten mangele.240 Die Tathandlung soll demnach bereits bei niederschwelligsten Handlungen erfüllt sein. Für die Auslegung wird nach herrschender Meinung auch auf die zu § 25 Abs. 1 WStG entwickelten Grundsätze zurückgegriffen.241 Dieser Straftatbestand kann bereits unterhalb der Schwelle zur Körperverletzung erfüllt sein, zum Beispiel beim Zerren an Uniformaufschlägen, Herunterschlagen einer Kopfbedeckung oder Abreißen der Ordensschnalle.242 Scherzhafte oder taktlose Einwirkungen sind hingegen mangels feindseligen Charakters nicht als Tätlichkeit zu werten.243 aa) Schreckschüsse Einigkeit herrscht unter den restriktiven Ansichten hinsichtlich der Fallgruppe der Schreckschüsse. Ein Schuss aus einer Schreckschusspistole, der das Opfer lediglich einschüchtern soll und nicht verletzen kann, ist weder grundsätzlich noch im konkreten Fall geeignet, einen Verletzungserfolg herbeizuführen. Es fehlt daher auch an der teilweise geforderten Erheblichkeit. Das ist dem oder der Täter:in auch bewusst, sodass in dem Fall weder eine subjektive Erfolgseignung vorliegt noch Vorsatz gegeben ist. Sogar gegnerische Stimmen der restriktiven Ansichten sehen die Tathandlung in diesem Fall nicht als gegeben an, da es an der Zielrichtung einer körperlichen Einwirkung fehle.244 Insofern ist hier nach allen restriktiven Ansichten (und zum Teil darüber hinaus) § 114 StGB abzulehnen.245 Gleiches gilt für sonstige Drohungen, die der Abschreckung dienen. Sofern die Eigenschaft als bloße Schreckschusspistole nicht erkennbar ist, liegt allerdings Drohen mit Gewalt vor.246 bb) Drohend erhobene Hand Schwieriger zu beurteilen sind leichte Handlungsweisen, bei denen es ebenfalls nicht zu einer Berührung gekommen ist, wie der Fallgruppe der „drohend erhobenen Hand“ beziehungsweise dem „drohend erhobenen Finger“ oder einer 240
Kulhanek, JR 2018, 551, 555. Kulhanek, JR 2018, 551, 555; Fischer-StGB (69. Aufl.), § 114 Rn. 5 verweist für die Auslegung auf § 121 Abs. 1 Nr. 1 StGB. 242 Erbs/Kohlhaas/Dau, § 25 WStG Rn. 6. 243 MüKo-StGB/Dau, Band 8, § 25 WStG Rn. 6. 244 Kulhanek, JR 2018, 551, 555; ebenso ein Vertreter der h. M., aber diesen Fall dennoch ablehnend: Rosenau, in: LK-StGB/Rosenau, § 114 Rn. 24. 245 NK-StGB/Paeffgen, Band 2, § 113 Rn. 31; Puschke/Rienhoff, JZ 2017, 924, 931; SK-StGB/Wolters, Band 3, § 114 Rn. 5. 246 NK-StGB/Paeffgen, Band 2, § 113 Rn. 31. 241
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angedeuteten Kopfnuss, die das Opfer nicht treffen soll. Hierzu kann auch das aggressive Zugehen unter lautem Schreien und „Herumfuchteln mit den Armen“ gezählt werden, um eine Festnahme Dritter zu verhindern.247 Erstaunlicherweise werden die Handlungen von den restriktive Ansichten Befürwortenden überwiegend unterschiedlich behandelt. Die drohend erhobene Hand soll den Tatbestand nicht erfüllen, denn eine Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit ist nicht möglich.248 Diese Situation ist vergleichbar mit der Schreckschusspistole, sofern sie tatsächlich nur als Drohmittel eingesetzt wird. Das aggressive Zugehen unter Drohgebärden wird hingegen häufig als ausreichend für den tätlichen Angriff empfunden.249 Zwar handelt es sich hier um eine äußerlich erhebliche Handlung, worauf einige Vertreter:innen allein abstellen. Das Herumfuchteln und Zugehen ist aber an sich genauso wenig geeignet die körperliche Unversehrtheit zu beeinträchtigen wie eine drohend erhobene Hand, wenn die Zielperson in beiden Fällen nicht getroffen werden soll. Mithin können diese Tathandlungen den tätlichen Angriff nicht erfüllen. cc) Ausholen zum Schlag Nicht zu verwechseln mit der Fallgruppe der drohend erhobenen Hand ist jene des „Ausholens zum Schlag“, also einer Handlung, die das Opfer treffen soll. Da es sich beim tätlichen Angriff (ebenso wie beim Widerstand) nicht um ein Erfolgsdelikt handelt,250 ist der Tatbestand erfüllt. Wenn der Schlag trifft, ist § 114 StGB zweifelsfrei gegeben. Dass die beiden Fallgruppen äußerlich nicht zu~ unterscheiden sind, macht deutlich, dass auch mit der restriktiven Ansicht Schwierigkeiten in der Praxis einhergehen. dd) Anrempeln, Schubsen und leichte Schläge Zusammen mit den soeben genannten Handlungen mit geringer Erheblichkeit werden oft leichte Tätlichkeiten wie Anrempeln, Schubsen oder leichte Schläge aufgezählt, die unterhalb der Erheblichkeitsschwelle des § 223 StGB liegen. Ein Beispiel aus der jüngsten Rechtsprechung, welches dieser Fallgruppe zugeordnet werden kann, verdeutlicht den weiten Standpunkt der Rechtsprechung: Der Täter versperrte zwei Polizeibeamten den Weg, indem er seine Arme ausbreitete und sich gleichzeitig drehte. Dabei traf er einen Polizisten spürbar am Oberkörper. Der Senat sah diese Handlung als tätlichen Angriff an.251 Die Erfassung solcher 247
Zum aggressiven Zugehen: OLG Koblenz NStE § 113 Nr. 2. Schermaul, JuS 2019, 663, 665; BeckOK-StGB/Dallmeyer, 52. Edition, § 114 Rn. 5. 249 OLG Koblenz NStE § 113 Nr. 2; NK-StGB/Paeffgen, Band 2, § 113 Rn. 31; Schermaul, JuS 2019, 663, 665; a. A. LK-StGB/Rosenau, § 114 Rn. 14. 250 SK-Horn/Wolters, § 113 Rn. 15, § 114 Rn. 5. 251 OLG Hamm, Urt. v. 10.12.2019 – 4 RVs 88/19 – BeckRS 2019, 37351. 248
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Handlungen wird damit begründet dass auch in diesen Fällen die körperliche Integrität attackiert und Respekt negiert werde.252 Anders die restriktiven Ansätze, sofern sie eine gewisse Erheblichkeit fordern und sofern es sich tatsächlich nur um leichte, nicht kraftvoll ausgeführte Schläge handelt.253 Die unterschiedliche Behandlung zwischen der weiten Auffassung und den restriktiven Ansichten führt zu enormen Unterschieden in der Praxis, da der tätliche Angriff einer Studie zufolge am häufigsten in Form dieser leichten Handlungsweisen begangen wird.254 Es besteht die Gefahr der Überpönalisierung von Bagatellkriminalität. 255 ee) Ein- und Aussperren Beim Ein- beziehungsweise Aussperren herrscht unter Vertreter:innen der überwiegend vertretenen Ansicht Uneinigkeit, anders als bei den restriktiven Ansätzen.256 Teilweise wird innerhalb der herrschenden Meinung auch vertreten, Freiheitsberaubungen könnten einen tätlichen Angriff darstellen, ohne dies jedoch zu begründen.257 Andererseits wird die weite Definition der herrschenden Meinung bei dieser Fallgruppe richtigerweise als nicht erfüllt angesehen, da es an einer körperlichen Einwirkung fehle.258 Letztere Ansicht kommt damit zum gleichen Ergebnis wie jene Ansichten259, die für eine einschränkende Anwendung plädieren. ff) Kontakt mit Körperflüssigkeiten Eine weitere diskutierte Fallgruppe hat Situationen zum Gegenstand, in denen das Opfer angespuckt, angeniest oder angehustet wird. Aufgrund der Covid-19Pandemie haben jene Fälle an Brisanz gewonnen. Während die herrschende Mei-
252
Kulhanek, JR 2018, 551, 555. Bleckat, ZAP 2019, 1207, 1208; Puschke/Rienhoff, JZ 2017, 924, 931. 254 Jager/Klatt/Bliesener, NRW-Studie Gewalt gegen PVB – Abschlussbericht, 2013, S. 76 f. 255 Erb, KriPoZ 2018, 48, 49. 256 Uneinigkeit herrscht auch bei der Frage, ob diese Handlungen unter Gewalt subsumiert werden können. Die Rechtsprechung und Teile der Literatur sehen im Einsperren regelmäßig Gewalt, während das beim Aussperren nur der Fall ist, wenn das Hindernis gerade zur Verhinderung der Vollstreckungshandlung errichtet wird, BGH, Urt. v. 16.11.1962 – 4 StR 337/62 = NJW 1963, 769, 770; a. A. z. B. Bosch, JURA 2011, 268, 272. 257 Das Reichsgericht weist lediglich darauf hin, eine Berührung des Körpers müsse weder stattgefunden haben noch beabsichtigt sein, RGSt 41, 181, 182; Schönke/Schröder/Eser-StGB (30. Aufl.), § 114 Rn. 4. 258 Z. B. Kulhanek, JR 2018, 551, 555. 259 Kulhanek, JR 2018, 551, 555; Puschke/Rienhoff, JZ 2017, 924, 931; Bleckat, ZAP 2019, 1207, 1210; SK-StGB/Wolters, Band 3, § 114 Rn. 5; NK-StGB/Paeffgen, Band 2, § 113 Rn. 31. 253
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nung bei dieser Art der „Tathandlung“ stets einen tätlichen Angriff annimmt, ist bei den restriktiven Ansätzen maßgeblich, welcher Ansicht gefolgt wird. Für die generelle Annahme eines tätlichen Angriffs spricht, dass auch im Rahmen der tätlichen Beleidigung nach § 185 Hs. 2 StGB das Anspucken ausreicht.260 Zudem wird auch bei diesen Tathandlungen mit feindlichem Fokus auf die betroffene Person gezielt. Wird eine Körperverletzungseignung gefordert, kann der Tatbestand nur erfüllt sein, wenn die tatausführende Person an einer ansteckenden Tröpfcheninfektion leidet, die auf diese Weise übertragen werden kann. Wird hingegen allein auf die Erheblichkeit abgestellt, kommt es auf das Hinzutreten bestimmter Umstände an. Solche können gegeben sein, wenn das Opfer im Gesicht getroffen wird, der oder die Täter:in äußert, an einer ansteckenden Krankheit zu leiden oder im Falle einer Pandemie/Epidemie der Staat besondere Verhaltensmaßnahmen getroffen hat, um die Ansteckung zu verhindern und gegen die mit der Handlung verstoßen wird.261 Insofern ist eine differenziertere Betrachtung möglich. c) Auslegung und Argumentation Nachdem die jeweiligen Auswirkungen der unterschiedlichen Definitionen auf die Praxis veranschaulicht wurden, soll nun anhand der klassischen Auslegungsmethoden die vorzugswürdige Definition bestimmt werden. aa) Wortlaut Dem Wortlaut des Gesetzes ist keine exakte Vorgabe an die Beschaffenheit des tätlichen Angriffs zu entnehmen. Im umgangssprachlichen Sinne bedeutet Angreifen „in feindlicher Absicht den Kampf gegen jemanden, etwas beginnen“.262 Tätlich zu werden bedeutet „körperliche Gewalt einsetzend; handgreiflich“.263 Insofern legt der Wortlaut eine gewisse Erheblichkeit nahe.264 Der umgangssprachliche Wortgebrauch weicht jedoch öfters vom juristischen Wortsinn ab. Im Strafgesetzbuch ist das Tatbestandsmerkmal „Angriff“ beziehungsweise „angreifen“ gleich in mehreren Tatbeständen außerhalb von § 114 StGB (und § 115 StGB) zu finden, namentlich §§ 32, 102, 121, 130, 231, 316a, 316c StGB. Darüber hinaus existiert das Merkmal unter anderem im Nebenstrafrecht, § 25 WStG, wobei hier im Unterschied zu den anderen genannten Vor-
260 261 262 263 264
BGH, Urt. v. 05.03.2009 – 4 StR 594/08, NStZ-RR 2009, 172. BeckOK-StGB/Dallmeyer, 52. Edition, § 114 Rn. 6. DUDEN – Deutsches Universalwörterbuch „angreifen“. DUDEN – Deutsches Universalwörterbuch „tätlich“. Puschke/Rienhoff, JZ 2017, 924, 930; zum alten Recht: Fallack, S. 182 ff.
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schriften aus dem Strafgesetzbuch ebenfalls ein tätlicher Angriff bestraft wird.265 Unter einem Angriff im Sinne von § 32 StGB ist jede vom Menschen drohende Verletzung rechtlich geschützter Interessen zu verstehen, wobei eine reale Bedrohung gegeben sein muss.266 Eine an der Notwehr orientierte Auslegung des Tatbestandsmerkmals würde daher gleichfalls für eine gewisse Erheblichkeit und damit gegen das weite Begriffsverständnis sprechen.267 Auf den ersten Blick wird dieses Ergebnis durch die Auslegungsergebnisse der anderen (aufgezählten) Tatbeständen gestützt, denn sie werden restriktiver ausgelegt, als es die weite Ansicht für § 114 StGB fordert. Beim Angriff gegen Organe und Vertreter ausländischer Staaten (§ 102 StGB) liegt die Tathandlung in einer feindseligen, unmittelbar auf den Körper zielenden Einwirkung, bei der die Gefahr einer nicht ganz unerheblichen Körperverletzung besteht.268 Beeinträchtigungen unterhalb der Schwelle der Köperverletzung werden unstreitig nicht erfasst. Eine Ansicht fordert sogar eine erhebliche Leibesgefahr.269 Bei der Beteiligung an einer Schlägerei ist ein Angriff gegeben, wenn mindestens zwei Personen eine auf eine Körperverletzung eines anderen gerichtete Verhaltensweise in feindseliger Tendenz an den Tag legen.270 Bloße Bedrohungen, etwa durch Warnschüsse, reichen nicht aus, ebenso wenig die Demonstration der Angriffsbereitschaft.271 Auch der räuberische Angriff auf Kraftfahrer (§ 316a StGB) wird enger in seinem Anwendungsbereich verstanden als der Angriff bei § 114 StGB. Hier muss der Angriff „verübt“ werden, was bedeutet, dass auf die genannten Rechtsgüter eingewirkt werden muss. Das Tatbestandsmerkmal wird erfolgsnah ausgelegt.272 Damit wäre belegt, dass der Angriff in anderen Tatbeständen enger verstanden wird als bisher beim tätlichen Angriff auf Vollstreckungspersonen. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass sich dies zumindest auch aus dem Zusammenspiel mit anderen Tatbestandsmerkmalen ergibt. Bei § 316a StGB ergibt sich die restriktive Auslegung auch aus dem Merkmal „verübt“, bei § 102 StGB muss der Angriff gegen Leib oder Leben „gerichtet“ sein, wodurch eine körperverletzungs-orientierte Auslegung vorgeschrieben wird und bei § 231 StGB ist eben-
265 Zudem ist das Tatbestandsmerkmal „Angriff“ im öffentlichen Recht anzutreffen, etwa Art. 97 Abs. 1 S. 1 BayBG und im Opferentschädigungsgesetz, § 1 Abs. 1 S. 1 OEG. 266 MüKo-StGB/Erb, Band 1, § 32 Rn. 61 f.; Lackner/Kühl/Kühl-StGB, § 32 Rn. 2. 267 Zu dem Ergebnis kommen auch Busch/Singelnstein, NStZ 2018, 510, 512. 268 Lackner/Kühl/Heger-StGB, § 114 Rn. 2. 269 SK-StGB/Wolter, Band 3, § 102 Rn. 7; anders die h. M. 270 BGHSt 31, 124, 126 f. = NJW 1983, 581. 271 BGHSt 31, 124 = NJW 1983, 581, 582; Schulz, StV 1986, 249, 250. 272 Schönke/Schröder/Hecker-StGB (30. Aufl.), § 316a Rn. 3.
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falls im Tatbestand eine Begrenzung auf Handlungen vorgeschrieben, die zum Tod oder einer schweren Körperverletzung führen.273 Auch bei § 114 StGB (oder § 115 StGB) ist durch das Merkmal „tätlich“ eine tatbestandliche Eingrenzung zu entnehmen. Dennoch wird von Befürwortenden der weiten Auslegung vertreten, mit dem Gesetzgebungsakt sei die alte, seit langer Zeit anerkannte Formulierung übernommen worden, sodass kein Raum für eine veränderte Interpretation bestünde.274 Bei Betrachtung der Auslegung des § 25 WStG besteht ebenfalls die Gefahr, vorschnell zu urteilen. Hier wird der tätliche Angriff weit ausgelegt, insbesondere sind auch Handlungen unterhalb der Erheblichkeitsschwelle des § 223 StGB erfasst.275 Denn § 25 WStG kann nur durch Soldat:innen der Bundeswehr erfüllt werden. Zwischen der Militärperson und ihren Vorgesetzen gelten allerdings eine Vielzahl von besonderen Rechten und Pflichten, etwa der Kameradschaft, §§ 12, 17 Abs. 1 SG, und die Gehorsamspflicht, § 11 SG. Vor diesem Hintergrund schützt die Norm im Unterschied zu § 114 StGB nicht nur die körperliche Unversehrtheit des Opfers. Nach überwiegender Ansicht wird auch die persönliche Unantastbarkeit der Führungskraft und die durch sie repräsentierte staatliche Autorität geschützt.276 Die staatliche Autorität genügt wegen der Vagheit des Begriffs allerdings genauso wenig wie jener des „staatlichen Gewaltmonopols“ den Anforderungen, die an ein Rechtsgut zu stellen sind.277 Der Schutz der persönlichen Unantastbarkeit der Führungsposition kommt aufgrund der dargestellten Besonderheiten im Bundeswehralltag allerdings zumindest als Schutzgut in Betracht. Die Rechtsgüter beider Normen stimmen daher nur teilweise überein, weshalb bezweifelt werden darf, dass die Auslegungsgrundsätze ohne weiteres übertragen werden können. Der juristische Wortlaut ist folglich in beide Richtungen interpretierbar. Vor dem Hintergrund der Auslegung zu § 32 StGB, der Tatsache, dass im gesamten Strafgesetzbuch ein engeres Verständnis vom Begriff des Angriffs herrscht, sowie dem Umstand, dass bei §§ 114, 115 StGB ein tätlicher Angriff erforderlich ist, nicht nur ein „einfacher“, ist eine enge Auslegung naheliegender als das bisher vertretene weite Begriffsverständnis. Einen tätlichen Angriff bereits im Falle ab-
273 Gleiches gilt für § 316c Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StGB. Der Tatbestand ist unter anderem erfüllt, wenn der oder die Täter:in die Entschlussfreiheit einer Person angreift. 274 OLG Hamm, Urt. v. 10.12.2019 – 4 RVs 88/19 – BeckRS 2019, 37351 Rn. 12; Kulhanek, JR 2018, 551, 554. 275 Erbs/Kohlhaas/Dau, § 25 WStG Rn. 6. 276 RMGE 9, 117, 121 (zum tätlichen Angriff gegen einen Vorgesetzten, § 97 WStGB); Erbs/Kohlhaas/Dau, § 25 WStG Rn. 3. 277 Vgl. dazu bereits unter C. I. 1. a) In Betracht kommende Schutzgüter und Gewichtung.
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solut niederschwelliger Handlungen, etwa beim Abnehmen von Hosenträgern anzunehmen, dürfte die Wortlautgrenze jedenfalls überschreiten.278 bb) Systematik Einzelne Rechtssätze, welche die Legislative in einen Zusammenhang gestellt hat, sind grundsätzlich so zu interpretieren, dass sie logisch miteinander vereinbar sind.279 Insbesondere darf eine Norm nicht so ausgelegt werden, dass sie selbst oder eine andere überflüssig wird, weil ihr kein Sinn mehr zukommt.280 Zwar knüpft § 114 StGB an die allgemeine Diensthandlung an, statt wie § 113 StGB an die Vollstreckungshandlung, weshalb ihr insofern ein eigenständiger Anwendungsbereich zukommt und demnach ein gewisser Sinn nicht abgesprochen werden kann. Für die Tathandlung selbst gilt das jedoch nicht. Nur im Ausnahmefall, namentlich wenn sich die Tätlichkeit nicht gegen die Diensthandlung richtet, sondern von persönlichen Motiven geleitet ist, oder die Diensthandlung rechtswidrig ist (ohne gleichzeitig eine Vollstreckungshandlung darzustellen), liegt dem weiten Verständnis nach allein ein tätlicher Angriff ohne Gewalt vor.281 Und nur wenn die Einwirkung unterhalb der Erheblichkeitsschwelle zur Körperverletzung liegt, ist ein gänzlich eigenständiger Anwendungsbereich eröffnet. Die restriktiven Ansätze verbessern zumindest die Abgrenzbarkeit zur Gewalt. Ausgehend von einer restriktiven Ansicht ist kein tätlicher Angriff gegeben, wenn die Handlung entweder grundsätzlich keine Körperverletzung zur Folge haben kann (zum Beispiel bei der Freiheitsberaubung oder der Abgabe von Schreckschüssen zu bloßen Einschüchterungszwecken) oder wenn die Körperverletzungseignung in der konkreten Situation fehlt (zum Beispiel bei leichtem Schubsen oder leichten Schlägen gegen die Schutzausrüstung).282 Um den oben genannten Grundsätzen zu entsprechen, ist eine Auslegung anzustreben, die eine Abgrenzung möglich macht und somit dem Vorwurf der Sinnlosigkeit begegnet werden kann. Mit der restriktiven Interpretation ist zumindest dahingehend ein Sinn erkennbar, dass die Abgrenzbarkeit zu den anderen Tatbeständen erleichtert wird; Sinnhaftigkeit im Sinne eines eigenständigen Anwendungsbereichs, der Strafbarkeitslücken schließt, ist aber auch mit der engen Auslegung nicht zu erreichen. 278 NK-StGB/Paeffgen, Band 2, § 113 Rn. 31; das wurde auch teilweise in der Politik erkannt, Kubicki, Den Polizisten und Einsatzkräften hilft nicht Aktionismus, sondern echte Fürsorge, https://www.fdp-fraktion-sh.de/pm/wolfgang-kubicki-den-polizistenund-einsatzkraften-hilft-nicht-aktionismus-sondern-echte (zuletzt abgerufen am 02.12. 2021). 279 BVerfGE 48, 246, 257 = NJW 1978, 2499. 280 Muthorst, § 7 Rn. 23. 281 Vgl. C. II. 2. a) Abgrenzung zur Gewalt. 282 Puschke/Rienhoff, JZ 2017, 924, 931.
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Für die systematische Auslegung können auch Überlegungen zum Strafrahmen herangezogen werden. Seit der Novellierung gilt für den tätlichen Angriff ein Strafrahmen, der dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzuordnen ist. Um dem Schuldprinzip zu entsprechen, muss der Unrechtsgehalt von tätlichen Angriffen mit dem von Delikten mit gleichem beziehungsweise ähnlichem Strafrahmen vergleichbar sein.283 Leichtes Schubsen oder das Abnehmen von Accessoires wie beispielsweise einer Mütze im Strafmaß mit dem sexuellen Missbrauch von Schutzbefohlenen (§ 174 StGB) oder mit der Volksverhetzung (§ 130 StGB) gleichzusetzen, dürfte dem Unrechtsempfinden der meisten Menschen entschieden widerstreben. Außerdem führt die bisherige Definition der herrschenden Meinung zu dem widersinnigen Ergebnis, dass selbst diese leichten Formen des tätlichen Angriffs einer höheren Strafandrohung unterworfen wären als die vollendete vorsätzliche Körperverletzung nach § 223 StGB,284 obwohl beide Vorschriften den Schutz der körperlichen Unversehrtheit zum Gegenstand haben. Mit der Herauslösung aus § 113 StGB und der Verselbstständigung in § 114 StGB unter Heranziehung eines höheren Strafrahmens wird zudem die herausgehobene Stellung des tätlichen Angriffs deutlich.285 Die erhöhte Strafandrohung ist nur gerechtfertigt, wenn der tätliche Angriff einen größeren Schuldgehalt als die Gewaltanwendung beziehungsweise die Drohung mit Gewalt aufweist. Das ist zumindest bei unerheblichen Eingriffen nicht der Fall286, sodass sowohl die Systematik im 6. Abschnitt als auch die des Strafgesetzbuches insgesamt für eine restriktive Auslegung sprechen. cc) Historie und Telos Die ursprüngliche, hinter dem tätlichen Angriff stehende Intention des Reichsstrafgesetzbuches spricht, wie bereits erwähnt, für eine an die Körperverletzung angelegte Intention.287 Bei der Auslegung sind aber auch spätere Entwicklungen zu berücksichtigen, ebenso wie ein möglicherweise veränderter gesetzgeberischer Wille. Die gesetzgebende Instanz entschied sich bereits 2011 für einen Paradigmenwechsel zu Lasten der angreifenden und zu Gunsten der angegriffenen Person und vertiefte durch die letzte Novellierung erneut den Wandel in Richtung Individualschutz des Opfers. Dem scheint eine einschränkende Auslegung zunächst zuwider zu laufen. Der 4. Strafsenat des OLG Hamm äußerte, dass die gesetzgeberische Intention bei der geforderten engen Auslegung in ihr Gegenteil
283 Busch/Singelnstein, NStZ 2018, 510, 513; zum Schuldprinzip: Roxin/Greco, SR AT, § 3 Rn. 51 ff. 284 Darauf wiesen bereits Puschke/Rienhoff, JZ 2017, 924, 931 hin. 285 Busch/Singelnstein, NStZ 2018, 510, 513. 286 BT-Drs. 18/11161, S. 2. 287 Vgl. BT-Drs. VI/502, S. 3 ff.
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verkehrt werde, weil die Bandbreite strafbarer Handlungen, die einen tätlichen Angriff bilden könnten, eingeschränkt werden würde. Eine solche Auslegung würde Bedenken hinsichtlich des Demokratieprinzips aus Art. 20 Abs. 1 und 2 GG aufwerfen.288 Dem ist entgegenzusetzen, dass das Schutzgut des § 114 StGB, die körperliche Unversehrtheit, ein so weitreichendes Verständnis nicht erfordert.289 Auch wenn die Gesetzesänderung den Schutz von Staatsbediensteten vor tätlichen Angriffen durch Straferhöhung verbessern sollte290, liegt der Grund für die Strafe dennoch im Rechtsgüterschutz. Während sich die weite Auslegung des tätlichen Angriffs in § 113 StGB a. F. zwar ebenso wenig mit der körperlichen Unversehrtheit rechtfertigen ließ, konnte zumindest argumentiert werden, dass dadurch dem Schutzgut der Durchsetzbarkeit rechtmäßiger Vollstreckungsakte Rechnung getragen werden konnte. Diese Argumentation kommt bei § 114 StGB nicht in Betracht. Mit der Einbeziehung unterhalb dieser Schwelle liegender Angriffe ohne das Vorliegen eines Vollstreckungsaktes würde letztlich der reine Ungehorsam bestraft. Hierfür ist das Strafrecht jedoch nicht gedacht.291 Zudem bezieht sich die Gesetzesbegründung zum 52. Strafrechtsänderungsgesetz insbesondere auf Gewaltdelikte, wobei als Beispiele Körperverletzung, Mord und Totschlag genannt werden.292 Daraus lässt sich schließen, dass die Vermeidung schwerer Delikte beabsichtigt war.293 Dass der Gesamtzusammenhang der Gesetzesbegründung darauf hindeute, dass § 114 StGB die körperliche Unversehrtheit schützen soll, räumen auch Gerichte ein.294 Gegen die Übernahme der alten Definition spricht auch, dass die Legislative, wie anhand des gegenüber Widerstandshandlungen geltenden höheren Strafrahmens erkennbar ist, dem tätlichen Angriff eine herausgehobene Stellung zuschreiben wollte. Dem kann mittels der Neudefinition Rechnung getragen werden.295
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OLG Hamm, Urt. v. 10.12.2019 – 4 RVs 88/19 – BeckRS 2019, 37351 Rn. 12. Vgl. etwa Jäger, JA 2019, 705, 707. 290 OLG Hamm, Urt. v. 10.12.2019 – 4 RVs 88/19 – BeckRS 2019, 37351 Rn. 12. 291 Hefendehl, S. 372. 292 BT-Drs. 18/11161 S. 1. 293 Busch/Singelnstein, NStZ 2018, 510, 512; Jäger, JA 2019, 705, 707. 294 OLG Hamm, B. v. 12.02.2019 – 4 RVs 9/19 = BeckRS 2019, 3129 Rn. 16. Dennoch kommt das OLG zu einem anderen Fazit: „Aber auch, wenn die gesetzgeberische Intention tatsächlich nur auf den Schutz der körperlichen Integrität des Amtsträgers gezielt haben sollte und nicht etwa auch auf seine Handlungs- oder Entschließungsfreiheit, würden Fälle, in denen der Täter eine objektiv gefährliche, verletzungsgeeignete Handlung vornimmt, aber keinen Verletzungsvorsatz hat, von dieser Intention umfasst sein.“ 295 Bolender, S. 212. 289
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4. Schlussfolgerung Die Auslegung hat ergeben, dass ein enges Verständnis des tätlichen Angriffs vom Wortlaut getragen ist, mit Blick auf das geschützte Rechtsgut wohl auch dem Telos entspricht und insbesondere aus systematischen und historischen Gesichtspunkten sinnvoll ist. Durch die Beispiele anhand von Fallgruppen wurde deutlich, dass die restriktiven Ansätze insbesondere bei den leichteren, praxisrelevanteren Fallgruppen wie der drohend erhobenen Hand oder leichtem Schubsen beziehungsweise Anrempeln zu dem Ergebnis kommen, dass kein tätlicher Angriff vorliegt. Darüber hinaus ist es sinnvoll, beim tätlichen Angriff Vorsatz bezüglich der Verletzungseignung zu fordern,296 was bedeutet, dass der Vorsatz mindestens hinsichtlich der Gefahr einer einfachen Körperverletzung gegeben sein muss. Dafür spricht insbesondere der Vergleich mit § 114 Abs. 2 StGB, welcher (mittels Verweises auf § 113 Abs. 2 StGB) einen Strafrahmen von sechs Monaten bis zu fünf Jahren vorsieht, wenn das Opfer in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung gebracht wird, während § 114 Abs. 1 StGB mit drei Monaten Mindeststrafe nur knapp daneben liegt.297 Ein konkreter Verletzungsvorsatz muss im Unterschied zur Körperverletzung somit nicht vorliegen. Dadurch verbleibt § 114 StGB zumindest in der Theorie ein kleiner eigenständiger Anwendungsbereich. Eine engere Interpretation des Tatbestandsmerkmals „tätlicher Angriff“, zum Beispiel jene, nach der die Handlung darauf gerichtet sein muss, beim Opfer nicht unerhebliche Schmerzen herbeizufügen, wäre vor dem Hintergrund der auf schwerere Taten abstellenden Gesetzesbegründung ebenfalls tragbar. Ob es mit der gesetzgeberischen Intention vereinbar ist, den Anwendungsbereich so stark einzuengen, dass an die Handlung strengere Anforderungen gesetzt werden als bei der einfachen Körperverletzung, ist jedoch fraglich. Diese Auffassung würde die Schwelle zur Strafbarkeit daher zu weit von der Intention des Gesetzgebers fortbewegen. Über den Vorsatz der Verletzungseignung hinaus eine gewisse Erheblichkeit zu fordern, erleichtert die Abgrenzbarkeit zur Gewalt bei leichten Tathandlungen und gibt einen Hinweis auf die Beantwortung der Frage, welche von beiden Tathandlungen die schwächere ist. Zwar handelt es sich bei dem Erfordernis um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der selbst wiederum auslegungsbedürftig ist. Extreme Ausnahmefälle wie das Abnehmen von Hosenträgern würden mit diesem Verständnis allerdings zweifelsfrei aus dem Anwendungsbereich der Norm herausfallen. Zudem würde den Gerichten dadurch wieder größere Freiheit in der 296
So bereits Puschke/Rienhoff, JZ 2017, 924, 929. Jäger, JA 2019, 705, 708; Andere begründeten das Vorsatzerfordernis vor der Novellierung mit einem systematischen Vergleich mit der Drohung mit Gewalt, MüKoStGB/Bosch, Band 3, § 114 Rn. 6. 297
III. Konsequenzen der Novellierung für das Konkurrenzverhältnis
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Entscheidungsfindung (und im Strafmaß) überlassen. Dieser Punkt wurde an der Novellierung bisher kritisiert.298 Die Ansicht, die den betroffenen Mitgliedern der Polizei den Versuch auferlegt, die Situation zunächst auf kommunikativer Ebene zu entschärfen ist insofern erfreulich, als sie die Interaktion zwischen Täter:in und Opfer berücksichtigt. Sie verschiebt die Eskalationsgefahr aber bedenklich weit in die Sphäre der Polizist:innen beziehungsweise der Helfenden. Nicht immer ist ein Gespräch in der konkreten Situation hilfreich oder durchführbar. Auch Worte können Konflikte verstärken und damit den Angriff erst provozieren, selbst wenn dies vom Opfer nicht gewollt war. Zudem dürfte in den wenigsten Fällen eine genaue Protokollierung des Geschehens vorliegen, sodass der Definitionsmacht der Vollstreckungspersonen erneut eine besondere Bedeutung zukommen würde. Die Ansicht ist daher abzulehnen. Folglich sollte die gängige Definition des Reichsgerichts um die körperverletzende Tendenz der Handlung sowie um den Vorsatz bezüglich der Verletzungseignung ergänzt werden.299 Als neue Definition ergibt sich daher: Ein tätlicher Angriff ist eine mit feindseligem Willen unmittelbar auf den Körper zielende Handlung, die in der konkreten Situation körperverletzungsgeeignet ist. Auf dieses Restriktionsmerkmal muss sich auch der Vorsatz beziehen. Diese Körperverletzungseignung, die konkret bedeutet, dass die Erheblichkeitsschwelle zur versuchten Körperverletzung überschritten wurde, muss daher in subjektiver Hinsicht auch vom Vorsatz erfasst sein.300
III. Konsequenzen der Novellierung für das Konkurrenzverhältnis Die Einführung eines neuen Tatbestands und die gleichzeitige Veränderung vorhandener Normen führt dazu, dass das bisherige Konkurrenzverhältnis überdacht werden muss. Dieses Verhältnis hat maßgeblichen Einfluss darauf, ob die Gesetzesänderung geeignet ist, ihr selbst gesetztes Anliegen der Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsorganen und Rettungskräften zu fördern. Aufgrund der großen Überschneidungen der Anwendungsbereiche der §§ 113, 114 StGB 298 In der Stellungnahme der Neuen Richtervereinigung heißt es: „Die unausgesprochene Annahme des Entwurfes, dass eine höhere Strafandrohung mehr Schutz bewirken würde, ist ebenso unrichtig wie der gleichfalls im Entwurf mitschwingende Vorwurf, Gerichte und Staatsanwaltschaften würden Straftaten zum Nachteil von Polizeibeamten zu wenig und zu milde ahnden.“, NRV, Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften, S. 2. 299 Sofern am Tatbestandsmerkmal des tätlichen Angriffs und damit verbunden am § 114 StGB festgehalten werden sollte – zu Alternativvorschlägen siehe unter C. VI. 4. Alternativlösungen aufgrund systematischer Bedenken hinsichtlich § 114 StGB. 300 Puschke/Rienhoff, JZ 2017, 924, 930.
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C. Dogmatische Probleme der aktuellen Gesetzeslage
und der damit zusammenhängenden Tatsache, dass diese regelmäßig beide erfüllt sind, wenn es sich bei der Diensthandlung um eine Vollstreckungshandlung handelt, ist insbesondere deren Verhältnis problematisch. Die Gesetzesbegründung hält dazu im Unterschied zum hessischen Entwurf, der das Verhältnis zwischen tätlichem Angriff und Widerstand mittels einer Subsidiaritätsklausel in § 113 Abs. 1 StGB-E regelte, keine Antwort parat.301 Durch die Subsidiaritätsklausel sollte verhindert werden, dass § 112 StGB-E, die Vorschrift, in welcher der tätliche Angriff dem hessischen Entwurf zufolge unter Strafe gestellt werden sollte, im Falle eines tätlichen Angriffs zur Verhinderung einer Vollstreckungshandlung verdrängt wird.302 Als Vorbild diente § 145d StGB.303 In der Begründung zum 52. Strafrechtsänderungsgesetz heißt es hingegen lediglich, dass mit § 114 StGB ein eigenständiger Tatbestand mit einem im Mindestmaß verschärften Strafmaß geschaffen werden soll.304 Überschneidungen ergeben sich ebenfalls mit anderen Normen, insbesondere mit den §§ 223 ff. StGB. Außerdem ist das seit jeher komplizierte Verhältnis zur Nötigung zu untersuchen. 1. Verhältnis § 113 StGB zu § 114 StGB Aufgrund der zahlreichen Überschneidungen zwischen den beiden Tatbeständen liegt Gesetzeskonkurrenz nahe. Diese kann in Form von Spezialität, Konsumtion oder Subsidiarität auftauchen. Gemein ist allen drei Erscheinungsformen, dass der Unrechtsgehalt einer Straftat im Wesentlichen bereits in einer anderen enthalten ist und insofern weder das Bedürfnis noch die Legitimation besteht, beide in den Schuldspruch aufzunehmen.305 301 Die Verfasser:innen des hessischen Entwurfs betonten ausdrücklich, dass die Anwendbarkeit des neuen Tatbestands auch dann gegeben sein sollte, wenn der Angriff bei einer Vollstreckungshandlung erfolgte. Er sollte kein Unterfall des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte sein, BR-Drs. 165/15, S. 3. Ein fehlender Verweis des § 112 StGB-E auf die Irrtums- und Privilegierungsvorschriften des § 113 StGB-E sorgte allerdings für Verwirrung. Aufgrund der Subsidiaritätsklausel sollte § 112 StGB-E auch greifen, wenn die Strafbarkeit nach § 113 StGB-E wegen der Rechtswidrigkeit des polizeilichen Handelns nicht gegeben war. Vgl. auch Achelpöhler, Stellungnahme LT NRW Drs. 16/3482, S. 3. 302 § 113 StGB a. F. sollte dem hessischen Entwurf zufolge folgendermaßen geändert werden: „In § 113 Absatz 1 werden die Wörter ,oder ihn dabei tätlich angreift‘ gestrichen und nach dem Wort ,bestraft‘ ein Komma und die Wörter ,wenn die Tat nicht in § 112 mit Strafe bedroht ist‘ eingefügt.“, BR-Drs. 165/15, S. 2. 303 BR-Drs. 165/15, S. 6. 304 BT-Drs. 18/11161, S. 2. 305 Rengier, SR AT, § 56 Rn. 26; Frister, SR AT, Kap. 31 Rn. 2. Nach der Rechtsprechung des BGH liegt Gesetzeseinheit vor, „wenn der Unrechtsgehalt einer Handlung durch einen von mehreren dem Wortlaut nach anwendbaren Straftatbeständen erschöpfend erfasst wird [. . .]. Die Verletzungen des durch den einen Tatbestand geschützten Rechtsguts muss – wenn nicht notwendige, so doch regelmäßige – Erscheinungsform der Verwirklichung des anderen Tatbestands sein“ (z. B. BGHSt 46, 24, 25 f. = NJW 2000, 1878 f.).
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a) Spezialität Ein Spezialitätsverhältnis besteht zwischen Tatbeständen, die notwendig miteinander verknüpft sind. Dieses kann auf zwei Arten festgestellt werden. Zum einen ist Spezialität anzunehmen, wenn die eine Vorschrift begriffsnotwendig alle Tatbestandsmerkmale der anderen Norm aufweist und darüberhinausgehend mindestens ein weiteres Tatbestandsmerkmal enthält.306 Übertragen auf die zu untersuchenden Tatbestände ergibt sich hier, dass sich die Merkmale von § 113 StGB und § 114 StGB wesentlich unterscheiden. Bei der zweiten Möglichkeit der Feststellung von Spezialität bleiben die Tatbestandsmerkmale außen vor. Dazu wird untersucht, ob alle Sachverhalte des speziellen Tatbestands im generellen Tatbestand dem Wortlaut oder Sinn nach vorkommen, ohne dass zugleich das Umgekehrte gilt.307 Dies scheint auf den ersten Blick für das zu untersuchende Verhältnis möglich. Spezialität taucht am häufigsten in Form der Qualifikation auf, kann aber auch als Privilegierung, bei Abwandlungen eigenständiger Art oder bei Erfolgsdelikten vorliegen. Deshalb gilt es zunächst zu prüfen, ob ein Qualifikationsverhältnis besteht. Eine Qualifikation ist eine Erweiterung eines Grundtatbestands um strafschärfende Merkmale.308 Sie ist daher keine (abhängige) Strafzumessungsregel, sondern ein eigener, spezieller Tatbestand. Dass die Gesetzesbegründung die Eigenständigkeit von § 114 StGB fordert, spricht für die Annahme von Spezialität in Form einer Qualifikation. Zudem entspricht die Ausstattung mit einem erhöhten Strafrahmen im Vergleich zu § 113 StGB für § 114 StGB als Qualifikation.309 Ebenso dafür argumentiert das Telos, wenn davon ausgegangen wird (worauf der Gesetzesentwurf hindeutet310), dass der tätliche Angriff die schwerere Begehungsweise im Vergleich zur Drohung mit Gewalt beziehungsweise zur Gewalt ist.311 Dennoch sprechen bessere Gründe gegen diese Einordnung. Das liegt zum einen daran, dass § 114 StGB ohne das Erfordernis der Vollstreckungshandlung einen weiteren Anwendungsbereich als § 113 StGB hat und insofern kein richtiges Stufenverhältnis besteht.312 Dadurch passt das Bild der sich überlappenden Kreise, von denen der Größere (die generelle Norm, hier: § 113 StGB) den Klei-
306
Hilgendorf/Valerius, SR AT, § 13 Rn. 19; Fahl, ZStW 2012, 311, 315. MüKo-StGB/Heintschel-Heinegg, Band 2, Vorbem. § 52 Rn. 35; näher Klug, ZStW 1956/68, 399, 405; Heger/Jahn stellen zur Bestimmung der Spezialität auf eine teleologisch-systematische Auslegung ab, JR 2015, 508, 513. 308 Bock, SR AT, 1. Kap. Rn. 37. 309 Vgl. Busch/Singelnstein, NStZ 2018, 510, 513. 310 Vgl. BT-Drs. 18/11161, S. 8 sowie die Ausführungen auf S. 104. 311 König/Müller, ZIS 2018, 96, 97. 312 Vgl. Busch/Singelnstein, NStZ 2018, 510, 513. 307
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neren (die speziellere Qualifikation, hier: § 114 StGB) vollständig umschließt, vorliegend nicht.313 Unter Berücksichtigung dessen wäre auch der umgekehrte Fall denkbar, nach dem § 113 StGB den spezielleren Fall zu § 114 StGB bildet. Die Tatvariante der Gewalt aus § 113 StGB solle vorrangig vor § 114 StGB sein, wenn sich der oder die Täter:in gewaltsam oder mittels eines tätlichen Angriffs erwehrt, so eine Ansicht.314 Auch wenn insofern das Bild von dem kleinen und dem großen Kreis besser passt, ist unklar, welche Form der Spezialität hier vorliegen sollte. § 113 StGB kommt als Qualifikation schon deshalb nicht in Betracht, da der Tatbestand einen niedrigeren Strafrahmen als § 114 StGB aufweist. Auch von einer Privilegierung zu sprechen, erscheint fragwürdig. Zwar ließe sich vertreten, dass die Vollstreckungshandlung, die bei § 114 StGB nicht vorliegen muss, einen weiteren Umstand darstellt, aufgrund dessen die Deliktsverwirklichung milder bestraft wird. Allerdings spricht hiergegen die Systematik. In den Absätzen 2 und 3 des § 114 StGB, also des potentiellen Grunddelikts, wird nämlich auf § 113 StGB, den potentiellen speziellen Privilegierungstatbestand, verwiesen. An den übrigen Stellen des Strafgesetzbuches wird jedoch umgekehrt verwiesen, also vom speziellen auf das generelle Delikt. Daher ist diese Einordnung zu verwerfen. Gegen die Einordnung von § 114 StGB als Qualifikation sprechen weitere Argumente. Eines ist der Wortlaut, denn er entspricht nicht der üblichen Formulierung von Qualifikationen, wie er etwa in § 224 StGB zu finden ist. Nach diesem Muster müsste der Tatbestand in etwa lauten: „Wenn der Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte mittels eines tätlichen Angriffs begangen wird [. . .].“315 Zudem spricht die Systematik dagegen. Denn für den Fall, dass ein Qualifikationsverhältnis besteht, wird der Rückgriff auf Regelbeispiele des Grundtatbestands durch die Verwirklichung des Qualifikationstatbestands gerade ausgeschlossen, da die Regelbeispiele im Qualifikationstatbestand mit nochmals verschärfter Strafandrohung aufgehen.316 Es werden mithin nicht, wie beim tätlichen Angriff, die besonders schweren Fälle des § 113 Abs. 2 StGB für entsprechend anwendbar erklärt. Gegen die Annahme von § 114 StGB als lex specialis zu § 113 StGB spricht auch, dass Spezialität eben nur dann angenommen werden kann, wenn wirklich alle Fälle des speziellen Tatbestands auch den des generellen Tatbestands erfüllen, also zwingend dessen Verwirklichung vorausgesetzt ist.317 Und das ist nicht 313 Zu den sich überschneidenden Kreisen: MüKo-StGB/Heintschel-Heinegg, Band 2, Vorbem. § 52 Rn. 35. 314 Bleckat, ZAP 2019, 1207, 1209. 315 König/Müller, ZIS 2018, 96, 97. 316 BGHSt 33, 50 = NJW 1985, 502, 502; König/Müller, ZIS 2018, 96, 97. 317 Vgl. im Allgemeinen zur Spezialität: Rengier, SR AT, § 56 Rn. 29 und im Speziellen: Fahl, ZStW 2012, 311, 318.
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nur wegen der fehlenden Anknüpfung an die Vollstreckungshandlung in § 114 StGB nicht der Fall (s. o.). Teilweise wird nur auf dieses Unterscheidungsmerkmal abgestellt, und daher § 114 StGB ein hybrider Charakter unterstellt. Demnach handle es sich bei der Norm einerseits um einen eigenständigen Tatbestand beziehungsweise um das Grunddelikt, andererseits um eine Qualifikation, sofern eine Vollstreckungshandlung gegeben sei.318 Diese Annahme ist unter Zugrundelegung der Regeln zum Vorliegen von Spezialität zutreffend, wenn kein Fall denkbar wäre, der bei Vorliegen einer Vollstreckungssituation (denn nur hier soll nach dieser Ansicht von einer Qualifikation ausgegangen werden können) § 114 StGB erfüllt, nicht aber § 113 StGB. Das ist trotz der großen Überschneidungen nicht der Fall,319 und zwar unabhängig davon, ob der weiten oder der restriktiven Auslegung des tätlichen Angriffs gefolgt wird. Denn es sind einige wenige Konstellationen denkbar, die zwar § 114 StGB, aber nicht § 113 StGB erfüllen. Als Beispiel dient das Überschütten mit Benzin, wenn beabsichtigt ist, das Opfer später auch anzuzünden,320 oder das Anspucken/Anniesen, sofern es erheblich ist, etwa weil die tatausführende Person unter einer ansteckenden Krankheit leidet oder zu leiden glaubt.321 In beiden Fällen dürfte es an der durch tätiges Handeln bewirkten Kraftäußerung fehlen. Das gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass Gewalt im Sinne von § 113 StGB restriktiver ausgelegt wird als bei § 240 StGB.322 Damit wird deutlich, dass auch mit einer Aufspaltung des § 114 StGB und der Annahme, dass dieser eine Qualifikation im Verhältnis zu § 113 StGB nur für Vollstreckungssituationen darstelle, vereinzelt Situationen denkbar sind, in denen die vermeintlich spezielle Vorschrift, nicht aber die generelle Vorschrift, erfüllt ist. Insofern sind auch hier die Voraussetzungen für Spezialität, insbesondere in Form einer Qualifikation, nicht erfüllt. Darüber hinaus ist diese Lösung der Aufspaltung unnötig verkomplizierend.323 Etwas anderes ergibt sich nur dann, wenn auch Fälle der „annähernden Spezialität“ miteinbezogen werden, also sämtliche Fälle der Gesetzeskonkurrenz für ausreichend betrachtet werden und ein solcher Fall der Gesetzeskonkurrenz auch noch vorliegt.324
318
Kubiciel, Stellungnahme zu BT-Drs. 18/11161 S. 12; Kohler, IPK WPS, S. 21. König/Müller, ZIS 2018, 96, 98. 320 Im Urteil wurde § 113 Abs. 1 StGB a. F. als erfüllt angesehen, allerdings machte sich der Täter eines tätlichen Angriffs schuldig, BGH, B. v. 28.06.2007 – 3 StR 234/07 = NStZ 2007, 701, 702. 321 BeckOK-StGB/Dallmeyer, 52. Edition, § 114 Rn. 6. 322 MüKo-StGB/Bosch, Band 3, § 113 Rn. 18. 323 So auch Kohler, IPK WPS, S. 21. 324 Vgl. Fahl, ZStW 2018, 745, 753. 319
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b) Konsumtion Vor dem Hintergrund des bisher Gesagten erscheint die Variante der Konsumtion naheliegend. Im Unterschied zur Spezialität ist der Tatbestand hier nicht zwingend im anderen enthalten, aber typischerweise, weshalb bei der Konsumtion auch von der typischen Begleittat gesprochen wird. Der Unrechts- und Schuldgehalt der konsumierten Tat wird vom anderen Delikt miterfasst.325 Eine weitere Erscheinungsform der Konsumtion ist die mitbestrafte Vor- und Nachtat, bei der die mitbestrafte, weniger schwerwiegende Vor- oder Nachtat vom vorrangigen Tatbestand konsumiert wird.326 Teilweise327 wird Konsumtion in Form der typischen Begleittat bei den §§ 113, 114 StGB angenommen: § 113 StGB erfordert eine Vollstreckungshandlung, die im Tatbestandsmerkmal der Diensthandlung bei § 114 StGB enthalten ist. Der tätliche Angriff sei die typische Folge eines Angriffs gegen verbeamtete Personen und die Handlungsalternativen in § 113 StGB würden dessen Unrechtsgehalt zumindest nicht übersteigen.328 Dem ist zunächst nicht zu widersprechen. Zweifellos bestehen zwischen den Tatbeständen große Überschneidungen, sodass regelmäßig oder typischerweise mit der Verwirklichung des § 114 StGB auch § 113 StGB erfüllt sein wird. Bei der Unterscheidung zwischen sog. unechter und echter Konkurrenz, insbesondere bei der Abgrenzung zwischen Konsumtion und Tateinheit, ist aber immer die Bedeutung der Konkurrenzen für den Schuldspruch zu beachten und die Klarstellungsfunktion der Tateinheit in Erinnerung zu rufen.329 Diese Klarstellungsfunktion spricht gegen die Annahme von Gesetzeskonkurrenz. Der Tenor erfasst das Unrecht der Tat nicht komplett, wenn nicht ersichtlich ist, ob die Tat bei einer Vollstreckungshandlung oder (nur) bei einer allgemeinen Diensthandlung begangen wurde.330 Schließlich zeigte bereits der historische Rückblick, dass schon früh an die Bedeutsamkeit der (geplanten) hoheitlichen Tätigkeit beim Strafmaß angeknüpft wurde (auch wenn die Differenzierung zwischen Amts- und Diensthandlung keine wirklich erkennbaren Auswirkungen auf das Strafmaß hatte).331 Außerdem sprechen die nicht übereinstimmenden Schutzgü325
Rengier, SR AT, § 56 Rn. 30. Satzger/Schluckebier/Eschelbach, § 52 Rn. 21; a. A. NK-StGB/Puppe, Band 1, Vorbem. § 52 Rn. 25, geht von Tateinheit i. S. v. Erfolgseinheit aus. 327 Z. B. in Satzger/Schluckebier/Fahl, § 114 Rn. 9; Wessels/Hettinger/Engländer, SR BT-I Rn. 625; König/Müller, ZIS 2018, 96, 99. 328 Zur ausführlichen Argumentation: König/Müller, ZIS 2018, 96, 99; a. A. Fahl, ZStW 2018, 745, 753: Für Konsumtion spreche wenig. 329 Rengier, SR AT, § 56 Rn. 31. 330 Z. B. Kulhanek, JR 2018, 551, 558. 331 Auf die Wichtigkeit des (geplanten) hoheitlichen Tätigwerdens stellte etwa der Entwurf eines Bayerischen Strafgesetzbuchs von 1813 ab; keine deutliche Gewichtung zwischen allgemeiner Diensthandlung und Vollstreckungshandlung war beim Hessischen Strafgesetzbuch im Strafmaß sichtbar, vgl. S. 26 f. 326
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ter gegen Konsumtion.332 Diese offenbaren, dass der Unrechtsgehalt des § 113 StGB nicht gänzlich vom tätlichen Angriff absorbiert wird. Nur § 113 StGB schützt auch kollektive Interessen, bei § 114 StGB spielen diese mangels des Erfordernisses der Vollstreckungshandlung keine Rolle. Um diesen eigenständigen Unrechtstyp zu verdeutlichen, ist die Klarstellungsfunktion der Tateinheit erforderlich. Zwar deutet der höhere Strafrahmen des tätlichen Angriffs darauf hin, dass der Unrechtsgehalt des § 113 StGB aus Sicht der gesetzgebenden Instanz hinter dem des § 114 StGB zurück bleibt, was typisch für Fälle der Konsumtion ist.333 Allerdings haben die vorherigen Betrachtungen gezeigt, dass weder der eine noch der andere Fall generell als der schwerere bezeichnet werden kann. Auch der tätliche Angriff erfasst, gerade in der Praxis, häufig niederschwellige Tathandlungen.334 Dieser Aspekt vermag daher keine Konsumtion zu begründen. c) Subsidiarität Ein Verhältnis der Subsidiarität kommt aus den gleichen Gründen nicht in Betracht. Mangels formellen Subsidiaritätsverhältnisses kommt nur materielle Subsidiarität in Betracht. Bei dieser muss die Auslegung ergeben, dass die eine der verletzten Vorschriften nur dann Geltung beansprucht, wenn nicht zugleich die andere verletzt wird. In diesem Fall tritt die erste Norm zurück.335 Die verwirklichten Tatbestände erfassen typischerweise verschiedene Stadien oder verschieden intensive Arten des Angriffs auf dasselbe Rechtsgut.336 Obwohl die Gesetzesbegründung dahingehend interpretiert werden kann, dass die gesetzgebende Instanz davon ausgeht, § 114 StGB stelle die intensivere Tathandlung im Vergleich zu § 113 StGB dar,337 handelt es sich bei dem zu untersuchenden Verhältnis nicht um ein Subsidiaritätsverhältnis. Dem gesetzgeberischen Willen nach wurde § 114 StGB zu dem Zwecke geschaffen, dass neben der Anwendung allgemeiner Strafvorschriften der spezifische Unrechtsgehalt des Angriffs auf die die Staatsgewalt repräsentierenden Personen im Schuldausspruch deutlich wird.338 Demnach sind die Vorschriften gerade nicht in der Weise konzipiert, dass die eine nur dann Geltung beansprucht, wenn nicht zugleich die andere verletzt wird. Ihnen kommen nach der Intention der gesetzgebenden Instanz schlicht andere Anwendungsbereiche zu.
332
Puschke/Rienhoff, JZ 2017, 924, 932. MüKo-StGB/Heintschel-Heinegg, Band 2, Vorbem. § 52 Rn. 49. 334 Vgl. z. B. BeckOK-StGB/Dallmeyer, 52. Edition, § 113 Rn. 31. 335 Z. B. die versuchte Deliktsverwirklichung gegenüber der vollendeten, Kühl, SR AT, § 21 Rn. 54. 336 MüKo-StGB/Heintschel-Heinegg, Band 2, Vorbem. § 52 Rn. 46. 337 Vgl. BT-Drs. 18/11161, S. 8. 338 BT-Drs. 18/11161, S. 1; König/Müller, ZIS 2018, 96, 98. 333
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Allerdings schützen die beiden Tatbestände wie bereits erwähnt unterschiedliche beziehungsweise unterschiedlich gewichtete Schutzgüter. Aufgrund der Selbstständigkeit und der eigenen Bedeutung der Rechtsgüter339 liegt zwischen § 113 StGB und § 114 StGB kein Subsidiaritätsverhältnis vor. Dieser Umstand spricht allerdings nicht nur gegen Subsidiarität, sondern insgesamt gegen Gesetzeskonkurrenz. Denn damit ist das Unrecht des einen Tatbestands nicht vollständig im anderen enthalten.340 Auch handelt es sich bei den §§ 113, 114 StGB nicht um verschiedene Stadien eines einzigen Handlungsstranges. Weder das eine noch das andere Delikt stellt eine Vorbereitungshandlung für das andere dar, es handelt sich vielmehr um zwei Delikte, die so große Überschneidungen aufweisen, dass sie oft gleichzeitig verwirklicht werden. Aus diesen Gründen ist nicht von einem Subsidiaritätsverhältnis auszugehen. d) Tateinheit Aufgrund der nur partiellen Überschneidung der Schutzgüter handelt es sich bei § 114 StGB demnach um einen eigenständigen Tatbestand, der bei gleichzeitiger Erfüllung in Tateinheit zu § 113 StGB steht.341 Das entspricht der Neigung in der neueren Rechtsprechung, die „in der Alternative zwischen Tateinheit und Gesetzeskonkurrenz durch eine deutliche Tendenz zur Annahme von Tateinheit geprägt ist“.342 Dadurch wird dem Ausschöpfungsgebot (und damit letztlich: der Klarstellungsfunktion des Schuldspruchs) angemessen Rechnung getragen.343 2. Verhältnis §§ 115 Abs. 3 S. 1, 113 StGB zu §§ 115 Abs. 3 S. 2, 114 StGB Als Nächstes soll das Verhältnis von den §§ 115 Abs. 3 S. 1, 113 StGB zu den §§ 115 Abs. 3 S. 2, 114 StGB ermittelt werden. Teilweise wird vermutet, dass die beiden Sätze in einem Spezialitätsverhältnis zueinander stehen.344 Das sei darauf zurückzuführen, dass in jedem tätlichen Angriff zugleich eine Behinderung läge. Damit wäre Satz 2 in Fällen, in denen beispielsweise gegen Personal des Rettungsdienstes Gewalt und ein tätlicher Angriff verübt wird, spezieller. Dies überrascht vor dem Hintergrund, dass die gesetzgebende Instanz bei den §§ 113, 114
339
BGHSt 11, 15 = NJW 1958, 189, 189. Vgl. etwa Kulhanek, NStZ-RR 2020, 39, 40. 341 Busch/Singelnstein, NStZ 2018, 510, 513; LG Nürnberg-Fürth, Urt. v. 06.03.2019 – 10 Ns 403 Js 70416/17 = NStZ-RR 2020, 39; Puschke/Rienhoff, JZ 2017, 924, 932; Kulhanek, JR 2018, 551, 558; Fahl, ZStW 2018, 745, 754. 342 BGHSt 46, 24, 28 = NJW 2000, 1878, 1879. 343 Kindhäuser, NStZ 2001, 31, 31. 344 Fahl, ZStW 2018, 745, 754. 340
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StGB einen anderen Weg gewählt hat, auf den § 115 Abs. 3 StGB ausdrücklich Bezug nimmt.345 Auch Tateinheit kommt in dieser Situation in Betracht.346 Für die Untersuchung des Konkurrenzverhältnisses ist erneut daran anzuknüpfen, ob jeder Fall, der den speziellen Tatbestand erfüllt, auch den generellen erfüllt. Es ist zutreffend, dass § 115 Abs. 3 StGB in beiden Sätzen an das Vorliegen eines Unglücksfalls beziehungsweise gemeiner Gefahr oder Not anknüpft. Das unterscheidet die vorliegende Situation von der bei den §§ 113, 114 StGB, bei der einmal an die Vollstreckungssituation (enges Tatbestandsmerkmal im vermeintlichen lex generalis) und einmal an die allgemeine Diensthandlung (weites Tatbestandsmerkmal im vermeintlichen lex specialis) angeknüpft wird. Damit entfällt ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal. Wie bereits festgestellt sind jedoch Einzelfälle denkbar, in denen ein tätlicher Angriff, aber keine Gewalt oder Drohung mit Gewalt vorliegt.347 Spezialität scheidet daher aus. Da Absatz 3 Satz 2 regelmäßig auch Absatz 3 Satz 1 mitverwirklicht, wird teilweise Konsumtion angenommen.348 Gegen diese Annahme sprechen allerdings ähnliche Argumente wie bereits im Verhältnis zwischen den §§ 113, 114 StGB, auf die § 115 Abs. 3 StGB verweist. Es kann nicht eindeutig festgestellt werden, welche der Tathandlungen die schwerere ist.349 Außerdem sind die Schutzgüter nicht identisch, auch wenn die Überschneidungen mangels Erforderlichkeit von Dienstoder Vollstreckungshandlungen größer sind als zwischen den §§ 113, 114 StGB.350 Aus diesem Grund ist auch hier von Tateinheit auszugehen. 3. Verhältnis §§ 113, 114 StGB zu § 115 Abs. 3 StGB Das Verhältnis zwischen den §§ 113, 114 StGB zu § 115 Abs. 3 StGB wurde bisher eher zurückhaltend thematisiert.351 Das dürfte einerseits darauf zurückzuführen sein, dass § 115 Abs. 3 StGB mit der Formulierung „Nach § 113 wird auch bestraft, wer [. . .]“ eine Rechtsfolgenverweisung auf die Strafrahmen der 345
Das wird von Fahl auch selbst angemerkt, ZStW 2018, 745, 754. Puschke/Rienhoff, JZ 2017, 924, 932. 347 Vgl. unter C. II. 2. a) Abgrenzung zur Gewalt. 348 Satzger/Schluckebier/Fahl, § 115, Rn. 9. 349 Vgl. S. 104 f. 350 Im Falle einer Widerstandshandlung im Sinne des § 113 StGB schützt die Norm die Individualrechtsgüter Willensbildungs- und Willensbetätigungsfreiheit der Mitglieder der Feuerwehr, des Katastrophenschutzes oder des Rettungsdienstes sowie die Rechtsgüter der in Not Geratenen. Im Falle eines tätlichen Angriffs sind ebenfalls die Rechtsgüter der in Not Geratenen betroffen, anstelle der Willensbildungs- und Willensbetätigungsfreiheit der Helfenden ist jedoch deren körperliche Unversehrtheit geschützt, vgl. C. I. 3. c) Zwischenergebnis. 351 Entscheidungen sind dazu soweit ersichtlich noch nicht ergangen, vgl. MüKoStGB/Bosch, Band 4, § 115 Rn. 17 und auch die Literatur beschäftigt sich nur vereinzelt mit dem Thema, etwa Hilgendorf/Kudlich/Valerius/Barton, Handbuch Band 4, § 20 Rn. 119; Bolender, S. 297 ff. 346
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§§ 113, 114 StGB darstellt und insofern die gleiche Strafandrohung wie bei § 113 StGB oder § 114 StGB im Raum steht. Es ist unklar, ob Rechtsfolgenverweise im Schuldspruch genannt werden müssen, zumal im hiesigen Fall im Tatbestand auch eigene Tatbestandsmerkmale enthalten sind.352 Darüber hinaus ergibt sich eine Überschneidung der Tatbestände in eher praxisfernen Tatkonstellationen. Ein solcher Fall läge nur vor, wenn die in § 115 Abs. 3 StGB aufgeführten Tatobjekte gleichzeitig Vollstreckungsbeamt:innen sind und die Hilfeleistung, je nach Konstellation, eine Dienst- oder sogar eine Vollstreckungshandlung darstellt.353 Gänzlich ausgeschlossen sind solche Situationen nicht, insbesondere im Bereich des Brandschutzes. Die Landesgesetze sehen hier Möglichkeiten vor, in denen die Einsatzleitung der Feuerwehr als Vollstreckungsbehörde agieren kann und Verfügungen wie Platzverweise, Räumungsanordnungen etc. tätigen darf.354 Es stellt sich die Frage, wie die Konkurrenzen in diesen seltenen Fällen zu bewerten sind. Teilweise wird vertreten, die §§ 113, 114 StGB wären im Kollisionsfall spezieller als § 115 Abs. 3 StGB.355 Allerdings bestehen zwischen den Normen große tatbestandliche Unterschiede, sodass das Bild von den sich überlappenden Kreisen nicht recht passen will, bei denen der größere den kleineren umschließt. Vielmehr besteht die Überschneidung nur in dem genannten Sonderfall. Im Regelfall unterscheiden sich sowohl die Tatobjekte als auch die äußeren Umstände (Vollstreckungs- beziehungsweise Diensthandlung versus Unglücksfall, gemeine Gefahr oder Not). Die für Spezialität entscheidende Frage, ob alle Fälle des vermeintlich speziellen Tatbestands § 113 StGB beziehungsweise § 114 StGB („kleiner Kreis“) gleichzeitig auch den generellen Tatbestand § 115 Abs. 3 StGB („großer Kreis“) erfüllen, muss daher verneint werden. Wenn die Dienst- oder Vollstreckungshandlung keine Hilfeleistung darstellt oder kein Unglücksfall vorliegt, ist § 113 StGB beziehungsweise § 114 StGB erfüllt, nicht aber § 115 Abs. 3 StGB. Aus diesem Grund muss Spezialität ausscheiden. Als typische Begleittat kann § 115 Abs. 3 StGB ebenso wenig bezeichnet werden, denn wie die vorangegangenen Untersuchungen gezeigt haben, stellen mögliche Überschneidungen mit § 113 StGB oder § 115 StGB weniger den Regelfall als vielmehr einen Zufall dar. Konsumtion scheidet daher aus. Gleiches gilt für Subsidiarität. Hierfür müssten die Schutzgüter der Normen identisch sein und es müsste sich bei den zu untersuchenden Vorschriften um verschiedene Stadien des gleichen Handlungsablaufs oder verschieden intensive Arten eines Angriffs handeln. Die Schutzgüter der §§ 113, 114 StGB sind lediglich teilidentisch mit denen 352 353 354 355
Vgl. MüKo-StGB/Bosch, Band 4, § 115 Rn. 17; Fahl, ZStW 2018, 745, 746. Bolender, S. 297. Hilgendorf/Kudlich/Valerius/Barton, Handbuch Band 4, § 20 Rn. 119. Hilgendorf/Kudlich/Valerius/Barton, Handbuch Band 4, § 20 Rn. 119.
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aus § 115 StGB.356 § 115 StGB schützt neben den Individualrechtsgütern der Hilfeleistenden im Unterschied zu den §§ 113, 114 StGB auch die Rechtsgüter der hilfsbedürftigen Person.357 Zudem stellt § 115 Abs. 3 StGB keine weniger intensive Form eines Angriffs dar als die anderen beiden Tatbestände, vielmehr ist die Intensität infolge der übereinstimmenden Tathandlungen vergleichbar. Aus diesem Grund ist Tateinheit im Verhältnis zwischen den §§ 113, 114 StGB und § 115 Abs. 3 StGB anzunehmen.358 Hierfür spricht, dass dadurch allen durch die Normen geschützten Rechtsgütern hinreichend Rechnung getragen wird. Für den Unrechtsgehalt der Handlung ist dabei nicht unbedeutend, ob zusätzlich zur Beeinträchtigung der Individualrechtsgüter der Vollstreckungspersonen und gegebenenfalls zur Beeinträchtigung staatlicher Interessen auch sich in Ausnahmesituationen befindliche hilfsbedürftige Personen beeinträchtigt oder zumindest gefährdet wurden. 4. Verhältnis §§ 113 ff. StGB zu § 240 StGB Beim Verhältnis der §§ 113 ff. StGB zu § 240 StGB gilt es, zwei Themen anzusprechen. Zum einen das dogmatische Verhältnis, was in diesem Fall der Frage, ob es sich um eine Privilegierung handelt, gleichgestellt werden kann. Zum anderen sind die Konkurrenzen zu betrachten.359 Ausgehend von der Wissenschaft, die sich in diesem Punkt einig zu sein scheint, kann das Konkurrenzverhältnis auf die Frage, ob ein Spezialitätsverhältnis vorliegt, heruntergebrochen werden. Damit verbunden sind auch die Fragen, inwiefern beide Punkte Einfluss aufeinander haben und ob ein Unterschied zwischen dem Verhältnis von § 113 StGB und § 114 StGB zur Nötigung besteht. a) Endgültige Entfernung vom Privilegierungsgedanken Der historische Rückblick hat gezeigt, dass die Diskussion um den Privilegierungscharakter von § 113 StGB zu § 240 StGB360 seit jeher geführt wird.361 Bis zum Inkrafttreten des 44. Strafrechtsänderungsgesetzes wurde der Schuldgehalt einer Tat, wenn der oder die Täter:in einer Vollstreckungssituation ausgesetzt ist, aus gesetzgeberischer Sicht geringer eingeschätzt, als wenn sich diese Person nicht in einer solchen Situation befindet.362 Hiermit sollte der emotionalen Aufgeladenheit von Vollstreckungssituationen Rechnung getragen werden, die auf 356 357 358 359 360 361 362
Siehe unter C. I. Schutzgüter der §§ 113 ff. StGB. Vgl. dazu C. I. 3. Schutzgut des § 115 StGB. Bolender, S. 299. Vgl. Fahl, ZStW 2012, 311, 311. Zur Kritik am Privilegierungsgedanken z. B. Zopfs, GA 2012, 259, 267 f. Vgl. S. 36 f. Backes/Ransiek, JuS 1989, 624, 624; Schmid, JZ 1980, 56, 56.
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eine erhöhte Gefährdung der Rechtsgüter jener Person, an welche die Maßnahme adressiert ist, zurückzuführen ist. Aus diesem Grund wurde eine geringere Strafe für angemessen gehalten, was sich unter anderem im Strafmaß des § 113 StGB a. F. niederschlug. Auch die täterbegünstigenden Irrtumsregelungen sind auf dieses Verständnis zurückzuführen. Die geringere Strafe als Hauptanknüpfungspunkt für die Annahme einer Privilegierung entfiel mit der Novellierung aus dem Jahr 2011, weshalb nach allgemeiner Ansicht die Privilegierungswirkung komplett oder zumindest überwiegend entfiel.363 Daran hat sich durch die Neufassung von 2017 nichts geändert. Bei dem neuen § 114 StGB, der eine höhere Strafandrohung als § 240 StGB aufweist, gilt das Gesagte erst recht. Mit der Anhebung des Strafrahmens von zuvor maximal drei Jahren Freiheitsstrafe oder Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren sowie der Tatsache, dass die begünstigenden Irrtumsregelungen aus § 113 Abs. 3, 4 StGB gem. § 114 Abs. 3, 4 StGB nicht auf alle Situationen anwendbar sind, in denen § 114 StGB greift, sondern nur bei Vollstreckungshandlungen, ist die Privilegierung beim tätlichen Angriff noch eindeutiger inexistent. Hier handelt es sich um eine Strafverschärfung im Verhältnis zur Nötigung.364 Eine Einordnung des dogmatischen Verhältnisses der §§ 113, 114 StGB als Privilegierung ist daher nicht mehr möglich. Das trifft gleichermaßen auf § 115 Abs. 3 StGB und das Verhältnis zur Nötigung zu. Zum einen ist die Strafandrohung mit § 240 StGB identisch, wenn die Behinderung in Form von Drohung mit Gewalt oder mit Gewalt nach § 115 Abs. 3 S. 1 StGB erfolgt, beziehungsweise höher, wenn sie in Form eines tätlichen Angriffs nach Satz 2 erfolgt. Darüber hinaus wird lediglich auf die Rechtsfolgen von §§ 113, 114 StGB verwiesen, nicht auf die Irrtumsregelungen aus dessen Absätzen 3 und 4.365 b) Konkurrenzen aa) Verhältnis § 113 StGB zu § 240 StGB Das konkurrenzrechtliche Verhältnis von § 113 zur Nötigung nach § 240 StGB stellt sich weiterhin als Spezialitätsverhältnis dar für den Fall, dass beide Tatbestände erfüllt sind.366 Rein an den Tatbestandsmerkmalen orientiert leuchtet diese 363 Siehe zum Entfall der Privilegierungswirkung B. II. 4. bb) Auswirkungen auf das dogmatische Verhältnis und die Konkurrenzen zur Nötigung nach § 240 StGB a. F. 364 Puschke/Rienhoff, JZ 2017, 924, 928. 365 Fahl, ZStW 2012, 311, 311. 366 BGH, B. v. 04.04.2017 – 1 StR 70/17 = BeckRS 2017, 112044; LK-StGB/Rosenau, § 113 Rn. 93; Schönke/Schröder/Eser-StGB (30. Aufl.), § 113 Rn. 68; Kulhanek, JR 2018, 551, 558; Puschke/Rienhoff, JZ 2017, 924, 932; a. A. Bolender, S. 153. Vor der Novellierung etwa BGHSt 48, 233 = JuS 2003, 926, 927; Singelnstein/Puschke, NJW 2011, 3473, 3474; NK-StGB/Paeffgen, Band 2, § 113 Rn. 90.
III. Konsequenzen der Novellierung für das Konkurrenzverhältnis
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Beurteilung zunächst wenig ein, denn die Merkmale stimmen nur mäßig überein. Weder die Tathandlungen noch der geschützte Personenkreis decken sich. Darüber hinaus ist das Drohen mit einem empfindlichen Übel nicht in § 113 StGB normiert. Da aber jedes Widerstandleisten zugleich den Zweck verfolgt, die betroffene Vollstreckungsperson zu einer Duldung oder Unterlassung zu nötigen, mithin alle Sachverhalte, die den speziellen Tatbestand erfüllen, auch den generellen verwirklichen (und diese Möglichkeit der Feststellung von Spezialität die genauere ist367), tritt der Tatbestand des § 240 StGB weiterhin im Konkurrenzwege zurück. Es ist kein Fall denkbar, der als Widerstand, nicht aber als Nötigung zu werten ist. In diesem Fall kommt auch keine Konsumtion in Betracht. Die geringere Strafandrohung, die § 113 StGB a. F. vor der Strafrahmenangleichung von 2011 im Verhältnis zur Nötigung aufwies, kann seit diesem Zeitpunkt nicht mehr als Argument für ein Spezialitätsverhältnis in Form eines Qualifikationsverhältnisses des Widerstands im Verhältnis zur Nötigung herangezogen werden. Doch die Schutzzwecke der Vorschriften überschneiden sich weiterhin zumindest partiell,368 weshalb Spezialität in Betracht kommt. § 113 StGB schützt, ebenso wie § 240 StGB, zumindest auch die Freiheit der Willensentschließung und der Willensbetätigung des Opfers. Dass der Individualrechtsgüterschutz im Rahmen des § 113 StGB lediglich an zweiter Stelle steht, ändert daran nichts. Der Grad der konkreten Beeinträchtigung der Rechtsgüter variiert stets mit dem jeweiligen Einzelfall, dennoch sind die Rechtsgüter der Vollstreckungspersonen zwingend mitbetroffen und daher zu berücksichtigen. Unabhängig davon, ob § 113 StGB die Willensentschließungs- und Willensbetätigungsfreiheit der verbeamteten Personen an erster oder an zweiter Stelle schützt, geht dieses gleichermaßen von § 240 StGB abgebildete Unrecht vollständig in § 113 StGB auf.369 Für die Klarstellungsfunktion der Tateinheit besteht daher in den meisten Fällen kein Bedürfnis. Tateinheit zwischen den Tatbeständen ist damit jedoch nicht per se ausgeschlossen. Soll durch die Tat nicht nur die Vollstreckungshandlung verhindert, sondern die diese Handlung ausführende Person darüber hinaus zugleich zu einer weiteren Handlung genötigt werden, beispielsweise zur Festnahme Dritter, kann Tateinheit angenommen werden.370 Der gemeinsame Schutzzweck der Normen dient auch als Anknüpfungspunkt für die Ablehnung eines Spezialitätsverhältnisses. Wird § 113 StGB der Individualschutz, wie gelegentlich vertreten, vollständig abgesprochen, fehlt es offensichtlich an der Überschneidung der Schutzgüter beider Tatbestände, weshalb
367
Fahl, ZStW 2012, 311, 315. Singelnstein/Puschke, NJW 2011, 3473, 3474. 369 Vgl. Zopfs, GA 2000, 527, 536. 370 BayObLGSt 1988, 7 = JR 1989, 24; Hoffmann-Holland/Koranyi, ZStW 2015, 913, 916. 368
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auch das Unrecht der Nötigung nicht von § 113 StGB erfasst wäre. Spezialität käme nach diesem Verständnis logischerweise nicht in Betracht.371 Nach hiesigem Rechtsverständnis vom Rechtsgut des Widerstands schützt die Vorschrift allerdings auch die Willensentschließungs- und Willensbetätigungsfreiheit der geschützten Personen, sodass die für Spezialität erforderliche Überschneidung der Schutzzwecke gegeben ist. Darüber hinaus gilt es zu untersuchen, ob das Spezialitätsverhältnis zwischen § 113 StGB und § 240 StGB als Qualifikationsverhältnis ausgestaltet ist. In der Praxis stellte sich § 113 StGB a. F. als Qualifikation gegenüber der Nötigung dar, da dem Widerstand rechtstatsächlich trotz des (ehemals) geringeren Strafrahmens eine höhere Strafe zukam.372 Aus dogmatischer Sicht spricht gegen ein „richtiges“ Qualifikationsverhältnis zur Nötigung, ebenso wie bei den § 113 f. StGB gegen ein solches Verhältnis untereinander sprach, dass es hier an der typischen höheren Strafe des qualifizierenden Tatbestands mangelt. Außerdem fehlt es an dem charakteristischen Wortlaut von Qualifikationen.373 Insofern liegt dogmatisch ein „einfaches“ Spezialitätsverhältnis zwischen beiden Tatbeständen vor, in der Praxis wirkt § 113 StGB hingegen qualifizierend. Das Spezialitätsverhältnis gilt nach wie vor auch für Fälle einer versuchten Nötigung.374 § 113 StGB ist im Kollisionsfall mit § 240 StGB also spezieller, ohne privilegierend zu wirken. Die Privilegierung ist folglich nicht konstitutiv für die Spezialität.375 Das lässt zumindest bei § 113 StGB die Frage offen, welcher Sinn darin besteht, ein lex specialis ohne höhere Strafandrohung zu schaffen.376 Ein Erklärungsansatz wäre die damit einhergehende Signalwirkung. Denn mit der Annahme von Spezialität könnte den Besonderheiten von Vollstreckungssituationen in Teilbereichen weiter Rechnung getragen werden, die in der Gesetzesbegründung gefordert wird.377 Zwar steht den Gesetzgebenden frei, einen Spezialtatbestand nur zu dem Zweck zu schaffen, ein bestimmtes (bereits strafbewährtes) Verhalten durch eine eigene Überschrift plastisch hervorzuheben.378 Dass sich kritische Stimmen auftun, wenn eine Gesetzesänderung ohne praktische Folgen vorgenommen wird, schlicht um ein „Zeichen zu setzen“, verwundert allerdings nicht.379
371 372 373 374 375 376 377 378 379
Bolender, S. 151. Puschke, FS für Ulrich Eisenberg, S. 169. Vgl. zum typischen Wortlaut von Qualifikationen S. 124. Zum alten Recht: Zopfs, GA 2000, 527, 528. Küpper, GS für Dieter Meurer, S. 125 f. Fahl, ZStW 2012, 311, 316. BT-Drs. 18/11161, S. 10. So Fahl, ZStW 2012, 311, 316. Z. B. Feltes, Stellungnahme 16/5518 zu LT Rheinland-Pfalz Drs. 16/5031, S. 2.
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bb) Auswirkungen auf die Thematik der Sperrwirkung Anfangs wurde darauf hingewiesen, dass diese Arbeit zur Klärung der Frage beitragen soll, ob die Gesetzesänderung in erster Linie Probleme geschaffen oder zu deren Klärung beigetragen hat. Hinsichtlich der Frage, ob eine Sperrwirkung von § 113 StGB im Verhältnis zu § 240 StGB bei Unterschreitung der Voraussetzungen ersterer Norm angenommen werden müsse, wird teilweise ausgeführt, dieser Diskussionspunkt sei bereits mit der Gesetzesänderung von 2011 entschärft worden.380 Denn mit der Strafrahmenangleichung war die Situation, dass unterhalb der Schwelle des § 113 StGB nötigende Personen im Endeffekt eine strengere Bestrafung nach § 240 StGB zu befürchten hatten, nicht mehr gegeben. Dafür ergaben sich andere Probleme. Die Sperrwirkung wurde ursprünglich auf die ehemals geringere Strafe und somit auf die Privilegierungsfunktion des § 113 StGB im Verhältnis zur Nötigung gestützt. Kritische Stimmen nehmen daher an, mit dem Entfall der Privilegierung könne nicht mehr sinnvollerweise von einer Sperrwirkung ausgegangen werden.381 Dabei wird jedoch verkannt, dass die Sperrwirkung für den Fall der Unterschreitung der Voraussetzungen des § 113 StGB vom Privilegierungsgedanken losgelöst betrachtet werden kann.382 Die Sperrwirkung ergibt sich bereits aus dem Verhältnis der beiden Normen zueinander. Wie bereits ermittelt beinhaltet der Widerstand mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt zwingend die versuchte Nötigung, bei erfolgreicher Abwehr des Vollstreckungsaktes sogar die vollendete Nötigung. Der Unrechtsgehalt der (versuchten) Nötigung ist vollständig von § 113 StGB erfasst. Aufgrund dieses Spezialitätsverhältnisses ist die Strafbarkeit des Widerstands gegen Vollstreckungspersonen abschließend in § 113 StGB unter Strafe gestellt.383 Mit anderen Worten: Der Widerstand hört nicht auf, Widerstand zu sein, nur weil der oder die Täter:in sich weniger intensiv zur Wehr setzt. Auch in diesen Fällen dauert die Vollstreckungshandlung an.384 Die gesetzgebende Instanz hat mit § 113 StGB die Schwelle zur Strafbarkeit bei Widerstandshandlungen gegen Vollstreckungspersonen selbst festgelegt.385 § 113 StGB schützt die Vollstreckungshandlung ausdrücklich nur gegen bestimmte Tathandlungen, es handelt sich gerade nicht um eine Art Auffangtatbestand, für dessen Verwirklichung jegliche Tatmittel ausreichen.386 Einen Rück380
Hoffmann-Holland/Koranyi, ZStW 2015, 913, 918. Bolender, S. 115. 382 Zopfs, GA 2000, 527, 535 f.; Thomma, S. 227; anders argumentierend, im Ergebnis aber gleich, Deiters, GA 2002, 259, 271. 383 Zopfs, GA 2012, 259, 270 f.; Hoffmann-Holland/Koranyi, ZStW 2015, 913, 918; Puschke/Rienhoff, JZ 2017, 924, 932. 384 Zopfs, GA 2002, 527, 537. 385 Zopfs, GA 2012, 259, 271 f. 386 Zöller/Steffens, JA 2010, 161, 167. 381
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griff auf § 240 StGB bei Unterschreitung der Voraussetzungen zuzulassen, würde diesen gesetzgeberischen Willen konterkarieren. Bereits das Preußische Strafgesetzbuch von 1851 wurde so ausgelegt, dass Tathandlungen, die keine Gewalt oder Drohung mit Gewalt darstellen, als bloßer Ungehorsam straflos blieben.387 Dass mit der aktuellen Novellierung eine Ausdehnung des Schutzes für Vollstreckungsbeamt:innen angestrebt wurde, steht dem nicht entgegen.388 Zu dieser Ausdehnung ist es durch die mit der Gesetzesänderung beschlossenen Neuerungen wie dem Verzicht auf das Vollstreckungserfordernis bei tätlichen Angriffen und der Erweiterung der Regelbeispiele ohnehin gekommen. Darüber, dass über diese ausdrücklich vorgesehenen Änderungen am Tatbestand weitere Umgestaltungen beabsichtigt gewesen wären, wie etwa ein Wandel im Umgang mit der Sperrwirkung von § 113 StGB zu § 240 StGB, kann nur spekuliert werden. Dass die Drohung mit einem empfindlichen Übel nicht in § 113 StGB mitaufgenommen wurde und dieses Ergebnis auch nicht „durch die Hintertür“ durch den Verzicht auf die Sperrwirkung erzielt wird, ist begrüßenswert. Anderenfalls würde der Anwendungsbereich der Norm noch weiter ausgedehnt werden, sodass selbst das Filmen von Vollstreckungspersonen strafbar werden könnte. Darin kann nämlich konkludent die Drohung zu sehen sein, die Bilder zu veröffentlichen.389 Weiterhin wären auch Verhaltensweisen wie die Drohung mit der Erhebung einer Dienstaufsichtsbeschwerde zunächst vom Tatbestand erfasst. Bei § 240 StGB ließe sich dieses Ergebnis über das Merkmal der Rechtswidrigkeit korrigieren, wobei es im Rahmen des § 113 StGB an einer solchen Korrekturmöglichkeit fehlt. Drohungen mit einem empfindlichen Übel bleiben daher weiterhin mit der Ansicht der Rechtsprechung und Teilen der Literatur straflos. cc) Verhältnis § 114 StGB zu § 240 StGB Der tätliche Angriff ähnelt der Regelung des § 113 StGB stark und weist große Überschneidungen auf. Vereinzelt wird daher für gewisse Konkurrenzen im Zusammenhang mit dem tätlichen Angriff auf die Ausführungen bei § 113 StGB verwiesen.390 Aus diesem Grund liegt es nahe, auch hier von einem Spezialitätsverhältnis auszugehen.391 Allerdings stellt sich die Frage, ob dieser Annahme nicht die Schutzgüter der diskutierten Tatbestände entgegenstehen. Unterschiedliche Schutzgüter sprechen
387
Feuerbach, § 201 S. 341. A. A. Bolender, S. 116. 389 Radermacher, Stellungnahme zu BT-Drs. 18/11161, S. 2. 390 Schönke/Schröder/Eser-StGB (30. Aufl.), § 114 Rn. 12; BeckOK-StGB/Dallmeyer, 52. Edition, § 114 Rn. 9. 391 So zum Beispiel BeckOK-StGB/Dallmeyer, 52. Edition, § 114 Rn. 9. 388
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schließlich gegen Gesetzeskonkurrenz, da zu befürchten ist, dass das Unrecht der generellen Tat nicht vollständig in der speziellen enthalten ist.392 Die Nötigung hat den Schutz der Freiheit der Willensentschließung und der Willensbetätigung zum Gegenstand,393 während diese im Rahmen des tätlichen Angriffs – anders als bei § 113 StGB – zwar häufig am Rande mitbetroffen ist, aber die körperliche Unversehrtheit den alleinigen Schutzzweck der Vorschrift darstellt.394 Damit überschneiden sich die Schutzgüter nicht. Auch die „klassische Probe“ für das Vorliegen von Spezialität führt zu diesem Ergebnis. Denn es sind Fälle denkbar, die § 114 StGB, nicht aber § 240 StGB erfüllen, sodass das Unrecht der Tat nicht vollständig von § 114 StGB erfasst ist. Das ist darauf zurückzuführen, dass der tätliche Angriff keinen Nötigungserfolg, sondern lediglich eine gegen den Körper gerichtete Handlung voraussetzt. Die Gewalt bei der Nötigung muss hingegen vom Opfer als solche wahrgenommen werden, denn nur so kann es infolge dessen zum Eintritt des Nötigungserfolges in Form einer Handlung, Duldung oder Unterlassung des Opfers gekommen sein.395 Auch die Drohung als zweite Tathandlung des § 240 StGB setzt voraus, dass sie das Opfer erreicht.396 Die Klarstellungsfunktion der Tateinheit ist daher vonnöten. § 114 StGB steht daher trotz der großen Ähnlichkeit mit § 113 StGB in einem anderen Verhältnis zu § 240 StGB, nämlich in Tateinheit. dd) Verhältnis § 115 StGB zu § 240 StGB Bei den ersten beiden Absätzen des § 115 StGB handelt es sich um schlichte Gleichstellungsklauseln, die den Tatbestand von § 113 StGB beziehungsweise § 114 StGB ausdehnen, ohne dass daran weitere Tatbestandsvoraussetzungen geknüpft werden.397 Für sie kann daher nichts anderes gelten als für die §§ 113, 114 StGB. § 115 Abs. 3 StGB enthält eigene Tatbestandsmerkmale, deshalb ist hier ein genauerer Blick notwendig. Der Tatbestand entstand durch Überführung des § 114 Abs. 3 StGB a. F. in den seit dem Jahr 1970 weggefallenen § 115 StGB a. F., insofern hat sich größtenteils, bis auf die Stellung im Gesetz, wenig am
392
Busch/Singelnstein, NStZ 2018, 510, 513. H. M., vgl. BVerfGE 92, 1, 13 = NJW 1995, 1141; BGHSt 34, 71 = NStZ 1986, 409, 410; OLG Düsseldorf, B. v. 18.03.1996 – 5 Ss 383/95 = NJW 1996, 2245, 2245; Eisele, JA 2009, 698, 698. 394 Siehe dazu unter C. I. 2. b) Konkrete Ausgestaltung des Individualrechtsgüterschutzes. 395 Siehe C. II. 2. a) Abgrenzung zur Gewalt. 396 BGH, B. v. 01.09.2004 – 2 StR 313/04 = NJW 2004, 3437. 397 Fahl, ZStW 2018, 745, 746; Schönke/Schröder/Eser-StGB (30. Aufl.), § 115 Rn. 1; Fischer-StGB (69. Aufl.), § 115 Rn. 1; Lackner/Kühl/Heger-StGB, § 115 Rn. 1; MüKo-StGB/Bosch, Band 3, § 115 Rn. 1; a. A. NK-StGB/Paeffgen, Band 2, § 114 Rn. 1. 393
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C. Dogmatische Probleme der aktuellen Gesetzeslage
Verhältnis zu § 240 StGB seit der vorherigen Novellierung verändert. Da es sich bei § 115 Abs. 3 StGB um eine eigenständige Anwendungsbereichserweiterung zu § 113 StGB beziehungsweise § 114 StGB handelt,398 liegt auch hier Spezialität (i.V. m. § 113 StGB) beziehungsweise Tateinheit (i.V. m. § 114 StGB) im Verhältnis zu § 240 StGB nahe. (1) § 115 Abs. 3 S. 1 StGB zu § 240 StGB In Bezug auf § 114 Abs. 3 StGB a. F. wurde zum Teil Tateinheit angenommen. Alles andere liefe dem Gesetzeszweck zuwider, da ansonsten der Schutz zivil Helfender aufgrund der Sperrwirkung im Falle einer Drohung mit einem empfindlichen Übel, das keine Gewalt darstellt, reduziert wäre, so die Argumentation.399 Diese Begründung lässt sich gleichermaßen auf den Widerstand beziehungsweise den tätlichen Angriff auf Rettungskräfte in der aktuellen Fassung übertragen. Schließlich wären diese Fälle, in denen die Voraussetzungen des § 115 Abs. 3 StGB unterschritten werden, straflos und der strafrechtliche Schutz damit reduziert, sofern von einer Sperrwirkung ausgegangen wird. Das gilt zumindest im Hinblick auf § 115 Abs. 3 S. 1 StGB. Bei Satz 2 ist zu berücksichtigen, dass der strafrechtliche Schutz aufgrund des hohen Strafrahmens des § 114 StGB (Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren), auf den verwiesen wird, im Verhältnis zur Nötigung (Freiheitsstrafe bis zu drei Jahre oder Geldstrafe) verschärft wäre. Teilweise wird die Annahme von Tateinheit nicht mit der Sperrwirkung begründet, diese wird sogar abgelehnt. Stattdessen wird davon ausgegangen, dass die Norm (§ 114 Abs. 3 StGB a. F., jetzt § 115 Abs. 3 StGB) in erster Linie überindividuelle Zwecke schützt. Damit würden die untersuchten Tatbestände nicht die gleiche Schutzrichtung verfolgen, sodass konsequenterweise Tateinheit anzunehmen sei. Da § 115 Abs. 3 StGB nach der hier vertretenen Ansicht auch die Rechtsgüter der Helfenden schützt, unter anderem auch die Freiheit der Willensentschließung und der Willensbetätigung,400 greift die Argumentation der fehlenden Überschneidung der Schutzzwecke nicht. Insgesamt überwiegen die Argumente, die für Spezialität sprechen. Nach der gängigen Definition müssen dazu alle Fälle, die § 115 Abs. 3 S. 1 StGB erfüllen, auch § 240 StGB erfassen. § 115 Abs. 3 S. 1 StGB setzt eine Be-
398 Fahl, ZStW 2018, 745, 746; Schönke/Schröder/Eser-StGB (30. Aufl.), § 115 Rn. 1; Fischer-StGB (69. Aufl.), § 115 Rn. 1; Lackner/Kühl/Heger-StGB, § 115 Rn. 1; a. A. MüKo-StGB/Bosch, Band 3, § 115 Rn. 1: Die Vorschrift beinhalte keinen eigenständigen Tatbestand, sondern dehne nur den Anwendungsbereich aus; ebenfalls ablehnend: NK-StGB/Paeffgen, Band 2, § 114 Rn. 1. 399 Heger/Jahn, JR 2015, 508, 514. 400 Siehe unter C. I. 3. c) Zwischenergebnis.
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hinderung der Rettungskräfte voraus. Dies erfordert eine spürbare, nicht unerhebliche Störung der Rettungstätigkeit, die Hilfsmaßnahmen müssen also mindestens erschwert werden.401 Das Tatbestandsmerkmal weist ein Erfolgsmoment auf, sodass versuchte Behinderungen nicht erfasst sind.402 Auch § 240 StGB ist ein Erfolgsdelikt.403 Beim Vergleich der möglichen Situationen fällt auf, dass kein Fall einer Behinderung denkbar ist, bei dem nicht auch in irgendeiner Form zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung genötigt wird.404 Weitere Argumente, die für Spezialität sprechen, sind die systematische Verbundenheit der Norm zu § 113 StGB und der spezielle, auf die aufgezählten professionellen Helfenden begrenzten, Anwendungsbereich des § 115 Abs. 3 S. 1 StGB.405 Somit sprechen bei dieser Handlungsalternative gute Gründe für die Annahme eines Spezialitätsverhältnisses von § 115 Abs. 3 S. 1 StGB gegenüber der Nötigung. (2) § 115 Abs. 3 S. 2 StGB zu § 240 StGB Neu hinzugetreten zu § 114 Abs. 3 StGB a. F. ist mit der Novellierung ein zweiter Satz, nach dem ebenso nach § 114 StGB bestraft wird, „wer die Hilfeleistenden in dieser Situation tätlich angreift“. Ein Unglücksfall, gemeine Gefahr oder Not sind somit auch bei Satz 2 notwendig zur Erfüllung des Tatbestands, wohingegen eine Behinderung und somit die Erfolgskomponente nicht erforderlich ist. Deshalb sind, wie bereits festgestellt, Situationen denkbar, in denen ein tätlicher Angriff, nicht aber gleichzeitig auch eine Nötigung gegeben ist.406 Gegen die Annahme eines Spezialitätsverhältnisses sprechen zudem die unterschiedlichen Schutzgüter (körperliche Unversehrtheit versus Freiheit der Willensentschließung und der Willensbetätigung).407 Deshalb muss aus Klarstellungsgründen Tateinheit angenommen werden.
401
BT-Drs. 18/12153 S. 7. Singelnstein/Puschke, NJW 2011, 3473, 3474. 403 BGH, B. v. 01.12.2005 – 4 StR 506/05 = NStZ-RR 2006, 77; BGHSt 37, 350, 353 = NJW 1991, 2300. 404 Fahl nennt beispielhaft für § 115 Abs. 3 S. 2 StGB das Erschweren des Zugangs zum Einsatzort, in dem eine Nötigung zur Inkaufnahme eines Umweges oder eines Zeitverlusts liegen könne, Fahl, ZStW 2012, 311, 321. 405 Vgl. Singelnstein/Puschke, NJW 2011, 3473, 3475, und Heger/Jahn, JR 2015, 508, 513. 406 So kann etwa das Verriegeln einer Tür oder das Springen vor ein Auto Gewalt sein, um einen tätlichen Angriff handelt es sich dabei aber nicht, OLG Düsseldorf, B. v. 05.06.1996 – 5 Ss 160/96-49/96 I = NZV 1996, 458, 459 (Verriegeln der Tür); BayObLGSt 1988, 7 = JR 1989, 24 (Springen vor ein Fahrzeug). 407 Vgl. zum Schutzgut des § 113 StGB: C. I. 1. Schutzgut des § 113 StGB und zu § 114 StGB: C. I. 2. Schutzgut des § 114 StGB. 402
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C. Dogmatische Probleme der aktuellen Gesetzeslage
5. Verhältnis §§ 113 ff. StGB zu §§ 223 ff. StGB Anschließend wird das Verhältnis der §§ 113, 114 StGB zu den Körperverletzungsdelikten beschrieben. Die Ausführungen sind auf § 115 StGB und dessen Beziehung zu den §§ 223 ff. StGB übertragbar. a) Verhältnis §§ 113, 114 StGB zu § 223 StGB An den Konkurrenzen zwischen dem Widerstand gegen Vollstreckungspersonen und dem tätlichen Angriff, vormals zusammen in § 113 StGB a. F. enthalten, zur einfachen Körperverletzung nach § 223 StGB hat sich durch die Gesetzesänderung nichts geändert, mit der Ausnahme, dass der tätliche Angriff nun eigenständig in § 114 StGB geregelt ist. Aus Klarstellungsgründen ist sowohl im Verhältnis zwischen § 113 StGB und § 223 StGB als auch im Verhältnis zwischen § 114 StGB und § 223 StGB von Tateinheit auszugehen.408 Für das Verhältnis zum tätlichen Angriff spricht hierfür, dass ansonsten nicht im Schuldspruch ersichtlich wäre, dass es tatsächlich zu einem Körperverletzungserfolg gekommen ist. Selbst im Falle einer rechtswidrigen Vollstreckungshandlung entfaltet der tätliche Angriff keine Sperrwirkung gegenüber § 223 StGB, denn wegen § 114 Abs. 3 StGB entfällt nur der Grund für die schärfere Strafe des tätlichen Angriffs. Das Unrecht, das von einer Körperverletzung allein ausgeht, bleibt bestehen.409 Im Falle eines Konkurrenzverhältnisses mit § 113 StGB, dessen Schutzgüter die ungestörte Durchführung rechtmäßiger Vollstreckungsakte und die Willensentschließungs- und Willensbetätigungsfreiheit der Vollstreckungspersonen darstellen,410 spricht für Tateinheit im Verhältnis zu § 223 StGB, dass anderenfalls nicht einmal ersichtlich wäre, dass die Tathandlung auch die körperliche Integrität des Opfers gefährdete. b) Verhältnis §§ 113, 114 StGB zu §§ 223, 22, 23 Abs. 1 StGB Das Verhältnis der versuchen Körperverletzung ist sowohl zu § 113 StGB als auch zu § 114 StGB umstritten. Durch die Ausgliederung des tätlichen Angriffs aus § 113 StGB a. F. unter Anhebung der Strafandrohung hat die Thematik neue Bedeutung gewonnen, nicht zuletzt, weil die Diskussionen um den Begriff des tätlichen Angriffs und damit um dessen Reichweite neu entfacht wurde. 408 Für § 113: BGH, B. v. 04.04.2017 – 1 StR 70/17 = BeckRS 2017, 112044; Puschke/Rienhoff, JZ 2017, 929, 932; Hoffmann-Holland/Koranyi, ZStW 2015, 913, 916; BeckOK-StGB/Dallmeyer, 52. Edition, § 113 Rn. 27. Für § 114: Fahl, GA 2019, 721, 732; Fahl, ZStW 2018, 745, 755; König/Müller, ZIS 2018, 96, 99; Kulhanek, JR 2018, 551, 551; Satzger/Schluckebier/Fahl, § 114, Rn. 9. 409 Puschke/Rienhoff, JZ 2017, 929, 932. 410 Vgl. C. I. 1. Schutzgut des § 113 StGB.
III. Konsequenzen der Novellierung für das Konkurrenzverhältnis
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aa) Verhältnis § 113 StGB zu §§ 223, 22, 23 Abs. 1 StGB Zunächst zum Verhältnis zwischen § 113 StGB und der versuchten Körperverletzung. Zum einen wird von Tateinheit ausgegangen411, andererseits wird in § 113 StGB das spezielle Gesetz im Verhältnis zu den §§ 223, 22, 23 StGB gesehen.412 Wird von Spezialität oder Gesetzeskonkurrenz allgemein ausgegangen, wird in der Begründung auf Aufsätze verwiesen, die aus der Zeit stammen, in der der tätliche Angriff noch Bestandteil des § 113 StGB a. F. war.413 Die Vertreter dieser Ansicht knüpfen ihre Argumentation entweder direkt414 oder mittelbar415 an den tätlichen Angriff an, obwohl dieser seit der Novellierung nicht mehr in § 113 StGB enthalten ist. Insofern überzeugt zumindest die Begründung nicht. Das bedeutet jedoch nicht, dass Gesetzeskonkurrenz, insbesondere Spezialität, von Anfang an ausgeschlossen wäre, da zweifelsfrei gewisse Überschneidungen bestehen. Dennoch liegen weder die Voraussetzungen für Spezialität noch für Konsumtion vor. Das kann vor allem darauf zurückgeführt werden, dass Drohungen psychisch auf den Körper des Opfers einwirken, die Körperverletzung hingegen physisch beziehungsweise im Falle des Versuchs einer Körperverletzung eine physische Beeinträchtigung beabsichtigt wird. Deshalb stellt nicht jede Drohung mit Gewalt eine versuchte Körperverletzung dar, nicht einmal typischerweise. Und auch die Tathandlung „Gewalt“ ist in ihrer Schwere nicht gleichzusetzen mit einer versuchten Körperverletzung, schließlich ist ersterer Begriff weit zu verste411
SK-StGB/Wolters, Band 4, § 223 Rn. 40. Lackner/Kühl/Heger-StGB, § 113 Rn. 26; BeckOK-StGB/Dallmeyer, 52. Edition, § 113 Rn. 27 m.w. N. 413 BeckOK-StGB/Dallmeyer, 52. Edition, § 113 Rn. 27. 414 Bei Lackner/Kühl/Heger-StGB, § 113 Rn. 26 heißt es etwa, der Versuch werde als notwendiges Mittel des tätlichen Angriffs verdrängt. 415 BeckOK-StGB/Dallmeyer, 52. Edition, § 113 Rn. 27 nimmt Gesetzeskonkurrenz an und verweist dafür überwiegend auf ältere Aufsätze aus der Zeit vor der Novellierung, welche die angenommene Gesetzeskonkurrenz, bei der die §§ 223, 22, 23 StGB verdrängt werden soll, ebenfalls allesamt an den tätlichen Angriff knüpfen. Diese sind die Folgenden: Fahl, ZStW 124, 311, 319: „Darum bleibt es ungeachtet der Frage der Privilegierung richtig zu sagen, dass § 113 Abs. 1 Alt. 2 StGB die versuchte Körperverletzung im Wege der Gesetzeskonkurrenz ,verdrängt‘.“; Zopfs, GA 2000, 527, 541: „Die im tätlichen Angriff zwingend enthaltene versuchte Körperverletzung ist daher nur notwendiges Tatmittel. Sie hat deshalb ebenso wie die Nötigung im Falle des Widerstandes keine eigenständige Bedeutung und wird von dem spezielleren Tatbestand des § 113 verdrängt.“ Zopfs, GA 2012, 259, 272: „Da der tätliche Angriff notwendigerweise eine versuchte Körperverletzung beinhaltet, der Gesetzgeber dieses Verhalten demnach zwingend als strafbaren Widerstand betrachtet, richtet sich die Strafbarkeit insoweit allein nach § 113 StGB.“ Außerdem verweist er auch auf Lackner/Kühl/Heger-StGB, § 113 Rn. 26. 412
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C. Dogmatische Probleme der aktuellen Gesetzeslage
hen (wenn auch nicht so weit wie bei § 240 StGB), sodass etwa das Einsperren des Opfers, teilweise sogar das Aussperren, darunterfällt.416 Folglich ist von Tateinheit auszugehen. bb) Verhältnis § 114 StGB zu §§ 223, 22, 23 Abs. 1 StGB Noch umstrittener ist das Verhältnis der versuchten Körperverletzung zu § 114 StGB. Vertreten werden hier Tateinheit417, Konsumtion418 und Spezialität419. Spezialität muss sowohl mit der weiten Definition der herrschenden Meinung420 als auch mit der hier vertretenen restriktiveren Ansicht ausscheiden. Denn es sind Taten denkbar, bei denen die Handlung eine Körperverletzungstendenz aufweist und Vorsatz bezüglich der Verletzungseignung in der konkreten Situation gegeben ist (und damit ein tätlicher Angriff), es aber am Tatentschluss zur Körperverletzung (Verletzungserfolg) fehlt. Diesen Unterschied nennt eine Ansicht als entscheidenden Punkt dafür, dass von Tateinheit auszugehen sei.421 Vorzugswürdig erscheint hier der Mittelweg zwischen den beiden gegenläufigen Ansichten, welchen die Konsumtion darstellt. Bei dieser ist ein Tatbestand zwar nicht zwingend in einem anderen enthalten, wie bei der Spezialität, aber regelmäßig und typischerweise, sodass der Unrechtsgehalt gleichbleibt.422 Dass der tätliche Angriff mit der hier zugrunde gelegten Definition typischerweise auch eine versuchte Körperverletzung darstellt, zeigt sich bereits daran, dass sich die Tatbestände nur in der Anknüpfung an den Vorsatz unterscheiden. Auch der Unrechtsgehalt dürfte nur unwesentlich abweichen. Denn wenn Vorsatz bezüglich der Verletzungseignung der Handlung in der konkreten Situation gegeben ist, wird meist zumindest auch Verletzungsvorsatz in Form von dolus eventualis vorliegen. Die Grenzen zwischen bewusster Fahrlässigkeit und der schwächsten Vorsatzform liegen ohnehin oftmals eng beieinander und sind darüber hinaus schwer nachzuweisen.423 In der vorliegenden Situation kommt verschärfend hinzu, dass ohnehin ein vorsätzliches Verhalten gefordert wird, nur eben ein anderes. Der 416 BGH 16.11.1962 – 4 StR 337/62 = NJW 1963, 769, 770; a. A. für das Aussperren Bosch, JURA 2011, 268, 272; vgl. im Einzelnen Fischer-StGB (69. Aufl.), § 113 Rn. 25 m.w. N. 417 Puschke/Rienhoff, JZ 2017, 929, 932; Kulhanek, JR 2018, 551, 558. 418 Fahl, 2018, 745, 755. 419 BeckOK-StGB/Dallmeyer, 52. Edition, § 114 Rn. 9; zum alten Recht, aber ebenso bezogen auf den tätlichen Angriff: Zopfs, GA 2000, 527, 241. 420 Vgl. hierzu oben oder Kulhanek, JR 2018, 551, 558, 421 Puschke/Rienhoff, JZ 2017, 929, 932; wird auch beim tätlichen Angriff ein Verletzungsvorsatz verlangt, würde dieses Argument nicht zutreffen. Hieran wird deutlich, wie die einzelnen dogmatischen Probleme ineinandergreifen. 422 Rengier, SR AT, § 56 Rn. 30. 423 Siehe zur Abgrenzung etwa Nicolai, JA 2019, 31; BeckOK-StGB/Kudlich, 52. Edition, § 15 Rn. 20 ff.
III. Konsequenzen der Novellierung für das Konkurrenzverhältnis
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Anknüpfungspunkt des Vorsatzes ist bei beiden Tatbeständen allerdings ähnlich (Verletzungseignung der Handlung versus Verletzung). Daher ist von Konsumtion auszugehen.424 c) Verhältnis §§ 113, 114 StGB zu §§ 224, 226 StGB Auch hier kommt Tateinheit oder Gesetzeskonkurrenz in Betracht. Letztere wäre dann anzunehmen, wenn der Unrechtsgehalt der §§ 113, 114 StGB bereits in den §§ 224, 226 StGB enthalten wäre. Bei § 113 StGB ist bereits das Ausreichen der tatbestandlichen Schnittmengen zur Annahme von Spezialität fraglich. Denn nicht alle Fälle, in denen § 113 StGB gegeben ist, erfüllen auch die §§ 224, 226 StGB. Das ist zum einen auf das Erfordernis der Vollstreckungshandlung und der personellen Beschränkung auf zur Vollstreckung befähigte Bedienstete zurückzuführen, zum anderen auf die verschiedenen Tathandlungen. Betreffend die Tathandlung liegt die Schwelle zur Tatbestandsverwirklichung bei § 113 StGB zwar grundsätzlich niedriger, jedoch stellt nicht jede gefährliche oder schwere Körperverletzung einen Fall der Gewalt oder der Drohung mit Gewalt dar, beispielsweise beim Einsperren. Etwas anderes gilt für den tätlichen Angriff. An das Tatopfer und an die äußeren Umstände (hier: Vorliegen einer Diensthandlung) werden im Rahmen des § 114 StGB ebenfalls strengere Umstände geknüpft als bei den §§ 224, 226 StGB, aber sobald eine gefährliche oder schwere Körperverletzung gegeben ist, ist zwingend die Tathandlung (des § 114 StGB) erfüllt. Der Unrechtsgehalt der Tathandlung „tätlicher Angriff“ allein ist daher von den Tatbeständen §§ 224, 226 StGB erfasst. Zu beantworten bleibt damit, inwiefern sich der persönliche und sachliche Anwendungsbereich der §§ 113, 114 StGB auf den Unrechtsgehalt der Tat auswirken. Hierbei handelt es sich zweifelsfrei um eine Wertungsfrage. Vor dem Hintergrund, dass es sich bei den §§ 224, 226 StGB um Taten mit hohem Unrechtsgehalt handelt, dürfte die Tatsache, dass Mitglieder der Polizei betroffen sind und die Tat im Rahmen einer Vollstreckungs- oder Diensthandlung erfolgte, gegenüber der Verwirklichung der §§ 224, 226 StGB nicht mehr ins Gewicht fallen.425 Diese äußeren Umstände geraten im Rahmen dieser schweren Taten, bei denen die Individualrechtsgüter der Betroffenen zweifelsfrei den Unrechtsschwerpunkt ausmachen, ins Hintertreffen. Dies gilt zumindest für das Verhältnis zum die körperliche Unversehrtheit von Vollstreckungspersonen schützenden § 114 StGB. Für § 113 StGB ist die Klarstellungsfunktion der Tateinheit mangels notwendiger 424
Fahl, ZStW 2018, 745, 755; a. A. Puschke/Rienhoff, JZ 2017, 929, 932. Zu § 114 StGB: Puschke/Rienhoff, JZ 2017, 929, 932; zustimmend Busch/Singelnstein, NStZ 2018, 510, 513; Kulhanek, JR 2018, 551, 558; a. A. Satzger/Schluckebier/Fahl, § 114 Rn. 9. 425
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C. Dogmatische Probleme der aktuellen Gesetzeslage
Schnittmenge der Tathandlungen und den unterschiedlichen Rechtsgütern erforderlich.426 d) Verhältnis §§ 113, 114 StGB zu §§ 224, 226, 22, 23 Abs. 1 StGB Auch für den Fall, dass die §§ 224, 226 StGB als bloß versuchte Taten vorliegen, ist von Tateinheit auszugehen.427 Bleibt die Tat im Versuchsstadium stecken, wird ein geringeres Unrecht verursacht, da es nicht zur Rechtsgutsverletzung gekommen ist. Der Grund für die Bestrafung beim Versuch liegt überwiegend in der Betätigung des rechtsfeindlichen Willens.428 Über dieses geringere Unrecht des Versuchs kann das durch §§ 113, 114 StGB verwirklichte Unrecht hinausgehen, sofern diese vollendet sind. 6. Zwischenfazit Auf Basis der beschriebenen Erkenntnisse ergibt sich, dass die jüngste Gesetzesänderung im Bereich der Konkurrenzen eher zur Schaffung von Problemen als zu deren Klärung beitrug. Mit der gesonderten Regelung des tätlichen Angriffs in einem eigenständigen Tatbestand stellt sich nämlich zum einen die Frage, in welchem Verhältnis dieser zu § 113 StGB steht und zum anderen, ob das Verhältnis zu anderen Tatbeständen, insbesondere der Nötigung und den Körperverletzungsdelikten, gleichermaßen für die neue Vorschrift gilt. Darüber hinaus kam die Frage auf, ob sich durch die Herauslösung der ehemals dritten Tathandlung etwas am Konkurrenzverhältnis von § 113 StGB zu den genannten Normen geändert hat. Dabei ergab die Untersuchung, dass § 113 StGB zu § 114 StGB aufgrund der unterschiedlichen Schutzgüter in Tateinheit stehen. Im Verhältnis zur Nötigung ist hinsichtlich § 113 StGB weiterhin von Spezialität auszugehen, ohne dass es sich um eine Privilegierung handelt (trotz der privilegierenden Irrtumsregelungen). Zwischen dem tätlichen Angriff und der Nötigung kann keine Spezialität angenommen werden, da sich die Schutzgüter mangels Vollstreckungshandlung, bei der das Opfer seine Willensentschließungs- und Willensbetätigungsfreiheit ausübt, nicht überschneiden. Auch zur Klärung der Frage nach der Sperrwirkung im Falle der Unterschreitung der Voraussetzungen der §§ 113, 114 StGB trug die Novellierung nicht bei. Hinsichtlich § 115 Abs. 3 StGB ist aufgrund der tatbestandlichen Ausgliederung des tätlichen Angriffs nur der Satz 2 „neu“ hinzugekommen. Bei diesem ist keine Behinderung und somit kein tatbestandlicher Erfolg erforderlich. Im Übrigen änderte sich lediglich der Standort. Das Verhältnis zwischen § 115 Abs. 3 StGB zur Nötigung erinnert an jenes der §§ 113, 114 StGB zur ebendiesem (Nö426 427 428
Für § 113 StGB: Hoffmann-Holland/Koranyi, ZStW 2015, 913, 916. Für § 114 StGB: Puschke/Rienhoff, JZ 2017, 929, 932. Grundlegend RGSt 1, 439, 441 f.; BGHSt 41, 94 = NJW 1995, 2176, 2177.
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tigungs-)Tatbestand: § 115 Abs. 3 S. 1 StGB, der als Tathandlung Gewalt oder Drohung mit Gewalt erfordert, ist im Verhältnis zu § 240 StGB als speziellere Norm anzusehen, während in Fällen des tätlichen Angriffs nach § 115 Abs. 3 S. 2 StGB Tateinheit anzunehmen ist. Untereinander besteht zwischen den Sätzen trotz großer inhaltlicher Überschneidungen Tateinheit. Insgesamt hängt die Einordnung auf Konkurrenzebene maßgeblich davon ab, welche Schutzgüter den jeweiligen Tatbeständen attestiert werden und wie der tätliche Angriff definiert wird. Diese Faktoren haben maßgeblichen Einfluss auf die Einschätzung, ob Spezialität angenommen werden kann, also ob der Unrechtsgehalt des einen Tatbestands vollständig im anderen aufgeht. Die fehlende Einigkeit zwischen Rechtsprechung und großen Teilen der Literatur in diesen beiden Punkten wird an dieser Stelle erneut sichtbar.
IV. Veränderungen innerhalb der Regelbeispiele 1. § 113 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 StGB: Beisichführen einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs a) Problemstellung Die Gesetzesnovellierung von 2017 führte zur Streichung der Verwendungsabsicht aus § 113 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 StGB a. F. Das Strafgesetzbuch verwendet den nicht legaldefinierten Begriff des gefährlichen Werkzeugs auf drei verschiedene Weisen: Einmal wird die Verwendung des gefährlichen Werkzeugs gefordert, etwa bei § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB oder § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB. Bei § 121 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 StGB wird das Mitsichführen in Verwendungsabsicht gefordert und bei anderen Tatbeständen, nunmehr beispielsweise auch bei § 113 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 StGB, wirkt vom Wortlaut aus betrachtet bereits das Beisichführen für sich gesehen strafschärfend. Bei allen Konstellationen stellt sich die Frage, wie die Gefährlichkeit des Werkzeugs zu bestimmen ist, was je nach Fallgruppe mehr oder minder problematisch ist.429 Die Streichung der Verwendungsabsicht aus § 113 StGB a. F. ist Anknüpfungspunkt für zahlreiche ablehnende Stimmen, denen entschieden gefolgt werden muss. Mit einer Ausnahme wird die Änderung ausschließlich in den Reihen der Polizei begrüßt.430 Das ist nicht verwunderlich, schließlich handelt es sich um
429 Siehe zu den Auslegungsmöglichkeiten für alle drei Konstellationen BeckOKStGB/Wittig, 50. Edition, Lexikon „gefährliches Werkzeug“ Rn. 5 ff. 430 Fahl, ZStW 2018, 745, 757: Er hält sie aber nicht deshalb für begrüßenswert, weil es an sich wünschenswert wäre, aus ihr zu bestrafen, sondern weil sie im Verhältnis zur vorherigen Fassung das kleinere Übel darstelle; ein Beispiel für eine befürwortende Stellungnahme aus dem Interessenkreis der Polizei: DPolG, Stellungnahme LT NRW Drs. 16/3427, S. 2.
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C. Dogmatische Probleme der aktuellen Gesetzeslage
eine langjährige Forderung der GdP, die mit dem 52. Änderungsgesetz zum Strafgesetzbuch geltendes Recht wurde.431 Die folgenden Ausführungen beleuchten zunächst die Argumente, die für die Änderung sprechen sollen, und begründen anschließend, weshalb sie verfehlt ist. Abschließend wird der Alternativvorschlag des saarländischen Gesetzesentwurfs vorgestellt und bewertet, um zu beurteilen, ob im Gesetzgebungsprozess womöglich ein dogmatisch sinnvoller Vorschlag übergangen wurde. b) Hintergrund der Änderung Die Streichung der Verwendungsabsicht durch das 52. Strafrechtsänderungsgesetz, durch die das schlichte Beisichführen eines gefährlichen Werkzeugs oder einer Waffe während des tätlichen Angriffs beziehungsweise des Widerstands das Regelbeispiel erfüllt, wird in der Gesetzesbegründung mit mehreren Argumenten legitimiert. Einerseits wird darauf abgestellt, Waffen und andere gefährliche Werkzeuge erhöhten die potenzielle Gefahr von Rechtsgutsverletzungen. Zudem wird argumentiert, die Schwere der Rechtsgutsverletzung bei gegen Vollstreckungspersonen gerichteten Taten nach §§ 113 ff. StGB, in denen Waffen oder andere gefährliche Werkzeuge mitgeführt werden, sei vergleichbar mit der eines schweren Diebstahls.432 Auch dort sei nicht erforderlich, dass es zu einer konkreten Konfrontation komme. Die folgenden Ausführungen überprüfen diese Argumente auf ihre Stichhaltigkeit. aa) Erhöhte Gefahr Im Hinblick auf das Mitführen von Waffen, die von vornherein dazu bestimmt sind, erhebliche Verletzungen herbeizuführen, wird die Streichung der Verwendungsabsicht von Einigen befürwortet.433 Das scheint vor dem Hintergrund des besonderen Eskalationspotentials, den diese Gegenstände in sich bergen, zumindest nachvollziehbar. Bei Waffen, beispielsweise Pistolen oder Pfeffersprays434 sind Fälle denkbar, in denen keine Verwendungsabsicht gegeben ist, das Opfer aber im Laufe eines Eskalationsprozesses dennoch verletzt wird, somit die Gefährdung tatsächlich durch das reine Beisichführen erhöht wird. Dies ist etwa der 431 GdP, § 115 StGB (neu) – Tätlicher Angriff auf einen Vollstreckungsbeamten, https://www.gdp.de/gdp/gdp.nsf/id/115stgb (zuletzt abgerufen am 02.12.2020). 432 BT-Drs. 18/11161, S. 9. 433 Kohler, IPK WPS, S. 34: Die Streichung sei vereinfachend und objektivierend. Ähnlich Kulhanek, JR 2018, 551, 557; differenzierend: Kubiciel, Stellungnahme zu BTDrs. 18/11161, S. 7. 434 Bei Pfefferspray ist die Waffeneigenschaft umstritten. Der BGH hat die Einordnung als Waffe oder „nur“ als gefährliches Werkzeug offengelassen, BGH, Urt. v. 20.09. 2017 – 1 StR 112/17 = NStZ 2018, 711.
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Fall, wenn sich versehentlich ein Schuss löst oder das Pfefferspray gedrückt wird, ohne dass dies beabsichtigt war. Auch wenn solche Fälle häufig in Form einer fahrlässigen Körperverletzung sanktioniert werden können, wäre das Opfer durch die Streichung der Verwendungsabsicht im Tatbestand des § 113 StGB strafrechtlich besser vor solchen Gefahren geschützt. Beim gefährlichen Werkzeug, das keine Waffe ist, ist die Verwendungsabsicht aufgrund des Dual-use-Charakters jedoch entscheidend.435 Denn unter den Begriff des gefährlichen Werkzeugs können nach der Rechtsprechung Gegenstände des täglichen Gebrauchs fallen wie etwa Klebeband436, ein robuster Schuh437, sogar ein Schal438 kann genügen. Hier wäre zu befürchten, dass der besonders schwere Fall zum Regelfall wird,439 obwohl das Eskalationspotential beim bloßen Mitsichführen dieser genannten und vieler weiterer objektiv ungefährlicher Alltagsgegenstände ohne Verwendungsabsicht objektiv nicht gesteigert sein kann. Die Situation, dass Klebeband oder festes Schuhwerk ohne Verwendungsabsicht für jemand anderen gefährlich wird, ist nahezu undenkbar. Das Eskalationspotential ist in diesen Konstellationen nicht erhöht. Im Übrigen entspricht die Auffassung im Ergebnis auch der Begründung des saarländischen Gesetzesentwurfs, der das Beisichführen dieser Gegenstände mit Verwendungsabsicht, wie bei § 113 StGB a. F., beibehalten wollte. Bewaffnete Angriffe auf ebenfalls bewaffnete (oder mit anderen gefährlichen Werkzeugen ausgestattete) und einsatzbereite Amtsträger:innen der Polizei, der Justiz oder Militärpersonen würden ein gesteigertes Eskalationspotential beinhalten, was mit Verwendungsabsicht Handelnde bewusst in Kauf nähmen.440 Im Umkehrschluss kann daraus geschlossen werden, dass das Beisichführen ohne Verletzungsabsicht grundsätzlich kein erhöhtes Gefährdungspotential entfaltet. Die Bundesrechtsanwaltskammer knüpft ihre Bedenken zur Streichung der Verwendungsabsicht an das geschützte Rechtsgut. Der Unrechtsgehalt bei § 113 StGB ergebe sich in erster Linie aus der Verletzung überindividueller Interessen. Das Beisichführen von Waffen und gefährlichen Werkzeugen gefährde jedoch allenfalls die körperliche Integrität, weshalb die Argumentation nicht greifen soll.441 Dem kann nur zum Teil zugestimmt werden. Fühlt sich das Opfer beim Anblick eines mitgeführten Gegenstands, zum Beispiel eines Brecheisens oder
435
Kubiciel, Stellungnahme zu BT-Drs. 18/11161, S. 7. BGH, Urt. v. 21.09.1993 – 5 StR 411/93 = BeckRS 1993, 31089105. 437 BGH, B. v. 16.06.2015 – 2 StR 467/14 = BGH NStZ-RR 2015, 309. 438 Vgl. BGH, B. v. 07.11.1989 – 1 StR 572/89 = BeckRS 1989, 31099744, auch wenn die Umstände des Einzelfalls dort nicht für die Annahme eines schweren Falls ausreichten. 439 Zöller, KriPoZ 2017, 143, 149. 440 BR-Drs. 187/15, S. 12. 441 BRAK, Stellungnahme Nr. 16/2017, S. 4. 436
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C. Dogmatische Probleme der aktuellen Gesetzeslage
eines Baseballschlägers, gefährdet, auch ohne, dass dieses bewusst als Drohmittel eingesetzt wurde, ruft es möglicherweise erst Verstärkung oder informiert anwesende Kolleg:innen. In jedem Fall wird das Opfer zunächst sämtliche Maßnahmen der Eigensicherung ergreifen, bevor es die Vollstreckungshandlung vornehmen wird. Die ungestörte Durchführung staatlicher Vollstreckungsakte kann daher mittelbar beeinträchtigt sein, wenn der „ausführende Arm“ vermutet, in Bedrängnis zu geraten. Darüber hinaus ist die in den Gesetzesmaterialien angeführte Begründung für die Streichung der Verwendungsabsicht aufgrund ihrer fehlenden Konkretheit zu bemängeln. Dort heißt es, mit diesem Schritt könne die „potentielle Gefahr der Rechtsgutverletzung adäquat bestraft werden“.442 Diese Argumentation lässt sich für nahezu jede Gesetzesverschärfung heranziehen.443 bb) Vergleichbarkeit mit dem Diebstahl mit Waffen Vorbild für die Gesetzesänderung im ersten Regelbeispiel von § 113 StGB a. F. war ausweislich der Gesetzesbegründung § 244 Abs. 1 Nr. 1 StGB. Die Schwere der Rechtsgutsverletzung im Rahmen der Widerstandsdelikte gegen die Staatsgewalt sei vergleichbar mit jener beim Diebstahl mit Waffen.444 Auch an dieser Begründung bestehen Zweifel. Zum einen ist fraglich, weshalb eine Vorschrift als Vorbild diente, die der Bundesgerichtshof ausdrücklich als missglückt bezeichnete.445 Zum anderen ist an dem Vergleich zu bemängeln, dass den Besonderheiten von Widerstandshandlungen nicht hinreichend Rechnung getragen wurde. Im Unterschied zum Diebstahl ist bei den §§ 113, 114 StGB die Begehung einer Straftat häufig nicht im Vorfeld geplant. Das strafbare Verhalten ergibt sich meist situativ und unvorhersehbar, sodass das Beisichführen kein Ausdruck erhöhten kriminellen Potentials ist, sondern oftmals Zufall.446 Zwar sind auch in Diebstahlsfällen Zusammenstöße mit anderen Personen offenkundig nicht beabsichtigt, doch wird dabei meist vor der Tat ausgewählt, ob und welche Werkzeuge mitgenommen werden. Der oder die Täter:in bei den §§ 113, 114 StGB wird regelmäßig erst durch die Dienst- oder Vollstreckungshandlung in die Situation gebracht, in der der Entschluss gefasst wird, anzugreifen. In dieser Situation besteht zudem kaum die Möglichkeit, den Gegenstand abzulegen.447 Insofern ist die Sachlage nur bedingt vergleichbar. 442
BT-Drs. 18/11161, S. 9. Das erkannte bereits Müller, Stellungnahme zu BT-Drs. 18/11161 und BR-Drs. 126/1/17, S. 11. 444 BT-Drs. 18/11161, S. 9. 445 BGHSt 52, 257 = BGH NJW 2008, 2861, 2863. 446 Erb, KriPoZ 2018, 48, 49; Singelnstein/Puschke, NJW 2011, 3473, 3474. 447 NRV, Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften, S. 2. 443
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cc) Unbenannter Grund: Beseitigung von Beweisproblemen Somit ist wahrscheinlich, dass die Streichung der Verwendungsabsicht weniger aus Gründen der Dogmatik (Vergleichbarkeit mit § 244 Abs. 1 Nr. 1a StGB) oder aus dem Grund erfolgte, dass Widerstandshandlungen und tätliche Angriffe, bei denen ein gefährliches Werkzeug oder eine Waffe ohne Verwendungsabsicht mitgeführt wurde, eine relevante Gefahr für Andere darstellen würden. Ein entscheidendes, hinter der Novellierung stehendes Motiv könnte gewesen sein, der Staatsanwaltschaft beziehungsweise Gerichten den unter Umständen schwierigen Nachweis der Verwendungsabsicht zu erleichtern. Die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) hatte bereits 2009 die beiden im Jahr 2017 vorgenommenen Änderungen an den Regelbeispielen gefordert, mit ebendieser Begründung, dass der Nachweis schwer sei.448 Vollständig aus der Welt geschaffen wurde der Nachweis jeglichen Vorsatzes mit der Novellierung allerdings nicht. Zwar muss nach der geltenden Rechtslage keine Verwendungsabsicht mehr nachgewiesen werden, für die bei der alten Fassung bereits dolus eventualis ausreichend war,449 dennoch muss mit dem Bewusstsein gehandelt worden sein, eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich zu tragen.450 Der Bundesrat befürchtet in seiner Stellungnahme zum Gesetzesentwurf, dass dieser Vorsatz aufgrund der fehlenden Reflexion über das Mitführen eines abstrakt gefährlichen Gegenstands als Besonderheit von Vollstreckungssituationen noch schwieriger als beim Diebstahl mit Waffen nachzuweisen sein wird.451 Den Beweisschwierigkeiten, die mit subjektiven Tatbestandsmerkmalen einhergehen, wurde durch die Novellierung damit nicht vollständig abgeholfen. c) Kritikpunkt Nr. 1: Wertungswidersprüche im Strafmaß aa) Allgemeiner Vergleich mit anderen Regelbeispielen und mit Qualifikationen Anders als die Entwürfe des Saarlandes und Hessens, die ein Strafmaß von sechs Monaten bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe für die Regelbeispiele vorsahen,452 entschied die Legislative 2017 das bestehende Strafmaß von sechs Monaten bis maximal fünf Jahre Freiheitsstrafe beizubehalten. Die für den Widerstand und den tätlichen Angriff im besonders schweren Fall geltende Strafandrohung 448 Konkret heißt es dort: „Den gerichtsfesten Nachweis zu führen, dass der Täter die mitgeführte Waffe (oder ein anderes gefährliches Werkzeug) – auch nur gegebenenfalls – verwenden will, ist in der Praxis außerordentlich schwierig. Aus polizeilicher Sicht bestehen an einer solchen Absicht zwar regelmäßig keine Zweifel; die Erfahrung zeigt aber, dass die richterliche Bewertung nicht selten eine andere ist.“, DPolG, Stellungnahme vom 17.06.2010 Az. II A 2 – 4010/8 – 25 304/2010. 449 NK-StGB/Paeffgen, Band 2, § 113 Rn. 26. 450 MüKo-StGB/Schmitz, Band 4, § 244 Rn. 77. 451 BR-Drs. 126/1/17, S. 2. 452 BR-Drs. 187/15 und BR-Drs. 165/15.
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entspricht daher weiterhin unter anderem der Offenbarung von Staatsgeheimnissen, § 95 Abs. 1 StGB, der Zuhälterei, § 181a Abs. 1 StGB, oder der Tötung auf Verlangen, § 216 Abs. 1 StGB. Während es bei dem einfachen Widerstand und dem Widerstand im besonders schweren Fall wie üblich zu einem deutlichen Sprung im Strafrahmen kommt, existiert ein solcher zwischen dem einfachen tätlichen Angriff und dem besonders schweren Fall nicht. Beim besonders schweren Fall eines tätlichen Angriffs wird lediglich das Mindeststrafmaß von drei auf sechs Monate erhöht. Es stellt sich die Frage, welchen Sinn es macht ein Regelbeispiel oder auch eine Qualifikation einzuführen, wenn die angedrohte Strafe nahezu gleich bleibt.453 Zum Vergleich: Beim Waffendiebstahl wird die Freiheitsstrafe im Höchstmaß im Vergleich zum Grundtatbestand auf das Doppelte erhöht, und damit ist die Norm kein Einzelfall. Eine Erklärung für das gleichbleibende Höchststrafmaß beim tätlichen Angriff ergibt sich auch nicht aus dem Unterschied, dass § 244 Abs. 1 Nr. 1a) StGB das Beisichführen einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs in Form einer Qualifikation normiert. Auch bei Regelbeispielen, wie § 113 Abs. 2 StGB eines ist, ist generell ein großer Sprung im Strafrahmen üblich.454 Eine Erhöhung des Strafmaßes zwischen Grundfall und besonders schwerem Fall um lediglich drei Monate im Mindestmaß unter Gleichbleiben des Höchstmaßes existiert soweit ersichtlich kein zweites Mal im Strafgesetzbuch. Auch wenn die Betrachtung näher auf den konkreten Untersuchungsgegenstand gerichtet wird, also Normen verglichen werden, die eine Tat mittels Waffen oder anderer gefährlicher Werkzeuge als Regelbeispiel beinhalten,455 oder auch, wie bei der gefährlichen Körperverletzung, als Qualifikation456 enthalten, erge453
Siehe dazu bereits S. 134. Siehe z. B. § 94 StGB: Grundsätzlich Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr, in besonders schweren Fällen lebenslange Freiheitsstrafe oder Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren; § 263 StGB: Grundsätzlich Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahre oder Geldstrafe, in besonders schweren Fällen Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren; § 184i StGB: Grundsätzlich Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe, in besonders schweren Fällen drei Monate bis zu fünf Jahren. 455 Neben § 113 StGB nur noch: § 125 StGB und 125a StGB: Grundsätzlich Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe, in besonders schweren Fällen Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren und § 121 StGB: Grundsätzlich Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren, in besonders schweren Fällen sechs Monate bis zu zehn Jahren. 456 § 177 StGB: Im Grundfall Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren, als Qualifikation Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren bis zu fünf Jahren; § 224 StGB: Im Grundfall Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahre oder Geldstrafe, als Qualifikation Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren; § 250 StGB: Im Grundfall Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr, als Qualifikation nicht unter drei Jahren. 454
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ben sich im Vergleich deutlich höhere Strafandrohungen als im Verhältnis zwischen dem (einfachen) tätlichen Angriff und diesem in besonders schwerem Fall. Im Verhältnis zur Nötigung, die keinen besonders schweren Fall kennt, besteht außerdem im Rahmen des § 113 StGB die Möglichkeit, dass der Strafrahmen von § 240 StGB überschritten wird.457 bb) Vergleich mit § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB im Besonderen Besonders deutlich werden systematische Defizite hinsichtlich des Strafmaßes im Vergleich mit der gefährlichen Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB. Die Vorschrift hat neben der Mindeststrafandrohung von drei Monaten Freiheitsstrafe mit § 113 Abs. 2 Nr. 1 StGB gemein, dass eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug mitgeführt werden muss. Als gefährliche Werkzeuge gelten im Rahmen der Vorschrift alle körperlichen Gegenstände, die nach ihrer objektiven Beschaffenheit und der Art ihrer konkreten Verwendung dazu geeignet sind, erhebliche Verletzungen hervorzurufen.458 Im Unterschied zu § 113 StGB setzt die Tatbestandsverwirklichung einer gefährlichen Körperverletzung jedoch nicht nur das Mitsichführen, sondern auch die Verwendung des Gegenstands voraus („mittels [. . .] begeht“), was nicht nur dazu führt, dass die Definition nicht auf Tatbestände übertragen werden kann, die keine Verwendung voraussetzen, sondern auch zur Folge haben kann, dass eine potentielle Gefährdung durch ein gefährliches Werkzeug im Rahmen des Widerstands stärker bestraft werden kann als dessen Verwendung bei § 224 StGB (sofern ein minder schwerer Fall angenommen wurde).459 Darüber hinaus handelt es sich bei § 224 StGB um eine Qualifikation zu einem Erfolgsdelikt, während § 113 Abs. 2 StGB ein Unternehmensdelikt im Grundtatbestand zu Grunde liegt, also kein Erfolg vorausgesetzt wird.460 Ob diese unterschiedliche Behandlung von Täter:innen, die Gewalt gegen Vollstreckungspersonen anwenden und solchen, die Personen ohne eine solche Eigenschaft angreifen, allein durch die amtliche Funktion der Opfer gerechtfertigt beziehungsweise im Strafmaß durch die bei § 224 StGB zur Verfügung stehende höhere Höchststrafe abgefedert werden kann, ist im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG fraglich.461 Der Gesetzesbegründung zufolge sei ein solches Sonderstrafrecht für Staatsbedienstete aufgrund einer besonderen, mit der Tätigkeit ver-
457 Puschke/Rienhoff, JZ 2017, 924, 931; Müller, Stellungnahme zu BT-Drs. 18/ 11161 und BR-Drs. 126/1/17, S. 11. 458 St. Rspr., BGH, Urt. v. 23.06.1999 – 3 StR 94-99 = NStZ 1999, 616, 617; BGH, Urt. v. 27.09.2001 – 4 StR 245/01 = NStZ 2002, 86, 86. 459 Puschke/Rienhoff, JZ 2017, 924, 931; BRAK, Stellungnahme Nr. 16/2017, S. 5. 460 Roggan, Stellungnahme LT NRW Drs. 16/3453, S. 12. 461 Die BRAK verneint das, Stellungnahme Nr. 16/2017, S. 5.
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bundenen Gefährlichkeit gerechtfertigt,462 wobei außer Acht gelassen wird, dass bereits die allgemeinen Vorschriften sämtliche Tathandlungen abdecken, bei denen die Rechtsgüter jener Personen tatsächlich gefährdet sein könnten. Im Strafmaß den vorrangigen Schutzzweck der Norm zu berücksichtigen, den Schutz rechtmäßiger Vollstreckungsakte, scheint hingegen plausibel. In diesem Fall würde daran angeknüpft, dass es bei Widerstandshandlungen mittels gefährlicher Werkzeuge zu Verzögerungen bei der Durchführung des Vollstreckungsakts kommen kann. Beim tätlichen Angriff nach § 114 StGB, bei dem das Opfer lediglich eine allgemeine Diensthandlung ausübt oder bei Personen nach § 115 StGB, die nicht dazu befähigt sind, besteht diese Möglichkeit nicht. d) Kritikpunkt Nr. 2: Übertragung der Auslegungsprobleme aus § 244 Abs. 1 Nr. 1a StGB und § 250 Abs. 1 Nr. 1a StGB aa) Lösungsansätze Dass die Auslegungsprobleme aus § 244 Abs. 1 Nr. 1a StGB und § 250 Abs. 1 Nr. 1a StGB auf § 113 StGB übertragen wurden, ist einer der Hauptkritikpunkte an der Gesetzesänderung. Bei den genannten Normen ist seit langem umstritten, wann ein Werkzeug als gefährlich gilt. Die Thematik ist allgemein bekannt. Die dort vertretenen Lösungsansätze für die Auslegung des gefährlichen Gegenstands reichen von einer reinen Orientierung an objektiven Maßstäben bis hin zu subjektiven Einschränkungen in Form von Verwendungsvorbehalten oder einer Gebrauchsbereitschaft. In objektiver Hinsicht wird vorgeschlagen, dass es sich um ein Werkzeug handeln muss, das in der konkreten Situation keinen anderen Sinn haben kann als eine Leibes- oder Gesundheitsgefahr hervorzurufen (sog. Singleuse-Gegenstände) oder einem gesetzlichen Verbot (mit Erlaubnisvorbehalt) unterliegen.463 Die Rechtsprechung hat eine allgemeine Definition für gefährliche Werkzeuge aufgegeben und bestimmt die Gefährlichkeit eines Gegenstands abstrakt anhand dessen objektiver Beschaffenheit. Subjektive Kriterien sollen hingegen nicht ausschlaggebend sein. Der Bundesgerichtshof bezeichnet die Fassung ausdrücklich als missglückt und systemwidrig.464 bb) Bewertung Die Auslegungsproblematik, die mit keinem Wort in der Gesetzesbegründung erwähnt wird, wurde mit der Streichung der Verwendungsabsicht identisch auf 462
BT-Drs. 18/11161, S. 1. Eine Aufzählung vieler dieser Ansätze ist in MüKo-StGB/Sander, Band 4, § 250 Rn. 17 ff. zu finden. 464 BGHSt 52, 257 = BGH NJW 2008, 2861, 2862 f.: „Bereits die Anzahl der geschilderten Lösungsansätze weist darauf hin, dass die Fassung des § 244 I Nr. 1 lit. a StGB missglückt ist.“ 463
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die hier betrachteten Normen des 6. Abschnitts des Strafgesetzbuches übertragen. Die Systemwidrigkeit ist nicht von der Hand zu weisen. Dafür, dass bei § 113 StGB aufgrund der Besonderheiten der Widerstandsdelikte etwas anderes gelten könnte, ist wenig ersichtlich. Es ließe sich einzig die Überlegung anstellen, ob der Streichung der Verwendungsabsicht ein eigenständiger Aussagegehalt beizumessen ist. Nach der Gesetzesänderung von 2011 wurde vermutet, aus dem Umstand, dass die Verwendungsabsicht nicht gestrichen wurde, sei zu schließen, die gesetzgebende Instanz habe eine Auslegung nach der (beabsichtigten) Verwendung angedacht. Statt wie bei den anderen Tatbeständen oder Regelbeispielen, in denen das gefährliche Werkzeug nur mitgeführt werden muss, könne hier nicht allein auf objektive Maßstäbe abgestellt werden.465 Durch die Streichung könnte nun geschlossen werden, den subjektiven Ansätzen sei endgültig der Rücken gekehrt worden und eine Auslegung allein anhand objektiver Kriterien auch bei den §§ 113, 114 StGB bevorzugt. Indes kann der Streichung auch ein anderer Aussagegehalt beigemessen werden, sofern ein früherer zeitlicher Anknüpfungspunkt gewählt wird. Im Jahr 1998 sei erstmals die bei § 244 StGB bekannte Problematik um das gefährliche Werkzeug geschaffen worden, indem das Tatbestandsmerkmal mit dem Beisichführen kombiniert wurde, woraufhin die Debatte um ein subjektives Begrenzungsmerkmal entbrach. Bereits 2011 habe sich die gesetzgebende Instanz mit dem Abstellen auf die Verwendungsabsicht im Umkehrschluss für die anderen Delikte, in denen nicht darauf Bezug genommen wird, gegen die Verwendungsabsicht oder einen Verwendungsvorbehalt gestellt, mithin geregelt, dass die Gefährlichkeit beim gefährlichen Werkzeug allein objektiv zu bestimmen sei.466 Würde das Merkmal bereits eine solche Komponente erfordern, hätte sie nicht hineingeschrieben werden müssen. Mit der Streichung der Verwendungsabsicht in der jüngsten Novellierung könnte in Anlehnung an die oben genannten Überlegungen daher vertreten werden, die Legislative habe sich entschieden, den Begriff des gefährlichen Gegenstands insgesamt zu begrenzen, indem ein subjektives Begrenzungskriterium in die Definition eingebaut wird, welches eine gesonderte Erwähnung im Tatbestand überflüssig macht. Dies würde jedoch dem klaren Willen der gesetzgebenden Instanz widersprechen. In der Gesetzesbegründung heißt es ausdrücklich, dass auch bestraft werden könne, wer gerade noch keine Absicht gehabt habe, den Gegenstand zu verwenden.467 Damit wurde „möglicherweise unbedachter465 MüKo-StGB/Bosch, Band 3 (3. Aufl.), § 113 Rn. 73 f.; Bosch, JURA 2011, 268, 275: Im Umkehrschluss kann daraus geschlossen werden, dass für die Bestimmung der Gefährlichkeit beim gefährlichen Werkzeug ansonsten, das heißt ohne Verwendungsabsicht, nicht auf diese hätte abgestellt werden dürfen. 466 Fahl, ZStW 2018, 745, 756; in eine ähnliche Richtung gehend: Krüger, JURA 2011, 887, 890 f. 467 BT-Drs. 18/11161, S. 9.
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weise, auf jeden Fall aber überflüssigerweise“ in die Gesetzesbegründung geschrieben, dass eine Verwendungsabsicht für das gefährliche Werkzeug nicht nötig ist.468 Dafür, dass eine geänderte Definition für die Streichung verantwortlich war, liegen keinerlei Hinweise vor. Damit wird insgesamt sichtbar, dass die Maßnahme des Streichens der Verwendungsabsicht in § 113 StGB auf verschiedene Weisen interpretiert werden kann. Sowohl die Beibehaltung des subjektiven Begrenzungsmerkmals der Verwendungsabsicht soll die allein objektive Auslegung bei den anderen Tatbeständen bestätigen, die Streichung aber auch (es kann sich frei nach vertretener Ansicht um einen Umkehrschluss oder eine beabsichtigte Klarstellung handeln). Über die Bestimmung der Gefährlichkeit eines Werkzeugs ist damit nicht mehr gesagt, als dass sie nicht an irgendeine Verwendungsabsicht oder einen inneren Verwendungsvorbehalt geknüpft ist und die Bestimmung der Gefährlichkeit weiterhin rein objektiv zu erfolgen hat. Wie bereits erwähnt ist es ohnehin wahrscheinlicher, dass die Streichung vielmehr einen praktischen als einen dogmatischen Zweck verfolgte.469 Als gefährliches Werkzeug im Sinne des § 113 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 1 StGB ist daher ein Gegenstand zu verstehen, der gebrauchsbereit mitgeführt wird und objektiv generell geeignet ist, erhebliche Verletzungen hervorzurufen.470 Mit dieser Definition droht die Mindeststrafe von sechs Monaten für Regelbeispiele bereits dann, wenn eine Widerstand leistende Person ein Taschenmesser in der Hosentasche bei sich trägt.471 e) Zwischenfazit Die Veränderung am ersten Regelbeispiel von § 113 StGB zieht zwei große dogmatische Probleme nach sich. Zum einen harmoniert das Strafmaß systematisch weder mit vergleichbaren noch generell mit Regelbeispielen und Qualifikationen des Strafgesetzbuches. Die Strafschärfung um lediglich drei Monate beim tätlichen Angriff für einen besonders schweren Fall ist einmalig im Strafgesetzbuch und wirkt undurchdacht. Damit soll nicht gesagt werden, dass eine höhere Strafe angemessen oder wünschenswert gewesen wäre.472 Als erfreuliche Änderung wäre es anzusehen gewesen, wenn das Strafmaß für die besonders schweren Fälle insgesamt nicht erhöht worden und ein minder schwerer Fall eingefügt worden wäre, wie auch etwa beim bewaffneten Diebstahl. Dieser diente schließlich als Vorbild für die Streichung der Verwendungsabsicht. Freilich wäre auch das Merkmal der Verwendungsabsicht beizubehalten gewesen. 468
Fahl, ZStW 2018, 745, 756 f. Vgl. C. IV. 1. b) cc) Unbenannter Grund: Beseitigung von Beweisproblemen. 470 BGH, B. v. 27.09.2002 – 5 StR 117/02 = NStZ-RR 2003, 12, 13 m.w. N.; Bolender, S. 131. 471 Busch/Singelnstein, NStZ 2018, 510, 514. 472 Vgl. zum Strafmaß C. VI. 1. Strafmaß. 469
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Zum anderen wurden die Auslegungsprobleme aus § 244 Abs. 1 Nr. 1a) StGB übertragen, was eine deutliche Verschlechterung der dogmatischen Situation im Vergleich zur Fassung vor der Gesetzesänderung darstellt. Der Verzicht auf das Erfordernis der Verwendungsabsicht war darüber hinaus auch im Hinblick auf das Ziel, der erhöhten potentiellen Gefahr von Waffen oder anderen gefährlichen Werkzeugen Rechnung zu tragen, größtenteils nicht erforderlich. Das gilt zumindest im Hinblick auf „einfache“ gefährliche Werkzeuge, also solche, die keine Waffen sind. Sofern der Gegenstand nicht eingesetzt wurde – in dem Fall ist ohnehin eine Strafbarkeit nach dem Regelbeispiel gegeben – ist die Gefahr einer Rechtsgutsverletzung für die Individualrechtsgüter der Vollstreckungsperson nicht erhöht. Für das (zumindest von § 113 StGB geschützte) kollektive Rechtsgut kann in Ausnahmefällen etwas anderes gelten, nämlich wenn es dadurch zu Verzögerungen bei der Vollstreckungshandlung kommt, dass die Vollstreckungsperson durch den bloßen Anblick des gefährlichen Werkzeugs zunächst Maßnahmen der Eigen- oder Fremdsicherung ergreift. Zwar gilt der Gebrauch des Gegenstands als Drohmittel ebenfalls als „verwenden“, weshalb in dieser Situation auch vor der Novellierung ein besonders schwerer Fall anzunehmen gewesen wäre, doch sofern der oder die Täterin weder die drohende Wirkung noch eine Verwendung beabsichtigte, wäre dies nicht der Fall gewesen. Insofern kann es in solchen Ausnahmesituationen zu Beeinträchtigungen der ungestörten Durchführung der Vollstreckungshandlung und damit zu einer stärkeren Gefährdung des primär durch § 113 StGB geschützten Rechtsguts kommen. Ein Beispiel: Eine Vollstreckungsperson fordert die Insassen eines PKW mit defekter Beleuchtung auf, aus dem Wagen auszusteigen. Dieser Aufforderung kommen die Angesprochenen nicht nach und verriegeln stattdessen die Tür. Die Vollstreckungsperson erblickt robuste Baseballschläger auf einem Rücksitz und entschließt sich, Verstärkung anzufordern, bevor sie, wie angedroht, die Scheibe einschlägt. In der überwiegenden Anzahl der Fälle ist die Gefahr einer Rechtsgutsverletzung durch das Beisichführen ohne Verletzungsabsicht allerdings nicht erhöht, sodass die Erforderlichkeit der Änderung dennoch bezweifelt werden darf. 2. § 113 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 StGB: Gemeinschaftliche Tatbegehung a) Problemstellung Neben den dargestellten Veränderungen am ersten Regelbeispiel wurde mit dem 52. Strafrechtsänderungsgesetz § 113 StGB a. F. um das Regelbeispiel der gemeinschaftlichen Tatbegehung erweitert, welches gem. § 114 Abs. 2 StGB auch für den tätlichen Angriff gilt. Die Regelung entspricht ihrem Wortlaut nach der Körperverletzungsqualifikation des § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB.
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Anhand des neu eingefügten Regelbeispiels der gemeinschaftlichen Tatbegehung wird die natürliche Verknüpfung der Widerstandsdelikte mit dem Versammlungsrecht deutlich, da zu erwarten ist, dass zumindest ein wichtiger, wenn auch nicht der wichtigste,473 Anwendungsbereich der Vorschrift im Zusammenhang mit Demonstrationsgeschehen steht. Darauf deuten auch die wenigen Fallbeispiele hin, die in der Literatur zu § 113 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 StGB genannt werden.474 Vollstreckungspersonen haben als verlängerter Arm des Staates auch dessen unliebsame Entscheidungen umzusetzen, wobei sie häufig zwischen die Fronten geraten.475 In Folge besonders kontroverser politischer Entscheidungen tauchen in regelmäßigen Zeitabständen Protestbewegungen auf, welche, wie andere Ereignisse, in denen sich Menschenmassen versammeln, die Kräfte der Polizei häufig in besonderem Maße fordern. Der Umgang mit den Demonstrierenden, insbesondere in Konfliktsituationen, gibt Aufschluss über den inneren Zustand einer Gesellschaft,476 denn er kann Personen von der Ausübung ihrer grundrechtlich garantierten Versammlungsfreiheit abhalten. Die Grenzen des zulässigen Umgangs zwischen den „Konfliktparteien“ Demonstrierende und die den Staat repräsentierenden Akteuren geben die Gesetze vor. Erweiterungen und Verschärfungen solcher Vorschriften wie die §§ 113 ff. StGB, welche Regelungen über Konfliktsituationen enthalten, die gerade auch bei Demonstrationen auftreten, können gleichzeitig die Sorge vor (ungerechtfertigter) Bestrafung anfeuern.477 Diese als chilling effect bezeichnete Wirkung ist geeignet, Personen von der Teilnahme an Demonstrationen abzuhalten. Im Unterschied zu früheren Gesetzesänderungen am sechsten Abschnitt des Strafgesetzbuches wurde dieser Zusammenhang beim 44. und beim 52. Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches nicht bedacht. Bei den Diskussionen zum 3. StrRG warnten sämtliche der 33 herangezogenen Fachleute vor einem unverhältnismäßigen Eingriff in Art. 8 GG478 und auch im Gesetzesantrag wurde betont, dass insbesondere das Grundrecht auf Meinungsfreiheit und das Grundrecht der Versammlungsfreiheit beachtet wurde.479 Der thematische Zusammenhang klang auch darin an, dass gleichzeitig mit der Änderung des Strafgesetzbuches Änderungen am Versammlungsgesetz vorgenommen wurden. 473
Die Ansichten hierzu differieren, vgl. S. 161 f. Erfolgloser Steinwurf zweier Demonstrierenden auf eine Hundertschaft von Mitgliedern der Polizei, Zöller, Stellungnahme LT Rheinland-Pfalz Drs. 16/5569, S. 9; Regelbeispiel ist erst erfüllt, wenn eine widerstandsleistende Person durch die Gruppe Unterstützung erhält, Bolender, S. 136. 475 Mecking, in: Polizei und Protest in der Bundesrepublik Deutschland, S. 9. 476 Mecking, in: Polizei und Protest in der Bundesrepublik Deutschland, S. 4. 477 Puschke/Rienhoff, JZ 2017, 924, 928. 478 Müller, Stellungnahme zu BT-Drs. 18/11161 und BR-Drs. 126/1/17, S. 7. 479 BT-Drs. VI/261, S. 4. 474
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Im Rahmen der jüngsten Gesetzesnovellierung war die Vereinbarkeit mit Art. 8 GG trotz des neu eingefügten Regelbeispiels „gemeinschaftliche Tatbegehung“ kein Diskussionspunkt mehr. Soweit ersichtlich haben sich hierzu im Rahmen von Stellungnahmen allein die Grünen Kreisverbände480 und Müller481 geäußert. Aufgrund des nicht zu leugnenden Zusammenhangs zwischen den Delikten gegen die Staatsgewalt und der Versammlungsfreiheit leuchtet nicht ein, wie dieser Aspekt bei der Gesetzesänderung, insbesondere im Zusammenhang mit dem Regelbeispiel der gemeinsamen Tatbegehung, außen vor geblieben ist. Dies gilt umso mehr vor dem Hintergrund, dass die Novellierung nach soweit ersichtlich nicht bestrittener Auffassung auch als Reaktion auf die Eskalationen im Zusammenhang mit dem Protestgeschehen aus dem Jahr 2015 erneut angestoßen wurde.482 Dass Wechselwirkungen mit der Versammlungsfreiheit entstehen können, war somit nicht nur aus dem historischen Kontext bekannt, sondern ergab sich auch deutlich aus dem aktuellen Zeitgeschehen. Neben den Bedenken im Zusammenhang mit Art. 8 GG483 und jenen hinsichtlich der Strafzumessung stellt sich vor dem Hintergrund der Gesetzesbegründung darüber hinaus die Frage, ob die Gefahr für das jeweils geschützte Rechtsgut bei der gemeinschaftlichen Begehung im Rahmen der §§ 113, 114 StGB gleichermaßen erhöht ist, wie es bei anderen Tatbeständen der Fall ist, in denen die gemeinschaftliche Begehung strafschärfend zu berücksichtigen ist. Diesen Aspekten wird im Folgenden nachgegangen. b) Gesetzesbegründung und Kritikpunkt Nr. 1: Vermeintlich erhöhte Gefahr Die Aufnahme der gemeinschaftlichen Begehung als Regelbeispiel stellte auch eine Forderung der GdP von 2009 dar. Im Unterschied zu den Veränderungen an Nr. 1 war diese Änderung auch im hessischen und saarländischen Gesetzesentwurf vorgesehen. Die Begründung der drei Entwürfe für die Forderung nach der Einführung ist nahezu identisch. In der Gesetzesbegründung der Novellierung heißt es: „Gemeinschaftliches Vorgehen erhöht die Gefahr für die Beamten erheblich“ und, dass „dem erhöhten Gefährdungspotential für das Opfer angemessen Rechnung“ getragen werden soll.484 Der saarländische Gesetzesentwurf stellt ausführlicher darauf ab, dass das Regelbeispiel dem erhöhten Gefährdungs- und Eskalationspotential Rechnung trage und die Wertung des § 224 Abs. 1 StGB 480
LT-Drs. 19/1987, S. 1. Müller, Stellungnahme zu BT-Drs. 18/11161 und BR-Drs. 126/1/17, S. 7. 482 Gemeint sind insbesondere die Ausschreitungen im Zusammenhang mit der Eröffnung der Europäischen Zentralbank in Frankfurt am Main, vgl. S. 57. 483 Weitere Autoren, die diesbezüglich Bedenken äußern, sind etwa Busch/Singelnstein, NStZ 2018, 511, 512. 484 BT-Drs. 18/11161, S. 9 und 2. 481
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aufgegriffen werde.485 Gleichzeitig würde die gemeinschaftliche Tatbegehung gegenüber der Alleintäterschaft regelmäßig einen unrechtsverschärfenden, schwereren Angriff auf die staatliche Autorität beinhalten.486 Er knüpft insofern richtigerweise auch an das primär von § 113 StGB geschützte überindividuelle Rechtsgut an. Auf die erhöhte Gefährlichkeit für das Opfer und die Vergleichbarkeit mit der gefährlichen Körperverletzung stellt auch der hessische Entwurf ab.487 Ob die Begründung der erhöhten Gefährlichkeit tatsächlich für das Polizei-Individuum-Verhältnis herangezogen werden kann, ist jedoch problematisch. aa) Zur Gefährlichkeit gemeinschaftlicher Angriffe im Allgemeinen In der Gesetzesbegründung wird die erhöhte Gefährlichkeit für die Individualrechtsgüter des Opfers als Begründung für die schwerere Strafe bei gemeinschaftlichen Angriffen genannt.488 Das entspricht im Grunde der Begründung anderer Regelbeispiele oder Qualifikationen,489 in denen gemeinschaftliche Angriffe mit höherer Strafe bedroht sind.490 Speziell bei Körperverletzungen wird durch einen Angriff Mehrerer typischerweise die abstrakte Gefahr für das Opfer erhöht, weshalb ein Grund für die Strafschärfung gegeben ist.491 Die Verletzungshandlung wird dadurch verstärkt, dass das gemeinsame Zusammenwirken zur Verschlechterung der Lage des Opfers geeignet ist, indem die Gegenwehr beeinträchtigt sowie Flucht- und Ausweichmöglichkeiten erschwert sind.492 Es sind nicht nur qualitativ erheblichere Verletzungen möglich, teilweise wird die Verletzung auch erst durch das gemeinschaftliche Zusammenwirken ermöglicht.493 485
BR-Drs. 187/15, S. 13. BR-Drs. 187/15, S. 15. 487 BR-Drs. 165/15, S. 6: „Als zusätzlichen Strafschärfungsgrund benennt Absatz 2 Nummer 2 die gemeinschaftliche Tatbegehung, die wegen der erhöhten Gefahrenlage für das Opfer auch die einfache Körperverletzung zu einer gefährlichen macht (§ 224 Nr. 4 StGB).“ 488 BT-Drs. 18/11181, S. 9. 489 Qualifikationen: § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB (gefährliche Körperverletzung) und § 176a Abs. 2 Nr. 2 StGB (schwerer sexueller Missbrauch von Kindern) Regelbeispiele: § 177 Abs. 6 Nr. 2 (sexueller Übergriff; sexuelle Nötigung; Vergewaltigung); § 184i Abs. 2 S. 2 (sexuelle Belästigung); § 292 Abs. 2 Nr. 3 (Jagdwilderei). 490 Einzig die Jagdwilderei vermag unter den aufgezählten Delikten nicht ins Bild zu passen. Das hängt damit zusammen, dass Schutzgut der Norm das Aneignungsrechts als Ausfluss des Eigentumsrechts des Jagdberechtigten ist (darüberhinausgehend ist das Schutzgut umstritten), MüKo-StGB/Zeng, Band 5, § 292 Rn. 1. Insofern gelingt der Vergleich mit den Nichtvermögensdelikten nicht. 491 BGH, Urt. v. 15.10.1969 – 2 StR 334/69 = NJW 1970, 105; MüKo-StGB/Hardtung, Band 4, § 224 Rn. 36; Lackner/Kühl/Kühl-StGB, § 224 Rn. 7. 492 BGHSt 47, 387 = NJW 2002, 3788, 3789. 493 MüKo-StGB/Hardtung, Band 4, § 224 Rn. 36. 486
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§ 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB erfasst aber auch Fälle, in denen die Gefährlichkeit nicht gesteigert ist, beispielsweise die Situation, dass die eine Person beim gemeinschaftlichen Raub nach Beute sucht, während die andere im gleichen Raum den oder die Besitzer:in zusammenschlägt.494 Andere fordern eine konkret gesteigerte Gefährlichkeit.495 Mit den eingeschränkten Abwehrmöglichkeiten und der erhöhten Gefahr eines Exzesses, den eine Gruppendynamik in sich trägt, wird auch beim besonders schweren Fall des sexuellen Übergriffs gem. § 177 Abs. 6 Nr. 2 StGB die erhöhte Strafandrohung gerechtfertigt.496 bb) Zur Gefährlichkeit gemeinschaftlicher Angriffe im Rahmen der §§ 113, 114 StGB Die Gefährlichkeit des Angriffs beziehungsweise der Widerstandstat zusammen mit anderen Personen müsste bei den §§ 113, 114 StGB gleichermaßen erhöht sein. Diesbezüglich herrscht Uneinigkeit in der Literatur. (1) Steigerung der Gefährlichkeit grundsätzlich möglich Einige nehmen an, dass die Intensität des Angriffs bei den §§ 113, 114 StGB in gleichem Maße wie bei den genannten Vorschriften gesteigert wird. Gruppendynamische Prozesse, insbesondere aus einer Menschenmenge heraus, sind in gleichem Maße denkbar. Ebenso leuchtet ein, dass ein verstärktes Sicherheitsgefühl, das durch die Anwesenheit oder die Mitwirkung anderer Personen vermittelt wird, auch in der Tatsituation, die die §§ 113, 114 StGB erfassen, zu exzessiverer Gewalt führen kann.497 Insofern sei die Strafschärfung bei den §§ 113, 114 StGB gleichermaßen angebracht wie etwa bei der gefährlichen Körperverletzung oder dem sexuellen Übergriff.498 Sinnvoll erscheint eine auf das Schutzgut der Tatbestände abgestimmte Betrachtung, obwohl die Gesetzesbegründung nur auf die Gefahr für das Opfer abstellt. So könnte beim tätlichen Angriff wegen der individualschützenden, identischen Zielsetzung mit der Körperverletzung und der Tatsache, dass der tätliche Angriff häufig in Form einer zumindest versuchten Körperverletzung auftritt, an-
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NK-StGB/Paeffgen/Böse, Band 2, § 224 Rn. 24. Kulhanek, JR 2018, 551, 557; vgl. allgemein zu gemeinschaftlichen Angriffen: Fischer-StGB (69. Aufl.), § 224 Rn. 25. 496 MüKo-StGB/Renzikowski, Band 3, § 177 Rn. 160. 497 Dafür: Magnus, Stellungnahme zu BT-Drs. 18/11161, S. 6; Kubiciel, Stellungnahme zu BT-Drs. 18/11161, S. 6. 498 Kulhanek, JR 2018, 551, 557. 495
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C. Dogmatische Probleme der aktuellen Gesetzeslage
genommen werden, dass die Situation in gleichem Maße gefahrsteigernd ist.499 Beim Widerstand mittels Gewalt oder Drohung mit Gewalt steht hingegen das kollektive Rechtsgut im Vordergrund. Gewalt, die keinen tätlichen Angriff darstellt, ist mangels Einwirkung auf den Körper zwangsläufig gegen die Vollstreckungshandlung und gegen die Willensentschließungs- und Betätigungsfreiheit gerichtet, weshalb das Zusammenwirken Mehrerer hier die Gefahr der Intensivierung einer Rechtsgutsverletzung sowohl für die Individualrechtsgüter des Opfers als auch im Hinblick auf den kollektiven Zweck erhöhen kann. Darüber hinaus besteht in diesen Fällen die Gefahr, dass die Gewaltanwendung durch die Gruppendynamik verstärkt wird und gegebenenfalls in einen körperverletzenden Angriff umschlagen kann.500 (2) Keine vergleichbare Steigerung der Gefährlichkeit wie bei Konfliktsituationen zwischen Durchschnittsindividuen Bei Taten gemäß den §§ 113, 114 StGB ist es allerdings typischerweise so, dass mehrere, gut ausgebildete und bewaffnete Vollstreckungsbeamt:innen den Täter:innen gegenüberstehen, wobei letztere üblicherweise alkoholisiert sind oder unter anderen Drogen stehen und zudem häufig bereits in Erscheinung getreten sind.501 Diese Fälle liegen oft an der unteren Grenze des Strafwürdigen und werden mit maximal 90 Tagessätzen bestraft, wenn das Verfahren nicht bereits nach §§ 153, 153a StPO eingestellt wurde.502 Es ist zutreffend, dass die Abwehrmöglichkeiten bei mehreren Angreifenden ebenfalls erschwert werden können und das Eskalationspotential erhöht sein kann. Aber die Situation ist eine andere, wenn Vollstreckungspersonen auf der Opferseite stehen. Diese haben gegenüber den in der Regel unbewaffneten, nicht mit Schutzkleidung ausgestatteten und darüber hinaus ungeschulten Angreifenden eine deutlich bessere Ausgangssituation als es der Fall ist, wenn sich durchschnittliche Gesellschaftsmitglieder gegenüberstehen. Die gegnerische Übermacht, die für die gemeinschaftliche Tatbegehung erforderlich ist503 und die zwischen den tätlich werdenden Personen durch die Überzahl im Normalfall recht 499 So Kohler, IPK WPS, S. 29 f., welche die Übertragung der erhöhten Gefährlichkeit für die Individualrechtsgüter des Opfers jedoch an anderer Stelle ablehnt. 500 Kohler, IPK WPS, S. 30 f. 501 Von den im Jahr 2019 wegen tätlichem Angriff auf Vollstreckungsbeamt:innen und gleichstehende Personen registrierten Tatverdächtigen waren der Polizei 1.629 Personen (11,7 %) als „Konsument harter Drogen“ bekannt, 8.167 Personen (58,7 %) standen „unter Alkoholeinfluss“. BKA, Gewalt gegen Polizeivollzugsbeamtinnen und Polizeivollzugsbeamte – Bundeslagebild 2019, 2.2.3.1., T02; 75 % waren bereits in Erscheinung getreten, 3.3.1.2., T01. 502 BeckOK-StGB/Dallmeyer, 52. Edition, § 113 Rn. 31. 503 Lackner/Kühl/Kühl-StGB, § 224 Rn. 7; Eidam, S. 104; Küper, GA 2003, 363, 379.
IV. Veränderungen innerhalb der Regelbeispiele
161
eindeutig gegeben ist, ist bei Mitgliedern der Polizeibehörden als Opfern nicht zwingend vorhanden. Diese sind, wie bereits erwähnt, ihrem Gegenüber oft in mehrfacher Hinsicht überlegen. Insofern ist das Gleichgewicht zwischen den Konfliktparteien ein anderes und die Lage nur bedingt vergleichbar. Ob es einer solchen Regelung speziell für Vollstreckungspersonen bedurfte, ist daher fraglich. Etwas anderes kann bei den über § 115 StGB in den Schutzbereich miteinbezogenen Personen gelten. Rettungssanitäter:innen (Abs. 3) und Beauftragte eines Abschleppdienstes (Abs. 2) etwa sind gleichermaßen bei gemeinschaftlichen Angriffen gefährdet wie durchschnittliche Staatsangehörige. Für § 114 StGB gilt eine weitere Überlegung: Handelt ein oder eine Täter:in ohne Verletzungsvorsatz und hält das eigene Verhalten darüber hinaus nicht einmal für verletzungsgeeignet, wie von der herrschenden Meinung für den tätlichen Angriff für ausreichend erachtet,504 ist die Intensität des Angriffs durch das gemeinschaftliche Zusammenwirken nicht derart erhöht, dass ein besonders schwerer Fall angenommen werden müsste. Ansonsten wäre ohnehin eine versuchte gefährliche Körperverletzung anzunehmen. Insofern ist das Regelbeispiel nicht erforderlich.505 Wenn die angreifende Person, wie hier gefordert, seine oder ihre Handlung zumindest für verletzungsgeeignet gehalten haben muss, um von einem tätlichen Angriff auszugehen, ist es möglich (wenn auch nicht zwingend, da es sich um ein subjektives Erfordernis handelt), dass die Handlung auch objektiv gefährlicher war und insofern eine gewisse Gefahr für das Opfer bestand. Nur in wenigen Fällen wird, wenn Vorsatz hinsichtlich der Verletzungseignung gegeben ist, nicht gleichzeitig auch Verletzungsvorsatz vorhanden sein. Damit wird regelmäßig ohnehin eine zumindest versuchte Körperverletzung vorgelegen haben, sodass auch hier der besonders schwere Fall des tätlichen Angriffs hinter der Strafandrohung der gefährlichen Körperverletzung zurückbleiben würde und eine gesonderte Normierung damit überflüssig wäre. Der Vorwurf der Überflüssigkeit ist allerdings nicht nur im Hinblick auf den tätlichen Angriff gerechtfertigt. Dem Bundeslagebild nach wurden 2019 beim Widerstand 93,7 %, beim tätlichen Angriff 93,5 % der Tatverdächtigen als alleinhandelnd registriert.506 Über dieses Thema der Häufigkeit von gemeinschaftlichen Angriffen sind trotz der zunächst eindeutig scheinenden Zahl äußerst widersprüchliche Aussagen anzutreffen. Der DPolG nach sei in der überwiegenden Anzahl der Fälle von einem gezielten, gemeinsamen Vorgehen auszugehen.507 Teils 504 Vgl. zu Ansicht der h. M. C. II. 1. Allgemeines und bisherige (herrschende) Definition des tätlichen Angriffs. 505 Müller, Stellungnahme zu BT-Drs. 18/11161 und BR-Drs. 126/1/17, S. 12. 506 BKA, Gewalt gegen Polizeivollzugsbeamtinnen und Polizeivollzugsbeamte – Bundeslagebild 2019, 3.3.1.2. – T01. 507 DPolG, Stellungnahme vom 17.06.2010, Az. II A 2 – 4010/8 – 25 304/2010.
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C. Dogmatische Probleme der aktuellen Gesetzeslage
wird das genaue Gegenteil behauptet.508 Andere nehmen an, insbesondere bei Demonstrationen und anderen Großveranstaltungen sei es der Regelfall, dass mehrere Täter:innen den Bediensteten der Polizei gegenüberstehen, und dass das Regelbeispiel abzulehnen sei, da in dem Fall der besonders schwere Fall zum Regelfall gemacht werde.509 Andere befürworten die Regelung umgekehrt gerade deshalb, weil Alleinhandelnde bei Großveranstaltungen den Einzelfall darstellen würden.510 Ausgehend von den im Bundeslagebild abgebildeten registrierten Fällen kann es wohl als wahrscheinlicher erachtet werden, dass die Taten in der überwiegenden Anzahl der Fälle im Alleingang begangen werden. Für Großveranstaltungen sieht die Lage anders aus, doch sind diese ebenfalls im Bundeslagebild erfasst und insofern voraussichtlich von weniger geringem Gewicht, als es teilweise scheint. Selbst wenn davon abweichend angenommen wird, Widerstand gegen die geschützten Personen trete ganz überwiegend in gemeinschaftlich agierenden Täter:innenkonstellationen auf, spräche gegen die Normierung der gemeinschaftlichen Tatbegehung als besonders schwerer Fall, dass dieser dann den Regelfall darstellen würde. Die Regelung wäre nicht aufgrund des Vorwurfs der Überflüssigkeit abzulehnen, sondern wegen der extremen Ausdehnung der Strafbarkeit. Über das Gesagte hinaus spricht die gelebte Praxis gegen die Erforderlichkeit der Normierung eines Regelbeispiels im Falle gemeinschaftlicher Tatbegehung. Wie bei allen Regelbeispielen ist auch der Regelbeispielkatalog des § 113 Abs. 2 StGB nicht abschließend. Wiegen andere Fälle nach Ansicht des Gerichts genauso schwer, kann auf den strengen Strafrahmen zurückgegriffen werden, sog. Analogiewirkung.511 Von dieser Analogiewirkung wurde in der Rechtsprechung vor der Einführung des Regelbeispiels Gebrauch gemacht: Bei gemeinschaftlich herbeigeführten Verletzungen wurde ein unbenannter besonders schwerer Fall angenommen. c) Kritikpunkt Nr. 2: Wertungswidersprüche im Strafmaß Hinsichtlich des Strafmaßes sind gleich mehrere Wertungswidersprüche bedenklich. aa) Vergleich mit anderen Delikten Auf die Unzulänglichkeiten im Strafmaß im Vergleich mit § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB, also im Zusammenhang mit Waffen und gefährlichen Werkzeugen, wurde 508
Roggan, Stellungnahme LT NRW Drs. 16/3453, S. 13. Zöller, KriPoZ 2017, 143, 149; Wagner-Kern, RuP 2018, 7, 10. 510 Schiemann, NJW 2017, 1846, 1847. 511 Zöller, KriPoZ 2017, 143, 149. Auf der anderen Seite hat die Indizwirkung zur Folge, dass trotz Vorliegens eines dem Regelbeispiel entsprechenden Sachverhalts ein besonders schwerer Fall abgelehnt werden kann. 509
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bereits hingewiesen.512 Auch hinsichtlich des Regelbeispiels der gemeinschaftlichen Begehung zeigt insbesondere der Vergleich mit den Körperverletzungsqualifikationen, dass das Strafmaß des § 113 Abs. 2 StGB insgesamt, trotz der deutlich höheren Höchstgrenze in § 224 StGB, unverhältnismäßig hoch erscheint, insbesondere im Zusammenhang mit tätlichen Angriffen. Da es für die Verwirklichung des tätlichen Angriffs weder zu einem Körperverletzungserfolg gekommen sein muss noch ein solcher beabsichtigt gewesen sein muss, werden auch ungefährliche Konstellationen vom Regelbeispiel und seiner hohen Strafandrohung erfasst. So würde dem Wortlaut nach ein besonders schwerer Fall bereits vorliegen, wenn mehrere Täter:innen mit Schutzkleidung ausgerüstete Vollstreckungspersonen mit kleineren Erdklumpen bewerfen, die objektiv ungefährlich waren, was von den Werfenden auch erkannt wurde.513 Natürlich kann hier ausnahmsweise auch davon abgesehen werden, das Regelbeispiel für einschlägig zu erachten. Darauf vertrauen zu müssen, trägt jedoch nicht zu größerer Rechtssicherheit bei. bb) Beweisprobleme Verstärkt wird die Bedeutung dieser Kritikpunkte durch Beweisprobleme, die sich ergeben, wenn verschiedene Personen gleichzeitig eine Tat begehen. Gerade beim Handeln aus einer Menschenmenge heraus ist es schwierig zu ermitteln, ob Verdächtige bewusst das Handeln anderer unterstützten oder eigenständig handelten.514 Insbesondere bei Großveranstaltungen ist zu befürchten, dass der Wertungsspielraum der verbeamteten Personen hierdurch ausgeweitet wird.515 Diesen Aspekt erkannten der federführende Rechtsausschuss und der Ausschuss für innere Angelegenheiten bereits 2017 und empfahlen daher, hinter „gemeinschaftlich“ den Zusatz „oder aus einer Menschenmenge heraus“ ins Gesetz einzufügen. Sie zielten damit nicht explizit auf mögliche Beweisprobleme ab, sondern führten an, dass es in dieser Konstellation oft am bewussten Zusammenwirken fehlt, das im Entwurf enthaltene Regelbeispiel demnach nicht einschlägig wäre. Die besondere Gefährlichkeit ergebe sich aber gerade daraus, dass die Anonymität der Masse Angreifenden einen besonderen Schutz vermittle. Die typische Eigendynamik von Menschenmengen sei zudem geeignet, das Gefühl der eigenen Verantwortung zurückzudrängen und die Strafverfolgung zu erschweren.516 Vor dem Hintergrund dieser Argumentation und der Tatsache, dass das „Problem“ der Ausschreitungen gerade bei Großveranstaltungen auftritt, wäre die Auf512 513 514 515 516
Vgl. C. IV. 1. c) bb) Vergleich mit § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB im Besonderen. Roggan, Stellungnahme LT NRW Drs. 16/3453, S. 1. Kohler, IPK WPS, S. 30 f. Vgl. Puschke/Rienhoff, JZ 2017, 924, 931. BR-Drs. 126/1/17.
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nahme des Handelns aus der Menschenmenge heraus in den Katalog der Regelbeispiele anstelle der gemeinschaftlichen Tatbegehung sinnvoller gewesen, ist im Ergebnis aber dennoch abzulehnen. Denn auch in diesen Fällen wird, sofern die Tathandlung eine gewisse Erheblichkeit aufweist, gleichzeitig eine zumindest versuchte Körperverletzung vorliegen. Den dabei möglicherweise auftretenden Beweisproblemen mittels einer Absenkung der materiellen Tatbestandsvoraussetzungen zu begegnen, wäre zumindest aus Gesichtspunkten der Verhältnismäßigkeit höchst fragwürdig.517 d) Sonstige Kritikpunkte an dem Regelbeispiel Teilweise wird auch bemängelt, dass die Auslegungsprobleme des § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB auf die Widerstandsdelikte übertragen werden würden.518 Lange war unklar, ob zur Verwirklichung der gemeinschaftlichen Körperverletzung ein täterschaftliches Zusammenwirken erforderlich ist. Nachdem der Wortlaut mittlerweile in „Beteiligter“ und „gemeinschaftlich“ geändert wurde, hat sich eine überwiegend vertretene Meinung herauskristallisiert, nach der keine Täterschaft zwischen den gemeinschaftlich Agierenden gefordert wird.519 Dadurch besteht die Gefahr einer Ausweitung der Strafbarkeit dahingehend, dass die bloße Anwesenheit einer anderen Person am Tatort zur Verwirklichung des Regelbeispiels ausreichend sein kann. Diese Gefahr betrifft § 113 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 StGB gleichermaßen. Weiterhin gilt, wie bei den anderen Regelbeispielen aus § 113 Abs. 2 StGB, dass das Strafmaß beim tätlichen Angriff in derart geringem Maße erhöht wird, dass die Anhebung auf der Rechtsfolgenseite nicht erforderlich war.520 e) Zwischenfazit Auch bei den §§ 113, 114 StGB ist die Gefahr für die Opfer erhöht, wenn mehrere Personen gemeinschaftlich zusammenarbeiten. Allerdings ist das nicht in gleichem Maße der Fall, wie bei den anderen im Strafgesetzbuch geregelten Fällen der gemeinschaftlichen Tatbegehung, da es trotz des Zusammenwirkens oft an der typischen Übermacht auf Täter:innenseite fehlt. Darüber hinaus gilt für den tätlichen Angriff, dass in der Regel ohnehin eine zumindest versuchte Körperverletzung vorliegt, die eine härtere Bestrafung erlaubt. Das Regelungsbedürfnis ist auch daher gering, da in über 90 % der registrierten Fälle kein gemein517
Bülte, JZ 2014, 603, 607. SK-StGB/Wolters, Band 3, § 113 Rn. 31. 519 BGH, B. v. 24.01.2017 – 2 StR 188/16 = NJW 2017, 1894 Rn. 9; Heinrich, JR 03, 212, 213; NK-StGB/Paeffgen/Böse, Band 2, § 224 Rn. 24. 520 Kohler, IPK WPS, S. 30. 518
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schaftliches Handeln gegeben ist und für alle weiteren Fälle ein unbenannter schwerer Fall angenommen werden könnte. Zudem bestehen Wertungswidersprüche zu anderen Normen des Strafgesetzbuches, insbesondere zu § 224 StGB, die bei der gemeinschaftlichen Tatbegehung durch Beweisschwierigkeiten hinsichtlich des bewussten Zusammenwirkens verstärkt werden. Diese ergeben sich insbesondere bei Großveranstaltungen, wo die Betreffenden aus dem Schutz der Menschenmenge heraus handeln. Damit sind die dogmatischen Unzulänglichkeiten weniger groß als beim ersten Regelbeispiel des § 113 StGB. Dennoch überwiegen sie. 3. Bewertung des Alternativvorschlags des saarländischen Gesetzesentwurfs Der saarländische Gesetzesentwurf sah neben der gemeinschaftlichen Tatbegehung zwei weitere Regelbeispiele vor. Erfasst werden sollten Verletzungshandlungen, die a) mit Qualen oder rohen Misshandlungen einhergehen und solche, die b) eine dauerhafte Dienstunfähigkeit herbeiführen. Auch wenn der aktuelle Gesetzestext das Bezugsmaterial der hiesigen Ausarbeitung bildet, erstreckt sich das legislatorische Geschehen, aus dem dieser hervorging, auch auf in diesem Zusammenhang erfolglos gebliebene Gesetzesentwürfe. Um die Parallelen aufzuzeigen und darzustellen, aus welchen Alternativen im Gesetzgebungsprozess im Jahr 2017 ausgewählt wurde, wird anschließend untersucht, welche über die bereits vorgestellten Aspekte hinausgehenden Veränderungen der saarländische Gesetzesantrag am damaligen Gesetzestext vorsah. Dabei wird auch beurteilt, ob es sich um eine wünschenswerte Regelung gehandelt hätte, mithin, ob die Legislative gut daran getan hat, diesen Vorschlag abzulehnen. a) Quälen oder rohes Misshandeln § 113 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StGB-E sollte das Quälen oder rohe Misshandeln von Personen mit Amtsträgereigenschaft sanktionieren. Diese Tatbestandsmerkmale entstammten § 225 StGB, der Misshandlung von Schutzbefohlenen. Laut Entwurfsbegründung sollte auf dessen Auslegungsergebnisse zurückgegriffen werden.521 Unter „Quälen“ ist damit das Verursachen länger andauernder oder sich widerholender Schmerzen zu verstehen,522 die auch durch ein einmaliges Handeln herbeigeführt werden können.523 Es umfasst sowohl das Zufügen körper-
521
BR-Drs. 187/15, S. 12. BGH, Urt. v. 04.08.2015 – 1 StR 624/14 = NJW 2015, 3047 Rn. 30; BGHSt 41, 113, 115 = NJW 1995, 2045. 523 Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben-StGB (30. Aufl.), § 225 Rn. 12. 522
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licher Schmerzen als auch seelischer Leiden.524 Eine „rohe Misshandlung“ ist zu bejahen, wenn aus einer gefühllosen, fremdes Leiden missachtenden Gesinnung heraus dem Opfer mittels einer Körperverletzung erheblicher Schmerz oder erhebliches Leid zufügt wird.525 § 225 StGB schützt die psychische und physische Unversehrtheit der Schutzbefohlenen.526 Bei diesen handelt es sich um besonders schutzbedürftige Personen wie Kinder und wegen Krankheit oder Alters gebrechliche Menschen.527 Schon begrifflich fällt es schwer, Vollstreckungspersonen, Richter:innen und andere mit staatlicher Autorität ausgestatten Personen, für welche die §§ 113 ff. StGB gelten, mit Kindern und gebrechlichen Personen zu vergleichen. Gegen eine Gleichstellung mit diesen besonders schutzbedürftigen Personengruppen spricht auch die Aussage des Bundesgerichtshofs, dass Angriffe gegen Mitglieder der Polizei, also professionell mit Konfliktsituationen umgehende Personen, die dafür entsprechend geschult sind und in der konkreten Situation über besondere Hilfs- und Schutzmittel verfügen, möglicherweise weniger gefährlich sind.528 Zudem war fraglich, ob diese geplante Ausdehnung der Strafbarkeit erforderlich gewesen wäre. Die körperliche Integrität Staatsbediensteter wird hinreichend über die §§ 113 ff. StGB(-E) sowohl vor Gewalt als auch vor tätlichen Angriffen geschützt (und darüber hinaus über die allgemeinen Straftatbestände der §§ 223 ff. StGB). Schwieriger zu beurteilen ist der Schutz der seelischen Unversehrtheit. Ist diese durch Drohungen mit Gewalt verletzt, was bei seelischen Leiden häufig der Fall ist, würde § 116 StGB-E greifen. Andere seelische Verletzungen können auch nicht über die Alternative der Gewalt erfasst werden, nachdem das Bundesverfassungsgericht den vergeistigten Gewaltbegriff nicht mehr vertritt. Diese Auffassung von Gewalt verstößt gegen Art. 103 Abs. 2 GG.529 Gewalt (und damit § 116 StGB-E) liegt somit nicht vor, wenn die als Täter:in in Betracht kommende Person lediglich körperlich anwesend war und gleichzeitig die Zwangswirkung beim Opfer rein psychischer Natur war. Jedenfalls erfüllt die Zufügung seelischer Qualen, die sich nicht auch gleichzeitig physisch in Form einer Misshandlung niederschlagen (in diesem Fall wäre § 223 StGB einschlägig), oftmals ohnehin andere Tatbestände. Längeres Einsperren im dunklen Keller kann beispielsweise nicht nur unter den Begriff des Quälens zu subsumieren sein, son524 H. M.; RG DR 1945, 22 Nr. 14; BGH, Urt. v. 04.08.2015 – 1 StR 624/14 = NJW 2015, 3047 Rn. 30; MüKo-StGB/Hardtung, Band 4, § 225 Rn. 11 f. 525 BGH, B. v. 28.02.2007 – 5 SzT 44/07 = NStZ 2007, 405; BGH, B. v. 22.04.1997 – 4 StR 140/97 = BeckRS 1997, 127710; NK-StGB/Paeffgen/Böse, Band 2, § 225 Nr. 16. 526 BGH, Urt. v. 04.08.2015 – 1 StR 624/14 = NJW 2015, 3047, 3047 Rn. 30; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben-StGB (30. Aufl.), § 225 Rn. 1 f. 527 NK-StGB/Paeffgen/Böse, Band 2, § 225 Rn. 9. 528 Fischer (69. Aufl.), § 113 Rn. 2; Prittwitz, KriPoZ 2018, 44, 46; vgl. auch BGH, B. v. 14.02.2017 – 4 StR 565/16 = NStZ-RR 2017, 308. 529 BVerfGE 92, 1, 14 = NJW 1995, 1141.
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dern auch den Tatbestand der Freiheitsberaubung erfüllen.530 Es ist folglich nicht davon auszugehen, dass die Einführung des Quälens und rohen Misshandelns in den Katalog der Regelbeispiele eine Strafbarkeitslücke geschlossen hätte. b) Herbeiführen einer dauerhaften Dienstunfähigkeit Weiterhin wurde vorgeschlagen, die Herbeiführung einer dauerhaften Dienstunfähigkeit als Regelbeispiel zu normieren. Zunächst stellte sich die Frage, wie das Merkmal „dauerhaft“ auszulegen sein sollte. Die Gesetzesbegründung beinhaltete dahingehend keine Hinweise. In Betracht kam eine Auslegung nach den Grundsätzen des § 226 Abs. 1 Nr. 2, 3 StGB. Danach liegt eine schwere Körperverletzung vor, wenn die verletzte Person „ein wichtiges Glied des Körpers verliert oder dauernd nicht mehr gebrauchen kann“ oder „in erheblicher Weise dauernd entstellt wird“. Die zu betrachtende Formulierung stimmt insofern nicht gänzlich mit der aus § 226 StGB überein, trotzdem kann die Möglichkeit, „dauernd“ mit „dauerhaft“ gleichzusetzen, zumindest in Betracht gezogen werden. Eine Entstellung wird als dauernd bezeichnet, wenn sie irreversibel oder ihre Beseitigung nicht konkret wahrscheinlich ist und die Beeinträchtigung unbestimmt langwierig erscheint.531 Übertragen auf die Dienstunfähigkeit würde dies bedeuten, dass der Übergriff so schwer gewesen sein müsste, dass das Mitglied der Polizeibehörde seinen beziehungsweise ihren Beruf nicht weiter ausüben kann. In Betracht kam aber auch eine Auslegung im Sinne des § 244 Abs. 4 StGB, der den Einbruch in eine dauerhaft genutzte Wohnung sanktioniert. Vom Wortlaut her stimmen die Formulierungen überein. Die Frage, wann eine Wohnung dauerhaft genutzt wird, wird von gesetzgeberischer Seite nicht abstrakt definiert. Lediglich ein nur vorübergehender Wohnzweck soll nicht ausreichen.532 Über einen Mindestzeitraum ist damit allerdings noch nichts gesagt. In Anlehnung an § 9 AO wird ein Aufenthalt von deutlich über sechs Monaten vorgeschlagen.533 Jedenfalls bedeutet dauerhaft im Sinne dieser Norm nicht das Gleiche wie dauernd im Sinne von § 226 StGB. Welche Auslegung bei § 113 Abs. 4 StGB-E heranzuziehen sein sollte, ist zweifelhaft. Möglicherweise hätte es auch bereits an der Erforderlichkeit des Regelbeispiels gefehlt, da die dauerhafte Dienstunfähigkeit womöglich eine äußerst seltene Erscheinung ist und somit ausreichend sein könnte, diese Fallgruppe als unbenannten besonders schweren Fall der Einschätzung der Gerichte zu überlassen. Im Zeitraum von 2005 bis 2009 waren 7,9 % der Teilnehmenden einer Studie einen bis maximal sechs Tage in Folge eines Übergriffs dienstunfähig. 197 Perso530 531 532 533
OLG Kiel, Urt. v. 17.03.1934 = DJ 1934, 582. BeckOK-StGB/Eschelbach, 52. Edition, § 226 Rn. 21. BT-Drs. 18/12359, S. 8. MüKo-StGB/Schmitz, Band 4, § 244 Rn. 72.
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nen waren über zwei Monate dienstunfähig, womit sich der Anteil prozentual auf 0,9 % der Befragten beläuft.534 Damit ist noch nicht entschieden, wie viele der Befragten als dauerhaft dienstunfähig einzustufen sind. Zwei Monate als dauerhaft zu bezeichnen, dürfte mit dem allgemeinen Wortsinn nicht zu vereinbaren sein. Die Anzahl der Personen, die überhaupt unter den Anwendungsbereich fallen würden, ist aus diesem Grund verschwindend gering. Diese Fallgruppe gesondert unter Strafe zu stellen, wenn ohnehin die Möglichkeit besteht, derart schwerwiegende, aber seltene Verletzungen als unbenannten besonders schweren Fall einzustufen, erscheint nicht plausibel. Außerdem ginge die Dienstunfähigkeit ohnehin auf eine Körperverletzung zurück, die im Verhältnis zu § 113 StGB einen höheren Strafrahmen aufweist. Die Strafe in den Fällen der Herbeiführung einer Dienstunfähigkeit wäre zwar nicht wie in § 113 Abs. 3 StGB-E vorgesehen auf eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren erhöht, aber zumindest mit Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bedroht (§ 223 StGB), folglich mit einer im Vergleich zu § 113 StGB um zwei Jahre erhöhten Höchststrafe versehen. Insofern sind auch die im saarländischen Entwurf vorgesehenen Regelbeispiele als nicht erforderlich einzustufen und wären im Falle ihrer Umsetzung mit erheblichen Auslegungsproblemen verbunden gewesen.
V. Bedenken am geschützten Personenkreis im Hinblick auf das allgemeine Gleichbehandlungsgebot Zudem stellt die Vereinbarkeit mit dem Gleichbehandlungsgebot einen weiteren Kritikpunkt an der Novellierung dar. Dieser wurde vergleichbar häufig wie die Erneuerung der Regelbeispiele thematisiert, nämlich in nahezu jeder Stellungnahme zur Novellierung. Es werden zunächst die Bedenken an der aktuellen Gesetzeslage festgestellt, wobei die Ausführungen kurz gehalten sind, da die Diskussion bereits seit dem Jahr 2011 geführt wird.535 Die Vereinbarkeit mit Art. 3 Abs. 1 GG soll im Rahmen dieser Arbeit dennoch nicht unbeachtet bleiben, denn der Aspekt hat durch die Neuregelung des tätlichen Angriffs eine noch wichtigere Bedeutung als zuvor erlangt. Da der tätliche Angriff die körperliche Unversehrtheit schützt, ebenso wie die Körperverletzungsdelikte, erfüllt die Verletzung eines Mitglieds der Polizei zwei Strafnormen, während ein gleichwertiger Eingriff in die körperliche Unversehrtheit einer sonstigen (Privat-)Person nur einen Tatbestand verwirklicht. Erstere Tat stellt daher dem Gesetz nach zu urteilen eine schwerere Rechtsgutsverletzung dar.536 Wohl aus diesem Grund wurde die Frage nach der Vereinbarkeit mit 534 535 536
Ellrich/Baier/Peiffer, Polizeibeamte als Opfer von Gewalt, S. 34. Vgl. B. II. 4. b) Erweiterung des Schutzbereichs. Zöller, KriPoZ 2017, 142, 147.
V. Bedenken im Hinblick auf das allgemeine Gleichbehandlungsgebot
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Art. 3 Abs. 1 GG auch im Gesetzgebungsverfahren zum 52. Strafrechtsänderungsgesetz lebhaft diskutiert. Der saarländische und der hessische Gesetzesantrag sahen im Gegensatz zum umgesetzten Änderungsgesetz Alternativlösungen zum geschützten Personenkreis vor. Auch diese werden dargelegt. 1. Bedenken hinsichtlich der aktuellen Gesetzesfassung Zum Teil wird kritisiert, bei der Gesetzesänderung sei versäumt worden, Defizite im Hinblick auf die Vereinbarkeit der Norm mit Art. 3 Abs. 1 GG aus dem Weg geräumt zu haben.537 Eine Beeinträchtigung des allgemeinen Gleichheitssatzes setzt eine Ungleichbehandlung zweier vergleichbarer Sachverhalte voraus. Diese liegt vorliegend in der unterschiedlichen strafrechtlichen Bewertung objektiv gleicher Tathandlungen sowie in der daraus resultierenden strafrechtlichen Besserstellung zugunsten von Vollstreckungsbeamt:innen und gleichgestellten Personen. Obwohl grundsätzlich jede Person vor dem Gesetz gleich zu behandeln ist, nimmt die Rechtsordnung in den §§ 113 ff. StGB eine statusrechtliche Differenzierung vor und bestraft Angriffe auf die körperliche Unversehrtheit von Durchschnittsindividuen mit Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe beziehungsweise überhaupt nicht, wenn der Angriff die Schwelle zu § 223 StGB nicht überschreitet. Hingegen droht bei der gleichen Handlung auf Vollstreckungsbeamt:innen eine Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren. Die Ungleichbehandlung zweier vergleichbarer Sachverhalte ist nicht generell unzulässig. Beruht die Ungleichbehandlung auf einem hinreichend gewichtigen Grund, ist sie gerechtfertigt, so die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.538 Hierfür kommt jede vernünftige Erwägung in Betracht. Dem Gesetzgeber steht ein weiter Einschätzungsspielraum zu, sodass sich die Überprüfung darin erschöpft, ob sich irgendein sachlich einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung finden lässt.539 Der Gesetzgeber hat sich diesbezüglich auf die Aussage beschränkt, dass „in der Verurteilung allein wegen eines Körperverletzungsdeliktes das spezifische Unrecht eines Angriffs auf einen Repräsentanten des staatlichen Gewaltmonopols nicht zum Ausdruck [komme]“.540 Allein durch die Deklarierung von gegen Vollstreckungspersonen gerichtete Tätlichkeiten als besonderes Unrecht kann die Ungleichbehandlung jedoch nicht gerechtfertigt werden, da unklar ist, worin dieses weitergehende Unrecht liegen soll. Die körperliche Integrität stellt ein Rechtsgut dar, das jede Person in gleichem Maße besitzt.541 537 Zöller, KriPoZ 2017, 142, 147; Müller, Stellungnahme zu BT-Drs. 18/11161 und BR-Drs. 126/1/17, S. 13. 538 St. Rspr., BVerfGE 100, 138, Rn. 129. 539 BVerfGE 1, 14, Rn. 18. 540 BT-Drs. 18/11161, S. 2, 8. 541 Bolender, S. 176.
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C. Dogmatische Probleme der aktuellen Gesetzeslage
Im Gesetzesentwurf wird allerdings auch argumentiert, Vollstreckungspersonen solle als Repräsentant:innen des Staates ein besonderer strafrechtlicher Schutz zukommen, da sie in dieser Funktion besonderen Gefahren ausgesetzt seien.542 Mithin wird die Ungleichbehandlung auch mit einem vermeintlich gegenüber Zivilpersonen erhöhten Risiko begründet. Ob Vollstreckungspersonen berufsbedingt tatsächlich stärker gefährdet sind, lässt sich derzeit allerdings nicht zuverlässig nachweisen. Die Sachlage wird wissenschaftlich diskutiert und aktuelle Studien weisen in unterschiedliche Richtungen.543 Eine Studie deutet darauf hin, dass das Risiko, als Mitglied der Polizeibehörden mit Tötungsvorsatz angegriffen zu werden, erheblich höher als das des Durchschnittsindividuums ist. Die Wahrscheinlichkeit, infolge eines Angriffs getötet zu werden, sei allerdings bei letzterem höher.544 Aufgrund solcher Ergebnisse von einem erhöhten oder geringeren Risiko als bei der Zivilbevölkerung zu sprechen, wäre in beiden Fällen Rosinenpickerei. Gegen eine besondere Schutzbedürftigkeit lässt sich einwenden, dass die speziell geschulten und ausgerüsteten Vollstreckungspersonen in der Regel gut auf Konfliktsituationen vorbereitet sind.545 Darüber hinaus wurde bereits bei der Vorgängerfassung darauf hingewiesen, dass, wenn das Kriterium der Schutzbedürftigkeit grundsätzlich als zulässiges Differenzierungskriterium anerkannt werden sollte, auch andere Beschäftigungsgruppen des öffentlichen Dienstes Gewaltattacken ausgesetzt seien und daher in den Schutzbereich einbezogen werden müssten. Dabei ist insbesondere an Lehrkräfte, Beschäftigte in Rathäusern, Jobcentern, Gerichtssälen und Sozial- oder Ausländerämtern gedacht worden.546 Unter dem Gesichtspunkt der Schutzwürdigkeit wäre die Einbeziehung von Sachbearbeitenden der Waffenbehörden in den Schutzbereich der §§ 113 ff. StGB sinnvoll. Sie kommen nicht nur in ihren Diensträumen mit Waffenbesitzer:innen in Kontakt, sondern müssen diese auch in ihren Wohnungen aufsuchen und bei Verstößen gegen Waffengesetze die aufgefundenen Waffen beschlagnahmen. Im Gegensatz zu Vollstreckungspersonen und den Personen, die sie in ihren Wohnungen aufsuchen, sind die Mitglieder der Waffenbehörden bei ihren Besuchen unbewaffnet und auch nicht in sonstiger Weise für die Abwehr von Angriffen ausgebildet.547 Dass die Novellierung aus dem Jahr 2017 den geschützten Personenkreis inhaltlich nicht veränderte, stieß daher zum Teil auf Unverständ-
542
BT-Drs. 18/11161, S. 1. Vgl. hierzu z. B. auch Bolender, S. 180. 544 Ohlemacher, in: Polizei, Gewalt und Staat im 20. Jahrhundert, S. 190. 545 Fischer-StGB (69. Aufl.), § 113 Rn. 2; Prittwitz, KriPoZ 2018, 44, 46; vgl. auch BGH, B. v. 14.02.2017 – 4 StR 565/16 = NStZ-RR 2017, 308. 546 DBB, Stellungnahme LT Rheinland-Pfalz Drs. 16/5510, S. 2; Komba Gewerkschaft, Stellungnahme LT NRW Drs. 16/3382, S. 3. 547 Radermacher, Stellungnahme zu BT-Drs. 18/11161, S. 2. 543
V. Bedenken im Hinblick auf das allgemeine Gleichbehandlungsgebot
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nis.548 Freilich führt allein die Tatsache, dies nicht getan zu haben, nicht ohne weiteres zu einem Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Der Blick auf den hessischen und den saarländischen Gesetzesentwurf zeigt überdies, dass auch die Einbeziehung weiterer Personen die Bedenken hinsichtlich des Gleichbehandlungsgebots nicht behoben, sondern schlicht verschoben hätten. 2. Bedenken an der Alternativlösung des saarländischen Gesetzesentwurfs Der geschützte Personenkreis des saarländischen Gesetzesentwurfs sollte deutlich größer sein als jener der aktuellen Fassung. Während § 113 StGB in der Fassung von 2017 (und 2011) Amtsträger:innen allgemein und Militärpersonen der Bundeswehr erfasste (allerdings nur insofern, als diese eine Vollstreckungshandlung vornahmen), sollte sich der Schutzbereich dem saarländischen Entwurf zufolge auf Amtsträger:innen der Polizei und der Justiz sowie Militärpersonen der Bundeswehr beziehen, und zwar ohne, dass dafür eine Vollstreckungshandlung vorliegen müsste. Das bedeutete eine Erweiterung des Schutzbereichs in der Hinsicht, dass etwa Rechtspfleger:innen bei der Aufnahme einer Erbscheinerteilung oder Richter:innen beim Betreten des Sitzungssaals erfasst worden wären.549 Weshalb Angriffe auf Vollstreckungspersonen und die anderen durch §§ 113 StGB-E ff. geschützten Personen generell stärker bestraft werden sollten als Angriffe auf alle übrigen Gesellschaftsmitglieder, wurde im ausführlich und ausdifferenziert begründeten550 saarländischen Entwurf auf mehrere Erwägungen gestützt. Zum einen bestünde bei den geschützten Personen ein erhöhtes Risiko, als für den Staat auftretende Person Opfer von Gewalt zu werden.551 Ob dies der Fall ist, ist wie bereits erwähnt, nicht abschließend geklärt. Ein weiteres, dem saarländischen Entwurf entstammendes Argument für den besonderen Schutz von Mitgliedern der Polizei ist deren Verpflichtung, ihre Rechtsgüter Leib, Leben und persönliche Freiheit im Rahmen der Dienstausübung für den Staat zu gefährden. Im Gegenzug dafür treffe den Staat eine besondere Fürsorgepflicht, zu der auch der Strafrechtsschutz gehöre.552 Zum anderen müssten Amtsträger:innen eine strengere Haftung über § 340 StGB befürchten. Diese Umstände sollten die Ungleichbehandlung rechtfertigen.553
548 Zöller, KriPoZ 2017, 142, 147; Müller, Stellungnahme zu BT-Drs. 18/11161 und BR-Drs. 126/1/17, S. 13; a. A. Bleckat, ZAP 2019, 1207, 1208. 549 BR-Drs. 187/15, S. 10. 550 So auch Zöller, ZIS 2015, 445, 446. 551 BR-Drs. 187/15, S. 6. 552 BR-Drs. 187/15, S. 6. 553 BR-Drs. 187/15, S. 7.
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C. Dogmatische Probleme der aktuellen Gesetzeslage
Zutreffend ist, dass Arbeitgebende, in dem Fall der Staat, sofern deren Personal besonderen Gefahren ausgesetzt ist, eine besondere Fürsorgepflicht trifft. Diese ergibt sich für im öffentlichen Dienst Beschäftigte aus Art. 33 Abs. 5 GG.554 Für verbeamtete Personen ist diese einfachgesetzlich in § 78 BBG geregelt. Sie findet ihre Grenzen jedoch dort, wo die Legislative bereits abschließende Regelungen getroffen hat.555 Einen darüberhinausgehenden Anspruch begründet die Vorschrift nicht, insofern kann daraus nicht geschlossen werden, dass sich aus ihr ein Anspruch für den Erlass oder die Änderung einer Norm herleiten ließe. Die Fürsorgepflicht enthält die Verpflichtung, die Mitarbeitenden vor der Realisierung von (sich aus dem Arbeitsverhältnis ergebenden) Gefahren zu schützen,556 was allerdings nicht bedeutet, der Staat müsse gegen seine Bediensteten gerichtete Angriffe besonders hart bestrafen. Selbst wenn der gesetzgebenden Instanz im Rahmen ihrer Fürsorgepflicht die Verpflichtung zugeschrieben wird, ihre Arbeitskräfte auch mit den Mitteln des Strafrechts schützen zu müssen,557 wäre sie dieser Verpflichtung bereits vor der Novellierung nachgekommen. Sowohl die Aufklärungsquote558 als auch die Verurteilungswahrscheinlichkeit559 sind, zumindest nach Angaben der PKS und der Strafverfolgungsstatistik, bei Strafverfahren nach § 113 StGB extrem hoch.560 Konsequenterweise müssten mit dieser Argumentation im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG zumindest alle Statusgruppen erfasst werden, die in ihrer täglichen Arbeit aggressivem Verhalten ausgesetzt sind. Hier ist besonders an kommunales Personal in Sozial-, Jugend- und Ausländerämtern zu denken.561 Ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz wäre wohl nur dann ausgeschlossen, wenn sämtliche gefährdeten Personen, die den Staat repräsentieren, gleichermaßen den (erweiterten) strafrechtlichen Schutz genössen.562 554 BVerwG, B. v. 23.05.2005 – 2 BvR 583/05 = NVwZ 2005, 926, 926; Dreier/Brosius-Gersdorf, GG Art. 33, Rn. 193. 555 BVerwGE 24, 92 = BeckRS 1966, 512 Rn. 41. Die Ausführungen beziehen sich allerdings auf einen anderen Sachverhält. Sie betreffen Konstellationen, in denen die Norm als Anspruchsgrundlage herangezogen werden soll, was für zulässig erachtet wird, sofern noch keine andere einfachgesetzliche Regelung existiert. Der Gedanke dürfte aber übertragbar sein. 556 Zöller, Stellungnahme LT Rheinland-Pfalz Drs. 16/5569, S. 6. 557 In diese Richtung könnte die Stellungnahme Zöllers zu verstehen sein: Er weist darauf hin, dass den Staat im Rahmen seiner Fürsorgepflicht die Verpflichtung trifft, seine Mitarbeitenden vor der Realisierung von Gefahren zu schützen und führt sodann aus, dass er dieser Verpflichtung bereits durch die geltenden Strafnormen nachkommt, Stellungnahme LT Rheinland-Pfalz Drs. 16/5569, S. 6. 558 Diese lag den Angaben der PKS nach im Jahr 2020 bei 98 %, BMI, PKS 4.2 – T13, Straftatenschlüssel 621000. 559 Die Verurteilungswahrscheinlichkeit bei § 113 StGB liegt signifikant höher als bei § 240 StGB oder § 223 StGB, Puschke, FS für Ulrich Eisenberg, S. 166. 560 Zöller, Stellungnahme LT Rheinland-Pfalz Drs. 16/5569, S. 6. 561 DBB, Stellungnahme LT Rheinland-Pfalz Drs. 16/5510, S. 2. 562 Roggan, Stellungnahme LT NRW Drs. 16/3453 S. 19; Zöller, ZIS 2015, 445, 451.
V. Bedenken im Hinblick auf das allgemeine Gleichbehandlungsgebot
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Die Ungleichbehandlung mit der Durchschnittsbevölkerung vermochte ihre Ursache auch nicht im Vergleich mit § 340 StGB zu finden. Bei diesen Tatbeständen dieselbe Strafe anzudrohen, stellt einen Widerspruch in sich dar: Erstens stellt die Verletzung einer Person bei § 340 StGB zugleich eine zweite Pflichtverletzung dar, eine Dienstpflichtverletzung, die den oder die Täter:in im Rahmen der Widerstandsdelikte über die Grenzen von Art. 2 Abs. 1 GG hinaus nicht trifft. Zweitens muss es bei § 340 StGB im Unterschied zu § 114 StGB zu einem Erfolg gekommen sein.563 Zudem besteht die Möglichkeit, einen minderschweren Fall anzunehmen. 3. Bedenken an der Alternativlösung des hessischen Gesetzesentwurfs Der hessische Entwurf ging einen anderen Weg. Während der geltende § 113 StGB dem Wortlaut nach „Amtsträger oder Soldaten der Bundeswehr schützt, die zur Vollstreckung von Gesetzen, Rechtsverordnungen, Urteilen, Gerichtsbeschlüssen oder Verfügungen berufen sind“, also Vollstreckungsorgane, fielen nach § 112 StGB-E Beamt:innen des Polizeidienstes und nach Satz 2 Hilfeleistende der Feuerwehr, des Katastrophenschutzes oder des Rettungsdienstes in den Schutzbereich der Norm. Der Begriff „Beamter des Polizeidienstes“ war aus § 163 StPO entlehnt.564 Die Eigenschaft als Vollstreckungsorgan sollte damit nicht erforderlich sein. Da die Norm ausdrücklich allein die verbeamteten Einsatzkräfte der Polizei als Schutzobjekt auswies, nicht aber ihre tausenden Tarifbeschäftigten, wäre es im Falle der Umsetzung des Entwurfs zu einer Aufspaltung der Polizeimitglieder in einzelne Statusgruppen mit unterschiedlichem strafrechtlichem Schutz gekommen. Diese sind kaum von ihrer verbeamteten Kollegschaft zu unterscheiden und in gleichem Maße Gewalt ausgesetzt.565 Ein sachlicher Grund, der diese massive Ungleichbehandlung rechtfertigen könnte, geht weder aus dem hessischen Entwurf hervor, noch ist ein solcher in den zahlreichen Stellungnahmen angeklungen. Auch die beamtenrechtliche Fürsorgepflicht kann diese Ungleichbehandlung nicht rechtfertigen. Die einzig sinnvolle Möglichkeit im Hinblick auf das Gleichbehandlungsgebot ist, alle mit der Wahrnehmung polizeilicher Aufgaben betreute Personen unter den Schutz der Norm zu stellen.566 Anknüpfungspunkt für einen weiteren Kritikpunkt war die missliche Formulierung im Gesetzesentwurf, dass der in Satz 2 genannte Personenkreis in gleicher Weise von der verstärkten Strafandrohung profitieren solle.567 Allerdings sollte 563
Zöller, KriPoZ 2017, 143, 145. BR-Drs. 165/15, S. 5. 565 DPolG, Stellungnahme LT Rheinland-Pfalz Drs. 16/5583, S. 2; DPolG, Stellungnahme LT NRW Drs. 16/3427, S. 2. 566 So auch DPolG, Stellungnahme LT Rheinland-Pfalz Drs. 16/5583, S. 2. 567 BR-Drs. 165/15, S. 6. 564
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C. Dogmatische Probleme der aktuellen Gesetzeslage
Satz 1 die Vollstreckungsbeamt:innen ohne das objektive Vorliegen einer Diensthandlung schützen, maßgeblich sollte allein der subjektive Dienstbezug sein. Satz 2 hingegen erforderte auf objektiver Seite das Vorliegen eines Unglücksfalles oder gemeiner Not. Außerhalb der Einsatzsituation sollten diese Personen im Gegensatz zu den Vollstreckungspersonen damit nicht vom Tatbestand erfasst sein568 und folglich nicht „in gleicher Weise“ wie diese geschützt werden. Während der hessische Entwurf die Ungleichbehandlung also nicht wahrnahm und daher auch keine Begründung für diese parat hielt, nahm der Antrag der Fraktion der CDU/CSU im nordrhein-westfälischen Landtag zur Unterstützung der hessischen Bundesratsinitiative zu dieser Thematik Stellung. Die Ungleichbehandlung beruhe darauf, dass sonstige Einsatzkräfte nicht in gleicher Weise wie Mitglieder der Polizei mit der Staatsmacht identifiziert und bekämpft werden würden.569 Diese Argumentation steht jedoch mit der Zielsetzung des Entwurfs in Konflikt, die darin lag, Vollstreckungspersonen und den anderen genannten Einsatzkräften aufgrund ihrer engen Verbundenheit zum Staat ein Signal der Wertschätzung zukommen zu lassen.570 Insofern ist es kaum möglich, im Rahmen der §§ 113 ff. StGB eine Regelung zu schaffen, die in dieser Hinsicht keine Fragen aufwirft. Letztlich handelt es sich um eine Sondervorschrift zu Gunsten einer bestimmten Personengruppe. Sowohl die Ausweitung als auch die Verkleinerung des Personenkreises wird nicht zur Beseitigung der Kritik führen.
VI. Systematische Defizite Nachdem nunmehr bereits einige andere dogmatische Inkonsistenzen betrachtet wurden, muss das Gesetz schließlich noch aus systematischer Sicht begutachtet werden. Ein gutes Gesetz fügt sich widerspruchslos in die übrigen Tatbestände ein und weist auch selbst inhaltlich keine Widersprüche auf. Allerdings erfolgt die Gesetzgebung nicht immer derart systematisch. Beispiele sind rechtsgebietsübergreifend zu finden, beispielsweise in § 254 BGB, der ebenfalls einen auffälligen systematischen Widerspruch aufweist.571 Besonders häufig treten solche System568
Vgl. dazu auch Roggan, Stellungnahme LT NRW Drs. 16/3453, S. 8. LT-NRW Drs. 16/8979, S. 3. 570 BR-Drs. 165/15, S. 1, 4 und Antrag der Fraktion der CDU, LT NRW Drs. 16/ 8979. Dazu, dass es ohnehin nicht zum Aufgabenbereich der Legislative gehört, Signale zu setzen, siehe die Gemeinsame Stellungnahme zum Gesetzesentwurf Drs. 18/11161, S. 3: „Das Strafgesetzbuch ist kein Kurznachrichten-Kanal, auf dem ,Signale‘ gesendet werden. Der Gesetzgeber ist vielmehr nur dann befugt ein Strafgesetz einzuführen, wenn dies zum Schutz eines Rechtsguts tatsächlich erforderlich ist.“ 571 § 254 Abs. 2 S. 2 BGB findet nach allgemeiner Ansicht nicht nur auf Satz 1, sondern auch auf § 254 Abs. 1 BGB Anwendung und hätte daher richtigerweise als Abs. 3 formuliert werden müssen, BGHZ 3, 46 = BeckRS 1951, 31385941. 569
VI. Systematische Defizite
175
widrigkeiten auf, wenn (kurzfristig) politische Verhältnisse bei der Gesetzgebung berücksichtigt werden sollten.572 Da diese Vermutung auch hier im Raum steht, soll nun geklärt werden, welche systematischen Inkonsistenzen die §§ 113 ff. StGB aktuell aufweisen. Zunächst wird dabei auf das Strafmaß eingegangen. Anschließend werden systematische Kritikpunkte im Zusammenhang mit dem Rechtmäßigkeitserfordernis untersucht und sodann an den Tatbestand des § 115 StGB angeknüpft. Außerdem werden systematische Alternativlösungen bewertet, die im Rahmen des tätlichen Angriffs geäußert wurden und werden. Abschließend wird auf Probleme eingegangen, die aus der Auflösung des Bezugs zur Vollstreckungshandlung herrühren und ebenfalls zu Alternativmöglichkeiten Stellung genommen. 1. Strafmaß a) Vergleich mit Tatbeständen außerhalb und innerhalb der Widerstandsdelikte Neben der Frage, ob die Erhöhung des Strafrahmens ein geeignetes Mittel zur Bekämpfung von Kriminalität darstellt, was ganz überwiegend verneint wird,573 könnte es auch an der Angemessenheit der Strafandrohung fehlen. Grundsätzlich müssen die Schwere der Straftat und das Verschulden der kriminellen Person zur Strafe in einem gerechten Verhältnis stehen. Gradmesser für die Angemessenheit ist vorrangig die Art der angedrohten Strafe und ihr Minimum.574 Dabei kommt eine mehrmonatige Freiheitsstrafe grundsätzlich nur dann in Betracht, wenn es sich um ein gravierend sozialschädliches Verhalten handelt.575 Dass es systemwidrig ist, Handlungen, welche die Erheblichkeitsschwelle zur Körperverletzung nicht erreichen, mit einer höheren Strafandrohung als die vollendete Körperverletzung zu versehen, wurde bereits festgestellt.576 Das geschieht allerdings beim tätlichen Angriff, und zwar sowohl mit der weiten Definition der herrschenden Meinung als auch mit der hier vertretenen engeren Definition. Dabei wird im Rahmen des tätlichen Angriffs meist anerkannt, dass er zumindest auch Fälle erfasst, die sich bezogen auf das durch die Tat verwirklichte Unrecht am unteren Ende dessen bewegen, was als strafbar zu bewerten ist.577 Bezogen auf den Unrechtsgehalt ist der Strafrahmen von § 114 StGB mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis fünf Jahren im Vergleich zur Körperverletzung daher zu hoch. Für § 113 StGB gilt Ähnliches, wobei dort zumindest die Geldstrafe nicht 572
Meurer-Meichsner nennt als Beispiel § 316c StGB, Meurer-Meichsner, S. 19. Singelnstein/Kunz, Kriminologie, 4. Kap., § 20 Rn. 11 f.; Meier, Strafrechtliche Sanktionen, Kap. 2.3.3.1 S. 27 ff. 574 Roggan, Stellungnahme LT NRW Drs. 16/3453, S. 23. 575 Frisch, NStZ 2016, 16, 21. 576 Vgl. C. II. 3. c) bb) Systematik. 577 Vgl. z. B. BeckOK-StGB/Dallmeyer, 52. Edition, § 113 Rn. 31. 573
176
C. Dogmatische Probleme der aktuellen Gesetzeslage
ausgeschlossen ist. § 113 StGB ist in § 72 Abs. 4 AufenthaltsG sogar als „Straftat mit geringem Unrechtsgehalt“ aufgelistet.578 Dass die Geldstrafe beim tätlichen Angriff ausgeschlossen ist, sorgt dafür, dass die Strafandrohung auch im Vergleich mit § 242 StGB oder § 263 StGB, die eine Bestrafung mittels Geldstrafe zulassen, systemwidrig ist.579 Es ist weder vorgetragen worden, noch wird aus anderen Gründen ersichtlich, weshalb tätlichen Angriffen auf Vollstreckungsbeamte allein mit Freiheitsstrafe geahndet werden sollten. Darüber hinaus ist zu bemängeln, dass der Strafrahmen von § 114 StGB jenem des § 340 StGB gleicht. Der Strafrahmen des § 340 StGB kann keine Rechtfertigung für die hohe Strafe des tätlichen Angriffs sein, da der Grund für die erhöhte Strafandrohung bei der Körperverletzung im Amt darin besteht, dass die das Amt innehabende Person gleichzeitig eine Dienstpflichtverletzung begeht.580 Eine solche Verpflichtung trifft die übrigen Staatsangehörigen nicht. Außerdem eröffnet § 340 Abs. 1 S. 2 StGB die Möglichkeit, die Strafe mittels Annahme eines minder schweren Falls abzusenken. Folglich ist zumindest der Strafrahmen des tätlichen Angriffs im Vergleich mit § 340 StGB systemwidrig. Auch innerhalb des 6. Abschnitts des Strafgesetzbuches insgesamt ist das Strafmaß zum Teil unsystematisch. Das betrifft zum einen das Zusammenspiel zwischen dem tätlichen Angriff auf Personen, die Vollstreckungspersonen gleichstehen und dem Wiederstandleisten gegen diese. Da der tätliche Angriff keinen Erfolg aufweisen muss, ist bei diesem nicht erforderlich, dass die Hilfeleistung tatsächlich behindert wurde. Es drohte eine Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren. Für die Fälle der Gewalt oder Drohung mit Gewalt kommt hingegen eine Bestrafung aus § 115 Abs. 3 S. 1 StGB mit dem geringeren Strafrahmen des § 113 StGB in Betracht, obwohl in diesen Fällen ein Erfolg in Form eines Behinderns notwendig ist. Somit kann für einen nicht behindernden tätlichen Angriff eine höhere Strafe anfallen als für behindernde Gewalt oder Drohung mit Gewalt gegen Rettungskräfte.581 Außerdem wäre die unterschiedliche Strafandrohung bei den §§ 113, 114 StGB nur dann gerechtfertigt, wenn eine klare Abgrenzung möglich ist.582 Alles andere widerspricht dem Schuldprinzip. Das ist allerdings nicht der Fall, vielmehr ist das Verhältnis der Tatbestände von zahlreichen Überschneidungen und einem kontro578 Diese Liste ist zugegebenermaßen recht umfangreich und erfasst auch Delikte wie § 242 StGB und § 263 StGB. 579 Vgl. NRV, Schleswig-Holsteiner Landtag Umdruck 18/7002, S. 6, allerdings zum Hessischen/Saarländischen Entwurf. 580 BGHSt 3, 349, 351 = NJW 1953, 272; SK-StGB/Wolters, Band 6, § 340 Rn. 4; NK-StGB/Kuhlen, Band 3, § 340 Rn. 4. 581 Roggan, Stellungnahme LT NRW Drs. 16/3453, S. 10. 582 Vgl. Wagner-Kern, RuP 2018, 7, 11.
VI. Systematische Defizite
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versen Meinungsaustausch gekennzeichnet, der auf eine Erleichterung der Abgrenzbarkeit abzielt beziehungsweise eine Lösung über die Konkurrenzen anstrebt.583 Es ist auch umstritten, welche Tathandlung die schwerere Rechtsgutsverletzung darstellt. Für beide Ansichten lassen sich Argumente finden.584 So eindeutig, wie gelegentlich dargestellt, ist die Gewichtung und die Abgrenzung jedenfalls nicht. Aus diesem Grund war die ursprüngliche gemeinsame Regelung von tätlichem Angriff und (Drohung mit) Gewalt systematisch konsequenter. Insgesamt weist das Strafmaß der Widerstandsdelikte sowohl im Vergleich mit Tatbeständen innerhalb als auch außerhalb des 6. Abschnitts des Strafgesetzbuches Widersprüche auf. b) Vergleich mit den vorangegangenen Gesetzesentwürfen aa) Hessischer Gesetzesentwurf Der hessische Entwurf sah sowohl für den Grundfall als auch für den besonders schweren Fall schärfere Strafandrohungen als das im Jahr 2017 umgesetzte Gesetz vor. Statt einer Höchststrafe von drei Jahren, wie sie in § 113 StGB auch bereits vor der Novellierung zu finden war, sollte der im § 112 StGB-E vorgesehene tätliche Angriff eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren enthalten. Das entsprach dem Strafrahmen für die besonders schweren Fälle aus § 113 Abs. 2 StGB (a. F. und n. F.). Im Höchstmaß sollte die Strafandrohung der geplanten Vorschrift der einfachen Körperverletzung entsprechen, jedoch mit dem Unterschied, dass der Weg zur Geldstrafe über § 47 StGB versperrt war. Für den Fall der Einschlägigkeit eines der Regelbeispiele war eine Strafandrohung von sechs Monaten bis zu zehn Jahren vorgesehen, was eine Verdoppelung im Hinblick auf § 113 Abs. 2 StGB dargestellt hätte. Damit überschritt der Entwurf sogar das von der GdP in ihrem Gesetzesvorschlag aus dem Jahr 2009 vorgeschlagene Strafmaß, das dem hessischen Entwurf nach eigenen Angaben zu Grunde lag. Die besonders schweren Fälle glichen der angedrohten Strafe für Geldwäsche, § 261 Abs. 4 StGB, dem Betrug, § 263 Abs. 3 StGB, oder der Urkundenfälschung nach § 267 Abs. 3 StGB. Da viele dieser Tatbestände, etwa die Körperverletzung oder der Betrug, auch mit Geldstrafe bestraft werden können, lag der Vorwurf der Systemwidrigkeit im Hinblick auf den Schuldgehalt nahe.585 Jedenfalls fehlte es dem Gesetzesantrag an einer sorgfältig vorzunehmenden586 Wertung. Der bloße Verweis auf eine zu ermöglichende, angemessene Reak583 Siehe zu den Konkurrenzen zwischen § 113 StGB und § 114 StGB: C. III. 1. Verhältnis § 113 StGB zu § 114 StGB. 584 Vgl. S. 104 f. 585 NRV, Schleswig-Holsteinischer Landtag Umdruck 18/7002, S. 2. 586 Wessels/Beulke/Satzger, § 1 Rn. 16.
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C. Dogmatische Probleme der aktuellen Gesetzeslage
tion587 kann eine solche Wertung nicht ersetzen.588 Dieser Kritikpunkt gilt im Übrigen auch für das 52. Strafrechtsänderungsgesetz. bb) Saarländischer Gesetzesentwurf Auch der saarländische Entwurf wies für den tätlichen Angriff einen gegenüber der Vorgängerversion (§ 113 Abs. 1 3. Alt. StGB a. F.) erhöhten Strafrahmen von drei Monaten bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe auf. Er lag damit zumindest in der Mindeststrafe unterhalb der Strafandrohung für den (vergleichbaren) § 112 StGB-E des hessischen Entwurfs. Zudem war die Möglichkeit der Verhängung einer milderen Strafe über § 113 Abs. 2 StGB-E vorgesehen. In diesem sollte der minder schwere Fall geregelt sein. Sofern ein solcher vorlag, sollte die Freiheitsstrafe auf bis zu 3 Jahre oder eine Geldstrafe herabgesetzt werden, was unter dem Gesichtspunkt der Angemessenheit zu begrüßen ist. Begründet wurde die Einfügung eines minder schweren Falles mit der verschärften Strafandrohung des Grundtatbestandes und mit der Weite des Tatbestandsmerkmals „tätlicher Angriff“, aufgrund derer ein Verletzungserfolg für die Tatbestandserfüllung nicht notwendig ist.589 Insbesondere im Rahmen von versuchten Körperverletzungen könne die Strafe des § 113 Abs. 2-E unangemessen sein, so die im Entwurf enthaltene Begründung.590 Die Einführung eines minder schweren Falls in § 114 Abs. 2 hatten auch der federführende Rechtsausschuss und der Ausschuss für innere Angelegenheiten beim 52. Strafrechtsänderungsgesetz empfohlen. Die Einführung einer solchen Möglichkeit der Anpassung des Schuldspruchs auf den Einzelfall gebietet bereits der Vergleich mit anderen Delikten, die hohe Strafandrohungen aufweisen wie zum Beispiel die §§ 224, 226 StGB oder auch § 340 StGB, denn diese sehen einen solchen vor.591 Auch in Fällen des § 340 StGB, dem Gegenstück zu den §§ 113 ff. StGB, besteht die Möglichkeit, bei minder schweren Fällen eine geringere Strafe zu verhängen. Für diese gesetzliche Möglichkeit, der Judikative die Anpassung der Strafe an den Einzelfall zu überlassen, spricht im Rahmen des § 113 StGB zudem, dass dessen besonders schwere Fälle auch das Beisichführen eines gefährlichen Werkzeugs beinhalten. Im Rahmen des 44. Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches wurde der Vorschlag der Einführung eines minder schweren Falles insbesondere mit den Ungereimtheiten begründet, die im Zusammenhang mit Alltagsgegenständen als gefährlichen Werkzeugen entstehen können.592 Der Bundesrat 587 588 589 590 591 592
BR-Drs. 165/15, S. 4. So auch Roggan, Stellungnahme LT NRW Drs. 16/3453, S. 24. BR-Drs. 187/15, S. 7. BR-Drs. 187/15, S. 8. BR-Drs. 126/1/17, S. 4. BT-Drs. 17/4141, S. 7.
VI. Systematische Defizite
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hatte sogar eine Begrenzung des minder schweren Falls allein auf gefährliche Werkzeuge vorgeschlagen.593 Zu dieser Einschränkung ist es letztlich nicht gekommen. Dennoch kann aus dieser Argumentation geschlossen werden, dass gerade die mit dem gefährlichen Werkzeug einhergehenden rechtlichen Unsicherheiten die Normierung eines minder schweren Falls erforderlich machen können.594 Das muss insbesondere in Fällen wie § 113 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 StGB gelten, in denen das Beisichführen zur Tatbestandsverwirklichung ausreicht. Trotz der Möglichkeit einen minder schweren Fall anzunehmen, war die Strafandrohung auch im saarländischen Gesetzesentwurf sehr hoch, insbesondere im Hinblick auf die Regelbeispiele aus Absatz 2, die eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren vorsahen. Dies wird besonders deutlich im Vergleich mit der Strafandrohung für die Körperverletzung oder die Nötigung, welche häufig zusätzlich mitverwirklicht werden.595 Bei beiden kommt eine Geldstrafe in Betracht (auch ohne Vorliegen eines minder schweren Falls), zumindest wenn § 224 StGB nicht einschlägig ist. Aus diesem Grund ist nicht ausgeschlossen, dass die geplante Vorschrift systemwidrig596 und oder unangemessen597 gewesen wäre. Teilweise wurde sogar befürchtet, die Entwurfsverfasser:innen könnten einem Missverständnis betreffend das Verhältnis der Tathandlungen des früheren § 113 StGB unterlegen haben.598 Die dritte Alternative, der tätliche Angriff, sollte im saarländischen Entwurf in den §§ 113–115 StGB-E geregelt und im Grundfall mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft werden. Die beiden ersten Alternativen, Widerstand leisten mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt, sollten in § 116 StGB-E geregelt werden und eine Strafandrohung von bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe oder Geldstrafe aufweisen, wurden also mit einer geringeren Strafandrohung belegt, als die, die § 113 StGB a. F. für alle drei Tathandlungen vorsah. Aufgrund der großen Überschneidungen der Tathandlungen leuchtet nicht ein, weshalb die eine Variante generell den intensiveren Rechtsgutseingriff darstellen sollte, wie vom saarländischen Gesetzesentwurf 599 aufgrund der divergierenden Strafandrohung indiziert.600 Diese Bedenken lassen sich gleichermaßen auf die aktuelle Gesetzesfassung übertragen. 593
Vgl. BT-Drs. 17/4141, S. 7. Soweit ersichtlich existiert lediglich ein weiterer Tatbestand, in dem im Zusammenhang mit gefährlichen Werkzeugen eine höhere Strafandrohung normiert wird, ohne, dass auch die Möglichkeit eines minderschweren Falls eröffnet wird: Im Rahmen des § 121 StGB. 595 Zöller, Stellungnahme LT Rheinland-Pfalz Drs. 16/5569, S. 8. 596 NRV, Schleswig-Holsteinischer Landtag Umdruck 18/7002, S. 6. 597 Zöller, Stellungnahme LT Rheinland-Pfalz Drs. 16/5569, S. 8. 598 Zöller, Stellungnahme LT Rheinland-Pfalz Drs. 16/5569, S. 10. 599 BR-Drs. 187/15, S. 8, 11. 600 Zöller, Stellungnahme LT Rheinland-Pfalz Drs. 16/5569, S. 10. 594
180
C. Dogmatische Probleme der aktuellen Gesetzeslage
Im Verhältnis zum hessischen Gesetzesentwurf sind dennoch einige Punkte zu nennen, welche die vom Saarland vorgeschlagenen Normen vorzugswürdiger erscheinen ließen. So sollten zum einen in § 113 Abs. 4, 5 StGB-E (Saarland) die Irrtumsregelungen beziehungsweise die Regelungen über die Rechtmäßigkeit der Diensthandlung des § 113 StGB dem Grunde nach übernommen werden. In dieser Hinsicht war der saarländische dem hessischen Entwurf einen Schritt voraus. Zudem wurde am hessischen Entwurf kritisiert, dass die im Rahmen der Angemessenheit erforderliche Abwägung unterblieb. Der saarländische Entwurf enthielt eine solche Wertung und begründete die in ihm enthaltenen Vorschläge sorgfältig.601 Insgesamt waren die Regelungen des hessischen und des saarländischen Entwurfs größtenteils weitreichender ausgestaltet als die, die durch die Gesetzesnovellierung beschlossen wurden. Insofern ist begrüßenswert, dass sie nicht umgesetzt worden sind. Positiv hervorzuheben ist dennoch, dass der saarländische Entwurf einen minder schweren Fall beinhaltete. Ein solcher wäre bei der aktuellen Gesetzesfassung wünschenswert gewesen, da er am Einzelfall orientierte Lösungen zulässt. 2. Rechtmäßigkeitserfordernis Das Rechtmäßigkeitserfordernis ist ein „Dauerbrenner“ unter den Problempunkten der Delikte des Widerstands gegen die Staatsgewalt.602 Gemeint ist die gesetzlich normierte Irrtumsprivilegierung in den Absätzen 3 und 4 des § 113 StGB. Für diese Arbeit wird das Rechtmäßigkeitserfordernis allerdings nur insofern thematisiert, als es im Zusammenhang mit der Novellierung steht. Anknüpfungspunkt ist daher der neu geschaffene § 114 StGB. Diese Besonderheit des Rechtmäßigkeitserfordernisses gilt für ihn lediglich eingeschränkt, da die relevanten Absätze nur bei Vollstreckungshandlungen für entsprechend anwendbar erklärt werden. Hintergrund der Besserstellung mithilfe des Rechtmäßigkeitserfordernisses für Täter:innen, die eine Tathandlung im Rahmen einer Vollstreckungshandlung vornehmen, ist, dass eine Gehorsamspflicht erst durch die rechtmäßige Vollstreckungshandlung konstituiert wird. Fehlt es an einer solchen, ergibt sich aus Art. 20 Abs. 3 GG, dass die Verweigerung der Mitwirkung bei einer solchen Maßnahme nicht rechtswidrig ist.603 Oft ist allerdings nicht ohne weiteres ersichtlich, ob die vorgenommene Maßnahme rechtswidrig ist oder nicht.604 Deshalb kann es schnell zu Fehleinschätzungen kommen, weshalb der sich der Maßnahme erwehrenden Person mit dieser Regelung entgegengekommen werden sollte. 601
Siehe etwa BR-Drs. 187/15, S. 6, 8. Bereits das 3. StrRG vom 20.05.1970 war insbesondere wegen der umstrittenen Auslegung des Rechtmäßigkeitserfordernisses erforderlich geworden, Möbius, S. 58. 603 NK-StGB/Paeffgen, Band 2, § 113 Rn. 32. 604 König/Müller, ZIS 2018, 96, 100. 602
VI. Systematische Defizite
181
Warum diese Besserstellung durch die Irrtumsprivilegierungen weiterhin aufrechterhalten wurde, obwohl die Legislative täter:innenbegünstigend wirkende Umstände, etwa das im Verhältnis zu § 240 StGB niedrigere Strafmaß, im Laufe der Zeit im übrigen Widerstands-Kontext vollständig abgeschafft hat, ist unklar. Aus welchem Grund der Widerstand bei rechtswidrigen allgemeinen Diensthandlungen, also: ohne Gehorsamspflicht, überhaupt strafbar sein sollte, erschließt sich dadurch nicht. Problematisch ist aber nicht in erster Linie die Frage, warum zwischen Vollstreckungshandlungen und Diensthandlungen differenziert wird, sondern wie die Abgrenzung durchzuführen sein soll. Denn die Abgrenzung zwischen einfachen Diensthandlungen und Vollstreckungshandlungen ist nicht immer eindeutig auszumachen. Besonders problematisch sind Fälle, in denen eine allgemeine Diensthandlung in eine Vollstreckungshandlung überschlägt, etwa wenn während einer Personenkontrolle (= allgemeine Diensthandlung) eine zur Fahndung ausgeschriebene Person festgestellt wird und es daraufhin zur Sistierung kommt.605 In diesen Fällen müsste das Gericht ermitteln, ob der Irrtum bereits zum Zeitpunkt der allgemeinen Diensthandlung vorlag beziehungsweise diesem Zeitpunkt entsprang oder erst bei der Vollstreckungshandlung entstand. Da die Privilegierung nicht greift, wenn sich Täter:innen im Irrtum über die Rechtmäßigkeit von lediglich allgemeinen Diensthandlungen befinden, könnte ihnen der Schutz des § 113 Abs. 3, 4 StGB im Rahmen der ersten Fallkonstellation möglicherweise verwehrt sein. Dadurch könnte es zu einer unnatürlichen Aufspaltung von einheitlichen Geschehensabläufen kommen, was nicht nur in der Theorie kompliziert ist, sondern auch zu Beweisschwierigkeiten führt.606 Außerdem wird durch die Aufteilung die Frage aufgeworfen, wie der Fall zu beurteilen ist, wenn irrig verkannt wird, dass es sich lediglich um eine allgemeine Diensthandlung handelt und sich daher gegen die rechtswidrige, vermeintliche Vollstreckungshandlung gewehrt wird. Der Irrtum besteht in dem Fall auf rechtlicher Ebene. Aufgrund einer falschen Subsumtion unter ein Merkmal, das zum Rechtfertigungsgrund gehört, entsteht die Annahme, gerechtfertigt zu handeln. Die Situation ähnelt der eines Erlaubnisirrtums oder eines Erlaubnistatbestandsirrtums.607 Unmittelbar passen beide Irrtümer jedoch nicht auf die Situation, in der irrig von einer Vollstreckungshandlung ausgegangen wird: Gegen die Annahme eines Erlaubnistatbestandsirrtums spricht, dass in der beschriebenen Situation kein Irrtum auf tatsächlicher Ebene vorliegt.608 Allerdings werden auch
605 606
Beispiel aus König/Müller, ZIS 2018, 96, 100. König/Müller, ZIS 2018, 96, 100; Magnus, Stellungnahme zu BT-Drs. 18/11161,
S. 25. 607 König/Müller, ZIS 2018, 96, 100 sehen Ähnlichkeiten zum Erlaubnistatbestandsirrtum. 608 Vgl. Wessels/Beulke/Satzger, § 14 Rn. 725.
182
C. Dogmatische Probleme der aktuellen Gesetzeslage
nicht im klassischen Sinne die Grenzen eines rechtlich anerkannten Rechtfertigungsgrundes verkannt,609 sondern es wird falsch unter diesen Rechtfertigungsgrund subsumiert, was gegen einen Erlaubnisirrtum spricht. Von einem Subsumtionsirrtum kann auch nicht gesprochen werden, da sich der Irrtum bei diesem auf ein Tatbestandsmerkmal bezieht.610 Der Tatbestand setzt aber lediglich das Vorliegen einer Diensthandlung voraus, worunter die Vollstreckungshandlung zählt. Insofern liegt kein Irrtum bezüglich eines Tatbestandsmerkmals vor, wenn fälschlicherweise eine Vollstreckungshandlung angenommen wird. Für die konkrete Einschätzung wird es auf den jeweiligen Einzelfall ankommen. Der Verweis in § 114 Abs. 3 StGB weist damit mehrere systematische Defizite auf und führt zu Rechtsunsicherheit. 3. Systematische Bedenken hinsichtlich des neuen § 115 StGB Bereits in seiner Vorgängerversion als § 114 Abs. 3 StGB a. F. war die Norm neben einigen anderen Kritikpunkten vor allem in systematischer Hinsicht fehlerhaft.611 Weshalb die Vorschrift im 6. Abschnitt des Strafgesetzbuches verortet wurde, obwohl sie ihrem Schutzzweck nach dem Bereich des § 323c StGB hätte zugeordnet werden müssen, bleibt unklar.612 Rettungseinsätze dienen nicht der Durchsetzbarkeit des staatlichen Willens in Form von rechtmäßigen Vollstreckungsakten, zu deren Ausübung Rettungskräfte regelmäßig auch gar nicht befugt sind. Darüber hinaus handelt es sich bei ihnen nicht zwingend um staatlich Agierende.613 Insofern besteht kein Bedürfnis für die Verortung an dieser Stelle. Der fehlerhafte Standort im Gesetz spricht zwar nicht gegen die inhaltliche Qualität der Regelung, legt aber eine andere Ausgestaltung des Gesetzes nahe.614 Inhaltlich wäre außerdem anzuraten gewesen, eine Privilegierung oder einen Ausschluss einzufügen, für den Fall, dass der oder die Täter:in selbst die hilfsbedürftige Person ist. Diese Situation stellt eine sehr praxisrelevante Konstellation dar. Denkbar sind Fälle, in denen eine alkoholisierte, bewusstlose Person im Rettungswagen aufwacht und die Rettungskräfte angreift oder eine unter Drogen stehende Person, die einem oder einer Helfer:in in die Hand beißt.615 Die Privat609
Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben/Schuster-StGB (30. Aufl.), § 16 Rn. 24. MüKo-StGB/Joecks/Kulhanek, Band 1, § 17 Rn. 35. 611 Singelnstein/Pusche, NJW 3473, 3475; Caspari, NJ 2011, 318, 326, oder Zopfs, GA 2012, 259, 273 f. 612 Vgl. zum geschützten Rechtsgut C. I. 3. Schutzgut des § 115 Abs. 3 StGB. 613 Z. B. Heger/Jahn, JR 2015, 508, 510. 614 Erb, KriPoZ 2018, 48, 50. 615 Heger/Jahn, JR 2015, 508, 511. 610
VI. Systematische Defizite
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autonomie erlaubt jeder Person, eine offerierte Hilfeleistung abzulehnen. Eine solche muss nicht einmal geduldet werden. Für die Besserstellung von widerstandsleistenden beziehungsweise angreifenden Personen, die sich in solchen Ausnahmesituationen befinden, spricht auch die besondere Belastungssituation.616 Im Falle des Festhaltens an der Regelung wäre eine Aufgliederung des Tatbestands sinnvoll gewesen. In diesem Fall stünden der Tatbestand (§ 115 Abs. 3 StGB) und die Hilfsnormen (§ 115 Abs. 2, 3 StGB) getrennt voneinander, was inhaltlich zutreffendere Überschriften ermöglicht hätte, etwa „Behindern von Hilfeleistenden“ für Absatz 3. Die aktuelle Überschrift „Widerstand gegen oder tätlicher Angriff auf Personen, die Vollstreckungsbeamten gleichstehen“ ist unzutreffend, weil das Behindern keinen Widerstand darstellen muss und umgekehrt das Gleiche gilt.617 Aufgrund der Sperrwirkung, die bei Drohungen mit einem empfindlichen Übel dafür sorgt, dass § 240 StGB nicht angewendet werden darf, obwohl die Schwelle zu § 113 StGB mangels Androhung von Gewalt nicht erreicht wurde, besteht darüber hinaus die Möglichkeit, dass Rettungskräfte durch die Einbeziehung in den Anwendungsbereich der Norm schlechter geschützt sind als zuvor. Die Bedenken an § 114 Abs. 3 StGB a. F. bestehen bei der im Jahr 2017 geschaffenen Regelung des § 115 Abs. 3 StGB gleichermaßen fort. Es wurde versäumt, die bekannten Widersprüche zu beseitigen. 4. Alternativlösungen aufgrund systematischer Bedenken hinsichtlich § 114 StGB In den vorangegangenen Kapiteln wurde bereits auf mehrere systematische Defizite im Rahmen des § 114 StGB hingewiesen. Diese ergeben sich aus dem Rechtsgut, das wegen seines überwiegend individualschützenden Charakters inhaltlich besser zum Regelungskontext der Körperverletzungsdelikte gepasst hätte, oder etwa daraus, dass das Strafmaß nicht in das übrige System des Strafgesetzbuches zu passen vermag. Aus diesem Grund werden sogleich die beiden Alternativvorschläge wiedergegeben und bewertet, die im Zusammenhang mit dem „neuen“ § 114 StGB unterbreitet wurden, welcher mit dem Tatbestandsmerkmal des tätlichen Angriffs steht und fällt. Dadurch soll ermittelt werden, ob der im Gesetzgebungsverfahren gewählte (womöglich dogmatisch inkonsequente) Weg bewusst eingeschlagen wurde oder mangels Alternativen keine andere Möglichkeit gesehen wurde.
616 617
Heger/Jahn, JR 2015, 508, 511; Erb, KriPoZ 2018, 508, 50. Fahl, ZStW 2018, 745.
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C. Dogmatische Probleme der aktuellen Gesetzeslage
a) Alternative: Verortung des tätlichen Angriffs an einer anderen Stelle des Strafgesetzbuches Gelegentlich wird die Verortung des tätlichen Angriffs an einer anderen Stelle des Strafgesetzbuches gefordert. Vorgeschlagen wird etwa eine Unterbringung im Regelungskomplex der Körperverletzungsdelikte, zum Beispiel in Form eines neuen Qualifikationsgrundes in § 224 StGB, ähnlich wie in § 84 Abs. 2 ÖStGB.618 Dieser sieht eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren vor, wenn jemand eine Körperverletzung an einer verbeamteten Person, Zeug:in oder Sachverständigen während oder wegen der Vollziehung ihrer Aufgaben oder der Erfüllung ihrer Pflichten begeht. Da es sich auch bei § 114 StGB um einen Sondertatbestand handelt, der die körperliche Unversehrtheit einer ausgewählten Personengruppe schützt, wäre die Verortung im Bereich der §§ 223 ff. StGB thematisch sinnvoll. Im deutschen Strafgesetzbuch müsste eine solche Vorschrift allerdings als systemwidrig eingestuft werden, denn die Qualifikationen des § 224 StGB beziehen sich allesamt auf Situationen, in denen die Gefahr einer erheblichen Verletzung des Körpers besteht oder die Aussichten des Opfers auf eine erfolgreiche Verteidigung verringert werden.619 Auch die Einfügung eines eigenständigen Paragraphen, vergleichbar mit § 225 Abs. 1 StGB, hätte in Betracht gezogen werden können. Allerdings würde das Gewaltmonopol überstrapaziert werden, wenn aus ihm Duldungspflichten und eine besondere Schutzbedürftigkeit abgeleitet werden würde. Daher wäre auch diese Gestaltungmöglichkeit systematisch inkonsequent. Um den unterschiedlich starken Schutz der körperlichen Unversehrtheit bestimmter Personengruppen legitimieren zu können, sind andere schulderschwerende Umstände nötig.620 Als milderes juristisches Mittel kommt daher sinnvollerweise einzig eine Erweiterung der bei der Strafzumessung zu berücksichtigenden Umstände nach § 46 Abs. 2 StGB in Betracht. Hierbei wären verschiedene Gestaltungsformen denkbar: Es könnte eine gemeinwohlfeindliche Haltung berücksichtigt werden621 oder eine Tatmotivation, bei welcher der Angriff auf das Opfer allein aufgrund dessen beruflicher Eigenschaft für legitim erachtet wird.622 Möglich wäre auch, über § 46 Abs. 2 StGB die Strafe zu schärfen, wenn sich die Tat gegen Menschen richtet, die erkennbar im Sinne des Gemeinwohls tätig werden und ein kausaler Zusammenhang zwischen dieser Tätigkeit und der Gewalt oder Gewaltandrohung besteht.623 Vor dem Hintergrund des scheinbar unlösbaren Problems, 618
Hoffmann-Holland/Koranyi, ZStW 2015, 913, 921. Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben-StGB (30. Aufl.), § 224 Rn. 1. 620 Hoffmann-Holland/Koranyi, ZStW 2015, 913, 921 ff. 621 DPolG, Stellungnahme vom 19.01.2017, Az.: II A 2 – 4010/8 – 25 996/2016, S. 2. 622 Hoffmann-Holland/Koranyi, ZStW 2015, 913, 924. 623 Wendt, Wortprotokoll der 135. Sitzung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz Nr. 18/135, S. 22. 619
VI. Systematische Defizite
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eine sinnvolle und vollständige Auflistung der Personen aufzustellen, die in den Schutzbereich der §§ 113 ff. StGB miteinzubeziehen sind, wäre dieser Lösungsweg vorzugswürdig. b) Alternative: Streichung des tätlichen Angriffs Eine Möglichkeit, zahlreiche der vorgestellten dogmatischen Unzulänglichkeiten aus dem Weg zu räumen, wäre die ersatzlose Streichung des tätlichen Angriffs624 und damit des § 114 StGB, der ohne die Tathandlung seine Grundlage verliert, oder die Streichung der §§ 113, 114, 115 StGB insgesamt.625 Mit dem Entfall des § 114 StGB müssten keine unterschiedlich hohen Strafen für nahezu identische Tathandlungen verhängt werden und die Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen § 113 StGB und § 114 StGB würden entfallen.626 Die Systematik würde zudem klarer werden. Außerdem ist der tätliche Angriff seit der Einführung der versuchten Körperverletzung, der die zuvor in diesem Bereich herrschende Strafbarkeitslücke ausfüllen sollte, ohnehin obsolet geworden.627 Angriffe auf die Freiheit der Willensentschließung und der Willensbetätigung der Opfer wären, wie bei der übrigen Bevölkerung, hinreichend über die § 240 StGB geschützt, sodass auch in dieser Hinsicht keine Schutzlücken zu befürchten wären.628 Auch die Verfasser:innen des hessischen Entwurfs erkannten, im Unterschied zu den saarländischen Entwurfsverfassenden, die in der Entwurfsbegründung mehrfach von „Schutzlücken“ 629 sprachen, dass der Zweck der Norm „nicht vorrangig die Pönalisierung bisher straffreier Handlungsweisen“ darstellt.630 Mit der Streichung der §§ 113 ff. StGB insgesamt würde über den Entfall der Abgrenzungsproblematik zwischen tätlichem Angriff und Gewalt hinaus auch ein klareres Verhältnis zu den anderen mit den §§ 113 ff. StGB konkurrierenden Normen, insbesondere § 240 StGB und den §§ 223 ff. StGB, geschaffen werden. Die Debatte über die Sperrwirkung rund um die Nötigung wäre beendet. Die §§ 223 ff. StGB und § 240 StGB würden wieder die Bedeutung erhalten, die ihnen auch für jede andere Person zukommt. Alle Individuen würden unabhängig von ihrem Beruf den gleichen strafrechtlichen Schutz beziehen, sodass die Diskussionen um Art. 3 Abs. 1 GG entfallen würden.631 624 Z. B. Magnus, Stellungnahme zu BT-Drs. 18/11161, S. 3; MüKo-StGB/Bosch, Band 3 (3. Aufl.), § 113 Rn. 24; Müller, Stellungnahme zu BT-Drs. 18/11161f und BR-Drs. 126/1/17, S. 10; Zöller, KriPoZ 2017, 143, 150; DAV, Stellungnahme des Deutschen Anwaltsvereins Nr. 5/2017. 625 Hoffmann-Holland/Koranyi, ZStW 2015, 913, 930 ff. 626 Magnus, Stellungnahme zu BT-Drs. 18/11161, S. 3 f. 627 Müller, Stellungnahme zu BT-Drs. 18/11161 und BR-Drs. 126/1/17, S. 10. 628 Rathgeber, KritV 2012, 214, 218. 629 BR-Drs. 187/15, S. 4, 6 am Anfang und am Ende. 630 BR-Drs. 165/15, S. 4. 631 Hoffmann-Holland/Koranyi, ZStW 2015, 913, 930 f.
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C. Dogmatische Probleme der aktuellen Gesetzeslage
Für den Schutz der Rechtsgüter sind die übrigen Vorschriften des Strafgesetzbuches nicht ungeeigneter als die §§ 113 ff. StGB. Im Gegenteil: Durch den Wegfall der Irrtumsregelungen aus § 113 Abs. 3, 4 StGB könnte unter Umständen mit einer Ausweitung des Bereichs der strafbaren Handlungen gerechnet werden. Gleichzeitig würde es durch die Existenz der allgemeinen Irrtums- und Notwehrvorschriften nicht zu einer uferlosen Ausdehnung des Bereichs strafbaren Verhaltens kommen. Erwehrt sich die von der Vollstreckungshandlung betroffene Person gegen eine nur vermeintlich rechtswidrige Diensthandlung, kann die Verwerflichkeitsprüfung bei der Nötigung negativ ausfallen oder ein Fall der Putativnotwehr oder des Notwehrexzesses vorliegen. Bei Handlungen unterhalb der Schwelle zur versuchten Körperverletzung können andere Tatbestände greifen, etwa die §§ 185 ff. StGB oder § 239 StGB. Bei allen anderen unterhalb der Schwelle dieser Normen liegenden Verhaltensweisen ist das verwirklichte Unrecht so gering, dass sich die Mitglieder der Exekutivbehörden mit ihrer Schutzausrüstung und den ihnen zur Verfügung stehenden Befugnissen hinreichend erwehren können und ihr körperlicher Schutz nicht gefährdet ist.632 Der Entfall der §§ 113 ff. StGB würde somit zu einer Vereinfachung der Rechtslage und damit zu größerer Rechtsklarheit führen. Allerdings dürfte eine Streichung der Vorschriften politisch schwer zu vermitteln sein, wenn die Fehlvorstellung weiter besteht, Strafschärfungen könnten Personen von der Begehung von Straftaten abhalten, mithin weiterhin Normverzicht als moralisches Gutheißen missverstanden wird. 5. Auflösung des Bezugs zur Vollstreckungshandlung Bereits im Rahmen des 3. StrRG wurde über eine mögliche Ausweitung des Anwendungsbereichs von § 113 StGB a. F. diskutiert, beispielsweise auf Richter:innen. Der Vorschlag wurde abgelehnt, da deren Tätigkeit in aller Regel keine Vollstreckungshandlung darstellen würde.633 Zum damaligen Zeitpunkt schien eine Entkoppelung vom Erfordernis der Vollstreckungshandlung anscheinend ausgeschlossen. Dieses Verständnis war auch noch zur Zeit des 44. Strafrechtsänderungsgesetzes vorherrschend. Damals wurde der von der GdP aufgegriffene Vorschlag des Verzichts auf das Erfordernis der Vollstreckungshandlung mit der Begründung abgelehnt, der Tatbestand schütze in erster Linie die ungestörte Durchführung von Vollstreckungshandlungen, weshalb eine solche Ausdehnung nicht erforderlich sei.634 Im Jahr 2017 ist die gesetzgebende Instanz diesen Schritt unter Auslagerung des tätlichen Angriffs schließlich doch gegangen. Dabei wurden in systematischer Hinsicht Unstimmigkeiten geschaffen, die im Folgenden 632 633 634
Hoffmann-Holland/Koranyi, ZStW 2015, 913, 931 f. BT-Drs. VI/502, S. 4. BT-Drs. 18/11161, S. 11, Anlage 4.
VI. Systematische Defizite
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aufgezeigt werden. Anschließend werden Alternativlösungen dargelegt und bewertet. a) Systematische Folgeprobleme § 114 StGB erfordert seit der Novellierung tatbestandlich das Vorliegen einer Diensthandlung während des tätlichen Angriffs. Wie bei § 115 StGB handelt es sich damit um eine Norm, die keine Vollstreckungshandlung als Tatbestandsvoraussetzung beinhaltet. Die Norm ist an dieser Stelle daher systemwidrig.635 Die doppelte Bestrafung für die gleiche Rechtsgutsverletzung, einmal aus § 223 StGB (gegebenenfalls als Versuch) und einmal aus § 114 StGB, ist darüber hinaus im Hinblick auf das ne bis in idem-Prinzip überaus fraglich.636 Während die höhere Bestrafung, die mit der „doppelten Bestrafung“ durch die Einschlägigkeit zweier Normen einhergeht, im Falle des § 113 StGB zumindest (wenn überhaupt) aus dem kollektiven Schutzzweck hergeleitet werden kann, liegt dieser bei § 114 StGB gerade nicht vor.637 Ohne den Bezug zur Vollstreckungshandlung wird in Fällen des tätlichen Angriffs weitestgehend nichts anderes bestraft als eine (weitere,) zumindest versuchte Körperverletzung.638 Das Problem verliert allerdings dadurch an praktischer Relevanz, da ihm im Wege der Konkurrenzen begegnet werden kann. Durch die Einstufung als Fall der Konsumtion639 wird die versuchte Körperverletzung durch § 114 StGB verdrängt und taucht nicht mehr im Schuldspruch auf. Dem Verzicht auf das Erfordernis der Vollstreckungshandlung liegt vermutlich der Gedanke zu Grunde, dass Angriffe auf Mitglieder der Polizeibehörden nicht immer in Verbindung mit einer konkreten Vollstreckungsmaßnahme einhergehen, sie aber dennoch als Repräsentant:innen des Staates besonders geschützt werden sollen.640 § 114 StGB ist damit eine Norm, welche die besondere Stellung von für den Staat besonders bedeutenden Personen (oder zumindest: einzelne Gruppen davon) hervorhebt. Diese Symbolik geht zu Lasten der Systematik und des Gleichheitsgrundsatzes. b) Alternativlösungen aus dem hessischen und dem saarländischen Gesetzesentwurf Dennoch ging die Ausdehnung des Schutzbereichs auf allgemeine Diensthandlungen nicht allen weit genug. Der federführende Ausschuss für Rechtsangele635 636
DAV, Stellungnahme des Deutschen Anwaltsvereins Nr. 5/2017, S. 4. Siehe zum geschützten Rechtsgut des § 114 StGB: C. I. 2. Schutzgut des § 114
StGB. 637
DAV, Stellungnahme des Deutschen Anwaltsvereins Nr. 5/2017, S. 8. Zöller, ZIS 2015, 445, 450. 639 Vgl. C. III. 5. b) bb) Verhältnis § 114 StGB zu §§ 223, 22, 23 Abs. 1 StGB. 640 Polizeipräsidium FFM, Stellungnahme LT NRW Drs. 16/3433, S. 8. Hier heißt es auch, es bedürfe eines „Schutzparagraphen, der den Unwertgehalt eines Angriffs auf Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte besonders normiert und herausstreicht“. 638
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C. Dogmatische Probleme der aktuellen Gesetzeslage
genheiten und der Ausschuss für innere Angelegenheiten empfahlen dem Bundesrat in einer Stellungnahme, den Tatbestand auf „sämtliche Handlungen in Beziehung auf den Dienst“ auszuweiten.641 Dies war auch im hessischen Gesetzesentwurf vorgesehen. Der saarländische Gesetzesantrag ging noch weiter und enthielt daneben die Alternative „während der Ausübung des Dienstes“. Diese Alternativmöglichkeiten werden im Folgenden erläutert und bewertet. aa) Tatbestandsmerkmal „in Beziehung auf den Dienst“ Das Kernstück des hessischen Gesetzesantrags stellte die Schaffung eines neuen Straftatbestands dar, § 112 StGB-E. Durch diese Vorschrift sollten Polizist:innen (und Hilfeleistende der Feuerwehr, des Katastrophenschutzes sowie des Rettungsdienstes) unabhängig vom Vorliegen einer Vollstreckungshandlung vor tätlichen Angriffen geschützt werden, die sie in Beziehung auf ihren Dienst erleiden. In § 112 StGB a. F. war ursprünglich die Aufforderung zu militärischem Ungehorsam unter Strafe gestellt, bis diese Regelung im Jahr 1946 durch das Kontrollratsgesetz Nr. 11 (Amtsblatt S. 55) aufgehoben wurde.642 Dem hessischen Antrag zufolge sollte zur Tatbestandsverwirklichung ausreichend sein, dass der Angriff in Beziehung auf den Dienst erfolgt. Das bedeutete, dass nicht einmal eine Diensthandlung zur Verwirklichung des Tatbestands erforderlich sein sollte. Vielmehr sollte genügen, dass der Angriff durch den Dienst motiviert war. Bei dieser Formulierung steht die Absicht im Vordergrund, Angriffe zu erfassen, die mit der schlichten Absicht erfolgen, gegen den Staat repräsentierende Personen vorzugehen.643 Der Hintergrund dessen ist, dass die Polizei vermehrt beklagt, Angriffe auf ihre Mitglieder würden nicht immer in direkter Verbindung mit polizeilichen Maßnahmen wie einer allgemeinen Diensthandlung oder einer konkreten Vollstreckungshandlung ausgelöst werden. Die Einsatzkräfte würden auch „aus dem Hinterhalt“ angegriffen werden, um dem Hass auf uniformierte Menschen Luft zu machen.644 Allerdings ergaben sich im Hinblick auf das Merkmal „in Beziehung auf den Dienst“ Auslegungsprobleme. Hauptkritikpunkt an dem geplanten Tatbestandsmerkmal war seine mögliche Unvereinbarkeit mit dem Bestimmtheitsgebot. Der Wortlaut ist unklar und bedarf daher weitergehender Auslegung.645 Der Begriff könnte wie in § 340 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 StGB auszulegen sein. Dort gilt eine 641
BR-Drs. 126/1/17, S. 5. BR-Drs. 165/15, S. 4. 643 Vgl. BR-Drs. 165/15, S. 2. 644 Polizeipräsidium FFM, Stellungnahme LT NRW Drs. 16/3433, S. 6 f.; vgl. hierzu auch die dort genannten Beispielsfälle. 645 Vgl. die Stellungnahme der grünen Kreisverbände zum Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im hessischen Landtag: LT Drs. 19/1987, S. 1; Roggan, Stellungnahme LT NRW Drs. 16/3453, S. 2. 642
VI. Systematische Defizite
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Handlung als in Beziehung auf ihren Dienst stehend, wenn die Rechtsgutsverletzung in dem erforderlichen sachlich-inneren Zusammenhang steht, was in der Regel dann der Fall ist, wenn die Tat durch die Amtsausübung veranlasst ist.646 Dafür reicht es aus, wenn das Polizeimitglied außerhalb der Dienstzeit eine von ihr angezeigte, aber freigesprochene Person verprügelt, um aus ihrer Sicht Gerechtigkeit zu schaffen.647 Das Tatbestandsmerkmal ist nicht erfüllt, wenn nicht nur der erforderliche sachlich-innere, sondern auch der zeitliche (und örtliche) Zusammenhang zwischen Amtshandlung und Rechtsgutsverletzung vorliegt. In diesem Fall ist die erste Alternative der Körperverletzung im Amt einschlägig, „während der Ausübung des Dienstes“.648 Das ist etwa der Fall bei einer im öffentlichen Verkehrsbetrieb beschäftigten Person, die während ihrer Dienstzeit einen widerspenstigen Fahrgast aus dem fahrenden Waggon stößt.649 Der im hessischen Entwurf vorgesehene § 112 StGB-E enthielt eine solche weitere Alternative jedoch nicht, sodass sich die Frage stellte, wie sich ein zeitlicher oder ein zeitlich-örtlicher Zusammenhang zum tätlichen Angriff ausgewirkt hätte. Eine Auslegung entsprechend § 340 StGB würde dazu führen, dass der geplante Tatbestand allein im Falle des Fehlens eines zeitlichen und örtlichen Zusammenhangs gegriffen hätte. Unter Berücksichtigung der hinter dem Gesetzgebungsakt stehenden Intention des hessischen Gesetzgebers, den Anwendungsbereich der §§ 113 ff. StGB zu erweitern und dadurch Polizeibedienstete außerhalb wie innerhalb ihres Dienstes besser zu schützen, kann eine solche Interpretation nicht beabsichtigt gewesen sein. Schon unter diesem Gesichtspunkt ist eine unterschiedslose Auslegung nach den Grundsätzen des § 340 StGB nicht möglich. Dafür spricht auch der Umstand, dass bei der Körperverletzung im Amt der Dienstbezug im Unterschied zu § 112 StGB-E auf Täter:innenseite vorhanden sein muss, nicht beim Opfer.650 Durch den identischen Wortlaut der Vorschriften bestand jedoch die Gefahr, dass der Dienstbezug der Körperverletzung im Amt fälschlicherweise mit dem des § 112 StGB-E gleichgesetzt worden wäre.651 Da eine unterschiedslose Übertragung der Auslegungsregeln des § 340 StGB nicht möglich ist, muss die Auslegung auf andere Weise vorgenommen werden. Dem Wortsinn des Tatbestandsmerkmals nach kommen zwei Auslegungsmöglichkeiten in Betracht: zum einen ein enges Verständnis im Sinne eines unmittelbaren Dienstbezugs, wonach der Angriff während der Dienstausübung stattfinden 646 Vgl. RGSt 6, 20, 21 f. (wobei dort das Merkmal „in Veranlassung der Ausübung des Amtes“ behandelt wird); MüKoStGB/Voßen, Band 5, § 340 Rn. 11; Singelnstein/ Kunz, Kriminologie, 4. Kap., § 20 Rn. 11 f.; Meier, Strafrechtliche Sanktionen, Kap. 2.3.3.1, S. 2. 647 Schönke/Schröder/Hecker-StGB (30. Aufl.), § 340 Rn. 5. 648 MüKoStGB/Voßen, Band 5, § 340 Rn. 11. 649 RGSt 75, 355, 355 ff. 650 Roggan, Stellungnahme LT NRW Drs. 16/3453, S. 6. 651 Roggan, Stellungnahme LT NRW Drs. 16/3453, S. 16.
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C. Dogmatische Probleme der aktuellen Gesetzeslage
müsste. Andererseits wäre auch ein weites Verständnis in dem Sinne möglich, dass lediglich irgendein Verhältnis zum Dienst erforderlich ist, eine Diensttätigkeit in objektiver Hinsicht also nicht vorliegen muss.652 Die Entwurfsbegründung Hessens gab der weiten Auslegung den Vorzug, denn sie bestimmte, dass der Schutz innerhalb und außerhalb des Dienstes gelten solle. Der Angriff müsse lediglich durch den Dienst motiviert sein.653 Insofern war auch von einer subjektivtatbestandlichen Strafbarkeitsvoraussetzung die Rede.654 Der Nachweis, dass das Opfer aufgrund seines Berufs und nicht etwa aus privaten Motiven angegriffen wurde, barg die Gefahr, in der Praxis teilweise zu Problemen führen zu können.655 Insofern hätte die Alternative des hessischen Entwurfs, sofern sie geltendes Recht geworden wäre, in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht zu Rechtsunsicherheiten geführt. bb) Tatbestandsmerkmal „in Beziehung auf den Dienst oder während der Dienstausübung“ § 113 StGB-E, so die Begründung des saarländischen Gesetzesentwurfs, sollte das Tatopfer schützen, das während der Ausübung seines Dienstes oder in Beziehung auf seinen Dienst tätlich angegriffen wird. Diese Formulierung stimmt mit der aus § 340 StGB überein. Für die Auslegung wurde daher auch auf die Ausführungen zu diesem Tatbestand verwiesen.656 Insofern könnte diese Formulierung eindeutiger sein als die des hessischen Gesetzestextes oder des im Jahr 2017 umgesetzten Gesetzesentwurfs. Allerdings ist fraglich, ob die Auslegungsregeln des § 340 StGB hätten herangezogen werden können, oder ob das, wie beim hessischen Entwurf, nicht möglich gewesen wäre und das Tatbestandsmerkmal damit gleichermaßen Unklarheiten aufgewiesen hätte. Gegen die Übertragung der Auslegungsregeln spricht auch beim saarländischen Entwurf, dass die Bediensteten im Rahmen des § 340 StGB Täter:innen sind, während sie im Rahmen des § 113 StGB-E Opfer gewesen wären. Das Fehlen der zweiten Tatvariante, das beim hessischen Entwurf als Hauptargument gegen einen Rückgriff auf § 340 StGB sprach, stellte bei dem in Rede stehenden geplanten Legislativakt hingegen kein Problem dar. Ob ein derart weitreichender, auch in den Privatbereich des Opfers hineinreichender Schutz erforderlich ist, darf bezweifelt werden.657 Bereits die Ausdeh652
Roggan, Stellungnahme LT NRW Drs. 16/3453, S. 6. BR-Drs. 165/15, S. 6. 654 Roggan, Stellungnahme LT NRW Drs. 16/3453, S. 7. 655 BDK, Stellungnahme LT NRW Drs. 16/3434, S. 2. 656 BR-Drs.187/15, S. 10. 657 Referentenentwurf des BMJV vom 23.12.2016. Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz etwa erachtete den Schutz über die allgemeinen Straftatbestände in diesen Fällen für ausreichend. 653
VI. Systematische Defizite
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nung auf jegliche gegen Polizist:innen gerichtete Handlungen während der Ausübung des Dienstes erscheint in dogmatischer Hinsicht fraglich. Eine solche Regelung entspräche Art. 61 Abs. 10 des italienischen Codice Penale, der eine Strafschärfung in dieser Situation vorsieht. Eine solche personengruppenbezogene Sonderregelung ist vor dem Hintergrund des Gleichbehandlungsgebots kritisch zu sehen, denn solche sind dem Strafgesetzbuch grundsätzlich fremd.658 Zwar sind auch die Beleidigung, die üble Nachrede und die Verleumdung mit einem erhöhten Strafmaß belegt, wenn sie gegen Personen des politischen Lebens gerichtet sind, § 188 StGB. Die Norm wurde erst kürzlich dahingehend novelliert, dass sich der Schutzbereich auf Beleidigungen erstreckt.659 Sie reiht sich insofern in die kriminalpolitische Tendenz einer Ausdehnung des strafbewerten Verhaltens ein,660 in die auch das 52. Strafrechtsänderungsgesetz eingeordnet werden kann. Die Vorschrift schützt ebenfalls nicht das politische Amt, sondern die das Amt innehabende Person.661 Grund für die Straferhöhung bei der Qualifikation ist allerdings, dass der Vergiftung des politischen Lebens durch herabsetzende Äußerungen entgegengewirkt werden soll. Damit sollen Zustände wie in der Weimarer Republik vermieden werden, wo Diffamierungen als Waffe gegen politische Konkurrenz genutzt wurden.662 Auf Vollstreckungspersonen lässt sich diese Begründung nicht übertragen. Noch weiter ausgedehnt würde der Anwendungsbereich, wenn jegliche Taten erfasst wären, die „in Beziehung auf den Dienst“ erfolgen. Dieses Merkmal würde, zusätzlich zu der angesprochenen Erweiterung, zu Auslegungsproblemen führen. Eine Regelung entsprechend des saarländischen Entwurfs wäre dahingehend eindeutiger. Gerade im Hinblick auf das Gleichheitsgebot ist jedoch auch die saarländische Option in dogmatischer Hinsicht fraglich. c) Alternative: Vollstreckungsbezug insgesamt aufheben Alternativ kommt in Betracht, den Bezug zur Vollstreckungshandlung einheitlich sowohl für den tätlichen Angriff als auch für den Widerstand aufzuheben.663 Das wird von Befürwortenden dieses Vorschlags damit begründet, dass auf diese Weise ein weitreichenderer Anwendungsbereich und damit ein „größerer Schutz“ bewirkt werden könne. Auch bei allgemeinen Diensthandlungen wie zum Beispiel Identitätskontrollen könne es zu gewaltsamen Reaktionen kommen, so die 658
Hoffmann-Holland/Koranyi, ZStW 2015, 913, 924. Strafgesetzbuch vom 01.04.2021, BGBl. I Nr. 13, S. 441. 660 Vgl. Schlepper, S. 185, oder Hiesmayr, S. 18 f. 661 BGHSt 6, 159 = NJW 1954, 1252, 1253; Schönke/Schröder/Eisele/SchittenhelmStGB (30. Aufl.), § 188 Rn. 1; BeckOK-StGB/Valerius, 52. Edition, § 188 Rn. 1. 662 BT-Drs. IV/650, Begründung zu § 176-E, S. 319. 663 Magnus, Stellungnahme zu BT-Drs. 18/11161, S. 4; Kohler, IPK WPS, S. 23; wohl auch Radermacher, Stellungnahme zu BT-Drs. 18/11161, S. 2. 659
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C. Dogmatische Probleme der aktuellen Gesetzeslage
Argumentation.664 Dagegen spricht aber, dass die allgemeinen Gesetze wie die §§ 223 ff., 240, 185 ff. StGB bereits einen ausreichenden Schutz bieten und die Sondernormierung damit obsolet machen.665 Im Hinblick auf die Argumentation, dass es auch im Rahmen allgemeiner Diensthandlungen zu Konflikten kommen kann, ist zu bedenken, dass Vollstreckungshandlungen meist tiefer in die Grundrechte der an sie adressierten Person eingreifen als sonstige Diensthandlungen, in diesen Fällen insofern ein größeres Konfliktpotential herrscht. Daher ist es grundsätzlich sinnvoll, an einen bei einer Vollstreckungsmaßnahme erfolgenden Angriff weniger strenge Konsequenzen zu knüpfen als an einen Angriff ohne eine solche. Für die generelle Auflösung der Verknüpfung zur Vollstreckungshandlung im 6. Abschnitt des Strafgesetzbuches spricht, dass dadurch Abgrenzungsprobleme zwischen Vollstreckungs- und Diensthandlungen entfallen würden. Diese Tätigkeiten können mitunter fließend ineinander übergehen. Teilweise wird daher vorgeschlagen, alternativ zur Auflösung des Vollstreckungsbezugs gesetzlich den Zeitpunkt dieses Übergangs von der Vollstreckungs- zur Diensthandlung festzulegen.666 Aufgrund der Fülle an Vollstreckungsmaßnahmen und den unterschiedlichen möglichen Sachverhaltskonstellationen erscheint es jedoch unwahrscheinlich, dass eine einfachere Abgrenzungsmöglichkeit gefunden werden würde als die bestehende. d) Alternative: Tätlicher Angriff als besonders schwerer Fall des Widerstands im Falle einer Vollstreckungshandlung Eine weitere Gestaltungsmöglichkeit im Zusammenhang mit der Vollstreckungs- oder Diensthandlung und der Frage, wie der tätliche Angriff dort am besten zu verorten wäre, ist dem Alternativvorschlag Kubiciels aus seiner Stellungnahme zum Gesetzesentwurf zu entnehmen.667 Er schlägt vor, § 114 StGB als Spezialtatbestand für tätliche Angriffe zu konzipieren, der bei allen Diensthandlungen einschlägig ist, die nicht zugleich Vollstreckungshandlungen sind. In diesem Fall soll ein Strafrahmen von drei Monaten bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe gelten. In § 113 StGB soll der Widerstand gegen Vollstreckungspersonen geregelt sein, für den wie im aktuellen Gesetzestext eine Vollstreckungshandlung vorliegen soll und eine Geldstrafe oder Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren verhängt werden können soll. Im zweiten Absatz soll der tätliche Angriff, unter der gleichen Strafandrohung wie sie derzeit
664 665 666 667
Magnus, Stellungnahme zu BT-Drs. 18/11161, S. 4. Vgl. unter C. VI. 4. b) Alternative: Streichung des tätlichen Angriffs. Kohler, IPK WPS, S. 25. Kubiciel, Stellungnahme zu BT-Drs. 18/11161, S. 13 f.
VI. Systematische Defizite
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für Regelbeispiele gilt, also sechs Monate bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe, zu den Regelbeispielen hinzugenommen werden. Hintergrund einer solchen Aufteilung soll die dadurch entstehende bessere Abgrenzbarkeit zwischen § 113 StGB und § 114 StGB sein, die im Rahmen des geltenden Rechts kaum möglich ist. Liegt eine Vollstreckungssituation vor, wäre auf diese Weise immer § 113 StGB einschlägig. Allerdings kann auf die schwierige Abgrenzung zwischen Widerstand und tätlichem Angriff auch bei der vorgeschlagenen Gestaltungsmöglichkeit der §§ 113 ff. StGB nicht verzichtet werden, da ein anderer Strafrahmen für den Grundfall (= Widerstand) vorgesehen ist als für den besonders schweren Fall (= tätlicher Angriff). Daher ist die Abgrenzung gleichermaßen ausschlaggebend wie beim aktuellen Gesetzestext. Im Vorschlag Kubiciels ist für § 114 StGB, das heißt für tätliche Angriffe ohne das Vorliegen einer Vollstreckungshandlung, ein geringerer Strafrahmen als für den besonders schweren Fall nach § 113 Abs. 2 Nr. 1 StGB, also für tätliche Angriffe im Rahmen einer Vollstreckungshandlung, vorgesehen. Die daraus zu entnehmende Auffassung, Angriffe auf Vollstreckungsbeamte während Vollstreckungshandlungen würden ein größeres Unrecht darstellen als im Rahmen allgemeiner Diensthandlungen, offenbart eine weitere Entfernung vom früheren Privilegierungsgedanken. Im Hinblick auf die besondere Drucksituation im Rahmen von Vollstreckungshandlungen, auf welcher der Privilegierungsgedanke beruht, müssten tätliche Angriffe, die im Rahmen von Vollstreckungshandlungen erfolgen, milder bestraft werden als solche, bei denen keine Vollstreckungstätigkeit ausgeübt wurde. Zu bemängeln ist, dass nach der hier vertretenen Ansicht der tätliche Angriff nicht per se als verwerflichere Begehungsweise im Verhältnis zum Widerstand gesehen wird und vor diesem Hintergrund die unterschiedliche Strafandrohung der beiden Tathandlungen nicht einleuchtet.668 Außerdem wurde bereits festgestellt, dass der Widerstand im weiteren Sinne häufig die Voraussetzungen des von der herrschenden Meinung sehr weit ausgelegten tätlichen Angriffs erfüllen wird und insofern zu erwarten ist, dass der besonders schwere Fall (tätlicher Angriff bei Vorliegen einer Vollstreckungshandlung) den Regelfall darstellen wird.669 6. Zwischenfazit Die Ausführungen haben ergeben, dass die aufgeführten systematischen Kritikpunkte in engem Zusammenhang stehen und ineinandergreifen. Angefangen bei der Strafverschärfung für tätliche Angriffe bei § 114 StGB und den im Ver668 669
Vgl. S. 104 f. Vgl. zu den Überschneidungen C. III. 1. Verhältnis § 113 StGB zu § 114 StGB.
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C. Dogmatische Probleme der aktuellen Gesetzeslage
gleich zu anderen Tatbeständen zu hohen Strafen der Widerstandsdelikte fällt negativ auf, dass die erhöhte Freiheitsstrafe beim tätlichen Angriff sogar angewendet wird, wenn die Diensthandlung rechtswidrig ist. Mit der Überführung des § 114 Abs. 3 StGB a. F. in § 115 Abs. 3 StGB wurde außerdem eine Chance vertan, die Norm in dem systematisch passenderen Kontext des § 323c StGB zu verorten. Insgesamt liefern die aufgezeigten dogmatischen Unstimmigkeiten ein klares Bild hinsichtlich der Bewertung der Systematik der Widerstandsdelikte gegen die Staatsgewalt. Es wurde die Möglichkeit verpasst, bestehende Defizite mit der Gesetzesänderung zu beseitigen und stattdessen mit der Schaffung des § 114 StGB neue Probleme hinzugefügt. Die gesetzgebende Instanz hätte gut daran getan, einige der Alternativvorschläge zu berücksichtigen, insbesondere die Einführung eines minder schweren Falls. In der aktuellen Fassung ist die Stellung des individualschützenden Delikts im 6. Abschnitts des Strafgesetzbuches schlicht nicht nachvollziehbar.
D. Bewertung: Zur Rationalität der Gesetzesänderung Die rechtliche Würdigung hat ergeben, dass sich die §§ 113 ff. StGB ihrem aktuellen Stand nach nicht ohne weiteres in das bestehende Strafrechtssystem einfügen. Ihre Novellierung diente mangels der Schließung von Schutzlücken und der Ungeeignetheit von Strafverschärfungen zu diesem Zweck nicht dem klassischen Rechtsgüterschutz. Doch auch wenn die Novellierung diese juristischen, harten Rationalitätsaspekte nicht erfüllt, könnte sie dennoch auf andere Weise ihre Berechtigung gehabt haben. Die folgenden Ausführungen dienen der Beantwortung der Frage, ob sich die Rationalität eines Gesetzes allein mit juristischem Sachverstand beantworten lässt und ob ein Gesetz womöglich sogar als „gut“ bezeichnen kann, obwohl es in erster Linie anderen, zum Beispiel politischen Zwecken, dient. Zunächst wird ermittelt, welche rechtlichen Vorgaben an die Rationalität und die Legitimität eines Gesetzes gestellt werden, mithin ob es trotz dogmatischer Inkonsistenzen seine Berechtigung zum Beispiel aus politischen Motiven herleiten kann. Dieser Gedanke liegt bei den in Rede stehenden Paragraphen aufgrund der zum Teil sehr auffälligen dogmatischen Unstimmigkeiten nahe. Im gleichen Atemzug wird ermittelt, wann ein Gesetz als „gut“ beziehungsweise „rational“ gilt (rechtlich und kriminalpolitisch) und anschließend, inwiefern symbolische Gesetze dennoch rational sein können. Es wird auch untersucht, ob es sich bei dem 52. Strafrechtsänderungsgesetz um ein rein symbolisches Gesetz handelt. Innerhalb dieses Aspekts wird unter Zuhilfenahme der Erkenntnisse zum gesellschaftlichen Kontext aus dem ersten Abschnitt ermittelt, welche Motive die gesetzgebende Instanz neben dem eigentlichen erklärten „juristischen“ Ziel, dem besseren strafrechtlichen Schutz von Polizist:innen, verfolgt haben könnte und ob diese gefördert wurden. Abschließend wird aufgezeigt, welche Gefahren symbolische Gesetze in Bezug auf das Verhältnis zwischen Individuum, Polizei und Staat mit sich bringen.
I. Anforderungen an ein rationales Gesetz und Kriterien „guter Gesetzgebung“ Die Frage, wann ein (Straf-)Gesetz als „gut“ oder „rational“ bezeichnet werden kann, spaltet die Geister. Zwei Grundpositionen können unterschieden werden: Die einen nehmen an, bei der Gesetzgebung werde „nur das Gesetz geschuldet“, es müssten also ausschließlich die Anforderungen eingehalten werden, die das
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D. Bewertung: Zur Rationalität der Gesetzesänderung
Verfassungsrecht vorgibt.1 Diese verfassungsrechtlichen Vorgaben umfassen die Formalanforderungen des Verfassungsrechts, die allein den Ablauf und die Beteiligung der Staatsorgane am formalen Gesetzgebungsverfahren festlegen,2 sowie die Verfassungsprinzipien und fundamentale Verfassungsgrundsätze.3 Andere verlangen mehr von einem guten Gesetz und leiten aus diesen allgemeinen, im Grundgesetz verankerten Prinzipien wie dem Gesetzlichkeitsprinzip4, dem Demokratieprinzip oder dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, in unterschiedlicher Ausgestaltung darüberhinausgehende Erfordernisse her. Die Frage nach der Rationalität einer Strafvorschrift ist im Einzelnen sehr komplex. Sie ist verwandt mit der Frage nach der Legitimität und wird gelegentlich mit dieser gleichgesetzt, ist aber nicht identisch mit dieser. Für die vorliegende Arbeit wird folgendes Verständnis von Legitimität und Rationalität zu Grunde gelegt: Die Grenzen der Daseinsberechtigung einer Norm (= Legitimität) ergeben sich, und dort widersprechen sich auch die beiden genannten Grundpositionen nicht, jedenfalls in erster Linie aus dem Verfassungsrecht. Ob die Regelungen des Verfassungsrechts allein ausreichen, um ein Gesetz als „gut“ beziehungsweise „rational“ zu bezeichnen, wird hingegen diskutiert. Bei der Überprüfung einer Norm auf ihre Verfassungsmäßigkeit (das heißt nach diesem Verständnis: auf ihre Legitimität) steht vornehmlich die Verhältnismäßigkeitsprüfung mit den Prüfungsschritten legitimes Ziel, Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit im Vordergrund. Bei der Prüfung dieser Aspekte wird der Legislative ein weiter Einschätzungsspielraum zugestanden.5 Ob ein Gesetz eine Daseinsberechtigung hat, wird demnach weitestgehend der Beurteilung der Legislative überlassen, es ist richterliche Zurückhaltung geboten. Solange das angestrebte Ziel entsprechend den Besonderheiten des Strafrechts auf den Schutz eines besonders bedeutsamen, qualifizierten Belanges6 ausgerichtet ist, kann es keinen Unterschied machen, ob harte juristische Aspekte wie ein verbesserter Rechtsgüterschutz zu Grunde gelegt wurden oder politische, wie das Setzen eines Signals der Wertschätzung zur Steigerung der Zufriedenheit einer bestimmten Personengruppe.
1 Schlaich, VVDStRL 1981, 99, 109; Waldhoff, in: Festschrift für Josef Isensee, 2007, 325, 332; Merten, DÖV 2015, 349, 360. 2 Steinbach, S. 3, legt ein sehr enges Verständnis von den „verfassungsrechtlichen Anforderungen“ zu Grunde und stellt nur auf diese formalen Vorschriften ab, die Anforderungen zum Gesetzgebungsverfahren festlegen. 3 Schlaich, VVDStRL 1981, 99, 109; Merten, DÖV 2015, 349, 360. 4 Hieran anknüpfend: Puschke, Legitimation, Grenzen und Dogmatik von Vorbereitungstatbeständen, S. 144. 5 Epping, Kap. 1 Rn. 49. 6 Puschke, Legitimation, Grenzen und Dogmatik von Vorbereitungstatbeständen, S. 189.
I. Anforderungen an ein rationales Gesetz und Kriterien „guter Gesetzgebung‘‘ 197
Für die Bewertung der Qualität beziehungsweise Rationalität des Gesetzes sind jedoch höhere Anforderungen zu stellen. In Betracht kommt, Gesetze hinsichtlich des Aufbaus, der Sprache, der Systematik und ihres Verhältnisses zur bestehenden Rechtsordnung zu betrachten, sowie hinsichtlich ihrer Vollzugstauglichkeit.7 Sie sollten prinzipientreu und gleichzeitig hinreichend flexibel sein.8 Dem Kriterium der Vollzugstauglichkeit wird von Vielen im Rahmen der Bewertung der Rationalität von Gesetzen eine besondere Bedeutung zugesprochen: Nur ein erfolgreiches Gesetz sei ein gutes Gesetz.9 Bei der Bewertung der Qualität eines Gesetzes kann auch eine Orientierung an den Bewertungsmaßstäben für die Qualität eines Produkts hilfreich sein. Dort ist von Qualität die Rede, wenn das Produkt alle Eigenschaften und Anforderungen erfüllt, die an es gestellt werden.10 Ein (Straf-)Gesetz ist aber nicht nur rational, weil es erfolgreich auf das von ihm verfolgte Ziel hinwirkt. Die Freiheitssphären der potentiell Betroffenen und der Normadressat:innen müssen bei der Gesetzgebung mitbedacht werden,11 das ist sowohl für die Eischätzung des Gesetzes als „rational“ als auch als „legitim“ beziehungsweise verfassungsmäßig erforderlich. Auch die Politik beschäftigte sich mit der Optimierung von Gesetzen. Als in den 1980er Jahren die Kritik an der Verabschiedung zu vieler, unnötiger und schlechter Gesetze wuchs, wurden Prüffragen in den Ministerien eingeführt,12 welche die Qualität der Gesetzgebung verbessern sollten. Deren Nutzen blieb weitestgehend aus. Heute sind die wichtigsten Hilfsmittel der Bundesregierung bei der Erstellung von Gesetzesentwürfen das Handbuch der Rechtsförmlichkeit und das Handbuch zur Vorbereitung von Rechts- und Verwaltungsvorschriften. Im vom Bundesministerium der Justiz herausgegebenen Handbuch der Rechtsförmlichkeit heißt es, dass es bei der Qualität einer Rechtsvorschrift vor allem um die Frage geht, ob sich diese widerspruchsfrei in die bestehende Rechtsordnung einfügt. Dabei komme es auf die Vereinbarkeit mit Verfassungsrecht, europäischem Recht und bestehenden Vorschriften gleichen Ranges an. Bei der Rechtsprüfung im Bundesministerium wird zudem kontrolliert, ob es sich um eine doppelte oder widersprüchliche Regelung handelt.13 Somit gilt auch in der Politik, dass ein Gesetz nicht allein rational ist, weil es verfassungsgemäß (das heißt nach dem hiesigen Verständnis: legitim) ist.
7
Fliedner, S. 69. Prittwitz, Arbeitspapier Nr. 12/2016, Kriminalpolitik in Zeiten wie diesen, Rn. 16. 9 Horn, S. 267. 10 Vgl. Fliedner, S. 58 f. 11 Puschke, Legitimation, Grenzen und Dogmatik von Vorbereitungstatbeständen, S. 146. 12 Karpen, S. 77. 13 BAnz Nr. 160a vom 22.10.2008 S. 17, Rn. 8 ff. 8
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D. Bewertung: Zur Rationalität der Gesetzesänderung
Bei Übertragung dieser Anforderungen auf die hier betrachtete Gesetzesänderung könnte der Eindruck entstehen, dass das Änderungsgesetz aus juristischer Sicht irrational ist. Das Konkurrenzverhältnis innerhalb der Widerstandsdelikte sowie das Verhältnis zur Körperverletzung und zur Nötigung sind unklar, weshalb sich die §§ 113 ff. StGB nicht widerspruchsfrei in die Rechtsordnung einfügen. Zudem haben die Normen einen geringen eigenen Anwendungsbereich, sodass zumindest in Teilen von einer doppelten Regelung bestimmter Verhaltensweisen gesprochen werden kann. Auch in verfassungsrechtlicher Hinsicht bestehen erhebliche Zweifel speziell in Bezug auf Art. 3 Abs. 1 GG.14 Die Gerichte vertreten jedoch mitunter ein anderes Verständnis von rationaler Gesetzgebung. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht mit dem von ihm entwickelten Gebot der Folgerichtigkeit und Widerspruchsfreiheit15 Diskussionen über die Existenz eines Rationalitätsgebots in der Wissenschaft angeregt, doch verbindliche Vorgaben haben sich daraus nicht entwickelt.16 Das Gebot der Folgerichtigkeit und Widerspruchsfreiheit sind der Rechtsprechung zufolge vielmehr als Optimierungsgebote zu verstehen.17 Insofern existieren einige Normen, deren formal-juristische Rationalität fraglich ist. Als Beispiel kann § 130a StGB genannt werden, dessen Schutzgut der öffentliche Frieden ist, welcher allerdings zur Tatbestandsverwirklichung nicht betroffen sein muss.18 Die Judikatur des Bundesverfassungsgerichts gibt als Mindestanforderungen, die eine Norm erfüllen muss, Gleichheit, Bestimmtheit, Klarheit und Verhältnismäßigkeit vor,19 doch führen Bedenken hinsichtlich der Umsetzung dieser verfassungsrechtlichen Komponenten, die nach hier vertretenem Verständnis die Frage der Legitimität betreffen, auch nur in Ausnahmefällen zur Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes. Die Rechtsprechung stellt an den Begriff der Rationalität folglich keine verbindlichen, über die Anforderungen an die Legitimität eines Gesetzes hinausgehenden Anforderungen. Um dem Kriterium der Rationalität einen eigenständigen Sinngehalt beizumessen, wird er nach der hier vertretenen Ansicht im Sinne der zuvor genannten Meinungen als „gut“, „qualitativ“ oder „klug“ verstanden, statt lediglich im Sinne von „den Anforderungen genügend, die das Verfassungsrecht an Gesetze stellt“. Diese Auslegung entspricht dem Begriffsverständnis des allgemeinen
14 Siehe zu den einzelnen dogmatischen Problemen: C. Dogmatische Probleme der aktuellen Gesetzeslage. 15 BVerfGE 105, 73, 115 = NJW 2002, 1103; BVerfGE 121, 317, 363 = NJW 2008, 2409. 16 Steinbach, S. 1. 17 Sangenstedt, FS für Klaus Rogall, S. 98. 18 Beste/Wagner, KrimJ 1991, 24, 29. 19 Vgl. Schneider, Rn. 62 ff.
II. Legislative Rationalität symbolischer Gesetze
199
Sprachgebrauchs. Hiernach bedeutet der Begriff „rational“ so viel wie vernünftig, sinnvoll.20 Das Wort „legitim“ wird an erster Stelle als gesetzlich anerkannt, rechtmäßig; im Rahmen bestimmter Vorschriften erfolgend beschrieben.21 Zur Auslegung dessen, was gute Gesetzgebung aus kriminalpolitischer Sicht ausmacht, wird an geeigneter Stelle eingegangen.22 Unterschiedlich im Hinblick auf ihre Rationalität werden auch symbolische Gesetze bewertet. Aus rein juristischer Sicht ist der Begriff meist negativ konnotiert. Der Staat sei nicht dazu legitimiert, „göttliche“ oder sonst transzendente Ziele zu verfolgen, da alle Gewalt vom Volke ausgehe. Auch stehe ihm nicht zu, Menschen moralisch zu verbessern, die das staatliche Gemeinwesen als mündig voraussetzt.23 Dennoch ist klar, dass auch symbolische Gesetze in politischer Hinsicht rational sein können. Ihre Implementierung kann Handlungsfähigkeit demonstrieren und Zustimmung in der Bevölkerung hervorrufen, mithin zu politischen Erfolgen führen.24 Sie können sogar mittelbar auf die Gesellschaft einwirken, indem sie moralethische Bedürfnisse befriedigen oder gesellschaftlich stabilisierend wirken.25 Insofern können symbolisch-politische Rationalität und juristisch-sachliche Rationalität divergieren.
II. Legislative Rationalität symbolischer Gesetze Symbolische Gesetze genießen in der Strafrechtswissenschaft demnach keinen guten Ruf. Stimmen, die auch dem 52. Strafrechtsänderungsgesetzt in erster Linie einen symbolischen Gehalt zuschreiben, sind zahlreich.26 Daher wird nun zunächst dargestellt (1.) wann von symbolischem Strafrecht gesprochen werden kann (2.) ob sich die Novellierung unter die vorgeschlagenen Definitionen subsumieren lässt und (3.) ob symbolische Normen ihrem Ruf gerecht werden oder womöglich dennoch rational sein können.
20
DUDEN – Deutsches Universalwörterbuch „rational“. DUDEN – Deutsches Universalwörterbuch „legitim“; allerdings ließe sich auch ein weiteres Begriffsverständnis vertreten. An zweiter Stelle folgen nämlich die Erläuterungen „allgemein anerkannt, vertretbar, vernünftig; berechtigt, begründet; [moralisch] einwandfrei“. 22 Im nächsten Abschnitt, D. II. 3. Einordnung des 52. Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches in Bezug auf dessen kriminalpolitische Rationalität. 23 Roxin, JuS 1966, 377, 381; kritisch auch Hefendehl, S. 51; Prittwitz, Arbeitspapier Nr. 12/2016, Kriminalpolitik in Zeiten wie diesen, Rn. 16. 24 Steinbach, S. 41 f. 25 Steinbach, S. 153. 26 Stellvertretend für viele: DAV, Stellungnahme Nr. 5/2017, S. 6; NRV, Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften, S. 2. 21
200
D. Bewertung: Zur Rationalität der Gesetzesänderung
1. Definition symbolischen Strafrechts Die Bestimmung, wann Symbolstrafrecht vorliegt, ist aufgrund der Vielschichtigkeit des Begriffs problematisch.27 Oft werden symbolische Gesetze definiert als solche mit geringer sachlich-realer Gestaltungswirkung bei gleichzeitig hoher politischer Intention.28 Es handelt sich also um Gesetze, die (juristisch-sachlich) ineffektiv sind, mithin nicht am Schutz eines bestimmten (anerkannten) Rechtsguts orientiert sind oder ungeeignet sind, den vorgegebenen Schutzzweck zu erreichen.29 Eine politische Scheinwaffe30, bei der die kostengünstige, energische Demonstration von exekutiver und legislativer Handlungsfähigkeit (anstelle des Rechtsgüterschutzes) zur Beschwichtigung der verunsicherten Gesellschaft31 im Vordergrund steht oder die gesellschaftliche Moral geformt, bestimmte Werte propagiert oder ein bestimmtes Verhalten als unerwünscht deklariert wird, anstatt sich mit dem zugrunde liegenden Problem auseinanderzusetzen. Kurzum: Mit symbolischem Strafrecht wird ein Zeichen gesetzt.32 Da Strafgesetze stets ein Verhalten sanktionieren, das in gewissem Umfang weiterhin vorkommt, insofern nie ein bestimmtes Verhalten ausnahmslos unterbinden können, ist das gesamte Strafrecht auf eine gewisse Weise symbolisch.33 Das vollständige Unterbinden unerwünschten Verhaltens kann daher nicht der Anspruch sein. Als Beispiele für symbolische Gesetzgebung zum Zwecke der Demonstration von Handlungsfähigkeit, sog. Alibi- oder Krisengesetze, werden in erster Linie die Antiterrorgesetze genannt.34 Für moralische Gesetze, bei denen die ideologische Auseinandersetzung im Vordergrund steht, die also einen moralischen Appell beinhalten, können beispielsweise das Drogenstrafrecht35 oder der sog. Inzest-Paragraph, § 173 StGB, genannt werden. Wie auch bei § 114 StGB stand bei § 173 StGB die Frage nach dem geschützten Rechtsgut im Raum. Das Bundesverfassungsgericht widmete sich in dem sog. Inzest-Urteil der Frage, ob eine Strafnorm überhaupt ein bestimmtes Rechtsgut schützen muss.36 Der verfassungsrechtlichen Relevanz der Erkenntnisse der Rechtsgutstheorie erteilte das Gericht dabei eine Absage. Es sei Sache der Legislative, den Bereich strafbaren Handelns festzulegen.37 Gleichzeitig betonte es mit 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37
Hefendehl, S. 179. Z. B. Steinbach, S. 155. Vgl. Aden, Kriminalpolitik, S. 127. Albrecht, S. 429. Hassemer, Freiheitliches Strafrecht, S. 239 f. Fischer, Über das Strafen, S. 361. Voß, S. 48. Kindermann, in: Gesetzgebungstheorie und Rechtspolitik, 234 f. Anastasopoulou, S. 225. BVerfGE 120, 224, 240 = JR 2008, 460. BVerfGE 120, 224, 240 = JR 2008, 460.
II. Legislative Rationalität symbolischer Gesetze
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Verweis auf seine frühere Rechtsprechung, dass das Strafrecht nur als ultima ratio des Rechtsgüterschutzes zur Anwendung komme, wenn ein bestimmtes Verhalten über sein Verbotensein hinaus in bestimmter Weise sozialschädlich und für das geordnete Zusammenleben der Menschen unerträglich sei.38 Ohne, dass ein geschütztes Rechtsgut bestimmbar wäre, könnte im Übrigen auch keine Verhältnismäßigkeitsprüfung durchgeführt werden, da es bereits an einem Anknüpfungspunkt für die Prüfung der ersten Voraussetzung, das legitime Ziel,39 beziehungsweise für die Prüfung der Angemessenheit40 fehlt. Wohl aus diesem Grund setzte sich das Bundesverfassungsgericht in seiner Inzest-Entscheidung dennoch intensiv mit der Frage nach dem tauglichen Rechtsgut der Vorschrift auseinander. 2. Einordnung des 52. Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches als symbolisches Gesetz Maßgeblich für die Bewertung des Symbolgehalts des Änderungsgesetzes ist damit die fehlende Effektivität zur Erreichung eines besseren Rechtsgüterschutzes und die Setzung eines Zeichens unter Außerachtlassung zu Grunde liegender Probleme. a) Ineffektivität bei der Verbesserung des Schutzes von Vollstreckungspersonen und Rettungskräften gegen Gewaltdelikte Der zur Charakterisierung symbolischen Strafrechts herangezogene Aspekt der fehlenden Effektivität zur Erreichung des angestrebten Ziels trifft auf das 52. Strafrechtsänderungsgesetz zu. Zwar handelt es sich nicht um ein Gesetz, das „nur auf dem Papier“ Folgen hat, denn es könnte infolgedessen zu höheren Strafen und, infolge der Ausdehnung des Anwendungsbereichs, zu vermehrten Anzeigen kommen.41 Doch das Gesetz ist ungeeignet, Vollstreckungspersonen und Rettungskräfte besser vor gewalttätigen Angriffen zu schützen. Es schließt keine Strafbarkeitslücken42, zieht also kein schwerwiegendes Verhalten in den Bereich des strafbaren Verhaltens mit ein, das nicht auch zuvor hätte geahndet werden können. Im Grunde handelt es sich um eine erneute Strafrahmenerhöhung. Die 38
BVerfGE 120, 224, 240 = JR 2008, 460. Vgl. Roxin, StV 2009, 544, 545. 40 Teilweise wird das Rechtsgut auch als Element der Angemessenheit angesehen, Reuter, Jura 2009, 511, 515. 41 Mit diesen Worten lehnte Franzen die Einordnung der Novellierung als symbolisches Recht ab, Wortprotokoll der 135. Sitzung, Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Nr. 18/135, S. 15 f. 42 Zöller, KriPoZ 2017, 143, 147; ähnlich: Der Gesetzesantrag des Landes Hessen, BR-Drs. 165/15, S. 4; anders: Erb, KriPoZ 2018, 48, 49: Es ließe sich hier von einer Lücke ausgehen, denn es gehe um die Abbildung einer Strafunwürdigkeit, die zwischen der Nötigung und den (hier nicht notwendigerweise einschlägigen, in gravierenden Fällen dann zusätzlich zu Buche schlagenden) §§ 223, 224 StGB zu verorten sei. 39
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abschreckende Wirkung von Straferhöhungen ist allerdings nachgewiesenermaßen erheblich überschätzt. Darauf deutet zumindest in dem ihr möglichen Rahmen43 auch die PKS hin, nach der sowohl in Folge der Strafrahmenerhöhung von 2011 als auch von 2017 vermehrt Angriffe auf Mitglieder der Polizeibehörden und Widerstandshandlungen registriert wurden.44 Gerade bei Delikten wie den in Rede stehenden, die meist affektiv und unter Einfluss von Alkohol oder anderen Drogen geschehen, sind die Täter:innen regelmäßig nicht generalpräventiv erreichbar. Von den im Jahr 2019 wegen „tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte und gleichstehende Personen“ registrierten Tatverdächtigen waren der Polizei 11,7 % als Konsument:innen harter Drogen bekannt, 58,7 % standen unter Alkoholeinfluss.45 Kurz bevor es zu einer der Taten nach den §§ 113 ff. StGB kommt, werden, im Gegensatz zu anderen, oft im Voraus geplanten Taten, typischerweise nicht die für und wider die Tatbegehung sprechenden Umstände abgewogen und mögliche Folgen der Tat in Betracht gezogen.46 Zur Verhinderung von Straftaten geeignet sind aus kriminologischer Sicht eine hohe Entdeckungswahrscheinlichkeit, die bei den Widerstandsdelikten aufgrund der äußeren Begebenheiten bereits gegeben ist, und eine zügige Verfolgung der Taten.47 Die Erhöhung des Strafmaßes hingegen verhindert keine Angriffe. Das Gesetz ist daher ungeeignet, Angriffe auf diese Personen wirksam zu verhindern. b) Solidaritätsbekundung statt Auseinandersetzung mit zu Grunde liegenden Problemen Die Intention der gesetzgebenden Instanz erschöpfte sich allerdings vermutlich nicht allein im Schutz der Vollstreckungsbeamt:innen. 48 Die vorangegangenen Ausführungen zum gesellschaftlichen Kontext der Novellierung haben gezeigt, 43
Zur Kritik an der PKS vgl. S. 52 f. Vom Jahr 2011 auf 2012 wurde ein Anstieg der Widerstandshandlungen um 3,5 % verzeichnet, BKA, PKS-Zeitreihen 1987–2012, Grundtabelle, Straftatenschlüssel 621000; 2018 wurde ein Anstieg von 39,9 % registriert, wobei hier auf die nur bedingte Vergleichbarkeit aufgrund der Novellierung hingewiesen wurde, BMI, PKS 2018 4.3 – T13 und S. 9. 2019 wurde im Vergleich zu 2018 ein Anstieg von 8,2 % verzeichnet, BMI, PKS 2019 4.3 – T13 und von 2019 auf 2020 ein Anstieg von 2,2 %, BMI, PKS 2020 4.2 – T13. 45 BKA, Gewalt gegen Polizeivollzugsbeamtinnen und Polizeivollzugsbeamte – Bundeslagebild 2019 2.2.3.1., T02. 46 Puschke/Rienhoff, JZ 2017, 924, 927; Schiemann, NJW 2017, 1846, 1849; Zöller, KriPoZ 2017, 143, 148. 47 Magnus, Stellungnahme zu BT-Drs. 18/11161, S. 2. 48 Das ergibt sich auch bereits daraus, dass die körperliche Unversehrtheit der in den Schutzbereich fallenden Personen durch den weiten Begriff des tätlichen Angriffs teilweise gar nicht unmittelbar betroffen ist, vgl. Roggan, Stellungnahme LT NRW Drs. 16/ 3453, S. 3. 44
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dass diesem vordergründig verfolgten Ziel eine weiterreichende Intention zu Grunde gelegen haben könnte. Der gesetzgebenden Instanz kam es besonders darauf an, dass die Gesetzesänderung von Polizei- und Rettungskräften als Akt des Respekts und der Wertschätzung verstanden wird.49 Mit der Vermengung der Thematiken „Gewalt“, die auf strafrechtlichem Wege sanktioniert werden kann, und dem „Respekt“, dessen Beschädigung allein kein vom Strafrecht anerkennenswertes Schutzgut verletzt, wurde legislativ verdeutlicht, dass der Staat die Verletzung beider Aspekte missbilligt. Mit der legislativen Verankerung von „Respektlosigkeiten“ gegenüber dem Staat und den diesen repräsentierenden Personen mit mindestens drei Monaten Freiheitsstrafe, was letztlich bezweckt wird, wenn Tathandlungen erfasst werden, welche die Schwelle zur versuchten Körperverletzung nicht erreichen, wurden gleich mehrere Signale gesendet. Einerseits konnte die Regierung wie mit jedem anderen Gesetzgebungsakt gegenüber der Allgemeinheit ihre Handlungsfähigkeit demonstrieren und auf aktuelle Ereignisse reagieren (vorliegend besonders die Ausschreitungen bei der Eröffnung der Europäischen Zentralbank in Frankfurt am Main). Indem sie die wichtige und herausgehobene Stellung der Polizei, dem „verlängerten Arm des Staates“, gegenüber der Allgemeinheit betonte, stärkte sie gleichzeitig die eigene Autorität. Damit verteidigt der Staat neben dem Ansehen der Polizei50 auch das eigene. Darüber hinaus spricht vieles dafür, dass die Debatte über Respekt und Wertschätzung im Gesetzgebungsverfahren und deren Aufnahme in den Gesetzesentwurf zu einem maßgeblichen Teil dazu dienen sollte, die Zufriedenheit der Mitglieder der Polizei zu steigern.51 Denn der vermeintlich mangelnde Respekt von Seiten der Bevölkerung und der Politik gegenüber Mitgliedern der Polizeibehörden ist ein Vorwurf, der seit Jahrzehnten aus den Reihen der Polizei beklagt wird.52 Untermauert wird diese These durch die Aussagen zahlreicher Befürwortenden der Gesetzesänderung. In der ersten Beratung zum Gesetzesentwurf erfolgte von Seiten der CDU/CSU und der SPD soweit ersichtlich keine Stellungnahme, bei der nicht die Anerkennung oder Respekt für Vollstreckungspersonen, 49
BT-Drs. 18/11161, S. 1. Das geht im Übrigen aus dem Wortprotokoll der 135. Sitzung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz Nr. 18/135, S. 15 f., hervor. Siehe den Sachverständigen Sascha Braun: „Sind nicht Gesundheit und körperliche Unversehrtheit der Beamtinnen und des Beamten durch sämtliche andere Normen des Strafgesetzbuches schon geschützt, vor allem durch die Körperverletzungsdelikte? Da sagen wir: Ja natürlich, das ist so. Aber: Der tätliche Angriff geht weiter. Wir wollen, dass auch das Angehen eines Polizeibeamten, einer Polizeibeamtin ohne die Körperverletzung, bestimmte Versuchshandlungen, bestimmte Auseinandersetzungen, die in den unmittelbaren Nahbereich des Beamten/der Beamtin gehen, strafrechtlich geschützt sind.“ 51 Als Rechtsgüter eignen sich diese Ziele nicht, vgl. C. I. 2. b) Konkrete Ausgestaltung des Individualrechtsgüterschutzes. 52 Siehe z. B. BT-Plenarprotokollsitzung 18/231, S. 23257D. 50
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Feuerwehrleute und Rettungskräfte zur Sprache gekommen wäre.53 Die Wertschätzung der Gesellschaft gegenüber den geschützten Berufsgruppen sollte nach Ansicht einiger Politiker:innen dadurch ausgedrückt werden, dass die Politik mit Hilfe des Strafrechts ein „Zeichen“ beziehungsweise ein „Signal“ setzt. Das geht aus den Protokollen ausdrücklich hervor. Auf die Ausführungen eines Bundestagsabgeordneten, der bemängelt, dass es an einer Strafbarkeitslücke für die Regelung fehlt, heißt es etwa von Seiten der CDU/CSU: „Es geht um das Signal des Staates, Herr Kollege!“.54 Innerhalb der Polizei wird gleichermaßen argumentiert.55 Mit der Verabschiedung eines Gesetzes „zum Schutz von Polizeibeamten und Rettungskräften“ wird ebendieses Signal gesetzt, dass den Adressat:innen zugehört wird und ihre Probleme ernst genommen werden. Damit handelt sich um eine Solidaritätsbekundung,56 die zumindest auch die Polizei und ihre Gewerkschaften in gewisser Weise zufrieden stellen soll. Insofern ist die Zufriedenheit der Mitglieder der Polizei als entscheidendes Anknüpfungskriterium in das Zentrum der nachfolgenden Betrachtung zu rücken. Es wird ermittelt, wie es um die Zufriedenheit innerhalb der Polizei in den Jahren vor der Novellierung stand und welche Einflussfaktoren dabei eine Rolle spielten, sprich: ob es einen Grund für eine Maßnahme zur Steigerung der Zufriedenheit gab und, wenn ja, ob eine auf den besseren Schutz von Vollstreckungspersonen ausgerichtete Gesetzesänderung zu deren Steigerung geeignet war oder vielmehr eine gut gemeinte Geste darstellte. Ausgangspunkt dieser Untersuchung ist die Vermutung, dass die Stressoren, welche die verbeamteten Personen am meisten belasten, nicht etwa gefährliche Situationen aus der Polizei53 BT-Plenarprotokollsitzung 18/219: Heiko Maas S. 21938 „Meine Damen und Herren, das hat auch etwas mit Respekt gegenüber dem Staat sowie den Behörden und den Beamten, die die Rechtsordnung des Staates durchsetzen, zu tun.“; Stephan Harbarth S. 21941 „[. . .] für all das, was sie leisten, gebühren ihnen nicht Misstrauen und Geringschätzung, sondern Dank, Anerkennung und Respekt“; Elisabeth Winkelmeier-Becker S. 21947 „[. . .] Das verdient Anerkennung [. . .]“ und S. 21948 „Ich möchte noch einmal an uns alle appellieren, dass wir neben all den Forderungen – Ausstattung, Strafrecht und dergleichen – vor allem gut über die Polizei reden und auch in unseren Reden den Respekt und die Anerkennung gegenüber den Rettungskräften und Polizisten zum Ausdruck bringen.“; Volker Ulrich S. 21950: „Wenn wir das alles angehen und damit auch die gesellschaftliche Wertschätzung für diese wichtige Arbeit erhöhen, dann haben wir unserem Rechtsstaat und unserer Freiheit einen starken Dienst geleistet.“ 54 BT-Plenarprotokollsitzung 18/219, 21939C. 55 Vgl. Maas, Deutsche Polizei. Ausgabe Saarland, 2016/10, S. 1 f.: „Uns ist klar, dass der derzeitige § 113 StGB bei Körperverletzungserfolg vom § 223 StGB konsumiert wird; jedoch ist uns nicht klar, warum der Staat hier kein Zeichen setzt, um die angemessen zu schützen, die ihn schützen. [. . .]“ Darüber hinaus wird hinzugefügt: „Das Wichtigste: Es kostet nichts!“. 56 Das gilt im Übrigen wohl auch für das 44. Strafrechtsänderungsgesetz, Zopfs, GA 2012, 259, 266.
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praxis sind, sondern vielmehr die Rahmenbedingungen, die den Arbeitsalltag bestimmen. Zur Beantwortung dieser Fragen wird auf die Erkenntnisse empirischer Polizeiforschung zurückgegriffen. aa) Zufriedenheits- und Gesundheitszustand innerhalb der Polizei (1) Vorgehen und Erschwernisse der Datenerfassung Die große Unzufriedenheit von Staatsbediensteten, insbesondere Polizist:innen, ist seit längerer Zeit ein wiederkehrendes Thema lebhafter Diskussionen. Es existieren viele Studien und Befragungen, die diesen Bereich zu beleuchten versuchen. Die Thematisierung ist einerseits im Interesse der Personengruppe angebracht und sinnvoll, denn es besteht ein Zusammenhang zwischen der Zufriedenheit und dem allgemeinen Gesundheitszustand.57 Ihre Zufriedenheit liegt aber auch im Interesse der Bevölkerung. Denn es liegen Hinweise vor, nach denen zwischen der Arbeitsqualität, insbesondere der kommunikativen Offenheit als wesentlichem Bestandteil polizeilicher Arbeit und der persönlichen (Un-)Zufriedenheit eine gewisse Korrelation erkennbar ist.58 Eine verlässliche Aussage über die Arbeitszufriedenheit treffen zu können ist allerdings mit gewissen Problemen verbunden. Zwar existieren Daten, denen eine qualitativ höhere Aussagekraft als anderen hinsichtlich dieser Frage beigemessen werden kann, etwa die Erfassung von Frühpensionierungen und berufstypischen Erkrankungen. Sobald die untersuchten Daten von den betreffenden Personen allerdings mitbeeinflusst werden können, etwa die Fehlzeiten, oder sogar vollständig auf die subjektive Einschätzung der Befragten abgestellt wird, lässt die Aussagekraft nach.59 Hinzu kommt, dass die Zufriedenheit beziehungsweise das Wohlbefinden meist nicht konkret Thema der Untersuchungen ist, sondern zum Teil nur in Fragen wie „Würden Sie ihren Beruf noch einmal wählen?“ oder „Würden Sie Ihren Beruf Bekannten empfehlen?“ anklingt oder aus den Krankheitsquoten herausgelesen wird. Dass bei der Anzahl der Krankheitstage oder der Betrachtung der Krankheitsbilder, etwa Burnout als typische Überforderungskrankheit, auch andere Faktoren eine Rolle spielen und daher lediglich als Indikator für die Arbeitszufriedenheit gesehen werden können, erschwert die verlässliche Ergebnisfindung gleichermaßen. Darüber hinaus geben nur wenige Studien einen bundesweiten Überblick. Die meisten beziehen sich auf einzelne Bundesländer, einige unterscheiden nach Geschlechtern. 57 Vgl. Ohlemacher, in: Polizeiliche Handlungslehre – Polizeiwissenschaft, S. 198 ff., und die Tatsache, dass es unter Polizeibeamt:innen überproportional häufig zu Suiziden kommt, Anonym, Die Suizidalität von Polizeibeamten, S. 3. 58 Vgl. Lüdemann/Ohlemacher, S. 183 f. 59 Lüdemann/Ohlemacher, S. 185 f.
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Nichtsdestotrotz lässt sich eine Grundtendenz und eine Entwicklung innerhalb der letzten Jahrzehnte erahnen. Der Zeitrahmen dieser Betrachtung wird in den folgenden Ausführungen weit gespannt und beginnt mit Studien um die Jahrtausendwende, um auch die Entwicklungen vor der Gesetzesänderung abzubilden. Zudem ist aufgrund der nahezu gleichen Argumentation in den Gesetzesbegründungen der Novellierungen aus dem Jahr 2011 und 2017 davon auszugehen, dass beiden Gesetzesentwürfen eine ähnliche Intention zu Grunde liegt. (2) Erkenntnisse ausgewählter Studien Die älteste der für diese Arbeit relevanten Studien stammt vom KFN aus dem Jahr 2002 (KFN-Studie).60 Zwar beschäftigt sich diese ausschließlich mit Mitgliedern der niedersächsischen Landespolizei, sie ist jedoch thematisch besonders aufschlussreich, da sie die Arbeitszufriedenheit aus dem Jahr 1991 mit der aus dem Jahr 2001 vergleicht. Da für beide Zeiträume nahezu die gleichen Fragen und Parameter herangezogen wurden, können diese relativ verlässlich verglichen werden. Die Beurteilung der Zufriedenheit wird hier wie in vielen anderen Studien dieses Themenbereichs in erster Linie an die Frage nach der Wiederwahl des Berufs beziehungsweise der Bereitschaft zur Berufsempfehlung geknüpft. Auch wenn diese Daten auf subjektiven Einschätzungen beruhen, ist eine Aufwärtsentwicklung kaum von der Hand zu weisen: Während im Jahr 1991 54,2 % der Befragten angaben, dass sie ihren Beruf nicht oder wahrscheinlich nicht wiederwählen würden, stimmten zehn Jahre darauf nur noch 29 % gleichermaßen ab. Zudem stieg die Bereitschaft, den eigenen Beruf weiterzuempfehlen, von 30 % auf über 55 %. Zum Vergleich: In der allgemeinen Bevölkerung lag der Prozentwert an Personen, die ihren Beruf nicht wiederwählen würden zum Zeitpunkt der ersten Befragung zwischen 3 und 5 %.61 Die empirische Polizeiforschung zeigt, dass die hohe Unzufriedenheitsrate kein niedersächsisches, sondern ein bundesweites Phänomen der Zeit der 1990er Jahre war.62 Die Arbeit behandelte auch den eng mit dem Thema „Zufriedenheit“ zusammenhängenden Themenbereich der wahrgenommenen Arbeitsbelastung in Polizeikreisen, insbesondere im Hinblick auf Burnouts als spezifische Folge derer. Hinsichtlich der wahrgenommenen Arbeitsbelastung ergab sich ein interessantes Bild. Die Befragung offenbarte, dass die wahrgenommene individuelle Arbeitsbelastung abgenommen hat. Hinsichtlich der allgemeinen Arbeitsbelastung in der 60 Ohlemacher/Bosold/Fiedler/Lauterbach, Polizei im Wandel – KFN Forschungsbericht Nr. 87. 61 Ohlemacher/Bosold/Fiedler/Lauterbach, Polizei im Wandel – KFN Forschungsbericht Nr. 87, S. 14, 16 f. 62 Bornewasser, in: Empirische Polizeiforschung: Interdisziplinäre Perspektiven in einem sich entwickelnden Forschungsfeld, S. 36.
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Institution waren allerdings mehr als vier Fünftel der Befragten überzeugt, dass diese im Laufe der letzten zehn Jahren gestiegen sei.63 Eine Entwicklung in der Hinsicht, dass die individuelle Situation im Vergleich zu früher positiver und die allgemeine Situation negativer werdend wahrgenommen wird, zeigt sich erstaunlicherweise auch, wenn die Bevölkerung dazu befragt wird, ob die Kriminalität in der eigenen Nachbarschaft zugenommen habe und ob sie das im Allgemeinen tat.64 Zur Verbreitung von Burnout wurde, soweit ersichtlich, lediglich im Jahr 2001 eine gezielte Befragung vorgenommen. Spätere Studien enthalten vereinzelt Fragen zur Burnout-Thematik. Das Ergebnis der Befragung um die Jahrtausendwende zeichnet ein ernüchterndes Bild vom allgemeinen Wohlbefinden niedersächsischer Vollstreckungspersonen zu dieser Zeit: Jede zehnte Person wies hohe Werte der dort untersuchten Burnoutkomponenten auf.65 Ähnliche Themen wie die KFN-Studie, also Belastung und Gesundheit von Polizeibediensteten, griff eine Studie aus dem Jahr 2006 auf.66 Befragt wurden Mitglieder der Bundespolizei im Bundespolizeiamt Berlin zu ihren Erfahrungen hinsichtlich ihres körperlichen und psychischen Wohlbefindens, Burnout, Fehltagen und Symptomen posttraumatischer Belastungsstörungen. Zum Thema Burnout ergaben sich kaum Unterschiede zu den Ergebnissen der niedersächsischen Studie von 2001. 13 % der Befragten wurden als hochgradig „ausgebrannt“ eingestuft. Der Wert war vergleichbar hoch wie der bei Rettungskräften erzielte Wert. Dieser lag zwei Prozentpunkte darunter.67 Die Zufriedenheit (in dieser Studie als „Wohlbefinden“ bezeichnet) wurde nicht in einen zeitlichen Vergleich gesetzt, sondern in Relation zu den Normwerten der deutschen Bevölkerung auf einer Skala von 0–100. Dabei wurde herausgefunden, dass sich die Mitglieder der Bundespolizei in Berlin körperlich fitter fühlen als Durchschnittsbürger, ihre allgemeine psychische Gesundheit/Wohlbefinden hingegen schlechter einschätzen. Die Werte zum Wohlbefinden von Polizist:innen waren in etwa vergleichbar mit denen von chronisch Kranken mit Blut63 Ohlemacher/Bosold/Fiedler/Lauterbach, Polizei im Wandel – KFN Forschungsbericht Nr. 87, S. 54. 64 Lüdemann/Ohlemacher, S. 192; zur Widersprüchlichkeit der gesellschaftsbezogenen Besorgnis zur Kriminalitätsentwicklung beziehungsweise des -aufkommens einerseits und der persönlichen Befürchtung, selbst Opfer zu werden auch: Ohlemacher/ Bosold/Fiedler/Lauterbach, Polizei im Wandel – KFN Forschungsbericht Nr. 87, S. 54. Zur möglichen Interpretation: B. II. 1. b) Entwicklung der Kriminalitätsfurcht. 65 Ohlemacher/Bosold/Fiedler/Lauterbach, Polizei im Wandel – KFN Forschungsbericht Nr. 87, S. 88. 66 Arndt/Beerlage/Hering/Springer, Alltag von Einsatzkräften der Bundespolizei im Bundespolizeiamt Berlin – Belastungen, Gesundheit und Gesundheitsressourcen –. 67 Arndt/Beerlage/Hering/Springer, Alltag von Einsatzkräften der Bundespolizei im Bundespolizeiamt Berlin – Belastungen, Gesundheit und Gesundheitsressourcen –, S. 14.
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hochdruck oder Diabetes.68 Eine zuverlässige Aussage über die Entwicklung der Zufriedenheit im Vergleich zum Jahr 2001 lässt sich aufgrund der unterschiedlichen Befragung nicht treffen. Weiterhin wurden die durchschnittlichen Fehltage innerhalb der Institution ermittelt. Im Betrachtungszeitraum zeigte sich ein Mittelwert von 16,05 Tagen pro Jahr.69 Zum Vergleich: Der Bundesdurchschnitt bei den Mitgliedern der gesetzlichen Krankenversicherung lag zu der Zeit bei 3,66 Krankheitstagen.70 Eine daran anknüpfende Untersuchung (2. Beerlage-Studie) erweiterte den Personenkreis sowie den Untersuchungszeitraum und zeichnete daher ein konkreteres Bild von dem Zeitpunkt, in dem die GdP mit ihrem Gesetzesvorschlag vorstieß.71 Die Befragung erfolgte bundesweit und umfasste alle Behörden und Organisationen der Gefahrenabwehr inklusive Angehörigen der Feuerwehr und des Katastrophenschutzes im Zeitraum von 2006 bis 2009. Hinsichtlich des Gefühls des „hoch ausgebrannt Seins“ wurde bei allen Befragten, außer bei der Belegschaft der Landespolizeien, eine erhebliche Steigerung im Befragungszeitraum registriert. Das gilt besonders für die Mitglieder der Bundespolizei, bei denen dieser Prozentsatz von 12,8 % im Jahr 2005 bis 2007 auf 15 % anstieg und im Jahr 2008 schließlich 25,4 % betrug.72 Parallel dazu stieg der registrierte Anteil an Befragten mit geringem Wohlbefinden in nahezu allen befragten Dienstgruppen von 2007 auf 2008.73 Eine von der GdP in Auftrag gegebene Studie zur Berufszufriedenheit in der Bundespolizei (Strohmeier- oder Klartext-Studie)74 weist darauf hin, dass der Abwärtstrend in Sachen Wohlbefinden, der auf den Aufwärtstrend circa bis zur Jahrtausendwende folgte, seinen Höhepunkt im Jahr 2010 fand. Zur Beteiligung wurden alle Bundespolizeibeamt:innen aufgerufen. Im Vergleich zu anderen Untersuchungen wurde eine verhältnismäßig große Zahl Teilnehmender erzielt. Die Befragung ergab, dass nur 25,3 % ihren Beruf an nahestehende Personen weiter68 Arndt/Beerlage/Hering/Springer, Alltag von Einsatzkräften der Bundespolizei im Bundespolizeiamt Berlin – Belastungen, Gesundheit und Gesundheitsressourcen –, S. 12. 69 Arndt/Beerlage/Hering/Springer, Alltag von Einsatzkräften der Bundespolizei im Bundespolizeiamt Berlin – Belastungen, Gesundheit und Gesundheitsressourcen –, S. 14. 70 Bundesgesundheitsministerium, Arbeitsunfähigkeit: Monatlicher Krankenstand 1970 bis 2014, S. 2. 71 Beerlage/Arndt/Hering/Springer, Organisationsprofile, Gesundheit und Engagement in Einsatzorganisationen. Ausgewählte Ergebnisse. 72 Beerlage/Arndt/Hering/Springer, Organisationsprofile, Gesundheit und Engagement in Einsatzorganisationen. Ausgewählte Ergebnisse, S. 21. 73 Beerlage/Arndt/Hering/Springer, Organisationsprofile, Gesundheit und Engagement in Einsatzorganisationen. Ausgewählte Ergebnisse, S. 38 f. 74 Strohmeier, Studie zur Berufszufriedenheit der Bundespolizei – Zusammenfassung und Bewertung der wesentlichen Ergebnisse.
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empfehlen und ihn lediglich 39,2 % noch einmal selbst wählen würden.75 Damit liegen beide Werte deutlich unter denen der Befragung von 2001, die Bereitschaft zur Weiterempfehlung sogar unter der aus dem Jahr 1991. 76,2 % der Befragten gaben an, den Belastungsgrad als hoch oder sehr hoch zu empfinden.76 Auch hier ist somit ein Anstieg im Vergleich mit den Zahlen aus den Jahren 1991 und 2001 zu verzeichnen. Noch einmal soll darauf hingewiesen werden, dass es sich dabei um subjektive Einschätzungen handelt, die nicht zwingend auf eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen oder anderer objektiv messbarer Faktoren, sondern beispielsweise auch auf eine veränderte Wahrnehmung hindeuten können – zu den einzelnen Ursachen sowie Belastungsfaktoren kann auf die folgenden Abschnitte verwiesen werden77 –, doch sie belegen, dass die untersuchten Personen zum Zeitpunkt der Befragung hochgradig unzufrieden waren. Das kann erhebliche negative Folgen auf die Aufgabenerfüllung haben. Nicht ohne Grund erlangten die Ergebnisse der Studie daher nach ihrer Veröffentlichung am 8. April 2011, also nur ca. sechs Monate bevor der Gesetzesentwurf der Bundesregierung zum 44. Änderungsgesetz des Strafgesetzbuches in den Bundesrat eingebracht wurde, mediale Aufmerksamkeit.78 Die Unzufriedenheit innerhalb der Polizei hatte gegen Ende des ersten Jahrzehnts des neuen Jahrtausends folglich erneut zugenommen, nachdem sie um die Jahrtausendwende abgeflacht war. Es stellt sich die Frage, wie die Entwicklung der Zufriedenheit nach der Novellierung aus dem Jahr 2011 verlief. Eine interne Befragung innerhalb der niedersächsischen Polizei von 2014 ergab, dass sich zwei Drittel erneut für ihren Beruf entscheiden würden.79 Das stellt eine Verbesserung im Vergleich mit den Ergebnissen der Strohmeier-Studie dar, in etwa vergleichbar mit denen aus dem Jahr 2001. Nahezu 60 % der Befragten gaben an, die Arbeitsbelastung sei „genau richtig“, ca. 40 % berichteten von Über- oder Unterforderung.80 Auch dieses Be75 Strohmeier, Studie zur Berufszufriedenheit der Bundespolizei – Zusammenfassung und Bewertung der wesentlichen Ergebnisse, S. 28. 76 Strohmeier, Studie zur Berufszufriedenheit der Bundespolizei – Zusammenfassung und Bewertung der wesentlichen Ergebnisse, S. 9. 77 D. II. 2. b) bb) Personalmangel als zentrale Ursache für Unzufriedenheit. 78 Das Zitat des DPol-Gewerkschaftschefs Rainer Wendt „Die Unzufriedenheit ist riesengroß“, das im Zusammenhang mit der Studie geäußert wurde, war zu der Zeit in vielen Zeitschriften zu finden, z. B. in FOKUS ONLINE, Onlineausgabe vom 15.11. 2013, https://www.focus.de/panorama/vermischtes/gewerkschaft-der-polizei-vielebundespolizisten-unzufrieden-mit-ihrer-arbeit_aid_616539.html (zuletzt abgerufen am 02.12.2021). 79 Niedersächsisches Ministerium für Inneres und Sport, Erste Ergebnisse der landesweiten Mitarbeiterbefragung der Polizei: Positives Arbeitsklima und sichere Arbeitsplätze als Motivationsfaktoren vom 09.11.2015, S. 1. 80 Niedersächsisches Ministerium für Inneres und Sport, Erste Ergebnisse der landesweiten Mitarbeiterbefragung der Polizei: Positives Arbeitsklima und sichere Arbeitsplätze als Motivationsfaktoren vom 09.11.2015, S. 1.
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D. Bewertung: Zur Rationalität der Gesetzesänderung
fragungsergebnis deutet eine positive Entwicklung im Vergleich mit den Einschätzungen der Befragten aus der Strohmeier-Studie an. Diese Ergebnisse scheinen, zumindest für Niedersachsen, durch eine andere Studie belegt zu sein, der zufolge die Mehrheit der Befragten berichtete, im Rahmen ihrer Tätigkeit Erfüllung zu erfahren.81 Diese erfreuliche Entwicklung auf Seiten der subjektiven Einschätzung korreliert allerdings nicht mit den gesundheitlichen Befunden. Die Ellrich/Baier-Studie proklamierte, 31,6 % aller teilnehmenden Einsatz- und Streifendienstkräfte in Niedersachsen seien burnoutgefährdet.82 Die Krankheitsquote innerhalb der Thüringer Polizei stellte 2016 mit 10 % die höchste dar, die seit 2004 gemessen wurde.83 Der Krankenstand innerhalb der DAK für Thüringen84 lag derweil im Jahr 2015 bei 5,1 %, während der Bundesdurchschnitt bei 4,1 % lag.85 Und auch der behördliche Gesundheitsbericht zeigte, dass im Zeitraum von 2015 bis 2017 ein konstant hohes Krankheitsniveau in der Bundespolizei herrschte (nur sehr leicht sinkend trotz der Einstellungsoffensive 2015).86 In den Jahren bis zum 52. Strafrechtsänderungsgesetz deuten die Untersuchungen folglich eine Steigerung der Zufriedenheit an, die sich allerdings nicht im gesundheitlichen Zustand widerspiegelt. Eine interne Befragung aus dem Jahr 2017 wies darauf hin, dass zumindest für die Belegschaft der Thüringer Polizei auf die Zeit kurz nach Verkündung des 52. Strafrechtsänderungsgesetzes keine Steigerung des allgemeinen Wohlbefindens folgte.87 Hier nur einige ausgewählte Erkenntnisse: 64 % der Befragten erklärten, sich nie oder selten auf die Arbeit zu freuen. 65 % gaben an, oft oder immer ein Gefühl der Leere und des Ausgebranntseins in sich zu tragen. 13 % hatten nach eigenen Angaben in den letzten drei Monaten depressive Verstimmungen.88 Und nicht einmal ein Drittel bezeichnete sich selbst als zufrieden mit den Dienststellen. Dennoch beurteilten 35,8 % der Teilnehmenden den eigenen Gesundheitszustand als sehr gut.89 Trotz der Unzufriedenheit bewerteten die be81 Ellrich/Baier, Gewalt gegen niedersächsische Beamtinnen und Beamte aus dem Einsatz- und Streifendienst, S. 73 f. 82 Ellrich/Baier, Gewalt gegen niedersächsische Beamtinnen und Beamte aus dem Einsatz- und Streifendienst, S. 80. 83 Im Jahr 2004 lag sie bei 6,25 %. Lindner, Zentrale Ergebnisse der Mitarbeiter-Befragung zu den Arbeitsbedingungen bei der Landespolizei des Bundeslandes Thüringen, S. 37. 84 Das heißt, dass an jedem Kalendertag des Jahres durchschnittlich 5,1 % der Mitglieder der DAK in Thüringen aufgrund von Krankheit arbeitsunfähig waren. 85 Gesundheitsreport DAK Thüringen 2016, S. 7. 86 Koordinierungsstelle BGM der BPOL, Gesundheitsbericht 2017, S. 22. 87 Befragungszeitraum: 15.08. – 12.09.2017. 88 Lindner, Zentrale Ergebnisse der Mitarbeiter-Befragung zu den Arbeitsbedingungen bei der Landespolizei des Bundeslandes Thüringen, S. 7. 89 Lindner, Zentrale Ergebnisse der Mitarbeiter-Befragung zu den Arbeitsbedingungen bei der Landespolizei des Bundeslandes Thüringen, S. 33.
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fragten Polizist:innen ihren Gesundheitszustand folglich verhältnismäßig gut, obwohl sich in tatsächlicher Hinsicht keine spürbare Verbesserung zeigte. Die aktuelle Gesetzesänderung war im Befragungszeitraum allerdings erst seit kurzem in Kraft getreten, weshalb zu diesem Zeitpunkt wohl auch nur bedingt mit einer Veränderung der Situation gerechnet werden konnte (im Unterschied zur Novellierung von 2011, deren „Wirkung“ sich zu diesem Zeitpunkt bereits hätte entfalten können). Auch im Jahr 2020 hat sich die Situation nicht überall im Bundesgebiet ins Positive gewandelt: Während eine hessische Polizeistudie für die Zufriedenheit der Mitglieder im Befragungszeitraum des Jahres 2019 mit einem Wert von 81,5 % heraussticht,90 zeigt sich im Saarland ein gegenteiliges Bild. Mit dem Fazit „Hätte es noch schlimmer kommen können?“ zieht das Saarland das traurige Resümee einer Befragung aus dem Jahr 2020, die ein Update einer Untersuchung von 2015 darstellt.91 Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Zufriedenheit der Befragten seit dem Jahr 2015 um 7 % zurückging, womit gerade einmal jeder Zweite mit seiner Tätigkeit zufrieden war.92 38 % gaben an, den Beruf auf gar keinen Fall oder wahrscheinlich nicht wieder wählen zu wollen.93 Damit lässt sich nicht belegen, dass die Gesetzesänderungen die Zufriedenheit beziehungsweise das körperliche Wohlbefinden in psychischer und physischer Sicht nachhaltig und bundesweit positiv beeinflusst hätten. Vielmehr lässt sich aus den Studien mit ihren unterschiedlichen Erhebungsverfahren und Antwortoptionen lediglich festhalten, dass die Zufriedenheit in der Polizei früher wie heute unterdurchschnittlich ist (mit Ausnahme der hessischen Einsatzkräfte im Jahr 2019) und die Anzahl der Krankheitstage überdurchschnittlich hoch ist. Am größten war die Unzufriedenheit innerhalb der Polizei Anfang der 1990er Jahre und gegen Ende des ersten Jahrzehnts des neuen Jahrtausends, danach nahm die Zufriedenheit tendenziell zu. Nach 2017 weisen die empirischen Untersuchungen in unterschiedliche Richtungen. Insofern ist nicht ausgeschlossen, dass diese zumindest zeitweilige positive Entwicklung teilweise auch auf die Gesetzesänderungen zurückzuführen ist, mit denen den Mitgliedern der Polizeibehörden Respekt und Wertschätzung entgegengebracht werden sollte. Der Gesundheitszustand der Mitglieder hat sich nicht parallel mitverbessert; insbesondere die psychische Belastung stieg weiter an. Bis ins Jahr 2016 deutete sich den Gesundheitszustand betreffend ein Abwärtstrend an, der im Übrigen der Entwicklung in der übrigen
90 Hessisches Ministerium des Inneren und für Sport, Polizeiliche Alltagserfahrungen Herausforderungen und Erfordernisse einer lernenden Organisation, S. 6. 91 Masser, Mitgliederbefragung GdP Saarland 2020 – Update der Befragung 2015. 92 Masser, Mitgliederbefragung GdP Saarland 2020 – Update der Befragung 2015, S. 4 f. 93 Masser, Mitgliederbefragung GdP Saarland 2020 – Update der Befragung 2015, S. 4 f.
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Bevölkerung entspricht. Sicher spielt hierbei auch eine Rolle, dass der Altersdurchschnitt der Belegschaft ansteigt. bb) Personalmangel als zentrale Ursache für Unzufriedenheit Nachdem die Entwicklung der Zufriedenheit im Laufe der letzten Jahre betrachtet wurde, stehen nun die Faktoren im Fokus, die hierfür in erster Linie verantwortlich sind. In einer Studie aus dem Jahr 2020 wurden Mitglieder der Hessischen Landespolizei gebeten, zentrale Faktoren zu nennen, die unzufrieden machen. 78,7 % antworteten: in erster Linie fehlendes Personal.94 Personalmangel als Hauptursache für Unzufriedenheit ist ein bundesweites und seit längerer Zeit innerhalb der Institution beklagtes Phänomen.95 Der Polizei fehlt es am Personal, da sie ((1)) immer mehr Aufgaben wahrnehmen muss und ((2)) darüber hinaus Defizite in der Nachwuchsgewinnung existieren. Außerdem ((3)) mündet die Überalterung der Belegschaft in eine Pensionierungswelle, welche die Polizei gepaart mit fehlendem Nachwuchs vor große Herausforderungen stellt. (1) Ursache Nr. 1: Erweitertes Aufgabenspektrum Dass wachsende Aufgaben einen höheren Personalbedarf begründen, liegt auf der Hand. Doch woraus resultieren die neuen, zusätzlichen Aufgaben? Zum einen resultieren sie aus gesellschaftlichem Fortschritt.96 Die Globalisierung und die Digitalisierung bieten Raum für eine neue Ausrichtung der Prävention und der Strafverfolgung. Themen wie grenzüberschreitende Kriminalität und Terror werden zunehmend in den Fokus der Polizeiarbeit gerückt. Auch das Internet stellt die Strafverfolgungsbehörden vor die Aufgabe, mit neuen und anonymeren Möglichkeiten kriminellen Verhaltens umzugehen und wirft Fragen auf, was in der digitalisierten Welt überhaupt als solches angesehen werden kann. Darüber hinaus betrifft die unter dem Stichwort „Wandel in der Sicherheitskultur“ bekannte Entwicklung die Polizei als für die Sicherheit der Bevölkerung 94 Hessisches Ministerium des Inneren und für Sport, Polizeiliche Alltagserfahrungen Herausforderungen und Erfordernisse einer lernenden Organisation, S. 7. 95 Lindner, Zentrale Ergebnisse der Mitarbeiter-Befragung zu den Arbeitsbedingungen bei der Landespolizei des Bundeslandes Thüringen, S. 36; Niedersächsisches Ministerium für Inneres und Sport, Erste Ergebnisse der landesweiten Mitarbeiterbefragung der Polizei: Positives Arbeitsklima und sichere Arbeitsplätze als Motivationsfaktoren vom 09.11.2015, S. 1; Jager/Klatt/Bliesener, NRW-Studie Gewalt gegen PVB – Abschlussbericht, 2013, S. 266. 96 Vgl. detaillierter B. II. 1. a) Neuere gesellschaftliche Entwicklungen mit Auswirkungen auf die Polizeiarbeit und das Polizei-Individuum-Verhältnis.
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maßgeblich zuständige Behörde besonders.97 Die Ausdehnung der Gefahrendimension98 zeigt sich darin, dass der Polizei vermehrt eine präventive Funktion zukommt, die polizeiliche Sicherheitsvorsorge. Es wird zunehmend versucht, Straftaten durch Datenerhebung, Speicherung und deren Abgleich zu verhindern. Die Polizei schlichtet aber auch Streit, insbesondere vermehrt im privaten Lebensbereich der Gesellschaftsmitglieder und vermittelt frühzeitig, sodass es erst gar nicht oder nicht erneut zu einem (strafrechtlich relevanten) Konflikt kommt. Seit dem Gewaltschutzgesetz von 2002 darf sie etwa bei Beziehungstaten einen Platzverweis auch gegenüber der Person aussprechen, in deren Eigentum die Räumlichkeit steht. Angaben von Mitgliedern der Polizeibehörden zufolge führen gerade diese Fälle häuslicher Streitigkeiten häufig zu Konflikten.99 Auf einen Zusammenhang zur häuslichen Gewalt und einer Eskalation des Interaktionsgeschehens wird auch in der Wissenschaft gelegentlich hingewiesen.100 Die Erweiterung kann der Sachdimension oder der Referenzdimension des Sicherheitsbegriffs zugeordnet werden. Unter anderem dadurch, dass die Polizei immer früher einschreiten darf und der konkrete Opferschutz weiter in den Vordergrund rückt, hat sich auch ihr Fremd- und Selbstverständnis geändert. Sie wird gesellschaftssanitär in die Pflicht genommen, präsentiert sich als „Freund und Helfer“ statt als dominantes, repressives Organ der Strafverfolgung.101 Der neue Aufgabenanfall ist ein zusätzlicher und gleichzeitig ein fremder, unter Berücksichtigung von Bedrohungen mit grenzüberschreitendem oder mit ITBezug, auch ein komplexerer, der mit der klassischen Gefahrenabwehr wenig zu tun hat. Dass die Polizei hierfür mehr Personal als zuvor benötigt sowie spezielle Schulungen, Aus- und Fortbildungen, ist offensichtlich. (2) Ursache Nr. 2: Unzureichende Nachwuchsgewinnung Umso gravierender ist, dass es am polizeilichen Nachwuchs fehlt. Dabei waren die Gewerkschaften in den letzten Jahren aktiv: Im Jahr 2015 startete die GdP die Kampagne „Wir brauchen Verstärkung“, 2017 warb sie mit einer Broschüre um neue Fachkräfte. Anfang 2017 forderte Oliver Malchow, Bundesvorsitzender der GdP, mindestens 10 % mehr Personal für Einsatzkräfte der Bereitschaftspolizei.102 In den Jahren davor gab es nicht weniger „Hilferufe“. 97
Vgl. Eichler, in: Polizei und Politik, S. 29; Daase, ApuZ 50/2010, 9, 9 ff. Vgl. zu den Dimensionen S. 48. 99 Ellrich/Baier, Gewalt gegen niedersächsische Beamtinnen und Beamte aus dem Einsatz- und Streifendienst, S. 109. 100 Wegner/Heil/Schiemann, KrimOJ No. 1/2021, 41, 45. 101 Z. B. Mecking, in: Polizei und Protest in der Bundesrepublik Deutschland, S. 3 f., oder auch Behr, FS für Helga Cremer-Schäfer, S. 216 f. 102 Reuter, S. 112, 114. 98
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Zumindest zum Teil scheinen die Forderungen gehört worden zu sein. Im Jahr 2015 stellte die Bundesregierung Mittel zur Schaffung von 7.000 zusätzlichen Planstellen für die Jahre 2015 bis 2020 bereit. Um diese Stellen besetzen zu können, wurde 2016 eine Ausbildungs- und Einstellungsoffensive für die Bundespolizei gestartet.103 Einige Bundesländer zogen nach.104 Die Einstellungszahlen der Bundespolizei steigen seitdem rasant, dennoch wird weiterhin Nachwuchs benötigt. Aus diesem Grund wurden im Jahr 2020 die Einstiegsvoraussetzungen leicht abgesenkt, obwohl 2019 nur 12 Anwärter:innen die Prüfung nicht bestanden.105 Die Ursache des Personalmangels liegt folglich nicht allein darin, dass es lange Zeit an Stellen fehlte, sondern hängt auch damit zusammen, dass es an qualifizierten Interessierten mangelt. Als Triebfeder hierfür kommt etwa die geringe Weiterempfehlungsrate in Betracht. Immer wieder kritisieren Mitglieder der Polizei zudem die Aufstiegs- und Beförderungsmöglichkeiten sowie das Beurteilungssystem innerhalb der Behörden.106 Diese sollen, so der Vorwurf, weniger die tatsächliche Eignung und Leistung widerspiegeln, sondern eher als Mittel zur Umsetzung einer langfristig geplanten Personalpolitik dienen. Werden Entwicklungs- und Weiterbildungsmöglichkeiten gehemmt, kann sich dies auf die Zufriedenheit der Beschäftigten auswirken. Denn diese Möglichkeiten sind nicht nur für die berufliche Laufbahn bedeutsam, sondern dienen auch der Persönlichkeitsentwicklung.107 Jene internen Probleme werden auch in der Presse thematisiert,108 was auf einige Interessierte 103
Berkenkötter/Büchner, BUNDESPOLIZEI kompakt, Ausgabe 2019/02, S. 37. Z. B. in Baden-Württemberg: Ministerium des Inneren, für Digitalisierung und Kommunen, Anspruchsvolle Tätigkeit: 2016 Beginn der größten Einstellungsoffensive in Baden-Württemberg, https://im.baden-wuerttemberg.de/de/sicherheit/polizei/moti viertes-personal/allgemeines/ (zuletzt abgerufen am 02.12.2021) und in NRW: Tack, NRW will im nächsten Jahr 100 Polizeianwärter zusätzlich einstellen, https://poli zei.nrw/artikel/nrw-will-im-naechsten-jahr-100-polizeianwaerter-zusaetzlich-einstellen (zuletzt abgerufen am 02.12.2021). 105 Tagesspiegel, Onlineartikel vom 20.01.2020, https://www.tagesspiegel.de/politik/ personalsuche-der-polizei-bundespolizei-senkt-offenbar-bewerberanforderungen/254528 90.html (zuletzt abgerufen am 02.12.2021). 106 Strohmeier, Studie zur Berufszufriedenheit der Bundespolizei – Zusammenfassung und Bewertung der wesentlichen Ergebnisse, S. 2; Hessisches Ministerium des Inneren und für Sport, Polizeiliche Alltagserfahrungen Herausforderungen und Erfordernisse einer lernenden Organisation (Erste Ergebnisse), S. 7; Lindner, Zentrale Ergebnisse der Mitarbeiter-Befragung zu den Arbeitsbedingungen bei der Landespolizei des Bundeslandes Thüringen, S. 56. 107 Lindner, Zentrale Ergebnisse der Mitarbeiter-Befragung zu den Arbeitsbedingungen bei der Landespolizei des Bundeslandes Thüringen, S. 56. 108 Im Jahr 2010 war in der Süddeutschen Zeitung zu lesen: „Wer sich als junger Mensch überlegt, Polizist zu werden, der sollte folgende Eigenschaften mitbringen: Fähigkeit zu 30-Stunden-Diensten im Wendland; Bereitschaft, seine Notdurft im Wald zu verrichten und sich dabei von Demonstranten filmen zu lassen; genug Kondition, um bald darauf Flughäfen und Bahnhöfe vor al-Qaida zu schützen; Duldsamkeit, um kurzfristige Urlaubssperren einzusehen; gerne auch ein Talent zur Illusion, zum Beispiel, 104
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abschreckend wirken könnte – ein Teufelskreis, schließlich sind zusätzliche Arbeitskräfte ein wichtiger Bestandteil, um diese Missstände zu beseitigen oder zumindest zu verbessern. (3) Ursache Nr. 3: Pensionierungswelle Der Personalmangel droht sich zu verschlimmern, sollten die Rekrutierungsmaßnahmen nicht in ausreichendem Maße erfolgreich sein. Ein Jahr vor Inkrafttreten des 44. Strafrechtsänderungsgesetzes wurde in der Zeitschrift der GdP bereits davor gewarnt, dass die Polizei zwischen 2015 und 2035 auf einen „Altersberg“ zulaufe.109 Der Ernst der Lage, den der demografische Wandel in Form einer Pensionierungswelle mit sich bringt, wurde von der Politik lange verkannt. In den Jahren 1998 bis 2010 wurden in den Landespolizeien über 10.000 Stellen abgebaut.110 Im August 2017 wurde in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem Deutschen Richterbund erneut auf die Thematik aufmerksam gemacht. Die Referierenden appellierten, diese Entwicklungen in Polizei und Justiz könnten eine drohende Gefahr für die innere Sicherheit darstellen.111 Mit dem Alter steigt nicht nur die Krankheitsquote, auch die Angst, Opfer von Gewalt zu werden, nimmt zu. Das ist in der Polizei eine ebenso typische Entwicklung wie in anderen Bevölkerungsgruppen. Ältere Beschäftigte wollen nicht mehr auf Streife, weil sie sich mit den meist jungen Angreifenden körperlich nicht mehr messen können und wollen.112 Die Ausfälle, die mit dem höheren Alter einhergehen, müssen von der jüngeren Kollegschaft kompensiert werden und bedeuten für diese eine Mehrbelastung. Auch die jüngeren Mitarbeitenden fürchten daher die Pensionierungswelle sowie personelle Unterbesetzung im Allgemeinen. Diese hat zum Beispiel zur Folge, dass die Bediensteten häufig nur mit einem Wagen, also in der Besetzung von zwei Personen, zum Einsatzort oder auf Streife fahren und gegebenenfalls lange auf Verstärkung warten müssen. Das ist vor allem in ländlichen Gegenden ein Problem.113 Folgen solcher Situationen mit Unterbesetzung sind Gefühle des Alleingelassenseins, der Hilflosigkeit und Angst.114 irgendwann einmal 700 Überstunden abbauen zu dürfen.“, Esslinger, Süddeutsche Zeitung vom 24.11.2010, https://www.sueddeutsche.de/politik/polizei-treu-brav-und-frus triert-1.1027528 (zuletzt abgerufen am 02.12.2021). 109 Anonym, Deutsche Polizei, 2010/07, S. 8. 110 Hauke/Neitzner, Branchenbild aus dem Risikoobservatorium der DGUV 2019, S. 5. 111 Reuter, S. 115. 112 Jager/Klatt/Bliesener, NRW-Studie Gewalt gegen PVB – Abschlussbericht, 2013, S. 251 f. 113 Hauke/Neitzner, Branchenbild aus dem Risikoobservatorium der DGUV 2019, S. 9. 114 Jager/Klatt/Bliesener, NRW-Studie Gewalt gegen PVB – Abschlussbericht, 2013, S. 316 ff., oder der Erlebnisbericht eines Polizisten, Ehlhardt, Deutsche Polizei, Ausgabe Saarland 2014/07, S. 3.
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Dieser maßgeblich an der Zufriedenheit der Befragten beteiligte Umstand lässt sich in jedem Fall nicht durch einen ausgedehnten Straftatbestand kompensieren, sondern allein durch Veränderungen im Personalbereich. Obwohl nahezu alle Bundesländer hier eine Trendwende eingeleitet haben, sinkt die Beschäftigtenzahl aufgrund fehlenden Nachwuchses und steigender Pensionierungen zum Teil weiter, etwa in Nordrhein-Westfalen115, vor allem jedoch in den östlichen Bundesländern.116 cc) Annahme breiter Ablehnung in der Gesellschaft In der Debatte um die zunehmenden Respektlosigkeiten gegenüber Repräsentant:innen des Staates, die das Gesetzgebungsverfahren begleiteten, schwingt der Wunsch nach Anerkennung und Wertschätzung mit. Diese vermissen Mitglieder der Polizeibehörden oft auch in der Berichterstattung und von Seiten der Justiz.117 Abgesehen davon, dass empfundene kollektive Geringschätzung von Seiten der Öffentlichkeit die Fronten im Spannungsverhältnis zwischen Bürger:innen und Polizei verhärten118 und dadurch die Kooperationsbereitschaft leiden kann119, weisen Untersuchungen aus den USA darauf hin, dass auch die Zufriedenheit der Polizist:innen maßgeblich mit der wahrgenommenen Anerkennung in der Bevölkerung korreliert.120 Auch wenn die Polizei in den Vereinigten Staaten sich in vielen Punkten von den hiesigen Polizeibehörden unterscheidet, ist nicht ausgeschlossen, dass ein solcher Zusammenhang zwischen Zufriedenheit und empfundener Anerkennung auch in Deutschland bestehen könnte. Die Berichterstattung kann folglich Auswirkungen auf den Umgang mit der Bevölkerung haben und auch die zuvor ermittelte Unzufriedenheit in Kreisen der Polizei könnte unter anderem auf diesen Faktor zurückzuführen sein, sofern er denn gegeben wäre. An der Anerkennung für die Polizeiarbeit mangelt es dem Großteil der Bevölkerung aber nachweislich nicht. Studien belegen, dass die deutsche Gesellschaft großes Vertrauen in die Polizei hat und sehr oder eher zufrieden mit deren Arbeit 115 GdP NRW, Infografik: 2018: Erneut weniger Polizeikräfte, https://www.gdp.de/ gdp/gdpnrw.nsf/id/D99A516F3E44DDC1C12582B40035B710/$file/nrw07-18grafik04. pdf?open (zuletzt abgerufen am 02.12.2021). 116 Bewarder/Mumme, WELT vom 10.01.2016, https://www.welt.de/politik/deutsch land/article150819824/Koeln-zeigt-was-der-Polizei-am-meisten-fehlt.html (zuletzt abgerufen am 25.01.2021). 117 Z. B. DPolG, Stellungnahme LT NRW Drs. 16/3427, S. 2; GdP NRW, Stellungnahme Drs. 16/3444, S. 4. 118 Oder kann zu einer Abkapselung der Polizist:innen von allen übrigen Personen mit anderen Berufen führen, Lüdemann/Ohlemacher, S. 184 f. 119 Guzy, in: Die kritisierte Polizei, S. 13; außerdem bestehen Hinweise, dass mangelnde Akzeptanz in der Bevölkerung mit einer härteren Vorgehensweise auf Seiten der Polizei in Verbindung steht, Wegner/Heil/Schiemann, KrimOJ No. 1/2021, 40, 45. 120 Youngyol/Schafer, Police Practice and Research, Vol. 10 No. 1, S. 26.
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sind.121 In den letzten fünf Jahren vor der Novellierung ist das Vertrauen weiter angestiegen.122 Erst seit 2018 machte sich auch bei der Polizei eine Vertrauenserosion bemerkbar, von der in den letzten Jahren fast alle gesellschaftlichen Institutionen betroffen waren, wie aus einer im Januar 2019 veröffentlichten ForsaUmfrage hervorgeht. Die Polizei genießt dennoch von allen untersuchten Personengruppen mitunter das größte Vertrauen, wie auch in den Jahren zuvor.123 Weshalb ein kleiner Anteil der Bevölkerung der Institution gegenüber negativ eingestellt ist, wurde in einer Opferbefragung aus dem Jahr 2012 untersucht. In erster Linie ist eine negative Haltung gegenüber der Polizei auf persönliche Interaktionen mit dieser zurückzuführen. Als Grund für die Unzufriedenheit mit dem Polizeikontakt gaben die Befragten an erster Stelle Kritikpunkte im zwischenmenschlichen Umfeld an, namentlich die Kommunikation betreffend. Deutlich seltener waren die Studienteilnehmenden mit der Arbeitsleistung an sich unzufrieden.124 Darüber hinaus stammen die Kritisierenden öfters aus sozial und ökonomisch benachteiligten Gruppen.125 Es bestehen Hinweise, dass gerade Personen, die dieser Gruppe angehören, übermäßig von Kontrollen betroffen und dadurch gewissermaßen stigmatisiert sind.126 Die negative Einstellung gegenüber Mitgliedern der Polizeibehörden könnte somit unmittelbar an die eigene Person rückgekoppelt sein, sofern dieser forschungsdogmatisch schwer nachzuweisende Umstand denn zutreffen würde. Festzuhalten bleibt damit, dass die Polizei entgegen der eigenen Wahrnehmung vom Großteil der Bevölkerung geschätzt wird. Es stellt sich die Frage, welche Umstände dafür verantwortlich sind, dass sich die Polizei nicht hinreichend wertgeschätzt fühlt. Die Fehleinschätzung kann darauf zurückzuführen sein, dass sich der Kontakt mit den Gesellschaftsmitgliedern im Dienst oft auf emotionale Ausnahmesituationen bezieht, in denen die betroffenen Personen weniger rational handeln als üblich und dazu neigen, sich ungerecht behandelt zu fühlen. Polizist:innen bemerken, dass sie teilweise eher als gegnerische Partei, denn als „Freund und Helfer“ angesehen werden,127 obwohl letzteres ihrem selbst vorgegebenen Leitbild entspricht.
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Birkel, Der deutsche Viktimisierungssurvey 2017, S. 66, Abbildung 37. Birkel, Der deutsche Viktimisierungssurvey 2017, S. 99. 123 Forsa, Umfrage „Wem vertrauen die Deutschen?“ 2019. Seitdem wurde die Institution von den Ärzten überholt, die Werte sind aber weiterhin hoch. 124 Über 70 % gaben etwa an, das Gegenüber sei unhöflich gewesen, während nur 12–32 % als Grund für die Unzufriedenheit die Arbeitsqualität nannten. Vgl. zur Auswertung der Ergebnisse den Deutschen Viktimisierungssurvey von 2012 des BKA in Zusammenarbeit mit dem Max-Planck-Institut: Guzy, in: Die kritisierte Polizei, S. 16 ff., insbes. S. 24 f. 125 Guzy, in: Die kritisierte Polizei, S. 20 f. m.w. N. 126 Eisenberg/Kölbel, § 26 Rn. 33. 127 Lüdemann/Ohlemacher, S. 183. 122
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Darüber hinaus könnte auch die wahrgenommene Kritik aus der Öffentlichkeit das Bild verzerrt haben. Kritik an der eigenen Arbeit ist in jeder Branche ungerne gesehen und entspricht, bezogen auf die beispielsweise herangezogenen diskutierten Ereignisse wie der Sofortauflösung des SEK Frankfurts oder den Geschehnissen im Zusammenhang mit den Missbrauchsfällen in Lüdge128 sicher nicht der Arbeitsweise sämtlicher Mitglieder der Polizei. Dennoch ist eine sachliche Auseinandersetzung mit den Vorwürfen von Seiten der Kritisierten stets wünschenswert und bei einer staatlichen Institution, die berechtigt ist, weitreichende Eingriffe in Grundrechte vorzunehmen, zwingend erforderlich. Ist ein Fehlverhalten innerhalb der Polizei aufgedeckt worden, wurde der oder die „Übeltäter:in“ allerdings nicht selten als „schwarzes Schaf“ dargestellt.129 Die Vorwürfe, dass es womöglich systematische Probleme innerhalb der Polizei gibt, wurden lange nicht beachtet. Kritik kann wiederum besser annehmen, wer sich wertgeschätzt fühlt, denn dann wird diese eher als etwas Situatives, statt als etwas Persönliches wahrgenommen.130 Insofern sind die Voraussetzungen einer Negativdynamik gegeben: Vollstreckungspersonen fühlen sich nicht geschätzt und sind daher schlechter in der Lage, Kritik anzunehmen; dies bleibt nicht unentdeckt, weshalb die Kritik an der Institution wächst, woraufhin die gefühlte Wertschätzung weiter sinkt usw. Im Umgang mit Kritik kommt hinzu, dass es in der Polizei einen Trend zu geben scheint, nach dem die Polizist:innen gegen sie gerichtete Handlungen zunehmend persönlich nehmen, sei es in verbaler Form (= Kritik) oder in physischer (= Gewalt/Angriff). Dazu gehört auch das Persönlichnehmen von negativen Aussagen gegenüber dem Kollektiv Polizei. Darauf deutet nicht nur die Begründung zur Forderung nach einem eigenen Tatbestand hin,131 sondern auch die Entwicklung der Inhalte der GdP-Zeitschrift „Deutsche Polizei“. Darin ist die Tendenz erkennbar, Angriffe verstärkt als individuellen, persönlichen Konflikt zwischen Polizei und der Kontaktperson zu begreifen, statt als Ausdruck von Enttäuschung oder als politische Auseinandersetzung. Aktuell werden Täter:inneneigenschaften stärker betont, während kurz nach der Jahrtausendwende demgegenüber vermehrt Angaben zu situativen Umständen wie dem Anlass oder dem Ort der Auseinandersetzung gemacht wurden.132 Eine logische Folge dieses 128 Gemeint sind die bereits genannten Fälle, in denen in der Öffentlichkeit (vermeintliche) Versäumnisse bzw. Missstände innerhalb der Polizei diskutiert wurden, etwa auch die Love-Parade-Katastrophe und die „Kölner Silvesternacht“, vgl. S. 92. 129 Jasch, FS für Karlhans Liebl, S. 100; Ullrich, in: Polizei und Gesellschaft, S. 178; zur verbesserungswürdigen Fehlerkultur auch Ohlemacher, in: Polizei, Gewalt und Staat im 20. Jahrhundert, S. 194. 130 Bohn, in: Die kritisierte Polizei, S. 94. 131 Kraushaar/Behr setzen sich mit der Begründung zu § 115 StGB auseinander, aus der hervorgeht, dass Mitglieder der Polizei eine Feindschaft ihrer Angreifer:innen auf ganz persönliche Art wahrnehmen, Kraushaar/Behr, in: Polizei und Politik, S. 58. 132 Kraushaar/Behr, in: Polizei und Politik, S. 58.
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Trends ist, dass sich sowohl verbale Kritik als auch physische Tätlichkeiten belastender auf die Betroffenen auswirken. dd) Irrelevanz des vermeintlichen Gewaltanstiegs für die Unzufriedenheit von Polizist:innen Die Analyse der Plenarprotokolle zum 52. Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches und die Gesetzesbegründung erwecken den Anschein, die größte Herausforderung für Mitglieder der Polizeibehörden der letzten Jahre sei ein dramatischer, gegen sie gerichteter Gewaltanstieg. Dieser vermeintliche Gewaltanstieg wird als Hintergrund für das 44.133 und für das 52. Strafrechtsänderungsgesetz134 angegeben, obwohl ein solcher nicht nachgewiesen werden kann.135 Daher behandeln die folgenden Ausführungen die Frage, welche Ursachen für diese Einschätzung der gesetzgebenden Instanz in Betracht kommen. (1) Stärkere Sensibilisierung im Themenkomplex „Gewalt“ Eine Antwort liegt im gewandelten Gewaltverständnis und dem gewandelten Umgang mit Gewalt. Was im strafrechtlichen Sinne unter Gewalt verstanden wird (und zwar ganz unabhängig von den unterschiedlichen Gewaltdefinitionen einzelner Tatbestände) ist weit von dem entfernt, was in Studien oder Zeitschriften damit in Verbindung gebracht wird. Das gilt sowohl gesamtgesellschaftlich als auch speziell für die Polizei. In einer Ausgabe der Deutschen Polizei, dem monatlichen Mitgliedermagazin der Polizei, handelt ein Artikel beispielsweise von einem Graffiti an einem Polizeiauto. Diese Handlung wurde in unmittelbare Verbindung mit „Gewalt“ und der Forderung nach einem eigenständigen Tatbestand für tätliche Angriffe gestellt.136 In einem Gutachten für die nordrhein-westfälische Polizei wird der Gewaltbegriff so weit gefasst, dass das Fotografieren von Vollstreckungspersonen im Einsatz darunter fällt. Zwar wird anfangs darauf hingewiesen, dass es sich dabei nicht um eine strafrechtlich relevante Gewalthandlung handle, dennoch wurde entschieden, auch nicht-tätliche Angriffe aufzunehmen, da sie als hoch belastend empfunden werden könnten.137 In der Öffentlichkeit wird also ein anderes, weiteres Gewaltverständnis vermittelt als das im Strafrecht gültige.
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BR-Drs. 646/10, S. 1. BT-Drs. 18/11161, S. 1. 135 Siehe B. II. 1. c) Kein zuverlässig nachgewiesener Gewaltanstieg gegenüber der Polizei in der Zeit vor der Novellierung. 136 Wessel-Schulze, Deutsche Polizei, Ausgabe Saarland 2014/10, S. 5 f.; vergleichbar: Lesermeinung von Matschuck, Deutsche Polizei 2010/07, S. 21. 137 Jager/Klatt/Bliesener, NRW-Studie Gewalt gegen PVB – Abschlussbericht, 2013, S. 11. 134
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Die Sensibilisierung im Bereich der Gewalttaten, mit der ein weitreichenderes Verständnis von Gewalt einhergeht, ist eine gesellschaftliche Entwicklung, die sich anhand vieler Situationen belegen lässt. Mobbing, Upskirting, Stalking, häusliche Gewalt – dies sind allesamt Themen, die noch vor wenigen Jahren gesellschaftlich und strafrechtlich abweichend bewertet wurden. Auch im Bereich der Interaktion zwischen Polizei und Individuum hat sich das Gewaltverständnis verschoben. Das Entgegenbringen von Geringschätzung, Ausspucken vor den Füßen, Nichtbefolgung von Anweisungen sind Respektlosigkeiten, die Gefahr laufen, in den Bereich der Gewalt eingeordnet zu werden.138 Der Zwang beziehungsweise die Bedrängnis ist in diesen Fällen allein auf der psychischen, nicht auf der physischen Seite zu verorten. Im Gleichlauf mit dem Gewaltbegriff hat sich auch das gesellschaftliche Verständnis von Sicherheit verändert.139 Dadurch, dass dem Gewaltbegriff im Laufe der Zeit eine gewandelte Bedeutung beigemessen wird, ist eine objektive Messung nahezu unmöglich.140 Dass die Zahlen im Falle eines weiteren Verständnisses ansteigen, verwundert jedenfalls nicht. Gewandelt hat sich allerdings nicht nur, was unter Gewalt verstanden wird, sondern auch, wie mit ihr umgegangen wird. Physische Gewalt ist in der heutigen Gesellschaft tabuisiert. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die körperliche Unversehrtheit immer bedeutsamer wird.141 Wenn körperliche Gewalt ihren Weg in die „Oberwelt“ findet, ist die Besorgnis entsprechend groß. Es kann das Gefühl entstehen, sie würde ansteigen.142 In den Leitbildern der Polizei(en) taucht Gewalt nicht mehr auf. Auch im Rahmen der Polizeiarbeit wird sie anders eingesetzt als früher. Eine Ohrfeige oder gar eine „Tracht Prügel“ lassen sich seit einigen Jahren nicht mehr als erzieherische Maßnahme aus dem Standardrepertoire der Polizei rechtfertigen.143 Insofern erlebte das Gewaltverständnis auch hier korrespondierend zur Entwicklung der übrigen Gesellschaft einen Formwechsel. Die Polizei übt das Gewaltmonopol des Staates subtiler aus als zuvor und setzt weniger auf körperliche Konfrontation, was vorsichtig als Übergang vom physischen zum psychischen Polizieren bezeichnet werden könnte.144 Dennoch ist die körperliche Konfrontation weiterhin ein unverzichtbarer und wesentlicher Bestandteil der Polizeiarbeit. Dieser we-
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Behr, FS für Helga Cremer-Schäfer, S. 220. Vgl. John, Polizei und Politik, S. 38 ff.; Daase, APuZ 2010, 9, 10. Kraushaar/Behr, in: Polizei und Politik, S. 53. Lindenberger, in: Polizei, Gewalt und Staat im 20. Jahrhundert, S. 220. Behr, FS für Helga Cremer-Schäfer, S. 217 ff. Behr, FS für Helga Cremer-Schäfer, S. 219. Behr, Berliner Republik 03/2014, 60, 66.
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sentliche Teil des Arbeitsalltags darf daher trotz des gewandelten Selbst- und Gewaltverständnisses nicht unterschätzt werden.145 Straflose „Gemeinheiten“ oder „Respektlosigkeiten“ bekommen auch innerhalb der Polizei häufiger das Stigma „Gewalt“ aufgezwängt, was unter anderem damit zusammenhängen könnte, dass Mitglieder der Polizei gegen sie gerichtete Angriffe im Dienst zunehmend persönlich nehmen und ihre Opferrolle betonen,146 und zwar sowohl in Hinblick auf Gewalt nach juristischem Verständnis als auch im Hinblick auf Respektlosigkeiten, die dem juristischen Sprachgebrauch nach nicht in diese Kategorie fallen. Der Hang dazu, Widerstandshandlungen vermehrt persönlich zu nehmen, liefert eine potentielle Erklärung für die veränderte Sicht der polizeilichen Führungsebene auf die Erforderlichkeit eines strafrechtlichen Schutzes für die Mitglieder der Institution. In den 1980er Jahren sprach sie sich noch gegen eine besondere Berücksichtigung des Polizeiberufs im Strafrecht aus.147 Seit Anfang des Jahrtausends fordert sie eine solche aktiv. Auch unter den „einfachen“ Polizeimitgliedern sei eine solche Entwicklung wahrzunehmen. Verglichen mit früheren Zeiten würden vermehrt kleinere Konflikte zur Anzeige gebracht.148 Folglich hat sich auch in der Polizei die Wahrnehmung sowie der Umgang mit Gewalt gewandelt. Es herrscht eine größere Sensibilisierung für Gewalt im weitesten Sinne und eine stärkere Ablehnung. Je strikter eine Gesellschaft eine Verhaltensweise ablehnt, desto eher besteht das Bedürfnis, diese mittels Strafnormen zu pönalisieren149, womit der Bogen zur Novellierung geschlagen wäre. Zudem sei angemerkt, dass die gewandelte Sensibilisierung hinsichtlich Gewalt weniger auf eine zunehmende „Verrohung“ der Bevölkerung hindeutet, denn auf eine zunehmende Zivilisierung. (2) Gewandeltes Verhältnis zwischen Individuum, Polizei und Staat Die empirischen Daten belegen also keinen geradlinigen, enormen Gewaltanstieg, sondern weisen auf eine stärkere Sensibilisierung in Sachen Gewalt hin. Unter Ausklammerung der methodischen Mängel einiger Studien und Befragungen, die den Anstieg in den letzten Jahren belegen sollen, stellt sich dennoch die Frage, worauf die steigenden Zahlen an Widerstandsdelikten im Zeitraum der beiden Novellierungen und der wahrgenommene Anstieg an Respektlosigkeiten noch hinweisen könnten, wenn nicht auf einen rasanten Gewaltanstieg.
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Behr, FS für Helga Cremer-Schäfer, S. 217. Kraushaar/Behr, in: Polizei und Politik, S. 65. 147 Kraushaar/Behr, in: Polizei und Politik, S. 60. 148 Haupt, FAZ vom 24.02.2013, abrufbar unter: https://www.faz.net/aktuell/politik/ inland/gewalt-gegen-polizisten-heule-heule-gaenschen-12092159.html?printPagedArticle =true#pageIndex_2 (zuletzt abgerufen am 05.04.2021). 149 Naplava, in: Polizei in Staat und Gesellschaft, S. 175. 146
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D. Bewertung: Zur Rationalität der Gesetzesänderung
Die Ergebnisse der Studien und Befragungen deuten darauf hin, dass es in dem seit jeher spannungsvollen Verhältnis zwischen Polizei und Individuum zu Veränderungen kam beziehungsweise solche aktuell stattfinden. „Gewalt gegen Polizist:innen“ ist hierfür allerdings eine irreführende und sogar falsche Bezeichnung. Auch kann nicht allein von „fehlendem Respekt“ gesprochen werden. Das erfasst den Kern des Problems unvollständig, da sich die Bezeichnung ausschließlich auf die Täter:innenseite bezieht, mithin die Wechselseitigkeit ausgeklammert bleibt. Womöglich wird die Polizeiarbeit heutzutage als belastender empfunden als früher, da sich die Kommunikation zwischen Individuum und Polizei erschwert hat.150 Das wiederum könnte das Ergebnis einer Kumulation mehrerer Entwicklungen sein. So ist zum einen die Diskrepanz zwischen der Polizei und den Personengruppen, mit denen sie häufiger in Kontakt gerät, seit einigen Jahren größer als zuvor, auch wenn die Polizei nie ein Spiegel der Gesellschaft war.151 Dies gilt besonders für das Verhältnis zu sozial benachteiligten Personen. In sechs Bundesländern ist die Allgemeine Hochschulreife Voraussetzung für eine Ausbildung bei der Polizei. Das Verständnis darüber, was „sich gehört“, kann bei großen Bildungsunterschieden auseinanderdriften.152 Zudem hat sich das Aufgabenspektrum der Polizei weiter in den privaten Lebensbereich verschoben, unter anderem aufgrund der erweiterten Befugnisse, etwa durch das Gewaltschutzgesetz oder die Einführung von Onlinedurchsuchungen in die Polizeigesetze einiger Bundesländer.153 In diesen sensiblen Lebensbereichen, die besonders konfliktgeladen sind, diskutiert es sich anders. Dass die Kommunikation mit einer Vollstreckungsperson, die unangekündigt Zutritt zur eigenen Wohnung verlangt, schwerer fallen kann, als beispielweise mit einer streifegehenden Einsatzkraft im Rahmen einer Personenkontrolle, stellt sich als nachvollziehbar dar. Zudem besteht die Möglichkeit, dass früher eine höhere gesellschaftliche Bereitschaft zur Normanerkennung und -befolgung in der Bevölkerung bestanden haben könnte.154 Heute scheinen die Gesellschaftsmitglieder als Souverän selbstbewusster zu sein, sie mischen sich ein, widersprechen. Sie stellen in Frage, zum Beispiel, ob die Einsatzkraft, die sie kontrolliert, dazu befugt ist oder sie erkun150 Behr, FS für Helga Cremer-Schäfer, S. 218; vgl. auch Behr, Berliner Republik 03/2014, 60, 66 f. 151 Behr, FS für Helga Cremer-Schäfer, S. 218. 152 Behr, Berliner Republik 03/2014, 60, 66 f. 153 Eine Übersicht über die Änderungen der Polizeigesetze in den einzelnen Bundesländern ist zu finden bei Amnesty international/Gesellschaft für Freiheitsrechte, Memo vom 11.11.2019, https://freiheitsrechte.org/home/wp-content/uploads/2019/11/201911-11-Aktualisierte-Uebersicht-neue-Polizeigesetze.pdf (zuletzt abgerufen am 03.12. 2021). 154 Behr, Berliner Republik 03/2014, 60, 65.
II. Legislative Rationalität symbolischer Gesetze
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digen sich, aus welchem Grund gerade sie kontrolliert werden. Womöglich geschieht das, wozu lange aufgefordert wurde: Die Angst vor dem Staat und den ihn vertretenden Personen, die einige Jahrzehnte zuvor radikaler und autoritärer vorgingen, wird schrittweise abgelegt.155 Das polizeiliche Leitbild des Dienstleistungsunternehmens für die Bevölkerung156 setzt sich scheinbar durch. Diese Entwicklung hat eine Kehrseite, wenn sie sich in übertriebenem Selbstbewusstsein, „Aufmüpfigkeit“ oder Nichtbefolgung von Anweisungen zeigt. Solche Verhaltensweisen können als Respektlosigkeiten begriffen oder gar als Autoritätsverlust empfunden werden. Auch solche kleineren „Aufmüpfigkeiten“, zu denen auch die Nachfrage, ob die gewählte Maßnahme erlaubt sei, und das Infragestellen der Befugnis der Vollstreckungsperson zählen, bieten daher die Gefahr der Konfliktentstehung. Auch für diese „Respektlosigkeiten“ ist die Entwicklung einer ausgeklügelten Kommunikationsstrategie daher erforderlich. In die polizeiliche Ausbildung werden aus diesem Grund vermehrt Kommunikationstrainings aufgenommen. Dort müssen künftig Strategien entwickelt werden, wie auf die steigende Kluft zwischen der Polizei und den Personengruppen, mit denen diese häufiger in Kontakt gerät, sowie auf etwaige Sprachbarrieren reagiert werden soll, welche die Pluralisierung der Gesellschaft mit sich bringt.157 (3) Präsenz der Thematik in den Medien Die Gesetzesänderungen können nicht getrennt von der öffentlichen Berichterstattung zum Thema Gewalt gegen Polizist:innen gesehen werden. Sowohl im Jahr vor der 44. als auch vor der 52. Novellierung des Strafgesetzbuches erreichte die Berichterstattung in diesem Bereich einen Höhepunkt, worauf im Entwurf von 2011 auch hingewiesen wurde.158 Damit stellt sich die Frage, weshalb in der Presse von einem drastischen Gewaltanstieg die Rede ist. Eine naheliegende Erklärungsmöglichkeit könnte ökonomischer Herkunft sein. Medien müssen sich verkaufen, und dabei ist ein gewisser Unterhaltungswert von Vorteil. Gegen Mitglieder der Polizei gerichtete Gewalt ist eine Materie, die den Nerv möglicher Lesenden trifft, denn Berichte über die Sicherheitslage und über Gewaltverbrechen sind stets von höchstem Interesse für die Bevölkerung.159 155
Behr, FS für Helga Cremer-Schäfer, S. 220. So beispielsweise das Leitbild der Landespolizei Rheinland-Pfalz, Landespolizei Rheinland-Pfalz, Leitbild, https://www.polizei.rlp.de/fileadmin/user_upload/Dokumen te/Leitbild-Poster_neu.pdf (zuletzt abgerufen am 03.12.2021). 157 Behr, Berliner Republik 03/2014, 60, 66; vgl. auch Behr, FS für Helga CremerSchäfer, S. 219. 158 Der erste Satz der Zielsetzung des Entwurfs lautet: „Angriffe auf Vollstreckungsbeamte werden in der Öffentlichkeit als zunehmendes Problem wahrgenommen.“, BTDrs. 17/4143, S. 6. 159 Z. B. Fischer, Über das Strafen, S. 91. 156
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Unter anderem diesen Faktoren wird der höchste Nachrichtenwert zugesprochen: Zum einen geht es um Personifizierbarkeit, das heißt, das Ereignis oder der Geschehensablauf sollte mit zuschreibbaren Personen im Zusammenhang stehen, beispielsweise Täter:innen und Opfer behandeln. Wichtig ist auch die Lebensnähe, in räumlicher, politischer und kultureller Hinsicht. Dadurch kann sich die Zielgruppe vorstellen, potentiell selbst von dem Geschehen betroffen zu sein. Ein weiterer Faktor ist die Unvorhersehbarkeit, denn Überraschungen unterhalten.160 Darauf, dass in den letzten Jahren viel dafür getan wurde, Einsatzkräfte der Polizei menschlicher wahrzunehmen, wurde bereits hingewiesen, ebenso wie auf die Tatsache, dass sie häufiger als Opfer präsentiert werden.161 Durch die Betonung des Menschlichen wird schließlich erreicht, dass sich die lesende Person mit dem Polizeimitglied identifiziert. Die vermeintlich steigende Gewalt betrifft dann gewissermaßen auch sie selbst. Zudem ist der Überraschungsfaktor in vielen Artikeln wiederzufinden, es wird von völlig unvermittelten Angriffen aus dem Hinterhalt162 gesprochen. Gewalt gegen Einsatzkräfte der Polizei hat somit nicht nur thematisch das Potential, ein breites Publikum zu erreichen, der Nachrichtenwert und damit die Reichweite wurde zusätzlich durch Kampagnen163 etc. verbessert. In diesem Zusammenhang nicht irrelevant ist die Tatsache, dass es viel mehr Kameras gibt als früher, insbesondere Handykameras, und daher nahezu jegliches Fehlverhalten aufgezeichnet und regelmäßig auch via soziale Medien und Internet der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird. Die Gewalt ist daher präsenter.164 Authentisches Bild- und Filmmaterial, insbesondere von Gewalttaten, kann darüber hinaus ein tieferes Empfinden hervorrufen als Texte. Es ist besser geeignet, sich ins Gedächtnis der Beobachtenden einzugraben.165 Außerdem haben Untersuchungen recht übereinstimmend ergeben, dass über einzelne Straf-
160 Aufgelistet z. B. bei Staab, S. 59 ff., 81 f.; Lüdemann/Ohlemacher, S. 190. Bei Staab sind auch weitere Faktoren aufgelistet, z. B. die Kontinuität der Berichterstattung über ein Thema oder die Einfachheit des Inhalts; Schulz, S. 33. 161 Vgl. S. 221. 162 Z. B. auf der Homepage der GdP, Schutzparagraph nach jahrelanger GdP-Forderung auf der Zielgeraden, https://www.gdp.de/gdp/gdp.nsf/id/de_gdp_fordert_115_ge gen_uebergriffe_auf_polizisten (zuletzt abgerufen am 03.12.2021). 163 Z. B. JUNGE GRUPPE (GdP), Kampagne „Auch Mensch“ http://www.auch mensch.de/assets/downloads/AuchMensch2017_Die_Kampagne.pdf (zuletzt abgerufen: 02.12.2021). 164 Behr, FS für Helga Cremer-Schäfer, S. 219. 165 Müller, Interview mit Thomas Bliesener (Direktor des KFN) in: Forschung und Lehre, https://www.forschung-und-lehre.de/zeitfragen/kriminalitaets-statistik-versus-ge fuehlte-sicherheit-2291/ (zuletzt abgerufen am 02.12.2021).
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taten und deren Folgen in der heutigen Zeit viel mehr berichtet wird. Eine Straftat produziert mehr Nachrichten und ist auch dadurch präsenter.166 (4) Kein maßgeblicher Zusammenhang zwischen Zufriedenheit und Gewaltanwendung Die Novellierung wäre unter anderem dann geeignet, ihren (Neben-)Zweck der Steigerung der Zufriedenheit von Vollstreckungspersonen zu erfüllen, wenn Gewaltanwendung ein maßgeblicher Belastungsfaktor wäre. Diese Thematik war ein Aspekt einer Studie aus dem Jahr 2013.167 Die Ergebnisse wiesen darauf hin, dass der Belastungsgrad von Einsätzen maßgeblich mit Faktoren wie dem Einsatzanlass, der Anzahl an Angriffshandlungen pro Vorfall sowie mit der Häufigkeit, in der die Handlungen auftreten, zusammenhängt.168 Zudem wurden die teilnehmenden Polizeibediensteten gefragt, welche Angriffe sie als besonders belastend empfanden, wobei hierunter nach der weiten Definition der Studie sämtliche gegen Polizist:innen gerichtete Handlungen zu verstehen waren. Es zeigte sich, dass die körperliche Auseinandersetzung für sich gesehen als weniger belastend empfunden wurde als die wahrgenommenen oder empfundenen Begleitfaktoren, wie die Feindseligkeit oder Unberechenbarkeit des Angriffs, etwaiger Kontrollverlust, das Gefühl des Alleingelassenseins usw.169 Die Untersuchungsergebnisse ergaben unter anderem, dass der Versuch, die Schusswaffe zu entnehmen, die Befragten signifikant mehr belastet als der Gebrauch derselben. Gleiches gilt für das Hetzen eines Hundes, ohne, dass es zu einem Biss kommt, im Vergleich zu einem tatsächlich erfolgten Hundebiss.170 Beim Schusswaffengebrauch könnte die Sorge hineinspielen, dass mit der eigenen Schusswaffe nach der Entwendung durch Unbefugte eine unbeteiligte Person zu Schaden kommen könnte. Eine vergleichbare Steigerung beziehungsweise Verlagerung der Gefahr kommt in Bezug auf die Situation des Hundebisses nicht in Betracht. Entscheidend für die geringere Belastung im Falle dessen Eintritts könnte sein, dass die Angst, vor dem was passieren könnte, oft gravierender ist als die Belastung durch den Eintritt des Ereignisses selbst. Die mit Angriffen zusammenhängende psychische Belastung scheint demnach die körperliche zu übersteigen. Den tätlichen Angriff mit schwerer Strafe zu be166 Müller, Interview mit Thomas Bliesener (Direktor des KFN) in: Forschung und Lehre, https://www.forschung-und-lehre.de/zeitfragen/kriminalitaets-statistik-versus-ge fuehlte-sicherheit-2291/ (zuletzt abgerufen am 02.12.2021). 167 Jager/Klatt/Bliesener, NRW-Studie Gewalt gegen PVB – Abschlussbericht, 2013. 168 Jager/Klatt/Bliesener, NRW-Studie Gewalt gegen PVB – Abschlussbericht, 2013, S. 255 f. 169 Jager/Klatt/Bliesener, NRW-Studie Gewalt gegen PVB – Abschlussbericht, 2013, S. 312 ff. 170 Jager/Klatt/Bliesener, NRW-Studie Gewalt gegen PVB – Abschlussbericht, 2013, S. 254 f.
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legen, um die körperliche Unversehrtheit der verbeamteten Personen zu schützen, obwohl diese körperliche Unversehrtheit weder beim Erleben von Feindseligkeiten noch der Angst vor dem Alleingelassenwerden tangiert wird, ist daher nur eine bedingt geeignete Maßnahme, die Belastungssituation der Mitglieder der Polizeibehörden und damit auch deren Zufriedenheit zu beeinflussen. Nicht ausgeschlossen ist hingegen, dass die symbolische Wirkung des Gesetzes positive Auswirkungen auf das Wohlbefinden der Vollstreckungspersonen entfalten konnte. c) Zwischenergebnis Die Untersuchungen haben ergeben, dass das 52. Strafrechtsänderungsgesetz auch die politische Zielsetzung verfolgte, ein Signal der Wertschätzung in Richtung der Polizei zu senden, da sich die Zufriedenheit ihrer Mitglieder im Vergleich zur übrigen Bevölkerung in einem Dauer-Tief befand. Der Grund dafür liegt in erster Linie an den Arbeitsbedingungen. Die Polizei kämpft seit jeher für bessere Ausrüstung und Ausbildung, höheren Lohn und vor allem für mehr Personal. Insbesondere letzterer Punkt ist bedeutend für die Arbeitsbelastung und -verteilung. Darüber hinaus sorgt die bessere Sensibilisierung für Gewalt dafür, dass diese auch in der Polizei vermehrt wahrgenommen wird. Oft handelt es sich allerdings nicht um Gewalt, sondern um Ärgernisse, Frechheiten oder sonstiges unliebsames Verhalten. In diesen Konstellationen von Gewalt zu sprechen, verwässert den ohnehin komplexen Begriff weiter. Gerade Vollstreckungspersonen treffen oft auf sozial und wirtschaftlich Benachteiligte und sind daher häufiger mit Gewalt als die übrige Bevölkerung konfrontiert, erfahren aber und auch mehr Frust und „Aufmüpfigkeit“, wodurch sie sich geringgeschätzt fühlen. Aufgrund steigender Anforderungen an die Bediensteten der Polizei wächst die Kluft zu den Personen, mit denen die Behörde typischerweise in Kontakt treten muss, gleichzeitig reichen ihre Befugnisse weiter ins Privatleben hinein, sodass sich die Distanz verringert und mehr Raum für Auseinandersetzungen entsteht. Aus diesem Grund beklagt die Polizei einen vermeintlich drastischen Anstieg von Gewalt und Respektlosigkeit ihr gegenüber. Der Fokus der Ausbildung in der Polizei liegt weiterhin stark auf der physischen Seite (Abwehr von Angriffen, physisches Ruhigstellen), obwohl die psychische Komponente (Missachtung, Hilflosigkeit, Gefühl des Alleingelassenseins) häufig die belastendere ist. In diesen Fällen psychischer Überforderung kann die Kommunikation schwerfallen. Zusammenfassend gibt es mehrere Umstände, welche die Polizeiarbeit besonders herausfordernd machen; Handlungsbedarf besteht zweifelsfrei. Dass die Mitglieder der Polizei im Alltag Gewalt ausgesetzt sind, ist jedoch nicht der maßgebliche Grund für ihre große Unzufriedenheit. In strafrechtlicher Hinsicht an diesen Umstand anzuknüpfen löst die institutionellen Herausforderungen nicht. Die aus-
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gangs herangezogene Definition für symbolische Gesetze trifft daher größtenteils auf das 52. Strafrechtsänderungsgesetz zu: Das Gesetz ist ungeeignet, sein Ziel des besseren Schutzes vor gewalttätigen Angriffen auf Vollstreckungskräfte voranzutreiben und auch die zugrundeliegenden Probleme wurden zumindest nicht auf langfristige Sicht angegangen. Stattdessen wurde ein Signal der Wertschätzung und des Respekts gesendet. Darauf, dass die Gesetzesänderung dennoch auf anderem Wege, das heißt ohne die ermittelten Defizite anzugehen, einen positiven Effekt auf die Zufriedenheit gehabt haben kann, wird im nächsten Abschnitt eingegangen. 3. Einordnung des 52. Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches in Bezug auf dessen kriminalpolitische Rationalität So irrational symbolische Gesetze auf juristisch-sachlicher Ebene auch sein mögen, können sie doch in (kriminal-)politischer Hinsicht rational sein.171 Die Beurteilung eines Gesetzes auf seine kriminalpolitische Qualität hängt von individuellen Faktoren ab und ist somit schwer messbar. Bereits die Frage nach der Notwendigkeit einer Regelung ist eine politische Entscheidung. Sie kann zwar fachlich von Sachverständigen bewertet werden, doch deren Meinung muss nicht mit dem „politisch klügsten“ Weg übereinstimmen. Als „politisch klug“ gilt eine Handlung grob gesagt, wenn sie politische Erfolge nach sich zieht – das bedeutet, dass sie Problemlösungskompetenz beweist und Zustimmung in der Bevölkerung erfährt.172 Ein aus kriminalpolitischer Sicht „gutes“ Gesetz wird von möglichst Vielen akzeptiert und stößt in der Durchsetzung auf wenig Widerstand.173 Gerade dieser letzte Punkt ist relevant für die im betreffenden Zeitpunkt amtierende Regierung, denn von Herrschaft kann nur gesprochen werden, wenn von ihr aufgestellte Regeln oder Befehle auch befolgt werden.174 Wird in der Politik also von steigendem Widerstand und Gewalt gegen die ausführenden Organe gesprochen, wird damit letztlich auch auf einen Herrschaftsverlust aufmerksam gemacht und gleichzeitig versucht, diesem entgegenzuwirken. Im Folgenden wird beurteilt, ob das 52. Strafrechtsänderungsgesetz diese Rationalitätskriterien erfüllt, mithin ob es als „kriminalpolitisch klug“ eingestuft werden kann. a) Zustimmung hervorrufend und vollzugstauglich Gegenüber den Gewerkschaften als Initiierende der Gesetzesänderung hat das Gesetz viel Zuspruch erfahren, auch wenn sich diese ein noch weiterreichendes 171 172 173 174
Steinbach, S. 10. Steinbach, S. 41. Steinbach, S. 78. Vgl. Fischer, Über das Strafen, S. 50.
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D. Bewertung: Zur Rationalität der Gesetzesänderung
Vorgehen gewünscht hätten.175 Der Gesetzesentwurf wurde als „großer Erfolg“ von der GdP bezeichnet176 und stieß damit auf mehr Begeisterung, als es die Gesetzesänderung aus dem Jahr 2011 tat. Die GdP äußerte sich nachträglich kritisch zum 44. Strafrechtsänderungsgesetz. Die Änderungen hätten, wie erwartet, keinerlei Wirkung entfaltet.177 Denn dort wurde weder der von der GdP geforderte eigene Tatbestand für tätliche Angriffe eingeführt noch wurde auf das Tatbestandsmerkmal der Vollstreckungshandlung verzichtet. Auf die Einführung eines Tatbestands neben dem „Widerstand“ wurde insbesondere aus sprachlichen Gründen von Seiten der GdP großer Wert gelegt. Der Begriff „Widerstand“ sei in besonderen Situationen positiv besetzt, weshalb der erhöhte Unrechtsgehalt nicht deutlich genug zum Tragen käme. Mit einem Tatbestand, der sich sprachlich klar vom Widerstand absetzt, werde vermittelt, dass die Tathandlung nicht verharmlost wird.178 Der vermeintlich notwendige Verzicht auf das Tatbestandsmerkmal der Vollstreckungshandlung wurde vor dem Hintergrund angeblich vermehrt auftretender, unvorhergesehener Angriffe aus dem Hinterhalt begründet.179 Vermutlich ist auch die Nennung der Vorschrift im Schuldspruch infolge der Tateinheit geeignet, als Signal der Wertschätzung verstanden zu werden. Damit ist aus Sicht der Polizei im Jahr 2017 zumindest der berüchtigte „Schritt in die richtige Richtung“ gemacht worden. Auf großen Widerstand, mit Ausnahme einiger Sachverständigen und der Parteien, die sich den von ihnen geäußerten Bedenken anschlossen, ist das Vorhaben außerhalb der juristischen Fachwelt ebenfalls nicht gestoßen. Insofern konnte die Regierung Handlungsfähigkeit beweisen, was allgemein als politischer Erfolg bewertet wird. Speziell in Zeiten besonderer gesellschaftlicher Herausforderungen kann ein solches Vorgehen politisch gesehen sinnvoll sein. Ob sich dadurch die Zufriedenheit nachhaltig verbessert, lässt sich bisher nicht aus Studien entnehmen. Diese ließen diesbezüglich sehr unterschiedliche Ent175 Ehemalige Bundesjugendvorsitzende der GdP und heutige GdP-Landesvorsitzende Sabrina Kunz: „Umso größer ist nun unsere Freude für diesen Erfolg, der aber insgesamt nur ein Tropfen auf dem heißen Stein ist.“ GdP Rheinland-Pfalz, Flugblatt vom 02.03.2017, https://www.gdp.de/gdp/gdprp.nsf/id/DE_Neuer-Straftatbestand-An griff-auf-Vollstreckungsbeamte (zuletzt abgerufen am 03.12.2021). 176 GdP, Schutzparagraph nach jahrelanger GdP-Forderung auf der Zielgeraden, https://www.gdp.de/gdp/gdp.nsf/id/de_gdp_fordert_115_gegen_uebergriffe_auf_polizis ten (zuletzt abgerufen am 03.12.2021). 177 GdP Hessen, GdP Hessen begrüßt Gesetzesentwurf zur Änderung des StGB und Schutz der Polizei, https://www.gdp.de/gdp/gdphe.nsf/id/DE_112_neu_initiative_hes? open&ccm=150470 (zuletzt abgerufen am 03.12.2021). 178 GdP, Schutzparagraph nach jahrelanger GdP-Forderung auf der Zielgeraden, https://www.gdp.de/gdp/gdp.nsf/id/de_gdp_fordert_115_gegen_uebergriffe_auf_polizis ten (zuletzt abgerufen am 03.12.2021). 179 GdP, Schutzparagraph nach jahrelanger GdP-Forderung auf der Zielgeraden, https://www.gdp.de/gdp/gdp.nsf/id/de_gdp_fordert_115_gegen_uebergriffe_auf_polizis ten (zuletzt abgerufen am 03.12.2021).
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wicklungen erkennen.180 Der Blick auf die nur sechs Jahre vorausgegangene Novellierung von 2011, die wohl den gleichen Zweck verfolgte, deutet darauf hin, dass solche überwiegend symbolischen Ansätze, wenn überhaupt, nur kurzfristig effektiv sind. b) Gesellschaftliches Stabilisierungspotential Es besteht die Möglichkeit, dass die Novellierung in anderer als der vordergründig bezeichneten Weise (besserer Schutz der durch die §§ 113 ff. StGB geschützten Personen) positiv auf die Gesellschaft eingewirkt hat. Strafgesetzen wird häufig eine Wirkung auf die Allgemeinheit nachgesagt, weshalb sie auch als „staatliches Instrument sozialer Kontrolle“ bezeichnet werden.181 Durch die Androhung von Strafe soll die Allgemeinheit von der Begehung der Straftat abgehalten und gleichzeitig durch die Vollstreckung des Strafurteils der Ernst der Androhung verdeutlicht werden. Diese abschreckenden Aspekte werden vom Begriff der negativen Generalprävention umfasst.182Auf der anderen Seite soll die Strafe die Rechtstreue und das Vertrauen in die Rechtsordnung bestärken, sog. positive Generalprävention. Mit der Verhängung der Strafe drückt der Staat aus, dass er die Nichtbefolgung der Norm „verübelt“ und die Vorschrift weiterhin als verbindliches Verhaltensmuster gilt. Der Staat garantiert die Sanktionierung jeglichen Verhaltens, das die Erwartungen in die wechselseitige Einhaltung der vorgeschriebenen Verhaltensnormen enttäuscht.183 Insbesondere in Krisenzeiten wird häufig auf das Strafrecht und seine die Allgemeinheit lenkende Funktion zurückgegriffen. Daher ist nicht ausgeschlossen, dass mit dem 52. Änderungsgesetz des Strafgesetzbuches nicht nur ein Signal an die Opfer gesendet wurde, sondern das Gesetz auch in positiver und generalpräventiver Weise auf die Gesellschaft wirken sollte.184 aa) Stabilisierung durch Punitivität und Opferorientierung Es wurde bereits festgestellt, dass in der Bevölkerung trotz eines gewachsenen gesamtgesellschaftlichen Selbstbewusstseins eine allgemeine Orientierungsunsicherheit herrscht, die in den Zeiträumen kurz vor den Gesetzesänderungen be-
180
Vgl. D. II. 2. b) aa) Zufriedenheits- und Gesundheitszustand innerhalb der Polizei. Beste/Wagner, KrimJ 1991, 24, 26. 182 Kindhäuser, SR AT, § 2 Rn. 14. 183 Kindhäuser, SR AT, § 2 Rn. 16. 184 Zu der Frage, inwiefern gesellschaftliche Zwecksetzungen dem oder der Täter:in gegenüber überhaupt den Einsatz von Strafe begründen können, vgl. etwa Duff, in: Positive Generalprävention, S. 187. 181
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sonders groß war.185 Diese gesellschaftliche Entwicklung wird häufig als Hintergrund der sog. punitiven Wende gesehen, also einer veränderten Kriminalpolitik, die zunehmend auf härtere Strafen und eine Ausweitung des strafbaren Verhaltens setzt.186 Hintergrund des Zusammenhangs zwischen Verunsicherung und Punitivität ist, dass Strafe, auch wenn sie nicht den beschriebenen Abschreckungseffekt hat, einen Konsens schafft und dadurch eine Gesellschaft stabilisieren kann.187 Kontrollverdichtungen (zum Beispiel in Form von Verschärfungen des Strafrechts) können als Kompensation nachlassender Integrationskräfte gesehen werden, so eine These.188 Dem Strafrecht wird damit eine soziale und moralische Ordnungsfunktion zugesprochen: Es schafft und verdeutlicht in einer vielfältigen Gesellschaft einen Minimalkonsens. Dieser gesellschaftliche Minimalkonsens, der den überwiegenden Anteil von Menschen jeglicher Glaubenseinstellungen, Einkommens- und Bildungsschichten vereint, liegt in der Ablehnung von Grausamkeit, Leid und Respektlosigkeiten.189 Das Bedürfnis nach der Ausweitung des strafbaren Bereichs oder nach Strafschärfungen ist folglich in dem Bedürfnis nach einer normativen, allgemeingültigen Struktur begründet, in der sich die einzelne Person sicher bewegen kann.190 Die Stiftung gesellschaftlichen Zusammenhalts ist auch ein Erklärungsansatz dafür, weshalb sich Kriminalpolitik bei Gesetzesänderungen zunehmend am Opfer orientiert. Darauf deutet eine Untersuchung von im Rahmen von Gesetzesänderungen herangezogenen Argumenten im Laufe der Jahre hin.191 Auch das in Rede stehende Änderungsgesetz fällt in diese Kategorie. Es existieren mehrere Hypothesen für die sich häufende Opferorientierung: Solidarität werde heute nicht mehr überwiegend an etwas „Göttliches“ oder ein anderes Kollektiv gebunden, sondern habe sich auf die Person des Verbrechensopfers verlagert, so eine Argumentation. Das Opfer werde als „Hüter der Moral“ gesehen. Viele können sich in es hineinversetzen oder verspüren das Gefühl, selbst potentiell Opfer werden zu können. Dieses Gefühl stiftet Zusammenhalt und bietet gleichzeitig Raum für ein hartes Vorgehen gegen Personen, die den Frieden gefährden. Diese Entwicklung deutet auf eine gewandelte Rolle des Staates hin, bei der sich dieser zunehmend als Beschützer oder sogar als „Buddy State“ etabliert.192 185 Vgl. auch hierzu B. II. 1. a) Neuere gesellschaftliche Entwicklungen mit Auswirkungen auf die Polizeiarbeit und das Polizei-Individuum-Verhältnis. 186 Vgl. Schlepper, S. 185, oder Hiesmayr, S. 18 f. 187 Groenemeyer, in: Soziale Probleme, Gesundheit und Sozialpolitik, S. 23. 188 Heitmeyer, in: Schattenseiten der Globalisierung, S. 525. 189 Schlepper, S. 173 f. 190 Boutellier, S. 37 ff. 191 Schlepper, Abbildung 19, S. 123 ff. 192 Schlepper spricht sogar von der „Verwandlung einer Institution der Rechtsetzung in ein Dienstleistungsorgan für Opfer“, Schlepper, S. 125.
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bb) Ungeeignetheit zur Beeinflussung der Kriminalitätsfurcht Gesellschaftliche Stabilisierungswirkung könnte dem in Rede stehenden Gesetz auch dann zugeschrieben werden, wenn positive Auswirkungen auf die Kriminalitätsfurcht von ihm ausgingen. Das 44. Strafrechtsänderungsgesetz scheint keine messbaren vorteilhaften Auswirkungen auf die Kriminalitätsfurcht gehabt zu haben, schließlich war im Anschluss an dessen Inkrafttreten ein Anstieg zu verzeichnen. Auf das 52. Strafrechtsänderungsgesetz hingegen folgte ein Jahr später eine Verbesserung, die bis heute anhält, wie die Darstellungen aus dem ersten Kapitel erkennen lassen.193 Allerdings liegen bisher keine Anhaltspunkte vor, nach denen diese Entwicklung auf die Novellierung zurückzuführen gewesen wäre. Im Folgenden werden daher die Determinanten der Kriminalitätsfurcht bestimmt, um zu ermitteln, ob der positive Verlauf im Anschluss an die Novellierung mit dieser zusammenhängen könnte. (1) Determinante Nr. 1: Gesellschaftliche Krisensituationen Im Zeitraum kurz vor den Novellierungen aus den Jahren 2011 und 2017 hatte die Regierung Krisensituationen zu bewältigen, in denen sie weitreichende Entscheidungen treffen musste, für die sie von Teilen der Bevölkerung kritisiert wurde. Sowohl die Entscheidung über den Erlass des Währungsunion-Finanzstabilitätsgesetzes und damit über den ersten EU-Rettungsschirm aus dem Jahr 2010 als auch der Umgang mit Geflüchteten führten zu Spannungen in der Gesellschaft und zu Akzeptanzproblemen des Staates. Die Zeitgeschehnisse vergrößerten die Sorge, ein Verlierender der gesellschaftlichen Veränderungen werden zu können. Diese diffuse Sorge zeigte sich in einem punktuellen Anstieg der Kriminalitätsfurcht.194 Anscheinend steht die Kriminalitätsfurcht mit der Stimmung der Gesellschaft in Zusammenhang. Das ist insbesondere der Fall, wenn die Krisen, die das Land beschäftigen knappe Ressourcen betreffen wie Sozialleistungen, Wohnraum oder Arbeitsplätze.195 Der Konkurrenzgedanke um diese begrenzten Güter und die wahrgenommene Bedrohung war sowohl bei der Eurokrise und der Entscheidung über den Rettungsschirm, bei der Deutschland Garantien in Höhe von fast 130 Milliarden Euro und damit mehr als jedes andere Land in der EU aussprach, als auch in der Flüchtlingsdebatte ein zentraler Grund für die Empörung großer Teile der Bevölkerung. Hinsichtlich der Flüchtlingspolitik dürfte diese Annahme umso besser zutreffen, schließlich wurde dort nicht nur finanzielle Unterstützung gewährt, sondern auch Wohnraum, Sozialleistungen usw. 193 194 195
B. II. 1. b) Entwicklung der Kriminalitätsfurcht. B. II. 1. b) Entwicklung der Kriminalitätsfurcht. Hirtenlehner/Groß/Meinert, SozProb 21.06.2021, Kap. 2.1.
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Teilweise wird ausgeführt, der Rückgang der Kriminalitätsfurcht der letzten 30 Jahre sei in dem Auftreten beziehungsweise einem Bedeutungsgewinn anderer Problembereiche begründet, etwa dem Umweltschutz oder der Friedenserhaltung. Diese konkreteren Bedrohungsszenarien würden die diffusen Bedrohungsgefühle der Kriminalitätsfurcht verdrängen.196 Dem ist insofern zuzustimmen, als es in den letzten Jahrzehnten zu gewissen Bedeutungsverschiebungen gesellschaftlicher Probleme gekommen ist. Die Folgen des Klimawandels werden immer deutlicher, weshalb der Klimaschutz an Relevanz gewinnt. Die Angst vor Kriminalität wich zumindest zum Teil der steigenden Angst vor Terroranschlägen, wie aus den Befragungen der R+V Versicherung hervorgeht.197 Auch Ängste unterliegen damit gewissen Trends. Sie passen sich aktuellen Bedrohungen und Ereignissen an, ohne Rücksicht darauf zu nehmen, ob diese Sorgen begründet sind oder nicht. Sofern das „Problem“ rein wirtschaftlicher Natur ist und Verteilungskonflikte zur Folge hat, scheint die Theorie, dass die Kriminalitätsfurcht von dem „Problem“ verdrängt wird, allerdings nicht zuzutreffen. In diesen Fällen steigt sie an und steht stellvertretend für diffuse Zukunftsängste. Dieses Ergebnis wird durch die jüngsten Ereignisse der Covid-19-Pandemie bestätigt. Obwohl sie in der Folge enorme wirtschaftliche Herausforderungen und Verteilungskonflikte im Umgang nach sich zieht, handelte es sich doch in erster Linie, zumindest in der Anfangszeit, um ein Naturereignis. Vielfach wurde und wird sogar höhere Gewalt angenommen. Der Anteil an Menschen, die Angst haben, Opfer einer Straftat zu werden, war daher in der Anfangs- beziehungsweise ersten Hochphase der Pandemie im Jahr 2020 der geringste seit Beginn der Aufzeichnung.198 (2) Determinante Nr. 2: Demografische Daten Neben Begebenheiten, die den wahrgenommenen Konkurrenzdruck in der Gesellschaft erhöhen, beeinflussen auch gewisse demografische Daten die allgemeine Verbrechensangst. Frauen und ältere Menschen weisen im Durchschnitt eine größere Furcht vor Straftaten auf als Männer und jüngere Menschen, wobei hinsichtlich des Alters ein u-förmiger Kurvenverlauf erkennbar ist. Die Kriminalitätsfurcht nimmt im mittleren Alter lange Zeit ab, bis sie im hohen Alter schließlich wieder an196 Windzio/Simonson, Kriminalitätswahrnehmung und Punitivität in der Bevölkerung – Welche Rolle spielen die Massenmedien?, S. 10. 197 R+V-Studie „Die Ängste der Deutschen“, Grafik: Die sieben größten Ängste 1992 bis 2021. 198 Vgl. R+V-Studie „Die Ängste der Deutschen“, Grafik: Angst vor Straftaten 1992 bis 2021.
II. Legislative Rationalität symbolischer Gesetze
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steigt.199 Großen Einfluss haben auch Opfererfahrungen und der Wohnort. In Städten mit einer Population von 50.000 –100.000 Menschen ist die allgemeine Kriminalitätsfurcht am höchsten.200 Die Urbanisierung und der demografische Wandel könnten daher eine weitere Erklärung für den Anstieg der kriminalitätsbezogenen Unsicherheitsgefühle seit dem Jahr 2012 sein. Sie erklären allerdings nicht, weshalb sich der Trend im Langzeitvergleich abwärts bewegt. Weiterhin deutet die bisherige Forschung auf einen Zusammenhang zwischen dem Bildungsgrad, der Höhe des Einkommens und der Furcht vor Straftaten hin.201 Menschen mit einem höheren Bildungsgrad schätzen ihre Sicherheitslage zutreffender ein als solche mit einem niedrigeren. Noch stärker wirkt sich materieller Wohlstand auf das Sicherheitsempfinden aus, wobei dieser Faktor nicht überbewertet werden darf, da ein hohes Einkommen regelmäßig mit einer sichereren beziehungsweise vermeintlich sichereren Wohngegend einhergeht.202 Außerdem fühlen sich Personen mit Migrationshintergrund und solche aus den neuen Bundesländern unsicherer.203 Als eine Erklärung für das Ost-West-Gefälle kommt in Betracht, dass dort Ängste vor einer ungewissen Zukunft aus der Zeit des geteilten Deutschlands tief verankert sind.204 Bedeutsam für die Wahrnehmung von Kriminalität scheint auch der Medienkonsum zu sein. Da sich ein Großteil der Bevölkerung mangels Zugangs zu wissenschaftlichen Quellen betreffend der Sicherheitslage lediglich über die Massenmedien informieren kann205 und insofern für die Einschätzung der aktuellen Kriminalitätslage auf die Richtigkeit der dort vermittelten Informationen vertrauen muss, ist diese Korrelation besonders bedeutsam. In einer Studie des KFN von 2007 wurde ein auffälliger Zusammenhang zwischen der Qualität der in Anspruch genommenen Medien und der subjektiven Kriminalitätsbelastung festgestellt. Bei Teilnehmenden, die einen erhöhten Konsum wenig anspruchsvoller Medien aufwiesen, wurde eine erhebliche Abweichung zwischen wahrgenommener und tatsächlicher Kriminalitätsentwicklung festgestellt. Allerdings ging laut 199 Zu den Determinanten der Kriminalitätsfurcht siehe vertiefender Hirtenlehner/ Hummelsheim, in: Viktimisierungsbefragungen in Deutschland Band 1, S. 463 ff. 200 Birkel, Der deutsche Viktimisierungssurvey 2017, S. 52. 201 Baier, Kriminalitätsfurcht, Strafbedürfnisse und wahrgenommene Kriminalitätsentwicklung, S. 36. 202 Hahne/Hempel/Pelzer, Berliner Forum Gewaltprävention Nr. 70, 2020, 1, 19 f.; zum Thema vermeintliche Sicherheit der Wohngegend und Migranten siehe Schartau/ Roy-Pogodzik/Gruß, Die Angst vor dem Fremden, S. 12 ff. Sie weisen darauf hin, dass Menschen, die annehmen, viele Ausländer in ihrer Wohngegend zu haben, eine höhere Kriminalitätsfurcht als andere aufweisen, auch wenn die objektive Sicherheit dafür keinerlei Anlass bietet. 203 Birkel, Der deutsche Viktimisierungssurvey 2017, S. 54; Baier, Strafbedürfnisse und wahrgenommene Kriminalitätsentwicklung, S. 36. 204 Hahne/Hempel/Pelzer, Berliner Forum Gewaltprävention Nr. 70, 2020, 1, 43. 205 Windzio/Simonson, Kriminalitätswahrnehmung und Punitivität in der Bevölkerung – Welche Rolle spielen die Massenmedien?, S. 12 ff.
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D. Bewertung: Zur Rationalität der Gesetzesänderung
Erhebung mit der Inanspruchnahme der „einfachen“ Presse auch ein geringeres Bildungsniveau einher. Auf die affektive Kriminalitätsfurcht bezogen konnte hingegen kein eindeutiger, nachhaltiger Zusammenhang zur Medienberichterstattung nachwiesen werden.206 Vor dem Hintergrund, dass die Sicherheitsgewährleistung die zentrale Aufgabe der Polizei darstellt, überrascht es nicht, dass die für das Sicherheitsempfinden ermittelten maßgeblichen Faktoren große Parallelen zu den Faktoren aufweisen, die auf das Vertrauen in die Polizei Einfluss haben: Frauen und Personen mit einschlägigen Opfererfahrungen weisen nicht nur eine höhere Besorgnis auf, Opfer einer Straftat zu werden, sie vertrauen auch stärker in die Polizei. Auch hinsichtlich des steigenden Alters lässt sich eine solche Tendenz feststellen, ebenso wie bei der formalen Bildung und höherem Einkommen.207 Zwar ist bei der Entwicklung des Vertrauens in die Polizei kein Peak in den Jahren 2010 und 2016 auszumachen, was allerdings auch schlicht auf die Tatsache zurückzuführen sein könnte, dass die „Angst vor Straftaten“ häufiger (jährlich) abgefragt wurde. Jedenfalls lässt sich zwischen 2012 und 2017 gleichermaßen ein Anstieg verzeichnen. Zudem deuten Untersuchungen darauf hin, dass es in den Jahren nach der Novellierung zu einem Abfall des Vertrauens in die Polizei kam und auch die Kriminalitätsfurcht seitdem sinkt.208 Insofern ist zumindest im letzten Jahrzehnt tendenziell ein Gleichlauf wahrnehmbar. Die aus den Daten gewonnenen Ergebnisse lassen daher Folgendes vermuten: Je mehr sich die Bevölkerung vor Kriminalität fürchtet, desto mehr vertraut sie der Polizei. Belegt ist dieses unter dem Stichwort „Beruhigungshypothese“ bekannte Phänomen bislang jedoch nicht.209 c) Zwischenergebnis Auf Basis der beschriebenen Daten wurde gezeigt, dass die Kriminalitätsfurcht im Langzeitvergleich sinkt, aber in den Jahren vor den beiden Novellierungen eine Hochphase erlebte und dazwischen tendenziell anstieg. Die subjektive Kriminalitätsbelastung nimmt dagegen stetig zu. Einen besonderen Einfluss auf die Kriminalitätsfurcht und die subjektive Kriminalitätsbelastung übten die Lebensbedingungen und Ereignisse210 des (zum 206 Windzio/Simonson, Kriminalitätswahrnehmung und Punitivität in der Bevölkerung – Welche Rolle spielen die Massenmedien?, S. 12, 22 ff. 207 Birkel, Der deutsche Viktimisierungssurvey 2017, S. 72 f.; Guzy, in: Die kritisierte Polizei, S. 21. 208 Vgl. zur Entwicklung des Vertrauens in die Polizei bereits D. II. 2. b) cc) Annahme breiter Ablehnung in der Gesellschaft; zur Entwicklung der Kriminalitätsfurcht: B. II. 1. b) b) Entwicklung der Kriminalitätsfurcht. 209 Hirtenlehner/Leitgöb-Guzy/Bacher, MschrKrim 2022, 1, 1. 210 Beziehungsweise deren Wahrnehmung, vgl. Hahne/Hempel//Pelzer, Berliner Forum Gewaltprävention Nr. 70, 2020, 1, 14: „Phasen an- und absteigender Kriminalitäts-
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Zeitpunkt der Novellierungen) aktuellen Zeitgeschehens aus.211 In den Jahren 2010 und 2016 wurde die Gesellschaft in besonderem Maße mit sozialen und wirtschaftlichen Ängsten konfrontiert. 2010 stand im Zeichen der Wirtschaftskrise, die Menschen sorgten sich um ihr Erspartes und um ihre Existenz. 2016 suchten tausende Geflüchtete Hilfe in Europa, unter anderem in Deutschland. Die Gesellschaft sorgte sich vor einer Überforderung der Regierenden und vor Verteilungskonflikten.212 Gerade an den Ausschlägen der Kriminalitätsfurcht in den Jahren 2010 und 2016 ist zu erkennen, dass diese ein Ventil für sämtliche allgemeinen Sorgen der Menschen darstellt. Indem sie in einer einzigen Angst gebündelt werden, nämlich jener, Opfer eines Verbrechens zu werden, werden sie greifbarer. Deutlich wahrscheinlicher als die Möglichkeit, dass die Gesetzesänderung den Verlauf der Kriminalitätsfurcht positiv mitbeeinflusst hat, ist daher, dass dies auf eine Beruhigung der damaligen Zeitgeschehnisse zurückzuführen ist, schließlich sind diese neben bestimmten demografischen Faktoren ein zentraler Faktor für die Entwicklung der Kriminalitätsfurcht. Die für deren Entwicklung maßgeblichen Umstände liegen folglich außerhalb des Strafrechts. Allerdings besteht die Möglichkeit, dass das Gesetz in anderer Weise gesellschaftlich stabilisierend wirkte. Dadurch, dass der Großteil der Bevölkerung fälschlicherweise annimmt, die Anzahl an Straftaten würde ansteigen, insbesondere solche wie Sexualmorde und Kindstötungen, wächst das Bedürfnis, diesem Anstieg mittels der (meist nur vermeintlich) abschreckenden Wirkung härterer Strafen zu begegnen. Die kognitive Komponente (= die Einschätzung, dass die Anzahl an Straftaten steigt) scheint schwerer zu wiegen als die emotionale Komponente in Form des sinkenden Bedrohungsgefühls, Opfer einer Straftat zu werden. Dies zu Grunde gelegt erscheint es möglich, dass die mit der Novellierung erfolgte Gesetzesverschärfung zur Stabilisierung der verunsicherten Gesellschaft mittels Befriedigung des Punitivitätsbedürfnisses beitrug. Freilich besitzt die durch den Gesetzgebungsprozess erfolgte Thematisierung des Gewaltthemas auf der anderen Seite das Potential, die gesellschaftliche Wahrnehmung verstärkt auf furcht stehen vermutlich weniger mit sich ändernden materiellen und sozialen Lebensbedingungen im Zusammenhang als vielmehr mit Bedeutungsverschiebungen in der Wahrnehmung sozialer Probleme wie Arbeitslosigkeit, Krieg und Kriminalität.“ Die veränderte Wahrnehmung eines Themas innerhalb einer Gesellschaft beruht ihrerseits wiederum auf bestimmten Umständen, seien es einprägsame Ereignisse oder aus anderen Gründen veränderte Lebensbedingungen. Die allgemeinen Lebensbedingungen, soziale Probleme und deren Wahrnehmung lassen sich jedenfalls nicht ohne weiteres voneinander trennen, sodass es keinen Unterschied macht, ob auf die Bedingungen selbst oder deren Wahrnehmung abgestellt wird. 211 Hirtenlehner/Hummelsheim, Viktimisierungsbefragungen in Deutschland Band 1, S. 463. 212 R+V-Studie „Die Ängste der Deutschen“, Grafik: Die sieben größten Ängste 1992 bis 2021.
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diese Thematik aufmerksam zu machen und dadurch das Bedrohungsgefühl zu verstärken. Dazu an anderer Stelle.213 Darüber hinaus reiht sich das 52. Änderungsgesetz durch die Opferfokussierung, womöglich unbeabsichtigt, in einen gesetzgeberischen Trend ein, der das Potential besitzt, stabilisierend auf die Bevölkerung zu wirken. Damit ist nicht ausgeschlossen, dass es zumindest kurzfristig positiv auf die Gesellschaft wirken konnte, wenn auch nicht in der vordergründig beabsichtigten Weise. Für die Einordnung als „kriminalpolitisch rational“ spricht jedoch insbesondere, dass das Gesetz große Zustimmung in den Kreisen der Polizei erfuhr. Das Signal des Respekts und der Wertschätzung kam bei den vom Gesetzgebungsakt adressierten Personen an. Da die empfundene Wertschätzung und der Respekt mitentscheidend für die Zufriedenheit der Polizist:innen ist,214 ist auch nicht gänzlich ausgeschlossen, dass das Gesetz diese zumindest vorübergehend215 verbesserte. Das Änderungsgesetz lässt sich daher als politisch rational und gleichzeitig als juristisch irrational begreifen.
III. Gefahren symbolischer Normen im Bereich des Widerstandsstrafrechts Trotz der Rationalität aus politischer Sicht sprechen viele Gründe dafür, das Strafrecht nicht als Symbol zum „Zeichen setzen“ einzusetzen. Im folgenden Abschnitt werden die Gründe beleuchtet, die gegen symbolische Vorschriften im Bereich jener strafrechtlichen Vorschriften sprechen, die das Verhältnis zwischen Polizei und Individuum regeln. 1. Verdrängung zu Grunde liegender Probleme Zum einen ist zu befürchten, dass die Ursachen der Gewalt oder der den Polizist:innen entgegengebrachten Aufmüpfigkeiten aus dem Blick geraten könnten und der Einsatz dieses schärfsten Sanktionsinstruments, dem Strafrecht, das Nachdenken über andere, wirkungsvollere Methoden, verhindert.216 Mit dem Er213 D. III. 2. Verfestigung von Fehlvorstellungen in ohnehin verunsicherter Gesellschaft. 214 Vgl. S. 237 f. 215 Eine langfristige Signalwirkung ist hingegen nicht zu erwarten. Die Ursachen dafür, weshalb sich die Polizist:innen zunehmend respektlosen Verhalten ausgesetzt sehen, sind nämlich gesellschaftlicher Natur (verändertes Verständnis von Gewalt, infrage stellende Gesellschaft, Ablegung der Angst gegenüber der Polizei als Institution), vgl. B. II. 1. a) Neuere gesellschaftliche Entwicklungen mit Auswirkungen auf die Polizeiarbeit und das Polizei-Individuum-Verhältnis und D. II. 2. b) dd) Irrelevanz des vermeintlichen Gewaltanstiegs für die Unzufriedenheit von Polizist:innen. 216 Prittwitz, StV 1991, 435, 441; Hassemer, StV 1995, 483, 485.
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lass eines Gesetzes wird die Problematik meist als abgearbeitet oder zumindest als angegangen betrachtet und verschwindet zunächst aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit. Das 52. Strafrechtsänderungsgesetz dient als Beleg, dass das im Koalitionsvertrag festgelegte Ziel des besseren Schutzes für Mitglieder der Polizeibehörden angegangen wurde, selbst wenn die für deren Zufriedenheit verantwortlichen strukturellen Defizite innerhalb der Institution sowie die gesellschaftlichen Probleme, die zur Besorgung und Gereiztheit der Bevölkerung führten, ungelöst blieben. Die Empörung über ansteigende Gewalt und steigende Kriminalität ist geeignet, instrumentalisiert zu werden, indem vermittelt wird, dass sich um das vermeintliche Problem „gekümmert“, die Sorgen der Bevölkerung „ernst genommen“ wurden.217 Nebenbei ist die Fokussierung und Dramatisierung des Themas Gewalt gegen Vollstreckungspersonen geeignet, das Innenressort von finanziellen Streichungen zu verschonen. In dieser Sorge vor weiteren Kürzungen, welche die Arbeitssituation der verbeamteten Personen verschlechtern könnten, sind Gewerkschaften und das Innenministerium vereint.218 Orientiert an der tendenziell sinkenden registrierten Kriminalitätsentwicklung in Deutschland219 wären Sparmaßnahmen ansonsten nicht ungewöhnlich. Diese Herangehensweise ist nicht nachhaltig. Der meist kurzweilige Enthusiasmus über die Maßnahme verblasst spätestens, wenn die Thematik erneut für Schlagzeilen sorgt. Das ist dem symbolischen Strafrecht immanent, schließlich ist dessen Ineffektivität hinsichtlich der Lösung des Grundproblems charakteristisch. 2. Verfestigung von Fehlvorstellungen in ohnehin verunsicherter Gesellschaft Es ist sogar zu befürchten, dass die Fokussierung auf das Thema der vermeintlich steigenden Gewalt in der Öffentlichkeit auf eine Gesellschaft, die ohnehin davon ausgeht, in einer gefährlicheren Welt zu leben, als sie es in Wirklichkeit tut,220 einen zusätzlichen Schaden anrichtet. Durch die Präsenz des Themas in politischen Diskussionen und damit auch in der öffentlichen Berichterstattung besteht die Gefahr, dass die Bevölkerung weiter sensibilisiert und ängstlicher wird.221
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Vgl. z. B. Steinbach, S. 39. Haupt, FAZ vom 24.02.2013, abrufbar unter: https://www.faz.net/aktuell/politik/ inland/gewalt-gegen-polizisten-heule-heule-gaenschen-12092159.html?printPagedArticle =true#pageIndex_2 (zuletzt abgerufen am 05.04.2021). 219 Vgl. B. II. 1. b) Entwicklung der Kriminalitätsfurcht. 220 Vgl. B. II. 1. b) Entwicklung der Kriminalitätsfurcht. 221 Anastasopoulou, S. 226. 218
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Skandalisierung, Vereinfachung und Überrepräsentation bleiben nicht folgenlos. Darauf deutet bereits die vorgestellte Untersuchung hin, in der ein Zusammenhang zwischen dem Konsum wenig anspruchsvoller Medien und dem Umfang der Fehleinschätzung zwischen wahrgenommener und tatsächlicher Kriminalitätsentwicklung festgestellt wurde.222 Die Einschätzung der Wirklichkeit wird auch dadurch erschwert, dass die Abgrenzung zwischen Fiktion und Realität in den Medien (auch in den qualitativ anspruchsvolleren) teils erschwert ist.223 Es ist nahezu unbestritten, dass die Berichterstattung über Gewalt, nicht nur gegen Polizist:innen gerichtete, eine eigene Wirklichkeit konstruiert. Gewaltdelikte und Kapitaldelikte werden überschätzt, einfache Diebstähle am anderen Ende des Spektrums hingegen zum Beispiel unterschätzt.224 Verzerrende Berichterstattung über Gewalt kann daher als mitverantwortlich für die subjektiv steigende Kriminalitätsbelastung gesehen werden.225 Darüber hinaus bietet sie eine Erklärungsmöglichkeit, weshalb den Erkenntnissen einer Befragung zufolge die meisten Personen der Fehlvorstellung unterliegen, dass die objektive Kriminalitätsbelastung allgemein steigt, während sie diese Einschätzung nach der eigenen Nachbarschaft oder Stadt befragt, nicht teilen.226 Dort findet offenbar eine Korrektur durch die eigenen Erfahrungen statt,227 durch welche die Dramatisierungen besser durchschaut werden können. Viele Menschen entwickeln allmählich ein besseres Verständnis für Medien oder besitzen ein solches bereits.228 Die Hysterisierung der Themen Gewalt und Sicherheit ist ein aktuelles gesellschaftliches Phänomen, auf das die Politik Einfluss nehmen kann. Sie kann ihren Teil dazu beitragen, dieser durch Aufklärung entgegenzuwirken oder es durch weitere (Bekämpfungs-)Gesetze und häufige Thematisierung zu befeuern. 3. Einseitige Diskursverschiebung zu Gunsten der Polizei Gleichzeitig wirkt der Gesetzgebungsakt auf das Interaktionsgeschehen zwischen Polizei und Individuum ein. Durch den Wegfall begrenzender Tatbestandsmerkmale wie der Vollstreckungshandlung oder der Verwendungsabsicht wird das Spannungsverhältnis in diesen Konfliktsituationen einseitig zu Gunsten der
222 Windzio/Simonson, Kriminalitätswahrnehmung und Punitivität in der Bevölkerung – Welche Rolle spielen die Massenmedien?, S. 22 ff. 223 Vgl. etwa Fischer, Über das Strafen, S. 83. Zu denken ist hier an die zahlreichen true-crime-Podcasts, -Serien und -Dokumentationen, die sich steigender Beliebtheit erfreuen. 224 Lüdemann/Ohlemacher, S. 190. 225 Vgl. S. 223 f.; Prittwitz, Arbeitspapier Nr. 12/2016, Kriminalpolitik in Zeiten wie diesen, Rn. 12. 226 Kerner, S. 92 ff. 227 Vgl. Lüdemann/Ohlemacher, S. 192. 228 Vgl. Fischer, Über das Strafen, S. 81.
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Polizeibediensteten verschoben.229 Dadurch wird deren Deutungshoheit verstärkt, also die Beurteilung, ob der Tatbestand erfüllt ist und damit einhergehend auch, welche justiziellen Folgen drohen.230 Auch die Rechtsfolgenseite spielt dabei eine Rolle, denn stark bestrafende Widerstandsdelikte treiben die Einteilung in „gut“ und „böse“, „Täter:in“ und „Opfer“ voran. Einseitige Berichterstattung verstärkt diesen Effekt zusätzlich, wenn etwa Gewalt gegen Polizist:innen als Alltagssituation dargestellt wird, während Fehlverhalten der Gegenseite seltener thematisiert wird231 oder wenn in Kampagnen232 den Polizeimitgliedern Opferrollen zugeschrieben werden.233 Diese pauschale Einteilung kann mehrere problematische Entwicklungen nach sich ziehen: Zum einen kann die Einteilung zu einer (weiteren) Entfremdung zwischen der Polizei und solchen Personengruppen führen, mit denen diese häufig in Kontakt gerät, wodurch das Spannungsverhältnis weiter belastet werden würde.234 Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass mögliches Fehlverhalten von Seiten der Polizei in den Hintergrund tritt235, was durch die Fokussierung auf den vermeintlichen Gewaltanstieg gegenüber Mitgliedern der Polizeibehörden im Übrigen verstärkt wird. Die Infragestellung konkreter polizeilicher Maßnahmen oder sogar bereits die Infragestellung der Ausgestaltung der Vorschriften zum Schutz der Vollstreckungsbeamt:innen wird, wenn von solchen Freund-FeindDenkmustern ausgegangen wird, leicht als Kritik an der gesamten Institution missverstanden und erschwert damit Diskussionen in dem Bereich.236 Die Betonung der Opferrolle lässt die Institution darüber hinaus im Allgemeinen menschlicher wirken, was dazu führt, dass die Kritik an ihr gehemmt wird.237 Die Verschiebung der Deutungshoheit zu Gunsten der Polizei ist auch vor dem Hintergrund bedenklich, dass Anzeigen nach § 113 StGB potentiell eine
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Vgl. Zöller, Stellungnahme LT Rheinland-Pfalz Drs. 16/5569, S. 10. Puschke/Rienhoff, JZ 2017, 924, 928. 231 Puschke, NK 2014, 28, 28. 232 JUNGE GRUPPE (GdP), Kampagne „Auch Mensch“ http://www.auchmensch. de/assets/downloads/AuchMensch2017_Die_Kampagne.pdf (zuletzt abgerufen: 02.12. 2021). 233 Dieser Trend ist in jüngster Zeit zumindest abgeflacht. Die Polizei wird aktuell vermehrt mit potentiellem Fehlverhalten konfrontiert und stellt sich dem vereinzelt. Als Beispiel ist der ehemalige Polizeipräsident und Staatssekretär im Ministerium des Inneren und für Kommunales Brandenburg Klaus Kandt zu nennen, der 2015 aus der GdP austrat, weil diese sich aus seiner Sicht zu wenig mit der rechtspopulistischen Vergangenheit des Vorstandsmitglieds und Pressesprechers Steve Feldmann beschäftigte, Plarre, TAZ.Berlin, abrufbar unter https://taz.de/Gewerkschaft-der-Polizei/!5013793/ (zuletzt abgerufen am 03.12.2021). 234 Kraushaar/Behr, in: Polizei und Politik, S. 72. 235 Vgl. Puschke, NK 2014, 28, 38 f.; Puschke, FS für Ulrich Eisenberg, S. 164. 236 Puschke/Rienhoff, JZ 2017, 924, 928. 237 Behr, FS für Helga Cremer-Schäfer, S. 221. 230
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Reaktion auf eine Anzeige nach § 340 StGB darstellen können. Sie können eine rechtfertigende, legitimierende und prophylaktische Funktion haben238 oder ein Mittel zur Wiederherstellung von wahrgenommenem fehlenden Respekt sein. Schließlich werden die Widerstandsdelikte als Ausdruck von Missachtung oder Infragestellung der eigenen Person oder des Staates verstanden.239 Falschanzeigen können selbstverständlich gleichermaßen von der Gegenseite eingesetzt werden, weshalb immer das Spannungsverhältnis im Polizei-Individuum-Kontext zu beachten ist. Keineswegs soll hier nur einer Seite die Verwendung dieses „Verteidigungsmittels“ pauschal unterstellt werden. Dennoch ist zu beachten, dass es sich in der Praxis meist für die (nichtpolizeiliche) Gegenpartei negativ auswirkt, wenn eine Anzeige nach § 340 StGB einer Anzeige nach § 113 StGB entgegensteht.240 Gänzlich ausgeschlossen ist es jedenfalls nicht, dass von dieser Möglichkeit in Einzelfällen Gebrauch gemacht wurde.241 4. Einbuße an staatlicher Autorität und Glaubwürdigkeit Bei der Umsetzung eines symbolischen Gesetzes setzt der Staat immer auch seine Glaubwürdigkeit aufs Spiel: Löst sich Recht in politischen Formeln auf wird es nicht mehr ernst genommen.242 Wird das schärfste Schwert des Staates etwa bereits eingesetzt, um gegen eine Bagatelle wie einen leichten Schubser oder das Schlagen der Mütze vom Kopf einer Vollstreckungsperson vorzugehen, verwässert dies den Schutz vor gravierenden Verletzungshandlungen.243 Selbstverständlich sind bereits diese schwachen Formen des Widerstands als Respektlosigkeiten moralisch zu verurteilen, doch das Strafrecht ist ein tief in der Gesellschaft verankertes generelles, das heißt von höchstpersönlichen Interessen losgelöstes, System zur Abgrenzung von „richtig“ und „falsch“.244 Seine Ausweitung auf derartige Handlungen kann daher weitreichende Folgen haben. Betroffene könnten die harte Sanktion gegen zum Teil schlichte Respektlosigkeiten für überzogen halten, was ihr Vertrauen in den Rechtsstaat beschädigen könnte. Langfristig funktioniert der Staat nur, wenn sich die Staatsangehörigen mit ihm identifizieren können. Er muss sich dem Individuum gegenüber immer wieder legiti238
Singelnstein/Puschke, NJW 2011, 3473, 3476; Zöller, ZIS 2015, 445, 454. Naplava, in: Polizei in Staat und Gesellschaft, S. 173. 240 Leipold/Tsambikakis/Zöller/Barton, StGB, § 113 Rn. 4. 241 Die Zahlen über die Häufigkeit schwanken. Teilweise wird von Einzelfällen gesprochen, teilweise wird davon ausgegangen, mehr als die Hälfte der Widerstandsanzeigen seien prophylaktisch, Messer, S. 231, teilweise ist die Rede von einem „nicht unbeträchtlichen Anteil der Anzeigen wegen § 113“, Puschke, FS für Ulrich Eisenberg, S. 164. 242 Fischer, Über das Strafen, S. 365. 243 Vgl. Herzog, S. 71 mit Beispielen aus dem Umweltstrafrecht; zu den genannten Beispielen bezogen auf das Polizei-Individuum-Verhältnis siehe S. 111 ff. 244 Fischer, Über das Strafen, S. 271. 239
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mieren.245 Schließlich überträgt das Volk als Souverän, ausgehend vom aus der Aufklärung entstammenden staatstheoretischen Modell, das dem Grundgesetz zu Grunde liegt, die Strafgewalt dem Staat unter der Prämisse, dass diese zum Schutz seiner Freiheiten und Rechte ausgeübt werden. Es geht allein um den Rechtsgüterschutz, zur Durchsetzung bestimmter Moralvorstellungen oder Ideologien ist der Staat nicht berechtigt.246 Ließe sich durch das Strafrecht jedes beliebige Ziel schützen, käme das einem Freibrief für Eingriffe in die Freiheit Einzelner gleich,247 dabei ist für den Rechtsstaat kennzeichnend, dass diesem Grenzen gesetzt werden. Es bestünde die Gefahr eines Verfalls in ein Gesinnungsstrafrecht.248 Auf der anderen Seite muss reflektiert werden, ob das Recht nicht auch gewissen Trends folgen muss, um seine Legitimation zu wahren.249 Unter diesem Gesichtspunkt erscheint nicht ausgeschlossen, dass sich das Strafrecht dem Trend der für Gewalt sensibler werdenden Gesellschaft anpasst und immer weniger intensive Handlungsweisen in den Bereich strafbaren Verhaltens einbezieht oder diese strenger sanktioniert. Schließlich spiegelt das Recht aktuelle Wertevorstellungen wider. Anpassung an gesellschaftliche Veränderungen muss und soll allerdings nicht in Form von blinder Nacheiferung geschehen. Modernisierungen sollten das Strafrecht bereichern und es näher an die Praxis rücken.250 Dazu gehört auch, dass die Kriminalpolitik die Grundrechte schont und sich auf schwere gesellschaftliche Verfehlungen konzentriert, mithin die ultima ratio-Funktion berücksichtigt wird.251 Diese wird missachtet, wenn jegliches unerwünschte Verhalten mit den Mitteln des Strafrechts geahndet wird. Außerhalb des Strafrechts existieren zahlreiche andere, zum Teil geeignetere Sanktionsmöglichkeiten, zum Beispiel mithilfe des Ordnungswidrigkeitenrechts oder zivilrechtlicher Haftungstatbestände.252 Auf diese Möglichkeiten muss zunächst zurückgegriffen werden, um die Autorität des Strafrechts als staatliches Sanktionsinstrument für die äußersten Verfehlungen menschlichen Verhaltens aufrechtzuerhalten.
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Fliedner, S. 56. Roxin, StV 2009, 544, 545. 247 Roxin, StV 2009, 544, 545. 248 Beste/Wagner, KrimJ 1991, 24, 30. 249 Diese Frage wurde Thomas Fischer in einem Interview gestellt, Thomas Fischer, Amos, Legal Tribune Online vom 31.10.2016, abrufbar unter https://www.lto.de/recht/ hintergruende/h/sexualstrafrecht-reform-elisa-hoven-thmoas-fischer/ (zuletzt abgerufen am 03.12.2021). 250 Hassemer, StV 1995, 483, 486. 251 Hassemer, StV 1995, 483, 488. 252 Vgl. Interview mit Thomas Fischer, Amos, Legal Tribune Online vom 31.10.2016, https://www.lto.de/recht /hintergruende/h/sexualstrafrecht-reform-elisa-hoven-thomasfischer/ (zuletzt abgerufen am 03.12.2021) und eingehender zu außerstrafrechtlichen Alternativen unter D. IV. Exkurs: Außerstrafrechtliche Alternativen. 246
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Die polizeiliche beziehungsweise die staatliche Autorität wird auch durch die Vermenschlichung des „ausführenden Arms“ des Staates gefährdet. Durch die Vermenschlichung des Gewaltmonopols wird das (wie aus den „Ängsten der Deutschen“ hervorgeht)253 ohnehin bereits angegriffene Vertrauen in den Staat, seinen vielfältigen Aufgaben gewachsen zu sein, weiter geschwächt. Die Strategie zielt auf die Erregung von Mitleid für die den Staat vertretenden Personen ab und stärkt dadurch den Inter-Rollenkonflikt, in dem sich Mitglieder der Polizeibehörden als Repräsentant:innen des staatlichen Gewaltmonopols und gleichzeitig als verwundbare Menschen bewegen. Darüber hinaus überträgt sich das erzeugte Mitleid darauf, was die Vertreter:innen repräsentieren: den Staat. Das prinzipiell angestrebte Bild des starken, selbstbewussten Staates kann dadurch konterkariert werden.254 Verstärkend kommt hinzu, dass sich die gesetzgeberische Haltung im Hinblick auf die Entwicklung des § 113 StGB im Verhältnis zur Nötigung nach § 240 StGB in den letzten Jahren durch einen Schlingerkurs auszeichnet. Seit der Zeit des Nationalsozialismus wurde, ursprünglich aus einem Versehen heraus, ein verständnisvoller Weg zu Gunsten der Angreifenden verfolgt, die Regelungen waren für diese als Privilegierung ausgestaltet. Lange Zeit später wurde die Privilegierung mit dem 44. Strafrechtsänderungsgesetz rückgängig gemacht, um sie nur sechs Jahre später ins Gegenteil zu verkehren und als Strafverschärfung im Verhältnis zur Nötigung zu gestalten. Der Wechsel zwischen verstehendem und autoritärem Umgang wird teilweise als Hinweis auf eine Orientierungsschwäche verstanden.255 5. Totalitärer werdende Rechtsordnung Ein zusätzlicher wichtiger Grund, weshalb Moral nicht ohne weiteres in Strafrecht übersetzt werden darf, ist, dass dies im Extremfall eine totalitäre Rechtsordnung zur Folge hätte. Der historische Rückblick hat gezeigt, dass die Ursprünge der Widerstandsdelikte im Majestätsschutz liegen. Insofern ist ein Zusammenhang mit totalitären Denkmustern in den Vorschriften angelegt, auch wenn sie im Laufe der Jahrhunderte zunehmend liberalen Vorstellungen gewichen sind.256 Seit der Novellierung aus dem Jahr 2011 zeigt sich nunmehr tendenziell eine Abkehr von dieser Entwicklung. Die Legislative ist damit beauftragt, gerade nur die wesentlichen moralischen Regeln herauszufiltern und ins Strafrecht zu übersetzen, die eine wichtige gesell253 Die Sorge vor einer „Überforderung der Politiker“ gehört seit den 2000ern, mit Ausnahme des Jahres 2014, zu den sieben größten Ängsten der Deutschen, R+V-Studie „Die Ängste der Deutschen“, Grafik: Die sieben größten Ängste 1992 bis 2021. 254 Behr, Berliner Republik 03/2014, 60. 67. 255 Vgl. Bull, in: Polizei und Politik, S. 22. 256 Vgl. B. I. Ausgewählte Problempunkte des Widerstands gegen die Staatsgewalt im historischen Rückblick.
III. Gefahren symbolischer Normen im Bereich des Widerstandsstrafrechts
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schaftliche Funktion erfüllen.257 In Sachen Sicherheit und Gewalt werden in letzter Zeit allerdings immer mehr Regeln unter der Prämisse erlassen, anderenfalls könne die Sicherheit der Bevölkerung nicht mehr gewährleistet werden. Dem Streben der Gesellschaft nach Sicherheit und Gewaltlosigkeit begegnet die Legislative mit zunehmender Repression.258 Dadurch entsteht eine Negativ-Dynamik in der verunsicherten Gesellschaft, die ständig neue Gesetze fordert, ohne zu realisieren, dass diese nicht geeignet sind, die Problemursachen zu beheben. Diese Reaktion überrascht vor dem Hintergrund der ermittelten neueren gesellschaftlichen Entwicklungen nicht:259 Je mehr die Bindungswirkungen in einer Gesellschaft nachlassen, desto größer ist das Bedürfnis, Zusammenhalt mittels autoritärer Macht (= Gesetzen) zu erschaffen.260 Die Politik reagiert, wie gefordert, mit weiteren Gesetzen und folglich mit mehr Repression, welche die Verunsicherung mildert, allerdings höchstens kurzfristig, und nach kurzer Zeit neue Gesetze einfordert, wenn die Ungeeignetheit zu diesem Zwecke zu Tage tritt.261 Ein Teufelskreis fortschreitender Gesetzesproduktion entsteht. Und je mehr Sicherheit ein Staat gewährleistet, desto totalitärere Züge weist er auf.262 Diese Entwicklung muss kritisch hinterfragt werden. Das hohe Ansehen, das der Staat vor der Bevölkerung genießt, beruht nicht auf Macht- und Stärkedemonstrationen, sondern auf deren Verzicht.263 6. Gefährdung des Demokratieprinzips Typischerweise behandeln symbolische Gesetze Themen, die durch ihre öffentliche Präsenz und intensives Engagement beteiligter Gruppen großen politischen Druck ausübten.264 Auch den Sicherheitsbehörden kommt eine Dominanz im Gesetzgebungsprozess in Sachen innerer Sicherheit zu.265 Für das Demokratieprinzip birgt es allerdings Gefahren, wenn einzelne Interessengruppen massiv auf die gesetzgebende Instanz einwirken, um eine Gesetzesänderung zu ihren Gunsten zu erwirken. Um diesen Prozess der Mitgestaltung überschaubarer zu machen, existierte eine sog. Lobbyliste,266 auf der sämtliche Interessenverbände, die Interessen gegenüber dem Bundestag oder der Bundesregierung vertreten, festgehalten 257
Der Spiegel, 2014, Heft 32, 20, 22, Interview mit Thomas Fischer. Grundböck, in: Handbuch Polizeimanagement, S. 1042. 259 Vgl. B. II. 1. a) Neuere gesellschaftliche Entwicklungen mit Auswirkungen auf die Polizeiarbeit und das Polizei-Individuum-Verhältnis. 260 Fischer, Über das Strafen, S. 365. 261 Grundböck, in: Handbuch Polizeimanagement, S. 1042. 262 Vgl. Byungwoog, S. 35. 263 Frevel/Groß, in: Polizei und Politik, S. 73. 264 Steinbach, S. 155. 265 Katsarov, S. 50. 266 Offiziell unter dem Namen „Öffentliche Liste über die Registrierung von Verbänden und deren Vertretern“ firmierend, wurde diese mit dem Inkrafttreten des Lobbyregisters am 01.01.2022 abgelöst. Die Liste wird seitdem nicht mehr aktualisiert. 258
244
D. Bewertung: Zur Rationalität der Gesetzesänderung
sind. Dazu zählten im für die Novellierung relevanten Zeitpunkt unter anderem alle drei Polizeigewerkschaften und zahlreiche andere polizeinahe Verbände.267 Die Heranziehung von Interessengruppen ist der Regelfall im Gesetzgebungsverfahren, in einigen Fällen ist sie sogar vorgeschrieben, § 70 Abs. 1 S. 2 GO-BT. Problematisch wird die Mitwirkung erst, wenn sie überhandnimmt. In dem Fall überwacht und leitet nicht mehr der Bund die Behörde, sondern die Behörde den Bund (beziehungsweise das Land). Bei der Gesetzgebung im Bereich der inneren Sicherheit wird dieser verkehrte Zustand zum Teil angenommen. Durch den Praxisbezug und das Informationsmonopol wird von einer Vorbereitungsherrschaft der Polizei gesprochen.268 Fachleute aus der (Rechts-)Wissenschaft können sich gegen den bedeutenden Einfluss von Interessenvertreter:innen der Polizei häufig nicht durchsetzen. Das kann negative Auswirkungen auf die Gesetzgebung haben, denn die Polizei ist zwar besonders sachkundig im Zusammenhang mit dem Umgang mit Kriminalität, aber der Entwurf von Gesetzen ist nicht ihre originäre Aufgabe.269 Bei der 52. Novellierung des Strafgesetzbuches zeigte sich dieses Phänomen der Übergehung juristischen Sachverstands anhand der aufgezeigten dogmatischen Inkonsistenzen, insbesondere anhand der Streichung der Verwendungsabsicht beim gefährlichen Werkzeug. Hiervon rieten sämtliche Sachverständigen und andere Personen mit juristischem Hintergrundwissen dringend ab, dennoch wurde an dem Vorschlag festgehalten.270 Auch im Bereich der Taten des Widerstands gegen die Staatsgewalt deutet sich somit eine kriminalpolitische Fehlentwicklung271 an, bei der Wissenschaft und Politik auseinanderdriften. Dass ein von der Regierung eingebrachter Gesetzesentwurf trotz heftiger Kritik unverändert in das weitere Verfahren übergeht, ist kein Einzelfall. Nicht unbeteiligt an dieser Vorgehensweise ist die Praktik, welcher zufolge die Gesetzesentwürfe bereits vor der ersten Lesung von den zuständigen Personen mit den Interessenverbänden besprochen werden. Ohne politische Konsequenzen ist eine spätere Abänderung oft nicht mehr möglich, sodass die Entscheidung, ob und wie ein Entwurf umgesetzt wird, bereits vor den „Verhandlungen“ im Plenum feststeht.272 267
BAnz AT vom 19.05.2016 B1. Böhret, S. 16. 269 Beispielsweise sei an einen Vorschlag von Vorstandsmitgliedern der DPolG aus dem Jahr erinnert, nach dem in allen Fällen einer Körperverletzung mit Messern von Vorliegen eines Tötungsvorsatzes ausgegangen werden solle, aus Fischer, Über das Strafen, S. 269. 270 Siehe dazu eingehend C. IV. 1. § 113 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 StGB: Beisichführen einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs. 271 Andere sprechen von einem „kriminalpolitischen Nichtwissenwollen“, Heinrich/ Lange, in: Kriminalpolitik, S. 441. Auf diese Entwicklung wurde in der Literatur hauptsächlich im Bereich des Sexualstrafrechts aufmerksam gemacht, vgl. Kreuzer, KriPoZ 2020, 261, 264. 272 Mihalic, in: Handbuch Polizeimanagement, S. 71. 268
IV. Exkurs: Außerstrafrechtliche Alternativen
245
Besonders gefährdet ist das Demokratieprinzip, wenn Gesetzesentwürfe von den Interessengruppen selbst ausformuliert und über informelle Vorgespräche in die zuständigen Ministerien gelangen. An privat entwickelte Entwürfe sind strenge Maßstäbe anzulegen, insbesondere hinsichtlich der Transparenz.273 Die Einführung des § 114 StGB mit der Gesetzesänderung aus dem Jahr 2017 wird von der GdP als eigener Erfolg proklamiert, denn sie schlug bereits 2009 einen gesonderten Tatbestand für den tätlichen Angriff vor.274 In der saarländischen Entwurfsbegründung wurde sogar darauf hingewiesen, der eigene Entwurf sei am Vorschlag der GdP angelehnt.275 Deshalb besteht der Verdacht, dass auch das 52. Strafrechtsänderungsgesetz auf diesem privat entwickelten Entwurf beruhen könnte. Allerdings unterscheidet sich der Gesetzestext des § 114 Abs. 1 StGB zumindest teilweise vom Vorschlag der GdP, insbesondere war das Tatbestandsmerkmal „bei einer Diensthandlung“ nicht im Entwurf der GdP vorgesehen.276 Insofern ist der Entwurf der Gewerkschaft eher als Denkanstoß zu bewerten. Erhöhte Anforderungen an die Transparenz im Gesetzgebungsprozess waren daher nicht zu stellen. Dennoch sind die Gefahren, welche bei der Dominanz bestimmter Interessengruppen im Rahmen der Gesetzgebung auftreten können, nicht zu unterschätzen. Verfügt eine Institution über mehr Sachverstand, Zeit und womöglich finanzielle Mittel als das übergeordnete Ministerium, muss kritisch hinterfragt werden, wer die tatsächliche Kontrolle ausübt.277 Liegt diese bei einer bestimmten Interessengruppe, besteht die Gefahr, dass gesellschaftliche Probleme durch von dieser Gruppe vorgegebene Scheinlösungen übergangen oder auf Kosten weniger einflussreicher Personen durchgesetzt werden.
IV. Exkurs: Außerstrafrechtliche Alternativen „Kritisieren ist leicht, Bessermachen ist schwer“,278 wussten Gelehrte bereits vor über 2.000 Jahren. Aus dem Grund wird an dieser Stelle in der gebotenen Kürze auf Möglichkeiten außerhalb des Strafrechts hingewiesen, die womöglich langfristiger zur Verbesserung der Zufriedenheit von Polizist:innen geführt hätten oder geeigneter gewesen wären, deren Schutz zu verbessern. 273
Fliedner, S. 128. GdP Rheinland-Pfalz, Flugblatt vom 02.03.2017, https://www.gdp.de/gdp/gdprp. nsf/id/DE_Neuer-Straftatbestand-Angriff-auf-Vollstreckungsbeamte (zuletzt abgerufen am 03.12.2021). 275 GdP, § 115 StGB (neu) – Tätlicher Angriff auf einen Vollstreckungsbeamten, https://www.gdp.de/gdp/gdp.nsf/id/115stgb (zuletzt abgerufen am 02.12.2020). 276 Der Entwurf sah vor, tätliche Angriffe während der Ausübung des Dienstes oder in Beziehung auf den Dienst zu pönalisieren, GdP, § 115 StGB (neu) – Tätlicher Angriff auf einen Vollstreckungsbeamten, https://www.gdp.de/gdp/gdp.nsf/id/115stgb (zuletzt abgerufen am 02.12.2020). 277 Vgl. Katsarov, S. 51. 278 Apollodor, griechischer Gelehrter (zweites Jahrhundert v. Chr.). 274
246
D. Bewertung: Zur Rationalität der Gesetzesänderung
Hierbei sind Optionen denkbar, beispielsweise Schulungen und Verhaltenstrainings, die nicht nur auf physische Aspekte wie Selbstverteidigung ausgelegt sind, sondern auch die Sensibilität und Fähigkeiten in Deeskalationsangelegenheiten verbessern, insbesondere im Umgang mit alkoholisierten oder anderweitig berauschten Menschen. Auch eine Anpassung der Kommunikationsstrategie auf die Personengruppe, die typischerweise geneigter ist, der Polizei und dem Staat zu misstrauen, könnte helfen, Eskalation zu vermeiden.279 Denn Angriffe auf die Staatsgewalt rühren tendenziell eher aus einer besonderen Empfindlichkeit oder persönlichen Kränkung des Opfers her, als etwa aus einer generell polizeifeindlichen Einstellung.280 Zudem könnte an der Außendarstellung gearbeitet werden.281 Dabei sollte nicht an das Mitgefühl der Bevölkerung appelliert, sondern ein fähiges und freundliches Bild der Polizei und ihrer Bediensteten gezeigt werden. Schließlich ist das Vertrauen, das der Institution entgegengebracht wird, ihr größtes Kapital. Anknüpfend an den als zentrale Ursache für Unzufriedenheit unter Polizeibeamt:innen herausgearbeiteten Umstand, den Personalmangel, wäre auch eine Änderung der Aufgabenstruktur denkbar. Nachdem die personelle Unterbesetzung aus dem erweiterten Aufgabenspektrum und dem Zusammenspiel von Nachwuchsproblemen sowie der Pensionierungswelle herrührt, käme in Betracht, die Mitglieder der Institution durch eine Reduktion ihrer Aufgaben zu entlasten. Dieser Idee hat sich eine Expertenkommission im Auftrag des ehemaligen nordrhein-westfälischen Innenministers Ralf Jäger gewidmet. In dem im Jahr 2015 veröffentlich Abschlussbericht empfiehlt die Kommission, die überwiegend aus Mitgliedern der Polizeibehörden bestand, eine deutliche Reduzierung der Aufgaben der Polizei, um das Leistungsniveau trotz der demographischen Entwicklung aufrechterhalten zu können. Sie entwickelte einen Katalog nicht-genuiner polizeilicher Aufgaben, die aktuell von der Polizei übernommen werden, welche auf einen anderen Verwaltungsträger übertragen werden beziehungsweise für eine Privatisierung in Betracht kommen könnten. Die Polizei würde demzufolge unter anderem nicht mehr bei Ruhestörungen oder Bagatellunfällen ausrücken. Der Schutz von Moscheen, Synagogen oder Konsulaten könnte privaten Dienstleistern übertragen werden. Weitere Ressourcen würden geschont, wenn bei Fußballspielen Vereine für die Sicherheit sorgen müssten.282 Eine weitere Maßnahme, die womöglich für einen besseren Schutz der Individualrechtsgüter der Polizeimitglieder sorgen könnte, allerdings auch nicht un-
279 Vgl. bereits S. 223 und Behr, Berliner Republik 03/2014, 60, 66, sowie Behr, FS für Helga Cremer-Schäfer, S. 219. 280 Wegner/Heil/Schiemann, KrimOJ 01/2021, 40, 46. 281 Magnus, Stellungnahme zu BT-Drs. 18/11161, S. 9. 282 Ergebnisbericht der Expertenkommission, Bürgernahe Polizei – Den demographischen Wandel gestalten, S. 22.
IV. Exkurs: Außerstrafrechtliche Alternativen
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umstritten ist, sind Bodycams.283 Von ihnen geht nicht nur eine abschreckende Wirkung aus, sie können auch zu Beweiszwecken herangezogen werden. Die Kameras können mittels Knopfdrucks aktiviert werden und dokumentieren ab diesem Zeitpunkt die Situation. In Frankfurt am Main (Sachsenhausen) werden solche Kameras seit dem Jahr 2013 eingesetzt. An der Uniform befindet sich ein Hinweis auf die Videoüberwachung. Als Folge wurde ein Rückgang der Widerstandsdelikte um 37,5 % registriert.284 Diese Maßnahme könnte auch bei Feuerwehrleuten oder anderen Rettungskräften eingesetzt werden. Um dem Anliegen des Entgegenbringens von Respekt gerecht zu werden, wäre außerdem denkbar, die Belegschaft besser bei der Aufarbeitung zu unterstützen, sofern sie Opfer von Angriffen wurde. Die DPolG lobt das Vorgehen in Bayern, wo die vorgesetzte Dienstbehörde unter bestimmten Umständen Schmerzensgeldforderungen geschädigter Polizist:innen erfüllt. Art. 97 Abs. 2, 3 BayGB normiert, dass dies insbesondere bei Fällen möglich ist, in denen die Zahlung der schädigenden Person ausbleibt oder längere Zeit auf sich warten lässt. Außerdem könnte ein dienstlicher Rechtsschutz in Betracht gezogen werden, sodass der Staat beziehungsweise das Land gegebenenfalls als Nebenkläger im Prozess auftreten könnte.285 Zudem verdeutlichen eine bessere Bezahlung oder familienfreundlichere Arbeitszeiten Wertschätzung und Anerkennung für die Belegschaft.286 Die Covid-19-Pandemie zeigt anschaulich, dass reine Solidaritätsbekundungen ein Tropfen auf dem heißen Stein sind. Sie entschädigen nicht für die harte Arbeit, darauf haben etwa gleichsam viele Pflegekräfte, die in dieser Zeit besonders gefordert waren, deutlich hingewiesen.287 Die Diskussion in der Öffentlichkeit über rechte Tendenzen innerhalb der Institution könnte gegebenenfalls im Wege der Aufklärung abgeschwächt werden. Mittels einer offiziellen Bundestags-Petition hatten jüngst über 76.000 Menschen288 institutionelle Problemanalysen als Reaktion auf die zunehmenden Beiträge zu dieser Thematik gefordert. Dadurch könnten nicht nur etwaige Missstände aufgedeckt, sondern auch vermeintliche Missstände als unwahr entkräftet werden. Dass eine von der Deutschen Hochschule der Polizei durchzuführende 283 Kritisch hierzu im Allgemeinen und auch im Detail zu den Ergebnissen des Frankfurter Pilotprojekts Lehmann, Stellungnahme LT Niedersachsen Drs. 18/850, S. 3, 6. 284 Vgl. Ebert, LKV 2017, 10, 12 f. 285 DPolG, Stellungnahme LT NRW Drs. 16/3427, S. 3. 286 Müller, Stellungnahme zu BT-Drs. 18/11161, S. 14. 287 Siehe z. B. WELT, Onlineartikel vom 28.03.2020, https://www.welt.de/vermisch tes/article206863437/Krankenschwester-in-Berlin-Euren-Applaus-koennt-ihr-euch-sonst wohin-stecken.html (zuletzt abgerufen am 03.12.2021). 288 Petition 113349, Durchführung einer Studie zum Racial Profiling bei den Polizeibehörden des Bundes/der Bundesländer vom 06.07.2020, Deutscher Bundestag, https:// epetitionen.bundestag.de /content/ petitionen/ _2020 /_07/_06/Petition_113349.nc.html (zuletzt abgerufen am 15.04.2022).
248
D. Bewertung: Zur Rationalität der Gesetzesänderung
Studie, wie die Ende 2020 vom Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat in Auftrag gegebene „MEGAVO“ – „Motivation, Einstellung und Gewalt im Alltag von Polizeivollzugsbeamten“ 289, durch ihre offensichtliche Verbindung zur Polizei für die Aufdeckung etwaiger institutioneller Defizite ebendieser Institution möglicherweise nur bedingt geeignet sein könnte, wird zu Recht in Betracht gezogen.290 Die angesprochenen Maßnahmen wären allesamt milder als die erneute Veränderung des Strafgesetzbuches gewesen und voraussichtlich auch geeigneter, die Ursachen für die Unzufriedenheit der Belegschaft langfristiger abzumildern.
V. Zwischenfazit Das 52. Strafrechtsänderungsgesetz ist zu einem großen Teil als symbolischer Gesetzgebungsakt zu werten. Zu dem in erster Linie beabsichtigten besseren Rechtsgüterschutz ist die Gesetzesänderung nicht geeignet, weshalb die Bestimmung des geschützten Rechtsguts bei den §§ 113 ff. StGB, insbesondere bei § 114 StGB, schwerfällt. Die Verschärfung des strafrechtlichen Schutzes von Vollstreckungsbeamt:innen über die §§ 113 ff. StGB verbessert weder deren physischen noch deren psychischen Schutz. Mit diesem Ausdruck des guten Willens wurde Politik betrieben, die auf juristisch-dogmatischer Ebene nicht überzeugt. Die Vorschriften sind zum Teil nicht erforderlich, fügen sich nicht widerspruchsfrei in die Systematik des Strafgesetzbuches ein und werfen hinsichtlich des Gleichbehandlungsgebots zumindest Bedenken auf. Einem juristischen Rationalitätsgebot genügen die Änderungen daher größtenteils nicht. Jene Prinzipien müssen im Gesetzgebungsverfahren beachtet werden, auch wenn das Bundesverfassungsgericht entgegen dieser Vorgaben geschaffene Gesetze nicht in der Konsequenz für verfassungswidrig erklärt. Da der Gesetzgebungsakt die Adressat:innen erfolgreich angesprochen hat, Handlungsfähigkeit unter Beweis gestellt werden konnte und zumindest theoretisch die Möglichkeit bestand, dass die Punitivität und die Opferorientiertheit des Gesetzes geeignet war, gesellschaftsstabilisierende Auswirkungen zu besitzen, kann aus politischer Sicht von einem rationalen Schritt gesprochen werden. Langfristig betrachtet wird die Bewertung vermutlich anders ausfallen, denn symbolische Gesetzgebung führt nur scheinbar, oberflächlich und allenfalls kurzfristig zur Lösung von Problemen. Obwohl die tatsächlichen Problemursachen charakteristisch außen vorgelassen werden, besteht unter anderem die Gefahr, dass diese Ursachen fälschlicherweise als abgehandelt betrachtet werden und sich im Laufe der Zeit verfestigen. 289 Vgl. Schiemann, Projektskizze MEGAVO, https://www.polizeistudie.de/wp-con tent/uploads/megavo-projektskizze.pdf (zuletzt abgerufen am 15.04.2022). 290 Vgl. Tagesschau, Artikel vom 08.12.2020, https://www.tagesschau.de/inland/see hofer-polizei-studie-101.html (zuletzt abgerufen am 02.12.2021).
E. Ergebnis I. Zusammenfassung in Thesen 1. Der erste Teil der Untersuchung hat gezeigt, dass ein Großteil der Fragen, die auch im aktuellen Gesetzgebungsverfahren debattiert wurden, bereits seit vielen Jahrzehnten Gegenstand eines kontroversen Meinungsaustauschs sind. Darunter zählen insbesondere das Schutzgut, die Reichweite des Anwendungsbereichs und die Konkurrenzen. Wie diese Fragen im Laufe der Geschichte jeweils gelöst wurden, hing stark vom aktuellen Zeitgeschehen und den politischen Herrschaftsverhältnissen ab.1 An diese Tradition knüpft die jüngste Novellierung an: Sie gilt als durch die Ausschreitungen bei der Eröffnung der Europäischen Zentralbank in Frankfurt am Main (mit-)veranlasst und zeichnete sich durch ein besonders zügiges Gesetzgebungsverfahren aus, das gerade rechtzeitig vor Ende der Legislaturperiode durchlaufen wurde. 2. Die bedeutendste Änderung im Vergleich zur Vorgängerfassung liegt im neu geschaffenen § 114 StGB, der durch Herauslösung der Tatbegehungsform des tätlichen Angriffs aus § 113 StGB a. F. und dessen Überführung in § 114 StGB a. F. entstand. Im Gegensatz zu § 113 StGB verzichtet das novellierte Recht im Rahmen des tätlichen Angriffs auf den Bezug zur Vollstreckungshandlung und sieht einen erhöhten Strafrahmen vor. Die Regelbeispiele, die für den tätlichen Angriff nur gelten, wenn die Diensthandlung eine Vollstreckungshandlung darstellt, wurden um die gemeinschaftliche Tatbegehung erweitert. Beim Regelbeispiel betreffend die Tatmittel „Waffe“ und „gefährliches Werkzeug“ wurde die Verwendungsabsicht gestrichen.2 3. Einer der weitreichendsten Problempunkte, da bedeutsam im Rahmen sämtlicher anderer Diskussionspunkte, ist die Frage nach dem geschützten Rechtsgut der Tatbestände. Obwohl der Gesetzgebungsakt auf einen verstärkten Individualrechtsgüterschutz ausgerichtet war, verkomplizierte er die Rechtsgutsbestimmung im Rahmen der §§ 113 ff. StGB. Aufgrund ihrer Vagheit kommen weder das Gewaltmonopol des Staates noch die ungestörte Durchführung allgemeiner Diensthandlungen als taugliche Kollektivrechtsgüter in Betracht. Auch wichtige Angelegenheiten der Allgemeinheit stellen keine Rechtsgüter dar, wenn sie so weit 1 B. I. Ausgewählte Problempunkte des Widerstands gegen die Staatsgewalt im historischen Rückblick. 2 B. II. 4. Wesentliche Kritikpunkte an der Vorgängerfassung und Zusammenhang zu den Kritikpunkten an der aktuellen Fassung.
250
E. Ergebnis
sind, dass ihnen der Realitätsbezug fehlt. Schutzgut des neuen § 114 StGB ist in Anbetracht des Fehlens der Voraussetzung der Vollstreckungshandlung allein die körperliche Unversehrtheit der geschützten Personen. Für § 113 StGB ergab die Untersuchung, dass es bei einem doppelten Schutzzweck bleibt, bei dem der kollektive Zweck, die ungestörte Durchsetzung von Vollstreckungshandlungen, im Vordergrund steht. Die Tatbestände schützen damit seit Neuestem unterschiedliche Rechtsgüter.3 4. Aus diesem Grund kann für die Konkurrenzen beim tätlichen Angriff nicht schlicht auf § 113 StGB verwiesen werden. § 113 StGB stellt weiterhin eine Spezialvorschrift zur Nötigung nach § 240 StGB dar, allerdings wirkt sie nicht privilegierend. Ein dogmatischer Gewinn der Existenz einer Spezialvorschrift ohne erhöhte Strafandrohung lässt sich nicht ausmachen. Die plastische Hervorhebung als Spezialvorschrift dient wohl der Signalisierung des besonderen Unrechts, als welches gegen Vollstreckungspersonen gerichtete Handlungen von der gesetzgebenden Instanz einstuft werden. Bei § 114 StGB ist für das Verhältnis zur Nötigung die Klarstellungsfunktion der Tateinheit erforderlich, da die Vorschriften unterschiedliche Rechtsgüter schützen und der tätliche Angriff nur gegen den Körper gerichtet sein muss, während die Tathandlung bei § 240 StGB das Opfer erreicht haben muss. Als neuer Diskussionspunkt hinzugekommen ist mit der Novellierung das Verhältnis zwischen den §§ 113, 114 StGB. Die Tatbestände weisen große Überschneidungen auf, besitzen aber aufgrund der unterschiedlichen Schutzgüter im Falle ihrer Verletzung nicht zwingend den identischen Unrechtsgehalt. Sie stehen daher in Tateinheit zueinander.4 5. Dogmatische Unstimmigkeiten des § 114 StGB sind im Wege einer Neudefinition des tätlichen Angriffs abzumildern. So führt die Ergänzung der langjährigen Definition des Reichsgerichts um den Vorsatz bezüglich der Verletzungseignung zumindest in der Theorie zu einem eigenen Anwendungsbereich der Norm. Die darüberhinausgehende Anerkennung einer körperverletzenden Tendenz zur Verwirklichung des Tatbestandsmerkmals erleichtert die Abgrenzung zur Gewalt und bewirkt den Ausschluss enorm niederschwelliger Handlungen.5 6. Die an den Regelbeispielen vorgenommenen Veränderungen müssen als missglückt bezeichnet werden. Die Einbeziehung der gemeinschaftlichen Tatbegehung ist nicht erforderlich, da bei den gegen die Staatsgewalt gerichteten Taten in der weit überwiegenden Anzahl der Fälle im Alleingang agiert wird und im Übrigen ein unbenannter besonders schwerer Fall angenommen werden kann. Unverständlich ist die Streichung der Verwendungsabsicht für das Beisichführen 3 4 5
C. I. Schutzgüter der §§ 113 ff. StGB. C. III. Konsequenzen der Novellierung für das Konkurrenzverhältnis. C. II. Erforderlichkeit einer (Neu-)Definition des tätlichen Angriffs.
I. Zusammenfassung in Thesen
251
anderer gefährlicher Werkzeuge. Hierdurch wurden nicht nur die Auslegungsprobleme des § 244 Abs. 1 Nr. 1 a) StGB auf die §§ 113 ff. StGB übertragen, es wurde auch die Diskussion angestoßen, ob sich Rückschlüsse auf die Definition des gefährlichen Werkzeugs allgemein ziehen ließen. Somit breiteten sich die mit dem Gesetzgebungsakt in Zusammenhang stehenden Unsicherheiten auf sämtliche Vorschriften des Strafgesetzbuches aus, die dieses Tatbestandsmerkmal beinhalten. Die durch die Novellierung entstandene, nahezu nicht vorhandene Strafschärfung zwischen dem tätlichen Angriff mit und ohne Vorliegen eines besonders schweren Falls ist einzigartig im Strafgesetzbuch. Der dogmatische Zweck einer solchen Regelung ist nicht ersichtlich geworden.6 7. Die Erhöhung des Strafmaßes ist größtenteils ungeeignet für einen verbesserten Rechtsgüterschutz, insbesondere ist keine generalpräventive Wirkung zu erwarten. Das gilt in besonderem Maße für die Widerstandsdelikte, die aufgrund der konfliktgeladenen Situation meist im Affekt und unter Einfluss berauschender Mittel vorgenommen werden. Für den tätlichen Angriff hat die Erhöhung des Strafmaßes zudem systematische Unstimmigkeiten innerhalb wie auch außerhalb des Abschnitts aufgeworfen. Für Handlungen, die nicht einmal die Schwelle zur versuchten Körperverletzung erreicht haben, sieht der tätliche Angriff eine härtere Mindeststrafandrohung vor als § 223 StGB. Mit § 340 StGB teilt er sich die gleiche Strafandrohung, obwohl bei der Körperverletzung im Amt eine zusätzliche Rechtsverletzung begangen wird und ein Erfolg eingetreten sein muss. Der Erfolgseintritt sorgt auch im Rahmen des § 115 StGB für Unstimmigkeiten: So kann bei einem nicht behindernden tätlichen Angriff eine höhere Strafe anfallen als bei der Ausübung von die Rettungstätigkeit behindernder Gewalt.7 8. Die §§ 114, 115 StGB sind im Regelungskontext des 6. Abschnitts des Strafgesetzbuches verfehlt. § 115 Abs. 3 StGB schützt in keiner Weise die Durchsetzbarkeit staatlicher Vollstreckungsakte, zu deren Vornahme Rettungskräfte regelmäßig auch nicht befugt sind. Die Rechtsgüter der Hilfeleistenden und der in Not geratenen Personen stehen hier im Vordergrund. Auch thematisch wäre die Norm im Bereich der unterlassenen Hilfeleistung sinnvoller verortet.8 Beim tätlichen Angriff nach § 114 StGB handelt es sich um einen Sondertatbestand, der allein die körperliche Unversehrtheit von Polizist:innen, Soldat:innen und gleichgestellten Personen schützt. Nach der Herauslösung aus § 113 StGB hätte die Vorschrift daher in den Regelungskomplex der §§ 223 ff. StGB eingebracht werden müssen.9 6
C. IV. Veränderungen innerhalb der Regelbeispiele. C. VI. 1. Strafmaß. 8 C. VI. 3. Systematische Bedenken hinsichtlich des neuen § 115 StGB. 9 C. VI. 4. a) Alternative: Verortung des tätlichen Angriffs an einer anderen Stelle des Strafgesetzbuches. 7
252
E. Ergebnis
9. Die Untersuchung hat somit gezeigt, dass sich die Rationalität des Änderungsgesetzes jedenfalls nicht aus der juristischen Dogmatik ergibt, also nicht etwa daraus, dass Unstimmigkeiten behoben wurden, Schutzlücken geschlossen wurden oder auf sonstige Weise der Rechtsgüterschutz verbessert wurde. Als juristisch rational oder „gut“ kann das Änderungsgesetz daher nicht bezeichnet werden. 10. Allerdings können Gesetze ihre Rationalität auch aus anderen Gründen ableiten. Politisch rational kann etwa ein Gesetz sein, mit dem andere, etwa gesellschaftsstabilisierende Ziele verfolgt und erreicht werden. Die Vorschrift ist dann aus politischen Gründen rational, nicht aber aus juristischen.10 Die Frage nach der Rationalität ist nicht mit jener nach der Legitimität zu verwechseln. Für Letztere gelten nach hier vertretener Ansicht weniger strengere Voraussetzungen. Die Beurteilung, ob ein Gesetz eine Daseinsberechtigung aufweist, überlassen Gerichte in erster Linie der Legislative mit weitem Beurteilungsspielraum. Die Mindestanforderungen, welche die Verfassung insbesondere im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung vorgibt, werden nur in Ausnahmefällen als nicht erfüllt eingestuft und es ist unwahrscheinlich, dass die Gerichte diese hohen Anforderungen beim 52. Strafrechtsänderungsgesetz als gegeben erachten würden. 11. Ein politisches Ziel, das mit der Novellierung verfolgt wurde, war es, Polizist:innen ein Signal der Wertschätzung entgegenzubringen, um ihre Zufriedenheit zu steigern. Die Untersuchung hat einen besorgniserregenden Zufriedenheits- und Gesundheitszustand der Polizeibelegschaft offenbart. Studien deuten darauf hin, dass im Jahr 2010 ein vorläufiger Zufriedenheits-Tiefstand erreicht wurde, der sich in dem Zeitraum nach dem Erlass des 44. Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches im Gegensatz zum Gesundheitszustand verbesserte. Die Ergebnisse zur Verlaufskurve des Wohlbefindens nach dem Jahr 2017 lassen keine eindeutige Entwicklung erkennen.11 12. Die entscheidenden Faktoren für die (Un-)Zufriedenheit der Berufsgruppe sind in erster Linie die herausfordernden Arbeitsbedingungen, insbesondere der große Personalmangel und ein hohes Maß an psychischer Belastung. Ein weiterer, nicht unerheblich an der Zufriedenheit beteiligter Faktor ist die Einschätzung, die Polizeiarbeit würde in der Bevölkerung nicht hinreichend wertgeschätzt. Eine eher unbedeutende Rolle für das Wohlbefinden der Mitglieder der Polizeibehörden spielen Gewalterfahrungen. Der im Rahmen des Gesetzgebungsverfahren oft genannte drastische Gewaltanstieg konnte nicht belegt werden. Eine Erklärung für diese vermeintliche Entwicklung ist das gesamtgesellschaftlich gewandelte Gewaltverständnis und Veränderungen im Umgang mit Gewalt.12 10 11
D. I. Anforderungen an ein rationales Gesetz und Kriterien „guter Gesetzgebung“. D. II. 2. b) aa) Zufriedenheits- und Gesundheitszustand innerhalb der Polizei.
I. Zusammenfassung in Thesen
253
13. Die Gesetzesänderung war folglich nicht geeignet, die der Unzufriedenheit zu Grunde liegenden Probleme, die insbesondere in den herausfordernden Arbeitsbedingungen liegen, langfristig zu lösen. Allerdings wurde ein Signal der Wertschätzung gesendet, mit dem zwar auch ein Zufriedenheitsfaktor stimuliert wurde, jedoch keinesfalls auf nachhaltige Weise. Der dieser Arbeit zu Grunde liegende Gesetzgebungsakt muss daher als größtenteils symbolisch eingestuft werden. 14. Dieses Symbol, das „Zeichen“ der Wertschätzung, ist gleichzeitig die Hauptursache dafür, weshalb das Gesetz als politisch rational einzustufen ist. Denn es wurde in den Kreisen der Polizei sehr begrüßt und kann bereits vor diesem Gesichtspunkt als politischer Erfolg gewertet werden. Außerdem konnte die gesetzgebende Instanz ihre Handlungsfähigkeit unter Beweis stellen und es erscheint zumindest möglich, dass die mit der Novellierung erfolgte Gesetzesverschärfung zur Stabilisierung der Gesellschaft mittels Befriedigung des Punitivitätsbedürfnisses beitrug.13 Auf die Entwicklung der Kriminalitätsfurcht haben sich diese hypothetischen gesellschaftlichen Stabilisierungsmechanismen zumindest nicht messbar ausgewirkt. Sie wird hauptsächlich von gesellschaftlichen Trends beeinflusst, wie sich auch im Zeitraum um die Novellierungen zeigte: Trotz eines generellen Abwärtstrends schien die Kriminalitätsfurcht in den entscheidenden Jahren vor beiden Novellierungen eine Hochphase zu erleben. Diese Peaks fielen in den Zeitraum besonderer gesellschaftlicher Krisensituationen und sind, wie sich herausstellte, wohl auch auf diese zurückzuführen.14 15. Symbolische Gesetze sind aus juristischer Sicht Paradebeispiele für das, was gemeinhin als schlechte Gesetzgebung gilt, da sie nur zu Scheinlösungen führen und die ultima ratio-Funktion des Strafrechts missachten. Aus politischer Sicht kann das Setzen eines Zeichens hingegen sinnvoll und damit gut/rational sein. Beim 52. Änderungsgesetz treffen beide Punkte zu: Aus juristisch-dogmatischer Sicht handelt es sich um einen symbolischen Gesetzgebungsakt, der sich nicht ohne Widersprüche in die Dogmatik des 6. Abschnitts des Strafgesetzbuches einfügt. Aus politischer Sicht stellte er eine Maßnahme zur Entgegenbringung von Respekt und Wertschätzung an die Polizei sowie zur Demonstration von Handlungsfähigkeit und staatlicher Autorität dar und kann daher zumindest auf kurze Sicht als politisch sinnvolle Maßnahme eingeschätzt werden.15 12 D. II. 2. b) dd) Irrelevanz des vermeintlichen Gewaltanstiegs für die Unzufriedenheit von Polizist:innen. 13 D. II. 3. Einordnung des 52. Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches in Bezug auf dessen kriminalpolitische Rationalität. 14 B. II. 1. b) Entwicklung der Kriminalitätsfurcht. 15 D. II. 3. Einordnung des 52. Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches in Bezug auf dessen kriminalpolitische Rationalität.
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E. Ergebnis
II. Schlussfolgerungen Welche dogmatischen Probleme beinhalten die §§ 113, 114, 115 StGB seit der Novellierung und wie konnte es trotz dieser Defizite zur Verabschiedung des Gesetzes kommen?, lautete die eingangs gestellte Leitfrage dieser Arbeit. Die Bearbeitung hat die neu aufgeworfenen Probleme umfassend behandelt und ergeben, dass die aktuelle Gesetzeslage im Vergleich mit der Vorgängerfassung keine Verbesserung der Rechtslage bedeutet. Der Grund, wie es dennoch zur Verabschiedung des Gesetzes kommen konnte, auf dessen dogmatische Defizite bereits frühzeitig von verschiedensten Expert:innen hingewiesen wurden, ist gleichzeitig deren Ursache: Es handelt sich um ein Gesetz, das nicht hinreichend an den harten, klassischen Rationalitätsaspekten, wie dem besseren Rechtsgüterschutz, der Schließung von Strafbarkeitslücken oder der Lösung anderer juristischer Probleme ausgerichtet war, da es vorrangig politischen Zwecken dienen sollte. Der Gesetzgebungsprozess war geprägt von dem aktuellen Zeitgeschehen, die große Unzufriedenheit innerhalb der Polizei stand präsent im Raum und Gewerkschaften drängten auf die Umsetzung ihrer langjährigen Forderungen. Auf politischer Ebene konnten die Änderungen auf den ersten Blick überzeugen. Mit der Signalisierung von Respekt und Wertschätzung in Form eines besonderen Strafrechtsschutzes wurde ein wichtiger Zufriedenheitsfaktor stimuliert, womöglich ohne, dass sich die Verantwortlichen dessen aktiv bewusst waren. Doch symbolische Gesetze, also solche, die über das „Zeichen setzen“ hinaus wenig bewirken, sind nicht nur aus juristischer Sicht im Hinblick auf ihre Rationalität auf lange Sicht fraglich. Auch politisch gesehen ist eine andauernde Wirkung meist nicht zu erwarten, schließlich ist die Ineffektivität zur Lösung der zu Grunde liegenden Probleme charakteristisch für symbolische Gesetzgebung. Dies wurde im Regelungskontext der §§ 113 ff. StGB durch die Tatsache bestätigt, dass sechs Jahre vor dem 52. Strafrechtsänderungsgesetz eine Strafschärfung mit dem gleichen Ziel, sowohl vordergründig (= besserer Schutz) als auch betreffend die daran anknüpfenden Motive (= Respekt und Wertschätzung), vorgenommen wurde. Kurzfristig konnte der Schritt aus politischer Perspektive hingegen überzeugen. Die Novellierung und die damit einhergehende Diskussion um vermeintlich steigende Gewalt gegenüber Mitgliedern der Polizei birgt darüber hinaus die Gefahr, zu Diskursverschiebungen im spannungsbehafteten Polizei-Individuum-Verhältnis zu führen. Durch die Erweiterung des Schutzbereichs wird die existierende Deutungshoheit der Mitglieder der Polizei verstärkt und durch die zunehmende Betonung der Opferrolle ist nicht ausgeschlossen, dass polizeiliches Fehlverhalten in den Hintergrund geraten könnte. Diese Entwicklungen können das Verhältnis weiter belasten und auch gesamtgesellschaftlich betrachtet negative Folgen nach sich ziehen, indem Fehlvorstellungen im Gewaltkontext gefördert werden.
II. Schlussfolgerungen
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Sowohl auf strafrechtlicher, als auch auf politischer Ebene wären andere Vorgehensweisen sinnvoller gewesen. Auf politischer Ebene hätte die verdiente Wertschätzung auf wirkungsvollere Art ausgedrückt werden können, indem personell unterbesetzten Einheiten, hoher Arbeitsbelastung und familienunfreundlichen Arbeitszeiten mittels einer geeigneten und vorausschauenden Personalpolitik begegnet worden wäre. Auch monetäre Entlastungen wie eine bessere Vergütung oder Unterstützung bei arbeitsbezogenen Rechtsstreitigkeiten sind Mittel, mit denen ein Zeichen hätte gesetzt und die Arbeitssituation auf Dauer hätte verbessert werden können. Nicht umsonst wird gesagt, Kriminalpolitik dürfe kein Ersatz für Sozialpolitik sein.16 Darüber hinaus wäre eine andere strafrechtliche Ausgestaltung der Widerstandsdelikte wünschenswert gewesen. Die Dogmatik der §§ 113 ff. StGB hätte profitiert, wenn einige der im Gesetzgebungsverfahren geäußerten Vorschläge berücksichtigt worden wären, etwa die Einführung eines minderschweren Falls oder die Verortung des § 115 StGB im Regelungskomplex des § 323c StGB. Der zuverlässigste Weg, viele der angesprochenen Probleme und Widersprüche zu lösen, wäre die vollständige Abschaffung des § 114 StGB. Mit ihm wurde ein Sonderstrafrecht geschaffen, das sich nur unter Entstehung dogmatischer Widersprüche ins Strafgesetzbuch zwängen lässt. Das bestehende strafgesetzliche Instrumentarium ermöglicht eine angemessene Bestrafung, Regelungslücken oder ein schlagartiger Gewaltanstieg gegen verbeamtete Personen wären nicht zu erwarten. Aufgrund der zu befürchtenden, mit dieser Maßnahme verbundenen Signalwirkung handelt es sich aus kriminalpolitischer Sicht allerdings um einen kaum realisierbaren Schritt. Juristische Rationalität und politische Rationalität können sich folglich gegenseitig ausschließen. Insgesamt fällt das Fazit zur 52. Änderung des Strafgesetzbuches folglich ernüchternd aus. Das Änderungsgesetz reiht sich in eine Serie gleich mehrerer kriminalpolitischer Fehlentwicklungen ein, die sich in den letzten Jahren bemerkbar machten. Das ist zum einen der Trend der zunehmend punitiveren Gesetzgebung, bei der Strafrecht als prima statt ultima ratio eingesetzt wird. Zum anderen wurde reflexhaft auf ein Ereignis reagiert, das für öffentliche Empörung sorgte und schließlich wissenschaftliche Expertise zu Gunsten politischer Motive ignoriert. Letztlich bestätigen die Erkenntnisse: Das Strafrecht sollte nicht für symbolische Zwecke eingesetzt werden.
16 Hiesmayr, S. 27, sicher angelehnt an die bekannte Aussage Liszts, der zufolge Kriminalpolitik die beste und wirksamste Sozialpolitik sei, Liszt, S. 246.
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Stichwortverzeichnis Abgrenzungsprobleme 102 ff., 185, 192 f. Arbeitsbelastung 42 ff., 206 ff., 226, 255 Außerstrafrechtliche Alternativen 245 ff. Autorität 24, 32, 61, 73 ff., 116, 203, 240 ff. Bedrohungsgefühl 232, 236 Beleidigung 34 f., 88, 91 f., 114, 191 Berichterstattung siehe Medien Beruhigungshypothese 234 Besonders schwerer Fall siehe Regelbeispiele Beweisprobleme 149, 163 f., 181 Bodycams 247 Bundesgerichtshof 66, 76, 148, 152, 166 Bundeslagebild 161 f. Bundesverfassungsgericht 166, 198, 200 f. Burnout 205 ff. Chilling effect 156 Crimen maiestatis 22 f. Crimen vis 22 f., 35 Demokratieprinzip 119, 196, 243 ff. Demonstrationen 44, 156, 162 Deutungshoheit 239, 254 Diensthandlung 84, 86 Dienstunfähigkeit 53, 167 f. Digitalisierung 43 ff., 212 Diskursverschiebung 238 ff., 254 Dreistufentest 83 Drohen 104 ff., 109 ff., 118, 135 ff., 141, 176 f. Dunkelfeld 52 Ehre 87 f., 91 f. Empfindung – von Ablehnung 216 ff. – von Wertschätzung 236 ff.
Eskalationsgefahr 121, 146 f., 157, 160, 213, 246 Europäische Zentralbank (EZB) 57, 69, 203, 249 Expertenstellung 52, 62 Fürsorgepflicht 171 ff. GdP 51, 57 ff., 86, 186, 208, 213 ff., 218, 228, 245 Generalprävention 63, 229, 251 Gesellschaftliche Krisen 200, 230 ff., 253 Gesetzesbegründung 77 f., 84 ff., 91 f., 107, 119 ff., 146 ff., 157 ff. Gesetzgebungsverfahren 41 ff., 58 ff., 69, 165, 196 Gesundheitszustand 205 ff., 252, 205 ff. Gewalt – Anstieg 51 ff., 59, 219 ff. – Definition 102 ff. – Entwicklung siehe Anstieg Gewaltmonopol 73 f., 84, 94, 169, 184, 220, 242 Gewalttätigkeit 22, 106, 101 Gewerkschaften 51, 60 ff., 204, 227, 237, 254 Gleichheitsgebot 85, 151, 168 ff., 187, 191, 198 „Gute“ Gesetzgebung siehe Rationalität Handlungsfähigkeit 199 f., 203, 228 Helfer- bzw. Behinderungsalternative 96 ff., 99 Hellfeld 50, 52 Herrschaftsverhältnisse 41, 227, 249 Hessischer Gesetzesentwurf 173 f., 177 f., 187 ff.
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Stichwortverzeichnis
Innenministerium 61, 237, 246 Innere Sicherheit 44, 48, 52, 61, 215, 244 Inzest-Entscheidung 200 f. Irrtümer 64, 81, 86 f., 132, 181 f., 180, 186 Kommunikation 217, 222 f., 226, 246 Konjunktion 72, 81 Konsumtion 126 f., 129 f., 133, 141 ff. Körperverletzung (§ 223 StGB) – einfache, Konkurrenz zu §§ 113, 114 StGB 140 – gefährliche und schwere, Konkurrenz zu §§ 113, 114 StGB 143 f. – Historie 24, 34 – Schutzgut 87 ff. – Tathandlung 106 f. – versuchte, Konkurrenz zu §§ 113, 114 StGB 140 ff. Körperverletzung im Amt (§ 340 StGB) 171 ff., 176, 178, 189 f., 240 Kriminalitätsentwicklung 49, 52, 233, 237 f. Kriminalitätsfurcht 49 ff., 231 ff. Kriminalpolitische Fehlentwicklung 245, 255 Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) 51 ff., 206 f., 225, 233 Legitimationsprobleme 61 Legitimität 71, 195 ff., 199, 241 Leitbild 217, 220, 223 Medien 45 f., 223 ff., 233 f., 238 Meinungsfreiheit 94, 156 Michael Kubiciel (Gesetzesentwurf) 192 f. Misstrauen 46 f., 246 Moral 74, 199 f., 230, 242 Nachrichtenwert 224 Nachwuchsgewinnung 213 ff. Ne bis in idem-Prinzip 187
Normverzicht 185 f. Nötigung (§ 240 StGB) – Historie 36 f., 39, 63 ff. – Konkurrenz zu § 113 StGB 132 ff., 135 f. – Konkurrenz zu § 114 StGB 136 f. – Konkurrenz zu § 115 137 ff. – Tathandlung siehe Gewalt und Drohung – Schutzgut 87 Öffentliche Sicherheit 85, 98 Opferorientierung (kriminalpolitisch) 213, 221, 229 ff. Opferrolle (der Institution Polizei) 221, 239 Parteien – BÜNDNIS 90/Die Grünen 60, 157 – CDU/CSU 38, 57 ff., 60, 174, 203 f. – FDP 38, 59 – SPD 38, 58 f., 60, 203 f. Pensionierungswelle 215 f. Personalmangel 44, 246, 212 ff. Polizei-Individuum-Verhältnis 112 ff., 240, 41 ff. Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) 50, 52 f., 172, 202 Preußisches Allgemeines Landrecht (PrALR) 25, 28 Privilegierung 36 f., 63 ff., 131 f., 134 f., 182, 242 Punitivität 59, 229 f., 235, 248 Quälen 165 ff. Qualifikation 36, 105, 123 ff., 134, 150 f. Qualität (Gesetzgebung) siehe Rationalität Rationalität – Verständnis (eigenes) und Kriterien 195, 198 f. – Verständnis (Rechtsprechung) 198 – symbolischer Gesetze 227 ff.
Stichwortverzeichnis Rechtmäßigkeitserfordernis 24, 180 ff. Rechtsgutsbegriff 70 f. Rechtsgutstheorie 200 f. Referentenentwurf 58, 98 Regelbeispiele – Beisichführen von Waffen und anderen gefährlichen Werkzeugen 56, 145 ff., 178 f., 244 – gemeinschaftliche Tatbegehung 155 ff. Reichsgericht 78, 101 f. Respekt 91 f., 94, 113, 203, 216 ff., 236, 247 Rettungskräfte 60, 65 f., 98, 207, 247 Roh misshandeln siehe quälen Saarländischer Gesetzesentwurf 165 ff., 171 ff., 187 ff. Sanktionsfreude siehe Punitivität Schutzgut siehe Rechtsgut Sensibilisierung 219 ff., 237 Sicherheitsdimensionen 48 f. Sicherheitsgesellschaft 47 f. Sicherheitsvorsorge 213 Signal(wirkung) 134, 174, 203 f., 226, 255 Solidaritätsbekundung 202 ff., 248 Sonderstrafrecht 85, 255 Spannungsverhältnis 216, 238 ff. Sperrwirkung 135 ff., 183, 185 Spezialität (lex specialis) 64 ff., 123 ff., 129 f., 133 f., 139, 141 f. Stabilisierungspotential 199, 229 ff. Strafbarkeitslücke 66, 167, 185, 204 Strafrahmenerhöhung 62 f., 65, 92, 149 f., 175 ff., 201 f. Strafzumessung 29 f., 175, 184 Streichung des tätlichen Angriffs siehe Normverzicht Subsidiarität 127 f., 130 Subsidiaritätsklausel 122 Symbolisches Strafrecht (Symbolstrafrecht) – Definition 200 f.
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– Einordnung des 52. StrÄG 201 ff. – Gefahren 236 ff. Tateinheit 128 f., 134, 137 ff., 228 Tätlicher Angriff – Auslegung 114 ff. – Definition (herrschend) 102 f. – Definition (restriktiv, vorzugswürdig) 108 ff., 121 – Fallgruppen 110 ff. Überforderung – von Politiker:innen 46 f., 235 – von Polizist:innen 205 Ultima ratio 71, 201, 241, 255 Unrecht 62, 72, 81, 84 f., 104 f., 118, 169, 193 (Un)Sicherheitsgefühl 43, 48, 159, 233 Unterlassene Hilfeleistung (§ 323c StGB) 97 ff., 182, 255 Vagheit 82 ff., 89, 98, 116 Verhältnismäßigkeit 164, 196, 198, 201 Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) 156 f. Vertrauen 47 f., 50, 216 f., 234 Verunsicherung 46, 230, 243 Verwendungsabsicht siehe Beisichführen von Waffen und anderen gefährlichen Werkzeugen Wertschätzung 43, 91, 94, 203 f., 216 ff., 218 Wertungswiderspruch 149 ff., 162 f., 165 Widerstandleisten 102 ff. „Zeichen setzen“ 134, 200, 204, 236 Zufriedenheit – Entwicklung 205 ff. – Ursachen 212 ff.